Skip to main content

Full text of "Christliche Antike : Einführung in die altchristliche Kunst"

See other formats


»SPS 


r/j 


UM 


S*: 


^ftf. 


<..**: 


rZ 


>jp*>^^aL. 


4^ 


I 


* 


v.  Sybel,  Christliche  Antike  J. 


Tafel  1. 


1.  Vase  zwischen  Tauben.    Coemeterium  Praetextati. 


2.  Psyche  und  Amor.    Coemeterium  Domitillae. 


CHRISTLICHE  ANTIKE 


EINFÜHRUNG  IN  DIE  ALTCHRISTLICHE  KUNST 


VON 


LUDWIG  VON  SYBEL 


ERSTER  BAND 


EINLEITENDES     •    KATAKOMBEN 


MIT  VIER  FARBTAFELN  UND  55  TEXTBILDERN. 


*¥» 


MARBURG 

N.  G.  ELWERT'SCHE  VERLAGSBUCHHANDLUNG 

1906 


Alle  Kechte  vorbehalten. 

Die  Verlagshandlung. 


Dem  Göttinger  Kommilitonen 
Rudolf  Hirzel 

dem  Philologen 


THEGETTYCOTt* 
UBRMW 


Vorwort. 


Dies  Buch  will  eine  Einführung  sein  für  alle,  welche  dem  Gegenstande  noch 
nicht  näher  traten;  insbesondere  ist  dabei  an  klassische  Philologen  und  Archäo- 
logen gedacht.  Ob  Theologen  in  dem  Buche  für  sich  etwas  finden  können,  müssen 
sie  selbst  sehen;  jedenfalls  haben  sachliche  Besprechungen  von  Theologen  jeder  Kon- 
fession auf  besonderen  Dank  zu  rechnen.  Das  Buch  ist  so  geschrieben,  daß  es  auch 
von  weiteren  Kreisen  der  Gebildeten  gelesen  werden  kann;  der  gelehrte  Apparat  wurde 
in  die  Fußnoten  verwiesen. 

Die  altchristliche  Kunst,  verstanden  als  christliche  Antike,  hat  Verfasser  1877 
in  den  Kreis  der  klassisch -archäologischen  Vorlesungen  eingeführt  und  in  gleichem 
Sinne  sie  1887  in  seinen  „Grundriß"  aufgenommen  (Weltgeschichte  der  Kunst  im 
Altertum,  2.  verbess.  Auflage,  Marburg  1903).  Das  dort  knapp  Skizzierte  wird  hier 
ausgeführt  und  begründet. 

Das  Buch  hätte  an  sich  früher  herausgegeben  werden  können;  aber  es  mußte 
auf  das  Erscheinen  von  Wilperts  „Malereien  der  Katakomben  Roms"  warten  und 
mußte  dann  erst  auf  die  neue  Grundlage  ihrer  zuverlässigen  Reproduktionen  gestellt 
werden;  in  der  Erklärung  aber  konnte  es  sich  jetzt  wesentlich  nur  um  eine  Aus- 
einandersetzung mit  Wilperts  Textband  handeln,  sei  es  in  offener  Aussprache  oder 
stillschweigend.  Von  entgegengesetzten  Ausgangspunkten  herkommend  gehen  wir 
doch  große  Strecken  zusammen,  um  an  wichtigen  Punkten  uns  dann  freilieh  um 
so  weiter  zu  trennen.  Die  Moral  der  Sache  ist:  je  mehr  die  „Weltanschauungen" 
aus  dem  Spiele  bleiben,  desto  eher  wird  man  sich  verständigen.  Seinerseits  hat 
Verfasser  gesucht,  in  einer  ersten  Einleitung  „Glauben  und  Forschen"  für  seine 
Arbeit  wie  für  das  ganze  geistige  Sein  auf  längst  gegründeten  Fundamenten  eine  dem 
Streit  der  Weltanschauungen  entrückte  Position  zu  gewinnen. 

Die  Farbtafeln  sollen  eine  Vorstellung  von  der  Mal  weise  geben,  und  zwar  der 
besseren  Malereien.  Die  Textbilder  wollen  bloß  eine  Anschauung  der  wichtigsten 
Bildtypen  vermitteln;  der  größeren  Deutlichkeit  zulieb  sind  sie  nur  zum  Teil  der 
Wilpertschen  Publikation  entnommen,  zum  Teil  de  Rossi's  Roma  sotterranea  und  Gar- 
rucci's  Storia. 

Mehreren  Kollegen  verdanke  ich  wertvolle  Nachweisungen  auf  Gebieten,  die  mir 
ferner  liegen. 


"VI  Vorwort. 

Nach  dem  Druck  der  ersten  Bogen  ging  mir  verschiedenes  zu,  dessen  hier 
Erwähnung  zu  geschehen  hat.  Erstens  Hermann  Gunkels  Selbstanzeige  seiner 
„Israelitischen  Literatur"  in  der  Deutschen  Literaturzeitung  1906,  Seite  1797  und  1861. 
Die  schöne  und  große  Aufgabe  aber,  von  der  unten  im  Abschnitt  über  die  litera- 
rischen Quellen  die  Rede  ist,  nämlich  die  erste  Geschichte  der  altisraelitischen  Literatur 
zu  schreiben,  hat  inzwischen  Karl  Budde  gelöst;  mein  Kollege  teilt  mir  mit,  daß 
seine  Literaturgeschichte  jetzt  eben  erscheint.  Endlich  ging  mir  die  1.  Lieferung 
von  Lietzmanns  Handbuch  zum  neuen  Testament  zu;  den  von  Theologen  verfaßten 
Kommentaren  wird  ein  von  Philologen  (Radermacher  und  Wendland)  gearbeiteter 
Band  vorausgeschickt,  grammatischen,  literarhistorischen,  kulturgeschichtlichen  Inhalts. 
Ob  dies  selbstverständlich  strengwissenschaftliche  Werk  gerade  unser  Desiderat  eines 
philologischen  Kommentars  befriedigen  wird,  müssen  wir  abwarten. 

Marburg,  den  6.  August  1906. 

Ludwig  v.  Sybel. 


Inhalt 


Seite 

Einleitung 1 

Glauben  und  Forschen 1 

Christliche  Antike 9 

Die  literarischen  Quellen 22 

Die  altisraelitische  Literatur 23 

Die  christliche  Literatur 30 

Die  Inschriften 37 

Die  Jenseitsgedanken  des  Altertums 38 

Drei  Entwicklungsstufen  (Urglaube.    Reform.    Eeaktion) 39 

Die  Völker  (Naturvölker.  Ägypter.  Babylonier.    Perser.  Inder.  Thraker.  Griechen.  Römer. 

Juden.    Christen) 45 

Die  Katakomben 81 

Der  Bestand 82 

Bau  der  Katakomben 98 

Die  Grüfte 103 

Die  Gräber • 122 

Die  Grabschriften 132 

Die  Malereien  der.Katakomben 140 

Die  Publikationen 140 

Chronologisches 143 

System  und  Idee  der  Deckenmalerei 151 

System  der  Wandverzierung.     Ausblicke 156 

Das  Paradies.     Adam  und  Eva 159 

Übernommene  Embleme 168 

Erntebilder 177 

Das  Mahl  der  Seligen 181 

Antike  Mahlschemata 182 

Die  christlichen  Mahle 190 

Die  Erlösung 210 

Erlösungstypen   (Alttestamentliche.    Evangelische) 210 

Erlösungsmittel   (Brot  und  Wasser  des  Lebens.     Taufe) 229 

Der  Erlöser    (Der  gute  Hirt.     Das  Christkind) 240 


VIII  Inhalt, 

Seite 

Die  Seligen  im  Himmel 254 

Die  Oranten 255 

Im  Himmel    (Eintritt  in  den  Himmel.     Der  Selige  vor  dem  Christus.     Der  Christus  und 

die  Apostel) 265 

Ikonographisches  (Christustypen.     Petrus  und  Paulus) 280 

Syntax  der  figürlichen  Typen 285 

Verzierung  der  Wandgräber  (Nischengräber.     Fachgräber) 287 

Verzierung    der    Kammern     (Vibiagruft.     Christliche    Grüfte.     Einzelfiguren.     Fossoren. 

Handwerk  und  Gewerbe).     Hypothesen 291 

Verzeichnis  der  Illustrationen 305 

Register 306 


Berichtigungen. 

Seite  39  Zeile  16  von  unten  lies:  gereifterer. 

„      44  letzte  Zeile:  Griechen,  Römer,  Juden  und  Christen. 
„      49  Anm.  1,  Zeile  2:  Gilgamesch-Epos  1906. 


Einleitung. 


Glauben  und  Forschen. 


Glauben  und  Forschen  waren  im  Keime  eins, 
primitives  Bemühen  um  Weltanschauung.  Mit  der 
Herausbildung  dessen,  was  wir  methodisches  Nach- 
denken und  Forschen  nennen,  fingen  die  Wege  an 
sich  zu  scheiden.  Ausschlaggebend  war  die  Stellung 
zu  den  Lebensfragen.  Wer,  von  der  Notwendigkeit 
des  Fortschreitens  in  der  logischen  Erkenntnis  durch- 
drungen, sich  entschied,  diesen  nicht  schwindelfreien 
Höhenweg  zu  gehen,  der  nahm  das  Risiko  des  Irrtums 
bewußt  in  Kauf,  im  Vertrauen,  daß  Wahrhaftigkeit 
besser  sei  als  vermeinte  Wahrheit,  daß  ein  Grundsatz 
sicherer  leite  als  ein  Lehrsatz.  Wer  aber  gewohnt, 
die  Lebensfragen  im  Lichte  der  alten  Weltanschauung 
zu  sehen,  die  Lösung  jener  an  die  Geltung  dieser 
unlösbar  gebunden  meinte,  hielt  um  der  Lebensfragen 
willen  die  veraltete  Weltanschauung  fest;  die  anders 
gearteten  neueren  Bekenntnisse  schob  er  beiseite  oder 
fand  sioh  mit  ihnen  ab  wie  er  mochte.  Unter  den 
Lebensfragen  begreifen  wir  nicht  bloß  die  Existenz  in  der  menschlichen  Gemeinschaft, 
sondern  auch  die  Bedürfnisse  des  Gemüts,  die  zuletzt  in  der  Mystik  Befriedigung 
suchen.  Die  Mystik  stellen  wir  für  besondere  Besprechung  zurück,  wie  wir  überhaupt 
das  Gemütsbedürfnis,  als  ein  Innerpersönliches,  hier  übergehen;  aber  das  andere  ist 
öffentlicher  Natur  und  von  öffentlichem  Interesse. 

Die  menschliche  Gesellschaft  organisiert  sich  in  Staaten.  Sobald  nun  auch  der 
Staat  die  Sicherheit  dessen,  was  für  ihn  Lebensfrage  ist,  vom  Bestände  der  altgewohnten 
Weltanschauung  abhängig  glaubt,  so  meint  er  sich  derer  erwehren  zu  müssen,  von 
denen  er  für  seine  Götter  fürchtet.  Das  war  der  Fall  des  gegen  fremde  Religion 
bis  zur  Anerkennung  und  Übernahme  toleranten,  aber  gegenüber  allem  den  Staat 
Bedrohenden,  vor  allem  gegenüber  „Atheismus"  gereizten  antiken  Staates.  Sokrates 
und  die  Christen  haben  es  erfahren.  Der  moderne  Staat  besteht  grundsätzlich  unab- 
hängig von  irgend  einer  Weltanschauung.  Aber  die  gleichfalls  politisch  organisierten 
Gemeinden  der  Gläubigen  fühlen  sich,  wie  der  antike  Staat,  durch  die  Zweifler  und 
Forscher  in  ihrem  Bestände  bedroht  und  wenden  nun  ihrerseits  gegen  sie  den  Vorwurf 

Sybel,    Christliche  Antike  I.  1 


Sokrates. 

Born. 


2  Einleitung. 

des  Atheismus;  sie  suchen  die  Staatsgewalt  zu  überreden,  die  freie  Forschung  nage  an 
der  Lebens wurzel  der  Gesellschaft.  Man  sollte  meinen,  gerade  vor  den  ernstesten 
Fragen  sei  das  Wort  „Prüfet  alles"  am  meisten  angebracht.  Aber  diese  Prüfung 
möchten  die  Eifrigsten  am  liebsten  durch  die  Staatsgewalt  ganz  verhindert  sehen; 
andere  treten  zwar  in  die  wissenschaftliche  Arbeit  ein,  verbieten  sich  jedoch  selbst,  die 
Forschung  über  gewisse,  von  den  Ämtern  ihrer  Religionsgenossenschaft  gezogene 
Grenzen  hinauszuführen,  sie  halten  an  dem  Punkte  inne,  wo  ihre  Ergebnisse  in  Wider- 
streit geraten  mit  dem  vom  Genossenschaftsamt  befohlenen  Für  wahrhalten.1) 

Demgegenüber  muß  immer  wieder,  nicht  nur  das  Recht,  sondern  die  Pflicht,  die 
unbedingte  Pflicht  der  wissenschaftlichen  Forschung  betont  werden.  So- 
lange noch  Eide  geschworen  werden,  für  solange  sollte  der  Doktoreid  in  angemessener 
Formel  wieder  eingeführt  werden;  kommt  es  aber  einmal  zur  Abschaffung  des  Greuels 
der  Selbstverwünschung,  dieses  Nachlebsels  heidnischer  Religiosität  („die  Erde  öffne 
sich  und  schlinge  mich  hinab,  wenn  ich  Unwahres  euch  berichte"),  so  bleibt  die  Selbst- 
verpflichtung übrig,  für  den  Doktoranden  die  Selbstverpflichtung  auf  die  unbedingte 
Forschung.  Sie  geht  dahin,  dem  Grundsatz  getreu  den  Weg  der  Forschung  fort- 
zusetzen, nicht  beschränkt  durch  irgend  ein  Imperium,  noch  von  irgend  einer  vor- 
gefaßten Meinung.  Nur  dies  ist  der  übrigens  allen  bekannte  Sinn  des  Schlagwortes 
von  der  „  voraussetzungslosen "  freien  Wissenschaft. 

Gegen  den  Satz  von  der  voraussetzungslosen  Wissenschaft  ist  der  Einwand  er- 
hoben worden,  sie  sei  in  Wirklichkeit  gar  nicht  so  voraussetzungslos,  wie  ihre  Wort- 
führer sich  gebärdeten;  im  Gegenteil,  diese  sich  frei  nennenden  Gelehrten  ständen 
tatsächlich  im  Banne  vorgefaßter  Meinungen,  ihrer  Weltanschauung  und  sonstiger 
Vorurteile. 

Der  Streit  ist  leicht  zu  schlichten  durch  die  notwenige  Unterscheidung  zwischen 
den  einzelnen  Gelehrten  und  der  Wissenschaft  selbst.  Es  ist  gewiß  richtig,  die  ein- 
zelnen Gelehrten  sind  Menschen,  dem  Gesetz  der  Kausalität  unterworfen,  insoweit 
Produkte  der  Gesellschaft,  der  sie  entstammen,  durch  Erziehung,  Unterricht  und  Ver- 
kehr mit  fertigen  Urteilen  und  Anschauungen,  also  in  der  Tat  mit  Vorurteilen  an- 
gefüllt, ehe  sie  an  den  Arbeitstisch  nur  herantreten.  Aber  die  Wissenschaft  selbst  ist 
frei  davon.  Die  Wissenschaft  selbst,  das  will  sagen,  wie  sie  dem  Arbeiter  zur  Auf- 
gabe gestellt  ist:  den  Weg  der  Forschung  zu  gehen,  aufrichtig  und  ohne  Vorbehalt, 
rücksichtslos  alle  entgegenstehenden  Meinungen  beiseite  zu  setzen,  vor  allem  diejenigen, 
welche  er  selbst  mitgebracht  hat  aus  Familie  und  Verkehr,  aus  Schule  und  Kirche, 
oder  woher  immer.  Die  Wissenschaft  hat  ihr  Gesetz,  aber  nur  in  sich  selbst;  das  ist 
ihre  Freiheit.  Aber  Freiheit  bedeutet  Selbstverantwortung;  der  Gelehrte  genügt  seiner 
Verantwortlichkeit,  indem  er  das  Gesetz  der  Wissenschaft  achtet  und  das  Gebot  der 
Wissenschaftlichkeit  erfüllt,  die  unbedingte  Pflicht  der  Forschung  ohne  Vorbehalt. 

Die   Wissenschaft  muß   den  Fragen  auf  den  Grund  gehen;    in    diesem    Sinne    ist 


J)  Atheismus:  Leclercq  bei  Cabrol,  Dictionnaire  I  1903,  275.  —  „Prüfet  alles":  Kant, 
Kritik  der  reinen  Vernunft,  Vorrede  zur  ersten  Ausgabe  1781:  „Unser  Zeitalter  ist  das  eigentliche 
Zeitalter  der  Kritik,  der  sich  alles  unterwerfen  muß.  Eeligion,  durch  ihre  Heiligkeit,  und  Gesetz- 
gebung, durch  ihre  Majestät,  wollen  sich  gemeiniglich  derselben  entziehen.  Aber  alsdann  erregen 
sie  gerechten  Verdacht  wider  sich  und  können  auf  unverstellte  Achtung  nicht  Anspruch  machen, 
die  die  Vernunft  nur  demjenigen  bewilligt,  was  ihre  freie  und  öffentliche  Prüfung  hat  aushalten 
können." 


Glauben  und  Forschen.  3 

sie  radikal,  oder  sie  ist  nicht.  Die  historische  Wissenschaft  ist  radikale  kritische 
Historie  oder  sie  ist  nicht.  Mag  das  Ergebnis  ausfallen  wie  es  wolle,  man  hat  es  hin- 
zunehmen; und  hierin  besteht  die  Objektivität  des  Historikers.  Denn  keineswegs  soll 
einer  interesselosen  Geschichtsbetrachtung  das  Wort  geredet  werden,  welche  den  Spielen 
auf  der  Weltbühne  aus  behaglicher  Loge  nur  mit  ästhetischem  Wohlgefallen  zuschaute, 
oder  die  unparteiisch  wie  ein  Gott  die  Wage  in  der  Hand  hielte.  Das  ist  dem  vom  Weibe 
Geborenen  nicht  möglich  und  soll  auch  nicht  sein.  Praktisches  Interesse,  im  Ineinander- 
wirken  mit  Spiel  des  freien  Geistes,  hat  die  Wissenschaft  überhaupt  ins  Leben  gerufen 
und  gibt  ihr  fortdauernd  neue  Anregung.  Der  Mensch  steht  im  Leben  als  Lebender, 
und  aus  innerstem  Bedürfnis  ergreift  er  Partei.  Nur  daß  das  wissenschaftliche  Ge- 
wissen nicht  erschlaffe  unter  dem  Parteiinteresse,  sondern  umgekehrt  das  Parteiideal 
sich    immer    neu    berichtige  an  den  Ergebnissen  der  voraussetzungslosen  Wissenschaft. 

In  der  Wissenschaft  wird  nicht  nach  dem  Glauben  des  Gelehrten  gefragt,  wohl 
aber  danach,  ob  er  willens  ist,  der  unbedingten  Pflicht  der  Forschung  zu  leben,  oder 
ob  er  irgend  welche  Vorbehalte  machen  zu  müssen  glaubt,  seien  sie  kirchlicher,  poli- 
tischer oder  welcher  Art  immer.  Dies  eben  ist  der  innerste  Grund,  weshalb  (von  den 
theologischen  Fakultäten  reden  wir  nicht)  konfessionelle  Professuren  und  konfessionelle 
Studentenverbindungen  von  den  Universitäten  als  Fremdkörper  im  akademischen  Wesen 
empfunden  werden:  die  Inhaber  jener  Professuren  und  die  Angehörigen  dieser  Ver- 
bindungen widmen  sich  der  Wissenschaft,  die  doch  ihr  Gesetz  in  sich  selbst  trägt,  nicht 
im  Sinn  und  Geist  der  unbedingten  Forschungspflicht,  sondern  „ihres  an  kirchliche 
Dogmen  gebundenen  Glaubens".  Von  der  politischen  Seite  dieser  Sache  sehen  wir 
hier  ab.1) 

Ein  anderer  Einwand  wird  gegen  die  freie  Wissenschaft  selbst  erhoben;  es  ist 
der  schon  eingangs  angedeutete,  sie  zerstöre  die  Religion,  und  damit  den  Grund  der 
Sittlichkeit;  sie  nehme  dem  Menschen  schließlich  seinen  inneren  Halt  und  seinen 
inneren  Frieden. 

Religion.  Religio  ist  Rücksicht,  Scheu,  ursprünglich  die  Scheu  vor  den  Ge- 
spenstern, Geistern,  Göttern,  die  Angst  vor  ihrer  Macht  und  Tücke,  Deisidämonie;  man 
suchte  ihren  Groll  zu  besänftigen,  ihre  Gunst  zu  erkaufen,  indem  man  ihnen  zu  Opfer 
hinwarf  und  preisgab,  worauf  man  sie  lüstern  hielt,  Essen  und  Trinken,  Geschenke 
aller  Art,  auch  Menschen.  Veredelte  Sitte  hat  dann  auf  die  Religion  zurückgewirkt; 
die  Gespenster  und  Dämonen  hat  man  in  Schattenreiche  gebannt,  die  veredelten  Götter 


*)  Die  Worte  in  Anführungszeichen  nach  v.  Hertling,  Akademische  Freiheit  (in  der  Monats- 
schrift Hochland  III  1905,  67).  Um  einer  sich  bildenden  Legende  entgegenzutreten,  sei  hier  fest- 
gestellt, daß  der  Protest  der  Professoren  in  der  Straßburger  Sache  tatsächlich  nicht  durch  die 
Berufung  eines  Katholiken  auf  einen  akademischen  Lehrstuhl  veranlaßt  war,  sondern  —  dieser 
springende  Punkt  sollte  in  keiner  Besprechung  der  Angelegenheit  verschwiegen  werden  —  durch 
die  Errichtung  eines  konfessionellen  Lehrstuhles  in  der  philosophischen  Fakultät.  Um  dem  Sinn 
dieser  von  der  Unterrichtsverwaltung  getroffenen  Maßregel  gerecht  zu  werden,  sei  zugegeben,  daß 
die  Erziehung  der  Kandidaten  des  geistlichen  Amts  besser  an  der  Universität  geschieht  als  in 
Priesterseminaren;  wenn  man  sie  dann  aber  in  Konvikte  sperrt  und  ihren  Unterricht  in  Philosophie 
und  Geschichte  konfessionalisiert,  so  ist's  mit  der  akademischen  Erziehung  bloßer  Schein.  Endlich, 
der  durch  solche  Maßregeln  erzielte  nationale  Gewinn,  darin  bestehend,  daß  die  ultramontanen 
Katholiken  sich  diesseits  der  Vogesen  jetzt  behaglicher  fühlen  als  jenseits,  ist  zu  teuer  bezahlt  mit 
der  fortgesetzten  Übertragung  staatlicher  Hoheitsrechte  an  den  auswärtigen  Souverän,  den  absoluten 
Monarchen  der  internationalen  Religionsgesellschaft,  und  seine  Agenten. 

1* 


4  Einleitung. 

aber  wurden  zu  Lenkern  der  Welt,  ein  jeder  in  .seiner  Sphäre,  zu  Horten  und 
Wächtern  aller  Tugenden,  zu  deren  Idealen.  Die  Gottesangst  wurde  Gottesfurcht. 
Nun  ist  es  neben  dem  immer  noch  fortdauernden  Opferkultus  vor  allem  die  Scheu  vor 
Pflichtverletzung,  die  Rücksicht  auf  die  Pflicht,  welche  Religion  heißt,  eine  Religion, 
die  „besser  ist  als  Opfer".  Religentem  esse  oportet,  religiosum  non  opus  est.  So 
wechselt  der  Gegenstand  der  Religion,  sie  selbst  bleibt.  Denn  sie  hängt  nicht  an 
diesem  oder  jenem  Gott,  sie  hat  ihren  Gott  schon  oft  gewechselt,  Gott  allein  weiß,  ob 
schon  zum  letztenmal,  dennoch  bleibt  sie.  Gesetzt  also,  die  freie  Wissenschaft  zerstörte 
die  eine  oder  andere  Religionsform,  so  hätte  sie  noch  längst  nicht  alle  und  jede  Re- 
ligion zerstört,  nicht  die  Religion  selbst. 

Sittlichkeit.  Hierüber  haben  wir  nur  das  für  den  Zweck  Nötigste  zu  sagen, 
nicht  in  die  Tiefe  zu  gehen;  das  Ethische  liegt  nicht  im  Thema  dieses  Buches.  Die 
veredelte  Sittlichkeit,  sagten  wir,  veredelte  rückwirkend  die  Götter.  Die  veredelte 
Sittlichkeit,  das  heißt,  tiefer  eindringendes  und  schärfer  fassendes  Denken,  bezogen 
auf  die  menschliche  Gesellschaft,  wie  es  dann  auch  bezogen  wurde  auf  die  Natur  weit 
in  ihrem  ganzen  Umfang  und  Inhalt.  Das  tiefere  und  schärfere  Denken  über  die 
Verhältnisse  in  der  menschlichen  Gesellschaft  hat  aus  der  harten  Kruste  der  Barbarei 
die  Sittlichkeit  als  zarten  Kern  des  Menschentums  erst  herausgeschält  und  sie  immer 
weiter  entwickelt,  hat  immer  tiefer  eindringend  ihre  innere  feinere  und  feinste  Struktur 
in  langer  Zeit  ans  Licht  gebracht.  Weil  man  aber  als  Lenker  der  Welt  Götter 
dachte,  so  nahmen  mit  dem  Wachstum  der  Sittlichkeit  die  Götter  notwendig  selbst  zu 
an  sittlichem  Gehalt,  ein  Widerwillen  erwachte  gegen  die  in  der  sittlicher  gewordenen 
Atmosphäre  unsittlich  erscheinenden  Naivitäten  des  Mythus;  die  Achtung  der  Sitten- 
gesetze erschien  nun  als  Unterwerfung  unter  die  Ordnungen  des  Zeus,  als  Gehorsam 
gegen  die  Gebote  Jahwes.  Aber  im  Denken  war  das  Sittengesetz  erzeugt  worden; 
darum  kann  es  durch  methodisches  Denken  nie  bedroht,  nur  gefördert  werden. 

Der  innere  Halt.  Es  pflegt  gesagt  zu  werden,  es  sei  dem  Menschen  notwendig, 
daß  er  etwas  glaube,  man  müsse  einen  Glauben  haben.  Der  Satz  ist  richtig,  wenn  er 
meint,  der  Mensch  müsse  ein  Vertrauen  haben;  aber  er  ist  evident  unwahr  und  ver- 
hängnisvoll irreführend,  wenn  er  besagen  soll,  man  müsse  irgend  welche  Lehrsätze 
ungeprüft  hinnehmen,  auch  wenn  sie  nicht  durch  logische  Erkenntnis  gewonnen  sind 
oder  gar  ihr  widerstreiten.  Das  Wort  Glauben,  so  schönen  Klanges  wie  schillernden 
Sinnes,  hat  viel  auf  dem  Gewissen.  Es  sollte  nur  von  Vertrauen  die  Rede  sein,  Glaube 
an  eine  Person  darf  nur  Vertrauen  in  seine  Persönlichkeit  meinen.  Man  sollte  einmal 
den  Versuch  machen,  Luthers  „  Glaubensbibel "  in  eine  „  Vertrauensbibel  *  umzuschreiben; 
es  lautete  nicht  so  schön,  aber  es  wäre  besser.  Freilich  wird  der  Versuch  nicht  durch- 
zuführen sein,  da  schon  in  der  Entstehungszeit  der  neutestamentlichen  Schriften  der 
Übergang  vom  „Vertrauen"  zum  „Dogmenglauben"  sich  vollzog. 

Die  Religionen  wechseln,  aber  die  Religion  bleibt,  die  Religenz,  die  Achtung 
dessen,  dem  man  sich  fügt,  aus  Einsicht  und  also  freien  Geistes  und  freien  Willens. 
Religion  war  Abhängigkeit,  Religion  ist  Überwindung  der  Abhängigkeit.  Dem  man 
sich  fügt,  das  ist  das  Sittengesetz  und  das  Naturgesetz.  Diese  Achtung  des  Gesetzes 
ist  innerlichst  unabhängig  von  der  „Weltanschauung".  Eine  Weltanschauung  baut 
sich  jeder  denkende  Mensch  auf,  der  primitive  und  der  ungeschulte,  wie  der  höchst- 
gebildete und  der  höchstmethodische.  Je  nachdem  schaut  er  die  Welt  an,  den 
„Himmel"   als  hohle  Halbkugel   über  die  tellerförmige  Erde  gestülpt,  oder  sphärisch  und 


Glauben  und  Forschen.  5 

geozentrisch,  oder  heliozentrisch;  oder  er  denkt  ungezählte  Sonnensysteme,  die  den 
Geist  in  schwindelnde  Fernen  führen,  und  erschöpft  zuletzt  das  Denkbare  in  der  Vor- 
stellung einer  in  Raum  und  Zeit  unendlichen  Welt.  Wiederum  grübelt  der  Mensch 
über  die  Kräfte  und  die  Bewegungen  in  der  Welt  und  ihren  Einzeldingen,  was  es 
damit  sei;  über  das  organische  Leben,  über  das  Lebensprinzip,  das  er  gern  hypostasiert 
in  einer  Seele,  der  Trägerin  zugleich  der  Persönlichkeit;  wie  er  denn  auch  die  Welt- 
gebiete, so  oder  so  im  Denken  sie  abgliedernd,  nicht  denkt  ohne  Analoga  der  Pflanzen-, 
Tier-  und  Menschenseele,  ohne  einen  zugehörigen  persönlichen  Gott;  zuletzt  erhebt 
sich  ihm,  mit  dem  Aufgehen  des  Begriffs  der  in  die  Allwelt  gestellten  Menschheit,  über 
und  gegenüber  den  vielen  Göttern,  der  Eingott.  Und  die  eigne  Erfahrung  des 
Geborgenseins  im  Arm  eines  gütigen  Vaters  in  die  gottregierte  Welt  projizierend  hat 
der  Mensch  sich  von  jeher  als  Kind  seines  Gottes  gefühlt.  Es  ist  psychologische  Not- 
wendigkeit, daß  er  die  Welt  als  sinnreiches  Kunstwerk  sieht  und  daß  er  hinter  dem 
Kunstwerk  den  Künstler  sucht;  es  ist  psychologische  Notwendigkeit,  daß  er,  in  die 
gottgetragene  Welt  gestellt,  sich  wie  im  Arm  eines  auch  in  der  Strenge  gütigen  Vaters 
fühlt.  Er  mag  den  persönlichen  Gott  zur  Gottheit,  zur  Natur,  zum  Gesetz  verflüch- 
tigen, sobald  er  das  Ganze  sich  vorstellt  und  sich  in  ihm,  so  kann  er  nicht  anders  als 
personifizieren.     Aber  er  muß  wissen,  was  er  tut. 

Die  Weltanschauungen  kommen  mit  einem  großen  Anteil  Phantasie  zustande. 
Wer  aber  sein  Lebensgesetz  dem  Sichersten  entnimmt,  das  dem  Menschen  zu  Gebote 
steht,  dem  Denken,  der  wird  vorziehen,  der  Phantasie  in  ihrem  eigensten  Tummelplatz 
Raum  zu  geben,  nämlich  in  den  weiten  Gefilden  und  hohen  Hallen  der  Kunst,  aller 
Künste;  sie  bieten  auch  dem  Gemüte  reiche  Nahrung.  In  Musik  und  Tanz,  in 
Dichtung  und  Malerei,  in  allen  Künsten  hin  und  wieder  zieht  die  Kunst  alle  Register 
menschlicher  Gefühle,  durchmißt  alle  Tiefen  und  Höhen,  ergötzt,  rührt  und  erschüttert, 
beruhigt  und  beseligt  ihre  Andächtigen.  Was  am  religiösen  Kultus  zum  Gemüt 
spricht,  verdankt  es  in  weitgehendem  Maße  eben  derselben  Kunst;  seine  im  Gegensatz 
zur  Kälte  des  Rationalen  so  gern  empfohlene  Wärme,  sie  ist  wesentlich  ästhetischer 
Natur. 

Es  muß  zugegeben  werden,  in  der  Wissenschaft  selbst  kann  die  Phantasie  nicht 
entbehrt  werden;  da  ist  sie  aber  nicht  die  Herrin  in  wallender  Robe,  sondern  die  be- 
scheidene Gehilfin  im  schlichten  Kleid,  Häubchen  und  Schürze.  So  dienend,  verdeut- 
licht sie  das  Nichtsinnfällige  durch  Bilder,  schaut  sie  Hypothesen,  baut  sie  Synthesen, 
und  so  wird  eine  wissenschaftliche  Weltanschauung.  Jene  in  Raum  und  Zeit  un- 
endliche Welt  des  unerschaffenen  und  ewigen,  in  unerschöpflichem  Wechsel  bewegten 
Stoffes,  in  aller  Bewegung  dieselbe  Kraft,  in  allem  Geschehen  dieselbe  Gesetzmäßig- 
keit, diese  und  ähnliche  Momente  bilden  die  AVeltanschauung  des  heutigen  Nalur- 
denkens.  Und  wenn  sie  kritisch  die  Visierung  umkehrend  das  Weltgesetz  statt 
draußen  in  der  Welt  vielmehr  in  der  Tiefe  des  Denkens  findet,  so  wird  sie  philosophisch. 
Aber  wie  die  naturwissenschaftliche,  so  bleibt  auch  die  philosophische  Weltanschauung 
als  Weltanschauung  hypothetisch,  immer  steht  dem  Forscher  ein  Warner  zur  Seite  und 
sitzt  ihm  der  Stachel  Vorwärts  in  der  Seele;  jeder  neue  Tag  mag  unser  heutiges 
Dogma  berichtigen,  vor  uns  liegt  unerforscht  immer  Unendlichkeit. 

Und  in  der  ewig  fließenden,  in  der  Wissenschaft  und  im  Glauben  gleich  wandel- 
baren „Weltanschauung"  soll  einer  seinen  Halt  finden?  Es  ist  wunderlich  genug,  daß 
die  Menschen  sich  das  immer  wieder  einreden,  sie  fänden  ihren  inneren  Halt  im  Für- 


6  Einleitung. 

wahrhalten  dessen,  was  sie  nicht  wissen  und  wohl  auch  nicht  wissen  können,  sogar  in 
solchem,  was  sie  nicht  einmal  denken  dürften,  wenn  sie  nämlich  etwas  glauben,  weil 
es  absurd  ist  (credo  quia  absurdum  est).  Die  Folge  ist  immer,  daß  der  Weltanschauung 
die  Menschlichkeit  geopfert  wird;  sie  beurteilen  und  richten  die  Menschen  nach  ihrer 
Weltanschauung,  klassifizieren  sie  in  die  guten  Theisten,  die  schon  recht  bedenklichen 
Pantheisten  und  die  ganz  verworfenen  Atheisten,  oder  umgekehrt  in  die  gescheiten 
Atheisten,  die  leidlich  vernünftigen  Pantheisten  und  die  ganz  törichten  Theisten,  und 
was  dergleichen  wunderliche  Äußerungen  des  Verstandes  und  Herzens  mehr  sind. 
Heute  ruft  der  Monismus  die  denkenden  Menschen  zu  seiner  Fahne.  Die  Monisten 
gegen  die  Dualisten.  Gewiß,  die  monistischen  Hypothesen  wollen  so  ernst  erwogen  sein 
wie  die  dualistischen;  man  muß  gestehen,  die  Erklärung  der  Welt  aus  nur  einem 
Prinzip  scheint  in  ihrer  Einfachheit  eine  gewisse  logische  Beruhigung  zu  versprechen. 
Wenn  es  nur  gelingt.  Nun,  es  ist  möglich  und  zu  hoffen,  daß  der  Monistenbund  die 
Sache  der  geistigen  Freiheit  fördert,  aber  die  religiöse  Frage  wird  er  um  keinen  Schritt 
der  Lösung  näher  bringen,  weil  er  die  Religion  nicht  vom  Dogmatismus  erlöst.  Auch 
der  Monismus  bleibt  dabei,  das  Leben  auf  Weltanschauung  zu  gründen,  das  ist,  auf 
das  Fürwahrhalten  einer  Hypothese.  Hypothesen  sind  gut,  der  Forschung  neue  Pfade 
zu  öffnen;  aber  dogmatisiert  sind  sie  auch  nur  Glaubensartikel,  bloße  Fürwahrhaltungen. 

Als  ob  diese  „Weltanschauungen"  nicht  samt  und  sonders  Phantasien  wären,  die 
atheistische,  die  pantheistische,  die  theistische,  die  dualistische,  die  monistische,  alle  ohne 
Unterschied.  Die  Phantasie  spielt,  die  Phantasie  erfreut.  Sie  hilft  auch  bauen,  am 
liebsten  am  Hochbau,  um  ihm  den  schönen  und  das  Gemüt  befriedigenden  Schein  der 
Abrundung  zu  geben,  der  Geschlossenheit  und  Vollendung,  so  daß  einer  darin  warm 
wohnen  kann  in  seinen  Gedanken.  Grundsteine  legt  die  Phantasie  nicht.  Man  baut 
aber  auf  Grundsteine.1) 

Wirklich,  die  Bäume  sagen  uns  nichts,  ebenso  wenig  die  Alpen,  oder  die  Fix- 
sterne, sie  sagen  uns  nichts,  worauf  wir  bauen  könnten.  Sie  reden  vom  Kosmos  der 
Welt,  dessen  Größe  und  Feinheit  uns  ästhetisch  packt  und  dessen  Betrachtung  mittel- 
bar allerdings  etwas  nützen  kann,  indem  sie  uns  zu  tieferem  und  feinerem  Empfinden 
stimmt.  Das  Schöne  ist  das  Sinnbild  des  Guten,  die  Betrachtung  des  Kosmos  der 
Naturwelt  kann  in  uns  die  Ahnung  des  Kosmos  der  Pflichtwelt  erwecken,  nicht  aber 
kann  sie  ihn  unmittelbar  in  uns  erzeugen.  Um  den  Aufbau  des  ethischen  Kosmos 
aber  handelt  es  sich. 

Die  Betrachtung  der  Unendlichkeit  und  des  Reichtums  der  physischen  Welt 
wirkt  in  zwiefacher  und  entgegengesetzter  Weise.  Indem  der  Mensch  sich  in  der  un- 
endlich großen  Welt  als  eines  der  unendlich  kleinen  Wesen  weiß,  die  im  einzelnen 
und  im  ganzen  von  der  Weltmaschine  irgend  einmal  zermalmt  werden,  so  wirkt  dies 
Wissen  niederdrückend.  Auf  der  anderen  Seite  aber  ruft  der  Gedanke,  im  inneren 
Reichtum  der  Welt  der  reichste  und  seiner  selbst  bewußteste  Organismus  zu  sein,  der 
einzige  den  Kosmos  und  sein  Gesetz  denkende  und  empfindende,  er  löst  ein  freudiges 
Schwellen  der  Brust  aus.  Dies  Schwellen  unter  jenem  Druck  erzeugt  die  psychische 
Spannung,  die  Entladung  sucht  in  psychischer  Tätigkeit.  Aber  das  Gesetz  des  Wirkens 
im  psychischen  Kosmos  lehrt  sie  ihn  nicht. 


!)  Zum  Kampf  der  Weltanschauungen  vgl.  auch  v.  Sybel  bei  Kappstein,  Modernes  Christen- 
tum.    Erste  Serie.     Heft  1,  1906,  S.  152. 


Glauben  und  Forschen.  7 

Das  den  natürlichen  Menschen  erdrückende  Gefühl,  der  kalten  Kausalität  preis- 
gegeben zu  sein,  wird  den  von  der  Weltästhetik  Ergriffenen  nicht  verzweifelt 
stimmen,  wohl  aber  bescheiden  und  zur  Aufnahme  der  Idee  der  Solidarität  des 
Menschengeschlechts  empfänglich.  Andererseits  wird  das  Bewußtsein  des  eigenen 
inneren  Besitzes  ihn  mit  der  freudigen  Genugtuung  erfüllen,  das  reichste  Eigenleben 
entfalten  zu  dürfen  auf  einem  unermeßlichen  und  unergründlichen,  ganz  ihm  eigenen 
Arbeitsfeld.     Nach  welcher  Richtschnur  aber  setzt  er  seiner  Arbeit  das  Ziel? 

Nur  im  Denken,  nur  logisch  läßt  sich  die  Sittlichkeit  begründen,  nicht  mytho- 
logisch. Allerdings,  wer  eine  geschichtlich  gegebene  Sittlichkeit  verstehen  will,  der 
muß  sie  kulturgeschichtlich  studieren;  wer  wissen  will,  was  das  sittliche  Leben  im 
Arbeiten  der  Psyche  bedeutet,  der  muß  sich  der  psychologischen  Methode  bedienen. 
Das  auf  diese  Weise,  historisch  und  psychologisch,  gewonnene  Verständnis  wird  die 
„Weltanschauung"  bereichern,  wird  ohne  Zweifel  auch  nützliche  Warnungstafeln  und 
Wegweiser  für  den  Lebensweg  errichten.  Wer  aber  vor  der  praktischen  Frage  steht, 
nach  welchem  Grundsatz  er  leben  soll,  wer  an  den  ethischen  Erörterungen  seiner  Zeit 
teilnehmend  sich  vor  die  Wahl  gestellt  sieht,  diesen  oder  jenen  Weg  einzuschlagen, 
vielleicht  auch  alle  zu  Markt  gebrachten  Richtungen  abzulehnen  und  einen  eignen 
Weg  sich  zu  bahnen,  der  ist  genötigt,  das  Kriterium  aus  der  Tiefe  seines  sittlichen 
Denkens  zu  schöpfen;  ohne  die  Winke  der  Moralgeschichte  und  der  Psychologie  un- 
genutzt zu  lassen,  wird  er  zuletzt  doch  auf  die  Entscheidung  der  Logik  angewiesen  sein. 

Das  Gesetz,  wie  der  Natur,  dem  man  sich  fügt,  so  der  Sitte,  das  man  zu  befolgen 
sucht,  findet  man  nicht  draußen  in  der  Welt,  sondern  nur  in  sich;  gewiß  nicht  im 
zufälligen  Wesen  seiner  Individualität,  sondern  im  festen  Grunde  seiner  geistigen 
Persönlichkeit,  im  Denken.  Aus  diesem  fruchtbaren  Boden  erwächst  uns,  wie  die  Er- 
fahrungswissenschaft, so  der  Pflichtbegriff.  Nur  da,  im  Denken,  ist  es  dem  Menschen 
gegeben,  den  wirklichen  inneren  Halt  zu  finden.  Unter  uns  gesagt,  im  Grunde  auch 
dann,  wenn  die  mythische  Vorstellungsweise  ihn  hinausspiegelt  in  die  Vorstellungs- 
welt; denn  wir  Menschen  haben  doch  alle  dieselbe  Art  Verstand. 

Wie  nun  im  Denkgrund  der  feste  Grund  des  Erfahrungswissens  gegeben  ist  und 
zugleich  der  sittliche  Halt,  so  auch  die  Möglichkeit  des  inneren  Friedens.  Wo  der 
Geist  mit  sich  selbst  in  Zwiespalt  liegt,  da  ist  kein  innerer  Friede  vorhanden.  Ein 
solcher  innerer  Widerspruch  ist  mit  dem  Credo  quia  absurdum  und  allen  seinen  Vor- 
und  Unterstufen  verknüpft.  Es  ist  möglich  und  üblich,  der  „Weltanschauung"  zulieb 
und  von  ihr  verführt,  den  Sinn  für  Wahrhaftigkeit  des  Denkens  so  abzutöten,  daß  er 
keinen  Widerspruch  mehr  zu  erheben  vermag  gegen  Unlogik  —  nein  Widerlogik  —  und 
Phantastik;  aber  das  so  gewonnene  Sicherheitsgefühl  ist  doch  nur  ein  Fundament  von 
Wachs,  das  schmilzt,  sobald  der  phantastische  Dunst  vor  der  Sonne  des  Gedankens 
verfliegt.  Und  hält  der  fragwürdige  Bau  unter  peinlicher  Hut  auch  eine  Weile,  so 
tickt  doch  im  Holz  der  mahnende  Wurm,  wenn  auch  zurückgedrängt  warnt  die  ein- 
geborene Logik.  Wo  aber  das  Denken  mit  sich  selbst  in  Einklang  steht,  somit  auch 
mit  dem  Gesetz,  der  Natur  und  der  Sitte,  dort  und  nur  dort  ist  wirklich  der  innere 
Friede,  die  Ruhe  der  Seele. 

Hat  der  Mensch  im  Grunde  des  Denkens  seinen  Gleichgewichtspunkt  und  Anker- 
grund gefunden,  so  geht  ihm  hieraus  das  Vertrauen  auf,  welches  ihm  nötig  ist  als 
Wanderstab  durchs  Leben.  Der  religiöse  „Glaube"  hat  bekanntlich  zwei  Seiten,  nach 
der  objektiven  Seite  ist  er  ein  Für  wahrhalten,  nach  der  subjektiven  ist  er  Vertrauen. 


8  Einleitung. 

Das  Fürwahrhalten  bezieht  sich  auf  Vorstellungen,  die  sich  dem  logischen  Beweis  ent- 
ziehen, weil  an  ihrer  Erzeugung  die  Einbildungskraft  jenen  allzu  großen,  nicht  genügend 
durch  den  Verstand  kontrollierten  Anteil  hat.  Dies  Fürwahrhalten  kann  ohne  jenes 
unsittliche  Abtöten  des  Verstandes  die  Grundlage  für  ein  lebendiges  Vertrauen  nicht 
abgeben.  Das  ist  ja  nun  jedermanns  Sache,  wie  er  es  damit  halten  will.  Die  Religion 
ist  ein  Persönliches,  Innerliches.  Eben  deshalb  aber  gilt  der  Glaube  nur  in  der 
Gemeinde,  und  zwar  nur  innerhalb  der  ebendasselbe  und  in  derselben  Weise 
glaubenden  Gemeinde;  streng  genommen,  nach  dem  Gesetz  der  Individualität,  gilt 
der  Glaube  nur  im  Innern  der  glaubenden  Einzelseele.  Solange  er  innerhalb 
dieser  seiner  Grenze  bleibt,  wird  man  ihn  respektieren.  Sobald  er  aber  aus  dem  Schutze 
seiner  Grenze  und  auf  den  Markt  tritt,  so  wird  man  die  angebotene  Religion,  ehe  man 
sie  kauft  (denn  auch  für  inneren  Erwerb  muß  man  zahlen),  wie  jede  andre  AVare 
prüfen.  Vollends,  wenn  eine  Religion  propagandistisch  oder  gar  mit  Prätentionen  auf- 
tritt, oder  wenn  sie  in  die  der  logischen  Wissenschaft  bestimmten  Anstalten  sich 
einnisten  will,  so  fordert  sie  die  Kritik  selbst  heraus,  vor  der  sie  unweigerlich  zu 
Boden  fallen  muß,  weil  der  Glaube  für  die  Logik  immer  nur  eine  subjektive  Gewißheit 
von  Sachen  ist,  die  man  nicht  weiß.  Man  unterscheide  wohl,  das  auf  Logik  gegründete 
wissenschaftliche  Vertrauen  ist  eine  Gewißheit  nicht  dessen,  das  man  nicht  weiß, 
sondern  dessen,  das  man  „ nicht  siehet",  eine  Gewißheit,  die,  weil  logisch  erzeugt, 
logischer  Prüfung  ruhig  stand  hält.  Wenn  wir  den  kritischen  Pfad  Piatos  bis  ans 
Ende  verfolgen,  unangesehen  wie  weit  er  selbst  gegangen  ist,  so  besteht  die  philosophische 
Wendung  eben  hierin:  nicht,  wie  der  Mythus  tut,  unseren  Ankergrund  an  den  blauen 
Himmel  zu  spiegeln,  noch  die  Güte  in  die  Welt  der  Fixsterne,  sondern,  das  Bild  ist 
umzukehren,  über  die  Brüstung  gelehnt  in  den  Brunnen  unseres  Denkens  zu  blicken, 
in  ihm  spiegelt  sich  der  unergründliche  Himmel  alles  Wirklichen,  aus  ihm  schöpfen 
wir  unsere  Urteile,  unsere  Entschlüsse,  über  allem  liegt  sein  stiller  Glanz. 

In  der  ruhigen  Gewißheit  des  logischen  Denkens  ruht  unser  Vertrauen.  Es 
macht  uns  den  Gang  durchs  Leben  möglich  und  läßt  auch  über  dem  ewigen  Eise  der 
Kausalität  die  Sonne  des  heiteren  Geistes  scheinen. 

Wo  innerer  Friede  und  Vertrauen  ist,  da  stellt  sich  das  „Gefühl  reinen  Glückes" 
ein,  welches  mit  Recht  Seligkeit  genannt  wird,  weil  auch  die  Götter-  und  Gottes- 
seligkeit nichts  der  Art  nach  Höheres  sein  kann;  denn  sie  ist,  wie  das  ganze  Gottsein, 
lediglich  ein  potenziertes  Menschsein.  Der  Mythus  verlegt  die  Seligkeit  in  die  Zeit 
nach  dem  Tode  und  beschreibt  sie  als  einen  vollkommenen  Genuß;  in  seinem  primitiven 
Stadium  versteht  der  Mythus  darunter  den  Mitgenuß  des  vollkommenen,  dabei  sehr 
substantiell  gedachten  Lebens,  dessen  sich  die  Götter  erfreuen;  auf  gereifterer  Stufe 
wird  auch  die  Seligkeit  sublimiert  zu  einem  ungetrübten  Schauen  der  Vollkommenheit 
des  Gottes.  Eine  Seligkeit  in  Betrachtung,  in  Theorie.  Die  Philosophie  ihrerseits 
lernte  nur  langsam  auf  die  Flügel  der  Phantasie  verzichten,  war  aber  immer  auf  der 
Suche  nach  dem  Rückweg  aus  dem  Wunderreich  drüben  und  zurück  auf  den  festen 
Boden  des  Logischen;  ein  Plato  hat,  unzweideutig  in  seinem  „Gastmahl",  die  be- 
seligende Schau  zurückverlegt  in  die  Lebenszeit  hienieden.  Auch  ihm  war  es  eine  Schau 
des  Ewigen,  aber  als  eines  Unpersönlichen;  es  ist  die  Seligkeit  in  der  logischen  Be- 
trachtung selbst,  in  der  wissenschaftlichen  Erkenntnis. 

Da  wir  es  an  dieser  Stelle  eigentlich  nur  mit  dem  Leben  in  der  Wissenschaft  zu 
Jtun  haben,  so  brechen  wir  hier  ab.     Mit  dem  Gesagten  sind  die  gegen  die  freie  Wissen- 


Christliche  Antike. 


schaft  erhobenen  Einwände  für  uns   erledigt.     Mögen  die  Toten  ihre  Toten  begraben, 
wir  folgen  dem  Weg  des  wissenschaftlichen  Lebens. 

Christliche  Antike. 

Die  Werke  altchristlicher  Kunst  sind 
Denkmäler  aus  der  frühen  Jugend  des 
Christentums;  in  dieser  Eigenschaft  besitzen 
sie  einen  Gefühlswert  für  alle  diejenigen, 
welche  im  Christentum  einen  wertvollen  und 
noch  nicht  erschöpften  Besitz  der  Menschheit 
erkennen.  So  ist  es  nur  natürlich,  daß  vor 
allem  Theologen  sich  gern  diesen  Denk- 
mälern zuwenden.  Und  sie  haben  den  be- 
deutenden Vorsprung,  daß  ihnen  die  das 
Verständnis  erschließenden  literarischen  Denk- 
mäler, wie  die  ganzen  in  den  Kunst-  und 
Schriftwerken  sich  aussprechenden  Vor- 
stellungskreise, geläufig  sind  oder  doch  nahe 
zur  Hand  liegen.  Auf  der  anderen  Seite 
pflegen  die  Kunsthistoriker  die  altchrist- 
liche Kunst  in  den  Kreis  ihrer  Betrachtungen 
zu  ziehen.  Diese  haben  den  Schwerpunkt 
ihrer  Arbeit  in  der  mittleren  und  neueren 
Kunst;  da  pflegt  denn  die  altchristliche  Kunst 
mehr  einleitungsweise  vorausgeschickt  zu 
werden,  als  erstes  Kapitel  der  Kunstgeschichte 
des  Mittelalters.  Man  begrüßt  im  Christentum  den  Anfang  einer  neuen  Kultur- 
entwicklung; man  rechnet  vom  Beginn  der  christlichen  Kunst  an  eine  aufsteigende 
Entwicklung,  ausgehend  von  den  Malereien  der  Katakomben  und  hinführend  zu 
Raffael  und  Rembrandt.  Es  bleibt  noch  Raum  für  eine  dritte  Gruppe  von  Ar- 
beitern; neben  den  Theologen  und  den  Kunsthistorikern  finden  auch  die  Archäologen 
zu  tun.  Vom  Standpunkte  der  klassischen  Archäologie  aus  treten  auch  wir  an  den 
ohne  Zweifel  ehrwürdigen  Gegenstand  heran;  und  wir  meinen,  dieser  Gesichtspunkt 
sei  den  beiden  andern  gegenüber  eigenartig  genug,  um  von  uns  zur  maßgebenden 
Richtschnur  genommen  zu  werden. 

Wir  betrachten  den  Gegenstand  nicht  aus  dem  Gesichtspunkte  des  Theologen, 
also  nicht  auf  sein  Interesse  für  die  heute  lebende  christliche  Religion;  wir  betrachten 
die  altchristliche  Kunst  auch  nicht  als  die  Vorstufe  der  allgemeinen  christlichen, 
richtiger  zu  sprechen,  der  mittleren  und  neueren  Kunst;  sondern  für  den  Archäologen 
ist  sie  das  Ende  einer  Entwicklung,  wenn  man  will,  ihr  geschichtliches  Ziel,  in  dem 
diese  sich  vollendet,  das  Ende  und  Ziel  nämlich  der  Entwicklung  und  des  ganzen 
Verlaufs  der  antiken  Kunst,  worin  sie  zuletzt  auslief.  Dem  Archäologen  ist  die  alt- 
christliche Kunst  das  letzte  geschichtliche  Ergebnis  der  gesamten  Antike;  er  glaubt, 
für  ihr  geschichtliches  Verständnis  die  wesentlichen  Vorbedingungen  mitzubringen  in 
seiner  methodischen  Kenntnis  der  Antike. 


10  Einleitung. 

Damit  haben  wir  auch  Stellung  genommen  zu  der  Frage  nach  dem  Verhältnis 
der  altchristlichen  Kunst  zur  Antike.  Einige  stellten  sie  zur  Antike  in  Gegensatz; 
die  christliche  Kunst  sei  im  Gegensatz  zur  Antike  entstanden,  wie  das  ganze  Christen- 
tum in  schroffem  Gegensatz  zum  Altertum  ins  Leben  getreten  sei.  Andere  erklären, 
die  christliche  Kunst  sei  von  der  Antike  abgeleitet,  von  ihr  abhängig  gewesen,  eine 
Ansicht,  welche  der  Gegenseite  fast  als  eine  Verkennung  und  Kränkung  des  Christen- 
tums erscheint.  Wir  nun  können  weder  zugeben,  daß  das  Christentum  so  ganz 
allgemein  zur  Antike  in  Gegensatz  getreten  sei  (der  Kampf  ging  nur  gegen  gewisse 
Seiten  und  Richtungen  des  Altertums,  wurde  aber  auf  dessen  eigenem  Boden  geführt), 
noch  lassen  wir  gelten,  daß  die  christliche  Kunst  im  Gegensatz  zur  antiken  erwachsen 
sei.  Freilich  auch  nicht  in  Abhängigkeit;  denn  sie  leitet  sich  nicht  von  der  Antike 
ab,  sie  ist  nicht  deren  Tochter,  sondern  sie  ist  selbst  noch  Antike.  So  geben  wir  die 
ganze  Gegenüberstellung  antiker  und  christlicher  Kunst  als  pseudhistorisch  auf; 
richtig  kann  nur  antike  und  nachantike  Kunst  in  Gegensatz  gestellt  werden,  und 
wiederum  heidnische  und  christliche.  Innerhalb  der  gesamten  Antike  gibt  es  Kunst 
heidnischer  und  solche  christlicher  Religion,  es  gibt  heidnische  Antike  und  christ- 
liche Antike. 

In  der  christlichen  Kunst  vollendet  die  Antike  ihren  Lauf,  vollzieht  sich  ihr 
letztes  Schicksal.  In  Malerei  und  Plastik  bewegt  sich  die  Kunst  der  Kaiserzeit,  ein- 
schließlich der  christlichen,  auf  absteigender  Linie,  in  künstlerischer  Hinsicht  ist  da 
keine  Rede  von  anhebender  Neuentwicklung;  es  ist  nicht  quellende  Jugendkraft, 
sondern  absterbendes  Greisentum.  Schönheit  ist  nur  in  den  frühesten  Werken  noch 
vorhanden;  im  übrigen  liegt  die  Bedeutung  dieser  Arbeiten  nicht  im  Künstlerischen, 
sondern  im  Gegenständlichen,  in  der  Entstehung  einer  christlichen  Typik  und  in 
ihrem  Quellenwert  für  die  Kenntnis  des  frühen  Christentums.  In  der  Baukunst 
dagegen  hat  die  Antike,  gerade  die  christliche,  in  der  ausgehenden  Kaiserzeit  noch 
Neues  gestaltet,  man  muß  sagen,  sie  hat  da  gerade  zuletzt  noch  Triumphe  feiern  dürfen. 

Genauer  zu  sprechen,  ist  die  altchristliche  Kunst  ein  Teil  der  Spätantike; 
diese  Stellung  am  Ende  der  antiken  Kunstentwicklung  brachte  sie  in  die  zweifel- 
hafte Lage  des  Epigonentums.  Die  Zeit  der  höchsten  Schöpferkraft,  die  eigentlich 
klassische  Blüte  der  Antike,  war  abgelaufen;  aber  sie  hatte  im  Laufe  der  Jahrhunderte 
ein  reiches  Kapital  von  Kunstformen,  einen  unerschöpflichen  Kunstschatz  geschaffen, 
davon  die  Epigonen  zehren  mochten.  Es  konnte  nicht  leicht  eine  neue  Idee,  ein 
neues  Programm  zur  Aufgabe  gestellt  werden,  für  deren  künstlerische  Lösung  nicht 
geeignete  Formen  zu  Gebote  oder  doch  gebahnte  Wege  offen  standen.  Die  Bedürf- 
nisse der  christlichen  Gemeinden  waren  aber  gerade  in  den  Anfangszeiten  die  ein- 
fachsten, wenige  Elemente  bildlicher  und  baulicher  Typik  genügten  zu  ihrer  Befrie- 
digung, und  zu  dem  Ende  brauchte  man  das  aus  dem  Vorrat  Geschöpfte  nur  dem 
besonderen  Kultus  anzupassen.  Daß  es  sich  dabei  um  in  der  heidnischen  Antike  auf 
keine  Weise  Dagewesenes  gehandelt  hätte,  wäre  eine  unwahrscheinliche  Voraussetzung. 
Wo  heute  zu  irgend  einem  christlichen  Typ  heidnische  Analoga  nicht  nachweisbar 
sind,  kann  sich  das  Fehlende  jeden  Tag  durch  Fund  oder  Ausgrabung  ergänzen.  Die 
christlichen  Typen  stehen  in  der  Kette  der  typengeschichtlichen  Entwicklung;  es  ist 
nötig,  sie  ebenso  typologisch  zu  untersuchen  und  ihre  typengeschichtliche  Filiation  zu 
ermitteln,  wie  es  in  der  Archäologie  sonst  geschieht,  beim  phidiasischen  Zeus  oder 
bei  der  praxitelischen  Aphrodite.     Wie  der  Zeus  und  die  Aphrodite  durch  den  Nach- 


Christliche  Antike.  11 

weis  ihrer  typengeschichtlichen  Stellung  nichts  an  ihrem  Wert  als  originale  Schöp- 
fungen verlieren,  so  nimmt  die  typologische  Behandlung  auch  den  christlichen  Kunst- 
erzeugnissen nichts  von  dem  Originalwert,  welchen  sie  etwa  besitzen.  Und  soweit  die 
Spätantike  noch  fähig  war,  Neues  zu  schaffen,  vermochte  sie  es  für  jede  Religion  zu 
leisten,  wie  für  Mithras,  so  für  Christus.1) 

Den  Satz  vom  antiken  Charakter  der  altchristlichen  Kunst  müssen  wir  nun  aber 
erweitern,  um  ihn  in  seinem  tiefsten  Grunde  zu  erfassen.  Er  gilt  auch  von  der  christ- 
lichen Religion,  vom  Christentum  selbst.  Die  universalhistorische  Stellung  der 
christlichen  Religion,  ihre  Stellung  in  der  allgemeinen  Religionsgeschichte,  ist  analog 
der  eben  bezeichneten  Stellung  der  altchristlichen  Kunst  in  der  allgemeinen  Kunst- 
geschichte. Die  altchristliche  Religion,  ihr  Eintreten  in  die  Welt  und  ihr  Leben 
während  des  ersten  Halbjahrtausends,  will  auch  nicht  als  Anfangsglied  einer  neuen 
Entwicklungsreihe  betrachtet  sein,  sondern  als  Endglied  einer  ablaufenden,  als  das 
Schlußkapitel  der  Religionsgeschichte  des  Altertums.  Historisch  betrachtet  war  der 
Christianismus  das  geschichtlich  notwendige  Endergebnis  der  religiösen  Entwicklung 
des  Altertums. 

Hier  steht  die  Bemerkung  am  Platze,  daß  der  Archäologe  immer  Philologe  ist; 
und  der  Philologe  ist  auch  Mytholog.  Mythus  heißt  in  diesem  Zusammenhange  auf 
deutsch  Glaube;  das  griechische  Wort  meint  den  Glauben,  insofern  er  ein  Fürwahr- 
halten ist.  Mythologie  ist  Glaubenslehre.  Es  handelt  sich  bei  diesem  Fürwahrhalten 
nicht  um  wissenschaftliche  Erkenntnisse,  sondern  bloß  um  Vorstellungen.  Auch  für 
die  Kirche;  sie  hat  die  Gnosis  als  Intuition  und  als  Spekulation  benutzt,  aber  als 
logische  Erkenntnis  verworfen  und  sich  ganz  auf  die  Doxa  gestellt.  Wenn  das  Dogma 
etwas  mehr  ist  als  bloße  Vorstellung,  so  ist  es  die  Lehrmeinung  des  Theologen  als 
des  christlichen  Philosophen,  und  vermöge  der  Sanktion  durch  die  Organe  der  reli- 
giösen Genossenschaft  ist  es  der  für  die  Mitglieder  verbindlich  erklärte  theologische 
Lehrsatz.  Wo  aber  das  Glauben  schwand,  da  konnte  Mythologie  Märchenerzählen 
werden;  der  erfolgreichste  Erzähler  bedeutender  Märchen  war  Plato.2) 

Die  historische  These  wollen  wir  präzisieren.  Der  Christianismus  ist  die  Summe, 
die  das  Altertum  aus  all  seiner  Geistesarbeit  selbst  gezogen  hat.  Das  ist  festzuhalten: 
das  Altertum  selbst,  und  zwar  in  seinem  letzten  Stadium,  der  römischen  Kaiserzeit. 
Es  könnte  ja  sein,  daß  eine  andere  Zeit,  mit  anderen  Aufgaben  ringend  und  anders 
geschult,  aus  dem  Altertum  sich  eine  andere  Summe  zöge,  als  es  im  Christentum  der 
Kaiserzeit  geschah.     Man   denke    etwa    an    die    Renaissance    des    fünfzehnten,    an    den 


*)  Christliche  Antike:  Den  Zusammenhang  der  altchristlichen  Kunst  mit  der  Antike 
betonte  zuerst  Raoul-Rochette,  ohne  doch  die  abschließende  Formel  zu  finden;  vgl.  seine  Schriften 
Sur  l'origine  etc.  des  types  imitatifs  qui  constituent  l'art  du  christianisme  1834.  Tableau  des 
catacombes  de  Rome  1837.  (Trois  memoires  sur  les  antiquit^s  chre*tiennes,  in  den  Memoires  de 
l'Academie  des  inscriptions  XIII  1838.)  Sein  berühmter  Satz  Un  art  ne  s'improvise  pas  ist  richtig. 
Aber  der  ganze  Streit  erledigt  sich,  sobald  man  die  altchristliche  Kunst  als  antike  anerkennt. 

2)  Für  Mythologie  und  Religion  kann  ich  mich  einstweilen  nur  auf  den  Versuch  in 
meiner  Mythologie  der  Ilias  1877  Abschnitt  I — VI  beziehen.  Ich  bemerke  noch,  daß  Wundts 
Völkerpsychologie  II,  Mythus  und  Religion  I  1905,  mir  erst  nach  Abschluß  des  Manuskriptes 
zuging;  beachte  u.  a.  S.  3  „Die  letzte  Quelle  aller  Mythenbildung,  aller  religiösen  Gefühle  und 
Vorstellungen  ist  die  individuelle  Phantasie"  usf.;  ferner  17  Die  elementaren  Funktionen  der 
Phantasie;  577  Allgemeine  Psychologie  der  Mythenbildung:  Apperzeption,  AVahrnebmungs- 
gehalt  usf. 


12  Einleitung. 

Klassizismus  des  achtzehnten  Jahrhunderts,  an  den  Hellenismus  des  neunzehnten,  oder 
an  die  Aufgabe,  die  uns  Heutigen  obliegt  in  der  Fruchtbarmachung  des  Altertums; 
die  Lösung  wird  in  jedem  neuen  Jahrhundert  zu  einem  anderen  und  immer  zu  einem 
vom  Christianismus  der  Kaiserzeit  sehr  abweichenden  Ergebnis  führen.  Aber  auf 
dergleichen  kommt  es  unserer  historischen  Betrachtung  nicht  an;  nicht  auf  solche 
spätere  Vorkommnisse  und  künftige  Möglichkeiten  kommt  es  hier  an,  sondern  ledig- 
lich auf  das  noch  im  Altertum  selbst  Vollzogene,  auf  jene  Summe,  welche  es  aus 
seinem  abrollenden  Leben  noch  selbst  gezogen  hat,  in  seiner  letzten  Stunde,  in  der 
Kaiserzeit. 

Das  Altertum  hatte  seinen  Ursprung  in  vielen  einzelnen  Quellen  und  Bächen; 
diese  alle  aber  ließ  die  herrschende  universalistische  Tendenz  zuletzt  in  einen 
großen  Strom  einmünden.  Das  ganze  Altertum  fand  sich  in  einer  Art  Einheit  zu- 
sammen; denn  wenn  auch  im  so  zusammengesetzten  Endbild  die  Komponenten  in 
ihrer  Eigenart  noch  kenntlich  sind,  so  war  doch  ein  umfassendes  Ganzes  zustande 
gekommen:  politisch  in  einem  Weltreich,  kulturell  in  einer  Weltkultur,  religiös  in 
einer  Weltreligion. 

Die  politische  Geschichte  des  Altertums  durchzieht  ein  leitender  Gedanke,  der 
Kampf  um  die  Macht,  um  die  Obherrschaft ,  der  Imperialismus.  Ägypter  und 
Assyrer  bewarben  sich  um  die  Vorherrschaft  im  Orient,  danach  ging  das  Groß- 
königtum über  an  die  Babylonier,  die  Perser.  Jede  Etappe  auf  dem  Wege  bedeutete 
die  Erweiterung  des  Großreiches  um  ganze  Völker.  Alexander  verband  Asien  und 
Europa.  Endlich  fand  sich  unter  dem  römischen  Adler  die  ganze  alte  Welt  politisch 
vereint.  Die  Kaiserzeit  bildet  das  Schlußkapitel  der  politischen  Geschichte  des 
Altertums. 

Das  Werben  um  die  politische  Herrschaft  war  zugleich  und  sehr  wesentlich  ein 
Kampf  um  die  Kulturgüter.  Im  Weltreich  wurden  die  Völker  nicht  bloß  politisch 
zusammengebracht,  sondern  auch  kulturell;  was  jedes  Volk  an  Kulturgütern  aller 
Art  beizusteuern  hatte,  kam  auf  den  Markt,  und  so  wuchsen  die  Kulturkreise  ineinander. 
Die  stärkste  Kultur  überschattete  die  anderen;  das  war  die  griechische,  zuletzt  als  die 
hellenistische.  Wohl  trennte  eine  Kluft  den  Orient  von  griechischer  Art,  in  sich 
behauptete  jeder  Teil  sein  Eigen wesen;  dennoch  erwuchs  die  hellenistische  Kultur 
nicht  mehr  als  nationale,  sondern  als  Weltkultur.  Sie  nahmen  auch  die  Römer  an, 
sie  wurde  die  Kultur  der  Kaiserzeit. 

Auch  auf  religiösem  Gebiet  muß  sich,  bei  dem  frühen  und  wachsend  regen 
Völkerverkehr,  zeitig  Gelegenheit  zu  Berührung  und  Austausch  geboten  haben.  Der 
Polytheismus  ist  tolerant;  er  will  die  fremden  Götter  nicht  entthronen,  eher  sich 
aneignen.  Der  Orient  reizte  die  Griechen;  was  ein  Herodot  und  andere  in  verwandten 
Bahnen  vom  orientalischen  Ursprung  griechischer  Dinge  erzählen,  hat  seine  Bedeutung 
weniger  im  Inhalt  der  Erzählungen  als  in  ihrer  Tatsache,  in  dem  symptomatisch 
bedeutsamen  Interesse,  welches  diese  Griechen  am  Orient  nahmen.  Orientalische 
Kulte  sind  durch  Händler  schon  in  der  klassischen  Zeit  nach  Griechenland  gekommen; 
ihr  Überhandnehmen  in  der  Kaiserzeit  und  der  damit  zusammenhängende  Synkretismus 
sind  nur  Anzeichen  des  zur  Herrschaft  durchdringenden  Universalismus.  Die  grie- 
chischen Mysterien  haben  auf  das  entstehende  Christentum  direkt  vielleicht  weniger 
eingewirkt,  dagegen  haben  sie  auf  der  griechischen  Seite  selbst  den  Boden  für  die 
Aufnahme    des    Christentums    vorbereitet.     Die    starken    Kräfte    der  ihrer  universalis- 


Christliche  Antike.  13 

tischen  Vollendung  zustrebenden  Religion  aber  wurzelten  in  den  Tiefen  der  Geistes- 
arbeit hüben  und  drüben,  dort  in  der  griechischen  Philosophie,  hier  im  prophetischen 
Israelitismus.  Der  universale  Gedanke  spricht  sich  mythisch  aus  im  Monotheismus. 
Der  griechische  Zeus,  der  römische  Juppiter,  hat  sich  annähernd  zur  Bedeutung  des 
Universalgottes  erweitert,  soweit  es  innerhalb  des  polytheistischen  Systems  möglich 
war.  Schon  lange  haben  die  Griechen  von  Gott  schlechthin  gesprochen  (o  0-s6g).  Auch 
die  praktische  Bedeutung  des  Monotheismus  fehlte  nicht,  die  Menschheitsidee  hat  sich 
in  der  Philosophie  angekündigt.  In  ihrer  Sprache  sprechend,  aber  klar  und  gewaltig, 
hat  die  Prophetie  den  Gedanken  formuliert.  Einerlei,  wie  die  israelitische  Religion 
im  geschichtlichen  Werden  zu  ihrer  Reife  und  Höhe  sich  entwickelt  hat,  das  gehört 
nicht  hierher,  jedenfalls  war  sie  in  ihrer  schönsten  Reife  universalistischer  Monotheismus, 
das  ist  Humanität.  Im  Christentum  fand  sich  die  Formel,  welche  von  den  Griechen 
aufgenommen  wurde,  unter  ihnen  neue  Wurzeln  trieb  und  von  hier  aus  sich  zu  dem 
weltüberschattenden  Baume  entwickelte,  als  den  wir  es  in  der  Geschichte  kennen. 
Was  wollte  Jesus?  Wenn  die  synoptischen  Evangelien  alles  in  der  Ankündigung 
des  „  Gottesreiches "  zusammenfassen,  so  ist  klar,  daß  es  sich  ihm  um  die  Verwirk- 
lichung eines  Ideals  handelte,  des  Ideals,  wie  er  es  aus  dem  Schatze  der  prophetischen 
Ideen  gehoben  hatte  und  wie  er  es  sich  dachte,  natürlich  in  der  Vorstellungs weise 
seines  Volkes  in  seiner  Zeit.  Vom  Israelitismus  übernahm  Jesus  dessen  höchstes 
Gebot,  welches  das  Wort  des  Monotheismus  ausspricht:  den  einen  Gott  mit  allen 
Kräften  umfassen;  und  dasselbe  Gebot  noch  einmal,  aber  praktisch  gewendet,  auf  die 
Menschheit  bezogen:  im  Menschen  den  Menschen  mit  der  ganzen  sittlichen  Liebe 
umfassen,  den  Nächsten  lieben  wie  sich  selbst.  Wenn  dann  die  Menschenliebe  lebendig 
wurde,  so  wie  Jesus  sie  empfand,  dann  wäre  allerdings  das  Ideal  Wirklichkeit  ge- 
worden, das  Erdenleben  ein  „  Gottesreich ",  und  zwar  ein  innerliches,  lebenverbreitendes, 
ein  ganzes,  nicht  bloß  eine  Kirche.  Und  eine  solche  Wirklichkeit  wäre  erblüht,  daß  als 
höchste  Betätigung  der  Liebe,  und  zugleich  als  ihr  Korrelat,  unerschöpflich  bereites 
Verzeihen  der  „Sünde"  keinen  Raum  ließ.  Es  heißt  zwar,  daß  auch  in  Jesus  der 
Zorn  aufwallen  konnte,  selbst  etwas  wie  ein  Anathem  soll  dann  und  wann  über  seine 
Lippen  gekommen  sein;  doch  würde  jenes  allzu  menschliche  Aufwallen  schließlich  über- 
wunden worden  sein  durch  die  Triebkraft  seines  innersten  Prinzips,  seiner  tiefgrün- 
digen Menschlichkeit.  Soviel  ist  aber  klar,  daß  in  ihrem  Keime  seine  Idee  auf  das 
Diesseits  gerichtet  war. 

Nun  hatte  es  viele  Propheten  gegeben;  gesagt  war  schon  so  vieles,  daß  Jesus 
sachlich  kaum  radikal  Neues  sagen  konnte.  Was  war  nun  sein  Eigenes?  Es  war  nicht 
diese  oder  jene  besondere  Lehre,  wäre  sie  auch  an  sich  oder  in  seiner  besonderen  Auf- 
fassung oder  Vertiefung  etwas  Neues  gewesen,  sondern  es  war  seine  Persönlichkeit, 
die  sich  durchsetzte  und  mit  sich  soviel  von  dem  Ideal,  als  aus  der  Persönlichkeit 
lebendig  hervortrat;  es  war  sein  Aufruf  zum  unmittelbaren  Eintritt  in  das  „ Gottes- 
reich ".  Warum  auf  morgen  warten,  warum  nicht  heute?  warum  nicht  auf  dem  Fleck? 
Man  kann  es  verstehen,  daß  die  Menschen,  des  Harrens  müde,  das  Wort  aufnahmen; 
man  begreift,  daß  es  zündete.  Es  dürfte  dauernd  das  Bleibende  von  Jesus  sein,  im 
Sinne  der  logischen  Erkenntnis,  das  „  Gottesreich "  aus  der  unabsehbar  sich  hinaus- 
ziehenden Zukunft  herausgegriffen  und  in  die  Gegenwart  gestellt  zu  haben,  selbst- 
verständlich nicht  auf  dem  Wege  des  Wunders,  sondern  der  Forderung  und  der  Tat: 
er    hat    die    Forderung,    nicht   bloß    nach    dem    Kommen    des    Reiches    auszuschauen, 


14  Einleitung. 

sondern  es  unmittelbar  ins  Werk  zu  .setzen,  in  der  Sprache  der  Zeit  gestellt  und  an 
seinem  Teil  erfüllt,  wie  es  menschlicherweise  irgend  möglich  war;  in  seiner  Tat  aber 
hat  er  ein  zur  Nachfolge  aufrufendes  Beispiel  gegeben.  Andere  haben  Ähnliches  ver- 
sucht, nur  bei  ihm  war  die  Tat  Wirkung. 

Die  Menschheitsidee,  welche  unter  Achtung  der  nationalen  Gliederungen  die 
Einheit  des  Menschengeschlechts  betont,  setzt  seine  physiologische  Einheit  voraus; 
ihre  Absicht  aber  geht  auf  seine  sittliche  Einheit.  Den  durch  die  Philosophie  vor- 
bereiteten Griechen  bot  sich  in  der  israelitisch-christlichen  Formel  des  ethischen 
Universalismus,  der  nach  Lage  der  Dinge  nur  auf  dem  Boden  des  Monotheismus  klar 
herauskommen  konnte,  bot  sich,  sagen  wir,  die  adäquate  Religion  für  die  im  Hellenismus 
kulturell  und  im  römischen  Reich  politisch  geeinte  Welt.  Eine,  wie  es  für  damals 
scheinen  durfte,  abschließende  Lösung  des  Problems  des  Lebens,  soweit  es  Leben 
in  der  menschlichen  Gesellschaft  ist. 

Aber  das  Leben  ist  auch  an  sich  ein  Problem,  auch  abgesehen  von  der  uns  um- 
gebenden Menschheit.  Der  Mensch  bedarf  eines  Mittel-  und  Ruhepunktes,  eines 
Gleichgewichtspunktes  seines  Denkens  und  Lebens.  Ihn  fand  Jesus  in  demselben 
Gott,  der  ihm  die  ausstrahlende  Liebe  bedeutete.  Die  Idee  der  Gotteskindschaft  ist 
so  alt  wie  die  sittliche  Menschheit;  solange  der  Mythus  einen  persönlichen  Gott 
glaubte,  immer  stellte  sich  das  Verhältnis  des  Menschen  zu  seinem  Gott  im  Bilde  der 
Kindschaft  dar.  Je  nach  den  politischen  Zuständen  war  die  Vorstellung  der  Gottes- 
kindschaft mehr  aristokratisch  oder  mehr  demokratisch  ausgebildet,  aber  sie  war  da. 
Die  Gotteskindschaftsidee  war  für  Jesus  gegeben,  nur  daß  er  sie  in  seltener  Inbrunst 
erfaßte.  Ihre  geschichtliche  Ursprünglickheit  und  Allgültigkeit  aber  war  es,  welche 
dieser   Lösung    des  Problems  des  inneren  Lebens  die  Herzen  der  Völker  öffnete. 

Das  Problem  des  Lebens  brannte  auf  die  Nägel;  aber  es  gibt  noch  eine  andere 
Frage,  welche  die  Menschen  ängstigt,  das  Problem  des  Todes.  Es  hat  alle  Völker 
der  Welt  beschäftigt,  so  weit  menschliche  Erinnerung  zurückreicht.  Wenn  der  Mensch 
stirbt,  soll  es  dann  mit  ihm  ganz  zu  Ende  sein?  Lebt  er  nicht  fort?  Von  Uranfang 
her  hat  man  Antworten  auf  diese  Fragen  gesucht,  Fragen,  die  immer  weiter  griffen: 
wenn  es  ein  Fortleben  gibt,  was  harrt  unser  drüben?  gibt  es  im  Jenseits  ein  Glück? 
was  bürgt,  wer  bürgt  für  jenseitige  Seligkeit?  Der  Glaube  an  das  Fortleben  war  das 
Frühere,  der  Zweifel  das  Spätere,  erst  erwacht  mit  dem  erwachenden  Nachdenken. 
Der  Zweifel  war  nahe  daran,  die  klassischen  Völker  zum  allgemeinen  Verzicht  auf 
alle  Jenseitsgedanken  zu  bringen;  aber  in  einer  Unterströmung  hat  sich  der  alte 
Glaube  behauptet,  er  hat  Wege  gefunden,  wieder  Oberwasser  zu  bekommen  und  in 
der  Kaiserzeit  das  Feld  zu  behaupten,  auch  unter  Einfluß  der  in  das  Abendland  ein- 
dringenden fremden  Religionen,  nicht  zum  wenigsten,  und  zuletzt  entscheidend,  des 
Christentums.     Im  Christus  fand  man  den  sichersten  Bürgen  jenseitiger  Seligkeit. 

Aber  wie  war  es  nur  möglich,  daß  die  so  diesseitig  gerichtete  „Religion  der  Er- 
füllung" auf  einmal  abdrehte  und  den  Kurs  auf  das  Jenseits  nahm?  Es  lag  an 
der  Un Vollkommenheit  der  menschlichen  Dinge;  solch  ein  „ Gottesreich "  verwirklicht 
sich  im  Augenblick  doch  nur  sehr  teilweise.  Fast  noch  mehr  lag  es  wohl  an  der 
Verknüpfung  der  Sache  mit  der  Person  ihres  Trägers.  Da  er  als  der  erwartete 
Messias  galt,  so  identifizierte  sich  das  Reich  mit  seiner  Person,  und  das  Schicksal 
seiner  Person  ward  das  Schicksal  seiner  Sache.  Nicht  nur,  daß  er  das  allgemeine 
Menschenlos    der   Sterblichkeit   teilte,    sondern    er   mußte    schon    an  der  Unlösbarkeit 


Christliche  Antike.  15 

seiner  besonderen  Mission  scheitern.  Der  tragische  Tod  war  ihm  unausweichlich,  so 
sehr,  daß  Jesus  schließlich  ihn  selbst  voraussehen  und  die  Grundlage  zum  christlichen 
Jenseitsglauben  noch  selbst  legen  mußte.  Dieser  tragische  Tod  vollzog  sich  am  Kreuz. 
Damit  schien  die  Sache  verloren.  Aber  sie  arbeitete  zu  mächtig  in  den  Jüngern, 
gerade  durch  die  nachwirkende  Kraft  seiner  Persönlichkeit.  Sie  konnte  nicht  dahin 
sein;  es  war  ihnen  gewiß,  daß  er  lebe.  Hier  traten  zwei  Hilfsvorstellungen  ein,  die 
Auferstehung  und  die  Himmelfahrt,  welche  der  Vorstellungsweise  jener  Zeit  ent- 
sprachen und  genügten:  er  mußte  vom  Tode  auferstanden  sein;  und  weil  er  denn  doch 
nicht  mehr  da  war,  so  mußte  er  zum  Himmel  aufgefahren  sein  zu  seinem  Vater. 
Freilich  war  damit  das  Prinzip  aufgegeben,  die  gegenwärtige  Erfüllung  der  Hoffnungen; 
die  Gegenwart  (Parusie)  des  Messias  und  in  ihm  des  Gottesreiches  wurde  damit  wieder 
in  die  unbestimmte  Zukunft  hinausgeschoben,  die  Gewißheit  des  gegenwärtigen  Besitzes 
wurde  wieder  zur  ausschauenden  Hoffnung  auf  die  Zukunft.  Jene  zwei  Hilfsideen, 
Auferstehung  und  Himmelfahrt,  waren  nun  ganz  im  Sinne  des  Altertums.  Rettung 
vom  Tode,  Wiederkehr  aus  der  Unterwelt,  dergleichen  Wünsche  lagen,  wo  sie  nicht 
durch  das  Nachdenken  zurückgedrängt  waren,  dem  Menschen  in  der  Seele,  ebenso 
aber  auch  eine  jenseitige  Seligkeit,  die  man  sich  am  liebsten  als  eine  himmlische  in 
Gemeinschaft  mit  den  Göttern  dachte.  Das  Christentum  bot  dem  Altertum  im  auf- 
erstandenen und  in  den  Himmel  eingegangenen  Christus  den  Erstling  und  Bürgen 
einer  ewigen  Seligkeit;  so  löste  es  dem  antiken  Menschen  das  Problem  des  Todes 
in  antikem  Geiste. 

Die  christliche  Religion,  so  sagen  wir,  bildet  das  Schlußkapitel  der  Religions- 
geschichte des  Altertums;  ebenso  bildet  die  altchristliche  Kunst  das  Schlußkapitel  der 
Kunstgeschichte  des  Altertums.  Wer  die  Religionsgeschichte  des  Altertums  oder  seine 
Kunstgeschichte,  überhaupt  wer  die  Geschichte  des  Altertums  im  ganzen  oder  in 
irgend  einer  seiner  Seiten  erzählen  will  und  vor  der  christlichen  Zeit  Halt  macht,  der 
läßt  seine  Geschichte  als  einen  Torso  ohne  Kopf  in  die  Welt  gehen. 

Der  Theologe  fragt  nach  dem  Heilsplan  der  göttlichen  Weltregierung,  der 
Metaphysiker  konstruiert  den  Weltlauf  teleologisch,  der  Historiker  dagegen  sucht  die 
Dinge  aus  ihren  Ursachen  zu  verstehen;  in  unserem  Falle  lautet  ihm  die  Aufgabe: 
wie  war  die  Religiosität  des  Altertums,  wie  waren  die  Religionen  des  Altertums 
beschaffen,  und  welches  war  ihr  Entwicklungsgang,  daß  als  sein  notwendiges  Ergebnis 
das  Christentum  herauskam?  Dabei  will  natürlich  der  Orient  mitgerechnet  werden; 
aber  auch  von  ihm  abgesehen  ging  die  griechische  Welt  den  Weg,  der  zu  jenem 
Endziele  führen  mußte. 

Wohl  ist  es  wahr,  daß  die  neue  Prägung,  welche  das  Christentum  den  Menschen 
gab,  scharf  kontrastiert  zu  dem  Bilde,  das  wir  uns  vom  klassischen  Hellenen  zu  malen 
pflegen.  Wenn  er,  um  Christ  zu  werden,  alles  aufgeben  musste,  seine  Freiheit,  seinen 
fruchtbaren  Individualismus,  seine  sieghafte  Heiterkeit,  seinen  impulsiven  Aristokratis- 
mus, seinen  unerschöpflichen  Formensinn,  was  blieb  dann  an  ihm  Antikes?  So 
scheinen  sich  Griechentum  und  Christentum  als  ausschließende  Gegensätze  gegenüber- 
zustehen. Ist  aber  unser  Begriff  von  Hellenentum  nicht  zu  eng  gefaßt?  Wenn  die 
Griechen  jener  Wandlung  sich  unterzogen,  so  muß  sie  ihnen  psychisch  möglich  gewesen 
sein,  sie  verlangt  ihre  psychologische  Erklärung.  Und  sie  findet  sich  in  der  Beobach- 
tung, daß  zu  alledem,  was  als  spezifisches  Merkmal  des  Hellenentunis  aufgerechnet 
wird,    die    Gegensätze  in   demselben  Griechentum  von  jeher  vorhanden  waren,  in  den 


16  Einleitung. 

früheren  Zeiten  vielleicht  nur  als  später  zu  entwickelnde  Keime;  sie  sind  nicht 
so  sehr  Ausnahmen  als  Entwicklungen.  Gegenüber  dem  Individualismus  stand  auch 
bei  den  Griechen  von  je  her  die  Autorität,  gerade  die  auf  Freiheit  erpichten  Indivi- 
dualisten waren  zur  Ausübung  jeder  Autorität  bereit,  selbst  Philosophen  forderten 
und  fanden  Glauben.  Neben  der  antiken  Heiterkeit  (seine  beste  entfaltete  der  Hellene 
nicht  bei  Wein  und  Weib,  sondern  beim  Genüsse  des  Geistes)  bestand  ein  deutliches 
Bewußtsein  von  den  Schattenseiten  des  Daseins,  und  hierauf  baute  schon  früh  die 
mystische  Hoffnungsreligion.  Dem  Aristokratismus  der  Hellenen  gegenüber  den 
Barbaren  schlug  seine  Stunde  schon,  als  die  Griechen  durch  den  Mazedonier  im  Verlust 
ihrer  Selbständigkeit  ihr  babylonisches  Exil  erlebten;  da  gaben  sie  dem  Kosmo- 
polit smus  Raum  und  schenkten  ihre  in  sich  humane  Bildung  der  Menschheit;  und 
wenn  die  Keime  des  stoischen  Sozialismus  schon  in  der  sokratischen  Lehre  liegen,  so 
darf  man  das  Menschenrecht  nicht  als  unhellenischen  Begriff  bezeichnen. 

Der  Verzicht  auf  die  literarische,  schöne  Form  hat  auch  nicht  erst  mit  der 
christlichen  Literatur  eingesetzt;  es  ist  aber  damit  eine  eigene  Sache.  Es  ist  nicht 
eigentlich  Verachtung  des  Ästhetischen  überhaupt,  sondern  der  gegebenen  Formen; 
die  zur  leeren  Formel  gewordene  Klassizität  verwarf  man  mit  Recht,  um  wahr  zu  sein. 
Das  ist  gesunde  Reaktion  gegen  ungesund  gewordene  Ästhetik.  Die  Evangelisten 
schreiben  nicht  den  klassischen  Stil,  aber  darum  schreiben  sie  nicht  stillos,  sie  tragen 
schlecht  und  recht  ihre  Sache  vor  und  sind  eben  deshalb  volkstümlich;  Paulus,  der 
„Klassiker  des  Hellenismus"  schreibt  Briefe,  auch  er  ganz  von  der  Sache  eingenommen, 
die  freilich  nicht  ebenso  volkstümlich  ist,  außer  wo  aus  dem  arbeitenden  Schmelzofen 
des  Gedankens  das  reine  Metall  tiefmenschlicher  Empfindung  strömt.  Dieselbe  Reaktion 
gegen  den  klassizistischen  Formalismus  wirkt  auch  noch,  wenn  auch  nur  beschränkt, 
in  den  späteren  Kirchenschriftstellern.  Was  wir  von  dieser  Bewegung  in  der  Literatur 
sagen,  das  gilt  auch  von  den  ganzen  Menschen,  es  handelt  sich  nicht  um  Selbstauf- 
gabe, sondern  um  Erneuerung.  Früher  einmal  war  eine  gründliche  Regeneration  ins 
Werk  gesetzt  worden,  von  einem  ganzen  Mann,  nicht  einem  Aristokraten  von  Geburt, 
aber  einem  echten  Hellenen,  dem  Forscher,  dem  fleischgewordenen  Eros,  eben  darin 
einem  Typus  der  Hellenen.  Das  von  Sokrates  klug  Begonnene  ward  mit  Enthusiasmus 
fortgesetzt;  in  Plato  hat  das  griechische  Denken  den  Faden  wahrhaft  ergriffen,  wenn 
auch  nur  für  einen  Augenblick.  Danach  wurde  noch  vieles  und  Bedeutendes  gedacht, 
aber  der  Faden  war  verloren;  was  übrig  blieb,  hier  Materialismus,  dort  Mystik,  konnte 
nicht  befriedigen.  Da  entsagte  der  Grieche  seinem  ziellos  gewordenen  Forschen  und 
versuchte  es  mit  dem  Glauben.  Die  schwache  Kreatur  will  einen  Herrn  haben,  und 
dem  Stärksten  kommt  ein  Augenblick  der  Schwäche.  Aber  es  dauerte  nicht  lange, 
bis  die  wissenschaftliche  Ader  wieder  so  kräftig  pulsierte,  daß  die  griechischen 
Sophisten  christliche  Theologen  wurden. 

Auf  der  anderen  Seite  mag  doch  gefragt  sein,  ob  nicht  auch  das  Christentum 
den  Griechen  entgegenkam,  ob  es  ihnen  in  seiner  Weise  nicht  auch  Freiheit  und 
Heiterkeit  und  Adel  und  Schönheit  zu  bieten  hatte.  Da  eben  alle  irgendwie  kräftigen 
Ströme  des  antiken  Seins  in  das  große  Reservoir,  die  Kaiserzeit  mit  ihrer  Kultur  und 
Religiosität,  einmündeten,  so  war  alles  darin  zu  finden,  daraus  zu  schöpfen.  Christus 
war  alles  in  allem.     Wer  aber  vieles  bringt,  wird  jedem  etwas  bringen. 

Da  ist  denn  nun  die  Frage  präzis  zu  stellen,  warum  eigentlich  die  Griechen 
Christen  wurden.     Die    Griechen,    das    ist   im    Sinne   des  Hellenismus  gesagt.     Die 


Christliche  Antike.  17 

Frage  ist  jetzt  nicht,  welche  Werte  das  Christentum  zu  bieten  hatte,  sondern  was  der 
Grieche,  der  griechische  wie  der  griechisch  gebildete  Heide,  im  Christentum  sah,  was 
er  an  ihm  fand,  daß  er  sich  ihm  zuwandte.  War  es,  daß  die  Armen  und  Elenden 
auf  den  Ruf  horchten,  der  an  sie  erging?  War  es  die  reinere  sittliche  Luft,  die  von 
dort  herüberzuwehen  schien?  War  es  ein  Verlangen  nach  Sühnung?  Lockte  den  Ge- 
bildeten die  Andacht  ohne  Tempel  und  ohne  Altäre?  War  es  der  Monotheismus?  die 
Humanität?  oder  die  ewige  Seligkeit?  Schien  sie  ihnen  durch  den  Christus  und  seine 
Sakramente  wirklich  sicherer  verbürgt  zu  sein  als  durch  Eleusis,  Orpheus,  Mithras? 
War  es  der  Glaube,  dem  der  forschungsmüde  Grieche  sich  in  die  Arme  warf?  nicht 
zu  reden  von  etwaigen  außerreligiösen  Motiven,  z.  B.  politischer  Opposition.  Bei  der 
ganzen  Fragestellung  haben  wir  natürlich  die  vorkonstantinische  Zeit  im  Auge,  wo  es 
unter  Umständen  riskiert  war,  sich  als  christlichen  Revolutionär  zu  bekennen;  mit 
Konstantin,  jedenfalls  mit  Theodosius  schlug  das  Verhältnis  ins  Gegenteil  um,  da 
braucht  man  nicht  mehr  nach  Gründen  zum  Übertritt  zu  fragen. 

Warum  wurden  die  Griechen  Christen?  Die  Frage  beantworten  heißt  die  religiöse 
Entwicklung  der  Griechen  darlegen ,  von  der  Urreligion  an  durch  alle  Phasen  der 
griechischen  Religionsgeschichte;  dazu  gehört,  ihren  Aberglauben  und  ihre  Aufklärung 
zu  beleuchten,  den  Einschlag  der  Mystik  und  der  Philosophie  abzuwägen  und  sonst 
festzustellen,  was  alles,  vorzüglich  auch  an  Orientalischem,  auf  den  Gang  der  Dinge 
von  Einfluß  war,  um  endlich  die  Probleme  authentisch  formulieren  zu  können,  vor 
welche  der  Grieche  der  Kaiserzeit  sich  gestellt  sah  und  deren  Lösung  er  im  Christen- 
tum zu  finden  meinte.  Das  hieße  also  die  Geschichte  der  griechischen  Religion 
schreiben  und  zwar  mit  Einschluß  ihres  christlichen  Schlußkapitels.1) 

Wenn  wir  das  Christentum  als  das  Ende  der  religiösen  Bewegung  des  Alter- 
tums bezeichneten,  so  sprachen  wir  damit  nur  von  seinem  Ursprung  und  von  seiner 
Geltung  innerhalb  der  zeitlichen  Grenzen  des  Altertums;  selbstverständlich  sollte  damit 
nicht  über  seine  weitere  Wirkung  abgesprochen  werden.  Es  konnte  nicht  gemeint 
sein,   mit  dem  Ausgang  des  Altertums  sei  auch  die  antike  Religion  einschließlich  des 

l)  Die  geschichtliche  Stellung  des  Christentums  ähnlich  bei  Ad.  Harnack,  Lehrbuch 
der  Dogmengeschichte  I3  1894,  785:  „Drei  große  Religionssysteme  haben  seit  Ausgang  des  3.  Jahr- 
hunderts in  Westasien  und  Südeuropa  einander  gegenübergestanden:  der  Neuplatonismus,  der 
Katholizismus  und  der  Manichäismus.  Alle  drei  dürfen  als  die  Endergebnisse  einer  mehr  als 
tausendjährigen  Geschichte  der  religiösen  Entwicklung  der  Kulturvölker  von  Persien  bis  Italien 
bezeichnet  werden  usf."  Vgl.  dessen  Mission  und  Ausbreitung  des  Christentums  in  den  ersten 
drei  Jahrhunderten  1902,  226,  1;  dazu  eb.  358  „Die  Kirche  —  der  zusammenfassende  Abschluß  der 
bisherigen  Religionsgeschichte".  Eb.  2 1906,  419  „Diese  Kirche  wirkt  durch  ihr  bloßes  Dasein 
missionierend,  weil  sie  als  der  zusammenfassende  Abschluß  der  bisherigen  Religionsgeschichte  auf 
allen  Linien  erscheint.  In  diese  Kirche  gehörte  die  Menschheit  am  Mittelmeerbecken  um  das  Jahr 
300  einfach  hinein."  —  Unsere  Frage,  warum  die  Griechen  Christen  wurden,  ist  durch 
Harnack  nicht  beantwortet.  Wohl  bespricht  sein  Buch  die  Christianisierung  der  Griechen,  aber 
es  betrachtet  die  Dinge  von  der  christlichen,  weil  von  der  theologischen  Seite  aus;  die  Motive  der 
Griechen  selbst  aber  wollen  vom  heidnischen,  also  vom  philologischen  Standpunkte  aus  gesehen 
sein.  Die  Antwort  kann  nur  in  der  Form  einer  Religionsgeschichte  der  Griechen  gegeben  werden, 
die  sich  von  ihrer  Urzeit  bis  zu  ihrem  Christentum  erstrecken  müßte.  Zur  Erklärung  der  Genesis 
des  griechischen  Christentums  hat  man  philologischersei ts  schon  manche  Fäden  angeknüpft,  aber 
es  konnte  natürlich  noch  kein  Gewebe  werden.  Auch  ist  es  ein  besonders  ausgedehntes,  verwickeltes 
und  streckenweis  schlüpfriges  Gebiet.  Immerhin  sei  auf  die  in  verschiedener  Weise  einschlagenden 
Arbeiten  der  H.  Usener,  A.  Dieterich,  P.  Wendland,  E.  Norden,  R.  Reitzenstein  usf.  summarisch 
hingewiesen. 

Sybel,  Christliche  Antike  I.  2 


1 8  Einleitung. 

Christentums  zur  Rüste  gegangen;  sondern  wie  das  Altertum  im  ganzen  auf  alle 
Folgezeiten  nachgewirkt  hat  und  heute  noch  nachwirkt,  so  bildete  auch  das  Christen- 
tum einen  Bestandteil  der  großen  Hinterlassenschaft  des  Altertums  an  die  Folgezeit, 
einen  Teil  des  Erbes  der  Antike.  Das  Mittelalter  war  es  zunächst,  das  jenes  Erbe 
übernahm.  Nun  pflegt  herkömmlich  gesagt  zu  werden,  das  Mittelalter  werde  charak- 
terisiert durch  das  Eintreten  des  christlichen  und  des  germanischen  Geistes.  Dagegen 
ließe  sich  einwenden,  daß  beides  längst  zuvor  in  Wirksamkeit  gewesen  war,  ohne  eine 
neue  Weltzeit  ins  Leben  gerufen  zu  haben;  das  Christentum  hat  ein  halbes  Jahr- 
tausend bestanden,  die  Völkerwanderung  ist  über  die  Länder  gegangen,  das  alles  hat 
wohl  den  Boden  vorbereiten  helfen,  aber  nicht  mehr.  Das  blieb  alles  im  Rahmen 
des  Altertums,  wenn  wir  Recht  haben,  dessen  Grenzen  bis  Justinian  zu  erstrecken; 
und  es  scheint  diese  Abgrenzung  sich  mehr  und  mehr  durchzusetzen.  Neue  Welt- 
zeiten ins  Leben  zu  rufen,  dazu  gehören  große  konzentrierte  Kräfte,  stark  genug,  die 
Welt  in  neue  Formen  zu  gießen.  Für  das  Mittelalter  waren  die  maßgebenden  Faktoren, 
abgesehen  von  dem  letzten  Rest  des  alten  Römerreiches  in  Byzanz,  im  Osten  Mohammed 
und  der  Islam,  im  Abendland  das  Papsttum,  etwa  von  Gregor  an,  und  Karl  der  Große. 
Das  Auftreten  und  das  Ineinanderspielen  dieser  Mächte  begründete  die  neue  Weltzeit, 
das  Mittelalter.  Warum  sie  warben  und  warum  sie  sich  bekämpften,  das  war  eben 
jenes  Erbe  des  Altertums,  zuoberst  die  antike  Idee  des  Imperiums,  gesteigert  zu  der 
des  Weltreichs,  inbegriffen  im  Reich  aber  die  antike  Kultur  mit  der  Weltreligion. 
Denn  als  den  integrierenden  und  dominierenden  Bestandteil  der  antiken  Kultur,  der 
es  war,  haben  wenigstens  die  nordischen  Völker  das  Christentum  übernommen.  Die 
altsemitischen  Völker  hingegen  lösten  sich  aus  dem  Bannkreis  der  christlichen  Welt- 
religion und  schufen  sich  einen  ihnen  gemäßen  orientalischen  Monotheismus,  unter 
strikter  Ausscheidung  aller  hellenistischen  Momente,  ohne  deshalb  Israeliten  zu  werden. 
Sie  schieden  das  ihnen  blutfremde  Hellenistische  aus  ihrer  Religion  aus,  um  dann  mit 
gesammelter  Kraft  sich  erobernd  auf  den  Länderkreis  der  klassischen  Völker  zu 
werfen  und  ihrerseits  das  Erbe  der  hellenistischen  Zivilisation  anzutreten,  bis  ihnen 
die  Franken  entgegentraten,  ihre  Gegenspieler  im  Weltdrama.1) 

Wenn  die  altchristliche  Religion  und  Kunst  zum  Altertum  gehört,  so  wächst 
auch  ihre  wissenschaftliche  Bearbeitung  den  Aufgaben  der  Altertumswissenschaft 
zu,  der  klassischen  Philologie  und  Archäologie;  den  Philologen  und  Archäologen 
erwächst  die  Pflicht,  das  christliche  Altertum  nicht  den  Theologen  allein  zu  über- 
lassen, sondern  es  in  ihre  eigenen  Studien  mit  einzubeziehen,  nicht  etwa  in  der 
falschen    Meinung,    es  wäre    noch    alles    zu   tun    oder  sie    dürften  an   der  Arbeit   der 


*)  Das  Altertum  bis  Justinian:  So  auch  m.  Weltgeschichte  der  Kunst  1888.  21903  Ein- 
leitung. Bekanntlich  hat  bereits  A.  v.  Gutschmid  (in  den  Grenzboten  1868  =  Kleine  Schriften  V 
393)  die  ersten  sechs  Jahrhunderte  der  christlichen  Ära  dem  Altertum  zugerechnet;  ebenso  ver- 
fahren u.  a.  Christ,  Geschichte  der  griech.  Literatur,  Schanz,  Geschichte  der  römischen  Literatur, 
v.  Wilamowitz,  Griechische  Literatur  (in  Hinnebergs  Kultur  der  Gegenwart  I  VIII  1905).  Die 
frühbyzantinische  Zeit  (324—640,  vgl.  Krumbacher,  Byzantin.  Literaturgeschichte  21897  Einleitung) 
fällt  in  der  Hauptsache  in  dieselben  Grenzen.  Anderen  schien  mit  Konstantin  eine  neue  Weltzeit 
anzubrechen.  Einige  bezeichnen  die  Zeit  von  Diocletian  bis  zu  Karl  dem  Großen  als  einen  für 
sich  bestehenden  Zeitraum  im  Sinne  einer  Übergangsepoche.  Ich  bekenne,  selbst  ähnliches  erwogen 
zu  haben.  Wir  werden  sagen,  daß  jede  methodisch  gefundene  Gliederung,  indem  sie  gewissen 
Momenten  gerecht  wird,  ihre  relative  Berechtigung  hat;  man  sollte  nicht  die  eine  gegen  die  andere 
ausspielen,  sondern  eine  jede  zutreffenden  Ortes  anwenden. 


Christliche  Antike.  19 

Theologen  vorbeigehen,  sondern  in  Anerkennung  und  mit  Verwertung  dessen,  was 
von  der  wissenschaftlichen  Theologie  bereits  geleistet  wurde  und  fortgesetzt  geleistet 
wird,  dabei  allerdings  unter  der  Verpflichtung,  die  Erkenntnisse  sich  überall  selbständig 
neu  zu  erarbeiten,  was  denn  nicht  in  einem  Tage  geschehen  kann.  Tatsächlich  hat 
es  ja  immer  einzelne  Philologen  gegeben,  welche  Hand  anlegten;  ihre  Zahl  hat  in 
neuerer  Zeit  erfreulich  zugenommen,  wenn  auch  noch  kaum  Anstalten  getroffen  werden, 
das  christliche  Altertum  im  ganzen  in  die  klassische  Altertumswissenschaft  aufzu- 
nehmen. Auch  ist  die  Arbeit  der  Philologen  noch  recht  ungleich  auf  die  fraglichen 
Einzelgebiete  verteilt.  Die  Untrennbarkeit  der  christlichen  Epigraphik  von  der 
heidnischklassischen  scheint  anerkannt;  die  Kirchenväter  werden  von  Theologen  und 
Philologen  in  vereinter  Arbeit  herausgegeben,  auch  finden  sie  in  der  griechischen  und 
römischen  Literaturgeschichte  Aufnahme;  den  neutestamentlichen  Schriften  fehlt  es 
nicht  an  philologischen  Arbeitern  für  Kritik  und  Grammatik,  aber  die  griechische 
Literaturgeschichte,  in  welche  Evangelien  und  Episteln  trotz  ihrer  Eigentümlichkeiten  doch 
gehören,  bleibt  ihnen  so  gut  wie  verschlossen.  Die  Geschichte  der  griechischen  Philo- 
sophie nimmt  die  heidnische  theologisierende  Spekulation  auf,  weil  sie  mit  der  Philo- 
sophie allzu  eng  verwachsen  ist;  auch  die  philonische  nimmt  sie  auf,  warum  nicht  auch 
die  altchristliche?  Die  Religionswissenschaft  zieht  jedes  einzelne  Christliche  in  ihre 
Kreise,  aber  die  griechische  Mythologie  scheut  noch  davor  zurück;  auch  die  jetzt  im 
Handbuch  der  klassischen  Altertumswissenschaft  erscheinende  schließt  die  Zusammen- 
hänge der  griechischen  mit  den  übrigen  antiken  Religionen  von  ihren  Betrachtungen 
aus.  Dafür  haben  wir  die  Artikel  im  mythologischen  Lexikon  und  in  der  Real- 
encyklopädie:  beide  bringen  Attis,  Besas,  Isis  und  Osiris,  Mithras  und  viele  andere 
fremde  Götter,  sehr  mit  Recht,  denn  sie  haben  in  Griechenland  und  in  der  griechischen 
Literatur  Gastrecht  erhalten;  aber  vergebens  sucht  man  Artikel  wie  Christus,  Diabolos, 
Michael,  oder  dürfen  wir  auf  Satanas  hoffen?  Einen  Artikel  Heros  finden  wir,  aber 
ob  Gott  (o  S-eög)  folgen  wird,  heidnisch  und  christlich?  Ebenso  vergeblich  würde  man 
in  den  Handbüchern  der  Altertümer  die  christlichen  Antiquitäten  suchen.  Endlich 
die  altchristliche  Kunst  wird  von  klassischen  Archäologen  gelegentlich  berührt,  aber  als 
Ganzes  hat  sie  in  der  klassischen  Archäologie  noch  nicht  Bürgerrecht  erhalten,  sie  war 
immer  so  gut  wie  ausschließlich  Domäne  der  Theologen. 

Über  das  bisher  auf  dem  Gebiete  der  altchristlichen  Kunst  Geleistete  geben  die 
untenstehend  aufgeführten  Handbücher  Nachricht.  Hier  genügt  zu  erwähnen,  daß 
die  Geschichte  der  altchristlichen  Kunstarchäologie  in  Hauptmomenten  zusammenfällt 
mit  der  weiter  unten  zu  bringenden  Geschichte  der  Katakombenforschung.  Die  Zeit- 
schriften für  christliche  Archäologie  führen  wir  ebenfalls  hier  unten  auf.1) 


*)  Handbücher:  Heinrici,  Theologische  Encyklopädie  1893,  141  Die  christliche  Kunstwissen- 
schaft. Victor  Schul tze,  Archäologie  der  altchristlichen  Kunst  1895.  Franz  Xaver  Kraus,  Ge- 
schichte der  christlichen  Kunst.  I  Die  hellenistisch-römische  Kunst  der  alten  Christen;  die  byzan- 
tinische Kunst;  Anfänge  der  Kunst  bei  den  Völkern  des  Nordens  1896.  Adolf o  Venturi,  Storia 
dell'  arta  italiana  I  1901  (Altchristi.  Kunst  bis  Justinian).  Carl  Maria  Kaufmann,  Handbuch  der 
christlichen  Archäologie  1903.  Diese  Bücher  pflegen  Übersichten  über  die  Geschichte  der  christ- 
lichen Archäologie  zu  geben,  Schultze  Seite  3 — 8;  Kraus  S.  6— 29;  Kaufmann  S.  9— 51;  vgl.  deRossi, 
Roma  sott.  I  1—82.  Müller,  Realencykl.  für  prot.  Theol.  X  1901,  795.  -  -  Zu  nennen  sind  noch: 
Orazio  Marucchi,  Elements  d'archeologie  chr^tienne  1900  ff.  I  Notions  geniales.  II.  Itineraire 
(Guide)  des  catacombes.  III  Les  basiliques  (Les  trois  volumes  forment  un  cours  ölc'mentaire 
d'archeologie  chrötienne  tant  pour  l'ötude  priv^e  que  pour  l'usage  des  classes).     Pe>ate,  Archeologie 

2* 


20  Einleitung. 

Die  Betrachtung  der  geschichtlichen  Dinge  hat  sowohl  auf  das  Bleibende  zu 
achten  als  auch  auf  den  Wandel.  Bei  aller  Stabilität  im  Kerne  hat  die  Religiosität 
seit  der  römischen  Kaiserzeit  doch  so  gründliche  Wandlungen  durchgemacht,  daß  es 
dem  heutigen  Menschen  schwer  wird,  für  die  antike  Religion  und  Kunst  zutreffendes 
Verständnis  zu  gewinnen.  Einem  Evangelischen,  nicht  bloß  einem  liberaleren,  droht 
leicht  die  Gefahr,  die  Art  seiner  eigenen  Religiosität  in  die  alte  hineinzutragen  und 
ihr,  sollen  wir  sagen  eine  Rationalität,  oder  eine  so  geläuterte  Vorstellungsart,  unter- 
zuschieben, wie  sie  der  Religion  gerade  der  Kaiserzeit  ganz  fern  lag.  Wiederum  ist 
es  die  Stabilität  der  Religion  in  dem,  was  der  Römer  als  religiosum  bezeichnete,  welche 
bewirkte,  daß  ungeachtet  des  himmelweiten  Abstandes  zwischen  Jesus'  Religion  und 
dem  heutigen  Katholizismus  doch  ein  stetiges  schrittweises  Auswachsen  der  einen  zum 
anderen  hin  sich  verfolgen  läßt;  ist  dieser  Katholizismus  auch  nur  einer  der  vielen 
Stämme  und  Äste,  die  aus  jeuer  Wurzel  sproßten,  so  leitet  er  sich  doch  aus  jener 
Wurzel  her.  Mit  anderen  Worten,  wenn  es  auch  unrichtig  wäre  zu  sagen,  daß  bereits 
Jesus  katholisch  gewesen  sei,  so  treten  die  Ansätze  zum  „Katholischen"  im  alten 
Christentum  doch  schon  früh  auf,  wider  Verhoffen  früh  für  manchen  guten  Protestanten. 
Solche  gehen  mit  Sympathie  an  die  altchristlichen  Denkmäler  heran,  scheinen  aber  öfter 
eine  Enttäuschung  zu  erleben. 

Der  Katholik  andererseits  lebt  in  der  Tradition,  er  steht  der  Religiosität  des 
alten  Christentums  nach  seinem  eigenen  religiösen  Empfinden  näher  und  bringt  ihm 
unmittelbareres  Verständnis  entgegen;  dafür  sind  ihm  andere  Schlingen  gelegt.  Er  ist 
der  Gefahr  ausgesetzt,  den  steten  Wandel  der  Dinge  zu  unterschätzen  und  Ergebnisse 
späterer  Entwicklungen  in  frühere  Zeiten  zurückzusehen,  wo  sie  tatsächlich  sich  noch 
nicht  eingestellt  hatten.  So  kommt  er  leicht  zu  der  Anschauung,  daß  die  römische 
Kirche  immer  dieselbe  gewesen  wäre,  wie  heute  so  schon  in  den  Tagen  des  Petrus;  als 
ob  sie  ausgenommen  wäre  vom  Gesetz  der  geschichtlichen  Entwicklung.  „Es  ist  die 
Überzeugung  aller  gläubigen  Katholiken,  daß  die  Kirche  der  ersten  Jahrhunderte  keine 
andere  war,  als  die  des  neunzehnten  Jahrhunderts,"  sagte  Franz  Xaver  Kraus  in  der 
Vorrede  seiner  Roma  Sotterranea  1873.  21879.  Er  verlangte  für  monumentale 
Theologie  und  christliche  Archäologie  Raum  im  katholisch-theologischen  Unterricht, 
damit  „die  Kandidaten  des  Priestertums  in   einem  den  Forderungen  unserer  Zeit  ent- 


chrötienne  1892;  ders.,  Les  commencements  de  l'art  chr^tien  en  Occident  (in  Andre  Michel  Histoire 
de  Part  I  1905).  Lowrie,  Christian  art  and  archaeology  1901.  —  Lexikalisch:  Fr.  X.  Kraus,  Real- 
encyklopädie  der  christlichen  Altertümer  1882,  86.  Don  Fernand  Cabrol,  Dictionnaire  d'arche'ologie 
chrötienne  et  de  liturgie  1903  ff.  im  Erscheinen  (m.  Bibliographie).  —  Eine  umfassende  Wieder- 
gabe altchristlicher  Bildwerke:  Garrucci,  Storia  dell'  arte  cristiana  nei  primi  otto  secoli  1873 ff. 
(II  Katakombengemälde,  III  andere  Gemälde,  IV  Mosaiken,  V  Sarkophage,  VI  sonstige  Skulpturen). 
Zeitschriften:  Bullettino  di  archeologia  cristiana  1863—1894.  Es  war  gegründet  und  ge- 
leitet von  de  Rossi,  nach  seinem  Tode  wurde  es  fortgesetzt  unter  dem  Titel  Nuovo  bullettino  di 
arch.  cristiana  1895 ff.  von  M.  St.  de  Rossi,  Armellini,  Marucchi,  Stevenson.  —  Römische 
Quartalschrift  für  christliche  Altertumskunde  und  für  Kirchengeschichte  1887 ff.,  geleitet  von 
deWaal,  Rektor  des  Kollegiums  vom  Campo  Santo  der  Deutschen  zu  Rom;  seit  1900  bringt  die 
Quart.  Kirschs  Anzeiger  für  christliche  Archäologie.  —  Ferner  sind  die  Literaturberichte  im 
Repertorium  für  Kunstwissenschaft  zu  beachten,  von  Fr.  X.  Kraus  1879  ff.  —  Weniger  eine  Zeit- 
schrift als  eine  Folge  von  Monographien  sind  die  von  Joh.  Ficker  herausgegebenen  Archäologischen 
Studien  zum  christlichen  Altertum  und  Mittelalter  1895 ff,  fortgesetzt  seit  1902  unter  dem  Titel 
Studien  über  christliche  Denkmäler.  —  Baumstarks  Oriens  christianus,  römische  Halbjahrshefte  für 
die  Kunde  des  christlichen  Orients  1900  ff. 


Christliche  Antike.  21 

sprechenden  Maße  geschickt  werden,  in  der  jugendlichen  Erscheinung  der  altchristlichen 
Kirche  die  geliebten  Züge  derjenigen  wieder  zu  finden,  welche  sie  selbst  als  die  Mutter 
ihres  geistigen  Lebens  ehren."  Kraus  aber  hat  früh  Fühlung  gesucht  mit  der  aus 
dem  Protestantismus  geborenen  voraussetzungslosen  Wissenschaft,  der  philologisch- 
historischen Forschung  des  neunzehnten  Jahrhunderts;  und  er  ist  einer  der  Gründer, 
und  mit  seinem  Tode  ein  Heros  des  „wissenschaftlichen  Reformkatholizismus"  ge- 
worden. So  läßt  sich  auch  in  seinen  Arbeiten  zum  christlichen  Altertum  ein  Fortschritt 
in  der  Auffassung  erkennen;  er  ist  zur  Erkenntnis  des  antiken  Charakters  der  alt- 
christlichen Kunst  durchgedrungen,  er  bezeichnet  sie  in  seiner  Geschichte  der  christ- 
lichen Kunst  I  1896  als  die  „hellenistisch-römische  Kunst  der  alten  Christen",  sie  ist 
ihm  „die  letzte  und  lieblichste  Offenbarung  des  dahinsterbenden  Genius  der  Antike" 
(S.  58).  So  angenehm  dies,  auch  in  neuesten  Werken  katholischer  Autoren  zur  christ- 
lichen Archäologie  wiederkehrende  Anerkenntnis  berührt,  beim  Lesen  der  Werke  selbst 
hat  man  nicht  immer  den  Eindruck,  daß  die  doch  weittragende  Prämisse  auf  den 
Kontext  der  Bücher  wesentlich  eingewirkt  hätte.  Wir  dürfen  keinen  Augenblick  ver- 
gessen, daß  zwar  auch  der  Katholizismus  Wissenschaft  pflegen,  wissenschaftliche 
Forschung  treiben  will  und  tatsächlich  fruchtbar  treibt,  daß  er  aber  grundsätzlich  sich 
an  die  Dogmen  seiner  Kirche  gebunden  hält.  Da  nun  das  Material  der  altchristlichen 
Kunst  nahezu  ganz,  und  seine  Verarbeitung  ganz  überwiegend  in  katholischen  Händen 
liegt,  so  erschien  das  vorstehend  und  eingangs  Gesagte  angebracht. 


Die  literarischen  Quellen. 


Philosoph. 

Neapel. 


Wenn  wir  das  Christentum  als  orientali- 
sierende  griechische  Religion  zu  betrachten 
haben,  welche  die  religiöse  Entwicklungs- 
geschichte der  Griechen  ebensosehr  zur  Vor- 
aussetzung hat  wie  die  der  Juden  und  der 
Judenchristen,  so  gehört  die  griechische, 
überhaupt  die  klassische  Literatur  in  die  erste 
Reihe  unserer  literarischen  Quellen.  Nach 
der  besonderen  Aufgabe  aber,  die  wir  uns 
gestellt  haben,  genügt  es,  auf  die  Literatur 
des  klassischen  Altertums  nur  hinzuweisen 
(freilich  muß  in  Erinnerung  gebracht  werden, 
daß  man  wohl  schon  versucht  hat,  die 
Religions-  und  die  Geistesgeschichte  der 
Griechen  zu  schreiben,  ebenso  wie  auch  ihre 
Literaturgeschichte,  aber  noch  nicht  im  Sinne 
der  hier  vertretenen  Auffassung  des  Christen- 
tums). Wir  beschränken  die  hier  an  die 
Hand  zu  gebenden  Nachweise  auf  die 
israelitisch -jüdische  und  die  altchristliche 
Literatur.  Vorweg  sei  auf  die  in  der  An- 
merkung genannten  wissenschaftlichen  Hand- 
bücher der  theologischen  Disziplinen  hin- 
gewiesen.1) 


l)  Handbücher:  Es  gibt  eine  Sammlung  von 
„ Lehrbüchern"  und  eine  solche  von  „ Grundrissen".  Aus  der  Sammlung  der  Lehrbücher  nennen 
wir:  Chantepie  de  la  Saussaye,  Keligionsgeschichte;  R.  Smend,  Alttestamentliche  Religions- 
geschichte; Nowack,  Hebräische  Archäologie;  H.  J.  Holtzmann,  Einleitung  in  das  Neue 
Testament;  A.  Harnack ,  Dogmengeschichte;  Möller  •  Kawerau ,  Kirchengeschichte.  Aus  der 
Sammlung  der  Grundrisse:  Heinrici,  Encyklopädie;  Cornill,  Einleitung  in  das  Alte  Testament; 
Guthe,  Geschichte  des  Volkes  Israel;  Buhl,  Geographie  des  alten  Palästina;  Benzinger,  Hebräische 
Archäologie;  Krüger,  Geschichte  der  altchristlichen  Literatur;  Jülicher,  Einleitung  in  das  Neue 
Testament;  0.  Holtzmann,  Neutestamentliche  Zeitgeschichte;  Harnack,  Dogmengeschichte;  Müller, 
Kirchengeschichte. 


Die  altisraelitische  Literatur.  23 


Die  altisraelitische  Literatur. 

Die  Schriftquellen,  deren  wir  zum  Verständnis  der  altchristlichen  Kunst  bedürfen, 
finden  sich  zunächst  in  der  altchristlichen  Literatur;  bei  dem  engen  Verhältnis  aber, 
welches  zwischen  dem  Christentum  und  dem  Israelitismus  besteht,  ist  es  nötig,  auch 
die  israelitische  Literatur  heranzuziehen.  Die  griechisch  redenden  und  schreibenden 
Christen  haben  sich  nicht  der  hebräischen  Bibel  selbst  bedient,  sondern  ihrer 
griechischen  Übersetzung;  sie  ist  dem  klassischen  Philologen  ohne  weiteres  zugänglich. 
Aber  er  muß  auch  mit  den  kritischen  Forschungen  auf  dem  alttestamentlichen  Gebiete 
vertraut  sein,  welche  zur  Rückverwandlung  des  biblischen  Kanons  in  den  ursprüng- 
lichen Zustand  des  hebräischen  Schrifttums  führen,  in  den  einer  geschichtlich  ge- 
wordenen Literatur.  Zur  ersten  Orientierung  geben  wir  einen  kurzen  Überblick;  er 
umfaßt  die  altisraelitische  Literatur  in  ihrem  ganzen  Umfange,  mit  Einschluß  also 
auch  der  vom  Kanon  ausgeschlossenen  Schriften. 

Die  Kritik  der  alttestamentlichen  Schriften  richtet  sich  auf  Ermittelung  der 
wirklichen  Entstehungszeiten  ihrer  Bestandteile. 

Kritik  ist  Unterscheidungskunst,  methodische  Unterscheidung  des  Verschiedenen. 
Die  alttestamentlichen  Schriftsteller  sind  ausgeprägte  Individualitäten  und  eben  deshalb 
verschieden  genug  in  Vorstellungen  und  Absichten,  in  Sprache  und  Stil,  um  an  solchen 
Kennzeichen  voneinander  unterschieden  zu  werden.  Dazu  hängt  ihre  Entstehung  wie 
ihre  Tendenz  mit  Vorgängen  der  politischen  und  Religionsgeschichte  Israels  eng 
zusammen.  Die  Kritik  hat  viel  erreicht.  Auf  Grund  jener  Kennzeichen  vermochte 
sie  die  Zeiten,  z.  B.  der  prophetischen  Schriften  in  engeren  oder  weiteren  Grenzen 
festzustellen,  auch  wo  sie  ihre  Ursprungszeiten  nicht  selbst  oder  nicht  zuverlässig  an- 
geben. Aber  noch  mehr.  Das  Altertum  kannte  den  Begriff  des  geistigen  Eigentums 
noch  fast  gar  nicht.  Einerseits  schrieben  spätere  Schriftsteller  die  früheren  aus,  ohne 
sich  der  Mühe  einer  Neubearbeitung  des  Gegenstandes  zu  unterziehen;  dann  heben 
sich  die  unveränderten  Bruchstücke  älterer  Schriftstellerei  aus  der  jüngeren  Umgebung 
kennbar  heraus.  Solche  ältere  Bestandteile  herauszuschälen  und  ihrem  Eigendasein 
zurückzugeben  ist  eine  Hauptaufgabe  der  Kritik  bei  den  historischen  Büchern  des 
alten  Testaments.  Andererseits  fand  man  kein  Arg  darin,  eigne  Erzeugnisse  unter 
dem  Namen  eines  älteren  Autors  herauszugeben,  in  dessen  Geist  man  zu  schreiben 
gemeint  war;  oder  der  Sammlung  von  dessen  Schriften  Stücke  einzureihen,  die  irgend- 
wie ihm  verwandt  schienen,  ohne  doch  von  ihm  verfaßt  zu  sein.  So  sind  in  die  ge- 
sammelten Schriften  des  Jesaias  viele  jüngere  Stücke  eingereiht  worden,  die  es  nun 
auszuscheiden  und  auf  ihre  Ursprungszeit  zu  bestimmen  gilt.  Weder  diese  Inter- 
polationen noch  jene  Pseudepigraphen  sind  als  Fälschungen  zu  bezeichnen,  weil  eine 
eigennützige  Absicht  nicht  dabei  obwaltete;  aber  es  sind  tatsächlich  Entstellungen  der 
geschichtlichen  Wahrheit,  welche  der  Berichtigung  bedürfen.  In  Ausübung  dieser 
Funktionen  leistet  die  Kritik  positive  Arbeit;  sie  schafft  neue  Werte,  indem  sie  mit 
dem  Zauberstab  des  methodischen  Unterscheidens  ganze  Reihen  literarischer  Werke,  die 
bisher  im  Kanon  verschüttet  lagen,  zu  neuem  Leben  auferstehen  läßt  und  eine  zuvor 
nicht  geahnte  Doppelkette  literarischer  Produktion  vor  uns  aufrollt,  die  eine  von 
historischen,  die  andere  von  prophetischen  Büchern  um  nur  die  Hauptgattungen  hier 
zu  nennen.     Erst  durch  die  Kritik  ist  aus  der  „Bibel"  eine  Literatur  wiedererstanden. 


24  Die  literarischen  Quellen. 

Die  Ergebnisse  all  der  kritischen  Arbeit  finden  sich,  für  jede  biblische  Schrift 
gesondert,  in  den  „Einleitungen"  in  das  Alte  Testament,  wie  sie  nach  altakademischem 
Brauch  immer  neu  aus  den  Vorlesungen  hervorzugehen  pflegen,  als  Marksteine  des 
Weges,  welchen  die  Forschung  nie  rastend  zurücklegt. 

Den  kanonischen  Schriften  fügen  wir  die  außerkanonischen  hinzu,  nicht  bloß  die 
Apokryphen,  auch  die  Septuaginta,  sowie  Aristobul,  Philo  und  Josephus.1) 

Es  empfiehlt  sich  die  für  unseren  Zweck  wichtigen  historischen  Daten  in  einer 
Zeittafel  vorauszuschicken. 

Königszeit. 

ca.  1020  Saul.     ca.  1000  David,     ca.  970  Salomo. 

933  Abfall  der  Nordstämme;  Reiche  Israel  und  Juda. 

722  Fall  Samarias,  Ende  des  Nordreichs  durch  Sargon  von  Assyrien. 

607  Niniveh  von  den  Medern  und  Babyloniern  zerstört. 

604  Nebukadnezar  besiegt  die  Ägypter  bei  Karkemisch. 

597  Erste  Wegführung  von  Juden  in  das  babylonische  Exil. 

587  Zerstörung  des  Tempels. 

Persische  Zeit. 

549  Cyrus  stürzt  das  Mederreich,  538  erobert  er  Babylon.  Erste  Rück- 
kehr der  Juden  unter  Serubabel. 

516  Einweihung  des  zweiten  Tempels. 

458  Weitere  Rückführungen  von  Juden  durch  Esra.  445  Nehemia  Statt- 
halter in  Jerusalem;  432  abermals  dort. 

Hellenistische  Zeit. 

332  Alexander  der  Große  in  Syrien;  die  Juden  den  Mazedoniern  Untertan; 
wechselnde  Schicksale  unter  den  Diadochen;  seit  198  dauernd  unter 
den  Seleukiden  von  Syrien. 


*)  Einleitungen:  Hier  seien  nur  die  neueren  genannt.  C.  H.  Cornill,  Einleitung  in  die 
kanonischen  Bücher  des  Alten  Testaments  51905  (darin  eine  Geschichte  der  Bibelkritik).  Driver- 
Rothstein,  Einleitung  in  die  Literatur  des  Alten  Testaments  (nach  der  fünften  Ausgabe  des  eng- 
lischen Originals  übersetzt)  1896.  Robertson  Smith-Rothstein,  Das  Alte  Testament,  seine  Entstehung 
und  Überlieferung;  Grundzüge  der  alttestamentlichen  Kritik  in  populärwissenschaftlichen  Vor- 
lesungen dargestellt  (nach  der  2.  Ausgabe  des  englischen  Originals)  1904.  W.  Graf  Baudissin,  Ein- 
leitung in  die  Bücher  des  Alten  Testaments  1901.  —  Außerkanonische  Literatur:  Jülicher, 
Apokryphen  (in  Pauly-Wissowa,  Realen cyklopädie  des  klass.  Altertums  I  2838).  Gunkel,  Apo- 
kryphen und  Pseudepigraphen  (in  Vorbereitung).  Kautzsch  (und  Fachgenossen),  Die  Apokryphen 
und  Pseudepigraphen  des  Alten  Testaments  1900:  I.  Apokryphen:  Esra  III;  Makkabäer  I— III; 
Tobit;  Judith;  Zusätze  zu  Chronik,  Daniel,  Esther;  Baruch;  Brief  Jeremias;  Jesus  Sirach;  Weisheit 
Salomos.  IL  Pseudepigraphen:  Aristeasbrief ;  Jubiläen;  Martyrium  Jesaiä,  Psalmen  Salomos;  Mak- 
kabäer IV;  Sibyllinen;  Henoch;  Himmelfahrt  Moses;  Esra  IV;  Apokryphen  des  Baruch ;  Testamente 
der  zwölf  Patriarchen;  Leben  Adams  und  Evas.  —  Septuaginta:  H.  B.  Swete,  The  old  testament 
in  Greek  according  to  the  Septuagint  I3  1901,  II2  1896,  III2  1899.  Dazu  Swete,  Introduction  to 
the  old  testament  in  Greek  1900.  Christ,  Gesch.  d.  griech.  Lit.  41905,  515.  —  Zu  Septuaginta, 
Aristobul,  Philo  und  Josephus  vgl.  die  Handbücher  zur  Geschichte  der  griechischen  Literatur, 
zu  Aristobul  und  Philo  außerdem  die  Handbücher  zur  Geschichte  der  griechischen  Philosophie 
(Zeller;  Überweg-Heinze ;  Vorländers  Geschichte  der  Philosophie  I  1903,  188).  —  Zu  den  Sibyl- 
linen noch:  J.  Geffken,  Oracula  Sibyllina  1902;  Komposition  und  Entstehungszeit  der  Orac. 
•Sibyll.  (in  Gebhardt-Harnacks  Texte  und  Untersuch.  N.  F.  VIII  i  1902). 


Die  altisraelitische  Literatur.  25 

176  Antiochus  IV  Epiphanes;  168  gewaltsames  Hellenisieren  Judäas. 
167  Erhebung  der  Makkabäer;  165  Herstellung  des  Tempelkults;  163  Ge- 
währung   freier    Religionsübung;    142    Judäa    selbständig     (Dynastie 
der  Hasmonäer),  139  von  den  Römern  anerkannt. 
37 — 4  Herodes  der  Große. 

70  nach  Chr.     Zerstörung  von  Jerusalem  durch  Titus. 

Nun  lassen  wir  eine  chronologische  Übersicht  der  Geschichte  der  alt- 
israelitischen Literatur  folgen,  unter  Beschränkung  auf  das  Erhaltene  und  auf  die 
Hauptmomente  der  Entwicklungsgeschichte.1) 

Ohne  Zweifel  machten  auch  bei  den  Hebräern,  wie  bei  anderen  Völkern,  Lieder 
den  Anfang;  die  erhaltenen  Lieder  mögen  zum  Teil  älter  sein  als  die  Königszeit,  so 
das  Lied  der  Deborah  Richter  5.  Eigentliche  Literatur  erscheint  in  der  Königszeit, 
uns  greifbare  im  neunten,  vielleicht  erst  im  achten  Jahrhundert.  Dahin  gehören  die 
ältesten  Quellenschriften  des  Hexateuch  (hierunter  werden  die  fünf  Bücher  Mosis  und 
Josua  verstanden);  sie  gehen  unter  den  Namen  „Jahwist"  (J)  und  „Elohist"  (E), 
jener  gehört  dem  Südreich,  dieser  dem  Nordreich,  aber  beide  folgen  der  prophetischen 
Richtung,  die  am  Jahwisten  stärker  hervortritt.  Auch  ihre  Verschmelzung  (JE,  auch 
Rj)  fällt  noch  in  denselben  Zeitraum;  ebenso  die  Quelle  des  „ Bundesbuches ■  Exodus 
20 — 23;  die  älteren  Bestandteile  des  Richterbuchs  und  der  Bücher  Samuels.  — 
Von  Prophetenbüchern  fallen  in  diese  früheren  Zeiten  Arnos  (760/746)  und  Hosea 
(746/734),  die  beide  sich  an  das  Nordreich  wenden;  für  das  Südreich  die  echten  Be- 
standteile der  Bücher  des  Jesaias  (740/700)  und  seines  jüngeren  Zeitgenossen 
Micha.  Es  folgen  Zephanja  und  Nahum,  jener  kurz  vor  der  Reform  des  Josias  621, 
dieser  in  der  letzten  Zeit  Ninivehs.2) 

Epoche  macht  alsdann  die  Abfassung  des  Deuteronomiums  (in  Mos.  V);  im 
siebenten  Jahrhundert  verfaßt,  wahrscheinlich  in  dessen  erster  Hälfte  unter  König 
Manasse,  wurde  es  621  vom  Oberpriester  Hilkia  im  Tempel  gefunden,  von  König 
Josia  veröffentlicht  und  einer  Reform  des  Kultus  zugrunde  gelegt.  Es  ist  eine  neuen 
Bedürfnissen  angepaßte  Neugestaltung  der  älteren  Gesetzgebung,  seine  eigentümliche 
Färbung  macht  sich  auch  anderweit  bemerklich,  so  im  Buch  Josua  und  vorzüglich  im 
Richterbuch.  Deuteronomistisch  ist  ferner  die  uns  vorliegende  Redaktion  der  aus 
älteren  Quellen,  annalistischen  und  prophetischen,  bearbeiteten  zwei  Bücher  der 
Könige;  die  Redaktion  ist  von  einem  Gesinnungsgenossen  des  Jeremias  um  600  ab- 
geschlossen (dazu  kamen  später  die  bis  562  reichenden  Nachträge  II  24,  18  ff.).  — 
Des  Jeremia  prophetische  Tätigkeit  begann  626;  nach  Auffindung  des  Deuteronomiums 
trat  er  öffentlich  dafür  ein  (11,  1 — 8);  er  überlebte  die  Zerstörung  Jerusalems  und 
wandte  sich  mit  anderen  Flüchtlingen  nach  Ägypten;  seine  Prophetien  reichen  bis  in 
diese  Zeit.  Um  die  Zeit  der  Schlacht  von  Karkemisch  ließ  er  sie  durch  Baruch 
niederschreiben,    nach  Vernichtung  dieser  Niederschrift  durch  den  König  diktierte  er 


1)  Die  kanonischen  Schriften  nach  Driver- Rothstein  (ich  wähle  für  jetzt  den  kritisch 
gesinnten,  aber  vorsichtig  zurückhaltenden  Führer;  das  entschiedene  Vordringen  findet  man  bei 
Cornill).     Die  Apokryphen  und  Pseudepigraphen  uach  Kautzschs  gleichnamigem  Sammelwerk. 

2)  Der  echte  Jesaias:  Kap.  1—11.  14—20.  21.  28—33,  wovon  einiges  noch  entfällt,  anderes 
zweifelhaft  ist. 


26  Die  literarischen  Quellen. 

sie  im  folgenden  Jahre  zum  zweitenmal,  wie  das  erstemal  aus  dem  Gedächtnis,  also 
nur  dem  Sinne  nach  getreu,  das  zweitemal  außerdem  mit  Zusätzen.  Auch  das  Buch 
Jeremia  enthält  viel  Späteres.  —  In  die  Zeit  des  Aufkommens  der  Babylonier,  vielleicht 
der  Zerstörung  Ninivehs,  fällt  Habakuk. 

Den  tiefsten  Schnitt  in  das  Leben  der  alten  Israeliten  machte  das  babylonische 
Exil;  es  ist  nur  zu  begreiflich,  daß  eine  solche  Erschütterung  des  ganzen  äußeren 
und  inneren  Seins  auch  an  der  Literatur  empfunden  wird. 

Unter  den  Exilierten  von  597  befand  sich  der  Priester  Ezechiel,  der  danach 
in  Babylonien  von  592  bis  570  als  Prophet  wirkte.  Er  kennt  das  ältere  Gesetz,  auf 
dem  das  ,,  Heiligkeitsgesetz  "  (H)  Levit.  17  —  26  sich  aufbaut.  Letzteres  hinwiederum 
fand  Aufnahme  in  den  Priesterkodex  (P),  welcher  vom  priesterlichen  Standpunkte 
aus  eine  systematische  Darstellung  der  israelitischen  Theokratie  bieten  wollte,  ihres 
Ursprungs  und  ihrer  Haupteinrichtungen  unter  Benutzung  der  bereits  vorhandenen 
Geschichtserzählungen  und  Gesetzesredaktionen;  die  Gestaltung  des  Priesterkodex 
scheint  eine  Frucht  des  Exils  zu  sein.  —  Der  Schmerz  über  das  nationale  Unglück  äußert 
sich  in  den  Klageliedern  (Threnoi):  sie  werden  in  der  Sphäre  des  Jeremias 
geschaffen  sein,  doch  nicht  von  ihm  selbst.  —  In  der  exilischen  und  nachexilischen 
Zeit  entstand  eine  Reihe  zum  Teil  bedeutender  Prophetien,  die  später  in  die  gesammelten 
Schriften  teils  des  Jesaias,  teils  des  Jeremia  eingereiht  wurden.  Exilisch  ist  Jes.  Kap. 
34 — 35,  noch  aus  der  Mederherrschaft  Jes.  13 — 14;  aus  der  Zeit  zwischen  dem  Fall 
der  Mederherrschaft  und  demjenigen  Babylons  (549/38)  der  sog.  Deutero jesaias 
(Jes.  40 — 66)  sowie  Jerem.  50 — 51.  Dem  Ende  des  babylonischen  Exils  (538)  wird 
Jes.  21,  1  — 10  zugeschrieben.  Nach  der  Rückkehr  aus  dem  Exil  scheint  Jes.  12 
gedichtet,  als  ein  Dankpsalm;  ferner  die  weitausschauende  Prophetie  Jes.  24 — 27; 
sicher  ist  es  der  Fall  mit  Haggai  und  Sacharja  1 — 8,  Mahnungen  zum  Tempelbau, 
den  Serubabel  denn  auch  begann.  —  Buch  Ruth  gilt  einzelnen  Kritikern  wegen  seiner 
Schönheit  und  Stilreinheit  für  vorexilisch,  den  meisten  aber  wegen  gewisser  anti- 
quarischer und  sprachlicher  Besonderheiten  für  exilisch  oder  nachexilisch.  —  Die 
Psalmen  sind  eine  Sammlung  von  Kultusgesängen  verschiedener  Zeit;  vorexilisch 
kann  höchstens  eine  Minderzahl  sein,  die  Mehrzahl  ist  nachexilisch,  nicht  wenige 
reichen  bis  in  die  Makkabäerzeit  hinab.  Auch  das  Buch  der  Sprüche  ist  eine  all- 
mählich herangewachsene  Sammlung  mit  vor-  und  nachexilischen  Bestandteilen.  Hier 
mögen  die  Bücher  Joel,  Obadja  und  Hiob  genannt  sein. 

Die  Klassizität  der  ältesten  Literatur,  des  Jahwisten  und  des  Elohisten  sowie 
der  älteren  Erzählungsstücke  sonst,  erhielt  bereits  im  Deuteronomium  ein  etwas  ver- 
ändertes Gepräge;  noch  getrübter  erscheint  sie  in  den  jüngeren  Bestandteilen  der 
Königsbücher  und  bei  Jeremias,  bei  Ezechiel,  Deuterojesaias,  Haggai.  Der  entschieden 
nachklassische  Stil  beginnt  im  fünften  Jahrhundert  mit  den  Aufzeichnungen 
Es  ras  und  Nehemias  (benutzt  in  den  Büchern  gleichen  Namens;  es  sind  die  Ich- 
partien in  Esra  7 — 9,  Neh.  1  —  7,  12 — 13),  mit  der  aramäisch  geschriebenen  Quelle 
von  Esra  4 — 6  und  mit  dem  gleichzeitigen  Propheten  Maleachi.  In  das  fünfte  Jahr- 
hundert wird  auch  das  Buch  Jona  gesetzt. 

Der  hellenistischen  Zeit  gehören:  Das  Buch  Esther;  die  Bücher  der  Chronik 
(Paralipomena)  nebst  den  Büchern  Esra  und  Nehemia;  der  Prediger  (Koheleth, 
Ecclesiasticus);  das  Hohelied  (als  Verwertung  von  ländlichen  Gesängen  für  die 
städtische    Literatur    ein    merkwürdiges    Analogon  zur   griechischen    Bukolik   ebenfalls 


Die  altisraelitische  Literatur.  27 

hellenistischer  Zeit);  ferner  die  griechische  Bibeltibersetzung  (Septuaginta  und 
Aristobulos.1) 

Zweites  Jahrhundert:  Sprüche  Jesus  Sirach;  Buch  Tobit;  Buch  Judith; 
Gebet  Manasses  (zu  Chron.  II  33);  Buch  Daniel  (164);  Zusätze  zum  Buch 
Daniel  (Gebet  Asarjas  und  Lobgesang  der  drei  Jünglinge  im  glühenden  Ofen; 
Susanna);  Zusätze  zum  Buch  Esther;  Buch  der  Jubiläen;  Buch  Henoch. 

Erstes  Jahrhundert  '  vor  Christus:  Makkabäer  I  (IV  ist  vielleicht  später); 
Weisheit  Salomos;  Psalmen  Salomos;  Brief  des  Aristeas. 

Christliche  Zeit,  erstes  Jahrhundert:  Esra  III.  IV;  Makkabäer  IL  III. ;  Buch 
Baruch;  Martyrium  Jesaiä;  Himmelfahrt  Moses;  Apokalypse  des  Baruch; 
Testamente  der  zwölf  Patriarchen.  Außerdem  Philo  und  Josephus. 

Die  Entstehung  der  Sibyllinen  (Buch  III — V)  erstreckt  sich  von  der  helle- 
nistischen Zeit  bis  zu  den  Antoninen.  — 

Großes  hat  der  kritische  Fleiß  der  Theologen  an  der  hebräischen  Literatur  ge- 
leistet. Aber  die  Leistung  selbst  stellt  ihnen  zwei  neue  Aufgaben,  deren  Lösung 
nicht  länger  hinausgeschoben  werden  sollte;  die  wissenschaftliche  Welt  und  der  weitere 
Kreis  der  Gebildeten,  wer  irgend  für  die  hebräische  Literatur  oder  für  die  Weltliteratur, 
für  Religionsgeschichte  oder  für  die  heutige  religiöse  Frage  interessiert  ist,  brennt 
darauf. 

Die  eine  Aufgabe  wäre  die  Feststellung  des  Textes  der  aus  den  biblischen 
Schriften  herausgeschälten  früheren  und  späteren  Literaturreste  und  ihre  Heraus- 
gabe im  hebräischen  Original  und  (getrennt  davon)  in  deutscher  Übersetzung,  in 
umfassenden  Sammelwerken,  geordnet  nach  der  zeitlichen  Folge  der  einzelnen  Schriften 
und  gruppiert  nach  den  Zeiträumen  der  israelitischen  Literaturgeschichte.  Nicht  als 
ob  den  Fachmännern  vorgegriffen  werden  sollte,  sondern  lediglich  um  das  hier  vor- 
getragene Desiderat  zu  präzisieren,  sei  in  Anlehnung  an  die  vorstehende  Übersicht  ein 
solches  Sammelwerk  skizziert: 

Band  I.     Die  vordeuteronomische  Literatur. 

Band  II.     Deuteronomium  und  deuteronomistische  Literatur. 

Band  III.     Der  Priesterkodex. 

Band  IV.     Exilisches  und  nachexilisches  (außer  dem  Priesterkodex). 

Band  V.     Hellenistische  Zeit. 

Und  so  fort. 

Einer  jeden  Schrift  müßte  eine  sachlich  orientierende  Einleitung  vorausgehen  (für 
das    Kritische    wäre    überall    auf    die     „Einleitungen    ins    Alte    Testament"    und    die 


x)  Hohelied:  Baudissin,  Einleitung,  §  182.  Ob  mit  Vatke  an  irgend  eine  Abhängigkeit 
von  der  griechischen  Bukolik  zu  denken  ist,  bleibt  offene  Frage;  aber  Analogie  liegt  vor,  wenn 
ländliche  Hochzeitslieder  (Wetzstein ,  Budde)  einem  städtischen  Dichter  als  Motiv  zu  einer 
neuen  Dichtart  dienten;  so  haben  die  Bukoliker  nicht  Hirtenlieder  in  die  städtische  Literatur 
eingeführt,  sondern  das  Hirtenleben  und  den  Hirtengesang  als  Motiv  verwertet,  wie  etwa  unsere 
Komponisten  ungarische  und  andere  Volksweisen  als  Motive  für  eigene  Kompositionen.  Die  zwei 
Perlen  der  griechischen  Idyllendichtung  sind  die  „Adoniazusen",  die  eben  deshalb  so  gut  gelangen, 
weil  sie  als  städtisches  Motiv  dem  Großstadtdichter  lagen,  und  das  Stück  „Oaristys",  in  welchem 
der  Dichter  das  Ländliche  (hier  die  Vorwegnahme  der  ehelichen  Verbindung  unter  Verlobten,  wie 
es  bei  unseren  Bauern  und  Arbeitern  vielfacher  Brauch  ist)  so  künstlerisch  unmittelbar  wiedergibt, 
wie  nur  unsere  besten  Dorfnovellen,  etwa  Gottfried  Kellers  „  Romeo  und  Julia  auf  dem  Dorfe". 
Die  Bukolik  im  ganzen  ist  barocke  Gelehrtenpoesie.     Und  das  Hohelied? 


28  Die  literarischen  Quellen. 

kritische  Spezialliteratur  zu  verweisen);  verbindende  Bemerkungen  müßten  die  nur  in 
Trümmern  erhaltenen  Schriften  auch  dem  Nichtf achmann  zugänglich  machen;  er- 
klärende Anmerkungen  sollten  das  Notwendigste  an  historischen  und  antiquarischen 
Erläuterungen  in  knapper  Form  und  mit  Verweisen  auf  die  Fachliteratur  geben.  Ist 
es  noch  nötig,  das  Desiderat  zu  begründen?  Werke  von  solcher  religions-  und  literatur- 
geschichtlicher Bedeutung  wie  etwa  der  „Jahwist"  oder  der  „Elohist"  müssen  endlich 
einmal  sauber  herauspräpariert,  ein  jedes  in  seiner  Eigenart  vorgelegt  werden.  Einen 
Propheten  wie  den  Jesaias  muß  man  von  allem  Fremden  gründlich  gesäubert  besitzen, 
um  ihn,  den  echten  Jesaias,  genießen  zu  können,  ohne  auf  Schritt  und  Tritt  durch 
Einschiebsel  jüngeren  Ursprungs  gestört  zu  sein.  Geschieht  einem  „Deuterojesaias" 
nicht  bitter  unrecht,  wenn  er  in  den  Bibeldrucken  im  besten  Fall  als  unechter  Anhang 
des  Jesaias  mitgeschleppt  wird,  statt  daß  er  nach  seiner  selbständigen  Bedeutung, 
unter  angemessener  Überschrift,  im  Rahmen  seiner  Zeitgenossen  herausgegeben  würde? 
Technische  Schwierigkeiten  stehen  solcher  Herausgabe  nur  bei  den  bloß  bruchstück- 
weise erhaltenen  Schriften  entgegen,  z.  B.  beim  Jahwisten  und  Elohisten.  Für  solche 
Fälle  ist  längst  die  zutreffende  Form  gefunden  in  der  Fragmentensammlung,  wie 
man  sie  für  die  so  traurig  zerstörten  Literaturen  der  Griechen  und  Römer  immer 
neu  bearbeitet. 

Die  andere  Aufgabe  wäre  die  Schöpfung  einer  Literaturgeschichte.  Es 
müßte  schon  eine  „Geschichte  der  altisraelitischen  Literatur"  sein;  denn  eine  „Geschichte 
der  hebräischen  Nationalliteratur ■  würde  dem  Stoffe  zu  enge  Grenzen  ziehen.  Wir 
wollen  nicht  fragen,  warum  die  Literaturgeschichte  noch  nicht  geschrieben  ist.  Ihre 
anerzogene  Scheu  vor  dem  heiligen  Kanon  haben  unsere  Kritiker  doch  längst  abgelegt. 
Vielleicht  spielt  der  zufällige  Umstand  ein  wenig  mit,  daß  der  akademische  Unter- 
richt neben  der  „Einleitung"  nicht  Raum  hat  für  eine  literaturgeschichtliche  Vor- 
lesung, und  was  nicht  als  Kolleg  gelesen  wird,  das  erscheint  an  unseren  Universitäten 
auch  so  leicht  nicht  als  Buch.  Der  einzige  Grund,  welcher  öffentlich  ausgesprochen 
wird,  ist  angebliche  Unlösbarkeit  der  Aufgabe:  in  gewissen  Hauptsachen  sei  wohl 
Übereinstimmung  erzielt,  aber  im  einzelnen  gingen  die  Ansichten  noch  viel  zu  weit 
auseinander.  Diese  Schwierigkeit  aber  löst  sich  überraschend  einfach,  nämlich  nach 
der  in  der  Wissenschaft  allgemein  geltenden  Regel,  daß  der  einzelne  Gelehrte  ledig- 
lich seiner  persönlichen  Auffassung  folgt  und  ihr  Ausdruck  gibt.  Wenn  die  Philo- 
logen mit  Publikation  ihrer  Fragmentensammlungen  hätten  warten  wollen,  bis  allseitige 
Übereinstimmung  erzielt  worden  wäre,  etwa  über  die  Fragmente  der  griechischen 
Lyriker  oder  der  Tragiker  oder  der  Philosophen,  dann  wäre  nie  eine  solche  Sammlung 
erschienen,  und  es  käme  nie  eine  zustande.  Genau  so  steht  es  mit  der  griechischen 
Literaturgeschichte.  Möglich  wurde  Fragmentensammlung  und  Literaturgeschichte 
dadurch,  daß  einer  die  Sache  herzhaft  angriff  und  nach  bester  Überzeugung,  und  zwar 
nach  dem  augenblicklichen  Stand  derselben,  sie  machte,  die  eine  oder  die  andere 
Arbeit  oder  auch  beide.  Dann  machten  es  andere  ebenfalls,  ein  jeder  auf  seine  Weise. 
So  geschehe  es  auch  in  unserem  Falle.  Vielleicht  kommt  man  zu  dem  Schlüsse,  nur 
eine  Fragmentensammlung,  nur  eine  Gesamtausgabe  der  israelitischen  Literatur  zu 
schaffen,  in  vereinter  Arbeit  vieler;  aber  viele  Literaturgeschichten  müssen  geschrieben 
werden,  eine  jede  von  nur  einem  Autor;  mindestens  müßte  jeder  Verfasser  einer 
„Einleitung"  sich  verpflichtet  halten,  auch  eine  „Literaturgeschichte"  zu  schreiben. 
Man  steht  da  vor  einem  psychologischen  Rätsel.     Man  sollte  meinen,  jeder  Gelehrte, 


Die  altisraelitische  Literatur.  29 

der  am  alten  Testament  ein  Leben  lang  kritisch  gearbeitet  hat,  der  jahraus,  jahrein 
seinen  Zuhörern  die  Methoden  und  die  Ergebnisse  der  Kritik  vorgetragen,  vielleicht 
auch  schon  eine  „Einleitung"  in  Druck  gegeben  hat,  man  sollte  meinen,  ein  solcher 
müßte  die  Brust  zum  Springen  voll  haben  von  einem  positiven  Geschichtsbild,  von 
einem  Bild  der  literargeschichtlichen  Entwicklung  und  zwar,  wie  das  bei  einem 
Theologen  gar  nicht  anders  sein  kann,  der  Literaturgeschichte  im  Zusammenhang  der 
religiösen,  der  politischen  und  der  Kulturgeschichte  des  Volkes  Israel.  Vielseitig 
fruchtbar  würden  solche  Bücher  wirken;  als  Proben  auf  das  Exempel  würden  sie  die 
alttestamentliche  Kritik  selbst  neu  befruchten;  darüber  hinaus  würden  sie  mit  der 
vorbesprochenen  altisraelitischen  Bibliothek  die  dann  erst  wiedergeborene  israelitische 
Literatur  als  ein  neues  Ding  in  die  Welt  stellen,  und  was  als  „Kanon"  und  „Bibel" 
dem  heutigen  Menschen  grundsätzlich  zuwider  ist,  das  würde  als  ein  der  Werdewelt 
zurückgegebenes  Lebewesen  dem  Kreis  der  Denkenden  und  ästhetisch  Genießenden  etwas 
bieten.  Dann  würde  auch  das  ängstliche  Gerede  von  der  „verneinenden  und  zer- 
setzenden Kritik"  sich  verkriechen  müssen.  Die  Wissenschaft  wird  positiv  gerade  daduroh, 
daß  sie  radikal  ist.  Wer  scheu  nur  eben  hier  und  da  ein  welkes  Blatt  wegnimmt, 
der  bleibt  immer  im  „Negieren";  wer  aber  die  kranke  Pflanze  bis  auf  die  Wurzel 
zurückschneidet,  wo  sie  dann  sofort  neu  treibt,  und  zum  gesunden  Baum  heranwächst, 
der  schafft  Positives.  Die  „Einleitungen"  können  nur  zergliedern  und  zertrümmern, 
in  dieser  Art  sind  sie  verneinend;  aber  die  Fragmentensammlung,  die  israelitische 
Bibliothek,  ebenso  die  Literaturgeschichte,  bauen  auf.  Beides  wird  geschaffen  werden, 
und  beneidenswert  wird  der  Schöpfer  heißen.  Es  wird  geschaffen  werden,  wenn  nicht 
von  den  Deutschen,  dann  von  den  Engländern,  sicher  von  den  Amerikanern.  Wer 
wird  zuerst  auf  dem  Plan  sein?1) 

x)  Es  gibt  Vorarbeiten  zur  israelitischen  Bibliothek  und  zur  Literaturgeschichte.  Von 
ersteren  nenne  ich  Carl  Budde,  Die  biblische  Urgeschichte  1883.  B.  W.  Bacon,  The  genesis  of 
the  Genesis  1892.  In  dem  Werk  „Die  Heilige  Schrift  des  Alten  Testaments  in  Verbindung  mit 
anderen  Gelehrten  übersetzt  und  herausgegeben  von  E.  Kautzsch  1894  21896"  sind  die  Quellen 
durch  Randbuchstaben  angegeben,  in  P.  Haupts  Sacred  books  of  the  old  Testament  (sowie  in  den 
begonnenen  englischen  und  deutschen  Ausgaben  des  Werkes)  durch  verschiedenfarbigen  Druck.  — 
Der  Versuch  einer  Literaturgeschichte  liegt  vor  in  E.  Reuß,  Geschichte  der  heiligen  Schriften 
des  alten  Testaments  2 1890;  vgl.  dess.  Das  Alte  Testament,  herausgegeben  von  Erichson  und 
Horst  1892 — 94;  ferner  ist  zu  nennen:  E.  Kautzsch,  Abriß  der  Geschichte  des  alttestamentlichen 
Schrifttums,  hinter  seiner  Bibelübersetzung,  auch  in  Sonderausgabe  1897.  Wildeboer-Risch,  Literatur 
des  alten  Testaments  nach  der  Zeitfolge  ihrer  Entstehung  1895.  Cornill  gibt  immerhin  eine 
tabellarische  „Übersicht  über  den  Entwicklungsgang  der  alttestamentlichen  Literatur  nach  den 
Ergebnissen  der  speziellen  Einleitung''.  Sein  Israelitischer  Prophetismus  41903  ist  eine  Art 
Literaturgeschichte  des  prophetischen  Astes  in  chronologischem  Aufbau.  Wie  mit  der  analytischen 
„Einleitung"  der  von  uns  allen  geteilte  Durst  nach  ästhetisch  genießender  synthetischer  Literatur- 
geschichte ringt,  das  liegt  in  Baudissins  Einleitung  vor  Augen,  die  in  einer  freilich  noch  nicht 
chronologischen  Folge  von  Charakteristiken  eine  lesbare  Darstellung  gibt.  Außerdem:  J.  Well- 
hausen, Geschichte  Israels  1878,  Israelitische  und  jüdische  Geschichte  1894.  51904.  B.  Stade, 
Geschichte  des  Volkes  Israel  1881  ff.  Wellhausen  und  Stade  überspringen  zwar  nicht  die  Bibel- 
kritik, wohl  aber  die  Stufe  der  Literaturgeschichte  und  schreiben  gleich  „Geschichte".  Wenn  es, 
wie  gesagt  wird,  unmöglich  wäre,  eine  israelitische  Literaturgeschichte  zu  schreiben,  um  wieviel 
unmöglicher  müßte  es  dann  sein,  eine  israelitische  Geschichte  zu  schreiben,  da  wir  doch  letztere 
nur  durch  die  erstere  kennen.  Über  eins  dürfen  sich  die  wissenschaftlichen  Bibelforscher  keiner 
Täuschung  hingeben:  durch  ihren  esoterischen  Betrieb  haben  sie  versäumt,  zur  Verringerung  der 
zwischen  Bildung  und  Bibel  bestehenden  Kluft  dasjenige  beizutragen,  was  in  ihrer  Macht  ge- 
legen hätte. 


30  Die  literarischen  Quellen. 


Die  christliche  Literatur. 

Eine  Geschichte  der  christlichen  Literatur  des  Altertums  müßte,  abgesehen  von 
den  orientalischen  Sprachen,  die  christlichen  Griechen  und  Lateiner  der  ersten  sechs 
Jahrhunderte  umfassen.  Eine  in  diesem  Sinne  vollständige  altchristliche  Literatur- 
geschichte konnte  noch  nicht  geschrieben  werden,  die  Vorarbeiten  aber  sind  im 
Gange.  Eine  solche  Vorarbeit,  umfang-  und  inhaltreich,  ist  im  Erscheinen  begriffen; 
als  Grundlage  für  eine  Ausgabe  der  älteren  griechischen  Kirchenväter  gedacht,  musste 
sie  freilich  die  neutestam entliehen  Schriften  übergehen,  reicht  auch  (zunächst,  wie  es 
heißt)  nur  bis  Eusebius.  Gestützt  auf  den  ersten  Teil  dieses  großen  Werkes,  dabei 
doch  selbständig,  ist  ein  Grundriß  für  Vorlesungen  gearbeitet,  der  die  neutestament- 
lichen  Schriften  in  die  Literaturgeschichte  aufnimmt,  wenn  auch  nur  in  kürzester 
Erledigung;  auf  die  ersten  drei  Jahrhunderte  beschränkt  er  sich  lediglich  aus  dem 
Grunde,  weil  für  die  späteren  Zeiten  die  Überlieferung  noch  nicht  so  durchforscht 
und  bearbeitet  ist  wie  für  die  früheren.1) 

Die  altchristlichen  Schriften  werden  in  mehrere  Klassen  geschieden:  die  kano- 
nischen Schriften  des  neuen  Testamentes  und  die  außerkanonische  Literatur,  nämlich 
die  Apokryphen,  die  sogenannten  apostolischen  Väter  und  die  Kirchenväter;  dazu  die 
bischöflichen  und  Synodalschreiben,  die  Kirchenordnungen  (Didache,  Didaskalie  und 
Cauon  ecclesiasticus)  und  die  Märtyrerakten.  Hier  folgen  einige  Nachweisungen  für 
die  einzelnen  Klassen. 

Neutestamentliche  Schriften.  Analog  der  Bibel  alten  Testamentes  bildete 
sich  auch  ein  neutestamentlicher  Kanon  heraus.  Die  kanonischen  Schriften  sind  auch 
heute  noch  Gegenstand  gesonderter  wissenschaftlicher  Bearbeitung.  „Einleitungen  in 
das  Neue  Testament"  geben  die  nötige  Orientierung.2) 


*)  Altchristliche  Literatur:  Friedr.  Nitzsche,  Geschichtliches  und  Methodologisches  zur 
Patristik  (in  den  Jahrbüchern  für  deutsche  Theologie.  X,  1865,  37).  Franz  Overbeck,  Über  die 
Anfänge  der  patristischen  Literatur  (in  H.  v.  Sybels  Histor.  Zeitschrift  XLVIII,  1882,  472)  — 
A.  Harnack,  Geschichte  der  altchristlichen  Literatur  bis  Eusebius  1893.  1897.  1903.  G.  Krüger,  Ge- 
schichte der  altchristlichen  Literatur  in  den  ersten  drei  Jahrhunderten  1895  (Nachträge  1897).  — 
O.  Bardenhewer,  Geschichte  der  altkirchlichen  Literatur  1902.  1904.  Batiffol,  Literature  gre"cque 
chrdtienne  1897.  —  Christ,  Geschichte  der  griechischen  Literatur  bis  Justinian  21905,  912  ff. 
Krumbacher,  Geschichte  der  byzantinischen  Literatur  von  Justinian  21897,  darin  37  ff.  Ehrhard, 
Die  Theologie.  Teuffel-Schwabe,  Geschichte  der  römischen  Literatur  bis  Justinian  B1890  (927 
Minucius  Felix).  Schanz,  Geschichte  der  römischen  Literatur  III  21905,  240  ff.  IV  I  1904.  Christ 
gibt  die  christlichen  Schriftsteller  griechischer  Sprache  vom  neuen  Testament  an,  vorzugsweise 
solche,  welche  für  den  klassischen  Philologen  besonderes  Interesse  haben,  insofern  sie  das  Gepräge 
des  Hellenismus  an  sich  tragen  oder  als  Quellenschriften  für  die  Kenntnis  der  klassisch-griechi- 
schen Literatur  Wert  haben.  Schanz  beginnt  die  Einzel besp rechung  S.  267  mit  Minucius  Felix, 
als  dem  ersten  christlichen  Schriftsteller  in  lateinischer  Sprache.  —  Ebert,  Geschichte  der  christ- 
lich-lateinischen Literatur  von  ihren  Anfängen  bis  zum  Zeitalter  Karls  des  Großen  1874.  M.  Manitius, 
Geschichte  der  christl.-lat.  Poesie  1891.  "Vorländer,  Geschichte  der  Philosophie,  I  1903,  203 
Philosophie  des  Mittelalters.     207  Philosophie  der  Kirchenväter  (mit  Literatur). 

2)  Einleitungen:  H.  J.  Holtzmann,  Lehrbuch  der  historisch-kritischen  Einleitung  in  das 
Neue  Testament  s1892.  Jülicher,  Einleitung  in  das  Neue  Testament  *~ a  1906.  —  Die  Schriften 
des  Neuen  Testaments  neu  übersetzt  und  für  die  Gegenwart  erklärt  (in  Verbindung  mit  Fach- 
genossen) von  Joh.  Weiß  1906.  —  Als  Spezialschrift  eines  Philologen  nennen  wir  W.  Soltau,  Unsere 
Evangelien,    ihre  Quellen    und    ihr  Quellen  wert   vom  Standpunkt   des  Historikers  aus  betrachtet 


Die  christliche  Literatur.  31 

Die  Tübinger  historische  Schule  Ferdinand  Christian  Baurs  ist  es  gewesen,  welche 
die  Kritik  der  neutestamentlichen  Schriften  auf  ihre  wissenschaftliche  Höhe 
gehoben  hat.  Baur  und  seine  nächsten  Schüler  hatten  den  Bildungsgang  der  schwä- 
bischen Theologen  durchgemacht.  Nach  gründlicher  humanistischer  Vorbildung  traten 
sie  in  das  Tübinger  Seminar  (das  Stift),  in  dem  sie  erst  zwei  Jahre  Philosophie  nebst 
Geschichte  und  Philologie,  dann  drei  Jahre  Theologie  zu  studieren  hatten;  durch  die 
philosophischen  Studien  gewannen  sie  Einblick  in  die  geistigen  Strömungen  der  Ver- 
gangenheit und  Fühlung  mit  denen  der  Gegenwart,  durch  die  philologisch-historische 
Schulung  wurden  sie  zu  geschichtlicher  Betrachtungsweise  in  philologischer  Methode 
erzogen.  Darauf  ruhte  die  wissenschaftliche  Kraft  der  Männer,  für  welche  Eduard  Zeller, 
einer  aus  der  Zahl,  den  treffenden  Namen  der  Tübinger  historischen  Schule  ge- 
prägt hat. 

Baurs  Tat  bestand  darin,  daß  er  die  Gesetze  der  historischen  Kritik,  wie  sie  von 
den  Historikern  bei  der  Quellenkritik  befolgt  werden,  auf  die  neutestamentlichen 
Schriften  anwandte,  indem  er  sie  im  Zusammenhang  mit  der  Geschichte  des  jungen 
Christentums  eine  jede  als  notwendiges  Erzeugnis  einer  Entwicklungsphase  desselben 
zu  begreifen  lehrte.  Der  Historiker  unterscheidet  zwischen  „Urkunden",  als  Stücken 
der  Geschichte  selbst,  und  „Berichten"  dritter  über  die  Geschichte.  Baur  erkannte  in 
den  echten  paulinischen  Briefen  und  der  Apokalypse  die  unmittelbarsten  und  ältesten 
Urkunden  aus  der  frühchristlichen  Zeit,  die  daher  als  vorwiegend  geeignet  erschienen, 
eine  haltbare  Unterlage  für  historische  Forschung  über  dieselbe  Zeit  abzugeben;  die 
Evangelien  hingegen  besitzen  nur  den  bedingten  Wert  von  Berichten,  so  unersetzlich 
sie  uns  sind  als  die  immerhin  besten,  vielmehr  als  die  so  gut  wie  einzigen  Quellen  für 
Jesus'  Lehren  und  Wollen.  Gegenüber  den  Briefen  und  der  Apokalypse,  als  Ur- 
kunden, gilt  es  die  Situation  zu  ermitteln,  aus  welcher  heraus  sie  geschrieben  wurden; 
gegenüber  den  Evangelien  gilt  es,  das  Glas  zu  ermitteln,  durch  welche  ihre  Verfasser 
die  Dinge  gesehen  haben;  beiden  gegenüber  stellt  sich  die  Aufgabe,  die  Absicht  zu 
erkennen,  in  welcher  sie  geschrieben  wurden,  die  Wirkung,  welche  durch  sie  erzielt 
werden  sollte.  Das  ist  der  Sinn  der  für  jeden  Historiker  selbstverständlichen  und 
allen  Quellen  gegenüber  geübten  „Tendenzkritik". 

Es  ist  aber  Pflicht  des  Historikers,  bevor  er  Urkunden  zu  historischer  Synthese 
verwertet,   ihre  Echtheit  zu  prüfen,    ihren  wirklichen  Ursprung  festzustellen;    und   als 


1901.  —  Ausgaben:  Tregelles,  Greek  new  testament  1857—79.  Westcott  and  Hort,  New 
testament  in  the  original  Greek  1881.  Tischendorf,  Novum  testamentum  graece,  editio  octava 
critica  maior  1869—72;  ed.  de  Gebhardt  »1898  (ed.  stereotypa  «1894).  Nestle  8°  31901;  24°  41903. 
Hierzu  Nestle,  Einführung  in  das  griechische  Neue  Testament  21899  (Textgeschichte  und  Text- 
kritik). Jülicher,  Einleitung  5570ff.  —  Sprache:  Deißmann,  Bibelstudien  1895;  neue  Bibelstudien 
1897.  Winer-Schmiedel,  Grammatik  des  neutestamentlichen  Sprachidioms  81894.  Blaß,  Grammatik 
des  neutestamentlichen  Griechisch  21902.  —  Synopsen:  A.  Huck,  Synopse  der  drei  ersten  Evan- 
gelien (Anhang  zum  „Handkommentar  zum  Neuen  Testament"  I)  21898.  R.  Heineke,  Synopse  der 
drei  ersten  kanonischen  Evangelien  mit  Parallelen  aus  Johannes  1898.  Mehr  bei  Jülicher,  Ein- 
leitung 5251  unten  („leider  vermißt  man  in  diesen  Synopsen  durchweg  die  handschriftlichen 
Varianten").  —  Einen  philologischen  Kommentar  zu  den  neutestamentlichen  Schriften,  Sprach- 
liches und  Sachliches  berücksichtigend,  gibt  es  noch  nicht.  Das  müßte  ein  Philologe  in  die  Hand 
nehmen,  etwa  einer  aus  der  Bonner  Schule,  der  die  Vorzüge  ihrer  Meister  in  sich  vereinigte,  der 
Welcker  und  Usener,  der  Friedrich  Ritschi  und  Otto  Jahn;  er  müßte  sich  dazu  mit  einem  sprach- 
kundigen Theologen  verbinden,  wie  es  deren  ausgezeichnete  gibt. 


32  Die  literarischen  Quellen. 

literarische  Erzeugnisse  einer  gewissen  Person  und  Zeit  haben  auch  Berichte  die 
Geltung  von  Urkunden,  verlangen  also  dieselbe  Echtheitsprobe,  verlangen  ein  jeder 
an  die  ihm  zukommende  Stelle  im  Fachwerk  der  Geschichte  eingeordnet  zu  werden, 
außerdem  aber  fordern  sie,  eben  als  Berichte,  die  Prüfung  ihrer  Zuverlässigkeit.  Baur 
gelangte  auf  Grund  der  von  ihm  in  den  neutestamentlichen  Schriften  gefundenen 
Tendenzen  zu  dem  Ergebnis,  daß  von  den  Briefen  nur  die  vier  an  die  Galater,  die 
Korinther  und  die  Römer  echt  seien;  es  sind  diejenigen,  welche  auf  jeden  Fall  den 
bedeutenden  Kern  der  ganzen  Briefsammlung  bilden  und  von  denen  jede  Rekonstruktion 
der  paulinischen  Religion  auszugehen  hat.  Alle  übrigen  Briefe  galten  ihm  als  unecht, 
das  will  sagen  als  nachapostolisch.  Aus  der  apostolischen  Zeit  entstammt  nur  noch 
die  Apokalypse,  Baur  erkannte  den  Apostel  Johannes  als  ihren  Verfasser  an.  Die 
Evangelien  sind,  wie  die  nachpaulinischen  Briefe,  erst  im  zweiten  Jahrhundert  verfaßt, 
zuerst  Matthäus,  dann  Lukas  (dem  sich  die  Apostelgeschichte  desselben  Verfassers 
anschließt),  aus  beiden  ist  unter  starken  Kürzungen  Markus  hergestellt,  zuletzt  folgt 
das  vierte  Evangelium,  in  welchem  die  Grundlagen  für  die  Theologie  der  Kirche 
gelegt  wurden. 

Kein  Entdecker  ist  gegen  den  Fehler  gefeit,  daß  er  neugefundene  Schlüssel  zu 
ausschließlich  und  in  zu  weiten  Grenzen  anwendet.  Wenn  die  Tübinger  Schule  dem- 
selben Fehler  verfallen  ist,  so  hat  ihn  eben  die,  selbst  inzwischen  geschärfte  Tübinger 
historische  Methode  auch  berichtigt.  Es  ist  die  Methode  der  wissenschaftlichen 
Theologie.1) 

Die  Kritik  der  neutestamentlichen  Schriften  steht  auf  Baurs  Schultern.  Im 
ganzen  ist  sie  konservativer  geworden.  Von  den  Briefen  werden  (von  Jülicher)  außer 
Galater,  Korinther  und  Römer  auch  Thessaloniker,  Philipper,  Philemon,  Kolosser  und 
vielleicht  Epheser  als  echt  anerkannt;  von  den  Evangelien  wird  jetzt  lieber  Markus 
an  die  Spitze  gestellt,  Matthäus  und  Lukas  gelten  als  von  ihm  abgeleitet  und  aus 
anderen  Quellen  erweitert.  Das  vierte  Evangelium  rückt  aus  der  Mitte  des  zweiten 
Jahrhunderts  näher  an  dessen  Anfang. 

Außerkanonische  Literatur.  Die  außerkanonischen  Schriften  bis  zum  Aus- 
gang des  Altertums  findet  man  in  Bardenhewers  Patrologie  verzeichnet;  dieselben,  aber 
nur  bis  Eusebius,  beziehungsweise  nur  bis  300,  in  Harnacks  und  in  Krügers  Ge- 
schichten der  altchristlichen  Literatur.  Unter  dem  Namen  der  Apokryphen,  diesen 
in  weiterem  Sinne  verstanden,  werden  wohl  auch  die  apostolischen  Väter  und  die 
ältesten  Kirchenordnungen  mit  einbegriffen;  so  geschieht  in  Henneckes  Neutestament- 
lichen Apokryphen  und  dem  dazu  gehörigen  Handbuch.  —  Apokryphen.  Unter 
neutestamentlichen  Apokryphen,  im  eigentlichen  Sinne,  versteht  man  Schriften,  welche, 
meist  neutestamentlichen  Autoren  untergeschoben,  die  neutestam entliche  Literatur 
fortbilden;  den  Gliederungen  des  Neuen  Testamentes  entsprechend,  zerfallen  sie  in 
Evangelien,  Apostelgeschichten,  Apostelbriefen  und  Apokalypsen.2) 


l)  Über  die  Tübinger  historische  Schule  vgl.  E.  Zeller  in  der  historischen  Zeitschrift 
IV  1860,  über  Baur  denselben  in  den  Preußischen  Jahrbüchern  1861  (beide  Aufsätze  auch  in 
seinen  Vorträgen  und  Abhandlungen  1865,  356 ff.)  und  in  der  Deutschen  Biographie  II  Artikel 
Ferd.  Chr.  Baur;  ferner  Jülicher,  Einleitung  1894,  11.  *~*  1906,  12  und  in  Joh.  Weiß'  Schriften 
des  N.  T.  1906  I  26. 

a)  Apokryphen.  Jülicher  in  Pauly-Wissowas  Kealencykl.  I  2823  Apokryphen.  H.  J.  Holtz- 
mann,  Einleitung,  2  534  Neutest.  Apokryphen.  Harnack,  Geschichte  Ii  Christliche  Urliteratur.  Krüger, 


Die  christliche  Literatur.  33 

Sog.  apostolische  Väter.  Ihre  Bezeichnung  als  apostolisch  ist  insofern  un- 
zutreffend, als  sie  erst  der  nachapostolischen  Zeit  angehören,  rund  den  Jahren  75 — 150. 
Sie  werden  neuerdings  auch  den  Apokryphen  beigezählt;  sonst  stehen  sie  an  der  Spitze 
der  Väter  und  bilden  den  Eingang  der  Patrologie.  Es  sind  Briefe,  genannt  des  Bar- 
nabas,  Clemens  Romanus,  Polykarp,  Ignatius;  auch  der  Hirt  des  Hermas  ist  hinzu- 
gerechnet worden,  wiederum  Papias  und  der  Brief  an  Diognet.1) 

Aus  der  christlichen  hebt  sich  als  ein  Hauptbestandteil  die  kirchliche  Literatur 
heraus;  unter  den  Kirchenschriftstellern  (Scriptores  ecclesiastici)  stehen  obenan  die  so- 
genannten Väter  (Patres,  das  Wort  bezeichnet  in  diesem  Kreise  eigentlich  die  Bischöfe). 
Die  geschichtliche  Kunde  von  ihrem  Leben  und  ihrer  Schriftstellerei  wird  unter  dem 
Namen  der  Patrologie  begriffen;  dagegen  die  Patristik  stellt  die  Lehren  der  Väter 
systematisch  dar  (jetzt  in  der  Form  der  Dogmengeschichte).  Weil  die  Ermittelung 
des  Lehrsystems  zur  Vorbedingung  die  kritische  Erforschung  des  Lebens  und  der 
Schriftstellerei  hat,  so  kann  die  Patrologie  als  Hilfsdisziplin  der  Patristik  (oder 
Dogmengeschichte)  aufgefaßt  werden;  weil  aber  die  Literaturgeschichte  erst  vollkommen 
wird,  wenn  sie  auch  den  Inhalt  der  Schriften  aufnimmt,  so  kann  umgekehrt  auch  die 
Patristik  in  der  Patrologie  aufgehen.  Die  Kirchen  haben  eine  engere  Auswahl  der 
Väter  als  höchster  Autoritäten  anerkannt,  die  griechische  Kirche  Basilius  den  Großen, 
Gregorius  von  Nazianz  und  Johannes  Chrysostomus,  die  römische  Kirche  Ambrosius, 
Hieronymus,  Augustinus  und  Gregor  den  Großen;  man  nennt  sie  Kirchenlehrer 
(Doctores  ecclesiae).  Diese  Distinktionen  haben  nur  kirchliche  Bedeutung,  die  Wissen- 
schaft läßt  sie  fallen,  sie  kennt  nur  „Kirchenschriftsteller",  als  eine  Hauptklasse  der 
antiken  Schriftsteller  christlicher  Religion.2) 

Geschichte  32.  54.  23.  ßardenhewer,  Patrologie  §  28  Übersicht  über  die  neutest.  Apokryphen  (mit 
Literatur).  —  Fabricius,  Codex  apocryphus  novi  testamenti  21719.  1743.  Thilo,  Codex  apocryphus 
n.  t.  I  1832.  Hilgenfeld,  Novum  testamentum  extra  canonem  receptum  IV  (apokryphe  Evangelien, 
Peter  und  Pauls  Predigt  und  Akten,  Petrusapokalypse)  21884.  Andere  Sonderausgaben  erwähnt 
bei  Holtzmann,  Krüger,  Bardenhewer.  Preuschen,  Antilegomena ,  Eeste  der  außerkanonischen 
Evangelien  und  urchristlichen  Überlieferungen,  herausgeg.  und  übers.  1901  (Ev.  der  Ägypter, 
Hebräer,  Ebioniten  usf.).  Klostermann,  Apocrypha  I  (Petrusevangelium,  -apocalypse,  -kerygma) 
1903  (wird  fortgesetzt).  Hennecke,  Neutestamentliche  Apokryphen,  in  Verbindung  m.  Fachgelehrten 
in  deutscher  Übers,  und  m.  Einleitungen  herausgeg.  1904  (Evangelien,  Briefe,  Lehrschreiben  und 
Predigten,  Kirchenordnungen,  Apokalypsen,  Apostelgeschichten  [Legenden]) ;  ders.  Handbuch  zu  den 
neutest.  Apokr.  in  Verb.  m.  Fachgelehrten  herausgeg.  1904  (Inhalt  wie  vor,  dazu  Jesus,  seine 
Jünger  u.  das  Evangelium  im  Talmud  u.  verw.  jüdischen  Schriften;  Neutestamentliches  aus  dem 
Koran).  —  Über  Apokalypsen  vgl.  E.  Norden,  Vergils  Äneis  Buch  VI  (S.  9  ein  Verzeichnis). 
A.  Dieterich,  Nekyia,  Beiträge  zur  Erkl.  der  neuentdeckten  Petrusapokalypse  1893. 

*)  Apostolische  Väter:  Hilgenfeld,  Die  apostolischen  Väter  1853.  Harnack,  Geschichte  I 
Abschnitt  I.  Krüger,  Geschichte,  Erste  Abteilung.  Bardenhewer,  Patrologie  14  Die  urkirchliche 
Literatur.  —  Hilgenfeld,  Novum  testamentum  extra  canonem  receptum  I  Clemens  Rom.,  II  Barnabas, 
III  Hermas  1866.  2 1876 ff.  v.  Gebhardt-Harnack-Zahn,  Patrum  apostolicorum  opera  1875 ff.;  editio 
minor  zuletzt  1900.  Lightfoot,  Apostolic  fathers  I  S.  Clement  of  Rome  1890.  II  S.  Ignatius. 
S.  Polycarp  21889.  Hennecke,  Apokryphen,  80  Briefe,  141  Lehrschreiben  und  Predigten;  ders., 
Handbuch  172.  205. 

2)  Harnack  (und  Preuschen),  Geschichte  der  altchristlichen  Literatur  bis  Eusebius,  I  Über- 
lieferung u.  Bestand  1893.  II  Chronologie  1897.  1904.  G.  Krüger  in  Herzog-Haucks  Real- 
encyklopädie  XV  1904  Patristik;  ders.,  Geschichte  der  altchristlichen  Literatur  in  den  ersten  drei 
Jahrhunderten  1895  (§  2  Überlieferung,  Bearbeitungen,  neuere  Literatur,  Hilfsmittel,  Ausgaben). 
O.  Bardenhewer,  Patrologie  21901;  ders.,  Geschichte  der  altkirchlichen  Literatur  I  1902  (bis  200). 
II   1904    (bis  300).     Die  griechische  Literaturgeschichte   von  W.  Christ,    die  römische  von  Teuffel- 

Sybel,  Christliche  Antike  I.  3 


34  Die  literarischen  Quellen. 

Als  bemerkenswerte  Unterarten  der  Kirchenväter  heben  wir  die  Apologeten,  die 
Häretiker  und  die  Antihäretiker  hervor.  Die  Apologeten  des  zweiten  Jahrhunderts 
wurden  durch  die  Auseinandersetzung  zwischen  Christentum  und  griechischem  Heiden- 
tum ins  Feld  gerufen.  Die  Unterscheidung  zwischen  Häretikern  und  Anti- 
häretikern  ist  natürlich  vom  Standpunkt  der  siegenden  Partei  aus  gemacht;  dabei 
will  beachtet  sein,  daß  Rechtgläubige  und  Ketzer  keineswegs  durch  eine  scharfe  Grenz- 
linie voneinander  geschieden  sind.1) 

Kirchenordnungen.  Sie  gelten  als  apostolisch,  obwohl  sie  in  späteren  Jahr- 
hunderten geschrieben  sind.  Es  sind  die  Apostellehre  (Didache)  des  zweiten,  die 
Didaskalia  und  die  Canones  ecclesiastici  des  dritten,  die  apostolischen  Konstitutionell 
des  ausgehenden  vierten  Jahrhunderts.2) 

Bischöfliche  und  Synodalschreiben  des  zweiten  und   dritten  Jahrhunderts.3) 

Märtyrerakten.  Sie  beginnen  unter  Antoninus  Pius  mit  der  Passio  Polycarpi; 
es  folgen  unter  Marc  Aurel  die  Acta  Carpi,  Papyli  et  Agathonices,  die  Acta  S.  Justini 
et  sociorum,  die  Epistola  ecclesiarum  Viennensis  et  Lugdunensis,  die  Acta  martyrum 
Scilitanorum ,  unter  Commodus  die  Acta  S.  Apollonii,  unter  Septimius  Severus  die 
Acta  SS.  Perpetuae  et  Felicitatis,  unter  Decius  die  Acta  S.  Pionii  und  die  Acta 
disputationis  S.  Achatii.4) 

Hier  folgt  eine  chronologisch  geordnete  Übersicht  der  altchristlichen  Literatur; 
es  wird  manchem  angenehm  sein,  den  ganzen  Bestand  mit  einem  Blick  zu  übersehen, 
ehe  er  dem  einzelnen  näher  tritt.  Die  Ansetzungen  der  neutestamentlichen  Schriften 
nach  Jülichers  Einleitung5,  die  der  außerkanonischen  Literatur  bis  Eusebius  nach 
Harnacks  Geschichte  der  altchristlichen  Literatur  II,  das  übrige  nach  Bardenhewers 
Patrologie  2. 


Schwab  und  von  M.  Schanz  III  21905,  240  (S.  266  neuere  Literatur).  —  M.  de  la  Bigne,  Bibliotheca 
sanctorum  patrum  1575.  Magna  bibl.  veterum  patrum  1618.  Maxima  bibliotheca  1765.  Migne, 
Patrologia  graeca  1857 ff. ;  Patrologia  latina  1844ff.  Gebhardt-Harnack,  Texte  u.  Untersuchungen 
zur  Geschichte  d.  altchristl.  Literatur  1882 — 97;  dasselbe  als  Archiv  für  die  von  d.  Kirchenväter- 
kommission d.  K.  pr.  Akad.  d.  Wiss.  unternommene  Ausgabe  der  älteren  christlichen  Schriftsteller 
1897 ff.  Robinson,  Texts  and  studies  1891  ff.  Die  griechischen  christlichen  Schriftsteller  der 
ersten  drei  Jahrhunderte,  herausgeg.  von  der  Kirchenväterkommission  d.  K.  pr.  Akad.  d.  Wiss. 
1897ff.  Corpus  scriptorum  ecclesiasticorum  latinorum  Vindob.  1866ff.  Graffin-Nau,  Patrologia 
orientalis  1903ff.  Ohabot  etc.,  Corpus  scriptorum  christianorum  orientalium  1903ff.  Syrische, 
slawische,  koptische  Übersetzungen  bei  Harnack,  Geschichte  I  885 ff.  Syrische  Schriftsteller  bei 
Bardenhewer  337,  armenische  eb.  519. 

x)  Apologeten:  Krüger,  Geschichte  60.  Bardenhewer,  Patrologie  39.  Joh.  Geffken,  Zwei 
griechische  Apologeten  (Aristides  und  Athenagoras;  in  der  Teubnerschen  Sammlung  wissenschaft- 
licher Kommentare)  lb06.  —  Häretiker:  Krüger  43.  Bardenhewer  64.  —  Antihäretiker: 
Krüger  88.     Bardenhewer  103. 

2)  Didache:  Harnack,  Geschichte  I  86.  Krüger,  Geschichte  40.  Bardenhewer,  Patrologie 
17.  Hennecke,  Apokryphen  182;  Handbuch  256.  —  Didaskalia:  Harnack  I  515,  14.  Krüger 
223,  1.  Bardenhewer  148.  —  Canones  ecclesiastici:  Harnack  I  451,  31.  Krüger  224,  2. 
Bardenhewer  141.    —    Apostolische  Konstitutionen:    Bardenhewer  307. 

3)  Schreiben  des  zweiten  Jahrhunderts:    Krüger,  Geschichte  95,  des  dritten  eb.  219. 

4)  Märtyrerakten:  Bardenhewer,  Patrologie  199,  der  nur  unzweifelhaft  echte  und  glaub- 
würdige Akten  aus  der  ältesten  Zeit  aufführen  will,  gibt  obige  Reihe.  Krüger,  Geschichte  236, 
führt  das  Verzeichnis  bis  zu  den  Quadraginta  martyres  fort  (unter  Licinius  um  320).  Vgl.  noch 
Harnack,  Geschichte  I  969  Märtyrerverzeichnis,  II  2.  463.  Leclercq  bei  Cabrol,  Dictionn.  d'archeol. 
clir^t.  I  1903,  373.  van  Gulik,  Rom.  Quartalsschrift  1904,  265  über  Pio  Franchi  de'  Cavaleriis 
hagiographische  Schriften. 


Entstehung  der  altkatholischen  Kirche.  35 

Urchristliche  Zeit. 

Jesus'  Lebenszeit  hat  keine  christliche  Literatur  hervorgebracht.  • 
Die    apostolische    Zeit   (von  der  Kreuzigung  bis  Nero).     In   diesem  Zeitraum, 
zwischen  53  und  63,  hat  Paulus  seine  Briefe  geschrieben;  an  Berichten  entstanden  die 
frühesten  Aufzeichnungen  der  Worte  und  Taten  des  Jesus,  sowie  der  in  die  Apostel- 
geschichte aufgenommene  „  Wirbericht ". 

Das  zweite  Geschlecht,  der  Epigonen  (70 — 100),  ließ  an  Briefen  Hebräer  und 
Petrus  I  entstehen  und  die  Apokalypse,  an  Berichten  die  synoptischen  Evangelien 
Markus,  Matthäus,  Lukas,  dazu  die  Apostelgeschichte.  In  den  Anfang  des  zweiten 
Jahrhunderts  gehören  die  drei  Johannesbriefe  und  Judas,  daneben,  weniger  Bericht  als 
Urkunde,  weil  eine  neue  Schöpfung,  das  vierte  Evangelium.  Vielleicht  erst  nach  125 
fallen  die  „ Pastoralbriefe "  an  Timotheus  und  Titus,  zu  allerletzt  kommen  die 
„katholischen"  Briefe  (Jakobus  und  Petrus  II).  —  Den  letzten  Jahren  des  ersten  und 
der  ersten  Hälfte  des  zweiten  Jahrhunderts  werden  die  „apostolischen  Väter"  ver- 
dankt, Klemens  I,  Polykarp,  Ignatius,  Barnabas,  Hirt  des  Hermas,  Papias,  außerdem 
Kerygma  Petri,  Petrusapokalypse;  dem  zweiten  und  teilweise  vielleicht  dem  dritten 
Jahrhundert  eine  Reihe  apokrypher  Evangelien  (Hebräer,  Petrus,  Ägypter)  sowie  die 
Acta  Pauli. 

Entstehung  der  altkatholischen  Kirche. 

Das  zweite  Jahrhundert  (von  Hadrian  und  Antoninus  Pius  bis  Septimius 
Severus).  Auseinandersetzungen  mit  den  heidnischen  Griechen  und  zwischen  den 
Christen. 

Apologeten:  Quadratus,  Aristides,  Aristo,  Justin,  Tatian,  Miltiades,  Apollinaris, 
Melito,  Athenagoras,  Theophilus. 

Gnostiker:  Basilides  (zu  Hadrians  Zeit)  und  sein  Sohn  Isidor,  Valentin  und  die 
Valentinianer,  Bardesanes,  die  Karpokratianer,  die  Marcioniten,  Julius  Cassianus. 

Antihäretiker:  Rhodon,  Modestus,  Musanus,  Hegesippus,  Irenäus;  Montanisten 
und  Antimontanisten. 

Bischöfliche  Schreiben  des  Soter  von  Rom  (Klemensbrief  II),  des  Victor  von 
Rom  u.  a. 

Märtyrerakten:  des  Polycarp  155,  des  Carpus,  des  Justinus,  der  Brief  der  Ge- 
meinden von  Vienne  und  Lyon  177,  die  Akten  der  Scilitaner  180,  des  Apollonius 
ca.  185. 

Das  dritte  Jahrhundert,  (von  Septimius  Severus  bis  Diocletian).  Schaffung 
einer  christlichen  Philosophie  (theologischen  Wissenschaft). 

Die  Orientalen.  Die  Alexandriner  Klemens,  Origenes,  Dionysios.  Von  den 
Alexandrinern  beeinflußt:  S.  Julius  Africanus  (Palästina),  Alexander  (Jerusalem), 
Gregorios  Thaumaturgos  (Pontus),  Eusebius  von  Cäsarea  (dessen  frühere  Zeit).  Andere 
Orientalen:  Pseudoclemens  de  virginitate,  Paul  von  Samosata  und  Malchion,  Lucian 
von  Antiochien,  Methodius  (Lykien),  Adamantius,  PseudoJustins  Cohortatio  ad  Graecos. 
Johannesakten  (noch  zweites  Jahrhundert),  Petrusakten,  Thomasakten.  Inschrift  des 
Abercius.  Christliche  sibyllinische  Orakel.  Sprüche  des  Sextus  (christlich  interpoliert). 
Pistis  Sophia. 

Die  Occidentalen.     Die  Afrikaner  Tertullian,  Cvprian,  Arnobius  und  sein  Schüler 


36  Die  literarischen  Quellen. 

Lactantius       In    Rom   Hippolytus,    Novatian.      Victorinus    von   Pettau,    Reticius   von 
Autun. 

Didaskalia  und  Canones  ecclesiastici. 

Märtyrerakten:    Perpetua  und  Felicitas  203.     Pionius  250.     Achatius  usf. 

Die  orthodoxe  ßeichskirche. 

Das  vierte  Jahrhundert.  Die  neue  Zeit  wurde  eröffnet  durch  das  Toleranz- 
edikt von  313;  nach  langem  Kampfe,  der  nicht  ohne  Wunden  blieb,  erfolgte  der  Sieg, 
besiegelt  392  durch  das  Verbot  des  Götterdienstes.  Die  Apologetik  richtete  sich 
besonders  gegen  Kaiser  Julian  und  gegen  den  Neuplatoniker  Porphyrius,  die  Hauptmasse 
der  theologischen  Schriftstellerei  aber  galt  den  innerkirchlichen  Kämpfen  um  die 
Christologie. 

Das  Zeitalter  Konstantins  und  seiner  Nachfolger.  Die  Griechen  Arius,  der  Vater 
des  Arianismus,  Eusebius  von  Cäsarea,  Athanasius  von  Alexandria,  Cyrill  von  Jeru- 
salem; die  Väter  des  ägyptischen  Mönchtums,  Antonius  der  Große  und  Pachomius;  die 
Gegner  der  Manichäer  Hegemonius,  Alexander  von  Lykopolis,  Serapio  von  Thmuis, 
Titus  von  Bostra.  Der  Syrer  Jakob  Aphraates.  Die  Lateiner  Juvencus,  Hosius  von 
Corduba,  Firmicus  Maternus,  Marius  Victorinus,  Eusebius  von  Vercellae;  der  Dichter 
Commodianus;  Proba;  der  Chronograph  von  354. 

Die  julianische  und  vortheodosianische  Zeit.  Die  Griechen:  ßasilius  der  Große, 
Gregor  von  Nazianz  und  Gregor  von  Nyssa  (die  drei  Kappadozier);  Didymus  der 
Blinde;  Epiphanius  von  Cypern  und  Nemesius  von  Edessa;  die  Mönche  Orsisius  und 
Theodorus,  Macarius  Aegyptius  und  Macarius  Alexandrinus.  Der  Syrer  Ephräm.  Die 
Lateiner  Hilarius  von  Poitiers,  Zeno  von  Verona,  Lucifer,  Hilarius  von  Rom,  Gregor 
von  Eliberis,  Phoebadius,  die  Altercatio  Heracliani;   Pacianus,  Optatus  von  Mileve. 

Das  theodosianische  Zeitalter.  Die  Griechen:  die  Exegeten  von  Antiochia  Diodor 
von  Tarsus,  Johannes  Chrysostomus,  Theodor  von  Mopsuestia;  vielleicht  noch  die  sog. 
apostolischen  Konstitutionen.  Die  syrischen  Gedichte  des  Cyrillonas.  Die  Lateiner 
Ambrosius,  Hieronymus,  Rufinus,  Prudentius  und  Paulinus  von  Nola,  Priscillian, 
Philastrius,  Faustinus  und  Marcellinus;  das  Itinerarium  von  Burdigala  und  die  Pere- 
grinatio  ad  loca  sancta;  das  Carmen  adversus  paganos  und  das  ad  quendam  senatorem. 

Das  fünfte  Jahrhundert.  Erste  Hälfte  des  Jahrhunderts.  Die  Alexandriner 
Synesios  von  Kyrene  und  Cyrill;  die  Antiochener  Polychronios,  Theodoret  von  Kyrrhos; 
die  Kirchenhistoriker  Philipp  Sidetes,  Hesychius,  Timotheus,  Sabinus,  Philostorgius, 
Sokrates,  Sozomenos,  Theodoret.  Die  Syrer  Baläus,  Rabbulas  von  Edessa,  Isaak  der 
Große.  Die  Lateiner:  Sulpicius  Severus;  Augustinus  und  sein  Kreis,  Marius  Mercator, 
Orosius,  Prosper  und  Hilarius,  Paulin  von  Mailand;  die  Leriner  Joh.  Cassianus,  Hono- 
ratus,  Eucherius,  Vincentius,  Hilarius  von  Arles;  Leo  der  Große,  Petrus  Chrysologus, 
Maximus  von  Turin. 

Zweite  Hälfte  des  Jahrhunderts.  Die  Griechen  Basilius  von  Seleucia  Isauriae, 
Antipater  von  Bostra,  Ammonius,  Gennadius  von  Konstantinopel,  Gelasius  von 
Kyzikos,  Victor  von  Antiochia,  Pseudodionysios  Areopagita,  Prokop  von  Gaza.  — 
Die  Lateiner,  Gallien:  Paulinus  von  Pella,  Salvianus,  Faustus  von  Reji,  Apollinaris 
Sidonius,  Paulinus  von  Petricordia,  Gennadius  von  Marseille,  Avitus  von  Vienne. 
Spanien:  Hydatius  (Idacius).  Afrika:  Victor  von  Vita,  Vigilius  von  Thapsus,  Ful- 
gentius  von  Ruspe,  Dracontius.     Italien:    Papst  Gelasius  I. 


Die  Inschriften.  37 

Das  sechste  Jahrhundert  (Justinian  527  —  565).  Leöntius  von  Byzanz, 
Justinian  (schrieb  vor  553),  Theodorus  Lector,  Zacharias  Rhetor,  Kosmas  Indikopleustes, 
der  Hagiograph  Cyrill  von  Skythopolis.  Der  Lateiner  Cäsarius  von  Arles.  Italien: 
Ennodius  von  Pavia,  Dionysius  Exiguus,  Eugippius;  Benedikt  von  Nursia,  Victor  von 
Capua,  Boethius,  Cassiodor. 

Zweite  Hälfte  des  Jahrhunderts.  Gregor  von  Tours.  Yenantius  Fortunatus. 
Gregor  der  Große  590 — 604,  der  erste  „Papst"  im  prägnanten  Sinne,  eröffnet  das 
Mittelalter. 

Die  Inschriften. 

Neben  den  literarischen  Quellen  verlangen  die  Inschriften  gebührende  Er- 
wähnung. Es  sind  vor  allem  Grabschriften,  dann  Weihinschriften  von  Bauten  und 
andere  minder  erhebliche  Gattungen,  unter  denen  die  interessanten  Kritzeleien  (Graffiti) 
hervorgehoben  seien.  In  Material  und  Technik,  Paläographie  und  Formular  schließen 
sich  die  christlichen  Inschriften  im  allgemeinen  den  heidnischen  an.  Auf  die  einzelnen 
Gattungen  kommen  wir  ihres  Ortes  zurück;  zuerst  werden  uns  die  Grabschriften  der 
Katakomben  begegnen. 

Ein  Lehrbuch  der  christlichen  Epigraphik  fehlt  noch;  es  ist  mit  Recht  als  be- 
sonders dringendes  Desiderat  der  christlichen  Archäologie  bezeichnet  worden.  Dazu 
aber  würde  eine  neue  und  umfassende  Sammlung  der  christlichen  Inschriften  gehören; 
innerhalb  der  antiken  Inschriften  bilden  die  christlichen  doch  eine  Sondergattung  von 
oolcher  Bedeutung,  daß  sie  eine  gesonderte  Sammlung  verlangen.  Da  sie  in  der  Haupt- 
sache —  manches  vorbehalten  —  bereits  gut  veröffentlicht  sind  oder  neuer  Ver- 
öffentlichung entgegensehen  wie  die  des  Coem.  Domitillae,  so  denken  wir  dabei  weniger 
an  ein  monumentales  Corpus  inscriptionum  christianarum,  als  an  handliche  Bände,  wie 
es  dergleichen  für  die  heidnischen  Inschriften  bereits  gibt.1) 


*)  Epigraphik:  S.  Reinach,  TraUe"  d'e'pigraphie  grecque  1885.  Larfeld,  Griechische  Epi- 
graphik (in  Iwan  Müllers  Handbuch  d.  klass.  Altertumswissenschaft  I  21892,  357).  Cagnat,  Cours 
d'^pigraphie  latine  1890.  Hübner,  Römische  Epigraphik  (in  Müllers  Handbuch  I2  625).  Le  Blant, 
Manuel  d'öpigraphie  chrötienne  d'apres  les  marbres  de  la  Gaule  1869  (vgl.  dess.  Epigraphie 
chrötienne  en  Gaule  et  dans  l'Afrique  romaine  1890).  Nik.  Müller,  Inschriften  (in  Herzog-Haucks 
Realencykl.  prot.  Theol.  IX  1901,  167.  Kaufmann,  Archäologie  1905,  188  Epigraphische  Denk- 
mäler. C.  Cäsar,  Observ.  ad  aetatem  titulorum  lat.  Christ,  definiandam  spectantes  1896.  Die  großen 
Inschriftwerke,  das  Corpus  inscriptionum  graecarum  und  das  Corpus  inscriptionum  latinarum,  haben 
auch  christliche  Inschriften  aufgenommen.  Die  folgenden  Verweise  beziehen  sich  teils  auf  den 
Text,  teils  auf  die  Indices.  CIG  IV  pag.  277  pars  XL  inscriptiones  christianae.  CI  atticarum 
III  11  p.  240.  IG  XIV  Italiae  et  Siciliae  p.  741.  Ein  CIG  christianarum  ist  in  Vorbereitung 
(Bull.  corr.  hell.  XXII 1898,  410).  CIL  III  Orientis  et  Illyr.  suppl  II  p.  2522.  2666.  V  Galliae  cisalpinae 
p.  982.  VIII  Africae  I  pag.  1087.  IX  Calabriae  Apuliae  Samnii  Sabinorum  Piceni  p.  773.  X  1 
Bruttii  Lucaniae  Campaniae,  n  Siciliae  Sardiniae  p.  1137.  XII  Galliae  Narbonensis  p.  929.  XIV 
Latii  veteris  p.  568.  —  Eine  Sammlung  der  stadtrömischen  christlichen  Inschriften  begann  de  Rossi: 
Inscriptiones  christianae  urbis  Romae  septimo  saeculo  antiquiores  I  1861  (datierte).  II  1  1888 
(metrische).  Einzelpublikationen  im  Bulletino  cristiano  und  in  der  Roma  sotteranea,  sowie  in 
der  Rom.  Quartalschrift.  Lichtdrucktafeln,  welche  die  Abteilungen  der  von  de  Rossi  im  Lateran 
geschaffenen  Inschriftensammlung  wiedergeben,  in  dessen  Museo  epigrafico  cristiano  Pio-Lateranense 
(im  Triplice  omaggio  alla  Santita  di  Papa  Pio  IX)  1877.  —  F.  X.  Kraus,  die  christlichen  In- 
schriften der  Rheinlande  1890 — 94.  —  Bücheier,  Anthologia  latina,  II  Carmina  latina  epigraphica 
1895;  vgl.  Weymann,  Blätter  für  Gymnasialschulwesen  1895  Heft  9,  und  Rom.  Quart.  1896,  407 
(Verzeichnis  der  christlichen  carmina  bei  Bücheier,  dem  ein  Sachregister  fehlt). 


Die  Jenseitsgedanken  des  Altertums. 


Die  altchristliche  Kunst  entstand  und  stand 
im  Dienst  des  christlichen  Jenseitsglaubens,  die 
Katakomben  und  der  ganze  Grabbau  von  vorn- 
herein und  ausschließlich,  aber  auch  der  Kirchen- 
bau im  wesentlichen,  sicher  in  den  uns  vor- 
liegenden Denkmälern.  Um  diese  baulichen 
Anlagen  und  ihre  künstlerische  Ausbildung 
richtig  zu  verstehen,  nämlich  um  den  Vor- 
stellungskreis vor  Augen  zu  haben,  aus  dem 
heraus  die  Christen  ihre  Gräber  und  Grab- 
kammern, ihre  Sarkophage,  ihre  Kirchen  ge- 
stalteten und  schmückten,  ist  es  nötig,  die 
christliche  Seligkeit  im  Zusammenhang  der 
christlichen  Jenseitsvorstellungen  sich  zu  ver- 
gegenwärtigen. Damit  wir  aber  der  Absicht 
dieses  Buches  gerecht  werden,  müssen  wir  die 
christlichen  Vorstellungen  in  ihrem  religions- 
geschichtlichen Zusammenhang  vorführen,  mit- 
hin im  Rahmen  des  ganzen  Altertums  und  der 
von  ihm  erzeugten  Seligkeitsbilder.  Wir  werden 
die  Völker  des  Altertums  auf  ihre  Jenseits- 
vorstellungen befragen,  jedes  für  sich,  werden 
aber  einleitend  den  Gang  ihrer  Entwicklungsgeschichte  in  der  Gleichartigkeit  der 
Grundzüge  bei  allen  charakterisieren.  Es  geschieht  dies  hier  aber  nicht,  um  der 
literarischen  Filiation  jener  Vorstellungen  nachzugehen,  noch  um  religionsvergleichende 
Untersuchungen  anzustellen  und  etwa  auf  Fragen  der  Mythogenese  Antwort  zu  suchen. 
In  diesem  ganzen  Kapitel  hat  selbstverständlich  der  Mythologe  das  Wort,  der  vor 
allem  über  die  Widersprüche  im  Mythus  sich  nie  verwundert. 

Die  Auswahl  der  hier  vorgeführten  Völker  wird  kaum  eine  Rechtfertigung 
nötig  haben.  Am  wenigsten  durften  neben  den  Juden  die  Griechen  und  Römer  fehlen 
(die  Thrazier  glaubten  wir  von  den  Griechen  gesondert  vorführen  zu  sollen).  Alt- 
ägypten und  Altbabylonien  sind  so  oft,  gerade  jetzt  wieder,  als  Urquellen  bezeichnet 
worden,    daß  wir    schon    deshalb    nicht   an  ihnen   vorbeigehen  konnten.     Ferner  liegen 


Piaton. 


Rom. 


Drei  Entwicklungsstufen.  39 

die  Perser  und  vollends  die  Inder.  Aber  wenn  man  bedenkt,  wie  sehr  die  EJerser 
und  die  Griechen  (von  den  jüdisch-persischen  Beziehungen  nicht  zu  reden)  einander 
suchten,  freilich  in  sehr  verschiedenem  Sinne;  wie  schon  seit  dem  sechsten  Jahr- 
hundert Griechen  in  immer  wachsender  Zahl  an  den  persischen  Hof  gingen;  wie  es 
griechische  Künstler  waren,  die  nach  dem  Sinne  des  Königs  die  persische  Kunst 
schufen;  wieviel  Kriegsgefangene  die  Griechen  an  die  Perser  abgaben,  aber  auch  die 
Perser  in  Griechenland  zurückließen;  wenn  wir  sehen,  wie  Antisthenes  und  Xenophon, 
indem  sie  ihrem  Volke  neue  Ideale  vorzeichneten,  auf  die  Perser  hinwiesen:  so  würde 
man  sich  nicht  wundern,  Spuren  eines  Austausches  auch  auf  religiösem  Gebiet  zu 
treffen.  Greifbar  wird  solches  Herüberwirken  freilich  erst  im  letzten  Zeitraum 
des  Altertums,  wo  ein  Samenkorn  aus  Persien  in  den  klassischen  Boden  fiel  und  sich 
zu  einem  weithin  über  das  Römerreich  schattenden  Baume  entwickelte,  allerdings  der 
Mutter  fast  ähnlicher  als  dem  Vater,  darin  verwandt  der  gleichzeitigen  Entwicklung 
jenes  aus  Judäa  in  den  griechischen  Boden  gebrachten  Senfkorns.  Fehlte  es  auch 
ganz  an  solcher  Fernwirkung,  wie  sie  in  den  Mithrasmysterien  doch  vorliegt,  so  bliebe 
immer  die  wichtige  Wurzelverwandtschaft  der  Perser  und  Griechen.  Ebendies  gilt 
von  den  Indern,  nur  daß  Übertragungen  von  Indien  her  noch  problematischer  sind. 
Andere  Gesichtspunkte  werden  uns  zu  diesen  Völkern  noch  zurückführen. 

Drei  Entwicklungsstufen. 

In  der  Geschichte  der  Jenseitsvorstellungen  lassen  sich  mancherlei  Wandlungen 
beobachten,  in  denen  drei  Hauptmomente  hervortreten,  Urglaube,  Reform  und  Reaktion. 
Zunächst  einige  Worte  über  diese  drei  Entwicklungsstufen. 

Alle  Jenseitsvorstellungen  wurzeln  im  Urglauben,  der  seinerseits  mit  den 
Urgebräuchen  zusammenhängt.  Ihrer  aller  Ursache  ist  der  absolute  Gegensatz  des 
Lebensgefühls  zu  dem  das  Leben  aufhebenden  Tod;  der  natürliche  Mensch  weiß 
weder  das  Leben  richtig  zu  werten  noch  sich  in  die  Tatsache  des  Todes  zu  schicken 
und  begehrt  in  naiver  Unbescheidenheit  mehr  als  des  Menschen  Teil  ist.  Die  primi- 
tive Einbildung  eines  Fortlebens  des  doch  toten  Menschen  rechtfertigt  sich  nur  als 
ein  erster  Versuch,  die  Aufgabe  zu  lösen,  welche  gereiftere  Geistesverfassung  sich 
klarer  darstellt,  das  ist,  den  Tod  geistig  zu  überwinden. 

Der  Widerspruch  zwischen  der  Tatsache  des  eingetretenen  Todes  und  dem 
Postulat  der  Fortdauer  fand  einen  Ausgleich  in  der  Vorstellung  eines  vom  Körper 
sich  lösenden  und  getrennt  weiter  existierenden  Lebensträgers.  Den  Vorgang  des 
Sterbens  beobachtend  glaubte  man  im  letzten  Hauch  aus  dem  offenbleibenden  Munde 
den  entweichenden  Träger  des  Lebens  und  Willens  zu  erkennen,  der  nun  wie  ein  aus 
dem  Nest  gestoßener  Vogel  in  die  Luft  flattere,  vielleicht  im  Winde  verwehe  oder 
aber,  hieran  klammert  sich  das  Lebensgefühl,  sich  erhalte  und  einen  Aufenthalt  suche. 
Das  ist  die  Genesis  der  eigentlichen  Seelenidee,  im  besonderen  der  Hauch-  oder  Luft- 
seele (Psyche)  und  des  grob  mythischen  Seelenvogels.  Von  der  Hauchseele,  sofern  sie 
nicht  verweht,  dachte  man  zunächst,  daß  sie  in  der  Nähe  bleibe,  der  Todesstätte,  des 
Hauses,  des  Grabes;  und  daß  vielleicht  diese  oder  jene  dem  Nachgebliebenen 
begegnende  oder  auffallende  Gestalt  eben  der  Verstorbene  sei,  in  deren  Körper  die 
Seele  eintrat,  um  in  ihm  sichtbar  zu  werden,  etwa  ein  Tier,  eine  Blume,  vielleicht 
auch  ein  anderer  Mensch.     Vermag  die  Seele  aber  sich   so    frei    zu    bewegen    und    in 


40  Die  Jenseitsgedanken  des  Altertums. 

dieser  oder  jener  Gestalt  zu  erseheinen,  so  kann  sie  aus  einem  Körper  in  den 
anderen  übergehen,  der  Typus  der  Seelenwanderung  ist  gegeben.  Doch  gehen  die 
Gedanken  auch  weiter,  lassen  die  Luftseele  in  die  Höhe  steigen;  die  Sterne,  die  auf 
uns  niederblicken,  erscheinen  dann  wohl  als  die  Seelen  unserer  Verstorbenen,  oder  in 
abgeschwächter  Vorstellung,  die  Seelen  wohnen  auf  den  Sternen  und  schauen  auf 
uns  nieder.  Oder  sie  wohnen  auf  dem  Mond.  Auch  die  Milchstraße  kommt  in 
Betracht.  Waren  aber  da  oben  im  lichten  Himmel,  der  besonders  licht  ist  um  die 
Sonne,  Götter  gedacht,  so  sieht  man  die  Seelen  noch  lieber  im  reinen  Licht  in  der 
Gemeinschaft  der  Gottheit.  Genauere  Lokalisierung  wird  den  himmlischen  Ort  nicht 
gleich  im  Zenith  suchen,  eher  in  der  Sonnenbahn,  im  ganzen  lieber  auf  der  Seite  des 
Aufgangs,  sei  es  nun  mehr  nach  dem  Mittag  hin  oder  nach  Norden,  von  wo  die 
Sonne  bei  ihrem  frühesten  Aufgang  zu  kommen  scheint.  Doch  brachte  die  Leibhaftig- 
keit  der  Göttervorstellung  es  mit  sich,  daß  man  sie  gern  auf  festeren  Boden  stellte, 
so  auf  die  in  den  lichten  Himmel  ragenden  Berggipfel;  dem  früheren  Menschen  lag 
es  ja  fern,  die  Gipfel  selbst  zu  ersteigen. 

Es  kommt  auch  der  Gedanke  vor,  daß  das  Leben  im  Blute  sei;  er  ist  aber 
mythogenetisch  unfruchtbar  geblieben.  Dagegen  fand  man  einen  anderen  brauchbaren 
Träger  des  Selbst  in  der  Gestalt.  Man  hielt  sich  zunächst  an  die  Erscheinung  des 
Menschen  im  ganzen  und  dachte  ihn  so  weiterseiend;  im  Traume  hatte  man  ihn 
gesehen,  oder  eine  überhitzte  Phantasie  hatte  sich  sonst  mit  seinem  Trugbild  erschreckt. 
Freilich  lag  der  Körper  tot  am  Boden.  Aber  was  man  im  Traum  gesehen  hatte,  war 
doch  nicht  der  Verstorbene  im  Körper  selbst  gewesen,  wohl  aber  er  in  seiner  Gestalt,  oder 
etwas  wie  sein  Bild.  Also  die  vom  Körper  gelöste  Gestalt  (ägyptisch  Ka,  man  sucht 
den  Begriff  mit  „Doppelgänger"  zu  umschreiben;  griechisch  Eidolon,  Bild  in  ganzer 
Figur),  diese  wahrhafte  Abstraktion  des  Menschen  konnte  nun  leicht  als  der  fort- 
dauernde Träger  der  Persönlichkeit  gelten.  Im  Sterben  löste  sich  das  Eidolon  ab, 
vielleicht  mit  der  Fähigkeit,  nach  Umständen  vorübergehend  oder  dauernd  sich  wieder 
mit  dem  Körper  zu  vereinigen. 

Wir  müssen  jetzt  nach  dem  Verbleib  des  Körpers  fragen.  Der  Leichnam  des 
im  Freien  Gestorbenen,  Verunglückten  oder  Getöteten  mochte  in  der  Urzeit  an  der 
Stätte  des  Todes  liegen  bleiben;  wer  in  seiner  leichtgebauten  Hütte  den  Tod  fand, 
dem  mochte  man  die  Hütte  überlassen.  War  das  Haus  dafür  zu  wertvoll  und  die 
Behauptung  der  Stätte  zu  wichtig,  so  konnte  man  den  Körper  in  der  Mitte  des 
Raumes  unter  dem  Herdplatz  vergraben  (an  den  Wänden  herum  schliefen  die 
Lebenden)  oder  außer  dem  Hause  unter  dem  Dachrand;  dauernd  erhielt  sich  Bestat- 
tung auf  dem  Familiengut.  Bei  gedrängterer  Ansiedelung  mußten  die  Toten  den 
Lebenden  den  Platz  einräumen.  Man  trug  sie  hinaus  in  die  nächste  Schlucht,  Wildnis 
oder  Wüste,  wo  sie  ein  Fraß  der  Raubtiere  wurden,  oder  auf  eine  Felsklippe,  wo  die 
Raubvögel  sie  fanden.  Fehlte  es  an  solcher  Gelegenheit,  so  vergrub  man  sie  in  ge- 
sonderter Totenstadt,  einer  Art  Abbild  der  Städte  der  Lebenden.  Immer  ist  das 
Totenreich  ein  Scheinbild  des  Lebens.  Wie  es  dazu  gekommen  sein  mag,  das  bleibe 
hier  ungefragt,  kurz,  als  jüngste  Bestattungsart  kam  die  Verbrennung  in  Aufnahme. 
Die  fast  vollständige  Vernichtung  des  Körpers  und  die  Auflösung  im  flammenden 
Feuer  mochte  der  Seelenvorstellung  zugute  kommen;  doch  wenn  die  Asche  beigesetzt 
wurde,  so  fiel  der  Nachgedanke  nicht  viel  anders  aus  als  beim  Vergraben  des 
ganzen  Körpers. 


Drei  Entwicklungsstufen.  41 

Jedenfalls  hatte  der  Bestattungsbrauch  Einfluß  auf  die  Jenseitsgedanken.  In 
Memphis  hat  sich  die  Kultur  der  Ägypter  zuerst  gefestigt,  auch  ihre  Gedankenwelt; 
brachten  die  Memphiten  ihre  Toten  über  den  Fluß  an  den  Rand  der  westlichen 
Wüste,  so  wurde  ihnen  der  Rachen  des  Schakals  der  Wüste  ein  Bild  für  den  Ver- 
schlinger Tod;  darüber  hinaus  aber  entstand  ihnen,  rein  aus  den  örtlichen  Bedingungen, 
die  Vorstellung  eines  westlichen  Reiches  der  Toten.  Stützend  trat  das  Bild  der  in 
demselben  Westen  untergehenden  Sonne  hinzu,  welches  anderen  zum  alleinigen  Grund 
für  die  Vorstellung  des  westlichen  Totenreiches  wurde;  denn  die  Sonne  bedeutet 
Leben  (den  Primitiven  in  noch  viel  unmittelbarerer  Kraft  als  uns  gegen  die  Natur 
Verschanzten),  ihr  Untergang  bedeutet  Tod.  —  Sobald  aber  die  Beerdigung  stehender 
Brauch  geworden  war,  so  mußte  sich  die  Vorstellung  eines  Totenreiches  unter  der 
Erdoberfläche  bilden.  Da  liegen  die  Toten  und  ruhen.  Da  liegt  einer  neben  dem 
andern,  immer  mehr  kommen  hinzu,  schon  sind  es  die  mehreren.  Die  durch  Verstand 
nicht  gezügelte  Einbildungskraft  belebt  alles;  sobald  sie  die  vielen  unter  der  Erde 
auch  nur  denkt,  so  sind  sie  ihr  schon  belebt,  ein  Reich  und  Abbild  wieder  der 
Reiche  auf  der  Oberwelt,  ein  Schattenreich.  Ein  finsteres  Reich,  lichtlos;  oder  nein, 
die  im  Westen  gesunkene  Sonne  fährt  des  Nachts  durch  das  Totenreich  zum  Aufgang 
zurück,  sie  leuchtet,  wie  sie  nachts  und  unterirdisch  eben  leuchten  mag,  den  Unter- 
irdischen. Es  taucht  wohl  auch  die  Phantasie  einer  eigenen  Totensonne  auf.  —  Der 
Tod  gibt  nichts  zurück;  wer  in  die  Unterwelt  eintrat,  den  läßt  sie  nicht  wieder  heraus, 
ihre  Tore  sind  ehern  und  festverriegelt,  bewacht  von  unerbittlichen  Pförtnern.  Nackt 
gehst  du  dort  hinein,  wie  du  nackt  in  die  Welt  gekommen  bist.  Das  Totenreich, 
Abbild  der  oberirdischen  Reiche,  hat  einen  König,  der  wohnt  in  einem  Palast  mitten 
unter  den  Toten.  —  War  das  Begraben  Ritus,  so  war  der  Tote,  der  unbegraben 
blieb,  ausgeschlossen  von  der  Teilnahme  an  dem  Reich,  in  das  er  gehörte.  Der  Hinter- 
bliebene schuldet  dem  Toten  das  Begräbnis,  wäre  es  auch  nur  ein  rituales;  eine 
Handvoll  Erde  auf  die  Leiche  geworfen,  genügt,  daß  er  in  die  Unterwelt 
einkehre  und  zur  Ruhe  komme.  Die  Kulturpflicht,  die  Leiche  zu  vergraben,  wurde 
Aberglauben. 

Der  Tote  lebt,  flüstert  die  Einbildungskraft,  den  einen  tröstend,  den  anderen 
ängstigend.  Er  lebt,  auch  dies  im  Abbild  des  Lebens,  als  Freund  oder  als  Feind. 
Er  hat  Macht,  dir  zu  nützen  oder  zn  schadeu.  Er  ist  um  dein  Haus,  kann  es  behüten 
und  ihm  Segen  schaffen.  Und  wieder:  er  ist  nicht  tot;  wenn  du  ihm  das  Seine  vor- 
enthältst, so  kommt  er  herauf,  mahnt  und  büßt  dich.  Alles,  was  er  hinterließ,  ist 
sein  eigen;  er  kann  es  fordern.  Und  wieder:  er  lebt;  so  bedarf  er  Speise  und  Trank, 
Kleid  und  Salbe  wie  du.  Willst  du  seinen  Groll  nicht  reizen,  so  gib  ihm,  wessen  er 
bedarf.  Bist  du  es,  der  ihn  erschlug,  so  fürchte  seine  Rache,  er  wird  sich  an  deine 
Fersen  heften;  also  gib  ihm  die  Sühne,  die  er  verlangt,  damit  er  in  seiner  Ruhe 
bleiben  und  du  in  deiner  Ruhe  bleibest.  Seit  jenen  Tagen  spricht  man:  Ruhe  in 
Frieden.  —  Begräbnis,  Totenopfer  und  Spende,  vorkomm  endenf  alles  Sühnopfer, 
das  zusammen  macht  den  Totenkultus  aus.  Es  ist  möglich,  den  Toten  bei  freund- 
licher Gesinnung  zu  erhalten.  Wer  aber  den  richtigen  Namen  richtig  auszusprechen 
weiß,  der  besitzt  magische  Gewalt,  er  vermag  Götter  zwingend  zu  rufen  (das  nennt 
man  beten)  und  Tote  aus  der  Tiefe. 

Das  Reich  der  Toten  ist  abgeschieden  von  dem  der  Lebenden;  es  kann  auf  der 
Erde  gedacht  sein,   dann  ist's  aber  außerhalb  der  Grenzen   der  Siedelung,  des  Landes, 


42  Die  Jenseitsgedanken  des  Altertums. 

des  menschlichen  Bereiches,  die  nun  freilich  nach  dem  Gesichtskreis  des  betreffenden 
Volkes  enger  oder  weiter  gezogen  sein  können,  so  weit  auch,  daß  das  jenseitige  Land 
außerhalb  der  Welt  fällt.  Es  ist  abgeschieden:  um  dahin  zu  gelangen,  muß  der  Tote 
über  einen  Fluß,  einen  See,  ein  Meer;  gilt  aber  die  Luftseele  und  ist  das  Seelenreich 
am  Himmel  gedacht,  so  muß  die  Seele  durch  die  Luft  und  über  das  Luftmeer  fahren. 
Über  den  Fluß,  den  See,  das  Meer  fährt  ein  Kahn,  der  Totenfährmann  setzt  über, 
auch  über  das  Luftmeer.  Der  Seelenvogel,  oder  die  befiederte  Seele,  entschwebt  auf 
den  eigenen  Flügeln;  sonst  wird  die  Seele  auch  von  Vögeln  geleitet  oder  von  Engeln 
getragen,  wie  eine  schräge  Bahn  hinan,  gen  Morgen.  Durch  das  Wasser  geht  auch 
eine  Furt;  oder  eine  Brücke  führt  hinüber,  über  den  Fluß,  über  das  Luftmeer.  Das 
Land  ist  fern,  der  Weg  dahin  ist  weit,  schwierig,  gefahrvoll,  die  Brücke  ist 
schmal,  wer  keine  Helfer  hat,  der  stürzt  hinab;  darum  ist  es  gut,  die  Gunst  der  Voran- 
gegangenen sich  zu  sichern. 

Bei  dem  Scheindasein  der  Toten  bleibt  die  Phantasie  nicht  stehen,  sie  läßt  sie 
drüben  sich  regen  in  einem  Abbild  des  diesseitigen  Lebens.  Der  Tote  lebt  weiter  in 
der  Gestalt  und  Kleidung,  im  Zustand  des  Leibes  und  Zuschnitt  der  Lebenshaltung, 
wie  er  es  hatte  zur  Zeit  seines  Todes.  Er  lebt  sein  altes  Leben  weiter,  der  Jäger 
jagt,  der  Bauer  baut  das  Land,  die  Kinder  hüpfen  in  der  Blumenwiese,  die  Jugend 
treibt  allerlei  Spiel.  Die  Freuden  dieses  Lebens  stehen  als  Schmuck  des  jenseitigen 
vor  Augen.  Ein  Trunk  frischen  Wassers  aus  der  Quelle  dünkt  auch  für  den  Toten 
Erquickung;  Wasser  oder  Honigseim,  Milch,  Butter,  Ol,  Bier  oder  Wein,  einem  jeden 
sein  Getränk  auch  drüben.  Das  Mahl  ist  der  Gipfel  des  Tages,  das  Gelage  ein  Fest,  auch 
jenseits,  das  Gelage  im  Garten  voller  Blumenduft,  im  Schatten  von  Bäumen,  das 
Gelage  mit  den  alten  Zechgenossen,  die  der  Verstorbene  alle  drüben  wiederfindet. 
Damit  er  ohne  Erröten  in  den  Kreis  der  Vorangegangenen  eintreten  dürfe,  will  die 
Leiche  anständig  gekleidet  und  ausgestattet  sein.  —  In  Gebirgsländern  wohnte  der 
Mensch  zuerst  in  Höhlen,  dachte  sich  daher  auch  den  Gott  in  einer  Berghöhle 
wohnend.  Auch  die  Toten  ruhten  in  Höhlen;  so  entstand  das  Bild  des  Totengelages 
im  Berg  unter  Vorsitz  des  Gottes.  War  eine  Quelle  in  offner  Höhle,  so  mochte 
auskleidender  Efeu  mit  anderem  Grün  sie  zu  einer  bacchischen  Grotte  gestalten; 
auch  dies  Bild  folgte  ins  Jenseits.  Wohnten  Götter  auf  den  Berggipfeln  im  lichten 
Himmel,  so  warf  der  hinaufschauende  Blick  das  Gelage  in  die  Höhe.  Und  da 
ursprünglich  der  Mensch  nicht  differenziert  wurde  in  Leib  und  Seele,  so  hieß  es  ein- 
fach, er  ist  zu  dem  Gott  hingegangen,  der  Gott  hat  ihn  zu  sich  geholt,  was  dann  leicht 
zur  Vorstellung  von  Entrückung  Lebender  wurde.  —  Wenn  der  Blick  sich  zur  Unter- 
welt hinabsenkte,  so  schaute  er  das  Gelage  dahinein.  —  Das  Bild  des  Jenseits  in  der 
Auffassung  als  eines  Zustandes  üppiger  Glückseligkeit  floß  in  der  Ausmalung 
zusammen  mit  dem  zwar  anders  visierten ,  nämlich  in  die  Vergangenheit  zurück- 
gespiegelten, aber  im  Gehalt  identischen  Bild  des  goldenen  Zeitalters,  der  saturnischen 
Zeit;  so  wurden  die  Inseln  der  Seligen,  die  elysischen  Gefilde. 

Die  Reform.  Sie  begann  leise  und  allmählich  aufzukeimen;  sie  wuchs  heran 
und  sammelte  Kraft.  In  der  Hand  großer  Reformatoren  brach  sie  dann  hervor  und 
bewirkte  fundamentale  Änderungen  des  Denkens.  Ägypten  und  Babylonien  können 
uns  hier  weniger  geben;  deren  Entwicklungs-  und  Blütezeiten,  obendrein  noch  recht 
unbekannt,  liegen  vor  dem  klassischen  Altertum  und  was  ihm  parallel  geht,  im 
Israelitismus,  in  Persien  und  Indien.    Ungefähr  um  dieselben  Jahrhunderte  sehen  wir  eine 


Drei  Entwicklungsstufen.  43 

tiefgehende  geistige  Bewegung  die  genannten  Völker  ergreifen;  sie  hängt  eng  zu- 
sammen mit  dem  Aufblühen  der  Literaturen.  Bei  den  Griechen  geht  das  homerische 
Epos  voran,  nachher  wird  die  Reformbewegung  vorzüglich  von  der  Philosophie 
getragen.  Bei  den  Israeliten  ist  es  die  Prophetie,  die  den  Jahwismus  in  seiner  eigen- 
tümlichen Bedeutung  ausprägt  und  die  hebräische  Literatur  erst  schafft.  Bei  den 
Persern  trat  Zarathustra  als  Reformator  auf,  bei  den  Indern  Gotama  Buddha.  In 
welcher  Richtung  die  Reform  ging,  müssen  wir  uns  hier  vergegenwärtigen,  soweit  es 
unser  Thema  berührt.  Die  Reform  war  im  Grunde  logischer  Natur,  beruhte  auf 
tieferem  und  schärferem  Denken,  vorzüglich  im  Ethischen,  dann  aber  auch  im 
Physischen.  Die  ganze  Jenseitsmythik  wurde  neu  durchgedacht,  ethisiert,  wurde  zu 
einem  wichtigen  Träger  der  sittlichen  Idee. 

Aus  der  blutdürstigen  rohen  Urzeit  heraus  strebt  die  Reform  in  reinere  Luft. 
Sie  will  nicht  mehr  die  Frauen  und  Sklaven,  die  Hunde  und  Rosse  der  Verstorbenen 
ihnen  ins  Grab  oder  auf  den  Scheiterhaufen  nachwerfen;  den  Blutzoll  löst  sie  ab  mit 
einer  symbolischen  Handlung.  Der  Gedanke  des  Fortlebens  bleibt,  aber  er  wird  für 
die  Lebenden  paralysiert;  die  Verstorbenen  entläßt  man  in  das  abgeschiedene  Schatten- 
reich, indem  man  den  Leib  beerdigt  und  mit  der  letzten  Schaufel  Erde  auf  den  Grab- 
hügel das  Tor  hinter  ihnen  schließt,  das  Tor  der  Rückkehr,  auf  welcher  alle  Gespenster- 
furcht beruhte.  Praktisch  bedeutsam  bleibt  das  Fortleben  im  Nachruhm,  in  den 
Nachkommen,  im  Nachwirken  eines  jeden  in  seinem  Kreise.  —  Der  Gedanke  des 
Jenseits  bleibt;  aber  die  Ethisierung  macht  das  jenseitige  Schicksal  statt  von  Geburt 
und  Gnade  abhängig  von  der  im  Leben  bewährten  Gerechtigkeit.  Nach  dem  Her- 
kommen galt  der  Edeling  als  der  Edle  und  Gute,  der  Geringe  war  der  Schlichte  und 
Schlechte;  die  neue  Versittlichung  brachte  den  inneren  Wert  zur  Anerkennung,  verfiel 
dann  freilich  zuletzt  in  das  entgegengesetzte  Extrem,  den  armen  Lazarus  nur  seiner 
Armut  halber  in  Abrahams  Schoß  zu  bringen  und  den  in  diesem  Leben  gesättigten 
reichen  Mann  eben  deshalb  in  das  höllische  Feuer.  Es  muß  aber  schon  als  Reform 
betrachtet  werden,  wenn  an  die  Stelle  des  politischen  und  sozialen  Wertmessers  zu- 
nächst erst  der  religiöse  trat,  wenn  die  Gerechtigkeit  in  der  Religiosität  gefunden 
wurde,  in  der  ritualen  Korrektheit;  der  Fromme  galt  als  der  Gerechte.  Es  war  ein 
weiter  Weg  bis  zur  reinen  Sittlichkeit.  Als  ein  Zeichen  feiner  unterscheidenden  sitt- 
lichen Urteils  mag  es  auch  gelten,  wenn  das  fortdauernd  geglaubte  jenseitige  Schicksal 
immer  genauer  abgestuft  wurde  für  die  Grade  der  vollkommen  Guten,  der  Besseren, 
der  Mittelmäßigen  und  der  Verworfenen. 

Die  Seelenlehre  selbst,  befruchtet  von  der  inzwischen  weitergebildeten  Welt- 
lehre, erfuhr  eine  Verfeinerung,  nämlich  der  Luftseele  zur  Atherseele.  Endlich  die  ganze 
Psychomythie  verlor  im  Reformprozeß  Saft  und  Farbe,  oft  scheint  sie  zur  poetischen 
Metapher  zu  verblassen.  Dies  Schweben  zwischen  Mythus  und  Metapher  fällt  z.  B. 
bei  der  persischen  Literatur  sehr  auf;  bei  den  griechischen  Philosophen  ist  es  ver- 
schieden: in  den  alten  Vorstellungsformen  arbeiten  neue  Gedanken,  oder  jene  dienen  als 
Vehikel  für  diese,  oder  sie  werden  bestimmt  abgelehnt.  Die  Reformatoren  der  Perser 
und  Inder,  der  Israeliten  und  Griechen  sind  alle  auf  diesen  Wegen  zu  finden,  auf  dem 
Wege  vom  Mythischen  hinweg  zum  Logischen.  Uns  geht  besonders  die  Frage  an, 
heute  die  brennende,  ob  der  Grieche,  ob  Plato  bis  auf  den  Ankergrund  des  logischen 
Gedankens  hinabgetaucht  sei. 

Die  Reaktion.     Der  Urglaube   war  nie   verlöscht,   unter  der  Asche  glomm   er 


44  Die  Jenseitsgedanken  des  Altertums. 

fort,  um  bald  wieder  aufzulodern  und  nach  langem  Ringen  zuletzt  siegreich  mit  seinem 
magischen  Schimmer  das  Licht  der  Welt  zu  sein.  Allerdings  nicht  in  seinem  Urzu- 
stand; sondern  in  seiner  höheren  Potenz,  der  Mystik,  bemächtigte  er  sich  des  praktisch 
stärksten  Motivs  der  Reform,  des  Ethischen,  und  verband  damit  Elemente  der  Natur- 
wissenschaft. So  wurde  die  Theologie  wissenschaftlich;  die  Philosophen  aber  (Vorher- 
gesagtes kehrt  hier  wieder,  nur  in  anderer  Beleuchtung)  waren  in  den  alten  Vor- 
stellungsformen meist  noch  zu  sehr  verstrickt,  um  für  den  neuen  Wein  gleich  neue 
Schläuche  schaffen  zu  können;  einige  meinten  vielleicht,  das  neue  Lied  leichter  unter 
die  Leute  zu  bringen,  wenn  sie  es  der  altvertrauten  Singweise  unterlegten;  kurz,  sie 
gerieten  in  die  Irrgänge  theologisierender  Spekulation,  jedenfalls  in  den  Schein  solcher 
Zwitterart. 

Das  rituelle  Begräbnis  mit  dem  Apparat  des  Totenkultus  hatte  sich  erhalten, 
und  der  übrige  Ritualismus  kam  nun  erst  in  seine  Blüte.  Hades  wie  Scheol  hatten 
soviel  mythische  Dichtigkeit,  daß  moralisierende  oder  politisierende  Phantasie  alles 
daraus  bilden  und  darauf  bauen  konnte.  Die  Menschen,  von  jeher  lüstern,  dem  Tod 
auf  irgend  eine  Art  zu  entgehen,  erzählten  sich  Geschichten  von  Hinabgang  und 
Wiederkehr,  von  Wiederbelebung  Toter;  die  Hoffnung  der  Juden  fügte  die  leibliche  Auf- 
erstehung in  ihren  Erlösungsplan  ein.  Die  aus  den  verschiedensten  Notionen  unab- 
hängig voneinander  entstandenen  Jenseitsvorstellungen  wurden  durch  die  planmäßige 
Ethisierung  in  ein  System  gebracht;  das  lichte  und  heitere  Jenseits  wurde  den  fromm- 
gerechten Geweihten  verheißen,  das  finstere  und  qualenreiche  den  gottlos  ungerechten 
Ungeweihten  angedroht.  Die  hiermit  eingeführte  Scheidung  der  Verstorbenen  ver- 
dichtete sich  zum  Bilde  eines  Gerichts,  das  von  persönlichen  Richtern  abgehalten 
wird;  es  sind  immer  selbst  Verstorbene  (die  scheinbare  Ausnahme  in  Piatos  Gorgias 
ist  nur  ein  geistreiches  Spiel),  immer  sind  es  Bevorzugte,  mehrfach  ist  es  der  jeweilige 
„Erstling",  der  Herr  und  Erlöser  der  Toten.  Die  Phantasie  hatte  weiten  Spielraum, 
in  der  Ausmalung  des  Jenseits  sich  zu  ergehen.  Auf  der  einen  Seite  die  Seligkeit 
im  Licht,  in  herrlichen  Paradiesen  mit  berauschenden  Düften,  das  Gelage  oder  das 
Lager  der  Heiligen,  dort  in  ewiger  Trunkenheit,  hier  in  ewigem  Anbeten  und  Lob- 
singen; da  ist  alles  Licht  und  überirdische  Farbe,  das  Weiß  weißer  als  Schnee,  das 
Rot  röter  als  Rosen,  weiße  Gewänder,  die  Mauern  des  Palastes  wie  von  Licht;  die 
Stadt  und  das  Land  der  Seligen,  die  Stadt  Gottes,  das  himmlische  Jerusalem,  das  ist 
alles  Gold  und  Elfenbein,  Jaspis,  Sarder,  Beryll  und  Smaragd.  Auf  der  anderen  Seite 
Verdammnis  in  Finsternis,  in  Schlamm-  und  Feuerströmen;  Grundgedanke  war  die 
Fortdauer  des  Lebenszustandes,  der  „Unreine"  liegt  auch  drüben  im  Kot,  der  Schuldige 
leidet,  was  er  getan.  Die  kosmologische  Spekulation  gab  mehreres  dazu:  die  Ge- 
danken von  Weltuntergang  und  Welterneuerung,  die  neue  Welt  wird  unvergänglich 
sein,  zuletzt  wird  der  Teufel,  der  Tod  selbst  vernichtet;  ferner  die  Sonderung  des 
Äthers  in  der  Sonnensphäre  von  der  unteren  Atmosphäre,  die  Sublimierung  der  Luft- 
seele zur  Ätherseele  und  ihre  Rückkehr  in  die  himmlische  Heimat. 

Alles  weitere  wird  sich  im  Folgenden  finden.  Die  nach  Völkern  geordnete  Über- 
sicht der  Seligkeitsvorstellungen  (diese  immer  im  Rahmen  der  ganzen  Jenseitsgedanken) 
hat  nicht,  das  sei  wiederholt,  die  Ursprünge  als  Ziel  (sonst  müßten  auf  Ursemiten 
und  Babylonier  die  Israeliten  folgen),  sondern  die  Ausgänge  des  Altertums,  wo  dann 
die  Juden  den  Christen  vorangehen.  Es  folgen  sich  also  Ägypter  und  Babylonier, 
Perser  und  Inder,  Thraker  und  Griechen,  Juden  und  Christen. 


Die  Völker.  45 


Die  Völker. 


Religionsgeschichtliche  Forschungen  suchen  überall  in  die  Anfänge  einzudringen, 
um  die  religiösen  Gedanken  an  ihrem  kulturgeschichtlichen  Keimpunkt  zu  erfassen 
und  von  da  aus  ihre  weitere  Entwicklung  verfolgend,  neues  Licht  zum  Verständniss 
der  gereifteren  Anschauungen  zu  erschließen.  Als  Hilfswissenschaft  der  Religions- 
geschichte bietet  sich  die  Religionsvergleichung  an,  welche  auch  die  sogenannten 
Naturvölker  in  Betracht  zieht,  das  Hauptobjekt  der  Völkerkunde.  Man  hofft  an 
den  lebenden  Völkern  die  primitiven  Vorstellungen  gleichsam  auf  der  Tat  zu  ertappen, 
welche  für  die  Anfänge  der  Kulturvölker  aus  den  dürftigen  Denkmälern  der  Urzeit 
selbst  und  aus  deren  Nachlebseln  in  der  Literatur  und  den  Monumenten  der  geschicht- 
lichen Zeit  so  schwer  zu  rekonstruieren  sind.  Das  Unternehmen  ist  nicht  fruchtlos, 
immer  unter  dem  Vorbehalt,  daß  die  Naturvölker  von  den  Kulturvölkern  im  jahr- 
tausendelangen stillen  Verkehr  von  Hand  zu  Hand,  an  dem  es  nie  fehlte,  dies  und 
jenes  angenommen  haben  können.  Wenn  es  nun  wahr  ist,  daß  der  natürliche  Mensch 
den  Tod  nicht  begreift,  und  wenn  wir  den  Jenseitsglauben  als  eine  primitive  Er- 
scheinungsform der  geistigen  Überwindung  des  Todes  auzuerkennen  haben,  so  ver- 
stehen wir,  was  die  Völkerkunde  lehrt,  daß  auch  das  roheste  Naturvolk  nicht  ganz 
ohne  Glauben  an  eine  Fortdauer  nach  dem  Tode  ist.  Zunächst,  so  hören  wir  weiter, 
läßt  man  die  Geister  in  Pflanzen,  Tieren,  Steinen  wohnen;  daraus  entwickelt  sich  die 
Vorstellung  besonderer  Geisterländer,  zu  denen  in  der  Regel  ein  schwieriger  Zugang 
über  schmale  Brücken  und  reißende  Ströme  führt.  Diese  Geisterländer  denkt  man 
sich,  dem  beschränkten  Gesichtskreis  der  meisten  Naturvölker  entsprechend,  oft  ganz 
in  der  Nähe  oder  unter  der  Erde,  wohl  auch  auf  Bergen,  in  der  Sonne  oder  im 
Mond.1) 

Die  Kulturvölker  des  Altertums  haben  jedes  eine  lange  Geschichte  durchlebt 
und  bei  gleichbleibender  Grundart  manche  Wandlungen  in  der  Kultur  erfahren;  daher 
ist  es  nötig,  die  Zeiten  zu  unterscheiden.  Die  Jenseitsvorstellungen  wurzeln  natur- 
gemäß in  der  primitiven  Vorzeit;  bei  den  Ägyptern  standen  sie  bereits  zur  Pyramiden- 
zeit in  der  Hauptsache  fest,  sogar  eine  so  sekundäre  wie  Osiris,  der  Totengott,  war 
schon  damals  durch  ganz  Ägypten  anerkannt. 

Unbefangen  genug  nahmen  die  Ägypter  verschiedene  Träger  des  Lebens  neben- 
einander an,  einen,  den  Ka,  in  der  Gestalt  des  Menschen,  man  nennt  ihn  wohl  den 
Doppelgänger,  wie  auch  eine  Seele,  die  als  Vogel,  doch  auch  als  Blume,  als  Tier  oder 
sonst  in  einer  beliebigen  Gestalt  sichtbar  werden  könne  (Wie  ein  Mißverständnis  dieses 
Glaubens  sieht  aus,  was  die  Griechen  von  einer  Seelenwanderungslehre  der  Ägypter 
berichten;  authentisch  ist  sie  nicht  bezeugt).  Das  Reich  der  Toten  dachten  sie  sich 
im  Westen  und  unter  der  Erde,  lieber  aber  am  Himmel.  Die  großen  Sterne  waren 
ihnen  Götter,  die  kleinen  aber  Verstorbene,  denen  der  große  Gott,  der  Herr  des 
Himmels  (der  Sonnengott  Re)  die  Hand  gereicht  hatte.     Der  Verstorbene,  so  heißt  es 


x)  Religionsgeschichte:  Chantepie  de  la  Saussaye,  Lehrbuch  der  Religionsgeschichte  2I 
1897.  —  Naturvölker:  Th.  Waitz,  Anthropologie  der  Naturvölker  1859  ff.  Mehr  bei  Chantepie 
I  18.     Unser  kurzes  Resurne-  nach  H.  Öchurtz,  Katechismus  der  Völkerkunde  1893,  91. 


46  Die  Jenseitsgedanken  des  Altertums. 

in  den  Texten,  geht  zum  Himmel  voll  Lebenskraft,  daß  er  seinen  Vater  schaue,  daß 
er  den  Re  schaue;  der  aber  spricht  zu  ihm:  ich  gebe  dir  deine  Sprache  und  deinen 
Leib,  und  du  empfängst  die  Gestalt  eines  Gottes.  Und  Re  läßt  seinen  Leib  leuchten 
wie  den  der  Himmlischen;  er  nimmt  ihn  als  Ruderer  in  seine  Barke,  er  macht  ihn 
zum  Befehlshaber  seiner  Ruderer,  er  setzt  ihn  an  die  Stelle  seines  Schreibers,  so  daß 
er  Richter  und  Schiedsrichter  ist  und  Befehle  gibt  einem,  der  größer  ist  als  er.  Der 
Wohnort  der  Verklärten  wurde  genauer  an  der  Ostseite  des  Himmels  gedacht  auf 
seinem  nördlichen  Teile,  man  malte  ihn  aus  als  eine  Reihe  fruchtbarer  Inseln  (viel- 
leicht wurden  die  dunklen  Flecke  in  der  Milchstraße  als  Inseln  aufgefaßt),  auf  dem 
„ Speisenfeld "  und  dem  „Feld  Earu"  (das  sich  andere  Gelehrte  freilich  auf  der  Erde 
denken,  etwa  im  Nildelta)  bestellen  sie  ihre  Äcker  und  haben  Brot,  Fleisch  und  Bier, 
die  ewig  dauern.  Dorthin  tragen  den  Verstorbenen  die  Vögel  des  Himmels;  der 
Fährmann  der  Götter  wird  sie  übersetzen,  aber  nur  den  Gerechten,  der  nichts  Böses 
getan  hat,  der  nie  den  König  geschmäht  oder  die  Götter  mißachtet  hat. 

Diese,  wenigstens  in  den  Grundzügen  primären  Vorstellungen  wurden  über- 
wuchert und  durchwachsen  von  den  Osirisgedanken.  Osiris  mußte  den  Tod  erleiden, 
ward  aber  wieder  zum  Leben  erweckt  und  wurde  der  König  der  Toten;  er  ist  der 
Erstling  derer,  die  im  Westen  sind,  und  sein  Teil  wird  auch  das  Teil  des  Verstorbenen 
werden.  So  wahr  Osiris  lebt,  wird  auch  er  leben.  Er  steigt  in  den  Himmel  empor, 
das  Himmelstor  wird  ihm  geöffnet;  da  nimmt  Re  ihn  bei  der  Hand  und  setzt  ihn  auf 
den  Thron  des  Osiris,  damit  er  die  Verklärten  regiere.  Die  im  Keim  schon  alte  Idee 
des  Totengerichts  wurde  erst  in  verhältnismäßig  jüngerer  Zeit  ausgebildet  (im  mitt- 
leren Reiche).  Vor  dem  Thron  des  Orisis  und  der  zweiund vierzig  Richter  beteuert 
der  Tote,  er  habe  keine  Sünde  gegen  Menschen  getan,  nichts,  was  die  Götter  verab- 
scheuen; er  habe  niemand  bei  seinem  Vorgesetzten  schlecht  gemacht,  habe  nicht 
hungern  lassen,  nicht  weinen  gemacht,  nicht  gemordet,  den  Göttern  und  den  Ver- 
klärten ihre  Speise  nicht  genommen,  nicht  Unzucht  getrieben,  nicht  falsches  Maß  und 
Gewicht  gebraucht,  nicht  die  Milch  vom  Munde  des  Unmündigen  geraubt;  ich  gab 
Brot  dem  Hungrigen,  spricht  der  Tote  im  gleichen  Sinne  auf  seinem  Grabstein,  und 
Kleider  dem  Nackten  und  fuhr  den,  der  nicht  übersetzen  konnte,  auf  meiner  Fähre 
über;  ich  war  ein  Vater  dem  Waisen,  ein  Gatte  der  Witwe,  ein  Windschirm  des 
Frierenden,  ich  sprach  nur  Gutes  von  den  Menschen,  ich  erwarb  meine  Habe  in 
gerechter  Weise.  Der  Tote  nun,  welcher  die  Prüfung  nicht  bestand,  findet  keinen 
Eintritt  in  das  Reich  des  Osiris,  der  Gerechtfertigte  aber  hat  seinen  Sitz  in  der  Halle 
vor  dem  großen  Gott;  er  geht  ein  und  aus  in  der  Unterwelt  und  bewohnt  das  Feld 
Earu.  Unterwelt  und  Himmel  fließen  da  überall  durcheinander.  Den  Weg  der  Toten 
zum  Reich  der  Seligen  hat  die  ägyptische  Spekulation  immer  detaillierter  und  immer 
abstruser  ausgemalt,  sie  hat  ihn  an  die  allnächtliche  Fahrt  der  Sonnenbarke  durch  die 
Unterwelt  angeknüpft,  jeder  Stunde  entspricht  ein  begrenztes,  auch  wohl  durch 
Pforten  abgeschiedenes  Gebiet,  in  welchem  dem  durchfahrenden  Sonnenschiffe  bald 
freundlich,  bald  feindlich  begegnet  wird;  die  Gefahren  werden  überwunden,  und  mit 
der  zwölften  Stunde  kommt  die  Sonne  aus  dem  letzten  Stadium  der  Fahrt,  der 
„langen  Schlange",  hervor  als  die  neue  Morgensonne,  die  nun  ihre  Tagesfahrt  am 
Himmel  beginnt.  Diese  ganze  Schilderung  ist  ein  Zauberbuch;  wer  seine  Bilder 
und  Namen  kennt,  der  ist  ein  „Insasse  der  Barke  des  Re"  im  Himmel  und  in 
der  Erde. 


Die  Völker.  47 

In  der  hellenistischen  Zeit  endlich  wurde  das  ethische  Moment  neuerdings  betont. 
Beim  Gericht  in  der  Unterwelt  werden  die  Taten  der  Menschen  gewogen;  bei  wem 
die  bösen  Taten  überwiegen,  der  wird  der  Verschlingerin  der  Unterwelt  übergeben,  die 
Guten  aber  werden  unter  die  göttlichen  Räte  des  Herrn  der  Unterwelt  aufgenommen, 
während  seine  Seele  mit  den  herrlichen  Verklärten  zum  Himmel  geht.  Der  reiche, 
aber  ungerechte  Mann  wird  in  der  Unterwelt  als  ein  Verdammter  gepeinigt,  der 
Arme,  der  Gutes  tat,  wird  in  den  prächtigen  Kleidern  des  Reichen  am  Throne  des 
Osiris  stehen,  unter  den  herrlichen  Verklärten,  als  ein  Mann  Gottes.1) 

Die  Jenseitsvorstellungen  der  Babylon ier  sind  noch  so  wenig  aufgeklärt,  daß 
nicht  einmal  feststeht,  ob  sie  überhaupt  annähernd  soweit  entwickelt  waren  wie  etwa 
die  der  Ägypter.  Nachstehend  geben  wir  das  leidlich  Greifbare  nach  dem  gegen- 
wärtigen Stande  des  Wissens  wieder. 

Die  Schatten  der  Verstorbenen,  die  Totengeister,  konnten  die  Lebenden  ängstigen; 
Kranke  glaubten  sich  durch  Zauberei  der  Gewalt  eines  umherirrenden  Totengeistes 
ausgeliefert.  In  einem  freilich  erst  spätassyrischen  Gebet  wird  geklagt,  daß  der 
Totengeist  den  Kranken  Tag  und  Nacht  nicht  losläßt,  der  Sonnengott  soll  ihn  be- 
freien von  diesem  Dämon,  möge  es  der  Schatten  eines  Verwandten  oder  eines  Er- 
mordeten sein;  er  habe  ihm  bereits  Kleider  und  Schuhe  und  Lendengurt  gegeben, 
Wasserschlauch  und  Wegzehrung,  nun  möge  er  nach  dem  Westen,  nach  der  Unter- 
welt gehen,  und  dort  soll  Gott  Nedu,  der  Pförtner  der  Unterwelt,  ihn  festhalten.  — 
Man  kannte  Boten  aus  der  Unterwelt.  Gilgames  klagt  um  seinen  abgeschiedenen 
Freund  Eabani;  schließlich  legt  Gott  Ea  Fürbitte  ein;  Nergal,  der  Herr  der  Unter- 
welt, öffnet  die  Erde  und  der  Totengeist  Eabanis  fuhr  heraus  wie  ein  Wind.  Da 
sagte  er  seinem  Freunde  das  Gesetz  der  Unterwelt:  Wer  den  Tod  des  Eisens  starb, 
im  Schlafgemach  ruht  er  und  trinkt  reines  Wasser;  wer  in  der  Schlacht  erschlagen 
ward,  sein  Vater  und  seine  Mutter  erheben  sein  Haupt,  und  sein  Weib  [beugt  sich  auf 
ihn  nieder];  aber  wessen  Leichnam  in  die  Steppe  geworfen  ward,  sein  Schatten  ruht 
nicht  in  der  Erde;  wessen  Schatten  niemanden  hat,  der  sich  um  ihn  kümmert,  Reste 
im  Topf,  Bissen  von  Essen,  die  auf  die  Straße  geworfen  wurden,  ißt  er.  —  Speise 
und  Trank  bedarf  auch  der  Tote.  Schüsseln  mit  Speisen  setzte  man  ihm  in  und  auf 
das  Grab,  Wasser  spendete  man  für  die  Totengeister.  Eine  Guttat  an  einem  Ver- 
storbenen soll  belohnt  werden:  droben  sei  sein  Name  gesegnet,  drunten  möge  sein 
Geist  klares  Wasser  trinken.  In  den  Nekropolen  von  Surghul  und  El  Hibba  fanden 
sich  viele  Brunnen. 

Die  Welt  der  Toten  (Staub  ist  ihre  Nahrung,  gekleidet  sind  sie  wie  Vögel  im 
Flügelgewand),  das  Land  ohne  Rückkehr,  lag  den  Babyloniern  in  erster  Linie  da,  wo 
die  Toten  liegen,  im  dunklen  Schoß  der  Erde,  aus  dem  auch  alles  Wachstum  quillt. 
Ihre  vollkommene  Abgeschiedenheit  von  der  Welt  der  Lebenden  wurde  zur  Vor- 
stellung, daß  man  sieben  Tore  durchschreiten  müsse,  um  hineinzukommen;  damit  verband 
sich  der  andere  Gedanke,  daß  man  nackt  in  die  Unterwelt  eingehe,  wie  man  nackt 
in  die  Welt  gekommen  sei:  so  muß  Istar  bei  ihrer  Hadesfahrt,  in  welcher  der  Unter- 
gang   des    Abendsterns    mythisch    angeschaut    ist,    an    jedem    der   sieben  Tore  seinem 


»)  Ägypter:  Ennan,  Ägyptische  Eeligion  1905,  87  Der  Totenglaube  der  älteren  Zeit  und 
des  neuen  Reiches.  193  Seelenwanderung.  231  Der  reiche  und  der  arme  Mann.  Erman  gibt 
reiche  Zitate  aus  den  Pyramidentexten,  dem  Toteubuch,  dem  Buche  Amduat  usf. 


48  Die  Jenseitsgedanken  des  Altertums. 

Pförtner  ein  Stück  ihres  Schmuckes  abgeben,  an  dem  letzten  das  Hemd.  Für  den 
logisch  Denkenden  setzen  die  sieben  Tore  einen  siebenfachen  Mauerring  voraus;  das 
mythische  Phantasiebild  aber  brauchte  nur  die  Tore.  Wohl  aber  scheint  ein  ewiger 
Palast  in  der  Unterwelt  gedacht;  sie  hat  ihre  Götter,  die  Allatu,  den  Nergal,  die 
Anunaki.  In  ihrer  Abgeschiedenheit  wurde  die  Totenwelt  auch  zu  einem  fernen  Land. 
Den  Gott  des  Pflanzenwuchses,  den  Tammuz,  läßt  der  Mythus  im  Sommer,  wenn  die 
Vegetation  von  der  Sonnenglut  verdorrt,  in  die  Unterwelt  hinabgehen:  der  Sonnengott 
hat  ihn  verschwinden  lassen  zum  Lande  der  Toten,  zu  einem  fernen  Lande,  das  man 
nicht  sieht.  Für  den  Babylonier  schob  es  sich  naturgemäß  in  den  Westen,  wo  die 
Wüste  ist  (die  syrisch-arabische)  und  wo  die  Sonne  untergeht.  —  Ein  seliger  Ort  für 
verstorbene  Fromme  ist  nicht  nachweisbar.  Doch  Istar  und  Tammuz  kehren  wieder 
an  die  Oberwelt  zurück,  sie  im  Aufgang  des  Venussterns,  er  mit  dem  Aufsprießen 
der  Frühlings  Vegetation;  Niedergang  und  Wiederaufgang  wiederholen  sich  bei  ihnen 
periodisch.  Bevor  Istar  aber  ins  Leben  zurückkehren  darf,  muß  sie  mit  „Wasser 
des  Lebens"  besprengt  werden. 

Auch  fehlte  den  Babyloniern  nicht  die  Idee  eines  Landes  der  Seligen,  dahin  ein 
Mensch  durch  die  Götter  lebend  entrückt  werden  kann,  um  an  ihrem  seligen  Leben 
teilzuhaben.  Freilich  wissen  wir  nur  von  einem  einzigen  Fall  von  Entrückung,  und 
dieser  einzige  Selige  wird  jetzt  als  ursprünglicher  Lichtgott  angesprochen,  dem  also 
die  Seligkeit  von  Haus  aus  eignete;  doch  kennt  ihn  der  Mythus,  wie  er  vorliegt,  nur 
als  geborenen  Menschen,  der  aus  besonderer  Gunst  der  Götter  in  das  Seligenland 
versetzt  wurde.  Es  ist  der  Held  der  babylonischen  Flutsage,  Utnapistim  („Er  hat 
das  Leben  gefunden")  mit  dem  Beinamen  Atrachasis  (das  gräcisierte  Xisuthros  scheint 
die  Form  Chasisatra  vorauszusetzen).  Nach  der  Flut  erging  an  ihn  das  Wort  „Nun 
sollen  Utnapistim  und  sein  Weib  werden  wie  wir,  die  Götter";  und  die  Götter  ent- 
rückten ihn  nebst  seinem  Weibe  und  seinem  Schiffer  und  ließen  ihn  in  der  Ferne 
wohnen,  an  der  „Mündung  der  Ströme". 

Den  Weg  zum  Seligenland  schildert  das  Epos  von  Gilgames,  der  nach  dem  Tode 
seines  Freundes  und  Kampfgenossen  Eabani  von  Todesfurcht  ergriffen  beschließt,  seinen 
Ahn  Utnapistim,  der  das  Leben  gefunden  hat,  aufzusuchen  und  zu  befragen.  Von 
seiner  Stadt  Erech  aus  gelangte  er  durch  die  Wüste  zum  Berg  Masu,  der  von  einem 
Paar  riesiger  Skorpionenmenschen  bewacht  wird  (unter  die  Unterwelt  hinab  reicht 
ihre  Brust);  nach  anfänglicher  Weigerung  öffnen  sie  doch  das  Bergtor,  durch  lange 
Finsternis  wandert  er,  nach  vierundzwanzig  Stunden  wird  es  wieder  hell,  und  nun 
liegt  ein  wunderbarer  Park  vor  ihm  mit  Götterbäumen,  die  Edelsteine  als  Frucht 
tragen,  „Rotsteine"  wie  die  äthiopischen,  an  Reben  hängend,  Lasursteine  und  andere. 
Auf  dem  „Thron  des  Meeres"  aber  sitzt  die  Göttin  Siduri  („das  Mädchen"),  eine 
Göttin  der  Weisheit  und  Schutzgöttin  des  Lebens.  Abmahnend  spricht  sie  ihm  von 
der  Unwegsamkeit  des  Meeres,  nur  der  Sonnengott,  der  Gewaltige,  ist  über  das  Meer 
gegangen;  das  Leben,  das  du  suchst,  wirst  du  nicht  finden,  die  Götter  haben  dem 
Menschen  den  Tod  bestimmt,  das  Leben  hielten  sie  in  ihren  Händen  fest  (so  heißt  es 
bei  der  Schöpfung  des  Adapa:  Gott  Ea  gab  ihm  Vollmacht  und  Weisheit,  nicht  aber 
gab  er  ihm  ewiges  Leben),  er  möge  nur  sein  Leben  genießen.  Nun  aber  findet  sich 
Utnapistims  Schiffer,  sie  legen  zusammen  eine  fünf  und  vierzigtägige  Strecke  in  drei 
Tagen  zurück,  um  endlich  die  „Gewässer  des  Todes"  und  die  „Mündung  der  Ströme" 
zu  erreichen. 


Die  Völker.  49 

Wo  ist  nun  das  Seligenland  gedacht?  Bisher  glaubte  man  unter  der  „Mündung 
der  Ströme"  diejenige  des  Euphrat  und  Tigris  verstehen  zu  müssen;  dann  lag  das 
Seligenland  von  Erech  aus  gerechnet  im  Südosten,  am  oder  im  persischen  Meer,  oder 
weiter  hinaus  im  erythräischen;  es  war  auch  nicht  so  uneben,  im  Seligenland  eine 
dunkle  Vorstellung  vom  Wunderland  Indien  zu  vermuten.  Jetzt  aber  wird  eine  Lage 
im  Westen  vorgezogen;  der  Weg  dahin,  und  damit  auch  die  Reise  des  Gilgames,  geht 
dann  zunächst  durch  die  syrische  Wüste,  der  Berg  Masu  wäre  das  System  des  Libanon  und 
Antilibanon,  die  fünf  und  vierzigtägige  Meeresstrecke  wäre  das  Mittelmeer,  das  Gewässer 
des  Todes  der  Ozean;  die  Mündung  der  Ströme  und  das  Seligenland  blieben  in  Süd- 
westspanien zu  suchen.  Die  Westlage  ist  eine  Hypothese,  deren  Bewährung  die 
babylonischen  Jenseits  Vorstellungen  vereinfachen  würde. 

Utnapistim,  mit  seinem  Weib,  blieb  der  einzige  in  das  selige  Land  lebend  Ent- 
rückte, sein  Schiffer  verließ  ihn  mit  dem  heimkehrenden  Gilgames.  Nicht  ganz  das- 
selbe ist  es,  wenn  einzelne  altbabylonische  Könige  zu  den  Göttern  versetzt  wurden;  es 
wurden  ihnen  Opfer  gebracht,  und  ihr  Name  bekam  das  Determinativ  der  Gottheit, 
kurz  sie  blieben  in  Kultverbindung  mit  den  Lebenden,  was  bei  Utnapistim  nicht  der 
Fall  war.  Wieder  andrer  Art  ist  der  Verkehr  der  Götter  mit  dem  Urkönig 
Enmeduranki  von  Sippar;  da  handelt  es  sich  um  göttliche  Inspiration,  wie  sie  Minos 
und  Numa  Pompilius  zuteil  wurde.1) 

Soweit  es  möglich  ist,  den  Urglauben  der  Perser  zu  ermitteln,  hatten  auch  sie 
die  allgemein  primitive  Vorstellung  einer  Fortdauer  nach  dem  Tode,  der  Fortdauer 
nämlich  eines  vom  Körper  sich  lösenden  bleibenden  Teiles,  eines  Doppelgängers  oder 
einer  Seele,  die  sie  Fravasi  nannten.  Sie  bedarf  Nahrung,  Kleidung  und  Wohnung; 
letztere  nimmt  sie  im  eigenen  Hause,  falls  ihr  dies  eingeräumt  wird,  sonst  in  der  Um- 
gebung oder  wo  sie  will.  Sie  weilt  in  der  Nähe  der  Hinterbliebenen,  teilt  deren 
Freuden  und  Leiden,  Arbeiten  und  Vergnügungen.  Die  Familie  opfert  ihren  Toten 
(im  Frühjahr  ist  ein  allgemeines  Totenfest,  ebenfalls  von  den  Familien  gefeiert);  denn 
die  Verstorbenen  haben  Macht,  dem  Lebenden  zu  nützen  oder  zu  schaden;  von  ihrem 
guten  Willen,  sich  ihrer  Gewalt  über  die  Himmelskörper  zu  bedienen,  hängt  Kinder- 
reichtum,   Gesundheit  des  Viehs,    Fruchtbarkeit    der  Felder  ab.     Der  Tote   wurde  in 


*)  Babylonier:  Alfred  Jeremias,  Hölle  und  Paradies  der  Babylonier  21903;  Peter  Jensen, 
Kosmologie  der  Babylonier  1888;  desselben  Gilgamesch  -  Epos  1905,  dessen  Aushängebogen  der 
Verfasser  mich  hat  einsehen  lassen;  daselbst  Seite  33  Anm.  3  wird  die  Hypothese  von  der  Westlage 
des  Seligealandes  begründet.  Jensen  schreibt  mir  zum  „ewigen  Palast"  in  der  Unterwelt:  „ dessen 
sumerischer  Name  Egalgina  oder  Ekalgina  (Keilinschr.  Bibl.  VII  81,  83f ,  besonders  89,31)  bedeutet 
,der  feststehende,  unwandelbare  Palast'.  Das  assyr.  Wort  für  gina  bedeutet  nun  zugleich  „treu,  zu- 
verlässig" und  kennzeichnet  den  idealen  Richter,  ist  also  soviel  wie  etwa  „gerecht";  wenn  daher  in 
Ek(g)algina  die  Richter  der  Unterwelt  sitzen  —  und  das  scheint  sicher  zu  sein  —  so  möchte  ich  in 
dem  Ek(g)algina  einen  „gerechten  Palast"  sehen,  einen  „palais  de  justice".  Wiederum  bemerkt  mir 
Jensen  zur  „Entrückung":  „Daß  altbabylonische  Könige  vergöttert  wurden  und  daß  ihnen  dann 
geopfert  wurde,  ist  sicher;  siehe  Radau,  Early  Babylonian  history  307 ff. ,  mit  Vorbehalt  für  das 
Einzelne.  Von  dem  Könige  Xisuthros  wissen  wir,  daß  er  zu  den  Göttern  entrückt  wurde;  das  aber 
hängt,  denke  ich,  damit  zusammen,  daß  er  eigentlich  ein  Lichtgott  ist.  Von  dem  altbabylonischen 
Könige  Enmeduranki  wissen  wir  weniger,  als  mau  gemeiniglich  meint.  Daß  er  direkt  mit  den  oder 
doch  einigen  Göttern  verkehrte  und  ihm  von  dem  Sonnengott  und  Wettergott  Geheimnisse  mit- 
geteilt wurden,  wird  gesagt;  aber  daß  sie  ihn  in  ihre  Gemeinschaft  berufen  hätten,  können  wir  nicht 
behaupten,  von  einer  Entrückung  Enmedurankis  verlautet  nichts.  Man  glaubt  wohl  an  sie,  weil 
man  ihn  mit  Henoch  identifiziert." 

Sybel,  Christliche  Antike  I.  4 


50  Die  Jenseitsgedanken  des  Altertums. 

sein  bestes  Gewand  gehüllt;  die  Verwandten  im  Jenseits  freuen  sich,  wenn  er  gut- 
gekleidet kommt,  sonst  müssen  sie  seinetwegen  erröten.  Er  wird  mit  lauten  Klagen 
unter  strömenden  Tränen  gefeiert,  zurückgerufen.  Drei  Tage  liegt  der  Körper  auf- 
gebahrt; so  lange  bleibt  die  Seele  in  seiner  Nähe,  hoffend  in  den  Leib  zurückzukehren, 
in  Furcht  zugleich  vor  allerlei  bösen  Geistern.  Danach,  also  mit  der  Bestattung  des 
Körpers,  betritt  die  Seele  die  schwindelnde  Brücke,  die  hinüber  führt;  schmal  ist  sie 
wie  die  Schneide  eines  Schwertes,  der  Tote  zittert,  indem  er  darüber  geht,  und  ist 
er  nicht  jung  und  kräftig,  so  stürzt  er  in  den  Abgrund.  Bei  diesem  gefährlichen 
Übergang  kommt  viel  darauf  an,  daß  die  früher  Abgeschiedenen  dem  Kommenden 
helfen;  daher  suchte  man  sie  sich  mit  allerlei  Gaben  für  den  Brückenweg  günstig  zu 
stimmen.  Nebenher  ging  die  Idee  einer  künftigen  Welterneuerung.  Die  gegenwärtige 
Welt  geht  durch  Kälte  und  Schnee  zugrunde;  zuvor  aber  baut  Yima  einen  (unter- 
irdischen) Raum ,  in  den  er  von  allem  Lebenden  die  kräftigsten  Exemplare  setzt, 
Pflanzen,  Tiere  und  Menschen,  je  ein  Paar,  als  Stammeltern  für  die  Wesen  der 
neuen  Welt. 

Die  Reform  Zarathustras  brachte  einen  neuen  Geist  zur  Geltung.  Die  primitiven 
Vorstellungen  wurden  wohl  bewahrt,  aber  ethisiert;  dabei  fällt  die  Durchsichtigkeit 
ihrer  Jenseitsbilder  auf,  ihr  Schweben  zwischen  Mythus  und  Metapher.  Das  Schicksal 
des  Verstorbenen  hängt  jetzt  ab  von  seiner  Frömmigkeit;  waren  seine  Gedanken, 
Worte  und  Werke  gut  oder  böse?  Wenn  ein  Frommer  „entschwindet",  so  heißt  es 
im  Hadhocht-Nask,  so  sitzt  seine  Seele  drei  Nächte  beim  Haupte  des  Körpers,  sie 
atmet  während  dieser  Zeit  „den  ganzen  Frieden,  den  die  Welt  der  Lebenden  enthalten 
kann".  Am  Ende  der  dritten  Nacht,  in  der  Morgenfrühe,  glaubt  die  Seele  zwischen 
Pflanzen  zu  weilen  und  Wohlgerüche  zu  empfinden,  die  ein  Wind  aus  Süden  herträgt, 
duftender  als  irgend  ein  andrer  Wind.  Nun  tritt  dem  Verstorbenen  ein  Spiegelbild 
seines  sittlichen  Selbst  entgegen  (seine  Daena)  in  Gestalt  eines  wunderbar  starken  und 
schönen  Mädchens;  sie  ist  so  stark  und  so  schön  geworden  durch  seine  guten  Ge- 
danken, Worte  und  Werke.  Den  ersten  Schritt  tut  die  Seele  in  die  Seligkeit  der 
guten  Gedanken,  den  zweiten  in  die  der  guten  Worte,  den  dritten  in  die  der  guten 
Handlungen,  den  vierten  in  das  ewige  Licht.  Ein  früher  entschwundener  Frommer 
spricht  sie  an  und  fragt,  wie  sie  entschwunden  und  aus  der  körperlichen  in  die  geistige 
Welt  gekommen  sei,  aus  der  vergänglichen  in  die  unvergängliche  Welt.  Ahuramasda 
aber  verbietet  ihm,  den  so  zu  fragen,  der  den  schrecklichen  vernichtenden,  auflösenden 
Weg  durchlief,  wo  der  Körper  und  der  Lebensgeist  sich  trennen;  bringe  ihm  Nahrung, 
„Saft  des  Frühlings"  (Rahm  oder  Butter,  natürlich  geistige),  das  ist  die  Nahrung  für 
den  Dahingegangenen  guten  Geistes,  guter  Worte,  guter  Handlungen,  guten  Glaubens. 
Dem  bösen  Menschen  aber  geht  es  entgegengesetzt.  Am  Ende  der  drei  Nächte  glaubt 
seine  Seele  von  Schnee  umgeben  zu  sein,  von  Norden  her  weht  ihn  ein  stinkender 
Wind  an;  indem  begegnet  ihm  sein  böses  Gewissen  in  Gestalt  einer  abscheulichen 
Hexe  und  hält  ihm  vor,  wie  sie  häßlich  geworden  sei  durch  seine  häßlichen  Gedanken, 
Worte  und  Taten.  Die  Seele  des  bösen  Menschen  tut  den  ersten  Schritt  in  die 
Hölle  der  bösen  Gedanken,  den  zweiten  in  die  der  bösen  Worte,  den  dritten  in  die 
der  bösen  Taten,  den  vierten  in  die  ewige  Finsternis.  Ein  früher  verstorbener  Böser 
begegnet  ihm,  auch  diesem  verweist  Ahuramasda  das  Fragen:  bringe  ihm  Nahrung, 
Gift,  stinkendes  Gift,  das  ist  die  Nahrung  für  den  Verstorbenen  bösen  Geistes,  böser 
Worte,  böser  Taten,  bösen  Glaubens. 


Die  Völker.  51 

Die  zoroastrische  Jenseitsvorstellung  läßt  in  den  späteren  Quellen  Weiterbildungen 
und  Umbildungen  erkennen,  aber  in  der  Hauptsache  bleibt  die  Vorstellung  dieselbe; 
manches  nur  in  späterer  Überlieferung  Erhaltene  scheint  altes  Gut  zu  sein.  Wir 
geben  eine  kleine  Nachlese,  wobei  die  Frage  der  Ursprungszeit  für  jedes  Einzelne 
offen  bleibt.  Es  ist  Brauch  der  Parsen,  vor  der  Bestattung  drei  Nächte  lang  ein 
Feuer  neben  der  Leiche  zu  brennen.  Die  Sitte  scheint  alt  und  der  Anlaß  zu  der 
Vorstellung  von  der  drei  Nächte  beim  Haupt  der  Leiche  sitzenden  Seele  zu  sein;  es 
heißt  im  Bundehesch,  so  lange  hoffe  sie,  daß  das  Blut  im  Körper  sich  wieder  erwärme, 
die  Luft  wieder  in  den  Körper  eintrete.  Ebenda  heißt  es,  der  Seele  des  Frommen 
begegne  zuerst  die  Gestalt  einer  fetten  und  milchreichen  Kuh,  von  welcher  ihr  Glück- 
seligkeit und  Süße  komme,  danach  die  Gestalt  des  schönen  Mädchens,  und  zum  dritten 
die  Gestalt  eines  Gartens,  reich  an  Laub,  an  Wasser,  an  Früchten,  an  Fruchtbarkeit, 
von  welchem  der  Seele  Seligkeit  und  fruchtbare  Gedanken  kommen,  ein  paradiesischer 
Ort,  unberechenbar  paradiesischer,  als  man  je  einen  in  der  Welt  sieht.  Umgekehrt 
begegnet  der  Seele  des  Bösen  die  Gestalt  einer  milch-  und  kraftlosen  Kuh,  von 
welcher  der  Seele  Dürre  und  Schwäche  kommt;  wiederum  begegnet  ihr  die  Gestalt 
eines  widerlichen  häßlichen  Mädchens  voller  böser  Gedanken,  von  welcher  der  Seele 
Schrecken  und  Furcht  kommt;  zum  dritten  begegnet  ihr  die  Gestalt  eines  wasserlosen, 
baumlosen,  freudlosen  Gartens,  von  welchem  der  Seele  üble  Gedanken  kommen,  ein 
Ort  von  unermeßlich  höllischer  Art.  Wir  übergehen  die  Angriffe  der  bösen  Geister 
auf  die  durch  den  Raum  gehende  Seele  und  ihre  Abwehr  mit  Hilfe  guter  Geister, 
ebenso  die  Scheidung  der  guten  und  bösen  Seelen  auf  der  Brücke  Kinvat;  sie  fehlt  in 
der  Eschatologie  des  Hadhocht-Nask,  doch  findet  sich  oft,  auch  in  altavestischen 
Stücken,  der  Ausdruck  „Brücke  des  Richters"  (Scheiders,  kinvato  peretas.  In  jüngeren 
Schilderungen  halten  Mithra,  Sraosa  und  Rasau  Gericht.  Mithra,  der  Sonnengott,  ist 
das  Licht,  die  Wahrheit,  das  Recht,  Sraosa  ist  der  Geist  des  Gehorsams,  Rasau  wägt 
die  Handlungen  der  Menschen  mit  goldener  Wage).  Die  Brücke  des  Scheiders  ist 
wie  die  Schneide  eines  Schwertes  für  die  Bösen,  die  von  ihrem  Gewissen  geängstigt 
hinabstürzen  in  die  Hölle,  sie  verbreitert  sich  aber  für  die  Frommen,  die  von  ihrer 
Daena  hinübergeführt  werden  in  den  Himmel.  Die  Wohnung  der  Seligen  ist  am  Orte 
der  Sonne,  wiederum  beim  Herrn  (Ahuramasda)  im  Lichte.  In  ausführlicheren 
Schilderungen  gelangt  die  Seele  nacheinander  zu  den  Sphären  der  Sterne,  des  Mondes, 
der  Sonne,  sie  grüßen  den  Seligen;  zuletzt  kommt  er  in  das  anfangslose  (ewige)  Licht, 
den  höchsten  Himmel,  wo  der  Herr  wohnt.  In  jeder  Sphäre  findet  sie  Heilige  sitzen, 
in  der  Sonnensphäre  sitzen  sie  auf  goldenen  Thronen,  Männer,  die  glänzen  wie  das 
Sonnenlicht.     Die  Seligen  singen  dem  Herrn  Loblieder. 

Die  Absicht  des  Masdeismus  ging  auf  das  Leben,  welches  auf  der  Grundlage  des 
Landbaues  kräftig  und  gesund  erhalten  werden  sollte,  nicht  gebrochen  sei  es  durch 
Mangel  oder  durch  Sünde,  auch  nicht  durch  Askese.  Er  ist  frei  von  Weltverachtung, 
frei  von  Jenseitssucht,  will  sich  aber  für  den  Todesfall  den  Himmel  sichern.  Es  fehlt, 
wenigstens  im  späteren  Avesta,  nicht  an  Vorschriften,  den  Himmel  durch  Magie  zu 
erzwingen.  Ein  einziger  Arm  voll  Holz  auf  die  heilige  Flamme  bringt  die  Seele  ins 
Paradies;  wer  alle  Gebete  Staota  Yesna  hersagt,  durchläuft  den  ganzen  Weg  bis  zum 
höchsten  Himmel;  gewisse  heilige  Texte,  im  Sterben  gelesen,  haben  die  Kraft,  den, 
der    sie    liest,    von  der   Hölle    zu   retten.     Seit  Zarathustras  Tagen  aber  ist  ein  Schatz 

aller  guten  Werke  aufgespeichert,    die    in   den  sieben  Kreisen  der  Erde  getan  worden 

4* 


52  Die  Jenseitsgedanken  des  Altertums. 

sind;  aus  ihm  kann  Mithra  denen,  die  mit  einer  ungenügenden  Zahl  guter  Handlungen 
auf  die  Brücke  des  Richters  kommen,  das  Fehlende  ergänzen.  Jedermann  kann  auf 
die  Barmherzigkeit  des  Herrn  rechnen.  Auch  die  zu  Anramainju  in  die  Hölle  Ver- 
stoßenen brauchen  nicht  zu  verzweifeln;  sie  büßen  ihre  Schuld  ab  bis  zum  Tage  der 
Welterneuerung,  wo  der  Teufel  vernichtet  und  der  von  ihm  befreite  Höllenort  der 
neuen  Welt  hinzugefügt  werden  wird.  Ein  Zwischenreich  kennt  der  Masdeismus  wohl 
(Hamistakan),  aber  es  ist  hier  der  Ort  für  die  Halben,  die  zwischen  Gut  und  Bös  in 
der  Mitte  stehen,  es  ist  nicht  ein  Fegefeuer,  als  welches  vielmehr  die  Hölle  selbst 
dient.  Auch  die  Seligen  erfahren  im  Paradies  noch  eine  Läuterung,  damit  sie  würdig 
werden  der  Glückseligkeit  in  der  neuen  Welt.  Von  der  Erde  schwindet  das  Eis  und 
schwinden  die  Höhen,  sogar  der  Berg,  der  die  Brücke  Kinvat  trägt,  ebnet  sich  ein. 
Schließlich  fließen  neue  Welt  und  Himmel  ineinander,  die  Leiber  selbst  werden  in  das 
Paradies  Vahist  und  in  den  Himmel  Garotman  aufgenommen.  Theopomps  Bericht, 
die  Magier  lehrten  Auferstehung  der  Toten  und  unsterbliches  Leben,  entspricht  der 
Überlieferung.1) 

Die  arischen  Inder.  „Die  Vorstellungen  der  vedischen  Inder  über  den  Tod 
und  das  Leben  nach  dem  Tode  ruhen  auf  dem  Seelenglauben,  den  die  indogermanischen 
Völker  aus  dem  vorgeschichtlichen  Stadium  der  Naturvölker  mitgebracht  haben."  In 
der  Urzeit,  das  gilt  auch  für  die  Inder,  ließ  man  die  Leiche  liegen  oder  schaffte  sie 
weg  (noch  später  war  für  die  Körper  kleiner  Kinder  Vorschrift,  sie  in  den  Wald  zu 
bringen).  Es  ist  auch  von  einem  „Ausstellen"  der  Leiche  die  Rede;  man  denkt  dabei 
an  den  Brauch  vieler  Völker,  die  Leichen  auf  Bäumen  zu  befestigen,  um  den  Bereich 
der  Lebenden  rein  zu  halten.  Weiterhin  kannte  man  außerdem  Begraben  und  Ver- 
brennen, letzteres  aber  war  der  herrschende  Ritus.  Das  ausgebildete  Ritual  verlangte 
sorgfältige  Leichentoilette,  damit  der  Tote  im  Jenseits  anständig  auftrete.  Es  folgt 
Aufbahrung  im  Hause  und  Hinausbringen  zum  Verbrennungsplatz,  wobei  die  Fuß- 
spuren verwischt  werden,  damit  der  Tod  (oder  eigentlich  der  Tote?)  den  Rückweg  zu 
den  Lebenden  nicht  finde.  Ursprünglich  gab  man  dem  Toten  seine  Habe  ins  Jenseits 
mit,  indem  man  sie  mit  ihm  begrub  oder  verbrannte,  seine  Witwe,  seinen  Bogen,  sein 
Gold.  Mit  der  Zeit  ist  das  alles  abgelöst,  auf  eine  bloße  Formalität  reduziert  worden; 
man  gab  dem  Toten  den  Bogen  und  ein  Goldstück  in  die  Hand,  der  Sohn  nahm  ihm 
beides    wieder    aus    der    Hand.      Die  Witwe  legte  man  neben   den  Toten,  richtete  sie 


*)  Perser:  N.  Söderblom,  La  vie  future  d'apres  le  Mazd&sme  a  la  lumiere  des  croyances 
paralleles  dans  les  autres  religions,  £tude  d'eschatologie  compare'e  (Annales  Guimet  IX)  Paris 
1901;  behandelt  werden,  jedesmal  auch  in  Religionsvergleichung,  in  Kap.  I.  III  die  vorzoroastrischen 
(„ethnischen")  Vorstellungen  über  die  Fortdauer  der  Seele  und  die  Welterneuerung,  in  Kap.  II 
und  IV  die  zoroastrische  Vergeltungslehre  (hier  die  Hauptstellen  aus  dem  Hadhocht-Nask  und 
Vendidad  19)  und  Eschatologie,  in  Kap.  V  das  ewige  Leben  im  Einssein  mit  Gott.  —  J.  J.  Modi, 
An  untranslated  chapter  of  the  Bundehesh,  a  paper  read  before  the  Bombay  branch  of  the  Royal 
Asiatic  Society,  Bombay  1902.  —  Arta  Viraf  Namak  ou  Livre  d'Arda  Viraf,  traduetion  par  M.  A. 
Barthölemy,  Paris  1887.  —  Arda  Viraf  Nameh,  the  original  Pahlavi  text,  with  an  introduetion, 
notes  etc.  by  D.  Kaikhusru  D.  J.  J.,  Bombay  1902.  Arta  viraf  nameh  ist  eine  breitere  Jenseits- 
schilderung bereits  christlicher  Ära,  eine  Himmel-  und  Höllenfahrt:  Arda  Viraf  entschließt  sich 
für  sieben  Tage  das  Leben  zu  verlassen,  um  Kunde  aus  dem  Jenseits  zu  holen.  —  Zu  pehlewi 
vahist,  Paradies,  vgl.  den  Bezirk  Bazista,  das  quell-  und  wildreiche  Waldgebirg  in  Sogdiana,  unten 
im  Verzeichnis  der  Paradiese.  —  Theopomp  bei  C.  Müller,  Fragm.  hist.  graec.  I  289  Fragm. 
71.  72.     Söderblom,  a.  O.  244.  —  Die  vorstehende  Literatur  verdanke  ich  Ferd.  Justi. 


Die  Völker.  53 

dann  aber  an  der  Hand  wieder  auf  und  gab  sie  dem  Leben  zurück;  der  Veda  hat  das 
Verbrennen  der  Witwe  geradezu  verboten,  vermochte  den  barbarischen  Brauch  aber 
nicht  völlig  zu  unterdrücken,  so  daß  er  später  wieder  aufleben  konnte.  Vom  Ver- 
brennungsplatz ging  man  nach  Haus,  ohne  hinter  sich  zu  sehen,  denn  die  Seele  des 
Toten  war  in  der  Nähe;  man  wagte  nicht,  in  seinem  Hause  zu  kochen,  noch  im  Bett 
zu  schlafen  oder  ehelichen  Umgang  zu  pflegen.  Um  diesem  ängstlichen  und  undurch- 
führbaren Zustand  ein  Ende  zu  machen,  wird  man  irgendwann  einmal  dazu  über- 
gegangen sein,  nach  einigen  Tagen  zum  Verbrennungsplatz  zurückzukehren,  um  die 
Gebeine  zu  sammeln  und  in  die  Erde  zu  betten,  damit  die  Seele  zur  Ruhe  komme. 
AUe  Zeremonien  wurden  mit  entsprechenden  Anrufungen  des  Toten  begleitet,  von 
einstiger  heftiger  Totenklage  sind  die  Klageweiber  als  Rückstand  geblieben. 

Die  Toten  haben  die  Bedürfnisse  der  Lebenden  und  erwarten  von  diesen  ihre 
Befriedigung;  vernachlässigt  rächen  sie  sich,  ihr  Zorn  wird  gefürchtet,  man  hat  Ur- 
sache, sich  vor  ihnen  zu  hüten.  Da  sie  nun  also  in  Besitz  höherer  Macht  gedacht 
werden,  so  können  sie  diese  auch  zum  Guten  verwenden;  daher  betet  man  zu  ihnen 
um  Segen,  im  allgemeinen,  oder  um  Besonderes,  um  Regen,  Nahrung,  Vernichtung  von 
Feinden,  vorzüglich  aber  um  Söhne.  Dem  Hingegangenen  (Preta,  das  bedeutet  auch 
etwa  Gespenst)  opfert  der  Sohn  Speise  und  Trank,  Salbe  und  Gewand.  Er  braucht 
die  Seele  nicht  erst  herbeizurufen,  sie  ist  in  der  Nähe.  Der  Opfernde  gräbt  eine 
kleine  Grube  und  belegt  sie  mit  Gras  zum  Sitz  für  die  Seele,  gießt  Wasser  hinein, 
damit  sie  vor  dem  Mahl  sich  wasche,  nimmt  mit  dem  Löffel  einen  Kloß  von  der 
zusammengerührten  Speise  und  legt  ihn  in  die  Grube,  der  Seele  zum  Mahl,  danach 
opfert  er  ihr  ebenso  Öl  (zum  Trunk?),  Salbe,  Wohlgerüche,  vielleicht  Haar,  zuletzt 
Kleidung  (ursprünglich  doch  wohl  ein  vollständiges  Gewand,  später  in  bloß  markieren- 
dem Verfahren  nur  eine  Wollflocke).  Im  ausgebildeten  Ritual  findet  sich  der  Ahnen- 
kult ausgedehnt  auf  Großvater  und  Urgroßvater;  der  Opfernde  ruft  nun  die  „Väter" 
herbei:  kommt,  ihr  Väter,  auf  euren  tiefen  alten  Pfaden,  gebt  uns  schönen  Besitz,  laßt 
uns  Reichtum  haben  und  unversehrte  Mannen.  Nach  jedem  Opfer  dreht  er  sich  weg, 
indem  er  den  Atem  anhält:  die  Väter  haben  sich  erfreut,  so  murmelt  er;  mögen  wir 
haben,  Väter,  davon  wir  euch  spenden.  Zuletzt  verscheucht  er  die  Seelen:  geht  weg 
ihr  Väter,  auf  euren  tiefen  alten  Pfaden;  aber  über  einen  Monat  kommt  wieder  zu 
unserem  Hause  das  Opfer  zu  essen. 

Der  Hingegangene  weilt  in  der  Nähe  der  Wohnung  oder  vielleicht  unter  der 
Schwelle.  Die  Seele  mochte  auch  die  Gestalt  eines  Vogels  oder  sonst  eines  Tiers  oder 
einer  Pflanze  annehmen,  oder  eines  Sterns.  —  Das  Totenreich  der  vorvedischen  Inder 
scheint  unterirdisch  gewesen  zu  sein.  Eine  abschüssige  Bahn  führt  hinab;  Yama,  der 
Erstling  der  Gestorbenen,  ist  hingegangen  die  weiten,  abschüssigen  Bahnen,  hat  vielen 
einen  Pfad  erspäht;  Yama  ist  der  König  im  Totenreich,  der  Herr  der  Erde.  Auf 
Furten  kommen  die  Seelen  hinüber  über  die  weiten  abschüssigen  Bahnen;  den  Welten, 
da  die  Götter  wandeln,  werden  die  tiefen  Pfade  gegenübergestellt,  auf  denen  die 
„Väter"  wandeln.  In  der  Erde  ist  der  Sitz  der  Väter,  die  Welt,  da  die  Väter  sitzen. 
Die  Seelen  gehen  den  furchtbaren  Weg,  auf  dem  Yamas  vieräugige  buntgescheckte 
Hunde  ihnen  auflauern.     Die  den  Manen  heilige  Richtung  ist  Südost. 

Mit  der  Zeit  erfolgte  ein  durchgreifender  Wandel  in  den  Vorstellungen  über  den 
„Sitz  der  Väter";  er  wurde  auf  eine  höhere  Stufe  gehoben,  in  die  Sphäre  der  seligen 
Götter,    also  aus  dem  Dunkel   der  Erde  in  den  lichten  Himmel.     „Der  Gedanke  vom 


54  Die  Jenseitsgedanken  des  Altertums. 

Recht  frommer  Werke  auf  ihren  Lohn  verlieh  den  Wünschen  den  Charakter  von  An- 
sprüchen; dazu  kam,  daß  der  Bestattungsritus  des  Verbrennens  neben  dem  des  Be- 
grabens  zu  dem  Wege  nach  unten  auch  einen  nach  oben  kennen  gelehrt  hatte."  Für 
diese  neuen  Vorstellungen  stehen  uns  reichere  Quellen  offen.  Die  Verstorbenen  gehen 
den  Vätern  nach.  Sie  sind  im  Himmel  gedacht,  im  dritten  Himmel,  wo  die  Licht- 
welten sind,  wo  Geistesspeise  und  Sättigung,  wo  Freuden  und  Wonnen,  wo  Genuß 
und  Genießen  warten,  wo  des  Wunsches  Wünsche  erlangt  sind,  dort  gibt  es  nicht 
Krankheit,  nicht  Lahmheit,  dort  hofft  man  unsterblich  zu  sein.  Herrscher  im  Reich 
der  Seligen  ist  Yama,  der  Erstling  der  Sterbliohen,  der  als  erster  in  jene  Welt  ein- 
ging; aber  die  Dahingegangenen  verkehren  nicht  allein  mit  Yama,  sondern  auch  mit 
den  himmlischen  Göttern,  dem  Gott  Varuna,  die  Seligen  sind  Wagengenossen  Indras 
und  der  Götter,  dann  wohl  auch  ihre  Gelaggenossen,  wenn  Yama  zusammen  mit  den 
Göttern  unter  schattigem  Baume  zecht,  Soma  trinken  die  einen,  andre  Honig  oder  ge- 
schmolzene Butter;  Lieder  und  Flötenspiel  erschallen  dazu.  Die  Speise  und  der 
Trank,  die  Kleider  und  die  Salben,  den  Verstorbenen  bei  der  Bestattung  gespendet, 
folgen  ihnen  in  den  Himmel;  so  folgen  ihnen  ihre  guten  Werke,  ihre  Opfer  und 
frommen  Gaben.  Hoch  am  Himmel  stehen,  die  reiche  Opfergaben  gespendet  haben,  die 
Rossespender  weilen  bei  der  Sonne;  dem,  der  den  Milchbrei  den  Brahmanen  gab,  wird 
vergolten  mit  Teichen  von  Butter,  mit  Ufern  von  Honig,  mit  Branntwein  statt  Wasser, 
voll  von  Milch,  von  Wasser,  von  saurer  Milch:  solche  Ströme  sollen  dir  alle  fließen, 
honigsüß  schwellend  in  der  Himmelswelt,  Lotusteiche  von  allen  Seiten  dich  umgeben. 
Und  viel  Weibsvolk  gibt  es  für  die  Seligen  in  der  Himmelswelt.  —  Eine  Hölle 
scheinen  die  vedischen  Inder  noch  nicht  ausgebildet  zu  haben;  jedenfalls  ist  die  Idee 
zu  jener  Zeit  im  Keime  stecken  geblieben.  Wohl  wünschte  man  seinen  Feinden,  den 
Missetätern,  den  Tod,  man  wünschte  sie  in  die  Grube,  unter  die  drei  Erden,  in  den 
Kerker,  in  das  haltlose  Dunkel.  Inwieweit  dabei  ein  Strafort  vorgeschwebt  haben 
mag,  im  Sinne  einer  Hölle,  muß  dahingestellt  bleiben.  Ein  deutlicher  Ansatz  in  solcher 
Richtung  läßt  sich  nur  im  Bilde  der  in  Blutströmen  sitzenden,  ihr  Haar  verzehrenden 
Sünder  erkennen,  die  auf  Erden  einen  Brahmanen  beleidigt  haben.  So  ist  auch  kein 
Gericht  gedacht;  auch  ohne  ein  solches  wissen  die  Götter  Redliche  und  Falsche  zu 
sondern  und  einen  jeden  an  seinen  Ort  zu  senden. 

Die  große  Reform  vollzog  sich  bei  den  Indern  im  Buddhismus.  Schon  im 
Kreise  der  Brahmanen  war  die  Reflexion  erwacht;  die  Selbstvernichtung  des  vedischen 
religiösen  Denkens  wird  in  das  zehnte  bis  achte  Jahrhundert  gesetzt.  Das  einmal  er- 
wachte Nachdenken  kam  nun  nicht  mehr  zur  Ruhe;  aber  die  reformatorische  Tat  und 
Neuschöpfung  gehört  dem  großen  Gotama  Buddha,  dessen  Tätigkeit,  er  war  um  550 
geboren,  etwa  in  die  Jahre  520  bis  480  fiel.  Es  war  im  nördlichen  Indien,  an  der 
Südseite  des  Himalaya,  wo  die  Reform  sich  vollzog,  die  vorbereitende  Denkarbeit  der 
Brahmanen  im  westlichen  Gangesgebiet,  das  entscheidende  Wirken  des  Buddha  im 
östlichen. 

Die  Brahmanen  waren  die  Priester  der  vedischen  Inder,  eine  zahlreiche  und 
wichtige  Kaste,  Opferer  und  magischer  Kräfte  kundig,  die  Verwalter  aller  jenseitigen 
Seligkeit:  denn  sie  waren  die  Wissenden.  Dies  transzendente  Wissen  aber  wandelte 
sich  in  ein  Denken  über  den  Menschen  und  über  die  Welt,  darin  er  lebt,  über  die 
Pole  des  Ich  und  des  All,  die  Einzelseele  (Atman),  die  eins  ist  mit  der  Weltseele 
(Brahman),  dem  Grunde  alles  Seins.     Da  ist  von  Göttern  keine  Rede,   aber  auch    die 


Die  Völker.  55 

theoretische  Spekulation  steht  nur  in  zweiter  Linie,  maßgebend  sind  die  praktischen 
Gedanken  vom  Leiden  alles  Daseins  im  ewigen  Kreislauf  der  Wiedergeburten,  von 
sittlicher  Vergeltung,  vom  Reinwerden  des  Geistes  und  einer  Erlösung.  Vertieft  in 
dies  Denken,  ließen  Brahmanen  davon  ab,  nach  Söhnen  zu  begehren,  nach  Habe  oder 
weltlichem  Heil  zu  begehren,  und  zogen  als  Bettler  umher,  es  entstand  ein  überspanntes 
Asketentum,  in  Mönchsorden  organisiert.  Aus  der  Unersprießlichkeit  eines  Daseins, 
dem  man  nicht  gelernt  hatte,  durch  Arbeiten  und  Kämpfen  um  kampfeswerte  Ziele 
einen  Halt  zu  geben,  ist  man,  getrieben  von  Überdruß  an  diesem  Leben  und  von  der 
Angst  vor  dem  schreckenvollen  Jenseits,  hinausgeflohen,  um  der  Welt  entsagend  Frieden 
und  Zuversicht  zu  finden.  Mehr  noch  die  Reichen  und  Vornehmen  als  die  Armen 
und  Geringen,  mehr  noch  Jünglinge,  lebensmüde  ehe  sie  gelebt,  als  Greise,  die  vom 
Leben  nichts  mehr  zu  hoffen  haben,  Frauen  und  Jungfrauen,  verlassen  ihre  Häuser 
und  legen  das  Mönchs-  und  Nonnengewand  an. 

So  verließ  auch  Götama  sein  reiches  Haus,  verließ  Weib  und  Kind,  ging  in  den 
Wald  und  kasteite  seinen  Leib,  bis  er  inne  ward,  daß  Kasteiungen  nicht  zur  Erleuch- 
tung führen.  Danach,  in  einsamer  Nacht  unter  einem  Baume  sitzend,  der  seitdem 
der  Baum  der  Erkenntnis  heißt,  ging  er  durch  immer  reinere  Zustände  der  Selbstent- 
äußerung seines  Bewußtseins  hindurch,  bis  das  Gefühl  allwissender  Erleuchtung  über 
ihn  kam;  er  erkannte  das  „Leiden"  und  erlebte  seine  „Erlösung",  die  Erlösung  durch 
Erkenntnis,  nicht  aber  Erkenntnis  der  letzten  Dinge,  nicht  unnütze  Metaphysik,  sondern 
Erkenntnis  des  Notwendigen.  Danach  ging  er  hin  und  verkündete  die  Lehre  vom 
Leiden  und  von  der  Erlösung.  Alle  Körperlichkeit  ist  hinderlich,  ist  böse,  ist  Tod 
(Mara).  Was  immer  der  Mensch  erfährt  ist  Leiden,  Geburt,  Alter,  Krankheit,  Tod, 
mit  Unliebem  vereint  sein,  von  Liebem  getrennt  sein,  nicht  erlangen,  was  man  begehrt. 
Das  Leiden  entsteht  aus  dem  Daseinsdurst,  der  nach  dem  Naturgesetz  des  ewigen 
Werdens,  Vergehens  und  Neuentstehens  (des  ewigen  Weltfeuers  und  des  ewigen 
Flusses  der  Dinge)  jedes  Ich  von  Ewigkeiten  her  und  in  Ewigkeiten  hin  durch  immer 
neuen  Tod  und  neue  Wiedergeburt  immer  neue  Gestalten  annehmen  läßt.  Die  Auf- 
hebung des  „Durstes"  erfolgt  durch  gänzliche  Vernichtung  alles  Begehrens.  Wer 
seinen  Geist  vom  Reiche  des  Werdens  völlig  gelöst  hat,  der  hat  die  Erlösung 
gewonnen,  die  Flammen  sind  in  ihm  erloschen;  das  ist  seine  letzte  Geburt,  der  Ein- 
gang in  den  „Ort  des  Verlöschens",  das  Nirvana.  Es  ist  nicht  das  Nichts  (das  wäre 
ein  metaphysischer  und  deshalb  verbotener  Gedanke),  es  ist  das  Freisein  des  Geistes 
von  allem  Haften  am  Vergänglichen.  Wie  der  Buddhist  in  Siegesfreudigkeit  dem 
Nirvana  zustrebt,  so  findet  er  in  ihm  Stille,  Ruhe,  Frieden  und  Seligkeit;  im  AVald 
oder  in  einem  der  Gemeinde  geschenkten  Parke  lebt  er,  im  irdischen  Paradiese,  ein 
seliges  Leben.  Der  „Vollendete",  der  „höchste  Buddha"  fand  seine  Erlösung  in  jener 
Nacht  unter  dem  Baum  der  Erkenntnis,  und  er  hat  seine  Seligkeit  hienieden  noch 
vierundvierzig  Jahre  genossen,  als  Lehrer  und  Vorbild  für  die  wachsenden  Jünger- 
scharen. Er  trachtete  nicht  zu  leben,  er  trachtete  nicht  zu  sterben,  zu  seiner  Zeit  ist 
er  hingegangen,  wiederum  in  das  Nirvana.  —  Einem  jeden  steht  der  Weg  zur  Auf- 
hebung des  Leidens  offen,  der  heilige  achtteilige  Pfad,  der  da  heißt:  rechtes  Glauben, 
rechtes  Entschließen,  rechtes  Wort,  rechte  Tat,  rechtes  Leben,  rechtes  Streben, 
rechtes  Gedenken,  rechtes  Sichversenken.  So  kann  er  ein  „Erwachter  und  Erleuch- 
teter" werden  (Buddha).  Wer  aber  im  Leben  nicht  dazu  schritt,  oder  nicht  dazu 
gelangte,  das  Nirvana  zu  gewinnen,  dem  bleibt  der  Trost  (erst  hier  tritt  die  Spekulation 


56  Die  Jensei tsgedanken  des  Altertums. 

in  die  Rechnung  ein),  daß  ihm  in  der  unabsehbaren  Kette  der  künftigen  Wieder- 
geburten noch  einmal  die  Gelegenheit  zur  Erlösung  sich  bieten  werde.  Auf  dem  Wege 
der  Seelenwanderung  wird  er  noch  in  mancher  Gestalt  neu  erstehen  —  wie  die  Tat 
war,  so  wird  der  Lohn  sein  —  als  dies  oder  jenes  Tier,  als  Mensch,  vielleicht  auch 
als  gepeinigter  Höllenbewohner,  als  Gespenst  oder  als  irgend  ein  Gott;  denn  die 
Götter  sind  nicht  abgeschafft,  aber  in  Wesen  und  Wert  herabgesetzt,  nicht  mehr  un- 
sterblich, und  vor  dem  Buddha  müssen  sie  sich  neigen.  Buddha  diskreditierte  den 
brahmanischen  Opferkult,  und  die  buddhistische  Predigt  liebte  es,  Religion  und  Ritus 
immer  ethisierend,  das  wahre  Opfer  zu  lehren,  das  unblutige,  den  Verzicht  auf  Freuden 
und  Leiden  der  Vergänglichkeit.  Selbst  übte  der  Buddhismus  keinen  Gottesdienst; 
die  halbmonatlichen  Versammlungen  der  Mönche  können  als  Kultus  nicht  gelten, 
höchstens  die  Verehrung  der  Gebeine  des  Buddha. 

Wie  der  Stifter  ein  Asket  war  (bei  aller  Abwendung  von  den  Kasteiungen  der 
brahmanischen  Asketen),  so  ist  die  höchste  Heiligkeit  an  Askese  gebunden,  wenigstens 
an  das  „Hinausgehen",  nämlich  aus  Hab  und  Gut,  Familie  und  Freundschaft  in  den 
Wald.  Ein  Leben  von  täglich  erbettelter  Speise,  gelbes  Kleid  und  Bettelnapf  die 
ganze  Ausrüstung  des  Mönchs  (Bhikkhu,  das  ist  Bettler).  Auch  das  Sichversenken  hat 
asketisches  Gepräge;  es  fehlt  auch  nicht  ganz  an  Exzessen  der  Möncherei,  den  aus 
dem  Primitivismus  herübergeflüchteten  „höheren  Kräften",  nämlich  Halluzinationen, 
Suggestionen,  Hypnotismus  usf.  bis  zum  Schweben.  Wo  aber  die  „Heiligen"  Bettel- 
mönche sind,  da  müssen  auch  Laien  sein,  um  den  täglichen  Reisbrei  zu  geben,  die 
Klöster  zu  bauen  und  für  Nachwuchs  auch  der  Gemeinde  zu  sorgen,  sie  heißen  Ver- 
ehrer. In  regelmäßigem  Verkehr  mit  den  Heiligen  haben  auch  sie  sich  mit  den 
Ideen  der  Reinheit  und  der  Erlösung  erfüllt  und  viel  von  dem  stillen  und  heiteren 
Geiste,  dem  inneren  Frieden  gewonnen,  dessen  Erringen  der  tiefste  Beweggrund  Gotama 
Buddhas  gewesen  war.  Es  liegt  eine  Ethisierung  der  Religion  durch  Wissenschaft 
vor;  denn  die  unbedingte  Anerkennung  des  Weltgesetzes  der  Kausalität  muß  doch 
wohl  wissenschaftlich  genannt  werden.  Von  der  buddhistischen  Ethik  haben  wir  hier 
nicht  zu  reden;  immerhin  sei  auf  ihre  fünf  Gebote  verwiesen  (kein  lebendes  Wesen 
töten,  nicht  an  fremdem  Eigentum  sich  vergreifen,  nicht  die  Gattin  eines  anderen 
berühren,  nicht  die  Unwahrheit  reden,  nicht  berauschende  Getränke  trinken)  und 
etwa  auf  die  von  den  Bhikkhu  aufgeworfene  und  bejahte  Frage,  ob  denn  ein  König 
nicht  regieren  könne  ohne  Blutvergießen.1) 

Die  Thraker  bewegten  sich  in  primitiven  Jenseitsvorstellungen,  die  aber  der 
Eigenart  nicht  entbehren.  Unter  den  Thrakernamen  einbegriffen  wurden  die  an  der 
unteren  Donau  wohnenden  Geten.  Herodot  bekam  Kunde  über  sie  von  den  helles- 
pontischen  und  pontischen  Griechen,  Joniern;  was  wir  da  lesen,  ist  auch  „Natur  ge- 
sehen   durch  ein  Temperament".     Verwandtes  fand  sich  bei  den  südlichen  Thrakern. 

Die  Geten  verehrten  einen  Gott  Zalmoxis;  er  haust  in  einer  unterirdischen 
Halle  oder  Höhle,  wo  er  als  Herr  der  Toten  im  Kreise  der  verstorbenen  Geten  ein 
ewiges  Gelage  abhält.  Einen  Geten  töten  hieß  „ihn  zu  Zalmoxis  senden";  periodisch 
opferten  sie,  fragt  mich  nicht  wie,  einen  durchs  Los  bestimmten  Genossen  als  Boten 
an  den  Gott,  ihm  ihre  Anliegen  zu  überbringen.  Sterben  hieß  ihnen  „übersiedeln", 
und  zwar  an  einen  besseren  Ort,  wo  alles  Guten  die  Fülle  ist;  so  konnte  es  geschehen, 


*)  Inder:    Nach  Herrn.  Oldenberg,  Eeligion  des  Veda  1894  und  dess.  Buddha  41903. 


Die  Völker.  57 

daß  einige  Griechen  an  dem  Herrn  des  seligen  Gelages  die  Züge  ihres  Kronos  wieder- 
fanden. Sie  glaubten  demnach  an  eine  Fortdauer  nach  dem  Tode;  insofern  also 
glaubten  sie  nicht  zu  sterben,  sondern,  wenn  einer  starb,  so  sagten  sie,  er  ist  zu 
Zalmoxis  eingegangen.     Herodot  verstand,  sie  glaubten  an  Unsterblichkeit. 

Von  Stämmen  der  südlichen  Thraker  heißt  es,  daß  sie  die  Verstorbenen  unter 
Scherzen  und  in  Freudigkeit  begrüben,  weil  sie  nun  so  vielem  Leid  entronnen  in  reiner 
Glückseligkeit  sich  befänden;  um  das  neugeborene  Kind  aber  setzten  sie  sich  im 
Kreise  und  beklagten  es,  was  es  im  Leben  nun  alles  zu  erleiden  haben  werde  —  der 
pessimistische  Rückschlag  der  jenseitigen  Glückseligkeit.  Von  andern  wird  berichtet, 
daß  sie  beim  Tode  eines  Stammesgenossen  ihm  opferten  (schlachteten)  und  den  Leichen- 
schmaus in  der  Form  eines  Freudenmahles  feierten;  denn  der  Verstorbene  werde 
wiederkehren.  Die  Wiederkehr  muß  als  Rückkehr  ins  Leben,  aber  in  einer  anderen 
Gestalt,  gedacht  gewesen  sein;  denn  jene  pontischen  Griechen  glaubten  darin  die 
pythagoreische  Seelenwanderung  wiedererkennen  zu  müssen.  Es  fällt  auf,  daß  in  der 
Überlieferung  (außer  in  ganz  später  und  hangreiflich  getrübter)  nirgends  eine  Seele 
unterschieden  wird,  sondern  immer  nur  von  den  Personen  schlechthin  die  Rede  ist, 
daß  „sie"  nicht  sterben,  zu  Zalmoxis  gehen,  wiederkehren.  Wir  wissen,  das  Erscheinen 
des  Verstorbenen,  sei  es  seines  Eidolon  oder  seiner  Psyche,  in  der  eigenen  oder  in  anderer 
Gestalt,  einer  Pflanze,  eines  Tieres,  eines  Menschen,  ist  Urglaube.1) 

Auch  bei  den  Griechen  müssen  wir  die  Urvorstellungen  voraussetzen,  wie  man 
sie  überall  so  oder  so  gewendet  antrifft;  finden  wir  sie  doch  in  den  geschichtlich  helleren 
Zeiten  wieder  auftauchend,  bald  im  Volksglauben,  bald  in  künstliche  Gedankengewebe 
eingeschlagen.  Die  Seele  des  Verstorbenen  entschwebt  als  Hauch  in  die  Luft.  Sie 
wird  ein  Stern,  oder  sie  wohnt  auf  einem  Stern;  die  Seelen  wohnen  auf  dem  Mond. 
Die  Seele  schwebt  um  das  Grab,  um  die  Mordstelle.  Im  Tod  löst  sich  vom  Toten 
seine  Gestalt  (sein  Eidolon).  Das  Totenreich  ist  unten,  wo  die  Toten  ruhen,  die  bereits 
die  Mehreren  sind.  Das  Gelage  der  Toten  wird  auch  bei  den  Griechen  so  alt  gewesen 
sein  wie  das  Gelage  der  Lebenden;  die  Vorstellung  ist  unabhängig  von  der  Art  der 
Nahrung  und  des  Getränkes,  ob  Wasser,  Met,  Bier  oder  Wein,  es  folgt  dem  Toten. 
Als  was  einer  stirbt,  das  bleibt  er;  wer  im  Leben  ein  Starker  und  Herrischer  war, 
der  bleibt  es  auch  dort,  er  wohnt  und  zecht  mit  den  Göttern,  im  Licht.  —  Die 
ägäische  Kultur  hat  in  langsamer  Entwicklung  im  zweiten  vorchristlichen  Jahrtausend 
die  „kretisch-mykenische"  Blüte  gezeitigt.  Die  den  Toten  gewidmete  Sorgfalt,  die 
Fülle  der  Beigaben,  die  Erhabenheit  der  fürstlichen  Grabbauten,  alles  bezeugt,  daß 
auch  jene  Geschlechter  die  primitive  Unfähigkeit  teilten,  sich  in  die  Tatsache  des 
Todes  zu  schicken;  ihre  Vorstellungen  aber  vom  Leben  nach  dem  Tode  verschweigen 
die  Denkmäler.  —  Nachlebsel  der  Uranschauungen  möchte  man  noch  eher  bei  Hesiod 
suchen  als  bei  Homer;  in  der  Tat  scheinen  solche  in  den  „Geschlechtern"  oder  „ Welt- 
altern "  zu  stecken,  freilich  schon  umgestimmt  durch  jüngere  Denkweise.  Gegeben  war 
dem  Dichter  der  Totenkult  und  damit  die  Vorstellung  vom  Fortleben,  sei  es  unter- 
irdisch, oberirdisch  oder  überirdisch  gedacht.    Unterirdisch  hausen  die  Abgeschiedenen 


*)  Thraker:  Herodot  IV  93—95.  V  5;  die  anderen  Quellen  bei  Ehode,  Psyche  1894, 
319  ff.,  325,  1.  Ich  glaubte  die  thrakischen  Jenseitsvorstellungen  in  ihrer  Selbständigkeit  geben  zu 
sollen,  gelöst  aus  dem  Zusammenhang,  in  welchen  Rhode  sie  gestellt  hat.  Wegen  Herodots 
d9uvaTlt,ovT£Q  vergleiche  Bernhardy  zu  Suidas  v.  Zükftogiq. 


58  Die  Jenseitsgedanken  des  Altertums. 

des  silbernen  Geschlechts;  ihres  sterblichen  Ursprungs  ungeachtet  leben  sie  wie  Götter, 
als  Selige.  Die  andere  Vorstellung,  von  gelegentlicher  Rückkehr  der  Toten  an  die 
Oberwelt,  ursprünglich  um  Vernachlässigung  oder  Kränkung  zu  rächen,  haben  sittlich 
fortgeschrittenere  Zeiten  gemildert,  sie  haben  aus  egoistischen  Rachegeistern  ins  All- 
gemeine wirkende  Rächer  des  Unrechts  und  Hüter  des  Rechts  gemacht;  so  läßt  Hesiod 
die  Abgeschiedenen  des  goldenen  Geschlechts  auf  der  Oberwelt  verkehren,  als  unsicht- 
bare Hüter  der  Menschen  und  zugleich  als  Segenspender.  —  Nachlebsei  finden  sich 
auch  bei  Homer.  Gleich  die  Grund  Vorstellung  der  Psyche,  die  Hauchseele.  Im  Tode 
ausgestoßen  und  heimlos  geworden,  flattert  sie  hinaus  in  die  Luft.  Hatte  aber  der 
Bestattungsritus  die  Vorstellung  einer  Unterwelt  erzeugt,  so  mußte  die  Seele  dem 
Körper  in  die  Tiefe  folgen;  solange  der  Körper  aber  nicht  nach  dem  Ritus  bestattet 
ist,  flattert  die  Seele  ruhelos  auf  der  Oberwelt.  Wenn  aber  Homer  das  Totenreich 
lieber  in  den  fernen  Westen  verlegt,  wo  die  Sonne  in  Nacht  versinkt,  jenseits  des 
Okeanos,  so  bleibt  auch  dies  in  alten  Geleisen.  Ebenso  das  Eidolon.  Noch  andere, 
grausigere  Uranschauungen  ragen  in  das  homerische  Gedicht  herab:  die  Menschen- 
opfer bei  der  Leichenfeier  des  Patroklos,  der  Bluttrunk  der  Seelen  in  der  Hadesfahrt 
des  Odysseus;  die  Rache,  welche  die  Erinyen  unter  der  Erde  an  den  Meineidigen 
nehmen,  indem  sie  die  im  Eide  ausgesprochenen  Selbstverwünschungen  wahr  machen. 
Die  auch  ursprüngliche  Vorstellung  eines  Fortlebens  im  Kreise  der  seligen  Götter 
malte  der  griechische  Mythus  nur  in  der  Form  der  Entrückung  Lebender;  sie  wurde 
bevorzugten  Menschen,  Verwandten  der  Götter  zuteil,  dem  Ganymed,  dem  Tithonos 
und  anderen.  Näher  geht  uns  die  Entrückung  nach  dem  fernen  Lande  der  „ Hinkunft" 
an,  dem  Elysium,  wie  Homer  es  nennt.  Er  setzt  dorthin,  neben  anderen  Ungenannten, 
den  Rhadamanthys,  den  Menelaos,  Hesiod  aber  eine  Anzahl  der  Helden  des  thebanischen 
und  trojanischen  Kriegs  (die  Gefallenen  gingen  in  den  Hades  hinab);  jene  entrückte 
Zeus  aus  dem  Kreis  der  Menschen  an  die  Grenzen  der  Erde,  da  wohnen  sie  sorglos 
auf  den  „Inseln  der  Seligen",  am  Okeanosstrom,  als  selige  Heroen;  dreimal  im  Jahre 
trägt  ihnen  der  Acker.  Die  Ausmalung  des  Wunschlandes  fällt  zusammen  mit  der 
des  goldenen  Zeitalters  unter  Kronos'  mildem  Zepter. 

Daß  in  der  Stille  eine  sittliche  Entwicklung  bei  den  Griechen  schon  früh  im 
Gange  war,  lehrten  uns  bereits  einzelne  Symptome.  Die  wurzelverwandte  Reform 
der  Jenseitsgedanken  (beides  beruht  in  demselben  eindringenderen  Denken)  setzt  bei 
Homer  kräftig  ein.  Er  kennt  kein  Einwirken  der  Seele  auf  das  Reich  des  Sicht- 
baren, daher  auch  keinen  Totenkult.  Er  läßt  die  Eidola  in  das  ferne  westliche 
Schattenreich  entweichen,  von  wo  keine  Wiederkehr  ist;  die  Überlebenden  brauchen  keine 
Angst  vor  Revenants  zu  haben,  brauchen  sie  daher  auch  nicht  mit  Speis-,  Trank-  oder 
sonstigen  Opfern  zu  versöhnen.  Darum  darf  Homer  ein  Befreier  heißen.  Wohl  gibt  es 
auch  für  Homer,  und  gerade  für  ihn,  ein  Nachleben  im  Diesseits,  aber  kein  gespenstisches, 
sondern  ein  lichtfrohes,  im  Liede.  Die  Abgeschiedenen  sind  aus  ängstigenden  Ge- 
spenstern durch  die  Kunst  zu  erhebenden  Idealen  geworden.  In  der  homerischen 
Reform  trat  das  neue  Ferment  zuerst  bedeutend  auf  den  Plan.  Seit  dann  die  jonische 
Regsamkeit  Hebel  um  Hebel  ansetzte,  um  Erkenntnis  der  sichtbaren  WTelt  zu  gewinnen, 
war  für  die  alte  Seelen-  und  Göttermythologie  kein  Platz  mehr.  Die  Aufklärung 
zerschlug  und  zerrieb  die  Überlieferung.  Sokrates,  auf  der  Suche  nach  einer  rationalen 
Ethik,  öffnete  den  Weg  für  Piaton.  Piaton  begann  als  Dichter;  aber  der  Dunst 
seiner  tragischen  und  dithyrambischen  Jugenddichtung   zerging  ihm  vor  dem  Blick  der 


Die  Völker.  59 

Sokratesaugen  (üotteq  sho&si  Tavqrjdbv  v7toßXeipai  7tqög  zöv  üv&qionov  Phäd.  117  b).  Beim 
Tode  des  Meisters  verlobte  er  sich,  in  dessen  Stelle  tretend,  der  Arbeit  am  Menschen 
(Apol.  39  cd,  Preuß.  Jahrb.  1889,  707).  Er  gründete  die  Akademie  als  eine  Hoch- 
schule, welche  durch  wissenschaftliche  Erziehung,  nämlich  durch  Erziehung  im  wissen- 
schaftlichen Denken,  Staatsbürger  bilden  sollte,  vor  allem  aber  Staatslenker,  die  des 
Namens  würdig  wären.  Diese  praktische  Aufgabe  blieb  dem  Sokratiker  vorzüglich 
wichtig.  Und  er  schuf  die  Wissenschaft,  indem  er  sie  in  der  Logik  gründete.  Die 
Körperwelt  ist  wandelhaft,  die  Sinneswahrnehmung  ist  unzuverlässig:  wo  gibt  es  Wahr- 
heit, darin  die  Seele  Ruhe  fände  und  das  Leben  Heil?  Prot.  356  d.  e.  Phädo  84  a. 
Seinen  Ankergrund  findet  das  Denken  nur  in  sich  selbst,  findet  der  denkende  Mensch 
allein  in  seinem  eigenen  Bewußtsein,  niemand  anderem  darf  er  unkritisch  glauben 
Phädr.  244 — 257.  Phädo  83  a.  Im  eigenen  Bewußtsein  findet  er  die  Begriffe,  an  denen 
die  Dinge  teilhaben.  Aus  dem  letzten  Grundbegriff  (der  Idee  des  Guten,  dem  plato- 
nischen Symbol  des  Weltgesetzes,  wie  immer  wir  sie  uns  interpretieren  mögen,  als  die 
Zweckmäßigkeit  oder  die  Gesetzmäßigkeit  selbst  oder  wie  sonst)  entfaltet  sich  die 
Wissenschaft  in  Ethik  und  Physik.  In  der  Idee  ist  „Wahrheit",  in  ihrer  Anschauung, 
in  der  Wissenschaft,  ist  „Seligkeit".  Das  ist  die  Grundüberlegung  der  platonischen 
Logik,  die  vor  allem  eine  Erkenntnistheorie  und  Wissenschaftslehre  war.  Daher 
müßte  man  zunächst  eine  Kritik  der  Seele  erwarten;  in  der  Tat  scheint  Plato  gelegent- 
lich anzudeuten,  daß,  was  wir  Seele  und  Geist  nennen,  in  den  seelischen  und  geistigen 
Funktionen  bestehe;  im  Gastmahl  hat  Plato  die  persönliche  Unsterblichkeit  scharf 
geleugnet  (208  b).  —  Wir  übergehen  die  Weiterentwicklung  der  Wissenschaft  im 
Altertum.  In  der  Zeit  des  Hellenismus  rangen  Stoizismus  und  Epikureismus  um  die 
Herrschaft;  beide  waren  auf  das  Diesseits  gerichtet,  jener  allegorisierte  alles  Mythische, 
dieser  sah  eine  Hauptaufgabe  in  der  Befreiung  des  Menschen  von  der  Jenseitsangst. 
—  Die  Wissenschaft  stand  neben  dem  Leben.  Und  dies  scheint  immer  noch  homerisch 
gesinnt.  Die  attischen  Grabreliefs  des  fünften  und  vierten  Jahrhunderts,  in  ihrer 
stillen  Weise  voller  Gefühl,  ja  rührend  innig,  vergegenwärtigen  nicht  den  Tod,  sondern 
verewigen  das  Leben,  nicht  ohne  die  menschlich  natürliche  Wehmut.  In  andrer  Art, 
aber  ebenso  unmittelbar,  bringen  uns  die  Redner  ihr  Athen  nnd  ihre  Athener  nahe. 
Nun,  der  thukydideische  Perikles,  in  seinem  Epitaphios  auf  die  im  Kriege  Gefallenen, 
hat  für  die  Tapferen  kein  Wort  von  jenseitigem  Lohn,  für  die  Hinterbliebenen  kein 
Wort  von  Wiedersehen.  Erwähnt  ein  Redner  einmal  den  Hades,  so  tut  er  es  mit 
dem  Vorbehalt  „wenn  es  im  Hades  dergleichen  gibt".  Ähnlich  die  Grabschriften; 
in  der  Mehrzahl  gehören  sie  zu  den  bei  Einigen  so  verschrieenen  „ohne  Hoffnung", 
sagen  wir  ohne  Wahn  und  ohne  Anmaßung.  Es  fehlt  nicht  laute  Klage.  Vielen 
genügte  ja  wohl  die  urwüchsige  sardanapalische  Lebensweisheit  „Iß,  trink,  genieße  das 
Weib,  denn  morgen  bist  du  tot";  moderner,  zivilisierter  klingt  die  Sache  in  dem 
Wahlspruch,  den  der  pompejanische  Kaufmann  in  sein  Atrium  setzte  „Verdienst  und 
Vergnügen"  (O verbeck,  Pompeji4  1885,  435  übersetzt:  „Gewinn  ist  meine  Freude". 
Zu  Lucrum  Gaudium  vgl.  pecuniae  et  corporis  gaudia,  Sali.).  Anderen  Grabschriften 
fehlt  nicht  der  tröstliche  Ausblick  auf  ein  gutes  Andenken  und,  echt  platonisch,  auf 
ein  Fortleben  in  Kindern  und  Kindeskindern  —  Plato  selbst  würde  hinzusetzen  „und 
in  Nachwirken". 

Aristophanes    spottete  der  frommtuenden  Mysten,    die   doch  selbst   „den  Jakchos 
des  (ungläubigen)  Diagoras  sangen"   (Frösche  320).    Und  die  Aufgeklärten  von  Prota- 


60  Die  Jenseitsgedanken  des  Altertums. 

goras  bis  Lucian  wurden  nicht  müde,  die  Hadesphantastik  zu  verhöhnen.  Also  gab 
es  doch  Jenseitsglauben  und  gab  es  Mysten.  Allerdings,  trotz  Homer  und  der  Wissen- 
schaft sind  die  Urgedanken  am  Leben  geblieben,  zuerst  nur  in  einer  populären  Unter- 
strömung, die  aber  bald  wieder  zutage  trat,  anfangs  nur  hier  und  da,  in  kleinen 
Sprudeln;  dann  aber,  vermählt  mit  dem  Hauptstamme  der  Wissenschaft  selbst,  gewann 
sie  Stärke  und  eine  Art  Tiefe,  um  schließlich  in  der  Kaiserzeit  das  Feld  zu  behaupten. 
Einen  mächtigen  Helfer  fand  die  Reaktion  in  der  griechischen  Phantasie.  Wir 
müssen  aber  der  Wahrheit  die  Ehre  geben  und  gestehen,  daß  der  Urglaube  nicht 
bloß  trotz  Homer,  sondern  durch  Homer  selbst  sich  erhalten  hat,  durch  Homers  eigene 
Phantasie.  Wohl  hat  er  die  Toten  aus  dem  Bereich  der  Lebenden  gebannt,  aber  nicht 
in  den  ewigen  Strom  des  Werdens  und  Vergehens,  sondern  in  ein  Reich  zwar  des 
Nichtgreifbaren,  insofern  Wesenlosen,  aber  doch  wieder  Sichtbaren.  Die  negative 
Vorstellung  ist  durch  poetische  Anschauung  doch  wieder  positiv  geworden  im  west- 
lichen Reich  des  Hades;  so  wurde  es  möglich,  daß  der  Märchenheld  Odysseus  lebend 
bis  an  den  Eingang  des  Nachtreiches  gelangte  und  mit  den  durch  Bluttrank  zum 
Bewußtsein  Zurückgekehrten  Zwiesprache  pflegte.  —  Zäh  haften  Gebräuche.  Was  der 
Urglaube  an  sepulkralen  und  sonst  superstitiösen  Gebräuchen  gezeitigt  hatte,  das 
erhielt  sich  trotz  Homer,  vor  allem  der  Ahnenkult  an  den  Gräbern  der  alten  Fürsten- 
und  Adelsgeschlechter.  Indem  aber  einerseits  die  Helden  der  Sage  als  Heroen  ver- 
ehrt, andererseits  immer  neue  fiktive  Ahnen  (Eponymen,  Archegeten)  geschaffen  wurden, 
so  kam  ein  neuer  Heroenkultus  in  Blüte,  stets  gefördert  durch  das  delphische  Orakel. 
Der  sich  zusehends  erweiternde  Kreis  nahm  Okisten  neugegründeter  Städte  in  sich 
auf,  Gesetzgeber,  Dichter,  Athleten,  fürs  Vaterland  gefallene  Krieger;  schließlich 
hatte  die  liberale  Austeilung  des  Heroencharakters  seine  Entwertung  zur  Folge,  echte 
Heroen  mußte  man  schon,  um  sie  auszuzeichnen,  als  Götter  begrüßen,  wenn  jeder 
beliebige  Verstorbene,  wie  es  schließlich  herauskam,  Heros  heißen  durfte.  Die  Heroen 
wurden  im  Tode  noch  wirkend  gedacht,  ihre  Geister  gingen  um,  rächten  erfahrene 
Kränkung,  Versäumnis  ihres  Kults,  stifteten  Schaden;  umgekehrt,  wenn  versöhnt, 
konnten  sie  Segen  bringen,  Hilfe  in  Krankheit,  Krieg  und  aller  Not,  galten  wohl  als 
Schutzpatrone  einer  Stadt.  Diese  Ortsheiligen  standen  dem  Volk  im  ganzen  näher 
als  das  homerische  Götterpatriarchat  auf  dem  fernen  Olymp.  —  Entsprechend  finden 
wir  im  geschichtlichen  Griechenland  den  Totenkult  in  allgemeiner  Übung,  mindestens 
als  anständige  Sitte.  Wie  er  auf  der  Voraussetzung  beruht,  daß  die  Seelen  weiter- 
leben, so  ruft  er  diesen  Glauben  selbst  immer  neu  hervor.  Neben  der  alten  Gespenster- 
furcht bestand  auch  eine  freundlichere  Auffassung,  die  in  sittlich  gereifteren  Zeiten 
und  Verhältnissen,  z.  B.  in  Athen,  mehr  in  den  Vordergrund  trat,  die  Auffassung  des 
Verstorbenen  als  eines  wohlwollenden  Schutzgeistes  und  des  Totenkultus  als  eines 
traulichen  Verkehrs.  Die  Sitte  des  Totenkults  bezeugen  zahlreiche  Grabmäler,  durch 
die  bloße  Tatsache  ihrer  Errichtung,  wobei  von  dem  besonderen  Sinne  ihrer  Bildwerke 
abzusehen  ist;  ebenso  die  weißgrundigen  attischen  Lekythen,  sie  überdies  durch  ihre 
graphischen  Darstellungen  der  Besuche  und  Darbringungen  am  Grabe.  —  Superstitiös 
waren  auch  die  Gebräuche  der  Mantik,  der  Kathartik,  der  Mystik,  die  alle  zum 
Seelenglauben  Bezug  haben.  Der  Seher  sagte  auch  dies,  welcher  Gott,  welcher 
Dämon,  welche  Seele  gekränkt  sei  und  Sühnung  heische.  Die  rituale  Reinigung 
erlöste  den  Mörder  von  dem  Rachegeist,  der  ihn  verfolgte.  Die  Mysterien  von  Eleusis, 
erwachsen    im    Kult  von    Göttern  der  Erde,  welche  die  Keimstätte  der  Saat  und  die 


Die  Völker.  61 

Ruhestätte  der  Toten  in  sich  beschließt,  im  Dienst  der  Olympierin  Demeter  und  der 
zwischen  Olymp  und  Hades  wechselnden  Köre,  diese  Mysterien  versprachen  den 
Reichtum,  wie  ihn  die  Gottheiten  des  Ackerbaues  ihren  Dienern  in  das  Haus  senden, 
darüber  hinaus  aber,  was  zur  Hauptsache  wurde,  ein  seliges  Los  im  Jenseits;  nur  die 
Geweihten  dürfen  hoffen,  im  Hades  wahrhaft  zu  leben,  für  die  Ungeweihten  steht 
dort  die  Sache  übel.  Wieweit  die  eleusinische  Verkündigung  Glauben  fand,  ist 
schwer  auszumachen.  Tatsächlich  wurden  die  Mysterien  zu  einem  athenischen  Staats- 
kult erhoben,  mit  viel  Gepränge  gefeiert,  und  eine  wachsende  Zahl  ließ  sich  weihen, 
nicht  bloß  Athener,  denn  die  Weihen  standen  jedem  Menschen  offen,  den  nicht  rituale 
Unreinheit  überhaupt  von  allem  Kult  ausschloß. 

Soweit  war  wohl  von  einem  Fortleben  die  Rede,  aber  die  den  Göttern  eignende 
Unsterblichkeit  im  strengen  Sinne  des  Wortes  hatte  damit  noch  keine  Geltung  für 
die  menschliche  Seele.  Vorbedingung  hierzu  war  eine  schärfere  Scheidung  zwischen 
Leib  und  Seele  und  die  Überzeugung  von  einem  selbständigen  Dasein  der  letzteren. 
Ein  solches  schien  erwiesen  nicht  bloß  durch  Erscheinungen  im  Traum  oder  durch 
die  Ohnmacht,  sondern  vorzüglich  durch  die  Ekstase,  wie  sie  in  den  nachhomerischen 
Jahrhunderten,  zumeist  auf  dem  fetten  Boden  des  Dionysosdienstes,  ausgiebig  geübt 
wurde.  Hieran  schließt  sich  die  besondere  Vorstellung,  daß  die  Seele  zeitweise  den 
Körper  verlassen,  in  jede  Ferne,  auch  in  das  Jenseits,  schweifen  und  Nachricht  von 
dort  bringen  könne.  Die  sonach  eines  selbständigen  Daseins  fähige  Seele,  ohnehin 
den  Göttern  verwandt,  schien  nun  auch  an  deren  Unsterblichkeit  teilzunehmen.  War 
bei  der  Urvorstellung  vom  Gelage  Verstorbener  mit  Göttern  zwischen  Körper  und 
Seele  überhaupt  noch  nicht  unterschieden  worden,  und  schloß  der  Entrückungsglaube 
eine  Trennung  der  Seele  vom  Körper  aus,  so  wurde  das  Merkmal  der  Unsterblichkeit 
nun  gerade  erst  bei  der  Trennung  der  Seele  vom  Leib  bedeutend.  Wenn  so  die 
Seele  göttlicher  Art  und  unsterblich  war,  so  folgte  leicht  auch  das  andere,  daß  sie, 
als  unabhängig  vom  körperlichen  Sein,  auch  vor  der  Geburt  schon  war,  daß  sie  mithin 
ewig  sei  wie  auch  die  Gottheit.  Solches  Denken  arbeitete  mit  den  Elementen  des 
Urglaubens,  aber  was  es  daraus  gestaltete,  ging  weit  darüber  hinaus,  war  nur  möglich 
auf  Grund  einer  wir  müssen  sagen  wilden  Ehe  des  Entgegengesetzten,  nämlich  des 
phantastischen  Mythus  und  der  wissenschaftlichen  Logik.  Kaum  war  die  Logik  zu 
Eigenleben  erwacht,  da  überschatteten  sie  die  Flügel  des  wiedererstarkten  Mythus, 
und  sie  brachte  sonderbare  Kinder  zur  Welt,  einige  mit  Tauben-,  andere  mit  Fleder- 
mausflügeln, alle  mit  verträumten  Augen.  Die  Verkünder  der  Lehre  nannte  das 
Altertum  Theologen;  nun,  diese  Theologie  wurde  wissenschaftlich.  Und  die  Wissen- 
schaft hüllte  sich  in  den  Talar  des  Priesters.  Doch  bleibt  in  jedem  Einzelfalle  zu 
prüfen,  wie  weit  das  Mythische  eigentlich,  wie  weit  es  uneigentlich  gemeint  war,  ob 
nicht    eine    der   mannigfach    abgestuften    Möglichkeiten    von    Halbbewußtheit   vorliegt. 

Ihre  Wiege  und  bleibende  Heimat  besaß  diese  Seelenlehre  in  der  orphischen 
Mystik,  wie  sie  im  sechsten  vorchristlichen  Jahrhundert  hervortrat.  Man  kann  nicht 
gerade  sagen,  daß  sie  zu  einem  gleichmäßig  entfalteten  hochragenden  Baume  heran- 
wuchs, eher  läßt  sie  sich  einem  kriechenden  Unkraut  vergleichen,  welches  einen 
schönen  Rasen  durchwächst,  hierhin  und  dorthin  einen  Trieb  entsendend  und  dabei 
in  allerlei  bunten  Farben  schillernd.  Aus  den  wilden  Orgien  Thraziens  leitet  man 
ihren  Ursprung  her,  mehr  bürgerlich  gesittet  erscheint  sie  bei  den  Griechen.  Früh 
hat  sie  bei  den   Westgriechen  sich  mit  dem  Pythagoreismus  verbunden,  das  Orphisch- 


62  Die  Jenseitsgedanken  des  Altertums. 

pythagoreische  bildet  eine  kaum  zu  sichtende  Masse.  In  Athen  fand  die  Orphik  eine 
feste  Stätte,  doch  wirkte  sie  durch  alle  Länder  griechischer  Kultur,  überall  in  das 
geistige  Leben  sich  eindrängend  und  von  ihm  Vorteil  ziehend.  So  erhob  sich  über 
dem  groben  Ritualismus  orphischer  Geschäftskatharten  eine  sublime  Erlösungslehre 
von  solcher  Werbkraft,  daß  sie  im  zweiten  Jahrhundert  der  Kaiserzeit  im  Kampf  der 
Religionen  um  den  Thron  der  Weltreligion  mit  ringen  durfte  und  weit  darüber  hinaus 
tiefgreifenden  Einfluß  behielt. 

Orphiker  haben  eigene  „Offenbarungen"  gedichtet,  vorzüglich  eine  Niederfahrt 
des  Orpheus  in  die  Unterwelt;  aber  wir  kennen  sie  hauptsächlich  nur  aus  ihren  Ver- 
wendungen in  der  theologischen  und  theologisierenden  Literatur  (die  Moralisten  er- 
kannten früh  die  Brauchbarkeit  des  orphischen  Tones  für  eindringliche  Predigt),  sowie 
aus  der  wissenschaftlichen  und  der  satirischen  Polemik.  Es  wäre  ein  aussichtsloses 
Beginnen,  den  Gesamtkomplex  der  orphisch-pythagoreischen  Psychologie  harmonistisch 
in  ein  wohlkonstruiertes  System  glätten  zu  wollen;  es  muß  genügen,  die  innerlich  ja 
von  einem  Grundgedanken  getragenen,  aber  aus  heterogenen  Elementen  erwachsenen 
und  dazu  ungleich  und  selbst  widersprechend  ausgewachsenen  Vorstellungen  in  eine 
leidliche  Übersicht  zu  bringen,  wobei  nicht  alle  Einzelheiten  erwähnt  werden  können. 
Beweggrund  zum  Ganzen  ist  das  ewige  praktische  Bedürfnis  des  Menschen,  einen  be- 
friedigenden Ausgleich  zu  finden  zwischen  dem  sittlichen  Elend  des  in  das  Leben 
gestellten  Menschen  und  seiner  Anlage  auf  ein  reines  Dasein.  Deshalb  ist  das  Triebrad 
der  ganzen  Veranstaltung  die  kathartische  Methode,  die  rituale,  hier  durch  die  or- 
phischen Weihen  vermittelte  Reinigung;  wenn  die  also  „Reinen"  stillschweigend  als  die 
Gerechten  gesetzt  wurden,  etwa  wie  bei  Theognis  der  Geburtsadel  als  Seelenadel,  so 
schoben  die  orphisierenden  Dichter  und  Philosophen  den  Reinen  die  Gerechten  unter.  Der 
Grundgedanke  der  jenseitigen  Buße  ist,  daß  die  Unreinen  in  ihrer  Unreinigkeit  liegen 
(„im  Kotfluß");  als  steigernde  Strafmittel  dienen  Feuer,  Pech  und  Schwefel  und 
raffiniert  ausgedachte  Foltern.  Wie  aber  Orpheus  dem  dionysischen  Kreis  angehört, 
so  ist  auch  das  Elysium  der  Reinen  und  Heiligen  ein  bacchisches,  ewige  Trunkenheit. 
Die  Menschenseele  aber  ist  ein  Teil  der  Weltseele;  aus  ihrer  ätherischen  Heimat  in 
der  Stunde  der  Geburt  in  den  Erdenleib  getreten  wie  in  ein  Gefängnis,  oder  in  ein 
Grab,  wird  sie  im  Tode  daraus  befreit  und  kommt  zu  den  Inseln  der  Seligen  oder 
je  nachdem  in  den  Tartarus.  Das  gilt  aber  nur  für  die  Guten  und  die  ganz  Schlechten. 
Die  Mittelwertigen  müssen  zu  wiederholter  gründlicher  Reinigung  den  „Kreis  der 
Geburt"  (der  Palingenesie)  durchlaufen,  das  will  sagen,  während  10  000  Jahren  zehnmal 
je  ein  Erdenleben  und  eine  Bußzeit  im  Hades,  zusammen  von  je  1000  Jahren,  durch- 
machen. Nach  Ablauf  jedes  Jahrtausends  trinken  sie  aus  dem  Lethequell  Vergessen- 
heit des  Vergangenen,  um  dann  ein  neues  Leben  zu  wählen.  Von  den  Mittelwertigen, 
die  im  unterirdischen  Reinigungsort  büßen,  wird  noch  eine  Sonderklasse  abgezweigt. 
Die  Besseren  (relativ  Besten),  nämlich  Vaterlands  Verteidiger,  Priester  und  Sänger, 
Philosophen,  königliche  Wohltäter  der  Menschen,  sie  dürfen  in  einem  eigenen  Himmels- 
raum, der  auch  Elysium  genannt  wird,  seliger  Ruhe  pflegen,  ohne  deshalb  der 
Wiedergeburten  enthoben  zu  sein.  Die  mythischen  Straf-  und  Ruheorte  werden  dann 
noch  in  die  Sphären  der  Kosmologie  eingeordnet:  das  Leibesleben  verläuft  auf  der 
Erde;  die  Seele  entweicht  in  die  Luft,  deren  unterer  Teil,  die  schwere  trübe  Atmos- 
phäre, nun  als  Hades  und  Purgatorium  dient;  davon  wird  eine  obere  Region  als  die 
Hades  wiesen  gesondert;  höher  folgt   die  Sphäre  des  Mondes,   der  jetzt  Elysium  wird; 


Die  Völker.  63 

die  höchste  und  äußerste  Sphäre,  der  feuriglichte  Äther,  ist  erst  der  Himmel  der 
Gottheit,  dorthin  kommen  die  ganz  Geläuterten,  zurück  also  in  ihre  Heimat,  die  sie 
vor  einer  Jahrmyriade  verließen. 

Einen  Auszug  aus  der  pythagoreisch-orphisch  beeinflußten  Literatur,  in  dem  be- 
sonders die  Seligkeitsschilderungen  berücksichtigt  werden  sollen,  die  der  vorläufigen 
wie  der  ewigen  Seligkeit,  beginnen  wir  mit  Pin  dar  (Ol.  II;  Threnoi).  Die  Seele 
stammt  von  den  Göttern;  der  Leib  verfällt  dem  Tod,  lebend  bleibt  nur  die  Seele. 
Unter  der  Erde  büßt  sie  alle  Schuld  mit  unanschaubarer  Qual  im  finsteren  Tartarus. 
Die  Gerechten  aber,  die  gern  ihre  Eide  hielten,  leben  mit  den  Unterweltsgöttern 
mühelos,  leidlos:  die  Sonne  leuchtet  ihnen  während  unserer  Nacht,  in  Auen  mit  roten 
Rosen  gelegen  ist  ihr  Garten  voll  schattender  Weihrauchbäume  und  goldener  Früchte; 
sie  ergötzen  sich  mit  ritterlicher  und  musischer  Kurzweil,  jegliche  Frucht  gedeiht 
dort,  und  das  Räucherwerk  ihrer  Altäre  verbreitet  Duft  über  den  lieblichen  Ort.  — 
Wenn  Persephone  die  Buße  für  die  „alte  Schuld"  annimmt,  so  dürfen  die  Seelen  im 
neunten  Jahre  das  Tageslicht  wiedersehen;  aus  ihnen  werden  starke  und  weise  Könige, 
der  Nachwelt  heißen  sie  heilige  Heroen;  die  aber  in  dreimaligem  Leben  oben  und 
unten  die  Seele  sich  schuldlos  bewahrten,  gehen  den  „Weg  des  Zeus"  zum  Schlosse 
des  Kronos  auf  der  Insel  der  Seligen,  welche  die  Lüfte  vom  Okeanos  umspielen; 
Goldblumen  leuchten  an  herrlichen  Bäumen  und  aus  dem  Wasser,  mit  Kränzen  davon 
umwinden  sich  die  Seligen;  dort  ist  Rhadamanthys  Beisitzer  des  Kronos.  Peleus  und 
Kadmos  weilen  dort,  den  Achill  brachte  seine  Mutter  dahin.  —  Der  dichtende 
Philosoph  Empedokles  bezeugt  die  ätherische  Heimat  der  ewig  lebenden  Seelen;  er 
nennt  sie  Dämonen.  Für  Frevel,  wie  Mord  und  Meineid,  müssen  sie  drei  Myriaden 
Hören  fern  von  den  Seligen  umherschweifen,  um  im  Laufe  der  Zeit  in  den  Gestalten 
aller  möglichen  sterblichen  Geschöpfe  geboren  zu  werden.  Er  schildert  dann  mit 
Bitterkeit,  wie  Äther,  Meer,  Erde,  Sonnenlicht  und  wieder  Äther  mit  der  armen 
Seele  Fangball  spielen,  einer  sie  dem  andern  zuwerfend,  weil  keiner  sie  mag  (Fragm. 
115  bei  Diels  Vorsokratiker  S.  217).  —  Den  Äther,  welcher  der  Sitz  der  Götter,  ja 
die  Gottheit  selbst  ist,  nennt  auch  der  philosophierende  Dichter  Euripides  als  den 
Ort,  dahin  die  Seelen  der  Verstorbenen  gehen.  Diese  Anschauung  hat  im  Athen  der 
perikleischen  Zeit  schon  so  sehr  Fuß  gefaßt,  daß  in  der  offiziellen  Grabschrift  auf  die 
bei  Potidäa  Gefallenen  gesagt  werden  konnte:  der  Äther  hat  die  Seelen  aufgenommen, 
die  Leiber  die  Erde  (CJA.  I  n.  442).  —  Der  Komiker  Aristophanes,  in  den  Fröschen 
(137 — 163  =  181 — 459),  mischt  Orphisches  und  Eleusinisches.  Dionysos  selbst  tritt 
die  Hadesfahrt  an;  er  kommt  an  einen  abgrundtiefen  See,  über  den  ihn  der  greise 
Fährmann  setzt;  nachdem  eine  Region  der  Schlangen  und  andrer  Ungeheuer  passiert 
ist,  kommt  er  an  den  orphischen  Kotfluß,  darin  die  Büßer  liegen,  die  Frevler  gegen 
Eltern  und  die  Meineidigen,  endlich  in  die  Gegend  der  Seligen.  Er  hört  Flötenmusik, 
unter  hellem  Tageslicht  sieht  er  in  Myrtenhainen  selige  Scharen  sich  bewegen,  das 
sind  die  Geweihten,  sie  wohnen  nächst  Plutons  Palast.  Der  Chorgesang  der  Mysten 
ist  eleusinisch  gefärbt,  sie  singen  der  „Soteira",  der  Demeter  und  dem  Jakchos.  Die 
Lust  der  Seligen  ergeht  sich  in  Tanz,  der  selbst  die  Alten  mit  fortreißt;  doch  spürt 
man  auch  Bratenduft. 

Wir  wenden  uns  sofort  zu  Piaton.  Dem  griechischen  Dichter  lag  das  an- 
schauende Denken  im  Blute.  Seine  aus  dem  Bewußtsein  des  Menschen  entwickelte 
messerscharfe  Logik  wurde  so  nicht  bloß  Psychologie,  sondern  Psychomythologie;  und 


64  Die  Jenseitsgedanken  des  Altertums. 

in  der  Sprache  der  pythagoreisch-orphischen  Mystik  fand  die  sittliche  Gesinnung  der 
sokratisch-platonischen  Philosophie  den  für  Jahrtausende  packendsten  Ausdruck.  Aber 
aus  den  pompösen  Falten  des  Epoptengewandes  schaut  überall  —  gewiß  nicht  der 
theatralische  Talar  eines  „ Priesters  der  Wissenschaft",  sondern  der  schlichte  Rock  des 
denkenden  Menschen,  oder  in  anderem  Bilde  zu  sprechen,  durch  das  farbenschimmernde 
Gewölk  der  Mythen  bricht  überall  die  Sonne  der  Logik  und  leuchtet  zugleich  das  an- 
gezündete Licht  der  Arbeit  in  der  Akademie. 

Der  Keimpunkt  von  Piatons  Logik,  das  Gewinnen  der  Begriffe  im  eigenen  Be- 
wußtsein, ist  auch  der  Keimpunkt  seiner  Psychomythologie.  Was  kein  Lehrer  zuvor 
in  die  Seele  hineingebracht  hat,  das  wird  durch  methodisches  Fragen  in  ihr  geweckt, 
wie  aus  einem  Schlummer,  Lernen  ist  „ Wiedererinnerung "  dessen,  was  die  göttlich 
unsterbliche  Seele  in  ihrer  himmlischen  Präexistenz,  in  zahlreichen  Metempsychosen 
auf  der  Erde,  und  in  den  Zwischenzeiten  im  Hades  „erfahren"  hat  (Meno  Kap.  14 f. 
20 f.).  Der  Gegensatz  von  Sinneswahrnehmung  und  Ideendenken  erhält  sein  Gleichnis 
im  Gegensatz  von  Körperwelt  und  Jenseitswelt.  Das  Reich  „dessen,  das  man  nicht 
sieht"  (to  dsiSe'g)  findet  Plato  etymologisierend  im  „Hades"  vorgedeutet  (Gorg.  493b. 
Phäd.  79a — 81a).  Also,  die  Sinneswahrnehmung  gibt  nur  trübe  Vorstellungen,  im 
Ideendenken  ist  Wahrheit,  die  nackte  Seele  sieht  die  nackte  Wahrheit.  Als  Kronos 
noch  die  Welt  regierte,  da  wurde  vor  dem  Tode  jedes  Menschen  das  Gericht  über  ihn 
gehalten,  von  Lebenden  über  den  Lebenden;  als  dann  aber  Zeus  zur  Regierung  kam, 
verordnete  er,  daß  hinfort  das  Gericht  erst  nach  dem  Tode  stattfinden  und  daß  auch 
der  Richter  ein  Toter  sein  solle,  damit  nackte  Seelen  die  nackten  Seelen  richteten;  so 
erst  würden  sie  gerecht  richten,  weil  unbeirrt  durch  Körper,  Kleider,  Stand  des  zu 
Richtenden,  aber  auch  unbeirrt  durch  die  eigenen,  immer  trüben  Sinnesorgane,  Auge, 
Ohr  usf.,  die  wie  Schleier  vor  der  Seele  sind  (Gorg.  523). 

Das  Ideendenken  (die  „Schau"  der  Idee  Phäd.  84a,  b,  Symp.  210 e)  wird 
projiziert  in  den  Himmel  und  zugleich  in  die  Präexistenz  und  die  Postexistenz;  ein- 
mal geschieht  das  bloß  metaphorisch,  ein  andermal  mythologisch:  die  vom  Körper 
befreite  Seele  wird  in  den  Himmel  zurückgekehrt  die  Ideen  wieder  rein  schauen  wie 
einst  vor  der  ersten  Geburt.  Da  nun  ferner  auch  die  Ethik  in  der  Logik  ihren  Grund 
hat,  so  ergibt  sich  die  Kongruenz  von  Wissenschaftlichkeit  und  Sittlichkeit,  analog 
dem  mystischen  Gleichsetzen  der  Begriffe  Geweiht  und  Gerecht:  der  wissenschaftlich 
Denkende  ist  der  „zur  Seligkeit  bestimmte  Gerechte",  der  Unwissenschaftliche  aber  der 
„zu  den  jenseitigen  Strafen  verdammte  Ungerechte".  —  Die  Seele  schwebte  oben  unter 
dem  Himmel,  sie  (nun  wieder  das  um  die  Erforschung  der  Dinge  bemühte  Denken) 
durchgeht  den  ganzen  Himmel,  ordnet  (wissenschaftlich)  den  Kosmos,  bis  sie  (jetzt  die 
zur  Sinnenwelt  hingezogene)  entfiedert  hinabstürzt  und  sich  an  einen  Körper  klammert, 
in  dem  sie  Wohnung  nimmt.  Wenn  unter  dem  Himmel  die  heraklitische  Welt  des 
Werdens  ist,  so  muß  ein  etwaiges  „Höheres",  wie  es  Plato  im  eleatischen  Sein  fand 
und  als  die  Idee  bestimmte,  so  muß  es  im  „überhimmlischen  Räume"  zu  Hause  sein. 
Um  sich  an  dessen  Schau  zu  ersättigen,  fahren  die  schwebenden  Seelen  im  Gefolge 
der  Götter  (die  als  Herren  der  unterhimmlischen  Dinge  auch  unter  dem  Himmel 
wohnen)  hinauf  zum  Scheitel  der  Himmelswölbung;  die  Götter  treten  durch  das  Opaion 
hinaus  zur  Schau  in  das  „Gefilde  der  Wahrheit",  die  Seelen  aber,  behindert  durch  ihr 
schwieriges  Gespann  Mut  und  Begierde,  Lenker  ist  die  Vernunft,  vermögen  bestenfalls 
den  Kopf   des  Lenkers  durch   die  Öffnung   in  den  überhimmlischen  Raum  zu  bringen, 


Die  Völker.  65 

andere  können  nur  gerade  ab  und  zu  einen  Blick  hinauswerfen,  die  übrigen  müssen 
verzichten  (auf  das  Ideendenken,  und  sich  mit  bloßen  Vorstellungen  begnügen). 
Welche  Seele  das  wahre  Sein  erschaut,  bleibt  in  der  Höhe  schweben,  die  anderen 
stürzen  entfiedert  herab  und  verbinden  sich  mit  Leibern;  die  am  meisten  schaute  wird 
ein  Philosoph,  die  nächste  ein  König  oder  Krieger,  die  folgende  ein  Politiker  oder 
Geschäftsmann,  die  vierte  ein  Gymnast  oder  Arzt,  erst  an  fünfter  Stelle  —  man 
beachte  das  —  kommt  der  Seher  und  der  Myste,  dann  noch  der  Poet  und  der 
Mimet,  der  Handwerker  und  der  Landmann,  der  Sophist  und  der  Demagog,  an  neunter 
und  letzter  Stelle  der  Tyrann.  In  ihre  Heimat  in  der  Höhe  gelangt  die  Seele  erst 
nach  einer  Jahrmyriade  zurück.  Früher  gewinnt  ihre  Flügel  nur  die  Seele  des  auf- 
richtigen Philosophen  und  des  akademischen  (nämlich  des  philosophisch  denkenden) 
Lehrers  wieder;  wenn  sie  binnen  dreitausend  Jahren  dreimal  das  Leben  in  Philosophie 
erwählt  haben,  so  kehren  sie  zuletzt  wieder  beflügelt  zur  Schau  der  überhimmlischen 
leuchtenden  Schönheit  zurück.  Von  denen,  die  sich  nicht  zum  Ideendenken  er- 
hoben haben,  kommen  die  einen  in  die  unterirdischen  Straf örter,  die  andern  jedoch  in 
einen  himmlischen  Läuterungsort,  beide  auf  tausend  Jahre,  dann  wählen  sie  sich  beide 
ein  zweites  Leben  (Phädr.  Kap.  23 — 28). 

Das  Lohnende  des  Ideendenkens  gegenüber  der  bloßen  Vorstellung  verkündet 
auch  der  Phädo,  er  in  besonders  breiter  Mythologie  {Siaanoiiüv  re  %al  nv&oloyüv  61  e). 
Dies  ist  das  Studium  der  Philosophie,  Lösung  der  Seele  vom  Körper  67 d.  80e;  im 
Tod  wird  es  vollkommen  erreicht  Kap.  8 — 13.  Wie  danach  die  Palingenesie  ver- 
wertet wird  Kap.  15 — 17,  und  die  Präexistenz  Kap.  18 — 22,  das  dürfen  wir  hier 
übergehen,  wichtig  aber  ist  uns  die  Eschatologie  Kap.  57 — 63.  In  das  Schema  eines 
sphärisch-geozentrischen  Weltsystems  wird  eine  phantastische,  vielmehr  metaphorische 
Psychokosmographie  hineingezeichnet  108d — 111c.  Wir  Menschen  glauben  auf  der 
Erdoberfläche  zu  wohnen,  da  wir  doch  auf  dem  Boden  großer  Eintief ungen  uns  be- 
finden (gleichsam  riesiger  Erdbrüche;  sie  sind  die  Vorläufer  der  nicht  minder  meta- 
phorischen „Höhle"  Rep.  514.  Die  drei  Sphären  der  mythischen  Kosmographie  im 
Phädrus,  Erde,  Himmel,  Überhimmel,  sind  hier  im  Phädo  um  eine  Stufe  herunter- 
geschoben: Erdmuldensystem,  Erdoberfläche,  Himmel).  In  den  Erdmulden  sammeln 
sich  die  Wasser  zu  Meeren  und  Flüssen,  alles  Land  aber  ist  zerfallen  und  zerfressen. 
Unser  Luftmeer,  durch  das  wir  Sonne,  Mond  und  Sterne  nur  trüb  sehen  (so  etwa  — 
der  sinnreiche  Dichter  unterbaut  das  Gleichnis  mit  einem  neuen  Bild  —  als  wohnten 
wir  auf  dem  Meeresboden  und  sähen  die  Himmelslichter  nur  durch  das  Meerwasser), 
unser  Luftmeer  ist  für  die  „wahren"  Bewohner  der  „wahren"  Erde  (der  Erdoberfläche) 
ihr  Meer;  deren  Atmosphäre  aber  ist  der  reine  Äther  unter  dem  „wahren''  Himmel, 
in  welchem  sie  die  Himmelslichter  sehen  wie  sie  wirklich  sind.  Dort  auf  der  wahren 
Erde  sind  alle  Farben  viel  reiner  und  leuchtender  als  hier  unten,  das  Weiß  weißer  als 
Gips  oder  Schnee,  und  es  gibt  dort  mehrere  und  schönere  Farben  als  wir  hier  je 
gesehen  haben.  Entsprechend  wunderbar  ist  dort  der  Pflanzenwuchs,  ebenfalls  Gebirg 
und  Gestein,  die  dortigen  Steine  sind  glätter,  durchsichtiger  und  schönfarbiger  als 
unsere  teuren  Edelsteine  Sarder,  Jaspis,  Smaragd,  die  nur  Bruchstückchen  jener  sind; 
denn  dort  ist  das  Gebirg  nicht  zerfallen  und  vom  Wasser  zerfressen  wie  bei  uns.  Gold 
und  Silber  liegt  dort  gediegen  zutage  und  schmückt  die  Erde,  die  eine  Schau  ist  für 
selige  Beschauer.  Sie  leben  in  gesundestem  Klima  ohne  Krankheit,  langlebiger  als 
wir,  und  der  Abstand  ihrer  Sinnesschärfe  von  der  unsrigen  ist  wie  der  zwischen  Erde 

Syliel,  Christliche  Antike  I.  5 


66  Die  Jenseitsgedanken  des  Altertums. 

und  Äther.  In  ihren  Hainen  und  Tempeln  wohnen  wirklich  Götter,  die  Menschen 
verkehren  wirklich  mit  den  Göttern  (vgl.  69  c.  81a)  und  ihre  übrige  Seligkeit  ist  dem- 
entsprechend. —  Mit  jenem  Erdmuldensystem  wird  auch  die  Unterweltstopographie 
in  Zusammenhang  gebracht,  der  die  Erdkugel  durchbohrende  Tartarus  und  die  Unter- 
weltsflüsse. Die  meisten  Seelen  Verstorbener  kommen  an  den  acherusischen  See,  um 
dort  eine  bestimmte  aber  verschieden  bemessene  Zeit  zu  bleiben;  da  gibt  es  Wieder- 
sehen und  Austausch  der  Erlebnisse.  Danach  werden  sie  hinausgesandt  zur  Wieder- 
geburt. —  Aus  der  Gerichtsschilderung  1 1 3  d  ff .  heben  wir  nur  die  Verheißung  für  die 
Besten  hervor:  die  ausgezeichnet  heilig  gelebt  haben,  werden  aus  der  „ Erdmulde ■ 
befreit  wie  aus  einem  Gefängnis,  sie  kommen  nach  oben  in  die  reinen  Wohnungen 
auf  der  „wahren"  Erde;  die  aber  durch  Philosophie  (Wissenschaft)  gründlich  Ge- 
läuterten leben  (im  Tdeendenken)  „körperlos"  in  alle  Zukunft  und  kommen  in  noch 
schönere  Wohnungen,  deren  Schönheit  zu  schildern  nicht  leicht  ist.  Hierauf  gründet 
sich  die  im  Phädo  so  oft  ausgesprochene  „Hoffnung",  die  heiß  erstrebte  reine  Vernunft 
im  „Jenseits"  rein  zu  gewinnen  63f.  67f.  70a.  114e  (die  Hoffnung  auch  z.  B.  bei 
Pindar,  Plat.  Rep.  331a). 

Jede  neue  Jenseitsschilderung  bringt  neue  Variationen  des  Themas.  Im  Staat 
weiß  unser  göttlicher  Lügenprophet  (Ist  kein  Lucian  da,  daß  er  ihn  stäupe?),  er  weiß 
nach  dem  Bericht  eines  Augenzeugen  und  Boten  aus  dem  Jenseits,  des  vom  Tode 
auferstandenen  Pamphyliers  Er,  des  Armenios  Sohn,  nicht  bloß  von  dem  einen  Tartarus- 
schlund, sondern  von  zwei  Erd-  und  zwei  Himmelsschlünden  zu  erzählen,  zwischen 
deren  Mündungen  die  Totenrichter  sitzen;  die  Gerechten  gehen  zur  Rechten  und 
fahren  in  den  einen  Himmelskamin  hinauf,  die  Ungerechten  zur  Linken  in  den  einen 
Erdschlund  hinunter;  nach  tausendjähriger  Reise,  auf  der  die  einen  Gesichte  von  un- 
säglicher Schönheit,  die  andern  viel  Ungemach  gesehen  und  erlebt  haben  (jede  Guttat 
wird  zehnfach  belohnt,  jede  Schuld  zehnfach  gebüßt,  in  jedem  Jahrhundert  einmal; 
besonders  gutes  oder  schlimmes  Verhalten  gegen  Götter  und  Eltern,  sowie  Selbstmord, 
werden  extra  berechnet),  kommen  sie  jeder  aus  dem  entsprechenden  Zwillingsschlund 
wieder  heraus  (nur  wenn  ein  unheilbarer  Sünder  heraus  will,  da  brüllt  der  Höllen- 
rachen, und  er  wird  unter  Martern  zurückgeschleudert),  rasten  sieben  Tage  auf  der 
Wiese,  erleben  manches  Wiedersehen  und  erzählen  sich  von  ihren  Erlebnissen,  um 
dann  zu  neuer  Wanderung  aufzubrechen,  diesmal  zur  Spindel  der  Ananke  und  den 
Parzen;  dort  wählen  sie  sich  das  Los  für  das  nächste  Leben,  wobei  denn  der  Philosoph 
wieder  am  besten  fährt  (Rep.  614). 

Endlich  der  Timäus  läßt,  allem  früheren  zuwider,  die  Seelen  nicht  von  Ewigkeit 
her,  sondern  geschaffen  und  (dies  als  Voraussetzung  der  Anamnese)  vom  Schöpfer 
selbst  unterrichtet  sein.  Statt  jener  „Befiederung"  tritt  ein  neues  Bild  ein:  er  schuf 
die  Seelen  in  der  Zahl  der  Sterne,  teilte  jede  Seele  einem  Stern  zu  und  wies  ihr  von 
dort  aus  die  Natur  des  Alls.  —  In  der  ersten  Geburt  kamen  alle  als  Männer  zur 
Welt.  Wer  nun  seine  bestimmte  Zeit  gerecht  gelebt  hat,  kehrt  auf  seinen  Stern 
zurück  und  führt  dort  ein  seliges  Leben;  andernfalls  wird  er  bei  der  Wiedergeburt 
ein  Weib;  bessert  er  sich  dann  noch  nicht,  so  wird  er  ein  Tier,  und  so  fort,  bis 
er  der  Sinnlichkeit  Herr  geworden,  die  ursprüngliche  Reinheit  wiedergewinnt 
(41dff.). 

Die  platonische  Logik  ist  den  Epigonen  nicht  so  eingegangen  wie  die  aus 
populären  und   mystischen   Vorstellungen  entwickelten    Phantasiebilder  Piatos.     So   ist 


Die  Völker.  67 

es  gekommen,  daß  der  Gipfel  der  Reform  in  seiner  Wirkung  umschlug  in  einen  wahren 
Atlas  der  Reaktion. 

Aus  dem  pseudoplatonischen,  aber  das  Platonische  benutzenden  Dialog  Axiochos 
sei  nur  die  wieder  zwiefache  Seligkeit  hierhergesetzt.  Die  eine  unten  im  Hades:  reiche 
Ernten  von  allerlei  Frucht,  Quellen  reinen  Wassers,  Wiesen  und  bunte  Blumen, 
Akademien  und  Theater,  Chortänze  und  Konzerte,  Symposien  und  automatisch  bediente 
Schmause,  dazu  Schmerzlosigkeit,  temperiertes  Klima,  sanfte  Sonnenstrahlen;  die  Ge- 
weihten haben  den  Vorsitz  (371).  Die  andere  Seligkeit  im  Himmel:  aus  dem  Gefäng- 
nis des  Leibes  befreit,  gewinnt  die  göttlich  unsterbliche  Seele  ein  mühe-,  leid-  und 
alterloses  Leben  in  stillem  Frieden  und  Heiterkeit,  in  wissenschaftlicher  Betrachtung 
der  Natur  im  Angesicht  der  Wahrheit  (370)  —  das  Ideal  eines  Gelehrtenlebens. 

Wir  müssen  uns  Beschränkung  auferlegen  und  vieles  übergehen.  Der  platoni- 
sierende  Stoiker  Posidonius,  Ciceros  Lehrer,  bedeutet  einen  Knotenpunkt  im  Weiter- 
wachsen der  pythagoreisch-orphischen  Phantasien,  ein  Staubecken,  von  dem  viele 
Kanäle  ausgehen  und  die  Kaiserzeit  im  Sinne  jener  Spekulationen  befruchten  sollten. 
Zwei  Griechen  der  Kaiserzeit  lassen  wir  zu  kurzem  Worte  kommen  (sie  hätten  weit 
mehr  zu  sagen),  den  ehrlichen  Plutarch  und  den  schlimmen  Lucian. 

Plutarch,  in  seiner  Divina  commedia  (de  sera  numinis  vindicta  cap.  22)  zeichnet, 
auch  er  nach  der  Schilderung  eines  Wiedergekehrten,  in  den  unermeßlichen  Weltraum 
Treiben  und  Leiden  der  abgeschiedenen  Seelen.  Unter  den  Sonderräumen  tritt  der 
Ort  hervor,  wo  Dionysos  zu  den  Göttern  heraufgekommen  sei  und  wo  er  später  die 
Semele  heraufgeführt  habe.  Der  allgemeine  Charakter  des  Ortes  entspricht  der  her- 
kömmlichen Typik  des  Seligeulandes,  aber  in  dionysischer,  vielleicht  orphischer  Ab- 
tönung: das  nach  unten  sich  erweiternde  Chasma  (sein  Schema  mit  der  Scheitelöffnung 
erinnert  an  den  Himmel  in  Piatons  Phädrus,  wiederum  an  den  römischen  Mundus 
und  das  Pantheon)  ähnelt  den  „bacchischen  Grotten";  mit  grünen  Pflanzen  und  Blumen 
geschmückt,  voll  berauschenden  Duftes  ist  es  belebt  von  freundlich  miteinander  ver- 
kehrenden Seelen:  rings  herrscht  bacchische  Lust,  Spiel  und  Lachen. 

Aus  den  „Wahren  Geschichten"  Lucians  exzerpieren  wir  unter  Weglassung  der 
hineingewürzten  Satiren  eine  Reise  zu  den  Inseln  der  Seligen  und  der  Verdammten, 
in  solcher  Form  eine  Parodie  der  Jenseitsphantasien,  wie  sie  damals  im  Schwange 
waren;  das  Gemälde  von  der  Insel  der  Seligen  ist  wieder  ausgemalt  nach  Art  der 
saturnischen  Zeit,  aber  karikiert  im  Stil  der  Wunderländer  in  den  griechischen 
Romanen.  Düfte  verbreiten  sich  von  der  Insel  wie  vom  glücklichen  Arabien,  Düfte 
von  Rosen,  Narzissen,  Hyazinthen,  Lilien  und  Veilchen,  Myrrhen,  Lorbeer  und  Wein- 
blüte. Sie  hat  ruhig  strömende  klare  Flüsse,  blumige  Wiesen,  Wälder,  man  hört  Singvögel, 
und  im  leisen  Winde  tönen  melodisch  die  Zweige.  Auf  der  Insel  herrscht  Rhada- 
manthys.  Die  Stadt  der  Seligen  ist  golden,  ihr  Boden  Elfenbein,  die  Mauer  smaragden, 
die  sieben  Tore  aus  je  einem  Stück  Zimmetholz,  die  Tempel  Beryll,  die  für  Hekatomben 
ausreichenden  Altäre  sind  Amethystmonolithen.  Die  Stadt  umfließt  ein  hundert  Ellen 
breiter  Strom  von  schönster  Myrrhe,  die  Badehäuser  sind  Glas,  das  Brennholz  Zimmet, 
das  Badewasser  erwärmter  Tau.  Die  Seligen  selbst  sind  körperlos,  haben  aber  Be- 
wegung und  Stimme.  Die  Weinstöcke  bringen  alle  Monate  Früchte,  die  Obstbäume 
noch  öfter,  in  einem  Monat  zweimal;  die  Ähren  tragen  pilzförmige  Brote,  an  vielen 
Stellen  quillt  Wasser,  Honig,  Myrrhen  aus  dem  Boden,  Milchflüsse  gibt  es  sieben, 
Weinflüsse  acht.     Das  Gelage  der  Seligen  ist  vor  der  Stadt  im  elysischen  Gefild,  eine 

5* 


68  Die  Jenseitsgedanken  des  Altertums. 

schöne  Wiese  an  schattendem  Waldesrand,  das  Lager  von  Blumen.  Aufwärter  sind 
die  Winde.  Weinschenke  sind  überflüssig,  denn  rings  stehen  gläserne  Bäume,  die 
tragen  statt  der  Früchte  Trinkbecher  jeder  Art  und  Größe:  wer  zum  Gelage  kommt, 
pflückt  ein  oder  zwei  Becher  und  stellt  sie  neben  sich,  sie  füllen  sich  von  selbst.  Auch 
Kränze  und  Salben  braucht's  nicht;  die  Singvögel  fliegen  mit  Gesang  über  das  Gelage 
hin  und  lassen  Blumen  aus  ihren  Schnäbeln  herabschneien.  Wolken  ziehen  Myrrhen 
aus  den  Quellen;  über  dem  Gelage  stehend  und  von  den  Winden  leise  gestrichen 
lassen  sie  wie  feinen  Tau  träufeln.  Zum  Mahl  werden  die  Gedichte  Homers  gesungen, 
die  Chöre  sind  Knaben  und  Mädchen  unter  Leitung  weiland  berühmter  Musiker,  wie 
Arion  uud  Anakreon;  es  folgt  ein  zweiter  Chor  von  Schwänen,  Schwalben  und 
Nachtigallen,  zuletzt  flötet  der  ganze  Wald  seine  Melodien,  die  Winde  singen  vor.  Zum 
Frohsinn  aber  tragen  am  meisten  zwei  Quellen  bei,  aus  denen  zum  Beginn  des  Ge- 
lages alle  trinken,  die  Quelle  des  Lachens  uud  die  Quelle  der  Lust. 

Zum  Beschluß  kehren  wir  noch  einmal  zu  den  Grabschriften  zurück,  die 
schließlich  doch  manche  der  Wünsche  aussprechen  von  der  Art  der  Hoffnungen,  die 
uns  soviel  beschäftigt  haben.  Der  Gedanke  der  Sorge  um  die  Zurückgebliebenen 
erscheint,  ein  junger  Arzt  erbittet  vom  verstorbenen  Meister  fernere  Unterweisung. 
Die  Hoffnung  auf  ein  Wiedersehen,  als  Volksglaube  von  Plato  bezeugt,  Phäd.  68  a, 
kommt  vor.  Auf  das  Gericht  wird  öfter  angespielt,  natürlich  ist  nur  von  Lohn  für 
Frömmigkeit,  Keuschheit  und  Tugend  die  Rede  und  von  Seligkeit  im  Elysium,  mit 
den  Frommen  im  Elysium,  mit  den  Heroen.  Der  Glaube  an  Unsterblichkeit  spricht: 
du  bist  nicht  gestorben,  sondern  an  einen  besseren  Ort  übergesiedelt;  auf  den  elysischen 
Gefilden  (so  wird  einem  siebenjährig  gestorbenen  Mädchen  nachgerufen)  springst  du 
fröhlich  herum  zwischen  Blumen,  da  ist  weder  Frost  noch  Hitze,  weder  Hunger  noch 
Durst,  nicht  einmal  Sehnsucht  nach  dem  Leben,  so  lebst  du  glücklich  im  reinen 
Licht  wahrhaft  nahe  dem  Olymp.  Die  Seelen  treten  ein  in  den  Reigen  der  Sterne, 
gehen  in  den  Himmel,  in  den  Äther,  werden  mit  den  Göttern  sein.  Die  Erde  möge 
zu  Seiten  des  Ruhenden  Blumen  wachsen  lassen  wie  die  Blumen  Arabiens  und  Indiens. 
Totenführer,  Bote  der  Persephone,  ist  Hermes,  aber  auch  sie  selbst  ist  Führerin  zu 
Rhadamanthys;  ein  Gott  ist  es,  der  einen  in  den  Reigen  der  Sterne  einführt;  einen 
jeden  führt  sein  Gott,  auch  im  Tod,  wenigstens  die  Eleusinierin  Hierophantis  führt 
Demeter.  Wasser  der  Erquickung,  frisches  Wasser  für  die  drüben  Durstenden,  ist  ein 
häufiges  Gebet;  gebe  dies,  heißt  es,  Ai'doneus,  Osiris,  Isis.1) 


')  Griechen:  E.  Rhode,  Psyche,  Seelenkult  und  Unsterblichkeitsglaube  der  Griechen  1894; 
31904  (mit  reicher  Literatur  und  eingehendem  Kegister);  ders.,  Griech.  Roman  21900,  279,  3  Höllen- 
fahrten. Ferner  A.  Dieterich,  Nekyia,  Beiträge  zur  Petrusapokalypse  1893.  E.  Maaß,  Orpheus 
1895,  247  Aus  den  Apokalypsen.  E.  Norden,  Vergils  Äneis  Buch  VI  1903  Einleitung:  Die 
Eschatologie  des  sechsten  Buches  und  ihre  Quellen  (Posidonius).  Zu  nennen  bleibt  noch  C.  M. 
Kaufmann,  Jenseitshoffnungen  der  Griechen  und  Römer  nach  den  Sepulkralinschriften  1897; 
Forschungen  zur  monumentalen  Theologie  I  Sepulkrale  Jenseitsdenkmäler  der  Antike  1900.  — 
Attische  Grabreliefs:  Nachweise  bei  v.  Sybel,  Weltgesch.  d.  Kunst  im  Altert.  21903,  172.  213. 
245.  Lekythen:  eb.  179.  215.  253.  —  Piatons  Mythik:  Kant,  Krit.  d.  reinen  Vernunft  1781,  313f. 
Herrn.  Cohen,  Zeitschr.  f.  Völkerpsychol.  u.  Sprachwiss.  IV  1866,  403.  Paul  Natorp,  Piatos  Ideen- 
lehre 1903,  35f.  und  oft.  Der  Tenor  der  platonischen  Dialoge  ist  im  ganzen  pure  prosaische 
Logik  oder  so  durchsichtige  Metapher,  wie  die  Mäeutik,  die  Erotik  und  Erosmythologie.  Die 
Möglichkeit  einer  gewissen  Halbbewußtheit  auf  Piatons  Seite  lasse  ich  offen;  stutzig  machen  aber 
doch  Äußerungen  wie  Phädr.  275  b  paölioq  ai  Aiyvnxiovq  xal  önoöanovq  elv  t&eXyq  ?.6yovq  noislq,  oder 


Die  Völker.  69 

Die  Römer.  Die  römische  religio,  wie  sie  im  Totenkultus  spricht,  ist  niemals 
aus  dem  Stande  des  Urglaubens  herausgetreten.  Das  konnte  aber  nicht  verhindern, 
daß  die  Gebildeten,  unter  Führung  der  Griechen,  von  solchem  Urglauben  sich  inner- 
lich frei  machten,  wie  ein  Lukrez.  Freilich  sind  sie  danach  durch  die  Spekulation 
derselben  Griechen  auch  wieder  verführt  worden. 

Die  technische  Bezeichnung  für  Totenopfer,  parentatio,  beweist  den  Ausgang  des 
Brauches  vom  Ahnenkult.  Inferi  parentes,  di  parentes,  sind  eigentlich  die  Geister  der 
verstorbenen  Erzeuger,  im  weiteren  Sinne  die  der  Voreltern,  der  Ahnen,  endlich  aller 
Verwandten.  Sie  werden  über  dem  Hause  waltend  gedacht  im  Guten  wie  im  Bösen, 
Vatermörder  und  andere  Frevler  gegen  die  Familie  sind  ihnen  verfallen.  Auf  die 
privaten  und  staatlichen  Totenfeste  gehen  wir  nicht  ein,  nur  des  Kultusgebrauchs  der 
Lemurien  sei  gedacht:  um  Mitternacht  hatte  der  Hausvater  unter  gewissen  Zeremonien 
schwarze  Bohnen  neunmal  auszuwerfen,  als  Opfergabe  für  die  irrenden  Seelen 
(Lemures),  um  sie  fernzuhalten.  Auch  Larvae,  die  in  der  Literatur  als  unterirdische 
Quälgeister  und  oberirdische  Spukgeister  gehen,  waren  ursprünglich  wohl  nur  solche 
Seelen;  nicht  anders  die  wütenden  Furiae. 

In  der  Unterwelt  gibt  es  Götter,  Di  inferi,  wie  Veiovis  (ein  unterirdischer 
Juppiter),  daneben  Orcus,  auch  Göttinnen  treten  auf.  Bei  den  Di  manes  kann  man 
schwanken,  ob  da  mehr  an  jene  unterirdischen  Götter  gedacht  sei  oder  an  die  Toten- 
geister. Die  Pflichten  der  Hinterbliebenen  gegen  die  Abgeschiedenen  werden  unter 
den  Jura  deorum  manium  begriffen;  die  Gräber  stehen  als  Eigentum  der  Unterirdischen 
unter  dem  Schutz  der  Di  manes.  Mit  der  Kaiserzeit  traten  die  Di  manes  an  die  Stelle 
der  Di  parentes;  sie  wurden  auch  spezialisiert  auf  die  Abgeschiedenen  bestimmter 
Familien  (z.  B.  infernos  Silanorum  manes  invocare  Tac.  ann.  XII  14).  In  den  Grab- 
schriften der  Kaiserzeit  werden  die  Gräber  typisch  den  Dis  manibus  geweiht,  davon 
getrennt  wird  das  Grabmal  dem  darunter  Bestatteten  gewidmet.  Seltener  ist  die  un- 
mittelbare Beziehung  der  Di  manes  ä"uf  die   Verstorbenen. 

Hier  ein  paar  Proben  römischer  Spekulation,  deren  Abhängigkeit  von  der 
orphisch-pythagoreisch-platonisch-stoischen  auf  der  Hand  liegt.  Varro  glaubte  in  den 
Di  manes  die  Lares  familiäres  wiederzuerkennen  (ursprünglich  Flur-,  dann  auch  Haus- 


Dinge  wie  die  Einführung  des  ganzen  Dialogs  Phädo  als  ein  öiaoxontlv  ts  xal  fiv&o?.oyeiv  fein 
6iaXeyeod-ai  im  platonischen  Sinn,  aber  mit  mythischem  Einschuß:  in  logischer  und  zugleich  in 
mythisierender  Behandlung  über  die  „ Reise  ins  Jenseits"4  diskutieren;  die  Gegenüberstellung  der 
zwei  Termini  gibt  dem  zweiten  eine  Prägnanz,  welcher  Heindorfs  confabulari  nicht  gerecht  wird), 
oder  wie  die  allegorische  Deutung  des  "Aiötjg  auf  das  äeiöhg  und  aögarov  (jedenfalls  stempelt  das 
wie  beiläufig  zwischengeworfene  Wort  zo  äeiöhg  örj  Xeywv  Gorg.  493  b  den  Hadesmythus  zu  einem 
Bild  des  Ideendenkens).  Dann  die  immer  neu  geprägten  und  miteinander  unvereinbaren  Bilder  zur 
Veranschaulichung  des  Unzureichenden  der  Sinneswahrnehmung  und  des  Befriedigenden  des  Ideen- 
denkens: die  Sinne,  Augen  und  Ohren,  als  Schleier  vor  der  Seele,  im  Gegensatz  zum  Klarsehen 
der  „nackten"  Seele  (Gorg.);  deren  Einkerkerung  im  Erdenleib  im  Gegensatz  zum  Schauen  in  die 
Gefilde  der  Wahrheit  (Phädr.);  das  trübe  Sehen  aus  der  Tiefe  der  Erdmulden  im  Gegensatz  zum 
Schauen  der  Himmelslichter  (wie  sie  „wirklich"  sind)  auf  der  „wahren"  Erde  (Phädo);  die  „Höhle" 
im  Staat.  Für  meine  Stellungnahme  zum  Problem  der  platonischen  Mythen  fiel  ins  Gewicht,  daß 
ich  ihnen  als  Mytholog  gegenüber  trat  und  daß  ich  mir  meinen  grundlegenden  Begriff  von  Piatos 
Gedankenwelt  nicht  wie  die  meisten  am  Phädo  holte,  sondern  am  Gastmahl,  das  in  seiner  unzwei- 
deutigen Sprache  die  unsterbliche  Seele  rund  leugnet  (v.  Sybel,  Piatons  Symposion  ein  Programm 
der  Akademie  1888.  Über  das  Dichterische  in  Plato  vgl.  noch  m.  Gedanken  eines  Vaters  zur 
Gymnasialsache  1903,  63  und  die  Zeitschrift  Das  humanistische  Gymnasium  1904,  133  f.). 


70  Die  Jenseitsgedanken  des  Altertums. 

geister),  die  er  zugleich  den  „Genien"  und  den  „Heroen"  gleichsetzte;  als  Wohnung  wies 
er  ihnen  die  sublunare  Luft  an,  unterhalb  der  nur  den  reinsten  Seelen  vorbehaltenen 
flammenden  Sonnen-  und  Athersphäre.  Eine  weitergehende,  bei  Apuleius  vorliegende 
Systematisierung  setzt  den  Namen  Lemuren  für  die  aus  dem  Körper  geschiedenen 
Seelen.  Wer  nun  mit  der  Gottheit  versöhnt  als  Hausgeist  über  den  Nachkommen 
waltet,  heißt  Lar  familiaris;  die  aber  zu  ihrer  Buße  als  heimlose  Seelen  schweifen 
müssen,  den  Schlechten  zum  Schaden,  den  Guten  leere  Schreckbilder,  das  sind  Larven; 
Lemuren  unbestimmter  Qualität  heißen  Di  manes.  —  Von  Posidonius  erscheint  auch 
Vergils  Unterweltsdichtung  im  sechsten  Buch  der  Anei's  abhängig.  Außerhalb  des 
Acheron  bleiben  die  Unbegrabenen;  im  Vorhades  weilen  alle  Klassen  vor  ihrer  Zeit 
Gestorbener,  die  dort  den  Rest  der  ihnen  zukommenden  Zeit  aushalten  müssen.  Im 
inneren  Hades  werden  drei  Orter  unterschieden.  Der  Tartarus  mit  den  mythischen 
und  typischen  Büßern,  dort  für  die  Ewigkeit  gefesselt.  Das  Elysium,  liebliche  Haine 
in  heiterem  Licht  mit  eigener  Sonne  und  eigenen  Sternen,  die  Seligen  beschäftigt  mit 
palästrischen  Spielen,  andere  mit  Reigentänzen  und  Gesang,  Orpheus  spielt  dazu; 
Helden  stehen  müßig,  wie  ihre  Waffen,  Wagen  und  Lanzen,  die  Rosse  grasen;  aber 
unter  duftendem  Lorbeerhain  durch  das  Gehölz  gleitet  hinaufwärts  der  Eridanus,  sieht 
man  Schmausende,  eine  weiße  Binde  um  die  Stirn  geknüpft,  Päane  singend;  das  sind 
die  fürs  Vaterland  fielen,  keusche  Priester,  fromme  Sänger  (darunter  Musäus),  große 
Erfinder  einschließlich  der  Entdecker  auf  geistigem  Gebiete,  endlich  königliche  Wohl- 
täter der  Menschen.  Im  Lethetal  aber  versammeln  sich  die  Vergessenheit  trinken,  um 
im  Kreis  der  Geburten  in  neue  Leiber  einzugehen;  dieser  Abschnitt  schließt  mit  einer 
Heldenschau,  welche  ebenso  wie  Dido  im  Vorhades  oder  die  Troerschar  im  Elysium 
den  besonderen  Absichten  des  augusteischen  Dichters  dient.  —  Von  Vergil  wieder 
geht  ein  Hauptkanal  der  Jenseitspoesie  weiter,  zunächst,  immer  tiefer  ebbend,  durch 
die  letzten  römischen  Dichter,  bis  er  nach  langer  Zeit  in  Dante  noch  einmal  zu  mäch- 
tiger Hochflut  anschwillt. 

Der  Grundton  der  römischer  Grabschriften  ist  auf  Ruhe  in  Frieden  gestimmt, 
aber  auch  Elysium,  Himmel  und  Göttergemeinschaft  wird  erhofft.1) 

Die  Juden.  Auch  die  Urvorstellungen  des  hebräischen  Volks  sind  nicht  direkt 
überliefert,  sie  müssen  erschlossen  werden;  ihre  Unausrottbarkeit  erlaubt  den 
Versuch. 

Wie  überall,  so  ist  auch  hier  auf  der  ersten  Stufe  von  Kultur  Ahnenkultus 
vorauszusetzen.  Die  Pflicht  des  Almenkultus  den  Söhnen  einzuprägen,  scheint  die 
ursprüngliche  Absicht  des  Gebotes  „Ehre  Vater  und  Mutter"  gewesen  zu  sein.  Auf 
dem  Ahnenkult  ruht  die  Kraft  der  Drohung,  die  Sünden  des  Vaters  an  den  Kindern 
zu  rächen;  denn  die  Vernichtung  der  Söhne  entzieht  dem  Vater  den  Kult,  das  will 
sagen,  seinen  Unterhalt  drüben.  Daher  auch  die  ängstliche  Sorge,  Söhne  zu  hinter- 
lassen, und  die  Pflicht  des  Bruders,  dem  kinderlos  Verstorbenen  Söhne  zu  erwecken, 
die  ihm  den  Kultus  ausrichten. 


1)  Römer:  Roschers  Lexikon:  Steuding,  Artikel  Inferi,  Manes.  Rapp,  Art.  Furiae.  Birt, 
Art.  Genius.  Ihm,  Art.  Junones.  Wissowa,  Art.  Larea  (besonders  S.  1888f ),  Larvae,  Lemures;  ders., 
Religion  und  Kultus  der  Römer  1902  S.  187  Unterwelt  und  Totengötter.  Jus  manium:  Marquardt- 
Wissowa,  Römische  Staatsverwaltung  III  1885  8.  307AF.  Zu  Orcus  vgl.  R.  Peter  bei  Röscher,  Art. 
Orcus,  und  Rud.  Hirzel,  Der  Eid  1902  S.  153.  —  Norden,  Vergilius  Äneis  Buch  VI  1903.  Zu  den 
Grabschriften:  Cholodniak,  Carmina  sepulcralia  latina  lb97. 


Die  Völker.  71 

Die  Seele  ist  Luft,  Wind,  dem  aus  Erde  geformten  Menschen  blies  Jahwe  den 
Lebensodem  in  die  Nase.  Wiederum  ist  die  Seele  im  Blut,  das  Blut  ist  das  Leben, 
die  Seele;  sie  entflieht  im  entfließenden  Blut.  Die  Verstorbenen  wurden  begraben,  in 
der  Tracht  des  Lebens,  im  Hause,  im  Garten,  in  Höhlen,  auf  Höhen,  unter  heiligen 
Bäumen.  In  der  Familiengruft  wohnen  die  „zu  ihren  Vätern  Versammelten"  im 
Kreise  der  vorangegangenen  Familienglieder.  Darüber  hinausgehend  bildete  sich  die 
Vorstellung  eines  allgemeinen  Totenreiches,  eine  Zusammenfassung  nicht  der  Gräber, 
sondern  der  Toten;  die  Scheol  dachte  man  im  tiefsten  Grunde  der  Erde,  sonnenlos,  aus 
ihr  gibt  es  keine  Rückkehr.  Die  Toten  führen  ein  Schattenleben,  ein  schattenhaftes 
Weiterleben  ihres  einstigen  Lebens;  sie  erscheinen  im  Traum;  der  Wissende  vermag  die 
Geister  zu  beschwören,  wie  die  kundige  Frau  zu  Endor;  sie  erscheinen  in  der  Gestalt, 
die  sie  im  Leben  trugen,  Samuel  als  alter  Mann  im  Mantel;  sie  sprechen,  aber  ihre 
Stimme  ist  klanglos.  Die  Verstorbenen  nehmen  teil  am  Ergehen  der  Lebenden,  sie 
haben  Macht  zu  nützen  und  zu  schaden.  Sie  haben  die  Bedürfnisse  der  Lebenden; 
sie  zu  befriedigen  ist  die  Aufgabe  des  Totenkultus,  nämlich:  die  Leiche  begraben  oder 
wenigstens  bedecken,  geflossenes  Blut  bedecken,  am  Grabe  dem  Toten  einen  Trunk 
bieten,  und  ihm  Brot  brechen,  Speisen  auf  das  Grab  setzen,  an  seinem  Mahle  teil- 
nehmen, seine  Habe  ihm  wenigstens  zum  Teil  verbrennen  oder  sonst  mitgeben,  den 
Verstorbenen  anrufen,  ihm  fasten,  für  ihn  Haar  und  Bart  scheren,  sich  den  Körper 
blutig  ritzen,  sich  das  Haupt  schlagen,  sich  Asche  oder  Erde  aufs  Haupt  streuen,  sein 
Gewand  zerreißen  und  den  Sak  anlegen  (der  eine  primitivere  Tracht  gewesen  sein 
muß).  Wir  kennen  diese  Gebräuche  nur  als  Trauersitten,  verständlicher  aber  sind  sie 
als  Bestandteile  des  einstigen  Totenkultus.  —  Weiter  gingen  die  Gedanken  nicht,  von 
einer  Seligkeit  ist  nicht  die  Rede,  außer  durch  Entrückung  Lebender,  wie  des  Henoch, 
des  Elias,  von  dem,  als  dem  selig  Fortlebenden,  dann  auch  angenommen  werden 
konnte,  -daß  er  wiederkommen  würde;  auch  das  späte  Buch  Esra  IV  läßt  den  fingierten 
Verfasser  zuletzt  zu  seinesgleichen  (in  locum  similium  eius)  entrückt  werden.  —  Dem 
Entrück ungsmythus  parallel  geht  der  mythische  Baum  des  Lebens;  er  hat  die  Zauber- 
kraft, daß  der  Genuß  seiner  Früchte  unsterblich  macht  und  ewiges  Leben  verleiht. 

Wir  haben  hier  nicht  zu  fragen,  wie  früh  die  jahwistische  Reform  einsetzte  und 
von  wo  sie  ihren  Ausgang  nahm;  jedenfalls  waren  es  die  Prophetei:,  welche  den 
fruchtbaren  Keim  successiv  zur  Entwicklung  brachten.  Die  prophetische  Reform  vollzog 
sich  seit  der  Periode,  in  der  auch  die  hebräische  Literatur  anhob,  der  Königszeit. 
Durch  Jahrhunderte  zog  sich  der  Kampf  gegen  den  heidnischen  Kult,  wohl  auch 
gesteigert  bis  zur  grundsätzlichen  Bekämpfung  des  Kultus  überhaupt:  nicht  soll  man 
mit  Opfern  Gott  bestechen,  sondern  in  gerechtem  Wandel  seinen  Geboten  gehorchen. 
Dies  war  wenigstens  die  Idee,  so  formalistisch  die  Gerechtigkeit  bisweilen  auch  ver- 
standen wurde.  Strenge  Durchführung  des  Jahwismus  hätte  zur  Abstellung  nicht  bloß 
des  Ahnenkultes,  sondern  auch  seiner  zu  Trauergebräuchen  abgeschwächten  Riten 
führen  müssen;  tatsächlich  wird  Deut.  26,  14  nicht  bloß  der  Brauch  des  Totenopfers, 
sondern  auch  ein  Verbot  desselben  erwähnt,  untersagt  wurden  auch  die  Selbstverletzung, 
die  Haarschur  als  Trauerzeichen,  sowie  Totenbeschwörung  und  Totenbefragung  (14, 
1.  2.  18,  11.  12).  Im  übrigen  begnügte  sich  der  Jahwismus  die  Teilnehmer  an 
den  Trauergebräuchen  (die  im  Grunde  genommen  einen  heidnischen  Kult  ausübten) 
für  unrein,  d.  h.  für  zeitweilig  unfähig  zu  erklären,  am  Jahwedienst  teilzunehmen;  un- 
bedingt galt  der  Grundsatz  für  Hohepriester  und  Nasiräer,  sie  durften  überhaupt  nicht 


72  ßie  Jenseitsgedanken  des  Altertums. 

trauern,  auch  nicht  um  Vater  und  Mutter.  AVas  nun  das  Gebot  der  Kiudespflicht 
betrifft,  so  haben  Goethe  und  Wellhausen,  nicht  ohne  Widerspruch,  aber  auch  nicht 
ohne  Zustimmung  zu  finden,  in  den  „zweiten  Tafeln"  Exod.  34  den  ursprünglichen 
Dekalog  erkannt.  Darin  fehlt  das  Gebot  Vater  und  Mutter  zu  ehren;  in  dem  ver- 
muteten alten  Sinn,  als  Verpflichtung  zum  Ahnenkult,  konnte  es  in  der  jahwistischen 
Gesetzgebung  keine  Stelle  finden;  denn  wenn  der  Jahwekult  wie  den  Baalsdienst  so 
auch  den  Ahnenkult  lang  genug  neben  sich  dulden  mußte,  so  konnte  er  ihn  doch 
nicht  zur  Pflicht  machen.  Der  Dekalog  Exod.  20  ist  prophetisch,  das  will  sagen,  er 
ist  auf  dem  Wege,  die  Religion  zu  ethisieren;  er  beschränkt  die  Sakralgesetzgebung 
auf  die  ersten  Gebote,  er  dehnt  die  Sabbatruhe  auf  die  Sklaven  aus,  und  er  reiht  das 
Gebot  die  Eltern  zu  ehren  ein,  nun  aber  nicht  als  Gebot  des  Ahnenkultus,  sondern 
der  Sittlichkeit.  Der  jahwistische  Israelitismus,  ganz  erfüllt  vom  Ernst  der  Aufgabe 
des  Lebens,  hat  grundsätzlich  keinen  Raum  für  Jenseitsphantasien,  für  Auferstehung, 
für  Seligkeit  in  Paradiesen.  Diese  Seite  des  echten  Jahwismus  vertreten  in 
hellenistisch-römischer  Zeit  noch  Jesus  Sirach,  Buch  Tobit,  die  Sadduzäer  und  der 
fromme  Simeon  Luk.  2,  29. 

So  ganz  folgerichtig  ist  der  Jahwismus  freilich  kaum  je  durchgeführt  worden;  die 
Urvorstellungen  erhielten  sich  wie  überall  als  Unterströmung,  die  nur  auf  günstige 
Zeit  warteten,  um  wieder  hervorzutreten  und  neue  Kraft  zu  gewinnen.  Die  günstige 
Zeit  schafften  nicht  zum  wenigsten  die  Welteroberer  mit  dem  unleugbaren  Unheil,  das 
sie  über  die  Menschen  brachten,  mit  der  Trostlosigkeit  und  Weltmüdigkeit,  in  die  sie 
viele  Menschen  tatsächlich  stürzten.  Bei  allem  Glauben  doch  zu  kleingläubig,  um  sich 
in  dieser  Not  zurechtzufinden,  gerieten  die  Menschen  auf  den  Ausweg,  die  allem 
Anschein  nach  hienieden  versagte  Gerechtigkeit  und  Glückseligkeit  im  Jenseits  zu 
suchen.  Das  gerade  unter  dem  Druck  gereifte  sittliche  Denken  diente  dazu,  den  sich 
wieder  hervorwagenden  und  sich  vielleicht  auch  von  draußen  her  anbietenden  Ur- 
vorstellungen neue  Kraft  einzuflößen.  Handhaben  bot  der  Jahwismus  selbst  in  der 
von  ihm  geduldeten  Vorstellung  vom  Schattenleben  in  der  Scheol.  Und  wer  etwa 
darauf  verfiele,  aus  gewissen  Ähnlichkeiten  zwischen  der  hebräischen  Scheol  und  dem 
homerischen  Hades  auf  gleichartigen  Ursprung  und  gleichgerichtete  Meinung  zu 
schließen,  daß  nämlich  die  Scheolidee  nicht  primitiv,  sondern  reformatorisch  und  eine 
gewollte  Abschwächung  des  Ahnenreiches  und  Ahnenkultus  sei,  der  müßte  doch  zu- 
geben, gerade  wie  man  es  gegenüber  dem  homerischen  Hades  tun  muß,  daß  damit  der 
Phantasie  immer  noch  zu  viel  Spielraum  und  der  phantastischen  Geisterwelt  ein  Asyl, 
nach  Umständen  eine  Hintertür  offen  blieb.  Solche  Vorstellungen  sind  natürlich  ein 
schwankendes  Spiel  der  Dichterlaune,  widerspruchsvoll.  Wenn  der  König  von  Babel 
gestürzt  wird,  gerät  die  Scheol  in  Aufregung,  die  Schatten  begrüßen  ihn  bei  seiner 
Ankunft  Jes.  14,  9;  die  Schatten  selbst  werden  in  Beben  versetzt  Hiob  26,  5.  Dagegen 
eb.  14,  21  ist  der  Tote  ohne  Gefühl:  kommen  seine  Kinder  zu  Ehren,  er  weiß  es  nicht, 
sinken  sie  herab  in  die  Unterwelt,  er  gewahrt  sie  nicht;  nur  über  sich  selbst  fühlt 
seine  Seele  Schmerz.  Die  auslösende  Kraft,  die  den  Phantasien  die  Tür  wieder  öffnete, 
fand  sich  in  der  messianischen  Hoffnung.  In  allen  Unterdrückungen  erhielten  sich 
die  Israeliten  die  Hoffnung  auf  Herstellung  des  Reichs,  als  einer  Herrschaft  Jahwes  in 
Frieden  und  Wohlstand;  auf  die  Wandlungen  der  Reichsidee  ist  hier  nicht  einzugehen, 
nur  auf  die  von  ihr  ausgelösten  Gedanken,  ewiges  Leben,  Auferstehung,  Vergeltung, 
mag  dabei  nun  mehr  an  Teilnahme  am  theokratischen  Zukunftsstaat  gedacht  sein  oder 


Die  Völker.  73 

mehr  an  Belohnung  individueller  „Gerechtigkeit".  Die  Exile  haben  diese  Gedanken 
herausgebracht.  Das  Reich  wird  diesseitig  sein  und  sein  Leben  ewig.  Wenn  das 
„Ich"  in  den  Psalmen  die  Gemeinde  ist,  so  wird  von  ihr  gesagt,  daß  sie  kein  Ende 
haben  wird  16,  10.  49,  15.  Wenn  die  Teilnehmer  am  Reich  nach  Jes.  65,  Zach.  8,  4 
ein  fabelhaft  hohes  Alter  erreichen,  so  werden  sie  nach  Jes.  25,  8  überhaupt  nicht 
sterben:  vernichten  wird  Jahwe  den  Tod  für  immer  (Ewiges  Leben  lag  den  alten 
Völkern  im  Sinn.  Adam  hätte  ewig  leben  können  Gen.  2,  17;  andererseits  vermöchte 
er  ewig  zu  leben,  äße  er  vom  Baume  des  Lebens  3,  22.)  Die  aber  beim  Anbruch  des 
Reichs  bereits  gestorben  waren,  sie  können  nur  teilnehmen,  wenn  sie  zuvor  vom  Tode 
auferstehen,  um  dann  auch  ihrerseits  an  dem  immer  diesseitig  gedachten  Reiche  teil- 
zunehmen. Stehen  denn  aber  Tote  auf?  der  Israelitismus  hatte  es  verneint;  jetzt 
wurde  doch  öfter  die  Frage  aufgeworfen.  Bin  ich  ein  Gott,  der  töten  und  lebendig 
machen  kann?  Kön.  II  5,  7.  Wenn  der  Mensch  stirbt,  lebt  er  dann  wieder  auf? 
Hiob  14,  14  (vielleicht  nur  Verneinung  in  Frageform).  Manches  Wort  ist  nur  bild- 
licher Ausdruck,  wie  die  Vision  Ezech.  36,  eine  Art  Totenbeschwörung  in  Masse,  Bild 
für  die  Idee  der  „Auferstehung  des  Volkes".  Auch  Jes.  26,  14  ist  vielleicht  nur 
Bild,  jedenfalls  nur  Wunsch,  zur  Mehrung  des  geschwächten  Volks  „möchten  meine 
Leichen  auferstehn".  Zu  beachten  ist  Makkab.  II  7  wegen  der  dort  als  Trost  im 
Martyrium  erhofften  fleischlichen  Auferstehung.  —  Mit  den  Hoffnungen  für  die  Ge- 
rechten verbanden  sich  Drohungen  gegen  die  Unterdrücker  und  die  Untreuen,  mit 
einem  Wort  die  Gottlosen.  Nach  der  eigentlich  israelitischen  Vorstellung  sollte  die 
Vergeltung  sie  im  Leben  treffen;  seit  man  hieran  zweifelte,  mußte  auch  den  Gottlosen 
die  Auferstehung  angesagt  werden,  aber  zum  Gericht.  Solange  Jerusalem  als  Mittel- 
punkt des  Reiches  galt,  mußte  auch  der  Ort  der  Verdammnis  dort  gesucht  werden. 
Dazu  erschien  das  Tal  Hinnom  geeignet,  in  dem  einst  dem  Moloch  lebende  Menschen 
verbrannt  wurden;  der  Mensch  in  Feuerflammen  wurde  zum  Typus  der  Verdammnis. 
Oder  man  verlegte  die  Verdammnis  in  die  Scheol  und  malte  diese  entsprechend  aus, 
als  finstern  Ort  des  ewigen  Feuers.  Beides,  Gehenna  und  Scheol,  flössen  schließlich 
zusammen. 

Aus  der  apokalyptischen  Literatur  sei  das  Buch  Daniel  zuerst  genannt:  zur  Er- 
füllungszeit, die  eine  große  Bedrängnis  einleitet,  werden  die  im  Buche  Aufgeschriebenen 
gerettet  werden;  viele  von  denen,  die  in  der  Erde  schlafen,  werden  erwachen,  die 
einen  zum  ewigen  Leben,  die  anderen  zur  ewigen  Abscheu;  die  Weisen  aber  werden 
leuchten  wie  der  Glanz  der  Himmelsveste  und  die,  welche  viele  zur  Gerechtigkeit 
geführt  haben,  wie  die  Sterne  auf  immer  und  ewig  (12,  1 — 3).  Das  Gemälde  von 
den  letzten  Dingen  wurde  immer  reicher  ausgeführt,  in  der  erhaltenen  Literatur  am 
breitesten  im  Buch  He  noch,  das  etwa  zwei  Menschenalter  vor  Christi  Geburt  ent- 
stand. Ein  paar  Stellen  gehen  uns  näher  an.  Der  vierteilige  Hades  im  Westen  ent- 
hält einen  Raum  für  die  Gerechten,  mit  einer  hellen  Wasserquelle  in  der  Mitte  22,  2.9. 
Im  äußersten  Westen  ein  Berg,  der  Thron  Gottes  wenn  Gott  herabkommt,  ist  rings 
bedeckt  mit  wohlriechenden  Bäumen,  darunter  befindet  sich  der  Baum  des  Lebens, 
unverwelklich,  er  verbreitet  mehr  Duft  als  alle  Wohlgerüche;  am  jüngsten  Tage  wird 
er  an  den  heiligen  Ort  bei  dem  Hause  Gottes  verpflanzt  werden,  seine  Frucht  wird 
den  Auserwählten  zum  Leben  dienen;  sie  werden  ein  längeres  Leben  führen  als  das 
ihrer  Väter  war,  weder  Trübsal  noch  Mühe  wird  sie  berühren  (Kap.  24 — 25).  In 
der    Mitte    der    Erde    sah   Henoch  einen  gesegneten  Ort,  ganz  voll  von  Bäumen,  und 


74  Die  Jenseitsgedanken  des  Altertums. 

eine  verfluchte  Schlucht  dazwischen,  diese  für  die  Verfluchten,  die  Gott  lästern;  da 
werden  sie  zu  einem  Schauspiel  für  die  Gerechten  (an  dem  gesegneten  Ort)  in  alle 
Ewigkeit  (Kap.  26).  Dann  kommt  Henoch,  im  Osten,  zum  Paradies  (nicht  pardez, 
sondern  ganat),  dem  Garten  der  Gerechtigkeit,  mit  vielen  herrlichen  Bäumen,  darunter 
ist  der  Baum  der  Weisheit  (Kap.  32).  Danach,  in  der  „ersten  Bilderrede *,  schildert 
Henoch  die  Wohnungen  der  Gerechten  bei  den  Engeln  und  ihre  Lagerstätten  bei  den 
Heiligen;  sie  legen  Fürsprache  ein  und  bitten  für  die  Menschenkinder;  alle  Gerechten 
und  Auserwählten  glänzen  vor  dem  Herrn  der  Geister  wie  Feuerschein  (Kap.  39).  —  Hin- 
gewiesen sei  noch  auf  die  Psalmen  Salomos  und  auf  das  vierte  Buch  Esra,  das 
bereits  in  die  christliche  Ära  fällt  und  gegen  den  Christus  als  Weltrichter  polemisiert:  wie 
die  Schöpfung,  so  auch  das  Ende  durch  Jahwe  und  sonst  niemand  (5,  56 — 6,6). 

In  diese  Reihe  gehören,  im  Gegensatz  zu  den  Sadduzäern,  die  Pharisäer. 

Die  Seelenlehre  der  hellenisierenden  Spekulation,  in  der  „Weisheit  Salomos",  bei 
Philo  von  Alexandria,  bei  Josephus,  berühren  wir  nur  im  Vorübergehen:  die  Seele 
ist  präexistent  und  unsterblich,  ein  Teil  der  Gottheit;  herabgestiegen  in  den  Kerker 
des  Leibes,  freut  sie  sich,  durch  den  Tod  befreit,  zu  Gott  zurückzukehren;  also  Un- 
sterblichkeit, nicht  Auferstehung.  Josephus'  Bericht  über  die  Psychologie  der  Essener 
ist  umstritten,  unbestritten  aber  scheint  seine  Angabe,  nach  der  Meinung  der  Essener 
fänden  die  guten  Seelen  ihren  Ort  über  dem  Ozean,  unbelästigt  von  Regen,  Schnee 
oder  Hitze,  aber  von  der  milden  Seeluft  erquickt,  die  bösen  Seelen  dagegen  den  ihrigen 
in  einem  finstern  und  eisigen  Winkel,  der  voll  sei  von  Qualen,  die  niemals  aussetzen. 
Der  wohltemperierte  westliche  Ort  der  guten  Seelen  dürfte  allerdings,  wie  Josephus 
andeutet,  ein  Widerschein  der  griechischen  Inseln  der  Seligen  sein.  Die  jüdische 
Synagoge,  nach  den  großen  Römerschlägen  sich  aufs  neue  sammelnd,  stieß  die  Apoka- 
lyptik,  wie  die  Literatur  in  griechischer  Sprache ,  von  sich  (Gunkel).  So  war  die 
Apokalyptik  in  der  israelitischen  Religion  und  Literatur  nur  eine  Episode.1) 

Die  Christen.  Wir  müssen  sie  den  Völkern  anreihen,  obgleich  sie  kein  Volk 
waren  im  Sinne  einer  Nation,  sondern  das  Volk  des  „ Gottesreichs ". 

Die  Religion  des  ausgehenden  Altertums,  zu  der  hellenistischen  Weltkultur  und 
für  das  römische  Weltreich  die  kongeniale  Weltreligion,  war  ein  letzter  Höhepunkt 
der  sittlichen  Reform,  zugleich  aber  der  endgültige  Verzicht  auf  die  logische  Wissen- 
schaft und  der  entscheidende  Sieg  der  den  Urglauben  erhaltenden  und  in  Schein- 
wissenschaft ausbauenden  Reaktion. 

Der  Christusglaube,  durch  die  Kreuzigung  ins  Wanken  geraten,  hatte  sich  ge- 
halten an  der  Hilfsidee  der  Auferstehung,  die  nun  für  viele  sein  Grundstein  wurde; 
und  durch  die  andere  sukkurrierende  Idee  der  Entrückung  in  Form  der  Himmelfahrt. 
Nun    ist    er   im    „Himmel"    bei   Gott  —  das  primitive  Weltbild,  über  der  Erdscheibe 


*)  Juden:  Zur  Ableitung  des  vierten  (bzw.  fünften)  Gebots  vom  Ahnenkult  vgl.  m.  Piatons 
Symposion  ein  Programm  der  Akademie  1888  Seite  74;  ferner  Schwally,  Das  Leben  nach  dem 
Tode  nach  den  Vorstellungen  des  alten  Israel  und  des  Judentums  einschließlich  des  Volksglaubens 
im  Zeitalter  Christi  1892,  29.  Dass  die  oben  gegebene  Skizze  wesentlich  auf  Schwally  beruht, 
braucht  nicht  erst  gesagt  zu  werden.  Siehe  dazu  A.  Dieterich,  Nekyia  1893,  214  Jüdische  Apo- 
kalyptik. Rhode,  Psyche  667,  1.  Zum  Totenkult  siehe  noch  Benzinger,  Hebräische  Archäologie 
1894  Seite  166.  Die  Hand  aufs  Haupt  legen  Sam.  II  13,  19  könnte  doch  wohl  ein  Rest  des 
xönxso&cu  sein;  xvnrso&ai  kultlich  z.  B.  Herodot  II  61,  wo  auch  das  kultliche  Ritzen  des  Körpers 
sich  findet:  die  in  Ägypten  ansässigen  Karer  za  (xhconu  xcmrovrcu  [xaxaiQqoiv.  —  Baum  des  Lebens: 
Budde,  Biblische  Urgeschichte  S.  75.  85. 


Die  Völker.  75 

wölbt  sich  die  Halbkugel  des  Himmels.  Damit  aber  das  Gottesreich  auf  Erden  end- 
lich wirklich  werden  könne,  mußte  die  alte  Hoffnung  wieder  in  ihr  Recht  treten; 
wieder  wurde  auf  sein  Kommen  gewartet,  nun  also  auf  seine  Wiederkunft. 

Diese  Hoffnung  konnte  sich  nicht  erfüllen.  Was  wird  nun  aus  dem  Reich  und 
aus  den  Christen?  Sie  sterben  und  gehen  in  den  „Himmel"  zu  dem  dort  neben  Gott 
thronenden  Christus;  so  bildet  sich  dort  oben  wohl  ein  Christusreich,  aber  nicht  von 
Lebenden,  sondern  von  Verstorbenen,  die  nun  da  als  Selige  „leben"  in  Ewigkeit. 
Damit  bleibt  ein  nie  ganz  ausgeglichener  Widerstreit  der  Parallel  Vorstellungen  des 
Reiches  auf  der  Erde  und  des  Reiches  im  Himmel.  Und  es  bleibt  die  Frage,  ob  die 
nach  dem  Vorbilde  und  durch  die  Macht  des  Christus  auferstehenden  Leiber  der 
Entschlafenen  ihren  in  den  Himmel  vorangegangenen  Seelen  nachfolgen  oder  ob  letztere 
zu  ihren  Leibern  auf  die  Erde  zurückkehren.  Es  braucht  nicht  erst  gesagt  zu  werden, 
daß  das  Gegenbild  zu  den  Seligen  nicht  fehlt,  die  Unseligen,  denen  ewige  Verdammnis 
bestimmt  ist.  Mit  der  Unterscheidung  Seliger  und  Unseliger  war  auch  die  Vorstellung 
eines  Gerichts  gegeben;  es  wird  sich  nur  fragen,  wer  Richter  sein  soll,  und  wann  das 
Gericht  stattfinden  soll,  ob  schon  jetzt  über  jeden  einzelnen  unmittelbar  nach  seinem 
Tod,  oder  erst  bei  der  Parusie  und  der  sie  begleitenden  Auferstehung  als  ein  allge- 
meines Gericht;  in  letzterem  Falle  würde  sowohl  über  die  bis  dahin  Verstorbenen  ab- 
zuurteilen sein,  als  auch  über  die  dann  noch  Lebenden. 

Das  etwa  ist  im  Schema  der  Gedankengang  der  christlichen  Jenseitsvorstellungen, 
so  weit  er  uns  hier  angeht.  Es  bleibt  nun  übrig,  in  das  Schema  einzutragen,  was  die 
altchristliche  Literatur,  vorzüglich  die  neutestamentliche,  zur  Zeichnung  des  Ortes  und 
Zustandes  der  Verstorbenen  an  belebenden  Einzelzügen  bietet;  der  ganze  Inhalt  der 
apokalyptischen  Schilderungen  soll  hier  nicht  wiedergegeben  werden.  Vorauszuschicken 
wäre  noch,  daß  die  Komplikation  der  christlichen  Gedanken  es  außerordentlich  er- 
schwert, klar  umrissene  Begriffe  von  ihnen  zu  gewinnen.  Da  insbesondere  die  Grundidee 
ebenso  diesseitig  gerichtet  ist,  wie  eigentlich  auch  das  Endziel,  während  nur  die  aller- 
dings als  höchst  real  empfundene  Zwischenzeit  auf  das  Jenseits  abgelenkt  ist,  so 
schwankt  die  Vorstellung  beständig  zwischen  hüben  und  drüben.  Auch  besteht  zwischen 
den  verschiedenen  Schriften  nichts  weniger  als  Übereinstimmung;  die  folgende  Zu- 
sammenstellung soll  nur  eine  knappe,  auch  in  den  Belegen  nicht  erschöpfende  Über- 
sicht der  wichtigsten  Vorstellungsbilder  geben,  hier  so  wenig  wie  oben  bei  der  Orphik 
ein  harmonisiertes  Gesamtbild. 

Der  gekreuzigte  und  begrabene  Christus,  so  wird  gesagt,  ist  vom  Tode  aufer- 
standen und  wiederholt  einer  wachsenden  Zahl  von  Jüngern  erschienen;  dann  wurde 
er  zum  „Himmel"  hinaufgenommen,  eine  Wolke  nahm  ihn  vor  ihren  Augen  hinweg 
(ApGesch.  1,9).  Er  hat  nun  teil  an  der  Herrlichkeit  des  Vaters  (den  Thron  Gottes 
schildert  Off.  Joh.  4,2  ff.,  als  wie  von  Jaspis  und  Sarder,  rings  ein  Regenbogen  wie 
Smaragd,  vom  Throne  gehen  Blitze,  Stimmen,  Donner  aus  usf.);  ihm  ist  alle  Gewalt 
gegeben  im  Himmel  und  auf  Erden  (Mt.  18,  18);  er  ist  um  so  mächtiger  geworden 
als  die  Engel,  um  wieviel  sein  Name  höher  ist  (Hebr.  1,4);  alle  Engel,  Gewalten  und 
Mächte  sind  ihm  unterworfen  (I.  Petr.  3,22);  er  sitzt  zur  Rechten  Gottes  (Stephanus 
sieht  ihn  so  stehen  ApGesch.  7,  55),  zur  Rechten  der  Majestät  in  den  Höhen  Hebr. 
1,  3.  Die  Engel  sind  um  den  Thron  Gottes  geschart,  die  Engel  des  Lichts  II  Kor. 
11,14,  mehr  denn  zwölf  Legionen,  Myriaden  Myriaden  Mt.  26,  53.  Off.  Joh.  5,  1 1 ;  die  Engel 
(der  Kinder)  in  den  Himmeln  schauen  immerdar  das  Angesicht  des  Vaters  Mt.  18,  10. 


76  Die  Jenseitsgedanken  des  Altertums. 

Der  Erzengel  Gabriel  steht  zur  Seite  Gottes  Luk.  1,  19.  26,  vgl.  den  Erzengel 
Michael  im  Streit  mit  dem  Teufel  um  den  Leib  Mosis,  Jud.  9. 

Wer  als  Gerechter  oder  als  Christ  stirbt,  geht  sofort  in  die  Seligkeit  ein;  hier- 
von ist  aber  in  den  neutestamentlichen  Schriften  wenig  die  Rede.  Ich  habe  Verlangen 
abzuscheiden  und  mit  Christus  zu  sein,  heißt  es  Phil.  1,  23.  Auch  die  Patriarchen 
und  Propheten  werden  als  in  der  Seligkeit  befindlich  vorausgesetzt;  den  armen  Lazarus 
tragen  Engel  vom  Sterbelager  weg  in  „Abrahams  Schoß",  der  Reiche  kommt  ebenso 
unmittelbar  in  den  Hades  Luk.  19,  22  f.  Heute  noch  wirst  du  mit  mir  im  Paradiese 
sein,  spricht  Jesus  am  Kreuz  zum  Schacher  Luk.  23,  43,  und  Joh.  5,  24  sagt  gleich 
ausdrücklich,   der  Gläubige  gehe  aus   dem  Tod  unmittelbar  in   das  ewige  Leben  über. 

Bei  ihren  Lebzeiten  sehen  sich  die  Christen  wieder  auf  die  Hoffnung  ange- 
wiesen; auf  diese  konzentriert  sich  das  Interesse  (wenn  schon  die  Hoffnung  dem 
Paulus,  wie  Jesus,  erst  in  zweiter  Linie  stand,  hinter  der  „Liebe"  I  Kor.  13,  13).  In 
ihrer  Hoffnung  unterscheiden  sich  die  Christen  von  den  Heiden  (wir  müssen  sagen 
von  denjenigen  Heiden),  die  „keine  Hoffnung  haben"  I  Thes.  4,  13.  Eph.  2,  12,  sowie 
von  den  Sadduzäern.  —  Die  Christen  erwarten  das  Kommen  des  Messias,  seine 
Parusie  und  Epiphanie,  nun  als  ein  Wiederkommen  des  Christus  Jesus,  des  Gottes- 
sohnes, aus  dem  Himmel  I  Thess.  1,  10.  I  Kor.  1,  7.  —  Der  „Tag  des  Herrn"  ist 
aber  noch  nicht  da,  zuvor  hat  der  „Sohn  der  Verdammnis",  der  Teufel,  seinen  Tag; 
einstweilen  hintangehalten,  wird  die  Apokalypse  des  Satans  zu  ihrer  Zeit  erfolgen 
II  Thess.  2,  1 — 12.  Die  Evangelien  nennen  als  Vorzeichen  der  Parusie  Auftreten 
falscher  Propheten,  Verfolgung  der  Christen,  Belagerung  Jerusalems  und  heidnische 
Greuel  im  Tempel,  sodann  Verfinsterung  von  Sonne  und  Mond,  Herabfallen  der 
Sterne,  Erschütterung  der  Himmelsmächte  Mark.  13,  4 — 25  und  Parallelen.  Es  ist 
das  Ende  dieser  Welt  Matth.  13,  39.  49;  Himmel  und  Erde  werden  verbrannt  II  Petr. 
3,  7.  Andererseits  wird  eingeschärft,  die  Parusie  werde  plötzlich  eintreten;  niemand 
weiß  die  Stunde  vorher,  weder  die  Engel,  noch  der  Sohn,  nur  der  Vater  Mark.  13,  32; 
der  Tag  des  Herrn  werde  kommen  wie  ein  Dieb  in  der  Nacht,  wie  der  Blitz.  Immer 
wieder  meint  man  den  Tag  nahe  Rom.  13,  12.  Off.  Joh.  1,  1,  das  lebende  Geschlecht 
wird  ihn  sehen  Mark.  9,  1.  13.  20. 

Alsdann  wird  der  Menschensohn  kommen  in  der  Herrlichkeit  seines  Vaters 
mit  den  heiligen  Engeln  in  Wolken  Mark.  8,  38.  13,  26.  14,  62;  nach  der  Off.  Joh. 
1,  13 — 16  ist  er  gekleidet  in  einen  Talar,  unter  der  Brust  gegürtet  mit  goldnem 
Gürtel,  Haupt  und  Haar  weiß  wie  schneeweiße  Wolle,  die  Augen  wie  Feuerflammen, 
seine  Stimme  wie  der  Ton  vieler  Wasser,  aus  seinem  Munde  geht  ein  scharfes  zwei- 
schneidiges Schwert,  und  sein  Anblick  ist  wie  die  Sonne  leuchtet  in  ihrer  Kraft.  — 
Dann  wird  er  die  Engel  aussenden  (mit  lautem  Trompetenruf  Matth.  24,  31)  und  die 
Auserwählten  versammeln  aus  den  vier  Winden  vom  Ende  der  Erde  bis  zum  Ende 
des  Himmels  Mark.  13,  27.  Er  wird  über  Tote  und  Lebende  herrschen  Rom.  14,  9.  — 
Da  werden  zuerst  die  Toten  auferstehen,  die  noch  nicht  Entschlafenen  aber  werden 
zugleich  mit  jenen  Auferstandenen  lebend  entrückt,  in  Wolken,  zu  dem  Herrn,  in  die 
Luft  I  Kor.  15,  51  f.  I  Thess.  4,  16  f.  Für  Paulus  ist  die  Auferstehung  der  Angel- 
punkt seiner  „Hoffnung",  die  Auferweckung  des  Christus  ist  ihm  die  Bürgschaft  für 
die  Auferstehung  der  Christen  I  Kor.  6,  14.  II  Kor.  1,  9.  Christus  ist  der  Erstling 
der  Entschlafenen  und  Auferstandenen  I  Kor.  15,  20.  ApGesch.  26,  23.  —  Wie  aber 
wird    es  mit  dem  Körper  gehen,  sowohl  der  Toten  wie  der  Lebenden?    Jene  werden 


Die  Völker.  77 

auferstehen  in  Unvergänglichkeit,  diese  werden  verwandelt  werden,  der  sterbliche  Leib 
wird  „Unsterblichkeit  anziehen"  I  Kor.  15,  35 — 58,  die  Leiber  werden  verklärt 
werden  gleich  dem  Leibe  des  verklärten  Christus  Phil.  3,  21.  Bei  den  Synoptikern 
kommt  die  Auferstehung  eigentlich  nur  gelegentlich  der  Verhandlung  mit  den  sie 
leugnenden  Sadduzäern  vor,  wo  dann  festgestellt  wird,  daß  die  Auferstandenen  wie 
Engel  sind  und  nicht  heiraten  Mark.  12,  25.  Sonst  gedenkt  noch  Luk.  14,  14  der 
Auferstehung  der  Gerechten,  ApGesch.  24,  13  der  Gerechten  und  Ungerechten.  Vgl. 
auch  nachher  Off.  Joh.  Spätere  lassen  das  Evangelium  auch  den  Toten  verkündet 
werden  I  Petr.  4,  6. 

Als  Ort  der  Seligen  gilt  der  Himmel,  an  wenigen  Stellen  steht  dafür  das 
Paradies.  Paulus  erzählt  von  einer  Vision,  in  der  er  lebend  entrückt  worden  sei  — 
ob  im  Leibe  oder  außer  dem  Leibe,  das  wisse  er  nicht  zu  sagen  —  entrückt  bis  in  den 
dritten  Himmel,  in  das  Paradies,  wo  er  unsagbare  Worte  hörte,  die  einem  Menschen 
nicht  erlaubt  ist  auszusprechen  II  Kor.  12,  2 — 4.  In  der  Off.  Joh.  2,  7  (vgl.  22,  2) 
will  Christus  dem  „Sieger"  zu  essen  geben  vom  Baum  des  Lebens,  der  im  Paradiese 
Gottes  steht.  Und  Luk.  23,  43  sagt  Jesus  am  Kreuz  zum  Schacher:  Heute  noch 
wirst  du  mit  mir  im  Paradiese  sein.  —  Die  Christen  kommen  zu  Gott  I  Kor.  8,  6, 
sie  werden  die  Wahrheit  von  Angesicht  sehen  13,  10 — 12,  werden  Gott  sehen  wie 
er  ist  I  Joh.  3,  2;  Herrlichkeit  wird  ihnen  Rom.  8,  18;  sie  werden  der  göttlichen 
Natur  teilhaftig  II  Petr.  1,  4.  Gott  nimmt  sie  als  seine  Kinder  an,  auf  Grund  dieser 
Adoption  erben  sie  das  Reich,  die  Welt  Gal.  3,  29.  4,  5  —  7.  Rom.  8,  14  —  17;  sie 
werden  als  Könige  herrschen  Rom.  5,  17.  Sie  gehen  in  das  Reich  Gottes  ein  Mark. 
9,  57,  sie  ernten  das  ewige  Leben  Gal.  5,  8.  Mark.  9,  43.  10,  17.  —  Das  Jerusalem, 
das  oben  ist,  Gal.  4,  26,  „unsere  ewige  Wohnung",  die  wahre  Heimat  II  Kor.  4, 
16 — 5,  9,  das  himmlische  Vaterland  Hebr.  11,  16  (wir  sind  hienieden  nur  Beisassen 
I  Petr.  1,  1),  Zion,  Berg  und  Stadt  des  lebendigen  Gottes,  Jerusalem  das  himmlische, 
da  sind  die  Myriaden  Engel,  da  ist  die  Festversammlung  und  Gemeinde  der  Erst- 
geborenen, die  in  den  Himmeln  aufgeschrieben  sind.  Die  neue  heilige  Stadt  Jerusalem 
aus  dem  Himmel,  von  Gott  bereitet  wie  eine  Braut,  die  für  ihren  Mann  geschmückt 
ist;  ihre  Mauern  und  Tore  werden  beschrieben,  die  Mauern  von  Jaspis,  die  Stadt  von 
reinem  Gold  ähnlich  reinem  Glas;  in  der  Stadt  ist  kein  Tempel,  denn  Gott  und  das 
Lamm  sind  ihr  Tempel;  anstatt  Sonne  und  Mond  leuchtet  ihr  die  Herrlichkeit  Gottes, 
und  ihre  Leuchte  ist  das  Lamm.  Hebr.  12,  22  f.  Off.  Joh.  3,  12  und  Kap.  21.  Den 
Ort  der  Seligen  beschreibt  die  Petrusapokalypse  von  Achmim  wie  folgt  (Jesus  zeigt 
ihn  dem  Petrus  von  fern):  ein  sehr  großer  Raum  außerhalb  der  Welt  überaus  leuchtend 
von  Licht,  die  Luft  dort  von  Sonnenstrahlen  beleuchtet,  das  Land  selbst  blühend  von 
unverwelklichen  Blumen  und  voll  von  Wohlgerüchen  und  von  blütenreichen,  unvergäng- 
lichen und  gesegnete  Frucht  tragenden  Gewächsen;  der  Duft  kam  bis  zu  uns  herüber 
15.  16.  —  So  häufen  sich  .  die  Phantasiebilder,  auch  sie  schwebend  zwischen  Mythus 
und  Metapher?  Bedeutsam  ist  die  Vorstellung  vom  himmlischen  Mahl;  da  werden 
die  Christen  zu  Tische  liegen  mit  Abraham,  Isaak  und  Jakob  im  Reich  der  Himmel 
Matth.  8,  11.  Luk.  13,  28  f.  Dahin  gehört  auch  das  Gleichnis  vom  Hochzeitsmahl,  das 
ein  König  seinem  Sohne  ausrichtete  Matth.  22,  2 — 10.  Luk.  14,  15 — 24;  die  Braut 
des  Sohnes  ist  das  neue  Jerusalem,  selig,  die  zum  Mahle  geladen  werden  Off.  Joh.  19, 
7 — 9,  21,  9.  Ich  vermache  euch,  sagt  Jesus,  wie  mir  mein  Vater  vermacht  hat  das 
Reich,    daß   ihr   essen    und   trinken  mögt  an  meinem  Tisch  in  meinem  Reich  Luk.  22, 


78  Die  Jenseitsgedanken  des  Altertums. 

29  f.  Dem  Sieger  werde  ich  das  mystische  Manna  geben  Off.  Joh.  2,  17.  Wie  die 
Sieger  im  Wettlauf,  so  erhalten  auch  die  Christen  den  Kranz,  aber  einen  unvergäng- 
lichen I  Kor.  9,  25,  den  Kranz  der  Gerechtigkeit  II  Tim.  4,  8,  den  unverwelklichen 
Kranz  der  Herrlichkeit  I  Petr.  5,  4,  den  Kranz  des  Lebens  Off.  Joh.  2.  10.  Jak.  1,  12. 
—  Die  Seligen  tragen  weiße  Kleider  und  Palmzweige  in  den  Händen  Qff.  Joh.  6 
9 — 11.  7,  3—  10.  Ausführlicher  die  Petrusapokalypse:  ihre  Herrlickeit  und  Schönheit 
ist  unausdenkbar;  leuchtend  ihre  Gestalt  und  ihr  Gewand,  ihre  Leiber  weißer  wie  der 
weißeste  Schnee  und  röter  wie  die  röteste  Rose,  das  Weiß  und  das  Rot  aber  mitein- 
ander gemischt;  ihr  Haar  gelockt  und  lieblich,  es  schmückt  ihnen  Antlitz  und 
Schultern  wie  ein  Kranz  aus  Nardendolden  und  bunten  Blumen  oder  wie  der  Regen- 
bogen in  der  Luft  7 — 10. 

Wie  der  Mensch  durch  den  Christus  eine  neue  Schöpfung  werden  soll  II  Kor. 

5,  17,  so  wird  auch  die  Parusie  eine  Erneuerung  der  Schöpfung  bringen,  eine  Wieder- 
geburt (Palingenesie  Matth.  19,  28).  Auf  den  Menschen  bezieht  die  Palingenesie 
Tit.  3,  5,  auf  die  ganze  Welt  Off.  Joh.  21,  1.  II  Petr.  3,  7.  12  f. 

Erben  der  Verheißung  sind  die  „Gerechten",  die  die  „Liebe"  haben,  vor  allem 
aber  die  Glaubenden,  die  ihr  ganzes  Vertrauen  auf  den  Christus  werfen  Gal.  3,  7. 
Mark.  8,  35  ff.  Den  Täufer  schließt  Matth.  11,  11  vom  Himmelreich  aus;  doch  Luk. 
13,  28  nimmt  die  Patriarchen  Abraham,  Isaak  und  Jakob  und  alle  Propheten  auf,  ja 
„Abrahams  Schoß"  ist  ihm  geradezu  ein  Ausdruck  für  den  Ort  der  Seligen  16,  22.  — 
Die  Christen  sind  berufen  durch  Gott  und  zu  ihrer  Rettung  vorher  bestimmt  I  Kor. 
1,  2  (die  „Heiligen"  sind  eben  die  Christen).  Rom.  8,  28.  9,  23  f.  Gott  hat  sie  aus- 
erwählt (vor  Gründung  der  Welt)  II  Thess.  2,  13  f.  (Eph.  1,  9).  Sie  sind  aufge- 
schrieben im  Buche  des  Lebens  Phil.  4,  3,  Off.  Joh.  3,5.  Auch  das  Sitzen  zur  Seite 
des  Christus  ist  bestimmt  Matth.  20,  21 — 23;  insbesondere  ist  es  den  zwölf  Jüngern 
(welchen  zwölf?)  bestimmt,  neben  dem  Menschensohn  zu  thronen  Matth.  19,  28.  Luk. 
22,  30.  Ebenso  aber  ist  es  Gott,  welcher  den  Verlorenen,  die  der  Wahrheit  nicht 
glauben,  den  Irrtum  schickt,  damit  sie  gerichtet  werden  II  Thess.  2,  1 — 12. 

Die  Unterscheidung  zwischen  Gerechten  und  Ungerechten,  fast  mehr  noch  die 
zwischen  Christen  und  Feinden  des  Christus,  oder  zwischen  „echten"  und  „falschen" 
Christen  (bereits  der  Jesus  der  Evangelien  verflucht  die  Ungläubigen,  und  bereits 
Paulus  verflucht,  die  anders  lehren  als  er  Gal.  1,  9),  führte  zur  Vorstellung  von  einem 
Gericht,  das  mit  der  Parusie  verbunden  erscheint,  vom  kommenden  Zorn  I  Thess. 
1,  10,  dem  Tag  der  Inspektion  (emaxoniig  I  Petr.  2,  12).  —  Der  Richter  ist  zunächst 
Gott,  er  richtet  gerecht  Rom.  14,  10  f.  II  Thess.  1,  5.  Hebr.  10,  31.  Doch  findet 
sich  in  der  Regel  der  Menschensohn  als  Richter  genannt  II  Kor.  5,  10.  Luk.  21,  36; 
einen  jeden  wird  er  nach  seinem  Tun,  aber  auch  nach  seinen  Gedanken  vergelten 
I  Korr.  4,  5;  oder  Gott  richtet  durch  ihn  Rom.  2,  16;  Gott  hat  ihn  zum  Richter 
bestellt  über  Lebende  und  Tote  ApGesch.  10,  42.  17,  31.  Er  sondert  das  Unkraut 
vom  Weizen,  Schnitter  werden  die  Engel  sein  Matth.  13,  30.  39,  er  stellt  die  „Schafe" 
zur  Rechten,  die  „Böcke"  zur  Linken  eb.  25,  31  —  46.  —  Auch  die  Christen  selbst 
erscheinen  als  Richter:    die  „Heiligen"   werden  die  Welt  richten,  ja  die  Engel  I  Kor. 

6,  2  f.  Das  Sitzen  der  zwölf  beim  Thron  des  Christus  wird  erweitert  dahin,  daß  sie 
richten  sollen  über  die  zwölf  Stämme  Israels  Matth.  19,  18.  Das  Herren  wort  „Was 
ihr  binden  (lösen)  werdet  auf  Erden,  wird  gebunden  (gelöst)  sein  im  Himmel"  Matth. 
18,  18  war  nicht  eschatologisch  gemeint;    aber  es  wurde  umgeprägt  zu  dem  Wort  an 


'     Die  Völker.  79 

Petrus:  „Ich  werde  dir  die  Schlüssel  des  Himmelreichs  geben,  und  was  du  binden 
(lösen)  wirst  auf  der  Erde,  wird  gebunden  (gelöst)  sein  in  den  Himmeln"  Matth.  16,  19. 
—  Paulus  nahm  an,  daß  alle  vor  den  Richterstuhl  treten  müßten  II  Kor.  5,  10,  aber 
das  Johannisevangelium  läßt  nur  die  Ungläubigen  gerichtet  werden,  die  Gläubigen 
gehen  ohne  Gericht  unmittelbar  ins  ewige  Leben  ein  5,  24.  Das  Gericht  gilt  eben 
wesentlich  als  Ausdruck  der  Verdammung,  ergeht  daher  über  die  Feinde  der  Christen, 
die  Ungläubigen  II  Thess.  1,  6 — 9. 

Im  Feuer  kommt  der  Herr,  das  Feuer  wird  eines  jeden  Werk  prüfen,  danach 
wird  er  seinen  Lohn  empfangen  I  Kor.  3,  13  f.  II  Thess.  1,  8.  Das  unauslöschliche 
ewige  Feuer  ist  der  Straf  ort  der  Verdammten  I  Kor.  7,  9.  Mark.  9,  43.  Matth.  18, 
8;  darin  wird  das  „Unkraut"  verbrannt  Matth.  13,  30;  die  Gehenna  (des  Feuers) 
Mark.  9,  45.  Matth.  10,  28  (18,  9).  Der  Name  Hades  kommt  ein  paarmal  vor,  im 
Sinne  von  Hölle.  Der  Reiche  leidet  im  Hades  Folterqualen  und  brennenden  Durst; 
es  ist  eine  unüberbrückbare  Kluft  zwischen  ihm  und  Abrahams  Schoß,  in  dem  der 
arme  Lazarus  ruht,  obwohl  man  hinüber  und  herüber  sich  sehen  und  sprechen  kann 
Luk.  16,  19 — 31.  In  die  Tiefe  des  Hades  wird  das  ungläubige  Kapernaum  hinab- 
gestoßen werden  Matth.  11,  26.  Andererseits  werden  die  Verworfenen  in  die  „äußerste 
Finsternis"  hinausgestoßen,  da  wird  „Heulen  und  Zähneklappern"  sein  Matth.  8,  12. 
22,  13.  —  Den  Gegengott,  den  Satan,  wird  Gott  zermalmen  Rom.  16,  20.  Das  Ende 
aber  wird  sein,  wenn  der  Christus  das  Reich  dem  Gott  und  Vater  übergibt,  wenn  er 
alle  Herrschaft,  Gewalt  und  Macht  abschafft;  denn  er  muß  herrschen,  bis  er  alle  Feinde 
unter  seine  Füße  legt.  Als  letzter  wird  der  Tod  abgeschafft  I  Kor.  15,  24 — 26.  Der 
Herr  des  Todes  aber  ist  kein  andrer  als  der  Teufel;  der  Herr  vernichtet  ihn  Hebr.  2, 
14.  Die  gefallenen  Engel  hat  Gott  zum  Gericht  des  großen  Tags  bewahrt  mit  ewigen 
Fesseln  unter  der  Finsternis.     Jud.  6.  II  Petr.  2,  4. 

Umständlicher  entwickelt  die  Offenbarung  Johannis  das  Ende.  Erst  kommt 
eine  Zwischenzeit  von  tausend  Jahren.  Der  Drache,  die  alte  Schlange,  das  ist  der 
Teufel,  der  Satan  wird  von  einem  Engel,  der  den  Schlüssel  zum  Abgrund  und  eine 
große  Kette  vom  Himmel  herabbringt,  auf  tausend  Jahre  gefesselt,  in  den  unergründ- 
lichen Abgrund  geworfen,  darin  verschlossen  und  versiegelt,  damit  er  während  dieser 
Zeit  die  Völker  nicht  in  die  Irre  führe.  Indessen  werden  die  Seelen  der  Märtyrer 
und  der  treugebliebenen  Christen  auf  Throne  gesetzt,  und  sie  herrschen  mit  dem 
Christus  die  tausend  Jahre.  Das  ist  die  erste  Auferstehung,  selig  und  heilig,  wer 
daran  teil  hat.  Nach  Ablauf  der  tausend  Jahre  wird  der  Satan  auf  eine  kurze  Zeit 
losgelassen,  und  er  führt  die  ungezählten  Scharen  von  „Gog  und  Magog"  wider  das 
Lager  der  „Heiligen"  und  die  „geliebte  Stadt";  aber  Feuer  kommt  vom  Himmel  und 
verzehrt  sie,  der  Teufel  aber  wird  in  den  Feuer-  und  Schwefelsee  geworfen,  wie  die 
andern  Feinde  des  Christentums  und  die  falschen  Propheten,  und  sie  werden  gefoltert 
Tag  und  Nacht  in  alle  Ewigkeit.  Die  übrigen  Toten  aber  (nämlich  außer  den  Seelen 
die  mit  Christus  die  tausend  Jahre  herrschten),  welche  die  Zeit  her  schliefen,  werden 
aufstehn  und  vor  dem  Thron  Gottes  stehn,  von  überall  her  versammelt  und  auf  Grund 
der  Bücher  gerichtet  nach  ihren  Werken.  Der  Tod  und  der  Hades  werden  in  den 
Feuersee  geworfen.  Das  ist  der  zweite  Tod,  der  Feuersee,  und  wer  nicht  im  Buch 
des  Lebens  steht,  wird  in  den  Feuersee  geworfen.    Off.  Job.  Kap.  21. 

Auf  die  Spezialisierung  der  Höllenstrafen  in  den  späteren  Apokalypsen  gehen 
wir  nicht  ein,  wollen  aber  noch  ein  paar  Proben  aus  den  Märtyrer  Visionen  geben.    In 


80  Die  Jenseitsgedanken  des  Altertums. 

einem  dieser  Traumgesichte  steigt  Perpetua  die  Himmelsleiter  hinan,  Satyros  ging  ihr 
voran.  Oben  sah  sie  einen  sehr  großen  Garten,  und  mitten  darin  einen  übergroßen 
weißharigen  Mann  sitzen,  in  Hirtengestalt,  der  die  Schafe  melkte  (der  Christus);  es 
umstanden  ihn  aber  viele  Tausende  in  weißen  Kleidern.  Er  hob  den  Kopf,  hieß 
Perpetua  willkommen  und  gab  ihr  von  dem  „frischgemolkenen  Käse"  wie  einen  Mund- 
voll, sie  nahm's,  die  Hände  gefaltet,  und  aß,  und  alle  sprachen  Amen  (IV).  —  Der 
selige  Satyros  erzählt  sein  Gesicht.  Schon  aus  den  Körpern  gegangen  wurden  wir 
(die  Seelen)  von  vier  Engeln  getragen  (gegen  Morgen,  und  zwar  ohne  von  ihren 
Händen  berührt  zu  werden)  wie  eine  schräge  Rampe  hinan.  Aus  der  ersten  Welt 
hinausgegangen,  sahen  wir  ein  sehr  glänzendes  Licht.  Da  kamen  wir  in  einen  großen 
Raum,  er  war  wie  ein  Garten  mit  Rosenbäumen  und  Blumen  aller  Art,  die  Bäume 
so  hoch  wie  Zypressen,  unaufhörlich  fielen  (sangen?)  ihre  Blätter.  Doch  fanden  wir 
viele  Vorausgegangene.  Dann  führten  die  Engel  uns  zum  Herrn.  Der  Raum  hatte 
Wände  wie  von  Licht  aufgebaut,  vor  der  Tür  zogen  uns  die  Engel  weiße  Kleider  an. 
Eingetreten,  hörten  wir  im  Chor  gesprochen  unaufhörlich  die  Worte  „Heilig,  Heilig, 
Heilig".  In  der  Mitte  saß  ein  Mann  mit  schneeweißem  Haar  und  jugendlichem  Ge- 
sicht, die  Füße  sahen  wir  nicht;  je  vier  Älteste  standen  ihm  zu  den  Seiten,  hinter 
ihnen  noch  viel  mehr.  Vor  dem  Throne  hoben  uns  die  Engel  auf,  und  wir  küßten 
ihn,  und  er  fuhr  uns  mit  der  Hand  über  die  Augen.  Weiterhin  treten  sie  in  den 
Garten,  finden  viele  Brüder  —  —  uns  alle  sättigte  ein  unbeschreiblicher  Duft  (Passio 
Perpetuae  XI — XIII  Robinson). 


Zum  Ende  des  Kapitels  nehmen  wir  das  eingangs  Gesagte  wieder  auf,  daß  es 
für  den  Zweck  dieses  Buches  notwendig  erschien,  die  christlichen  Jenseits  Vorstellungen 
in  ihren  geschichtlichen  Zusammenhang  gestellt  vorzuführen,  also  in  den  Rahmen  der 
entsprechenden  Vorstellungen  des  gesamten  Altertums.  Aber  wir  durften  nicht  daran 
denken,  das  schwierige  und  oft  schlüpfrige  Gebiet  der  mythen vergleichenden  und 
religionsgeschichtlichen  Forschung  zu  betreten,  oder  zu  den  schwebenden  Streitfragen 
auch  nur  andeutend  uns  zu  äußern.  Es  wird  noch  viel  Wasser  den  Euphrat  und 
den  Nil,  den  Kephissos  und  den  Tiber  hinablaufen,  bis  daran  gedacht  werden  kann, 
statt  eines  bloßen  Schemas  der  antiken  Jenseits  Vorstellungen  ihre  lebendige  Geschichte 
zu  geben.  Wohl  möglich  jedoch  und  ein  dankenswertes,  in  Teilen  auch  schon  vor- 
bereitetes Unternehmen  wäre  es,  wenn  ein  so  nüchterner  wie  durchdringender  Kopf 
eine  kritische  Darstellung  der  christlichen  Jenseitsvorstellungen  geben  und  einen 
mythologischen  Kommentar  dazu  schreiben  wollte. 


Eingang  zum  Hypogäum  der  Lucina.     Im  Mittelgrund  Lichtschachte,  weiter  zurück  heidnisches  Mausoleum  au 

der  Via  Appia. 


Die  Katakomben. 1} 


Der  Name  Katakombe,  entstanden  aus  der  Sonderbezeichnung  einer  römischen 
Begräbnisstätte,  wurde  schon  verhältnismäßig  früh,  wenn  auch  nur  vereinzelt,  auf 
andere  gleichartige  ausgedehnt;  der  generelle  Gebrauch  des  Wortes  für  alle  unter- 
irdischen Grabanlagen  der  Christen  ist  nicht  bloß  nachantik,  sondern  modern.  Die 
antike  Bezeichnung  der  christlichen  Begräbnisstätten  war  Cömeterium,  latinisiert  aus 
dem  griechischen  Koimeterion;  dies  wurde  in  der  spätgriechischen  itazistischen  Aus- 
sprache Kimit^rion,  spätlateinisch  Cimiterium,  italienisch  Cimitero  (die  Form  Cömiterium 
bei  Andrea  Fulvio  dürfte  humanistische  Rückbildung  sein). 

Koimeterion  (xoi^iijTrjQiov),  Schlaf kammer,  Gaststube,  bezeichnet  im  christlichen 


*)  Literatur:  Nik.  Müller,  Koimeterien  (in  Herzog-Haucks  Realencykl.  für  prot.  Theol.  X 
1901,  794.  Außerdem  Fr.  X.  Kraus,  Realencykl.  der  christl.  Altertümer  II  1886,  98.  V.  Schultze, 
.Die  Katakomben  1882;  ders.,  Archäologie  1895,  134.  163.  Kaufmann,  Handbuch  1905,  74.  111. 
205.  285.  Armellini,  Antichi  cimiteri  cristiani  di  Roma  e  d'Italia  1893  (war  gedacht  als  Programm- 
schrift für  ein  grösseres  Werk  L'Italia  sotterranea  cristiana).  Marucchi,  Elements  II,  Itindraire 
(Guide)  des  catacombes  1903.  —  Th.  Mommsen,  Die  Katakomben  Roms  1871  (Reden  und  Aufsätze 
1905,  294). 

Sybol,  Christliche  Antike  I.  6 


82  Die  Katakomben. 

Gebrauch  durchaus  die  Stätte  für  die  Todesruhe  (den  Glauben  an  die  künftige  Auf- 
erstehung des  Leibes  als  lebendig  vorausgesetzt,  darf  man  dabei  nicht  an  ewige  Ruhe 
denken,  sondern  nur  an  die  Ruhe  bis  zur  Auferstehung),  und  zwar  im  Einzel-  und  im 
Familiengrab;  so  im  griechischen  Osten  (in  Phrygien  wurde  hierfür  auch  Heroon 
gebraucht).  Allmählich  aber,  mit  der  Entwicklung  von  Gemeindefriedhöfen,  hat  das 
Wort  Koimeterion  seine  Bedeutung  erweitert  und  meint  nun  die  Begräbnisstätte  der 
religiösen  Genossenschaft,  den  Friedhof;  so  in  Rom  durchweg.  Da  aber  unter 
Cömeterien  sowohl  ober-  wie  unterirdische  Friedhöfe  verstanden  werden,  so  empfiehlt 
es  sich  für  letztere  den  Namen  Katakomben,  lediglich  als  einen  konventionellen,  beizu- 
behalten. Der  genaue  Ausdruck  für  die  unterirdische  Begräbnisstätte  wäre  Hypogäum 
(■imöycaov),  das  ist  die  etwaige  unterirdische  Gruft  einer  Grabanlage  im  Gegensatz  zu 
deren  oberirdischem  Gelände  (der  area);  antik  aber  wird  Hypogäum  nur  von  der 
Grabkammer  gebraucht,  nicht  vom  Gemeindefriedhof  unter  der  Erde.  Im  späteren 
Gebrauch,  da  die  Katakomben  nur  mehr  dem  Märtyrerkult  dienten,  wird  Cimiterium 
von  Ecclesia  und  Basilica  nicht  mehr  scharf  unterschieden.1) 


Der  Bestand. 

Eine  Übersicht  der  erhaltenen  Katakomben  macht  füglich  den  Anfang;  unser 
Zweck  aber  verlangt  nicht  eine  erschöpfende  Aufzählung  in  gleichmäßiger  Betonuug 
alles  Einzelnen,  sondern  eine  orientierende,  das  will  sagen,  das  Wichtigere  hervor- 
hebende, das  Übrige  mehr  nur  streifende  Vorführung.  Wir  sind  in  der  Lage,  auf 
umfassende  Katakombenverzeichnisse  verweisen  zu  können.2) 

Die  römischen  Katakomben  behaupten  einen  Vorrang,  weil  sie,  die  umfang- 
reichsten und  inhaltreichsten  von  allen,  alle  Phasen  der  Katakombengeschichte  ohne 
Lücke  vertreten.  Ihre  Bedeutung  entspricht  der  Bedeutung  Roms  als  der  Welthaupt- 
stadt. Hätte  Antonius  gesiegt  und  Alexandria  zur  Hauptstadt  gemacht,  so  wären 
Petrus  und  Paulus  dorthin  gegangen,  und  die  Päpste  säßen  in  Alexandrien,  es  gäbe 
keine  Roma  aeterna.  Die  politische  Vorzugsstellung  Roms  verlieh  auch  seiner  Christen- 
gemeinde vom  ersten  Augenblick  an  ein  tatsächliches  politisches  Übergewicht  über  die 
Schwestergemeinden;  zugleich  bedingte  sie,  wie  den  Umfang  der  Stadt,  so  auch  die 
Ausdehnung  ihrer  Nekropolen,  der  heidnischen  und  der  christlichen.  Diese  umlagern 
die  Stadt  in  einem  breiten  Gürtel,  der  außerhalb  der  Vierzehnregionenstadt  (und  der 
aurelianischen  Mauer),  innerhalb  im  allgemeinen  des  dritten  Meilensteines  liegt.  Die 
Katakomben  bilden  nicht  ein  zusammenhängendes,  die  ganze  Stadt  umspannendes  Netz, 
sondern  ein  mehr  oder  minder  dichtes  Aggregat  in  sich  abgeschlossener,  untereinander 
nicht  verbundener  Einheiten. 

Vom  neunten  Jahrhundert  ab  gerieten  die  römischen  Katakomben  in  Verlassen- 
heit   und     Vergessenheit.      Nur    eine    Katakombe    blieb    zugänglich,    die    unter    San 


*)  Koimeterion:  de  Rossi,  Eoma  sott.  I  85.  III  427.  Rom.  Quart.  1891,  5.  Müller,  Artikel 
Koimeterien  794. 

2)  Katakombenverzeichnisse:  Kraus,  Realencykl.  II  110.  Müller,  Koimeterien  803. 
Kaufmann,  Handbuch  74.  Müller  ordnet  geographisch,  von  Ost  nach  West  gehend,  die  römischen 
Katakomben  verzeichnet  er  von  denen  an  der  Via  Appia  beginnend;  Kaufmann  gibt  die  Cömeterien 
im  Rahmen  einer  alle  Denkmälerklassen  umfassenden  alphabetischen  Topographie  der  altchristlichen 
Denkmäler. 


Der  Bestand.  83 

Sebastiano  an  der  Via  Appia,  vor  dem  Anstieg  der  Straße  zu  dem  von  seiner  Höhe 
aus  die  Campagna  weithin  beherrschenden  Grabmal  der  Meteller  (Capo  di  Bove). 
Das  Cömeterium  führte  die  Bezeichnung  Sebastiani  in  (ad)  catacumbas.  Dies  ist  ein 
Flurname,  dunkel  wie  einer,  natürlich  viel  älter  als  die  christlichen  Anlagen;  daher 
hat  die  Etymologie  des  Namens  für  die  Katakombenforschung  keine  Bedeutung.  Weil 
aber  dies  Cömeterium  das  einzige  noch  zugängliche  war,  so  begreift  sich,  daß  sein  Bei- 
name zum  Gattungsnamen  wurde,  der  noch  im  selben  Jahrhundert  in  Neapel  auf- 
taucht. *) 

Pilger  und  Neugierige  haben  durch  das  ganze  Mittelalter  hindurch  vereinzelt 
ihren  Weg  in  die  Katakomben  gefunden  und  sich  an  den  Wänden  verewigt,  wie 
Kritzeleien  aus  dem  elften,  zwölften,  vierzehnten  Jahrhundert  bezeugen.  Im  fünf- 
zehnten nahm  der  Besuch  zu,  Minoriten  treten  in  Gruppen  auf,  1475  ebenso  die  Mit- 
glieder der  Humanistenakademie  des  Pomponius  Laetus.  Sie  unternahmen  weite 
Wanderungen  durch  die  Katakomben  der  appischen,  der  labikanischen  und  der 
salarischen  Straße;  in  ihren  Graffiti  nennen  sie  sich  „einmütige  Liebhaber  und  Er- 
forscher des  Altertums"  und  bezeichnen  ihre  Stellung  in  der  Akademie  mit  antiken 
Titeln,  Pomponius  heißt  Pontifex  maximus,  Pantagathus  nennt  sich  sacerdos  Academiae 
romanae.  Im  Anfang  des  sechzehnten  Jahrhunderts  scheint  nur  die  Krypte  unter  San 
Pancrazio  besucht  worden  zu  sein,  gegen  die  Mitte  des  Jahrhunderts  war  auch  sie 
vergessen. 

Dafür  warf  sich  die  Forschung  auf  die  Katakomben,  wenn  auch  zunächst  nur 
auf  Grund  des  literarischen  Materials;  Onofrio  Panvinio  war  der  erste,  der  über  das 
altchristliche  Begräbniswesen  schrieb.  Die  Katakomben  selbst  mußten  zuvor  wieder- 
entdeckt sein,  ehe  sie  wissenschaftlich  bearbeitet  werden  konnten.  Schon  um  1550  ist 
man  auf  sie  gestoßen  (wahrscheinlich  war  es  das  Coem.  Praetextati);  nachhaltig  wirkte 
aber  erst  die  zufällige  Entdeckung  des  Coem.  Jordanorum  an  der  Via  Salaria;  dessen 
Gemälde  ließ  Ciacconio  kopieren,  andere  Zeichnungen  fertigte  de  Winghe.  Zur 
Publikation  kamen  weder  diese  Zeichnungen,  noch  die  Erklärung  der  Bildwerke  von 
Jean  l'Heureux;  die  grundlegende  Roma  sotterranea  hat  ein  Jüngerer  geschaffen, 
Antonio  Bosio,  nachdem  er  dreißig  Jahre  lang  die  Katakomben  durchforscht  und 
die  Überlieferungen  durchgearbeitet  hatte.  Nur  der  zweite  Teil  seines  Werkes  ist 
erschienen,  auch  er  erst  nach  seinem  Tode,  ergänzt  und  herausgegeben  von  Severano. 
Das  waren  die  Anfänge.  Zunächst  aber  folgte  ein  für  den  Denkmälerbestand  ver- 
hängnisvoller Zeitraum  systematischer  Ausbeutung  der  Katakomben,  der  planmäßigen 
Erhebung  von  Gebeinen  vermeintlicher  Märtyrer  für  Kultuszwecke,  woran  sich  nur 
eine  zwar  umfangreiche,  aber  für  die  Wissenschaft  unfruchtbare  polemische  und 
apologetische  Literatur  anknüpfte.  Zu  nennen  ist  nur  Boldetti  Osservazioni  sopra 
i  cimiteri  de  santi  martiri  ed  antichi  Christiani  di  Roma  1720.2) 


x)  Sebastiani  in  catacumbas:  Chronograph  von  354,  Depositio  martyrum  XIII  Kai.  Febr. 
—  Neapel:  Joh.  Diaconus,  Chron.  episc.  s.  Neap.  eccl.  bei  Muratori,  Rer.  ital.  script.  I.  Ducange, 
Gloss.  med.  lat.  v.  catacumba. 

2)  Panvinius,  De  ritu  sepeliendi  mortuos  apud  veteres  christianos  et  de  eorundem 
coemeteriis  1568.  —  Fund  1550:  Hülsen,  Rom.  Quartalschrift  1891,  188.  —  Fund  1578:  Sauer- 
land, Rom.  Quart.  1888,  209;  dazu  de  Rossi  und  de  Waal  eb.  212.  —  Jean  l'Heureux  (Macarius) 
Hagioglypta  sive  picturae  et  sculpturae  sacrae  etc.,  herausgeg.  von  Garrucci  1856.  —  Bosio, 
Roma  sotterranea,  opera  postuma  etc.  1632.    Lateinisch  durch  Aringhi  (Roma  subterranea  novissima 

6* 


84  Die  Katakomben. 

Im  neunzehnten  Jahrhundert  brachte  die  „Beschreibung  der  Stadt  Rom"  von 
Platner,  Bunsen,  Gerhard  und  Röstell  im  ersten  Band  aus  der  Feder  des  letzt- 
genannten eine  Beschreibung  der  Katakomben  (1830).  Aus  eben  dem  Kreise  ging 
1829  das  Institut  für  archäologische  Korrespondenz  hervor,  das  jetzige  kaiserlich 
deutsche  Archäologische  Institut,  dessen  Kräfte  und  Mittel  durch  die  dringenden  Ar- 
beiten auf  dem  klassischen  Gebiete  zu  sehr  in  Anspruch  genommen  wurden,  um,  wie 
es  sonst  gern  geschehen  wäre,  in  gleichem  Maße  für  die  christlichen  Denkmäler  ver- 
wendet werden  zu  können.  So  blieb  die  Arbeit  an  den  Katakomben  den  einheimischen 
Gelehrten  vorbehalten.  1841  wurde  Marchi  Konservator  der  Katakomben.  Er  be- 
gann ein  großes  Werk  über  sie,  hat  auch  einen  Band  herausgegeben;  aber  er  fühlte 
sich  der  Aufgabe  nicht  gewachsen  und  übertrug  sie  dem  jungen  Giovanni  Battista 
de  Rossi,  der  von  Anfang  an  sein  Begleiter  auf  den  Wanderungen  in  den  unter- 
irdischen Gängen  war  und  dabei  selbständige  wissenschaftliche  Pläne  im  Sinne  trug. 
De  Rossi  ist  der  Schöpfer  der  heutigen  altchristlichen  Archäologie  geworden,  dadurch, 
daß  er  eine  wissenschaftliche  Topographie  der  Katakomben  geschaffen  hat,  durch 
methodische  Kritik  der  literarischen  Tradition  und  ihre  Verknüpfung  mit  den 
Monumenten.  Er  hat  schöne  Resultate  erzielt,  durch  Identifikation  der  vorfindlichen 
Grüfte  mit  den  literarisch  bezeugten,  in  welchen  vom  vierten  bis  ins  neunte  Jahr- 
hundert Totenkultus  in  Übung  gewesen  war.  Das  sind  die  von  ihm  sogenannten 
historischen  Krypten.  In  ihnen  fand  er  die  bestätigenden  Inschriften,  teils  die  Original- 
grabschriften, teils  Zeugen  des  späteren  Grabkultus.  De  Rossi  hat  sein  Lebenlang  in 
enger  Verbindung  mit  dem  deutschen  archäologischen  Institut  und  mit  der  deutschen 
und  außerdeutschen  historischen  und  epigraphischen  Wissenschaft  gestanden:  er  war 
auf  diesen  Gebieten  einer  der  Großen  des  neunzehnten  Jahrhunderts.  Zugleich  aber 
war  er  römisch-kirchlich  gesinnt  und  dogmatisch  gebunden;  es  war  ihm  die  höchste 
Genugtuung  seines  Lebens,  die  von  ihm  wiedergefundene  Gruft  der  römischen  Bischöfe 
des  dritten  Jahrhunderts  dem  regierenden  Pontifex  zu  zeigen,  dem  skeptischen  Pio  nono, 
dessen  Erröten  vor  den  bescheidenen  Ruhestätten  seiner  Amtsvorgänger  zu  deuten  uns 
überlassen  bleibt.  De  Rossis  Entdeckungen  erfolgten  seit  etwa  1849,  sein  monumentales 
Katakombenwerk  erschien  seit  1864.  Von  ihm  ist  die  römische  Schule  christlicher 
Archäologen  ausgegangen,  Stevenson,  Armellini  usf.  Er  war  auch  die  Seele  der  seit 
1851  gebildeten  päpstlichen  Commissione  di  archeologia  sacra;  nach  seinem  Tode 
übernahm  Crostarosa  das  Sekretariat.  Der  Kommission  wurde  die  Leitung  der  Aus- 
grabungen in  den  Katakomben  und  die  Bildung  zweier  Museen  christlicher  Altertümer 
übertragen,  des  vatikanischen  und  des  lateranischen.  Es  besteht  auch  eine  päpstliche 
Akademie  für  Archäologie,  welche  ihre  Verhandlungen  herausgibt;  daneben  gründete 
de  Rossi  eine  Gesellschaft  für  christliche  Archäologie.  Einen  ferneren  Mittelpunkt 
schuf  ihr  de  Waal  am  deutschen  Campo  Santo  bei  Sankt  Peter  zu  Rom  (dem  Hospiz 
und  Friedhof  für  katholische  Deutsche,  als  Schola  Francorum  von  Karl  dem  Großen 
797  gestiftet);  1876  wurde  ein  neues  Priesterkolleg  organisiert,  eine  Bibliothek  und  ein 
archäologisches  Museum  traten  hinzu.  Auch  hat  die  „Görresgesellschaft  zur  Pflege 
der  Wissenschaft  im  katholischen  Deutschland"  an  ihrem  historischen  Institut  zu  Rom 


1651).     Die  Stiche    neu  herausgegeben  von   Bottari  (Sculture  e  pitture  sacre  estratte  dai  cimiteri 
di  Roma  1737). 

Über   Bosios   Zeichner  vgl.  Wilpert   Die  Katakombengemälde  und    ihre  alten  Kopien   1861 
und  Rom.  Quart.  1891,  284. 


Der  Bestand.  85 

(Direktor  Ehses)  eine  unter  Wilperts  Leitung  stehende  Sektion  für  christliche 
Archäologie  und  Kunstgeschichte  eingerichtet.  De  Waal  und  Ehses  geben  die 
„Römische  Quartalschrift  für  christliche  Altertumskunde  und  für  Kirchengeschichte " 
heraus.  Wie  aber  bereits  im  achtzehnten  Jahrhundert  die  Societas  Matthaeorum  es 
unternahm,  den  seit  dem  neunten  Jahrhundert  in  den  Katakomben  aufgegebenen 
Märtyrerkultus  nach  und  nach  wieder  ins  Leben  zu  rufen,  so  ging  nun  auch  aus  den 
genannten  römischen  Kreisen,  1871  in  freier  Form,  1879  organisiert,  eine  das  religiöse 
mit  dem  antiquarischen  Interesse  verbindende  Genossenschaft  hervor,  das  Collegium 
cultorum  martyrum,  welches  sich  nicht  wie  die  Mattei  auf  Absingen  von  Vespern  an 
den  Gräbern  beschränkt,  sondern  die  Grüfte  zum  sakralen  Gebrauch  restauriert  und 
den  Kult  selbst  wieder  einrichtet.  Endlich  sind  noch  die  von  Rom  ausgehenden 
Kongresse  zu  erwähnen,  der  „christlich -archäologische  Kongreß"  (der  erste  war  zu 
Spalato-Salona)  und  der  „eucharistische  Kongreß"  im  Dienste  des  zentralen  Ritus  der 
katholischen  Kirche.1) 

Die  Aufgabe  der  Katakombe ntopographie  besteht  in  der  Bestimmung  der 
Cömeterien  und,  soweit  angängig,  der  Einzelgrüfte  und  Einzelgräber.  Der  Ermittelung 
ihrer  alten  Bezeichnungen  werden  in  erster  Linie  die  alten  Cömeterien  listen  zu- 
grunde gelegt,  wie  sie  seit  der  Organisierung  des  Märtyrerkultus  im  vierten  Jahr- 
hundert für  Verwaltungszwecke  angelegt  und  nachgehends  in  die  Stadtbeschreibung 
eingefügt  wurden.  Die  Stadtbeschreibung  folgt  der  konstantinischen  Einteilung  in 
vierzehn  Regionen.  In  den  zwei  Regionarien  aus  den  fünfziger  Jahren  des  genannten 
Jahrhunderts,  der  Notitia  und  dem  Curiosum  urbis  Romae  haben  christliche  Kultstätten 
noch  keine  Berücksichtigung  gefunden.  Ein  erstes  Verzeichnis  von  16  Cömeterien, 
nach  Kardinal  Rampolla  aus  der  Zeit  des  Bischofs  Liberius  (352 — 355)  hat,  wie 
Baumstark  urteilt,  Andrea  Fulvio  aus  handschriftlicher  Überlieferung  schöpfend 
zu  seinem  Kapitel  über  die  Cömeterien  benutzt  und  ist  daraus  wieder  zu  gewinnen. 
Die  Liste  bestimmt  die  Lage  der  Cömeterien  nach  darüber-  oder  dabeistehenden 
Cömeterialbasiliken  und  ordnet  sie  nach  den  von  den  Stadttoren  ausstrahlenden  Land- 
straßen; sie  beginnt  an  der  Straße  nach  Ostia  mit  dem  Coemeterium  Comodillae  bei 
Sankt  Paul  und  umkreist  die  Stadt  linksherum  bis  zur  Via  Portuensis.  Dieselbe  An- 
ordnung scheint  auch  im  Verzeichnis  der  Florentiner  Handschrift  Laur.  1554  wenigstens 


*)    Marchi,    Monumenti    delle  arti    cristiane    primitive   nella   metropoli    del    cristianesimo, 

I  Architettura  della  Roma  sotterranea  cristiana   1844.    —    De  Rossi,    Roma  sotterranea   I   1864. 

II  1867.  III  1877  (behandelt  die  Kaliistkatakombe  und  die  der  Generosa).  Band  IV  (Coem. 
Domitillae)  ist  in  Vorbereitung.  Nach  de  Rossi:  Fr.  X.  Kraus,  Roma  sotterranea  1873.  21879  u.  a. 
Über  de  Rossi  vgl.  Paul  Maria  Baumgarten,  G.  B.  de  Rossi  Festschrift  1892.  Marucchi,  G.  B. 
de  Rossi  1903.     Theodor  Mommsen,   Reden  und  Aufsätze  1905,  462.     Wilpert,  Malereien  1903,  121. 

—  Pontificia  commissione  di  sacra  archeologia  nelle  catacombe  romane,  Berichte  im  Bull,  crist. 
seit  1876;  vgl.  Crostarosa,  Bull,  crist.  1900,  324.  —  Accademia  pontificia  d'archeologia,  gibt  Atti 
heraus.    —    Societa  delle  conferenze  di  archaeologia  cristiana,  seit  1875,  vgl.  Bull,  crist.  1895,  118. 

—  Campo  santo:  de  Waal,  Der  Camposanto  der  Deutschen  zu  Rom  von  der  Gründung  durch 
Karl  den  Großen  bis  zur  Mitte  des  15.  Jahrhunderts  1897.  Das  Jubiläum:  Rom.  Quartalschr.  1897, 
213.  —  Görresgesellschaft:  Rom.  Quart.  1901,99.  —  Märtyrerverehrung:  Marucchi,  Rom.  Quart. 
1899  I  precursori  dei  Cultores  martyrum;  ders.,  Elements  II  2159,  2.  —  Kongresse  zu  Spalato 
1894  (Bull,  crist.  1895,  106.  Rom.  Quart.  1896,  223.  W.  Neumann,  Bull.  arch.  stör.  Dalm.  1896, 
115),  Rom  1900  (Bull,  crist.  1900,  161.  Rom.  Quart.  1900,  217).  Eucharistischer  Kongreß  zu 
Orvieto  1896:  Rom.  Quart.  1896,  395.  —  Louis  Perret,  Catacombes  de  Rome,  6  Bände,  Paris  1851 
bis  1855,  ist  weniger  zuverlässig  als  Th^ophile  Rollers  gleichnamiges  Werk,  Paris  1879.  1881. 


86  Die  Katakomben. 

nachzuklingen.  Der  entgegengesetzten  Richtung,  rechtsherum,  folgt  das  nach  de  Rossi 
aus  dem  sechsten  Jahrhundert  stammende  Verzeichnis  einer  vatikanischen  und  einer 
chigischen  Handschrift.1) 

Dazu  kommt  die  aus  den  Wallfahrten  erwachsene  Literatur.  An  der  Spitze 
stehen,  noch  nicht  eigentlich  Literatur,  aber  doch  Aufzeichnung,  die  Etiketten  der  zur 
Zeit  Gregors  des  Großen  (um  600)  von  Abt  Johannes  der  lombardischen  Königin 
Theodolinde  heimgebrachten  und  zu  Monza  bewahrten  Fläschchen,  die  er  mit  Ol  aus 
den  an  den  Märtyrer-  und  Heiligengräbern  brennenden  Lampen  gefüllt  hatte;  dazu 
ein  Blatt  mit  dem  Verzeichnis  der  Öle.  Es  sind  nur  Heiligennamen,  aber  in  der  topo- 
graphischen Gruppierung,  wie  sich  die  Gräber  dem  Pilger  boten.  Sodann  die  Pilger  - 
bücher,  Verzeichnisse  der  von  den  Pilgern  besuchten  und  zu  besuchenden  Stätten, 
also  Führer  zu  den  heiligen  Stätten.  Den  Gang  der  Pilger  zu  den  verschiedenen 
Gräbern  (beginnend  an  der  Flaminischen  Straße,  als  ob  für  die  nordischen  Pilger  be- 
rechnet) verfolgt  am  genauesten  das  dem  siebenten  Jahrhundert  verdankte  Itinerar 
einer  früher  Salzburger,  jetzt  Wiener  Handschrift;  sie  begeht  nicht  die  Landstraßen 
radial,  nämlich  immer  wieder  zum  Zentrum  zurückkehrend,  sondern  sie  sucht  die  an 
den  Straßen,  die  sie  auch  nennt,  zerstreut  liegenden  Stätten  jedesmal  auf  dem  kürzesten 
Verbindungswege  auf.  Diese  genaue  Periegese  ist  der  Katakombentopographie  zu- 
grunde zu  legen.2) 


x)  Topographie  der  Katakomben,  literarische  Tradition:  de  Rossi,  Roma  sott.  I  111  (die 
von  ibm  abgedruckten  Texte  wiederholt  bei  Armellini,  Cimiteri  1903,  99).  Schultze,  Katakomben 
26.  Kaufmann,  Handbuch  52.  Marucchi,  Elements  I  2p.  XIII.  —  Notitia  und  Curiosum:  Otto 
Richter,  Topographie  der  Stadt  Rom  2 1901,  7.  —  Andrea  Fulvio  De  urbis  antiquitatibus  libri 
quinque  1527,  libro  quarto.  Rampolla  del  Tindaro,  Secondo  congresso  d'archeologia  cristiana 
1900.  Baumstark,  Rom.  Quart.  1901,  1.  —  Cod.  Laur.  1554:  Stevenson,  N.  Bull.  1897,  255.  — 
Cod.  Vat.  3851:  de  Rossi,  Roma  sott.  I  130.  Cod.  Chig.  A.  V.  141:  Bull,  crist.  1878,  44.  Beide 
auch  N.  Bull.  1897,  260,  1. 

Zur  Veranschaulichung  der  Art  unserer  Quellen  geben  wir  hier  und  weiterhin  Proben,  hier 
zunächst  die  Cömeterienliste  bei  Fulvio;  in  kritischer  Beziehung  begnügt  sich  der  Abdruck 
mit  Baumstarks  Herstellung  der  ursprünglichen  Folge  der  Straßen,  bzw.  mit  deren  Andeutung  durch 
vorgesetzte  Ordnungszahlen : 

1.  Coemiterium  Comodillae  via  Ostiensi  iuxta  basilicam  s.  Pauli. 

2.  Coemiterium  Domitillae  via  Ardeatina  iuxta  s.  Petronillam. 

3.  Eadem  via  coemiterium  Balbinae  {tilge  Priscillae) 

4.  et  [ergänze  coemiterium]  Basilei. 

5.  Coemiterium  Praetextati  via  Appia  apud  s.  Januarium. 

6.  Eadem  quoque  via  coemiterium  Calixti  [ad  s.  Sixtum]. 

7.  [Eadem  via  coemiterium  ad  catacumbas]    ad    aedem  (nunc)   s.  Sebastiani.     (Coemiterium 
Cyriacae  via  Tiburtina  ad  s.  Laurentium  extra  muros). 

9.  [Coemiterium  Jordanorum  via  Salaria  nova]. 

10.  [Coemiterium]  Priscillae  (item)  via  Salaria  [nova]  apud  s.  Silvestrum. 

11.  Eadem  via  [coemiterium]  Thrasonis 

12.  et  [coemiterium]  Basillae  [via  Salaria  vetere].     (Item  Aproniani). 

13.  [Coemiterium]  ad  clivum  cueumeris. 

14.  Coemiterium  Calepodii  via  Aurelia  apud  s.  Callistum. 

15.  Coemiterium  ad  insalatas  via  Portuensi  iuxta  s.  Felicem. 

8.  Coemiterium  inter  duos  lauros  via  Labicana. 

16.  Item  (iuxta  s.  Bibianam)  [eadem  via  coemiterium]  ad  ursum  pileatum. 

2)  Olea:  Marini,  Papiri  diplomatici  1805,  377.  de  Rossi,  Roma  sott.  I  133.  —  Cod.  Salis- 
burg.  n.  140,  jetzt  Vindob.  795:  de  Rossi,  Roma  sott.  I  138. 


Der  Bestand.  87 

Der  Umstand ,  daß  die  Andacht  der  Pilger  nicht  den  ganzen  Cömeterien, 
sondern  nur  gewissen  Einzelgräbern  galt,  bewirkte,  daß  die  Namen  der  Cömeterien  in 
den  Itinerarien  früh  ausfielen  und  bloß  die  nach  Straßen  geordneten  und  nach  Basiliken 
bestimmten  Märtyrer-  und  Heiligengräber  übrig  blieben.  Aus  einem  solchen  Buche, 
auch  noch  des  siebenten  Jahrhunderts,  sind  mehrere  Handschriften,  in  Würzburg  und 
Wien,  geflossen.  Ein  gleichartiges  Verzeichnis  aus  demselben  Jahrhundert  teilte  im 
Zeitalter  der  Kreuzzüge  Wilhelm  von  Malmesbury  mit.  Um  die  Zeit  Karls  des 
Großen  entstand  auf  Grund  älterer  Quellen  die  Topographie  einer  Handschrift  des 
Klosters  Einsiedeln. *) 

Neben  den  topographischen  Quellen  gibt  es  noch  andere  kalendarisch  oder 
chronologisch    geordnete    Verzeichnisse   von    Märtyrern    und    solche  von    römischen 


Fol.  184  Notitia  ecclesiarum  Urbis  Eomae.  Primum  in  urbe  Roma  beatorum  martyrum 
corpora  Johannis  et  Pauli  tarnen  quiescunt  in  basilica  magna  et  valde  formosa  (auf  dem  Caelius). 

Deinde  intrabis  per  urbem  ad  aquilonem,  donec  pervenies  ad  portam  Flamineam  ubi  scs 
Valentinus  martyr  quiescit  via  Flaminea  in  basilica  magna  quam  Honorius  reparavit,  et  alii 
martyres  in  aquilone  plaga  sub  terra. 

Deinde  vadis  ad  orientem  ad  ecclesiam  Johannis  martyris  via  Salinaria  etc. 

Fol.  185  med.  Postea  pervenies  via  Appia  ad  s.  Sebastianum  martyrem,  cuius  corpus 
iacet  in  inferiore  loco,  et  ibi  sunt  sepulcra  apostolorum  Petri  et  Pauli,  in  quibus  XL  annorum 
requiescebant.  Et  in  occidentali  parte  ecclesiae  per  gradus  descendis  ubi  s.  Cyrinus  papa  et 
martyr  pausat. 

Et  eadem  via  ad  aquilonem  ad  ss.  martyres  Tiburtium  et  Valerianum  et  Maximum.  Ibi 
(intrabis  in  speluncam  magnam  et  ibi  von  zweiter  Hand)  invenies  s.  Urbannum  episcopum  et  con- 
fessorem,  et  in  altero  loco  Felicissimum  et  Agapitum  martyres  et  diaconus  Syxti,  et  in  tertio  loco 
Cyrinum  martyrem,  et  in  quarto  Januarium  martyrem.  Et  in  tertia  ecclesia  sursum  s.  Synon 
martyr  quiescit. 

Eadem  via  ad  s.  Caeciliam,  ibi  innumerabilis  multitudo  martyrum.  Primus  Syxtus  papa  et 
martyr,  Dionysius  papa  et  martyr,  Julianus  papa  et  martyr,  Flavianus  martyr,  s.  Caecilia  virgo  et 
martyr,  LXXX  martyres  ibi  requiescunt  deorsum.  Geferinus  papa  et  confessor  sursum  quiescit. 
Eusebius  papa  et  martyr  longe  in  antro  requiescit.  Cornelius  papa  et  martyr  longe  in  antro 
altero  requiescit. 

Postea  pervenies  ad  s.  virginem  Soterem  et  martyrem  (Eadem  via  venis  ad  ecclesiam  parvam 
ubi  decollatus  est  s.  Xystus  cum  diaconibus  suis,  am  Rande)  cuius  corpus  iacet  ad  aquilonem. 

Et  dimittis  viam  Appiam  et  pervenies  ad  s.  Marcum  papam  et  martyrem,  postea  ad 
s.  Damasum  papam  et  martyrem  via  Ardeatina.  Et  ibi  in  altera  ecclesia  invenies  duos  diaconos 
et  martyres  Marcum  et  Marcellianum  fratres  germanos  cuius  corpus  quiescit  sursum  sub 
magno  altare. 

Deinde  descendis  per  gradus  ad  ss.  martyres  Nereum  et  Achilleum. 

Et  sie  vadis  ad  oeeidentem  et  invenies  s.  Felicem  episcopum  et  martyrem,  et  descendis  per 
gradus  ad  corpus  eius. 

Et  sie  vadis  ad  s.  Paulum  via  Ostiensi. 

Et  in  australi  parte  cerne  ecclesiam  s.  Theclae  supra  montem  positam  in  qua  corpus  eius 
quiescit  in  spelunca  in  aquilone  parte. 

In  occidentali  parte  Tiberis  ecclesia  est  etc. 

*)  Cod.  Wirceburgensis:  Eckart,  Commentarii  de  rebus  Franciae  Orientalis  I  831.  —  Cod. 
Salisburgensis  n.  209,  jetzt  Vindob.  1008:  de  Rossi,  Roma  sott.  I  141  De  locis  sanetis  martyrum 
quae  sunt  foris  civitatis  Romae.  —  Guilelmus  Malmesburiensis,  Gesta  regum  Anglorum,  ed.  Hardy 
1840  II  539.  —  Einsiedlensis:  de  Rossi,  Inscr.  Christ.  II.  Jordan,  Topogr.  II  329.  646.  Lanciani, 
Mon.  ant.  dei  Lincei  I  1891,  439.  —  Das  Cömeterienverzeichnis  der  Mirabilia  urbis  Romae  des 
12.  Jhs.  ist  zu  sehr  entstellt;  vgl.  Richter,  Topogr.'2  14.  Jordan  Top.  II  605.  de  Rossi,  Roma 
sott.  I  157. 


88  Die  Katakomben. 

Bischöfen  mit  regelmäßiger  Angabe  ihres  Depositionstages.  Nach  altchristlicher  An- 
schauung bezeichnet  der  Tod  eines  Christen  seinen  Eingang  in  das  wahre  Leben, 
mithin  gilt  der  Sterbetag  (als  welcher,  scheint  es,  der  Tag  der  Beisetzung,  depositio, 
angenommen  wurde)  als  der  wahre  Geburtstag:  er  wurde  aufgezeichnet  und  an  ihm 
das  Jahrgedächtnis  gefeiert.  Die  Aufzeichnung  des  Todestages  und  seine  Eintragung 
in  den  Festkalender  diente  eben  der  Sicherung  des  Gedächtnisses.  Es  handelt  sich 
hierbei  nicht  um  die  Masse  der  Verstorbenen,  sondern  gemäß  dem  auch  im  so  demo- 
kratischen Christentum  sich  behauptenden  antiken  Aristokratismus  (Aristokratismus 
und  Demokratismus  sind  gleich  antik)  um  hervorragende  Persönlichkeiten,  wie  Bischöfe, 
Märtyrer  und  Heilige,  eben  um  solche  Personen,  deren  Grabstätten  de  Rossi  suchte. 
Die  Aufzeichnungen  der  Depositiohen  haben  für  die  Cömeterialtopographie  Wert, 
wenn  sie,  wie  es  üblich  war,  mit  dem  Tag  zugleich  auch  die  Stätte  der  Beisetzung 
angaben.  Die  erste  Stelle  gebührt  dem  „Chronograph  von  354";  er  enthält  für  die 
Katakombenforschung  wichtige  Verzeichnisse:  eine  Depositionsliste  der  römischen 
Bischöfe,  beginnend  mit  Lucius  (f  256)  und  fortgehend  bis  vor  Liberius,  zu  dessen 
Zeit  das  Werk  entstand;  sodann  ein  Depositionsverzeichnis  von  Märtyrern;  und  eine 
Liste  der  römischen  Bischöfe  bis  Liberius.  —  Das  Verzeichnis  der  römischen  Bischöfe 
ist  successiv  fortgeführt  (auch  inhaltlich  erweitert)  worden,  zuletzt  von  Anastasius 
Bibliothecarius  bis  ins  neunte  Jahrhundert.  Das  ist  das  sog.  Papstbuch  (der  Liber 
pontificalis).  Die  Verzeichnisse  der  Bischöfe  sind  noch  dadurch  wertvoll,  daß  sie  neben 
deren  etwaigen  anderen  Taten  auch  ihre  Bauarbeiten  in  den  Cömeterien  erwähnen, 
sowie  ihre  eigene  Ruhestätte.1) 


l)  Chronograph:  Mommsen,  Sachs.  Akad.  Abh.  I  1850,  547.  Mon.  Germ.  hist. ,  Script, 
antiquiss.  IX.  CJL  I  322.  —  L.  Duchesne,  Le  Liber  pontificalis,  texte,  introduction  et  commentaire 
(Biblioth.  des  öcoles  franc.  d'Athenes  et  de  Rome)  I  1886  Seite  1  Catalogue  libörien,  10  Depositio 
episcoporum,  11  Depositio  martyrum,  47  Liber  pontif.,  premiere  edition,  115  seconde  Edition.  Aus 
letzterer  entnehmen  wir  Proben. 

Zepherinus  (202)   —    sepultus  est   in  cymiterio  suo  iuxta   cymiterium   Calisti    via  Appia. 

Callistus  (218)  sepultus  est  in  cymiterio  Calepodi  via  Aurelia  miliario  III  —  fecit  alium 
cymiterium  via  Appia,  ubi  multi  sacerdotes  et  martyres  requiescunt,  qui  appellatur  usque  in 
hodiernum  diem  cymiterium  Calisti. 

Pontianus   (230)   —    quem    beatus  Fkbianus    —    sepelivit   in    cymiterio  Calisti  via  Appia. 

An t er os  (235)  —  gestas  martyrum  diligenter  a  notariis  exquisivit  et  in  ecclesia  recondit 
—  sepultus  est  in  cymiterio  Calisti. 

Fabianus  (236)  —  regiones  dividit  diaconibus  et  fecit  VII  subdiaconos  qui  Septem  notariis 
imminerent,  ut  gestas  martyrum  in  integro  fideliter  colligerent,  et  multas  fabricas  per  cymiteria 
fieri  praecepit  —  sepultus  est  in  cymiterio  Calisti  — . 

Cornelius  (251)  —  Hie  temporibus  suis,  rogatus  a  quodam  matrona  Lucina,  corpora 
apostolorum  beati  Petri  et  Pauli  de  Catacumbas  levavit  noctu:  primum  quidem  corpus  beati  Pauli 
aeeepto  beata  Lucina  poauit  in  praedio  suo,  via  Ostiense,  iuxta  locum  ubi  decollatus  est;  beati 
Petri  aeeepit  corpus  beatus  Cornelius  episcopus  et  posuit  iuxta  locum  ubi  crueifixus  est,  inter 
corpora  sanetorum  episcoporum  —  in  Vaticanum  — .  Cuius  corpus  noctu  collegit  beata  Lucina 
cum  clericis  et  sepelivit  in  crypta  iuxta  cymiterium  Calisti  via  Appia  in  praedio  suo  — . 

Lucius  (252)  —  sepultus  est  in  cymiterio  Calisti  — .  Ebenso  Stephanus  (253). 

Xystus  (II.  257)  —  comprehensus  a  Valeriano  et  duetus  ut  sacrificaret  demoniis.  Qui 
contempsit  praeeepta  Valeriani ;  capite  truncatus  est,  et  cum  eo  alii  sex  diaconi,  Felicissimus  et 
Agapitus,  Januarius,  Magnus,  Vincentius  et  Stephanus.  —  Et  post  passionem  beati  Xysti,  post 
tertia  die,  passus  est  beatus  Laurentius  eius  archidiaconus  — .  Qui  vero  sepultus  est  in  cymiterio 
Calisti  via  Appia;    nam  VI    diacones    supradicti    sepulti  sunt  in   cymiterio  Praetextati  via  Appia; 


Der  Bestand.  89 

Noch  ein  Märtyrerverzeichnis  von  Bedeutung  ist  das  Martyrologium  Hierony- 
mianum,  unter  Benutzung  älterer  Vorlagen  im  fünften  Jahrhundert  entstanden.1) 

Endlich  kommen  die  Ritualbücher  in  Betracht,  soweit  sie  zu  den  vorge- 
geschriebenen  Riten  die  Stationen  angeben,  an  denen  sie  zu  vollziehen  sind.  Topo- 
graphische Angaben  über  Cömeterialkulte  finden  sich  im  Sacramentarium  Leonianum 
(dem  Papst  Leo  I.  440  zugeschrieben,  aber  wohl  jünger),  nicht  aber  im  Sacramentarium 
Gelasianum.  Beim  Orationale  des  Sacramentarium  Gregorianum  (Gregor  I  590)  hat 
der  Herausgeber  Thomasius  jedesmal  die  Station  hinzugefügt,  zum  Teil  auch  die 
ursprüngliche  Kultstätte,  wie  sie  vor  Übertragung  der  Gebeine  aus  den  vorstädtischen 


supradictus    autem    beatus   Laurentius  in  cymiterio  Cyriaces,   in  agro  Verano,  in  crypta,  cum  aliis 
multis  martyribus  — . 

Dionysios  (259)    —    presbiteris  ecclesias  dedit  et   cymiteria  et  parrocias  diocesis  constituit 

—  sepultus  est  in  cymiterio  Calisti  — . 

Felix  (269)  —  constituit  supra  memorias  martyrum  missas  celebrare  (vgl.  Duchesnes 
Kommentar,  hier  wie  überall)  —  fecit  basilicam  in  via  Aurelia  ubi  et  sepultus  est  (vielmehr  im 
Coem.  Callisti). 

Eutycianus  (275)  —  sepultus  est  in  cymiterio  Callisti  — . 

Gaius  (283)  —  fugiens  p.ersecutionem  Diocletiani    in    criptis   habitando   martyrio   coronatur 

—  sepultus  est  in  cymiterio  Calisti  — . 

Marcellinus  (296)  —  Marcellus  presbiter  collegit  noctu  corpora  cum  presbyteris  et 
diaconibus  cum  hymnis  et  sepelivit  in  via  Salaria  in  cymiterio  Priscillae  in  cubiculum  qui  patet 
usque  in  hodiernum  diem,  quod  ipse  praeceperat  paenitens  dum  traheretur  ad  occisionem,  in  crypta 
iuxta  corpus  sancti  Criscentionis  — . 

Marcellus  (308)  —  fecit  cymiterium  Novellae  via  Salaria  et  XXV  titulos  in  urbe 
Eoma  constituit  quasi  dioecesis  —  propter  baptismum  et  paenitentiam  —  et  propter  sepulturas 
martyrum  — .    Cuius  corpus  collegit  beata  Lucina  et  sepelivit  in  cymiterio  Priscillae  via  Salaria  — . 

Eusebius  (309)  —  sepultus  est  in  cymiterio  Calisti  via  Appia  — .  Ebenso  Miltiades 
(311—313)  als  letzter. 

Silvester  (314)  —  constituit  ut  si  quis  desideraret  in  ecclesia  militare  aut  proficere, 
ut  esset  —  custus  martyrum  annos  X  — .  Eodem  tempore  Augustus  Constantinus  fecit  basilicam 
beato  Petro  apostolo  in  templum  Apollinis,  cuius  loculum  cum  corpus  sancti  Petri  ita  recondit  eqs 
— .  Eodem  tempore  fecit  basilicam  beato  Paulo  apostolo  ex  suggestione  Silvestri  episcopi  — 
Eodem  tempore  fecit  basilicam  sanctae  martyris  Agnae  —  Eodem  tempore  fecit  basilicam  beato 
Laurentio  martyri  via  Tiburtina  in  agrum  Veranum  supra  arenario  cryptae  —  Eisdem  temporibus 
fecit  Aug.  Const.  basilicam  beatis  martyribus  Marcellino  presbytero  et  Petro  exorcistae  in  territurio 
inter  duos  lauros  —  via  Lavicana  — .  Hie  Silvester  —  sepultus  est  in  cymiterio  Priscillae  via 
Salaria,  ab  urbe  Roma  miliario  III  — . 

Marcus  (336)  —  fecit  duas  basilicas,  unam  via  Ardeatina  ubi  requiescit  — .  Qui  etiam 
sepultus  est  in  cymiterio  Balbinae  via  Ardeatina,  quem  ipse  insistens  fecit  — . 

Julius  (337)  —  fecit  —  et  cymiteria  III,  unum  via  Flamminea,  alium  via  Aurelia  et 
alium  via  Portuense  —  sepultus  est  via  Aurelia  in  cymiterio  Calepodi,  miliario  III  — . 

Liberius  (352)  —  fecit  in  exilio  annos  III  —  rediens  autem  Liberius  de  exilio  habitavit 
in  cymiterio  sanctae  Agnae  apud  germanam  Constanti  Augusti  —  ornavit  de  platomis  marmoreis 
sepulchrum  sanctae  Agnae  martyris  —  sepultus  est  via  Salaria  in  cymiterio  Priscillae  — . 

Damasus  (366)  —  fecit  basilicas  duas  —  alia(m)  via  Ardeatina  ubi  requiescit;  et  in 
Catacumbas,  übi  iacuerunt  corpora  sanetorum  apostolorum  Petri  et  Pauli,  in  quo  loco  (?)  platomam 
ipsam,  ubi  iacuerunt  corpora  saneta,  versibus  exornavit.  Hie  multa  corpora  sanetorum  requisivit 
et  invenit,  quorum  etiam  (gesta?)  versibus  declaravit  —  sepultus  est  via  Ardeatina  in  basilica  sua 

—  iuxta  matrem  suam  et  germanam  suam  — . 

Das  Verzeichnis  geht  bis  Hadrian  (772 — 995). 

l)  Martyrologium  Hieronymianum  edd.  de  Rossi  et  Duchesne  (in  den  Acta  sane- 
torum.    Nov.  H)  1893. 


90  Die  Katakomben. 

Katakomben  in  die  Stadtkirchen  bestand  (Statio  olim,  z.  B.  via  Latina  in  Calisti  seil, 
coemiterio);  aber  die  Quellen,  aus  welchen  Thomasius  seine  Angaben  schöpfte,  sind  noch 
nicht  ermittelt.  Das  Capitulare  evangeliorum,  in  der  vorliegenden  Fassung  für  Karl 
den  Großen  geschrieben,  verzeichnet  die  bei  der  Messe  zu  singenden  Evangelien- 
lektionen für  jeden  Tag  und  jedes  Fest,  unter  Angabe  der  Märtyrer  und  Heiligen  des 
Tages,  nebst  der  Station;  dabei  wird  das  betreffende  Cömeterium  nicht  genannt,  oft 
aber  die  Straße,  woran  die  Kultstätte  lag.1) 

Mit  Hilfe  der  vortehend  skizzierten  literarischen  Überlieferung  hat  de  Rossi 
Cömeterien  und  Grüfte  festgestellt;  seine  Hauptentdeckung  betraf  das  Cömeterium 
Callisti  an  der  Via  Appia  mit  der  Gruft  römischer  Bischöfe  des  dritten  Jahrhunderts 
und  anderen  Gräbern  von  hervorragenden  Märtyrern,  Heiligen  und  Bischöfen.  Die 
einzelnen  Gräber  selbst  ließen  sich  oft  mittels  vorfindlicher  Reste  der  Originalgrab- 
schriften verifizieren;  dazu  traten  ergänzend  oder  bestätigend  die  von  Bischof  Damasus 
(366)  in  die  historischen  Krypten  gestifteten  metrischen  Elogien,  auf  Marmortafeln  in 
eigenartigen  Schriftzügen  gemeißelt  nach  der  Vorschrift  des  Furius  Dionysios 
Philokalos.2) 

Da  die  ursprüngliche  Anordnung  der  Cömeterienliste  des  vierten  Jahrhunderts 
noch  nicht  authentisch  vorliegt,  so  folgt  unser  Katakombenverzeichnis  einstweilen 
den  Itinerarien,  die  mit  der  Via  Flaminia  beginnen,  die  Stadt  rechts  herum  umkreisen  und 
mit  Sankt  Peter  schließen.8) 

Via  Flaminia  (vor  Porta  del  popolo). 

Coemeterium  (Sabinillae?)  ad  sanetum  Valentinum.  Rechts  der  Straße  auf 
den  Monti  Parioli  (Parco  Margherita).  Valentin  soll  nach  seinen  Akten  von  Sabinilla 
auf  ihrem  Grundstück  begraben  worden  sein.4) 

Via  Salaria  vetus  (vor  Porta  Salaria;  von  der  Mündung  der  Via  Po  in 
den  Corso  di  Porta  Pinciana  nordwestlich  nach  Ponte  Molle  strebend.  Die  Bezeichnung 
Salaria  vetus  nur  in  altchristlichen  Quellen). 

Hypogaeum  des  h.  Pamphilus.  De  Rossi  glaubte  es  in  einer  Katakombe 
unter  der  Osteria  delle  tre  madonne  gefunden  zu  haben.5) 

Coemeterium  Basillae  ad  s.  Hermete m.  Links  der  Straße  auf  den  Monti 
Parioli  in  einer  Vigna  des  Collegium  Germanicum.  Beglaubigt  durch  Inschriften  mit 
den  Namen  der  Basilla  und  des  Hermes.  Malereien  des  3.  und  4.  Jahrhunderts.  Auch 
die  Gruft  der  H.  Protus  und  Hyancinthus  ist  durch  Inschriften  beglaubigt. 

Coemeterium  ad  Septem  columbas  (palumbas)  ad  caput  s.  Johannis  in  clivum 
cueumeris  (letzteres  ist  die  Senkung  der  Straße  zum  Tiber,  bei  Aqua  acetosa). 

Via    Salaria    (in    den    christlichen   Quellen  Salaria  nova;    vor    Porta    Salara). 


*)  Sacramentarien:  de  Rossi,  Roma  sott.  I  126.  —  Capitulare:  eb.  127. 

2)  Damasus:  de  Rossi,  Roma  sott.  I  118.  Damasi  epigrammata  rec.  Ihm  1895.  Beim 
Epigramm  auf  Bischof  Eusebius  steht  die  Beischrift:  Furius  Dionysius  Filocalus  scripsit,  Damasi 
papae  eultor  atque  amator.     Er  war  Schreiber  und  Zeichner,  nicht  Steinmetz. 

3)  Eine  Karte  bei  Crostarosa,  Bull,  crist.  1900,  321  Taf.  11;  vgl.  dazu  die  Pläne  von 
Alt-  und  Neurom  bei  Otto  Richter,  Topographie  der  Stadt  Rom  1901.  —  Die  Spezialliteratur 
zu  den  einzelnen  Katakomben  bei  Kraus,  Realencykl.  II  110;  Müller,  Koimeterien  808;  Armellini 
und  Marucchi. 

4)  Coem.  Valentini:  Marucchi,  Bull,  comunale,  Roma  1888,240.429;  ders.,  Cimitero  e 
basilica  di  San  Valentino  1890. 

5)  Via  Salaria:  Bull,  crist.  1894,  7  Taf.  1.  2. 


Der  Bestand.  91 

Coemeterium  Maximi  ad  s.  Felicitatem.  Letzteres  inschriftlich,  erstere  Be- 
zeichnung durch  das  Martyrolog.  Hieronymianum  bezeugt.     Links  der  Straße.1) 

Coemeterium  Thrasonis  ad  s.  Saturninum.  Rechts.  Vielleicht  das  Hypo- 
gaeum  in  Villa  Odescalchi. 

Coemeterium  Jordanorum  ad  s.  Alexandrum,  Vermutet  im  Hypoygäum  unter 
Vigna  Massimo. 

Coemeterium  Priscillae  ad  s.  Silvestrum.  Links;  unter  den  Hügeln  vor  dem 
Anio  in  Villa  Ada.  Beglaubigt  durch  Inschriften  (Felix,  Philippus)  und  Graffiti 
(Priscilla).  Darin  die  Cappella  greca,  so  genannt  wegen  zweier  griechischen  In- 
schriften; die  Gruft  der  Acilier;  ein  Baptisterium  u.  a.  Angeschlossen  war  das 
Coemeterium  Novellae,  rechts  der  Straße.2) 

Via  Nomentana  (vor  Porta  Pia). 

Coemeterium  Nicomedis.     Eechts  der  Straße,  unter  Villa  Patrizi. 

Coemeterium  Agnetis.     Links.3) 

Coemeterium  maius  ad  Capream  (Martyrolog.  Hieronym.),  Coem.  fontis  s.  Petri 
(Mirab.);  de  Rossi  identifiziert  es  mit  dem  Coem.  Ostrianum  (der  Acta  Liberii:  non 
longe  a  coem.  Novellae  cim.  Ostr.  ubi  Petrus  apostolus  baptizavit;  vgl.  Acta  Mauri 
et  Papiae:  in  via  Nomentana  ad  Nymphas  ubi  Petrus  baptizaverat).  In  den  Vignae 
Leopardi  und  Crostarosa.  Die  Crypta  Emerantianae  ist  durch  eine  Inschrift  beglaubigt. 
Die  Katakombe  ist  architektonisch  interessant;  dazu  gehören  auch  ihre  aus  dem  Tuff 
geschnittenen  Sessel.4) 

Via  Tiburtina  (vor  Porta  San  Lorenzo). 

Coemeterium  Cyriacae  ad  s.  Laurentium  in  agro  Verano.  Rechts  der  Straße. 
Großenteils  zerstört  durch  die  neueren  Friedhofanlagen.  Eingang  im  Friedhof  bei 
den  Grabstätten  Odescalchi  und  de  Romanis.  Beglaubigt  durch  die  Lage  an  der 
Basilica  di  San  Lorenzo. 

Cömeterium  des  h.  Hippolytus.  Links  der  Straße,  in  Vigna  Caetani. 
Beglaubigt  durch  Inschriften.  Hier  fand  man  1551  die  Statue  des  Bischof  Hippolytus; 
daher  wird  gefragt,  ob  dieser  identisch  war  mit  dem  Märtyrer. 

Via  Labicana  (vor  Porta  Maggiore). 

Cömeterium  des  h.  Castulus.  In  seinem  Gelände  gabelt  sich  die  Bahn  für 
Neapel  und  für  Civitavecchia. 

Coemeterium  ad  duos  lauros,  ad  ss.  Petrum  et  Marcellinum  ad  s.  Helenam, 
in    comitatu    (Chronogr.),    sub    Augusta    seil.    Helena,    ad  s.  Tiburtium  (Acta  Petri  et 


x)  Via  Salaria  nova:  Bull,  crist.  1894.    Taf.  1.  2. 

2)  C.  Priscillae.     Lanciani,  Bull.  com.  Roma  1891,  323. 

Capella  greca.     Wilpert,  fractio  panis  1895. 

Acilier.  Hülsen,  Rom.  Mitt.  1892,  314.  v.  Rhoden  in  Pauly- Wissowas  Realencykl. 
I  257  n.  40. 

Baptisterium.  Marucchi,  Bull,  crist.  1901,  71  u.  277.  Rom.  Quart,  1902,  256.  1903,  355. 
Zettinger,  eb.  343.  de  Waal,  eb.  1901,  388.  de  Waal.  eb.  1903,  358. 

s)  C.  Agnetis.  Armellini,  Cimitero  di  s.  Agnese  1880.  Leclercq  bei  Cabrol ,  Dic- 
tionnaire  I  1904,  918. 

4)  Coem.  maius.  Bosio  III  cap.  50  (unter  dem  Namen  Coem.  der  h.  Agnes).  Marchi, 
Mon.,  bezieht  sieb  wesentlich  auf  diese  Katakombe. 

Armellini,  Scoperta  della  cripta  di  s.  Emerenziana  1877.  Marucchi  sucht  das  Baptiste- 
rium Petri  vielmehr  im  Coem.  Priscillae  (s.  dort). 


92  Die  Katakomben. 

Marcellini.  Im  Gelände  einer  Villa  der  Cäsaren,  darin  auch  das  Mausoleum  der 
Helena  errichtet  wurde  (Tor  Pignattara);  nahe  beim  Begräbnisplatz  der  Equites  singu- 
lares  (Henzen,  Iscrizioni  recentemente  scoperte  degli  Equites  singulares  1885).  In- 
schriftlich bezeugt.     Reich  an  Gemälden. 

Coemeterium  in  der  Vigna  del  Grande  (jetzt  Marchi  und  Cellere),  anscheinend 
ohne  Verbindung  mit  dem  Com.  Petri  et  Marcellini;  als  christlich  nicht  sicher  bezeugt. 

Via  Latina  (vor  Porta  San  Giovanni). 

Coemeterium  Gordiani  et  Epimachi  ad  s.  Gordianum.  Vielleicht  die  Kata- 
kombe am  Fienile  Cartoni,  rechts  der  Straße. 

Coemeterium  Aproniani  ad  s.  Eugeniam. 

Coemeterium  et  basilica  Tertulliani.1) 

Via  Appia  (vor  Porta  San  Sebastiano). 

Coemeterium  Lucin ae.  Rechts  an  der  Straße.  Ursprünglich  selbständig,  später 
dem  Coem.  Callisti  angeschlossen;  es  enthält  die  inschriftlich  bezeugte  Gruft  des 
Bischof  Cornelius  (251/52),  in  welcher  de  Rossi  seine  Grabungen  begann.'2) 

Coemeterium  Callisti  (Calixti)  ad.  s.  Sixtum  (Xistum).  Rechts  der  Straße, 
zwischen  Appia  und  Ardeatina.  Callistus  war  Diakon  des  Bischof  Zephyrinus  (208  bis 
218)  und  wurde  von  diesem  mit  der  Verwaltung  des  schon  zuvor  bestehenden  Cöme- 
teriums  betraut;  als  dessen  Nachfolger  vergrößerte  er  es.  Seit  Bosio  betrachtete 
man  alle  Cömeterien  der  Appia  und  Ardeatina  als  Glieder  der  Kaliistkatakombe. 
Deren  historisch-topographische  Kritik  und  die  Feststellung  ihrer  historischen  Krypten 
war  de  Rossis  bahnbrechende  Tat.  Durch  Inschriften  bezeugt  ist  die  sog.  Papst- 
gruft. Kailist,  den  Bischof  Zephyrinus  über  das  Cömeterium  gesetzt  hatte,  wurde 
Zephyrins  Nachfolger,  ihm  folgte  Urbanus  223 — 230.  Diese  drei  sind  anderswo 
bestattet  worden,  Zephyrin  nahebei,  Kailist  an  der  Via  Aurelia,  Urbanus  im  Coem. 
Praetextati;  die  in  der  Bischofsgruft  gefundene  Urbanusinschrift  weist  Wilpert  einem 
anderen  Träger  des  Namens  zu.  Sicher  dort  bestattet  wurden  Pontianus  235,  Anteros 
236,  Fabianus  250,  nicht  Cornelius,  wohl  aber  Lucius  und  seine  Nachfolger  bis 
Eutychianus  (283).  Reste  der  griechischen  Grabschriften  sind  erhalten,  abgesehen 
von  der  zweifelhaften  Urbanusinschrift  die  des  Anteros,  Fabianus,  Lucius  und  Euty- 
chianus. Die  Gruft  der  h.  Cäcilia,  wie  de  Rossi  sie  bestimmte,  ist  unbezeugt. 
Nach  de  Rossi  wäre  sie  unter  M.  Aurel  hingerichtet  und  dort  bestattet  worden, 
nach  Erbes  unter  Septimius  Severus,  nach  Wilpert  erst  unter  Alexander  Severus. 
Daß  die  fragliche  Kammer  unbezeugt  ist,  darauf  hat  Lipsius  hingewiesen;  es 
haben  sich  nur  zwei  spätere  Grabschriften  von  Caeciliani  gefunden.  Der  Cäcilien- 
kult  entwickelte  sich,  soweit  ersichtlich,  erst  im  5.  Jahrhundert,  die  Akten  werden 
dem  Ausgang  des  Jahrhunderts  zugeschrieben.  Duchesne  aber  verweist  auf  die  Angabe 
des  Liber  pontificalis,  derzufolge  der  Körper  der  Heiligen  aus  dem  Coem.  Prätextati 
in  die  Stadt  übertragen  worden  sei,  also  gar  nicht  in  der  Kailistkatakombe  geruht 
habe.  Bezeugt  ist  die  Sondergruft  des  Bischofs  Eusebius  (309 — 311),  nicht  die 
des  Gaius  (283 — 284)  und  des  Miltiades  (311 — 314).  Die  nördlich  anschließenden 
Hypogäen    bezeichnete    de    Rossi    als    Arenarium    Hippolyti,    Regio    Liberiana, 

*)  Alle    drei    nicht   bestimmt   und    nicht    erforscht.     Armellini,    Cimiteri   cristiani  della  via 
Latina  1874.     Zum  Coem.  Aproniani  vgl.  Leclercq  bei  Cabrol  Dictionnaire  I  1906,  2636. 
2)  Via  Appia:  Canina,  Annali  d.  Instit.  1853,  132.  Mon.  V  Tal  57.  58  (Karte). 
C.  Lucinae.     de  Rossi,  Roma  sott.  I  274—351.  Taff. 


Der  Bestand.  93 

coemeterium  Soteridis;  die  Richtigkeit  dieser  unzureichend  begründeten  Benenn- 
ungen ist  bestritten,  Wilpert  erkennt  in  der  sogenannten  Soteriskatakombe  nur  Er- 
weiterungen der  Eusebius-  und  Gaiusregion  des  Coemeterium  Callisti  und  verlegt  die 
Soteriskatakombe  weiter  nördlich  (in  das  Gebiet  des  Trappistenklosters),  das  Hippo- 
lytusarenar  noch  entfernter  an  den  Rand  der  Appia  (die  Bezeichnung  Regio  Liberiana 
sollte  nur  ausdrücken ,  daß  dies  Hypogäum  nach  Ausweis  der  Grabschriften  dem 
späteren  vierten  Jahrhundert  angehöre;  Liberius  regierte  352 — 355).1) 

Coemeterium  Praetextati  ad  s.  Januarium.  Gegenüber  der  Kaliistkatakombe,  links 
der  Straße,  zwischen  Via  Appia  und  Marrana  della  Caffarella  in  der  Gegend  des  Triopium 
des  Herodes  Atticus,  Besitzung  de  Romanis.  Enthält  die  Gruft  des  h.  Januarius 
und    die    der    h.    Felicissimus    und    Agapitus    (Agapetos),    beide  inschriftlich  bezeugt.2) 

An  der  Via  Appia,  bei  der  Prätextatkatakombe,  liegt  die  Gruft  des  Sabazios- 
priesters  Vincentius  und  seiner  Gattin  Vibia  mit  Gemälden  in  der  Art  der  Kata- 
kombenmalereien.8) 

Coemeterium  ad  (in)  catacumbas  ad  s.  Sebastianum  (Basilica  Apostolorum). 
Rechts  der  Straße,  vor  dem  Anstieg  zur  Rotunde  der  Meteller  (Capo  di  bove).  Der- 
selbe Flurname  erscheint  auch  zur  Ortsbestimmung  des  in  der  Nähe  liegenden  Circus 
Maxentii  gebraucht  (circus  in  catacumbas,  Chronogr.  354).  Durch  Inschriften  und 
Berichte  bezeugt.  Hier  wurde  der  h.  Quirinus,  Bischof  von  Siscia  Pannoniae,  beige- 
gesetzt. Vorübergehend  sollen  die  Leiber  der  Apostel  Petrus  und  Paulus  hier  hin- 
gebracht worden  sein,  man  vermutet  im  Jahre  258,  nach  einigen  sogar  zweimal,  das 
erstemal  kurz  nach  ihrem  Martyrium,  Lanciani  setzt  die  Übertragung  in  die  Zeit 
Heliogabals  (218 — 222).  Ihre  Ruhestätte,  mit  Marmor  ausgekleidet,  daher  Platonia 
genannt,  sucht  man  in  einer  Kammer  neben  der  Apsis  von  San  Sebastiano,  de  Waal 
in  der  Kirche  selbst;  in  jener  Kammer  sieht  er  die  Quirinusgruft,  wegen  der  ihm  dort 
gewidmeten  Inschrift.4) 

Via  Ardeatina  (die  alte  ging  von  der  Porta  Naevia  der  servischen  und  der 
Porta  Ardeatina  der  aurelianischen  Mauer  aus,  die  heutige  —  ein  antiker  Verbindungs- 
weg von  der  Appia  zur  alten  Ardeatina  —  zweigt  vor  Porta  San  Sebastiano  bei  dem 
Kirchlein  Domine  quo  vadis  von  der  Appia  rechts  ab). 

Coemeterium  Balbinae  ad  s.  Marcum.  In  der  Gabel  der  zwei  Straßen.  In- 
schriftlich bezeugt.5) 


*)  C.  Callisti:  de  Rossi,  Roma  sott.  I  225.  II.  Nortet,  Catacombes  d.  s.  Calixte  1887. 
Schultze,  Katakomben  334.  Wilpert,  Rom.  Quart.  1901,  32  und  zur  Topographie  der  Appia  und 
Ardeatina;  50  zur  Entwicklungsgeschichte  der  Kaliistkatakombe.  Cäcilia:  Lipsius,  Chronologie 
der  römischen  Bischöfe  181.  Duchesne,  Lib.  pont.  II  56.  Erbes  in  Briegers  Zeitschr.  für  Kirchen- 
geschichte IX  1887,  1.     Kirsch,  H.  Cäcilia  1901. 

2)  C.  Praetextati.  Felicissimus  und  Agapitas:  de  Rossi,  Bull,  crist.  1872,  Tf.  4. 
Armellini,  Scoperta  d'un  graffito  storico  1874.     Kanzler,  Bull,  crist.  1895,  172  Tf.  9—10. 

3)  Sepulcrum  Vibiae:  Garrucci,  Storia  VI  172  Taf.  493.  Maaß,  Orpheus  1895,  209.  Wilpert, 
Malereien  144.  392  Taf.  132.  133,  1. 

4)  C.  Sebastiani:  Armellini,  Descrizione  delle  cat.  di  s.  Sebastiano  1895.  Platonia: 
Marchi,  Mon.  199.  Armellini  745.  Nur  eine  Translation:  zuletzt  Duchesne,  Lib.  pont.  I  pag.  CIV. 
Lanciani,  Pagan  and  Christian  Rome  131.  345.  de  Waal,  Die  Apostelgruft  ad  catacumbas  Rom. 
Quart.  1894.     Dagegen  Marucchi,  Bull,  crist.  1895,  168;  dafür  Grizar.  eb.  170. 

5)  Via  Ardeatina:  Hülsen,  Rom.  Mitteilungen  1894,  320.  Richter,  Topographie  der  Stadt 
Rom  «71.  Wilpert,  Rom.  Quart.  1894,  39  (Karte  Seite  36).  C.  Balbinae:  Wilpert,  Rom.  Quart. 
1901,  32. 


94  Die  Katakomben. 

Crypta  Damasi.  Bischof  Damasus  ließ  sich  neben  seiner  Mutter  Laurentia  und 
seiner  Schwester  Eirene  beisetzen.     Die  Krypta  ist  noch  nicht  gefunden.1) 

Coemeterium  Basilei  ad  s.  Marcum  (et  s.  Marcellianum).  Wilpert  vermutet  es 
in  einer  1902  entdeckten  Krypta  zwischen  dem  Trappistenkloster  und  der  Via 
Ardeatina;  sie  ist  noch  im  vierten  Jahrhundert  zu  einem  kreuzförmigen  Kultusraum 
ausgebaut  worden  und  enthält  in  der  Aspis  die  Spuren  eines  Steintisches,  im  linken 
Kreuzarm  einen  Doppelsarg  mit  einem  dahinter  ausgebrochenen  kleineren  dritten  Grab, 
ferner  an  Malereien  in  der  Grabnische  eine  kleinere  Frauenfigur  zwischen  zwei 
Heiligen,  im  Arcosolbogen  ein  Christusmedaillon  zwischen  zwei  Heiligen  auf  je  einer 
Himmelsleiter.     Durch  Inschriften  nicht  beglaubigt.2) 

Coemeterium  Domitillae,  Nerei  et  Achillei  ad  s.  Petronillam.  Jenseits  der  Via 
delle  sette  chiese  in  der  Tenuta  di  Tor  Marancia  (einst  Praedia  Amarantiana,  nach 
Inschriften  zeitweilig  in  Besitz  einer  Flavia  Domitilla).  Die  Katakombe  ist  reich  an 
Gemälden  zum  Teil  früher  Zeit;  wir  heben  das  Cubiculum  Ampliati  hervor.  Die 
Basilica  Nerei  et  Achillei  et  Petronillae  fand  de  Rossi;  ihre  Identität  ist  durch 
Inschriften  bezeugt.  Eine  beim  Casale  di  Tor  Marancia  1884  gefundene  Treppe 
führt  zu  einer  1897  ausgegrabenen  Krypta  mit  einem  Gemälde  von  sechs  Märtyrern; 
Marucchi  glaubte  hier  die  Gruft  der  H.  Marcus  und  Marcellianus  gefunden  zu 
haben.3) 

Via  Ostiensis  (vor  Porta  San  Paolo). 

Coemeterium  Comodillae  iuxta  basilicam  s.  Pauli  ad  ss.  Felicem  et  Adauctum. 
Links  der  Via  Ostiensis  an  der  von  Osten  einmündenden  Via  delle  sette  chiese  in 
der  Vigna  Villani  (Serafini).  Vom  damasianischen  Epigramm  auf  Felix  und  Adauctus 
ist  ein  Bruchstück  gefunden.  Von  der  hier  bestatteten  s.  Emerita  sah  Boldetti  ein 
Gemälde  mit  Namensbeischrift.4) 

Das  Coemeterium  Lucinae  war  oberirdisch;  der  Apostel  Paulus  wurde  seinen 
Akten  zufolge  hier  bestattet.  Über  seinem  Grabe  erhob  sich  später  die  Basilica 
s.  Pauli. 

Coemeterium  Timothei  in  horto  Theonae.  Nach  seinen  Akten  wurde  er  von 
Theona  in  ihrem  Garten  beim  Grabe  des  Apostels  Paulus  begraben.  Hinter  der 
Apsis  von  S.  Paul  führt  eine  Treppe  zu  einer  historischen  Krypta  ohne  Kennzeichen; 
vielleicht  ist  es  die  des  Timotheus. 

Coemeterium  Theclae.  Am  Ponticello  di  San  Paolo  bei  der  Osteria  del  ponti- 
cello  in  Vigna  Serafini.  Krypta  mit  übergebauter  Basilika.  Die  Identität  ist  durch 
Inschriften  nicht  bezeugt. 

Coemeterium  bei  Tre  fontane   (ad  Aquas  salvias),    von  Bosio  als  C.  Zenonis   an- 


1)  Damasus:  Wilpert,  Rom.  Quart.  1903,  72.  368. 

2)  C.  Basilei  (Marcus  und  Marcellianus):  Wilpert,  Rom.  Quart.  1902,  364;  ders.,  Malereien 
483  Taf.  214-216. 

3)  C.  Domitillae:  (de  Rossi)  Roma  sott.  IV  (ist  in  Vorbereitung).  Tor  Marancia: 
Biondi,  Museo  Chiaramonti  III  77.  Wilpert,  Rom.  Quart.  1901,  45.  Pfuhl,  Rom.  Mitteilungen 
1904,  1,  2.     Cubiculum  Ampliati:  Leclercq  bei  Cabrol  Dictionnaire  I  1904,  1712. 

Basilica:  de  Rossi,  Bull,  crist.  1874,  1  Taf.  4.  5;  1875. 

Treppe:  de  Rossi,  Bull,  crist.  1884,  138.  Krypta:  Marucchi,  Bull,  crist.  1899,  8;  1900, 
165;  ders.  Catacombes  128.     Dazu  Wilpert,  Malereien  486,  1. 

4)  Via  Ostiensis:    Stevenson,  Bull,  crist.  1897,  283.     Borsari,  Notizie  scavi  1898,  452. 

C.  Comodillae:   Bull,  crist.  1904.     Emerita:  Boldetti,  Osservazioni  542.     Rom.  Quart.  1904. 


Der  Bestand.  95 

gesetzt,    weil   hier  S.  Zeno   mit  seinen  Genossen  getötet  worden  sein  soll.     Die  Über- 
lieferung sagt  nichts  von  einem  C.  Zenonis. 

Via  Portuensis  (vor  Porta  Portese,  Trastevere).  Alle  Cömeterien  dieser  Straße 
liegen,  des  Flusses  wegen,  rechts. 

Coemeterium  Pontiani  ad  ursum  pileatum.  Im  Monte  verde.  Durch  Malereien 
mit  Beischriften  und  durch  Graffiti  sind  die  Krypten  der  H.  Milix  und  Pumenius, 
Abdon  und  Sennen  bezeugt,  auch  ein  Baptisterium.1) 

Coemiterium  ad  insalatos  (insalatas  Fulvio,  insalsatos  Notitia,  mphalatos  Laur.) 
ad  s.  Felicem.     Noch  nicht  gefunden.2) 

Via  Aurelia  (vor  Porta  San  Pancrazio). 

Coemeterium  (Octavillae)  ad  s.  Pancratium.  In  der  Villa  Pamfili.  Octavilla 
soll  den  Leichnam  in  ihrem  Grundstück  begraben  haben. 

Cömeterium  der  Lucina  und  der  Heiligen  Processus  und  Martinianus.  Es 
wird  in  einer  noch  nicht  ausgegrabenen  Katakombe  unter  den  Villen  Pellegrini  und 
Pamfili  vermutet. 

Begräbnisstätte  der  duo  Feiice s.     Noch  nicht  gefunden. 

Coemeterium  Calepodii  ad  s.  Callistum.  Darin  war  Bischof  Kallistus  be- 
graben.3) 

Via  Cornelia. 

Coemeterium  Vaticanum.  An  der  Südseite  der  Straße  lag  der  Circus  Gai  et 
Neronis.  Petrus  soll  an  der  Nordseite  der  Straße  beigesetzt  worden  sein;  bei  ihm 
fanden  die  Bischöfe  bis  Victor  (202 — 218)  ihre  Ruhestätte.  Über  dem  Petersgrab 
errichtete  Konstantin  die  Petersbasilika.  Reste  eines  oberirdischen  Cömeteriums  haben 
sich  gefunden,  aber  keine  unterirdischen  Krypten  und  Galerien. 

Die  suburbicarischen  Cömeterien  schließen  sich  den  stadtrömischen  an;  es 
sind  die  Katakomben  im  weiteren  Umkreis  bis  höchstens  zum  30.  Meilenstein.  Sie 
liegen  an  den  Heerstraßen  und  bei  den  Orten  des  Rayons.  Indem  wir  auf  die 
neueren  Katakombenverzeichnisse  verweisen,  heben  wir  nur  einige  namhaftere  Stätten 
hervor. 

Coemeterium  Alexandri  via  Nomentana  miliario  VII. 

Coemeterium  Symphorosae  via  Tiburtina  mil.  IX. 

Coemeterium  Zotici  via  Labicana  mil.  X. 

Coemeterium  della  Nunziatella  (so  modern  genannt  nach  dem  Kirchlein  dieses 
Namens).     Beim  Forte  Ardeatino.     Via  Ardeatina  mil.  IV. 

Coemeterium  Cyriaci  via  Ostiensi  mil.  VII.  Dort  ist  eine  Tenuta  di  San 
Ciriaco. 

Coemeterium  Generosae  via  Portuensi  mil.  VI,  ad  sextum  Filippi  (bei  der 
Villa  La  Magliana).  Hier  lag  auch  der  Hain  der  Arvalbrüder.  Das  Cömeterium 
entwickelte  sich  an  den  Gräbern  der  H.  Simplicius,  Faustinus,  Viatrix  (Beatrix).  In 
den    Trümmern    der    damasianischen    Basilika    fand    sich    ein   Epistylfragment    mit  In- 


*)  Coem.  Pontiani,  Abdon  und  Sennen:  Cabrol,  Dictionnaire  I  1903,  42. 
2)  C.  ad  insalatos:    infulatos  vermutet  Tomasetti,    Bull,  crist.  1899,  77   mit  Beziehung  auf 
die  infula  (Tiara)  der  Perser  Abdon  und  Sennen  in  einem  Gemälde. 
8)  C.  Calepodii:  de  Rossi,  Roma  sott.  I  165. 


96  Die  Katakomben. 

schrift:  „Simplicio  Faujstino  Viatrici".  Die  Benennung  C.  Generosae  nur  am  Trans- 
lationssarkophag von  683:   positi  sunt  in  cimiterium  Generoses  super  Filippi.1) 

Italien  außer  Rom  und  seinem  engeren  und  weiteren  Umkreis.  Das  übrige 
Mittel-  und  Oberitalien  nebst  den  nördlich  anstoßenden  Ländern  bietet  wenig.  Von 
unteritalienischen  Cömeterien  sind  nur  die  von  Neapel  bedeutend,  vorzüglich  die 
von  San  Gennaro,  S.  Gaudioso  und  S.  Severo.  Sie  fordern  eine  Publikation  mit  Auf- 
gebot aller  Mittel  der  archäologischen  Technik.  Reich  an  christlichen  Begräbnisanlagen 
ist  Sizilien,  besonders  die  Ostküste;  vorzüglich  wichtig  sind  die  Katakomben  von 
Syrakus,  die  in  der  Vigna  Cassia,  die  von  San  Giovanni  u.  a.  Neuerdings  haben  sich, 
Paolo  Orsi  und  Joseph  Führer  um  die  Erforschung  der  Denkmäler  verdient  gemacht. 
Letzterer,  der  seine  erste  Reise  als  Stipendiat  des  deutschen  archäologischen  Instituts 
machte,  bereitete  eine  umfassende  Publikation  der  Sicilia  sotteranea  vor,  deren 
Vollendung  durch  seinen  frühen  Tod  unterbrochen  wurde.  Die  Katakomben  auf 
Malta,  welche  viel  Verwandtschaft  mit  den  sizilischen  zeigen,  untersuchten  von 
deutschen  Gelehrten  Albert  Mayr  und  Georg  Stuhlfauth. 

In  Nordafrika  (Algier  und  Tunis)  forschen  die  Franzosen;  bis  jetzt  sind  nur 
wenige  Hypogäen  bekannt  geworden.2) 

In  Griechenland  hat  sich  bisher  nur  auf  Euboea  eine  Katakombe  finden  lassen, 
von  den  Cykladen  kommt  hauptsächlich  Melos  in  Betracht.  Kleinasien,  in  der 
Geschichte  der  Ausbreitung  des  Christentums  so  intensiv  hervortretend,  hat  noch 
keine  Katakomben  dargeboten;  wohl  aber  die  Cyrenaica  und  Ägypten.  Ebenfalls 
Syrien  mit  Einschluß  von  Palästina;  insbesondere  ist  Jerusalem  zu  nennen.  Auch  in 
Mesopotamien  fehlen  sie  nicht  ganz. 

Wohl  hat  sich  das  Christentum  von  Ost  nach  West  verbreitet,  soweit  die  Mittel- 
meerländer  in  Frage  kommen;    und    der  Archäologe    möchte    gern    diese   ost westliche 


*)  Suburbicarische  Cömeterien:  Stevenson  bei  Kraus  Kealencykl.  II  114.  Müller,  Koime- 
terien  811.     Armellini,  Cimiteri  641.     Marucchi,  Oatacombes  545. 

C.  Alexandri:  Leclercq  bei  Cabrol,  Dictionnaire  I  1904,  1091. 

C.  Symphorosae:  Stevenson,  Scoperta  della  basilica  di  Sinforosa  1878.  Studi  e  docum. 
di  storia  e  diritto  I  1880,  105. 

C.  Zotici:  Stevenson,  Cimitero  di  Zotico  1876. 

Nunziatella:  Wilpert,  Malereien  403. 

C.  Generosae:  de  Rossi,  Eoma  sott.  III  647.  —  Arvalen:  Henzen,  Acta  fratrum  Arvalium 
1874.     Wissowa  in  Pauly-Wissowa  Kealencykl.  II  1463. 

2)  Mittel-  und  Oberitalien:  Kraus,  Realencykl.  II  130.  Armellini,  Cimiteri  619.  Müller, 
Koimeterien  812.  Kaufmann,  Handbuch  90.  Albano :  Leclercq  bei  Cabrol,  Dictionnaire  I 
1904,  1053. 

Unteritalien:  Bellermann,  Über  die  ältesten  christl.  Begräbnisstätten  und  besonders  die 
Katakomben  zu  Neapel  mit  ihren  Wandgemälden  1839.  V.  Schultze,  Die  Katakomben  von  San 
Gennaro  dei  proveri  zu  Neapel  1877.  Bull,  crist.  1899,  106.  1900,  177.  Kraus  II  130.  Müller  802. 
807.  858.     Armellini  697. 

Sizilien:  Kraus  II  134  n.  30-38.  Müller  802.  805.  852.  Armellini  720.  Orsi  in  den 
Notizie  degli  scavi  1893.  1895—1898.  Rom.  Quart.  1895.  1897.  1900,  187.  1904,  235.  Führer, 
Forschungen  zur  Sicilia  sotteranea  in  Abh.  der  Bayer.  Akad.  XX  1897  I  673;  eb.  XXII  1902  I  109. 
Rom.  Mitteilungen  1902,  110. 

Malta:  Mayr,  Rom.  Quart.  1901,  216.  352.  Stuhlfauth,  Rom.  Mitt.  1898,  275  Taf.  9—10. 
Müller  806.  856.  Armellini  738.  Caruana,  Ancient  pagan  tombs  and  Christian  cemeteries  in  the 
island  of  Malta  1898  m.  Taff.     Sardinien:  Müller  807.     Armellini  740.  758. 

Nordafrika:  Müller  805h.  851.     Kaufmann,  Handbuch  77  §  36. 


Der  Bestand.  97 

Entwicklung  an  der  Hand  der  Denkmäler  verfolgen.  Da  aber  unter  den  außer- 
römischen Cömeterien  nur  die  Neapeler  auf  Entstehung  in  der  Frühzeit  Anspruch 
machen,  und  da  doch  schon  in  der  apostolischen  Zeit  das  Christentum  in  der  Reichs- 
hauptstadt Fuß  gefaßt  hat,  so  stehen  beim  Studium  der  Katakomben  die  römischen 
ihrer  vielseitigen  Bedeutung  entsprechend  mit  Recht  in  erster  Linie.1) 


*)  Griechenland:  Lampakis,  M£m.  sur  les  antiquitees  chr^tiennes  de  la  Grece,  Athenes  1902. 
In  Athen  besteht  eine  Gesellschaft  für  christliche  Archäologie,  XQiaxiavixrj  aQxaioXoyixi}  eraiQiu, 
welche  Berichte  herausgegeben  hat  (JsXzlov  neQi&xov  rag  tQyaalaq  z^g  hxaiQiaq),  Athen  1892;  vgl. 
Ath.  Mitteilungen  1892,  280. 

Euböa  (Chalkis):  Strzygowski,  Rom.  Quart.  1890,  2.  Müller  813c.  Kaufmann,  Hand- 
buch 88. 

Kykladen  (Melos):  Roß,  Reisen  auf  d.  griech.  Inseln  III  1845,  145.  Bayet,  Bull.  corr.  hell. 
1878,  347.     Schultze,  Katakomben  275.     Kraus  II  136.     Müller  805  i.  857.     Kaufmann  89. 

Kleinasien:  Müller  804 d.  844.     Kaufmann  98. 

Kyrene:  Pacho,  Relation  d'un  voyage  dans  la  Marmarique,  la  Cyrenaique  etc.  1827,  207. 
Smith  and  Porcher,  History  of  recent  discoveries  at  Cyrene  1864.  Royal  Soc.  Lit.  Transact. 
II.  series,  IX  1870,  135.     Schultze,  Katak.  286.     Kraus  II  136.     Müller  805g.  850.     Kaufmann  86. 

Ägypten  (Alexandria):  Schultze  280.  Kraus  II  136.  Müller  805.  848.  Kaufmann  75. 
Leclercq  bei  Cabrol,  Dictionnaire  I  1904,  1125. 

Syrien  und  Mesopotamien:    Kraus  II  136.     Müller  804.  841.     Kaufmann  105. 


Sybel,  Christliche  Autike  I. 


Bau  der  Katakomben. 


Die  Grundlagen  für  das  technische 
Verständnis  der  Katakomben  hat  Giovanni 
ßattista  de  Rossis  Bruder  Michele  Stefano 
gelegt.  Er  war,  wie  sein  Bruder,  philo- 
logisch gebildeter  Jurist,  zugleich  aber  für 
Mathematik  und  Naturwissenschaft  bean- 
lagt und  interessiert,  daher  doppelt  be- 
fähigt, die  wissenschaftliche  Erforschung 
der  Katakomben  zu  fördern.  So  hat  er 
die  geologischen  Verhältnisse  festgestellt, 
die  für  die  Anlage  der  Katakomben  maß- 
gebend wurden,  dann  ihre  Disposition  und 
rechtlichen  Grundlagen,  endlich  den  Bau.1) 
Die  Campagna  di  Roma,  das  Vor- 
land der  Stadt,  besteht  aus  Ablagerungen 
submariner  Vulkane,  die  in  einer  Vorzeit 
tätig  waren,  da  allein  der  Apennin  sich 
aus  dem  Meere  erhob.  Die  Eruptivmassen, 
Schlacke,  Asche  und  Sand,  haben,  im  Wasser  schwimmend  gleichmäßig  sich  ausbreitend, 
Tufflager  verschiedener  Dichtigkeit  gebildet.  Einiges  blieb  lockerer  Sand  (arena),  ein 
natürlicher  Schlackensand,  wegen  seiner  Schärfe  der  beste  Sand  zur  Mörtelbereitung 
(genannt  Puzzolana,  nach  der  in  Puteoli  verschifften  gleichartigen  arena  Puteolana, 
herrührend  aus  den  Eruptionen  des  Vesuv);  der  Sand  wurde  in  Gruben  gewonnen, 
vielfach  auch  unterirdisch  in  unregelmäßig  verlaufenden  Stollen  (Arenarien).  Anderes 
ist  harter  Fels  geworden,  den  die  Römer  zu  ihrem  Quaderbau  verwendeten  (lapis  ruber, 
saxum  quadratum;  tufa  litoide).  Zwischen  beiden  Gattungen  in  der  Mitte  steht  die 
dritte  Art,  der  körnige  Tuff  (tufa  granuläre),  weder  loser  Sand  noch  harter  Fels, 
sondern  mürbes  Gebirg,  weich  genug,  um  sich  leicht  bearbeiten  zu  lassen,  fest  genug, 
um  zu  halten.  In  diesem  körnigen  Tuff  legten  die  Christen  ihre  Katakomben  an, 
unter  möglichster  Vermeidung  der  zwei  anderen   Gebirgsarten,    des    Sandes    und    des 


Fossor. 

Coem.  Callisti. 


*)  M.  Stef.  de  Kossi:    über   ihn   G.  B.  de  Rossi,    Roma  sott.  I  351;    danach    folgt    seine 
Analisi  geologica  ed  architettonica,  mit  besonderer  Paginieruug;  dazu  Taf.  32 — 40. 


Bau  der  Katakomben. 


99 


i  fltBi  '  tmsrm 


■■p    TWrl      WKE       ■«** 

«KIM     «W        «M«     •»*» 


I    DHL  \l*mb 


11.0      1H.C.     IIA  tili 


Geologischer  Schnitt  des  Hypogäuin  der  Lucina. 
II — VI  Vulkanischer  Tuff'  mit  den  Katakomben. 


n 


7* 


100  Bau  der  Katakomben 

Felsens;  sie  bevorzugten  den  körnigen  Tuff  zunächst  wegen  seiner  Zweckdienlichkeit, 
zugleich  aber  schonten  sie  das  für  die  Lebenden  Nutzbare,  ähnlich  wie  beispielsweise 
die  Ägypter  ihre  Toten  aus  dem  fruchtbaren  Acker-  und  Gartenland  des  Niltals  an 
den  unfruchtbaren  Wüstenrand  brachten. 

Nur  vereinzelt  sind  Christen  in  Sandgruben  beigesetzt  worden,  mehr  in  der  Not 
des  Augenblicks;  die  literarische  Überlieferung  erwähnt  solche  Beisetzung  in  Sand- 
gruben (in  arenario,  in  cryptis  arenariis,  ad  arenas,  iuxta  arenarium),  daher  in  früheren 
Stadien  der  Forschung  die  irrige  Meinung  entstehen  konnte,  daß  die  Katakomben  über- 
haupt gar  nicht  ursprünglich  christliche  Anlagen  gewesen  seien,  sondern  sekundäre 
Verwendungen  heidnischer  Sandgruben.  Wohl  aber  ist  vorgekommen,  daß  man  bei 
Anlage  und  Erweiterung  von  Katakomben  in  die  Netze  von  Arenarien  geriet  und  sich 
so  gezwungen  sah,  sie  in  das  System  der  Katakombe  einzubeziehen.  Der  unregel- 
mäßige Verlauf  ihrer  Stollen  konnte  freilich  nicht  auf  den  Fuß  des  rechtwinklig 
geradlinigen  Galeriennetzes  der  Katakomben  gebracht  werden;  aber  die  allzu  breiten 
Gänge  mit  ihren  bröckligen  Wänden  konnten  durch  vorgesetzte  Futtermauern  auf  das 
Normalmaß  verengt  und  zugleich  befestigt,  in  dem  Mauerwerk  Plätze  für  Gräber  aus- 
gespart werden.  So  geschah  es  unter  anderem  in  den  Cömeterien  des  Hermes  und 
der  Priscilla. 

Unter  der  dreißig  bis  vierzig  Meter  starken  Tuffschicht  liegt  der  Ton  und 
Mergelsand  des  alten  Meeresbodens;  bis  in  dies  Tonlager  betten  sich  die  tief  eingerissenen 
Flußläufe.1) 

Die  Katakomben  sind  die  einzigen  Denkmäler  frühchristlicher  Kunst;  es  ist 
dies  ein  Verhältnis,  das  sich  in  den  alten  Kulturgebieten  ständig  wiederholt,  daß 
nämlich  die  Monumente  der  Gräberkunst,  wo  nicht  die  einzigen,  so  doch  die  zahl- 
reicheren und  besser  erhaltenen  sind.  Es  beruht  dies  auf  zwei  Gründen;  einmal  darauf, 
daß  die  Menschen  wohl  überall  durch  ihre  Jenseitsgedanken  dazu  geführt  wurden, 
früher  auf  monumentale  Gräber  zu  denken,  als  auf  solche  Häuser  für  ihre  eigene  Lebens- 
zeit und  für  die  Götter;  sodann  darauf,  daß  die  Gräber  unter  der  schützenden  Erd- 
decke sich  auch  besser  erhalten  als  die  Hochbauten  über  der  Erde.  Beides  gilt  ebenso 
für  die  aus  dem  Tuff  gehöhlten  Katakomben,  die  von  Haus  aus  monumentaleren 
Charakter  besaßen  als  die  auch  gefährdeteren  frühchristlichen  Wohnhäuser  und  Ver- 
sammlungsräume, von  denen  nicht  die  Spur  übrig  geblieben  ist.  Freilich  müssen  wir 
sofort  hinzufügen,  daß  die  etwaige  Auffindung  christlicher  Räume  aus  den  ersten 
Jahrhunderten  über  christliche  Kunst  uns  schwerlich  viel  lehren  würde;  solche 
Räume  waren  in  künstlerischer  Beziehung  kaum  verschieden  von  den  gleichzeitigen 
heidnischen. 

Wie  das  ganze  Christentum  nur  allmählich  das  geworden  ist,  als  was  wir  es 
kennen,  so  ist  auch  die  christliche  Kunst  ein  Gewordenes,  und  sie  ist  dem  Werden 
der  christlichen  Gedankenwelt  erst  gefolgt.  Jesus  hatte  keinen  Gedanken  für  Kunst, 
weder  im  Guten  noch  im  Bösen,  sie  lag  außerhalb  seines  Arbeitsfeldes.  Hätte  er  länger 
gelebt,  so  würde  sie  vielleicht  auch  in  sein  Gesichtsfeld  getreten  sein,  am  ehesten  wohl 
in  Gestalt  der  Künstler.  Der  ganz  allein  auf  die  Seele  zielende  Sokrates  wußte  mit 
einem  jeden  fruchtbar  zu  reden,  auch  mit  einem  Zeuxis;  nun  denke  man  sich  einmal 
Jesus  in  der  Gesellschaft  von  Malern  oder  Baumeistern,  man  erinnere  sich  dabei,   daß 


')  Campagna  di  Roma:    O.  Richter,  Topographie  der  Stadt  Rom  224. 


Bau  der  Katakomben.  101 

ihm,  wie  übrigens  uns  allen,  das  Schöne  zugleich  Sinnbild  war,  daß  also  sein  im 
Grunde  fröhliches  Herz  doch  Blick  dafür  hatte.  Wie  er  persönlich  sich  dann  über 
Kunstschaffen  und  Kunst  geäußert  haben  könnte,  die  Frage  wird  man  als  eine  müßige 
nicht  auf  werfen;  aber  man  darf  aussprechen,  daß  die  über  ihn  selbst  schließlich  hinaus- 
führende Konsequenz  seiner  Gedanken  wohl  auf  eine  Verneinung  jeder  religiösen 
Kunst  hinauslaufen  dürfte,  nicht  aber  notwendig  auf  eine  Verneinung  der  Kunst 
überhaupt. 

Erst  eine  ganze  Weile  nach  Jesus'  Tod  entstand  eine  christliche  Kunst;  daß  sie 
dann  doch  eine  religiöse  Kunst  wurde,  will  erklärt  sein.  Man  kann  es  mit  einem 
Worte  aussprechen,  es  liegt  in  ihrem  christlichen  Charakter  selbst.  Die  Religion  des 
Jesus  hatte  sich  um  den  Kardinalpunkt  seines  Todes  umgedreht  und  sich  umgesetzt 
in  eine  Christusreligion;  aus  dem  Träger  und  der  persönlichen  Darstellung  der  religiösen 
Reform  wurde  er,  oder  vielmehr  seine  Potenzierung  ins  Himmlische,  Gegenstand  einer 
neuen  Religion,  eines  Christuskultus.  Möglich  war  diese  Umsetzung  nur  in  der 
hellenistischen  Atmosphäre,  in  welcher  die  damalige  Welt  lebte,  auch  die  jüdische;  zur 
vollen  Entwicklung  aber  kam  die  neue  Kultusreligion  erst  mit  der  Verpflanzung  der 
Reform  in  die  heidnische  Welt  selbst.  Hiermit  wurde  das  Christentum  nun  auch  in 
eine  kunstgewohnte  und  kunstbedürftige  Welt  verpflanzt,  die  mit  ihrer  antiken 
Religiosität  auch  ihr  antikes  Kunstgefühl  in  die  neue  Lebensweise  mit  hinübernahm. 
Ihren  besonderen  Inhalt  endlich  empfing  die  neue  und  letzte  Phase  der  antiken 
religiösen  Kunst  aus  der  vom  Christentum  genommenen  Wendung  zum  Jenseitigen  und 
durch  das  Jenseits  wieder  zurück  zum  Diesseits:  die  Seligkeit  des  Verstorbenen  im 
himmlischen  Paradies  und  in  der  künftigen  neuen  Welt,  die  Seligkeit,  die  er  durch 
den  Christus  gewann  und  die  in  der  bleibenden  Vereinigung  mit  ihm  bestand;  die 
Auferstehung  bildet  in  diesem  Vorstellungskreis  ein  Moment  von  nicht  immer  gleich 
starker  Bedeutung. 

Die  christliche  Kunst  war  also  Grab k uns t.  Daher  mußte,  damit  sie  in  Er- 
scheinung treten  konnte,  noch  eine  Ursache  wirksam  werden,  die  trivial  erscheinen 
mag,  aber  in  unserem  Falle  wichtig  war:  es  mußten  Tote  zu  begraben  sein,  nicht  bloß 
dann  und  wann,  sondern  täglich,  regelmäßig,  so  daß  ein  fester  Bestattungsbrauch  und 
eine  typische  Grabkunst  sich  ausbilden  konnte.  Das  trat  nun  aber  erst  ein,  als  die 
Christen  der  ersten  Generation  im  ganzen  abstarben;  nehmen  wir  Jesus'  Jünger  als  ihm 
annähernd  gleichalterig  an,  so  mußten  sie  insgemein  etwa  mit  Neros  Zeit  und  bald 
danach  den  Platz  räumen.  Die  Leute  der  zweiten  Generation,  die  Epigonen  um  die 
Zeit  der  flavischen  Kaiser,  wurden  ihre  Totengräber,  wurden  ebendamit  die  ersten  Be- 
gründer der  christlichen  Kunst.  Die  Weiterbildung  und  breite  Entfaltung  der  christ- 
lichen Kunst,  nämlich  der  Sepulkralkunst  in  den  Katakomben,  erfolgte  im  zweiten  und 
dritten  Jahrhundert.  Im  vierten  setzte  die  Kultusreligion  mit  altneuem  Hebel  tiefer 
ein,  indem  sie  neben  dem  Christuskult  die  Verehrung  der  Märtyrer  organisierte;  in 
diesem  Bemühen  war  Bischof  Damasus  (366 — 384)  epochemachend.  Die  regelmäßigen 
Beisetzungen  aber  gingen  in  der  zweiten  Hälfte  des  Jahrhunderts,  nur  unter  Damasus 
in  den  Jahren  370 — 373  vorübergehend  wieder  gesteigert,  zugunsten  der  oberirdischen 
Friedhöfe  zurück,  um  409  mit  der  Einnahme  Roms  durch  die  Westgoten  unter  Alarich 
ganz  aufzuhören.  Ende  des  fünften  Jahrhunderts,  in  Theodorichs  Zeit,  begann  die 
Beerdigung  innerhalb  der  Stadtmauer  (in  den  Castra  praetoria),  im  siebenten  fing  man 
an,  die  Gebeine  der  Märtyrer  aus  den  Katakomben  zu  erheben  und  in  die  Stadtkirchen 


102  Bau  der  Katakomben. 

zu  übertragen.  So  ging  der  Kultus  in  den  Katakomben  mehr  und  mehr  zurück,  um  im 
neunten  Jahrhundert  zu  erlöschen.1) 

Die  Christen  haben  ihre  Verstorbenen  unverbrannt  beigesetzt,  wie  die  Syrer 
einschließlich  der  Juden,  und  wie  die  Ägypter.  Wir  wissen,  das  war  der  ältere  Ritus 
gegenüber  der  jüngeren  Leichenverbrennung.  Letzterer  Brauch  trat  als  ein  Kultur- 
fortschritt auf  und  hat  sich  weithin  verbreitet.  Es  ist  nicht  richtig  zu  sagen,  das 
Begraben  sei  spezifisch  semitisch  gewesen,  das  Verbrennen  unsemitisch;  die  Aus- 
grabungen zu  Fara,  Surgul  und  El  Hibba  haben  hochalte  babylonische  Verbrennungs- 
stätten kennen  gelehrt,  und  selbst  bei  den  Juden  kam  das  Verbrennen  vor,  wenn  auch 
nur  als  Ausnahme.  Bei  den  Griechen  hatte  es  sich  in  den  Zeiten  der  homerischen 
Dichtung  schon  durchgesetzt,  bei  Etruskern  und  Römern  geschah  es  erst  später;  die 
Särge  der  Scipionen  legen  für  die  Fortdauer  des  Beisetzens  der  unverbrannten  Leiche 
Zeugnis  ab,  einzelne  römische  Familien  haben  sich  bis  in  die  letzten  Zeiten  der 
Republik  dagegen  gewehrt.  In  der  Kaiserzeit  aber,  im  zweiten  Jahrhundert,  sehen  wir 
die  ganze  antike  Welt  zum  Begraben  zurückkehren,  damals  wurde  der  Sarkophag  ein 
Massenprodukt  der  hellenistisch-römischen  Kunst. 

Die  Jünger  haben  den  gekreuzigten  Jesus  nach  der  jüdischen  Sitte  begraben,  es 
heißt  in  einem  Felsengrab;  daß  sie  ihn  unverbrannt  beigesetzt  haben,  müssen  wir  an- 
nehmen, auch  ganz  unabhängig  von  der  Überlieferung.  Und  so,  unverbrannt,  wurden 
alle  verstorbenen  Judenchristen  begraben,  danach  auch  die  Heidenchristen,  ohne 
Zweifel  immer  wieder  in  Befolgung  der  aus  dem  Judentum  überkommenen  Sitte.  So 
hat  das  Christentum  den  Ritus  des  Begrabens  unter  Griechen  und  Römern  vielleicht 
ein  wenig  früher  wieder  eingeführt,  als  die  religiöse  Reaktion  heidnischerseits  es  zu- 
wege brachte.  Mag  der  Prioritätsstreit  zugunsten  der  Christen  entschieden  werden: 
wenn  die  Christen  ihre  Toten  begruben  und  damit  zuversichtliche  Jenseitshoffnungen 
verbanden,  so  standen  sie  damit  im  Strome  des  antiken  Empfindens  gerade  auch  ihrer 
Zeit.  Und  so  oft  heidnische  Griechen  Christen  wurden  und  zum  Begraben  zurück- 
kehrten, sofern  nämlich  sie  es  nicht  schon  vorher  getan  hatten,  so  beschleunigten  sie 
nur  den  kultur-  und  knltusgeschichtlichen  Prozeß,  der  auch  innerhalb  des  Heidentums 
sich  ohnehin  vollzog.2) 

Die  Herstellung  der  unterirdischen  Cömeterien  lag  in  den  Händen  der  Gräber, 
Fossoren  (Fossores,  ■mnvaxaC).  Über  die  Arbeitsweise  hat  M.  St.  de  Rossi  Unter- 
suchungen angestellt;  sie  läßt  sich  von  den  Denkmälern  sozusagen  ablesen,  besonders 
wo  Arbeiten  unvollendet  liegen  blieben.  Auf  dem  Reißbrett  ausgearbeitete  Pläne  und 
raffinierte  technische  Hilfsmittel  darf  man  bei  ihnen  nicht  voraussetzen.  Sie  orientierten 
sich  an  den  Schachten  zum  Herausschaffen  des  Schuttes  und  zum  Einführen  von  Luft 
und  Licht  (Luminarien);  vor  Kollisionen  mit  bereits  vorhandenen  Kammern  und 
Gängen  wurden  sie  durch  den  andern  Klang  des  Gebirgs  bei  Annäherung  an  solche 
gewarnt.  Das  Profil  eines  Stollens  umrissen  sie  mit  tiefen  Einschnitten  und  holten 
dann  die  innere  Masse  heraus.  War  ein  Gang  ausgehöhlt,  so  teilten  sie  die  Wand- 
flächen  durch  ein  Netz  senk-  und  wagerechter  Linien  und  zeichneten  da  hinein  die  Um- 
risse der  Wandgräber.     Dergleichen  Liniennetze  und  Umschneidungen  sind  an  mehreren 


*)  Die  Katakomben  von  409  bis  zum  neunten  Jahrhundert:   de  Eossi,  Roma  sott.  I  215 ff. 

2)  Fara:  Orientgesellsch.  Mitteilungen  1903  n.  17;  vgl.  eb.  1905  n.  27,  29  (ähnlicher  Fund  in 
Assur).  Surgul  und  El  Hibba:  Koldewey,  Zeitschr.  f.  Assyriol.  1887,  403.  Maspero,  Histoire  I  685. 
Semiten  und  Juden:  Studniczka,  Archäol.  Jahrbuch  1894,  238. 


Die  Grüfte.  103 

Stellen  stehen  geblieben,  wo  die  Arbeit  unvollendet  abgebrochen  wurde.  In  den 
Katakombenmalereien  erscheinen  die  Fossoren  öfter,  auch  an  der  Arbeit,  mit  Lämpchen 
und  Spitzhacke;  berühmt  ist  das  Grab  des  Fossor  Diogenes  mit  Bild  und  I^pitaph 
(im  Coem.  Petri  et  Marcellini  via  Labicana).  Die  Fossoren  sind  von  Haus  aus  als 
kleinere,  später  wohl,  mit  dem  Wachsen  der  Katakomben,  größer  werdende  Unter- 
nehmer oder  vielleicht  auch  unternehmende  Genossenschaften  zu  denken;  im  vierten 
Jahrhundert  erscheinen  sie  unter  die  Kleriker  eingereiht.1) 


Die  Grüfte. 

Die  Katakomben  nahmen  ihren  Ausgang  vom  Kamm  ergrab.  Das  Kammergrab 
gehört  zu  den  ältesten  Typen  der  monumentalen  Grabanlagen,  ist  aber  seiner  Natur 
nach  ein  Erzeugnis  bereits  höherer  Kultur;  folglich  war  und  blieb  die  Gruft  ein  Vor- 
recht der  Aristokratie,  die  aristokratische  Grabform. 

Der  Mensch  der  Urzeit  ließ  die  Leiche  liegen  und  wechselte  selbst  den  Ort. 
Oder  wenn  er  sich  schon  fester  angesiedelt  hatte,  so  trug  er  sie  in  eine  nahe  Schlucht, 
oder  wenn  Gelegenheit  war,  wie  in  Ägypten,  zum  Wüstenrand,  in  allen  Fällen  wurde 
die  Leiche  eine  Beute  der  Raubtiere.  Hierbei  galt  es  lediglich,  die  Leiche  zu  be- 
seitigen. Waren  aber  erst,  durch  die  Einbildungskraft,  Vorstellungen  von  einem  Fort- 
leben in  Gang  gebracht,  so  trat  die  Bestattung  ein,  und  mit  ihr  der  Totenkult,  in  der 
Absicht,  dem  Verstorbenen  im  Jenseits  Annehmlichkeiten  zu  verschaffen.  War  der 
Totenkult  aber  einmal  fester  Brauch  geworden,  so  folgte  ein  weiteres:  seine  Vorteile, 
so  imaginär  sie  für  den  Toten  waren,  sie  leuchteten  dem  Lebenden  ein,  und  er,  der 
Lebende,  sorgte  nun  beizeiten  dafür,  daß  auch  ihm  sein  Todesleben  angenehm  werde. 
So  baute  er  sich  selbst  ein  möglichst  festes  Grab,  traf  alle  Vorkehrungen  für  reich- 
liche Mitgabe  und  für  pünktlich  wiederkehrenden  Grabeskult.  Mit  ihm  aber  gingen 
die  Seinen,  die  Grabkammer  ward  Familiengruft. 

Es  bildeten  sich  verschiedene  Typen  des  Kammergrabes  aus.  Gebirgsländer  mit 
anstehenden  Felswänden  sind  die  Heimat  des  Höhlengrabes.  Natürliche  Höhlen 
wurden  von  den  Menschen  der  Frühzeit  in  Benutzung  genommen,  zur  Wohnung  für 
die  Lebenden,  dann  aber  auch  als  bleibende  Wohnung  der  Toten.  Eine  solche  Höhle 
bei  Hebron,  sagt  die  Bibel  (Mos.  I  23.  25,  9  P),  wählte  sich  Abraham  zur  Ruhestätte 
und  zum  Erbbegräbnis  für  die  Seinen,  das  heißt,  ein  solches  Höhlengrab  stand  im 
Ruhme  eines  vaterländischen  Heroengrabes,  welches  den  Nachkommen  Anrecht  auf 
das  Land  gab.  In  viel  früherer  Zeit  haben  die  Ägypter  das  Grottengrab  bereits 
künstlerisch  ausgebildet,  als  ein  Wohnhaus  mit  pfeilergetragener  Vorhalle,  alles  aus 
dem  gewachsenen  Felsen  gehauen;  berühmt  sind  die  Grottengräber  zum  Beispiel  von 
Beni  Hassan,  in  einer  Felswand  über  dem  Nil,  wo  das  Gebirg  nahe  an  den  Fluß 
herantritt  (es  ist  nur  zu  bemerken,  daß  hier  Kombination  des  Grottentyp  mit  dem  der 
unterirdischen  Gruft  vorliegt;  denn  der  Tote  wurde  nicht  in  der  Grotte  selbst  bei- 
gesetzt, die  diente  dem  Totenkult,  sondern  in  altägyptischer  Weise  in  besonderer,  tief 
unter  dem  Fußboden  liegender  Gruft).      Berühmt   sind    auch    die    weit    in    den    Berg 


*)   Fossor  es:    G.  B.  de  Rossi,    Roma  sott.  III  533.     M.  St.  de  Rossi,    eb.  III  699.     Kraus, 
Realencykl.  I  537.    Schultze,  Katakomben  29.    Müller,  Koimeterien  823.  826.    Wilpert,  Malereien  520. 


104  Bau  der  Katakomben. 

hineingetriebenen  Stollen,  die  zu  den  Grabkammern  der  Pharaonen  von  Theben  führen, 
die  Syringen.  In  den  kleinasiatischen  Gebirgsländern  finden  wir  die  Grottengräber  in 
Lykien,  Phrygien,  Paphlagonien ;  ihre  architektonische  Ausbildung  ist  nach  Ort  und 
Zeit  verschieden  gestaltet,  bald  mehr  im  Sinne  von  Zimmerwerk  oder  von  Tischlerei 
in  Verbindung  mit  Matten  oder  Teppichen,  auch  im  Charakter  des  Säulenbaues.  Im 
fernen  Persien  haben  sich  die  Könige  seit  Darius  in  solche  Felsgrüfte  betten  lassen; 
immer  wurde  die  Fassade  reich  ausgemeißelt.  Im  Griechenland  der  Heldenzeit 
kommen  die  Felskammern  vor,  zahlreich  bei  Mykenä,  bei  Nauplia,  auch  in  Attika 
fehlen  sie  nicht  (Spata).  In  der  klassischen  Zeit  traten  sie  zurück.  Nach  Maßgabe 
des  Geländes  hat  man  auch  in  Etrurien  Felsgräber  als  Grottengräber  hergestellt 
(Sovana  u.  a.).  Wiederum  finden  sie  sich  im  Osten,  in  der  glänzenden  Ausführung 
der  hellenistisch-römischen  Zeit,  am  reichsten,  im  üppigsten  Barockstil,  an  den  Fels- 
wänden Arabiens,  bei  Petra;  modifiziert,  aus  dem  Felsen  herausgelöst  und  ganz  frei- 
gelegt, so  daß  sie  wie  freistehende  Hochbauten  erscheinen,  bei  Jerusalem  (die  fälschlich 
sogenannten  Propheten-  und  Königsgräber).1) 

Im  ebenen  Gelände  entwickelten  sich  andere  sepulkrale  Typen,  die  oberirdische 
und  die  unterirdische  Kammer;  auch  hier  fehlt  es  nicht  an  Variationen  und  Kombi- 
nationen. Die  oberirdische  Grabkammer  mag  mit  ihrer  Wurzel  bis  in  die  früheste 
Urzeit  zurückreichen,  da  man  die  Leiche  am  Orte  des  Todes  liegen  ließ.  Damit  ver- 
band sich  weiterhin  der  Brauch  der  Bedeckung  mit  Erde;  nach  der  Bedeutung  des 
Mannes  trugen  mehrere  Erde  hinzu,  und  so  häufte  wachsend  sich  ein  Erdhügel  an,  ein 
Tumulus.  Verband  sich  hiermit  die  Idee  des  Wohnhauses  für  den  Toten,  so  baute 
man  erst  eine  Steinkammer  um  die  niedergelegte  Leiche  und  schüttete  danach  den 
Erdhügel  darüber.  Diese  Entwicklung  des  Tumulus  läßt  sich  in  Phrygien  verfolgen. 
Im  Grundsatz  verwandt,  bei  manchen  Besonderheiten,  sind  die  Riesenstuben  und 
Heidengräber  an  unserer  Nordküste,  auf  Rügen,  in  Dänemark  und  Schweden;  sie 
reichen  zurück  bis  in  unsere  Steinzeit.  Die  höchste  Entwicklung  megalither  Tumulus- 
gräber  stellen  in  Griechenland  die  Tholoi  der  Heroenzeit  dar  (aus  der  Bronzezeit 
im  zweiten  Jahrtausend  vor  Christi  Geburt):  die  hohen  Kuppelgewölbe  mit  anschließen- 
der Kammer,  halb  in  den  Berg  gegraben  (das  Hineingehen  in  den  Berg  nähert  die 
Tholos  dem  Höhlengrab,  das  Tief  erlegen  des  Fußbodens  in  der  Halle  nähert  sie  der 
oft  halb  in  den  Boden  gegrabenen  Hütte  der  Primitiven)  und  mit  Erde  überschüttet, 
so  daß  sie  dem  Gewölbescheitel  folgend  eine  Art  Tumulus  bildet.  Schliemann  und  seine 
Nachfolger  haben  sie  ausgegraben,  die  Kuppelgräber  zu  Mykenä,  Amyklä,  Acharnä, 
Orchomenos  und  ihresgleichen.2) 

Aus  dem  Vergraben  der  Leiche  entwickelte  sich  andererseits  das  unterirdische 
Kammergrab;  wieder  erfolgte  die  Entwicklung  durch  Aufpfropfen  der  Wohnidee  auf 
das  Grab.  Die  Ägypter  haben,  in  ihrem  „alten  Reich",  den  Typus  zuerst  mit  Kunst 
gestaltet.     Die  ägyptischen  Aristokraten  legten   die  Gruft  tief  im  Schoß   der  Erde  an 


1)  Grotten  zu  Beni  Hassan:  v.  Sybel,  Weltg.  21903,  29.  Syringen:  eb.  40.  Lykien:  eb. 
90.  Phrygien:  eb.  88  (Körte  Gordion  1904)  420.  Paphlagonien:  eb.  88  (Vollmöller,  Kammergräber 
1901,  11.  Leonhard  Paphl.  Denkni.  1903).  Persien:  eb.  144.  Mykenä,  Nauplia,  Spata:  eb.  44. 
Etrurien:  eb.  517  (Martha  l'art  efrusque).  Petra:  Studniczka,  Tropaeum  Trajani  67.  Jerusalem: 
v.  Sybel,  Weltg.  393. 

2)  Phrygische  Tumuli:  Körte,  Gordion  1904.  Riesenstuben:  v.  Sybel,  Weltgeschichte  253. 
.56.     Tholoi:   eb.  48. 


Die  Grüfte.  105 

und  stellten  da  hinein  den  Sarg.  Über  dem  Schacht  aber,  an  der  Oberfläche,  warfen 
sie  einen  haushohen,  mächtig  gestreckten  Grabhügel  auf,  von  einem  Steinmantel  um- 
schlossen; durch  diesen  Grabhügel  (modern  Mastaba)  ließen  sie  den  Schacht  hinauf- 
gehen und  in  der  oberen  Abdeckung  münden,  innerhalb  des  Hügels  aber  sparten  sie 
einen  Raum  aus  zur  Kapelle  für  den  Totenkult.  Aus  dem  länglichen  Hügel  entwickelten 
die  Pharaonen  einen  berggleichen  Tumulus,  stilgerecht  dem  Steinbau,  in  dem  sie  ihn 
ausführten,  auf  rechteckigem  Grundriß,  als  Pyramide;  für  den  Totendienst  setzten  sie 
einen  eigenen  Tempel  davor.  Anderwärts  begnügte  man  sich  mit  der  Grabkammer, 
der  Kultus  vollzog  sich  im  Freien,  vor  dem  Eingang.  Später  finden  wir  in  Phönizien 
geräumige  Grabkammern  unter  der  Erde;  über  ihnen  erheben  sich  ägyptisierend 
Pyramiden  oder  assyrisierend  Kuppeln,  das  sind  die  „  Spindelgräber "  zu  Amrith.  Die 
Königsgruft  von  Sidon  besteht  aus  einem  Komplex  von  Kammern,  darin  die  Fürsten 
in  kostbaren  griechischen  Steinsärgen  beigesetzt  wurden,  dem  sog.  Alexandersarg  und 
seinen  Genossen  im  Museum  zu  Konstantinopel.  Die  Griechen  selbst  haben  in  ihrer 
klassischen  Zeit  auch  auf  das  Kammergrab  verzichtet;  sie  begnügten  sich,  ober- 
irdische Grabmäler  aufzustellen,  um  das  Andenken  der  Verstorbenen  zu  erhalten  und 
zu  ehren.  In  Etrurien  aber  hat  das  Kammergrab  auch  als  unterirdische  Gruft  sich 
eine  Reihe  Jahrhunderte  hindurch  in  Geltung  gehalten.  Im  hellenistischen  Ägypten 
finden  wir  es  bei  Alexandria  (Sidi  Gaber),  die  Römer  in  der  Spätzeit  der  Republik 
und  in  der  Kaiserzeit  zogen  das  oberirdische  Kammergrab  vor;  wir  erinnern  an  das 
Grab  der  Scipionen  an  der  Via  Appia.1) 

Dergleichen  Grabkammern  waren  die  Keimpunkte  der  christlichen  Katakomben, 
und  auch  später,  nachdem  diese  sich  zu  umfangreichen  Wegnetzen  entwickelt  hatten, 
blieben  die  Cubicula  immer  die  Haupträume,  ausgezeichnet  durch  ihre  verhältnis- 
mäßig künstlerische  Ausstattung,  wie  auch  durch  ihre  wenigstens  häufig  erkennbare 
Bestimmung,  hervortretenden  Persönlichkeiten  zur  Ruhestätte  zu  dienen.  Überwiegend 
in  solchen  Kammern  waren  die  Orte,  wo  sich  mit  der  Zeit  der  Kultus  entwickelte, 
der  insbesondere  den  Märtyrern  dargebracht  wurde.  Wenn  die  Katakomben  mit  Ein- 
schluß der  Cubicula  nach  Maßgabe  der  Zusammensetzung  der  Gemeinde  anfangs  mehr 
Personen  geringeren  Standes  zum  Begräbnis  dienten,  so  hat  der  ursprüngliche  aristo- 
kratische Charakter  des  Gruftbegräbnisses  doch  seine  Geltung  zu  behaupten  gewußt. 
Abgesehen  davon,  daß  in  der  Gemeinde  selbst  die  statutarische  Brüderlichkeit  den 
Unterschied  der  Stände  nicht  aufhob,  so  wurde  in  der  antikerweise  sich  bald  ent- 
wickelnden Hierarchie  noch  ein  kirchlicher  Vorzugsstand  neu  geschaffen,  dazu  in  den 
Märtyrern,  den  christlichen  Heroen,  und  in  weiteren  Kreisen  den  kirchlich  anerkannten 
Heiligen,  eine  spezifisch  jenseitige,  also  sepulkrale  Aristokratie,  in  deren  Verehrung 
die  ganze  suburbane  Cömeterialpraxis  zuletzt  aufging. 

Anlagen  in  Form  von  Grotten  oder  Stollen  kommen  bei  den  Katakomben  seltener 
vor;  bei  der  Wahl  zwischen  der  Grotten-  und  der  Gruftform  sprach  natürlich  die  Art 
des  Geländes  das  entscheidende  Wort.  Zum  Grotten  bau  eignet  sich  zerschnittenes 
Terrain  mit  steilen  Hängen.  Beispiele  bieten  die  Katakomben  von  San  Gennaro  zu 
Neapel;  sie  haben  den  Anfang  ihrer  Anlage  mit  Grotten  gemacht,  auf  die  ursprüng- 
lich vielleicht  die  ganze  Absicht  allein  ging.     Die  erste  Katakombe  beginnt  mit  einer 

*)  Gruft.  Mastaba:  v.  Sybel,  Weltgeschichte  222.  Pyramide:  eb.  23.  Amrith:  eb.  132. 
Sidon:  eb.  214.  241.  258.  303.  Etrurien  (Chiusi,  Corneto):  eb.  140.  159.  372.  Alexandria:  H.  Thiersch, 
Zwei  antike  Grabanlagen  1904.     Scipionen:  Mommsen  CJL.  I  11. 


106  Bau  aer  Katakomben. 

Halle  (dem  jetzigen  Vestibül),  der  zwei  Nebenräume  anliegen,  die  zweite  höher  am 
Berg  gelegene,  mit  zwei  hintereinander  angeordneten  Kammern,  mithin  einer  Doppel- 
kammer; aus  dem  vorderen  Raum  führen  in  der  ganzen  Breite  der  geöffneten  Rück- 
wand ein  paar  Stufen  in  den  zweiten  Raum  hinauf;  in  den  Stufen  stehen  zwei  Pfeiler 
zum  Stützen  der  Decke.  Ein  Beispiel  auch  aus  der  Frühzeit  der  Katakomben,  und 
zwar  eines  entschieden  aristokratischen  Grottengrabes,  bietet  für  Rom  das  Coemeterium 
Domitillae;  hier  aber  liegt  wohl  eine  Grotte  vor,  doch  ist  sie  mehr  in  Gestalt  eines 
Stollens  ausgeführt.  Er  ist  zwei  Meter  breit,  doppelt  so  breit  als  wir  die  Gänge  der 
römischen  Katakomben  finden  werden,  und  geht  20  m  tief  in  den  Berg,  beiderseits 
mit  einigen  großen  Nischen  zum  Einstellen  von  Sarkophagen  ausgestattet.  Der  Ein- 
gangswand ist  ein  Vestibulum  vorgebaut  mit  Nebenräumen,  der  Raum  links  enthält 
einen  Brunnen  und  Wassertrog,  der  rechts  eine  umlaufende  Bank.1) 

Die  unterirdische  Gruft  ist  der  bei  den  römischen  Katakomben  weitaus  vor- 
herrschende, wir  müssen  sagen,  fast  ausschließlich  angewendete  Typus.  Hier  kann 
man  nicht  aus  dem  Freien  auf  gleichem  Boden  in  die  Gruft  eintreten,  es  bedarf  eines 
Schachtes  oder  einer  Treppe,  um  von  der  Oberfläche  in  die  Tiefe  zu  gelangen;  Schachte 
führten  die  Ägypter  hinab,  Treppen  die  Phönizier,  die  Etrusker,  die  römischen  Christen. 
Beispiel  einer  solchen  Gruft  aus  früher  Zeit  ist  die  mit  der  Inschrift  Ampliati  im 
Coem.  Domitillae;  in  dem  Inhaber,  dem  Namen  nach  einem  Sklaven,  vermutete  de 
Rossi  den  Ampliatus,  welchen  Paulus  Rom.  16,  8  grüßen  läßt,  doch  scheint  die 
Inschrift  erst  der  Zeit  Trajans  anzugehören.  Das  Cubiculum  war  Familiengruft,  wie 
die  unterhalb  der  ersteren  Inschrift  von  dem  Freigelassenen  Aurelius  Ampliatus  seiner 
Frau  Aurelia  Bonifatia  im  dritten  Jahrhundert  gesetzte  Grabschrift  ergibt.  Die  Gruft 
war  ursprünglich  für  Sarkophage  bestimmt,  später  wurden  Wandgräber  darin  angebracht. 
Sie  ist  eine  der  Einzelgrüfte,  aus  deren  Erweiterungen  und  endlichem  Zusammenschluß 
das  Cömeterium  der  Domitilla  erwuchs.'2) 

Die  vorstehend  aufgeführten  Cubicula  waren  ursprünglich  wohl  alle  Familien- 
grüfte von  der  Art,  wie  sie  als  Keimzellen  und  Ausgangspunkte  für  die  Bildung  der 
Katakomben  dienten.  Aber  auch  später,  in  den  schon  bestehenden  unterirdischen 
Cömeterien,  blieb  das  Cubiculum  ein  Vorzugsraum.  So  wurde  Januarius,  einer  der 
Söhne  der  an  der  Via  Salaria  nova  bestatteten  Felicitas,  im  Coem.  Praetextati  beige- 
setzt; die  Gruft  ist  durch  Graffiti  und  eine  damasianische  Inschrift  beglaubigt.  Das 
Martyrium  der  Familie  fand  unter  Marc  Aurel  statt,  und  die  ganz  ausgemauerte 
Crypta  Januari  (auch  Crypta  quadrata  genannt)  zeigt  den  Stil  der  Antoninenzeit, 
nämlich  der  Backsteinbauten  nahe  der  Appia,  beiderseits  über  der  Caffarella,  des 
Tempio  del  dio  redicolo  und  von  San  Urbano  hüben  und  der  Grabbauten  an  der  Via 
Latina  drüben;  es  hat  nämlich  an  der  Front  gelbe  Wände,  rote  Pilaster  und  Terra- 
cottagesims.  Das  Innere  ist  quadratisch,  mit  vier  Kappen  überwölbt,  in  jeder  Wand 
wurde  eine  Nische  ausgespart  und  rundbogig  übermauert;  von  den  drei  Sarkophagen 
sind  Bruchstücke  geblieben.8) 


*)  Neapel:    Schultze,  Katakomben  von  S.  Gennaro  Taf.  1. 

Domitilla:    Bull,  crist.  1865,  35  Plan.     Kraus,  Roma  sott.  78  Fig.  8  Ansicht  der  Vorbauten, 
(de  Rossi)  Roma  sott.  IV  wird  Genaueres  bringen. 

2)  Ampliatus:    Bull,    crist.    1880,    171.     1881,   57.     Armellini  456.     Marucchi  118.     Leclerq 
bei  Cabrol,  Dict.  d'arch.  chre*t.  fasc.  6  1904  Art.  Ampliatus. 

3)  Crypta  Januarii:    Bull,  crist.  1863,  1.     1866,  16.     Armellini  402.     Marucchi  202. 


Die  Grüfte..  107 

Architektonische  Ausbildung  der  Kammer  ist  selten.  Abgesehen  von  Nachbildung 
des  Kreuzgewölbes  im  Schnitt  der  Decke  sind  nur  die  Säulen  zu  nennen,  die  in 
einigen  späteren  Kammern  aus  dem  gewachsenen  Fels  geschnitten  wurden;  in  den 
Einzelkammern  pflegen  sie  in  den  Ecken  zu  stehen  oder  auch  ein  bedeutenderes 
Nischengrab  zu  flankieren.1) 

Noch  seien  zwei  Kammern  des  Coem.  Callisti  genannt.  Aus  dem  dritten  Jahr- 
hundert eine  mit  lauter  schlichten  Wandgräbern,  darin  aber  ruhen  die  römischen 
Bischöfe  dieser  Zeit  (es  ist  die  sog.  Papstgruft).  Aus  dem  Anfang  des  vierten  das 
Cubiculum  Oceani,  dessen  Bezeichnung  der  Deckenmalerei  entnommen,  dessen  Inhaber 
aber  unbekannt  ist;  er  muß  vornehm  oder  reich  gewesen  sein,  denn  die  Kammer  hat 
in  seiner  ersten  Anlage  nur  ein  Wandgrab  im  Fond  erhalten  (die  sonst  vorhandenen 
sind  sekundär).     Unsere  Farbtafel  IL8) 

Eine  Sonderart  von  Kammern  ist  in  den  römischen  Katakomben  durch  ein  paar 
Beispiele  vertreten,  im  frühesten  Teil  des  Coem.  Domitillae  und  im  Coem.  Agnetis. 
Durch  einen  kleinen,  höher  in  der  Wand  gelegenen,  verschließbaren  Eingang  kommt 
man  in  einen  backofenartigen  Raum  mit  einem  Wandnischengrab  und  einer  Steinbank 
davor.  De  Rossi  dachte  bei  Besprechung  des  ersteren  Beispiels,  es  sei  hier  das  Grab 
des  Jesus  nachgebildet,  wie  die  Evangelien  es  voraussetzen.  Markus  spricht  von  einer 
aus  dem  anstehenden  Fels  gehauenen  Gruft,  dessen  auf  gleichem  Boden  zu  betretender 
Eingang  mittels  einer  vorgesetzten  hohen  Steintafel  verschlossen  werden  konnte.  Bei 
Matthäus  kommen  einige  nähere  Bestimmungen  hinzu:  das  Grab  ist  neu,  Joseph  von 
Arimathia  hat  es  für  sich  selbst  aus  dem  Felsen  brechen  lassen.  Lukas  betont  die 
Neuheit  und  Unbenutztheit  des  Grabes.  Johannes  sagt,  es  habe  in  einem  Garten  bei 
der  Kreuzigungsstätte  gelegen;  im  folgenden  scheint  er  vorauszusetzen,  daß  man  nur 
gebückt  hineinkommen  konnte.  Also  ein  künstlich  hergestelltes  Grottengrab,  im  Typus 
des  oben  erwähnten  Grabes  Abrahams  zu  Hebron,  eventuell  im  hellenistisch-römischen 
Stil  der  ersten  Kaiserzeit  ausgebildet;  der  Körper  wurde  einfach  auf  den  Boden  oder 
auf  eine  Felsbank  niedergelegt,  weder  ein  Sarg  noch  irgend  ein  besonderer  Leichen- 
behälter, sei  es  in  der  Wand  oder  im  Fußboden,  verträgt  sich  mit  der  zugrunde 
liegenden  Vorstellung  von  der  Auferstehung.  Nun  lag  ja  für  Christen  die  Idee  nahe 
genug,  sich  ihr  Grab  ähnlich  bauen  zu  lassen,  wie  sie  sich  das  Grab  des  Christus 
dachten,  des  Erstlings  der  Auferstehung,  auf  die  auch  sie  hofften;  möglich,  daß  auch 
die  Erbauer  der  zwei  in  Rede  stehenden  römischen  Grüfte  unter  dem  Einflüsse  ähn- 
licher Gedanken  standen.  Nur  darf  man  die  Unterschiede  zwischen  dem  Grab  Christi 
und  den  zwei  römischen  Grüften  nicht  übersehen:  dort  wurde  der  Leichnam  auf  den 
Boden  niedergelegt,  während  er  hier  ein  Wandgrab  vorfindet.  Noch  weniger  geht  es 
an,  den  gewöhnlichen  Typus  der  Katakombenkammern  durch  die  zwei  Exemplare  der 
besprochenen  Sonderart  von  dem  Grab  Christi  abzuleiten.  Da  wachsen  die  Differenzen 
weit  über  die  Analogien  hinaus.3) 


1)  Säulen:  Marchi,  Architettura  Tai  19.  22.  27.  23.     de  Rossi,  Roma  sott.  III  Taf.  9. 

2)  Bischofsgruft:    de  Rossi,  Roma  sott.  II  Taf.  1—3.     Armellini  366.    Marucchi  138.    Wir 
bringen  Abbildungen  gelegentlich  des  Märtyrerkultus. 

Cub.  Oceani:  de  Rossi,  Roma  sott.  II  Tf.  27.  28. 

8)  Christusgrab:  Mk.  15,  46.     Mt.  27,  60.     Lk.  23,  53.     Job.  19,  41.     Domitilla:   de  Rossi, 
Bull,  crist.  1865,  38.     Agnes:  Armellini,  Cimitero  di  S.  Agnese  87  Taf.  1. 


,108  Bau  der  Katakomben. 

Besondere  Aufmerksamkeit  erheischen  die  Doppel  kam  mern,  davon  wir  bereits 
oben  in  Neapel  Beispiele  trafen.  Zwei  Kammern  liegen  verbunden  hintereinander; 
die  Verbindung  besteht  meist  in  einem  türartigen  Durchgang,  bisweilen  aber  auch  in 
einer  breiteren  Wandöffnung.  Sonst  werden  die  Cubicula  gern  auch  so  angeordnet, 
daß  sich  zwei  gegenüber  liegen,  zu  beiden  Seiten  des  Ganges;  wenn  dann  jedes  wieder 
verdoppelt  wird,  so  kommen  im  ganzen  vier  Räume  in  einer  Flucht  zu  liegen.  Als 
Beispiel  der  gewöhnlichen  Doppelkammer  seien  aus  dem  zweiten  Jahrhundert  die 
Cubicula  XY  im  Coem.  Lucinae  genannt;  zahlreiche  Kammern  in  verschiedenen 
Gruppierungsweisen  findet  man  auf  de  Rossis  Plan  von  San  Callisto.1) 

Wir  müssen  sofort  fragen,  ob  schon  der  vorchristliche  Grabbau  Doppelkammern 
kannte.  Die  Frage  ist  zu  bejahen,  Beispiele  finden  sich  in  allen  Gebieten  mit  Kammer- 
bestattung; bisweilen  treten  noch  seitliche  Anschlüsse  hinzu,  so  daß  ganze  Kammer- 
gruppen entstehen.  Man  hat  sich  zu  denken,  daß  eine  überfüllte  Familiengruft  mittels 
hinten  und  seitlich  angeschlossener  Kammern  erweitert  wurde;  in  anderen  Fällen  hat 
auch  schon  die   erste   Anlage  für  weitergehende   Raumbedürfnisse  Vorsorge  getroffen. 

Ein  Kammersystem  von  besonderem  Interesse  aus  dem  zweiten  Jahrhundert  hat 
Wilpert  neu  veröffentlicht,  die  Cappella  greca  im  Coem.  Priscillae;  sie  hat  den 
Namen  von  zwei  in  ihr  gefundenen  griechischen  Inschriften.  Kommt  man  die  Treppe 
herunter,  so  betritt  man  zuerst  einen  querliegenden  Saal,  von  Wilpert  als  Atrium 
bezeichnet;  er  mißt  13  zu  33/4  m  und  ist  von  fünf  antiken  Kreuzgewölben  gedeckt. 
Die  Wandkompartimente  öffnen  sich  teils  in  Nischen  mit  eingemauerten  Leichen- 
behältern, teils  in  kleine  Kammern;  eine  (F)  hat  drei  Sargnischen,  A  ist  unsere 
Cappella  greca,  zwei  Kammern  hintereinander,  in  ganzer  Breite  gegeneinander  geöffnet, 
nur  durch  einen  Gurtbogen  auf  Wandpfeilern  geschieden,  beide  Kammern  zusammen 
ein  gegliederter,  doch  einheitlicher  Raum.  In  den  drei  Wänden  der  hinteren  Abteilung 
sind  Nischen  angebracht,  die  wie  kleine  Apsiden  bilden  und  von  Wilpert  so  aufgefaßt 
werden.  Jedenfalls  aber  haben  wir  es  da  mit  Nischengräbern  zu  tun,  sei  es,  daß,  wie 
de  Rossi  sagt,  Sarkophage  in  den  Nischen  aufgestellt  waren  oder  daß,  wie  Wilpert 
vorzieht,  Troggräber  im  Boden  der  Nischen  sich  befanden;  in  der  Fondnische  glaubt 
er  ein  Kindergrab  konstatieren  zu  müssen.  Die  Wände  der  vorderen  Abteilung  blieben 
ohne  Gräber,  dafür  sind  solche  in  und  an  die  Erde  gelegt,  zwei  in  den  Fußboden 
längs  der  rechten  Wand  der  Gruft,  zwei  Doppelgräber  längs  der  linken;  da  liegen  je 
zwei  Leichen  übereinander,  die  obere  auf  der  Deckplatte  des  unteren  Behälters,  wie 
denn  alle  Behälter  mit  Marmortafeln  abgedeckt  sind.  Die  geschlossenen  Doppelsärge 
bilden  eine  Art  Wandbank,  die  auch  vor  der  mittleren  Apsis  hergeführt  ist.  Ver- 
wandte Denkmäler,  aber  aus  dem  dritten  Jahrhundert,  bietet  das  Coem.  Ostrianum 
(bei  Marchi  Coem.  Agnetis).  Das  bedeutendste  ist  eine  Flucht  von  fünf  Kammern, 
die  zu  beiden  Seiten  des  Ganges  so  verteilt  sind,  daß  auf  der  einen  zwei,  auf  der 
anderen  drei  Cubicula  liegen.  Jede  dieser  zwei  Gruppen  von  Kämmerchen  ist  wieder 
durch  Offnungen  der  Trennungswände  in  einen  einheitlichen  Gruftraum  verwandelt; 
nur  Wandpfeiler  blieben  stehen,  in  welche  Nischen  eingehauen  sind,  wohl  für  Lampen; 
an  anderen  Stellen  hat  man  die  Wandpfeilei'  zu  Dreiviertelsäulen  gestaltet,  wie  der- 
gleichen Grabarchitektur  in  den  späteren  Katakomben  vereinzelt  auch  sonst  vorkommt. 


J)  XY:  de  Rossi,  Roma  sott.  I  Taf.   14  und  9.     Plan:   eb.  II  Taf.  59,  kleiner  wiederholt  bei 
Kraus,  Roma  sott. 


Die  Grüfte.  109 

Gräber  liegen  in  allen  Wänden,  außerdem  läuft  in  der  innersten  Kammer  der  drei- 
teiligen Gruft  wieder  eine  Wandbank  herum,  darin  Kinder  bestattet  waren.  In  der 
Mitte  der  Rückwand  aber  steht  in  der  Bank  ein  aus  dem  Tuff  geschnittener  Sessel. 
Ähnliche  Bänke  und  Sessel  kommen  in  dieser  Katakombe  mehr  vor,  gleich  in  der 
Nähe  in  der  Crypta  Emerentianae  ein  Tuffsessel  an  der  linken  Seiten  wand  vor  dem 
Grab  der  Heiligen,  falls  er  nicht,  was  doch  am  nächsten  liegt,  zu  dem  Wandgrab 
gehört,  an  dem  er  steht.  In  einer  anderen  Kammer  stehen  zwei  „Sessel"  vor  den 
Wandgräbern  beiderseits  der  Tür,  „Bänke"  an  den  Seiten  wänden.1) 

Die  Tatsachen  festgeteilt,  fragen  wir  wieder  nach  heidnischen  Analogien,  nach 
Analogien  also  für  Bänke  und  Sessel  in  Grabkammern  und  für  ihre  sepulkrale 
Verwendung. 

Die  Leichen  wurden  in  den  Grabkammern  niedergelegt,  zunächst  zur  ewigen 
Rühe;  in  diese  Vorstellung  aber  drängte  sich  die  andere  von  bacchischer  Seligkeit 
auch  im  Jenseits,  es  entstand  ein  Gelage  der  Toten.  Die  Leichen  also  wurden  nieder- 
gelegt, auf  den  Boden,  doch  auf  irgend  einer  Unterlage;  hernach  kam  es  auch  vor, 
daß  man  sie  auf  ihr  Ruhebett  aufgebahrt  hinausfuhr  und  daß  man  das  Bett  mit  der 
Leiche  so  in  die  Gruft  setzte.  Solche  Klinen  haben  sich  gefunden,  ein  Bronzebett  im 
Grab  Regulini-Galassi  bei  Caere,  ein  Holzbett  mit  Bronzefüßen  in  Civitella  d'Arna  bei 
Perusia.  Wir  müssen  aber  fragen,  ob  nicht  bisweilen  der  Tote  in  sitzender  Haltung 
auf  dem  Sessel,  der  dem  Lebenden  gedient  hatte,  in  der  Gruft  deponiert  wurde. 
Ähnlich  heißt  es  von  Karl  dem  Großen,  er  sei  thronend  bestattet  worden;  und  noch 
heute  werden  in  Griechenland  die  Bischöfe  sitzend  auf  ihrer  Kathedra,  die  dann  als 
Sella  gestatoria  dient,  zum  Grabe  getragen.  Vorkommende  Sessel  denken  sich  einige 
Gelehrte  als  Ehrensitze  für  die  Seelen  der  bestatteten  Personen  hingestellt;  und  man 
wird  dies  als  zutreffend  ansehen  dürfen,  wo  der  Sessel  auf  das  Grab  gestellt  ist  (in 
Tanagra  scheint  es  Brauch  gewesen  zu  sein).  Aber  die  Sessel  innerhalb  der  Grüfte 
können  auch  anders  gedeutet  werden,  und  die  gleich  zu  erwähnenden  etruskischen 
Sessel  mit  Aschenurnen  fordern  den  Gedanken,  daß  einst  Leichen  sitzend  bestattet 
worden  seien,  geradezu  heraus.  Für  solche  und  ähnliche  Bräuche  fehlt  es  auch  nicht 
an  Zeugnissen.  In  Rom  wurde  bei  feierlichen  Begräbnissen  die  effigies  des  Toten 
auf  dem  Sarge  stehend  mitgeführt;  sollte  dem  nicht  ein  vorzeitlich  barbarischer 
Brauch  zugrunde  gelegen  haben,  demzufolge  die  Leiche  selbst  aufrecht  zu  Grabe 
gebracht  wurde? 

War  die  Leichenverbrennung  eingebürgert,  so  konnte  der  Verstorbene  selbst 
nicht  mehr  auf  den  Sessel  gesetzt  werden,  sondern  nur  die  Aschenurne;  und 
man  gestaltete  das  Ossuar  zu  einer  Art  Bild  des  Verstorbenen,  der  nun  doch  auf 
dem  Sessel  zu  sitzen  schien.  In  etruskischen  Grabkammern  fanden  sich  bronzene 
Aschengefäße  mit  angesetzten  Gliedern,  dem  Kopf  und  manchmal  auch  den  Armen, 
so  auf  Sessel  gestellt  (Aus  diesen  anthropoiden  Ossuaren  ist    nach    Milanis    Hypothese 


J)  Cappella  greca:  Wilpert,  Fractio  panis  1895.  Dazu  Liell,  Fractio  panis  oder  coena  coelestis? 
1903,  18  ff. 

Ostrianum,  fünf  Kammern:  Marchi,  Mon.  Taf.  35.     Marucchi  337  Plan. 

Emerentiana:    Marucchi  338  Abb. 

Sessel  an  Tür:  Kraus,  Roma  sott.  37  Fig.  6. 


HO  Bau  der  Katakomben. 

die  römische  Büste  entstanden,  deren  Charakteristisches,  im  Unterschied  von  der 
griechiechen  Herme,  in  dem  Aufbringen  des  Kopfes  auf  einem  Yasenfuß  be- 
steht).1) 

Wenn  auch  ursprünglich  das  im  Leben  benutzte  Ruhebett  dem  Verstorbenen  ins 
Grab  folgte,  so  traten  nachgehends  doch,  wie  für  die  übrige  Ausstattung,  eigens  für 
das  Grab  fabrizierte  Surrogate  an  die  Stelle.  Ganz  entgegengesetzt  ging  eine  andere 
Tendenz,  nämlich  auf  monumentale  Ausführung:  Holz  und  Metall  wurden  vertreten 
durch  Stein.  Aus  Steintafeln  zusammengesetzte  Betten  fanden  sich  in  ,Vetulonia. 
Von  marmornen  Betten  haben  sich  Kopfbretter  erhalten,  eines  ist  im  neuen  kapito- 
linischen Museum,  ein  anderes  im  etruskischen  Zentralmuseum  in  Florenz.  Beide 
Kopfbretter  sollten  in  architektonischem  Rahmen  Figuren  zeigen,  die  aber  am  römischen 
Exemplar  nicht  ausgeführt  sind;  am  Florentiner  Kopfbrett  sieht  man  in  der  Mitte 
Silvan  zwischen  jonischen  Säulen  unter  Giebel,  links  einen  Satyr,  rechts  einen  Pan,  je 
zwischen  korinthischen  Säulen,  die  auf  dreiteiligem  Kämpfer  (Gebälkausschnitt)  einen 
Flachbogen  tragen.  Schreiber  hat  den  römischen  Marmor  als  Bettlehne  erkannt, 
Petersen  zweifelt  nur,  ob  diese  Marmorbetten  für  Lebende  bestimmt  seien,  etwa 
Sommers  zu  benutzen,  oder  für  das  Grab.  Letzteres  ist  wahrscheinlicher.  Gehören 
die  Marmorbetten  erst  der  Kaiserzeit  an,  so  kam  es  schon  viel  früher  vor,  daß  Klinen 
und  Sessel  direkt  aus  dem  Tuff  geschnitten  wurden,  die  Klinen  oder  Bänke,  um 
unverbrannte  Leichen  darauf  zu  legen,  die  Sessel  zum  Aufstellen  der  Aschenurnen. 
Beispiele  finden  sich  in  Etrurien,  zu  Cerveteri  und  sonst.2) 

Nun  aber  bleibt  die  Frage  nach  Bänken  und  Sesseln  als  Leichen-  und  Aschen- 
behältern; auch  dies  hat  es  in  heidnischen  Grüften  gegeben.  Grabkammern  bei  Eretria 
aus  dem  vierten  Jahrhundert  bieten  Belege.  In  einer  solchen  Kammer  steht  vor  der 
Mitte  der  Rückwand  ein  Marmorthron,  und  zu  beiden  Seiten  stehen  Ruhebetten  von 
Marmor.  Alle  sind  ausgehöhlt  und  bargen  die  Reste  verbrannter  Leichen  nebst  Bei- 
gaben; die  Deckel  waren  bei  den  Klinen  in  Form  und  Farbe  von  Matrazen  und 
Decken,  beim  Thron  in  solcher  des  Sitzkissens.  Ahnliche  Aschenbehälter  fanden 
französische  Forscher  in  Makedonien.  Schließlich  wollen  in  diesem  Zusammenhang 
auch  die  in  Grabkammern  aufgestellten  Sarkophage  in  Klinenform  erwähnt  sein. 
Etruskische  Exemplare  früherer  und  späterer  Zeit  verbinden  hiermit  eine  künstlerische 
Reminiszenz  an  das  Bestatten  des  Toten  auf  seinem  Ruhebett,  weiterhin  auch  eine 
Vergegenwärtigung  des  Gelages  der  Seligen:  die  lebensfrohen  Etrusker  ließen  sich  als 
Deckelfiguren  des  Sarkophags  plastisch  abbilden,  wie  gelagert  auf  der  Kline,  die  Trink- 
schale in  der  Hand,  in  naturgetreuer  und  farbiger  Darstellung  (die  jüngeren  Exemplare 
halten    an    dem    Klinentypus   des  Behälters  nicht  mehr  streng  fest).     Der  Gelagtypus 


x)  Caere:    Museo  Gregor.     I  Taf.  15,  8.  9. 

Perugia:  Notizie  d.  seavi  1887,  86.  Vgl.  Martha,  l'art  £trusque  200.  Vgl.  auch  die 
Dipylonvase  mit  der  Ekphora.  Mon.  d.  Iust.  IX  39.  —  Sitzend  bestattete  Leichen:  hierzu  vgl. 
u.  a.  Brandenburg,  Bayr.  Ak.  Abt.  XXIII  III  688  betreffend  phrygische  Grabsessel.  —  Seelensitze: 
Vollmöller,  Griech.  Kammergräber  mit  Totenbetten  1901  S.  48.  57. 

Kopfvasen  auf  Sesseln:    Milani,  Museo  ital.  di  antich.  class.  I.     Martha  201. 

2)  Vetulonia:  Petersen,  Böm.  Mitteilungen  1891,  232. 

Kapitol:    Schreiber,  Brunnenreliefs  Grimani  1888,  13. 

Florenz:  Wissowa,  Rom.  Mitt.  1886,  161  Taf.  8.  Vgl.  Petersen,  eb.  1892,  44-46.  Cer- 
veteri, tomba  delle  sedie:  Mon.  d.  inst.  II  19.     Martha,  l'art  ötrusque  200  Fig.  156. 


Die  Grüfte.  111 

ging  bei  den  Etruskern  von  den  Sarkophagen  auch  auf  die  kleinen  steinernen  Aschen- 
kisten über,  taucht  auch  an  römischen  Sarkophagen  wieder  auf.  —  Auch  kommt  das 
etruskische  Steinbild  einer  auf  einem  Stuhl  sitzenden  Frau  vor;  der  massive  Stuhl 
enthielt  ihre  Asche.  Spätlinge  des  ganzen  Typus  sind  die  Steinbilder  der  gelagerten 
Männer  und  der  sitzenden  Frau  in  der  Volumniergruft  zu  Perugia  (neuere  Ausläufer 
sind  Grabmonumente  wie  die  der  Medizeer  zu  Florenz).  Seitdem  die  Männer  gelernt 
hatten,  Schmaus  und  Trunk  auf  dem  Ruhebett  gelagert  zu  üben,  während  die  Frauen 
bei  der  älteren  Sitte  blieben  und  saßen,  scheint  der  Sessel  im  Grabe  den  Frauen 
vorbehalten;  auch  die  Throne  in  der  Gruft  bei  Eretria  gehören  ihren  Inschriften  zufolge 
Frauen.1) 

Es  macht  bei  dem  ganzen  Brauch  offenbar  keinen  wesentlichen  Unterschied,  ob 
Klinen  und  Sessel  aus  dem  Hausgebrauch  dem  Verstorbenen  zur  Ruhestätte  ins  Grab 
mitgegeben  werden  oder  ob  sie  in  Stein  nachgebildet  oder  endlich  aus  dem  gewachsenen 
Gestein  geschnitten  sind.  All  das  ergibt  nur  verschiedene  Ausführungsarten  desselben 
Typus,  ebenso  wie  die  Schwankungen,  im  Auf-  und  Einlegen  der  Leiche,  im  Beisetzen 
der  unverbrannten  Leiche  oder  der  Asche  nur  Spielarten  einer  und  derselben  Sitte 
sind.  Es  käme  auch  gar  nicht  darauf  an,  daß  genau  die  von  den  Christen  angewendete 
Spielart  (wie  das  bankbildende  Troggrab)  im  Bereich  des  heidnischen  Gräberkultus 
sich  nachweisen  ließe,  sondern  darauf,  daß  die  christliche  Weise  sich  überhaupt  im 
antiken  Geleise  bewegt.     Und  das  ist  der  Fall. 

Die  Bänke  in  den  Katakomben  sind  Leichenbehälter;  daneben  konnten  sie  als 
Ruhesitze  für  die  Besucher  der  Gruft  dienen,  vorzüglich  für  die  Hinterbliebenen,  wie 
noch  heute  an  vielen  Gräbern  Ruhebänke  aufgestellt  werden,  für  die  Angehörigen, 
wenn  sie  an  den  Gräbern  ihrer  Lieben  verweilen.  Dafür  dienten  auch  die  Sessel, 
schwerlich  für  die  Seelen,  sicher  nicht  für  die  Leichen;  denn  Sessel  wie  beim  Grab  der 
Emerentiana  und  wie  in  der  Fünfkammerflucht  sind  zu  schmal,  um  ganze  Leichen  bergen 
zu  können,  für  Aschenbehälter  oder  Urnenträger  aber  hatten  die  Christen  keine  Ver- 
wendung. Dennoch  haben  sie,  freilich  nur  vereinzelt,  Sessel  angeordnet,  die  uns  nun  wie 
eine  wenn  auch  unbewußte  Reminiszenz  an  den  Urbrauch  anmuten,  den  Toten  aufrecht 
hinzusetzen  mit  dem  Anstand,  den  er  hatte,  als  er's  Licht  noch  sah. 

Damit  wäre  der  sepulkrale  Tatbestand  erklärt,  aus  Gesichtspunkten  der  Sepul- 
kralarchäologie;  der  archäologische  Tatbestand  stellt  uns  soweit  vor  keine  weitere 
Frage.  Eine  solche  ist  aber  gestellt  worden  aus  Gesichtspunkten  sagen  wir  der 
Sakralaltertümer.  Marchi  hat  die  Hypothese  aufgestellt,  jene  Zwillings-  und  Drillings- 
kammern seien  Versammlungsräume  gewesen,  teils  für  Katechese  und  Beichte,  teils  für 
Kultus,  mithin  hätten  wir  hier  Katakombenkirchen  für  den  regelmäßigen  Gemeinde- 
gottesdienst anzuerkennen.  Hauptgrundlage  der  Hypothese  ist  die  erwähnte  Fünf- 
kammerflucht im  Coem.  maius  (n.  a.  Ostrianum  oder  Agnetis).  Das  innerste  Cubiculum 
der    Dreikammergruft    erklärt    Marchi    für    das    Presbyterium;    der    aus   dem  Tuff  ge- 


*)  Eretria:  Kuruniotis,  Ephimeris  archaeolog.  1899,  221  Taf.  11.  12.  Vollmöller,  Athen. 
Mitteilungen  1901,  332  Taf.  13-17. 

Sarkophage:  Vollmöller,  Griech.  Kammergräber  1901.  Altmann,  Architektur  und  Orna- 
mentik der  antiken  Sarkophage  1902,  31.  Ältere:  Murray,  Terracotta  sarc.  Taf.  9—11.  Mon.  d. 
Inst.  VI  Taf.  54.  Lincei  Mon.  VII  Taf.  13.  Jüngere  Deckelfiguren  aus  Chiusi:  Mon.  d.  Inst. 
VI  Taf.  60;  XI  Taf.  1.  Ant.  Denkm.  I  Taf  20.  —  Thronende  Frau:  Martha,  l'art  e"trusque  337 
Fig.  332.     Volumnia:  Conestabile,  Sepolcro  dei  Volumni.     Martha  352. 


112  Bau  der  Katakomben. 

schnittene  Sessel  sei  der  Bischofsstuhl,  die  umlaufende  Bank  habe  den  assistierenden 
Klerikern  gedient,  ein  tragbarer  Altar  sei  in  der  Mitte  des  Hufeisens  aufgestellt 
worden.  Die  zwei  vorderen  Cubicula,  das  Schiff  der  Kirche,  durch  das  eine  Wand- 
säulenpaar vom  Presbyterium  gesondert,  wies  er  den  Männern  zu,  die  gegenüberliegende 
Zweikammergruft  den  Frauen;  er  zog  sogar  zwei  benachbarte,  sich  wieder  gegenüber- 
liegende Kammern  am  selben  Gang  heran  und  sah  in  ihnen  eine  Art  Vestibül  der 
Kirche.  Eine  zweite  „  Katakombenkirche ",  an  der  Salita  del  Cocomero,  erschien  wichtig 
wegen  ihres  halbkreisförmigen  Abschlusses  als  der  Apsis.1) 

Die  Hypothese  hat  viel  Anklang  gefunden  und  galt  eine  Zeitlang  als  gesichertes 
Wissen.  Und  man  glaubte  in  den  Katakombenkirchen  des  dritten  Jahrhunderts  die 
unmittelbaren  Vorgänger  und  Keime  der  Basiliken  des  vierten  gefunden  zu  haben. 
Franz  Xaver  Kraus  sagte  in  seiner  Realencyklopädie  I  1882,  116,  es  sei  „als  fest- 
gestellt anzusehen,  daß  in  den  Krypten  der  Katakomben  im  ersten  und  zweiten  Jahr- 
hundert nur  ausnahmsweise  Synaxen  stattfanden,  häufiger  aber  im  dritten  Jahrhundert 
in  der  Zeit  der  Verfolgungen;  im  vierten  Jahrhundert  hat  die  Feier  der  heiligen 
Geheimnisse  in  sepulcris  nur  den  Charakter  der  missa  privata."  Sein  Endurteil  for- 
muliert er  in  der  Geschichte  der  christlichen  Kunst  I  1896,  260f.:  „Gewiß  begegnen 
uns  in  diesen  Kulträumen  der  Katakomben  Elemente,  welche  auch  in  der  späteren 
Basilika  wiederkehren;  so  die  Stellung  des  Altars  in  einem  Ausbau  (Exedra),  welcher 
in  dem  zweiten  der  uns  hier  beschäftigenden  Fälle  halbkreisförmig  ist;  weiter  die  Ab- 
trennung des  Klerus  vom  Volk  und  allem  Anschein  nach  auch  die  Trennung  der 
Geschlechter.  Aber  all  dies  reicht  nicht  hin,  um  einen  direkten  Zusammenhang  mit 
der  Basilika  herzustellen."  Kraus  lehnt  also  den  Ursprung  der  Basilika  aus  der 
Katakombenkirche  ab  und  lehnt  auch  regelmäßigen  Gemeindegottesdienst  in  ihr  ab, 
schon  deshalb,  weil  die  Räume  hierzu  viel  zu  beschränkt  waren  (eine  Kammer  ist 
insgemein  zwei  Meter  lang  und  breit);  wohl  aber  nimmt  er  als  zweifellos  an,  daß  der 
eucharistische  Ritus  von  Zeit  zu  Zeit  über  den  Gebeinen  hervorragender  Märtyrer  hier 
gefeiert  wurde;  es  seien  Kapellen,  geschaffen  für  den  Märtyrerkult  durch  Verbindung 
mehrerer  Gemächer;  Bischofstuhl  und  Klerikerbank  scheint  er  anzuerkennen.  Nikolaus 
Müller,  ähnlich  Kraus,  lehnt  den  Kirchencharakter  und  jeden  Gebrauch  der  Kammern 
für  die  Gemeinde  ab  und  glaubt  nur  die  private  Totenfeier  dort  abgehalten;  hierfür 
seien  die  steinernen  Sessel  und  Bänke  bestimmt  gewesen,  im  übrigen  war  das  nötige 
Mobiliar  von  Holz  und  beweglich  (Koimeterien  836.  877  Be).  Waren  heidnische 
Grüfte  als  Triklinien  der  Toten  eingerichtet,  so  wären  die  christlichen  Grabkammern 
Speisezimmer  der  Lebenden  geworden  für  die  Leichenschmäuse  zu  Ehren  der  Ver- 
storbenen und  zur  mystischen  Vereinigung  mit  ihnen  und  dem  Christus  im  Ritus  der 
Eucharistie  —  all  dies  bliebe  im  Rahmen  der  Antike. 

Was  nun  Marchis  Hypothese  betrifft,  so  kann  es  ja  bestechen,  wenn  der  Sessel 
im  Fond  an  der  Stelle  steht,  wo  wir  später  in  den  Basiliken  den  Bischofsstuhl  in  der 
Tat  finden;  aber  dies  trifft  nur  für  die  eine  Fünf  kammerflucht  zu,  in  der  Crypta 
Emerentianae  steht  der  Sessel  bei  einem  Wandgrab  der  Längswand;  und  in  einer 
anderen  Kammer  fanden  wir  zwei  Tuffsessel  und  zwar  beiderseits  der  Eingangstür. 
An  der  Tür  und  den  Längswänden  aber  läuft  die  Bank  in  der  sogenannten  Miltiades- 
gruft  (Coem.  Callisti,  Area  IIa8),  die    von    de  Rossi  nun   nicht  als  Katakombenkirche 


*)  Mar chi,  Architettura  130  Taf.  17.  25;  182  Tai.  35.  36. 


Die  Grüfte.  113 

angesprochen  wird.  Bestechen  könnte  auch  den  einen  oder  anderen,  daß  Marchi  eine 
tragbare  Mensa  annimmt;  es  muß  aber  bemerkt  werden,  daß  die  Hypothese  in  Wider- 
spruch steht  mit  der  anderen,  derzufolge  in  den  Katakomben  die  Eucharistie  auf  der 
Deckplatte  der  Wandtroggräber  gefeiert  worden  sei.  Marchi  war  genötigt,  statt  dessen 
den  Tragaltar  anzunehmen,  weil  nämlich  der  Tuffsessel  gerade  vor  dem  zentralen 
Wandgrab  steht,  mithin  die  rituale  Benutzung  seiner  Deckplatte  unmöglich  macht. 
Wir  sahen,  daß  in  den  „  Katakombenkirchen "  kein  Element  vorliegt,  das  nicht  in  dem 
Charakter  des  Raumes  als  einer  Gruft  seine  Erklärung  fände.  Wir  brauchen  darum 
eine  rituale  Benutzung  nicht  ganz  auszuschließen;  sie  kann  aber  nur  eine  sekundäre 
gewesen  sein,  hat  daher  weder  auf  die  bauliche  Gestaltung  noch  auf  ihre  erste 
künstlerische  Ausstattung  Einfluß  üben  können.  Um  so  weniger  haben  wir  Ursache, 
hier  auf  die  sakralgeschichtliche  Frage  nach  den  in  den  Krypten  vollzogenen  Riten 
einzugehen  (vgl.  hierzu  Müller,  Koimeterien  831  ff.). 

Ein  so  wichtiger  Bestandteil  die  Kammern  auch  waren,  so  beruht  doch  auf  ihnen 
weder  die  Eigenart  noch  die  breite  Entfaltung  der  Katakomben;  vielmehr  beruht  dies 
beides  auf  den  Galerien,  gelegentlich  Krypten  genannt,  nach  klassischem  Gebrauch 
(z.  B.  in  Pompeji,  im  Gebäude  der  Eumachia,  ist  ein  geschlossener  Gang  inschriftlich 
so  bezeichnet).  Es  sind  dies  mehr  oder  minder  lange  unterirdische  Gänge,  die  zu  den 
Gräbern  führen;  durch  diese  Galerien  wurden  die  Toten  zu  ihren  Ruhestätten  ge- 
bracht, durch  sie  gelangten  die  hinterbliebenen  Angehörigen,  Freunde  und  Verehrer 
zu  den  Gräbern  ihrer  Entschlafenen.  Außerdem  aber  dienten  die  Gänge,  um  mehr 
Plätze  für  Leichen  zu  schaffen;  in  den  hohen  Wandflächen  konnten  mehrere  Gräber 
übereinander  angebracht  werden,  und  mit  der  Länge  des  Ganges  wuchs  der  belegbare 
Raum. 

Den  Galerien  genau  entsprechende  Analogien  aus  der  vorchristlichen  Baukunst 
gibt  es  nicht.  Dürfen  wir  hier  einmal  von  einer  originalen  Schöpfung  der  christlichen 
Kunst  reden?  Fragt  man  bloß  nach  der  technischen  Form  des  unterirdischen  Ganges, 
so  hat  es  dergleichen  schon  längst  gegeben,  z.  B.  die  Wasserleitung  des  Königs  Hiskia 
zu  Jerusalem;  oder  die  andere  Wasserzuführung,  welche  die  Stadt  Samos  versorgte, 
der  Techniker  Eupalinos  legte  sie  an,  im  sechsten  Jahrhundert  vor  Christus;  ein 
Tunnel  führt  sie  durch  den  Bergzug  im  Rücken  der  Stadt.  Unterirdische  Gänge  aber 
von  sepulkralem  Charakter,  die  zu  Grabkammern  führen,  gab  es  bereits  in  viel  früherer 
Zeit;  solche  führten  beim  ägyptischen  Theben  in  das  Innere  des  in  Pyramidenform 
gipfelnden  Bergs  zu  den  Gräbern  der  Pharaonen,  welche  die  Griechen  Syringen  nannten. 
Das  sind  bloß  Vorläufer  der  christlichen  Galerien  gewesen,  nicht  ihre  unmittelbaren 
Vorbilder;  und  es  fehlen  ihnen  die  Gräber  in  den  Wänden,  die  Gänge  selbst  waren 
auch  viel  stattlicher  gestaltet,  als  die  so  schlichten  Galerien  der  Katakomben.  Diese 
mit  Wandgräbern  besetzten  unterirdischen  Gänge  sind  etwas  Neues  gewesen,  etwas 
spezifisch  Christliches.  Der  technische  Ausdruck  für  einen  unterirdischen  Gang  war 
griechisch  KQvml]  {ödög),  latinisiert  crypta,  unser  Gruft,  lateinisch  euniculus.  Crypta 
ist  jeder  unterirdische  (oder  oberirdische  ähnlich  geschlossene)  Raum,  ursprünglich  wohl 
ein  gangartiger,  ein  Tunnel  (z.  B.  durch  die  Umwallung  des  Stadiums  zu  Olympia, 
durch  den  Posilipp  bei  Neapel),  dann  aber  auch  ein  Keller,  ein  gewölbter  Raum  unter 
den  Sitzen  des  Circus,  eine  Kloake;  ferner  eine  Gruft,  endlich  ein  unterirdisches 
Kultlokal,  wie  sie  im  Mithrasdienst  üblich  waren.  Im  christlichen  Sprachgebrauch 
wurde   Crypta    nicht    bloß,    wie  Marchi   meinte,    für  größere  Grabkammern    gebraucht, 

Sybel,  Christliche  Autike  I.  8 


114  BftU  der  Katakomben. 

sondern  auch,  nach  Michele  de  Rossis  Nachweis,  für  Gänge  und  synonym  für  Kata- 
kombe.1) 

Wir  wollen  nun  sehen,  wie  aus  Kammern  und  Gängen  das  System  der  Kata- 
komben erwuchs.  Wir  werfen  zuerst  einen  Blick  in  die  Katakomben  von  Neapel, 
deren  Vorhallen  wir  bereits  kennen.  In  Fortführung  des  mit  ihnen  Begonnenen  trieb 
man  einen  fünf  Meter  breiten  Gang  in  den  Berg;  in  der  ersten  Katakombe  ist  er 
90  Meter  lang,  ein  schmälerer  Nebengang  läuft  parallel.  Quer  liegen  viele  Cubicula 
an,  die  zum  Teil  sich  wieder  gangartig  erstrecken;  die  am  weitesten  seitlich  sich  ent- 
wickeln, fallen  auf  durch  ihre  netzartige  Ausbreitung,  sowie  durch  ihre  Schmalheit 
(die  schmälsten  sind  nur  etwa  einen  Meter  breit)  und  ihre  dichte  Besetzung  mit  Wand- 
gräbern.2) 

Nun  Rom.  Zum  Verständnis  des  Systems  der  römischen  Katakomben  hat 
Stefano  Michele  de  Rossi  wichtige  Grundlagen  gelegt.  Die  Anordnung  der  Kata- 
komben ist  mitbedingt  durch  die  Verhältnisse  des  Grundbesitzes.  Wurde  eine  Be- 
gräbnisstätte innerhalb  eines  weitausgedehnten  Grundeigentums  angelegt,  wie  ein 
solches  beispielsweise  die  Praedia  Amarantiana  gewesen  zu  sein  scheinen,  so  konnte  sich 
auch  das  Cömeterium  ungehemmt  ausbreiten.  Anders  bei  parzelliertem  Boden;  da  war 
der  Eigentümer  nach  allen  Seiten  beengt.  Hatten  die  Gänge  des  unterirdischen 
Cömeteriums  die  Grenzen  des  Grundstückes  erreicht,  so  ließ  sich  weiterer  Raum 
dadurch  gewinnen,  daß  man  in  größere  Tiefe  hinabstieg  und  ein  zweites,  nach  Bedarf 
auch  ein  drittes  Geschoß  anlegte.  Daneben  blieb  noch  der  Weg  offen,  das  Niveau 
der  Kammern  und  Gänge  um  ein  paar  Meter  tiefer  zu  legen,  wodurch  dann  mehr 
Wandfläche  zum  Einlegen  von  Gräbern  geschaffen  wurde.  Solche  Nacharbeiten  lassen 
sich  an  den  Monumenten  erkennen;  Michele  Stefano  de  Rossi  hat  mit  unermüdlichem 
Spürsinn  die  Kriterien  festgestellt  und  erprobt.  Es  ist  lehrreich,  an  der  Hand  seiner 
Analyse  die  Entstehung  und  spätere  Entwicklung  eines  Katakombenkomplexes  zu  ver- 
folgen; seine  Arbeit  bezog  sich  vor  allem  auf  die  Erstlingsentdeckungen  seines  Bruders, 
das  Coem.  Lucinae  mit  der  historischen  Krypte  des  Bischofs  Cornelius  und  das 
größere  Coem.  Callisti,  mit  welchem  jenes  schließlich  verschmolzen  wurde.3) 

Den  Keimpunkt,  oder  die  Wiege  des  Coem.  Lucinae  bildet  eine  ursprünglich 
vielleicht  heidnische  Grabanlage  rechts  an  der  Via  Appia.  Das  Monument,  heute  eine 
von  zwei  Zypressen  beschattete  Ruine,    steht   in  der  Reihe   der  die  Appia  weithinaus 

»)  Hiskia:  Kon.  II  18,  17.  20,  20.  Sirach  48,  17  (Kautzsch,  Apokryphen  1900,  464).  — 
Eupalinos:  Fabricius,  Ath.  Mitt.  1884,  163.  —  Syringen:  Prisse  d'Avennes,  Hist.  de  l'art 
egyptien  I  Taf .  8.  —  Crypta:  M.  de  Eossi,  Eoma  sott.  I,  Analisi  23;  noch  schärfer,  gegen  Marchi, 
G.  B.  de  Eossi,  eb.  III  424.  Müller,  Koimeterien  863.  Mau  bei  Pauly-Wissowa,  Eealencykl.  IV 
1732.     Inschrift  in  Priscilla:   crypta  undecima,  pila  secunda,  Eöm.  Quart.  1904,  46. 

")  Neapel:  Schultze,  San  Gennaro  Taf.  8.  9  Pläne. 

3)  Coem.  Lucinae:  Michele  Stefano  de  Eossi,  Analisi  (am  Ende  von  G.  B.  de  Eossi,  Eoma 
sott.  I)  Seite  53  ff.  Taf.  32—40.  Taf.  32,  3  zeigt  den  Plan  der  Lucinakatakombe  in  der  ersten 
Bauperiode,  Taf.  32,  2  den  Längsschnitt  des  Gangs  B  mit  den  Kammern  C  und  E,  Taf.  34  einen 
geologischen  Schnitt,  Taf.  35—40  den  Gesamtplan  von  Callist  und  Lucina,  das  Hauptgeschoß  beider 
Katakomben  in  Kreuzschraffierung,  das  Obergeschoß  von  Callist  rot.  Band  II  Taf.  51  gibt  in 
Fig.  2  noch  einen  geologischen  Schnitt,  Band  III  Taf.  42—45  gibt  denselben  vermehrt,  elf  Grund- 
stücke verschieden  koloriert,  die  Wege  des  Hauptgeschosses  (secondo  piano)  weiß,  die  des  Ober- 
geschosses (primo  piano)  schraffiert.  —  Zu  den  von  M.  St.  de  Eossi  Analisi  54  ff.  behandelten 
Formae  monumentorum  in  Florenz  und  Urbino  hat  Hülsen  eine  dritte  in  Perugia  gefügt,  Eöm. 
Mitteilungen  1890,  46  Taf.  3. 


Die  Grüfte. 


115 


säumenden  Mausoleen  der  Kaiserzeit.  Unser  Monument  stand  in  geräumiger  Area, 
einst  vielleicht  von  den  üblichen  Nebengebäuden  begleitet,  dem  Triclinium  funebre 
und  der  Custodia  monumenti.  Die  Area  monumenti  maß  100  Fuß  an  der  Straße  (in 
fronte),  vermutlich  50  in  die  Tiefe  (in  agro);  dahinter  noch  ein  angeschlossenes  Grund- 
stück (area  adiecta)  180  Fuß  tief.  Das  ganze  Grundstück  maß  also  100  zu  230  Fuß. 
Das  angeschlossene  Grundstück  wurde  vom  Eigentümer  oder  der  Eigentümerin  für 
Begräbnisse  von  Christen  hergegeben  oder  von 
ihnen  selbst  dazu  verwendet.  Ziemlich  in  der 
Mitte  der  Area  wurde  eine  Treppe  Z  in  die  Tiefe 
geführt,  die  nach  einer  Wendung  in  einen  wieder- 
holt umbrechenden  Gang  mündet;  an  ihm  liegt 
erst  die  Doppelkammer  XY  und  weiter  ein  anderes 
Cubiculum  duplex  LL,  welches  nachgehends  zum 
Begräbnis  des  Bischof  Cornelius  hergerichtet  wurde. 
Eine  zweite  Treppe  a  führt  zu  einem  tiefer- 
gelegenen Geschoß  hinab,  das  regelmäßig  rost- 
förmig  geplant  war.  Seine  zwei  Längsgalerien  gehen 
genau  an  den  Grenzen  der  Area  hin;  von  beiden 
Geschossen  östlich  vorstoßende  Nebengänge  laufen 
bald  im  Tuff  tot,  in  Entfernung  von  einigen 
fünfzig  Fuß  von  der  Via  Appia;  daraus  eben  ist 
zu  schließen,  daß  hier  die  Grenze  der  dem  christ- 
lichen Cömeterium  eingeräumten  Area  adiecta  ihrem 
weiteren  Vordringen  Halt  gebot.  In  einer  späteren 
Bauperiode  griff  man  zu  dem  Auskunftsmittel,  die 
Fußböden  um  21/2  Meter  tiefer  zu  legen;  so  ge- 
schah es  z.  B.  mit  dem  Gange  B  und  der  Kammer 
C,  die  damit  eine  ungewöhnliche  Höhe  erhielten; 
die  nun  hoch  über  dem  neuen  Fußboden  schwe- 
bende alte  Tür  der  Kammer  wurde  vermauert. 
Auf  dem  neuen  Niveau  setzte  man  dann  die  Aus- 
grabung fort  und  höhlte  die  Kammer  E  aus,  von 
gewöhnlicher  Höhe;  der  Umstand,  daß  sie  auf 
dem  tieferen  Niveau  liegt,  verrät  ihren  späteren 
Ursprung.  Die  Kammer  E  überschreitet  zugleich,  und  so  tun  es  andre  Anlagen,  die 
Grenze  des  Grundstücks,  die  mithin  ihre  Bedeutung  verloren  hatte.  Endlich  entsandte 
das  nahe  Coemeterium  Callisti  die  Ausläufer  seines  obersten  Geschosses  bis  über  das 
erste  Geschoß  von  Lucina  und  verband  mit  letzterem  sein  eigenes  zweites  und  Haupt- 
geschoß. 

Scharfsinnig  haben  die  Brüder  de  Rossi  die  Entwicklungsgeschichte  der  Kallist- 
katakombe  ermittelt  und  anschaulich  sie  dargelegt;  neuerdings  wurde  von  Wilpert 
einiges  berichtigt.1) 


_J    mA*v* 


Hypogäum  der  Lucina. 

Vorn   die   Via  Appia,    daran    heidnisches 

Mausoleum ;  dahinter  die  Katakombe :  aZL 

erster  Stock,  bd  zweiter  Stock. 


l)  Coem.  Callisti:  de  Rossi,  Roma  sott.  II  mit  M.  St.  de  Rossis  Analisi  geologica  ed 
architettonica  im  Anhang.  Dazu  Taf.  53.  59.  Die  Bauperioden  der  Area  I  auf  Taf.  53  Fig.  3—6. 
2;  die  drei  Areen  in  Fig.  1;  vgl.  aber  Wilpert,  Rom.  Quart.  1901,  50  Neue  Studien  zur  Kailist- 
katakombe. 


116 


Bau  der  Katakomben. 


Das  Cömeterium  setzt  sich  in  seiner  größten  Entfaltung  aus  einer  Anzahl  von 
Grundstücken  zusammen,  die  an  zwei  sich  kreuzenden  Verbindungsstraßen  zwischen 
Appia  und  Ardeatina  lagen.  Das  Cömeterium  der  ersten  Area,  von  wo  die  Ent- 
wicklung ihren  Ausgang  nahm,  entstand  bereits  im  zweiten  Jahrhundert;  auch  hier 
handelt  es  sich  um  ein  oblonges  Grundstück,  das  aber  mit  einer  Langseite  an  der 
Straße  liegt.     Von  der  südlichen  Schmalseite   her  wurden  zwei  Treppen  A  und   B  in 

die  Tiefe  geführt.  Die  ganze  Südhälfte  des  Areals 
blieb  für  Kammern  vorbehalten,  zunächst  entstand 
das  Cubiculum  L2;  die  Nordhälfte  nimmt  wieder  ein 
rostförmiges  Wegenetz  ein.  Wilpert  zu  folgen  wurde 
noch  im  zweiten  Jahrhundert  gegenüber  L2  die 
Doppclkammer  L'O  ausgebrochen,  letztere  wegen  des 
nahen  ersten  Querweges  J  aus  der  Hauptachse  ver- 
schoben; diese  zwei  Kammern  wurden  nun  wichtige 
historische  Krypten.  O  gilt  als  Gruft  der  heiligen 
Cäcilia,  L1  ist  die  berühmte  Gruft  römischer 
Bischöfe  des  dritten  Jahrhunderts.  An  der  Außen- 
seite des  östlichen  Hauptwegs  AA  hatte  man  in- 
zwischen, von  Süden  nach  Norden  fortschreitend,  eine 
Reihe  kleinerer  Kammern  A1  bis  Ac  successiv  aus- 
*■  i  H  '  \      J  I  gehöhlt,     die     unter     dem     konventionellen     Namen 

"  u|  -/^^Ttfc-yv      y"M     Sakramentskapellen  gehen. 

Zur  Erweiterung  des  Friedhofs  wurde  sodann, 
im  dritten  Jahrhundert,  jenseits  der  Straße,  durch 
den  Gang  S  mit  der  ersten  Area  verbunden,  eine 
zweite  aufgeschlossen.  Ihr  sehr  breiter  Hauptgang  a, 
ein  Querweg,  biegt  sich  um  in  der  Richtung  nach 
dem  Coem.  Lucinae.  An  diesem  Hauptgang  zeichnet 
sich  in  zentraler  Lage  eine  Kammer  a3  durch  ihre 
Größe  und  durch  eine  an  drei  Seiten  umlaufende 
marmorbelegte  Bank  aus;  in  der  sekundär  ver- 
größerten Fondnische  stand  der  größte  aller  existieren- 
den altchristlichen  Sarkophage,  der  giebelförmige 
Deckel  fand  sich  an  Ort  und  Stelle.  Aus  topo- 
graphischen Gründen  glaubte  de  Rossi  hier  die 
Gruft  des  Bischofs  Miltiades  (f  314)  erkennen  zu  sollen. 

Die  zweite  Area  erhielt  in  nordwestlicher  Richtung  eine  unmittelbare  Fortsetzung 
in  Area  III;  an  ihrem  Hauptgang  o  liegt  die  inschriftlich  bezeugte  Gruft  des  311 
gestorbenen  Bischofs  Eusebius  (o10).  Dann  überschritt  man  den  an  der  Nordseite  her- 
laufenden ostwestlichen  Verbindungsweg  zwischen  Appia  und  Ardeatina,  um  weitere 
Grundstücke  und  unter  ihnen  Raum  für  neue  Wegnetze  zu  erschließen,  de  Rossis 
Arenarium  Hippolyti,  Regio  Liberiana  und  Coem.  Soteridis,  die  aber  eben  nur  Er- 
weiterungen der  Kaliistkatakombe  sind,  übrigens  von  dem  zwei-  bis  dreifachen  Flächen- 
gehalt als  die  ersten  drei  Areen. 

Es  sei  noch  bemerkt,  daß  das  erste  Geschoß  etwa  7,50  Meter  tief  liegt,  das 
zweite    12  bis   13,   das  dritte   16  Meter.     Wie  nun  in  der  Kailistkatakombe    über   dem 


Coem.  Callisti,  erste  Area. 

Vierter  Zustand.     L1  Bischofsgruft. 
A1      ß  Sakramentskavjcllen. 


Die  Grüfte. 


117 


Coeni.  Callisti,  Area  I:  L1  Bischoi'sgruft,  O  Caecilia  (?).    A.1    "  Sakramentskapellen.  —  Area  II:  a3  Miltiades  (?) 

d1  Oceanussrruft.  —  Area  III:  o  Eusebius. 


\\g  Bau  der  Katakomben. 

ursprünglichen  Hauptgeschoß  später  noch  ein  Obergeschoß  eingeschoben  wurde,  so  hat 
man  gelegentlich  noch  Zwischengeschosse  eingeschaltet,  so  daß  dann  wohl  vier  bis  fünf 
Geschosse  gezählt  werden. 

In  ähnlicher  Weise,  wenn  auch  nicht  zu  so  großer  Ausdehnung,  haben  sich  auch 
die  übrigen  römischen  Katakomben  entwickelt,  in  die  Tiefe  und  in  die  Breite.  So 
legte  sich  der  Gürtel  des  unterirdischen  Roms  um  die  Mauern  der  oberirdischen  Stadt, 
in  der  Hauptsache  zwischen  dem  ersten  und  dritten  Meilenstein.  Die  Weiträumigkeit 
der  Stadt  macht  es  wahrscheinlich,  was  sich  mehr  und  mehr  zu  bestätigen  scheint, 
daß  die  meisten  Katakomben  mit  ihren  Anfängen  bis  in  die  frühchristliche  Zeit 
zurückreichen. 

Den  alten  Ritus  des  Begrabens,  sagten  wir,  haben  die  Christen  wieder  auf- 
genommen, gemäß  dem  Zug  der  Zeit,  der  auch  die  heidnischen  Griechen  und  Römer 
zum  Beisetzen  der  unverbrannten  Körper  zurückführte.  Doch  liegt  in  der  Anordnung 
ihrer  Ruhestätten  etwas  Eigenes;  in  dem  einheitlichen  System  der  Katakombe  ist  etwas 
Neues,  spezifisch  Christliches,  damit  aber  doch  nicht  aus  dem  Rahmen  des  Antiken 
Heraustretendes  anzuerkennen.  In  baulicher  Beziehung  liegt  der  Unterschied  in  dem 
belegbaren  Räume.  Während  in  einer  Kammer,  wenn  es  hoch  kam,  kaum  zehn 
Leichen  Platz  fanden,  gewöhnlich  aber  weniger,  in  einer  Kammergruppe  entsprechend 
mehr,  so  gab  es  in  einer  Katakombe  eine  Mehrheit  von  Kammern  und  Kammer- 
gruppen, dazu  aber  kamen  die  Gänge,  deren  Wandflächen  noch  völliger  ausgenutzt 
wurden  als  die  der  Kammern.  Michele  Stefano  de  Rossi  hat  für  das  Coem.  Lucinae, 
allerdings  in  dessen  letztem  Ausbau,  eine  Belegung  mit  2000  Leichen  berechnet. 

Vorchristliches  in  genau  gleicher  Art  gibt  es  nicht.  Vorkommende  heidnische 
Massengräber  sind  doch  verschieden;  von  vornherein  ist  hier  abzusehen  von  den 
Polyandrien  auf  den  Schlachtfeldern,  wie  dem  bei  Marathon  oder  dem  bei  Chaeronea. 
Auch  von  den  Schachtgräbern  auf  dem  Esquilin,  den  puticuli  für  die  Proletarier;  die 
von  Horaz  betonte  Gemeinsamkeit  (hoc  miserae  plebi  stabat  commune  sepulcrum 
Sat.  1,  10)  ist  gerade  nicht  christlich.  Ahnlich  gab  es  bei  den  Juden  Begräbnisstätten, 
die  der  Gemeinde  zustanden,  für  die  geringen  Leute,  für  die  Verbrecher  und  für  die 
Fremden.  Jojakim  ließ  den  Uria  hinrichten  und  auf  den  Leichenacker  der  geringen 
Leute  werfen  (Jer.  26,  23),  also  um  den  vornehmen  Mann  zu  erniedrigen.  Dagegen 
scheint  Jes.  53,  9  ein  Platz  für  Hingerichtete  vorausgesetzt:  „man  gab  (dem  Knecht 
Jahwes)  bei  den  Gottlosen  sein  Grab  und  bei  den  Übeltätern,  als  er  dahinstarb". 
Matth.  26,  7  aber  hören  wir  von  einer  Begräbnisstätte  für  Fremde.  All  das  enthält 
Elemente,  die  im  christlichen  Gemeindefriedhof  wesentlich  sind,  dies  Ganze  aber  ist 
etwas  Neues. 

Die  heidnischen  Grüfte  könnte  man  nach  ihrer  ursprünglichen  Abzweckung  eher 
Einzelgräber  nennen;  denn  wenn  auch  die  Angehörigen  des  Eigentümers  in  der  Gruft 
Aufnahme  fanden,  so  geschah  es  eben  deshalb,  weil  sie  ihm  gehörten  und  er  sie  auch  im 
Tode  um  sich  haben  wollte.  Tatsächlich  aber  wurden  sie  Familiengräber,  die  unter 
Umständen  viele  Generationen  derselben  Familie  aufnahmen.  Anfangs  mehr  auf  dem 
Familienbesitz  angelegt,  bei  städtischer  Siedelung  in  oder  am  Hause,  wurden  sie  bald 
vor  die  Stadttore  verwiesen,  wo  sie  sich  entweder  an  den  Rändern  der  von  der  Stadt 
ausstrahlenden  Heerstraßen  reihten,  zu  Athen  vorzüglich  vor  dem  Dipylon,  zu  Pompeji 
vor  dem  Herkulanertor,  zu  Rom  an  der  Appia,  oder  in  besonderen,  mehr  oder 
weniger  entlegenen  Nekropolen  gruppierten,    wie  z.  B.  in  Ägypten,  Lykien,  Etrurien. 


Die  Grüfte.  119 

Nun  aber  ist  wichtig  festzuhalten,  nur  das  einzelne  Monument  hatte  sakralen  Charakter, 
nicht  die  Nekropole;  sie  war  immer  nur  ein  Aggregat  von  Familiengrabstätten,  war 
nicht  ein  geschlossener  und  einheitlich  verwalteter  Gemeindefriedhof.  Dies  letztere  blieb 
den  Cömeterien  der  Christen  vorbehalten:  von  Einzelkammern,  von  Familiengrüften 
haben  sie  ihren  Ausgang  genommen,  aber  sie  haben  sich  zu  Gemeindefriedhöfen  ent- 
wickelt. 

Der  antike  Familienvater  erbaute  die  Gruft  für  sich  und  die  Seinen,  und  zwar 
für  die  Nachkommen  in  unbegrenzter  Abfolge  (monumentum  fecit  sibi  et  suis 
posterisque  eorum,  sagen  die  Grabschriften);  mancher  nahm  seine  Freigelassenen  in  die 
Gruft  auf  (et  libertis  libertabusque  suis);  ein  anderer  stellte  seine  Gruft  auch  den 
Freunden  zur  Verfügung  (et  amicis  caris  meis).  Dann  aber  vereinzelt  auch  einmal 
den  Armen;  ein  Freigelassener  des  Hadrian  widmete  seine  Gruft  sich  und  seinen 
Freigelassenen,  und  der  Barmherzigkeit  (misericordiae),  das  heißt  den  Armen  und 
Fremden.  Im  vermutlichen  Bereich  der  Praedia  Amarantiana  haben  sowohl  heidnische 
wie  christliche  Verstorbene  von  den  Eigentümern  Raum  zu  Ruhestätten  erhalten;  dort 
gefundene  heidnische  Grabschriften  danken  dafür  der  Fla  via  Domitilla  (ex  indulgentiaFlaviae 
Domitillae;  Flaviae  Domitillae,  divi  Vespasiani  neptis,  beneficio).  Es  ist  nicht  erkenn- 
bar, in  welche  Kategorie  die  Verstorbenen  gehörten,  ob  der  Freigelassenen  oder  der 
kleinen  Leute.  Über  die  Beisetzungshallen  für  Aschenurnen,  die  sog.  Columbarien, 
wissen  wir,  daß  einige  von  den  Grundeigentümern  für  ihre  Freigelassenen  errichtet 
waren,  andere  von  den  korporativ  zusammengeschlossenen  Freigelassenen  selbst  aus 
eigenen  Mitteln.     Solcher  Begräbnisvereine  gab  es  viele. 

Neben  den  kollegialisch  geordneten  Staatspriestertümern  (collegia  sacerdotum)  gab 
es  staatlich  eingesetzte  Kultgenossenschaften  (sodalitates  sacrae),  nicht  von  Priestern, 
sondern  von  Verehrern  oder  Gläubigen  einer  Gottheit  (cultores  Jovis,  Dianae  etc.). 
Einst  waren  sie  Geschlechterkulte,  später  wurden  sie  Genossenschaften  beruflich  oder 
örtlich  Verbundener,  die  in  Nachwirkung  der  einstigen  Geschlechtsverwandtschaft 
unter  den  Mitgliedern  der  Kultgenossenschaft  stets  als  in  einer  Art  Verwandtschaft 
stehend  gedacht  wurden.  Drittens  gab  es  private  Kollegien  oder  Vereine,  die  alle 
auch  einen  Schutzgott  verehrten  und  in  der  Regel  zugleich  Begräbnisvereine  waren. 
Dies  hängt  damit  zusammen,  daß  die  meisten  sich  aus  den  ärmeren  Klassen  rekrutierten 
(daher  collegia  tenuiorum).  Die  statutarische  Bestimmung  des  Collegium  salutare 
Dianae  et  Antinoi  zu  Lanuvium,  wonach  der  monatliche  Beitrag  zur  Vereinskasse  für 
das  Begräbnis  verstorbener  Mitglieder  verwendet  werden  soll,  erweist  diese  Collegia 
tenuiorum  als  Sterbekassen  (Collegia  funeraticia).  Einige  dieser  Begräbnis  vereine,  wie 
der  eben  genannte,  entledigten  sich  ihrer  Aufgabe,  indem  sie  beim  Tode  eines  Mit- 
gliedes eine  bestimmte  Summe  (funeraticium)  für  die  Begräbniskosten  zahlten,  andere, 
die  im  Besitz  eines  eigenen  Monuments  oder  eigenen  Begräbnisplatzes  waren,  besorgten 
die  Bestattung  selbst.  Vereine  mit  gemeinsamem  Monument  (Ossuarium)  waren  an 
Feuerbestattung  gebunden,  während  solche  mit  Begräbnisplatz  auch  Beerdigung  zu- 
ließen. Bei  den  meisten  Sterbekassen  aber  war  die  Aufgabe  der  Überlebenden  mit 
dem  Begräbnis  noch  nicht  erfüllt,  sondern  sie  pflegten  wie  jede  Familie  den  Totenkult, 
man  ehrte  die  heimgegangenen  Mitglieder  durch  jährliche  Totenfeste.  Reichere 
Mitglieder  vermachten  dem  Kollegium  Legate,  um  sich  regelmäßige  Ehrungen  zu 
sichern,  Ehrungen  teils  in  Gestalt  von  Gräberschmuck,  teils  von  Gedächtnis- 
schmäusen. 


120  ßau  der  Katakomben. 

Auch  die  Vereine  von  Berufsgenossen  sind  hier  zu  nennen;  nach  antiker  Weise 
hatten  sie  religiösen  Charakter,  wählten  sich  einen  Schutzgott,  zu  dessen  Verehrung 
gemeinsame  Opferfeste  veranstaltet,  selbst  eigne  Tempel  erbaut  wurden.  Auch  diese 
Vereine  bildeten  gewissermaßen  eine  Familie  im  großen  (vgl.  die  Ausdrücke  pater, 
mater,  f rater,  fratres  et  sorores,  und  die  Satzung  a  nostro  collegio  dolus  malus  abesto); 
und  sie  waren  in  der  Regel  nebenbei  Sterbekassen. 

Unter  den  ordentlichen  Ausgaben  der  Kollegien  figurieren  neben  den  Kosten  des 
Vereinshauses  und  des  Kultus  besonders  die  zwei  Posten  für  das  Grabmonument  oder 
den  Begräbnisplatz  (in  Gegenrechnung  kam  der  Erlös  aus  dem  Verkauf  von  Plätzen 
an  Nichtmitglieder)  und  für  das  Begräbnis  sowie  den  Totenkult;  er  bestand  in  Opfern 
und  Schmausen,  Bekränzen  der  Gräber,  Unterhaltung  einer  brennenden  Lampe  auf  dem 
Grabe  oder  im  Monument,  war  aber  öfter  durch  besondere  Stiftung  seitens  des  Ver- 
storbenen gedeckt. 

Das  christliche  Begräbniswesen  nun  wird  sich  so  entwickelt  haben,  daß  die 
Bestattungen  anfangs  in  der  jeweils  landesüblichen  Weise  vollzogen  wurden.  Von 
früh  an  sind  christliche  Einzel-  und  Familiengräber  entstanden;  dergleichen  finden  sich 
zerstreut  hier  und  da,  auch  in  Rom.  Inschriften  geben  Kunde,  wie  einzelne  sich  auf 
ihrem  Grundbesitz  Gräber  errichteten,  in  ihren  Gärten  (in  hortulis  nostris  secessimus), 
wie  sie  dem  eigenen  Grund  und  Boden  ihre  Körper  anvertrauten  (propriae  terrae,  de 
Rossi,  Roma  sott.  I  109).  Wiederum  bezeugen  Inschriften  den  Übergang  der  alten 
Weise  zu  Familiengräbern  erweiterter  Einzelgräber  in  das  Christentum.  M.  Antonius 
Restitutus  ließ  eine  Gruft  herstellen  für  sich  und,  so  fügt  er  hinzu,  für  die  Seinen, 
die  auf  den  Herrn  vertrauen  (fecit  hypogeum  sibi  et  suis  fidentibus  in  domino).  Der 
Charakter  der  sogenannten  Familiengräber,  im  Grunde  Einzelgrüfte  zu  sein,  findet  im 
vorliegenden  Falle  so  harten  Ausdruck,  daß  der  Stifter  des  Hypogäums  diejenigen 
von  der  Benutzung  ausschließt,  welche  bei  ihrer  alten  Religion  bleiben  würden. 

Gleichfalls  landesüblich  war  die  Bestattungsweise,  wie  sie  die  Evangelien  für  den 
gekreuzigten  Jesus  voraussetzen.  Und  auch  dies  erscheint  als  typisch,  noch  über  die 
Anfangszeit  hinaus,  daß  ein  Anhänger  sich  den  Leichnam  des  Hingerichteten  heraus- 
geben läßt,  um  ihn  in  seinem  Grund  und  Boden  beizusetzen,  sei  es,  daß  dieser  ihm 
schon  zuvor  gehörte  oder  erst  zu  dem  Zwecke  von  ihm  erworben  wurde  (Mk.  15, 
42 — 47).  Die  Überlieferung  läßt  erkennen,  welche  Bedeutung  für  die  Ausbreitung 
des  Christentums  einzelne  ihm  gewonnene  reichere  Häuser  hatten,  indem  sie  als  Keim- 
zellen für  die  Bildung  neuer  Gemeinden  dienten;  ebenso  aber  gaben  Begräbnisstätten 
oder  sonstige  Grundstücke  solcher  Familien  Ausgangspunkte  für  die  Bildung  christ- 
licher Friedhöfe.  In  beiden  Beziehungen  treten  Frauen  besonders  hervor;  in  den 
Paulusbriefen  und  der  Apostelgeschichte  stellen  sie  ihre  Häuser  und  ihre  persönliche 
Wirkungskraft  der  Mission  zur  Verfügung,  in  den  Märtyrerakten  begraben  sie  die 
Gerichteten  in  ihrem  Garten  oder  sonst  in  ihrem  Grundbesitz;  verschiedene  römische 
Katakomben  führen  ihren  Ursprung  auf  solche  Frauen  zurück,  welche  in  ihrem  Eigen- 
tum für  christliche  Begräbnisse  Raum  hergaben.  Wie  bald  nun  und  auf  welche  Weise 
die  inzwischen  geschaffenen  Katakomben  aus  dem  Privat-  in  den  Gemeindebesitz  über- 
gingen, darüber  sind  wir  nicht  genügend  unterrichtet.  Erst  um  200  finden  wir  ein 
Cömeterium  im  Besitz  der  römischen  Gemeinde;  es  heißt,  daß  Bischof  Zephyrinus  den 
Kallistus  über  den  Klerus  und  über  „das  Cömeterium"  gesetzt  habe,  also  doch  wohl 
über    eben    dasjenige,    welches    seitdem,    und    vorzüglich    wohl    seit   dem    Bistum    des 


Die  Grüfte.  121 

Kailist,  unter  dessen  Namen  geht.  Unter  Bischof  Dionysius  ging  die  Verwaltung  der 
Cömcterien  in  die  Hände  der  Presbyter  über.1) 

Nun  ist  die  Frage  aufgeworfen  worden,  unter  welcher  Form,  genau  zu  sprechen, 
unter  welcher  Maske  die  Gemeinde  politisch  existiert  habe,  da  das  Christentum  als 
nach  seinem  Atheismus  zu  der  religiös  aufgefaßten  Staatsverfassung  in  Widerspruch 
stehend  eine  nicht  zugelassene  und  bei  straffer  Handhabung  der  Verwaltung  unver- 
meidlich Maßregeln  herausfordernde  Religion  war.  De  Rossi  hat  die  Hypothese  auf- 
gestellt, die  Christengemeinden  hätten  sich  der  Form  von  Begräbnisvereinen  bedient, 
um  unter  diesem  Namen  Gemeindehäuser  und  Grundstücke  für  Beerdigungszwecke 
besitzen  zu  können.  Die  Hypothese  hat  besonders  in  Fr.  X.  Kraus  einen  warmen 
Fürsprecher  gefunden,  weite  Kreise  haben  ihr  Beifall  gezollt.  Indessen  hat  es  nicht 
an  Widerspruch  gefehlt;  schon  früh  trat  V.  Schultze  gegen  sie  auf,  und  Sohms  Kirchen- 
recht hat  sie  aufgegeben.  Jedenfalls  haben  sich  zwingende  Beweise  für  sie  nicht  auf- 
bringen lassen. 

Wenn  demnach  die  Hypothese  vielleicht  nicht  standhält,  wonach  die  römische  Ge- 
meinde unter  dem  Decknamen  eines  Begräbnisvereins  eine  Art  Legalität  gefunden  habe,  so 
erfüllte  die  Gemeinde  doch  tatsächlich  den  Zweck  solcher  Sterbekassen  und  teilte  mit 
ihnen  den  Charakter  einer  Familie  aus  Konvention.  Es  ist  derselbe  Geist  der  Brüder- 
lichkeit, wie  wir  ihn  in  den  Kollegien  und  insbesondere  den  Begräbnisvereinen  sich 
herausbilden  sahen,  der  auch  in  der  Genossenschaft  der  Christusverehrer  waltete,  nur 
daß  er  hier  grundsätzlicher  gefaßt  war,  weiter  und  tiefer  wirkte.  Es  ist  insoweit  nicht 
unzutreffend  von  V.  Schultze  gesagt  worden,  die  Entwicklung  des  Familiengrabes  zum 
Gemeindefriedhof,  wie  sie  christlichcrseits  sich  vollzog,  bedeute  eine  Abwendung  von 
dem  antiken  Egoismus  uud  Aristokratismus  und  sei  als  die  große  Tat  des  neuen 
Geistes  zu  beurteilen,  welchen  das  Evangelium  in  der  Welt  gewirkt  habe.  Man  wird 
aber  nicht  übersehen  dürfen,  worauf  wir  bereits  hinzuweisen  Anlaß  hatten,  daß  der 
Gedanke  des  Demokratismus  nichts  absolut  Neues  war,  sondern  wie  im  Israelitismus 
so  im  Griechentum  längst  sich  zu  entfalten  begonnen  hatte.  Andererseits  war  das 
Christentum  wohl  grundsätzlich  demokratisch,  insoweit  es  seine  Mitglieder  vor  der 
Moral,  vor  dem  Ritus  und  im  Grabe  gleichstellte.  Tatsächlich  aber  hat  auch  das 
Christentum  dem  Aristokratismus  nicht  sein  Ende  bereitet,  was  ja  auch  nicht  seine 
Aufgabe  sein  konnte,  wie  es  unter  dieser  Sonne  niemals  Ziel  sein  kann;  sondern  das 
Christentum  hat  auch  wieder  nur  neue  Aristokratien  an  die  Stelle  der  alten  gesetzt, 
in  den  Klerikern  und  Mönchen  eine  Aristokratie  unter  den  Lebenden,  in  den  Märtyrern 
und  anderen  Heiligen  eine  zweite  unter  den  Toten.  Beides  ist  der  Art  nach  nicht 
blos  antik,  sondern  auch  heidnisch.  Auch  sollte  man  nicht  so  absprechend  von  heid- 
nischem Egoismus  im  Gegensatz  zu  christlichem  Altruismus  reden.  Letzterer  tritt  in 
spezifische  Erscheinung  in  der  auf  das  diesseitige  Leben  zielenden  christlichen  Ethik, 
wo  er  allerdings  bis  zur  Überspannung  gesteigert  ist,  wie  ja  auch  ihre  Geschlechts- 
moral überspannt  wurde  bis  zur  Empfehlung  der  Enthaltung  in  der  Ehe  und  der 
Ehelosigkeit  selbst.  Aber  gerade  im  Jenseitsglauben  und  im  Begräbniswesen  tritt  auf 
Seiten  der  Christen  kein  höherer  Grad  von  Altruismus  hervor,  als  bei  den  Heiden. 
Familiensinn  und  Brüderlichkeit  sind  überhaupt  nichts  spezifisch  Altruistisches;  sondern 


*)  Zephyrinus:    Philosophum.  IX  11.     De  Rossi,  Roma  sott.   I   197.  II  370.     Dionysius: 
Notiz  im  Lib.  pontif.     Vgl.  Müller,  Koimeterien  824. 


122  Bau  der  Katakomben. 

die  sich  balancierenden  Grundkräfte  Egoismus  und  Altruismus  wirken  da  harmonisch 
ineinander. 

Eins  aber  darf  nicht  mit  Stillschweigen  übergangen  werden,  die  Bedeutung  der 
Katakomben  für  die  christliche  Propaganda.  Wir  wissen,  welchen  Wert  der  antike 
Mensch  auf  ein  angemessenes  Begräbnis  und  auf  dauernden  Totenkultus  von  Haus  aus 
und  in  der  Kaiserzeit  wieder  zunehmend  legte.  Nun  ist  hierin  das  Christentum  so 
völlig  antik,  daß  es  gerade  diese  Sorgfalt  in  Behandlung  der  Toten  übte  und  das  in 
Hinblick  und  Hoffnung  auf  ein  seliges,  ewiges  Leben.  Daher  begreift  man  die  Aus- 
sage des  Kaisers  Julian  über  die  Gründe  der  raschen  Ausbreitung  des  Christentums, 
daß  neben  der  Mildtätigkeit  vorzüglich  seine  Sorgfalt  für  die  Toten  es  war,  welche 
ihm  rasch  Anhänger  gewann.  Vollends  wirksam  wurde  dies,  nachdem  die  Gemeinde 
die  Friedhöfe  übernommen  hatte  und  die  Gesamtheit  für  das  Grab  jedes  einzelnen 
bürgte,  wie  der  Christus  bürgte  für  die  Seligkeit  ihrer  aller.  Für  viele  muß  die  Be- 
deutung und  der  Wert  des  Christentums  ganz  auf  diesem  Gebiete  gelegen  haben;  die 
Entwicklung,  welche  das  Christentum  genommen  hatte,  führte  dazu,  und  die  Monumente 
scheinen  die  Tatsache  zu  bestätigen. 

Bestand  nun  die  Gemeinde  tatsächlich,  einerlei  unter  welchem  Namen,  als  eine 
geschlossene  Körperschaft  mit  dem  Charakter  einer  großen  Familie,  so  ergab  sich  als 
unmittelbare  Folge  die  Abgeschlossenheit  der  Gemeinde  (nicht  ohne  weiteres  auch  der 
einzelnen  Mitglieder)  gegen  alle  Nichtmitglieder,  eine  Exklusivität,  die  sich  bis  auf  den 
Gemeindefriedhof  erstreckte  und  zwar  mindestens  mit  derselben  Schärfe,  wie  sie  für 
jede  andere  antike  Familiengruft  zu  Recht  bestand.  Sobald  die  „neue  Welt"  sich  zu 
einer  politisch  organisierten  Konfession  und  Kirche  verdichtet  und  verengt  hatte, 
unterlag  sie  der  Konsequenz  dieses  geschichtlichen  Prozesses,  sie  mußte  die  Grundsätze 
des  politischen  Lebens  selbst  in  Gebrauch  nehmen,  welche  ihr  eigenster  Grundsatz 
grenzenloser  Menschlichkeit  doch  aufgehoben  hatte.1) 


Die  Gräber. 

Nach  den  Kammern  und  Gängen  betrachten  wir  die  Gräber.  Es  handelt  sich 
um  die  Bestattung  unverbrannter  Leichen.  Kulturgeschichtlich  hat  man  zu  unter- 
scheiden zwischen  der  Beerdigung  an  sich  und  der  vorgängigen  Bergung  in  einem 
Sarg.  Die  Beerdigung  erfolgt  auf  ebenem  Boden  in  einem  mehr  oder  minder  flachen 
Schachtgrab  (Senkgrab),  über  dem  nachher  die  herausgehobene  Erde  zu  einem  Hügel 
aufgeschüttet  wird.     In  felsigem  Boden  wird  ein  entsprechender  Hohlraum  ausgehauen, 


x)  Collegia:  Theod.  Mommsen,  De  collegiis  et  sodaliciis  Romanorum  1843.  Marquardt, 
Rom.  Staatsverwaltung2  II  110.  III  135.  Schieß,  Die  röm.  collegia  funeraticia  nach  ihren  In- 
schriften 1888.  Liebenam,  Zur  Geschichte  und  Organisation  des  röm.  Vereinswesens  1890.  Waltzing, 
Etüde  historique  sur  les  corporations  professionelles  chez  les  Romains  (in  den  Mem.  cour.  de 
l'acad.  roy.  de  Beige)  4  vols.  1895  ff.  (darin  I  17  die  vollständige  Literatur).  Kornemann  bei 
Pauly-Wissowa  IV  380.  —  De  Rossi,  Roma  sott.  III  512.  Kraus,  Realencykl.  II  106.  Waltzing  I 
150.  314.  319.  V.  Schultze,  De  Christianorum  veterum  rebus  sepulcralibus  1879.  Müller,  Koime- 
terien  838.  R.  Sohm,  Kirchenrecht  I  8.  104.  —  Vgl.  Heinricis  Hypothese  von  der  Anlehnung 
der  frühchristlichen  Gemeindebildung  an  die  Formen  der  religiösen  Genossenschaften  der  Griechen, 
Zeitschr.  f.  wiss.  Theol.  1870,  zuletzt  Theol.  Stud.  und  Krit.  1881,  505.  —  Vgl.  auch  Rhode, 
Psyche  628,  1. 


Die  Gräber.  123 

der  einem  Trog  ähnlich  sieht  und  Troggrab  genannt  wird;  man  pflegte  ihn  mit  einer 
aus  dem  anstehenden  Gestein  gewonnenen  Steinplatte  oder  kostbarer  mit  einer  Marmor- 
tafel zu  bedecken  und  zu  verschließen.  Soll  aber  die  Leiche  in  einem  besonderen 
Behälter  geborgen  werden,  so  verwendet  man  entweder  ein  dafür  geeignetes  Gerät, 
eine  Kiste  oder  Truhe,  eine  Wanne,  einen  Trog  (zur  Bergung  der  Asche  verbrannter 
Leichen  ein  tönernes  oder  metallenes  Gefäß),  oder  man  fertigt  eigens  für  den  Zweck 
einen  Sarg  (eine  Art  Troggrab)  von  Holz  oder  Metall.  Alle  Typen  können  in  Stein 
nachgebildet  werden;  es  kann  Sand-  oder  Kalkstein  oder  Tuff  sein,  in  den  klassischen 
Ländern  und  wo  die  klassische  Kunst  zu  Hilfe  gerufen  wurde,  wie  in  Sidon,  nahm 
man  gern  Marmor,  in  Ägypten  und  in  der  spätantiken  Kunst  auch  Hartsteine,  Granit, 
Porphyr  und  dergleichen. 

In  der  altchristlichen  Kunst,  zunächst  in  den  Katakomben,  begegnen  verschiedene 
Formen  von  Leichenbehältern,  reichere  und  schlichtere.  Die  kostbarste  und  vornehmste 
Art  war  der  Sarkophag,  die  vollkommenste  Anordnung  aber  bestand  in  der  Auf- 
stellung des  Sarkophags  in  einer  Wandnische  der  Gruft;  der  Typus  wurde  in  den 
hellenistisch-römischen  Mausoleen  gern  angewendet,  neuerlich  ist  eine  derartig  behandelte 
Gruft  von  Alexandria  veröffentlicht  worden.  Auch  in  den  römischen  Katakomben 
findet  sich  die  Anordnung,  so  in  dem  frühchristlichen  Ambulacrum  des  Coem.  Domi- 
tillae  und  im  ältesten  Teil  des  Coem.  Priscillae;  Bruchstücke  der  Sarkophage  haben 
sich  in  den  dortigen  Nischen  vorgefunden.  Die  in  anderen  Katakomben  vorkommenden 
Sarkophagreste  sind  aus  späterer  Zeit.  Die  Idee  einer  mit  Sarkophagen  in  Nischen 
besetzten  Gruft  veranschaulicht  gut  eine  Katakombe  von  Kyrene;  hier  sind  die  archi- 
tektonischen Formen  reicher  ausgebildet,  die  Nischen  schließen  mit  Halbkuppeln.1) 

Ein  zweiter  Typus  ist  das  Arkosol  (arcosolium  Bogengrab,  von  arcus  Bogen 
und  solium  Thron,  Wanne).  Das  Arkosol  ist  ein  in  die  Wand  gelegtes  Senkgrab; 
damit  seine  Öffnung  zugänglich  sei,  muß  darüber  eine  Nische  offen  bleiben,  die  in  der 
Regel  mit  einem  Rundbogen  schließt,  öfter  aber  auch  wagerecht  bei  senkrechten 
Leibungen  (in  Sizilien  kommt  auch  eine  trapezförmig  gezeichnete  Nischenform  vor). 
Die  Öffnung  des  Trogs  pflegt  mit  einer  Marmorplatte  abgedeckt  zu  sein.  Wollte  man 
ein  Doppel-  oder  Drillingsgrab  haben,  so  war  nur  nötig,  der  Nische  mehr  Tiefe  zu  geben, 
um  in  deren  Boden  die  gewünschte  Anzahl  Tröge  aushöhlen  zu  können.  Ein  Doppel- 
grab heißt  mit  hybrid  gebildetem  Wort  bisomus  (von  aufia),  ein  Drillingsgrab 
trisomus  locus  usf.2) 

Es  gibt  Ubergangsformen  zwischen  der  Nische  mit  eingestelltem  Sarkophag  und 
dem  Nischenwandgrab  (Arkosol).  Eine  im  Bau  vorgesehene  Nische  wird  wohl  im 
unteren  Teil  vermauert;  dadurch  entsteht  hinter  der  Abmauerung  ein  Trog,  der  nur 
der  Abdeckung  mit  Marmorplatte  bedarf,  um  ein  Arkosol  vorzustellen.  Dies  Vor- 
kommen regt  die  Frage  an,  ob  etwa  der  Typus  des  Arkosols  überhaupt  entstanden 
sei  aus  demjenigen  der  Nische  mit  eingestelltem  Sarkophag.  Die  zwei  Elemente,  die  da 
nur  gesellt  erscheinen,  wären  im  Arkosol  verschmolzen  und  einheitlich  aus  dem 
gewachsenen  Felsen  gewonnen.     So  würde  das  Arkosol  eine  aus  dem  reicheren  Typus 


*)  Alexandria:  v.  Bissing,  Kom  el  Chougafa  Taf.  2. 
Ambulacrum:  de  Eossi,  Bull,  crist.     1865,  32. 

2)  Arkosolien  und  Bisomen  z.  B.  bei  de  Rossi,  Roma  sott.  II  Taf.  51  Fig.  5 — 7.  III  Taf.  15 
und  in  den  Handbüchern.     Schultze,  Katakomben  76. 


124 


Bau  der  Katakomben. 


des  Sarkophags  in  Nische  vereinfachte  Form  darstellen.  Nun  aber  wird  es  nötig,  dem 
Ursprung  des  Arkosols  weiter  nachzuforschen.  Da  wird  man  die  Hypothese  wagen 
dürfen,  daß  es  nicht  spezifisch  christlich  sei,  sondern  gemein  antik.  Tatsächlich  gibt 
es  heidnische  Beispiele,  noch  nicht  viele;  diese  aber  kommen  an  so  verschiedenen 
Punkten  vor  und  in  so  verschiedenen  Zeiten,  daß  man  berechtigt  scheint,  nach  Mittel- 
gliedern zu  fragen.  Aus  älterer  Zeit  sind  die  Gräber  der  persischen  Könige  aus  der 
zweiten  Dynastie  anzuführen,  des  Darius  und  seiner  Nachfolger.  Während  Cyrus  sich 
ein  freistehendes  Mausoleum  hatte  errichten  lassen,  in  Form  eines  steinernen 
Giebelhauses  auf  umlaufenden  Stufen,  in  der  Mitte  eines  mit  Säulengang  umgebenen 
Haines  —  der  Sarg  stand  in  der  Kammer  des  Giebelhauses,  zog  Darius  die  Form  des 
Höhlen-  oder  Felsengrabes  vor  (Felsgräber  von  Naksch-i-Rustem).    Die  Fassade  wurde 


Zwei  Spielarten  des  Wandnischengrabs  (sepolcro  a  inensa):  1.  in  rundbogiger  Nische  (Arkosol),  2.  in  oblonger  Nische. 


in  Relief  architektonisch  und  figürlich  verziert,  eine  Tür  zwischen  den  Halbsäulcn 
führt  in  den  orientalisch  querliegenden  Felsensaal.  In  dessen  Rückwand  öffnen  sich 
nebeneinander  drei  große  Arkosolien,  jedes  ein  arcosolium  trisomum;  als  Hauptgrab 
darf  man  vielleicht  das  vorderste  des  der  Tür  gegenüberliegenden  Arkosols  bezeichnen. 
Hier  ist  die  Idee  des  Arkosols  in  früher  Zeit  bereits  großartig  verwirklicht.  Man 
erinnere  sich  aber,  daß  die  Perserkönige  zu  ihren  baulichen  Unternehmungen  immer 
griechische  Künstler  zu  Rate  gezogen  haben,  vermutlich  jonische,  und  zwar  muß  es 
schon  Cyrus  getan  haben;  die  Profile  am  Giebelhaus  sowie  die  Arbeit  an  den  Säulen 
des  Peristyls  beweisen  es.  Senkgräber  im  Boden  von  AVandfachgräbern,  mit  einer 
Steinplatte  gedeckt,  gibt  es  in  Etrurien,  in  Cerveteri.  Sodann  haben  sich  gelegentlich 
der  archäologischen  Erforschung  der  Insel  Thera  bei  der  antiken  Stadt  lehrreiche 
Felsgräber  gefunden  (zu  Exomyli),  darunter  solche  in  Form  von  Nischen  in  archi- 
tektonischem Rahmen;  in  zweien  standen  Sarkophage,  in  einer  dritten  war  in  einer 
stehen  gelassenen  Stufe  ein  länglich  ovaler  (anthropoider)  Trog  ausgehauen.  Dies 
ergibt  den  Typus  des  Arkosols.  Der  architektonische  Rahmen  besteht  in  einem  Rund- 
bogen innerhalb  zweier  Parastaden  unter  Gebälk  und  Giebel;  die  Anordnung  des 
Rahmens  mit  eingeschlossenem  Rundbogen  kam  in  der  attischen  Grabkunst  des  zweiten 


Die  Gräber.  125 

Jahrhunderts  vor  Christus  auf.  Der  Bearbeiter  der  antiken  Gräber  von  Thera,  Dragen- 
dorff, hat  aus  dem  Studium  jener  Felsnischen  denselben  Schluß  gezogen,  zu  dem  uns 
gewisse  Erscheinungen  in  den  Katakomben  geführt  hatten,  das  Arkosol  sei  durch  ein 
Zusammenwachsen  von  Nische  und  Sarkophag  entstanden.  „Alle  Elemente,"  sagt 
Dragendorff,  „aus  denen  sich  die  Arkosoliengräber  zusammensetzen,  sind  schon  in  spät- 
hellenistischer Zeit  auf  griechischem  Boden  vorhanden."  Auf  griechischem  Boden, 
diese  Worte  richten  sich  gegen  eine  andere  Hypothese,  derzufolge  das  Arkosol  in 
Italien  entstanden  und  erst  im  Laufe  der  Kaiserzeit  nach  dem  griechischen  Osten 
übertragen  worden  sei.  Alfred  Körte  hat  in  Phrygien  zahlreiche  Felsgräber  studiert; 
darunter  sind  auch  Arkosolien.  Er  setzt  sie  in  die  Zeit  Hadrians  und  der  Antonine, 
unbedeutend  später  als  die  ältesten  christlichen  Arkosolien  etwa  der  Katakomben  von 
Neapel.  Die  Chronologie  aller  dieser  italischen  und  kleinasiatischen  Denkmäler  ist 
noch  nicht  exakt  genug  festgestellt,  um  so  genau  rechnende  Schlüsse  ziehen  zu  dürfen; 
wir  müssen  soweit  uns  begnügen,  die  ungefähre  Gleichzeitigkeit  der  italischen  und 
phrygischen  Denkmäler  festzustellen.  Die  persischen  Königsgräber  von  Naksch-i-Rustem 
beweisen,  daß  der  Typus  des  Arkosols  in  weit  ältere  Zeit  zurückreicht. 

Das  Arkosol  ist  gelegentlich  mit  den  Wandnischen  im  Ossuarium  verglichen 
worden  (columbarium  bezeichnet  antik  das  Taubennest,  übertragen  die  Nische  in  der 
Urnenhalle;  sekundär  bezeichnet  das  Wort  auch  den  ganzen  Taubenschlag,  nicht  aber 
die  Urnenhalle,  die  antik  ossuarium  heißt;  der  Gebrauch  von  columbarium  für  Urnen- 
halle ist  modern).  Diese  Nischen  pflegen  unter  kleinen  Halbkuppeln  zu  stehen;  die 
Aschenurnen  wurden  in  der  Nische  aufgestellt  oder  in  deren  Boden  versenkt.  In 
letzterem  Falle  stellt  die  Columbarnische  eine  Art  Arkosol  dar,  aber  in  wesentlich 
kleinerer  Abmessung,  weil  sie  nicht  zur  Aufnahme  eines  ganzen  Körpers,  sondern  bloß 
der  Asche  eines  verbrannten  dient.  Es  geht  nicht  an,  den  Bautypus  des  Arkosols 
von  der  Columbarnische  abzuleiten.1) 

De  Rossi  nahm  an,  daß  auf  der  den  Trog  des  Arkosols  deckenden  Marmorplatte 
der  eucharistische  Ritus  vollzogen  worden  sei,  wie  sonst  auf  der  Platte  des  Altar- 
tisches (mensa);  daher  nannte  er  das  Wandtroggrab  Tischgrab  (sepolcro  a  mensa,  Roma 
sott.  II  Taf.  5 1  Fig.  5  con  nicchia  rettangolare,  Fig.  6  con  nicchia  arcuata  =  arco- 
solium).  Die  Annahme,  daß  die  Arkosolplatte  auf  dem  Grabtrog  bei  der  Feier  des 
Abendmahls  in  den  Katakomben  die  Stelle  des  Altars  vertreten  habe,  ist  als  irrtüm- 
lich bezeichnet  worden.  Wir  dürfen  den  Streit  hier  beiseite  schieben.  Denn  keines- 
falls ist  der,  wie  wir  sahen,  bereits  in  vorchristlicher  Zeit  auftretende  Typus  des 
Nischentroggrabes  für  solche  liturgische  Zwecke  erfunden  worden.  Liturgische  Be- 
nutzung der  Art  wäre  nur  eine  sekundäre  gewesen;  daher  hat  die  Frage,  ob  sie  statt- 
gefunden hat,  kein  baugeschichtliches  Interesse,  sie  gehört  in  das  Kapitel  der  Sakral- 
antiquitäten.    Nur    soviel    sei    hier    gesagt,    daß    jeder  Nachweis  von   Totenkultus   am 


')  Zu  Arkosol  und  Sarkophag  in  Nische  vgl.  A.  Schmid  bei  Kraus,  Realeneykl.  I  90. 

Darius:  Flandin  et  Coste,  Perse  ancienne  Taf.  110.  Perrot  et  Chipiez,  hist.  de  l'art  V  626 
Fig.  3891  Persische  Kunst:  Ferd.  Justi,  Gesch.  Persiens  1896.  v.  Sybel,  Weltgesch.  der  Kunst 
21903,  123  Cyrus.  142  Darius.  157  Skulptur.  Cerveteri:  Martha,  l'art  ötrusque  195.  Thera: 
Dragendorff  in  Hiller  von  Gärtringens  Thera  II  1903,  278.  Phrygien:  Körte,  Athen.  Mitteilungen 
1898,  167.  —  Ossuarium:  Samter  bei  Pauly-Wissowa,  Realeneykl.  IV  unter  dem  Worte  Colum- 
barium.    Vorläufer  der  augusteischen    Columbarien:    DragendorflT  279.     Martha   l'art  etrusque  184- 


126  Bau  der  Katakomben. 

christlichen  Grabe,  auch  in  der  Form  der  römischen  Messe,  den  unaustilgbar  antiken 
Charakter  des  Christentums  immer  neu  bestätigen  würde. 

Das  Arkosol  ist  der  vornehmere  Typus  des  christlichen  Grabes,  der  häufigere 
und  geringere  ist  das  Fachgrab  (gewöhnlich  Loculus  genannt;  locus  ist  der  Platz 
im  Theater,  der  Sitzplatz,  im  Columbarium  der  Platz  für  eine  Aschenurne,  in  den 
Katakomben  der  Platz  für  eine  Leiche).  Das  Fachgrab  ist  ein  in  die  Wand  einge- 
schnittenes Gefach,  gerade  groß  genug  für  eine  Leiche;  sie  wird  flach  in  die  Wand 
gelegt,  parallel  zur  Wandfläche,  wie  auch  im  Arkosol  die  Leiche  parallel  zur  Wand- 
fläche liegt.  Für  Kinder  wurde  das  Grab  entsprechend  kleiner  bemessen.  Auch  bei 
den  Fachgräbern  kommen  Doppelplätze  vor.  Nach  der  Beisetzung  der  Leiche  wurde 
die  offene  Vorderseite  des  Faches  mit  einer  länglichen  Marmortafel  geschlossen,  die 
zugleich  als  Schrifttafel  diente  für  das  Epitaph  (titulus);  seltener  sind  Tafeln  aus 
gebranntem  Ton.  Jetzt  sind  die  meisten  Verschlußtafeln  herausgebrochen,  die  leeren 
Gräber  starren  in  der  Wand.1) 

Woher  stammt  der  Typus  des  christlichen  Fachgrabes?  Verwandt  ist  das 
Schiebgrab,  daß  in  Syrien  und  Palästina  üblich  war;  auch  das  bereits  oben  heran- 
gezogene Kammergrab  zu  Sidi  Gabr  bei  Alexandria  hat  Schiebgräber.  In  Pom  kommt 
der  Typus  vereinzelt  vor;  Marchi  hat  im  Coem.  Cyriacae  Schiebgräber  gefunden,  auch 
in  den  Katakomben  von  Kyrene  und  Alexandria  wurden  sie  beobachtet.  So  haben 
denn  viele  Gelehrte  das  christliche  Fachgrab  vom  syrischen,  speziell  auch  jüdischen 
Schiebgrab  ableiten  wollen.  In  der  Tat  besteht  Ähnlichkeit  zwischen  beiden  Typen, 
insofern  beiderseits  der  Leichenbehälter  aus  dem  Fels  herausgehauen  und  vorn  mit 
einer  vertikalen  Steintafel  geschlossen  wird.  Aber  es  ist  doch  auch  ein  wesentlicher 
Unterschied  vorhanden.  Das  Schiebgrab  steht  im  rechten  Winkel  zur  Wandfläche, 
geht  in  die  Tiefe;  der  Körper  wurde  da  hinein  geschoben,  den  Kopf  voran,  die  Füße 
gegen  den  Eingang.  Dagegen  das  Fachgrab,  und  mit  ihm  der  darin  beigesetzte 
Körper,  liegt  parallel  zur  Wandfläche.  Das  ist  immerhin  ein  erheblicher  Unterschied 
zwischen  Schiebgrab  und  Fachgrab.  Jenes  nutzt  den  Raum  mehr  aus,  dieses  ist 
leichter  herzustellen,  weil  es  weniger  tief  in  den  Felsen  geht. 

Es  gibt  aber  noch  andere  Analogien,  vielmehr,  es  gibt  noch  anderwärts  ganz 
eigentliche  Fachgräber,  und  zwar  in  Italien  selbst.  Einmal  zu  Licodia  in  Sizilien, 
altsizilische  Gräber  aus  der  ersten  Zeit  der  griechischen  Kolonisation,  noch  aus  dem 
siebenten  Jahrhundert  vor  Christus.  Die  ganze  Anlage  ist  den  Katakomben  recht 
ähnlich,  ein  unterirdischer  Gang  mit  anliegenden  Fachgräbern;  in  diesen  sind  auch 
Kopfkissen  aus  dem  gewachsenen  Fels  geschnitten.  Sodann  in  den  Grabkammern 
Etruriens,  wir  nennen  die  Tomba  dei  rilievi  zu  Cervetri  (Caere);  auch  hier  sind  Kopf- 
kissen stehen  gelassen  und,  wie  die  ganze  Kammer,  kunstvoll  durchgebildet.  Es  besteht 
nun  allerdings  auch  ein  Unterschied  zwischen  dem  sizilischen  und  etruskischen  Fach- 
grab einerseits  und  dem  christlichen  Loculus  andererseits.  In  Sizilien  und  Etrurien 
blieben  die  Fachgräber  offen;  nach  jeder  Beisetzung  wurde  die  ganze  Gruft  geschlossen, 
der  Totenkult  vollzog  sich  vor  ihrem  Eingang.  Der  christliche  Loculus  aber  wurde 
vorn  durch  eine  Steintafel  geschlossen,  wegen  des  fortdauernden  Verkehrs  im  Cöme- 
terium,    geschlossen    wie    die    syrischen    und    jüdischen    Schiebgräber.      Aber    auch    in 


')  Fachgrab:    Abbildungen    auf   vielen    Tafeln  in  de  Rossis  Roma  sott.  Vgl.  Kraus,  Real- 
encykl.  I  Art.  Loculus.    V.  Schultze,  Katakomben  76. 


Die  Gräber.  127 

Etrurien  (zu  Falleri,  Veji,  Bieda)  finden  sich  Fachgräber  mit  Verschlußtafeln,  und  zwar 
heidnische,  im  Freien  in  Felswänden  ausgebrochen.  Das  Anbringen  und  das  Weg- 
lassen von  Verschlüssen  hing  überall  von  den  besonderen  Verhältnissen  ab;  die  Fach- 
gräber im  Freien  mußten  geschlossen  werden,  weil  die  Körper  sonst  den  Raubvögeln 
preisgegeben  gewesen  wären.  Auf  solche  Unterschiede  kommt  nicht  viel  an.  Ebenso- 
wenig auf  die  altsizilisch-etruskischen  Kopfkissen,  deren  Fehlen  in  den  christlichen 
Fachgräbern  sich  genügend  aus  der  extremen  Schlichtheit  dieser  Grabstätten  erklärt; 
übrigens  kommen  sie  in  Malta  vor.1) 

De  Rossi  hat  eine  eigentümliche  Ableitung  des  Fachgrabes  versucht,  nämlich 
vom  Sarkophag.  Auf  den  Gedanken  brachten  ihn  gewisse  loculi  des  frühen  Ambulacrum 
im  Coem.  Domitillae;  deren  vertikale  Verschlußtafeln  sind  mit  Stuck  verziert,  in  Nach- 
ahmung von  Sarkophagen  und  zwar  ihrer  skulpierten  Vorderseiten.  Er  nennt  sie 
loculi-sarcofagi.  Aber  der  Fachgrabtypus  ist  ganz  unabhängig  vom  Sarkophag  ent- 
standen, beide  Typen  sind  radikal  verschieden;  das  Fachgrab  hat  seine  Öffnung  an  der 
Vorderseite,  der  Sarkophag  dagegen,  als  ein  Trog,  in  der  Oberfläche.  Jene  Stuck- 
verzierung ist  rein  dekorativ  hinzugebracht;  der  Besitzer  des  schlichten  loculus  wollte 
sich  wenigstens  den  Schein  der  reicheren  Grabform,  des  Sarkophags,  gönnen  und  ließ 
solchen  Schein  an  seiner  Grabtafel  in  Stuck  hervorbringen.  Auch  sonst  kommt  es 
vor,  daß  die  Verschlußplatte  des  schlichten  Fachgrabes  an  den  stolzen  Sarkophag  und 
seine  Erscheinungsweise  erinnert.  Das  Epitaph  der  Urbica  im  Hypogaeum  Lucinae 
trägt  die  Inschrift,  den  bloßen  Namen  der  Bestatteten,  im  oberen  Teil  eines  großen 
Kreises,  in  dessen  unteren  Raum  ein  halbmondförmiger  Amazonenschild  gezeichnet  ist. 
Der  Kreis  klingt  an  den  Rundschild  an,  den  an  der  Vorderseite  heidnischer  Sarko- 
phage öfter  zwei  Putten  halten;  wiederum  waren  zu  sinnvollem  Schmuck  solcher 
Sarkophage  Amazonenkämpfe  und  infolge  davon  auch  Amazonenschilde  beliebt.  Der 
Marmorarius  oder  Skriptor  mag  die  Schilde  aus  ihm  geläufiger  Sarkophagarbeit  auf 
den  Titulus  der  Urbica  herübergebracht  haben,  jedenfalls  grub  er  sie  mit  Wissen  und 
Willen  des  Bestellers  ein,  sei  es  rein  dekorativ  oder  in  beabsichtigter  Erinnerung  an 
den  Sarkophagtyp,  nicht  ohne  die  christlichen  Sinnbilder  Anker,  Baum  und  Taube 
hinzuzufügen  (vielleicht  aber  schließt  ein  Exeget  aus  dem  Amazonenschild,  Urbica  sei 
eine  gottgeweihte  Jungfrau  gewesen).2) 

Wir  haben  die  Formen  der  Katakomben  und  der  Gräber  darin  betrachtet  und 
ihr  genetisches  Verständnis  vorzubereiten  gesucht;  damit  lernten  wir  ihre  Art  kennen, 
wie  sie  in  einer  Entwicklungszeit  von  über  dreihundert  Jahren  sich  herausgebildet 
hat.  Nun  aber  trat  im  letzten  dieser  drei  Jahrhunderte  ein  Moment  in  den  Vorder- 
grund, welches  auf  die  Gestaltung  der  Katakomben  noch  kurz  vor  Ablauf  ihres  eigent- 
lichen Lebens  tiefgreifenden  Einfluß  ausüben  sollte.  Es  war  der  Märtyrerkult,  der, 
schon  vorbereitet,  im  vierten  Jahrhundert  zur  vollen  Entfaltung  kam.     Der  erste,  der 


J)  Schiebgräber  in  Syrien  und  Palästina:  Tobler,  Topographie  von  Jerusalem  1854  II  227. 
de  Saulcy,  Voyage  en  Terre  sainte  I  111.  II  108.  229.  Swoboda,  Rom.  Quart,  1890,  321.  —  Coem. 
Cyriacae:  de  Waal,  Rom.  Quart.  1899,  15.  —  Zur  Ableitung  des  christlichen  Loculus  vom  syrischen 
Schiebgrab:  de  Rossi,  Roma  sott.  I  90.  Schultze,  Katakomben  19.  38.  Kraus,  Gesch.  d.  christl. 
Kunst  I  43.  —  Licodia:  Orsi,  Rom.  Mitteilungen  1898,  309  Fig.  2.  —  Caere:  Martha,  l'art 
elrusque  184  Taf.  2.  —  Falleri  etc.:  Martha  185.  —  Malta:  Müller,  Koimeterien  857. 

8)  Loculi-sarcofagi:  de  Rossi,  Bull  crist.  1865,  38.  —  Urbica:  de  Rossi,  Roma  sott. 
I  Taf.  18,  2. 


128  Bau  der  Katakomben. 

sein  Zeugnis  für  die  Sache  mit  seinem  Blute  besiegelt  hatte,  war  Jesus  gewesen;  über 
dem  Grabe,  welches  als  das  des  Christus  galt,  erbaute  Kaiser  Konstantin  eine  Kirche, 
eine  große  Rotunde.  Ebenso  erhoben  sich  über  den  Gräbern  vor  den  Toren  Roms, 
wo  römische  Märtyrer  verehrt  wurden,  Petrus  und  Paulus  standen  in  höchster  Ehre, 
Grab-  und  Triumphalbasiliken,  in  deren  wie  der  anderen  konstantinischen  Kirchen 
Errichtung  die  altchristliche  Hochbaukunst  erst  eigentlich  geboren  ward.  Weil  der  in 
den  Basiliken  geschaffene  Typus  auch  für  die  Stadtkirchen  maßgebend  wurde,  so  sind 
wir  zu  dem  Satze  gezwungen,  daß  die  gesamte  altchristliche  Kunst  Grab-  und  Jenseits- 
kunst gewesen  ist.  Aber  vom  altchristlichen  Hochbau  wird  besonders  zu  reden  sein; 
hier  gilt  es  nur  kurz  zu  skizzieren,  inwiefern  der  Märtyrerkult  auf  die  römischen 
Katakomben  in  baulicher  Beziehung  eingewirkt  hat. 

Die  Grabkirche  zu  Jerusalem  und  die  römischen  Basiliken  waren,  wie  der  antike 
Sakralbau  durchweg,  dem  Personenkultus  gewidmet,  dem  Kultus  des  Protomartyrs  und 
höchsten  Heros  der  Christen,  von  dessen  Prädikat  sie  ihren  Namen  ableiteten,  mithin 
ihres  Heros  eponymos,  und  seiner  Nachfolger  im  tragischen  Tod.  Sie  alle,  die  für 
ihren  Glauben  gestorben  sind  (vielmehr  für  ihren  Unglauben;  denn  sicher  die  Märtyrer 
wurden  nicht  für  das  Positive  ihres  Glaubens  zur  Verantwortung  gezogen  —  der 
Polytheismus  war  tolerant,  sondern  für  das  Negative,  für  ihren  der  religiös  begründeten 
Staatsverfassung  widerstreitenden  Atheismus  und,  um  ganz  präzis  zu  reden,  nur  für 
ihre  Verweigerung  des  Kultus),  sie  alle  wollen  als  antike  Heroen  anerkannt  sein  und 
wurden  in  der  Tat  so  angesehen.  Das  Wort  Heros  kommt  in  Grabschriften  nur  ge- 
legentlich vor,  zum  Teil  auch  nur  in  derselben  abgeschwächten  Bedeutung,  wie  in  einer 
Klasse  heidnischer  Epitaphien;  die  Abschwächung  war  die  Folge  privater  Heroisierung 
gewöhnlicher  Verstorbener.  Der  Märtyrerkult  war  antiker  Heroenkult  christlicher 
Konfession;  da  traten  dieselben  eigentümlichen  Erscheinungen  auf,  die  am  heidnischen 
Heroenkult  bemerkt  werden,  Steigerungen  des  gewöhnlichen  Totenkults;  im  ganzen 
genommen  ists  der  große  Wert,  der  auf  den  Besitz  der  Gebeine  gelegt  wird,  weil  man 
sich  in  den  Gebeinen  der  Person  des  Heros  und  seiner  Hilfe  zu  versichern  glaubte. 
Schon  im  heidnischen  Altertum  kamen  nicht  selten  Übertragungen  von  Reliquien  vor, 
translationes  ossium;  man  scheute  weder  Gewalt  noch  List,  um  in  den  Besitz  begehrter 
Reste  zu  gelangen.  In  den  Kämpfen  zwischen  den  griechischen  Stadtstaaten  kam  es 
öfter  vor,  daß  das  delphische  Orakel  einer  ratsuchenden  Partei  dergleichen  empfahl; 
auf  Grund  solcher  Orakel  verschafften  sich  die  Athener  durch  Kimon  von  der  Insel 
Skyros  die  Gebeine  des  Theseus,  die  Spartaner  aus  Tegea  durch  Lichas  die  Gebeine 
des  Orestes.  Eine  Art  Polis  war  auch  jede  Christengemeinde,  und  so  geschah  es, 
daß  Raub  von  Märtyrergebeinen  vorkam.  So  wird  von  einem  Raub  oder  Raubversuch 
an  den  Körpern  des  Petrus  und  des  Paulus  erzählt,  „Orientalen"  werden  dessen 
beschuldigt;  in  diesen  sieht  de  Waal  römische  Judenchristen,  indem  er  den  Vorfall 
in  die  Zeit  gleich  nach  den  Martyrien  der  Apostel  setzt.  Die  übrigens  problematische 
Geschichte  hängt  mit  der  vorübergehenden  Bergung  der  Apostelkörper  in  der  Sebastianus- 
katakombe  zusammen.  Vom  Körper  des  Märtyrer  Silanus  heißt  es,  die  Novatianer 
hätten  ihn  geraubt  (hunc  Novati[ani]  furati  sunt,  sagt  die  Depositio  martyrum).  Von 
den  späteren  Übertragungen  der  Gebeine  aus  den  Cömeterien  in  die  Stadtkirchen  ist 
hier  weniger  zu  reden,  weil  es  da  zunächst  ihre  Rettung  aus  Kriegsgefahr  galt;  immerhin 
ist  diese  Sorge  um  die  körperlichen  Reste  echt  antik.  Ganz  im  Geiste  antiker  Kultus- 
gebräuche    aber,    bei    aller    Eigenartigkeit    des    neuen    Ritus,   ist   die  Übertragung  von 


Die  Gräber.  129 

Märtyrergebeinen  in  die  Kirchen  der  ganzen  römisch-christlichen  Welt,  um  über  ihnen 
die  Messe  zu  lesen.1) 

Nachdem  unter  Konstantin  dem  Kultus  des  Protomartyr  Christus  und  der  im 
Range  ihm  nächstgeordneten  Märtyrer  entsprechende  Bauten  genügt  hatten,  griff 
Bischof  Damasus  (366)  entscheidend  ein,  um  auch  den  Märtyrern  zweiten  Ranges 
angemessene  Kultusstätten  zu  bereiten. 

Sein  eigenstes  waren  die  Epigramme,  die  er  in  lateinischer  Sprache  dichtete,  in 
engem  Anschluß  an  Vergils  Ausdrucks  weise;  die  Epigramme  auf  Märtyrer  ließ  er  auf 
Marmortafeln  eingraben  und  an  den  Gräbern  selbst  anbringen.  In  den  Kriegsstürmen 
des  sechsten  Jahrhunderts,  als  die  Ostgoteu  unter  Vitiges  537  Rom  belagerten,  arg 
mitgenommen  wurden  die  Märtyrerkapellen  von  Bischof  Vigilius  (537 — 555)  her- 
gestellt; die  Herstellung  betraf  auch  damasianische  Epigramme.  Letztere  fanden  Auf- 
nahme in  Sammlungen  christlicher  Inschriften,  die  um  das  siebente  Jahrhundert  ent- 
standen; im  zweiten  Bande  seines  Inschriftenwerkes  hat  de  Rossi  diese  Sammlungen 
behandelt.  Seit  dem  15.  Jahrhundert  kamen  einzelne  der  lange  verschollenen  Original- 
inschriften wieder  zum  Vorschein,  de  Rossi  aber  hat  von  vielen  wenigstens  Bruch- 
stücke aufgefunden,  die  ihm  als  wertvolle  Bestätigungen  seiner  topographischen 
Forschungen  und  als  Wegweiser  zu  neuen  Ergebnissen  dienten.  Aus  den  Hand- 
schriften der  mittelalterlichen  Inschriftensammlungen,  unter  Verwertung  der  erhaltenen 
Bruchstücke  hat  zuletzt  Max  Ihm  alle  erreichbaren  damasianischen  Epigramme,  mit 
Einschluß  der  nicht  auf  Märtyrergräber  bezüglichen,  herausgegeben.  Die  Originale 
der  damasianischen  Inschriften  aus  der  Zeit  seines  Bistums  sind  in  eigenartigen  Schrift- 
zügen ausgeführt,  die  man  filocalianische  (daneben  auch  damasianische)  nennt,  filo- 
calianisch  deshalb,  weil  sie  Furius  Dionysius  Filocalus  vorgezeichnet  hat,  der  griechische 
Zeichner  des  Kalenders  im  „Chronographen  von  354"  Auf  der  Marmortafel  am  Grab 
des  Bischof  Eusebius  (309 — 310),  die  wir  abbilden,  hat  er  sich  genannt,  in  kleiner 
Schrift,  die  links  und  rechts  des  Epigramms  säulenförmig  angeordnet  ist.  Er  nennt 
sich  Verehrer  des  Papa  Damasus;  papa  war  ehrende  Bezeichnung  der  Bischöfe.  Ein- 
zelne der  damasianischen  Inschriften  sind  ganz  kurz  gefaßte  Widmungen:  Beatissimo 
martyri  Januario  Damasus  episcop(us)  fecit  (Ihm  n.  22).  Die  meisten  aber  sind  mehr- 
zellige Elogien,  in  Hexametern  abgefaßt,  wie  das  auf  Eusebius;  in  diesem  Falle  aber 
ist  noch  eine  zweizeilige  Widmung  in  Prosa  oberhalb  und  unterhalb  des  Elogiums 
verteilt:  Damasus  episcopus  fecit  |  Eusebio  episcopo  et  martyri  (Ihm  n.  18).  Die 
in  den  ersten  Zeilen  des  Elogiums  berührten  innerkirchlichen  Streitigkeiten  sind 
literarisch  ebensowenig  überliefert  wie  das  in  den  Schlußzeilen  erwähnte  Exil  des 
Eusebius.2) 


1)  Heros  in  christlichen  Tituli:  Le  Blant  415a.  Rom.  Quart.  1891,  347.  Marucchi,  eb. 
1890,  149.  Märtyrerkult  als  Heroenkult:  V.  Schultze,  Archäologie  136,  2.  --  Heroisieren  Ver- 
storbener: Deneken  in  Roschers  Lex.  I  2550.  Rhode,  Psyche  234.  647.  —  Translatio  heidnisch: 
Lobeck,  Aglaophanus  280.  Deneken  2490.  Rhode  151.  —  Orientalen:  de  Waal,  Rom.  Quart. 
Suppl.  III  1894  25. 

2)  Damasus:  de  Rossi,  Roma  sott.  I  118.  III  241.  Maximilianus  Ihm,  Damasi  epigrammata, 
accedunt  Pseudodamasiana  aliaque  ad  Damasiana  illustranda  idonea  (Anthologiae  latinae  suppl.  I) 
1895.  Bücheier,  Anthologia  latina  II  1895  Index  s.  v.  Damasus.  Marucchi,  Elements  I2  226.  — 
Vigilius:  de  Rossi  I  217.  Bücheier  carm.  917.  —  Filocalus:  Strzygowski,  Die  Kalenderbilder 
des  Chronogr.  vom  Jahre  354  (Archäol.  Jahrb.,  Ergänzungsh.  I)  1888.  —  Elogium  auf  Eusebius: 

Sybel,    Christliche  Antike  I.  9 


130 


Bau  der  Katakomben. 


Bischof  Damasus 
hat  über  den  Kata- 
komben mit  Pietät 
gewaltet.  Jene  glän- 
zenden Cömeterial- 
basiliken  über  den 
Grüften  der  hohen 
Himmelsaristokratie 
hatten  nicht  gebaut 
werden  können,  ohne 
die  vielen  im  Bau- 
gelände liegenden  an- 
deren Gräber  massen- 
haft zu  zerstören; 
Damasus  dagegen  be- 
gnügte sich  mit  einer 
diskreten  Ausbildung 
der  Grüfte,  und  mit 
peinlicher  Gewissen- 
haftigkeit vermied  er 
jede  Störung  des  Be- 
standes. Seine  Be- 
mühungen erstreckten 
sich  über  alle  rö- 
mischen Cömeterien. 
Manche  Märtyrer- 
gräber waren  bereits 
verschollen,  er  hat  sie 
wieder  aufgesucht. 
Und  er  hat  den  An- 
fang gemacht  mit  den 
von  seinen  Nach- 
folgern fortgesetzten 
baulichen  Herrich- 
tungen der  Märtyrer- 
kapellen und  ihrer  Zugänge.  Die  vielfach  den  Einsturz  drohenden  Wände  mußten 
durch  Futtermauern  und  eingespannte  Gurtbögen  gesichert,  neue  Luft-  und  Lichtschachte 

Heraclius  vetuit  labsos  peccata  dolere, 

Eusebius  miseros  docuit  sua  crimina  flere: 

scinditur  in  partes  populus  gliscente  furore, 

seditio,  caedes,  bellum,  discordia,  lites, 

extemplo  pariter  pulsi  feritate  tyranni, 

integra  cum  rector  seruaret  foedera  pacis, 

pertulit  exilium  domino  sub  iudice  laetus. 

litore  Trinacrio  mundum  uitamq(ue)  reliquit. 
Zu  V.  3  vgl.  Verg.  Aen.  II  39  scinditur  incertum  studia  in  contraria  volgus;  XII  9  gliscit  uiolentia 
Turnus;  zu  V.  7  eb.  II  638  exiliumque  pati  und  Hör.  Ars  poet.  78  sub  iudice  lis  est;  zu  V.  8  Verg. 
Aen.  I  196  litore  Trinacrio,  V  517  uitamque  reliquit  (s.  Ihms  Kommentar). 


Gruft  römischer  Bischöfe  des  dritten  Jahrhunderts. 
Einbauten  des  fünften  Jahrhunderts. 


Die  Gräber. 


131 


durch  die  Decke  ge- 
brochen werden,  ver- 
fallene Treppen  waren 
herzustellen ,  auch 
wohl  neue  einzubauen, 
um  die  Zirkulation 
der  Andächtigen  zu 
regeln.  Die  Märtyrer- 
grüfte selbst  wurden 
zu  Kapellen  einge- 
richtet, ein  Steintisch 
für  die  Eucharistie 
hineingestellt,  davor 
eine  Marmorschranke, 
auch  wohl  Säulen. 
Reste  solcher  Aus- 
stattungen haben  sich 
mehrfach  gefunden, 
und  man  sucht  aus 
den  Resten  das  ur- 
sprüngliche Ganze 
wieder  zu  gewinnen. 
Beispielsweise  ruhten 
die  heiligen  Felicis- 
simusund  Agapitus 
in  einer  und  derselben 
Gruft  des  Coem. 
Praetextati,  in  zwei 
Fachgräbern  überein- 
ander; Porphyrsäulen 
umrahmten  das  untere 
Grab  und  das  Elogium 
des  Damasus ;  eine 
durchbrochene  Mar- 
morschranke, wie  sie 
in  der  Kaiserzeit  üb- 
lich waren ,  stand 
davor.  Hier  ist  noch 
einmal  die  Gruft  der  Bischöfe  des  dritten  Jahrhunderts  zu  nennen,  als  ein 
Hauptbeispiel  der  Katakombenkapellen,  mit  reicher  Ausstattung  in  Marmor,  die 
wohl  nachdamasianisch  ist.  Eine  damasianische  Inschrift  schließt  das  Arkosol 
der  Fondwand,  eine  Bodenplatte  mit  vier  Standspuren  trug  einen  Marmortisch, 
Reste  von  durchbrochenen  Schranken  liegen  umher,  auch  ein  dekorativer  Doppel- 
kopf fand  sich,  die  einstige  Krönung  eines  Brüstungspfeilers.  Zwei  kannelierte 
Säulen  auf  Postamenten,  deren  eins  noch  vor  der  rechten  Längswand  steht, 
gliederten    den    Raum.      Der    Dichter  Prudentius    beschreibt    die   Gruft    des    heiligen 

9* 


Gruft  römischer  Bischöfe  in  Kailist 
Die  späteren  Einbauten  hergestellt. 


132  Bau  der  Katakomben. 

Hippolytus;  er  spricht  von  parischem  Marmor  und  spiegelnd  polierten  Silber- 
platten.1) 

Die  Hebung  des  Märtyrerkultes  wirkte,  allerdings  nur  vorübergehend,  auf  die 
Benutzung  der  Katakomben.  Bereits  hatten  sich  oberirdische  Friedhöfe  zu  entwickeln 
begonnen.  Nun  hat  de  Rossi  eine  Statistik  aufzustellen  unternommen  über  das  Ver- 
hältnis zwischen  den  unter-  und  den  oberirdischen  Bestattungen;  er  hat  gefunden,  daß 
die  im  vierten  Jahrhundert  zugunsten  der  oberirdischen  Begräbnisse  schnell  ab- 
nehmenden unterirdischen  in  den  Jahren  des  Damasus,  genauer  von  370  bis  etwa  373, 
wieder  eine  Steigerung  erfuhren.  Danach  geht  die  Ziffer  der  unterirdischen  Be- 
stattungen wieder  zurück,  um  gegen  410  ganz  zu  verschwinden.  Dabei  hatte  die 
unterirdische  Bestattung  eine  neue  Richtung  eingeschlagen;  es  leitete  das  Verlangen, 
in  möglichster  Nähe  eines  verehrten  Märtyrers  zu  ruhen  (intra  limina  sanctorum,  retro 
sanctos).  Eine  eigentümliche  Materialisierung  des  zugrunde  liegenden  Verlangens,  mit 
Gott  und  den  Seligen  im  Tode  vereinigt  zu  werden,  war  es,  daß  man  Wert  darauf 
legte,  auch  körperlich  in  Gesellschaft  der  Heiligen  zu  ruhen,  in  ihrer  Gesellschaft  einst 
aufzuerstehen  und  so  mit  ihnen  verklärten  Leibes  an  dem  ewigen  Leben  teilzunehmen. 
Es  waltete  dabei  nicht  bloß  die  angenehme  Vorstellung,  die  Gesellschaft  der  Heiligen 
zu  genießen,  sondern  zugleich  eine  starke  Hoffnung  auf  ihren  bisweilen  geradezu 
magisch  wirkend  gedachten  Beistand.  Wenn  es  auch  schwer  halten  dürfte,  genau 
Analoges  im  heidnischen  Altertum  nachzuweisen,  in  dem  Sinne,  daß  ein  Grab  in  der 
Nähe  eines  Heroengrabes  wertvoll  erschienen  wäre,  so  ist  die  uns  auffallende  Er- 
scheinung doch  ganz  im  antiken  Geiste  empfunden,  allerdings  als  eine  weitere  Ent- 
wicklungsstufe des  in  gleicher  Richtung  früher  Vorgekommenen. 

Die  Nachfrage  nach  Gräbern  bei  den  Heiligen  war  stärker  als  das  Angebot 
(quod  multi  cupiunt  et  rari  accipiunt),  und  es  war  nicht  möglich,  solchem  Verlangen 
zu  genügen  ohne  Eingriffe  in  den  cömeterialen  Bestand.  Damasus  verzichtete  deshalb 
auf  seine  Bestattung  in  der  Bischofsgruft,  weil  er  Scheu  trug  die  dort  Ruhenden  zu 
stören.  Vereinzelte  Stimmen  warnten  auch  vor  der  abergläubischen  Hoffnung  auf 
einen  Vorteil  für  das  Heil  der  Seele,  der  von  der  Bestattung  des  Körpers  in  der 
Nähe  eines  Märtyrergrabes  zu  erwarten  wäre.  Die  allgemeine  Meinung,  die  auch  die 
kirchliche  war,  aber  ist  bis  heute  dieselbe  geblieben.2) 


Die  Grabschriften. 

Zur  Ausstattung  der  Gräber  und  Grüfte  gehören  in  erster  Linie  die  Grab- 
schriften und  die  Malereien.  Zuerst  besprechen  wir  die  Grabschriften,  so  verlangt 
es  ein  planvolles  Vorgehen.  Denn  die  Inschriften  sprechen,  sie  geben  unmittelbar 
Aufschluß  über  die  Verstorbenen,  über  ihre  Person  und  über  ihre  und  der  Hinter- 
bliebenen Gedanken  angesichts  des  Todes.  Die  Malereien  sprechen  ja  auch,  sie  sind 
sinnvoll  gewählt;   aber  sie  sprechen  nicht  in  Worten,  sondern  eben  in  Bildern,  welche 


*)  Felicissimus:  Bull,  crist.  1895  Taf.  9—10. 

Bischofsgruft:  de  Rossi,  Roma  sott.  II  Taf.  la,  unsere  Abbildungen  vorstehend. 
Hippolytus:  Prudentius  Peristeph.  XI. 

2)  Begräbnis  ad  sanctos:  Fr.  X.  Kraus,  Realencykl.  I  19.   H.  Leclercq  bei  Cabrol,  Dictionnaire 
d'archlol.  chr£t.  I  1903,  479. 


Die  Grabschriften. 


133 


fLCARTIIICORNELIANIDEP 

XVlIIhA  LS  E  P 


/- 
W 


I 

P 
Ä 
P 

? 
A 
E 
C 

V 

" 

X 

o 

A 

T 

a 

V 


.ciivs^WviTilAibsosipiC:  le&e 

SEIMJiQCAEBES  BELIEß]]  35 

EXTEJ^JÖPA3ailTE3BL3P  7LSI  FEE.nuÄJMTfaANNa 

•  ■ i  EiExnovMm        sc  jybi"  «dicblai De 

■ :?  11  s  c  oip  c  e  t  m  r* ::::  y  i 


F 
V 

a 

- 

y 

s 

D 

1 

Ä 

Y 

s 
1 

V 

5 
r 


Zwei  Grabschriften:    1.  frühchristlich,  2.  aus  dein  vierten  Jahrhundert.    3.  Damasianisches  Elogium  auf  Eusebius 

(die  erhaltenen  Bruchstücke  des  Originals  schwarz). 


134  Bau  der  Katakomben. 

mißverstanden  werden  können.  Daher  suchen  wir  festen  Fuß  zu  fassen,  indem  wir  uns 
zuerst  an  die  Inschriften  wenden. 

Die  Sammlung  christlicher  Inschriften,  welche  de  Rossi  im  Museum  des  Lateran 
vereinigt  hat,  besteht  hauptsächlich  aus  Grabschriften,  die  meist  den  Katakomben  ent- 
stammen. Er  hat  sie  in  eine  Reihe  numerierter  Wandfelder  verteilt  und  zwar  nach 
einer  Art  sachlicher  Anordnung.  Drei  Felder  enthalten  kirchliche  Kultusdenkmäler 
(eins  davon  die  damasianischen  Elogien),  vier  andere  umfassen  datierte  Inschriften,  die 
zehn  folgenden  führen  Denkmäler  kirchlicher  Stände  und  christlicher  Dogmen  vor 
Augen;  die  sieben  letzten  gruppieren  die  Inschriften  nach  der  Provenienz,  das  ist 
nach  den  Katakomben,  zu  denen  sie  gehören.  Die  oben  geforderte  Sammlung  der 
christlichen  Inschriften,  vor  allem  der  römischen  Grabschriften,  müßte  versuchen,  die 
Anordnung  nach  der  Provenienz  zum  obersten  Einteilungsgrund  zu  machen.  Freilich 
bereiten  die  Verwüstungen,  die  in  alten  und  neuen  Zeiten  über  die  Katakomben  dahin- 
gegangen sind,  solchem  Unternehmen  zum  Teil  unüberwindliche  Hindernisse,  aber  soweit 
die  Aufgabe  noch  lösbar  ist,  sollte  sie  je  eher  je  besser  gelöst  werden.  Nun  ermög- 
lichen die  Forschungen  der  Brüder  de  Rossi  und  ihrer  Nachfolger,  die  Baugeschichte 
jeder  Katakombe  vom  Denkmal  abzulesen;  so  ist  es  auch  möglich  (und  vielfach  schon 
begonnen),  die  zugehörigen  Grabschriften  gleichlaufend  zu  ordnen,  um  daran  die  Ent- 
wicklung des  christlichen  Vorstellungslebens  auf  dem  sepulkralen  Gebiete  unmittelbar 
verfolgen  zu  können.     Analoge  Wünsche  werden  uns  die  Malereien  nahelegen.1) 

Der  Totenkult  macht  nötig,  an  den  Gräbern  unterscheidende  Zeichen  anzubringen, 
je  zahlreicher  sich  die  Gräber  in  den  Grüften  drängen,  desto  mehr.  Man  wußte  sich 
auch  mit  bescheideneren  Kennzeichen  zu  helfen,  allerlei  in  den  nassen  Mörtel  einge- 
drückten kleinen  Gegenständen  oder  eingeritzten  Zeichen.  Das  Beste  aber  war  die 
Grabschrift.  Als  Schrifttafel  diente  den  Christen  wie  den  Heiden  meist  die  Marmor- 
platte; anfangs  kamen  auch  solche  aus  gebranntem  Ton  vor,  mit  aufgepinselten  In- 
schriften (Coem.  Domitillae  und  Priscillae),  doch  die  Marmortafeln  mit  eingehauenen 
Inschriften  sind  bei  weitem  die  Regel.  Bei  den  Fachgräbern  diente  die  Verschluß- 
platte sofort  auch  zur  Aufnahme  des  Epitaphs.  Die  Sprache  der  Grabschriften, 
wie  überhaupt  die  der  Kirche,  war  früher  und  langehin  die  griechische  (das  Christentum 
ist  griechische  Religion),  erst  allmählich  trat  die  lateinische  ihr  zur  Seite,  um  im 
Abendland  schließlich  die  Alleinherrschaft  zu  gewinnen. 

Die  früheren  Tituli  gehören  den  zwei  ersten  Jahrhunderten,  falls  aus  dem  ersten 
überhaupt  welche  erhalten  sind,  zahlreicher  werden  sie  erst  im  dritten  Jahrhundert. 
Knapp  und  schlicht  abgefaßt,  ohne  Ruhmredigkeit,  geben  die  früheren  nur  den 
Namen  und  zwar  den  Rufnamen  (Onesimos,  Celsus);  dazu  etwa  den  Zivilstand,  als 
Gattin,  Gatte,  Sohn,  Tochter,  Bruder,  Schwester  (Meinem  Sohne  Marcus,  Meine 
Schwester  Silvina)  mit  einem  freundlichen  Prädikat  (Obrimos  der  seligen  Nestoriane, 
seiner  lieben  Lebensgefährtin  zum  Gedächtnis,  Onesimos  und  Semne  als  Eltern  ihrem 
lieben  Kind  Epiktetos).  Nennung  der  drei  Namen  nach  der  vollen  römischen  Nomen- 
klatur wird  erst  allmählich  häufiger.    Beruf  oder  Stand  wird  für  gewöhnlich  nicht  an- 


*)  Inschriften:  Literatur  oben,  am  Schluß  des  Kapitels  von  den  Quellen,  Seite  37.  Vgl. 
V.  Schultze,  Katakomben  233;  Handbuch  151,  5.  Kaufmann,  Handbuch  189  Epigraphische  Denk- 
mäler, 205  Sepulkralinschriften  (im  engeren  Sinn).  Marucchi,  Elements  I  141  l'^pigraphie 
chrötienne. 


Die  Grabschriften.  135 

gegeben;  seit  Konstantin  erscheinen  die  viri  clarissimi  und  feminae  clarissimae 
(Personen  von  senatorischem  Stande).  Viele  Inschriften  beziehen  sich  auf  Ziehkinder, 
auf  Sklaven  und  Freigelassene.  In  der  Spätzeit  werden  kirchliche  Ämter  zahlreicher 
erwähnt,  der  Episkopos  und  der  Presbyter  (oder  Pastor),  der  Diakonos  (Minister), 
der  Lector,  der  Exorcistes. 

Die  Lebensdauer  wird  oft  angegeben,  und  zwar  manchmal  auffallend  genau, 
nicht  bloß  Jahre  und  Monate,  sondern  Tage  und  Stunden;  in  anderen  Fällen  dafür 
um  so  ungenauer,  mit  „mehr  oder  weniger",  in  griechischer  wie  in  lateinischer  Sprache 
(Onesimos  seinem  lieben  Kind  Titus  Flavius  Onesiphoros,  es  lebte  sechs  Jahre. 
Marcellus,  der  auch  Exuperius  heißt,  lebte  5  Jahre,  1  Monat,  7  Tage).  Besonders 
wichtig,  wenn  auch  erst  später  auftretend,  war  die  Angabe  des  Sterbetages  und  neben 
ihm  (oder  statt  seiner,  falls  beide  nicht  zusammenfielen)  die  des  Tages  der  Bestattung 
(xarä&eacg,  depositio),  angegeben  mit  Monat  und  Tag  nach  dem  antiken  Kalender. 
Endlich  wurde  auch  das  Jahr  bezeichnet,  nach  den  Konsuln,  doch  war  dies  nicht  so 
wesentlich  wie  die  Angabe  des  Kalendertages;  denn  nach  letzterem  richtete  sich  der 
Totenkult.  Das  Grab  selbst  wird  selten  genannt,  allenfalls  in  der  Form  Ruhestätte 
{xoifuj<x&gt  dormitio),  Platz  (xönog,  locus)  des  und  des.  In  der  ausführlicheren  späteren 
Redeweise  heißt  es:    Hier  ruht  der  und  der.1) 

Manche  Grabschriften  rühmen,  wie  gottesfürchtig,  wie  heilig  der  Verstorbene 
war  (&£OG£ßrig,  uyiog).  Wenn  seine  Menschenfreundlichkeit,  seine  Liebe  (humanitas, 
oaritas)  gepriesen  wird,  wenn  er  allen  Freund,  keinem  Feind  war,  wenn  er  die  Armen 
liebte,  wenn  er  der  Witwe  ein  Gatte,  der  Waise  ein  Vater  war,  so  mutet  uns  das 
spezifisch  christlich  an,  weil  die  Menschlichkeit  Wurzel,  Ziel  und  einziges  Kennzeichen 
des  echten  Christentums  ist.  Nicht  als  hätte  es  die  Idee  der  Humanität  den  Menschen 
zuerst  gebracht,  noch  als  hätte  es  vermocht,  die  schöne  Idee  auch  wirklich  durch- 
zusetzen, vielmehr  hat  die  politische  Tendenz  der  Kirche  die  Entfaltung  der  Humanität 
immer  gehemmt,  trotzdem  hat  das  Christentum  viel  zu  ihrer  Verbreitung  beigetragen. 
Dieser  Grundsatz  der  christlichen  Ethik  also  klingt  in  den  dem  Verstorbenen  beige- 
legten Prädikaten  an;  der  Hauptgegenstand  alles  Sinnens  und  Trachtens  der  Christen 
aber  war  nur  die  Seligkeit  im  Jenseits,  das  sprechen  die  Grabschriften  in  verschiedenen 
Formeln  übereinstimmend  aus. 

Was  wird  nun  über  den  Verstorbenen  im  Jenseits  ausgesagt?  Vorauszuschicken 
ist  dies.  Meist  wird  von  der  Person  schlechthin  geredet,  ohne  Unterscheidung  von 
Seele  oder  Geist  und  Körper;  doch  kommt  letzteres  vor:  dein  Geist  {nvtv^iu,  Spiritus) 


*)  Grabschrif  ten  aus  dem  Coem.  Priscillae :  \)vrtaiixoq,  IlbXQoq.  EvtXmaxoq.  TliXQoq. 
Stefanus.  Zosime.  Felicitas.  —  'Ayämj  0-vyaxQt.  Marco  filio.  Silvina  soror.  —  v()ßQi^t.oq  Xtaxopiüry 
ftaxagirc  yXvxvxdxy  ov/ißho  fivt'jfitjq  '/kqiv.  'OvrjGiftoq  xal  Sifirtj  yovelq  'Enixxrjxco  xixvio  ykvxvvdvo) 
(■noiTjoav.  Aeliae  nutrici  benenierenti.  Aeliabus  Serenae  et  Noricae  filiabus  pientissimis  P.  Aelius 
Noricus    pater    posuit.      Aureliae    Secundae    coniugi    incomparabili.  'Ov^aifioq    Tino    'lO.ccßüo 

'Ovr]Oi<p6()ü)  zexvco  ylvxvxäxio  "Qrj  I'ztj  g.  Marcellus  qui  et  Exuperius  egit  an(nos)  V,  m(enses)  I,  d(ies) 
VII.  —  Dep(ositio)  Caeciliae  XIIII  K(al)  Jun.  —  .  .  .  .  Maximo  et  Patjerno  co|nsulibus 
233  nach  Chr.  Hie  Bonifatia  dormit  cum  Honorato  marito  suo.  Marcianus  hie  dormit  in  pace. 
Felicissima  hie  posita  est.  —  'AyccTtTjrbq  bv  dg^vy.  Celestina  pax.  Zosime  pax  tecum.  -  -  Zieh- 
kinder: Leclercq  bei  Cabrol,  Dictionnaire  II  1904,  1295.  —  Androhung  von  Strafen  für  Grab- 
verletzungen: Leclercq  eb.  I  1904,  1575.  —  Abbildungen  christlicher  Tituli  bei  de  Eossi,  Eoma 
sott.  I  Taf.  17  ff.  und  anderwärts. 


136  BftU  der  Katakomben. 

ruht  in  Gott,  im  Himmel,  im  Frieden.  Die  Formel  „in  Frieden"  (iv  eiQrjvri,  in  pace) 
ist  jüdisch  und  christlich;  jüdisch  meint  sie  die  Grabesruhe  nach  den  Stürmen  des 
Lebens,  denselben  Gedanken,  den  auch  heidnische  Epitymbien  in  mancherlei  Wendungen 
aussprechen.  Für  den  Christen  aber  bedeutete  der  „Frieden"  das  jenseitige  Ruhen 
im  Himmel,  in  Gott,  gelegentlich  heißt  es  auch  „im  Schöße  Abrahams".  Schließlich 
aber  ward  die  Formel  geradezu  gebraucht  zur  Kennzeichnung  des  christlichen  Standes; 
statt  „er  ist  als  Christ  geboren",  „hat  als  Christ  gelebt",  heißt  es  dann  „geboren  im 
Frieden",  „gelebt  im  Frieden"  (natus  in  pace,  vixit  in  pace),  nach  Umständen  auch 
im  geschärften  Sinne  „in  der  Großkirche"  unter  Ausschluß  der  „Häresien".  Das 
Gewöhnliche  aber  ist  der  jenseitige  Sinn,  im  Frieden  des  Himmels.  Der  schillernde 
Gebrauch  der  Formel  beruht  auf  dem  Schwanken  der  christlichen  Vorstellung  zwischen 
Diesseits  und  Jenseits:  das  Gottesreich  war  ursprünglich,  wenn  schon  als  vom  Himmel 
kommend,  so  doch  als  diesseitig  verwirklicht  gedacht,  aber  durch  die  auf  allem  Mensch- 
lichen liegende  Tragik  war  es  jenseitig  geworden;  doch  bewahrten  sich  die  Christen 
im  Hintergrund  immer  die  Identität  beider  Reiche,  die  sie  vermittelten  durch  den 
Hilfsgedanken  der  endlichen  Welterneuerung  und  Weltverklärung. 

Der  Verstorbene,  so  heißt  es  weiter,  möge  leben  in  Gott,  du  mögest  leben  in 
Ewigkeit  (vivat  in  deo,  vives  in  aeternum);  oder  zuversichtlicher:  du  wirst  leben,  du 
lebst  (vivis  in  deo).  Sterben  heißt  hier  zu  Gott  gehen:  er  ist  hingegangen  zu  Gott 
(ivit  ad  deum),  er  war  begierig,  Gott  zu  schauen  und  hat  ihn  geschaut  (deum  videre 
cupiens  vidit);  er  ist  aufgenommen  in  das  Licht  des  Herrn  (susceptus  in  luce  domini). 
Das  schildert  schon  die  Herrlichkeit  des  Paradieses,  wo  alles  Licht  und  Glanz  ist,  wo 
der  Verstorbene  vor  dem  leuchtenden  Angesicht  des  Herrn  steht.  Da  möge  Gott  ihn 
erquicken  (deus  refrigeret  spiritum  tuum).  Zugleich  tritt  er  in  die  Gemeinschaft  der 
Geister  der  Heiligen,  der  heiligen  Geister,  sie  nehmen  ihn,  seinen  Geist,  auf  (te  sus- 
cipiant  omnium  ispirita  sanctorum,  accepta  est  ad  spirita  sancta,  refrigera  cum  spirita 
sancta).  Von  einem  Kinde  heißt  es,  daß  es  bei  seinem  zarten  Alter  ohne  Sünde  zum 
Sitze  der  Heiligen  eingehend  in  Frieden  ruht  (Eusebius  infans  per  aetatem  sine  peccato 
accedens  ad  sanctorum  locum  in  pace  quiescit).  Die  große,  freilich  nicht  allgemein  im 
Vordergrund  stehende  Hoffnung  aber  ist  die  zukünftige  Auferstehung,  in  dieser  Hoff- 
nung ruhen  die  Entschlafenen  (in  spe  resurrectionis).1) 

Worauf  beruhen  nun  diese  Hoffnungen?  Auf  Gott;  wer  auf  Gott  vertraut,  wird 
ewig  leben  (qui  in  deo  confidit,  semper  vivet).  Und  auf  dem  Christus;  der  Verstorbene 
wird  auferstehen  in  Christus  (resurrecturus  in  Christo).  So  heißt  es  auch:  durch 
Christus'  Tod  erkauft,  erlöst  (Christi  morte  redemptus).  Endlich  aber  ruht  die  Hoffnung 
auch  auf  den  Heiligen  und  ihrer  Fürsprache:  durch  Christus'  Tod  erlöst  ruht  er  im 
Frieden    und    erwartet    den    Tag  des  künftigen  Gerichts  froh  bei  der  Fürsprache  der 


*)  Das  ad  sanctos  wollen  viele  nur  von  der  Bestattung  bei  einem  Märtyrergrab  verstehen, 
wie  sie  im  Kapitel  vom  Bau  der  Katakomben  begegnete;  so  Kraus,  Kealencykl.  I  19,  vgl.  Rom. 
Quart.  1902,  50.  171;  eb.  1894,  135.  Dagegen  siehe  Leclerq  bei  Cabrol,  Dictionnaire  d'archebl. 
chrdt.  I  503 — 506.  —  Hier  sei  kurz  hingewiesen  auf  die  Inschriften,  welche  vom  Kauf  des  Grabes 
reden,  und  auf  solche,  die  um  Schonung  des  Grabes  bitten,  z.  B.  Peto  a  bobis,  fratres  boni, 
per  unum  deum,  ne  quis  VII  (hunc?)  titelom  molestet  post  mortem  meam.  Siehe  Müller, 
Koimeterien  826.  829.  —  Vgl.  auch  Cabrol,  Dictionnaire  I  1903  244  III  Acclamations  sous  forme 
d'inscriptions. 


Die  Grabschrifteu.  137 

Heiligen  (diem  futuri  iudicii  intercedentibus  sanctis  laetus  expectat).  In  der  Regel 
wird  die  Intercession  der  Heiligen  angerufen,  man  darf  aber  nicht  übersehen,  daß 
ursprünglich  und  eigentlich  jeder  Christ  durch  die  Taufe  ein  Heiliger  ist  (ßytog,  sänctus 
ist  ursprünglich  synomym  mit  Christ).  Daher  auch  jeder  Getaufte  eben  damit  am  Reich 
teil  hat  und  im  Todesfall  in  den  Himmel  eingeht.  Und  so  war  es  nur  folgerichtig, 
daß  jeder  verstorbene  Christ  um  seine  Fürbitte  angegangen  werden  konnte,  um  Für- 
bitte dann  auch  für  die  Hinterbliebenen.  So  wird  ein  Verstorbener  angerufen:  Bitte 
für  deine  Schwester,  andere:  Bitte  für  uns  (Petas  pro  sorore  tua,  Pete  pro  nobis). 
Und  schließlich  bitten  die  Verstorbenen  auch  um  das  Gebet  der  Hinterbliebenen  für 
sich.  Fürsprache,  wie  Bitte,  ist  allgemein  menschlich.  In  der  Odyssee  3,55  betet 
Mentor- Athene  zu  Poseidon,  erst  für  Nestor  und  die  Seinen,  dann  für  Telemach  und 
sich  selbst.  Der  Jahwist  erzählt  Exod.  8,  4,  Pharao  habe  Mose  und  Aaron  rufen 
lassen  und  gebeten:  Legt  bei  Jahwe  Fürbitte  ein,  daß  er  mich  und  mein  Volk 
von  den  Fröschen  befreie;  so  will  ich  das  Volk  ziehen  lassen,  damit  sie  Jahwe 
Opfer  bringen.  Und  so  geschah  es,  auf  Moses  Fürbitte  ließ  Jahwe  die  Frösche 
sterben.  Hierhin  gehören  auch  die  jüdischen  Fürsprechengel,  wie  Hiob  33,  23, 
Henoch  40,  6;  an  letzterer  Stelle  heißt  es,  in  der  Vision  von  den  vier  Engeln 
vor  dem  Angesicht  des  Herrn  der  Geister:  „Die  dritte  Stimme  (Gabriels)  hörte  ich 
bitten  und  beten  für  die  Bewohner  des  Festlandes  und  Fürbitte  einlegen  im  Namen 
des  Herrn  der  Geister."  Bei  Besprechung  der  Oranten  und  der  Gerichtsbilder  kommen 
wir  auf  die  Fürbitte  zurück. 

Die  christlichen  Grabschriften,  das  leidet  keinen  Zweifel,  lassen  die  heidnischen 
an  Allgemeinheit  und  Zuversicht  der  Hoffnung  weit  hinter  sich.  Wir  haben  in  einem 
früheren  Kapitel  gesehen,  daß  verschiedene  Strömungen  durch  das  Altertum  gingen, 
die  eine  aus  der  Urzeit  herrührende  und  an  den  Urvorstellungen  haftende,  zeitweise 
zurückgedrängte,  aber  nie  ganz  verdrängte  jenseitsgläubige,  die  andere  vorwärtstreibende, 
vom  Jenseits  zum  Ideal  hinüberstrebende,  die  durch  die  klassischen  Jahrhunderte 
leuchtete,  doch  in  der  nachklassischen  Zeit  dem  neuerstarkten  Urglauben  unterlag. 
Zwischen  den  hoffenden  heidnischen  und  den  hoffenden  christlichen  Grabschriften  ist 
der  Art  nach  soweit  kein  Unterschied;  und  wenn  ein  Unterschied  besteht,  im  Grade  der 
Zuversicht,  so  bestätigt  sich  darin  wieder  der  Satz,  daß  das  Christentum  vollendete, 
was  im  Heidentum  begonnen  war,  daß  das  Christentum  die  geschichtliche  Vollendung 
des  Heidentums  war.  Das  Streben  des  Altertums  zur  Einheitsreligion  hat  im  Christen- 
tum sein  Ziel  erreicht,  und  die  antike  Religion  hat  in  der  Rückkehr  zum  Jenseits- 
glauben und  in  dessen  höchster  Vervollkommung,  die  er  im  Christentum  erfuhr,  ihren 
Kreislauf  vollendet. 

Zu  den  Inschriften  treten  noch  Sinnbilder.  Von  Haus  aus  nicht  ein  Sinn- 
bild, sondern  bloß  eine  Abkürzung  von  Schrift  (compendium  scripturae)  ist  das 
Monogramm;  für  uns  kommt  das  Christusmonogramm  in  Frage,  die  zwei  griechischen 
Buchstaben  X  und  F,  die  Anfangsbuchstaben  des  Wortes  Christus,  ineinander- 
gezeichnet.  So  findet  es  sich  im  Kontext  von  Inschriften,  die  noch  vorkonstantisch 
sein  können,  z.  B.  in  den  Formeln  „in  Christus",  Christusdiener  (  1ö%a  <><>i  iv 
Xqigtm,  dovlog  Xqigtov,  Christi  servus,  also  iv  ^,  dovlog  )^,  )^  servo  Luciliano, 
das  heißt,  dem  Christusdiener  Lucilianus).  Auch  die  Formel  in  )j£  deo  wird  ent- 
sprechend aufgelöst,  wonach  sie  „in  Christo  deo"  lautet  und  als  Zeugnis  für  den 
Glauben  an  die   Gottheit  des  Christus  gilt.     Außerhalb    von    Schrifttext,    isoliert    und 


138  Bau  der  Katakomben. 

als  Symbol,  verwendete  das  Christusmonogramm  zuerst  Konstantin;  auf  seinem  Zuge 
gegen  Maxentius  312  setzte  er  es  auf  die  Schilder  der  Soldaten,  in  abergläubischer 
Absicht.  Danach  wurde  es  auch  von  den  Christen  als  Symbol  gebraucht  und  häufig 
den  Grabschriften  hinzugefügt.  Daher  die  chronologische  Regel,  daß  alle  Epitaphien 
mit  dem  symbolischen  Monogramm  später  sind  als  312. 

Eigentliche  Sinnbilder  erscheinen  im  zweiten  Jahrhundert.  Das  Kreuz,  nach 
welchem  man  geneigt  ist  zuerst  zu  fragen,  hat  sich  nur  langsam  als  Symbol  durch- 
gesetzt. Es  tritt  zuerst  im  zweiten  Jahrhundert  auf,  im  Coem.  Lucinae,  im  Epitaph 
der  Rufina  und,  man  möchte  sagen,  schüchtern,  in  zwei  Deckenmalereien;  deren  radiale 
Linien  sind  so  gezogen,  daß  sie  ein  gleicharmiges  Kreuz  bilden  (Farbtaf.  III).  Ein  auf- 
gerichtetes Kreuz  kommt  in  der  altchristlichen  Malerei  nur  selten  vor,  so  in  der  Lünette 
eines  Arkosols  des  vierten  Jahrhunderts:  zwei  Tauben  stehen  in  einer  Art  Paradiesgarten, 
welcher  durch  ein  System  stilisierter  Rosenzweige  angedeutet  ist;  in  deren  Symmetrieaxe 
erhebt  sich  das  Laubkreuz.  Wir  müssen  also  sagen,  dem  Mittelstück  seiner  Paradies- 
malerei hat  der  Maler  die  Gestalt  eines  Kreuzes  gegeben.  Bei  dergleichen  Andeutungen 
hat  man  von  einem  versteckten  Kreuz  gesprochen  (crux  dissimulata);  nun  muß 
man  nicht  denken,  daß  die  Christen  etwa  unter  dem  Druck  der  Verfolgungen 
nicht  gewagt  hätten,  das  Kreuz  offen  darzustellen.  Abgesehen  davon,  daß  die  frühere 
Vorstellung  von  einer  andauernden  Verfolgungszeit  sich  als  unhaltbar  gezeigt  hat, 
was  hätte  die  Christen  hindern  sollen,  in  ihren  unterirdischen  Cömeterien,  die  den 
Augen  der  heidnischen  Welt  entzogen  waren,  neben  anderen  Symbolen,  die  sie  unbe- 
denklich anbrachten,  auch  das  Kreuz  zu  malen?  Das  Kreuz  zu  malen  lag  ihnen  von 
Haus  aus  eben  so  fern,  wie  alle  Szenen  der  Passion;  denn  gerade  in  der  Grabmalerei 
kam  es  ihnen  darauf  an,  nicht  das  Leiden,  sondern  den  Sieg  über  das  Leiden  und  den 
Triumph  über  den  Tod  vor  Augen  zu  stellen.  Der  Künstler  hat  das  Kreuz  nicht 
unter  Laub  versteckt,  sondern  umgekehrt,  er  hat  den  Laubstab,  um  ihm  mehr  Be- 
deutung zu  geben,  zu  einem  Kreuz  herausgebildet.  Das  Kreuz  hat  sich  erst  allmählich 
zum  herrschenden  Symbol  entwickelt,  immerhin  kommt  es  bei  Grabschriften  schon 
ziemlich  früh  vor.1) 

Häufiger  sind  andere  Sinnbilder.  Der  Anker  ist  das  Bild  des  Vertrauens,  der 
Zuversicht,  christlich  der  zuversichtlichen  Hoffnung  auf  die  ewige  Seligkeit  durch  den 
Christus  (Hebr.  6,  19).  Der  Palmzweig  bedeutet  den  Sieg  über  den  Tod.  Der 
Baum  ist  der  Paradiesbaum,  Sinnbild  des  Paradieses.  Andere  Symbole  sind  nicht  so 
eindeutig.  Taube,  Schaf  und  Fisch  sind  Bilder  des  Christen,  und  zwar  des  durch 
Christus  seligen.  So  auch  die  an  Früchten  pickende  Taube;  aber  die  Taube  mit  dem 
Zweig  im  Schnabel  erinnert  an  die  Taube  des  Noah,  das  Schaf  ist  im  Lauf  der  Zeit 
auch  zum  Bilde  des  Christus  geworden,  und  der  Fisch  kommt  in  den  Mahlbildern  so 
häufig  als  die  christliche  mystische  Speise  vor,  daß  es  nahe  liegt,  bei  seinem  Vor- 
kommen an  den  Epitaphien  die  Frage  zu  stellen,  ob  er  auch  hier  so  gemeint  sei. 
Der  Hirt  ist  der  christliche  Gute  Hirt,  das  ist  Christus  selbst,  der  die  Verstorbenen 
in  die  Seligkeit  einführt.  Endlich,  um  nicht  alles  aufzuzählen,  die  betende  Figur 
(Orans)   ist   wieder  ein  Bild    des    seligen  Christen  in  Anbetung  vor   der   Herrlichkeit 


*)  Christusmonogramm:  Kraus,  Realencykl.  II  224  Art.  Kreuz,  412  Art.  Monogramm 
Christi,  432  Münzen;  ders.  Geschichte  I  130.  490.  Marucchi,  Rom.  Quart.  1896,  88.  Über  A  i2 
vgl.  Cabrol,  Dictionnaire  I  1903,  1. 


Die  Grabschriften.  139 

des  Herrn.  Alle  diese  Bildtypen  werden  uns  bei  Besprechung  der  Malereien  wieder 
begegnen;  das  hier  zu  ihrer  Erklärung  kurz  Gesagte  wird  dort  seine  Begründung 
finden.1) 


»)  Kreuz:  Kraus,  Realencykl.  II  224;  Gesch.  I  130.  Wilpert,  Bull.  Christ.  1902,  3;  Male- 
reien 495.  Rufina:  de  Rossi,  R.  sott.  I  Taf.  18,  1.  Decken:  Wilpert,  Taf.  25.  38.  Arkosol: 
de  Rossi,  Roma  sott.  III  79  Taf.  11,  12.  Über  früheren  Kultus  des  Kreuzes  vgl.  die  Monumente 
und  Hypothesen  bei  A.  Evans,  Annual  of  Brit.  school  Athens  IX  1902/03,  88  zu  Fig.  62. 

Anker:    de  Rossi,  Roma  sott.  I  Taf.  18,  2.  3.    Kirsch  bei  Cabrol,  Dictionnaire  I  1905,  1999. 

Palme:    de  Rossi  III  Taf.  28,  2.  25. 

Baum:    eb.  I  Taf.  18,  2. 

Taube:    eb.;  Zweig  bringend  eb.  II  Taf.  45,  8.     Noah  eb.  II  Taf.  47,  42. 

Schaf:    eb.  I  Taf.  20,  1. 

Fisch:    eb.  II  Taf.  41,  12. 

Hirt:    eb.  I  Taf.  21,  1. 

Orans:  eb.  II  Taf.  39.  Rom.  Quart.  1891,  348  Taf.  12;  1892,  366  Taf.  12;  1893,  287  Taf. 
19;  1894,  131. 

Wassergefäß:    de  Rossi  III  Taf.  24,  13. 


Die  Malereien  der  Katakomben. 


Der  Hauptschmuck  der  Katakomben  be- 
steht (abzusehen  von  den  in  der  Frühzeit 
hier  und  da  auftretenden  Stuckdekorationen) 
in  den  Malereien,  mit  denen  teils  die  Grüfte 
als  solche,  teils  einzelne  Gräber  ausgestattet 
sind.  Bevor  wir  sie  selbst  betrachten  (es 
kommen  hier  wesentlich  nur  die  römischen 
in  Frage),  muß  ein  Wort  über  ihre  Ver- 
öffentlichungen gesagt  werden. 

Die  Publikationen. 

Die  älteren  Publikationen  können  nur  mit 
Vorbehalt  verwertet  werden,  mit  dem  doppelten 
Vorbehalt,  mit  welchem  der  Archäologe  alle 
älteren  Reproduktionen  antiker  Bildwerke  zu 
benutzen  gewohnt  ist.  Einmal  war  die 
Archäologie  in  ihren  ersten  Jahrhunderten 
noch  zu  ungeübt  und  unerfahren,  um  alles 
richtig  verstehen  zu  können,  vollends  die 
Zeichner  haben  vieles  mißverstanden,  um  so 
mehr  als  die  Denkmäler  durch  mancherlei 
schädigende  Einwirkungen  alle  mehr  oder 
weniger  gelitten  haben.  Dazu  kam  das  andere,  die  mangelhafte  Kenntnis  der  Stile 
und  die  fehlende  Übung  in  der  Wiedergabe  des  stilistisch  Charakteristischen.  Den 
alten  Kopisten  war  für  die  Eigenart  antiker  Zeichnung  und  Farbengebung  das  Auge 
zu  wenig  geöffnet,  sie  gaben  alles  im  Stile  ihrer  eigenen  Zeit  wieder,  des  sechzehnten, 
siebzehnten,  achtzehnten  Jahrhunderts.  Wie  die  alten  Kupfer  nach  antiken  Skulpturen 
alle  im  Stil  der  Zeit  der  Stecher  ausgeführt  sind,  so  daß  die  Antike  nur  in  getrübtem 
Bilde  vor  unser  Auge  tritt,  so  geben  auch  die  alten  Kopien  der  Katakombenmalereien 
die  Originale  verfälscht  wieder.  Im  Laufe  des  neunzehnten  Jahrhunderts  führte  plan- 
mäßige Ausbildung  der  archäologischen  Methode  dahin,  die  stilistische  Eigenart  der 
verschiedenen  Kunstperioden,  Kunstprovinzen  und  Künstler  schärfer  zu  unterscheiden 


Die  Publikationen.  141 

und  auch  die  Kopisten  zu  stilgetreuerer  Wiedergabe  der  Antike  zu  erziehen.  Im 
Gebiete  der  altchristlichen  Archäologie  bezeichnen  die  Tafeln  von  de  Rossis  Roma 
sotteranea  immerhin  einen  Fortschritt,  wenn  sie  auch  noch  zu  wünschen  übrig  lassen. 
Vollkommene  Stiltreue,  und -zugleich  exakte  Wiedergabe  des  Gegenständlichen  erzielte 
erst  die  mechanische  Reproduktion  mittels  der  Photographie.  Joseph  Wilpert,  wohl 
vorbereitet  durch  kritische  Studien  über  die  alten  Kopisten,  hat  sich  das  große  Ver- 
dienst erworben,  die  zugänglichen  Malereien  der  römischen  Katakomben  zum  erstenmal 
exakt  und  stilgetreu  veröffentlicht  zu  haben.  Er  hat  an  fünfzehn  Jahre  in  den 
Katakomben  gearbeitet,  ehe  er  mit  seinem  Werke  hervortrat.  Er  hat  die  oft  von 
Schimmel  oder  Sinter  überzogenen  Malereien  gereinigt,  nicht  ohne  Anwendung  ver- 
dünnter Säuren  (hoffentlich  ohne  den  Farben  zu  schaden);  er  hat  die  Malereien  bei 
künstlichem  Licht  photographiert  und  die  gewonnenen  Aufnahmen  durch  den 
Aquarellisten  Tabanelli  unter  seiner  Aufsicht  vor  den  Originalen  in  deren  Farben  be- 
malen lassen.  Diese  in  Farbe  gesetzten  Photographien  ließ  er  photomechanisch,  teils 
schwarz,  teils  in  Dreifarbendruck,  vervielfältigen.  Hierdurch  hat  Wilpert  an  Treue 
der  Wiedergabe  alles  erreicht,  was  mit  den  heutigen  technischen  Hilfsmitteln  zu  er- 
reichen möglich  ist.  Einige  in  neuerer  Zeit  beschädigte  Malereien  hat  er  ergänzt 
wiedergegeben,  teils  nach  älteren  Kopien,  teils  aus  eigener  Erinnerung;  überall  aber 
hat  er  den  Umfang  und  die  Quelle  seiner  Ergänzungen  angegeben,  so  daß  niemand 
irregeführt  werden  kann.  Bei  den  Vorarbeiten  in  den  Katakomben  hat  er  Voll- 
ständigkeit in  der  Aufnahme  des  zugänglichen  Bestandes  erstrebt,  aber  von  seinem 
Tafelband,  zu  einiger  Unbequemlichkeit  der  Benutzer,  um  an  den  hohen  Kosten 
zu  sparen,  diejenigen  fast  alle  ausgeschlossen,  die  er  in  früheren  Monographien 
bereits  veröffentlicht  hatte.  Überhaupt  wäre  die  monumentale  Publikation  ohne 
die  Unterstützung  des  deutschen  Kaisers,  des  Fürstbischofs  Kopp,  und  des  Vor- 
standes der  Görresgesellschaft ,  in  dem  nun  erreichten  Umfange  nicht  möglich 
gewesen. 

Für  die  Reihenfolge  der  Tafeln  hat  Wilpert  die  chronologische  Anordnung  der 
topographischen  vorgezogen,  weil  bei  ihr  die  allmähliche  Entwicklung  der  altchristlichen 
Kunst  am  klarsten  zutage  trete.  Die  meisten  Archäologen  würden  doch  wohl  die 
topographische  Anordnung  lieber  gesehen  haben.  Ein  Denkmälerkorpus  soll  den 
monumentalen  Befund  vorlegen,  ganz  objektiv.  Nun  akzeptieren  wir  —  bis  auf  bessere 
Belehrung  —  Wilperts  Datierungen  als  die  besten  bis  heute  erreichten;  ganz  frei  von 
subjektivem  Dafürhalten  aber  sind  diese  chronologischen  Ansetzungen  keinenfalls.  Am 
liebsten  fände  man  die  Malereien  im  Rahmen  eines  Corpus  coemeteriorum,  eine  jede 
an  ihrer  Stelle.  Wenn  aber  an  ein  so  umfassendes  Werk  nicht  gedacht  werden  konnte, 
so  hätten  die  Malereien  doch  topographisch  geordnet,  hätten  mindestens  Planskizzen 
und  Querschnitte  der  etwas  dürftigen  topographischen  Übersicht  in  der  „ersten  Bei- 
lage" zugegeben  werden  können.  Die  Entwicklung  der  Katakombenmalerei  geht 
parallel  der  baulichen  Entwicklung  der  Katakomben  selbst;  die  Baugeschichte  einer 
Katakombe  liefert  wichtige  Kriterien  zur  Datierung  ihrer  Malereien,  Wilpert  hat  von 
ihnen  ausgiebigen  Gebrauch  gemacht.  Es  wäre  nun  sehr  belehrend  gewesen,  wenn  er 
sich  hierüber  nicht  bloß  in  ein  paar  Andeutungen  ausgesprochen,  sondern  die  Geschichte 
jeder  Katakombe  im  Zusammenhang  der  künstlerischen  mit  der  baulichen  Entwicklung 
dargelegt  hätte.  Auch  die  Auswahl  und  Anordnung  der  Gemälde,  hiermit  aber  zu- 
gleich  ihre  ganze  Meinung  und  Absicht,  würde  in  der  nach  Katakomben  gegliederten 


142  £)ie  Malereien  der  Katakomben. 

# 

Betrachtung  verständlicher  sein  als  bei  dem  Zusammenwerfen  aller  Malereien  in  eine 
einzige  chronologische  Reihe. 

Der  Textband  endlich  ist  nicht,  wie  man  es  bei  archäologischen  Publikationen 
erwartet,  ein  Kommentar  zu  den  Tafeln,  sondern  geht  ganz  selbständige  Wege,  so 
sehr,  daß  nicht  einmal  ein  Verzeichnis  der  Tafeln  mit  Nachweis  der  die  Bilder  be- 
handelnden Textstellen  dem  Erläuterung  suchenden  Leser  entgegenkommt  (Es  fehlt 
auch  eine  vergleichende  Übersicht  seiner  Tafeln  und  derjenigen  der  früheren  Publi- 
kationen.) Statt  dessen  hat  sich  der  Textband  das  über  die  nächste  Aufgabe  einer 
Publikation  hinausgehende,  an  sich  gewiß  dankenswerte  Ziel  gesetzt,  den  Bilderschatz 
der  römischen  Katakomben  nicht  bloß  in  kritischer  Weise,  sondern  auch  erschöpfend 
zu  verarbeiten.  Ein  erstes  Buch,  allgemeine  Untersuchungen,  legt  die  Grundlagen  in 
einer  Reihe  wertvoller  Kapitel,  über  die  Technik  der  Malereien,  über  Entlehnungen 
aus  der  heidnischen  Kunst,  über  die  Tracht  der  dargestellten  Personen  und  ihre  Ver- 
wertung für  Chronologie  und  Exegese,  usf.  Das  zweite  Buch,  „Inhalt  der  Malereien", 
leidet  an  dem  Fehler,  den  Stoff  nicht  aus  dem  wirklichen  Grundgedanken  der 
Cömeterialmalerei,  sondern  unter  dem  Zwange  dogmatischer  Vorurteile  als  eine  Art 
Dogmatik  in  Bildern  zu  verstehen.  Das  Buch  legt  die  falsche  Meinung  zugrunde, 
Christus  sei  der  Hauptgegenstand  der  Malereien;  wie  das  Johannesevangelium  als 
seinen  Zweck  die  Verbreitung  des  Glaubens  an  die  Gottheit  Christi  angebe  (dabei 
wird  Gottheit  für  Gottessohnschaft  untergeschoben;  es  heißt  aber  Joh.  20,  31  „Diese 
Wunder  sind  geschrieben,  damit  ihr  glaubet,  Jesus  sei  der  Christus,  der  Sohn  Gottes"), 
wie  der  älteste  uns  bekannte  kirchliche  Hymnus  die  Verherrlichung  der  Gottheit 
Christi  zum  Gegenstand  habe,  wie  die  Gottheit  Christi  stets  das  Grunddogma  gebildet 
habe,  dem  sich  alle  übrigen  Glaubenswahrheiten  unterordnen  müßten,  so  sei  auch  für 
die  cömeteriale  Malerei  Christus  der  Hauptgegenstand  ihrer  Schöpfungen;  des  weiteren 
heißt  es,  ihre  Hauptaufgabe  habe  die  Malerei  zunächst  in  der  Hervorhebung  der 
Menschwerdung  des  Sohnes  Gottes  gesetzt  usf  (Seite  185  ff.).  Darum  stellt  Wilpert 
die  christologischen  Bilder  an  die  Spitze  (er  beginnt  deren  Besprechung  sogar  mit  dem 
Jesuskind  auf  dem  Schoß  der  Mutter,  also  dem  Madonnentypus).  Nun  ist  uns  das 
numerische  Übergewicht  der  Christusdarstellungen,  wenn  man  die  Bilder  des  guten 
Hirten  mitzählt,  wohl  bekannt;  dennoch  bleibt  der  Satz  bestehen,  daß  nicht  der 
Christus  Hauptgegenstand  der  Katakombenmalerei  war.  Vielmehr  sind  es  in  dieser 
sepulkralen  Kunst  die  Verstorbenen;  sie  sind,  Wilpert  selbst  sagt  es  gelegentlich,  der 
„Mittelpunkt,  um  den  sich  alles  wendet"  S.  459.  Der  Christus  wird  unbeschadet  seiner 
zentralen  Bedeutung  im  christlichen  Glauben  doch  nur  als  Mittel  zum  Zweck  dar- 
gestellt. Die  Malereien  sprechen  das  zuversichtliche  Vertrauen  aus,  daß  die  Ver- 
storbenen in  die  ewige  Seligkeit  eingegangen  sind  durch  die  Hilfe  des  Christus.  Von 
hier  aus  finden  alle  Bilder  ihre  einheitliche  Erklärung.  Endlich  ist  zu  bedauern,  daß 
auf  einem  Gebiete,  bei  dessen  Bearbeitung  behutsames  Vorgehen  dringend  nötig  ist, 
Wilpert  Vermutungen  und  Wahrscheinlichkeiten  allzurasch  als  gesicherte  Erkenntnisse 
in  Rechnung  setzt,  sowie  daß  auch  er  sich  von  der  Tendenz  noch  nicht  genügend 
freihält,  beweisen  zu  wollen,  daß  die  Lehren  und  Einrichtungen  der  römischen  Kirche 
schon  in  den  ersten  Jahrhunderten  „im  wesentlichen"  die  gleichen  gewesen  wären  Avie 
in  den  späteren  Zeiten  (z.  B.  Seite  213  über  die  Stellung  der  Maria). 

Wir  durften  die  Mängel  des  Werkes  nicht  verschweigen;  trotzdem  erkennen 
wir    gern    an,    daß    Wilpert    in  wissenschaftlicher  Erfassung   des    Gegenstandes    nicht 


Chronologisches.  143 

bloß    über    Garrucci,    sondern    in. mancher    Beziehung   auch    über    de    Rossi    hinaus- 
gekommen ist.1) 

Chronologisches. 

Wenn  wir  die  Denkmäler  historisch  verstehen  und  zum  Aufbau  der  Kunst- 
geschichte verwerten  wollen,  so  müssen  wir  danach  streben,  ihre  Ursprungszeiten  zu 
finden.  An  Kriterien  zur  Ermittelung  der  Entstehungszeiten  fehlt  es  für  die  Kata- 
kombenmalcreien  nicht,  dank  vorzüglich  der  Bemühungen  der  Brüder  de  Rossi  und 
Joseph  Wilperts.  Mit  Hilfe  dieser  Unterscheidungsmerkmale  ist  es  möglich,  die 
Malereien  nicht  bloß  im  Sinne  der  relativen  Chronologie  in  eine  zeitliche  Folge  zu 
bringen,  sondern  auch  diese  Reihe  von  Stufe  zu  Stufe  mit  den  Epochen  der  Zeit- 
geschichte in  Beziehung  zu  setzen.2) 

Solche  Kriterien  sind  erstens  aus  der  Baugeschichte  der  Katakomben  zu  ent- 
nehmen. Ein  Gemälde  kann  nicht  älter  sein  als  die  Gruft,  der  Gang,  das  Grab,  über- 
haupt der  Bauteil,  an  dem  es  angebracht  ist.  Man  kann  aber  die  Entstehungs- 
geschichte einer  Katakombe  vom  baulichen  Befund  gleichsam  ablesen.  Bei  dergleichen 
Untersuchungen  sind  datierte  Gräber  von  Nutzen;  freilich  pflegen  nur  von  Bischöfen 
die  Sterbejahre  durch  Überlieferung  bekannt  zu  sein.  Inschriftlich  datierte  Gräber, 
auch  anderer  Personen,  gibt  es  erst  aus  dem  vierten  Jahrhundert.  Da  der  Schrift- 
charakter der  Epitaphien  im  Laufe  der  Jahrhunderte  AVandlungen  erfahren,  auch  das 
Formular  sich  geändert  hat,  so  ist  es  möglich,  die  Inschriften  nach  den  Eigentümlich- 
keiten ihrer  Schrift  und  ihres  Formulars  wenigstens  annähernd  zu  datieren. 

Andere  Kriterien  gibt  die  Maltechnik  an  die  Hand.  Die  Malereien  sind  auf 
weißen  Putz  gesetzt.  Die  fünf  bis  sechs  Schichten  Putz  übereinander,  teils  Sand- 
mörtel, teils  Marmorstuck,  wie  sie  Vitruv  und  Plinius  fordern,  finden  sich  höchstens 
in  Kaiserpalästen.     In   den  Katakomben    kommt  nur  einmal    dreischichtiger  Putz  vor, 


*)  Joseph  Wilpert,  Die  Katakombengemälde  und  ihre  alten  Kopien  1891;  Ein  Cyklus 
christologischer  Gemälde  aus  der  Katakombe  der  hl.  Petrus  und  Marcellinus  1891;  Fractio  panis, 
die  älteste  Darstellung  des  eucharistischen  Opfers  1895;  Die  Malereien  in  den  Sakraments- 
kapellen in  d.  Katak.  des  hl.  Kallistus  1897;  Die  Malereien  der  Katakomben  Korns  1903,  mit 
einem  Tafelband. 

2)  Chronologie:  Lefort,  Etudes  sur  les  monum.  primit.  de  la  peinture  chr^tienne  en  Italie 
1885.  Wilpert,  Malereien  121.  Wilpert  beruft  sich  für  seine  chronologische  Schätzung  der  ältesten 
Malereien  in  der  Katakombe  der  Domitilla  auf  die  Zustimmung  August  Mau 's,  der  ihn  fast  in 
alle  größeren  Nekropolen  begleitet  habe.  Bei  dem  Werte,  welcher  dem  Urteil  des  gegenwärtig 
besten  Kenners  Pompejis  beiliegt,  würde  es  alle  Archäologen  zu  Dank  verpflichten,  wenn  Mau 
selbst  nicht  bloß  über  die  genannten  Malereien,  sondern  über  die  Katakombenmalerei  überhaupt 
sich  aussprechen  möchte.  Auf  Mau's  grundlegende  Geschichte  der  dekorativen  Wand- 
malerei zu  Pompeji  1882  können  wir  nicht  unterlassen,  mit  Nachdruck  hinzuweisen  (und  den 
Wunsch  hinzuzufügen,  daß  ihre  Fortsetzung,  eine  der  dringendsten  Aufgaben  der  deutschen 
Archäologie,  nicht  länger  hinausgeschoben  werden  möchte).  Wer  die  Malereien  der  Katakomben 
mit  den  rechten  Augen  betrachten  will,  der  studiere  vorher  und  daneben  die  Tafeln  von  Mau's 
Geschichte,  sowie  diejenigen  der  anderen  Publikationen,  wie  Zahn,  Die  schönsten  Ornamente  aus 
Pompeji,  Presuhns  Pompeji  usf.;  er  achte  dabei  einerseits  auf  das  System  der  Decken-  und  Wand- 
dekoration, andererseits  auf  die  Einzelheiten,  die  Banken,  Blumen  und  Früchte,  die  Seedrachen, 
die  Panther  und  Böcke,  die  Rinder  und  Schafe,  die  Enten,  Tauben  und  Pfauen,  die  Eroten  und 
Psychen  usf. 


144  Die  Malereien  der  Katakomben. 

nämlich  auf  Mauerwerk,  in  der  Januariusgruft  im  Coem.  Praetextati;  auf  dem  ge- 
wachsenen bröcklichen  Tuff  ist  er,  wie  übrigens  meist  auch  in  den  pompejianischen 
Häusern,  nur  zweischichtig.  Besseren  Stuck  weisen  nur  einzelne  frühe  Kammern  auf, 
wie  die  sog.  Galerie  der  Flavier  und  die  Ampliatusgruft  in  Domitilla,  die  Aciliergruft 
in  Priscilla.  Im  späteren  dritten  Jahrhundert  beginnt  die  Arbeit  nachlässig  zu  werden, 
man  begnügte  sich  meist  mit  nur  einer  Schicht.  Übrigens  konzentrierte  sich  alle 
Sorgfalt  auf  den  Malgrund,  die  übrigen  unbemalten  Wandflächen  blieben  oft  sogar 
roh.  Die  Malereien  selbst  wurden  auf  den  noch  frischen  Bewurf,  al  fresco,  auf- 
getragen. Die  Farbenskala  war  eher  arm,  selten  kamen  die  teureren  Farben  zur  Ver- 
wendung. In  der  Spätzeit  verschlechterte  sich  die  Qualität  der  Farben  wie  des 
Stuckes.  Die  Schlichtheit  dieser  ganzen  Katakombenkunst  brachte  es  mit  sich,  daß 
die  Malereien  unmittelbar  auf  den  weißen  Grund  gesetzt  wurden,  nur  ausnahmsweise 
auf  roten  oder  auch  gelben  Grund  (Rotgrund:  Wilpert  Taf.  15f,  u.  ö.);  im  vierten 
Jahrhundert  kam  es  vor,  daß  der  Grund  nachträglich  mit  Farbe  gestrichen  wurde. 
Dem  Malen  ging  die  Einteilung  der  Fläche  und  die  Vorzeichnung  voraus,  die  Ein- 
teilung z.  B.  einer  Decke  durch  konzentrische  Kreise  und  Radien,  mittels  Schnur  und 
Stift;  sodann  die  Vorzeichnung  der  Figuren,  ebenfalls  mit  eingeritzten  Linien,  später 
auch  wohl  mit  dem  Pinsel.  Seit  dem  dritten  Jahrhundert  riß  auch  in  diesen  Dingen 
Nachlässigkeit  ein,  die  Einteilung  der  Fläche  geschah  aus  freier  Hand  nach  dem 
Augenmaß,  Fehler  in  der  Vorzeichnung  wurden  nicht  mehr  verbessert.1) 

Besonders  wichtig  für  die  Zeitbestimmung  ist  das  Stilistische.  Die  künstlerische 
Entwicklung  bewegt  sich  nicht  weniger  auf  absteigender  Linie  als  die  technische;  die 
ältesten  Malereien  sind  die  besten,  darunter  ist  manches,  was  noch  den  künstlerischen 
Geist  der  pompejianischen  Wandmalereien  atmet,  so  der  Putto,  Wilpert  Taf.  5,  die  Vögel 
Taf.  12;  die  Blumenvase  zwischen  zwei  Tauben  auf  unserem  Titelbild  repräsentiert  die 
mittlere  Periode  der  römischen  Katakombenmalerei  um  200.  In  den  früheren 
Malereien  ist  noch  ziemlich  korrekte  Zeichnung  und  richtige  Farbengebung,  die 
Figuren  leidlich  proportioniert  und  passend  bewegt.  Der  Verfall  tritt  deutlich  seit 
dem  späteren  dritten  Jahrhundert  in  Erscheinung.  Verzeichnungen  häufen  sich,  es 
fehlt  nicht  an  falschem  Kolorit,  der  künstlerische  Sinn  versagt.  Um  den  Abstand 
zwischen  Früherem  und  Späterem  sich  anschaulich  zu  machen,  braucht  man  nur 
Wilperts  Tafeln  in  ihrer  Folge  zu  durchblättern  oder  Darstellungen  eines  und  des- 
selben Gegenstandes  aus  früherer  mit  solchen  aus  späterer  Zeit  zu  vergleichen,  etwa 
eine  Mutter  mit  Kind  im  Priscilla  aus  dem  zweiten  Jahrhundert,  mit  einer  in  Domitilla 
aus  dem  vierten  (jene  bei  Wilpert  Taf.  22,  diese  Taf.  141)  oder  eine  Anbetende  in 
Lucina  mit  denen  der  Vigna  Massimo  (jene  bei  de  Rossi,  Roma  sott.  I  Taf.  11,  diese 
bei  Wilpert  Taf.  174 ff.). 

Wir  möchten  noch  zwei  bezeichnende  Momente  hervorheben,  die  auch  miteinander 
in  einem  gewissen  Zusammenhang  stehen,  die  symmetrische  und  die  frontale  Dar- 
stellung. Die  Beziehung  zwischen  beiden  besteht  darin,  daß  die  Mittelfigur  einer 
symmetrischen  Gruppe  naturgemäß  in  Frontstellung,  andererseits  eine  in  Vorderansicht 
gegebene  Figur  leicht  auch  symmetrisch  gezeichnet  wird.     Symmetrische  Gruppen 


x)  Technik:  Vitruv  de  architectura  VII  3,  5—8.  Plinius,  nat.  hist.  XXXVI  176.  Donner 
v.  Richter  bei  W.  Heibig,  Wandgemälde  —  Campaniens  1868.  Wilpert,  Malereien  3.  Swoboda, 
Rom.  Quart.  1889,  145  nimmt  Malerei  al  secco  an. 


Chronologisches.  145 

waren  in  Flächenzeichnung  und  Relief  von  Haus  aus  seltener;  im  Profil  gezeichnet 
traten  die  Figuren  sich  gegenüber,  die  zwei  Parteien  sowohl  im  Kampf-  wie  im 
Adorationsbild  meist  von  ungleichem  Gewicht,  ein  Sieger  gegenüber  einem  Unter- 
liegenden, der  Gott  gegenüber  seinen  Verehrern.  Die  symmetrische  Gruppe  hat  man 
aus  technischen  Ursachen  ableiten  wollen,  aus  einem  Umlegen  der  Schablone  bei  Her- 
stellung gemusterter  Gewebe;  man  kann  auch  an  tektonischen  Ursprung  denken,  an 
den  Zwang,  den  ein  symmetrisch  geformter  Rahmen  auf  die  Komposition  ausübt. 
Z.  B.  die  symmetrische  Gruppe  einer  Säule  zwischen  zwei  aufgerichteten  Tieren  am 
mykenischen  Löwentor  könnte  man  in  ihrer  besonderen  Ausprägung  durch  das  Ent- 
lastungsdreieck bedingt  denken,  in  welches  das  Relief  komponiert  ist;  unter  analogem 
Zwang  des  Giebeldreiecks  haben  sich  die  (als  Reliefs  zu  betrachtenden)  Giebelgruppen 
wie  von  Agina  oder  von  Olympia  gestaltet.  Aber  die  im  Parthenon  erreichte  Kunst- 
blüte hat  die  Starrheit  der  Symmetrie  gelöst  und  durch  das  Gleichgewicht  der  Massen 
ersetzt.  Da  ist  es  nun  merkwürdig  zu  sehen,  wie  in  ihrer  letzten  Periode  die  alte 
Kunst  in  die  symmetrische  Kompositionsweise  zurückfällt,  wenn  auch,  wie  natürlich, 
nicht  in  allen  Szenen:  wir  nennen  Daniel  zwischen  zwei  Löwen,  dies  abweichend  von 
der  Erzählung  mit  ihren  sieben  Löwen;  der  Gute  Hirt  zwischen  zwei,  vier,  sechs 
Schafen;  die  typische  Orans  ebenso  zwischen  zwei  Schafen.  Auch  das  Adorationsbild 
wird  gelegentlich  gegen  alles  Herkommen,  nicht  im  Sinne  der  Legende,  symmetrisch 
komponiert;  in  der  Anbetung  der  Magier  wird  das  Christkind  auf  dem  Schoß  der 
Mutter  öfter  in  die  Mitte  gesetzt,  zwischen  die  symmetrisch  von  beiden  Seiten  nahen- 
den Magier.  Endlich  der  sich  schließlich  zum  Haupttypus  der  altchristlichen  Malerei 
herausbildende  erhöhte  Christus  im  Kreis  der  Apostel;  nur  in  einem  frühen  Neapeler 
Gemälde  ist  die  Gruppe  noch  unsymmetrisch  komponiert,  nachher,  und  in  Rom  immer, 
symmetrisch:  Christus  thront  in  der  Mitte  des  Halbkreises  der  Apostel.  Nach  dem 
Vorgang  früherer  Kritiker  sieht  Wilpert  in  der  symmetrischen  Komposition  einen 
künstlerischen  Wert,  er  hebt  rühmend  hervor,  die  Maler  hätten  die  Gesetze  der 
Symmetrie  nie  verletzt  (S.  59).  Vielmehr  ist  ihre  Neigung  zu  symmetrischer 
Gruppierung  nur  Verkümmerung. 

Die  Frontstellung  der  Figuren  charakterisiert  die  altchristliche  Kunst  noch 
auffallender.  Voran  sind  die  typisch  in  Vorderansicht  dargestellten  Betenden  zu 
nennen,  teils  solche  in  biblischen  Szenen,  wie  Daniel  in  der  Löwengrube,  Noah  in  der 
Arche,  teils  isolierte,  die  sog.  Oranten;  sie  werden  zugleich  symmetrisch  gezeichnet, 
beide  Hände  offen  gehoben.  Dann  die  Christusdarstellungen  außerhalb  der  Heilungs- 
geschichten, sowohl  die  indirekten  im  Typus  des  Guten  Hirten  als  auch  die  direkten, 
nämlich  des  erhöhten  Christus,  mag  er  stehen  oder  thronen.  Er  kommt  allerdings 
auch  in  Seitenansicht  vor,  das  ist  aber  örtlich  bedingt;  die  Malerei  befindet  sich  an 
der  Laibung  eines  Nischengrabes,  so  daß  der  Christus  doch  aus  der  Nische  herausschaut. 
Endlich  die  Heiligenbilder  aus  der  Spätzeit;  diese  kirchlich  sanktionierten  Heiligen 
stehen  in  Front  gereiht,  durch  keine  Handlung  belebt  oder  verbunden.  Zu  diesem 
Ende  in  Armut  ist  die  Antike  gekommen.  Die  Flächenzeichnung  war  einst  ausge- 
gangen von  der  Seitenansicht,  höchstens  die  Brust  wurde  von  vorn  gegeben,  beides 
zur  Vermeidung  der  schwierigen  Verkürzungen.  Die  Darstellung  in  Seitenansicht  er- 
laubte auch,  die  Figuren  ohne  weiteres  in  Bewegung  zu  setzen,  auch  gegeneinander, 
sei  es  zu  freundlichem  oder  feindlichem  Begegnen.  Erst  ziemlich  spät  begann  man, 
erst  die  Köpfe,  dann  auch  ganze  Gestalten  in  Vorderansicht  zu  drehen;   die  Blütezeit 

Sybel,  Christliche  Antike  I.  10 


146  Die  Malereien  der  Katakomben. 

des  fünften  und  vierten  Jahrhunderts  erlangte  die  volle  Freiheit,  die  Gestalt  in  jeder 
beliebigen  Ansicht,  Drehung  und  Wendung  zu  zeichnen.  Aber  es  kam  die  Zeit  der 
Erschlaffung,  nicht  plötzlich,  nicht  auf  einmal,  sondern  hier  und  da  kündigte  sie  sich 
an,  mit  am  frühesten  im  attischen  Grabrelief.  In  denen  der  Blütezeit  war  eine  Fülle 
ansprechender  Familiengruppen  entstanden,  Mann  und  Frau  sich  gegenüber,  Hand  in 
Hand  gelegt,  Mutter  und  Kind  traulich  vereint,  Vater  und  Sohn,  Bruder  und  Schwester, 
die  Figuren  immer  zueinander  gewandt  und  durch  eine  kleine  Bewegung  verbunden; 
allmählich  wurde  das  Relief  voller,  runder  herausgearbeitet,  so  daß  die  Figuren  zuletzt 
wie  Statuen  in  Kapellen  standen,  aber  immer  noch  zu  wirklichen  Gruppen  vereint. 
Dann  also  kam  die  Erschöpfung,  nicht  mehr  wie  früher  komponierte  man  jedes  Grab- 
relief neu,  sondern  man  begnügte  sich,  im  herkömmlichen  Rahmen  Statuen  in  Vorder- 
ansicht zu  kopieren,  zu  mehreren  in  Front  gereiht.  Diese  hellenistischen  Grabreliefs 
sind,  ein  wenig  auch  in  der  Idee,  Vorläufer  der  schablonenhaft  gereihten  Heiligen  in 
Frontstellung  (Wilpert  Taf.  256.  258).  Mit  Schemen  endigt  die  Antike,  sie  hat  ihre 
Bahn  ganz  durchlaufen.1) 

Die  Tracht  der  in  den  Katakomben  gemalten  Figuren  läßt  wechselnde  Moden 
erkennen;  wenn  deren  Zeiten  bekannt  sind,  so  kann  danach  in  gewissen  Grenzen  auch 
die  Entstehungszeit  der  Bilder  bestimmt  werden.  Unter  günstigen  Umständen  vermag 
die  Tracht  auch  zu  genauerer  Erklärung  der  Bilder  zu  verhelfen.  Es  ist  ein  besonderes 
Verdienst  Wilperts,  diesen  Gegenstand,  der  längst  nach  kritischer  Untersuchung  rief, 
ernstlich  in  die  Hand  genommen  zu  haben,  fußend  auf  dem,  was  die  Altertumswissen- 
schaft bis  dahin  zur  Kenntnis  der  antiken  Tracht  erforscht  hatte;  denn  ganz  ins  Reine 
gebracht  ist  die  Sache  noch  nicht.2) 

Die  Männerkleidung.  Bereits  in  der  mykenischen  Zeit  wurde  eine  Art  Schurz 
getragen,  dazu  kam  nach  Gelegenheit  ein  Mantel.  Nachdem  später  völligere  Be- 
kleidung Sitte  geworden  war,  blieb  doch  Schambinde  und  Lendentuch  als  Unterzeug 
im  Gebrauch;  in  den  Katakombenmalereien  kommt  es  ein  paarmal  bei  im  übrigen 
entkleideten  Personen  vor,  bei  dem  Täufer,  da  er  im  Wasser  stehend  tauft,  und  bei 
Daniel  in  der  Löwengrube.  Hauptbekleidungsstück  war  der  in  der  nachmykenischen 
Zeit  aus  dem  Orient  zu  den  Ioniern  und  den  übrigen  Griechen  gelangte  Leibrock 
(Chiton,  Tunika).  Die  schlichteste  Form  hatte  keine  Ärmel,  der  klassische  Typus 
hatte  Halbärmel,  der  orientalische  aber  lange,  anschließende  Ärmel  (Chiton  cheiridotos, 
tunica  manicata).  In  der  altchristlichen  Kunst  kommen  alle  diese  Typen  vor,  den 
langärmligen,  den  die  heidnisch-griechische  Kunst  allen  Barbaren  gab,  sehen  wir  an 
den  Magiern,  den  drei  babylonischen  Jünglingen,  dem  Orpheus;  schon  in  der  vor- 
kaiserlichen Zeit  hatten  ihn  auch  einzelne  Griechen  und  Römer  getragen,  aber  erst  im 
dritten  Jahrhundert  der  christlichen  Ära  bürgerte  er  sich  bei  den  klassischen  Völkern 
ein    und    findet    sich    nun  in  unseren  Malereien  auch  bei   Okzidentalen    (Fossoren   und 


J)  Hellenistische  Grabreliefs:  v.  Sybel,  Weltgesch.  d.  Kunst2  371  Abb.  Heilige  in 
Front:    Wilpert,  Malereien.     Taf.  256  ff.  262. 

2)  Antike  Tracht:  Hermann  Blümner,  Lehrbuch  der  griech.  Privataltertümer  1882,  172. 
Iwan  Müller,  Griech.  Privataltertümer  1887,  395.  Marquardt-Mau,  Privataltertümer  der  Kömer 
1886,  550.  542.  Voigt,  Eöm.  Privataltertümer2  1893.  Über  die  Anfänge  vgl.  jetzt  Walter  A.  Müller, 
Nacktheit  und  Entblößung  in  der  altorientalischen  und  älteren  griechischen  Kunst  1906.  Tracht 
der  Christen:  Kraus,  Realencykl.  II  175  (Krieg).  Wilpert,  die  Gewandung  der  Christen  in  den 
ersten  Jahrhunderten  1898;  Malereien  63. 


Chronologisches.  147 

Oranten).  Die  Griechen  hatten  den  Chiton  einst  in  der  Form  des  Talars  übernommen, 
aber  bald  ihn  gekürzt  und  aufgeschürzt,  nur  Musiker,  Rosselenker,  Priester  und 
Theaterkönige  behielten  das  lange  Kleid  bei;  sonst  waren  es  einzelne  Narren,  die  sich 
damit  auffällig  machten,  oder  auch  kluge  Leute,  etwa  wie  Floquet  mit  seinem  großen 
Hut.  Erst  im  vierten  Jahrhundert  der  Kaiserzeit  brachte  der  wachsende  orientalische 
Einfluß  den  Talar  wieder  zu  Ehren,  so  daß  ihn  in  der  Katakombenmalerei  einmal  sogar 
der  Gute  Hirte  trägt. 

Um  „angezogen"  zu  sein,  mußte  der  Freie  über  dem  Leibrock  den  Mantel 
tragen,  auch  wenn  das  Wetter  ein  Schutzgewand  nicht  erforderte,  gerade  wie  in  neueren 
Zeiten  der  Herr  den  „Überrock".  Der  Mantel  (Himation,  Pallium,  Toga)  war  bei 
allen  Völkern  ein  oblonges  Stück  Zeug,  wie  es  vom  Webstuhl  kam,  der  schottische 
Plaid  ist  nichts  anderes.  Griechen  und  Römer  trugen  ihn  in  gleicher  Art  (nur  bekam 
die  Toga  der  Römer  zu  irgend  einer  Zeit  runden  Zuschnitt)  um  Rücken  und  rechte 
Seite,  um  die  Schulter  oder  unter  der  Achsel  her,  das  Ende  über  die  linke  Schulter 
geworfen  oder  über  den  linken  Unterarm  gelegt  (vgl.  die  Statuen  bei  Sybel,  Weltgesch. 
d.  Kunst2  342.  373,  Marquardt-Mau  558  Fig.  2).  Erst  seit  dem  Ausgang  der  Republik 
hat  sich  die  Toga  zu  ihrer  bekannten  Eigenart  entwickelt,  nämlich  zu  einem  im  Sinne 
der  Weltbeherrscher  würdevoll  imponierenden,  in  Wahrheit  barock  aufgebauschten 
Staatskleid.  Als  Tracht  des  täglichen  Lebens  aber  war  die  Toga,  vollends  die  der 
Kaiserzeit,  so  unmöglich,  daß  schon  vor  und  unter  Augustus  ein  Widerstreben  gegen 
sie  hervortrat;  man  beschränkte  sie  auf  die  offiziellen  Gelegenheiten,  dergleichen  für 
manche  sich  erst  auf  der  Bahre  fand.  Der  umständlichen  Toga  zog  man  bequemere 
Formen  des  Oberkleides  vor.  Eine  Menge  Bürger,  denen  das  pompöse  Tuchgebäude 
zu  teuer  sein  mußte,  blieb  bei  der  schlichten  Toga  ihrer  Väter  (toga  brevis,  exigua). 
Überdies  flössen  in  der  Reichshauptstadt  alle  denkbaren  Typen  aus  Ost,  West  und 
Nord  zusammen,  so  daß  man  die  Auswahl  hatte;  in  der  Tat  nahm  selbst  die  elegante 
Mode  dies  und  jenes  fremde  Stück  auf,  daneben  auch  Trachten  der  niederen  Klassen.1) 

Da  war  die  Dalmatika,  eine  Art  Tunika,  mit  kurzen  aber  weiten  Armein;  un- 
gegürtet  getragen  fiel  sie  bis  über  die  Knie.  Commodus  führte  sie  in  Rom  ein,  als 
Obergewand;  im  vierten  Jahrhundert  wurden  die  Ärmel  noch  weiter,  die  Ausstattung 
reicher.  Die  übrigen  in  Betracht  kommenden  Obergewänder  waren  Mäntel.  Hier  ist 
das  Pallium  der  Griechen  zu  nennen,  das  schon  längst  einzelne  Römer  gelegentlich 
getragen    hatten;    übrigens  ist  es   in  den  Bildern  von  der  alten  Toga  kaum  zu  unter- 


a)  Toga:  Noch  Voigt,  Köm.  Privataltertümer2  1893,  330  schreibt  ihr  den  runden  Schnitt 
ganz  allgemein  zu;  aber  schon  aus  webtechnischen  Gründen  muß  sie  ursprünglich  viereckig  gewesen 
sein;  es  fragt  sich  nur,  wann  und  zu  welchem  Zweck  der  runde,  genauer  halbkreisförmige  Schnitt 
aufkam.  Posidonius  ist  der  erste,  der  ihn  zur  sonst  üblichen  viereckigen  Mantelform  in  Gegensatz 
stellt.  Dionys  von  Halikarnass  spricht  vom  Purpurmantel  der  römischen  Könige  und  Triumphatoren 
(sie  entliehen  das  Gewand  vom  kapitolinischen  Juppiter),  der  den  halbkreisförmigen  Schnitt  besaß, 
und  fügt  die  Bemerkung  hinzu,  daß  dergleichen  Mäntel  von  den  Römern  Togen,  von  den  Hellenen 
Tebennen  genannt  würden.  Damit  scheint  gesagt,  daß  Dionys  die  Togen  wenigstens  seiner  Zeit 
als  halbkreisförmig  kannte.  Aber  soll  diese  Aussage  für  die  Königszeit  beweisend  sein?  Und  der 
Gott  trug  doch  umgekehrt  das  Gewand  des  Menschen;  da  der  Gott  jährlich  neue  Gewänder  er- 
hielt, so  gingen  sie  mit  der  Mode.  Quintilian,  der  zwischen  der  alten  bauschlosen  Toga  und  ihren 
späteren  Entwicklungsstufen  bis  zur  stark  gebauschten  Toga  genau  unterscheidet,  empfiehlt  den 
runden  Schnitt  (rotundam  —  velim);  dieser  scheint  also  nicht  selbstverständlich,  nicht  allgemein 
gewesen  zu  sein.     Isidor  endlich  spricht  überhaupt  nur  von  der  stark  gebauschten  Toga. 

10* 


148  Die  Malereien  der  Katakomben. 

scheiden.  Die  Chlamys,  ein  um  die  linke  Schulter  gelegter,  auf  der  rechten  Schulter 
gehefteter  Mantel,  einst  von  Makedonien  und  Thessalien  her  zu  den  Athenern  ge- 
kommen, als  Reitertracht,  aber  auch  Gott  Hermes  erhielt  sie;  ihr  entspricht  der 
römische  Soldatenmantel,  das  Sagum  und  das  Paludamentum.  In  einem  trajanischen 
Relief  trägt  diese  Art  Mantel  ein  Liktor,  also  ein  Bürgerlicher,  später  erscheint  sie 
als  byzantinische  Hoftracht.  Die  Paenula  (Phainoles,  Phenol  es),  eine  Decke  mit 
Ausschnitt  in  der  Mitte  zum  Durchstecken  des  Kopfes,  so  daß  der  übrige  Stoff  nach 
allen  Seiten  herabfiel;  ursprünglich  eine  Tracht  der  arbeitenden  Klassen  bei  schlechtem 
Wetter,  wie  man  auch  heute  Fuhrleute  eine  Pferdedecke  in  gleicher  Weise  für  den 
gleichen  Zweck  sich  zurichten  sieht.  Und  wie  heutzutage  elegante  Jäger  und 
Touristen  Lodenmäntel  dieses  Typus  tragen,  so  wurde  er  in  der  Kaiserzeit  von  den 
höheren  Ständen  aufgenommen,  als  Regen-  und  Reisemantel,  auch  vorn  aufgeschnitten 
ganz  wie  die  erwähnten  Lodenmäntel.  Endlich  die  Lacerna.  Sie  wurde  um  die 
Schultern  genommen  und  auf  der  Brust  geschlossen. 

In  der  Katakombenmalerei  kommt  die  Toga  nur  ein  einziges  Mal  vor,  und  das 
erst  im  vierten  Jahrhundert;  dafür  erscheint  das  Pallium  als  der  eigentliche  Anzug, 
zum  Zeichen,  daß  die  an  die  offizielle  Toga  gebundene  Welt  im  allgemeinen  nicht  in 
den  Katakomben  ihre  Ruhestätte  suchte.  Das  Christentum  kam  nach  Rom  als  eine 
Religion  Fremder,  und  das  Evangelium  fand  vor  allem  bei  den  niederen  Ständen  Auf- 
nahme. Nach  und  nach  sehen  wir  dann  die  vorgenannten  anderen  Typen  des  Ober- 
kleides auch  in  der  Katakombenmalerei  erscheinen,  am  häufigsten  Dalmatika  und 
Paenula,  beide  in  ihren  Spielarten  nach  den  Launen  der  Mode;  die  Chlamys  begegnet 
nur  vereinzelt,  die  Lacerna  erst  zu  Ende  des  Altertums,  um  600. 

Religion  und  Kultus  sind  konservativ;  wenn  sie  auch  Neues  aufnehmen,  so  halten 
sie  doch  das  Alte  fest.  Als  Toga  und  Pallium  im  Leben  ausgespielt  hatten,  blieb  in 
der  Kirche  doch  das  Pallium  angesehen.  Auch  die  religiöse  Kunst  ist  konservativ: 
die  einmal  geschaffenen  Typen  blieben  erhalten.  Und  ähnlich  wie  anfangs  die  Christen 
im  Leben  alle  Heilige  und  im  Tode  alle  Selige  hießen,  dann  aber  ein  engerer  Kreis 
von  der  Kirchenbehörde  sanktionierter  Heiliger  und  Seliger  ausgesondert  wurde,  so 
sehen  wir  in  den  Malereien  der  Katakomben  den  Kreis  der  Palliumträger  mit  der 
Zeit  enger  gezogen  und  zuletzt,  am  Ende  einer  mehrstufigen  Entwicklung,  auf  Ideal- 
gestalten wie  Moses,  wie  den  Christus,  seine  Apostel  und  andere  sanktionierte  Heilige 
beschränkt.1) 

Endlich  aber,  so  ist  jetzt  die  Auffassung  der  wissenschaftlichen  Katholiken  ein- 
schließlich Wilperts,  gingen  aus  den  Typen  der  antiken  Gewandung  diejenigen  der 
mittelalterlichen  kirchlichen  Kleidung  hervor.  Das  Pallium,  das  ist  Wilperts  Meinung, 
war  ursprünglich  der  umgelegte  Mantel;  dann  mittels  Faltung  (Kontabulation)  streifen- 
artig  geworden,    wurde  es  zuletzt  durch  einen  wirklichen  bloßen  Streifen  ersetzt,    der 


l)  Heilige:  Wenn  z.  B.  in  Kraus,  Realencykl.  I  654,  gesagt  wird,  schon  der  Apostel  Paulus 
unterscheide  zwischen  gewöhnlichen  Christen  und  Heiligen,  so  trifft  dies  nicht  zu.  Kor.  I  1,  2 
stellt  er  nicht  die  „berufenen  Heiligen"  als  einen  engeren  Kreis  im  Gegensatz  zu  dem  weiteren 
Kreis  „aller  derer,  die  den  Namen  des  Herrn  anrufen",  sondern  den  Christen  der  ephesischen 
Gemeinde  erteilt  er  allgemein  und  ohne  Ausnahmen  zu  machen  das  Prädikat  „berufene  Heilige"; 
sodann  fügt  er  ihnen  die  Christen  in  weiterem  geographischen  Umkreise  hinzu  („samt  allen,  die 
den  Namen  unseres  Herrn  anrufen  an  jedem  Orte").  Auch  aus  den  andern,  in  der  R.-E,  angeführten 
Stellen  lassen  sich  keine  Vorzugsheiligen  gewinnen. 


Chronologisches.  149 

ringförmig  auf  beide  Schultern  gelegt  mit  den  Enden  vorn  und  hinten  herabhing; 
daraus  entstand  schließlich  das  heutige  Pallium,  das  Zeichen  der  bischöflichen  Gewalt. 
Auch  Dalmatika,  Paenula  und  Lacerna  behaupteten  sich  im  kirchlichen  Gebrauch;  sie 
wurden  liturgische  Gewänder,  die  Dalmatika  in  ihrer  letzten  und  längsten  Form,  die 
Paenula  ward  zum  Meßgewand  (Planeta  und  Casula  genannt),  die  Lacerna  zu  Cappa 
und  Pluviale.     Die  Tunika  wurde  zur  Alba.1) 

Wilpert  Seite  73  sagt,  das  Pallium  sei  gleich  bei  seinem  ersten  Erscheinen  in 
der  christlichen  Kunst  ein  Kleid  der  Auszeichnung  und  Würde,  das  dem  einfachen 
Gläubigen  nur  gegeben  werde,  wenn  man  ihn  in  der  Seligkeit  als  Orans  vorführe,  und 
auch  diese  Beispiele  seien  als  Ausnahmen  zu  betrachten;  seit  dem  dritten  Jahrhundert 
bilde  es,  zusammen  mit  der  Tunika  und  den  Sandalen,  die  den  „heiligen  Gestalten" 
eigentümliche  Tracht.  Der  Satz  bedarf  der  Berichtigung,  mindestens  der  Ein- 
schränkung. Das  Pallium  konnte  von  Haus  aus  nur  in  dem  Sinne  eine  auszeichnende 
Bedeutung  haben  und  eine  gewisse  höhere  Würde  verleihen,  als  es  eine  Tracht  der 
Freien  war,  den  Unfreien  verboten.  Man  begreift,  daß  die  Beamten  der  christlichen 
Gemeinden  darauf  hielten,  immer  „angezogen"  zu  erscheinen.  Aber  mehr  lag  nicht 
darin.  Was  in  der  Katakombenmalerei  Erklärung  verlangt,  ist  nicht  so  sehr  das  Auf- 
treten des  Palliums,  als  das  der  bloßen  Tunika,  gegürtet  oder  ungegürtet.  Wenn  man 
in  einem  frühen  Gemälde  zwei  Selige  so  gekleidet  beim  Mahle  sitzen  sieht,  so  läge  es 
nahe,  dabei  an  die  zum  Gebrauch  beim  Gelage  eingeführte  bequeme  vestis  cenatoria 
(synthesis)  zu  denken;  aber  diese  Erklärung  versagt  bei  Oranten  wie  bei  Noah.  Sollte 
ein  moderner  Beschauer  auf  das  Totenhemd  verfallen,  so  müßte  er  erinnert  werden, 
daß  die  Alten,  auch  die  Christen,  „angezogen"  bestattet  wurden.  Dies  gilt  freilich 
nur  für  diejenigen,  welche  einen  vollständigen  Anzug  besaßen,  oder  denen  er  zustand, 
den  Freien.  Könnte  der  Typus  ursprünglich  für  verstorbene  christliche  Sklaven  ge- 
schaffen sein?  Oder  ist  irgendwo  gesagt,  daß  die  Seligen  im  Himmel  oder  im  Para- 
dies nur  die  Tunika  trugen? 

Die  Frauentracht.  Das  Kleid  (Chiton,  Tunika,  mit  Armein  Stola)  erscheint  in 
der  Katakombenmalerei  anfangs  ohne  Ärmel,  dann  mit  Halbärmeln,  oder,  und  dies 
schon  früh  und  bald  überwiegend,  mit  langen,  engen  Ärmeln.  Bei  Oranten  ist  die 
Tunika  meist  ungegürtet.  Seit  dem  dritten  Jahrhundert  tragen  die  Frauen  vorzugs- 
weise die  Dalmatika,  die  bis  an  die  Knöchel  herabreicht;  im  vierten  wird  das  Ge- 
wand langfallend  gemalt,  und  die  Ärmel  nehmen  an  Breite  noch  zu.  Die  Dalmatika 
wirkte  auf  die  Tunika  zurück,  deren  Ärmel  auch  breiter  wurden.  Der  Mantel 
(Himation,  Palla)  wurde  von  den  Frauen  ähnlich  wie  von  den  Männern  getragen,  um 
die  rechte  Seite,  die  Enden  über  die  linke  Schulter  gelegt.  Etwaige  Verhüllung  des 
Haupthaars  wird  nach  alter  klassischer  Weise  entweder  durch  Heraufziehen  des 
Mantels  über  den  Hinterkopf  und  Scheitel  bewirkt  oder  durch  einen  Sehleier;  einen 
solchen  trägt  in  altklassischer  Kunst  z.  B.  die  Hegeso  auf  ihrem  Grabstein  vor  dem 
Dipylon  zu  Athen  (Sybel,  Weltgesch.  d.  Kunst  2245),  in  den  Katakombenmalereien 
die  Madonna  in  Priscilla,    eine  Orans  und   die  Veneranda,    letztere   mit    Spitzenhaube 


*)  Kirchliche  Kleidung:  Ohne  hier  auf  das  Thema  eingehen  zu  dürfen,  verweisen  wir, 
als  auf  andere  Versuche,  beispielshalber  außer  auf  Kraus,  Realencykl.  unter  Kleidung,  auf 
Marquardt-Mau  564  oben,  und  Petersen,  Rom.  Mitteilungen  1897,  325,  wo  Wuscher-Becchi  und 
Grisar  genannt  werden. 


150  Die  Malereien  der  Katakomben. 

unter    dem    Schleier    (Wilpert    Taf.  22.  88.  213;    über  Spitzen  in  der  Spätantike   vgl. 
AI.  Riegl  in  Br.  Buchers  Gesch.  d.  techn.  Künste  III  1893,  385). 

Gewandverzierungen.  Die  Tunika,  beider  Geschlechter,  konnte  mit  allerlei 
Verzierungen  versehen  sein,  die  auf-  oder  eingesetzt  waren.  Hauptmotiv  waren  zwei 
vertikale  Purpurstreifen,  schmal  oder  breit.  In  der  Katakombenmalerei  kommen  nur 
schmalgestreifte  Tuniken  vor  (tunicae  angusticlaviae),  nicht  so  sehr  als  das  Standes- 
abzeichen der  römischen  Ritter,  sondern  im  ursprünglichen,  nur  dekorativen  Gebrauch; 
auch  an  Noah,  Daniel,  Moses  und  dem  Guten  Hirten  sehen  wir  die  Streifen.  Seit 
dem  vierten  Jahrhundert  werden  sie  bei  Christus  und  den  Aposteln  breiter;  daneben 
erscheinen  kürzere,  aber  in  vermehrter  Zahl  (lora).  Seit  dem  dritten  Jahrhundert  kamen 
Borten  am  Hals,  unterem  Saum  und  Ärmeln  hinzu,  sowie  eingesetzte  runde  Purpurflecke 
(segmenta;  in  der  Archäologie  wurden  sie  eine  Zeitlang  irrig  calliculae  genannt,  das  sind 
aber  Schuhe,  nach  einigen  caligulae,  nach  anderen  galliculae).  Das  Pallium  erhielt  seit 
dem  dritten  Jahrhundert  viereckige  Segmente,  kurze  Streifen,  gleichschenkelige  Kreuze 
und  Henkelkreuze,  häufig  griechische  Buchstaben  oder  buchstabenähnliche  Ornamente. 
Die  Chlamys  bekommt  im  fünften  Jahrhundert  den  großen  viereckigen  Einsatz  (tabula 
xaßllov).  Im  vierten  Jahrhundert  treten  Schmucksachen  an  den  Frauen  auf,  Hals- 
ketten und  Ohrringe;  auch  die  breiten  Streifen  der  Frauendalmatika  werden  mit 
Stickereien  bedeckt  (Wilpert  Taf.  174). 

Fußbekleidung  fehlt  nur  bei  ganz  oder  annähernd  unbekleideten  Gestalten, 
außerdem  bei  bekleideten  in  frühen  Malereien,  die  nicht  alle  Einzelheiten  angeben. 
Wie  zur  Toga  der  Schuh,  so  gehörte  zum  Pallium  die  Sandale,  sie  bildet  daher  die 
Hauptfußtracht  in  der  Katakombenmalerei.  Die  Frauen  aber  tragen  Schuhe.  Eine 
Art  ausgeschnittenen  Halbschuh,  den  compagus,  tragen,  frühestens  um  600  gemalt, 
die  Bischöfe  am  Grabe  des  h.  Cornelius  und  ein  Heiliger  in  Ponzian  (Wilpert  Taf. 
256.  258). 

Bei  den  Männern  ist  die  Barttracht  zu  beachten.  Von  Alexander  dem  Großen 
bis  Trajan  herrschte  die  Sitte  des  Rasierens  vor.  Da  die  Anfänge  der  altchristlichen 
Kunst  bis  in  die  Zeit  der  flavischen  Kaiser  zurückreicht,  so  entsprach  es  dem  damals 
zwar  nicht  ausschließlich  aber  vorwiegend  geübten  Brauch,  wenn  in  den  Katakomben 
die  Männer  typisch  bartlos  gemalt  wurden.  Man  hat  nach  besonderen  Gründen  dieser 
Bartlosigkeit  gesucht.  Sie  eigne  den  Seligen  im  Himmel,  weil  da  die  Trauer  keinen 
Platz  habe,  der  Bart  aber  deute  Trauer  an.  Eher  könnte  sie  als  Zeichen  von  Jugend 
aufgefaßt  werden:  wie  die  Götter  im  Himmel  sich  ewiger  Jugend  erfreuen,  wie 
Herakles  bei  seinem  Eintritt  in  den  Himmel  mit  der  Jugend  selbst,  mit  Hebe,  sich 
vermählte,  so  könnte  die  Jugendlichkeit  der  Gestalten  auf  ihre  Seligkeit  deuten; 
Wilpert  denkt  bei  dem  bartlosen  Christus  an  die  „ewige  Jugend  des  Gottmenschen ". 
Nachdem  nun  in  der  Zeit,  da  man  sich  rasierte,  der  Typus  einmal  geschaffen  war, 
bedurfte  es  keiner  besonderen  kirchlichen  Autorität,  um  ihm  längere  Geltung  zu  ver- 
schaffen, vollends  wenn  ein  Nebengedanke  im  Spiele  war  von  der  Art  der  eben  er- 
wähnten. Ganz  ausschließlich  aber  hat  sich  die  Bartlosigkeit  nicht  behauptet.  Hadrian 
machte  den  Bart  wieder  hof-  und  gesellschaftsfähig,  und  seit  seiner  Zeit  treten  ver- 
einzelt auch  in  den  Katakomben  wieder  Bärtige  auf,  mit  dem  vierten  Jahrhundert 
werden  sie  häufiger;  von  einer  problematischen  Figur  abgesehen,  sind  es  von  Anfang 
an  würdigere  Personen,  die  im  Bartschmuck  erscheinen,  Moses,  Abraham,  Christus, 
einzelne  Apostel.   Darf  man  annehmen,  daß  auch  hier  die  Mode  den  Typus  begründete, 


System  und  Idee  der  Deckenmalerei.  151 

so  würde  der  Bart  während  des  zweiten  und  dritten  Jahrhunderts  seine  alte  Autorität 
so  weit  wieder  gewonnen  haben,  daß  sie  sich  auch  in  der  Zeit  des  wiedereingeführten 
Rasiermessers  behauptete;  denn  nach  einigen  vereinzelten  Vorläufern  erhob  Konstantin 
das  glatte  Kinn  neuerdings  zur  Regel,  nur  Julian  macht  eine  bedeutsame  Ausnahme 
(wenn  die  kapitolinische  Büste  mit  der  Inschrift  Janus  impeator  wirklich  den  Kaiser 
meinen  sollte,  so  hätte  der  Bildhauer,  der  ihn  zu  gestalten  hatte,  einen  bärtigen  Kopf 
des  fünften  Jahrhunderts  zugrunde  gelegt).1) 

An  den  Frauenköpfen  ist  die  Haartracht  nicht  immer  deutlich  charakterisiert; 
unverkennbar  aber  zeigen  die  Malereien  im  dritten  Jahrhundert  eine  damals  neue 
Frisur,  das  gescheitelte  Haar  hinter  den  Ohren  in  einem  tiefhängenden  Bogen  rück- 
wärts und  das  Ende  geflochten  auf  den  Scheitel  geführt  (vgl.  unsere  Abbildung  S.  140 
und  Wilpert  Taf.  61  und  weiterhin).  Gewelltes  Haar  ähnlich  der  Gemahlin  des 
Septimius  Severus  trägt  Dionysas  in  der  Malerei  unserer  Farbtafel  IV  (AVilpert 
Taf.  110f.)2) 

Der  Nimbus,  ein  den  Kopf  umgebender  Lichtschein  in  eine  Kreislinie  ein- 
geschlossen, ursprünglich  den  Lichtgöttern  eignend,  danach  freigebiger  ausgeteilt  (die 
Etrusker  gaben  ihn  gelegentlich  sogar  ihrem,  in  dem  gemeinten  Falle  recht  teufelhaft 
gezeichneten  Tod),  drang  auch  in  die  Katakombenmalerei  langsam  ein,  zuerst  an  heid- 
nischen Köpfen;  im  vierten  Jahrhundert  wurde  er  Attribut  des  Christus,  erst  gegen 
500  bekamen  die  „Heiligen"  den  Heiligenschein,  infolgedessen  der  Nimbus  des  Christus 
zum  Kreuznimbus  differenziert  wurde.3) 


System  und  Idee  der  Deckenmalerei. 

Einheitliche  Ausmalung  des  ganzen  Raumes  findet  sich  nur  in  Kammern.  Da 
ist  alsdann  zu  unterscheiden  zwischen  den  Decken  und  den  Wänden;  selbstverständlich 
wurden  die  Decken  immer  zuerst  gemalt,  danach  die  Wände.  In  vielen  Fällen  be- 
schränkt sich  die  Dekoration  der  Kammer  auf  die  Deckenmalerei;  nicht  immer  wurden 
die  Wände  im  ganzen  bemalt,  meist  nur  einzelne  Wandgräber  mit  ihrer  nächsten  Um- 
gebung. Das  ist  dann  Grabmalerei  im  engeren  Sinn,  solche  die  sich  auf  das  einzelne 
Grab  beschränkt. 

Soweit  nicht  Gräbertechnik  und  Totenkultus  eigene  Anordnungen  nötig  machen, 
wird  die  Gruft  gern  als  Haus  des  Toten  behandelt,  die  Ausschmückung  der  Grab- 
kammern, der  christlichen  wie  der  heidnischen,  schloß  sich  mit  Vorliebe  derjenigen 
des  Hauses  an. 

Zuerst  also  die  Decken.  Da  sind  verschiedene  Typen  zu  unterscheiden.  Voran 
stellen  wir  die  gewölbte  Decke  mit  Stuckverzierung;  hier  kommt  nur  das  Kreuz- 
gewölbe in  Betracht.     Entsprechend    dessen   Gliederung    ist   auch    die  Verzierung  ein- 


1)  Julian:  Heibig,  Führer  durch  die  röm.  Museen  2I  316  n.  82.  Bernoulli,  Rom.  Ikonographie 
II  III  247. 

2)  Frisur:  Bernoulli,  Röm.  Ikonogr.  II  III  1894.  138  Taf.  43  (Otacilia?),  Taf.  47  (Etruscilla?), 
Münztafel  IV  n.  3.  6.  7.  13. 

3)  Nimbus:  Stephani,  Nimbus  und  Strahlenkranz  (Acad.  Petersb.  m£m.  IX)  1859.  Dieterich, 
Nekyia  1893,  40 ff.  Etruskischer  Todesdämon:  Mon.  d.  instit.  IX  1870  Taf.  14b.  Vgl.  Kraus,  Gesch. 
d.  ehr.  Kunst  I  220. 


152  Die  Malereien  der  Katakomben. 

geteilt:  im  Zentrum  und  Zenith  des  Ganzen  zeichnet  sich  das  flache  Scheitelfeld  aus, 
daran  schließen  sich  nach  den  Wänden  hin  die  vier  Gewölbkappen;  zwischen  diesen 
Kappen,  mit  den  diagonalen  Gewölbgraten  zusammenfallend,  erstrecken  sich  nach  den 
Ecken  hin  vier  Zwickelfelder.  Die  Grenzen  der  Felder  sind  durch  Stuckleisten  oder 
durch  ornamentale  Linien  und  Bänder  bezeichnet;  figürliche  Darstellungen  füllen  die 
Felder  selbst.  Ein  gutes  Beispiel  ist  die  Decke  eines  heidnischen  Kammergrabes  an 
der  Via  Latina,  ausgeführt  im  späteren  zweiten  Jahrhundert  in  einer  Kombination 
von  Stuck  und  Malerei.  Im  Scheitelfeld  sieht  man  einen  auf  einem  Adler  Sitzenden, 
es  ist  Juppiter,  oder  der  Verstorbene  im  Typus  des  Gottes,  der  sonst  freilich  den 
Kaisern  vorbehalten  blieb;  es  scheint  damit  die  Himmelfahrt  des  Verstorbenen  irgend- 
wie angedeutet.  Die  vier  Kappenfelder  bringen  heroische  Szenen:  der  Tür  gegenüber 
das  Urteil  des  Paris,  dann  rechtsherum  die  Werbung  des  Admet  um  Alkestis,  Priamos 
die  Leiche  Hektors  auslösend,  Herakles  im  Kreis  von  Göttern  musizierend,  doch  wohl 
im  Olymp  —  mindestens  dies  Bild  deutet  auf  Seligkeit,  sinnvoll  scheinen  alle  vier 
gewählt.  Die  Grate  schmücken  jagende  Kentauren,  die  Zwischenräume  kleine  Land- 
schaften, ferner  Stilleben  mit  pickenden  Vögeln,  schwebende  und  tanzende  Gestalten, 
allerlei  Fabeltiere;  vor  den  Gratanfängen  stehen  die  vier  Jahreszeiten  als  Mädchen- 
figuren in  hohem  Relief.  —  Anders  die  Malerei  an  der  flachen  Decke  eines  pompej- 
anischen  Zimmers.  Dieser  Plafond  ist  leicht  aufgebaut,  ein  Netz  von  graziös  hin- 
geworfenen Linien  in  zentrierter  Anordnung.  Es  ist  die  Fortsetzung  der  leichten 
Strukturen,  wie  sie  im  obersten  Teil  der  Wände  gemalt  wurden;  das  wächst  an  die 
Decke  hinauf  und  fügt  sich  zu  einer  Art  luftiger  Laube,  gebildet  aus  Linien  und 
leichtesten  Zweigen  oder  Girlanden,  belebt  von  verschiedenen  Fabelwesen,  schweben- 
den Amoretten  und  flatternden  oder  an  Früchten  pickenden  Vögelchen.  —  In  einem 
Hause  auf  dem  Caelius  wurde  eine  Decke  gefunden,  die  Bellori  veröffentlicht  hat  und 
Wilpert  wiederholt.  Das  lineare  System  wird  hauptsächlich  durch  Blätterschnüre  ge- 
bildet. Im  runden  Scheitelfeld  halten  zwei  Putten  einen  Handspiegel,  in  den  Kappen- 
bildern sind  andere  Putten  in  vier  verschiedenen  Szenen  mit  Girlanden  beschäftigt: 
sie  pflücken  Blumen  in  einen  Korb,  sie  tragen  gefüllte  Körbe  fort,  winden  Girlanden 
und  verkaufen  sie.  In  den  vier  Ecken  stehen  nimbierte  Köpfe,  wohl  Jahreszeiten,  in 
Blattkelchen,  aus  denen  auch  die  systembildenden  Blattschnüre  hervorgehen.1) 

In  den  Katakomben  sind  die  Decken  im  allgemeinen  flach,  oder  auch  haben  sie 
die  Form  sehr  verflachter  Tonnengewölbe.  Formte  man  sie  im  Typus  des  Kreuz- 
gewölbes, so  vermied  man  auch  hier  starke  Wölbungen  und  scharfe  Grate,  letztere 
glich  man  nach  dem  Mittelfeld  zu  ab,  um  ihm  breiteren  Raum  zu  schaffen;  nur  im 
vierten  Jahrhundert  hat  man  einige  Male  die  Grate  in  voller  Schärfe  stehen  lassen 
(unsere  Abbildung  Seite  154).  Die  christlichen  Decken  sind  alle  gemalt;  daher,  und 
weil  die  Flachdecke  vorherrscht,  war  es  natürlich,  das  vorgeschilderte  Laubenmotiv 
zugrunde  zu  legen.  Weil  aber  die  Plafonds  tatsächlich  nicht  Balkendecken  sind, 
sondern  aus  dem  Fels  gebildet  und  zwar  oft  genug  in  Gewölbeform,  so  mußte  auch 
das  andere  Motiv  der  Stuckdecke  zur  Geltung  kommen,  dies  um  so  mehr,  als  im  ober- 
irdischen heidnischen  Grabbau  die  Wölbdecke  dominierte.      Aber    es    war   immer   nur 


*)    Via  Latina:    Petersen,    Annali    delP    instituto    1861,    190    zu   Mon.  VI  49.      Seemann, 
Kunsthistorische  Bilderbogen,  Farbtafel  7.     Ronczewski,  Gewölbeschmuck  im  röm.  Altertum  1903, 
29  Taf.  17.  18.    —    Pompeji:    Presuhn,    Pompejanische  Wanddekorationen  1877,  37   Taf.   13. 
Caelius:  Bellori,  Picturae  antiquae  64.     Wilpert,  Mal.  57  Fig.  2. 


System  und  Idee  der  Deckenmalerei.  153 

der  Typus  der  Stuckdecke,  nicht  wirklich  in  Stuck  ausgeführt,  sondern  in  Malerei 
imitiert,  vielmehr  bloß  als  Motiv  verwertet;  die  in  der  Stuckverzierung  beliebten 
starken  Rahmen  verflachen  in  der  Malerei  zu  trennenden  und  rahmenden  Bändern. 
Sehr  bald  sind  dann  beide  Motive,  des  stuckierten  Gewölbes  und  der  Laube,  auch 
miteinander  verwebt  worden.1) 

Wir  betrachten  zuerst  zwei  Plafonds  der  Katakomben  von  San  Giovanni  dei 
poveri  zu  Neapel,  beide  aus  der  Frühzeit,  dem  Anfang  des  zweiten  Jahrhunderts. 

Das  System  der  Decke  in  der  ersten  Katakombe  ist  ein  gemischtes:  ein  Netz 
von  konzentrischen  Kreisen  und  Radien,  die  Linien  aber  nicht  gebildet  aus  dünnen 
Stäben  und  feinen  Girlanden,  sondern  aus  Bändern,  die  sich  mannigfach  ver- 
schlingen; zwischen  eingestreut  und  eingespannt  sind  leichte  Zweige.  In  die  Eckfelder 
hat  man  Fruchtvasen  gestellt  von  Vögelchen  umflattert,  in  andere  Felder  allerlei  Getier, 
Vierfüßler,  Seewesen  und  Vögel;  im  innersten  Ring  (im  Scheitelfeld)  zwei  fliegende 
Vögelchen,  die  tragen  eine  Girlande  mit  den  Schnäbeln.  Da  ist  alles  und  alles 
antik  und  vom  Heidnischen  in  nichts  verschieden,  die  Vögelchen,  die  Seetiere,  die 
bacchischen  Böcke  und  Panther;  es  ist  nichts  spezifisch  Christliches  zu  finden;  so  daß 
man  schon  vermutet  hat,  ein  ursprünglich  heidnisches  Kammergrab  sei  nachträglich 
in  christlichen  Besitz  übergegangen. 

Nun  die  Decken  in  den  römischen  Katakomben.  Wir  nehmen  die  selteneren 
Reminiszenzen  an  Stuckdecken  vorweg;  sie  sind  kenntlich  an  den  die  Bildfelder  ein- 
rahmenden breiten  Bändern.  Es  fällt  hier  eine  Vorliebe  für  achteckige  Scheitelfelder 
auf;  die  acht  Nebenfelder  erscheinen  teils  differenziert  in  Kappen  und  Zwickel,  teils 
aber  gleichartig  gebildet,  in  Trapezform  oder  als  Lünetten;  als  ob  der  Typus  in  acht- 
seitigen Räumen  mit  Kloster-  oder  Kuppelgewölben  entstanden  und  von  dort  auf  die 
Katakombendecken  übertragen  sei.  In  einer  Decke  umringen  das  Zentralfeld  zehn 
Nebenfelder,  fünf  figurierte,  fünf  mit  Pfauen  aus  Ranken.  Es  muß  übrigens  bemerkt 
werden,  daß  diese  Decken  mit  breiten  Bildrahmen  von  den  leichter  gezeichneten  sich 
nicht  ganz  scharf  scheiden  lassen.2)  —  Der  Plafond  dagegen  aus  der  zweiten  Neapeler 
Katakombe  kombiniert  in  anderer  Weise  architektonische  Elemente  mit  dem  Lauben- 
motiv, da  gibt's  Ranken  und  Blumengewinde  mit  belebenden  Vögeln,  hier  und  da 
verteilten  Fruchtschalen  oder  hängenden  Trauben,  ferner  Seetieren,  den  bacchischen 
Panthern,  Böcken,  Masken  und  apollinischen  Greifen;  in  den  Ecken  des  Scheitelfeldes 
schweben  girlandentragende  Amorettenpaare  im  Wechsel  mit  ebenso  angeordneten 
Psychen  —  kaum  daß  ich  Bacchus  den  herrlichen  habe,  kommt  auch  schon  Amor, 
der  lächelnde  Knabe  - — ,  im  Zenith  aber  schwebt  Nike,  Viktoria,  mit  dem  Palmzweig, 
hier  der  Sieg  über  den  Tod;  in  die  Kappenfelder  endlich  sind  Stilleben  eingeordnet,  über 
jedem  aber  ein  spezifisch  christliches  Figurenbild,  diese  mithin  analog  den  heroischen 
Szenen  in  den  Kappenfeldern  des  Mausoleums  an  der  Via  Latina.  Übrigens  findet 
sich  auch  dort  eine  Viktoria  mit  Palmzeig  und  zwar  auch  an  hervorragender  Stelle, 
wenn  nicht  im  Scheitelbild,  so  doch  an  der  Fondwand,  auf  welche  der  Blick  des 
Eintretenden  zuerst  fällt.3) 


1)  Grate    stehen   gelassen    Wilpert   Taf.  168.  171.  210.      Zu    der    Banddekoration    vgl.  z.  B. 
Ronczewski,  Gewölbeschmuck  Taf.  24. 

2)  Wilpert    Taf.   55    (dazu    Garr.    Storia   II    Taf.  25,    unsere    Abbildung    S.    155)    131.   151. 
171.  196. 

3)  Neapel:    V.  Schultze,  Katakomben  von  San  Gennaro  Taf.  4.  5. 


154 


Die  Malereien  der  Katakomben. 


Decke  im  Coemeterium  maius.     Guter  Hirt,  Orans,  Jonas,  Moses,  Adam  und  Eva. 


Die  anderen,  aus  leichteren  Linien  nebst  eingewobenen  Zweigen  und  Blätter- 
schnüren,  laubenartig  konstruierten  Decken  bilden  das  Scheitelfeld  bald  viereckig, 
bald  rund  oder  auch  einmal  oktogon.  Sinnvoll,  in  unverkennbarer  Absicht,  zeichnen 
die  Linien  im  Scheitelfeld  ein  paarmal  ein  gleichschenkliges  Kreuz,  auf  dessen  Mitte 
das  Zenithbild  gelegt  ist,  Christus  als  Hirt;  wie  bemerkt,  wohl  das  früheste  Vor- 
kommen des  Kreuzes  in  der  christlichen  Kunst  (unsere  Farbtafel  III).1)  Die  Kappen- 
felder, trapez-  oder  halbkreisförmig,  dienen  zur  Aufnahme  figürlicher  Szenen.  Die 
Zwickel,  als  schmälere  und  höhere  Felder,  eignen  sich  mehr  für  Einzelfiguren,  wie 
Eroten,  Pfauen,  Oranten;  enger  mit  dem  Ornament  verbunden  erscheinen  diese  Figuren 
gern    auf    ornamentalen    Blumen    oder   symmetrischen  Rankengruppen    stehend.      Oft 


J)  Wilpert  Taf.  25.  38. 


System  und  Idee  der  Deckenmalerei. 


155 


Decke  in  Domitilla.     Orpheus,  Daniel,  Lazarus,  David,  Moses. 

bleibt   noch    ein   Eckstück    unter  jeder  Zwickelfigur   übrig,    das  mit  einem  Vögelchen 
gefüllt  ist,  später  einem  Schaf  oder  anderem  Tier. 

Als  Embleme  zeigen  die  frühesten  Decken,  Wilpert  Taf.  2.  3.  4,  Eroten  und 
Vögelchen,  Blumen  und  Fruchtvasen;  9  tritt  Christus  als  Hirt  in  die  zentrale  Stelle, 
der  Pfau  in  Nebenräume,  24.  25  (unsere  Farbtafel  III)  erscheinen  Gestalten  von 
Seligen,  55  und  56  figürliche  Szenen.  Taf.  61  bringt  das  Normalsystem:  zentral  der 
Hirt,  in  den  vier  Kappenfeldern  Jonasszenen,  in  den  Zwickeln  Oranten,  zwei  männliche 
diagonal  sich  gegenüber  und  weibliche  auf  den  zwei  andern  Graten.  Mehr  ausnahms- 
weise treten  72  die  Oranten  in  die  Kappen,  Tauben  rücken  dafür  wieder  in  die  Zwickel 
vor.  Taf.  75  nimmt  der  thronende  Christus  die  Zenithstelle  ein,  in  den  Nebenfeldern 
kehren  die  Seligen  wieder,  acht  wie  auf  Taf.  24,  die  Hälfte  in  Tunika,  die  Hälfte  im 
Mantel,  erstere  nun  aber  zwischen  je  zwei  Schafen.  Kleinere  Decken  begnügen  sich 
mit  einem  abgekürzten  System,  in  zunehmend  flüchtiger  bis  zu  roher  Ausführung.1) 


»)  Wilpert  Taf.  35.  37.  56.  67.  128.  221. 


156  Die  Malereien  der  Katakomben. 

Mehrere  Decken  nehmen  eine  Sonderstellung  ein,  wir  werden  sie  geeigneten 
Ortes  besprechen  (die  Heben  der  Flaviergalerie  und  der  Cappella  greca,  die  Wölb- 
decke der  Cappella  quadrata,  die  Decke  des  Cubiculum  Oceani).  Im  ganzen  sind 
vierzig  Decken  in  Wilperts  Malereien  wiedergegeben,  außerdem  sehe  man  seine 
Monographien   „Fractio  panis"   und  „Cyklus  christologischer  Gemälde"  nach. 

Die  Decke,  welche  sich  über  dem  Räume  spannt  oder  wölbt,  ist  der  Himmel. 
Diese  naheliegende  Idee  hatten  schon  die  alten  Ägypter  ihren  Plafondmalereien  zu- 
grunde gelegt;  sie  belebten  das  blaue  Feld  mit  Sternen  oder  schwebenden  Vögeln. 
In  der  klassischen  dekorativen  Malerei  wurde  die  Decke  licht  gehalten,  wir  sahen  ihr 
Liniensystem  leicht  aufgebaut,  von  Zweigen,  Blätterschnüren,  Kränzen  durchflochten, 
eine  Art  Laube,  Vögel  flattern,  Eroten  und  Psychen  schweben  darin.  Wenn  in  deren 
Stellen  dann  die  christlichen  Gestalten  treten,  die  Seligen,  und  in  den  höchsten  Kreis 
der  erhöhte  Christus,  so  schaut,  wer  in  der  Kammer  steht,  unmittelbar  in  den  Himmel 
der  Christen  hinein.1) 


System  der  Wandverzierung.    Ausblicke. 

Sodann  die  Wände.  Architektonische  Gestaltung  der  christlichen  Grabkammern 
kam  erst  unter  Diocletian  auf;  es  handelt  sich  hauptsächlich  um  Dreiviertelsäulen  als 
Stützen  von  Gewölben  und  Bögen,  man  schnitt  sie  aus  dem  gewachsenen  Tuff,  verputzte 
und  tünchte  sie.  Solche  Säulen  kamen  als  scheinbare  Träger  der  Wölbdecke  in  die 
vier  Ecken  des  Raumes  zu  stehen;  in  Doppelkammern,  den  sogenannten  Katakomben- 
kirchen, tragen  zwei  sich  gegenüberstehende  Dreiviertelsäulen  den  trennenden  Gurt- 
bogen. Auch  die  vorderen  Kanten  der  Arkosoliennische  wurden  bisweilen  als  Drei- 
viertelsäulen  ausgearbeitet,    wo    sie   dann  wieder  als  Stützen  des  Bogens  erscheinen.2) 

Soweit  die  Kammern  sonst  als  solche  Verzierung  erhielten,  war  diese  gemalt, 
im  Sinne  der  in  der  Kaiserzeit  üblichen  Wanddekoration.  Die  Wandverzierung  der 
Innenräume  war  von  Haus  aus  textil;  im  Keime,  dem  Zelt  oder  der  geflochtenen 
Hütte,  war  der  textile  Charakter  schon  in  der  Struktur  gegeben,  und  auch  die  ge- 
mauerte Wand  behängte  man  mit  Teppichen  (eigentlichen  Tapeten,  noch  nicht  mit 
papierenen  Surrogaten).  Trat  dafür  Wandbemalung  oder  Reliefschmuck  ein,  so  blieb 
man  formal  beim  textilen  Motiv,  in  welchem  ja  auch  Figürliches  mit  eingeschlossen 
war;  dahin  gehört  die  altägyptische  und  babylonische  Wandverzierung,  wie  auch  die  der 
kretisch-mykenischen  Kultur  in  Griechenland.  Auf  dieser  Basis  entwickelte  sich 
sodann  die  klassisch-griechische  Wandmalerei,  gipfelnd  in  Polygnot.  Wie  aber  Agatharch 
das  Haus  des  Alkibiades  ausgemalt  hat,  ob  noch  im  Teppichstil  oder  bereits  im 
architektonischen,  das  wissen  wir  nicht;  letzteres    hätte    gerade    dem    Agatharch    nahe 


1)  Ägypter:    Prisse,    Histoire    de   l'art   egypt.    I    Taf.  35.      Borchardt,    Ägypt.    Zeitschrift 
1897,  54. 

2)  Doppelkammer  im  Coem.  maius    (sog.  Ostrianum) :    Marchi  Taf.  35.     Kraus,  Gesch.  I  260 
Fig.  205.     Marucchi,  Guide  276. 

Eegio  XII:    de  Eossi,    R.  S.  III  232  m.  Bild;    258;    269  (Datierung  aus  Inschriften);    Plan 
Taf.  42/45. 

Grab  des  Fossor  Diogenes  Wilpert  Taf.  180. 
Böttchergruft:    eb.  Taf.  202.     Orpheusarcosol  Taf.  229. 


System  der  Wandverzierung.     Ausblicke.  157 

liegen  müssen,  den  wir  als  den  ersten  Theatermaler  kennen:  er  hatte  dem  Äschylus 
die  Szene  gemalt.  Das  war  also  der  Hintergrund  für  das  Spiel,  Architektur,  nach 
Umständen  weniger  oder  mehr  Landschaft.  Wenn  Agatharch,  erfüllt  von  dieser  neuen, 
reichen  Aufgabe,  seine  Skenographie  der  Innendekoration  zugrunde  legte,  so  hat  diese 
schon  im  fünften  Jahrhundert  architektonischen  Charakter  erhalten  bei  fortdauernder 
Ausführung  in  Flächenmalerei.  Eine  neue  Befruchtung  aber  erfuhr  der  architektonische 
Stil  im  vierten  Jahrhundert  von  Seiten  des  Palastbaues  selbst.  Schon  in  der  kretisch- 
my kenischen  Zeit,  derselben,  die  im  künstlerischen  Bilde  der  „  Heroenzeit "  verklärt  ward, 
spielte  die  Säule  eine  wichtige  Rolle,  in  den  Hallen,  um  den  Hof  wie  im  Innern  des 
Megaron.  Dann,  in  der  frühklassischen  Zeit,  zeigen  attische  Vasenbilder  und  bemalte 
Terrakottatafeln  die  Vorhallen  und  Säulenhöfe  der  Aristokratenhäuser;  das  Peristyl 
eines  solchen  gibt  die  Szenerie  ab  für  Piatons  Dialog  Protagoras.  Ein  neuer  Ton 
aber  wurde  im  Palastbau  jetzt  angeschlagen  durch  Verbindung  materieller  Pracht  mit 
griechischem  Geist,  griechischer  Form,  auf  der  Schwelle  von  Griechenland  und  Asien; 
König  Maussolos  von  Halikarnass  schmückte  seinen  Palast,  der  nach  uraltem  Her- 
kommen als  Ziegelrohbau  aufgeführt  war,  auf  das  kostbarste;  die  Wandflächen  wurden 
mit  spiegelndem  Marmorstuck  verkleidet,  alle  Zierglieder,  also  wohl  Säulen,  Pilaster, 
Gebälk,  aus  prokonnesischem  Marmor  hergestellt.  Architektonisch  gegliedert  waren 
wohl  auch  die  Wandflächen;  ob  der  Stuck  durchweg  ein  und  dieselbe  Marmorart 
nachahmte,  etwa  auch  den  prokonnesischen,  oder  ein  Getäfel  aus  verschiedenfarbigen 
Marmorplatten,  das  muß  dahingestellt  bleiben.  Kein  Zweifel  aber,  daß  dies  neue 
System,  immer  reicher  sich  entwickelnd,  auch  den  Stuck  nach  Laune  durch  echten 
Marmor  ersetzend,  dasjenige  der  Diadochen  und  der  späteren  Fürsten  wurde.  Und 
so  stehen  wir  vor  der  hellenistisch-römischen  Wandverzierung.1) 

Die  Tapezierkunst  hat  gerade  in  der  frühhellenistischen  Zeit  ihre  genialsten 
Schöpfungen  hervorgebracht  in  den  Prachtzelten  Alexanders  und  des  Ptolemäos 
Philadelphos;  das  hätte  sie  aber  nicht  vermocht,  wenn  sie  nicht  in  den  Palästen  und 
Tempeln  beschäftigt  und  geübt  worden  wäre.  Und  wir  dürfen  voraussetzen,  daß 
der  textile  Stil  auch  aus  der  Wandmalerei  nie  ganz  verschwand:  in  der  Tat  finden 
sich  einzelne  pompejanische  Wände  sogar  mit  richtigen  Tapetenmustern  bemalt.  Doch 
der  architektonische  Stil  herrschte  weitaus,  in  der  Hauptsache  ausschließlich.  Ein 
wichtiges  Denkmal  aus  der  Diadochenzeit  ist  die  oben  Seite  105  erwähnte  Gruft  zu 
Sidi-Gaber  bei  Alexandria,  bestehend  aus  Saal  und  Kammer.  Hier  finden  sich  bereits 
die  Elemente  der  typischen  Wandtetfung,  Sockel,  Mittelwand,  Oberwand.  Im  Sockel 
tritt  schon  das  abhebende  Schwarz  auf;  daneben  aber  erscheinen  geäderte  Marmor- 
tafeln in  Malerei  nachgeahmt,  also  das  Motiv  aus  dem  halikarnasischen  Palast.  Die 
Mittelwand  ist  kräftig  rot,  die  Oberwand  dagegen  lichtblau  getönt  wie  der  Himmel; 
die  Kammer  ist  geradezu  wie  eine  Art  Laube  oder  Veranda  behandelt,  zwischen  Eck- 
pfeilern, und  wie  von  einem  Epistyl  hängend  schweben  gebänderte  Girlanden  in  der 
blauen  Luft.  Neben  die  Malerei  aber  stellen  sich  plastisch  gebildete  Architektur- 
formen: der  Sturz  des  breiten  Durchgangs  vom  Vorsaal  zur  Kammer  ruht  auf  dorischen 
Dreiviertelsäulen,  und  die  Mittelwand  ist  durch  eine  profilierte  plastische  Leiste  abge- 


*)  Agatharch:  Studniczka,  Tropaeum  Trajani  67.  —  Maussolos:  Vitruv  118,  10.  Plinius 
gibt  statt  dessen  Marmortäfelung  an;  man  sollte  allerdings  meinen,  daß  diese  der  Stuckimitation 
vorangegangen  wäre. 


158  J^e  Malereien  der  Katakomben. 

schlössen.  Das  Verfahren  der  plastischen  Darstellung  von  Architekturformen  in  Stuck 
als  Surrogat  für  Marmor,  und  zwar  für  die  ganze  Wanddekoration,  hat  sich  im  Laufe 
des  dritten  Jahrhunderts  die  allgemeine  Gunst  erobert,  Proben  erhielten  sich  in 
Pergamon  und  Pompeji  (Maus  „erster  Stil").1) 

Das  erste  Jahrhundert  vor  Christus  aber  kehrte  zur  Flächenmalerei  zurück,  blieb 
jedoch  bei  den  architektonischen  Motiven  (zweiter  bis  vierter  Stil).  Als  ob  man  nicht 
im  engen,  dunklen  Zimmer  sich  befinde,  sondern  in  einem  weiten,  lichten  Hof;  wenn 
es  auch  nur  eine  Art  Anpassung  des  Hoftyps  auf  das  Zimmer  war.  Die  Wand  erhielt 
unten  einen  Sockel  und  in  Zweidrittelhöhe  ein  Gesims  (an  Stelle  des  alten  Wandbortes); 
auf  dem  Gesims  ließ  man  Vögel  sich  niederlassen,  dekorative  Geräte  oder  Figuren 
wie  von  freier  Luft  sich  abheben,  oder  es  ragen  Baulichkeiten  hinter  dem  Gesims  in 
die  Luft,  alles  nur  leicht  hingemalt.  Pilaster  oder  Halbsäulen  zerlegten  die  Wandfläche 
in  Felder,  umlaufende  Hallen  wurden  dem  Auge  vorgetäuscht,  man  steht  wie  inmitten 
eines  Peristyls.  Hauptprinzip  dieser  Architekturmalerei  war  scheinbare  Erweiterung 
des  Raumes  und  Auflösung,  Belebung  der  Flächen.  Man  ordnete  Durchblicke  an  wie 
ins  Freie  draußen,  als  ob  man  durch  Fenster  in  freie  Natur  hinausblicke,  in  lichte 
Auen  oder  schattige  Haine  mit  Bächen  und  Brücken,  besetzt  mit  ländlichen  Heilig- 
tümern. Da  ist  auch  Staffage,  Enten  im  Bach,  Hirsche  im  Wald  oder  grasende  Kühe, 
weidende  Schafe;  auch  Menschen  treten  auf,  Hirten  und  Jäger,  oder  bedeutsamere 
Personen,  Heroen  und  Götter,  beliebte  Szenen  aus  der  Helden-  und  Göttersage  werden 
vorgeführt.  Das  ist  der  Ort,  der  Ursprung  und  der  Sinn  der  berühmten  pompeja- 
nischen  Wandgemälde.  Wie  sehr  man  im  Altertum  Ausblicke  aus  dem  Zimmer  ins 
Freie  zu  schätzen  wußte,  lehrt  außer  einigen  glücklichen  Fensteranlagen  in  erhaltenen 
Häusern  eine  Stelle  des  Vitruv,  wo  er  den  „Kyzikenischen  Saal"  beschreibt;  er  faßte 
zwei  Triklinien  und  gab  Ausblick  nach  drei  Seiten,  durch  die  Flügeltür  in  der  Front 
und  durch  zweiflügelige  Fenster  links  und  rechts,  so  daß  man,  sagt  Vitruv,  von  den 
Lagern  aus  durch  die  Fensteröffnungen  ins  Grüne  blickte.  Die  vorgeschilderten 
Scheinfenster  freilich  konnten  die  Idee  weder  ganz  rein  herausbringen  noch  auf  die 
Dauer  rein  festhalten;  die  architektonisch  gedachten  Fensterumrahmungen  flauten  zu 
rahmenden  Ornamenten  ab.  Die  Maler  der  Füllungen  lernten  früh  mit  Reminiszenzen 
an  bekannte  Gemälde  arbeiten;  mit  dem  Erinnerungsbild  an  Tafelgemälde  mischte  sich 
dann  leicht  das  an  Tischlerrahmen  ein,  und  so  entstanden  allerlei  Zwitter  zwischen 
Fensteridee  und  Tafelbildidee.     Schließlich  blieb  dekorative  Wirkung  der  Endzweck.2) 


x)  Prachtzelte:  v.  Sybel,  Weltgesch.  d.  Kunst  1903,  320.  Studniczka,  Tropaeum  Trajani 
1904,  62,  137.  Sidi-Gaber:  H.  Thiersch,  zwei  antike  Grabanlagen  bei  Alexandria  1904.  Pompeji: 
Mau,  Gesch.  d.  dekorat.  Wandmalerei  zu  Pompeji  1882;  ders.  Pompeji  1900,  446. 

2)  Durchblicke:  v.  Sybel,  Weltgesch.  d.  Kunst  1888,  364;  dass.  1903,  397  Taf.  3,  Petersen, 
Eöm.  Mitt.  1894,  217,  2;  1903,  87;  1904,  157,  Eobert,  Votivgemälde  eines  Apobaten  1895,  6 
gegen  Mau,  Geschichte  169;  Eöm.  Mitt.  1902,  178.  222,  Heibig,  Führer  durch  die  Sammlungen 
Eoms  II  1899,  222.  Das  Schattieren  der  in  der  Wirklichkeit  belichteten  Fensterbänke  und  Lai- 
bungen hat  nur  malerischen  Zweck,  es  soll  den  Eahmen  von  der  lichtem  Fernsicht  lösen.  Daß 
die  vortretenden  Säulen  auf  Sockeln  stehen,  daß  die  Hallen  unten  weniger  scheinbare  Tiefe  haben 
als  oben,  daß  die  vorkommenden  Wandöffnungen  unterwärts  geschlossen  werden,  dient  alles  der 
Illusion;  auch  bei  den  Theaterkulissen  ist  die  untere  Partie  der  schwache  Punkt.  Das  Hineinmalen 
von  Kassetten  unter  dem  Prostasisgebälk  soll  der  Prostasis  Tiefe  geben;  sie  setzen  ganz  natürlich 
unter  dem  Gebälk  ein,  ungeachtet  des  Widerspruchs  zum  Fenster.  Diese  Spiele  der  Phantasie 
muß  man  nicht  pressen;  es  genügt,  daß  sie  wirken.  —   Oecus  cyzicenus:  Vitruv  VI  6. 


Das  Paradies.    Adam  und  Eva.  159 

Leider  besitzen  wir  nicht  viele  Innendekorationen  heidnischer  Mausoleen  der 
Kaiserzeit;  das  wenige  Erhaltene,  wie  die  Gräber  an  der  Via  Latina,  oder  auch  die 
Columbarien,  zeigt,  daß  die  Dekoration  mit  derjenigen  der  Häuser  übereinstimmte, 
soweit  eben  nicht  die  Erfordernisse  der  jeweiligen  Grabanlage  Abweichungen  nötig 
machten.  Dasselbe  gilt  für  die  Katakomben.  Öfter  bemerkt  man  einen  Sockel,  dessen 
Dekor  Inkrustiernng  mit  umrahmten  Marmortafeln  nachahmt;  nicht  ganz  so  oft  findet 
sich  architektonische  Gliederung  der  Mittelwand  meist  im  typischen  Dreifelderschema 
mit  Zwischenfeldern  in  schmalem  Hochformat,  öfter  wiederum  die  stilgemäße  Anord- 
nung der  Oberwand.  In  der  Capella  greca  ist  die  nicht  hohe,  gerade  Wand  in  der 
Weise  der  Sockel  mit  marmorierten  Tafeln  in  Rahmen  bemalt,  die  unmittelbar  darüber 
aufsetzenden  Bögen  tragen  reiche  Ranken,  das  übrige  hat  figürliche  Darstellungen. 
Am  vollständigsten  und  durchgebildesten  erscheint  die  architektonische  Wandverzierung 
im  Cubiculum  Ampliati:  über  einem  leergelassenen  unteren  Sockel  die  Zone  der  einge- 
rahmten Tafeln,  darüber  die  Hauptzone,  drei  Tierstücke  in  Rahmen,  getrennt  durch 
die  charakteristische  Säulenarchitektur  in  schmalem  Hochformat;  auf  den  Gebälken 
ruht  ein  durchlaufender  Kassettenstreif.  In  der  „  Bäckergruft"  ist  am  Sockel  künstliches 
opus  sectile  nachgeahmt.  Meist  begnügt  man  sich  mit  Andeutung  der  Disposition  in 
linearem  Schema.  In  Kammern,  deren  Wände  mit  Fachgräbern  besetzt  sind,  ist  der 
schmale  Wandstreifen  zwischen  den  Gräbern  einer  Wand  und  der  nächsten  Kammer- 
ecke ein  paarmal  mit  einem  hohen  Kandelaber  verziert,  dergleichen  auch  in  der 
pompejanischen  Wanddekoration  zur  Verzierung  der  schmalen  Zwischenfelder  eine 
Rolle  spielen;  sonst  stehen  nur  die  Oberwände  über  den  je  obersten  Fachgräbern  und 
die  Eingangswände  für  die  typische  Verzierung  offen.1) 

Jene  fensterartig  ausgebildeten  Durchblicke  täuschten  dem  Auge  Ausblicke  aus 
dem  Zimmer  ins  Freie  vor.  Auch  nachdem  die  ursprünglich  architektonisch  gemeinten 
Fensterumrahmungen  zu  rahmenden  Ornamenten  eingetrocknet  waren,  und  wenn  die 
ganze,  nun  abgeblaßte  Fensteridee  der  Nachahmung  eines  in  die  Wand  eingesetzten 
Tafelbildes  gewichen  war,  blieb  es  inhaltlich  und  dem  Gehalte  nach  für  den  immer 
sentimentalen  Beschauer  ein  Ausblick,  sei  es  auf  heitere,  ländliche  Natur  oder  auf 
dramatische  Szenen  des  tragischen  Stils.  Das  ist  ja  der  Zweck  alles  bedeutenden 
AVandschmuckes,  über  seine  dekorative  Absicht  hinaus  mittels  der  ästhetischen  Wirkung 
das  Gemüt  zu  interessieren,  ihm  eben  Ausblicke  zu  geben.  So  sind  denn  auch  die 
figürlichen  Gemälde  in  den  Katakomben  zu  verstehen,  als  bedeutende  Ausblicke  in 
das  Reich  der  christlichen  Hoffnung,  vielmehr  der  christlichen  Gewißheit,  durch  den 
Christus  selig,  des  himmlischen  Paradieses  teilhaftig  zu  werden. 


Das  Paradies.    Adam  und  Eva. 

Neben  den  Wanddekorationen  des  eigentlich  architektonischen  Stils  gab  es  noch 
andere,  die  dem  Auge  freiere  Natur  vortäuschten;  die  ganze  Wandfläche  stellt  einen 
Park  vor,  allerdings  in  dem  gebundenen,  selbst  auch  architektonischen  Stil  der  klassischen 


*)  Capella  greca:  Wilpert,  Fractio  Taf.  2.  3;  ders.  Malereien  Taf.  13.  Cub.  Ampliati:  Wilpert, 
Taf.  30,  31,  1.  Bäckergruft  Taf.  194 f.  Lineares  Schema  Taf.  10,  44,  54,  74.  Eingangswände:  de 
Rossi,  Roma  sott.  I  Taf.  9  (Wilpert  Taf.  24),  14.  Wilpert  Taf.  59,  69,  93,  98,  101.  Kandelaber 
Taf.  97.  101.  102,  1. 


Iqq  Die  Malereien  der  Katakomben. 

Gartenkunst,  wie  er  von  den  Ägyptern  und  Babyloniern  bis  zu  Louis  XIV.  und  darüber 
hinaus  geherrscht  hat. 

Von  altersher  war  es  Brauch  der  orientalischen  Könige  und  Großkönige  gewesen, 
Parks  zu  halten,  bewässerte  und  schattige  Haine,  zum  angenehmen  Aufenthalt  in  der 
heißen  Jahreszeit,  dabei  ausgedehnt  und  wildreich,  so  daß  sie  auch  zum  Abhalten  der 
Königsjagden  dienten.  Auf  bescheidenerem  Fuße  dürfen  wir  sie  schon  bei  den  Herren 
der  altchaldäischen  Städte  voraussetzen,  auf  größerem  bei  einem  Könige  wie  Hammurabi, 
der  ganz  Babylonien  in  seiner  Hand  vereinigte  (um  2250).  Das  altbabylonische  Epos 
von  Izdubar  (Gilgames)  schildert  den  Palast  des  elamitischen  Tyrannen  Chumbaba  in 
der  Stadt  Erech  als  in  einem  von  einer  Mauer  umschlossenen  „Walde"  gelegen  voll 
lieblicher,  schattiger,  hochgewachsener  Bäume,  namentlich  Zypressen  und  Zedern. 
Bezeugt  sind  die  Parks  für  Assyrien  und  zwar  für  dessen  Frühzeit,  welche  erst  durch 
die  neuesten  Ausgrabungen  sich  aufzuhellen  beginnt.  Aus  der  großen  Inschrift 
Tiglatpiteser  I.  (noch  vor  1100)  geht  hervor,  daß  das  Anpflanzen  von  Parks  (hiru) 
altherkömmliche  Königssitte  war;  denn  so  spricht  der  König:  „Zedern,  Buchsbäume  (?) 
und  .  .  .  bäume  aus  den  Ländern,  die  ich  unterworfen  hatte,  diese  Bäume,  die  keiner 
von  den  früheren  Königen,  meinen  Vätern,  gepflanzt  hatte,  nahm  ich  und  pflanzte  ich 
in  den  Parks  meines  Landes  ein  ..."  Das  Herübernehmen  und  Akklimatisieren 
fremdländischer  Pflanzen,  welches  zuerst  im  sechzehnten  Jahrhundert  vor  Chr.  in  den 
Berichten  der  ägyptischen  Königin  Hatschepsowet  erscheint  und  welches  so  bezeich- 
nend ist  für  die  Bedeutung  der  königlichen  Gärten,  begegnet  in  Vorderasien  in 
Tiglatpilesers  Inschrift  zum  erstenmal.  Derselbe  König  hat  allerlei  jagdbare  Tiere 
nach  seiner  Hauptstadt  bringen  und  dort  züchten  lassen.  Sanherib  berichtet  über 
Arbeiten  in  seinem  Palastgarten,  über  dessen  Bewässerung  und  über  Anpflanzung 
fremder  Gewächse;  auch  Asarhaddon  spricht  von  seinem  großen  Schloßpark.  Für  die 
jünger  assyrischen  Großkönige  sind  die  Parks  monumental  bezeugt  durch  die  Wand- 
reliefs ihrer  Paläste,  insbesondere  des  Assurbanipal;  da  sehen  wir  in  Bildern  sowohl 
die  Jagden  auf  Löwen  und  auf  Rehe  (das  weite  und  offene  Gelände  könnte  darauf 
hindeuten,  daß  letztere  Jagden  außerhalb  des  Parkes  zu  denken  seien;  eher  aber 
sind  die  Wildparks  als  freie  Natur  zu  denken,  wie  ähnlich  heutzutage)  wie  auch  das 
Siegermahl  unter  der  Bebenlaube  in  einem  Hain  von  Palmen  und  Zedern.  Die  Gärten 
der  babylonisch-assyrischen  Könige  übernahmen  ihre  Erben,  die  Meder  und  Perser 
(bei  diesen  finden  wir  sie  in  den  Händen  der  Könige,  der  Prinzen  und  der  Satrapen), 
und  von  den  Persern  wieder  Alexander  der  Große  und  seine  Nachfolger.  Von  den 
hellenistischen  Königen  aber  kamen  sie  an  die  letzten  Herren  der  alten  Welt,  die 
Römer,  welche    die  transeuphratischen   Gebiete  freilich   den  Parthern  lassen  mußten.1) 

Nach  dem  Bilde  der  Königsgärten  ist  nun  auch  der  Garten  in  Eden  gedichtet. 
Der  jahwistische  Schriftsteller,  welcher  gegen  800  vor  Chr.  die  Urgeschichte  im  Sinne 


*)  Hesych  v.  nccQÜdeiooq.  —  r]  xönoq  evvÖQoq,  tv  w  TCeQinaxoq.  xal  tf  ßaoikeojq  xaräkvaiq.  — 
Parks  des  Chumbaba,  des  Tiglatpileser,  Sanberib  und  Assarhaddon:  Friedrich  Delitzsch,  Wo  lag 
das  Paradies?  Seite  96  f.  Die  angeführte  Stelle  aus  der  Prismainschrift  Tiglatpileser  I  nach  Jensen. 
Assyrische  Reliefs  (teils  nach  Stickereien  oder  Wirkereien)  bei  Layard,  Mon.  of  Niniveh  I  Taf.  10. 
31.  49  (Löwenjagden),  11.  32.  48,  6  (Stierjagden),  II  Taf.  32  (Gazellen-  und  Hasenjagd  im  Hain), 
I  Taf.  12  (König  trinkt  bei  der  Strecke  nach  Stierjagd),  5  (König  sitzt  und  trinkt).  Proben 
nach  Photographie  bei  v.  Sybel,  Weltgesch.  d.  Kunst2  1903,  86  (Jagdhunde  im  Park  geführt), 
94  (Sardanapals  Gelage  im  Park). 


Das  Paradies.    Adam  und  Eva.  161 

des  Israelitismus  gestaltete,  stellt  die  Erschaffung  des  Menschen  gleich  hinter  die  der 
Erde  und  des  Himmels.  »Am  Tage,  da  Jahwe  Erde  und  Himmel  machte 
von  Sträuchern  des  Feldes  gab  es  noch  nichts  auf  Erden,  und  von  dem  Kraut  des 
Feldes  war  noch  nichts  gesprossen,  weil  Jahwe  nicht  auf  die  Erde  hatte  regnen  lassen 
und  kein  Mensch  da  war,  den  Erdboden  zu  bebauen:  nur  ein  Nebel  stieg  von  der 
Erde  auf  und  durchfeuchtete  die  ganze  Fläche  des  Erdbodens  —  da  bildete  Jahwe 
den  Menschen  aus  Erde  vom  Erdboden  und  blies  den  Lebensodem  in  seine  Nase,  und 
so  ward  der  Mensch  zum  lebenden  Wesen"  (Genesis  2,  4  b  bis  7).  „Und  Jahwe,"  so 
geht  die  Erzählung  weiter,  „pflanzte  einen  Garten  in  Eden  (gen  Eden)  fern  im  Osten 
und  setzte  darein  den  Menschen,  den  er  gebildet  hatte.  Und  Jahwe  ließ  aus  dem 
Erdboden  hervorsprossen  allerlei  Bäume,  schön  zum  Ansehen  und  gut  zum  Essen,  und 
mitten  im  Garten  den  Baum  der  Erkenntnis  des  Guten  und  Bösen"  (2,  8 — 9).  Von 
den  Früchten  dieses  Baumes  soll  der  Mensch  nicht  essen.  Dann  folgt  die  Erschaffung 
der  Tiere,  dem  Menschen  zur  Gesellschaft;  Jahwe  bringt  sie  zum  Menschen  (also  in 
den  Garten),  daß  er  ihnen  Namen  gebe.  „Aber  der  Mensch  fand  keine  Gesellschaft, 
die  zu  ihm  paßte"  (20  b),  da  schuf  ihm  Gott  das  Weib,  und  es  folgt  der  Sündenfall 
und  die  Vertreibung  aus  dem  Garten. 

Jüngere  Redaktionen  der  Geschichte  haben  allerlei  eingefügt,  so  zur  Beschreibung 
des  Gartens  den  Strom,  der  ihn  bewässert  und  der  sich  weiterhin  in  vier  Flüsse  teilt 
als  welche  außer  den  uns  unbekannten  Pison  und  Gihon  der  Tigris  und  der  Euphrat 
genannt  werden  (Hiddekel  und  Phrath  10 — 14).  So  sind  denn  die  wesentlichen 
Elemente  eines  Paradeisos  vorhanden,  der  Baumgarten  (für  die  Bewässerung  wird 
Sorge  getragen),  die  Tiere  und  der  im  Garten  lebende  Mensch;  nur  ein  Wohnhaus  ist 
nicht  genannt,  weil  der  neugeschaffene  Mensch  noch  keins  hatte.  Aber  es  fehlt  nicht 
die  wesentliche  Annehmlichkeit,  die  der  Park,  abgesehen  von  den  Baumfrüchten,  bietet, 
die  Erquickung;  es  wird  zwar  nicht  vom  Menschen  gesagt,  aber  in  naiv  anthropo- 
morpher  und  anthropopathischer  Gottesvorstellung  von  Gott  selbst,  daß  er  in  der  Abend- 
kühle im  Garten  lustwandelte  (3,  8).1) 

Für  die  Parks  und  Tiergärten  der  Orientalen  gebrauchten  die  Griechen  das 
Lehnwort  paradeisos.  Das  Originalwort  kommt  in  persischen  Inschriften  nicht  vor, 
nur  im  Awesta  in  der  Form  pa'ridaeza.  Für  das  Lehnwort  ist  Xenophon  der  früheste 
Zeuge,  er  scheint  es  vom  Zug  der  Zehntausend  heimgebracht  und  in  die  griechische 
Literatur  eingeführt  zu  haben.  Dann  griffen  die  Komiker  es  auf;  den  alten  Erklärern 
zu  glauben,  wäre  das  Wort  von  einem  stumpfsinnigen  Menschen  gebraucht  worden, 
der  auf  sich  herumtreten  läßt  (etwa  wie  der  Weg?  die  Griechen  scheinen  den  Para- 
deisos zum  Teil  wesentlich  als  Ort  zum  Lustwandeln  aufgefaßt  zu  haben).  In  der 
hellenistischen  Zeit  fand  das  persische  Wort  im  Hebräischen  Aufnahme,  in  der 
Form  pardes.2) 


*)  Nach  Karl  Budde,  Die  biblische  Urgeschichte  1883.  Was  die  Lage  des  Paradieses  nach 
der  Vorstellung  des  Jahwisten  betrifft,  so  läßt  sich  Eden  nicht  authentisch  identifizieren.  Die  Ur- 
schrift gibt  als  nähere  Bestimmung  nur  die  Worte  „fern  im  Osten" ;  da  der  Verfasser  in  Palästina 
schrieb,  so  ist  möglich  und  wahrscheinlich,  daß  ihm  als  das  Ostland  Babylonien  vorschwebte. 
Dies  scheint  die  Auffassung  dessen  gewesen  zu  sein,  der  die  Flüsse  hinzufügte.  Weitergehende 
Versuche  bei  Friedr.  Delitzsch,  Wo  lag  das  Paradies?  1881,  besonders  S.  64  ff. 

2)  napööetoog,  so  lehrt  mich  Ferd.  Justi,  dem  ich  auch  den  Hinweis  auf  Brissonius  und  Notizen 
zu    Damaskus    und    Triparadeisos    im    folgenden  Verzeichnis  der  Paradiese  verdanke,  müßte  pers. 

Sybol,  Christliche  Antike  I.  11 


162  Die  Malereien  der  Katakomben. 

Eine  Reihe  orientalischer  Parks  kennen  wir  aus  der  alten  Literatur;  es  waren 
teils  Lustgärten,  teils  Tierparks,  oder  sie  vereinigten  beides  im  selben  Gehege,  und 
dies  ist  das  Urbild  der  Vorstellungen  vom  biblischen  Paradies.  Wir  geben  einen 
Überblick  und  beginnen  mit  Indien.  In  der  Zeit  des  Gotama  Buddha,  um  500  vor 
Chr.,  gehörte  es  wie  heute  zum  Komfort,  um  das  Haus  einen  schattigen  Garten  zu 
haben  und  vor  der  Stadt  einen  Park,  wo  Kühle  und  Ruhe  den  Kommenden  empfängt. 
Solche  vorstädtische  Parks,  entfernt  vom  Geräusche  des  Verkehrs,  aber  leicht  erreichbar 
für  alles  Volk,  schenkten  reiche  Verehrer  des  Buddha  der  Gemeinde  zum  Aufenthalt 
für  die  Mönche,  so  das  Veluvana  (Bambuswald)  und  den  noch  berühmteren  Park  des 
Prinzen  Jeta,  das  Jetavana;  so  schenkten  ihre  Mangowälder  der  Arzt  Jivaka  und  die 
Kurtisane  Ambapäli.  Das  alles  geschah  in  der  Heimat  des  Buddhismus,  im  Ganges- 
land; auf  Ceylon  wiederholte  sich  derselbe  Vorgang.  In  der  Geschichte  des  Buddha 
kommt  auch  der  Wildpark  Isipatana  bei  Benares  vor.  Griechische  Schriftsteller  be_ 
richten  aus  späterer  Zeit,  daß  der  indische  König  im  Wildgeheg  auf  dem  Anstand 
schießt,  von  einer  Kanzel,  im  freien  Feld  vom  Rücken  eines  Elephanten  herab. 
Wiederum  im  Norden,  in  Bazeira  (Bazista),  einem  Bezirk  der  Sogdiana,  fand 
Alexander  Haine  und  Wälder,  von  Mauern  umschlossen,  mit  reichlichen  Quellen  und 
viel  Edelwild,  auch  da  waren  Kanzeln  vorgesehen;  abgesehen  von  dem  Löwen,  den 
Alexander  selbst  erlegte,  wurden  4000  Stück  Wild  erlegt  zu  einem  im  Park  selbst 
abgehaltenen  Schmaus  für  das  ganze  Heer.  Auf  seinem  Zug  gegen  die  Cadusier, 
am  kaspischen  Meer,  rastete  Artaxerxes  Mnemon  in  einem  Königsquartier,  bei  welchem, 
inmitten  einer  baumlosen,  kahlen  Ebene,  die  wunderbarsten  Paradiese  angelegt  waren, 
mit  Prachtexemplaren  von  Fichten  und  Zypressen.  Medien  war  reich  an  Parks:  der 
große    im    Tal    Bagistana    (Baghastana,    Götterort),    unter    der    mit    Skulpturen    und 


para  claiza,  medisch  paradaeza  sein,  es  kommt  aber  nur  (medisch,  im  Awesta),  pairidaeza  vor  und 
zwar  nicht  in  der  Bedeutung  Garten,  sondern  Umwallung  (temporäre  Umhäufungen  von  Lehm  um 
einen  Platz  für  eine  Reinigungszeremonie,  Vendidad  3,  18);  para  involvirt  den  Begriff  „von  weg, 
fern",  was  nicht  paßt,  pajri  ist  gleich  tisq!,  klang  den  Griechen  aber  näher  ihrem  naQcc,  vielleicht 
aber  wirkte  ihr  anderes  Lehnwort  nuQuaäyyrjq  ein,  in  welchem  übrigens  naQcc  auch  ungenau  für 
altpers.  fra  steht.  Im  Sanskrit  ist  das  Wort  nicht  vorhanden,  wohl  aber  das  einfache  daihi  (spr. 
dehl)  Aufwurf,  Wall,  Damm  und  das  nachvedische  deha,  Körper  (die  materielle,  lehmige,  irdene 
Verhüllung  der  Seele).  Die  Wurzel  ist  indogerm.  dheigh,  dazu  gehört  griech.  zoT'/og,  niederdeutsch 
dlk,  hochdeutsch  teich  (nicht  das  Wasser  im  Teich,  sondern  der  Behälter),  lat.  Wurzel  fig  in  figulus 
und  dgl.,  weil  der  Grundbegriff  das  Formen  etc.  mit  Lehm  ist.  Im  A.  T.  scheint  der  Begriff 
Paradeisos  durch  das  ebräische  ginät,  Garten,  ausgedrückt  zu  sein:  Esther  7,  7,  was  Genesis  2,  8 
gan,  gan  be-cEden,  Garten  in  Eden,  lautet.  Pardes  findet  sich  Pred.  Sal.  2,  5.  Hohelied  4,  13.  Nehem. 
2,  8;  häufig  im  Talmud,  in  den  Targums  etc.  Das  Komikerzitat  steht  bei  Photius  (ed.  Porson.)  v. 
nuQÜöeiooq,  vgl.  Kock,  Comic,  att.  fragm.  III  1888,  590  n.  1102.  Photius  teilt  das  persische  Ur- 
wort  mit,  das  er  <pagöcu&i  schreibt;  zu  der  vorgeschlagenen  Änderung  in  (pciQÖaiöi  liegt  kein  Grund 
vor,  die  Aspirate  (neugriechisch  gleich  englisch  th  zusprechen)  ist  gewählt,  um  das  weiche  z 
wiederzugeben.  Die  anlautende  Aspirate  beruht  auf  der  arabischen  Aussprache,  woraus  folgt,  daß 
diese  ganze  Notiz  mittelalterlich  ist.  Jensen  teilt  mir  noch  mit,  daß  in  einem  Kontrakt  aus  der 
Zeit  des  Kyros  (Straßmaier,  Cyrus  Nr.  212)  ein  u-rasch  (ras?)  eines  ? — di(e)-su  genannt  wird.  Da 
ein  urasch  ein  Bewässern  sein  könnte,  für  die  in  Keilschrift  erhaltene,  aber  noch  ungedeutete 
Silbe  die  Lesung  par  möglich  sei  (neben  anderem  auch  möglichen),  so  könnte  hier  ein  pardesu  = 
Park  vorliegen,  sicher  sei  es  aber  uatürlich  nicht.  Zutreff enden falles  würde  dies  das  früheste 
urkundliche  Vorkommen  des  persischen  Wortes  im  Sinne  von  Park  sein.  Friedrich  Delitzsch,  Wo 
lag  das  Paradies?  1881,  Seite  95 — 97,  hält  für  möglich,  daß  das  persische  Wort  selbst  schon  Lehn- 
wort sei;  freilich  sei  ein  babyl.  pardasu  bis  jetzt  nicht  belegt. 


Das  Paradies.    Adam  und  Eva.  163 

Inschriften  des  Darius  geschmückten  Felswand,  galt  als  Schöpfung  der  „Semiramis"; 
ebenso  der  bei  Chauon,  rings  um  eine  isoliert  ragende  Felsklippe  mit  einem,  die 
ganze  Umgegend  beherrschenden  Lustschlosse;  natürlich  hatte  die  Residenz  Egbatana 
ein  Paradies,  dessen  Wild  Astyages  (in  Xenophons  Roman)  dem  jungen  Cyrus  zur 
Verfügung  stellt,  der  aber  findet  die  Jagd  auf  freies  Wild  in  offenem  Feld  viel 
schöner.  Aus  Persien  hören  wir  nur  von  dem  schattigen  Hain  zu  Pasargadae,  in 
dessen  Baumlaub  versteckt  das  Grab  des  Cyrus  lag;  die  Schloßgärten  von  Persepolis 
und  Pasargadae  werden  nicht  erwähnt,  denn  Hauptresidenz  der  Perserkönige  war 
Susa.  Das  Buch  Esther  erzählt  von  einem  Fest,  das  König  Ahasverus  den  Großen 
des  Reiches  gab,  hundertachtzig  Tage  lang,  und  von  einem  anschließenden  Gelage, 
das  er  allem  Volk  von  Susa  im  Gehege  des  Gartens  am  Palast  gab;  wiederum  von 
einem  Gelage  bei  der  Königin  Esther,  wo  es  geschah,  daß  der  König  über  Haman 
ergrimmt  aufstand  und  in  den  Garten  ging.  Xenophon  sagt,  der  Perserkönig  sorge 
dafür,  daß  in  allen  seinen  Residenzen  und  wohin  er  komme,  Gärten  vorhanden  seien,  die 
sogenannten  Paradiese,  die  voll  seien  von  allem  Guten  und  Schönen,  was  die  Erde 
hervorbringen  wolle,  Bäume  und  andere  Pflanzen;  darin  pflege  der  König  zu  weilen, 
soweit  nicht  die  kalte  Jahreszeit  es  unmöglich  mache.  Es  ist  zu  bemerken,  daß  der 
Kiosk  insgemein  so  sehr  im  Park  verschwand,  daß  das  Wort  Paradeisos  öfter  geradezu 
für  Residenz  gesetzt  wurde.  Den  Kiosk  selbst  denkt  man  sich  weniger  gern  im  Typus  der 
säulenlosen,  massigen  Ziegelkörper  der  babylonischen  und  assyrischen  Paläste,  als  in 
der  Gestalt  des  hittitischen  Hilani  (zwischen  zwei  Eckpavillons  eine  gesäulte  Vorhalle 
vor  einem  querlicgenden,  wiederum  durch  Säulen  abgeteilten  Saal).  Das  Hilani  haben 
die  assyrischen  Könige  übernommen  und  als  Kiosk  in  den  Garten  ihrer  Ziegelpaläste 
gesetzt.  So  mögen  auch  die  Perserkönige  den  Typus  des  Hilani  ihren  Absteige- 
quartieren wie  den  Lust-  und  Jagdschlössern  zugrunde  gelegt  haben;  wird  doch 
selbst  der  schwer  erklärbare  persische  Palast,  wie  er  in  Persepolis  und  Susa  erhalten 
ist,  wenigstens  zu  einem  Teil  verständlicher,  wenn  man  ihn  als  eine  Entfaltung  der 
Hilaniidee  auffaßt.  Auch  die  Paläste  von  Firuz-Abad  und  von  Ktesiphon  beruhen, 
wie  man  bemerkt  hat,  auf  der  Hilaniidee,  nur  ist  sie  da  der  urbabylonischen  Wölb- 
kunst (natürlich  in  deren  spätantiker  Ausbildung)  unterworfen  worden;  also  eine  Ver- 
schmelzung der  zwei  im  Prinzip  so  entgegengesetzten  Systeme,  des  Holz-  und  des 
Ziegelbaues.  Die  Fassade  von  Sarvistan  modifiziert  den  Hilanityp  noch  außerdem, 
indem  sie  die  Eckpavillons  in  der  Front  öffnet,  wie  das  auch  der  Palast  Bachno  zu 
Schiraz  tut. 

Daß  in  Babylonien  alle  Königsburgen,  vor  allem  die  von  Babylon  selbst  von 
alters  her  mit  Schloßgärten  und  Tierparks  versehen  waren,  vermuteten  wir  oben;  daß 
nur  spätere  und  späteste  Quellen  davon  reden,  verschlägt  nichts.  Eine  Sonderstellung 
nehmen  die  „hängenden  Gärten"  ein,  nicht  aber  der  „Semiramis",  sondern  des 
Nebukadnezar,  der  sie  als  Schloßgarten  für  eine  Nebenfrau,  eine  Perserin,  schuf,  um 
ihr  das  heimatliche  Gebirgsland  zu  ersetzen;  die  Terrassen  erhoben  sich  bis  zu  den 
Zinnen  der  hohen  Stadtmauer,  mächtige  Humuslager  genügten  für  die  größten  Bäume, 
die  Hohlräume  darunter  enthielten  fürstlich  ausgestattete  Salons,  die  sich  nach  den 
vorliegenden  Terrassen  öffneten,  außerdem  Pumpwerke.  Von  Alexander  heißt  es,  daß 
er  in  die  babylonischen  Paradiese  griechische  öe wachse  pflanzen  ließ,  mit  Vorliebe 
schattige  Laubhölzer;  alle  gediehen,  nur  der  Efeu  ging  trotz  Harpalos'  Bemühungen 
ein.    Hier  darf  auch  der  Paradeisos  des  Jojakim  Erwähnung  finden,  in  dem  die  keusche 

11* 


164  ®'ie  Malereien  der  Katakomben. 

Susanna  des  Nachmittags  zu  lustwandeln  pflegte;  echt  ist  jedenfalls  der  Typus 
des  Privatgartens  eines  reichen  Mannes,  denn  Jojakim  wird  als  der  Mittelpunkt 
der  babylonischen  Judenschaft  hingestellt,  in  dessen  Garten  morgens  die  Juden  sich 
einzufinden  pflegten. 

Bei  Seleukeia  am  Tigris  traf  Kaiser  Julian  ein  königliches  Wildgehege  mit 
Löwen,  Ebern,  Bären  an;  die  Tore  wurden  erbrochen  und  alles  Wild  zur  Strecke  ge- 
bracht. Von  den  königlichen  Gärten  in  Assyrien  und  den  dortigen  Akklirnatations- 
versuchen  bereits  im  zweiten  Jahrtausend  vor  Chr.  war  oben  die  Rede.  Der  Ort 
Paradeisos  im  Quellgebiet  des  Orontes,  also  im  Hochtal  zwischen  Libanon  und 
Antilibanos  gelegen,  vielleicht  identisch  mit  Triparadeisos  (Riblah),  wo  die  Diadochen 
321  vor  Chr.  die  zweite  Verteilung  der  Satrapien  vornahmen,  wird  seinen  Namen  ent- 
weder dem  landschaftlichen  Charakter  seiner  Lage  verdanken  oder  einem  dort  künst- 
lich geschaffenen,  nach  Umständen  aus  der  Natur  herausgebildeten  Paradeisos.  Auf 
einen  analog  benannten  Ort  im  Gebiet  des  Königs  von  Damaskus  scheint  sich  Bet- 
Eden  beim  Propheten  Arnos  zu  beziehen,  wo  er  Jahwe  drohen  läßt:  „ich  werde  den 
Riegel  von  Damaskus  zerbrechen  und  die  Bewohner  ausrotten  aus  Bik  at-Awen  und 
den  Zepterträger  aus  Bet-Eden".  In  Sidon  hatten  die  Perserkönige  einen  Paradeisos 
als  Absteigequartier;  mit  dem  Abholzen  seiner  Bäume  begann  351  vor  Chr.  der  Abfall 
der  Phönizier  von  Artaxerxes.  Hier  sei  denn  auch  der  königlichen  Gärten  von 
Jerusalem  gedacht,  des  Gartens  der  Davidsburg  und  des  Garten  Ussa  beim 
Tempel,  in  jenem  wurden  die  Könige  von  David  bis  Ahaz  bestattet,  in  diesem  die 
folgenden.  Endlich  Kleinasien.  In  Phrygien,  zu  Kelainai,  hatte  der  jüngere  Cyrus 
einen  Palast,  der  über  die  Quelle  des  Mäander  gebaut  war;  vom  Palast  bis  zu  der 
weiter  unterhalb  liegenden  Stadt  erstreckte  sich  beiderseits  des  Flusses  der  große 
wildreiche  Park;  darin  jagte  Cyrus  zu  Pferd,  um  sich  und  die  Pferde  zu  üben,  in 
demselben  Park  hielt  er  die  Musterung  der  10000  (genauer  13  000)  Griechen.  In 
Daskylion  an  der  Propontis  war  die  Residenz  der  Satrapen  Kleinphrygiens,  mit 
wertvollen  Jagden,  teils  in  eingehegten  Paradiesen,  teils  im  offenen  Feld.  Von  den 
Lydern  heißt  es  in  einer  antiken  Sittenschilderung,  daß  sie  aus  Üppigkeit  sich 
Paradiese  mit  dichtem  Schatten  hielten,  um  darin  zu  leben,  ohne  den  Sonnenstrahlen 
ausgesetzt  zu  sein.  In  Sardes  zeigte  jener  selbe  Cyrus  dem  Lysander  das  dortige 
Paradies,  in  dem  er  eigenhändig  zu  arbeiten  pflegte;  der  Spartaner  bewunderte  den 
schönen  Wuchs  der  Bäume,  ihre  regelmäßige  Pflanzung  in  gleichen  Abständen  und 
gerade  gezogenen  Reihen,  alles  genau  winkelrecht,  dazu  die  mancherlei  angenehmen 
Blütendüfte  in  den  Wandelgängen,  noch  mehr  freilich  den  Geist  der  Anlage  und  die 
daran  gewandte  Arbeit.  Regelmäßige  Anlage  und  architektonischer  Charakter,  wie  sie 
aus  dieser  Beschreibung  sprechen,  beherrschten  die  antike  und  alle  folgende  Garten- 
kunst bis  zum  letzten  Gipfel  des  Stils  in  Le  Nötre.1) 


*)  Indien:  Oldenberg,  Buddha  41903,  144.  162f.  166f.  405,  1.  411.  435.  438.  Strabo  XV  710. 
Sogdiana:  Curtius  VIII  1,  11 — 19.  Diodor  XVII  prol.  26  Baaista;  vgl.  Tomaschek  bei  Pauly- 
Wissowa  III  178  Bazista.  Cadusier:  Plut.  Artoxerxes  25.  Medier:  Bagistana:  Diodor  II  13,  1 
Bogistanon  oros.  Weißbach  bei  Pauly-Wissowa  II  2769  Bagistana.  Chauon:  Diodor  II  13,  3. 
Weißbach  a.  O.  III  2203.  Egbatana:  Xen.  Cyrupaed.  I  3,  14.  4,  7ff.  4,  11.  Cyrusgrab:  Strabo 
XV  730.  Susa:  Esther  Kap.  1  und  7  (Kautzsch;  Sept.  Swete  1,5  iv  avky  ol'xov  xov  ßaaileux; 
7,7  elq  xbv  xrjnov).  Perserkönige:  Xen.  Oec.  IV  13ff.  Hilani:  Puchstein,  Archäol.  Jahrbuch 
1892,  1.     Koldewey,  Ausgrab,  in  Sendschirli  II  1898,  183.     v.  Sybel,   Weltgesch.  1903,  146.     Firuz- 


Das  Paradies.     Adam  und  Eva.  165 

Um  andere  berühmte  Gärten,  wie  die  der  Kleopatra,  zu  übergehen,  so  wurden  in 
der  Kaiserzeit  naturgemäß  die  kaiserlichen  Gärten,  deren  es  in  Rom  mehrere  und 
ausgedehnte  gab,  zum  idealen  Schauplatz  höchster  Lebensfreude.1) 

Wir  kennen  den  Charakter  der  Parks  aus  den  Wandgemälden  im  Gartensaal 
einer  kaiserlichen  Villa  zu  Primaporta  (vor  Porta  del  popolo).  Da  sehen  wir  mannig- 
fache Bäume  und  Sträucher,  üppig  blühend  und  in  Früchten  prangend,  daran  Vögel 
picken,  zu  einem  herrlichen  Park  zusammengestellt;  die  Darstellung  ist  nicht  botanisch 
exakt,  immerhin  fehlt  es  nicht  an  Elementen,  um  danach  einige  der  Gattungen  zu 
bestimmen,  die  dem  Maler  als  Modelle  gedient  haben,  darunter  Pinie  und  Palme, 
Zitrone  und  Granate.  Offenbar  sind  es  ausgesuchte  Pflanzen,  aus  allen  Ländern  zu- 
sammengebracht und  akklimatisiert,  wie  das  schon  zu  der  alten  Pharaonen  Zeit  könig- 
liche Sitte  gewesen  war.  Der  gemalte  Park  ist  vorn  eingefriedigt  mit  einer  Marmor- 
schranke; davor  läuft  auf  einem  grünen  Rasenstreif  noch  ein  niedriges  Gitter  aus 
schräg  gekreuzten  Holzleisten;  dergleichen  Holzgitterwerk  war  in  den  antiken  Zier- 
gärten so  beliebt  wie  in  den  modernen.  Ähnliche  Parks  wurden  auch  in  bürgerlichen 
Häusern  gern  an  die  Wände  gemalt,  besonders  an  die  der  Peristyle  und  Gärten,  um 
den  meist  beschränkten  Hausgärtchen  mehr  Perspektive  zu  geben.  An  einer  solchen 
Gartenwand  sieht  man  die  Bäume  des  gemalten  Parks,  darunter  eine  breitschattende 
Pinie  hinter  marmorner  Brüstung  ragen;  im  Vordergrund  ist  eine  reiche  Ausstattung 
in  Marmor  angeordnet,  eine  Schale  mit  sprudelndem  Wasser  zwischen  zwei  Brunnen- 
figuren, Nymphen,  die  sprudelnde  Schalen  vor  sich  halten,  dahinter  auf  hohem  Sockel 
der  Wassergott,  ein  gelagerter  Silen;  eine  Taube  nippt  von  dem  Wasser  in  der  Schale, 
vorn  steht  ein  Pfau  mit  dem  vielaugigen  Gefieder.     In  einem  anderen  pompejanischen 

Abad  und  Ktesiphon:  Borrmann,  Baukunst  des  Altertums  1904  Abb.  244.  242.  Sarvistan:  eb.  Abb. 
245.  Schiraz:  Perrot  et  Chipiez,  Hist.  de  l'art  dans  l'antiq.  V  657.  Babylon,  Tiergarten  mit 
Löwen,  Bären,  Panthern:  Philostrat  Vita  Apoll.  Tyan.  I  38.  Hängende  Gärten:  Diodor  II  10,  1. 
Strabo  XVI  738,  dessen  Angaben  über  die  Struktur  von  denen  Diodors  abweichen;  dieser  gibt 
Flaehdecken  au,  Strabo  Gewölbe,  die  mächtigen  Pfeiler  seien  hohl  und  mit  Humus  gefüllt  gewesen 
für  tiefwurzelnde  Bäume,  eine  Art  Biesenkübel,  die  fast  wahrscheinlicher  klingen  als  Diodors  An- 
nahme einer  in  gleicher  Stärke  durchgehenden  Humusdecke;  die  Bäume  mußten  dann  in  regel- 
mäßigen Reihen  stehen.  Curtius  V  1,  32.  Josephus,  Antiq.  Jud.  X  226.  Plut.  de  fort.  Alex.  II 
342b.  Dio  Chrysost.  nepl  tcXovtov  z.  E.  (irrig:  in  Susa).  Suidas  v.  Naßov/oöovöaoQ.  Alexanders 
Akklimatationsversuche:  Theophrast  bei  Plutarch  quaest.  conviv.  III  648c.  Susanna:  Swete,  Old 
Testament  in  Greek  III  576,  deutsch  vou  Rothstein  bei  Kautzsch,  Apokryphen  1900  S.  176.  184. 
Seleukeia:  Ammian.  Marceil.  XXIIII  5,  2.  Paradeisos:  Ptol.  V  15,  20  (V  14,  16  bei  Müller- 
Fischer  I  ii  1901,  977).  Strabo  XVI  756.  Plin.  V  82.  Triparadeisos  Diodor  XIX  12. 
Damaskus:  Arnos  1,  5  (Bet-Eden,  Kautzsch:  Lusthaus).  Vgl.  Keil-Delitzsch,  Bibl.  Kommentar 
über  d.  A.  T.  III  iv  1866,  175.  Nowack,  Handkomm,  zum  A.  T.  III  iv  1897,  123.  Marti,  Kurzer 
Handkomm.  XIII  Dodekapropheton  1904,  159 ff.  Sidon:  Diodor  XVI  41.  Jerusalem,  Davids- 
burg: Kön.  I  2,  10  usf.  bis  II  16,  20.  Ussa:  für  Hiskia  vorauszusetzen  (Kön.  II  20,  21),  über- 
liefert für  Manasse  21,  18  usf.  Kelainai,  Xen.  Anab.  I  21,  7—9.  Pauly-Wissowa  I  2664. 
Cabrol,  Dict.  I  2502.  Daskylion:  Xen.  Hell.  IV  1,  15.  Rüge  bei  Pauly-Wissowa  IV,  2220. 
Lyder:  Klearch  negl  ßt'wv  IV  bei  Atb.  XII  515e.  Sardes:  Xen.  Oec.  IV  20 — 21.  Älian,  nat. 
anim.  I  59.  Cic.  de  senect.  17,  59  interpretiert  die  regelmäßige  Anlage  als  versetzte  Reihen 
(derectos  in  quincuncem  ordines).  —  Erste  Behandlung  orientalischer  Paradeisoi  bei  Brissonius,  de 
regio  Persarum  principatu  I  78.  79.  Vgl.  noch  Stephanus  (Hase-Dindorf),  Thesaurus  ling.  graec.  s.  v. 
nuQ&Sziaoq. 

l)  Die  bedeutendsten  der  von  reichen  Privaten  wie  Lucullus  oder  Sallust  angelegten  Gärten 
gingen  bald  in  kaiserlichen  Besitz  über.  Vgl.  O.  Richter,  Topographie  von  Rom,  Register 
unter  Horti. 


166  Die  Malereien  der  Katakomben. 

Haus,  an  der  Nolaner  Straße,  lehnt  sich  an  eine  Wand  des  Peristyls  ein  Triclinium 
unter  einer  einst  rebenberankten  Pergula;  die  Wände  umher  lassen  einen,  jenem 
kaiserlichen  verwandten  Park  sehen,  dessen  Bäume  Tauben  beleben;  vorn  zieht  sich 
das  Holzgitter  her.  Noch  bleibt  zu  erinnern,  daß  die  antiken  Speisesäle  gern  sich 
nach  Peristyl  und  Garten  öffneten,  so  daß  die  Vögel  hereinkamen,  Sperlinge,  Tauben 
und  Pfauen,  wo  solche  gehalten  wurden;  auf  dem  Mosaik  des  Sosos  von  Pergamon, 
berühmt  unter  dem  Namen  des  „ungefegten  Saales",  war  dergleichen  stilvoll  und 
sinnig  dargestellt,  auch  sehen  wir  im  Speisesaal  des  pompe janischen  Vettierhauses 
unter  anderen  Motiven  der  Wandmalerei  auch  Pfauen  angebracht.1) 

In  den  christlichen  Grabkammern  finden  sich  keine  ausgeführten  Parkwände, 
wohl  aber  Andeutungen  von  solchen.  So  im  Cubiculum  Oceani  (unsere  Farb- 
tafel II).  Eine  vornehme  Gruft  mit  ursprünglich  nur  einem  Arkosol  (in  der  Rück- 
wand). Am  Wandsockel  ist  ringsherum  einer  jener  Gitterzäune  gemalt,  mit  einladend 
halbgeöffneter  Gittertür  auf  jeder  Seite.  Mit  diesem  bezeichnenden  Bruchteil  des 
Parkmotivs  kombiniert  die  Oberwand  den  Architekturstil,  doch  in  sehr  abgeschwächter 
Wiedergabe  (breite  und  schmale  Felder  im  Wechsel);  in  die  Hauptfelder  sind  über 
dem  Arkosol  der  gute  Hirt,  an  den  Längswänden,  je  in  der  Mitte,  Selige,  beiderseits 
schwebende  Amoretten  gesetzt,  in  die  schmäleren  Zwischenfelder  hängende  Frucht- 
schalen und  Blumen.  Wie  das  Liniensystem  der  Oberwand  mit  den  hineingehängten 
Schalen  und  Blumen,  so  nähert  sich  auch  die  Decke  der  Art  einer  Laube;  zwischen 
den  Stäben  spielen  Tauben  in  Zweigen,  auf  jeder  Seite  schreitet  ein  Pfau  nach  dem 
Fond  hin,  wo  ein  Okeanoskopf  an  fließendes  Wasser  erinnert.2) 

Auch  an  Fach-  und  Nischengräbern  kommt  das  Gitter  am  Sockel  vor,  meist 
sind  Blumen  oder  Blätterbüschel  in  seine  Offnungen  gemalt,  als  ob  rankende  Pflanzen 
dahinter  zu  denken  seien;  oberhalb  aber  sieht  man  Landschaften  mit  bedeutsamer 
Staffage  oder  auch  Selige  unter  aufgehängten  Girlanden.3) 

Die  malerisch  ausgeführten  Paradiese,  die  wir  in  den  Kammern  vermißten,  finden 
sich  aber  doch  an  Einzelgräbern.  Hauptbeispiel  ist  das  Gemälde  der  Cinque  Santi. 
Über  eine  Brüstung  hinweg,  die  hier  nur  durch  die  beiderseits  verlängerte  Fußlinie 
der  Grabnische  angedeutet  ist,  blicken  wir  in  einen  Park;  dessen  Bäume  sind  schwer 
von  Blüten  und  Früchten,  Vögel  schwirren  durch  die  Zweige;  ganz  vorn  (beiderseits 
des  Arkosols)  zwei  prächtige  Pfauen.  Vor  der  Brüstung  (am  Sockel)  drei  wasser- 
sprudelnde Vasen,  auf  deren  Rand  Tauben  sitzen  und  trinken.  Mitten  hinein  in  dies 
Paradies  (über  der  Nische  auf  besonderer  Fußlinie)  sind  fünf  Verstorbene  gemalt,  die 
in  den  Fachgräbern  der  Wand  Beigesetzten:  drei  Frauen,  Dionysas,  Eliodora  und 
Zoe,  zwei  Männer,  Nemesius  und  Procopius;  von  einer  sechsten  ist  nur  der  Name 
beigeschrieben,  Arcadia  (unsere  Farbtafel  IV).4) 


*)  Primaporta:  Ant.  Denkm.  d.  Instituts  I  Taf.  11.  24.  Möller,  Röin.  Mitt.  1890,  78.  — 
Pompeji:  Presuhn,  Pompeji  1877,  40  Taf.  22;  vgl.  auch  eb.  Taf.  24  =  eb.  1878  Abt.  2  Taf.  2. 
Mau,  Rom.  Mitt.  1894,  51  Bild  und  Taf.  4,  Haus  15 o.  —  Sosos:  Brunn,  Gesch.  d.  griech. 
Künstler  II  311.  v.  Sybel,  Weltgesch.  d.  Kunst  1903,  367.  —  Vettier:  Mau,  Eöm.  Mitteilungen 
1901,  110. 

2)  Cub.  Oceani:  de  Rossi,  Roma  sott.  II  Taf.  27.  28.     Wilpert  32  Taf.  134. 

3)  de  Rossi,  Roma  sott.  III  Taf.  9  Crypta  delle  pecorelle.  Wilpert  Taf.  121.  143,  1.  218,  2. 
Vgl.  noch  201,  1.  3.  de  Rossi,  Bull,  crist.  1876,  145  Taf.  3.  9  sieht  in  den  Gittern  an  Arkosolien 
Nachahmungen  der  Gitter  um  oberirdische  Gräber. 

*)  de  Rossi,  Roma  sott.  III  Taf.  1—3.     Wilpert,  Mal.  462  Taf.  HOf. 


Das  Paradies.     Adam  und  Eva. 


167 


Adam  und  Eva. 

Neapel. 


Die  Bäume  deuten  das  Paradies  an.  Wo 
immer  wir  in  den  Katakomben  Bäume  gemalt 
sehen,  haben  wir  in  erster  Linie  an  das  Paradies 
zu  denken.  Wir  werden  weiterhin  Baumpaare 
oder  auch  einzelne  Bäume  in  solchem  Sinn  an- 
gebracht finden:  ein  Verstorbener  zwischen  zwei 
Bäumen  als  Seliger  im  Paradiese;  Christus  der 
gute  Hirt  ähnlich  als  Herr  des  Paradieses.  Auf 
Verschlußplatten  von  Fachgräbern  ist  neben 
anderen  Emblemen  auch  wohl  einmal  ein  Baum 
eingemeißelt;  er  besagt,  der  Verstorbene  sei  ein- 
gegangen ins  Paradies.1) 

Aber  es  gibt  noch  ein  besonderes  Vor- 
kommen des  einzelnen  Baumes  und  zwar  in  Ver- 
bindung mit  einem  Figurenpaar,  Adam  und 
Eva.  Das  älteste  Exemplar  des  Typus,  aus 
frühchristlicher  Zeit,  befindet  sich  in  Neapel,  als 
eines  der  Kappenbilder  im  zweiten  der  früher  besprochenen  Plafonds.  In  Bewegung 
und  Leben  ein  noch  klassisch  gezeichnetes  Bild;  der  Adam  ist  wie  ein  lysippischer 
Athlet,  die  Eva  ein  Nachklang  der  knidischen  Aphrodite  des  Praxiteles,  die  Arme 
aber  sind  die  der  kapitolinischen  Venus.  Das  Bild  pflegt  auf  den  Sündenfall  gedeutet 
zu  werden.  Der  Apfel  ist  vorhanden,  in  der  Hand  der  Eva,  aber  weder  pflückt  sie 
ihn,  noch  reicht  sie  ihn  dem  Adam,  vielmehr  hält  sie  ihn  fast  mehr  als  Attribut,  so 
wie  Aphrodite  den  Apfel  wohl  als  Attribut  hält.  Oder  Eva  hält  ihn  verlockend  hin; 
Adam  streckt  abgewandt  die  Hand  nach  ihm  aus,  vielleicht  noch  unentschlossen.  Mit 
diesem  mehr  vorbereitenden  Moment  ist  nun  aber  die  nächste  Folge  des  Sündenfalls 
gleich  verbunden,  diejenige,  welche  noch  im  Paradies  erfolgte,  vor  der  Austreibung: 
bereits  tragen  Adam  und  Eva  Laubgürtel  um  die  Lenden.  Das  Bild  macht  der 
Erklärung  Schwierigkeiten,  weil  es  bei  aller  formalen  Schönheit  nicht  scharf  gedacht 
ist.  Man  wird  anerkennen  müssen,  daß  die  biblische  Erzählung  vom  Sündenfall  dem 
Maler  vorschwebte,  wenn  schon  im  Neapeler  Exemplar  die  Schlange  fehlt.  In  den 
römischen  Exemplaren  pflegt  sie  gegenwärtig  zu  sein,  in  den  früheren  vom  Boden  sich 
aufrichtend,  in  den  späteren  um  den  Baum  gewunden.  Dürfen  wir  eine  Entwicklungs- 
geschichte voraussetzen,  der  zufolge  erst  Adam  und  Eva  im  Paradies  dargestellt,  später 
die  Momente  des  Sündenfalls  hinzugefügt  worden  wären,  und  zwar  zuerst  der  Laub- 
gürtel, danach  die  Schlange?  Vgl.  die  Gruppe  in  der  Deckenmalerei  oben  Seite  154. 
Die  altchristliche  Literatur  hat  den  Sündenfall  in  den  christlichen  Gedankenkreis 
einbezogen.  Paulinisch  ist  der  Gegensatz  Adam  —  Christus:  jener  hat  durch  die 
Sünde  den  Tod  in  die  Welt  gebracht,  Christus  bringt  das  Leben,  das  ewige.  Den 
Ursprung  des  Todes  darzustellen,  das  könnte  einem  Gruftmaler  allerdings  nahe  liegen; 
aber  damit  fiele  er  aus  seinem  sonst  so  glaubensfrohen  Ideenkreis  heraus.  Setzen  wir 
den  Fall,  daß  das  Bild  ursprünglich  den  Sündenfall  darstellen  wollte,  so  begreift 
sich,  daß  ein  Maler  aus  der  Urgeschichte  gerade  ihren  kritischen  und  im  Grunde 
fruchtbarsten    Moment    heraushob.     Aber  in  den  Katakomben  wirkte  das  Bild  anders, 


»)  Verschlußplatten:  de  Rossi,  Eoma  sott.  I  Taf.  18.  21.     II  Taf.  39/40. 


168  ßie  Malereien  der  Katakomben. 

da  erkannte  man  das  Paradies,  und  die  Stammeltern  als  dessen  natürliche  Staffage; 
der  christliche  Besucher  aber  dachte  an  das  himmlische  Paradies.  Diese  Auffassung 
scheint  durch  ein  paar  Verwendungen  bestätigt  zu  werden.  Im  ältesten  römischen 
Exemplar  ist  mitten  in  den  „  Sündenfall  ■  der  unter  der  Laube  ruhende  Jonas  hinein- 
geschoben, zwischen  den  Baum  und  Adam,  hinein  ins  Paradies;  daß  der  ruhende  Jonas 
in  den  Katakomben  zu  einem  Seligkeitstypus  wurde,  werden  wir  später  sehen.  Ein 
andermal  finden  wir  drei  Paradiesestypen  nebeneinandergestellt,  Taube,  Baum  von  der 
Schlange  umwunden,  Schaf;  Taube  und  Schaf  werden  sich  uns  als  Typen  der  Seligen 
ergeben,  der  abgekürzte  ,,  Sündenfall "  ist  hier  deutlich  Bild  des  himmlischen  Paradieses. 
Wilpert  läßt  dieser  Auffassung  wenigstens  ein  kleines  Spältchen  offen;  der  eine  oder 
andere  Besteller  oder  Beschauer  möge  in  dem  verlorenen  Paradiese  zugleich  auch  das 
im  Tode  wiederzugewinnende  erkannt  haben,  wie  dies  der  Dichter  Prudentius  in  seinem 
Hymnus  zur  Leichenfeier  tue.  Konnten  denn  aber,  wird  man  einwerfen,  die  zwei 
Paradiese,  das  biblische  in  Eden  und  das  christliche  im  Himmel,  so  ganz  zusammen- 
geworfen werden,  hat  man  sie  denn  nicht  scharf  auseinandergehalten?  Die  Antwort 
ist  leicht  zu  geben:  das  himmlische  Paradies  ist  doch  nichts  als  die  Übertragung  des 
irdischen  in  den  Himmel.1) 


Übernommene  Embleme. 

Mit  der  ganzen  Dekorationskunst  fanden  auch  manche  Embleme  in  die  Kata- 
kombenmalerei Eingang,  die  als  Ornamente  harmlos  hingenommen  mit  der  Zeit  ent- 
weder ausgeschieden  wurden  oder  sich  einem  Assimilierungsprozeß  unterwerfen  mußten, 
um  für  die  Christen  brauchbar  zu  werden.  Daß  sie  als  bloße  Ornamente  arglos  über- 
nommen wurden,  ist  die  herkömmliche  Rede  und  ist  so  weit  richtig.  Es  mag  auch 
sein,  daß  sie  schon  in  der  heidnisch-antiken  Dekoration  bloß  als  Ornamente  galten;  doch 
war  dies  nicht  allgemein  der  Fall.  Es  gab  ohne  Zweifel  Besteller  und  Besucher,  denen 
all  diese  Embleme  nur  Dekoration  waren,  nur  im  engsten  Sinne  ästhetischen  Wert 
hatten;  es  gab  aber  daneben  andere,  die  in  den  schönen  Figuren  einen  guten  Sinn 
fanden,  denen  sie  über  die  dekorative  Wirkung  hinaus  etwas  sagten.  Und  das  waren 
alle  diejenigen,  denen  die  alte  Religion,  die  alte  Mythologie,  die  alte  Poesie  noch 
nicht  ganz  literarisches  Herbarium  geworden  war,  sondern  denen  das  alles  noch  eine 
praktische  Bedeutung  hatte.  Der  Polytheist  sah  in  jeder  Sache  und  jeder  Sphäre  ihre 
Gottheit,  einem  jeden  Gott  erwuchsen  Attribute:    Geräte,  Pflanzen,  Tiere,  Fabelwesen. 


*)  Neapel:  V.  Schultze,  Katakomben  von  San  Gennaro  Tafel  6,  1.  Eom:  Wilpert,  Mal.  324. 
Schlange  am  Boden  Tai  70,  2.  93.  101.  Schlange  um  Baum  Taf.  166,  2.  169,  1.  171.  186,  2. 
197,  2.  211,  3.  227.  240,  1.  Der  abgekürzte  Typus  am  Grab  der  Calendina:  Wilpert,  Mal.  461 
Taf.  183,  2;  nur  zufällig  berühren  die  Füße  des  doch  abgewandten  Schafes  den  Schwanz  der 
Schlange;  das  Wort  des  Psalms  91,  13  „über  Löwen  und  Ottern  wirst  du  schreiten''  müßte  im 
Bilde  anders  ausgedrückt  sein.  —  Paulus:  Köm.  5,  12 ff.  1.  Kor.  15,  22.  —  Vgl.  Breymann, 
Adam  und  Eva  1893.  de  Waal,  Rom.  Quartal schrift  1893,  326.  Leclercq  bei  Cabrol,  Dictionn.  I 
509  Adam  et  Eve,  2691  Arbres.  —  Der  Typus  der  den  Baum  umwindenden  Schlange  hat  Vor- 
läufer in  der  heidnischen  Antike  in  den  Drachen,  deren  einer  die  Äpfel  der  Hesperiden  bewacht 
(Röscher,  Lexikon  I  n  2599  m.  Abb.),  ein  anderer  das  goldene  Vließ  (eb.  II  i  82  m.  Abb. 
Seite  80  und  83),  vgl.  Piper,  Mythologie  und  Symbolik  der  christl.  Kunst  I  1847,  66.  Leclercq 
a.  O.  2701.  2705. 


Übernommene  Embleme. 


169 


Wo  immer  solche  Dinge  gemalt  erschienen, 
welche  als  Attribute  eines  Gottes  liefen,  etwa 
als  apollinische  oder  als  bacchische,  da  mußten 
sie  den  antiken  Beschauer  an  den  Gott  er- 
innern und  an  seine  Sphäre;  darauf  gründete 
sich  die  Bedeutsamkeit  einer  Zimmerdekoration. 
Wenn  nun  die  Bewohner  der  Häuser 
christlich  wurden,  und  wenn  sie  als  Christen 
fortfuhren  die  Grüfte  ähnlich  den  Häusern  aus- 
zumalen, so  blieb  die  sachliche  Bedeutsamkeit 
der  Embleme  bestehen;  der  Gott  verblaßte  zum 
Begriff,  aber  die  Sache,  die  Sphäre,  die  er  re- 
giert hatte,  blieb,  blieb  in  ihrer  Bedeutung, 
mochte  sie  auch  in  christlichem  Geiste  um- 
gedacht werden.  Daß  man  fortfuhr  die  Embleme 
sinnbildlich  zu  verstehen,  wird  durch  ihre  fort- 
schreitende Ausscheidung  und  die  Assimilierung 
des  beibehaltenen  Restes  bewiesen.  Solange 
nun  die  alten  Embleme  an  den  Wänden  ver- 
blieben oder  in  neuen  Malereien  wiederholt 
wurden,  redeten  sie  ihre  Sprache,  jedem  nicht 
ganz  Achtlosen  vernehmlich,  ganz  gewiß  dem 
Christen,  der  mit  der  Taufe  keineswegs  auf- 
hörte ein  antiker  Mensch  zu  sein;  war  doch  die  neue  Methode  selig  zu  werden,  gerade 
ganz  antik.1) 

Wir  wollen  nicht  von  dem  Laub-  und  Blumenschmuck  reden,  den  Zweigen, 
Kränzen  und  Blätterschnüren  (das  sind  auf  Fäden  gereihte  Blätter,  etwa  Rosenblätter), 
die  im  System  der  Wand-  und  Deckenverzierung  als  deren  organische  Bestandteile 
ihre  anmutende  Rolle  spielen.  Wir  dürfen  immerhin  nicht  vergessen,  daß  die  Decken- 
malereien in  dem  laubenähnlichen  Schema  den  Himmel  vorstellen,  das  himmlische 
Paradies.  Und  es  gibt  Nischen-  und  Fachgräber,  deren  ganze  Verzierung  in  auf- 
gehängten Blätterschnüren  besteht;  an  einem  Grabe  rinden  wir  die  Seligen  über  (das 
ist  hinter)  dem  Parkgitter  stehen,  aber  nicht  in  einem  Park,  sondern  unter  solchen 
Girlanden,  die  nun  also  zu  einem  Bilde  des  christlichen  Paradieses  geworden  sind 
(Wilpert,  Taf.  218,  2).2) 

Als  eigentliche  Embleme  nennen  wir  zuerst  die  kleinen,  beckenförmigen  Schalen, 
und  die  tiefen  Vasen  ähnlich  den  Kelch-  oder  Glockcnkrateren;  wie  in  der 
pompejanischen  Wandmalerei  erscheinen  sie  irgendwie  aufgestellt  oder  aufgehängt,  mit 
Blumen  oder  Früchten  gefüllt;  häufig  sind  sie  phantastisch  verarbeitet,  als  Herz-  oder 
Kopfstück  eines  Pflanzenornaments.  Mehr  vereinzelt  erscheint  das  in  der  Spätantike, 
insbesondere  in  der  altchristlichen  Skulptur  und  Mosaikmalerei   so   beliebte   Motiv  der 


Erot  mit  Pedum  und  Taenie. 
Coem.  Domitillae. 


*)  Dekoratives:  Wilpert,  Malereien  22  Die  rein  dekorativen,  aus  der  heidnischen  Kunst 
entlehnten  Elemente. 

2)  Die  an  den  Gräbern  gemalten  Kränze  und  Blattschnüre  werden  auch  mit  dem  heidnischen, 
in  den  christlichen  Gebrauch  übergegangenen  Darbringen  von  lebenden  Blumen  und  Kränzen  in 
Zusammenhang  gebracht:    Kraus,  Realencykl.  I  169.     Müller,  Koimeterien  833. 


170  Die  Malereien  der  Katakomben. 

aus  Vasen  sich  entwickelnden,  mit  Vögeln  belebten  Ranken;  die  Rebe  tritt  da  in  den 
Vordergrund.  Blumen  und  Früchte,  Fruchtschalen  und  Blumenkörbe,  denn  auch  diese 
kommen  vor,  waren  in  den  Häusern  ein  angemessener  Schmuck  der  Triklinien;  als 
übliche  Bestandteile  der  Malerei  mit  herübergenommen,  konnten  sie  die  Paradiesbilder 
weiter  ausmalen,  im  besonderen  aber  in  Gedankenrichtungen  deuten,  die  uns  bei  Be- 
sprechung der  Ernte-  und  der  Mahlbilder  näher  treten  werden.  Allerlei  anderes 
Gerät,  mit  Tänien  geschmückt  und  an  Schnüren  aufgehängt,  ein  Trinkhorn  (Rhyton), 
findet  leicht  seine  Erklärung  in  der  Gelagidee,  wiederum  ein  Spiegel,  ein  Ölfläschchen 
(Alabastron)  als  Toilettengerät  der  Verstorbenen.1) 

Von  Seetieren  treten  Delphine  wiederholt  auf,  ein  paarmal  um  den  Dreizack 
ihres  göttlichen  Meisters  gewunden.  Delphin  und  Dreizack  waren  Attribute  des 
Poseidon,  wie  Adler  und  Zepter  solche  des  Zeus;  Zeichnen  der  Attribute  statt  des 
Gottes  aber  war  antiker  Brauch.  Ein  in  den  Katakomben  beliebtes  Kompositions- 
schema  stellt  zwei  gleiche  Tiere  symmetrisch  zusammen,  mit  einem  Cippus  als 
Symmetrieachse;  das  findet  sich  so  mit  Delphinen  ausgeführt.  Fabelwesen  der 
See,  wie  Seedrache,  Seestier,  kommen  einige  Male  vor,  wie  sie  auch  in  der 
pompejanischen  Wandmalerei  gern  angebracht  wurden;  die  Rolle,  welche  das  Meer  in 
den  Ländern  griechischer  Kultur  spielt,  erklärt  die  Beliebtheit  des  Ketos  in  der 
Dekorationsmalerei.  Doch  darf  nicht  verschwiegen  werden,  daß  auch  in  heidnischer 
Grabkunst  das  Seetier  verwendet  wurde,  ob  bloß  dekorativ?  Konnte  dabei  der  Ge- 
danke an  den  etwas  problematischen  Zug  Achills  zu  den  Inseln  der  Seligen  vor- 
schweben? Speziell  der  Seedrache  hat  in  den  Darstellungen  der  Jonasgeschichte 
Verwendung  gefunden;  davon  später.2) 

Um  die  Enten  vorläufig  zurückzustellen,  haben  wir  ein  Gewimmel  von  Vögeln 
zu  verzeichnen,  die  nur  zum  Teil  bestimmbar  sind;  man  will  Kohlmeise,  Wachtel, 
Wiedehopf  erkennen;  einmal  kommt  der  Papagei  vor.  Dergleichen  Vögelchen,  durch 
die  Ranken  fliegend,  auf  Zweigen  sitzend  oder  ein  Zweiglein  tragend,  an  Früchten 
pickend,  um  Vasen  gruppiert,  waren  die  nächstliegende  Belebung  der  immer  ins  Freie 
zielenden  Dekoration,  wie  der  Zimmer  so  der  Grüfte;  sehr  regelmäßig  flattern  sie  in 
den  Ecken  unserer  Plafonds.  Bei  diesen  Vögelchen  vollzieht  sich  nun  auch  jene 
Auslese;  die  anderen  verschwinden,  es  bleibt  die  immer  schon  vorhanden  gewesene 
Taube  als  spezifisch  christlicher  Vogel:  flatternd  (die  Eck  vögelchen  in  den  späteren 
Decken  werden  als  Tauben  gemeint  sein);  auf  einem  Zweig;  oder  sie  trägt  einen 
Zweig,  an  den  auch  wohl  eine  Tänie  geknüpft  ist,  das  antike  Weihesymbol;  sie  geht 
auf  einem  rahmenden  Stab;  sie  sitzt  auf  einer  eingespannten  Blätterschnur;  zwei 
Tauben  stehen  beiderseits  einer  Schale  oder  eines  Kraters  (unsere  Farbtafel  I),  eines 
Fachgrabes,  eines  Arkosols.  Neben  der  Taube  erhält  auch  der  Pfau  Bürgerrecht 
in  der  christlichen  Kunst:  frontal  gestellt  mit  entfaltetem  Rad  steht  er  auf 
einer    Blume,    auf    einer    Vase,    auf    einer    Kugel,    zwischen    zwei  Vasen;    oder    er 


1)  Schale:  Wilpert  Taf.  25;  in  Pflanzenornament  35,  2.  67.  73. 

Vase  39,  2.  77,  2.  97,  2  u.  ö.,  in  Pflanzenornament  24.    35,  2.    38.    54,  2  u.  ö. 
Ranken  aus  Vase  162.   235.     Rhyton  4.     Spiegel,  Alabastron  52,  2. 

2)  Delphin:  Wilpert  Taf.  49.  128,  2,  um  Dreizack  39,  1.  106;  symmetrisch  165.  Ketos 
11,  1.  37.  85,  2.  Die  Gruppe  des  Skopas  stellte  nicht  einen  Zug  dar,  sondern  den  entrückten 
Achill  dem  Poseidon  als  einen  TiovzäQXV?  beigesellt. 


Übernommene  Embleme.  171 

schreitet  vorüber;  oder  eine  Vase  steht  zwischen  zwei  symmetrisch  herantretenden 
Pfauen.1) 

Die  Vögel  in  den  Zweigen  und  wie  sie  sonst  in  die  Malerei  eingestreut  wurden, 
blieben  auch  an  den  christlichen  Decken  und  Wänden  zunächst  Staffage  der  Laube 
und  des  Parks,  die  zu  Bildern  des  himmlischen  Paradieses  geworden  waren.  Aber 
die  Tauben  und  Pfauen,  als  die  Auserwählten  unter  den  Vögeln,  nötigen  zu  der 
Frage,  ob  sie  nicht  eine  besondere  religiöse  Bedeutung  bekamen  oder  vielleicht  schon 
mitgebracht  haben. 

Es  war  uralte  Vorstellung,  die  Seele  als  Vogel  zu  denken,  gelegentlich  auch 
speziell  als  Taube.  Im  letzten  Atemzug,  so  dachte  man,  entfliegt  die  Seele  dem 
Munde  des  Sterbenden:  altägyptisches  Bild  für  die  entfliegende  Seele  war  der  über 
der  Leiche  schwebende  Vogel  mit  Menschenkopf.  Bei  den  Griechen  wurde  er  zur 
Sirene,  als  einem  Bilde  des  entraffenden  Todes.  Aber  der  ursprüngliche  Gedanke 
hat  in  der  Stille  weitergelebt  und  tritt  gelegentlich  zutage;  die  spätantike  Literatur 
weiß  von  Fällen  zu  berichten,  da  Verstorbene  in  Tauben  verwandelt  wurden.  Ähn- 
liches kommt  auch  in  christlichen  Legenden  vor.  So  darf  immerhin  die  Frage  auf- 
geworfen werden,  ob  die  Taube  in  der  Katakombenmalerei  wieder  zum  Bilde  der 
Seele  geworden  sei,  nämlich  der  des  Verstorbenen  im  himmlischen  Paradies.  Soviel 
aber  muß  vorweg  zugegeben  werden,  daß  die  Bezeichnung  Verstorbener  als  „Tauben 
ohne  Galle",  wie  sie  in  Anlehnung  an  Matth.  10,  16  „ohne  Fälsch  wie  die  Tauben"  in 
Grabschriften  des  dritten  und  vierten  Jahrhunderts  vorkommt,  nicht  auf  die  Seele  im 
Himmel  geht,  sondern  auf  den  Charakter  des  Verstorbenen,  wie  er  im  Leben  sich 
gezeigt  hatte.2) 

Der  indische  Pfau  erscheint  in  den  Mittelmeerländern  zuerst  am  Hof  des  Königs 
Salomo,  oder  wenigstens  im  Buche  der  Könige  (denn  vielleicht  gehört  die  Stelle  I  10,  22 
dem  deuteronomistischen  Redaktor,  der  nicht  verfehlt  hat,  das  neueste  Wunder  dem 
salomonischen  Wunderhofe  zuzulegen).  Im  perikleischen  Athen  fand  er  Eingang  und 
eine  gewisse  Verbreitung;  wann  er  Lieblingsvogel  der  Hera  geworden  ist,  in  Samos 
und  Argos,  das  wissen  wir  nicht,  auch  nicht,  wann  er  zu  den  Römern  kam  und  der 
Juno  zugeeignet  wurde;  Ennius  nennt  ihn  zuerst,  Varro  kennt  die  Pfauenzucht,  in  der 
Kaiserzeit  wimmelte  Rom  von  den  zwar  unangenehmen,  aber  prächtigen  Tieren.  Wie 
nun  der  Adler  des  Juppiter  die  Apotheose  des  verstorbenen  Kaisers  vollbringt,  indem 
er  die  Seele  aus  dem  Scheiterhaufen  zum  Himmel  hinaufträgt,  so  deutet  der  Pfau  auf 
die  Apotheose  der  Kaiserin;  auf  Münzen  erscheint  er,  sie  zum  Himmel  tragend,  oder 
auch  als  ihr,  der  neuen  Juno,  Symbol.  In  solchem  Sinne  mag  es  gewesen  sein,  daß 
um  das  Mausoleum  des  Hadrian,  auf  der  Einfriedigung,  unter  anderem  Pfauen  standen. 


*)  Papagei:  Wilpert  Taf.  12,  3.  Vogel  in  Ranken  1.  35.  162;  Zweig  tragend  77,  1.  85,  1. 
103,  5;   vor  einer  Vase  3;   Eckvogel  9.  17.  24.  35,  2. 

Taube  flattert  47,  1.  109,  1;  Ecktaube  71.  130.  171;  Taube  auf  Zweig  26.  39,  1.  42;  trägt 
Zweig  mit  Tänie  89,  2,  sonst  219.  223;  geht  auf  Stab  52,  1.  2.  91,  1.  166;  auf  Blätterscbnur  113, 1; 
Schale  (Vase)  zwischen  Tauben  86.  87.  31,  2.  49.  50;  Clipeus  200,  1. 

Pfau  frontal  auf  Blume  9.  12,  1.  38.  196;  auf  Vase  37;  auf  Kugel  71.  131.  151;  zwischen 
Vasen  202;  schreitend  12,  4.  30.  91,  1;  Vase  zwischen  Pfauen  31,  2.  109,  1. 

Wir  führen  nur  einige  Belege  an,  sie  lassen  sich  leicht  vermehren.  —  Der  Phönix  kommt 
in  der  Katakombenmalerei  nicht  vor. 

2)  Sirene:  Weicker,  Der  Seelen vogel  1902.  Verstorbene  in  Tauben  verwandelt:  Antonin. 
Lib.  1.     Grabschriften:  V.  Schultze,  Katakomben  130.     Kraus,  Geschichte  I  99. 


172  Die  Malereien  der  Katakomben. 

Das  Sinnbild  der  Entrückung  in  den  Himmel,  in  Gleichsetzung  mit  Juppiter  und  Juno, 
wurde  auch  auf  andere  Sterbliche  übertragen;  so  haben  die  freigelassenen  Griechen, 
Pomponius  Eudämon  und  Pomponia  Elpis,  an  dem  für  ihre  Söhne  und  sich  selbst 
errichteten  Grabmal  über  ihren  Büsten  den  Adler  und  den  Pfau  anbringen  lassen. 
Aus  diesem  Gedankenkreise  heraus  versteht  man,  daß  das  Tier,  nachdem  es  mit  der 
Parkmalerei  in  die  Katakomben  gekommen  war,  auch  für  die  Christen  bedeutsam 
wurde,  zunächst  wohl  eben  als  Sinnbild  der  Aufnahme  in  den  Himmel. 

Daß  der  Pfau  aber  ein  christliches  Sinnbild  der  Unverweslichkeit  oder  der  Un- 
vergänglichkeit  oder  der  Auferstehung  oder  der  Unsterblichkeit  gewesen  sei,  wie  unter 
Berufung  auf  Augustinus  bald  so,  bald  so  gesagt  wird,  ist  unbezeugt.  Hortensius 
brachte  den  ersten  Pfauenbraten  auf  den  Tisch,  bei  seinem  Antrittsdiner  als  Augur; 
ein  teurer  Braten,  so  teuer,  daß  er  auf  keinem  besseren  Tisch  fehlen  durfte,  aber  zäh, 
so  zäh,  daß  die  Gäste  nach  Tisch  einander  ins  Ohr  sagten,  Pfauenfleisch  sei  sogar 
zum  Faulen  zu  zäh.  Der  heilige  Augustinus,  das  heißt,  als  er  noch  in  Karthago  das 
unheilige  Leben  führte,  hatte  eines  Tages  einen  Pfau  auf  dem  Tisch.  Er  beschloß, 
der  Sache  auf  den  Grund  zu  gehen  und  ließ  ein  Stück  Brustfleisch  zurücklegen;  nach 
so  langer  Zeit,  daß  jedes  andere  Fleisch  inzwischen  verdorben  wäre,  roch  es  noch  nicht 
einmal;  nach  weiteren  dreißig  Tagen,  nach  einem  ganzen  Jahr  dieselbe  Sache,  nur  war 
das  Stück  etwas  eingetrocknet.  Man  sieht,  die  Pfauenesser  vom  Augur  Hortensius  bis  zum 
unheiligen  Augustinus  dachten  an  keine  Symbolik  des  Pfauenfleisches;  aber  auch  dem 
geheiligten  Augustinus  lag  der  Gedanke  fern.  Er  überlegt,  wie  es  möglich  sei,  daß 
die  armen  Sünder  im  höllischen  Feuer  ewig  brennen  ohne  zu  verbrennen,  und  findet 
es  ganz  verständlich,  es  gäbe  Analogien:  der  Salamander  lebe  im  Feuer;  der  Ätna 
brenne  immer  zu  und  verbrenne  doch  nicht;  die  Seele  empfinde  Schmerz,  sterbe  aber 
nicht;  der  Schöpfer  habe  dem  Fleisch  des  toten  Pfauen  verliehen,  daß  es  nicht  faule, 
Verfasser  habe  es  bei  einem  Versuch  bestätigt  gefunden,  usf.1) 

Seite  166  sahen  wir  die  wassergefüllten  und  wassersprudelnden  marmornen  Vasen, 
an  denen  Tauben  trinken,  aus  den  heidnischen  Parklandschaften  in  die  christlichen 
Paradiese  übergehen,  eines  der  ansprechendsten  Motive  antiker  Kunst  und  zugleich  ge- 
haltvoll. Man  muß  sich  der  südlichen  Sonne  erinnern  und  der  Wohltat  frischen 
Wassers.  Pindar  beginnt  eine  olympische  Ode  mit  dem  Satz,  das  Allerbeste  ist  das 
Wasser;  erst  an  zweiter  Stelle  folgt  ihm  das  Gold,  und  an  dritter  ein  olympischer 
Sieg  (bald  nachher  sank  er  ernstlich  im  Preise).  Darum  wurde  den  antiken  Plätzen 
und  Straßen,  Häusern  und  Gärten  eine  Fülle  laufenden  Wassers  zugeführt  und  in 
allen  denkbaren  Formen  gefaßt;  die  Garten-  und  Hausvögel,  Tauben  vor  allen,  nippten 
daran  und  badeten  darin.  Die  Kunst  hat  das  Motiv  aufgenommen.  Berühmt  ist  das 
Taubenmosaik  des  Sosos  von  Pergamon,  geschaffen  als  Bestandteil  seines  Mosaikpaviments, 
das    den    Fußboden   eines  Trikliniums  darstellte,  wie  er  nach  großem  Gelage  aussieht; 


*)  Pfau:  Viktor  Hehn,  Kulturpflanzen  und  Haustiere3  1877.  307.  Koscher,  Lexikon  der 
Mythologie  I  2133.  Preller-Robert,  Griechische  Mythologie  I  163.  Preller-Jordan,  Römische 
Mythologie  II  444.  —  Älteste  Darstellung  eines  Pfau  in  einer  Terracotta  zu  Dresden:  Archäol. 
Anzeiger  1889,  158.  Bild. 

Moles  Hadriani:  Mirabilia  urbis  Romae  pag.  29  (Parthey).  Grisar,  Rom.  Quart.  1895, 
252.  —  Pomponius  Eudämon:  vgl.  Leclercq  bei  Cabrol  Dict.  I  2627.  —  Augustinus,  de  civitate  dei 
XXI  cap.  4.  —  Pfau,  christlich:  Schultze,  Katakomben  102.  —  Kraus,  Geschichte  I  111. 

Pfauenbraten:    Marquardt-Mau,  Privatleben  der  Römer  II  431. 


Übernommene  Embleme.  173 

von  den  trinkenden  und  sich  putzenden  Tauben  besitzen  wir  mehrere  antike  Nach- 
bildungen oder  Reminiszenzen.1) 

Das  war  nun  auch  von  jeher  ein  wichtiges  Element  in  den  Jenseitsvorstellungen, 
das  erfrischende  Wasser;  so  schon  in  den  altägyptischen  Totenbüchern.  In  griechischen 
Grabschriften  wird  der  Wunsch  ausgesprochen,  Hades  möge  dem  Verstorbenen  (oder 
der  dürstenden  Seele)  kühles  Wasser  zu  trinken  geben  (aus  dem  Quell  der  Mnemosyne, 
erklärt  Erwin  Rhode,  damit  sie,  die  Begnadeten,  die  Erinnerung  an  ihr  einstiges 
Leben  und  die  Beziehung  zu  den  Hinterbliebenen  sich  bewahren).  Spätere  griechische 
Osiris Verehrer  sprechen  ähnliche  Wünsche  aus:  daß  Osiris  dem  Verstorbenen  das  kühle 
Wasser  reiche,  daß  Isis  ihm  das  heilige  Wasser  des  Osiris  gewähre.  Die  Vorstellung 
solcher  Erquickung  ist  in  den  christlichen  Ideenkreis  übergegangen.  Dies  Erfrischen 
(griechisch  uva\pv%si.v,  lateinisch  refrigerare,  eigentlich  abkühlen)  ist  ein  stehender 
Terminus  in  den  Grabschriften,  z.  B.  in  der  (im  Osiriskult  ähnlich  vorkommenden) 
Formel:  „Gott  erquicke  deinen  Geist",  Deus  refrigeret  spiritum  tuum;  es  meint  die 
Erquickung  im  Paradiese.  Bildlich  dargestellt  wird  es  durch  den  Typus  der  am  Wasser 
nippenden  Tauben.2) 

In  diesem  Zusammenhang  müssen  wir  auf  das  Cubiculum  Oceani  zurückkommen 
und  auf  seine  Deckenverzierung.  Wir  sahen  da  beiderseits  einen  Pfau  nach  dem 
Fond  hinschreiten;  dort  ist  ein  Okeanoskopf  gemalt,  mit  Krebsscheren  im  Haar,  ganz 
übereinstimmend  kommt  er  in  pompejanischen  Wandmalereien  vor.  Da  der  Kopf  über 
der  Rückwand  ro  angebracht  ist,  daß  der  erste  Blick  des  Eintretenden  auf  ihn  fällt, 
also  an  ausgezeichneter  Stelle,  so  muß  der  Schöpfer  dieser  Gruft  irgend  einen  Gedanken 
mit  dem  Urvater  aller  Gewässer  verbunden  haben;  die  Malerei  kann  nicht  bloß 
dekorativ  gemeint  sein,  auch  wohl  nicht  als  Anspielung  auf  den  Namen  oder  das 
Gewerbe  des  hier  zu  Bestattenden,  etwa  eines  Schiffers  oder  eines  Fischers,  was  ja  auch 
anders  ausgedrückt  sein  müßte.  Die  Kammer  wird  in  die  ersten  Jahrzehnte  des  vierten 
Jahrhunderts  gesetzt;  damals  war  die  giiechische  Mythologie  noch  allen  geläufig.  Der 
Kopf  bedeutet  fließendes  Wasser;  und  wenn  die  Pfauen  zu  ihm  hingehen,  so  hieß  das 
für  antike  Beschauer  dasselbe,  wie  die  um  eine  wassergefüllte  Vase  gruppierten 
Pfauen  oder  wie  die  vom  sprudelnden  Wasser  nippenden  Tauben.  Okeanoskopf  und 
Pfauen  sind  in  das  Laubengerüst  des  Plafonds  gemalt,  stehen  also  im  Himmel;  auch 
hier  handelt  es  sich  um  die  Erquickung  im  himmlischen  Paradies,  um  das  Paradies 
als  den  Ort  des  Refrigeriums. 

Hier  dürfen  wir  noch  die  Hirsche  anschließen,  welche  von  einem  Felsen  herab- 
strömendes Wasser  trinken.  Der  Felsenquell  ist  aus  dem  Bild  „Quellwunder  des 
Moses"  entlehnt,  der  Gedanke  aber  durch  Psalm  42,  2.  3  angeregt:  „Wie  eine  Hirschkuh, 
die    nach   Wasserbächen    lechzt,    so  lechzt  meine  Seele  nach  dir,  Gott."     Das  Bild  ist 


*)  Wasser:  Overbeck-Mau,  Pompeji  1884  und  Mau,  Pompeji  1900  im  Register  unter  Wasser- 
leitung, Thermen,  Brunnen,  Brunnenfiguren;  über  letztere  E.  Curtius,  Archäolog.  Zeitung  1879,  19. — 
O.  Richter,  Topographie  Roms2  316.  —  Sosos:  s.  oben  Seite  166,  1.  Ferner  E.  Seilers  The  eider 
Pliny's  chapters  on  the  history  of  art  1896,  223  zu  Plin.  N.  H.  XXXVI  184. 

2)  Erquickung:  Näheres  bei  Rhode,  Psyche  1894,  678.  Dieterich,  Nekyia  95.  Kraus, 
Realencyklopädie  der  christl.  Altertümer  II  u.  d.  W.  Refrigerium.  Wilpert,  Malereien  424.  uvaxpvyeiv  = 
refrigerare  wird  auch  in  weiterem  Sinn  für  erquicken  gebraucht,  wie  2.  Tim.  1,  16;  dann  kann  es 
unter  Umständen  auch  eine  Erquickung  mit  Speise  bedeuten,  sowie  durch  Ausruhen. 


174  Die  Malereien  der  Katakomben. 

nun    übertragen    auf    die    Seele,    welche  nicht  bloß  nach  der  himmlischen  Erquickung 
lechzt,  sondern  bereits  ihrer  teilhaftig  geworden  ist. 

Wir  schließen:  Taube,  Pfau,  Hirsch  sind  Synonyme.  Meinen  sie  die  Seele?1) 
Nun  treten  wir  in  die  Sphäre  des  ländlich  Idyllischen,  das  bereits  in  der 
pompejanischen  und  stadtrömischen  Hausdekoration  gut  vertreten  ist;  Ziegen,  Schafe, 
Rinder  erscheinen  da  vielfach  als  Embleme,  einzeln  und  in  Gruppen.  In  den  Kata- 
komben scheidet  das  Rind  vorweg  aus.  Der  Ziegenbock  fehlt  nicht,  doch  häufiger 
ist,  besonders  als  Eckstück  der  Plafonds,  ein  bartloses  Tier,  zierlich  in  Gliedern,  gern 
im  Sprung  aufgefaßt;  es  wird  Gemse,  Steinbock,  Antilope  oder  Gazelle  genannt,  nicht 
überall  ist  seine  Verschiedenheit  vom  Ziegenbock  ganz  sicher.  Zum  typischen  Tier  in 
der  christlichen  Kunst  in  diesem  Kreise  aber  bildete  sich  das  Schaf  heraus.  Es 
steht  und  geht,  öfter  grasend,  wird  als  Füllstück  im  System  der  Decken  verwendet, 
auch  in  Form  der  symmetrischen  Gruppe,  wo  dann  der  Melkeimer  oder  ein  Cippus 
zwischen  zwei  ihm  zugewandten  Tieren  steht.  Der  Melkeimer  kommt  in  späteren 
Malereien  auch  isoliert  vor,  bisweilen  ornamental  auf  eine  Blume  gestellt.2) 

Hier  ist  der  Ort,  die  kleinen  Landschaften  zusammenfassend  zu  über- 
schauen, die  ganz  im  Stil  der  „pompejanischen"  Wandmalerei  als  anziehende 
Mittelstücke  vereinzelt  in  Wandfelder  oder  in  Arkosollü netten,  meist  in  die  Kappen- 
oder Zwickelfelder  der  Plafonds  eingesetzt,  stimmungsvolle  Ausblicke  gewähren. 
Mehrere  sind  aus  der  heidnischen  Kunst  einfach  herübergenommen,  vielmehr 
in  deren  Sinn  neu  komponiert  (dergleichen  saß  den  Malern  im  Pinsel):  eine  Land- 
schaft mit  ländlichen  Heiligtümern  und  figürlicher  Staffage,  eine  andere  mit  Schilf- 
hütten, allerlei  Leuten  und  einem  Hund,  eine  dritte  mit  dem  an  einen  Baumstumpf 
gelehnten  Priap,  andere  mit  Enten,  im  Grünen  oder  im  Wasser.  Eine  mittlere  Stel- 
lung nehmen  religiös  indifferente  Tierstücke  im  Cubiculum  Ampliati  ein,  Schafe  in 
Gruppen,  selbst  Herden,  auch  ein  Bock  findet  sich  darunter;  das  Mittelstück  der  einen 
Wand  aber  ist  bereichert  mit  einem  Hirten,  der,  in  freundliche  Beziehung  zu  seinen 
Schafen  gebracht,  zwar  nicht  den  ausgeprägten  Typus  des  „guten  Hirten"  darstellt, 
wohl  aber  seine  Stimmung  ausspricht  und  auf  jeden  Leser  des  Johannesevangeliums  die 
Eindrücke  eines  guten  Hirten  machen  mußte.  Neben  anderen  Tierstücken  mit  Schafen 
gibt  es  auch  solche  mit  „Gazellen".  Typisch  kehrt  ein  Motiv  wieder,  das,  auch  aus 
der  heidnischen  Malerei  übernommen,  durch  die  Niedrigkeit  des  Bildfeldes  in  Quer- 
format bedingt  ist,  das  Motiv  mit  Baumstumpf,  der  bisweilen  noch  einen  grünen  Ast 
trägt;  es  lag  uns  schon  in  dem  Bildchen  mit  dem  Priap  vor.  Ohne  Staffage  dient 
es  gelegentlich  als  Füllwerk,  mit  Tierstaffage  findet  es  sich  öfter,  und  zwar  der  Stumpf 
zwischen  zwei  symmetrisch  angeordneten  Tieren,  Tauben  oder  Schafen;  einmal  sind 
statt  dessen  Fische  ins  Grüne  gelegt.  Statt  des  Stumpfes  tritt  wohl  auch  der  Cippus 
in  die  Symmetrieaxe,   mit  Delphinen,  Tauben   oder  Schafen.     Der  Melkeimer  gesellt 


')  Cub.   Oceani:    de  Rossi,  Roma  sott.   II  Taf.  27.  28.     Wilpert  Mal.  32  Taf.  134.     Oben 
Seite  526  und  unsere  Farbtafel  II. 

Okeauos:    Weizsäcker  in  Roschers  Lexikon  III  820.    Presuhn,  Pompeji  1877,  40  Taf.  21.  3. 

Hirsche:    Wilpert  479  Taf.  150,  3  (kurz  vor  340). 

2)  Bock:  Wilpert  Mal.  Taf.  3. 

Gemse:  Taf.  49.  72.  73.  104.  113,  1.  136,  1. 

Schaf:  97,  1.  102,  1.  151.  165;  symmetrisch  83.  165. 

Melkeimer:   183,  2.  265f.;  auf  Blume  265.  267. 


Übernommene  Embleme.  175 

sich  auch  in  solchen  Bildchen  zu  dem  Schaf,  wie  der  Dreizack  zum  Delphin,  oder  der 
Eimer  steht  auf  dem  dann  besonders  kurzen  Baumstumpf  zwischen  den  zwei  Schafen, 
oder  beim  Schaf  unter  einem  Baum. 

Seinen  christlichen  Sinn  verdankt  das  Schaf  der  Idee  und  dem  Typus  des  guten 
Hirten.  Wenn  es  nun  dort  den  Christen  bedeutet,  so  wird  das  auch  der  Fall  sein, 
wo  es  außerhalb  des  Hirtenbildes  vorkommt  und  nicht  bloß  in  den  Gemälden,  die 
ihm  das  Hirtenattribut  des  Melkeimers  beigesellen;  ganz  gewiß,  wenn  es  in  den  Systemen 
erscheint,  welche  das  himmlische  Paradies  andeuten,  sei  es  an  Wandgräbern  oder  an 
Decken  (vom  „Lamm  Gottes"  ist  hier  noch  nicht  zu  reden).  Sehen  wir  dann  aber 
in  gleichartigen  Kompositionen,  sogar  in  Gegenstücken,  hier  Schafe,  dort  Tauben,  so 
scheinen  auch  letztere  unter  die  gleiche  Deutung  zu  fallen,  und  mit  ihnen  die  Pfauen 
und  Hirsche.  Es  muß  nur  immer  festgehalten  werden,  daß  dies  alles  sich  allmählich 
entwickelt  hat,  daher  nicht  alles  gleich  fertig  da  war,  noch  überall  alles  übereins  zu 
sein  braucht;  die  trinkende  Taube  mag  zuerst  die  Erquickung  mehr  veranschaulicht 
als  bedeutet  haben,  ehe  sie  zu  einem  Sinnbild  des  seligen  Christen  wurde. 

Diese  Tierbilder  sind  bezeichnend;  in  engem  Rahmen  lassen  sie  erkennen,  wie 
vielseitig  das  Christentum  war,  wie  alle  Elemente  des  Altertums  in  ihm  sich  zusammen- 
fanden. Die  genannten  Tierbilder,  alle  aus  der  heidnischen  dekorativen  Kunst  über- 
nommen, schöpften  ihre  Bedeutsamkeit  aus  verschiedenen  Quellen,  das  Schaf  (in  ihrer 
Weise  auch  die  Taube)  aus  den  Evangelien,  der  Hirsch  aus  den  Psalmen,  nur  der 
Pfau  entbehrte  jeder  biblischen  Basis  (die  Bücher  der  Könige  kommen  hier  nicht  in 
Betracht).  Uns  mutet  das  vornehme  Tier  wie  ein  Sinnbild  desjenigen  Christentums 
an,  welches,  durch  Genieindebildung  und  Propaganda  politisch  geworden  und  von 
Paulus  selbst  auf  die  Reichshauptstadt  als  das  zentrale  Ziel  hingewiesen,  in  den  oberen 
Kreisen  der  griechisch-römischen  Welt  Boden  suchte  und  fand.1) 

Die  Menschengestalt  bleibt  noch  übrig.  Sie  tritt  in  vielen  Putten  entgegen, 
die  meist  geflügelte  Eroten  sind.  Die  hellenistisch-römische  Kunst  war  unerschöpflich 
auf  diesem  Gebiete.  In  reichem  Wechsel  ließ  sie  die  Knäbchen  in  Kinderart  alle 
Betätigungen  der  Erwachsenen  mit  spielendem  Ernst  nachmachen.  Den  lieblichsten 
Blumenstrauß  solcher  köstlicher  Szenen  brachte  uns  das  Haus  der  Vettier  zu  Pompeji; 
im  Speisesaal  gemalt  bereiten  und  verkaufen  die  Amoretten  alles  den  Gästen  Nötige, 
Gewand  und  Schmuck,  Salböl  und  Kränze.  Die  Katakomben  geben  nur  eine  kleine 
Auswahl  von  ihrem  Gebaren.  In  bacchischem  Treiben  bewegen  sie  sich  in  Weinlauben, 
oder  schwebend  schwingen  sie  den  Thyrsos,  wiederum  führen  sie  den  ländlichen 
Krummstab  (unser  Textbild);  oder  sie  tragen  Tänien,  Blumengewinde,  Blätterschnüre, 
dies  auch  zu  zweien.  Der  dekorativen  Skulptur  sind  die  zwei  Putten  entlehnt,  die 
zwischen  sich  das  Täfelchen  mit  der  Grabschrift  halten.     Oder  eine  Blume  entwickelt 


*)  Landschaften:  Belege  aus  der  heidnischen  Wanddekoration,  der  römischen  und 
der  pompejanischen ,  brauchen  wir  nicht  beizubringen,  man  findet  sie  in  allen  einschlagenden 
Publikationen.  —  Heiligtümer:  Wilpert  Mal.  Taf.  6,  1.  Hütten  6,  2.  10.  Priap  7,  3.  Enten  im 
Grünen  17,  schwimmend  36,  3.  136,  1.  Cub.  Ampliati  30,  2.  31,  1.  Andere  Tierstücke:  Herde 
mit  Hirt?  Taf.  10.  Schafe  36,  4.  206,  2,  mit  Heiligtum  55:  Gazellen  161.  Schafe  149,  1.  2.  — 
Baumstumpf  ohne  Staffage  56,  mit  Tauben  24.  114.  150,  1,  Schafen  24.  150,  2;  drei  Schafe  206,  1; 
Fische  114.  —  Cippus  mit  Delphinen  165,  Tauben  171.  211,  2,  Schafen  151.  —  Melkeimer  und 
Schaf  7,  2,  auf  Stumpf  24,  unter  Baum  96.  —  Sonst  kommt  noch  Stute  und  Fohlen  vor  136,  2, 
ein  Pferd  161.  —  Symbolik  des  Schafs:  Leclercq  bei  Cabrol,  Dictionn.  I  877. 


176  Die  Malereien  der  Katakomben. 

sich  zwischen  zwei  am  Boden  hockenden  Putten.  Andere  stehen  auf  Blumen,  in  den 
Zwickeln  einer  Decke,  wechselnd  mit  Psychen.  Eroten  und  Psychen  werden  wir  noch 
bei  den  „ Ernteszenen "  geschäftig  sehen.  Ali  das  harmlose  Wesen  erscheint  in  der 
Frühzeit  naturgemäß  am  unbefangensten  auf  dem  Plan,  taucht  aber  auch  später  und 
bis  in  die  letzte  Zeit  immer  wieder  auf. 

Eroten  und  Psychen  mögen  wesentlich  dekorativ  verwendet  sein,  obwohl  sie  den 
Gebildeten  und  Sinnenden  unter  den  Hellenen  und  Hellenisten  mehr  sagten.  Eros, 
der  Wunsch,  der  heiße  Drang  nach  allem  Schönen  und  Hohen,  und  Psyche,  die  Seele, 
die  zwei  hatten  durch  Plato  ihre  bleibende  Bedeutung  erhalten,  die  dann  fortwirkte 
durch  die  Jahrhunderte  bis  in  das  innerste  Mark  des  Altchristentums.1) 

Dann  wäre  noch  als  übernommen  aus  der  heidnischen  Kunst  der  Sonnengott 
zu  nennen,  der  zweimal  in  Jonasszenen  vorkommt,  einmal  als  Lockenkopf  in  Strahlen- 
kranz, das  anderemal  (fraglich)  in  ganzer  Gestalt  auf  einem  Zweigespann;  und  beim  Tobias 
Tigris  im  üblichen  Schema  des  gelagerten  Flußgottes.  Endlich  noch  eine  Figur  in 
langem  Kleid  mit  Stab  und  Eimer  wie  dahineilend  oder  schwebend  (die  Füße  sind 
zerstört),  sowie  mehrere  nackte  männliche  Figuren,  lysippischem  Stil  sich  anlehnend: 
einer  an  einen  athlethischen  Sieger  mit  Palmzweig  erinnernd;  ein  zweiter  hält  einen 
Stab  in  der  Linken,  den  Mantel  über  den  Arm  geworfen;  ein  dritter  mit  Schale  und 
Tänie,  dieser  im  Scheitelfeld  eines  Plafonds,  irgendwie  wird  er  glückliche,  selige 
Zeit  bedeuten.  Zwei  männliche  Kanephoren,  als  Gegenstücke  komponiert,  jeder  auf 
einer  Art  Kandelaberbasis  stehend,  nackt,  mit  lang  den  Kücken  hinabfallender  Chlamys, 
sind  gewiß  dekorative  Figuren;  doch  ist  es  ebenso  sicher  nicht  bedeutungslos,  daß 
sie  volle  Fruchtkörbe  auf  den  inneren  Händen  emporhalten. 

Von  Tierköpfen  gibt  es  in  dekorativer  Verwendung  nur  den  Widderkopf,  der 
aus  einem  Blattkelch  hervorkommt,  paarweis  in  symmetrischer  Gegenüberstellung. 
Ebenso  pflegen  dekorative  menschliche  Köpfe  aus  Blattkelchen  hervorzuwachsen  in 
bekannter  hellenistischer  Weise;  es  gibt  auch  Köpfe  bloß  mit  dem  Hals,  ohne  allen 
unteren  Abschluß,  wie  aus  dem  Rumpf  gerissen.  Die  menschlichen  Köpfe  sind  öfter 
nimbiert.  Ein  paarmal  steht  der  aus  dem  Blattkelch  wachsende  Kopf  in  einem  Reif 
oder  Blumenring  über  der  Tür.  Einmal  findet  sich,  einer  schweren  Blumengirlande 
vorgeheftet,  eine  tragische  Maske.2) 

Eine  Bemerkung  wollen  wir  nicht  unterdrücken.  Die  Empfindung,  aus  welcher 
jene  ganze  Richtung  der  Innendekoration  entsprang,  auf  Raumerweiterung,  auf  täuschende 
Blicke  wenigstens  aus  der  engen  Stube  in  die  freie  Natur,  die  Empfindung  war  senti- 
mental. In  der  Stadt  war  sie  entstanden;  die  gesteigerte  Kultur  solcher  Städte  wie 
Athen  oder  Syrakus  hatte  sie  gezeitigt;  im  Hellenismus   und  seinem  intensiven  Welt- 


*)  Eroten  im  Vettierhaus:  Mau,  Eöm.  Mitt.  1901,  111.  Christlich,  in  Eeben:  Wilpert  Mal. 
Taf.  1.  148,  mit  Thryrsos  und  Schale  25,  Pedum  2.  3.  4.  5,  Taenie  134,  2.  149,  3.  188,  Girlande 
235.  211,  1,  Täfelchen  218,  1,  Blume  158,  2.  Eroten  und  Psychen  in  Decke  217.  —  Eros  und 
Psyche:  Preller-Robert,  Griech.  Mythologie  I  505.  Petersen,  Rom.  Mitteil.  1901,  69.  —  Vgl. 
Leclercq  bei  Cabrol,  Dict.  I  1606. 

2)  Sonnengott:  Wilpert  Taf.  56.  160,  1.  Tigris  212.  Figur  mit  Eimer  10.  Nackter  Athlet? 
145,  2.  146,  1;  mit  Mantel  158,  1;  mit  Schale  217.  Kanephoren:  Wilpert  527  Taf.  244,  1.  3.  — 
Widderkopf  55.  100.  Köpfe  aus  Kelchen  8,  1.  3.  149,  3.  161.  Nur  Kopf  und  Hals  25.  38.  Nimbus 
8,  1.3.  25.  161.  Kopf  über  Tier  13.  156;  Blumenring  auch  149,  3.  156.  Maske:  de  Rossi,  Roma 
sott.  III  Taf.  6,  1. 


Erntebilder.  177 

leben  erwuchsen  jene  Großstädte  in  sehr  modernem  Sinn,  Antiochia,  Alexandria,  Rom. 
Im  Rückschlag  gegen  deren  Unnatur  und  Raffinement  arbeitete  die  Sehnsucht  nach 
Ursprünglichkeit,  nach  Einfalt  und  Unschuld.  Die  sentimentale  Stimmung,  die  sich  in 
den  ländlichen  Idyllen  des  Theokrit  aussprach  wie  in  der  nun  auch  zur  Stadt  ge- 
gangenen Hirtendichtung  des  Hohenliedes,  hat  jene  gemalten  Durchblicke  in  die 
Natur  eingegeben,  jene  idyllischen  Szenen,  wie  die  analogen  Stimmungen  des  acht- 
zehnten Jahrhunderts  Watteaus  Schäferstücke,  Geßners  Idyllen,  Haydns  Pastoral- 
symphonie.1) 

Die  Sentimentalität  der  hellenistisch-römischen  Zeit,  gerade  der  höheren  und 
gebildeten  Klassen,  begründet  auch  einen  Teil  ihrer  Empfänglichkeit  für  die  christliche 
Verkündigung.  Es  lag  darin  das  Sehnen  nach  der  vergangenen  goldenen  Zeit,  dem 
heidnischen  Analogon  des  jüdisch-christlichen  verlorenen  Paradieses.  Sentimental 
waren  die  ganzen  messianischen  Hoffnungen,  sentimental  war  auch  das  Christentum, 
seitdem  es  sich  wieder  auf  Hoffnung  gestellt  hatte.  Die  Religion  der  Erfüllung  war 
naiv  gewesen;  aber  die  Religion  der  Wiederkunft  und  der  Jenseitigkeit  war  sentimental. 
Aus  dem  Kreise  solcher  Stimmungen  heraus  versteht  man,  wie  der  reiche  Freigelassene 
Ampliatus  seine  Gruft  mit  den  pastoralen  Szenen  schmücken  lassen  konnte,  deren  wir 
gedachten. 

Erntebilder. 

Aus  der  Klasse  der  übernommenen  Embleme  hebt  sich  eine  Gruppe  meist  auch 
sehr  anmutig  entworfener  Malereien  heraus;  wegen  ihrer  besonderen  Bedeutung  erfordert 
sie  gesonderte  Behandlung.  Es  sind  teils  Ernteszenen  in  ausführlicher  Schilderung, 
teils  Personifikationen  der  Jahreszeiten;  die  Attribute  derselben  haben  Bezug  auf  die 
Erträge  der  betreffenden  Jahreszeit. 

Hauptdenkmal  ist  die  recht  frühe  Crypta  quadrata  (Januarii).  Die  viereckige 
Kammer  hatte  man  ausgemauert,  in  jeder  Wand  aber  eine  rundbogige  Nische  aus- 
gespart; oberhalb  der  Nischen  neigen  sich  die  Wände  in  der  Art  eines  vierseitigen 
Klostergewölbes  zusammen,  zwischen  ihnen  bleibt  ein  Lichtschacht  offen.  Die  vier 
Bogen  der  Nischen  sind  mit  Ernteszenen  bemalt,  entsprechend  den  vier  Jahreszeiten. 
Der  Frühling  bringt  Blumen.  Vier  Mädchen  arbeiten  an  Blumengewinden;  sie  sitzen 
um  das  Gerüst,  an  dem  die  Blumenschnüre  hängen,  und  entnehmen  das  Material 
einem  davorstehenden  Korb;  von  jeder  Seite  kommt  ein  Arbeiter  im  Kittel  eilig  heran 
und  bringt  auf  einem  geschulterten  Brett  zwei  Körbe  voll  Blumen;  an  den  Enden  des 
Frieses  werden  sie  von  je  einem  Mädchen  in  gegürtetem  Kleid  gepflückt,  es  sind 
Rosen.  Den  Sommer  bezeichnet  die  Weizenernte.  Ein  Putto  schneidet  mit  der  Sichel, 
ein  zweiter  rafft  mit  dem  Rechen  die  Ähren  zusammen,  links  bindet  ein  dritter  die 
Garbe,  rechts  trägt  der  vierte  eine  gebundene  Garbe  fort,  neben  ihm  drischt  der 
fünfte.  Dem  Herbst  eignet  die  Weinlese.  Zwei  Putten,  an  die  Enden  verteilt,  brechen 
Trauben,  zwei  tun  sie  in  einen  Korb,  der  fünfte  bringt  den  vollen  Korb  zur  Kelter 
in  der  Mitte,  darin  treten  der  sechste  und  siebente  die  Trauben  aus,  der  Saft  fließt  vorn 


')  Die  von  Mahaffy,  Progress  of  hellenism  1905,  122  geschilderte  Landflucht  beweist  nichts 
gegen  die  oben  besprochene  Landsucht;  jene  ist  Ursache,  diese  Folge,  oder  Kehrseite,  derselben 
Erscheinung. 

Sybol,  Christliche  Antike  I.  12 


178  Die  Malereien  der  Katakomben. 

in  zwei  untergestellte  Gefäße  ab.  Im  Winter  werden  die  Oliven  gebrochen.  Die 
Putten  tragen  winterlich  warme  Kleidung,  Ärmeltunika,  Schulterkragen  mit  Kapuze, 
Gamaschen  und  Schuhe.  Einer  steht  auf  der  Leiter  und  pflückt  die  Oliven,  rechts 
schlägt  sie  ein  zweiter  mit  der  Stange  vom  Baum,  in  der  Mitte  liest  der  dritte  die 
heruntergefallenen  auf,  der  vierte  schüttet  die  Ernte  in  einen  Korb,  links  hat  der 
fünfte  den  vollen  Korb  auf  die  Schulter  genommen.  Die  Jahreszeiten  sind  so  verteilt, 
daß  der  Frühling  über  der  Tür  zu  stehen  kommt  und  die  übrigen  Szenen  für  den  in 
der  Kammer  Stehenden  rechtsherum  folgen,  also  an  der  linken  Wand  der  Sommer, 
dann  der  Herbst  und  an  der  rechten  Wand  der  Winter;  mit  deutlicher  Absicht  ist 
die  Anordnung  so  getroffen,  daß  die  Weinlese  dem  Eingang  gegenüber  an  die  Fond- 
wand kam  und  in  deren  Mitte  der  Rebensaft  aus  der  Kelter  fließt. 

Wie  aber  die  Wände  sich  laubenartig  zusammen  wölben,  so  ist  auch  die  Aus- 
malung laubenähnlich.  In  den  Ecken  erheben  sich  auf  Ständern  Muschelschalen,  hoch- 
gefüllt mit  Rosen;  Zweige  und  Ranken  ziehen  sich  höher  hinauf,  um  dann  nach  beiden 
Seiten  in  vier  von  Stäben  geschiedene  Zonen  auseinanderzugehen.  Zu  den  Ranken 
zwischen  den  das  Laubengerüst  bildenden  Stäben  wählte  der  Maler  sinnvoll  wieder  die 
bezeichnenden  Pflanzen  der  Jahreszeiten;  es  folgen  sich  von  unten  nach  oben  Rosen- 
zweige, Ähren,  Weinranken  mit  Trauben,  und  Ölzweige  mit  Oliven.  In  dem  Geranke 
der  drei  warmen  Jahreszeiten  sind  Vögelchen  verteilt  in  mancherlei  zierlicher  Be- 
wegung, hin  und  wieder  auch  Nester  mit  Jungen,  denen  die  Alten  Futter  bringen; 
dem  Frühling  fehlt  auch  nicht  der  Schmetterling,  dem  Sommer  die  Zikade.1) 

Vollständige  Zyklen  der  Ernteszenen  gibt  es  noch  einige,  doch  in  kürzerer  Fassung. 
Verhältnismäßig  ausführlich,  mit  je  drei  Putten,  wurden  die  Szenen  in  einer  späten 
Decke  des  Coem.  Marci  et  Marcelliani  gemalt;  vom  Frühling  und  Sommer  sind  bloß 
ein  paar  Blumen  und  Ähren  erhalten,  ganz  nur  die  Weinlese  und  die  Olivenernte. 
Sonst  wird  jede  Ernte  durch  nur  einen  Putto  zur  Darstellung  gebracht.  In  der 
„  Bäckergruft "  pflückt  einer  Rosen  in  den  Korb,  der  zweite  schneidet  Ähren,  der  dritte 
trägt  ein  Füllhorn  mit  Früchten  und  eine  Traube,  der  letzte  ist  fast  ganz  zerstört; 
sie  folgen  sich  so  von  rechts  nach  links,  zwischen  sie  in  die  Mitte  ist  der  gute  Hirte 
gestellt.  Um  den  zentralen  Hirten  ordnen  sie  sich  auch  an  einer  Decke  in  Ponzian: 
so  trägt  der  Frühling  (wir  dürfen  diese  Putten  einfach  als  Jahreszeiten  bezeichnen) 
Blumenschnüre  an  einem  Stock  und  in  der  Hand,  der  Sommei  schneidet  Ähren, 
der  Herbst  keltert,  der  Winter  steigt  auf  der  Leiter  in  den  Ölbaum  hinauf;  in  den 
Zwischenfeldern  standen  blumenumrankte  Putten,  wahrscheinlich  wieder  mit  Attributen 
der  Jahreszeiten,  der  einzig  erhaltene  trägt  eine  Garbe.2) 

Dekorative  Verwendung  der  für  die  Jahreszeiten  charakteristischen  Pflanzen, 
dergleichen  wir  an  den  Wölbflächen  der  Ciypta  quadrata  sahen,  kommt  zweimal  an 
gewöhnlichen  Decken  in  diesen  angepaßter  Form  vor;  da  wird  aus  Rosen,  Ähren, 
Reben  und  Olivenzweigen  ein  reich  sich  entwickelnder  Kranz  um  den  zentralen  Guten 
Hirten  gebildet  oder  ein  ganzes  Deckensystem.3) 


*)  Wilpert,  Mal.  34  Taf.  32—34. 

2)  Marcus:  Wilpert,  Mal.  37,  8  Taf.  245.  1.  Bäckergruft:  Wilpert  36,  5.  Garrucci,  Storia 
II  Taf.  21,  1.  Ponzian:  Wilpert,  36,  6.  Jahreszeiten  als  Putten:  Marx,  Rom.  Mitt.  1892,  27. 
Petersen,  eb.  250.     G.  Thiele,  Antike  Himmelsbilder  1898,  134. 

aj  Wilpert  36,  4  Taf.  161;  S.  37,  7  Taf.  162,  1. 


Erntebilder.  179 

Die  ursprünglich  vier,  jetzt  nur  noch  zwei  gelagerten  Figuren  an  der  Decke 
des  „Cubiculum  Terrae",  die  eine  mit  nacktem  Oberkörper,  den  Mantel  um  die  Unter- 
figur, die  andere  in  ärmellosem  Chiton  und  Mantel,  jene  die  Rechte  auf  den  Boden 
gestützt,  diese  sie  an  den  Kopf  hebend,  beide  bekränzt  und  mit  einer  Fruchtschale 
auf  der  Linken,  galten  früher  als  weiblich  und  als  Bilder  der  fruchttragenden  Erde; 
eher  könnte  man  an  Nymphen  oder  Hören  denken,  in  letzterem  Falle  würden  sie 
den  Bildern  der  Jahreszeiten  zuzurechnen  sein.  Sollten  sie  deren  Kennzeichen  ganz 
abgestreift  haben,  so  blieben  immer  noch  Typen  seliger  Zeit  übrig.  Wilpert  freilich 
erklärt  die  erstgenannte  Figur  für  männlich;  die  Körperformen  würden  nicht  dagegen 
sprechen,  aber  vielleicht  nicht  entscheidend,  am  wenigsten  hinsichtlich  der  ursprüng- 
lichen Bedeutung  dieser  entlehnten  Figuren.1) 

Von  den  mannigfaltigen  Typen  der  Jahreszeiten,  über  welche  die  heidnische 
Kunst  verfügte,  haben  die  Katakombenmaler  gelegentlich  noch  die  Büste  verwendet. 
Solche  waren  an  der  vorderen  Decke  der  Cappella  greca  als  Eckstücke  eingesetzt,  aus 
dem  Blätterkelch  herauswachsend  und  von  einem  Blumenring  umgeben;  erhalten  ist 
nur  der  Sommer  mit  Ähren  im  Haar.  Die  Köpfe  zwischen  den  Kreuzbalken  an  einer 
Decke  in  Lucina  werden  Horenköpfen  wenigstens  nachgebildet  sein.2) 

Die  Ernteszenen  sind  ursprünglich  eine  jede  für  sich  entstanden,  erst  sekundär 
in  einen  Zyklus  gebracht  worden;  so  finden  sie  sich  auch  einzeln,  nicht  als  Bruchstücke 
eines  eigentlich  umfassenderen  Ganzen,  sondern  in  ihrer  selbständigen  Bedeutung.  In 
dieser  Art  kommen  Frühlings-  und  Herbstbilder  vor. 

Eine  Kammer  in  Domitilla  enthält  drei  Arkosolien;  über  jedem  ist  Eros  und 
Psyche  gemalt,  Eros  bald  mit,  bald  ohne  Flügel,  Psyche  hier  gegürtet,  dort  nicht;  sie 
pflücken  Rosen  und  sammeln  sie  in  Körbe.  Jede  Gruppe  umgibt  ein  Rahmen  aus 
leichten  Stäben,  darüber  und  zur  Seite  hängen  Rosengirlanden,  einzelne  Rosen  sind 
dazwischen  gestreut.  Das  Ganze  ist  offenbar  als  Paradiesbild  gemeint  (unsere  Farb- 
tafel I).8) 

Weinstöcke  mit  ausgebreiteten  Reben  und  traubenschwere  Weinlauben ,  von 
Vögeln  durchschwirrt,  kommen  mehrfach  vor.  Gleich  in  der  frühen  Flaviergalerie; 
aus  Akanthusblättern  hervorwachsend,  breiten  sich  die  Reben  über  den  Decken  aus, 
dahinein  waren  Eroten  bei  der  Weinlese  gemalt,  sie  sind  zerstört.  Wenn  dann  an 
einem  späteren  Arkosolbogen  in  Domitilla  wiederum  eine  Weinlaube  mit  Vögeln  und 
weinlesenden  Putten  gemalt  ist  und  an  der  Lünette  darunter  der  erhöhte  Christus 
zwischen  den  Aposteln,  so  erklären  sich  auch  diese  Lauben  als  Paradiesbilder.4) 

Nun  noch  einige  Bemerkungen  zur  Erklärung  der  Jahreszeiten  in  der  Katakomben- 
malerei. Wilpert  deutet  sie  als  Sinnbild  der  Auferstehung;  er  zitiert  neutestament- 
liche  und  patristische  Stellen,    in  denen  vom  Samenkorn  die  Rede  ist,  daß  es  sterben 


J)  Cub.  Terrae:  Wilpert,  Mal.  22  Taf.  85,  1.  182. 

Hören:  Petersen,  Annali  1861,  215.  Rapp  in  Roschers  Lexikon  I  2737.  Michaelis,  Rom. 
Mitteil.  1893,  182,  23. 

2)  Büsten:  Wilpert,  Mal.  23  Taf.  8,  2.  13;  ähnlich  Taf.  100.  Thiele,  Himmelsbilder  133. 
Lucina:  Wilpert  23  Taf.  25. 

3)  Domitilla:  Wilpert  38  Taf.  52.  53.  Im  Cub.  I  des  Coem.  maius  aus  dem  vierten  Jahr- 
hundert sind  im  Fries  der  Türwand  zwei  einander  zugekehrte  nimbierte  Putten  gemalt,  deren  jeder 
einen  Korb  voll  Blumen  auf  einem  geschulterten  Brett  trägt;  hinter  ihm  steht  ein  zweiter  Korb 
am  Boden:   Garrucci,  Storia  II  60,  1. 

4)  Flaviergalerie:  Wilpert  Taf.  1.     Arkosolbogen  eb.  Taf.  148. 

12* 


180  Die  Malereien  der  Katakomben. 

müsse,  damit  Früchte  daraus  hervorgehen.  Joh.  12,  24  f.  spricht  Jesus  allerdings  in 
diesem  Sinne  vom  Weizenkorn  und  zwar  mit  Beziehung  auf  seinen  bevorstehenden 
Tod,  aber  es  ist  nicht  seine  Auferstehung  als  die  aus  ihm  zu  erwartende  Frucht  ge- 
gedacht. Erst  Paulus  hat  das  Gleichnis  auf  die  Auferstehung  bezogen.  Das  geht 
aber  alles  die  Jahreszeiten  nichts  an.  In  deren  Wechsel  sehen  erst  so  spate  Schrift- 
steller wie  Minucius  Felix,  Tertullian,  Cyrill  von  Jerusalem  ein  Zeugnis  für  die  Auf- 
erstehung der  Toten;  sie  gehören  dem  ausgehenden  dritten  und  dem  vierten  Jahr- 
hundert an,  die  Jahreszeiten  aber  haben  sich  viel  früher  in  der  Katakombenmalerei 
eingebürgert.  Halten  wir  uns  einfach  an  die  Bilder.  Vor  Augen  gestellt  sind  Ernte- 
szenen und  Sinnbilder  der  Haupterntearten  des  Jahres;  von  diesem  Punkte  muß  die 
Erklärung  ausgehen.  Das  Bild  der  Ernte  muß  etwas  bedeuten.  Nun,  die  Metapher 
ist  uns  vertraut;  die  Erntezeit  ist  die  Zeit  der  Reife,  der  Erfüllung  froher  Hoffnungen. 
In  bekannten  evangelischen  Worten  ist  es  die  Erfüllung  der  Erwartungen,  die  wir 
als  messianische  bezeichnen:  die  Zeit  der  Reife,  der  Ernte  ist  da;  es  bedarf  Schnitter 
zur  Ernte,  Arbeiter  in  den  Weinberg.  Kurz,  die  Ernte  ist  ein  messianischer  Typus, 
ein  Bild  für  die  Idee,  die  messianische  Zeit  ist  angebrochen. 

Doch  bleibt  ein  Bedenken.  Die  messianische  Zeit,  als  deren  Anbruch  man 
Jesus'  Auftreten  verstanden  hatte,  war  diesseitig  und  gegenwärtig.  Was  soll  ihre  Dar- 
stellung an  einem  christlichen  Grabe,  dessen  Gedankenkreis  ganz  auf  das  Jenseits  und 
die  Zukunft  gerichtet  ist?  Nun,  das  Christentum  ließ  keine  Idee  fallen,  die  es  einmal 
gefaßt  hatte.  Allerdings,  der  kurze  Traum  einer  nun  wirklich  gewordenen  messianischen 
Zeit  war  mit  der  Kreuzigung  zunichte  geworden;  aber  die  Idee  blieb,  nur  mußte  sie 
sich  den  veränderten  Umständen  anpassen,  sie  ward  übertragen  auf  das  Jenseits,  auf 
das  himmlische  Paradies.  Auch  hier  konnte  jeder  Beschauer  seine  Gedanken  spielen 
lassen  nach  seinem  Gefallen;  die  Erntebilder  konnten  ihm  zusammenfließen  mit  den 
anderen  Paradiesesbildern,  und  es  mochte  der  Umlauf  der  Hören,  gleich  dem  Umlauf 
der  Jahre  bei  Homer,  ihm  von  der  nahenden  Vollendung  sprechen.  So  fließende 
Gedankenspiele  scheinen  sich  der  logischen  Erfassung  zu  entziehen;  aber  hier  befinden 
wir  uns  im  Reiche  der  Phantasie.  So  konnte  ein  Christ  seine  Gruft  ganz  wohl  mit 
Ernteszenen,  Hören  und  deren  Attributen  ausmalen  lassen,  indem  er  mit  dem  an- 
mutigen Schmuck  alle  seine  Jenseitsh Öffnungen  verknüpfte.  Nicht  sein  Verstand  sollte 
befriedigt  werden,  sondern  sein  Gemüt.1) 


1)  Wilpert,  Malereien  321.     Joh.  12,24  tav  (irj  6  xöxxoq  zov  alrov  nsacuv  slg  ri\v  y7jv  änoftüvy, 
avrbq  fiövog  (xhet,  mv  de  ano&ccvy,  noXvv  xctQitbv  (peQei.     Paulus,  Kor.  I  15,  36  —  38. 


Das  Mahl  der  Seligen. 


Grabstele  Peruzzi,  Florenz. 

Oben  Gelage,  unten  Schmausende 

sitzend. 


Nach  den  übernommenen  Emblemen,  deren  viele 
wir  übrigens  spezifisch  christlichen  Charakter  an- 
nehmen sahen,  hätten  wir  nun  die  neugeschaffenen  zu 
betrachten,  und  zwar  was  an  menschlichen  Figuren 
und  Gruppen  die  in  den  Dienst  des  Christentums 
getretene  Kunst  hervorgebracht  hat.  An  dieser  Stelle 
erscheint  es  ratsam,  in  Erinnerung  zu  bringen,  was 
wir  in  der  Einleitung  über  die  geschichtliche  Stellung 
der  altchristlichen  Kunst  sagten,  sie  sei  nicht  im 
Gegensatz  zur  Antike  entstanden,  sei  aber  auch  nicht 
als  deren  Tochter  anzusehen,  sondern,  so  sagten  wir, 
die  altchristliche  Kunst  ist  selbst  Antike,  Antike  christ- 
licher Konfession  im  Unterschiede  von  der  Antike 
heidnischer  Konfession.  Im  Künstlerischen  blieb  die 
Kunst  immer  dieselbe  Antike,  nach  Maßgabe  der  ihr  in 
der  Kaiserzeit  noch  innewohnenden  Kräfte  gleich 
bereit,  alle  an  sie  herantretenden  Aufgaben  zu  lösen, 
mochte  es  sich  um  den  Kult  des  Juppiter,  des  Mithras 
oder  des  Christus  handeln,  um  die  künstlerische  Aus- 
stattung einer  heidnischen  oder  einer  christlichen  Gruft. 

Wenn  es  nun  wahr  ist,  daß  in  der  Gräberkunst 
die  Verstorbenen  den  Angelpunkt  bilden,  um  den 
sich  alles  dreht,  so  werden  wir  zuerst  nach  Dar- 
stellungen der  Verstorbenen  fragen  und  nach  der 
besonderen  Art  und  Weise  ihrer  Darstellung.  Da  ist 
sofort  zu  sagen,  daß  die  Malereien  im  ganzen,  ins- 
besondere aber  gerade  die  früheren,  den  Eindruck 
machen,  als  hätten  die  Christen  eine  gewisse  Scheu 
gehabt,  ihre  A'erstorbenen  in  Person  darzustellen;  es 
gibt  nur  wenige  Bilder,  die  man  als  Porträts  anzu- 
erkennen hätte,  und  das  sind  vor  allem  solche,  denen 
der  Name  beigeschrieben  ist.  Man  fragt  nach  den 
Gründen    der    Erscheinung.      Um    sie   erklärlich    zu 


182  l^as  Mahl  der  Seligen. 

finden,  könnte  man  an  diese  und  jene  im  Altertum  auftretende  Empfindung  denken; 
der  ausreichende  Grund  aber  wird  die  aus  den  folgenden  Betrachtungen  sich  ergebende 
Tatsache  sein,  daß  das  ganze  Sinnen  und  Trachten  der  Katakombenkunst  nicht  auf 
Verewigung  des  Diesseits  ging,  sondern  auf  Vergegenwärtigung  des  Jenseits. 


Antike  Mahlschemata. 

Unter  den  Darstellungen  der  Verstorbenen  nehmen  die  Mahlbilder  einen  bevor- 
zugten Platz  ein;  nicht,  daß  sie  an  Zahl  überwiegen,  aber  tatsächlich  pflegen  sie  in 
der  Gruft  an  bevorzugter  Stelle  zu  stehen,  der  Tür  gegenüber,  so  daß  der  erste  Blick 
des  Eintretenden  darauf  fallen  muß,  an  der  Rückwand  der  Kammer  über  dem 
Hauptgrab. 

Bevor  wir  die  Gemälde  selbst  betrachten,  wird  es  nützlich  sein,  einiges  voraus- 
zuschicken über  die  wechselnde  Art,  wie  man  sich  im  Altertum  zum  Mahle  niederließ, 
und  über  verschiedene  Arten  von  Mahlzeiten,  wie  sie  im  Leben  und  in  der  Vorstellung 
sich  herausbildeten.  Wenn  wir  etwas  weit  ausholen,  so  geschieht  es  —  es  sei  hier 
noch  einmal  wiederholt,  um  die  christliche  Antike  so  recht  mitten  in  den  Entwicklungs- 
strom des  Gesamtaltertums  zu  stellen,  dessen  organisches  Glied  sie  ist. 

Die  Art,  wie  man  sich  zur  Mahlzeit  niederläßt,  hat  ihre  kulturgeschichtliche  Be- 
deutung. Es  lassen  sich  wechselnde  Gebräuche  erkennen,  in  ihnen  verraten  sich  Ent- 
wicklungsstufen der  Kultur.  Es  gibt  zwei  Hauptarten,  hocken  und  sich  lagern;  beide 
sind  primitiv.  Jede  aber  hat  sich  auf  eine  höhere  Stufe  zu  erheben  gewußt,  durch 
das  einfache  Mittel,  den  Sitz  mittels  eines  untergeschobenen  Gestelles  zu  heben:  der 
Hocker  schuf  sich  den  Stuhl  und  wurde  zum  Sitzer;  der  Gelagerte  schuf  sich  das 
Bett,  die  Kline. 

Ursprünglich  also  hockte  man  um  das  am  Boden  entzündete  Herdfeuer  und  um 
den  gemeinsamen  Napf;  es  war  schon  ein  Fortschritt,  als  man  dazu  überging,  erst 
eine  Streu,  dann  eine  Matte  unterzulegen.  Der  Brauch  des  Hockens  beherrschte  die 
Urzeit  und  hat  sich  gehalten  bei  den  Völkern  auf  niederer  Kulturstufe,  bei  den  Ost- 
asiaten sogar  in  ihrer  Hochkultur.  In  der  Kultur  zurückgeworfene  Völker,  wie  die 
Griechen  nach  den  Überflutungen  durch  Slawen,  Kreuzfahrer  und  Türken,  müssen 
wieder  hocken;  die  Herstellung  Griechenlands  gibt  seinen  Bewohnern,  den  Bauern  erst 
in  unseren  Tagen,  den  gehobenen  Herd  und  die  Möbel  zurück.  Für  das  Hocken  fehlt 
es  nicht  an  Belegen  aus  dem  Altertum.  Zwar  daß  die  Leichen  mit  heraufgezogenen 
Knien,  wie  sie  in  Gräbern  der  Frühzeit  gefunden  werden,  die  „Hocker",  in  dieser 
ihrer  Haltung  das  Hocken  der  Lebenden  nachahmen  sollen,  ist  nur  eine  Hypothese 
neben  anderen,  die  vielleicht  schlüssigere  Beweise  ins  Feld  führen  können.  Aber  allein 
die  Tatsache  der  Herdplätze,  wie  man  sie  in  frühzeitlichen  Ansiedelungen  trifft,  ist 
Beweis  genug  dafür,  daß  man  das  Herdfeuer  am  Boden  anmachte,  folglich  um  das- 
selbe am  Boden  hockte.  Beweisend  sind  die  zahlreichen  Darstellungen  in  ägyptischen 
Bildwerken;  man  kann  da  auch  die  Unterart  des  Hockens  mit  untergeschlagenen 
Füßen  beobachten.  Soviel  scheint  aus  den  Bildern  hervorzugehen,  daß  nur  unter- 
geordnete Personen  zur  Zeit  der  Pharaonenkultur  noch  hockten.1) 

*)  Ägyptische  Bilder:  Prisse,  Histoire  de  l'art  ögyptien  II  Tal  6  Nudeln  der  Gänse, 
Taf.  43  Frau  des  Te'i.     Füße  untergeschlagen:    Schreiber,  bei  Prisse  II  Taf.  15;  Perrot  et  Chipiez, 


Antike  Mahlschemata.  183 

Zufällige  Gelegenheit  auf  Felsblöcken  oder  Holzklötzen  sich  niederzulassen  ließ 
die  Bequemlichkeit  und  nach  Umständen  die  Bedeutsamkeit  eines  gehobenen  Sitzes 
früh  erkennen.  Die  Erfindung  des  Stuhles  war  bereits  vor  den  Zeiten  gemacht,  als 
die  ältesten  uns  bekannten  Könige  von  Altchaldäa  und  Ägypten  herrschten;  wir  finden 
sie  von  Anfang  an  thronend  dargestellt  und  zwar  schon  damals  auf  Stühlen  ver- 
schiedener Konstruktion.  Throne  finden  wir  in  den  Palästen  der  kretisch-mykenischen 
Kultur  und  in  allen  späteren  Residenzen.  Und  das  Sitzen  auf  Stühlen  hat  sich  durch 
alle  Zeiten  behauptet,  auch  nachdem  eine  noch  bequemere  Art  sich  niederzulassen  ge- 
funden war.  Insbesondere  bei  Mahl  und  Trunk  machte  man  sich's  bequem.  So  sehen 
wir  in  den  Grüften  der  Ägypter  den  Vornehmen  gemalt,  sitzend  vor  dem  mit  Speisen 
hochbeladenen  Tischchen,  daneben  stehen  volle  Krüge  am  Boden,  anderes  wird  in 
Fülle  herbeigebracht.  So  saßen  die  assyrischen  Könige  beim  Festtrunk,  von  Eunuchen 
bedient,  wie  Assurnazirpal  in  seinem  Relief.  So  sitzen  an  den  Grabsteinen  der  Nord- 
syrer die  Verstorbenen  an  Tischchen.  So  sitzen  die  homerischen  Helden  auf  Stühlen 
und  Thronen  schmausend  und  zechend.  So  in  Reliefs  aus  Sparta  die  Unterirdischen, 
den  mächtigen  Doppelhenkler  in  der  Hand,  so  sehen  wir  in  den  Vasenbildern  des 
Oltos   und   des  Sosias  die  Olympischen  thronend   beim  Trunk   im  Hause  des  Vaters.1) 

Das  Lagern  am  Boden  ist  so  primitiv  wie  das  Hocken,  vielleicht  sogar  diesem 
gegenüber  das  Primäre.  Man  lagert  sich  zur  Ruhe,  flach  ausgestreckt,  dagegen  mit 
aufgerichtetem  und  an  eine  Rückenstütze  gelehntem  Oberkörper,  oder  mit  auf- 
gestütztem linken  Arm,  zum  Essen  und  Trinken  (zu  jeder  weitergehenden  Hantierung 
müßte  man  wenigstens  in  die  Hocke  übergehen).  Das  Gelage  am  Boden  fand  ur- 
sprünglich im  Freien  statt,  im  Grünen,  und  neben  aller  Steigerung  der  Zivilisation  bis 
zum  verfeinertsten  Luxus  hat  der  Mensch  immer  soviel  Gefühl  für  Natur  und  Ur- 
sprünglichkeit sich  bewahrt  oder  durch  den  Gegensatz  wiedergewonnen,  um  das  Wohl- 
tuende des  Lagerns  im  Grünen  sich  zur  Erholung  und  Erfrischung  zu  gönnen.  Das 
sind  immer  Feierstunden  für  den  kultursatten  Menschen.  Der  alte  Brauch  erhielt 
sich  besonders  im  Kultus;  zu  gewissen  Festschmäusen  lagerte  man  sich  am  Boden, 
und  man  bot  solches  Gelage  auch  den  Geistern  an,  das  ist  den  Toten  und  den 
Göttern. 

Zum  Gelage  am  Boden  gehört  eine  weiche  Unterlage;  beim  Aufenthalt  in  der 
freien  Natur  suchte  man  sich  grasbewachsene  Flächen,  sonst  schüttete  man  eine  Streu 
auf,  etwa  von  frischem  Laub  (aztßüg,  stratio).  Oder  man  richtete  künstliche  Lager 
her,  bestehend  in  Vließen  oder  wollene  Decken  ((jTQcofival).  Die  Streu  konnte  auch  in 
eine  Art  Matratze  gestopft  sein.  Auf  einer  Streu  von  zartem  Gras,  am  liebsten  jedoch 
von  Klee,  breitete  der  Perser,  wenn  er  opferte,  das  gekochte  und  zerlegte  Fleisch  für 
den  Gott  aus,  den  er  herbeirief.  Auf  einer  Streu  von  Efeu  lagerten  sich  im 
athenischen  Kerameikos  die  Bürger  und  Fremden,  wenn  Herodes  Atticus  an  den 
großen  Dionysien  ihnen  einen  Trunk  Wein  spendete.  Auch  scheint  in  den  Statuten 
des  athenischen  Jobakchenvereins  die  Darbietung  einer  Streu  unter  den  herkömmlichen 


Histoire    de    l'art   dans   Fantiquite"    1    Taf.  10.      Mädchen    eb.    794    Fig.  523.     Erman,  Ägypten  I 
1885,  264. 

*)  Altchaldäa:  Heuzey-de  Sarzec,  Decouvertes  en  Chaldöe  Taf.  16 ff.  Kreta:  Archäol.  An- 
zeiger 1900,  142.  Ägyptisches  Relief  z.  B.  Perrot-Chipiez,  Histoire  I  133  Fig.  86.  Assurnazirpal: 
v.  Sybel,  Weltgeschichte  21903,  69  Bild.  Sparta:  Furtwängler,  Sammlung  Saburoff  Taf.  1.  Oltos: 
Archäologische  Vorlegeblätter  Serie  D  Taf.  1.     Sosias:  Antike  Denkmäler  I  Taf.  9. 


184  ^as  Mahl  der  Seligen. 

Leistungen  des  erwählten  Priesters  aufgeführt  zu  sein.  Ähnliches  galt  im  Verein 
der  Cultores  Dianae  et  Antinoi  zu  Lanuvium:  die  „ Tafelmeister "  haben  guten 
Wein,  Brot,  marinierte  Sardinen,  Streu,  heißes  Wasser  und  das  Ministerium  zu 
stellen.1) 

Eine  ziemliche  Anzahl  antiker  Bildwerke  illustriert  das  Gelage  am  Boden;  wir 
teilen  hier  einiges  mit.  Bisweilen  ruhen  im  selben  Bilde  die  Gäste  teils  unmittelbar 
auf  dem  Boden,  das  heißt  im  Rasen  oder  auf  Streu,  teils  auf  untergelegten  Decken  oder 
Pfühlen.  Mit  wenig  Kunst  und  viel  Behagen  schildert  eine  um  600  vor  Chr.  bemalte 
kyprische  Vase  aus  Amathus  ein  Gelage  im  Grünen.  Die  Szene  ist  in  einem  Hain 
von  Palmen  und  Laubbäumen,  Vögel  beleben  die  Zweige,  an  einem  Schoß  hängen 
Kränze;  drei  Personen  sind  gelagert,  eine  mit  vorgestreckter  Trinkschale  ruht  im 
Rasen,  dessen  üppigen  Wuchs  eine  aufsprießende  Blume  andeutet,  ein  Aufwärter  mit 
einem  Kranz  in  der  Hand  beugt  sich  zu  ihm  vor;  zwei  andere  Personen  lagern  auf 
einer  Matratze,  es  folgt  noch  ein  Aufwärter,  am  anderen  Ende  ein  Flötenbläser.  Die 
Berliner  Trinkschale  vom  Kap  Kolias  in  Attika,  aus  der  Zeit  gegen  die  Perserkriege, 
zeigt  auf  der  weißgrundierten  Außenseite  zwei  Gelagerte,  auf  zusammengeklappte 
Kissen  gestützt;  ein  unmittelbar  auf  dem  Boden  ruhender  Mann  trinkt,  ein  auf  einer 
Matratze  sich's  bequem  machender  Jüngling  singt  und  schnalzt  dazu  mit  den  Fingern. 
Ob  da  mit  Vorbedacht  ein  Unterschied  gemacht  ist?  Es  scheint  im  Londoner  Vasen- 
bild mit  dem  Symposion  des  Herakles  und  Dionysos  der  Fall  zu  sein:  ersterer  ist 
auf  dem  bloßen  Boden  gelagert,  der  vornehmere  Dionysos  hat  eine  Decke  unter- 
gelegt.2) 

Auch  sonst,  wo  der  Gelagerte  unmittelbar  auf  die  Bodenlinie  gesetzt  ist,  wird 
man  Rasen  oder  Streu  vorauszusetzen  haben.  Unter  den  Schildereien  am  Architrav 
vom  altdorischen  Tempel  zu  Assos  ist  ein  Gelage  am  Boden;  die  Männer  stützen  den 
Ellbogen  auf  Kissen,  von  denen  eins  zusammengeklappt  ist,  in  den  Händen  halten  sie 
Trinkgefäße  verschiedener  Form,  es  fehlt  nicht  der  Mischkessel  und  der  Knabe  als 
Mundschenk.  Die  naive  Kunst  der  archaischen  Zeit  hat  das  Motiv  sogar  vom  Land 
auf  das  Wasser  übertragen:  ein  Elfenbeinrelief  aus  Chiusi  zeigt  einen  auf  dem  Meeres- 
grund gelagerten  fischschwänzigen  Triton,  der  den  Ellbogen  auf  ein  Kissen  stützt;  in 
jeder  Hand  hält  er  einen  Fisch.  Wir  führen  das  Bildwerk  an,  obschon  es  sich  nicht 
gerade  um  ein  Zechgelage  handelt;  dasselbe  ist  der  Fall  bei  der  Schale  des  Phintias: 
der  Riese  Alkyoneus  ruhte  behaglich  am  Boden,  gegen  ein  Rückenkissen  gelehnt,  da 
kommt  Herakles    über    ihn    und    schlägt   ihn  tot.     Ein  etruskisches  Grabgemälde  von 


*)  Perser:  Herodot  1,  132.     Oldenberg,  Keligion  des  Veda  1894,  341  f. 

Her  ödes:  Philostratos,  Vit.  soph.  II  2,  59. 

Jobakchen:  Wide,  Ath.  Mitt.  1894,  272. 

Lanuvium:  C1LXIV  n.  2112,  15  strationem,  caldam  cum  ministerio.  Vgl.  E.  Maaß,  Orpheus 
1895  26,  3.  36.  53.  Die  Ausdrücke  GTQÜvvvo&ai  öt^co/zvtjV  (z.  B.  Archäol.  Anzeiger  1894,  79)  und 
sternere  lectum  bedeuteten  ursprünglich  doch,  eine  Streu  oder  Decke  oder  ein  Pfühl  zum  Lager 
auf  dem  Boden  ausbreiten,  und  sie  konnten  in  dieser  Bedeutung  auch  nach  Erfindung  der  Bett- 
stellen immer  wieder  gebraucht  werden.  Ob  das  Lectisternium  als  Opfertyp  im  Götter-  oder  im 
Totenkult  entstand,  ist  eine  zweite  Frage;  dazu  W.  Altmann,  Architektur  und  Ornamentik  der 
antiken  Sarkophage  39.     H.  Thiersch,  Zwei  antike  Grabanlagen  1904,  11. 

a)  Amathus:  A.  Smith  bei  A.  S.  Murray,  Excavations  in  Cyprus  1900,  105  Fig.  152,  2. 
Berlin:  Mon.  dell'  Istituto  X  Taf.  37.     London  E  66,  Catalogue  III  89. 


Antike  Mahlschemata.  185 

Chiusi  schildert  ein  Gelage  in  seinem  Beginne,  dem  letzten  Gast  nimmt  ein  Sklave 
die  Sandalen  ab.1) 

Das  Lagern  auf  Pfühlen  oder  Matratzen,  die  am  Boden  liegen,  findet  sich  oft 
genug.  In  der  Tomba  della  pesca  e  della  caccia  zu  Corneto  ist  im  Giebelfeld  ein 
Ehepaar  auf  einer  mächtigen  Matratze  ruhend  gemalt,  zwei  Frauen  hocken  dabei  auf 
Kissen;  die  Szene  ist  im  Grünen,  der  Mischkrug  und  die  Weinkrüge  stehen  im  hohen 
Gras.  An  einer  Augenschale  ist  Herakles  auf  einer  Decke  am  Boden  gelagert,  unter 
einem  Ölbaum  bei  einem  Weinstock,  Athena  steht  vor  ihm.  An  der  Bonner  Kalpis 
des  Euthymides  sitzen  zwei  Epheben  auf  Pfühlen,  der  rechts  bläst  die  Doppelflöte, 
der  links  akkompagniert  mit  Krotalen.  So  malte  Euphronios  die  zechenden  Hetären 
auf  Matratzen  am  Boden  gelagert.  Das  Hochzeitsgelage  des  Peirithoos  findet  an  der 
einige  Jahre  nach  Vollendung  des  Zeustempels  zu  Olympia  gemalten  Wiener 
Kentaurenvase  im  Palasthof  statt;  an  der  Säulenhalle  entlang  ist  eine  durchlaufende 
Matratze  ausgebreitet,  in  angemessenen  Abständen  liegen  sechs  Stützkissen  darauf,  eins 
wird  eben  im  Kampf  heruntergeschoben.  Entsprechend  ist  denn  auch  dieselbe  Szene 
im  Westgiebel  des  Zeustempels  zu  verstehen,  die  Pfühle  in  den  Giebelecken  sind  die 
Matratzen  eines  Gelags  am  Boden.2) 

Wenn  am  Gelage  im  Grünen  eine  Mehrzahl  von  Personen  beteiligt  ist,  so  ergibt 
sich  von  selbst  eine  Anordnung  im  Kreis  oder  Halbkreis,  wobei  dann  das  Geschirr 
innerhalb  des  Kreises  Aufstellung  findet;  an  einigen  Vasen  hat  der  Maler  es  in  einem 
besonderen  Streifen  innerhalb  des  Lagerkreises  angeordnet.  So  an  der  rotfigurigen 
Vase  mit  Herakles,  wie  er  dem  Dionysos  und  seinen  Satyrn  ins  Gelage  fällt,  und  an 
der  Schale  im  Stil  des  Brygos  mit  dem  Symposion  der  zweimal  drei  Männer.3) 

Soweit  waren  es  ältergriechische  Bildwerke,  die  wir  vorführten;  es  folgen  noch 
einige  aus  der  hellenistisch -römischen  Zeit.  Das  Deckenbild  einer  etruskischen 
gravierten  Toilettenciste  in  Petersburg  schildert  vier  junge  Mädchen,  die  im  Grünen, 
inmitten  sprossender  Blumen,  gelagert  sind,  teils  auf  Kissen  gestützt;  sie  haben  ihre 
Spieltiere  bei  sich,  Gänse,  eine  tränkt  die  ihrige.  Ein  Mosaik  von  Sussa  (Hadrumetum) 
spiegelt  das  ländliche  Leben  am  Nil  wieder;  unter  anderm  sieht  man  nahe  dem  Ufer 
ein  Gelage  zweier  Männer;  dem  einen  gibt  oder  nimmt  eine  Frau  den  Becher,  zur 
Seite  mischt  ein  Sklave  den  Wein.4) 


*)  Assos:  Brunn-Bruckmann,  Skulptur  u.  411. 

Triton:  Mon.  VI  46,  4;  Brunn,  Annali  1860,  478.  Phintias:  Furtwängler- Reichhold, 
Griech.  Vasen  I  Taf.  32;    ferneres  TT  S.  66  und  Taf.  63.  71. 

Chiusi:  Mon.  V  17;  Braun,  Annali  1850,  280.  Am  Boden  sitzend  wird  Polyphem  von 
Odysseus  trunken  gemacht  und  geblendet:   Gaz.  arch.  1887  Taf.  1. 

2)  Corneto:  Mon.  XII  Taf.  14;  Sittl,  Annali  1885,  132.  Augenschale:  Gerhard,  Auserl. 
Vasenbilder  Taf.  132,  4.  Euthymides:  Kekulö,  Archäol.  Zeitung  1873,  95  Taf.  9.  Euphronios: 
Archäol.  Vorlegeblätter  Serie  V  Taf.  2.  Wiener  Kentaurenvase:  Curtius,  Archäol.  Zeit.  1883, 
351  Taf.  18.  Westgiebel:  Olympia -Ergebnisse  III  135  nebst  Atlas  Taf.  33,  2.  Tatsächlich  be- 
finden sich  die  Kissen  auf  demselben  Niveau  mit  den  Füßen  der  Kämpfenden,  also  auf  dem 
Fußboden;  wie  und  wozu  käme  auch  die  Alte  auf  die  Kline,  auf  der  sie  vorher  nicht  war?  Der 
Eindruck  im  Kissen  muß  jedenfalls  von  etwas  anderem  herrühren  als  dem  Pfostenkopf  einer  Kline. 

a)  Herakles:  Gerhard,  Auserl.  Vas.  I  Taf.  59.  Symposion:  Mon.  III  Taf.  12.  Hartwig, 
Meisterschalen  1893,  329. 

4)  Petersburg:  Mon.  VIII  Taf.  58. 

Sussa:  Schulten,  Archäol.  Anzeiger  1900,  68  Fig.  3. 


186  Das  Mahl  der  Seligen. 

Wichtig  sind  die  Darstellungen  religiöser  Gelage.  In  Pompeji,  im  Hause  der 
Vettier,  ist  neben  anderen  Szenen,  die  von  Eroten  und  Psychen  agiert  werden,  auch 
eine  Feier  der  Vestalien  gemalt.  Ein  Gelage  im  Grünen:  vier  Teilnehmer  ruhen  im 
Gras  und  auf  Kissen  gelehnt,  im  Inneren  ihres  Kreises  steht  das  Trinkgeschirr,  links 
reiht  sich  eine  Psyche  an,  auf  einem  Steinwürfe]  sitzend,  eine  weitere  bringt  als  Auf- 
wärterin eine  Schüssel;  die  zwei  rechts  entsprechenden  Nebenfiguren  sind  sehr  ver- 
blaßt; im  Hintergrund  das  Tier  der  Vesta,  der  Esel,  zweimal.  Einige  Weihreliefs  aber 
führen  Gelage  religiöser  Vereine  unmittelbar  vor  Augen.  Eins  gilt  dem  Apoll;  der 
Gott  sitzt  mit  seiner  Kithara  auf  Bergeshöhe  hinter  dem  Felsaltar  und  hält  seine 
Schale  hin;  den  Abhang  herauf  kommt  der  Zug  seiner  Verehrer,  nicht  ohne  die  Kanne; 
weiter  unten  ein  Reigentanz  und  das  festliche  Gelage  im  Grünen,  Männer  und  Frauen 
mit  Phialen,  vorn  steht  der  Krater,  zur  Seite  sitzt  der  Flötenbläser.  Sodann  zwei 
Reliefs  aus  der  Synagoge  des  Zeus  Hypsistos.  In  einem  oberen  Felde  pflegen  da 
Götter  dargestellt  zu  sein,  im  einen  Falle  mit  Baum,  Altar  und  Adoranten.  Unterhalb 
ist  das  Gelage  abgebildet,  an  dem  einmal  sechs,  einmal  zehn  Personen  teilnehmen,  den 
Ellbogen  auf  ein  Kissen  gestützt;  in  einer  unteren  Zone  sind  Flötenbläser  und 
Tänzer,  Kratere  und  Schenke  hinzugefügt,  etwa  auch  mit  Fleischstückchen  besteckte 
Bratspieße.  Bei  diesen  letzten  Reliefs  kann  allerdings  ein  Zweifel  Raum  haben,  ob 
das  Gelage  am  Boden  oder  auf  einer  langen  Kline  gedacht  sei.  Wie  die  vorliegenden 
Exemplare  gearbeitet  sind,  scheinen  in  der  Tat  Gelage  am  Boden  gemeint;  der  bis  zu 
den  Rändern  des  Steins  durchgehende  Streifen  unter  den  Gelagerten  kann  keinen 
„Diwan"  vorstellen.  Höchstens  könnte  gefragt  werden,  ob  die  etwas  eigentümliche 
zweistreifige  Komposition  vielleicht  von  einem  einzonigen  Typus  abgeleitet  sei,  nämlich 
dem  unten  zu  erwähnenden  mit  langer  Kline  und  dem  nötigen  Apparat  nebst  junger 
Bedienung  vor  ihr;  es  wäre  freilich  etwas  ganz  verschiedenes  daraus  geworden.1) 

Jenseitige  Gäste  in  diesseitigen  Gelagen  erscheinen  zu  den  Theoxenien,  den  Ge- 
lagen, wie  sie  Göttern  geboten  wurden,  und  zwar  auch  in  der  Form  von  Gelagen  -am 
Boden.  Dergleichen  scheinen  die  Odessiten  ihrem  Gott,  einer  Art  Pluton,  angeboten 
zu  haben;  denn  Münzen  von  Odessos  zeigen  seit  etwa  300  vor  Chr.  den  bärtigen  Gott 
gelagert,  auf  ein  Armkissen  gestützt,  im  linken  Arm  das  Füllhorn,  in  der  Rechten 
(wenigstens  auf  späteren  Exemplaren)  die  Phiale;  wie  ein  Beizeichen  aussehend,  aber 
zum  Typus  gehörig  steht  im  Feld  über  der  rechten  Hand  eine  gestürzte  Amphora, 
aus  welcher  Wein  tropft,  später  in  einem  Strahl  herausschießt,  eintretendenfalles  in 
die  vorgestreckte  Phiale.  Im  ältesten  Exemplar  lagert  der  Gott  auf  einer  Matratze, 
daran  die  Inschrift  der  Odessiten  angebracht  ist,  sonst  lagert  er  unmittelbar  auf  dem 
Boden.  Auf  Münzen  von  Tomis,  in  der  Kaiserzeit  geprägt,  sind  es  die  Dioskuren, 
die  zur  Entgegennahme  der  Opfer  gerufen  auf  der  Erde  sich  niedergelassen  haben,  die 
Phiale  in  Händen;  in  einer  der  verschiedenen  Prägungen  ruhen  sie  auf  einem 
Pfühl.2) 

Weiter  fragen  wir  nach  Darstellungen  jenseitiger  Personen  in  jenseitigen  Gelagen 
am  Boden.   Die  Bilder  des  ruhenden  und  dabei  zechenden  Herakles  scheinen  zwischen 


x)  Vettier:  Mau,  Rom.  Mitteilungen  1896,  80  Bild.  Apoll:  Cesnola,  Cyprus  149  Bild. 
Schreiber,  Kulturhist.  Bild  Taf.  16,  7.  Zeus  Hypsistos:  a)  Perdrizet,  Bull  corresp.  hell.  1899, 
592  Taf.  4.     b)  eb.  593.    Luders,  Dionysische  Künstler  1873,  9  Taf.  2. 

2)  Pick,  Archäol.  Jahrbuch  1898,  157.  152  zu  Taf.  10,  15—17.  13—14. 


Antike  Mahlschemata.  187 

diesseitiger  und  jenseitiger  Auffassung  zu  schwanken:  vorwiegend  dürfte  er,  wenigstens 
in  den  ernsten  Bildern,  in  seiner  Seligkeit  gedacht  sein.  Er  pflegt  auf  der  über  eine 
Felspartie  gebreiteten  Löwenhaut  zu  ruhen.  In  einem  Kreise  Seliger  beiderlei  Ge- 
schlechts, die  im  Grünen  gelagert  zechen  —  bei  den  Hauptpersonen  stehen  runde 
Präsentierbretter  mit  Speisen  —  treffen  wir  auch  Herakles  im  oberen  Fries  der 
Pränestiner  Ciste  Napoleons  III.  Unter  den  Wandmalereien  im  augusteischen 
Columbarium  der  Villa  Pamfili  zu  Rom  befindet  sich  ein  Gelage  im  Grünen;  acht 
Personen,  teils  mit  Phialen  versehen,  lagern  in  seliger  Stimmung  im  Halbkreis;  in 
dessen  Mitte  steht  eine  Schüssel,  weiter  vorn  Krug  und  Becher.  Da  ein  religiöses 
Fest  hier  ebensowenig  indiziert  ist  wie  ein  Totenmahl  (Leichenschmaus  oder 
Anniversar),  so  bleibt  kaum  eine  andre  Wahl  als  ein  Seligenmahl.1) 

Das  auf  ein  untergeschobenes  Gestell  gehobene  Lager  (Kline,  Lectus)  hat  Zeit 
gebraucht,  um  sich  durchzusetzen,  zuerst  zur  Nachtruhe.  Bei  den  Ägyptern  scheinen 
Bettgestelle  nicht  vor  dem  „neuen  Reich"  im  zweiten  Jahrtausend  vor  Chr.  auf- 
gekommen zu  sein.  Erhöhte  Lager,  aus  Stein  aufgebaut,  finden  sich  in  den  kretischen 
Palästen  der  Heroenzeit;  in  den  homerischen  Epen  schlafen  die  Fürsten  durchweg  auf 
Bettstellen,  eine  andere  Frage  ist,  wie  früh  die  Kline  zu  Mahl  und  Trunk  gebraucht 
wurde.  Monumental  erscheint  das  Gelage  auf  dem  Ruhebett  zuerst  im  siebenten 
Jahrhundert  und  zwar  in  einem  der  jüngeren  assyrischen  Reliefs.  König  Assurbanipal, 
der  Sardanapal  der  Griechen,  feiert  ein  Siegesfest  in  seinem  Park  auf  der  Kline  ge- 
lagert, den  Ellbogen  auf  Lehne  und  Kissen  gestützt,  die  Königin  thront  ihm  zu  Füßen; 
beide  führen  Trinkschalen  zum  Munde,  vor  ihnen  steht  ein  Tischchen  mit  Speisen, 
zur  Seite  ein  Weihrauchgefäß,  Eunuchen  fächeln  Kühlung,  Harfen  und  Zymbeln  be- 
gleiten das  Mahl.  Mit  diesem  für  uns  ältesten  Denkmal  ist  übrigens  assyrischer 
Ursprung  des  Gelags  auf  dem  Ruhebett  noch  nicht  bündig  bewiesen;  die  nächstältesten 
Monumente,  nicht  assyrisch,  dem  sechsten  Jahrhundert  angehörig,  folgen  in  so  nahem 
Abstand,  daß  die  Ursprungsfrage  noch  offen  gehalten  werden  muß,  nicht  bloß  zwischen 
Assyrien  und  Hellas,  es  kann  auch  ein  Zwischenland  in  Betracht  kommen.  Es  sind 
archaische  Reliefs,  die  Stele  Peruzzi  in  Florenz,  welche  in  ihren  zwei  Bildfeldern  die 
zwei  Mahlschemata  nebeneinander  zeigt,  unten  das  Sitzen  auf  Stühlen,  oben  das  Lagern 
auf  der  Kline  (Abbildung  zu  Anfang  dieses  Kapitels),  und  das  aus  Tegea  stammende 
älteste  Exemplar  der  so  reich  vertretenen  Gattung  der  v  Heroenmahle ".  Der  Typus 
dieser  Reliefs  stimmt  im  wesentlichen  mit  dem  des  assyrischen  Siegesmahls  überein: 
der  Mann  gelagert  auf  der  Kline,  die  Phiale  in  der  Hand,  die  Frau  ihm  zu  Füßen 
thronend  (später  wohl  auch  auf  dem  Fußende  der  Kline  sitzend);  vorn  steht  der  Tisch 
mit  den  Speisen,  ein  Knabe  als  Mundschenk  schöpft  aus  dem  Mischkessel;  statt  des 
assyrischen  Hofstaates  treten  Adoranten  heran,  öfter  bringen  sie  Opfer.  Denn  diese 
, Heroenmahle "  sind  Weihbilder;  der  Gelagerte,  dem  die  Verehrung  gilt,  ist  ein 
Seliger,  sei  es  nun  ein  Gott  oder  ein  Heros  oder  ein  heroisierter  Verstorbener;  dies 
eben  bleibt  fraglich. 


])  Herakles:  Jahn-Michaelis,  Griech.  Bilderchroniken  1873,  39.  Löwy,  Rom.  Mitt.  1897, 
56  Taf.  3.  Ciste:  Mon.  d.  instit.  V  Taf.  51.  Pamfili:  Jahn,  Bayer.  Akad.  Abh.  VIII  1858 
Tal  6,  17.  Eine  ähnliche  Anordnung  läßt  die  übrigens  nur  mit  Vorbehalt  zu  benutzende  Ab- 
bildung eines  Gelages  erkennen,  bei  Beger,  Meleagrides,  Colon.  Brand.  1696,  22:  die  Gäste  scheinen 
sich  hier  wie  dort  um  eine  natürliche  Erdschwellung  gelagert  zu  haben,  auf  der  in  die  Mitte  ge- 
stellten Platte  liegt  ein  Schweinskopf,  von  rechts  bringt  ein  Aufwärter  eine  andere  Schüssel. 


188  Das  Mahl  der  Seligen. 

Das  „  Heroenmahl "  ist  in  der  Idee  verwandt  dem  Ritus  der  Götterbewirtungen 
(Xenien  oder  Theoxenien),  bei  welchem  Kline,  Tisch  und  Krater  dem  herbeigerufenen 
Gott  gerüstet,  er  selbst  aber  in  einem  Bilde  auf  das  Ruhebett  gesetzt  wurde.  Wir 
fanden  den  Ritus  oben  in  der  primitiveren  Form  des  Gelages  am  Boden,  wenn  auch 
nur  in  späteren  Zeugnissen;  nachdem  die  Kline  einmal  in  Gebrauch  gekommen  war, 
wurde  sie  für  diese  Kultusform  vorherrschend.  Von  den  Griechen  übernahmen  die 
Römer  den  Ritus  unter  dem  Namen  Lectisternien  oder  Pulvinarien.1) 

Es  ist  nicht  nötig,  die  ganze  literarische  und  monumentale  Überlieferung  über 
klassische  Gelage  auf  Ruhebetten  hier  beizubringen;  ein  paar  Beispiele  mögen  genügen. 
In  griechischen  Vasenbildern,  besonders  älteren  Stiles,  finden  wir  vor  anderen  Dionysos 
und  Herakles  auf  der  Kline  gelagert  zechend;  im  fünften  Jahrhundert  wurde  das 
Gelage,  bei  welchem  Odysseus  die  Freier  der  Penelope  niedermacht,  als  auf  Ruhebetten 
begangen  geschildert.  In  ihren  Grüften  ließen  sich  die  Etrusker  beim  Gelage  malen, 
etwa  unter  grüner  Laube  von  Reben  oder  Efeu,  da  ruht  die  Gattin  auf  der  Kline 
des  Gatten;  dazu  gibt's  Flötenbläser  und  Tänzer,  alles  unter  Bäumen  und  blühenden 
Stauden.  Und  ihren  Särgen  gaben  sie  wohl  das  Ansehen  von  Ruhebetten,  auf  denen 
sie  selbst  in  plastischem  Bilde  ruhen,  die  Trinkschale  in  der  Hand.2) 

Zu  einem  geselligen  Mahl  mit  folgendem  Trunk  (Deipnon  und  Symposion, 
lateinisch  Convivium  und  Commissatio)  wurden  ursprünglich  drei  Ruhebetten  im  Huf- 
eisen aufgestellt,  vor  jeder  Kline  der  zugehörige  Tisch;  die  vierte  Seite  blieb  frei  für 
die  Bedienung  und  etwaige  Vorführungen  zur  Unterhaltung.  Solch  ein  Dreiklinen- 
gelage  aus  der  Zeit  der  Perserkriege  schildert  der  Vasenmaler  Duris  an  einer  Trink- 
schale. Zu  größeren  Gelagen  wurden  entsprechend  mehr  Klinen  aufgestellt;  bei  dem 
Gelage,  welches  Attaginos  in  Theben  dem  Mardonios  mit  fünfzig  Persern  und  ebensoviel 
Thebanern  gab,  kam  ein  Perser  und  ein  Thebaner  auf  je  eine  Kline  zu  liegen;  beim 
gemeinsamen  Hochzeitsmahl  Alexanders  und  seiner  Hetairoi  wurden  im  Speiseraum 
des  Riesenzeltes  hundert  Klinen  aufgestellt,  im  Prachtzelt  des  Ptolemäos  Philadelphos 
sogar  130  im  Kreise  herum.  Uns  gehen  hier  mehr  die  Gelage  in  kleinerem  Kreise 
an,  für  welche  die  Anordnung  in  Hufeisenform  typisch  blieb,  das  Dreiklinengelage 
(Triklinon,    Triklinion).     Es    sind    nun    eine    Reihe  von  Neuerungen  zu  verzeichnen, 


1)  Ägyptische  Betten:  Perrot  et  Chipiez,  Histoire  I  842.  Kretisch:  Annual  British 
school  Athens  IX  10  E  1  zum  Südosthaus  in  Knossos,  Plan  Fig.  1.  Assurbanipal:  v.  Sybel, 
Weltgesch.  d.  Kunst  294  Bild.  Peruzzi:  eb.  129  Bild.  Tegea:  Ath.  Mitt.  1879  Taf.  7. 
Heroenmahle:  Deneken  in  Boschers  Lexikon  I  2571ff.  Pick,  Archäolog.  Jahrbuch  1898,  148  ff. 
C.  M.  Kaufmann,  Jenseitsdenkm.  1900,  13.  Theoxenien:  Deneken,  De  Theoxeniis  1881.  Furt- 
wängler  in  Boschers  Lexikon  I  1166  ff.  Pick,  Jahrbuch  1898,  149.  Schoemann-Lipsius,  Griech. 
Altertümer  II  1902,  478.  Kömer:  Marquardt-Wissowa,  Rom.  Staatsverwaltung  III  1885,  45. 
Wissowa,  Religion  und  Kultus  der  Römer  1902,  355. 

2)  Dionysos:  Gerhard,  Auserles.  Vasenbilder  Taf.  142.  Herakles:  Furtwängler-Reichhold, 
Griech.  Vasen  Taf.  4.  Freiermord:  Mon.  X  Taf.  53.  Benndorf,  Gjölbaschi-Trysa  96  Taf.  7.  8. 
Etruskische  Grabmalereien:  Tomba  del  triclinio,  Mon.  I  Taf.  23;  Querciola,  eb.  I  Taf.  33; 
Casuccini,  eb.  V  Taf.  33;  del  vecchio,  eb.  IX  Taf.  14,  1  u.  a.  Deckelfiguren:  ein  älteres 
Exemplar  aus  Caere,  Mon.  d.  inst.  VI  Taf.  59,  jüngere  aus  Chiusi,  Mon.  XI  Taf.  1  ;  Antike  Denkm. 
I  Taf.  20.  Die  Figuren  ruhen  auf  Pfühlen  oder  Matratzen,  aber  der  Sargkasten  ist  in  den  jüngeren 
Exemplaren  nicht  als  Bettgestell  oder  Kline  behandelt,  sondern  mit  einem  architektonischen  Fries 
verziert,  der  sonst  auch  Altären  und  altarförmigen  Särgen  gegeben  wurde;  es  liegt  hier  also  eine 
Kontamination  zweier  Typen  vor.  Andere  Särge  (Mon.  VI  Taf.  60),  ebenso  die  Aschenkisten  mit 
auf  Matratzen  ruhenden  Deckelfiguren,    bedecken  die  Flächen  des  Kastens  mit  figürlichen  Reliefs. 


Antike  Mahlschemata.  189 

deren  Ursprungszeiten  aber  nicht  genau  feststehen.  Während  in  der  klassischen  Zeit 
der  Griechen  zwei  Personen  für  jede  Kline  die  normale  Zahl  geworden  war,  die  nur 
im  Notfall  überschritten  wurde  (wie  gegen  Ende  des  platonischen  Symposions  der 
trunken  ins  Gelage  fallende  Alkibiades  zwischen  Sokrates  und  Agathon  eingeschoben 
wird),  war  man  in  der  römischen  Kaiserzeit  dahin  gelangt,  jeder  Kline  soviel  Breite  zu 
geben,  daß  drei  Personen  bequem  Platz  fanden,  im  Triclinium  also  neun  die  Regel 
ward.  Ein  solches  Triclinium  nun  wurde  als  geschlossenes  Hufeisen  konstruiert,  die 
Oberflächen  nach  außen  geneigt;  es  war  eine  rechtwinklig  hufeisenförmige  Pritsche, 
die  man  mit  Polstern,  Decken  und  der  nötigen  Anzahl  Stützkissen  belegte.  Zu  ständigem 
Gebrauch,  besonders  im  Freien,  wurden  die  Triklinien  wohl  auch  aufgemauert;  der- 
gleichen kommen  in  Pompeji  vor,  sowohl  in  den  Hausgärten,  hier  unter  Lauben,  als 
auch  bei  den  Gräbern,  dort  für  Leichenschmäuse  und  Anniversarien.1) 

In  der  Kaiserzeit  finden  wir  vereinfachte  Formen:  das  rechtwinklige  Hufeisen 
des  Tricliniums  ist  abgerundet  zum  Halbkreis  (semirotundum),  und  die  Stützkissen  der 
Gäste  sind  verschmolzen  in  eine  zum  Halbkreis  gekrümmte  durchlaufende  mächtige 
Polsterrolle.  Nach  der  damals  gebräuchlichen  Halbkreisform  des  Buchstabens  Sigma 
nannte  mau  die  gekrümmte  Polsterrolle,  und  nach  ihr  das  ganze  Semirotundum,  auch 
Sigma.  Bei  Benutzung  der  halbkreisförmigen  Pritsche  wurde  die  Sigmarolle  auf  den 
inneren  Rand  des  Semirotundum  gelegt,  in  den  offenbleibenden  inneren  Halbkreis 
kam  das  Gestell  zur  Aufnahme  der  Speisenplatte  zu  stehen.  Fand  das  Gelage  aber 
im  Freien  am  Boden  statt,  so  brauchte  man  nur  die  halbkreisförmig  gekrümmte 
Polsterrolle  auf  den  Rasen  zu  legen,  weiter  war  nichts  nötig,  die  Gäste  lagerten  sich 
auf  den  Rasen,  den  Ellbogen  auf  die  Sigmarolle  gestützt;  Brotkorb,  Schüssel  und 
Mischkrug  fanden  ebenfalls  im  Rasen  Platz,  im  inneren  Halbrund.2) 

Auf  die  Kline  konnte  man  sich  nach  Umständen  auch  setzen,  so  gut  wie  man 
sich  gelegentlich  auf  den  Bettrand  oder  die  Chaiselongue  setzt,  ohne  die  Beine  herauf- 
zunehmen. Man  ist  aber  weitergegangen  und  hat  die  Kline  eigens  zum  Sitzen  her- 
gerichtet, als  eine  Art  Kanapee  mit  zwei  Seitenlehnen,  zunächst  noch  ohne  Rückenlehne, 
späterhin  mit  einer  solchen  (um  einen  antiken  Namen  verlegen,  nennen  wir  es  Kanapee, 
conopium  Hör.  epod.  9,  16,  obwohl  hier  kein  Stechmückennetz  angebracht  war).    Antike 


')  Duris:  Archäolog.  Vorlegebl.  VI.  Taf.  19.  Attaginos:  Herodot  IX  15  f.  Alexander: 
Athenäns  XII  538c.  Philadelphos:  eb.  V  196a.  Triclinium:  Marquardt-Mau,  Privatleben 
der  Römer  I  302.  Pompeji:  Mau,  Pompeji  1900,  246.  417,  vgl.  das  Triclinium  funebre  unter 
Laube  bei  Benndorf,  Heroon  zu  Gjölbaschi-Trysa  1889  zu  Taf.  1 — 5. 

2)  Sigma  am  Boden:  ein  Beispiel  bei  Caylus,  Recueil  d'antiq.  II  Taf.  115,  3  und  bei 
Niccolini,  Case  di  Pompei,  Descr.  gen.  Taf.  3  =  Schreiber  Kulturhist.  Bild  Taf.  77,  5.  Die  Gäste 
liegen  um  den  Halbkreis  der  Sigmarolle,  vorn  steht  eine  Schüssel  mit  einem  Schweinskopf,  von 
links  kommt  ein  Aufwärter  mit  einer  anderen  Platte.  —  Seit  Forcellini  geht  die  Rede,  das  Wort 
Stibadium  bezeichne  in  der  römischen  Zeit  das  halbkreisförmige  Ruhebett  (Marquardt-Mau, 
Privatleben  307.  Wide,  Ath.  Mitt.  1894,  272).  Ohne  Zweifel  ist  das  Wort  an  mehreren  Stellen  in 
diesem  Sinne  gebraucht,  ganz  natürlich,  weil  damals  die  Kliuen  in  der  Regel  eben  halbrund  waren; 
das  Wort  an  sich  aber  bedeutet  ganz  allgemein  „Ruhelager",  und  wenn  Sidonius  Apollinaris  epist. 
II  2,  11  eine  cenatiuncula  beschreibt,  darin  ein  stibadium  et  nitens  abacus  sich  befand,  so  war 
dem,  wie  Forcellini  selbst  betont,  stets  quadraten  Abacus  entsprechend  dies  Stibadium  ein  recht- 
winklig hufeisenförmiges  Triclinium.  —  Lampridius,  Heliogabal  25,  gibt  an,  Elagabal  (Kaiser 
218 — 222)  sei  der  erste  gewesen,  welcher  das  Sigma  auf  die  Erde  gelegt  habe,  nicht  auf  Gestelle 
(primus  denique  invenit  simma  in  terra  sternere,  non  in  lectulis).  Marquardt-Mau,  Rom.  Privat- 
altertümer I  309. 


190 


Das  Mahl  der  Seligen. 


Abbildungen  kommen  in  Sarkophag-  und  Grabreliefs  vor.  Wiederum  findet  sich  ein 
richtiges  Kanapee  oder  Sofa  mit  Rücklehne,  ein  Sofa  von  besonders  großen  Dimensionen, 
auf  welchem  vier  Personen  gelagert  sind,  davor  steht  das  Dreibein  mit  der  Platte. 
Es  gab  auch  verlängerte  Klinen  ohne  Lehne  für  eine  Mehrzahl  von  Personen;  ein 
spätathenisches  Relief  zeigt  Herakles  in  dieser  Weise  mit  den  Musen  vereint;  ein 
zwischen  Herakles  und  den  Musen  gelagerter  Mann  wird  bald  als  Apollon,  bald  als 
Verstorbener  und  Seliger  erklärt.1) 


W*»fe.*R, 


Einführung  der  Vibia  in  die  Gefilde  der  Seligen  und  Mahl  der  Seligen. 
Heidnische  Gruft  beim  Coem.  Praetextati. 


Die  christlichen  Mahle. 

In  Mahl  und  Trunk  hat  der  natürliche  Mensch  von  jeher  den  Gipfel  seines 
Daseins  gefunden;  wohl  lernte  der  geistlich  und  sittlich  sich  ausbildende  Mensch 
feinere  Freuden  schätzen,  doch  behauptete  das  Mahl  seine  Bedeutung.  In  Verbindung 
mit  der  Ruhe  nach  getaner  Arbeit  bringen  Speise  und  Trank  die  verbrauchte  Lebens- 
kraft wieder  ein,  in  der  Sättigung  fühlt  sich  der  Mensch  im  Genüsse  von  Lebenshöhe 
und  Lebensfreudigkeit.  So  ist  schon  das  tägliche  Mahl  eine  Art  Siegesfest,  wenn 
nicht  über  den  Tod  selbst,  so  doch  über  die  totkündende  Entkräftung,  ein  Sieges- 
und   Freudenmahl.     Freilich  verliert    es  von    dieser  gehobenen   Stimmung  viel  in  der 


^Kanapee:  am  Deckel  auf  dem  kapitolinischen  Endymionsarkophag.  Robert,  Sark.  III  i 
n.  61.  Baumeister,  Denkmäler  I  480  Fig.  523.  Herrn.  Thiersch,  Antike  Grabanlagen  in  Alexandria 
1904,  10.  Kanapee  mit  Gelagerten:  Petersen  bei  Michaelis,  Rom.  Mitt.  1893,  183  n.  25. 
Hiller  v.  Gärtringen,  Ath.  Mitt.  1900,  5  Taf.  1,  2.  Hettner,  Führer,  Trier  1903  n.  5  Abb. 
Herakles:  v.  Sybel,  Katalog  d.  Skulpt.  zu  Athen  n.  548.  Furtwängler  in  Roschers  Lexikon 
I  2184. 


Die  christlichen  Mahle.  191 

Enge  und  Not  des  Daseins;  dafür  traten  immer  besondere  Anlässe  ins  Mittel,  um  das 
gebundene  Hochgefühl  wieder  zu  entbinden.  Obenan  stand  der  Sieg  in  Zweikampf 
und  Schlacht.  Jenes  Mahl  des  Sardanapal  war  ein  Siegesmahl,  die  Köpfe  der  ent- 
haupteten Feinde  sieht  man  an  die  Zweige  der  Bäume  gehängt,  unter  deren  Schatten 
der  König  seine  Feier  hält.  Ähnlich  schildern  griechische  Vasenbilder  den  Achill 
beim  Triumphgelage  über  der  Leiche  des  erschlagenen  Hektor.  So  gab  der  siegreiche 
Feldherr  seinen.  Truppen  einen  Festschmaus  im  erbeuteten  Wildpark.  Auch  friedliche 
Siege  wurden  mit  Festmälern  gefeiert.  Agathon  beging  den  Sieg  seiner. Tragödie  mit 
Gastereien.  Die  mancherlei  Anlässe,  die  man  in  wichtigen  Augenblicken  des  Lebens 
fand,  werden  wir  hier  nicht  aufzählen,  nur  erinnern  an  die  Hochzeitsschmäuse,  und 
wiederum  an  die  festlichen  Mahlzeiten  und  Gelage  der  Vereine  und  Genossenschaften, 
an  denen  die  antike  Gesellschaft  so  reich  war.  Es  war  mehr  als  bloße  Laune,  wenn 
Piaton  denjenigen  seiner  Dialoge,  welcher  nicht  bloß  durch  seinen  glänzenden  drama- 
tischen Aufbau  sich  von  den  anderen  auszeichnet,  sondern  der  in  besonderem  Sinn  als 
eine  Programmschrift  seiner  Akademie  aufgefaßt  sein  will,  die  Szenerie  eines  Gast- 
mahls und  Gelages  gegeben  hat;  das  so  vielseitig  bedeutsame  Motiv  charakterisiert 
den  Dialog  als  die  Weiheschrift  der  ersten  Hochschulgenossenschaft,  der  die  Aufgabe 
gesetzt  war,  die  erneuernden  Gedanken  des  Meisters  fortzuentwickeln  und  durch 
wissenschaftliche  Erziehung  der  Jugend  für  das  Leben  fruchtbar  zu  machen. 

Die  das  ganze  Leben  durchwirkende  Religiosität  des  Polytheismus  weihte,  wo  sie 
nicht  völlig  tot  war,  auch  jedes  Mahl  durch  die  ideelle  Teilnahme  einer  Gottheit.  Es 
gab  keine  Form  menschlichen  Daseins,  die  nicht  ihren  Gott  gehabt  hätte;  mochte  der 
Staat,  die  Genossenschaft  oder  die  Familie  das  Fest  feiern,  so  lud  sie  ihren  Gott 
dazu;  einerlei,  welcher  Idee  das  Fest  diente,  die  Idee  wurde  verehrt  in  einem  Gott, 
der  nicht  zu  vergessen  war.  Er  erhielt  außer  Anruf  und  Verehrung  einen  Teil  an 
den  Speisen  im  Opfer,  am  Getränk  in  der  Spende,  nicht  zu  reden  von  den  besonderen 
Gelagen,  die  man  anbot  in  Theoxenien  und  Lektisternien. 

Es  bleiben  die  Toten  übrig.  Nach  der  Beisetzung,  wohl  auch  wiederkehrend, 
hielt  man  am  Grab  Gelage.  Die  Toten  waren  der  Speise  und  des  Trankes  bedürftig; 
man  brachte  ihnen  beides.  Wo  man  unter  der  Erde  Grüfte  aushob,  da  legte  man 
wohl  die  Leichen  zum  ewigen  Triklinium  im  Kreise,  auf  den  Boden  oder  auf  Ruhe- 
betten, in  Wandbetten,  das  Trinkgeschirr  zur  Hand,  ein  grausiges  Gelage.  In  den 
Kreisen  derer  aber,  die  ein  Jenseits  sich  ausmalten,  in  elysischen  seligen  Gefilden,  da 
sprach  man  auch  vom  Gelage  der  Heiligen  und  von  ewiger  Trunkenheit.1) 

Aus  dem  israelitischen  Vorstellungskreis,  dem  Mutterboden  der  Religion  des 
Jesus  und  des  palästinensischen  Christentums,  wird  es  genügen,  ein  paar  der  wichtigsten 
Punkte  herauszuheben.  Einmal  das  rituelle  Mahl,  das  Passah;  ursprünglich  ein  fröh- 
liches Frühlings-  und  Dankfest  der  Schafhirten,  welche  die  P>stlinge  ihrer  Herden 
opferten,  zum  Mahl  für  den  Gott  und  für  sich,  wurde  es  umgedeutet  zu  einem  Los- 
kauf der  dem  Jahwe  ebenso  geschuldeten  menschlichen  Erstgeburten.  Ferner  als  die 
Hauptsache  die  Idee  der  messianischen  Zukunftszeit.  Da  werden  die  Durstigen  getränkt 
und  die  Hungrigen  satt  werden,  da  gibt  es  Getreide  ohne  Geld  und  ohne  Bezahlung 
Wein  und  Milch;  hört  auf  mich,  spricht  Jahwe,  so  sollt  ihr  Gutes  zu  essen  haben,  und 


*)  Leichengelage:  z.  B.  Petersen,  Rom.  Mitt.  1896,  188.  Orsi,  eh.  1898,  309  Fig.  2. 
Triclinium  der  etruskischen  Sarkophage  mit  gelagerten  Deckelfigureu:  Martha,  Part  e'trusque 
1889,  198. 


192  Das  Mahl  der  Seligen. 

eure  Seele  soll  sich  erlaben  an  Fett  (Deuterojesaias  55,  1.  2).  Und  Jahwe  der  Heer- 
scharen wird  für  alle  Völker  auf  diesem  Berge  bereiten  ein  Mahl  von  Fettspeisen, 
ein  Mahl  von  Hefenweinen,  ein  Mahl  von  Fettspeisen,  die  mit  Mark  bereitet,  von 
Hefen  weinen,  die  gereinigt  sind;  vernichten  wird  er  auf  diesem  Berg  die  Hülle,  die 
alle  Völker  verhüllt,  und  die  Decke,  die  über  alle  Nationen  gedeckt  ist;  vernichten  wird 
er  den  Tod  für  immer,  und  der  Herr  Jahwe  wird  die  Thränen  von  allen  Angesichtern 
abwischen  und  die  Schmach  seines  Volkes  überall  auf  Erden  verschwinden  lassen 
(Pseudojesaias  26,  6 — 8).  Wir  haben  die  Stelle  vollständiger  hier  ausgeschrieben  als 
es  für  den  Gegenstand,  die  Mahlidee,  nötig  zu  sein  scheinen  könnte;  aber  die  ganze 
Stelle  ist  für  die  weitere  Entwicklung  bedeutsam.  In  demselben  Sinne  erinnern  wir 
noch  an  die  Idee  des  Bundes  zwischen  Jahwe  und  seinem  Volk;  Moses  opfert  junge 
Stiere  als  Heilsopfer,  mit  der  Hälfte  des  Blutes  besprengt  er  den  Altar,  mit  der 
anderen  Hälfte  das  Volk  und  spricht:  Das  ist  nun  das  Blut  des  Bundes,  den  Jahwe 
mit  euch  geschlossen  hat  auf  Grund  aller  jener  Gebote  (Exodus  24,  4 — 8  Kautzsch, 
to  aTfta  rfjg  diu&rt%rj3  Sept.).  Dazu  aber  dies:  Jahwe  will  mit  Israel  und  Juda  einen 
neuen  Bund  schließen,  nicht  wie  der  Bund  war,  den  er  mit  ihren  Vätern  schloss,  da 
er  sie  aus  Ägypten  führte,  sondern  dies  ist  der  Spruch  Jahwes:  Ich  lege  mein  Gesetz 
in  ihr  Inneres  und  schreibe  es  ihnen  ins  Herz;  fürderhin  sollen  sie  nicht  mehr  einer 
den  anderen  belehren  Erkenne  Jahwe!  Denn  sie  werden  mich  allesamt  erkennen  vom 
Kleinsten  bis  zum  Größten;  denn  ich  will  ihnen  ihre  Verschuldung  vergeben  und 
ihrer  Sünde  nicht  mehr  gedenken  (Jerem.  31,  31 — 34).  Über  das  Gelage  im  Jenseits 
als  jüdische  Vorstellung  vgl.  Dav.  Kaufmann,  Monatsschrift  d.  Judent.  XL  1893,  383. 

Waren  ohnehin  schon  mancherlei  Fäden  aus  der  Mahlidee  herausgesponnen 
worden,  so  erscheint  sie  bei  den  Christen  vollends  merkwürdig  kompliziert;  da  schillert 
sie,  wie  das  ganze  Christentum,  in  allen  Farben.  Das  liegt  in  dessen  Natur  als  der 
letzten  Form  der  antiken  Religion;  um  jedem  etwas  und  allen  alles  zu  sein,  mußte 
es  neu  sein  ohne  irgend  etwas  aufzugeben. 

Der  Keim  der  christlichen  Mahlidee  liegt  im  messianischen  Zukunftsmahl;  er  hat 
sich  indessen  nicht  in  gerader  Linie  entfalten  dürfen,  weil  die  Kreuzigung  ihm  den 
Weg  verwirrte.  Etwa  wie  der  weiße  Lichtstrahl,  durch  ein  Prisma  gebrochen,  in  die 
vielen  Farben  des  Regenbogens  sich  zerlegt,  so  wurde  die  einfache  Vorstellung  des 
messianischen  Mahles,  nach  ihrer  Brechung  durch  die  harte  Tatsache  der  Kreuzigung, 
in  viele  Erscheinungsformen  auseinandergelegt. 

Noch  eine  Bemerkung  müssen  wir  vorausschicken.  Einige  evangelische  Erzäh- 
lungen wollte  Baur  als  bewußte  Dichtungen  verstanden  wissen,  David  Friedrich  Strauß 
aber  erkannte  in  den  meisten  einen  literarischen  Niederschlag  urchristlicher  Mythen, 
hervorgegangen  aus  der  Meinung,  die  Lebensmomente  des  Christus  seien  Erfüllungen 
der  messianischen  Weissagungen,  das  heißt,  derjenigen  prophetischen  Stellen,  die  man 
unter  Christen  auf  den  Messias  bezog.  Wissenschaftliche  Systeme  pflegen  als  solche 
Überspannungen  von  richtigen  Grundsätzen  zu  sein,  kurzsichtige  Verallgemeinerungen 
gut  gesehener  Einzelheiten,  sie  haben  bestenfalls  den  Wert  anregender  Hypothesen; 
dagegen  der  Einzelbeobachtung,  aus  welcher  das  System  entsprang,  seinem  Motiv,  darf 
man  bis  auf  bessere  Belehrung  ein  günstiges  Vorurteil  entgegenbringen.  So  mag  auch 
von  Strauß  der  Grundgedanke,  die  mythische  Erklärung  der  Wunder,  überspannt 
worden  sein,  richtig  und  gesund  ist  er  darum  doch.  Es  ist  die  einzig  wissenschaftliche 
Auffassung   aller  Wunder,   alles  außerhalb  möglicher  Erfahrung  Liegenden  in  den  Er- 


Die  christlichen  Mahle.  193 

Zählungen.  Außer  dem  prinzipiell  durchaus  zulässigen  Vorbehalt  etwaiger  bewußter 
Dichtungen  nach  Baurs  Meinung  aber  muß  noch,  in  eben  dieses  schöpferischen 
Forschers  Sinn,  der  andere  Vorbehalt  der  „Tendenz"  gemacht  werden:  schon  während 
der  Lebenszeit  des  Jesus  und  von  den  ersten  Tagen  des  werdenden  Christentums  durch 
alle  Zeiten  bis  heute  sind  die  Meinungen  der  Christen  fließend  gewesen  (alle  Stauver- 
suche haben  nur  bewirkt,  den  ruhig,  aber  unaufhaltsam  fließenden  Strom  der  geistigen 
Entwicklung  durch  mehr  oder  minder  jähe  Katarakte  zu  unterbrechen);  nun,  alle  lite- 
rarische Fixierung  der  selbst  so  nebelhaft  schwankenden  mündlichen  Überlieferung, 
niedergeschrieben  frühestens  ein  Menschenalter  nach  Jesus,  durch  eine  Generation,  die 
ihn  nicht  erlebt  hatte,  sie  stand  in  jedem  ihrer  Momente  unter  dem  Einfluß  der  zur 
Zeit,  am  Ort,  und  in  dem  Subjekt  des  Schriftstellers  eben  wirksamen  Auffassung. 
Da  es  gerade  für  die  Frühzeit  an  kontrollierender,  gleichzeitiger  Berichterstattung 
sachkundiger  und  unbefangener  Dritter  so  gut  wie  gänzlich  gebricht,  so  läßt  sich  die 
Evangelienliteratur  nicht  völlig  exakt  analysieren,  obwohl  es  sicher  ist,  daß  die  Momente 
des  angedeuteten  Prozesses  in  der  Überlieferung  vorliegen.  Endlich  ist  noch  daran  zu 
erinnern,  daß  dieselbe  Idee  bald  in  einem  schlichten  Wort  ausgesprochen  wird,  bald 
in  einem  Gleichnis,  bald  in  einer  Erzählung  oder  einem  Mythus.1) 

Wir  gehen  aus  von  dem  messianischen  Mahl.  Wenn  auch  seit  dem  Täufer 
das  Grundthema  der  Ankündigung  nur  auf  ein  nahes  Bevorstehen  des  Gottesreiches 
lautete,  so  war  doch,  nachdem  einmal  in  Jesus  der  Messias  gesehen  wurde,  ebendamit 
auch  das  Gottesreich  als  gegenwärtig  anerkannt;  dies  vorausgesetzt,  mußte  schon  die 
tägliche  Abendmahlzeit  des  Christus  und  seiner  Anhänger  etwas  vom  Charakter  des 
messianischen  Mahles  an  sich  haben,  etwas  von  einem  Sieges-  und  Freudenfest.  Es 
ist  auch  kein  Zufall,  daß  Jesus  in  den  Evangelien  so  gern  beim  Mahle  vorgeführt 
wird;  dabei  machen  sich  wichtige  Züge  des  messianischen  Mahles  bemerkbar.  Das 
Gottesreich  ist  Freude:  im  Gegensatz  zu  dem  fastenden  Bußprediger  sehen  wir  Jesus 
essen  und  trinken.  Das  Gottesreich  ist  die  Ausgleichung,  es  sättigt  die  Hungrigen, 
heilt  die  Kranken,  entsühnt  die  Schuldbedrückten:  Jesus,  der  Arzt,  sucht  nicht  die 
Gesunden  auf,  sondern  die  Kranken,  er  ißt  mit  den  Sündern.  So  in  einem  Herrenwort 
Mt.  11,  16 — 19;  wiederum  im  Gleichnis  vom  König,  der  seinem  Sohne  ein  Hochzeits- 
mahl ausrichtet,  Mt.  22,  1 — 10  (die  vorauszusetzende  Urform  ging  auf  das  diesseitige 
Gottesreich;  die  vorliegende  Redaktion  aber  ist  nach  V.  6.  7  jünger  als  die  Kreuzigung 
und  als  die  Zerstörung  Jerusalems).  Dieselbe  Idee  begegnet  in  Erzählungsform  im 
Mahl  beim  Zöllner  Levi  Mk.  2,  13 — 17,  Lk.  5,  29 — 32  (im  eigenen  Haus  findet  es 
statt  Mt.  9,  10 — 13).  Ferner  im  Mahl  bei  Simon,  wo  die  Sünderin  Jesus  salbt;  den 
ursprünglichen  Gedanken  hat  Lk.  7,  36 — 50  am  reinsten  (wenn  auch  in  dem  breiten 
Stil  des  Auetor  ad  Theophilum  ausgeführt;  bei  Mk.  14,  8  a  klingt  der  Gedanke  eben 
noch  an;  Vers  7  „allezeit  habt  ihr  die  Armen  bei  euch,  mich  habt  ihr  nicht  allezeit" 
ist  hoch  und  frei  gedacht,  nähert  sich  aber  schon  der  sekundären  Beziehung  auf  Jesus' 
Tod  und  Begräbnis  in  8  b  (Joh.  11,  2  vollends  ersetzt  die  Sünderin  durch  Maria,  die 
Schwester  der  Martha  und   des  Lazarus).     Auch  der  mythische  Ausdruck  fehlt  nicht, 


*)  David  Friedrich  Strauß,  Das  Leben  Jesu,  kritisch  bearbeitet  1835.  41840;  Das  Leben 
Jesu  für  das  deutsche  Volk  bearbeitet  1864.  ,41904.  Hier  soll  nicht  in  die  Erörterung  der  oben 
berührten  kritischen  Fragen  eingetreten  werden;  es  kann  sich  nur  darum  handeln,  einleitend  das 
Nötigste  zum  Verständnis  der  Mahlbilder  zu  geben. 

Sybel,  Christliche  Antike  I.  13 


194  Das  Mahl  der  Seligen. 

er  liegt  vor  in  der  Speisung  der  Tausende  (fünftausend  Mk.  6,  31  —  44,  viertausend  in 
der  Doublette  8,  1 — 10,  beide  Stellen  mit  ihren  Parallelen.  Das  Ritual  stimmt  zu 
genau  mit  dem  liturgischen  des  Abendmahles,  um  nicht  von  ihm  beeinflußt  zu  sein); 
man  beachte  das  förmliche  Gelag  am  Boden,  wie  es  auch  beim  Zukunftsmahl  des 
Pseudojesaias  26,  6  gedacht  ist.  Im  Johannisevangelium  finden  wir  außer  der  Speisung 
der  Tausende  Kap.  6  noch  die  selbständige  Mythisierung  des  messianischen  Mahles  im 
Hochzeitsmahl  zu  Kana,  welches,  die  wunderbare  Speisung  ergänzend,  für  gleich  wunder- 
baren Trank  sorgt  2,  1  — 11.  Das  Motiv  des  Hochzeitsmahles  begegnete  uns  bereits  in 
der  Parabel  von  der  königlichen  Hochzeit;  aber  während  in  der  Speisung  der  Tausende 
wohl  das  sachlich  Wunderbare  des  Vorgangs  angelegentlich  betont  wurde,  unterstreicht 
das  Hochzeitsmahl  zu  Kana  den  Thaumaturgen. 

Aus  der  Zahl  der  gewöhnlichen  Mahle  hebt  sich  das  letzte  Mahl  heraus,  das 
die  Synoptiker  als  Passahmahl  bezeichnen.  Wenn  der  Christus  mit  den  Seinen  gemeinsam 
ein  Mahl  begeht,  so  wird  es  ein  Genossenschaftsmahl,  dann  auch  in  der  besonderen 
Nuance  des  paulinischen  Erinnerungs-  und  Gemeinschaftsmahles  Kor.  I  10,  16.  Da 
aber  Jesus,  dies  muß  doch  wohl  angenommen  werden,  den  tragischen  Ausgang  seines 
Unternehmens  voraussah,  so  konnte  er  einerseits  Abschiedsworte  sprechen,  andererseits 
und  gleichzeitig  den  in  seinen  Willen  aufgenommenen  Tod  aus  seinem  Hauptzweck 
erklären  und  für  ihn  fruchtbar  zu  machen  suchen;  solche  in  der  Situation  begründete 
Worte  mochten  durch  ein  paar  Drucker  im  Sinne  des  späteren  Gemeindeglaubens 
dann  leicht  die  vorliegenden  Fassungen  erhalten  (Mk.  14,  12—25.  Mt.  26,  17 — 29. 
Luk.  22,  7 — 18;  dazu  Kor.  I  11,  23 — 26.  Joh.  6.  Das  angewandte  Ritual  ist  wieder 
das  liturgische.  Das  alte  Bild  des  Bundesblutes  wird  hier  übertragen  auf  das  in  der 
Kreuzigung  vergossene  und  im  ritualen  Wein  versinnbildlichte  Blut  des  Christus. 
Von  da  war  es  nicht  mehr  weit  zum  Opfertod  des  Christus). 

Auch  in  die  Legenden  von  Erscheinungen  des  Auferstandenen  fand  die  Mahl- 
idee Eingang.  Mt.  28,  16 — 20  erscheint  er  den  Elf  in  Galiläa  auf  dem  typischen 
Berg  (auf  dem  Mt.  auch  die  Bergpredigt  lokalisiert  und  den  Joh.  6,  3.  15  in  Be- 
ziehung zur  Speisung  der  fünftausend  setzt.  Pseudojesaias  dachte  sich  das  Zukunfts- 
mahl auf  dem  Berge  Zion).  Im  Nachtrag  des  Markus  heißt  es  kurz,  der  Auferstandene 
erschien  in  veränderter  Gestalt  zweien  Jüngern,  da  sie  aufs  Land  gingen,  und  sie  be- 
richteten es  den  übrigen  (16,  12 — 13);  später  erschien  er  den  Elfen  selbst,  da  sie  zu 
Tische  lagen  (14).  Lk.  24  erzählt  dasselbe  ausführlich.  Es  ist  der  Gang  der  zwei 
Jünger  nach  Emmaus,  wo  sie  ihn  dann  am  Abendmahlsritus  erkennen  (13 — 35);  und 
den  Elf  erscheint  er,  doch  nicht  da  sie  zu  Tische  lagen,  wohl  aber  verlangt  er,  der 
in  Fleisch  und  Bein  vor  ihnen  steht,  zu  essen,  und  sie  geben  ihm  ein  Stück  Bratfisch, 
das  er  vor  ihren  Augen  verzehrt  (36—43).  Im  ursprünglichen  Schlußkapitel  20  des 
Johannesevangeliums  erscheint  der  Auferstandene  zweimal  unter  verschiedenen  Um- 
ständen; die  Mahlidee  verwertet  erst  der  Anhang  Kap.  21  zu  einer  dritten  Erschei- 
nung. Auf  der  Grundlage  des  Mythus  von  Petrus'  Fischzug  baut  sich  die  neue 
Legende  vom  Fischzug  der  sieben  Jünger  auf,  die  aber  auch  von  Petrus  ausgeht  und 
auf  ihn  sich  zuspitzt;  ans  Land  zurückkommend  sahen  sie  am  Ufer  ein  Kohlenfeuer 
mit  Fisch  und  Brot;  Jesus  lädt  sie  ein  zuzugreifen  und  teilt  ihnen  Brot  und  Fisch  aus, 
in    deutlichem    Anklang    an    die    Speisung    der  Tausende  und  die  Abendmahlsliturgie. 

Nun  die  ritualen  Mahle  der  christlichen  Gemeinden.  Anschließend  an  Kor.  I 
11,  20 — 34  sind  zwei  Arten  zu  unterscheiden.     Einmal  dasjenige,   welches  wir  als  das 


Die  christlichen  Mahle.  195 

messianische  Mahl  in  der  Gemeindeübung  bezeichnen  mögen.  Die  Apostelgeschichte 
schildert  das  Leben  in  der  jungen  Gemeinde:  sie  hingen  fest  an  der  Lehre  der 
Apostel  und  der  Gemeinschaft,  an  dem  Brotbrechen  und  den  Gebeten  2,  42;  dies  wird 
dann  noch  präzisiert:  indem  sie  Tag  für  Tag  einmütig  ausharrten  im  Heiligtum  (in 
einer  der  Hallen  des  Tempels)  und  zu  Hause  das  Brot  brachen,  genossen  sie  ihre 
Nahrung  in  Jubel  und  in  Einfalt  des  Herzens  46.  Hier  ist  mehrerlei  zu  beachten: 
der  Jubel,  mit  dem  sie  das  Brot  brachen,  also  die  freudige  Stimmung,  wie  sie  zum 
messianischen  Mahl  gehörte;  sodann  das  Brotbrechen  selbst,  der  uns  schon  bekannte 
Ritus;  endlich  aber,  daß  sie  das  Brot  nicht  in  der  Gemeindeversammlung,  sondern  zu 
Hause  brachen  (xarolxov),  womit  denn  wenigstens  der  Verfasser  der  Apostelgeschichte 
das  tägliche  häusliche  Abendessen  als  die  damals  übliche  Form  des  Ritus 
hinstellt.  Das  Brotbrechen  mit  Danksagung  kommt  auch  sonst  in  der  Apostel- 
geschichte typisch  vor. 

Anders  das  Mahl  in  der  Gemeindeversammlung  (Liebesmahl,  Agape).  Ein  solches 
fand  Paulus  bei  den  Korinthern  vor.  Wohl  nahm  auch  dort  ein  jeder  sein  gewohntes 
Mahl  ein,  aber  er  brachte  es  in  die  Gemeindeversammlung  mit,  wo  dann,  wie  Paulus 
rügt,  der  eine  Hunger  litt,  der  andre  trunken  war,  und  die  Armen  beschämt  wurden 
(Klagen  verwandter  Art  noch  Jud.  12.  Petr.  II  2,  14  var.  lect.).  Solchem  Mißbrauch 
gegenüber  erinnert  Paulus  an  das  letzte  Mahl,  wie  es  ihm  überliefert  worden 
war;  ohne  selbst  Teilnehmer  gewesen  zu  sein,  bezeichnet  er  es  bestimmt  als  Stiftung 
eines  Ritus. 

Das  typische  Brotbrechen  ist  ein  Ritus.  Wir  wollen  aber  nicht  unterlassen, 
ausdrücklich  zu  erinnern,  daß  es  ursprünglich  nicht  Ritus  war,  sondern  täglicher  Ge- 
brauch, überall  da  geübt,  wo  etwa  ein  Hausvater,  oder  wer  an  dessen  Stelle  trat,  das 
Brot  an  die  Teilnehmer  des  Mahles  austeilte.  Davon,  daß  Essen  und  Trinken  nach 
altem  Brauch  von  einem  Dankgebet  eingeleitet  wurde,  kommt  der  neben  dem  „  Brot- 
brechen "  für  den  Ritus  gebräuchliche  Name  „ Danksagung,  Eucharistie". 

Es  bleibt  noch  übrig,  von  einer  letzten  Gattung  christlicher  Mahle  zu  reden, 
den  jenseitigen.  Auch  das  messianische  Mahl,  ursprünglich  eminent  diesseitig,  wurde 
mit  den  anderen  Reichsvorstellungen  durch  die  Kreuzigung  jenseitig.  Zuerst  freilich, 
unmittelbar  nach  dem  Tode  des  Christus,  war  es  nicht  als  ein  Mahl  der  Verstorbenen 
im  Himmel  gemeint;  sondern  die  neuerdings  erwartete  Parusie  galt  als  unmittelbar 
bevorstehend,  die  Generation  der  Jünger  sollte  die  Errichtung  des  Reiches  noch  er- 
leben, nur  die  bereits  Verstorbenen  sollten,  um  daran  teilnehmen  zu  können,  aus  ihren 
Gräbern  körperlich  wieder  auferstehen,  wie  als  ihr  Erstling  der  Christus  selbst  zu 
bleibendem  Leben  wieder  auferstanden  sei.  Daher  die  Worte  beim  letzten  Mahl: 
„Nicht  mehr  werde  ich  vom  Erzeugnis  des  Weinstocks  trinken,  bis  zu  jenem  Tage, 
da  ich  es  neu  trinken  werde  im  Reiche  Gottes"  Mk.  14,  25.  Lk.  22,  18  —  „mit  euch" 
setzt  Mt.  26,  29  hinzu;  das  gibt  Lukas  ausführlicher  28 — 30  „ihr  seid  es,  die  ausge- 
halten haben  mit  mir  in  meinen  Versuchungen;  und  ich  verordne  euch,  wie  mir  mein 
Vater  das  Reich  verordnet  hat,  daß  ihr  essen  und  trinken  sollt  an  meinem  Tisch  in 
meinem  Reich."  Analysiert  man  diese  Reden,  so  finden  sich  darin  die  zwei  Elemente, 
das  tragische  („meine  Versuchungen",  „nicht  mehr  trinken")  und  das  messianische 
(„ich  werde  es  neu  trinken  im  Reiche  Gottes,  ihr  sollt  an  meinem  Tisch  essen  und 
trinken  in  meinem  Reich").  Angesichts  dessen  drängt  sich  die  Frage  auf,  ob  denn 
die  in  den  letzteren  Worten  enthaltene  Ankündigung,  für  die  Jünger  eine  Verheißung, 

13* 


196  Das  Mahl  der  Seligen. 

das  künftige  Essen  und  Trinken,  von  Haus  aus  nur  im  Zusammenhang  der  Passion 
gesprochen  worden  sein  sollten;  ob  nicht  längst  bevor  das  tragische  Ende  irgend 
einen  Schatten  vorauswerfen  konnte,  Jesus  ähnliches  gesagt  haben  werde.  Im  Zu- 
sammenhang seiner  ganzen  Ankündigung  des  nun  kommenden  Reichs  hieß  es  dann 
nichts  anderes,  als  daß  die  Jünger  mit  ihm  das  messianische  Mahl  genießen  sollten. 
Erst  nachdem  die  Ankündigung  des  Zukunftsmahles  in  den  Rahmen  der  Passion  auf- 
genommen war,  mischte  sich  das  tragische  Motiv  ein  und  gab  ihr  die  veränderte 
Färbung,  das  Mahl  wurde  hinausgeschoben  in  die  Zeit  der  neuen  Parusie  nach  der 
Kreuzigung  und  Auferstehung  des  Christus.  Diese  als  endgültig  gedachte  Parusie  aber 
war  diesseitig  gedacht,  sofern  nicht  in  der  Idee  der  „neuen  Welt"  der  ganze  Gegensatz 
von  Diesseits  und  Jenseits  aufgehoben  wurde  und  verschwand. 

Hier  erinnern  wir  uns  des  „  Hochzeitsmahles "  in  seinem  verschiedenen  Vor- 
kommen; eigentlich  eben  dasselbe  messianische  Mahl  ist  auch  das  Hochzeitsmahl  von 
der  Kreuzigung  berührt  und  in  die  Zukunft  gerückt  worden.  Eschatologisch  ist  das 
Hochzeitsmahl  des  Lammes,  Off.  19,  9  „Selig  die  zum  Hochzeitsmahl  des  Lammes 
Berufenen".  Auch  von  der  Zerstörung  Jerusalems  ist  das  Hochzeitsmahl  berührt 
worden  (Mt.  22,  1 — 10);  diese  jüngere  Redaktion  wird  nun  kaum  noch  auf  die  baldige 
Wiederkunft  des  Christus  gerechnet  haben;  sie  war  damals  schon  in  so  weite  Ferne 
gerückt,  daß  die  andere  Idee  des  Mahles  im  Himmel,  die  heidnische  Idee  des  Mahles 
der  Seligen,  natürlich  in  christlicher  Ausprägung,  in  die  Lücke  treten  mußte.  Auch 
das  ursprünglich  messianische  Wort  „Selig  wer  Brot  (a.  L.  Frühmahl)  ißt  im  Reich 
Gottes"  Lk.  14,  15  und  die  daraus  entwickelte  Verheißung  an  die  Jünger,  daß  sie 
im  Reiche  des  Herrn  an  seinem  Tisch  essen  und  trinken  sollten  (eb.  22,  30)  wird 
schon  früh  so  verstanden  worden  sein.  Jenseitig  ist  auch  gemeint,  was  in  der 
Offenb.  Joh.  2,  7  dem  Engel  der  ephesischen  Gemeinde  gesagt  wird  „Dem  der  siegt, 
ihm  werde  ich  geben  zu  essen  vom  Baume  des  Lebens,  welcher  ist  im  Paradiese 
Gottes";  das  ist  dieselbe  Verjenseitigung  des  biblischen  Paradieses  wie  im  Wort  an 
den  Schacher  „Heute  wirst  du  mit  mir  im  Paradiese  sein".  Ist  dort  nicht  eigentlich 
von  einem  Gelage  die  Rede,  so  gibt  es  doch  noch  andere  Zeugnisse  dafür,  daß  die 
Vorstellung  vom  Mahl  der  Seligen  von  den  Christen  aufgenommen  wurde.  Wilpert 
führt  ein  paar  Visionen  von  Märtyrern  an,  in  denen  das  Seligenmahl  seine  Rolle 
spielt.  Unter  Marc  Aurel  wurden  Karpos  und  Papylos  auf  dem  Scheiterhaufen  ver- 
brannt; dabei  hatte  Papylos  eine  Vision,  er  sah  die  Herrlichkeit  des  Herrn,  und 
sprach  dies  aus.  Eine  Christin,  Agathonike,  stand  dabei;  von  der  Überspannung  der 
Märtyrer  angesteckt,  hatte  sie  dieselbe  Vision;  sie  meinte  sich  vom  Himmel  gerufen, 
und  mit  den  Worten  „Das  Frühmahl  (es  war  vorher  nicht  erwähnt  worden,  aber  in 
der  „Herrlichkeit  des  Herrn"  war  es  ihr  mit  enthalten)  ist  auch  für  mich  bereitet, 
ich  muß  teilnehmen  und  essen  von  dem  ruhmvollen  Mahle"  sprang  sie  freiwillig  an 
den  Marterpfahl.  Unter  Valerian  erlitt  Agapius  den  Bekenntnistod,  nach  ihm  Marianus 
und  Jacobus;  dieser  hatte  kurz  vor  seinem  Martyrium  eine  Vision:  „Jetzt,  sagte  er, 
eile  auch  ich  zu  des  Agapius  und  der  übrigen  Märtyrer  Mahl.  Denn  in  dieser  Nacht 
sah  ich  Agapius  .  .  .  ein  herrliches  und  freudenvolles  Mahl  begehen.  Als  ich  und 
Marianus  im  Geiste  der  Liebe  dorthin,  wie  zu  einem  Liebesmahle,  hingerissen  wurde, 
begegnete  uns  einer  von  den  beiden  Knaben,  die  mit  ihrer  Mutter  vor  drei  Tagen 
das  Martyrium  erduldet  hatten;  derselbe  trug  einen  Kranz  um  den  Hals  und  hielt 
einen  frischen  Palmenzweig  in  der  rechten  Hand.     Was  eilt  ihr  so?  fragte   er;  freuet 


Die  christlichen  Mahle.  197 

euch  und  frohlocket;  denn  morgen  werdet  auch  ihr  mit  uns  speisen."  Die  Vorstel- 
lung ging  dann  auch  in  die  liturgischen  Sterbegebete  über;  in  ihnen  kehrt  in 
verschiedenen  Wendungen  die  Bitte  wieder,  Gott  wolle  die  Verstorbenen  zum  seligen 
Gelage  seines  Reiches  gelangen  lassen;  sie  sind  eingeladen  zum  Hochzeitsmahl,  zum 
Gelage;  Gott  Vater  möge  die  Körper  und  Geister  seiner  Sklaven  (der  Christen  nach 
ihrem  Tode)  zu  jenen  himmlischen  Gütern  gelangen  lassen,  zum  Gelage,  das  kein 
Ende  hat;  er  möge  sie  ruhen  lassen  in  den  lichten  Wohnungen  und  in  jenen  deliziösen 
Gelagen. 

Wilpert  sieht  im  himmlischen  Mahl  nur  ein  Sinnbild  der  himmlischen  Seligkeit, 
nicht  einen  ihrer  wesentlichen  Bestandteile.  Allerdings  der  moderne  Mensch,  auch 
der  religiöse,  wenn  anders  er  durch  die  Schule  der  Logik  in  Mathematik  und  Natur- 
wissenschaft wie  in  kritischer  Historie  ging,  vermag  eine  Vorstellung  wie  die  vom 
Seligenmahl  nicht  realistisch  zu  verstehen;  dasselbe  gilt  ebenso  für  den  antiken  Ge- 
bildeten, der  sich  die  sublimierte  Seelenvorstellung  der  heidnisch-christlichen  Speku- 
lation angeeignet  hatte,  gilt  daher  für  die  Theologenkirche,  in  deren  Augen  Über- 
schwenglichkeiten wie  die  der  Agathonike  leicht  der  montanistischen  Häresie  ver- 
dächtig sind.  Jene  kirchlichen  Sterbegebete  nennen  das  jenseitige  Mahl  geradezu  ein 
geistiges  (fac  illos  discumbere  ad  mensam  tuam  spiritualem).  Dabei  wäre  immerhin 
berichtigend  zu  bemerken,  daß  die  Spiritualität  das  Mahl  noch  nicht  zu  einem  bloßen 
Sinnbild  macht,  sondern  bloß  die  Art  des  Mahles  modifizierend  es  näher  bestimmt  als 
eines  von  Seelen,  und  die  Speise  als  Seelenspeise.  Wir  wollen  nicht  fragen,  wozu 
denn  in  demselben  Sterbegebet  neben  den  Seelen  auch  die  Körper  der  Verstorbenen 
zum  Mahle  gewünscht  werden,  wenn  es  gar  kein  Mahl  für  sie  gibt;  denn  so  fragen 
hieße  selbst  das  Unnützeste  treiben  und  spekulieren.  Aber  wenn  das  Seligenmahl  nur 
Symbol  sein  soll,  als  was  sollen  dann  die  anderen  völlig  gleichartigen  Vorstellungen 
gelten?  die  leuchtenden  Gewänder,  das  himmlische  Paradies,  die  Blumen  und  ihr  Duft, 
der  Lichtpalast,  schließlich  die  Herrlichkeit  des  Herrn  selbst  und  das  Schauen  des 
Herrn.  Sind  das  nicht  alles  ebenso  sinnliche  Bilder  wie  das  Seligenmahl?  Nimmt 
man  sie  nun  wie  das  letztere  als  bloße  Symbole,  was  bleibt  dann  von  der  ganzen 
Seligkeit  noch  übrig,  die  doch  die  Märtyrer  nicht  allein  um  den  teuren  Preis  ihres 
Lebens,  sondern  auch  bei  den  unsäglichsten  Schmerzen  lächelnd  erkauften?  Das  Prinzip 
dieser  Art  Symbolik  einmal  aufgestellt,  führt  noch  viel  weiter.  Wenn  alles,  was  den 
Himmel  begehrenswert  macht,  nur  Symbol  ist,  so  kann  der  Gegensatz,  das  höllische 
Feuer,  auch  nicht  mehr  realistisch  verstanden  werden,  usf.  Agathonike  sicher  würde 
all  dergleichen  Verflüchtigungen  ihrer  Phantasievorstellungen  weit  von  sich  weisen, 
war  sie  doch,  wie  alle  Märtyrer,  sogar  davon  überzeugt,  im  Feuer  des  Scheiterhaufens 
mit  dem  Satan  körperlich  zu  ringen;  wird  Wilpert  ihr  auch  dies  Bewußtsein  abstreiten 
wollen?  Man  darf  nie  die  Kluft  übersehen,  welche  immer  zwischen  dem  Volksglauben 
und  der  theologischen  Spekulation  besteht.  Wir  meinen,  der  ganze  Komplex  der 
transzendenten  Vorstellungen  konnte  nur  bei  einem  Rückfall  der  Menschheit  in  die 
primitiv  naive  Gemütsverfassung  entstehen,  oder  bei  einem  Beharren  eines  großen 
Teiles  in  derselben,  nämlich  in  einem  solchen  Geisteszustand,  der  die  kritische  Frage 
gar  nicht  aufkommen  läßt.  Und  in  solcher  Verfassung  befanden  sich  die  Kreise,  aus 
denen  die  christlichen  Jenseitsbilder  hervorgingen.1) 

l)  Agathonike:  Harnack,  Texte  u.  Untersuchungen  III  1888  435  Acta  Carpi,  Papyli  et 
Agathonices  (Text  mit   Kommentar  und  Einleitung);    ders.,  Altchristi.  Lit.  II  i  1897  362.     Barden- 


^" 


Das  Mahl  der  Seligen. 


w  <\ 


Die  in  den  Katakomben  vorfindlichen 
Mahlbilder  verteilt  Wilpert,  ihre  Erklärung 
vorwegnehmend,  in  drei  verschiedene  Kapitel 
seiner  systematischen  Darstellung  des  Inhalts 
der  Malereien.  Wir  unsererseits  vermögen 
nicht  mit  eben  solcher  Zuversicht  vorzugehen, 
wir  ziehen  vor,  die  sämtlichen  Mahlbilder, 
nach  Typen  gruppiert,  zusammenzunehmen 
und  abzuwarten,  was  ihre  Interpretation  er- 
gibt; dabei  sind  wir,  hier  wie  in  aller 
Forschung,  auf  die  Möglichkeit  gefaßt,  daß 
beim  augenblicklichen  Stande  der  Wissen- 
schaft eine  sichere  Entscheidung,  sei  es  für 
alle  oder  für  einige  Bilder,  noch  nicht  mög- 
lich ist.  Wir  meinen,  es  spreche  hier  ein 
Unterschied  im  Prinzip  mit.  Der  katholischen 
Wissenschaft  ist  es  natürlich,  dogmatisch 
vorzutragen,  während  die  dem  protestantischen 
Geiste  artverwandte  voraussetzungslose  For- 
schung lieber  Probleme  diskutiert.  Aller- 
dings gibt  es  Ausnahmen  hüben  und  drüben; 
es  gibt  protestantische  Gelehrte  und  wirkliche 
Forscher,  die  dogmatisch  vortragen,  als  wären 
sie  die  heilige  Kirche  selbst,  und  es  gibt 
katholische  Gelehrte,  die  sich  so  entschieden 
auf  den  Weg  des  wissenschaftlichen  Lebens 
begeben  haben,  daß  es  ihnen  Bedürfnis 
geworden  ist,  ihre  Leser  zum  Selbstdenken 
anzuregen.  Eben  diese  Aufgabe  aber  muß 
sich  vollends  ein  Buch  stellen,  das  wie  das 
unsere  nur  der  Einführung  dienen  will.1) 

Wer  die  Mahlbilder  in  den  Katakomben 
betrachtet,  dem  wird  sich  eine  Wahrnehmung 
sofort  aufdrängen:  sie  erscheinen  nicht  bloß 
an   bevorzugten  Stellen   der  Grüfte,    wo    das 


hewer,  Patrologie  1901,  201.  —  Jacobus:  Passio 
S.  S.  Mariani,  Jacobi  etc.  ed  Franchi,  in  Studi  e  testi 
n.  3  1900.  Harnack,  Altchr.  Lit.  II II  1904,  470.  - 
Wilpert,  Malereien  470,  wo  weitere  Belege  zum 
christlichen  Seligenmahl  sich  finden. 

*)  Wilpert,  Malereien  S.  282,  15.  Kap., 
Darstellungen  der  Eucharistie;  470  §  118  Das 
himmlische  Mahl;  506,  23.  Kap.,  Totenmahle.  Vgl. 
K.  M.  Kaufmann,  Forschungen  I  1900,  107  Mahl 
der  Vibia,  194  Darstellungen  des  himmlischen  Gast- 
mahls; anderes  bei  Leclercq  in  Cabrol,  Dictionnaire 
I  1903,  836  ff. 


Die  christlichen  Mahle.  199 

Bild  dem  Verstorbenen  ganz  unmittelbar  und  in  irgend  einer  Art  Bedeutsamkeit 
gelten  muß,  sondern  obendrein  im  Zusammenhang  mit  jenen  dekorativen,  in  ver- 
schiedener Weise  das  himmlische  Paradies  andeutenden  Malereien  von  Weinlauben, 
laubenähnlichen  Plafonds,  Blumenranken  und  -ge winden,  Kosen  und  Vögelchen. 
Damit  sind  wir  der  Hypothese  schon  halb  gewonnen,  daß  die  Mahlbilder  Seligen- 
mahle  darstellen.  So  eminent  antike  Vorstellungen  wie  das  „Gelage  der  Heiligen" 
brauchen  in  der  Frühzeit  des  hellenistischen  Christentums  ohnehin  nicht  zu  be- 
fremden. 

Das  älteste  Mahl  der  Art  besitzt  die  sog.  Galerie  der  Flavier;  sie  wird  noch 
in  das  erste  Jahrhundert  gesetzt.  Die  Deckenmalerei  der  Galerie  bereitet  auf  das 
Gemälde  vor  und  bezeichnet  die  ideale  Sphäre,  in  die  es  gehört,  das  himmlische 
Paradies:  zuerst  die  aus  Akanthusblättern  herauswachsenden  und  sich  weit  ver- 
zweigenden Reben,  mit  Vögeln  und  weinlesenden  Eroten  darin;  sodann  ein  zentrierter 
Plafond  mit  Krummstab  und  Tänie  führenden  Putten  im  Scheitel  und  in  den 
Zwickeln;  die  Kappenfelder  enthielten  anscheinend  idyllische  Bildchen.  Im  Fond  des 
Raumes  ist  das  Mahl  als  Hauptbild  gemalt,  der  Eintretende  und  Vorschreitende  hat 
es  immerfort  vor  Augen,  seine  zentrale  Stellung  verbürgt  seine  zentrale  Bedeutung. 
Leider  sehr  beschädigt  stellt  es  ein  Mahl  zweier  Personen  dar,  bartloser  Männer  im 
Chiton;  sie  sitzen  auf  jener  Art  Kanapee,  wie  sie  in  der  Kaiserzeit  Mode  war  und 
mit  dem  Dreibeintischchen  davor  gerade  auf  Grabsteinen  sich  öfter  findet.  Der  besser 
erhaltene  der  beiden  wendet  sich  im  Gespräch  zu  seinem  Genossen.  Vor  ihnen  steht 
ein  Dreibein  mit  den  Speisen,  einem  Fisch  und  drei  Brötchen.  Von  rechts  tritt  ein 
Auf wärter  heran,  im  ärmellosen  ungegürteten  Chiton,  er  bringt  das  Getränk  zum 
Mahle,  in  der  Linken  trägt  er  die  Kanne,  in  der  Rechten  den  Becher.1) 

Unser  Mahl  kann  weder  die  Speisung  der  Tausende,  noch  Jesus'  letztes  Mahl 
oder  sonst  eines  der  in  den  Evangelien  erzählten  Mahle  sein,  noch  auch  das  liturgische 
Abendmahl.  Das  allgemeine  Schema  ist  das  des  häuslichen  Mahles,  das  nun  aber  in 
die  paradiesische  Umgebung  über  dem  Grabe  verpflanzt  in  der  Tat  ein  Seligenmahl 
zu  meinen  scheint.  Christliche  Besonderheit  in  dem  gemein-antiken  Mahlschema  ist 
nur  die  Auswahl  der  Speisen,  welche  als  eine  und  dieselbe  in  allen  Mahlbildern  der 
Katakomben  wiederkehrt.  Es  ist  Brot  und  Fisch.  Warum  gerade  diese?  Das 
Brot  galt  im  ganzen  Altertum  als  das  wesentliche  Nahrungsmittel,  alles  übrige  galt 
nur  als  Zukost.  Auch  im  Herrengebet  wird  nur  das  Brot  genannt:  unser  täglich 
Brot  gib  uns  heute.  Unter  den  mancherlei  Arten  der  Zukost  nun,  Obst  und  Gemüse, 
Fisch  und  Fleisch,  nimmt  bei  Anwohnern  fischreicher  Gewässer  notwendig  der  Fisch 
die  Hauptstelle  ein;  das  galt  für  die  Anwohner  des  galiläischen  Sees  wie  für  die 
hellenisch  redenden  des  Mittelmeers,  für  welche  die  Evangelien  geschrieben  sind.  Da- 
her kommt  es,  daß  in  der  Speisung  der  Tausende,  das  ist  dem  messianischen  Mahl  in 
der  Gestalt  eines  christlichen  Mythus,  eben  jene  übliche  Volksnahrung  das  Material 
abgibt,  mit  dem  der  Messias  das  Volk  wunderbar  sättigt.  Nun  aber  ist  das  Seligen- 
mahl im  himmlischen  Paradies  lediglich  eine  Verschiebung  des  Vollendungsmahles  ins 
Jenseits,  es  ist  eine  Verjenseitigung  des  Vollendungsmahles;    daher  versteht  man,  daß 


*)  Flaviergalerie:  de  Rossi,  Bull,  crist.  1865,  42.  Garucci,  Storia  II  Taf.  19.  Decken- 
malereien: Wilpert,  Malereien  Taf.  1.  2.  Mahl:  eb.  518  zu  Taf.  7,  4,  an  letzter  Stelle  aller 
Mahlbilder  besprochen  und  als  Totenmahl  (Leichenschmaus)  erklärt.    —    Kanapee:   oben   S.  189. 


200  -Das  Mahl  der  Seligen. 

es  etwas  von  der  Typik  des  Speisungsmythus  angenommen  hat;  die  Speisen  des  himm- 
lischen Mahles  sind  eben  die  des  messianischen,  Brot  und  Fisch.  Somit  stammen  die 
Elemente  des  Seligenmahles  aus  zwei  verschiedenen  Quellen,  das  allgemeine  Mahl- 
schema stammt  aus  der  heidnischen  Religion  und  Kunst,  die  typischen  Speisen,  Brot 
und  Fisch,  entstammen  der  christlichen  Ausprägung  prophetischer  Ideen. 

Zur  Form  der  Brote  ist  noch  folgendes  zu  bemerken.  Man  kennt  die  Ent- 
wicklungsgeschichte der  Brotformen.  Zuerst  wurde  das  möglichst  fein  geschrotete, 
später  gemahlene  Korn  mit  Wasser  (oder  auch  Milch?)  angerührt  und  teils  frisch  als 
Brei  verzehrt,  teils  getrocknet  in  Form  dünner  Fladen;  ein  Nachlebsel  dieser  Urform 
des  Brotes  läßt  sich  in  gewissem  Sinne  in  den  gewalzten  Sorten  der  Nudeln  und 
Maccaroni  erblicken.  Den  nächsten  Fortschritt  brachte  das  Feuer.  Daß  Nudeln 
auch  im  Altertum  gekocht  wurden,  gehört  nicht  in  die  Geschichte  des  Backens;  aber 
man  klatschte  die  frischen  Fladen  an  einen  durch  rings  angemachtes  Feuer  erhitzten  Stein 
und  röstete  sie  so.  Diese  Stufe  erhielt  sich  sakral,  in  den  Matzen  und  Muzen.  Die 
Vollendung  aber  beruhte  auf  der  Entdeckung  der  Kraft  des  Sauerteigs;  die  Gestalt 
der  Brote  angehend,  ermöglichte  sie  dieselben  voluminöser  zu  formen,  als  Laib.  Um 
das  Brot  leichter  brechen  und  verteilen  zu  können,  versah  man  die  runden  Laibe  mit 
diagonalen  Kerbeinschnitten;  kleinere  Brötchen  erhielten  zwei  Kerben  ins  Kreuz,  wie 
noch  heute  unsere  Kreuzwecken  (Rosenbrötchen),  größere  Brote  bekamen  eine  ent- 
sprechend größere  Anzahl  radialer  Einschnitte.  Noch  bequemer  zum  Brechen  war  die 
Kranzform,  auch  sie  mit  radialen  Kerben.  Die  Brote  in  den  christlichen  Mahlbildern 
sind  eher  klein,  rund,  und  zeigen  den  Kreuzschnitt;  aus  dem  Vorgesagten  ergibt  sich, 
daß  dieser  Kreuzschnitt  altheidnischer  Handwerksbrauch  war  und  praktischem  Zweck 
diente;  von  Haus  aus  ist  dabei  nicht  an  das  Kreuz  des  Christus  gedacht,  sekundär 
aber  wurde  diese  Beziehung  allerdings  hineingelegt.  —  Eben  diese  Brötchen  dienten 
auch  beim  liturgischen  Abendmahl.  Wegen  des  Brötchens  ist  unser  Mahlbild  aber 
noch  nicht  als  Darstellung  der  Eucharistie  zu  verstehen;  der  Fisch  neben  dem  Brot 
wäre  dann  Tautologie,  da  jedes  von  beiden  den  Leib,  nach  Ev.  Joh.  Kap.  6  (eventuell 
nach  seinem  Interpolator)  das  im  Abendmahl  gegessene  Fleisch  des  Christus  bedeuten 
müßte.  Andererseits  weist  gerade  die  Verbindung  von  Brot  und  Fisch  auf  das 
Vollendungsmahl,  sei  es  das  diesseitige  messianische  oder,  was  wir  hier  annehmen,  das 
jenseitige  im  himmlischen  Paradies.1) 

Ob  es  in  den  Katakomben  noch  andere  Mahlbilder  mit  sitzenden  Teilnehmern 
gibt  oder  gegeben  hat,  müssen  wir  dahingestellt  sein  lassen;  alle  bei  Wilpert  ver- 
öffentlichten mit  einer  Mehrzahl  von  Gästen  zeigen  dieselben  gelagert  und  zwar  um 
die  im  Halbkreis  gekrümmte  große  Polsterrolle,  das  Sigma.  In  den  ältesten  und 
wohl  auch  meisten  Exemplaren  liegt  die  Rolle  am  Boden,  in  anderen  scheint  sie  auf 
halbkreisförmiger  Pritsche  zu  liegen,  wo  dann  die  Schüsseln  mit  den  Speisen  nicht  auf 
dem  Boden,  sondern  auf  einem  Dreibein  stehen;  ab  und  zu  bleibt  es  auch  zweifelhaft, 
wie  die  Anordnung  gemeint  ist.  Diese  Undeutlichkeit  der  Darstellung  hat  ihren 
Grund  in  dem  handwerksmäßigen  und  flotten  Malverfahren,  in  dem  die  Katakomben- 
malereien hergestellt  sind.  Der  handwerksmäßige  Betrieb  brachte  es  mit  sich,  daß  ein 
einmal  gewähltes  Muster  immerzu  wiederholt  wurde,  ohne  kontrollierendes  Zurückgehen 
auf  die  Wirklichkeit,  immerhin  nicht  mittels  Schablone,  sondern  in  Freihandzeichnung, 


*)  Kreuzwecken:   H.  Blümner,  Technologie  I  1875,  80.     Wilpert,  Malereien  293,  5. 


Die  christlichen  Mahle.  201 

daher  mit  allerlei  Nuancen  im  einzelnen;  weil  es  aber  mehrere  Mahltypen  neben- 
einander gab,  das  Gelag  am  Boden  und  das  auf  der  Pritsche,  die  beide  gleich  hand- 
werksmäßig, gleich  unbedacht  wiederholt  wurden,  so  flössen  sie  auch  ineinander.  Das 
flotte  Hinhauen  der  Bilder  aber  führte  zu  einer  oft  nur  andeutenden,  nicht  durch- 
gearbeiteten Darstellung,  die  gelegentlich  mißverstanden  worden  ist. 

Eben  wegen  der  Flüchtigkeit  und  teilweisen  Undeutlichkeit  der  christlichen 
Mahlbilder  schicken  wir  zwei  ihnen  typverwandte  heidnische  voraus,  die  erheblich  klarer 
ausgearbeitet  sind.  Sie  befinden  sich  in  der  Gruft  des  Sabaziospriesters  Yincentius 
und  seiner  Gattin  Vibia,  beim  Coemeterium  Praetextati  an  der  Via  Appia;  Wilpert 
setzt  sie  in  das  vierte  Jahrhundert  n.  Chr.  Es  ist  darüber  gestritten  worden,  ob  die 
in  der  Vincentiusgruft  auftretenden  bildlichen  Typen  heidnisch-griechischen  Ursprungs 
oder  von  den  christlichen  Anschauungen  und  Darstellungen  beeinflußt  seien.  Wir 
haben  hier  keinen  Anlaß,  die  Frage  zu  erörtern,  uns  genügt  festzustellen,  daß  beide 
Bilderreihen,  die  in  Rede  stehenden  heidnischen  wie  die  christlichen,  Hervorbringungen 
derselben  spätantiken  Kunst  und  in  religiöser  Hinsicht  Früchte  vom  Baum  eben 
desselben  religiösen  Synkretismus  sind.  Nur  auf  dem  gemeinsamen  religiösen  Boden 
war  die  Typengemeinschaft  möglich.  Wilpert  zwar  nennt  die  Vincentiusgruft,  um  sie 
zu  unterscheiden,  synkretistisch;  das  Beiwort  charakterisiert  die  Sabaziosreligion  der 
Griechen  und  Römer  an  sich  zutreffend,  nur  gerade  nicht  in  ihrer  Eigenart  gegenüber 
der  Christusreligion,  die  doch  genau  so  synkretistisch  war  wie  der  Sabazioskult. 
Vincentius  also  scheint  die  Grabkammer  gelegentlich  des  Todes  seiner  Frau  angelegt 
zu  haben,  sicher  aber  als  Familiengruft,  in  der  er  selbst  dereinst  zu  ruhen  gedachte. 
Dementsprechend  bestimmte  er  die  Sujets  für  die  Gemälde.  Drei,  die  einen  Zyklus 
bilden,  gelten  der  verstorbenen  Gattin,  eines  ihm  selbst.  Er  ließ  sich  in  der  Höhe 
seines  Daseins,  als  Mitglied  des  Kollegiums  der  sieben  frommen  Priester  (Septem 
pii  sacerdotes)  beim  Opfermahl  darstellen,  im  Ornat;  deutlich  ist  an  Vincentius  und 
zwei  Amtsbrüdern  die  Barbarentracht  zu  erkennen,  hohe  Mütze  und  Chlamys.  Die 
sieben  frommen  Priester  lagern  am  Boden,  hinter  dem  Sigma,  unter  hängenden 
Rosenketten;  vorn  im  Halbkreis  liegen  acht  Kreuz  wecken  um  vier  auch  auf  dem 
Boden  stehende  Schüsseln  aus  getriebenem  Silber;  neben  Fisch  scheint  es  bei  diesem 
Diner  auch  Braten  zu  geben,  Becher  halten  die  Herren  in  der  Hand. 

Das  andere  Mahlbild  der  Vincentiusgruft  befindet  sich  dem  Eingang  gegenüber 
an  der  Fond  wand,  es  ist  das  End-  und  Hauptbild  des  Vibiazyklus  und  zeigt  die 
Verstorbene  in  der  Seligkeit.  Im  Rahmen  einer  mehrgliedrigen,  aber  einheitlichen 
Szenerie  sind  zwei  getrennte  Momente  nebeneinander  zur  Darstellung  gebracht.  Links 
die  Einführung  der  Vibia  durch  das  Tor  zum  Seligenland,  rechts,  den  größeren  Teil 
des  Bildraumes  einnehmend,  das  Gelage  der  Seligen  und  Vibia  mitten  unter  den 
Gästen.  Was  nun  dies  Seligenmahl  von  den  christlichen  vorteilhaft  unterscheidet,  das 
ist  die  deutliche  Angabe  der  Szenerie.  Es  ist  ein  Gelage  im  Grünen,  auf  einer  Wiese 
mit  vielen  blühenden  Blumen  (Xetfiüv).  In  das  Gras  ist  die  Sigmarolle  gelegt,  dahinter 
lagern  die  Seligen,  in  der  Mitte  Vibia  (zwar  sind  nur  sechs  Gäste  vorhanden,  gemeint 
aber  war  eigentlich  das  typische  Gelage  von  sieben  Personen;  die  Einführungsszene 
beengte  den  Raum  auf  der  linken  Seite  derart,  daß  das  Gelage  um  einen  Platz  ge- 
kürzt werden  mußte).  Im  Halbrund  stehen  zwei  Schüsseln  im  Rasen,  die  eine  mit 
etwas  wie  einem  hohen  Kuchen,  die  andere  mit  einem  Fisch.  Im  Vordergrund 
kommt  ein  Aufwärter  eilfertig  von  links  her  und  trägt  auf  den  vorgestreckten  Händen 


202  Das  ^fahl  der  Seligen. 

eine  Schüssel  mit  Geflügel  herbei;  ganz  rechts  steht  eine  schlanke  Spitzamphora  in 
einer  Engytheke  (incitega).  In  der  Mitte  des  Vordergrundes  aber  knien  zwei  Selige 
im  Rasen,  der  links  auf  einem,  der  andere  auf  beiden  Knien;  was  sie  treiben,  ist  nicht 
ganz  klar,  man  hat  an  ßlumenpflücken  gedacht,  an  ein  Kosten  von  Früchten  (das 
müßten  etwa  Erdbeeren  sein,  ohne  Zweifel  paradiesische  Früchte),  oder  an  Knöchel- 
spiel, das  auch  angemessen  wäre  als  Zeitvertreib  im  Elysium.1) 

Die  nunmehr  vorzuführenden  christlichen  Gelage  am  Boden  finden,  sofern  sie 
Seligenmahle  sind,  natürlich  auch  alle  in  den  blumenreichen  Auen  des  Paradieses  statt, 
wenn  schon  die  flott  arbeitenden  Maler  sich  nicht  dabei  aufgehalten  haben,  die  Einzel- 
heiten der  Wiese,  die  Gräser  und  Blumen,  vor  Augen  zu  bringen. 

Das  älteste  Beispiel  bietet  die  dem  Anfang  des  zweiten  Jahrhunderts  zu- 
geschriebene Cappella  greca  des  Coem.  Priscillae.  Das  Seligenmahl  steht  wieder  an 
der  Fondwand,  hier  also,  da  es  eine  Doppelkammer  ist,  an  der  Fondwand  der  zweiten, 
inneren  Kammer,  über  der  Koncha  mit  dem  Hauptgrab  (es  ist  nötig  zu  bemerken, 
daß  es  für  die  Erklärung  der  Malerei  nichts  austrägt,  ob  das  Grab  ein  Boden-,  Wand- 
oder Sarggrab  war).  Die  Decke  überziehen  Weinreben,  zwischen  denen  in  den  Ecken 
Selige  stehen.  Das  Mahl  also  ist  ein  Gelag  im  Grünen.  Das  Sigmapolster  liegt  am 
Boden  in  weitoffenem  Halbkreis;  davor  stehen  ein  Becher  und  zwei  Schüsseln,  die 
eine  mit  zwei  Fischen,  die  andere  mit  fünf  Broten.  Sieben  Personen  sind  beteiligt 
(die  Männer,  soweit  kenntlich,  im  Chiton),  sechs  um  den  Halbkreis  der  Polsterrolle 
gelagert,  so  daß  nur  die  Oberfiguren  hervorschauen;  unter  ihnen,  zur  Linken  der 
Mittelperson,  befindet  sich  eine  Frau  in  reichem  Kopfputz,  es  ist  wie  eine  Haube  mit 
zwei  lang  herabfallenden  Bändern.  Der  bärtige  Siebente,  auch  er  im  Chiton,  aber  den 
Mantel  um  die  Beine  geschlagen,  sitzt  links,  es  ist  nicht  ganz  klar,  ob  auf  dem  Ende 
der  Rolle  oder  auf  einem  darangeschobenen  Sitz;  er  hält  mit  vorgestreckten  Händen 
einen  nicht  mehr  recht  deutlichen  Gegenstand,  vielleicht  eine  kleinere  Schüssel  oder 
ein  größeres  Brot.  Endlich  stehen  zu  beiden  Seiten  des  Gelags,  immer  auf  demselben 
Niveau,  linker  Hand  vier,  rechts  drei  volle  Brotkörbe  gereiht;  sie  haben  die  hohe 
Form  des  Kalathos,  das  ist  des  antiken  Handarbeitskorbes. 

Diese  sieben  Brotkörbe  gehören  nicht  eigentlich  zum  Mahl;  es  wäre  zuviel 
Brot,  für  jeden  Gast  ein  moderner  Papierkorb  voll.  Die  gereihten  Brotkörbe,  das 
sieht  jeder  sofort,  stammen  aus  der  Speisung  der  Tausende.  Hätte  diese  selbst  dar- 
gestellt werden  sollen  (die  Frage  darf  aufgeworfen  werden,  denn  auch  die  Tausende 
lagerten  sich  im  Grase  und  erhielten  Brot  und  Fisch),  so  wären  die  Körbe  voll 
Brocken  nicht  unpassend  dazu  gestellt  worden.  Aber  die  Teilnehmer  unseres  Gelages 
liegen  an  einem  Sigma,  ein  Zug,  der  dem  Speisungsmythus  fremd  ist.  Es  bleibt  als 
einzige  Möglichkeit  übrig,  daß  die  Vorstellung  von  der  mythischen  Speisung  mit  der 
anderen  des  himmlischen  Mahles  zusammengeflossen  ist;  wie  wir  sagten,  daß  die  Idee 
der  Erfüllung  infolge  der  Kreuzigung  in  das  Reich  des  Jenseitigen  hinübersprang, 
womit  denn  für  die  in  die  Seligkeit  Eingegangenen  das  Gastmahl  des  himmlischen 
Bräutigams  zu  ihrem  Erfüllungsmahl  wurde. 

Wilpert    nimmt    an,    der    links    Sitzende    halte    ein    Brot    in    der    Hand    und 


')  Vincentiusgruft:  Garrucci,  Storia  VI  171  Tal  493.  Danach  Maaß,  Orpheus  1895, 
209  Abb.  und  unsere  Wiedergabe  oben  S.  190.  Vgl.  Kaufmann,  Jenseitsdenkm.  1900,  207. 
Wilpert,  Malereien  144.  392.  506.  Taf.  132.  133,  1. 


Die  christlichen  Mahle.  203 

breche  es;  es  sei  der  Bischof,  der  bei  der  eucharistischen  Feier  das  konsekrierte  Brot 
breche,  um  es  den  Gläubigen  in  der  Kommunion  zusammen  mit  dem  konsekrierten 
Wein  (der  Becher  steht  zur  Hand)  zu  reichen;  kurz  wir  hätten  ein  liturgisches  Ge- 
mälde vor  uns.  Die  Darstellung  sei  jedoch  nicht  ausschließlich  realistisch,  der  Künstler 
habe  zur  näheren  Erklärung  seines  Gegenstandes  das  eucharistische  Vorbild  der 
Speisung  der  Menge  benutzt,  indem  er  neben  den  liturgischen  Kelch  die  Teller  mit 
den  zwei  Fischen  und  fünf  Broten  und  zu  äußerst  die  sieben  vollen  Körbe  malte;  die 
Gläubigen  habe  er  durch  die  zur  Speisung  gelagerte  Menge  (die  fünf  Männer  und  die 
Frau)  angedeutet.  Das  Ungewöhnliche,  daß  der  Bischof  das  Brot  sitzend  breche, 
glaubt  Wilpert  mit  künstlerischen  Rücksichten  rechtfertigen  zu  dürfen. 

Der  ganzen  Deutung  auf  eine  liturgische  Handlung  wird  der  Boden  entzogen 
schon  durch  die  Tatsache,  daß  ein  Gelage  im  Grünen  vorliegt.  Und  daß  der  Sitzende 
das  liturgische  Brotbrechen  (xlaoig  aqxov,  fractio  panis)  vollziehe,  erscheint  aus- 
geschlossen durch  das  steife  Vorstrecken  der  Arme;  wer  Brot  brechen  will,  krümmt 
die  Arme  und  hält  das  Brot  nahe  vor  die  Brust.  Die  vorgestreckten  Arme  erinnern 
etwas  an  Aufwärter  wie  im  Seligenmahle  der  Vibia,  nur  daß  solche  die  Hände  mit 
der  Schüssel  etwas  höher  heben.  Unser  Sitzender  kann  indessen  einen  Aufwärter 
nicht  wohl  darstellen,  weil  es  nicht  angeht,  sitzend  und  mit  um  die  Beine  ge- 
schlagenem Mantel  zu  servieren.  An  den  Hörnern  des  Sigma  sitzende  Personen 
werden  wir  noch  in  anderen  Mahlbildern  finden;  auch  sie  sind  Selige.  Als  möglich 
geben  wir  zu,  daß  der  christliche  Beschauer  durch  das  auf  den  Speisungsmythus  auf- 
gebaute Seligenmahl  an  den  kirchlichen  Typus  des  Vollendungsmahles,  zugleich  das 
Mittel  zum  Hiramelsmahl,  an  die  Eucharistie,  sich  erinnert  fühlte. 

Die  Frau  im  Gelage  erinnert  notwendig  an  die  analogen  Erscheinungen  in 
etruskischen  Gruftgemälden,  wo  Mann  und  Frau  die  Kline  teilen;  das  christliche 
Mahlbild  geht  gewissermaßen  noch  weiter,  indem  es  die  Frau  in  das  Gelag  der 
Männer  einreiht.  Das  erklärt  sich  aus  der  idealen  Bedeutung  des  Vorgangs;  der 
Schauplatz  ist  im  Himmel,  wo  man  nicht  freit  und  nicht  gefreit  wird.1) 

Kurz  fassen  können  wir  uns  über  die  in  den  sog.  Sakramentskapellen  des 
Coem.  Callisti  erhaltenen  vier  Mahlbilder.  Die  Kammern  stammen  aus  dem  späteren 
zweiten  Jahrhundert,  die  jüngere  Serie  aus  dessen  Ende.  Es  handelt  sich  überall  um 
Gelage  im  Grünen  und  Seligenmahle.  Zwar  sieht  Wilpert  das  Speisungswunder 
dargestellt  als  Bild  der  Kommunion;  demgegenüber  können  wir  uns  auf  früher 
Bemerktes  beziehen:  die  Vorstellung  vom  Speisungswunder  liegt  wohl  im  Hintergrund, 
vielleicht  klingt  auch  die  Eucharistie  mit  an,  aber  der  eigentliche  Gegenstand  des 
Bildes  ist  das  Mahl  der  Seligen  im  Himmel. 

Die  Wände  dieser  Kammern  wurden  gleich  bei  ihrer  ersten  Anlage  zur  Auf- 
nahme mehrerer  Fachgräber  übereinander  bestimmt,  daher  mußte  sich  die  Wand- 
malerei in  der  Hauptsache  auf  die  friesartigen  Streifen  zwischen  den  Fachgräbern 
beschränken»  Aus  dieser  gräberreichen  Anlage  folgt  noch  das  AVeitere,  daß  hier  die 
Fondwand  nicht  so  wie  sonst  als  Hauptwand  betont  ist,  wir  finden  das  Hauptbild,  das 
Mahl,   nicht    bloß    an    der   Fondwand,    sondern    in    einigen    Kammern    auch    an    einer 


*)  Wilpert,  Fractio  panis,  die  älteste  Darstellung  des  eucharistischen  Opfers  in  der  Cappella 
greca  1895  Taf.  3.  13;  ders.,  Malereien  286  Taf.  15,  1.  de  Waal,  Rom.  Quartalschr.  1895,  527. 
Liell,  Fractio  panis  oder  cena  coelistis?  Kritik  der  fractio  panis  von  Wilpert,  Trier  1903.  Leclercq 
bei  Cabrol,  Dictionn.  I  1903,  707  Fig.  172. 


204  Das  Mahl  der  Seligen. 

Nebenwand,  doch  immer  an  zentraler  Stelle.  Es  ist  nämlich  zu  bemerken,  daß,  soweit 
die  Malereien  sich  erhielten,  sie  im  ganzen  die  gleiche  Auswahl  von  Typen  zeigen, 
nur  sind  diese  in  den  verschiedenen  Kammern  verschieden  verteilt,  wie  es  scheint 
nach  Laune  des  Malers. 

Im  einzelnen  bleibt  wenig  hinzuzufügen.  Das  Mahl  in  der  Gruft  A2  ist  besonders 
flüchtig  gemalt,  auch  in  engerem  Rahmen  knapper  gehalten.  Die  Figuren  sind  nur 
im  Gesamtschema  angegeben,  ohne  Differenzierung  von  Körper  und  Bekleidung;  daher 
das  Mißverständnis,  die  Gäste  seien  nackte  Fischer,  und  es  sei  das  Mahl  der  sieben 
Jünger  am  See  Tiberias  dargestellt  (nach  Job.  21).  Die  Siebenzahl  der  Gäste  ist 
doch  nur  die  typische.  Auch  das  Fehlen  der  Brotkörbe  hat  nichts  zu  bedeuten; 
könnte  es  in  irgend  einer  Richtung  beweisen,  so  spräche  es  für  das  simple  Seligen- 
mahl.  —  Das  Mahl  in  A8  steht  an  zentraler  Stelle  der  Fond  wand,  umgeben  von 
Seligen.  Die  sieben  Gäste  tragen  den  kurzärmeligen  Leibrock;  der  mittelste  langt  über 
die  Rolle  hinweg  nach  der  himmlischen  Speise;  zwei  Schüsseln  stehen  im  Halbrund, 
jede  mit  Fisch.  Acht  Brotkörbe  sind  aufgestellt,  links  und  rechts  je  vier,  aber  mehr 
zusammen  und  vor  das  Gelage  gerückt  (vgl.  unsere  Abbildung  auf  Seite  198).  — 
Sodann  die  zwei  Bilder  aus  der  jüngeren  Serie.  Das  Mahl  in  A5  läßt  die  Kleidung 
der  sieben  Gäste  kaum  erkennen;  der  Körbe  sind  es  sieben.  Das  in  A6  ist  besser 
ausgeführt;  die  sieben  Gäste  sind  bekleidet,  mehrere  tragen  deutlich  den  Mantel. 
Zwei  Schüsseln  scheinen  Fische,  eine  dritte  mittlere  Brot  enthalten  zu  haben.  Hier 
waren  es  zwölf  Körbe.1) 

Die  meisten  Mahlbilder  finden  sich  im  Coemeterium  Petri  et  Marcellini;  aus 
dem  dritten  und  vierten  Jahrhundert  stammend  zeigen  sie  manches  Eigentümliche. 
Die  Brotkörbe  aus  dem  Speisungswunder  fehlen,  weshalb  auch  Wilpert  diese  Bilder, 
von  gewissen  Ausnahmen  abgesehen,  als  Darstellungen  des  himmlischen  Mahles  aner- 
kennt. Die  Art  des  Gelages  schwankt,  und  es  bleibt  mehrfach  unklar,  ob  das  Sigma 
auf  dem  Boden  oder  auf  hemicyklischer  Pritsche  liegt;  es  kommt  vor,  daß  die  Dar- 
stellung widerspruchsvoll  ist,  wie  in  dem  ältesten  dieser  Bilder,  der  sog.  Hochzeit  zu 
Kana.  Da  liegt  die  grün  gestreifte  Rolle  deutlich  an  der  Erde;  trotzdem  steht  die 
Schüssel  nicht  auf  dem  Boden,  sondern  auf  einem  Dreibein,  wie  im  Seligenmahl  der 
Flaviergalerie  mit  den  zwei  auf  dem  Kanapee  sitzenden  Männern.  Typologisch  betrachtet 
stellt  sich  das  Bild  als  ein  Seligenmahl  dar,  mit  sieben  Gästen  und  dem  vorn  links 
stehenden  Pagen  in  langem  Haar  und  umgegürteter  Tunika,  eine  Schüssel  auf  den 
Händen.  Den  Boden  aber  bedeckt  diesmal  grünes  Laub;  da  die  Blätter  nicht  aufrecht, 
sondern  wagrecht  gemalt  sind,  so  erkennt  Wilpert,  anscheinend  richtig,  gestreutes 
Laub;  das  wäre  also  ein  rechtes  Stibadium,  wie  es  Herodes  Atticus  den  Athenern  bot, 
und  das  ebenso  wie  dieses  im  Freien  gestreut  sein  könnte;  ob  aber  auch  im  Paradiese? 
Dem  Gelage  nun  hat  der  Maler  einen  zweiten  Typus  hinzugefügt,  vorn  rechts,  das 
Weinwunder  (das  hier  noch  nicht  zu  besprechen  ist).  Die  Frage  ist  nun,  ob  unser 
Maler  die  zwei  Typen  zusammengeschoben  hat,  wie  die  Maler  der  Sakramentskapellen  das 
Seligenmahl  und  die  Brotkörbe  aus  dem  Speisungswunder,  lediglich  geleitet  durch  die 
zwischen  beiden  Typen  bestehenden  gedanklichen  Beziehungen;    oder  ob  er   durch  die 


*)  Kallist  A2:    Wilpert,  Malereien  290  Taf.  27.  2.  —  A3:  eb.  289  Taf.  41,  3.  —  A6:  eb.  292 
Taf.  41,  4.  —  A6:  eb.  291  Taf.  15,  2. 


Die  christlichen  Mahle.  205 

Kombination  der  zwei  Typen  wirklich  die  johanneische  Hochzeit  zu  Kana  hat  zur 
Darstellung  bringen  wollen.1) 

Vorweg  genommen  sei  die  Dekorationsmalerei  in  der  Kammer  der  Quintia,  des 
späteren  dritten  Jahrhunderts.  Beiderseits  des  obersten  Fachgrabes  in  der  Hinterwand 
steht  je  eine  Orante;  über  ihren  Köpfen  liest  man  Buchstaben,  links  .  .  IN,  rechts 
TIA,  zusammen  gelesen  gibt  das  CJINTTA  (soviel  wie  Quintia).  Oberhalb  des  Grabes 
aber,  an  der  bedeutenden  Stelle,  sieht  man  eine  Frau  am  Boden  gelagert,  den  Ell- 
bogen anscheinend  auf  ein  Kissen  gestützt,  die  Rechte  hebt  einen  Becher.  Die  Buch- 
staben KEN  beim  Becher  haben  jetzt  keine  sichtbare  Fortsetzung;  es  war  wohl  auch  der 
Name  der  Verstorbenen  auf  griechisch  wiederholt  KENt/«  (für  KOINTIA).  Beiderseits 
der  Tür  steht  je  ein  Tafeldiener,  von  denen  der  rechts  eine  Kanne,  der  andere  einen 
Becher  hält.  Die  gelagerte  Quintia  ist  ihrer  Seligkeit  ebenso  froh  wie  die  zweimalige 
adorierende.  Auch  die  zwei  Aufwärter,  nicht  unpassend  neben  der  Tür  gemalt,  weisen 
auf  das  himmlische  Gelage;  doch  wie  sie  gemalt  sind,  in  Vorderansicht  und,  wenigstens 
der  mit  dem  Becher,  die  Linke  spreizend,  nehmen  sie  Züge  der  Oranten  an:  es  sieht 
fast  so  aus,  als  hätte  der  Maler  zuerst  links  von  der  Tür  nur  einen  Oranten  gemalt 
und  wäre  erst  während  der  Arbeit  auf  das  Pagenmotiv  gekommen.2) 

Dem  dritten  Jahrhundert  gehören  noch  zwei  Bilder  an.  Das  eine,  aus  Kammer 
VI,  zeigt  ein  Ehepaar  beim  Gelage.  Das  Dreibein  steht  vor  dem  Sigmapolster;  es 
bleibt  unklar,  ob  die  Rolle  auf  dem  Boden  liegend  gedacht  ist  wie  in  der  „Hochzeit 
zu  Kana"  oder  auf  einer  Pritsche.  Ein  Aufwärter,  die  Serviette  (mappa)  über  die 
Linke  gehängt,  reicht  dem  Manne  einen  Becher  (bei  Wilpert  nicht  als  Becher  zu  er- 
kennen); bei  der  Dame  steht  eine  Dienerin,  die  Mappa  über  die  Schulter  geworfen. 
Sie  legt  die  Hand  an  das  Polster;  die  Hebung  der  Hand  hierbei  spräche  für  ein  er- 
höhtes Lager,  es  wäre  denn,  daß  das  Mädchen  die  Hand  nicht  wirklich  an  das  Polster 
legte,  sondern  nur  frei  vorstreckte.  Das  Bild  ist  in  mancher  Beziehung  ein  Vor- 
läufer der  späteren  Seligenmahle  dieser  Katakombe;  aber  es  hat  links  neben  sich  ein 
Nachbarbild,  wohlverstanden  in  besonderem  Rahmen  und  auf  etwas  verschiedenem 
Niveau.  In  dessen  erhaltenen  Figuren  erkennt  Wilpert  die  Dame  der  Mahlszene 
wieder,  mit  ihrem  Mädchen,  das  diesmal  einen  Sack  über  die  Schulter  geworfen  habe, 
für  die  Gemüse,  welche  die  Herrin  eben  einzukaufen  im  Begriffe  stehe;  deshalb  müsse 
auch  das  Mahlbild  daneben  eine  Szene  aus  dem  Leben  wiedergeben,  nämlich  einen 
Leichenschmaus,  zu  dem  jene  Gemüse  dienen  sollten.  Leider  ist  vom  „  Waarenkorb " 
nur  ein  kleiner  Rest  erhalten,  der  eigentlich  nicht  nach  Korbgeflecht  aussieht,  und 
von  der  postulierten  Verkäuferin  gar  nichts  mehr,  so  daß  ein  sicheres  Urteil  nicht 
gefällt  werden  kann.  Eine  Szene  aus  dem  Gewerbeleben  mag  vorliegen;  das  würde 
aber  nicht  ausreichen,  um  ein  Seligenmahl  im  Nachbarbild  auszuschließen.3) 

Das  Mahlbild  in  Gruft  VII  ist  sehr  verblichen.  Man  erkennt  sechs  Gäste  hinter 
dem  Sigmapolster  gelagert.  Sich  umwendend,  streckt  der  erste  die  Rechte  nach  dem 
Becher,  welchen  der  (bis  auf  eine  Spur  seiner  Hand  mit  dem  Becher  verschwundene) 

x)  Kana:  Wilpert,  Malereien  302  Taf.  57.  —  Page  (delicatus):  Marquardt-Mau,  Köm.  Privat- 
altertümer I  158.     Wilpert,  Malereien  302.  507. 

2)  Wilpert,  Malereien  477  Taf.  107,  1.  3. 

3)  Kammer  VI:  Wilpert,  Malereien  506  Taf.  62,  2.  In  der  Herstellung  auf  Seite  508  hätte 
die  gesonderte  Umrahmung  der,  wie  im  Text  Seite  507  richtig  angegeben  ist,  auf  verschiedenem 
Niveau  stehenden  Nachbarbilder  wiedergegeben  und  im  Bilde  links  wie  sonst  die  Grenze  der  Er- 
gänzung eingetragen  werden  sollen. 


206  Das  Mahl  der  Seligen. 

Aufwärter  ihm  reicht;  der  dritte  und  sechste  scheinen  die  Becher  zum  Munde  zu 
führen,  der  fünfte  streckt  die  gespreizte  Hand  aus  (es  ist  die  Gebärde  des  Orans, 
wirkt  aber  in  diesem  Zusammenhang  und  mit  der  Kopfwendung  ganz  anders).  Im 
Halbrund  des  Sigma  stehen  ausnahmsweise  drei  Tischchen.  Das  wäre  soweit  ein  Seligen- 
mahl  wie  irgend  eins.  Unmittelbar  daneben  aber,  ohne  irgend  eine  Trennungslinie, 
ist  eine  Felswand  gemalt  mit  einem  daran  hauenden  Fossor;  es  folgt  noch  kaum  der 
Schatten  eines  anscheinend  gebückten,  wie  vermutet  wird,  die  Felstrümmer  auflesenden 
Mannes.  Wilpert  glaubt  mit  dieser  Fossorengruppe  den  Ort  des  Gelages  angedeutet, 
es  finde  in  der  Gruft  statt  „oder  vielmehr"  über  der  Katakombe,  nämlich  in  einer 
oberirdischen  Cella;  auch  dieses  Gelage  sei  ein  „Totenmahl".  Solche  Mahle,  abgehalten 
von  den  Hinterbliebenen  zu  Ehren  des  Verstorbenen,  teils  als  Leichenschmäuse  bei 
der  Beerdigung,  teils  wiederkehrend  am  Todestag,  waren  antiker  Brauch,  heidnischer 
und  christlicher;  die  Frage  ist  nur,  ob  irgendwas  in  dem  vorliegenden  Gemälde  uns 
zwingt,  es  so  zu  verstehen.  Wenn  der  Leichenschmaus  über  der  Erde  abgehalten 
wurde,  dann  kann  das  Festlokal  nicht  durch  eine  Gruppe  unter  der  Erde  arbeitender 
Fossoren  angedeutet  sein.     Es  bleibt  also  beim  Seligenmahl.1) 

Die  übrigen  Mahlbilder  des  Cömeteriums  gehören  dem  vierten  Jahrhundert  an. 
Eines,  das  letzte  dieser  problematischen,  befindet  sich  schlecht  erhalten  über  dem 
Arkosol  neben  Kammer  X;  schon  diese  Anordnung,  läßt  ein  Seligenmahl  vermuten. 
Abweichend  von  allen  übrigen  christlichen  Mahlbildern  scheint  hier  ein  länglicher 
Tisch  aufgestellt;  zwei  Böcke  tragen  eine  geometrisch  in  Aufsicht  gezeichnete  und  wie 
mit  Intarsien  verzierte  Platte.  Dahinter  sitzen  oder  liegen  drei  Personen;  der  Bärtige 
rechts  spricht  zu  einer  dort  herankommenden  Person.  „Der  an  der  linken  Ecke  sitzende 
Gast  hält  in  der  Rechten  ein  Glas  und  bietet  es  einem  mit  Schuhen  und  der  Discincta 
bekleideten  Manne  an,  der  die  Rechte  nach  dem  Becher  ausstreckt  und  sich  dabei 
mit  der  Linken  auf  einen  Stab  stützt.  Der  Stab  legt  nahe,  daß  der  Künstler  in  diesem 
Manne  einen  Armen,  der  um  Almosen  bittet  und  von  den  Mahlgenossen  mit  Wein 
erfrischt  wird,  vorführen  wollte.  Dadurch  ist  zugleich  auch  gesagt,  daß  die  Szene 
ein  Totenmahl  vergegenwärtigt;  denn  ein  Armer  ist  mit  dem  paradiesischen  Mahl 
unvereinbar."  So  Wilpert.  Den  armen  Lazarus  will  er  natürlich  nicht  vom  para- 
diesischen Mahl  ausschließen;  denn  sobald  der  im  Paradiese  war,  hörte  er  auf,  arm  zu 
sein.  Nach  dem  üblichen  Kompositionsschema  der  Mahlbilder  würde  man  an  dieser 
Stelle  eher  den  Aufwärter  erwarten.  Die  Frage  wäre  also,  ob  der  Stab  in  der  Hand 
des  Mannes  auf  einen  Bettler  zu  schließen  zwingt;  oder  ob  es  ein  Pilger  zum  Himmel 
sein  könne  bei  seinem  Eintritt  (dessen  Wanderstab  wäre  schließlich  kaum  naiver  als 
die  Leiter,  auf  der  in  anderen  Bildern  Selige  in  den  Himmel  steigen,  obschon  das 
Steigen  der  altchristlichen  Kosmographie  allerdings  angemessener  ist  als  das  Wandern); 
oder  endlich,  ob  ein  Stab  in  der  Hand  eines  Tafeldieners,  etwa  des  Trikliniarchen,  so 
ganz  undenkbar  wäre.  Nun,  in  dem  Hause  am  Südrand  des  Palatin,  etwa  aus  der  Zeit 
der  Antonine,  sind  die  Wände  des  Trikliniums  mit  Säulenarchitekturen  bemalt;  vor 
den  Säulen  bewegen  sich  als  passende  Staffage  lebensgroße  Dienergestalten  in  unge- 
gürteten  Tuniken,  der  Tür  zunächst  und  ihr  zueilend  der  Trikliniarch,  mit  der  Rechten 
die  Gäste  zum  Eintreten  einladend,  einen  Stab  in  der  Linken.2) 

*)  Kammer  VII:    Wilpert,  Malereien  515  Tai  65,  3. 

2)  Wilpert,  Malereien  516  Tai  167.  —  Palatin:  Petersen,  Köm.  Mitt.  1892,  194;  Hülsen  eb. 
1893,  289  ff.  mit  Abb.     Marcbetti,  Notizie  scavi  1892,  44. 


Die  christlichen  Mahle.  207 

Endlich  die  vier  anerkannten  „himmlischen  Mahle".  Immerhin  anknüpfend  an 
die  Traditionen  unseres  Cömeteriums  sind  sie  doch  durch  besondere  Kennzeichen  so 
miteinander  verbunden,  daß  mit  Recht  auf  ihre  Herstellung  durch  ein  und  dieselbe 
Künstlerfamilie  des  vierten  Jahrhunderts  geschlossen  wird.  Gemeinsam  sind  den  vier 
Bildern  Beischriften  zum  Gelage,  Zurufe  an  zwei  Personifikationen,  Eirene  und  Agape, 
Zurufe,  wie  sie  sonst  an  Aufwärter  gerichtet  wurden,  nämlich,  heißes  Wasser  zu  bringen, 
und,  den  Wein  mit  Wasser  zu  mischen.  Ungemischt  trank  man  den  Wein  nur  in 
bestimmten  Fällen,  für  gewöhnlich  mischte  man  ihn  mit  Wasser,  auch  bei  eigentlichen 
Trinkgelagen.  Das  Wasser  nahm  man  nach  Belieben  kalt  oder  heiß;  aber  nicht  bloß 
warm,  das  hätte  ein  schales  Getränk  gegeben,  sondern  kochendheiß  (calidam).  Daher 
die  Zurufe  an  die  Aufwärter.  In  der  pompejanischen  Darstellung  einer  Kneipe  heißt 
es  „Gib  etwas  kaltes  (Wasser)"  Da  fr(ig)idam  pusillum,  und  in  unseren  Bildern  „Gib 
heißes"  Porge  caldam,  Da  caldam,  daneben  der  andere  Ruf  „Mische  mir"  Misce  mi. 
Diese  Zurufe  nun  werden  hier  nicht  an  die  sonst  üblichen  Aufwärter  gerichtet,  sondern 
an  jene  Personifikationen  des  christlichen  Friedens  und  der  christlichen  Liebe,  Eirene 
und  Agape.  Das  himmlische  Gelage  ist  christlich  ein  Bild  der  Seligkeit;  deren  Genuß, 
verbildlicht  im  Becher,  als  Gabe  des  „Friedens"  anzusehen,  war  ein  natürlicher  Ge- 
danke in  den  Kreisen,  welche  die  Ruhe  im  Frieden,  den  Frieden  in  Gott,  im  Christus, 
den  Verstorbenen  zu  wünschen  pflegten.  Den  Sinn  der  Agape  präzis  zu  formulieren, 
ist  bei  der  Mehrdeutigkeit  des  Wortes  für  uns  schwieriger;  man  darf  sogar  fragen, 
ob  der  Maler  selbst  ihren  Begriff  so  scharf  gedacht  habe,  wie  den  der  Eirene.  Grab- 
schriften des  vierten  Jahrhunderts  enthalten  das  Wort  in  ihren  Wunschformeln;  dabei 
dachte  de  Rossi  an  die  Liebe  der  Hinterbliebenen,  Wilpert  denkt  an  die  Agape  als 
Liebesmahl  und  überträgt  die  Bezeichnung  direkt  auf  das  himmlische  Mahl.  Was 
auch  die  richtige  Erklärung  sei,  das  christliche  Gefühl  empfindet  mit  dem  Maler  und 
findet  die  Agape  neben  der  Eirene  ganz  am  Platze.  An  der  Siebenzahl  der  Gäste 
wird  nicht  mehr  streng  festgehalten,  wohl  aber  an  der  symmetrischen  Anordnung  des 
Gelages;  es  zeigt  wechselnd  drei,  fünf  und  auch  sieben  Gelagerte.  Die  vier  Mahl- 
bilder stehen  jedes  an  der  Rückwand  eines  Nischengrabes,  unmittelbar  über  dem 
Grabtrog.1) 

Das  erste  befindet  sich  neben  der  Kammer  XL  Drei  Männer  lagern  hinter 
dem  Sigma.  Links  steht  „Irene  da  calda",  rechts  „Agape  misce  mi".  Vorn  an  den 
Hörnern  des  Sigma  sitzen  zwei  Frauen  (es  bleibt  unklar  worauf)  einander  zugewandt. 
Im  Halbkreis  steht  die  schlanke  Amphora,  der  Dreifuß  mit  der  Fischplatte,  und  ein 
Knabe,  der  einen  Becher  hebt. 

Das  zweite  Exemplar  steht  in  der  Lünette  des  Arkosols  an  der  Fond  wand  der 
„Kammer  des  Triklinarchen " .  Es  sind  fünf  gelagerte  Gäste,  der  mittelste  trinkt,  dann 
folgt  auf  jeder  Seite  von  ihm  ein  Knabe  und  ein  über  die  Rolle  sich  vorbeugender 
Mann.     Links    lesen    wir    „Agape    misce    nobis",    rechts    „Irene    porge    calda".      Am 


*)  De  Rossi,  Bull,  crist.  1882  mit  Tafeln.  Wilpert,  Malereien  470  Das  himmlische  Mahl. 
Eirene  und  Agape:  eb.  471  f.  Calda:  Marquardt-Mau,  Rom.  Privataltertümer  II  3321  Mau  in 
Pauly-Wissowas  Realencykl.  III  1346;  der  Selbstkocher  eb.  II  2594  unter  Authepsa.  Athenaeus  III 
p.  124  f.  und  folg.  Da  fridam:  C.  J.  L.  IV  n.  1291.  Ferner  Hülsen,  Rom.  Mitt.  1890,  287.  293. 
Gatti,  Bull,  archeol.  comunale,  Roma  1891,  164.  Verteilt  man  caldam  passive  iis  qui  ad  tetra- 
stylum  epulati  fuerint,  so  klingt  das  wie  ein  milder  Ausdruck  für  eine  auf  die  epulatio  folgende 
commissatio. 


208  Das  Mahl  der  Seligen. 

linken  Hörn  des  Sigma  steht  eine  Frau  mit  Becher,  am  rechten  eine  mit  Kanne, 
beide  einander  zugewandt.  Die  Fischplatte  ist  nur  zum  Teil  erhalten,  der  Dreifuß 
darunter  zerstört. 

Das  dritte  Seligenmahl,  im  Arkosol  der  „Kammer  der  Gaudentia"  hat  ebenfalls 
fünf  gelagerte  Gäste,  darunter  eine  Frau.  Die  Zurufe  lauten  „Agape  da  calda"  und 
„Irene  misce".  Im  Halbkreis  steht  der  Dreifuß  mit  der  Fischplatte,  ein  Aufwärter 
mit  Schüssel  und  wieder  eine  Frau  mit  Becher. 

Das  vierte  Mahl,  im  Arkosol  gegenüber  der  letztgenannten  Kammer,  hat  drei 
gelagerte  Gäste,  eine  Frau  zwischen  zwei  Männern;  der  Mann  links  hält  in  der  einen 
Hand  den  Becher  und  hebt  die  Rechte.  Vorn  standen  wieder  die  zwei  Frauen,  die 
links  ist  fast  ganz  zerstört,  die  rechts  hält  einen  Becher  hoch,  wie  in  bacchischer  Be- 
geisterung; beide  tragen  die  Haarkrone  der  Frauen  im  sog.  Totenmahl  der  Kammer  VI. 

Dazu  kommt  noch  ein  fünftes,  leider  nur  in  geringen  Resten  erhaltenes  Seligen- 
mahl, auch  an  der  Rückwand  einer  Grabnische.  Es  enthielt  sieben  gelagerte  Gäste; 
dafür  fehlten  die  stehenden  oder  sitzenden  Figuren  vorn  an  den  Hörnern  des  Sigma, 
nur  der  becherhebende  Knabe  des  ersten  Bildes  scheint  hier  an  gleicher  Stelle,  rechts 
vom  Dreibein,  wiederholt  zu  sein. 

Problematisch  sind  die  Frauen  an  den  Hörnern  der  Sigmarollen.  Sind  sie  die 
Personifikationen  Irene  und  Agape?  Das  wäre  sehr  antik,  es  wären  Göttinnen;  wir 
besitzen  die  schöne  Statue  der  Eirene,  wie  Kephisodot  sie  zu  Athen  einst  schuf.  Und 
Agape  würde  zu  den  vielen  Göttinnen  der  Art  nur  noch  eine  mehr  sein.  Aber 
dürfen  wir  ohne  zwingenden  Grund  den  Christen  solche  Schöpfungen  zuschreiben? 
Die  bildliche  Darstellung  geht  doch  über  die  Personifikation  im  bloßen  Worte  erheb- 
lich hinaus.  Gerade  das  erste  Bild  scheint  die  Frauen  lediglich  als  Gäste  zu  geben; 
auf  besonderen  Sesseln  sitzen  sie  (als  Irene  und  Agape  wären  sie  so,  im  Himmel 
thronend,  wirklich  Göttinnen)  an  den  Enden  des  Sigma,  wie  z.  B.  auf  den  griechischen 
Heroenmahlreliefs  am  Fußende  des  Ruhebettes  die  Gattin  des  Heros  sitzt;  zum  Be- 
dienen aber  ist  ein  Knabe  da.  Nachher  allerdings  scheinen  die  Zurufe  des  ersten 
Bildes  auf  die  zwei  Frauen  bezogen  worden  zu  sein;  denn  im  zweiten  stehen  sie,  und 
der  einen  ist  eine  Weinkanne  in  die  Hand  gegeben,  das  Attribut,  welches  in  der 
antiken  Kunst  sonst  den  einschenkenden  Knaben  und  Mädchen  eignet.1) 

Die  Gruft  mit  dem  zweiten  Bild  wird  „Kammer  des  Trikliniarchen"  genannt, 
nach  einer  Malerei  an  ihrer  linken  Wand.  Dort  sitzt,  dem  Seligenmahl  an  der  Fond- 
wand zugewendet,  ein  Unbärtiger  in  ungegürteter  Tunika  und  streckt  die  rechte 
Hand  nach  einer  Art  Napf  aus,  der  auf  anscheinend  zweibeinigem  Tischchen  steht  und 
gebrockte  Speise  enthält  oder  allenfalls  ein  Kreuzbrötchen.  Daß  der  Mann  ein  Vor- 
schneider sei  (scissor),  ist  durch  nichts  angedeutet;  ein  solcher  würde  seines  Amtes 
doch  wohl  stehend  walten.  Aber  auch  den  Tafelmeister  (tricliniarcha)  müssen  wir 
uns  nach  seiner  Darstellung  im  palatinischen  Hause  anders  denken.  Uns  fällt  auf, 
daß   der  Sitz  und  der  Sitzende,  mit  zurückgezogenem   linken  Fuß  und  vorgestreckter 


l)  Erstes  Bild:  Wilpert  473,  1  Taf.  157,  1.  Zweites:  eb.  473,  2  Taf.  133,  2.  Drittes: 
eb.  474,  3  Taf.  184.  Viertes:  eb.  475,  4  Taf.  157,  2.  Fünftes:  eb.  303  Fig.  25  (Wilperts  Er- 
gänzung), Taf.  133,  3  (das  Original  im  heutigen  Zustand).  Ein  Aufwärter  mit  Schüssel  noch  Taf. 
95,  1  aus  dem  früheren  vierten  Jahrhundert.  Eine  Aufwärterin  oder  Kneipwirtin  bei  Presuhn, 
Pompeji  1878  Abt.  V  Taf.  6  ganz  rechts.  —  Eirene  des  Kephisodot:  v.  Sybel,  Weltgesch.  d.  Kunst2 
235  Abb.  —  Heroenmahle:  eb.  247,  3. 


Die  christlichen  Mahle.  209 

Rechten,  im  Schema  übereinstimmt  mit  der  sitzenden  Frau  links  im  ersten  Bild.  Nun 
liegt  folgendes  vor:  die  zwei  sitzenden  Frauen  des  ersten  Bildes  ließ  der  Maler  des 
zweiten  aufstehen  und  gab  der  einen  den  Becher  des  dort  aufwartenden  Knaben,  der 
anderen  die  dazugehörige  Kanne  in  die  Hand;  das  Schema  der  im  ersten  Bilde  links 
sitzenden  aber  benutzte  er  zu  einer  Neuschöpfung,  eines,  sagen  wir  homerisch  an 
eigenem  Tischchen  bedienten  Unbärtigen,  in  dem  wir  doch  auch  einen  Seligen 
beneiden  möchten.  Die  Einzelfigur  einer  Seligen  in  Gelage  sahen  wir  noch  eben 
vorher;  und  sitzend  zeigte  das  himmlische  Mahl  der  Flaviergalerie  seine  zwei  Gäste. 
Nur  das  Tischchen  und  der  Napf  behalten  in  ihren  Formen  etwas  Unbefriedigendes; 
das  bleibt  aber  bei  jeder  Erklärung  der  Szene.1) 

Endlich  zwei  Mahlbilder  des  Coemeterium  Maius  (früher  S  Agnetis  oder 
Ostrianum  genannt)  aus  dem  vierten  Jahrhundert.  Das  eine  Seligenmahl,  am  Bogen 
eines  Arkosols  der  Gruft  I,  hat  unter  aufgehängten  Blätterschnüren  die  typischen 
sieben,  teils  weiblichen  Gäste,  von  denen  einige  nach  den  Speisen  greifen,  andere  den 
Becher  zum  Munde  führen.  Die  Speisen  bestehen  in  drei  Fischschüsseln,  zwischen 
denen  zwei  Brötchen  liegen;  der  Publikation  zu  glauben  läge  das  alles  auf  der  Polster- 
rolle. Der  Gast  in  der  Mitte  hat  einen  Nimbus,  wie  auch  die  zwei  Putten  an  der 
Eingangswand  nimbiert  sind.  Das  andere  Mahl  ebenda,  an  der  Rückwand  des  Arkosols 
in  Kammer  III,  nimmt  den  linken  Flügel  der  dreigeteilten  Lünette  ein;  im  Mittelfeld 
steht  die  Verstorbene  als  Orans,  ihr  Name  wird  Victoria  gelesen;  im  rechten  Flügel 
kommen  die  fünf  klugen  Jungfrauen  im  Zuge  heran,  mit  brennenden  Fackeln  und 
kleinen  Gefäßen,  die  sie  mit  der  linken  Hand  an  Bügelhenkeln  tragen,  den  Olgefäßen. 
Am  Mahle  nehmen  nach  den  älteren  Publikationen  fünf  Gäste  teil;  Bosio  sah  Männer 
und  Frauen  in  gemischter  Reihe  wie  üblich,  Garrucci  nur  Frauen  und  sah  in  ihnen 
die  fünf  klugen  Jungfrauen  beim  Gastmahl  des  himmlischen  Bräutigams.  Wilpert  er- 
kennt nur  vier  Gäste  an,  die  auch  ihm  weiblichen  Geschlechts  und  zwar  Jungfrauen 
sind,  die  klugen  Jungfrauen  beim  himmlischen  Hochzeitsmahl;  der  fünfte  Platz  sei 
für  die  Verstorbene  offen  gehalten.  Daß  rechts  von  dem  zentral  angeordneten  dritten 
Gast  Raum  genug  für  zwei  weitere  sei,  gibt  Wilpert  (in  seiner  früheren  Besprechung 
der  Malerei)  selbst  zu;  seine  Wiedergabe  aber  ist  zu  klein  und  zu  undeutlich,  um 
irgend  etwas  erkennen  zu  lassen.  Wir  müssen  daher  die  Frage  nach  der  Zahl  der 
Gäste  ebenso  offen  halten,  wie  die  nach  ihrem  Geschlechte.  Soviel  können  wir  mit 
Bestimmtheit  sagen:  einerseits  das  rechte  Flügelbild  mit  den  klugen  Jungfrauen,  denen 
die  Teilnahme  am  Hochzeitsmahl  des  himmlischen  Bräutigams  gewiß  ist,  andererseits 
die  Darstellung  des  himmlischen  Mahles  selbst  im  linken  Flügel  der  Lünette  charakte- 
risieren die  Verstorbene  als  Selige  im  Himmel.2) 


J)  Der  sog.  Trikliniarch:    Wilpert,  Malereien  474  Taf.  159,   2.  —   Palatin:    oben    S.  206. 

2)  Coem.  maius,  Gruft  I:  Bosio,  Roma  sott.  447.  Garrucci  Storia  II  Taf.  60.  Wilpert, 
Malereien  304.  —  Gruft  III:  Bosio,  Roma  sott.  459.  Garrucci,  Storia  II  Taf.  64,  2.  Wilpert, 
Gottgeweihte  Jungfrauen  1892,  66  Taf.  2,  5;  Malereien  427,  leider  ohne  Reproduktion  des  Ge- 
mäldes; eine  solche  in  etwas  größerem  Maßstab  wäre  erwünscht  gewesen. 


Sybel,  Christliche  Antike  I.  14 


Daniel  in  der  Löwengrube. 


Guter  Hirt. 
Arkosolbogen  im  Coem.  maius. 


Jünglinge  im  Ofen. 


Die  Erlösung. 


„Der  Kuhm  des,  der  bewegt  das  große  Ganze, 
„Durchdringt  das  All,  und  diesem  Teil  gewährt 
„Er  minder,  jenem  mehr  von  seinem  Glänze. 
„Im  Himmel,  den  sein  hellstes  Licht  verklärt, 
„War  ich  und  sah  — " 

Unsere  göttliche  Komödie  —  sie  hat  es  nur  mit  dem  Paradies  zu  tun  —  muß 
bedachtsam  vorschreiten.  Bereits  haben  wir  die  Auserwählten  beim  Hochzeitsmahl 
des  himmlischen  Bräutigams  gesehen;  nun  aber  müssen  wir  Halt  machen  und  zurück- 
blicken auf  eine  Reihe  Bilder,  die  noch  nicht  den  Genuß  der  Seligkeit  selbst  dar- 
stellen, sondern  nur  erst  die  Gewißheit  ihrer  Erlangung  aussprechen,  die  Mittel  dazu 
vor  Augen  bringen,  und  den  Vermittler. 


Erlösungstypen. 

Das  Vertrauen  der  Christen,  ihre  Zuversicht  auf  die  Gewißheit  ihrer  Hoffnung, 
aus  dem  leiblichen  Tod  (an  das  höllische  Feuer  braucht  dabei  nicht  gedacht  zu  sein) 
erlöst  zu  werden  in  das  ewige  Leben  (de  morte  ad  vitam,  Cypr.  ed.  Hartel  III  147, 
vgl.  Wilpert,  Malereien  367, 1),  hat  in  der  Katakombenmalerei  entschiedenen  Ausdruck 
gefunden.  Die  religiöse  Überlieferung,  die  ihnen  heilig  war,  erzählte  so  manche 
Rettung  durch  die  Hand  Gottes,  des  Herrn.  Solche  Rettungen  malten  sie  an  ihre 
Gräber  als  Prototype  der  eigenen  Erlösung  vom  Tode. 

Alttestamentliche  Typen.  Diese  stammen  aus  der  israelitischen  Überlieferung, 
wie    sie   in    den    biblischen    Schriften    vorlag.      Die  Auswahl  entspricht    dem  wunder- 


Erlösungstypen.  211 

süchtigen  Geschmack  der  Zeit,  diese  Rettungen  aus  allerlei  Todesnot,  des  Daniel  aus 
der  Löwengrube,  der  drei  Jünglinge  aus  dem  glühenden  Ofen,  dös  Noah  aus  der 
Sintflut,  des  Jonas  aus  dem  Bauch  des  Meertiers,  des  Isaak  vom  drohenden  Opfer- 
tod usf.  Mehrere  sind  auffallend  oft  wiederholt,  sie  waren  beliebter  als  andere,  ver- 
mutlich weil  sie  den  Gedanken,  auf  den  es  den  Christen  ankam,  besonders  deutlich 
ausdrückten.  Sinnbildlich  sind  alle  diese  Bilder  zu  verstehen;  das  Bild  erschöpft  seine 
Aufgabe,  indem  es  eine  Idee  ausspricht.  Nicht  als  ob  der  Maler  nicht  als  Künstler 
empfunden  hätte,  aber  das  Künstlerische  kommt  nur  in  der  Form  des  Dekorativen 
zur  Geltung.  Erst  im  dritten  und  vierten  Jahrhundert  keimt  ein  Interesse  am 
Gegenstand  auf,  leise  beginnt  der  Maler  den  Ton  des  Erzählers  anzuschlagen,  das 
Sinnbild  möchte  Historienbild  werden. 

Daniel  in  der  Löwengrube.  Der  Typus  hatte  sich  in  39  Exemplaren  er- 
halten, davon  sind  drei  verschollen  (Abbildungen  oben  S.  155  im  Orpheusplafond, 
S.  210  in  der  Kopfleiste  dieses  Kapitels,  und  unten  in  der  des  Kapitels  „Selige  im 
Himmel").  Auf  Anstiften  seiner  Gegner,  so  heißt  es,  wurde  Daniel  in  die  Löwen- 
grube geworfen,  am  anderen  Morgen  aber  fand  man  ihn  unversehrt,  „weil  er  auf  seinen 
Gott  vertraut  hatte",  Daniel  Kap.  6,  vgl.  das  Stück  vom  Drachen  Vers  38 — 39  Sept. 
Dargestellt  wird  er,  die  Hände  betend  erhoben,  zwischen  zwei  Löwen,  die  symmetrisch 
angeordnet  nach  ihm  hinschreiten  oder  sitzen,  in  der  Regel  mit  drohend  geöffnetem 
Rachen;  auch  berühren  sie  ihn  mit  gehobener  Tatze.  Daniel  erscheint  anfangs  in  der 
Tunika,  seit  dem  dritten  Jahrhundert  nackt,  vereinzelt  auch  mit  einem  Lendentuch 
(Wilpert  Taf.  166,  2.  169,  1).  Die  christlichen  Künstler  suchten  die  Nacktheit  nicht, 
wie  es  die  heidnischen  aus  künstlerischem  Interesse  getan  hatten;  aber  sie  nahmen  sie 
antik  arglos,  wo  sie  gegeben  war,  wie  bei  Adam  und  Eva,  Jonas,  Daniel.  Gegeben 
war  dessen  Nacktheit  zwar  nicht  im  Buch  Daniel,  auch  nicht  im  ursprünglichen  bild- 
lichen Typus,  sondern  in  der  Auffassung  der  späteren  Maler;  für  die  Löwengrube 
schob  sich  ihrer  Phantasie  die  ihnen  geläufigere  Vorstellung  von  der  Arena  mit  den 
Tierkämpfen  unter  und  die  der  Verurteilungen  „zu  den  Raubtieren",  „zu  den  Löwen" 
(ad  bestias,  ad  leones);  diese  Art  Tierkämpfe  aber  wurde  in  mehr  oder  minderer 
Nacktheit  ausgeführt.  Was  aber  bedeutete  das  Bild  den  Christen?  Natürlich  einen 
Schmuck  des  Grabes  und  der  Gruft;  darüber  hinaus  aber  nicht  ein  historisches  Bild, 
der  Endzweck  war  nicht,  einen  Vorfall  aus  der  jüdischen  Geschichte  zu  erzählen.  Das 
Interesse  der  Christen  an  der  jüdischen  Geschichte  ging  gerade  nur  so  weit,  als  ihr 
Christentum  daran  interessiert  war;  die  biblischen  Geschichten  waren  ihnen  Pro to type 
der  christlichen  Geschichten  und  der  christlichen  Erfahrungen.  Der  Gott  Daniels 
„kann  erretten  und  befreien,  tut  Zeichen  und  Wunder  am  Himmel  und  auf  Erden,  er, 
der  Daniel  aus  der  Gewalt  der  Löwen  errettet  hat"  (Vers  28),  er  errettet  auch  den 
Christen  aus  dem  Rachen  des  Todes.  Einmal  ragt  Daniel  mit  halbem  Leibe  aus  dem 
Boden  hervor,  wie  aus  einer  Grube,  etwa  dem  Grabe?  so  daß  also  im  Daniel  der  aus 
dem  Grabe,  das  ist  dem  Tod,  ins  Leben  gerettete  Christ  selbst  dargestellt  wäre  (vgl. 
die  Abbildung  in  der  Kopfleiste  über  unserem  Kapitel  „Selige  im  Himmel"). 
Sekundär  finden  wir  bei  den  Kirchenschriftstellern  Daniel  noch  für  einen  besonderen 
Fall  prototypisch  verwendet,  als  Trost  im  Martyrium;  dahin  konnte  auch  der  von  den 
Malern  in  die  Arena  verpflanzte  Daniel  gedeutet  werden. 

Daß  gerade  das  Buch  Daniel  für  die  altchristliche  Malerei  wichtig  wurde,  darf 
nicht  Wunder  nehmen  nach    der  großen  Bedeutung,    die    dem    Buche    für   das    nach- 

14* 


212  ^'e  Erlösung. 

persische,  hellenistische  Judentum  zukommt,  aus  welchem  wiederum  das  Christentum 
hervorgehen  sollte.  Zu  dieser  Volkstümlichkeit  des  Buches  unter  den  Christianern, 
die  auf  seiner  ganzen  ihnen  zusagenden  Geistesart  beruhte,  kam  noch  die  Analogie 
zwischen  den  Verfolgungen  der  Christen  mit  denen  der  Juden  unter  Antiochus 
Epiphanes.  Als  eine  Trost-  und  Mahnschrift  an  die  Juden  war  damals  das  Buch 
Daniel  entstanden;  sie  sollten  nur  in  Gottvertrauen  aushalten,  so  würden  sie  errettet 
werden  wie  einst  Daniel  in  der  Löwengrube  errettet  worden  sei.  Den  analogen  Trost 
also  konnten  auch  die  Christen  in  Verfolgungen  aus  der  Danieldichtung  schöpfen; 
aber  das  ist,  wie  gesagt,  nur  eine  sekundäre  Bedeutung  des  Typus,  die  Anwendung 
auf  einen  besonderen  Fall,  die  primäre  und  allgemeine  ist  die  der  gewissen  Erlösung 
aller  Christen  aus  dem  leiblichen  Tod  in  das  ewige  Leben.1) 

Aus  dem  Buch  Daniel  sind  auch  die  drei  Jünglinge  im  glühenden  Ofen 
genommen;  von  17  bekannten  Exemplaren  des  Typus  sind  14  erhalten  (Abbildung  in 
der  Kopfleiste  dieses  Kapitels).  Weil  die  Jünglinge  das  vom  König  Nebukadnezar 
aufgerichtete  goldene  Bild  (doch  wohl  ein  Götterbild)  nicht  verehren  wollten,  wurden 
sie  gefesselt  in  den  glühenden  Ofen  geworfen,  der  so  heiß  war,  daß  die  Henker  durch 
die  Glut  getötet  wurden;  aber  die  drei  Jünglinge  bewegten  sich  unversehrt  im  Feuer, 
so  daß  Nebukadnezar  sie  herausrief  und  hoch  ehrte  (Daniel  Kap.  3).  In  der  Malerei 
erscheinen  die  Jünglinge,  Israeliten  am  persischen  Hof  in  persischer  Tracht,  in  der  typischen 
Barbarentracht  der  griechischen  Kunst,  die  wir  am  Sabaziospriester  Vincentius  sahen; 
hier  erscheint  sie  vollständiger,  zu  phrygischer  Mütze,  Ärmelkleid  und  umgeknüpftem 
Mantel  kommen  noch  die  engen  Hosen.  Mit  betend  ausgebreiteten  Händen  stehen  sie 
in  einem  flammenden  Ofen  (der  in  unserer  Abbildung  wie  öfter  rund  ist),  Feuer 
schlägt  auch  aus  den  Schürlöchern.  In  späteren  Bildern  lassen  die  Maler  den  Ofen 
manchmal  weg,  das  Feuer  scheint  auf  dem  Boden  zu  brennen  (Wilpert  Taf.  114  u.a.). 
In  einem  Exemplar  aus  dem  späteren  dritten  Jahrhundert  fliegt  den  Jünglingen  von 
oben  her  eine  Taube  mit  Ölzweig  im  Schnabel  zu,  die  ist  aus  dem  Noahtypus 
herübergenommen,  die  Taube  des  Friedens  (Taf.  78,  1);  in  einem  anderen  aus  dem 
vierten  Jahrhundert  erscheint  die  Hand  Gottes  schützend  über  ihnen  (Taf.  172,  2). 
Jene  Friedenstaube  bestätigt,  was  ohnehin  klar  ist,  daß  das  Bild  der  Jünglinge  im 
flammenden  Ofen  ein  eben  solches  Prototyp  für  die  Rettung  der  Christen  aus  dem 
Tod  in  das  ewige  Leben  ist  wie  Daniel  in  der  Löwengrube.  Wo  die  Flammen  nicht 
in  einem  Ofen,  sondern  auf  dem  Boden  brennen,  denkt  man  an  eine  beabsichtigte  An- 
näherung an  das  Martyrium  des  Feuertodes.  Die  römischen  Kommentatoren  dieser 
Bilder  lieben  es,  Äußerungen  der  Kirchenschriftsteller  über  die  Härte  der  Martyrien 
zu  wiederholen;  sie  bedenken  nicht,  daß  die  römische  Kirche  das  Beschwerderecht 
verwirkt  hat,  seitdem  sie  zur  Macht  gelangt,  im  Interesse  ihrer  Macht,  den  Scheiter- 
haufen gegen  die  Reformatoren  ihrer  Zeit  ihrerseits  anwenden  ließ.  —  Auf  zwei 
Bildern  erscheint  zwischen  den  Jünglingen  der  Engel,  den  Nebukadnezar  bei  ihnen  im 
Feuer  sah  (Vers  25;  Wilpert  n.  5,  de  Rossi,  Roma  sott.  Taf.  15,  1  und  Wilpert  n.  15 
Taf.  231,  1).     Der  zweite    Engel   hat    den    Nimbus.     Wenn  es  richtig  ist,   daß  in  der 


1)  Daniel:  Wilpert,  Malereien  41.  148.  332.  335  mit  Verzeichnis  der  Exemplare.  Ob  die 
Maler  Dan.  6  oder  die  jüngere  Version  (vom  Bei  und  vom  Drachen,  Swete  III  586,  Kothstein  bei 
Kautzsch,  Apokryphen  172.  192)  im  Sinne  hatten,  verraten  die  Gemälde  nicht.  Vgl.  auch  Leclercq 
bei  Cabrol,  Dict.  I  1903,  457  im  Artikel  Ad  hestias. 


Erlösungstypen.  213 

christlichen  Kunst  des  vierten  Jahrhunderts  nur  der  Christus  den  Nimbus  erhält,  so 
wäre  hier  für  den  Engel  der  christliche  Erlöser  selbst  eingesetzt,  was  die  Deutung  der 
Bilder  als  Symbole  der  Erlösung  aus  dem  Tode  nur  bestätigen  könnte.1) 

Aus  der  Erzählung  von  den  drei  Jünglingen  hob  man  im  vierten  Jahrhundert 
noch  eine  andere  Szene  zu  bildlicher  Gestaltung  heraus,  nämlich  wie  sie  das  von 
König  Nebukadnezar  errichtete  goldne  Bild  anzubeten  sich  weigern.  Man  kennt 
nur  zwei  Exemplare  des  Typus,  das  eine,  in  Priscilla,  ist  in  schlechtem  Erhaltungs- 
zustand, das  andere,  in  Kailist,  liegt  nur  in  der  für  das  Einzelne  unzuverlässigen 
Kopie  bei  Bosio  vor.  Das  erste  zeigt  das  goldne  Bild  in  Gestalt  einer  bärtigen 
Porträtbüste  auf  Hermenschaft  zwischen  dem  auf  einem  Stuhl  sitzenden  König  und 
den  drei  Jünglingen,  die  sich  entschieden  abwenden,  als  wollten  sie  forteilen,  und 
dabei  abwehrende  Gebärden  machen;  die  Kopie  des  andern  Exemplars  gibt  den  König 
stehend  (Abbildung  unten  unter  „Syntax").  Wenn  der  König  in  beiden  Exemplaren 
wirklich  in  römischer  Kaisertracht  gemalt  war,  so  mag  in  der  Komposition  wie  in  der 
ganzen  Konzeption  bei  den  drei  Israeliten  mehr  an  die  Christen  gedacht  sein,  wie  sie 
den  Kaiserkult  weigerten.  Es  scheint,  als  ob  Anspielungen  auf  die  christlichen  Martyrien 
weniger  durch  ihr  Vorkommen  selbst,  als  durch  den  im  vierten  Jahrhundert  zur 
Blüte  gekommenen  Märtyrerkult  veranlaßt  seien.2) 

Aus  der  altisraelitischen  Literatur  genommen  ist  Noah  in  der  Arche.  Der 
Typus  erscheint  unter  den  frühesten,  neben  Daniel  in  der  Flaviergalerie ,  und  gehört 
zu  den  häufiger  vorkommenden;  von  32  bekannten  Exemplaren  sind  28  erhalten. 
Gen.  6 — 8  erzählt  die  Geschichte  von  der  Sintflut;  den  „Kasten"  des  Jahwisten  malt 
der  Priesterkodex  aus  als  einen  Riesenbau  von  300  Ellen  Länge,  dessen  viele  Zellen 
in  drei  Stockwerken  an  den  Tempel  erinnern.  Die  Maler  zeichnen  die  Arche 
(xtßoixög  Sept.)  als  einen  gewöhnlichen  Kasten,  der  Deckel  ist,  wenn  angegeben,  auf- 
geschlagen. Die  Arche  schwimmt  im  Wasser;  bisweilen  scheint  sie  auf  Land  zu 
stehen,  ist  aber  nicht  etwa  als  gelandet  gedacht.  Noah,  bartlos,  in  der  Tunika  mit 
zwei  Vertikalstreifen  (tunica  angusticlavia),  steht  mit  betend  ausgebreiteten  Händen 
im  Kasten,  so  daß  er  mit  halbem  Leibe  daraus  hervorragt.  Die  ganze  Erscheinung 
der  Figur  ist  nicht  die  eines  biblischen  Patriarchen,  wie  er  in  einem  Historien- 
gemälde zu  erwarten  wäre,  sondern  eines  Christen  der  frühen  Kaiserzeit,  hier  dar- 
gestellt im  Schema  der  Seligen  im  Himmel;  immer  dieselbe  Symbolik,  auch  Noah 
Prototyp  des  seligen  Christen,  Noah  in  der  Arche  Sinnbild  der  Erlösung  aus  dem 
Tod  ins  ewige  Leben.  Wenn  die  Arche  eines  späten  Exemplars  (Wilpert  n.  31),  wie 
die  allein  vorliegende  Kopie  sie  gibt,  als  eine  Art  Sarkophag  mit  Löwenköpfen  ge- 
zeichnet war,  so  sprach  es  den  Gedanken  nur  noch  unmittelbarer  aus;  allgemein  darf 
man  indessen  nicht  sagen,  die  Arche  sei  der  Sarg.  —  Zum  Typus  gehört  die  heran- 
fliegende Taube  mit  dem  Ölzweig  im  Schnabel.  In  der  Erzählung  war  sie  das 
Zeichen  der  Rettung  für  Noah,  im  Bilde  ist  sie  das  besondere  Symbol  der  Erlösung 
aus  dem  Tod  in  den  ewigen  Frieden.  In  dieser  ihrer  selbständigen  Bedeutung  konnte 
die  Kunst  sie  auch  sonst  verwenden,  wir  fanden  sie  bereits  einem  Bilde  der  drei 
Jünglinge    im    flammenden   Ofen    hinzugefügt.     Auch   bei  diesem  Typus  bemerken  wir 


1)  Drei  Jünglinge  im  flammenden  Ofen:    Wilpert,  Malereien  42.  332.  356  mit  Verzeichnis 
der  Exemplare. 

2)  Drei  Jünglinge  vor  Nebukadnezar:   Wilpert,  Malereien  332.  357.  361  Taf.  123. 


214 


Die  Erlösung. 


Noah  in  der  Arche. 
Coem.  Domitillae. 


in  späteren  Bildern,  seit  dem  dritten  Jahr- 
hundert, ein  Erwachen  der  Neigung  zum 
Erzählen;  da  sehen  wir  Noah  sich  der  Taube 
zuwenden  und  ihr  die  Hände  entgegen- 
strecken (Wilpert  Taf.  73.  196).  Diesen 
zweiten  Noahtyp  hat  die  Stadt  Apamea  in 
Phrygien  seit  der  Zeit  des  Kaisers  Septi- 
mius  Severus  auf  ihre  Münzen  gesetzt: 
Noah  und  seine  Frau  stehen  im  Kasten, 
an  deren  Vorderseite  Noahs  Name  steht 
(Nwi);  auf  dem  Deckelrand  sitzt  der  Rabe, 
die  Taube  mit  dem  Ölzweig  fliegt  herzu. 
Der  Anlaß,  die  Noahgeschichte  in  der 
phrygischen  Stadt  zu  übernehmen  (und 
später,  die  Landung  der  Arche  daselbst 
zu  lokalisieren),  wird  in  ihrem  Beinamen 
Kibotos,  Kasten,  gefunden;  vermittelt  ist 
sie  vielleicht  durch  dort  ansässige  Juden. 
Man  wird  aber  bemerken,  daß  der  Typus  nicht  einfach  aus  den  Katakomben  auf  die 
Münze  übertragen  wurde;  das  Münzbild  geht  im  Erzählen  weiter,  fügt  die  Frau  und 
den  Raben  hinzu.  Es  bleiben  die  Fragen  zu  beantworten,  wie  wir  uns  die  Ent- 
wicklungs-  und  Verbreitungsgeschichte  des  Typus  zu  denken  haben  und  von  wo  er 
seinen  Ursprung  genommen  hat.1) 

Unter  den  Kindheitslegenden  von  Heroen  und  Göttern  gibt  es  einen  Typ,  der 
Analogien  hat  zur  Arche:  junge  Mütter  sind  es,  die  mit  ihrem  Kinde  von  ihrem  ent- 
rüsteten Vater  in  einem  Kasten  aufs  Meer  hinausgestoßen,  immer  aber  ans  Land 
getrieben  und  gerettet  werden;  so  Semele  mit  dem  Bacchuskind,  so  Danae  mit  dem 
kleinen  Perseus.  Rotfigurige  Vasen  schildern  die  Aussetzung  der  Danae,  bereits  steht 
sie  mit  dem  Knäbchen  auf  dem  Arm  im  Kasten,  der  Tischler  ist  noch  an  der  Arbeit, 
mit  dem  Drillbohrer.  Oder  die  Mutter  wird  allein  in  den  Kasten  gesetzt,  wie  Auge, 
die  Mutter  des  Telephos.  Auf  einer  Münze  von  Elaea,  geprägt  unter  Marc  Aurel, 
sehen  wir  die  Rettung  der  Auge:  der  Kasten  ist  gelandet,  in  einem  Fischernetz  hatte 
er  sich  gefangen;  der  schwere  Deckel  wird  geöffnet,  und  Auge,  die  Schöne,  zeigt  sich; 
sie  faßt  die  Hand  des  ersten  Fischers,  um  herauszusteigen.  So  landen  aber  auch  die 
Geschwister  Tenos  und  Hemithea  auf  Tenedos,  und  so  landet  Thoas,  der  Vater  der 
Hypsipyle,  auf  Oinoe.  Die  Kasten  der  Danae  und  der  Auge  sind  als  Tischlerarbeit 
gezeichnet,  jede  Wand  ein  System  von  Rahmen  und  Füllung;  bei  Noah  aber  tritt 
bisweilen  noch  präziser  hervor,  was  gemeint  ist,  nämlich  das  Kastenmöbel,  wie  es  im 
antiken  Hause    gebräuchlich    war,   als  Gewandtruhe  und   als  Geldkiste  (xißcoTÖg,  arca; 


x)  Noah:  Wilpert,  Malereien  41.  262.  333.  344  m.  Verz.  de  Waal,  Rom.  Quart.  1896,  338. 
Unsere  Abbildung  gibt  das  Exemplar  mit  manieriert  gezeichnetem  Deckel  nach  Garrucci;  im 
Original,  Wilpert  Taf.  56,  schwimmt  die  Arche  in  durchsichtigem  Wasser,  die  rechte  Hand  des 
Noah  ist  geöffnet  wie  die  linke.  —  Apamea:  Head,  Hist.  num.  558.  Hirschfeld  bei  Pauly- 
Wissowa  I  2665.  Leclercq  bei  Cabrol,  Dictionn.  I  1906,  2509  Fig  825—827.  Vgl.  ebenda  2710 
Art.  Arche. 


Erlösungstypen.  215 

die  Maler  nahmen  den  Schrifttext  beim  Worte).  Geldkisten  sind  in  mehreren  Atrien 
Pompejis  gefunden  worden;  stark  gearbeitet  und  mit  Metall  beschlagen,  auch  fest  mit 
dem  Fußboden  verbunden  dienten  sie  wie  diebssichere  Schränke.1) 

Daniel  und  die  drei  Jünglinge  stehen,  wie  Noah,  mit  betend  ausgebreiteten 
Händen;  die  Israeliten  stehen  allezeit  vor  dem  Angesicht  ihres  Gottes,  auf  den  sie 
vertrauen  (Dan.  3,  28).  Das  Gebetsschema  ist  hier  ein  Ausdruck  eben  dieses  Ver- 
trauens, durch  das  sie  siegreich  aus  der  Not  hervorgehen;  es  ist  nichts  weiter,  nicht 
der  Ausdruck  eines  Bittgebets.  Die  Texte  lassen  weder  Noah  im  Kasten  noch 
Daniel  in  der  Löwengrube  beten,  auch  in  der  zwischen  Dan.  3,  23  und  24  vermuteten 
Lücke  braucht  kein  Gebet  gestanden  zu  haben.  Die  Texte  berichten  nichts  der- 
gleichen, daß  die  Genannten  sich  in  tiefer  Not  gefühlt  und  zu  ihrem  Gott  geschrien 
hätten;  erst  die  große  Interpolation  der  genannten  Stelle  bringt  ein  Gebet  und  einen 
Gesang.  Aber  was  ist  der  Inhalt?  Das  „Gebet  Asarjas"  ist  ein  Bußpsalm  Israels  im 
Exil,  den  man  in  die  Erzählung  eingelegt  hat,  ohne  daß  er  irgend  eine  Beziehung  zur 
Situation  hätte;  der  Gesang  aber  ist  ein  Lobgesang  und  endigt  mit  Dank.  Mit  den 
christlichen  Märtyrern  steht  es  ähnlich.  Ihre  Seele  war  so  ganz  ausgefüllt  vom,  man 
darf  wohl  sagen,  bergeversetzenden  Vertrauen,  daß  kein  Raum  mehr  darin  blieb  für 
Wünsche  oder  Bitten;  sie  hatten  nur  die  Seligkeit  vor  Augen,  viele  visionär,  gar  nicht 
als  Wunsch,  sondern  als  Gewißheit;  in  der  Marter  leuchtenden  Angesichts  breiteten 
sie  ihre  Arme  aus,  sie  zu  umfassen.  Das  ist  freilich  auch  gebetet,  und  wie,  aber  nicht 
in  der  Form  des  Bittgebets,  sondern  eben  in  der  des  Umfassens  und  Ergreifens.  Auch 
sie  drängte  es  zu  Dankgebet  und  Lobgesang.  Ist  doch  Jubel  und  Dank  die  christ- 
liche Grundstimmung,  äußere  Not  reicht  nicht  an  die  Seele  des  Christen,  am  wenigsten 
des  Märtyrers.  So  ist  Dank  und  Jubel  auch  die  christliche  Friedhofsstimmung,  sie 
klingt  in  tausend  Tönen  aus  allen  Malereien  der  Katakomben. 

Daniel  im  ursprünglichen  Typus,  bekleidet,  und  Noah  durchaus,  sind  in  derselben 
Tracht  und  Haltung  gemalt  wie  bald  auch  die  Verstorbenen  gemalt  wurden  im  Para- 
diese stehend,  wir  lassen  einstweilen  dahingestellt,  ob  individuell  oder  generell.  Maler, 
Besteller,  Beschauer,  alle  sahen  im  Prototyp  immer  sich  selbst.  Das  ist  wieder  ein 
antiker  Zug,  durch  viele  Belege  zu  erhärten.  Wir  wollen  nicht  dabei  verweilen,  daß 
Damen  im  Typus  der  Venus,  der  Ceres  oder  Proserpina  (so  wird  vermutet)  dargestellt 
wurden,  Antinous  als  Bacchus,  der  Kaiser  als  Juppiter,  die  Kaiserin  als  Juno.  Näher 
liegen  die  Sarkophagreliefs  der  Kaiserzeit,  teils  Bilder  des  unerbittlichen  Todes- 
geschicks, teils  eines  bacchisch  seligen  Daseins;  da  kommt  es  denn  vor,  daß  in 
tragischen  Szenen  dem  Heros,  etwa  Meleager,  die  Porträtzüge  des  Verstorbenen  ge- 
geben sind,  der  Verstorbene  ist  im  Typus  des  tragischen  Heros  idealisiert.2) 

Andre  biblische  Prototype  sind  zu  sehr  in  Anspruch  genommen,  um  die  Hände 
betend  ausbreiten  zu  können.  Auch  dann  ist  die  Sinnbildlichkeit  unverkennbar,  vollends, 
wenn  das  Gebetschema  sich  ausnahmsweise  doch  durchgesetzt  hat,  bisweilen  im 
Widerspruch  zur  Geschichte. 


*)  Kastensagen:  Marx,  Athen.  Mitteilungen  1885,  25  (zur  Münze  von  Elaea,  abgeb.  eb. 
Seite  21).  Zu  Auge  vgl.  noch  Wernicke  bei  Pauly-Wissowa  II  2305f.  Danae:  Escher  bei  Pauly- 
Wissowa  IV  2086;  die  Vase  bei  Gerhard,  14.  Berliner  Winkelra.-Progr.  1854  m.  Tal  arca: 
Overbeck-Mau,  Pompeji,  Register  unter  Geldkisten.     Mau,  Pompeji  238  Abb. 

2)  Venus:  Dümmler  bei  Pauly-Wissowa  I  2786.  —  Proserpina:  v.  Sybel,  Weltgesch.  d. 
Kunst  2275,  2.    —    Antinous:  Wernicke  bei  Pauly-Wissowa  I  2441. 


fco 


0) 

s* 

St; 

02 

a 


Die  Erlösung. 

Die  Dichtung  vom  Propheten  Jonas  hat  mehrere 
Typen  geliefert,  zum  Ausdruck  der  beiden  Ideen,  der 
Rettung  aus  dem  Tod  ins  Leben,  und  der  Seligkeit. 

Die  Eettung  aus  dem  Rachen  des  Todes.  Der 
Rachen  des  Todes,  ein  uraltes  und  weitverbreitetes  Bild, 
wurde  bis  in  die  christliche  Literatur  hinein  festgehalten; 
es  klingt  in  mehreren  griechischen  Sagen  an,  wenn  auch 
in  deren  poetischer  Ausgestaltung  das  Untier  nur  tod- 
bringend, nicht  Personifikation  oder  Sinnbild  des  Todes 
ist.  Andromeda,  einem  Seetier  (xiJTog)  zum  Opfer  an- 
boten, wurde  von  Perseus  befreit.  Der  mächtige  Rachen 
ragt  in  das  Bild  einer  altkorinthischen  Vase,  Perseus 
wirft  Steine  nach  ihm;  aus  der  Zeit  der  freien  Kunst  gibt 
es  herrlich  gezeichnete  Darstellungen.  Es  kommt  aber 
auch  die  Befreiung  buchstäblich  aus  dem  Rachen  des  Tiers 
vor,  also  ein  Verschlingen  und  Wiederausspeien.  Hesione, 
im  Parallelmythus  zur  Andromeda,  wurde  von  Herakles 
befreit;  das  herandringende  Ketos  aber  verschluckte  den 
Helden  erst  und  spie  ihn  wieder  aus;  dabei  verlor  er  sein 
Haar  und  kam  als  Kahlkopf  zum  Vorschein.  Auf  dies 
Abenteuer  wird  ein  Vasenbild  bezogen,  das  einen  mit  ge- 
zücktem Schwert  in  einen  riesigen  Rachen  eindringenden 
Helden  darstellt;  wenn  Herakles  gemeint  ist,  so  liegt  eine 
andere  Version  zugrunde.  Nicht  literarisch,  nur  monumental 
bezeugt  ist  ein  ähnliches  Abenteuer  des  Jason.  Der 
kolchische  Drache  hat  ihn  verschlungen,  aber  das  Tier 
muß  den  Unverwundbaren  wieder  ausspeien;  dies  stellt 
eine  Trinkschale  der  Vorblüte  dar.  Wie  ohnmächtig  ent- 
gleitet  Jason  dem  Rachen,  seine  Schutzgöttin  Athena  steht 
besorgt  dabei,  im  Hintergrund  hängt  das  goldne  Vließ  am 
Baum.1) 

Die  Israeliten  besassen  einen  Psalm,  der  Jahwe  für 
Rettung  aus  tiefster  Not  dankt;  diese  ist  näher  bezeichnet 
als  Versinken  in  die  Tiefe  des  Meeres.  Ob  ein  wirklicher 
Schiffbruch  gemeint  war  oder  ob  das  Versinken  nur  ein 
Bild  für  tiefe  Not  ist,  bleibt  dahingestellt.  Der  Dank- 
psalm wurde  in  das  Buch  Jonas  aufgenommen  (man 
beachte,    Jonas  spricht  einen  Dankpsalm,    da    er  noch    im 


')  Andromeda:  Koscher,  Lexikon  I  345.  Wernicke  bei 
Pauly-Wissowa  12157.  —  Hesione:  Furtwängler  in  Roschers 
Lexikon  I  2234.  Vase:  Mon.  V  Taf.  9,  2.  Sextus  Empir.  adv. 
gramm.  p.  656  B  rj  de  'HQccxkeovg  xecpaXri  expeövwxo  pvfiacüv  avxov 
xwv  tQiyöjv,  oxe  V7i6  xov  eyop/nävxoq  xy  1Holov%  x/',xovg  xccrenö&t]  (den 
Nachweis  der  Stelle  verdanke  ich  E.  Maaß).  —  Jason:  Trink- 
schale: Mon.  II  Taf.  35.  Heibig,  Führer  II2  328  n.  1271.  Seeliger 
.in  Roschers  Lexikon  II  70.  83. 


Erlösungstypen.  217 

Bauche  des  Tieres  ist).  Wäre  der  Psalm  nicht  ein  so  spätes  Produkt,  so  könnte 
man  auf  die  Vermutung  kommen,  die  Dichtung  sei  aus  ihm  herausgesponnen,  unter 
Verwendung  des  alten  Propheten  Jona  Kön.  II  14,  25  und  des  Bildes  vom  Rachen 
des  Todes  für  den  Schoß  der  Unterwelt  Vers  3;  von  den  für  Gnade  undankbaren 
Heiden  Vers  9  wäre  es  nicht  weit  zu  den  bösen  Nineviten  1,  2.  Aber  auch  wenn 
der  Psalm  jünger  als  die  Dichtung  und  in  sie  nur  nachträglich  eingeschaltet  ist,  muß 
sie  doch  eine  ähnliche  Genesis  gehabt  haben.  Jonas  also  will  sich  dem  von  Jahwe 
erteilten  Auftrag,  den  Nineviten  zu  predigen,  entziehen,  indem  er  auf  ein  nach  Tarsis 
bestimmtes  Schiff  flieht;  da  nun  Jahwe  einen  Sturm  erregt,  läßt  Jonas  in  seinem 
Schuldbewußtsein  sich  als  Opfer  ins  Meer  werfen,  ein  Ketos  verschlingt  ihn,  speit  ihn 
aber  nach  drei  Tagen  wieder  ans  Land  aus.  Auf  wiederholten  Befehl  Jahwes  geht 
Jonas  nun  nach  Ninive  und  auf  seine  Predigt  bessern  sich  die  Nineviten  usf.  Aus 
dieser  Erzählung  wählten  die  Maler  zwei  Momente  (beide  in  unserer  Abbildung),  ein- 
mal wie  Jonas  aus  dem  Schiff  geworfen  wird,  in  der  See  wartet  das  im  verbreiteten, 
gerade  auch  bei  den  Wandmalern  beliebten  Typus  der  Seedrachen  gezeichnete  Ketos 
auf  seine  Beute  (Wilpert  Taf.  47,  2;  in  einer  genetisch  jüngeren  Spielart  werfen  ihn 
die  Schiffer  dem  Tier  unmittelbar  in  den  Rachen,  Taf.  45;  schließlich  wird  das  Ver- 
schlingen selbst  und  allein  dargestellt,  die  Beine  des  Propheten  hängen  aus  dem 
Rachen,  Taf.  104),  sodann  das  andere  Moment,  wie  der  Seedrache  ihn  wieder  aus- 
speit, den  Kopf  und  die  wie  in  der  ersten  Szene  ausgebreiteten  Arme  voran,  Taf.  26,  2. 
Das  sind  zwei  sich  gegenseitig  bedingende  Momente,  pointierend  in  dem  zweiten,  der 
Rettung  aus  dem  Rachen  des  Ketos;  also  ein  in  sich  geschlossener  zweigliedriger 
Zyklus,  er  bedeutet  in  der  Katakombenmalerei,  entsprechend  dem  Urgedanken  vom 
Rachen  des  Todes,  die  Erlösung  aus  dem  Tod  ins  ewige  Leben. 

Zu  der  Inhaltsangabe  des  Buches  Jona  haben  wir  noch  den  Schluß  nachzutragen: 
verdrießlich  über  die  Begnadigung  der  Nineviten  setzt  Jonas  sich  abseits;  um  ihn  zu 
rügen,  läßt  Jahwe  eine  ihm  Schatten  gebende  Kürbisstaude  wachsen,  am  anderen 
Morgen  aber  verdorren,  an  des  Propheten  neuen  Verdruß  knüpft  er  dann  seine  Rüge, 
die  Pointe  des  Buches.  Ihre  humane  Idee  ist  besser  als  deren  etwas  gekünsteltes  und 
schief  geratenes  Gleichnis;  indessen  geht  uns  hier  nur  der  Gebrauch  an,  den  die 
Katakombenmaler  vom  Propheten  gemacht  haben,  wie  er  unter  der  Kürbislaube  sitzt. 
Sie  malen  ihn  unter  einer  Laube,  die  allerdings  nicht,  wie  der  griechische  Text,  von 
einer  Kolokynthen-,  sondern  einer  Flaschenkürbisstaude  gebildet  wird;  dies  wohl  aus 
künstlerischen  Gründen,  weil  nämlich  der  Flaschenkürbis  leichter  verständlich  gemacht 
werden  kann  als  der  runde.  Sodann  aber  malen  sie  ihn  nicht  sitzend,  sondern  am 
Boden  gelagert,  die  Füße  übereinandergelegt,  den  Ellbogen  aufgestützt,  den  anderen 
Arm  im  ältesten  Exemplar  in  den  Schoß,  nachher  über  den  Kopf  gelegt  (Taf.  26,  1. 
26,  3.  Unsere  Abbildung  oben  S.  154).  Es  ist  das  Schema  der  Ruhe,  wie  es  in  der 
heidnischen  Kunst  Berg-,  Quell-  und  andere  Ortsgottheiten  zeigen,  statuarisch  z.  B. 
die  sog.  Ariadne  im  Vatikan  und  in  Madrid;  ferner  Endymion,  der  den  ewigen  Schlaf 
schläft,  in  einzelnen  seiner  Darstellungen.  Jonas  unter  der  Laube  in  diesem  Schema 
gemalt,  hat  einen  ganz  anderen  Sinn,  als  der  im  Buch.  Einen  Anhalt  gab  das  Text- 
wort »und  Jonas  hatte  an  der  Kürbisstaude  eine  große  Freude"  Vers  6.  Nun  ist  es 
ein  unter  einer  Laube  Ruhender  (daß  er  schlafe,  läßt  sich  im  allgemeinen  nicht 
behaupten).  Tn  der  Katakombenmalerei  bedeutet  das  Bild  natürlich  die  Ruhe  im 
Frieden    des    Paradieses.     Dies    Bild,    selbständig    entstanden,    wurde  als  drittes  Glied 


218  ^e  Erlösung. 

dem  zweigliedrigen  Seezyklus  hinzugefügt.  Unser  ältestes  Beispiel  des  dreigliedrigen 
Zyklus,  vollständig,  wenn  auch  zum  Teil  schlecht  erhalten,  liegt  in  der  Gruft  A3 
Callisti  vor,  in  den  obersten  Friesen  der  drei  mit  Fachgräbern  besetzten  Wände; 
links  sieht  man  Jonas'  Auswerfung,  rechts  wie  er  ans  Land  gespien  wird,  an  der 
Mittelwand,  oberhalb  des  zentral  angeordneten  Seligengelages,  ruht  er  unter  der  Laube 
(de  Rossi,  Roma  sott.  II  Taf.  CD.  Wilpert  n.  4  Taf.  26,  2.  3).  Eine  Nische  der 
Gruft  IV  Priscillae  zeigt  umgekehrt  rechts  das  Auswerfen,  links  das  Ausspeien,  aber 
in  der  Mitte,  an  der  Lünette,  wieder  das  Ruhen  unter  der  Laube  (Wilpert  n.  5  Taf. 
44,  2.  45,  2).  Die  drei  Szenen  kommen  auch  in  einem  und  demselben  Wandfries 
aneinandergereiht  vor  (Gruft  A6  Callisti,  Wilpert  n.  6  Taf.  47,  2).  Endlich  aber 
treten  sie  in  die  Kappenfelder  der  Decken  ein,  und  zwar  mit  dem  Typus  des  Ver- 
schlingens  statt  des  Auswerfens,  das  vierte  Feld  erhält  irgend  eine  andere  Füllung. 
Diese  Anordnung  haben  einige  Decken  in  Petrus  und  Marcellinus,  aber  in  so  mannig- 
fachen Variationen,  daß  es  hier  als  bloßer  Zufall  erscheint,  was  wir  als  Regel  er- 
warten möchten,  wenn  die  Laube  einmal  oberhalb  der  Fondwand  zu  stehen  kommt 
(Taf.  130;  Wilpert  n.  13.  19.  25.  26). 

Schließlich  erfand  man,  vielleicht  gerade  zu  dem  Ende,  um  alle  vier  Kappen- 
felder mit  einem  viergliedrigen  Zyklus  zu  füllen,  einen  vierten  Typus,  eine  Variante 
des  dritten,  des  Jonas  unter  der  Laube.  Dabei  hielt  man  sich,  in  mehr  erzählender 
Tendenz,  enger  an  den  Buchtext:  Jonas  wird  nun  auf  einem  Stein  oder  am  Boden 
sitzend  dargestellt  (Taf.  61,  96  u.  ö.  Abbildung  in  der  Arkosolmalerei  unten  im 
Abschnitt  „Syntax").  Die  eine  Hand  stemmt  er  auf  den  Sitz,  die  andere  führt  er  an 
das  Gesicht.  Die  Gebärde  deutet  Trauer  oder  sonst  eine  Mißstimmung  an  und  wird 
bei  Jonas  auf  seinen  Kummer  über  das  Welken  der  Kürbisstaude  bezogen  (soweit  die 
Publikation  ein  Urteil  erlaubt,  ist  die  Laube  nur  in  den  zwei  späteren  Exemplaren 
Taf.  221  und  233  als  entblättert  charakterisiert.  Die  Sonne  Taf.  56  links  ist  bei 
Wilpert  nicht  zu  erkennen,  die  Hauptfigur  ist  zerstört).  Man  findet  Anlaß  zu  zweifeln, 
ob  die  Maler  ihre  Typen  immer  nach  deren  genauen  Sinn  verwendet  haben;  so  stellen 
sie  einmal  in  das  Schiff,  aus  dem  Jonas  ausgeworfen  wird,  eine  Orans,  das  ist  eine 
Selige,  nicht  etwa  eine  Hinterbliebene  beim  Begräbnis,  Wilpert  n.  17.  —  Der  Typus 
des  trauernd  oder  sonst  verstimmt,  bedenklich,  nachdenklich  Sitzenden  hat  seine  Ge- 
schichte, die  manche  ansprechende  und  bedeutende  Kunstschöpfungen  umschließt;  er 
hat  auch  seine  Entwicklungsgeschichte,  die  aber,  wie  sich  das  bei  den  meisten  Gebärden 
wiederholt,  sozusagen  in  absteigender  Linie  verläuft,  dies  nicht  im  Sinne  von  Ver- 
kümmerung, sondern  von  Abschwächung,  aber  mit  dem  Ergebnis  größerer  Mannig- 
faltigkeit der  Typik.  Das  Grundschema  ist  Hocken  am  Boden,  das  Gesicht  in  die 
aufgestützten  Hände  vergraben,  den  Mantel  über  Kopf  und  Gesicht  gezogen.  Die 
drei  Elemente  des  Schemas  nun  wurden  oft  abgeschwächt,  sei  es  ein  einzelnes  oder 
mehrere  zugleich.  Für  das  Hocken  am  Boden  konnte  Sitzen  eintreten,  nach  Umständen 
mit  übereinandergeschlagenen  Beinen,  selbst  Stehen.  Der  eine  Arm  mochte  sich  auf 
den  Sitz  stützen  oder  frei  herunterhängen;  auch  der  andere  Ellbogen  brauchte  sich 
nicht  fest  aufzustützen,  die  Hand  legte  sich  nur  an  das  Gesicht.  Der  Mantel  fiel. 
Es  seien  hier  nur  wenige  hervorragendere  Repräsentanten  der  verschiedenen  Schema- 
tismen namhaft  gemacht:  Achill  grollend,  Elektra  am  Grabe  Agamemnons  trauernd, 
Penelope  des  Gatten  harrend,  Philoktet  krank  und  verlassen  auf  Lemnos,  Agamemnon 
starr  bei  der  Opferung  der  Tochter;   dann  Verstorbene  an  Grabreliefs,  aus  Lakonien, 


Erlösungstypen.  219 

aus  Attika  (Demokleides),  auf  Korfu,  Klagefrauen  (Statuen  Saburoff,  Reliefs  an  einem 
attischen  Grabbau  und  am  sidonischen  Sarkophag  der  Klagefrauen).1) 

Schließlich  muß  erwähnt  werden,  daß  Jonas  von  allen  biblischen  Typen  am 
häufigsten  gewählt  ist,  zu  57  Malereien  in  129  Bildern.  Verschiedene  Szenen  wurden 
auch  isoliert  verwendet,  besonders  gern  Jonas  unter  der  Laube. 

Ein  Herrenwort  soll  des  Jonas  gedacht  haben.  Die  Pharisäer  hätten  Jesus  auf- 
gefordert, ein  Zeichen  vom  Himmel  geschehen  zu  lassen.  Seine  Antwort  wird  in  drei 
verschiedenen  Fassungen  berichtet.  Erstens  „Ein  böses  Geschlecht;  ob  ihm  ein 
Zeichen  gegeben  werden  wird!"  Mark.  8,  12;  es  klingt,  als  sei  das  Kommen  des 
Messias  in  seiner  Herrlichkeit  gemeint.  Zweitens  „Es  wird  ihnen  kein  Zeichen 
gegeben  werden  außer  dem  des  Propheten  Jonas"  Matth.  16,  4.  Aber  12,  39.  41 
wird  die  Erklärung  hinzugefügt:  „Die  Nineviten  werden  beim  Gericht  wider  dies  Ge- 
schlecht aufstehen;  denn  sie  besserten  sich  auf  die  Predigt  des  Jonas,  und  siehe,  hier 
ist  mehr  als  Jonas."  Drittens  Vers  40  „Wie  Jonas  im  Bauch  des  Ketos  drei 
Tage  und  Nächte  war,  so  wird  der  Sohn  des  Menschen  drei  Tage  und  drei  Nächte 
im  Herzen  der  Erde  sein."  So  gewiß  dies  kein  echtes  Herrenwort  ist,  ebenso  gewiß 
verraten  die  Katakombenmaler  keine  Kenntnis  desselben.  Jonas,  aus  dem  Seetier 
hervorgehend,  Daniel  aus  dem  Grabe,  Noah  aus  dem  Sarge,  auf  die  Auferstehung  zu 
deuten,  konnte  naheliegend  erscheinen,  diese  Auffassung  liegt  aber  nicht  im  Geiste 
der  Katakombenmalerei.  Auf  die  homiletischen,  mehr  oder  minder  geistreichen,  frei 
hin  und  her  spielenden  Deutungen  der  Kirchenschriftsteller  darf  man  sich  nicht  stützen. 
Nachdem  ein  Paulus  das  ganze  Sein  des  Christentums  wenigstens  theoretisch  auf  die 
eine  Karte  des  Auferstehungsglaubens  gesetzt  hatte,  kann  es  auffallen,  ihn  im  christ- 
lichen Volksglauben  so  wenig  lebendig  zu  finden;  aber  die  Tatsache  besteht,  noch 
entschiedener  als  die  Grabschriften  bezeugen  es  die  Malereien  der  Katakomben.2) 

Zu  Jonas  stellen  wir  sofort  Hiob,  wegen  ihrer  Typenverwandtschaft.  Gemeint 
ist  der  leidende  Hiob,  der  aus  aller  Not  schließlich  nicht  bloß  wieder  in  den  früheren 
Glücksstand  gesetzt  wird,  sondern  Jahwe  gab  ihm  alles  doppelt  zurück  und  segnete 
seine  nachfolgende  Lebenszeit  noch  mehr  als  seine  frühere  42,  10.  12:  so  ist  Hiob 
wieder  ein  Rettungstypus.  Den  leidenden  Hiob  sollte  man  erwarten  im  Typ  der 
traurig  Sitzenden  dargestellt  zu  sehen  und  zwar  eher  in  dessen  ursprünglicher,  stark- 
redender Ausprägung  (vgl.  2,  8  „und  saß  dabei  mitten  in  der  Asche",  13  „und  so 
saßen  sie  bei  ihm  an  der  Erde").  Tatsächlich  aber  ist  bei  Hiob  das  Trauermotiv 
noch  mehr  abgeschwächt  als  bei  Jonas;  er  sitzt  nicht  an  der  Erde,  sondern  auf  einer 
Erhöhung,  nicht  den  Kopf  in  der  Hand,  sondern  die  Hand  liegt  auf  dem  Knie,  er 
läßt  nur  den  Kopf  etwas  hängen.  Man  hat  den  Eindruck,  als  ob  der  sitzende  Jonas 
den  kräftigen  Typ  vorweggenommen  hätte,  obwohl  ja  für  Hiob  immer  noch  das  An- 
dererdesitzen   zur   Verfügung   gestanden   hätte.     Die   Bilder   des  sitzenden  Jonas  und 


»)  Traurig  Sitzende:  Th.  Wiegand,  Athen.  Mitteil.  1900,  191.  Br.  Schröder,  eb.  1904, 
47  Taf.  3  (Lakonische  Grabstele).  Eoschers  Lexikon  III  2334  f.  (Philoktet).  Robert,  Sarkophag- 
reliefs II  191  Taf.  60,  183.    Heibig,  Führer  in  Rom  2I  n.  698  (Laios)  u.  a. 

2)  Buch  Jonas:  Swete,  Old  testament  m.  greek  III  112.  Driver-Rothstein  343.  Cornill 
B209.  —  Jonasbilder:  Wilpert,  Malereien  50.  366  m.  Verz.  Vgl.  Otto  Mitius,  Jonas  auf  den 
Denkmälern  des  christl.  Altertums  1897.  —  Gelagerte:  Steuding  in  Roschers  Lexikon  II  2112 
Berggötter,  z.  B.  2125  im  esquilinischen  Laestrygonenbild.  Stoll  bei  Röscher  I  545  Abb.  und 
Wagner  bei  Pauly-Wissowa  II  810  (Ariadne).     Bethe  bei  Pauly-Wissowa  V  2557  (Endymion). 


220 


Die  Erlösung. 


des  Hiob  traten  erst  im  dritten  Jahrhundert  auf.  Der  Typ  des  Hiob  ist  so  allgemein 
gehalten,  daß  seine  Meinung  nicht  verstanden  werden  könnte,  wenn  nicht  ein  Exemplar 
des  vierten  Jahrhunderts  seine  Frau  hinzufügte,  die  dem  aussätzigen  Gatten  ein 
Kranzbrot  hinreicht,  um  sich  nicht  an  ihm  anzustecken,  auf  der  Spitze  eines  Stabes, 
Wilpert,  Taf.  147.  Nicht  daß  das  Element  ursprünglich  zum  Typus  gehörte  und  in 
den  anderen  Exemplaren  aus  Oberflächlichkeit  weggelassen  worden  wäre,  sondern  es 
scheint  einer  der  erzählenden  Züge  zu  sein,  die  seit  dem  dritten  und  hauptsächlich 
im  vierten  Jahrhundert  öfter  sich  einfinden.1) 


Isaak  trägt  die  Holzscheite  zum  brennenden  Altar;  Abraham  weist  ihn  an. 


Die  Errettung  Isaaks  vom  Opfertod.  Sie  ist  recht  oft  gemalt,  Wilpert  zählt 
22  Exemplare,  nicht  alle  sind  erhalten.  Die  Künstler  haben  den  Vorwurf  verschieden 
und  immer  neu  angefaßt,  so  daß  ein  fester  Typus  sich  nicht  herausbilden  konnte. 
Der  Knabe  Isaak  wird  zuerst  kniend  dargestellt,  Abraham  hat  ihn  am  Kopf  gefaßt, 
in  der  rechten  Hand  zückt  er  das  Messer  über  ihm;  das  kommt  gelegentlich  mit 
einem  auf  neuere  Darstellungen  vordeutenden,  fast  wilden  Realismus  heraus,  der 
die  Opferhandlung  zum  Mord  stempelt,  Taf.  188,  1.  Der  brennende  Altar  und  das 
Ersatztier,  der  Widder,  stehen  dabei.  Oder  es  ist  ein  früherer  Augenblick,  der  der  Vor- 
bereitung, gewählt;  Isaak  trägt  das  Bündel  Holzscheite  auf  dem  Rücken,  Abraham 
weist  ihn  damit  zu  dem  bereits  brennenden  Altar  hin  (unsere  Abbildung  bringt  diese 
erzählende  Fassung).  Einmal  entsteht  durch  Entwicklung  einer  zweiten  Szene  eine 
Art  Zyklus:  neben  dem  unter  dem  Messer  Abrahams  knienden  Knaben  sieht  man 
das  Ersatzopfer  nicht  bloß  hingestellt,  sondern  im  Begriff,  geopfert  zu  werden,  Taf.  201. 
Gelegentlich  werden  die  Berge  angedeutet,  auf  denen  die  Geschichte  spielt.    Im  vierten 


')  Hiob:    Wilpert,  Malereien  54.  381  in  Verz. 


Erlösungstypeu.  221 

Jahrhundert  erscheint,  statt  des  einhalttuenden  Engels  der  Bibel,  die  Hand  Gottes 
aus  Wolken,  Taf.  139,  1.  196  u.  ö.  Die  Beziehung  des  Bildes  auf  die  Erlösung  aus 
dem  Tode  wird  bestätigt  durch  das  Schema  der  ausgebreiteten  Arme,  in  dem  Isaak 
gelegentlich  vorkommt  (Taf.  196)  und  durch  die  Taube  mit  Ölzweigen  in  den  Krallen, 
Noahs  Taube,  die  einmal  in  die  Szene  gesetzt  wird  und  zwar  doppelt  (Taf.  201,  3). 
Wie  die  Landleute  Erstlinge  der  Früchte,  so  opferten  die  Hirten  solche  ihrer 
Herden,  das  erste  Lamm,  Ferkel,  Kälbchen.  Dann  auch  die  eigene  Erstgeburt.  So 
auch  die  Hebräer.  „Alle  Erstgeburt  gehört  mir;  ebenso  all  dein  Vieh,  soweit  es 
männlich  ist,  der  erste  Wurf  von  Rindern  und  Schafen"  Exod.  34,  19  f.  Gereiftere 
Gesittung  verstattete,  die  Erstgeburt  von  Menschen  mit  einem  Tieropfer  abzulösen, 
wie  auch  den  ersten  Wurf  eines  größeren  Tieres  mit  einem  kleineren:  „Den  ersten 
Wurf  eines  Esels  sollst  du  mit  einem  Schaf  auslösen  —  alle  Erstgeburt  unter  deinen 
Söhnen  sollst  du  auslösen"  Vers  20,  vgl.  22,  18  [E]  und  13,  2  nebst  Nura.  3,  12. 
Lev.  12,  6  P.  Zu  der  Institution  des  Auslösens  bringt  der  Elohist  einen  ätiologischen 
Mythus,  eben  unsere  Opferung  Isaaks  Gen.  22,  1  — 13.  19,  die  israelitische  Gestalt 
des  verbreiteten,  mythologischen  Typus;  man  erinnere  sich  nur  der  analogen  Opferung 
Iphigeniens,  bei  der  auch  ein  Ersatztier  an  die  Stelle  des  Menschenopfers  tritt.  Wir 
fragen  hier  nicht,  ob  der  ursprüngliche  Sinn  des  Mythus  dem  Elohisten  noch  lebendig 
war.  Den  Verzicht  des  Gottes  auf  das  Menschenopfer  stellt  er  als  Lohn  für  die 
Gottesfurcht  und  den  unbedingten  Gehorsam  Abrahams  hin  Vers  12;  nicht  anders 
der  den  Lohn  ins  Unbegrenzte  steigernde  Redaktor  Vers  14 — 18.  Eine  andere  Frage 
ist,  welches  Interesse  die  Christen  an  der  Geschichte  von  Isaaks  Rettung  nehmen 
konnten;  die  Ablösung  des  Menschenopfers  konnte  sie  um  so  weniger  interessieren, 
als  das  Christentum,  in  dem  es  weder  Tempel  noch  Altäre  gab,  blutige  Opfer  über- 
haupt nicht  kannte.  Den  Christen  erschien  an  der  Geschichte  bedeutsam  vor  allem 
die  Verheißung  für  den  Samen  Abrahams  Gal.  3,  16;  nicht  als  ob  Paulus  den  Isaak 
als  ein  Prototyp  des  Christus  hinstelle,  sondern  er  versteht  unter  dem  Samen  Abrahams, 
dem  die  Verheißung  gegeben  wird,  den  Christus.  Schon  Paulus  hebt  das  unbedingte 
Vertrauen  Abrahams  auf  den  Gott  hervor;  es  wird  ihm  ein  Eckstein  seiner  Vertrauens- 
lehre. Der  Hebräerbrief  11,  19  fügte  ein  neues  Moment  hinzu,  er  sagt:  „Im  Ver- 
trauen brachte  Abraham  den  Isaak  dar  —  indem  er  berechnete,  daß  Gott  Macht 
hat,  auch  von  den  Toten  zu  erwecken."  Die  biblische  Erzählung  gibt  keine  so 
berechnende  Motivierung  von  Abrahams  Gehorsam;  sie  schwächt  die  Vorstellung  von 
seinem  Vertrauen  nur  ab  und  den  Wert  seines  Gehorsams  vernichtet  sie.  Hier  verrät 
sich  die  beherrschende  Stellung,  welche  die  Idee  der  Erlösung  aus  dem  Tode  allmählich 
für  die  Christen  gewonnen  hatte.  Das*  war  der  Gesichtspunkt,  der  ihnen  die  Isaak- 
geschichte  wert  machte;  deshalb  malten  sie  seine  Rettung  in  den  Katakomben.  Die 
Kirchenväter  endlich  deuten  die  Geschichte,  ihrem  Sinne  ganz  zuwider,  auf  den  Opfer- 
tod des  Christus;  kein  Wunder,  daß  sie  schwanken,  worin  eigentlich  Christus  vorge- 
bildet sei,  ob  in  Isaak  (insofern  er  das  Holz  trage,  wie  Jesus  sein  Kreuz  nach  Golgatha) 
oder  im  Widder  (insofern  dieser  es  ist,  der  geopfert  wird,  nicht  der  Sohn).  Man 
sieht,  das  sind  alles  Deuteleien  aus  der  Mühle  der  christlich  gewordenen  stoischen 
Allegorie.1) 


*)  Isaak:    Wilpert,  Malereien  44.  350  m.  Verz.,  vgl.  33  über  die  Hand  Gottes.    Leclereq  bei 
Cabrol,  Dictionn.  I  1903  112  Le  sacrifice  d'Abraharn,  fresques. 


222  Die  Erlösung. 

Andere  Sujets  kommen  nicht  so  oft  vor,  David,  mit  der  Schleuder  in  der  Hand, 
wurf bereit,  nur  in  einem  Exemplar  (Abbildung  oben  Seite  155).  Das  Attribut  der 
Schleuder  weist  deutlich  auf  seinen  Sieg  über  Goliath  hin;  also  wieder  eine  Rettung 
aus  Todesgefahr.1) 

Von  Tobias  kennt  man  drei  Darstellungen,  die  früheste,  aus  dem  dritten  Jahr- 
hundert, ist  verloren.  Tobias  und  der  Engel  Rafael  „zogen  ihre  Straße  und  kamen 
abends  an  den  Tigris  und  übernachteten  daselbst.  Der  Jüngling  aber  stieg  hinab,  um 
zu  baden.  Da  fuhr  ein  Fisch  aus  dem  Fluß  und  wollte  den  Jüngling  verschlingen. 
Der  Engel  aber  sprach  zu  ihm:  Ergreife  den  Fisch!  Und  der  Jüngling  ergriff  den 
Fisch  und  warf  ihn  auf  das  Land",  Tobit  6,  2 — 4.  Abermals  eine  Rettung  aus 
Todesgefahr.  Tobias  wird,  den  Fisch  in  der  Hand  tragend,  dargestellt;  zweimal  ist 
er  nackt,  das  zweite  Mal  hat  er  ein  Lendentuch  um,  denn  die  Geschichte  spielt  beim 
Baden.  Einmal  trägt  er  die  ungegürtete  Ärmeltunika.  Im  jüngsten  Bild,  aus  der 
Mitte  des  vierten  Jahrhunderts,  ist  auch  der  Engel  dabei,  ein  Jüngling  in  Rock  und 
Mantel,  ohne  Flügel  (so  wurden  die  Engel  ursprünglich  gezeichnet);  eilig  bringt  ihm 
Tobias  den  Fisch.  Getrennt  von  dieser  Gruppe  durch  eine  Heilung  des  Gichtbrüchigen 
ist  ein  am  Boden  sitzender  Flußgott  gemalt;  trotz  der  Entfernung  von  der  Gruppe 
wird  er  auf  den  Tigris  gedeutet,  zugleich  aber  auf  den  Schafteich.  Der  Maler  scheint 
die  Bedeutung  der  Figur  nicht  mehr  gekannt  zu  haben.2) 

Zwei  weitere  Rettungsbilder  werden  wir  unter  „Erlösungsmittel"  besprechen, 
Moses'  Quellwunder  und  den  Mannaregen. 

Elias  wird  von  einem  Feuer  wagen  mit  Feuerroß  zum  Himmel  emporgeführt; 
Elisa  zerreißt  sein  Gewand  und  nimmt  den  herabgefallenen  Mantel  des  Elias  auf:  mit 
dem  zauberkräftigen  Mantel  schlägt  er,  wie  er  es  den  Meister  tun  sah,  das  Wasser 
des  Jordan,  an  dem  er  stand;  es  teilt  sich  auch  ihm,  so  daß  er  hindurchgehen  kann, 
Kön.  II  2,  11 — 13.  Es  liegt  eine  problematische  Darstellung  der  Himmelfahrt  des 
Propheten  vor  und  eine  gesicherte,  beide  gehören  dem  vierten  Jahrhundert  an.  In 
beiden  steht  ein  Mann  in  langem  Gewand  (wie  es  die  antiken  Fahrer  trugen)  auf 
einem  Zweigespann.  Das  problematische  Bild,  im  Scheitelfeld  eines  Arkosolbogens, 
zeigt  nur  diese  Gruppe;  der  Fahrende,  die  Enden  des  Mantels  flattern  zurück,  hat 
einen  blauen  Nimbus  um  den  unbärtigen  Kopf,  Taf.  160,  2.  Wilpert  erkennt  den 
Sonnengott,  dessen  Darstellung  er  zu  einem  benachbarten  „Jonas  unter  der  Laube" 
in  Beziehung  setzt.  Der  Nimbus  kam  allerdings  in  erster  Linie  den  Lichtgöttern  zu, 
ging  aber  auf  andere  Personen  über,  in  der  Katakombenmalerei  erhielt  ihn  im  vierten 
Jahrhundert  vor  allen  der  Christus.  Im  Typus  des  Sonnengottes  könnte  der  im 
Feuerwagen  zum  Himmel  fahrende  Prophet  recht  wohl  gemalt  sein,  auch  im  Nimbus. 
Die  zwei  benachbarten  Bilder  aber,  deren  jedes  seinen  eigenen  breiten  Rahmen  hat, 
können  kaum  zueinander  in  Beziehung  gesetzt  werden;  andererseits  würde  eine 
Himmelfahrt,  als  Prototyp  des  Eingangs  der  Christen  in  den  Himmel,  im  Zenitbild 
eines   Nischengrabes    oder   einer   Decke    sehr    passend    stehen.    —   Das  andere,   etwas 


*)  David:  Wilpert,  Malereien  387  Taf.  55  (das  „Tuch  in  der  Linken,  in  welchem  er  die 
übrigen  im  Bache  aufgelesenen  Steine  (Kön.  I  17,  40)  geborgen  hat"  ist  in  der  Reproduktion  nicht 
zu  erkennen).  • 

2)  Buch  Tobit:  M.  Löhr  in  Kautzschs  Apokryphen  135.  —  Tobias:  Wilpert,  Malereien 
54.  384. 


Erlösungstypen.  223 

jüngere  Eliasbild  ist  in  seiner  Bedeutung  gesichert  durch  ein  paar  erzählende  Züge, 
Taf.  230,  2.  Elias  (leider  oberwärts  zerstört)  läßt  seinen  Mantel  hinter  sich  aus  der 
Hand  fallen  (so  hat  der  Maler  die  Textworte  interpretiert);  der  zurückbleibende  Elisa, 
im  bloßen  Mantel,  wirft  dem  scheidenden  Meister  mit  der  Hand  den  letzten  Gruß 
zu;  die  rechts  mit  aufgestütztem  Fuß  in  ärmellosem  Leibrock  stehende  Figur  trägt 
im  Haar  doch  wohl  einen  Schilfkranz,  wird  also  ein  Flußgott  sein,  der  Jordan  des 
Textes.  Wie  die  Flußgötter  in  antiken  Bildern  es  zu  tun  pflegen,  erhebt  er  seine 
Hand,  am  Vorgang  Anteil  nehmend.  Flußgötter  wurden  in  der  Regel  allerdings  gelagert 
dargestellt,  aber  nicht  ausnahmslos;  stehende  Flußgötter  finden  sich  auf  sizilischen 
Münzen  vom  fünften  vorchristlichen  Jahrhundert  abwärts;  z.  B.  der  Flußgott  Chrysas 
auf  einer  Kupfermünze  von  Assorus  römischer  Zeit,  etwa  des  zweiten  Jahrhunderts. 
Mindestens  muß  die  Frage  offen  gehalten  werden.  —  Eine  Konsekrationsmünze  auf 
Kaiser  Konstantin  zeigt  seinen  Kopf  nimbiert,  eine  andere  zeigt  ihn  als  Pontifex 
maximus  mit  verhülltem  Hinterhaupt  (capite  velato);  auf  der  Kehrseite  fährt  der 
Kaiser  auf  galoppierendem  Viergespann  gen  Himmel,  indem  er  seine  Hand  einer  von 
oben  her  ihm  geöffnet  gereichten  Hand  entgegenstreckt.  Wenn  die  Hand  Gottes  als 
die  biblisch-christliche  anerkannt  werden  muß,  so  ist  doch  der  ganze  Gedanke  durch 
und  durch  heidnisch,  nur  mit  der  im  Bilde  nicht  merkbaren  Modifikation,  daß  der 
Christ  nicht  wie  der  heidnische  Kaiser  als  Gott  zu  den  Göttern,  aber  doch  in  die 
Gottesgemeinschaft  aufgenommen  wird.  Nach  Fr.  X.  Kraus  wirkt  das  Münzbild  in 
unserer  altchristlichen  Darstellung  von  der  Himmelfahrt  des  Elias  nach.1) 


Es  folgt  eine  Reihe  evangelischer  Rettungstypen,  nämlich  Totenerweckungen  wie 
des  Lazarus  und  Heilungen  wie  des  Gichtbrüchigen,  des  Blinden,  der  Blutflüssigen. 
Diese  evangelischen  Rettungstypen  waren  für  die  Christen  inhaltlich  insofern  bedeutender 
wie  die  alttestamentlichen,  als  der  Erwecker  der  Toten  und  der  Heiland  der  Kranken 
darin  eine  Person  ist  mit  dem  Erlöser  der  verstorbenen  Christen. 

Jede  Persönlichkeit,  im  prägnanten  Sinne  des  Wortes,  wirkt  auf  ihre  Umgebung; 
eine  positive  Natur  wirkt  in  gleichem  Sinne,  positiv,  immer  fördernd,  aufrichtend. 
Eine  solche  positive  Natur  war  Jesus,  er  war  es  im  höchsten  menschlichen  Sinne. 
Nun  sind  viele  Nervenaffektionen  psychischer  Einwirkung  zugänglich  und  manche 
Heilungen,  die  in  den  Evangelien  Jesus  zugeschrieben  werden,  lassen  sich  als  psychische 
Einwirkungen  oder  noch  besser  als  psychische  Auslösungen  (sein  ausstrahlendes  Ver- 
trauen löste  ihr  aktives  Vertrauen  aus)  natürlich  erklären,  allenfalls  bis  zur  Aufhebung 
von  Lähmungserscheinungen.  Darüber  hinaus  wird  niemand  gehen  mögen;  Aussatz 
oder  Blindheit,  gar  angeborene,  wird  sich  so  nicht  heilen  lassen,  nicht  zu  reden  vom 
Tod,  für  den  nun  einmal  kein  Kraut  gewachsen  ist,  auch  kein  Zauberkraut.  Wenn 
trotzdem  dergleichen  von  Jesus  erzählt  wird,  und  zwar  mit  dem  Weiterwachsen  der 
altchristlichen  Überlieferung  in  zunehmendem  Maße,  so  haben  wir  es  mit  jenem  „unbe- 
wußten Weiterspinnen  der  Volksphantasie a  zu  tun,  das  unter  den  Begriff  des  Mythischen 


*)  Elias:  Kön.  II  2,  11  —  13  (aQ[ia  nvQoq  xal  'mitoq  jcvqoq  Swete  I  744,  Imtoi  cod.  A).  Wilpert, 
Malereien  417.  —  Chrysas:  Head,  hist.  num.  111.  Catal.  greek  coins  Brit.  Mus.,  Sicily  31  Abb. 
Lehnerdt  in  Roschers  Lexikon  I  1491.  —  Konstantin  nimbiert:  Eckhel,  Doctr.  num.  VIII  79. 
Konsekrationsmünze:    H.   Cohen,  Med.  imp.  2VII  318  n.  760.     Kraus,  Geschichte  I  1896,  218. 


224  Die  Erlösung. 

fällt  (sagt  man  die  Sache,  so  sollte  man  die  wissenschaftliche  Terminologie  nicht 
scheuen);  beteiligt  sich  aber  an  diesem  Weiterspinnen  die  spekulierende  Theologie,  so 
hält  es  schwer,  noch  an  Unbewußtheit  des  Dichtens  zu  glauben,  allenfalls  mag  auch 
eine  Halbbewußtheit  statuiert  werden. 

Die  Persönlichkeit,  welche  Jesus  war,  verstanden  seine  Landsleute  und  Zeit- 
genossen auf  ihre  Weise;  er  selbst,  als  Kind  seines  Volkes  und  seiner  Zeit,  konnte 
sich  auf  die  Dauer  nicht  anders  verstehen.  In  aufsteigender  Laufbahn  wurde  er  als 
Lehrer,  als  Prophet,  als  der  Messias  aufgefaßt,  als  Sohn  Gottes  und  späterhin  als 
Gott  selbst;  dies  natürlich  nicht  von  echten  Israeliten,  die  seine  Vergottung  als  Gottes- 
lästerung empfanden,  eher  von  hellenisierenden  Juden  oder  von  Proselyten,  wenn  nicht 
einfach  von  Heidenchristen.  Zu  seinen  Lebzeiten  handelte  es  sich  erst  noch  um 
die  früheren  Entwicklungsstufen.  Die  messianische  Auffassung  schlug  die  prophetische. 
Dann  aber  mußte  die  messianische  Zeit  angebrochen  sein  in  der  ganzen  Fülle,  wie  man 
sie  in  den  Schriften  geschildert  las.  „An  jenem  Tage  werden  die  Tauben  geschriebene  [?] 
Worte  vernehmen  und  die  Augen  der  Blinden  aus  Dunkel  und  Finsternis  heraus 
sehen  können.  Die  Dulder  werden  sich  aufs  neue  Jahwes  freuen  und  die  Ärmsten 
der  Menschen  über  den  Heiligen  Israels  jubeln",  Jes.  29,  18.  19.  „Dann  werden  sich 
die  Augen  der  Blinden  auftun  und  die  Ohren  der  Tauben  sich  öffnen.  Dann  wird 
der  Lahme  springen  wie  ein  Hirsch,  und  die  Zunge  des  Stummen  wird  jauchzen", 
35,  5.  6  vgl.  61,  1  (beides  exilisch).  Die  Boten  des  fragenden  Täufers  weist  Jesus 
selbst  auf  die  Zeichen  der  messianischen  Zeit  hin,  in  jesaianischen,  allerdings  aus  den 
Zeitverhältnissen  und  den  Zeitvorstellungen  heraus  erweiterten  Worten:  „Gehet  und 
berichtet  Johannes,  was  ihr  hört  und  seht:  Blinde  blicken  auf  und  Lahme  gehen 
umher,  Aussätzige  werden  gereinigt  und  Taube  hören,  Tote  werden  aufgeweckt  und 
den  Armen  wird  frohe  Botschaft  gebracht",  Mt.  11,  5.  Luk.  7,  22.  Ob  Jesus  diese 
Worte  wirklich  gesprochen  hat  und  in  welchem  Sinne  er  sie  sprechen  konnte,  im 
eigentlichen  oder  im  bildlichen,  mit  solchen  Fragen  haben  wir  uns  an  dieser  Stelle 
nicht  zu  beschäftigen.  Soviel  ist  klar,  daß  die  evangelischen  Totenerweckungen  und 
Wunderheilungen  im  Grunde  Mythen  sind,  mythische  Verdichtungen  der  Idee  vom 
Anbruch  des  messianischen  Reiches.  Da  nun  aber  der  Anbruch  der  messianischen 
Zeit  an  das  Auftreten  des  persönlichen  Messias  geknüpft  wurde,  so  erschienen  die 
messianischen  Zeichen  als  Wundertaten  wie  eines  Propheten,  dergleichen  ein  Elias, 
ein  Elisa  getan  hatte.  Als  Wundertäter  schildern  den  Christus  die  vorliegenden 
Redaktionen  der  evangelischen  Überlieferung.  Und  es  bleibt  in  der  Hauptsache 
bestehen,  daß  Markus  und  Johannes  die  Thaumaturgie  breiter  ausmalen  als  Matthäus 
und  Lukas.1) 

Die  Besprechung  der  evangelischen  Rettungsbilder  beginnen  wir  mit  der  Toten- 
erweckung,  wie  ihre  Reihe  auch  in  der  Katakombenmalerei  mit  ihr  einsetzt,  im  zweiten 
Jahrhundert.  Es  ist  die  Auf  er  weckung  des  Lazarus,  wie  sie  das  vierte  Evangelium 
Kap.  1 1  und  nur  dieses  erzählt.  Bei  der  Bedeutung  dieses  Evangeliums  für  die  Ent- 
wicklungsgeschichte der  christlichen  Vorstellungen  darf  man  sich  nicht  wundern,  es 
gleich   bei    der  ersten  Gestaltung  spezifisch  christlicher  Typen  in  maßgebender  Wirk- 


*)  Mythen:    David  Fr.  Strauß,    Leben    Jesu  kritisch   bearbeitet    I    1835,    Einleitung,    Der 

mythische    Standpunkt.    II  1836,    9.    Kap.,    Wunder  Jesu.     Ders.,    das  Leben  Jesu  f.  d.  deutsche 

Volk,    §    25     Begriff    des  Mythus,    §    71    Wunder  Jesu.     Vgl.    Joh.    Weiß,    Die    Schriften    des 
N.  T.  I  43  f. 


Erlösungstypen. 


225 


samkeit  zu  finden.  Der  Einzelbesprechung  der  evangelischen  Rettungstypen  schicken 
wir  noch  die  für  alle  geltende  Bemerkung  voraus,  daß  der  Christus  nicht  überall  mit 
dargestellt  wurde;  seine  Gestalt  fehlt  gerade  in  der  ältesten  Totenerweckung  und  in 
den  meisten  Exemplaren  des  Gichtbrüchigen,  kann  also  nicht  den  Hauptakzent  getragen 
haben.  Wo  er  aber  zur  Darstellung  gekommen  ist,  da  erscheint  auch  er  unbärtig  und 
er  als  Regel  „angezogen",  in  Rock  und  Mantel  (Chiton  und  Himation,  lateinisch  tunica 
und  pallium). 

Die  Auf  er  weckung  des  Lazarus  wurde  gern  gemalt,  50  Exemplare  sind  er- 
halten. Nach  einigem  Tasten  hat  sich  im  späteren  zweiten  Jahrhundert  der  Typus 
fixiert.  Wesentlich  ist  die  Gestalt  des  Lazarus;  in  ein  Tuch  gehüllt  oder  wie  eine 
Mumie  gewickelt  steht  er  vor  dem  Grab  oder  in  dessen  Tür.  Das  Grab,  nicht  das 
bei  Johannes  vorausgesetzte  palästinensische  Höhlengrab,  ist  als  Freibau  dargestellt, 
nach  Art  der  vor  den  Toren  Roms  an  den  Heerstraßen  errichteten  Mausoleen,  wie  sie 
in  Ruinen  noch  vielfach  erhalten 
sind,  besonders  an  der  appischen 
und  der  latinischen  Straße.  Von 
den  mannigfachen  dort  verwen- 
deten baulichen  Typen  ist  fürdas 
Grab  des  Lazarus  die  Adicula 
meist  in  Form  eines  Giebel- 
hauses gewählt,  mit  einer  zur 
Tür  hinaufführenden  Freitreppe 
(in  der  Deckenmalerei  oben 
Seite  155);  der  Gruftbau  fehlt 
Tai  93.  240,  2.  Der  Christus 
fehlt  im  ältesten  Exemplar;  ge- 
legentlich findet  er  sich  ohne 
Leibrock  im  bloßen  Mantel 
(Taf.  39,  1),  ein  andermal  im 
Talar    (190),     beides    teilt     er 

mit  anderen  Figuren  je  derselben  Gruft,  es  ist  also  Laune  des  Künstlers.  In 
einem  späten  Exemplar  steht  sein  Kopf  im  Nimbus,  der  einzige  Fall  eines  nimbierten 
Christus  in  den  Rettungsbildern  (Taf.  250>  1).  Aus  den  unten  zu  besprechenden  Typen 
Mosesquell  und  Brotvermehrung  ging  der  Zauberstab  auch  in  die  Auferweckung  des 
Lazarus  über;  der  Christus  hält  ihn  nur  attributiv  in  der  Linken  Taf.  46,  2,  aber 
durch  ihn  wirkend  in  der  Rechten  45,  2.  —  Neben  Lazarus  ist  in  Priscilla  einmal,  im 
vierten  Jahrhundert,  die  Auferweckung  der  Jairustochter  gemalt.  Das  Bild  ist  sehr 
beschädigt,  man  erkennt  nur  die  Bettstelle  mit  etwas  von  einer  Decke,  und  den 
untersten  Teil  der  Christusfigur;  erklärbar  wird  es  erst  durch  Vergleichung  einiger 
dasselbe  Sujet  darstellender  Sarkophagreliefs.  Wir  stellen  fest,  daß  die  Erzählung  der 
Synoptiker  für  die  Malerei  später  verwertet  worden  ist  als  die  johanneische. 

Die  synoptischen  Totenerweckungen  (Jairustochter  Mk.  5,  22.  Mt.  9,  18.  Luk. 
8,  41,  Jüngling  zu  Nain  Lk.  7,  11)  sind  Zeichen  der  messianischen  Zeit  beziehungs- 
weise Beglaubigungswunder  wie  die  Heilungen.  Dasselbe  gilt  modifiziert  auch  für  die 
Erweckung  in  der  johanneischen  Dichtung;  sie  läßt  den  Lazarus,  statt  wie  in  der 
Parabel    Lk.  16,  19    durch    Engel    in  Abrahams  Schoß,    vielmehr  durch   den  Christus 


Auferweckung  des  Lazarus. 
Coem.  Callisti,  Gruft  A6. 


Sybel,  Christliche  Antike  I. 


15 


226 


Die  Erlösung. 


wieder  zum  Leben  bringen;  durch  die  Totenerweckung  wird  bestätigt,  daß  er,  der  „in 
die  Welt  gekommene  Sohn  Gottes"  „die  Auferstehung  und  das  Leben"  ist,  V.  27,  25. 
„Wer  an  mich  glaubt,  wird,  wenn  er  auch  stirbt,  leben",  das  ist  der  Sinn  des  Lazarus- 
typus in  den  Katakomben;  es  ist  auch  hier  an  unmittelbaren  Eingang  aus  dem  Tod 
ins  ewige  Leben  gedacht,  die  künftige  Auferstehung  des  Fleisches  liegt  auch  hier 
höchstens  im  Hintergrund.1) 

Der  Gichtbrüchige  (eig.  Gelähmte,  Paralytische)  Mk.  2,  1.  Mt.  9,  2.  Lk.  5,  18. 
Job.  5.  Den  Doppelkern  der  Geschichte  hat  die  johanneische  Umdichtung  festgehalten: 
„Stehe  auf,  hebe  dein  Bett  auf  und  gehe;  und  sofort  wurde  der  Mensch  gesund,  hob  sein 

Bettauf  und  ging".  Und  wiederum  (statt  des  synoptischen 
„Dir  sind  deine  Sünden  vergeben")  „Du  bist  gesund 
geworden,  sündige  nun  nicht  mehr,  damit  dir  nicht 
etwas  Schlimmeres  geschieht".  An  die  Stelle  des 
Hinablassens  in  das  Haus  zu  Jesus  tritt  das  Hinab- 
steigen in  den  Teich.  Der  bildliche  Typus  gibt  das 
Wesentliche  der  Heilungsgeschichte:  der  Geheilte  eilt  mit 
dem  Bett  auf  den  Schultern  davon.  Meist  ist  nur  er  ge- 
geben, der  Christus  tritt  nur  ein  paarmal  dazu  (Taf.  68,  2. 
212;  wir  haben  kein  Recht,  ihn  in  den  zerstörten  Bild- 
feldern Taf.  27,  3.  74,  1  vorauszusetzen,  noch  dazu 
gegen  alle  Wahrscheinlichkeit).  Einmal  ist  der  Geheilte 
nackt  gemalt;  das  mag  unter  Einwirkung  des  johanneischen 
Eintauchens  in  den  Teich  geschehen  sein,  obwohl  ja 
gerade  unser  Kranker  gesund  wurde,  ohne  je  in  das 
Wasser  gelangt  zu  sein.  Es  ist  daher  recht  gekünstelt, 
unseren  Mann  als  Symbol  der  Taufe  zu  deuten;  nur  das 
Untertauchen  im  Teich  Bethesda  selbst  ließe  sich  füglich  so  verwerten.  Den  Sinn 
des  bildlichen  Typus  spricht  die  an  die  Erzählung  angeschlossene  Rede  aus:  „Wer 
mein  Wort  hört  und  dem  der  mich  gesandt  hat  vertraut,  hat  ewiges  Leben  und  kommt 
nicht  ins  Gericht,  sondern  geht  aus  dem  Tod  in  das  Leben",  V.  24.2) 

Die  Blinden h eilung.  Alle  vier  Evangelien  bringen  den  Mythus,  Markus  und 
Matthäus  doppelt  Mk.  8,  22.  10,  46.  Mt.  9,  27.  20,  30.  Matthäus  läßt  jedesmal  zwei 
Blinde  heilen.  Bei  Mk.  10,  46.  Lk.  18,  35  geschieht  die  Heilung  durch  bloßes  Wort, 
bei  Matthäus  beidemal  durch  Berühren  mit  dem  Finger,  bei  Mk.  8,  22.  Joh.  9,  1 
(hier  ists  ein  Blindgeborener)  durch  umständlichere  magische  Manipulation;  dort  spuckt 
Jesus  auf  die  blinden  Augen,  hier  macht  er  aus  Erde  und  Speichel  einen  Teig,  den 
der  Blinde  an  einem  bestimmten  Teich  abwaschen  muß.  Daß  er  bei  Markus  nach 
dem  Bespucken  (dergleichen  Appetitlichkeiten  gelten  in  der  Magie  viel)  dem  Blinden 
die  Augen  zuhält,  gehört  nicht  zum  Heilverfahren;  der  Verfasser  glaubt  das  Wunder 


Der  Gichtbrüchige. 
Coem.  Petri  et  Marcellini. 


*)  Lazarus:  Wilpert,  Malereien  43.  310  m.  Verz.    —    Jairustochter:   Wilpert  322. 

2)  Der  Gichtbrüchige:  Wilpert,  Malereien  42.  264.  218.  Die  Teilung  der  im  ganzen 
20  Exemplare  in  zwei  Klassen,  deren  eine  die  johanneische  Heilung  am  Schafteich  als  Taufsymbol,  die 
andere  das  synoptische  Rettungswunder  darstellen  solle,  ist  gesucht  und  angesichts  der  Gleichheit 
des  Typus  unhaltbar.  Auch  von  dem  für  die  zweite  Klasse  behaupteten  Ausdruck  des  Glaubens 
an  die  „Gottheit"  Christi  kann  keine  Eede  sein;  die  Erklärung  ist  doppelt  falsch,  es  müßte  heißen: 
Ausdruck  des  Glaubens  an  die  Seligkeit  durch  den  Sohn  Gottes. 


Erlösungstypen. 


227 


plausibler  zu  machen,  indem  er  die  Heilung  sich  fortschreitend  entwickeln  läßt:  beim 
ersten  Wegnehmen  der  Hände  sieht  der  Patient  die  Menschen  „wie  wandelnde  Bäume", 
das  meint  in  verschwimmenden  Umrissen,  beim  zweiten  sieht  er  dann  scharf.  Es  gibt 
nur  zwei  sichere  Bilder  der  Blindenheilung,  beide  aus  dem  dritten  Jahrhundert,  in 
Domitilla  (nur  in  der  Kopie  bei  Bosio  erhalten,  unsere  Abbildung)  und  in  Petrus  und 
Marcellinus;  im  ersten  berührt  oder  bestreicht  Jesus  die  Augen  mit  dem  Finger,  im 
zweiten  mit  der  ganzen  Hand.  In  beiden  Bildern  kniet  der  Blinde,  obwohl  die  Texte 
nichts  von  dergleichen  sagen;  es  mag  wohl  so  gemalt  sein,  weil  beides  Gegenstücke 
sind  zu  Malereien  mit  je  einer  knienden  Figur,  das  eine  Mal  glaubt  man  des  Aus- 
sätzigen, das  andere  Mal  der  Blutflüssigen.  Beide  Blinde  breiten  die  Hände  aus,  der 
erste  weniger  (das  kann  Gebärde  der  Bereitschaft  und  Erwartung  sein),  der  andere 
mehr:  da  spielt  sicher  das  typische  Orantenschema  der  Seligen  in  das  Prototyp.1) 


Heilung  des  Blinden.  Heilung  des  Aussätzigen. 

Coem.  Domitillae,  cubiculum  III. 

Soweit  erklären  sich  die  Rettungstypen  leicht;  es  gibt  aber  ein  paar,  die,  weil 
nicht  genügend  individualisiert,  Zweifel  übrig  lassen.  Der  eine  kommt  nur  ein  paar- 
mal vor:  ein  Mann  kniet,  auf  nur  einem  Knie,  vor  Jesus,  der  mit  geöffneter  Hand 
vor  ihm  steht  (unsere  Abbildung,  neben  der  des  Blinden).  Sicher  scheint,  daß  die 
Bitte  des  Mannes  von  Jesus  erfüllt  wird;  aber  um  welchen  Kranken  handelt  es  sich? 
Wilpert  denkt  an  den  Aussätzigen  Mk.  1,  10.  Mt.  8,  2.  Lk.  5,  12;  denn  dieser 
kniet  vor  Jesus  (so  bei  Markus;  bei  Matthäus  adoriert  er,  bei  Lukas  wirft  er  sich 
auf  sein  Gesicht  zu  Boden).  Aber  in  den  Evangelien  vollzieht  Jesus  die  Heilung 
durch  Berühren,  im  Bilde  nur  durch  sein  Wort.  Freilich  weicht  ja  auch  die  Heilung 
des  Blinden  von  den  Textworten  ab;  diese  Abweichung  jedoch,  das  Knien  des  Blinden, 
in  der  Tat  wohl  auf  künstlerischen  Gründen  beruhend,  ist  unerheblich,  durch  die  Be- 
rührung der  Augen  wird  die  Krankheit  unmißverständlich  gekennzeichnet.  Eine  ent- 
sprechend klare  Kennzeichnung  wird  in  unserem  Typus  vermißt.  Deutlicher  ist  die 
Darstellung  in  der  Malerei  einer  Gruft  an  der  Via  Latina;  da  berührt  Jesus  den 
Knienden  an   der  Schulter;    dies  meint  wohl  sicher  den  Aussätzigen.    —    Der  andere 


')  Blindenheilung:    Wilpert,  Malereien  54.  220  n.  1  und  2. 


15J 


228  Die  Erlösung. 

Typus  zeigt  einen  vor  Jesus  Stehenden;  er  ist  bekleidet,  meist  mit  der  ungegürteten 
Tunika,  und  breitet  die  Hände  seitwärts  aus,  anfangs  weniger,  später  mehr,  so  daß  er 
nun  fast  genau  das  Orantenschema  der  Seligen  wiedergibt  (Taf.  129,  2).  Einmal  hält 
Jesus  die  Zaubergerte  in  der  Linken  (Taf.  68,  3),  zum  Zeichen,  daß  es  sich  um  eine 
Heilung  handelt;  immer  legt  er  dem  Kranken  die  Hand  auf.  Wilpert  erklärt  ihn  als 
den  Blinden  nach  seiner  Heilung,  das  Handauflegen  sei  als  der  allgemeinste  Gestus 
für  Gnadenerweisungen  zu  betrachten.  Dagegen  spricht,  daß  die  Blind enheilung  in 
einem  verständlich  entworfenen  Typus  bereits  vorlag;  man  versteht  nicht,  wie  die 
Maler  dazu  gekommen  sein  sollen,  einen  zweiten  minderverständlichen  bildlichen  Aus- 
druck derselben  Sache  danebenzustellen.  Das  Handauflegen  ist  aber  doch  die 
Manipulation,  durch  welche  die  Heilung  vollbracht  wird,  wie  es  bei  der  kontrakten 
Frau  heißt:  „er  legte  ihr  die  Hände  auf  und  sofort  richtete  sie  sich  auf  Lk.  13,  13. 
Der  Gestus  schließt  also  die  Deutung  auf  einen  bereits  Geheilten  aus;  daß  etwa  Jesus 
einen  solchen  hinterher  noch  durch  Handauflegen  gesegnet  hätte,  wird  auch  nirgends 
gesagt,  der  Geheilte  hatte  seinen  Segen.  Es  käme  nun  darauf  an,  eine  bessere  Er- 
klärung zu  finden.  Könnte  es  der  Aussätzige  sein,  den  Jesus  allerdings  durch 
Berühren  heilt,  wenn  auch  nicht  gerade  durch  Handauflegen?  nicht  allzuschwer 
würde  das  Fehlen  des  Kniens,  als  eines  nebensächlichen  Moments,  in  die  Wagschale 
fallen.  Bei  der  verhältnismäßigen  Kleinheit  dessen,  dem  die  Hand  aufgelegt  wird, 
könnte  man  ferner  an  den  epileptischen  Knaben  denken;  freilich  wäre  die  sehr 
charakteristische  Schilderung  des  Vorfalls  im  Bilde  ersetzt  durch  das  ganz  allgemeine 
Schema  der  Heilung  mittels  Handauflegen.  Oder  könnte  endlich  das  Segnen  der 
Kinder  gemeint  sein  (Mk.  10,  16.  Mt.  19,  15)?  Die  Kinder  sind  da  Typen  solcher, 
die  in  das  Gottesreich  kommen,  das  heißt  in  den  Katakomben  in  den  Himmel.  Die 
in  einem  Exemplar  vorkommende  Zauberrute  würde  dabei  freilich  bedeutungslos  sein 
(nur  gedankenlos  aus  den  Heilungen  in  das  Bild  übertragen)  oder  geradezu  die  Macht 
des  Christus  über  den  Tod  andeuten.  Wir  halten  die  Frage  der  richtigen  Inter- 
pretation für  beide  Typen  vorläufig  offen.1) 

Der  Besessene  von  Gerasa,  Mk.  5,  1.  Mt.  8,  28.  Lk.  8,  26,  nicht  bei  Johannes. 
Markus  und  Lukas  lassen  nur  einen  Besessenen  auftreten,  bei  Matthäus  sind  es  zwei; 
ausgetrieben  wird  eine  „Legion"  Dämonen,  mit  Jesus'  Bewilligung  fahren  sie  in  eine 
Herde  Schweine,  die  sich  dann  ins  Meer  stürzt.  Der  Dämonische  war  tobsüchtig, 
Lukas  zufolge  hatte  er  seit  langer  Zeit  kein  Oberkleid  getragen;  aber  nach  der 
Heilung  saß  er  angezogen  und  vernünftig  bei  Jesus.  Es  gibt  nur  ein  Bild,  des  vierten 
Jahrhunderts.  Der  Maler  setzt  für  nichtangezogen  ohne  weiteres  nackt.  Er  stellt  das 
Zusammentreffen  dar  und  zwar  nach  Lukas;  bei  Jesus'  Nahen  lief  der  Besessene  herzu 
und  fiel  vor  ihm  nieder  (bei  Markus  adorierte  er  ihn  bloß),  er  kniet  auch  im  Ge- 
mälde. Jesus  legt  ihm  die  Hand  auf,  eine  Manipulation  statt  der  in  den  Evangelien 
gesprochenen  Worte.  Ein  ravennatisches  Mosaik,  das  der  Gruppe  die  Schweine  hinzu- 
fügt, bestätigt  die  Deutung.2) 


*)  Typus  eines  Knienden  (sog.  Aussätzigen):  Wilpert,  Malereien  222  Taf.  72,  2;  das  andere 
Exemplar  nur  bei  Garrucci,  Storia  II  Taf.  29,  4  (unsere  Abbildung  neben  dem  Blinden  als 
dem  Gegenstück).  Via  Latina:  Wilpert  539  Taf.  265.  266.  —  Typus  des  Stehenden  (sog.  ge- 
beilten Blinden):  Wilpert,  Malereien  221  n.  3—7. 

2)  Der  Besessene:  Wilpert,  Malereien  223  Taf.  246.  —  Mosaik  in  San  Apollinare  nuovo: 
Garrucci,  Storia  IV  248,  2. 


Erlösungstypen. 


229 


Die  Heilung  der  Blutflüssigen 
Mk.  5,  25.  Mt.  9,  20.  Lk.  8,  43, 
nicht  bei  Johannes.  Sie  tritt  von 
hinten  an  Jesus  heran  und  berührt 
sein  Gewand  (so  Markus),  den  Saum 
seines  Gewandes  (Matthäus  und 
Lukas).  Es  wird  nicht  gesagt,  daß 
sie  dabei  niederkniete,  war  es  aber 
der  Saum,  den  sie  berührte,  so  mußte 
sie  mindestens  sich  bücken.  Erst 
nach  der  Heilung,  da  Jesus  sich  um- 
wendet und  fragt,  wer  ihn  berührt 
habe,  kniet  sie  nieder  (dies  nur  bei 
Markus  und  Lukas).  Das  früheste 
Bild,  aus  dem  zweiten  Jahrhundert, 
zeigt  Jesus  mit  zwei  Jüngern  stehend; 
hinter  dem  Rücken  der  Jünger  auf 
den  Knien  herankommend  berührt 
die  Frau  den  Saum  von  Jesus'  Gewand  (unsere  Abbildung  und  Wilpert  Taf.  20). 
Das  Knien  entspricht  nicht  dem  Text,  ist  aber  innerlich  nicht  falsch,  erscheint  auch 
in  der  Geschichte,  bei  Markus  und  Lukas,  allerdings  erst  an  späterer  Stelle.  Die 
Darstellung  aber  ist  so  treffend,  gerade  das  Herankommen  von  hinten  und  das  ver- 
stohlene Anfassen  des  Kleides,  daß  es  jede  andere  Deutung  ausschließt;  denn  man 
hatte  auch  an  die  Kananäerin  Mk.  7,  25  gedacht,  die  sich  vor  Jesus  niederwirft,  aber 
sie  tut  es  nicht  hinter  seinem  Rücken  und  berührt  nicht  sein  Gewand.  In  jüngeren 
Exemplaren  unseres  Typus  fehlen  die  zwei  Jünger,  Jesus  ist  allein  mit  der  Frau,  die 
den  Mantel  über  den  Kopf  gezogen  hat;  in  anderen  Spielarten  des  Bildes  hält  Jesus 
den  Zauberstab  in  der  Hand  und  die  seit  zwölf  Jahren  Blutflüssige  ist  im  Gesicht  als 
alt  gezeichnet.1) 


Heilung  der  Blutflüssigen. 
Coem.  Praetextati. 


Erlösungsmittel. 

In  einigen  Fällen  des  Gelages  fanden  wir  eine  Reihe  Körbe  dazu  gemalt,  gefüllt 
mit  denselben  Brötchen,  die  in  den  Mahlszenen  bei  oder  auf  den  Schüsseln  zu  liegen 
pflegen.  Wir  fragen  nach  Herkunft  und  Bedeutung  dieser  Brotkörbe  und  sagten 
sofort,  sie  kämen  aus  dem  Mythus  der  wunderbaren  Speisung  der  Tausende,  wie  sie 
die  Evangelien  erzählen,  wenn  schon  in  der  Katakombenmalerei  das  Gelage  selbst  in 
das  Jenseits  versetzt  sei.  Dieselben  Brotkörbe  nun  bilden  den  Hauptgegenstand  eines 
besonderen  bildlichen  Typus,  der  unter  dem  Namen  der  Brotvermehrung  oder  des 
Brotwunders  geht. 

Der  bildliche  Typus,  abgesehen  von  dem  Mahle,  zeigt  die  Reihe  der  vollen  Brot- 
körbe, meist  sieben,  dazwischen  oder  dazugestellt  aber  die  Gestalt  des  Christus,  der 
mit  einem  Stäbchen  einen  der  Körbe  berührt  (Wilpert,  Taf.  45,  1.  54,  2).  Der  Sinn 
ist,   daß   er  eben   die  wunderbare  Vermehrung  der  Brote  bewirkt  und  zwar  vermittels 


x)  Blutflüssige:   Wilpert,  Malereien  216. 


230  Die  Erlösung. 

des  Zauberstäbchens.  —  Es  kommen  einige  Varianten  des  Typus  vor:  einmal  steckt  in 
jedem  Korb  nur  ein  Brot,  Wilpert,  S.  295  Fig.  23,  ein  andermal  soll  Jesus  zwei 
Stäbchen  halten,  in  jeder  Hand  eins,  doch  scheint  das  zweifelhaft,  Taf.  115;  oder 
er  bewirkt  das  Wunder  mit  der  bloßen  Hand,  ohne  Stäbchen,  Taf.  142,  2,  und 
was  dergleichen  unwesentliche  Nuancen  mehr  sind.  In  die  Augen  springt  die 
Abweichung  vom  Speisungswunder  der  Evangelien:  dort  waren  die  Tausende 
gelagert,  Jesus  hatte  nur  wenige  Brote  und  Fische,  die  unter  seiner  Hand  nach 
dem  mythologischen  Schema  des  Öls  der  Witwe  und  der  Brote  des  Elisa  Kön.  II  4 
sich  wunderbar  vermehrten,  so  wunderbar,  daß  nicht  bloß  die  Menge  satt  wurde, 
sondern  die  aufgesammelten  Brocken  noch  sieben,  oder  zwölf  Körbe  füllten;  hier 
dagegen  fehlt  das  Gelage  der  Tausende,  die  Brotvermehrung  ist  als  selbständiges 
Wunder  erzählt,  eine  wunderbare  Füllung  leerer  Körbe,  bewirkt  durch  einen  Zauber- 
stab. Ein  solcher  Parallelmythus  zum  Speisungswunder  hätte  ganz  wohl  sich  bilden 
können;  da  die  Evangelientradition  aber  von  dergleichen  nichts  weiß,  so  scheint  der 
Maler,  der  die  Unerschöpflichkeit  bildnerisch  nicht  ausdrücken  konnte,  ihn  fingiert  zu 
haben.     Der  Typus  steht  dem  Weinzauber  zu  Kana  näher.1) 

Neben  die  wunderbare  Brotvermehrung  stellt  sich  der  Weinzauber,  die  Ver- 
wandlung des  Wassers  in  Wein  nach  der  Erzählung  von  der  Hochzeit  zu  Kana  Joh. 
Kap.  2.  Wir  gedachten  der  Hochzeit  zu  Kana  oben  als  des  frühesten  Mahlbildes 
in  Pietro  e  Marcellino.  Die  in  den  älteren  Gelagszenen  typischen  sieben  Gäste  ruhen 
am  Sigma.  Im  Vordergrund  links  kommt  ein  Aufwärter  mit  einer  Schüssel,  rechts 
aber  steht  der  Christus  und  berührt  mit  dem  Zauberstäbchen  einen  der  sechs  Misch- 
krüge, die  vor  ihm  stehen  (es  sind  henkellose  Kratere).  Typologisch,  so  sagten  wir, 
ist  das  Bild  durchaus  ein  Seligenmahl,  nur  erweitert  durch  Hinzufügung  des  Wein- 
wunders. Das  Hochzeitsmahl  des  himmlischen  Bräutigams  war,  soweit  die  uns  erhaltene 
Literatur  zu  urteilen  erlaubt,  der  Keimpunkt,  aus  welchem  die  johanneische  Hochzeit 
zu  Kana  entstand;  das  als  künftig  und  jenseitig  gedachte  Mahl  des  himmlischen 
Bräutigams  wurde  mythisiert,  zurückgespiegelt  in  die  diesseitige  Gegenwart  des  Christus, 
der  als  Thaumaturg  einen  übernatürlichen  Wein  zu  dem  Gelage  zaubert.  Nur  ist  er 
dann  nicht  mehr  der  Bräutigam,  sondern  er  gibt  gleichsam  die  Hochzeit,  genau  gesagt 
ist's  der  Wunderwein,  den  er  gibt.  Der  Maler  aber  hat,  um  die  Hochzeit  zu  gestalten, 
auf  den  Typus  des  jenseitigen  Mahls  der  Seligen  zurückgegriffen;  und  um  die  Hochzeit 
als  die  zu  Kana  zu  charakterisieren,  hat  er  den  besonderen  Typus  des  Weinzaubers 
hinzugefügt.  —  Ähnliches  scheint  sich  bei  dem  Mahlbild  von  der  Via  Latina  wieder- 
holt zu  haben;  es  gehört  ins  vierte  Jahrhundert  und  steht  unmittelbar  über  dem 
Grabtrog.  Es  sollen  hier  zwölf  Gäste  sein,  der  erste  freilich  ist  in  der  Abbildung  nur 
zu  ahnen.  Links  vom  Gelag  steht  eine  Orantenfigur,  rechts  der  Christus  mit  dem 
Stäbchen.  Aber  welches  Wunder  bewirkt  er,  den  Brot-  oder  den  Weinzauber?  Die 
entscheidende  Stelle  der  Malerei  ist  durch  ein  nachträglich  eingehauenes  Fachgrab  leider 
zerstört.  Wilpert  entscheidet  sich  für  die  Brotvermehrung,  Christus  berühre  mit  dem 
Stabe  einen  der  Brotkörbe,  welche  „bis  auf  den  obersten  auf  der  linken  Seite"  dem 
Fachgrab  zum  Opfer  gefallen  seien.     Soweit  die  schwer  zu  entziffernden  Abbildungen 


*)  Wilpert,  Malereien  45.  292,  mit  Verzeichnis  von  28  Exemplaren  aus  dem  dritten  und 
vierten  Jahrhundert;  dazu  das  allerdings  problematische  Exemplar  von  der  Via  Latina,  Wilpert, 
Seite  539. 


Erlösungsmittel.  231 

etwas  erkennen  lassen,  ist  oberhalb  des  Stäbchens,  aber  vielleicht  auch  außerhalb 
seines  Bereichs,  etwas  vorhanden,  was  allenfalls  für  den  Oberteil  eines  Brotkorbes 
gelten  kann;  dagegen  sieht  man  unterhalb  des  Stäbchens  ziemlich  deutlich  (deutlicher 
in  der  Gesamtansicht  des  Arkosols)  die  Mündung  eines  Kraters,  der  sowohl  denen 
der  vorbesprochenen  Hochzeit  zu  Kana  gleich  gewesen  sein  könnte  wie  auch  dem  beider- 
seits unseres  Bildes  von  schlanken  Pflanzenstengeln  gleichsam  als  Blüten  getragenen, 
allerdings  mit  Ringhenkeln  versehenen  (hier  gedenkt  man  der  im  Elysium  von  Bäumen 
zu  pflückenden  Becher  bei  Lucian).  Dann  hätten  wir  im  Gemälde  von  der  Via 
Latina  eine  Analogie  zur  „Hochzeit  zu  Kana".  Doch  möchten  wir  nichts  entscheiden. 
—  Die  zwei  Wunder,  Brotvermehrung  und  Wasserverwandlung,  sind  noch  im  dritten 
Jahrhundert  in  Pietro  e  Marcellino  als  Pendants  sich  gegenübergestellt  worden. 
Höchstens  hypothetisch  läßt  sich  das  Bilderpaar  an  der  Eingangswand  der  Gruft  33 
rekonstruieren;  erhalten  ist  es  an  den  Laibungen  eines  Arkosols:  links  sieht  man  das 
Brot-,  rechts  das  Weinwunder.  Beide  sind  rechte  Gegenstücke,  auch  formal;  der 
Christus  mit  dem  Zauberstab  ist  in  beiden  Bildern  derselbe,  und  den  Brotkörben  des 
einen  entsprechen  die  Mischkrüge  des  anderen  Typus.1) 

Abgekürzte  Darstellungen  oder  Anspielungen  auf  Brot-  und  Weinzauber  in  ihrer 
Gegenüberstellung  sind  gewiß  vorgekommen;  doch  hat  es  mit  allem,  was  derart  ange- 
führt wird,  besondere  Bewandtnis.  Im  Coeni.  maius  sind  in  die  verhältnismäßig  kleine 
Lünette,  des  Arkosols  in  Gruft  I,  sieben  Gefäße  abgestumpft-konischer  Gestalt  neben 
zwei  spitzendigenden  Kannen  gemalt;  Wilpert  sieht  in  den  Gefäßen  Körbe,  so  daß 
hier  sieben  Körbe  und  zwei  Kannen  auf  Brot-  und  Weinwunder  anspielten.  Doch 
sind  die  Gefäße  so  klein  im  Verhältnis  zu  den  Kannen,  daß  man  sie  eher  für  Becher 
halten  möchte.  —  In  Domitilla  stehen  links  von  einer  zentral  angeordneten  Orans 
sieben  Körbe,  denen  rechts  sechs  Mischkrüge  entsprochen  haben  mögen;  sie  sind  jetzt 
verblichen.  —  In  Pietro  e  Marcellino,  im  Scheitelrund  eines  Bogens,  thront  Christus 
zwischen  einem  mit  Broten  gefüllten  Kasten  und  drei  Mischkrügen.  Der  Brotkasten 
ist  in  der  Malerei  Unikum.2) 

Brot-  und  Weinzauber  treten  beide  im  früheren  dritten  Jahrhundert  auf,  also 
ungefähr  gleichzeitig.  Da  erhebt  sich  die  Frage  nach  dem  Ursprung  der  zwei  so 
übereinstimmenden  Typen:  welcher  wurde  zuerst  geschaffen  und  diente  dem  anderen 
zum  Vorbild?  Da  die  gereihten  Brotkörbe,  ohne  den  zaubernden  Christus,  schon  im 
zweiten  Jahrhundert  erscheinen,  so  liegt  es  nahe,  die  Brotvermehrung  als  den  früher 
geschaffenen  Typus  und  das  Weinwunder  als  ihm  nachgeschaffen  zu  denken.  Indessen 
muß  man  berücksichtigen,  daß  der  Typus  des  Brotwunders  allzustark  von  den  evange- 
lischen Darstellungen  des  Speisungswunders  abweicht,  als  daß  man  ihn  rein  von  dort 
aus  entstanden  glauben  könnte;  er  muß  das  neue  Element,  den  zaubernden  Christus, 
anders  woher  genommen  haben.  Der  Typus  des  Weinwunders  hingegen  ist  ein  ver- 
hältnismäßig unmittelbarer,  bildlicher  Ausdruck  des  johanneischen  Vorgangs  der 
magischen  Wasserverwandlung.  Daher  muß  die  Frage  offen  gehalten  werden,  ob  nicht 
das  Weinwunder  zuerst  gestaltet  und  ihm  dann  unter  Benutzung  der  von  früheren 
Malern  geschaffenen  Brotkörbe  der  Typus  des  Brotwunders  nachgebildet  sei. 


1)  Kana:  Wilpert,  Malereien  301  f.  Taf.  57.     Via  Latina:  eb.  538  f.  Taf.  265.  267.    Gruft  33: 
eb.  303  Taf.  105,  2.     Arkosol:  eb.  302  Taf.  186,  1. 

2)  Maius:    Bosio,  Roma  sott.  447.     Garrucci,  Storia  II  Taf.  60,  2.     Wilpert,  Mal.  301  Fig.  26. 
—  Domitilla:  Wilpert  305  Taf.  92,  1.  —  Pietro  e  Marcellino:  Wilpert  306  Taf.  166,  1. 


232  Die  Erlösung. 

Eine  abgekürzte  Darstellung  anderer  Form,  aber  verwandten  Inhalts,  fügen  wir 
an.  Brotkorb  nämlich  und  Fisch,  zusammengestellt  auf  grüner  Fläche,  finden  sich 
an  einem  Fachgrab  des  Hypogaeums  Lucinae  zweimal,  in  symmetrischer  Gegenüber- 
stellung. De  Rossi  meinte,  der  Fisch  schwimme  in  Wasser  und  trage  den  Brotkorb 
auf  dem  Rücken;  der  Fisch  bedeute  den  Christus,  der  die  geistige  Speise,  das  Brot, 
trage  oder  bringe.  Jeder  Archäologe  mußte  sich  schon  immer  sagen,  der  Fisch 
schwimme  nicht  in  Wasser,  sondern  liege  auf  grünem  Rasen,  und  den  Brotkorb  trage 
er  nicht,  sondern  er  liege  neben  ihm.  Nun  hat  Wilpert  eben  dies  als  das  Tatsächliche 
festgestellt,  und  seine  photographische  Reproduktion  bestätigt  es:  der  Fisch  liegt 
hinter  dem  Brotkorb,  mit  diesem  auf  demselben  Rasen.  Nun  bleibt  noch  ein  dunkler 
Punkt.  Der  Korb  sieht  vorn  aus  wie  durchbrochen  gearbeitet,  und  in  den  Durch- 
brechungen steht  rote  Farbe.  De  Rossi  erklärt  sie  für  Rotwein,  der  in  einem  Glase 
innen  im  Korbe  stehe;  es  sei  also  Brot  und  Wein  gemalt,  die  zwei  Gestalten  der 
Eucharistie,  welche  der  Fisch,  das  ist  Christus,  trage.  Wie  soll  man  sich  das  aber 
vorstellen?  in  einem  mit  Brötchen  gefüllten  Korb  soll  ein  Glas  Rotwein  stehen?  Das 
ginge  nicht  ohne  höhere  Magie.  Oder  soll  das  Glas  Rotwein  in  einen  leeren  Korb 
gestellt  und  auf  dessen  Rand  nur  eine  Platte  mit  Brötchen  gesetzt  sein?  Solch  ein 
Rationalismus  wäre  zu  dumm.  Man  könnte  noch  fragen,  ob  der  Korb,  wenn  er  wirk- 
lich durchbrochen  gearbeitet  ist,  etwa  nur  mit  rotem  Stoff  gefüttert  wäre,  in  der  Art 
unserer  eleganteren  Papierkörbe;  aber  von  so  künstlich  gearbeiteten  Körben,  vollends 
Brotkörben,  gibt  es  im  ganzen  Altertum  keine  Spur.  Wilpert  jedoch  will  „ganz 
deutlich  einen  dicken  Glasbecher  erkennen".  An  dem  Bildchen  links  ist  in  der  Tat  so 
etwas  sichtbar.  Diese  schattenhafte  Spur  eines  sehr  großen  Weinglases,  das  übrigens 
einen  Stielfuß  haben  müßte,  ist  aber  breiter  als  die  durchbrochen  gearbeitete  Stelle, 
das  Weinglas  stände  also  nicht  im  Korb,  sondern  davor.  Nur  müßte  dann  aber 
auch  von  dem  Stielfuß  eine  Spur  erkennbar  sein,  mindestens  im  Grase;  das  scheint 
aber  nicht  der  Fall  zu  sein.  Fiele  der  Wein  fort,  so  gehörte  das  Motiv  zu  den  Mahl- 
bildern, als  deren  Abbreviatur;  andernfalls  verbände  es  mit  den  Speisen  der  Mahle, 
Brot  und  Fisch,  den  in  der  Hochzeit  zu  Kana  eingeführten  Wein.1) 

Die  Samariterin  am  Brunnen  in  ihrer  Unterredung  mit  Jesus,  Joh.  4.  Diese 
Szene  kommt  nicht  oft  vor,  aber  zwei  Exemplare  stammen  noch  aus  dem  zweiten 
Jahrhundert.  Der  Brunnen  ist  dargestellt  als  Mündung  einer  Zisterne,  zylinderförmig 
ragt  sie  aus  dem  Boden;  man  schöpfte  daraus  mittels  eines  Eimers,  den  man  an 
einem  Strick  hinabließ.  Also  ein  Ziehbrunnen.  Solche  Brunnenränder  aus  Marmor, 
Puteale,  in  deren  innere  Kante  die  laufenden  Seile  oft  Rillen  eingeschliffen  haben,  sind 
aus  dem  Altertum  erhalten.  Im  ältesten  Bild  hält  die  Samariterin  eine  Trinkschale  in 
den  Händen,  während  der  vor  ihr  stehende  Christus,  in  Leibrock  und  ausnahmsweise 
rotem  Mantel,  zu  ihr  spricht  Taf.  19;  in  einem  späteren  Exemplar  hält  sie  den  Eimer 
am  Strick  über  der  Brunnenmündung  Taf.  54,  2.  Diesmal  steht  sie  allein,  ohne  den 
Christus,  als  Gegenstück  zu  einer  anderen  Einzelfigur;  beide  bilden  Bestandteile  des 
größeren  Arrangements  an  der  Frontwand  eines  Nischengrabes  (in  Domitilla,  Gruft  III). 
Jedes  der  drei  Bilder  wird  von  einem  eigenen  Rahmen  umschlossen,    ist    also  in    sich 

*)  De  Rossi,  Roma  sott.  I  Taf.  8.  Wilpert,  Malereien  288  Taf.  27,  1.  28.  Ein  pompejanisches 
Stilleben  mit  Brot  und  einer  Flasche  Rotwein  bei  Presuhn,  Pompeji  1882  Abt.  VIII  S.  6  Taf.  7. 
Vgl.  die  Überlieferung  von  der  durchscheinenden  Glasschale,  die  Pausias  malte,  Paus.  II  27,  3, 
dazu  Six  im  Archäol.  Jahrbuch  1905,  162  mit  Belegen. 


Erlösungsmittel. 


233 


Samariterin  am  Brunnen. 
Coem.  Praetextati. 


abgeschlossen:  im  größeren  Mittelbild  über 
der  Nische  sehen  wir  das  Brotwunder,  im 
Nebenfeld  links  die  Samariterin  am  Brunnen, 
rechts  den  Christus  noch  einmal,  und  zwar 
in  einer  dritten  Variante  des  Brotzaubers,  er 
trägt  die  aus  den  Speisungsgeschichten  be- 
kannten fünf  Brote  in  einem  Bausch  seines 
Mantels.  Das  Schema  der  Gestalt  erinnert 
an  den  Antinous  im  Museum  des  Lateran, 
der  Blumen  und  Früchte  im  Gewandbausch 
trägt;  ähnlich  wird  auch  die  Höre  des  Früh- 
lings abgebildet.  Blumen  und  Früchte 
sammelte  man  im  Gewandbausch,  daher  der 
Typus  der  Höre  und  sekundär  des  Antinous. 
Solchen  heidnischen  Göttern  ist  dann  der 
Christus  nachgebildet,  mit  den  Broten  im 
Gewandbausch.  Es  ist  der  johanneische 
Christus,  er  trägt  das  Brot  des  Lebens,  Joh.  Kap.  6,  wo  sich  die  Rede  vom  Brote 
des  Lebens  an  die  Erzählung  vom  Speisungswunder  anschließt.  Unser  Mittelbild,  die 
Brotvermehrung,  und  das  rechte  Nebenbild,  der  Christus  mit  den  fünf  Broten  im 
Bausch,  führen  das  Brot  des  Lebens  vor  Augen,  das  linke  Nebenbild,  die  Samariterin 
am  Brunnen,  das  johanneische  Wasser  des  Lebens.  Nicht  als  ob  die  Samariterin  das 
„Wasser  des  Lebens"  aus  der  Zisterne  schöpfte;  gerade  im  Gegensatz  zum  Zisternen- 
wasser ist  das  „Wasser  des  Lebens"  vielmehr  als  Quellwasser  gedacht  und  wird  vom 
Christus  geboten.  Die  Einzelfigur  der  Samariterin  am  Brunnen  wurde  vom  Maler 
gewählt  als  in  der  Kürze  deutlichste  Vergegenwärtigung  der  ganzen  Szene,  in  der 
dem  Christus  die  Hauptrolle  zufällt.  Immerhin  mag  der  Typ  bisweilen  mißverstanden 
worden  sein,  als  ob  das  Brunnenwasser  das  Wasser  des  Lebens  sei.1) 

Moses'  Quellwunder.  Als  es  den  Israeliten  in  der  Wüste  an  Trinkwasser 
fehlte,  da  schlug  Moses,  auf  des  Herrn  Geheiß,  mit  dem  Stabe,  mit  dem  er  in  Ägypten 
bei  den  Plagen  in  den  Fluß  geschlagen  hatte,  den  Fels;  es  kam  Wasser  daraus,  und 
die  Israeliten  tranken  Exod.  17.  Der  bildliche  Typus,  unmittelbar  ansprechend  als 
ein  Bild  der  Errettung  aus  Todesnot  und  zugleich  der  Erquickung  in  der  Seligkeit, 
gehört  zu  den  am  häufigsten  gemalten,  Wilpert  zählt  68  Exemplare,  sie  reichen  vom 
Anfang  des  zweiten  bis  zum  Ende  des  vierten  Jahrhunderts  (das  älteste  Exemplar  bei 
Wilpert  Taf.  13.  Vgl.  unsere  Abbildungen  Seite  154  und  155).  Moses,  in  der 
Regel  bartlos,    bärtig  nur  in  einigen   Exemplaren    der  letzten   Zeit   (Wilpert  Taf.  122, 


x)  Samariterin  am  Brunnen:  Wilpert,  Malereien  224.  423.  Wilpert  bringt  auch  hier  die 
Bilder,  so  wenige  es  sind,  unter  zwei  verschiedene  Bubra  verteilt;  die  einen  versteht  er  als  Ausdruck 
des  Glaubens  an  Jesus  als  den  verheißenen  Messias,  die  andern  als  Ausdruck  des  Gebets,  daß 
Gott  den  Verstorbenen  das  Befrigerium  verleihen  möge.  Der  Glaube  an  Jesus  als  den  Christus 
ist  selbstverständliche  Voraussetzung  aller  Katakombenbilder;  wiederum  alle  sind  nicht  Ausdruck 
eines  Gebetes,  sondern  der  festen  Zuversicht,  daß  die  Verstorbenen  des  Brotes  und  Wassers  des 
Lebens  teilhaft  geworden  sind.  —  Frühlingshore:  Bapp  in  Boschers  Lexikon  I  2736.  — 
Antinous:  Heibig,  Führer  in  Bora2  I  n.  653  (Antinous  als  Vertumnus?).  Wernicke  bei  Pauly- 
Wissowa  I  2441. 


234 


Die  Erlösung. 


1.  143,  2.  186,  2  usf.),  schlägt  mit  dem  Stab  an  den  Felsen  und  es  springt  ein 
reicher  Wasserstrom  hervor.  Der  Stab  ist  nicht  etwa  der  große,  wie  ihn  die 
Männer  zu  führen  pflegten,  auch  Moses  in  den  Auszugsgeschichten  (das  griechische 
Skeptron),  sondern  es  ist  dasselbe  kürzere  Stäbchen,  das  wir  in  den  Wunder- 
geschichten öfter  in  der  Hand  des  Christus  sahen,  der  Zauberstab.  Im  Bilde  mußte 
das  aus  dem  Fels  hervorbrechende  Quell wasser  als  die  Hauptsache  gelten,  nötig 
war  noch  die  Gestalt  des  den  Fels  schlagenden  Moses,  andere  Israeliten  sind  in  der 
Regel  nicht  hinzugefügt.  Letztere  treten  erst  mit  dem  vierten  Jahrhundert  in  das 
Bild  ein;  im  ersten  Beispiel  wurde  hierzu  der  Typus  geändert:  Moses  schlägt  nicht 
an  den  Fels,  sondern  führt  einen  Israeliten  an  der  Hand  zum  Quell  (Taf.  119,  1).     In 


Moses  auf  dem  Berge  Horeb.     Moses'  Quellwuuder. 
Coem.  Callisti,  cripta  delle  pecorelle. 


fünf  anderen  Bildern  ist  je  ein  Israelit  trinkend  dargestellt;  er  beugt  sich  zum  Wasser 
vor  und  faßt  es  mit  den  Händen  auf  (Taf.  237,  2  und  unsere  Abbildung).  Die  Figur 
des  trinkenden  Israeliten  ist  wichtig  für  die  Deutung  des  Bildes:  der  Quell  aus  dem 
Fels  war  zum  Trinken  bestimmt,  wie  in  der  Erzählung  des  Exodus,  so  auch  in  der 
Katakombenmalerei.  Mehrmals  finden  wir  den  Quellzauber  neben  das  Brotwunder  oder  auch 
ihm  als  Gegenstück  gegenübergestellt  (in  der  „ Bäckergruft "  Taf.  142,  2,  in  der  Cripta 
delle  pecorelle  Taf.  237),  mit  anderen  Worten,  das  Wasser  des  Lebens  dem  Brot  des 
Lebens.  In  der  „Samariterin  am  Brunnen"  kam  nicht  das  Wasser  des  Lebens  selbst 
zur  Darstellung,  sondern  die  Szene,  in  der  Jesus  davon  spricht;  dagegen  im  Quell- 
wunder wird  das  Quellwasser  selbst  gemalt.1) 


*)  Moses'  Quellwunder:  Wilpert,  Malereien  266  m.  Verz.  Er  sieht  in  dem  Typus  meist 
ein  Taufsymbol;  die  Begründung  entnimmt  er  nicht  dem  Bilde  selbst,  sondern  seiner  jeweiligen 
Zusammenstellung  mit  gewissen  anderen  Typen.  Daneben  läßt  er  für  einige  Exemplare  der 
späteren  Zeit  zwei  andere  Bedeutungen  gelten:  als  Bettungstypus,  insofern  die  Israeliten  vor  dem 
Verdursten  gerettet  wurden,  und  als  Bilder  der  Erfrischung  im  Jenseits,  des  Refrigeriums,  Erklä- 
rungen, die  beide  ungezwungen  und  für  den  ganzen  Typus  zutreffend  sind;  durch  die  Beziehung 
auf  das  in  das  ewige  Leben  springende  „  Wasser  des  Lebens"  werden  sie  nicht  aufgehoben,  nur 
spezifiziert. 


Erlösungsmittel.  235 

Der  Mannaregen,  Exod.  16, 13  ff.  Es  gibt  nur  ein  spätes  Exemplar  des  Typus, 
Wilpert  Taf.  242,  2.  Vier  Israeliten  stehen  in  der  Wüste,  zwei  links,  zwei  rechts,  und 
fangen  das  wie  Schneeflocken  (sie  sind  blau  gemalt)  vom  Himmel  fallende  Manna  im 
Gewandbausch  auf.  Das  ist  eine  Abweichung  vom  Text,  der  das  Manna  jeden  Tag 
mit  dem  Morgentau  fallen  und  danach  durch  die  Israeliten  vom  Boden  auflesen  läßt. 
Im  Grunde  ist  auch  dies  ein  Rettungsbild,  es  handelt  sich  um  Rettung  von  drohendem 
Hungertode.  Weil  es  nun  aber  eine  Rettung  durch  wunderbar  (und  zwar  wiederum 
gegen  den  Text  vom  Himmel  herab)  gespendete  Speise  ist,  so  glauben  wir  den  Sinn 
der  Christen  des  vierten  Jahrhunderts  zu  treffen,  wenn  wir  den  Typus  in  den  gegen- 
wärtigen Zusammenhang  stellen.1) 

Die  Taufe.  Johannes  verlangte  Umkehr,  dann  sollten  die  Sünden  vergeben 
sein,  sonst  würde  das  göttliche  Strafgericht  die  Sünder  treffen,  jenes  Gericht,  welches 
die  Propheten  den  Feinden  Israels  anzudrohen  pflegten.  Als  ein  sinnfälliges  Zeichen 
der  Umkehr  im  Sinne  einer  Reinigung  vom  Unsittlichen  (ob  in  ritualistischer  Auf- 
fassung, das  lassen  wir  dahingestellt)  wählte  er  wie  andere  das  Bad,  er  tauchte  die 
Willigen  im  Flusse  unter.  Jesus  taufte  nicht;  wo  unter  dem  Zauber  seiner  Persön- 
lichkeit die  Herzen  auftauen,  was  braucht  es  da  Zeremonien,  geschweige  denn 
ritualistische?  Sobald  er  den  Seinen  fehlte,  sank  alles  von  dem  gehobenen  Zustand 
auf  das  gewöhnliche  Niveau  herab;  die  Führer  einer  nun  erst  zu  sammelnden  und  zu 
organisierenden  Gemeinde  glaubten  eines  Aufnahmeverfahrens  nicht  entraten  zu  können 
und  nahmen  die  Taufe  des  Johannes  in  den  sakralen  Gebrauch  auf,  denn  es  sollte 
eine  Gemeinde  von  Reinen,  Heiligen  sein  (daß  die  Jünger  selbst  Getaufte  gewesen 
seien,  ist  nirgends  gesagt).  Und  sie  wußten  einander  zu  erzählen,  Jesus  habe  sich  wie 
die  andern  von  Johannes  im  Jordan  untertauchen  lassen;  und  indem  er  aus  dem 
Wasser  wieder  herausstieg,  da  habe  er,  Jesus,  gesehen,  wie  der  Himmel  sich  teilte  und 
der  Geist  wie  eine  Taube  auf  ihn  herabkam.  Was  Markus  und  Matthäus  nur  Jesus 
sehen  lassen,  das  erzählt  Lukas  als  allgemein  sichtbaren  Vorgang,  und  der  vierte 
Evangelist,  der  Jesus'  Taufe  nicht  kennt  oder  leugnet,  läßt  den  Täufer  förmlich 
bezeugen,  er  selbst  habe  den  Vorgang  beobachtet  und  Gott  habe  ihn  über  ihre  Be- 
deutung aufgeklärt.     Mk.  1,  9.    Mt.  3,  13.    Lk.  3,  21.    Joh.  1,  32. 

In  der  Cappella  greca  ist  die  Deckenmalerei  meist  mit  dem  Stuck  herabgefallen; 
von  dem  Bild  der  einen  Decke  blieb  nur  etwas  Weniges  haften;  Wilpert  erkennt 
Wasser  und  vermutet,  es  habe  zu  einer  Darstellung  der  Taufe  gehört,  sei  es  der 
Jordantaufe  oder  der  kirchlichen.  Es  würde  das  älteste  Taufbild  sein,  aber  es  ist 
nichts  damit  zu  machen.  Die  frühesten  Bilder,  die  wir  haben,  gelten  der  Jordan- 
taufe, die  späteren  mehr  dem  kirchlichen  Ritus.  Im  ältesten  Exemplar  ist  das  Wasser 
des  Flusses  sehr  breit  und  das  Heraussteigen  des  als  nackter  Jüngling  gegebenen 
Jesus  recht  lebendig  geschildert;  der  Täufer,  in  der  Exomis,  reicht  ihm  vom  mählich 
ansteigenden  Ufer  aus  behilflich  die  Hand,  so  etwa  wie  Jesus  beim  Gehen  auf  dem 
See  dem  versinkenden  Petrus  die  Hand  reichen  würde  nach  Mt.  14,  31.  Die  Taube 
fliegt  von  links  oben  nach  dem  nach  rechts  gewendeten  Jesus  hin,  so  daß  er  sie 
nicht  sieht;  der  Maler  dachte  sich  mit  Lukas  die  Erscheinung  der  Taube  als  allgemein 
sichtbaren  Vorgang  (Wilpert  Taf.  29,  1  und  unsere  Abbildung).  Während  die  Auf- 
fassung dieses  Bildes  durch   die  Evangelien  bestimmt  scheint,  lehnen  sich  die  übrigen 


*)  Man n aregen:   Wilpert  Malereien  388. 


236 


Die  Erlösung. 


Jesus'  Taufe  im  Jordan. 
Hypogaeum  Lucinae,  Gruft  Y. 


Darstellungen  der  Taufe 
wohl  mehr  an  den  kirch- 
lichen Ritus  der  früh- 
christlichen Zeit  an. 
Der  Täufling,  nackt,  in 
den  Proportionen  eines 
Knaben,  steht  mit  dem 
Taufenden  in  einem 
flachen  Wasser ;  letzterer 
hat  die  Hand  auf  dem 
Kopf  des  Täuflings 
liegen.  Der  Gestus  war 
ursprünglich  zur  Tauf- 
handlung wesentlich; 
denn  Johannes  tauchte 
die  Leute  im  Flusse 
unter,  also  doch  mit 
seiner  Hand,  sie  kamen, 
um  sich  „von  ihm  unter- 
tauchen zu  lassen".  Die 
Prozedur  wurde  mit  der 

Zeit  schrittweis  gemildert,  schließlich  auf  eine  bloße  Andeutung  eingeschränkt;  da 
mochte  denn  auch  die  Hand  auf  dem  Kopf  ihre  Bedeutung  ändern.  Auf  Jesus'  Taufe 
werden  die  Bilder  bezogen,  in  denen  die  Taube  vorkommt  und  der  Taufende  nur 
Exomis  oder  Lendentuch  trägt  (Wilpert  Taf.  27,  3).  Im  dritten  Jahrhundert  kam 
es  auf,  die  Taube  senkrecht  von  oben  auf  Jesus  herabfliegen  zu  lassen,  was  dann 
typisch  wurde.  In  dem  ersten  Exemplar  dieser  neuen  Anordnung  steht  Jesus,  auch 
hier  knabenhaft  gebildet,  mit  ausgebreiteten  Händen  betend.  Es  kann  wieder  durch 
Lukas  eingegeben  sein,  der  ihn  nach  der  Taufe  anbeten  läßt,  wo  dann  der  Himmel 
sich  öffnet  und  die  Taube  kommt;  es  kann  aber  auch  hier,  wie  sonst  so  oft,  bei 
Daniel,  Noah  usf.,  das  Orantenschema  der  Seligen  in  das  Prototyp  eingedrungen  sein; 
denn  Jesus  ist  hier  der  Erstling  der  Getauften  und  Heiligen,  derer,  denen  die  Selig- 
keit gewiß  ist.1) 

Den  kirchlichen  Taufritus  meinen  diejenigen  Taufbilder,  in  denen  die  Taube 
fehlt  und  der  Taufende  „angezogen"  ist,  also  Rock  und  Mantel,  richtiger  Leibrock  und 
Überrock  trägt  (unsere  nächste  Abbildung).  Die  knabenhafte  Bildung  des  Täuflings  ist 
von  der  Darstellung  des  Ritus  in  diejenige  der  Jordantaufe  übergegangen;  Wilpert 
erklärt  sie  daraus,  daß  die  Taufe  als  geistige  Wiedergeburt  aufgefaßt  wurde,  weshalb 
die  Getauften  auch  infantes,  Kinder,  und  auf  Inschriften  Wiedergeborene,  Neugeborene, 
Knaben  und  Mädchen  genannt  werden  (renati,  neophyti,  pueri,  puellae).'2) 

Der  Fischer.  Nur  mit  dem  Lenden tuch  angetan  sitzt  er  am  Ufer  und  zieht 
mit  der  Angel  einen  Fisch  aus  dem  Wasser.  Der  Typus  des  Anglers  ist  in  der 
heidnischen  Kunst  reichlich  vertreten,    in    der   römischen   und   pompejanischen  Wand- 


x)  Jesustaufe:   Wilpert,  Malereien  257.     Scherman,  Eöm.  Quart.  1903,  351. 
2)  Taufritus:  Wilpert,  Malereien  259. 


Erlösungsmittel. 


237 


Die  Taufe. 
Coeni.  Callisti,  Gruft  A2. 


dekoration  und  in  zum  Teil  meister- 
haften Einzelschöpfungen  wie  der 
Bronze  in  Neapel.  In  der  Kata- 
kombenmalerei kommt  er  nur  dreimal 
vor,  im  ersten  und  zweiten  Jahr- 
hundert. Einmal  in  der  Flavier- 
galerie,  Wilpert  Taf.  7, 1,  dort  zwischen 
anderen  übernommenen  Typen,  idyl- 
lischen Kleinbildern ,  weidenden 
Tieren,  auch  einem  Hirten.  Wilpert 
glaubt  daher  auch  dem  Angler  hier 
nur  dekorative  Bedeutung  zuerkennen 
zu  sollen;  doch  möchten  wir  an  das 
früher  Gesagte  erinnern,  daß  es 
immer  auf  den  Besteller,  den  Maler 
und  den  Beschauer  ankam,  welche 
Ideen  ein  jeder  mit  einem  Zierbild 
verbinden  wollte.  Der  Angler  tritt 
überdies  aus  der  Reihe  der  gewöhn- 
lichen Dekorationsmotive  doch  etwas 
heraus.  Den  Fischfang  mit  der 
Angel  erwähnen  die  Evangelien 
gelegentlich  des  Staters,  den  Petrus  im  Maule  eines  mit  dem  Hamen  zu  fangenden 
Fisches  finden  sollte,  Mt.  17,  27;  aber  es  würde  allerdings  gesucht  sein,  gerade  dieser 
Wundergeschichte  eine  sepulkrale  Deutung  unterzulegen.  Dann  wäre  noch  an  die 
Berufung  der  ersten  Jünger  zu  denken  (daß  es  sich  da  um  Netzfischer  handelt, 
brauchte  nicht  urgiert  zu  werden).  Jesus  rief  sie  von  ihrem  Kahn  ab:  „ Folgt  mir 
und  ich  mache  euch  zu  Menschenfischern u  Mk.  1,  17.  Mt.  4,  19.  Lk.  5,  10,  hier  mit 
Erweiterung  des  Vorfalls  durch  den  wunderbaren  Fischzug.  Das  vierte  Evangelium 
verwertet  dies  Material,  erst  im  Nachtrag  Kap.  21,  in  der  Weise,  daß  der  Auf- 
erstandene den  Petrus  den  wunderbaren  Fischzug  tun  läßt  (womit  noch  die  Motive 
Lk.  24,  41  und  30  verknüpft  sind)  und  ihn  dann  statt  zum  Menschenfischer  zum 
Hirten  seiner  Schafe  macht.  Seitdem  die  Taufe  als  Aufnahmeverfahren  eingeführt 
war,  pflegen  christliche  Schriftsteller  die  aus  dem  Taufwasser  in  den  Stand  der  Heilig- 
keit Gekommenen  mit  aus  dem  Wasser  geangelten  Fischen  zu  vergleichen  und  die 
Taufenden  mit  Fischern.  Deshalb  sieht  Wilpert  im  Anglerbild  der  Exemplare  aus 
dem  zweiten  Jahrhundert  (Taf.  27,  2.  3)  ein  Taufsymbol,  dies  um  so  mehr,  als  der 
eine  Angler  neben  einem  „Quellwunder"  (das  W.  auch  als  Taufsymbol  versteht),  der 
andere  neben  einer  Taufe  gemalt  ist.  In  beiden  Fällen  dürfte  die  Nebeneinander- 
ordnung  ihren  Grund  aber  lediglich  darin  haben,  daß  hier  das  Wasser  vom  Felsen- 
quell, dort  das  Taufwasser  dem  Maler  bequem  lag  für  den  Fisch,  den  der  Angler 
zieht.  Wir  möchten  die  Frage  nach  dem  sepulkralen  Sinn  des  Fischerbildes  noch 
offen  halten.1) 


x)  Fischer:   Wilpert,  Malereien  263. 
352  Abbildung. 


Bronze  in  Neapel:    v.  Sybel,  Weltgesch.  d.  Kunst2 


238  Die  Erlösung. 

Die  frühchristlichen  Gemeinden  hatten  zwei  Sakramente,  das  Abendmahl  und  die 
Taufe;  die  Taufe  macht  heilig,  der  Genuß  des  Abendmahls  macht  selig.  Paulus  ver- 
gleicht mit  dem  Untertauchen  bei  der  Taufe  das  Unter  der  Wolke  Gehen  und  das 
Durchs  rote  Meer  Gehen  der  Israeliten  beim  Auszug  aus  Ägypten;  wiederum  mit  der 
eucharistischen  Speise  und  dem  eucharistischen  Trank  vergleicht  er  das  Manna  und 
den  Mosesquell  in  der  Wüste.  Kor.  I  10  „Unsere  Väter  gingen  unter  der  Wolke 
und  zogen  alle  durchs  rote  Meer,  und  alle  ließen  sich  taufen  auf  Moses  in  der  Wolke 
und  im  Meereswasser.  Und  alle  aßen  dieselbe  wunderbare  (himmlische)  Speise  und 
alle  tranken  denselben  wunderbaren  Trank.  Sie  tranken  nämlich  aus  dem  sie  be- 
gleitenden wunderbaren  Felsen.  Der  Fels  aber  war  Christus"  (Bousset).  Wenn  Paulus 
damit  sagen  will,  daß  der  präexistente  Christus  in  dem  wasserspendenden  Fels  war,  und 
ebenso  im  Manna  und  in  allen  anderen  Wundern  der  Väterzeit  wirkte,  daß  also  im 
Felsenquell  und  im  Manna  von  den  Israeliten  der  noch  nicht  Fleisch  gewordene 
Christus  so  real  getrunken  und  gegessen  wurde,  wie  im  christlichen  Abendmahl  der 
verklärte,  so  mußte  es  allen  paulinisch  Denkenden  nahe  liegen,  Mosesquell  und  Manna 
wenigstens  als  Symbole  auf  das  Abendmahl  zu  beziehen,  wie  in  der  Bibel  so  in  den 
Bildern.1) 

Der  johanneische  Christus  verspricht  „lebendiges  .  Wasser";  wer  davon  trinkt, 
den  wird  nicht  mehr  dürsten  in  Ewigkeit;  es  wird  in  ihm  zu  einer  Quelle  von 
Wasser,  welches  „springt  in  das  ewige  Leben",  Joh.  4,  10.  14.  Ahnlich  redet  er 
im  Anschluß  an  die  wunderbare  Speisung  von  der  Speise,  die  bleibt  in  das  ewige 
Leben;  nicht  das  Manna  des  Moses,  sondern  das  Brot,  das  der  Vater  durch  den  Sohn 
gibt,  ist  das  wahre  Himmelsbrot.  „Ich  bin  das  Brot  des  Lebens",  „das  Brot,  das 
vom  Himmel  herabkommt,  damit  man  davon  esse  und  nicht  sterbe"  6,  27 — 50.  Dann 
folgt  die  bestrittene  Stelle  51 — 56,  die  das  Fleisch  des  Christus  für  das  Brot  einsetzt: 
„Wer  mein  Fleisch  ißt  und  mein  Blut  trinkt,  hat  das  ewige  Leben  und  ich  werde 
ihn  auferstehen  lassen  am  letzten  Tage."  „Wer  mein  Fleisch  ißt  und  mein  Blut  trinkt, 
der  bleibt  in  mir  und  ich  in  ihm."  Wie  im  Hinblick  auf  das  Speisungswunder  die 
Danksagung  (Eucharistie,  V.  23)  Terminus  des  Ritualmahles  ist,  so  sind  in  V.  51 — 56 
Fleisch  und  Blut  dem  eucharistischen  Ritual  entnommen.  Wenn  man  das  Brot  und 
Wasser  des  Lebens  für  sich  betrachtete,  herausgenommen  aus  dem  Zusammenhang,  so 
könnte  man  zweifeln,  ob  darunter  notwendig  die  Gestalten  des  Abendmahles  verstanden 
sein  müssen;  aber  der  Verfasser  der  Verse  51  —  56  hat  bei  dem  ganzen  Kapitel  nichts 
anderes  im  Sinne  gehabt.  Der  Korintherbrief  spricht,  bald  nach  den  vorerwähnten 
Worten,  von  der  Gemeinschaft  im  Sakrament;  nach  dem  Johannesevangelium  gewährt 
das  Sakrament,  kraft  des  Ritus,  ewiges  Leben,  das  Abendmahl  ist  ein  Mittel,  und 
zwar  ein  Zaubermitte],  zur  Erlangung  der  Unsterblichkeit  geworden  ((pägfianov  ä&avaolug 
sagt  Ignatius  epist.  ad  Ephes.  20,  vgl.  Wilpert,  Malereien  282).  Dahin  ist  es  schließ- 
lich mit  der  Mahlidee  gekommen.  Bei  der  großen  Bedeutung,  welche  dem  vierten 
Evangelium  in  der  Entwicklungsgeschichte  der  christlichen  Dogmatik  zukommt,  muß 
man  erwarten,  in  den  Katakomben  eucharistisch  gemeinten  Bildern  zu  begegnen. 
Brot  und  Wasser,  und  die  ursprünglich  messianischen  Speisen  Brot  und  Fisch,  werden 
in  den  vorstehend  besprochenen  Bildern  eucharistisch  verstanden  sein.  Nicht  ebenso 
in    den    Seligenmahlen ;   sondern  dort  sind   die  messianischen  Speisen  mit  dem  ganzen 


*)  Bousset:    bei  Joh.  Weiss,  Schriften  des  N.  T.  II  1899. 


Erlösuugsmittel.  239 

Mahl  in  das  Jenseits  hinübergewandert.  Die  Märtyrervisionen  kennen  noch  andere 
Formen  von  Himmelsspeise;  man  denke  an  den  Mundvoll  frischen  Käse,  welcher  der 
Perpetua  nach  ihrem  Eintritt  in  den  Himmel  vom  guten  Hirten  gegeben  wird, 
wie  ein  Ambrosia  und  Nektar,  nicht  bloß  als  einer  Speise  für  Götter,  sondern 
als  einer  solchen,  die  Unsterblichkeit,  wie  die  der  Götter,  verleiht.  Es  ist 
ein  eucharistisches  Mahl  im  Himmel  als  Ritus  der  Aufnahme  in  den  Himmel,  der 
Aufnahme  in  die  Gemeinschaft  der  Seligen  mit  dem  Erstling  der  Seligen.  Endlich 
sei  erwähnt,  daß  der  aus  dem  Speisungsmythus  stammende  Fisch,  durch  seine  Ver- 
wendung als  eucharistisches  Symbol,  zu  einem  allgemeinen  Sinnbild  des  Christus  ge- 
worden ist. 

In  Malereien  seit  Ende  des  zweiten  Jahrhunderts  sahen  wir  Wunder  mittels 
eines  Zauberstabes  bewirkt,  die  Erweckung  des  Lazarus,  die  Brotvermehrung,  das 
Weinwunder  (Wilpert  Taf.  45  und  weiterhin).  Schon  vorher  schlug  Moses  die  Quelle 
aus  dem  Fels  (Taf.  13).  Letzteres  beruht  auf  dem  Bibeltext;  da  verrichtet  Moses,  im 
Wettstreit  mit  den  ägyptischen  Zauberern,  die  Wunder  mit  seinem  oder  Aarons  Stab. 
Aarons  Stab,  vor  den  Pharao  hingeworfen,  verwandelt  sich  in  eine  Schlange;  das 
machen  die  Zauberer  nach,  jedoch  der  Stab  Aarons  verschlang  ihre  Stäbe,  Exod.  7, 
9 — 12.  Moses  schlug  mit  dem  Stab  das  Wasser  des  Nil,  es  verwandelte  sich  in  Blut, 
7,  20.  Aaron  schlug  mit  dem  Stab  den  Staub  auf  dem  Boden,  der  verwandelte  sich 
in  Stechmücken,  8,  13.  Moses  reckte  seinen  Stab  gen  Himmel  empor  und  es  erfolgte 
Gewitter  und  Hagelschlag,  9,  23.  Er  reckte  seinen  Stab  aus  über  Ägypten  und  Ost- 
wind brachte  Heuschreckensch wärme,  10,  13.  Das  war  der  übliche,  reichlich  manns- 
hohe Stab  (Skeptron,  Rhabdos)  der  Alten.  Auch  Kirke  bedient  sich  zur  Zauberei 
ihres  hohen  Handstabes;  durch  Berühren  mit  dem  Stab  verwandelte  sie  die  Gefährten 
des  Odysseus  in  Tiere,  Od.  10,  237.  293.  Artemis  verwandelt  die  Schwestern  des 
Meleager,  die  über  seinen  Tod  in  tiefer  Trauer  sind,  mittels  des  Stabes  in  Vögel, 
Meleagriden  (Antonin.  Lib.  2,  10  nach  Nikanders  Heteroiumena).  Der  Stab  des 
Hermes  ist  auch  zauberkräftig;  in  alter  Zeit  war  er  lang,  nachher  kürzer,  und  gabel- 
förmig (eigentlich  ein  sich  gabelnder  Zweig)  mit  verknoteten  Enden. 

Der  Zauberstab  ist  nicht  verschieden  von  der  Wünschelrute.  Varro  betitelte 
eine  Satura  Menippea  „Die  Wünschelrute",  Virgula  divina;  ihr  Inhalt  ist  leider  nicht 
erkennbar.  Die  virgula  divina  bezeichnet  Cicero  ausdrücklich  als  Wünschelrute;  er 
spricht  einmal  davon,  wie  es  wäre,  wenn  uns  alles,  was  zum  Lebensunterhalt  und 
Komfort  gehört,  gleichsam  durch  eine  Wünschelrute  geliefert  würde.  Nun,  wie  eine 
Wünschelrute  pflegt  auch  der  Zauberstab  in  der  Katakombenmalerei  zu  wirken:  damit 
(nicht  mit  dem  langen  Stab)  schlägt  Moses  den  Quell  aus  dem  Felsen,  damit  werden 
die  Brote  ins  Ungemessene  vermehrt,  so  daß  Tausende  satt  werden;  damit  wird  Wasser 
in  Wein  verwandelt.  Nur  die  Erweckung  des  Lazarus  tritt  aus  diesem  Kreise  heraus, 
es  ist  eher  der  Stab  des  Seelenführers,  der  hier  aber  in  umgekehrter  Richtung  führt, 
aus  dem  Tod  ins  Leben.  In  allen  Fällen  aber  bleibt  die  christliche  Malerei  im  Rahmen 
der  Antike,  denkt  ganz  antik.  Mit  dem  Zauberstab  in  der  Hand  erscheint  Jesus  als 
Thaumaturg,  als  Zauberer.  Das  ist  er  ja  schon  in  den  drei  ersten  Evangelien, 
überall  wo  sie  von  Wundern  erzählen,  es  sind  ja  meist  Heilungswunder;  doch  blieb 
es  dem  vierten  Evangelium  vorbehalten,  diesen  Charakter  mit  viel  stärkerem  Nach- 
druck zu  unterstreichen;  gleich  im  Beginne,  Nathanael  gegenüber,  kündigt  er 
sich    so    an    (1,    48.  50).      Der    Zauberstab    ist    den    Evangelien    unbekannt;    aber    im 


240  Die  Erlösung. 

Bilde  drückt  er  den   Charakter    des  Wundermannes  auf  die  einfachste  und  deutlichste 
Weise  aus.1) 


Der  Erlöser. 

Wir  sahen  Jesus,  als  den  Christus,  in  Ausübung  des  messianischen  Berufs  Kranke 
heilend,  Tote  erweckend;  diese  Szenen  waren  gemalt  als  Prototype,  und  insofern  sie 
Leistungen  seiner  Wunderkraft  waren,  als  Bürgschaften  der  Erlösung  aus  dem  Tod 
ins  ewige  Leben.  Andere  Bilder  zeigten  ihn  als  den  Spender  des  Brotes  und  Wassers 
des  Lebens,  überhaupt  der  Himmelsspeisen,  deren  Genuß  das  ewige  Leben  verschafft. 
Wir  lassen  nun  die  Bilder  folgen,  die  ihn  als  Vermittler  der  Seligkeit  und  als  den 
Herrn  der  Seligen  darstellen,  beides  im  Typus  des  Hirten,  dem  sich  einigemal  Orpheus 
unterschiebt.     Anschließend  besprechen  wir  die  Darstellungen  aus  der  Kindheitslegende. 

Der  gute  Hirt.  Die  Metapher  vom  Hirten  als  dem  Herrn  und  Leiter  ist  allgemein 
antik,  griechisch  und  semitisch.  Völkerhirt  heißt  der  homerische  Agamemnon.  Hirt 
des  Volkes  Israel  ist  in  der  königlosen  Zeit,  und  so  im  Exil,  Jahwe.  Der  frühexilische 
Prophet  Ezechiel  verkündet,  Kap.  34,  die  im  Exil  zerstreuten  Israeliten  sollen  wieder 
gesammelt  und  in  ihre  Heimat  zurückgebracht  werden.  Weil  die  Hirten  Israels  ihre 
Herde  nicht  recht  weiden,  so  will  Jahwe  selbst  seine  Schafe  weiden;  und  er  will  einen 
einzigen  Hirten  über  sie  bestellen,  seinen  Knecht  David.  „Ich  werde  sie  aus  den 
Völkern  herausführen  und  aus  den  Ländern  sammeln  und  in  ihr  Land  bringen." 
„Auf  guter  Weide  werde  ich  sie  weiden  — ".  „Das  Verirrte  werde  ich  aufsuchen 
und  das  Versprengte  werde  ich  zurückholen,  das  Verwundete  verbinden  und  das 
Kranke  stärken  — ."  Man  sieht,  das  ist  alles  politisch  gemeint.  Aber  gerade  unter 
dem  Drucke  des  Exils  und  seiner  Nachwirkung  nahmen  die  Gedanken  eine  Richtung 
auf  Verinnerlichung.  Das  spricht  aus  den  Psalmen.  „Der  Herr  ist  mein  Hirte,  und 
nichts  wird  mir  mangeln.  An  den  Ort  des  Grases,  dort  läßt  er  mich  lagern;  am 
Wasser  des  Ausruhens  zieht  er  mich  auf.  Meine  Seele  leitet  er,  er  führt  mich  auf 
Pfade  der  Gerechtigkeit  wegen  seines  Namens.  Wenn  ich  auch  wandere  mitten  im 
Schatten  des  Todes,  so  fürchte  ich  nichts  Schlimmes,  weil  du  mit  mir  bist  — ",  Psalm 
22  (23)  Swete  II  238. 

Den  Hirten,  der  das  verirrte  Schaf  aufsucht  und  heimbringt,  haben  Matthäus 
und  Lukas.  Die  Metapher  vom  verirrten  Schaf  ist  nun  moralisch  gemeint;  es  ist  der 
Hirtenberuf  des  Christus  und  seiner  Apostel,  die  sittlich  Verirrten  aufzusuchen,  denn, 
heißt  es  in  Verwendung  der  Worte  des  Ezechiel,  das  Volk  war  mißbraucht  und  ver- 
nachlässigt wie  Schafe,  die  keinen  Hirten  haben  (Mt.  15,  24.  10,  6.  9,  36).  Dasselbe 
Motiv  existierte  auch  zu  einer  ausführlichen  Parabel  entwickelt,  Mt.  18,  12 — 14. 
Lukas  trägt  sie  breiter  vor,  die  Parabel  von  dem  Manne,  der  hundert  Schafe  hat  und 
eins  davon  verirrt  sich;  da  verläßt  er  die  neunundneunzig,  um  das  verirrte  zu  suchen, 
und  wenn  er  es  gefunden  hat,  legt  er  es  auf  seine  Schultern  mit  Freuden  und 


l)  Varro,  Sat.  menippea  95,  AI.  Riese  p.  235.  —  Cic,  de  off.  I  158  si  omnia  nobis,  quae 
ad  victum  cultumque  pertinent  quasi  virgula  divina,  ut  aiunt,  suppeditarentur.  Vgl.  noch  Furt- 
wängler,  Antike  Gemmen  1900,  245.  451  Fig.  233,  auch  Taf.  22,  2.  7.  61,  51:  abgeschnittener 
Kopf  aus  der  Erde  kommend,  davor  ein  Mann,  bald  auf  ein  Diptychon  schreibend,  bald  mit 
Zepter  oder  Stäbchen  in  der  Hand. 


Der  Erlöser.  241 

bringt  es  nach  Haus:  so  wird  im  Himmel  mehr  Freude  sein  über  einen  Sünder, 
der  umkehrt,  als  über  neunundneunzig  Gerechte,  die  der  Umkehr  nicht  bedürfen 
(Lk.  15,  4—7). 

Das  vierte  Evangelium  ist  abgefaßt  zu  einer  Zeit,  da  längst  nicht  mehr  der 
Jesus  vor  Augen  stand,  wie  er  im  Leben  gewesen  war,  sondern  da  man  nur  noch  den 
Verklärten  im  Himmel  dachte;  und  die  Lehre  vom  Christus  als  dem  Logos  ist  von 
seiner  völligen  Vergottung  nur  noch  wie  durch  ein  dünnes  Blatt  Papier  getrennt,  sie 
ist  Vergottung  in  der  Sache,  scheut  aber  noch  die  Sache  beim  Namen  zu  nennen. 
Der  johanneische  Christus  ist  anderer  Art  als  der  synoptische,  er  spricht  in  ganz 
anderem  Tone.  Er  spricht  immer  wie  im  alten  Testament  Jahwe  spricht:  Ich  — , 
Ich  bin  — .  Dies  wiederkehrende  Ich  hämmert  auf  die  Nerven  des  feinfühligen  Lesers. 
Was  bei  Ezechiel  Jahwe  spricht:  Ich  selbst  werde  meine  Schafe  weiden  —  ich  werde 
sie  aus  den  Völkern  herausführen  und  in  ihr  Land  bringen  —  auf  guter  Weide  werde 
ich  sie  weiden  — ,  das  nimmt  der  johanneische  Christus  in  seinen  Mund:  „Ich  bin 
die  Türe  der  Schafe  — ,  Ich  bin  die  Türe  — .  Ich  bin  der  gute  Hirte  (d  novprjv 
6  xaXög).  Der  gute  Hirte  setzt  seine  Seele  ein  für  seine  Schafe  — .  Ich  bin  der  gute 
Hirte  und  ich  kenne  die  Meinen,  und  sie  kennen  mich  — .  Und  ich  habe  andere 
Schafe,  die  nicht  aus  diesem  Hofe  sind;  auch  sie  muß  ich  führen,  und  sie  werden  auf 
meinen  Ruf  hören,  und  es  wird  Eine  Herde  sein,  Ein  Hirt,"  Joh.  10,  1 — 16. 
Das  „Tragen  auf  den  Schultern"  verwendet  Johannes  nicht.  Nachher  läßt  er  das 
Thema  noch  einmal  aufnehmen,  um  ein  wichtiges  Moment  hinzuzufügen:  „Meine  Schafe 
hören  auf  meine  Stimme,  und  ich  kenne  sie,  und  sie  folgen  mir,  und  ich  gebe  ihnen 
das  ewige  Leben,  und  sie  werden  nicht  verloren  sein  in  Ewigkeit,  und  keiner  wird 
sie  aus  meiner  Hand  reißen"  27 — 28.  Wilpert  meint,  das  Gleichnis  berücksichtige 
nicht  so  sehr  den  Zustand  der  Gläubigen  nach  dem  Tode,  als  vielmehr  ihr  zeitliches 
Leben  auf  Erden:  die  Herde  versinnbilde  die  Gemeinde  der  Gläubigen,  die 
Kirche  unter  ihrem  geistigen  Oberhaupte  Christus.  Richtig  ist  nun,  daß  Vers  16, 
gerade  gegenüber  der  Herkunft  der  Schafe  aus  verschiedenen  Höfen,  die  Einheit  der 
Herde  und  des  Hirten  scharf  betont;  dies  geschieht  in  Vorbereitung  des  später 
folgenden  sog.  hohepriesterlichen,  richtiger  oberhirtlichen  Gebetes.  Es  bittet  um  die 
Einigkeit  der  Jünger  (17,  11)  und  ebenso  der  Apostelschüler,  das  ist  der  nachaposto- 
lischen Christen,  daß  sie  eins  seien,  wie  der  Sohn  mit  dem  Vater,  und  sie  in  ihnen 
beiden  (20  —  23).  Das  ist  der  praktische  Angelpunkt  im  Gedankengang  des  vierten 
Evangeliums;  der  Nachtrag  Kap.  21  bekräftigte  es  durch  die  Wendung,  welche  er 
dem  Mythus  vom  wunderbaren  Fischzug  gibt.  Neben  diesem  allerdings  Diesseitigen 
steht  aber  die  oben  berührte  Jenseitigkeit,  sagen  wir  einmal  die  theoretische  Seite  der 
johanneischen  Ideenwelt.  Auch  das  Hirtenbild  mündet  dahin  aus:  es  ist  der  gute 
Hirte,  der  den  Schafen  das  ewige  Leben  gibt  (10,  28);  er  hat  die  Macht  über  alles 
Fleisch,  damit  er  allen,  die  Gott  in  seine  Hand  gab,  das  ewige  Leben  gebe,  dadurch, 
daß  sie  den  einen  Gott  und  seinen  Gesandten  Jesus,  den  Christus,  erkennen  (17,  2 — 3); 
keiner,  außer  dem  Verräter,  ist  ihm  verloren  gegangen  (12);  sie  sollen  alle  dahin 
kommen,  wo  auch  er,  der  verklärte  Christus,  ist,  damit  sie  seine  Herrlichkeit  sehen 
(24  —  26). 

In  diesem  jenseitigen  Sinne  ging  das  Bild  vom  Hirten  und  vom  Schaf,  das  er 
auf  die  Schultern  nimmt  und  nach  Hause  trägt,  in  die  kirchlichen  Begräbnisgebete 
über:   „Ich  bin  das  verlorene  Schaf",  heißt  es  in  der  griechischen  Totenliturgie,   „rufe 

Sybel,    Christliche  Antike  I.  16 


242 


Die  Erlösung. 


Der  gute  Hirt. 
Coem.  Callisti  (Arkosol  der  Madonna). 


mich  zurück,  Retter  und  rette  mich," 
nämlich  in  die  Seligkeit.  In  der 
lateinischen  wird  Gott  gebeten,  daß  er 
den  Verstorbenen,  nachdem  ihn  der 
gute  Hirte  auf  seinen  Schultern 
heimgebracht,  die  Gemeinschaft  der 
Heiligen  genießen  lasse.  Da  ist  der 
johanneische  „Gute  Hirt"  mit  dem 
Lukasschen  Heimtragen  auf  den  Schul- 
tern kombiniert.1) 

Die  Bilder  des  guten  Hirten  sind 
nächst  denen  des  Jonas  in  den  Kata- 
komben am  häufigsten  verwendet.  Zwei 
Haupttypen  lassen  sich  unterscheiden. 
Der  ältere  und  häufiger  angebrachte  ist 
der  Hirt,  der  das  Schaf  auf  den 
Schultern  trägt  (Wilpert  Taf.  9.  11). 
Selten  steht  er  allein  da  (Taf.  17),  in 
der  Regel  aber  zwischen  zwei  Schafen, 
die  zu  ihm  aufblicken  oder  grasen,  und  zwei  Bäumen  (unsere  Abbildung).  Der  gute 
Hirt  trägt  ein  Schaf  in  das  Paradies  zu  anderen  Schafen,  die  schon  dort  sind,  bis- 
weilen sitzt  auf  jedem  der  beiden  Paradiesesbäume  eine  Taube  (Taf.  66,  1):  das  ist 
also  der  Christus,  der  einen  Verstorbenen  in  das  ewige  Leben  einführt  zu  den  bereits 
früher  selig  Gewordenen.  Meist  steht  der  Hirt  in  Vorderansicht,  das  Schaf  auf  dem 
Nacken  hält  er  an  den  Beinen,  manchmal  mit  beiden  Händen,  die  Vorderbeine  mit 
der  einen,  die  Hinterbeine  mit  der  andern  (unsere  Abbildung  unten  unter  Syntax) 
oder  nur  mit  der  linken  Hand,  die  rechte  hält  dann  die  vielrohrige  Hirtenpfeife 
(Panspfeife).  Seine  Kleidung,  die  der  Hirten,  besteht  in  dem  Arbeiterkittel,  der  auf 
der  rechten  Schulter  gelöst  ist  (Exomis);  auch  trägt  er  lederne  Beinschienen,  mit 
Bändern  kreuzweis  umwickelt,  wie  schon  in  der  Odyssee  der  alte  Laertes  zum  Schutz 
der  Schienbeine  gegen  Dornen  und  Disteln  bei  der  Gartenarbeit  sie  trug.  Spätere 
Bilder  fügen  den  Mantel  hinzu  (Taf.  61.  63,  1,  unsere  Abbildung  Seite  210),  die 
Hirtentasche.  Um  eine  Lünette  oder  einen  Arkosolbogen  zu  füllen,  wird  die 
Komposition  auch  erweitert,  die  Paradieseslandschaft  ausführlicher  gemalt,  die  Zahl 
der  Schafe  vermehrt,  der  Schäferhund  hinzugefügt  (Taf.  117.  190.  203.  222).2) 

Der  andere,  spätere  und  seltenere  Typus  ist  der  Hirt  inmitten  seiner  Herde, 
sie  weidend;  da  trägt  er  kein  Schaf  auf  den  Schultern.  Das  also  wäre  eigentlich 
der  johanneische  Gute  Hirt  (dieser  Terminus  wird  irrig  auf  den  das  Schaf  tragenden 
übertragen,  das  Motiv  kommt  gerade  bei  Johannes  nicht  vor,  wir  fanden  es  nur  bei 
Lukas).     Johanneisch    ist    der    seine  Herde  weidende  Hirt,    unser  zweiter  Typus.     Er 


*)  Tb  a7toX(t)Xog  TtQÖßaxov  tya>  d/xi,  avaxäXsaöv  fis,  oüJreQ,  xal  aöiaov  /xe.  Offic.  exseq.  bei 
Jac.  Gras,  EvxoXöyiov  sive  Rituale  Graecorum  2425.  —  Deum  fideliter  deprecemur,  ut  —  morte 
redemptum,  debitis  solutum,  patri  reconciliatum,  boni  pastoris  humeris  reportatum  — 
sanctorum  consortio  perfrui  concedat.  Or.  post  sepult.  des  Sacramentarium  Gelasianum,  bei 
Muratori,  Liturg.  Rom.  vetus  I  751. 

2)  Guter  Hirt,   ein  Schaf  tragend:    Wilpert,  Malereien  48.  431  m.  Verz. 


Der  Erlöser. 


243 


steht  auf  seinen  Stab  gestützt,  in 
späteren  Exemplaren  kreuzt  das 
eine  Bein  das  andere  (Taf.  112, 3). 
In  der  Hand  hält  auch  er  die 
Syrinx,  vereinzelt  soll  er  die 
Doppelflöte  halten,  Taf.  147.  In 
diesem  Fall  trägt  er  statt  des 
Arbeiterkittels  den  ungegürteten 
Talar,  womit  er  ganz  aus  der 
Rolle  fällt.  Einmal  sitzt  er,  auf 
sein  Pedum  gestützt,  den  Kragen 
um  die  Schultern  gehängt,  in 
reicher  Landschaft,  vorn  unter 
Bäumen  die  Herde  mit  einem 
Widder  darunter,  den  Hinter- 
grund bilden  Berge,  Taf.  121  f. 
Eines  der  früheren  Bilder,  aus 
dem  Anfang  des  dritten  Jahr- 
hunderts, zeigt  ihn  zwischen  zwei 
Tiergruppen;  zu  seiner  Rechten 
drängen  sich  Schafe  an  ihn  heran, 
zu  seiner  Linken  stehen  Schwein 
und  Esel,  nach  Wilpert  Bilder 
des  Teufels.1) 

Man  begreift,  daß  die  zwei 
Typen  ihre  Züge  austauschten.  So  findet  sich  der  Hirt,  der  das  Schaf  trägt,  mit 
verschränkten  Beinen  gemalt,  obwohl  das  Schema  für  ihn  so  unpassend  ist,  wie  ge- 
eignet für  den  die  Schafe  weidenden  Hirten  (Taf.  100).  Daß  das  Schema  bei 
Exemplaren  des  seh af tragenden  Hirten  früher  vorkommt  als  bei  weidenden,  steht 
nicht  im  Wege,  das  ist  Zufall.  Wiederum  kommt  es  vor,  daß  der  schaftragende  Hirt 
das  Tier  mit  keiner  Hand  hält;  eigentlich  ist's  der  Typus  des  Weidenden,  aber  der 
Maler  hat  ihm  ein  Schaf  auf  den  Nacken  gelegt. 

Die  Geschichte  des  Hirtentypus  ist  noch  nicht  geschrieben;  ein  reiches  Material 
liegt  vor,  obwohl  es  nur  Trümmer  eines  einst  viel  reicheren  Bestandes  sind.  Ein 
paar  Proben  müssen  uns  hier  genügen.  Aus  altgriechischer  Kunst,  des  sechsten  Jahr- 
hunderts vor  Christus,  haben  wir  zunächst  die  Statue  eines  kalbtragenden  Mannes  in 
Athen,  er  faßt  die  Beine  des  Tiers  mit  beiden  Händen.  Aber  auch  das  Tragen  eines 
Schafes,  was  man  ohne  Zweifel  im  Leben  oft  sah,  hat  die  Kunst  gestaltet.  Besonders 
gern  erscheint  Hermes  in  diesem  Schema;  ein  Exemplar  in  Dresden,  vielleicht  noch 
des  sechsten  Jahrhunderts,  zeigt  ihn  in  symmetrischer  Haltung,  in  Spitzhut  und  um 
den  Rücken  genommenem  Mantel.  Bei  den  Verhandlungen  über  heidnische  Vorbilder 
des  guten  Hirten  wurde  der  widdertragende  Hermes  von  Tanagra  viel  genannt,  im 
Kultus  stellte  ihn  ein  nackter  Knabe  dar;  bei  dem  jährlichen  Grenzbegang  trug  er  ein 
Lamm  auf  dem  Nacken.    Künstlerisch  gestaltet  wurde  der  Typus  durch  Kaiamis,  einem 


Der  gute  Hirt. 
Coem.  Callisti  (Region  des  Eusebius). 


Der  weidende  Hirt:   Wilpert,  Malereien  231  m.  Verz. 


16« 


244  Die  Erlösung. 

Künstler  aus  der  Zeit  zwischen  den  Perserkriegen  und  der  perikleischen  Blüte;  auf 
Münzen  der  Stadt  Tanagra  sieht  man  den  Typus.  Um  andere  Beispiele  zu  übergehen, 
gibt  es  im  freiesten  Stil  einen  lammtragenden  Knaben,  bekleidet,  in  der  Opferszene 
einer  palatinischen  Wandmalerei  augusteischer  Zeit.  Es  hat  natürlich  auch  lamm- 
tragende Hirten  in  der  griechischen  Kunst  gegeben.1) 

Auch  der  zweite  Typus,  der  Hirt  inmitten  seiner  Herde,  hat  klassische 
Analogien.  Eine  Terrakotte  zeigt  wieder  einen  jugendlichen  Hermes,  aber  bekleidet 
mit  Kittel,  Mantel  und  Hut;  ein  Schaf  steht  zu  seiner  Rechten,  freundlich  legt  er  ihm 
die  Hand  auf  den  Kopf.  Stil  und  Tracht  sind  verschieden,  aber  die  Hauptsache,  das 
Motiv,  die  Freundlichkeit  gegen  das  Tier,  ist  beim  Hermes  und  beim  Christus 
identisch.  Es  gibt  aus  der  Kaiserzeit  Hirtenbilder,  die  auch  in  der  Tracht  den 
christlichen  Hirtenbildern  genau  entsprechen.  Aber  wir  sagten  schon,  es  kommt  nicht 
soviel  darauf  an;  es  ist  die  Spätantike  im  ganzen,  welche  all  diese  Hirtenbilder 
geschaffen  hat,  wie  die  heidnischen,  so  die  christlichen,  beides  aber  im  Strom  der 
typengeschichtlichen  Entwicklung.  Man  könnte  vielleicht  sagen  wollen,  und  es  ist 
gesagt  worden,  die  christlichen  Maler  hätten  täglich  soviel  Gelegenheit  gehabt,  wirk- 
liche Hirten  zu  beobachten,  daß  sie  nicht  zu  den  Vorbildern  aus  der  heidnischen 
Kunst  zu  greifen  brauchten.  Indessen  liegt  die  Sache  umgekehrt.  Die  antiken 
Künstler  kamen  immer,  Ausnahmen  bestätigen  die  Regel,  aus  einer  Schule;  den 
Grundstock  ihres  Könnens  wie  ihres  Typenschatzes  brachten  sie  aus  der  Schule  mit 
und  aus  dem  Studium  der  anderen  Schulen;  das  überkommene  Kunstkapital  aber  ver- 
mehrten sie  durch  Weiterbildung  der  Technik  und  Schöpfung  neuer,  im  Wetteifer  mit 
der  Wirklichkeit  gestalteter  Typen.  So  vorgebildet  und  so  erzogen,  sind  auch  die 
christlichen  Maler  an  die  Gestaltung  herangetreten,  in  unserem  Falle  an  die  des  guten 
Hirten,  als  antike  Maler  christlicher  Konfession.  Der  Typus  des  guten  Hirten  ist  aus 
dem  Schöße  der  hellenistischen  Idyllenmalerei  hervorgegangen.2) 

Der  Melkeimer,  als  Attribut  des  Hirten  und  in  selbständiger  Verwendung, 
verlangt  besondere  Erwähnung.  Der  gute  Hirt  des  ersten  Typus  hält  einmal  einen 
kupfergetriebenen  Melkeimer  in  der  Hand  (Taf.  66,  2),  ein  andermal  steht  er  zwischen 
zwei  Eimern,  an  deren  einen  der  Hirtenstab  gelehnt  ist  (Taf.  171,  unsere  Abbildung 
Seite  154).  Zu  letzterer  Zusammenstellung,  Melkeimer  und  Krummstab,  muß  der 
Gebrauch  des  Hakenstocks  erläutert  werden,  wie  er  noch  heute  auf  den  arkadischen 
Bergweiden  beobachtet  werden  kann.  Will  der  Hirt  ein  Schaf  oder  eine  Ziege  melken, 
so  wählt  er  das  Tier  mit  dem  schwersten  Euter;  um  es  herauszufinden,  scheucht  er 
die  ganze  Herde,  daß  sie  in  wilder  Flucht  dahingeht.  Er  mit  großen  ruhigen  Sätzen 
hinterher,  den  Hakenstock  in  der  Hand  wiegend.  Die  Tiere  mit  schwerem  Euter 
kommen  bald  ins  Hintertreffen,  und  das  schwerstbeladene  wird  letztes;  nun  mit  ein 
paar  größeren  Sprüngen  näherkommend,  hakt  er  es  mit  vorgestrecktem  Stab  am  Bein 
fest,  es  steht  und  läßt  sich  melken.  Das  ist  der  Gebrauch  des  Krummstabs,  deshalb 
ist    er   im  Bilde   mit    dem   Melkeimer   zusammengestellt.     In  anderen  Malereien  sehen 


J)  Dresden:  Hermann,  Archäol.  Anzeiger  1896,  208,  11  Abb.  Tanagra:  Koscher,  Lexikon 
I  2396.  Bekleidete  Kriophoren:  Veyries,  Figures  criophores  (Bibl.  äcoles  franc.  d' Athen  es  et  de 
Rome  XXXIX  1886).  de  Rossi,  Roma  sott.  I  347;  Bull.  com.  1889,  137.  Vgl.  die  Hirten  aus  der 
Komödie:  Alfr.  Körte,  Archäol.  Jahrb.  1893,  74  u.  79  n.  31—33. 

2)  Terrakotte:  Roschers  Lexikon  I  2431.  Treu,  Archäol.  Anzeiger  1891,  22  Abb.  — 
Bergner,  Der  gute  Hirt  in  der  altchristlichen  Kunst  1890. 


Der  Erlöser. 


245 


Orpheus. 
Coem.  Callisti. 


wir  den  Hirten  melken  (93.  117,  1).  Nun 
aber  war  es  antiker  Brauch,  statt  der  Person 
auch  nur  ihre  Attribute  vorzuführen,  Blitz  und 
Adler  statt  Zeus,  Dreizack  und  Fisch  statt 
Poseidon,  Traube  und  Thyrsus  statt  Dionysos; 
so  konnte  auch  Melkeimer  und  Krummstab, 
oder  nur  ersterer  allein,  statt  des  Hirten  ge- 
malt werden  (Taf.  24,  2  Eimer  auf  Pfeiler 
zwischen  zwei  Schafen).  Endlich  tritt  der 
Eimer  ganz  selbständig  auf,  als  immerhin  be- 
deutsames Ornament:  ein  Pflanzenstengel  trägt 
ihn  wie  eine  Blüte  (der  Eimer  soll  nimbiert 
sein,  Taf.  158,  vgl.  Taf.  265 ff.).  Die  Milch, 
die  der  gute  Hirt  zu  bieten  hat,  ist  Himmels- 
speise zum  ewigen  Leben,  unsterblich  machen- 
der Nektar  und  Ambrosia.  Man  denkt  an 
den  Bissen  frischgemolkenen  „Käse",  den 
der  gute  Hirt  der  in  den  Himmel  eingetretenen 
Perpetua  in  den  Mund  steckt.  Doch  bleibt 
die  Frage,  ob  der  Melkeimer  nicht  auch  eucharistisch  verstanden  werden  kann;  das 
würde  die  Absicht  nicht  einmal  wesentlich  ändern. 

An  Stelle  des  guten  Hirten  treffen  wir  fünfmal  den  Sänger  Orpheus.  Es  ist 
hier  nicht  der  Ort,  den  Orpheus  der  Griechen  zu  schildern,  noch  zu  fragen,  woher 
sie  ihn  hatten  und  was  er  ihnen  bedeutete;  so  notwendig  die  Kenntnis  dieser  Dinge 
zum  vollen  Verständnis  der  Religionsgeschichte  der  Kaiserzeit  ist,  so  brauchen  wir  an 
dieser  Stelle  doch  das  Orpheusproblem  nicht  aufzurollen.  War  er  ursprünglich,  wie 
seine  Gattin,  selbst  eine  Unterweltsgottheit?  War  er  ein  Hirt  der  Toten?  Oder 
bleiben  wir  besser  bei  dem  Orpheus,  wie  ihn  die  griechischen  Dichter  und  Maler 
schildern,  die  sonst  unerbittlichen  Todesgötter  durch  die  Macht  seines  Zauberlieds 
erweichend?  Er  muß  die  Geister  viel  beschäftigt  haben,  auch  die  Christen  griechischer 
Herkunft  und  griechischer  Bildung.  Justinus  Martyr  gewann  aus  untergeschobenen 
Hymnen  die  Vorstellung,  Orpheus  sei  eine  Art  Prophet  des  Christus  gewesen.  Im 
Gegensatz  hierzu  erklärte  Clemens  Alexandrinus,  nicht  Orpheus,  sondern  Christus  sei 
der  wahre  Zaubersänger,  der  nicht  bloß  die  Leier  in  Harmonie  gestimmt,  sondern  den 
Makrokosmus,  die  ganze  Welt,  und  den  Mikrokosmus,  den  Menschen. 

Auf  einem  attischen  Vasenbild  sehen  wir  den  thrakischen  Sänger  auf  einem  Fels 
sitzen  und  singen;  Thraker  stehen  herum,  in  Gruppen  verteilt,  sie  scheinen  in  ver- 
schiedener Weise,  aber  alle  gleich  tief  ergriffen  von  seinem  Gesang.  Gehört  das 
Vasenbild  der  Zeit  unmittelbar  vor  der  perikleischen  Blüte  an,  so  finden  wir  anderes 
in  den  Darstellungen  aus  römischer  Zeit.  Auch  da  sitzt  Orpheus  in  einer  Landschaft, 
aber  sein  Publikum  ist  ein  anderes  geworden;  seine  magische  Kraft  geht  so  weit,  daß 
sie  auch  die  Tiere  zwingt,  sie  stehen  und  sitzen  in  großem  Kreise  um  ihn  herum. 
Thrakische  Münzen  geben  neben  den  indifferenten  Tieren  wie  Pferd,  Rind,  Schwein 
auch  solche,  die  für  Thrakien  charakteristisch  sind,  Eber  und  Bär,  alexandrinische 
dagegen  spezifisch  ägyptische  wie  Ibis,  Affe,  Gazelle,  Schakal.  Löwe  und  Panther, 
Hirsch,  Hase,  Eber,  Storch  und  Ibis    finden    wir  in  der  pompejanischen  Landschafts- 


246  Die  Erlösung. 

maierei,  die  neben  anderer  Tierstaffage  auch  den  Kreis  der  um  Orpheus  versammelten 
Tiere  verwendet.  Sodann  gibt  es  zahlreiche  Mosaikbilder  desselben  Inhalts.  Die 
pompejanischen  Wandmalereien,  aus  dem  Anfang  der  Kaiserzeit,  gehen  dem  Beginn 
der  Katakombenmalerei  unmittelbar  vorher,  die  Mosaiken  aus  dem  zweiten  und  dritten 
Jahrhundert  sind  ihrer  Entwicklung  gleichzeitig,  beide  sind  aber  nicht  als  die  un- 
mittelbaren Vorbilder  der  christlichen  Malerei  zu  betrachten. 

In  der  Katakombenmalerei  erscheint  Orpheus  im  zweiten  Jahrhundert,  und  zwar 
im  Scheitelfeld  einer  Decke,  mithin  an  einer  Stelle,  an  der  wir  in  erster  Linie  den 
guten  Hirten  zu  finden  gewohnt  sind.  In  der  auch  für  ihn  als  Thraker  typischen 
Barbarentracht  sitzt  er,  die  Lyra  im  Arm,  auf  einem  Stein,  zwischen  zwei  ihn  an- 
blickenden Schafen  (Wilpert  Taf.  37,  unsere  Abbildung).  In  einem  späteren  Exemplar 
sind  es  sechs  Schafe,  noch  später  wird,  wie  zum  Hirten  inmitten  seiner  Herde,  der 
Schäferhund  hinzugefügt  (Taf.  98.  Bull,  crist.  1887  Taf.  6).  Das  Bild  kann  nicht 
einfach  den  Orpheus  meinen;  der  war,  wenn  er  Hirt  war,  Rinderhirt,  nicht  Schafhirt. 
Die  symbolische  Bedeutung  des  Orpheus  erhellt  aber  aus  den,  statt  der  sonst  üblichen 
mancherlei  Tiere,  ihm  hier  beigesellten  Schafen,  den  Schafen  des  guten  Hirten. 
Mithin  ist  entweder  der  Orpheus  im  Schema  des  guten  Hirten,  das  ist  mit  Schafen 
dargestellt,  oder  der  Christus,  der  gute  Hirt,  im  Habitus  und  Typus  des  Orpheus. 
Tatsächlich  ist  der  stehende  gute  Hirte  durch  die  sitzende  Orpheusfigur  vertreten, 
also  der  gute  Hirt  im  Typus  des  Orpheus  gemalt,  weniger  wohl  als  Totenhirt,  eher 
wegen  seiner  Zauberkraft  auch  über  den  Tod.  —  Im  dritten  Jahrhundert  regte  sich 
die  Neigung  zu  erzählen,  zu  den  zwei  Schafen  nebst  einer  Taube  und  einem  Pfau  in 
den  Bäumen  —  alles  christianisierten  Typen  —  treten  die  anderen  Tiere  des  orphischen 
Kreises,  Pferd,  Schlange,  Schildkröte,  Maus,  Eidechse,  ein  Löwenpaar,  in  einer  Wieder- 
holung kommen  dazu  noch  Rind,  Kamel  und  Dromedar  (Taf.  55,  unsere  Abbildung 
auf  S.  155.     Wilpert  Taf.  229).1) 

Aus  dem  Kindheitsmythus. 

Es  ist  ein  reiches  und  anmutendes  Kapitel  der  Mythologie,  die  Kindheits- 
geschichten. Von  jedem  Gott,  von  jedem  Heros  weiß  die  lokale  Kultlegende  die 
Geschichte  seiner  Geburt  zu  erzählen,  wie  seine  Eltern  sich  fanden,  unter  welchen 
Umständen  das  Kind  zur  Welt  kam,  bisweilen  wird  auch  von  seinem  Aufwachsen  be- 
richtet. Dergleichen  Kindheitslegenden  gab  es  allerorten:  von  Zeus  wurde  sie  in 
Kreta  erzählt,  auch  in  Arkadien,  von  Dionysos  in  Theben,  von  Apollon  und  Artemis 
auf  Delos,  usf.  Mannigfaltig  gestaltet  waren  die  Geburtsgeschichten  der  Heroen.  Ein 
erhebliches  Moment  bildete  überall,  wo  sie  vorkam,  die  Gotteskindschaft.  War  die 
Mutter  eine  Göttin,  so  hatte  es  bei  Vater  und  Mutter  sein  Bewenden;  so  waren 
Peleus  und  Thetis  die  Eltern  des  Achill,  Anchises  und  Aphrodite  die  des  Äneas. 
Wenn  aber  das  Kind  einen  Gott  zum  Vater  hatte,  so  stand  meist  noch  ein  sterblicher 
Vater  daneben,  der  eigentliche  Gatte  der  Mutter.  Wesentlich  bei  der  Gotteskindschaft 
scheint  zu  sein,  daß  das  Gotteskind  das  Erstgeborene  ist;  als  der  Gott  ihr  nahte,  war 


a)  Orpheus:  Gruppe,  Orpheus,  in  Koschers  Lexikon  III  1058.  —  Justinus  M.,  Cohort.  ad 
Graecos  15.  Clemens  AI.,  Protreptic.  1.  Vasenbild:  Eobert,  50  Berliner  Winkelm.  Programm. 
Münzen:  Pick,  Archäol.  Jahrbuch  1898,  135  Taf.  10,  1.  2.  Pompeji:  Presuhn,  Ausgrab.  v. 
Pompeji  1878  III  2.  6.  Mosaiken:  Gauckler,  Mon.  Piot  1896,  215.  Strzygowski,  Orpheusmosaik 
in  Jerusalem  (Zeitschr.  d.  deutschen  Palästinavereins  1901,  539).  —  Christliche  Orpheusbilder: 
Heußner,  Altchristi.  Orpheusdarstellungen  1893.     Gruppe,  a.  O.  1202.    Wilpert,    Malereien  38.  241. 


Der  Erlöser.  24? 

die  Mutter  des  Kindes  noch  Jungfrau.  So  Danae,  die  ihr  Vater  einsperrte,  damit 
kein  Mann  ihr  nahe;  so  Alkmene,  deren  neuvermählter  Gatte  Amphitryon  gelobt 
hatte,  ihr  nicht  zu  nahen,  bis  er  ihre  Brüder  gerächt  habe.  Aber  Zeus  wußte  zu 
Danae  zu  gelangen,  und  Alkmene  besuchte  er  eben  in  Amphitryons  Abwesenheit. 
Ähnlich  göttlichen  Ursprungs  glaubte  man  auch  historische  Personen  zu  wissen, 
obschon  jedermann  ihre  wirklichen  Väter  kannte:  Plato  sollte  Sohn  des  Apollo  sein, 
Alexander  des  Zeus,  Augustus  wiederum  des  Apollo. 

Die  Jesuslegende  fällt  unter  den  Begriff  der  Heroenmythologie;  in  den  Evangelien, 
sicher  den  synoptischen,  ist  er  Gottessohn,  nicht  Gott;  zur  Vergottung  bilden  sich  da 
erst  Ansätze,  am  weitesten  geht  darin  das  vierte  Evangelium.  Die  Kindheitslegende, 
die  bei  Markus  fehlt,  sei  es,  daß  er  sie  nicht  kannte  oder  nicht  kennen  wollte,  und 
die  bei  Johannes  durch  die  Identifikation  mit  dem  Logos  ausgeschlossen  wird,  bringen 
Matthäus  und  Lukas,  ein  jeder  auf  seine  Weise.  Joseph  war  der  Gatte  der  Maria, 
ihr  Erstgeborener  war  Jesus,  der  Heros  der  Christen,  als  solcher  ein  Gottessohn:  Gott 
nahte  seiner  Mutter,  ehe  Joseph  die  Vermählung  mit  ihr  vollzogen  hatte.  Maria  hat 
dem  Joseph  noch  mehrere  Kinder  geschenkt. 

Die  Vorgeschichte  der  Eltern  haben  die  heidnischen  Dichter  oft  novellistisch  aus- 
gesponnen, was  denn  zur  Folge  hatte,  daß  der  Gott  Vater  in  einem  bedenklichem  Lichte 
erschien  und  der  wirkliche  Vater  in  einem  unverdient  komischen.  Im  Kultus  dagegen 
blieb  das  Kind  immer  die  Hauptsache,  und  der  Gott  blieb  in  ehrwürdiger  Höhe  und 
Ferne.     So  ist  auch  in  unserem  Falle  das  Kind  die  Hauptsache. 

Bildliche  Darstellungen  aus  der  ersten  Kindheit  hat  die  antike  Kunst  unzählige 
geschaffen.  Das  Motiv  wurde  natürlich  immer  der  Wirklichkeit  im  täglichen  Leben 
entnommen,  manch  eines  ist  ihr  glücklich  abgelauscht,  wenn  auch  viele  der  in  der 
Kunst  dargestellten  Kinder  Namen  von  Heroen  oder  Göttern  tragen.  Galt  es  bei 
mythischen  Szenen  manchmal  einer  Situation,  die  im  Leben  so  leicht  nicht  beobachtet 
wird,  so  wußte  der  Künstler  aus  seiner  intimen  Kenntnis  der  Natur  doch  naturhaft 
zu  gestalten,  z.  B.  wenn  Neugeborene  von  Tieren  gesäugt  werden,  wie  Zeus  von  der 
Ziege,  Telephos  von  der  Hindin,  Romulus  und  Remus  von  der  Wölfin.  Kinder  an 
der  Brust  der  Mutter  oder  einer  Amme  gibt  es  in  der  alten  Kunst  so  gut  wie  solche, 
die  auf  dem  Arm  getragen  werden  (Beispiel  für  beides  ist  Dionysos,  für  letzteres 
Apollon  und  Artemis,  Plutos)  oder  die  auf  dem  Schoß  spielen  (Erot  auf  dem  der 
Aphrodite,  in  Florenz,  ein  anderes  Erotenkind  auf  dem  Schoß  einer  Tanagräerin,  von 
ihr  mit  dem  Spinnrocken  geneckt.1) 

Das  Christuskind  auf  dem  Schöße  der  Mutter  kommt  schon  im  Anfang 
des  zweiten  Jahrhunderts  vor,  es  ist  das  berühmt  gewordene  Gemälde  in  Priscilla,  in 
der  Tat  eins  der  schönsten  Gemälde,  welche  die  Katakomben  zu  bieten  haben,  von  ähn- 
licher Schönheit  wie  etwa  „Adam  und  Eva"  der  Neapeler  Katakombe.  Unser  Christ- 
kind ist  nackt,  die  Mutter  hat  es  auf  den  Schoß  genommen,  doch  wohl,  um  ihm  die 
Brust  zu  geben,  indem  sie  sich  etwas  vorneigt;  das  Kind  selbst  legt  das  gespreizte 
Händchen  auf  die  Mutterbrust,  wendet  aber  wie  unruhig  das  Köpfchen  herum  nach 
dem  Beschauer;  dies  eben  wollte  der  Maler,  begreiflicherweise.  Beide,  Kind  und 
Mutter,  sind  in    Haltung   und    Gebärdung   vollkommen    natürlich    und    lebenswahr;    so 


')  Florenz:    Dütschke  n.  89.     Einzelverkauf  n.  283.     Tanagräerin:    Furtwängler,  Samml. 
Saburoff  Taf.  82. 


248 


Die  Erlösung. 


natürlich  hat  erst  wieder  Raphael  Kind  und  Mutter  gemalt;  besonders  nah  kommt  in 
der  Bewegung  des  Kindes  die  Berliner  Madonna  aus  dem  Hause  Colonna.    Die  genre- 


Das  Christuskind  auf  dem  Schoß  der  Mutter. 
Coem.  Priscillae. 


hafte    Auffassung    hatte    einzelne    Erklärer  veranlaßt,  in  dem  Katakombengemälde  ein 
bloßes    Familienbild    zu    sehen;    aber  der  Stern  zu  Häupten   des  Knaben  bezeugt  den 


Der  Erlöser.  249 

mythischen  Charakter  der  Gruppe  (in  unserer  Abbildung,  einem  Ausschnitt,  erscheint 
links  oberhalb  der  Mutter,  senkrecht  über  dem  Kind,  eben  noch  das  untere  Ende  des 
achtstrahligen  Sterns). 

Links  neben  der  Gruppe  steht,  ihr  zugewandt,  ein  Mann  im  Mantel  und  Sandalen, 
in  der  Linken  eine  Schriftrolle,  mit  der  Rechten  wie  nach  dem  Stern  zeigend.  Früher 
wurde  er  als  Joseph  erklärt,  wo  dann  die  Familie  beisammen  gewesen  wäre;  aber  abge- 
sehen davon,  daß  vielleicht  der  Mantel,  nicht  aber  die  Schriftrolle  noch  die  zeigende 
Gebärde  zu  Joseph  passen  würde,  wäre  für  jene  Zeit  der  Joseph  ein  kunstgeschicht- 
licher Anachronismus,  in  der  Frühzeit  der  altchristlichen  Kunst  hat  man  ihn  noch 
nicht  gemalt.  Er  wird  jetzt  als  ein  Prophet  erklärt,  bald  als  Jesaias,  der  von  dem 
„  Licht"  redet,  das  in  der  Zeit  der  künftigen  Herrlichkeit  aufgehen  werde  (Deuterojes. 
60,  1 — 6),  bald  als  ßileam,  der  den  „Stern  aus  Jakob"  weissagte  (Num.  24,  17;  dazu 
Off.  Joh.  22,  16  „Ich  (Jesus)  bin  die  "Wurzel  und  das  Geschlecht  Davids,  der  leuch- 
tende Morgenstern").  Bei  Kirchenvätern  wird  die  Prophezeiung  des  Sterns  aus  Jakob 
gelegentlich  dem  Jesaias  zugelegt  (Justin.  M.,  apolog.  1,  32);  das  Vorkommnis  warnt 
davor,  die  Deutung  des  Propheten  zu  sehr  zu  pressen.  Wenn  die  Gestalt  überhaupt 
ein  Prophet  der  Art  ist,  so  beweist  seine  Zusammenstellung  mit  dem  bereits  er- 
schienenen Kinde  wieder  einmal,  daß  wenigstens  die  frühere  Katakombenmalerei  nichts 
weniger  als  historische,  sondern  ganz  sinnbildliche  Kunst  war.  Übrigens  werden  wir 
auf  den  Mann  im  Zusammenhang  mit  anderen  „zeigenden  Gestalten"  unten  zurück- 
kommen.1) 

Den  auf  den  Stern  zeigenden  Propheten  allein,  ohne  die  Gruppe  der 
Mutter  mit  dem  Kind,  hat  Wilpert  in  drei  Bildern  erkannt,  die  bisher  falsch  auf 
Moses  gedeutet  worden  waren;  man  hatte  geglaubt,  Moses  empfange  das  Gesetz  aus 
der  Hand  Gottes;  diese  Szene  scheidet  nun  aus  dem  Typenschatz  der  römischen 
Katakombenmaler  aus.     Alle   drei  Exemplare   gehören  dem  vierten   Jahrhundert   an.2) 

Die  späteren  Exemplare  der  Gruppe,  des  Christuskindes  auf  dem  Schöße  der 
Mutter,  führen  den  im  Verlauf  der  Kaiserzeit  einreißenden  Niedergang  der  Kunst 
eindringlich  vor  Augen.  Jenem  ältesten  und  schönsten  Bild  in  Priscilla  sind  zunächst 
zwei  weitere  anzureihen,  beide  aus  dem  späteren  dritten  Jahrhundert.  Im  einen,  auch 
in  Priscilla,  hält  die  Mutter  das  wieder  nackte  Kind  in  den  Händen,  sieht  aber 
darüber  hinweg  aus  dem  Bilde  heraus;  damit  ist  die  Gruppe  zerrissen,  ein  fremder 
Ton  klingt  an  (Wilpert  203  Taf.  81).  Im  anderen  Exemplar,  in  Domitilla,  hat  die 
Gruppe  wieder  den  „Propheten"  neben  sich;  mit  vielen  anderen  Teilen  des  Bildes  ist 
auch  die  Hand  des  Mannes  zerstört,  sie  sollte  nicht  auf  Maria  zeigend  ergänzt  werden. 
Auch  das  Kind,  nun  bekleidet,  hat  eine  aufrechtsitzende  Haltung  eingenommen,  bereit, 
Huldigungen  entgegenzunehmen  (Wilpert  189  Fig.  14  Taf.  83, 1).  In  dieser  zeremoniellen 
Haltung  kommt  die  Gruppe  oft  vor,  in  der  Szene  des  Kindheitsmythus,  wie  die 
Magier  aus  dem  Morgenlande  ihm  Geschenke  bringen. 

Nur  Matthäus  erzählt  den  Mythus  von  dem  Stern,  den  Magier  im  fernen  Osten 
gesehen  hatten  und  der  sie  nach  Bethlehem  führte;  da  blieb  er  über  der  Stätte  stehen, 
wo  das  Kind  sich  befand,    in  dem  sie  (nicht  einen  Gott!  sondern)  den   „neugeborenen 


J)  Wilpert,  Mal.  187  Taf.  21,  1.  22. 

2)  Prophet:    Wilpert,    Malereien    199  Taf.    158,  2.  159,   3.  165    (die    einzige    Rückenansicht 
einer  Figur  in  der  ganzen  Katakombenmalerei). 


250 


Die  Erlösung. 


Die  Magier  vor  dem  Christuskind. 
Coem.  Callisti. 


König  der  Juden"  verehrten 
und  dem  sie  Geschenke 
brachten,  wie  sie  der  Orient 
liebt,  Gold,  Weihrauch  und 
Myrrhen  (Lukas  hat  statt 
dessen  die  Ankündigung  des 
Kindes  als  des  Volksheilandes 
durch  die  Worte  der  Engel 
an  die  Hirten).  Die  Magier 
waren  der  sternkundige 
Priesterstamm  bei  den  Per- 
sern; in  einem  Relief  der 
Hundertsäulenhalle  zu  Perse- 
polis  sieht  man  einen  Magier 
in  Funktion  bei  Hofe,  in  der 
auch  den  Mund  verhüllenden 
Kapuze  (Tiara)  und  dem  medischen  Talar,  räuchernd  vor  dem  thronenden  König 
Darms.  Wo  und  wie  der  Mythus  vom  Zug  der  Magier  nach  Bethlehem  entstand, 
welche  gegebenen  Elemente,  heidnische  und  jüdische,  zusammengeschossen  sind,  um 
den  Kristall  zu  bilden  und  in  welchem  Sinne  der  Mythus  erzählt  wurde,  auf  diese 
Fragen  dürfen  wir  nicht  eingehen.  Den  Katakombenmalern  lag  der  Mythus  fertig 
vor;  wir  begreifen,  daß  man  in  Rom  lieber  die  Huldigung  der  aus  dem  Heidentum 
gekommenen  Magier  darstellte,  als  die  Verkündigung  der  Engel  an  die  jüdischen 
Hirten.1) 

Zu  den  Gemälden  bleibt  nur  zu  bemerken,  daß  das  Kind  ein  paarmal  als  Wickel- 
kind erscheint,  sonst  im  Kleidchen,  daß  dreimal  der  Stern  über  seinem  Haupte  gemalt 
ist  (Wilpert  S.  198  Taf.  166,  2.  172,  2),  daß  die  Magier  in  der  typischen  Barbaren- 
tracht auftreten  (von  der  hierzu  gehörigen  hohen  Mütze  ist  die  persische  Tiara  nur 
eine  Spielart),  daß  sie  die  nicht  näher  bestimmten  Geschenke  anfangs  in  den  Händen, 
nachher  auf  runden  Schüsseln  bringen,  daß  sie  meist  eilfertig  herankommen  (das 
Exemplar  in  unserer  Abbildung  bildet  eine  Ausnahme;  aber  man  sehe  das  andere, 
übrigens  in  Einzelheiten  inkorrekt  wiedergegebene  unten  unter  „Syntax").  Da  der 
Mythus  die  Zahl  der  Magier  unbestimmt  ließ,  so  wählten  die  Maler  als  Regel  den 
kleinsten  Ausdruck  der  Mehrheit,  die  Dreizahl,  aber  ohne  sich  daran  zu  binden;  nach 
Maßgabe  des  Raumes  und  der  Gesamtanordnung  malten  sie  auch  zwei  oder  vier  Magier, 
und  zwar  in  symmetrischer  Verteilung.  Die  Festlegung  der  Dreizahl,  die  Deutung 
der  Magier  auf  Könige,  nicht  alle  des  Ostens,  sondern  der  drei  Weltteile  Asien,  Afrika 
und  Europa,  ihre  Eigennamen  Kaspar,  Melchior,  Balthasar,  die  Differenzierung  ihrer 
Lebensalter,  zu  diesem  ganzen  Sagengespinst  knüpfte  das  christliche  Altertum  nur 
die  ersten  Fäden  an,  die  Ausbildung  gehört  dem  Mittelalter;  ebenso  die  Festsetzung 
ihres  Kultes  auf  den  6.  Januar,  den  ehemaligen  Tag  der  Epiphanie  des  Christus,  der 


J)  Magier  räuchernd:  Ker  Porter,  Travels  I  Taf.  49.  Flandin  et  Coste,  Voyage  en  Perse 
III  Taf.  154.  Texier,  l'Armenie,  la  Perse  et  la  Mösopotamie  Taf.  114.  Dazu  Ferd.  Justi,  Chiliarch 
des  Dareios  (Zeitschrift  der  morgenländ.  Gesellsch.  1897,  659). 


Der  Erlöser.  251 

verfügbar  geworden  war  durch  die  im  vierten  Jahrhundert  erfolgte  Verlegung  der 
Geburt  des  Christus  auf  den  25.  Dezember.1) 

Problematisch  ist  eine  späte  Malerei,  über  dem  Orpheusarkosol  in  Domitilla: 
rechts  der  Mosesquell  mit  einem  Paradiesesbaum  hinter  dem  nach  der  Mitte  blickenden 
Moses;  links,  symmetrisch  entsprechend,  ein  nach  oben  zeigender  Mann.  Das  Mittel- 
bild ist  leider  durch  ein  sekundär  ausgebrochenes  Fachgrab  im  obersten  Teil  zerstört, 
dabei  fiel  die  rechte  Hälfte  des  Mittelbildes  herunter;  die  erhaltene,  aber  stark  ab- 
geblaßte linke  Hälfte  soll  zwei  Türme  und  eine  nach  rechts  blickende  Mutter  mit  dem 
Kind  auf  dem  Schoß  enthalten.  Früher  vermutete  man  in  der  Lücke  die  drei  Magier, 
de  Rossi  und  Wilpert  bestreiten,  daß  hierfür  genügend  Raum  sei  (doch  ist  ein 
vertikales  Trennungsband  zwischen  der  Christkindszene  und  dem  Mosesfelsen  unwahr- 
scheinlich). Wilpert  erklärte  die  Türme  für  Bethlehem,  davor  sitze  Maria  mit  dem 
Kind,  der  zeigende  Mann  sei  der  Prophet  Micha  (nach  Micha  5,  2.  Mt.  2,  2).2) 

Ebenso  problematisch  ist  ein  stark  beschädigter  Bilderstreif  in  Petrus  und 
Marcellinus.  Wilpert  glaubt  folgendes  zu  erkennen:  von  links  kommend  die  Magier 
vor  dem  Christkind  (erhalten  nur  das  Mittelstück  des  dritten  Magiers  und  Oberteil 
mit  Stuhllehne  der  Maria);  links  und  rechts  je  ein  zur  Mittelgruppe  gewendeter  Hirt, 
in  der  einen  Hand  eine  Flöte  (vielmehr  einen  kurzen  Stab),  der  rechts  hebt  die  offne 
Hand  in  der  Richtung  nach  dem  Kind;  hinter  ihm  sei  durch  einige  dicke  Striche  die 
Krippe  angedeutet.  Wilperts  Meinung  geht  dahin,  es  seien  hier  die  Hirten  aus  Lukas 
2,  16  zu  den  Magiern  des  Matthäus  hinzugefügt.3) 

Jesaias  1,  2  sagt:  „Jahwe  hat  geredet:  Kinder  habe  ich  großgezogen  und 
emporgebracht;  sie  aber  haben  sich  gegen  mich  empört.  3Ein  Stier  kennt  seinen 
Besitzer  und  ein  Esel  die  Krippe  seines  Herrn  —  Israel  erkennt  nicht  — ". 
Vers  3  wurde  von  Christen  messianisch  gedeutet,  daher  das  Bild  des  Ochs  und  Esels, 
die  den  „Herrn"  kennen.  Eine  ganz  späte  Malerei  aus  der  Sebastianskatakombe,  von 
de  Rossi  publiziert,  hat  Wilpert  nicht  wiedergegeben,  weil  sie  zu  verblaßt  ist.  Hier 
nun  liegt  das  Wickelkind,  mit  Nimbus  um  das  Köpfchen,  auf  einem  Tisch,  die  Köpfe 
eines  Esels  und  eines  Ochsen  beugen  sich  darüber;  oberhalb  ist  eine  Christusbüste 
gemalt.4) 

Es  sind  noch  einzelne  andere  Momente  aus  der  Kindheitslegende  herausgehoben 
und  bildlich  gestaltet  worden.  Es  heißt  dort:  „Da  (die  Magier)  den  Stern  sahen  (über 
dem  Ort,  wo  das  Kind  war),  hatten  sie  eine  sehr  große  Freude"   (die  naive  Kraft  des 

*)  Magier  vor  dem  Christuskind:  Wilpert,  Malereien  190  m.  Verz.  —  Zum  Mythus: 
A.  Dieterich,  Die  Weisen  aus  dem  Morgenland  (Preuschens  Zeitschr.  f.  neutest.  Wiss.  1902,  1).  - 
Drei  Könige:  Ferd.  Justi  ,  Miscellen  zur  iranischen  Namenskunde  (Zeitschr.  d.  deutschen 
morgenländ.  Ges.  1895,  688).  Fr.  X.  Kraus,  Geschichte  I  151.  —  Epiphanias  und  Weih- 
nachten: Herrn.  Usener,  Religionsgesch.  Untersuch.,  I  Das  Weihnachtsfest  1889.  de  Waal,  Rom. 
Quartalschr.  1887,  297.     Baumstark,  eb.  1897,  51. 

2)  „Micha":  Wilpert,  Malereien  200  Taf.  229. 

3)  Bilderstreif:  Wilpert,  Malereien  201  Taf.  147  unten.  Die  Krippe  ist  doch  sehr  zweifel- 
haft, vollends  in  so  weiter  Entfernung  vom  Kind;  man  sollte  das  Kind  in  der  Krippe  liegend  er- 
warten.    Dunkel  bleibt  auch  der  Gegenstand  zwischen  dem  Stuhl  und  den  „Hirten". 

4)  de  Rossi,  Bull,  crist.  1877,  154  Taf.  1.  2.  Wilpert,  Malereien  202.  Die  messianische 
Deutung  der  Jesaiasstelle  findet  sich  in  Worten  ausgesprochen  erst  im  apokryphen  Matthäus- 
evangelium, das  sich  nicht  über  das  6.  Jahrhundert  zurückverfolgen  läßt,  vgl.  Leclercq  bei  Cabrol 
Dictionn.  I  (1905)  2048  Art.  Ane. 


252  Die  Erlösung. 

griechischen  Ausdrucks  läßt  sich  deutsch  nicht  wiedergeben).  Ein  Maler  des  dritten 
Jahrhunderts  hat  diese  große  Freude  der  Magier  über  den  Stern  zum  Gegen- 
stand eines  besonderen  Bildes  gemacht:  sie  zeigen  nach  dem  Stern  und  drücken  ihre 
freudige  Erregung  durch  verschiedene  mehr  oder  weniger  lebhafte  Gebärdungen  aus. 
Der  Stern  ist  nicht  wie  sonst  achtstrahlig,  sondern  der  mittlere  Querstrich  wurde  aus- 
gelassen, so  daß  ein  Monogramm  übrig  blieb,  gebildet  aus  den  griechischen  Buchstaben 
IX,  den  Anfangsbuchstaben  des  Namens  Jesus  der  Christus  (Ljaovg  XpiaTog).  —  Es 
wird  ein  zweites  Beispiel  derselben  Darstellung  angeführt,  aus  dem  vierten  Jahr- 
hundert, wovon  aber  nur  der  eine  Magier,  der  auf  das  Monogramm  zeigt,  erhalten 
sei.  Vielmehr  füllt  der  nach  dem  Stern  zeigende  Magier  das  rechte  Zwickelfeld 
an  einem  Arkosolbogen  aus  (analog  wie  die  Zwickelfelder  an  römischen  Triumphbögen 
etwa  durch  schwebende  Viktorien  ausgefüllt  sind);  der  Stern  ist  hier  als  das  in  einen 
Kreis  gesetzte  konstantinische  Monogramm  gezeichnet.  Was  im  linken  Zwickelfeld 
dargestellt  war,  können  wir  nicht  wissen;  der  nach  dem  Stern  zeigende  Magier  aber 
ist  nicht  bloß  das  Bruchteil  einer  Szene,  sondern  eine  in  sich  abgeschlossene  Komposition, 
ein  von  den  Kindheitsszenen  abgeleiteter  symbolischer  Typus.1) 

Endlich  die  „Verkündigung"  nach  Lukas  1,  26.  Wie  im  Homer  der  Götter- 
bote Hermes  von  Zeus,  so  wird  hier  der  Engel  Gabriel  von  Gott  gesandt,  und  zwar 
nach  Nazaret  zu  Maria.  Er  verkündet  ihr  die  bevorstehende  Geburt  ihres  Sohnes 
Jesus,  des  Sohnes  Gottes  und  Königs  von  Jakob  in  alle  Zeiten.  Da  Gabriel  Maria  in 
ihrem  Hause  aufsuchte,  so  war  es  für  den  Künstler  nur  natürlich,  anzunehmen,  daß  er 
sie  sitzend  fand,  wie  sie  denn  in  der  nächsten  Erzählung  Vers  39  „aufstand",  um  in 
das  Bergland  zu  gehen.  Für  den  Boten,  der  nur,  um  seinen  Auftrag  auszurichten,  in 
das  Haus  trat,  war  es  ebenso  natürlich,  daß  er  stand.  Daher  hatte  der  Maler  nur 
nötig,  den  bereits  vorhandenen  Typus  der  sitzenden  Maria,  unter  Weglassung  des 
Kindes,  mit  einem  ihr  gegenübertretenden  gekleideten  Manne  zu  verbinden,  um  die 
Komposition  fertig  zu  haben.  Damit,  daß  er  Maria  die  Botschaft  sitzend  empfangen 
ließ,  wollte  er  ihr  nicht  etwa  einen  Vorrang  vor  dem  Engel  zusprechen;  die  Doktor- 
frage, ob  der  Engel  Gottes  oder  die  Mutter  des  Christus  höheren  Rang  habe,  lag 
wenigstens  dem  Maler  ganz  fern.  —  Die  Engel  waren  auch  im  alten  Testament  als 
Männer  gedacht,  in  Anzug  und  Benehmen  gleich  anderen  Männern;  in  der  Katakomben- 
malerei sind  sie  mit  den  anderen  bartlos.  —  Es  gibt  zwei  Exemplare  der  Verkündigung, 
aus  dem  Ende  des  zweiten  und  dem  dritten  Jahrhundert.2) 

Den  Typus  der  betenden  Mutter  mit  dem  nicht  betenden  Knaben  vor  sich  be- 
sprechen wir  füglich  bei  den  „Oranten".  — 

Wilpert,  der  stetig  Gottessohnschaft  mit  Gottheit  verwechselt,  nennt  Seite  188 
die,  nach  seiner  Chronologie  vor  150  gemalte  „Madonna  in  Priscilla"  eine  „Mutter 
Gottes".  Und  die  Besprechung  der  Bilder,  in  denen  Maria  eine  Rolle  spielt,  die 
problematische  betende  Mutter  mit  eingeschlossen,  schließt  er  Seite  213  mit  dem  Satze, 
diese  Bilder  zeigten,  daß  die  Stellung  der  Maria  in  der  Kirche  der  ersten  Jahrhunderte 


*)  Magier  und  Stern:  Wilpert,  Cyklus  christologisch er  Gemälde  Taf.  1 — 5;  ders.,  Malereien 
197.  —  Ein  Magier:   Wilpert,  Malereien  198  Taf.  241. 

2)  Verkündigung:  Wilpert,  Cyklus  christolog.  Gemälde  20  Taf.  6,  2  in  Priscilla  und 
Taf.  1 — 4  in  Petrus  und  Marcellinus.  Wilpert,  Malereien  202.  Leclercq  bei  Cabrol,  Dictionnaire  I 
(1905)  2255.  —  Engel:  Stuhlfaut,  Die  Engel  in  der  altchristlichen  Kunst  (Joh.  Fickers  Studien 
III  1897). 


Der  Erlöser.  253 

„im  Wesentlichen"  schon  damals  die  gleiche  gewesen  sei  wie  in  den  späteren  Zeiten. 
Das  ist  ein  starkes  Stück  dogmatisch  befangener  Interpretation.  Die  neutestament- 
lichen  Schriften,  die  Reden  Gabriels,  der  Elisabeth  und  Simeons  miteingeschlossen, 
wissen  nichts  von  irgend  einer  Art  Marienkultus.  Gabriel  sagt,  sie  habe  Gnade 
gefunden  vor  Gott,  Elisabeth  preist  die  Mutter,  Simeon  die  Eltern  selig  wegen  ihres 
Kindes.  Von  da  war  es  doch  ein  weiter  Weg  bis  zur  Erhebung  der  „Verkündigung" 
zu  einem  Kirchenfest  und  zur  Definition  der  Maria  als  „Gottesgebärerin",  was  beides 
erst  Jahrhunderte  später  geschah,  ersteres  frühestens  im  vierten,  letzteres  im  fünften. 
Ein  noch  viel  weiterer  Weg  aber  war  es  bis  zum  Dogma  von  der  unbefleckten 
Empfängnis  nicht  bloß  des  Christus,  sondern  auch  seiner  Mutter  Maria,  dem  Dogma, 
das  erst  Pio  nono  verkündete,  in  unseren  Zeiten,  im  Jahre  1854.  Von  alledem  sagen 
die  Katakombengemälde,  die  wir  besprachen,  nichts,  sicher  nichts  von  der  unbefleckten 
Empfängnis,  aber  auch  nichts  von  der  jungfräulichen  Mutter  Gottes.  Was  sie  vor 
Augen  führen,  das  ist  der  Erlöser  vom  Tod,  wie  er  auf  die  Welt  gekommen  ist,  seine 
Epiphanie.1) 


])  Marienbilder:  de  Rossi,  Immagini  scelte  della  beata  vergine  Maria  1863.  v.  Lehner, 
Die  Marienverehrung  in  den  ersten  Jahrhunderten  1881.  Liell,  Darstellungen  der  allerseligsten 
Jungfrau  und  Gottesgebärerin  Maria  auf  den  Kunstdenkmälern  der  Katakomben  1887.  Fr.  X.  Kraus, 
Realencykl.  II  361;  Geschichte  I  186,  4.     Vgl.  Cabrol,  Dictionnaire  I  (1905)  2241. 


Daniel  in  der  LöweDgrube. 


Orante. 
Coem.  Callisti. 


Jonas  unter  der  Laube. 


Die  Seligen  im  Himmel. 


Durch  die  reiche  Fülle,  durch  die  schier  verwirrende  Menge  der  Katakomben- 
malereien  haben  wir  uns  den  Weg  zu  bahnen  gesucht.  Wir  setzten  hier  und  dort  an, 
und  es  wurde  mählich  licht.  Wie  wenn  die  Kreuzfahrer  endlich  das  erstrebte 
Jerusalem  vor  sich  liegen  sahen,  so  liegt  nun  das  Ziel  vor  uns,  nicht  das  irdische 
Jerusalem,  sondern  das  himmlische. 

Wir  sahen  an  den  Gräbern  das  Paradies  gemalt  als  lieblichen  Park,  mit 
blühenden  Bäumen,  sprudelndem  Wasser  und  im  Laub  spielenden,  am  Wasser 
nippenden  Vögeln.  Wir  sahen  die  Decken  der  Grüfte  sich  wölben  wie  leichte 
Lauben,  zum  Himmel  sich  wölben  mit  seinen  seligen  Bewohnern.  Bereits  sahen  wir 
die  Seligen  beim  himmlischen  Gelage,  die  vom  Tod  Erlösten  und  in  das  ewige  Leben 
Eingegangenen.  Der  Gedanke  der  Erlösung  ließ  andere  Bilder  sich  aneinanderreihen, 
in  wunderbaren  Rettungen  Typen  der  Erlösung,  wiederum  mystische  Mittel  zur  Er- 
lösung, endlich  den  Erlöser  selbst,  im  Haupttypus  des  guten  Hirten,  der  die  Ent- 
schlafenen auf  seinen  Schultern  in  das  Paradies  trägt,  und  des  Hirten,  der  seine  Herde 
weidet.  Zuletzt  erlebten  wir  den  Tag  seiner  Erscheinung,  da  er  auf  die  Welt  kam; 
mit  den  Weisen  aus  dem  Morgenland  begrüßten  wir  das  Christkind.  Denn  wahrlich, 
der  Christus  hat  viele  erlöst,  wenn  nicht  vom  Tode,  so  doch,  was  mehr  ist,  von  der 
Todesangst.     Es  ist  mehr,  weil  es  etwas  ist. 

Wir  sind  am  Ziele,  wir  treten  ein.  Kein  Pförtner  fragt  nach  unseren  Papieren. 
Die  Güte  selbst  tut  sich  weit  auf.  Als  Heilige  und  als  Selige  treten  wir  ein.  Wir 
stehen  vor  dem  Angesicht  des  Herrn. 

Moses  auf  dem  Berge  Horeb.  Da  er  die  Schafe  weidete,  sah  er  den  Busch, 
der  brannte,  jedoch  nicht  abbrannte.     Er  wollte  das  Wunder  aus  der  Nähe  betrachten, 


Die  Oranten.  255 

aber  der  Herr  rief  ihm  aus  dem  Busche  zu,  nicht  nahe  zu  kommen,  sondern  seine 
Sandalen  abzulegen,  denn  der  Ort,  auf  dem  er  stehe,  sei  heiliges  Land.  „Ich  bin  der 
Gott  deines  Vaters,  der  Gott  Abrahams,  Isaaks  und  Jakobs".  Moses  wandte  sein 
Gesicht  ab,  denn  „er  scheute  sich  anzublicken  angesichts  Gottes"  (Exod.  3, 1 — 6  Sept.). 
Die  Bilder  des  Moses  auf  dem  Horeb  gehören  alle  erst  dem  vierten  Jahrhundert  an. 
Moses,  unbärtig,  in  Rock  und  Mantel,  hat  einen  Fuß  auf  einen  Stein  gestellt,  um  die 
Sandalen  zu  lösen;  zugleich  wendet  er  das  Gesicht  ab,  das  heißt  nach  der  Seite  des 
Beschauers  oder  noch  weiter  zurück.  Den  Typus  der  Figur  mit  hochaufgestelltem 
Fuß  hatte  einst  die  polygnotische  Malerei  geschaffen,  im  fünften  Jahrhundert  vor 
Christus;  in  Vasenbildern,  die  von  ihr  beeinflußt  sind,  kommt  der  Typus  zuerst  vor; 
dann  finden  wir  ihn  im  Parthenonfries  in  das  Relief  übertragen,  endlich  statuarisch 
entfaltet  im  vierten  Jahrhundert;  bekannt  ist  der  Hermes,  der  die  Sandalen  anlegt, 
um  einen  Auftrag  des  Zeus  auszurichten  (früher  als  Jason  erklärt).  Für  das  Motiv 
trägt  es  so  gut  wie  nichts  aus,  ob  die  Sandale  an-  oder  abgelegt  wird;  Moses  zieht 
sie  aus.  Aber  was  soll  das  Bild  in  den  Katakomben?  Es  schien  so  schwer,  eine 
zutreffende  Beziehung  zu  finden,  daß  einzelne  Erklärer  auf  den  verzweifelten  Ausweg 
verfielen,  es  liege  eine  „mehr  historische  Auffassung"  vor,  es  solle  nur  einfach 
biblische  Geschichte  erzählt  werden.  Andere  fanden  die  Scheu  vor  dem  Heiligen  aus- 
gedrückt; der  Grund,  weshalb  Moses  das  Gesicht  abwandte,  war  aber  mehr  Furcht 
vor  dem  vernichtenden  Anblick  Gottes.  Eher  läge  dergleichen  im  Ausziehen  der 
Sandalen;  denn  „die  Stätte,  auf  die  du  trittst,  ist  heiliger  Boden".  In  der  Kata- 
kombensprache aber  ist  der  heilige  Boden  das  himmlische  Paradies,  der  bartlose  Moses 
auf  heiligem  Boden  ist  Typ  des  verstorbenen  Christen  im  Himmel.  Und  schließlich, 
Moses  steht  vor  dem  Angesicht  Gottes  (in  unserer  Abbildung  Seite  234  sieht  man 
die  Hand  Gottes  aus  Wolken  hervorgestreckt),  wie  eben  die  Seligen  im  Himmel  vor 
dem  Angesicht  des  Herrn  stehen. 

„Herr"  war  den  Israeliten  ein  Prädikat  des  Gottes,  Jahwes;  die  Christen  über- 
trugen es  (in  Gestalt  des  griechischen  Wortes  -/.vgiog)  auf  ihren  Christus  und  bezogen 
manches,  was  dem  Herrn  Gott  galt,  auf  ihren  Herrn  Jesus  den  Christ.  Man  könnte 
erwarten,  die  Seligen  vor  dem  Angesicht  Gottes  stehend  zu  finden,  es  ist  aber  immer 
der  gute  Hirt,  oder  aber  der  Christus  in  direkter  Darstellung,  den  wir  im  Zenith  des 
gemalten  Himmels  sehen  und  vor  dessen  Angesicht  die  Seligen  stehen.  Der  Grund 
dafür  ist  nicht  bloß  das  Verbot,  „abzubilden,  was  man  verehrt";  sahen  wir  doch  Moses 
auf  dem  Berge  Horeb  vor  Gott  stehen,  ohne  daß  der  Maler  das  Verbot  übertreten 
hätte.1) 


Die  Oranten. 

Der  beliebteste  Typus  für  Darstellung  Verstorbener  ist   der  Betende  (orans),    es 
ist    mit    153    Exemplaren    gegen   129   Jonasbilder  überhaupt   der  in  der  Katakomben- 


!)  Moses  auf  dem  Berge  Horeb:  Wilpert,  Malereien  421,  gibt  die  Erklärung  soweit  richtig, 
schiebt  aber  dem  Ausdruck  des  zuversichtlichen  Vertrauens  das  Gebet  unter.  —  Polygnotische 
Vasen:  v.  Sybel,  Weltgesch.d. Kunst2  179  mit  Anm.  u.  Farbtafel.  Parthenonfries:  Michaelis,  Der 
Parthenon  1870  Taf.  9  Figur  29.  Hermes  (Jason):  Scherer  in  Roschers  Lexikon  I  2418.  Ab- 
bildung bei  v.  Sybel,  Weltgesch.  2289. 


256  Die  Seligen  im  Himmel. 

maierei  am  stärksten  vertretene  Typus.  Es  muß  aber  bemerkt  werden,  daß  in  den 
Malereien,  welche  nach  dem  jetzigen  Stand  der  Katakombenforschung  als  die  frühesten 
gelten,  Oranten  noch  nicht  vorkommen;  ihre  anerkannte  Reihe  beginnt,  immer  noch 
früh  genug,  im  zweiten  Jahrhundert,  in  der  Cappella  greca  und  in  Priscilla  (Wilpert, 
Fractio  panis  7  Taf.  12  und  Malereien,  Tai  21,  2;  das  Orantenpaar  Wilpert  Taf.  14 
wird  aus  der  Susannageschichte  gedeutet).  Wohl  kommen  schon  in  den  Malereien  der 
Flavierzeit  Betende  vor,  das  sind  aber  nicht  verstorbene  Christen,  wenigstens  nicht  in 
unmittelbarer  Darstellung,  sondern  sinnbildliche  Typen  wie  Noah  in  der  Arche  oder 
Daniel  in  der  Löwengrube.  Daß  die  Oranten  im  erhaltenen  Bildervorrat  nicht  früher 
vorkommen,  kann  Zufall  sein,  ältere  Exemplare  können  zugrunde  gegangen  sein;  die 
besondere  Art,  wie  ein  Noah  dargestellt  wird,  scheint  sogar  das  frühere  Dasein  von 
Orantenbildern  vorauszusetzen. 

Die  Gebärde  des  Gebets  im  Altertum  war  mannigfaltig  differenziert,  zumeist  ein 
Heben  der  geöffneten  Hände;  es  wird  in  semitischen,  griechischen  und  christlichen 
Schriften  erwähnt  (z.  B.  Jes.  1,  15  Wenn  ihr  eure  Hände  ausbreitet,  so  verhülle  ich 
meine  Augen  vor  euch,  und  wenn  ihr  noch  soviel  betet,  so  höre  ich  euch  nicht. 
Aristoph.  Vögel  622  Wir  werden  zu  ihnen  beten,  beide  Hände  emporstreckend,  daß 
sie  uns  von  allem  Guten  unser  Teil  geben.  Tim.  I  2,  8  Ich  wünsche  nun,  daß  die 
Männer  beten  an  jedem  Ort  aufhebend  heilige  Hände).  Das  Grundmotiv  des  Gebets- 
gestus  war  nicht  demütig  abwartendes  Erbitten,  sondern  gewaltsames  Erzwingenwollen 
des  Begehrten;  hinter  jeder  Bitte  lauert  Ungeduld:  Und  folgst  du  nicht  willig,  so 
brauch  ich  Gewalt.  Wie  die  Urmeinung  unter  der  Decke  der  Sitte  nur  schläft,  kann 
man  an  den  heißblütigen  Südländern  sehen;  die  in  der  antiken  Religiosität  dahin- 
lebenden Neapolitaner,  wenn  sie  durch  einen  stärkeren  Aschenregen  des  Vesuvs 
geängstigt  ihren  heiligen  Januarius  um  sein  Blutwunder  anrufen,  da  gehen  sie  bald 
von  dringenden  Bitten  zu  Verwünschungen  und  Drohungen  über.  Den  Gott  zu 
zwingen  ist  die  Grundabsicht  des  ganzen  Kultus,  ihn  zu  zwingen  mit  Gewalt  oder  mit 
List  oder  durch  Kauf;  es  ist  ein  dauernder  Kampf  zwischen  Gott  und  Mensch  mit 
dem  Risiko  des  Unterliegens.  Den  Gott  gewaltsam  zu  zwingen,  das  geht  ja  nur  im 
Mythus:  so,  wenn  Herakles  dem  Triton  sein  Wissen  durch  körperliches  Ringen  abzwingt; 
das  heißt  eindringlich  gebetet.  Im  Verkehr  unter  Menschen  mildert  die  Kultur  den 
Zwang  zur  Bitte,  aber  je  dringender  die  Bitte,  desto  handgreiflicher  wird  sie;  dann 
legt  der  Bittende  die  Hand  an  den  Arm,  an  das  Kinn  des  Gebetenen,  und  hatte  er 
sich  vor  einem  Mächtigen  niedergeworfen,  an  dessen  Knie.  Dasselbe  konnte  man  vor 
Göttern  nur  an  ihrem  Bilde  tun.  Wer  aber  nicht  an  ein  Bild  sich  wandte,  sondern 
an  den  Gott  selbst,  der  konnte  ihn  nicht  fassen;  zum  Himmelsgott  droben  mochte  er 
Blick  und  Handwurf  senden,  zum  Meeresgott  vor  sich  mochte  er  die  Hände  vor- 
strecken, nur  die  Mutter  Erde  konnte  er  mit  den  Händen  schlagen,  daß  sie  ihn  er- 
höre; mehr  vermochte  er  auch  nicht  gegenüber  den  Mächten  und  den  Toten  in  der 
Unterwelt.1) 

Das  vollkommene  Gebetsschema  besteht  darin,   daß  man  die  beiden  Hände  aus- 
wirft,   gegen    den    Gott   hin    geöffnet,    und    zwar  mit  gespreizten  Fingern.     Letzteres 


l)  Gebetsgesten:  Hermann-Stark,  Lehrbuch  der  gottesdienstlichen  Altertümer  1858,  114. 
Schömann-Lipsius,  Griechische  Altertümer  II  1902,  262.  Sittl,  Gebärden  der  Griechen  und  Römer 
1890,   174,  305. 


Die  Oranten.  257 

stammt  wohl  vom  Urgebet  mit  seiner  Spannung  aller  Muskeln  am  ganzen  Körper, 
wie  sie  das  sprungbereite  Raubtier  zeigt;  war  es  doch  nicht  das  Handausstrecken  des 
Bettlers,  um  hingeworfene  Almosen  aufzufangen,  sondern  ein  Fassenwollen,  um  zu 
zwingen.  Weil  die  meisten  Gebete  an  die  Götter  droben  gerichtet  wurden,  so  wäre 
der  Haupttypus  des  Gebetsgestus,  die  flachen  Hände  zugleich  mit  dem  Blick  zu  heben 
(%£i()(xg  vnTiag,  manus  supinas,  nach  moderner  Terminologie  aber  nicht  supiniert,  sondern 
proniert);  in  der  Regel  jedoch  werden  Blick  und  Handflächen  nicht  nach  oben,  sondern 
mehr  geradeaus  gerichtet,  wie  zu  einem  gegenwärtigen  Gott  oder  seinem  Bild. 

Anschauung  Betender  gewähren  viele  alte  Kunstdenkmäler,  indessen  will  mehreres 
dabei  berücksichtigt  sein.  Einmal  ist  das  Gebet  nur  Unterart  eines  Allgemeineren, 
nämlich  der  Ansprache,  gerichtet  an  irgend  eine  Person,  an  einen  Menschen,  auch 
einen  Verstorbenen,  oder  an  einen  Gott,  der  ja  immer  menschartig  gedacht  ist.  So- 
dann tritt  das  Auseinanderführen,  Offnen  und  Spreizen  der  Arme,  Hände  und  Finger 
als  Folge  äußerster  Erregung  und  Spannung  unter  verschiedenen  Umständen  auf, 
außer  bei  dringender  Bitte  kommt  es  z.  B.  auch  unter  Einfluß  von  Schreck  vor;  dieser 
kann  sich  allerdings  auch  in  einem  Hilferuf  und  Gottesanruf  äußern,  besonders  leicht 
bei  so  religiös  empfindenden  Menschen,  wie  die  Alten  von  Haus  aus  waren.  Kurz  es 
ist  nicht  immer  leicht,  Beter  von  typ  verwandten  Figuren  zu  unterscheiden,  sei  es, 
daß  Ansprache  oder  Anruf  nicht  an  eine  kultlich  zu  verehrende  Person  gerichtet 
oder  der  Gestus  nicht  Ausdruck  eines  eigentlichen  Gebetes  ist.  Wenn  in  einem  be- 
rühmten Wandgemälde  Iphigenie  zum  Altar  geschleppt  wird  und  in  höchster 
Todesgefahr  die  Arme  ausbreitet,  da  ruft  sie  doch  wohl  die  Götter  an;  zweifelhafter 
kann  es  bei  Kirke  sein  vor  dem  gezückten  Schwert  des  Odysseus,  bei  Eurydike,  da 
Orpheus  sich  zu  ihr  umkehrt  zu  ihrem  Verhängnis.1) 

Beachtenswert  sind  auch  die  mancherlei  Abstufungen  in  der  Ausführung  der 
Gebärde.  Die  Hände  können  verschieden  hoch  geführt  werden.  Bisweilen  sehen  wir 
sie  bis  über  den  Scheitel  gehoben;  es  ist  vermutet  worden,  der  Berliner  betende  Knabe, 
dessen  jetzige  Arme  modern  ergänzt  sind,  habe  sie  so  hoch  gehalten.  Die  Sitte  führte 
umgekehrt  Mäßigungen  in  der  Bewegung  ein.  Da  wird  der  linke  Arm  unter  dem 
Mantel  gehalten,  nur  der  rechte  ausgestreckt,  wie  Metilius  es  tut.  Oder  die  Hand 
wird  überhaupt  nicht  ausgestreckt,  sondern  nur  eben  gehoben,  nicht  ganz  in  Schulter- 
höhe, nahe  am  Körper;  die  Hand  wird  nur  halb  geöffnet,  nur  eben  der  Zeigefinger 
und  etwa  der  Mittelfinger.  So  zeigen  es  die  unzähligen  griechischen  Adorantenreliefs. 
Die  Athener  übten,  was  Tertullian  seinen  afrikanischen  Christen  empfiehlt,  die  Hände 
nicht  zu  hoch,  sondern  maßvoll  zu  heben  (de  orat.  13  temperate).  Der  Gestus  der 
halboffen  gehobenen  Hand  diente,  neben  dem  Handkuß,  auch  zur  bloßen  Adoration 
ohne  Bitte;  auf  attischen  Vasenbildern  des  fünften  Jahrhunderts  grüßt  in  dieser  Weise 
ein  Athener  im  Vorübergehen  ein  Bild  seiner  Göttin,  und  Herakles  bei  seinem  Ein- 
gang in  den  Olymp  seinen  Vater,  den  Zeus.  Doch  konnte  die  Adoration  auch  mit 
ausgestreckter  Hand,  oder  beiden  ausgestreckten  Händen  geschehen. 

Nicht  übergehen  dürfen  wir  die  Tatsache,  daß  die  Grabkunst  der  Heiden  Beter 
dargestellt  hat.     An   einem  attischen,  um  400  vor  Chr.  gemeißelten  Grabstein  streckt 


*)  Iphigenie:  Heibig,  Wandgemälde  n.  1304.  v.  Sybel,  Weltgesch.  d.  Kunst  2252  Abb.  — 
Kirke:  Mon.  d.  inst.  V  Taf.  41.  Röscher,  Lexikon  II  i  1195  Abb.  —  Eurydike:  Mon.  Vlil 
Tai  28.     Röscher,  Lexikon  III  i  1176  Abb. 

Sybel,  Christliche  Antike  I.  17 


258  Die  Seligen  im  Himmel. 

der  Verstorbene  die  flache  Hand  aus;  eine  späte  Stele  zeigt  eine  sitzende  Frau,  nicht 
wie  in  der  klassischen  Zeit  üblich  war,  in  Profil  oder  Halbprofil,  sondern  in  voller 
Vorderansicht  aus  dem  Relief  herausblickend,  die  flachen  Hände  nach  beiden  Seiten 
ausgestreckt.  Erwähnung  verdienen  auch  die  flachen  Hände,  welche  als  Sinnbild  des 
Gebets  des  öfteren  angebracht  wurden;  bisweilen  findet  sich  in  gleicher  Bedeutung 
auch  nur  eine  Hand.  Das  Symbol  steht  z.  B.  beim  „Stadtgebet  von  Itanos",  ferner 
bei  Votivinschriften,  an  Felsgräbern  und  an  Grabsteinen.  Wenn  die  Grabschrift  die 
besondere  Meinung  des  Gebets  nicht  ausspricht,  so  hält  es  schwer,  sie  zu  präzisieren; 
denn  es  kann  bloße  Adoration  sein,  es  kann  aber  auch  Anklage  erheben,  wie  Prokope 
ihre  Hände  gegen  die  Götter  erhebt,  die  sie  dem  Leben  entrissen  haben,  oder  sie 
kann  eine  Verwünschung  gegen  den  Mörder  aussprechen.  In  letzterem  Sinne  begegnet 
das  Symbol  auch  an  jüdischen  Grabsteinen  aus  dem  Altertum;  es  hat  sich  übrigens 
bei  den  Juden  erhalten,,  nur  umgedeutet  in  rituellen  Segen.1) 

Wie  Heiden  und  Juden,  so  erhoben  die  Christen  die  Hände  zu  ihrem  Gott. 
Solche  Beterfiguren,  beide  Hände  proniert  gehoben,  sind,  wie  gesagt,  sehr  häufig  in 
der  Katakombenmalerei.  Die  geistreichen  Kirchenväter,  immer  geneigt,  zu  kombinieren 
und  zu  allegorisieren,  fanden  im  Schema  der  ausgebreiteten  Arme  eine  Reminiszenz 
an  den  Gekreuzigten;  das  ist  natürlich  sekundär  hineingedeutet,  doch  kann  diese  Auf- 
fassung immerhin  die  Haltung  mancher  Beter  beeinflußt  haben.  Die  Darstellungen 
zeigen  die  „Oranten"  mit  sehr  verschieden  modifizierter  Armhaltung,  bald  stehen  die 
Hände  höher,  bald  tiefer,  in  einigen  der  ältesten  und  in  vielen  späteren  Malereien 
sind  die  Arme  im  Ellbogen  scharf  gebeugt,  so  daß  die  Kreuzform  doch  nur  sehr  vag 
herauskommt.  Klar  erscheint  sie  erst  im  dritten  Jahrhundert.  Die  Männer  beteten 
wie  die  heidnischen  Griechen,  mit  bloßem  Kopf,  die  Frauen  mit  verhülltem  Haar 
(Kor.  I  11,  4— 15).2) 

Die  Oranten  finden  wir  teils  in  die  Decken,  teils  in  die  Wandmalereien  einge- 
setzt. Die  Decken  disponierte  man  nach  dekorativen  Gesichtspunkten,  auch  wenn  man 
das  Laubensystem  als  Andeutung  des  himmlischen  Paradieses  verstand  und  die  Embleme 
in  eben  diesem  Sinne  wählte  und  verteilte;  denn  für  das  Zenithfeld  nahm  man  vor- 
herrschend den  Christus,  im  Typus  des  Guten  Hirten,  oder  denselben  in  direkter 
Darstellung,  für  die  Zwickel-  und  Kappenfelder  teils  Selige,  teils  Rettungstypen.  (Eine 
Orans  in  der  Decke  oben  Seite  154).  Solche  Seligenbilder,  meist  im  Orantentypus, 
bei  aller  Bedeutsamkeit  auch  sie  dekorativ  angeordnet,  z.  B.  in  der  Form,  daß  je  zwei 


x)  Betender  Knabe:  Conze,  Archäol.  Jahrbuch  1886,  1.  Furtwängler  und  Conze,  Archäol. 
Anzeiger  1904,  75.  Metilius:  Amelung,  Fährer  Florenz  n.  249.  v.  Sybel,  Weltgesch.  der  Kunst 
2373  Abb.  Adorantenreliefs:  v.  Sybel,  Katalog  d.  Skulpturen  pag.  VIII  Votivreliefs.  — 
Vasenbilder:  Petersen,  Ath.  Mitteil.  1897,  318  Abb.  Monum.  d.  instit.  XI  Taf.  39.  —  Grab- 
stein: Conze,  Attische  Grabreliefs  n.  204.  v.  Sybel,  Weltgesch.  d.  Kunst  228  Abb.  Stele:  Ath. 
Instituts  phot.,  Gräbst,  n.  238.  —  Anderes  bei  Brückner,  Anakalypteria  1904,  Anm.  zu  S.  9.  — 
Hände:  Material  bei  Sittl,  Gebärden  306  f.  Dümmler,  Ath.  Mitteil.  1891,  127  (Itanos).  Noack, 
Ath.  Mitteil.  1894,  318.  Förster,  Archäol.  Jahrbuch  1898,  190.  Kaiinka,  Österr.  Jabreshefte  1898, 
Beibl.  108;  ders.,  Tituli  Lyciae  1901  n.  4.  Wilhelm,  Jahreshefte  1901,  Beibl.  10  (jüdische  Inschriften). 
Sind  nicht  auch  die  Bronzehände  Gebetsbände?  vgl.  Hörnes,  Urgeschichte  der  bild.  Kunst  in 
Europa  1898,  423. 

2)  Oranten:  Liell,  Die  Darstellungen  der  allerseligsten  Jungfrau  und  Gottesgebärerin 
Maria  auf  den  Kunstdenkmälern  der  Katakomben  1887,  115  Die  Oranten  in  der  altchristlichen 
Kunst.     Wilpert,  Malereien  115.     456  Die  Oranten.     Kreuzform:  zuerst  Wilpert  Taf.  84,  2. 


Die  Oranten.  259 

Männer  und  zwei  Frauen  sich  diagonal  gegenüberstehen,  können  nur  dienen,  die  Idee 
des  himmlischen  Paradieses  näher  zu  veranschaulichen.  Diese  Seligen  sind  nicht  die 
besonderen,  in  der  Kammer  beigesetzten,  sondern  sie  haben  allgemeinere,  wenn  man 
will  symbolische  Bedeutung,  sofern  es  Symbolik  zu  nennen  ist,  wenn  die  Maler  ganz 
einfach  den  Himmel  mit  seinen  seligen  Bewohnern  vor  Augen  zu  bringen  gedachten, 
so  wie  sie  ihn  etwa  sich  dachten  und  mit  den  bescheidenen  Mitteln  ihrer  Kunst  aus- 
zudrücken vermochten.  Die  Tauben  und  Pfauen,  ursprünglich  die  gegebene  Tier- 
staffage der  Parks  und  Lauben,  wie  die  aus  der  Idyllenmalerei  stammenden  Schafe, 
gehen  da  mit  hinein,  vollends  wenn  sie  als  Bilder  der  Seligen  verstanden  wurden,  die 
einen  als  Bilder  derer,  die  sich  im  Paradies  erquicken,  die  anderen  derer,  die  der 
gute  Hirt  aus  dem  Tod  erlöste  und  in  das  ewige  Leben  einführte.  Übrigens  darf 
man  an  die  Spiele  der  Phantasie  nicht  die  Maßstäbe  pedantischer  Logik  anlegen.  Die 
geschilderte  Bedeutung  der  Oranten  wird  durch  den  Umstand  erhärtet,  daß  die  Decken 
zuerst  gemalt  wurden,  in  der  Regel  ehe  über  Beisetzungen  in  der  Gruft  irgendwie 
bestimmt  war.  Die  Vergleichung  der  Oranten  in  den  Deckenmalereien  mit  den  tat- 
sächlichen Bestattungen  in  den  Wandgräbern  zeigt,  daß  keine  Beziehung  zwischen 
ihnen  besteht;  so  wenn  an  der  Decke  einer  Kammer  zwei  männliche  und  zwei  weib- 
liche Oranten  in  der  erwähnten  Anordnung  gemalt  sind,  während  in  den  Fachgräbern 
derselben  großenteils  Kinder  beigesetzt  waren.  Auch  an  vielen  Wänden  ließ  sich 
feststellen,  daß  ihre  Bemalung  vorweg  gemacht  war,  zusammen  mit  derjenigen  der 
Decke.  Dabei  wurden  im  Putz  längliche  Felder  für  die  nach  Bedarf  einzubrechenden 
Gräber  ausgespart,  wobei  es  denn  vorkam,  daß  einzelne  Felder  unbenutzt  blieben,  in 
andere,  für  Erwachsene  berechnete  Felder  aber  nur  Kindergräber  gebrochen  wurden. 
Also  war  die  ganze  Ausmalung  der  Kammer  unabhängig  von  den  Gräbern  und  den 
darin  Bestatteten  entstanden  (Liell  127).  Solche  Herstellung  von  Grüften  auf  Vorrat 
kam  natürlich  in  der  ersten  Zeit  noch  nicht  vor,  erst  nachdem  die  Katakomben- 
bestattung sich  zu  einem  festen  Brauch  ausgebildet  hatte  und  die  Anlagen  weiter- 
blickend geplant  wurden. 

Immerhin  gibt  es  in  den  Wandmalereien  einige  Oranten,  die  durch  beigeschriebene 
Namen  als  Darstellungen  der  dort  Beigesetzten  gekennzeichnet  sind.  In  diesen  Fällen 
war  der  Wandputz  mit  der  Malerei  erst  nach  der  Beisetzung  und  dem  Verschließen 
des  Grabes  aufgetragen;  so  ist  es  z.  B.  bei  den  sog.  fünf  Heiligen  der  Fall  (unsere 
Farbtafel  IV).  Ob  indessen  die  Persönlichkeiten  und  ihre  Gesichtszüge  wirklich 
porträthaft  individualisiert  seien,  darüber  gehen  die  Ansichten  auseinander;  Liell 
bejaht  die  Frage,  Wilpert  verneint  sie.  Ihre  Erörterung  ist  aber  ein  so  schöner 
Unterhaltungsstoff  für  alle  diejenigen,  welche  die  Malereien  in  den  Katakomben  selbst 
oder  in  der  neuen  Publikation  gemeinsam  betrachten,  daß  wir,  um  ihrem  Witz  nicht 
vorzugreifen,  das  Problem  unerörtert  lassen  möchten.  Im  Ernst  gesprochen,  Archäologen 
und  Kunsthistoriker,  denen  die  Naturgeschichte  der  Porträtmalerei  sowie  die  Subjek- 
tivität der  Urteile  über  Porträts  bekannt  ist,  werden  unsere  Zurückhaltung  verstehen, 
vollends  gegenüber  der  Handwerksarbeit  der  Katakombenmalerei.  Ein  einzigartiges 
Porträt  auf  Leinwand,  das  doch  wohl  ausgeführter  gearbeitet  war  —  im  Cubiculum 
Oceani  hatte  man  es  oben  im  Lichtschacht  auf  den  Putz  befestigt,  ist  leider  herunter- 
gefallen und  zugrunde  gegangen.1) 


l)  Cub.  Oceani:    Unsere  Farbtafel  II,  vgl.  Wilpert,  Malereien  32,  3. 

17  = 


260  Die  Seligen  im  Himmel. 

De  Rossi,  zuerst  allerdings  durch  einige  spätere  literarische  und  monumentale 
Tatsachen  bestimmt,  hat  versucht,  die  Bedeutung  der  Oranten  genauer  zu  präzisieren: 
es  seien  bei  diesem  Typus  nicht  so  sehr  die  Verstorbenen  selbst  gemeint,  nämlich  nach 
ihrer  ganzen  Persönlichkeit  und  Erscheinung  im  Leben,  als  deren  im  Tode  ab- 
geschiedene Seelen.  Das  wäre  also  eine  selbständige  Personifikation  der  Seele,  ein 
neues  und  letztes  Kapitel  zur  Mythologie  der  Psyche  im  Altertum.  Unsere  Einleitung 
vertrat  den  Gedanken  vom  antiken  Charakter  des  Altchristentums  und  der  altchrist- 
lichen Kunst;  müßte  dem  Satz  die  Tragweite  gegeben  werden,  daß  nichts  als  altchrist- 
lich anzuerkennen  wäre,  das  sich  nicht  über  seinen  antiken  Charakter  auszuweisen 
vermöchte,  so  wäre  die  fragliche  Seelenmythologie  als  altchristlich  legitimiert,  wenn 
nicht  nach  ihrer  Tatsächlichkeit,  so  doch  nach  ihrer  Möglichkeit  in  den  Grenzen  der 
Antike.  Sie  gehorcht  der  Regel,  wonach  das  Geschlecht  einer  Personifikation  dem 
grammatischen  Geschlecht  des  Begriffs  folgt;  die  Psyche,  anima,  Seele,  ist  weiblichen 
Geschlechts  wie  in  der  Sprache  so  in  der  poetischen  und  bildnerischen  Personifikation. 
Schon  die  heidnischen  Griechen  stellten  sie  als  Mädchen  dar;  das  Bild  sahen  wir  von 
den  Katakombenmalern  übernommen,  unsere  Farbtafel  I  zeigt  sie  mit  Eros  Blumen 
pflückend.  Ist  das  nicht  auch  ein  Bild  paradiesischer  Seligkeit?  So  wäre  es  ein 
Präludium  zu  der  neuen  Personifikation  der  Seele  in  der  Orans. 

Aber  warum  soll  denn  die  Orans  nicht  die  Verstorbene  als  die  ganze  Persön- 
lichkeit darstellen,  sondern  nur  ihre  in  den  Himmel  eingegangene  Seele?  Vielleicht 
weil  nach  christlicher  Vorstellung  der  Körper  bis  auf  weiteres  im  Grabe  bleibt,  nur 
die  befreite  Seele  unmittelbar  in  das  Paradies  eingeht?  Die  Gründe  sind  in  Wirklich- 
keit nicht  dogmatischer,  sondern  archäologischer  Art.  Es  kommt  vor,  daß  am  Grabe 
eines  Mannes,  des  Cäsidius  Faustinus,  eine  weibliche  Orans  abgebildet  ist;  also  scheint 
nicht  er  dargestellt,  sondern  seine  Seele.  Und  seine  Witwe  Cyriace,  die  achtund- 
zwanzig Jahre  mit  dem  wackeren  Manne  lebte,  weiht  ihm  seine  Ruhestätte  als  der 
guten  Seele,  die  nun  im  Frieden  ruht  (bonae  animae  in  pace.  Bull,  crist.  1868,  12  n.  3). 
Ähnliches  kommt  mehr  vor.  Überhaupt  fällt  auf,  daß  die  weiblichen  Oranten  in  den 
Katakombenmalereien  soviel  zahlreicher  sind  als  die  männlichen.  In  der  Tat  ist  es 
schwer,  die  Erscheinung  zu  erklären;  die  Deutung  der  Orans  auf  die  Seele  aber  hilft 
nur  scheinbar,  weil  sich  ihr  die  doch  auch  vorhandenen  seligen  Männer  nicht  fügen. 
Ebensowenig  wollen  sich  der  Deutung  auf  verkörperte  Seelen  diejenigen  Oranten 
fügen,  welche  zu  mehreren  gruppiert  (wenn  bloße  Reihung  als  Gruppierung  gelten 
darf)  eine  Familie  darstellen:  in  Priscilla  Mann  und  Frau,  zu  seiner  Rechten  ein 
Knabe,  von  dem  leider  nur  ein  Fuß  erhalten  ist;  in  Kaliist  ein  Ehepaar  (der  Mann 
indes  nicht  betend,  sondern  nach  der  Speise  auf  einem  Tischchen  greifend)  durch  ein  für 
sich  eingerahmtes  Seligenmahl  getrennt  von  ihren  zwei  Kindern;  in  demselben  Cöme- 
terium  in  einer  Arkosollünette  eine  Mutter  zwischen  ihren  Kindern  oder  sonstigen 
Angehörigen,  links  vielleicht  ein  Kind  (ganz  zerstört)  und  anscheinend  ein  Knabe 
(nur  der  Kopf  erhalten),  rechts  ein  Kind,  ein  Jüngling  und  ein  Mädchen;  im  Coeme- 
terium  maius  in  einer  Lünette  Frau  und  Mann  (oder  Mutter  und  Sohn,  das  bleibt 
zweifelhaft)  und  in  einer  anderen  Lünette  Mutter  mit  Schoßkind,  das  die  Hände 
seinerseits  nicht  ausbreitet,  beide  voreinander  und  nur  als  Brustbilder  (Wilpert 
Taf.  207).  Die  Meinungen  über  dieses  Bild  gehen  auseinander,  Bosio,  de  Rossi,  Liell 
erklären  die  Mutter  für  Maria  mit  dem  Jesusknaben,  Bottari,  Schultze,  Kaufmann  für 
eine  gewöhnliche  Orans.     Wilpert  hat  geschwankt,  früher  vertrat  er  letztere  Ansicht, 


Die  Oranten.  261 

jetzt  zieht  er  die  erstere  vor.  Die  Deutung  auf  Maria  wurde  darauf  gegründet,  daß 
die  Gruppe  zwischen  symmetrisch  gezeichneten  Christusmonogrammen  steht,  welche 
auf  Christus  hinweisen  oder  geradezu  den  Namen  des  Dargestellten  angeben  sollen 
(aber  das  Monogramm  wird  in  den  Malereien  auch  sonst  den  Verstorbenen  hinzu- 
gefügt, übrigens  ganz  willkürlich);  daß  das  Kind  nicht  bete  (daraus  folgt  nichts,  denn 
gerade  Jesus  betete  sehr  viel,  andererseits  beten  Schoßkinder  überhaupt  nicht;  übrigens 
findet  sich  ein  nicht  betendes  Kind,  dort  neben  seiner  Mutter,  Tai  243,  2);  das  Schema 
der  Gruppe  lebe  in  einer  Serie  byzantinischer  Muttergottesbilder  fort  (das  eben  ist 
die  Frage,  ob  in  unserem  Falle  das  Schema  schon  für  die  Madonna  verwendet  sei). 
Wilpert  erkennt  diese  Gründe  nicht  an,  glaubt  aber  selbst  einen  neuen  Beweis  gefunden 
zu  haben  in  der  Tatsache,  daß  am  Arkosolbogen  über  der  Lünette  ein  Christuskopf 
angebracht,  in  allen  Fällen  vorkommender  Christusbüsten  aber  noch  wenigstens  eine 
zweite  Darstellung  mit  der  Figur  des  Christus  vorhanden,  also  auch  an  unserem  Arkosol 
vorauszusetzen  sei;  das  könne  aber  nur  das  Lünettenbild  sein,  weil  hier  außerdem  nur 
noch  zwei  Oranten  gemalt  sind,  an  den  Laibungen.  Das  Interesse  der  Sache  für 
Wilpert  ist  ein  dogmatisches;  es  liegt  darin,  daß,  die  Richtigkeit  der  Deutung  auf 
Maria  vorausgesetzt,  sie  hier  zum  erstenmal  als  Betende,  mithin  als  solche  erscheinen 
würde,  die  bei  Gott  für  Lebende  Fürsprache  einlegen  soll;  damit  wäre  eines  ihrer 
„großen  Privilegien"  dargestellt,  „mit  denen  die  Vorsehung  die  Mutter  Gottes  aus- 
gezeichnet" habe.  Wenn  nun  unser  Gemälde,  das  nach  de  Rossi  und  Wilpert  erst 
dem  vierten  Jahrhundert  angehört,  wirklich  Maria  als  Fürbitterin  darstellte,  so  wäre 
damit  gerade  dies  immer  noch  nicht  bewiesen,  daß  die  Stellung  der  Maria  in  der 
Kirche  der  „ersten  Jahrhunderte"  „im  Wesentlichen"  die  gleiche  gewesen  sei  wie  in 
den  späteren  Zeiten.  Leider  aber  können  wir,  bei  der  Freiheit,  womit  an  den  Gräbern 
die  Typen  zusammengewürfelt  sind,  Wilperts  neuen  Beweis  nicht  ernst  nehmen.  Bis 
auf  weiteres  also  müssen  wir  unsere  Orans  als  eine  gewöhnliche  Verstorbene  ansehen, 
als  eine  christliche  Mutter  mit  ihrem  Söhnchen,  das,  so  denken  wir  uns,  noch  zu  klein 
war,  um  schon  zu  beten.  Es  ist  zur  Erklärung  des  Bildes  in  diesem  Sinne  keineswegs 
nötig,  aber  bei  der  früheren  so  mangelhaften  und  oft  geradezu  fehlerhaften  Therapie 
eigentlich  recht  naheliegend,  zu  fragen,  ob  die  Mutter  vielleicht  bei  der  Geburt  oder 
im  Wochenbett  starb,  wobei  es  dahingestellt  bleiben  kann,  ob  das  Kind  am  Leben 
blieb  oder  nicht.1) 


l)  Orans  als  Seele:  de  Rossi,  Bull,  crist.  1867,  85;  Roma  sott.  II  324.  Kraus,  Realencykl. 
II  Art.  Orans.  Liell,  Darstellungen  der  allerseligsten  Jungfrau  und  Gottesgebärerin  1887,  132. 
Wilpert,  Cyklus  1891,  43;  Malereien  456;  Kaufmann,  Antike  Jenseitsdenkmäler  1900,  114.  Leclercq 
bei  Cabrol,  Dictionn.  1  1488.  —  Die  ältere  Deutung  einiger  weiblicher  Oranten  auf  die  Kirche 
haben  die  vorgenannten  Gelehrten  so  wesentlich  eingeschränkt,  wenn  nicht  aufgegeben,  daß  wir 
nicht  mehr  davon  zu  reden  brauchen:  Liell  168.  Wilpert,  Malereien  456.  Kaufmann  154.  — 
Familien:  Priscilla:  Wilpert  189  Taf.  21,  2.  Kallist:  eb.  Tal  41,  1.2  (leider  wurde  der  Bildstreif 
in  dieser  Publikation  zerschnitten;  uuzerschnitten  gibt  ihn  de  Rossi,  Roma  sott.  II  Taf.  16,  wo  nun 
aber  das  Größenverhältnis  der  Figuren  rechts  zu  denen  links  ein  anderes  ist  als  bei  Wilpert);  auf 
die  strittige  Erklärung  des  Bildstreifs  kommen  wir  zurück  unter  „Syntax14.  Callist:  Wilpert  90,  2. 
Coem.  maius:  Taf.  163.  —  Die  angebliche  Maria  orans:  Wilpert,  Cyklus  47;  Rom.  Quart.  1900, 
303.  Malereien  57.  209.  Taf.  163,  1.  207.  208.  Liell,  Allerseligste  Jungfrau  und  Gottesgebärerin  333 
Taf.  6.  Kaufmann,  Jenseitsdenkmäler  118  Taf.  9.  Zu  Maria  orans  noch  Strzygowski,  Rom.  Quart. 
1893,  4.  —  Eine  verschollene  Arkosolmalerei,  welche  de  Rossi,  Roma  sott.  III  10,  2  nach  Bosio 
wiederholt,  bringen  wir  unten  unter  »Syntax":  in  der  Lünette  steht  ein  Mann  zwischen  Frau  und 


262  Die  Seligen  im  Himmel. 

Daß  die  Zahl  der  weiblichen  Oranten  in  der  cömeterialen  Malerei  ungleich 
größer  ist  als  die  der  männlichen,  will  erklärt  sein.  Nach  Wilpert  hätten  die  Künstler 
an  ihnen  mehr  Geschmack  gefunden,  weil  sie  malerischer  waren  (Malereien  S.  112, 
eine  etwas  überraschende  Erklärung  bei  einem  Gelehrten,  der  die  Malereien  von  der 
so  antifemininen  Geistlichkeit  wenn  nicht  diktiert,  so  doch  überwacht  glaubt,  eb.  S.  58). 
Der  Archäologe  erinnert  sich,  daß  schon  in  den  heidnisch  griechischen  Grabreliefs  die 
Frauen  das  numerische  Übergewicht  und  selbst  einen  gewissen  Vorzug  haben.  Es 
fällt  auf,  weil  doch  die  Männer  auch  im  Altertum  insgemein  später  heirateten  als  die 
Frauen,  also  im  ganzen  öfter  von  ihnen  begraben  wurden  als  es  umgekehrt  der  Fall 
sein  konnte.  Wenn  auch  viele  Grabsteine  durch  einen  frischen  Todesfall  veranlaßt 
sind,  so  gilt  das  doch  nicht  für  alle.  Die  Männer,  mag  man  denken,  werden  beizeiten 
für  die  Familiengrabstätte  und  ihren  künstlerischen  Schmuck  gesorgt  haben;  dann 
wäre  das  in  Rede  stehende  Phänomen  eine  Ergänzung  zu  den  schriftlichen  Nachrichten 
über  die  Stellung  der  Frau  im  Altertum. 

Betend  stehen  die  Seligen,  sowohl  die  Repräsentanten  aller  derer,  die  schon  in 
den  Himmel  eingingen,  wie  wir  sie  in  den  Deckenmalereien  und  gelegentlich  an  Wand- 
gräbern finden,  als  auch  die  eben  Beigesetzten,  wie  sie  unverkennbar  vorliegen  in  den 
Ehepaaren  und  Familien.  Sie  beten,  aber  was  ist  der  Inhalt  ihres  Gebetes,  wie  be- 
zeichnen wir  ihr  Gebet?  Sie  stehen  vor  dem  Angesicht  des  Herrn;  des  Herrn,  das 
heißt  nun  also  nicht  Gottes,  sondern  des  Christus.  Die  Seligen  stehen  vor  dem  An- 
gesicht des  Herrn  und  schauen  seine  Herrlichkeit,  wie  das  in  den  Märtyrervisionen 
geschildert  ist.  Dieser  Ideenkreis  einmal  angenommen  gibt  es  für  die  Seligen  gar 
keine  Möglichkeit  einer  anderen  Haltung  als  die  der  Anbetung,  der  Adoration. 
Wilpert  freilich  rügt  es  als  eine  Verwirrung  zweier  elementarer  Begriffe,  wenn  neuer- 
dings mitunter  der  Ausdruck  Adoranten  statt  Oranten  (Anbetende  statt  Betende)  ge- 
braucht werde;  der  Gestus  des  Anbetens  sei  von  dem  des  Gebetes  verschieden,  zur 
Adoration  gehöre  Kniebeugung  (Malereien  456,5.  487,5).  Die  klassischen  Archäologen 
werden  dagegen  geltend  machen,  daß  zum  antiken  Ritus  der  Adoration,  das  ist  der 
verehrenden  Begrüßung,  die  Kniebeugung  mit  nichten  gehörte:  die  letztere  hat  ihren 
besonderen  Sinn  neben  der  Anbetung,  konnte  zu  ihr  hinzutreten,  war  aber  so  wenig 
ihr  unerläßlicher  Bestandteil,  daß  wenigstens  die  Griechen  als  Regel  sie  nicht  in  An- 
wendung brachten.  Man  sehe  außer  der  in  den  Handbüchern  der  Sakralaltertümer 
verzeichneten  literarischen  Überlieferung  nur  die  vielen  klassischen  Adorationsbilder 
durch  (einiges  führten  wir  oben  an),  um  sich  davon  zu  überzeugen,  daß  der  Grieche 
insgemein  stehend  adorierte;  dabei  konnten  die  Hände  jede  beliebige  von  den  oben 
aufgeführten  Stellungen  einnehmen.  Daß  die  Christen  von  jeher  und  allezeit  die  An- 
betung nur  kniend  vollzogen  hätten,  ein  so  weitgehender  Satz  müßte  doch  reichlicher 
belegt  werden  als  es  Malereien  487  geschieht.  Es  bleibt  bei  dem  Selbstverständ- 
lichen, die  Seligen  im  Himmel  stehen  vor  der  Herrlichkeit  des  Herrn  in  Anbetung. 
Das  hindert  nicht,  den  konventionellen  Terminus  Oranten  weiter  zu  gebrauchen. 

Wir  wollen  doch  hören,  was  denn  der  besondere  Inhalt  des  Betens  der  Seligen 
sein  soll,   wenn  sie  nicht  bloß  anbeten.     Liell  machte  einen  Unterschied  zwischen  den 


Sohn,  nur  letzterer  hebt  beide  Hände,  die  Eltern  heben  bloß  die  Rechte  und  zwar  der  Vater 
vor  der  Brust.  Vgl.  noch  Wilpert  Taf.  212  Mutter  zwischen  zwei  Kindern,  243,  2  Mutter  mit 
Kind. 


Die  Oranten.  263 

gewöhnlichen  Oranten  und  denen,  welche  Märtyrer  vorstellen:  jene  beteten  überhaupt 
nicht,  sondern  sie,  die  im  Fegfeuer  zu  denken  seien,  flehten  die  Besucher  des  Grabes 
um  Fürbitte  an;  die  Märtyrer  aber  legten  umgekehrt  für  uns  Fürbitte  ein,  die  sie  auf 
Erden  und  im  Kampfe  mit  dem  Bösen  und  der  Welt  zurückgelassen  hätten.  Die 
Idee  des  Fegefeuers,  aus  heidnischen  Spekulationen  abgeleitet  und  in  die  christliche 
Spekulation  übergeführt,  in  ihrer  Entwicklungsgeschichte  auf  der  christlichen  Seite  an 
die  Namen  Tertullian,  Clemens,  Origenes,  Ambrosius  geknüpft,  darf  kurzerhand  bei- 
seite geschoben  werden,  wie  sie  in  der  christlichen  Archäologie  auch  weiter  keinen 
Anwalt  gefunden  hat.  Der  Augenschein  lehrt  nun,  daß  zwischen  den  Oranten  irgend 
ein  erkennbarer  Unterschied  nicht  gemacht  ist;  wo  immer  sich  eine  Andeutung  des 
Aufenthaltsortes  der  Oranten  findet,  sei  es  in  einer  ausgeführten  Parklandschaft  oder 
in  einem  Parkgitter,  unter  aufgehängten  Girlanden  und  Rosen,  wie  endlich  in  den 
Lauben,  ist  klar,  daß  da  immer  das  Paradies  gemeint  ist.  Folglich  sind  alle  Oranten 
als  Selige  im  himmlischen  Paradies  gedacht.  Wo  aber  den  vorkommenden  Eigennamen 
der  Seligen  die  Worte  in  pace,  im  Frieden,  beigefügt  sind,  da  bedeutet  das  Wort  das- 
selbe wie  das  gemalte  Bild,  den  Frieden  im  himmlischen  Paradiese.  Freilich  kommt 
auf  Grabschriften  auch  die  Formel  vor  „er  lebte  soviel  Jahre  im  Frieden",  das  will 
sagen  im  Reich  Gottes  auf  Erden,  kurz  als  Christ.  Ursprünglich  meinte  das  Wort 
den  Frieden  auf  Erden,  im  messianischen  Sinne,  aber  seit  der  Verjenseitigung  des 
Reiches  ging  auch  der  Friede  von  der  Erde  hinweg  und  in  den  Himmel  hinüber. 
Das  bedeutendste  Paradiesesbild,  das  sich  erhielt,  ist  das  auf  unserer  Tafel  IV  wieder- 
holte mit  den  sogenannten  fünf  Heiligen,  die  aber  auf  keine  Weise  als  Märtyrer  oder 
sonst  als  präkonisierte  Heilige  bezeichnet  sind,  Dionysas  (?),  Nemesius,  Procopius, 
Eliodora  und  Zoe,  eine  sechste,  Arcadia,  ist  nur  mit  Namen  genannt.  Wie  die  heid- 
nisch-griechischen Grabschriften,  so  weit  sie  überhaupt  ein  Jenseits  voraussetzen  oder 
auch  nur  für  möglich  halten,  den  Verstorbenen  immer  ohne  irgend  ein  Zögern  oder 
Zweifeln  als  in  den  Ort  der  Frommen  und  Seligen  eingegangen  ansehen,  so  betrachten 
auch  die  Christen  den  Eingang  ihrer  Verstorbenen  in  die  Seligkeit  als  gegebene  Tat- 
sache. Epitaphe,  tout  est  Epitaphe.  Die  Märtyrer  aber,  die  wir  als  solche  anerkennen 
dürfen,  wie  die  Cäcilia,  Abdon  und  Sennen,  Milix  und  Bicentius,  die  man  sich  doch 
auch  im  Himmel  dachte,  sind  jedenfalls  in  der  vor  dem  Angesicht  des  Herrn  sich 
gebührenden  Stellung  der  Verehrung  dargestellt.1) 

Liells  Erklärung  der  Märtyrer  als  Fürbitter  dehnt  Wilpert  auf  alle  Oranten 
aus;  sie  seien  Bilder  der  in  Seligkeit  gedachten  Seelen  der  Verstorbenen,  welche  für 
die  Hinterbliebenen  beteten,  damit  auch  diese  das  gleiche  Ziel  erlangen  möchten. 
Wilpert  meint,  den  Gedanken  an  bloße  Anbetung  beseitigt  und  so  Raum  für  den  aus 
dogmatischem  Interesse  ihm  wichtigen  besonderen  Gebetsinhalt  gewonnen  zu  haben. 
Für  sich  zu  beten  haben  Selige  nicht  nötig,  da  sie  sich  am  Ziel  ihrer  höchsten 
Wünsche  angelangt  sehen.  An  Dankgebet  sei  auch  nicht  zu  denken,  denn  auf  keiner 
Grabschrift  finde  sich  Andeutung  eines  Dankgebets,  nämlich  für  die  Aufnahme  in 
den  Himmel.  In  der  Tat,  so  nahe  eigentlich  ein  Dankgebet  für  die  nicht  durch  eignes 
Verdienst,   sondern  durch  reine  Gnade  (um  die  erzwingende  Kraft  der  Riten  hier  aus 


*)  Liell,  Darstellungen  der  allerseligsten  Jungfrau  und  Gottesgebärerin  154.  156.  165.  — 
Fegfeuer:  Harnack,  Lehrbuch  d.  Dogmengeschichte  81894  I  570  (Tertullian),  645,5  (Clemens  und 
Origenes),  II  65,4  (Ambrosius).  —  in  pace  auf  das  Leben  bezogen  z.  B  :  Maxeina  que  vixit  in  pace 
annos  triginta,  de  Kossi,  Roma  sott.  I  Taf.  17,  2. 


264  Die  Seligen  im  Himmel. 

dem  Spiele  zu  lassen)  in  den  Himmel  Gelangten  läge,  so  wenig  ist  davon  die  Rede; 
wir  wollen  sagen,  der  Dank  der  Seligen  geht  in  der  Anbetung,  dem  allein  und  ewig 
ertönenden  „ Heilig,  heilig,  heilig  ist  der  Herr"  unter.  Somit  bliebe  denn  als  Inhalt 
des  Gebets  der  Seligen  per  exclusionem  nur  das  gewünschte  Demonstrandum  übrig, 
die  Fürbitte  für  die  Hinterbliebenen.  Aber  sollte  nicht  auch  diese  Fürbitte  in  der 
Anbetung  untergehen?  Sollte  nicht  jedes  Sondergefühl,  selbst  für  die  teuersten  An- 
gehörigen, in  dem  alles  Einzelne  einschließenden  und  anheimstellenden  Allgefühl  der 
Vereinigung  mit  dem  Dreimalheiligen  untergehen?  Um  jedoch  im  engeren  Kreis  der 
monumentalen  Überlieferung  zu  bleiben,  was  für  monumentale  Zeugnisse  werden  für 
die  Fürbitte  der  Seligen  beigebracht?  Es  sind  zu  wenige  und  zu  späte  Zeugnisse,  um 
für  den  Sinn  der  Malereien  beweisen  zu  können.  Wenn  im  vierten,  oder  auch  schon 
im  dritten  Jahrhundert  jemand  eine  Bitte  an  den  Verstorbenen  an  das  Grab  schrieb, 
er  möge  im  Himmel  Fürbitte  einlegen  für  ihn,  den  Lebenden,  daß  ihm  seine  Sünden 
zu  seiner  Zeit  nicht  angerechnet  werden  möchten,  so  beweist  das  noch  nichts  für  das 
erste  und  zweite  Jahrhundert.  Und  selbst,  wenn  solche  Beischriften  aus  der  Frühzeit 
der  Katakomben  gefunden  würden,  so  könnten  sie  nichts  für  die  Erklärung  der 
Malereien  beweisen;  der  Augenschein  zeigt  nur  Anbetung,  alles  weitere  ist  von  den 
Exegeten  hineingelegt.1) 

Könnte  die  Fürbitte  der  Seligen  in  literarischen  oder  Kunstdenkmälern  der 
christlichen  Frühzeit  nachgewiesen  werden,  so  fände  der  klassische  Archäologe  eine 
solche  Tatsache  ganz  verständlich,  immer  wieder  aus  dem  antiken  Charakter  des 
Christentums  heraus.  Da  wir  in  der  Erfahrung  Persönlichkeit  nur  an  Menschen  finden, 
so  kann  eine  persönliche  Gottheit  nicht  anders  als  anthropopathisch  gedacht  werden, 
mit  menschlicher  Empfindung  begabt  und  aus  menschlich  empfundenen  Beweggründen 
menschlich  handelnd;  sie  ist,  wie  wir  schon  Gelegenheit  hatten  zu  erinnern,  bestimmbar 
durch  Gewalt  und  List,  durch  Geschenke  und  Bitten.  Daß  der  persönliche  Gott  zu- 
gänglich und  bestimmbar  sei,  wird  in  aller  Mythologie  und  mythologischen  Religion 
als  selbstverständlich  vorausgesetzt.  Wie  im  Leben  bei  vorkommender  Gelegenheit 
für  Verwandte  und  Freunde  Fürbitte  einzulegen  im  Altertum  gang  und  gäbe  war,  so 
erwartete  man  auch  von  den  Himmlischen,  daß  sie  für  ihre  sterblichen  Angehörigen 
und  Schutzbefohlenen  zur  rechten  Zeit  Fürbitte  einlegen  würden.  Die  klassische 
Reigenführerin  aller  Fürbitter  und  Fürbitterinnen  ist  Thetis,  da  sie  im  ersten  Gesang 
der  Ilias  aus  dem  Meere  hinauf  zum  Olymp  geht,  zum  Zeus,  der  abgesondert  auf  dem 
höchsten  Gipfel  sitzt;  da  bittet  sie  für  ihren  Sohn,  daß  Zeus  den  Agamemnon  nötige, 
die  dem  Achill  zugefügte  Kränkung  wieder  gut  zu  machen;  dabei  beruft  sie  sich  auf 
den  Schatz  ihrer  Verdienste  um  Zeus.  Wir  lassen  die  Morgenröte  folgen.  Den 
schönsten  Jüngling  hat  sie  sich  geraubt,  den  Tithonos;  dann  geht  sie  zu  Zeus  und 
erbittet  für  ihn  Unsterblichkeit  und  ewiges  Leben.  Und  als  im  trojanischen  Krieg 
Achilleus  und  Memnon  aufeinandertrafen,  da  traten  die  beiden  Mütter,  Thetis  und 
Eos,  an  Zeus  heran,  eine  jede  Fürbitte  einlegend  für  das  Leben  ihres  Sohnes;  nachdem 


*)  Zeugnisse  für  die  Bitte  der  Hinterbliebenen  um  Fürbitte  der  Seligen:  Dormi  in  pace  — 
et  pro  nostris  peccatis  pete  sollicitus,  de  Rossi,  Bull,  comunale,  Roma  1893,  1.  Vic[toria?]  ...  et 
pete  .  .  .  Wilpert,  Gottgeweihte  Jungfrauen  Taf.  II  1,  5;  Malereien  427.  457.  Anderes  bei  Cabrol, 
Monumenta  liturgica  I,  zitiert  in  seinem  Dictionnaire  I  245  (ora  pro  parentibus  tuis,  pete  pro 
Celsinianu  coiugem,  pete  pro  nos  ut  salvi  simus  usf.).  Wilpert,  Malereien  211:  „in  orationibus  tuis 
roges  pro  nobis  quia  scimus  te  in  Christo." 


Im  Himmel.  265 

dann  Memnon  im  Kampfe  gefallen  war,  erbat  Eos  von  Zeus  auch  für  ihn  Unsterblich- 
keit. Noch  ein  Beispiel  aus  der  Kaiserzeit,  aus  Hadrians  Zeit:  am  Obelisk  auf  dem 
Monte  Pincio  zu  Rom  steht  eine  Inschrift  des  Inhalts:  Antinous,  nach  dem  Tod  zu 
neuem  Leben  erwacht,  findet  sich  als  Genossen  des  Sonnengottes  wieder  und  bittet 
diesen  Lenker  der  Welt,  dem  Kaiser  gnädig  zu  sein.  Endlich  ein  paar  Grabschriften, 
die  von  Fürbitte  der  Verstorbenen  für  Hinterbliebene  wissen;  man  wolle  beachten, 
daß  unsere  Beispiele  aus  dem  ersten  vorchristlichen  und  dem  zweiten  nachchristlichen 
Jahrhundert,  zu  den  besseren  Grabgedichten  gehören  und  trotz  der  Popilia  rein 
griechisch  sind.  „Hediste,  Witwe  des  Menedemos,  Tochter  des  Butichos,  hat  von 
ihrem  Sohn  Philippos  die  letzten  Ehren  gebührend  erhalten;  deshalb  hat  sie  im  Hades 
dem  Rhadamanthys  es  gesagt,  daß  sie  für  ihre  Kindesnöte  den  schuldigen  Dank 
empfangen  hat."  „Dies  ist  das  Grab  der  Popilia,  mein  Gemahl  hat  es  selbst  ge- 
schaffen, Okeanos,  der  in  jeder  Kunst  erfahren  ist;  deshalb  ist  mir  die  Erde  leicht, 
und  am  Acheron  werde  ich,  lieber  Mann,  deine  Pietät  rühmen."  Die  Mutter  legt  für 
den  frommen  Sohn,  die  Gattin  für  ihren  frommen  Mann,  beide  zum  Dank  für  die 
richtige  Bestattung  (und  diese  ist  nach  der  ganzen  Meinung  zu  verstehen,  als  Voll- 
ziehung eines  in  das  Jenseits  wirksamen  Ritus)  bei  den  Herren  und  Richtern  der 
Toten  Fürbitte  ein,  auf  daß  auch  sie  nach  ihrem  Tode  drüben  gutes  Los  finden.1) 

Wenn  wir  die  Oranten,  Bilder  der  Verstorbenen  in  der  Seligkeit,  zwischen  zwei 
Bäume  oder  zwei  Schafe  oder  zwei  Milcheimer  oder  neben  einen  guten  Hirten  gestellt 
finden,  so  bedarf  dergleichen  keiner  besonderen  Erklärung;  der  Sinn  ergibt  sich  aus 
früher  Gesagtem,  das  etwa  noch  Fehlende  wird  weiterhin  zur  Sprache  kommen.  End- 
lich sehen  wir  an  einer  Türwand  zwei  Oranten  gemalt,  über,  das  meint  hinter  einem 
von  Blüten  durchsetzten  Parkgitter  unter  hängenden  Blätterschnüren  und  zwischen 
Blumen  stehend,  einen  Mann  links  von  der  Tür,  eine  Frau  rechts,  über  der  Tür  aber 
den  Halbmond  zwischen  Sternen;  wie  Gitter,  Girlanden  und  Blumen  auf  das  Paradies, 
so  deuten  die  Himmelslichter  auf  den  Himmel:  das  Ehepaar  steht  im  himmlischen 
Paradies  in  Anbetung  vor  der  Herrlichkeit  des  Herrn.2) 


Im  Himmel. 

Die  Himmelsleiter.  Nach  einer  Anschauung,  die  bei  den  alten  Ägyptern  an- 
getroffen wird,  konnte  die  Seele  des  Verstorbenen  auf  einer  großen  Leiter,  welche  die 
Götter  für  sie  errichteten,  den  Himmel  erreichen,  wo  sie  sich  dann  unter  die  Götter 
setzen  durfte;  Maspero  hat  bei  einigen  Mumien  kleine  Modelle  von  Treppen  oder 
Leitern  gefunden,  deren  die  Toten  sich  dieser  Anschauung  gemäß  bedienen  sollten,  um 
zum  Himmel  hinaufzusteigen.  Anders  verwendet  der  Elohist  das  Bild  der  Himmels- 
leiter,   in  der  ätiologischen  Sage,    die  er  zur  Erklärung  des  Namens  der  Stadt  Bethel 


x)  Thetis:  Ilias  A  495.  Tithonos:  Rapp  in  Roschers  Lexikon  Ii  1261.  Escher  bei  Pauly- 
Wissowa  V  2658.  Memnon:  Röscher,  Lexikon  I  i  1264.  Holland,  eb.  II  ni  2654.  Antinous: 
Erman,  Rom.  Mitteil.  1896,  116.  Grabschriften:  Kaibel,  Epigrammata  graeca  ex  lapidibus 
conlecta  1878  n.  514  und  559. 

2)  Wilpert  462  Taf.  218,  2;  die  achtstrahligen  Sterne  wie  der  Stern  über  dem  Christuskind 
Tai  172,  2. 


266  D*e  Seligen  im  Himmel. 

(d.  i.  Wohnsitz  Gottes)  erzählt:  „Da  zog  Jakob  aus  von  Beersaba  und  machte  sieh 
auf  den  Weg  nach  Haran.  Da  gelangte  er  an  eine  [heilige]  Stätte  und  blieb  daselbst 
über  Nacht  — .  Und  er  nahm  einen  von  den  Steinen  dieser  Stätte,  legte  ihn  zu  seinen 
Häupten  und  legte  sich  schlafen  an  selbiger  Stätte.  Da  träumte  ihm,  eine  Leiter  set 
auf  die  Erde  gestellt,  deren  oberes  Ende  bis  zum  Himmel  reichte,  und  die  Engel 
Gottes  stiegen  auf  ihr  hinauf  und  herab.  —  Da  fürchtete  er  sich  und  sprach:  Wie 
schauerlich  ist  diese  Stätte!  Ja,  das  ist  der  Wohnsitz  Gottes  und  die  Pforte  des 
Himmels!  Frühmorgens  aber  nahm  Jakob  den  Stein,  den  er  zu  seinen  Häupten  gelegt 
hatte,  stellte  ihn  auf  als  Malstein  und  goß  Ol  oben  darauf  usf.  Gen.  28,  10 — 12.  17  ff. 
In  der  christlichen  Literatur  aber  dient  die  Himmelsleiter  wieder,  wie  es  bei  den 
alten  Ägyptern  gewesen  war,  den  Seelen  der  Verstorbenen  zum  Aufstieg  in  den 
Himmel;  es  wird  aber,  wie  bei  der  Jakobsleiter,  der  Rahmen  einer  Traumvision  dazu 
benutzt.  Das  geschah  in  der  Vision  der  Perpetua  und  ihrer  Nachahmungen;  die 
Märterin  sah  sich  und  ihre  Leidensgefährten  die  schmale  Himmelsleiter  hinaufsteigen, 
einem  unter  der  Leiter  liegenden  Drachen  zertrat  sie  vor  dem  Aufstieg  den  Kopf.  An 
der  linken  Laibung  eines  Arkosolbogens  in  Domitilla,  aus  dem  vierten  Jahrhundert,  ist 
solch  eine  Szene  gemalt:  ein  Mann  in  Tunika  und  Oberkleid  setzt  den  Fuß  auf  die 
angelehnte  hohe  Leiter.  Wilpert  will  unter  der  Leiter  auch  eine  Windung  der 
Schlange  erkennen;  die  Windung  sieht  man,  daß  es  aber  eine  Schlange  wäre,  kann 
man  nicht  sicher  sagen,  in  der  Abbildung  erscheint  es  als  ein  Auslauf  des  „Hügels" 
neben  der  Leiter.  Über  oder  hinter  dem  Hügel  wachsen  riesenhafte  Ähren,  die 
Wilpert  als  Sinnbild  der  Auferstehung  oder  der  Eucharistie  deutet;  man  könnte  auch 
an  das  Bild  von  der  reifen  Ernte  denken.  Was  die  völlig  zerstörte  Malerei  an  der 
rechten  Laibung  enthielt,  kann  man  nicht  wissen;  im  Scheitelbild  befand  sich  das 
nimbierte  Brustbild  des  Christus.1) 

Auf  der  Schwelle  des  Himmels  sehen  wir  eine  Verstorbene  im  Gemälde  an 
der  Vorderwand  ihres  Grabes  (Wilpert  467,  5  Taf.  241,  unsere  Abbildung):  zwei 
Bartlose  in  ungegürteter  Tunika  ziehen  einen  Vorhang  auseinander,  das  heißt  sie 
öffnen  den  Eingang  zum  Paradies,  zum  Himmel,  wenn  man  will  zum  Gelag,  zum 
Gemach  des  himmlischen  Bräutigams.  Denn  mit  Vorhängen  waren  im  Altertum  die 
Eingänge  der  Empfangsräume  geschlossen,  die  Türhüter  zogen  sie  zur  Seite,  um  Be- 
sucher einzulassen.  Als  Diener  an  der  Himmelspforte  (Ostiarii)  möchte  man  sich 
Engel  denken,  es  scheinen  aber  Selige  gemeint  zu  sein.  Die  eben  Verstorbene  also 
tritt  ein,  anbetend  breitet  sie  die  Hände  aus,  denn  nun  steht  sie  vor  dem  Angesicht 
des  Herrn.  —  Andere  Malereien  deuten  den  Eintritt  in  den  Himmel  dadurch  an,  daß 
der  neu  Eintretende  von  Bewohnern  des  Himmels,  früher  Verstorbenen,  begrüßt  wird. 
Eine  eben  Verstorbene  tritt  ein,  in  Dalmatika  (vom  Zeichner  der  Bosioschen  Re- 
produktion mißverstanden)  und  Schleier,  anbetend  die  Hände  ausgebreitet;  zwei  ältere 
Selige,  beide  in  Tunika  und  Oberkleid,  begrüßen  sie  mit  entgegengestreckten  Händen 
(unsere  zweite  Abbildung,  Wilpert  469, 10).  Eine  solche  Begrüßung  (nicht  Unterstützung 
der  im  Gebet  gehobenen  Arme)  war  auch  in  Petrus  und  Marcellinus  gemalt  (Wilpert 


*)  Himmelsleiter,  ägyptisch:  Chantepie  de  la  Saussaye,  Lehrbuch  der  Eeligionsgesch. 2  I 
138.  —  Jakobstraum  ausgedeutet  in  platonisierender  Kosmologie:  Philo  de  somniis  I  22 
(Wendland-Cohen  III).  Norden,  Äneis  VI  Seite  48,  1.  —  Domitilla:  Wilpert,  Malereien  484 
Fig.  43  Taf.  153,  1. 


Im  Himmel. 


267 


465,  1  Taf.  101),  eine  dritte,  mit  einem  Kind  neben  der  Seligen,  im  Coem.  Theclae 
(Wilpert  468,  6  Taf.  243,  2),  eine  vierte,  einer  Familie,  bestehend  aus  Mutter  und 
Kind,  Vater  und  Sohn  (?),  in  zwei  Gruppen  zwischen  je  zwei  Seligen,  beiderseits  eines 
zentralen    Christusmedaillons    (Wilpert  468,   7.  8    Taf.  219,  1).     —    Das    himmlische 


Selige  in  der  Himmelstür. 
Coem.  Cyriacae. 


Selige  im  Paradies  begrüßt. 
Coem.  Cyriacae. 


Paradies  wird  dabei  gelegentlich  durch  Bäume  angedeutet,  zwischen  denen  die  Orans 
steht;  die  zwei  sie  begrüßenden  Seligen  kommen  von  den  Seiten  heran,  einmal  recht 
eilfertig  (Wilpert  365,  5  Taf.  232,  3).  Die  Seligen  werden  ein  andermal  als  Mann 
und  Frau  unterschieden,  es  sind  vielleicht  die  früher  verstorbenen  Eltern,  welche  nun 
die  nachfolgende  Tochter  im  Paradies  empfangen  (Wilpert  467,  4  Taf.  219,  2).  Ein 
andermal    handelt   es   sich    um  einen  Verstorbenen,    der   nicht  die  Hände  ausbreitete, 


268  Die  Seligen  im  Himmel. 

aber  adorierend  die  Rechte  vor  der  Brust  hob;  er  stand  zwischen  zwei  Laubbäumen, 
zwei  Schafen  und  zwei  bärtigen  Seligen  mit  Schriftrolle,  das  Ganze  in  symmetrischer 
Komposition,  wovon  aber  noch  nicht  die  Hälfte  sich  erhielt  (Wilpert  465,  2  Taf.  153,1). 
In  späteren  Bildern  sind  die  hinzutretenden  Seligen  bisweilen  mehr  oder  minder  nam- 
hafte Himmelsbewohner,  wie  die  „Petronella  martyr"  neben  der  Verstorbenen 
„Veneranda".  Petronilla  war  in  der  Nähe  bestattet;  das  Recht  auf  den  Titel  Martyr 
wird  ihr  bestritten  (Wilpert  466,  3  Taf.  213).  In  einem  Bild  aus  der  letzten  Zeit 
der  Bestattung  in  den  Katakomben  waren  die  Namen  beigeschrieben,  in  den  schwachen 
Spuren  glaubt  Wilpert    „Petrus"    und   „Paulus"    zu  erkennen  (W.  469,  9  Taf.  249,  1). 

Susanna,  ein  Rettungs-  oder  Erlösungstyp  wie  die  früher  besprochenen,  mußte 
zurückgestellt  werden,  weil  er  mit  den  Typen  der  adorierenden  Seligen  und  der  Be- 
grüßung durch  Selige  so  eng  verknüpft  ist,  enger  als  etwa  Noah  oder  Daniel,  daß  die 
Unterscheidung  oft  schwer  hält,  ob  eine  Verstorbene  oder  Susanna  gemeint  sei.  In 
der  vorderen  Abteilung  der  Cappella  greca  sind  an  den  Längswänden  Priese  mit  figür- 
lichen Gruppen  gemalt,  links  ein  Orantenpaar,  Mann  und  Frau,  und  eine  Frau,  an 
den  Handgelenken,  wie  es  scheint,  von  zwei  Männern  gehalten,  die  ihr  die  Rechte 
auf  den  Kopf  legen;  gegenüber  sieht  man  eine  Orans  zwischen  einem  Mann,  der  vor 
einem  Giebelhaus  steht,  und  zwei  heraneilenden,  die  Hand  nach  ihr  ausstreckenden 
Männern.  Gegen  die  beim  ersten  Sehen  sich  anbietende  Deutung  auf  adorierende, 
von  anderen  Seligen  eingeführte  und  begrüßte  Verstorbene  erheben  sich  verschiedene 
Bedenken;  daher  griff  man  zu  der  Deutung  auf  Susanna:  rechts  der  Überfall  der 
beiden  Alten,  Daniel  Wäre  proleptisch  hinzugefügt,  links  die  Anklage,  bei  der 
die  Presbyteroi  nach  den  Textworten  ihr  die  Hand  auf  den  Kopf  legten,  endlich  das 
Dankgebet  Susannas  und  Jojakims  (Wilpert,  Fractio  panis  Taf.  2.  4.  5;  Malereien 
119.  363  Taf.  14).  Die  Richtigkeit  der  Erklärung  vorausgesetzt,  ergäbe  sich 
freilich  das  Unerwartete,  daß  das  nach  Wilperts  Chronologie  hier  zuerst  an  ganzen 
Figuren  auftretende  Orantenschema  nicht  für  den  Typus  der  Seligen,  sondern 
der  Susanna  geschaffen  und  von  ihr  auf  die  Seligen  übertragen  wäre,  ebenso  erschiene 
vom  Überfall  Susannas  der  Begrüßungstypus  abgeleitet.  Indessen  treten  die  nach 
Wilpert  frühesten  Oranten  als  Selige  schon  unmittelbar  nachher  auf,  bei  der 
„Madonna  in  Priseilla"  Taf.  21.  —  In  einer  Lünette  des  Coem.  maius  steht  eine 
Orans  zwischen  zwei  Bäumen,  man  möchte  sie  für  eine  Selige  im  Paradies  halten; 
beiderseits  folgt  je  ein  Mann,  aber  nicht  wie  in  den  Begrüßungsszenen  herankommend, 
sondern  der  eine  kauert  oder  kniet  am  Boden  (ähnlich  lauert  Achill  dem  Troilus  auf, 
Peleus  der  Thetis),  der  andere  streckt  ihr  nicht  die  Hand  hin,  sondern  hebt  sie  in 
entgegengesetzter  Richtung;  das  will  weder  zur  Begrüßung  noch  zum  Überfall  passen 
(Wilpert  365,  4  Taf.  220).  —  In  Prätextat,  am  Grab  der  Celerina,  steht  ein  Schaf 
zwischen  zwei  Wölfen,  dazu  die  Beischriften  „  Susanna "  und  „Senioris".  Also  eine 
doppelte  Typologie  in  einem  Bild:  die  Selige  als  Schaf  aus  der  Herde  des  Christus 
und  als  Susanna,  wie  sie  aus  den  Nachstellungen  der  zwei  Alten  gerettet  ward 
(Wilpert  366,  6.  413  Taf.  251). 

Den  "  Begrüßungsszenen  verwandt  ist  eine  Malerei  in  Prätextat,  in  einer  Gruft, 
die  man  nach  dem  Gemälde,  als  der  einzigen  Passionsszen,e  in  den  Katakomben, 
Passionskrypta  nennt.  Man  erkennt  darin  nämlich  die  Dornenkrönung  und  Ver- 
spottung: Jesus  steht  in  Vorderansicht,  die  Rechte  vor  der  Brust,  das  Haupt  bekränzt; 
sein    Obergewand  ist  nicht  purpurn,  auch  keine  Chlamys,  wie  Matthäus  sagt,  sondern 


Im  Himmel.  269 

ein  Himation,  wie  bei  Johannes.  Ihm  zugewandt  stehen  links  zwei  Männer  in  weit- 
ärmeliger  Tunika  und  nicht  sehr  deutlich  gezeichneter  Chlamys,  als  Soldaten  erklärt; 
der  eine  hält  einen  Stock  aufrecht,  der  andere  ein  Schilfrohr  mit  Blättern  über  Jesus' 
Haupt.  Rechts  ein  kahler  Baum,  von  dem  sich  ein  Vogel  herabbeugt.  —  Eine  gewisse 
Verwandtschaft  mit  dem  Bild  hat  ein  viel  späteres  im  Coem.  maius:  zwei  Männer  in 
Tunika  und  kurzer  Chlamys  scheinen  die  Hauptperson,  einen  Mann  in  ungegürteter 
Tunika  und  langer  Chlamys  rechtshin  abführen  zu  wollen;  von  links  folgt  ein  Mann 
in  Tunika  und  Oberkleid  mit  erhobenem  Stab.  Wilpert  schlägt  vor,  die  Bedrängung 
des  Aaron  und  Moses  durch  die  murrenden  Israeliten  zu  erkennen;  letztere  werden 
durch  das  Quellwunder  beruhigt  und  so  Moses  und  Aaron  gerettet;  also  ein  Rettungstyp. 
Die  Darstellung  wäre  recht  frei  und  nicht  recht  deutlich.1) 

Ein  oder  anderer  Leser  hat  sich  vielleicht  gewundert,  daß  wir  bereits  Szenen 
des  Eintritts  Verstorbener  in  den  Himmel  und  ihrer  Begrüßung  durch  Selige  vorgeführt 
haben,  ohne  des  Gerichtes  zu  gedenken,  das  doch  erst  über  die  Aufnahme  zu  be- 
finden hätte.  Es  werden  viele  Malereien  als  Darstellungen  des  Gerichts  erklärt,  die 
wir  nun  allerdings  betrachten  wollen.  Wir  dürfen  die  generelle  Bemerkung  voraus- 
schicken, daß  jedenfalls  das  Zukunfts-  und  Weltgericht  in  der  altchristlichen  Malerei 
niemals  zur  Darstellung  gewählt  worden  ist;  wenn  überhaupt  Seelengerichte  vorkommen, 
so  gehen  sie  immer  nur  die  einzelnen  Verstorbenen  an  und  gelten  als  unmittelbar 
beim  Tode  abgehalten  mit  dem  bei  Epitaphmalerei  selbstverständlichen  günstigen  Er- 
folge der  sicheren  Zulassung  des  Verstorbenen  in  das  himmlische  Paradies. 

Zunächst  ein  vielbesprochenes  Gemälde  in  Kaliist,  welches  von  allen  Erklärern 
als  Gerichtsszene  aufgefaßt,  wenn  auch  verschieden  bezogen  wird,  von  de  Rossi  auf 
das  Verhör  zweier  Märtyrer  vor  dem  Prätor,  von  Schultze  auf  das  Verhör  des  Apostels 
Paulus  vor  dem  cyprischen  Prokonsul,  von  Wilpert  auf  die  Verurteilung  der  beiden 
Ältesten  durch  Daniel:  eine  weibliche  Gestalt,  vom  Orantentypus  abgeleitet,  die  Linke 
auf  die  Brust  gelegt,  die  Rechte  mit  eingeschlagenen  zwei  Fingern  gehoben,  sei 
Susanna,  die  durch  Daniels  Klugheit  gerettet  wird;  sie  wendet  sich  zu  einer,  links 
auf  einem  Bema  (Podium)  stehenden  kleineren  Figur,  welche  die  Rechte  nach  ihr 
vorstreckt,  das  sei  der  Knabe  Daniel;  der  zwischen  beiden  mehr  im  Hintergrund 
stehende  und  ein  zweiter  ganz  rechts,  völlig  abgewandt,  die  Hand  wie  nachdenklich 
oder  mißmutig  am  Munde,  das  seien  die  beiden  Ältesten,  die  Daniel  getrennt  verhörte; 
daher  der  eine,  bereits  verurteilt,  abgewendet  steht,  der  andre  sein  Urteil  erst  eben 
empfängt.  Wenn  das  ganze  wirklich  eine  Gerichtsszene  ist,  so  könnte  man  immerhin 
fragen,  ob  die  vermeintliche  Susanna  nicht  eine  Verstorbene  vor  dem  Richterstuhl  des 
Christus  sei.  Aber  ein  Umstand  steht  der  Deutung  auf  ein  Gericht  entgegen:  im 
ganzen  Altertum,  in  der  ganzen  literarischen  und  bildlichen  Überlieferung,  ist  es  feste 
Regel,  daß  der  Richter  sitzt  (auch  in  unserer  Erzählung,  Vers  50  Theod.).  Auch 
damit  läßt  sich  die  Deutung  nicht  retten,  daß  man  statt  des  Urteilsspruchs  das  Verhör 
dargestellt  denkt;  denn  Verhör  und  Urteilsspruch  sind  beides  nur  Einzelmomente  der 
vom  sitzenden  Richter  geführten  Verhandlung.  Die  Gestalt  auf  dem  Bema  gibt  nicht 
das  Schema  von  Richtern  auf  dem  Tribunal  wieder,  sondern  von  Rednern  auf  der 
Rednerbühne,    auch    von    Kaisern    bei    Ansprachen    und    anderen,    jedenfalls    nicht 


")  Prätextat:    Wilpert,  Malereien  77.  226  Taf.  18.    Vgl.  Mk.  15,  17.    Mt.  27,  28.    Job.  19,  3 
(ifiäuov  noQ(fVQOvv).  —  Coem.  maius:  Wilpert  388  Taf.  224,  2. 


270 


Die  Seligen  im  Himmel. 


richterlichen  Handlungen.      Eine    zutreffende   Erklärung  vermögen  wir  noch    nicht  zu 
geben.1) 

Das  Totengericht  ist  eine  uralte  Idee,  ausgebildet  zuerst  wohl  von  den  alten 
Ägyptern.  Man  siebt  es  im  Totenbuch,  das  der  Leiche  beigegeben  wurde:  Osiris 
thront  als  Herr  der  Toten;  vor  ihm  sitzt  der  Höllenhund,  eigentlich  der  Rachen  des 
Todes;  ferner  steht  da  die  Wage  zum  Wägen  der  Seele  und  der  Schreiber  mit  der 
Feder  hinter  dem  Ohr;  eine  Verstorbene  wird  hereingeführt.  Aus  der  griechisch- 
römischen  Kunst  besitzen  wir  manche  Gerichtsbilder,  mehrere  in  der  pompejanischen 


Verstorbener  zwischen  Seligen.     Hinter  ihm  thront  der  verklärte  Christus. 
Coem.  Hermetis. 


Wandmalerei,  z.  B.  das  sogenannte  Urteil  Salomonis;  eine  andere  führt  eine  Gerichts- 
szene aus  der  täglichen  Wirklichkeit  vor:  der  Gerichtshof  sitzt  auf  dem  sehr  hohen 
Tribunal  unter  einem  Baldachin,  unten  werden  Kläger  und  Beklagter  herangeführt, 
jener  blutet  aus  vielen  Wunden,  Gerichtsdiener  und  Wachen  sind  in  Funktion.  Eine 
ganze  Reihe  Gerichtsszenen  finden  sich  in  den  Wandmalereien  des  im  Garten  der 
Farnesina  zu  Rom  ausgegrabenen  antiken  Hauses.2) 

In  der  Gruft,  die  der  Sabaziuspriester  Vincentius  beim  Tode  seiner  Gattin  Vibia 
an  der  Via  Appia  herrichten  und  ausmalen  ließ,  findet  sich  auch  das  Totengericht 
dargestellt.  Auf  hohem  Tribunal  sitzen  die  Totengötter  „Dispater"  und  „Aeracura"; 
zur  Seite  des  Tribunals  stehen  assistierend  die  drei  matronalen    „Fata  divina",    unter- 


»)  Susanna:  Wilpert,  Sakramentskapellen  1897,  13;  Malereien  119.  364,  2  Taf.  86.  de  Waal, 
Köm.  Quart.  1898,  92. 

2)  Totengericht:  Kühl,  de  mortuorum  iudicio  (bei  Dieterich -Wünsch,  Religionsgesch.  Ver- 
suche) 1903.  —  Osiris:  Dümichen,  Gesch.  des  alten  Ägyptens.  —  Pompeji:  Overbeck,  Pompeji 
4583.  Mau,  Pompeji  15  (Urteil  Salomonis).  Presuhn,  Pompeji  1878  IV  4  Taf.  5  (Gerichtsverhand- 
lung). —  Casa  Farnesina:  Mon.  d.  instit.  XI  Taf.  44,  2.  Zone.     Hülsen,  Annali  1832,  309. 


Im  Himmel.  271 

weltliche  Parzen;  der  Bote  Merkur  („Mercurius  nuntius")  führt  die  Verstorbene  vor 
(„Vibia"),  welcher  Alkestis  („  Alcestis")  das  Geleite  gibt.  Alkestis  erscheint  als  Anwalt 
und  Fürsprech,  denn  Vibia  war  wie  sie  ein  Muster  von  Gattinnentreue.  Daß  Vibia 
vor  dem  Gericht  besteht,  ist  nicht  bloß  selbstverständlich,  sondern  auch  dargestellt; 
wir  sahen  das  Bild  bereits,  ihre  Einführung  in  die  Gefilde  der  Seligen  und  ihre  Teil- 
nahme am  Gelage  der  Seligen,  die  aufgenommen  sind  nach  dem  Urteilsspruch  der 
„Guten"  („Bonorum  iudicio  iudicati").  Die  „Guten"  ist  Euphemismus  für  die  strengen 
Richter,  deren  Strenge  freilich,  nach  den  geschriebenen  und  gemalten  Epitaphien  zu 
urteilen,    der  jeweils  Verstorbene  nie   zu  fürchten  hatte   (unsere  Abbildung  S.  191).1) 

Nach  Wilperts  Chronologie  gehört  die  Vibiagruft  der  ersten  Hälfte  des  vierten 
Jahrhunderts  und  die  paar  christlichen  Malereien,  die  vielleicht  als  Gerichtsszenen  auf- 
gefaßt werden  können,  der  zweiten.  Wenn  es  nötig  wäre,  ein  direktes  Abhängigkeits- 
verhältnis zwischen  dem  heidnischen  und  den  christlichen  Bildern  anzunehmen,  so 
müßten  die  christlichen  vom  heidnischen  abhängig  sein;  wir  indessen  begnügen  uns,  gemäß 
dem  in  der  Einleitung  Gesagten,  mit  der  Feststellung,  daß  auch  im  vorliegenden  Falle  die 
christliche    Kunst    mit    der  heidnischen  zusammen   im  Strome  der  Gesamtantike  steht. 

Im  Cömeterium  des  Hermes  sehen  wir  einen  Verstorbenen  als  Orans  stehen, 
zwischen  zwei  Seligen;  hinter  ihm,  auf  hohem  Podium,  zu  dem  Stufen  hinaufführen, 
sitzt  der  erhöhte  Christus  und  hält  die  flach  ausgestreckte  Hand  über  den  Kopf  des 
Verstorbenen.  Die  beiden  Seligen  strecken  ihre  Rechte  nach  dem  Neueingetretenen 
aus,  in  der  Linken  hält  jeder  eine  Schriftrolle,  eine  offene  hat  auch  der  Christus  in 
der  Hand.  Wegen  der  Schrif trollen  wollten  de  Rossi  und  Kraus  den  Christus  als 
lehrend  verstehen;  dagegen  aber  spricht  das  hohe  Podium,  der  antike  Lehrer  saß  nicht 
höher  als  seine  Schüler;  auch  die  Gebärde  des  Orans  paßt  nicht  dazu,  wie  überhaupt 
die  ganze  Situation  nicht  recht  verständlich  wäre.  Wilpert  sieht  das  Seelengericht 
dargestellt,  der  Verstorbene  stehe  vor  dem  Herrn  als  seinem  Richter;  die  zwei  Seligen 
seien  Fürsprecher.  Suchen  wir  die  Komposition  des  Bildes  typologisch  zu  verstehen, 
so  finden  wir  im  Vordergrund  eine  Begrüßungsszene,  den  neu  in  den  Himmel  Ein- 
getretenen von  zwei  Seligen  begrüßt;  mehr  im  Hintergrund  ist  der  auf  dem  Podium 
thronende  Christus  hinzugefügt.  Zunächst  also  ergibt  sich,  außer  der  Begrüßung,  daß 
der  Verstorbene  nun  im  Himmel  vor  dem  Angesicht  des  Herrn  steht,  anbetend,  wie 
sich  gebührt;  also  ein  Seligkeitsbild.  In  dem  hohen  Podium  aber  kann  vielleicht 
eine  Andeutung  an  die  Richtereigenschaft  des  Christus  liegen  (Kor.  II  5,  10).  Ob 
die  begrüßenden  Seligen  damit  zu  Fürsprechern  werden,  wäre  noch  besonders  zu 
überlegen.  —  In  Cyriaca  gibt  es,  an  den  Laibungen  eines  Arkosolbogens,  zwei  ver- 
wandte Bilder.  Je  eine  Verstorbene  steht  im  Orantenschema  vor  uns,  seitlich  und 
etwas  zurückgeschoben  sitzt  der  Christus,  ihr  zugewandt  und  ihr  die  Rechte  zum 
Gruß  zustreckend.  Also  auch  hier  einer  Orantengestalt  der  Christus  hinzugefügt, 
diesmal  nicht  auf  hohem  Podium,  wozu  freilich  auch  kein  Raum  gewesen  wäre. 
Dies  Bild  am  Arkosol  des  Zosimianus  ist  etwas  älter  als  das  im  Coem.  Hermetis,  ein 
früherer  Versuch;  im  letzteren  ist  etwas  mehr  gewagt.2) 


1)  Vibia:  Garrucci,  Storia  VI  Taf.  493;  danach  bei  Maass,  Orpheus  219.  Jetzt  bei  Wilpert, 
Malereien  144.  392  Taf.  132,  2. 

2)  Coem.  Hermetis:  Wilpert  394,  1  Taf.  247.  —  Schulszenen:  Mon.  d.  inst.  IX  Taf.  54 
Schale  des  Duris.  Wissowa,  Rom.  Mitt.  1890,  3  Taf.  1.  Hettner,  Führer  Trier  1903  n.  21.  — 
Zosimianus:  Wilpert,  Malereien  403  n.  10  Taf.  206. 


272  Die  Seligen  im  Himmel. 

Die  andere  Malerei,  welche  vielleicht  als  Gerichtsszene  verstanden  werden  kann, 
befindet  sich  im  Scheitelfeld  einer  Decke  in  Domitilla  (Wilpert  395  Taf.  196).  Der 
Christus  thront  auf  niedrigem  Suggest,  bei  dem  ein  Schriftkasten  steht;  zwei  Selige 
assistieren;  beiderseits  aber  kniet  je  ein  Mann,  die  Hände  zum  Herrn  hebend.  Bitten 
sie  den  Richter  um  Gnade?  Das  wäre  ganz  antik  empfunden;  denn  der  antike  Richter 
galt  dem  Angeklagten  keineswegs  als  unbestechlicher  Künder  des  objektiven  Rechtes, 
sondern  es  war  Brauch,  mit  allen  Mitteln  den  Richter  günstig  zu  stimmen.  Unserer 
Rechtsauf fassung  widerspricht  dies  Andrängen  auf  die  Stimmung  des  Richters,  es 
scheint  uns  auch  der  christlichen  Sittlichkeit  zu  widersprechen,  ebensosehr  der  christ- 
lichen Haltung.  Nun  sind  schon  im  Altertum  Stimmen  laut  geworden  gegen  diese 
Truggerichte,  Plato  z.  B.  geißelt  sie  in  seinem  ersten  Totengerichtsmythus,  der  selbst 
nur  Sinnbild  kritischer  Gedanken  ist.  Einst,  da  Kronos  noch  die  Welt  regierte,  wurde 
das  Gericht  am  Todestage,  unmittelbar  vor  der  Sterbestunde  gehalten,  ein  Gericht 
Lebender  über  Lebende;  sie  erschienen  umhüllt  mit  schönen  Leibern  und  Adel  und 
Reichtum,  begleitet  von  vielen  Zeugen,  die  bekundeten,  daß  sie  gerecht  gelebt  hätten. 
Die  Richter  hatten  als  Lebende  auch  Schleier  vor  der  Seele,  Augen,  Ohren  und  den 
ganzen  Leib,  so  daß  sie  sich  täuschen  ließen  und  Unwürdige  zu  den  Inseln  der  Seligen 
einließen.  Daher  verordnete  Zeus,  nachdem  er  die  Weltregierung  übernommen  hatte, 
daß  hinfort  nur  Tote  über  Tote  richten  sollten,  nackte  Seelen  über  nackte  Seelen,  die 
aller  jener  irreführenden  Umhüllungen  entkleidet  wären  (Gorg.  523).  Was  nun  unsere 
Malerei  betrifft,  so  sind  die  vorkommenden  heidnischen  Darstellungen  Kniender  meist 
im  Krieg  Besiegte,  die  sich  dem  Sieger  unterwerfen,  alles  weitere  seiner  Gnade  anheim- 
stellend; so  die  Juden  in  einem  Relief  des  Sanherib;  so  die  Barbaren  in  einem 
Triumphalrelief  des  Kaiser  Mark  Aurel.  D*e  Perser  hatten  den  orientalischen  Brauch 
übernommen,  sich  vor  dem  König  der  Könige  niederzuwerfen,  und  man  weiß,  wie 
verächtlich  diese  Art  Proskynese  den  freidenkenden  Griechen  erschien.  Auch  den 
Römern  war  solche  Unterwürfigkeit  von  Haus  aus  fremd;  erst  als  in  der  Kaiserzeit 
orientalisches  Wesen  immer  mächtiger  eindrang,  fand  auch  die  devote  Adoration  Ein- 
gang, und  Diocletian  fügte  sie  in  die  Hofetikette  ein.  So  mußte  dann  auch  der  er- 
höhte Christus  sich  die  Proskynese  als  Fußfall  im  Sinne  göttlicher  Verehrung  bieten 
lassen,  die  der  lebende  Jesus  grundsätzlich  abgelehnt  hätte.  Unser  Bild  zeigt  zwei 
Verstorbene  in  solcher  fußfälliger  Adoration,  auch  hier  kann  der  Gedanke  an  das 
Gericht  mit  unterlaufen,  es  ist  aber  nicht  klar  ausgesprochen.1) 

Zu  einer  Gerichtsszene  sind  unerläßlich  ein  Richter  und  ein  Beklagter;  nicht 
ganz  so  wesentlich  sind  Gerichtsboten  und  Wachen,  Fürsprecher  und  Zeugen.  Weil 
in  den  paar  eben  besprochenen  Bildern  Richter  und  Beklagter  gefunden  werden 
können,  so  mag  bei  ihnen  an  das  Gericht  mitgedacht  sein.  Nun  aber  konstruiert 
Wilpert  noch  eine  ganze  Reihe  von  Gerichtsbildern,  wo  die  unerläßliche  Verbindung 
von  Richter  und  Beklagtem  gar  nicht  vorhanden  ist;  er  bringt  Figuren,  die  wohl  in 
Nachbarschaft  gemalt  sind,  aber  jede  in  besonderem  Rahmen,  in  eine  bildlich  nicht 
bestehende  Beziehung  zueinander  und  gewinnt  so,  die  vorbesprochenen  drei  Malereien 
mitgerechnet,  eine  Liste  von  vierzehn  Gerichtsbildern.  Vorweg  ist  eine  Malerei  aus- 
zuscheiden, in  der  der  angebliche  Richter  nicht  sitzt,  sondern  steht  (W.  406  n.  12 
Taf.  54,  2.  40,  2).     Ordnet  man  die  übrige  Liste  chronologisch,  so  steht  an  der  Spitze 

*)  Adoratio:  Seeck  bei  Pauly-Wissowa  I  400.  Mark  Aurel:  v.  Sybel,  Weltgesch.  d.  Kunst 
1903,  423  Abb.  —  Mk.  1,  40  yorvnezwv,  5,  33  und  7,  25  nQogtneaev  ist  anders  gemeint. 


Im  Himmel.  273 

die  Decke  der  Kammer  X  Lucinac;  ergänzen  wir  das  erhaltene  Bruchteil  mit  Wilpert, 
so  sah  man  im  Scheitelfcld  den  sitzenden  Christus  (es  ist  nichts  davon  übrig),  in  den 
Kappen-  und  Zwickelfeldern  Selige,  in  jenen  „angezogene"  Männer,  in  diesen  weib- 
liche Oranten.  Das  ist  wieder  einmal  der  christliche  Himmel,  aber  nicht  die  leiseste 
Andeutung  von  Gericht  (W.  408  n.  14  Taf.  24,  1).  Dasselbe  gilt  von  den  anderen 
Decken  (W.  399  n.  6  bei  Wilpert,  Cyklus  Taf.  1—4.  —  W.  403  n.  11  Taf.  75.  — 
W.  400  n.  7  Taf.  96).  Ahnlich  gewaltsam  werden  an  Fachgräbern  und  Arkosolien 
Gerichtsszenen  konstruiert.  In  der  Sakramentskapelle  A2  ist  rechts  vom  Haupt- 
grab ein  Sitzender  gemalt,  als  sein  Gegenstück  (das  zerstört  ist)  vermutet  Wilpert 
einen  Orans,  an  der  Eingangswand  beiderseits  der  Tür  zwei  Selige  (nur  einer  ist  er- 
halten): diese  über  den  ganzen  Raum  zerstreuten  Figuren  sollen  Komponenten  einer 
Gerichtsszene  sein  (W.  407,  n.  13  Taf.  39,  2.  40,  3).  An  der  Lünette  eines  Arkosols 
ist  öfter  der  oder  die  Verstorbene  gemalt,  am  Bogenscheitel  darüber  der  sitzende 
Christus;  oder  umgekehrt  am  Bogenscheitel  die  Orantenfigur,  an  der  Lünette  darunter 
der  Christus;  sind  andere  Selige  („Heilige"  als  „Fürsprecher")  dabei,  so  sieht  Wilpert 
in  Scheitel-  und  Lünettenbild  ein  Seelengericht  (Christus  im  Scheitelbild:  W.  399  n. 
5  Taf.  170.  —  W.  402  n.  9  Taf.  154,  2.  155,  1.  —  W.  401  n.  8  Taf.  154,  1.  155,  2. 
—  Christus  in  der  Lünette:  W.  398  n.  4  Taf.  245,  2).  Alle  diese  Malereien  ver- 
langen eine  weniger  künstliche,  schlichtere  Erklärung. 

Zunächst  noch  eine  Malerei,  eine  spätere,  aus  dem  vierten  Jahrhundert.  Wilperts 
Herstellung  zu  folgen,  wären  in  zwei  Gemälden  drei  Männer  und  drei  Frauen  gemalt 
gewesen,  auf  einer  etwas  merkwürdigen  Erhöhung  kniend  vor  dem  thronenden  Christus. 
Von  den  acht  Personen  ist  nur  der  eine  Christus  erhalten  nebst  dem  Oberteil  der 
ersten  Frau;  sie  hebt  die  Rechte  in  Brusthöhe,  die  zwei  letzten  Finger  eingeschlagen, 
dieselbe  Gebärde  macht  der  Christus  (W.  487  Fig.  44  Taf.  124).  Man  möchte  er- 
warten, die  zwei  Bilder  mit  den  vor  dem  Christus  Knienden  als  Gerichtsszenen  erklärt 
zu  sehen,  wenn  auch  freilich  keine  Advokaten  dabei  sind.  Aber  man  sagt  uns,  diese 
Personen  streckten  nicht  die  Hände  aus,  um  Gnade  zu  erflehen,  sondern  sie  erhöben 
nur  die  eine  Hand,  bloß  sprechend;  ein  solches  fast  familiäres  Auftreten  gegenüber  dem 
Christus,  als  dem  Herrn  in  seiner  Herrlichkeit  und  Macht,  komme  nicht  gewöhnlichen 
Verstorbenen,  sondern  nur  Märtyrern  zu,  die  in  der  Aufopferung  ihres  Lebens  um 
Christi  Namen  willen  sich  ein  Verdienst  erworben  hätten  und  Ansprüche  erheben 
dürften.  Wir  hingegen  sehen,  die  Richtigkeit  der  Ergänzung  vorausgesetzt,  lediglich 
eine  andere  Form  von  Adoration  Verstorbener  und  in  den  Himmel  Aufgenommener 
vor  dem  thronenden  Christus.  Und  wir  müssen  die  ganze,  zugunsten  der  Märtyrer 
und  im  Sinne  einer  Bevorzugung  derselben  gemachte  Unterscheidung  ablehnen;  dazu 
gehört  auch  ihr  angeblicher  Vorzug,  daß  sie  unmittelbar  nach  ihrem  Hinscheiden  und 
ohne  erst  sich  einem  Gericht  unterziehen  zu  müssen,  sofort  der  ewigen  Seligkeit  teil- 
haft würden.  Mag  ein  Tertullian  in  ähnlicher  Richtung  spekulieren,  insgemein  stellen 
die  Kirchenschriftsteller  den  unmittelbaren  Eingang  der  Märtyrer  in  den  Himmel 
nicht  zu  einem  Zwischenzustand  der  anderen  Verstorbenen  in  Gegensatz,  sondern  zu 
der  kurzen  Qual  des  Martyriums:  durch  das  Martyrium  um  so  rascher  zum  Herrn. 
Wilpert  selbst  erkennt  an  anderer  Stelle  als  die  im  christlichen  Altertum  mit  Einschluß 
der  Katakombenmalereien  herrschende  Meinung  an,  daß  alle  verstorbenen  Christen 
unmittelbar  vom  Sterbebett  in  den  Himmel  kommen  (Seite  430). 

Aus    der    Liste    der    angeblichen    Gerichtsbilder    hatten    wir    einen    stehenden 

Sybel,  Christliche  Antike  I.  18 


274  Die  Seligen  im  Himmel. 

Christus  vorweg  auszuscheiden:  Christus,  bärtig,  steht  mit  gespreizt  geöffneter  Rechten, 
darin  dem  Orantentypus  gleichend,  und  mit  einer  offenen  Schriftrolle  in  der  Linken 
(Wilpert  406  n.  12  Taf.  54,  2.  40,  2).  Das  Bild  befindet  sich  im  Scheitel  eines 
Arkosolbogens  und  eröffnet  eine  Reihe  von  stehenden  Christusgestalten  in  Einzel- 
figuren. Das  folgende  Exemplar  befindet  sich  an  einer  Bogenlaibung;  Christus,  hier 
bartlos,  schaut  aus  der  Nische  heraus,  die  Rechte  vor  der  Brust  (W.  252  Taf.  83,  2). 
Wiederum  findet  sich  der  Typ  in  einer  Deckenmalerei  zentral,  das  Schema  ist  gleich 
dem  des  vorigen  Exemplars  (W.  252  f.  Taf.  165).  Endlich  in  noch  einem  Bogen- 
scheitel;  in  der  Linken  hat  er  die  Schriftrolle,  die  Rechte  ist  wie  im  ersten  Falle 
geöffnet  und  ausgestreckt  (W.  252  Taf.  172,  1).  Die  Bilder  gehören  dem  dritten  und 
vierten  Jahrhundert.  —  Wir  schließen  eine  bei  der  Auffindung  großenteils  zerstörte, 
von  Wilpert  aus  dem  Gedächtnis  hergestellte  späte  Malerei  an;  danach  stand  der 
Christus  auf  der  Weltkugel,  die  Rechte  ausgestreckt,  in  der  Linken  die  Rolle;  zwischen 
Petrus,  der  mit  verhüllten  Händen  die  Rolle  entgegennahm  (erklärt  als  das  neue 
Gesetz),  und  Paulus,  der  eine  Rolle  zwischen  den  Händen  hielt  (Bull,  crist.  1887 
Taf.  7.  Wilpert,  Malereien  250).  —  Noch  ein  anderes  Unikum  in  der  Katakomben- 
malerei mag  hier  seine  Stelle  finden,  die  Verleugnung  des  Petrus.  Während  das 
vorige  Bild,  aus  der  symmetrischen  Gruppe  des  Christus  zwischen  Petrus  und  Paulus 
entwickelt,  keine  wesentliche  Schwierigkeit  bereitet,  nimmt  die  Verleugnung  eine  Sonder- 
stellung in  der  Katakombenmalerei  ein.  Der  hier  unbärtige  Petrus  steht  mit  flach 
erhobener  Rechten  links,  rechts  der  größere  bärtige  Christus,  der  die  Rechte  hebt, 
die  zwei  letzten  Finger  eingeschlagen;  zwischen  beiden  steht  auf  einem  Pfeiler  (der 
an  einen  Votivträger  erinnert)  der  Hahn.  Es  hält  schwer,  dem  Bilde  einen  der 
Katakombenmalerei  angemessenen  Sinn  abzugewinnen.  Garrucci  erklärte  es  für  eine 
Warnung,  de  Rossi  merkwürdig  genug  für  eine  Darstellung  der  Glaubensstärke  des 
Petrus;  Wilpert  sieht  auch  in  dieser  Malerei,  wie  in  allen  anderen,  ein  gemaltes  Gebet: 
der  Herr  wolle  der  Verstorbenen  verzeihen,  wie  er  dem  Petrus  die  Verleugnung  ver- 
ziehen habe.  Wir  vermögen  diese  Bildergebete  nicht  anzuerkennen  und  harren  weiter 
der  richtigen  Deutung.1) 

Der  Christus  sitzend.  Er  kommt  sowohl  als  Einzelfigur  vor  wie  auch  gruppiert 
mit  anderen  Personen,  wobei  wir  nur  solche  zählen,  die  mit  dem  Christus  innerhalb 
eines  und  desselben  Bildrahmens  zusammengestellt  sind.  In  einigen  Fällen  ist  solchen 
Personen,  Oranten,  der  sitzende  Christus  hinzugefügt,  als  genauere  Bestimmung:  der 
Orans  ist  ein  Verstorbener  in  der  Seligkeit,  diese  Seligkeit  wird  durch  den  hinzu- 
fügten erhöhten  Christus  näher  bestimmt  als  die  christliche,  durch  den  Christus  ver- 
bürgte und  gewährte.  Wiederum  erscheint  der  Christus  umgeben  von  anderen  Per- 
sonen; seine  nähere  Umgebung  kann  natürlich  nur  von  ihm  Nahestehenden  gebildet 
werden,  es  sind  Jünger  oder  Verehrer  von  ihm,  nach  Umständen  können  es  diese 
oder  jene  selige  Christen  sein,  nach  Umständen  der  engere  Kreis  der  Apostel.  Und 
zwar  sind  es  nicht  die  geschichtlichen  zwölf,  die  während  seines  Auftretens  im  Leben 
ihm  zur  Seite  standen,  es  ist  auch  nicht  der,  dem  Bericht  der  Apostelgeschichte  zufolge, 
nach  dem  Ausscheiden  des  Judas  Ischarioth  ergänzte  Zwölferkreis,  sondern  ein  ideeller, 
welcher  den  Paulus  einschließt.  Diese  Umgebung  von  Seligen  oder  Jüngern  erscheint 
in  verschiedener    Zahl    zusammengesetzt,    von    zweien   bis    zu    zwölfen.     Die    Begleiter 


x)  Verleugnung:    Wilpert,  Malereien  329  Taf.  241.  242,  1. 


Im  Himmel. 


275 


Der  erhöhte  Christus  im  Halbkreis  der  zwölf  Apostel. 
Coem.  Domitillae,   Ampliatusregion. 

werden  bald  stehend,  bald  auch  sitzend  gegeben;  erscheinen  sie  in  größerer  Zahl,  so 
sitzen  sie  meist  gedrängt  wie  auf  einer  halbrunden  Bank,  während  der  Christus  einen 
grösseren  Thron  inne  hat,  der  auch  wohl  auf  einem  Untersatz  steht  und  eine  Fußbank 
vor  sich  hat.  Mit  der  Zeit  werden  einzelne  Apostel  aus  der  Schar  hervorgehoben,  die 
sogenannten  Apostelfürsten  Petrus  und  Paulus. 

Sowohl  der  Christus  wie  die  Begleiter,  letztere  nicht  ausnahmslos,  erheben  die 
Rechte,  in  Einzelfällen  ganz  geöffnet  und  die  Finger  gespreizt,  wie  die  Oranten  es 
tun;  in  der  Regel  aber  wird  die  Hand  nur  eben  in  Brusthöhe  gehoben,  die  zwei 
letzten  Finger  eingeschlagen,  also  in  dem  abgekürzten  Schema  der  Begrüßung  und 
Verehrung,  das  aber  in  seiner  Unbestimmtheit  sehr  mannigfaltig  verwendet  werden 
konnte;  Wilpert  bezeichnet  es  als  Redegestus,  später  figuriert  es  als  das  „lateinische" 
Schema  des  Segnens  (Kraus,  Gesch.  I  118). 

Der  sitzende  wie  der  stehende  Christus,  pflegt  in  der  linken  Hand  die  Schrift- 
rolle zu  führen,  bald  geöffnet,  bald  geschlossen,  auch  die  Begleiter  bekommen  sie 
bisweilen  in  die  Hand.  Häufig  steht  neben  oder  vor  dem  Stuhl  des  Christus  ein 
runder  Schriftrollenbehälter  (scrinium,  capsa;  zweifelhaft  bleibt  die  isolierte  Verwendung 
des  Skriniums,  vgl.  Wilpert  233  Fig.  19  zu  Taf.  178,  2).  Der  klassische  Archäologe 
erinnert  sich,  sowohl  die  Schriftrolle  wie  das  Skrinium  als  Attribut  von  Porträtbildern 
gesehen  zu  haben,  und  zwar  erst  an  Exemplaren  der  hellenistisch-römischen  Zeit. 
Demosthenes  war  mit  ausdrucksvoller  Gebärde  dargestellt  worden,  die  Hände  inein- 
andergeschlagen,  ein  späterer  Kopist  legte  ihm  die  Schriftrolle  hinein;  Kopien  der 
Sophoklesstatue  wurden  mit  einem  Skrinium  versehen  (beide  Statuen  bei  Sybel, 
Weltgesch.  d.  Kunst2  342  Abb.).  Darin  spricht  sich  die  Tatsache  aus,  daß  das 
Geistesleben  der  klassischen  Blüte  Griechenlands  für  die  Epigonen  nur  mehr  Literatur 
war,  die  Geistesheroen  existierten  nur  noch,  insofern  sie  Schriftsteller  gewesen  waren, 
deren  Werke  nun  in  den  Bibliotheken  gesammelt  und  katalogisiert,  ediert  und 
kommentiert    wurden.      Die   Schriftrollen    in    der    Hand    des    verklärten    Christus    und 

18* 


276  Die  Seligen  im  Himmel. 

seiner  Seligen,  die  Apostel  miteingeschlossen,  dazu  die  Schriftenbehälter  neben  seinem 
Stuhl,  sie  sprechen  die  Tatsache  aus,  daß  das  Christentum  aus  einer  Erneuerung  des 
Lebens  eine  Buchreligion,  eine  Wissenschaft  geworden  war,  wir  haben  hier  nicht  davon 
zu  reden  was  für  eine;  nun,  es  war  eine  antike  Wissenschaft,  die  antike  Metaphysik 
in  ihrem  letzten  Stadium  unter  dem  Zeichen  jener  Reaktion. 

Wo  sich  der  Christus  auf  keine  Weise  zum  Richter  pressen  läßt,  da  erklärt  man 
ihn  für  einen  Lehrer  oder  auch  Gesetzgeber.  In  der  Tat  schildern  die  Evangelien 
Jesus  als  Lehrer  an  vielen  Stellen,  wie  er  in  die  Synagogen  ging  und  dort  lehrte, 
sowie  auch  sonst  —  gewaltig,  so  heißt  es,  redete  er,  und  nicht  wie  die  Schriftgelehrten; 
und  wie  ihm  die  Anrede  Lehrer  gegeben  wurde  (  hdäo%al£,  Rabbi).  Diese  bei  Leb- 
zeiten ausgeübte  Lehrtätigkeit  aber  hatte  die  praktische  Reform  zum  Gegenstand,  und 
was  von  Theologie  und  Eschatologie  mitlief  (die  Evangelien  sind  dafür  befangene 
Zeugen),  das  stand  im  Dienst  der  Reform;  sonst  hätte  seine  Messianität  keinen  Sinn 
gehabt.  Und  es  war  nur  lebendiges  Wort,  vom  Menschen  zum  Menschen,  wie  bei 
Sokrates.  Keiner  von  beiden  hat  je  ein  Wort  geschrieben,  und  es  hat  lange  gedauert, 
bis  niedergeschrieben  wurde,  was  in  den  Hörern  Wurzel  gefaßt  hatte,  und  wohlver- 
standen, so  wie  es  in  ihnen  ausgewachsen  war.  Nur  in  der  christlichen  Literatur 
wirkte  er  nach.  Dieser  Lehrer  Jesus  aber  kann  in  den  Malereien  nicht  wohl  gemeint 
sein,  nicht  bloß  deshalb,  weil  kein  Christ  mehr  lebte,  der  ihn  so  gekannt  hatte,  sondern 
auch  deshalb,  weil  nicht  der  Mensch  Jesus  von  Nazareth,  sondern  der  Christus  im 
Himmel,  der  erhöhte  Gottessohn  und  spätere  Gott,  gemalt  wurde.  Als  Gesetzgeber 
ist  er  in  keiner  Katakombenmalerei  deutlich  bezeichnet.  Alle  diese  Erklärungen  des 
himmlischen  Christus,  als  des  Richters,  des  Lehrers,  des  Gesetzgebers,  wollen  uns  zu 
eng  vorkommen,  zu  sehr  spezialisiert,  zu  spekuliert,  zu  scholastisch.  Der  da  oben  im 
Bogenscheitel  des  Nischengrabes  oder  im  Scheitelfeld  der  Decke  gemalt  ist,  im  Zenith 
des  Himmels,  das  ist  der  erhöhte  und  verklärte  Christus  in  seiner  ganzen  Wesenheit. 
Jenes  Besondere  ist  alles  darin  einbegriffen.  Und  dem  christlichen  Besucher  der 
Gruft  und  des  Grabes,  der  da  liebe  oder  verehrte  Tote  ruhen  hatte,  es  blieb  ihm, 
wenn  er  das  Auge  über  die  bescheidene  Malerei  hinlaufen  ließ,  es  blieb  ihm  über- 
lassen, nach  seiner  persönlichen  Empfindung  und  Stimmung  die  Bilder  auf  sich  wirken 
und  aus  ihrem  Gesamtgehalte  diese  oder  jene  Saite  anklingen  zu  lassen,  in  dem  Christus 
aber  je  nachdem  den  Lehrer,  allenfalls  auch  den  Gesetzgeber,  oder  aber  den  Richter  zu 
sehen,  den  gnädigen  eher  als  den  strengen,  mit  anderem  Wort,  den  einen,  den  Erlöser. 

Um  beim  Ei  der  Leda  zu  beginnen,  nur  im  Rahmen  der  Katakombenmalerei,  so 
tritt  der  Typus  des  Sitzenden  zuerst  in  Kaliist  auf,  in  den  Sakramentskapellen,  auf 
die  wir  unten  zurückkommen.  Zweimal  findet  sich  dort  ein  auf  einem  Steinwürfel 
Sitzender,  das  eine  Mal  mit  einer  offenen  Schriftrolle  in  den  Händen;  etwas  tiefer  ist 
eine  hoch  aufgeschürzte  Frau,  wenn  es  nicht  doch  ein  Mann  ist,  beschäftigt,  aus  einem 
Brunnen  Wasser  zu  schöpfen.  Die  beiden  Figuren  kümmern  sich  nicht  umeinander, 
dennoch  werden  sie  auf  Jesus  und  die  Samariterin  am  Jakobsbrunnen  gedeutet 
(Wilpert  Taf.  29,  2).  Der  andere  sitzt  wie  zeigend  neben  einem  Fachgrab;  sein  Gegen- 
stück ist  zerstört  (Taf.  39,  2). 

Nun  die  sicheren  Christusbilder.  Zuerst  die  Einzelfiguren.  In  einem  Bogen- 
scheitel in  Praetextat  sitzt  der  Christus,  hier  und  weiterhin  immer  auf  einem  Stuhl 
oder  Thron,  mit  einer  offenen  Schriftrolle  in  den  Händen  (W.  235.  251  Taf.  49);  im 
Zentrum  einer  Decke  in  Nunziatella  mit    Rolle    in    der  Linken  (W.  403  Taf.  75),    in 


Im  Himmel. 


277 


Der  erhöhte  Christus  im  Halbkreis  der  zwölf  Apostel. 
Coem.  Domitillae,  Bäckergruft. 

einem  Bogenscheitel  in  Thekla  hält  er  die  Rechte  über  einem  Skrinium  (Rom. 
Quartalschr.  1890  Taf.  9),  wiederum  in  einem  Deckenzentrum  im  Coem.  maius  thront 
er  zwischen  zwei  Skrinien  (W.  409  Taf.  168).  Bei  einem  Sitzenden  mit  Skrinium,  der 
an  den  Laibungen  eines  Arkosolbogens  in  Domitilla  sich  wiederholt,  einmal  bärtig, 
einmal  bartlos,  mag  man  schwanken,  ob  Christus  oder  sonst  ein  Seliger  gemeint  sei 
(W.  341  Taf.  197,  1). 

Die  Gruppe  des  sitzenden  Christus  im  Kreise  der  Seinen.  Eine  Neapeler 
Katakombenmalerei  aus  der  Frühzeit  zeigt  den  bartlosen  Christus  halb  linkshin  sitzend; 
von  dort  kommt  eine  Schar  Jünger  oder  Verehrer  heran  (das  Bild  ist  am  Rande  ver- 
letzt, so  daß  ihre  Zahl  nicht  festgestellt  werden  kann,  erkennbar  sind  neun  oder  zehn, 
vielleicht  waren  es  zwölf).  Alle  heben  die  Rechte,  die  letzten  Finger  eingeschlagen; 
das  ganze  ist  ein  Adorationsbild  im  klassischen  Stil,  vielleicht  sind  die  Adoranten 
etwas  lebhafter  bewegt,  als  die  in  gemessener  Haltung  Anbetenden  auf  den  vielen 
Weihreliefs  der  klassischen  Blütezeit  (Garrucci,  Storia  II  Taf.  92,  3).  Man  wird  nun 
fragen,  ob  im  Neapeler  Gemälde  die  Adoration  diesseitig  oder  jenseitig  gemeint  sei, 
ob  als  eine  dem  lebenden  Jesus  von  den  Jüngern  oder  dem  erhöhten  Christus  von 
Seligen  dargebrachte  Huldigung.  Die  Girlanden,  unter  denen  die  Gruppe  steht, 
scheinen  auf  das  himmlische  Paradies  zu  weisen;  sind  es  dann  aber  die  in  der 
Gruft  dort  Bestatteten?  oder  generelle  Typen  der  Christen  im  Himmel?  oder  die 
Apostel  ? 

Anders  als  das  Neapeler  Bild  sind  die  römischen  Gruppen  komponiert,  frontal 
und  symmetrisch.  Die  Männer  sitzen  im  Halbkreis,  der  Christus  in  dessen  Mitte. 
Im  ältesten  Exemplar,  in  Petrus  und  Marcellinus,  bereits  aus  dem  späteren  dritten  Jahr- 
hundert, sitzt  der  Christus,  mit  gestrecktem  Zeigefinger,  wie  lehrend,  zwischen  beider- 
seits je  drei  Seligen  (der  zur  Rechten  des  Christus  scheint  bärtig  zu  sein,  wird  daher 
als  Petrus  erklärt;  die  Sechs  wären  dann  die  Apostel,  Wilpert  400  Taf.  96).  Die 
übrigen  Exemplare    gehören    alle    erst    dem   vierten   Jahrhundert   an.     Zwischen    sechs 


278  Die  Seligen  im  Himmel. 

Aposteln  sitzt  der  Christus  noch  an  einem  Arkosolbogen  des  Coem.  maius,  der  mittlere 
Apostel  rechts  ist  bärtig  (W.  399  Taf.  170);  zwischen  nur  zweien  in  der  Lünette  des 
Zosimianusgrabes  (W.  402  Taf.  205).  Sonst  sind  es  die  zwölf:  in  der  „Kammer  der 
sechs  Heiligen"  in  Domitilla,  wo  mehrere  Apostelköpfe  bärtig  sind  (W.  244  Taf.  126);  in 
einer  Lünette  ebenda,  in  der  Ampliatusregion ,  von  den  Aposteln  sind  einige  durch 
Einbrechen  eines  Fachgrabes  zerstört,  den  Bogen  darüber  schmückt  eine  Weinlaube 
mit  lesenden  Putten  (W.  245  Taf.  148,  2,  unsere  Abb.  Seite  275);  an  der  Front  über  einem 
Arkosol  des  Coem.  Hermetis,  mit  der  Besonderheit,  daß  jeder  der  zwölf  auf  einem 
besondern  Lehnstuhl  sitzt,  was  der  ganzen  Darstellung  etwas  Puppenhaftes  gibt 
(W.  414  Taf.  152);  an  einem  Arkosolbogen  in  Domitilla,  dem  nimbierten  Christus 
zunächst,  sitzen  Petrus  und  Paulus,  ikonographisch  differenziert,  auch  sie  im  Nimbus, 
außerdem  ist  noch  ein  Apostel  der  Reihe  links  bärtig  (W.  401  Taf.  155,  2).  —  Bis- 
weilen thront  der  Christus  zwischen  stehenden  Seligen;  so  an  einem  anderen 
Arkosolbogen  ebenda  zwischen  je  zweien,  neben  denen  links  soll  noch  das  Bein  eines 
Putto  erkennbar  sein  (W.  402  Taf.  155,  1);  eine  Lünette  in  Marcus  und  Marcellianus 
zeigt  den  thronenden  Christus  nimbiert,  zwischen  zwei  Monogrammen,  in  der  Linken 
die  offene  Rolle,  den  rechten  Zeigefinger  ausgestreckt,  zwischen  vier  stehenden  Männern, 
deren  erster  (von  links  her  gezählt)  nach  einem  Stern  zeigt,  daher  erklärt  man  ihn 
als  Matthäus,  die  drei  andern  als  die  übrigen  Evangelisten  (W.  250  Taf.  162,  2);  in 
einer  Lünette  in  Kailist  sitzt  der  nimbierte  Christus  halbrechtshin  zwischen  zwei  ado- 
rierenden  Seligen,  die  zwei  Ecken  der  Lünette  sind  mit  je  einem  Skrinium  ausgefüllt 
(W.  397  Taf.  243,  1);  in  einer  Lünette  des  Coem.  maius  sitzt  er  zwischen  zwei  Skrinien, 
neben  denen  zwei  Selige  stehen,  die  nicht  adorieren,  im  Hintergrund  sind  Pflanzen 
angedeutet  (Taf.  245,  2);  im  Arcosolio  rosso  saß  er  zwischen  Adorierenden,  nur  einer 
ist  erhalten  und  wird  auf  Petrus  gedeutet,  sein  Gegenüber  sei  Paulus  gewesen  (W.  249 
Taf.  248.  128,  1).  —  Wir  nehmen  nun  die  Serie  der  Halbkreise  mit  zwölf  Aposteln 
wieder  auf.  Sie  setzt  sich  fort  in  zwei  Exemplaren  des  Coem.  Marci  et  Marcelliani 
(W.  246  f.  Taf.  177,  1.  2).  Kunstvoller  komponiert  ist  die  Malerei  in  einer  Apsis  in 
Domitilla,  in  der  Bäckergruft;  Christus  sitzt  auf  einem  Podium,  davor  das  Skrinium 
steht;  die  zwei  Apostelgruppen  sind  malerischer  gestaltet  durch  Kombination  der 
Schemata  Stehender  und  Sitzender,  die  Mehrzahl  der  Apostel  steht,  nur  Peter  und 
Paul  sitzen,  jeder  auf  einem  Klappstuhl  vor  den  Stehenden,  der  Mitte  zugewendet; 
die  zu  äußerst  Stehenden  scheinen  in  lebhafter  Teilnahme  sich  näher  zu  drängen 
(W.  246  Taf.  193  unsere  Abb.  Seite  277).  Endlich  in  einer  Malerei  in  Domitilla  sitzen 
wieder  alle  Apostel,  in  einer  anderen  in  Pontian  stehen  sie  alle  (W.  248  Taf.  225, 1.  2). 
Zum  Verständnis  des  Typus  ist  es  erforderlich,  auf  die  altchristliche  Literatur 
zurückzugreifen.  Da  es  sich  um  den  erhöhten  Christus  und  seinen  Kreis  handelt,  so 
sind  wir  auf  die  apokalyptische  Literatur  gewiesen;  sie  liegt  teils  in  Stücken  der 
Evangelien  vor,  teils  in  selbständigen  „Offenbarungen".  Für  den  ganzen  Typus  kann 
die  Schilderung  des  himmlischen  Presbyteriums  herangezogen  werden,  Off.  Joh.  4,  4; 
da  sitzen  die  vierundzwanzig  Ältesten  um  den  Thron  des  Herrn ,  im  Halbkreis  wie 
andere  antike  Kollegien.  Zu  unserem  einen  Gemälde  aber,  auf  dem  jeder  Apostel 
auf  eigenem  und  von  den  Nachbarn  isoliertem  Lehnstuhl  sitzt,  wird  mit  Recht  auf 
eine  der  zahlreichen  apokalyptischen  Ausführungen  bei  Matthäus  hingewiesen.  Petrus 
sprach  zu  Jesus:  „Wir  haben  alles  verlassen  uud  sind  dir  gefolgt,  was  wird  uns  dafür 
werden?"      Jesus   antwortete:    .In  der  Wiedergeburt,    wenn   der  Menschensohn    sitzen 


Im  Himmel.  279 

wird  auf  dem  Thron  seiner  Herrlichkeit,  werdet  auch  ihr  sitzen  auf  zwölf  Thronen, 
richtend  die  Stämme  Israels,"  Mt.  19,  27.  28.  Dies  Wort  wird  den  Maler  zu  seiner 
Auffassung  angeregt  haben,  obschon  man  nicht  übersehen  darf,  daß  es  sich  im  Gemälde 
nicht  eigentlich  um  die  Palingenesie  handelt,  auch  nicht  um  ein  Richten,  am  wenigsten 
über  die  zwölf  Stämme  Israels. 

Die  Anordnung  im  Halbkreis  war  für  Besprechungen,  Beratungen,  Verhand- 
lungen in  Kollegien  zweckmäßig  und,  wie  es  scheint,  typisch.  Ohne  auf  den  Gegen- 
stand an  dieser  Stelle  tiefer  eingehen  zu  wollen,  seien  nur  einige  monumentale  Belege 
beigebracht,  die  zwei  ersten  führen  uns  in  das  vierte  vorchristliche  Jahrhundert  zurück. 
Eine  Rats  Versammlung  schildert  die  Malerei  einer  unteritalischen  Vase,  nämlich 
den  Kriegsrat  der  Perser  unter  Darius,  vor  seinem  Feldzug  nach  Griechenland:  Darius 
thront  in  der  Mitte,  die  übrigen  sitzen  zu  beiden  Seiten  auf  Sesseln,  im  Halbkreis,  in 
welchem,  auf  einem  niedrigen  runden  Bema  stehend,  einer  der  Räte  warnend  und  sie 
beschwörend  spricht.  Die  Vase  mag  aus  der  Zeit  Alexanders  des  Großen  stammen, 
durch  seinen  Zug  mag  die  Malerei  veranlaßt  sein.  Sodann  ein  Philosophendialog, 
wiedergegeben  auf  zwei  in  der  Hauptsache  übereinstimmenden  Mosaiken,  deren  eines 
schon  länger  in  der  Villa  Albani  aufbewahrt  wird,  das  andere  neuerdings  in  Torre 
Annunziata  gefunden  wurde.  Die  Szene  scheint  Athen  zu  sein,  die  Akademie,  im 
Hintergrund  sieht  man  die  Akropolis.  Vorn  steht  unter  einem  Baumheiligtum  und 
einer  auf  einer  Säule  angebrachten  Sonnenuhr  eine  halbkreisförmige  Bank.  Sieben 
Philosophen  sind  teils  auf  der  Bank  sitzend  verteilt,  vor  deren  Enden  und  hinter  ihrer 
Mitte  steht  je  einer.  Plato,  so  wird  vermutet,  mehr  in  die  Mitte  gerückt,  zeigt  mit 
einem  Stab  auf  einen  im  Halbkreis  aufgestellten  Globus,  die  Verhandlung  scheint 
Astronomie  oder  Kosmologie  zu  betreffen.  Die  ganze  Gruppe  ist  auf  der  festen  Basis 
des  Hemizykliums  mit  viel  Freiheit  und  mannichfachem  Leben  komponiert.  Die 
Sitzung  eines  Stadtrats  sehen  wir  auf  einer  Münze  der  Kaiserzeit,  des  dritten  Jahr- 
hunderts. Es  ist  der  Senat  von  Alexandria  Troas  in  Kleinasien,  auch  diese  Stadträte 
sitzen  im  Halbkreis,  einer  zentral,  die  an  den  Ecken  auf  Klappstühlen.  So  fand  in 
den  altchristlichen  Kirchen  der  Bischof  seinen  Platz  im  Fond  der  halbrunden  Apsis, 
die  Presbyter  schlössen  sich  beiderseits  an,  mithin  bildete  der  Klerus  einen  Halbkreis 
mit  dem  Bischof  in  der  Mitte.  In  der  christlichen  Malerei  hat  sich  der  Typus 
behauptet,  er  fand  seine  höchste  künstlerische  Ausprägung  in  Rafaels  Disputa:  im 
Himmel  sitzt  der  erhöhte  Christus,  über  dessen  Glorie  sein  göttlicher  Vater  erscheint, 
er  sitzt  zwischen  Vorläufer  und  Mutter,  im  Halbkreis  ausgewählter  Apostel  und  anderer 
heiliger  Personen,  biblischer  und  kirchlicher;  unten  auf  der  Erde  aber  bilden  Kirchen- 
väter, Päpste  und  andere  geistlichen  Standes  einen  Kreis  christlicher  Philosophen, 
deren  Dialogos  die  in  den  Augenpunkt  des  Gemäldes  gesetzte  Hostie  auf  dem  Altar 
zum  Gegenstand  hat,  also  die  Messe,  den  Brennpunkt  des  katholischen  Ritus,  den  Angel- 
punkt, auf  den  gestützt  die  Kirche  die  Welt  regiert.1) 

Die  altchristliche  Entwicklungsreihe  schließt  ab  mit  einigen  späten  Bildern,  in 
denen  neue  Töne  anklingen,  die  bis  dahin  in  den  Malereien  nicht  hervorgetreten 
waren.  Eine  größere  Komposition  in  zwei  Zonen  —  es  ist  eine  Decke,  in  Petrus  und 
Marcellinus    —    zeisrt  oben  den  nimbierten   thronenden  Christus    zwischen  Paulus  und 


*)  Vasenbild:    Mon.  dell'  instit.  IX  Taf.  50.  —    Mosaiken:   Petersen  u.  a,   Rom.  Mitteil. 
1897,  328  Abb.   —   Münze:   v.  Sallet,  Münzen  und  Medaillen  1898,  50  Abb. 


280  Die  Seligen  im  Himmel. 

Petrus,  unten  steht  das  nimbierte  „Lamm  Gottes"  auf  dem  Berg,  dem  die  vier 
Paradiesflüsse  entströmen,  zwischen  vier  Heiligen,  links  ein  Petrus  und  Gorgonius,  rechts 
Marcellinus  und  Tiburtius;  die  sechs  Heiligen  adorieren  mit  der  gespreizt  offenen 
Rechten;  ihrer  jeweiligen  Stellung  zum  Christus  entsprechend,  strecken  Peter  und  Paul 
die  Haud  einfach  gegen  jenen  hin,  während  die  unten  Stehenden  sie  hoch  heben, 
grüßend  oder  anbetend  zum  Christus  hinauf:  der  Himmel  hat  seine  Kreise,  nicht 
jedem  ist  es  gegeben,  in  den  innersten  Kreis  oder  den  höchsten  Himmel  zu  gelangen 
(W.  496  Taf.  252).  Das  Deckenbild  wird  um  400  angesetzt,  in  die  letzte  Zeit,  da  in 
den  Katakomben  noch  Bestattungen  vorkamen.  Waren  die  sechs  Heiligen  dort  noch 
in  einiger  Bewegung  gegeben,  mit  Richtung  nach  dem  ideellen  Mittelpunkt,  dem 
Christus,  so  trat  mit  dem  Ausgang  des  Altertums  die  monotone  Frontstellung  ohne 
irgend  welche  Bewegung  in  alleinige  Herrschaft.  In  einer  Malerei  des  Coem.  Hermetis 
thront  der  Christus  zwischen  rein  frontal  stehenden  Heiligen,  denen  nun  auch  das 
Prädikat  Heilig  beigeschrieben  wird  (Sanctus  Protus,  Sanctus  Hyacinthus;  W.  497 
Taf.  260,  1).  Endlich  eine  Malerei  in  Generosa,  mit  dem  thronenden  Christus  in 
Kreuznimbus  und  vier  Heiligen  im  einfachen  Nimbus,  jener  mit  einem  Buch,  diese 
mit  einer  kostbaren  Krone  auf  der  verhüllten  linken  Hand  ("W.  498  Taf.  262).  Die 
Malerei  ist  mit  Sorgfalt  ausgeführt;  auf  die  Darstellung  der  Gesichter  möchten  wir 
aber  gerade  keine  physiognomischen  Studien  bauen  und  die  monotone  leblose  Front- 
stellung beweist,  daß  die  Antike  ihren  Kreislauf  nun  wirklich  bis  zum  letzten  Punkt 
durchlaufen  hat. 


Ikonographisches. 

Wir  berührten  gelegentlich  ikonographische  Momente.  Wir  fanden  Jesus  bald 
bartlos,  bald  bärtig  gemalt,  wir  sahen  in  der  späteren  Malerei  aus  der  Schar  der 
Apostel  den  Petrus  und  den  Paulus  hervorgehoben  und  beide  voneinander  unter- 
schieden. Was  nun  die  angedeutete  Entwicklung  des  Christusbildes  betrifft,  so  beweist 
ihr  Vorhandensein,  daß  die  Christen  ein  authentisches  Porträt  ihres  Christus  nicht  besessen 
haben;  es  ist  keines  überliefert  worden,  sonst  hätten  die  Maler  in  seiner  Darstellung 
nicht  so  schwanken  können,  wie  sie  es  getan  haben.  Andrerseits  erfolgte  die  Fest- 
stellung der  Typen  des  Petrus  und  Paulus  so  spät,  daß  schon  hieraus  für  die  Apostel 
sich  die  gleiche  Folgerung  ergibt,  nämlich  daß  irgend  welche  Porträts  von  ihnen  nicht 
überliefert  waren.  Dergleichen  lag  nicht  im  Sinne  der  ersten  Christen;  es  muß  ihnen 
um  so  ferner  gelegen  haben,  als  bei  der  Blüte  der  gleichzeitigen  Porträtkunst  es  ein 
leichtes  gewesen  wäre,  zu  Lebzeiten  der  verehrten  Männer,  des  Jesus  und  der  Apostel, 
ihre  Porträts  gestaltet  zu  bekommen.  Bezeichnend  ist  auch,  daß  in  der  römischen 
Katakombenmalerei  nur  die  in  Rom  zumeist  verehrten  Apostel  Petrus  und  Paulus  von 
der  Kunst  individualisiert  wurden,  nicht  die  übrigen,  die  doch  sonst  in  der  Christenheit 
hohe  Verehrung  genossen;  man  sieht,  daß  erst  die  Entwicklung  des  Kultus  der 
„ Apostelfürsten "  das  Bedürfnis  nach  ihren  Porträts  gezeitigt  hat,  ein  Bedürfnis,  das 
die  Kunst  dann  aus  ihren  eigensten  Mitteln  zu  befriedigen  wußte. 

In  aller  Kürze  skizzieren  wir  die  Entwicklung  des  Christusbildes  in  der 
Katakombenmalerei.  Den  Anfang  macht  ein  bartloser  Typus  mit  kurzem  Haar.  Es 
ist  zu  bemerken,  daß  dieser  Typus  für   den  lebenden  Jesus  immer  beibehalten  wurde; 


Ikonographi  sches.  281 

der  lebende,  das  ist  aber  der  Wundertäter.  Wir  sind  genötigt  hinzuzufügen,  er  galt 
als  Wundertäter,  weil  man  in  ihm  den  Messias  sah,  den  man  sich,  nach  der  Vor- 
stellungsweise der  hellenistischen  Zeit,  nur  als  Thaumaturgen  und  zugleich  als  Gottes- 
sohn vorstellen  konnte.  In  der  Frühzeit,  welche  das  Bild  des  wundertuenden  Gottes- 
sohnes mythologisch,  literarisch  und  bildnerisch  erschuf,  dachte  man  ihn  noch  nicht 
als  Gott.  Jener  bartlose,  kurzhaarige  Kopf,  das  war  aber  kein  Individualtypus,  sondern 
der  allgemeine  Kopftypus  für  die  Männer  in  der  Katakombenmalerei  der  ersten  Jahr- 
hunderte. Wenn  dieser  erste  Christuskopf  kein  Porträt,  sondern  nur  ein  Kunsttypus 
war,  so  machen  sich  die  später  auftretenden  Christustypen  erst  recht  verdächtig,  kon- 
struiert zu  sein. *) 

Ein  zweiter  Christustyp  hat  reicheres  Haar,  bis  zu  lang  gelocktem.  Dabei  blieb 
das  Gesicht  zunächst  bartlos;  dadurch  sieht  es  jugendlich  aus.  Dieser  Typus  kam  im 
dritten  Jahrhundert  auf.  Einige  Archäologen  haben  sich  durch  diesen  unbärtig 
lockigen  Typ  an  griechische  Götter,  wie  Apollon  oder  Dionysos,  erinnert  gefühlt  und 
haben  dies  Christusbild  wohl  direkt  von  Apollon  oder  von  Dionysos  abgeleitet  geglaubt. 
Das  ist  ihnen  von  anderer  Seite  sehr  verdacht  worden.  Nun,  den  lockigen  Christus 
braucht  man  nicht  gerade  vom  Apollon  oder  vom  Dionysos  abzuleiten,  wenn  man  schon 
die  Frage  aufwerfen  dürfte,  was  an  Apollinischem  und  Dionysischem  in  dem  sehr 
gehaltreichen  und  sehr  verschieden  blickenden  literarischen  Christusbild  stecke.  Aber 
alle  die  Lockenköpfe  der  klassischen  und  hellenistischen  Kunst  waren  doch  da,  noch 
viele  andere  außer  den  genannten  zwei  Göttern,  in  ihnen  war  der  künstlerische  Typus 
des  Lockenkopfes  geschaffen  und  wieder  mannigfach  differenziert  worden.  In  der 
Reihe  dieser  Differenzierungen  des  klassischen  Lockenkopfs,  die  den  christlichen  Malern 
natürlich  geläufig  waren ,  ist  dann  auch  der  lockige  Christuskopf  entstanden.  Auch 
der  Christuskopf  unterliegt  den  Gesetzen  der  Typik.-) 

Kein  neuer  Typus,  nur  eine  Variante  des  zweiten  Christusbildes  mit  reicherem 
Haarwuchs,  dabei  aber  noch  unbärtigem  Gesicht,  wäre  seine  Darstellung  mit  den 
ernsteren  Zügen  des  gereiften  Mannesalters.  Wilpert  findet  diesen  Ausdruck  in  einer 
seiner  Gerichtsszenen  ohne  Beklagten  (Christus  säße  da  wie  ein  Richter  bei  Beginn 
des  Termins,  unmittelbar  ehe  die  Sache  aufgerufen  wird)  an  der  besprochenen  Decke 
der  Nunziatellakatakombe;  er  findet  die  Züge  ernst,  wie  es  einem  Richter  zukomme; 
das  Haar  ist  ungeteilt  in  die  Stirn  gekämmt  und  fällt  in  langen  Strähnen  auf  den 
Rücken  (Wilpert  107  Taf.  75.  76,  2).  Bei  dem  ungeteilt  in  die  Stirn  fallenden  Haar 
denkt  der  Archäologe  unwillkürlich  an  das  Vorkommen  derselben  Haartracht  in  der 
heidnischen  Kunst,  an  den  jugendlichen,  in  Eleusis  gefundenen  Kopf,  der  unter  dem 
Namen  Eubuleus  geht,  mit  allerdings  stärker  quellendem,  aber  eben  in  die  Stirn 
fallendem  Haar,  sowie  an  die  bärtigen  Köpfe  des  Hades  und  Sarapis;  kurz,  er  erinnert 
sich,  daß  in  die  Stirn  fallendes  Haar,  das  einst,    in  der  vorperikleischen  Kunst,   eine 


')  Christusbilder:  Da  wir  uns  hier  auf  eine  Skizze  der  Entwicklung  des  Christusbildes  in 
der  Katakombenmalerei  zu  beschränken  haben,  so  verweisen  wir  auf  Kraus,  Realencykl.  II  15  Jesus 
Christus;  ders.,  C4eschichte  I  176.  V.  Schul tze,  Katakomben  143.  v.  Dobschütz,  Christusbilder  (in 
v.  Gebhardt  und  Harnacks  Text.  u.  Unt.  III)  1899.  Wilpert,  Malereien  106.  254,  1.  Die  ältere 
Literatur  findet  man  bei  den  erstgenannten  Autoren.  —  Brustbilder  (Medaillons,  imagines  clipeatae): 
Wilpert  210.  253f.  —  Erster,  bartloser  Christustyp:   z.B.  Wilpert  Taf.  19.  45.  46,2  u.  ö. 

2)  Beispiele  des  zweiten  Christustyps  mit  längerem  bis  zu  lockigem  Haar:  Wilpert, 
Malereien  107   Taf  75  =  76,  2.    125  =  76,  1.    14«,  2.    164,  1.    170.     177,  1.    181  =  251. 


282 


Die  Seligen  im  Himmel. 


anmutige  Mode  war,  später  Unterweltspersonen  charakterisierte.  Der  Christus  ist  in 
der  Katakombenmalerci,  als  guter  Hirt  wie  in  direkter  Darstellung,  der  Hirt  und 
Herr  der  Toten;  doch  wird  er  mit  seiner  Herde  als  in  den  Himmel  erhöht, 
verklärt  und  ewig  lebend  gedacht,  kurz,  er  ist  der  Unterwelt  entrückt  und  würde 
nicht  mehr  als  Unterweltsperson  zu  charakterisieren  sein.  Es  bleibt  also  die  Frage, 
wie  der  Katakombenmaler  zu  dem  in  die  Stirn  fallenden  Haar  des  Nunziatellachristus 
gekommen  sei,  ob  er  sich  dabei  etwas  gedacht  habe  und  was.  —  Als  bartloser  Mann 
sei  der  Christus  auch  auf  dem  Gemälde  des  Cubiculum  II  in  Domitilla,  aus  der  Mitte 
des  vierten  Jahrhunderts,  geschildert  (Taf.  196);  der  ernste  Gesichtsausdruck  erinnere 
an  die  fast  gleichzeitige  Darstellung  in  San  Ponziano  (Taf.  225,  2). 

Als  dritter  Typus  folgt  der  bärtige,  mit  langem  Haar,  auch  er  im  dritten  Jahr- 
hundert auftretend.  Der  Bart  des  Christus  ist  in  der  Katakombenmalerei  immer  un- 
geteilt, zunächst  viereckig  und  kurz  geschnitten.  Als  ältestes  Exemplar  müßte  der 
Stehende  in  Gruft  III  Domitillae  gelten,    mit  offner  Rolle  in  der  Linken,   die  Rechte 


Bärtiger  Christus. 
Coem.  Domitillae,  Gruft  III. 


Bärtiger  Christus. 
Coem.  Domitillae,  Gruft  IV. 


geöffnet  wie  bei  Oranten  (Wilpert  107  Taf.  40,  2,  unsere  Abbildung),  wenn  er 
sicher  der  Christus  ist.  Wie  kam  es  aber,  daß  die  Maler  vom  bartlosen  zum  bärtigen 
Christus  übergingen?  Wir  denken,  bei  Schöpfung  dieses  dritten  Typus  wirkte  derselbe 
Umstand  wie  bei  der  ersten,  nämlich  die  Mode.  Im  dritten  Jahrhundert  war  das 
Barttragen  üblich,  und  so  gab  man  ihn  auch  dem  Christus.  Wilpert  findet  einen  be- 
sonderen Anlaß  in  den  Gerichtsdarstellungcn.  Wir  hörten  bereits,  wie  er  den  gereiften 
Ernst  gewisser  noch  unbärtiger  Christusbilder  aus  der  Richterwürde  erklärte;  aber  wir 
erinnern  uns  auch,  daß  die  Richterqualität  höchstens  in  ganz  wenigen  Bildern  aus- 
gedrückt ist  und  auch  da  nicht  sehr  deutlich.  Zurückhaltender  sprachen  wir  vom  er- 
höhten Christus.  Dieser  nahm  mit  der  Steigerung  seines  Charakters  in  das  Göttliche 
göttliche  Qualitäten  an;  nun  kann  man  in  ihm  auch  sarapische,  auch  joviale  Elemente 
entdecken.  Wir  müssen  den  bärtigen  Christus  typologisch  in  die  Reihe  der  bärtigen 
Götterköpfe  einordnen,  und  es  ist  auch  berechtigt,  seinem  Verhältnis  etwa  zu  Zeus 
oder  zu  Sarapis,  oder  auch  zu  Asklepios  nachzufragen. 

Die  spätere  Auffassung  des  Christusbildes  bereitete  sich  im  Laufe  des  vierten 
Jahrhunderts  vor.  Das  Medaillon  im  Deckenzentrum  der  Gruft  IV  Domitillae  zeigt 
den  Christus  in  lang  auf   die  Schultern  fallenden  Locken  mit  halbkurzem,  ungeteiltem 


Ikonographisches. 


283 


Vollbart,  breiter,  niedriger  Stirn,  gerader  Nase  und  geschlossenem  Mund.  „Die  breite 
Kopfbildung  paßt  zu  den  übertrieben  robusten  Schultern.  Trotzdem  imponiert  der 
Kopf  durch  den  feierlichen  Ernst,  der  aus  ihm  spricht"  (Wilpert  108  Taf.  187,  3, 
unsere  Abbildung). 

Als  den  Gipfel  der  Christusbilder  in  den  Katakomben  bezeichnet  Wilpert  das 
der  Deckenmalerei  in  Petrus  und  Marcellinus  aus  der  Zeit  um  400.  Während  andere 
Köpfe  oft  merkwürdig  breit  und  gewöhnlich  aussehen,  interessiert  dieses  Gesicht  durch 
sein  schönes  Oval,  umrahmt  vom  reichen,  kastanienbraunen  Haar  und  langem,  zu- 
gespitzem  Vollbart.  Die  Stirn  hoch,  die  Augen  mandelförmig,  von  dunklen  Brauen 
überschattet,  die  Nase  fein,  der  Mund  zum  Sprechen  geöffnet,  das  bildet  einen 
majestätischen,  äußerst  charakteristischen  Kopf,  dessen  Würde  noch  durch  die  Purpur- 


rarivx 


Petrus. 


Coem.  Petri  et  Marcellini. 


gewandung  gehoben  wird:  als  ob  der  Maler  nicht  einen  bärtigen  Kopf  schlechthin, 
sondern  womöglich  ein  Abbild  „des  Gottmenschen "  habe  schaffen  wollen  (Wilpert  109 
Taf.  253).  Am  Schlüsse  dieses  Bandes  bringen  wir  die  Abbildung  eines  noch  späteren 
Christuskopfes,  aus  dem  fünften  oder  sechsten  Jahrhundert,  im  Kreuznimbus,  mit  ge- 
scheiteltem, aber  mehr  in  den  Nacken  als  auf  die  Schultern  fallendem  Haar,  wieder 
kürzerem,  aber  noch  ungeteiltem  Bart;  besonders  charakteristisch  sind  die  großen  Augen 
(Wilpert  109    Taf.  257). 

Aus  der  Zahl  der  Apostel  wurden  Petrus  und  Paulus  herausgehoben  und 
individualisiert;  damit  begann  eine  neue  Entwicklungsreihe,  Differenzierung  der 
Apostel,  die  aber  innerhalb  der  altchristlichen  Kunst  noch  nicht  weitergeführt  wurde. 
Ein  sitzend  Lesender  aus  dem  dritten  Jahrhundert  wird  als  Petrus  erklärt  (Taf.  93. 
94),  die  übrigen  Darstellungen,  den  Petrus  und  Paulus  umfassend,  gehören  dem 
vierten.     Peter  und  Paul  stehen  zu  den  Seiten  einer  Seligen  im  Typus  der  Orans,  oder 


284  Die  Seligen  im  Himmel. 

zu  denen  des  Christus,  in  der  Regel  Petrus  zur  Rechten  der  Mittelfigur  (links  vom 
Beschauer);  nur  der  Deckenmaler  in  Petrus  und  Marcellinus  hat  ihre  Plätze  vertauscht. 
Petrus  trägt  dichtes  Haupthaar  und  einen  kurzgeschnittenen,  meist  mehr  viereckigen 
Bart,  darin  ähnlich  dem  bärtigen  Christus  in  seiner  ersten  Phase.  Paulus  dagegen 
hat  eine  hohe  Stirn  und  kahlen  Schädel,  dabei  einen  langen  spitzen  Bart;  es  ist  das 
Oval  und  der  lange  spitze  Bart  des  bärtigen  Christus  in  seiner  zweiten  Phase,  nur 
fehlt  ihm  das  lange  Lockenhaar.  Paulus  sieht  unstreitig  bedeutender,  geistvoller  aus, 
Petrus  gewöhnlicher.  Diese  Typik  der  „  Apostelfürsten "  wurde  festgehalten.  Bei  der 
Konstanz  ihrer  Darstellungsweise  könnte  man  vermuten,  daß  es  gleichzeitige  Porträts 
von  ihnen  gegeben  habe.  Es  werden  dafür  gewisse  Bronzeplättchen  mit  ihren  Bildern 
angeführt;  da  deren  Datierung  aber  in  weiten  Grenzen  schwankt,  so  müssen  wir  sie 
hier  beiseite  lassen.  Die  Autoren,  welche  von  Apostelporträts  reden,  sind  auch  erst 
spät;  freilich  redet  Eusebius  von  Porträts  aus  der  Lebenszeit  des  Christus  und  der 
zwei  Apostel,  aber  der  Abstand  vom  ersten  bis  zum  vierten  Jahrhundert  ist  doch  zu 
groß,  um  seiner  Angabe  Wert  beilegen  zu  können.  Hält  man  sich  an  die  Katakomben- 
malereien, so  wird  man  zu  dem  Verdacht  gedrängt,  die  zwei  Apostelbilder,  mit  den 
Phasen  des  bärtigen  Christus,  seien  einfach  typengeschichtlich  entstanden,  als  Nieder- 
schläge der  Entwicklungsphasen  des  bärtigen  Männerkopfes.  Zuerst  kam  der  Typus 
mit  kürzerem  viereckigem  Bart:  auf  dieser  Stufe  hätte  sich  der  erste  bärtige  Christus 
und  der  Petrus  gebildet.  Sodann  der  lange  spitze  Bart:  diesen  erhielt  der  spätere 
Christus  und  der  Paulus,  der  aber  im  scharfen  Gegensatz  zum  langlockigcn  Christus 
kahlköpfig  gestaltet  wurde.1) 


*)  Apostel:  Joh.  Ficker,  Darstellungen  der  Apostel  in  der  altchristlichen  Kunst  1887 
(Seite  33  Literatur).  --  Peter  und  Paul:  Wilpert  112  Taf.  153,2.  154,  1  =  179.  182,  1  =  248; 
182,2  =  181,2.  Petrus  und  Marcellinus:  Taf.  254,  unsere  Abbildung.  —  Bronzeplättchen:  Kraus, 
Geschichte  I  195. 


Syntax  der  figürlichen  Typen. 

Wir  haben  die  figürlichen  Typen  studiert  und  glauben  ihre  Bedeutung  in  der 
Hauptsache  erfaßt  zu  haben,  wenn  auch  einzelnes  noch  Problem  bleibt.  Die  Typik 
bildet  gleichsam  die  Formenlehre  in  der  Grammatik  der  Bildersprache.  Nach  der 
Formenlehre  käme  nun  die  Syntax,  die  Lehre  von  der  Zusammenstellung  jener  Typen 
im  dekorativen  Ganzen.  Die  Dekoration  schließt  sich  den  gegebenen  Räumen  an,  der 
Art  der  zu  verzierenden  Wandflächen.  Diese  aber  sind  in  ihrer  Form  bestimmt  durch 
die  Bestattungsweise:  Avir  unterscheiden  Nischengräber  (Arkosolien)  und  Fachgräber 
(loculi),  sowie  Kammern  mit  Decken  und  Wänden.  Danach  gliedern  wir  unsere 
Syntax  der  figürlichen  Malereien.1) 

Gegenstand  der  Malereien  war  die  Erlösung  aus  dem  Tod  ins  ewige  Leben  und 
die  Seligkeit  durch  den  Christus  und  in  der  bleibenden  Gemeinschaft  mit  ihm,  dies 
alles  dargestellt  nicht  so  sehr  als  bloße,  vielleicht  ängstlich  zweifelnde  Hoffnung, 
sondern  als  Gewißheit.  Daher  war  der  Haupttypus  der  Selige  im  Himmel.  Dar- 
gestellt wurde  der  in  die  Seligkeit  eingegangene  Verstorbene  in  vollem  bürgerlichen 
Anzug,  also  in  Leibrock  und  Oberkleid  (Tunika  und  Pallium);  und  zwar  wie  die 
so  „Angezogenen"  in  der  Kunst  herkömmlich,  nur  mit  der  rechten  Hand  anbetend; 
die  Frau  aber  in  der  Tunika  oder  der  Stola,  meist  mit  Kopftuch,  sie,  weil  nicht  durch 
den  Mantel  gehindert,  mit  beiden  Händen  adorierend  (der  konventionell  sogenannte 
Orantentypus).  Männer  in  der  bloßen  Tunika  erscheinen  in  der  ersten  Zeit  nur 
vereinzelt,  wie  die  zwei  Seligen  beim  Mahl  und  der  Noah  im  Kasten,  beide  in 
Domitilla;  später  wurden  sie  häufiger,  auch  sie  im  Orantenschema  gegeben.  Die 
Oranten  stellt  der  Maler  wohl  auch  in  die  ihnen  geöffnete  Himmelstür,  die  Portieren 
werden  für  sie  auseinandergehalten;  ferner  zwischen  Paradiesesbäume  und  zwischen 
andere  Selige.  Auch  fügte  er  manchmal  den  erhöhten  Christus  hinzu,  zum  Zeichen, 
daß  der  Verstorbene  durch  ihn  in  den  Himmel  gekommen  sei.  In  der  Spätzeit  ver- 
wendete man  den  Typus  des  Seligen  im  Mantel  nur  mehr  für  die  Apostel  und  andere 
kirchlich  geprüfte  und  gebuchte  „Heilige";  jetzt  liebte  man,  in  Rom  wenigstens,  den 
Verstorbenen  als  Seligen  etwa  zwischen  Petrus  und  Paulus  zu  stellen. 

Eine  andere  Darstellung  der  Seligen  war  die  beim  Gelage  im  himmlischen  Paradies. 

Eine  besondere  Klasse  bildeten  die  Pro  to  type  (oder  Pro  type)  der  Erlösung  aus 
dem  Tod,  die  biblischen  Rettungen,  des  Noah  aus  der  Sintflut,  des  Daniel  aus  der 
Löwengrube,  der  drei  Jünglinge  aus  dem  glühenden  Ofen,  des  Isaak  vom  Opfertod, 
des  David  aus  den  Händen  des  Goliath,  des  Hiob  aus  seinen  Leiden;  dazu  die 
evangelischen  Heilungen,    des  Gichtbrüchigen,    des  Blinden,   des  Aussätzigen,  der 


1)  In  der  Literatur,  einschließlich  Wilperts,  ist  der  Gegenstand  gelegentlich  wichtiger  Einzel- 
fälle berührt,  aber  noch  nicht  im  ganzen  behandelt  worden. 


286 


.5* 


s 

,a 

o 

0 

t-, 

/. 

T3 

u 

a 

0 

d 

s3 

-s 

^ 

DO 

•~ 

fl 

■^ 

a 
c 

od 

:- 

s 

w 

U 

3 

<U 

5 

t>  € 


Verzierung  der  Wandgräber.  287 

Blutflüssigen  und  die  Erweckungen  vom  Tode,  vorzüglich  des  Lazarus.  Wiederum 
eine  andere  Klasse  umfaßte  die  sinnbildlichen  Darstellungen  der  Mittel  zur  Erlösung 
aus  dem  Tod  ins  ewige  Leben.  Die  alten  Christen  besaßen  zwei  Sakramente,  die 
Taufe,  welche  heilig  machen  sollte,  den  Menschen  zum  Christen,  und  das  Abendmahl, 
das  die  Gemeinschaft  mit  dem  Christus  verbürgte,  mithin,  im  sepulkral -jenseitigen 
Gedankenkreis  der  Katakombenkunst,  die  jenseitige  Gemeinschaft  in  der  Seligkeit.  Die 
Taufe  wurde  teils  in  der  vorbildlichen  Jordantaufe  des  Jesus  vor  Augen  gestellt, 
teils,  wo  ohne  Taube,  als  die  rituale  Handlung.  Das  Abendmahl  erscheint  nie  in 
direkter  Darstellung  (es  gibt  keine  des  Abendmahlsritus),  immer  nur  in  sinnbildlicher; 
das  Speisungswunder,  schon  im  Johannisevangelium  eucharistisch  verstanden,  besaß  in 
seinen  Broten  und  Fischen  heilige,  wunderbar  wirkende  Speisen,  die  sich  eucharistisch 
deuten  ließen.  In  gleichem  Sinn  mochten  auch  das  Weinwunder  und  der  Mannaregen 
verwendet  werden,  sowie  das  johanneische  Brot  und  Wasser  des  Lebens  (Brot- 
vermchrung,  Samariterin  am  Brunnen,  Mosesquell). 

Die  Seligen  im  Himmel  stehen  anbetend  vor  der  Herrlichkeit  des  Herrn,  wobei 
zu  fragen  ist,  ob  unter  dem  Herrn  in  altbiblischer  Weise  der  Gott  gedacht  sei,  der 
aber  nicht  abgebildet  wurde,  oder  aber,  wie  bei  den  Christen  gewöhnlich,  ihr  Herr, 
der  Christus,  den  man  in  verschiedener  Weise  darstellte.  Beim  Typus  des  guten 
Hirten,  der  das  Schaf  auf  den  Schultern  trägt,  ist  mehr  an  den  Erlöser  aus  dem 
Tod  gedacht,  der  die  Verstorbenen  in  den  Himmel  bringt;  der  Hirte,  der  seine  Schafe 
weidet,  meint  den  Herrn  der  als  Christen  Gestorbenen  und  nun  Seligen  im  Himmel. 
Der  Christus  in  direkter  Darstellung  erscheint,  abgesehen  von  den  evangelischen 
Wundern,  in  der  Epiphanie,  sodann  aber  als  der  erhöhte  und  verklärte,  der 
nach  den  literarischen  Apokalypsen  zur  Hechten  des  Gottes  sitzt,  in  den  Malereien, 
den  Zenithbildern,  dagegen  an  dessen  Stelle  getreten  zu  sein  scheint.  Die  Apostel 
umgeben  ihn,  gleichfalls  apokalyptischen  Vorstellungen  gemäß,  im  Halbkreis. 

In  den  vielen  Bildern  sind  wenige  Gedanken  ausgedrückt,  ein  jeder  durch  viele 
Typen.  Daraus  folgt,  daß  eine  große  Mannigfaltigkeit  in  der  Anordnung  möglich  war, 
scheinbar  unendliche  Variationen  boten  sich  ohne  feste  Regel.  Einige  Bildtypen  treten 
als  herrschend  aus  der  Reihe,  sie  nehmen  gern  Zentralstellen  ein,  allerdings  selbst 
wieder  in  willkürlichem  Wechsel  untereinander. 


Verzierung  der  Wandgräber. 

Unter  den  Wandgräbern  nehmen  nach  dem  Alter  des  Typus  und  nach  seinem 
höheren  Rang  die  Nischengräber  (Arkosolien)  die  erste  Stelle  ein.  Ihr  komplizierter 
Bau  stellte  dem  Maler  mannigfaltige  Flächen  zur  Verfügung,  die  halbkreisförmige 
Rückwand  der  Nische  (Lünette),  ferner  die  Untersicht  des  Bogens  über  dem  Trog 
mit  ihren  drei  Teilen,  den  zwei  ansteigenden  Laibungen  und  dem  im  Zenith  schwebenden 
Scheitelfeld,  endlich  die  Frontwand  rings  um  die  Nischenöffnung,  wiederum  sich 
gliedernd  in  den  Sockel  (die  Trogfront)  und  die  Oberwand  (die  Umgebung  des  Nischen- 
bogens).  Hauptbildfeld  ist  der  Regel  nach  die  Lünette,  an  der  Untersicht  des  Bogens 
nimmt  das  Scheitelfeld  im  Zenith  über  dem  Trog  eine  bedeutsame  Stelle  ein;  die 
Ausdehnung  der  Malerei  auf  die  Frontwand  ist  seltener.  In  die  Lünette  fügt  sich  gut 
das    Gelag,   wegen    der    Halbkreisform    des    Sigma   (Tat*.  57.   184);    auch  sonst  werden 


288  Syntax  der  figürlichen  Typen. 

liier  gern  die  Verstorbenen  in  der  Seligkeit  gemalt,  unmittelbar  über  dem  Trog  (z.  B. 
Taf.  117, 1  oder  in  unserer  Abbildung  Seite  286);  dafür  tritt  dann  auch  der  Seligkeitstyp 
„Jonas  unter  der  Laube  ruhend"  ein;  seltener  findet  sich  hier  der  gute  Hirte,  in 
späteren  Bildern  aber  erscheint  da  nicht  ungern  und  gut  in  den  Rahmen  sich  fügend,  der 
erhöhte  Christus,  zwischen  den  Aposteln  oder  anderen  Seligen  sitzend  (Taf.  148.  205). 
Im  Bogensch eitel  steht  vorzugsweise  gern  der  gute  Hirt,  in  Taf.  117,  2  ist  der 
ganze  Bogen  mit  einer  ausführlichen  Hirtenmalerei  ausgefüllt,  in  der  Mitte  der  Hirt 
zwischen  Schafen  und  Bäumen,  an  den  Laibungen  je  ein  Schäferhund.  Die  reichste 
Front  maierei  besitzt  das  Arkosol  der  Cinque  santi,  mit  den  fünf  Oranten  im  Paradies- 
park und  den  aus  Wasserbecken  nippenden  Tauben  am  Sockel  (unsere  Farbtafel  IV). 
Wir  wollen  nun  einige  Arkosolien  betrachten,  zunächst  nur  innen  bemalte.  In 
der  Lünette  eines  Nischengrabes  aus  dem  dritten  Jahrhundert  sehen  wir  die  sog. 
Hochzeit  zu  Kana,  typologisch  betrachtet  ein  Seligenmahl,  nämlich  das  Hochzeitsmahl 
des  himmlischen  Bräutigams,  dem  das  Weinwunder  aus  der  johanneischen  Hochzeit 
zu  Kana  hinzugefügt  ist;  in  der  anstoßenden  Laibung  das  Wasser  des  Lebens  unter 
dem  Typus  der  Mosesquelle,  gegenüber  das  andere  Wasserbild,  die  Taufe,  im  Scheitel 
die  Verstorbene  als  Orans  (Taf.  57).  Die  übrigen  Malereien,  die  wir  hier  besprechen, 
gehören  dem  vierten  Jahrhundert.  In  der  Abbildung  S.  286  zeigt  die  Lünette  die  Seligen, 
eine  Familie,  Vater,  Mutter  und  Sohn,  die  Laibung  links  die  babylonischen  Jünglinge, 
die  rechts  die  Epiphanie,  der  Scheitel  den  guten  Hirten  zwischen  vier  Jonasszenen. 
In  einer  Lünette  sitzt  der  erhöhte  Christus  im  Halbkreis  der  zwölf,  unter  der  den  Bogen 
füllenden  Weinlaube  mit  Putten  (Taf.  148).  Die  Grabnische  des  Marcus  und  Marcel- 
lianus  ist  sehr  tief  und  überhöht,  mit  senkrechten  Wänden  unterhalb  des  Bogens; 
im  Fond  sind  die  hier  Bestatteten  gemalt,  erhalten  aber  nur  die  untersten  Teile  von 
drei  Figuren,  zwischen  zwei  Männern  stand  eine  kleiner  gezeichnete  Frau;  an  den 
Wölbungen  des  Bogens  steigt  je  ein  Seliger  die  Himmelsleiter  hinan  (?),  aus  dem  Bogen- 
scheitel  schaut  ein  Christuskopf  herab;  an  den  Wänden  sieht  man  rechts  Moses  vor 
dem  Angesicht  des  Herrn  und  die  Rettung  Isaaks  vom  Tod,  links  Wasser  und  Brot 
des  Lebens  in  den  Typen  des  Mosesquells  und  des  Brotwunders  (Taf.  214 — 216).  Im 
Arkosol  der  cripta  delle  pecorelle  hat  der  Maler  die  Motive  eigentümlich  miteinander  ver- 
schränkt. In  der  Lünette  steht  der  gute  Hirt  in  Landschaft  zwischen  sechs  zerstreut  ange- 
brachten Schafen;  auf  die  Laibungen  ist  Wasser  und  Brot  des  Lebens  verteilt,  rechts  schlägt 
Moses  den  Quell  aus  dem  Felsen,  ein  Israelit  fängt  das  Wasser  mit  den  Händen  auf, 
links  vollführt  der  Christus  den  Brotzauber,  zwei  Christen,  Selige,  empfangen  Brote 
(die  Arme  des  einen  sind  mit  dem  größten  Teil  des  Christus  zerstört;  wenn  er  wirk- 
lich Fische  hielt,  so  hat  er  sie  vom  Christus  eben  auch  empfangen).  Nun  hat  der 
Maler  den  Felsenquell  noch  zweimal  in  die  Landschaft  der  Lünette  gesetzt,  zwischen 
die  Schafe,  mit  je  einem  Wasser  fangenden  Israeliten;  überdies  hat  er  in  die  rechte 
Laibung,  die  noch  Raum  bot,  den  „Moses  vor  dem  Angesicht  des  Herrn"  eingeschoben; 
er  ist  in  der  älteren  Weise  bartlos,  der  andere  Moses  mit  dem  Felsenquell  dagegen 
bärtig,  nach  der  späteren  Weise  (Wilpert  279.  300.  453  Taf.  236—238).  Das  Arkosol 
des  Hypogäums  an  der  Via  Latina  vereinigt  viele  Typen  in  mehreren  Zonen.  Über 
dem  Trog,  in  der  Mitte  Selige,  ein  Gelage  von  anscheinend  zwölf  Personen,  rechts 
den  Brot-  oder  Weinzauber,  links  eine  Orans;  in  der  oberen  Zone  der  gute  Hirt  unter 
Bäumen.  An  den  Seiten  sind  Rettungstypen  verteilt,  unten  Jonasszenen,  oben  links 
eine    Heilung,    rechts    Noah    im    Kasten   und    weiter    oben    noch    Daniel.     Von    den 


Verzierung  der  Wandgräber.  289 

zwischen  den  Mittel-  und  den  Randbildern  auf  Pflanzenstengeln  wachsenden  mystischen 
Gefäßen  war  früher  die  Rede  (Wilpert  538  Taf.  265—267). 

Nun  noch  einige  Nischengräber  mit  Frontmalereien.  Sauber  und  nicht  ohne 
Plan  ist  die  Verzierung  des  Arkosols  der  Zosimiane  in  Cyriaka.  Die  Laibungen  sind 
mit  der  Lünette  innerlich  verbunden;  an  den  Laibungen  steht  je  eine  Orans,  man  hat 
ihr  sinnvoll  den  erhöhten  Christus  hinzugefügt;  dieser  ist  wiederholt  im  Fond,  zwischen 
zwei  gleichfalls  sitzenden  Seligen  oder  Aposteln.  Im  Zenith  dann  der  gute  Hirt;'  an 
der  Front  in  der  Mitte  über  dem  Bogenscheitel  der  Seligentyp  „Jonas  in  der  Laube 
ruhend",  rechts  und  links  die  zwei  Mosesbildcr,  Moses  vor  Gott  und  der  Felsenquell, 
unterhalb  in  den  Zwickeln  je  eine  Taube  (Taf.  205).  In  derselben  Katakombe  findet 
sich  wiederholt  die  Parabel  von  den  klugen  Jungfrauen  verwendet,  jedesmal  in  einer 
Lünette.  Einmal  steht  die  Selige  in  der  Mitte,  als  Orans,  rechts  von  ihr  nahen  die 
klugen  Jungfrauen,  die  also  zum  Hochzeitsmahl  des  himmlischen  Bräutigams  zugelassen 
werden,  links  von  der  Orans  ist  das  Mahl  selbst  dargestellt  (Garrucci,  Storia  II  Taf. 
64,  2.  Wilpert  427).  Das  andere  Mal  steht  der  himmlische  Bräutigam  selbst  in  der 
Mitte,  vor  und  im  Rahmen  des  rundbogig  gezeichneten  Himmelstores,  von  der  einen 
Seite  nahen  sich  die  klugen  Jungfrauen,  von  der  anderen  die  törichten;  dazu  kommt 
hier  nun  noch  ein  synonymes  Sockelbild,  die  Verstorbene  erscheint  in  der  von  zwei 
Seligen  geöffneten  Himmelsportiere.  Die  Bogenbilder  übergehen  wir,  der  erhaltene 
Frontzwickel  zeigt  statt  der  Epiphanie  wegen  Raummangels  nur  einen  auf  den  Stern 
zeigenden  Magier  (Wilpert  428,  Taf.  241  f.). 

Die  Verzierung  der  Fachgräber  hält  sich  im  allgemeinen  in  engeren  Grenzen. 
Es  handelt  sich  meist  nur  um  niedrige  Friese,  wie  sie  über  und  zwischen  den  über- 
einander angeordneten  Gefachen  übrig  bleiben;  bisweilen  aber  wird  eine  solche  Gräber- 
gruppe, die  einer  Familie  gehört  zu  haben  scheint,  durch  eine  gemeinsame  Front- 
malerei in  einheitlichem  Rahmen  auch  dekorativ  zusammengefaßt.  Die  älteren  und 
besseren  Dekorationen  begnügen  sich  mit  nur  einem  sinnigen  Motiv,  spätere  schütten 
eine  ganze  Bilderfibel  mit  wenig  Kunst  und  viel  Behagen  aus.  Am  Grab,  das  ein 
Januarius  seiner  Gattin  machen  ließ,  ist  im  unteren  Fries  ein  Schrifttäfelchen  mit  der 
Widmung  gemalt;  beiderseits  steht  ein  weidendes  Schaf  neben  einer  Orans  (Wilpert 
Taf.  116,  2;  gegen  300).  Ein  andermal  sehen  wir  unter  dem  Fachgrab,  als  Sockel- 
malerei, den  Gitterzaun,  oberhalb  aber,  statt  des  Paradiesesparks,  eine  Landschaft  mit 
abschließendem  Gebirg,  darin  sitzt  der  gute  Hirt  inmitten  seiner  Herde  (Taf.  121; 
bald  nach  300).  Die  folgenden  Malereien,  des  vierten  Jahrhunderts,  geben  alle  zu- 
viel. Rechts  am  Grab  eine  Orans;  im  Fries  ein  weidender  Hirt,  Lazarus'  Erweckung, 
der  Mosesquell,  Hiob  von  seiner  Frau  gespeist;  im  nächst  tieferen  Fries,  wieder  rechts, 
zwei  Oranten,  im  übrigen  Fries  anscheinend  die  Epiphanie  (Taf.  147).  Zweimal  die 
Verstorbene  als  Orans,  mit  Namensbeischrift  Grata,  dazwischen  die  drei  Jünglinge  im 
glühenden  Ofen  und  Daniel,  links  noch  Lazarus  (Taf.  62,  1).  Eine  durch  gemeinsame 
Frontmalerei  zusammengefaßte  Fachgräbergruppe  ist  mit  zwei  Friesen  und  einigen 
Nebenbildern  geschmückt:  oben  rechts  drei  Oranten  (eine  Mutter  zwischen  zwei 
Kindern),  links  sehen  wir  die  Typen  der  Erlösungsmittel  Mosesquell  und  Brotwrunder 
nebst  der  Epiphanie  des  Erlösers,  am  Rand  und  im  unteren  Fries  eine  Anzahl 
Rettungswunder  als  Erlösungstypen,  Noah,  Lazarus,  Daniel,  Tobias,  der  Gichtbrüchige, 
ein  nackter  Gelagerter  in  der  Ecke  gilt  nicht  als  Jonas,  sondern  als  Tigris  (Taf.  212). 
Links  vom  Grab  eine  Taube  auf  einem  Zweig  sitzend,  rechts  eine  fliegende  Taube  mit 

Sybel,  Christliche  Autike  I.  19 


290  Syntax  der  figürlichen  Typen. 

Zweig  in  den  Krallen;    im  Fries    über    dem   Grab,    rechts  Orans  zwischen  Paradieses- 
bäumen und  Seligen,  links  Daniel,  Mosesquell,  Lazarus  (Taf.  219). 

Die  Malerei  über  einem  Fachgrab  (in  Priscilla,  späteres  drittes  Jahrhundert,  an 
der  Wandliinette  unter  der  Wölbung)  macht  besondere  Schwierigkeiten.  In  der  Mitte 
steht  die  Verstorbene,  nun  Selige,  als  reichgekleidete  Orans  mit  Schleier.  Auf  jeder 
Seite  ist  eine  Nebengruppe  hinzugefügt  zu  näherer  Bestimmung  der  Zentralfigur. 
Hechts  die  Epiphanie  des  Erlösers  aus  dem  Tod,  das  Christkind  auf  dem  Schoß  der 
Mutter;  es  ist  noch  nackt  und  spielend  gezeichnet,  Avenn  die  Gruppe  auch  nicht  mehr 
ganz  so  lebendig  anmutet  wie  die  ihres  Orts  besprochene  früheste  Epiphanie  auch  in 
Priscilla.  Die  Szene  links  von  der  zentralen  Orans  also  macht  der  Erklärung 
Schwierigkeit.  Nach  der  ganzen  Art  der  Katakombenmalerei  wird  man  in  erster 
Linie  versuchen,  eine  Szene  im  Himmel  zu  erkennen,  wie  wir  dergleichen  in  ver- 
schiedenen Ausführungsweisen  sahen.  Die  Hauptperson,  ein  Mädchen,  ist,  typologisch 
betrachtet,  nicht  gerade  eine  Orans,  aber  vom  Orantentypus  abgeleitet;  man  hat  ihr 
eine  offene  Schriftrolle  in  die  Hände  gegeben,  ohne  aber  Kopfstellung  und  Blick- 
richtung dem  neuen  Motiv  anzupassen.  Halb  hinter  ihr  steht  eine  irgendwie 
sekundierende  Gestalt;  so  halb  hinter  der  Hauptperson  sahen  wir  Alcestis  bei  Vibia, 
Petronilla  bei  Veneranda.  Hier  aber  ist  es  ein  bartloser  Mann,  den  wir  in  diesem 
Falle  vielleicht  auch  als  Jüngling  aufzufassen  haben;  er  trägt  über  die  Hände  gehängt 
ein  weißes  Stück  Zeug,  mit  zwei  Vertikalstreifen  und  gezackter  Borte.  Wilpert  ver- 
stand es  früher  als  Tunika,  jetzt  zieht  er  einen  Schleier  vor;  der  aber  müßte  quer- 
gestreift sein,  ist  jedenfalls  ganz  verschieden  vom  Schleier  unserer  zentralen  Orans. 
Links  von  dem  Mädchen  mit  der  Schriftrolle,  noch  etwas  weiter  zurück,  sitzt  ihr  zu- 
gewandt ein  Bärtiger  und  streckt  die  Rechte  vor,  zeigend,  wie  es  scheint.  Nun  könnte 
man  etwa  denken,  der  Sitzende  sei  der  erhöhte  Christus,  wie  wir  ihn  auf  mehreren 
Bildern  einem  Oranten,  das  will  sagen  einem  Seligen  im  Himmel,  hinzugefügt  sahen 
(Taf.  206  und  im  sog.  Gericht  in  Hermes);  der  Jüngling  mit  dem  weißen  Zeug  könnte 
ein  Engel  sein,  welcher  der  in  den  Himmel  Eintretenden  das  lichtweiße  Gewand  der 
Verklärten  bringe;  oder  wenn  er,  seiner  Tracht  wegen,  kein  Engel  sei,  dann  vielleicht 
ein  Seliger,  wie  wir  nicht  Engel,  sondern  Selige  die  Himmelsportiere  öffnen  sahen. 
Aber  der  Bärtige  soll  ein  Greis  sein,  und  er  trage  über  der  weißen  Tunika  eine 
Pänula,  während  der  Christus  wohl  bärtig,  aber  so  wenig  wie  Juppiter  als  Greis 
gemalt  wird  und  immer  das  Pallium  trägt.  Andere  versuchten  in  der  Szene  die 
Konsekration  einer  gottgeweihten  Jungfrau  zu  erkennen  oder  eine  Eheschließung  oder 
endlich  Unterricht.  Das  etwas  trübe  Kapitel  von  den  gottgeweihten  Jungfrauen 
zunächst  im  Altertum,  bei  Heiden,  Juden  und  Christen,  lassen  wir  gern  beiseite. 
Wenn  das  Bild  die  Einkleidung  einer  solchen  Jungfrau  darstellen  sollte,  so  wäre  es 
in  der  Tat  ein  für  die  Kultusaltertümer  besonders  wertvolles  Denkmal.  Die  Meinung 
ist,  der  bärtige  Greis  sei  der  Bischof,  der  auf  der  Kathedra  sitzend  die  Ansprache 
hält;  das  Mädchen  stehe  bereit,  von  der  Schriftrolle  die  Formel  des  Keuschheits- 
gelübdes abzulesen,  ihr  zur  Seite  stehe  der  Diakon  mit  dem  für  sie  bestimmten 
Schleier.  Anf  der  Kathedra  sitzend  kann  der  Bischof  allerdings  nur  die  Ansprache 
halten,  eine  eigentliche  Konsekration,  oder  der  Moment  der  Konsekration  selbst  wäre 
nicht  dargestellt  (es  ist  übrigens  nicht  richtig,  daß  der  Bischof  alle  liturgischen  Hand- 
lungen auf  der  Kathedra  sitzend  vornehme;  wenn  er  persönlich  die  Messe  liest  und 
die  Kommunion   austeilt,  wenn  er  tauft  oder  firmt  oder  traut  oder  ein  Totenamt  hält, 


Verzierung  der  Kammern.  291 

so  steht  er).  Eine  Eheschließung  pflegt  anders  komponiert  zu  sein,  stets  stehen  die 
Brautleute  auf  gleicher  Linie  sich  gegenüber.  Zu  einer  Schulszene  sind  einige  Elemente 
vorhanden,  doch  stimmt  dazu  weder  der  Jüngling  mit  dem  weißen  Stück  Zeug,  noch 
die  typologische  Ableitung  der  Hauptfigur  von  der  Orans.1) 

Verzierung  der  Kammern.2) 

Den  Schematismus  der  Decken  besprachen  wir  oben.  Wir  unterschieden  Kappen- 
und  Zwickelfelder,  je  vier  im  Wechsel,  und  das  zentrale  Scheitelfeld,  im  Zenith  der 
Gruft.  Als  figürliche  Embleme  fanden  wir  vor  allem  Selige,  Männer  ursprünglich  im 
Pallium,  Frauen  als  sog.  Oranten,  meist  in  die  Zwickel  gestellt,  auf  Blumen  stehend 
und  so  in  den  Himmel  gleichsam  hineinwachsend,  zu  dem  im  Scheitelfeld  und  Zenith 
dargestellten  guten  Hirten,  an  dessen  Stelle  später  die  direkte  Darstellung  des  er- 
höhten Christus  trat  (Selige  bei  Wilpert  Taf.  25  =  unsere  Farbtafel  III,  Hirt  bei 
Wilpert  Taf.  9.  17.  35.  38,  Christus  Taf.  165.  168).  Ausnahmsweise  tritt  auch  ein 
anderes  beliebtes  Bild  in  das  Scheitelfeld,  Noah  oder  Daniel  (Taf.  56.  104).  Die 
breiteren  Kappenfelder  eigneten  sich  mehr  für  Handlungsbilder,  wie  die  schmäleren 
Eckfelder  mehr  für  ruhig  stehende  Einzelfiguren.  Unter  den  vier  Kappenfeldern 
kommt  einem  eine  Vorzugsstellung  zu,  demjenigen  zu  Füßen  der  Zentralfigur  im 
Scheitel  und  zugleich  gegenüber  dem  Eingang,  so  daß  der  erste  Blick  des  Eintretenden 
darauffällt.  Wenn  auch  im  allgemeinen  die  Typen ,  hier  die  Rettungstypen,  als 
Synonyme  wie  im  Kaleidoskop  in  zufälligem  Wechsel  erscheinen,  so  taucht  doch 
immer  einmal  der  Versuch  einer  planvollen  Anordnung  auf.  Der  wichtigste  ist  der 
mit  dem  Jonaszyklus,  der  eben  deshalb  auf  vier  Bilder  gebracht  wurde,  um  mit  ihm 
die  je  vier  Kappenfelder  einer  Decke  zyklisch  zu  füllen.  Dabei  nun  wurde  gern  der 
Jonas  unter  der  Laube,  der  Seligkeitstyp,  in  das  Vorzugsfeld  über  der  Fondwand 
gesetzt  (Taf.  61.  130  mit  der  Blutflüssigen  statt  des  vierten  Jonasbildes).  Ein  Ver- 
such verwandter  Art  in  engeren  Grenzen  ist  es,  wenn  die  zwei  Mosesbilder  sich 
gegenübergestellt  werden  (Taf.  168).  Irgend  welche  feste  Regeln  befolgt  zu  finden 
darf  man  nicht  erwarten. 

Die  frühere  zentrierte  Anordnung  wurde  zuletzt  aufgegeben,  die  Komposition 
baut  sich  auf  einer  Richtungsachse  auf,  in  zwei  Zonen.  Wir  meinen  die  Decke  in 
Petrus  und  Marcellinus  mit  dem  „Lamm  Gottes"  auf  dem  Paradiesesberg,  dem  die 
Flüsse  entströmen,  zwischen  vier  Heiligen;  diese  adorieren  mit  erhobener  Hand  den 
im  oberen  Himmel  zwischen  den  gleichfalls  adorierenden  Apostelfürsten  thronenden 
Christus  (Wilpert  Taf.  252).3) 

Da  die  Plafonds  vorweg  gemalt  werden  mußten,  so  pflegen  sie  eine  in  sich 
abgeschlossene  Malerei  zu  tragen.  Wurden  die  Wände  der  Gruft  auch  einheitlich 
ausgeschmückt,  so  findet  nur  vereinzelt  eine  Wechselbeziehung  zwischen  Decken-  und 
Wandmalerei    statt.     Eine    einheitliche  Wandmalerei    zeigt  die   heidnische    Gruft   bei 


J)  V.  Schultze,  Archäol.  Studien  1880,  182  (Unterrichtsszene).  Mitius,  Familienbild  (in 
Fickers  Archäol.  Studien  I)  1895  (Eheschließung);  de  Waal,  Rom.  Quartalschr.  1898,  93  findet  ein 
Familienbild  aus  dem  wirklichen  Leben  sehr  plausibel.  Wilpert,  Gottgeweihte  Jungfrauen  1892, 
52;  Malereien  203  §  63  Taf.  79—81. 

2)  Wilpert,  Malereien  150  Die  hervorragendsten  Bildercyklen  des  2.  3.  und  4    Jahrhunderts. 

3)  Decken:  oben  Seite  153. 

19* 


292  Syntax  der  figürlichen  Typen. 

Prätextat,  des  Vincentius  und  der  Vibia,  zunächst  einen  dreigliedrigen  Bilder- 
zyklus, der  sich  auf  Vibia  bezieht.  Das  erste  Bild  schildert  den  Tod  der  Vibia  als 
eine  Art  Brautraub,  sie  wird  von  Pluto  entführt  wie  Proserpina.  Im  zweiten  Bild 
führt  der  Götterbote  und  Seelenführer  sie  vor  das  Gericht  der  Unterirdischen,  Al- 
cestis  begleitet  sie  als  Fürsprecherin.  Wir  sahen  das  dritte  Bild  mit  ihrer  Einführung 
in  die  Gefilde  der  Seligen  und  wie  sie  am  Gelage  der  Seligen  teilnimmt.  Vincentius 
hat  die  Gruft  gelegentlich  des  Todes  seiner  Gattin  angelegt,  um  selbst  dereinst  in  ihr 
seine  Ruhe  zu  finden;  daher  ließ  er  sich  in  einem  vierten  Bilde  verewigen,  im  Höhe- 
punkt seines  Daseins,  beim  Mahl  im  Kollegium  der  „sieben  frommen  Priester"  des 
Sabazios;  das  war  ein  mystischer  Kult,  einer  von  denen,  welche  die  Jenseits- 
hoffnung pflegten.1) 

Wir  heben  einige  christliche  Kammern  hervor,  welche  die  Aufmerksamkeit 
besonders  auf  sich  gezogen  haben  und  um  deren  Erklärung  manche  Kämpfe  aus- 
gefochten  worden  sind.  Um  so  nötiger  ist  es,  alle  etwa  mitgebrachten  Vorurteile 
beiseite  zu  setzen  und  mit  größter  Zurückhaltung  in  die  Interpretation  einzutreten. 

Die  Cappella  greca  in  Priscilla,  eine  Doppelkammer,  durch  Wegnahme  der 
Trennungswand  zu  einem  oblongen  Raum  verbunden,  immerhin  durch  einen  stehen- 
gelassenen Gurtbogen  in  zwei  Abteilungen  geschieden.  Die  großenteils  zerstörte  Decke 
der  ersten  Abteilung  war  in  den  Ecken  (Zwickeln)  mit  Köpfen  der  vier  Jahreszeiten 
geschmückt,  in  den  Kappenfeldern  standen  Vasen,  an  deren  eine  ein  Thyrsus  gelehnt 
war;  nur  in  einem  der  seitlichen  Kappenfelder  (rechts)  fand  sich  statt  dessen  ein 
figürliches  Bild,  der  Gichtbrüchige.  So  die  Ergänzung  Wilperts;  ihr  auffallender 
Mangel  an  Gleichgewicht  hat  keine  Analogie.  Ebensowenig  hat  die  Einordnung  der 
Tauf szene  in  das  Scheitelfeld  Analogien  in  der  römischen  Katakombenmalerei;  auf 
Grund  eines  kleinen  Bruchstückes  Stuck,  an  dem  Wasser  gemalt  sei,  wird  diese  An- 
ordnung für  unsere  Decke  vorgeschlagen.  Am  Gurtbogen  der  Türwand  ist  das  Wasser 
des  Lebens  gemalt  im  Typus  des  Mosesquells,  links  der  Tür  ein  Zeigender,  rechts  der 
glühende  Ofen;  im  oberen  Teil  der  Längswände  sieht  man  die  sog.  Susannaszenen, 
am  trennenden  Gurtbogen  die  Epiphanie  des  Erlösers  aus  dem  Tod.  An  der  Decke 
der  zweiten  Abteilung  war  eine  Weinlaube  gemalt,  in  den  vier  Ecken  Selige, 
abwechselnd  in  Mantel  und  in  Tunika  (Oranten);  am  Gurtbogen  und  über  den  zwei 
seitlichen  Grabnischen  Erlösungsbilder,  Lazarus'  Erweckung,  Isaaks  Rettung,  Daniel 
in  der  Löwengrube  (daneben  noch  Noah),  im  Fond  aber,  über  der  Mittelnische,  das 
Seligenmahl  (Wilpert,  Fractio  panis;  Malereien  Taf.  13 — 16). 

Die  „Passionskrypta"  in  Prätextat  trug  an  den  beiden  Längswänden  je  vier 
Bilder;  an  der  linken  Wand  sind  noch  drei  erhalten:  unten  die  Samariterin  am  Jakobs- 
brunnen, oben  die  Erweckung  des  Lazarus,  links  das  auf  die  Dornenkrönung  gedeutete 
Bild,  das  vierte  ist  zerstört,  wie  auch  drei  Bilder  der  rechten  Wand  verloren  sind, 
erhalten  ist  da  nur  das  untere,  die  Heilung  der  Blutflüssigen.  Die  immerhin  nicht 
ganz  sichere  Deutung  jenes  einen  Bildes  auf  die  Dornenkrönung  hat  der  Kammer  den 
konventionellen  Namen  Passionskrypta  verschafft.  Wilpert  sucht  die  Sujets  der  zer- 
störten vier  Bilder  zu  erschließen  und  gelangt  auf  diesem  Wege  zu  einem  christo- 
logischen  Zyklus:  gegenüber  der  Verspottung  setzt  er  die  Richtszene  „Christus  vor 
Pilatus"  an,  es  könne  „keinem  Zweifel  unterliegen,  daß  sie  hier  auch  wirklich,  in  einer 

»)  Vincentiusgruft:  Garrucci,  Storia  VI  Taf.  493.  Maaß,  Orpheus  219.  Wilpert  144. 
392.  506  Taf.  132.  133. 


Verzierung  der  Kammern.  293 

den  Sarkophagreliefs  ähnlichen  Form,  abgebildet  war."  Uns  ist  es  zu  gewagt,  von 
den  Sarkophagreliefs  des  vierten  Jahrhunderts  zurückzuschließen  auf  Wandmalereien 
des  zweiten ,  vollends  wo  Passionsszenen  ihr  sonst  ganz  fehlen ,  auch  die  Dornen- 
krönung  bleibt  problematisch.  Ebensowenig  können  wir  die  christologische  Auffassung 
des  Lazarus  und  der  Samariterin  uns  zu  eigen  machen;  in  der  Auferweckung  zeige 
sich  Christus  als  Überwinder  des  Todes,  also  als  Gott,  der  Samariterin  gebe  er  sich 
als  den  Messias  zu  erkennen.  Uns  bedeutet  jenes  Bild  die  Erlösung  aus  dem  Tod,  dieses 
das  Wasser  des  Lebens.  Daß  an  der  rechten  Wand  Jesaias  oder  die  Magier  mit  dem 
Stern  und  Huldigung  der  Magier  gestanden  haben  sollen,  diese  Vermutungen  sind  eben 
dem  Wunsche  entsprungen,  hier  einen  christologischen  Zyklus  zu  konstruieren 
(Malereien  226  Taf.  18  —  20). 

Die  „Sakramentskapellen''  A1  bis  Aö  im  Coem.  Callisti,  sechs  Kammern  an 
einem  Gang  nebeneinander  gelegen;  A1  bis  A3  wurden  zuerst  angelegt,  etwas  später 
A4  bis  A°,  nach  Wilpert  alle  noch  im  zweiten  Jahrhundert.  Sakramentskapellen 
nannte  man  sie,  weil  man  ihre  Malereien  als  Darstellungen  der  Sakramente  verstehen 
zu  sollen  glaubte;  allerdings  ließen  sich  die  jetzt  sieben  römischkatholischen  Sakra- 
mente nicht  alle  nachweisen,  immerhin  glaubte  man  drei  teils  in  direkter,  teils  in 
symbolischer  Darstellung  vorzufinden,  Taufe,  Abendmahl  und  Buße.  Dabei  konnte 
man  auch  dies  sich  nicht  verhehlen,  daß  nicht  alle  Malereien  in  der  Darstellung  von 
Sakramenten  aufgingen,  sondern  daß  noch  ein  mehr  oder  minder  erheblicher  Rest 
anders  zu  erklärender  Bilder  übrig  blieb.  An  die  ganze  Deutung  haben  sich  Ver- 
handlungen angeknüpft,  die  zu  dem  Ergebnis  führten,  daß  das  dritte  Sakrament,  die 
Buße,  von  den  römischen  Archäologen  selbst  aufgegeben  worden  ist.  Die  Buße 
sollte  im  Typus  des  Gichtbrüchigen  dargestellt  sein,  mit  Beziehung  auf  die  in  seiner 
Geschichte  gesprochenen  Worte:  „Dir  sind  deine  Sünden  vergeben",  oder,  wie  es  bei 
Johannes  heißt,  „Sündige  hinfort  nicht  mehr";  aber  von  Buße  ist  bei  der  Geschichte 
gerade  in  den  Evangelien  keine  Rede.  Das  Bild  aber  haben  wir  als  Typus  der  Er- 
lösung aus  dem  Tode  verstehen  gelernt.  Nach  alledem  dürfte  korrekterweise  gar 
nicht  mehr  von  Sakramentskapellen  gesprochen  werden;  doch  wird  man  den  Namen 
konventionell  im  Gebrauch  behalten. 

Es  blieben  nun  noch  die  zwei  Sakramente  Taufe  und  Abendmahl  übrig,  die 
zwei  einzigen ,  welche  das  christliche  Altertum  kannte ,  die  Taufe  als  Mittel  zur 
Heiligkeit  und  das  Abendmahl  als  Mittel  zur  Seligkeit,  in  der  Gemeinschaft  mit  dem 
Christus;  sie  konnten  sich  den  Katakombenmalern  zur  Darstellung  wohl  empfehlen. 
Tatsächlich  findet  sich  in  unsern  Kammern  die  Taufe  unzweideutig  gemalt.  Nicht 
ganz  so  klar  liegt  die  Sache  für  die  Eucharistie.  Direkt  ist  sie  in  der  Katakomben- 
malerei nirgends  dargestellt,  höchstens  indirekt  (davon  sprachen  wir),  wie  andere 
Bilder  als  Symbole  der  Taufe  gedeutet  werden.  Bei  der  fließenden  Art  sowohl  der 
christlichen  Vorstellungen  wie  der  antiken  Allegorie  bleibt  da  vieles  fragwürdig; 
vollends  fragwürdig  werden  dergleichen  Deutungen,  wo  der  Wunsch  Vater  des 
Gedankens  ist. 

Leider  ist  viel  von  den  Malereien  zerstört,  diejenigen  von  A1  sind  völlig  zu- 
grunde gegangen.  Von  den  beiden  anderen  Kammern  der  älteren  Serie  zeigt  A3  am 
ehesten  etwas  wie  planvolle  Anordnung  der  Bilder,  während  eine  solche  in  A2  vermißt 
wird.  Wir  wissen  nicht,  welche  Kammer  früher  entworfen  wurde;  es  bleibt  uns  die 
Antwort    auf   die  Frage  versagt,    ob  die  Maler   aus  anfänglicher  Planlosigkeit  sich  zu 


294  Syntax  der  figürlichen  Typen. 

der  durchdachten  Disposition  in  A3  heraufgearbeitet  haben,  oder  ob  A2  als  willkürliche 
Änderung  und  Zerrüttung  des  in  A3  korrekt  zur  Ausführung  gebrachten  Grundplanes  an- 
gesehen werden  muß.  Was  uns  hier  interessiert,  das  ist  die  andere  Frage,  wie  weit  über- 
haupt, nach  dem  Zeugnis  unserer  Kammern,  die  Katakombenmaler  es  in  planvoller  Anlage 
gebracht  haben;  daher  halten  wir  uns  an  die  Gruft  A3  (übrigens  dieselbe,  auf  welche 
de  Rossi  seine  Theorie  von  den  Sakramentskapellen  vorzugsweise  gebaut  hatte). 

Die  Decke  zeigt  das  lineare  Laubensystem  und  zwar  mit  „übernommenen  Em- 
blemen", Vasen,  Vögeln  usf.,  im  Scheitelfeld  den  guten  Hirten.  In  den  drei  geschlos- 
senen Wänden  sind  je  zwei  Fachgräber,  so  daß  zwischen,  unter  und  über  ihnen  nur 
niedrige  Friese  zur  Dekoration  offenstehen.  Der  oberste  Fries  der  drei  Wände  ist 
zyklisch  verziert,  mit  den  drei  Jonasbildern:  links  und  rechts  die  zwei  Seeszenen,  wie 
der  Prophet  aus  dem  Schiff  geworfen  und  nachher  vom  Seetier  wieder  ans  Land 
gespien  wird;,  an  der  Mittel  wand  der  Seligkeitstypus  Jonas  unter  der  Laube  ruhend. 
Sodann  der  Mittelfries;  man  hat  dabei  zu  bemerken,  daß  hier  an  jeder  Wand  das 
Mittelstück  des  Frieses  von  einer  besonderen  Rahmenlinie  umzogen  ist.  An  der  linken 
Wand  hat  der  Maler  als  Mittelstück  Jesus'  Taufe  im  Jordan  gemalt;  aus  demselben 
Wasser,  in  dem  der  Täufling  steht,  zieht  der  Angler  einen  Fisch;  außerhalb  der 
Rahmenlinie  steht  rechts  der  Gichtbrüchige,  die  Figur  links  ist  zerstört,  es  mag,  wie 
Wilpert  annimmt,  Lazarus  gewesen  sein.  Der  Mittelfries  an  der  rechten  Wand  ist 
zerstört;  hervorragende  Bedeutung  aber  besitzt  derjenige  der  Fondwand,  dem  Eingang 
gegenüber;  um  ihn  dreht  sich  auch  der  meiste  Streit.  Man  sieht  da  einen  Mann  im 
Mantel,  der  mit  der  Hand  nach  den  Speisen  auf  der  Platte  eines  Dreibeins  greift,  es 
sind  die  typischen  heiligen  Speisen  Brot  uud  Fisch;  an  der  anderen  Seite  des  Tisch- 
chens steht  eine  Orans.  Dann  folgt  in  besonderem  Rahmen  ein  Gelage  von  sieben 
Personen,  ein  Gelage  am  Boden  mit  ein  paar  Schüsseln  im  Halbrund,  vorn  stehen 
die  Brotkörbe  aus  dem  Speisungswunder,  ihrer  acht.  Sodann  rechts  vom  Mittelstück 
zwei  kleinere  Oranten,  mindestens  der  eine  ein  Knabe,  dazu  ein  Schaf  und  ein  Baum 
nebst  einem  Bündel  Holzscheite  (unsere  Abbildung  des  Mittelstreifs  der  Fondwand  oben 
Seite  198). 

De  Rossi  Mrollte  in  dem  Mann  im  Pallium,  der  nach  den  mystischen  Speisen 
greift,  einen  konsekrierenden  Priester  sehen,  mithin  in  der  ganzen  Szene  das  römische 
Meßopfer,  die  Orantin  daneben  sei  die  römische  Kirche.  Wilpert  dagegen  erklärt  den 
Palliatus  für  Jesus,  der  das  Speisungswunder,  die  Brot-  und  Fischvermehrung,  ver- 
richte, diese  aber  als  Symbol  der  eucharistischen  Konsekration,  daher  unter  Aufnahme 
des  Altartisches  in  das  Bild;  die  Orantin  aber  sei  eine  Selige.  Die  Brotvermehrung 
pflegt  anders  dargestellt  zu  werden,  da  berührt  Jesus  mit  der  Wünschelrute  die  bereits 
voll  gezeichneten  Körbe;  die  Fischvermehrung  wurde  in  den  Katakomben  überhaupt 
nicht  gemalt.  Typologisch  betrachtet  erscheint  der  Mann  als  einer  der  Seligen  im 
Mantel,  mit  der  Modifikation,  daß  man  ihm  jenes  aus  den  Seligenmahlen  sattsam 
bekannte  Speisentischchen  beigegeben  hat;  der  Maler  hat  Typus  an  Typus  gereiht, 
wie  man  Letter  an  Letter  reiht,  oder  besser,  er  hat  dem  Seligen  das  Tischchen  als 
nähere  Bestimmung  hinzugefügt,  der  Selige  ist  nun  nicht  als  anbetend  geschildert, 
sondern  als  teilnehmend  am  himmlischen  Mahle.  Die  Umbiegung  des  Typus  ist  ein 
wenig  ungeschickt  ausgefallen,  wie  die  rechte  Hand  des  Seligen,  der  doch  in  Vorder- 
ansicht steht,  vor  seinem  Leibe  vorbeigreift  nach  dem  auf  seiner  anderen  Seite  stehenden 
Tischchen.     Die  Orantin   hat  Wilpert   richtig   als  Selige  erklärt,    nur  wissen  wir,    daß 


Verzierung  der  Kammern.  295 

sie  nicht  betend  (bittend),  sondern  anbetend  steht.  Mit  dieser  Gruppe,  es  ist  Mann 
und  Frau,  verbinden  sich  ungezwungen  die  zwei  abgestuft  kleineren  Oranten  rechts 
vom  Mittelstück,  es  sind  die  Söhne  des  Paares;  hinzugefügt  zu  näherer  Bestimmung 
sind  hier  die  geläufigen  Paradiesestypen  Schaf  und  Baum.  Das  dann  noch  folgende 
Bündel  Holzscheite  hat  Anlaß  gegeben,  die  zwei  Knaben  auf  Isaak  und  Abraham  zu 
deuten,  hier  als  Symbol  des  Kreuzesopfers.  Aber  sie  werden  doch  nie  adorierend 
gezeichnet.  Vielmehr  ist  auch  dies  Bündel  nur  eine  jener  Abbreviaturen  kompli- 
zierterer Typen,  denen  wir  so  oft  begegneten,  auch  dies  nur  eine  Letter,  den  Oranten 
hinzugefügt,  um  zu  sagen,  daß  sie  aus  dem  Tod  erlöst  seien  wie  Isaak  aus  seiner 
Todesnot. 

Das  Gelage  im  Mittelstück  erklärt  Wilpert  für  die  Speisung  der  Tausende 
als  Symbol  der  Kommunion;  wir  haben  im  Kapitel  über  die  Mahlbilder  den  Typus 
zur  Genüge  besprochen.  Wohl  stammen  die  vollen  Brotkörbe  aus  dem  Speisungs- 
mythus, aber  das  Gelage  ist  ein  Mahl  der  Seligen,  hier  eingeschoben  in  die  Reihe  der 
Oranten,  um  durch  das  vollständige  Gelage  am  Boden  noch  runder  auszusprechen, 
was  durch  das  Tischchen  nebenan  nur  erst  angedeutet  war,  daß  die  hier  bestattete 
Familie  nun  nicht  bloß  anbetend  vor  dem  Angesicht  ihres  Herrn  stehe,  sondern  auch 
an  seinem  himmlischen  Mahle  teilhabe.  Und  wegen  dieser  seiner  hervorragenden 
Bedeutung  ist  das  Bild  an  den  Ehrenplatz  in  der  Mitte  der  Fondwand  gestellt,  der 
Tür  gegenüber. 

Endlich  an  der  Eingangs  wand,  links  von  der  Tür:  eine  wasserschöpfende  Gestalt, 
sowie  etwas  höher  und  seitwärts  geschoben  ein  sitzend  Lesender  im  Mantel;  beide  zu- 
sammen werden  als  die  Samariterin  am  Brunnen  und  Christus  erklärt.  Rechts  von 
der  Tür:  das  Quellwunder  des  Moses.     Also  zweimal  Wasser  des  Lebens.1) 

In  der  gleichzeitig  entstandenen  Kammer  A2  finden  wir  die  gleiche  Raum- 
disposition und  großenteils  dieselben  Bilder,  nur  etwas  anders  verteilt,  zum  Teil  auch 
etwas  umgebildet.  Man  empfängt  hier  doch  überwiegend  den  Eindruck  des  Sekun- 
dären. Das  Gelage  der  Seligen  hat  mit  der  Taufe  den  Platz  gewechselt,  es  steht  nun 
an  der  linken  Wand,  mit  dem  Angler  und  dem  eben  dorthin  versetzten  Quellwunder 
vom  selben  Rahmen  umfaßt,  daher  beengt  und  kaum  skizziert.  Das  Quellwunder,  als 
Bild  für  das  Wasser  des  Lebens,  paßt  gut  zum  Gelage,  besser  als  der  Angler.  Die 
Taufe,  nun  in  der  zentralen  Stelle  an  der  Fondwand,  ist  hier,  ohne  Taube,  die  rituale. 
Die  Jonasszenen  wurden  aus  dem  oberen  Fries  in  die  Kappenfelder  der  Decke  ver- 
pflanzt; dabei  mußte  sich  der  Seligkeitstyp  „Jonas  unter  der  Laube  ruhend"  aus  der 
Vorzugsstelle  über  der  Fond  wand  an  die  Seite  schieben  lassen,  um  einer  sinnvollen 
Letterngruppe  Platz  zu  machen,  dem  Dreibein  mit  Fisch  und  Brot  zwischen  den  hier 
sieben    vollen    Brotkörben.       Das   Dreibein    gehörte    schon    im   frühesten   Exemplar    in 


l)  Sakramentskapellen:  Um  das  Ensemble  vollständig  und  richtig  vor  Augen  zu  haben, 
muß  man  auf  de  Rossi,  Roma  sott.  II  zurückgehen,  Tafel  CD  gibt  Übersichten  in  Skizze.  —  A3: 
Roma  sott.  II  Taf.  CD  oben  die  Übersicht,  Taf.  16.  17  die  Wände,  18,  1  die  Decke.  Dazu 
Wilpert,  Malereien derSakramentskapellen  1897;  Mal.d.Kat.  Seite  289  Taf.26,  2.3.  27,  3.  29,  2.  41,  1—3. 
—  Eine  zufällige,  rein  formale  und  nicht  einmal  ganz  genaue  Typverwandtschaft  besteht  zwischen 
dem  Palliatus,  wie  er  nach  den  Speisen  auf  der  Dreibeinplatte  greift,  und  dein  Epikur  an  dem  in 
das  zweite  vorchristliche  Jahrhundert  gesetzten  Gerippebecher  von  Boscoreale;  der  Epikur  greift  in 
die  Schüssel  auf  eben  solchem  Dreibein,  oder  er  wärmt  sich  die  Hand  über  dem  Kohlenbecken 
(Michaelis,  Preuß.  Jahrb.  1896,  17.     Winter,  Arch.  Anzeiger  1896,  81). 


296  '  Syntax  der  figürlichen  Typen. 

Domitilla  zum  Seligenmahl,  die  Körbe  sahen  wir  typisch  mit  dem  Seligengelage  ver- 
bunden, also  deutet  die  Letterngruppe  „Dreibein  und  Körbe"  abermals,  und  zwar 
zwiefach,  das  Seligenmahl  an.  War  das  Gelagbild  selbst  auch  von  der  Fondwand  ver- 
drängt, so  fand  die  Idee  doch  im  Fond  der  Gruft  bedeutsamen  Ausdruck. 

A7om  Jonaszyklus  ist  immerhin  noch  ein  Nachklang  an  der  Oberwand,  und  zwar 
im  Fond  der  Gruft,  übrig  geblieben,  ein  Derivat  von  der  Szene,  wie  Jonas  aus  dem 
Schiff  geworfen  wird.  Ein  Schiff  im  Sturm,  eine  Sturzsee  geht  über  das  Vorder- 
teil, ein  Mann  ist  über  Bord;  einer  aber  steht  im  Schiff,  ein  Orans,  und  aus  dem 
Himmel  neigt  sich,  von  einem  Nimbus  mit  Strahlen  umgeben,  Büste  und  Arm  eines 
wie  üblich  Bartlosen  vor,  der  die  Hand  auf  das  Haupt  des  Orans  legt,  wie  in  der 
Taufszene  darunter  der  Taufende  seine  Hand  auf  den  Kopf  des  Täuflings.  Das  Ver- 
trauen, welches  in  dem  Israeliten  Jesus  Wirklichkeit  und  Leben  geworden  war,  das 
ihn  trug  wie  auf  Händen,  über  alles  hinweg,  das  Vertrauen,  welches  „Berge  versetzt" 
(Mt.  17,  20),  welches  „auf  dem  Wasser  geht"  (Mk.  8,  48.  Mt.  14,  29),  welches  „im 
Sturm  ruhig  schläft"  (Mk.  4,  88),  dieser  große,  man  möchte  sagen  größte,  unerschöpf- 
lich reiche  und  fruchtbare  Gedanke  wurde  unter  den  Händen  der  Christen  verengt 
und  verbogen  zur  Vorstellung,  durch  die  Hilfe  des  Christus  aus  dem  Tod  in  das 
ewige  Leben  gerettet  zu  werden.  Das  gemalte  Bild  ist  ein  Bettungsbild,  ein  Typus 
der  Erlösung  aus  dem  Tod,  der  Orans  im  Schiff  ist  der  aus  dem  Sturm,  der  Todesnot, 
in  das  ewige  Leben  gerettete  Selige,  die  lichtumflossene  Gestalt,  die  aus  dem  Himmel 
sich  neigt  und  die  Hand  über  ihn  hält,  ist  nicht  Gott  (Gott  wurde  nicht  gemalt), 
sondern  der  verklärte  und  erhöhte  Christus  im  Himmel.  Die  römischen  Interpreten 
reden  von  dem  „Schiff  der  Kirche";  das  ist  aber  in  unserem  Bilde  nicht  dargestellt, 
in  der  ganzen  Katakombenmalerei  kommt  es  nicht  vor.1) 

Auch  die  übrigen  Kammern  operieren  mit  denselben  bildlichen  Typen,  nur 
mischen  sie  die  Karten  immer  etwas  anders.  A4  bringt  wieder  Oranten  in  der  Fond- 
wand, wie  A3,  hier  aber  sind  es  nur  zwei,  Mann  und  Frau,  zwischen  zwei  Schafen; 
A5  setzt  das  Gelage  an  die  linke  Wand,  wie  A2,  aber  den  ruhenden  Jonas  an  die 
rechte;  A6  hat  die  Jonasszenen  links,  das  Gelage  der  Seligen  rechts. 

Eine  Gruft  in  Petrus  und  Marcellinus  mit  Fachgräbern  in  den  daher  unverziert 
gelassenen  geschlossenen  Wänden  zeigt  an  der  Türwand  drei  Heilungen,  einerseits  die 
Blutflüssige  und  den  Gichtbrüchigen,  andererseits  den  Blinden,  dazu  die  Samariterin 
mit  Jesus  am  Brunnen,  also  Typen  der  Erlösung  aus  dem  Tod  und  das  Wasser  des 
Lebens;  an  der  Decke  in  den  vier  Zwickelfeldern  zwei  Selige,  Oranten,  und  zwei 
Hirten;  in  den  Kappenfeldern  drei  Szenen  aus  der  Kindheitslegende,  über  der  Fond- 
wand die  Magier  in  der  Freude  über  den  Stern,  links  die  Epiphanie,  über  der  Tür 
die  Verkündigung,  dazu  rechts  Jesus'  Taufe;  im  Scheitelfeld  sitzt  der  erhöhte  Christus 
im  Halbkreis  von  acht  Seligen,  vielleicht  Aposteln,  der  Schriftenbehälter  steht  dabei. 
Die  vier  Kappenbilder  mit  dem  Zenithbild,  diese  fünf,  aber  nur  diese,  kann  man  wirk- 
lich als  einen  christologischen  Zyklus  bezeichnen.  Die  Hirten,  auch  wenn  sie  den 
Guten  Hirten  meinen,  gehören  doch  nicht  in  den  Zyklus;  die  Oranten  erst  recht 
nicht,  obschon  sie  durch  den  Christus  selig  sind;  endlich  die  Bilder  an  der  Tür 
sprechen  nicht   „den  Glauben  an  die  Gottheit  Christi",  sondern  das  Vertrauen  auf  die 


')  Gruft  A2:  de  Eossi,  Roma  sott.  II  Taf.  CD  unten;  ferner  Taf.  11.15.     Wilpert,  Malereien 
290.  418  Taf.  27,  2.  38.  39.  40,  3. 


Verzierung  der  Kammern.     Einzelfiguren. 


297 


Erlösung  durch  den  Christus  und  das  Wasser  des  Lebens  aus,  sind  daher  wohl  christ- 
lich gedacht,  aber  nicht  Glieder  jenes  christologischen  Zyklus.  Es  ist  auch  zu 
beachten,  daß  diese  Malereien  frühestens  dem  ausgehenden  dritten  Jahrhundert  an- 
gehören; am  Anfang  der  Katakombenmalerei  war  überhaupt  noch  kein  Zyklus  christ- 
licher Bilder  zustande  gekommen,  am  wenigsten  ein  christologischer,  aber  im  Lauf  der 
Jahrhunderte,  mit  dem  Überwuchern  des  Kultus  der  Person,  wurde  dergleichen  mög- 
lich und  Tatsache.1) 

Kammern,  deren  Malereien  zu  beschädigt  sind,  als  daß  man  die  Anordnung   des 
Ensembles    übersehen    könnte,    wie    es   bei    der 
Doppelkammer   XY    Lucinae    und    der   „  Gruft 
der  sechs  Heiligen"    in    Domitilla  der  Fall  ist, 
müssen  wir  übergehen.2) 

Eine  noch  unbeantwortete  Frage  aus  dem 
Gebiete  der  Syntax  aber  wollen  wir  wenigstens 
auf  werfen.  Es  betrifft  gewisse  Einzelfiguren, 
die  im  ganzen  eine  mehr  untergeordnete  Stellung 
einzunehmen  scheinen,  und  welche  eine  präzise 
Erklärung  noch  nicht  gefunden  haben.  Zum 
erstenmal  begegnet  eine  solche  Gestalt  in  der 
Cappella  greca,  an  der  Eingangswand  links  von 
der  Tür.  Ein  Mann  im  Mantel  zeigt  mit  aus- 
gestrecktem Finger  nach  der  Tür  oder  an 
ihr  vorbei  nach  der  Malerei  auf  der  anderen 
Seite,  den  drei  Jünglingen  im  glühenden  Ofen. 
Wilpert  schreibt  der  Figur  keine  höhere  Be- 
deutung zu,  sicher  weiß  er  sie  nicht  zu  erklären; 
mit  Recht  lehnt  er  eine  engere  Beziehung  zur 
Ofenszene  ab,  wegen  der  Entfernung  könne  es 
weder  der  Engel  noch  Gott  sein;  entweder  sei 
sie  für  eine  bloße  Raumfüllung  zu  halten  oder 
für  den  Erzähler  der  Perikope,  den  Propheten 
Daniel  (Wilpert  357  Taf.  13).  Ebenfalls  in 
Priscilla  findet  sich  das  zweite  Beispiel.  Dort 
ist  ein  Fachgrab  hart  unter  der  Decke  eines 
Ganges  oder  Winkels  angebracht;  links  vom 
Grab  sind  die  Verstorbenen  gemalt,  als  Selige 
im  Orantenschema,  ein   Ehepaar,  der  Mann   im 

Pallium,  mit  einem  Knaben,  rechts  vom  Grab  ein  andrer  Palliatus,  der  mit  ausgestrecktem 
Zeigefinger  sei  es  nach  dem  Grabe,  sei  es  nach  der  an  dessen  anderer  Seite  gemalten 
Familie  zeigt  (übrigens  ist  es  ein  berühmter  Winkel,  an  seiner  Decke  befindet  sich  die 
früheste  und  schönste  Epiphanie).  Auch  hier  hat  Wilpert  nur  eine  Vermutung:  der 
Zeigende  solle  wohl  nicht  allein  das  kleine  Feld  ausfüllen,  sondern  auch  die  Aufmerk- 
samkeit des  Beschauers  auf  die  drei  Oranten  lenken  (Malereien  189  Taf.  21). 

')  Wilpert,    Ein  Zyklus  christologischer  Gemälde  aus  der  Katakombe   der   heiligen   Petrus 
und  Marcellinus  1891. 

-)  „ Sechs  Heilige":    Wilpert,  Malereien  486-494  Taf.  124—126. 


Fossor  zeigend. 
Coem.  Callisti. 


298  Syntax  der  figürlichen  Typen. 

In  den  „ Sakramentskapellen "  gibt  es  auch  dergleichen  Zeigende,  jeweils  an  der 
Fondwand  und  an  der  Türwand.  In  der  Gruft  A'2  beiderseits  der  dort  zentral  an- 
gebrachten Taufszene;  die  Figur  links  ist  zerstört,  rechts  sitzt  ein  Mann  im  bloßen 
Mantel  auf  einem  Steinwürfel  und  zeigt  nach  dem  oberen  Grab  (Taf.  39,  2.  Die  von 
Wilpert  konstruierte  Gerichtsszene  erledigten  wir  oben).  An  der  Eingangswand  steht 
links  der  Tür  ein  Mantelmann  mit  Schriftrolle,  die  Rechte  ausgestreckt;  diesmal  nicht 
nach  der  Tür,  sondern  nach  der  Nebenwand,  ihren  Gräbern  und  Malereien  (Taf.  40,  3). 
Das  Gegenstück  ist  wieder  zerstört;  es  bleibt  zweifelhaft,  ob  hier  ein  zweiter  Palliatus 
oder  ein  hauender  Fossor  zu  sehen  war,  von  dem  sich  ein  Bruchstück  im 
Schutte  fand. 

Die  Frage  geht  also  dahin,  wer  diese  stehend  oder  sitzend  Zeigenden  sind, 
worauf  sie  eigentlich  zeigen  und  in  welchem  Sinne  sie  es  tun.  Im  ersten  Fall  ließ  der 
Augenschein  es  zweifelhaft,  ob  der  Mann  nach  der  Grufttür  oder  nach  der  Malerei 
daneben  zeige;  wenn  er  noch  wenigstens  an  der  Außenseite  gemalt  wäre,  so  könnte 
man  denken,  er  zeige  nach  der  Gruft  wie  die  zwei  anderen  nach  dem  Grab. 

Eine  Klasse  zeigender  Mantelmänner  sondert  sich  aus;  sie  zeigen  nach  dem  Stern 
des  neugeborenen  Königs  der  Juden,  des  Messias.  Sie  gelten  für  Propheten,  werden 
aber  verschieden  benannt,  meist  Jesaias  oder  Bileam;  wir  wissen  schon,  daß  in  der 
Namensfrage  nicht  vorwärts  zu  kommen  ist.  Das  früheste  Beispiel  bot  uns  die 
Epiphanie  in  Priscilla  mit  dem  Stern  zu  Häupten  des  Kindes;  der  Prophet  hält  eine 
Schriftrolle  in  der  Linken  (oben  S.  248).  Ein  weiteres  Beispiel  findet  sich,  erst  im 
vierten  Jahrhundert,  in  Petrus  und  Marcellinus;  hier  ist's  eine  Einzelfigur  (Taf.  159,3). 
In  Gruft  IV  Domitillae  war  über  der  Grabnische  die  jetzt  fast  ganz  verblaßte 
Epiphanie  gemalt,  Mutter  und  Kind  rechtshin  blickend,  wir  können  nicht  wissen,  ob 
mit  oder  ohne  Stern.  Hinter  ihnen  ist  Bauwerk  gemalt  zur  Andeutung  von  Bethlehem; 
ganz  links  steht  ein  rechtshin  zeigender  Palliatus,  der  auf  Micha  gedeutet  wird  (vgl. 
Micha  5  bei  Mt.  2,  6.  Wilpert  Taf.  229).  Sicher  auf  den  Stern  zeigt  ein  vierter 
Mann,  den  aber  seine  Tracht  als  Magier  kennzeichnet,  in  Cyriaka,  im  Zwickelfeld 
rechts  über  der  Grabnische  mit  den  klugen  und  törichten  Jungfrauen  (Taf.  241).  Der 
sog.  Überfall  Susannas  im  Coemeterium  maius  ist  im  Typus  der  Orans  zwischen  zwei 
Paradiesesbäumen  und  zwei  Seligen  gemalt;  nur  daß  der  eine  am  Boden  kniet  oder 
kauert  (vielleicht  nur  des  engen  Raumes  wegen),  der  andere  aber  die  Hand  nicht  nach 
der  Orans  hinstreckt,  sondern  in  der  Richtung  nach  der  Bogenlaibung,  an  der  die 
Epiphanie  mit  Magiern  und  Stern  gemalt  ist.  Sollte  die  Richtung  dieser  Hand  nicht 
zufällig,  sondern  beabsichtigt  sein,  so  spräche  das  für  die  Deutung  der  Orans  als  einer 
Seligen  im  Paradies  (Taf.  220). 

Zur  Typik  tragen  wir  nach,  daß  das  Schema  des  zeigenden  Mantelmannes  in 
biblischen  Bildern  wiederkehrt.  Mehrfach  bewirkt  Jesus  die  Auferweckung  des 
Lazarus  nicht  mit  der  Zaubergerte  (er  hält  sie  dann  wohl  müßig  in  der  Linken), 
sondern  mit  dem  erhobenen  Finger  (Taf.  45,  1.  230,  2).  Man  könnte  auf  die  Ver- 
mutung verfallen,  jener  Zeigende  bei  Bethlehem  hänge  typologisch  irgendwie  mit  der 
Lazarusszene  zusammen.  Hier  ist  auch  der  Moses  im  Quellwunder  zu  nennen;  überall 
wo  Stab  und  Fels  verblaßt  sind,  glaubt  man  zuerst  einen  Zeigenden  zu  sehen. 

Bei  den  Gestalten  an  den  Türen  gedenkt  man  leicht  der  Hadestüren  und  ihrer 
figürlichen  Belebung.  Das  Motiv  war  den  alten  Ägyptern  wichtig,  ihre  sepulkralen 
Schein-    und    Prunktüren   vermittelten    den   Verkehr   der   Verstorbenen  mit   der  Welt 


Verzierung  der  Kammern.     Fossoren.  299 

der  Lebenden;  daher  wurden  sie  an  solchen  Türen  dargestellt,  allein  oder  mit  Ange- 
hörigen, Familie  und  Untergebenen.  Auch  in  den  etruskischen  Gruftmalereien  sehen 
wir  die  Hadestür,  zwei  Männer  stehen  davor,  die  eine  Hand  begrüßend  vorgestreckt, 
mit  der  anderen  schlagen  sie  sich  in  Trauer  den  Kopf.  Auf  freierer  Kunststufe  sehen 
wir  einmal  zwei  Personen  an  der  Tür,  einen  Jüngling  Saties,  die  Hände  unter  dem 
reichgestickten  Mantel,  und  einen  Knaben,  der  am  Boden  hockend  mit  seinem  an 
einen  Faden  gebundenen  Vogel  spielt.  Es  sind  nicht  dieselben  Typen  wie  in  der 
christlichen  Kunst,  aber  wir  bemerken  die  Tatsache,  daß  auch  dort  an  den  Türen 
besondere  Gestalten  erscheinen.  Der  Unterschied,  daß  es  in  den  Katakomben  nicht 
Scheintüren  sind,  sondern  die  wirklichen  Grufttüren,  ist  nicht  so  erheblich.1) 

War  in  der  Sakramentskapelle  A2  neben  dem  Zentralbild  der  Fondwand  ein 
Sitzender,  an  der  Türwand  ein  Stehender,  beide  zeigend,  gemalt,  so  sehen  wir  in  A8 
umgekehrt  den  Sitzenden  an  der  Tür,  den  Stehenden  im  Fond.  Das  Hauptbild,  die 
Familie  mit  dem  eingeschobenen  Seligenmahl,  wird  eingefaßt  von  zwei  stehenden 
Fossoren,  welche  die  Spitzhacke  müßig  im  Arm  tragen  und  mit  der  anderen  Hand 
nach  der  Mitte  zeigen,  wenn  auch  nicht  mit  vorgestrecktem  Finger.  Sie  tragen  die 
ungegürtete  Tunika;  der  Typus  scheint  von  denen  der  Oranten  abgeleitet  (unsere  Ab- 
bildung S.  297,  de  Rossi,  Roma  sott,  II  Taf.  17  und  CD  1).  —  Der  Sitzende  also 
befindet  sich  in  A3  an  der  Tür,  aber  er  hält  in  beiden  Händen  eine  Schriftrolle  (vgl. 
den  sitzend  Lesenden,  der  auf  Petrus  gedeutet  wird,  Wilpert  251  Taf.  93.  94).  Auf 
tieferem  Niveau  und  in  keiner  Weise  zu  ihm  in  Rapport  gebracht,  sehen  wir  die  wasser- 
schöpfende Figur  undeutlichen  Geschlechts,  die  man  als  die  Samariterin  am  Brunnen 
erklärt;  wir  können  nur  soviel  sagen,  daß  die  schöpfende  Figur  von  der  Samariterin 
abgeleitet  sein  und  irgendwie  das  Wasser  des  Lebens  andeuten  wird,  als  Synonym  des 
Mosesquells  auf  der  anderen  Seite  der  Tür  (Wilpert  Taf.  29,  2). 

Die  Fossoren  malte  man  sonst  bei  der  Arbeit  an  den  Grüften,  in  das  Gestein 
hauend  (unsere  Abbildung  S.  98.  Wilpert  Taf.  48,  1.  3.  59,  2.  65,  3.  112,  5).  Sie 
tragen  dann  die  Tunika  gegürtet,  bisweilen  einen  Spitzhut;  die  Lampe  hängt  an  einer 
Schnur  von  einem  eingeschlagenen  Stab  herab.  Einmal  ist  der  Fossor  gemalt,  wie  er 
zur  Arbeit  geht,  die  Lampe  am  Stab  tragend,  einen  Sack  mit  Mundvorrat  über  den 
Rücken  geworfen  (48,  2).  Zwei  Fossorenbilder  sind  an  Fossorengräbern  gemalt,  sehr 
bekannt  ist  dasjenige  des  Diogenes  in  Domitilla,  in  der  Lünette  seines  Nischengrabes. 
Er  steht  vor  einem  Gebäude,  mit  seinem  Gerät,  die  Rechte  schultert  die  Hacke, 
über  die  linke  Schulter  hat  er  den  Sack  geworfen,  die  linke  Hand  trägt  die  Lampe 
am  Stab,  zu  beiden  Seiten  sind  Bohreisen  und  Hammer  angelehnt  (Garrucci,  Storia  II 
41,  1.  Wilpert  Taf.  180).  Die  in  das  Gebirg  hauenden  Fossoren  pflegen  beiderseits 
der  Grufttüren  gemalt  zu  sein,  passenderweise,  weil  sie  eben  durch  die  Tür  in  den 
Fels  eindrangen.  Hierzu  lassen  sich  monumentale  Analogien  beibringen.  In  einem 
altphrygischen  Felsgrab  sieht  man  im  Eingang  in  Relief  einen  vorgestreckten  Arm,  die 
Hand  hält  einen  Doppelhammer.  Sie  wird  als  abwehrend  aufgefaßt,  als  ob  sie  jeden 
unbefugt  in  die  Gruft  Eindringenden  zerschmettern  wolle;  vielleicht  aber  ist  es,  ur- 
sprünglich wenigstens,  auch  nur  das  Zeichen  des  Fossors,  der  die  Felsgruft  aushöhlte. 
Andere  Vorläufer  der  christlichen  Fossoren  waren  die  etruskischen.  Sie  selbst  sind 
unseres  Wissens    in    den   dortigen  Grabkammern    nicht    abgebildet    worden;    aber    ihre 


')  Hadestür  etruskisch:  Mon.  d.  inst.  XI  26.  —  Saties:  eb.  VI  Taf.  32. 


gOO  Syntax  der  figürlichen  Typen. 

Attribute,  Hacke  und  Hammer,  entlehnte  von  ihnen  der  etruskische  Todesdämon,  sei 
es  Mantus  oder  Charun.  Das  Werkzeug  in  dessen  Hand  gleicht  bald  mehr  der 
Doppelhacke,  bald  mehr  dem  Doppelhammer.  Charun  erscheint  auch  als  Türhüter  am 
Grabe,  wiederum  verdoppelt.1) 

An  Darstellungen  aus  Handwerk  und  Gewerbe  verzeichnet  Wilpert,  außer  den 
Fossoren,  noch  folgende,  alle  erst  aus  dem  vierten  Jahrhundert. 

Arkosol  eines  Wagenlenkers,  der  grünen  Partei:  in  der  Lünette  ein  nacktes 
Brustbild  des  Verstorbenen  in  Rundschild,  zwischen  zwei  Frauen  mit  offenen  Schrift- 
rollen (Musen?).  An  den  Laibungen  des  Bogens  je  ein  Viergespann,  dessen  Lenker 
als  Sieger  Kranz  und  Palme  in  den  Händen  hält;  darüber  in  je  drei  schmalen  Feldern 
zwischen  zwei  Flügelpferden  unter  Girlanden  ein  auf  einer  Blume  stehender  Jüngling, 
mit  Fruchtschale  auf  der  gehobenen  Hand;  im  Scheitelrund  des  Bogens  ein  tizianisch 
dahineilender  jugendlicher  Bacchus  mit  Stab  (Thyrsos)  und  Becher  (Kantharos),  neben 
ihm  springt,  doch  wohl  nicht  ein  Hund,  sondern  ein  Panther  daher.  An  der  Front, 
in  den  Zwickeln  über  dem  Nischenbogen,  schwebt  je  eine  Viktoria,  auch  sie  mit  Palme 
und  Kranz,  unter  jeder  steht  ein  Adler  auf  der  Weltkugel  —  kaiserliche  Symbole,  die 
Viktorien  sind  von  den  Triumphbögen  entlehnt.  De  Rossi  erklärte,  freilich  im  irrigen 
Glauben,  die  Gestalten  zwischen  den  Flügelpferden  seien  Venusse,  das  Arkosol  für 
heidnisch;  Christliches  ist  allerdings  nichts  darin,  und  Bacchus  als  Seligkeitstyp  statt 
des  guten  Hirten  ist  in  christlicher  Malerei  mindestens  gewagt,  auch  als  Vertretung 
der  Weinlaube  oder  des  Seligengelages  (Wilpert  523  Taf.  145,  2.   146,  1). 

Das  Arkosol  eines  Kriegers,  nur  wenige  Schritte  von  dem  des  Wagenlenkers 
entfernt  (beide  in  der  Katakombe  der  Vigna  Massimo).  Die  Lünette,  jetzt  sehr  zer- 
stört, zeigte  den  Krieger  mit  einem  Knaben,  seinem  Sohn;  die  Bogenlaibung  rechts  ihn 
noch  einmal  mit  gezogenem  Gewehr,  im  Feld  einen  Ehrenkranz;  die  Laibung  links 
bringt  seine  Frau,  ihrerseits  auch  mit  dem  Sohn;  das  Scheitelrund  zeigt  noch  einmal 
die  Büste  des  Kriegers.  Auch  hier  ist  nichts  spezifisch  Christliches  zu  finden;  immer- 
hin sind  uns  die  Girlanden,  unter  welchen  die  Verstorbenen  in  der  Lünette  und  an  den 
Laibungen  stehen,  vertraute  Sinnbilder  des  himmlischen  Paradieses  (Wilpert  5  28  Taf.  144,1.3). 

Die  „Bäckergruft"  in  Domitilla,  die  Grabkammer  eines  Brotlieferanten.  Von  drei 
Feldern  in  Hochformat  zeigt  das  mittlere  einen  hinter  einem  besonders  großen  Modius 
stehenden  Mann  in  Tunika,  mit  vollem  Gesicht,  vermutlich  den  Inhaber  der  Gruft;  im 
Feld  rechts  hat  er  das  Brotwunder  malen  lassen,  in  stolzer  Anspielung  auf  seinen 
Beruf,  gegenüber  in  üblicher  Entsprechung  das  Quellwunder,  beides  zusammen  also 
Brot  und  Wasser  des  Lebens  andeutend  (Wilpert  530  Taf.  142,  2).  Der  Fries  über 
den  Arkosolien  bringt  Szenen  aus  dem  Gewerbe  des  Verstorbenen,  wertvolle  Er- 
gänzungen des  zu  einem  Viertel  zerstörten  Frieses  am  Denkmal  des  Brotlieferanten 
Eurysaces  vor  Porta  Maggiore:  dargestellt  ist  das  Ausladen  von  Getreide  in  Säcken, 
man  sieht  drei  Kähne,  Laufbretter  sind  ans  Quai  herübergelegt;  dann  einige  schwerer 
zu  erklärende  Szenen,  zwei  Berittene,  vier  Träger  mit  einer  Bahre  auf  den  Schultern, 
und  sieben  Männer  in  Tunika  und  Oberkleid  (Taf.  194 f.).2) 

J)  Pkrygien:  Erich  Brandenburg,  Bayer.  Akad.  Abh.  XXIII  in  1906,  713.  Etrurien: 
Müller-Deecke,  Die  Etrusker  II  1877  1031  v.  Sybel  in  Rosebers  Lexikon  I  886.  Waser  bei  Pauly- 
Wissowa  III  2178.  —  Fossoren:  oben  Seite  102. 

2)  Zur  Bäckergruft  vgl.  Wilpert  Taf.  193.  —  Eurysaces:  Canina  und  Jahn,  Annali  1838 
Mon.  d.  inst.  II  Taf.  58  f. 


Verzierung  der  Kammern.     Hypothesen.  301 

So  interessant  in  antiquarischer  und  archäologischer  Hinsicht  dergleichen  Dar- 
stellungen aus  dem  Gewerbeleben  im  Altertum  sind,  so  wenig  bringen  sie  an  spezifisch 
Christlichem;  daher  haben  wir  hier  nicht  bei  ihnen  zu  verweilen.  Wir  gehen  kurz 
über  die  anderen  Beispiele  hinweg,  die  Arkosolien  des  „Viktualienhändlers"  mit  Dar- 
stellung seines  Ladens  und  dessen  Personals,  der  „ Gemüsehändlerin "  mit  ihrem  ganzen 
Gemüsestand,  zwei  Tischplatten  auf  Böcken,  des  „Schiffers"  mit  seinem  amphoren- 
beladenen  Kahn,  der  „Böttcher"  mit  einem  Transport  großer  Fässer,  des  „Winzers"  mit 
seinem  Ochsenwagen  und  dem  großen  Faß  darauf.  Wenn  nun  die  Hökerin  ihren 
Gemüsestand  unter  einer  den  Bogen  füllenden  Weinlaube  malen  ließ  und  Rosenblätter- 
schnüre  und  abgeschnittene  Rosen  an  die  Trogfront,  wenn  der  Winzer  seine  Wein- 
fuhre unter  den  typischen  Girlanden  anbrachte,  also  die  eine  wie  der  andere  das  eigne 
Gewerbe  in  das  Bild  des  himmlischen  Paradieses  verpflanzte,  so  könnte  dieser  und 
jener  sich  der  Urvorstellung  erinnern,  daß  dem  Toten  sein  Werk  nachfolge;  aber  man 
braucht  diese  Malereien  wohl  nicht  so  beim  Buchstaben  zu  nehmen.1) 


Wir  sind  am  Ende  der  Bildererklärung.  Aber  wir  dürfen  das  Buch  nicht 
schließen,  ohne  eine  Schuld  abzutragen,  die  uns  noch  aufliegt,  eine  Schuld  der  An- 
erkennung für  viele  Arbeit,  die  von  den  verschiedensten  Seiten  geleistet  wurde,  um 
das  Verständnis  der  Katakombenmalereien  auf  festeren  Boden  zu  stellen.  Wrir  zielen 
jetzt  nicht  auf  das  bleibende  Verdienst,  welches  Viktor  Schultze  sich  dadurch 
erwarb ,  daß  er  die  sepulkrale  Bedeutung  der  altchristlichen  Bildwerke  zuerst  ent- 
schieden hervorhob.  Wir  denken  auch  nicht  gerade  an  den  Streit  über  Freiheit  oder 
Gebundenheit  der  Maler.  Dieser  Streit  ist  nur  eine  Episode  in  dem  teils  inter- 
konfessionellen, teils  innerkonfessionellen  Streit  um  die  Freiheit.  Die  einen  suchen 
ihre  Unterwerfung  unter  die  Befehle  einer  kirchlichen  Monarchie  aus  der  Geschichte 
zu  rechtfertigen,  als  ob  das  sittlich  Unzulässige  aus  der  Geschichte  gerechtfertigt 
werden  könnte,  die  andern  suchen  ihre  Freiheit  geschichtlich  zu  begründen,  als  ob 
das  ethisch  Begründete  einer  geschichtlichen  Begründung  bedürfte.  Während  jene  in 
der  Geschichte  des  Christentums  nur  die  Momente  der  Gebundenheit  sehen ,  finden 
diese  überall  Bekundungen  und  Wirkungen  des  Prinzips  der  Freiheit.  Nach  den  einen 
sollen  die  Katakombenmaler  ihre  sinnreichen  Dekorationen  nach  Vorschrift  der  Geistlichkeit 
entworfen  haben,  nach  den  andern  folgten  sie  ungebunden  den  eignen  Eingebungen. 
Während  doch  vom  ersten  Tage  des  Christentums  an  innere  Freiheit  und  äußere 
Gebundenheit  miteinander  in  Widerstreit  lagen.  So  gewiß  Jesus  ein  Prophet  der 
sittlichen  Freiheit  war,  so  gewiß  hat  die  Macht  seiner  Persönlichkeit  die  Gemüter 
seiner  Jünger  vom  ersten  Tage  an  gebunden,  und  die  harte  antike  Polis  hat  in  ihrer 
letzten  Gestalt,  der  Kirche,  sich  ausgelebt,  immer  schärfer  in  ihrer  Eigenart  sich  voll- 
endet. In  dieser  unfrei  freien  Christenheit  schwammen  die  Maler  mit.  Gerade  in  den 
ersten  Jahrhunderten  schufen  sie  aus  privatem  Auftrag,  von  kirchlicher  Leitung  der 
Katakomben  ist  erst  später  die  Rede.  Sie  malten,  was  die  Christen  dachten;  die 
christlichen  Gedanken   standen   aber  offiziell  unter   Leitung  des  Lehramts,    ohne   doch 


l)  Viktualienhändler:  Wilpert,  Rom.  Quurtalschr.  1887  Taf.  1;  Malereien  532.  —  Ge- 
müsehändlerin: Wilpert  534  Taf.  143,  2.  —  Schiffer:  eb.  535  Taf.  173,  1.  —  Böttcher:  eb. 
535  Taf.  202.  —  Winzer:  eb.  536  Taf.  245,  2. 


302  Syntax  der  figürlichen  Typen. 

mit  dessen  Lehrmeinungen  identisch  zu  sein.  Vor  allem  weiteren  aber  müssen  wir 
die  Bilder  richtig  verstehen;  es  wäre  verfrüht,  über  die  Quelle  ihrer  Ideen  zu  streiten, 
solange  nicht  über  das  Tatsächliche  dieser  Ideen  Verständigung  erzielt  ist.1) 

Den  besonderen  Quellen,  aus  denen  die  Maler  ihre  Ideen  schöpften,  hat  man 
neuerdings  eifrig  nachgespürt;  und  man  hat  —  eine  Fragestellung,  die  den  philo- 
logisch denkenden  Archäologen  sofort  interessiert  —  nach  literarischen  oder  doch 
literarisch  greifbaren  Quellen  gesucht.  Den  Anstoß  gab  Le  Blant,  dessen  Forschungen 
so  läuternd  auf  die  Interpretation  der  altchristlichen  Bildwerke  wirkten.  Bei  seinen  Unter- 
suchungen über  die  christlichen  Sarkophage  Galliens  machte  er  die  Beobachtung,  daß 
in  den  Grabschriften  Formeln  wiederkehrten,  die  den  Sterbegebeten  eignen;  dies  führte 
zu  der  Hypothese ,  daß  dieselben  Gebete  auch  Quelle  für  die  sepulkrale  Skulptur 
gewesen  seien.  Die  in  den  Gebeten  sich  wiederholende  Bitte,  der  Herr  möge  den 
Verstorbenen  erlösen,  wie  er  den  Daniel  aus  der  Löwengrube  erlöst  habe,  den  Jonas 
aus  dem  Bauche  des  Fisches  usf.,  legte  den  Gedanken  nahe,  eben  aus  diesen  Gebeten 
seien  die  Sujets  der  Sarkophagreliefs  entnommen,  Daniel,  Jonas  usf.  Nun  gehören 
die  Sarkophage  dem  vierten  Jahrhundert  an,  die  Sterbegebete  aber  finden  sich  erst  in 
wesentlich  jüngeren  Niederschriften;  doch  glaubt  man  ihr  Dasein  bis  in  das  vierte 
Jahrhundert  zurückführen  zu  dürfen,  und  Liell  versuchte,  ihre  Spuren  bis  in  das 
dritte  Jahrhundert  zurückzuverfolgen ,  so  daß  sie  auch  für  die  von  Le  Blant  ganz 
beiseite  gelassenen  Katakombenmalereien  einigen  Wert  erhalten  würden.  Aber  man 
kam  auf  diesem  Wege  doch  nicht  bis  zu  den  ersten  Anfängen  der  Katakomben  und 
ihrer  Malereien  im  ersten  Jahrhundert,  gerade  ihre  erste  Entstehung  ließ  sich  aus  den 
Totenliturgien  nicht  erklären.-) 

Inzwischen  hatte  man  diesen  und  jenen  anderen  Weg  zur  Erklärung  der  Bild- 
werke einzuschlagen  versucht.  David  Kaufmann  machte  auf  die  altjüdischen 
liturgischen  Gebete  aufmerksam,  Johannes  F  ick  er  auf  die  altchristlichen  Dichtungen, 
Steinmann  auf  die  Predigten,  de  Waal  zog  die  Psalmen  heran.  Die  altjüdischen 
Bußgebete  können  Motive  an  die  frühchristlichen  Gebete  abgegeben  und  durch  diese 
auf  die  Bildung  der  altchristlichen  Typik  in  Einzelfällen  eingewirkt  haben.  Die  alt- 
christlichen Dichtungen  und  Predigten  sind  zu  jung,  um  zur  Erklärung  wenigstens 
der  Katakombenmalereien  dienen  zu  können.  Mit  Psalmengebeten  und  -gesängen 
endlich  war  das  ganze  christliche  Leben  in  der  Tat  durchwebt;  es  gibt  Psalmen- 
stellen, die  zum  Verständnis  der  Malereien  heranzuziehen  sind.3) 

Neuerdings   hat  Karl  Michel   das  Problem  der  Gebete   als  Quellen   der  Bilder 


J)  Viktor  Schultze,  Archäologische  Studien  über  altchristliche  Monumente  1880.  Dazu 
Kraus,  Geschichte  I  74,  1. 

2)  Sterbegebete:  Comniendatio  animae,  quando  infirmus  est  in  extremis.  Ordo  in  exitu 
animae.  Oratio  de  agonizantibus.  —  Le  Blant,  Etüde  sur  les  sarcophages  chrötiens  de  la  ville 
d'Arles  1878,  Introduction  §  5  Les  basreliefs  des  sarcophages  chretiens  et  les  liturgies  funeraires. 
Auch  Revue  archebl.  1879.  —  Über  Le  Blant,  Les  commentaires  des  livres  saints  et  les  artistes 
chretiens  des  premiers  siecles  (Acad.  des  inscript.,  extr.  des  mäm.  tome  XXXVI  n,  Paris  1899)  vgl. 
Joh.  Ficker  in  der  Deutschen  Literaturzeitung  1900,  372.  —  Liell,  Darstellungen  der  allerseligsten 
Jungfrau  und  Gottesgebärerin  1887,  139. 

3)  David  Kaufmann,  Bevue  des  etudes  juives  1887.  Monatsschrift  für  die  Wissenschaft 
des  Judentums  1896,  382.  —  Joh.  Ficker,  Bedeutung  der  altchristlichen  Dichtungen  für  die 
Bildwerke  (in  der  Festgabe  für  Anton  Springer)  1885.  —  Steinmann,  Tituli  und  kirchliche 
Wandmalerei  1892,  72.  —    de  Waal,  Römische  Quartalschr.  1896,  339. 


Verzierung  der  Kammern.     Hypothesen.  303 

einer  neuen  Bearbeitung  unterzogen.  In  Untersuchungen,  die  bis  in  die  vorchristliche 
Zeit  zurückgreifen,  ist  er  den  Ursprüngen  der  in  Frage  kommenden  christlichen 
Gebete  nachgegangen;  er  findet,  daß  sie  ursprünglich  exorcistisch  waren,  Gebete  zur 
Beschwörung  des  Satans  und  der  Dämonen.  In  primitiv  antiker  Anschauungsweise 
schrieb  man  den  Dämonen  die  Schuld  an  Krankheit,  Tod  und  allem  Übel  zu,  ein- 
schließlich Schuld  und  Sünde;  hiergegen  rief  man  die  Macht  Gottes  und  Christi  an  und 
zählte  die  biblischen  Taten  Gottes  zum  Heile  Israels  auf,  man  sprach  das  Vertrauen 
aus,  Gott  werde  auch  weiter,  und  im  besonderen  Fall,  helfen,  vermöge  derselben  Kraft, 
mit  der  er  früher  Tote  erweckt,  Blinde  sehend,  gemacht,  Lahme  und  Aussätzige 
geheilt,  den  Jonas  aus  dem  Bauche  des  Fisches  gerettet  habe,  den  Daniel  aus  der 
Löwengrube,  die  drei  Knaben  aus  dem  Feuerofen  usf.;  so  wolle  Gott  den  Betenden 
auch  aus  der  Hand  dessen  befreien,  der  ihm  nach  der  Seele  trachte,  des  Satans.  Von 
hier  aus  erklären  sich  nun  auch  die  Sterbegebete.  Der  Exorcismus  trat  zurück,  und 
der  Gebetsinhalt  beschränkte  sich  auf  die  Erlösung  aus  dem  Tod.  Der  von  Johannes 
Ficker  angegebene ,  von  Michel  beschrittene  Weg ,  durch  Verwertung  neuer  litera- 
rischer Hilfsmittel  und  durch  Verbindung  der  literarkritischen  mit  der  religions- 
geschichtlichen Methode  weiter  zu  kommen ,  eröffnet  verheißungsvolle  Perspektiven, 
wenn  auch  die  Forschung  über  das  dritte  Jahrhundert  vorläufig  nur  hypothetisch 
zurückzugehen  vermag. 

Gesetzt  aber,  die  Gebete  mit  den  alt-  und  neutestamentlichen  Rettungstypen  ließen 
sich  bereits  im  ersten  Jahrhundert  sicher  nachweisen,  so  wäre  damit  immer  noch  nicht 
bewiesen,  daß  sie  die  entsprechenden  Bildtypen  hervorgerufen  hätten.  Franz  Xaver 
Kraus  hat  das  Umgekehrte  als  durchaus  nicht  undenkbar  bezeichnet,  daß  nämlich  die 
populär  gewordenen  und  allgemein  verständlichen  Szenen  der  Bildnerei  gerade  wegen 
ihrer  Geläufigkeit  in  die  Liturgien  aufgenommen  wurden.  Wir  wollen  nicht  soweit 
gehen,  wollen  es  auch  dahingestellt  sein  lassen,  ob  es  wahrscheinlich  sei,  daß  gerade 
die  Sterbegebete  in  erster  Linie  die  Volksvorstellung  befruchteten,  deren  Niederschlag 
jetzt  in  den  Katakombenmalereien  als  einer  altchristlichen  Volkskunst  gesehen  wird. 
Einstweilen  werden  wir  bei  einer  zurückhaltenderen  Formel  stehen  bleiben:  Die  christ- 
lichen Vorstellungen  waren  vorhanden  auch  ohne  Sterbegebete  und  Katakomben- 
malereien, die  eher  beide  als  parallelgehende  Niederschläge  aus  eben  jenen  Vor- 
stellungen betrachtet  sein  wollen.1) 

Über  die  von  den  genannten  Gelehrten  versuchte  Ableitung  der  Bilder  aus 
gewissen  Gebeten  als  der  Quelle  ihrer  Idee  geht  nun  Wilpert  noch  wesentlich  hinaus, 
indem  er  die  Bilder  selbst  für  gemalte  Gebete  erklärt.  Die  Fürbitte  für  die  Ver- 
storbenen, sowie  der  Verstorbenen  für  die  Hinterbliebenen,  und  die  große  Rolle,  die 
sie  im  katholischen  Kultus  spielt,  hat  ihn  dazu  verführt,  das  Schema  der  „Oranten", 
wie  wir  hörten,  nicht  als  das  der  Anbetung,  sondern  der  Bitte  zu  erklären,  der  Für- 
bitte, weiter  aber  ganze  Reihen  von  Bildern  für  Bildergebete.  Die  meisten  Typen 
aus  dem  alten  Testament,  Daniel,  Noah  usf.,  bezeichnet  er  als  „Darstellungen,  welche 
die  Bitte  um  den  Beistand  Gottes  für  die  Seele  der  Verstorbenen  ausdrücken" 
(Malereien  Seite  332).     Diese  Auffassung  bestätigt  er  bei  einzelnen  Bildern:  Hiob  sei 


])  Karl  Michel,  Gebet  und  Bild  in  frühchristlicher  Zeit  (in  Joh.  Fickers  Studien  über 
christliche  Denkmäler  I)  1902.  Vgl.  Wilpert,  Malereien  145— 148.  —  Franz  Xaver  Kraus,  Gesch. 
d.  christl.  Kunst  I  1896,  71.  —  Zu  den  Beziehungen  zwischen  Kunst  und  Literatur  vgl.  noch 
Hennecke,   Altchristliche  Malerei  und  altchristliche  Literatur  1896. 


304  Syntax  der  figürlichen  Typen. 

in  der  Grabmalerei  ein  Ausdruck  der  Bitte  um  den  Beistand  Gottes  für  die  Seele  des 
Verstorbenen  (382).  Die  Susanna  zwischen  den  zwei  lüsternen  Alten  führe  uns  im 
Bilde  vor,  was  die  Bitte  besage:  Befreie,  o  Herr,  die  Seele  des  Verstorbenen  (413). 
Wieder  andere  Bilder  seien  Darstellungen ,  welche  die  Bitte  um  Zulassung  des  Ver- 
storbenen in  die  ewige  Seligkeit  ausdrückten  (417).  Er  geht  sogar  so  weit,  daß  er 
den  Malern  die  Absicht  zuschreibt,  „die  Besucher  der  unterirdischen  Grabstätten  zum 
Gebete  für  die  Verstorbenen  anzuleiten"   (334). 

In  gleicher  Weise,  als  bildlichen  Ausdruck  von  Bittgebeten,  erklärt  Wilpert 
weiterhin  die  zwischen  Seligen  („Heiligen")  stehenden  Oranten.  Solch  ein  Gemälde 
habe  „einen  großen  Wert;  denn  es  sei  eine.  Verbildlichung  der  uralten  Bitte  um  Anteil 
an  der  Gemeinschaft  der  Heiligen"  (464).  Aus  Grabschriften  des  vierten  Jahrhunderts 
bringt  er  eine  Reihe  Bitten  an  Heilige  um  Aufnahme  des  Verstorbenen  in  den  himm- 
lischen Frieden,  fährt  dann  aber  fort  „In  der  Malerei  der  Katakomben  fanden  jene 
Bitten  ihren  bildlichen  Ausdruck"  —  nun  gebe  man  acht  —  „oder  vielmehr  ihre 
Beantwortung  in  den  Darstellungen,  welche  den  Verstorbenen  zwischen Hei- 
ligen zeigen"  (465).  Mit  den  Worten  „oder  vielmehr  ihre  Beantwortung"  nimmt 
Wilpert  seine  ganze  Lehre  von  den  „Bildergebeten"  selbst  zurück;  er  muß  der  Wahr- 
heit die  Ehre  geben  und  anerkennen,  daß  eben  nicht  Bitten  gemalt  sind,  sondern 
„vielmehr  ihre  Beantwortung",  das  ist  ihre  Erfüllung.  Denn  gemalt  ist  ganz  einfach 
der  Verstorbene  zwischen  anderen  Seligen  im  Himmel,  gemalt  ist  „die  Gewißheit,  daß 
der  Verstorbene  der  Seligkeit  teilhaftig  geworden  ist",  das  sind  Wilperts  eigne  Worte 
an  andrer  Stelle  (431). 

In  den  Grabschriften  gehen  die  Hinterbliebenen  allerdings  den  Verstorbenen  um 
seine  Fürbitte  an,  „denn,  sagen  sie,  wir  wissen,  daß  du  bei  Christus  bist"  (quia  scimus 
te  in  Christo,  bei  Wilpert  211).  In  einem  andern  Epitaph  heißt  es  „er  war  begierig 
Gott  zu  schauen,  er  hat  ihn  zu  schauen  bekommen"  (Deum  videre  cupiens  vidit); 
daran  anschließend  sagt  Wilpert  „Was  die  Hinterbliebenen  hier  mit  solcher  Sicherheit 
aussprechen,  daß  der  Verstorbene  nämlich  zur  Anschauung  Gottes  gelangt  ist,  wird 
in  einigen  liturgischen  Gebeten  und  späteren  Inschriften  Gott  in  Form  einer  Bitte 
vorgetragen"  und  „die  cömeteriale  Kunst  brachte  diese  Bitte  zum  Ausdruck"  (421). 
Warum  geht  Wilpert  am  Nächstliegenden,  daß  die  Bilder  das  Schauen  Gottes  aus- 
sprechen, vorbei  und  folgt  den  liturgischen  Gebeten  und  späteren  Inschriften?  Auch 
hier  war  der  Wunsch  Vater  des  Gedankens,  der  Wunsch,  geltende  Dogmen  in  den 
Denkmälern  des  christlichen  Altertums  ausgedrückt  zu  sehen. 

Gott  zu  schauen,  das  war  der  Gedanke  des  antiken  Christen;  darum  stellen  ihn 
die  Gruftmalereien  anbetend  dar,  vor  dem  Angesicht  des  Herrn,  der  ihn  aus  dem  Tod 
erlöst,  wie  er  so  viele  schon  aus  allerlei  Not,  Todesnot,  erlöste,  und  der  ihn  in  das 
himmlische  Paradies  verbringt  zum  Gelage  des  himmlischen  Bräutigams. 

Das  ist  der  Gedanke  der  Katakombenmalereien. 


Verzeichnis  der  Illustrationen. 


Tafel   I     Vase  zwischen  Tauben,    nach   Wilpert 
Taf.  50 
Amor  und  Psyche.     Wilpert  Taf.  53. 
,     II     Oceanusgruft.     de  Eossi  II  Taf.  28. 
„   III     Deckenmalerei.     Wilpert  Taf.  25. 
„    IV     Selige     im     Paradies.       de    Rossi     III 
Taf.  1/2. 
Seite    1     Sokrates,  nach  Photographie. 

„       9     Juppiter.  v.Sybel,  Weltgeschichte  2  355. 
„     22     Philosoph.     Photographie. 
„     38     Piaton.     Arch.  Jahrbuch  1886  Taf.  6,  2. 
„     81     Eingang  d.Hypogäum  Lucinae.  deRossi 

I  Taf.  1. 

„  98  Fossor  hauend,  de  Rossi  II  Taf.  18,  3. 
„  99  Geologischer  Schnitt.  deRossi  I  Taf. 34. 
.115     Plan    d.  Hyp.    Lucinae.      de    Rossi    I 

Taf.  31/33,  3. 
„  116     Plan  d  Coem.  Callisti  area  I.     de  Rossi 

II  Taf.  53/54,  6. 

.  117     Plan    d.    Coem.  Callisti.      de  Rossi    II 

Taf.  53/54,  1. 
„  124    Arkosoltypen.     de  Rossi  II  Taf.  51/52, 

5.  6. 
„  130     Bischofsgruft,  Ruine,     v.  Sybel,   Welt- 
geschichte 445. 
„  131     Bischofsgruft,  Restitution,     de  Rossi  II 

Taf.  1A. 
.  133     Inschrift    des    Hesperos.      de   Rossi    I 

Taf.  18,  3. 
„  133     Inschrift    des    Cartilius.      de  Rossi    II 

Taf.  35/36,  14. 
„  133     Inschrift    des   Damasus,      de  Rossi    II 

Taf.  3,  1. 
„  140     Porträtkopf.     Photographie. 
„  154    Deckenmalerei.     Wilpert  Taf.  171. 
„155  „  Garrucci  II  Taf.  25. 

„  167     Adam  und  Eva.    Schultze,  San  Gennaro. 
„  169     Erot.     Wilpert  Taf.  5,  2. 
„  181     Stele  Peruzzi.    v.  Sybel,  Weltgesch.  129. 
.  190    Vibia  im   Seligenmabl.       Garrucci    VI 

Taf.  494,  3. 


Seite  198     Selige    aus   Kaliist   A3.     de  Rossi  II 

Taf.  16,  1. 
„     210    Arkosolbogen.     Wilpert  Taf.  169. 
„     214     Noah.     Garrucci  II  Taf.  27. 
„     216    Jonasszenen,     de  Rossi  II  Taf.  16,  3. 
„     220    Isaak.    Wilpert  Taf.  78^ 
„     225    Lazarus.     Garrucci  II  Taf.  9,  1. 
„     226     Gichtbrüchiger.    Garrucci  II  Taf.  45,3. 
„     227     Blinder.     Garrucci  II  Taf.  29,  3. 
„     227     Aussätziger.     Garrucci  II  Taf.  29,  4. 
„     229     Blutflüssige.      Garrucci  II  Taf.  38,  2. 
„     233     Samariterin.     Garrucci  II  Taf.  38,  3. 
„     234     Moses,     de  Rossi  II  Taf.  Bl. 
„     236     Jesus'  Taufe.     Wilpert  Taf.  29,  1. 
„     237     Taufe,     de  Rossi  II  Taf.  15. 
„     242     Der  gute  Hirt,     de  Rossi  III  Taf.  8,  2. 
„     243     Der  gute  Hirt,     de  Rossi  II  Taf.  20,  2. 
„     245     Orpheus,     de  Rossi  II  Taf.  18,  2. 
B     248     Epiphanie.     Wilpert  Taf.  22. 
„     250     Magier  vor  Christkind,     de  Rossi  III 

Taf.  8,  2. 
„     254    Arkosolbogen.     de  Rossi  II  Taf .  20, 1 . 
„     267     Eintritt    ins    Paradies.      Garrucci    II 

Taf.  59,  2. 
„     267     Orans  zwischen  Seligen. 

Taf.  59,  1. 
.     270     Seliger    vor    Christus. 

Taf.  83,  1. 
„     275     Christus    und    Apostel. 

Taf.  21,  2. 
„     277     Desgl.  unter  Weinlaube. 

148. 
.     282     Christuskopf  bärtig. 
_     282     Christuskopf  bärtig, 

II  Taf.  29,  5. 
„     283     Peter  u.  Paul,  Köpfe. 
„     286     Arkosolmalerei    bei 

III  Taf.  10,  2. 

„     297     Fossor  zeigend,     de  Rossi  II  Taf.  17,  3. 
„     308     Christuskopf  in  Kreuznimbus.  Wilpert 
Taf.  257. 


Garrucci  II 


Garrucci    II 


Garrucci    II 


Wilpert  Taf. 


Wilpert  Taf.  40,2. 
lockig.     Garrucci 

Wilpert  Taf.  179. 
Bosio.      de  Rossi 


Sybel,  Christliche  Antike  I. 


20 


Register. 

*  Abbildung. 


Abendmahl  238 
Adam  und  Eva  167* 
Adoration  257  262  272 

273 
Altertumswissenschaft 

18 
Ampliatus  106  177 
Anbetung  257  262 
Angler  236 
Anker  138 
Apokryphen ,    alttesta- 

mentliche  24 
— ,  neutestamentliche 

32 
Apostel  274  275 
Archäologie  11  18 
Aristokratismus  121 
Arkosol  123  124*    De- 
koration 287 
Atheismus  1  6  121  128 
Auferstehung  179 
Ausblicke  159 
Aussätziger  227*  228 

Bäckergruft  300. 

Bänke  und  Sessel  109 

ßarbarentracht  146  212 

Barttracht  150 

Baur,  Christian  31  192 

Baum  138  167  267 

Becher  231 

Begraben  und  Ver- 
brennen 102 

Begräbnisvereine  119 
121 

Begräbniswesen  120. 

Besessener  228. 

Bestattungsbrauch  41 

Beten  s.  Gebet 

Bibel  23. 

Bildergebete  303 

Bileam  249  298 


Bischofsgruft  107  117 
130*  131* 

Blindenheilung     226 
227*  228 

Blumenschmuck  169 

Blutflüssige  229* 

Böttcher  301 

Boldetti  83 

Bosio  83 

Brot  199  — brechen 
195  —-formen  200 
—  des  Lebens  233 
238  — lieferant  300 
— wunder  229 

Calliculae  150 
Campagna  di  Koma  98 
Cappella  greca  108  292 

Seligenmahl  202 
Catacumbas  83  93 
Chiton  146  149 
Chlamys  148 
Christentum    10   11   15 

16  134  135 
Christliche  Antike  9 
ChristologischerZyklus 

296 
Christus    und    Apostel 

275*  277* 
Christusbild  280  290 
Christus  bärtig  282* 

—  bärtiglockig  282* 
Christus  mit  Broten  233 

—  Gesetzgeber  276 
— kind  247  248*  290 
Christus    sitzend     274 

276 

—  stehend  274 
Ciacconio  83 
Cippus  174 
Cömeterienlisten  85 
Collegiafuneraticia  119 


Collegia  tenuiorum  119 
Columbarium  125 
Commendatio     animae 

302 
Compagus  150 
Crypta  113 
—  quadrata  177 

Dalmatika  147  148  149 
Damasus  129  130  132 
Daniel  211*  255* 
David  222 
Deckenmalerei  151 154* 

155*  258  291 
Delphin  170  175 
Demokratismus  121 
Depositionslisten  88 
de  Waal  84  302 
de  Winghe  83 
de     Eossi       84      143 

Michele  Stefano    98 

114 
Dogma  3  5  11 
Dogmatismus  6 
Dornenkrönung  268 
Dreizack  175 
Durchblicke  158  159 

Eden  160 
Einzelfiguren  297 
Elias  222 
Embleme  168 
Emerentianagruft  109 
Engel  222  252  290 
Epigraphik  37 
Epileptischer       Knabe 

228 
Epiphanie     250     286* 

290 
Erntebilder  177 
Erot  169*  179    Eroten 

175 


Ethik  4 
Eucharistische     Bilder 

238 
Evangelisten  278 

Fachgrab  126 
Fachgräberdekoration 

289 
Familien  260  286* 
Felicissimus  und  Aga- 

pitus  131 
Ficker,  Joh.  302 
Filocalus  129 
Fisch  138  199 

—  und  Brotkorb  232 
Fischer  236 
Flußgott  223 
Forschen  1 
Forschungspflicht  2 
Fossor    98*    102    297* 

299 
Frontmalereien  289 
Frontstellung  145  280 
Fürbitte  137  263  264 
Fußbekleidung  150 

Galerien  113 
Gazellen  174 
Gebet   41  215  256  257 

Bildergebete  303 
Gelage  am  Boden   183 

189  194 

—  im  Jenseits  192 

—  der  Toten  109 
Gemüsehändlerin  301 
Geologischer      Schnitt 

99* 
Gericht  269  272 
Gichtbrüchiger  226*  293 
Girlanden  169 
Glauben  1  4  8  11  16 
Gottesreich  13 


Register. 


307 


Gottheit  5  Christi  142 
Grab  Christi  102107120 
— kammer  103 
— Schriften  132  133* 
Grottengrab  103 105 107 

Haartracht  151 
Hadestür  299 
Hände  symbolisch  258 
Halbkreis  279 
Handbücher  19 
Heilige  148 
Heiligenschein  151 
Hellenentum  15 
Heroon  82 
Heros  128 
Himation  147  149 
Himmel  77 
Himmelfahrt  222 
Himmelsleiter  265 
Hiob  219 
Hirsch  173  175 
Hirt,  guter  138  175  211* 

240  242*  243*  286* 
Hirtentypus  243 
Hochzeit  zu  Kana  230 
Hochzeitsmahl  196 
Hohelied  26  177 
Hören  179 
Humanität  13 
Hypogäum  82 

Idyllisches  174 

Ikonographisches  280 

Imperialismus  12 

Imperium  2  18 

Inschriften  37 

Isaak  220* 

Israelitische  Fragmen- 
tensammlung 28 
Literatur  23. 

Jahreszeiten  177 
Jairustochter  225 
Januariusgruft  106 
Jenseitsvorstellungen 

15  38 
Jesaias  249  298 
Jonas  216*  255*  286* 
Joseph  249 
Jünglinge    vor    Nebu- 

kadnezar  213  286* 
—  im  Ofen  211*  212 
Jungfrauen,  fünf  209 
— ,  gottgeweihte  290 
Julian,  Büste  151 


Kaliistkatakombe   115 
— ,  Plan  116*  117* 
Kammergrab  103 
Kammern,  Dekoration 

291 
Kana  230 
Kanapee  189 
Kanephoren  176 
Katakomben  81  Bau  98 

—  als    Gemeindefried- 
höfe 119  121 

— kirchen  111 

—  suburbicarische  95 

—  System  114 
— topographie  85 
— Verzeichnis  90 
Kaufmann,  David  302 
Kausalität  7  8 
Kinder  gesegnet  228 
Kleidung ,     kirchliche 

148 
Kline  187 
Könige,  drei  251 
Köpfe  176 
Körbe  231 
Koimeterion  81 
Konfessionalismus     an 

Universitäten  3 
Konsekration  290 
Kontabulation  148 
Kraus,  Fr.  X.  20112  303 
Kreuz  138 
Kreuznimbus    151    283 

308* 
Krieger  300 
Kritik  23  31 
Krummstab  244 
Kunst,  Christentum  und 

100 

Ijacerna  148. 
Lamm  Gottes  175. 
Landschaften  174. 
Lauben  178 
Laubschmuck  169 
Lazarus  225  225* 
Le  Blant  302 
Liber  pontificalis  88 
Liell  302 

Literatur,  christliche  30 
Literaturgeschichte,  is- 
raelitische 28 
Loculus  126 
Logik  1  7  8 
Lora  150 


Lucina,  Hypogäum  81* 

114  115* 
Luminarien  102. 

Macarius  83 

Madonna  261 

Märtyrer  263  273 

— akten  34 

— kapellen  129  131 

— kult  127 

— Visionen  79 

Magier  249  286*  und 
Stern  251 

Mahl  77  der  Seligen 
196  christlich  190 
himmlisches  197  mes- 
sianisches  191193195 

Mahlbilder  198 

Mahlschemata  182 

Maler  unter  geistlicher 
Leitung  301 

Maltechnik  143 

Mannaregen  222  235 

Maria  260  Marienkult 
253 

Marchi  84 

Martyrologium  Hiero- 
nymianum  89 

Mau,  August  143  158 

Melkeimer  174  244 

Michel,  Karl  302 

Monismus  6 

Monogramm  Christi  137 

Monotheismus  13  18 

Moses  und  Aaron  269 

Moses  Schuhe  aus- 
ziehend 254 

Moses'  Quellwunder  222 
233  238 

Mythen  192  224 

Mythologie  11 

Mythus  11  223 

Nacktheit  211 

Nain,  Jüngling  zu  225 

Neapel ,     Katakomben, 

Plafonds  153 
Nike  153 
Nimbus     151    209    212 

222  251 
Noah  213  214* 

Ochs  und  Esel  251 
Okeanosgruft  107  117 
Okeanoskopf  173 
< kanten  138  255* 
—  weibliche  262 


Oranten  Seelen  260 
Ornamente  168 
—  an  Kleidern  150 
Orpheus  245* 

Paenula  148 

Palla  149 

Pallium  147  148 

Palmzweig  138 

Paludamentum  148 

Panvinio  83 

Papa  129 

Papstbuch  88 

Paradies  77  159  161 

Paralytische  226 

Parks  160 

— ,  Verzeichnis  antiker 
162 

Parkmalereien       165 
christlich  166 

Parkgitter  169 

Parusie  15  76  78 

Passionskrypta  292 

Patrologie  33 

Paulus  283*  283 

Petri  Verleugnung  274 

Petrus  282*  283 

Pfau  170  171   175 

Phainoles  148 

Phantasie  5 

Phenoles  148 

Philokalos  129 

Pilgerbücher  86 

Piaton  11  16  39*  43  58 
63  68,  1   191  272 

Polytheismus  12  191 

Pomponius  Laetus  83 

Porträts  181  259  284 

Prophet  249  298 

Prophetischer     Israeli- 
tismus 13 

Psyche  176  179 

Putten  175 

Quellen,  literarische  22 
Quellwunder222233238 
Quintiagruft  205 

Ranken  170 

Reaktion  43 

Reform  42 

Refrigerium  173 

Religion  3  4 

Reliquien ,      Übertra- 
gungen 128 

de  Rossi  84  143  Michele 
Stefano  98  114 
20* 


308 


Kegister. 


Saguni  148 

Sakramente  238  293 

Sakramentskapellen  117 
293 

Seligenmahle  203 

Samariterin  am  Brun- 
nen 232 

Sanctos,  ad  (retro)  132 
136 

Sandale  150 

Sarkophag  123 

Schaf  138  174  175 

Schalen  169 

Schiebgrab  126 

Schiff  im  Sturm  296 

Schiffer  301 

Schleier  149  290 

Schmucksachen  150 

Schriftrolle  275  — be- 
hälter  275 

Schuh  150 

Schultze,  Viktor  301 

Schurz  146 

Seedrache  170 

Seelengericht  269 

Seestier  170 

Segmenta  150 

Selige  290  in  der  Him- 
melstür 266  267* 
kniend  vor  Christus 
272  273  im  Paradies 
begrüßt  266  267* 


Seligenmahl    187   190* 

197  198* 
Seligkeit  8  15 
Sentimentalität       176 

177 
Septuaginta  24  27 
Severano  83 
Sigma  189  200 
Sinnbilder  138 
Skrinium  275 
Sokrates   1*  16  58  100 
Sonnengott  176  222 
Spitzenhaube  149 
Steinmann  302 
Sterbegebete  302  303 
Sterbekassen  119 
Stern  248  249  298 
Stibadium  189 
Stilentwicklung  144 
Stola  149 
Strauß,  David  Friedrich 

192 
Sündenfall  167 
Susanna  268  269  298 
Symmetrie  144 
Synkretismus  12 
Syntax  285 
Synthesis  149 

Tabula    der    Chlamys 

150 
Talar  147 


Taube  138  170  171  175 

—  mjt  Ölzweig  213 
Taufe  285 

—  des  Jesus  236* 
Taufritus  237* 
Tendenzkritik  31 
Terra  179 
Testament,  Einleitung 

ins  alte  24  ins  neue 

30 
Tierköpfe  176 
Tigris  176 
Tobias  222 
Toga  147  148 
Totengericht  270 
— kultus  41 
Tracht  146 
Trikliniarch  206  208 
Triklinium  189 
Tübinger      historische 

Schule  31 
Tunika  146  149 

—  angusticlavia  150 

Universalismus  12  14 
Universitäten  3 
Urglaube  3  43  74 

Vasen  169 
Verkündigung  252 
Verspottung     Christi 
268 


Verstorbene  zwischen 
Seligen  vor  Christus 
270*  271 

Vertrauen  4  7  296 

Viktoria  153  209 

Vibiagruft,  Bilderzyk- 
lus 292  Gericht  270 
Seligenmahl  201 

Viktualienhändler   301 

Vincentiusgruft  201 

Virgula  divina  239 

Vögel  170 

de  Waal  84  302 
Wagenlenker  300 
Wandmalerei  291 
Wandsäulen  156 
Wandverzierung  156 
Wasser  des  Lebens  233 
Weinlese  177  178  179 
Weinwunder  231 
Weltanschauung  14  7 
Weltreligion    12  18  74 
Wilpert  85  141  143  146 

149  303 
de  Winghe  83 
Winzer  301 
Wünschelrute  239 

Zauberstab  239 
Zeigende  249 
Zeitschriften  19 


Bärtiger  Christuskopf. 
Coem.  Pontiani. 


v.  Sybel,  Christliche  Antike  I. 


Tafel  IL 


Cubiculum  Oceani.    Coemeterium  Callisti. 


v.  Sybcl,  Christliche  Antike  1. 


Tafel  III 


Deckenmalerei.     Hypogaeum  Lucinae. 


v.  Sybel,  Christliche  Antike  I. 


Tafel  IV 


*& 


\&*  ^ 


PvJ 


Fünf  Selige  im   Paradies.     Coemeterium   Callisti. 

Die  zwei  kleinen  Fachgräber  sind  nachträglich  eingehalten. 


Der  Gute  Hirt.     Rom,  LateraD. 


CHRISTLICHE  ANTIKE 


EINFÜHRUNG  IN  DIE  ALTCHRISTLICHE  KUNST 


VON 


LUDWIG  VON  SYBEL 


ZWEITER  BAND 


PLASTIK  *   ARCHITEKTUR  UND  MALEREI 


MIT  TITELBILD,  DREI  FARBTAFELN  UND  99  TEXTBILDERN 


-ofca^M^O- 


MARBURG 

N.  G.  ELWERT'SCHE  VERLAGSBUCHHANDLUNG 

1909 


Alle  Rechte  vorbehalten. 


Die  Verlagsbuchhandlung. 


Vorwort. 

Wohl!    Die  Massen  sind  in  Fluß. 

Der  erste  Band  dieses  Werkes  hat  viele  Besprechungen  gefunden.  Vorweg  ge- 
denke ich  der  klugen  und  schönen  Worte  des  nun  heimgegangenen  Carl  Aldenhoven 
im  letzten  Hefte  der  „Nation".  Ich  nenne  weiter  Julius  Ziehen  in  der  Wochenschr. 
für  klass.  Philologie,  Max  Maas  im  Literaturblatt  der  Frankfurter  Zeitung;  H. 
J.  Holtzmann  in  der  Deutschen  Literaturzeitung,  Viktor  Schultze  in  Hölschers 
Theol.  Literaturblatt,  A.  Hasenclever  in  den  Prot.  Monatsheften,  Edgar  Hennecke  in 
Schürers  Theol.  Literaturzeitung,  H.  Bergner  in  der  Zeitschrift  für  bildende  Kunst, 
den  Anonymus  des  Lit.  Zentralblattes;  ferner  Paul  Monceaux  im  Journal  des  savants, 
Paul  Lejay  in  der  Revue  critique,  Seb.  Ronzevalle  S.  J.  im  Maschriq,  H.  Stuart 
Jones  im  Journal  of  theol.  studies,  Josef  Sjöholm  in  Staves  Bibelforskaren. 

Es  ist  verstanden  worden,  daß  meine  „Christliche  Antike"  die  Bearbeitung  der 
altchristlichen  Kunst  zu  einer  Aufgabe  der  Altertumswissenschaft  gemacht  wissen  will, 
sich  daher  an  die  klassischen  Philologen  und  Archäologen  wendet.  Deshalb  die  Nach- 
weise zur  alt-  und  neutestamentlichen  Literatur,  nicht  zur  klassischen;  deshalb,  da  die 
gesamte  altchristliche  Kunst  nun  einmal  Jenseitskunst  war,  die  Vorführung  der  christ- 
lichen Jenseitsgedanken  in  dem  religionsgeschichtlichen  Zusammenhang,  in  den  sie  ge- 
hören, dies  nicht  bloß  mit  ihren  Einzelheiten,  sondern  mit  ihrer  Wurzel;  deshalb  auch 
die  Erklärung  der  Paradiesesvorstellungen  und  Paradiesesbilder  aus  den  Parks  und 
Parkbildern  der  Alten,  wie  der  Seligenmahle  aus  den  Gelagen  im  Grünen.  Treffend 
sagten  Erneste  Babelon  in  der  Acade'mie  des  inscriptions  und  Hipp.  Delehaye  in  den 
Anal.  Bolland.,  mein  Bestreben  gehe  dahin,  die  altchristliche  Kunst  mit  der  klassischen 
zu  verbinden.  Ein  Hauptwert  des  Begriffs  Christliche  Antike  scheint  mir  in  diesem 
zu  bestehen:  während  die  hergebrachte  Ableitungsmethode  immer  in  die  Spitze  aus- 
zulaufen drohte,  der  altchristlichen  Kunst  jeden  Eigenwert  abzusprechen,  so  ermöglicht 
der  neue  Begriff,  ihre  Schöpferkraft,  soweit  sie  deren  besaß,  unbefangen  anzuerkennen. 
War  die  altchristliche  Kunst  selbst  Antike,  so  hat  eine  Auseinandersetzung  zwischen 
ihr  und  der  Antike  keinen  Sinn  mehr. 

Die  Besprechung  des  Kunsthistorikers  in  der  Beilage  zur  Münchner  Allg. 
Zeitung  gibt  mir  nichts,  deshalb  weil  sie  im  Grunde  nicht  von  dem  Buche  redet,  das 
ich  geschrieben  habe,  sondern  von  dem  anderen  Buche,  an  dem  er  selbst  schafft.  Die 
Historische  Zeitschrift  hat  sich  leider  zum  Sprachrohr  des  Dogmatismus  gebrauchen 
lassen.  Die  konfessionelle  Berichterstattung  weiß  zu  reden  und  weiß  zu  schweigen ;  selbst 
die  Marucchi,  de  Waal,  Leclercq,  Schermann  (auch  Stuhlfauth  in  der  „Christ- 
lichen Welt")  verschweigen  ihren  Lesern  das  Wesentliche,  die  Auseinandersetzung  mit 
Wilpert.     Diese  betreffend  nehme  ich  gern  Akt    von  Delehayes    und  Ronzevalles  An- 


IV  Vorwort. 

erkennung,  daß  sie  sich  in  den  Grenzen  der  Billigkeit  und  Höflichkeit  halte.  Und 
während  die  Germania  das  Buch  wegen  seiner  Haeresien  auf  ihren  privaten  Index 
librorum  prohibitorum  setzt,  hat  der  dem  Buche  mit  besserem  Verständnis  gegenüber- 
stehende Ronzevalle  sich  begnügt,  die  Leser  vor  der  falschen  Philosophie  zu  warnen. 
Wenn  er  dann  die  Hoffnung  ausspricht,  der  zweite  Band  werde  alles  vermeiden,  was 
die  Empfindungen  frommer  Katholiken  verletzen  könne,  so  denke  ich,  nur  kranker 
Glaube  ist  empfindlich,  ein  gesunder  wie  derjenige  des  verehrten  Kollegen  verträgt 
eine  historische  Studie  über  unser  Altertum;  wir  sind  doch  —  trotz  allem  Trennenden 
—  unter  uns  Christen? 

Alle  meine  Rezensenten  bewahren  Haltung,  nur  einer  läßt  sich  gehen,  Joseph 
Sauer,  in  der  Deutschen  Literaturzeitung.  Dem  Begriff  Christliche  Antike,  der 
geschichtlichen  Erfassung  des  Christentums,  hält  er  den  Schild  des  Glaubens  entgegen: 
„Für  uns  und  jeden  überzeugten  Christen  ist  das  Christentum  seinem  Ursprung,  Wesen 
und  Ziel  nach  etwas  schlechthin  Absolutes."  Wider  das  Glauben  ist  nicht  zu  streiten. 
Nur  einen  Vorschlag  zur  Güte:  in  den  Gemeinden,  wenn  sie  es  so  wollen,  und  in  der 
Deutschen  Literaturzeitung,  solange  ihre  Leser  sich's  bieten  lassen,  gelte  das  Dogma, 
das  Fürwahrhalten  um  jeden  Preis,  in  der  Wissenschaft  dagegen  die  Forschung  ohne 
Vorbehalt.     Das  wäre  eine  reinliche  Scheidung. 

Wenn  im  zwanzigsten  Jahrhundert  in  wissenschaftlichen  Organen  der  Dogmatismus 
das  große  Wort  führen  darf,  so  war  meine  erste  Einleitung  am  Platze,  die  über  Glauben 
und  Forschen,  so  war  es  am  Platze,  eine  nicht  dogmatisch  interessierte  Forschung  zu 
fordern.  Eine  solche  Forderung  in  Frankreich  erheben,  so  bekommen  wir  im  Journal 
des  savants  zu  hören,  hieße  offene  Türen  einrennen,  anders  in  Deutschland,  wo  die 
klassischen  Philologen,  Archäologen  und  Historiker  die  frühchristliche  Welt  fast  völlig 
vernachlässigten  und  wo  die  christliche  Archäologie  das  Monopol  der  Theologen  blieb. 
Nun  aber  meinen  einige  Gelehrte  meinem  Streben  nach  einer  dem  Streite  der  Welt- 
anschauungen entrückten  Position  noch  obendrein  Steine  in  den  Weg  legen  zu  sollen, 
mit  dem  Einwand,  mein  Standpunkt  sei  selbst  Weltanschauung.  Aber  das  ist  nur  ein 
Wortstreit;  sie  gebrauchen  das  Wort  Weltanschauung  in  einem  weiteren,  wie  mir  vor- 
kommt laxeren  Sinne  als  ich.  Weltanschauung  ist  die  Vorstellung,  die  man  sich 
vom  Weltganzen  und  der  in  ihm  wirkenden  Kraft  macht;  wohl  ist  es  Aufgabe  des 
denkenden  Menschen,  an  der  Weltanschauung  zu  bauen,  nicht  aber,  eine  Weltanschauung 
zu  haben  und  zu  behaupten.  Der  Grundsatz  aber,  nach  dem  einer  sein  wissenschaft- 
liches wie  sein  übriges  Leben  gestaltet,  ist  nicht  Weltanschauung,  er  besteht  unabhängig 
von  den  streitenden  Weltanschauungen,  wie  vom  Theismus,  so  vom  Atheismus.  Als  sich 
ausschließende  Gegensätze  erscheinen  diese  nur  dem  Dogmatismus;  für  die  Wissenschaft 
sind  sie  gleichwertige  heuristische  Hypothesen,  die,  weil  alle  beschränkt,  alle  neben- 
einander bestehen,  die  theistische  wie  die  atheistische,  die  dualistische,  die  monistische, 
und  wie  sie  sonst  heißen  mögen.  Der  Mensch,  der  die  Hypothesen  denkt,  ist  Herr 
ihrer  aller  und  bedient  sich  hier  der  einen,  dort  der  andern  nach  der  Art  des  jeweils  ihn 
beschäftigenden  Problems.     Und  so  ist  er  unabhängig  von  der  Weltanschauung. 


Gemäß  dem  Zwecke  dieses  Buches,  den  klassischen  Philologen  und  Archäologen  die 
Denkmäler  der  christlichen  Antike  einigermaßen  gesichtet  an  die  Hand  zu  geben,  notwendig 
nach  Kunstgattungen  geordnet,  behandelte  der  erste  Band  die  verhältnismäßig  früheste 


Vorwort.  V 

Monumentenklasse,  die  Katakomben;  da  ihre  Chronologie  bis  auf  weiteres  feststeht,  so 
konnte  alle  Mühe  auf  die  Interpretation  gewandt  werden  —  wer  auf  einem  neuen 
Gebiet  Fuß  fassen  will,  muß  zuerst  wissen,  worum  es  sich  da  handelt.  Im  zweiten 
Band  tritt,  neben  dem  Gesichtspunkt  der  christlichen  Antike,  das  chronologische  Problem 
in  den  Vordergrund;  solange  die  Chronologie  der  Denkmäler  nicht  geordnet  ist,  schweben 
Typik  und  Kunstgeschichte  in  der  Luft,  von  jedem  Windhauch  hin  und  her  geweht. 
Die  Denkmälergruppen  bespreche  ich  in  der  Reihenfolge,  in  der  sie  auftreten,  Skulptur, 
Architektur,  Mosaiken.  Eingehender  wurde  die  Skulptur  behandelt,  weil  sie,  zugleich 
am  leichtesten  zugänglich,  den  Archäologen  am  nächsten  liegt;  sie  werden  eben  des- 
halb hier  am  ersten  Hand  anlegen. 

Um  die  Versuche  des  Textes  zur  Chronologie  der  Sarkophage  und  der  Elfen- 
beinwerke zusammenhängend  vor  Augen  zu  stellen,  wurden  die  Abbildungen  diesmal 
am  Schlüsse  des  Bandes  vereinigt.  Abb.  18  (Bassussarg)  mußte  nach  Garrucci  ge- 
geben werden,  wegen  der  Fälschung  des  Originals;  ebenso  Abb.  31,  weil  die  ungünstige 
Aufstellung  im  Louvre  den  Versuch  einer  Aufnahme  vereitelte.  Die  gallischen  Sarko- 
phage sind  teils  nach  Photographie,  teils  nach  Le  Blant  wiedergegeben,  das  Curtius- 
relief  nach  E.  Strong,  Abb.  13  nach  Wittig,  25  nach  Strzygowski,  64  nach  Molinier, 
81  nach  Konrad  Lange. 

Vielfachen  Dank  habe  ich  abzutragen,  Herrn  Dr.  Carl  Jacobsen  für  die  mir 
übersandte  Photographie  zu  Abb.  6;  Geheime  Archivrat  Koennecke  in  Marburg  und 
Oberlehrer  Miehe  in  Halberstadt  für  die  Vermittlung  der  Photographien  zu  Abb.  68; 
Walter  Altmann  für  die  Mühen,  denen  er  sich  bei  Beaufsichtigung  zahlreicher  Neu- 
aufnahmen in  Rom  freundwilligst  unterzogen  hat;  dem  all  verehrten  Rektor  des  Deutschen 
Campo  santo  zu  Rom,  Monsignore  de  Waal,  für  liebenswürdigste  Förderung  meiner 
römischen  Studien;  den  wechselnden  Vorständen  des  hiesigen  Christlich-archäo- 
logischen Apparates  für  die  seit  Jahren  mir  gewährte  Erlaubnis,  ihn  unbeschränkt 
zu  benutzen;  der  Verlagsbuchhandlung  für  ihr  jederzeit  freundliches  Entgegen- 
kommen. 


Marburg,  den  3.  Oktober  1909. 

Ludwig  v.  Sybel. 


Inhalt. 


Seite 

Einleitung 1 

Orient  und  Hellas 1 

Hellas,  Rom  und  der  Orient 17 

PLASTIK. 

Skulptur 35 

Tektonik  der  Sarkophage 43 

Die  wannenförmigen  Sarkophage 45 

Die  kastenförmigen  Sarkophage 47 

Die  Pfeiler-  und  Säulensarkophage      .    .         50 

Architekturen,  Baumgänge,  Palmbäume,  Weinstöcke 62 

Sarkophage  mit  nur  figürlichem  Schmuck 68 

Schmalseiten,  Rückseiten,  Deckel 70 

Typik  der  Sarkophagbilder 75 

Die  Seligen  (Verstorbene.    Adoranten.    Hippolytos-  und  Petrusstatuen.    Seligenmabi)    .  77 
Andere   übernommene   Typen   (Verschiedenes.    Ernte.     Jagd.     Fischer.    Hirten;    Guter 

Hirt;  Orpheus) 95 

Alttestamentliche  Typen  (Daniel.    Drei  Jünglinge.    Noah.    Jonas.    Hiob.    Isaak.    David. 

Elias.    Moses) 107 

Sondergruppe    (Adam    und   Eva.     Zuweisung.     Kain   und   Abel.     Schöpfung   der    Eva. 

Totenbelebung) 124 

Evangelische  Erlösungstypen  (Totenerweckungen.    Heilungen.    Erlösungsmittel) ....  129 
Der  Erlöser  (Kindheit.    Taufe.    Einzug.    Motive  aus  der  Passion.    Paulus;  Petrus.    Der 

erhöhte  Christus) 135 

Ikonographisches  (Christus.    Apostel) 158 

Syntax  der  figürlichen  Typen 160 

Zur  Stilkritik  und  Chronologie  der  christlichen  Sarkophage 165 

Italien  (außer  Ravenna) 165 

Ravenna 196 

Gallien 207 

Spanien 219 

Nordafrika 220 

Ägypten.    Syrien 222 

Bildwerke  aus  besonderen  Materialien 225 

Porphyr 225 

Elfenbein  und  Knochen  (Diptychen.    Kästchen.    Stühle.    Pyxiden.    Chronologie)  .    .    .  228 

Holz  (Türen  und  anderes  Schnitzwerk) 257 

Gemmen 259 

Plastik 260 

Metall  (Bronze.    Silber.    Blei) 260 

Terrakotta 263 


VIII  Inhalt. 

ARCHITEKTUR  UND  MALEREI. 

Seite 

Architektur 267 

Der  Gemeindesaal 268 

Die  Saalkirche 273 

Die  Basilika 278 

Wölbkirchen 306 

Zur  Formenlehre  der  spätantiken  Architektur 317 

Geographische  Übersicht  der  Kirchengebäude 320 

Malerei 324 

Wandmalerei  (Katakomben.    Hausmalerei.    El-Bagauat) 325 

Mosaik  (Mosaiken.    Goldgläser) 327 

Miniatur 333 

Register 338 


Berichtigungen  und  Nachträge. 

Zu  S.  12  Z.  4  von  unten,  Problem  des  jonischen  Kapitells:  Karo,  Arch.  Anz.  1909,  99  kre- 
tische Volutenkapitelle. 

Seite    32  Anm.,  Zeile  5  lies:  meine  Satteltaschen  zu  packen  zum  Ausritt. 

„      36  Z.  2.  Die  Hoffnung  ist  durch  August  Mau's  Ableben  in  die  Ferne  gerückt;   doch 

vertrauen  wir  auf  die  Fürsorge  des  Instituts. 
„      58  Z.  7  lies:   Acanthus  spinosa. 

Zu  S.  119  und  149  „ Quellwunder ■  und  „Moses'  Bedrängung",  sowie  zu  S.  147  „Verhaftung 
des  Petrus"  vgl.  Erich  Becker,  Das  Quellwunder  des  Moses  in  der  altchrist- 
lichen Kunst,  Erlanger  Inauguraldissertation  1909  (vollständig  in  Heitz'  Zur  Kunst- 
geschichte des  Auslandes  Heft  72).  Die  von  Nik.  Müller  angeregte,  vom  Verf. 
freundlichst  mir  gesandte  Abhandlung  erreichte  mich  leider  zu  spät,  um  sie  noch 
verwerten  zu  können.  Becker  erkennt  im  „  Quellwunder u  eine  Darstellung  des 
Befrigeriums,  in  „Petrus'  Verhaftung"  die  Verleugnung  Lk.  22,  58.  Joh.  18,  25.  26. 
Auch  wollen  seine  Bemerkungen  zur  Virgula  divina  beachtet  sein. 

Seite  122  Z.  12  lies:  di  Cristo. 

„     134  Z.  25  lies:  neben  einer  Speisensegnung. 

Zu  229,  1  und  243  Zeile  27:  B.  Kanzler,  Collezione  artistiche,  archeologice  ecc.  dei  Pa- 
lazzi  Pontifici,  I  Gli  avori  dei  Musei  profano  e  sacro  della  Biblioteca  vaticana. 

Zu  S.  276,  1 :  Die  heidnische  Saalkirche  der  syrischen  Götter  auf  dem  Janiculum,  mit  Apsis, 
Narthex,  Vorhof  usw.,  Gauckler,  Mel.  d'arch.  et  d'hist.  1908,  283.  Nicole  et  Darier, 
Le  sanctuaire  des  dieux  orientaux  au  Janicule,  Borne  1909.  Delbrück,  Arch.  Anz 
1909,  129  Abb.  2. 

Zu  S.  284,  1 :  Arch.  Anz.  1909,  88.  In  Milet  fand  sich  ein  Tempel  des  Serapis  und  der  Isis 
„in  Form  einer  altchristlichen  Basilika",  mit  zwei  Reihen  monolither  glatter  Schäfte. 

Seite  292  Z.  2  von  unten  lies:  v.  Schneider. 

Zu  S.  317  Z.  3  Theodorichs  Grabmal:  Arch.  Anz.  1909,  127  Abb.  1. 

Zu  S.  323  unten  Nordländer:  Joh.  Ficker,  Altchr.  Denkmäler  u.  Anfänge  des  Christen- 
tums im  Eheingebiet  1909. 

Zu  S.  325  Eömische  Katakomben:  Marucchi,  Roma  sotteranea  cristiana.  N.  S.,  I  Cimitero 
di  Domitilla,  Fase.  1°  Vestibolo  dei  Flavi  erscheint  eben. 

Zu  334,  1:  Engelhardt,  Die  Illustrationen  der  Terenzhandschrif ten ,  Jenaer  Inaugural- 
Dissertation  1905.  Engelhardt  vergleicht  die  Terenzillustrationen  mit  Mosaikbildern 
und  datiert  sie  danach  um  500. 

Zu  336,  1  Rossanensis:  E.  Maaß,  Analecta  sacra  et  profana,  Marburger  akad.  Programm 
1901,  16. 


Sarkophag,  gefunden  in  der  Katakombe  von  San  Callisto,  Rom. 


Einleitung. 


Wir  haben  gesagt,  die  altchristliche  Kunst  sei  Antike  und  sie  mache  das  letzte 
Kapitel  aus  von  der  Kunstgeschichte  des  Altertums.  Auf  den  Ausgang  der  Antike 
nun  bezieht  sich  die  Frage,  der  diese  Einleitung  gilt:  wie  waren  Hellas,  Rom  und 
der  Orient  an  der  Spätantike  beteiligt?  Den  genauen  Anteil  eines  jeden  dieser  drei 
Faktoren  schon  jetzt  zu  bestimmen  maßt  sich  unsere  Einleitung  nicht  an;  es  kann  sich 
nur  um  vorbereitende  Schritte  handeln. 

Man  kann  den  Ausgang  der  Antike  nicht  verstehen,  ohne  die  ganze  voraus- 
gegangene Entwicklung  zu  überschauen.  Deshalb  müssen  wir  weit  ausholen  und  bis 
auf  die  vorklassischen  Zeiten  zurückgreifen;  nicht  um  die  Kunstgeschichte  des  Alter- 
tums zu  erzählen,  sondern  bloß  um  die  internationalen  Beziehungen  kurz  ins  Gedächtnis 
zurückzurufen,  zunächst  die  zwischen  Orient  und  Hellas,  danach  kommt  Rom  in  Frage, 
und  zuletzt  wieder  der  Orient1). 


Orient  und  Hellas. 

Den  Zugang  zum  Verständnis  der  internationalen  Beziehungen  auf  dem  Gebiete 
der  Kunst  des  Altertums,  zunächst  in  der  vorklassischen  Kunst,  erschloß  ich  mir  ein- 
mal durch  die  Kritik  von  Schliemanns  „Trojanischen  Altertümern",  die  ich  unter  den 
ersten  als  Denkmäler  nicht  des  von  Schliemann  gesuchten  homerischen  Troja,  sondern 
einer  Primitivkultur  erklärte;  sodann  durch  die  Kritik  des  ägyptischen  Orna- 
ments. Eine  Wahrnehmung  an  den  in  langer  Reihe  vorliegenden  altägyptischen 
Deckenmalereien  regte  zu  Beobachtungen  an,  die  sich  auf  das  Gesamtgebiet  der  alt- 
ägyptischen Ornamentik  erstreckten  und  dazu  dienten,  eine  kunstgeschichtliche  Hypothese 
der  Feuerprobe  des  historischen  Experimentes  (welches  ein  anderes  ist  als  das  der 
Naturforscher)    zu    unterwerfen.     Meine,    durch    planmäßig    verfolgte  Beobachtung  be- 


*)  Dabei  darf  ich  mich  auf  meinen  Grundriß  beziehen  (Weltgeschichte  der  Kunst  bis  zur 
Erbauung  der  Sophienkirche,  Marburg  1888;  zweite  Auflage  u.  d.  T.  Weltgesch.  der  Kunst  im 
Altertum  1903). 


Sybel,  Christliche  Antike  II. 


2  Einleitung. 

stätigte  Wahrnehmung  ging  dahin,  daß  die  Ornamentik  des  Neuen  Reichs  ein  wesentlich 
anderes  Gesicht  zeige,  als  die  frühere,  besonders  als  die  des  Alten  Reichs.  Die  Wandlung 
erschien  so  tiefgreifend,  daß  sie  nicht  wohl  als  bloßer  innerer  Entwicklungsprozeß  ver- 
standen werden  konnte;  es  mußten  äußere  Umstände,  fremde  Einflüsse  im  Spiele  sein. 
In  der  Weltgesch.  charakterisierte  ich  das  zweite  Jahrtausend  als  die  erste 
Epoche  intensiveren  Weltverkehrs.  Hier  nun  standen  Ägypten  und  Vorderasien  im 
Vordergrunde,  dazu  aber  trat,  dank  Schliemanns  weiteren  Forschungen  und  seiner 
Mitarbeiter  und  Nachfolger  emsigem  Spüren,  das  Ländergebiet  des  Ägäischen  Meeres. 
Einzelne  Kunsthistoriker  schreiben  die  ägäische  Kunst  ohne  weiteres  dem  Orient  gut. 
So  aber,  und  so  einfach,  liegt  die  Sache  nicht;  bei  allem  internationalen  Austausch 
tritt  die  kretisch-mykenische  Kunst  uns  als  besonders  originell  entgegen.  Bei  der 
Frage  nach  internationalem  Austausch  wollen  demnach  die  genannten  drei  Gebiete 
berücksichtigt  sein. 

Die  Annahme  fremder  Einflüsse  auf  die  Ornamentik  des  neuen  Reichs,  vielleicht 
auf  seine  ganze  Kunst,  war  die  Haupthypothese,  die  nun  freilich  noch  eine  Frage  offen 
ließ,  nämlich  von  welchem  Lande  her  diese  Einflüsse  auf  Ägypten  gewirkt  haben 
könnten.  Die  Antwort  konnte  wieder  nur  hypothetisch  gegeben  werden.  Von  Anfang 
an,  und  zunehmend  im  Fortgang  der  Untersuchung,  machten  sich  Übereinstimmungen 
der  neuen  ägyptischen  Ornamentik  mit  den  freilich  viel  jüngeren  assyrischen  Denk- 
mälern bemerklich.  Fördernd  aber  traten  noch  andere  Momente  ins  Mittel.  Um  Auf- 
klärung über  die  geschichtliche  Stellung  Ägyptens  zu  erhalten,  war  es  nötig,  die 
Ägyptologie  zu  befragen;  nicht  des  Archäologischen  wegen,  denn  eine  ägyptische 
Archäologie  gab  es  nicht,  die  Ägyptologen  waren  mit  Erklärung  der  Inschriften  und 
allenfalls  den  Antiquitäten  vollauf  beschäftigt.  Von  der  Ägyptologie  also  konnte  man 
erfahren,  daß  im  zweiten  Jahrtausend  Ägypten  mit  den  Nachbarvölkern  in  lebhaftem, 
teils  friedlichem,  teils  kriegerischem  Verkehr  stand.  Um  das  östliche  Mittelmeerbecken 
muß  es  damals  recht  unruhig  zugegangen  sein.  Die  ägyptischen  Inschriften  berichten 
von  allerlei  nördlicheren  Völkern,  die  den  Ägyptern  zu  schaffen  machten,  aber  auch 
von  Siegen  der  Ägypter  und  von  Tributen,  die  ihnen  solche  Völker  darbrachten. 
Unter  ihnen  figurierten  die  Kafa  (Keftiu).  Ebers  hatte  sie  für  die  Phönizier  erklärt; 
dabei  konnte  er  sich  auf  eine  ägyptische  Notiz  hellenistischer  Zeit  stützen.  Also  mußte 
ich  die  Kafa  (Keftiu)  als  Phönizier  ansehen. 

An  den  Tributvasen  dieser  Leute  fällt  eine  Vorliebe  für  Spiralornamentik  in 
Band-  und  Netzsystemen  auf;  ähnliche  Systeme  aber  kehren  in  der  neuägyptischen 
Plafondmalerei  wieder,  ebenso  in  gleichzeitigen  Wandmalereien,  an  Kajüt vorhängen 
und  Segeltüchern,  wie  ja  auch  die  ornamentalen  Wand-  und  Deckenmalereien  Gewebe- 
mustern nachgebildet  waren.  Die  Annahme,  daß  die  Spiralornamentik  außer  an  Metall- 
vasen auch  an  Geweben,  also  ebenfalls  transportfähiger  Ware,  zu  den  Ägyptern  ge- 
kommen sei  und  zwar  aus  dem  Lande  der  Kafa,  den  Ägyptologen  zufolge  der  Phönizier, 
schien  noch  in  dem  bemerkenswerten  Umstände  eine  Stütze  zu  finden,  daß  die  reichsten 
Plafonds-  und  Segeltücher  die  Spiralmuster  in  sattroten  Grund  setzten,  wie  er  in  älter- 
ägyptischen  Textilmustern  nicht  so  vorkommt.  Also  wird  dies  Rot  auch  zu  den  Neu- 
einführungen  gehören.  Was  lag  näher  als  an  den  phönizischen  Purpur  zu  denken? 
Nun  aber  hatten  Schliemanns  Ausgrabungen  von  Tiryns  und  Orchomenos  gleichartige 
Wand-  und  Deckenmuster  ans  Licht  gebracht,  dort  in  Malerei,  hier  in  Flachrelief; 
allgemein  schloß  man  auf  direkte  Abhängigkeit  der   mykenischen   von  der  ägyptischen 


Orient  und  Hellas.  3 

Kunst.  Waren  aber  die  Kafa  Phönizier,  so  mußten  deren  Fabrikate  (Vasen  und 
Textilien)  ebenso  nach  Griechenland  wie  nach  Ägypten  gekommen  sein;  die  in  die 
Webmuster  aufgenommenen  Lotusornamente  konnten  die  Phönizier  ihrerseits  dem 
Nillande  entlehnt  haben.  Tatsächlich  fanden  sich  in  Griechenland,  neben  den  erwähnten 
Nachbildungen  der  fraglichen  Webmuster,  auch  dort  mit  dem  roten  Grund,  originale 
Vasen  in  Edelmetall,  in  Formen  und  Ornamentierung  identisch  den  in  Ägypten  ab- 
gemalten.    Diese  mußten  dann  auch  als  phönizische  Handelsware  gelten. 

Erst  die  neueren  Funde  auf  Kreta  haben  es  wahrscheinlich  gemacht,  daß  die 
Kafa  oder  Keftiu  nicht  Phönizier,  sondern  Kreter  waren;  jene  spätägyptische  Notiz 
wird  nicht  auf  Überlieferung  beruhen,  sondern  auf  gelehrter  Kombination,  darf  uns 
also  nicht  binden.  Setzen  wir  nun  statt  der  Phönizier  die  Kreter  ein,  so  bleibt  meine 
Annahme  fremder  Einflüsse  in  Ägypten  zu  Recht  bestehen;  es  ergibt  sich  aber  eine 
Beeinflussung  Ägyptens  von  Seiten  der  kretisch-mykenischen  Kultur.  Wir  dürfen 
unbedenklich  sagen,  die  in  Ägypten  abgemalten,  in  Griechenland  in  goldnen  und  silbernen 
Originalstücken  wiedergefundenen  Vasen  identischen  Stils  sind  Erzeugnisse  der  kretisch- 
mykenischen  Kunst.  Nicht  ebenso  glattweg  dürfen  wir  die  mehrerwähnten  Textilien 
derselben  Heimat  zuschreiben.  Da  liegt  die  Sache  verwickelter:  ägäische  Spiralen  ver- 
binden sich  mit  ägyptischen  Lotusblumen  und  mit  phönizischem  Purpur.  Die  nur  in 
den  ägyptischen  Plafonds  eingestreuten  spezifisch  ägyptischen  Embleme  wie  Skarabäen 
mögen  von  den  ägyptischen  Malern  hineingesetzt  sein.  Aber  wo  füllten  sich  die  Zwickel 
der  ägäischen  Spiralnetze  mit  den  ägyptischen  Lotusblumen?  wo  verband  sich  mit 
alledem  der  phönizische  Purpur?  Das  bleibt  noch  offene  Frage;  aber  es  kann  gesagt 
werden,  daß  trotz  Kreta  Phönizien  nicht  ganz  ausgeschaltet  werden  darf1). 

Unter  den  Ornamenten  des  Neuen  Reichs  wollen  einige  Blumen  beachtet  sein. 
Die  für  Oberägypten  sinnbildliche  sog.  Lilie  (ihre  botanische  Bestimmung  gelang  noch 
nicht)  rollt  von  da  an  ihre  überhängenden  Blattspitzen  ein.  Nun  machte  Borchardt 
darauf  aufmerksam,  daß  die  echte  Lilie  der  ägyptischen  Flora  fehlte,  neuestens  aber 
schließt  Hermann  Thiersch  aus  der  großen  Zahl  ihrer  Darstellungen  in  der  ägäischen 
Kunst,  daß  die  königliche  Blume  ein  Liebling  insbesondere  der  Kreter  gewesen  sein 
müsse;  da  sie  nun  dort  immer  mit  eingerollten  Blattspitzen  gezeichnet  wurde,  so  scheint 
sie  im  Neuen  Reich  zu  den  Einrollungen  am  altägyptischen  Symbol  für  Oberägypten 
Anlaß  gegeben  zu  haben.  —  Sei  es  nun  diese  hybride  Kunstform  gewesen  oder  die 
in  Ägypten  eingeführte  echte  Lilie,  kurz  eine  lilienartige  Blume  mit  zwei  abwärts  ein- 
gerollten Blattspitzen  fand  in  den  Kompositkapitellen  der  Baldachinstützen  des 
Neuen  Reichs  häufige  Anwendung.  Da  diese  Kapitelle  zunächst  nur  aus  Wandmalereien 
bekannt  waren,  so  konnte  der  Argwohn  Platz  greifen,  ihre  üppig  wuchernde  Formenfülle 
sei  zum  Teil  vielleicht  nur  phantastisches  Spiel  der  Maler.  Aber  seit  Garstang  ein  aus- 
gegrabenes Lilienkapitell    von  Holz    veröffentlichte,    sogar    aus    dem   Mittleren    Reich, 


*)  v.  Sybel,  Über  Schliemanns  Troja  1875.  Derselbe,  Kritik  des  ägyptischen  Ornaments  1883. 
Der  Gedanke,  daß  die  Kunst  der  Ägypter  irgendwie  abhängig  gewesen  sein  sollte,  erschien  den 
Ägyptologen  wie  eine  Verwegenheit.  Mit  freundlichem  Lächeln  gab  mir  ihr  liebenswürdiger 
Nestor,  ßichard  Lepsius,  das  Manuskript  zurück.  Andere  schalten.  Ihr  Haupteinwand,  die  Gegen- 
frage, warum  denn  das  als  mesopotamisch  so  bekannte  Flechtband  in  die  Kunst  des  Neuen  Reichs 
nicht  auch  eingedrungen  sei,  fiel  zu  Boden  an  der  kurz  nachher  gewonnenen  Erkenntnis,  daß  das 
Flechtband  zur  Zeit  der  achtzehnten  Dynastie  noch  gar  nicht  auf  der  Welt  war  (Weltgesch.2  80). 
Zur  Deutung  der  Keftiu  vgl.  Weltgesch.2  61. 

1* 


4  Einleitung. 

kann  an  der  tektonischen  Verwendung  des  Typus  nicht  mehr  gezweifelt  werden;  da- 
neben spielen  nur  Lotus-,  Palm-  und  Löwenkapitelle  mit,  an  deren  wirklicher  Ver- 
wendung auch  kein  Zweifel  besteht1). 

Eine  andere  Blume  des  Neuen  Reichs  hatte  ihre  Heimat  in  Syrien.  Ihr  komplizierter 
Aufbau,  in  der  schematischen  Zeichnung  schwer  verständlich,  ließ  an  ein  künstliches 
Arrangement  denken,  analog  dem  ägyptischen  Etagenbukett  (Kritik  24).  Thiersch  hat 
darin  jetzt  die  in  Syrien  beheimatete  Iris  erkannt,  deren  Blütenblätter  sich  in  drei 
Etagen  aufbauen,  den  überhängenden  Kelchblättern,  den  wagerecht  abstehenden,  wohl 
auch  sich  aufrollenden  Narbenblättern,  und  den  aufrecht  stehenden  Kronenblättern. 
In  der  symmetrischen  Zeichnung  hängen  zwei  Kelchblätter  herab,  bald  auch  mit  Ein- 
rollung, zwei  seitwärts  abstehende  Narbenblätter  rollen  sich  aufwärts  ein,  zwischen  ihnen 
steht  eine  Gruppe  aufrechter,  schlank  kolbenförmig  gezeichneter  Kronenblätter.  Tuth- 
mosis  III  hat  die  Iris  in  Ägypten  eingeführt,  aus  dem  Lande  der  Rutennu  (nach 
jetziger  Interpretation  die  Phönizier).  Außer  in  Tuthmosis'  Bericht  kommt  sie  in 
Ägypten  nur  in  Goldschmiedearbeit  vor  und  in  rein  ornamentaler  Verwendung,  nicht 
in  tektonischer  oder  architektonischer;  Thiersch  zufolge  weil  das  Gebilde  dafür  allzu 
reich  aufgebaut  war2). 

Das  sind  Proben  und  Symptome  internationaler  Beziehungen,  zum  Teil  auch  des 
Austauschs.  Wie  originell  aber  die  kretisch-mykenische  Kunst  im  Grunde  war,  wie 
selbständig  sie  auch  bei  Anerkenntnis  solchen  Austauschs  dem  Orient  gegenüber  dastand, 
das  führen  jene  Goldvasen  eindringlich  zu  Gemüte,  unter  denen  sich  so  wertvolle 
Proben  der  ägäischen  Lebensdarstellung  finden,  wie  der  einzigartige  Stierfang;  das  zeigen 
auch  die  Dolchklingen,  die  Gemmen,  die  Vasen;  etwas  Originaleres  als  die 
ägäische  Keramik  gibt  es  in  der  ganzen  Welt  nicht.    Das  bestätigt  auch  ihre  Baukunst. 

Im  Plane  hat  man  eine  Abweichung  des  kretischen  Grundrisses  vom  tirynthisch- 
mykenischen  bemerkt,  insofern  hier  das  Megaron  in  die  Tiefe  ging,  auf  Kreta  aber  in 
die  Breite.  In  diesem  Punkte  besteht  eine  Übereinstimmung  mit  dem  Orient;  also 
darf  wohl  eine  Beeinflussung  von  ihm  vermutet  werden,  soweit  nur  für  das  südlichere 
Kreta,  nicht  für  das  nördlichere  griechische  Festland.  —  Die  Bauweise,  auf  Stein- 
sockel Lehmwände  mit  Holzfestigung,  war  weithin  verbreitet  auf  der  langlebigen 
Zwischenstufe  zwischen  der  primitiven  Hütte  und  dem  Monumentalbau.  Hat  sie  irgendwo 
zuerst  begonnen  und  von  da  aus  sich  verbreitet,  so  lag  dieser  Vorgang  im  zweiten 
Jahrtausend  weit  zurück.  —  Strittig  ist  die  Bedachung.  Dörpfeld  erschloß  ein  Flach- 
dach, Lehmestrich  in  Holzrahmen;  lieber  rekonstruierte  ein  Giebeldach.  Neuerdings 
wurde  die  Meinung  geäußert,  beide  Weisen  seien  wohl  nebeneinander  in  Übung  gewesen. 
Schwerlich  aber  gleichwertig;  ich  halte  an  der  Auffassung  fest,  daß  die  heimatliche 
Dachform    nicht    bloß    in  Griechenland,    sondern    in    der  ganzen    nördlichen  Zone  das 


*)  Borchardt,  Ägyptische  Pflanzensäule  20.  —  Thiersch  in  Hirschs  Zeitschr.  für  Gesch. 
d.  Architektur  1908,  257.  —  Garstang,  Burial  customs  of  ancient  Egypt.  1907,  141  Fig.  139  mit 
sechs  radial  überhängenden  Blattspitzen  noch  ohne  Einrollung,  und  zentralem  Kolben,  auf  dem 
ein  Dübelholz  sitzt. 

8)  Kritik  25 f.  „phönizisches  Bukett";  Weltgesch.  63.  108  „syrische  Blume";  eb.  2  63.  121 
„etagiertes  syrisches  Bukett".  Naturalistisch  ist  die  Iris  nur  in  Tuthmosis'  Bericht  wiedergegeben 
(Thiersch  Abb.  4),  mißverstanden,  oder  zu  freiem  Spiel  des  Ornamentisten  benutzt,  in  der  Gold- 
schmiedearbeit Thiersch  Abb.  5,  im  Plafond  Prisse  I  Taf.  30  (Weltgesch.  63  Fig.  51  nur  der  obere 
Teil),  an  den  Fayenceplättchen  Thiersch  Abb.  6. 


Orient  und  Hellas.  5 

Satteldach  war,  daß  aber  in  der  Blütezeit  der  ägäischen  Kultur,  da  sie  in  Austausch 
mit  dem  Orient  trat,  der  Königssaal  das  orientalische  Flachdach  übernahm  (dies  also 
nicht  bloß  auf  Kreta,  sondern  auch  auf  dem  griechischen  Festland),  wenn  auch  nur 
vorübergehend.  Denn  es  verschwand  mit  dem  Ende  der  Heroenzeit;  danach  trat  das 
Giebeldach  aus  seiner  zeitweisen  Zurücksetzung  wieder  hervor  und  krönte  hinfort  vor 
allem  den  Erben  des  Königssaals,  das  Gotteshaus,  den  Tempel.  Abbildungen  orien- 
talischer Flachdächer  gewähren  die  Felsfassaden  von  Beni  Hassan;  sie  zeigen  die  Köpfe 
der  Deckstangen  und  den  Rahmen  des  auflagernden  Estrichs.  Nur  sind  die  Holzstützen 
der  Vorhalle  ersetzt  durch  mehrkantige  Steinpfeiler.  Deren  quadratische  Deckplatte, 
ein  Rest  des  vierkantigen  Rohblockes,  genügt  kaum,  um  das  Ganze  als  Nachbildung 
einer  ägäischen  Vorhalle  erklären  zu  dürfen.  —  Endlich  die  kretisch-mykenische  Säule 
(es  hat  nur  eine  Art  gegeben,  sonst  müßten  sich  Spuren  der  andern  erhalten  haben); 
sie  ist  verschieden  von  der  ägyptischen.  Der  Schaft  verjüngt  sich  nach  unten,  wohl 
aus  denselben  Gründen  tektonischer  Zweckmäßigkeit,  wie  es  beim  Stuhl-  und  Tischbein 
der  Fall  ist.  Diese  praktische,  aber  originelle  Anordnung  kommt  im  Altertum  sonst 
nur  noch  unter  Tuthmosis  HI  vor,  auch  dort  nur  vereinzelt  und  vorübergehend;  falls 
nicht  die  analog  gebildeten  Zeltstangen  Vorbild  genug  waren,  möchte  man  glauben, 
Tuthmosis  sei  von  Kreta  her  zu  dem  Versuch  angeregt  worden.  Das  unägyptisch 
wuchtige  Kapitell  ist  die  rechte  Krönung  für  solch  eine  wie  mit  stämmigen  Schultern 
tragende  Säule.  Seinesgleichen  hat  es  nicht;  doch  artverwandt  ist  das  paphlagonische 
Kapitell,  dessen  Denkmäler  aber  aus  späterer  Zeit  stammen,  auch  nicht  so  durchgebildet 
sind  wie  das  ägäische  in  seinen  reichsten  Exemplaren.  Diese  zeigen  den  Schaft  glatt, 
kanneliert  oder  gemustert  (Spiralbänder  in  Zickzackbänder  eingezeichnet).  Dasselbe 
Muster  trägt  das  Pfühl  des  Kapitells,  es  sieht  aus  wie  ein  gemusterter  Stoffüberzug 
des  Kissens.  Pflanzenähnliche  Bildung  weisen  weder  Schaft  noch  Torus  auf.  Einige 
gehen  soweit,  pflanzenhafte  Bildung  der  Säulen  als  spezifisch  orientalisch  und  unhellenisch 
zu  bezeichnen;  auf  die  weit  über  das  Ziel  schießende  Behauptung  wird  noch  zurück- 
zukommen sein,  hier  genügt  der  Hinweis,  daß  der  Hals  der  ägäischen  Säule  ein  pflanzen- 
ähnliches Gebilde  ist,  ein  Kelch  mit  überhängender  Lippe,  darin  das  Pfühl  zu  ruhen 
scheint,  ausgeführt  als  Blätterkranz  mit  überhängenden  Blattspitzen,  natürlich  in  sche- 
matischer  Zeichnung. 


Die  Epoche  der  Assyrer,  der  Fibel  und  des  Eisens,  brachte  in  Griechenland 
den  geometrischen  Stil  wieder  zur  Herrschaft,  dessen  damit  eintretende  Hochblüte  ich, 
im  Unterschied  vom  primitiv  geometrischen,  als  den  hochgeometrischen  Stil  be- 
zeichnete (Weltgesch.  278).  An  der  Hervorbringung  dieses  merkwürdigen  Phänomens 
hatte  der  Orient  keinen  Anteil.  Im  Gegenteil,  wenn  wir  bei  den  Assyrern  nun  ein 
neues,  und  zwar  geometrisches  Ornament  antreffen,  das  für  ihre  Verzierungskunst  typisch 
werden  sollte,  so  verdankten  sie  es  Griechenland;  es  ist  das  Flechtband  (auch  Gurt- 
geflecht genannt),  eine  der  verschiedenen  Geometrisierungen  des  Spiralbandes.  Den 
Anlaß  zu  seiner  Geometrisierung  gab  wohl  der  Übergang  zur  gravierten  Darstellung 
und  in  deren  Dienst  zur  erleichternden,  freilich  auch  vereinfachenden  und  schemati- 
sierenden Erzeugung  durch  Zirkelschlag.  An  die  Stelle  der  Einzelspirale  trat  das 
System  zweier  konzentrischer  Kreischen,  an  die  Stelle  des  Spiralbandes  die  Reihung 
solcher  Kreissysteme.     Wurden  sie  sich  überschneidend  gereiht,  so  entstand  das  Flecht- 


6  Einleitung. 

band.  Es  kommt  zuerst  an  my  kenischen  Ringen  vor;  der  ganze  Prozeß  derartiger 
Geometrisierungen  der  Spirale  läßt  sich  an  den  mykenischen,  über  gravierte  Holzformen 
gepreßten  Goldblättern  gut  beobachten.  Jünger  scheint  die  andere  Reihungsart  in 
kurzen  Abständen,  wobei  die  konzentrischen  Kreischen  durch  Tangenten  verbunden 
wurden  (sog.  Tangentenkreise.  Weltgesch.  280). 


Es  folgte  die  klassische  Zeit  der  Griechenkunst,  zunächst  ihre  erste  Periode, 
die  wir  konventionell  als  die  orientalisierende  zu  bezeichnen  pflegen.  Freilich  hat 
sich  die  Entdeckung  der  kretisch-mykenischen  Kultur  und  die  Erkenntnis  ihrer  weit- 
tragenden Bedeutung  auch  für  unsere  Periode  fruchtbar  gezeigt,  hat  gezeigt,  daß  manche 
Elemente,  von  denen  wir  annahmen,  sie  seien  erst  jetzt,  durch  Vermittlung  etwa  der 
kleinasiatischen  Griechen,  aus  dem  Orient  in  die  griechische  Kunst  gekommen,  vielmehr 
Nachlebsel  der  ägäischen  Kultur  waren,  also  weit  ältere  und  längst  assimilierte  Ent- 
lehnungen. Immerhin  kam  noch  Neues  hinzu.  Und  wenn  auch  die  Errungenschaften 
des  hochgeometrischen  Stiles  nicht  verloren  gingen,  so  ist  doch  die  Anbahnung  einer 
tiefgreifenden  Wandlung  zu  bemerken,  eine  Rückwendung  zur  geschwungenen  Linie 
und  zu  weicherer  Zeichnung.  Diese  Wandlung  entbehrt  bei  aller  Eigenheit  nicht  einer 
gewissen  Analogie  mit  derjenigen,  die  an  der  ägyptischen  Kunst  des  Neuen  Reichs  unter 
Wirkung  jener  fremden  Einflüsse  sich  zu  vollziehen  schien  (Kritik  40).  Ob  nun  bei 
den  Griechen  der  Geist  der  immer  noch  nicht  ganz  ausgestorbenen  kretisch-mykenischen 
Kunst  wieder  lebendig  wurde,  vielleicht  ausgelöst  durch  den  intensiveren  Verkehr  mit 
dem  Orient  und  seinen  weicheren  Formen,  das  kann  wohl  gefragt  werden. 

Lotus  und  Palmette  werden  die  typischen  Ornamente,  daneben  Rosette  und 
Flechtband;  vom  Hochgeometrischen  bleibt  dauernd  der  Mäander,  zum  Teil  in  ent- 
wickelten Formen,  auch  mit  Vierblatt  oder  Rosette  durchsetzt,  dergleichen  schon  das 
Neue  Reich  kannte.  Stier,  Löwe,  Sphinx  und  Greif,  bereits  von  der  ägäischen  Kunst 
aufgenommen,  aber  in  der  hochgeometrischen  Periode  zurückgetreten,  erwachen  zu  neuem 
Leben;  dazu  kam  z.  B.  Chimäre,  Sirene,  Triton,  Kentaur.  In  dergleichen  Fabelwesen 
war  die  mesopotamische  Kunst  von  jeher  fruchtbar  gewesen,  triton-  und  kentaurartige 
Monstren  finden  sich  auch  in  der  assyrischen  Kunst;  aber  die  griechischen  Typen  sind 
doch  wieder  eigenartig. 

Die  klassische  Skulptur  und  Architektur  erlebten  ihre  Geburtsstunde  im  Übergang 
zum  monumentalen  Steinmaterial. 

Die  ägäische  Plastik  hatte  sich,  von  den  Goldschmiedearbeiten  abgesehen,  in  der 
Hauptsache  auf  das  Relief  in  Stein  und  Stuck  beschränkt  und  darin  schon  Bedeutendes 
geleistet.  Auch  Statuetten  entstanden,  in  Terrakotta  und  in  Bronze.  Ob  schon  damals 
lebensgroße  Rundfiguren,  muß  zweifelhaft  bleiben.  Die  alten  Götterbilder  in  Pfahl- 
und  Brettform,  wie  man  sie  später  in  Ehren  hielt,  mögen  aus  dem  hochgeometrischen 
Zeitraum  stammen;  sie  klingen  noch  in  den  Anfängen  der  klassischen  Kunst  nach.  Die 
statuarische  Kunst  der  neuen  Zeit  aber  erhielt  ihre  entscheidenden  Anregungen  von 
außen,  von  Ägypten  und  Vorderasien.  Die  nackten  Statuen  lehnten  sich  mehr  an  die 
ägyptischen  Vorbilder  an;  die  ägyptische  Steinskulptur  wird  es  gewesen  sein,  welche 
die  Griechen  anregte,  sich  ihres  unvergleichlichen  Marmors  zu  bedienen  (andere  Stein- 
sorten kamen  nur  vorübergehend  oder  in  untergeordneter  Weise  zur  Verwendung). 
Aber   man  braucht  nur    die  Erstlinge  der  griechischen  Marmorskulptur    mit  den  voll- 


Orient  und  Hellas.  7 

endeten  ägyptischen  Statuen  zu  vergleichen,  um  zur  Erkenntnis  des  fundamentalen 
Unterschiedes  zu  gelangen:  die  Ägypter  hatten  nur  Sinn  für  das  Porträt,  darin  waren 
sie  groß,  darin  aber  erschöpfte  sich  auch  ihre  statuarische  Kunst;  plastischen  Sinn  und 
Trieb  brachten  erst  die  Griechen  ins  Spiel.  Man  möchte  sagen:  wo  die  Ägypter  auf- 
hörten, da  fingen  die  Griechen  an.  Jene  begnügten  sich  mit  der  elementarsten  Schematik; 
sobald  aber  der  Grieche  der  Technik  einigermaßen  Herr  wurde,  da  nahm  er  das  Problem 
der  bewegten  Figur  in  die  Hand  (Lebensschilderer  waren  ja  schon  die  ägäischen  Bildner 
gewesen)  und  ruhte  nicht,  bis  er  alle  Bewegungsmöglichkeiten  des  menschlichen  Körpers 
künstlerisch  durchgearbeitet,  eine  zweite  bewegte  Menschheit  in  Stein  und  Erz  ge- 
schaffen hatte.  —  Die  bekleideten  Figuren  scheinen  ihre  Anregung  mehr  von  Vorder- 
asien her  bekommen  zu  haben,  wie  ja  auch  die  Kleidung  zunächst  der  Ostgriechen, 
Chiton  und  Himation,  ihnen  ebendaher  zugekommen  war.  Aber  auch  hier  sehen  wir 
die  Griechen  sehr  schnell  die  Gebundenheit  der  Asiaten  durchbrechen,  einerseits  den 
Faltenwurf  als  neues  Problem  einführen,  andererseits  dem  plastischen  Ausgleich  zwischen 
Körperform  und  Gewand  nachgehen. 

Sollte  nicht  auch  der  Anblick  ägyptischer  Tempel  den  empfänglichen  Geist  der 
Griechen  befruchtet  haben?  Es  entstand  der  dorische  Steintempel,  aber  durch 
Übersetzen  der  Formen  aus  dem  alten  Holz-  und  Lehmbau.  Mit  seiner  Leugnung 
dieses  Ursprungs  behält  Karl  Bötticher  unrecht  gegenüber  Vitruv  und  neuerdings 
Dörpfeld.  Die  Übersetzung  der  alten  Formen  in  das  neue  Material  aber  gelang  so 
vollkommen,  daß  der  neue  Bau  durchaus  steingemäß  ausfiel;  die  vollendete  Tatsache 
hatte  Bötticher  richtig  gesehen,  nur  die  Tatsache  historisch  falsch  erklärt  (Weltgesch.  21 15). 
Die  nach  unten  verjüngte  ägäische  Holzsäule  ward  ersetzt  durch  den  Steinpfeiler, 
welchen  aber  untere  Schwellung  und  obere  Verjüngung  zur  pflanzen  haften  Säule 
organisierte.  Hals  und  Kapitell  blieben,  nur  mußten  auch  sie  der  Wandlung  in  Stein 
sich  fügen:  die  Kannelierung  des  Schaftes  schuf  den  Blätterkranz  des  Halses  sich  gleich- 
artig um  (er  reicht  von  den  wagerechten  Kerbschnitten  bis  hinauf  zu  den  irreführend 
sogenannten  Kiemchen;  der  Torus  aber  schmiegte  sich  der  Deckplatte  eng  an,  das  Pfühl 
wurde  zum  Kessel  (Echinus)  (Weltgesch.  101;  2115).  Durch  die  Umkehrung  der  Ver- 
jüngung veränderte  sich  die  Silhouette  der  Säule  gründlich:  war  früher  das  mächtige 
Kapitell  der  folgerichtige  Abschluß  des  nach  oben  sich  verdickenden  Gebildes  gewesen, 
so  lag  jetzt  die  dünnste  Stelle  im  Halse,  die  Säule  verdickte  sich  nach  oben  und  nach 
unten,  die  Silhouette  wurde  reicher.  Aber  die  weitere  Entwicklung  strebte  wieder  zur 
Vereinfachung  der  Form,  das  Kapitell  trocknete  solange  ein,  bis  nur  noch  eine  diskrete 
Abdeckung  des  immer  schlanker  gewordenen  Schaftes  übrig  blieb.  —  Den  Triglyphen- 
fries  übergehen  wir  hier,  weil  noch  Zweifel  über  seine  Entwicklungsgeschichte  bestehen. 
Aber  hervorzuheben  ist  ein  fremdes  Element,  das  an  zwei  Stellen  des  Baues  sich  ein- 
nistete, die  ägyptische  Kornische.  Sie  war  bereits  erobernd  in  Syrien  und  Assyrien 
eingedrungen,  vermutlich  auch  in  Kleinasien;  an  kunstgewerblichen  Gegenständen  mochte 
der  Handel  sie  auch  nach  Griechenland  gebracht  haben.  Doch  sahen  Griechen  sie  auch 
in  Ägypten  selbst,  als  typische  Krönung  von  Pfeilern  und  ganzen  Gebäuden.  So  ge- 
schah es,  daß  am  griechischen  Tempel  Stirnpfeiler  und  Dachkranz  dieselbe  Kornische 
zur  Krönung  erhielten  (daneben  auch  Einzelpfeiler  als  Votivträger).  Es  gibt  Denkmäler, 
welche  die  ägyptische  Kornische  unverändert  zeigen  (Hohlkehle,  vertikal  gestreift, 
unter  Platte,  über  Rundstab);  aber  auf  die  Dauer  ließ  es  der  griechische  Genius  hierbei 
nicht.     Er  wandelte  das  Entlehnte  wiederum  in  pflanzenhafte  Form  um,  indem  er  aus 


3  Einleitung. 

der  Untersicht  der  Platte  eine  Nase  oder  Lippe  herauszog,  wodurch  dann  die  Kehle 
zur  Welle  wurde;  die  vertikale  Streifung  machte  sie  zu  einem  schematisch  gezeichneten 
Blattkranz  mit  vorfallenden  Blätterspitzen,  ähnlich  dem  kretisch -mykenischen  Säulen- 
hals. —  So  wuchs  Alteinheimisches  und  Fremdes,  dazu  das  monumentale  Material,  zu 
einem  ganz  Neuen  zusammen,  dem  klassischen  griechischen  Tempel1). 

Neben  den  alteinheimischen  Baustil,  der  sich  nun  auf  die  Stufe  der  Monumen- 
talität erhob,  trat  alsbald  ein  anderer,  zuerst  bei  den  kleinasiatischen  Griechen.  Seitdem 
erhielt  ersterer  den  Namen  des  dorischen,  letzterer  —  in  seiner  Hauptart  —  den  des 
jonischen  Stils.  Kernpunkt  des  komplizierten  Problems  ist  das  Schneckenkapitell. 
Davon  besitzen  die  Griechen  zwei  Variationen,  außer  dem  jonischen  noch  das  kon- 
ventionell sog.  äolische.  Der  wesentliche  Unterschied  besteht  darin,  daß  bei  letzterem 
die  Volutenstiele  voneinander  unabhängig  aufsteigen,  während  bei  jenem  eine  obere 
wagerechte  Randlinie  des  Kapitells  sich  nach  beiden  Seiten  überhängend  einrollt. 

Das  äolische  Kapitell  meint  klärlichein  pflanzliches  Gebilde;  es  ist  dem  kyprischen 
Stelen-  und  Antenkapitell  so  verwandt,  daß  es  entweder  von  diesem  oder  mit  ihm  von 
demselben  Vorbild  abstammen  muß.  Es  bleibt  dabei,  daß  nichts  anderes  als  die  syrische 
Blume  zugrunde  liegen  kann,  dieselbe,  in  welcher  Herrn.  Thiersch  die  Iris  erkannt  hat. 
Beide  Kapitelle,  das  kyprische  wie  das  äolische,  sind  nicht  mehr  so  verstehende  und 
so  verständliche  Abbilder  der  Iris,  wie  es  deren  ältere  Darstellungen  waren.  An  der 
kyprischen  Spielart  wuchert  die  Krone,  schon  das  Narbenblattpaar  ist  dreifach  inein- 
andergesetzt;  umgekehrt  wurde  am  äolischen  Kapitell  die  ganze  Krone  mit  den  Narben- 
blättern bis  auf  dürftige  Rückstände  der  Kronenblätter  zurückgeschnitten.  Was  dort 
zuviel  war,  ist  hier  zu  wenig.  Beide  Kapitellformen  aber  (die  kyprische  wenigstens  in 
Tamassos,  Inst.  Phot.  Cyp.  72  a)  bewahren  das  charakteristische  Merkmal  gewisser 
syrischer  Irisarten,  die  Haarraupe  auf  der  Mittelrippe  der  Kelchblätter  (an  den  Kapi- 
tellen auf  dem  Scheitel  der  Voluten).  —  Das  äolische  Kapitell  war  zuvor  in  Metall 
ausgeführt  und  im  Sinne  der  Metallarbeit  stilisiert  worden,  ehe  man  es  in  Stein  über- 
setzte. Die  Ausbildung  in  Metall  spricht  verständlich  aus  der  Formgebung  im  Ganzen 
und  Einzelnen.  Die  von  dem  Ringe  aufsteigenden  Volutenstiele  bildeten  in  der  Metall- 
ausführung eine  auf  das  obere  Schaftende  aufzuschiebende  Hülse.  Die  in  Koldeweys 
Herstellung  unterhalb  noch  folgenden  Glieder,  ein  flacher  Knauf,  als  hängender  Blätter- 
kranz ausgebildet,  und  ein  unterer  Blätterkranz  mit  überfallend  frei  endigenden  Blatt- 
spitzen (nach  Dörpfeld  Elemente  eines  Rundkapitells,  Blume  mit  überfallenden  Blatt- 
spitzen), verraten  nicht  minder  deutlich  den  Ursprung  ihrer  Formgebung  aus  der  Metall- 
technik. Solche  den  konstruktiven  Stäben  und  Riegeln  aufgeschobene  Hülsen,  in  Form 
von  Lilien  und  aus  Blech  geschnittenen  Blätterkränzen,  fanden  sich  in  den  assyrischen 
Palästen  und  sind  im  Britischen  Museum  zu  sehen;  fertige  Möbel  bilden  die  assyrischen 
Reliefs  ab2). 

Nachdem  wir  gelernt  haben,  die  Blumen  genauer  zu  unterscheiden,  kann  der  „Lilie" 
nur  mehr  eine  bescheidenere  Rolle  in  der  Entwicklungsgeschichte  der  außerägyptischen 
Kapitelle  zugeschrieben  werden.     Der  ganz  in  der  Form  der  Lilie  gezeichnete  Wipfel 


*)  Kritik  5  erklärte  ich  die  ägyptische  Komische  als  das  aus  Rohrabschnitten  mit  auf- 
liegender Handlehne  gebildete  Geländer  der  Dachterrasse,  übersetzt  in  Stein  (mißverstanden  von 
Riegl,  Stilfragen  58,  17).  —  Die  Wandlung  der  Kornische  in  das  Kyma:  Weltgesch.  1031  2 1 1 8 f . 
Das  Kyma  vereinzelt  schon  in  Ägypten:  Weltgesch.  2120,  1,  dazu  noch  Prisse  I  Tal  20,  3. 

2)  Weltgesch.  108;  2121. 


': 


Orient  und  Hellas. 


auf  dem  Palmstamm,  der  dem  Baldachin  des  Samas  von  Sippar  zur  Stütze  dient,  ist 
allzu  problematisch.  Und  das  Lilienkapitell  der  Säulen  Jachin  und  Boas  ist  vorläufig 
nur  eine  allerdings  ansprechende  Hypothese.  Das  äolische  Kapitell,  als  Nachbild  der 
Iris  erkannt,  bedarf  des  Zurückgreifens  auf  die  Lilie  nicht  mehr,  und  für  das  jonische 
kommt  sie  von  vornherein  nicht  in  Betracht. 

Die  geschichtliche  Erklärung  des  jonischen  Kapitells  liegt  noch  immer  im 
Dunkeln 1). 

Von  jeher  glaubte  ich  in  seiner  Zierform  ein  Blumenbild  erkennen  zu  müssen  und  zwar 
ursprünglich  orientalischer  Prägung.  Neuerdings  hat  Puchstein  seine  früher  aufgestellte 
Sattelholzhypothese  aufgegeben  und  leitet  das  jonische  Kapitell  auch  von  einem  orien- 
talischen Blumenbild  ab.  Wenn  nun  aber  Groote  und  Puchstein  das  äolische  Kapitell 
als  Zwischenglied  einschieben  und  das  jonische  lediglich  als  dessen  Umbildung  ansehen, 
so  vermag  ich  nicht  zu  folgen;  nach  unserem  Material  können  wir  das  äolische  nicht 
als  einen  Vorgänger,  sondern  bloß  als  einen  Rivalen  des  jonischen  anerkennen. 
Es  ist  auch  nicht  richtig,  daß  das  äolische  von  dem  jonischen  Kapitell  abgelöst  worden 
sei.  In  Architekturbildern  des  fünften  Jahrhunderts  lebt  es  fort  (in  Vasenbildern)  und 
in  der  hellenistischen  Zeit  erwachte  es  zu  neuem  Leben  (Weltgesch.  2325.  Koch,  Rom. 
Mitteil.  1907,  407.  Thiersch  268);  freilich  hat  es  in  die  Monumentalarchitektur  keine 
Aufnahme  gefunden,  schon  für  das  sechste  Jahrhundert  wird  man  seine  Bedeutung 
nicht  überschätzen  dürfen.  Die  Ableitung  des  jonischen  Kapitells  vom  äolischen  wird 
aber  durch  den  Umstand  vollends  unmöglich  gemacht,  daß  sein  Typus  älter  ist.  Dem 
mesopotamischen  Ziegelbau  war  die  Säule  ursprünglich  fremd;  erst  die  Assyrer  über- 
nahmen sie,  wie  Puchstein  des  Näheren  nachwies,  mit  dem  Bautypus  des  Hilani  aus 
der  nordsyrisch  -  kappadokischen  Kunst.  In  assyrischen  Reliefs  liegen  Abbildungen 
solcher  Säulenbauten  vor;  die  Kapitelle  sind  teils  vom  jonischen  Typus,  mit  Verdoppelung 
des  Volutenstücks,  teils  auch  vom  äolischen  (Perrot  et  Chipiez  II  142  Fig.  41.  42; 
vgl.  S.  221  Fig.  77.  Weltgesch.  81;  2121).  In  den  Ruinen  von  Sendschirli  haben  sich 
Kapitelle  leider  nicht  vorgefunden.  Aber  die  berühmten  Adikulen  in  den  Felsreliefs 
von  Jasilikaja  bei  Bogasköi  sind  doch  da  (Weltgesch.  80  Fig.  63;  277).  Längst  be- 
merkte man  den  jonischen  Typus  ihrer  Säulen,  längst  stellte  man  die  Frage,  ob  die 
Jonier  ihre  Säule  aus  dem  inneren  Kleinasien  bezogen  hätten.  Doch  mein  Kollege 
Jensen  leugnet,  daß  überhaupt  ein  Architekturbild  vorliege;  es  sei  nichts  als  eine 
Gruppe  hittitischer  Hieroglyphen,  die  in  den  Texten  auch  sonst  vorkämen;  die  ver- 
meintlichen Säulen  seien  aus  zwei  Schriftzeichen  zusammengesetzt,  einem  steilen  Kegel 
und  einer  Art  Bügel  oder  Brille.  Wenn  ein  so  intimer  Kenner  dieser  Hieroglyphen 
das  sagt,  so  werden  wir  Archäologen  es  annehmen;  damit  aber  wird  die  Deutung  des 


»)  Jonisches  Kapitell:  v.  Sybel,  Kritik  24;  Weltgesch.  80;  277.  121.  Puchstein,  Das 
jonische  Kapitell,  Berliner  Winckelmannsprogramm  1887;  derselbe,  Die  jonische  Säule  als  klassisches 
Bauglied  orientalischer  Herkunft  1907. 

v.  Groote,  Die  Entstehung  des  jonischen  Kapitells  1905. 

Kawerau,  Eine  jonische  Säule  von  der  Akropolis  zu  Athen,  im  Jahrbuch  1907,  197. 

v.  Lichtenberg,  Die  jonische  Säule  1907.  Herrn.  Thiersch  in  Hirschs  Zeitschrift  für  Ge- 
schichte der  Architektur  I  1908,  256. 

Birt,  Buch-  und  Bauwesen,  im  Eheinischen  Museum  1908,  45  beschäftigt  sich  nicht  mit  der 
Frage,  woher  die  Griechen  die  Form  des  jonischen  Kapitells  entlehnt  haben,  sondern  er  fragt, 
was  die  Griechen  bei  dieser  Form  sich  gedacht  haben  könnten. 


\q  Einleitung. 

Ganzen  auf  ein  Architekturbild  meines  Erachtens  keineswegs  ausgeschlossen.  Daß  wir 
hier  etwas  Besonderes  vor  Augen  haben,  folgt  schon  aus  der  Tatsache,  daß  eine  derart 
symmetrisch  aufgebaute  Zeichengruppe  mit  der  krönenden  geflügelten  Sonnenscheibe  in 
den  Texten  sonst  nicht  vorkommt;  auch  die  Art,  wie  sie  ostentativ  auf  der  Hand  ge- 
tragen wird,  hebt  die  Zeichengruppe  eigen  hervor  (unwillkürlich  fallen  einem  die  mittel- 
alterlichen Heiligenfiguren  ein,  die  ein  Modell  ihrer  Kirche  auf  der  Hand  tragen). 
Schließlich  aber  entscheidet  der  Augenschein:  mag  das  Gebilde  hervorgebracht  sein 
wie  es  will,  mag  es  nur  Schrift  sein,  so  ist  es  doch  im  Schema  einer  Tempelfassade 
geschrieben.  Das  mutet  uns  gereif tere  Menschheit  an  wie  kindisches  Spiel;  aber  haben 
sich  nicht  sogar  aus  der  hellenistischen  Zeit  Gedichte  erhalten,  die  in  der  Niederschrift 
den  Umriß  eines  Bechers  oder  sonst  eines  Gegenstandes  zeichnen?  Der  Fall  ist  nicht 
genau  derselbe,  aber  eine  genügende  Analogie.  Die  so  wiedergewonnene  frühere  Form 
des  hittitischen  Schneckenkapitells  (die  Spiralen  sind  am  Gyps  deutlich  erkennbar) 
unterscheidet  sich  von  der  in  den  assyrischen  Reliefs  wiedergegebenen  jüngeren  dadurch, 
daß  dort  die  obere  Randlinie  einen  Bogen  beschreibt,  hier  aber  wagrecht  durchgezogen 
ist.  Nun  war  die  Verwendung  des  „Bügels"  in  der  Schriftgruppe  von  Jasilikaja  viel- 
leicht nur  ein  Notbehelf,  und  ein  altjonisches  Kapitell  in  der  Rundbogenform  hat  sich 
noch  nicht  gefunden.  Aber  es  darf  nicht  übersehen  werden,  daß  der  Typus  in  den 
Reliefsäulen  am  altsamischen  Sarkophag  vorliegt  und  im  Kapitell  des  achtkantigen 
Pfeilers  aus  Porös,  den  Dörpfeld  bei  seinen  Ausgrabungen  unter  dem  Westabhang  der 
athenischen  Akropolis  fand,  sowie  daß  Iktinos  die  jonischen  Säulen  im  Neubau  des 
Apollontempels  zu  Bassä  im  selben  rundbogigen  Typus  anordnete.  Sowohl  am  samischen 
Sarkophag  wie  am  athenischen  Pfeiler  hängen  die  Voluten  tief  über  den  Schaft  herab. 
Bemerkenswert  ist,  daß  auch  sie  kein  rundes  ausbauchendes  Unterglied  haben;  doch 
ist  an  den  samischen  Reliefsäulen  durch  einen  Querstrich  etwas  wie  ein  Kopf-  oder  Hals- 
stück des  Schaftes  abgegliedert1). 

Wenn  also  nicht  von  der  Iris  und  dem  äolischen  Kapitell,  von  welchem  Blumen- 
bild sollen  wir  dann  das  jonische  Kapitell  ableiten?  Wir  müssen  zugestehen,  daß  das 
Pflanzenbild  schon  in  der  vorgriechischen  Stilisierung,  wenigstens  in  den  uns  vorliegenden 
Denkmälern,  schwach  genug  herauskommt;  aber  es  steht  leider  so,  daß  wir  für  die  vor- 
griechische Phase  nur  die  vereinfachenden  Reliefdarstellungen,  für  die  frühjonische 
Epoche  aber  fast  gar  keine  Denkmäler  besitzen,  sicher  keine  vollständigen  Exemplare. 
Die  athenischen  Anathemträger,  mögen  einzelne  Stücke  auch  in  die  Zeit  der  Poros- 
skulpturen  zurückreichen,  sind  alle  abgeleitet;  zudem  dürfen  sie  für  die  doch  weiter 
zurückliegende  Entwicklungsgeschichte  des  jonischen  Kapitells  nur  mit  größter  Vor- 
sicht verwertet  werden,  weil  sie  nicht  der  Großarchitektur  angehören,  sondern  Einzel- 
säulen sind,  genauer  gesagt,  Einzelträger,  welche  nicht  aus  Notwendigkeit,  sondern  aus 
künstlerischer  Laune  einigemal  die  Form  von  Säulen  wählen  und  dabei  mit  den  Motiven 
des  dorischen  Kyma,  des  äolischen  und  des  jonischen  Kapitells  spielen. 

Nun  aber  sind  gerade  diejenigen  Forscher,  welche  besonders  besonnen  vorzugehen 
und  gediegen  zu  arbeiten  gedachten,  eben  von  den  athenischen  Votivträgern  ausgegangen, 
so  seiner  Zeit  Puchstein  in  Winckelmannsprogramm  1887,  auf  das  neuestens  Kawerau 
zurückgreift.     Diese  erkennen  im  Volutenstück  den  Hauptteil  des  Kapitells,  indem  sie 


l)  Jensen,  Zeitschr.  d.  Deutschen  Morgenl.  Ges.  XL VIII  1894,  284,  1. 

Samos:  Inst.  Phot.  Sana.  8.  Ath.  Mitteil.  1893,  224.  —  Athen:  Inst.  Phot.  A.  V.  120. 


Orient  und  Hellas.  11 

es  als  Sattelholz  verstehen,  das  will  sagen  als  ein  kurzes  Holz,  das  quer  auf  den 
Scheitel  der  Stütze  gelegt  dem  Architrav  ein  breiteres  Auflager  gewähren  soll;  und 
es  liegt  ohne  Zweifel  der  Weise  des  Holzbaues  nahe,  die  Enden  des  Sattelholzes  so 
zu  runden,  daß  unter  der  Hand  des  Zimmermanns  wie  von  selbst  das  Volutenmotiv 
zum  Vorschein  kommt.  Man  mag  es  auch  bedeutsam  finden,  daß  die  erwähnten 
assyrischen  und  hittitischen  Reliefdarstellungen  protojonischer  Kapitelle  sowie  der 
samische  Sarkophag  und  der  athenische  Pfeiler  nur  das  Volutenglied  aufweisen.  Und 
die  flache  Bildung  des  Volutenstückes  scheint  für  das  Sattelholz  zu  entscheiden.  Aber 
so  unbedingt  tut  sie  es  denn  doch  nicht;  das  ebenfalls  flache  äolische  Kapitell  wenigstens 
kann  man  als  Sattelholz  nicht  anerkennen  (Versuche  ich  es  rein  konstruktiv  zu  ver- 
stehen, so  scheint  sich  mir,  wie  oben  gesagt,  als  Urform  eine  auf  die  Schaftspitze 
aufzuschiebende,  irgendwie  plastisch  auszugestaltende  Metallhülse  zu  ergeben;  seine 
Zierform  aber  ist,  verstanden  oder  nicht,  die  syrische  Blume,  die  Iris).  Am  joniscben 
Kapitell  selbst  wäre  die  Deckplatte,  sollte  man  denken,  Sattelholzes  genug;  wozu  noch 
ein  zweites  unterlegen?  Und  gerade  an  den  alten  Denkmälern  von  Jasilikaja,  Samos 
und  Athen  wären  die  spiralisierten  Sattelholzenden  weit  herabhängend  gebildet!  Wenn 
man  sieht,  wie  das  runde  Unterteil  (Torus,  Echinus  oder  Kymation  genannt)  schon 
früh  und  immer  wieder  auftritt,  so  kommt  man  auf  die  erste  Vermutung  zurück,  daß 
es,  als  im  Gesamtbild  untergeordneter  Bestandteil,  in  den  erwähnten  Fällen  nur  aus- 
geblieben sei. 

Die  normale  Endigung  ist  der  Knauf.  Kugelgestalt  scheint  er  erst  in  neueren 
Zeiten  angenommen  zu  haben,  für  freie  Endigungen  liebte  das  Altertum  die  Eiform, 
wenn  es  nicht  ein  Anthemion  vorzog.  Das  gemeinägyptische  Kapitell,  das  Knospen- 
kapitell, ist  ein  überhöhter  Knauf,  der  mykenische  Torus  dagegen  ein  gedrückter.  Das 
ägyptische  Kelchkapitell  ist  ein  Knauf  mit  oberer  Ausladung.  Das  hybride  Stelen- 
und  Antenkapitell  ist  flach,  das  äolische  Säulenkapitell  (das  Volutenkapitell)  ist  unten 
rund  ohne  Ausbauchung,  wie  das  Palmkapitell,  oben  aber  flach.  Man  könnte  sich  auch 
ein  Säulenkapitell  denken,  das  unten  knaufartig  gebaucht,  oben  in  Angleichung  an  die 
kantige  Deckplatte  und  den  Hauptbalken,  flach  würde,  ähnlich  dem  Sattelholz.  Das 
wäre  der  Fall  des  jonischen  Kapitells.  Sein  ausbauchendes  Unterglied,  in  der  Stein- 
ausfuhrung  nur  auf  Untersicht  berechnet,  wird  mit  hängendem  Blätterkranz  verziert, 
gemeißelt  oder  nur  aufgemalt.  War  das  Ganze  ursprünglich  als  Blumenbild  gedacht, 
so  sollte  man  statt  des  hängenden  Blätterkranzes  vielmehr  ragende  Kelchblätter  erwarten, 
in  dergleichen  die  ägyptischen  Blumenkelche  ruhen.  Die  Umkehrung  braucht  erst 
beim  Übergang  in  die  Steinausfuhrung  sich  vollzogen  zu  haben,  da  man  der  ursprünglichen 
Idee  nicht  mehr  bewußt  war;  man  verzierte  das  Profil,  wie  es  sich  nun  gestaltet  hatte, 
in  der  Weise,  wie  sie  für  dies  Profil  gegeben  und  typisch  war.  Das  Kapitell  kam 
den  Griechen  aus  der  Fremde  zu,  so  wurde  es  ihnen  leicht  zu  einem  nichts  bedeutenden, 
aber  ästhetisch  wertvollen  Linien-  und  Formenspiel. 

Der  Sinn  der  Zierform  bedarf  eines  Wortes.  Karl  Böttichers  ergrübelte  un- 
künstlerische Lehre,  die  Zierform  spreche  die  statische  Funktion  des  Gliedes  aus,  sei 
es  eines  Gerätes  oder  eines  Gebäudes,  war  mir  stets  widerstrebend;  immer  habe  ich, 
wo  Anlaß  war,  eine  andere  Auffassung  vorgetragen,  die  der  Art  des  Künstlers  und 
seines  Schaffens  besser  gerecht  wird.  Wenn  der  troische  Töpfer  das  Gefäß  anthro- 
pomorph  bildete,  so  dachte  er  nicht  daran,  Funktionen  auszusprechen,  sondern  er  fühlte 
sich   als   anderen  Prometheus.     Wenn   der  Ägypter   seine  Säulen    als  wurzelnde  hoch- 


1 2  Einleitung. 

strebende  Pflanzen  gestaltete  (das  mischt  sich  mit  dem  andern  Motiv  eingesteckter 
Schnittblumen),  deren  zarte  Blätterspitzen  oder  deren  schwanke  Zweige  der  Decke  sich 
entgegen  strecken,  für  das  Auge  sie  tragen,  so  ist  das  nicht  „ungeheuerlich",  sondern 
künstlerisch;  wird  doch  die  Decke  selbst  gar  nicht  als  Last  empfunden  und  vors  Auge 
gebracht,  sondern  als  blauer  Himmel  mit  schwebenden  Vögeln  darunter.  Die  Zierform, 
weit  entfernt  den  Druck  der  Last  auszusprechen,  negiert  sie  eher.  Die  Art,  wie  der 
Ägypter  über  die  Schwere  der  Last  hinwegtäuschte,  wie  er  den  dunklen  Säulensaal  mit 
Phantasie  zum  Scheinbild  freier  Natur  machte,  mag  man  kindlich  heißen,  jedenfalls 
war  sie  fröhlich  und  echt  künstlerisch.  Die  Griechen  waren  gereifter;  aber  auch  sie 
waren  keine  Pedanten,  sondern  spielende  Künstler.  Das  dorische  Kyma  trägt  genau 
die  gleiche  Last  wie  das  jonische;  nach  der  Theorie  müßten  sie  ihre  Blattspitzen  unter 
der  gleichen  Last  beide  gleich  tief  neigen;  aber  nur  das  jonische  beugt  sie  bis  zum 
Unterrand  herab,  das  dorische  neigt  sie  nur  eben  über.  Der  Unterschied  der  Zeichnung 
liegt  nicht  an  einem  (gar  nicht  vorhandenen)  Unterschied  der  Funktion,  sondern  bloß 
an  der  Verschiedenheit  des  Profils.  —  Man  redet  von  der  „federnden  Kraft  der 
Voluten."  Aber  der  Schöpfer  des  äolischen  Kapitells  hat  die  oberen  Partien  der 
Blume  nicht  deshalb  zurückgeschnitten,  um  die  Last  auf  die  Schultern  der  „federnden 
Voluten"  zu  bringen  (dann  hätte  er  sie  gründlicher  zurückschneiden  müssen),  sondern 
weil  er  die  nicht  mehr  verstandenen,  daher  in  seinen  Augen  geilen  Triebe  als  ästhetisches 
Unkraut  empfand.  —  Aber  das  jonische  Kapitell,  dessen  Voluten  die  Deckplatte  un- 
mittelbar tragen?  Daß  auch  sie  nicht  die  „Funktion  des  leichten  Tragens"  aussprechen, 
bewies  Iktinos,  da  er  in  die  Reihe  der  jonischen  Kapitelle  sein  korinthisches  stellte, 
dessen  zarte  Schnecken  doch  genau  dieselbe  Last  tragen  müßen  wie  die  mächtigen 
jonischen  Voluten. 

Die  Theorie  beruht  auf  einer  Verwechslung.  Gewiß  läßt  sich  von  der  konstruktiv 
notwendigen  Form  die  Funktion  jedes  Gliedes  ohne  weiteres  ablesen;  insofern 
könnte  man  sagen,  die  Form  sei  Ausdruck  der  Funktion,  nur  daß  dies  nicht  eine 
bewußt  verfolgte  Absicht  war  (wozu  auch?),  sondern  bloß  eine  selbstverständliche  Folge 
der  zweckmäßigen  Konstruktion.  Dagegen  das  die  Zierform  erzeugende  Kunstgesetz 
ist  ein  anderes,  es  ist  die  durch  Phantasie  bewirkte  Verklärung  der  Zweck-  und 
Konstruktionsform.  „Die  Tektonik",  so  sagte  ich  längst,  „soll  erst  noch  geschrieben 
werden,  welche  das  wahrhafte  Gesetz  der  Dekoration  an  Haus  und  Gerät  auf  seinen 
Thron  erhebt,  das  Gesetz  der  plastischen  Poesie.  Solche  Tektonik  würde  eine 
frohe  Botschaft  für  die  Künstler  sein,  in  sich  beschließend  Gesetz  und  Freiheit." 

Was  Kawerau  zum  Ursprung  der  jonischen  Säule  sagt,  kann  mich  nicht  ganz 
überzeugen;  aber  im  Grundsätzlichen  ist  mir  sein  Denken  sympathisch.  Und  es  ist 
mir  eine  erwünschte  Bestätigung  meines  Kunstempfindens,  wenn  er  das  künstlerische 
Ausgestalten  der  Konstruktion  in  den  schlichten  Worten  beschreibt:  man  greift  zu 
dem  Motiv  (im  fraglichen  Fall  ists  die  Spirale),  nicht  weil  es  irgend  etwas  „ausdrückt", 
sondern  weil  es  zu  dem  gegebenen  Umriß  paßt1). 

Das  Problem  des  jonischen  Kapitells  ist  noch  nicht  spruchreif. 

Auch  die  jonische  Basis  leiten  wir  aus  Kleinasien  ab.  Hittiter,  Paphlagonier 
und  Assyrer  bedienten  sich  einer  kugeligen  Basis.  In  Sendschirli,  und  durch  Über- 
tragung von  dorther  auch  in  Assyrien,  fanden  sich  solche  Basen  getragen  von  Sphinxen 

l)  v.  Sybel,  Über  Schliemanns  Troja  1875,  19;  Weltgeach.  323;  2331.  Kawerau,  Jahrbuch 
1907,  201. 


Orient  und  Hellas.  13 

und  Stierdämonen.  Assyrische  Kugelbasen  sind  vermöge  der  plastischen  Poesie  als 
eben  aufbrechende  Blumen  charakterisiert  (wieder  ein  wenig  kindlich  fröhlich,  aber  es 
geschah,  weil  das  Blumenmotiv  zu  der  gegebenen  Grundform  „paßte";  daher  kann  ein 
unbefangenes  ästhetisches  Gefühl  nicht  dadurch  verletzt  werden);  die  Darstellung  ist 
schematisch  in  der  Weise  des  damals  herrschenden  Metallstils  (Weltgesch.  81  zu  Fig.  65). 
Die  altjonische  Basis  ersetzt,  wir  wissen  noch  nicht  wie  es  zuging,  die  volle  Kugel 
durch  eine  zum  Tonis  abgeplattete,  auf  einem  Trochilus  (Weltgesch.  2122).  Von  diesem 
Typus  stammt  die  klassisch  attische  Basis  des  Niketempelchens  und  der  Propyläen, 
weiterhin  des  Erechtheions  usw.  Aber  es  muß  eine  Spielart  der  altjonischen  Basis  ge- 
geben haben  mit  glockenförmigem  Unterglied  statt  des  Trochilus;  von  dieser  vorläufig 
noch  hypothetischen  Mutterform  stammt  einerseits  die  persische  Basis  (Weltgesch.  111; 
2 145;  sie  ist  als  hängende  offene,  auf  die  Blätterspitzen  gestellte  Blume  charakterisiert, 
dies  immer  wieder,  weil  das  Blumenmotiv  zu  der  Grundform  paßte);  andererseits  die 
der  Athenerhalle  zu  Delphi1). 

Die  Geburt  der  klassisch-griechischen  Kunst  war  keine  so  einfache  Erscheinung, 
daß  sie  mit  dem  einen  oder  anderen  Schlagwort  erschöpfend  ausgesprochen  wäre. 
Und  auch  sie  war  schon  früh  in  der  Lage,  nicht  bloß  zu  empfangen,  sondern  auch 
zu  geben. 

Die  griechische  Kunst  haben  wir  auf  ihrem  Hochgang  nicht  zu  verfolgen.  Nur 
eins  will  hier  gesagt  sein,  weil  die  späteren  Erörterungen  auf  den  Punkt  Bezug  nehmen. 
Es  handelt  sich  um  die  Flächenverzierung. 

Die  Verzierung  konnte  entweder  auf  der  Fläche  bleiben,  oder  sich  plastisch  auf 
sie  legen,  oder  in  ihren  Körper,  sei  es  in  negativem  Eingraben,  oder  positiv,  ausgespart 
beim  Herausholen  der  Körpermasse.  Das  Primitive  übergehen  wir  abermals,  um  uns 
sofort  über  die  vorklassische  Art  zu  verständigen,  wie  sie  im  Orient  ihr  Bestes  leistete, 
zeitweise  sekundiert  von  Griechenland,  einst  zur  Heroenzeit,  zuletzt  in  der  nicht  mehr 
so  ganz  zutreffend  als  die  orientalisierende,  unvorgreiflicher  als  die  des  altertümlichen 
Stils  bezeichneten  Periode.  Die  Malerei  auf  der  Fläche  gab  es  überall.  Das  positiv 
aus  dem  Flächenkörper  geschnittene  Relief  arbeiteten  die  Ägypter  in  zweierlei  Weise 
aus,  früher  unter  Entfernung  des  Grundes;  später  ließen  sie  ihn  stehen,  indem  sie  die 
Figuren  nur  durch  eine  umlaufende  Furche  von  ihm  abgrenzten  (relief  dans  le 
creux).  Daneben  verwendeten  sie  auch  das  negative  Tief bild  zur  Monumentaldekoration, 
in  ihrem  Relief  in  Vertiefung,  in  Tiefschnitt,  Siegelschnitt  (relief  en  creux).  Die 
plastische  Arbeit  im  engeren  Sinn,  das  Auftragen  von  bildsamem  Ton,  das  Heraustreiben 
der  gewünschten  Form  aus  Metallblech,  war  den  Ägyptern  nicht  unbekannt,  um  so 
vertrauter  aber  den  Vorderasiaten.  Besonders  aus  Assyrien  besitzen  wir  noch  manche 
getriebene  Arbeit,  wie  die  Torbekleidung  von  Balawat,  daneben  zahlreiche  Übertragungen 
dieser  Formen  weit  aus  dem  Metall  in  Stein,  wie  die  assyrischen  Wandreliefs;  von  der- 
gleichen Dingen  war  oben  gelegentlich  die  Rede.  Noch  ein  paar  Sonderarten  orien- 
talischer Flächenverzierung  seien  genannt:  der  vereinzelte  Versuch  einer  Art  Wand- 
mosaik (Warka),  und  die  Fliesentechnik.  Auch  sie  fehlt  nicht  bei  den  Ägyptern,  aber 
die  bedeutendsten  Denkmäler  dieser  glänzenden  Dekorationsweise    hinterließen   uns  die 


*)  Puchstein  1907,  43  leitet  die  delphische  Basis  von  der  persischen  ab,  und  vom  Typus 
der  delphischen  die  klassisch-attische.  Die  weltgeschichtliche  Stellung  der  persischen  Kunst  kommt 
freilich  nicht  zum  Bewußtsein,  solange  sie  in  der  herkömmlichen  Weise  den  altorientalischeu  Kunst- 
völkern angereiht  wird.     Meine  Weltgesch.  hat  versucht,  sie  richtiger  einzuordnen. 


14  Einleitung. 

Assyrer,  Nebukadnezar,  und  die  Perserkönige.  Ursprünglich  reine  Flächenkunst  lernte 
sie  zu  Nebukadnezars  Zeit,  die  Figuren  in  schwachem  Relief  zu  höhen.  Von  allen 
den  Künsten  übten  die  Hellenen  vorzugsweise  die  Treibarbeit  und  die  Meißelarbeit. 
Ich  mache  darauf  aufmerksam,  daß  die  klassisch-griechische  Kunst  soweit  nur  mit  ihren 
Anfangen  in  Rechnung  steht. 

Die  ältere  Flächenverzierung  wurde  völlig  überholt  von  der  ausgebildeten  griechi- 
schen. Jene  frühere  Dekoration  kam  nie  aus  der  Befangenheit  heraus,  blieb  immer 
wie  im  Keime  stecken;  aber  ein  unerhörtes  plastisches  Leben  entfaltete  sich,  intensiv 
und  extensiv,  in  den  Reliefs  der  griechischen  Blütezeit.  Man  muß  den  Torbeschlag 
von  Balawat  oder  die  Fliesen  Nebukadnezars,  auch  der  Perser,  mit  den  griechischen 
Monumentalskulpturen  vergleichen,  vom  Parthenon  bis  zum  pergamenischen  Giganten- 
fries, um  die  Weite  des  Abstandes  zu  ermessen. 

Aber  man  hüte  sich,  dem  Gesagten  eine  falsche  Spitze  zu  geben.  Wenn  wir  auch 
als  Hauptvertreter  der  alten  Weise  Orientalen  nannten,  Assyrier,  Babylonier,  Perser, 
so  entspräche  es  doch  nicht  unserer  Meinung,  die  orientalische  Weise  der  griechischen 
in  dem  Sinne  gegenüberzustellen,  als  ob  die  alte  Weise  spezifisch  orientalisch  und  nur 
orientalisch  wäre.  Wohl  war  die  entwickelt  plastische  Art  der  Flächenverzierung 
spezifisch  griechisch,  dem  Orient  blieb  sie  fremd.  Aber  nur  deshalb,  weil  der  Orient 
in  der  Kunst  nie  aus  dem  Primitiven  herauskam.  Primitiv  heißt  uns  hier  nicht  das 
Frühzeitliche,  Vorgeschichtliche,  sondern  das  Unausgereifte,  in  der  Entwicklung  Stecken- 
gebliebene. Wie  wir  von  der  statuarischen  Plastik  sagten,  die  Griechen  fingen  da  an, 
wo  die  Ägypter  aufhörten,  so  gilt  ähnliches  von  der  Flächenverzierung:  die  griechische 
Blüte  brachte  zur  Reife,  was  zuvor  —  bei  Orientalen  und  Griechen  —  noch  im  Keime 
stak.  Ein  geistreicher  Franzose  hat  einmal  die  japanische  Malerei  mit  griechischen 
Vasenbildern  der  Perserzeit  verglichen;  man  wird  solche  Einfälle  nicht  pressen,  aber 
wenn  der  Vergleich  ein  Körnchen  Wahrheit  enthält,  so  ist's  dieses,  daß  die  japanische 
Malerei  bei  allem  verblüffenden  Können  doch  über  das  Stadium  nicht  eigentlich  hinaus- 
kam, das  für  die  Griechen  noch  Wiege  war.  Die  japanische  Kunst  ist  groß  gerade 
in  ihrer  Beschränkung,  die  griechische,  und  darauf  kommt  es  uns  hier  an,  hatte  zu 
Beginn  des  fünften  Jahrhunderts  die  Eierschale,  so  lose  sie  ihr  schon  aufsaß,  doch  noch 
nicht  abgeworfen.  Die  unentwickelte  Flächenverzierung  ist  nicht  etwa  ungriechisch, 
nicht  ausschließlich  orientalisch,  sondern  in  dem  eben  umschriebenen  Sinne  allgemein 
primitiv. 

An  diese  Bemerkungen  seien  andere  angeschlossen  über  das  wichtige  Element  der 
Dekoration,  das  Ornament.  Die  Griechen  behielten  neben  Wenigem  aus  dem  geo- 
metrischen Stil  eine  Auswahl  jener  meist  entlehnten,  allerdings  auch  gründlich  assimi- 
lierten Ornamente  bei.  Im  ganzen  behandelten  sie  das  Gut  als  zierliches  Linienspiel, 
oft  genug  aber  bricht  der  ursprünglich  pflanzliche  Charakter,  bricht  auch  der  immer 
treibende  Geist  des  Pflanzenornaments,  deutlich  durch;  dabei  hält  sich  die  Zeichnung 
im  herrschenden  Stil,  mutet  wie  absichtliche  Stilisierung  an.  Im  fünften  Jahrhundert 
aber  betrat  die  griechische  Ornamentik  einen  neuen  Weg,  den  Pfad  des  Naturalismus, 
und  zwar  in  Anlehnung  an  das  Vorbild  einheimischer  Pflanzen.  Schon  im  sechsten 
Jahrhundert  hatten  jonische  Vasenmaler  gelegentlich  naturalistische  (intentionell  natura- 
listische) Zweige,  anscheinend  Lorbeer,  auf  die  Schulter  der  Vase  gelegt;  im  peri- 
kleischen  Zeitalter  wurde  der  Lorbeerstab  als  bleibender  Besitz  in  die  Ornamentik 
eingeführt;   immer   verleiht    er    ihr    eine  eigene  Note  von   Vornehmheit.     Schon  kurz 


Orient  und  Hellas.  15 

zuvor  war  der  Akanthus  aufgesproßt,  zuerst  am  Fuß  des  Anthemions,  anfangs  wie 
schüchtern,  aber  stetig  sich  ausbreitend,  bis  er  dann  endlich  dazu  mitwirkte,  die  schönste 
Blüte  der  griechischen  Architektur  zu  zeitigen,  das  korinthische  Kapitell.  Wahrlich 
eine  originale  Schöpfung;  aber  wie  alle  geschichtlichen  Erscheinungen  geschichtlich  be- 
dingt. Seine  Grundform,  im  Gegensatz  zum  dorischen  und  zum  jonischen  Kapitell 
überhöht,  der  Kalathos,  war  schon  von  den  Ägyptern  als  edlere  Form  erkannt  worden; 
die  an  den  vier  Seiten  wiederkehrende  Verzierung,  eine  Palmette  auf  der  Fuge  zweier 
Bandeinrollungen,  mit  seitlichen  höheren,  am  oberen  Ende  ebenfalls  eingerollten  Ver- 
tikalsprossen, vorgebildet  in  den  Palmettenreihen  der  Simen,  in  den  Anthemien  der 
Stelen,  in  den  Henkelpalmetten  der  bemalten  Vasen,  deutet  zurück  auf  Assyrisches; 
von  unten  herauf  aber  wächst  das  griechische  Neue,  das  Akanthusblattwerk.  Das  erste 
uns  bekannte  Kapitell  dieser  Art,  leider  nicht  zuverlässig  überliefert,  stellte  Iktinos  in 
die  Reihe  jonischer  Säulen  im  inneren  Peristyl  des  Apollontempels  zu  Bassae.  Nicht 
erst  das  vierte  Jahrhundert,  sondern  bereits  das  fünfte  schuf  dies  griechische  Pflanzen- 
kapitell, als  die  reifste  Idee  der  griechischen  Architekten;  durch  den  Baumeister  des 
Parthenon  ist  es  mit  der  perikleischen  Baukunst  unlösbar  verknüpft,  als  ein  nach- 
geborenes Kind  des  perikleischen  Zeitalters.  Sofort  drückte  das  Juwel  attischer  Archi- 
tektur, das  Erechtheion,  auf  die  Einführung  des  Akanthusornaments  in  die  Baukunst 
sein  bestätigendes  Siegel. 

Freilich,  am  Kapitell  von  Bassae  umkleiden  die  gereihten  Akanthusblätter  nur  den 
untersten  Teil  des  Kalathos;  aber  im  vierten  Jahrhundert  sehen  wir  sie  an  der  epidau- 
rischen  Tholos  und  am  Lysikratesdenkmal  höher  wachsen  und  die  Helikes  weiter 
hinaufschieben.  Endlich  bildet  sich  der  hellenistisch -römische  Typus,  der  gleich  hier 
in  einigen  Hauptzügen  charakterisiert  sein  mag:  die  Helikes  schieben  sich  bis  hart  an 
die  Deckplatte  heran,  das  Doppelblatt,  aus  dem  je  ein  Volutenpaar  hervorgeht,  ent- 
wächst dem  Knoten  eines  geriefelten  Stengels  (dem  sog.  Füllhorn).  So  ward  ein 
Weltherrscher  in  der  Kunst. 

Das  griechische  Pflanzenkapitell  geht  im  Naturalismus  nicht  so  weit  wie  das 
ägyptische.  Der  Kunsttheoretiker  wird  geneigt  sein,  in  dieser  Zurückhaltung  bewußte 
Weisheit  zu  sehen.  Anders  der  Kunsthistoriker,  dem  die  geschichtliche  Bedingtheit 
selbst  dieser  wundervollen  Schöpfung  durchsichtig  ist;  ihm  liegt  die  Frage  nahe,  ob 
nicht  eine  Gebundenheit  durch  die  Tradition  als  Hemmungsursache  mit  im  Spiele  sein 
könne.  Längst  hat  man  bemerkt,  daß  die  klassische  Kunst  sich  nur  schrittweise  ent- 
wickelte, wieviel  Schweiß  es  ihr  kostete,  der  Gebundenheit  Herr  zu  werden,  in  Frei- 
heit walten  zu  können.    Da  läßt  sich  die  angedeutete  Frage  nicht  kurzerhand  abweisen 1). 

Wie  stellt  sich  nun  im  Hellenismus  die  Rechnung  zwischen  Orient  und  Hellas? 
Um  die  Frage  exakt  beantworten  zu  können,  müßten  wir  die  Kunst  in  der  Zeit  des 
Hellenismus  gründlicher  kennen,  als  es  bisher  der  Fall  ist.  Wohl  hat  unsere  Kenntnis 
im  letzten  Menschenalter  erheblich  zugenommen,  aber  gerade  durch  das  neugewonnene 
Licht  tritt  die  noch  übrige  Dunkelheit  um  so  schärfer  hervor.  Die  Auffassung,  in  der 
wir  die  soweit  bekannten  Tatsachen  zu  verstehen  suchen,  bleibt  einstweilen  hypothetisch. 

Die  griechische  Kunst  sandte  schon  im  sechsten  und  fünften  Jahrhunderte  ihre 
Missionare  bis  Massilia  und  bis  Persepolis.  Nun  baut  sie  ihre  Weltherrschaft  aus. 
Im  Osten  folgte    sie    den  Heeren   des    großen   Eroberers  und  seiner  Nachfolger,    des 


l)  Weltgesch.  198;  2221  Epoche  des  korinthischen  Stils.     Ebenda  207;  2227  Akanthus. 


1 6  Einleitung. 

Sonnenkönigs  und  der  kleineren  Fixsterne,  die  in  den  Teilen  seines  Reiches  Herrscher 
wurden.  Da  kam  ein  Schwung  in  die  Kunst,  der  sie  in  die  Geleise  des  Barockstils 
warf.  Orientalisch  ist  an  alledem  wesentlich  nur  die  politische  Voraussetzung,  das 
Großkönigtum.  Die  Kunst  selbst  blieb  immer  griechisch.  Hätte  die  Überphantasie 
ausgeführt  werden  können,  den  Berg  Athos  in  eine  gelagerte  Gottesgestalt  zu  formen, 
so  wäre  es  der  ungefügste  Koloß  geworden,  aber  ein  griechischer.  Der  Hellenismus 
hat  seinen  Namen  daher,  daß  die  Völker  nun  intensiver  hellenisierten,  als  sie  es  zuvor 
schon  taten,  nicht  von  einem  Barbarisieren  der  Hellenen.  Wohl  übernahmen  sie  einiges 
neu,  was  indessen  nicht  alles  von  Gewicht  ist.  Doch  von  mehreren!  müssen  wir  reden, 
wie  vom  Backsteingewölbe.  In  Lehm  und  lufttrocknen  Ziegeln  wölbten  die  Ägypter, 
mehr  noch  die  Mesopotamier  seit  alters;  mit  Keilsteinen  wölbte  man  in  Griechenland 
und  Italien,  wir  wissen  nicht  genau  wie  lange  schon,  die  Denkmäler  beginnen  in  der 
hellenistischen  Zeit.  Das  großräumige  Backsteingewölbe  mögen  die  Griechen  in  Ägypten 
erdacht  haben,  vielleicht  noch  eher  in  Syrien  (Seleukeia,  Antiochia),  irgendwann  in  der 
Periode  des  Hellenismus:  der  griechische  Geist  befruchtete  den  altorientalischen  Brauch. 
—  Dann  interessiert  uns  wieder  die  Flächenverzierung.  Einmal  die  Marmor- 
verkleidung. Der  altorientalische  Ziegelbau  hüllte  sich  in  Verkleidung  mit  schützendem 
und  auch  verschönerndem  Überzug;  dazu  benutzte  er  die  verschiedensten  Materialien, 
bemalten  Putz  und  glasierte  Fliesen,  Metallblech  in  Bronze,  selbst  in  Gold,  Steinreliefs. 
Bei  den  Griechen  wurden  die  Tempelmauern  seit  dem  siebenten  Jahrhundert  massiv 
aus  Quadern  aufgeführt,  auch  wenn  das  Material  Marmor  war;  die  Wohnhäuser,  auch 
der  Vornehmen  und  Reichen,  begnügten  sich  mit  Ziegelwänden,  sie  werden  geputzt 
und  getüncht  gewesen  sein,  vereinzelt  kam  auch  bei  ihnen  Blechüberzug  vor.  Im  Be- 
reich des  Mittelmeers  waren  es  die  hellenisierenden  Könige  an  Asiens  Westküste,  die 
zuerst  ihre  Ziegelpaläste  monumental  verkleideten,  mit  Marmortafeln,  als  deren  Surrogat 
später  Marmorstuck  eintrat;  Mausolos  von  Halikarnaß  führte  den  Reigen.  Wenn  wir 
nun  bemerken,  daß  bereits  in  der  Zeit  der  Vorblüte  die  punischen  Herren,  und  in  der 
perikleischen  die  sidonischen,  ihre  Särge  von  griechischen  Bildhauern  in  griechischem 
Marmor  herstellen  ließen,  so  werden  wir  nicht  zweifeln,  daß  der  ganze  Palast  des 
Kariers  in  griechischem  Stil  ausgeführt  war.  —  Endlich  das  Mosaik.  Man  pflegt 
seinen  orientalischen  Ursprung  stillschweigend  vorauszusetzen,  obwohl  wir  von  älter 
orientalischem  Mosaik  gar  nichts  und  von  dergleichen,  das  als  Vorläufer  des  Mosaiks 
gelten  darf,  nur  wenig  wissen.  Man  könnte  sehr  wohl  auf  den  Gedanken  kommen, 
die  Technik  habe  sich  in  und  aus  dem  überall  verbreiteten  Estrich  entwickelt,  einerlei 
wo,  vielleicht  bei  den  Griechen,  bei  denen  wir  Mosaik  zuerst  antreffen;  auch  fehlt  es 
nicht  an  Denkmälern  klassischer  Kunst,  die  eine  solche  Entwicklung  plausibel  zu 
machen  vermöchten.  Doch  sei  es  drum,  es  mag  etwas  Orientalisches  zugrunde  liegen, 
das  Wesentliche  ist,  daß  die  Orientalen  nichts  aus  der  Sache  zu  machen  wußten,  wohl 
aber  die  Griechen.  Und  die  Erfindung  kaum  gemacht  haben  sie  ihr  sofort  hohe  Auf- 
gaben gestellt.  Hieron  von  Syrakus,  im  dritten  Jahrhundert  vor  Christus,  ließ  sich  von 
dem  Architekten  Archias  von  Korinth  unter  Oberleitung  des  Archimedes  eine  Yacht 
bauen;  der  Fußboden  des  Aphrodisions  war  ein  Plättchenmosaik  aus  Achat  und  andern 
edlen  Steinarten,  das  Verdeck  aber  trug  einen  Mosaikboden  mit  der  Ilias  in  Bildern. 
Die  antike  Mosaiknachbildung  eines  im  Original  verlorenen  Gemäldes,  mit  das  um- 
fangreichste, jedenfalls  das  herrlichste  aller  Mosaikbilder,  besitzen  wir  in  der  Alexander- 
schlacht aus  Pompeji;  nach  den  vielleicht  ursprünglich  zugehörigen  Mosaikstreifen  der 


Hellas,  Rom  und  der  Orient.  17 

Schwelle  zu  urteilen,  mit  Nilstilleben,  stammte  es  wahrscheinlich  aus  Alexandria,  wohl- 
verstanden aus  dem  griechischen. 

Es  bleibt  die  Zeit  der  Römer  zu  besprechen.  Wie  verteilen  sich  da  die  Rollen 
zwischen  Hellas,  Rom  und  dem  Orient? 

Hellas,  Rom  und  der  Orient 

Die  Zeit  der  Römer  rechne  ich  von  der  Periode  ihrer  entscheidenden  Erobe- 
rungen an,  durch  die  sie  Herren  der  alten  Welt  wurden.  Die  Kaiserzeit  aber  ver- 
mag ich  nur  vom  ersten,  dem  einzigen  Cäsar  an  zu  rechnen.  „Der  neue  Monarch  von 
Rom,"  sagt  Theodor  Mommsen,  „der  erste  Herrscher  über  das  ganze  Gebiet  römisch- 
hellenischer Zivilisation,  Gaius  Julius  Cäsar,  stand  im  sechsundfunfzigsten  Lebensjahr, 
als  die  Schlacht  bei  Thapsus,  das  letzte  Glied  einer  langen  Kette  folgenschwerer  Siege, 
die  Entscheidung  über  die  Zukunft  der  Welt  in  seine  Hände  legte.  Weniger  Menschen 
Spannkraft  ist  also  auf  die  Probe  gestellt  worden,  wie  die  dieses  einzigen  schöpferischen 
Genies,  das  Rom,  und  des  letzten,  das  die  alte  Welt  hervorgebracht  und  in  dessen 
Bahnen  sie  denn  auch  bis  zu  ihrem  eigenen  Untergange  sich  bewegt  hat." 

Die  Triumphzüge  der  römischen  Feldherrn  fällten  Rom  mit  griechischen  Kunst- 
werken, brachten  auch  schon  einzelne  griechische  Künstler  dorthin.  Bedeutungsvoller 
für  die  weiteren  Geschicke  der  Kunst  war  die  Anziehungskraft,  welche  die  Hauptstadt 
auf  die  regsamen  Griechen  ausübte,  war  andererseits  der  maßgebende  Einfluß,  den  die 
Herren  der  Welt  wenigstens  auf  das  Programm  ausübten,  eines  Baues,  einer  Aus- 
stattung, zunächst  für  den  Kunstbetrieb  in  Rom  selbst,  nach  den  Umständen  aber  auch 
draußen  im  Reich.  Das  eigentlich  Künstlerische  verblieb  den  Griechen.  Und  wenn 
zwischen  den  vielen  griechischen  Künstlernamen  sich  einmal  ein  römischer  findet,  nun, 
so  hat  dieser  Römer  seine  Lehrzeit  eben  in  einer  griechischen  Werkstatt  durchgemacht 
und  hat  sich  in  die  Mysterien  der  Griechenkunst  einweihen  lassen;  dann  trug  er,  ein 
jeder  in  seinem  Fach,  den  griechischen  Thyrsos  wie  nur  ein  Grieche.  Wie  einst  die 
Skythes,  die  Amasis,  die  man  für  geborene  Skythen  und  Ägypter  zu  halten  Ursache 
hat,  in  die  athenischen  Töpfereien  eintraten  und  attische  Vasenmaler  wurden. 

Noch  immer  und  immer  wieder  hört  man  von  „römischer  Kunst"  reden.  Und 
wenn  die  Kaiserzeit  in  Frage  steht,  so  klingt  es,  als  ob  die  Antike  da  ein  ganz  neues 
Gesicht  aufgesetzt  hätte,  statt  des  griechischen  ein  römisches.  Einst  als  die  klassisch- 
griechische Kunst  sich  in  den  Sattel  setzte,  um  zu  reiten,  da  nahm  sie  allerdings  dem 
Orient  den  Herrscherstab  aus  der  Hand.  Jetzt  aber,  da  die  Römer  den  Griechen  das 
politische  Zepter  nahmen,  ließen  sie  ihnen  die  Herrschaft  mindestens  der  Kunst,  allen- 
falls daß  sie  wie  gesagt  in  ihre  Arbeit  eintraten.  Von  einem  tiefgreifenden  Wandel, 
von  einem  Übergang  der  Kunst  aus  den  Händen  der  Griechen  in  die  der  Römer  kann 
keine  Rede  sein.  Gab  es  denn  überhaupt  eine  römische  Kunst,  die  der  griechischen 
eigenkräftig  genug  gegenüber  gestanden  hätte,  um  sie  entthronen  und  sich  an  die 
Stelle  setzen  zu  können?  Nein,  die  in  Rom  geübte  Kunst  war  immer  abhängig.  Emp- 
fänglich war  ja  gewiß  auch  die  griechische,  aber  sie  blieb  immer  Herrin  der  Lage, 
während  die  Italiker  nicht  imstande  waren,  eine  nationale  Kunst  herauszuarbeiten.  Die 
Archäologen  streiten  darüber,  wieviel  die  Etrusker  den  Phöniziern  und  Puniern,  wieviel 
sie  den  Griechen  aus  Hellas,  aus  dem  Osten  und  aus  Großgriechenland  verdankten; 
dies  war  soviel,   daß  man  neuerdings  geneigt  ist,  jedes  bessere  nicht  geradezu  barbari- 

Sybel,  Christliche  Antike  II.  2 


18  Einleitung. 

sierende  Werk,  das  sich  in  Etrurien  fand,  für  griechische  Einfuhr  zu  erklären.  "Wenn 
dann  die  Römer  bei  den  Etruskern  in  die  Schule  gingen,  so  wurden  sie  Enkelschüler 
der  Griechen.  Nicht  allein  dies,  sondern  ihre  Schriftsteller  melden  von  griechischen 
Künstlern,  die  zur  Ausführung  wichtiger  Werke  nach  Rom  berufen  wurden,  und  der 
Einstrom  griechischer  Kunsterzeugnisse  ging  fort  und  fort.  Wenn  dann  gesagt  wird,  in 
den  hellenistischen  Zeiten  hätten  die  Römer  der  hellenistischen  Kunst  Einlaß  gewährt, 
so  daß  sie  die  etruskische  Bauweise  aufgaben  und  die  griechische  annahmen,  so  wird 
damit  festgestellt,  daß  die  römische  Kunst,  soweit  sie  noch  nicht  griechisch  gewesen 
wäre,  es  nun  wurde. 

Nicht  aus  einer  imperialistischen  Voreingenommenheit  für  die  Weltherrschaft  der 
griechischen  Kunst  betone  ich  das;  im  Gegenteil,  lieber  sähe  ich  ein  jedes  Volk  im 
Besitz  einer  nationalen  Kunst.  Wieviel  reicher  wäre  die  Welt  dann.  Und  ich  würde 
jedem  dankbar  sein,  der  mir  eine  spezifisch  römische  Kunst  demonstrierte,  aber  exakt, 
vor  allem  auf  synchronistischer  Basis.  Es  würde  ein  Buch  erfordern,  aber  es  wäre 
wert  geschrieben  zu  werden.  Ob  es  je  dazu  kommt?  Einstweilen  ist  nur  Griechisches 
zu  sehen.  Wohl  aber  wirkt  das  Gesetz  der  Geschichte  weiter,  alles  Seiende  verändert 
sich,  Schritt  vor  Schritt  ändert  sich  die  griechische  Kunst  auch  in  der  Kaiserzeit;  und 
so  produktionskräftig  der  Osten  noch  ist,  Kleinasien  und  die  Hauptstädte,  wie  Alexandria, 
Antiochia,  so  hat  sich  doch  der  Schwerpunkt  der  griechischen  Kunst  nicht  unerheblich 
verschoben,  nach  Rom.     Das  gilt  für  solange,  als  Rom  die  Reichshauptstadt  blieb. 

Streng  genommen  ist  es  noch  nicht  an  der  Zeit,  über  die  Stellung  Roms  in  der 
Weltgeschichte  der  Kunst  abschließende  Urteile  zu  fällen.  Die  Kunst  Roms  und  der 
römischen  Zeit  hat  lange  nicht  soviele  Bearbeiter  gefunden  als  die  klassisch-griechische, 
deren  Bild  dank  den  Funden  und  Ausgrabungen  des  letzten  Jahrhunderts  und  der 
darauf  gewandten  gelehrten  Arbeit  reich  ausgebaut  werden  konnte.  Dagegen  gemessen 
stand  Rom  die  Zeit  her  einigermaßen  im  Schatten.  Doch  ist  man  nicht  untätig.  Am 
natürlichen  Mittelpunkte  der  römischen  Studien,  in  Rom  selbst,  regen  die  auch  dort 
fortgehenden  Ausgrabungen  zu  immer  tiefer  greifenden  Untersuchungen  an.  Einen 
besonderen  Kristallisationsmittelpunkt  bildet  die  Bearbeitung  des  Korpus  der  „Antiken 
Sarkophagreliefs";  ihren  Ergebnissen  für  die  Kunstgeschichte  sehen  wir  noch  entgegen. 
Aber  außer  den  klassischen  Archäologen  haben  noch  andere  Gelehrte  von  ganz  ver- 
schiedenen Gebieten  her,  allerdings  Nachbargebieten,  kräftige  Vorstöße  in  unser  Gebiet 
unternommen,  nämlich  Kunsthistoriker  im  konventionellen  engeren  Sinne,  diejenigen, 
denen  die  Erforschung  der  mittleren  und  neueren  Kunst  obliegt.  Die  immer  neu  ver- 
handelte Frage  nach  den  Wurzeln  der  mittelalterlichen  Kunst  mußte  sie  notwendig  in 
die  Antike  zurückführen,  zunächst  in  die  spätere.  Es  war  nur  natürlich,  daß  sie  ihre 
eigenen  Gesichtspunkte  mitbrachten;  infolgedessen  mußte  ihre  Behandlung  anregend 
wirken,  aber  auch  auf  Widerspruch  stoßen.  Einstweilen  wird  man  anerkennen,  daß  sie 
auf  manches  nicht  oder  nicht  genügend  Beachtete  die  Aufmerksamkeit  hingelenkt 
haben.  Übrigens  sind  weder  die  einschlagenden  Forschungen  noch  die  über  sie  ge- 
führten Verhandlungen  schon  am  Ziel.  Der  Aufgabe  dieses  Buches,  welches  noch 
Fernstehende  einfuhren  will,  wird  es  entsprechen,  wenn  wir  über  jene  Forschungen 
und  die  auf  sie  gebauten  Hypothesen  hier  in  Kürze  berichten,  auch  mit  Benutzung 
ihrer  Worte.  Nur  müssen  wir  dabei  unsere  Grenze  einhalten.  Hier  interessiert  uns 
nicht  der  Ursprung  der  mittelalterlichen  Kunst,  sondern  bloß  der  Ausgang  der  Antike. 
Wir   sind    daher   genötigt,  jene  Forschungen    und   Hypothesen    gleichsam    von    ihrem 


Hellas,  Kom  und  der  Orient.  19 

Mutterboden  abzulösen  und  nur  dasjenige  aus  ihnen  herauszuheben,  was  sie  zum  Ver- 
ständnis der  Antike  anbieten.  Wir  wissen,  daß  wir  ihnen  auf  diese  Weise  nicht  völlig 
gerecht  werden;  aber  man  wird  es  verstehen,  wenn  wir  in  den  Grenzen  der  Antike  zu 
bleiben  vorziehen. 

Zur  besseren  Übersicht  wird  es  gut  sein,  die  Epochen  der  Kunstgeschichte  in  der 
Kaiserzeit  sich  gegenwärtig  zu  halten.  Von  Unterabteilungen  abgesehen  unterscheiden 
wir  die  frühere  Kaiserzeit  von  Cäsar  und  Augustus  bis  Hadrian,  eine  zweite,  mittlere 
Epoche  von  den  Antoninen  bis  Konstantin,  und  die  Spätantike  von  Konstantin  bis 
Justinian  (Weltgesch.  377;  2384). 

Alois  Riegl  schrieb  Grundlegungen  zu  einer  Geschichte  der  Ornamentik.  Im 
Widerspruch  zu  Gottfried  Sempers  Lehre  vom  Einfluß  des  Materials  und  der  Technik 
auf  die  Stilbildung  betonte  er  die  Bedeutung  des  selbstherrlichen  Kunstschöpf ens,  des 
freischöpferischen  Kunstwollens;  und  im  Widerspruch  zu  der  anderen  Lehre  vom  spon- 
tanen Entstehen  der  Künste  in  den  verschiedenen  Ländern  verlangte  er  Anwendung 
der  historischen  Methode,  der  geschichtlichen  Ableitung.  So  ist  ihm  die  Entstehung 
der  Kunst  des  Islam  nicht  eine  innere  Angelegenheit  des  Orients,  sondern  der  Universal- 
geschichte der  Kunst.  Das  Wesentliche  der  sarazenischen  Kunst,  die  Arabeske,  beruht 
auf  der  Ranke;  die  Ranke  aber  war  dem  alten  Orient  noch  fremd,  Griechenland  hat 
sie  gefunden. 

Die  Ranke  schätzt  Riegl  als  die  besondere  und  als  eine  besonders  fruchtbare  Er- 
rungenschaft der  griechichen  Ornamentik  ein,  schon  in  der  ägäischen  Zeit  trat  sie  auf; 
eine  zweite  Errungenschaft  war  das  Akanthusornament,  von  Riegl  als  eine  fortschreitende 
Naturalisierung  der  Palmette  aufgefaßt.  Im  Hellenismus  setzt  eine,  die  Folgezeit  zu- 
nehmend beherrschende  rückläufige  Bewegung  ein,  die  auf  Entnaturalisierung,  Geometri- 
sierung  geht.  Bemerkenswertestes  Kennzeichen  ist  die  „unfreie"  Gestaltung  sowohl  der 
neben  allem  Naturalisieren  immer  weiterlebenden  Palmette  als  auch  des  Akanthus- 
blattes:  statt  als  freie  Endigung  sich  von  der  Ranke  zu  lösen,  läßt  das  Blatt,  oder  die 
Palmette  (beides  nur  halb  gegeben,  als  Akanthushalbblatt,  als  Halbpalmette)  aus  der 
eigenen  Spitze  die  Fortsetzung  der  Ranke  hervorgehen,  eine  dem  Pflänzenorganismus 
widersprechende  Bildung.  —  Wir  möchten  lieber  sagen,  die  beiden  in  der  Ornamentik 
wirksamen  Tendenzen,  einerseits  sich  in  bloßen  Linien-  und  Formenspielen  zu  gefallen 
und  gegebene  Motive  als  bloße  Linien-  und  Formenspiele  zu  behandeln,  andererseits 
die  Linien  und  Formen  zu  naturalisieren,  liegen  in  dauerndem  Widerstreit,  in  ewiger 
Spannung;  gerade  aus  dieser  Spannung  strömt  die  lebendige  Kraft,  welche  die  Fort- 
entwicklung des  Ornaments  in  Gang  erhält.  Daß  dabei  bald  die  eine,  bald  die  andere 
Tendenz  das  Übergewicht  hat,  immer  wieder  aber  beide  in  annäherndem  Gleichgewicht 
sich  die  Hände  reichen  zu  gemeinsamem  Schaffen,  lehrt  der  Gang  ihrer  Geschichte. 
Gerade  aus  dem  Beginne  der  Kaiserzeit  stammt  das  Äußerste  an  naturalistischem  Orna- 
ment, das  wir  der  klassischen  Antike  verdanken;  und  die  von  Riegl  wohlbemerkten 
dichtbelaubten  Ranken  der  Kaiserzeit  sind  ebenfalls  von  einem  energisch  naturalistischen 
Trieb  eingegeben,  trotz  der  hinein  verwebten  unfreien  Halbblätter. 

Die  abendländisch  altchristliche  Kunst  hat  Riegl  übergangen.  Ganz  auf  sein 
eigentliches  Objekt  und  Ziel  gerichtet,  die  mittelalterliche  Kunst,  und  zwar  die  des 
mohammedanischen  Morgenlandes,  geht  er  sofort  zur  Betrachtung  der  oströmischen  Kunst 
über  und  zwar  in  ihrer  frühbyzantinischen  Phase;  seine  Beispiele  entnimmt  er  dem 
späteren  fünften  und  dem  sechsten  Jahrhundert.     Das  grundsätzliche  Unterscheidungs- 

2* 


20  Einleitung. 

merkmal  für  den  byzantinischen  Akanthus  findet  er  nicht  wie  Strzygowski  in  dem 
scharfen  Zackenschnitt  der  Ränder,  gegenüber  den  weicheren  Formen  der  westlichen 
Akanthbildungen  (er  lehnt  auch  die  Ableitung  dieses  Gegensatzes  aus  dem  Unterschied 
der  östlichen  acanthus  spinosa  von  der  westlichen  acanthus  mollis  ab),  sondern  in  der  Auf- 
lösung des  früheren  Gesamtblattes  in  einzelne  kleinere  Blätter  durch  scharfe  Einziehungen 
zwischen  den  Lappen.  Die  Einzellappen,  meist  Dreiblätter,  erscheinen  auch  isoliert,  wie 
herausgezupft  aus  dem  ganzen  Blatt.  Sodann  aber  wandelte  sich  die  dichtbelaubte 
Wellenranke  mit  ihren  teilweis  unfreien  Halbblättern  in  ein  wellenrankenförmig  fort- 
laufendes Akanthusblatt;  dieses  aber  dient  weiter  dazu,  nicht  bloß  niedrige  Friese,  sondern 
in  freien  Schwingungen  auch  größere  Flächen  zu  füllen.  Endlich  erscheinen  auch  die 
durch  eigentümliche  Rankenführung  entstehenden  Bandverschlingungen ,  in  Kreisen, 
größeren  und  kleineren  im  Wechsel,  im  Spitzoval  oder  im  Kielbogen,  in  geradlinigem 
aber  geknicktem  Zuge.  Zu  alledem  finden  sich  schon  in  früherer  Zeit  Ansätze,  z.  B. 
in  den  pompejanischen  Dekorationsmalereien,  doch  auch  in  skulpierter  Ornamentik.  — 
Den  byzantinischen  gehen  die  sassanidischen  Ornamente  parallel,  wie  sie  auch  den  by- 
zantinischen gleichartig  sind,  sowohl  vermöge  ihrer  Vorgeschichte  wie  in  ihrem  Nach- 
leben; der  Prozeß  hat  sich  in  allen  von  der  oströmischen  Kunst  beherrschten  Gebieten 
gleichmäßig  angebahnt. 

Riegl  kommt  zu  dem  Schluß,  daß  die  frühbyzantinische  Weise  der  sarazenischen 
bereits  sehr  nahe  steht.  An  den  Blumen-  und  Blattmotiven  blieb  nicht  viel  zu  ändern, 
um  zur  reinen  Arabeske  zu  gelangen;  nur  in  der  Rankenführung  war  auf  bereits  ein- 
geschlagenem Wege  ein  entschiedener  Schritt  vorwärts  zu  tun.  Riegl,  der  vom  Mittel- 
alter ausgeht,  um  nach  der  Umschau  in  der  Antike  zu  ihm  zurückzukehren,  mißt  die 
Antike  am  Sarazenischen.  Wir,  die  wir  das  Mittelalter  außer  Betracht  lassen,  würden 
uns  begnügen  zu  sagen:  auf  dem  Boden  der  griechischen  Ornamentik,  wie  sie  sich  ins- 
besondere seit  dem  Hellenismus  und  in  der  Kaiserzeit  entwickelt  hatte,  erwachsen 
brachte  die  frühbyzantinische  Weise  manche  der  während  dieser  Entwicklung  befruchteten 
Keime  zur  Reife;  damit  endete  die  antike  Ornamentik,  indem  sie  es  dem  kommenden 
Mittelalter  überließ,  wie  es  mit  dem  hinterlassenen  Erbe  wirtschaften  wolle.1) 

Anderen  Darstellungen  gegenüber  stellen  wir  fest,  daß  Riegl  die  von  Anbeginn 
vertretene  Auffassung  bis  zum  Ende  behauptete,  die  Auffassung,  daß  der  Hellenismus 
der  Boden  war,  auf  dem  alle  folgende  Kunst  erwuchs,  und  daß  die  treibende  Kraft 
immer  auf  Seiten  der  Griechen  war,  durch  alle  Epochen  der  Kaiserzeit.  Auch  er 
unterscheidet  die  frühere  Zeit  bis  zu  den  Antoninen,  eine  mittlere  von  Mark  Aurel  bis 
Konstantin,  die  späte  von  Konstantin  bis  Justinian.3)  Die  nachkonstantinische  Zeit 
nennt  er  „spätrömisch",  aber  nicht  in  dem  Sinne,  als  hätte  in  der  Stadt  Rom  oder  im 
römischen  Westreich  der  Schwerpunkt  der  Kunst  gelegen,  die  Führung  lag  stets  beim 
griechischen  Osten.  Sein  „römisch"  hat  immer  das  Weltreich  im  Auge,  in  dessen 
Kunstschaffen  die  schöpferische  Rolle  auch  nach  Konstantin  demselben  Griechenvolke 
verblieb,  das  diese  Rolle,  seit  dem  Niedergange  der  altorientalischen  Völker,  das  ganze 
Altertum  hindurch  gespielt  und  zu  unerhörten  Erfolgen  gebracht  hatte.  So  ist  auch 
die  Kunst  der  römischen  Kaiserzeit  im  wesentlichen  noch  immer  eine  griechische  zu 
nennen;  eines  neuen  Volkes  mit  neuen  Kunstidealen  bedurfte  es  nicht,  die  entscheidenden 


*)  Alois  Riegl,  Stilfragen,  Grundlegungen  zu  einer  Geschichte  der  Ornamentik,  Berlin  1893. 
9)  Die  mittlere  und  die  späte  (also  von  Mark  Aurel  bis  Justinian)  faßt   er  zusammen  uuter 
dem  Begriff  der  „Spätantike*. 


Hellas,  Rom  und  der  Orient.  21 

positiven  Leistungen  gingen  stets  von  der  oströmischen  Reichshälfte  aus.  In  allen 
Teilen  des  Reichs  wirkte  der  Hellenismus;  auch  für  Parther  und  Sassaniden  wie  für  das 
Ägypten  der  Spätantike  gilt,  daß  ihre  Kunst  (Riegl  redet  speziell  von  der  Teppich- 
ornamentik, meint  es  aber  umfassender)  auf  hellenistische  Wurzeln  zurückzuführen  ist, 
nicht,  wie  man  meist  glaubte,  auf  assyrische  oder  altpersische. 

Eine  großangelegte  Charakteristik  der  nachkonstantinischen  Kunst  gibt  das  Werk 
„Spätrömische  Kunstindustrie".  Riegls  historische  Forschung  ist  verwachsen  mit  einer 
Kunsttheorie,  die  von  einem  gesunden  Motiv  ausgegangen  zu  einem  System  sich  aus- 
wuchs,  das  den  Archäologen  zu  immer  neuem  Widerspruche  reizt.  So  hat  er  gewiß 
recht,  gegenüber  einer  einseitig  nur  der  Kausalität  nachspürenden  Kunstinterpretation 
dem  „Kunstwollen"  des  Künstlers  zur  Anerkennung  zu  verhelfen,  das,  auf  Hervorbringen 
einer  bestimmten  künstlerischen  Wirkung  zielend,  die  Kunstmittel  freiwählend  in  den 
Dienst  der  Kunstabsicht  stellt.  Aber  er  verfällt  selbst  der  Einseitigkeit,  wenn  er  die 
doch  auch  bestehende  Kausalität  verneint  und  das  bewußte  Kunstwollen  bis  zum  Bizarren 
übertreibt.  Gottfried  Sempers  Lehre  vom  Einfluß  des  Materials  und  der  Technik  auf 
den  Stil  behält  ihre  Geltung  so  gut  wie  Riegls  Lehre  vom  freien  und  bewußten  Kunst- 
wollen, eine  jede  an  ihrem  Ort  und  in  ihren  Grenzen.  Wenn  nun  Riegl  in  der  spät- 
römischen Kunst  einen  Verfall  nicht  anerkennt,  so  hängt  das  mit  dem  „Kunstwollen" 
zusammen.  Die  unleugbar  auftretenden  Verfallserscheinungen  haben  nur  relative  Be- 
deutung. Sie  sind  ein  Rückgang  dessen,  worauf  die  vorausgegangene  Blüte  beruhte; 
das  Plastische,  worin  die  Stärke  der  klassischen  Antike  gelegen  hatte,  ging  zurück. 
Aber  es  ward,  bewußt  und  absichtlich,  einem  höheren  Zwecke  geopfert,  es  mußte  fallen, 
um  der  Zukunft  den  Weg  frei  zu  machen,  der  Moderne.  Ich  greife  hier  nur  ein  paar 
Sätze  heraus,  deren  Sachliches  uns  wiederbegegnen  wird.  Die  klassische  Antike  hatte 
die  Formen  nur  in  der  reinen  Ebene  zur  Anschauung  gebracht,  ohne  Tiefe;  sie  war 
„grundsätzlich  raumfeindlich".  In  der  mittleren  Kaiserzeit  (deren  Art  und  Weise  aber 
noch  weit  in  das  vierte  Jahrhundert  hinein  herrschte)  kam  insofern  auch  der  Raum 
zu  einiger  Geltung,  als  die  Form  sich  vom  Grunde  löste,  der  nun  dunkel  unter  und 
zwischen  den  hellen  Formen  zu  stehen  kam;  das  gab  einen  Wechsel  von  Hell  und 
Dunkel,  eine  Art  farbigen  Rhythmus.  Im  ausgereiften,  nachtheodosianischen  Spät- 
römischen fallt  die  plastische  Form  vollends  in  die  Fläche  ohne  Tiefe  zurück;  aber  der 
Grund  zwischen  den  Formen  erhielt  Eigenbedeutung,  gleichwertig  dem  Muster,  es  ent- 
stand der  Rhythmus  der  Intervalle,  usf.1) 

In  der  Einleitung  zur  Ausgabe  der  Wiener  Genesis  entwarf  Franz  Wickhoff  eine 
geistvolle  Entwicklungsgeschichte  der  Kunst  der  Kaiserzeit  bis  ins  vierte  Jahrhundert. 
Seine  Ausführungen  fallen  soweit  ganz  in  den  Rahmen  der  Antike  und  unseres  Inter- 
esses; nur  aus  dem  Anlaß  der  Miniaturen  wirft  er  ein  paar  Blicke  in  das  Mittelalter. 

Der  hellenistische  Barockstil  hatte  noch  zu  Ende  des  dritten  vorchristlichen  Jahr- 
hunderts Werke  allerersten  Ranges  geschaffen,  an  absolutem  Werte  in  nichts  den  Meister- 
werken der  großen  Künstler  von  Phidias  bis  Lysipp  nachstehend,  Gebilde,  die  in  kühner 
Bewegtheit  und  in  pulsierendem  Leben  die  Natur  selbst  zu  übertreffen  schienen.  Aber 
dem  Rausche  folgte  die  Ernüchterung,  im  alexandrinischen  Empirestil.  Nun  erst  trat 
Rom  in  die  Arena.     Bis  zum  ersten  Jahrhundert  v.  Chr.  war   die  Kunst  in  Rom  nur 


*)  Riegl,  Altorientalische  Teppiche  1891,  109  Der  Knüpfteppich  im  Verhältnis  zur  alt- 
orientalischen Kunst.  Derselbe,  Spätrömische  Kunstindustrie  I  1901  (der  zweite  Teil  ist  nicht 
erschienen). 


22  Einleitung. 

gelegentlich  herbeigerufen  worden,  von  einer  regelmäßigen  Entwicklung  konnte  dort 
nicht  die  Rede  sein;  erst  in  der  Kaiserzeit  fing  sie  an. 

Rom  kann  als  die  letzte  der  hellenistischen  Kunststätten  gelten,  Griechen  waren 
die  Schöpfer  der  römischen  Kunst.  Der  allgemeine  Charakter  dieses  römischen  Hellenis- 
mus war  ein  etwas  trockener  Naturalismus.  Er  herrscht  im  „Architekturstil"  der  Wand- 
malerei, wie  in  der  Pflanzendarstellung  der  Wiener  Brunnenreliefs,  den  beachtens- 
wertesten unter  den  augusteischen  Stücken  der  „hellenistischen  Relief bil der".  Natura- 
listisch ist  die  Wirklichkeitsdarstellung  in  den  Zeremonienbildern  der  Ära  Pacis.  Immer 
derselbe  nüchterne  Empirestil  eignete  sich  am  besten,  die  kühle  Eleganz  des  halb- 
gebildeten römischen  Adels  auszudrücken;  so  schuf  er  den  Knabenkopf  des  Oktavian 
und,  in  seiner  Fortdauer,  die  vatikanische  Statue  des  Augustus.  Von  griechischen 
Künstlern  ausgebildet,  jedoch  schon  von  den  römischen  Auftraggebern  beeinflußt,  liefert 
die  letzte  Phase  der  hellenistischen  Kunst  den  Grund,  auf  dem  sich  die  nationale  römische 
Kunst  aufbauen  sollte. 

Den  augusteischen  imitativ  naturalistischen  Stil  löste  ein  neuer  ab,  der  „illusioni- 
stische", wie  er  in  der  claudisch-flavisch-trajanischen  Zeit  sich  herausbildete.  Der 
Naturalismus  war  seine  Voraussetzung,  er  verschaffte  dem  Künstler  die  Beherrschung 
aller  Formen  und  Farben,  auf  daß  er  nun  endlich  dem  Gegenstand  in  voller  Freiheit 
des  künstlerischen  Schaffens  mit  Abstand  gegenüberstehen  könne.  Aber  den  Griechen 
war  ein  Herauskommen  aus  dem  imitativen  Naturalismus  nicht  mehr  möglich,  es  ge- 
hörten neue  Kräfte  dazu,  die  mit  dem  römischen  Auftraggeber  verwandten  Blutes  waren. 
Den  benötigten  Arbeiterstamm  lieferte  die  gemeinlateinische  Kunst,  die  auf  etruskischer 
Grundlage  fußend  in  ganz  Italien  zu  finden  war,  außer  dem  gräzisierten  Süden.  Ihre 
erste  bedeutende  Leistung  waren  die  etruskischen  realistischen  Porträts,  wie  wir  sie  im 
Museo  Gregoriano  bestaunen;  in  deren  noch  unreifem  Illusionismus  behandelt  z.  B.  der 
Giebelschmuck  von  Luni  sein  hellenistisches  Vorbild.  Nach  Augustus  also  zogen,  zur 
Ergänzung  der  für  die  Fülle  der  Aufträge  nicht  mehr  zureichenden  Griechen  Arbeiter 
aus  den  Kleinstädten  Italiens  nach  der  Hauptstadt.  Nun  standen  den  Auftraggebern 
Künstler  der  eigenen  Nation  zur  Verfügung,  und  an  die  Stelle  des  morgenländisch 
hellenistischen  trat  der  abendländisch  lateinische  Stil,  die  nationalrömische,  die  römische 
Reichskunst.  Ging  die  griechische  Kunst  immer  auf  das  Typische  aus,  so  die  römische 
auf  das  Individuelle.  Nun  erlebte  der  Illusionismus,  der  die  Illusion  des  Wirklichen 
nicht  mehr  durch  erschöpfende  Wiedergabe  des  dargestellten  Organismus  erstrebte, 
sondern  durch  Auswahl  der  Züge,  die  den  Eindruck  der  Erscheinung  in  einem  be- 
stimmten Momente  täuschend  wieder  zu  erzeugen  vermögen,  seine  höchste  Ausbildung. 
Die  neue  Malweise,  das  letzte  Wort  des  Malers,  gesellte  sich  eine  neue  Erzählungs- 
weise. Wickhoff  unterscheidet  die  naive  „kompletierende",  die  alles  aussprechen  will, 
was  mit  dem  Gegenstand  zusammenhängt,  sodann  die  reife  und  klassische  „distin- 
guierende",  welche  herausgehobene  Momente  der  Erzählung  in  besonderem  Rahmen  vor- 
führt, einzeln  oder  in  Zyklen,  endlich  die  neue  „kontinuierende",  welche  die  verschiedenen 
Momente  der  fortschreitenden  Handlung  im  selben  Rahmen  aneinanderreiht.  Wenn 
auch  in  der  griechischen  Kunst  schon  vorbereitet,  gehörte  diese  letztere  Erzählungs- 
weise als  ausgeprägter  Stil  doch  erst  der  Kaiserzeit  an,  ist  keine  griechische  noch 
hellenistische  Weise,  sondern  eine  römische.  Einige  Belege  für  den  Illusionismus  und 
die  kontinuierende  Darstellung.  Die  Wandmalerei  bildete  ihren  Architekturstil  ins  Illu- 
sionistische   um   im   „vierten  Stil";    eingestreute   Kleinbilder    aller  Art,    Stilleben    und 


Hellas,  Rom  und  der  Orient.  23 

Küchenstücke  sind  Kabinettstücke  des  Stils,  im  pompejanischen  Macellum  hat  er  sein 
Bestes  geleistet.  Illusionistisch  behandelt  ist  die  kontinuierende  Darstellung  der  es- 
quilinischen  Odysseelandschaften  (nach  Wickhoff  trajanisch).  In  Marmorrelief  aber  ent- 
standen illusionistische  Pflanzen-  und  Tierdarstellungen,  wie  die  rankenden  Rosen  vom 
Hateriergrab,  der  in  den  Kranz  tretende  Adler  in  Santi  Apostoli,  das  lateranische 
Relief  mit  über  den  Grund  gestreuten  Zitronen-  und  Quittenzweigen  fast  in  japanischer 
Art.  Die  Triumphalreliefs  des  Titusbogens  täuschen  illusionistisch  das  Vorbeiziehen 
vor;  das  Wogen  der  Schlacht,  in  der  kontinuierenden  Weise  verknüpft  mit  der  Sieges- 
feier, schildert  Trajans  großes  Relief  (zerlegt  und  dem  Konstantinsbogen  eingefügt); 
das  Höchste  in  kontinuierender  Darstellung  leistet  die  Trajanssäule.  Groß  ist  die  Zahl 
vorzüglicher  Privatporträts  dieses  Stils,  leuchtendste  Probe  der  Illusionsplastik  aber  der 
Nerva  in  der  vatikanischen  Rotunde. 

Wickhoff  versucht  das  Fortleben  jener  Doppeltendenz  an  bedeutenden  Denkmälern 
bis  in  das  vierte  Jahrhundert  zu  verfolgen.  Diese  nationalrömische  Kunst  strömte  als 
Reichskunst  nach  dem  griechischen  Osten,  zurück  also  zu  ihren  ersten  Ausgangspunkten, 
den  Stammsitzen  der  hellenistischen  Kunst  in  Ägypten,  Syrien  und  Kleinasien.  Jene 
Länder  hatten  sich  früh  christianisiert,  am  intensivsten  Kleinasien,  Konstantin  gab  dem 
Prozeß  entschiedeneren  Fortgang.  In  den  althellenistischen  ostgriechischen  Großstädten, 
Alexandria  und  Antiochia,  wozu  seit  Konstantin  das  neue  Rom  kam,  Byzanz,  bildete 
sich  nun  erst,  im  vierten  und  fünften  Jahrhundert,  die  endgültige  christliche  Kunst, 
deren  Formenwelt  auch  maßgebend  werden  sollte  für  das  Mittelalter.  Dieselbe  römische 
Reichskunst  war  es,  die  immer  Größeres  im  Sinne  tragend,  den  Gewölbebau  vom  Pantheon 
bis  zur  Basilika  des  Konstantin  führte.1) 

Den  Angelpunkt  in  Wickhoffs  Ausführungen  bildet  der  Übergang  der  Kunst  aus 
den  Händen  der  Griechen  in  die  der  Römer.  Er  legt  diesen  Übergang  etwa  in  die 
Zeit  der  Claudier.  Ein  so  scharfer,  so  tiefgreifender  Einschnitt  in  die  Kunstgeschichte 
der  Kaiserzeit  an  dieser  Stelle  hat  etwas  Überraschendes.  Kopfschüttelnd  hört  man 
auch  das  Nähere:  Die  Griechen,  die  eben  noch  die  römische  Kunst  begründeten,  in 
den  Bahnen  des  Hellenismus,  dieselben  Griechen  sollen  nach  Augustus  plötzlich  nicht 
mehr  mitkönnen,  sie  bleiben  auf  der  Straße  liegen,  und  Römer,  römische  Künstler  „aus 
den  Kleinstädten  Italiens"  übernehmen  die  Führung,  begründen  einen  neuen  Stil  zu 
Sehen  und  Wiederzugeben,  den  Illusionismus,  einen  neuen  Stil  auch  der  Erzählung,  die 
kontinuierende,  und  mit  und  in  diesem  neuen  Doppelstil  beschenken  sie  die  Menschheit 
mit  der  römischen  Reichskunst.  Leider  hat  Wickhoff  den  Satz  vom  Zurückbleiben 
der  Griechen  und  dem  Hervortreten  der  Römer  ohne  Beweis  gelassen.  Wir  bleiben 
mithin  berechtigt,  an  der  Auffassung  festzuhalten,  daß  die  römischen  Auftraggeber  wohl 
Programme  aufzustellen  in  der  Lage  waren,  nach  Umständen  für  alle  Teile  des  Reiches; 
aber  das  Künstlerische  an  der  Kunst  blieb  immer  griechisches  Werk,  sie  blieb  griechisch. 

Sobald  die  Kunst  der  Kaiserzeit  nicht  als  nationalrömische,  sondern  als  hellenistische 
Kunst  anerkannt  wird,  und  zwar  nicht  bloß  für  die  augusteische  Epoche,  sondern  für 
ihre  ganze  Dauer,  so  tritt  sie  damit  in  den  weiten  Kreis  der  gesamthellenistischen 
Kunst,  wie  sie  das  ganze  Gebiet  der  Mittelmeerländer  durchsetzte,  im  Zentrum  bis  auf 


*)  v.  Hartel  und  Wickhoff,  Die  Wiener  Genesis,  Wien  1895. 

Poppelreuter,  Kritik  der  Wiener  Genesis,  zugleich  ein  Beitrag  zur  Geschichte  des  Unter- 
gangs der  alten  Kunst,  Köln  1908,  wird  mir  erst  bei  der  Drucklegung  durch  Neu  wir ths  Anzeige 
in  der  Dtsch.  Lit.  Zeit.  1909,  1003  bekannt. 


24  Einleitung. 

den  Grund,  an  der  Peripherie  mehr  verlaufend.  Das  also  wäre  das  Hauptkennzeichen, 
welches  vor  allem  festgehalten  sein  will,  der  weltbeherrschende  Hellenismus.  Dem- 
gegenüber tritt  die  andere  Frage,  in  welchem  Sonderkreis  der  vielgliedrigen  hellenis- 
tischen Kulturwelt  die  einzelne  künstlerische  Erscheinung  ihren  Ursprung  genommen 
haben  möge,  ob  in  Athen  oder  in  Ephesus,  in  Alexandrien,  Antiochien  oder  Rom, 
diese  Frage,  so  wichtig  sie  bleibt,  tritt  doch  in  die  zweite  Linie  zurück.  Mag  in  Syrien 
die  altsyrische  Weise,  wie  sie  nun  einmal  war,  immer  sich  noch  gehalten  haben,  ton- 
angebend war  doch  die  hellenistische.  Ähnlich  stand  es  in  Ägypten,  nur  daß  die  national- 
ägyptische Kunst  eine  ganz  andere  Größe  und  Macht  war,  die  dem  Eindringling  einen 
viel  härteren  Granit  entgegensetzte.  Die  alten  Römer  aber  hatten  ja  Köpfe  wie  Granit, 
doch  über  eine  nationale  Kunst  verfügten  sie  nicht,  geschweige  denn  über  eine  wider- 
standsfähige; dem  Hellenismus  waren  sie  schon  lange  vor  Alexander  preisgegeben.  Ob 
und  wieweit  die  Römer  der  Kaiserzeit  ihrem  Hellenismus  einen  Erdgeschmack  zu  geben 
vermochten,  etwas  von  italischer  oder  nationalrömischer  Individualität,  das  bleibt 
offene  Frage,  für  sie  wie  für  alle  Landschaften.  Rom  eigentümlich  ist  sicher  das 
gewiß  wichtige,  aber  in  anderer  Sphäre  liegende  Moment,  das  es  Reichshauptstadt  war. 
Wenn  wir  nun  aber  sagen,  die  römische  Kunst  war  Hellenismus  in  Rom,  getragen  von 
Griechen  und  griechisch  Geschulten,  so  gestehen  wir  ihr  damit  auch  die  Fähigkeit  zu, 
im  Rahmen  des  Hellenismus  ähnlich  eigenschöpferisch  zu  sein,  wie  etwa  die  Griechen 
in  Hellas,  vielleicht  auch  wie  die  Kleinasiens  es  waren,  jedenfalls  aber  wie  die  Alexan- 
driens  oder  Antiochiens.  In  jedem  besonderen  Falle  bliebe  das  zu  prüfen.  Wir  aber 
tragen  Bedenken  aus  Einzelheiten  raschschließend  verallgemeinernde  Folgerungen  zu 
ziehen. 

Die  letzte  noch  übrige  Frage,  nach  den  Künstlern,  tritt  ganz  in  den  Hinter- 
grund, weil  wir  von  solchen  zu  wenig  wissen.  Und  dies  wenige  hilft  nicht  viel  weiter. 
Apollodor  von  Damaskus  baute  das  Forum  Trajans.  Seinen  Namen  nach  war  er  ein 
Grieche;  es  hieße  phantasieren,  hinter  dem  griechischen  Namen  einen  Syrer  oder  Halb- 
syrer zu  suchen.  Griechen  gab  es  überall,  schon  im  sechsten  Jahrhundert  v.  Chr.  in 
Babylonien  und  Persien.  Wie  nun  unser  Apollodor  zu  Rom  das  Forum  ausbildete  — 
natürlich  tat  er  es  im  hellenistischen  Stil  der  trajanischen  Epoche,  aber  ob  er  wie  eine 
Würze  eine  Spur  Syrisches  hineingab,  oder  ob  er,  den  Römern  ein  Kompliment  zu 
machen,  einen  Tropfen  römischer  Individualität  einfließen  ließ  (vorausgesetzt,  daß  er 
dergleichen  vorfand),  oder  gar  dem  Spanier  auf  dem  Thron  zulieb  ein  bißchen  Iberisch, 
um  solche  subtile  und  spinöse  Fragen  beantworten  zu  können,  wird  es  in  der  Tat  noch 
der  Arbeit  von  Generationen  bedürfen. 

An  dieser  Stelle  sei  Franz  Xaver  Kraus  eingeschaltet.  Schon  im  ersten  Bande 
war  von  ihm  zu  reden,  als  von  einem  ernsten,  nach  echter  Wissenschaft  verlangenden 
Gelehrten,  der  im  Laufe  seiner  Entwicklung  manches  Vorurteil  abgelegt  hat,  nur  nicht 
das  fundamentale,  an  dem  schließlich  alle  Forschung  strandet.  Seine  Weise  zu  arbeiten 
und  sich  auszusprechen  erschwert  es,  einen  scharfumrissenen  Bericht  seiner  Auffassung 
zu  geben. 

Bei  Besprechung  der  Katakombenmalereien  tritt  Kraus  für  ihren  symbolischen 
Charakter  ein.  Er  geht  aus  vom  Orient  als  der  Wiege  des  Christentums.  Die  junge 
Gemeinde  hatte  keinen  weiten  Weg  zurückzulegen,  um  sich  eine  symbolische  Ausdrucks- 
weise, eine  Bildersprache  zu  schaffen.  Sie  war  im  Orient  geboren,  und  die  Sprache 
dieses  Orients  war  von  jeher  eine  symbolische;  die  ganze  Kunst  und  Poesie  des  Morgen- 


Hellas,  Rom  und  der  Orient.  25 

landes  war  seit  Jahrhunderten  gewohnt  und  ist  noch  gewohnt,  in  Hieroglyphen  ihre 
Gedanken  zu  verbergen  und  in  Gleichnissen  anzudeuten;  auch  der  Herr  selbst  pflegte 
in  Gleichnissen  zu  reden.  Daran  reiht  Kraus  einen  Abriß  der  Geschichte  der  alle- 
gorischen Interpretation,  freilich  nur  der  christlichen.  Weiterhin  erörtert  er  die  Frage 
nach  dem  lokalen  Ursprung  der  Typen.  Wo  treten  sie  zuerst  auf?  schuf  sie  der  Orient 
oder  der  Okzident,  Alexandria  oder  Rom?  Er  fugt  sofort  hinzu,  eine  zuverlässige 
Antwort  werde  man  wohl  niemals  geben  können;  der  Vorrat  an  Denkmälern,  besonders 
des  Orients,  ist  zu  klein.  Immerhin  wird  man  den  Einfluß  des  Alexandrinismus  auf 
die  Entwicklung  der  christlichen  Kunst  nicht  in  Abrede  stellen  dürfen.  Sein  Einfluß 
auf  die  Ausgestaltung  der  theologischen  Literatur  war  geradezu  maßgebend;  es  wider- 
spräche allen  Gesetzen  des  geistigen  Lebens,  wenn  sich  diese  Einwirkung  nicht  auch 
auf  dem  Gebiete  der  Kunstvorstellungen  bewährt  hätte.  Einzelne  derselben,  wie  der 
Ichthys,  sind  gewiß  auf  Alexandria  zurückzufuhren.  Prüft  man  die  wenigen  früher- 
christlichen Denkmäler  aus  dem  Orient,  so  scheint  sich  zu  ergeben,  daß  in  den  drei 
ersten  Jahrhunderten  Orient  und  Okzident  über  denselben  Bilderschatz  verfügten,  daß 
aber  diese  Kunst  provinziale  und  lokale  Nuancen  aufweist.  Was  Rom  betrifft,  so  kann 
nicht  geleugnet  werden,  daß  dort  Typik  und  stilistische  Behandlung  sich  im  allgemeinen 
der  römischen  Kunst  der  Kaiserzeit  sozusagen  vollständig  anschmiegt.  Die  politische 
und  kirchliche  Bedeutung  der  Stadt,  die  Zahl  und  Erhaltung  der  uns  hier  überlieferten 
Denkmäler  lassen  diesen  römischen  Charakter  der  altchristlichen  Kunst  nicht  bloß  für 
die  ersten  vier,  sondern  für  die  ersten  sechs  Jahrhunderte  als  den  dominierenden  er- 
scheinen, neben  dem  die  Kunst  der  Christen  in  Sizilien,  Ägypten,  Syrien,  Griechenland, 
Gallien  gewissermaßen  nur  eine  provinziale  und  lokale  Physiognomie  hat. 

Die  Besprechung  der  altchristlichen  Miniaturen  fuhrt  wieder  zu  der  Herkunfts- 
frage zurück.  Alexandrien  war  in  jenen  Jahrhunderten  die  geistige  Hauptstadt  der 
Welt;  das  galt  im  Gebiet  des  profanen,  das  galt  noch  mehr  in  dem  des  kirchlich  wissen- 
schaftlichen Lebens.  Damit  ist  auch  das  stärkere  Hervortreten  des  griechischen  Ele- 
mentes in  der  Kunst  des  vierten  und  fünften  Jahrhunderts  gegeben;  man  bezog  nicht 
Bibeln  und  andere  Bücher  aus  Alexandria,  ohne  auch  von  den  diesen  Büchern  bei- 
gegebenen Illustrationen  berührt  zu  werden.  Die  Vorlagen  der  besten  Psalter- 
illustrationen, wohl  im  vierten  Jahrhundert  geschaffen,  werden  alexandrinischen  Ur- 
sprungs sein.  Bei  den  illustrierten  Bibeln  haben  wir  es  mit  mehreren  nebeneinander 
entstandenen  zu  tun,  einer  römischen,  einer  griechisch-alexandrinischen,  schließlich  byzan- 
tinisierenden,  und  einer  syrischen  erst  aus  dem  sechsten  Jahrhundert,  den  Stamm- 
müttern aller  jüngeren. 

So  erörterte  Kraus  die  Frage  in  der  „Geschichte  der  christlichen  Kunst";  wenige 
Jahre  später  kam  er  im  „Repertorium"  in  Kürze  auf  den  Gegenstand  zurück,  faßte 
da  aber  nur  Alexandrien  für  sich  ins  Auge,  bloß  in  einem  allerdings  bedeutsamen 
Nebensatze  streifte  er  auch  die  altchristliche  Gesamtkunst.  Offen  bleibt  noch  die  Frage, 
so  etwa  sagt  er,  der  frühesten  Anfänge  christlicher  Kunst  in  Alexandrien,  wo  der 
Ausgang  der  gesamten  Kunst  der  alten  Christenheit  zu  suchen  ist.  Dort  in  Alexandrien 
hatte  die  christliche  Kunst  vor  dem  dritten  Jahrhundert  wahrscheinlich  einen  spezifisch 
hellenistischen,  erst  später  dem  römischen  Einfluß  weichenden  Charakter.  Kraus  scheint 
aber  dabei  zu  bleiben,  daß  die  christliche  Kunst  in  Rom  zwar  von  Alexandrien 
angeregt,  aber  bei  ihrer  Ausbildung  von  Anfang  an  in  der  vorausgesetzten  spezi- 
fisch   römischen    Weise    aufgegangen,    eine    spezifisch    römisch  -  christliche    Kunst    ge- 


26  Einleitung. 

worden  sei,  die  schließlich  auf  das  bis  dahin  hellenistische  Alexandrien  umgestaltend 
zurückwirkte.1) 

Wir  kommen  nun  zum  Hauptwortfuhrer  in  der  Diskussion,  Josef  Strzygowski, 
dem  Urheber  und  Vorkämpfer  einer  wichtigen  Hypothese  zur  Lösung  des  großen 
Problems,  auf  welchen  Wegen  und  unter  welchen  Einflüssen  aus  der  klassischen  Antike 
durch  Vermittlung  der  Spätantike  die  Kunst  des  Mittelalters  und  der  neueren  Zeiten 
geworden  sei.  Wenn  Strzygowski  seine  Idee  bisweilen  auch,  um  sich  Gehör  zu  er- 
zwingen, in  absichtlich  tönenden  Worten  wie  eine  feststehende  Wahrheit  verkündete, 
auch  wenn  sie  „vorläufig  noch  nicht  viel  mehr  als  seine  Überzeugung  ist",  so  glauben 
wir  doch  seiner  eigentlichen  Meinung  besser  gerecht  zu  werden,  wenn  wir  sie,  in  Über- 
einstimmung mit  anderen  seiner  Wendungen,  als  das  nehmen,  als  was  sie  in  der  Wissen- 
schaft allein  gelten  kann,  nicht  als  These,  sondern  als  heuristische  Hypothese,  als  eine 
bescheidene  Frage,  ob  das  Problem  vielleicht  auf  dem  vorgeschlagenen  Wege  der 
Lösung  näher  gebracht  werden  könne.  Es  liegt  dann  der  planvollen  Beobachtung  ob, 
festzustellen,  ob  die  Tatsachen  in  der  Hypothese  ihre  Erklärung  finden,  ob  sie  in  ihr 
restlos  aufgehn.  In  ähnlichen  Fällen,  auch  in  den  günstigsten,  pflegt  das  Ergebnis  zu 
sein,    daß   die  Hypothese  sich    nur  unter  mehr  oder  weniger  Modifikationen  bestätigt. 

Es  kann  nicht  unsere  Aufgabe  sein,  hier  den  Inhalt  der  sämtlichen  Schriften 
dieses  unermüdlichen  Forschers  vorzuführen,  die  alle  um  den  erwähnten  Punkt  sich 
drehen;  wir  dürfen  uns  darauf  beschränken,  einige  wenige  herauszuheben,  die  er  selbst 
als  Marksteine  auf  seinem  Wege  bezeichnet  hat.  Dabei  wiederhole  ich,  daß  unser 
Bericht  nur  diejenigen  Teile  seiner  Geschichtsauffassung  berücksichtigt,  die  sich  auf  die 
Antike  beziehen.  —  Für  diejenigen,  denen  die  Hypothese  bisher  unbekannt  blieb,  sei 
im  voraus  bemerkt,  daß  man  Ursache  hat,  einen  Punkt  sich  stets  gegenwärtig  zu 
halten,  nämlich  den  Doppelsinn  des  Wortes  Orient;  er  kann  um  so  leichter  verwirren, 
als  Strzygowskis  Hypothese  eine  doppelte  ist.  Einmal  besagt  sie,  die  altchristliche 
Kunst  sei  nicht  römische,  sondern  hellenistische  und  zwar  von  der  Art,  wie  sie  in  den 
Großstädten  des  griechischen  Orients,  Kleinasiens,  Syriens  und  Ägyptens,  ihre  Heimat 
hatte,  sodann  aber  weitergehend  nimmt  sie  an,  die  gesamte  hellenistische  Kunst  sei  in 
den  Spätzeiten  des  Altertums  durchsetzt  worden  von  der  Art  des  nichtgriechischen 
Orientes,  des  autochthon  Ägyptischen,  Syrischen,  Mesopotamischen,  Persischen.  Im 
Interesse  terminologischer  Deutlichkeit  werden  wir  nachstehend  nicht  von  griechischem 
Orient,  sondern  nur  von  griechischem  „Osten"  reden,  den  Terminus  „Orient"  aber  dem 
ungriechischen  Morgenland  vorbehalten.  Man  wende  nicht  ein,  Orient  sei  nur  geo- 
graphischer Begriff,  für  Ostgriechen,  Ägypter,  Semiten  und  Perser  gleichgültig.  Denn 
in  Gegensätzen  wie  „Orient  und  Rom"  handelt  es  sich  um  mehr,  es  handelt  sich  um 
Kulturbegriffe. 

Das  Buch  „Orient  oder  Rom"  (1901)  wendete  sich  gegen  die  ererbte,  durch 
Wickhoff  neu  formulierte  Anschauung,  als  wenn  im  Wege  einer  von  Rom  ausgehenden 


*)  Fr.  X.  Kraus,  Geschichte  der  christlichen  Kunst  I  1896,  77  (Bei  Interpretation  der  Kata- 
kombenmalerei Chr.  Ant.  I  hielt  ich  es  nicht  für  nötig,  Kraus'  rückständige  Auffassung  der 
Bildersprache  erst  noch  zu  widerlegen.  Die  Bildersprache  nicht  bloß  des  Orients,  sondern  aller 
Völker,  die  Gleichnisse  der  Evangelien,  die  sinnbildlichen  Malereien  der  Katakomben  wollen  doch 
die  Gedanken  nicht  verbergen,  auch  nicht  bloß  andeuten,  sondern  im  Gegenteil  durch  die  Sinnfällig- 
keit der  Bilder  gerade  recht  deutlich  und  eindringlich  aussprechen).  81.  449;  derselbe  im  Beper- 
torium  f.  Kunstwiss.  XXIII  1900,  49. 


Hellas,  Rom  und  der  Orient.  27 

Reichskunst  das  Phänomen  der  „römischen",  wie  der  altchristlichen  Kunst  verständlich 
wäre.  Indem  er  einen  bedeutenden  Rest  vom  Prachtbau  Konstantins  am  heiligen 
Grabe  zu  Jerusalem  nachweist  und  stilkritisch  analysiert,  kommt  er  zu  dem  Ergebnis, 
daß  da  keine  von  Rom  ausgehende  Schöpfung  vorliegt,  im  Gegenteil,  alles  daran  ist 
unrömisch.  Griechischer,  besser  hellenistischer  Geist  spricht  aus  diesen  Resten,  und 
was  daran  nicht  in  den  griechischen  und  hellenisierenden  Denkmälern  des  syrischen 
und  kleinasiatischen  Kreises  vorgebildet  war,  das  stammt  aus  der  christlichen  Kunst 
des  Jerusalem  benachbarten  syrischen  und  ägyptischen  Kreises.  Es  ist  bodenständige 
Kunst,  die  uns  hier  entgegentritt.  —  Ein  aus  Konstantinopel  nach  Berlin  gekommenes 
Christusrelief  gehört  zu  einer  Klasse  reichverzierter  Sarkophage,  deren  Exemplare  sich 
teils  in  Kleinasien,  teils  in  Rom  und  sonst  im  westlichen  Kunstkreise  gefunden  haben. 
Strzygowski  glaubt  die  Heimat  der  ganzen  Klasse  nicht  im  Westen,  sondern  im 
griechischen  Osten  suchen  zu  sollen.  —  Eine  späthellenistische  Holzskulptur  aus  Ägypten 
gibt  Anlaß,  der  ägyptisch-christlichen  Skulptur  näherzutreten  und  ihr  gewisse  in  euro- 
päischen Sammlungen  zerstreute  Elfenbeinschnitzereien  zuzuweisen.  Im  Anschluß  hieran 
werden  die  berühmten  im  Vatikan  aufbewahrten  Porphyrsarkophage  der  Helena  und 
der  Konstantia  untersucht;  der  Nachweis  von  Resten  ganz  gleichartiger  Särge  in 
Konstantinopel  und  Alexandria  führt  zu  der  Hypothese,  daß  diese  Sarkophagklasse  in 
den  ägyptischen  Porphyrbrüchen  entstanden  sei,  wie  auch  Eigenheiten  in  der  Behand- 
lung gerade  an  ägyptischen  Arbeiten  Analogien  fänden. 

Dann,  in  dem  Aufsatz  „Hellas  in  des  Orients  Umarmung",  ging  Strzygowski  dazu 
über  zu  zeigen,  daß  die  neue  Richtung  der  Spätantike  sich  auch  nicht  erklären  lasse 
aus  Riegls  Annahme  einer  spontanen  Entwicklung  des  antiken  „  Kunst  wollens",  sondern 
nur  aus  dem  Vordringen  des  alten  Orients  Hellas  gegenüber.  Die  reine  duftige  Psyche 
von  Hellas  war  von  vornherein  umringt  von  erbgesessenen  Feinden,  die  gierig  die 
Arme  ausstreckten,  sie  zu  umfassen,  zu  erdrücken.  Solange  der  Organismus  des  schönen 
Kindes  von  Vollkraft  strotzt  und  sie  in  glücklicher  Selbstvergessenheit  im  eigenen 
Lande  aufwächst,  gewinnen  die  Lauernden  keine  Macht;  sie  warten,  und  erst  als  Hellas 
sie  in  ihrem  Lande  aufsucht,  da  erlangen  sie  zuerst  Einfluß,  dann  Macht,  endlich  den 
Sieg.  Die  zähe  Natur  des  Orients  ist  unüberwindlich;  was  wir  die  byzantinische  Kunst 
nennen,  das  ist  der  alte  Orient,  das  ist  der  Sieg  des  greisen  Ahasvers  über  die  Schön- 
heit von  Hellas  und  die  imposante  Größe  Roms.  Hellas  in  Ägypten:  weit  davon  ent- 
fernt, daß  Hellas  das  Autochthone  niedergerungen  hätte,  läßt  sich  im  Gegenteil  eine 
Reaktion  des  Altägyptischen  beobachten;  im  Kammergrab  von  Kom-es-schugafa  (um 
100  n.  Chr.)  fanden  sich  die  griechischen  Malereien  eines  Raumes  übertüncht  und  mit 
ägyptischen  bedeckt.  Im  Zweistromland  wurde  die  hellenistische  Kultur  ganz  über- 
schwemmt von  der  persischen,  sprechendster  Beleg  ist  das  kommagenische  Denkmal 
auf  dem  Nemrud-dagh  (im  Jahrhundert  vor  Chr.).  Persien:  die  Kunst  der  Sassaniden 
(226 — 636)  wurde  das  eigentliche  Verhängnis  der  hellenistischen  Kunst  im  Orient; 
nicht  nur  daß  sie  im  eigenen  Lande  die  alte  Tradition  ungebrochen  hochhielt,  sondern 
durch  ihre  Industrie  wurde  sie  der  gefährlichste  Konkurrent  des  Griechisch-Römischen, 
ihre  Seidenerzeugnisse,  Goldschmiedearbeiten  und  Schmucksachen  in  Edelsteinen  wurden 
die  wichtigsten  Faktoren  in  der  Entwicklung  des  byzantinischen  Stils.  In  Syrien  war 
die  späthellenistische  Industrie  zu  Hause;  und  doch  ist  die  altheimische  Tradition  dort 
nicht  ausgestorben,  hittitischer,  das  ist  altnordsyrischer  Brauch,  durch  Bauten  wie  den 
salomonischen  Tempel  vermittelt,  lebte  in  südsyrischen  Kirchen  wieder  auf.    In  Klein- 


28  Einleitung. 

asien:  wenn  auch  die  Masse  seiner  Bauten  römischer  Zeit  beweisen,  daß  die  hellenistische 
Kunst  hier  breiten  Spielraum  fand  (trotz  der  römischen  Bauinschriften  wurden  sie  nicht 
im  römischen,  sondern  im  griechischen  Geist  erbaut),  so  kann  doch  auch  hier  schon 
in  römischer  Zeit  von  einem  Sieg  des  Altorientalischen  über  das  Griechiche  gesprochen 
werden.  In  Hellas  selbst  kündigt  sich  der  Orient  mit  dem  Denkmal  des  Philopappos 
an,  der  Sieg  über  die  heimische  Kunst  vollzieht  sich  im  fünften  Jahrhundert  mit  dem 
Vordringen  des  Byzantinismus.  Noch  mehr  nach  Westen  zu  belegen  den  Sieg  des 
Orients  Bauten  wie  der  Diokletianspalast  zu  Spalato,  des  Theodorichsgrab  zu  Ravenna, 
Santa  Costanza  zu  Rom.  Ruft  denn  nicht  schon  das  Vordringen  der  orientalischen 
Kulte  laut  genug  den  Sieg  aus?  von  anderen  zu  schweigen,  der  des  Mithras,  des 
Christus?  Am  Christentum  ist  ja  der  alte  Orient  wieder  erstarkt,  in  der  christlichen 
Kunst  findet  er  sich  auch  der  äußeren  Form  nach  wieder,  und  erst  in  dieser  neuesten, 
von  einem  bahnbrechenden  ethischen  Keimgedanken  durchsetzten  Form  gelingt  es  ihm, 
Hellas  zu  ersticken.1) 

Der  byzantinische  Stil  hat  sich  in  Kleinasien,  Syrien,  Ägypten  vorbereitet;  er  ward 
groß  in  den  hellenistischen  Zentren,  vor  allem  in  Antiochien,  zur  vollen  Einheit  aber 
erwuchs  er  erst  in  Konstantinopel  im  fünften  und  sechsten  Jahrhundert.  Der  Stil  ist 
ein  orientalischer,  nicht  Rom  noch  der  Hellenismus  hat  ihn  gezeitigt,  sondern  der  sieg- 
reich vordringende  Orient.  Das  Wesen  des  neuen  Stils  ist  von  vornherein  ein  orienta- 
lisches, weil  seine  Seele,  das  Christentum,  auf  semitischer  Basis  erwächst.  Die  christ- 
liche Kirche  hat  mit  dem  antiken  Tempel  nichts  zu  tun,  sie  ist  nicht  Massen-  sondern 
Raumbau.  Die  alte  Form  der  Basilika,  wie  es  scheint  hittitisch-semitischen  Ursprungs, 
wird  bald  verworfen,  mit  ihr  der  Quader,  die  Säule,  das  Epistyl.  An  die  Stelle  tritt 
der  altorientalische  Ziegel,  nicht  der  vom  Orient  bevorzugte  Luftziegel,  sondern  der  erst 
von  den  großen  hellenistisch-römischen  Stadtkulturen  in  seinem  ganzen  Werte  erkannte 
Backstein,  das  Element  des  Mauer-  und  Gewölbebaues,  damit  aber  des  vollkommensten 
Raumbaues.  Dazu  der  Wandschmuck:  das  spezifisch  Hellenische  am  griechischen  Tempel 
liegt  weniger  in  seiner  Formenschönheit  als  in  dem  ästhetischen  Werte  der  leeren  Stein- 
wand, von  deren  stolzer  Ruhe  die  Bewegung  der  Formen  sich  erst  wirkungsvoll  ab- 
hebt; im  Gegensatz  zu  der  klassischen  Schmucklosigkeit  der  Fläche  kehrt  der  byzan- 
tinische Stil  zurück  zum  altorientalischen  Wandschmuck  in  Prunk  und  Glanz,  ausgeführt 
im  ebenso  altorientalischen  Flächenstil.  Auch  in  den  Ornamenten  machen  sich  orien- 
talische Motive  breit. 

„Kleinasien,  ein  Neuland  der  Kunstgeschichte"  (1903),  Strzygowskis  dritter  Vor- 
stoß, will  die  Kraft  dieser  wachsenden  orientalischen  Flut,  an  sich  und  im  Rahmen  der 
späthellenistischen  Kunst,  ahnen  lassen  an  Hand  der  Mannigfaltigkeit  gewölbter  Kirchen- 
bauten in  Kleinasien. 

Bei  diesen  knappen  Auszügen  müssen  wir  es  soweit  bewenden  lassen.  Die 
klassischen  Archäologen  dürfen  ohnehin  an  dem  Studium  der  Strzygowskischen  Arbeiten 
nicht  vorbeigehen;  sie  haben  reichen  Gewinn  davon,  werden  freilich  auch  auf  Schritt 
und  Tritt  zum  Widerspruch  erregt,  natürlich  in  verschiedener  Weise,  je  nachdem  sie 
selbst  z.  B.  über  die  römische  Kunst  denken.  —  Hier  soll  nichts  von  solchen  Ein- 
wendungen vorgebracht  werden,  ich  möchte  nur  feststellen,  daß  auch  Strzygowski  die 
Erhebung  des  Wölbbaues  zum  Raumbau  in  Backsteinausführung  den  hellenistischen 
Großstädten   wie  Antiochien   oder  Alexandrien  vindiziert,  wie  das  in   den  Kreisen  der 

l)  Münchner  Allg.  Zeitung,  Beilage  1902  n.  40.  41. 


Hellas,  Rom  und  der  Orient.  29 

klassischen  Archäologie  schon  lange  erwogen  wird.  Also  ist  der  Raumbau  unter  Ge- 
wölbe griechische  Schöpfung,  wohl  ostgriechische,  aber  nicht  autochthon  orientalische. 
Die  Griechen  haben  wieder  einmal  ein  entlehntes  Motiv  erst  zu  vollem  künstlerischen 
Leben  entfaltet.  Wo  immer  wir  in  einen  Raumbau  unter  Wölbung  eintreten,  vom 
Pantheon  bis  zur  Sophia,  begrüßt  uns  die  griechische  Psyche. 

Zum  Schlüsse  unserer  Einleitung  ein  Wort  über  Mschatta,  das  Denkmal,  in  dem 
Strzygowski  einen  Kronzeugen  für  die  Übergriffe  des  Orients  gefunden  zu  haben  glaubt. 
Es  gehört  den  letzten  Zeiten  des  Altertums  an,  die  früheren  Beurteiler  setzen  es  nach 
Justinian,  Strzygowski  nach  Konstantin.  Da  es  nicht  christlich  ist,  so  fällt  es  nicht 
unter  die  Gegenstände  dieses  Buches;  ein  Wort  über  die  Auffassung  des  Ganzen  aber 
wird  hier  am  Platze  sein. 

Ich  habe  das  Märchenschloß  nicht  im  Glänze  der  Wüstensonne  gesehen,  nur  die 
Tordekoration  im  dumpfen  Kerker  des  Kaiser-Friedrich-Museums,  wo  es  unmöglich 
ist,  das  Wunderwerk  in  flutendem  Höhenlichte  aus  Abstand  auf  sich  wirken  zu  lassen; 
man  kann  es  nur  nahsichtig  zergliedern.  Strzygowski  hat  eine  eindringende  Analyse 
mit  einem  auf  ausgebreitete  Erfahrung  gegründeten  und  von  kunstgeschichtlicher  Auf- 
fassung getragenen  Kommentar  geschrieben.  Der  Archäologe  hat  manches  dazu  zu 
bemerken.  Vor  allem  wäre  die  Fragestellung  zu  berichtigen.  Was  ist  Kette,  was  ist 
Einschlag  im  Gewebe  dieser  Spätantike?  Wenn  ein  autochthoner  Asiate  in  der  syrischen 
Wüste  solch  ein  festes  Schloß  sich  baut,  so  wird  man  in  erster  Linie  voraussetzen,  daß 
es  in  Anlage,  Aufbau  und  Ausbildung  orientalisch  sei;  wenn  wir  unter  der  angegebenen 
Voraussetzung  fremde,  nämlich  hellenistische  Elemente  darin  zu  bemerken  hätten,  so 
würden  wir  nicht  fragen,  inwieweit  das  Orientalische  über  das  Hellenistische  Herr 
geworden  sei,  höchstens  wieviel  Orientalisches  sich  dem  eingedrungenen  Fremden  gegen- 
über habe  behaupten  können,  wohl  aber  umgekehrt,  wie  weit  die  fremde  Art,  die 
hellenistische,  das  orientalische  Objekt  ergriffen  und  hellenisiert  habe.  Wir  begnügen 
uns,  im  Sinne  dieser  Frage  ein  paar  Gesichtspunkte  hervorzuheben;  dabei  stellen  wir 
uns,  um  den  Streitpunkt  zu  isolieren,  auf  den  Boden  der  von  Strzygowski  gegebenen 
Analyse. 

Flächenverzierung  der  Torpfeiler,  übergreifend  auf  die  seitlich  anschließenden 
Wände,  kennen  wir  als  altorientalisch;  wir  besitzen  Zeugnisse  in  den  neuerdings  der 
Wissenschaft  wiedergewonnenen,  zur  Zeit  der  Spätantike  aber  verschütteten  Palästen 
der  Hittiter  und  Assyrer;  bei  denen  der  Perser  erscheint  das  Motiv  modifiziert.  In 
Mschatta  lebt  es  wieder  auf.  Nun  aber  völlig  hellenisiert.  —  Das  Zickzackornament 
ist  allerdings  auch  orientalisch,  aber  nicht  spezifisch  orientalisch;  die  Primitivzeit  der 
ägäischen  Länder  besaß  es,  es  ist  allgemein  primitiv  geometrisch.  Der  Riesenzickzack 
von  Mschatta  erinnert  mich  an  Lorsch,  wo  ein  solcher  über  die  Kapitelle  der  kannel- 
lierten  Wandpfeiler  steifbeinig  einhersteigt;  es  sind  die  oft  recht  steilen  Giebel,  die, 
meist  im  Wechsel  mit  Flachbögen,  in  der  Spätantike  gern  die  Intervalle  der  Kolonnaden 
abschließen,  schon  früh  zu  fortlaufend  auf-  und  absteigendem  Bande  verschmolzen,  und 
die  in  Mschatta  von  der  Kolonnade  emanzipiert  auftreten.  Aber  sind  nicht  die  Elemente 
des  ganzen  Torschmucks  von  Mschatta  von  der  Art,  dergleichen  wir  in  der  Antike 
nicht  am  Sockel,  sondern  über  Säulen  und  unter  dem  Sims  zu  sehen  pflegen?  Das 
ursprünglich  bescheidene  Zickzackornament  mußte  im  Giebelbau  erst  monumental  werden, 
ehe  es  als  Riesenzickzack  die  Flächenverzierung  gliedern  durfte. 

Griechisch  sind  gleich  die  Rahmen,  griechisch  in  der  kräftig  plastischen,  schattenden 


30  Einleitung. 

Profilierung,  und  in  den  Profilen  selbst.  Griechisch  sind  die  in  die  Zickzackzwickel 
gesetzten  großen  Rosetten.  Freilich,  die  Rosette  ist  altorientalisches  Gut,  doch  schon 
in  der  Heroenzeit  wurde  sie  in  Hellas  aufgenommen;  und  diese  ihre  plastische,  skulp- 
turelle  Ausbildung  ist  griechisch.  Flachrunde  Bossen  wurden  in  der  hellenistischen 
Architektur  schon  längst  teils  konvex  zu  Rundschilden,  teils  konkav  zu  Phialen  oder 
Rosetten  ausgemeißelt.  Griechisch  ist  das  Ornament,  sowohl  der  Rahmen,  wie  der 
Füllungen  (mögen  auch  einzelne  Motive  durch  persische  Hände  gegangen  sein),  der 
Akanthus  selbstverständlich,  aber  auch  die  in  Griechenland  längst  heimisch  gewordene 
Palmette;  und  griechisch  ist  das  Weinlaub.  Freilich,  der  Wein  stammt  aus  Asien, 
der  Orient  hat  ihn  einst  in  Europa  eingeführt,  wahrscheinlich  um  die  Psyche  von 
Hellas  mit  Alkohol  zu  vergiften.  In  der  Kunst  erscheinen  Weinstock  und  Rebe  zuerst 
als  Naturdarstellung,  im  Orient  in  assyrischen  Reliefs,  in  Hellas  kaum  später  im  sechsten 
und  fünften  Jahrhundert;  da  ist  ein  kunstreicher  goldner  Weinstock  mit  Trauben  von 
Edelsteinen,  den  samische  Goldschmiede  arbeiteten,  der  persische  Hof  erwarb  ihn;  da 
sind  zahlreiche  bacchische  Szenen  mit  Reben  darin,  wie  z.  B.  an  der  Yase  des  Phintias 
und  weiterhin  mehr.  Als  Ornament  bemerken  wir  die  Weinrebe  zuerst  am  sog. 
Alexandersarkophag,  den  griechische  Bildhauer  aus  griechischem  Marmor  in  einer  Kunst 
schufen,  die  nach  Inhalt  und  Form  griechisch  war  (Muß  noch  einmal  daran  erinnert 
werden,  daß  die  Wellenranke  nicht  im  Orient  entstand,  sondern  in  Griechenland,  früher 
als  das  Flechtband  auf  der  Welt  war?).  Unter  den  Figuren  werden  weinlesende  Putten 
bemerkt,  Kentaur  und  Greif,  der  aus  kleinasiatisch  griechischen  Denkmälern  bekannte 
Buckelochs. 

Griechisch  ist  auch  die  Technik,  einerlei  von  welchen  Händen  ausgeführt,  es 
kommt  uns  hier  auf  den  Geist  an.  Es  ist  Flächenverzierung  in  flacher  Ausführung. 
Und  die  Flächendekoration  war  im  Orient  immer  flach,  die  Griechen  dagegen  ent- 
wickelten sie  plastisch;  ist  nun  die  Flächenverzierung  von  Mschatta  ungriechisch, 
orientalisch?  Der  Schluß  ist  wieder  zu  kurz.  Die  Orientalen  blieben  bei  der  Flach- 
verzierung stehen,  nicht  weil  sie  ihnen  national,  spezifisch  orientalisch  gewesen  wäre; 
vielmehr  war  sie  allgemein  primitiv,  primitiv  in  dem  früher  ausgesprochenen  weiteren 
Sinne  des  Unentwickelten,  Unausgereiften.  Der  Orient  blieb  da  stehen,  wo  das 
Klassischgriechische  anfing.  Letzteres  entwickelte  die  Plastik.  Als  aber  die  griechische 
Kunst  ihren  Kreislauf  vollendete,  da  war  die  plastische  Kraft  der  Griechen  erschöpft, 
da  fiel  die  griechische  Verzierung  in  das  primitive  Flache  zurück,  von  dem  auch  sie 
einst  ausgegangen  war.  Das  Höchste  leistete  der  Grieche  in  seinem  eigenen  Material, 
dem  Marmor,  sein  eigenstes  Werkzeug  war  der  Meißel.  Im  Ausgang  der  hellenischen 
und  hellenistischen  Antike  sank  die  plastische  Form  in  die  Fläche  zurück,  wie  ein 
feuchtaufgebauter  Ton,  dem  man  den  inneren  Halt  nimmt.  Im  Steinrelief,  das  die 
Form  in  die  Tiefe  hinein  gebaut  hatte,  schnellte  sie  wieder  zur  Oberfläche  zurück, 
blieb  in  ihr  haften.  Die  Flachform  wurde  gleichsam  ausgeschnitten,  mit  Meißel  und 
Bohrer.  Das  blieb  immer  griechische  Skulptur.  Aber  die  Formen  wurden  auch  mehr 
oder  weniger  unterhöhlt,  so  daß  sie  sich  hell  abheben  vom  Dunkel  in  der  Tiefe,  vom 
„Tiefendunkel".  Das  wirkt  malerisch;  nur  darf  man  dem  Begriff  der  malerischen 
Wirkung  nicht  den  der  farbigen  unterschieben,  um  die  Wirkung  der  griechisch  skulpierten 
Flachverzierung  ableiten  zu  dürfen  von  der  orientalischen  farbigen. 

Der  Erbauer  von  Mschatta  wußte  sein  Schloßtor  nicht  schöner  zu  schmücken 
als  mit  griechischer  Skulptur;  allerdings  nahm  er  sie  in  dem  Stadium  der  im  Plastischen 


Hellas,  Eom  und  der  Orient.  31 

rückläufigen  Bewegung,  in  der  er  sie  fand,  als  Flachskulptur  in  durchbrochener  Arbeit, 
heller  Zierat  auf  dunklem  Grund,  malerisch  wirkend  im  Freilichte,  vollends  im  süd- 
lichen. Es  war  Rückfall  ins  Primitive.  Aber  so  gleichmäßig  hatte  sich  der  Rückfall 
vollzogen,  daß  das  Resultat  ein  in  sich  Homogenes  wurde,  etwas  wie  eine  neue  Art, 
ein  neuer  Stil;  es  entstand  nicht  als  Erzeugnis  eines  bewußten  „Kunstwollens",  viel- 
mehr als  notwendiges  Ergebnis  einer  unvermeidlichen  Entwicklung.  Als  die  neue  Art 
anfing,  unter  Bohrer  und  Meißel  sichtbar  in  Erscheinung  zu  treten,  mag  es  den  Bild- 
hauern endlich  bewußt  geworden  sein,  daß  ihr  Tun  hinzielte  auf  ein  Leben  in  der 
Fläche,  als  ein  Spiel  des  Lichts  über  dem  dunklen  Grunde.  Also,  unbewußt  oder 
bewußt,  ein  letzter  Stil  der  griechischen  Skulptur. 

Auch  in  Mschatta,  wie  in  der  Sophia,  begrüßt  uns  die  griechische  Psyche.1) 


*)  Mschatta:  Riegl,  Altorientalische  Teppiche  134  Maschita.  Abbildungen  bei  Brünnow 
und  Domaszewski,  Provincia  Arabia  II  1905,  105  und  bei  Strzygowski  und  Schulz,  Jahrbuch  d. 
preuß.  Kunstsammlungen  1904,  225. 

Nachdem  das  Vorstehende  niedergeschrieben  war,  erschienen  die  ersten  Lieferungen  von 
Schieies  „ Religion",  darin  Strzygowskis  zwei  Artikel  über  Altchristliche  Kunst.  Unermüdlich 
aufrufend,  mahnend,  drängend  entrollt  er  noch  einmal  sein  Banner,  stellt  neue  und  wichtige  Auf- 
gaben, die  alle  hinzielen  auf  die  Erforschung  des  Orients,  nach  seiner  Hypothese  der  Wiege  der 
altchristlichen  Kunst.  Ihn  selbst  führt  seine  Idee  von  Fund  zu  Fund.  Für  dies  unausgesetzte 
Suchen  im  griechischen  Osten  wie  im  autochthonen  Orient,  für  jedes  hervorgezogene  und  neu 
beleuchtete  Denkmal  sind  wir  alle  voll  Anerkennung.  Aber  er  selbst  hat  oft  genug  gesagt,  daß 
es  noch  Generationen  von  Forschern  bedarf,  um  die  wirkliche  Stellung  des  Ostens  herauszuarbeiten. 
Ist  es  da  schon  am  Platze,  die  vielleicht  divinatorisch  das  Richtige  ahnende,  vielleicht  aber  er- 
hebliche Einschränkungen  und  Berichtigungen  fordernde  Hypothese  als  allein  wahres  Dogma  zu 
verkünden  und  jeden,  der  nicht  gleich  mittut,  als  nicht  „ modern"  zu  verketzern?  Wer  heute  noch 
über  die  römischen  Katakomben  schreibt,  der  ist  ihm  schon  verdächtig  „romzentrisch"  zu  sein; 
und  wer  sich  noch  bei  Interpretation  aufhält,  der  ist  ihm  „nur  Philologe".  Als  ob  die  klassische 
Archäologie  erst  vom  Kunsthistoriker  lernen  müßte,  daß  auch  Stilkritik  sein  muß;  ist  sie  doch 
während  des  letzten  Menschenalters  fast  ganz  in  Stilkritik  aufgegangen  und  hat  damit  ein  Stück 
Kunstgeschichte  aufgebaut,  wie  wir  Alten  noch  in  unseren  Studienjahren  es  uns  nicht  träumen 
ließen.  Mit  Strzygowskis  kunsthistorischen  Hypothesen  sich  zu  befassen  hatte  mein  erster  Band 
nicht  Anlaß;  das  Wenige,  was  hätte  in  Frage  kommen  können,  wie  die  Oranten  oder  der  bärtige 
Christus,  bislang  noch  allzu  problematisch,  läßt  sich  auch  nicht  im  Rahmen  einer  Interpretation 
der  Katakombenbilder  erledigen,  sondern  nur  in  einer  alle  Kunstzweige  berücksichtigenden  Typik 
der  christlichen  Antike.     Das  wäre  jetzt  verfrüht.     Zu  seiner  Zeit  wird  es  kommen. 

Zur  Orienthypothese  stehe  ich  im  allgemeinen  so.  Dem  Archäologen  ist  die  christliche 
wie  die  heidnische  Kunst  der  Kaiserzeit  Hellenismus.  Darin  sind  wir  also  einig.  Aber  den  an 
sich  durchaus  anerkennenswerten  Versuchen,  die  kunstgeschichtlichen  Phänomene  auf  örtliche 
Ursprünge  zurückzuführen,  sei  es  auf  Rom,  Alexandrien,  Antiochien  oder  Westkleinasien,  stehe 
ich  nicht  gerade  skeptisch,  doch  zurückhaltend  gegenüber,  nicht  anders  wie  meine  Weltgeschichte 
den  analogen  Bemühungen  auf  dem  Gebiete  der  klassischen  Kunst.  Die  andere  Hypothese,  die 
zugleich  über  die  Grenzen  des  Altertums  hinaus  zielt  nach  dem  Mittelalter,  die  Behauptung  eines 
Vordringens  des  Autochthonorientalischen  („Hellas  in  des  Orients  Umarmung"),  wird  geprüft 
werden,  wenn  es  an  der  Zeit  ist,  jedenfalls  scheint  sie  mir  übertrieben.  Da  wir  alle  indessen, 
Archäologen  und  Kunsthistoriker,  auf  dem  zulange  vernachlässigten  Felde  noch  in  den  ersten 
Anfängen  der  Forschung  stehen,  so  tut  nichts  mehr  not,  als  ruhiges  Arbeiten. 

Die  Fundamente  zum  Studium  der  christlichen  Antike  werden  jetzt  eben  gelegt,  so  schrieb 
unlängst  mein  verehrter  Grazer  Kollege;  es  sei  nur  schade,  daß  Sybel,  als  der  unverbesserliche 
philologische  Archäologe,  an  der  Literatur  klebe,  statt  die  Augen  den  Formen  und  Farben  zu 
öffnen  und  in  die  Erforschung  der  christlichen  Antike  an  der  Hand  seiner,  Strzygowskis,  Arbeiten 
einzutreten  (Journ.  of  hell.  stud.  1907,  115).  Ein  Rat,  für  dessen  gute  Meinung  ich  ihm  herzlich 
dankbar  bin.     Nur   glaube  ich    meine  Augen    schon    immer  offen    gehalten    zu  haben.     Und  der 


32  Einleitung. 

Tavra  [aev  TOiavra.  Wenn  wir  uns  nun  zum  engeren  Gegenstand  dieses  Buches 
wenden,  so  sehen  wir  uns  genötigt,  etwas  auszusprechen,  was  als  selbstverständlich  still- 
schweigend Geltung  haben  sollte.  Gewiß  ist  die  Erforschung  der  Wiege  eines  auf- 
tretenden Kunststils  eine  der  wichtigsten  Aufgaben  der  Forschung;  wer  aber  auf  diesem 
schwierigen  Pfade  nicht  ins  Dunkle  tappen  will,  wird  gut  tun,  zuvor  die  Chronologie 
der  Denkmäler  ins  Reine  zu  bringen.  Die  Archäologie  hat  auf  ihrem  Stammgebiet, 
dem  klassischgriechischen,  durch  verfrühtes  Erschließen  wollen  der  landschaftlichen,  ört- 
lichen und  persönlichen  Ursprünge  manche  Enttäuschung  erlebt.  Hand  aufs  Herz, 
der  sizilischelischolympischdorischpeloponnesischargivischsikyonischattischnordgriechisch- 
jonischparische  Stil  der  Olympiaskulpturen  —  das  aristophanisch  klingende  Lang  wort 
will  die  in  ihm  zusammengefaßten  ernsten  Bemühungen  wahrlich  nicht  verspotten,  will 
nur  dem  bei  Rechnungen  mit  zuviel  Unbekannten  unausbleiblichen  negativen  Ergebnis 
ins  Auge  sehen  — ,  der  Stil  der  Olympiaskulpturen  ist  für  uns  vorläufig  immer  noch 
bloß  Zeitstil;  meines  Erachtens  aber  ist  die  sichere  Erkenntnis  des  Zeitstils  schon  ein 
großer  Gewinn  und  die  Voraussetzung  für  alles  weitere.  Solche  Erfahrungen  und  Er- 
wägungen lehrten  mich,  die  Geschichte  der  Kunst  des  Altertums  vorderhand  ganz  auf 
die  Sonderung  der  Epochen  abzuzwecken;  daher  meine  „Weltgeschichte"  auf  syn- 
chronistischer Basis. 

Auf  die  Chronologie  der  Denkmäler,  und  zwar  zunächst  auf  die  relative,  geht 
wesentlich  auch  die  hier  folgende  Studie  über  die  altchristliche  Marmorskulptur. 


freundlichen  Einladung,  Strzygowskis  Führung  mich  anzuvertrauen,  hedaure  ich,  nicht  folgen  zu 
können.  Gewiß  führen  nicht  alle  Wege  nach  Rom;  aber  verschiedene  Wege  führen  zum  Ziel. 
Gern  gäbe  ich  der  Hoffnung  Raum,  daß  wir  uns  am  Ziele  begegnen  möchten;  doch  es  liegt  in  so 
weiter  Ferne.  Ich  für  mein  Teil  bin  noch  nicht  einmal  unterwegs;  ich  bin  noch  damit  beschäftigt, 
meine  Satteltaschen  zu  packen  zum  Austritt,  während  unsere  Eclaireurs  schon  weit  voraus  sind. 
Im  Begriff,  das  Manuskript  dem  Drucker  zu  übergeben,  erhalte  ich  Thi er schs  Besprechung 
des  ersten  Bandes  in  der  Hist.  Zeitschr.  1909.  Da  spricht  nun  auch  ein  klassischer  Archäologe, 
doch  wohl  Strzygowski  folgend,  den  Wunsch  aus,  bei  der  Fortsetzung  meines  Werkes  möchte  Rom 
und  sein  Kreis  zugunsten  des  Ostens  und  seiner  wichtigen  primären  Gebiete  mehr  zurücktreten; 
gerade  der  klassische  Archäologe  würde  einen  Giro  in  mehr  ostwestlichem  Sinne,  in  der  Richtung 
wie  sie  das  junge  Christentum  selbst  eingeschlagen  hat,  als  den  natürlichsten  und  der  Gefahr  der 
Einseitigkeit  am  wenigsten  ausgesetzten  am  liebsten  aufnehmen.  Ein  solches  Unternehmen  sei 
weit  schwieriger,  aber  nicht  unausführbar;  schon  ein  Versuch  würde  fruchtbringend  wirken.  Nun, 
ich  habe  selbst  gesagt,  ziemlich  mit  denselben  Worten,  ich  wäre  lieber  den  ostwestlichen  Weg 
gegangen  (I  96);  leider  war  es  bei  den  Katakombenmalereien  nicht  möglich,  weil  es  an  frühem 
östlichen  Material  völlig  fehlt.   Warten  wir  ab,  was  sich  auf  den  andern  Feldern  herausstellen  wird. 


Plastik. 


Sybel,  Christliche  Antike  II. 


Plastik. 

Skulptur. 

Von  den  Denkmälern  der  christlichen  Antike  mußten,  im  ersten  Bande,  die  Kata- 
komben und  ihre  Malereien  an  die  Spitze  gestellt  werden,  deshalb  weil  sie  die  am 
frühesten  begegnende  Monumentenklasse  ausmachen,  die  zugleich  den  Vorzug  besitzt, 
eine  umfangreiche  und  geschlossene  Masse  zu  bilden.  An  zweiter  Stelle  stehen  die  Skulp- 
turen; auch  sie  sind  in  großer  Zahl  erhalten,  doch  treten  sie  später  auf  als  die  Kata- 
komben und  Malereien.  Zuletzt  kommen  die  Denkmäler  des  altchristlichen  Hochbaues. 
Sonach  eröffnen  wir  den  zweiten  Band  mit  den  Skulpturen,  denen  wir  die  im  tech- 
nischen Sinn  plastischen  Werke  anschließen,  die  in  Metall  und  Terrakotta.1) 

Gleich  beim  Beginne  sei  es  gesagt,  daß  die  nachstehende  Besprechung  nur  eine 
Studie  sein  will;  sie  denkt  nicht  darauf,  die  Forschung  auf  diesem  Gebiete  irgendwie 
abzuschließen,  sondern  im  Gegenteil,  wenn  sie  eine  Wirkung  sich  wünscht  und  erhofft, 
so  wäre  es  nur  die,  der  christlichen  Archäologie  neue  Arbeiter  zu  gewinnen  und  ihnen 
den  Zugang  zu  dem  bisher  ziemlich  abgesonderten  Arbeitsfeld  zu  erleichtern.  Ich  rede 
von  den  klassischen  Archäologen.  Schon  längst  wurde  der  innige  Zusammenhang  der 
altchristlichen  Kunst  mit  der  heidnischen  Antike  bemerkt  und  ausgesprochen,  hier  und 
da  auch,  gerade  für  die  Skulptur,  die  Art  dieses  Zusammenhangs  erörtert;  und  neuer- 
dings scheint  es  fast  Mode  zu  werden,  das  Wort  vom  antiken  Charakter  der  altchrist- 
lichen Kunst  in  jeder  einschlagenden  Arbeit  erklingen  zu  lassen.  Aber  schließlich  bleibt 
es  bei  dem  Klingen,  dem  Wort  folgt  nicht  die  Tat,  das  Christliche  wird  dann  doch 
nicht  in  den  Zusammenhang  der  heidnischen  Antike  gestellt,  ja  neuestens  möchten 
einige  die  christliche  Kunst  für  ein  Reservat  erklären,  vor  dem  die  klassischen  Archäo- 
logen Halt  zu  machen  hätten.  Und,  worauf  ich  jetzt  ziele,  die  klassischen  Archäologen 
selbst  haben  sich  noch  immer  nicht  entschlossen,  ihre  bisherige,  doch  nur  auf  außer- 
wissenschaftlichen Ursachen  und  Beweggründen  beruhende  Zurückhaltung  gegenüber 
der  christlichen  Antike  ganz  aufzugeben  und  sie  in  ihrem  vollen  Umfange  und  nach 
ihrer  archäologischen  und  stilgeschichtlichen  Bedeutung  in  ihr  Pensum  aufzunehmen. 
Daß    sie    an    der  Katakombenforschung  noch  so   wenig  teilnahmen,    erklärt  sich    hin- 


*)  Altchristliche    Skulptur:    Le  Blant,    Les  ateliers    de  sculpture    chez   les    premiers 
chreliens  (Melanges  de  l'e'cole  francaise  de  ßome)  1883. 
Victor  Schultze,  Archäologie  1895,  245. 
Kraus,  Geschichte  I  1896,  224. 
Kaufmann,  Handbuch  1903,  489. 
Leclercq,  Manuel  1907  II  245.  279. 

3* 


36  Plastik. 

reichend  aus  der  schwer  zugänglichen  Art  der  Katakomben;  immerhin  besteht  neuer- 
dings gegründete  Hoffnung,  daß  wir  von  bewährter  klassischarchäologischer  Seite  auf 
noch  offene  Fragen  sachkundige  Antwort  erhalten.  Die  Skulpturen  dagegen  liegen  dem 
klassischen  Archäologen  näher,  äußerlich  und  auch  innerlich.  Und  so  hoffen  wir,  daß 
unsere  Studie,  der  zu  dem  Zwecke  reichliche  Abbildungen  beigegeben  sind,  diesem  und 
jenem  den  Gegenstand  näher  rücken  werde.  Was  die  Kenner  der  antiken  Sarkophage 
wissen,  das  werden  auch  die  dem  Gegenstande  noch  Fernstehenden  bemerken,  die 
christlichen  Sarkophage  hängen  mit  den  heidnischen  so  eng  zusammen,  diese  gehen  in 
jene  so  unmerklich  über,  daß  eine  Grenze  zwischen  beiden  gar  nicht  ziehbar  ist.  Es 
gibt  Sarkophage  und  Sarkophagbilder,  die,  eigentlich  heidnisch,  doch  von  den  Christen 
anstandslos  übernommen  wurden;  man  pflegt  sie  als  neutrale  Typen  zu  bezeichnen.  Die 
Gattung  der  antiken  Sarkophage  bleibt  wesensgleich,  mögen  die  in  ihnen  Beigesetzten 
und  die  sie  Beisetzenden  Heiden  oder  Christen  sein.  Ein  Korpus  der  antiken  Sarko- 
phage könnte  nicht  ohne  Willkür  die  christlichen  ausschließen. 

Um  Sarkophage  handelt  es  sich  hauptsächlich,  sie  machen  die  große  Masse  der 
christlichen  Skulpturen  aus;  wir  besprechen  sie  zuerst,  die  wenigen  Reste  statuarischer 
Bildhauerei  schließen  wir  ein. 

Wir  fragen  zuerst  nach  dem  Bestand. 

Als  Vertreter  der  altchristlichen  Skulptur  in  Kleinasien  führt  Strzygowski  drei 
Reliefs  an:  das  Berliner  Christusrelief  aus  Konstantinopel  [Abb.  25],  in  dem  er  ein 
kleinasiatisches  Werk  des  vierten  Jahrhunderts  sieht;  ein  Petrusrelief  ebenda,  Bruch- 
stück einer  Darstellung  vom  Tode  des  Ananias,  vielleicht  aus  dem  fünften  Jahrhundert; 
ein  Jonasrelief  in  New- York,  das,  gegenständlich  dem  Jonassarkophag  Lateran  n.  119 
verwandt,  der  Auffassung  und  dem  Stile  nach  nicht  dem  dritten,  sondern  frühestens 
dem  vierten  Jahrhundert  gehört.  Dazu  wäre  ein  noch  nicht  publizierter  Grabstein  aus 
Sivrihissar  zu  fügen,  mit  Hades-  oder  Grabestür;  doch  sehen  wir  von  den  nicht  veröffent- 
lichten Stücken  lieber  ab.1) 

In  Konstantinopel  finden  sich  ein  paar  Statuetten  des  Guten  Hirten  im  späteren 
Typus,  wohl  des  vierten  Jahrhunderts  [Abb.  36],  und  Säulentrommeln  mit  Weinlaub 
umsponnen,  da  hinein  Bilder  gesetzt  sind,  vorzüglich  interessiert  eine  Jesustaufe  mit 
geflügeltem  Engel,  vielleicht  des  sechsten  Jahrhunderts;  ferner  vier  Medaillons  mit 
Evangelisten,  nur  Markus  ist  leidlich  erhalten.  Zu  nennen  ist  noch  das  Mosesrelief  aus 
dem  sechsten  oder  siebenten  Jahrhundert,  und  das  unter  Kleinasien  erwähnte  Berliner 
Christusrelief.  Die  Reliefs  am  Fußgestell  des  Obelisken  im  Hippodrom,  stilgeschicht- 
lich von  Wichtigkeit,  sind  nicht  spezifisch  christlich.  Einen  heidnischen  Orpheus  im 
Kreis  der  Tiere  haben  die  Christen  durch  ein  eingemeißeltes  Kreuz  sich  angeeignet.2) 


*)  Altchristliche  Skulpturen  im  griechischen  Osten:  vgl.  im  allgemeinen  Bayet,  Recherches 
pour  servir  a  l'histoire  de  la  peinture  et  de  la  sculpture  chr^tiennes  en  Orient  avant  la  quereile 
des  iconoclastes  (Bibliotheque  des  e"coles  francaises  d'Athenes  et  de  Born  X)  Paris  1879,  27.  105.  — 
Strzygowski,  Altbyzantinische  Plastik  der  Blütezeit  (von  Theodosius  bis  Justinian)  in  der  Byzantin. 
Zeitschr.  I  1892,  575.  —  Die  drei  oben  genannten  Reliefs:  Strzygowski,  Kleinasien  196  Abb.  140 
Christus,  141  Petrus,  143  Jonas.  —  Sivrihissar:  A.  Körte,  Ath.  Mitteil.  1897,  50. 

*)  Säulentrommeln:  Strzygowski,  Byz.  Zeitschr.  1892,  575  Taf.  1.  2.  V.  Schultze,  Ar- 
chäologie 331  Fig.  102.  Zum  Typus  der  geflügelten  Engel  vgl.  Stuhlfauth,  Die  Engel  in  der  alt- 
christl.  Kunst  1897  (römisch).  Strzygowski,  Byz.  Zeitschr.  1899,  206;  Orient  28  (ostgriechisch).  — 
Medaillons:  Strzygowski,  Byz.  ZS  1892,  585.  —  Moses:  Strzygowski,  Jahrb.  d.  preuß.  Kunstsamml. 
1893,  65  Abb.  —  Fußgestell:  d'Agincourt,  Sculpture  Taf.  10. 


Skulptur.  37 

Ein  in  seiner  Art  bedeutendes  Denkmal  ist  der  Ambo  von  Saloniki  mit  seinen 
Magiergeschichten  und  dem  zentral  und  frontal  auf  dem  Schoß  der  Mutter  sitzenden 
Christuskind.  —  Athen  und  Sparta  besitzen  je  einen  späten  Guten  Hirten,  Athen 
auch  einen  mindestens  ebenso  späten  Orpheus  im  Kreis  der  Tiere;  im  Typus  heidnisch 
ist  er  aber  vielleicht  doch  in  christlichem  Gebrauch  gewesen.  —  Ein  Relief  auf  Naxos 
stellt  im  unteren  Feld  die  Krippe  dar,  mit  Ochs  und  Esel  zwischen  zwei  Bäumen,  im 
oberen  die  Flucht  nach  Ägypten.  —  Dalmatien  bietet  ein  paar  Sarkophage,  den  statt- 
lichen Säulensarkophag  Garr.  299  und  den  etwas  späteren  mit  dem  Durchzug  durch 
das  Rote  Meer,  Garr.  309,  4.1) 

Die  Bemerkung  drängt  sich  auf,  daß  die  altchristlichen  Denkmäler  aus  Griechen- 
land und  dem  griechischen  Osten,  weil  sämtlich  der  Spätantike  angehörend,  über  die 
Anfange  der  christlichen  Skulptur  nichts  auszusagen  wissen. 

Unvergleichlich  günstiger  steht  es  mit  den  italischen  Skulpturen,  fast  aus- 
schließlich Sarkophagen.  Erst  hier  liegt  eine  große  geschlossene  Masse  vor,  die  sich 
auf  alle  Perioden  der  altchristlichen  Skulptur  verteilt,  bis  zurück  in  die  frühesten  uns 
erreichbaren  Anfänge.  Nur  an  diesem  italischen  Material  ist  es  möglich,  Tektonik, 
Typik  und  Entwicklungsgeschichte  der  Sarkophage  im  Zusammenhang  zu  verfolgen. 
Von  den  italischen  Skulpturen  aber  gehören  die  allermeisten  der  Reichshauptstadt 
Rom  an.  Für  die  Entwicklungsgeschichte  der  christlichen  Antike  sind  wir  demnach 
auf  dem  Gebiete  der  Skulptur  in  erster  Linie  ebenso  auf  Italien,  vorzüglich  Rom,  an- 
gewiesen, wie  auf  dem  der  Malerei.  Wenn  wir  nun  fernerhin  von  römischen  Sarko- 
phagen reden,  so  wolle  man  dies  in  Erinnerung  an  das  in  der  Einleitung  Gesagte 
richtig  verstehen;  es  soll  nicht  eine  der  griechischen  Kunst  selbständig  gegenüber- 
stehende eigenartige  römische  Kunstart  andeuten,  sondern  ist  bloß  lokal  gemeint:  unter 
römischen  Sarkophagen  verstehen  wir  die  stadtrömischen,  die  in  und  um  Rom  ge- 
fundenen und  (ein  paar  Ausnahmen  zugegeben)  daselbst  entstandenen  Sarkophage.  Sie 
sind  Vertreter  des  hellenistischen  Stils  ihrer  Zeit.  Es  mag  ja  sein,  daß  jede  einzelne 
Kunststätte,  und  so  auch  Rom,  den  gemeinhellenistischen  Stil  in  seiner  zeitlichen  Ab- 
wandlung, also  den  Zeitstil,  nur  in  lokalbestimmter  Schattierung  wiedergibt;  die  Fest- 
stellung dieser  Schattierungen  bleibt  späterer  Forschung  vorbehalten.  Unsere  Studie 
über  die  altchristlichen  Sarkophage  wird  also  die  stadtrömischen  zugrunde  legen,  unter 
Hinzunahme  der  übrigen  italischen  (mit  Ausnahme  der  ravennatischen,  die  eine  ge- 
sonderte Behandlung  verlangen)  und  der  dalmatinischen  und  ostgriechischen. 

Auf  dem  so  gewonnenen  Grunde  werden  die  in  zweiter  Linie  wichtigen  gallischen 
Sarkophage  sich  leichter  beurteilen  lassen.  Zuletzt  reihen  wir  die  spanischen,  nord- 
afrikanischen, ägyptischen  und  syrischen  Skulpturen  an. 


Die  bedeutendste  Sammlung  stadtrömischer  Skulpturen  der  christlichen  Antike  um- 
schließt das  christliche  Museum  im  Ostflügel  des  lateranischen  Palastes.  Es 
wurde  von  Pius  IX.  1854  gegründet  und  von  P.  Marchi  geordnet.  Eine  Anzahl 
christlicher  Skulpturen  befand  sich  schon  vorher  im  Lateran;  sie  wurden  von  Garrucci 
veröffentlicht.    Abgesehen  hiervon  bildeten  den  Grundstock  des  neuen  Museo  cristiano 


x)  Saloniki:  Bayet,  Mission  mont  Athos  249;  Recherches  105.     Garr.  426,  1.    Kraus,  Gesch. 
d.  ehr.  Kunst  I  234  Fig.  189.  —  Naxos:  Eph.  arch.  1890,  21  Taf.  3. 


38 


Plastik. 


die  Skulpturen  des  von  Benedikt  XIV.  (1740 — 1758)  im  Vatikan  errichteten  Museum 
christianum;  nach  altem  üblem  Brauch  waren  sie  bei  dessen  Anordnung  weitgehenden 
Ergänzungen  und  Überarbeitungen  unterworfen  worden.  Den  ersten  Katalog  des  late- 
ranischen Museums  gab  Johannes  Ficker  in  deutscher  Sprache  1890  heraus;  seine  Be- 
schreibung folgt  der  1887  durchgeführten  amtlichen  Numerierung  und  verzeichnet,  unter 
Benutzung  der  älteren  Zeichnungen  und  Stiche,  die  Ergänzungen  und  Überarbeitungen. 
Seitdem  sind  einige  Stücke,  zum  Teil  von  höchstem  Wert,  hinzugekommen  und  infolge- 
dessen Umstellungen  und  Änderungen  der  Nummern  nötig  geworden.  Der  italienische 
Führer  aus  der  Feder  des  gegenwärtigen  Leiters  Orazio  Marucchi  befolgt  die  neue 
Numerierung.  Im  folgenden  zitieren  wir  nach  der  jetzigen  Anordnung,  fugen  aber,  wo 
nötig,  die  alten  Nummern  bei;  ein  der  Nummer  vorgesetztes  F  bedeutet  Ficker,  ein  M 
Marucchi.1) 

Die  in  Rom  zerstreuten  altchristlichen  Sarkophage  verzeichnete  Rene" 
Grousset  und  gab  das  Verzeichnis  1885  heraus,  mit  einleitender  Studie  über  die 
Geschichte  der  altchristlichen  Sarkophage.  Kurz  vorher  erschien  Matz  und  v.  Duhn, 
Antike  Bildwerke  in  Rom  mit  Ausschluß  der  größeren  Sammlungen,  in  drei  Bänden; 
der  zweite  Band  gibt  die  Sarkophage.  Das  Werk  war  aus  Matz'  Vorarbeiten  zu  der 
von  Otto  Jahn  geplanten  Sammlung  der  antiken,  das  wollte  sagen  heidnisch  antiken 
Sarkophagreliefs  hervorgegangen  und  infolgedessen  —  zur  Qual  für  die  Verfasser  und 
für  alle,  die  das  wertvolle  Hilfsbuch  in  Rom  benutzen  —  nicht  museographisch,  sondern 
nach  typologischen,  in  der  Hauptsache  kunstmythologischen  Gesichtspunkten  geordnet. 
Dies  Vorbild  mag  Grousset  zu  dem  Versuch  verfuhrt  haben,  auch  seinen  Katalog  nach 
den  Gegenständen  der  Reliefs  zu  ordnen,  obwohl  er  die  Unmöglichkeit,  bei  der  Eigenart 
der  christlichen  Sarkophage  eine  solche  typologische  Ordnung  durchzuführen,  selbst 
einsah  und  die  Hauptklasse,  die  Sarkophage  mit  gereihten  Szenen  (sujets  historiques) 
einfach  nach  den  Aufbewahrungsstätten  ordnen  mußte;  diese  Katakomben  und  Kirchen, 
Paläste,  Villen  und  Häuser  aber  gruppierte  er  weder  topographisch  noch  alphabetisch, 


*)  Lateran:  Garrucci,  Monumenti  del  Museo  Lateranense,  Roma  1861  Taf.  49 — 55.  — 
Jon.  Ficker,  die  altchristlichen  Bildwerke  im  christlichen  Museum  des  Lateran  untersucht  und 
beschrieben.  Gedruckt  mit  Unterstützung  des  Kaiserlich  Deutschen  Archäologischen  Institutes 
Leipzig  1890.  —  Orazio  Marucchi,  Guida  del  Museo  cristiano  Lateranense,  Borna  1898.  —  Zu 
leichterer  Orientierung  im  Museum  diene  die  hier  folgende  schematische  Grundrißskizze;  die 
feineren  Querlinien  bedeuten  Treppen.  Es  ist  zu  beachten,  daß  die  Numerierung  auf  jedem 
Treppenabsatz  an  der  Fensterwand  beginnt  und  von  rechts  nach  links  läuft,  um  dann  gegenüber 
ebenfalls  von  rechts  nach  links  weiterzugehen. 


q 

55 

Vestibolo 
Eingangszimmer 

M26             Ml 

D         D 

Erdgeschoß 

Grande  loggiato 
Hofarkaden  im  ersten  Stock 

103 
104 
105     m 

119 
116 

125 
122 

135 

128 

195                                      M181                        M169A 

Grande  galleria        M  183  An    Treppenkorridor 
dei  sarcofagi            (F  181)  |_J 
138                                              154                           167 

196            223 
216 

Fensterwand 


Skulptur.  39 

sondern  ließ  sie  in  bunter  Unordnung  aufeinander  folgen.  Da  sein  Katalog  nur  195 
Nummern  umfasst,  so  ist  die  Sache  nicht  so  schlimm  wie  bei  Matz-Duhn  mit  ihren 
über  4000  Nummern1). 

Vergleichen  wir  Groussets  Beschreibungen  mit  denen  Fickers,  so  ist  der  Fort- 
schritt von  jenem  zu  diesem  unverkennbar;  Ficker  beschreibt  sorgsamer  und  eingehender. 
Aber  ich  meine,  in  den  achtziger  und  neunziger  Jahren  durfte  man  schon  konzisere  und 
übersichtlichere  Beschreibungen  erwarten;  es  ist  oft  mühsam,  wo  nicht  unmöglich,  aus 
den  Worten  ein  anschauliches  Bild  zu  gewinnen. 

Unter  den  kleineren  Sammlungen  verdienen  einige  besondere  Hervorhebung, 
abgesehen  vom  Museum  Kircherianum  vornehmlich  solche,  die  in  der  Hauptfund- 
region sich  gebildet  haben,  in  der  breiten  Zone  christlicher  Begräbnisstätten  rings  um 
Rom.  Eine  große  Zahl  lieferte  das  vatikanische  Gebiet;  daher  stammen  die  in  der 
Peterskirche  aufbewahrten,  die  teils  in  den  Kapellen  und  besonders  unter  den  Tisch- 
altären stehen,  hier  als  Reliquiare  verwendet,  teils  in  der  Krypta  unter  der  Kirche 
(den  Sagre  Grotte  Vaticane),  so  der  berühmte  des  Stadtpräfekten  Junius  Bassus 
[Abb.  18].  Sodann  ergaben  die  Ausgrabungen  de  Rossis  imCoemeterium  Callisti  be- 
sonders viel  Sarkophagfragmente,  die  in  einer  noch  im  christlichen  Altertum  über  ihm 
errichteten  Grabkapelle  aufbewahrt  werden  (Oratorio  di  San  Sisto).  Ahnlich  sind  die 
Sarkophagfunde  aus  dem  Coemeterium  Domitillae  in  der  dort  hineingebauten  Basilica 
Petronillae  niedergelegt.  Wieder  andere  besitzt  das  Coemeterium  Priscillae.  Von 
diesen  Sammlungen  ist  ohne  weiteres  zugänglich  nur  die  Basilica  Petronillae;  die  Pub- 
likation des  Coemeterium  Domitillae  soll  im  vierten  Band  der  de  Rossischen  Roma 
sotterranea  erfolgen,  die  Vorbereitungen  sind  seit  Jahren  im  Gange,  hoffentlich  läßt 
das  Erscheinen  nicht  mehr  allzulange  auf  sich  warten.2) 

Im  Kunsthandel  flottierende  oder  sonst  gelegentlich  vorkommende  Reste  alt- 
christlicher Kunst  zu  retten  hat  sich  der  gelehrte  und  feinsinnige  Rektor  des  deutschen 
Campo  santo  zu  Rom,  Monsignore  de  Waal,  seit  über  zwanzig  Jahren  mit  erfreulichem 
Erfolge  angelegen  sein  lassen.  1892  konnte  er  zu  de  Rossis  siebzigstem  Geburtstag 
einen  Katalog  von  vierzig  Skulpturen  herausgeben,  die  er  im  Campo  santo  bis  dahin 
zusammengebracht  hatte,  und  1906  durfte  Joseph  Wittig  zur  silbernen  Hochzeit 
unseres  Kaiserpaares  einen  neuen  Katalog  der  inzwischen  auf  74  Nummern  angewachsenen 
Skulpturensammlung  veranstalten.3) 

Die  alten  Zeichnungen,  welche  Ficker  benutzte,  waren  die  des  Codex  Vat. 
lat.  3439,  ferner  die  des  Alfonso  Ciacconio  im  Cod.  Vat.  lat.  5409,  endlich  die  des 
Claude  Menestrier;  letztere  Handschrift  befand  sich  im  Besitz  de  Rossis. 


*)  Rene"  Grousset,  Etüde  sur  l'histoire  des  sarcophages  chr^tiens.  Catalogue  des  sarco- 
phages  chretiens  de  Rome  (Bibliotheque  des  e*coles  francaises  d'Athenes  et  de  Rome  XLII) 
Paris  1885. 

2)  Museum  Kircherianum:  Viktor  Schul tze,  Archäologische  Studien  256. 

Grotte:  Dionysius,  Sacrarum  Vaticanae  basilicae  cryptarum  monumenta2  Roma  1828.  — 
Coem.  Callisti:  de  Rossi,  Roma  sotterranea  I  343  Taf.  30 — 31;  II  169.  295;  zusammenfassend 
III  340  Taf.  40.  41. 

8)  de  Waal,  Katalog  der  Sammlung  altchristlicher  Skulpturen  und  Inschriften  im  deutschen 
Nationalhospiz  vom  Campo  santo,  Rom  1892  (Rom.  Quartalschr.  VI  9).  —  Joseph  Wittig,  Die 
altchristl.  Skulpturen  im  Museum  des  deutschen  Campo  santo  in  Rom  1906,  Supplement  der 
Rom.  Quartalschrift. 


40  Plastik. 

Die  graphischen  Reproduktionen,  von  den  ältesten  an  und  auch  die  jüngeren 
nicht  ausgeschlossen,  leiden,  wie  jene  Zeichnungen,  oft  genug  durch  Mißverständnis  des 
Dargestellten,  immer  aber  durch  mangelnde  Genauigkeit;  für  stilkritische  Untersuchungen 
sind  sie  so  gut  wie  unbrauchbar.  Trotzdem  tun  sie,  wie  die  Zeichnungen,  als  Quellen 
zweiter  Hand  gute  Dienste,  wo  die  Originale  inzwischen  Schaden  gelitten  haben  oder 
verschollen  sind.  In  Betracht  kommen  zu  dem  angegebenen  Zwecke  Bosio,  Roma 
subterranea  1632,  Aringhi,  Roma  subterranea  novissima  1651,  Bottari,  Roma  sotter- 
ranea  1737  folgg.  Von  Garruccis  Storia  dell'arte  cristiana  ist  der  fünfte  Band 
(Prato  1879)  den  Sarkophagen  gewidmet;  er  teilt  auf  den  Tafeln  295 — 404  über  vier- 
hundert Sarkophage  mit,  die  meisten  aus  Rom,  andere  aus  dem  übrigen  Italien,  ins- 
besondere aus  Ravenna,  wieder  andere  aus  Spanien  und  Frankreich.  Vielen  seiner 
Stiche  liegen  photographische  Aufnahmen  zu  gründe,  aber  es  ist  doch  eben  alles  durch 
Augen,  Kopf  und  Hand  der  Zeichner  und  Stecher  gegangen.  Nachträchlich  zerstörte 
oder  verschollene  Sarkophage  älteren  Fundes  gibt  Garrucci  nach  Bottari.  Das  Werk 
ist  immerhin  ein  unentbehrliches  Inventar  der  Monumente  und  zu  rascher,  wenn  auch 
nur  oberflächlicher  Orientierung  so  gut  zu  brauchen,  wie  etwa  Claracs  Mus£e  de  sculp- 
ture.  In  diesem  Sinne  füge  ich  jedem  im  folgenden  angezogenen  Sarkophage,  sofern 
er  bei  Garrucci  wiedergegeben  ist,  die  Tafelnummer  der  Storia  mit  vorgesetztem  G  bei.1) 

Photographien  der  römischen  Sarkophage  gibt  es  eine  ziemliche  Zahl,  in  den 
Kollektionen  Parker,  Simelli,  Tuminello,  Alinari,  Anderson.2) 

Das  ganze  Material  an  christlichen  Sarkophagen,  unter  denen  die  römischen  schon 
durch  ihre  Fülle  wohl  immer  den  ersten  Platz  behaupten  werden,  muß  noch  einmal 
ganz  von  neuem  aufgearbeitet  werden,  es  verlangt  Neuaufnahme  in  Wort  und  Bild. 
Schon  mehrfach  sind  die  Kataloge  einzelner  Sammlungen  heidnischer  Skulpturen  dazu 
fortgeschritten,  den  gesamten  Bestand  nicht  bloß  in  Beschreibung,  sondern  auch  in 
Abbildung  vorzuführen.  Der  Skulpturenkatalog  des  Berliner  Museums  fügt  der  Be- 
schreibung eines  jeden  Stückes  eine  graphische  Skizze  bei;  derjenige  des  vatikanischen 
Museums,  den  im  Auftrage  des  Archäologischen  Instituts  und  unter  entgegenkommendster 
Förderung  seitens  der  Verwaltung  der  päpstlichen  Museen  W.  Amelung  bearbeitet, 
gibt  seinen  Bänden  je  einen  Tafelband  bei,  der  in  photomechanischem  Verfahren  viele 
Stücke  einzeln  reproduziert,  im  übrigen  ganze  Gruppen,  wie  sie  vor  den  Komparti- 
menten  der  Wände  aufgestellt  sind.  Daß  dabei  manche  Skulptur  zu  kurz  kommt,  sei 
es,  daß  sie  bei  dem  für  ganze  Gruppen  gewählten  Maßstab  zu  klein  herauskommt, 
oder  daß  wünschenswerte  Sonderaufnahmen,  z.  B.  der  Nebenseiten  von  Sarkophagen, 
unterbleiben,  muß  man  in  Kauf  nehmen.8) 

De  Waal   hat   mit  Recht   gewarnt,   an  die  Herausgabe  des  vom  ersten  Kongreß 

*)  Ein  Verzeichnis  der  Abbildungen  zu  den  Skulpturen  des  Lateran  bei  Ficker  Seite  205. 

8)  Die  an  4000  Nummern  umfassende  Kollektion  Parker  ist  durch  Brand  zerstört,  nur  ein 
Exemplar  war  1908  noch  verkäuflich,  aber  bloß  im  ganzen.  —  Simellis  Aufnahmen,  die  de  ßossi 
veranlaßt  hatte,  soweit  sie  die  Sarkophagreste  von  San  Callisto  betrafen  (Roma  sott.  III  441),  ver- 
zeichnete Barbier  de  Montault.  Ficker  nennt  die  Nummer  des  Klischees  unter  Hinzufügung 
der  Ordnungsnummer  bei  Barbier;  dabei  unterscheidet  er  eine  alte  und  eine  neue  Numerierung 
der  Klischees.  Die  Simellischen  Photographien  führt  jetzt  G.  E.  Chauffourier,  Fotograf o-editore, 
Via  Pompeo  Magno  3A,  und  zwar  nach  Barbiers  Verzeichnis;  die  bei  Ficker  angeführten  neuen 
Nummern  (die  über  2900)  sind  bei  Chauffourier  nicht  bekannt;  auch  fehlen  jetzt  einige  der  alten 
Nummern.  —  Andersons  Photographien  führt  die  Spithöversche  Buchhandlung  am  spanischen  Platz. 

8)  Walter  Amelung,  Die  Skulpturen  des  vatikanischen  Museums,  Berlin  1903.  1908. 


Skulptur.  41 

christlicher  Archäologen  geplanten  Corpus  monumentorum  christianorum  zu  rasch  heran- 
zugehen. In  der  Tat  sind  noch  viele  Vorarbeiten  nötig,  auch  für  die  Unter- 
abteilung der  Sarkophage.  Diese  Vorarbeiten  würden  aber  erst  richtig  Ziel  und  Plan 
gewinnen,  wenn  sie  bereits  im  Rahmen  und  unter  den  Gesichtspunkten  des  großen 
Unternehmens  gemacht  würden.  Damit  nun  die  Sarkophagforschung  den  ihr  bisher 
fehlenden  festen  Boden  unter  die  Füße  bekomme,  ist  es  unerläßlich,  daß  mit  dem 
Gedanken  der  christlichen  Antike  Ernst  gemacht  werde.  Zwar  scheint  einem  die 
christlichen  mit  den  heidnischen  Steinsärgen  vereinigenden  Corpus  sarcophagorum  anti- 
quorum  der  Weg  versperrt;  aber  es  bleibt  die  Möglichkeit,  die  künftige  Gesamt- 
herausgabe der  christlichen  Sarkophage  zu  der  großen  Institutspublikation  der  „Antiken 
Sarkophagreliefs"  wenn  nicht  äußerlich,  so  doch  innerlich  in  enge  Beziehung  zu  setzen, 
in  solchem  inneren  Zusammenhang  entstehen  zu  lassen.  Damit  ist  denn  die  praktische 
Folgerung  schon  angedeutet,  die  es  nur  noch  auszusprechen  gilt.  Ein  so  großes  und 
bedeutsames  wissenschaftliches  Unternehmen  verlangt,  wie  das  schon  der  erwähnte 
Kongreß  aussprach,  das  Zusammenwirken  vieler  Kräfte.  Nun  hat  auf  dem  geraeinsamen 
Boden  der  Wissenschaft  von  jeher  ein  freundliches  Einvernehmen  und  Zusammenwirken 
zwischen  den  Gelehrten  des  Archäologischen  Instituts  und  den  christlichen  Archäologen 
Roms  gewaltet;  es  braucht  nur  an  das  leuchtende  Dioskurenpaar  Theodor  Mommsen 
und  Giambattista  de  Rossi  erinnert  zu  werden  und  an  die  wechselseitige  Förderung, 
wie  sie  christliche  Archäologen  beider  Konfessionen  vom  Institut,  klassische  Archäologen 
von  den  römischen  Gelehrten  erfuhren.  Das  Institut  vermöchte  wohl  vorgeübte  Kräfte 
zu  dem  gemeinsamen  Werke  bereit  zu  stellen.  Dieses  selbst  würde  ein  bleibendes 
Denkmal  großen  wissenschaftlichen  Geistes  sein.  Allen  etwa  zu  befürchtenden  Schwierig- 
keiten würde  von  vornherein  begegnet,  wenn  die  Publikation  nur  den  tektonischen  und 
stilkritischen  Gesichtspunkten  nachginge  und  von  der  Interpretation  ganz  absähe;  die 
bildlichen  Typen  wären  rein  formal  zu  ordnen,  die  Literatur  natürlich  vollständig  mit- 
zuteilen.1) 

All  dergleichen  bleibt  anderen  überlassen,  wir  wenden  uns  sofort  zum  ersten 
Abschnitt  unserer  Studie,  zur  Tektonik  der  altchristlichen  Sarkophage. 

Auf  das  Technische  der  Skulptur  brauchen  wir  nicht  einzugehen,  da  war  kein 
Unterschied  bei  der  heidnischen  und  der  christlichen  Antike;  die  Bildhauer  haben  die 
gewohnte  Meißelführung  nicht  geändert,  weder  wenn  sie  christliche  Sujets  darstellten 
noch  wenn  sie  für  ihre  Person  die  Taufe  annahmen.  Wenn  die  Masse  der  christlichen 
Sarkophage  schließlich  doch  einen  andern  Eindruck  macht,  als  die  Masse  der  heid- 
nischen, so  liegt  es  daran,  daß  jene  im  ganzen  jünger  sind  als  diese;  und  mit  den 
Zeiten  wechseln  auch  die  Manieren.  Nur  auf  eines  sei  aufmerksam  gemacht,  auf  das 
Verhältnis  zwischen  Meißel  und  Bohrer.  Die  Reliefs  wurden  mit  dem  Meißel  angelegt; 
erst  in  einem  vorgerückteren  Stadium  der  Arbeit  kam  der  Bohrer  zur  Anwendung. 
Die  Figuren  mußten  zuvor  in  den  Massen  angelegt  sein,  ehe  z.  B.  der  Haarmasse  eines 
Kopfes  mit  dem  Bohrer  das  krauslockige  Aussehen  der  Anton inenköpfe  gegeben  werden 
konnte.  In  einem  dritten  Stadium,  zu  dem  es  aber  bei  flüchtiger  Arbeit  nicht  immer 
genügend    kam,   wurde    die  Bohrerarbeit  mit  dem  Meißel  ausgeglichen.     Nun  gilt  die 


*)  de  Waal,  Rom.  Quartalschr.  1896,  235  Die  Resolutionen  des  ersten  Kongresses  christ- 
licher Archäologen  zu  Spalato  1894;  ders. ,  Sarkophag  des  Junius  Bassus  1900,  95.  Der  Plan  des 
Kongresses  scheint  von  der  Verwirklichung  noch  weit  entfernt  zu  sein,  vgl.  auch  Wittig,  Campo 
santo  6 — 7. 


42  Plastik. 

übermäßige  und  aufdringliche  Anwendung  des  Bohrers  als  ein  Zeichen  sinkenden  Ge- 
schmacks. Bei  unfertigen  Sarkophagen  aber  hat  man  das  Fehlen  oder  die  erst  mäßige 
Anwendung  von  Bohrerarbeit  nicht  immer  als  Zeichen  früherer  Entstehungszeit,  sondern 
bloß  eines  früheren  Stadiums  der  Arbeit  anzusehen.1) 

Zum  Technischen  der  antiken  Skulptur  gehört  als  letztes,  aber  nicht  unwesentliches 
Stück  die  Polychromie.  Auch  die  beste  verblaßt  in  Wind  und  Wetter,  nach  Um- 
ständen auch  unter  der  Erde.  Die  schwachen  Spuren  wurden  in  den  Jahrhunderten 
seit  der  Renaissance  teils  nicht  beachtet,  teils  im  Zusammenhang  mit  jenen  unheilvollen 
Ergänzungen  und  Überarbeitungen  ausgetilgt.  Erst  seit  im  neunzehnten  Jahrhundert 
die  Frage  der  Polychromie  zur  Erörterung  kam,  begann  man  die  Spuren  zu  beachten 
und  zu  schonen,  aufzuzeichnen  und  farbig  zu  veröffentlichen.  Es  fand  sich,  daß  un- 
plastische, aber  für  den  Eindruck  wichtige  Momente  der  Erscheinung  aufgetragen 
wurden,  z.  B.  so  wichtige  wie  Pupille  und  Iris  des  Auges,  aber  auch  die  Farbe  des 
Haars,  der  Lippen,  der  Gewandmuster.  Ob  auch  die  Oberfläche  der  Gestalt  im  ganzen 
getönt  wurde,  gar  des  Nackten,  blieb  fraglich.  Es  mögen  diejenigen  Recht  behalten, 
welche  den  antiken  Bildhauern  darin  Spielraum  lassen  wollen;  in  der  Tat  will  es 
scheinen,  als  ob  die  Aufgabe  zu  verschiedenen  Zeiten  und  unter  verschiedenen  Umständen 
verschieden  gelöst  worden  sei.  Das  Gesagte  gilt  wie  für  die  heidnische  so  für  die 
christliche  Skulptur.  Nachdem  schon  zuvor  öfter  Spuren  von  Polychromie  an  alt- 
christlichen Bildwerken  bemerkt  worden  waren,  haben  insbesondere  Swoboda  und 
Ficker  solche  genauer  verzeichnet.2) 

Die  Sarkophage  wurden  in  Werkstätten  von  Bildhauern  hergestellt,  die  der- 
gleichen Arbeit  lieferten.  Spuren  von  antiken  Bildhauerwerkstätten  haben  sich  bei  Aus- 
grabungen gefunden;  bei  dem  kolossalen  Bedarf  an  Skulpturen  in  den  ersten  drei  Jahr- 
hunderten der  Kaiserzeit  muß  es  viele  und  große  Ateliers  gegeben  haben.  Und  ein 
jedes  wird,  gerade  für  Artikel  wie  Sarkophage,  einen  Kundenbezirk  besessen  haben, 
der  im  großen  und  ganzen  durch  seine  Lage  bedingt  war.  An  den  erhaltenen  Sarko- 
phagen lassen  Gleichartigkeiten  in  der  Arbeit  auf  Ursprung  aus  derselben  Werkstatt 
schließen.  Jedes  Atelier  hatte  seine  Eigenheiten,  seine  Tradition,  bei  aller  Einheitlich- 
keit der  gleichzeitigen  Kunstübung  im  ganzen. 

Aber  wer  waren  die  Besteller?  Zunächst  muß  man  festhalten,  daß  die  Besteller 
von  Marmorsärgen  auf  alle  Fälle  den  wohlhabenderen  Klassen  angehörten,  denselben,  die 
etwa  in  den  Katakomben  ganze  Kammern  für  sich  belegten.  Das  wird  auch  durch  die 
vorkommenden  Porträts  bestätigt.     Sodann  wird  man  geneigt  sein,  in  erster  Linie   in 


*)  Nur  mit  dem  Meißel  angelegt  ist  beispielsweise  ein  bacchischer  Sarkophag  im  Thermen- 
museum. Ein  berühmter  christlicher  Sarkophag  aus  Sankt  Paul  vor  den  Mauern,  Lateran  n.  104, 
ist  in  manchen  Teilen  unfertig,  es  fehlt  fast  die  ganze  Bohrerarbeit  [Abb.  37].  An  Lat.  n.  184 
steckt  eine  ganze  Figurengruppe  noch  im  Stein  [Abb.  38].  An  heidnischen  wie  an  christlichen 
Sarkophagen,  die  auf  Vorrat  gearbeitet  waren,  sind  die  vorkommenden  Porträts  der  Verstorbenen 
häufig  nur  abbozziert;  sie  hätten  für  den  Fall  fertig  gemacht  werden  sollen,  das  ist  aber  oft  unter- 
blieben. Dergleichen  ist  nur  am  Original  oder  an  Photographien  zu  beobachten  [Abb.  4].  —  Die 
Bohrerarbeit  im  Betrieb  ist  in  Graffito  am  Sarkophag  des  „heiligen  und  gottesfürchtigen  Eutropos" 
dargestellt:  der  Bildhauer  sitzt  auf  einem  Treppenstuhl  vor  dem  in  Arbeit  befindlichen  Sarkophag, 
einer  Wanne  mit  symmetrischen  Riefeln  und  zwei  Löwenköpfen,  und  hat  den  Bohrer  an  den  einen 
Löwenkopf  angesetzt,  ein  Gehilfe  drillt  ihn  mittels  eines  Riemens.  Wilpert,  Malereien  476  Fig.  42. 
Kaufmann,  Handbuch  492  Fig.  181;  aber  warum  soll  ayioq  „heiligmäßig''  heißen  und  nicht  heilig? 

2)  Swoboda,  Römische  Quartalschrift  1887,  100.  1889,  134.   Ficker,  Altchr.  Bildwerke  1890,  91. 


Tektonik  der  Sarkophage.  43 

den  Hinterbliebenen  des  Verstorbenen  die  Besteller  seines  Sarges  zu  sehen.  Das  wird 
auch  für  viele  Fälle  zutreffen,  z.  B.  beim  Tode  eines  noch  nicht  selbständigen  Kindes. 
Es  konnte  aber  sein,  und  es  wird  durch  viele  Grabschriften  bezeugt,  daß  einer  den 
Steinsarg,  der  ihn  dereinst  aufnehmen  sollte,  bei  Lebzeiten  bestellte,  für  sich  und  etwa 
für  seine  Frau;  vielleicht,  und  dafür  scheint  einiges  zu  sprechen,  beim  früheren  Tode 
der  Gattin,  vielleicht  aber  auch  unabhängig  hiervon.  Solche  frühzeitige  Fürsorge  lag 
durchaus  im  antiken  Charakter.  Man  konnte  nun  entweder  einen  fertigen  Sarg  kaufen 
oder  einen  neuen  eigens  herstellen  lassen,  damit  er  ganz  dem  eigenen  Sinn  entspreche. 
Es  gab  auch  halbfertige  Arbeit,  die  dann  nach  dem  Fall  beendigt  wurde.  Ein  letztes 
aber  war  auch  nicht  ausgeschlossen,  nämlich  die  Wiederbenutzung  eines  alten  Sargs. 
Auch  dafür  gibt  es  Belege.1) 


Tektonik  der  Sarkophage. 

Eine  Übersicht  der  christlichen  Sarkophagtypen  hat  Wittig  in  der  Einleitung 
seiner  „Altchristlichen  Skulpturen"  gegeben,  freilich  weniger  in  systematischer  als  in 
chronologischer  Absicht.  Wir  werden  sowohl  im  tektonischen  wie  im  stilgeschichtlichen 
Abschnitt  mit  den  dort  aufgestellten  Klassen  zu  tun  haben.2) 

Die  tektonischen  Typen  der  christlichen  Sarkophage  stammen  aus  der  heidnischen 
Sepulkralskulptur,  sowohl  nach  der  Grundform  wie  nach  der  künstlerischen  Durchbil- 
dung; die  Antike  bleibt  sich  auch  auf  diesem  Gebiete  treu.  Und  wenn  wir  bei  den 
Christen  Spielarten  finden  sollten,  die  nicht  ganz  ebenso  bei  den  Heiden  vorkamen,  oder 
selbst  weitergehende  Neubildungen,  so  bliebe  auch  dies  künstlerisch  im  alten  Geleise. 
Von  den  heidnischen  Sarkophagen  müssen  wir  ausgehen,  wollen  wir  die  christlichen 
verstehen. 

Eine  erschöpfende,  alles  charakteristische  Material  aufarbeitende  und  verarbeitet 
vorlegende  Tektonik  der  heidnischen  Sarkophage  besitzen  wir  noch  nicht,  wohl  aber 
eine  vorbereitende  Untersuchung  über  das  Formale  von  der  Hand  Walter  Altmanns. 
Aus  genauer  Vertrautheit  mit  dem  ganzen  Gebiet  der  antiken  Grabskulptur  hervor- 
gegangen, legt  sie  auf  dem  Grund  der  bislang  geleisteten  Arbeit  in  selbständigem  Vor- 
gehen wichtige  Punkte  fest.     Wir  werden  da  anknüpfen.8) 

Es  empfiehlt  sich,  eine  Klassifikation  gleich  hier  herauszuheben.  Eine  „römische" 
Klasse  wird  unterschieden  von  einer  „griechischen"  und  von  einer  Sonderart  gemischten 
Charakters,  die  man  „griechisch-römisch"  nennt.  Die  „römischen"  Sarkophage  sind 
Kasten  mit  schlichten  Randleisten,  die  Flächen  gefüllt  mit  figürlichen  Darstellungen; 
außer  der  Vorderseite  wurden  auch  die  Schmalseiten  verziert,  aber  mehr  nebensächlich; 
die  Rückseite  blieb  leer,  weil  sie  gegen  die  Gruftwand  geschoben  wurde.  Die  „griechischen" 
Sarkophage  haben    stark  profilierten   und  reich  ornamentierten  Sockel  und  Sims;    weil 

*)  Der  kapitolinische  Endymionsarkophag  bei  Robert,  Antike  Sarkophagreliefs  III  i  40  ist 
wieder  verwendet  für  eine  Gerontia. 

2)  Wittig,  Altchristliche  Skulpturen  im  Campo  santo,  Einleitung. 

3)  W.  Altmann,  Architektur  und  Ornamentik  der  antiken  Sarkophage,  Berlin  1902. 


44  Plastik. 

frei  aufgestellt,  verzieren  sie  alle  vier  Seiten,  so,  daß  jede  Schmalseite  mit  der  rechts 
anstoßenden  Langseite  zusammengeht.  Eine  wahrscheinlich  athenische  Werkstatt  ver- 
sieht ihre  Sarkophage  mit  Eckkaryatiden  oder  auch  Eckfiguren,  welche  letztere  dem 
jeweils  dargestellten  Mythus  angehören;  sie  stehen  auf  Sockelchen,  die  mit  Tierbildern 
belebt  sind.  Eine  jüngere  Gruppe  läßt  die  Eckfiguren  fort,  behält  aber  die  Sockelchen 
bei.  Die  Profilornamente  sind  Astragal,  Eierstab,  lesbisches  Kyma  und  Wellenranke 
sowie  das  Flechtband.  Die  „griechisch-römischen"  Sarkophage  verbinden  mit  der  tek- 
tonischen  Ausstattung  der  griechischen  Klasse  die  Kompositionsweise  der  römischen 
Sarkophagreliefs  (da  sie  eine  Unterart  der  griechischen  Klasse  bilden,  so  würden  sie, 
im  Rahmen  dieser  ganzen  Betrachtungsweise,  vielleicht  besser  „römisch-griechisch"  ge- 
nannt).1) 

Die  Masse  der  altchristlichen  Sarkophage  gehört  zur  römischen  Klasse.  Es  gibt 
kein  einziges  Exemplar,  das  alle  Kennzeichen  einer  der  zwei  griechischen  Klassen  auf- 
wiese; wohl  aber  gibt  es  eine  Anzahl  Stücke,  an  denen  einzelne  ihrer  Merkmale  hervor- 
treten, die  also  in  irgendeinem  Verwandtschaftsverhältnis  zu  der  einen  oder  anderen 
Klasse  stehen. 

Verzierten  kräftigen  Sims  (mit  Astragal,  hängendem  und  stehendem  Blatt- 
kranz und  Eierstab)  hat  das  vom  Archäologischen  Institut  der  Sammlung  de  Waals 
geschenkte  Bruchstück  eines  schönen  Riefelsargs  (G  298,  2),  verzierten  kräftigen  Sockel 
(mit  Flechtband  unter  lesbischem  Kyma)  und  Sims  (mit  Astragal  unter  lesbischem  Kyma) 
besitzt  der  dreiseitig  skulpierte  Sarkophag  von  Salona,  mit  Ecksäulen  und  Figuren  auf 
Sockelchen  (G  299).  Alle  übrigen  Sarkophage  reduzieren  Sockel  und  Sims  zu  flachen 
Leisten.  Einige  sind  dreiseitig  verziert:  der  reiche  Säulensarkophag  Lateran  n.  174 
(G  323, 4 — 6)  bildet  die  Sockelleiste  noch  als  Lorbeer-  oder  Olivenblättergirlande  [Abb.  19]; 
am  Sarkophag  zu  Verona  (G  333)  blieb  nur  eine  in  der  Spätantike  typisch  gewordene 
flache  Wellenranke  übrig;  andere  begnügen  sich  mit  der  gemeinrömischen  kahlen  Rand- 
leiste, wie  der  Säulensarg  des  Junius  Bassus  (G  322,  2 — 4)  und  die  Kasten  mit  ge- 
drängten Figuren  (G  318,  1 — 3.  382,  2 — 4  des  Sabinus).  —  Eckfiguren  auf  Sockel- 
chen finden  sich  am  Riefelsarg  zu  Pisa,  sog.  Todesgenien  mit  umgestürzter  Fackel 
(G  297,  1)  [auch  an  Abb.  7].  —  Vierseitig  skulpierte  Sarkophage  gibt  es  eine  ganze 
Reihe,  in  ihrer  Art  lauter  Prachtstücke,  aber  alle  spätantik.  Der  Klinensarg  in  der 
Vorhalle  von  San  Lorenzo  fuori  (G  306)  hat  Bettpfosten  auf  Löwentatzen;  die  Vorder- 
seite (jetzt  gegen  die  Kirchenwand  geschoben)  und  die  links  anstoßende  Schmalseite 
(jetzt  rechts)  tragen  von  unten  nach  oben  gezählt  an  dem  hartprofilierten  Sockel  Akan- 
thusranke,  Eichenblättergirlande,  flache  Wellenranke,  an  den  zwei  anderen  Seiten  nur 
die  Eichenblättergirlande,  an  der  Kopfleiste  ein  lesbisches  Kyma  unter  Akanthusranke 
[Abb.  46].  Lät.  M  n.  183  A  (F  181)  hat  wieder,  wie  alle  folgenden,  nur  Randleisten; 
die  Vorderseite  trägt  unten  ein  Flechtband;  in  die  den  Raum  füllende  Weinlese  sind 
drei  Gute  Hirten  gestellt,  auf  Sockelchen,  zwei  als  Endfiguren,  eine  in  die  Mitte;  die 
drei  Sockelchen  zeigen  an  ihrem  Sockel  und  Sims  Blattkränze,  an  ihrer  Vorderfläche 
Pfeil  und  Bogen  zwischen  Masken,  das  zentrale  einen  Dreifuß  zwischen  zwei  sitzenden 
Greifen  [Abb.  45].  —  Eine  Gruppe  vierseitig  verzierter  Prachtsarkophage  belebt  selten 
die  Kopfleiste,  mit  Mäander,  öfter  die  Sockelleiste  mit  Wellenranken;  deren  Ausfüh- 
rung schwankt  von  einem  gewissen  plastischen   Reichtum  bis   zu  Armut    und  flacher 


*)  Altmann,  Architektur  86. 


Die  wannenförmigen  Sarkophage.  45 

Bildung;  einige  lassen  die  Leisten  leer,  noch  andere  ersetzen  die  Banken  mit  dem 
Predellbild  des  Gotteslamms  zwischen  den  zwölf  Schafen  [Abb.  31].1) 

Im  folgenden  führen  wir  die  Sarkophagtypen  einzeln  vor,  jeden  zuerst  im  heidnischen 
Gebrauch,  dann  im  christlichen.  Das  Zurückgreifen  auf  die  heidnische  Sarkophag- 
skulptur ist  wesentlich  zur  Bewährung  des  Begriffs  der  christlichen  Antike;  die  Auf- 
gabe geht  dahin,  die  altchristliche  Kunst  in  ihrem  geschichtlichen  Zusammenhang  vor 
Augen  zu  stellen. 

Da  zu  einem  Sarg  nach  seiner  Zweckbestimmung  nichts  weiter  verlangt  wird,  als 
ein  Behälter  für  die  Leiche,  so  konnte  jeder  längliche  Behälter  von  einem  gewissen 
Raumgehalt  dazu  dienen.  In  unserem  Kreise  begegnen  als  Grundformen  die  Wanne 
und  der  Kasten. 


Die  wannenförmigen  Sarkophage. 

Die  Wanne  ist  länglich  mit  parallelen  Seiten,  an  beiden  Enden  im  Halbrund 
schließend  (also  nicht  eigentlich  oval).  Ursprünglich  verjüngt  sie  sich  nach  dem  Boden 
zu.  Das  war  und  ist  der  Typus  der  Badewanne  {rcveXog  solium);  in  den  Ruinen  von 
Tiryns  fand  Schliemann  die  Bruchstücke  einer  Wanne  aus  Terrakotta.  Dergleichen 
nach  unten  sich  verjüngende  Wannen  aus  Hartsteinen  wie  Porphyr  und  Granit  sind 
viele  erhalten,  oft  in  bedeutender  Größe  (so  zu  Rom  in  den  vatikanischen  Sammlungen 
und  unter  manchem  Altar  als  Reliquienschrein,  zu  Florenz  im  Giardino  Boboli).  Andere 
aber  haben  senkrechte  Wände;  sie  näheren  sich  damit  der  Kastenform,  z.  B.  die  im 
Cortile  des  Belvedere,  Westhalle  n.  58  A;  ein  Prachtexemplar  war  der  1903  im  Coem. 
Balbinae  gefundene,  jetzt  auch  im  Belvedere,  großenteils  zerstörte. 

Wannen  dienten  auch  als  Kelter  (Arjvog).  Die  Kelter  hatte  in  den  Wänden  Öff- 
nungen zum  Ablassen  des  ausgestampften  Traubensaftes;  in  Darstellungen  von  Keltern, 
dergleichen  uns  in  der  Typik  der  Bilder  begegnen  werden,  erscheinen  diese  Ausfluß- 
öffnungen immer  zu  zweien  und  analog  den  Brunnenmündungen  als  Löwenmäuler, 
genauer  Löwenmasken,  gestaltet.  Das  Motiv  übernahmen  die  wannenförmigen  Särge, 
nur  bleibt  die  Wand  hinter  dem  offenen  Rachen  undurchbrochen.  An  Sarkophagen  mit 
bacchischen  Bildern  wurde  der  Löwenkopf  wohl  auch  ins  Bacchische  mit  hineingezogen 
und  durch  den  Kopf  eines  der  bacchischen  Tiere  ersetzt,  sei  es  des  Panthers,  oder 
des  geflügelten  Löwen  mit  den  Hörnern  des  ebenfalls  bacchischen  Bockes  (also  des  sog. 
Löwengreifen).  —  Am  Sarkophag  Cortile  del  Belvedere  n.  28  sehen  wir  zwischen  den 
Füßen  des  in  der  Mitte  tanzenden  Paares,  eines  Satyrs  und  einer  Nymphe,  einen  Pan- 
ther, der  die  Tatze  auf  einen  daliegenden  Widderkopf  legt.  Das  ist  Nachklang  von 
dem  uralten  Motiv  des  Raubtiers,  das  ein  Huftier  niederschlägt.  Ursprünglich 
ein  Wirklichkeitsbild  diente  das  Motiv  auch  als  Sinnbild  des  Todes  und  fand  so  Ver- 
wendung in  der  Gräberkunst.  Die  Bildhauer  aber  benutzten  es  noch  besonders  um  die 
am  Sarg  nur  dekorativen  Löwenköpfe  zu  ganzen  Löwen  zu  entwickeln,  die  zugleich 
etwas  bedeuteten;  die  so  entstandene  Tiergruppe,  zu  der  oft  noch  ein  aufgeregt  heran - 


l)  Paris,  Peterskirche,  Mantua,  Ancona  (des  Gorgonius),  Vatikanische  Grotten,  Mailand, 
Tolentino  (des  Catervius):  G  324.  325.  320,  2—4  und  321,  1.  326  und  327,  1.  327,  2—4.  328  und 
329,  1.  303  und  304,  1. 


46 


Plastik. 


eilender  Hirt  oder  ein  Jäger  und  ein  die  Landschaft  andeutender  Baum  trat,  wurde 
an  die  seitlichen  Rundungen  der  Wanne  geschoben.  In  bacchischem  Sinne  gemildert, 
so  daß  es  Gedanken  von  Seligkeit  andeutet,  erscheint  das  Löwenmotiv,  wenn  das  Tier, 
sei  es  Löwe  oder  Panther,  unter  Bäumen  schreitet,  aus  einem  Kantharos  trinkt,  an  einem 
Korb  oder  einer  Vase  mit  Früchten  nascht.1) 

Die  Löwenmäuler  selbst  aber  erlaubten  noch  eine  ganz  andere  Verwendung,  näm- 
lich um  zwischen  den  Zähnen  entsprechend  große  Ringe  zu  halten,  die  an  Türen  zum 
Auf-  oder  Zuziehen  der  Flügel,  nach  Umständen  auch  als  Türklopfer  dienen  konnten, 
an  Badewannen  und  Särgen  aber  zum  Tragen.  Eine  bronzene  Löwenmaske  mit  in  den 
Zähnen  hängendem  Ring  fand  sich  in  den  Trümmern  des  Prunkschiffs  vom  Nemisee 
[Abb.  vor  unseren  Sarkophagabbildungen].  An  Hartsteinwannen  sieht  man  die  Löwen- 
masken als  Ringhalter  oft  skulpiert.2) 

Die  Wannen  von  Hartstein  pflegen  glatt  zu  sein,  die  von  Marmor  dagegen  ge- 
riefelt (striiert,  baccellati).  Die  Riefeln  laufen  von  oben  nach  unten,  selten  geradlinig 
mit  eingelegten  Stäben;  meist  sind  sie  gewunden,  an  der  linken  Hälfte  des  Sargs  S förmig, 
an  der  rechten  symmetrisch  dazu.  Die  Riefelung  erklärt  sich  wohl  am  ehesten  aus  der 
Metallarbeit  an  kupfernen  Badewannen;  im  praktischen  Gebrauch  müssen  Metallwannen 
üblich  gewesen  sein  (in  Boscoreale  hat  sich  eine  gefunden).  Die  S  förmig  geschwungene 
Zeichnung  der  Riefeln  aber  dürfte  lediglich  durch  den  antiken  Barockstil  bedingt  sein, 
der  auch  die  Spiralkannelierung  der  Säulen  und  die  gewundenen  Säulenschäfte  zeitigte. 
—  Wo  die  symmetrisch  gezeichneten  Riefeln  in  der  Symmetrieachse  zusammenstoßen,  da 
lassen  ihre  oberen  Ausbuchtungen  einen  aufgerichtet  mandelförmigen  Zwischenraum 
(Mandel,  mändorla);  darin  konnte  eine  kleine  Figur  angebracht  werden,  etwa  ein  Figür- 
chen  des  Verstorbenen,  die  auf  einen  Schild  schreibende  Siegesgöttin,  oder  was  für  ein 
Emblem  man  sonst  wählen  mochte.8) 

Die  Wannen  wurden  nicht  ausnahmslos  geriefelt;  öfter  traten  an  die  Stelle  der 
Riefeln  figürliche  Darstellungen.  So  an  der  schönen  Wanne  mit  bacchischen 
Szenen  Belv.  n.  28,  an  der  anderen  im  Belvedere  n.  58A,  mit  dem  Verstorbenen  zwischen 
vier  Horeneroten.4) 

Den  Wannentyp  übernahmen  die  Christen.  Die  meisten  christlichen  Wannen  sind 
geriefelt;  figürliche  Darstellungen  statt  der  Riefeln  aber  bieten  gerade  einige  der  ältesten 
und    schönsten   altchristlichen   Sarkophage,    der    von  Via  Salaria   im  Lateran  (M  181) 


x)  Wanne:  Amelung  zu  Belv.  n.  28.  —  Tiryns:  Schliemann,  Tiryns  158.  263 f.  Taf.  24.  — 
Panther:  Mus.  Chiaramonti  n.  180.  —  Löwengreif:  Belvedere  n.  28  (Heibig  n.  140).  —  Löwe 
gegen  Eber:  Mus.  Chiar.  n.  733a,  gegen  Bock:  ebenda  und  Belvedere  n.  58  A,  Pferd,  Gall.  Lapid. 
n.  111.  Mehr  bei  Matz-Duhn  II  170—174.  Die  Tiergruppe  mit  Mann  und  Baum:  Gall.  Lapid. 
n.  111.  Mua.  Chiaram.  unter  n.  294.  Altmann,  Architektur  49  Fig.  17.  —  Es  kommt  auch  vor, 
daß  der  Lowe  einen  Erot  niederwirft:  Grousset  zu  n.  45  (Ariccia,  Chigi).  —  Löwe  schreitet:  Pal. 
dei  Conservatori  Oberstock  Vorplatz.  —  Löwe  trinkt:  Matz-Duhn  n.  2668  (Mellini).  —  Löwe 
nascht  Früchte:  Piazza  della  Sagrestia,  gleich  beim  Durchgang,  Sarkophag  als  Brunnentrog. 
Panther:  Clarac  129,  202.    San  Callisto,  Simelli  72. 

2)  Löwenmaske  als  Ringhalter  aus  dem  Nemisee:  Thermenmuseum,  Antiquario.  An  Sarko- 
phag: Gall.  Lapid.  n.  188.    Matz-Duhn  n.  2676  (Capo  di  Ferro),  2678  (Rospigliosi). 

•)  Victoria  in  der  Mändorla:  Mus.  Capitolino,  im  Hof  links.  Matz-Duhn  n.  2675 
(Barberini). 

4)  Ferner  Robert  III  i  Taf.  24,  83.  Altmann,  Architektur  48  Fig.  16,  mit  Selene  und  Endy- 
mion;  eb.  III  i  Seite  105. 


Die  kastenförmigen  Sarkophage.  47 

und  der  in  S.  Maria  Antiqua  [Abb.  2.  4].  Eine  Wanne  mit  prächtiger  Löwenmaske 
besitzt  der  Louvre;  als  christlich  erweist  sie  der  zentrale  Gute  Hirt.  Die  Tiergruppe 
findet  sich  an  neutralen  Wannen  in  Pisa  und  Arezzo,  aber  auch  an  entschieden  christ- 
lichen Särgen:  der  Löwe  wirft  ein  Pferd  nieder  an  einer  Wanne  in  der  ßasilica  Petrönillae, 
mit  Orante  in  der  Mandorla.  Jene  Wendung  des  Tiermotivs  in  das  Sanfte  mit  an- 
klingenden Seligkeitsgedanken  führte  einen  christlichen  Bildhauer  zur  Anbringung  einer 
idyllischen  Szene,  deren  wir  weiterhin  so  viele  als  Bestandteile  des  christlichen  Bilder- 
schatzes antreffen  werden:  ein  Lamm  ruht  vor  einer  Strohhütte  unter  Bäumen;  das 
übrige  ist  Flachrelief,  nur  der  Kopf  des  Tieres  hebt  sich  vollrund  heraus  mit  Wendung 
nach  außen  [Abb.  2].  Löwenmasken  als  Ringhalter  hat  ein  vielleicht  doch  christlicher 
Sarkophag  bei  S.  Maria  del  Priorato  auf  dem  Aventin.1) 


Die  kastenförmigen  Sarkophage. 

Der  Typus  stammt  von  den  hölzernen  Truhen,  wie  sie  im  Haus  gebraucht  wurden 
zur  Aufbewahrung  der  Gewänder  und  Teppiche,  und  wie  sie  durch  Mittelalter  und 
Renaissance  hindurch  im  Gebrauch  blieben,  zum  teil  bis  in  die  Gegenwart;  ähnlich, 
nur  in  kleineren  Abmessungen,  baute  man  Schmuckkästen.  Solch  eine  längliche  Truhe 
oder  Lade  (XccQvat-,  yußwxbg)  eignete  sich  gut  zum  Sarg,  und  ihre  Gestalt  wurde  vor- 
bildlich für  die  Mehrzahl  der  Steinsärge.  Von  der  Truhe  und  ihren  unten  hervor- 
tretenden Eckpfosten  dürften  auch  die  Füße  herstammen,  mit  denen  gewiße  Sarkophage 
versehen  wurden.  Eine  spätschwarzfigurige  attische  Vase  aus  dem  Anfang  des  fünften 
Jahrhunderts  vor  Chr.  schildert  die  Beerdigung:  zwei  Männer  heben  den  Sarg  in  die 
Grube,  aus  der  zwei  andere  die  Hände  emporstrecken,  um  ihn  zu  fassen  und  nieder- 
zusetzen; es  ist  eine  längliche  Lade  von  Tischlerarbeit,  Rahmen  und  Füllung,  mit 
Füßen  und  mit  flachem  Deckel.  Doch  erhielt  der  Deckel  schon  früh  auch  die  Form 
des  Satteldaches.2) 

Die  künstlerische  Aussstattung  der  Kastensärge  bestand  in  Riefeln  oder  in 
figürlichen  Darstellungen.  Oder  es  verband  sich  mit  den  Riefeln  auch  Figürliches,  und 
zwar  konnte  das  in  verschiedener  Weise  geschehen,  ähnlich  wie  bei  den  Wannen.  Da 
Wannen-  und  Kastentyp  nebeneinander  im  Gebrauch  waren,  so  fand  leicht  ein  Aus- 
gleich statt;  eben  daher  stammen  jene  Wannensärge  mit  senkrechten  Wänden;  wie  es 
denn  umgekehrt  Kastensärge  gibt  mit  abgerundeten  Ecken,  an  die  dann  gern  die 
Löwenmasken  treten.  Ein  solcher  Kastensarg  mit  gerundeten  Ecken,  daran  Löwen- 
masken mit  Ringen,  steht  im  Cortile  des  Belvedere. 

Wurden  die  Wände  des  Sarkophags  mit  Riefelung  versehen,  so  konnte  man 
den  figürlichen  Schmuck  auf  eine  Gestalt  in  der  Mandorla  beschränken;  am  letzt- 
genannten Sarkophag  steht  in  der  Mandel  ein  Mann  im  Mantel,  mit  Schriftrolle.    Bis- 


x)  S.  Maria  Antiqua:  Hülsen,  Forum  143  Abb.  71.  —  Pisa:  G  357,  3.  Arezzo:  eb.  383,2.— 
Louvre:  G  295,  2.  —  Bas.  Petrönillae:  Grousset  n.  25.  —  Porto:  Grousset  n.  27.  — Florenz: 
Grousset  n.  53  bis.  —  Idyllisch:  an  Lateran  M  181,  unten  im  stilgeschichtlichen  Abschnitt.  — 
Aventin:  Matz-Duhn  n.  2682.     Grousset  n.  31. 

2)  Kastensarg:  Altmann,  Archit.  22.  Watzinger,  Griechische  Holzsarkophage  aus  der  Zeit 
Alexanders  des  Großen,  Leipzig  1905,  25.  63.  —  Vasenbild:  Mon.  d.  Instit.  VIII  Taf.  4.  5. 


48  Plastik. 

weilen  kommen  auch  hier  gerade  Riefeln  vor  mit  unterwärts  eingelegten  Stäben; 
da  fällt  die  Mandorla  aus,  figürlicher  Schmuck  kann  in  solchem  Fall  nur  in  einer  der 
nachbenannten  Weisen  eintreten.1) 

An  der  Mitte  des  Kastens  wurde  wohl  eine  Schrifttafel  ausgemeißelt,  meist  in 
der  Form  der  tabula  ansata,  wie  sie  sonst  an  Gräbern  und  Columbarien  die  Grab- 
schrift trug.  An  derselben  Stelle  des  Sarkophags  brachte  man  noch  lieber  das  Bild 
des  oder  der  Verstorbenen  an,  zunächst  als  Brustbild,  und  zwar  in  kreisrundem  Rahmen 
in  der  Form  des  Rundschildes  (clipeus),  aus  dessen  Höhlung  das  Bild  herausschaut. 
Öfter  halten  Eroten,  Tritonen  oder  Satyrn  den  Schild.  Reicher  wurde  der  Typus, 
wenn  den  in  Höhlung  und  Rahmen  glatten  Clipeus  eine  ebenfalls  kreisförmige  aber 
geriefelte  Muschel  vertrat;  das  Muschelschloss  pflegt  unten  zu  stehen,  die  Riefeln 
strahlen  fächerförmig  von  da  aus.  Doch  wird  der  größte  Teil  des  Innern  von  der 
figürlichen  Darstellung  ausgefüllt.  Einigemal  ist  es  die  kauernde  Aphrodite  mit  drei 
Eroten,  welche  das  von  Seewesen  getragene  Muschelrund  füllt,  sonst  sind  es  Büsten 
oder  Büstenpaare,  Porträts  der  Verstorbenen.  In  der  Typik  der  Bilder  kommen  wir 
auf  sie  zurück.2) 

Am  häufigsten  wird  die  Sarkophagfront  derart  gegliedert,  daß  die  zwei  breiteren 
Riefelfelder  durch  drei  schmälere  eingerahmte  Bildfelder  in  Hochformat  getrennt 
und  begrenzt  werden.  Es  lag  nahe,  im  Mittelfeld  den  Verstorbenen  darzustellen,  in 
ganzer  Figur,  in  den  Endfeldern  bedeutende  Mythen;  oder,  wenn  es  sich  um  ein  Ehe- 
paar handelte,  Mann  und  Frau  in  die  Endfelder  zu  verteilen,  in  das  Mittelfeld  aber 
ein  Sinnbild  zu  setzen;  oder  man  konnte  alle  drei  Felder  mit  Symbolen  füllen.  Man 
wolle  dabei  beachten,  daß  auch  das  Sinnbild  den  Verstorbenen  meint,  seinen  Tod  oder 
seine  Seligkeit;  jeder  Heros  konnte  ihn  vertreten,  im  einen  Sinn  etwa  ein  Meleager,  im 
andern  der  zur  Gemeinschaft  des  Zeus  emporgehobene  Ganymed.  Dionysische  Szenen 
deuten  allemal  auf  seligen  Zustand.8) 

Mannigfache  Kombinationen  ergaben  sich  leicht.  Am  Riefelsarg  im  Hof  des 
kapitolinischen  Museums,  in  dessen  Mandorla  Nike  auf  den  Schild  schreibt,  zeigen 
Endfelder  den  Mann  in  Toga,  die  Frau  in  matronaler  Tracht.  Ein  solcher  Sarkophag 
im  Konservatorenpalast,  auf  dem  Treppenabsatz,  hat  zentralen  Clipeus  und  Endfelder 
mit  je  einem  Eros  auf  die  Fackel  gestützt. 

Auch  an  den  christlichen  Sarkophagen  herrschen  die  geschwungenen  Riefeln  vor, 
die  geraden  sind  selten;  Grousset  führt  ein  paar  an,  einen  im  Theater  des  Marcellus, 
einen   zweiten   im   Palazzo  Farnese,    einen    dritten    bringt   Ficker.     Der   Clipeus   mit 


*)  Gerade  Eief  ein:  Amelung.  Gall.  Lapid.  n.  47.  Giardino  della  pigna  n.  196.  San  Callisto: 
Simelli  115. 

")  Conservatori,  Absatz  der  Haupttreppe:  Clipeus  mit  weiblicher  Büste  der  Aurelia  Extri- 
cata.  —  Aphrodite:  Benndorf-Schöne,  Lateran  n.  296.  Vgl.  Clarac  224,  82.  —  Der  Clipeus,  dann 
aber  die  gewölbte  Außenseite  nach  vorn,  trägt  wohl  auch  die  Inschrift,  wie  an  einem  Sarkophag 
des  Konservatorenpalastes,  Treppenhaus  des  Oberstocks  n.  116  die  christliche  des  Promotus.  Zwei 
Tritonen  halten  den  Schild. 

8)  Meleager:  Bobert  III  n  Taf.  98,  311,  in  den  Endfeldern  je  ein  Dioskur;  vgl.  eb.  III  n 
272.  —  Ganymed  tränkt  den  Adler  des  Zeus:  Belvedere  n.  97,  in  den  Endfeldern  je  ein  Erot  auf 
Fackel  gestützt.  —  Dionysos  geführt  von  Satyr  und  Nymphe:  eb.  n.  99,  in  den  Endfeldern  Satyr 
und  Nymphe  tanzend.  Weitere  bacchische  Särge  Matz-Duhn  II  96—100.  Anderes  Gall.  Lapid. 
n.  12  (zentral  drei  Chariten,  in  den  Endfeldern  je  ein  Erot  mit  Fackel).  15  (zentral  Eros  und 
Psyche,  in  den  Endfeldern  je  eine  Nike). 


Die  kastenförmigen  Sarkophage.  49 

Büste  ist  nicht  so  häufig  wie  die  Muschel  [Abb.  11.  14.  87.  38].  Die  Anordnung 
dreier  Bildfelder  mit  zwischentretenden  Riefelfeldern  war  besonders  beliebt.  Wir 
fuhren  einen  Sarkophag  mit  neutralen  Darstellungen  an,  der  auf  dem  Dach  von  S.  Peter 
als  Brunnentrog  dient,  mit  der  Verstorbenen  in  der  Mitte,  Horeneroten  an  den  Enden; 
ferner  eine  Neuerwerbung  de  Waals  mit  realistisch  porträtierter  Adorantin  (eingeengt 
von  zwei  sie  begleitenden  Togati,  daher  für  ihre  Arme  kein  Platz  blieb),  in  den  End- 
feldern stehen  Hirten;  ein  Sarkophag  auf  dem  oberen  Vorflur  des  Konservatoren- 
palastes zeigt  den  guten  Hirten  in  der  Mitte,  auf  ihre  Fackeln  gestützte  Eroten  in 
den  Endfeldern  [Abb.  7].  Es  fehlt  nicht  an  Kombinationen  der  verschiedenen 
Systeme.  Da  ist  eine  Orantin  in  der  Mandorla,  Gute  Hirten  in  den  Endfeldern 
[Abb.  8],  oder  der  Gute  Hirt  in  der  Mandorla  auf  akanthgeschmückter  Konsole 
stehend,  dazu  kommen  Endfelder  mit  Mann  und  Frau,  jedes  sitzend,  mit  Begleit- 
figuren. Da  ist  der  Clipeus  mit  Büste,  verbunden  mit  Endfeldern,  darin  einmal  Horen- 
eroten, andere  male  Hirten  oder  Fischer  oder  Christusszenen  gesetzt  sind.  Auch 
werden  die  Riefelfelder  ersetzt  durch  figürliche  Darstellungen:  Lat.  n.  236  hat  als 
Mittelfeld  die  Grabschrift  der  Juliane,  im  rechten  Endfeld  Juliane  adorierend,  im 
linken  einen  Hirten,  im  rechten  Zwischenfeld  Schafweide,  im  linken  Seeszenen  (Jonas 
und  Arche).1) 

Im  Laufe  der  Kaiserzeit  macht  sich  an  der  Architektur  eine  Richtung  auf 
Steigerung  des  Schmuckes  bemerkbar,  bis  zur  Überladung;  einen  Höhepunkt  hierin 
bezeichnet  die  Zeit  des  Septimius  Severus.  Dieselbe  Richtung  beobachtet  man  auch 
in  der  christlichen  Skulptur;  wir  werden  ihr  öfter  begegnen,  wie  denn  auch  Beweg- 
gründe verschiedener  Art  im  Spiele  waren.  Dahin  gehört  auch  die  Zerlegung  der 
Bildfläche  in  zwei  Zonen.  An  unseren  Riefelsärgen  tritt  die  Erscheinung  variiert 
auf,  bald  wurden  nur  die  zwei  Zwischenfelder  geteilt,  bald  Mittel-  und  Endfelder,  bis- 
weilen auch  alle  fünf  Felder.  An  zwei  Sarkophagen  bei  Grousset  sind  die  Zwischen- 
felder geteilt;  an  einem  in  der  Ecole  francaise  de  Rome  stehen  in  der  Mitte  eine 
Adorantin,  an  den  Enden  Hirten,  am  andern  in  S.  Petronilla  haben  wir  in  der  Mitte 
die  Verstorbene,  an  den  Enden  ruhende  Hirten  (einer  fehlt),  an  beiden  Sarkophagen 
füllen  die  zweizonigen  Zwischenfelder  idyllische  Szenen.  An  einem  anderen  Sarkophag 
sieht  man  in  der  Mitte  ein  Büstenpaar  in  Clipeus  über  einer  Melkszene,  in  den  zwei- 
zonigen Endfeldern  vier  biblische  Szenen,  in  den  hier  ungeteilten  Zwischenfeldern 
Riefeln.  Ein  lateranischer  Sarg  bietet  zentral  ein  Ehepaar  vor  der  Pronuba,  darunter 
den  Hahnenkampf,  in  den  ebenfalls  zweizonigen  Endfeldern  vier  biblische  Szenen,  in 
den  geteilten  Zwischenfeldern  Riefeln.  An  einem  Fragment  legt  sich  ein  Zierband 
auf  den  die  oberen  und  unteren  Riefeln  trennenden  Balken.2) 

Wir  dürfen  die  Riefel-  und  Kastensärge  nicht  verlassen,  ohne  auf  ihre  Orna- 
mentik aufmerksam  gemacht  zu  haben.  Freilich  müssen  wir  uns,  hier  und  weiterhin, 
versagen,  auf  die  Materie  einzugehen;  sie  könnte  nur  im  Zusammenhang  der  gesamten 


x)  Grousset  n.  15.  n.  44  (G  403,  1).  Lat.  n.  235  des  Priscus.  —  Clipeus:  Lat.  M  70  A 
(F  72).  Simelli  175.  Muschel:  Lat.  n.  108.  —  Endfelder  und  Mandorla:  G  296,  4  (zur  tragenden 
Blattkonsole  vgl.  die  tragende  Blume  eb.  298,  2).  375,  2.  Endfelder  und  Clipeus:  Lat.  n.  214. 
108.  Ferner  9.  122.  153.  144.  163.  —  Ferner  Hirt  in  Mandorla,  Endfiguren  auf  Basen:  Pisa,  G 
297,  1;  letztere  ohne  Basen  eb.  n.  297,  2. 

2)  Grousset  n.  54.  55.  Lateran  M  26  (G  361,  1).  —  Zweizonige  Endfelder:  Riano,  G  364,  1.  — 
Fünf  Felder  zweizonig,  Campli:  G  399,  7.  —  Fragment:  G  402,  4. 

Sybel,  Christliche  Antike  II.  4 


50  Plastik. 

Ornamentik  der  Kaiserzeit,  und  zwar  in  deren  geschichtlicher  Erfassung,  fruchtbar  be- 
handelt werden.  Aber  eben  darum  möchten  wir  auf  das  in  den  christlichen  Sarko- 
phagen vorliegende  Material  wenigstens  hinweisen;  es  ist  bisher  nur  gelegentlich  befragt 
worden. 

In  der  Masse  zwar  behelfen  sich  die  altchristlichen  Sarkophage  mit  schmuckloser 
Ausprägung  der  tektonichen  Form;  aber  es  gibt  doch  Exemplare,  aus  früherer  wie  aus 
späterer  Zeit,  die  ein  übriges  tun,  nicht  bloß  mehr  oder  weniger  berechnete  Sinnbilder 
häufen,  sondern  reine  Freude  am  künstlerischen  Schmuck  verraten.  Ein  besonders  statt- 
licher, leider  fragmentierter  Biefelsarg  sei  hervorgehoben,  der  als  Geschenk  des  Archäo- 
logischen Instituts  in  die  Sammlung  de  Waals  überging;  er  besitzt  in  ihrer  Art  reich 
und  geschmackvoll  verzierte  Profile  an  Sockel  und  Sims.  Andere  verfügen  über  ein- 
fachere, doch  verzierte  Sockel-  und  Simsprofile  und  geben  den  Riefelfeldern  eigene 
Unter-  und  Oberkante  (oder  wenigstens  letztere),  beide  gemustert.  Man  ging  aber  noch 
weiter  und  umgab  jedes  Riefelfeld  mit  rings  umlaufendem  Rahmen,  mit  dergleichen  die 
Architekten  eingesenkte  Pilaster-  und  Bildfelder  zu  umgeben  pflegten;  beispielsweise 
sei  der  Bogen  der  Argentarier  genannt.  Solch  einen  Sarkophag  besitzt  der  Lateran; 
der  Rahmen  besteht  aus  umlaufender  Leiste  mit  Flechtband,  Kyma  mit  gereihten  Akan- 
thusblättern  und  innen  säumendem  Perlstab.  Damit  wäre  unter  anderem  ein  bacchisches 
Relief  in  Mantua  zu  vergleichen,  mit  Weinlese  in  Gegenwart  des  jugendlichen  Dionysos; 
auch  dies  Relief  umrahmen  Flechtband  und  Akanthuskyma.1) 


Die  Pfeiler-  und  Säulensarkophage.2) 

Die  vom  Tischler  gefügte  Truhe,  mit  Wänden  nach  dem  System  von  Rahmen  und 
Füllung,  fanden  wir  schon  in  der  Zeit  der  Perserkriege  in  Athen  als  Sarg  üblich. 
Hölzerne  Truhen  und  Särge,  entsprechend  auch  kleinere  Kästen,  etwa  Schmuckkästen, 
bauen  sich  immer  auf  dem  Grunde  dieser  Idee  auf,  mögen  sie  in  ihrem  Urmaterial,  in 
Holz,  gestaltet  werden  oder  unter  Übertragung  der  Form  in  das  monumentalere  Material, 
in  Stein.  Da  sie  immer  einen  Deckel  hatten,  so  waren  es  allseitig  geschlossene  Be- 
hälter, Gehäuse,  die  zur  künstlerischen  Ausbildung  nach  Analogie  von  Häusern  oder 
Tempeln  nur  so  einluden.  Geschah  dies  schon  an  Schmuckkästen,  um  wieviel  näher 
lag  der  Gedanke  beim  Sarg,  als  der  Wohnung  des  Toten. 

Die  Gruft  und  den  Sarg,  beides  die  Wohnung  des  Toten,  in  diesem  Sinne  auch 
künstlerisch  auszugestalten,  darauf  ist  man  schon  in  frühen  Tagen  verfallen.  Der  aus- 
gebildetere Jenseitsglaube  aber  führte  zur  Erhöhung  wie  des  Verstorbenen,  so  auch 
seiner  Behausung;  sie  wurde  zum  Heroon,  zum  Tempel.  Mit  der  unterirdischen  Gruft 
oder  dem  oberirdischen  Mausoleum  haben  wir  es  hier  nicht  zu  tun,  nur  mit  dem  Sarg, 
nun  also  dem  in  Haus-  und  Tempelform.  Doch  erklärt  man  die  Säulensarkophage  auch 
als  Nachbilder  von  Baldachinen. 

An  den  Sarkophagen,  von  welchen  nachstehend  die  Rede  sein  soll,  ist  der  Kasten 
als  Pfeiler-  oder  Säulenbau  gebildet,  der  Deckel,  wo  er  erhalten  blieb,  als  Dach.    Aber 

l)  Sammlung  de  Waal:  Wittig  n.  2  Taf.  2,  6.  G  298,  2.  —  Einfachere  Profile:  Lat.  M  77 
(F  88).  n.  201  G  360,  2.  —  Rahmen:  Lat.  n.  154.  G  316,  4.  —  Mantua:  Dütschke  n.  838. 
Einzelaufnahme  n.  19. 

a)  Altmann,  Architektur  13.  52. 


Die  Pfeiler-  und  Säulensarkophage.  51 

wir  werden  bemerken,  wie  zähe  die  ursprüngliche  Idee  der  Tischlerarbeit  sich  behauptet, 
wie  sie  gern  wieder  durchbricht.  Nun  aber  kam  noch  ein  drittes  hinzu,  das  monu- 
mentale Material,  der  Stein;  dessen  Eigenart  macht  sich  besonders  am  Sarkophagdeckel 
fühlbar.     Aber  auf  die  Deckel  kommen  wir  unten  besonders  zu  sprechen. 

Die  Gattung  der  Pfeiler-  und  Säulensarkophage  ist  so  alt  wie  die  klassische 
Kunst.  An  der  Spitze  unserer  Denkmäler  steht  ein  altsamischer  Sarkophag  aus  dem 
sechsten  Jahrhundert  v.  Chr.  Gleich  an  diesem  Beispiel  läßt  sich  beobachten,  wie  die 
tektonische  Grundform  der  Tischlerarbeit  durch  die  aufgetragene  architektonische  Zier 
sich  so  leichten  Kaufes  nicht  ersticken  läßt.  Die  Wandflächen,  und  ebenso  die  Dach- 
schrägen, sind  in  Tischlerweise  als  Rahmen  und  Füllung  gebildet.  In  demselben  Flach- 
relief, in  dem  die  Rahmen  hervortreten,  stehen  an  den  Langseiten  je  drei,  an  den 
Schmalseiten  je  zwei  jonische  Säulen;  erst  infolge  dieses  Hineintragens  von  architek- 
tonischen Formen  werden  die  vertikalen  Rahmenstücke  als  Lisenen  aufgefaßt.  Von  der 
mächtigen  Deckplatte  hat  man  nicht  ganz  ein  Drittel  belassen  und  als  Gesims  gedacht, 
aber  in  dekorativ  spielender  Behandlung  der  an  dieser  Stelle  typischen  ägyptischen 
Corniche  hat  man  sie  mit  hängenden  Stäben  gezeichnet;  der  obere  Rest  der  Platte 
mußte  ein  Giebeldach  mit  Anthemien  hergeben.1) 

Die  architektonische  Idee,  schon  längst  durch  die  früh  auftretenden  Deckel  in 
Satteldachform  eingeführt,  setzte  sich  durch.  So  wurden  die  Ecklisenen  zu  Eckpfeilern 
ausgestaltet,  mit  Basis  und  Kapitell.  Jetzt  liegt  ein  reiches  Material  zur  Beobachtung 
der  verschiedenen  Entwicklungen  vor  in  den  griechichen  Holzsärgen  aus  Ägypten  und 
Südrußland.  Wir  beschränken  uns  hier  auf  die  Erwähnung  einiger  Steinsärge.  Der 
Sarkophag  der  „Klagefrauen"  aus  Sidon,  ein  hervorragendes  Werk  der  praxitelischen 
Zeit,  setzt  jonische  Halbsäulen  zwischen  die  Eckpfeiler.  Andere  Exemplare  begnügen 
sich  mit  den  Eckpfeilern,  unter  Verzicht  auf  die  eingereihten  Säulen;  an  deren  Stelle 
treten  figürliche  Gruppenbilder.  So  tun  der  wiener  Amazonensarkophag,  noch  aus  dem 
vierten  Jahrhundert;  das  Musenrelief  in  Siena,  das  hierhin  gehört,  sofern  es  mit  Arndt 
und  Altmann  für  die  Vor  der  wand  eines  Sarkophags  zu  halten  ist;  der  Amazonensarko- 
phag von  Corneto  und  der  Sarg  des  P.  Volumnus  Violens  aus  Perusia,  der  an  der 
Frontseite  Darstellung  des  Mauerwerks  und  einer  Flügeltüre  bringt.2) 

Der  Musensarkophag  in  Neapel,  augusteischer  Zeit,  macht  reichere  Verwendung 
von  dem  Pfeilermotiv;  er  setzt  die  Pilaster  nicht  bloß  an  die  Ecken,  sondern  auch  an 
Stelle  der  jonischen  Säulen  jener  älteren  Sarkophage.  Die  Pfeilerschäfte  schmücken 
stilisierte  Pflanzenstengel  mit  Laub  und  Blüten,  dazwischen  auch  Weinstöcke,  die  aus 
Vasen  wachsen;  zwischen  den  korinthisierenden  Kapitellen  spannen  sich  Blätter-  und 
Fruchtgirlanden  mit  langflatternden  Bändern.  Wie  in  den  Interkolumnien  jenes  sido- 
nischen  Sarkophags  die  „Klagefrauen"  stehen,  so  sind  hier  Göttergestalten  in  die  Inter- 
valle verteilt:  Zeus  zwischen  Apollon  und  Hera,  sodann  die  Musen.  —  Auch  einige 
Sarkophage  der  vorgerückteren  Kaiserzeit  ordnen  die  Figuren  zwischen  korinthische  Pi- 
laster an,  die  dann  aber  nach  der  inzwischen  aufgekommenen  Weise  durch  Rundbogen 


x)  Altsamischer  Sarkophag:  Wiegand,  Ath.  Mitteil.  1900,  209  Abb. 

2)  Holzsärge:  Watzinger,  Griechische  Holzsarkophage  45.  82  Haussarkophage.  —  Sidon: 
Hamdi-Bey,  Necropole  de  Sidon  Taf.  4—11.  Wien:  Robert  II  Tai  27,  68.  Altmann,  Archit.  15 
Fig.  4 -4a.  Siena:  Arndt,  Rom.  Mitteil.  1893  Taf.  3.  Altmann  18  Fig.  5.  6.  Corneto:  Mon.  IX 
Taf.  60.     Volumnus:  Conestabile,  Sepolcro  dei  Volunni  Taf.  11. 

4* 


52  Plastik. 

verbunden  werden.  —  Wie  die  Eckpfeiler  durch  Karyatiden  vertreten  werden,  das 
haben  wir  hier  nicht  weiter  zu  verfolgen.1) 

Von  den  christlichen  Sarkophagen  haben  einige  geriefelte  die  Eckpilaster  über- 
nommen, mit  korinthischen  Kapitellen;  da  sie  nur  auf  die  Frontseite  des  Sargs  bezug 
haben,  so  wären  sie  richtiger  als  Endpfeiler  zu  bezeichnen.  Ein  Fragment  vom  Esquilin 
zeigt  links  den  Rest  eines  Pilasters,  dann  den  eines  Guten  Hirten;  Grousset  scheint 
das  ursprüngliche  Ganze  sich  in  der  Art  des  neapeler  Musensarkophags  vorzustellen,  mit 
gereihten  Pilastern;  es  handelt  sich  wohl  um  das  von  Pilastern  flankierte  Mittelstück 
eines  Riefelsargs.  Ein  figurierter  Sarkophag  mit  Endpilastern  in  Osimo,  ein  anderer  im 
Lateran  [Abb.  39].2) 

Nun  die  wichtige  Klasse  der  Säulensarkophage.  In  einigen  Fällen  verbindet  sich 
damit  das  Motiv  der  Hadestür.  Dies  ist  ursprünglich  selbständig  entstanden,  schon 
in  der  altägyptischen  Grabkunst  war  es  von  Bedeutung.  Mit  dem  gesäulten  Haus  oder 
Tempel  konnte  es  sich  um  so  leichter  verbinden,  als  es  längst  Mausoleen  in  Tempel- 
form gab,  wo  dann  die  Tür  ein  in  die  Augen  fallendes  Moment  war.  Wenn  die  Hades- 
tür auch  an  Sarkophagen  vorkommt,  die  sich  in  den  Katakomben  fanden,  so  bleibt  die 
Frage  offen,  ob  sie  unter  und  für  Christen  hergestellt  waren,  wenn  es  auch  wahrschein- 
lich ist,  daß  sie  für  Christen  benutzt  wurden.  In  der  Basilica  Petronillae  z.  B.  wird  ein 
vollständiger  Sarkophag  mit  Hadestür  aufbewahrt;  außerdem  das  Fragment  eines  ge- 
riefelten Sargs,  das  rechte  Riefelfeld  mit  links  anstoßender  Säule,  die  vielleicht  eine 
Hadestür  flankierte.  Hadestüren  finden  sich  auch  im  Coem.  Priscillae  und  in  San 
Callisto.  Das  Motiv  kommt  ferner  an  dem  Säulensarkophag  von  Salona  vor,  den  das 
Bild  des  Guten  Hirten  als  christlich  bezeugt;  aber  auch  hier  ist  es,  wie  der  Augen- 
schein lehrt,  nur  im  Zusammenhang  der  ganzen  Sarkophagtypik  in  die  christliche  Skulp- 
tur mit  hinüber  gegangen.  In  den  spezifisch  christlichen  Typenschatz  fand  es  nicht 
Aufnahme;  in  der  Katakombenmalerei  sahen  wir  nicht  die  Hadespforte  dargestellt, 
sondern  die  Himmelsportiere.3) 

Unter  den  Säulensarkophagen  der  Kaiserzeit,  sie  sollen  in  der  Antoninenzeit 
beginnen,  lassen  sich  mehrere  Arten  unterscheiden,  von  denen  eine  durch  den  Reich- 
tum ihrer  dekorativen  Architektur  sich  auszeichnet.  Sie  hat  vcrkröpftes  Gebälk;  drei 
Säulenpaare,  das  zentrale  unter  Giebel,  die  äußeren  unter  Flachbogen,  bilden  drei  Taber- 
nakel (NaTsken,  Adikulen),  deren  Inneres  oben  als  Muschel  (Concha)  gestaltet  ist.  Die 
zwei  Intervalle  zwischen  den  Tabernakeln  sind  schmäler  als  letztere.  Figuren  treten 
sowohl  in  die  Tabernakel  wie  in  die  Intervalle.  Ein  Exemplar  von  der  Via  Appia 
steht  im  Thermenmuseum,  Chiostro,  Südhalle;  es  hat  korinthische  Säulen,  nur  die  an 
den  Ecken  sind  komposit.     Im  Zentralnai'sk  steht  ein  Ehepaar  vor  der  Pronuba,  der 


x)  Neapel:  Archäol.  Zeitung  1843  Taf.  7.  Altmann  Archit.  53,  2  Fig.  21.  —  Pfeiler  unter 
Bögen:  Robert  II  Taf.  20,  40  Vat.  Achill  auf  Skyros.  III  n  Taf.  61,  192  Mattei.  III  i  Taf.  39, 
128  verschollen.  Mus.  Chiaram.  Taf.  82,  662.  —  Eckkaryatiden:  Eobert  III  n  Taf.  44,  144 
Konstantinopel.  II  Taf.  28,  69  Louvre  usf. 

2)  Lat.  M  70  A  (F  72).  Lat.  n.  224  (G  301,  1).  G  391,  1.  Lat.  n.  191  ist  mit  Endpilastern 
ergänzt;  ohne  die  Ergänzungen  G  312,  1.  —  Grousset  n.  39.  —  Osimo:   G  300,  2.  —  Lat.  n.  191. 

8)  Hadestür:  Altmann,  Architektur  5  gibt  die  heutige  Auffassung  der  Ägyptologen  wieder 
(vgl.  v.  Bissing,  Deutsche  Lit.  Zeit.  1903,  3095) ;  weiteres  bei  demselben,  Rom.  Grabaltäre  1905,  13 
und  im  Sachverzeichnis  unter  Grabtür.  —  Salona:  G  299.  Jelic,  Rom.  Quartalschr.  1891,  zu 
Taf.  3—4.  —  Himmelsportiere:  Christi.  Antike  1  267  Abb. 


Die  Pfeiler-  und  Säulensarkophage.  53 

Mann,  in  Toga,  ist  bärtig,  die  Frau  trägt  die  Frisur  der  Mamaea;  in  den  Nebennischen 
je  ein  Dioskur  mit  Pferd,  der  rechts  über  Gaea,  der  links  über  Okeanos.  —  Ein  anderes 
befindet  sich  im  Cortile  des  Belvedere,  Westhalle  n.  60;  es  besitzt  drei  Nischen  unter 
Giebeln,  die  mittlere  mit  vollständigem  Gebälk,  wenn  auch  in  teils  abkürzender 
Wiedergabe,  der  Fries  ist  ganz  niedrig  und  ausgebaucht.  Die  Nebennischen  haben  nur 
Gebälkskröpfe;  hier  ist  der  ausgebauchte  Fries  etwas  völliger  zur  Geltung  gekommen. 
In  der  Mittelnische  etwas  geöffnete  Hadestür  zwischen  zwei  Säulen,  in  den  Neben- 
nischen das  Ehepaar,  rechts  der  Mann  in  Toga  mit  Begleiter  und  Kind,  links  die  Frau 
mit  Begleiterin  und  Kind.  In  den  Intervallen  auf  Rundbasen  je  ein  Jüngling  mit 
Zweig  und  Füllhorn,  bekränzt  von  über  ihm  schwebender  kleiner  Nike.  —  Ein  drittes 
Exemplar  mag  noch  angeführt  sein,  obwohl  es  sich  nicht  in  Rom  befindet,  sondern  zu 
Florenz  im  Hof  des  Palazzo  Riccardi:  kannelierte  Pilaster  tragen  Epistyl  und  Gesims, 
die  Mittelnische  einen  Giebel,  die  Nebennischen  Flachbogen;  aus  der  sich  eben  öffnenden 
Hadestür  kommt  Hermes,  mit  Kerykeion  und  Beutel,  doch  wohl  als  Totenführer.  Rechts 
der  Mann  in  Toga,  links  die  Frau  in  Mamaeafrisur,  neben  ihr  ein  Pfau  auf  einem  Rosen- 
korb. In  den  Zwischenräumen  je  eine  Nike  auf  einer  Kugel  stehend.  —  Das  Motiv 
des  Tabernakels  geht  auch  auf  geriefelte  Särge  über;  die  Zentralfigur  oder  -gruppe 
wird  dann  in  ein  Tabernakel  gestellt.  So  ein  Ehepaar,  mit  dem  kleinen  Hymenäus, 
an  einem  Exemplar  der  Galleria  lapidaria  n.  169.  Sogar  der  Titulus  wird  mit  einem 
Nai'sk  umschlossen  an  einem  Sarkophag  im  Chiostro  des  Thermenmuseums.  —  Der 
schöne  und  interessante  Dreinischensarkophag  in  Salona  hat  ornamentierten  Sockel  und 
Sims,  vorn  Ecksäulen  hinten  Eckpilaster,  auf  profilierten  Basen,  ferner  vorn  drei  ge- 
trennte Tabernakel,  anders  als  bei  den  vorbesprochenen  Tabernakelsärgen  in  das  Feld 
gestellt,  das  mittlere  unter  übergiebeltem  Bogen,  die  seitlichen  unter  Bögen;  in  letzteren 
stehen  der  Mann  und  die  Frau  auf  Basen.  An  der  linken  Schmalseite  Tabernakel 
unter  übergiebeltem  Bogen,  darin  Erot  auf  Basis;  an  der  rechten  die  Hadestür.  —  An 
christlichen  Sarkophagen  stadtrömischen  Ursprungs  scheint  das  Dreinischensystem  in 
voller  Ausprägung  sich  nicht  vorzufinden.  An  einem  Riefelsarg  in  der  Osthalle  des 
genannten  Chiostro  ist  die  zentrale  Adorantin  in  ein  Tabernakel  gestellt,  gebildet  aus 
zwei  Kompositpilastern  unter  Flachbogen;  sie  steht  zwischen  zwei  Bäumen,  worauf  fünf 
Tauben  sitzen.  Nur  ein  später  Riefelsarg,  in  Zeichnung  bei  Ciacconio  überliefert,  dort 
mit  handgreiflichen  Mißverständnissen  wiedergegeben,  gibt  drei  Tabernakel,  die  aber 
architektonisch  nicht  zusammenhängen,  sondern  durch  die  zwei  Riefelfelder  voneinander 
getrennt  sind;  es  handelt  sich  also  nur  um  eine  architektonische  Umrahmung  der  drei 
Bildfelder,  dabei  in  schlimmer  Verkümmerung  der  Formen.1) 

Eine  Spielart  der  Tabernakelsarkophage,  mit  eigentümlichem  Ornament,  fordert 
unsere  besondere  Aufmerksamkeit,  obwohl  sie  unter  den  christlichen  Särgen  nur  spär- 
lich vertreten  ist;  es  gibt  bisher  nur  ein  einziges  christliches  Exemplar,  bloß  ein  aller- 
dings interessantes  Bruchstück,  das  nicht  aus  Rom,  sondern  aus  dem  Osten  stammt. 
Dafür  ist  eine  Abart,  ohne  Tabernakelbildung,  in  Rom  vertreten;  für  diesen  Sarkophag, 
aus  Villa  Ludovisi,  wie  für  einen  zweiten  in  Concordia,  wird  christlicher  Ursprung  an- 
genommen, ohne  daß  er  freilich  streng  erweislich  wäre. 

Die  charakteristische  Ornamentierung  findet  sich  am  Kapitell  und  am  Gebälk.  An 
der  Front  des  korinthischen  Kapitells  stehen  vier  Voluten  gleichwertig  nebeneinander; 


»)  Riccardi:  Dütschke  n.  122.  —  Salona:  G  299.  —  Ciacconio:  G  386,  2.    Vgl.  362,  3. 


54  Plastik. 

daher  redet  man  von  „Doppelschnecken".  In  der  Entwicklungsgeschichte  des 
korinthischen  Kapitells  wirkt  als  eine  treibende  Kraft  das  schrittweise  Hinaufwachsen 
des  ihm  eigenen  neuen  unf  fruchtbaren  Elements,  des  Akanthusblattwerks,  sein  Empor- 
wachsen vom  Keimplatz  am  Kapitellboden  (Bassai)  hinan  zur  halben  Kapitellhöhe  (Tholos 
von  Epidauros),  und  mit  den  vorgeschobenen  Stützblättern  bis  hart  unter  die  Voluten 
(Lysikratesdenkmal).  Eine  Folge  war  das  allmähliche  Hinaufrücken,  Sichzurückziehen, 
der  kleineren  Mittelschnecken,  der  Helikes;  in  der  Kaiserzeit  ist  die  Norm,  daß  die 
Helikes  mit  ihrem  Scheitel  an  die  Abfasung  des  oberen  Kalathosrandes  stoßen,  die  Eck- 
voluten aber  bis  an  die  Untersicht  der  Deckplatte  herangehen.  Hand  in  Hand  mit 
diesem  Hinaufwachsen  des  Blattwerks  und  dem  Hinaufschieben  der  Helikes  ging  ein 
Ausgleich  auch  in  der  Art  der  Helikes  und  der  Voluten.  Die  Helikes  drehen  sich 
hinaus,  in  die  radiale  Stellung  der  Eckvoluten,  so  daß  der  Kalathos  statt  vier  nunmehr 
acht  Schneckenpaare  ausstrahlt  (Mars  Ultor,  Agrippathermen  u.  a.).  Eine  dazu  kommende 
Ausgleichung  auch  der  Größenverhältnisse  hebt  die  ursprüngliche  Differenz  zwischen 
Helikes  und  Eckvoluten  vollends  auf.  An  den  Sarkophagen  zeigen  die  Kapitelle  die 
bis  an  die  Deckplatte  hinaufgeschobenen  und  radial  gestellten  Helikes  nebst  je  einer 
Eckvolute  links  und  rechts,  also  vier  gleichartige,  nur  verschieden  gerichtete  Schnecken 
(Lykischer  Sarkophag  in  Athen  aus  dem  zweiten  Jahrhundert).  Vermöge  der  Relief- 
darstellung aber  erscheinen  sie  nachher  flach  angedrückt.  So  sind  die  „Doppelschnecken" 
entstanden.  Da  die  späteren  Reliefs  in  einer  fast  illusionistisch  zu  nennenden  Art  nur 
das  in  die  Augen  Fallende,  nämlich  das  Hängende  der  Schnecken  wiedergeben,  nicht 
die  zurückweichenden  Scheitel,  so  ist  es  für  den  Laien  erschwert,  die  Doppelschnecken 
richtig  zu  verstehen,  wie  sie  auch  von  den  späteren  Bildhauern  mißverstanden  wurden.1) 

Das  Gebälk,  über  den  Säulen  verkröpft,  läuft  an  besseren  Exemplaren  durch;  in 
den  Tabernakeln  freilich  muß  es  der  Muschel  weichen,  an  geringeren  Exemplaren  fallt 
es  auch  in  den  Intervallen  aus.  Es  besteht,  von  unten  nach  oben  gezählt,  aus  les- 
bischem  Kyma,  Eierstab  und  Gesims  (Zahnschnitt  unter  Platte).  Der  Kropf  über  den 
Säulen  zeigt  vorn  nur  charakteristische  Ausschnitte  aus  Kyma  und  Eierstab  („Dreizack" 
und  „Ei"),  jedesmal  von  Akanthusblättern  umschlossen;  beide  Glieder  zusammen  er- 
scheinen konvex  profiliert.  Am  ältesten  Sarkophag  läuft  ein  Eierstab  auch  unter  dem 
Gesims  der  Dachschrägen;  an  einem  Bruchstück  des  Museo  Chiaramonti  aber  schwingt 
sich  das  Kyma  des  Kropfes,  wie  sonst  wohl  der  Architrav,  über  der  inneren  Eckvolute 
des  Kapitells  hochgehend,  als  nischenrahmender  Rundbogen  zum  gegenüberstehenden 
Kropf.  Hierdurch  wird  bestätigt,  was  sich  ja  ohnehin  von  selbst  versteht,  daß  es  sich 
bei  diesem  Aufbau  von  Kyma,  Eierstab  und  Gesims  um  ein  Rudiment  des  normalen 
dreiteiligen  Gebälks  handelt.2) 

Jenes  älteste  Exemplar,  auch  ein  sog.  Hochzeitssarkophag,  befindet  sich  zu  Florenz 
im  Hof  des  Palazzo  Riccardi  (links  neben  dem  vorerwähnten  mit  dem  aus  der  Hades- 
tür tretenden  Hermes).     Unter  der  durchlaufenden  Stylobatplatte  ist  der  Sockel,  inso- 


*)  Bassai  —  Tholos — Lysikratesdenkmal  —Agrippathermen:  v.  Sybel,  Weltgeschichte  2230. 257. 
326.  395.  Vgl.  noch  Mauch-Borrmann  Archit.  Ordnungen  81896  Taf.  40  Bassae.  Taf.  46  Castor- 
tempel.  Forum  (Helikes  bis  an  Deckplatte  stoßend).  —  Lykisch:  Robert  II  Taf.  50,  138.  —  Von 
anderer  Art  sind  die  Doppelschnecken  an  den  Pilasterkapitellen  auf  den  Treppenwangen  vor 
Trinita  de'  monti  und  hinter  Villa  Medici ;  da  legt  sich  hinter  der  Eckvolute,  dem  Grundriß  gemäß 
zurücktretend,  eine  zweite  Volute  in  gleicher  Richtung  hinaus. 

2)  Mus.  Chiaramonti  Taf.  70  n.  518;  die  Abbildung  ist  zu  klein,  zu  wenig  deutlich. 


Die  Pfeiler-  und  Säulensarkophage.  55 

fern  die  obere  Verkröpfung  wiederspiegelnd,  in  eine  Reihe  von  Basen  zerlegt,  un- 
gleicher Breite,  je  nachdem  sie  unter  Säulen  oder  Figuren  stehen.  Im  ZentralnaTsk 
steht  das  Ehepaar,  sie  stärker  verhüllt,  wohl  als  bereits  Verstorbene,  er  vollbärtig  in 
bürgerlicher  Tracht;  beide  kehren  in  den  Intervallen  wieder,  er  hier  als  Offizier;  in  den 
äußeren  Naisken  die  zwei  Dioskuren,  jeder  in  bewegter  Haltung  ein  bäumendes  Pferd 
führend,  symmetrisch  zueinander  (ähnlich  den  Gruppen  auf  Monte  Cavallo).  Diesen 
Sarkophag  des  Palazzo  Riccardi  schreiben  Robert  und  Altmann  dem  zweiten  Jahr- 
hundert zu,  der  Antoninenzeit.  Der  Deckel  scheint  von  anderem  Marmor  und  nicht 
zugehörig;  den  Kasten  bezeichnet  Altmann  als  bestimmt  italisch.  Andere  Exemplare 
der  gleichen  Gattung  befinden  sich  in  Rom  teils  vollständig  (eines  in  Villa  Colonna), 
teils  fragmentiert  (ein  schönes  Bruchstück  aus  dem  Ghetto  ist  in  London).  —  Einige 
Bruchstücke  besitzt  Athen,  die  meisten  Exemplare  fanden  sich  in  Kleinasien.  An  einem 
Fragment  zu  Isnik  (Nikaia)  sind  Eckvoluten  und  Helikes  der  Kapitelle  noch  leidlich 
verstanden.  Das  Ornament  ist  an  den  kleinasiatischen  Exemplaren  nur  durch  den 
Bohrer  hergestellt,  was  einen  völligen  Zerfall  der  Formen  im  Gefolge  hat;  übrig  bleibt 
nur  ein  Wechsel  von  lichten  Stegen  mit  dunklen  Bohrgängen  und  Bohrlöchern.  Die 
schon  am  Sarkophag  Riccardi  für  die  Figuren  zu  klein  geratene  Architektur  wird  immer 
kleinlicher,  so  daß  die  Köpfe,  die  eigentlich  vor  den  die  Nischen  abschließenden  Muscheln 
stehen  sollten,  zuletzt  mit  ihren  Scheiteln  den  First  des  Tabernakels  überragen;  so  am 
Exemplar  von  Selefkieh  (Seleukeia),  obwohl  gerade  hier  der  Sockel  in  Säulenpostamente 
aufgelöst  ist,  zwischen  denen  die  Füße  der  Figuren  stehen.  Die  kleinasiatische  Gruppe 
setzt  man  in  das  dritte  Jahrhundert.  —  Sicher  christlich  endlich,  im  ganzen  vom  selben 
Typus,  nur  ohne  die  „Doppelschnecken"  des  Kapitells,  ist  ein  Bruchstück  aus  Kon- 
stantinopel in  Berlin,  von  prokonnesischem  Marmor.  Zentral  steht  ein  jugendlich  lockiger 
Christus  mit  Kreuznimbus,  in  den  Intervallen  je  ein  Apostel  in  der  Haartracht  des 
vierten  nachchristlichen  Jahrhunderts.  Gegenüber  den  heidnischen  Exemplaren  des  Typus 
erscheint  die  berliner  Tafel  wie  aus  einem  anderen,  späteren  Jahrhundert,  wegen  der 
hier  mit  Bohrer  und  Meißel  gearbeiteten  Kapitelle,  wegen  des  Flächigen  nicht  bloß  der 
Giebelornamentik,  sondern  selbst  der  Figuren,  und  wegen  des  Schematischen  der  Falten- 
arbeit [Abb.  25].1) 

Die  Figuren  an  den  Sarkophagen  der  in  Rede  stehenden  Klasse,  teils  bekleidet 
teils  nackt,  haben  mit  Recht  Strzygowskis  Aufmerksamkeit  erregt.  Hatte  er  gleich 
anfangs  in  dem  berliner  Christus  eine  Reminiszenz  an  die  Statuen  griechischer  Geistes- 
heroen erkannt,  deren  vornehmstes  Beispiel  immer  noch  der  lateranische  Sophokles  ist, 
so  gab  ihm  die  Publikation  der  Cookschen  Fragmente  Gelegenheit,  auch  die  Figuren 
der  heidnischen  Exemplare  als  Nachklänge  hauptsächlich  des  vierten  vorchristlichen 
Jahrhunderts  zu  erweisen.  Dem  hier  wieder  begegnenden  Klassizismus  in  der  heid- 
nischen Sarkophagkunst  der  Kaiserzeit  nachzugehen  ist  nicht  dieses  Ortes;  nur  möge 
es  verstattet   sein,    zu  Strzygowski  Seite  113   zu  erinnern,    daß  die  Zurückführung  der 


*)  Riccardi:  Dütschke  II  n.  105.  Strzygowski,  Orient  oder  Rom  52  Abb.  20.  Altmann, 
Architektur  55  Abb.  19.  Watzinger,  Griech.  Holzsarkophage  90,  5.  —  Strzygowski,  der  a.  a.  O. 
angefangen  hatte,  kleinasiatische  Beispiele  zu  sammeln,  hat,  nachdem  auch  andere  Wertvolles  bei- 
gesteuert, gelegentlich  der  Publikation  eines  leider  zerlegten  Sarkophags  in  Richmond  seine  letzten 
Folgerungen  gezogen.  Ich  zitiere  hier  nur  Munoz,  Bull,  crist.  1905,  79.  Strzygowski,  Journal 
hell,  studies  1907,  99  Tat  5—12. 


56  Plastik. 

dresdener  früher  sog.  Vestalinnen  und  ihrer  zahllosen  Repliken  auf  den  praxitelischen 
Kunstkreis  zuerst  von  mir  ausgesprochen  wurde,  bereits  1883.1) 

Die  ganze  Sarkophagklasse,  soweit  sie  damals  bekannt  war,  glaubte  Strzygowski,  als  er 
sie  zuerst  besprach,  in  Kleinasien  entstanden.  Seine  letzten  Ausführungen  treffen  wesentlich 
die  kleinasiatische  Gruppe  des  dritten  Jahrhunderts  (wegen  der  anders  gearteten  Kapitell- 
arbeit sehe  ich  nicht  klar,  ob  das  älteste  Exemplar  der  Klasse,  der  Sarkophag  Riccardi, 
mitgemeint  ist,  doch  scheint  es  so;  jedenfalls  ist's  der  Spätling,  das  berliner  Christus- 
relief); sie  gehörten  einer  südkleinasiatischen  Kunstschule  an  (der  er  schon  den  in  Sidon 
gefundenen  Sarkophag  der  Klagefrauen  praxitelischer  Zeit  und  Art  vindiziert)  und 
hingen  ab  von  Antiochia,  als  dem  Kulturzentrum  Syriens.  Denn  zu  der  Einflußsphäre 
Syriens  gehöre  auch,  wenn  ich  recht  verstehe,  Südkleinasien,  von  wo  die  Kunstrichtung 
der  Richmondfragmente  (deren  Herkunft  ist  unbekannt,  aber  ihr  Marmor  scheint  klein- 
asiatisch) nach  Westkleinasien  ihren  Weg  gefunden  habe,  ebenso  auch  nach  Mazedonien, 
Griechenland,  Italien  nnd  Rom.  Zwar  lasse  sich  für  jetzt  nichts  beweisen,  aber  es  sei 
seine  feste  Überzeugung,  daß  der  fragliche  Sarkophagtyp  weder  aus  Westkleinasien, 
noch  aus  Griechenland  oder  Rom  stamme,  sondern  aus  dem  Winkel  nächst  Mesopotamien, 
dessen  Zentrum  Antiochien  sei.  Auf  die  Nachbarschaft  Mesopotamiens  weise  die  Auf- 
lösung der  Ornamentformen  in  ein  Durcheinanderspielen  von  Licht-  und  Schattenpunkten, 
die  Folge  der  ausschließlichen  Bohrerarbeit  (das  Ornament  ist  griechisch,  die  Bohrer- 
arbeit wurde  längst  von  den  Griechen  überall  geübt,  ihre  an  unseren  Sarkophagen  her- 
vortretende besondere  Verwendungsweise  erscheint  hier,  das  ist  für  jetzt  das  einzig 
Sichere,  an  Denkmälern  des  dritten  Jahrhunderts;  ihr  Ausgangspunkt  sollte  gerade 
Mesopotamien  sein?).  Für  Antiochien  spreche  das  Motiv  der  Konchen,  in  denen  die 
Figuren  stehen.  Die  rundbogige  Nische  stamme  aus  Mesopotamien,  die  Ausgestaltung 
des  abschließenden  Kugelviertels  sei  dem  Naturvorbild  der  Muschel  nachgeschaffen 
(jedenfalls  als  ein  griechischer  Gedanke),  das  Ganze,  die  Kon  che,  sei  wahrscheinlich 
aus  Mesopotamien  in  die  antike  Architektur  Kleinasiens  und  Syriens  gekommen  (wenn 
auch  direkt  nach  Kleinasien,  wozu  dann  der  ganze  Umweg  über  Antiocheia?  Übrigens 
die  spätere  Weiterverwendung  hellenistischer  Motive  in  der  Kunst  des  Islam  beweist 
niemals  etwas  für  den  Ursprung  jener  Motive). 

Wir  haben  weiter  nichts  dazu  zu  sagen;  denn  wo  es  keine  Beweise  gibt,  da  gibt's 
auch  keine  Widerlegung.  Wir  gehen  auch  gar  nicht  auf  Widerlegung  aus,  alles  Bewiesene 
ist  uns  willkommen.  Aber  der  Glaube  allein  tut's  in  der  Wissenschaft  nicht.  Als 
heuristische  Hypothese  lasse  ich's  gelten,  das  will  sagen,  als  einen  Versuch  neben 
anderen,  ob  vielleicht  auf  diesem  Wege  der  Lösung  des  Herkunftsproblems  näher  zu 
kommen  sein  möchte.  Jedenfalls  verdanken  wir  Strzygowskis  Osthypothese  schon 
manchen  wertvollen  Fund. 

Soviel  von  den  Tabernakelsarkophagen.  Schlichter  treten  die  gewöhnlichen  Säule n- 
sarkophage  auf,  welche  die  Säulen  mit  gleichen  Abständen  reihen  und  durch  ein 
gerades,  auch  wohl  verkröpftes  Gebälk  oder  durch  aufgesetzte  Giebel  oder  Flachbögen 
verbinden.  Statt  des  Wechsels  von  ungleichbreiten  Nai'sken  und  Intervallen  ergeben 
sie  eine  Reihe  gleichartiger  Nischen. 

Im   Anschluß    an    die    letztbesprochene    Spielart    der   Tabernakelsarkophage,    mit 


l)  v.  Sybel,  Athen.  Mitteil.  1883,  24  Statuarische  Typen;  Weltgesch.  1888,  253  Typus  A  und  B; 
9 275  (Abb.  Seite  273).    Vgl.  Treu,  Olympia  Ergebnisse  III  254. 


Die  Pfeiler-  und  Säulensarkophage.  57 

„Doppelschnecken"  an  den  korinthischen  Kapitellen,  führen  wir  hier  sofort  einige 
Säulensarkophage  mit  derartigen  Kapitellen,  teils  früherer  teils  späterer  Zeit,  an.  Zu- 
vörderst eine  Reihe  Heraklessarkophage.  Ein  solcher  in  London  hat  gerades  Gebälk, 
über  Säulenpaaren  verkröpft;  ein  vatikanischer,  der  borghesische  und  einer  in  der 
Sammlung  Torlonia  aus  der  Mitte  des  dritten  Jahrhunderts  setzen  Bögen  auf  die  Säulen, 
meist  mit  wagrecbten  Verbindungsstücken  auf  den  Kapitellen.  Ein  lesbisches  Kyma 
läuft  dann  derart  durch,  daß  ein  „Dreizack"  über  jedes  Kapitell  zu  stehen  kommt; 
man  erinnere  sich  hierbei  des  Fragmentes  im  Museo  Chiaramonti  n.  518  und  des  oben 
dazu  Bemerkten.  An  den  genannten  Heraklessarkophagen  findet  man  auch  das  radiale 
Herauskommen  des  mittleren  Volutenpaares  noch  deutlich  ausgeprägt,  z.  B.  am  Exemplar 
ßorghese.  —  Später  ist  der  Londoner  Musensarkophag,  mit  Musenpaaren  in  den  Nischen; 
in  der  diesmal  schmälern  Mittelnische  steht  Euterpe.  Die  üblichen  spiralkannelierten 
Säulen  zwischen  verzierten  Endpilastern  tragen  wie  diese  nunmehr  Kapitelle  mit  platt 
angedrückten  vier  Schnecken.  Unmittelbar  von  den  Kapitelldeckplatten  steigen  die 
Bögen  auf,  mit  Akanthusranke  verziert,  mit  Akanthblattwerk  auch  die  Bogenzwickel 
gefüllt.  Während  dieser  Sarkophag  sicher  heidnisch  ist,  wurden  zwei  andere  als  christlich 
publiziert,  obwohl  die  Grabschrift  des  einen,  im  zentralen  Giebel  stehend,  die  heidnische 
freilich  auch  von  den  Christen  nicht  ganz  verschmähte  Formel  DM  an  der  Spitze 
trägt;  das  Gegenständliche  der  Darstellungen  würde  der  Verwendung  christlicherseits 
ja  nicht  im  Wege  stehen,  sie  sind  was  man  neutral  nennt.  Das  besser  erhaltene,  auch 
bessere,  ältere  Exemplar,  aus  Villa  Ludovisi,  zeigt  in  der  Mittelnische  unter  Giebel 
und  vor  Parapetasma  das  Ehepaar,  der  Inschrift  zufolge  ists  Aurelius  Theodorus  und 
seine  Gattin  Varia  Oktaviana,  vor  ihnen  den  kleinen  Hymenaeus;  die  Nebennischen, 
unter  Bögen,  geben  rechts  noch  einmal  den  Mann  mit  einem  Begleiter  in  reichlichem 
Haar  und  Bart,  links  die  Frau  mit  Dienerin.  Das  andere  Exemplar,  aus  Concordia, 
hat  Einzelheiten  mißverstanden  und  gibt  die  Falten  als  schematisch  gezeichnete  Rillen. 
Sollte  es  aus  derselben  Werkstatt  stammen  wie  das  vorige,  so  hat  jedenfalls  ein  späteres 
Geschlecht  es  auf  dem  Gewissen.1) 

Fassen  wir  zurückblickend  die  artverwandten  Säulen-  und  Tabernakelsarkophage 
noch  einmal  zusammen,  so  werden  wir  nicht  umhin  können,  die  an  ihnen  vorkommenden 
Porträtfiguren  mit  Modefrisuren  dabei  zu  berücksichtigen.  Die  erste  Stelle  verdienen 
die  älteren  Heraklessarkophage  wie  der  borghesische  (die  Deckelfiguren  des  Sarkophags 
Torlonia  tragen  aber  die  Frisuren  aus  der  Mitte  des  dritten  Jahrhunderts);  dann 
dürfte  zunächst  der  Sarkophag  Riccardi  Dütschke  n.  105  folgen.  Das  Fragment  zu 
Isnik  bildet  den  Übergang  zu  denen  mit  der  eigentümlich  weitgehenden  Bohrerarbeit. 
Das  Akanthusblatt  erhält  seine  Zackung  durch  rings  gereihte  Bohrlöcher,  so  an  den 
Exemplaren  von  Selefkieh,  Bedestan,  London,  deren  Porträtfiguren  den  vollrunden 
Bart  tragen,  die  Mittelfigur  der  einen  Schmalseite  am  Exemplar  aus  Selefkieh  zeigt 
sogar  noch  den  antoninischen  Spitzbart.  Der  Londoner  Musensarkophag  reiht  sich  an; 
er  besitzt  keine  Porträtfigur,  aber  den  gebohrten  Akanthus  in  reichster  Entfaltung. 
Der  Hochzeitsarkophag  aus  Villa  Ludovisi  würde  nach  Haar-  und  Bartschnitt  des 
Mannes  in  die  Jahrzehnte  unmittelbar  vor  Konstantin  gehören;  nahezu  konstantinisch 
ist  das  Exemplar  aus  Concordia,  noch  später  das  berliner  Christusrelief.     Über  dessen 

l)  London,  Vatikan,  Borghese,  Torlonia:  Robert  III  i  Taf.  39,  131.  130.  Taf.  38,  127.  Taf. 
34—37.  —  Musensarkophag:  Smith,  Catal.  n.  2305  Ancient  marbles  X  Taf.  44.  —  Ludovisi:  G  362,  2. 
Strzygowski,  Orient  50  Abb.  18.  —  Concordia;  G  362,  1. 


58  Plastik. 

Kapitellblätter  bemerkt  Strzygowski,  daß  sie  nicht  bloß  mit  dem  Bohrer  hergestellt 
seien,  sondern  der  Meißel  habe  ausgleichend  nachgeholfen,  so  daß  sie  eine  weiche,  fette 
Form  erhielten.  Diesen  „fettzackigen"  Akanthusschnitt  hatte  er  an  der  theodosianischen 
Goldenen  Pforte  zu  Konstantinopel  nachgewiesen;  der  Typus  blieb  durch  das  fünfte 
Jahrhundert  und  bis  an  Justinians  Zeit  herrschend.  Man  kannte  ihn  längst  an  ravenna- 
tischen  Kapitellen.  Strzygowski  leitet  diese  Art  zackiger  Bildung  vom  Naturvorbild 
des  Acanthus  mollis  ab,  den  Heldreich  im  Orient  bis  Dalmatien  nachwies;  wir  gehen 
auf  die  Frage  nach  dem  Naturvorbild  für  jetzt  nicht  ein  und  halten  uns  zunächst  an 
das  Kunstbild  und  seine  technische  Erzeugung  (so  wird  an  der  theodosianisch-ravenna- 
tischen  Ausprägung  das  Ersetzen  der  Blattrippen  durch  gereihte  Bohrlöcher  beobachtet). 
Auch  zu  der  flachgeschnittenen  Ranke  am  Giebel  der  berliner  Tafel  finden  sich  theo- 
dosianische  Analoga.1) 

Nun  erst  kommen  wir  zu  den  Säulensarkophagen  mit  ausgesprochen  christlichen 
Szenen.  Unter  ihnen  zeichnet  sich  eine  Gruppe  aus  mit  gereihten  Säulen  unter 
verkröpftem  Gebälk;  in  dieser  Gruppe  finden  sich  die  brillantesten  Exemplare 
christlicher  Sarkophagskulptur.  Voraus  schicke  ich  ein  verwandtes  Werk  heidnischer 
Barockskulptur,  den  Stockholmer  freistehenden  Brunnen.  Er  hat  annähernd  Sarkophag- 
form, nur  ist  er  gedrungener  gebaut  (sekundär  hat  man  ihn  zu  Sepulkralzwecken  ver- 
wendet). Rings  stehen  nischenbildende  spiralkannelierte  Dreiviertelsäulen  unter  ver- 
kröpftem Gebälk,  in  den  Nischen  Bildwerke:  vorn  in  breiterem  Felde  die  römische 
Wölfin  in  einer  den  Grimanireliefs  ähnlich  komponierten  Felslandschaft,  hinten  ein 
Gott  mit  Früchten  im  Chlamysbausch,  an  den  Seiten  je  eine  muschelhaltende  Nymphe. 
An  diesem  Denkmal  wolle  man  das  hochbarocke  Motiv  nicht  übersehen,  daß  an  der 
Frontseite  das  Gebälk  über  dem  breiteren  Feld  mit  der  Wölfin  nicht  im  rechten  Winkel, 
sondern  mit  einer  Kurve  auf  die  Kapitelle  vortritt;  dasselbe  geschieht  an  dem  Rundbau 
zu  Baalbeck,  und  zwar  dort  nicht  bloß  bei  einem,  sondern  bei  jedem  Interkolumnium. 
Eben  dies  Motiv  kehrt  auch  an  christlichen  Sarkophagen  wieder;  daß  es  zufällig  spätere 
Exemplare  betrifft,  tut  dem  architekturgeschichtlichen  Zusammenhang  nicht  Abtrag. 

Den  Reigen  der  christlichen  Prachtsärge  des  in  Rede  stehenden  Typus  führt  der 
zweigeschossige  Sarkophag  des  Junius  Bassus.  Wir  haben  es  hier  nur  mit  der  oberen 
Zone  zu  tun.  Von  den  sechs  völlig  rund  gearbeiteten  Kompositsäulen  sind  vier  spiral- 
kanneliert, die  zwei  mittleren  rebenumrankt  mit  Amoretten  in  den  Ranken  [Abb.  18]. 
Die  folgenden  Stücke  sind  eingeschossig.  Lat.  n.  174  ist  insofern  noch  prächtiger, 
als  alle  acht  Säulen  umrankt  sind  [Abb.  19].  Mehrere  Nebenpersonen  tragen  in  die 
Stirn  gekämmtes  Haar.  Während  an  den  zwei  vorgenannten  Sarkophagen,  besonders 
am  ersten,  die  verhältnismäßig  gute  Arbeit  trotz  verschiedener  bedenklicher  Anzeichen 
in  frühere  Zeit  zu  weisen  scheint,  tragen  die  übrigen  hier  noch  aufzuführenden  Särge 
gegenständliche  und  stilistische  Merkmale  späterer  Zeit.  —  Lat.  n.  151  hat  unverzierte 
Basen,  glatte  Schäfte,  schlichtere  Kapitelle,  schmuckloses  Gebälk;  aber  über  dem  Mittel- 
feld zeigt  es  den  barocken  Übergang  des  Gebälks  in  den  Kropf,  wie  der  vorbesprochene 
Stockholmer  Brunnen.  Zentral  steht  der  Christus,  hier  noch  lockig,  aber  bärtig,  auf 
dem  Berge  der  vier  Ströme.  Das  Relief  ist  schon  flächig  und  die  Figuren  sind  rings 
schräg  unterschnitten    [Abb.  33].  —  Ein    vierter  Sarkophag   kann    nur    fragweise    hier 

l)  Strzygowski,  Archäol.  Jahrbuch  1893,  27  Abb.  17.  10  Abb.  7  das  eckbildende  Blatt.  Der- 
selbe, Orient  55.  —  Bavenna:  v.  Sybel,  Weltgesch.  2471  die  obere  Abb.  „(Die  Blätter)  sehen  aus 
wie  von  Leder,  an  den  Bändern  ausgezwickt. '  —  Bänke:  Strzygowski,  Orient  23  Abb.  15.  10  Abb.  7. 


Die  Pfeiler-  und  Säulensarkophage.  59 

angereiht  werden;  der  charakteristische  Oberstreif,  an  dem  das  durchlaufende  Gebälk 
sitzen  müßte,  ist  zerstört;  erhalten  sind  nur  auf  den  Kapitellen  Reste  der  Gebälkkröpfe. 
Zentral  steht  Christus  auf  dem  Berg  (leider  fehlt  der  Kopf).  Zu  beachten  ist,  daß 
dieser  Sarkophag  nur  in  der  Zeichnung  bei  Bottari  vorliegt;  deren  manierierten  Stil 
hat  dann  Garrucci  nach  seiner  Vorstellung  vom  Stil  des  vierten  und  fünften  Jahr- 
hunderts korrigiert.1) 

Statt  eines  geraden  Gebälks  tragen  die  Säulen  anderer  Sarkophage  Bögen,  die 
unmittelbar  von  den  Kapitellen  aufsteigen,  meist  Flachbögen;  der  Oberteil  der  durch 
ein  Säulenpaar  und  den  Bogen  darüber  gebildeten  Nische  wird  wieder  gern  mit  einer 
Muschel  ausgekleidet,  deren  Schloß  vom  Bogenscheitel  eine  Nase  bildend  herabhängt. 
Schon  oben  hatten  wir  dergleichen  anzuführen,  gelegentlich  der  Tabernakelsarkophage 
mit  eigentümlichen  Architekturformen  in  der  Art  des  Riccardischen,  insbesondere  waren 
es  solche  mit  Taten  des  Herakles.  Das  Exemplar  der  Galleria  Borghese  schien  uns 
mindestens  bis  in  den  Anfang  des  dritten  Jahrhunderts  zurückzugehen,  dasjenige  der 
Sammlung  Torlonia  in  dessen  Mitte.  —  Von  den  christlichen  Exemplaren  des  Typus 
verlangt  den  Ehrenplatz  der  vatikanische,  welcher  dem  S.  Anicius  Probus  und  seiner 
Frau  Anicia  Faltonia  Proba  zugeschrieben  worden  ist,  jetzt  in  der  Peterskirche  bei 
Michelangelos  Pietä.  An  allen  vier  Seiten  skulpiert,  zeigt  er  vorn  sechs,  an  den  Schmal- 
seiten je  vier  spiralkannelierte  Kompositsäulen,  welche  die  mit  aufrechten  Blättern  ver- 
zierten Bögen  tragen.  In  der  breiteren  Mittelnische  steht  der  jugendlich  lockige  Christus 
mit  hohem  Kreuz  auf  dem  Berg,  beiderseits  sind  unter  Hinzunahme  der  Schmalseiten 
die  zwölf  Apostel  verteilt.  An  der  Rückseite  wechseln  zwei  Riefelfelder  mit  drei 
schlichter  gehaltenen  Nischen.  —  Hierhin  gehört  ein  aus  Rom  stammender  Sarkophag  in 
Leyden  mit  Christusszenen  in  fünf  Konchen;  in  die  Bogenzwickel  sind  außer  den  her- 
kömmlichen Tritonen  und  Tauben  auch  Momente  der  Jonasfabel  gesetzt.  —  Sieben 
Flachbögen  besitzt  der  Sarkophag  Lateran  M  n.  216  (F  n.  1).  —  In  den  Grotten  der 
Peterskirche  befindet  sich  noch  ein  Sarkophag  mit  glatten  Säulen;  der  Mittelbogen  ist 
höher  geschwungen  als  die  Nebenbögen,  um  dem  auf  dem  Berg  stehenden  bärtigen 
Christus  Raum  zur  Höhenentwicklung  zu  geben.2) 

Die  Mannigfaltigkeit  nimmt  zu;  wir  lassen  dahingestellt,  ob  das  unter  allen  Um- 
ständen als  wachsender  Reichtum  aufzufassen  ist.  Giebel  und  Bögen  alternierend, 
das  war  ein  beliebtes  Motiv  der  Baukunst  in  der  Kaiserzeit;  die  Hofwand  des  ves- 
pasianischen  Kaisertempels  zu  Pompeji  dürfte  das  früheste  Beispiel  aufweisen.  Der 
dortige  Backsteinrohbau  gibt  nur  die  Hauptlinien  an:  die  Giebel  als  niedrige  Dreiecke 
statt  der  Giebelschrägen  abwechselnd  Flachbögen.  An  den  Sarkophagen  fehlt  die  wage- 
rechte Basislinie  der  Giebel,  Giebelschrägen  und  Bögen  stehen  unmittelbar  auf  den 
Kapitellen,  allenfalls  auf  Gebälkkröpfen.  Letzteres  ist  der  Fall  an  dem  Sarkophag  im 
Belvedere,  Westhalle  n.  68,  mit  einem  Giebel  zwischen   zwei  Bögen;  die  Mittelsäulen 


1)  Stockholm,  K.  Museum  n.  217:  Einzelaufnahme  St.  n.  178.  —  Baalbek:  v.  Sybel, 
Weltgesch.  2426,  1.  428  Abb.  —  Bassus:  Grousset  n.  184.  G  322,  2—4.  de  Waal,  Sarkophag 
des  Junius  Bassus  in  den  Grotten  von  S.  Peter,  Born  1900;  ders.  Böm.  Quartalschr.  1903,  77.  Ein 
gleich  ausgezeichnetes  Werk  war  der  ebenfalls  zweizonige  Sarkophag,  von  dem  ein  Bruchstück  aus 
der  oberen  Zone,  Christus'  Vorführung,  im  Campo  santo  Teutonico  sich  befindet:  Wittig  n.  52 
Abb.  40.  —  Lateran  n.  174.     G  323,  4—6.  —  Lateran  n.  151.     G  335,  3.  —  Bottari:  G  341,  2. 

2)  Borghese:  Robert  III  i  Taf.  38,  127.  Torlonia:  eb.  Taf.  34—37.  Ferner  Taf.  39,  128. 
130.  III  ii  Taf.  98,  309.  —  Probus:  Grousset  n.  148.  G  325.  —Leyden:  Janssen,  Grafreliefs, 
Leyden  1851,  28  Taf.  8.     G  319,  4.  —  Sagre  Grotte:  Grousset  n.  186.     G  335,  4. 


60  Plastik. 

sind  umrankt,  zwischen  ihnen  sitzt  eine  Matrone,  beiderseits  je  ein  Kahlkopf  mit  einer 
Frau  zur  Seite.  —  Dagegen  unmittelbar  auf  den  Kapitellen  stehen  zwei  Bögen  zwischen 
drei  Giebeln  an  einem  vatikanischen  Heraklessarkophag.  —  Neutralen  Charakters,  mit 
Giebel  zwischen  zwei  Bögen,  waren  die  früher  erwähnten  Sarkophage  aus  Villa 
Ludovisi  und  aus  Concordia.  —  Von  spezifisch  christlichen  Sarkophagen  steht  hier 
wieder  der  des  Bassus  an  der  Spitze;  sein  Untergeschoß  enthält  unter  zwei  Giebeln 
und  drei  Konchen,  deren  Muschelschlösser  zu  den  Köpfen  herabschwebender  Adler 
entwickelt  sind,  zentral  den  Einzug  in  Jerusalem,  außerdem  drei  alttestamentliche  Szenen 
und  die  Abführung  des  Paulus  [Abb.  18].  —  Einen  Giebel  zwischen  zweimal  zwei 
Bögen  zeigt  Lateran  n.  110  G  302,  1,  drei  Bögen  alternierend  mit  vier  Giebeln 
Lateran  n.  138.  152.  155,  einer  in  Civitä  Castellana;  umgekehrt  drei  Giebel  wechselnd 
mit  vier  Bögen  Lateran  n.  195  [Abb.  28].  —  Ein  nur  durch  Bottari  bekannter  Sarg 
hat  zwei  Bögen  zwischen  drei  Giebeln,  wie  der  vatikanische  Heraklessarkophag;  darf 
man  der  Zeichnung  glauben,  so  stünden  die  Endgiebel  nicht  auf  Säulen,  sondern  auf 
kannelierten  Pilastern.  —  Drei  Bögen  zwischen  vier  Giebeln  in  Perugia.  Dieselbe 
Alternanz  am  Sarkophag  zu  Fermo.  —  Endlich  verzeichnet  Wittig  ein  paar  Fragmente, 
an  denen  Bögen  mit  Giebeln  wechseln.1) 

An  heidnischen  und  an  christlichen  Sarkophagen  sieht  man  bisweilen  eine  Gir- 
lande den  Säulen  entlang  gespannt.  So  am  Medeasarkophag  von  Via  Tiburtina  und 
an  der  Aschenurne  der  Egrilia  Felicitas  mit  Waffenstreit.  Und  so  am  christlichen 
Sarkophag  Lateran  n.  110  mit  dem  Guten  Hirten  zwischen  vier  Horeneroten,  er  unter 
Giebel,  sie  unter  Bögen.2) 

In  den  Reigen  der  Giebel  und  Bögen  treten  nun  aber  noch  Stücke  geraden 
Gebälkes.  Die  Exemplare  gehören  bestenfalls  der  konstantinischen  Zeit  an;  da  wird 
es  schon  schwieriger,  zutreffende  Belege  aus  der  doch  älteren  heidnischen  Skulptur 
herbeizuschaffen.  Ein  vatikanisches  Fragment,  in  der  Galleria  delle  statue  n.  416,  hat 
wohl  eine  gewisse  Analogie,  ist  im  Grunde  aber  anders.  Auf  den  Säulen  sitzen  Gebälk- 
kröpfe; die  zwei  Nebenintervalle  überspannen  Bögen,  deren  Sima  über  dem  breiteren 
Mittelfeld,  darin  die  schlafende  Ariadne  nebst  Dionysos  und  Theseus,  wagerecht  durch- 
läuft. Bei  den  christlichen  Sarkophagen  scheint  es  sich  um  bloßes  Spielen  mit  zusammen- 
gewürfelten Architekturgliedern  zu  handeln,  als  ob  die  Trümmer  eines  antiken  Baues 
von  hinzugekommenen  Barbaren  auf  gut  Glück  zusammengefügt  worden  wären.  Dabei 
konnte  mit  Ornament  verschwenderisch  umgegangen  werden.  —  Lateran  n.  106  hat 
zwei  Konchen  zwischen  drei  Feldern  unter  geradem  Gebälk  (links  fehlt  ein  Feld); 
Bögen  und  Balken  sind  reich  mit  Blattwerk  verziert,  freilich  in  der  gelochten  Mache, 
die  aussieht  wie  Spitzen.  Man  könnte  sich  allenfalls  denken,  zugrunde  läge  ein  System 
mit  geradem  Gebälk  und  mittels  Verkröpfung  gebildeten  Tabernakeln  unter  Bögen; 
aber  dergleichen  ist  nicht  angedeutet,  die  Bögen  sind  unvermittelt  zwischen  Balken- 
stücke eingeschoben.  —  Lateran  n.  171  zeigt  umgekehrt  zwei  Gebälkstücke  zwischen 
zentralem  Flachbogen  und  seitlichen  Giebeln;  die  Mitte  füllt  ein  großes  Christusmono- 
gramm in  Kranz,  über  dem  Kreuz,  die  Nebenfelder  enthalten  Passionsszenen  [Abb.  35]. — 


l)  Vespasiantempel:  Mau,  Pompeji  1900,  97  Fig.  45.  46.  —  Herakles:  Robert  III  i 
Taf.  39,  129.  —  Ludovisi  und  Concordia:  G  362,  2.  1.  —  Bassus:  G  322.  —  Civ.  Castellana 
G  319,  3.  —  Bottari  Taf.  41,  2.  G  375,  3.    Fermo:  G  310,  2.     Perugia:  eb.  321,  4. 

•)  Medea:  Robert  II  Taf.  64,  20.  —  Egrilia:  Terme,  Chiostro,  Ostzelle  E.  —  Lat.  n.  110: 
G  302,  1. 


Die  Pfeiler-  und  Säulensarkophage.  61 

Ein  nicht  fertig  gearbeiteter  Sarkophag  in  der  Krypta  von  S.  Peter  stellt  die  drei 
Mittelfelder  unter  wagerechtes  Gebälk  mit  Verkröpf ung  über  den  Säulen;  seitlich 
schließt  sich  je  ein  Giebel  und  eine  Koncha  an.  Aber  Giebel  und  Bögen  stehen  nicht 
auf  Gebälkkröpfen,  sondern  direkt  auf  Kapitellen,  in  gleicher  Höhe  mit  dem  Gebälk. 
Da  die  äußeren  der  vier  Kröpfe  die  ganze  Deckplatte  der  sie  tragenden  Kapitelle 
einnehmen,  so  konnte  der  nun  folgende  Giebel  auf  demselben  Kapitell  nicht  einmal 
Fuß  fassen,  er  konnte  nur  angeschoben  werden.  Von  den  Giebeln  hängen  brennende 
Ampeln  ganz  in  der  Art  unserer  Lyrahängelampen.  Zentral  steht  der  bärtige  Christus 
auf  dem  Berg,  neben  sich  das  Lamm  Gottes  mit  kreuzförmigem  Monogramm  auf  dem 
Kopf,  zwischen  Paulus  und  Petrus;  in  den  übrigen  Feldern  gibt  es  neutestamentliche 
Szenen  mit  dem  herkömmlich  unbärtigen  Christus.1) 

An  Riefelsärgen  finden  sich  statt  der  Endfelder  öfter  Endsäulen  (Ecksäulen). 
Vorgänge  in  der  heidnischen  Antike  nachzuweisen  wird  nicht  nötig  sein,  Beispiele  aus 
der  christlichen  finden  sich  vor  Porta  San  Lorenzo,  in  Villa  Albani,  in  Villa  Carpegna, 
im  Lateran  (der  Sarg  des  353  bestatteten  Faustinus),  in  Tusculum  und  in  Pisa.2) 

Die  Zwickel  der  Bögen  wurden  teils  mit  Akanthornament  oder  Kränzen,  teils 
mit  figürlichen  Typen  in  kleiner  Gestalt  ausgefüllt.  Beliebt  waren  Delphine,  Tritone 
das  Muschelhorn  blasend,  pickende  Vögel,  Trauben  lesende  Amoretten;  all  das  ging 
in  die  christliche  Sarkophagskulptur  über,  ebenso  die  Fruchtkörbe,  gern  umgestürzt, 
so  daß  die  Früchte  herausrollen.  Eigen  ist  die  Ausfüllung  an  zwei  christlichen  Sarko- 
phagen. Einmal  an  dem  in  Leyden,  zum  Teil  mit  Jonasszenen;  sodann  am  Sarkophag 
des  Bassus  mit  biblischen  Szenen,  die  aber  statt  von  Menschen  von  Lämmern  agiert 
werden  [Abb.  18].  So  originell  diese  Bildchen  sind,  so  ist  es  doch  gewagt  zu  sagen, 
der  Künstler  habe  dafür  keine  Vorbilder  gehabt;  ähnliches  war  doch  schon  vorgekommen. 
Nahe  liegt  der  Vergleich  mit  den  Amoretten  und  Putten  der  hellenistisch-römischen 
Kunst,  wie  sie  allerlei  Beschäftigung  der  Erwachsenen  spielend  nachahmen.  Aber  auch 
Tiere  als  Akteurs  einzusetzen  —  also  eine  Art  Tierfabel  in  Bildern  —  kannten  nicht 
bloß  die  alten  Ägypter,  sondern  auch  die  Griechen;  es  sei  nur  an  die  von  Affen  agierte 
Gruppe  des  mit  Vater  und  Sohn  fliehenden  Aneas  erinnert.8) 

Wittig  sprach  die  Vermutung  aus,  die  Schöpfer  der  Arkadensarkophage  hätten 
die  Fassade  des  römischen  Theaters  vor  Augen  gehabt  und  sich  von  diesem  Vorbild 
beeinflussen  lassen;  handelte  es  sich  doch  darum,  den  Hintergrund  für  Historien  zu 
schaffen.  Er  bezieht  sich  auf  die  Darstellung  einer  Bühne  an  einem  Marmor  des 
Thermenmuseums  zu  Rom.  Die  Scenae  frons,  eine  Quadermauer,  ist  jederseits  der 
hohen  Zentralnische  mit  vier  Säulen  besetzt,  deren  Intervalle  je  ein  Giebel  zwischen 
zwei  Bögen  krönt,  alle  drei  auf  geradem  Gebälk;  in  die  Mittelnische  ist  die  Haupttür 
gebrochen,  die  Nebentüren  befinden  sich  in  den  mittleren  Intervallen.  Die  architektonische 
Anordnung  ist  also  ähnlich  der  an  den  Sarkophagen.4) 


*)  Lateran  n.  106:  G  331,  2.  —  Lat.  n.  171:  G  350,  1.  —  Krypta:  G  330,  5. 

2)  San  Lorenzo:  Grousset  n.  32.  —  Albani:  Grousset  n.  28.  G  373,  4.  —  Carpegna: 
Grousset  n.  33.  G  369,  2.  —  Lateran  n.  228:  G  363,  2.  —  Tusculum:  G  386,  4.  —  Pisa: 
G  295,  1. 

8)  Leyden:  G  319,  4.  —  Bassus:  de  Waal,  Bassussarkophag  65.  G  322.  Ägypter:  Perrot- 
Chipiez,  Histoire  I  737.   —  Äneas:  Heibig,  Wandgemälde  310  n.  1380. 

*)  Wittig,  Camposanto  1906,  18.  —  Relief:  Mariani,  Notizie  d.  scavi  1896,  68.  Dörpfeld  u. 
Reisch,  Das  griechische  Theater  1896,  333  Fig.  84. 


62  Plastik. 

Kurz  nachher  legte  Strzygowski  eine  verwandte  Hypothese  über  die  Entstehung 
des  Typs  jener  kleinasiatischen  Gruppe  der  Tabernakelsarkophage  vor.  Wie  schon 
Altmann  die  antoninischen  Säulensarkophage  mit  der  gleichzeitigen  Wandmalerei  ver- 
glichen hatte,  so  brachte  Strzygowski  sie  mit  einer  Sondergruppe  des  pompejanischen 
vierten  Stils  zusammen.  Puchstein  zufolge  hat  sie  das  Bühnenbild  für  ihre  dekorativen 
Zwecke  verwendet;  auf  Puchsteins  Anregung  hat  Cube  aus  diesen  Wanddekorationen 
die  Scenae  frons  wiederzugewinnen  gesucht.  Von  solchen  Theaterfassaden  sei  nun  auch, 
denkt  Strzygowski,  der  fragliche  Sarkophagtyp  inspiriert,  die  Tabernakel  seien  die  Vor- 
hallen der  drei  Türen.  Freilich  stimmt  die  pompejanische  Malerei  mit  dem  Sarkophagtyp 
insofern  nicht  überein,  als  die  Bögen  dort  über  die  Wandstücke,  hier  über  die  Neben- 
türen zu  stehen  kommen.  Ein  in  den  Malereien  wesentliches  Element  fehlt  den  Sarko- 
phagen, drei  zur  Bühne  hinaufführende  Treppen;  doch  findet  Strzygowski  das  Taber- 
nakel mitsamt  vorliegender  Treppe  an  einem  berühmten  Londoner  Elfenbeindiptychon, 
dessen  Betrachtung  wir  zurückstellen  müssen.  —  Die  dekorative  Wandmalerei  der 
Kaiserzeit  hat  sich  in  ihren  verschiedenen  Abwandelungen  entwickelt  aus  einer  und 
derselben  Grundlage,  nämlich  der  naturalistischen,  das  will  sagen,  eine  gewisse  plastische 
Illusion  bezweckenden  Architekturmalerei,  die  zuerst  in  Häusern  der  sullanischen  Periode 
Pompejis  uns  bekannt  wurde  (dem  sog.  zweiten  Stil).  August  Mau  vermutete,  der 
Übergang  in  den  ornamentalen  dritten  Stil  habe  sich  in  Alexandria  vollzogen,  den 
Übergang  dagegen  in  den  barocken  vierten  Stil  möge  eine  parallele  Entwicklung  in 
einem  andern  Zentrum  des  Ostens,  etwa  in  Antiochia,  gezeitigt  haben;  der  dritte  Stil 
sei  infolge  des  Siegs  von  Actium  nach  Italien  gekommen,  nachher  aber,  als  man  seiner 
müde  wurde,  in  der  neronischen  Zeit,  von  dem  vierten  Stil  abgelöst  worden.  Strzygowski 
findet  in  Maus  Hypothese  eines  vielleicht  antiochenischen  Ursprungs  des  vierten  Stils? 
dem  auch  die  dekorative  Verwendung  des  Bühnenbildes  gehört,  eine  Bestätigung  seiner 
bereits  erwähnten  eigenen  Hypothese  von  einem  antiochenischen  Ursprung  des  Taber- 
nakelsarkophags; er  entwirft  das  Gemälde  einer  weittragenden,  von  Antiochia  aus- 
strahlenden Wirkung  des  Theaters  auf  die  Gebiete  der  Malerei  und  Skulptur,  in  der 
Malerei  belegt  durch  den  pompejanischen  vierten  Stil  mit  seinen  Bühnenbildern,  in  der 
Skulptur  durch  die  Tabernakelsarkophage;  unter  demselben  Einfluß  des  Theaters  stehen 
die  christlichen  Elfenbeinskulpturen,  und  noch  heute  bezeugt  ihn  die  Ikonostasis  der 
griechischen  Kirche.  So  bauen  sich  Hypothesen  auf  Hypothesen.  Mögen  sie  sich  an 
den  noch  zu  findenden  Denkmälern  bewähren.1) 


Architekturen,  Baumgänge,  Palmen,  Weinstöcke. 

In  jenen  Säulenreihen,  auch  denen  mit  Tabernakeln,  wirkte  die  Sakralidee  des 
Heroons  oder  Tempels.  Sie  sind  wie  eine  Peristasis,  zwischen  deren  Säulen  Statuen 
aufgestellt  werden  konnten;  fast  wie  als  Statuen  gedacht  pflegen  die  Figuren  und 
Figurengruppen  an  den    heidnischen  Sarkophagen  entsprechend  auf  Basen  angeordnet 

*)  Strzygowski,  Journal  of  hellenic  studies  1907,  115 — 122.  —  Altmann,  Architektur  52. — 
Puchstein,  Archäol.  Anzeiger  1896,  28.  —  v.  Cube,  Die  römische  „scenae  frons"  in  den  pompe- 
janischen Wandbildern  1906.  —  August  Mau,  Pompeji  1900,  459.  Gegen  den  östlichen  Ursprung 
des  dritten  Stils:  Studniczka,  Tropaeum  Traiani  65.  —  Ikonostasis:  Holl,  Archiv  für  Religions- 
wissenschaft IX  365. 


Architekturen,  Baumgänge,  Palmen,  Weinstöcke.  63 

zu  sein.  Fällt  dies  selbstverständlich  an  den  christlichen  Sarkophagen  auch  fort,  so 
bleibt  doch  die  Idee  der  sakralen  Säulenarchitektur,  die  für  die  Figuren  und  Szenen 
nur  den  Rahmen  abgibt.  Anderen  Ursprungs  sind  Architekturen,  die  zur  Szene 
selbst  gehören.  Sehr  beliebt  war  das  Tor.  Seit  den  Tagen  des  Hellenismus  wurde 
es  rundbogig  gezeichnet,  so  auch  an  den  Sarkophagen  der  Kaiserzeit.  Da  dient  es 
verschiedenen  Zwecken.  Einmal  als  Szenentrennung  bei  mehrszenigen  Reliefs.  Die 
Adonisreliefs  geben  drei  Szenen,  den  Abschied  von  Aphrodite  beim  Aufbruch  zur  Jagd, 
die  Verwundung  in  der  Eberjagd,  die  Pflege;  die  ans  rechte  Ende  gestellte  Jagd  wird 
von  den  anderen  Szenen  durch  ein  schräg  in  den  Hintergrund  sich  verlierendes  Tor 
getrennt,  durch  das  der  Jagdzug  die  Stadt  verläßt.  Ähnlich  ist's  in  den  Hippolytos- 
reliefs;  am  lateranischen  Exemplar  passiert  die  letzte  Figur  des  Jagdzuges  eben  erst 
das  Tor.  Dergleichen  Tore  sind  auch  am  Deckel  des  lateranischen  Adonissarkophags 
n.  769  in  die  Odipusszenen  und  am  Deckel  des  Orestessarkophags  daselbst  eingeschoben. — 
Fast  häufiger  sind  Tore  an  den  Enden  des  Reliefs.  Am  linken  Ende:  Palasttor  des 
Admetos;  in  einem  Rundbogentor  erscheint  das  Eidolon  des  Agamemnon;  wiederum 
der  Schatten  der  Klytaimestra.  Ein  Tor  steht  links  an  Meleagersarkophagen.  Am 
Sarkophag  der  Uffizien  n.  39,  an  der  linken  Schmalseite  sitzt  der  verstorbene  Offizier 
vor  einem  Tor  und  läßt  sich  die  Beinschienen  anlegen.  —  Ein  Tor  am  Ende  rechts: 
bei  Meleagers  Tod;  beim  Wagen  der  Selene,  die  den  Endymion  belauscht.  —  Ein  Tor 
an  jedem  Ende  des  Reliefs:  die  Dioskuren  entfuhren  die  Leukippiden  auf  ihren  Wagen 
durch  Tore;  bei  Achill  im  Palast  des  Lykomedes.  —  Das  eben  erwähnte  Hadestor 
wiederholt  sich  an  beiden  Schmalseiten  des  Korasarkophags  in  den  Uffizien:  links  führt 
Hermes  die  Alkestis  in  das  Tor  des  Hades,  rechts  führt  Herakles  sie  heraus.1) 

Es  treten  aber  noch  andere  Architekturen  auf,  neben  und  außer  den  Toren.  Ein 
Mauerstück  mit  Tor  im  Meleagerrelief  Pamfili;  in  Hektors  Schleifung  eine  Quader- 
mauer, mit  Türmen  und  Zinnen,  längs  des  ganzen  Hintergrundes,  oder  auch  nur 
des  halben;  ein  Artemistempel  hinter  Hippolytos  und  Phaedra;  an  einem  Rund- 
tempelchen befestigt  Hippolytos  eine  Jagdtrophäe ;  sonstige  architektonischeHinter- 
gründe  bei  Rhea,  bei  Meleager,  in  der  mantuaner  Iliupersis.  Es  mag  auch  erwähnt 
sein,  daß  auf  einer  Silbermünze  Maximians  (286 — 310)  eine  Porta  castrorum  abgebildet 
ist:  über  einer  Quadermauer  vier  Türmchen,  in  der  Mauer  ein  rundbogiges  Tor,  dessen 
Flügel  nach  außen  aufschlagen.2) 

Die  christlichen  Sarkophage  lieben  es  wieder,  die  Motive  zu  häufen,  und  gelangen 
so  zu  Architekturbildern,  die  schließlich  unverständlich  werden,  sofern  man  sich  nicht 
entschließt,  sie  als  bloße  Dekorationsstücke  zu  nehmen.  Ahnlichen  Mangel  an  archi- 
tektonischem Sinn    bemerkten    wir    bereits  bei    dem  An-  und    Ineinanderschieben    von 


*)  Adonis:  Robert  Uli  Taf.  3.  4.  5.  —  Hippolytos:  eb.  HI  n  Taf.  52  ff.  —  Ödipus: 
eb.  H  Taf.  60,  183.  —  Orestes:  eb.  II  Taf.  54,  155.  —  Admetos:  eb.  III  i  Taf.  7,  26  Sarg  des 
Euhodus.  —  Agamemnon:  eb.  II  Taf.  54,  155  Lateran.  —  Klytaimestra:  eb.  II  Taf.  56,  163.  — 
Meleager:  eb.  III  n  Taf.  77,  225  ff.  —  Uffizien  n.  39.  Dütschke  III  n.  62.  Amelung,  Führer 
n.  18.  Abgeb.  Vorlegeblätter  1888  Taf.  9,  5.  —  Meleager:  Robert  HI  n  Taf.  89,  275  Wilton- 
house.  —  Selene:  eb.  III  i  Taf.  12  Capitol.  —  Dioskuren:  eb.  III  n  n.  182.  —  Achill:  eb.  II 
Taf.  18,  28.  —  Kora:  eb.  III  i  Seite  35  Abb. 

a)  Pamfili:  Robert  III  n  Taf.  94,  283.  —  Hektor:  eb.  II  Taf.  46  Achuria.  Taf.  45  Coburg, 
u.  Gori.  —  Hippolytos:  eb.  III  n  Taf.  45,  144  Konstantinopel.  54,  168  Albani.  55,  170  Paris. 
—  Rhea:  eb.  Taf.  60,  188  Mattei.  —  Meleager:  eb.  Taf.  82,  239.  —  Iliupersis:  eb.  II  Taf.  26, 
63.  -  Maximian:  Cohen,  MeU  imp.  «VII  125,  227. 


g4  Plastik. 

Giebeln,  Bögen  und  Gebälkstücken  auf  Säulenreihen.  Eben  diese  Arkadentypen  finden 
wir  jetzt  gesellt  mit  Stadttoren  und  anderen  Architekturen.  Und  sonderbar  genug, 
das  Stadttor  wird  zwei-,  dreimal  und  öfter  nebeneinandergesetzt;  Mauertürme  werden 
eingeschoben.  Das  ergibt  eine  unmögliche  Art  Stadtmauer,  die  nur  aus  Türmen  und 
Toren  besteht  und  bei  flüchtiger  Betrachtung  eher  einem  Aquädukt  in  der  Campagna 
ähnlich  sieht.  Man  erklärt  die  Tore  als  die  des  himmlischen  Jerusalems.  Sie  sind  alle 
mit  Zinnen  gekrönt.  Dies  unterscheidet  die  Mauern  und  Tore  an  den  christlichen 
Sarkophagen  von  denen  an  den  heidnischen,  daß  sie  alle  nun  Zinnen  tragen.  Zinnen 
gab  es  im  Altertum  natürlich  von  jeher  und  sie  wurden  in  Darstellungen  aus  Be- 
lagerungskriegen oft  genug  zur  Anschauung  gebracht,  in  griechischer  Kunst  z.  B.  an 
der  Francoisvase,  wo  sie  die  Flucht  des  Troilos  nach  Troja  hin  schildert,  und  an  einer 
strengrotfigurigen  attischen  Vase  mit  der  Verfolgung  Hektors  durch  Achill  um  die 
Stadt;  erstere  Vase  stammt  aus  dem  sechsten,  letztere  aus  dem  fünften  vorchristlichen 
Jahrhundert.  Auch  aus  der  hellenistischen  und  römischen  Zeit  ließen  sich  leicht  Belege 
beibringen.  Die  erwähnten  heidnischen  Sarkophage  der  Kaiserzeit  freilich  pflegen  die 
Tore  ohne  Zinnen  zu  geben,  vermutlich  weil  es  ihnen  nur  auf  den  Tordurchgang  ankam ; 
die  christlichen  aber  nehmen  das  Motiv  wieder  auf.  An  den  Mauern  wird  gern  das 
Quaderwerk  angegeben,  gelegentlich  sogar  der  Randbeschlag. 

Als  erstes  Beispiel  fuhren  wir  den  Durchzug  durchs  Rote  Meer  an,  Lat.  n.  111. 
Aus  einem  Tor  am  linken  Reliefende  ist  der  Pharao  mit  seinen  Streitern  gekommen, 
in  der  Mitte  kämpft  ein  Teil  derselben  mit  den  Wellen,  rechts,  auf  dem  andern  Ufer, 
stehen  die  geretteten  Israeliten;  im  Hintergrund  drei  Tore  nebeneinander,  zwei  davon 
mit  Zinnen,  das  mittlere  trägt  als  Eckakroterien  die  typischen  Rosen-  oder  Fruchtkörbe; 
im  Mittelgrund  die  Feuersäule,  als  Kompositsäule  mit  auf  der  Deckplatte  lodernden 
Flammen  [Abb.  23].  Die  anderen  Darstellungen  des  Durchzugs  haben  nur  das  Tor 
links  und  die  Feuersäule  rechts.  —  Sodann  ein  Sarkophag  in  Verona:  im  Hintergrund 
steht  in  der  Mitte  ein  Flachbogen  zwischen  zwei  symmetrisch  angeordneten  Toren  mit 
Zinnen,  zwei  Gebälkstücken  und  noch  zwei  Toren;  es  ist  zu  beachten,  daß  hier  jedes 
Joch  selbständig  steht.  —  Ein  vatikanisches  Exemplar,  wieder  ein  Prachtstück,  besitzt 
der  Louvre.  Von  dem  Rankenwerk  am  Sockel  und  dem  altägyptisch-altgriechischen 
Mäander  mit  eingesetzten  Rosetten  sehen  wir  ab;  auch  auf  das  Figürliche  ist  nicht 
einzugehen,  hier  handelt  sichs  nur  um  den  architektonischen  Hintergrund.  Der  Christus 
steht  vor  einer  Art  Exedra,  gebildet  aus  zwei  Säulen  unter  verkröpftem  Gebälk,  das 
im  Bogen  sich  zurückzieht,  wie  an  Lateran  n.  151;  während  aber  dort  eine  Säulenreihe 
sich  an  der  ganzen  Sarkophagfront  entlang  zieht,  ist  hier  nur  die  zentrale  Exedra  bei- 
behalten. Beiderseits  folgen  dann  je  drei  rundbogige  Tore  mit  Zinnen,  nur  durch 
zwischengeschobene  Türme  voneinander  getrennt.  An  den  Schmalseiten  dasselbe  System, 
je  vier  Tore  mit  drei  Türmen.  Die  Rückseite,  nach  Art  der  Riefelsärge  behandelt, 
bildet  die  zwei  Endfelder  wieder  als  Tore,  in  deren  jedem  eine  Figur  steht,  der  Kopf 
ziemlich  genau  konzentrisch  zum  Rundbogen.  Auch  sonst  sind  mehrfach  (nicht  durch- 
aus) die  Figuren  so  angeordnet,  daß  der  Kopf  in  einem  der  Torbogen  konzentrisch 
steht,  z.  B.  Paulus  und  Elias.  Der  Kopf  des  auf  dem  Berge  stehenden  bärtigen  Christus 
hebt  sich  vom  Gebälk  ab  [Abb.  31].  —  Der  Sarkophag  zu  Tolentino  hat  vorn  und 
hinten  die  Riefelfelder,  die  der  pariser  hinten  zeigt;  vorn  mit  Zentral-  und  Endfeldern, 
hinten  mit  zentralen  Büsten  in  Clipeus,  an  den  Seiten  aber  biblische  Szenen  vor  je  drei 
Toren  mit  Zinnen.  —  Der  Sarkophag  zu  Mantua  hat  am   flachen  Sockel  eine  Wellen- 


Architekturen,  Baumgänge,  Palmen,  Weinstocke.  65 

ranke,  vorn  dicht  gereihte  Apostel  um  Christus  unter  Bögen,  die  aber  statt  auf  Säulen 
auf  Konsolen  ruhen,  wie  es  in  der  Eberjagd  am  Sarkophag  aus  Konia  in  Konstanti- 
nopel der  Fall  ist,  an  den  Schmalseiten  jedoch  auf  gereihten  Säulen  Torbögen  mit 
Zinnen.  —  Ein  andrer  zu  Ancona,  des  Gorgonius,  setzt  die  Zinnen  direkt  auf  die  Archi- 
volten,  so  wenigstens  an  der  Vorder-  und  der  rechten  Schmalseite.  —  Der  Sarkophag 
Lateran  n.  125  ist  ein  klassisches  Beispiel  für  die  Art;  denn  Säulen  unter  Gebälk, 
Giebel  und  Bögen  vereinigt  er  mit  Toren  an  beiden  Enden  des  Reliefs.  Links  etwas 
Stadtmauer  mit  Tor  unter  Zinnen;  anschließend  tragen  vier  Kompositsäulen  (die  erste 
verdeckt  durch  den  ersten  Christus)  ein  Gebälkstück,  ferner  einen  Giebel,  mit  bebändertem 
Kranz  im  Tympanon,  und  einen  Flachbogen  (in  den  Zwickeln  umgestürzte  Rosenkörbe, 
auf  der  Endsäule  noch  eine  Sonnenuhr):  vor  dem  Tor  und  dem  Interkolumnium  unter 
Gebälk  sieht  man  Heilungsszenen,  unter  dem  Bogen  geht  Christus  mit  zwei  Jüngern 
rechtshin,  wohl  zur  folgenden  Szene.  Hier  kommt  in  einer  oberen  Zone  (wie  auf  einer 
Bühne)  vor  dreibogiger  Arkade  die  Heilung  des  Gichtbrüchigen  zur  Darstellung,  unten 
liegt  der  Kranke  auf  seiner  Kline,  zwischen  drei  anderen  Männern.  Zuletzt  folgt 
Zachäus  auf  dem  Maulbeerbaum  und  der  Einzug  in  Jerusalem  (das  Figürliche  stark 
ergänzt);  rechts  bildet  das  Stadttor  den  Abschluß,  wieder  mit  einem  Stückchen  Quader- 
mauer; aber  vor  dem  linken  Torpfeiler  schiebt  sich  ein  Mauerturm,  an  den  sich  ein 
zweiter  Torbogen  anschließt.  Die  Zinnen  sind  nun  unmittelbar  auf  die  Torbögen  gesetzt 
[Abb.  32].  —  Lateran  M  n.  169  A,  aus  Villa  Ludovisi.  Zu  dem  zentralen  umkränzten 
Christusmonogramm  auf  dem  Kreuz  kommen  von  jeder  Seite  sechs  Apostel,  ihre  Kränze 
vor  sich  tragend;  den  Abschluß  bildet  auf  jeder  Seite  ein  Tor,  aus  dem  die  Apostel  ge- 
kommen zu  sein  scheinen.  Diese  zwei  Tore  werden  auf  das  mystische  Jerusalem  und 
Bethlehem  gedeutet.  Ähnlich  kommen  zu  dem  zentralen  Lamm  Gottes  zwölf  Schafe 
als  Bilder  der  zwölf  Apostel,  zu  sechsen  aus  je  einem  Endtor  (Garr.  327,  2).  —  Es 
sei  hier  noch  das  rätselhafte  Bruchstück  Lateran  n.  202  angeführt;  zu  der  Darstellung 
bieten  die  Sarkophage  keine  Analogie.  Ein  Mann  in  Chiton  und  Himation  steht  linkshin 
vor  dem  gesäulten  Eingang  eines  Quaderbaues;  rechts  ist  noch  der  oberste  Teil  eines 
ebenfalls  linkshin  blickenden  geflügelten  Jünglings  erhalten,  der  seiner  Bildung  nach 
ein  Horenerot  sein  könnte,  aber  als  Engel  aufgefaßt  zu  werden  pflegt.1) 

So  wunderlich  diese  gereihten  Tore  dem  auf  das  Werden  der  Erscheinungen 
gerichteten  Blicke  vorkommen,  so  muß  immerhin  anerkannt  werden,  daß  sie  einer 
ästhetischen  Wirkung  nicht  entbehren,  einer  ästhetischen,  das  heißt  nun  aber  einer 
zugleich  das  Gemüt  umfangenden.  Der  Bildhauer  des  pariser  Sarkophags  wurde  immer 
noch  von  künstlerischen  Instinkten  geleitet,  als  er  nämlich  in  den  Toren  des  himm- 
lischen Jerusalems  doch  auch  wieder  Arkaden  reihte,  die  in  Verbindung  mit  der 
zentralen  Exedra  den  Figuren  einen  neuen  idealen  Hintergrund  gaben.  Die  Gestalten 
der  Verklärten,  des  Christus  und  seiner  Apostel  wie  des  im  Sarge  Bestatteten,  wurden 
durch  diese    architektonische   Szenerie  ebenso    in  den   Himmel    versetzt,    wie  die  ent- 


*)  Lateran  n.  111:  G  309,  3.  —  Verona:  G  333,  1.  —  Louvre:  Bottari  Taf.  25—27.  Clarac 
227,  777.  G  324.  In  guter  Erhaltung  unter  der  Peterskirche  gefunden  und  so  bei  Bottari  ver- 
öffentlicht erlitt  er  später  Beschädigungen,  die  dann  zu  fehlerhaften  Ergänzungen  führten;  mit 
diesen  gibt  es  Clarac.  Garrucci  gibt  eine  nach  Bottari  berichtigte  Zeichnung.  Ferner  Mailand: 
G  328.  329,  1.  —  Tolentino:  G  303.  —  Mantua:  G  320,  2.  321,  1.  2.  —  Konia:  Strzygowski, 
Orient  48  Abb.  16.  —  Gorgonius:  G  326,  1.  3.  —  Lateran  n.  125:  G  314,  5.  —  Lat.  M  n.  169  A: 
Schreiber,  Villa  Ludovisi  n.  141.  —  Lat.  n.  202:  Skizze  bei  Ficker  Seite  158. 

Sybel,  Christliche  Antike  II.  5 


66  Plastik. 

sprechenden  Gestalten  in  den  Katakombenmalereien  und,  wie  wir  gleich  sehen  werden, 
auch  in  manchen  Reliefs,  durch  landschaftliche  Motive,  mindestens  ein  paar  Bäume,  in 
das  himmlische  Reich  gestellt  wurden. 

Bäume  hatte  einst  das  klassischgriechische  Relief  nur  zögernd  aufgenommen, 
anfangs  ohne  das  unplastische  Laub,  das  erst  allmählich  an  den  zuvor  kahlen  Stämmen 
und  Ästen  ausschlug;  es  brauchte  noch  einige  Zeit,  bis  man  den  Baum  in  der  Skulptur 
naturwahr  darzustellen,  vollends  ihn  malerisch  vor  Augen  zu  bringen  lernte.  Von  letzterer 
Art  ist  in  den  Sarkophagreliefs  freilich  nicht  viel  zu  spüren,  je  später  sie  sind,  desto 
weniger.  An  den  heidnischen  Sarkophagen  finden  sich  Bäume  nach  Gelegenheit;  in 
der  mantuaner  Iliupersis  sieht  man  Baum,  Tempel  und  Turm  im  Hintergrund  der  Mord- 
szene verteilt.  Am  Kentaurensarkophag  der  Sala  delle  Muse  n.  515  sind  drei  Kampf- 
gruppen getrennt  durch  zwei  Platanen,  an  den  Ecken  stehen  Säulen.  Doch  finden  sich  auch 
Eckbäume,  am  Meleagersarkophag  in  Athen.  Häufiger  sind  Bäume  in  Jagdbildern,  wie 
am  Sarkophag  im  Konservatorenpalast,  auf  dem  Treppenabsatz  unter  dem  Hadrians- 
relief  n.  49,  sowohl  am  Kasten  angebracht  wie  am  Deckel  (an  letzterem  nur  eben  an- 
gelegt); dort  sind  vier,  hier  sechs  Bäume  im  Jagdgelände  verteilt,  in  landschaftlich 
freier  Anordnung  und  Gestaltung.  An  der  Vorwölbung  des  Hintergrunds  unter  dem 
Gesims,  wo  sich  sonst  aufrechte  Akanthusblätter  reihen,  stehen  hinter  Jagdszenen  des 
Hippolytos  und  des  Meleager  dichtgedrängte  Baumkronen.  In  bacchischen  Reliefs,  z.  B. 
in  Neapel,  bewegen  sich  die  Figuren  unter  Bäumen  verschiedener  Gattung,  die  Wipfel 
sind  schirmartig  niedrig,  aber  breitschattend,  vorspringend;  an  einem  kapitolinischen 
Sarkophag  (im  Erdgeschoß,  Westgang)  sind  es  gereihte  Weinstöcke,  deren  Laub  sich 
über  d6n  Köpfen  der  Figuren  an  der  Simsplatte  ausbreitet.1) 

Einige  christliche  Sarkophage  haben  an  Stelle  der  Kolonnaden  Baumgänge;  die 
breiten  Wipfel  der  in  gleichen  Abständen  gepflanzten  Bäume  berühren  sich,  so  daß  ihre 
Silhouetten  sich  fast  genau  mit  den  jener  Flachbögen  decken;  oberwärts  schneiden  sie  mit 
dem  Kastenrand  wagrecht  ab.  Solche  Baumgänge  hat  man  wie  anderwärts  auch  im 
heutigen  Rom,  in  Gärten  und  auf  öffentlichen  Plätzen;  man  wird  sie  auch  im  alten 
Rom  gehabt  haben.  Hat  doch  schon  Kimon  den  Markt  von  Athen  mit  Platanen  be- 
pflanzt, gewiß  in  regelmäßiger  Verteilung,  wie  sie  der  antiken  Gartenkunst  nahe  lag, 
soweit  die  Anlagen  in  architektonischem  Zusammenhang  standen;  von  Kyros'  Paradies 
in  Sardes  z.  B.  wird  es  geradezu  gesagt.  Die  Wahl  des  Baumganges  statt  der  Kolon- 
nade mochte  den  Christen  sich  empfehlen  als  ein  Bild  des  himmlichen  Paradieses,  des 
ständigen  Schauplatzes  für  die  Darstellung  der  seligen  Christen  und  ihres  verklärten 
Herrn,  des  Christus.  Einmal  sehen  wir  denn  auch  eine  Selige  im  Orantentypus  zwischen 
die  mittelsten  Bäume  gestellt  (Lat.  n.  179).  Von  dem  Deckelfragment  Lateran  n.  157 
sind  außer  dem  Eckkopf  des  Sol  nur  ein  paar  Christusszenen  erhalten.  Oder  der 
Christus  steht  in  der  Mitte,  mit  Petrus  und  dem  Hahn.  Andere  Sarkophage  stellen 
statt  des  Christus  selbst  sein  Sinnbild  in  die  Mitte,  das  umkränzte  Monogramm  auf  dem 
Kreuz  [Abb.  34].  Schließlich  ist  zu  bemerken,  daß  die  christliche  Skulptur  hier  überall 
Ölbäume  verwendet.  Einst  hatte  der  Ölbaum  als  der  heilige  Baum  der  Athenaia  in 
der  griechischen  Kunst  Aufnahme  gefunden;   in  die  christliche  Kunst  fand  er  Eingang 


x)  Iliupersis:  Eobert  II  Taf.  26,  63.  —  Kentauren:  eb.  III  i  Taf.  40,  132.  —  Meleager: 
eb.  III  ii  Taf.  70,  216.  —  Hippolytos:  eb.  III  n  Taf.  47,  152  Girgenti,  hinten  und  an  der  1. 
Schmalseite.  Taf.  48,  154  Petersburg.    Meleager:  Taf.  73  A  Lanza.  —Neapel:  Phot.  Sommer  1553. 


Architekturen,  Baumgänge,  Palmen,  Weinstöcke.  67 

im  Zusammenhang  der  Schilderung  der  Jahreszeiten,  welche  sie  aus  der  heidnischen 
Kunst  übernahm;  die  Olivenernte  ist  die  typische  Ernte  des  Winters.1) 

Nebenher  geht,  wie  in  der  Katakombenmalerei  so  in  Reliefs,  die  Anordnung  eines 
Seligen  oder  etwa  des  Guten  Hirten  zwischen  zwei  Bäumen.2) 

Außer  den  Ölbäumen  finden  sich  in  annähernd  ähnlicher  Verwendung  nur  noch 
Palmbäume,  mit  Früchten.  Der  Palmbaum,  bereits  in  die  altorientalische  und  die 
heroischgriechische  (kretisch -mykenische)  Kunst  aufgenommen,  erscheint  auch  in  der 
klassischen,  z.  B.  in  der  Vasenmalerei  des  sechsten  und  fünften  Jahrhunderts;  er  muß 
früh  in  Griechenland  eingeführt  worden  sein  (später  auch  nach  Italien).  Die  näheren 
Beziehungen,  in  welche  die  Griechen  seit  Alexander  zum  Orient  traten,  brachten  natürlich 
auch  neue  Anlässe,  die  Palme  künstlerisch  zu  verwerten.  Das  Prachtzelt  des  Ptolemaios 
Epiphanes,  zu  einem  Gelage  von  hundertunddreißig  Klinen,  hatte  einen  scharlachroten 
Baldachin,  der  auf  vier  zu  fünf  Säulen  ruhte;  je  fünfzig  Ellen  hoch  waren  sie  als 
Thyrsosstäbe  gebildet,  die  Ecksäulen  als  Palmbäume;  ob  in  griechischem  oder  ägyptischem 
Stil,  ist  nicht  gesagt.  Aber  die  ägyptisch  stilisierte  Palmsäule  ging,  ihrerseits  wiederum 
hellenisiert,  in  die  griechische  Kunst  über,  z.  B.  in  Pergamon.  Naturalistisch  wieder- 
gegeben erscheint  der  Palmbaum  in  der  Malerei.  In  der  Sepulkralskulptur  findet  sich 
der  Palmbaum,  auch  hier  mit  anhängenden  Früchten,  an  den  Ecken  von  Aschenbehältern 
in  Altarform,  aus  der  frühen  Kaiserzeit.  Von  größerem  Interesse  für  uns  ist  ein  solches 
Ossuar  mit  Seligengelage  im  alten  Typus  des  Heroenmahls;  das  Sofa,  auf  dem  der  Ver- 
storbene, P.  Vitellius  Successus,  ruht,  steht  unter  einem  Palmbaum.  Hier  ist  aber  ferner 
noch  einmal  jener  Brunnen  in  Stockholm  zu  erwähnen,  der  sekundär  als  Ossuar  ver- 
wendet wurde,  an  der  Rückseite  mit  einem  Gott,  der  im  Bausch  seiner  Chlamys  Früchte 
trägt;  in  Hochrelief  dargestellt  steht  er  zwischen  zwei  in  Flachrelief  gegebenen  Palm- 
bäumen. —  Ebenso  angeordnet  sehen  wir  an  dem  christlichen  Sarkophag  Lateran  n.  106 
den  jugendlichen  Christus  zwischen  zwei  Palmbäumen;  Lateran  n.  151  zeigt  ähnliches 
[Abb.  33].  —  Lateran  n.  66  stellt  die  Muschel  mit  den  Büsten  eines  Ehepaares  zwischen 
zwei  Palmbäume  und  n.  40  eine  Selige  als  Adorantin  zwischen  zwei  Selige  und  zwei 
Palmbäume.  Lateran  n.  115,  ein  Sarkophagfragment  mit  verschiedenen  Szenen,  im 
Hintergrund  drei  Palmbäume.  N.  194,  ein  Deckel:  beiderseits  der  Tabula  je  ein  Seliger, 
der  sich  bewillkommnend  mehreren  mit  Kränzen  im  Maul  nahenden  Schafen  zuwendet; 
im  Hintergrund  im  ganzen  acht  Palmbäume.  N.  145  und  149  (Schmalseiten  von  n.  193) 
mit  der  Speisen  Vermehrung  und  Elias'  Himmelfahrt;  an  den  beschädigten  Rändern 
Reste  von  Palmwipfeln.  Demnach  war  den  Christen  die  Palme  ein  Paradiesbaum;  die 
eben  erwähnten  Schafe  sind  von  der  Herde  des  Guten  Hirten,  der  seine  Schafe  auf  den 
Schultern  in  das  Paradies  trägt;  darum  haben  sie  ihren  „Kranz  des  Lebens"  im  Maul. 
—  Die  Sarkophage  mit  Palmbäumen  sind  späteren  Ursprungs;  wenn  man  damals  ihre 
Einfügung  noch  als  Orientalisieren  bezeichnen  darf,  so  beschränkte  es  sich  auf  Gegen- 
ständliches. 8) 

*)  Sardes:  Christi.  Antike  I  164  mit  Anm.  —  Lateran  n.  179:  G  370,  1.  —  Lat.  n.  157: 
G  402,  9.  —  Christus  mit  Petrus  und  Hahn:  Clarac  226,  357.  Sarkophag  in  Paris:  G  319,  1.  — 
Monogramm:  Lat.  n.  164.  G  350,  2  mit  Vögeln  und  einem  Nest  in  den  sechs  Wipfeln.  —  Lat. 
M  n.  166.  —  Noch  ein  paar  Fragmente:   Wittig  77  u.  37  und  eb.  125  n.  60. 

a)  Katakombenmalerei:  Chr.  Antike  I  167.  265.  —  Relief:  Lateran  n.  168  Magna  als  Adorantin. 
Ebenda  M  n.  181  von  Via  Salaria  Guter  Hirt.     Ebenda  n.  190  Crispina  zwischen  zwei  Bäumen. 

8)  Palmkapitelle  in  Pergamon:  v.  Sybel,  Weltgesch.  2364  Abb.  —  Palmbäume  in 
Malerei:  ebenda  348  Abb.  —  Aschenbehälter  zweier  Clodier,  des  L.  Visillius  Sedatus,  der  Cornelia 

5* 


ßg  Plastik. 

Den  Beschluß  mache  ein  vatikanischer  Sarkophag  von  der  Art  des  pariser,  doch 
eher  etwas  späterer  Zeit.  Er  bietet  bemerkenswerte  Varianten,  vor  allem  ein  Neben- 
einander nicht  bloß  von  Bögen  auf  Säulen  und  Torbögen,  sondern  auch  von  Palm- 
bäumen und  von  Weinstöcken.  Die  Schmalseiten  wiederholen  im  wesentlichen  die 
Darstellungen  des  pariser  Sarkophags,  doch  fällt  auf,  daß  die  Torzinnen,  deren  Deck- 
platten doch  sämtlich  an  die  obere  Randleiste  des  Sargs  stoßen,  nicht  auf  einem  wag- 
rechten Hauptgesims,  sondern  auf  der  Archivolte  des  Tors  sitzen;  dasselbe  findet  an 
den  Toren  mit  dem  Einzug  in  Jerusalem  statt,  Lateran  n.  125  [Abb.  32].  An  die 
Stelle  der  Sockelranke  sind  an  der  Frontseite  die  früher  erwähnten  zwölf  Apostelschafe 
mit  dem  zentralen  Lamm  Gottes  getreten;  der  bärtige  Christus  steht,  auf  dem  Berg, 
vor  einer  Arkade;  die  beiderseits  sich  reihenden  Tore  des  pariser  Exemplars  sind  hier 
ersetzt  durch  zwei  Palmbäume,  auf  deren  einem  der  Vogel  Phönix  steht,  und  durch 
im  ganzen  sieben  Weinstöcke,  deren  Reben  und  Trauben  den  Raum  über  den  Köpfen 
der  nur  in  Zehnzahl  gegebenen  Apostel  füllen.  Der  Weinberg  ist  hier  ein  neues  Bild 
des  himmlischen  Paradieses.1) 


Sarkophage  mit  nur  figürlichem  Schmuck. 

Wir  führten  eine  Anzahl  Sarkophagtypen  vor,  die  sich  durch  eine  oder  andere 
tektonische  Gestaltung  oder  Gliederung  auszeichnen,  die  Wannen  und  die  Riefelsärge, 
die  Säulensarkophage;  die  mit  Hintergrundsarchitekturen  und  -pflanzen,  Ol-  oder  Palm- 
bäumen, endlich  Weinstöcken,  schlössen  wir  gleich  an.  Es  bleibt  die  Masse  der  übrigen 
Sarkophage,  die  auf  jede  Gliederung  der  Fläche  verzichtend  den  ganzen  Raum  unein- 
geschränkt für  figürliche  Darstellungen  ausnutzen.  Auch  dieser  Typus  ist  nicht 
neu,  im  Gegenteil  war  er  herrschend  im  heidnischen  Rom  der  Kaiserzeit.  Freilich  gibt 
es  keine  christlichen  Sarkophage,  die  das  erregte  Leben  in  den  mythologischen  Reliefs 
der  heidnisch-römischen  Sarkophage  aufwiesen;  solches  lag  eben  nicht  im  Geiste  der 
christlichen  Seligkeitsvorstellungen.  Aber  auch  bei  den  heidnischen  Mythologien  legte 
sich  das  aufgeregte  Getümmel  bald  wieder,  nach  den  ersten  Jahrzehnten  des  dritten 
Jahrhunderts  trat  ein  ruhiges  Nebeneinanderreihen  von  Figuren  an  die  Stelle.2) 

Die  meisten  der  hier  in  Frage  kommenden  heidnischrömischen  Sarkophage  füllen 
die  Frontseite  mit  nur  einer  Szene;  doch  gibt  es  auch  zwei-  und  mehrszenige 
Reliefs.  Dreiszenig  finden  wir  die  Marsyassage  geschildert,  ebenso  die  des  Adonis, 
des  Hippolytos.  Bisweilen  wird  ja  eine  Art  tektonischer  Trennung  beliebt,  durch  das 
vorbesprochene  Tor,  aus  dem  der  Jagdzug  kommt.  Eine  andere  Art,  die  Räumlichkeit 
anzudeuten  und  damit  auch  zu  begrenzen,  besteht  in  der  Anbringung  eines  Parapetasma, 
vor  dem  die  Szene  sich  abspielt.  Aber  es  kommt  auch  die  Szenenreihung  ohne  irgend- 
einen Hinweis  auf  Wechsel  der  Örtlichkeit  vor.  Das  läßt  sich  z.  B.,  trotz  des  End- 
tores und  der  Kline,  von  dem  mehrszenigen  Alkestissarkophag  des  Euhodus  geltend 

Glyke  (letztere  trägt  die  Frisur  der  Julia  Titi)  bei  Altmann,  Bömische  Grabaltäre  der  Kaiserzeit 
1905  n.  83  Fig.  85;  n.  128  und  129;  n.  130  Fig.  98.  —  Seligengelage:  ebenda  n.  259  Fig.  154.  — 
Brunnen:  Stockholm,  K.  Museum  n.  217.  Einzelaufnahme  St.  n.  178.  —  Lateran  n.  106:  G  331,  2. 
—  Lat.  n.  151:  G  335.  3.  --  Lat.  n.  194:  G  304,  2.  —  Lat.  n.  145.  149:  G  372,  4.  5;  bei  Elias 
deuten  die  Palmen  wie  die  Sterne  den  Himmel  an,  zu  dem  der  Prophet  auffährt. 

*)  G  327,  2—4. 

2j  Stadtrömische  Sarkophage  der  heidnischen  Kaiserzeit:  Altmann,  Architektur  91—93. 


Sarkophage  mit  nur  figürlichem  Schmuck.  69 

machen  [Abb.  1];  härter,  möchte  man  sagen,  empfindet  man  die  Szenenreihung  an  den 
ungesäulten  Heraklessarkophagen,  wo  Kampf  neben  Kampf  steht,  immer  derselbe  Held 
in  wenig  geänderter  Situation  sich  wiederholt.  Von  da  ist's  nur  ein  Schritt  zu  den 
dichtgereihten  Christusszenen,  vielmehr  es  ist  schon  eben  dasselbe;  denn  der  Gegensatz 
der  ruhigen  Christusszenen  zu  der  Gewaltsamkeit  in  den  Heraklestaten  ist  gegenständ- 
lich gegeben,  nicht  stilistischer  Art.  Szenen  feierlicher  Stille  gab  es  auch  in  der  heid- 
nischen Kunst.1) 

Eine  Vorzugsstellung  nehmen  in  dieser  Klasse,  ganz  wie  unter  den  gesäulten,  die 
zweizonigen  Sarkophage  ein;  es  sind  in  allen  Fällen  Prachtstücke  für  die  reicheren 
Familien.  Der  Lateran  besitzt  eine  Anzahl  davon,  am  berühmtesten  sind  die  zwei  aus 
Sankt  Paul  vor  den  Mauern,  der  eine  unter  der  Tribuna,  der  andere  bei  der  Confessio 
gefunden  (n.  55  und  n.  104).  Büsten  der  Verstorbenen  pflegen  in  Clipeus  oder  häufiger 
in  Muschel  an  der  Mitte  des  Oberstreifs  angebracht  zu  sein.  Oft  aber  ist  die  Muschel 
so  groß  genommen,  daß  ihr  Unterrand  mit  dem  Schloß  mehr  oder  weniger  tief  in  die 
untere  Zone  hinabreicht  und  deren  Bildraum  verkürzt  (n.  55).  Diese  Rundschilde  und 
ßundmuscheln  fanden  wir  bereits  im  Mittelstück  der  Riefelsärge  angebracht,  wo  sie 
denn  auch  einen  niedrigen  Bildraum  unter  sich  offen  lassen.  Zur  Ausfüllung  wählte 
man  —  hierin  übrigens  wieder  der  heidnischen  Antike  folgend  —  Zierstücke  ge- 
ringerer Höhe,  zunächst  von  den  neutral  genannten  Typen,  wie  das  Füllhorn  der 
Fortuna,  und  zwar  ein  paar  gekreuzt  und  zusammengebunden;  ein  Schriftbündel  zwischen 
zwei  Masken;  Putten  und  Amoretten  bei  allerlei  Spiel,  gern  auch  mit  dem  Hahnen- 
kampf beschäftigt.  Ganz  christlich  geworden  sind  die  Schafe,  hier  ruhend  gezeichnet. 
Sollten  aber  Szenen  mit  erwachsenen  Personen  zur  Verwendung  kommen,  so  war  es 
nur  natürlich,  Sitzende  oder  Gelagerte  zu  bevorzugen,  wie  den  sitzend  melkenden  Schaf- 
hirten, einen  sitzend  Lesenden  (wenn  auch  mit  stehenden,  jedoch  kleiner  gebildeten 
Nebenpersonen),  den  unter  der  Laube  ruhenden  Jonas,  dazu  die  auch  niedrige  Schiffs- 
szene, oder  Maria  mit  dem  Christkind.  Doch  blieb  man  nicht  immer  bei  so  günstig 
komponierten  Bildern  stehen;  dann  mußten  sie  freilich  in  den  gegebenen  Raum  gepreßt 
werden,  wie  es  eben  gehen  mochte,  wie  etwa  Daniel  in  der  Löwengrube  [Abb.  14.  37.  38].2) 
Mit  Einführung  der  zweiten  Zone,  die  meines  Wissens  an  heidnischen  Sarkophagen 
nicht  vorkommt,  wurde  eine  Verdoppelung  der  Szenenzahl  erreicht.  Diese  Steigerung 
der  Quantität  bedeutet  keine  Erhöhung  der  künstlerischen  Qualität;  Überfülle  an  plas- 
tischer Form  war  ja  gerade  ein  Kennzeichen  der  kaiserlichen  Barockkunst,  als  sie  den 
Todeskeim  schon  in  sich  trug.  Inhaltlich  aber  sind  alle  diese  gehäuften  Bilder  nicht 
viel  mehr  als  Synonyme,  nahezu  Tautologien,  für  den  einen  Gedanken  der  Seligkeit 
durch  den  Christus.    Man  kann  sich  des  Gedankens  kaum  erwehren,  daß  bei  der  Häu- 


^Marsyas:  Robert  III  n  S.  249  ff .  —  Euhodus:  Mus.  Chiaram  n.  179.  — Heraklessarko 
phage  ohne  Szenentrennung:  Robert  III  i  Taf.  28  ff. 

")  Büsten  im  Oberstreif  z.  B.  Pisa,  G  364,  3.  —  Füllhörner:  Benndorf-Schöne  n.  194.  196. 
Lateran  M  n.  70  A  (F  72).  G  360,  2.  —  Masken:  Robert  II  n.  213.  An  einem  Fragment  in  der 
Basilica  Petronillae.  —  Putten:  Grousset  n.  48.  G  395,  2.  Auch  Grousset  n.  2.  —  Putten  und 
Amoretten:  Grousset  n.  12  bis.  G  401,  8.  —  Hahnenkampf:  Benndorf-Schöne  n.  189.  Matz- 
Duhn  II  Seite  222.  Mus.  Chiaramonti  n.  521.  Clarac  121,  215.  Lateran  M  n.  26  (G  361,  1  Predelle 
unter  der  Pronubagruppe).  Grousset  n.  6  (G  402,  4).  n.  92  (G  361,  1).  —  Schafe:  Grousset 
n.  19.  —  Schafhirt:  Conservatori,  Treppenabsatz.  Lateran  n.  108  (G  359,  2).  228.  —  Lesender: 
Lat.  n.  55  (G  358,  3).  —  Jonas:  Lat.  n.  178  (G  367,  3).  —  Maria:  Syrakus,  G  365,  1.  — 
Daniel:  Lat.  n.  175  (G  367,  2). 


70  Plastik. 

fung  dieser  Rettungswunder,  dieser  Christusbilder,  noch  etwas  anderes,  mehr  Praktisches 
im  Spiele  war,  nämlich  eine  Meinung,  die  Hoffnungen  damit  eindringlicher  und  vielleicht 
auch  in  mystischem  Sinne  wirksamer  auszusprechen.  Begünstigt  wurde  diese  Neigung 
durch  die  simple  Ausdrucksweise,  die  für  die  Einzelszene  nur  ein  Minimum  von  Raum 
beanspruchte.  Dazu  wurden  die  Szenen  hart  aneinandergerückt,  gelegentlich  sogar  zwei 
benachbarte  in  immer  weitergehender  Abkürzung  miteinander  verschmolzen. 


Schmalseiten,  Rückseiten,  Deckel. 

Die  stadtrömischen  Sarkophage  bilden  eine  große  Familie,  mögen  sie  der  heid- 
nischen oder  der  christlichen  Antike  verdankt  werden.  Diesen  Satz  bestätigt  auch  die 
Art,  wie  man  an  christlichen  Sarkophagen  die  Nebenseiten  und  Deckel  behandelte. 

Die  Schmalseiten  wurden  bei  den  römischen  Sarkophagen  beide  gleichmäßig 
oder  gar  nicht  zur  Darstellung  herangezogen;  sie  wurden  wirklich  immer  mehr  zur 
Nebenseite,  und  nur  bei  ganz  sorgfältig  gearbeiteten  Stücken  verwendete  der  Künstler 
Zeit  auf  gute  Durchfuhrung.  Bei  Heraklessarkophagen  gab  es  sich  leicht,  den  Über- 
schuß der  Taten  an  den  Schmalseiten  zu  bringen.  Von  manchen  Mythen  konnte  eine 
Szene  abgesondert  und  auf  die  Schmalseiten  verlegt  werden,  etwa  von  Achilleus'  Ama- 
zonenkämpfen oder  vom  Raub  der  Leukippiden.  War  dies  aus  dem  Mythus  heraus 
nicht  möglich,  so  wußte  man  sich  mit  Nebenmomenten  zu  helfen;  an  den  Schmalseiten 
von  Meleagersarkophagen  sieht  man  Jagdszenen  oder  Leute  mit  Jagdgerät,  an  Musen- 
sarkophagen treffen  wir  Marsyas  am  Pfahl,  oder  eine  Muse  bei  einem  Dichter,  bacchische 
Sarkophage  zeigen  Satyrn  und  Nymphen  usf.1)  —  An  christlichen  Sarkophagen  setzen 
sich  die  Szenen  der  Vorderwand  des  öfteren  auf  den  Schmalseiten  fort;  wenn  jedes 
Bild  auch  für  sich  besteht,  so  bleiben  sie  doch  alle  in  demselben  Vorstellungskreis. 
So  finden  wir  an  der  linken  Schmalseite  Adam  und  Eva,  rechts  die  Jünglinge  im 
glühenden  Ofen  an  Lateran  n.  152  und  n.  161;  oder  links  die  drei  Jünglinge,  rechts 
Daniel  zwischen  den  Löwen  an  n.  135;  Elias'  Himmelfahrt  an  n.  198  und  in  n.  149 
(Schmalseite  zu  n.  193),  ferner  an  dem  vatikanischen  Sarkophag,  dem  im  Louvre  mit 
den  gereihten  Torbögen  und  seinem  jüngeren  Bruder  mit  den  Weinstöcken.  Eine 
reich  entwickelte  Weinlese  bringt  vorn  sinnverwandte  Ernteszenen  und  Horeneroten  an 
den  Seiten  Lat.  M  n.  183  A  (F  181). 2) 

Doch  gab  es  auch  Typen  allgemeinerer  Bedeutung,  die  zur  Füllung  der  Schmal- 
seiten dienen  konnten,  ohne  zu  den  Szenen  an  der  Frontseite  in  unmittelbarer  Beziehung 
zu  stehen;  das  waren  vorzüglich  die  Greife  und  andere  Monstren.  Wenn  einzeln  ver- 
wendet, richten  sie  ihr  Gesicht  nach  der  Frontseite;  wenn  gepaart,  sitzen  sie  entweder 
Rücken  gegen  Rücken,  oder  gegeneinandergekehrt  mit  einem  vertikalen  tektonischen 
Gebilde  als  Symmetrieachse.  Es  ist  der  apollinische  Adlergreif  (am  Sarkophag  Uffizien 
n.  89  neben  Apollon  und  den  Musen;  ebenda  n.  110  an  einem  bacchischen  Sarkophag), 
ferner  der  bacchische  Löwengreif  mit  Bockshörnern,  sowie  die  Sphinx.  Wo  sie  so  ein- 
fach dasitzen,  könnte  man  über  ihre  Bedeutung  zweifelhaft  sein.    Wenn  aber  der  Greif 


*)  Altmann,  Architektur  87.  95. 

«)  Lateran  n.  152  und  n.  161:  G  314,  1  Adam  und  Eva.  382,  3—4.  —  n.  135:  G  318,  2.  3. 
—  n.  198  und  n.  149:  G  396,  9.  372,  5.  —  Paris:  G  324,  2.  Dazu  327,  3.  —  Lat.  n.  183  A: 
G  302,  3.  4. 


Schmalseiten,  Rückseiten,  Deckel.  71 

oder  die  Sphinx  eine  Tatze  auf  einen  Stier-  oder  Widderkopf  legt,  so  liegt  die  Meinung 
zutage:  es  ist  ein  Sinnbild  des  Todes,  abgeleitet  von  dem  oben  gelegentlich  der  Wannen 
herangezogenen  uralten  Bilde  des  ein  Huftier  zerfleischenden  Raubtiers;  an  einem  Sarko- 
phag kommt  die  ganze  Gruppe  vor,  ein  Greif  wirft  einen  Stier  nieder.  Die  Vorliebe 
der  Sarkophagskulptur  für  Seewesen  hat  auch  den  Greif  in  ihre  Sphäre  gezogen;  am 
Sarkophag  des  Euhodus  sehen  wir  einen  Seegreif.  —  Der  Greif  kommt  an  dem  christ- 
lichen Sarkophag  Grousset  n.  15  vor  und  an  einem  in  Leyden,  die  symmetrische  Gruppe 
zweier  um  ein  flammendes  Thymiaterion  gruppierter  Greifen  an  dem  neutralen  Sarko- 
phag Lateran  n.  18;  der  Löwengreif  an  dem  christlichen  geriefelten  Sarkophag  im 
Konservatorenpalast,  Treppenhaus  zum  Obergeschoß.1) 

Ein  anderes  Motiv,  herstammend  von  Triumphalmonumenten,  dann  aber  anscheinend 
rein  dekorativ  verwendet,  sind  zwei  schräg  gekreuzte  längliche  Schilde  nebst  Waffen: 
an  heidnischen  Sarkophagen,  wie  dem  der  Minucia  Sedate  im  Lateran,  Museo  profano, 
Saal  II;  an  einem  bacchischen  Sarkophag  im  Belvedere,  Osthalle  n.  99;  an  einer  Wanne 
im  Cortile;  an  Sarkophagen  im  christlichen  Museum  des  Lateran  M  n.  70A  (F  72).  242. 

Körbe  mit  Blumen  und  Früchten  gefüllt,  das  ist  ein  besonders  beliebtes  Motiv 
der  Antike.  An  dem  christlichen  Kindersarkophag  Lateran  n.  224  steht  an  jeder 
Schmalseite  ein  großer  mit  Früchten  gefüllter  Korb. 

Es  bleibt  nur  noch  übrig,  in  Ergänzung  der  einleitenden  Worte  über  die  neben- 
sächliche Behandlung  der  Schmalseiten  an  römischen  Sarkophagen  zu  erwähnen,  daß 
die  Reliefs  der  Schmalseiten  durchweg  eine  geringere  Erhebung  zeigen,  als  die  der 
Hauptseite.  Es  genügt  an  den  Säulensarkophag  n.  174  zu  erinnern,  dessen  Frontseite 
in  Vollrelief  gemeißelt  ist,  die  Nebenseiten  dagegen  ungeachtet  ihres  reichen  architek- 
tonischen Hindergrundes  ganz  flach  (diese  Hintergründe  legen  wir  zurück  bis  zur  Be- 
sprechung der  christlichen  Architektur). 

Die  Rückseite.  An  den  griechischen  Sarkophagen  wurden  alle  vier  Seiten  ver- 
ziert, und  pflegte  ihre  Verzierung  gleichartig  zu  sein;  nur  daß  jede  Langseite  in  engerer 
Beziehung  zur  links  anstoßenden  Schmalseite  stand.  Doch  kommt  auch  abweichende 
Behandlung  der  Rückseite  vor.  Die  römischen  Sarkophage  skulpieren  nur  die  Front- 
seite und,  nebensächlich,  die  Schmalseiten,  nicht  die  Rückseite,  weil  der  römische  Sarko- 
phag nicht  frei  aufgestellt,  sondern  an  die  Wand  gerückt  wurde.  Nun  aber  kommt 
bei  christlichrömischen  Sarkophagen  vereinzelt  vor,  daß  auch  die  Rückseite  verziert  ist. 
Hier  fand  also  eine  Einwirkung  von  Seiten  der  griechischen  auf  die  römische  Weise 
statt.  Solch  ein  Austausch  darf  nicht  überraschen,  es  kommt  oft  genug  vor,  daß 
parallelgehende  Bewegungen  schließlich  konvergieren  und  sich  irgendwie  verschmelzen. 
Wir  haben  den  naheliegenden  Fall  der  sog.  griechischrömischen  Sarkophage,  die,  in 
Griechenland  gearbeitet,  die  Gesamterscheinung  der  griechischen  Sarkophage  bewahrten, 
aber  in  der  Ausfuhrung  dem  Geschmack  der  römischen  Käufer  entgegenkamen,  daher 
wir  sie  zutreffender  als  römischgriechisch  zu  bezeichnen  glaubten.2) 

Unter  den  christlichen  Särgen  mit  verzierter  Rückseite  ziehen  vor  allen  drei  uns 


*)  Greif  sitzend:  Gall.  lapid.  n.  9.  —  Greife  Rücken  gegen  Rücken:  Ossuar  der  Egrilia 
Felicitas,  Terme  Zelle  B.  —  Greife  sich  gegenüber:  Belvedere,  Nordhalle  n.  39.  Robert  III  n 
218  c.  —  Löwengreif:  Rob.  in  n  Taf.  68,  209.  —  Sphinx:  Rob.  III  n  91.  —  Stier-  oder 
Widderkopf:  Rob.  II  Taf.  56,  158.  HI  i  Taf.  6,  24.  14,  51.  in  n  Taf.  44,  144.  —  Euhodus: 
Mus.  Chiaram.  n.  179.  —  Leyden:  Die  Greife  bei  Wilpert,  Rom.   Quartalschr.  1906,  6  Fig.  1.  2. 

a)  Griechisch-römische  Sarkophage:  Altmann,  Architektur  87f. 


72  Plastik. 

schon  bekannte  vatikanische  Säulensarkophage  die  Aufmerksamkeit  auf  sich.  Da  ist 
einmal  der  in  S.  Peter,  bei  der  Pietä  des  Michelangelo,  mit  den  sechs  Konchen  an  der 
Front  und  den  zweimal  drei  Nischen  an  den  Schmalseiten;  die  Rückseite  zeigt  zwei 
Riefelfelder  zwischen  drei  Bildfeldern,  die  nun  aber  von  dem  Hauptmotiv  der  anderen 
Seiten  beeinflußt  auch  als  Konchen  gestaltet  sind,  wenn  auch  von  schlichterer  Er- 
scheinung. Da  ist  ferner  der  Sarkophag  im  Louvre  mit  der  zentralen  Exedra  und  mit 
den  gereihten  Torbögen  an  drei  Seiten;  auch  hier  stehen  an  der  Rückseite  drei  Riefel- 
felder, jedes  diesmal  zweizonig,  zwischen  drei  Bildfeldern;  auch  hier  wirkte  die  archi- 
tektonische Idee  der  anderen  Seite  herüber,  die  zwei  Endfelder  zeigen  je  eine  Figur 
vor  einem  Torbogen.  Drittens  das  vatikanische  Exemplar  von  derselben  Gesamtanlage, 
nur  mit  den  Palmbäumen  und  Weinstöcken  an  der  Front;  hier  sind  die  drei  Bildfelder 
der  Rückseite  wieder  als  Konchen  behandelt,  nur  die  mittlere  ruht  auf  Säulen,  die 
äußeren  werden  von  Pilastern  getragen.  Auch  das  Sockelornament  und  das  an  der 
Simsleiste,  am  reichsten  am  pariser  Exemplar,  läßt  vermuten,  daß  es  durch  die  prächtigen 
griechischen  Sarkophage  angeregt  sei;  die  römischen  pflegen  als  schlichte  Kasten  ohne 
Ornament  aufzutreten. x) 

Eigenartige  Verzierung,  ganz  abweichend  von  allem  bisher  Betrachteten,  weisen 
die  Rückseiten  von  Lateran  n.  224  G  301,  1  und  M  n.  183  A  (F  181)  G  302,  5  auf, 
nämlich  Nachahmung  von  Netz-  und  Gitterwerk.  Das  Netz  (ßlxrvov,  transenna) 
diente  auf  der  Treibjagd  um  einen  Kessel  zu  bilden,  wie  das  schon  auf  dem  wunder- 
baren Goldbecher  aus  der  Heroenzeit  Griechenlands,  dem  mit  dem  Stierfang,  und  dann 
wieder  in  zahlreichen  Darstellungen  der  Hasenjagd  in  griechischen  Vasen  vorkommt. 
Weiter  aber  diente  es  zur  Absperrung  von  Versammlungsräumen,  als  Schranke  und  als 
Geländer.  Die  Verwendung  zu  letzterem  Zwecke  lehrt  anschaulich  ein  Relief  am  theo- 
dosianischen  Untersatz  des  Obelisken  im  Hippodrom  zu  Konstantinopel.  Die  Flecht- 
weise ist  da  auch  gut  zu  erkennen;  die  Maschen  sind  nicht  rauten-,  sondern  halbkreis- 
förmig. Ein  solches  Netzwerk,  in  Eisen  oder  Bronze  nachgebildet  und  dadurch  schema- 
tisiert, erhielt  ein  Aussehen  wie  Schuppen;  man  sieht  es  z.  B.  im  rundbogigen  Oberlicht 
über  dem  Tor  der  einen  Rotunde  an  der  rechten  Schmalseite  von  Lateran  n.  174.  Das 
Schema  konnte  auch  für  Marmorschranken  verwertet  werden;  eine  solche  ist  gemalt  in 
den  Parkwänden  von  Prima  Porta.  In  Relief  nachgebildet  kommt  es  an  einer  Marmor- 
schranke im  Lateran  vor  (Museo  profano  Saal  II;  sie  steht  auf  dem  Sarkophag  der 
Minucia  Sedate),  nur  an  der  Rückseite,  die  Vorderseite  trägt  einen  Meerthiasos.  Und 
so  finden  wir  dies  schuppenähnliche  Gittermuster  in  den  zwei  äußeren  Dritteln  der  Rück- 
seite unseres  christlichen  Sarkophags.  Das  mittlere  Drittel  aber  ahmt  in  Relief  Gitter- 
werk aus  axial  und  diagonal  gekreuzten  Rohrstäben  oder  dünnen  Holzleisten  nach;  auf 
jeder  Kreuzung  sitzt  ein  Knauf.  Auch  dies  System  wurde  an  Marmorschranken  nach- 
gebildet; in  den  Gewölben  an  der  Nordwestecke  des  Palatin  kann  man  dergleichen 
wieder  aufgestellt  sehen.  Nun  aber  sind  an  unserem  Relief  hinter  den  Gitterstäben 
nnd  in  den  Maschen  offene  Blumen  dargestellt,  gewiß  sollen  es  Rosen  sein;  es  sind 
teils  kleine  Röschen,  in  die  dreieckigen  Maschen  verteilt,  teils  große  vierblättrige,  deren 
eine  je  eins  der  Vierecke  füllt,  also  von  dem  inneren  Diagonalkreuz  überkreuzt  wird. 
Es  ist  wohl  dieselbe  ungefüllte,  vierblättrige  Rose  gemeint,  die  an  den  Pfeilern  vom 
Hateriergrab,  nach  Hülsen  flavischer  Zeit,  so  viel  künstlerischer  wiedergegeben  ist.    Das 


l)  S.  Peter:  Grousset  n.  148  (G  325).  —  Louvre:  G  324.  —  Vatikanisch:  G  327. 


Schmal  Seiten,  Rückseiten,  Deckel.  73 

Ganze  soll  ein  mit  Rosen  beranktes  Gartengitter  vorstellen.  Ganz  ähnlich  nun  sahen 
wir  in  einer  Malerei  im  Coemeterium  Domitillae  ein  ebenfalls  rosenberanktes  Gitter  als 
Andeutung  des  Paradieses,  in  dem  der  Gute  Hirt  bei  seiner  Herde  sitzt,  im  Hinter- 
grund ist  Gebirg  gemalt.  Danach  wird  man  auch  unser  gemeißeltes  Gitterwerk  mit 
seinen  stilisierten  Rosen  als  Paradiesgitter  aufzufassen  haben,  nicht  mit  de  Rossi  als 
Grabgitter.  An  einem  Fragment  aus  Santa  Agnese  steht  im  Mittelfeld  zwischen  Feldern 
mit  Transennamuster  eine  Orante.1) 

Die  genannten  Sarkophage  sind  alle  spät;  noch  später,  nach  de  Waals  Urteil  aus 
dem  fünften  oder  sechsten  Jahrhundert,  wird  ein  Sarkophag  seiner  Sammlung  sein,  der, 
nach  Art  der  Riefelsärge  eingeteilt,  statt  der  Riefelfelder  auch  das  schuppenähnliche 
Transennamuster  zeigt,  in  den  schmalen  Endfeldern  Pilaster,  im  Mittelfeld  das  umkränzte 
kreuzförmige  Monogramm  mit  anhängendem  A  und  J?.2) 

Die  Sarkophagdeckel.  Bei  Besprechung  der  Pfeiler-  und  Säulensarkophage 
bemerkten  wir,  daß  der  Sarg  ursprünglich  ein  Kasten  von  Tischlerarbeit  war,  der  sich 
aber  die  künstlerische  Ausbildung  nach  Analogie  eines  Säulenbaues  gern  gefallen  ließ. 
Zu  der  Zweckform  des  Kastens  und  der  Kunstgestalt  des  Tempels  kam  dann  noch  ein 
dritter  Faktor  formbestimmend  hinzu,  das  monumentale  Material,  der  Stein.  Die  stil- 
gerechte, durch  die  Natur  des  Materials  bedingte  Form  des  Sarkophagdeckels  wäre  die 
dem  Kasten  aufgepaßte  Platte,  deren  vertikale  Schnittflächen  einen  niedrigen  Fries  fiir 
die  Grabschrift  oder  auch  für  Verzierungen  bieten.8) 

Die  meisten  Sarkophagdeckel  (es  sind  ja  nur  verhältnismäßig  wenige  erhalten)  ver- 
danken aber  ihre  Gestalt  einem  Kompromiß  zwischen  den  sich  eigentlich  gegenseitig 
ausschließenden  Typen  der  wagrechten  Deckplatte  und  des  schräg  ansteigenden  Sattel- 
daches. Am  Sarkophag  der  „Klagefrauen"  der  „kastenartige,  zwischen  den  Seiten- 
giebeln angebrachte  Aufsatz,  der  wohl  weniger  wirklicher  Gewohnheit  entstammt,  als 
nur  als  Kollektivfläche  für  einen  langen  Zug  von  Wagen  dienen  soll",  ist  eben  der  bei 
dem  Kompromiß  zwischen  Deckplatte  und  Giebeldach  übrig  gebliebene  Rest  der  Platte. 
Diese  Interpretation  des  für  den  ersten  Blick  befremdlichen  Aufsatzes  besteht  auch  dann 
zu  Recht,  wenn  der  Dachfirst  höher  liegt  als  die  Oberkante  des  Aufsatzes.  Denn  es 
ist  nicht  so  zu  verstehen,  als  müsse  das  Dach  genau  aus  dem  Körper  einer  Platte  ge- 
schnitten sein,  sondern  es  war  die  Plattenidee,  die  mit  der  Dachidee  den  Kompromiß 
einging. 


*)  Zu  Prima  Porta,  den  gemalten  Parks  und  ihren  Gittern,  nebst  deren  Rosengeranke  vgl. 
Christi.  Antike  I  165  f.  de  Rossi  auch  Roma  sott.  III  439.  —  Die  Rosenpfeiler  vom  Hateriergrab 
bei  Wickhoff,  Wiener  Genesis  34  Fig.  9.  10.  —  Genaueres  Durchforschen  der  in  Rom  erhaltenen 
Skulpturreste  hat  mich  gelehrt,  daß  im  ersten  Bande  S.  232  den  Alten  die  Kunstflechterei  nicht 
hätte  abgesprochen  werden  sollen;  sie  machten  auch  Körbe  in  teilweis  durchbrochener  Arbeit  und 
liebten  es,  bei  Darstellung  von  Blumenkörben  einzelne  Blumen  in  den  rautenförmigen  Maschen 
sichtbar  werden  zu  lassen.  Diese  Körbe  konnten  dann  auch  nicht  gefüttert  sein.  Im  Konservatoren- 
palast, im  Vorflur  des  Oberstocks,  steht  eine  Wanne  mit  Horeneroten,  der  Frühling  trägt  einen 
solchen  durchbrochenen  Korb  mit  Rosen.  Im  Chiostro  des  Thermenmuseums,  vor  dem  Eingang 
zum  Museo  Ludovisi,  liegt  das  Bruchstück  eines  großen  marmornen  Blumenkorbs,  an  dem  sich 
nebeneinander  Gittergeflecht  mit  durchblickenden  Rosen,  Zopf-  und  Mattengeflecht  unterscheiden 
läßt.  Diese  Erkenntnis  verhilft  aber  leider  nicht  zur  Lösung  des  Rotweinproblems.  —  S.  Agnese: 
G  402,  10. 

2)  Wittig  n.  73. 

3)  Schlichte  Deckplatten  mit  Inschrift:  de  Rossi,  Roma  sott.  I  Taf.  30,  8  und  9. 


74  Plastik. 

An  den  Sarkophagdeckeln  der  Kaiserzeit  ist  die  Dachidee  selten  so  vollkommen 
durchgeführt  worden,  wie  an  demjenigen  auf  dem  Tabernakelsarkophag  des  Palazzo 
Riccardi.  Der  „neutrale"  Sarkophag  Lateran  M  n.  37  (F  18)  besitzt  an  seinem  dach- 
förmigen Deckel  sechs  palmettengeschmückte  Stirnziegel;  die  Stelle  des  Dachkranzes 
aber  nimmt  die  ebene  Schnittfläche  der  idealen  Deckplatte  ein,  sie  ist  mit  Ranken  ver- 
ziert. Ebendasselbe,  die  flache  Leiste  statt  des  profilierten  Gesimses,  wiederholt  sich 
an  den  wenigen  christlichen  Deckeln  in  Dachform.  Im  Coemeterium  Callisti  fand  de 
Rossi  einen  besonders  schweren  Deckel  der  Art,  ohne  seinen  Kasten;  die  fünf  Stirn- 
ziegel der  Langseiten  sind  mit  tragischen  Masken  verziert,  die  Akroterien  mit  Idyllen: 
je  ein  Schäfer  unter  seinem  Strohschirm  sitzend,  umgeben  von  Hund  und  Herde.  Noch 
schlichter  ist  das  Dach  auf  dem  Sarkophag  mit  den  Weinstöcken  behandelt:  wieder  die 
flache  Leiste,  keine  Stirnziegel,  an  den  Frontakroterien  je  ein  Früchtekorb.1) 

Es  scheint  aber,  als  ob  die  Dachidee  mehr  und  mehr  an  Kraft  verliere;  das  sieht 
soweit  aus,  wie  ein  Rückfall,  wenn  nicht  ins  Primitive,  so  doch  ins  Fundamentale,  näm- 
lich wie  eine  Rückkehr  zur  Deckplatte.  In  die  Oberfläche  der  Platte  werden  der  Länge 
nach  zwei  parallele  Furchen  eingeschnitten,  die  zwischen  sich  eine  Andeutung  von 
Satteldach  übrig  lassen;  an  den  Schmalseiten  werden  die  Giebel  sichtbar,  die  an  den 
hinteren  Ecken  mit  Akroterien  besetzt  sind.  Als  Beispiel  sei  Lateran  n.  150  angeführt: 
vorn  in  der  Mitte  eine  Tabula  mit  verblaßter  Miniumschrift,  rechts  Büste  vor  Para- 
petasma  mit  drei  Eroten,  links  Treibjagd  auf  Hasen.  Sodann  Lateran  M  n.  74  (F  83). 
228.  241,  der  Leontina,  des  Faustinus  (f  353)  und  des  Sallustius  Hippolytus,  mit  je 
einer  Inschrifttafel  zwischen  heranschwimmenden  Delphinen.  Als  wertvoll  erscheint 
hier  nur  der  Fries  an  der  Front;  weil  aber  für  die  Frontansicht,  auf  die  der  Sarko- 
phag so  ganz  berechnet  ist,  der  Rest  von  Dach  verschwindet,  so  tat  man  noch  einen 
Schritt  mehr  und  meißelte  auch  jene  letzte  Andeutung  von  Dach  weg.  Es  blieb  dann 
hur  eine  dünnere  Deckplatte  mit  auf  deren  Vorderkante  stehendem  Fries;  das  ist  der 
Fall  bei  Lateran  n.  152  [Abb.  28]  und  161.9) 

Festgehalten  von  der  Dachidee  werden  gern,  auch  dies  nicht  immer,  die  Eckakro- 
terien,  vorzugsweise  die  zwei  an  den  Enden  der  Frontseite.  Sie  dienen  dann  als  tek- 
tonischer  Abschluß  des  Deckelfrieses.  Als  Verzierung  an  den  Akroterien  kommen 
weniger  Anthemien  vor,  vereinzelt  die  erwähnten  Fruchtkörbe  und  Idylle,  meist  Ge- 
sichter in  Profil:  Masken,  Helios  mit  Strahlenkranz  und  Selene  mit  Halbmond,  sonstige 
unbestimmbare  Köpfe  [Abb.  43],  schließlich  aber  stellen  sich  gewisse  bärtige  Typen  fest, 
Petrus  und  Paulus.8) 


*)  Eiccardi:  Strzygowski,  Orient  52  Abb.  20.  Altmann,  Architektur  52  Fig.  19.  —  San 
Callisto:  G  347,  1.  —  Sarkophag  mit  Weinstöcken:  G  327,  1. 

2)  Lat.  n.  150:  G  298,  3.  —  Lat.  n.  152:  G  320,  1.  —  Lat.  n.  161:  G  382,  2—4.  Leider 
gibt  Garrucci  nicht  die  Seitenansichten  (Querschnitte)  der  Deckel;  zum  Ersatz  vgl.  man  für  die 
freistehende  Friesplatte  seine  Tafel  328,  2.  3,  wo  aber  immer  noch  ein  Eest  des  Daches  bewahrt  ist. 

•)  Anthemien:  an  dem  Sarkophag  von  Tolentino  G.  303,  2.  3,  an  dem  mailänder  eb.  Taf. 
328,  1.  —  Masken,  und  zwar  komische,  Lat.  n.  126  G.  385,  2.  —  Sonstige  Köpfe:  Lat.  n.  209; 
einen  ähnlichen  hatte  n.  165.  —  Helios  und  Selene:  Lat.  n.  157  (nur  ersterer  erhalten).  — 
Herakles  im  Löwenrachen:  Grousset  n.  5  G  394,  7  (Darstellungen  idyllisch,  neutral).  —  Satyr: 
Grousset  n.  122  G  404,  4.  —  Peter  und  Paul:  so  vielleicht  Lateran  M  n.  78  (F  11),  wo  nur  ein 
Kopf  erhalten  ist,  nicht  kahl,  das  Stirnhaar  ist  nur  verwittert;  dazu  Ficker  und  seine  Taf.  1. 
Deckel  in  San  Callisto,  Simelli  108  beide  Köpfe  kahl;  an  dem  Fragment  ebenda  oben  ist  nur  der 
Kopf  links  erhalten,  er  ist  nicht  kahl. 


Typik  der  Sarkophagbilder.  75 

Der  Säulensarkophag  von  Salona  ist  der  einzige  christliche  mit  auf  dem  Deckel 
gelagerten  Figuren  der  Verstorbenen;  nur  sind  sie  bloß  abbozziert  und  dazu  stark 
verstümmelt.  Das  ist  also  ein  Nachlebsel  der  Sarkophage  in  Klinenform.  Diese 
Idee  klingt  in  anderer  Weise  nach  in  dem  großen  Sarkophag  in  der  Vorhalle  von  San 
Lorenzo  zu  Rom,  an  dessen  Ecken  Bettpfosten  dargestellt  sind;  der  zugehörige  Deckel 
ist  leider  verloren  gegangen  [Abb.  46].1) 

Die  Grabschrift,  früher  am  Kasten  angebracht,  rückte  im  zweiten  Jahrhundert 
an  den  Deckel  hinauf  und  ward  hier  auf  eine  viereckig  gerahmte  Tafel  gesetzt  oder 
auf  einen  Rundschild.  Die  eine  wie  den  anderen  halten  meist  Eroten  oder  Sieges- 
göttinnen. Dieser  Typus  entwickelt  sich  so  sehr  zu  einem  gern  gesehenen  Zierstück, 
daß  er  auch  ohne  Inschrift  verwendet  wird,  wenigstens  ohne  eingegrabene;  und  das 
ist,  wenigstens  bei  den  christlichen  Sarkophagen,  der  häufigere  Fall.  Die  Eroten  — 
gegenüber  den  Niken  weit  in  der  Überzahl  —  werden  in  mannigfach  bewegten  Stel- 
lungen gegeben,  auf  die  wir  hier  nicht  eingehen,  wie  ebensowenig  auf  die  sonstigen 
Darstellungen  an  den  Deckelfriesen.  Es  genüge  zu  sagen,  daß  häufig  Büsten  der  Ver- 
storbenen hier  Platz  finden,  sodann  auch  idyllische  Szenen,  besonders  aber  Meerwesen, 
Delphine,  Seerosse  usf.,  endlich  dann  auch  spezifisch  christliche  Figuren  und  Szenen 
[Abb.  28.  43].*) 


Typik  der  Sarkophagbilder. 

Der  Gedankenkreis,  aus  welchem  die  Bildhauer  der  Sarkophage,  im  Zusammen- 
wirken mit  den  Auftraggebern,  die  Schmuckmotive  zu  entnehmen  hatten,  war  ihnen 
gegeben,  es  ist  der  sepulkrale.  Der  Kreis  der  Gedanken,  die  das  Grab  umspinnen,  zer- 
fällt in  Unterkreise,  je  nachdem  sie  sich  auf  das  Leben  beziehen,  oder  auf  den  Tod, 
wobei  dann  wiederum  Krankheit  und  Sterben  zu  unterscheiden  ist  von  dem,  was  mit 
und  nach  dem  Sterben  wird.  Die  heidnischantiken  Sepulkralreliefs  beziehen  sich  auf 
alle  diese  Unterkreise.  Auf  das  Leben,  insofern  sie  die  Verstorbenen  im  Bilde  ver- 
ewigen, sei  es  für  sich  allein  oder  mit  bezeichnenden  Attributen  und  Szenen,  die  ihr 
Dasein  und  Wirken  im  Leben  schildern;  in  solchen  Darstellungen  der  Verstorbenen 
fand  denn  auch,  was  gerade  die  Kreise  der  Höchstgebildeten  befriedigte,  das  Nachleben 
im  Andenken,  seinen  oft  so  gemütvollen  Ausdruck.  Auf  den  Tod  selbst  beziehen  sich 
einige  Grabreliefs,  indem  sie,  selten  genug,  die  Krankheit  und  das  Sterben  realistisch 
darstellen,  eher  die  Totenklage,  häufiger  aber,  indem  sie  den  Tod  unter  den  Begriff  des 
Tragischen  stellen,  die  Verstorbenen  im  Typus  tragischer  Heroen  vor  Augen  bringen. 
Endlich  beziehen  sie  sich  auf  das,  was  mit  und  nach  dem  Sterben  eintritt,  auch  dies 
nicht  in  realistischer  Ausmalung  der  Verwesung,  sondern  in  Andeutungen  einer  jen- 
seitigen Seligkeit,  gemäß  den  phantastischen  Vorstellungen,  wie  sie  in  frühen  und  späten 
Tagen  des  Altertums  gewisse  Kreise  hegten.  Diese  Vorstellungen  vergegenwärtigte  ein 
eigener  Abschnitt  unseres  ersten  Bandes.8) 


*)  Salona:  Jelic,  Rom.  Quartalschrift  1891  zu  Taf.  3—4.  —  San  Lorenzo  G  306. 
*)  Grabschrift:   Altmann,    Architektur  96.   —   Christliche  Tabula  von  Eroten  gehalten,  am 
Deckel,  z.  B.  Perugia,  G  321,  4. 

•)  Christi.  Antike  I  38  Die  Jenseitsgedanken  des  Altertums. 


yg  Plastik. 

Im  Banne  dieser  Grabgedanken  standen,  als  die  antiken  Menschen  die  sie  waren, 
auch  die  Christen.  Der  Gattung  nach  waren  ihre  Grabgedanken  immer  die  antiken, 
nur  daß  durch  sie  neben  die  schon  vorhandenen  Jenseitsvorstellungen  noch  eine  neue 
Spezies  trat.  In  der  Eigenart  dieser  neuen  Spezies  lag  es  begründet,  daß  die  christ- 
liche Grabkunst,  so  sehr  sie  stets  im  Rahmen  der  Antike  blieb,  im  Vorstellungsinhalt 
wie  in  der  künstlerischen  Gestaltung  doch  gegenüber  der  heidnischen  modifiziert  er- 
scheint. Von  den  Unterkreisen  der  Grabgedanken  übernahm  sie  den  ersten,  die  bild- 
liche Verewigung  der  Verstorbenen,  wenn  sie  auch  in  Schilderung  ihres  Lebens  sich 
engere  Grenzen  zog;  den  zweiten  Unterkreis,  Kranksein  und  Sterben,  vermied  sie  völlig, 
weil  sie  eben  ganz  von  dem  dritten  Gedanken  erfüllt  war,  dem  eines  unmittelbaren 
Überganges  aus  dem  Tod  in  ein  neues  und  ewiges  Leben  und  in  eine  jenseitige  Selig- 
keit. Dies  Überherrschen  der  Seligkeitsidee  hatte  noch  die  Folge,  daß  sie  auf  die  erste 
Idee  zurückwirkte,  das  heißt,  daß  die  Verstorbenen  zwar  in  der  Gestalt  dargestellt 
wurden,  die  sie  im  Leben  trugen,  aber  gedacht  waren  als  jenseitig  Selige.  Daß  der 
wissenschaftliche  Standpunkt  gegenüber  allen  Jenseits  Vorstellungen,  heidnischen  wie 
christlichen,  nur  der  des  Mythologen  sein  kann,  wurde  im  ersten  Bande  mehrfach 
gesagt.  Es  macht  dabei  keinen  Unterschied,  ob  die  Vorstellungen  eigentlich,  das  ist 
naiv  mythisch  sind,  oder  als  bewußte  Spekulationen  nur  Mythoide.  Die  nachfolgende 
Typik  würde  also  unter  den  Begriff  der  „Kunstmythologie"  fallen,  wenn  dieser  Termi- 
nus noch  üblich  wäre.1) 

Die  Typen  der  Katakombenmalereien  haben  wir  früher  besprochen  und  lassen  jetzt 
die  der  Sarkophagreliefs  folgen.  Denn  bei  dem  gegenwärtigen  Stande  der  Forschung 
erschien  es  zweckmäßig,  zunächst  eine  jede  Kunstgattung  für  sich  auf  ihre  Typik  zu 
untersuchen,  nicht  gleich  eine  Gesamttypik  der  altchristlichen  Bildnerei  zu  unternehmen.2) 

Man  braucht  nicht  zu  befürchten,  die  Typik  der  Reliefs  werde  nur  eine  Dublette 
dessen  sein,  was  die  Typik  der  Malerei  schon  geboten  hatte.  Naturgemäß  ist  der 
Grundgedanke  beiderseits  derselbe;  in  der  Tat  decken  sich  die  Bilderkreise  zu  einem 
guten  Teile.  Trotzdem  besteht  so  viel  Verschiedenheit,  daß  Sonderbehandlungen  nicht 
allein  sich  lohnen,  sondern  gar  nicht  umgangen  werden  können.  Malerei  und  Relief- 
bildnerei  sind  schon  technisch  verschiedener  Art;  der  Maler  kann  mit  größerer  Frei- 
heit seinen  Eingebungen  Raum  geben,  der  Bildhauer  ist  mehr  gebunden.  Auch  stellen 
die  andersartigen  tektonischen  Verhältnisse  der  Grüfte  einerseits,  der  Sarkophage  anderer- 
seits, verschiedene  Anforderungen.  Die  Decken  und  Wände  der  Grabkammern,  selbst 
die  Flächen  der  Grabnischen  und  Fachgräber,  bieten  dem  Künstler  andere  Räume  als 
die  Sarkophage.  Das  wirkt  nicht  bloß  auf  die  Verteilung,  sondern  auch  auf  die  Kom- 
position. So  sahen  wir,  daß  die  Gruftmaler,  die  identisch  waren  mit  den  Stubenmalern, 
und  wiederum  ursprünglich  dieselben  Künstler  für  Heiden  und  Christen,  das  System 
der  Stubenmalerei,  wie  wir  es  aus  den  römischen  und  pompejanischen  Denkmälern  kennen, 
in  die  Gruftmalerei  übertrugen,  nicht  bloß  in  die  heidnische,  sondern  auch  in  die  christ- 
liche; selbstredend  unter  Anpassung  an  die  vorkommenden  Besonderheiten  des  Gruft- 
baues, und  für  die  Christen  unter  Bevorzugung  dessen,  was  auf  das  Paradies  gedeutet 
werden  konnte.     In  anderer  Beziehung  bemerkten  wir,  daß  das  Vierkappensystem  der 


x)  Mythoid:    v.  Sybel,  Mythologie  der  Ilias  1877,  31;  derselbe,  Die  klassische  Archäologie 
und  die  altchristliche  Kunst,  Rektoratsrede  1906,  16. 

*)  Katakombenmalereien:    Christi.  Antike  I  140. 


Die  Seligen.  77 

als  Wölbdecken  gedachten  Plafonds  den  bereits  dreigliedrigen  Jonaszyklus  an  sich  zog 
und  ihn  zu  einer  viergliedrigen  Folge  entwickelte.  Von  alledem  ist  bei  den  Sarko- 
phagen keine  Rede.  Wohl  werden  wir  auch  hier  die  Verstorbenen  und  ihren  Retter 
ins  ewige  Leben,  den  Christus,  im  himmlischen  Paradiese  sehn,  aber  es  ist  teils  ver- 
einfacht, teils  anders  zur  Darstellung  gebracht.  Und  der  vierte  Jonastyp,  der  unter 
der  Laube  sitzende  Prophet,  entfällt  hier,  weil  hier  der  künstlerische  Daseinsgrund  fehlt, 
der  an  den  Decken  ihn  ins  Leben  gerufen  hatte.  Andererseits  wirkte  die  eigne  Tech- 
nik und  die  eigne  Tektonik  der  Sarkophage  bestimmend  ein.  Dabei  bestätigt  sich  die 
Macht  der  Tradition.  Als  Nebenarbeit  heidnischer  Bildhauer  entstanden,  werden  sich 
die  ersten  christlichen  Sarkophage  wenig  von  den  heidnischen  unterschieden  haben, 
kaum  durch  größere  Schlichtheit;  wir  werden  sehen,  daß  die  nachweislich  ältesten  Exem- 
plare keineswegs  arm  erscheinen.  Und  bei  allem  spezifisch  Christlichen,  das  an  ihnen 
bereits  hervortritt,  stehen  sie  doch  mitten  im  Strom  der  gesamtantiken  Sepulkral- 
skulptur.  Wie  die  Maler  mit  der  gewohnten  Decken-  und  Wandmalerei,  so  haben  die 
Bildhauer  mit  der  ganzen  Sarkophagbildner  ei  die  in  ihrem  Handwerk  üblichen  Schmuck- 
stücke herübergebracht.  Wieder  treffen  wir  „übernommene  Embleme",  wenn  schon  in 
teilweis  anderer  Auswahl  und  Verwendung.  Durch  den  Prozeß  der  bewußten  Auslese 
und  Assimilierung  vollzog  sich  aber  auch  in  der  Skulptur  eine  Christianisierung  der 
Typen  und  eben  hierdurch  ein  Ausgleich  zwischen  ihr  und  der  Malerei. 

Zu  den  hier  genannten  Gründen  für  eine  Sonderstellung  der  Skulptur  kommt  nun 
noch  ein  zeitlicher.  Die  Katakombenmalerei  ist  im  ganzen  etwas  älter  als  die  christ- 
liche Sarkophagskulptur.  Nach  der  herrschenden  Ansetzung,  die  freilich  noch  der 
genaueren  Nachprüfung  seitens  der  klassischen  Archäologen  harrt,  begann  die  Kata- 
kombenkunst noch  im  ersten  Jahrhundert,  unter  den  flavischen  Kaisern;  soweit  aber 
scheinen  wenigstens  die  erhaltenen  Sarkophage  nicht  zurückzureichen,  die  frühesten 
Exemplare  werden  der  Antoninenzeit  angehören.  Der  Schwerpunkt  der  Katakomben- 
malerei fällt  in  das  zweite  und  dritte  Jahrhundert,  derjenige  der  Sarkophage  dagegen 
in  das  dritte  und  vierte.  Somit  laufen  die  beiden  Entwicklungsreihen,  der  Malereien 
und  der  Reliefs,  nicht  parallel,  sie  werden  auch  deshalb  in  der  Untersuchung  besser 
voneinander  getrennt  gehalten.  An  die  bei  den  Malereien  befolgte  Ordnung  der  Gruppen 
binden  wir  uns  nicht.  Schon  dort  war  sie  übrigens  weniger  durch  den  systematischen 
Gesichtspunkt  bestimmt  als  durch  den  entwicklungsgeschichtlichen  (daher  z.  B.  die  Ein- 
schaltung der  Erlösungstypen  in  die  Reihe  der  Seligenbilder);  er  wird  auch  hier  unser 
Führer  sein.  Es  gilt,  die  Typik  der  antiken  Kunst  in  ihrem  letzten  Wandel  zu  be- 
obachten, den  Prozeß  ihrer  fortschreitenden  Christianisierung,  zugleich  den  Prozeß  der 
fortschreitenden  Entwicklung  des  christlichen  Himmels. 

Die  Seligen. 

Die  größere  Zahl  der  bildlichen  Typen  hat  allgemeinere  Bedeutung,  insofern  sie 
jedem  Christen  von  dem  ewigen  Leben  durch  den  Christus  sprachen;  eine  kleinere  Zahl 
aber  bringt  die  Verstorbenen  und  nun  Seligen  vor  Augen,  mithin  in  mehr  individuali- 
sierender Darstellung.  Dabei  bedienten  sich  die  Bildhauer  gewisser  Typen,  die  sie  aber 
mit  Freiheit  verwendeten.  Wo  immer  wir  diesen  Typen  begegnen,  werden  wir  in  erster 
Linie  annehmen  dürfen,  daß  sie  wirklich  die  in  dem  Sarkophag  Beigesetzten  irgendwie 
meinen,  daß  mithin  Männerbilder  auf  männliche,  Frauenbilder  auf  weibliche  Verstorbene 


78  Plastik. 

schließen  lassen  usf.  Nach  Umständen  konnten  natürlich  auch  Angehörige  in  die  Dar- 
stellung aufgenommen  werden,  die  nicht  in  dem  Sarg  bestattet  waren.  Aber  es  kommt 
vor,  daß  das  Relief bild  nicht  mit  dem  wirklichen  Inhalt  des  Sarkophags  stimmt;  z.  B. 
kommen  Typen  Erwachsener  an  Kindersärgen  vor.  Wir  müssen  also  die  Möglichkeit 
gelten  lassen,  daß  gelegentlich  von  engerer  Beziehung  des  bildlichen  Schmuckes  auf  den 
Verstorbenen  abgesehen  und  irgend  etwas  gewählt  wurde,  was  eben  nur  das  christliche 
Vertrauen  ganz  allgemein  aussprach  und  was  gefiel,  auch  nicht  zu  teuer  war. 

Die  Verstorbenen  treten  uns  in  den  Sarkophagreliefs,  heidnischen  wie  christlichen, 
in  der  Erscheinung  entgegen  wie  im  Leben;  die  in  heidnischen  Sarkophagreliefs  beliebte 
Darstellung  zwar  mit  Porträtzügen,  übrigens  aber  im  Typus  von  Heroen  oder  Göttern, 
kommt  in  christlichen  seltener  vor  (z.  B.  Juliane  im  Typus  des  Noah  G  301,  2). 

Grundsätzlich  wollen  ja  alle  Bilder  von  Verstorbenen  sie  porträtieren;  tatsächlich 
aber  wurde  der  Grundsatz  doch  nur  für  eine  Minderheit  verwirklicht.  Auf  deren 
Gesichtszüge  hier  einzugehen,  haben  wir  keinen  Anlaß;  doch  mag  gesagt  sein,  daß 
die  Gabe  der  Antike,  nicht  bloß  Typen  zu  wiederholen,  sondern  auch  zu  individuali- 
sieren, sowohl  an  den  heidnischen  wie  noch  an  manchen  christlichen  Sepulkralporträts 
sich  bewährt.  Zum  Gesamteindrucke  trägt  die  Frisur  und  die  Kleidung  bei.  Da  die 
Frisuren  noch  rascherem  Wechsel  unterworfen  waren  als  die  Kleidermoden,  so  bieten 
sie  ein  besonders  wertvolles  Material  zur  Datierung  der  Bildwerke;  deshalb  stellen  wir 
ihre  Besprechung  zurück  zur  Verwertung  im  stilkritischen  Abschnitt.  Über  die  Kleidung 
berichteten  wir  zu  den  Malereien;  es  wird  hier  genügen,  kurz  das  Tatsächliche  zusammen- 
zustellen, was  in  den  Sarkophagreliefs  sich  vorfindet.1) 

Die  Männertracht  besteht  insgemein  in  dem,  was  zum  „Angezogensein"  gehörte, 
dem  Rock  (einem  Kittel,  Chiton,  Tunika)  und  dem  Mantel  (Himation,  Pallium).  Oft 
fällt  der  Mantel  so  lang,  daß  er  die  Tunika  ganz  verdeckt  und  über  deren  Länge  im 
Ungewissen  läßt;  fällt  er  kürzer,  so  ist  manchmal  das  eine  Schienbein  unbedeckt,  was 
auf  die  gewöhnliche  kurze  Tunika  schließen  läßt;  häufiger,  besonders  an  späteren  Bild- 
werken, aber  erscheint  unter  dem  Mantel  die  lange  tunica  talaris.  Bei  den  Griechen, 
zunächst  den  Ioniern,  war  der  orientalische  lange  Chiton  einst  eine  Zeitlang  Mode 
gewesen,  aber  bald  wieder  abgelehnt  worden,  nur  Priester,  Theaterkönige  und  ein  paar 
andere  Kategorien  behielten  ihn  bei;  den  Römern  erschien  er  einerseits  weibisch,  anderer- 
seits anmaßend.  Aber  in  der  Kaiserzeit  gewann  er  Gunst,  wohl  unter  Einfluß  des 
wachsenden  Orientalisierens;  kein  Wunder,  daß  der  Talar  für  die  Christen  das  typische 
Gewand  wurde  [Abb.  10.  19  u.  öfter].  Selten  ist  der  Mantel  ohne  Chiton,  sodaß  die 
Brust  nackt  erscheint  (Garr.  Taf.  297,  3.  363,  3)  [Abb.  2].  —  Arbeiter  trugen  die  Exomis, 
welche  die  rechte  Schulter  frei  läßt.  —  Neben  dem  Himation  (Pallium)  kommt  die 
spezifisch  römische  Toga  nicht  gar  oft  vor,  immerhin  öfter  als  in  den  Malereien,  und 
zwar  in  der  Spätform  der  Zusammenfaltung,  wie  man  ein  Tisch-  oder  Bettuch  der  Länge 
nach  zusammenfaltet  (Kontabulation);  sie  ist  kenntlich  an  dem  breiten  Streifen,  eben 
dem  gefalteten  Stoff,  der  über  die  linke  Schulter  und  die  Brust  läuft  [Abb.  13.  21. 
37.  38].  —  Die  um  die  linke  Schulter  geworfene,  auf  der  rechten  Schulter  geheftete 
Chlamys  (Sagum,  Paludamentum)  tragen  Militärs  über  der  kurzen  Tunika  [Abb.  14. 
18.  30.  31  u.  öfter].  Die  später  aufgekommenen  Mantelarten  Paenula  und  Lacerna 
finden  sich  in  den  Sarkophagreliefs  nur  ausnahmsweise. 

*)  Christi.  Antike  I  146.    Vgl.  noch  V.  Schultze  in  Herzog-Haucks  Realenzyklopädie  3  X  1901 
unter  Kleider  und  Insignien. 


Die  Seligen.  79 

Die  Frauentracht  besteht  typisch  aus  dem  Rock  (Chiton,  Tunika,  mit  Ärmeln 
Stola,  eventuell  Dalmatika)  und  dem  Mantel  (Himation,  Palla).  Verheirateten  und 
Witwen  gebührt  die  bräutliche  und  matronale  Verhüllung  des  Hauptes,  meist 
bewirkt  durch  Heraufziehen  des  Rückenteils  vom  Mantel.  Sollte  die  Dargestellte  aus- 
drücklich als  Tote  charakterisiert  werden,  so  gab  man  ihr  durch  weiteres  Vorziehen  des 
Mantels  bis  über  die  Stirn  herab  eine  tiefere  Verhüllung,  so  dem  Schatten  der  Klytai- 
mestra,  entsprechend  übrigens  auch  dem  des  Agamemnon,  ebenso  der  Alkestis;  und  so 
kommt  es  auch  bei  Verstorbenen  in  heidnischen  Sarkophagreliefs  vor;  die  christlichen 
Seligkeitsdarstellungen  ließen  es  nicht  dazu  kommen.  Statt  des  über  den  Kopf  ge- 
zogenen Mantels  finden  wir  auch  in  der  Skulptur  den  Kopfschleier,  bald  kürzer  bald 
länger;  im  letzteren  Falle  konnten  die  Enden  um  den  Hals  genommen  werden,  wie 
beim  modernen  ßaschlik. 

Die  in  den  Malereien  auf  den  Gewändern  beider  Geschlechter  erscheinenden 
Streifen,  Flecke  und  Zeichen  haben  die  Bildhauer  mit  dem  Meißel  nicht  angegeben; 
sie  konnten  durch  den  Pinsel  ergänzt  werden. 

Übliche  Fußbekleidung  ist  die  Sandale.1) 

Jeder  Beschauer  antiker  Sarkophage  muß  bemerken,  daß  die  daran  abgebildeten 
Verstorbenen,  vielfach  auch  die  Frauen,  eine  Schrift  rolle  in  der  Hand  halten,  bis- 
weilen auch  ein  Schreibtäfelchen  (Diptychon,  Triptychon),  und  daß  sie  mit  der  Rolle 
oder  den  Täfelchen,  eventuell  auch  einem  Buch  irgendwie  beschäftigt  sind.  Die  Rolle, 
das  ist  das  häufigere,  wird  geschlossen  in  der  linken  Hand  gehalten,  nicht  leicht  als 
etwas  Gleichgiltiges,  etwa  daß  die  Hand  herabhängt  und  die  Rolle  Gefahr  läuft,  unter 
dem  Mantel  zu  verschwinden;  sondern  es  pflegt  eine  gewisse  Betätigung  dabei  zu  sein, 
der  Arm  wird  gekrümmt,  die  Hand  zeigt  die  annähernd  senkrecht  stehende  Rolle,  wie 
ein  dem  Träger  wichtiges  Attribut.  Ein  zweites  Schema  steigert  die  Aktion  und  lenkt 
dadurch  die  Aufmerksamkeit  stärker  auf  die  Rolle.  Da  hält  sie  der  Rollenträger  nicht 
seitlich,  sondern  vor  sich  und  legt  zugleich  die  offene  rechte  Hand,  oder  wenigstens 
zwei  Finger,  auf  das  obere  Rollenende;  manchmal  steht  die  Rolle  mit  dem  Unterende 
in  der  hohlen  linken  Hand.  Wenn  man  eine  Papierrolle  nach  Gebrauch  wieder  zu- 
sammengerollt hat,  wobei  immer  leicht  ein  wenig  schief  gerollt  wird,  so  richtet  man 
die  Rolle  gerade  und  gleicht  den  Schnitt  ab  durch  Aufstoßen  des  Unterendes  und 
Klopfen  auf  das  Oberende.  Dasselbe  kann  auch  erforderlich  werden,  wenn  man  eine 
Rolle  senkrecht  trägt,  auch  ohne  sie  gerade  einzusehen;  faßt  man  sie  zu  lose,  so  kommen 
die  inneren  Lagen  leicht  ins  Rutschen,  was  man  dann  durch  jenes  Aufstoßen  auf  die 
Hand  und  Klopfen  auf  das  obere  Ende  ausgleicht.  Schließlich  aber  kann  dies  Spiel  der 
Hände  auch  bloßes  Fingerspiel  sein,  etwa  im  Gespräch,  es  sei  denn,  daß  von  der  Schrift 
gerade  die  Rede  wäre  und  daß  man  durch  das  Auflegen  der  zwei  Finger  auf  die  Schrift 
und  ihre  Bedeutung  hinweisen  wollte.  Welche  Erklärung  im  Einzelfalle  angebracht 
sei,  und  welche  Bedeutung  die  Rolle,  als  Attribut  betrachtet,  für  die  einzelnen  Träger 
haben  konnte,  das  läßt  sich  von  vornherein  schwer  sagen  [Abb.  11.  12].  Wir  werden 
noch  anderen  Schematen  des  Rollenhaltens  begegnen,  auch  der  geöffneten  Rolle.  Da 
erst  werden  wir  die  Frage  der  richtigen  Interpretation  anschneiden.2) 


*)  Sandalen:   de  Waal,  Sarkophag  des  Bassus  90  Fig.  1 — 5. 

a)  Theodor  Birt,  Die  Buchrolle  in  der  Kunst,  archäologisch-antiquarische  Untersuchungen 
zum  antiken  Buchwesen,  Leipzig  1907,  hat  das  Vorkommen  der  Rolle  in  der  alten  Kuust  (und  zwar 


go  Plastik. 

Noch  ein  letztes  wird  besser  generell  voraus  besprochen,  das  ist  das  Vorkommen 
von  Abbildungen  Verstorbener  in  Gruppen,  Gruppen  von  einem  Mann  und  einer  Frau, 
oder  von  zwei  Männern.  Wenn  die  Frau  zur  Rechten  des  Mannes  steht,  so  könnte 
man  aus  modernen- Vorstellungen  heraus  meinen,  sie  nehme  den  Ehrenplatz  ein.  Kenner 
des  Altertums  wissen,  daß  dies  nicht  der  Fall  ist:  der  Ehrenplatz  ist  der  zur  Linken,  im 
Bild  der  rechts  (vom  Beschauer  aus  gerechnet).  Beim  Ehepaar  kommt  nach  altem 
Brauch  und  Recht  dem  Manne  der  Ehrenplatz  zu;  die  Frau  wird  nicht  bloß  kleiner 
gezeichnet  (und  zwar  typisch),  sondern  auch  als  an  ihn  sich  anschmiegend  [Abb.  37.  38]. 
Daraus  folgt  nun  weiter,  daß  eine  männliche  Figur,  die  zur  Rechten  einer  Frau  dar- 
gestellt wird,  nicht  ihr  Ehemann  sein  könne:  es  ist  ihr  Sohn.  Schwieriger  wird  die 
Erklärung,  wenn  zwei  Männer  in  Gruppen  erscheinen.  Auch  dann  wird  die  Person  zur 
Rechten  der  anderen  als  minderen  Ranges  zu  betrachten  sein,  wie  das  auch  im  Bilde 
durch  ihre  gedrücktere  Stellung  sich  ausspricht;  ob  wir  aber  Vater  und  Sohn  oder  sonst 
wie  verwandte  Männer  oder  ein  Freundespaar  zu  erkennen  haben,  bleibt  offene  Frage. 
Der  früher  erwähnte  Mangel  an  Grabschriften  beraubt  uns  des  sichersten  Mittels,  die 
Frage  zu  beantworten  [Abb.  14].  —  Eine  dritte  Person,  dritten  Ranges,  kommt  zur 
Linken  der  Hauptperson  zu  stehen,  das  Kind  eines  Ehepaares  also  zur  Linken  des 
Vaters;  es  sei  denn  es  wäre  noch  so  klein,  daß  die  Mutter  es  vor  sich  nähme  [Abb.  13].1) 

Die  Verstorbenen  werden  häufig  nur  in  Büstenform  gegeben,  im  Rahmen  eines 
Clipeus  oder  einer  Muschel  [Abb.  11].  Eine  andere  Weise,  für  Darstellung  in  ganzer 
Figur  erfunden,  aber  auch  übertragen  auf  Büsten,  besteht  in  einem  aufgespannten  Stoff 
(Parapetasma,  Velum)  als  Hintergrund  [Abb.  13].  Selten  geschah  es,  daß  man  die 
Büsten  ohne  Rahmen  noch  Hintergrund  unmittelbar  aus  der  Sarkophagfläche  heraus- 
treten ließ.  Die  Hände  sind  nicht  immer  mitgegeben;  vorkommenden  Falles  hält  die 
Linke  Rolle  oder  Diptychon,  die  Rechte  legt  wohl  zwei  Finger  auf  das  Oberende. 
Sonst  greift  die  Rechte  ins  Gewand  oder  sie  steht  vor  der  Brust,  zwei  Finger  offen,  zwei 
eingeschlagen  (im  sog.  Redegestus).  Weibliche  Büsten  sind  häufiger  als  männliche;  eine 
hält  Lyra  und  Pektron,  andere  heben  adorierend  die  offenen  Hände.  Alle  Motive 
waren  natürlich  ursprünglich  für  ganze  Figuren  erfunden.  —  Vereinzelt  kommen  auch 
Büsten  von  Knaben  vor.  Ehepaare  pflegen  die  Köpfe  einander  zuzuwenden,  doch 
mit  dem  Unterschied,  daß  er  nur  halblinks  schaut,  sie  ihn  direkt,  also  annähernd  im 
Profil,  anblickt,  dabei  steht  sie  halb  hinter  ihm,  legt  die  Linke  um  seinen  Nacken  und 
die  Rechte  auf  seinen  rechten  Arm.  Ein  Ehepaar  hat  ein  Kind  vor  sich:  die  einzige 
Familie  in    der    altchristlichen  Sarkophagskulptur   [Abb.  13].     Nun  kommt  noch   die 


mit  Einschluß  der  christlichen  Antike)  verfolgt  und  die  Schemata  zu  unterscheiden  und  zu  inter- 
pretieren unternommen;  die  ohen  aufgeführten  zwei  Schemata  sind  hei  Birt  Motiv  I  und  II  (Seite  43 
und  99). 

*)  In  der  verschollenen  Arkosolmalerei ,  die  de  Eossi,  Eoma  sott.  III  Taf.  10,  2  nach  Bosio, 
meine  Christi.  Antike  I  286  nach  de  Eossi  wiederholt,  steht  so  der  Vater  zwischen  Mutter  und 
Sohn.  Die  vielbesprochenen  Figuren  beiderseits  des  für  sich  eingerahmten  zentralen  Seligenmahls 
in  der  „Sakramentskapelle''  A8  (de  Eossi,  Eoma  sott.  II  Taf.  16.  Wilpert,  Katakombenmalereien 
Taf.  41,  1.  2.  Christi.  Antike  I  198  Ahh.  260.  294)  verlangen  nach  Obigem  zwei  Worte:  rechts 
steht  der  Jüngere  zur  Eechten  des  Älteren,  übereinstimmend  mit  der  Eegel;  links  der  nach  der 
Speise  des  Lebens  Greifende  (auch  er  ein  ayixtäv)  ist  nicht  Gatte,  sondern  Sohn  der  Adorantin. 
Wilpert  Taf.  21,  2  ist  die  Gruppe  zu  beschädigt,  um  sie  beurteilen  zu  können.  Taf.  90,  2  steht 
eine  Mutter  inmitten  ihrer  Kinder.  Taf.  163,  2  ist  ein  Ehepaar,  er  steht  rechts  zu  ihrer  Linken. 
Ein  Schoßkind  bei  Wilpert  Taf.  207.     Christi.  Antike  I  260. 


Die  Seligen.  81 

Verbindung  von  Mutter  und  Sohn  vor,  sie  mit  Rolle,  er  (zu  ihrer  Rechten)  als 
Adorant,  am  Sarkophagdeckel  der  Eugenia.  Endlich  ein  Männerpaar,  beide  bärtig,  aber 
der  ältere  mit  kahlem  Scheitel,  der  jüngere  mit  vollem  Haar,  mag  Vater  und  Sohn 
meinen ;  es  findet  sich  an  dem  unter  der  Tribuna  von  S.  Paul  gefundenen  Sarkophag 
[Abb.  14].  —  Am  Sarkophag  von  Tolentino  hält  eine  Hand  von  oben  den  Kranz 
des  Lebens  über  dem  Ehepaar.1) 

Häufiger  noch  als  in  Büsten  wurden  die  Verstorbenen  in  ganzer  Figur  dar- 
gestellt. 

Für  Ehepaare  kommt  der  Typus  der  Vermählung  einigemal  vor:  der  Gatte 
ergreift  die  Hand  der  ihm  gegenüberstehenden  Braut;  zwischen  ihren  Köpfen  wird  unter 
Stephane  das  Antlitz  der  Ehegöttin  sichtbar,  die  man  Juno  Pronuba  zu  benennen  pflegt; 
vor  dem  Paar  steht  als  kleiner  Knabe  Hymenäus  mit  der  Fackel,  oder  Eros  mit  Psyche. 
Die  typische  Rolle  in  der  Hand  des  Bräutigams  erklärt  man  in  diesem  Fall,  seit  dem 
siebzehnten  Jahrhundert  bis  heute,  als  den  Ehekontrakt  (tabulae  nuptiales).  Römische 
Sarkophage  der  Antoninenzeit  schildern  den  Verstorbenen  in  Hauptmomenten  seines 
Lebens;  da  fehlt  denn  auch  nicht  die  Vermählung,  neben  Kriegs-  und  Jagdszenen.  Wenn 
nun  aber  andere  Sarkophage  die  Szene  der  Vermählung  in  den  Mittelpunkt  des  Relief- 
schmuckes schieben  und  die  Nebenbilder  im  selben  Gedankenkreis  bleiben,  so  liegt  eine 
etwas  andere  Idee  zugrunde:  der  Sarg  birgt  die  Reste  des  Ehepaares,  eben  dies  drücken 
die  Reliefs  aus.  Man  spricht  hier  wohl  von  Hochzeitssarkophagen;  nun,  wir  kennen, 
wenigstens  aus  neueren  Zeiten,  Schränke  und  andere  Möbel,  sogar  ganze  Häuser,  welche 
die  Brautleute  sich  herstellen  ließen,  bei  ihrer  Hochzeit  und  für  ihren  Ehestand,  aber 
keine  Hochzeitssärge.  Wohl  dienten  unsere  Sarkophage  dem  Ehepaar,  doch  erst  nach 
dem  Tode.  —  Ein  solcher  Sarkophag  von  der  Via  Appia  (im  Thermenmuseum,  Süd- 
halle des  Chiostro)  hat  den  Hymenäus  vor  dem  Paar.  An  Stelle  des  Eroten  steht  an 
einem  Exemplar  im  Cortile  des  Belvedere  (n.  102n)  ein  Altar,  für  den  heidnischen 
Opferritus  bei  der  Hochzeitsfeier.  Christlich  ist  ein  Sarkophag  aus  Villa  Ludovisi  mit 
Eros  und  Psyche;  ferner  ein  leider  fragmentiertes  Exemplar  im  deutschen  Campo  santo, 
die  untere  Hälfte  des  Reliefs  mit  Hymenäus  oder  Eros  und  Psyche  ist  abgebrochen; 
drittens  ein  Bruchstück  in  Villa  Doria-Pamfili.  Diese  drei  Exemplare  weisen  die  Pronuba 
auf;  ohne  diese,  aber  mit  dem  Hymenäus  stellt  sich  das  Ehepaar  (er  ist  bärtig)  an  dem 
neutralen  Säulensarkophag  von  Villa  Ludovisi  dar.    Das  Ehepaar  allein,  ohne  Pronuba, 


*)  Von  heidnischen  Sarkophagbüsten  nur  ein  paar  Proben:  Amelung,  Giardino  d.  pigna 
Taf.  107,  159  m.  Büste  mit  Antoninenfrisur.  Gall.  lapid.  Taf.  29,  162  zwei  Nabelbüsten  ohne 
Rahmen  an  den  Ecken  einer  Wanne,  eine  unbärtig  in  Chlamys,  eine  bärtig  in  Toga  (Haar  „ver- 
waschen"). Giard.  d.  pigna  Taf.  96,  65  w.  Büste  mit  Mamäafrisur.  —  Christlich:  Männliche  Büste : 
Lat.  n.  147  G  384,  3;  eb.  n.  150  G  298,  3;  Grousset  n.  15.  —  Weiblich:  Lat.  M  n.  37  (F  18);  eb. 
n.  70  A  (F  72);  eb.  n.  108  G  359,  2;  eb.  n.  126  G  385,  2;  eb.  n.  161  G382;  Grousset  n.  2.  3;  Grousset 
n.  14  G360,  2.  Diptychon:  Lat.  n.  128  G  359,  3.  Hand  vor  Brust:  Lat.  n.  182  G  384,  1.  Lyra: 
Lat.  n.  203.  Adorantin:  Lat.  n.  154  G  316,  4;  Grousset  n.  34  G  385,  3  Agapetilla.  —  Knabe:  Lat. 
n.  212  G  358,  1;  eb.  n.  214;  Grousset  n.  8.  Ehepaar:  Lat.  n.  66;  n.  104  G  365,  2;  eb.  n.  175  G  367, 1; 
eb.  n.  184  G  364,  2;  n.  210  G  402,  5  beide  in  Profil;  eb.  n.  228  G  363,  2  des  Faustinus  f  353.  Grousset 
n.  44  G  403,  1  sie  in  Mamäafrisur.  Man  wolle  beachten,  daß  mehrfach  die  Köpfe,  zum  Teil  die 
ganzen  Büsten  modern  ergänzt  sind:  Lat.  n.  178  G  367,  3;  eb.  n.  189  G  367,  2.  Familie:  Wittig  49 
n.  19.  Mutter  u.  Sohn:  Lat.  n.  230.  Vater  u.  Sohn:  Lat.  n.  55  G  358,  3.  —  Vgl.  dazu  Pelka, 
Altchristi.  Ehedenkmäler  123.  —  Tolentino:  G  304,  1.  —  Hand  aus  Wolke  reicht  einen  Kranz: 
Cohen,  MeU  imp.  a  VII  453,  88  Constantino  II;   VIII  219,  1  Honoria  (Augusta  433). 

Sybel,  Christliche  Antike  II.  6 


82  Plastik. 

Hymenäus  oder  Eros  und  Psyche,  begegnet  z.  B.  an  den  Tabernakelsarkophagen  des 
Typ  Biccardi  und  der  Rückseite  des  Sarkophags  bei  der  Pietä  des  Michelangelo  in  der 
Peterskirche. 

Die  „Juno  Pronuba"  gehört,  wie  die  ganze  Szene,  zu  den  aus  der  heidnischen 
Antike  übernommenen  Typen.  Eines  Wortes  bedarf  noch  der  Angelpunkt  der  Szene, 
nämlich  die  Verbindung  der  Brautleute  durch  ihre  Hände.  Altgriechisch  war,  daß  der 
Bräutigam  die  Braut  am  Handgelenke  faßte,  um  von  ihr  Besitz  zu  ergreifen  und  sie 
heimzuführen.  Dagegen  zeigen  zahlreiche  griechische  Grabreliefs  der  klassischen  Blüte 
das  Ineinanderlegen  der  Hände,  gerade  auch  bei  Eheleuten,  allerdings  nicht  als  Moment 
der  Hochzeit;  es  ist  viel  darüber  geschrieben  worden,  ob  dieser  Händedruck  den  Ab- 
schied fürs  Leben  bedeute  oder  ein  Ausdruck  für  die  Zusammengehörigkeit  sei.  Letzteres 
ist  im  Grunde  der  Hauptsinn  aller  wie  immer  modifizierten  sepulkralen  Ehepaarstypen. 
Die  römische  Verraählungszeremonie  der  dextrarum  iunctio  kann  nur  im  Ineinander- 
legen der  Hände  bestanden  haben,  wie  es  auch  Sarkophagreliefs  bezeugen,  sofern  nicht 
die  Hände  ausgebrochen  sind.  Wenn  dieselbe  Gebärde  an  dem  christlichen  Sarkophag 
des  deutschen  Campo  santo  bemerkt  wird,  so  ist  das  also  nicht  eine  spezifisch  christ- 
liche Art,  wie  es  Wittig  auffaßt;  eher  kann  man  fragen,  wie  es  komme,  daß  an  heid- 
nischen und  neutralen  Sarkophagen  das  Fassen  am  Handgelenk  noch  vorkommt,  wie  an 
dem  Säulensarkophag  aus  Villa  Ludovisi  (übrigens  auch  an  dem  Riefelsarg  der  „Baleria 
Latobia",  wo  die  verwitwete  Mutter  den  Sohn  am  Handgelenk  faßt).  Wirkt  da  viel- 
leicht nur  bildliche  Tradition  nach? 

Ein  Relieffragment  der  Villa  Albani  soll  enthalten:  den  unbärtigen  Gatten  mit 
der  Hand  seiner  Frau  in  der  Rechten,  unter  den  zwei  Händen  ein  offenes  Buch  auf 
einem  Pult,  oben  die  Halbfigur  des  jugendlich  lockigen  Christus,  der  mit  der  Linken 
einen  Kranz  über  das  Haupt  des  Mannes  hält  (jedenfalls  hielt  die  Rechte  einen  eben- 
solchen Kranz  über  die  Frau).  Ob  die  Kränze  des  Lebens,  die  da  Christus  über  das 
Paar  hält,  nuptial  oder  sepulkral  zu  verstehen  sind,  darauf  kommen  wir  besser  gelegent- 
lich der  Goldgläser  mit  ähnlichen  Darstellungen  zurück;  über  das  Buch  auf  dem  Pult 
aber  möchte  ich  ohne  Autopsie  nicht  urteilen.  Leider  hält  der  Besitzer  der  Villa  Al- 
bani dies  köstliche  Eigentum  der  Menschheit  vor  jedermann  verschlossen.1) 

Eros  und  Psyche  kommen  auch  selbständig  an  Sarkophagen  vor,  heidnischen 
und  christlichen.  Bei  seinen  Ausgrabungen  in  San  Callisto  bemerkte  de  Rossi,  daß 
Reliefs  heidnischen  Charakters  abgeschlagen  oder  mit  Kalk  gedeckt  und  so  vermauert 
waren,  nicht  bloß  eine  bacchische  Szene,  sondern  auch  Psyche.  Aber  ganz  davon  ab- 
zusehen, daß  hier  nicht  unbedingt  notwendig  oder  ausschließlich  religiöse  Rücksichten  im 
Spiel  gewesen  sein  müssen  (es  braucht  sich  auch  bloß  um  Nutzbarmachung  des  Stückes 
Marmor  gehandelt  zu  haben),  so  wurde  insgemein,  wie  auch  de  Rossi  feststellt,  nicht  so 


*)  Hochzeit:  Marquardt-Mau,  Privataltertümer  der  Römer  47.  Roßbach,  Hochzeits-  und 
Ehedenkmale  1871.  Matz-Duhn  II  Seite  328—341.  Pelka,  Christliche  Ehedenkmäler  1901,  91. 
Altmann,  Rom.  Grabaltäre  1905,  233.  Birt,  Buchrolle  67.  —  Ludovisi:  Grousset  n.  92;  jetzt  Lateran 
M  n.  26  G  361,  1.  Campo  santo:  Wittig  n.  1  Taf.  1.  Doria:  Grousset  n.  75.  Säulensarkophag: 
G  362,  2.  Pelka  98.  Peterskirche:  G  325,  4.  —  Juno  Pronuba:  dazu  vgl.  Wissowa,  Religion 
u.  Kultus  der  Römer  119.  Bei  Pauly-  Wissowa  wird  unter  dextrarum  iunctio  auf  den  noch  aus- 
stehenden Artikel  Juga  verwiesen.  Baleria  Latobia:  G  362,  3.  Villa  Albani:  Marucchi, 
Studi  in  Italia  1882  II  matrimonio  cristiano  sopra  un  antico  monumento  inedito.  Grousset  n.  91. 
Pelka  107  Taf.  1,  6.    Über  Lesepulte  vgl.  Birt,  Buchrolle  175. 


Die  Seligen.  83 

rigoros  verfahren.  Die  Gruppe  „Eros  und  Psyche  sich  umarmend"  findet  sich  teils  an 
Bruchstücken  unbestimmbaren  Charakters,  die  aber,  als  in  den  Katakomben  gefunden, 
die  Vermutung  für  sich  haben,  von  Christen  verwendet  worden  zu  sein,  teils  an  ganzen 
Sarkophagen,  deren  spezifisch  christliche  Typen,  wie  der  Gute  Hirt  oder  Jonas,  keinen 
Zweifel  lassen  [Abb.  II].1) 

Bereits  bei  Besprechung  der  Büsten  wurde  gesagt,  daß  sie  eigentlich  Abbrevia- 
turen von  ganzen  Figuren  seien.  Auf  letztere  ist  nun  einzugehen.  Auch  an  den  Sarko- 
phagen überwiegen  die  Bilder  weiblicher  Verstorbener,  wie  in  den  Katakombenmalereien; 
deshalb  stellen  wir  die  Frauen  voran. 

In  den  Büsten  traten  uns  die  Verstorbenen  in  Tracht  und  Haltung  des  Lebens 
entgegen;  solche  in  ganzer  Figur  also  betrachten  wir  hiernächst.  Ein  Teil  dieser  Frauen 
trägt  die  matronale  Verhüllung  des  Kopfes,  auch  halten  sie  die  attributive  Rolle  in  der 
Linken,  oder  ein  Diptychon,  die  Rechte,  zwei  Finger  eingeschlagen,  vor  der  Brust  oder 
auf  Rolle  oder  Diptychon  gelegt;  die  ganze  Erscheinung  hat  etwas  Repräsentatives. 
Diese  Frauen  stehen  in  der  Regel  zentral  in  der  Sarkophagfront,  nach  Umständen  vor 
einem  Parapetasma.  Bisweilen  steht  am  Boden  Schriftenbündel  oder  Scrinium.  Heid- 
nisch ist  das  Sarkophagfragment  der  Lampadia  im  Lateran,  mindestens  neutral  Grousset 
n.  33  (die  Frau  steht  zwischen  Pfau  und  Fruchtkorb);  Lateran  Marucchi  n.  1  (F  99) 
mit  Porträt,  ernst  aufblickende  ältere  Frau  in  Mamäafrisur,  welche  ausnahmsweise  die 
rollentragende  Linke  herabhängen  läßt.  Christlich  sind  Grousset  n.  1 7 ;  Lat.  n.  9 ;  M  n.  7  7 
(F  88);  ferner  Grousset  n.  22  (die  Verstorbene  zwischen  zwei  Bäumen);  n.  24,  Lateran 
n.  180  und  193  [Abb.  40];  n.  183.2) 

Ein  Verstorbener,  mit  Rolle  in  der  Linken  und  Rollenbündel  zu  seinen  Füßen, 
steht  vor  Parapetasma  an  der  heidnischen  Wanne  des  Cortile  n.  58  A.  Von  den  gleich- 
artigen Figuren  an  christlichen  Sarkophagen  sind  viele  problematisch.  Der  deutsche 
Campo  santo  besitzt  zwei  zusammenpassende  Bruchstücke  eines  Säulensarkophags,  erhalten 
sind  zwei  Kompartimente:  unter  einem  Flachbogen  ein  Heilungswunder,  unter  rechts 
anstoßendem  Giebel  ein  Bärtiger,  die  Rolle  in  Händen,  zu  seiner  Rechten  steht  eine 
sehr  große  Rolle,  auf  die  eine  Nebenfigur  die  Hand  legt.  Ob  der  Bärtige  den  Ver- 
storbenen meint?  und  ob  ein  Gegenstück  seine  Gattin  meinte?  Bei  Grousset  n.  22 
finden  wir  zentral  eine  Verstorbene  zwischen  zwei  Bäumen,  im  rechten  Endfeld  steht 
ein  Verstorbener  mit  Rolle.  Hieran  schließen  sich  Fickers  „Lehrfiguren"  und  „Pro- 
pheten" an,  als  untätige  Statisten  sowohl  neben  übernommene  Typen  als  auch  neben 
biblische  Szenen  gesetzt.  In  einzelnen  Fällen  könnte  man  versucht  sein,  in  der  Figur 
einen  Verstorbenen  zu  erblicken,  wenn  er  z.  B.  am  rechten  Ende  des  Deckels  neben 
einer  Büste  (vor  Velum  von  Eroten  gehalten)  steht,  oder  zwischen  Tabula  (auch  sie 
von  Eroten  gehalten)  und  Eckmasken  [Abb.  43];  oder  am  Sarg  der  Crispina,  wo  einer 
der  lesenden  Crispina,  ein  zweiter  der  Geburtsszene  nahe  steht.  In  anderen  Fällen, 
wenn  den  dichtgedrängten  biblischen  Szenen  hinzugefügt,  scheint  der  Gedanke  an  den 
Verstorbenen  ferner  zu  liegen;  da  eben  war  die  Vorstellung  aufgetaucht,  es  könnten 


*)  Eros  und  Psyche  an  heidnischen  Sarkophagen:  Gall.  lapid.  n.  15;  Mus.  Chiar.  n.  522. 
Matz-Duhn  II  Seite  227—230.  —  Christlich:  in  San  Callisto  Simelli  n.  112  Barbier  26;  neben  dem 
Guten  Hirt  Grousset  n.  48  G  395,  3;  neben  Jonas  (im  Clipeus  w.  Büste  mit  Frisur  der  Julia 
Domna)  Grousset  n.  52  G  357,  1.  —  de  Rossi,  "Roma  sott.  II  170. 

a)  Malereien:  Christi.  Antike  I  262.  —  Grousset  n.  33:  G  369,  2.  Grousset  n.  17:  G  375,  5. 
—  Grousset  n.  24,  Lat.  n.  180.  193:    G  372,  1—3.  —  Lat.  n.  183:    G  316,  1. 

6* 


84  Plastik. 

Propheten  sein.  Schließlich  ließe  sich  Beziehung  auf  die  Verstorbenen  aber  auch  hier 
verteidigen.1) 

Hier  würde  sich  die  Klasse  der  Seligen  anschließen,  nicht  der  jedesmal  im  Sarg 
beigesetzten,  sondern  vorausgegangener,  die  ein  neu  Verstorbener  im  Himmel  vorfindet. 
Da  steht  etwa  die  Verstorbene  zwischen  zwei  Seligen.  Von  dergleichen  aber  wird  uns 
bei  den  Adoranten  mehr  begegnen;  einstweilen  erinnern  wir  uns  der  Begrüßung  Ver- 
storbener durch  Selige  beim  Eintritt  in  den  Himmel,  wie  das  mehrere  Malereien  ver- 
anschaulichten. Endlich  sehen  wir  an  einem  späten  Sarkophag  beiderseits  der  zentralen 
Tabula  je  einen  unbärtigen  Seligen  die  nahenden,  den  Kranz  des  Lebens  im  Maul 
tragenden  Schafe  begrüßen.2) 

Andere  Verstorbene,  und  zwar  weit  mehrere,  wurden  im  Schema  der  Anbetung 
(Adoration)  dargestellt;  man  dachte  sie  im  himmlischen  Paradies,  anbetend  vor  der  Herr- 
lichkeit des  Herrn.  Zu  den  Bemerkungen  des  ersten  Bandes  über  den  ursprünglichen 
Sinn  des  Gebetsgestus  sei  hier  nachgetragen,  daß  Benndorfs  Erklärung  nicht  annehm- 
bar ist,  wonach  die  Gebärde  Scheu  und  Ehrerbietung  ausdrücke,  das  Überwältigende 
solle  ferngehalten  werden.  Aber  die  apotropäische  Gebärde  ist  vom  Gebetsschema  ver- 
schieden. Übrigens  wollte  auch  die  zur  Begrüßung  ausgestreckte  Hand  ursprünglich 
den  Gegenstand  der  Begrüßung  fassen.  Man  sehe  sich  nur  Kinder  und  Darstellungen 
von  Kindern  darauf  an;  das  der  Mutter  zugebrachte  Kind  auf  dem  Relief  Albani 
streckt  das  Händchen  nach  der  Mutter  aus,  ebenfalls  der  kleine  Plutos  nach  dem  der 
Eirene.  Eine  Begrüßung  ist  aber  auch  die  Adoration.  —  Den  Ursprung  des  christ- 
lichen Orantentypus  leitet  Strzygowski  aus  Ägypten  her;  schon  die  altägyptische  Kunst 
habe  dergleichen  geschaffen,  allerdings  nur  in  Profilstellung;  die  frontale  Stellung  sei 
eine  durch  hellenistische  Einflüsse  freigewordene  orientalische  Form.  Aber  der  frontale 
Typus  ist  etwas  Neues  gegenüber  dem  älteren  in  Profilstellung.  Die  altägyptische  Typik 
kommt  bei  der  Frage  nach  dem  Ursprung  der  christlichen  so  wenig  in  Betracht,  wie 
die  späte  koptische;  bloß  auf  die  hellenistische  kann  es  ankommen.  Und  die  ägyp- 
tischen Denkmäler  wie  die  Stele  des  Ismenodoros  sind  bis  jetzt  zu  vag  datiert  und 
schwerlich  früh  genug,  um  ernstlich  in  Rechnung  gestellt  werden  zu  können.  Eine  Reihe 
heidnischer  Statuen  anbetender  Frauen,  die  beide  Hände  heben,  stellt  Hekler  zusammen; 
den  zugrunde  liegenden  Typus  ist  er  geneigt,  auf  einen  Meister  des  früheren  vierten 
Jahrhunderts  vor  Chr.  wie  Euphranor  zurückzuführen.8) 

*)  Campo  santo:  Wittig  80  n.  40-|-41.  —  Lehrfiguren  und  Propheten:  Fickers  Register.  — 
Neben  Büste:  Lat.  n.  182  G  384,  1.  —  Neben  Tabula:  G  868,  2.  —  Crispina:  Lat.  n.  190  G  384,  5. 
-  Bei  Speisenvermehrung:   Lat.  n.  189  G  367,  2.    Bei  Daniel:   Lat.  n.  124  G  398,  4. 

2)  Verstorbene  zwischen  Seligen:  Lat.  n.  163  Roller  II  Taf.  52,  2.  Malereien:  Christi.  An- 
tike I  267  Abb.  —  Schafe:  Lat.  n.  194  G  304,  2.  —  Begrüßende  Selige  werden  auch  die  Jung- 
frauen am  Sarkophag  zu  Pisa  sein,  G  359,  4. 

8)  Anbetung:  Christi.  Antike  I  225  Oranten.  —  Benndorf  und  Strzygowski,  Wiener 
Akad.  Denkschr.  LI  1905  156.  Das  Relief  dans  le  crevac  (nicht  en  crmx),  in  dem  die  Stele  des 
Ismenodoros  nebst  ihren  Verwandten  ausgeführt  ist,  kommt  auch  bei  den  Griechen  vor.  —  Hekler, 
Römische  weibliche  Gewandstatuen  (München,  archäol.  Studien  1909)  134.  —  Thiersch,  Hist. 
Zeitschr.  CII 1909  583  will  in  den  Oranten  nicht  Anbetende  im  himmlischen  Paradies,  sondern  ein- 
fache Betende  erkennen,  als  ein  „graphisches  Determinativ  für  den  Begriff  Christ".  Das  Urchristen- 
tum habe  das  „Ruhen  in  Frieden"  niemals  dem  Endziel,  dem  Schauen  Gottes,  gleichgesetzt;  das 
Gestorbensein  sei  ihm  nur  ein  interimistischer  Zustand  gewesen,  aus  dem  man  erst  durch  die  für 
später  erhoffte  Auferstehung  zum  Schauen  Gottes  gelangen  sollte.  Ich  halte  mich  daran,  daß  die 
„Oranten"  im  Paradies  stehend  oder  durch  die  Himmelsportiere  eintretend  gemalt  werden,  ich  halte 


Die  Seligen.  85 

In  der  Skulptur  wie  in  der  Malerei  gibt  es  zwei  Typen  adorierender  Frauen;  die 
einen,  an  den  Sarkophagen  meist  in  Seitenansicht  gezeichnet,  heben  nur  die  offene 
Rechte,  ein  bekanntes  klassisches  Gebetsschema.  Am  besten  eignete  es  sich  für  das 
rechte  Ende  der  Sarkophagfront,  linkshin  gewandt.1) 

Vereinzelt  sieht  man  eine  Adorantin  in  Stellung  halbrechts  mit  vorgehobenen 
Händen,  am  Sarg  des  Sohnes  von  Saturninus  und  Musa.  Die  Masse  der  Adorantinnen 
aber  steht  in  Vorderansicht  mit  ausgebreiteten  Armen  und  geöffneten  Händen, 
wie  so  oft  in  den  Malereien.  Es  sind  dies  die  konventionell  sog.  „Oranten"  [Abb.  9.  42]. 
Es  wiederholen  sich  die  bekannten  Varianten,  die  Verhüllung  des  Kopfes  durch  Mantel 
oder  Schleier,  oder  Dalmatika,  Pänula,  Pelerine;  beliebt  war  Stand  vor  Parapetasma 
(einmal  vor  einem  Tor)  oder  auch  zwischen  zwei  Paradiesesbäumen,  dazu  Tauben,  auch 
wohl  Schriftbündel  oder  Capsa.  Angebracht  wurden  sie  gern  zentral,  doch  auch  in 
Endfeldern;  bei  den  Sarkophagen  mit  aneinandergereihten  Szenen  wird  die  Orante  ohne 
weiteres  eingeschoben.  Mit  dem  Umstand,  daß  an  den  Sarkophagen  der  Spielraum  knapp 
bemessen  war,  vollends  für  Figuren  mit  ausgebreiteten  Armen,  hängt  es  zusammen,  daß 
manchmal  kaum  die  Hände  eben  aus  dem  Gewand  heraustreten,  schließlich  aber  der 
Ausweg  gefunden  wurde,  die  Unterarme  senkrecht  in  die  Höhe  gehen  zu  lassen,  mehr 
oder  minder  hoch.2) 

Adorantinnen  mit  Angehörigen  gruppiert  kommen  verschiedentlich  vor.  Am 
Sarkophag  von  Via  Salaria  sehen  wir  neben  dem  unter  Paradiesesbäumen  stehenden 
Guten  Hirten  eine  Orante,  beiderseits  aber  Gruppen  von  Angehörigen,  sitzende  und 
stehende,  bei  denen  man  zweifeln  kann,  ob  sie  als  Hinterbliebene  oder  als  im  Tod 
vorausgegangene  gemeint  sind.  Die  der  Orantin  zunächst  sitzende  Matrone  aber  erhebt 
begrüßend  die  Rechte,  scheint  also  eine  Vorausgegangene  zu  sein  [Abb.  2].  —  Wir  heben 
noch  einen  eigenartigen  Fall  hervor,  an  einem  Riefelsarg  in  Pesaro:  in  den  Endfeldern 
zwei  adorierende  Mädchen,  im  Mittelfeld   die  Mutter,    die  ihren  linken  Arm  um   den 


mich  an  Jesus'  Wort  zum  Schacher  „Heute  wirst  du  mit  mir  im  Paradiese  sein" ,  ich  halte  mich 
an  die  Märtyrervisionen,  die  den  Gestorbenen  ausnahmslos,  als  kenne  man  gar  keine  andere  Vor- 
stellung, unmittelbar  in  das  Paradies  gelangen  lassen.  Die  Malereien,  das  Jesuswort,  die  Märtyrer- 
visionen, all  dergleichen  ist  übereinstimmender  Ausdruck  der  lebendigen  Volksvorstellung,  der  in 
seiner  Bedeutung  nichts  verliert  durch  die  subjektiven  Einfälle  und  Spekulationen  der  christlichen 
Metaphysiker,  der  alten  Theologen,  die  man  Kirchenväter  nennt,  oder  durch  das  an  ihnen  sich  ent- 
wickelnde offizielle  Dogma.  Die  Katakombenkunst  ist  eine  selbständige  Quelle  zur  Kenntnis  der 
im  Christenvolk  am  gegebenen  Ort  zur  gegebenen  Zeit  lebendigen  Vorstellungen.  Zuletzt  scheint 
Thiersch  auf  Wilperts  Fürbitter  zurückzukommen;  wenigstens  meint  er,  ich  hätte  die  Fürbitt- 
inschriften an  den  Gräbern  nicht  genügend  beachtet.  Ich  hatte  gar  keinen  Grund  mich  ihrer  zu 
erwehren,  sind  sie  doch  auf  ihre  Weise  sehr  kräftige  Beweise  für  die  antike  Natur  des  Christen- 
tums; aber  sie  sind  zu  spät,  um  für  das  Motiv  des  Orantentypus  zu  beweisen.  Vor  allem  aber 
spricht  das  bildliche  Schema  Begrüssung,  Adoration  aus  und  deutet  irgend  etwas  weiteres  auch 
nicht  im  geringsten  an.  —  Über  die  Tyche  von  Konstantinopel  als  Orans,  von  Konstantin 
aus  einer  Kybele  zurecht  gemacht,  vgl.  Amelung,  Rom.  Mitteil.  1899,  8. 

*)  Nur  die  Rechte  gehoben:  de  Rossi,  Bull,  crist.  1866,  74.  Grousset  §  16;  ebenda  n.  19 
(G  296,  2  des  Januarius);  eb.  n.  112.    Lat.  n.  34.  —  Malereien:   Band  I  286  Abb. 

8)  Saturninus:  G  296,  1.  —  Matronal:  Lat.  n.  160  und  116  (G  376,  2.  4).  Schleier:  Lat. 
M  n.  181  Taf.  3  (bei  dorischem  Peplos);  Lat.  n.  150  (G298,  3).  Dalmatika:  Lat.  n.  150  (G  298,  3). 
Pänula:  G  380,  1.  Pelerine:  Lat.  n.  179  (G  370,  1).  Parapetasma:  Lat.  n.  127  (G  376,  1).  Tor: 
Lat.  n.  219  (G  369,  1).  Bäume:  G  296,  1.  Tauben:  ebenda.  Taube  mit  Zweig  (des  Noah)  zu- 
fliegend: Grousset  n.  32.  Schriftbündel:  Grousset  n.  14  G  360,  2.  Capsa:  Grousset  n.  28  G  373,  4. 
—  Unterarme  senkrecht:   G  377,  2. 


36  Plastik. 

Nacken  eines  Töchterchens  legt,  beide  adorieren  mit  der  Rechten;  das  Mittelfeld  ist  ein- 
gerahmt von  zwei  glatten  Säulchen,  die  in  der  Art  der  antiken  Votivträger  zwei  nackte 
Knaben  tragen,  jeder  hat  eine  Taube  in  der  Hand.  Sollen  das  zwei  Knaben  der  Matrone 
sein?  Tektonisch  sehen  die  zwei  Säulchen  aus  wie  eine  Umbildung  des  Tabernakel- 
motivs.1) 

Bisweilen  steht  eine  Taube  zu  Füßen  einer  Orans,  dicht  angedrückt,  den  Schwanz 
auch  wohl  unter  ihrem  Gewandsaum.  Oder  Tauben  sitzen  auf  den  Bäumen,  zwischen 
denen  die  Orans  steht.2) 

Mehrfach  steht  die  Or  ante  zwischen  zweiSeligen,  im  Tod  ihr  vorausgegangenen ; 
sie  pflegen  der  Orante  zugewandt  zu  sein,  begrüßend  ihr  die  offene  Rechte  zuzustrecken, 
auch  wohl  sie  an  ihren  Arm  zu  legen  [Abb.  38].  Wo  sie,  was  vorkommt,  die  Toga 
tragen,  müssen  wohl  Angehörige  gemeint  sein;  in  der  Regel  aber  scheinen  es  nur  Re- 
präsentanten des  Chors  der  Seligen  zu  sein.  Einige  sind  in  alter  Weise  unbärtig, 
mehrere  bärtig.  In  letzterem  Fall  glauben  die  Erklärer  Petrus  und  Paulus  dargestellt; 
die  Möglichkeit  soll  nicht  geleugnet  werden,  obwohl  kaum  ein  Exemplar  in  dieser  Be- 
ziehung Gewißheit  gibt.  Zwischen  zwei  Togati  steht  die  Orante,  offenbar  sehr  ähn- 
liches Porträt,  an  einem  neuerworbenen  Sarkophag  der  Sammlung  de  Waals;  das  Stück 
ist  auch  dadurch  merkwürdig,  daß  die  gehobenen  Arme  der  Orante  wegen  der  Raum- 
not einfach  weggelassen  sind.  An  einem  Riefelsarg  derselben  Sammlung  stand  im 
Mittelfeld,  zur  Rechten  der  Orante,  eine  zweite  weibliche  Figur,  vor  einem  Baum; 
sekundär  hat  man  die  Nebenfigur  bis  auf  geringe  Spuren  weggemeißelt  und  dafür  den 
Baumstamm  weiter  hinabgeführt.  Der  Sarkophag  der  Juliane  gibt  die  Verstorbene 
zweimal  im  Orantenschema,  einmal  vor  Parapetasma,  ein  zweites  Mal  im  Typus  des 
Noah  in  der  Arche.8) 

Männliche  Oranten  sind  selten;  ein  solcher,  in  ungegürteter  langer  Tunika, 
steht  an  einem  Sarkophag  von  San  Callisto  zwischen  zwei  bärtigen  Palliati  [Abb.  23.  43].4) 

Ein  und  dasselbe  Schema  kann  nach  den  Umständen  verschiedenes  bedeuten.  An 
der  geriefelten  Rückseite  des  Säulensarkophags  in  der  Peterskirche,  in  deren  Mittel- 
nische wir  das  Ehepaar  bemerkten,  sieht  man  in  den  Endnischen  je  einen  Unbärtigen 
die  offene  Rechte  nach  der  Mittelgruppe  hinhalten:  die  Seligen  begrüßen  das  in  den 
Himmel  aufgenommene  Paar.  An  dem  pariser  Exemplar  mit  dem  bärtigen  Christus 
stehen  in  den  Endfeldern  der  Rückseite  ähnliche  Selige  im  selben  Schema,  aber  nun 
adorieren  sie  den  im  Mittelfeld  angebrachten  Guten  Hirten.6) 

An  den  späteren  Exemplaren  der  letztberührten  reichen  Sarkophagklasse,  mit 
bärtigem  Christus  auf  dem  Berg,  finden  sich  die  Gestalten  der  verstorbenen  Ehe- 
leute in  kleiner  Figur  zu  den  Füßen  des  Bergs:  er  unbärtig,  als  Offizier  in  Chlamys 
(am  pariser  Exemplar  steht  er  so  auch  an  der  rechten  Nebenseite),  eilfertig  heran- 
schreitend, wie   sonst  etwa  die  Magier  zum  Christkind  oder  wie  die  kranztragenden 


*)  Pesaro:    G  377,  2. 

9)  Morey,  Suppl.  papers  American  school  Eome  I  1905,  150  über  die  Taube  bei  der  Orante  am 
Sarkophag  in  Maria  Antiqua. 

8)  Orante  zwischen  Seligen:  Lat.  n.  184  G  364,  2;  eb.  n.  148  G  380,  4;  eb.  n.  161  G  382,  2 
des  Sabinus;  eb.  n.  40.  163  (Roller  I  Taf.  50,  3;  II  Taf.  52,  2;  eb.  n.  144.  167.  —  Nebenfigur:  Wittig 
127  n.  63.  —  Juliane:   Lateran  n.  236  G  301,  2. 

4)  Orant:   G  368,  2.    G  402,  6  (nach  Bottari)  bedarf  der  Nachprüfung. 

6)  G  325,  4  (vgl.  328,  1).  324,  4. 


Die  Seligen.  87 

Seligen  zum  Christus  (von  diesen  Vorbildern  scheint  der  adorierende  Offizier  auch  ab- 
geleitet), die  verhüllten  Hände  nach  dem  rechten  Fuß  des  Christus  hinstreckend  wie 
auch  den  Blick  auf  ihn  richtend;  sie,  matronal  verhüllt,  auf  dem  linken  Knie  liegend, 
den  rechten  Fuß  aufgesetzt,  anbetend  beide  Hände  geöffnet  und  zum  Christus  empor- 
blickend. Nach  der  Etikette  steht  der  Mann  zur  Rechten  des  Herrn,  sie  zu  seiner 
Linken.  An  dem  Exemplar  mit  den  Weinstöcken  blickt  auch  der  Gatte  empor,  beider 
Hände  (hier  sind  die  seinigen  unverhüllt)  scheinen  die  Füße  des  Herrn  zu  fassen.  Von 
einem  Küssen  oder  Küssenwollen  spricht  keines  der  beiden  Exemplare.  Diese  Adoranten 
in  kleiner  Figur  zu  Füßen  des  zentralen  Adorierten  sind  Vorläufer  der  Stifterbilder 
in  der  späteren  Kunst  [Abb.  Bl].1) 

Ein  Komplex  übernommener  Typen,  die  zusammen  behandelt  sein  wollen,  fuhrt 
uns  in  das  erste  Werden  der  christlichen  Skulptur  zurück.  Ich  meine  die  Verstorbenen, 
wenn  sie  sitzend,  und  wenn  sie  lesend  dargestellt  werden,  mit  ihrer  Umgebung, 
Männern,  Frauen,  Kindern  (Typus  der  Recitatio).  Hier  spielt  also  mehreres  ineinander, 
das  Familienbild  und  die  Schilderung  musischer  Betätigung.  Heidnische  Sarkophag- 
reliefs charakterisieren  die  assistierenden  Frauen  oft  als  Musen,  solche  Szenen  er- 
scheinen auch  an  Musensarkophagen;  es  wird  sich  fragen,  ob  das  in  der  christlichen 
Skulptur  nachklingt. 

Lesende  haben  die  Schriftrolle  (das  Volumen)  vor  sich  aufgerollt  zwischen  beiden 
Händen.  Es  wird  angenommen,  die  Lektüre  sei  in  der  Mitte  des  Buches  angelangt,  so 
daß  die  in  der  Rechten  ruhende  Rolle  halb  abgewickelt,  das  Gelesene  in  derselben 
Rollenstärke  in  der  Linken  wieder  aufgewickelt  erscheint.  Der  sitzend  Lesende  hat 
die  geöffnete  Rolle  auf  dem  Schoß  oder  er  bringt  sie  durch  Heben  den  Augen  etwas 
näher.  Ob  er  still  für  sich  liest  oder  ob  er  laut  vorliest,  verrät  die  Figur  des  Lesen- 
den selbst  nicht;  wenn  aber  Zuhörende  dabei  sind,  wird  man  an  Vorlesen  denken 
müssen.  Blickt  der  Lesende  nicht  in  die  Rolle,  sondern  darüber  hinweg,  so  liest  er 
in  dem  Augenblick  nicht  ab,  sondern  entweder  denkt  er  dem  Gelesenen  einen  Augen- 
blick nach  oder  er  rezitiert  das  voraus  Abgelesene,  den  Blick  auf  die  Zuhörer  gerichtet. 
Auch  wenn  der  Lesende  sich  unterbricht,  um  über  das  Gelesene  nachzudenken  oder 
darüber  zu  reden,  nimmt  er  beide  Konvolute  in  die  Linke;  die  damit  freiwerdende 
Rechte  mag  ruhen  oder  seine  Worte  mit  Nachdruck  gebender  Gebärde  begleiten. 
Letzteres  findet  sich  auch  bei  Personen,  welche  die  Rolle  geschlossen  in  der  Linken 
halten.  —  Von  dem  stehend  oder  gehend  Lesenden  gilt  dasselbe:  er  hält  die  offene 
Rolle  zwischen  beiden  Händen,  blickt  vorgebückt  hinein,  oder  er  wendet  den  Blick 
seinen  Hörern  zu;  auch  er  mag  nach  Umständen  beide  Konvolute  (Rollenenden)  in  die 
Linke  nehmen.9) 

Zu  Dichtenden  und  Rezitierenden  treten  in  der  heidnischen  Kunst  oft  Musen, 
irgendwie  charakterisiert  durch  Attribute.  Ahnlich  posierende  Frauen,  stehend  oder 
sitzend,  zum  Teil  mit  ähnlichen  Attributen,  wie  musikalischen  Instrumenten,  finden  sich 
auch  an  christlichen  Sarkophagen,  so  daß  man  fragen  könnte,  ob  hier  der  Musentypus 
übernommen,  ob  eine  Verstorbene  im  Musentypus  dargestellt  worden  sei,  wie  etwa  an 
heidnischen  Sarkophagen  als  Penthesileia,  mit  Porträtkopf  und  Modefrisur.    Rein  typen- 

»)  G  324,  1.  327,  2.    Nur  die  Frau  G  320,  2  Mantua. 

9)  Die  vorkommenden  Schemata  des  Lesens  behandelt  Birt,  Die  Buchrolle  124  Die  ge- 
öffnete Rolle  und  das  Lesen;  man  beachte  besonders  Motiv  VI  Das  Lesen  bei  entrolltem  Buche  lf 
Das  Lesen  in  Geselligkeit,  und  Motiv  VII  Unterbrechung  der  Lektüre. 


88  Plastik. 

geschichtlich  mag  der  Musentyp  mitspielen;  aber  man  darf  nicht  vergessen,  daß  die 
griechische  Kunst  schon  längst  Frauen  in  musischer  Betätigung  schilderte,  einzeln  und 
in  Gruppen,  parallel  gehend  den  Darstellungen  der  Musen  selbst. 

Musische  Betätigung  im  weitesten  Sinne  ist  der  Kreis,  innerhalb  dessen  die  einzelnen 
Bilder  ihre  Erklärung  zu  suchen  haben.  Musische  Betätigung  ist  eben  nicht  bloß  Musik 
und  Poesie  (ursprünglich  und  mit  in  erster  Reihe  gehört  ja  auch  der  Tanz  dazu,  aber 
er  kommt  hier  nicht  in  Frage);  musische  Betätigung  ist  seit  Piaton  auch  die  Wissen- 
schaft in  ihrem  weitesten  Umfang.  Wo  nun  musikalische  Instrumente  von  den  Frauen 
in  Händen  gehalten  werden,  da  ist  es  klar,  daß  es  sich  um  Gesang  mit  Instrumental- 
begleitung handelt.  Wo  hingegen  die  musische  Betätigung  an  die  Rolle  geknüpft  ist, 
da  bleibt  der  Vermutung  ein  allzu  weiter  Spielraum;  die  Rollen,  die  da  still  oder  laut 
gelesen  werden,  können  alles  mögliche  enthalten,  Poesie  oder  Wissenschaft,  und  zwar 
beides  von  jeder  Gattung.1) 

In  der  christlichen  Skulptur  blieben  die  Formen  erhalten,  aber  sie  bekamen  einen 
anderen  Inhalt,  gemäß  der  Wandlung,  die  im  antiken  Geistesleben  sich  vollzog.  Wie 
einst  die  sokratische  Wendung  des  griechischen  Denkens  durch  Piaton  eine  neue  Lite- 
ratur ins  Leben  gerufen  hatte,  so  setzte  die  christliche  Wandlung  des  griechischen 
Innenlebens  an  die  Stelle  der  alten  Literatur  eine  neue.  Nur  zu  bald  war  das  neue 
Leben  Buchreligion  geworden.  Die  Bücher  in  den  Händen  der  Christen  sind  christ- 
liche Literatur. 

Aber  die  geschlossene  Rolle  in  der  Linken  all  der  Herren  und  Damen,  Heiden 
und  Christen?  Im  allgemeinen  wird  sie  literarische  Bildung  andeuten,  in  heidnischer 
Hand  musische.  Wenn  es  heute  Mode  würde  —  wer  weiß,  was  wir  noch  erleben?  — 
daß  Promovierte  bei  repräsentativen  Gelegenheiten  eine  Miniaturausfertigung  ihres  ja 
auch  gerollten  Doktordiploms  in  der  Hand  trügen,  zum  Zeichen  ihrer  akademischen 
Bildung,  so  sähe  das  ähnlich  aus.  Im  Altertum  haben  die  Universitäten  freilich  keine 
Diplome  verliehen;  so  gleicht  die  Rolle  in  der  Hand  eher  den  attributiven  Büchern  in 
modernen  Photographien,  dem  Bändchen  Maeterlingk  oder  Ibsen  in  der  Hand  eines 
Jünglings,  vielleicht  auch  dem  jüngsten  Erzeugnis  seiner  Muse  in  der  Hand  eines 
Dichters.  Selbst  die  Möglichkeit  ist  nicht  ausgeschlossen,  daß  die  Rolle  gar  nicht 
literarischen  Charakter  besitzt,  sondern  wirklich  ein  Diplom  oder  Edikt  oder  sonst  etwas 
Aktenhaftes  ist;  dergleichen  wird  bei  Darstellungen  von  höheren  Staatsbeamten  und 
Kaisern  von  den  Erklärern  erwogen.  In  der  Hand  des  Christen  ist  natürlich  auch  die 
geschlossene  Rolle  ein  christliches  Buch. 

Ob  die  Rolle  Sinnbild  sein  konnte  für  das  Buch  des  Lebens,  das  der  Mensch  mit 
seiner  Sterbestunde  ausgelesen  hat,  diese  Frage  brauchen  wir  nicht  zu  erörtern.  Denn 
die  christliche  Kunst  hat  es  nicht  mit  diesem  Leben  zu  tun,  und  die  Rollen  in  den 
Händen  der  Christen  bedeuteten  es  nicht,  sondern  sie  erzählten  ihnen  von  einem  anderen 
Leben. 

Wenn  wir  nun  daran  gehen,  einige  Proben  solcher  Szenen  zu  geben,  zunächst  von 
heidnischen  Sarkophagen,  so  empfiehlt  sich  vorauszuschicken,  daß  wohl  gewisse 
scharf  ausgeprägte  Typen  zugrunde  liegen,  daß  aber  eine  Klassifizierung  in  reinlicher 
Scheidung  schwer  durchführbar  ist,  weil  jene  Typen  mannigfaltig  varüert  durcheinander- 

*)  Vgl.  Plut.  Pomp.  55  (Cornelia)  nspl  ygafifiaza  xakwg  tjoxTjro  xal  nsgl  Xvgav  xal  ysoofiszQlav  ■ 
xal  Xöywv  <pikoob<p<ov  si&iozo  XQVJ^0>?  dxovsiv,  mehr  bei  Marquardt-Mau,  Privatleben  der  Eömer 
1886,  65. 


Die  Seligen.  89 

spielen.  Doch  sieht  man  so  viel,  daß  die  Idee,  welche  wir  an  den  sog.  Hochzeits- 
sarkophagen verkörpert  fanden,  eine  Hauptrolle  spielt,  sei  es,  daß  die  Ehegatten  sich 
gegenüber  sitzen,  der  Mann  typisch  rechts,  ein  jedes  in  der  ihm  zukommenden  Be- 
tätigung und  Umgebung,  oder  daß  die  vorausgegangene  Gattin  den  Mittelpunkt  bildet; 
aber  auch  um  den  Mann  dreht  sich's,  und  oft  um  ihn  allein.  Auf  die  Vorgeschichte 
unserer  Typen  greifen  wir  nicht  zurück.  Nur  können  wir  nicht  unterlassen,  gegenüber 
all  dem  Papier,  ich  meine  den  Papyrus,  des  Gegensatzes  wegen  an  das  Bronzerelief 
„Sokrates  und  Diotima"  zu  erinnern  und  an  Otto  Jahns  feinsinnige  Deutung.  Sokrates 
der  Silen  und  Satyr  in  einem,  steht  linkshin,  auf  den  Stab  gestützt  wie  so  viele  „Herren 
Athener"  in  den  attischen  Reliefs,  mit  Genuß  verstehend,  vor  der  auf  geschweiftem 
Stuhl  vorgebeugt  sitzenden  und  nachdrücklich  auf  ihn  einredenden  Diotima;  sie  sitzt 
das  rechte  Bein  übergeschlagen,  den  Ellbogen  darauf  gestützt,  die  Hand  erörternd  ge- 
hoben, Auge  in  Auge  —  ein  platonischer  Dialog  in  Erz.  Zwischen  beiden  im  Hinter- 
grund steht  der,  um  den  es  sich  handelt,  aber  wie  dienstbereit,  einstweilen  abwartend 
und  zugleich  mithörend  den  Kopf  geneigt,  auf  der  Linken  ein  Kästchen  (oder  doch 
eine  Schreibtafel?),  Eros,  das  Kind  der  Penia  und  des  Porös  —  eben  deshalb  das 
Ganze  der  sinnreichste  Schmuck  einer  Geldkiste,  der  Area  eines  gebildeten  Pompejaners.1) 

Die  Ehegatten  sitzen  sich  gegenüber,  beispielsweise  am  Sarkophag  des  Cortile 
del  Belvedere,  Nordhalle  n.  48;  der  Mann  liest  aus  der  geöffneten  Rolle  in  seiner 
Linken,  die  Frau  trägt  aus  einem  Diptychon  vor,  beider  Rechte  begleitet  die  Rezi- 
tation mit  sprechender  Gebärde;  an  jedem  Stuhl  lehnt  eine  Maske,  dabei  stehen  je 
zwei  Musen,  bei  dem  Manne  die  tragische  und  die  komische,  bei  der  Frau  Euterpe 
und  eine  mit  Rolle.  Mit  den  Musen  im  Hintergrund,  einer  rechts  mit  Maske,  zweien 
links  am  Globus,  verbinden  sich  Familienszenen,  deren  eine  allerdings  eine  Lese- 
oder Literaturstunde  ist:  der  Vater,  vorgebeugt  sitzend,  schaut  kontrollierend  über  die 
Schulter  seines  aus  offener  Rolle,  die  er  mit  beiden  Händen  hält,  laut  lesenden  Knaben; 
links  die  Mutter,  der  die  Amme  das  Kind  zuführt  (Uffizien  n.  39,  Dütschke  III  n.  62. 
Ob  das  Kind  und  der  Knabe,  oder  ob  der  Vater  den  im  Sarg  Ruhenden  vorstellen 
soll,  ist  für  die  Typik  gleichgültig).  Dazu  vergleiche  man  Clarac  153,  333:  der  rechts- 
hin  sitzenden  Mutter  bringt  die  Amme  das  Kind,  hinten  vier  Musen,  eine  zeigt  mit 
einem  Instrument  auf  den  Globus,  der,  wie  im  vorigen  Beispiel,  auf  einem  Pfeiler 
steht.  —  An  einer  londoner  Wanne  sieht  man  Eros  und  Psyche  beim  Gelage,  zwischen 
Apoll  mit  Kithara  und  Muse  mit  Lyra  in  einem  Korbstuhl  sitzend.  —  Die  Frau,  in 
Mamäafrisur,  hält  die  Lyra;  bei  dem  rezitierenden  Manne  drei  Musen  (Musensarkophag 
im  Gabinetto  del  Meleagro  n.  13).  —  Musizierende  Frauen,  die  eine  sitzend,  die  andre 
stehend,  jede  mit  Lyra,  bei  der  gleichfalls  sitzenden  Phaedra,  am  Hippolytossarkophag 
von  Girgenti.2) 

Hier  schalten  wir  den  lykischen  Sarkophag  in  Athen  ein:  rechtshin  sitzt  eine 
Frau,  die  Linke  mit  Rolle  im  Schooß,  die  Rechte  vor  der  Brust,  den  Zeigefinger  aus- 
gestreckt; vor  ihr  steht  ein  Mann  in  Antoninenhaar,  in  der  hängenden  Linken  ein 
Diptychon;  es  folgt  noch  Aphrodite  auf  dem  Schild  schreibend,  und  Bellerophontes 
den  saufenden  Pegasus  einfangend.    An  den  drei  anderen  Seiten  kämpfender  Kentaur, 


*)  Otto  Jahn,  Annali  d.  Instit.  1841,  272  Taf.  H;  Piatonis  Symposium  in  usum  scholarum 
edidit  Otto  Jahn,  editio  altera  ab  H.  Usenero  recognita,  Bonnae  1875  pag.  VII  und  128  Abb. 
•)  London:  Anc.  marbles  V  Taf.  9,  3.  —  Girgenti:  Robert  III  h  152b. 


90  Plastik. 

trunkener  Herakles,  Odysseus  beim  Palladienraub,  anscheinend  auch  sinnbildlich.  Denn 
in  dem  Mann  mit  Diptychon  erkennen  wir  nicht  Proitos,  sondern  mit  Duhn  den  Ver- 
storbenen, in  der  Sitzenden  seine  Muse,  falls  sie  nicht  seine  Gattin  bedeutet,  oder  diese 
selbst  ist.1) 

Sitzende  Männer,  mit  dabeistehenden  Frauen.  In  einem  Falle  sind  zwei 
solcher  Gruppen  symmetrisch  angeordnet,  der  Mann  rechts  spricht  über  das  Vorgelesene, 
der  links  unterbricht  Vorlesung  und  Rede,  um  der  Frau  zuzuhören;  je  eine  zweite  Frau 
steht  im  Hintergrund.  Es  ist  ein  Säulensarkophag  des  Belvedere;  in  der  Mittelnische 
steht  die  Verstorbene  in  Vorderansicht,  ein  nacktes  Knäbchen  drängt  sich  an  sie.  Es 
scheint  in  den  drei  Nischen  eine  größere  Familie  dargestellt;  die  bärtigen  Männer  sind 
kahl,  die  Frauen  bei  ihnen  tragen  Mamäafrisur.  —  Eine  vor  Parapetasma  in  Vorder- 
ansicht stehende  Frau  rezitiert  gehobenen  Blickes  aus  einem  Triptychon  vor  dem  rechts- 
sitzenden, gleichfalls  rezitierenden  Bärtigen,  hinten  Melpomene  und  noch  eine  Muse 
(Clarac  118,  48).  —  Das  londoner  Bruchstück  aus  dem  einstigen  römischen  Ghetto: 
ein  Bärtiger  sitzt  rechtshin,  die  zu  Ende  gehende  Rolle  in  der  Linken,  die  Rechte 
sprechend;  vor  ihm  steht  eine  Muse  mit  Maske  in  der  Hand.  Ob  hinter  ihm  eine 
zweite  Muse  stand,  muß  dahingestellt  bleiben;  es  ist  der  Fall  an  dem  Sarkophag  aus 
Selefkieh  in  Konstantinopel,  in  dem  der  Sitzende  in  der  Linken  das  halb  abgerollte 
Volumen  hält,  die  Rechte  hängt  ruhend  herab.  —  Ein  anderer  Typus  ist  die  auf  den 
Pfeiler  gelehnte  Frau,  bekannt  von  Polyhymnia,  aber  auch  für  Ehefrauen  ver- 
wendet, die  so  vor  dem  sitzend  rezitierenden  oder  sprechenden  Gatten  steht;  einmal 
wird  es  die  Mutter  sein  (sie  trägt  Etruscillafrisur),  denn  der  Sitzende  ist  ein  Knabe.2) 

Zu  den  christlichen  Exemplaren  sei  voraus  bemerkt,  daß  sich  da  ein  Wechsel  in 
den  Stuhl  formen  vollzieht.  Der  frühe  Sarkophag  von  Via  Salaria  hat  noch  den  Stuhl 
mit  Löwenbeinen,  die  übrigen  römischen  dagegen  den  Stuhl  im  Typus  der  Sella  curulis. 
Er  sieht  einem  Klappstuhl  ähnlich,  die  Stuhlbeine  jeder  Seite  kreuzen  sich;  das  Bein 
selbst  hat  die  Form  eines  gewundenen  Stierhornes.  Wir  werden  am  Bassussarkophag 
den  Pilatus  auf  der  Sella  curulis  sitzen  sehen;  und  es  ist  ganz  möglich,  daß  den  in 
unseren  Sarkophagen  Beigesetzten  diese  Auszeichnung  zukam.  Daß  sie  im  Verlauf  der 
Sarkophagskulptur  gelegentlich  auch  einzelnen  Heroen  des  christlichen  Vorstellungs- 
kreises verliehen  wurde,  kann  nicht  auffallen.3) 

Ferner  kann  es  nicht  entgehen,  daß  die  in  Rede  stehenden  Typen  an  den  christ- 
lichen Sarkophagen  sozusagen  einschwinden  und  außerdem  noch  neue  Schwankungen 
erfahren.  Gleich  der  genannte  frühe  Sarkophag  von  Via  Salaria,  der  die  Ehegatten 
sich  gegenüber  sitzen  läßt,  setzt  den  Mann  links,  nämlich  zur  Rechten  des  Guten  Hirten, 
die  Frauen  zu  dessen  Linken.    Er  sitzt  zwischen  zwei  stehenden  Männern  und  hält  das 


1)  Rob.  n  Taf.  50,  138. 

2)  Belvedere,  Cortile  n.  68:  Birt,  Buchrolle  64  Abb.;  189  Detail.  —  Ghetto:  Smith,  Cat. 
sculpt.  Brit.  Mus.  III  1904  n.  2312.  Strzygowski,  Orient  51  Abb.  19.  —  Selefkieh:  Strzygowski, 
eb.  47  Abb.  14.  —  Auf  Pfeiler  gelehnt:  Clarac  205,  45.  Matz-Duhn  II  n.  2616.  Knabe:  Giardino 
d.  Pigna  n.  196.  —  Zu  alledem  vgl.  noch  Matz-Duhn  II  355  Familie;  341—348  Studien,  Musik; 
405—425  Musen. 

8)  Sella  curulis:  Marquardt,  Köm.  Staatsverwaltung2  177,  1.  Mommsen,  Köm.  Staatsrecht 
I8  399.  An  einem  Silberbecher  von  Boscoreale  sitzt  der  Kaiser  einmal  auf  der  Sella  curulis,  das 
anderemal  auf  der  schlichteren  Sella  castrensis  (Mon.  Piot  1899;  danach  Strong,  Roman  sculpture 
1907  Taf.  27). 


Die  Seligen.  91 

halb  aufgerollte  Volumen  vor  sich,  der  Blick  aber  geht  nicht  in  die  Rolle,  sondern 
begegnet  dem  des  vor  ihm  stehenden  Mannes.  Die  Frau  sitzt  gegenüber,  anscheinend 
auf  einem  Scrinium  (was  auch  an  heidnischen  Exemplaren  vorkommt);  hinter  ihr  steht 
noch  eine  Frau,  vor  ihr  eine  Adorantin,  die  dem  zentralen  Guten  Hirten  ins  Auge 
schaut,  vermutlich  eine  Tochter  [Abb.  2].1) 

Rechtshin  sitzt  noch  (ohne  Gegenüber,  daher  kein  Verstoß)  ein  Unbärtiger,  in  die 
Rolle  vertieft,  aber  doch  vorlesend,  denn  zwei  Adorantinnen  und  ein  Palliatus  (ohne 
Tunika)  hören  ihm  zu;  der  einen  Adorantin  hat  der  Bildhauer  eine  Rolle  in  die  Linke 
gegeben  (Lateran  n.  172).  Linkshin  sitzt  ein  Bärtiger,  auch  er  in  die  Rolle  vertieft, 
eine  Adorantin  steht  bei  ihm  (S.  Maria  Antiqua  [Abb.  4]).  Ein  schönes  Beispiel  am 
rechten  Ende  eines  Sarkophags  in  der  Basilica  Petronillae  (links  hinten).  —  Die  auf 
den  Pfeiler  gestützte  Ehefrau,  abzuleiten  vom  Musentyp,  kommt  im  Mittelfeld  eines 
Riefelsargs  im  Palazzo  Rondanini  vor;  auch  der  vorgebückt  lesende,  bärtige  Mann  hat 
individuelle  Züge,  eine  Adorantin  im  linken  Endfeld  trägt  Mamäafrisur  [Abb.  9].  — 
Auch  an  Frauen  mit  Musikinstrumenten  fehlt  es  nicht.  Da  ist  noch  ein  Sarkophag 
mit  den  sich  gegenübersitzenden  Ehegatten  aus  San  Callisto  älteren  Fundes;  hier  sind 
sie  in  die  Endfelder  eines  Riefelsargs  verteilt,  rechts  der  rasierte  Mann,  noch  einmal 
auf  einem  Stuhl  mit  Löwenbeinen,  die  Linke  hält  die  offene  Rolle,  die  Rechte  spricht, 
hinter  ihm  stehen  drei  andere  teils  bärtige  Männer,  alle  vier  tragen  die  Toga  contabulata; 
links  sitzt  die  Frau  mit  Lyra,  hinter  ihr  stehen  drei  andere  Frauen,  vorn  ringen  zwei 
nackte  Knäbchen.  Und  der  Sarkophag  des  Lateran  n.  128  zeigt  zentral  das  natur- 
getreue Porträt  der  Verstorbenen,  in  den  Endfeldern  sitzen  jüngere  Frauen,  die  rechts 
im  Korbstuhl  vor  Parapetasma  schlägt  die  Laute,  die  links  auf  Stierhörnerstuhl  spielt 
die  Lyra  [Abb.  12].  —  Endlich  gibt  es  auch  stehend  Lesende  wie  der  eine  Un- 
bärtige am  Säulensarkophag  von  Perugia,  und  wie  Crispina;  vornübergeneigt  liest  sie 
in  der  Rolle,  die,  wie  das  öfter  geschieht,  ein  wenig  dem  Beschauer  zugedreht  ist, 
damit  auch  er  hineinsehen  könne.  In  der  aufgerollten  Spalte  liest  man  das  Christus- 
monogramm, das  ist  der  kürzeste  Ausdruck  für  den  Inhalt  der  Schrift:  was  jene  Christen 
in  den  christlichen  Schriften  fanden,  das  war  die  Verkündigung  des  Christus  als  des 
wahren  Heilands  (awr^),  des  Erlösers  aus  dem  Tode  in  ein  ewiges  Leben.2) 

Noch  bleibt  ein  Sonderfall  zu  verzeichnen,  ein  Kreuz  der  Erklärer,  an  dergleichen 
die  christliche  Archäologie  noch  keinen  Mangel  leidet.  Ein  Bärtiger  mit  kahlem  Scheitel 
sitzt  linkshin  auf  einem  Fels  unter  einem  Ölbaum,  vertieft  in  die  mit  beiden  Händen 
schräg  vor   sich  gehaltene,   zu  Ende  gehende  Rolle.     Zwei  Bartlose,  in   der  typischen 


*)  Via  Salaria:  Lateran  M  n.  181  Tai.  3.  de  Rossi,  Bull,  crist.  1891,  55  Taf.  2.  3. 

*)  Lateran  n.  172:  G  371,  1.  Dazu  Grousset  n.  18,  nur  ein  Bruchstück,  in  Villa  Doria- 
Pamfili,  eines  Sitzenden,  der  bartlos  und  kahl  ist.  — Maria  Antiqua:  Vaglieri,  Bull.  mun.  1903, 
225  Fig.  115.  Hülsen,  Forum  143  Abb.  71.  Ferner  G  395,  1  Unbärtiger  sitzt  vor  einem  unver- 
ständlichen Hausrat  (einem  Rollenschrank?),  in  der  Linken  die  Bolle,  die  Rechte  gehoben.  Bull, 
mun.  1903,  225  Fig.  115.  —  Rondanini:  Grousset  21.  G  370,  4.  Simelli  70.  —  San  Callisto: 
G  296,  4.  —  Lateran  n.  128:  G  359,  3.  —  Perugia:  G  321,  4  Wilpert,  Rom.  Quartalschr.  1906, 
1  Taf.  Die  Matrone  ist  allerdings  weder  Maria  noch  die  Kirche,  sondern  die  Verstorbene,  nicht 
vor  ihrem  Richter,  sondern  vor  ihrem  Herrn  und  Heiland;  auch  die  übrigen  Männer  sind  Selige; 
ob  Apostel  oder  eingetragene  „Heilige"?  als  dergleichen  sind  sie  nicht  gekennzeichnet;  der  Typus 
des  stehend  Lesenden  kommt  in  den  gesicherten  Aposteldarstellungen  nicht  vor.  Zu  diesem  Typus 
vgl.  noch  den  nicht  in  einer  Rolle,  sondern  in  einem  Diptychon  oder  Buche  Lesenden  G  324,  3. 
328,  3. 


92  Plastik. 

Barbarentracht  der  griechischen  Kunst,  wie  sie  auch  den  Magiern  in  der  Epiphanie  und 
den  Jünglingen  im  glühenden  Ofen  gegeben  wird,  auch  Orpheus  trägt  sie  (also  Chiton 
und  Chlamys,  Hosen  und  Schuhe,  aber  an  Stelle  der  phrygischen  Mütze  ein  Barett), 
sind  um  den  Lesenden  beschäftigt:  der  eine  steht  vor  ihm  und  legt  die  Rechte  an  die 
Rolle,  wie  um  sie  zu  stützen;  der  andere,  hinter  dem  Baum,  schaut  anteilnehmend  durch 
die  Aste,  deren  einen  seine  Linke  faßt,  während  die  Rechte  in  irgend  einer  Erregung 
ausgestreckt  ist  [Abb.  14].1) 

Die  Erklärer  gehen  weit  auseinander.  Man  hat  bei  dem  durch  die  Baumäste 
schauenden  Mann  an  Zachäus  auf  dem  Maulbeerbaum  gedacht,  bei  dem  Sitzenden  an 
Hiob,  an  Abraham;  Le  Blant,  dem  sich  Grousset  anschloß,  erkannte  die  Gesetzes  Verlesung 
durch  Esra  (Neh.  8),  Ficker  die  des  Moses  (Exodus  24,  7).  Die  zwei  Männer  in  Bar- 
barentracht mit  Barett  sollten  Juden  sein,  weil  ebensolche  auch  in  der  Doppelszene 
„Moses'  Bedrängung"  und  „Quellwunder",  sowie  in  „Jesus'  Vorführung  vor  Kaiphas" 
beobachtet  werden.  Aber  de  Waal  hat  darauf  aufmerksam  gemacht,  daß  die  Juden 
beim  Durchzug  durchs  Rote  Meer  und  beim  Einzug  in  Jerusalem  diese  Tracht  nicht 
anhaben;  ferner  daß  in  den  ältesten  Exemplaren  der  Doppelszene  (Lat.  n.  119  und  174, 
G  307,  1.  323,  6)  die  Baretts  noch  fehlen,  daß  sie  aber  am  Bogen  des  Konstantin  bei 
dessen  Soldaten  vorkommen,  also  wohl  Uniform  eines  Truppenteils  sei.  Aus  alledem 
zog  Wittig  den  Schluß,  daß  auch  in  unseren  Szenen  nicht  Juden,  sondern  Soldaten 
gemeint  seien,  und  die  Hauptperson,  wie  man  übrigens  bei  der  Doppelszene  auch  sonst 
schon  vermutet  hatte,  nicht  Moses,  sondern  Petrus  vorstelle.  Die  Szene,  von  der  wir 
ausgingen,  sei  der  Apostel  in  der  Gefangenschaft,  er  unterweise  zwei  seiner  Wächter, 
Prozessus  und  Martinianus,  im  Christentum.  Dagegen  erkennt  Birt  in  dem  Lesenden 
dieselbe  Person,  die  in  der  Muschel  darüber  als  Büste  gegeben  ist,  also  den  Verstorbenen, 
der  das  Buch  seines  Lebens  beendige;  in  den  zwei  Nebenpersonen  aber  seine  Sklaven 
oder  Freigelassenen;  das  Barett  sei  die  Fellmütze  (galerus),  die  im  vierten  Jahrhundert 
die  flache  Form  bekommen  habe,  wie  sie  ähnlich  auf  einer  Terenzillustration  erscheine. 
Die  Moses-  oder  Petrusszenen  werden  uns  unten  wiederbegegnen.2) 

Die  Verstorbenen  in  anderen  Tätigkeiten  des  Lebens  dargestellt  zu  sehen 
begegnet  selten.  Der  weiland  Com  es  largitionum  Gorgonius  hat  sich  in  den  Giebeln 
seines  Sarkophags  zweimal  darstellen  lassen;  einmal  sitzt  er  in  seiner  Amtsstube  und 
diktiert  aus  einem  ganz  aufgerollten  Volumen  zweien  Beamten  in  ihre  Diptycha;  im 
andern  Giebel  reitet  er  mit  zwei  Begleitern,  deren  einer  einen  Stab,  der  andere  eine 
Rolle  trägt.8) 

*)  So  am  Sarkophag  Lateran  n.  55  G  358,  3.  Ein  Fragment  im  Palazzo  Coraetti  gibt  die- 
selbe Szene,  nur  trägt  der  Sitzende  sein  volles  Kopfhaar,  der  erste  Bartlose  kommt  eilig  heran 
und  streckt  die  Rechte  vor,  der  zweite  steht  links  hinter  einem  zweiten  Baum,  mit  der  Hand  den 
Stamm  umfassend  (G  396,  12  Grousset  n.  118).  Ein  drittes  Exemplar  (Lat.  n.  175  G  367,  1)  setzt 
die  Hauptperson  auf  einen  Stierhörnersessel  (Sella  curulis),  läßt  die  Bäume  weg,  stellt  die  zwei 
Nebenpersonen  ruhig  hin,  die  zweite  hinter  den  Sitzenden;  zwei  Hintergrundfiguren.  Abgebrochen 
sind  die  Köpfe  der  drei  Akteurs,  die  Linke  des  Sitzenden  mit  der  Rolle,  die  Rechte  des  vor  ihm 
Stehenden.  Genannt  sei  noch  das  kaum  zu  bestimmende  Bruchstück  eines  Sitzenden  mit  offner 
Rolle  in  der  Linken  (Lat.  n.  35). 

a)  de  Waal,  Sarkophag  des  Junius  Bassus  1900,  92 — 94.  Dazu  Graeven,  Gott,  gelehrte  An- 
zeigen 1901,  83—88  und  Strzygowski,  Beiträge  zur  alten  Geschichte  II  1902,  103.  —  Wittig,  Campo 
santo  1906,  107—118.  —  Birt,  Buchrolle  1907,  173.  Die  Terenzillustration  bei  Baumeister,  Denk- 
mäler II  Abb.  914  der  Parasit. 

8)  Sarkophag  zu  Ancona:  G  326. 


Die  Seligen.  93 

Ein  Unikum  ist  der  Säulensarkophag  von  Salona,  wo  der  Mann  mit  Rolle  in  der 
Hand,  die  Frau  mit  einem  Säugling  auf  dem  Arm,  beide  umgeben  sind  von  zahlreichen 
Knaben  und  Mädchen,  der  Mann  auch  von  Männern  und  Frauen.  Wie  das  Ehepaar 
mit  ihrer  Begleitung  an  der  rechten  Schmalseite  sind  es  Anspielungen  auf  Verhältnisse 
des  Lebens;  an  der  Schmalseite  sind  die  Begleitfiguren  sicher  Augehörige,  wahrschein- 
lich auch  an  der  Front.1) 

Zum  Beschlüsse  dieses  Abschnittes  geben  wir  die  einzige  christliche  Porträtstatue 
aus  vorkonstantinischer  Zeit,  auch  ein  Unikum,  anscheinend  damals  wie  heute.  Es  ist 
das  marmorne  Sitzbild  des  römischen  Bischofs  Hippolytos,  der  um  236  starb,  an  der 
Via  Tiburtina  bestattet  wurde  und  vermutlich  sofort  auch  die  Statue  erhielt.  Sie  wurde 
1551  zwischen  der  Via  Tiburtina  und  dem  Prätorianerlager  gefunden,  in  einer  Ruine, 
die  von  seiner  Grabanlage  herrühren  könnte.  Von  dieser  Porträtstatue  hat  sich  frei- 
lich nur  die  Unterfigur  wiedergefunden,  vom  Nabel  abwärts;  die  ganze  Oberfigur,  mit 
Kopf,  Armen,  Händen  und  Buch,  ist  moderne  Ergänzung;  der  Kopf  ist  Phantasie,  ge- 
staltet in  Anlehnung  an  antike  Köpfe  wie  Aelius  Aristides.  Hippolytos  sitzt  auf  mar- 
mornem Sessel,  dessen  Wangen  mit  Löwenköpfen  und  Löwentatzen  verziert  sind.  Er 
trägt  den  langen  Leibrock  (Chiton  poderes,  Talar,  Stola),  darüber  den  Mantel  (Hima- 
tion,  Pallium)  und  Sandalen,  die  Tracht  mancher  Männer  in  den  christlichen  Sarko- 
phagreliefs. Es  ist  nicht  etwa  eine  geistliche  Amtstracht.  In  der  linken  Hand  wird 
er  eine  Schriftrolle  gehalten  haben.  Die  Statue  ist  nicht  eine  heidnische  Philosophen- 
oder Rhetorenstatue,  die  man  sekundär  für  Hippolytos  zurecht  gemacht  hätte,  sondern 
sie  ist  eigens  für  ihn  geschaffen  worden,  gestaltet  allerdings  im  Habitus  der  statua- 
rischen phüosophi.  Die  Zurückführung  des  Fragments  auf  Hippolytos  würde  ganz 
problematisch  sein,  falls  man  überhaupt  auf  ihn  verfallen  wäre,  wenn  nicht  an  der 
linken  Seite  des  Marmorsessels  ein  Verzeichnis  seiner  Schriften  und  sein  mit  dem 
ersten  Jahr  des  Kaisers  Severus  Alexander  (222)  beginnender  Osterkanon  eingegraben 
wären.  Deshalb  bilden  wir  das  Sitzbild  von  der  Seite  gesehen  ab.  Jeder  klassische 
Philologe  und  Archäologe  erinnert  sich  sofort  der  pariser  Euripidesstatuette,  an  deren 
Sessel  ganz  entsprechend  ein  Verzeichnis  seiner  Tragödien  eingegraben  ist  [Abb.  10].2) 

Erwähnt  sei  noch  der  durchaus  fragwürdige  marmorne  Sankt  Peter  in  den 
vatikanischen  Grotten,  früher  in  der  Vorhalle  der  alten  Peterskirche  über  der  ehernen 
Kirchentür,  wieder  das  Sitzbild  eines  phüosophus,  für  Petrus  wahrscheinlich  nur  adap- 
tiert; sein  jetziger  Kopf,  nebst  Händen  und  Schlüssel,  stammen  aus  dem  Anfang  des 
siebzehnten  Jahrhunderts.  Eine  genaue  Aufnahme  des  Befundes,  nebst  photographischen 
Aufnahmen,  wäre  erwünscht  und  sei  hier  von  der  Redaktion  der  Römischen  Quartal- 
schrift erbeten.  Ergänzt  ist  beispielsweise  nicht  bloß  die  rechte  Hand,  sondern  der 
Arm  bis  hinauf  zum  halben  Oberarm,  einschließlich  der  Säume  der  zwei  Gewänder. 
Die  Falten  sind  tief  und  groß,  zwischen  den  Knien  gespannt,  die  Arbeit  flächig.  Der 
Torso  ist  spätantik.3) 

Übrig  ist  das  Mahl  der  Seligen.    Im  ersten  Bande  haben  wir  ausführlich  über 


»)  Salona:  G  299.    Jelic,  Rom.  Quart.  1891,  266  zu  Taf.  3-4. 

*)  Hippolytos:  Lateran  n.  223.  Chronologie:  Harnack,j  Chronologie  der  altchristl.  Lit. 
bis  Eusebius  II  1904,  213,  1.  Grabanlage:  de  Rossi,  Bull,  crist.  1881,  29  (Fundort  der  Statue:  wo 
die  Via  Cupa  von  der  Tiburtina  abzweigt).    Euripides:  Bernoulli,  Griecb.  Ikonographie  I  152  n.  17. 

8)  „Sankt  Peter":  Garr.  VI  Taf.  429,  1.  2.  Kraus  Gesch.  I  231  Fig.  187.  Kaufmann, 
Handbuch  510  Fig.  196. 


94  Plastik. 

den  Gegenstand  gehandelt,  über  die  antiken  Mahlschemata,  das  Hocken  am  Boden  und 
das  Sitzen  auf  Stühlen,  das  Gelage  am  Boden  und  das  auf  Ruhebetten.  Es  galt  haupt- 
sächlich das  Gelage  am  Boden  ans  Licht  zu  stellen,  das  bisher  nicht  genügend  beachtet, 
öfter  verkannt  (z.  B.  im  Westgiebel  des  Zeustempels  von  Olympia),  wenn  in  seiner  Be- 
deutung erfaßt  die  Erklärung  der  christlichen  Gelage  erst  auf  festen  Boden  stellt. 
Innerhalb  der  Katakomben  maierei  fanden  wir  nur  eine  aus  ihrer  Frühzeit  stammende 
Darstellung  zum  Mahle  Sitzender,  nachher  als  Regel  Gelage  am  Boden  und  im  Grünen : 
um  die  in  das  Gras  gelegte  mächtige  sigmaförmige  Polsterrolle  reihen  sich  die  Gäste, 
darunter  auch  wohl  Frauen,  die  Füße  schräg  hinter  sich  ins  Gras  gestreckt,  den  Arm 
auf  die  Sigmarolle  gestützt  (manchmal  sitzt  auch  ein  Teilnehmer  auf  oder  an  einem 
Hörn  des  Sigma;  ausnahmsweise  spielen  auch  wohl  einmal  Bestandteile  des  so  ver- 
schiedenen Motivs  des  Lagerns  auf  der  Kline  dem  Maler  in  die  Finger);  die  Gäste 
greifen  über  die  Rolle  hinweg  nach  den  im  Innern  des  Halbrunds  in  Schüsseln  auf- 
gestellten oder  einfach  ins  Gras  gelegten  Speisen,  oder  sie  heben  den  Becher,  wie  in 
bacchischer  Begeisterung,  auch  sich  zuwinkend,  sich  zutrinkend;  Aufwärter  tragen  eil- 
fertig Speisen  zu  oder  füllen  den  Becher.  Am  ausführlichsten,  besonders  in  der  Szenerie, 
und  daher  am  anschaulichsten  sieht  man  solch  ein  Gelag  im  Grünen  in  der  heidnischen 
Vibiagruft  gemalt,  durch  die  Beischriften  ist  es  als  Mahl  der  Seligen  sicher  gestellt. 
Die  christlichen  Seligenmahle  —  denn  auch  die  Gelage  in  der  Katakombenmalerei 
stellen  nichts  anderes  vor  —  sind  weit  flüchtiger  gemalt  und  deshalb,  das  sei  zugegeben, 
schwieriger  zu  verstehen;  so  läßt  sich's  entschuldigen,  daß  auch  bei  ihnen  das  Gelage 
im  Grünen  nicht  früher  erkannt  wurde.1) 

Gelage  im  Freien  und  am  Boden,  aus  heidnischem  Kreise,  finden  sich  oft  an 
Meleagersarkophagen;  es  ist  das  Jagdmahl  nach  Erlegung  des  kalydonischen  Ebers. 
Ein  Gelage  von  Silenen  vor  Parapetasma  zeigt  links  den  typischen  Sklaven,  der  den 
aus  Steinen  aufgebauten  Feldherd  schürt,  darauf  der  Kessel  für  das  heiße  Wasser  (die 
Calda)  steht.  Sehr  anschaulich  schildert  das  Relief  am  Sargdeckel  des  M.  Ulpius 
Romanus,  aus  dem  dritten  Jahrhundert:  vor  dem  zwischen  zwei  Ölbäumen  ausgespannten 
Parapetasma  lagern  um  das  quergestreifte  Polster  vier  Männer,  im  Halbkreis  steht  eine 
Bratenschüssel  zwischen  drei  Paar  Brotkringeln;  ein  bärtiger  Gast  (die  übrigen  sind 
bartlos)  trinkt,  zwei  sprechen  über  den  verlockenden  Braten,  der  etwas  größer  ge- 
zeichnete und  in  die  Mitte  des  Reliefs  gerückte  Romanus  empfängt  aus  der  Hand  des 
Auf wärters  den  gefüllten  Becher;  links  der  Kessel  auf  dem  Feldherd,  ein  Sklave 
schürt,  ein  zweiter  gießt  Wasser  in  den  Kessel.  —  Dann  gibt  es  Exemplare,  die  heid- 
nischen Charakter  tragen,  obwohl  sie  von  Christen  gebraucht  scheinen;  so  wenn  ein 
Schweinskopf  aufgetragen  ist  oder  eine  Wildkeule.  Zweifelhaft  liegt  die  Sache  an  einem 
Bruchstück,  an  dem  der  Kessel  erscheint  und  ein  Aufwärter  mit  Fischplatte;  oder  wenn 

x)  Christi.  Antike  I  181  Das  Mahl  der  Seligen,  182  Antike  Mahlschemata,  190  Abbildung 
des  Vibiabildes  als  Überleitung  zu  den  christlichen  Mahlen.  —  Matthaei,  Die  Totenmahldar- 
stellungen  in  der  altchristlichen  Kunst  1899  erklärt  die  christlichen  Mahle  für  Mahle  der  Hinter- 
bliebenen zu  Ehren  der  Toten,  also  für  Leichen-  und  Gedächtnisschmäuse ;  das  billigt  Viktor 
Schultze  noch  neuerdings  (in  Hölschers  Theol.  Literaturblatt  1907,  52)  mit  dem  Zusatz,  daß  „die 
Überlebenden  sich  dabei  in  die  Gemeinschaft  der  Toten  zurückversetzen".  Ich  kann  die  Toten- 
mahltheorie  nicht  annehmen,  auch  mit  diesem  Zusatz  nicht;  die  christliche  Antike  ist  nun  einmal 
unheilbar  transzendent.  Übrigens  sind  in  den  heidnischen  „  Totenmahlen  *  die  Teilnehmer  am 
Mahle  ebenfalls  jenseitig,  von  den  diesseitigen  Adoranten  deutlich  unterschieden.  —  Mehr  Literatur 
zu  Mahl  (auch  Agape  und  Eucharistie),  sowie  Mahlbildern:  Wittig  90,  2. 


Andere  übernommene  Typen.  95 

ein  Krater  aufgestellt  ist,  oder  ein  Aufwar ter  eine  Amphore  trägt,  ein  anderer  Brot 
bringt.  Das  kann  schon  christlich  sein.  Bei  den  sicher  christlichen  Exemplaren  sieht 
man  wohl  auch  das  Parapetasma  gespannt;  die  Speisen  sind  Brot  (Kreuzwecken)  und 
Fisch,  bisweilen  steht  die  Fischschüssel  auf  einem  Dreifuß;  der  Aufwärter,  auch  wohl 
ein  Delikatus  mit  langem  Haar,  pflegt  Brot  zu  bringen,  andere  sind  am  Brotkorb  be- 
schäftigt. Die  Zahl  der  Gäste  an  der  Sigmarolle  (von  den  Erklärern  öfter  als  Tisch 
mißverstanden)  geht  bis  sieben,  einzelne  trinken.  Einmal  ist  ein  Hirt  hinzugefügt,  ein 
andermal  das  Quellwunder.  Die  gereihten  Brotkörbe,  welche  die  Malerei  hinzuzusetzen 
liebte,  fehlen  in  den  meisten  Reliefs;  der  einigemal  in  die  Szene  aufgenommene  Korb, 
an  dem  die  Aufwärter  hantieren,  ist  anderer  Art.  Wie  das  Mahl  am  heidnischen  Sarg- 
deckel des  M.  Ulpius  Romanus  aufzufassen  sei,  bleibe  hier  unerörtert;  bei  den  christ- 
lichen Exemplaren  liegt  natürlich  Übernahme  des  bildlichen  Typus  zugrunde,  aber  die 
Christianisierung  durch  Beschränken  der  Speisen  auf  Brot  und  Fisch  ist  offenbar.  So 
wollen  sie  aus  der  Vorstellung  erklärt  sein,  die  allen  christlichen  Sepulkralbildern  den 
uns  bekannten  Sinn  gibt.1) 


Andere  übernommene  Typen. 

Früher  Erwähntes  braucht  nur  in  Erinnerung  gebracht  zu  werden.  Der  Löwe, 
der  ein  Huftier  zerfleischt,  an  den  Rundungen  von  Wannen;  der  Greif,  auch  der  Löwen- 
greif, an  den  Schmalseiten  von  Kasten;  der  bacchische  Panther  [Kopfbild  auf  Seite  1]. 
Bereits  begegneten  uns  die  in  den  Deckelfriesen  so  beliebten  Seewesen;  meist  sind 
es  Delphine,  die  paarweis  von  beiden  Seiten  zur  Mitte  heranschwimmen;  dazu  gesellt 
sich  wohl  noch  ein  auf  dem  Kopf  stehender  (aus  dem  Sprung  herabschießender).  In 
ähnlich  symmetrischer  Anordnung  finden  sich  Seelöwe,  Seepanther,  Seebock,  See- 
pferd, Seestier,  Seewidder.  Der  Fisch,  ursprünglich  aus  dem  messianischen  Mahl 
stammend  (der  Speisung  der  Tausende,  Band  I  191  f.),  daher  typisch  einerseits  im  Seligen- 
gelag,  andererseits  in  der  Speisensegnung  der  Malereien  und  Sarkophagreliefs,  wurde 
selbständiges  christliches  Symbol  und  kommt  als  solches  am  Sarkophag  der  Livia  Primi- 
tiva  vor,  neben  dem  Guten  Hirten  und  dem  Anker.  —  Auch  die  Köpfe  in  den  Eck- 
akroterien  der  Sarkophagdeckel  lernten  wir  bereits  kennen,  die  Masken,  tragische  und 
komische,  Helios  und  Selene,  Herakles,  Satyr  [Abb.  43].  Das  Zirkusrennen, 
symbolischer  Typus  an  heidnischen  Sarkophagen,  kommt  am  Deckel  eines  Riefelsargs 
vor,  dessen  reiche  Verzierung  ganz  übernommen,  nur  durch  das  kleine  Bild  des  Guten 
Hirten  in  der  Mandorla  christliches  Gepräge  erhielt.  Mehrmals  fand  sich,  an  Bruch- 
stücken aus  den  Katakomben,  das  Abenteuer  des  Odysseus  mit  den  Sirenen.  Die 
Kirchenväter  haben  den  Mythus  in  ihrer  Weise  allegorisch  verwertet,  sie  erklärten  ihn 


»)  Meleager:  Robert  III  n  326  zu  Taf.  88,  264;  380  n.  267  aus  San  Callisto;  n.  269  auch 
bei  Amelung,  Mus.  Chiar.  Taf.  42,  129;  Rob.  332  Taf.  88,  272,  aber  die  vermeintlichen  über  die 
Sigmarollen  gelegten  mappae  sind  nur  die  Querstreifen  des  Polsterüberzugs.  —  Silene:  Mus.  Chiar. 
Taf.  42,  131.  —  Romanus:  Gall.  lapid.  n.  160a.  —  Schweinskopf:  Grousset  n.  85.  114.  Wild- 
keule: Lateran  n.  117,  1.  —  Kessel:  Grousset  n.  164.  Amphora:  Wittig  89  n.  48.  Krater:  Grousset 
n.  116  G  884,  4.  —  Hirt:  Grousset  n.  127  G  401,  13.  Quellwunder:  Grousset  n.  53.  Christlich 
noch:  Lateran  n.  117,  1;  117,  4  G  401,  16;  M  n.  152  A  Bull,  crist.  1882,  90  Taf.  9  (vorn  sieben 
Korbe);  n.  165;  n.  172  G  371,  1,  links  eine  Recitatio.  Wittig  66  n.  28.  Grousset  n.  134.  187.  190. 
Grousset  13  setzt  die  Mahlbilder  in  das  dritte  Jahrhundert,  das  mit  dem  Quellwunder  in  das  vierte. 


gg  Plastik. 

als  eine  Warnung  vor  den  Versuchungen  der  Welt  oder  den  an  den  Mast  gebundenen 
Odysseus  als  eine  Allegorie  für  den  Gekreuzigten.  Neuere  sind  ihnen  darin  gefolgt, 
andere  halten  an  der  sepulkralen  Deutung  auch  hier  fest.  Poseidon  mit  Dreizack 
beim  Jonasschiff,  der  Jordan  bei  Elias'  Himmelfahrt,  der  Gott  des  Roten  Meeres 
[Abb.  22].1) 

Zwei  schwebende  Siegesgöttinnen  (Niken,  Viktorien)  halten  die  Inschrifttafel 
an  den  heidnischen  Sarkophagen  des  Euhodus  [Abb.  1]  und  des  Aurelius  Lucanus. 
Solche  halten  den  Clipeus  mit  der  Inschrift  der  Christin  Clodia  Lupercilla;  solche 
schwebende  Mädchen,  aber  ungeflügelt,  fassen  den  Oberrand  eines  Clipeus  mit  Büsten.2) 

Nun  der  Schwärm  der  Eroten;  in  verschiedenen  Funktionen  sind  sie  tätig.  Sie 
halten  zu  zweien  die  viereckige  Inschrifttafel  [Abb.  28.  43]  oder  den  runden  Clipeus, 
die  runde  Muschel,  das  Parapetasma  hinter  dem  Verstorbenen  [Seite  1.  Abb.  11.  12. 
13.  37],  lebhaft  herzueilend,  seltener  wegeilend,  auch  wagerecht  schwebend,  oder  aber 
auf  schwimmenden  Delphinen  reitend  wie  der  Gott  oder  Heros  der  tarentinischen 
Münzen,  aber  ins  Spielende  verkehrt.  Schwebende  Eroten  halten  Girlanden  zwischen 
den  Händen.  Wiederum  Eroten  mit  brennenden  Fackeln,  entweder  aufwärts  gerichtet 
oder  meist  abwärts  und  auf  den  Boden  gesetzt,  den  Kopf  legen  sie  wie  müde  auf  die 
Hand,  bisweilen  haben  sie  die  Augen  geschlossen,  die  hängende  Linke  hält  eine  Blätter- 
girlande [Seite  1.  Abb.  7].  Zwei  Eroten  in  einem  Schiff,  das  Segel  gerefft,  fahren  dem 
durch  einen  Leuchtturm  markierten  Hafen  zu,  dabei  nach  dem  Meere  zurückblickend. 
Amoretten  zur  Raumfüllung  unterhalb  des  Clipeus,  mit  allerlei  Kurzweil  beschäftigt, 
der  Hahnenkampf  tritt  dabei  hervor,  das  sahen  wir  früher  [Abb.  II].3) 

*)  Vgl.  Band  I  168  Übernommene  Embleme.  — Delphine,  heidnisch:  Gall.  lapid.  n.  129a. 
Lateran,  Marucchi  1  (F  99).  Christlich:  Lat.  n.  41.  54.  60.  62.  65.  83.  113.  225.  228.  241.  247. 
Grousset  n.  10.  20.  G  362,  3.  —  Seelöwe  u.  a.  Meerwesen:  Matz-Duhn  II  368.  Clarac  207,  198. 
Eobert  III  i  62  Abb.  40.  Christlich:  Lat.  n.  39.  120  (G  396,  13).  220.  Terme,  Osthalle:  G  296,  4 
im  Akroterzwickel  ein  Seestier.  —  Fisch:  Li  via  Primitiva  G  296,  3.  Der  aus  den  Wellen  auf- 
tauchende Fischkopf  (Wittig  89  n.  47  Abb.  36  falsch  eingestellt,  die  Wellen  müßten  wagerecht 
stehen)  kommt  im  Jonassarkophag  Lat.  n.  119  einmal  schräg  aus  dem  Wellenabhang,  zweimal 
schießt  er  hoch,  nach  der  Angel  schnappend;  Lat.  n.  241  taucht  unter  jedem  Delphinenpaar  noch 
ein  Delphinenkopf  auf.  Der  Fischkopf  des  Campo  santo  kann  kaum  das  Christussymbol  sein. 
Zu  letzterem  einige  Literatur  bei  Wittig.  —  Zirkusrennen:  G  296,  4.  —  Sirenen:  de  Eossi 
Eoma  sott.  I  344  zu  Taf  30,  5;  III  445.  G  395,  1.  —  Poseidon:  an  der  Wanne  von  S.  Maria 
Antiqua.    Jordan:  G  324,  2.  327,  3.     Eotes  Meer:  G  309,  3. 

8)  Siegesgöttinnen:  Matz-Duhn  II  143.  —  Euhodus:  Mus.  Chiar.  n.  179.  Lucanus:  Eobert 
III  i  Taf.  14,  49.  —  Lupercilla:  Grousset  n.  6.  —  Ungeflügelt:  G  402,  3.  —  Vgl.  noch  Cohen, 
Me*d.  imp.  2VII  398,  265  Konstantin  II,  Vota  XXX  auf  Schild  gehalten  von  zwei  bewegten 
Victorien. 

3)  Eroten.  Tabula:  Eobert  III  i  Taf.  18,  72.  Gall.  lapid.  n.  63b.  Christlich  Lat.  n.  126 
G  385,  2;  n.  136  G  383,  5;  n.  152  G  320,  1;  n.  154  G  316,  4.  —  Eunder  Titulus:  Lat.  n.  233. 
234.  —  Clipeus  oder  Muschel:  Vgl.  Anc.  marbles  I  Taf.  6  Kandelaberfuß,  daran  Eroten  mit 
Emblemen  des  Ares,  Helm,  Schwert,  Schild.  Matz-Duhn,  II  119.  Christlich  Lat.  n.  104  G  365,  2. 
Grousset  n.  2.  Eroten  stützen  den  Clipeus:  Grousset  n.  8.  — Parapetasma:  Lat.  n.  150  G.  298,  3. 
—  Schwebend  Lat.  M  n.  72  (F  81).  —  Delphin  reitend:  Tarentinische  Münzen  bei  Head,  Hist. 
numorum  1887,  44  Fig.  25  und  weiterhin.  Giard.  d.  pigna  n.  126.  Eobert  II  1  a.  Christlich  Lat. 
n.  11  (Ficker  Taf.  1).  —  Girlanden:  Eobert  III  i  Taf.  10,  35,  vgl.  die  Eckhore  III  n  Taf.  57, 
180.  Christlich  Lat.  n.  239.  —  Fackeln:  Eobert  II  2.  3;  III  i  Taf.  6.  24;  Taf.  12—15.  Giard. 
d.  pigna  n.  23.  28.  65.  159.  171.  Christlich  G  297,  1.  2.  299.  1.  395,  7.  403,  1.  Wittig  134  n.  68; 
136  n.  70.  Grousset  6  und  n.  4.  5.  44.  —  Schiff:  Benndorf-Schöne  n.  465.  G  395,  10.  Vgl.  z.  B. 
Mau,  Pompeji  1900,  417  Fig.  246. 


Andere  übernommene  Typen.  97 

Aus  den  Katakombenmalereien  sind  uns  die  Erntebilder  erinnerlich,  die  meist 
von  Eroten  (oder  flügellosen  Putten)  vollzogenen  Ernten,  auch  ein  Ausdruck  der 
christlichen  Jenseitshoffnungen,  vor  allem  das  Hauptdenkmal  die  Crypta  quadrata 
(Januarii):  im  Frühling  werden  Eosen  gepflückt  und  zu  Girlanden  gewunden,  hierbei 
sind  auch  Mädchen  tätig  (sonst  tritt  beim  Rosenpflücken  Psyche  zu  Eros);  im  Sommer 
folgt  die  Weizenernte,  Schneiden,  Binden  und  Forttragen  der  Garben,  dreschen;  im 
Herbst  die  Weinlese,  Brechen  der  Trauben  und  Keltern;  im  Winter  werden  die  Oliven 
von  der  Leiter  aus  gepflückt  oder  mit  Stangen  abgeschlagen,  aufgelesen  und  in  Körben 
fortgetragen,  hier  haben  die  Putten  winterlich  warme  Kleidung,  Ärmeltunika,  Schulter- 
kragen und  Kapuze,  Gamaschen  und  Schuhe.  Auch  dessen  erinnern  wir  uns,  daß  die 
Ernten  nicht  immer  zyklisch  auftreten,  sondern  auch  einzeln;  die  Malerei  bevorzugte 
die  Rosenernte  und  die  Traubenlese  nebst  Kelterung.  —  An  den  Sarkophagen  kommen 
Ernten  oft  vor,  an  heidnischen  mehr  einzeln,  häufigst  Weinlese  von  Satyrn  oder  Eroten, 
als  Kelter  dient  die  Wanne  mit  zwei  Löwenmäulern  zum  Auslauf;  dann  die  Oliven- 
ernte, ei»mal  kommt  auch  die  Ölpresse  vor.  In  ausgeführteren  Szenen  fehlt  auch  nicht 
der  Ochsenwagen  mit  Scheibenrädern,  die  Ernte  einzubringen,  beladen  mit  Körben  voll 
Trauben  oder  Oliven,  einmal  auch  mit  Garben;  die  Rosenernte  scheint  in  der  Relief- 
skulptur nicht  vorzukommen,  doch  mag  hier  an  das  Bruchstück  vor  dem  Eingang  zum 
Museo  Ludovisi  erinnert  sein,  ein  durchbrochen  gearbeiteter  Korb  voll  Rosen.  —  Neben 
den  genrehaften  Ernteszenen  aber  gab  es  noch  Personifikationen  der  Jahreszeiten;  hier 
ist  nicht  von  den  Hören  die  Rede,  sondern  von  Eroten,  die  zu  vieren  gereiht  und  mit 
den  Attributen  der  Jahreszeiten  ausgestattet,  eine  in  der  Sarkophagkunst  beliebte  Sonder- 
gruppe der  Flügelknaben  ausmachen.  Ein  antiker  Name  ist  für  sie  nicht  überliefert 
man  pflegt  sie  als  Genien  der  Jahreszeiten  zu  bezeichnen,  wir  nennen  sie  kürzer  Horen- 
eroten.  Wie  die  Eroten  an  den  Sarkophagen  gewöhnlich,  so  tragen  auch  sie  nur  die 
Chlamys  umgeknüpft,  an  sorgfältiger  differenzierenden  Exemplaren  erhält  der  Winter 
eine  der  vorbeschriebenen  ähnliche  wärmere  Kleidung.  Die  Attribute  sind  den  Ernten 
der  verschiedenen  Jahreszeiten  entnommen,  doch  kommt  noch  anderes  hinzu,  wie  Jagd- 
beute, endlich  noch  dies  oder  jenes  attributive  Tier.  Es  scheint  eine  Folge  der  Jahres- 
zeiten gegeben  zu  haben,  in  welcher  der  Winter  den  Anfang  machte  (auch  kommt  vor, 
daß  sie  von  rechts  nach  links  zu  zählen  oder  sonst  anders  gruppiert  sind).  Die  Attribute 
des  W'inters  sind  Enten  oder  ein  erlegter  Hase,  am  Lagobol  oder  in  der  gehobenen 
Hand  getragen,  wo  dann  wohl  der  Hund  zu  der  Jagdbeute  emporspringt;  auch  wird 
Schilf  oder  ein  Zweig,  ich  denke  ein  Ölzweig,  gehalten.  Der  Frühling  trägt  Blumen, 
der  Sommer  Sichel  und  Ähren  in  der  Hand,  oder  in  einem  Korb,  ein  Böcklein  kann 
jenen  begleiten,  diesen  ein  Stier;  den  Herbst  bezeichnen  Reben  und  Trauben,  dazu 
ein  bacchisches  Tier,  Bock,  Panther. 

Nur  muß  man  beachten,  daß  der  Handwerker  das  entstehende  Bild  nicht  immer 
neu  nach  der  Idee  schafft,  sondern  das  Muster  wiederholt,  nicht  gerade  schablonenhaft, 
doch  oft  gedankenlos;  daher  geschieht  es,  daß  die  Typen  nicht  immer  scharf  geschieden 
bleiben,  sondern  ineinanderfließen.  Die  Sarkophage  bringen  sowohl  Ernten  als  auch 
Horeneroten,  oder  beides  durcheinander,  christliche  aber  nicht  bloß  einzelne  Ernteszenen, 
sondern  auch  den  ganzen  Zyklus,  nicht  immer  intakt.  Ein  Beispiel  bietet  der  rings 
skulpierte  Sarkophag  aus  dem  Coemeterium  Praetextati,  jetzt  mitten  im  Lateranmuseum 
quer  aufgestellt.  Die  Schmalseiten,  in  zwei  Zonen  zerlegt,  gäben  prächtige  Räume  für 
vier  Ernteszenen;    aber  die  Skulptur  hat  die  für  den  Frühling  wohl  geschaffen,  aber 

Sybel,  Christliche  Antike  II.  7 


98 


Plastik. 


fallen  lassen,  dafür  hat  man  die  vier  Horeneroten  eingesetzt,  unter  denen  ja  auch  der 
Frühling  nicht  fehlt  mit  seinen  Rosen.  Oben  folgt  der  Sommer,  drei  Eroten  bei  der 
Weizenernte,  links  oben  der  Herbst,  die  Weinlese,  links  unten  der  Winter,  vor  drei 
Ölbäumen  fährt  der  Ochsenwagen  die  in  Körbe  gesammelten  Oliven  ein.  Aber  das 
Pflücken  der  Oliven  ist  mit  dem  Sommer  verbunden;  vielleicht  weil  im  Süden  das 
Korn  unter  Fruchtbäumen  reift,  stehen  solche  hinter  den  Schnittern,  eine  Leiter  ist  an 
einen  Baum  gelehnt,  und  ein  Erot  steigt  mit  vollem  Korb  herunter.  Das  verwirrt  die 
natürliche  Folge  der  Jahreszeiten.  —  Fast  schlimmer  steht  es  mit  dem  ähnlich  dis- 
ponierten Bassussarkophag.  Rechts  unten  nicht  vier  Horeneroten,  sondern  sechs  Putten, 
auf  welche  die  Attribute  der  Jahreszeiten  verteilt  sind:  der  erste  (von  rechts)  führt  die 
Schale  kühlen  Trunks  zum  Munde  (so  hält  der  Sommererot  am  Sarkophag  aus  Prae- 
textat  einen  Becher);  der  zweite  hält  Zikade  und  Vögelchen  (wie  der  Frühlingserot 
dort),  er  lehnt  sich  auf  einen  Pfeiler  mit  Kürbis  darauf  (desgleichen  steht  dort  auch 
beim  Frühlingserot);  der  dritte  hält  Traube  und  Seil,  das  in  ein  Gefäß  (Zisterne)  hängt, 
eine  Eidechse  kriecht  daran  (so  der  Herbst  drüben);  der  vierte  trägt  Traube  und  Feigen- 
schnur (noch  ein  Herbst),  der  fünfte  Lagobol  und  Hasen  (der  Winter),  den  sechsten  bezeichnet 
Ölzweig,  Olivenkorb  und  Gans  (noch  ein  Winter).  Rechts  oben  drei  Eroten  bei  der  Weizen- 
ernte, links  oben  vier  Eroten  bei  der  Weinlese,  links  unten  der  Ochsenwagen,  dazu  aber 
die  Kelter  und  statt  Ölbäumen  ein  Weinstock.  Die  Olivenernte  ist  ausgefallen,  von  ihr 
geblieben  sind  nur  zwei  Ölbäume  bei  den  Schnittern  und  einer  beim  Wintererot.  Es 
gibt  noch  andere  Beispiele  von  Weinlesen  [Abb.  45.  46],  von  Horeneroten  [Abb.  38]. 

Wie  das  Deckengewölbe  der  Crypta  quadrata  als  Laube  ausgemalt  ist,  mit  den 
Pflanzen  der  Jahreszeiten  berankt,  Rosen,  Ähren,  Reben  und  Ölzweigen,  so  finden 
sich  in  der  Skulptur  in  gleicher  Art  Girlanden  zusammengesetzt.  Den  heidnischen 
Kindersarg  aus  Nepi  schmückt  eine  schwere,  von  vier  Putten  geschleppte  Girlande, 
den  ersten  Bogen  bilden  Frühlingsblumen,  den  mittleren  halb  Ähren  halb  Reben  mit 
Trauben,  den  dritten  Ölzweige  mit  Oliven.  Ähnlich  ein  christlicher  Säulensarkophag; 
in  den  Nischen  steht  der  Gute  Hirt  zwischen  den  vier  Horeneroten,  dem  Hirten  zu- 
nächst Frühling  (mit  Blumenkörben  und  Blättergirlande)  und  Sommer  (mit  Sichel, 
Ährenkörben  und  Hund),  in  den  äußeren  Nischen  Herbst  (mit  Fruchtzweig  und  zwei 
Fruchtkörben,  Oliven  statt  Trauben?  zur  Seite  steht  eine  Vase)  und  Winter  (mit  dem 
Hasen  und  Schilfstengel;  alle  vier  tragen  Chiton,  Chlamys  und  Stiefel).  Nun  aber  ist 
unter  jedem  Nischenbogen  ein  Ring  befestigt,  durch  die  fünf  Ringe  läuft  eine  ge- 
gliederte Girlande,  über  jeder  Figur  aus  passendem  Laub  gebildet:  Lorbeer  ist's  über 
dem  Guten  Hirten,  Rosen  über  dem  Frühling,  Ähren  über  dem  Sommer,  Fruchtschnur 
über  dem  Herbst,  über  dem  Winter  doch  wohl  Ölzweige  mit  Früchten. 

Der  einzeln  verwendeten  Blumen-  und  Fruchtkörbe  in  den  Bogenzwickeln  der 
Säulensarkophage  und  an  Schmalseiten  gedachten  wir  früher.  Übrigens  werden  auch 
den  tafel-,  schild-  und  vorhanghaltenden  Eroten  solche  Körbe  beigegeben.1) 

x)  Erntebilder:  Christi.  Antike  I  177.  Crypta  quadrata:  Wilpert,  Malereien  Taf.  32—34. 
—  Heidnisch:  Matz-Duhn  213—218,  vgl.  auch  2391  (einzelne  christliche  sind  darunter).  Robert 
III  i  89  Lit.,  Taf.  18,  72  (Mädchen  und  Knabe  mit  Rosenkörben  und  Blättergirlanden,  ein  Knabe 
trägt  zwei  Körbe  auf  geschultertem  Brett).  Gall.  lap.  n.  56  d;  162;  Giard.  d.  pigna  n.  32;  Mus. 
Chiar.  n.  180.  Clarac  136,  222.  Ochsenwagen:  Clarac  136,  122;  162,  123.  Gall.  lap.  n.  63c.  Am 
Bogen  des  Septimius  Severus  Brunn-Bruckmann  n.  499.  Horenattribute:  Rapp  in  Roschers 
Lexikon   I  2735.    Zu   Horeneroten   vgl.   eb.  2737.    Matz-Duhn   II   297—309.    Gall.   lap.  n.  47 


Andere  übernommene  Typen.  99 

Zu  Jagdbildern  gaben  die  griechischen  Sagen  manchen  Anlaß;  an  den  Sarko- 
phagen der  Kaiserzeit  steht  die  Eberjagd  in  erster  Linie,  bei  Adonis  und  bei  Meleager 
ist  sie  typisch.  Eberjagden  haben  auch  christliche  Sarkophage  nicht  verschmäht;  man 
unterscheidet  dabei  die  Momente  des  Kampfes  und  der  Heimkehr,  das  erlegte  Tier 
wird  von  zwei  Leuten  in  einem  Netz  an  einer  Stange  getragen  oder  auf  einem  Wagen 
gefahren;  der  Jäger  pflegt  zu  Pferde  zu  sein.  Seltener  ist  das  hochalte  Motiv  der 
Hasenjagd,  Hetzen  mit  Hunden  und  Treiben  in  ein  aufgespanntes  Netz,  unter  Bäumen. 
Die  Jagd  findet  im  Winter  statt,  die  Teilnehmer  tragen  Schulterkragen;  es  wird  aber 
kaum  angehen,  die  Jagdszenen  als  Winterbilder  etwa  den  Olivenernten  gleichzusetzen.1) 

Fischer,  als  Staffage  der  Küstenlandschaft,  hier  anscheinend  lediglich  genrehaft, 
bringt  der  Sarkophag  in  Maria  Antiqua,  fast  nackt  sind  sie  mit  dem  aus  dem  Wasser 
gezogenen  Netz  beschäftigt.  Ferner  der  Jonassarkophag  des  Lateran;  es  arbeitet  immer 
ein  Fischer  in  Chiton,  auch  wohl  Mütze,  mit  einem  Gehilfen,  der  höchstens  ein  Lenden- 
tuch um  hat,  der  also  bei  der  Arbeit  ins  Wasser  geht.  Am  Ufer  rechts  hat  der  bärtige 
Fischer,  den  Fischkorb  am  Arm,  die  Angelschnur  ausgeworfen,  Fische  schnappen  nach 
dem  Köder,  der  junge  Gehilfe,  erregt  über  den  schönen  Fang,  eilt  dem  Wasser  zu. 
Am  Ufer  links  übergibt  der  Gehilfe  dem  Fischer  den  gefüllten  Henkelkorb  [Abb.  5.  6].  — 
Wenn  aber  der  Angler  in  der  Exomis,  den  Henkelkorb  in  der  Linken,  die  Angelrute 
mit  an  der  Schnur  hängendem  Fisch  in  der  Rechten,  im  Endfeld  eines  Riefelsargs 
steht,  so  muß  die  Figur  etwas  bedeuten.  An  dieser  Stelle  kommen  wohl  Bilder  der 
Verstorbenen  oder  Selige  vor;  weder  das  eine  noch  das  andere  dürfte  hier  zutreffen. 
Man  findet  hier  aber  auch  den  Guten  Hirten  oder  andere  Typen,  die  irgendwie  die 
Rettung  aus  dem  Tod  in  das  ewige  Leben  aussprechen.  Man  denkt  an  einen  „Menschen- 
fischer", auch  ein  Sinnbild  der  Taufe  hat  man  in  den  altchristlichen  Anglern  vermutet. 
Eine  sichere  Erklärung  läßt  sich  noch  nicht  geben.2) 


Herbst  und  Winter  (vgl.  n.  77  vier  Hören  mit  Putten).  Giard.  d.  pigna  n.  175.  Clarac  124,  105; 
146,  116  Winter,  Frühling,  Sommer,  Herbst.  Ferner  Terme,  Chiostro:  Dionysos  auf  Satyr  gestützt, 
zwischen  zweimal  vier  Horeneroten,  einer  trägt  eine  Ziege  auf  dem  Nacken ;  Ernte  von  vier  Eroten. 
Conservatori,  Vorplatz  des  Oberstocks:  Winter,  Frühling,  Sommer,  Herbst.  —  Neutral:  Auf  S. 
Peters  Dach  (als  Brunnen  trog):  zwei  Horeneroten,  einer  mit  Enten  und  Korb,  einer  mit  Hase  und 
Hund,  auf  1.  Arm  Rosenkorb,  am  Boden  Olivenkorb.  Lat.  Mn.  37  (F  18):  von  r.  nach  1.  Frühling, 
Sommer,  Herbst,  Winter.  —  Christlich:  Lateran  n.  30  Deckelfragment,  Reste  von  Horeneroten 
und  Olivenernte.  Grousset  n.  3  Weinlese  mit  Kelter;  n.  14  Kornschneiden  und  Keltern;  n.  50 
Weinlese  mit  Kelter.  G  296,  4  Lese  mit  Ochsenwagen,  korbbeladenem  Bock  und  Kelter.  Wittig 
91  n.  49  r.  Weizenernte,  1.  Weinlese  mit  Kelter.  In  Zwickeln  Weinlese  Lat.  n.  150  G  320,  1.  — 
Lat.  n.  184  G  364,  2  als  Füllsel  drei  Horeneroten  (Enten,  Ähren  u.  Sichel,  Hase);  n.  214  zwei 
Horeneroten,  jeder  mit  Hase;  n.  203  Herbst  mit  Traube,  Winter  mit  Wildkeule;  M  n.  77  (F  88) 
ein  H.  mit  Sichel,  einer  mit  Fruchtkorb;  n.  128  G  359,  3.  Grousset  n.  45  der  Verstorbene  zwischen 
r.  zwei  Horeneroten,  1.  einem,  an  die  Stelle  des  vierten  ist  der  Gute  Hirt  getreten;  n.  46.  47  Frag- 
mente mit  Gutem  Hirt  zwischen  Horeneroten  und  Amoretten  (an  beiden  Sarkophagen  je  ein  H. 
mit  Füllhorn).  —  Praetextat:  Lat.  M  n.  183  A  (F  181)  G  302,  3.  4.  —  Bassus:  Grousset  n.  184 
G  322,  3.  4  de  Waal,  Sark.  d.  Bassus  92.  —  Nepi:  Altmann,  Architektur  80  Fig.  29  (vgl.  die 
fünfgliedrige  Girlande  am  Priestersarg  Gall  lap.  n.  126).  Säulensarkophag  Lat.  n.  110  G  302,  1. — 
Schildhaltende  Eroten  usf.  mit  Attributen  der  Horeneroten  Lat.  n.  128  G  359,  3.  Grousset  n.  3. 
Weinlese  im  Zwickel  Lat.  n.  171  G  350,  1. 

*)  Eberjagd:  Lateran  n.  161  G  382,  2  (Heimkehr).  Grousset  n.  4  und  12.  —  Hasenjagd: 
Lat.  n.  150  G  298,  3;  vgl.  n.  229  Kniender  Knabe  hält  einen  Hund,  der  einem  flüchtenden  Hasen 
nachwill.  —  Jagden  als  Winterbilder:  Wittig  134  zu  n.  67. 

a)  Maria  Antiqua:  American  school  Rome  suppl.  papers  I  1905,  149  Fig.  2.    Hier  mag  das 

7* 


100  Plastik. 

Besonders  zahlreich  vertreten  sind  idyllische  Figuren  und  Szenen  aus  dem  Hirten- 
leben; im  Zentrum  steht  der  Typus  des  Guten  Hirten,  wie  er  inmitten  seiner  Herde 
steht  oder  sitzt,  oder  wie  er  ein  Schaf  auf  den  Schultern  trägt,  auch  wohl  beides  ver- 
einigt. Da  pflegt  die  christliche  Archäologie  die  nun  schon  reichlich  alte  Streitfrage 
unnütz  aufzubauschen,  ob  der  Gute  Hirt  Schöpfung  der  „antiken"  oder  der  „christ- 
lichen" Kunst  sei.  Die  Bedeutung  dieser  Frage  sinkt  auf  ein  ganz  bescheidenes  Maaß 
herab,  sobald  man  sie  richtig  formuliert,  das  will  sagen,  sobald  man  die  falsche  Gegen- 
setzung „antik"  und  „christlich"  fallen  läßt  und  sich  entschließt,  auch  die  altchristliche 
Kunst  als  Antike  anzuerkennen.  Das  Künstlerische  an  der  Kunst  liegt  auf  einem 
anderen  Felde,  als  dem  religiösen.  Der  antike  Künstler,  einerlei  welchem  Kultus  er 
sich  anschloß,  war  künstlerisch  imstande,  heute  einen  Zeus,  morgen  einen  Serapis,  eine 
Isis,  einen  Attis,  einen  Mithras,  oder,  wenn  er  den  Auftrag  erhielt,  auch  einen  Christus 
zu  gestalten.  War  er  aber  selbst  Attis-  oder  Mithrasgläubiger  geworden,  so  blieb  er 
doch  immer  derselbe  antike  Künstler;  ebenso  wenn  er  sich  tauchen  ließ  oder  als  Kind 
christlicher  Eltern  auf  die  Welt  kam,  es  stand  ihm  —  der  Satz  muß  immer  wieder 
eingeprägt  werden,  bis  er  einmal  durchdringt  —  doch  keine  andere  Kunst  zu  Gebote 
als  die  einzige  die  es  gab,  die  antike.  Gewiß,  die  Idee  des  Guten  Hirten  stammt  aus 
den  Evangelien;  aber  sobald  es  sich  darum  handelte,  sie  in  künstlerische  Form  um- 
zusetzen, so  trat  nicht  der  Christ,  sondern  der  Künstler  in  Funktion,  der  antike.  Gewiß 
hatte  er,  Heide  oder  Christ,  falls  er  auf  dem  Lande  spazieren  ging,  oder  auch  in  der 
Stadt  auf  dem  Viehmarkt,  Gelegenheit  genug,  Schafhirten  zu  sehen,  in  allen  möglichen 
Typen;  aber  dann  sah  er  die  Natur  mit  den  Augen  des  antiken  Künstlers  an.  Jedoch 
sollte  es  eine  Binsenwahrheit  sein,  daß  der  Künstler  mindestens  ebensoviel  aus  der  schon 
vorhandenen  Kunstformenwelt  lernt  als  unmittelbar  aus  der  Natur;  und  das  idyllische 
Genre  war  in  der  klassischen  und  besonders  der  hellenistischen  Kunst,  in  Malerei  und 
Plastik,  so  ausgebaut,  daß  in  der  Kaiserzeit  wohl  jede  in  Auftrag  gegebene  Gestalt 
schon  irgendwie  vorgeschaffen  war  oder  im  weiteren  Ausbau  des  Vorhandenen  leicht 
hingeworfen  werden  konnte.  De  Rossi  lehnte  nur  die  nackten  kriophoren  Götter  als 
Vorbilder  ab,  keineswegs  die  zu  Markt  oder  zum  Opfer  Schafe  bringenden  Landleute 
der  vorchristlichen  Kunst. 

Vor  Jahren  bemerkte  Heinrici  richtig,  das  vierte  Evangelium  habe  die  altchrist- 
liche Kunst  besonders  maßgebend  befruchtet.  Es  lag  daran,  daß  erst  dies  jüngste 
Evangelium  (es  bezeichnet  sich  17,  20  selbst  als  nachapostolisch,  und  das  will  viel 
heißen)  so  recht  aus  dem  Kirchenglauben  herausgewachsen  ist,  wenn  es  nicht  umgekehrt 
in  gewissem  Sinne  ihn  erst  schuf.  Seine  Idee  nun  des  Guten  Hirten  nimmt  in  ihm 
eine  geradezu  zentrale  Stellung  ein;  außer  ihrer  sehr  diesseitigen  kirchenpolitischen 
Tendenz  (auf  Einheit  der  Herde)  spricht  sie  die  kirchliche  Jenseitstheologie  in  einem 


Sarkophagfragment  von  S.  Valentin  erwähnt  sein,  mit  dem  auf  einem  Fels  am  Meer  sitzenden 
Angler,  der  den  eben  gezogenen  Fisch  in  der  Hand  hält;  im  Wasser  fährt  ein  Schiff  mit  kahl- 
stirnigem  Steuermann  und  einem  Matrosen;  beim  Stenermann  steht  PAVLVS,  am  Schiffsrumpf 
THECLA.  Weis-Liebersdorf,  Christus-  und  Apostelbilder  72  meint,  ein  strenger,  der  Symbolik 
abgeneigter  Kritiker  könnte  das  Relief  für  ein  maritimes  Genrestück  erklären,  dem  später  der  Meißel 
eines  Christen  durch  die  beiden  Inschriften  eine  tiefere  Deutung  zu  geben  versuchte.  Veröffent- 
licht ist  es  von  Marucchi,  Bull.  com.  1897,  35  Taf.  2.  Bull,  crist.  1897,  103  Taf.  4.  —  Lat.  n.  119: 
G  307,  1.  —  Lat.  n.  156  und  158:  G  307,  3.  395,  4.  Zur  Erklärung  vgl.  Band  I  236.  —  Der  wunder- 
bare Fischzug:  Torres  (G  395,  5). 


Andere  übernommene  Typen.  101 

poetischen  Bilde  aus,  das  seine  Wirkung  auf  so  sentimentale  Gemüter  wie  die  Leute 
der  Kaiserzeit  es  insgemein  waren,  nie  verfehlt  hat  (vgl.  Band  I  241).  Also,  die  Idee 
des  „Guten  Hirten"  war  von  Anfang  an  jenseitig,  wie  der  ganze  Kirchenglaube  jen- 
seitig gerichtet  war,  vollends  im  Umkreis  der  Gräberwelt.  Daher  darf  es  nicht  wunder- 
nehmen, wenn  der  Hirt  aus  der  Parabel  Luk.  15,  der  das  verirrte  Schaf  aufsucht  und 
auf  seinen  Schultern  zurückträgt,  wenigstens  in  der  Kunst  von  Anfang  an  nicht  als 
Ausdruck  einer  moralischen,  sondern  der  sepulkralen,  d.  h.  der  Jenseitsidee  erscheint. 

Der  Denkmälerbefund  scheint  zu  ergeben,  daß  in  der  Sarkophagskulptur  der 
Gute  Hirt  früher  zu  beobachten  sei,  als  das  Einströmen  der  idyllischen  Genreszenen; 
denn  er  erscheint  bereits  am  Sarkophag  von  der  Via  Salaria,  dessen  Enden  je  ein 
großes  Schaf  sinnvoll  schmückt,  die  Genreszenen  aber  erst  am  Jonassarkophag  Lat. 
n.  119,  dem  Sarkophag  in  Maria  Antiqua  und  anderen  Stücken  des  dritten  Jahrhunderts. 
Letztere  wären  dann  durch  die  vorherige  Einsetzung  des  Guten  Hirten  gleichsam 
legitimiert.  Doch  möchte  es  geraten  sein,  nicht  vorschnell  abzuurteilen,  da  neue  Funde 
das  Verhältnis  verschieben  könnten;  auch  verrät  die  Hütte  hinter  jedem  der  zwei 
großen  Endschafe  am  Sarkophag  von  Via  Salaria,  daß  sie  aus  den  Genreszenen  erst 
abgeleitet  sind,  diese  also  zur  Voraussetzung  haben. 

Im  ersten  Bande  besprachen  wir,  was  in  den  Katakombenmalereien  von  idyllischen 
Szenen  (es  war  nicht  viel)  und  was  von  Guten  Hirten  dort  vorkommt.  Da  nach  der 
jetzt  geltenden  Katakombenchronologie  der  Gute  Hirt  dort  früher  auftritt  als  in  den 
Skulpturen,  so  liegt-  die  Folgerung  in  der  Tat  nahe,  daß  die  Malerei  der  Skulptur  den 
Typus  fertig  komponiert  an  die  Hand  gegeben  habe.  Ein  solches  Vorarbeiten  der 
Typen  durch  die  Malerei  wurde  in  der  klassischen  Kunst  längst  bemerkt;  die  Ent- 
deckungen in  der  Natur  z.  B.,  welche  die  polygnotische  Malerei  machte,  gingen  alle 
in  die  Skulptur  über,  auch  ihr  großer  Stil  hat  sie  entwickelt;  den  pathetischen  Stil 
hat  wesentlich  die  Malerei  von  Parrhasios  und  Timanthes  bis  Aristides  geschaffen,  vor- 
gearbeitet für  die  nachfolgende  Plastik.  Auf  der  andern  Seite  darf  man  aber  nicht 
übersehen,  daß  der  Mann,  der  die  ersten  Guten  Hirten  meißelte,  eben  Bildhauer  war, 
daß  er  bildhauerisch  sah  und  arbeitete,  daß  er  die  Welt  der  plastischen  Hirtentypen 
kannte  und  vielleicht  auch  sein  Teil  daran  selbst  gearbeitet  hatte. 

Wenn  nun  ein  Kunsthistoriker  im  Typus  des  Guten  Hirten  eine  Schöpfung  des 
hellenistischen  Ostens  zu  erkennen  vorschlägt,  so  hätte  ich  gegen  die  Hypothese  soweit 
nichts  einzuwenden,  als  etwa,  daß  in  der  E-eichshauptstadt  Rom  (ich  erinnere  daran, 
daß  ich  eine  spezifisch  römische  Kunst  noch  nicht  als  nachgewiesen  anerkenne)  eine 
Menge  wurzelechter  Griechen  dieselbe  hellenistische  Kunst  pflegte  wie  der  Osten.  Deren 
lokale  Differenzierungen  stilkritisch  zu  unterscheiden  ist  wenigstens  die  Archäologie 
noch  nicht  gereift  genug.1) 

Die  Reste  pastoraler  Darstellungen  aus  der  klassisch  griechischen  und  helle- 
nistisch-römischen Kunst  sind  noch  nicht  gesammelt  Nur  als  Beispiel  hebe  ich  ein 
Relief  hervor,  das  eine  Ziegenherde  auf  felsigem  mit  Sträuchern  bestandenen  Gelände 
schildert;  der  Hirt  hat  ein  Fell  um  und  steht  mit  seinem  Krummstab  unter  einem 
Baum,  dabei  der  Hund.   Zu  beachten  ist,  daß  auch  an  heidnischen  Sarkophagen  solche 

*)  Hirtenazenen  und  Guter  Hirt  in  der  Malerei:  Christi.  Ant.  I  174.  240.  Zur  Literatur 
trage  ich  nach:  Clausnitzer,  Die  Hirtenbilder  in  der  altchristlichen  Kunst,  Erlanger  Dissertation t 
1904.  Wittig  31,  5.  —  de  Rossi,  Bull,  crist.  1887,  144  f.  —  Gute  Hirt  ostgriechisch:  Strzygowski, 
Orient  oder  Rom  59;  Alexandrin.  Weltchronik  (Wiener  Denkschr.  LI)  156. 


102  Plastik. 

Szenen  vorkommen,  als  Staffage  bei  Endymion.  An  einem  Sarkophagdeckel  sieht  man 
zwei  sich  stoßende  Ziegenböcke,  ferner  Rinder,  teils  grasend  teils  wiederkäuend,  am 
Ende  einen  bärtigen  Hirten,  gegenüber  einen  gelagerten  jungen  Satyr.  —  An  einem 
Sarkophagfragment  aus  den  Katakomben  im  Lateran  finden  sich  bei  einer  Rinderherde 
ein  paar  Pferde,  anderweit  sieht  man  an  christlichen  Stücken  wohl  einen  Hirten,  der 
Ziegen  und  Schafe  weidet,  oder  Kühe,  Ziegen  und  Schafe,  oder  einen,  der  eine  Ziege 
melkt;  in  einem  abgestuften  und  mit  Sträuchern  bestandenen  Terrain  grasen,  ruhen, 
springen  Schafe  und  Ziegen,  zwei  Schafböcke  stoßen  sich,  vor  einem  Stall  wird  eine 
Ziege  gemolken,  daran  schließen  sich  andere  Szenen  des  Landlebens.1) 

In  der  Regel  aber  handelt  es  sich  bei  den  christlichen  Sarkophagen  um  Schafe. 
Wenn  das  idyllische  Genre  zwar  in  ziemlich  breiter  Masse  in  der  christlichen  Kunst 
fortfließt,  so  hat  doch,  in  der  Skulptur  wie  in  der  Malerei,  eine  Auslese  stattgefunden. 
—  Besondere  Aufmerksamkeit  erheischt  der  Hirt.  Erwähnt  mag  sein,  daß  vereinzelt 
sich  einmal  ein  Bauer  zeigt,  bärtig  und  kahl,  den  Sack  über  den  Rücken,  die  Hand 
auf  den  Stabknauf  gelegt  und  das  Kinn  darauf  gestützt,  in  der  Rechten  zwei  Tauben. 
Die  Hirten,  bald  bartlos,  bald  bärtig,  tragen  als  Regel  die  Exomis,  darüber  die  Tasche, 
später  auch  einen  Schulterkragen;  die  Beine  sind  nackt  oder  mit  über  die  Knöchel 
gehenden  Schuhen  und  den  umschnürten,  wohl  ledernen  Beinschienen  bekleidet,  wie  sie 
ähnlich  noch  heute  in  Italien  zu  sehen  sind,  übrigens  die  Vorläufer  der  tiroler  und 
oberbayerischen  Wadenstrümpfe;  in  der  Hand  führen  sie  Stab  oder  Krummstab,  nach 
Umständen  die  Syrinx.  Der  Hirt  sitzt  wohl  unter  einem  Baum  oder  unter  einer  Art 
tragbarem  Schirm  aus  zusammengebundenem  Langstroh  oder  Canna,  auf  dessen  über- 
neigender Spitze  bisweilen  ein  Vogel  steht.  Der  Hirt  entläßt  die  Schafe  aus  dem 
Stall  oder  er  sitzt  melkend  vor  dem  Stall.  Er  steht  bei  ein  paar  runden  Hütten 
(Tugurien).  —  Es  kommen  sitzende  und  stehende  Hirtenfiguren  vor.  Ein  Hirt  sitzt 
auf  einem  Stein  und  kost  seinen  Hund;  meist  aber  sitzt  er  auf  einem  umgestürzten 
Korb  und  melkt  ein  Schaf,  auch  wohl  eine  Ziege,  einen  Melkeimer  neben  sich,  ein 
zweites  Schaf  steht  dabei,  ein  anderer  Hirt  schaut  zu  oder  hält  das  zu  melkende  Tier. 
Auf  dem  Felsgelände  sitzt  ein  Berggott,  einen  Ast  in  der  Hand.  Es  fehlt  nicht  ganz 
an  ruhenden  Hirten,  im  Schema  des  Jonas,  und  an  schlafenden.  —  Stehende  Hirten 
haben  gern  in  altklassischer  Schematik  den  Stab  unter  die  Achsel  gestützt,  die  Füße 
gekreuzt;  oder  sie  stützen  den  Kopf  auf  die  Hand,  den  Ellbogen  auf  die  andere,  dem 
Stabknauf  aufgelegte  Hand,  oder  den  Arm  auf  einen  Stamm,  den  Kopf  in  die  Hand. 
Ein  Hirt  trägt  an  einem  Tragholz  Milchgefäße.  Einer  blickt  einem  aufschauenden 
Schaf  freundlich  ins  Auge,  ein  anderer  kost  ein  Schaf.  Einer  trägt  ein  Schaf  in  einem 
um  den  Nacken  geknüpften  Tuch  [Abb.  5.  12.  16].2) 

*)  Relief:  Clarac  144,  387.  Sarkophag:  Robert  Uli  Tai  12 ff.  Deckel:  Anc.  marbles  X 
pl.  40,  1.  —  Lateran  n.  240.    Grousaet  n.  54.  55.  59.    Lat.  n.  150  G  298,  3. 

a)  Bauer:  Grousset  n.  23.  Tasche:  Lat.  n.  128  G  359,  3.  Schulterkragen:  Lat.  n.  177 
G  304,  4.  Beinschienen:  Lat.  n.  128  G  359,  3.  —  Schirm  (nicht  Ährenbündel)  heidnisch:  Mus. 
Chiaram.  Taf.  42,  127.  45,  180;  christlich:  Lat.  n.  139.  143.  Grousset  n.  57.  59.  de  Rossi,  Roma 
sott.  II  Taf.  22  =  Grousset  n.  65  G  347,  1.  —  Stall:  Lat.  n.  119  G  307,  1.  Grousset  n.  54. 
Hütten:  Lat.  n.  118  G  401,  10.  —  Hirt  kost  Hund:  Lat.  n.  141.  215  G  394,  5.  —  Melken,  heid- 
nisch am  Endymionsarkophag  Robert  HI  i  Taf.  15;  neutral  an  einem  Sarg  Conservatori,  Treppen- 
absatz (unter  Clipeus);  Christlich:  Lat.  n.  63.  66.  108  G  359,  2.  Lat.  n.  209.  228  G  363,  2.  Grousset 
n.  5.  66.  68.  —  Berggott  (nicht  ruhender  Hirt),  wohl  heidnisch:  Grousset  n.  62.  Wittig  n.  15.  — 
Ruhender  Hirt:  Grousset  n.  60  G  394,  6;  schlafender:  Grousset  n.  61.  —  Stab  unter  Achsel:  Lat. 


Andere  übernommene  Typen.  103 

Der  Gute  Hirt  (d  Ttoifxrjv  6  xaXog)  ist,  wie  wir  wissen,  der  johanneische  Hirt  mit 
seiner  Herde.  Mit  diesem  Bilde  nun  wurde  das  andere  aus  der  Parabel  des  Lukas- 
evangeliums verschlungen,  der  Hirt,  der  das  Schaf  auf  den  Schultern  trägt,  dem  erst 
nach  dieser  Verschmelzung  im  Sinne  der  Jenseitstheologie  der  Name  Guter  Hirt  zu- 
kommt. So  entstand  der  Haupttypus:  ein  Hirt,  umgeben  von  meist  zwei  bisweilen  zu 
ihm  aufblickenden  Schafen,  trägt  ein  Schaf  auf  dem  Nacken.  Die  Begleitschafe  sind 
nicht  bloße  Staffage,  sondern  sie  vertreten  die  Herde,  machen  den  Hirten  eigentlich  erst 
zum  johanneischen  Guten  Hirten.  Die  zwei  Bäume,  zwischen  denen  er  zu  stehen  pflegt, 
stammen  typologisch  aus  den  idyllischen  Genreszenen,  deuten  aber  hier  das  himmlische 
Paradies  an.  Der  Hirt,  anfangs  unbärtig  mit  kurzem  Haar,  dann  gelockt,  endlich  bärtig, 
durchläuft  hierin  die  drei  gelegentlich  der  Malerei  uns  bekannt  gewordenen  Entwick- 
lungsstufen des  Christustypus.  Er  trägt  zuerst  die  Exomis,  später  den  geschlossenen 
Chiton,  auch  mit  langen  Ärmeln,  darüber  wohl  auch  den  Schulterkragen,  ganz  spät  ein- 
mal ein  Fell;  Schuhe,  und  seit  dem  dritten  Jahrhundert  Wadenstrümpfe,  auch  dies  wie 
die  anderen  Hirten,  ebenso  die  Tasche,  den  Stab  oder  das  Pedum,  die  Syrinx,  so- 
weit das  vorkommt.  —  Kälber,  Schafe,  Ziegen,  auch  kleine  Kinder,  sieht  man  in  der  An- 
tike hundertfach  auf  dem  Nacken  getragen,  die  Gutehirtliteratur  hat  viel  Material  dafür 
zusammengetragen.  In  diesem  bunten  Kreise  entstand  auch  unser  Typus,  einerlei 
welchem  Gott  sein  erster  Schöpfer  opferte.  Dabei  ist  das  Ergebnis  der  Statistik  un- 
erheblich; wenn  er  öfter  christlich  verwendet  vorkommt  als  heidnisch,  so  liegt  das  nur 
daran,  daß  die  Christen  ihn  zu  einem  sepulkralen  Symbol  wählten.  —  Abgesehen  von 
der  Haar-  und  Kleidertracht  wandelt  sich  auch  seine  Gebärde.  Anfangs  hielt  jede 
Hand  ein  paar  Pfoten  des  getragenen  Tiers,  später  nahm  er  alle  vier  Pfoten  in  eine 
Hand,  wodurch  die  andere  frei  wurde,  um  einen  Stab  oder  den  Krummstab  zu  halten, 
oder  eine  Vase,  die  ohne  Zweifel  einen  Trank  der  Unsterblichkeit  enthält,  sei  er  nun 
als  Milch  oder  als  Wein  zu  denken;  einmal  kost  die  Hand  ein  zu  ihm  aufblickendes 
Schaf.  Eine  sonderbare  Vermischung  zweier  Typen,  die  uns  schon  in  der  Malerei  be- 
gegnete, ist  es,  wenn  der  das  Schaf  tragende  Hirt  die  Beine  kreuzt,  ohne  doch  auf  den 
Stab  gestützt  zu  sein.  An  einem  Sarkophag  zu  Tolentino,  aus  dem  vierten  Jahrhundert, 
steht  der  Gute  Hirt  zwischen  Ölbaum  und  Weinstock.1) 

In  der  Regel  ist  der  Gute  Hirt  zentral  angeordnet,  seiner  Bedeutung  entsprechend. 
Wenn  aber  der  Clipeus  mit  den  Büsten  der  Verstorbenen  in  der  Mitte  der  Sarkophag- 
front sich  behauptete,  oder  wenn  diese  in  ganzer  Figur  dort  abgebildet  wurden,  oder 
sonst  eine  andere  Darstellung  den  Raum  einnahm,  so  trat  der  Gute  Hirt  in  eines  der 


n.  29.  Kopf  auf  Hand  auf  Stab:  Lat.  n.  66.  Wittig  n.  11.  Arm  auf  Stamm:  Lat.  M  n.  77 
(F  n.  88).  Tragholz:  Lat.  n.  29.  Blickt  Schaf  an:  Lat.  n.  123,  4.  Kost  Schaf:  Lat.  n.  177  G 
304,  4.    Schaf  in  Tuch:  Grousset  n.  30  G  399,  10. 

*)  Guter  Hirt,  hält  die  Pfoten  des  getragenen  Schafs  in  zwei  Händen:  Sarkophag  von  Via 
Salaria,  Lat.  M  n.  181,  Kopf  ergänzt,  richtig  mit  kurzem  Haar,  er  trägt  Exomis  und  Schuhe. 
Paris,  Clarac  122,  772  G  295,  2  (sog.  Aristäus).  Pisa  G  295,  1.  Salerno  G  297,  3.  Lat.  n.  224 
G  301,  1.  Lat.  118  G  401,  10.  Campo  santo,  Wittig  n.  2.  3.  4.  6.  Mit  Schulterkragen:  Stele  der 
Tullia,  Armellini,  Bull,  crist.  1895,  11  Taf.  1,  1.  —  Bärtig:  Lat.  n.  109.  Schulterkragen:  G  296,  4. 
372,  1  (Frauen  mit  Mamäafrisur).  In  Fell:  G  298,  1.  Füße  gekreuzt:  Pisa  G  297,  1.  Tolentino 
G  303,  1.  —  Eine  Hand  hält  vier  Pfoten,  die  andere  Krummstab:  Wittig  n.  8.  Lat.  n.  110  G  302,  1. 
Lat.  M  n.  183  A  (F  n.  181);  Vase:  Lat.  n.  9.  144.  163.  Grousset  n.  46.  49  G  357,  4;  Hand  kost 
Schaf:  Grousset  n.  40.  Ein  paarmal  ist  der  Hirt  zwar  in  Vorderansicht,  aber  linkshin  eilend  ge- 
zeichnet: G  296,  3.  299,  1. 


104  Plastik. 

Endfelder;  als  Gegenstück  erhielt  er  dann  etwa  eine  Adorantin,  in  einem  der  ver- 
schiedenen Typen,  oder  einen  zweiten  Guten  Hirten,  der  dann  bärtig  zu  sein  pflegt, 
oder  einen  Hirten,  der  sich  auf  Stab  oder  Pedum  stützte.  Es  kommt  aber  auch  vor, 
daß  solch  ein  Hirt  einer  Adorantin  gegenübergestellt  wird.  Man  darf  in  dergleichen 
Fällen  fragen,  wie  diese  aufgestützten  Hirten  zu  verstehen  seien,  ob  als  bloße  idyllische 
Genrefiguren,  oder  ob  auch  sie  als  Bilder  des  Christus.  Da  bleibt  eine  gewisse  Dunkel- 
heit. Es  ist  aber  sicher,  daß  in  der  Skulptur  wie  in  der  Malerei  als  Bild  des  Christus 
außer  dem  schaftragenden  Hirten  auch  der  schlichte  Hirt  mit  der  Herde,  also  genau 
der  johanneische  Gute  Hirt,  vorkommt.  Das  ist  z.  B.  der  Fall  an  der  Rückseite  des 
pariser  Sarkophags  (mit  dem  bärtigen  Christus  auf  dem  Berg  an  der  Frontseite),  aus 
dem  vierten  Jahrhundert.  Noch  später  ist  der  Sarkophag  in  Osimo  mit  dem  aufgestützten 
Hirten  inmitten  der  Herde  zwischen  zwei  aus  Vasen  aufsprießenden  stilisierten  ßeb- 
stöcken.1) 

Gute  Hirten  des  ersten  Typ:  unsere  Abb.  2.  4.  7.  8.  9.  11.  12,  des  zweiten: 
Abb.  6.  36.  45. 

Guter  Hirt  in  Chiton  und  Schulterkragen,  die  Pfoten  mit  zwei  Händen  haltend, 
zwischen  zwei  aufblickenden  Schafen,  an  der  Stele  der  Tullia  (ToXXia  'sfoxlrjTtiaM]).*) 

Die  zwei  Typen  des  ein  Schaf  tragenden  Guten  Hirten  sind  auch  in  statua- 
rischer Ausführung  erhalten;    die  Exemplare  sind  höchstens  meterhohe  Statuetten. 

Der  Hirt,  in  Exomis  mit  umgehängter  Tasche,  hält  die  Pfoten  des  Tieres  mit 
beiden  Händen  und  wendet  den  Kopf  dem  des  Tieres  zu.  Dieser  Typus  ist  ver- 
treten in  dem  berühmten  Exemplar  Lateran  n.  103,  zugleich  der  frühesten  und  schönsten 
aller  dieser  Statuetten.  Ergänzt  sind  Arme  und  Beine,  diese  mit  dem  untersten  Teil 
des  Chitons  und  dem  Baumstamm,  einiges  am  Gesicht  des  Hirten,  Hals  und  Kopf  des 
Tieres  [unser  Titelbild].  Der  Kopf  des  Hirten,  jugendlich  mit  langen  Locken,  ist  kein 
anderer  als  der  zweite  Christustyp,  der  in  der  Katakombenmalerei  im  dritten  Jahr- 
hundert auftritt,  an  den  Sarkophagen  aber  zuerst  am  Exemplar  Feoli-Rondanini  [Abb.  9] 
—  und  zwar  in  Gestalt  unseres,  indessen  abgesehen  vom  Kopf  im  Spiegelbild  wieder- 
gegebenen Guten  Hirten;  die  Frauenfiguren  des  Sarkophags  tragen  die  Frisur  der 
Mamäa  (gest.  235).  Damit  wird  bewiesen,  daß  die  Schöpfung  des  Typus  spätestens 
den  ersten  Jahrzehnten  des  dritten  Jahrhunderts  gehört;  die  Entstehungszeit  des  late- 
ranischen Exemplars  bleibt  zu  bestimmen,  wird  aber  kaum  viel  später  fallen  (de  Rossi 
setzte  sie  in  dieselbe  Zeit,  Weis  -  Liebersdorf  ins  zweite  Jahrhundert).  Der  zweite 
Christustyp  erinnerte  die  Erklärer  an  Apollon,  wiederum  an  Dionysos,  an  die  Dioskuren, 
der  Kopf  unseres  Guten  Hirten  gemahnte  sie  an  die  Eroten  der  Sarkophage,  an  den 
Eubuleus,  an  Mithras  und  Orpheus,  an  Antinoos;  zu  letzterem  setzt  ihn  die  auf  die 
Formgebung  des  fünften  vorchristlichen  Jahrhunderts  zurückgreifende  Schädeltiefe  und 
das  die  Stirn  bedeckende  Haar  in  Beziehung,  das  in  der  vorperikleischen  Zeit  Mode 
war.  Aber  wenn  solche  Beziehungen,  ein  wenig  zu  jedem  der  genannten  heidnischen 
Köpfe,  auch  tatsächlich  vorhanden  sind,  so  braucht  man  nicht  den  Christuskopf  ent- 
weder vom  Apollon   oder  vom  Dionysos  usf.  abzuleiten  (man  kann  es  nun  erst  recht 

*)  Guter  Hirt  zentral:  Sarkophag  von  Via  Salaria;  öfter  bei  Garr.  Taf.  295  ff.  —  Als  Gegen- 
stück Adorantin:  Lat.  n.  150  G  298,  3.  Grousset  n.  14  G  360,  2.  296,  1.  370,  4.  Zwei  Gute  Hirten: 
Lat.  n.  144.  163;  drei:  G  302,  2.  Guter  Hirt  und  Hirt:  Lat.  n.  66.  128.  Hirt  und  Adorantin: 
G  296,  2.    Paris:  G  324,  4.    Osimo:  G  300,  2. 

*)  Tullia:  Bull,  crist.  1895,  11. 


Andere  übernommene  Typen.  105 

nicht);  sondern  alle  jene  Köpfe,  und  noch  einige  andere  mehr  (z.  B.  die  Jünglinge  im 
glühenden  Ofen,  die  Magier  bei  der  Huldigung  und  sonst),  sind  Spielarten  des  Typus 
„Jugendlicher  Lockenkopf",  und  in  diesem  Kreise  antiker  Köpfe  ist  auch  der  Ckristus- 
und  Hirtenkopf  entstanden.  Haben  wir  erst  einmal  eine  systematische  Typik  der 
griechischen  Kunst,  dann  werden  wir  in  derartigen  Fällen,  die  jetzt  so  viel  unnütze 
Debatten  hervorrufen,  auf  die  richtig  gestellte  Frage  sofort  die  richtige  Antwort  bereit 
finden.  —  Der  Ausdruck  des  zu  dem  Tiere  freundlich  aufblickenden  Hirten  verlangt  zwei 
Worte.  Der  Hals  des  Tieres  wird  ursprünglich  mehr  senkrecht  in  die  Höhe  gegangen, 
sein  Kopf  dem  Gesicht  des  Hirten  näher  gekommen  sein,  so  etwa  wie  an  den  Sarko- 
phagen von  der  Via  Salaria,  von  Maria  Antiqua  und  an  dem  im  Palazzo  Rondanini 
[Abb.  2.  4.  9];  dann  entsteht  eine  geschlossenere  Silhouette  und  der  Kopf  des  Hirten 
dominiert.  Der  Gute  Hirte  war  nicht  die  erste  Darstellung  freundlichen  Verkehrs 
zwischen  Mensch  und  Tier.  In  Wahrheit  aber  legte  die  altchristliche  Kunst  nicht  den 
Hauptnachdruck  auf  psychischen  Ausdruck  der  Gesichtszüge,  und  wo  dergleichen  zu- 
tage tritt,  da  ist's  nur  ein  Beleg  mehr  für  den  Reichtum  der  Antike  an  mannigfach 
abgestufter  Gemütsstimmung.  Wer  das  ja  nicht  gerade  christliche  Bedürfnis  fühlt,  sich 
in  seinem  christlichen  Selbstgefühl  zu  wiegen,  der  mag  den  guten  Hirten  dem  an- 
nähernd gleichzeitig  geschaffenen  bösen  Caracalla  gegenüber  stellen;  nur  vergesse  er 
nicht,  daß  es  allezeit  auch  freundliche  Heiden  und  böse  Christen  gegeben  hat,  daß  aber 
im  zeitlichen  Rahmen  des  Altertums  die  künstlerische  Darstellung  der  Freundlichkeit 
wie  der  Bosheit  immer  derselben  Antike  verdankt  wird.1) 

Alle  übrigen  Statuetten  des  Guten  Hirten  geben  einen  zweiten  Typus  wieder 
und  fallen  in  spätere  Zeit,  in  das  vierte  Jahrhundert.  Auf  einer  Zwischenstufe  steht 
das  vor  Porta  San  Paolo  (Ostiensis)  gefundene  Exemplar;  auch  an  ihm  sind  die  frei 
abstehenden  Armstücke  und  die  Beine  abgebrochen.  Das  Gesicht  des  Hirten  ist  noch 
dem  Tier  zugewendet,  obwohl  dies  sich  nicht  zu  ihm  umdreht,  sondern  den  Kopf  gerade- 
aus hängen  läßt.  Kopf  und  Gesicht  des  Hirten  sind  nicht  so  edel  gebaut,  wie  es  vor- 
hin der  Fall  war;  der  Schwerpunkt  ist  tiefer  gelegt,  das  feine  Oval  aufgegeben.  Der 
Hirt  trägt  einen  weitärmeligen  Chiton,  die  Tasche  hat  er  auf  den  Rücken  geschoben. 
Die  Rechte  faßt  alle  vier  Pfoten,  die  Linke  hielt  wohl  das  Pedum.  Was  bei  der  vor- 
geschlagenen Korrektur  von  Lat.  n.  103  möglich  erscheint,  daß  nämlich  die  Figur  zur 
Aufstellung  in  einer  Nische  bestimmt  war,  das  gewinnt  hier  an  Wahrscheinlichkeit 
durch  die  halbkreisförmige  Silhouette  des  Tiers.  Doch  darf  man  nicht  außer  acht 
lassen,  daß  auch  die  Rückseiten  ausgearbeitet  sind,  so  daß  eine  freie  Aufstellung  so 
weit  denkbar  bleibt;  immerhin  möchte  ich  lieber  an  Aufstellung  vor  festem  Hinter- 
grund denken,  da  die  Figuren,  entschieden  auf  Frontansicht  berechnet,  geradezu  als 
Reliefs  wirken.2) 

l)  Lateran  n.  103:  de  Rossi,  Bull,  crist.  1887  (ersch.  1889)  139  Taf.  12.  Abbildung  ohne  die 
Ergänzungen  bei  Garr.  Storia  VI  Taf.  425,  5.  —  Weis-Lieberadorf,  Christus-  und  Apostelbilder  15. 
—  Zweiter  Christustyp  Wilpert,  Malereien  107.  Unser  Band  I  281.  —  Sarkophag  Rondanini: 
Garr.  V  Taf.  370.  4.  Die  Augenpartie  des  lesenden  Mannes  hat  eine  sonderbare  Verwandtschaft 
mit  Caracalla  (m.  Weltgesch.  *440  Abb.).  —  Das  Hirtenfigürchen  mit  dem  Hund,  im  Kircheri- 
anum  zu  Rom,  bedarf  erst  noch  der  genaueren  Untersuchung;  einstweilen  vgl.  de  Rossi, 
Bull,  crist.  1887,  140.  —  Bärtig  ist  der  Gute  Hirt  aus  San  demente:  Roller,  Catacombes  264 
Taf.  40,  5.  Vgl.  de  Waal,  Rom.  Quart.  1890,  101,  2.  —  Endlich  die  Herme  BuD.  crist.  1895,  13 
Taf.  1,  2. 

•)  Guter  Hirt,   zweiter  Typ:  de  Rossi,  Bull.  com.   1889,  131  Taf.  5;  ders.  Bull,  crist.  1887 


106  Plastik. 

Die  nun  folgenden  Statuetten  fallen  frühestens  in  die  Zeit  Konstantins.  Sie  sind 
Pfeilerfiguren  mit  einem  der  Rückseite  angearbeiteten  Pilaster;  ob  sie  in  marmorne 
Schranken  eingeordnet,  oder  wie  sie  sonst  verwendet  waren,  steht  dahin.  —  De  Rossi 
und  andere  neigen  der  Ansicht  zu,  daß  der  zweite  Typus  auch  derjenige  der  konstan- 
tinischen Brunnenfiguren  gewesen  sei,  von  denen  Eusebius  berichtet.  Auf  den  Plätzen 
Konstantinopels  habe  der  Kaiser  goldplattierte  Bronzestatuen  als  Brunnenfiguren  er- 
richtet, in  den  Typen  des  Daniel  zwischen  den  zwei  Löwen  und  des  Guten  Hirten. 
Beide  Gruppen  würden  untereinander  gleichartiger  sein,  wenn  der  Gute  Hirte,  wie  in 
den  Malereien  und  Reliefs  meistens,  zwischen  zwei  Schafen  stände.  Da  fast  alle  Exem- 
plare ihre  unteren  Teile  verloren  haben,  so  ist  es  denkbar,  daß  bei  ihnen  dem  Hirten 
zwei  Schafe  zur  Seite  standen;  das  Exemplar,  welches  unsere  Abb.  36  wiedergibt,  weist 
auf  der  erhaltenen  Fußplatte  in  der  Tat  die  Spalthufe  des  Tieres  zur  Rechten  des 
Hirten  auf.  Dabei  bliebe  noch  unentschieden,  ob  die  Brunnenfiguren  frei  oder  in 
Nischen  aufgestellt  waren.  —  Konstantinopel,  Tschinili  Kiosk.  Auch  ein  Zwitter, 
wie  das  vorige  Stück,  aber  in  anderer  Weise;  der  Unterschied  besteht  darin,  daß  der 
Kopf  des  Tieres  sich  wieder  zum  Gesicht  des  Hirten  zurückwendet,  dessen  Gesicht  da- 
gegen fast  genau  frontal  gegeben  ist.  —  Athen,  Ethnikon  Mouseion.  Bis  zu  den 
Knien  erhalten,  linker  Arm  und  Gesicht  ab.  —  Sparta,  Museum.  Bis  zum  Gürtel  er- 
halten, linker  Arm  ab,  Gesicht  verscheuert.  —  Rom,  Lateran  n.  105.  Nach  de  Rossi  un- 
ergänzt,  nach  Theodor  Wiegand  bei  Strzygowski  ist  der  linke  Arm  aus  mehreren  Stücken 
zusammengesetzt  und  neu.  Pas  vollständigste  Exemplar  des  Typus.  —  Sevilla,  des 
Herzogs  von  Medinaceli,  Casa  di  Pilatos.  Im  übrigen  vom  zweiten  Typus,  aber  an- 
scheinend bärtig.1) 

In  den  Malereien  der  Katakomben  sahen  wir  den  Guten  Hirten  einigemal  durch 
Orpheus  vertreten,  also  den  Christus  im  Typus  des  thrakischen  Sängers  dargestellt,  wie 
er  durch  die  Zaubergewalt  seiner  Lieder  sogar  die  Tiere  zwingt.  Daß  hier  wirklich 
der  Christus  als  der  wahre  Orpheus  geschildert  ist,  wurde  durch  die  Mehrzahl  der 
christlichen  Bilder  bestätigt,  die  ihn  nicht  von  dem  sonst  typischen  Kreis  allerlei  Ge- 
tiers umgeben  zeigt,  sondern  bloß  von  den  zwei  Schafen,  welche  die  Begleitung  des 
Guten  Hirten  zu  bilden  pflegen.  An  einigen  Sarkophagen  nun  begegnet  Orpheus  von 
neuem;  einer,  mit  der  Inschrift  FYRMI  DULCIS  ANIMA  SANCT,  befindet  sich  im 
Lateran,  der  andere  in  Porto  Torres  auf  Sardinien;  beide  sind  geriefelt,  am  zweiten 
die  Riefeln  ganz  entartet.  Sie  zeigen  im  Mittelfeld  den  Sänger  Orpheus,  in  der  be- 
wegteren Haltung  wie  die  späteren  Malereien  ihn  geben  (die  mit  dem  Kreis  von  mancherlei 
Tieren),  den  linken  Fuß  auf  eine  Felsstufe  gestellt,  den  Kopf  halb  links  gewandt,  um- 
geben aber  nur  von  einem  Schaf  rechts  und  einer  flügelschlagenden  Taube  auf  einem 
Baum  links.   Am  Exemplar  von  Porto  Torres  hat  sich  ein  zweiter  Vogel  auf  den  Steg 

erschienen  1889)  136  Taf.  11,  die  Rückseite  S.  138  Abb.  Venturi,  Storia  delP  arte  italiana  I  25 
Fig.  22.  —  Zu  Frontansicht  und  Verhältnis  zwischen  Relief  und  Statue  vgl.  v.  Sybel.  Kunst- 
chronik 1889,  33;  Weltgesch.  a268.  Vgl.  Wölfflin,  Zeitschr.  f.  bild.  Kunst  1896,  224.  L.  Volk- 
mann, Grenzen  d.  Künste  1903,  78. 

*)  Brunnenfiguren:  Euseb.  Vita  Const.  III  49.  Vgl.  noch  de  Waal,  Rom.  Quartalsch.  1890, 
103.  —  Konstantinopel:  de  Rossi,  Bull,  crist.  1887,  140,  5.  Strzygowski,  Rom.  Quart.  1890,99. 
Kraus  Gesch.  I  589  Fig.  363.  —  Athen:  de  Rossi  a.  O.  141,  2.  Garr.  VI  Taf.  428,  7.  Strzygowski, 
a.  O.  1890,  91  Taf.  4,  1.  —  Sparta:  Ath.  Mitteil.  1877,  358  n.  132.  Dressel,  Bull,  crist.  1879,  34. 
Strzygowski,  a.  O.  98  Taf.  4,  2.  —  Rom:  de  Rossi,  a.  O.  139.  Strzygowski,  a.  O.  99  Taf.  5.  — 
Sevilla:  Hübner,  Ant.  Bildw.  in  Madrid  n.  879,  13.    de  Rossi,  a.  O.  141. 


Alttestamentliche  Typen.  107 

der  Kithara  gesetzt;    am  lateranischen  Exemplar  ist  die  betreffende  Stelle  des  Reliefs 
ausgebrochen. *) 

Der  Marmor  in  Athen,  aus  Ägina,  der  auf  einem  vorn  mit  Tieren  verzierten 
profilierten  Sockel  vor  einem  oben  hervorschauenden  Palmstamm  den  sitzenden  Orpheus 
zeigt,  umgeben  von  vielen  Tieren,  ein  spätantikes  Werk  in  unterarbeitetem  flächigem 
Relief,  ist  als  Bildwerk  heidnisch.  Ob  Christen  es  für  ihre  Zwecke  verwendet  haben, 
natürlich  dann  unter  Umdeutung  auf  den  „wahren  Orpheus",  kann  man  dem  athe- 
nischen Marmor  nicht  ansehen,  wohl  aber  der  übrigens  fragmentierten  und  in  einigen 
Teilen  abweichenden  konstantinopeler  Replik,  an  deren  Sockel  Paul  Arndt  ein  nach- 
träglich eingeritztes  Kreuz  bemerkte.2) 


Alttestamentliche  Typen. 

Der  Begriff  Christliche  Antike  scheint  den  Theologen  unsympathisch  zu  sein;  so 
hält  selbst  Viktor  Schultze  an  dem  spezifischen,  nicht  antiken,  Charakter  des  Christen- 
tums fest.  Ich  gehe  natürlich  nicht  so  weit,  dem  Christentum  sein  Spezifisches,  dem 
Heidentum  gegenüber,  abzustreiten.  Aber  ich  denke,  Sokrates  bedeutete  eine  viel 
radikalere  Revolution  als  Jesus  (ebendeshalb  mißlang  jene,  gelang  diese;  wenn  jene 
gelang,  so  war  für  diese  kein  Raum  mehr);  und  es  gibt  gelehrte  und  geistreiche 
Bücher,  welche  bei  Definition  des  Griechentums  originale  Köpfe  wie  Sokrates  außer 
Ansatz  lassen.  Doch  die  Philologie  insgemein  stellt  den  Sokrates  als  antike  Größe  in 
Rechnung.  Und  so  werden  auch  die  Theologen  dahin  kommen,  das  Christentum  ein- 
schließlich seines  Spezifischen  als  antike  Größe  anzuerkennen.  Wenn  Schultze  sich  auf 
Harnack  beruft,  so  müßte  ich,  falls  Schultze  ihn  richtig  aufgefaßt  hätte,  Adolf  Harnacks 
Forschung  in  Ehren,  den  Theologen  Harnack  als  Zeugen  in  dieser  Sache  ablehnen.  Der 
Philologe  sieht  die  Dinge  wohl  anders,  er  sieht  sie  im  Lichte  der  antiken  Religions- 
geschichte. Da  die  Religion  der  Griechen  ihre  letzte  Entwicklungsphase,  die  christliche, 
noch  im  zeitlichen  Rahmen  des  Altertums  erlebte  und  da  die  christlich  griechische 
Religion  innerlich  und  äußerlich  sich  als  antike  Religion,  antiken  Kultus  bewährt,  so 
kann  der  Philologe  nicht  anders,  als  im  Christentum  das  Schlußkapitel  der  antiken 
Religionsgeschichte  sehen.8) 

Die  Bedeutung  des  Begriffs  Christliche  Antike  muß,  gegenüber  den  widerstrebenden 
Theologen,  auch  für  das  engere  Gebiet  der  Kunst  aufrecht  erhalten  werden.  Schultze 
bemerkt  zu  unserem  ersten  Bande,  daß  bei  den  „Erlösungstypen"  die  Anknüpfungs- 
versuche an  antike  (will  sagen  heidnische)  Parallelen  sehr  zurücktreten.  Im  Vergleich 
zu  dem  bei  den  „Übernommenen  Emblemen"  Gegebenen  treten  sie  in  der  Tat  zurück; 
aber  nicht,  weil  sie  nichts  eintrügen,  sondern  weil  es  sich  da  eben  nicht  mehr  um 
Übernommenes  handelt,  sondern  um  Neugeschaffenes.  Gerade  unsere  Formel  „Christ- 
liche Antike*  befreit  die  Forschung  von  dem  Suchen  nach  Beweisen  der  Abhängigkeit 


x)  Orpheus:  Lat.  n.  156  G  307,  3.  Porto  Torres  G  307,  4.  —  Malereien:  Band  I  245. 
Spätere:  Wilpert  Taf.  55  (Christi.  Antike  I  155  Abb.).  229.  —  Mehr  bei  Ficker  zu  Lat.  n.  156. 

9)  Strzygowski,  Rom.  Quartalschr.  1890,  104  Taf.  6.     Institutsphot.  N.  M.  64. 

•)  In  Wahrheit  habe  ich  von  Harnacks  Geschichtsauffassung  eine  bessere  Meinung  als 
Schultze,  vgl.  Band  I  17,  1  die  Zitate  aus  Harnack  wie  „Die  Kirche  —  der  zusammenfassende 
Abschluß  der  bisherigen  Religionsgeschichte  *. 


108  Plastik. 

(der  christlichen  von  der  heidnischen  Kunst)  und  erlaubt  ihr,  originale  Schöpfung  bei 
der  christlichen  unbefangen  anzuerkennen  wie  bei  der  heidnischen.  Im  Künstlerischen 
blieb  die  Kunst  immer  dieselbe  Antike,  nach  Maßgabe  der  ihr  in  der  Kaiserzeit  noch 
inne  wohnenden  Kräfte  gleich  bereit,  alle  an  sie  herantretenden  Aufgaben  zu  lösen, 
mochte  es  sich  um  den  Kult  des  Juppiter,  des  Mithras  oder  des  Christus  handeln 
(Band  I  181).  Wenn  ich  aber  (was  Schultze  seinerseits  zu  sehr  zurücktreten  läßt)  fast 
zu  jedem  alttestamentlichen  Bild  tatsächlich  doch  Parallelen  aus  der  heidnischen  Mytho- 
logie und  Kunst  beibrachte,  so  geschah  es  nicht  in  dem  Sinne  jener  Abhängigkeits- 
theorie, sondern  der  archäologischen  Typologie.  Die  christlichen  Typen  stehen  in  der 
Kette  der  typengeschichtlichen  Entwicklung;  es  ist  nötig,  ihre  typengeschichtliche  Filia- 
tion  ebenso  zu  ermitteln,  wie  es  in  der  Archäologie  sonst  geschieht,  beim  phidiasischen 
Zeus  oder  bei  der  praxitelischen  Aphrodite.  Wie  der  Zeus  und  die  Aphrodite  durch 
ihre  Einordnung  in  die  typengeschichtliche  Kausalität  nichts  an  ihrem  Wert  als  originale 
Schöpfungen  verlieren,  so  nimmt  die  typologische  Behandlung  den  christlichen  Kunst- 
erzeugnissen nichts  von  dem  Original  wert,  den  sie  etwa  besitzen  (Band  I  10).  Und 
wenn  ich  zum  David  mit  der  Schleuder,  zum  Tobias  mit  dem  Fisch,  zu  den  neu- 
testamentlichen  Totenerweckungen  und  Heilungsszenen  typologische  Winke  zu  geben 
verzichtete,  so  geschah  dies,  weil  es  den  Archäologen  gegenüber  nicht  nötig  war.  Denn 
diese  Art  Szenen  bedürfen  für  den  Archäologen  keiner  eingehenden  Untersuchung,  sie 
stellen  sich  ihm  ohne  weiteres  zu  den  Malereien  in  den  Kolumbarien  und  zu  den  Klein- 
bildern in  den  stadtrömischen  und  pompejanischen  Wanddekorationen,  den  Gerichts-, 
Handwerks-,  Fischer-,  Hirten-  und  Wirtshausszenen.  Man  braucht  beides  nur  neben- 
einanderzuhalten, um  sich  zu  überzeugen,  daß  hier  wie  dort  dieselbe  Kunst  an  der 
Arbeit  ist.  Wenn  endlich  einmal  die  Typik  der  griechischen  Kunst  geschrieben  werden 
wird,  so  werden  auch  der  David  mit  der  Schleuder,  der  Tobias  mit  dem  Fisch,  der 
Gichtbrüchige  mit  seinem  Bett,  usf.,  darin  ihre  Plätze  finden,  ein  jeder  an  seinem  Ort, 
und  eben  damit  auch  ihre  typengeschichtliche  Erklärung.1) 

Wenn  wir  uns  nunmehr  zur  Betrachtung  der  einschlägigen  Sarkophagreliefs  wenden, 
so  sei  allgemein  gesagt,  daß  hier  natürlich  auch  die  heidnisch  antiken  Reliefs  als  typen- 
geschichtliches Material  in  Frage  kommen.     Solches  Material  findet  man  in  den  offi- 


*)  Viktor  Schultze:  Hölschera  Theol.  Literaturblatt  1907,  50 f.  —  Thiersch,  Hist. 
Zeitschr.  CII  1909,  582  meint,  die  Erlösungstypeu  hätten  doch  wohl  Beziehung  auf  die  Christen- 
verfolgungen, sie  sprächen  von  der  Erlösung  aus  dem  Märtyrertod  in  den  Himmel.  Damit  wird 
vorausgesetzt,  daß  sie  für  Märtyrergräber  erfunden  seien;  aber  sie  kommen  von  Anfang  an  all- 
gemein vor,  können  also  nur  die  allgemeinere  Bedeutung  der  Erlösung  aus  dem  Tod  in  die  Selig- 
keit haben.  Nur  zwei  dieser  Typen  verlangen  unter  dem  von  Thiersch  empfohlenen  Gesichtspunkt 
Beachtung,  Daniel  in  der  Löwengrube  und  die  drei  Jünglinge  vor  Nebukadnezar.  Den  Daniel 
aus  der  babylonischen  Löwengrube  in  die  Arena  zu  versetzen,  lag  dem  erfindenden  Künstler  nahe 
genug,  auch  wenn  es  niemals  Christenverfolgungen  gegeben  hätte.  Man  braucht  bei  dem  Bilde 
nicht  an  Märtyrer  zu  denken;  freilich  konnte  man  es,  nach  den  Umständen,  wenn  man  wollte. 
Bei  der  Interpretation  aber  handelt  sich's  in  erster  Linie  um  die  Motive,  aus  denen  die  Bilder 
entstanden;  nur  in  zweiter  Linie  interessieren  die  sekundären  Vorstellungen,  welche  unter  Um- 
ständen mit  dem  bereits  bestehenden  Typus  sich  verknüpfen  konnten.  Bei  den  drei  Jünglingen 
kann  man  eher  an  primäre  Beziehung  auf  die  Märtyrer  denken,  weil  das  von  Nebukadnezar  er- 
richtete Bild  hier  in  der  Form  einer  Kaiserbüste  gegeben  ist.  Man  wolle  aber  beachten,  daß  der 
Typus  in  der  Katakombenmalerei  erst  spät  auftritt,  in  der  Zeit  des  blühenden  Märtyrerkultes 
(wahrscheinlich  ist  er  in  der  Skulptur  entstanden  und  von  da  in  die  Malerei  übertragen);  er  kann 
für  die  Urspruugsmotive  der  Erlösungstypeu  nichts  beweisen. 


Alttestamentliche  Typen.  109 

ziellen  Reliefs  der  römischen  Kaiserzeit;  beispielsweise  am  Trajansbogen  von  Benevent 
die  Togati  vor  dem  Kaiser  in  bürgerlicher,  die  Knienden  vor  demselben  in  militärischer 
Tracht;  oder  in  dem  konstantinischen  Relief  an  des  Kaisers  Bogen  der  spendende 
Kaiser  oben,  die  Adorierenden,  Bittenden  und  Empfangenden  unten;  einige  heben  die 
Hände  wie  Moses  beim  Gesetzesempfang,  andere  den  Mantelbausch  wie  Petrus.1) 

Es  ist  schwer,  einen  ausreichenden  Einteilungsgrund  für  die  bildlichen  Typen  zu 
finden,  die  wir  noch  zu  besprechen  haben.  Weil  sie  den  christlichen  Gedanken  der 
Erlösung  aus  dem  Tode  ins  ewige  Leben  aussprechen,  so  brachten  wir  sie  in  dem  der 
Interpretation  gewidmeten  ersten  Band  unter  dem  Titel  Erlösungstypen.  Dem  Her- 
kommen folgend  beließen  wir  es  bei  der  an  der  Oberfläche  bleibenden  Zweiteilung  in 
alt-  und  neutestamentliche  Szenen.  Auch  jetzt  verzichten  wir  darauf,  eine  rationellere 
Disposition  zu  suchen.  Immerhin  sei  die  Bemerkung  nicht  zurückgehalten,  daß  die  her- 
kömmliche Rubrizierung  in  mehreren  Fällen  auf  Schwierigkeiten  stößt,  insofern  einzelne 
Typen  ebensosehr  als  alt-  wie  als  neutestamentliche  Motive  angesprochen  werden  können. 
In  welche  Rubrik  z.  B.  sollen  wir  den  präexistenten  Christus  stellen?  Aber  wir  wollen 
uns  hier  nicht  bei  solchen  Sorgen  aufhalten  und  zur  Sache  kommen. 

Alttestamentliche  Typen.  Von  den  vorbesprochenen  Typen  haben  wir  einige 
wenige  wie  Orans  und  Guter  Hirt  als  im  Erfolg  spezifisch  christlich  zu  bezeichnen;  die 
nachgehends  aufzuführenden  sind  es  sämtlich.  Halten  wir  uns  im  Gesichtskreis  der 
stadtrömischen  Kunst,  so  werden  wir  sagen  müssen,  daß  die  Typik  der  christlichen 
Sarkophagbilder  vorgebildet  sein  müsse  von  der  im  ganzen  genommen  (also  Aus- 
nahmen vorbehalten)  älteren  Typik  der  Katakombenmalerei;  und  es  würde  an  diesem 
Verhältnis  noch  nichts  geändert,  wenn  sich  nachweisen  ließe,  daß  die  christliche  Malerei 
aus  dem  griechischen  Osten  nach  dem  Westen  gekommen  sei,  einerlei  ob  im  Gefolge 
der  christlichen  Mission  aus  den  Küstenländern  Vorderasiens  oder  auf  dem  Verkehrs- 
weg des  mit  am  kräftigsten  Kulturherdes,  Alexandriens,  zur  Reichshauptstadt  Rom. 
Aber  noch  eine  andere  Frage  hat  Strzygowski  aufgeworfen,  in  der  Form  einer  weiteren 
Hypothese:  die  Frage,  ob  es  eine  jüdische  Kunst  gegeben  habe,  welche  die  alt- 
testamentlichen  Szenen  der  christlichen  Kunst  vorgebildet  haben  könnte.  Strzygowski 
ist  geneigt,  die  Frage  zu  bejahen.  Er  hebt  hervor,  daß  in  der  römischen  Katakomben- 
malerei ursprünglich  die  alttestamentlichen  Bilder  überwiegen,  die  neutestamentlichen 
erst  allmählich  hinzukommen,  bis  sie  zuletzt  überwiegen.  Nun  leitet  seine  bereits  früher 
erwähnte  Hypothese  die  Katakombenkunst  aus  Alexandrien  ab,  also  aus  einem  Haupt- 
sitze des  hellenistischen  und  speziell  auch  eines  geistig  besonders  regen  Judentums,  das 
durch  den  Hellenismus  zu  einer  Figurenkunst  angeregt  sein  könnte.  Auch  diese  Doppel- 
hypothese, von  dem  einstigen  Dasein  einer  hellenistisch  jüdischen  Kunst  als  der  Mutter 
der  altchristlichen,  insbesondere  ihres  Schatzes  an  alttestamentlichen  Bildern,  will  im 
Auge  behalten  sein,  auch  sie  als  eine,  die  möglicherweise  künftig  einmal  heuristisch 
wertvoll  werden  kann.2) 

Daniel  in  der  Löwengrube.  Wir  kennen  den  Typus  aus  der  Malerei:  Daniel 
steht  nackt  zwischen  zwei  Löwen,  frontal,  beide  Hände  im  Oranstypus  ausgebreitet  (der 
sentimentale  alte  Herr  in  Talar  und  Mantel,  der  am  Bassussarkophag  als  Daniel 
figuriert,  ist  moderne  Fälschung;    bei   der  Auffindung  des  Sarkophags  war  der  antike 

l)  Benevent:  Brunn-Bruckmann,  Denkmäler  Taf.  397,  1.  398,  2.  Konstantinisches  Belief: 
unsere  Abb.  21. 

a)  Strzygowski,  Alexandrinische  Weltchronik  (Wiener  Akad.  Denkschr.  LI  1905)  183  ff. 


HO  Plastik. 

nackte  Daniel  ebensogut  vorhanden  wie  die  anderen  Gestalten,  Bottaris  Kupfer  gibt 
ihn  wieder,  danach  Garrucci  [unsere  Abb.  18]).  Die  Löwen  stehen  öfter  abgewandt, 
wenden  aber  den  Kopf  nach  Daniel  zurück;  einmal  springen  sie  auf,  bisweilen  sitzen 
sie.  —  In  den  Zusätzen  zum  Buch  Daniel  wird  erzählt,  daß  der  Engel  des  Herrn  den 
Habakuk,  da  er  in  Judäa  den  Schnittern  in  einem  Napf  eingebrocktes  Brot  auf  das 
Feld  brachte,  am  Schopf  faßte  und  nach  Babylon  zur  Löwengrube  entführte,  mit  samt 
dem  Napfe,  um  ihn  dem  Daniel  zu  bringen.  In  den  Reliefs  pflegt  Habakuk  unbärtig 
dargestellt  zu  werden,  im  Chiton,  in  den  Händen  einen  Napf  mit  den  typischen  Kreuz- 
wecken der  christlichen  Kunst.  Dann  kommt  er  auch  bärtig  vor,  einmal  auch  in  Rock 
und  Hosen.  Meist  steht  er  mit  dem  Napf  ruhig  neben  Daniel,  doch  reicht  er  ihn  wohl 
auch  sich  vorneigend.  Es  treten  noch  Hintergrundsfiguren  hinzu,  bartlose  oder  bärtige, 
gern  aber  wird  dem  Habakuk  eine  solche  Figur  symmetrisch  gegenüber  gestellt,  welche 
sprechend  die  Rechte  vorstreckt;  ob  man  in  ihr  den  König  erkennen  darf,  bleibt  frag- 
lich, da  er  auf  keine  Weise  charakterisiert  ist.  —  Einmal  steht  Daniel  bis  über  die 
Knöchel  in  einem  die  Löwengrube  vertretenden  länglichen  sarkophagartigen  Kasten; 
damit  verrät  sich  Daniel  unverkennbar  als  Sinnbild  der  Erlösung  aus  dem  Tod  ins 
ewige  Leben,  hier  vielleicht  auch  durch  die  Auferstehung.  Die  Löwen  sitzen  etwas 
unlogisch  auf  dem  doch  offen  zu  denkenden  Trog,  Daniel  blickt  zu  ihnen  hinab.  Er 
steht  zwischen  zwei  bärtigen  Hintergrundsfiguren,  von  denen  die  eine  die  Rechte 
sprechend  vorstreckt,  die  andere  die  ihre  auf  Habakuks  Scheitel  legt,  daher  man 
schwankt,  ob  sie  den  Engel  des  Herrn  oder  den  Herrn  selbst  vorstellen  solle  [Abb.  37]. 
—  An  einem  Sarkophag  zu  Brescia  endlich  wird  Habakuk,  unbärtig  und  in  Exomis, 
von  einer  Hand,  die  aus  einer  Gruppe  von  sieben  Sternen,  das  will  sagen  aus  dem 
Himmel,  herabgreift,  am  Schopf  vor  Daniel  gebracht.  Unsere  Abb.  14.  18.  37.  38.  43.1) 
Daniel  tötet  den  Drachen.  Die  Zusätze  zum  Buch  Daniel  erzählen  von  einer 
Schlange  (dqäyuov),  der  die  Babylonier  göttliche  Ehre  erwiesen.  Zum  Beweis  ihrer  nicht 
göttlichen  Natur  erbot  sich  Daniel  sie  ohne  Schwert  zu  töten  und  erhielt  dazu  die  Er- 
laubnis des  Königs.  Er  kochte  Pech,  Fett  und  Haare  zusammen,  bereitete  einen 
Kuchen  daraus  (einen  Kuchen  ftdi^av,  Septuaginta;  Kuchen,  pci^ag,  Theodotion)  und 
warf  ihn  (sie)  der  Schlange  ins  Maul;  nachdem  sie  gefressen  hatte,  barst  sie.  —  Das 
ist  mehrfach  in  Sarkophagreliefs  dargestellt,  immer  an  einem  Ende,  der  Baum  oder  der 
Tempel  bildet  den  Abschluß.  Die  Schlange  ist  um  einen  Baum  gewunden,  wie  ähnlich 
die  im  Sündenfall;  es  ist  der  typische  Ölbaum  der  christlichen  Kunst.  Daniel,  in 
Chiton  und  Mantel,  schiebt  ihr  den  Kuchen  ins  Maul,  zwischen  beiden  ein  umgestürzter, 
trotzdem  flammender  Altar,  dazu  eine  bartlose  Hintergrundsfigur.  Ein  andermal  steht 
der  Altar  noch  aufrecht,  zur  Andeutung  des  Schlangenkultus;  hier  reicht  Daniel  der 
Schlange  eine  Schüssel  mit  mehreren  kleinen  Kuchen  hin,  also  wie  bei  Theodotion.    An 


»)  Daniel  in  der  Löwengrube:  Band  I  211.  215.  —  Bassus:  Bottari  Taf.  15  G  322,  2. 
Der  jetzige  Zustand  nach  Photographie  bei  Grisar,  Böm.  Quart.  1896  Taf.  5.  de  Waal,  Sark.  d. 
Bassus  Taf.  2.  —  Löwen  abgewandt:  Lat.  n.  137  G  359,  1.  n.  184  G  364,  2.  n.  212  G  358,  1. 
n.  187.  234;  aufspringend:  Wittig  67  n.  23;  sitzend:  Lat.  n.  55  G  358,  3.  —  Habakuk  (Zusätze  zu 
Daniel  bei  Swete,  Old  testament  III  590.  591.  Kautzsch,  Apokryphen  192):  Lat.  n.  55  G  358,  3. 
n.  147  G  384,  3.  n.  175  G  367,  1;  bärtig:  Lat.  n.  124  G  398,  4;  Hosen:  Lat.  n.  135  G  318,  3; 
vorgeneigt:  Lat.  n.  162  G  348,  1.  Hintergrundsfiguren  bärtig:  Lat.  n.  178  G  367,  3;  Hechte 
sprechend:  Lat.  n.  189  G  367,  2.  n.  190  G  384,  5.  Hand  auf  Scheitel:  Lat.  n.  104  G  365,  2. 
Hand  aus  Sternen:  G  323,  2. 


Alttestamentliche  Typen.  111 

einem  Sarkophag  zu  Verona  steht  der  flammende  Altar  vor  einem  säulenlosen  Tempel, 
aus  dessen  offener  Front  die  Schlange  herauskommt;  der  Ölbaum  hinter  Daniel,  hier 
vielleicht  nur  als  Szenentrennung.  Am  Sarkophag  von  Mantua  kommt  die  Schlange 
aus  einer  Öffnung  am  Ende  des  Reliefs  hervor,  hinter  Daniel  hebt  ein  Mann  ver- 
wundert die  Hand.  —  Die  zwei  oberitalischen  Danielbilder  haben  zu  Gegenstücken  eine 
noch  nicht  genügend  erklärte  Szene:  ein  Mann  in  Rock  und  Mantel  spricht  einen 
sitzenden  großen  Hund  an,  der  wie  aufheulend  den  Kopf  und  die  Tatze  hebt.  Man 
würde  an  eine  freundliche  Begrüssung  denken,  wenn  nicht  das  Gegenstück  zur  Zurück- 
haltung mahnte.  Am  veroneser  Exemplar  ist  der  Mann  bärtig,  der  Hund  sitzt  vor 
einem  Haus  mit  rundbogig  schließendem  Eingang;  am  mantuaner  Relief  fehlt  das  Haus, 
hinter  dem  Mann  wendet  sich  ein  zweiter  weg,  wie  um  sich  in  Sicherheit  zu  bringen, 
blickt  dabei  aber  zurück.  Die  Darstellung  mit  dem  Haus,  vor  dem  der  Hund  sitzt, 
gemahnt  an  jene  Ernteszenen,  wo  der  heimkehrende  Ochsenkarren  von  dem  Haushund 
begrüßt  wird.  Garrucci  will  in  dem  Haus  den  Schafstall  Christi  erkennen;  Schafställe 
sahen  wir  mehrfach  als  Quaderbauten  dargestellt.  Es  darf  nicht  übersehen  werden, 
daß  alle  Exemplare  dem  vierten  Jahrhundert  angehören.  Das  Danielbild  symbolisiert 
den  Sieg  des  Christus.1) 

Das  beim  vorigen  Typus  erstgenannte  Bild  hat  als  Gegenstück  den  Daniel  als 
Richter  in  der  apokryphen  Geschichte  von  der  keuschen  Susanna.  Zwei  Älteste  des 
jüdischen  Volks  lauerten  der  schönen  Susanna  auf,  da  sie  im  Park  ihres  Mannes  lust- 
wandelte. Da  Susanna  standhaft  bleibt,  erheben  die  zwei,  um  sie  zu  verderben,  falsche 
Anklage  gegen  sie;  aber  der  noch  junge  Daniel,  dem  der  Engel  des  Herrn  es  eingab, 
überführte  sie,  und  Susanna  ward  gerettet.  —  Wir  haben  nur  ein  paar  Darstellungen 
der  Geschichte.  In  der  einen  sind  zwei  Hauptmomente  verbunden,  und  die  zwei 
Altesten  sind  auf  die  zwei  Momente  verteilt:  der  eine  lauert  hinter  einem  Baum,  durch 
dessen  Zweige  er  den  Kopf  schiebt,  die  Rechte  nach  Susanna  schon  vorgestreckt;  der 
andere  tritt  in  gebückter  Haltung  vor  den  vor  Parapetasma  frontal  thronenden  Daniel, 
vorgeführt  von  zwei  Soldaten  (in  Chlamys,  der  eine  mit  gezücktem  Schwert).  Auf  der 
anderen  Seite  des  Biselliums  steht  Susanna  matronal,  mit  sprechender  Gebärde,  vor 
Daniel,  neben  ihr  ein  offener  Schriftbehälter  mit  Rollen.  —  An  einem  Säulensarkophag 
thront  Daniel  erhöht,  dem  von  einem  Soldaten  mit  gezücktem  Schwert  vorgeführten, 
gebückt  nahenden  Ältesten  zugewandt;  auf  der  anderen  Seite  steht  Susanna  (in  Mantel 
und  Schleier)  neben  ihrem  Manne  Jojakim.  —  Man  hat  den  Typus  als  Rettungsbild  auf- 
zufassen. Der  Rollenbehälter  neben  der  Susanna  dort  und  die  Rolle  in  der  Hand  des 
Jojakim  hier  verraten,  daß  jene  Susanna  und  dieses  Ehepaar  die  Verstorbenen  meint.2) 

Bei  den  Malereien  fanden  wir  einen  nicht  ganz  klaren  Typus:  eine  Orans  zwischen 
Bäumen,  hinter  denen  zwei  Männer  kauern.  Weder  die  Deutung  auf  Susanna  zwischen 
den  im  Park  auflauernden  Ältesten  noch  die  auf  Bewillkommnung  einer  Verstorbenen 
durch  Selige,  im  himmlischen  Paradies,  ging  restlos  in  den  Darstellungen  auf.  Die- 
selbe Szene  findet  sich  auf  einem  Sarkophagfragment  des  deutschen  Campo  santo.8) 

Die   drei  Jünglinge    im    glühenden  Ofen  waren  in  der  Skulptur  verhältnis- 

*)  Zusätze:  Swete  III  588.  589.  Kautzsch,  Apokryphen  191.  —  Umgestürzter  Altar:  Lat.  n. 
136  G  383,  5.     Altar  aufrecht:  Lat.  n.  179  G  370,  1.     Verona:  G  333,  1.     Mantua:  G  320,  2. 

a)  Susanna:  Swete  III  576.  577.  Kautzsch,  Apokryphen  184.  —  Lat.  n.  136  G.  383,  5. 
n.  195  G  397,  9. 

8)  Susanna  im  Park:  Christi.  Antike  I  268.  —  Wittig  65  n.  31. 


H2  Plastik. 

mäßig  so  beliebt  wie  in  der  Malerei.  Sie  pflegen  in  den  herausschlagenden  Flammen 
eines  gemauerten  Ofens  mit  Schürlöchern  zu  stehen,  in  denen  brennende  Holzscheite 
liegen.  Vereinzelt  kommt  auch  an  einem  Sarkophag  vor,  daß  der  Ofen  fehlt,  die 
Flammen,  in  denen  die  Jünglinge  stehen,  vom  Boden  auflodern.  —  Verschiedene  Neben- 
personen treten  hinzu.  Ein  Heizer  kniet  vor  dem  Ofen  um  zu  schüren;  oder  er  trägt 
Scheite  zu.  Dann  eine  Figur  in  Chiton  und  Mantel,  verschieden  gedeutet,  als  Prophet, 
als  Engel,  als  Nebukadnezar.  Einmal  steht  die  Figur  vor  Parapetasma,  ein  Schrift- 
bündel neben  sich,  so  daß  an  den  Verstorbenen  gedacht  werden  könnte;  aber  er  wendet 
sich  im  Profil  zu  der  Ofenszene  und  mit  deutenden  Fingern  scheint  er  den  knienden 
Heizer  anzuweisen,  was  denn  gut  für  den  König  passen  würde,  obschon  er  nicht  als 
solcher  charakterisiert  ist.  Am  Sarkophag  Lat.  n.  152  fehlt  der  Heizer,  die  Figur  steht 
im  Habitus  eines  Verstorbenen  mit  Schriftrolle  bei  der  Szene,  ein  Schriftbündel  neben 
sich  [Abb.  28].  Wiederum  sieht  man  ihn  neben  dem  Heizer,  aber  weder  mit  Schriften, 
noch  den  Heizer  anweisend.  In  einer  neuen  Variante  wendet  er  sich  mit  Blick  und 
gehobener  Hand  zu  den  Jünglingen,  hier  macht  er  am  ehesten  den  Eindruck  des  Engels. 
Die  Taube  mit  dem  Zweig,  aus  dem  Noahbild,  die  in  der  Malerei  bisweilen  den  Jüng- 
lingen beigefügt  wurde,  findet  sich  hier  nicht;  häufig  aber  sind  die  beiden  gleich- 
bedeutenden Szenen  nebeneinander  gestellt.1) 

Am  Deckel  eines  verschollenen  vatikanischen  Sarkophags  aus  dem  vierten  Jahr- 
hundert wird  die  Geschichte  der  drei  Jünglinge  etwas  ausführlicher  und  teil  weis 
lebendiger  erzählt.  Nebukadnezar  in  Panzer  und  Chlamys  sitzt  rechtshin  auf  einer 
Sella  curulis,  einen  Soldaten  in  Chiton,  mit  Schild  und  Lanze,  hinter  sich;  ein  anderer 
in  Chlamys  steht  vor  dem  König  und  weist  redend  auf  dessen  Büste,  die  frontal  auf 
einer  kurzen  Säule  steht  (statt  des  Gottesbildes  Dan.  3,  14).  Die  Jünglinge  selbst  sind 
in  dieser  Szene  nicht  dargestellt,  sondern  sofort  in  der  Ofenszene,  weiter  rechts  im  Fries. 
Zwei  stehen  bereits  in  der  Glut,  der  entferntere  als  Orans  gegeben,  der  nähere  neigt 
sich,  die  Hand  reichend,  zu  dem  dritten,  der  erst  an  den  Ofen  herantritt  wie  freudig 
bereit;  ihm  folgt  ein  Scherge.  Zwischen  den  zwei  Jünglingen  im  Ofen  steht  frontal 
der  Engel  des  Herrn  (Vers  25).  —  Andere  Reliefs  stellen  die  Verweigerung  der  Adora- 
tion  unmittelbar  vor  Augen,  die  drei  Jünglinge  weichen  mit  abwehrender  Gebärde  vor 
dem  Bild  zurück.2) 

Noah  in  der  Arche  meint  in  der  Skulptur  wie  in  der  Malerei  die  Erlösung, 
also  des  Verstorbenen,  aus  dem  Tod  in  das  ewige  Leben;  er  pflegt  wie  die  frühchrist- 
lichen Seligen  bartlos  dargestellt  zu  sein,  erst  in  späteren  Exemplaren  bärtig.  Die 
Meinung  wird  über  allen  Zweifel  hinaus  bestätigt  durch  einzelne  Frauen  im  Typus  des 
Noah,  so  der  Juliane,  die  durch  matronale  Verhüllung  gesichert  ist.  Noah  steht  in  der 
offenen  Arche,  im  Orantentypus,  später,  an  den  Sarkophagen  in  der  Regel,  auch  im 
Profil,  mit  der  Hand  die  heranfliegende  Taube  begrüßend,    die  bisweilen  von  einem 


')  Jünglinge  im  Ofen  in  der  Malerei:  Band  I  212.  215.  —  Ofen:  Lat.  n.  135  G  318,  2. 
n.  161  G  382,  4  des  Sabinus.  n.  206  G  397,  3  der  Constantia.  n.  192.  205.  Wittig  119  n.  56. 
Kein  Ofen,  Flammen  und  Jünglinge  auf  dem  Boden:  Wittig  58  n.  26.  —  Heizer  kniet:  G  397,  7; 
trägt  Scheite:  Lat.  n.  134  G  397,  6.  König:  G  397,  7.  Lat.  n.  152  G  320,  1.  Figur  ohne  Attribute: 
Lat.  n.  182  G  384,  1.  Engel:  G  397,  4.  —  Heizer  heidnisch:  Robert  III  n  Seite  327  n.  2641 
Abb.  S.  380  n.  266 x  Abb.  (Jagdmahl). 

9)  Nebukadnezar:  G  334,  2.  Grousset  n.  193  (Nebukadnezar  mit  zwei  Akoluthen,  die 
Büste,  die  drei  Jünglinge).    Ficker  n.  53  Tai  1  (die  drei  Jünglinge).    Syrakus  (G  365,  1). 


Alttestamentliche  Typen.  113 

Baume  herab  kommt.  Die  Arche  wird  gern  in  das  Wasser  der  Jonasgeschichte  gesetzt. 
Der  Kasten  ist  einmal  sechseckig  (Garrucci  meint,  wie  ein  Taufbecken,  aber  er  hat  wie 
immer  ein  Schloß)  [Abb.  5.  43].1) 

Jonas.  Bei  der  Malerei  unterschieden  wir  Zyklen  verschiedenen  Umfangs;  ein 
zweigliedriger  erzählte  in  seiner  ersten  Szene,  wie  Jonas  von  den  Schiffern  ins  Meer 
geworfen  und  vom  Seedrachen  verschlungen  wird,  in  der  zweiten,  wie  das  Ketos  ihn 
wieder  ans  Land  speit.  Dazu  trat  eine  dritte  Szene,  die  selbständig  entstanden  war, 
vielleicht  in  Anlehnung  an  den  Schläfer  Endymion,  wie  nämlich  Jonas  unter  der  Kürbis- 
laube ruht.  Wegen  ihrer  in  der  Katakombenkunst  einzigartigen  zyklischen  Ausbildung 
wurde  die  Jonasgeschichte  von  den  Plafondmalern  gern  zur  Füllung  der  vier  Kappen- 
felder genommen.  Zur  Verzierung  der  vierten  Kappe  bedurfte  es  einer  vierten  Szene; 
man  schuf  sie  der  dritten  gleichbedeutend,  nur  treuer  dem  Buchstaben  des  Jonasbuchs 
folgend,  wie  Jonas  unter  der  Laube  sitzt.  In  der  Grabkunst  bedeutet  der  Sturz  des 
Jonas  in  die  See  und  in  den  Rachen  des  Seedrachens  den  Tod,  das  Wiederhervor- 
gehen die  Erlösung  in  das  ewige  Leben,  das  Ruhen  unter  der  Laube,  sei  es  im 
Liegen  oder  im  Sitzen,  die  Seligkeit  im  himmlischen  Paradiese.2) 

Die  Sarkophagreliefs  mit  Jonasszenen  sind  verhältnismäßig  zahlreich.  Mehreren 
Exemplaren  merkt  man  das  Herauswachsen  aus  der  heidnischen  Typik  noch  deutlich 
an,  so  dem  berühmten  Jonassarkophag  des  Lateran  G  307,  1.  Das  Relief  ist  zwei- 
zonig,  die  Darstellung  der  unteren  Zone  aber  greift  in  die  obere  über.  Man  erinnert 
sich  des  zweizonigen  Frieses  von  Trysa,  wo  ebenfalls  mehrfach  für  eine  Darstellung 
beide  Zonen  in  Anspruch  genommen  werden.  Die  Art  und  Weise  aber,  wie  es  am 
Jonassarkophag  geschieht,  besonders  in  der  Landschaft  mit  Staffagen  am  rechten  Ende, 
läßt  uns  fragen,  ob  hier  nicht  eine  zugrunde  liegende  ältere  Komposition  von  einer 
späteren,  Verschiedenes  kontaminierenden  Ausführung  zu  unterscheiden  sei.  Die  ur- 
sprüngliche Komposition  wäre  demnach  ein  Seestück  in  hellenistischer  Art  gewesen, 
mit  Horizont  und  Himmel,  in  dem  Wind-  und  Sonnengott  erscheinen,  abgeschlossen  und 
eingerahmt  von  felsiger  Küste  und  anschließendem  Land,  alles  als  Szenerie  für  die 
Jonasszenen;  der  obere,  übrigens  niedrigere  Fries  aber  und  die  Arche  Noahs  wären 
als  Zutaten  des  vorliegenden  Exemplars  zu  betrachten  [Abb.  5].  Man  vergleiche  die 
Wiederholung  der  Komposition  am  Kindersarkophag  von  Porta  Angelica,  jetzt  im  Besitz 

»)  Noah  in  der  Malerei:  Band  I  213.  Bärtig:  Lat.  n.  114.  Juliane:  Lat.  n.  236  G  301,  2. 
Vgl.  Wittig  61  n.  28  (aber  keine  phrygische  Mütze).  In  Profil:  Lat.  n.  119  G  307,  1.  n.  134. 
n.  135  G  318,  3.  n.  176  G  384,  6.  n.  159  G  397,  5.  n.  182  G  384,  1.  G  368,  2.  Wittig  60  n.  27. 
—  Sechseckig:  G  328,  2. 

a)  Jonas  in  der  Malerei:  Band  I  216.  Wer  sich  für  die  Jonasmythologie  interessiert,  findet 
in  Bousset-Gunkels  Forschungen  IX  1907  eine  Deutung  Hans  Schmidts  auf  die  Sonne  (dazu  Jensen, 
Deutsche  Lit.  Zeitung  1907,  2619,  nebst  Schmidts  Replik  eb.  3013)  und  in  der  Mythologischen 
Bibliothek  I  i  Leipzig  1907  eine  andre  von  E.  Sieke  auf  den  Mond  (dazu  Jensen  a.  a.  O.  1908,  82). 
Das  sind  weder  die  ersten  noch  die  letzten  mythologischen  Deutungen  des  Jonas.  —  Den  Jonas 
in  der  Laube  will  Thiersch,  Hist.  Zeitschr.  1909  582,  auch  als  Errettungsszene  verstehen,  er  nennt 
sie  ,  Jonas  in  der  Sonnenglut  * ;  Gott  lasse  den  Efeu  über  ihn  wachsen,  damit  er  in  der  Sonnen- 
glut nicht  umkomme.  Man  mag  den  Vorschlag  in  Erwägung  ziehen,  doch  glaube  ich,  bei  wieder- 
holter Durchsicht  der  Bilder,  auch  mit  Berücksichtigung  ihrer  syntaktischen  Verwendung,  wird 
man  auf  die  andere  Erklärung  zurückkommen,  auf  den  Jonas  unter  der  Laube  als  ein  Sinnbild 
der  Ruhe  im  Paradies.  Es  ist  geradezu  ein  Synonym  der  Oranten;  und  wer  die  Überzahl  der 
weiblichen  Oranten  erstaunlich  findet,  der  versäume  nicht,  die  Jonasbilder  in  Gegenrechnung 
zu  stellen. 

Sybel,  Christliche  Antike  II.  8 


114  Plastik. 

des  Dr.  Carl  Jacobsen  in  Kopenhagen;  da  fehlt  die  Arche  und  der  obere  Fries  (dafür 
sind  die  Fischer  an  beiden  Enden  durch  Gute  Hirten  ersetzt  [Abb.  6].  —  Am  Sarkophag 
von  Maria  Antiqua  sitzt  ein  fast  nackter  stattlicher  Poseidon  mit  Dreizack  auf  der 
Felsküste  über  der  Brandung  (der  Philologe  denkt  dabei  an  Odyssee  V  282 — 283); 
das  Schiif  hat  im  Sturm  das  Segel  gerefft  (wie  in  den  Malereien;  die  meisten  Sarkophage 
geben  es  gebläht);  es  folgt  das  Ketos  und  der  ruhende  Jonas;  das  sanft  abfallende 
Dach  der  Laube  wird  oberwärts  zu  einer  nach  Hülsen  und  Morey  aus  den  Endymion- 
sarkophagen  mit  herübergenommenen  Schaf  weide;  am  anderen  Ende  der  Wanne  sind 
zwei  nackte  Fischer  mit  einem  eben  gezogenen  Netz  beschäftigt,  der  Sitzende  schaut 
sich  um  nach  der  Jordantaufe  hinter  ihm  [Abb.  4].  —  Ein  Fragment  in  Villa  Doria- 
Pamfili  setzt  an  die  Stelle  des  Schiffs  eine  Barke  mit  einem  Ruderer  und  einem  Fischer, 
der  ein  Netz  zieht;  dann  das  Ketos  und  der  ruhende  Jonas.1) 

Die  Szene  des  Hinauswerfens  aus  dem  Schiff  schildert  ein  spätes  Relief  aus 
Tarsos  in  der  Art,  daß  Jonas  mit  den  Füßen  voran  aus  dem  Schiff  gestoßen  wird; 
sonst  pflegt  er  den  Kopf  voran  über  Bord  zu  gehn.  —  Nachdem  Mitius  einen  Anfang 
gemacht  hatte,  die  Exemplare  zu  klassifizieren  und  die  Klassen  zu  datieren,  suchte 
Wittig  weiter  zu  bauen.  Er  erkennt  Mitius'  erste  und  vierte  Gruppe  als  vorkonstan- 
tinisch  an.  Zur  ersten  Gruppe,  in  der  Jonas  wagerecht  hinausgeworfen  wird,  gehört 
ein  verschollenes  Exemplar  G  377,  1,  der  lateränische  Jonassarkophag,  der  bei  Noah 
erwähnte  Sarg  der  Juliane,  an  dem  eine  Schaf  weide  dem  Seestück  gegenüber  steht, 
ferner  das  Fragment  Rondanini  G  397,  10;  Wittig  fügt  Campo  santo  n.  19  hinzu. 
Die  gleichzeitige  vierte  Gruppe  läßt  das  Schiff  ruhig  fahren,  das  Auswerfen  und  Ver- 
schlingen sowie  das  Wiederausspeien  fehlt,  gegeben  aber  ist  das  Ketos  nach  dem  Aus- 
speien oder  ausspeiend  und  Jonas  ruhend;  die  Figur  im  Schiff,  die  ursprünglich  ein 
Orans  war,  spricht  hier  Erstaunen  aus  über  den  geretteten  und  ruhenden  Propheten. 
Auch  der  Sarkophag  von  Maria  Antiqua  gehört  hierher,  und  das  Schiff  hat  auffallende 
Ähnlichkeit  mit  dem  in  G  397,  12.  Mitius  hat  S.  59  richtig  bemerkt,  daß  in  der 
Skulptur  der  schlafende  (vielmehr  ruhende)  Jonas  als  die  Hauptdarstellung  anzusehen 
ist  (das  gilt  auch  für  die  Plafondmalerei  überall,  wo  der  gelagerte  oder  sitzende  Jonas 
sich  über  der  Fondwand  befindet);  keineswegs  trägt  nur  Platzmangel  die  Schuld  an 
der  abgekürzten  und  ganz  auf  die  „Ruhe  im  Frieden"  zugespitzten  Darstellung, 
am  Exemplar  von  Maria  Antiqua  z.  B.  wäre  reiehlich  Raum  gewesen  für  alle  drei 
Szenen.2) 

Wie  dann  die  Darstellung  variiert  wird,  indem  die  Schiffer  den  Propheten  senk- 
recht, auf  den  Kopf  gestellt,  heben  und  so  in  die  See  und  den  Rachen  des  Ketos 
werfen  (G  397,  11.  380,  4  usf.),  das  möge  man  bei  Mitius  nachlesen.  Die  weiteren 
Gruppenbildungen  lassen  wir  auf  sich  beruhen,  wir  begnügen  uns  festzustellen,  daß 
der  Kopf  des  Jonas  dem  Rachen  bald  ferner  bald  näher  steht  oder  auch  weniger  oder 
mehr  in  ihm  verschwindet.     Diejenigen  Exemplare,  welche,  von  der  vorbesprochenen 


2)  Kindersarkophag:  de  Waal,  Sark.  d.  Bassus  21  Abb.  —  Maria  Antiqua:  Marucchi 
Bull,  crist.  1901,  206  Abb.  Morey,  Americ.  school  Eome,  Suppl.  pap.  I  1905,  148  Fig.  1—8  (auch 
die  Schmalseiten).  Hülsen,  Forum  Romanum  1904,  143  Abb.  71.  Neue  Jahrbücher  für  Altertums- 
wiss.  1904,  40.    Vgl.  Giard.  d.  pigna  n.  240.  —  Doria:  Grousset  n.  81. 

2)  Tarsos:  Lowrie,  Americ.  Journ.  Archäol.  1901,  51;  Arch.  Anzeiger  1901,  27.  —  Mitius 
Jonas  44.    Wittig  Campo  santo  51.  —  Vierte  Gruppe:  G  384,  4.  385,  4.  397,  12. 


Altteatamentliche  Typen.  U5 

frühen  vierten  Gruppe  abgesehen,  die  Darstellung  mehr  durch  Zusammenrücken  verein- 
fachen, scheinen  die  späteren  zu  sein. 

Die  Sarkophage  geben  nicht  leicht  eine  Jonasszene  allein,  sondern  stets  einen 
Zyklus;  niemals  hatten  sie  Anlaß  zu  dem  viergliedrigen  der  Deckenmalerei,  wohl  aber 
zu  dem  dreigliedrigen  (G  307,  1.  Giardino  d.  pigna  n.  21).  Meist  indessen,  und  zwar 
schon  früh,  greift  eine  Vereinfachung  Platz,  ein  Zusammenziehen  der  zwei  Schluß- 
szenen; entweder  ist  das  Ketos  nach  dem  Ausspeien  dargestellt,  mit  offenem  Rachen 
dem  Lande  zugewandt,  wo  Jonas  ruht,  oder  Ausspeien  und  Ruhe  sind  verschmolzen, 
die  Füße  des  bereits  ruhenden  Jonas  stecken  noch  im  Rachen  des  Untiers  [Abb.  28]; 
in  einer  Spielart  ergreift  der  dem  Rachen  entsteigende  Jonas  den  Stamm  der  Kürbis- 
staude. Jonas  ist  immer  nackt,  nur  einmal  trägt  er  die  Exomis,  da  er  unter  der 
Staude  ruht.1) 

Das  Buch  Hiob  weiß  nichts  von  einem  Leben  nach  dem  Tode;  vollends  die  Vor- 
stellung von  einer  Auferstehung  des  Fleisches  hat  erst  die  lateinische  Übersetzung  19, 
25  hineingebracht.  In  der  christlichen  Kunst  ist  der  aus  tiefster  Trübsal  nicht  bloß 
in  den  früheren  Stand,  sondern  darüber  hinaus  in  weit  größeren  Wohlstand  erhobene 
Mann  ein  Sinnbild  des  aus  dem  Tod  in  die  Seligkeit  erlösten  Christen.  —  Auch  in  der 
Skulptur,  wie  in  der  Malerei,  kommt  Hiob  nur  wenige  Male  vor.  Er  pflegt  bartlos 
zu  sein;  der  bärtige  Kopf,  den  er  am  Bassussarkophag  trägt,  ist  moderne  Ergänzung. 
In  der  Exomis  des  geringen  Arbeiters  sitzt  er  geneigten  Hauptes  rechtshin  auf  einem 
Fels,  die  Rechte  auf  ihn  gestützt,  den  linken  Fuß  auf  einen  Stein  gestellt,  die  linke 
Hand  liegt  auf  dem  Knie;  vor  ihm  steht  seine  Frau,  das  Haar  in  einer  Haube,  den 
Mantel  vor  Nase  und  Mund  gehalten  —  nach  Hiob  19,  17  „Mein  Atem  ist  zuwider 
meinem  Weibe"  (Kautzsch);  mit  der  Rechten  hält  sie  dem  aussätzigen  Gatten  in  einer 
Art  langgestielter  Zange  ein  Kreuzbrötchen  hin  (Zange  und  Brötchen  abgebrochen). 
Dazu  eine  bartlose  Hintergrundsfigur  [Abb.  18].  —  Lat.  n.  164  G  350,  2  zeigt  in  der 
Endnische  eines  Baumganges  dieselbe  Szene,  nur  im  Spiegelbild,  als  Gegenstück  zu 
Kain  und  Abels  Opfer;  sonderbarerweise  sitzt  Hiob  auf  einer  Sella  curulis,  den  Fuß 
auf  einen  Schemel  gestellt,  dagegen  der  Gott  gegenüber  auf  einem  Stein  [Abb.  34].  — 
An  der  rechten  Schmalseite  des  Sarkophags  von  Brescia  sitzt  Hiob  ebenfalls  linkshin, 
hier  nun  wieder  auf  dem  Stein;  außer  seiner  Frau  stehen  ihm  zwei  Freunde  gegen- 
über, in  der  Barbarentracht,  der  Kopf  eines  dritten  mag  im  Hintergrund  sichtbar  ge- 
wesen sein  (G  323,  3;  leider  ist  ein  großes  Stück  aus  der  Mitte  herausgebrochen).  — 
Lat.  n.  40  (Roller  I  297  Taf.  50,  3)  ist  vielleicht  eine  Variante  des  Hiobtypus:  ein 
Bartloser  spricht,  nach  oben  weisend,  zu  einem  auf  Fels  unter  einem  Palmbaum  sitzenden 
bärtigen  Kahlkopf,  der  das  Kinn  in  die  linke  Hand  stützt.2) 

Isaaks  Rettung  vom  Opfertod  war  in   der  Skulptur  ähnlich  beliebt  wie  in 
der  Malerei.     Bei    deren  Besprechung  stellten    wir   fest,    daß   die  Szene    ein   Bild  der 


x)  Nach  dem  Ausspeien:  Maria  Antiqua;  Grousset  n.  154  G  397,  12;  Lat.  n.  159  G  397,  5; 
n.  178  G  367,  3.  Einmal  sitzt  Jonas,  die  Hand  am  Kopf  ähnlich  wie  beim  ruhenden,  G  383,  3. 
—  Füße  im  Rachen:  Lat.  n.  152  G  320,  1.  n.  157  G  316,  4.  —  Ergreift  den  Stamm:  G  402,  3.  — 
Exomis:  Grousset  n.  135  G  396,  11  (spät). 

2)  Hiob  in  der  Malerei:  Band  I  219.  Traurig  Sitzende,  wie  Philoktet,  eb.  219,  1;  vgl.  auch 
Cohen,  M£d.  imp.  2 V1H  284,  78  =  Sabatier,  Contorniates  pl.  16,  2  „Salustius  autor" :  Bartloser 
sitzt  rechtshin  auf  Fels,  1.  Fuß  auf  Felsstufe,  L.  stützt  den  Kopf,  R.  auf  den  Schenkel  gelegt.  — 
Bassus:  de  Waal,  Bassussarkophag  34  Taf.  8  G  322,  2. 

8* 


116  Plastik. 

Erlösung  aus  dem  Tode  ins  ewige  Leben  sei.  Sie  ist  nicht  „in  erster  Linie  Typus 
des  Opfertodes  Christi".  Auf  den  Bischof  Ambrosius  darf  man  sich  nicht  berufen; 
denn  ihm  ist  Isaak  nur  ein  Prototyp  des  zum  Opfer  bestimmten  und  bereiten 
Christus,  Isaac  ergo  Christi  passuri  est  typus.  Die  bloß  „intendierte",  aber  nicht  voll- 
zogene Opferung  Isaaks  konnte  und  wollte  Ambrosius  nicht  als  Prototyp  der  blutig 
vollzogenen  Opferung  des  Christus  bezeichnen.1) 

In  den  Sarkophagreliefs  kniet  Isaak  meist  neben  dem  brennenden  Altar.  Abraham 
faßt  den  Kopf  des  Knaben  mit  der  Linken  und  schwingt  das  Messer  in  der  Rechten; 
da  erscheint  eine  Hand  aus  Wolken,  Abraham  blickt  nach  ihr  um.  Das  Ersatztier, 
der  Widder,  steht  zur  Seite,  nicht  immer  als  Widder  charakterisiert.  Abraham  trägt 
ziemlich  ebensooft  die  Exomis,  wie  Rock  und  Mantel;  die  erhaltenen  Skulpturen  er- 
lauben vorläufig  kaum,  die  eine  oder  die  andere  Tracht  als  früheren  Typus  zu  be- 
zeichnen. Wie  auch  sonst  in  der  christlichen  Skulptur  fällt  der  Mantel  meist  so  tief, 
daß  er  den  Untersaum  des  Rockes  verdeckt,  so  daß  dessen  Länge  nicht  bestimmt 
werden  kann.  Bisweilen  treten  ein  oder  zwei  Hintergrundsfiguren  hinzu,  deren  eine 
wohl  den  Abraham  am  linken  Handgelenk  faßt;  es  ist  der  Engel  des  Herrn,  der  die 
Opferung  Isaaks  verhindert,  eine  Tautologie  der  Hand  aus  Wolken  (letztere  fehlt, 
mehr  zufällig,  in  ein  paar  Exemplaren,  und  zwar  solchen  ohne  Engel)  [Abb.  14.  18].  — 
Am  Sarkophag  Lat.  n.  152  steht  Isaak  dicht  vor  dem  Altar,  halbsitzend  angelehnt 
[Abb.  28].  An  einigen  sicher  späteren  Sarkophagen  kniet  Isaak  auf  dem  Altar:  am 
Säulensarkophag  Lat.  n.  174  (G  323,  4)  und  am  pariser  vierseitigen  Stück  G  324,  3 
nebst  den  verwandten  326 — 328;  hier  trägt  Abraham  deutlich  den  Talar  unter  dem 
Mantel)  [Abb.  19].  Als  Typus  wird  dies  Schema  das  jüngere  sein.  Das  Knien  neben 
dem  Altar  entsprach  dem  gemeinantiken  Opferbrauch,  demzufolge  die  Hostie  vor  dem 
Altar  geschlachtet  und  dann  das  Opferstück  auf  den  Altar  gebracht  wurde.  Man 
könnte  die  Frage  aufwerfen,  ob  der  jüngere  Typus  bloß  auf  inzwischen  eingetretener 
Unkenntnis  des  alten  Ritus  beruhe,  oder  ob  er  zusammenhänge  mit  der  Umdeutung 
der  Isaakszene  auf  die  jüngere  Auffassung  der  Kreuzigung  als  einer  Opferung.  Der 
christliche  Priester  opfert  den  Christus  auf  dem  Altar.  Übrigens  hat  sich  auch  der 
erste  Typus  bis  spät  behauptet  [Abb.  38.  39.  41.  42].2) 

David  kommt  in  der  Sarkophagskulptur  wie  in  der  Katakombenmalerei  einmal 
vor,  am  Sarg  des  Gorgonius  zu  Ancona  am  Deckel:  Goliath,  anscheinend  in  Exomis, 
aber  mit  den  Hosen  und  Schuhen  der  Barbarentracht,  steht,  am  linken  Arm  den  Schild, 
gegenüber  David,  der  in  Chiton  und  barfuß,  in  der  Linken  den  Hirtenstab  (abgebrochen), 
mit  der  Rechten  die  gefüllte  Schleuder  zu  schwingen  sich  anschickt.  Goliath  ist  nicht 
größer  als  David.8) 

Elias'  Himmelfahrt  findet  sich  nicht  vor  dem  vierten  Jahrhundert,  häufiger 
an  Sarkophagen  als  in  Katakombenmalereien.  Sie  kehrt  typisch  wieder  am  pariser  vier- 
seitig  skulpierten   Sarkophag  und    seinen   Verwandten.     Elias    steht  auf  dem  Wagen, 


*)  Isaak  in  der  Malerei:  Band  I  220.  „Typus  Christi":  Hennecke,  Altchristi.  Malerei  211. 
„Intendiert":  de  Waal,  Sarkophag  des  Bassus   32.     Ambrosius:   de  Abraham  I  7,  Migne  XIV  446. 

2)  Exomis:  G  312,  1.  358,  1.  359,  1.  364,  2.  367,  1.  3.  376,  4.  384,  3.  Mantel:  318,  1.  322,  1. 
358,  3.  367,  2.  402,  5  sowie  in  den  drei  oben  zuletzt  genannten  Exemplaren.  —  Engel:  G  364,  2. 
367,  1.  2.  384,  3.  Engel  und  Exomis  gehen  mehrfach  zusammen.  —  Hand  Gottes  fehlt  Lat.  n.  135 
G  318,  1.  n.  137  G  359,  1.  —  Lat.  n.  152:  G  323,  4. 

3)  David  in  der  Malerei:  Band  I  222.  —  Ancona:  Garr.  Taf.  326,  1. 


Alttestamentliche  Typen.  117 

das  Viergespann  steigt  zum  Himmel  empor  über  dem  Jordan;  hinter  dem  Wagen  er- 
hebt der  zurückbleibende  Elisa  die  verhüllten  Hände,  um  den  Mantel  aufzufangen, 
den  der  sich  umwendende  Elias  aus  der  Hand  fallen  läßt.  Von  den  ein  oder  zwei 
Prophetenschülern  im  Hintergrund  sehen  wir  ab.  Den  Fluß  vertritt  am  pariser  und 
römischen  Exemplar  der  gelagerte  Flußgott,  der  mit  erhobener  Rechten  den  Ab- 
scheidenden grüßt,  mithin  in  echt  antiker  Weise  am  Vorgang  teilnimmt;  am  mailänder 
Exemplar  ist  statt  seiner  eine  Wasserfläche  gegeben,  in  der  dann  auch  die  Arche  Noahs 
schwimmt  (der  klein  in  die  Fläche  gezeichnete  Sündenfall  ist  künstlerisch  nur  Lücken- 
büßer). Elisa,  in  Mailand  bartlos,  hat  sonst  einen  Bart  bei  kahler  Stirn,  Elias  ist  in 
allen  Exemplaren  bartlos  und  in  unserer  Gruppe  langlockig,  kurz  der  zweite  Christus- 
typ. Wenn  wir  bei  Besprechung  der  Katakombengemälde  sagten,  als  Prototyp  des 
Eingangs  der  Christen  in  den  Himmel  sei  eine  Himmelfahrtsszene  sehr  passend  ge- 
wesen, so  müssen  wir  jetzt  fragen,  ob  hier  nicht  zugleich  eine  zweite  Himmelfahrt  mit 
in  Erinnerung  gebracht  werden  sollte,  diejenige  nämlich  des  Erstlings  der  in  den  christ- 
lichen Himmel  Eingegangenen,  des  Christus  selbst.  Dann  lag  es  nahe,  den  Elisa  den 
Aposteln  ähnlich  zu  gestalten.  —  Die  Szene  findet  sich  nur  an  Schmalseiten.  Lat. 
n.  149  G  372,  5  läßt  den  Wagen  über  wogenden  Wassern  aufsteigen,  Elias,  bartlos, 
in  Exomis,  hebt  die  Hand  zum  letzten  Gruß,  oder  nach  dem  fallenden  Mantel;  das 
Ziel  der  Fahrt,  den  Himmel,  deuten  drei  Sterne  an,  dazu  noch  ein  Palmbaum  (großen- 
teils abgebrochen)  das  himmlische  Paradies:  der  sepulkrale  Gesichtspunkt  beherrscht 
die  Darstellung  zwingend.  —  Lat.  n.  198  ist  stark  ergänzt,  G  396,  9  gibt  das  Erhaltene. 
Elias  war,  einer  von  Garrucci  erwähnten  Zeichnung  zufolge,  unbärtig,  das  linke  Ende 
des  Reliefs  mit  dem  fallenden  Mantel  und  Elisa  fehlt.  Unter  den  Pferden  scheint 
Wasser  augedeutet,  über  ihnen  auf  einer  Anhöhe  sieht  man  die  Füße  zweier  frontal 
stehender  kleiner  Figuren  (abgebrochen)  zwischen  zwei  Bäumen.  Rechts  am  Fuß  einer 
mit  Pflanzen  bestandenen  Berglehne  ein  zottiges  Tier  rechtshin  weidend,  einem  Schaf 
nicht  unähnlich,  oben  ein  Quaderbau  von  zwei  Rundbogen  durchbrochen.  Bei  den  zwei 
Figuren  zwischen  den  zwei  Bäumen  dachte  Garrucci  an  Adam  und  Eva,  während 
Ficker  in  den  kleinen  Figuren,  dem  Bau  und  dem  Tier  zwei  Knaben,  die  Andeutung 
einer  Stadt  und  einen  Bären  erkennt,  in  alledem  aber  eine  Anspielung  auf  Könige  H 
2,  231:  „Von  dort  aber  ging  (Elisa)  hinauf  nach  Bethel.  Als  er  nun  eben  den  Weg 
hinaufging,  kamen  kleine  Knaben  aus  der  Stadt  heraus  und  verspotteten  ihn  mit  dem 
Zuruf:  Komm  herauf,  Kahlkopf!  Komm  herauf,  Kahlkopf!  Er  aber  wandte  sich  um; 
und  als  er  sie  sah,  fluchte  er  ihnen  im  Namen  Jahwes.  Da  kamen  zwei  Bärinnen  aus 
dem  Walde  und  zerrissen  zweiundvierzig  von  den  Kindern."1) 


Wir  lassen  die  Gruppe  der  Szenen  folgen,  die  sich  auf  Moses  beziehen.  Einige 
begegnen  uns  hier  zum  ersten  Male,  sie  fehlen  in  der  Katakombenmalerei.  Die  meisten 
bereiten  der  Interpretation  Schwierigkeiten,  weil  es  nicht  ohne  weiteres  deutlich  ist, 
ob  sie  den  Moses  selbst  meinen  oder  in  seinem  Bild  einen  andern. 

Moses  auf  dem  Berge  Horeb  die  Sandalen  ablegend.  In  der  linken  End- 
nische eines  vatikanischen  Säulen-  und  Pilastersarkophags  steht  der  bärtige  Moses  rechts- 
hin, in  Ärmelrock  und  Mantel,  den  linken  Fuß  auf  eine  Erderhöhung  gestellt,  mit  der 


*)  Elias  in  der  Malerei:    Band  I  222.  —  G  324  Paris,  327  Eom,  328  Mailand. 


118 


Plastik. 


Linken  einen  Riemen  der  Sandale  lösend  (die  Rechte  ist  abgebrochen);  den  Kopf 
wendend  blickt  er  nach  oben,  auf  die  göttliche  Stimme  lauschend,  genau  wie  Hermes 
im  selben  Typus  (der  sog.  Jason),  ähnlich  auch  wie  Abraham  in  Isaaks  Rettung;  hinter 
Moses  ein  bartloser  Begleiter.  —  An  einem  zweizonigen  Sarkophag  aus  San  Callisto, 
wieder  am  linken  Ende,  sehen  wir  den  Gott  selbst  als  Abschlußfigur,  in  reichlichem 
Haar  und  Bart,  in  Rock,  Mantel  und  Sandalen,  die  Linke  hält  die  typische  Rolle,  die 
Rechte  faßt  Mantelfalten.  Er  steht  frontal,  ein  wenig  zu  Moses  gewandt,  der  in  Rock 
und  Mantel,  nun  linkshin,  den  rechten  Fuß  auf  einen  Stein  gestellt  die  Sandale  ablöst, 
der  linke  Fuß  ist  schon  entblößt  (der  Kopf  ist  dem  Petrus  ähnlich  ergänzt).  Hinter 
ihm  steht,  ebenfalls  linkshin,  ein  Bartloser  in  Rock  und  Mantel,  die  Rolle  in  der  Linken, 
die  (ergänzte)  Rechte  hebt  sich  adorierend  aus  dem  Mantel.  Je  eine  Hintergrundfigur 
erscheint  neben  dem  Gott  und  zur  Seite  des  Adoranten,  die  erstere  bärtig.  Ficker 
erklärt  die  Gestalt  links  einfach  für  „Gott",  Garrucci  für  den  Logos-Christos  (il  Verbo); 
soviel  lehrt  der  Augenschein,  daß  sein  Kopf  mit  dem  vollen  Haar  und  Bart,  in  der 
Art  mancher  Zeus-  und  Sarapisköpfe,  eben  derjenige  des  erhöhten  Christus  am  pariser 
Sarkophag  und  seinen  Verwandten  ist.  Ob  nun  der  Logos  oder  der  Gott  schlechthin, 
soviel  steht  fest,  daß  hier  nicht  bloß  die  andeutende  „Hand  Gottes  aus  Wolken", 
sondern  der  Gott  selbst,  den  man  hier  nicht  mehr  Jahwe  nennen  darf,  in  ganzer  Figur 
dargestellt  ist.  Die  Sarkophagskulptur  des  vierten  Jahrhunderts  hat  die  Scheu  abgelegt, 
abzubilden  was  man  verehrt;  ein  Zeichen  mehr,  daß  das  Christentum  damals  sicher  im 
Kreis  der  antiken  Religionen  stand,  Art  von  ihrer  Art.1) 

Den  Durchzug  durchs  Rote  Meer  haben  die  Katakombenmaler  nicht  dar- 
gestellt; daß  das  Sujet  in  der  Skulptur  zur  künstlerischen  Gestaltung  kam,  hatte  viel- 
leicht besonderen  Anlaß.  In  der  sepulkralen  Verwendung  ist  die  Szene  natürlich  ein 
Rettungsbild.  —  Lat.  n.  111  G  309,  3  [Abb.  23].  Flußartig  zieht  sich  eine  Wasser- 
fläche schräg  durch  das  Bild  (die  einzige  biblische  Geschichte,  welche  die  ganze  Sarko- 
phagwand füllt).  Auf  dem  linken  Ufer  kommen  die  Ägypter  heran,  aus  einem  im 
Hintergrund  ganz  links  gezeichneten  Tor;  sie  tragen  Chiton  und  Chlamys,  führen  einen 
Speer  und  die  zu  Fuß  den  Rundschild.  Die  Vordersten  kämpfen  bereits  mit  den  Wellen; 
der  Pharao,  er  allein  barhäuptig  mit  Diadem,  bärtig,  in  Talar  und  Chlamys,  mit  Speer 
und  gehobenem  Rundschild,  steht  auf  seinem  Zweigespann,  die  Pferde  befinden  sich 
schon  über  dem  Wasser.  Ihm  folgen  noch  Reiter,  die  Krieger  im  Hintergrund  scheinen 
zu  Fuß  zu  sein.  Unter  den  Pferden  des  Gefolges  sieht  man  Pflanzen;  man  möchte 
Schilferwarten,  aber  es  sieht  mehr  aus  wie  kleingezeichnete  Ölbäume;  unter  den  Rossen 
des  Pharao  der  gelagerte  Meergott,  richtig  dem  Wasser  zugewandt.  Auf  dem  rechten 
Ufer  ziehen  die  geretteten  Israeliten  rechtshin  weiter,  aber  die  meisten  blicken  dabei 
zurück  nach  dem  Untergang  der  Ägypter.  Voran  geht  ein  Israelit,  den  Reisesack  um 
den  Nacken  genommen,  an  der  Hand  ein  Kind,  wie  der  aus  Troja  flüchtende  Äneas 
den  Knaben  Askanios;  dann  Mirjam  mit  einem  Schlägel  das  Tympanon  schlagend; 
nach  ein  paar  weiteren  Israeliten  zuletzt  Moses,  noch  im  Wegwenden  nach  dem  Pharao 
blickend  und  etwas  vorgeneigt  das  Wasser  mit  dem  Zauberstab  berührend.  Alle  Israe- 
liten sind  bartlos.  Im  Mittelgrund,  gleich  hinter  dem  ersten  Israeliten,  die  Feuersäule, 
in  Gestalt  eines  flammenden  Feuers  auf  dem  Kompositkapitell  einer  architektonischen 


*)  Moses  die  Sandalen  ablegend:  Band  I  254.  —  Vatikanisch:  G  325,  3.     Callisto:  Lat. 
n.  178  G  367,  3. 


Alttestamentliche  Typen.  119 

Säule;  im  Hintergrund  drei  Tore  gereiht,  zwei  mit  Zinnen  auf  dem  wagerechten  Ab- 
schluß, das  mittlere  besteht  nur  in  zwei  Säulen,  die  eine  Archivolte  zwischen  zwei  vollen 
Fruchtkörben  tragen:  also  wohl  eine  Andeutung  des  himmlischen  Jerusalems.  —  Grousset 
n.  98  Wittig  n.  29  Abb.  22.  Erhalten  ist  nur  der  Pharao  mit  einem  Stück  Wagen- 
rand und  sein  Gefolge.  —  Salona,  G  309,  4.  Wir  verzeichnen  nur  ein  paar  Eigen- 
heiten: das  Tor  trägt  die  Zinnen  direkt  auf  der  Archivolte;  unter  den  Pferden  des 
Gefolges  statt  der  Pflanzen  zwei  gelagerte  Nymphen,  die  eine  könnte  auch  eine  Erd- 
göttin sein;  der  Meergott  wendet  hier  dem  Wasser  den  Rücken,  wie  die  Göttinnen; 
der  Krieger  im  Vordergrund  steht  (besser  als  am  lateranischen  Exemplar)  mit  einem 
Fuß  bereits  im  Wasser,  er  scheint  hineinstürzen  zu  wollen;  das  Gewirr  im  Wasser  ist 
größer;  die  Israeliten  sind  zahlreicher,  selbst  an  Mirjam,  die  auch  sonst  nicht  so  gut 
charakterisiert  ist  wie  am  lateranischen  Exemplar,  hängen  sich  zwei  kleine  Mädchen- 
die  Hintergrundstore  fehlen.  Das  Exemplar  scheint  jünger  als  das  lateranische.  — 
Bottari  Taf.  194  (danach  G  308,  4)  galt  lange  als  verschollen,  bis  es  sich  in  Villa 
Doria  Pamfili  wiederfand  (Grousset  n.  74);  es  liegt  nur  die  alte  Reproduktion  vor, 
die  offenbar  vieles  mißverstand.  Auch  hier  die  drei  linkshin  gelagerten  Gottheiten,  der 
Gott  hält  nun  statt  eines  Ruders  ein  Füllhorn,  ist  also  zu  einem  Landgott  geworden; 
von  den  Israeliten  trägt  einer  in  kurzem  Chiton  ein  Kind  auf  der  Schulter,  wir  werden 
ihn  auf  südfranzösisschen  Sarkophagen  wiederfinden;  andere  Varianten  übergehen  wir. 
Ein  Viergespann  fährt  der  Pharao  in  abkürzenden  späten  Darstellungen,  am  vatikanischen 
Sarkophag  G  358,  1,  ferner  an  Wittig  n.  30  und  an  dem  Exemplar  in  Pisa,  G  364,  3, 
wo  die  Szene  rechts  vom  Clipeus  sich  befindet,  daher  die  Bewegungsrichtung  hier  von 
rechts  nach  links  geht.1) 

Der  Wachtel  fang.  Als  die  Israeliten  auf  ihrem  Zuge  in  die  Wüste  kamen, 
fürchteten  sie  Hungers  sterben  zu  müssen;  Jahwe  aber  versprach  ihnen  Fleisch  und 
Brot  die  Fülle.  „Als  es  nun  Abend  wurde,  zog  ein  Wachteisch  warm  heran  und  fiel 
überall  im  Lager  nieder"  (Exod.  16,  13).  Als  Gegenstück  des  Untergangs  der  Ägypter 
ist  am  Sarkophag  zu  Pisa  Garr.  Taf.  364,  3  der  Wachtelfang  dargestellt:  im  Vorder- 
grund werden  die  niedergefallenen  Wachteln  aufgegriffen,  die  Personen  dahinter  sind  in 
freudiger  Aufregung.  —  Weiter  wird  berichtet,  wie  Jahwe  am  andern  Morgen  die 
Israeliten  statt  Brotes  das  Manna  auf  dem  Boden  finden  ließ.  Dies  Ereignis  war  in 
den  Malereien  einmal  dargestellt;  den  Sarkophagbildern  ist  es  fremd  geblieben,  wohl 
weil  der  Gegenstand  zu  unplastisch  war,  weshalb  denn  auch  die  Maler  zur  Aushilfe 
griffen,  eine  Art  Regen  oder  Schneefall  zu  malen.2) 

Moses'  Quell  wunder  und  „Bedrängung".  Wilpert  zählt  68  Wiederholungen 
des  Quellzaubers  in  der  Katakombenmalerei;  sie  beginnen  früh  im  zweiten  Jahrhundert 
und  setzen  sich  fort  bis  zum  Ende  der  Katakombenkunst.  Moses  trägt  den  typischen 
Kopf  der  frühchristlichen  Malerei,  bartlos  mit  kurzem  Haar;  erst  in  späteren  Exem- 
plaren   erscheint    er    bärtig  und  mit  vollerem  Haar.     Mit    dem    zauberkräftigen    Stab 


*)  Durchzug:  Exodus  14.  Mirjam:  eb.  15,  20.  21.  Die  Freiheiten  des  Bildes  gegenüber 
dem  Texte  findet  man  leicht  heraus;  wir  heben  nur  den  Zauberstab  hervor  statt  der  ausgereckten 
Hand.  Sie  sind  im  Künstlerischen  und  in  der  Typengeschichte  begründet;  im  Abschnitt  über 
Chronologie  und  Stilkritik  kommen  wir  darauf  zurück.  —  Aineias  auf  der  Flucht,  Kreusa  trägt 
den  Reisesack  auf  dem  Kopf:  Röscher,  Lexikon  1 167.  Gerhard,  Auserles.  Vasenbilder  Taf.  217. 
Ein  Reisesack  auf  dem  Rücken  getragen  bei  Ankunft  Orests  am  Grabe  Agamemnons:  Röscher  1 1237. 

a)  Manna:  Band  I  235. 


120  Plastik. 

schlägt  er  an  die  rechts  sich  erhebende  Felsklippe,  ein  breiter  Wasserstrahl  schießt  herab. 
Frühestens  gegen  Ende  des  dritten  Jahrhunderts  kommt,  auch  nicht  immer,  ein  Israelit 
hinzu.  Mit  seiner  Einführung  ist  eine  Änderung  des  Typus  verbunden,  die  aber  als- 
bald wieder  verschwindet:  der  Zauber  ist  bereits  vollbracht,  Moses  führt  einen  Israeliten 
zu  dem  herabströmenden  Wasser,  mit  der  linken  Hand  hinweisend;  beide  haben  den 
frühchristlichen  Kopf  und  tragen  nur  den  Chiton  (Taf.  119,  1).  Im  folgenden  Exem- 
plar eilt  der  Israelit  vom  Felsen  hinweg,  rechtshin,  die  Rechte  hoch  gehoben,  wie  in 
freudiger  Erregung,  eifrig,  die  andern  zur  Quelle  zu  rufen  (Taf.  127,  1).  In  den  übrigen 
Beispielen  finden  wir  den  Israeliten  vor  dem  Felsquell,  mit  den  Händen  das  Wasser 
auffangend,  immer  vorgeneigt,  bald  wie  eilig  herangekommen,  bald  auf  einem  Knie 
liegend  (Taf.  181,  2.  216,  1.  234,  2).  In  einer  ausgeführteren  Replik  trägt  er  über  dem 
Chiton  die  Chlamys  (des  Sagum);  die  Gruppe  ist  am  Aufsteigenden  eines  Arkosolbogens 
gemalt,  in  der  Lünette  sieht  man  beiderseits  des  Guten  Hirten,  der  unter  Bäumen  in- 
mitten seiner  Herde  steht,  je  einen  Israeliten  (hier  in  längerem  Chiton  unter  der 
Chlamys)  wieder  vor  einem  Felsquell  das  Wasser  auffangen  (Cripta  delle  pecorelle, 
Taf.  237.  736).  Die  Szene  ist  demnach  das  himmlische  Paradies;  das  will  sagen,  dies 
Wasser  meint  hier  nicht  erst  den  eucharistischen  Zaubertrank,  der  ins  ewige  Leben 
bringt,  sondern  bereits  das  Refrigerium,  die  Erquickung  in  der  Seligkeit,  kurz  den  Ge- 
nuß der  Seligkeit  selbst.1) 

Die  Szene  der  „Bedrängung"  wurde  nicht  in  die  Katakombenmalerei  eingeführt; 
dagegen  kommt  sie  oft  in  der  Skulptur  vor,  meist  gepaart  mit  der  Quellszene.  Das 
Quellwunder  findet  sich  an  Sarkophagen  natürlich  oft  auch  allein,  seltener  die  „Be- 
drängung".2) 

Den  Gemälden,  insbesondere  dem  in  der  Cripta  delle  pecorelle,  am  nächsten  kommt 
die  Darstellung  der  Quellszene  an  der  rechten  Schmalseite  von  Lat.  n.  174  G  323,  6, 
nur  daß  die  Richtung,  wie  in  den  Reliefs  oft,  linkshin  geht:  der  unbärtige  Moses  be- 
rührt mit  dem  Stäbchen  den  Fels;  ein  Unbärtiger  in  Ärmelrock,  Hosen  und  Chlamys 
liegt  auf  einem  Knie  und  streckt  aufblickend  die  offenen  Hände  vor,  um  das  Wasser 
aufzufangen.  —  Ähnlich  Lat.  n.  119  G  307,  1,  mit  dem  Unterschied,  daß  hier  noch 
zwei  Kniende  mehr  auf  Stufen  der  Felsklippe  angeordnet  sind  (der  bärtige  Kopf  des 
Moses  ist  ergänzt).  Hier  nun  aber  tritt  uns,  durch  einen  Baumstamm  getrennt,  die 
andere  Szene  zum  ersten  Male  entgegen:  Moses  scheint  mit  ausgebreiteten  Armen 
rechtshin  zu  fliehen,  mit  ihm  halten  Zweie  in  Chiton  und  Chlamys  gleichen  Schritt; 
einer  voraus  wendet  den  Kopf  zu  Moses  zurück,  ein  zweiter,  diesem  folgend,  legt  ihm 
die  Hand  an  die  Schulter  (im  Schema  ähnelt  er  dem  Laufenden  bei  Wilp.  Taf.  127,  2); 
am  Boden  liegen  langgestreckt  drei  Männer,  die  den  Moses  an  den  Füßen  festhalten  zu 
wollen  scheinen.  Man  beachte  die  Vielheit  der  Männer  bei  Moses  (die  Köpfe  der  zwei 
Begleiter  sind  ergänzt,  der  des  Moses  nur  im  Mittelgesicht)  [Abb.  5]. 

Die  dem  Moses  zugesellten  Israeliten  in  den  weiterhin  anzuführenden  Reliefs 
unterscheiden  sich  von  allen  vorbesprochenen,  gemalten  wie  gemeißelten,  durch  eine 
Mütze,  die  sie  zu  Chiton  und  Chlamys  tragen.  Die  steife  runde  Mütze  (ohne  Krempe, 
ohne  Schirm)  kehrt  in  der  Geschichte   der  Tracht  häufig  wieder,  schon  bei  Assyrern 


*)  Quellwunder:  Band  I  233. 

2)  Quellwunder   an  Sarkophagen    ohne   „Bedrängung" :    Lat.  n.  52.   108.  122.    131.   152.   174. 
176  usf.     Bedrängung  ohne  Quellwunder:  Lat.  n.  115.  116  usf. 


Alttestamentliche  Typen.  121 

und  Persern  findet  man  ähnliches;  in  neueren  Zeiten  begegnet  sie  in  weltlicher  und 
geistlicher  Tracht,  in  allerlei  Gestalten,  als  Fell-  oder  Pelzmütze,  als  Barett,  Haus- 
käppchen  usf.;  die  Kommißmütze  unserer  Soldaten  ist  nichts  anderes,  nur  mit  einem 
unterscheidenden  farbigen  Band  umnäht.  —  Die  Reihe  der  einschlagenden  Sarkophag- 
reliefs möchte  ich  mit  Lat.  n.  55  G  358,  3  eröffnen,  das  sich  inhaltlich  mit  der  Malerei 
Wilp.  Taf.  119,  1  berührt  und  ihr  wohl  auch  zeitlich  nicht  allzufern  steht.  Moses  hat 
den  Zauber  vollbracht,  mit  der  Hand  weist  er,  wie  es  anbietend,  nach  dem  herab- 
strömenden Wasser;  die  Gebärde  gilt  einem  „Israeliten"  in  Chlamys  und  Mütze,  der 
im  Herantreten  dem  Moses  die  Hand  an  die  Schulter  legt,  nicht  um  ihn  zu  ergreifen, 
sondern  wie  ihn  vertrauensvoll  ansprechend  (von  der  zwischen  beiden  erscheinenden 
Hintergrundsfigur  dürfen  wir  absehen).  Hinter  ihm,  halb  von  ihm  verdeckt,  steht  ein 
zweiter  Israelit  in  gleicher  Tracht,  der  aufmerksam  einen  mit  sprechender  Rechten 
herantretenden  Jüngling  (in  Rock  und  Mantel)  anblickt;  das,  was  zwischen  den  beiden 
vorgeht,  bleibt  einstweilen  ebenso  dunkel,  wie  Name  und  Charakter  des  Jünglings  selbst 
(er  hält  etwa  die  Mitte  zwischen  dem  Moses  in  der  oberen  Zone  und  dem  lockigen 
Christus).  Wir  dürfen  nicht  unerwähnt  lassen,  daß  in  der  unteren  Zone,  unterhalb  der 
Muschel  mit  den  zwei  Männerporträts,  ein  kahlköpfig  Bärtiger  auf  einem  Stein  sitzt 
(also  im  Freien),  vornübergeneigt  in  einer  Rolle  lesend,  die  ein  vor  ihm  stehender 
„Israelit"  mit  der  Hand  stützt,  während  ein  zweiter  zuhört,  durch  die  Äste  eines  Öl- 
baumes, in  dem  Schema  des  Ältesten  im  Park  der  Susanna,  auch  des  Zachäus  beim 
Einzug  in  Jerusalem.  Sowohl  der  Lesende  wie  der  Moses  im  Quellwunder  gleicht  dem 
älteren  Porträt  in  der  Muschel  derart,  daß  man  denken  könnte,  man  habe  in  bekanntem 
Verfahren  den  beiden  die  Züge  des  Verstorbenen  gegeben  [Abb.  14].  —  Lat  n.  108 
(G  359,  2  sind  die  Endfelder  vertauscht;  der  Fels  bildet  fast  ausnahmslos  den  Ab- 
schluß des  Reliefs  an  der  Sarkophagkante).  Nur  die  Quellszene;  Moses,  in  der  Linken 
die  typische  Rolle,  ist  bärtig,  der  vordere  Israelit  hält  ein  Gefäß  unter  das  strömende 
Wasser.  Sonst  ist's  der  forthin  feststehende  Haupttypus;  in  der  Spätantike  werden  die 
knienden  Figuren,  außer  unseren  Trinkenden  z.  B.  auch  die  Schwester  des  Lazarus,  zu 
winzig  gezeichnet. 

Die  „Bedrängung"  wird  weiterhin  nur  dreifigurig  gegeben  und  weniger  erregt  als 
in  Lat.  n.  119;  Moses  pflegt  nun  bärtig  zu  sein,  die  zwei  Israeliten  bartlos.  Die  Be- 
wegung geht  immer  rechtshin,  und  Moses  pflegt  nach  wie  vor  zu  dem  ihm  folgenden 
Israeliten  umzublicken,  beides  einerlei  ob  der  Quellzauber  links  oder  rechts  anschließt. 

—  Lat.  n.  104  G  365,  2  ist  der  Fels  mit  den  Köpfen  der  Trinkenden  abgebrochen. 
In  der  „Bedrängung "  schreitet  Moses  mit  dem  gesenkten  Stab  in  der  Linken;  der  Näch- 
drängende faßt  jetzt  seinen  Oberarm,  ähnlich  wie  der  Soldat  am  Bassussarkophag  den 
des  Petrus;  der  Vorausgehende  greift  zurück  nach  Moses'  linkem  Oberarm  [Abb.  37]. 

—  Ähnlich  Lat.  n.  178  G  367,  3;  dagegen  in  n.  189  und  175  (G  367,  2.  1),  welche 
die  Doppelszene  an  das  linke  Reliefende  versetzen,  ist  im  einen  Fall  im  Quellwunder 
die  Richtung  rechtshin  beibehalten,  im  zweiten  die  linkshin  gewählt,  um  den  Fels  als 
Abschluß  zu  verwenden.  —  Lat.  n.  184  G  364,  2  sind  die  zwei  Szenen  voneinander 
getrennt,  das  Quell  wunder  steht  am  rechten  Ende,  die  Bedrängung  ist  in  die  linke 
Relief hälfte  versetzt  [Abb.  38].  —  Nun  noch  einige  Spätlinge,  nur  als  Proben.  Die 
typische  Doppelszene  am  rechten  Ende  n.  148  G  380,  4,  am  linken  n.  173  G  315,  1. 
Je  ein  Israelit  bärtig  n.  135  G  314,  2  [Abb.  41].  Nur  ein  Trinkender  n.  180.  190 
G  372,  2.  384,  5.     Zwei  trinkende   und   ein  dritter   „Israelit"   (in  Mütze)    im  Hinter- 


122  Plastik. 

grund  n.  135.  161.  227  G  314,  2.  382,  2.  400,  6.  Das  Wasser  strömt  aus  kreisrunder 
Öffnung,  Grousset  n.  113.     Vgl.  noch  unsere  Abb.  42.  44. 

Eine  Sonderstellung  behauptet  der  Sarkophag  der  Adelfia  in  Syrakus,  ein  Uni- 
kum (G  365,  1).  Er  travestiert  die  Szene  ins  Weibliche,  ganz  ernsthaft  natürlich.  Am 
Deckel,  links  vom  Titulus  und  dem  ihn  haltenden  Eroten,  sieht  man  zunächst  eine 
Gruppe  von  fünf  Matronen,  erinnernd  an  die  Eezitationsszenen,  z.  ß.  an  das  Eelief  im 
ersten  Saal  des  lateranischen  Museo  profano,  nur  daß  an  unserem  Sarkophag  die  Rollen 
fehlen:  eine  Matrone  frontal  würdig  im  Sessel,  die  Füße  auf  hohem  Schemel,  zu  ihrer 
Linken  eine  im  Musen  typ  auf  den  Pfeiler  gestützt;  zur  Rechten  der  sitzenden  zwei 
stehende  und  eine,  wir  wissen  nicht  wieso,  am  Boden  sitzende.  Garrucci  möchte  gern 
in  der  Thronenden  die  römische  Kirche  erkennen  und  in  der  zu  ihren  Füßen,  come  la 
Maddalena  ai  piedi  die  Cristo,  die  orientalische  (da  war  der  Wunsch  Vater  des  Ge- 
dankens). Dann  folgt  die  Travestie  der  Doppelszene,  zuerst  von  Garrucci  als  solche  an- 
gesehen. Zunächst  eine  Gruppe  von  drei  Mädchen,  im  Schema  der  „Bedrängung",  nur 
das  Greifen  wesentlich  gemildert  zu  einem  Nähern  der  Hand;  in  dem  Gerät  freilich, 
das  die  eine  hält,  in  Gestalt  einer  liegenden  Acht,  sieht  Garrucci  Handschellen.  Zuletzt 
die  Quellszene:  statt  des  Moses  steht  ein  Jüngling,  eher  dies  als  ein  Mädchen,  vor  dem 
Fels,  die  Rechte  beschwörend  oder  adorierend  ausgestreckt;  ein  vorgebeugtes  fast  in  die 
Knie  fallendes  Mädchen  läßt  von  dem  strömenden  Wasser  in  ein  untergehaltenes  Känn- 
chen  laufen;  die  Falten  des  Felsens  oder  vielmehr  Bergs  erinnern  an  Mantelfalten,  aus 
denen  ein  übergroßer  bärtiger  Kopf  heraus  kommt,  der  Berggott.  Eine  antike  Per- 
sonifikation. Für  das  unmittelbare  Übergehen  des  Bergs  in  die  anthropomorphe  Gestalt 
weiß  ich  kein  genaues  Analogon;  immerhin  gedenkt  man  der  in  Delphine  sich  wandeln- 
den Tyrrhener  oder  der  in  den  Lorbeerbaum  sich  wandelnden  Daphne.  In  antiker 
Weise  auch  ist's,  daß  der  Berggott  in  das  Bild  tritt,  wie  sonst  ein  Fluß-,  Wind-  oder 
Sonnengott.  Was  nun  den  Sinn  der  drei  Gruppen  betrifft,  so  kam  ihm  Le  Blant  wohl 
noch  am  nächsten,  als  er  bei  der  Thronenden  an  eine  Szene  im  Himmel  dachte,  Maria 
im  Kreise  von  seligen  Frauen  die  verstorbene  Adelfia  bewillkommnend.  In  der  Tat 
scheint  auch  mir  der  Fries  auf  die  Seligkeit  der  Verstorbenen  zu  gehen;  nur  möchte 
ich  in  der  Sitzenden  nicht  gleich  eine  Himmelskönigin  sehen,  sondern  lieber  die  Ver- 
storbene selbst  oder  vielleicht  die  Mutter,  wie  man  sich's  beim  Sarkophag  von  Via  Salaria 
gedacht  hat;  statt  der  Orante  dort  sehen  wir  hier  das  Mädchen  zwischen  zwei  Be- 
gleiterinnen, was  denn  wieder  an  die  Oranten  zwischen  Seligen  erinnert.  Die  Quell- 
szene deuten  de  Waal  und  Schultze  auf  die  Verkündigung,  das  Übrige  de  Waal  auf 
die  Einführung  der  Maria  in  den  Kreis  der  Tempeldienerinnen,  Schultze  auf  die  Heim- 
suchung; bei  alledem  bleiben  viele  Bedenken.1) 

Nun  wäre  nach  Erklärungen  der  originalen  Doppelszene  zu  fragen.  Ficker  bleibt 
bei  der  Deutung  aus  Exod.  17  stehen.  Da  es  an  Wasser  fehlte,  murrte  das  Volk  wider 
Moses,  so  daß  er  Jahwe  um  Hilfe  anrief:  Nur  wenig  fehlt,  so  werden  sie  mich  steinigen. 
Auf  Jahwes  Geheiß  schlägt  er  mit  dem  Stab  „womit  er  in  den  Nil  geschlagen  hatte", 
auf  den  Fels  am  Horeb,  so  daß  Wasser  hervorsprudelte.  Vorausgesetzt  daß  an  den 
Sarkophagen  die  Richtung  der  Bewegung  als  Regel  rechtshin  ginge,  etwa  wie  im  Jonas- 
zyklus, so  würde  man  die  richtige  Szenenfolge  in  den  Exemplaren  besitzen,  welche  die 
Doppelszene  an  das  rechte  Sarkophagende  verlegen;  die  bildliche  Auffassung  des  Vor- 

x)  Vgl.  Le  Blant,  Rev.  arch.  1877  II  353.  de  Waal,  Rom.  Quartalschr.  1887,  391.  Führer 
und  Schultze,  Grabstätten  Siziliens  1907,  314. 


Alttestamentliche  Typen.  123 

falles  ginge  dann,  das  später  auftretende  Ergreifen  zugrunde  gelegt,  weiter  als  der 
Bibeltext,  der  nur  von  Murren  redet  (die  an  Lat.  n.  119  Moses'  Füße  Umklammernden 
würden  ihn  um  Wasser  anflehen).  Ficker  lehnt  die  von  römischen  Exegeten  bevor- 
zugte Deutung  ab,  die  Petrus  erkennt,  wie  er  in  der  Rolle  des  Moses  Wasser  des 
ewigen  Lebens  aus  dem  Felsen  („der  Fels  aber  ist  Christus")  schlage;  neuerdings  aber 
scheint  sie  durch  schärferes  Erfassen  einer  Äußerlichkeit  eine  Stütze  zu  erhalten.  De 
Waal  wies  darauf  hin,  daß  beim  Durchgang  durchs  Rote  Meer,  beim  Wachtelfang, 
beim  Einzug  in  Jerusalem  die  Juden  jene  Mützen  nicht  tragen  (so  wenig  wie  die 
Chlamys);  in  der  altchristlichen  Kunst  kommt  die  Tracht  außer  in  den  erwähnten 
Szenen  nur  noch  einmal  vor,  bei  Jesus'  Vorführung  vor  Kaiphas  Lat.  n.  183  G  316,  1. 
Dagegen  sehen  wir  am  Triumphbogen  des  Konstantin  in  der  Darstellung  seines  Ein- 
zugs unter  den  ihm  voraufgehenden  Soldaten  einige  mit  ebenderselben  Kopfbedeckung 
versehen;  da  sie  auf  früheren  Sarkophagen  noch  fehlt,  so  muß  sie  im  Lauf  des  vierten 
Jahrhunderts  für  gewisse  Truppenteile  in  Rom  üblich  geworden  sein.  So  läge  die  An- 
nahme nahe,  daß  die  den  Fliehenden  festhaltenden  Leute  Soldaten  seien  oder  städtische 
Miliz  im  Dienste  des  Praefectus  urbis.  Der  Festgenommene  wäre  demnach  nicht  Moses, 
sondern  Petrus.  Graeven  erkennt  de  Waals  Deutung  der  Mützenträger  auf  Soldaten 
an;  das  Relief  an  der  Westseite  des  Konstantinsbogens  aber  bezieht  er  auf  Konstan- 
tins Reise  durch  Palästina,  die  geleitenden  Truppen  sind  palästinensische,  die  Soldaten 
der  Sarkophagreliefs  mithin  jüdische,  es  handelt  sich  nicht  um  Petrus  in  Rom.  Da- 
nach brachte  Strzygowski,  der  bereits  gewisse  hohe  zylindrische  Hüte  in  palmyre- 
nischer  und  sonstiger  orientalischer  Kunst  in  Vergleich  gezogen  hatte,  für  die  niedrige 
Mütze  weitere  Belege  zur  Besprechung,  in  den  Porphyrgruppen  von  je  zwei  Kriegern 
in  Panzer,  Sagum  und  Mütze,  an  San  Marco  in  Venedig,  für  die  er  syrischen  Ursprung 
annimmt.  Wittig  erkennt  soweit  an,  daß  die  Uniform  einer  Truppengattung  gehöre, 
die  vielleicht  in  Palästina  stand;  über  die  hierin  liegende  Schwierigkeit  aber  etwas  zu 
rasch  hinweggehend  glaubt  er  an  de  Waals  Beziehung  der  Sarkophagszene  auf  Petrus 
in  Rom  festhalten  zu  dürfen.  Er  erklärt  sie  aus  der  Legende  von  der  Passion  des 
Petrus  in  Rom;  wir  berichten  über  die  Hypothese  bei  Besprechung  der  Petrusbilder.1) 
Moses  das  Gesetz  empfangend.  Exodus  19  folgg.  schildert  wiederholt  das 
Herabkommen  Jahwes  auf  den  Sinai,  in  einer  Wolke,  in  Donner  und  Blitz,  in  Feuer, 
Rauch  und  Erdbeben  (19,  16.  24,  15).  Moses  durfte  zu  ihm  hinaufsteigen,  und  Jahwe 
übergab  ihm  die  beiden  Gesetzestafeln,  steinerne  Tafeln,  vom  Finger  Gottes  beschrieben 
(31,  18).  Diese  Tafeln  sind  es  doch  wohl,  welche  die  christliche  Kunst  meint,  nicht 
die  zweiten  34,  1.  28,  wo  von  einer  IJbergabe  keine  Rede  ist.  —  Im  Bilde  empfängt 
Moses  das  Gesetz  von  der  Hand  Gottes  aus  einer  Wolke.  Die  Gruppe  eignete  sich 
als  Gegenstück  zum  Isaak,  dessen  Opferung  durch  die  gleiche  Hand  Gottes  aus  einer 
Wolke  verhindert  wird.  Diese  Gegenüberstellung  findet  sich  öfter  beiderseits  einer 
Muschel  angeordnet,  weil  die  „Hand  aus  der  Wolke"  den  Zwickel  bei  der  Muschel- 
rundung gut  füllte.  Moses  bewahrt,  bis  tief  in  das  vierte  Jahrhundert,  den  früh- 
christlichen bartlosen  Kopftypus  mit  kurzem  Haar;  am  Sarkophag  Lat.  n.  152  ist  die 
Oberfigur  ausgebrochen,  so  daß  man  nicht  wissen  kann,  wie  der  Kopf  gestaltet  war.    In 


*)  Ficker,  Darstellung  der  Apostel  93,  2.  de  Waal,  Sarkophag  des  Bassns  92.  Konstantin- 
relief: Strong,  Roman  sculpture  1907  Taf.  104.  Graeven,  Gott.  gel.  Anz.  1901,  83.  Strzygowski, 
Orient  oder  Eom  30.  37;  Porphyrgruppen  (Beitr.  z.  alten  Gesch.  II  1902,  111  zu  Abb.  1).  Witt  ig, 
Campo  santo  107  Petrusszenen  aus  der  Legende. 


124  Plastik. 

den  übrigen  Exemplaren,  die  den  späteren  mit  bartlosem  Kopf  übrigens  zeitlich  gleich- 
laufen, ist  er  bärtig,  vereinzelt  auch  mit  vollerem  Haupthaar.  Moses  steht  auf  ebenem 
Boden  Lat.  n.  55  [Abb.  14]  und  an  den  Exemplaren  von  Ancona,  Mailand  und  in  den 
vatikanischen  Grotten;  dagegen  mit  einem  Fuß  auf  einer  Erderhöhung,  Gebirgsgelände 
andeutend,  am  pariser  Exemplare  und  an  denen  mit  bärtigem  Moses  [Abb.  28.  38]. 
Durch  letztere  Anordnung  tritt  das  Bild  in  eine  gewisse  typologische  Verwandtschaft 
zum  Moses  auf  dem  Horeb;  doch  bleibt  diese  Szene  immer  deutlich  unterscheidbar, 
jedenfalls  durch  das  Lösen  der  Sandale.  Statt  der  zwei  steinernen  Tafeln  empfängt 
Moses  in  den  Reliefs  entweder  ein  Täfelchen  (Diptychon)  oder  eine  Rolle;  das  eine 
wie  die  andere  ist  umschnürt.  Außerdem  hält  Moses  einigemale  eine  offene  Rolle  in 
der  linken  Hand,  einen  Finger  dazwischen  gesteckt.1) 

Eine  problematische  Szene  bietet  der  Sarkophag  in  Paris  G  319,  1  mit  Baum- 
gang: ein  Bärtiger  zwischen  zwei  Knaben,  alle  drei  in  Chiton  und  Himation,  legt 
segnend  die  Hände  auf  ihre  Scheitel;  im  Hintergrunde  zwei  Begleitfiguren,  eine  bärtig. 
Es  ist  das  Schema  des  Christus  in  der  Speisensegnung.  Hier  also  eine  Kindersegnung. 
Weil  der  Segnende  bärtig  ist,  hat  Garrucci  an  Isaak  gedacht,  Jakob  und  Esau 
segnend.  Nur  wenn  man  annehmen  dürfte,  der  Kopf  des  Bärtigen  sei  ergänzt,  könnte 
die  Szene  auf  Jesus  die  Kinder  segnend  bezogen  werden;  ihrer  ist  das  Himmel- 
reich. 2) 


Sondergruppe. 

An  die  besprochenen  alttestamentlichen  Szenen  reihen  wir  eine  Gruppe  solcher 
Bilder,  die  ihre  Stoffe  ebenfalls  dem  alten  Testament  entnehmen,  die  aber,  nach  ihrer 
Typik  zusammengehörend,  zum  Teil  wenigstens  durch  Einführung  des  präexistenten  oder 
Logoschristus  eine  Sonderstellung  einnehmen.  Wir  beginnen  mit  „Sündenfall"  und  „Zu- 
weisung". 

Adam  und  Eva  waren  bereits  in  den  Malereien  der  Katakomben  vertreten.  Wir 
fanden,  daß  gerade  im  ältesten  Exemplar,  zu  Neapel,  die  Schlange  fehlt,  obschon  Frucht 
und  Feigenblätter  vorhanden  waren;  da  Eva  die  Frucht  in  der  Hand  hält,  so  war  der 
Moment  des  Sündenfalls  dargestellt,  die  Feigenblätter  waren  unter  allen  Umständen  pro- 
leptisch  hinzugefugt.  Bei  alledem  schien  uns  in  der  Katakombenmalerei  doch  das  Para- 
diesesbild gemeint  ohne  Unterscheidung  des  biblischen  vom  himmlischen,  oder  das  bib- 
lische als  Bild  des  himmlischen.  Das  älteste  hier  einschlagende  Sarkophagrelief,  zu 
Velletri,  füllt  den  Raum  zwischen  seinen  drei  großen  Figuren  mit  kleineren  Erlösungs- 
typen, wie  Jonas,  Daniel,  Brotvermehrung,  Arche;  dazwischen  nun  stehen  auch  Adam 
und  Eva,  eine  Gruppe  von  ähnlicher  Empfindung  wie  die  des  Bildhauers  Menelaos  im 


*)  Gegenstücke:  Lat.  n.  55  G  358,  3.  n.  184  G  364,  2.  n.  175  G  367,  1.  n.  189  G  367,  2. 
—  Moses  bartlos:  Lat.  n.  55  und  das  pariser  Exemplar  G  324,  2  mit  seinen  Verwandten  in  Ancona 
326,  2,  Mailand  328,  2,  vatikanische  Grotten  327,  2.  Lat.  n.  152  G  320,  1.  Bärtig:  Lat.  n.  175. 
176.  184.  189.  Volles  Haupthaar:  Lat.  n.  189.  Diptychon:  Lat.  n.  55.  184.  189.  Syrakus. 
Rolle:  Paris  und  Verwandte.  Lat.  n.  176.     Offne  Rolle  in  der  Linken:    Lat.  n.  152.  Mailand. 

*)  Jakob  auf  dem  Bett  liegend  und  die  Söhne  Josephs  segnend,  Sarkophagfragment  aus  der 
Kallistuskatakombe :  Wilpert,  Rom.  Qnartalschr.  1906,  211. 


Sondergruppe.  125 

Museo  Ludovisi,  nur  daß  die  Rollen  vertauscht  sind.  Er  legt  den  linken  Arm  um  ihren 
Nacken  und  die  Rechte  auf  ihre  Hand.  Und  sie  halten  keine  Feigenblätter,  nur  ihre 
freie  Hand  geht  wie  unbewußt  vor  die  Scham.  Es  sind  die  „stillen  Vertrauten"  im 
Paradies.  Der  Sündenfall  kündigt  sich  erst  an,  zur  Seite  steht  klein  gezeichnet  der 
Baum,  von  ihm  her  nähert  sich  die  Schlange,  die  Frucht  im  Maul.  Diese  Auffassung 
ist  nicht  aus  der  Katakombenmalerei  und  ihrer  Typik  übernommen,  sondern  neue  Schöp- 
fung. Sonst  pflegt  auch  in  den  Reliefs  der  Baum,  mit  oder  ohne  Schlange,  zwischen 
Adam  und  Eva  zu  stehen.  Nur  auf  wenigen  Reliefs  belebt  die  Gruppe  etwas  Hand- 
lung. Am  Deckel  Lat.  n.  154  hält  Eva  die  Hand  (mit  der  Frucht)  an  den  Mund, 
Adam  hebt  den  Finger  wie  warnend;  dabei  halten  beide  mit  der  andern  Hand  schon 
das  Feigenblatt  vor.  Letzteres  auch  an  einem  anderen  Sarkophag  zu  Velletri,  wo  die 
zwei  freien  Hände  nach  dem  Baumwipfel  greifen.  Allmählich  schwindet  die  Handlung. 
Eva  hält  noch  die  Frucht  in  der  gehobenen  Hand,  aber  Adam  hält  das  Feigenblatt 
mit  beiden  Händen,  die  nicht  mehr  agieren.  Einen  Schritt  weiter  in  der  rückläufigen 
Entwicklung  und  beide  stehen  handlungslos,  beide  Hände  über  das  Feigenblatt  gekreuzt; 
die  Schlange  hält  die  Frucht  im  Maul.  Oder  sie  richtet  den  Kopf  nach  dem  Baum- 
wipfel.    Endlich  fehlt  die  Schlange  ganz.     Unsere  Abb.  18.  39.  41. 

Die  Reihenfolge,  in  der  wir  hier  die  Sarkophagbilder  aufgeführt  haben,  macht 
nicht  den  Anspruch,  genau  ihre  zeitliche  Abfolge  wiederzugeben;  ältere,  bereits  über- 
holte Entwicklungszustände  können  in  späteren  Exemplaren  immer  noch  einmal  wieder- 
kehren. Aber  soviel  scheint  doch  auf  der  Hand  zu  liegen,  daß  der  Entwicklungsgang 
von  Leben  und  Handlung  zu  Verkümmerung  und  fast  heraldischer  Starrheit  führte. 
Sollten  die  Bilder  auf  Darstellung  des  Sündenfalls  zugespitzt  sein,  so  müßte  es  auf- 
fallen, daß  gerade  das  Spiel  mit  der  Frucht  ausfällt.  Wie  Adam  und  Eva  zuletzt  da- 
stehn,  machen  sie  wieder  den  Eindruck  bloßer  Paradiesesstaffage  oder  bloßer  Paradieses- 
symbole. *) 

„Zuweisung"  ist  die  konventionelle  Bezeichnung  der  Szene,  in  welcher  Adam 
und  Eva  nach  dem  Sündenfall  und  der  Vertreibung  aus  dem  Paradiese  ihre  künftige 
Arbeit  zugewiesen  erhalten,  Adam  in  Gestalt  eines  Ahrenbündels,  Eva  in  Gestalt  eines 
Schafs.  Freilich,  die  Genesis  weist  nach  dem  Sündenfall  der  Eva  die  Schwangerschaft 
und  dem  Adam  den  Feldbau  zu;  letzteres  wiederholt  bei  der  Vertreibung  (3,  16.  17. 
23).  Von  ihren  Kindern  wurde  Abel  ein  Schafhirt,  Kain  ein  Ackerbauer;  Kain  brachte 
Jahwe  zum  Opfer  Früchte  des  Ackers,  Abel  von  den  Erstlingen  der  Herde  und  zwar 
von  ihrem  Fette  (4,  3.  4).  Doch  damit  sind  Berufsarten  unterschieden,  nicht  aber  die 
Arbeit  des  Mannes  und  des  Weibes.  Daher  wird  die  Annahme  nicht  fehlgehen,  daß 
es  sich  in  den  Sarkophagreliefs  wieder  nicht  um  Illustration  der  biblischen  Erzählungen 
handle,  sondern  nach  der  Weise  der  frühchristlichen  Kunst  um  Veranschaulichung  von 
Ideen.  Wenn  nun  dem  Adam  ein  Ährenbündel  gegeben  wird,  so  scheint  dies  Sinnbild 
in  der  Tat  auf  den  Ackerbau  hinzuweisen;  wenn  der  Eva  aber  ein  Schaf,  so  ist  dabei 
doch  wohl  nicht  an  Schafzucht  gedacht,  wohl  aber  an  das  in  erster  Linie  wichtige 
Produkt  der  Schafhaltung,  an  die  Wolle.  Spinnen  und  Weben  ist  überall  Frauenarbeit 
gewesen,  nicht  bloß  in  primitiven  Verhältnissen,  sondern  weit  darüber  hinaus.  —  Wittig 
indessen  beschreitet  einen  ganz  verschiedenen   Weg  der  Interpretation;  für  Garbe  und 


»)  Adam  und  Eva  in  der  Malerei:  Band  I  167.  —  Velletri  I:  G  374,  4.  Lat.  n.  154: 
G  316,  4.  Velletri  II:  396,  2.  Eva  hält  Frucht:  Lat.  n.  191  G  312,  1.  Haudlungslos:  Lat.  n.  161. 
146.  176  G  382,  3.  313,  2.  384,  6.     Grousset  n.  94  G  314,  4. 


126  Plastik. 

Lamm  setzt  er  „Ähre  und  Blut"  ein,  um  die  oft  gesuchte  Beziehung  auf  die  Eucharistie 
herauszubringen.  Allenfalls  könnte  man  die  Frage  stellen,  ob  das  Zuweisungsbild 
vielleicht  schon  im  Altertum  sekundär  auf  die  Eucharistie  bezogen  worden  sei.1) 

Adam  und  Eva  stehen  frontal,  höchstens  die  Blicke  nach  der  Mitte  gerichtet, 
genau  wie  in  der  letzten  Phase  der  Sündenfallsbilder;  zwischen  ihnen  steht  an  Stelle 
des  Baumes  eine  männliche  Gestalt  in  Rock  und  Mantel,  bartlos  langlockig,  der  zweite 
Christustyp,  der  Christus  als  der  Logos,  der  hier  den  Menschen  ihre  Aufgabe  zuweist. 
Er  reicht  dem  Adam  ein  Ährenbündel  (oder  eine  Garbe  steht  am  Boden  zwischen  den 
zwei  Männern);  mit  der  Linken  hält  er  ein  aufrecht  stehendes  Schaf  an  den  Vorder- 
pfoten, ebenso  etwa  wie  die  altgriechische  „Herrin  der  Tiere"  einen  Löwen  oder  ein 
Reh  hält.  —  Es  kommt  auch  vor,  daß  die  „Zuweisung"  mit  dem  „Sündenfall"  kom- 
biniert ist,  so  wenn  in  der  Zuweisung  neben  Eva  der  Baum  mit  der  Schlange  steht, 
die  eine  Frucht  im  Maul  hat  [Abb.  37].  Oder  umgekehrt,  mit  dem  Sündenfall  werden 
Elemente  der  Zuweisung  verbunden,  indem  der  Christus  neben  Adam  erscheint,  die 
Ähren  in  der  Rechten,  und  die  Stammeltern  nach  ihm  ihre  Blicke  richten  [Abb.  40]. 
Die  Assoziation  der  beiden  Szenen  war  den  Bildhauern  so  gewohnt,  daß  sie  dahin 
kamen,  in  das  typische  Sündenfallbild  einfach  Garbe  und  Schaf  einzuschieben.  Statt 
deren  sehen  wir  einmal  zwei  Fruchtkörbe  eingesetzt,  die  natürlich  mit  der  Zuweisung 
nichts  mehr  zu  tun  haben,  sondern  die  mit  rechten  „Paradiesäpfeln"  gefüllt  sind.  Ein 
andermal  ist  der  Zuweisung  ein  solcher  Fruchtkorb  hinzugefügt.2) 

Kain  und  Abel  bringen  ihre  Opfer,  Abel  ein  Lamm,  zu  seiner  Rechten  Kain 
ein  paar  Ähren;  beide  sind  unbärtig,  in  Chiton,  barfuß;  angezogen  treten  sie  nur 
G  319,  1  auf.  Einmal  bringt  Kain  statt  Ähren  Trauben;  das  ist  verständlich,  da 
Trauben  ein  Haupterzeugnis  der  klassischen  Länder  sind  [Abb.  40].  Die  Brüder  legen 
ihre  Opfer  nicht  auf  Altäre,  weder  Kain  die  Ähren,  noch  Abel  das  Fett  des  Lammes, 
sondern  sie  bringen  ihre  Gaben  in  den  Händen;  sie  bringen  sie  dem  auf  einem  Stein 
sitzenden  Gott.  Der  bärtige  Gott  sitzt  rechtshin  (stets  mit  dem  Rücken  gegen  das 
linke  Ende  des  Reliefs)  in  Chiton,  Mantel  und  Sandalen,  den  rechten  Fuß  etwas  vor- 
geschoben, manchmal  schwebend  (als  ob  das  Bein  übergeschlagen  wäre,  was  aber  nicht 
der  Fall  ist);  die  Linke  faßt  in  das  Gewand  (einmal  hält  sie  eine  Rolle),  die  Rechte 
ist  sprechend  gehoben  [Abb.  34].  Der  Typus  der  dem  Gott  Opfer  bringenden  Brüder 
will  verglichen  sein  mit  dem  der  Magier,  wo  sie  dem  Christuskind  ihre  Gaben  bringen; 
letzteres  Bild  war  früher  entstanden. 

Im  Fragment  von  Santa  Agnese  sitzt  der  Gott  auf  tuchbedecktem  Korbstuhl  und 
legt  die  Linke  an  das  Ährenbündel  (G  402,  3).  Am  veroneser  Exemplar  sitzt  der  Gott 
auf  einem  Bema,  der  Stuhl  hat,  der  Sella  curulis  ähnlich,  gekreuzte  und  geschwungene 
Beine,  die  aber  in  Löwentatzen  endigen;  im  Hintergrund  (das  Relief  ist  an  einer 
Schmalseite)  tauchen  die  Architekturen  der  Frontseite  noch  einmal  auf.  Am  Säulen- 
sarkophag zu  Fermo  steht  der  bartlos  langlockige  Christus  —  dem  Jahwe  wieder  ein- 
mal der  Christus   untergeschoben  —  in  der  Mittelnische,   zu  seiner  Rechten  Abel,  zu 


*)  Wittig,  Campo  santo  84. 

a)  Zuweisung:  Lat.  n.  178.  186.  189  G  367,  3.  313,  4.  367,  2.  Garbe  am  Boden:  Syrakus 
G  365,  1.  Zuweisung  mit  Sündenfall:  Lat.  n.  104  G  365,  2.  Sündenfall  mit  Zuweisung:  Lat. 
n.  193  G  372,  3.  —  Garbe  und  Schaf:  Lat.  n.  152  G  314,  1.  n.  136  G  383,  5  (nur  die  Garbe; 
neben  Adam  ein  bärtiger  Gott).  Bassussarkophag  G  32'?,  2.  Zwei  Fruchtkörbe:  Verona  G  333,  3. 
Ein  Korb  in  der  Zuweisung:  Grousset  n.  151  G  396,  4. 


Sondergruppe.  127 

seiner  Linken  Kain,  jeder  mit  seiner  Gabe.  Diese  Gruppe  ist  in  Anlehnung  an  die 
„Speisensegnung"  komponiert;  aber  im  Unterschied  davon  legt  der  Christus  hier  nicht 
die  Hände  segnend  auf  die  Objekte,  sondern  hebt  die  Rechte  sprechend,  genau  wie  der 
sitzende  Gott  im  gewöhnlichen  Typus.  Der  Gedanke  an  „Opfersegnung"  liegt  um  so 
ferner,  als  die  Geschichte  des  ersten  Opfers  sich  bekanntlich  dahin  zuspitzt,  daß  aus 
dem  größeren  Wohlgefallen  Jahwes  an  Abel  ein  Brudermord  entstand.  Dementsprechend 
nimmt  in  allen  Exemplaren  nicht  der  ältere  Kain,  sondern  der  dem  Gott  wohlgefälligere 
Abel  den  Ehrenplatz  ein,  zur  Linken  des  Bruders,  zur  Rechten  des  Christus.1) 

Schöpfung  der  Eva.  „Da  ließ  Jahwe  Gott  einen  tiefen  Schlaf  auf  den  Menschen 
fallen;  als  er  entschlafen  war,  nahm  er  eine  von  seinen  Rippen  und  füllte  ihre  Stelle 
mit  Fleisch  aus.  Alsdann  gestaltete  Jahwe  Gott  die  Rippe,  die  er  von  dem  Menschen 
genommen  hatte,  zu  einem  Weibe"  Gen.  2,  21.  22  Kautzsch;  y.a.1  (pxodöitrjoe  Kvqiog  6 
&sög  ttjv  rtXevQcev,  rjv  elaßev  änb  xov  3Add(.i,  eig  ywalxa  Sept.  Swete  I  4.  Der  Schöpfer, 
bärtig  in  vollem  Haar,  sitzt  rechtshin  in  einem  Lehnstuhl  von  Holz  oder  Marmor;  die 
Füße  zurückgezogen,  etwas  vorgebeugt,  modelliert  er,  ein  anderer  Prometheus,  mit  den 
Fingern  an  der  Brust  der  auf  einem  Untersatz  stehenden  Eva.  Hinter  ihr  der  lockige 
Christus,  als  Logos,  den  Mantel  umgeschlagen,  offenbar  die  Linke  mit  dem  Mantelsaum 
unter  den  rechten  Arm  gesteckt,  und  mit  sprechender  Rechten,  sagt  wie  ein  teilnehmen- 
der Kollege  sein  Wort  dazu.  Diese  hübsch  gedachte  Atelierszene  befindet  sich  am 
Sarkophag  zu  Campli.  —  An  Lat.  n.  104  sitzt  der  Schöpfer,  wie  die  Maria  in  der 
unteren  Szene,  in  einem  Korbstuhl,  die  Füße  auf  einem  verzierten  Schemel,  doch  ist 
dem  Gotte  eine  weiche  Decke  über  das  Korbgeflecht  gelegt,  gleicherweise  wie  in  einem 
Exemplar  des  ersten  Opfers.  Vor  ihm  am  Boden  liegt  Adam  schlafend,  ausgestreckt 
auf  dem  Rücken;  zu  seinen  Füßen  aber  steht  Eva,  in  kleiner  Figur  wie  Adam,  zum 
Schöpfer  aufblickend.  Der  Schöpfer  spricht  mit  erhobenen  zwei  Fingern  das  Schöpfer- 
wort; bei  ihm  stehen  zwei  Gestalten,  bärtig,  in  kurzem  Haar,  angezogen  und  in  San- 
dalen wie  er;  der  eine  mit  kahler  Stirn,  hinter  dem  Korbstuhl,  faßt  die  Stuhllehne  an, 
der  andere,  zum  Schöpfer  sich  zurückwendend,  legt  die  Rechte  auf  Evas  Scheitel.  Das 
Bild  atmet  eine  theologischere  Auffassung.  Die  drei  am  Schöpfungsakt  Beteiligten  er- 
klärt Garrucci  für  die  Dreieinigkeit,  den  mit  der  kahlen  Stirn  für  Gottvater,  den  sitzen- 
den Schöpfer  für  den  Logos,  den  dritten  für  den  heiligen  Geist.  Für  Ficker  dagegen 
ist  der  hinter  dem  Korbstuhl  eine  Nebenfigur,  so  unbedeutend  wie  der  Joseph  der  Zone 
darunter,  in  den  zwei  anderen  Bärtigen  sieht  er  zweimal  denselben  Gottvater  als  Schöpfer; 
das  eine  Mal,  da  er  sitzt,  versenke  er  durch  sein  Wort  den  Adam  in  Schlaf,  oder  er 
vollziehe  die  Schöpfung  des  Weibes,  das  andere  Mal  lege  er  die  Hand  auf  ihr  Haupt, 
um  sie  zu  beseelen.  Seine  Kopfwendung  nach  dem  Sitzenden  hin  scheint  jedoch  eine 
Szenentrennung  zu  verbieten;  da  nun  aber  Ficker  gegen  die  Dreieinigkeit  ebenso  ge- 
wichtige Gründe  geltend  gemacht  hat,  wie  gegen  die  von  Schultze  vorgeschlagenen 
Engel  beiderseits  des  Schöpfers,  so  liegt  hier  ein  ungelöstes  Problem  vor.  Analogien 
aus  der  heidnischen  Kunst  hat  Ficker  angeführt,  und  er  bemerkt  soweit  richtig,  daß 
der  Bildhauer  an  heidnische  Vorbilder  angeknüpft,  dann  aber  selbständig  gearbeitet  habe. 
Nur  hätte  Ficker  den  Gegensatz  zwischen  Heidnisch  und  Christlich  auf  das  Gegen- 
ständliche beschränken  sollen;  der  Künstler  war  als  solcher  weder  ein  heidnischer  noch 


l)  Trauben:  Lat.  n.  193  G  372,  3.  Fuß  schwebend:  Lat.  n.  164  G  350,  2.  Kolle:  Grousset 
88  G  396,  6.  Verona:  eb.  333,  2.  Fermo:  eb.  310,  2.  Christus  auch  Grousset  n.  115.  Opfer- 
segnung: Wittig,  Campo  Santo  87  zu  n.  46. 


228  Plastik. 

ein  christlicher,  sondern  ein  antiker  [Abb.  37].  —  Am  Sarkophag  von  Velletri  scheint 
der  Schöpfer,  bartlos  lockig,  vor  der  stehenden  Eva  zu  sitzen;  er  legt  ihr  die  Hand 
auf  den  Mund,  womit  denn  vielleicht  die  Beseelung  der  fertig  modellierten  Gestalt  aus- 
gedrückt werden  soll.1) 

Unter  den  Szenen,  die  in  der  Skulptur  neu  erscheinen,  und  zwar  denjenigen  des 
vierten  Jahrhunderts,  befindet  sich  auch  die  Totenbelebung;  nicht  die  Erweckung 
des  Lazarus  ist  gemeint,  noch  die  der  Jairustochter  oder  des  Jünglings  zu  Nain,  sondern 
die  Belebung  der  Gebeine  einer  Mehrheit  von  Toten,  dergleichen  in  allen  Schriften  des 
alten  und  des  neuen  Testamentes  nur  einmal  vorkommt,  freilich  nur  als  Vision,  wenn 
nicht  als  bloße  rhetorische  Figur,  im  Propheten  Ezechiel  Kap.  37.  Der  Prophet  wirkte 
im  babylonischen  Exil.  Da  gab  es  welche,  die  sprachen:  Unsere  Gebeine  sind  ver- 
dorrt, unsere  Hoffnung  ist  verschwunden,  es  ist  aus  mit  uns.  Ezechiel  aber  hielt  fest 
an  der  Hoffnung  auf  eine  Heimkehr  aus  dem  Exil  und  Wiederherstellung  des  heimischen 
Staates.  Er  sprach  im  Namen  Jahwes:  Fürwahr,  ich  will  eure  Gräber  öffnen  und  euch, 
mein  Volk,  aus  euren  Gräbern  heraufholen  und  euch  ins  Land  Israel  bringen,  und  ich 
will  meinen  Atem  in  euch  geben,  daß  ihr  wieder  lebendig  werden  sollt,  und  will  euch 
in  euer  Land  versetzen.  Um  das  zu  veranschaulichen  schildert  der  Prophet  eine  Vision, 
wie  Jahwe  ihn  hinausgeführt  habe  in  ein  Tal  voller  verdorrter  Gebeine;  auf  Jahwes 
Geheiß  rief  er  feierlich  über  die  Gebeine  hin,  daß  sie  nach  Jahwes  Wort  wieder 
lebendig  werden  sollen:  und  sie  fügten  sich  wieder  zusammen  und  überzogen  sich  mit 
Sehnen,  Fleisch  und  Haut.  Und  auf  abermaliges  Rufen  kam  der  Wind  (Atem)  und 
fuhr  in  sie,  daß  sie  Leben  bekamen  und  sich  auf  ihre  Füße  stellten. 

In  den  Sarkophagreliefs  trägt  der  Wundertäter  genau  die  Gestalt  und  den  Kopf 
des  bartlos  langgelockten  Christus  (nur  Lat.  n.  191  [Abb.  39]  hat  er  kürzeres  Haar,  in 
Übereinstimmung  aber  mit  den  anderen  Christusbildern  desselben  Reliefs),  die  Rolle  in 
der  Linken ;  das  Wunder  bewirkt  er  mit  dem  typischen  Stab,  genau  wie  im  Weinzauber. 
Hinter  seiner  rechten  Schulter  erhebt  ein  Bärtiger  zu  ihm  redend  die  Hand,  bisweilen 
erscheint  noch  ein  Bartloser  hinter  des  Christus  linker  Schulter,  ihm  zugewendet.  Gar- 
rucci  und  Schultze  erklären  den  Wundertäter  nach  der  Schilderung  im  Propheten- 
buch für  Ezechiel;  in  dem  Bärtigen  sieht  Garrucci  den  Logos,  im  zweiten  Bartlosen 
den  Christus,  dessen  Prototyp  Ezechiel  sei;  Schultze  dagegen,  der  den  Christustyp  des 
„Ezechiel"  richtig  erkannte,  meint,  auch  die  zwei  Begleitpersonen  seien  den  neutestament- 
lichen  Wunderszenen  entnommen  (will  sagen  den  Jüngertypen).  Ficker  zu  Lat.  n.  135 
erklärt  anlehnend  an  das  Prophetenbuch  den  Bärtigen  für  Gottvater  (untergeschoben 
dem  biblischen  Jahwe,  der  niemals  ein  Gottvater  gewesen  ist),  den  Wundertäter  aber 
einfach  für  Christus.  Der  Augenschein  spricht  für  die  Richtigkeit  letzterer  Erklärung. 
Ezechiels  Belebung  der  Totengebeine  gilt  als  Prototyp  der  Totenbelebung  durch  den 
Christus,  im  Bilde  ist  dieser  in  die  Rolle  jenes  eingetreten.  Spricht  das  Bild  nun  aber 
von  der  christlichen  Vorstellung  einer  Auferstehung  der  Leichen  bei  der  ja  längst  in 
die  Zukunft  geschobenen  Parusie  des  Christus?  Wenn  irgendwo  scheint  hier  die  Be- 
ziehung evident,  wie  ja  auch  bei  den  anderen  Totenerweckungen  der  Gedanke  nahe  liegt. 
Dennoch  möchte  ich  zur  Vorsicht  raten,  da  die  altchristliche  Skulptur  sonst  Zukunfts- 
gedanken so  wenig  ausspricht,  wie  die  Katakombenmalerei;  z.  B.  Gerichtsszenen  gibt  es 
weder  hier  noch  dort. 


*)  Campli:  G  399,  7.     Lat.  n.  104:  G  365,  2.     Velletri:  G  396,  2. 


Evangelische  Erlösungstypen.  129 

Die  Toten  sind  durch  kleine  männliche  Figuren  dargestellt,  ähnlich  dem  Adam 
und  der  Eva  in  der  letzteren  Schöpfung.  Eine  solche  Figur  liegt  ausgestreckt  auf 
einer  Bodenschräge  zu  Füßen  des  Christus  und  wird  von  dessen  Stab  berührt,  eine 
zweite,  auch  eine  dritte,  steht  bereits  auf  ihren  Füßen;  am  Boden  liegt  wohl  noch  ein 
Kopf  oder  ein  Fuß  (das  worauf  der  Christus  am  Sarkophag  aus  Villa  Ludovisi  tritt, 
sieht  weniger  wie  vier  Knochen  aus  als  wie  vier  Zehen  eines  Fußes).  Lat.  n.  121  sind 
die  Lebenden  nicht  größer  als  die  Wiederbelebten;  deren  stehen  dort  zwei,  auch  liegen 
neben  dem  noch  nicht  aufgerichteten  zwei  Köpfe,  der  eine,  wie  alle  die  Wiederbelebten, 
mit  Fleisch  bekleidet,  der  andere  ein  nackter  Schädel.     Unsere  Abb.  39.  41.  42.  *) 

Abgesehen  von  dem  aus  der  frühchristlichen  Malerei  stammenden  „  Sündenfall" 
sind  die  Bilder  unserer  „Sondergruppe"  Neuschöpfungen  des  vierten  Jahrhunderts.  Der 
sepulkrale  und  Jenseitssinn  der  Totenbelebung  unterliegt  keinem  Zweifel.  Was  aber 
bedeuteten  in  der  Sargbildnerei  die  Szenen  aus  den  ersten  Kapiteln  der  Genesis, 
Schöpfung  der  Eva  (wo  die  des  augenblicklich  in  Schlaf  versenkten  Adam  wohl  mit- 
gedacht ist),  Sündenfall  und  Zuweisung,  Kain  und  Abels  Opfer?  An  Lat.  n.  104  sind 
Schöpfung  der  Stammeltern,  Sündenfall  und  Zuweisung  vereinigt,  letztere  beide  sogar 
verschmolzen,  und  zwar  in  der  Weise,  daß  der  Zuweisungsgruppe  der  Baum  mit  der 
Schlange  hinzugefügt  ist  (nicht,  wie  sonst  wohl,  umgekehrt  Garbe  und  Schaf,  oder  der 
Christus  mit  den  Ähren,  den  Stammeltern  unter  dem  Baum).  Das  sieht  aus,  wie  Lust 
am  Erzählen,  hier  der  Urgeschichte,  dergleichen  man  ja  der  Kunst  des  vierten  Jahr- 
hunderts nachrühmt,  gegenüber  der  frühchristlichen  Bildersprache.  Was  aber  war  das 
Interesse  der  Auftraggeber?  Das  Hervortreten  des  präexistenten  Christus  Logos  sieht 
eher  aus  wie  gesteigertes  dogmatisches  Interesse,  wie  Ausbau  der  Christologie.  Diese 
scheint  auch  die  Gestaltung  des  ersten  Opfers  mit  dem  zentralen  Christus  am  Sarko- 
phag von  Fermo  veranlaßt  zu  haben.  Und  der  Christus  war  doch,  sicher  im  sepul- 
kralen  Kreis,  durchaus  der  Herr  des  Lebens  nach  dem  Tode.  An  der  Ausarbeitung 
der  Interpretation  bleibt  noch  viel  zu  tun. 


Evangelische  Erlösungstypen. 

Die  evangelischen  Erlösungstypen  erscheinen  in  den  Sarkophagreliefs  um  ein 
paar  vermehrt.2) 

Die  Wiederbelebung  des  Lazarus  hält  sich  in  der  Hauptsache  an  den  aus  der 
Malerei  bekannten  Typus:  das  Grab  als  hellenistisches  Mausoleum,  auf  einem  Unter- 
bau mit  Freitreppe,  die  Front  wohl  gesäult,  unter  Giebel;  in  der  Tür  steht  die  Mumie 
des  Lazarus;  Christus  streckt  die  Hand  nach  ihm  aus,  später  den  Zauberstab;  dabei 
in  der  Regel  Lazarus'  Schwester  Maria,  einmal  auch  Martha,  sowie  ein  oder  zwei  Hinter- 


*)  Totenbelebung:  V.  Schultze,  Arch.  Studien  99.  —  Lat.  n.  115  verschmilzt  die  Toten- 
belebung mit  der  Erweckung  des  Lazarus,  insofern  die  zwei  hier  (und  in  n.  186)  benachbart  an- 
geordneten Wunder  durch  eine  und  dieselbe  Christusgestalt  verrichtet  werden,  n.  116  (G  376,  4). 
n.  121  (398,  3).  n.  135  (318,  1).  n.  180  (372,  2).  n.  186  (313,  4).  n.  191  (312,  1).  Grousset  n.  92 
Villa  Ludovisi,  jetzt  Lat.  M  n.  26.  —  de  Waal,  Rom.  Quartalschr.  1906,  28  leugnet  jede  Beziehung 
auf  Ezechiel,  es  sei  einfach  die  künftige  Auferstehung  gemeint. 

a)  Erlösungsbilder:  Band  I  223.  —  Zu  Jesus  als  Heiland  (omttJq)  vgl.  Wendland,  Helle- 
nistische Kultur  122,  3. 

Sybel,  Christliche  Antike  II.  9 


130  Plastik. 

grundsfiguren  in  wechselnder  Anordnung,  die  man  eher  als  Jünger,  denn  als  tröstende 
Juden  verstehen  wird.  Das  Mausoleum  bildet  regelmäßig  den  einen  Abschluß  des 
Reliefs,  in  den  früheren  Exemplaren  am  linken  Ende,  später  wechselnd  links  oder  rechts. 
Christus  erscheint  ohne  Zauberstab  an  den  verhältnismäßig  frühen  Exemplaren  Lat. 
n.  119  und  55  [Abb.  5.  14];  an  letzterem  beugt  sich  Maria  auf  die  von  ihr  erfaßte 
Linke  des  Heilands,  der  hier  nicht  nach  Lazarus  blickt,  sondern  geneigten  Hauptes  auf 
Lazarus  herab  —  einer  von  den  Zügen,  welcher  die  Komposition  dieses  Reliefs  so  viel 
ansprechender  macht,  als  wir  es  sonst  an  den  Sarkophagen  gewohnt  sind.  An  n.  119 
kniet  Maria,  aber  noch  mit  aufrechtem  Oberkörper,  Martha  steht  im  Hintergrund  beim 
Grab.  In  den  späteren  Exemplaren  mit  linkshin  gewandtem  Christus  pflegt  er  die  Rolle 
in  der  Linken  zu  halten,  in  der  Rechten  das  Stäbchen;  an  n.  146  legt  die  kniende 
Maria  die  Hand  an  sein  Knie.  In  den  Sarkophagen  seit  Konstantin  wirft  sich  die  nun 
immer  zu  klein  gebildete  Maria  zu  Boden,  vornüber  geneigt,  wenn  auch  den  Christus 
anblickend  (n.  148.  175);  an  n.  104  legt  sie  die  Hand  bittend  an  seinen  Fuß  [Abb.  37]. 
Ist  die  Szene  an  das  rechte  Ende  des  Sarkophags  versetzt,  so  streckt  Jesus  die  Rechte 
mit  dem  Stäbchen  an  seiner  Brust  vorbei;  einmal  wendet  er  sich  nach  der  Nachbär- 
szene  hin  (n.  193)  [Abb.  40],  einmal  fehlt  Maria  (400,  7);  ganz  winzig  und  fast  hündisch 
kriechend  erscheint  sie  an  n.  184  [Abb.  38].  Nach  der  lockeren  Komposition  zu  ur- 
teilen sind  besonders  spät  n.  127  und  162  (an  letzterem  setzt  Christus,  neben  dem  keine 
anderen  Personen  vorkommen,  den  Fuß  auf  die  unterste  Stufe),  sowie  am  Sarkophag 
von  San  Callisto  Abb.  43.  Ausnahmsweise  findet  sich  die  Szene  an  einem  Säulensarko- 
phag; hier  sind  bei  der  Einordnung  die  Reliefenden  nicht  berücksichtigt.1) 

Die  Erweckung  der  Tochter  des  Jairus  kommt  in  der  Sarkophagskulptur  wie  in 
der  Katakombenmalerei  je  einmal  vor,  beides  im  vierten  Jahrhundert.  Am  linken  Ende 
des  Reliefs  steht  eine  Kline  rechtshin,  mit  gedrehten  Beinen,  die  sichtbare  Kante  des 
Kopfbrettes  mit  einem  herabschießenden  Delphin  verziert.  Auf  der  Kline  liegt  das 
Mädchen,  das  sich  eben  hebt,  vom  Christus  an  der  Hand  gefaßt;  dieser  hat  in  der 
Linken  eine  sich  öffnende  Rolle.  Der  bärtige  Jairus  steht  hinter  der  Kline,  genau 
frontal,  die  Rechte  jedoch  mit  zwei  eingeschlagenen  Fingern  gegen  den  Heiland  hin 
gehalten.  Im  Vordergrund  hat  sich  eine  Matrone  ihm  zu  Füßen  geworfen,  im  Schema 
von  Lazarus'  Schwester,  auch  in  derselben  Winzigkeit;  wohl  die  Mutter  des  Mädchens. 
Hinter  dem  Kopfende  der  Kline  steht  ein  Unbärtiger  in  Chiton,  über  die  Kline  hin- 
weg adorierend  die  Hände  zum  Christus  ausgestreckt  [Abb.  42].  —  Häufiger  begegnet 
die  Erweckung  des  Jünglings  zu  Nain.  Der  Christus,  in  der  Linken  die  Rolle,  be- 
rührt mit  dem  Stäbchen  den  sich  bereits  erhebenden  Kopf  einer  mumienhaft  ein- 
gewickelt am  Boden  liegenden  Gestalt;  eine  Nebenfigur  pflegt  dabei  zu  sein.  Die  Hand- 
lung geht  an  einem  Säulensarkophag  linkshin,  an  Lat.  n.  175  und  112  rechtshin.  Andere 
Darstellungen  schließen  sich  dem  Text  enger  an,  indem  sie  den  Sarg  hinzufügen;  als 
marmorner,  wohl  auch  geriefelter  Sarkophag  gedacht,  steht  er  auf  ebenfalls  marmornen 
Untersätzen  in  Form  von  Löwenbeinen  mit  Löwenköpfen,  oder  am  Boden.  Der  Ge- 
storbene erhebt  sich  aus  ihm  mit  dem  Kopf,  oder  ist  wie   auf  dem  Sarg  liegend  ge- 


x)  Lazarus  in  der  Malerei:  Band  I  225.  —  Lat.  n.  119.  55:  G  307,  1.  358,  3.  Maria  knie- 
fällig: Joh.  11,  32.  —  Lat.  n.  146:  G  313,  2.  —  Lat.  n.  148.  175.  104:  G  380,  4.  367,  1.  365,  2.  — 
Am  rechten  Reliefende:  Lat.  n.  161.  108.  186.  M  n.  26  (G  382,  2.  359,  2.  313,  4.  361,  1).  Christus 
weggewendet:  n.  193  (372,  3).  Maria  fehlt  n.  166  (400,  7);  hündisch  184  (364,  2).  Spätest  127. 
162  (376,  1.  348,  1).     Säulensarkophag:  Wittig  78  n.  38.  —  Vgl.  Ficker  S.  16.  64. 


Evangelische  Erlösungstypen.  131 

zeichnet.     An  n.  183  zeigt  der  Vater  der  Mutter  das  Wunder.  An  G  319,  4  hockt 

beim  Sarg  die  Mutter  am  Boden,  im  alten  Schema  der  Trauer.  An  G  404,  2  tragen 

zwei  Männer  auf  den  Schultern  das  Totenbett,  das  die  Gestalt  eines  Sofas  hat;   auf 
ihm  hat  sich  der  Verstorbene  eben  erhoben.1) 

Es  folgen  Heilungsgeschichten.2) 

Der  Gichtbrüchige  ist  in  den  Sarkophagreliefs  wie  in  den  Malereien  in  dem 
Augenblicke  wiedergegeben,  wo  er  durch  Jesus'  Wort  geheilt  auf  dessen  Geheiß  sein 
Bett  auf  den  Nacken  oder  auf  den  Kopf  genommen  hat  und  davongeht.  Die  Heilung 
ausgedrückt  durch  Berühren  mit  der  Hand,  ist  mit  dem  Davongehen  in  einen  und 
denselben  Moment  zusammengefaßt;  anders  als  in  den  Malereien  wird  in  den  Reliefs 
der  Heiland  stets  mit  dargestellt.  Der  Geheilte  trägt  den  Chiton,  der  Christus  hält  in 
der  Linken  die  Rolle.  An  einem  Säulensarkophag  wurde  ein  früherer  Moment  beliebt: 
nachdem  die  Heilung  eben  vollzogen,  stellt  der  Geheilte  seine  Kline  auf  ihr  Fußende 
hoch,  um  sie  danach  auf  den  Nacken  zu  nehmen.  Die  Kleinheit  des  Geheilten  in 
manchen  Reliefs  möchte  ich  nicht  als  die  eines  Knaben  bezeichnen,  sondern  es  ist  die- 
selbe, die  wir  in  den  späteren  Sarkophagen  an  Figuren  wie  den  Trinkenden  im  Quell- 
wunder oder  der  Schwester  des  Lazarus  bemerkt  haben  und  weiterhin  an  dem  geheilten 
Blinden  wiederfinden  werden;  je  höher  der  Christus  gehoben  wird,  desto  tiefer  wird 
der  Mensch  erniedrigt  [Abb.  38 — 41].  Die  Nebenfiguren  lassen  wir  beiseite.  Ein 
Sarkophag  bringt  die  Szene  neben  der  zentralen  Orante;  ihr,  der  Verstorbenen,  wendet 
der  Christus  den  Kopf  zu,  als  derjenigen,  welcher  der  ganze  Bilderaufwand,  das  heißt 
die  ganze  Wundermacht  des  Erlösers  eigentlich  gilt  [Abb.  40].  —  Ein  anderer  Sarko- 
phag mit  gereihten  Architekturen,  darunter  zwei  Toren  mit  Zinnen  direkt  auf  den  Archi- 
volten,  rückt  die  Szene  ungefähr  in  die  Mitte  des  Reliefs.  Links  davon,  unter  einer 
Arkade,  kommt  der  Christus  von  linksher,  gefolgt  von  zwei  Jüngern,  das  Haupt  geneigt, 
als  ob  er  es  mit  dem  Gichtbrüchigen  zu  tun  habe;  aber  seine  Rechte  ist  vorgestreckt, 
ohne  daß  seine  ganze  Bewegung  Ziel  und  Gegenstand  hätte.  Statt  dessen  folgt  jen- 
seits der  Säule  unsere  Szene,  und  zwar  in  ungewöhnlicher  Entfaltung  und  in  zwei 
Zonen.  Im  niedrigeren  Sockelbild  liegt  linkshin  ein  Kranker  in  Chiton  und  Mantel 
auf  verhängter  Kline,  die  Hand  auf  dem  Kopf  wie  Endymion,  Jonas  u.  a.  Ruhende; 
dreie  im  Chiton  sitzen  um  ihn  herum,  zwei  links  mit  vorgestreckter  Rechten,  einer 
rechts  scheint  die  Hand  an  das  Kopfende  der  Kline  zu  legen.  Im  oberen  Hauptbild 
aber  sehen  wir  die  typische  Heilung  des  Gichtbrüchigen,  etwas  lebhafter  in  der  Be- 
wegung des  Christus,  dazu  wieder  drei  Nebenfiguren  in  Chiton,  teils  sitzend  teils  stehend, 
einen  mit  Stab,  es  mögen  Kranke  gemeint  sein.  Den  Hintergrund  bildet  ein  drei- 
bogiger  Säulengang,  doch  wohl  in  Anklang  an  die  fünf  Hallen  am  Teich  Bethesda 
Joh.  5,  12  [Abb.  32].     Einen  Moment  zwischen  dem  Ruhen  auf  der  Kline  und  dem 


*)  Tochter  des  Jairus:  Mk.  5,  22  und  Parallelen.  Malerei:  Band  I  225.  Sarkophag:  Lat. 
n.  116  G  376,  4.  —  Jüngling  zu  Nain:  Lk.  7,  11.  Säulensarkophag:  Lat.  n.  195  G  397,  9. 
Eechtshin:  n.  175  G  367.  1.  n.  112  Ficker  Taf.  I.  Lat.  n.  183.  179.  189  (G  316,  1.  370,  1.  367,  2). 
Vgl.  Ficker  S.  54.  —  Zu  beiden  Szenen  vgl.  de  Waal,  Eöm.  Quartalschr.  1906,  38. 

2)  Die  Heilungsgeschichten  machen  auf  Thiersch  (Hist.  Zeitschr.  1909,  582)  den  Eindruck, 
als  sei  durch  diese  Szenen  auf  ein  Sakrament  angespielt,  die  Krankensalbung  Jakob.  5,  14 — 15, 
die  sich  in  den  griechischen  und  römischen  Kirchen  bis  heute  erhielt.  Ich  finde  in  den  fraglichen 
Szenen  nichts,  was  darauf  hinwiese. 

9* 


132  Plastik. 

Aufnehmen  der  Kline  stellen  drei  Sarkophage  dar,  an  denen  der  Kranke  auf  der  Kline 
sitzt  und  so  vom  Christus  am  Kopf  berührt  wird.1) 

Die  Blindenheilung  begegnet  in  der  Skulptur  weit  öfter  als  in  der  Malerei. 
Sie  ist  hier  auch  anders  komponiert,  insofern  der  Blinde  steht,  nicht  wie  in  der  Malerei 
kniet;  von  Knien  steht  ja  auch  nichts  in  den  Texten,  es  war  in  der  Malerei  nur 
durch  Gegenstücke  mit  Knienden  veranlaßt.  Der  Heiland  pflegt  sich  vorneigend,  später 
auch  geradeaus  oder  aus  dem  Bilde  herausblickend,  die  Hand  oder  zwei  Finger  an 
die  blinden  Augen  zu  legen,  einmal  berührt  er  beide  Augen  mit  einer  Hand.  Der  zu 
klein  gebildete  Blinde  trägt  den  Chiton,  der  öfter  ungegürtet  ist,  darüber  den  Schulter- 
kragen oder  die  Pänula,  und  führt  einen  Stab  in  der  Hand.  Ein  bisweilen  hinter  dem 
Blinden  stehender  Jünger  umfaßt  seine  Schulter,  etwa  wie  bei  einer  Operation  haltend 
und  beruhigend  [Abb.  14.  28.  32.  37 — 41].  Einige  Bildhauer  geben  nach  Matthäus  zwei 
Blinde;  der  erste  hat  den  Stab,  der  zweite  hält  sich  an  ihm;  dem  ersten  legt  der 
Christus  die  Hand  auf  den  Kopf.  Oder  Jesus  legt  dem  ersten  die  Hand  auf  den  Kopf, 
der  zweite  wird  von  einem  Jünger  in  vollem  Haar  und  Bart  um  die  Schulter  gefaßt, 
jeder  Blinde  führt  einen  Stab  [Abb.  32].a) 

Die  Blut  flüssige.  Ficker  S.  17  unterscheidet  in  der  Skulptur  vier  Haupt- 
auffassungen, „gewissermaßen  die  vier  Akte  der  Handlung".  Richtiger  scheint  die  Be- 
merkung, daß  die  verschiedenen  Auffassungen  nebeneinander  hergehen  —  sofern  näm- 
lich überhaupt  von  solchen  gesprochen  werden  kann.  Ganz  unzweideutig  ist  die  Blut- 
flüssige nur  dann  gekennzeichnet,  wenn  sie,  kniend,  oder  gebückt  stehend,  das  Gewand 
des  Heilandes  berührt.  Dem  Wechsel  in  dessen  Gebärdung  (er  hält  seine  Hand  bald 
ferner,  bald  näher  und  seine  Fingerspitzen  berühren  den  Scheitel  oder  seine  Hand  legt 
sich  auf  ihn)  möchte  ich  keine  Bedeutung  beimessen;  sie  wechselt  wohl  schon  deshalb, 
weil  die  Texte  für  ihre  Gestaltung  keinen  Anhalt  geben  [Abb.  28.  32].  —  In  einigen 
Reliefs  fehlt  das  Motiv  des  Gewandanfassens,  damit  fehlt  aber  die  unzweideutige  Kenn- 
zeichnung der  Figur  als  der  Blutflüssigen;  man  könnte  da  ebensogut  an  die  Kananäerin 
Mk.  7,  24  denken.  Problematisch  ist  auch  die  Mittelszene  am  Sarkophag  in  Leiden, 
wo  eine  Verschmelzung  mit  einer  anderen  Szene  vorliegt:  die  Matrone,  nicht  eine 
Verstorbene,  kniet  vor  dem  Christus,  die  Hand  unter  dem  über  die  linke  Schulter 
geworfenen  Mantelende  (das  ist  aber  nicht  das  Schema  der  „verhüllten  Hände");  die 
rechte  Hand  sowohl  des  Heilandes  wie  des  hinter  der  Frau  stehenden  Jüngers  ist  ab- 
gebrochen, weder  näherte  sich  jene  ihrem  Scheitel,  noch  diese  ihrer  Schulter;  letztere 
aber  auch  nicht  dem  Kinne  des  Jüngers;  im  Hintergrund  aber  steht  der  (bei  den 
Petrusszenen  zu  besprechende)  Hahn.  —  Auf  die  Kananäerin  aber  wird  ein  anderer 


*)  Der  Gichtbrüchige  in  den  Malereien:  Band  I  226.  —  Lat.  n.  191.  146.  186.  173.  135. 
184.  127  (  G  312,  1.  313,  2.  4.  315,  1.  318,  1.  364,  2.  376,  1).  Wittig  83  n.  43.  Kline  hochgestellt: 
n.  155  G  315,  2.  Orante:  n.  193  G  372,  3.  Architekturen:  n.  125  G  314,  5.  —  Der  Kranke  sitzt: 
n.  175.  222  (G  367,  1.  400,  4).    Grousset  n.  87  G  379,  4. 

a)  Blindenheilung  in  der  Malerei:  Band  I  226.  —  Christus  sich  vorneigend:  vor  allem, 
dazu  in  halber  Rückansicht,  Lat.  n.  55  (G  358,  3);  ferner  n.  104.  222  (365,  2.  404,  4).  Geradeaus: 
n.  146.  166.  193.  M  26  (313,  2.  400,  7.  372,  3.  361,  1.  402,  3).  Aus  dem  Bilde  heraus:  n.  186  (313,  4). 
Nach  zentraler  Verstorbener  umblickend:  n.  180  (372,  2).  Beide  Augen:  n.  160  (376,  2)  —  Chiton 
ungegürtet:  n.  191.  135.  189.  178  (312,  1.  318,  1.  367,  2.  3).  Streckt  beide  Hände  vor:  n.  173.  184 
(315,  1.  364,  2).  —  Jünger:  n.  175  (367,  1).  —  Zwei  Blinde:  n.  125  (314,  5)  und  Leyden  (319,  4).  — 
Zwei  Fragmente:  Wittig  77  n.  37.  38. 


Evangelische  Erlösungstypen.  133 

Typus  bezogen,  in  welchem  eine  Frau  die  Hand  des  Christus  ergreift  und  küßt.  Un- 
mißverständlich findet  sich  das  Küssen  nicht  in  den  Texten.  Dort  ist  von  Proskynese 
die  Rede;  das  war  eigentlich  eine  bestimmte  Art  des  Kusses,  die  Kußhand,  dann  aber 
in  weiterem  Sinne  jede  Form  unterwürfiger  Verehrung;  hier  wäre  es  der  Handkuß.  — 
Ein  verwandter  Bildtypus  ist  noch  der  Hauptmann  von  Kapernaum  Mt.  8,  5.  An 
dem  veroneser  Sarkophag  steht  er  vor  dem  Christus,  sich  verbeugend,  die  Hände  unter 
der  Chlamys.  Er  ist,  wie  diese  Art  Personen  vor  dem  Christus  meistens,  zu  klein 
gebildet.1) 

Andere  Erlösungstypen  faßten  wir  im  ersten  Bande  unter  der  Bezeichnung  Er- 
lösungsmittel  zusammen.  Mit  den  vorstehend  besprochenen  Bettungsbildern  hängen 
sie  gedanklich  eng  zusammen,  wie  sie  auch  unterschiedslos  mit  ihnen  zusammen  ver- 
wendet wurden;  doch  bilden  sie  eine  eigene  Gruppe,  weil  sie  nicht  bloß  allgemein  die 
Erlösung  aus  dem  Tod  ins  ewige  Leben  versinnbildlichen,  sondern  eben  gewisse  Hilfs- 
mittel der  Erlösung.  In  der  Katakombenmalerei  lernten  wir  zwei  solche  Typen  kennen, 
die  auch  als  Gegenstücke  verwendet  wurden,  Brotvermehrung  und  Weinzauber. 
Der  Christus  gebraucht  seinen  Zauberstab,  in  einem  Fall  um  die  Brote  zu  vermehren,  im 
andern  um  das  Wasser  in  Wein  zu  verwandeln;  dort  steht  eine  Reihe  voller  Brotkörbe 
am  Boden,  hier  eine  Reihe  Wasserkrüge  (vielmehr  Töpfe,  vielleicht  sind  Kratere  gemeint), 
deren  er  je  einen  mit  gesenktem  Stabe  berührt.  Die  Idee  der  Brotvermehrung  stammt 
aus  der  Speisung  der  Tausende,  ebenso  die  Reihe  der  Brotkörbe,  der  Weinzauber  aus 
der  Hochzeit  zu  Kana.  An  die  Speisung  der  Tausende  ist  aber  nicht  mehr  gedacht, 
ebensowenig  an  Kana;  sondern  beide  Bilder  sind  eucharistisch  gemeint,  sie  veranschau- 
lichen Brot  und  Wein  des  Abendmahls,  deren  Genuß  das  ewige  Leben  verbürgt.  Eine 
andere  Versinnbildlichung  der  mystischen  Speise  bestand  in  Zusammenstellungen  von 
Brot  und  Fisch,  den  Speisen  des  messianischen  Mahles,  nämlich  dem  Gelage  der 
Tausende.  Dieselben  Speisen  sahen  wir  in  der  Katakombenmalerei  bei  den  Seligen- 
mahlen  figurieren,  die  im  christlichen  Gedanken-  und  Bilderkreis  eine  Übertragung  des 
messianischen  Mahles  ins  Jenseits  sind,  wenn  an  sich  auch  Fortsetzungen  der  heid- 
nischen Seligenmahle. 2) 

Der  ziemlich  frühe  Sarkophag  von  Velletri  nimmt  eine  Sonderstellung  ein:  zwischen 
fünf  Brotkörben  steht  ein  Bartloser  in  Exomis,    die  Hände   seitwärts  abgestreckt,    auf 


x)  Die  Blutflüssige  in  der  Malerei:  Band  I  229.  —  Lat.  n.  125  (Garr.  Taf.  314,  5).  Bottari 
Taf.  41,  2  (375,  3).  Lat.  n.  152.  148.  195.  175.  189.  178  (320,  1.  380,  4.  397,  9.  367,  1—3).  Mailand 
(315,  4).  Syrakus  (365,  1).  Civita  Castellana  319,  3.  Vatikan  330,  5.  Kontamination:  n.  191 
(312,  1).  Wilpert,  Rom.  Quartalschr.  1906,  5  erklärt  die  Kniende  für  eine  Verstorbene.  —  Gewand 
nicht  angefaßt:  Lat.  n.  174.  179  (323,  6.  370,  1).  Aus  San  Lorenzo  (360,  1).  Verona  (331,  1).  — 
Leiden  (319,  4).  —  Kananäerin:  Vat.  G  334,  1.  Paris  319,  1.  San  Callisto  382,  1.  —  Haupt- 
mann: Verona  G  333,  1.  Leyden  319,  4,  wo  der  Hauptmann  die  richtige  Proportion  hat.  —  An 
der  Tafel  des  Kircherianum  G  404,  1  sind  noch  drei  Wunderheilungen  dargestellt.  Der  Thauma- 
turg  ist  bärtig,  hat  aber  nicht  das  lange  Haar  wie  der  Christus  der  Bergpredigt  im  selben  Relief; 
er  trägt  einmal  bloß  den  Mantel,  wie  derselbe  Christus,  zweimal  Chiton  und  Mantel;  in  der  Linken 
hält  er  die  Rolle.  Einmal  legt  er  die  Hand  auf  den  Kopf  einer  auf  einem  Stein  sitzenden  Frau, 
das  zweitemal  auf  einen  mit  gebogenen  Knien  ihm  bittend  nahenden  Bartlosen  in  Tunika,  das 
drittemal  legt  er  die  Hand  an  die  Brust  eines  auf  einen  Stock  gestützten,  zu  ihm  aufblickenden 
Bartlosen  in  Lendentuch;  Garrucci  denkt  an  die  Gebückte  Lk.  13,  11,  den  Bartimaeus  Lk.  18,  35 
oder  den  Gerasener  Mk.  5,  15,  endlich  an  den  mit  der  dürren  Hand  Mk.  3,  1. 

*)  Erlösungsmittel:  Band  I  229.  Messianisches  Mahl:  I  192.  Seligenmahl  I  195.  Brot 
und  Fisch  auch  I  232.  294. 


134  Plastik. 

jeder  Hand  ein  Brötchen.  Es  ist  der  Christus,  irgendwie  im  Vollzug  des  Brotwunders 
gedacht.  Die  sonderbare  Tracht  mag  dem  Guten  Hirten  am  linken  Reliefende  ent- 
lehnt sein;  die  Haltung  erinnert  an  die  eines  Jongleurs  oder  Prestidigitateurs,  hat  aber 
einige  Verwandtschaft  mit  der  in  der  Speisensegnung.1) 

In  den  Sarkophagreliefs  tritt  ein  neuer  Typus  in  den  Vordergrund,  der  wohl  erst 
aus  ihnen  in  die  spätere  Katakombenmalerei  gelangt  ist,  die  Segnung  der  mystischen 
Speisen,  Brot  und  Fisch.  Die  Idee  auch  dieses  Typus  ist  aus  der  Speisung  der 
Tausende  geflossen,  meint  aber  wieder  die  Eucharistie.  Aus  letzterem  Umstände  er- 
klärt sich  das  Auffallende,  daß  zur  Darstellung  ein  Moment  gewählt  wurde,  der  im 
Speisungsmythus  nicht  vorkommt,  nicht  einmal  in  der  Legende  von  der  Stiftung  des 
Abendmahls,  nämlich  das  Segnen  der  Speisen.  In  beiden  Erzählungen  heißt  es  einfach, 
Jesus  sprach  das  Dankgebet,  brach  das  Brot  und  verteilte  es,  kein  Wort  von  einem 
Segnen  der  Speisen.  Das  wird  also  erst  aus  dem  Ritus  des  Altardienstes  hinein- 
gekommen sein.  Im  Bildtypus  nun  steht  der  Christus  frontal,  zwischen  zwei  ihm  halb 
zugewandten  Jüngern;  der  zu  seiner  Rechten  trägt  in  den  Händen  einen  Brotkorb,  der 
zur  Linken  eine  Schüssel  mit  zwei  Fischen;  der  Christus  hat  segnend  seine  Hände  auf 
die  Brote  und  die  Fische  gelegt.  Die  zwei  Jünger  pflegen  bärtig  zu  sein  [Abb.  14. 
37.  39].  —  Nun  erinnern  wir  uns  der  gereihten  Brotkörbe,  die  ursprünglich  beim 
Ende  des  Gelags  der  Tausende  zur  Aufnahme  der  gesammelten  Brocken  dienten;  sie 
wurden  in  den  Malereien  den  Gelagen  der  Seligen  hinzugefügt,  sind  aber  längst  zu 
Behältern  der  mystischen  Speise  geworden.  Die  Bildhauer  stellen  sie  nun  auch  vor 
die  „Speisensegnung",  so  daß  der  Christus  zwischen  sie  zu  stehen  kommt;  ihre  Zahl 
wechselt,  meist, sind  es  vier  bis  sechs.  —  Die  Brotvermehrung  der  Malerei,  wo  der 
Christus  mit  dem  Zauberstab  einen  der  gereihten  Körbe  berührt,  kommt  so  in  der 
Sarkophagskulptur  nur  vereinzelt  vor  (Lat.  n.  175  G  367,  1  neben  einer  Brotver- 
mehrung); öfter  in  Kontamination  mit  der  Speisensegnung:  der  Jünger  mit  dem  Brot- 
korb fehlt;  indem  der  Christus  mit  dem  Zauberstab  in  der  Rechten  die  gereihten  Brot- 
körbe berührt,  segnet  er  mit  aufgelegter  Linken  die  Fische  in  der  Schüssel  des  einen 
Jüngers  [Abb.  28.  38].2) 

Die  Verwandlung  des  Wassers  in  Wein  bei  der  Hochzeit  zu  Kana,  den  Wein- 
zauber,  stellten  die  Katakombenmaler  dar  im  selben  Schema  wie  die  Brotvermehrung: 
mit  dem  Zauberstab  berührt  Jesus  eine  Reihe  kleiner  Gefäße,  es  scheinen  Kratere  ge- 
meint. Es  war  nur  natürlich,  daß  so  gleichartig  komponierte  Szenen  als  Gegenstücke 
angeordnet  wurden.  In  der  Sarkophagskulptur  finden  sich  die  beiden  Szenen  häufig 
im  selben  Relief,  sei  es  unmittelbar  nebeneinander  geordnet  oder  auf  die  zwei  Relief- 
hälften (an  zweizonigen  Sarkophagen  auf  die  zwei  Friese)  verteilt;  bei  den  ohne  Szenen- 


*)  Velletri:  Garr.  Taf.  374,  4. 

*)  Speisensegnung:  Frühestes  Exemplar  ist  Lat.  n.  55  (G  358,  3).  Ferner  n.  136  (383,  5). 
Wittig  85  n.  44.  Fragmentiert  sind  Wittig  n.  45  u.  56.  Am  vatikanischen  Sarkophag  G  334,  1 
liegen  die  Speisen  in  zwei  Schüsseln,  der  Inhalt  der  Schüssel  zur  Eechten  des  Christus  ist  nicht 
erkennbar.  —  Dazu  die  Brotkorbreihe:  Lat.  n.  191.  146.  155.  Grousset  n.  52.  Lat.  n.  212.  104. 
189.  178.  180.  127.  148.  161.  190.  166  (G  312,  1.  313,  2.  315,  2.  357,  1.  358,  1.  365,  2.  367,  2.  3. 
372,  4.  376,  1.  380,  4.  382,  2.  384,  5.  400,  7).  —  ßrotvermehrung  und  Segnung  der  Fische: 
Lat.  n.  152.  184.  179.  157  (G  320,  1.  364,  2.  870,  1.  402,  9).  —  Es  sei  noch  bemerkt,  daß  der  eine 
Jünger  bisweilen  bartlos  ist,  der  andere  bisweilen  kahlstirnig;  daß  sie  manchmal  Korb  und  Schüssel 
vertauscht  haben,  oder  daß  jeder  einen  Korb  trägt  oder  jeder  eine  Schüssel. 


Der  Erlöser.  135 

trennung  dicht  gereihten  Bildern  hätte  eine  genaue  Entsprechung  keinen  Zweck  gehabt. 
Ein  oder  zwei  Jüngerfiguren  treten  manchmal  hinzu.  Eine  erzählende  Note  klingt  an, 
wenn  ein  kleiner  Sklave  einen  Krug  (eine  Amphora)  auf  der  Schulter  herbeiträgt,  um 
die  Kratere  zu  füllen  (Sarkophag  zu  Civitä  Castellana,  G  319,  3).  Unsere  Abb.  37. 
38.  40.  41.  43.  44.1) 

Die  Samariterin  am  Brunnen  kommt  erst  an  Sarkophagen  des  vierten  Jahr- 
hunderts vor.  Die  Samariterin  und  Jesus  sind  beiderseits  der  Brunnenmündung  an- 
geordnet. Während  sie  nun  in  den  Malereien,  abgesehen  vom  frühesten  Exemplar, 
den  Eimer  an  einem  Strick  aus  dem  Brunnen  zieht,  ist  in  den  Reliefs  über  der  Brunnen- 
öffnung ein  Gerüst  errichtet,  zwei  Pfosten,  zwischen  deren  Kopfenden  eine  Walze,  auf 
die  sich  das  Seil  aufwickelt.  Die  Erklärung  der  Szene,  es  handelt  sich  um  das  Wasser 
des  Lebens,  gaben  wir  im  ersten  Bande,  anders  als  Wilpert  und  Wittig.2) 


Der  Erlöser. 

Es  handelt  sich  immer  und  immer  wieder  nur  um  den  Erlöser  aus  dem  Tod  ins 
ewige  Leben.  Nachdem  wir  die  mittelbaren  Darstellungen,  die  Bilder  des  Guten  Hirten 
und  des  Orpheus,  bereits  früher  gelegentlich  des  ländlichen  Idylls  erledigten,  bleiben 
die  unmittelbaren  zu  besprechen,  der  Christus  in  Momenten  seines  Lebens,  vielmehr 
seiner  Legende.  Die  Malereien  der  Katakomben  boten  nur  die  Huldigung  der  Magier 
vor  dem  neugeborenen  Erlöser  und  weniges,  was  sich  darum  gruppiert,  einerseits  das 
Christuskind  auf  dem  Schoß  der  Mutter,  ohne  die  Magier,  doch  durch  den  Stern  über 
ihm  gekennzeichnet  und  mit  einem  bald  als  Joseph  bald  als  Jesaias  gedeuteten  Manne, 
sodann  hiervon  abgeleitet  Maria  mit  dem  Engel,  das  ist  also  die  Verkündigung  der 
Empfängnis  und  Geburt  des  Erlösers,  andrerseits  die  Magier  den  Stern   erblickend.3) 

Die  Sarkophagreliefs,  die  hier  in  Rede  stehen  (die  aus  Italien,  außer  den  ravenna- 
tischen)  sind  reich  an  Repliken  der  Magierszene;  das  Kind  auf  dem  Schoß  der  Mutter 
ohne  die  Magier  kommt  hier  so  wenig  vor  wie  die  Verkündigung.  Die  Reliefs  des 
vierten  Jahrhunderts  geben  eine  größere  Zahl  von  Szenen,  besonders  aus  der  Passion. 
Diese  Tatsache  ist  als  ein  Symptom  des  zunehmenden  Interesses  an  der  Christologie 
zu  betrachten,  des  immer  stärker  überhandnehmenden  theologischen  Gesichtspunktes. 
Die  Künstler  natürlich  freuten  sich  der  neuen  Motive,  die  ihnen  mehr  Gelegenheit 
gaben,  im  Erzählen  ihr  Können  zu  zeigen. 

Zuerst  denn  die  Huldigung  der  Magier  und  die  Anbetung  der  Hirten.4) 

Die  Huldigung  der  Magier  stellen  die  Bildhauer  im  ganzen  in  gleicher  Art 


*)  Weinzauber:  Band  I  230.  —  Lat.  n.  186.  173.  155.  135.  184.  104.  189.  178.  219.  179. 
193.  122.  160.  148.  161.  166  (G  313,  4.  315,  1.  2.  318,  1.  364,  2.  365,  2.  367,  2.  3.  369,  1.  370,  1. 
372,  3.  374,  2.  376,  2.  380,  4.  384,  2.  400,  7).     Wittig  83  n.  43. 

2)  Samariterin:  Band  I  232.  —  Grousset  n.  150  (G  313,  3).  Paris  (319,  1).  Verona  (333,  1). 
Vatikan  (334,  1).  Santa  Agnese  (402,  4);  hier  steht  ein  Schriftbündel  beim  Christus.  Wittig 
76  n.  36. 

*)  Der  Erlöser:  Band  I  240.  —  Aus  dem  Kindheitsmythus:  Band  I  246. 

4)  Magier  und  Hirten:  V.  Schultze,  Arch.  Studien  213.  Liell,  Die  Darstellungen  der 
allerseligsten  Jungfrau  und  Gottesgebärerin  Maria  248.  Max  Schmid,  Die  Darstellung  der  Geburt 
Christi  in  der  bildenden  Kunst  1890.    Wittig,  Campo  santo  71. 


136  Plastik. 

wie  die  Katakombenmaler  dar,  nicht  als  Anbetung,  sondern  als  ßeschenkung.  Meist 
eilfertig  herankommend,  etwa  wie  Aufwärter  bei  Gelagen,  bringen  sie  auf  Schüsseln 
ihre  Gaben;  der  erste  deutet  auf  den  Stern,  indem  er  sich  auch  wohl  zu  den  zwei 
Gefährten  umwendet,  um  sie  aufmerksam  zu  machen.  Mit  dieser  noch  vorbereitenden 
Handlung  verbindet  sich  unmittelbar  der  Hauptmoment,  die  Huldigung  selbst.  Bereits 
befinden  sie  sich  vor  dem  Kind,  über  dem  der  Stern  steht;  in  Chiton  und  Mäntelchen 
sitzt  es  auf  dem  Schöße  der  Mutter,  aufrecht,  bald  gehaltener,  bald  energischer  bereits 
nach  der  Gabe  des  ersten  Magiers  greifend.  Die  Mutter  sitzt  in  einem  Korbstuhl, 
dessen  Geflecht,  in  mehreren  Exemplaren  genau  dargestellt,  dem  Gebrauch  entsprechend 
öfter  mit  einem  Tuch  überdeckt  ist.  Häufig  ist  jedem  Magier  ein  Kamel  an  die  Seite 
gegeben,  als  ob  er  darauf  hergeritten  sei,  nun  aber  abgesessen  es  am  Leitseil  führe. 
Ein  paarmal  steht  ein  Mann  hinter  dem  Korbstuhl  der  Maria,  öfter  bärtig  als  bart- 
los, angezogen,  und  legt  die  Hand  an  die  Rücklehne  des  Sessels,  eine  Gestalt  wie  sie 
am  Sarkophag  aus  S.  Paul  ganz  gleichartig  hinter  dem  Korbstuhl  des  Gottes  in  der 
oberen  Zone  steht.  Der  Mann  hinter  Maria  ist  Joseph.  Maria  setzt  die  Füße  gern 
auf  einen  Schemel  [Abb.  37].1) 

Die  Anbetung  der  Hirten.  Das  Kind  ist  gewickelt,  die  Armchen  mit  ein- 
gewickelt, wie  es  seit  alters  bis  fast  in  unsere  Tage  der  Brauch  war.  Es  liegt  auf 
einer  kurzen  tuchbedeckten  Kline,  der  Kopf  auf  dem  schräg  ansteigenden  Kopfbrett; 
der  Auszug  aus  der  Komposition  in  der  Wandmalerei  von  San  Sebastiano  läßt  die 
Konstruktion  deutlich  erkennen.    Über  dem  Wickelkind  werden  die  es  betrachtenden 


*)  Magier:  Band  I  249.  —  Sarkophag  aus  S.  Paul  Lat.  n.  104  (G  365,  2).  Zwischen  den 
Köpfen  der  Magier  sind  schwache  Bossen  stehen  gelassen,  die  Hintergrundsköpfe  hätten  abgeben 
sollen;  hier  müßten  es  Kamelsköpfe'  sein,  doch  würden  die  Bossen  dafür  kaum  gereicht  haben. 
Statt  eines  Sterns  sind  drei  runde  Scheibchen  an  der  Trennungsleiste  der  zwei  Zonen  stehen  ge- 
lassen, die  zu  Sternen  ausgearbeitet  werden  sollten;  nur  versteht  man  die  Dreizahl  nicht.  —  Es 
gibt  nun  manche  Vereinfachungen  der  Komposition.  Joseph  fehlt:  Lat.  n.  124  (G  398,  6).  Joseph 
und  der  Stern  fehlen:  Osimo  (384,  7);  auch  die  Kamele  fehlen:  n.  137.  212  (359,  1.  358,  1).  Die 
Gruppe  unter  Bäumen:  Grousset  n.  165.  Maria  sitzt  auf  einem  Stuhl  mit  geschweiften  und  ge- 
kreuzten Beinen,  die  Füße  ruhen  auf  einem  Schemel,  wie  es  beim  Gott  im  Opfer  Abels  und  Kains 
am  veroneser  Sarkophag  der  Fall  war:  Tolentino  (303,  3).  —  Magier  rechtshin,  mit  Kamelen, 
Maria  (ohne  Joseph)  hält  Jesus  Händchen  erhoben:  Lat.  n.  121  (G  398,  3).  Mit  Stern:  n.  126 
(385,  2).  —  Jesus  als  Wickelkind  (das  Motiv  aus  der  Anbetung  der  Hirten):  n.  176  (384,  6). 
Wittig  73  n.  34  wo  mehr.  —  Auf  einem  späten  Exemplar  hat  man  Maria  mit  dem  Kind  auf  dem 
Schoß  nicht  sitzend,  sondern  auf  einer  verhängten  Kline  gelagert  dargestellt.  Schmid  erinnert  an 
den  Typus  des  ersten  Bades,  das  in  der  alten  und  neueren  Kunst  die  Geburt  vertritt;  während 
die  Wärterin  das  Kind  badet,  pflegt  da  die  Wöchnerin  auf  dem  Bett  zu  ruhen.  Aber  unser 
Sarkophag  meint  nicht  die  Geburt,  sondern  die  Huldigung  der  Magier.  Grousset  n.  80.  Schmid 
81  zu  n.  20.  —  Zu  Maria  im  Korbstuhl  vgl.  das  Schulrelief  aus  Neumagen  (Hettner,  Führer 
n.  21).  Wernicke,  Rom.  Mitteil.  1888,  94  verweist  auf  ähnlich  sitzende  Mütter  an  heidnischen 
Kindersarkophagen,  z.  B.  an  den  beiden  von  ihm  Arch.  Zeitung  1885  Taf.  14  veröffentlichten 
Gegenüber  allen  solchen  „Ableitungen*  christlicher  Typen  von  „antiken*  muß  ich  immer  wieder 
betonen,  daß  sie  bei  der  in  meinem  Buche  vertretenen  Auffassung  von  „Christlicher  Antike*  die 
frühere  tendenziöse  Bedeutung  verlieren,  obwohl  sie  immer  den  Wert  typengeschichtlichen  Materials 
behalten.  —  Zu  Band  I  251,  1  betreffend  Epiphanias  möchte  ich  noch  auf  Wendland,  Hellenistisch- 
römische Kultur  97  verweisen  (Verlegung  des  Geburtsfestes  Jesu  als  der  neuen  Sonne  auf  den 
Geburtstag  des  Sol  Invictus).  Zu  Band  1 247  betr.  hellenistischen  Charakter  des  Kindheitsmythus 
vgl.  Wendland  a.  a.  O.  127,  1  gegen  Gunkels  Hypothese  orientalischen  Ursprungs  (dessen 
Forschungen  I  67). 


Der  Erlöser.  137 

Köpfe  von  Ochs  und  Esel  sichtbar.  Von  beiden  Seiten  aber  tritt  je  ein  Hirt  heran, 
in  Exomis,  das  Peduni  in  der  Linken;  mit  offener  Rechten  begrüßt  er  das  Kind.  Oder 
sie  betrachten  es  ohne  eine  Gebärde.1) 

Die  Huldigung  der  Magier  und  die  Anbetung  der  Hirten  finden  sich  bis- 
weilen nebeneinander,  z.  B.  links  die  Magier  mit  ihren  Kamelen  und  ihren  Geschenken 
linkshin  zum  Christkind  eilend,  der  vorderste  nach  dem  Stern  zeigend;  hinter  dem 
Korbstuhl  der  Maria  steht  wieder  Joseph,  die  Hand  an  der  Lehne;  rechts  dann  die 
Anbetung  der  Hirten.2) 

Die  übrigen  Darstellungen  der  Krippenszene  bringen  die  Krippe  und  die  zwei 
Tiere  unter  ein  Schutzdach,  das  mit  Ziegeln  oder  Stroh  gedeckt  ist;  die  „Krippe"  ist 
Korbgeflecht,  an  den  Enden  abgerundet  und  nach  dem  Kopfende  hin  ansteigend,  eine 
Art  Wanne.  Solche  geflochtene  Wannen  dienten  in  Haus  und  Feld  zu  allerlei  Gebrauch, 
zum  Einsammeln  von  Früchten,  zum  Worfeln  des  Getreides  usf.,  nach  Gelegenheit  auch 
als  Bettchen  für  kleine  Kinder,  für  menschliche  und  göttliche.  Das  war  den  Bild- 
hauern wohl  geläufiger  und  verständlicher  als  die  Krippe.  Die  christlichen  Skulptoren, 
das  heißt  also  die  spätantiken,  bauten  den  Korb  bloß  höher  als  die  früheren  heid- 
nischen; vielleicht  war  man  inzwischen  dazu  gelangt,  eigene  Kinderbetten  zu  flechten. 
Der  Sargdeckel  der  Crispina  bietet  links  die  Huldigung  der  Magier,  rechts  daran  an- 
schließend die  Anbetung  nun  bloß  eines  Hirten;  die  Palmbäume  hat  der  Bildhauer  des 
Exemplars  eingesetzt,  hier  um  den  Ort  der  Krippe  zu  idealisieren,  noch  weiter  rechts 
um  die  dort  dargestellte  Crispina  im  himmlischen  Paradies  zu  schildern.  An  dem  Sarko- 
phag Schmid  n.  5  eilen  die  Magier  rechtshin,  die  Mutter  hier  mit  Wickelkind,  sitzt 
mit  dem  Rücken  gegen  den  Stall,  in  dem  nun  das  Winkelkind  noch  einmal  figuriert, 
mit  Ochs  und  Esel,  und  dazu  kommt  der  Hirt.3) 

Schließlich  wurden  beide  Szenen,  der  Magier  und  der  Hirten,  so  miteinander 
verschmolzen,  daß  das  Kind  nur  einmal  erschien,  in  der  „Krippe"  liegend,  die 
Mutter  aber,  ohne  das  Kind,  hinter  den  Hirten  zu  sitzen  kam,  jetzt  als  im  Freien  auf 
einem  Stein,  öfter  unter  zwei  Bäumen;  dazu  ließ  man  sie  das  Gesicht  abwenden,  wo- 
durch ihre  Haltung  bewegter  wurde,  man  sagt,  um  die  Erschöpfung  nach  der  Geburt 
anzudeuten.  Die  Magier  kommen  von  links,  der  vorderste  zeigt  nach  dem  Stern,  der 
wegen  der  Niedrigkeit  des  Bildfrieses  nicht  über,  sondern  neben  dem  Dach  des  Stalles 
steht.  Der  Stern  hat  sechs  spitze  Strahlen,  das  Christusmonogramm  läßt  sich  darin 
nicht  wiedererkennen.  Der  dritte  Magier  trägt  seine  Gabe  auf  verhüllten  Händen. 
Wo  die  Mutter  mit  dem  Schoßkind  ausfiel,  kann  sich  nun  der  Ochse  in  ganzer  Länge 
darstellen;  er  schlägt  sich  mit  dem  Schwanz  die  Weichen.4) 


^Anbetung  der  Hirten:  Schmid  a.  a.  O.  2  Gruppe  I,  Sarkophag  von  343  (Garr.  Taf. 
398,  8).  Lat.  n.  183  (316,  1).  —  Die  Wandmalerei:  Christi.  Antike  I  251.  —  Ochs  und  Esel: 
Kraus,  Gesch.  d.  ehr.  Kunst  I  171  nimmt  an,  aus  Jesaias  1,  2  oder  Habakuk  3,  2  Septuag.  sei  der 
Zug  in  den  apokryphen  Evangelien  entstanden,  von  da  in  die  Skulptur  gekommen.  Da  diese 
apokryphen  Evangelien  nicht  vor  dem  sechsten  Jahrhundert  nachweisbar  sind,  so  glaubt  Schmid 
sie  als  die  typischen  Haustiere  von  den  Bildhauern  hinzugefügt,  um  anzudeuten,  daß  die  Kline 
als  Krippe  zu  verstehen  sei. 

9)  Magier  und  Hirten  nebeneinander:  Lat.  n.  148  (Garr.  Taf.  380,  4.  Schmid  n.  3). 

8)  Zu  Schutzdach  und  Wanne  bringt  Schmid  79  und  85  einiges  bei.  Ein  Kind  in  ge- 
flochtener Wanne  von  Satyr  und  Nymphe  gehalten:  Anc.  marbles  Brit.  Mus.,  Terracottas  pl.  24, 
44.  —  Crispina:  Schmid  n.  6,  Lat.  n.  190  (G  384,  5). 

4)  Magier  und  Hirtenszene   verschmolzen:    Schmid  8  Gruppe  V  n.  13,  Grousset  n.  105, 


138  Plastik. 

Schmid  hat  richtig  bemerkt,  daß  die  Huldigung  der  Magier  dargestellt  ist  und 
die  Anbetung  der  Hirten,  nicht  die  Geburt.  Huldigung  und  Anbetung  gelten  selbst- 
verständlich dem  neugeborenen  Erlöser,  nicht  der  Maria.  Irgend  welchen  Marienkultus 
kennt  weder  die  Katakombenmalerei  noch  die  Sarkophagskulptur.  Für  ihren  Typus 
„das  Christkind  auf  dem  Schoß  der  Mutter"  sollte  man  von  der  die  Ehren  verschieben- 
den und  einen  bereits  weitentwickelten  Marienkultus  voraussetzenden  Bezeichnung 
„Madonna"  durchaus  absehen. 

In  der  Katakombenmalerei  fanden  wir  einmal  die  sehr  große  Freude  der 
Magier  dargestellt,  die  sie  empfanden,  als  sie  den  Stern  über  dem  Hause  erblickten 
Mt.  2,  10.  Dieselbe  Szene  kommt  auch  an  ein  paar  Sarkophagen  vor.  Einmal  an 
einem  mailänder;  rechtshin  blicken  die  Magier  zum  Stern  empor,  der  vorderste  zeigt 
nach  ihm.  Das  „Haus",  ein  Strohdach  auf  zwei  korinthischen  Säulen,  darunter  das  Wickel- 
kind, sehr  hoch  gebettet,  dazu  Esel  und  Ochs  und  der  Hirte,  mit  halbem  Leib  hinter 
der  Dachschräge  sichtbar,  in  Exomis,  die  Rechte  erhoben,  in  der  Linken  das  (vorn  ab- 
gebrochene) Pedum,  diese  Szene  ist  sonderbarerweise  nicht  unter  dem  Stern,  sondern 
hinter  dem  letzten  Magier  angebracht.  —  Der  Sarg  des  Catervius  zu  Tolentino  zeigt 
an  den  Schmalseiten,  vor  gereihten  Toren,  rechts  die  etwas  veränderte  Gruppe  der  hier 
mit  Wanderstäben  ausgestatteten,  den  Stern  freudig  begrüßenden  Magier  und  den  ihnen 
mit  ausgestrecktem  Arm  zugewendeten  König  Herodes  in  Panzer  und  Paludament, 
nebst  zwei  Leibwächtern;  hinter  ihm  erhebt  sich  auf  säulenförmigem  Träger  eine  Büste 
im  Paludamentum,  links  die  Huldigung  der  Magier.  —  Diese  Szene  ist  nicht  nach  den 
Textworten  komponiert,  sondern  aus  gegebenen  Typen  zusammengeschweißt;  der  ober- 
flächliche Betrachter  erkennt  ihm  vertraute  Züge,  den  König  Herodes,  den  Stern, 
die  Freude  der  Magier,  und  fühlt  sich  befriedigt.  Der  König  mit  der  Kaiserbüste 
hinter  sich  stammt  aus  der  Geschichte  der  drei  Jünglinge,  die  sich  weigern,  das  von 
König  Nebukadnezar  aufgerichtete  goldene  Bild  anzubeten,  und  dafür  in  den  flammen- 
den Ofen  geworfen  werden.  In  der  Malerei  fanden  wir  den  König  bald  stehend  bald 
sitzend  dargestellt;  dasselbe  wiederholt  sich  bei  den  Herodesbildern.  Am  Sarkophag 
des  Gorgonius  zu  Ancona  thront  Herodes,  vor  ihm  stehen  die  drei  Magier;  daß  es  sich 
um  die  neutestamentliche  Szene  handelt,  beweist  das  Zurückschieben  der  Büste  und  der 
Wanderstab  in  den  Händen  der  Dreie.  An  dem  mailander  Sarkophag  mit  architek- 
tonischen Hintergründen  ist  sogar  genau  der  Typus  des  auf  die  Büste  weisenden  Nebu- 
kadnezars  wiederholt;  daß  aber  auch  hier  nicht  er,  sondern  Herodes  gemeint  ist,  be- 
weist der  Stern  über  den  Dreien.1) 

Jesus'  Taufe.  Der  knabenhaft  gebildete  Jesus  steht  nackt  mit  den  Füßen  im 
seichten  Wasser  des  Jordan;  vom  flachen  Ufer  aus  legt  Johannes  die  rechte  Hand  auf 
des  Täuflings  Kopf,  er  ist  bärtig  und  trägt  nur  den  Mantel  ohne  Chiton;  die  Taube 
kommt  von  links  oben  schräg  herab,  am  Sarkophag  von  Maria  Antiqua  des  schmalen 


Wittig  71  n.  33  (G  398,  7).  Vatikan  (334,  2).  Lat.  n.  199  (398,  5).  Syrakus  (365,  1).  Ein  Frag- 
ment ist  Schmid  n.  19,  Lat.  n.  204  (398,  6).  Maria  rechtshin  (der  Korb  steht  auf  zwei  Böcken): 
Ancona,  Schmid  n.  12  (326,  1).  Dasselbe  ohne  Magier:  Mantua,  Schmid  n.  8  (320,  2).  Zur  Aus- 
füllung eines  Giebels  nur  das  Wickelkind  im  Korb,  über  ihm  Stern,  zwischen  den  zwei  gelagerten 
Tieren:  Mailand,  Schmid  n.  18  (328,  2). 

*)  Freude  der  Magier:  Band  I  252.  —  Mailand:  G  315,  5.  Schmid  n.  7;  mit  seiner  Ab- 
lehnung des  Joseph  behält  er  gegen  de  Eossi  und  Wittig  recht.  Tolentino:  G  303,  2.  Nebukad- 
nezar: Band  I  213.  II  223.    Ancona:  G  326,  3.    Mailänder  Sark.  m.  Architekturen:  G  329,  1. 


Der  Erlöser.  139 

Raumes  wegen  zu  sehr  in  das  Bild  hineingerückt,  daher  über  Jesus'  Kopf  hin  weg- 
schießend [Abb.  4].  Den  übrigen  Exemplaren  fehlt  die  Taube.  Dafür  fällt  Wasser  auf 
den  Täufling  von  oben  herab  wie  aus  einer  Felsöffnung  oder  Muschel.  An  einem 
Exemplar  des  Thermenmuseums,  von  dem  mir  Photographie  vorliegt,  hält  der  Täufer 
eine  halboffene  Rolle  in  der  Linken. 

Für  die  Katakombenmalerei  beließen  wir  es  bei  Wilperts  Unterscheidung  zwischen 
Bildern,  die  Jesus'  Taufe,  und  andern,  die  den  kirchlichen  Taufritus  meinen:  Ritual- 
bilder seien  diejenigen,  in  denen  die  Taube  fehle  und  der  Täufer  in  Rock  und  Mantel 
auftrete.  Vielleicht  geben  nun  die  Reliefs,  in  denen  die  Taube  fehlt,  Anlaß  die  Frage 
einer  Nachprüfung  zu  unterziehen.  Wenn  Viktor  Schultze  Jesus'  Taufe  in  voller  Nackt- 
heit dem  zweiten  Jahrhundert  abspricht,  so  sei  erinnert,  daß  einerseits  z.  B.  die  Nackt- 
gelage der  Sakramentskapellen  bloß  auf  der  flüchtigen,  skizzierenden  Malweise  beruhen, 
also  nicht  buchstäblich  zu  nehmen  sind,  daß  andererseits  die  Christen  des  Altertums, 
wie  schon  der  Tauchritus  zeigt,  dem  in  der  Legende  und  Kunst  auch  der  Christus 
unterworfen  wurde,  nicht  so  prüde  waren  wie  manche  moderne. 

Bei  Markus  sieht  Jesus  den  Himmel  sich  spalten  und  den  Geist  (Gottes,  das  ist 
Gott,  welcher  Geist  ist)  wie  eine  Taube  herabkommen  und  in  ihn  eingehen;  dazu  er- 
klärt die  Stimme  Gottes,  nun  wieder  aus  den  Himmeln,  ihn  für  seinen  Sohn.  Hier 
ist  er  mithin  Gottessohn  noch  nicht  kraft  mythischer  Physiologie  wie  in  der  Geburts- 
legende bei  Matthäus,  sondern  durch  Eintreten  des  göttlichen  Geistes  in  ihn  nach  der 
Taufe  und  durch  Erklärung  des  Gottes,  ihn  hiermit  zu  seinem  Sohn  zu  machen.  Mit 
diesem  Augenblick,  mit  dieser  Adoption,  beginnt  Jesus'  Gottessohnschaft,  sein  Messias- 
beruf, sein  Erlösungswerk.  Die  andern  Evangelien  haben  daran  einiges  modifiziert,  aber 
das  Wesentliche  ist  geblieben.1) 

Zachäus  auf  dem  Maulbeerbaum  und  Einzug  in  Jerusalem.  Bei  Mar- 
kus 11,  7.  8  und  Lukas  19,  35  reitet  Jesus  auf  einem  „Füllen",  bei  Matthäus  21,  7 
auf  einer  Eselin  und  ihrem  Füllen,  in  zu  wörtlicher  Auslegung  einer  vermeintlich 
messianischen  Weissagung,  bei  Johannes  12,  14  auf  einem  Eselchen.  Bei  Markus  streuen 
die  Leute  Blätter  und  Halme,  die  sie  von  den  Feldern  gerafft  haben  (otißdöag  äno  tüv 
dyQcöv),  bei  Matthäus  Zweige  von  den  Bäumen,  bei  Johannes  gehen  sie  ihm  mit  Palm- 
zweigen entgegen.  Viele  breiteten  ihre  Mäntel  (tfiäria,  wie  Burnusse  oder  Plaids)  auf 
den  Weg.  Mit  dem  Einzug  verbinden  die  Sarkophagreliefs  den  Zakcha  ios  auf  dem 
Maulbeerbaum  nach  Luk.  19,  4.  Am  Sarkophag  des  Bassus  befindet  sich  die  älteste 
uns  erhaltene  Replik  der  Doppelszene;  sie  braucht  deshalb  nicht  gerade  für  diesen  Sarg 
neu  geschaffen  zu  sein  [Abb.  18].  Da  reitet  Jesus  auf  einem  Esel  rechtshin,  in  der 
Linken  die  Zügel  (die  Rechte  ist  abgebrochen);  ein  glatt  rasierter  Mann  mit  über  den 
Kamm  geschorenen  Haaren  breitet  seinen  Mantel  auf  dem  Weg  aus,  dicht  vor  dem 
Esel.  Im  Hintergrund  ein  Eichbaum  mit  Eicheln,  an  die  Osterzeit  hat  der  Bildhauer 
nicht  gedacht;  ein  bartloser  Mann  mit  kurzem  Haar  steht  hinter  dem  Baum,  nur  mit 
der  Büste  sichtbar,  und  schaut  durch  die  Äste,  mit  der  rechten  Hand  einen  Ast  fassend. 
Da  er  nicht  etwa  Zweige  abbricht,  auch  keinen  Palmzweig  in  der  Hand  hält,  sondern 


*)  Jesus'  Taufe:  Band  I  235.  Strzygowski,  Ikonographie  der  Taufe  Christi  1885.  —  Maria 
Antiqua:  Hülsen,  Forum  Eomanum  1904,  143  Abb.  71.  —  Ohne  Taube:  Lat.  M  n.  152  A  (früher 
Mus.  Chiaramonti  Grousset  n.  187).  Marucchi,  Bull,  crist.  1882,  90  Taf.  9;  1901,  206.  Wasser 
von  oben:  Grousset  n.  162.  Ancona,  G  326,  1.  Thermenmuseum,  Osthalle.  —  Schultze:  Hölschers 
Theol.  Lit.  Blatt  1907,  52.    Nacktgelage:  Wilpert,  Malereien  Taf.  27,  2. 


140  Plastik. 

bloß  schaut,  so  kann  er  nicht  zum  Einzug  gehören,  es  muß  Zachäus  sein,  obwohl  er 
bei  Lukas  nicht  auf  einer  Eiche,  sondern  auf  einem  Maulbeerbaum  sitzt.  Das  Motiv 
des  Schauens  durch  die  Äste  begegnete  uns  bereits.  —  Der  ständige  Typus  wiederholt 
die  Szene  des  Bassussarkophags,  öfter  mit  Erweiterungen.  Ein  abgebrochener  Zweig 
liegt  unter  dem  Esel  am  Boden  als  Andeutung  der  Streuung;  ein  Füllen  läuft  neben- 
her; Jesus  hebt  die  Rechte  sprechend;  die  Linke  hat  die  Zügel  fallen  lassen  und  hält 
eine  Rolle;  ein  paar  Nebenfiguren,  bartlos  oder  bärtig,  stehen  im  Hintergrund  oder  zu 
beiden  Seiten,  nach  Jesus  hinschauend;  Zachäus  steht  oder  sitzt  im  Wipfel  des  Baums. 

Den  Vorfall  mit  Zachäus  berichtet  Lukas  beim  Durchzug  durch  Jericho  am  Vor- 
tag des  Einzugs;  der  Künstler  aber  hat  beides  verschmolzen,  als  ob  die  Begegnung  mit 
Zachäus  beim  Einzug  in  Jerusalem  stattgefunden  hätte.  Etwas  korrekter  und  zugleich 
ausführlicher  erzählt  der  Sarkophag  Lat.  n.  125  [Abb.  32],  einer  mit  Hintergrunds- 
architekturen: beim  Einzug  in  das  Tor  von  Jerusalem  kommen  zwei  Männer  entgegen, 
der  eine  mit  Palmzweig  der  andere  mit  Blumengewinde,  zwei  kleinere  Gestalten  breiten 
ihre  Mäntel  auf  den  Weg,  eine  dritte  hält  einen  Palmzweig;  die  Szene  mit  Zachäus 
ist  davon  getrennt  und  zwar  als  vorausgegangen  behandelt,  Jesus,  gefolgt  von  einem 
Jünger,  spricht  zum  Zachäus,  der  im  Wipfel  des  Maulbeerbaumes  steht.1) 

Die  Fußwaschung  hat  Johannes  Kap.  13  in  die  Erzählung  des  letzten  Mahles 
an  die  Stelle  der  von  ihm  übergangenen  Stiftungsgeschichte  eingesetzt.  Wenn  man  im 
Altertum  zum  Mahle  zusammenkam,  das  wenigstens  in  den  besser  gestellten  Klassen 
immer  in  der  Form  des  Gelages  abgehalten  wurde,  so  nahm  der  Sklave  den  Teil- 
nehmern die  Sandalen  ab  und  wusch  ihnen  den  Straßenstaub  von  den  Füßen;  dann 
lagerten  sie  sich  auf  der  Kline  (vgl.  z.  B.  Piatons  Symposion  175  a  y.a.1  e  fiev  ecprj  änovl- 
£eiv  xbv  Ttaida).  Jesus  also  legt  sein  Oberkleid  (das  Himation)  ab,  bindet  ein  Leintuch 
um  das  Unterkleid  (den  Chiton),  gießt  Wasser  in  das  Waschbecken,  wäscht  den  Jüngern 
die  Füße  und  trocknet  sie  mit  dem  Leintuch,  das  er  sich  umgebunden  hat.  Den  Sinn 
der  Handlung  deutet  er  gegenüber  dem  sich  anfangs  sträubenden  Petrus  an  und  spricht 
ihn  nachher  des  weiteren  aus,  natürlich  ohne  daß  der  Verfasser  des  Evangeliums  den 
Gedankengang  völlig  verriete,  der  ihn  bei  seiner  Redaktion  des  Berichtes  vom  letzten 
Mahle  leitete.  Auf  solche  Fragen  der  Evangelienkritik  haben  wir  hier  nicht  einzugehen; 
nur  sei  darauf  hingewiesen,  daß  der  Verfasser  in  der  Fußwaschung  den  Sinn  des  Ritual- 
mahles, dessen  Stiftungslegende  er  ausließ,  nämlich  die  Gemeinschaft  mit  dem  Christus, 
hat  anklingen  lassen  (Vers  8  käv  (.li)  viipto  oe,  ov%  £%ug  (.isgog  ^ict1  ifiov).  Die  Über- 
tragung der  Gemeinschaftsidee  vom  Mahl  auf  das  Fußwaschen  ist  etwas  gequält;  und 
die  ganze  Einordnung  der  Fußwaschung,  nicht  dem  Brauch  gemäß  vor  Beginn  des 
Gelags,  sondern  als  eine  Unterbrechung  desselben,  befremdet;  beides  dient  zur  Be- 
stätigung der  Annahme,  daß  die  Fußwaschung  nicht  etwa  als  neben  der  Stiftung  be- 
stehend und  als  ihr  vorausgegangen  gemeint  ist,  sondern  als  ihr  Ersatz. 

Die  Szene  der  Fußwaschung  kommt  in  den  Reliefs  nur  wenige  Male  vor,  an 
Säulensarkophagen  mit  dem  bärtigen  Christus  auf  dem  Berg  in  der  Mittelnische  und 
mit  der  Pilatusszene  am  rechten  Ende.     Dieser  gegenüber,  am  linken  Ende,  ist  die 

x)  Einzug  am  Bassussarkophag:  de  Waal,  a.a.O.  42  Taf.  10  (G  322,  2).  —  Zweige:  Syrakus 
(G  365,  1).  Lat.  n.  186  (313,4).  Füllen:  Lat.  n.  212  (358,  1).  180  (372,  2).  Grousset  n.  86(334,2). 
Wittig  93  n.  50.  Eolle:  Lat.  n.  180.  Zacchaeus  im  Wipfel:  Lat.  n.  162  (348,  1).  189  (367,  2).  — 
Lat.  n.  125,  dazu  Ficker  71:  G  314,  5.  —  Fragment  im  Vorhof  des  deutschen  Archäol.  Instituts, 
der  reitende  Jesus  gefolgt  von  Tunicati  mit  Palmzweig  und  Kranz:  Grousset  n.  122  (404,  4). 


Der  Erlöser.  141 

Fuß waschung  angeordnet,  so  daß  die  beiden  Sitzenden,  Pilatus  und  Petrus,  sich  sym- 
metrisch entsprechen.  Auf  diesem  symmetrischen  Verhältnis  zur  Pilatusszene  scheint 
die  ganze  Anordnung  der  Fußwaschung  zu  beruhen;  denn  statt  auf  einer  Kline,  wie 
der  Text  erwarten  läßt  (vgl.  wie  Sokrates  sich  auf  die  Kline  setzt,  ehe  er  sich  lagert, 
Symp.  175d),  sitzt  Petrus  auf  einem  Stuhl,  die  Füße  auf  einem  Schemel,  wie  Pilatus; 
auf  dem  zweiten  Exemplar  steht  der  Stuhl,  eine  Sella  curulis,  nun  gar  wie  der  des 
Pilatus  auf  einem  Bema,  wozu  doch  beim  Gelage  keine  Gelegenheit  war.  Folglich  ist 
die  Pilatusszene  die  ältere,  die  Fußwaschung  aber  ihr  nachkomponiert.  Auf  den  zwei 
römischen  Repliken  ist  Petrus  angezogen,  hat  aber  bloße  Füße;  neben  dem  Schemel 
oder  dem  Podium  steht  das  Waschbecken  am  Boden,  dabei  Jesus  in  gegürtetem  langem 
Chiton,  das  Handtuch  nicht  umgebunden,  sondern  über  die  Schultern  geworfen,  und 
geneigten  Hauptes  mit  beiden  Händen  es  aufnehmend.  Petrus  macht  im  einen  Exem- 
plar eine  beteuernde  Gebärde,  die  eine  Hand  auf  die  Brust  gelegt,  die  andere  offen 
vorgestreckt,  als  wollte  er  sagen:  „Herr,  Du  wäschst  mir  die  Füße?"  [Abb.  33].  Im 
andern  Exemplar  ist's  eine  entschieden  protestierende  Gebärde,  beide  Handflächen  nach 
vorn:    „Du  sollst  mir  die  Füße  in  Ewigkeit  nicht  waschen."1) 

Verleugnungsansage.  Jesus  sagt  dem  Petrus  vorher,  er  werde  ihn  dreimal 
verleugnen,  ehe  der  Hahn  zum  zweitenmal  krähe,  wie  es  denn  nachher  auch  geschieht. 
Eine  oft  wiederholte  Szene  scheint  sich  hierauf  zu  beziehen.  Jesus  steht  halblinks 
gewandt  im  Vordergrund,  entschieden  als  die  Hauptperson  behandelt,  die  Rechte 
sprechend  gehoben,  meist  zwei  Finger  eingeschlagen,  zwei  und  den  Daumen  gestreckt, 
um  das  Dreimal  auszudrücken  (Garr.  316,  4.  369,  1).  Links  steht  Petrus  rechtshin; 
er  pflegt  bedenklich  den  Finger  an  den  Mund  zu  führen,  einige  Male  hält  er  die 
sprechende  Hand  tiefer;  seine  Linke  hat  die  Rolle  gefaßt  oder  einen  Stab.  Um  anzu- 
deuten, worum  es  sich  handelt,  wird  ein  Hahn  vornhin  gesetzt,  an  die  Erde;  einmal 
sitzt  er  auf  einem  Baum  im  Hintergrund  [Abb.  14.  28.  37.  44].  Bei  gedrängter  Szenen- 
folge tritt  Petrus  so  sehr  zurück,  daß  nur  sein  Kopf  im  Hintergrund  erscheint;  dabei 
fehlt  der  Hahn,  aus  Raummangel.  Mehrmal  steht  zur  Linken  des  Jesus  noch  ein  ihm 
zugewandter  bartloser  Jünger,  so  daß  eine  dreifigurige  Gruppe  entsteht  wie  die  „Zu- 
weisung" und  die  „Speisensegnung".  Am  leidener  Sarkophag  ist  die  Szene  mit  der 
Kananäerin  zugleich  auf  unsere  Szene  bezogen  durch  Einschaltuug  des  hier  auf  einer 
Säule  stehenden  Hahns. 

In  andern  Wiederholungen  steht  Jesus  links,  Petrus  rechts  [Abb.  38.  41.  42]# 
Dabei  läßt  Lat.  n.  135  den  Jesus  halb  linkshin  gerichtet,  stellt  aber  den  Petrus  rechts 
hinter  ihn,  so  daß  Jesus  allein  im  Vordergrund  steht  und  dem  Petrus  den  Rücken  kehrt. 
Lat.  n.  173  dreht  den  Christus  in  die  Wendung  rechtshin,  so  daß  nun  die  beiden 
Männer  einander  zugekehrt  sind;  gleichwohl  spricht  Jesus  nicht  eigentlich  zu  Petrus, 
sondern  mehr  aus  dem  Bilde  heraus.  An  der  linken  Schmalseite  des  reichen  Säulen- 
sarkophags Lat.  n.  174,  mit  den  umfriedeten  Kirchengebäuden  im  Hintergrund,  steht 
Jesus  links,  damit  er  nach  der  Sarkophagfront  hinblicke;  er  und  Petrus  stehen  im  ' 
Profil  sich  gegenüber,  mit  so  viel  Abstand,  daß  zwischen  ihnen  auf  jonischem  Pfeiler 
der  Hahn  Platz  findet. 

Wittig  will  die  Hahnszene  nicht  auf  die  „Verleugnungsansage"  der  Evangelien 
beziehen,  sondern  auf  die  römische  Petruslegende,  insbesondere  auf  die  des  Kirchleins 


*)  Fußwaschung:  Lat.  n.  151  (G  335,  3).     Vatikauische  Grotten  (335,  4). 


142  Plastik. 

Domine  quo  vadis  an  der  Via  Appia.  Vor  seiner  Hinrichtung  machte  Petrus  einen 
Fluchtversuch  und  gelangte  vor  das  Tor;  da  begegnete  ihm  der  Herr.  Petrus  fragt 
„Herr,  wohin  gehst  du?"  —  „Ich  gehe,  um  mich  zum  zweitenmal  kreuzigen  zu  lassen." 
—  Beschämt  kehrt  Petrus  zurück  ins  Gefängnis  und  unterwirft  sich  der  Kreuzigung. 
Die  Legende  benutzt  die  johanneische  Darstellung  13,  33.  36.  Jesus  hatte  gesagt,  wo- 
hin er  nun  sich  begeben  werde,  dahin  könnten  die  Jünger  nicht  kommen;  darauf  fragt 
Petrus  „Herr,  wohin  gehst  du?"  Kvqis,  itov  vTtdyeig;  Jesus  antwortet  „Wohin  ich  gehe, 
dahin  kannst  du  mir  jetzt  nicht  folgen,  du  wirst  mir  aber  später  dahin  folgen"  (ob  der 
Kreuzestod  oder  der  Himmel  gemeint  sei,  bleibt  dunkel);  worauf  denn,  wieder  einmal 
etwas  gezwungen,  der  Rückweg  gesucht  wird  zur  herkömmlichen  Verleugnungsansage. 
Wittig  also  will,  um  die  Verleugnungsansage  ausschalten  zu  können,  den  Hahn  nur  als 
Merkzeichen  des  Petrus  verstanden  wissen  (er  wäre  sozusagen  sein  Attribut,  wie  der 
Adler  des  Zeus,  der  Pfau  der  Hera,  die  Taube  der  Aphrodite);  die  Mauer  um  die 
Gebäude  Lat.  n.  174  sei  die  Stadtmauer  von  Rom,  das  Tor  am  vatikanischen  Sarko- 
phag Garr.  334,  1  sei,  wenn  ich  recht  verstehe,  die  Porta  Capena  oder  die  Porta  Appia. 
Aber  Wittigs  Vorschlag  ist  nur  ein  Glied  in  einem  umfassenderen  Hypothesenkomplex, 
auf  den  wir  bei  Besprechung  der  Petrusszenen  zurückkommen.1) 

Der  Judaskuß  ist  am  veroneser  Sarkophag  mit  Hintergrundsarchitekturen  dar- 
gestellt. Jesus  rechtshin  und  Judas,  jeder  mit  einem  Begleiter,  kommen  sich  in  der 
typischen  raschen  Bewegung  entgegen,  Judas  legt  den  Arm  um  den  Hals  des  Lehrers 
und  nähert  ihm  den  Mund  zum  Kusse  (G  333,  1).     Minder  anschaulich  402,  4. 

Nach  der  Gefangennahme  wird  Jesus  zuerst  zum  Hohepriester  geführt,  dem  Mat- 
thäus den  Namen  Kaiaphas  gibt.  Das  Johannesevangelium  läßt  ihn  zuerst  zu  Hannas 
bringen,  dem  Schwiegervater  des  Hohepriesters  Kaiaphas;  unvermittelt  spielen  sich  die 
Vorgänge  dann  aber  doch  beim  Hohepriester  ab,  die  Szene  im  Hof  mit  der  Verleug- 
nung und  das  Verhör.  Nachher  wird  Jesus  zu  Pilatus  gebracht,  der  bei  Luk.  23,  7 
ihn  zunächst  dem  Herodes  vorführen  läßt.  —  In  den  Sarkophagreliefs  gibt  es  zwei  Vor- 
führungen. In  der  einen  trägt  der  sitzend  Verhörende  bürgerliche  Tracht;  es  ist  also 
weder  Herodes  noch  Pilatus,  die  beide  in  militärischer  Uniform  dargestellt  werden, 
sondern  der  Hohepriester,  Matthäus  und  Johannes  zufolge  Kaiaphas.  Er  sitzt  rechts- 
hin, die  Rechte  sprechend  gehoben,  umgeben  von  zwei  Männern,  deren  einer  den  andern 
auf  Jesus  aufmerksam  macht,  der,  die  Hände  auf  den  Rücken  gebunden,  von  zwei 
Soldaten  in  langärmligem  Rock,  Hosen,  Chlamys  und  Mütze  vorgeführt  wird.  Bei 
Markus  und  Matthäus  sind  es  Juden,  Leute  gesandt  von  Hohepriester,  Schriftgelehrten 
und  Ältesten,  die  Judas  führte;    Lukas  läßt  „die  Hohepriester,  Strategen  des  Tempels 


»)  Verleugnungsansage:  Mk.  14,  30.  Mt.  26,  34.  Lk.  22,  34.  Joh.  13,  38.  —  Sarkophag- 
reliefs:  Lat.  n.  55.  175.  219.  155  (G  358,  3.  367,  1.  3.  369,  1.  315,  2).  Civitä  Castellana  G  319,  3. 
Vatikanisch  334,  1.  Wittig  83  n.  43.  —  Stab:  Lat.  n.  104.  189.  154  (365,  2.  367,  2.  316,  4).  Hahn 
auf  Baum:  n.  138  (317,  1).  Hahn  fehlt:  n.  166  (400,  7).  Dreifigurig:  Paris  (319,  1).  Lat.  n.  116 
(376,  4).  —  Leiden  (319,  4)  ist  schwerlich  die  älteste  Keplik,  eher  Lat.  n.  55.  Wittig  zählt  ins- 
gesamt 56  Repliken  der  Hahnszene  an  Sarkophagen  aller  Provinzen,  dazu  eine  in  der  Malerei 
(Wilpert  Taf.  242,  1.  Christi.  Antike  I  274.  Ist  der  Christus  wirklich  bärtig?).  Als  heidnische 
Analogie  zum  Hahn  auf  Pfeiler  oder  Säule  bieten  sich  die  Anathemträger  in  Säulenform  von  den 
archaischen  der  athenischen  Akropolis  bis  zu  den  Säulen  mit  Kaiserstatuen  von  Trajan  an;  vgl. 
ferner  die  Stymphalide  auf  der  Endsäule  am  Heraklessarkophag  Robert  III  i  Taf.  34—37;  auch 
den  marmornen  Hahn  Visconti  opp.  VII  Taf.  26.  —  Lat.  n.  135.  173.  174  (G  318,  1.  315,  1.  323,  5) 
—  Wittig,  Campo  santo  107. 


Der  Erlöser.  143 

und  Ältesten"  selbst  kommen;  nach  Johannes  aber  hätte  sich  eine  römische  Truppe  mit 
ihrem  Kriegstribun  (Chiliarchen)  schon  an  der  Gefangennahme  beteiligt.  Wenn  also  die 
Mützenträger  Soldaten  sind  (davon  war  die  Rede  bei  „Moses'  Bedrängung"),  so  hat  sich 
der  Bildhauer  des  Sarkophags  dem  Johannesevangelium  angeschlossen.1) 

Oft  ist  Pilatus  zur  Darstellung  gekommen;  für  ihn  wählte  man  das  Hände- 
waschen  nach  Mt.  27,  24.  Wir  beginnen  mit  Lat.  n.  55  [Abb.  14].  Am  rechten 
Ende  des  Reliefs  sitzt  Pilatus  linkshin,  die  Füße  übereinandergelegt,  überlegend,  fast 
verlegen,  das  Gesicht  abgewandt,  die  Finger  an  der  Wange,  den  Ellbogen  auf  den 
untergelegten  rechten  Arm  gestützt.  Neben  ihm  ein  Beisitzer,  etwas  vorgeneigt,  das 
Knie  zwischen  den  verschränkten  Händen;  im  Hintergrund  stehen  noch  drei  Militärs, 
vielleicht  ein  Offizier  und  zwei  Gemeine,  letztere  mit  Schilden.  Dem  Landpfleger 
gegenüber  steht  ein  Diener  in  bloßem  Mantel  (der  Kopf  ist  abgebrochen,  er  war  wohl 
bekränzt  wie  Pilatus  es  ist);  in  den  Händen  hält  er  Schale  und  Kanne.  Die  Kleinheit 
der  Schale  läßt  eher  an  ein  Trinkgefäß  denken  und  in  dem  Diener  den  Mundschenk 
vermuten;  das  wird  auch  der  zur  Konstruktion  der  Szene  verwendete  Typus  gewesen 
sein,  gemeint  aber  ist  das  Gerät  zum  Händewaschen.  Vorn  steht  ein  niedriger  Unter- 
satz und  darauf  eine  Vase  (abgebrochen).  An  der  Komposition  fällt  das  Fehlen  der 
Hauptperson  auf,  des  Jesus;  nur  die  Gruppe  um  Pilatus  hat  der  Bildhauer  gegeben, 
vielleicht  weil  sie  ihn  künstlerisch  mehr  interessierte.  Doch  möchte  man  glauben,  nicht 
er  habe  die  Gruppe  geschaffen,  sondern  sie  sei  nur  ein  Auszug  aus  der  Originalkomposi- 
tion, die  man  sich  kaum  ohne  den  Erlöser  vorzustellen  wagt.  Mit  ihm  aber  hätte  die 
Szene  die  ganze  rechte  Hälfte  des  Frieses  gefüllt;  der  Bildhauer  des  Muschelsarko- 
phags hatte  nur  die  Wahl,  entweder  den  neben  der  Muschel  typischen  Abraham  aus- 
zulassen oder  die  Vorführungsgruppe;  durch  den  Verzicht  auf  letztere  rettete  er  den 
Abraham.  Indessen  ist  die  Pilatusgruppe  eine  so  geschlossene  Komposition,  daß  sie 
künstlerisch  eine  Zutat  nicht  zu  bedürfen,  nicht  einmal  sie  zu  vertragen  scheint.  Und 
fragt  man,  was  das  Bild  ausdrücke,  so  ist's  nicht  eigentlich  das  Händewaschen  selbst, 
sondern  das  Überlegen  des  Pilatus,  ob  er  den  in  seinen  Augen  Schuldlosen  preisgeben 
solle.  An  Jesus  wird  nicht  das  Leiden  hervorgehoben,  sondern  seine  durch  den  Römer 
bezeugte  Schuldlosigkeit.  Hier  ist  zwar,  zum  erstenmal,  eine  Szene  aus  der  Passion 
komponiert  worden ,  aber  es  ist  noch  kein  Passionsbild.  Und  Jesus  konnte  ohne 
Schaden  fehlen. 

Die  übrigen  Repliken  befinden  sich  an  Säulensarkophagen;  weil  die  Vorführungs- 
gruppe nun  hinzutritt,  so  füllen  sie  meist  zwei  Interkolumnien.  Den  Vortritt  habe  der 
Bassussarg  [Abb.  18].  Jesus,  die  Rolle  in  der  Linken,  steht  geneigten  Hauptes  zwischen 
zwei  Soldaten  in  kurzärmeligem  Chiton  und  Chlamys,  barhaupt,  der  eine  hält  sein 
Schwert.  Die  Pilatusgruppe  beschränkt  sich  auf  den  Landpfleger,  den  Beisitzer  und 
den  Diener;  statt  der  Soldaten  im  Hintergrund  sehen  wir  einen  Bau  mit  Zinnen,  der 
das  Prätorium  andeuten  mag.  Die  Vase  auf  dem  Ständer  ist  hier  erhalten.  —  Das 
Bruchstück  eines  ähnlichen  Säulensarkophags  im  deutschen  Carupo  santo,  mit  der  Gruppe 
des  Jesus  zwischen  den  zwei  Soldaten,  hat  das  Eigene   und  vielleicht  nicht  Zufällige, 


*)  Verhör  beim  Hohepriester:  Mk.  14,  53.  Mt.  26,  57.  Lk.  22,  54.  Job..  18,  13.  —  Sarkophag: 
Lat.  n.  183  (G  316,  1),  nach  Ficker  vielleicht  aus  Bimini.  Das  vereinzelte  Vorkommen,  die  Mützen- 
träger (im  Gegensatz  zu  den  Soldaten  der  Pilatusszene),  die  übrigen  Szenen  des  Reliefs  und  der 
Stil  machen  wahrscheinlich,  daß  das  Verhör  vor  dem  Hohepriester  später  geschaffen  sei  als  das 
vor  Pilatus. 


144  Plastik. 

daß  der  Heiland  gar  nicht  nach  dem  Landpfleger  hinsieht,  sondern  gehobenen  Hauptes 
nach  dem  Soldaten  sich  umblickt,  der  ihn  am  Arme  faßt;  also  auch  diese  Szene  ist  in 
sich  abgeschlossen  und  bedarf  keiner  Ergänzung.  —  Wir  verzichten  darauf,  alle  Exem- 
plare einzeln  zu  beschreiben  [s.  Abb.  19.  33.  35],  machen  nur  darauf  aufmerksam,  daß 
ein  paarmal  die  Doppelszene  in  ein  Kompartiment  und  in  eine  einheitliche  Gruppe 
zusammengezogen  ist  (ähnlich  wirkt  die  Engsäuligkeit  des  Sarkophags  Lat.  n.  174), 
wobei  der  Diener  dem  Jesus  Platz  macht  und  in  den  Hintergrund  sich  zurückzieht.  Der 
Diener,  dessen  Mantel  auch  zur  Exomis  einschrumpft,  wird  nun  in  einem  etwas  späteren 
Augenblick  geschildert,  wie  er  die  Kanne  hebt  um  das  Wasser  auszugießen.  Pilatus 
selbst  sitzt  auf  dem  Bema,  in  Profil  oder  in  Vorderansicht;  wenn  er  Jesus  unmittelbar 
vor  sich  hat,  so  streckt  er  die  Hand  fast  wie  adorierend  gegen  ihn  aus;  oder  er  hält 
die  Hand  über  die  ihm  hingehaltene  Schale,  und  der  Diener  gießt  das  Wasser  darüber, 
aus  dem  Hintergrund  die  Hand  mit  der  Kanne  vorstreckend.  Aloys  Riegl  rühmt  die 
Raumdarstellung  besonders  an  den  Sarkophagen  Lat.  n.  55  und  174,  dort  die  in  die 
Tiefe  gebaute  Anordnung  im  Halbkreis  um  den  zentralen  Ständer,  hier  das  Vorstrecken 
der  Schale  und  der  Kanne  aus  der  Raumtiefe  heraus.  Darin  kündigt  sich  aber  nicht 
eine  Zukunftskunst  an,  sondern  es  ist  ein  letztes  Aufleuchten  der  hellenistischen  Raum- 
kunst. x) 

Die  Dornenkrönung.  Jesus  steht  mit  übereinandergelegten  Händen  ruhig  da; 
ein  Krieger  in  langärmligem  Rock  und  Hosen,  Chlamys  und  Helm,  das  Schwert  in 
der  Linken,  hält  einen  Kranz  über  Jesus'  Haupt  [Abb.  35],  Aber  es  ist  kein  Dornen-, 
sondern  ein  Lorbeerkranz,  mit  Gemme  über  der  Stirn.  Auch  diese  Szene  war  zwar 
der  Passionserzählung  entnommen,  aber  wieder  ist  nicht  das  Leiden  geschildert,  sondern 
es  ist  in  Triumph  verwandelt.9) 

Die  Kreuztragung.  In  den  synoptischen  Evangelien  wird  Simon  von  Kyrene 
genötigt,  Jesus  das  Kreuz  zu  tragen,  bei  Johannes  trägt  er  es  selbst.  Am  Sarkophag 
mit  der  „Dornenkrönung"  folgt  auf  sie,  in  der  Endnische  links,  die  Kreuzestragung; 
wie  bei  den  Synoptikern  trägt  es  Simon  von  Kyrene.  Er  geht  im  kurzen  Chiton,  dessen 
Schoß  auf  jedem  Oberschenkel  mit  großem  Schnitt  ausgezackt  ist,  wie  es  auch  bei  den 


l)  Lat.  n.  55  (G  358,  3).  Bassus:  G  322,  2.  de  Waal,  Sark.  d.  Bassus  46  Taf.  6.  7.  Campo 
santo:  Wittig  96  n.  52.  Lat.  n.  174:  G  323,  4.  —  Lat.  n.  106.  151.  171.  Vatikanische  Grotten: 
G  331,  2.  335,  3.  350,  1.  335,  4.  Spätest:  G  353,  4.  —  In  der  Vase  auf  dem  Ständer  sieht  de 
Waal  47  den  Feuerbehälter  auf  dem  Opferaltar  zur  Aufnahme  der  Weihrauchkörner  für  das 
Numen  Imperatoris,  in  dessen  Namen  der  Praetor  das  Urteil  sprach;  dagegen  erklärt  sie  Graeven 
Gott.  gel.  Anz.  1901,  81  für  das  Wassergefäß  zum  Abmessen  der  Zeiten  für  die  Reden  der  Parteien, 
das,  sonst  in  Gerichtsbildern  nicht  dargestellt,  hier  nur  wegen  des  Händewaschens  eingeführt  sei.  — 
Das  Händewaschen  in  der  hier  dargestellten  Weise  hat  sich  noch  lange  erhalten.  Ich  erlebte  es 
1879  in  Arkadien,  nach  der  Ankunft  in  dem  alten,  nur  von  Männern  in  Fustanella  bewohnten 
Schlosse  am  Stymphalischen  See.  Beim  Mahle  wurde  der  Wein  ebenfalls  in  antiker  Weise  in 
silbernen  Phialen  gereicht.  —  Über  den  Diener  mit  derPila  (das  Kaiserbild  ist  herausgebrochen) 
hinter  der  Ecksäule  (das  meint  hinter  dem  Stuhle  des  Pilatus)  vgl.  Garrucci  V  46.  Ficker, 
Lateran  171.    Vgl.  das  Elfenbeindiptychon  des  Probianus  [Abb.  64]. 

a)  Dornenkrönung:  Mk.  15,  17.  Mt.  27,  29.  Joh.  19,  2.  —  Lat.  n.  171  Garr.  Taf.  350,  1. 
—  Dann  wäre  zu  fragen,  ob  die  „ Dornenkrönung"  und  „Verspottung"  in  Praetextat,  nach  Wilpert 
(zu  Malereien  Taf.  18;  vgl.  Christi.  Antike  I  268)  aus  dem  zweiten  Jahrhundert,  mit  anderen 
Worten  die  von  den  Soldaten  ironisch  gemeinte  Kränzung  und  Begrüßung  des  Jesus,  als  des  neuen 
Königs  der  Juden,  nicht  im  Sinne  der  Christen  Ausdruck  seines  wahren  Charakters  sein  sollen. 
Und  die  „ Passionskrypta "  hätte  diesen  ihren  Namen  zu  Unrecht  bekommen. 


Der  Erlöser.  145 

Jünglingen  im  glühenden  Ofen  und  bei  Soldaten  vorkommt,  auf  Bildwerken,  die  alle 
ein  und  dem  selben  Zeitraum  angehören  werden;  damals  muß  der  ausgezackte  Chiton 
Mode  gewesen  sein  (er  läßt  sich  als  eine  Art  Vorläufer  des  Fracks  betrachten,  wie  er 
im  achtzehnten  Jahrhundert  aufkam,  damals  noch  nicht  als  Festgewand,  sondern  als 
Alltags-,  Arbeits-  und  Reitkleid,  sowie  als  Uniform  der  Soldaten).  Simon  trägt  das  viel 
zu  kleine  T  förmige  Kreuz  auf  der  linken  Schulter;  auf  dieselbe  legt  ein  ihn  begleitender 
Soldat,  diesmal  wieder  barhaupt,  seine  Hand  [Abb.  35].  Die  synoptische  Erzählung 
ermöglichte  auch  hier,  die  Darstellung  der  Passion  des  Erlösers  zu  umgehen.1) 

Kreuzigung,  Begräbnis,  Auferstehung  und  Himmelfahrt  des  Christus  hat  weder 
die  Katakombenmalerei  noch  die  Sarkophagskulptur  dargestellt;  doch  gibt  es  einige 
bildliche  Typen,  die  aus  dem  genannten  Geschichtenkreis  hervorgegangen  sind. 

In  der  Mittelnische  von  Säulensarkophagen,  sowie  im  Mittelfeld  von  Baumgängen, 
auch  an  der  Stelle  des  Christus  zwischen  den  zwölf  Aposteln,  findet  sich  wiederkehrend 
ein  Symbol  eben  des  verklärten  Christus,  gebildet  aus  dem  sechsarmigen  Monogramm 
in  bebändertem  Kranz  auf  dem  Kopfe  eines  lateinischen  Kreuzes;  zwei  auf  dessen 
Armen  stehende  Tauben  picken  an  dem  Kranz;  unterhalb  der  Kreuzarme,  gegen  den 
Stamm  gekehrt,  sitzen  zwei  Krieger  mit  Helm,  abgesetztem  Schild  und  Lanze,  der 
rechts  auf  den  Schildrand  gelehnt  und  schlafend,  der  links  zum  Monogramm  auf- 
blickend [Abb.  34.  35].  In  den  Repliken  mit  den  Zwölfen  pflegen  beide  Wächter  zu 
stehen,  auf  Schild  und  Lanze  gestützt.  —  Das  Kreuz  bedarf  keiner  Erklärung,  es 
stammt  aus  der  Kreuzigung.  Wächter  kommen  nur  bei  Matthäus  vor;  27,  36  bleiben 
die  Soldaten  nach  der  Kreuzigung  am  Orte  sitzen  um  den  Gekreuzigten  zu  bewachen. 
Vers  66  wird  auf  Betreiben  der  Juden  eine  Wache  an  das  Grab  gelegt.  Da  in  den 
Reliefs  die  Soldaten  unter,  dem  Kreuz  angebracht  sind,  und  zwar  sitzend,  so  können 
wohl  nur  die  von  Vers  36  gemeint  sein,  obwohl  gerade  der  Gekreuzigte  im  Bilde  fehlt. 
Daß  der  eine  schläft,  beruht  auf  künstlerischem  Schalten  (übrigens  ist  das  Schlafen  der 
Wächter  in  den  neutestamentlichen  Schriften  sozusagen  typisch);  in  den  späteren 
Exemplaren  sahen  wir  es  beseitigt.  Die  Wächter  sind  bloß  eine  figürliche  Staffage 
zur  Ausfüllung  der  leeren  Räume  unter  den  Kreuzesarmen.  —  Das  sechsarmige  Mono- 
gramm ist  zum  Sinnbild  des  triumphierenden  Christus  geworden  (und  miteingeschlossen 
den  Seinen  zur  Bürgschaft  des  Siegs  in  diesem  und  jenem  Leben,  In  hoc  signo  vinces), 
darum  wird  es  vom  Lorbeerkranz  umschlossen.  Es  erhebt  sich  über  dem  Kreuz,  zum 
Zeichen,  daß  der  Christus  gerade  aus  dem  Tod  zum  ewigen  Leben  eingegangen  ist, 
verklärt  und  erhöht;  er  ist  der  Sieg  über  den  Tod.  Daß  die  ganze  Zeichengruppe 
den  erhöhten  Christus  versinnbildlicht,  bestätigt  ihr  Eintreten  in  die  Stelle  des  persön- 
lichen Christus  an  den  späteren  Sarkophagen,  wo  sie  nun  genau  wie  er  selbst  zwischen 
den  Zwölfen  steht.  Einmal  wird  dann  das  Monogramm  durch  den  Vogel  Phönix  er- 
setzt. —  Das  sechsarmige  Monogramm  im  Kranz  steht  am  Sarkophag  von  Tolentino 
in  einem  Giebel  zwischen  zwei  Tauben,  im  andern  das  vierarmige  zwischen  zwei  Schafen 
(Garr.  303,  2.  3).  —  Ein  sechsarmiges  Monogramm,  aber  nicht  aus  XP  (Xoiorög)  ge- 
bildet, sondern  aus  IX  ('Irjoovg  Xotordg),  auch  in  Kranz,  steht  im  Mittelfeld  eines 
Riefelsargs  von  Tusculum  über  einem  Thron  ohne  Lehne;  auf  einem  darüber  gebreiteten 
Tuch  liegt  anscheinend  ein  Buch  (386,  4).   Mit  solchen  Thronen  werden  wir  uns  noch 


»)  Kreuztragung:    Mk.  15,  21.    Mt.  27,  32.   Lk.  23,  26.    Joh.  19,   17.  —  Lat.  n.    171  Garr. 
Taf.  350,  1. 

Sybel,  Christliche  Antike  II.  10 


m 


146  Plastik. 

mehr  zu  befassen  haben.  —  Das  gewöhnliche  sechsarmige  Monogramm  in  schlichtem 
Kreis  steht  radartig  im  Mittelfeld  des  vatikanischen  Riefelsargs  Garr.  Taf.  391,  1.  — 
Ein  später  Sarg  im  deutschen  Campo  santo  Wittig  n.  73  mit  netzförmigem  Transenna- 
muster  statt  der  Riefeln  hat  im  Mittelfeld  ein  vierarmiges  Monogramm  mit  Gemmen 
besetzt,  zwischen  A  und  Q.  Das  kehrt  im  Sarkophagfragment  Garr.  401,  1  wieder, 
mit  den  zwei  stehenden  Wächtern  unter  den  Kreuzarmen.  —  Endlich  der  Riefelsarg 
in  de  Waals  Sammlung  Wittig  n.  74  hat  im  Mittelfeld  ein  großes  lateinisches  Kreuz 
mit  geschweiften  Köpfen.1) 

Hier  schließen  wir  das  rechte  Endbild  des  Sarkophags  von  Civitä  Castellana  an. 
Jesus  steht  zusammen  mit  einem  mehr  im  Hintergrund  bleibenden  Jünger.  Es  handelt 
sich  um  eine  vor  Jesus  sich  ringelnde  Schlange;  man  könnte  denken,  er  beschwöre 
sie,  obschon  dergleichen  gerade  von  ihm  nicht  überliefert  wird;  leider  ist  sowohl  der 
Kopf  der  Schlange  als  auch  Jesus'  rechte  Hand  abgebrochen,  so  daß  eine  präzise  Be- 
schreibung und  Erklärung  nicht  gegeben  werden  kann.  Garrucci  bezieht  die  Szene 
auf  Joh.  3,  14,  wo  Jesus  spricht:  Wie  Moses  die  Schlange  in  der  Wüste  erhöhte  (auf- 
richtete), so  muß  auch  der  Sohn  des  Menschen  erhöht  werden  (am  Kreuz),  damit  jeder 
der  an  ihn  glaubt,  das  ewige  Leben  habe.  Im  Bilde  ist  die  Erhöhung,  worauf  es  doch 
gerade  ankommt,  freilich  ausgefallen.2) 

An  einem  späten  Sarkophag  der  vatikanischen  Grotten  mit  dem  Monogramm  auf 
Kreuz  zwischen  den  Zwölfen  hat  man  die  nicht  allzu  bedeutsamen  Soldaten  ersetzt 
durch  eine  Erscheinung  des  Auferstandenen.  Zwei  Matronen  erzeigen  dem  sie 
anredenden  Christus  ihre  Verehrung,  hinter  ihnen  sieht  man  das  Grab  in  der  Form 
einer  überkuppelten  Rotunde.  Etwas  anders  erzählt  der  mailänder  Sarkophag  mit 
Anbetung  der  Hirten;  hier  hat  die  Rotunde  ein  konisches  Dach,  in  der  offenen  Tür 
liegt  das  Schweißtuch;  zwei  Matronen  treten  vor  das  Grab,  die  erste  blickt  vor  sich 
nieder  auf  das  Schweißtuch,  die  zweite  zu  dem  Engel  hinauf,  dessen  Büste  neben  dem 
Dach  in  Wolken  steht.  Am  Ende  desselben  Reliefs  legt  der  ungläubige  Thomas, 
von  einem  anderen  Apostel  begleitet,  den  Finger  in  die  Wunde  an  der  Seite  des  Herrn, 


*)  Tauben  (Seelen vögel)  am  Kreuz:  Weicker,  Der  Seelenvogel  1902,  26.  —  Wächter  sitzend: 
Lat.  n.  171.  164  (Garr.  350,  1.  2).  Mailand:  griechisches  Kreuz  auf  Stab,  in  den  Boden  gesteckt, 
zwischen  zwei  sitzenden  Wächtern  (Garr.  zu  353,  4  hält  das  Exemplar  für  longobardische  Nach- 
ahmung). —  Wächter  stehend:  Grousset  n.  93,  jetzt  Lat.  M  n.  169  A  (850,  3).  Palermo  (349,  4) — 
Kreuzigung:  Mk.  15,  24.  Mt.  27,  35.  Lk.  23,  33.  Joh.  19,  17.  —  Ficker,  Darstellung  der  Apostel 
77  bezieht  die  Wächter  unter  dem  Kreuz  auf  das  Grab  Christi.  —  Phönix:  Bull,  crist.  1898,  24 
Taf.  1.  —  Am  Sarkophag  von  Palermo  lassen  geringe  Spuren  erkennen,  daß  über  jedem  Apostel- 
kopf ein  Kranz  schwebte,  der  Kranz  des  Lebens;  vermutlich  hielt  ihn  die  Hand  von  oben; 
bei  jedem  Kopf  steht  ein  Stern  zur  Andeutung  des  Lokals,  des  Himmels.  Ähnliches  Lat.  M 
n.  169  B,  dazu  Marucchi,  Bull,  crist.  1896,  180.  —  An  einem  Sarkophag  in  S.  Pudentiana  (Grousset 
n.  147)  steht  das  Monogramm  auf  Kreuz  zwischen  Kränze  bringenden  Aposteln.  Ein  jeder  bringt 
seinen  Kranz  des  Lebens  dem  Herrn  dar,  wie  die  vierundzwanzig  Altesten  Off.  4,  10,  ein  echt 
antikes  Motiv.  Es  handelt  sich  mithin  um  eine  Verehrung  des  Herrn,  nicht  aber  haben  wir  in 
dem  Relief  das  älteste  Denkmal  der  Verehrung  des  Kreuzes  vor  uns,  wie  Grousset  wollte. 

•)  Civitä  Castellana:  Garr.  Taf.  319,  3.  Garruccis  Wiedergabe  läßt  dem  Zweifel  Raum,  ob 
wirklich  Jesus  gemeint  sei.  —  Ähnlich  wie  auch  anderen  Geweihten  des  Altertums  wird  den 
Christen  verheißen,  sie  würden  im  Namen  des  Christus  allerlei  Wunderbares  verrichten,  darunter 
auch  „ Schlangen  aufheben",  Mk.  16,  18;  der  Christus  hat  ihnen  Gewalt  gegeben,  „auf  Schlangen 
und  Skorpionen  zu  treten,  und  über  die  ganze  Macht  des  Feindes,  und  nichts  werde  ihnen  Schaden 
tun",  Lk.  10,  19.     Ein  solches  Vorkommnis  wird  auch  von  Paulus  erzählt,  Ap.  Gesch.  28,  3 — 6. 


Der  Erlöser.  147 

der  nur  den  Mantel  um  hat  und  den  Arm  über  den  Kopf  legt,  um  die  Brust  dem 
Thomas  zu  zeigen.1) 

Wir  lassen  einige  Szenen  folgen,  welche  die  zwei  „  Apostel  fürsten"  angehen. 
Zeitlich  voran  geht  der  Bassussarkophag  mit  der  Verhaftung  des  Petrus  und  der  Ent- 
hauptung des  Paulus.  Aus  Gründen  redaktioneller  Zweckmäßigkeit  beginnen  wir  mit 
der  Paulusszene,  ohne  damit  der  Entscheidung  des  Rangstreites  zwischen  den  zwei 
Großen  vorgreifen  zu  wollen,  der  gemäß  Mk.  9,  33  ff.  ohnehin  nicht  in  ihrem  Sinne 
sein  kann. 

Die  Enthauptung  des  Paulus.  Am  Bassussarg  steht  der  Apostel  halb  rechts- 
hin  auf  dem  rechten  Fuß,  das  linke  Knie  etwas  vorhängend,  Rumpf  und  Kopf  etwas 
vorgeneigt,  ähnlich  dem  Jesus  in  der  Vorführung  desselben  Sarkophags;  die  Hände 
hat  er  in  allen  Repliken  auf  den  Rücken  gebunden.  Es  sind  wieder  zwei  Schergen, 
zwei  Soldaten;  der  hinter  ihm  stehende  scheint  die  Fessel  zu  halten,  der  andere  ist  im 
Begriff,  das  Schwert  zu  ziehen;  also  wieder  eine  dreifigurige  Gruppe,  die  Hauptperson 
im  Vordergrund.  Im  Hintergrund  ein  paar  Schilfstengel,  zur  Andeutung  des  Lokals 
Ad  aquas  Silvias  (heute  Tre  fontane  unweit  der  Paulsbasilika)  [Abb.  18].  Die  anderen 
Repliken  lassen  den  Soldaten  hinter  Paulus  weg.  Lat.  n.  164  wendet  den  Paulus 
linkshin  und  gibt  oberhalb  des  Schilfs  anscheinend  ein  kleines  Schiff,  das  nur  auf  den 
Tiber  sich  beziehen  kann,  als  das  einzige  schiffbare  Wasser  in  der  Gegend  [Abb.  34].  — 
An  die  Stelle  der  Enthauptung  setzt  Lat.  n.  106  die  Abführung  zur  Enthauptung. 
Paulus,  die  Hände  auf  den  Rücken  gebunden,  wird  linkshin  abgeführt  von  zwei  Soldaten, 
deren  erster  mit  der  Linken  des  Apostels  Arm  faßt,  mit  der  Rechten  das  Schwert 
zückt;  der  zweite,  beschildet,  macht  eine  Gebärde.  Statt  des  Schilfrohrs  im  Hinter- 
grund sieht  man  hier  einen  Palmbaum;  er  ist  aus  der  Mittelnische  herübergewuchert, 
wo  der  Christus  auf  dem  Berg  zwischen  zwei  das  himmlische  Paradies  andeutenden 
Palmbäumen  steht.  —  Denselben  Typus  befolgt  die  flüchtige  Darstellung  an  einer 
Ciboriumsäule  der  Basilica  Petronillae,  das  Martyrium  des  Soldaten  Achilleus:  ganz 
wie  Paulus  in  Chiton  poderes  und  Himation,  die  Hände  auf  den  Rücken  gebunden, 
wird  Achilleus  linkshin  abgeführt;  nur  hebt  der  Soldat,  hier  bloß  einer,  das  Schwert 
höher  und  zwar  mit  der  linken  Hand;  im  Hintergrund  erhebt  sich  der  oben  besprochene 
Kranz  (in  dem  nur  das  Monogramm  ausblieb)  auf  dem  Kreuz.2) 

Eine  Verhaftung  des  Petrus  findet  sich  an  mehreren  Sarkophagen;  da  sie 
teils  Jesus'  Vorführung,  teils  Paulus'  Enthauptung  gegenübergestellt,  in  einem  Falle 
aber  auch  zum  letzten  Gang  umgebildet  wurde,  so  scheint  sie  richtig  als  die  letzte 
Verhaftung  des  Apostels  verstanden  zu  werden.  Die  Hände  verschränkt  (nicht  ganz 
so  wie  Demosthenes  oder  wie  Medea)  steht  er  ruhig,  am  Bassussarkophag  etwas  zu 
stark  zurückgelehnt.  Zwei  Soldaten  sind  von  beiden  Seiten  an  ihn  herangetreten,  der 
eine  legt  die  Hand  an  seinen  Arm;  an  Lat.  n.  164  legt  auch  der  andere  Soldat  Hand 
an;  beide  sind  barhaupt  und  stehen  hinter  der  Hauptperson   etwas  zurück  [Abb.  18. 


*)  Erscheinung  des  Auferstandenen:  Mk.  16,9.  Joh.  20,  14.  —  Grotten:  Garr.  350,4 
Mailand:  Garr.  315,  5.  Schweißtuch:  Lk.  24,  12.  Joh.  20,  5.  7.  Engel  vom  Himmel:  vgl.  Mt.28,  5. 
—  Thomas:  Joh.  20,  24.  Zur  Pose  des  Herrn  vgl.  die  Amazonen  Typus  I  und  II  in  m.  Welt- 
gesch.2  219  Abb. 

2)  de  Waal,  Sark.  d.  Bassus  50  Taf.  11  (Garr.  322,  2).  Dazu  Lat.  n.  162  (348,  1).  Mailand 
(353,  4).  —  Lat.  n.  164  (350,  2).  —  Lat.  106  (331,  2).  —  Achilleus:  de  Rossi,  Bull,  crist.  1875,8 
Taf.  4.  —  Gefesselter  geführt:  vgl.  Antigone  Pauly-Wissowa  I  2403. 

10* 


148  Plastik. 

34].  —  Die  dreifigurige  Gruppe  bildet  Lat.  n.  151  um  in  die  Abführung  zur 
Kreuzigung.  Die  Gruppe  setzt  sich  halb  linkshin  in  Bewegung,  Petrus  macht  eine 
Art  konzedierender  Geste  (etwa  „Also  gehen  wir!");  der  vorangehende  Scherge,  in 
bloßer  Tunika,  trägt  das  zu  kleine  lateinische  Kreuz  auf  der  Schulter  [Abb.  33].  — 
Ähnlich  ruhig  Stehende  wie  an  Lat.  n.  164  kommen  ein  paarmal  vor,  nur  daß  sie 
nicht  die  Finger  verschränken,  sondern  die  eine  Hand  über  den  anderen  Arm  gelegt 
haben.  So  Jesus  in  der  Bekränzung  („Dornenkrönung"  Garr.  350,  1).  Ebenso  der 
eine  Bärtige  in  der  sogenannten  Verleugnung  Petri;  ein  zweiter  steht  vor  ihm,  auf 
ihn  einsprechend,  man  könnte  sich  ganz  wohl  denken,  er  sage:  Auch  du  warst  bei 
ihnen,  denn  du  bist  ein  Galiläer.  Aber  der  Vorgang  hätte  sich  deutlicher  machen  lassen, 
auch  mit  den  Mitteln  unserer  Sarkophagskulptur.    Warum  fehlt  der  Hahn  gerade  hier?1) 

Die  Sarkophage  mit  den  übrigen  Petrusszenen  sind  alle  spät;  der  gesäulte  zu 
Fermo  bringt  außer  im  Mittelfeld  nur  solche.  Am  rechten  Ende  sieht  man  im  vor- 
letzten Feld  eine  Gruppe  Soldaten  als  Wächter  des  Gefängnisses,  behelmt,  mit  Schild 
und  Lanze;  zwei  stehen  im  Grunde,  vorn  sitzt  einer  und  schläft,  den  Kopf  auf  den 
Schildrand  gelegt  wie  der  schlafende  Wächter  unter  dem  das  umkränzte  Monogramm 
tragenden  Kreuze;  im  letzten  Feld  wird  Petrus  vom  Engel  fortgeführt.  Es  ist  also 
nicht  Petrus'  Gefängnis  dargestellt,  sondern  die  wunderbare  Errettung  des  Petrus 
aus  dem  Gefängnis.  Dergleichen  erzählt  die  Apostelgeschichte  wiederholt.  5,  17  werden 
die  Apostel  von  den  Juden  gefangen  gesetzt  und  nachts  vom  Engel  herausgeführt. 
Kap.  12  erzählt  das  Wunder  mehr  ausgeschmückt  und  nur  von  Petrus.  Herodes  hat 
ihn  gefangen  gesetzt  und  läßt  ihn  von  Soldaten  bewachen;  der  Engel  führt  ihn  durch 
alle  Wachen,  und  die  stärksten  Tore  springen  von  selbst  vor  ihm  auf.  Das  ist's  was 
der  Sarkophag  von  Fermo  meint.  —  In  den  Endfeldern  links,  am  selben  Sarkophag, 
scheinen  zwei  Petrustaten  dargestellt.  In  der  Endnische  kniet  eine  Matrone  vor  Petrus, 
ähnlich  der  Kananäerin  die  Hand  bittend  vorgestreckt;  im  Hintergrund  ein  bartloser 
Begleiter  und  eine  zweite  Matrone.  In  der  zweiten  Nische  steht  Petrus  mit  bärtigem 
Begleiter;  in  antiker  Weise  faßt  er  eine  vor  ihm  stehende  Matrone  am  Handgelenk. 
Garrucci  faßt  die  zwei  Szenen  als  zwei  Momente  aus  der  Erweckung  der  Tabitha 
Ap.  Gesch.  9,  36 — 42;  in  der  ersten  sieht  er  die  Witwen  um  Petrus,  in  der  zweiten 
die  Erweckung  selbst.  In  der  Tat  faßt  Petrus  die  zum  Leben  wieder  Erwachte  an 
der  Hand  und  hilft  ihr  auf;  aber  das  Wesentliche  fehlt,  das  Bett.  Ficker  lehnt  die 
Erklärung  ab  unter  Verweis  auf  den  summarischen  Wunderbericht  5.  12  (vgl.  2,  43).2) 

Matthäus  18,  18  sagt  Jesus  zu  seinen  Jüngern:  Was  ihr  binden  werdet  auf  der 
Erde,  das  wird  gebunden  sein  im  Himmel;  und  was  ihr  lösen  werdet  auf  der  Erde, 
das  wird  gelöst  sein  im  Himmel.  In  einer  jüngeren  Fassung  wird  dasselbe  dem  Petrus 
allein  gesagt:  Ich  werde  dir  geben  die  Schlüssel  des  Reichs  der  Himmel,  und  was  du 
binden  wirst  auf  der  Erde,  wird  gebunden  sein  in  den  Himmeln;  und  was  du  lösen 
wirst  auf  der  Erde,  das  wird  gelöst  sein  in  den  Himmeln.  —  Die  Metapher  hat  man 
zu  einem  Bilde  gestaltet,  in  dem  Jesus  dem  Petrus  einen  oder  zwei  Schlüssel  über- 
gibt. Die  Szene  der  Schlüsselübergabe  kommt  an  nur  vier  römischen  Sarkophagen 
vor,  in  Italien  außer  ßavenna  nur  noch  einmal.    Petrus  empfängt  die  ihm  überreichten 


l)  Basaussarkophag  (Taf.  4)  und  Lat.  n.  164  siehe  vorige  Anmerkung.  —  Lat,  n.  151  (Garr. 
335,  3).  —  Verleugnung:  Lat.  n.  183  (316,  1).  Mk.  14,  66—72  und  Parallelen. 
*)  Fermo:  Garr.  310,  2,  vgl.  de  Waal,  Rom.  Quartalschr.  1906,  45. 


Der  Erlöser.  149 

Schlüssel  in  einem  Bausch,  den  er  mit  beiden  Händen  aus  seinem  Mantel  bildet.  Am 
Exemplar  von  S.  Pietro  in  vincoli  liegt  ein  Schlüssel  im  Bausch,  einen  zweiten  hält 
Jesus  noch  in  der  Hand;  an  dem  der  vatikanischen  Grotten  und  am  leydener  hält 
Petrus  den  Gewandbausch  bereit,  Jesus  reicht  ihm  einen  Schlüssel  hin;  an  dem  von 
Civitä  Castellana  war's  ebenso,  aber  die  Hand  mit  dem  Schlüssel  ist  abgebrochen. 
Während  in  den  römischen  Exemplaren  die  Szene  am  rechten  Ende  der  Sarkophag- 
front oder  auf  der  linken  Seite  untergebracht  ist,  hat  man  sie  in  Civitä  Castellana  in 
die  Mitte  geschoben.  Ein  Bruchstück  im  deutschen  Campo  santo  bewahrt  nur  die 
Oberfigur  des  Petrus  mit  dem  Schlüssel  im  Bausch,  und  zwar  linkshin  gewendet,  Jesus 
also  stand  ihm  gegenüber  rechtshin.1) 

Zu  den  Mosesszenen  „Quellwunder"  und  „Bedrängung"  gedachten  wir  der  Deutung 
der  Mosesfigur  auf  Petrus,  dessen  Namen  in  der  Tat  gewisse  Goldgläser  dem  Quell- 
zauber beischreiben.  Die  beiden  Nebenpersonen  erweist  schon  die  Chlamys  als  Soldaten, 
ebenso  die  in  späteren  Repliken  ihnen  gegebene  Mütze;  de  Waal  betrachtete  sie  als 
ein  im  vierten  Jahrhundert  üblich  gewordenes  Uniformstück,  sei  es  einer  in  Rom 
stehenden  Truppe  oder  vielleicht  städtischer  Miliz  im  Dienste  des  Stadtpräfekten.  Der 
in  der  „Bedrängung"  Festgenommene  wäre  demnach  nicht  Moses,  sondern  Petrus.  Gräven, 
durch  Strzygowski  unterstützt,  erklärte  die  Truppe  für  palästinensisch;  es  handle  sich 
also  um  einen  Vorfall  in  Palästina,  nicht  in  Rom.  Wittig  hingegen  glaubt  nicht  bloß 
die  Beziehung  der  „Bedrängung"  auf  Petrus  in  Rom  festhalten,  sondern  eine  ganze 
Reihe  von  Szenen  auf  denselben  Vorfall,  die  Passion  des  Petrus,  deuten  zu  dürfen. 
Über  diese  weitergehende  Hypothese  haben  wir  nun  zu  berichten. 

Die  Legende  von  der  Passion  des  Petrus  liest  man  in  den  Petrusakten,  etwa 
aus  der  ersten  Hälfte  des  dritten  Jahrhunderts,  und  in  den  Akten  der  Märtyrer  Pro- 
cessus und  Martinianus,  die  späteren  Ursprungs  sind.  Wittig  meint,  die  Monumente 
stellten  einen  bedeutend  früheren  Zustand  der  Legende  dar  als  die  Akten;  das  gilt 
sicher  für  die  späten  Akten  des  Prozessus  und  Martinianus.  Andererseits,  meint  Wittig, 
hätten  die  Verfasser  der  Martyrien  sich  die  Legende  nicht  etwa  aus  den  Sarkophag- 
reliefs zusammengedichtet;  denn  in  manchen  Punkten  gehen  Monument  und  Schrift 
auseinander.2) 

Es  sind  fünf  Szenen  aus  der  Passion  des  Petrus,  die  Wittig  in  den  Sarkophag- 
reliefs nachzuweisen  unternimmt.  Ich  begnüge  mich,  Wittigs  Ausführungen  zu  exzer- 
pieren (etwa  vorkommende  Mißverständnisse  bitte  ich  damit  zu  entschuldigen,  daß  Wittig 
die  Ergebnisse  seiner  Erwägungen  nicht  selbst  zusammengefaßt  hat)  und  ein  paar  Be- 
merkungen hinzuzufügen. 

Erste  Szene.  Die  zwei  Soldaten,  Processus  und  Martinianus,  halten  den  Petrus 
gefangen.  Dem  entsprächen  die  Reliefs,  die  wir  unter  der  Bezeichnung  „Petrus'  Ver- 
haftung" zusammenfaßten. 

Zweitens.  Sie  nehmen  am  christlichen  Unterricht  des  Apostels  teil.  Das  wäre 
in  der  „Lehrszene"  dargestellt,  die  man  bisher  auf  Esra  oder  Moses  deutete,  wie  sie 
das  Gesetz  verlesen.     Lat.  n.  55  G  358,  3  unterhalb  der  Muscheln.     Grousset  n.  118 


1)  Schlüsselübergabe:  de  Waal,  Schlüssel  Petri  (in  Kraus'  Realenzykl.  II).  Ficker, 
Darstell,  d.  Apostel  99.  —  S.  Pietro:  G  313,  3.  Grotten:  330,  5.  Leyden:  319,  4.  Civitä  Castel- 
lana: 319,  3.     Campo  santo:  Wittig  105  n.  54,  er  setzt  das  Stück  ins  dritte  Jahrhundert. 

2)  Wittig,  Campo  santo  107—118.  —  Petrusakten:  Harnack,  Chronologie  d.  altchristl.  Litt.  I 
1897,  549.  II  170.  —  Akten  des  Processus  und  Martinianus:  Acta  Sanctorum  Boll.,  Juli  I  270. 


150  Plastik. 

G  396,  12.  Lat.  n.  175  G  367,  1.  Vgl.  Ficker,  Lateran  18.  In  den  zwei  ersten 
Repliken  spielt  die  Szene  unter  Bäumen,  und  der  Lesende  sitzt  auf  einem  Fels; 
das  spricht  nicht  gerade  für  einen  Unterricht  im  Gefängnis.  Die  dritte  schon  ab- 
geschliffene Replik  läßt  die  Bäume  weg  und  setzt  den  Lesenden  gar  auf  die  Sella 
curulis. 

Drittens.  Aus  einem  Felsen,  an  den  Petrus  das  Kreuzeszeichen  macht,  strömt 
Wasser,  mit  anderen  werden  die  zwei  Soldaten  von  Petrus  getauft.  Das  „Quellwunder", 
welches  auf  Petrus  bezogen  wird,  kennen  wir  als  ursprünglich  den  Moses  angehend. 
Das  Trinken  des  Quellwassers  bedeute  die  Taufe.  Für  diese  Auslegung  beruft  sich 
Wittig  auf  Grisar,  Rom.  Quartalschr.  1896,  321  und  auf  Wilpert,  Malereien  40.  143. 
266.  Grisar  redet  nur  von  der  Beziehung  des  Quellwunders  auf  Petrus,  nicht  von 
seiner  Auffassung  als  eines  Taufsymbols.  Letztere  vertritt  Wilpert  als  den  älteren 
Sinn  der  Quellszene;  seit  etwa  250  träten  noch  zwei  andere  Auffassungen  daneben, 
als  eines  Rettungssymbols  und  als  Bitte  um  das  Refrigerium  im  Jenseits.  Die  Auf- 
fassung der  Szene  als  eines  Rettungssymbols  und  die  Beziehung  auf  das  Refrigerium 
habe  ich  Band  I  234,  1  als  richtig  anerkannt.  Für  seine  Deutung  des  Quellwunders 
auf  die  Taufe  bezieht  sich  Wilpert  auf  gewisse  schriftliche  Zeugnisse,  die  zu  bekannt 
seien,  als  daß  sie  wiederholt  zu  werden  brauchten;  ferner  auf  die  vorkommenden 
Zusammenstellungen  mit  anderen  Sakramentsymbolen,  zum  Teil  freilich  auch  nur  ver- 
meintlichen. Bei  den  leider  nicht  namhaft  gemachten  schriftlichen  Zeugnissen  kann 
unmöglich  an  Kor.  I  10,  4  gedacht  sein;  Band  I  238  machte  ich  darauf  aufmerksam, 
daß  der  „pneumatische  Trunk"  nicht  das  Taufwasser,  sondern  der  Abendmahlstrunk 
ist.  Daß  aber  aus  den  Zusammenstellungen  der  Bilder  nicht  viel  geschlossen  werden 
kann,  [dürfte  mein  Kapitel  „Syntax  der  figürlichen  Typen"  Band  I  285  zur  Genüge 
ergeben.  Abgesehen  von  der  Sonderbarkeit,  die  Taufe  durch  ein  Wassertrinken  zu  ver- 
anschaulichen, legt  das  Bild  des  Trunkes  die  Beziehung  auf  die  ohnehin  wichtigere 
Eucharistie  und  ihren  Becher  doch  viel  näher  als  die  auf  den  Taufakt.  Gesetzt  also 
in  der  Quellszene  müßte  unter  der  Figur  des  Moses  Petrus  anerkannt  werden,  so  wäre 
hier  Petrus  nicht  taufend,  sondern  den  Abendmahlskelch  oder  johanneisch  das  in  das 
ewige  Leben  springende  Quellwasser  spendend  dargestellt.  Wasser  als  eucharistisches 
Element  kam  ja  bis  ins  dritte  Jahrhundert  viel  vor  und  eignet  gerade  auch  den  Petrus- 
akten (Harnack,  Texte  u.  Untersuch.  VII  II  115  „Brot  und  Wasser";  in  den  Petrus- 
akten; eb.  134  C  16.     Derselbe,  Chronol.  I  558,  7). 

Viertens.  Auf  Drängen  der  zwei  Soldaten  begibt  sich  Petrus  auf  die  Flucht. 
Als  eine  Flucht  läßt  sich  die  „Bedrängnis"  am  Jonassarkophag  Lat.  n.  119  und  in 
anderen  Repliken  deuten;  nur  die  des  Petrus  Füße  umklammernden  Männer  im  erst- 
genannten Relief  bleiben  unerklärt. 

Fünfte  Szene.  Vor  dem  Stadttor  begegnet  dem  fliehenden  Petrus  der  Christus 
und  läßt  ihn  wissen,  daß  er  in  der  Stadt  den  Tod  am  Kreuze  erleiden  müsse.  Das 
wäre  denn  die  „Hahnszene",  in  der  also  nicht  der  lebende  Jesus  dem  Petrus  in 
Jerusalem  seine  Verleugnung  vorhersage,  sondern  der  eigens  vom  Himmel  wieder 
Herabgekommene  vor  der  römischen  Porta  Appia  seinen  Tod;  daher  das  bestürzte 
Gesicht  des  Apostels.  Der  Hahn  diene  nur  zur  Kennzeichnung  des  Petrus;  es  wäre 
schwer  begreiflich,  daß  gerade  die  Verleugnung,  oder  auch  nur  ihre  Ansage,  mit  am 
häufigsten  dargestellt  sein  sollte.  Die  Hintergrundsgebäude  an  der  Schmalseite  von 
Lat.  n.  174  (Garr.  323,  5)  stellten  Rom  vor,  das  Tor  im  Hintergrund  an  Garr.  334,  1 


Der  Erlöser.  151 

das  Stadttor,  vor  weichein  die  Begegnung  stattfand.  Der  Stab  in  der  Hand  des  Petrus 
sei  nicht  ein  Zeichen  seiner  Macht,  sondern  vielleicht  nur  sein  Wanderstab. 

Abermals  beschämt  kehrt  Petrus  nach  der  Stadt  zurück  und  läßt  sich  hinrichten. 
Die  beiden  Soldaten  Processus  und  Martinianus  erlitten  gleichfalls  das  Martyrium; 
sie  wurden  in  dem  nach  ihnen  genannten  Coemeterium  an  der  Via  Aurelia  verehrt; 
ihre  Reliquien  ruhen  im  nördlichen  Querschiff  von  Sankt  Peter. 

In  der  Katakombenmalerei  sahen  wir  den  Erlöser  thronend,  allein  oder  mit 
Umgebung;  thronend  finden  wir  ihn  auch  in  der  Sarkophagskulptur.  Meist  handelt 
sich's  um  Säulensarkophage,  denen  ihre  architektonischen  Formen  immer  einen  gewissen 
Glanz  verleihen.  Wir  beginnen  mit  dem  ßassussarkophag  [Abb.  18].  In  der  Mittel- 
nische der  oberen  Zone  sitzt  der  Christus  im  zweiten  Typus,  jugendlich  lockig,  auf 
einem  breiten  Sitz,  der  vorn  auf  Löwenbeinen  mit  Löwenköpfen  ruht  und  auf  einem 
Bema  steht.  Vor  dem  Suggest  breitet  Cälus,  der  bärtige  Himmelsgott,  mit  Kopf  und 
Armen  aus  einer  Wolke  hervortretend,  seinen  Mantel  im  Bogen  über  sich  aus;  der 
Christus  setzt  seine  Füße  darauf:  der  Himmel  ist  seiner  Füße  Schemel  (das  Prädikat 
Jahwes  wird  auf  den  neuen  Herrn  übertragen).  In  der  Linken  hält  er  eine  halb- 
aufgerollte Schrift,  den  Zeigefinger  zwischen  den  zwei  Rollen;  die  abgebrochene  Rechte 
machte  eine  sprechende  Gebärde.  Also  der  als  Weltherrscher  im  höchsten  Himmel 
thronende,  erhöhte  und  verklärte  Christus  —  nach  der  konventionellen  Bezeichnung 
die  Majestät  des  Herrn,  Maiestas  Domini  Im  Hintergrund  stehen,  dem  Herrn  zu- 
gewandt, beiderseits  des  Bema  zwei  Bärtige.  Der  zu  seiner  Rechten  mit  halblangem 
Haar  und  Bart  scheint  mit  der  Rechten  zu  adorieren  (die  Finger  sind  abgebrochen), 
die  Linke  hält  die  Rolle.  Der  andere  hat  den  vollhaarigen  und  vollbärtigen  Kopf, 
der  nun  öfter,  aber  immer  nur  einzeln  erscheint,  sowohl  unter  den  Verstorbenen  als 
auch  unter  den  Zwölfen;  seinen  im  rechten  Winkel  gebogenen  linken  Arm  bedeckt 
der  Mantel,  die  Hände  verschwinden  hinter  der  Rolle  des  Christus.  Das  vorliegende 
Bild  gibt  kein  Merkmal  an  die  Hand,  die  beiden  Begleiter  des  Herrn  zu  benennen.  — 
Die  Maiestas  Domini  am  Sarkophag  zu  Perugia  ist  der  am  Bassussarg  nahverwandt. 
Doch  statt  des  Cälus  dient  eine  Art  Basis,  würfelförmig  mit  Sockel  und  Sims,  als  Fuß- 
schemel; das  darübergeworfne  Tuch  erinnert  an  den  sich  wölbenden  Mantel  des  Cälus. 
Es  ist  nur  rechts  eine  Hintergrundsfigur  vorhanden,  wieder  bärtig.  Die  Rechte  des 
Christus  ist  erhalten,  er  hebt  den  Zeigefinger.  —  Das  lateranische  Deckelfragment  (also 
ohne  Säulen)  n.  123,  3  zeigt  Christus  nimbiert;  er  thront  frontal  auf  einem  Bema,  in 
der  Linken  ein  offnes  Buch,  die  Rechte  sprechend  gehoben;  von  beiden  Seiten  kommen 
die  Apostelfürsten,  beide  adorierend,  von  links  der  kahlstirnige  Paulus,  von  rechts 
Petrus  mit  kräftigem  doch  knapp  gehaltenem  Haarwuchs.  —  Lat.  n.  174  dehnt  die 
Gruppe  auf  drei  Interkolumnien  aus.  Im  mittelsten  thront  Christus  über  dem  hier 
bartlos  gewordenen  Cälus,  zwischen  zwei  ebenfalls  bartlosen  Hintergrundsgestalten;  die 
zur  Linken  hält  die  Rolle,  die  andre  streckt  die  Rechte  offen  vor,  etwas  gezwungen 
um  die  Säule  herum  (ähnlich  vorgestreckte  Hände  auch  in  der  zweiten,  fünften  und 
siebenten  Nische  von  links;  nur  in  der  Pilatusgruppe  ist  die  Haltung  besser  gelungen). 
Das  Bema  ist  ausgefallen,  vom  Sessel  ist  nur  ein  schlichtes  Bein  sichtbar,  das  auf  einer 
unverständlichen,  wohl  vom  Bildhauer  mißverstandenen  Stütze  ruht.  In  den  Nachbar- 
feldern kommt  je  ein  Bärtiger  im  Profil  heran,  der  zur  Rechten  des  Herrn,  Paulus, 
aufblickend  und  mit  beiden  Händen  ihn  begrüßend,  der  andere,  Petrus,  in  gebückter 
Haltung,    adoriert    mit    der    Rechten,     während    die     von    einem    Mantelzipfel    ver- 


152  Plastik. 

hüllte  Linke  das  Ende  der  vom  Herrn  gehaltenen  Rolle  auffängt.  Das  ist  der  Typus 
der  „Gesetzesübergabe",  als  der  Übergabe  des  neuen  Gesetzes,  und  zwar  typisch  an 
Petrus;  denn  dieser  steht  bei  der  die  Rolle  haltenden  Linken.  Wenn  es  sich  wirklich 
hierum  handelt,  so  darf  man  fragen,  warum  nicht  das  so  leicht  verständliche  Schema 
der  „Gesetzesübergabe  an  Moses"  dazu  verwendet  worden  ist,  warum  an  Stelle  des 
geschlossenen  Diptychons  die  offne  Rolle  getreten  ist.  In  unserem  Relief  sind  die  zwei 
Apostel  insofern  individualisiert,  als  Paulus  eine  kahle  Stirn  hat  (die  beiden  Köpfe  sind 
aber  überarbeitet)  [Abb.  19].  —  Am  Sarkophag  zu  Brescia  ist  von  der  Maiestas  Domini 
nur  der  auch  hier  bartlose  Cälus  erhalten.1) 

Den  thronenden  Christus,  jugendlich  lockig,  finden  wir  ferner  an  einem  mai- 
länder  Sarkophag  im  Halbkreis  der  ebenfalls  sitzenden  Zwölfe;  das  kam  in  der 
Katakombenmalerei  häufiger  vor,  doch  weist  das  Relief  einiges  Eigene  auf.  Die  Sitze 
des  Christus  und  der  Zwölfe  sind  nicht  sichtbar;  die  Füße  der  letzteren  stehen  auf 
Schemeln  verschiedener  Breite,  ausreichend  für  ein  oder  zwei  Personen.     Die  Apostel, 


x)  Christus  thronend:  Band  I  274  ff.  —  Bassus:  de  Waal  57  Taf.  5.  G  322,  2.  de  Waal, 
welcher  am  Todesjahr  des  Bassus  (359)  als  der  Entstehungszeit  des  Sarkophags  festhält,  glaubt 
das  Maiestasmotiv  in  den  Mosaiken  der  Kirchen  entstanden  und  von  da  in  die  Skulptur  über- 
tragen. Der  Vorschlag  kann  erst  erörtert  werden,  wenn  sowohl  die  Chronologie  der  Sarkophage 
feststeht  als  auch  die  Anfangsgeschichte  der  Mosaiken.  —  Cälus:  Eoscher,  Lexikon  I  und  Pauly- 
Wissowa  III  sub  voce.  Die  Augustusstatue  von  Primaporta,  mit  dem  Cälus  oben  am  Panzer,  ist 
abgebildet  in  m.  Weltgesch.  2403.  —  Der  Sitz  des  Christus  ist  weder  der  Korbstuhl  des  Gottes 
bei  der  Schaffung  Evas  und  im  Opfer  Kains  und  Abels,  oder  der  Maria  mit  dem  Kind,  noch  die 
sella  curulis  der  höheren  Beamten,  wie  des  Pilatus  beim  Händewaschen ;  wegen  der  Breite  des 
Sitzes  könnte  man  an  das  bisellium  denken,  wenn  schon  dies  noch  breiter  zu  sein  pflegt; 
verschieden  ist  auch  der  Sitz  Konstantins  an  seinem  Triumphbogen,  ein  Stuhl  ohne  Lehne, 
schlichtester  Form.  Bisellium:  Pauly-Wissowa  III  502.  Mau,  Pompeji  1900,  414  Fig.  245).  — 
Perugia:  G  S21,  4  —  Lat.  n.  124:  G.  323,  4.  —  Lat.  n.  123,  3  Ficker  Taf.  1  G  409,  1. 
—  Gesetzesübergabe:  Ficker,  Apostel  83.  Gegen  die  Deutung  der  Szene  mit  der  Bolle  auf 
die  „  Gesetzesübergabe  *  wendet  Birt,  Buchrolle  185  ein,  man  könne  ein  Volumen  nicht  in  auf- 
gerolltem Zustand  überreichen  oder  empfangen,  das  lange  Band  müsse  zu  Boden  fallen.  Nun  ist 
ja  freilich  nur  ein  verhältnismäßig  kurzes  Ende  abgerollt  (besonders  wenn  die  drei  Figuren  zu 
einer  geschlossenen  Gruppe  zusammengefaßt  sind,  wie  in  den  nachher  zu  besprechenden  Reliefs 
mit  dem  bärtigen  Christus  auf  dem  Berg,  Verona  G  333,  1;  Lat.  n.  151  G  335,  3,  wo  das  Rollen- 
ende senkrecht  herabhängt;  in  dieser  Gruppierung  dürfte  der  Ursprung  des  Typus  zu  suchen  sein); 
aber  das  ist  richtig,  daß  Diptycha,  Rollen  und  Bücher  in  geschlossenem  Zustand  überreicht  zu 
werden  pflegen,  und  zwar,  wie  Birt  S.  82  bemerkt,  mit  der  rechten  Hand;  er  verweist  auf  die 
Übergabe  des  Gesetzes  an  Moses.  Petrus  fange  das  herabhängende  Rollenende  in  einem  Tuche 
auf,  um  das  heilige  Buch  vor  Verletzungen  zu  schützen,  gemäß  der  schonenden  Art,  mit  der  man 
im  Altertum  Bücher  behandelte.  Natürlich  sei  dies  auch  symbolisch  gemeint,  Petrus  erscheine  so 
als  der  Schützer  des  Logos.  Man  beachte  auch,  daß  der  Herr  keineswegs  immer  nach  Petrus 
hinblickt.  Man  kann  darüber  streiten,  ob  Jesus  ein  „Gesetz"  gegeben  habe  (in  der  Spätantike 
allerdings  kommt  die  Formel  Dominus  legem  dat  vor);  wenn  unser  Bildtypus  eine  Gesetzesübergabe 
an  Petrus  darstellen  will,  so  ist's  ein  unnötig  ungeschickter  Ausdruck  der  Idee.  Eine  Gesetzes- 
übergabe (vgl.  das  „Dominus  legem  dat  Valerio  Severo  Eutropi  vivas"  an  der  aus  Rom  stammenden 
Bronzelampe  der  "Offizien,  Kaufmann,  Handbuch  324  Fig.  117)  würde  keinesfalls  zugleich  eine 
Übertragung  des  Kirchenregiments,  eben  an  Petrus,  bedeuten,  wie  z.  B.  Garrucci  Storia  V  58  zu 
Taf.  334,  1  will.  Zum  Ursprung  des  Typus  „Traditio  legis"  oder  „Legem  dat"  vgl.  Baumstark, 
Oriens  Christ.  III  173.  Strzygowski,  Byz.  Zeitschr.  XIII  661;  Wien.  Ak.  Denkschr.  LH  98.  Vgl. 
aber  auch  Frick,  Byz.  Zeitschr.  XVI  647.  —  Brescia:  Garr.  323,  1.  —  Zum  Schema  mit  ver- 
hüllten Händen  tragen  oder  empfangen  vgl.  Dieterich  bei  Amelung,  Bull.  com.  1897,  132 
(das  Schema  kommt  aus  dem  Isiskult). 


Der  Erlöser.  153 

teils  bärtig  teils  bartlos,  halten  ein  jeder  seine  Rolle  mit  allerlei  Nuancen  des  Schemas, 
die  Rechte  ist  begrüssend  oder  redend  gehoben.  Im  ganzen  sitzen  sie  recht  gleich- 
mäßig und  unlebendig  da,  den  Kopf  etwas  nach  der  Mitte  gewandt,  wodurch  der  Eindruck 
eines  Halbkreises  wenigstens  unterstützt  wird.  Der  Christus  hält  in  der  Linken  ein 
offnes  Buch,  die  Rechte  spricht,  zwei  Finger  eingeschlagen.  Hier  nun  setzt  er  die 
Füße  nicht  auf  das  Himmelsgewölbe,  sondern  auf  den  Berg,  der  für  den  alsbald  vor- 
zuführenden stehenden  Christus  typisch  ist;  zum  Typus  gehört  auch  das  unten  am 
Berg  in  den  bekannten  allzukleinen  Verhältnissen  verehrend  dargestellte  Ehepaar,  zur 
Rechten  des  Christus  der  Mann,  typisch  ein  Offizier  in  der  Chlamys,  gegenüber  seine 
Frau.  Zwischen  beiden  ein  Schaf,  das  „Lamm  Gottes".  Hinter  des  Christus  Schultern 
werden  die  Wipfel  zweier  Palmbäume  sichtbar.  Er  sitzt,  wie  an  Säulensarkophagen 
öfter,  vor  dem  Halbrund  einer  offenen  Exedra;  hinter  den  Aposteln  aber  stehen,  statt 
der  gewohnten  Säulen,  zweimal  zwei  Tore.  Durch  die  Anordnung  des  Christus  im 
Halbkreis  der  Zwölf  wurde  ein  einheitliches  Bild  für  die  ganze  Sarkophagfront  ge- 
wonnen, wie  wir  es  bisher  nur  beim  Durchzug  durchs  Rote  Meer  beobachteten.1) 

In  einem  der  späten  Reliefs  mit  weitläufiger  verteilten  Figuren  sehen  wir  den 
jugendlich  lockigen  Christus  frontal  nicht  auf  einem  Stuhl,  sondern  unmittelbar  auf 
dem  Berge  sitzend,  die  Rechte  geöffnet,  mit  der  Linken  eine  offene  Rolle  hinhaltend. 
Zu  seiner  Rechten  steht  (sitzt?)  unten  am  Berge,  ebenfalls  frontal,  ein  Bärtiger,  der 
mit  dem  Finger  auf  das  offne  Buch  in  seiner  Linken  zeigt.  Von  rechts  aber  kommen 
im  Profil  zweie  herbei,  ein  Unbärtiger  mit  Rolle,  zu  seiner  Rechten  im  Hintergrund  ein 
Bärtiger  mit  kahler  Stirn.  Garrucci  hält  die  beiden  für  Moses  und  Elias,  wie  sie  bei 
der  „Verklärung"  neben  Jesus  erschienen.  Ficker  nennt  die  Gruppe  „Christus  mit 
Paulus  und  Petrus",  der  Bärtige  links  ist  ihm  Paulus,  der  Bartlose  rechts  Petrus.  Aus 
dem  Typus  „Christus  zwischen  Paulus  und  Petrus"  ist  das  Bild  gewiß  entwickelt,  aber 
es  ist  nicht  mehr  dasselbe.  Weil  der  Christus  hier  nicht  mehr  auf  einem  Stuhl,  sondern 
auf  dem  Berg  selbst  sitzt,  so  dürfte  Garrucci  auf  dem  richtigen  Wege  sein,  wenn  er 
an  eine  der  evangelischen  Bergszenen  denkt.  Ist  die  „Verklärung"  gemeint,  so  wäre 
sie  nicht  nach  dem  Wortlaut  des  Textes  eigens  konzipiert,  sondern,  wie  gesagt,  aus  der 
„Gesetzesübergabe"  bloß  entwickelt.  Der  auf  das  Buch  zeigende  Bärtige  links  sieht 
etwa  aus  wie  einer  der  Evangelisten  mit  ihrem  typischen  „wie  geschrieben  steht",  „auf 
daß  die  Schrift  erfüllt  würde".  —  Die  Bergpredigt  scheint  dargestellt  an  einer  Tafel 
spätester  Kunst  im  Kircherianum.  In  der  besser  erhaltenen  unteren  Zone  sitzt  der 
bärtige  Jesus  im  bloßen  Mantel  ohne  Chiton  auf  dem  Berg,  in  der  Linken  die  Rolle, 
die  Rechte  mit  zwei  eingeschlagenen  Fingern  sprechend  gehoben.  Vorn  um  den  Berg 
hockt  an  der  Erde  ein  Kreis  von  gezählt  sechs  Menschen  in  Chiton,  der  letzte  links 
hebt  die  Linke,  alle  legen  im  Emporblicken  (sie  kehren  dem  Beschauer  den  Rücken) 
den  Kopf  soweit  zurück,  daß  man  das  ganze  Gesicht  sieht.2) 

Der  Christus  stehend  zwischen  Jüngern.  Dergleichen  Szenen  treten  mitten 
zwischen  Wundergeschichten  auf,  sind  auch  in  diesem  Zusammenhang  erwachsen;  Ähn- 
lichkeit hat  besonders  die  Hahnszene.  Jesus,  im  zweiten  Typ,  steht  halbrechts,  lehrend, 
mit  Rolle  und    sprechend  gehobener  Rechten  (beides  ergänzt)  zwischen  zwei  Jüngern, 

*)  Mailand:  Garr.  Taf.  329,  1.  Über  den  ideellen  Zwölf erkreia :  Band  I  274.  Über  den 
apokalyptischen  Sinn  des  Bildes:  Band  I  278. 

2)  Verklärung:  Mk.  9,  4  und  Parallelen.  Lat.  n.  162  Garr.  348,  1.  —  Bergpredigt: 
Mt.  5,  1.  Garr.  404,  1. 


154  Plastik. 

die  wie  üblich  mehr  in  den  Hintergrund  geschoben  sind  (Lat.  n.  173).  Lat.  n.  H5 
steht  Jesus  halb  linkshin,  die  Jünger  sind  bärtig,  der  rechts  hat  kahle  Stirn.  Die  erste 
Replik  bezieht  Garrucci  auf  die  Begegnung  mit  den  zwei  Jüngern  des  Täufers  Joh.  1, 
36 — 39,  Ficker  erklärt  sie  als  Jesus  lehrend;  bei  der  zweiten  denkt  Garrucci  an  den 
Gang  nach  Emmaus,  Ficker  an  Jesus  zwischen  Petrus  und  Paulus.  —  Lat.  n.  177  stellt 
den  nimbierten  Christus  im  zweiten  Typ  frontal  in  die  Mitte,  zwischen  die  zweimal 
sechs  meist  adorierenden,  in  Dreiviertelprofil  dem  Herrn  zugewandten  Apostel;  an  der 
Spitze  der  Reihe  zu  seiner  Rechten  steht  Petrus,  gegenüber  Paulus  mit  kahler  Stirn. 
Vor  den  Aposteln  reihen  sich,  als  ihr  Symbol,  zweimal  sechs  Schafe,  zum  Christus  auf- 
blickend, der  das  vorderste  zu  seiner  Rechten  liebkost;  den  Schafen  zulieb  ist  der 
Christus  als  der  Gute  Hirt  gegeben,  mit  Schulterkragen  und  hohem,  hier  zepterartig 
geführtem  Krummstab.  An  beiden  Enden  des  Reliefs  ein  Hirt  mit  Schafen  in  ab- 
gestuftem Gelände  mit  Bäumen.  —  An  dieser  Stelle  wäre  auch  das  reiche  berliner  Relief 
aus  Konstantinopel  anzuführen,  wo  der  jugendliche  Christus,  mit  Kreuznimbus,  zwischen 
zwei  Aposteln  steht,  durch  Säulen  von  ihnen  getrennt  [Abb.  25].1) 

Der  Christus  auf  dem  Berg  stehend.  In  den  synoptischen  Evangelien  geht 
Jesus  öfter  auf  „den  Berg"  (ro  OQog).  Es  klingt,  als  ob  ein  bestimmter  Berg  gemeint 
sei,  der  für  Jesus  eine  besondere  Bedeutung  gehabt  hätte;  mit  Namen  wird  er  nicht 
genannt,  auch  sonst  nicht  näher  bezeichnet.  Mk.  3,  13  steigt  er  auf  den  Berg  und 
beruft  die  Zwölf.  Mt.  5,  1  geht  er  auf  den  Berg  und  setzt  sich,  die  Jünger  treten 
hinzu  und  es  folgt  die  Bergpredigt.  Lk.  6,  12  geht  er  auf  den  Berg  um  zu  beten, 
die  ganze  Nacht  verweilt  er  oben  im  Gebet,  steigt  dann  morgens  herab;  nun  folgt  die 
sogenannte  Bergpredigt,  aber  „auf  einem  ebenen  Ort".  In  handgreiflicher  Absichtlich- 
keit ist  hier  „der  Berg"  dem  Gebet  vorbehalten,  die  Predigt  aber  in  die  Ebene  ver- 
legt (nicht  etwa  auf  eine  Matte  des  Bergs),  so  daß  bei  Lukas  von  einer  Bergpredigt 
eigentlich  gar  nicht  geredet  werden  darf.  Mt  28,  16,  nach  der  Auferstehung,  gehen 
die  Elf  nach  Galiläa,  auf  „den  Berg",  wohin  Jesus,  so  heißt  es,  sie  befohlen  hatte,  und 
wo  sie  ihn  auch  treffen  (von  einem  solchen  Befehl  ist  aber  vorher  nichts  gesagt).  — 
Andere  Stellen  sprechen  von  „einem  großen  und  hohen  Berg".  Das  ist  der  Fall  bei 
der  Verklärung  Mk.  9,  2,  Mt.  17,  1:  Jesus  ist  mit  drei  Jüngern  „auf  einen  großen 
und  hohen  Berg"  gegangen,  wo  dann  die  Verklärung  stattfindet.  Lukas  aber  bringt 
9,  28  auch  hier  den  Gebetsberg  an:  Jesus  geht  „auf  den  Berg"  um  zu  beten,  während 
des  Betens  erfolgt  dann  die  Verklärung.  Off.  21,  10  werden  wir  auf  „einen  großen 
und  hohen  Berg"  geführt,  um  das  himmlische  Jerusalem  zu  schauen. 

Der  Gedanke  liegt  nahe,  „der  Berg"  den  Jesus  besteigt,  wenn  er  sich  von  der 
Volksmenge  zurückzieht,  wenn  er  seine  Jünger  um  sich  sammelt  um  sich  mit  ihnen 
zu  besprechen,  wenn  er  aus  ihnen  sich  Mitarbeiter  wählt,  oder  wenn  er  beten  will, 
der  Berg  in  Galiläa,  auf  dem  die  Elf  den  Auferstandenen  wiederfinden,  der  „große  und 
hohe  Berg"  der  Verklärung  (eingestandenermaßen  eine  Rückspiegelung  der  Verklärung 
im  Himmel),  und  „der  große  und  hohe  Berg",  auf  dem  das  himmlische  Jerusalem  steht, 
auch  in  verklärtem  Lichte,  diese  in  jedesmal  bedeutsamer  Weise  wiederkehrende  Berg- 
idee   stehe    in    Zusammenhang    mit    dem  uralten    und    über   alle   Wandlungen  hinweg 

»)  Lat.  n.  178.  155:  Garr.  315,  1.  315,  2.  —  Lat.  n.  177:  Garr.  304,  4.  —  An  einem  Säulen- 
sarkophag steht  der  unhärtige  Christus  zwischen  sechs  Aposteln :  Lat.  M  n.  216  (F  n.  1),  spät,  wie 
auch  Grousset  n.  157  und  Lat.  n.  113  (Christus  und  ein  Jünger,  spät  und  sekundär).  —  Nimbus: 
Band  I  151,  3;  vgl.  ferner  Krücke,  Nimbus  u.  verw.  Attribute  i.  d.  frühchr.  Kunst  1905. 


Der  ErlöBer.  155 

unaustilgbaren  Höhenkultus,  den  wie  alle  Völker  des  Altertums  so  auch  die  Israeliten 
übten  vom  Sinai  bis  zum  Berge  Zion.1) 

Wenn  wir  nun  den  Christus  in  einem  in  der  Hauptsache  feststehenden  Typus 
auf  einem  Berg  stehend  dargestellt  finden,  so  dürfen  wir  das  Bild  mit  den  angeführten 
Textstellen  in  Vergleich  bringen:  auch  im  bildlichen  Typus  steht  der  Christus  nicht 
auf  einem  beliebigen  Berg,  sondern  auf  „dem  Berg".  Im  Haupttypus  brechen  aus  ihm 
vier  Quellen  oder  Flüsse  hervor;  sofort  gedenken  wir  der  vier  Flüsse  des  biblischen 
Paradieses,  als  der  einzigen  Analogie  eines  Vierstromsystems  in  der  Bibel.  Freilich 
betont  die  Genesis  nicht  ihren  Ursprung  aus  dem  Gebirge;  so  hat  die  bildende  Kunst, 
vielleicht  im  Gefolge  der  Literatur,  die  vier  Paradiesesflüsse  mit  „dem  Berg"  verbunden, 
ebenso  wie  sie  den  Christus  auf  dem  Berg  zwischen  Palmbäumen  anordnet,  die  als 
Synonyme  der  schon  früher  eingeführten  Ölbäume  wieder  das  Paradies  andeuten,  und 
zwar  die  Verschmelzung  des  biblischen  mit  dem  himmlischen.  Wenn  dann  im  Hinter- 
grund des  Apostelkollegiums  gereihte  Tore  erscheinen,  so  hat  man  längst  hierin  die 
Tore  des  himmlischen  Jerusalems  Off.  21,  12  erkennen  zu  sollen  geglaubt.  Daß  der 
Christus  auf  dem  Berg  stets  die  Mitte  des  Reliefs  einnimmt,  ist  selbstverständlich. 

Der  jugendlich  lockige  Christus,  im  vorliegenden  Exemplar  des  Lateran 
nimbiert,  steht  auf  dem  Berg,  in  der  Linken  die  beiden  Endrollungen  eines  halbauf- 
gerollten Volumens,  den  Zeigefinger  zwischen  den  zwei  Endrollungen;  die  Rechte  faßt 
wie  ein  Zepter  eine  hohe  sogenannt  lateinische  Crux  gemmata.  Zu  seiner  Rechten 
Petrus  die  Hände  an  den  Kreuzschaft  legend,  gegenüber  Paulus  in  der  Linken  das 
Volumen  haltend  wie  der  Christus;  hinten  zwei  Palmbäume.  —  Am  Säulensarkophag 
bei  der  Pietä  des  Michelangelo  dieselbe  Gruppe,  nur  hat  der  Christus  den  Zeigefinger 
aus  dem  Volumen  genommen,  Paulus  legt  zwei  Finger  auf  das  obere  Ende  der  ge- 
schlossenen Rolle,  die  Köpfe  der  zwei  Apostel  geben  ihre  individualisierten  Typen 
besser  wieder,  als  der  vorige  Sarkophag,  an  dem  der  Pauluskopf  verscheuert  ist;  die 
Gestalten  sind  weit  länger,  für  die  Palmbäume  blieb  kein  Raum.  In  den  übrigen  zehn 
Feldern,  die  Schmalseiten  mitgerechnet,  je  ein  Apostel  mit  Begleiter.2) 

Der  bärtige  und  lockige  Christus.  An  einem  veroneser  Sarkophag  steht  er 
auf  dem  Berg  zwischen  Paulus  und  Petrus,  die  Rechte  offen  erhoben,  die  Linke  hält 
das  Volumen,  dessen  eines  Ende  abgerollt  herunterhängt.  Zu  seiner  Rechten  Paulus 
(mit  kahler  Stirn)  adorierend,  zu  seiner  Linken  Petrus,  der  ein  kleines  lateinisches  Kreuz 
auf  der  Schulter  trägt  und  mit  untergehaltenem  Gewandbausch  das  aus  der  Linken  des 
Christus  herabhängende  Rollenende  auffängt.  Beide  Apostel  blicken  zu  ihm  auf.  Hinter 
Paulus  ein  Palmbaum,  darauf  der  Phönix;  dem  andern  Palmbaum  hat  das  Kreuz  des 
Petrus  seinen  Platz  genommen.  Beiderseits  Jesusszenen.  Im  Hintergrund  ein  Arkaden- 
joch und  zwei  Kolonnadenjoche  zwischen  vier  Toren.  —  Auch  Lat.  n.  151  bleibt  die 
dreifigurige  Gruppe  eng  geschlossen,  hier  im  Rahmen  der  Mittelnische  des  Säulen- 
sarkophags; das  Rollenende  hängt  daher  noch  senkrecht  herab.  Paulus  und  Petrus  sind 
viel  kleiner,  so  daß  über  ihren  Köpfen  Raum  blieb  für  die  Palmwipfel;  der  hinter 
Paulus  ist   in  Garruccis  Wiedergabe   mißverstanden,    der   hinter  Petrus   nicht  heraus- 


*)  Höhenkultus:  Benzinger,  Hebräische  Archäologie,  Kegister  unter  Bamoth.  Beispiele  von 
griechischem  und  römischem  Höhenkultus  anzuführen  ist  überflüssig. 

2)  Vgl.  Nike  ein  hohes  Kreuz  haltend:  Cohen,  MeU  imp.  «VIII 194,  1  Galla  Placidia.  219,  1 
Honoria.  222,  5  Avitus.  223,  1  Maiorianus.  Lat.  n.  106  Garr.  331,  2.  —  Grousset  n.  148  Garr. 
325,  1—3.  —  Eine  Art  Auszug  am  Riefelsarg  Garr.  329,  3.     Grousset  n.  185. 


156  Plastik. 

gebracht  [Abb.  33].  —  Den  merkwürdigen  Profilkopf  der  Sammlung  de  Waals  im 
deutschen  Campo  santo  teilt  Wittig  vermutungsweise  unserer  Szene  zu.1) 

Die  Gruppe  des  bärtigen  Christus  auf  dem  Berg,  zwischen  Paulus  und  Petrus, 
wie  wir  sie  am  veroneser  Sarkophag  sahen,  wird  nun  bereichert  durch  Einschiebung 
zweier  Verstorbener,  nämlich  eines  Offiziers  und  seiner  Frau;  in  kleiner  Gestalt 
stehen  oder  knien  sie  devot  zu  beiden  Seiten  des  Berges,  unmittelbar  vor  den  Aposteln, 
er  zur  rechten  des  Herrn.  Der  pariser  Sarkophag  mit  zentraler  offener  Exedra  zwischen 
zwölf  Toren  (die  Schmalseiten  mitgerechnet)  läßt  den  Offizier  eilend  herankommen,  die 
vorgestreckten  Hände  mit  einem  Tuche  verhüllt;  seine  zum  Herrn  aufblickende  Frau 
liegt  auf  einem  Knie,  ihre  Hände  adorieren.  Unter  dem  rechten  Arm  des  Christus 
konnte  eine  Palme  Platz  finden,  die  andre  wird  durch  das  senkrecht  hängende  Rollen- 
ende verdeckt.  Auf  beide  Seiten  verteilen  sich  die  übrigen  Apostel  [Abb.  31].  — 
Ähnlich  der  etwas  spätere  Sarkophag  des  Gorgonius  zu  Ancona.  Die  Devotion  macht 
Fortschritte,  jetzt  liegt  auch  der  Offizier  auf  einem  Knie,  die  Frau  auf  beiden,  und 
sie  scheinen  (diesmal  beide  und  mit  unverhüllten  Händen)  je  eine  Hand  an  einen  Fuß 
des  Herrn  zu  legen;  dabei  bringt  er  sein  Gesicht  dem  Fuße  so  nahe,  daß  man  wohl 
denken  kann,  er  wolle  ihn  küssen.  Ausgeblieben  sind  die  vier  Flüsse  und  die  zwei 
Palmbäume;  jederseits  stehen  nur  vier  Apostel,  lose  gereiht;  die  Zinnen  der  Tore  sitzen 
auf  den  Archivolten.2) 

Diese  Sarkophage  gehören  zur  Gattung  der  „griechischen"  mit  ornamentiertem 
Sockel;  in  unserer  spätantiken  Kunst  ist  er  reduziert  auf  einen  Sockelstreif  mit  Wellen- 
ranke. Das  mailänder  Exemplar  ersetzt  die  Wellenranke  durch  das  Lamm  Gottes 
zwischen  zwölf  Schafen,  deren  von  jeder  Seite  sechs,  aus  einem  Torbogen  hervor- 
gekommen, hintereinander  der  Mitte  zuschreiten,  ein  Sinnbild  für  den  Christus  zwischen 
den  Aposteln.  Es  begegnete  uns  erst  kürzlich,  auch  dort  den  eigentlichen  Apostel- 
figuren tautologisch  hinzugesetzt;  nur  daß  statt  des  Lammes  unterhalb  des  Herrn  dieser 
in  Hirtengestalt  gegeben  war.  Das  Lamm  Gottes  ist  größer  gezeichnet,  so  daß  Kopf 
und  Hals  sich  vom  Berg  abheben.  Über  den  Schultern  des  Herrn  erscheinen  zwei 
Palmwipfel,  hinter  dem  Paulus  ein  dritter,  für  den  vierten  war  wieder  kein  Platz  wegen 
Petrus'  Kreuz.  Beiderseits  sind  die  übrigen  Apostel  verteilt;  den  Hintergrund  bildet 
die  Exedra  zwischen  zweimal  drei  Toren.  An  der  anderen  Langseite  desselben  Sarko- 
phags befindet  sich  der  bereits  oben  angeführte  thronende  jugendliche  Christus  auf  dem 
Berg,  an  dessen  Fuß  das  Ehepaar,  sowie  zwischen  den  beiden  das  Lamm  Gottes,  beider- 
seits die  Apostel  im  Halbkreis  sitzend.  —  Die  Anordnung  des  auf  dem  Berg  stehenden 
Christus  mit  dem  Ehepaar,  Lamm  Gottes  und  zwölf  Schafen,  zwischen  den  Aposteln, 
wiederholt  sich  am  Sarkophag  mit  den  Weinstöcken  statt  der  Tore,  in  den  vatikanischen 
Grotten;  hier  sind  wieder    beide  Palmbäume  zur  Darstellung  gekommen,  auf  dem  zur 


J)  Verona:  Garr.  333,  1.  —  Vogel  Phönix:  Piper,  Mythologie  und  Symbolik  der  christ- 
lichen Kunst  I  1847,  446.  Garrucci  Storia  I  180  bezieht  den  Phönix  als  Sinnbild  der  Auferstehung 
auf  Paulus  als  ihren  Verkünder.  Dagegen  de  Waal  in  Kraus'  Realenzykl.  II  622.  Kraus,  Gesch. 
d.  ehr.  Kunst  I  112.  Über  den  Phönix  vgl.  ferner  Fr.  Schoell,  Vom  Vogel  Phönix,  Heidelb.  Rede 
1890.  Türk  in  Roschers  Ausführl.  Lex.  der  griech.  u.  röm.  Mythol.  III  2409.  3450  (Sinnbild  der 
Ewigkeit,  der  Verjüngung,  der  Verbesserung,  ja  geradezu  eines  neu  anbrechenden  goldenen  Zeit- 
alters). —  Lat.  n.  151:  G  335,  3. 

*)  Paris:  Garr.  Taf.  324,  1.  —  Ancona:  eb.  326,  1. 


Der  Erlöser.  157 

Rechten  des  Herrn,  also  auf  der  Paulusseite,  steht  der  Vogel  Phönix.  Beiderseits  noch 
je  vier  Apostel.1) 

Säulensarkophage  neigen  dazu,  die  Gruppe  auseinanderzuziehen.  An  einem, 
in  denselben  vatikanischen  Grotten,  sehen  wir  den  bärtigen  Christus  auf  dem  Berg  mit 
den  vier  Strömen,  beiderseits  stehen  der  Offizier  und  seine  Frau,  etwas  gebückt,  die 
Hand  an  den  Knien  des  Herrn.  Paulus  und  Petrus,  ein  jeder  mit  einem  Begleiter, 
mußten  sich  in  die  anschließenden  Interkolumnien  zurückziehen,  so  daß  das  Rollenende 
wieder  länger  abgewickelt  und  an  der  Säule  vorbei  in  schräger  Richtung  in  das  auf- 
fangende Tuch  zu  führen  war,  wie  an  Lat.  n.  174  (mit  dem  thronenden  Christus).  — 
Diese  Anordnung  schafft  Raum  für  eine  andre  Verwendung  der  Schafe,  nämlich  für 
ihre  Einschaltung  in  das  Hauptbild.  Am  Säulensarkophag  mit  den  unter  zwei  Giebeln 
hängenden  Ampeln,  ebenfalls  in  den  Grotten  der  Peterskirche,  steht  zur  Rechten  des 
Herrn,  aber  mehr  im  Hintergrund  gedacht,  ein  Schaf  mit  kreuzförmigem  Monogramm 
auf  dem  Kopf,  also  das  Lamm  Gottes;  auf  der  anderen  Seite,  dicht  am  Berg,  ruht  ein 
Schaf,  Sinnbild  eines  Seligen.  An  einem  verschollenen  Sarkophag  sind  es  drei  Schafe, 
das  Lamm  Gottes  mit  kleinem  Kreuz  auf  dem  Kopf,  und  je  eins  bei  Paulus  und  Petrus, 
zum  Herrn  aufblickend  wie  diese,  kurz  ihre  Sinnbilder.2) 

Wieder  vereinfacht  und  in  freies  Feld  gestellt,  ohne  das  Ehepaar  und  ohne  Schafe, 
aber  mit  einem  Palmbaum,  diesmal  auf  der  Petrusseite  (von  der  Hintergrundsarchitektur 
blieb  nur  am  linken  Ende  ein  Tor):  an  dem  verschollenen  vatikanischen  Sarkophag 
G  334,  1.  —  Der  späte  mailänder  Sarkophag  mit  dem  ungläubigen  Thomas  gibt  eine 
Art  Auszug  aus  der  Komposition,  an  zentraler  Stelle:  der  bärtige  Christus  steht  auf 
ebenem  Boden  (nicht  auf  dem  Berg),  in  der  Linken  die  offene  Rolle,  die  Rechte  ge- 
öffnet erhoben,  zwischen  Paulus  und  Petrus  (G  315,  5). 

Wir  lassen  noch  ein  paar  Szenen  mit  Schafen  folgen,  Sinnbildern  von  Seligen. 
Am  lateranischen  Deckelfragment  n.  194  befindet  sich  in  der  Mitte  die  Schrifttafel; 
beiderseits  steht  ein  bartloser  Seliger  in  Rock  und  Mantel,  mit  vorgestreckter  Hand 
drei  Schafe  bewillkommnend,  die  hintereinander  herankommen,  jedes  mit  einem  Kranz 
im  Maul.  Im  Hintergrund  zweimal  vier  Palmbäume,  das  himmlische  Paradies  andeutend. 
Die  Schafe  tragen  ihren  Kranz  des  Lebens  im  Maul,  als  ob  sie  ihn  ihrem  Gott  dar- 
bringen wollten,  wie  die  vierundzwanzig  Ältesten  Off.  4,  10  und  die  Apostel  am  Sar- 
kophag in  Pudentiana  dem  Herrn  (s.  Monogramm).  —  Wieder  eine  neue  Idee  am 
Sarkophagdeckel  Stroganoff.  Der  Christus,  mit  krausem  Haar  und  wenig  Bart,  sitzt  auf 
einem  Fels,  ein  Schriftbündel  neben  sich.  Seine  Rechte  liebkost  das  vorderste  von 
acht  paarweis  heranschreitenden  gehörnten  Schafen,  die  Linke  wehrt  fünf  Ziegenböcke 
ab,  im  Hintergrund  vier  Ol-  und  drei  Eichbäume.  Die  erste  Gerichtsszene,  die  uns 
begegnet,  vielmehr  das  Gleichnis  einer  solchen,  die  Scheidung  der  Schafe  von  den 
Böcken  nach  Matth.  25,  31 — 46,  freilich  apart  wiedergegeben.3) 


*)  Mailand:  G  328,  1.  —  Grotten:  G  327,  2. 

*)  Grotten:    Garr.  335,  4.  330,  5.  —  Verschollen:  Bei  Bottari  Taf.  50  wiedergegeben  im  Stil 
seiner  Zeit,  bei  Garrucci  Taf.  341 ,  2  korrigiert  nach  seiner  Vorstellung  vom  Stil  der  Spätantike. 
a)  Lat.  n.  194:  G  304,  2.  —  Stroganoff:  G  304,  3. 


158  Plastik. 

Ikonographisches. 

Unter  diesem  Titel  sollten  streng  genommen  nur  die  Porträts  der  Verstorbenen 
erscheinen,  deren  wir  schon  gedachten  und  auf  die  wir  im  stilgeschichtlichen  Abschnitt 
zurückzukommen  gedenken.  Porträts  von  Jesus  oder  den  Aposteln  hat  es  nie  gegeben; 
sonst  wäre  das  Schwanken  in  ihrer  bildlichen  Gestaltung  ebenso  unverständlich  wie 
das  späte  Auftreten  individuellerer  Darstellungen.  Freilich  gibt  es  tatsächlich  antike 
Porträts,  deren  Exemplare  erhebliche  Verschiedenheiten  und  auch  Wandlungen  in  der 
Auffassung  bemerken  lassen,  Porträts,  die  Jahrhunderte  hindurch  immer  wiederholt 
wurden,  wie  Sokrates,  wie  Alexander;  aber  da  behaupten  sich  durch  alle  Abwandlungen 
hindurch  doch  immer  gewisse  Grundzüge,  die  allein  es  erlauben,  so  verschieden  aus- 
geprägte Köpfe  alle  auf  eine  und  dieselbe  Persönlichkeit  zu  beziehen.  Anders  bei  den 
Christus-  und  Apostelköpfen;  da  ist  keine  Spur  einer  solchen  in  allem  Wechsel  sich 
gleichbleibenden  Grundform.  Im  Gegenteil,  man  hat  überall  den  Eindruck,  es  nur  mit 
Kunsttypen  zu  tun  zu  haben,  deren  Verschiedenheiten  vor  allem  auf  stilgeschichtlichen 
Verhältnissen  beruhen;  anderes  mag  mit  eingewirkt  haben.1) 

Christustypen  fanden  wir  in  der  Katakombenmalerei  hauptsächlich  drei.  Der 
erste  war  nichts  als  der  typische  bartlose  Kopf  mit  kurzem  Haar,  wie  ihn  alle  Männer 
in  der  frühchristlichen  Malerei  trugen,  derselbe,  der  bis  Trajan  im  Leben  Mode  war. 
Der  zweite,  ausgesprochen  jugendlich,  mit  langlockigem  Haar,  erschien  als  eine  neue 
Spezies  des  Jünglings,  wie  er  uns  in  allerlei  Spielarten  als  Apollon,  als  Dionysos,  als 
Eros,  auch  als  Eubuleus,  als  Mithras  geläufig  ist.  Der  dritte  Typus  ist  bärtig,  früher  mit 
kürzerem  Haupthaar,  später  mit  langem,  an  den  Enden  sich  aufrollendem,  also  eine  in 
sich  wieder  differenzierte  Spezies  des  bärtigen  Götterkopfes,  wie  ihn  Zeus,  Poseidon, 
Hades  und  Serapis,  Asklepios,  wiederum  Dionysos  tragen  (Ich  wiederhole  noch  einmal, 
daß  es  nicht  richtig  ist,  den  Christus  von  diesem  oder  jenem  einzelnen  Gott  „abzuleiten", 
um  ihn  damit  erst  der  Antike  zu  vindizieren;  so  gut  wie  die  Eubuleus-,  Mithras-, 
Serapisköpfe,  sind  auch  die  des  Christus  im  Rahmen  und  organischem  Zusammenhang 
der  alten  und  immer  weiterwachsenden  Typik  originale  Schöpfungen  der  Antike).  In 
der  Sarkophagskulptur  nun  kommt  der  frühchristliche  erste  Christustyp  nicht  mehr  vor, 
zunächst  herrscht  der  zweite  jugendlich  lockige.  Es  wird  wohl  gesagt,  in  diesem  Typus 
werde  Jesus  der  Wundertäter  vor  Augen  gestellt;  allerdings  wird  er  das,  aber  nicht 
er  ausschließlich,  sondern  auch  „Des  Herren  Majestät"  trägt  denselben  Kopf,  wo  er 
über  dem  Himmel  thront,  sowie  wo  er  mit  dem  hohen  Kreuz  auf  dem  Berge  steht. 
Es  handelt  sich  um  entwicklungsgeschichtliche  Vorgänge,  auch  beim  bärtigen  Typus, 
dem  dritten  und  letzten.  Nicht  ausschließlich,  doch  vorwiegend  eignet  er  dem  erhöhten 
Christus  auf  dem  Berg  (ohne  hohes  Kreuz),  meist  umgeben  vom  Kreise  der  Zwölf. 
Die  dogmatische,  kultliche  und  bildliche  Höherhebung  des  Christus,  schon  längst  im 
Gange  und  in  stetem  Wachsen  begriffen,  trat  im  gegebenen  Augenblick,  nehmen  wir 
an  im  vierten  Jahrhundert,  wieder  einmal  in  ein  neues  Stadium;  wenn  nun  damals 
zugleich  ein  neuer  Kopftypus  aufkam,  der  bärtige,  so  war  es  geschichtlich  nur  natürlich, 
daß  er  in  dem  neuentstehenden  Verherrlichungstypus  zur  Anwendung  kam.    Aber  wieder 


*)  Weis-Liebersdorf ,  Christus-  und  Apostelbilder,  Einfluß  der  Apokryphen  auf  die  ältesten 
Kunsttypen  1902  (mit  reicher  Literatur).  Wir  haben  es  hier  nur  mit  den  Sarkophagreliefs  zu  tun, 
können  also  auf  die  vielverhandelten  Fragen  über  Zeit,  Herkunft  und  dogmatische  Gründe  der 
wechselnden  Typen  noch  nicht  eingehen. 


Ik  o  n  ograph  isch  es .  159 

nicht  ausschließlich  in  ihm,  sondern  daneben  auch  in  Wunderszenen.  Auf  die  besondere 
Nuance  des  bärtigen  Christustypus  mit  starkem  Haarwuchs  kommen  wir  bei  den  Apostel- 
typen zurück.1) 

Von  den  Aposteln  hatte  man  ebensowenig  Porträts  wie  von  Jesus.  Auch  keine 
Überlieferung.  Spät  genug  hat  man  versucht,  die  kanonische  Literatur  ausdeutend, 
auch  unter  Einfluß  gewisser  Vorstellungsgewohnheiten,  Bilder  der  verehrten  Männer 
sich  zu  entwerfen,  über  deren  Phantastik  sich  klare  Köpfe  alsbald  entschieden  aus- 
sprachen. Man  wird  sich  darauf  verlassen  können,  daß  die  christlichen  Archäologen 
zur  Beantwortung  der  wichtigen  Frage  nach  Haar  und  Bart  der  Apostelfursten,  und 
der  wichtigeren  nach  den  in  der  christlichen  Antike  erwachsenen  Vorstellungen  davon, 
alles  Material  zusammengetragen  und  kritisch  geprüft  haben;  wir  dürfen  uns  begnügen, 
die  Auffassungen  der  am  Gegenstand  besonders  interessierten  römischkatholischen 
Gelehrten  zu  referieren,  auch  nur  derjenigen,  die  zuletzt  zur  Sache  gesprochen  haben. 
Es  handelt  sich  nur  um  die  „Apostelfursten".  Weis-Liebersdorf  kommt  zu  dem 
Schlüsse,  daß  ein  Petrusbild  ursprünglich  fehlte;  der  Paulustyp  stand  im  Vordergrund, 
bereits  die  vorkonstantinische  Zeit  besaß  einen  literarischen  Porträttypus  für  den  Völker- 
apostel. Der  Petrustyp  dagegen  entstand  rein  künstlerisch  als  Kontrastfigur  zum 
Paulus,  gegenüber  dem  vornehmen  Philosophen  Paulus  als  der  kraftvoll  energische 
Felsenmann.  Die  älteste  literarische  Schilderung  des  Völkerapostels  liegt  in  den  Akten 
des  Paulus  und  der  Thekla  vor,  sie  schildern  ihn  als  „einen  Mann  von  kleiner  Statur, 
mit  kahlem  Kopf,  krummen  Beinen,  sehr  rüstig,  mit  zusammengewachsenen  Augen- 
brauen, etwas  langer  Nase,  voller  Anmut;  bald  nämlich  erschien  er  wie  ein  Mensch, 
bald  hatte  er  das  Angesicht  eines  Engels".  Daneben  stellt  Weis-Liebersdorf  den  Paulus 
des  Bassussarkophags;  dazu  muß  ich  warnend  bemerken,  daß  dessen  Haartracht  einer 
im  dritten  Jahrhundert  auftretenden  Modefrisur  entspricht  (beiläufig:  die  Figur  ist  nicht 
klein  und  unscheinbar;  er  geht  nur  gebückt  und  in  Profil,  während  der  Petrus  sich 
zurücklehnt  und  dem  Beschauer  die  volle  Breitseite  zeigt).  Eine  andere  Wendung 
nimmt  Wittig.  In  der  Plastik  erscheint  Petrus  in  wechselnder  Typik;  diese  Typen 
lassen  sich  erklären  aus  dem  Eindringen  der  Porträts  Verstorbener  in  die  Petrustypik. 
Dabei  bezieht  sich  Wittig  auf  de  Waals  Vermutung,  der  Petrus  des  Bassussarkophags 
trage  den  Porträtkopf  des  Verstorbenen  (ich  gebe  die  Möglichkeit  zu;  mit  etwas 
größerer  Zuversicht  aber  könnte  man  dasselbe  vom  Paulus  des  Sargs  sagen).  Johannes 
Ficker  hatte  gemeint,  aus  einer  ursprünglichen  Mehrheit  verschiedener  Typen  für  Petrus 
wie  für  Paulus  sei  durch  Auslese  der  kanonische  Typ  hervorgegangen.  Wittig  ist  der 
entgegengesetzten  Ansicht,  ursprünglich  habe  es  nur  je  einen  Typus  gegeben,  nämlich 
den  kanonischen,  die  Mannigfaltigkeit  sei  nur  durch  das  Eindringen  fremder  Porträt- 
züge hineingekommen.  Vorläufig  bleibe  ich  auf  dem  im  ersten  Band  eingeschlagenen 
Wege:  die  verschiedenen  Typen  sind  lediglich  zeitlich  oder  auch  örtlich  differenzierte 
Haartrachten;  erst  allmählich  hat  sich  der  Kanon  herausgebildet,  etwa  unter  Mitwirkung 
des  künstlerischen  Strebens  nach  Kontrastwirkung.  In  unseren  Reliefs  sehen  wir  aus 
den  typischen  bärtigen  Köpfen  zwei  Individualisierungen  sich  heraus  lösen:  aus  dem 
kahlen  den  Paulus,  dessen  Bart  sich  auch  erst  allmählich  verlängert,  aus  dem  mit  vollem 
Haar  den  Petrus,  besonders  anfangs  weniger  individuell,  mit  krauserem,  die  Stirn  über- 
schattendem Kopfhaar  und  gestutztem  krausem  Bart.2) 

x)  Christustypen  der  Katakombenmalerei:  Band  I  280. 

2)  Weis-Liebersdorf  a.  a.  O.  106    Lösung    der  Typenfrage.     Akten   des  Paulus   und    der 


*  <* 


150  Plastik. 


Die  übrigen  Apostel  werden  in  den  Sarkophagreliefs  nur  scheinbar  indivi- 
dualisiert. Wohl  werden  sie  differenziert,  in  der  Apostelreihe  wechselt  der  frühchrist- 
liche bartlose  Typ  mit  dem  bärtigen.  Dadurch  kommt  Mannigfaltigkeit  in  die  Männer- 
reihe, aber  noch  keine  wirkliche  Individualisierung.  Zu  beachten  ist  eine  Spielart 
des  bärtigen  Kopfes  mit  starkem  krausem  Haarwuchs;  das  dicke  Kopfhaar  legt  sich 
mit  aufquellendem  Kranz  um  den  Nacken,  auch  der  Bart  ist  vollrund.  Dergleichen 
Haar  denkt  man  sich  blauschwarz,  man  sieht  es  schon  in  den  assyrischen  Eeliefs,  nur 
der  Bart  ist  dort  steifer  stilisiert.  Die  christliche  Kunst  nahm  den  Typus  erst  in  der 
Spätantike  auf;  aber  nicht  etwa  so,  daß  von  nun  an  alle  zwölf,  oder  nur  die  zehn  ohne 
Paul  und  Peter,  so  gezeichnet  worden  wären,  als  Juden,  sondern  der  Typ  kommt  immer 
nur  einzeln  vor.  Gern  steht  solch  ein  Apostel  halb  rechtshin,  doch  den  Kopf  zurück- 
gewendet. Der  bärtige  Christus,  besonders  der  auf  dem  Berg  stehende,  mit  frei  aus- 
gestreckter Rechten,  kommt  dem  Typus  oft  so  nahe,  daß  man  ihn  gleichen  Ursprungs 
denken  möchte.  Doch  findet  man  den  Typus  auch  an  Verstorbenen,  auch  hier  einzeln, 
neben  den  gewöhnlichen  bärtigen  mit  mäßigerem  Haarwuchs.  Indessen,  ehe  man  daran 
geht,  der  Herkunft  und  der  Entstehungszeit  der  Typen  nachzufragen,  empfiehlt  es  sich, 
die  Chronologie  der  Denkmäler  festzustellen.1) 


Syntax  der  figürlichen  Typen. 

Die  Typik  der  einzelnen  Szenen,  so  sagten  wir  im  ersten  Bande,  bildet  gleich- 
sam die  Formenlehre  in  der  Grammatik  der  Bildersprache.  Sie  findet  ihre  Ergänzung 
in  der  Syntax,  der  Lehre  von  der  Zusammenstellung  jener  Typen  im  dekorativen 
Ganzen.  Wir  wissen,  daß  die  Bilder  alle  denselben  Gedanken  ausdrücken,  wenn  sie  ihn 
auch  von  verschiedenen  Seiten  anfassen.  Der  Gedanke  ist  die  Erlösung  aus  dem  Tod 
in  das  ewige  Leben;  dargestellt  werden  die  Seligkeit  selbst,  die  Erlösung  in  Proto- 
typen, die  sakramentalen  Mittel  der  Erlösung,  der  Erlöser  und  seine  Mitarbeiter.2) 

In  der  noch  klassisch  gegliederten  Deckenmalerei  der  Katakomben  erhielt  sich 
einigermaßen  verständige  Auswahl  und  künstlerische  Verteilung;  dagegen  an  den  Wand- 
gräbern fanden  wir  die  Typen  insgemein  aus  vollem  Sack  einfach  ausgeschüttet,  wie  sie 
fallen  mochten,  ein  loses  Aggregat  von  Szenen. 

Analog  ist  das  Verhältnis  an  den  Sarkophagen.  Die  tektonisch  gegliederten  be- 
sitzen in  ihren  Gliederungen  ein  festes  Rahmenwerk,  in  welches  einzeln  ausgewählte 
Bilder  in  einiger  Ordnung  eingesetzt  werden;  so  die  geriefelten  mit  ihren  Mittel-  und 


Thekla:  Act.  apost.  apocr.  ed.  Lipsius  et  Bonnet  I  237,  die  Übersetzung  nach  Weis-Liebersdorf  109. 
Die  Apostel  am  Bassussarkopbag :  Weis-Liebersdorf  88  ff.  —  Wittig,  Campo  santo  101.  —  Die 
kanonischen  Peter-  und  Paul  typen  finden  sich  z.  B.  an  G  350,  2  wo  die  vorher  am  Bassussarko- 
phag aufgetretenen  Szenen,  Verhaftung  des  Petrus  und  Enthauptung  des  Paulus,  in  einem  Baum- 
gang beiderseits  des  den  erhöhten  Christus  vertretenden  Monogramms  angeordnet  sind;  ebenfalls 
ah  den  zwei  Aposteln  beiderseits  des  bärtigen  Christus  auf  dem  Berg. 

l)  Der  bärtige  Kopf  mit  starkem  Haarwuchs  z.  B.  in  einem  Prachtexemplar  Bull,  crist.  1896 
Taf.  12;  vgl.  Garr.  Taf.  304,  4.  An  Verstorbenen:  Säulensarkophage  mit  sog.  Doppelschnecken- 
kapitellen, aus  Villa  Ludovisi  und  aus  Concordia,  eb.  362,  2  und  362,  1.  Den  bärtigen  Christus- 
typ leitet  Strzygowski  (Kleinasien  183;  Wien.  Ak.  Denkschr.  LI  185)  aus  Jerusalem  ab,  von  wo 
ihn  Konstantin  geholt  habe. 

9)  Syntax:  Band  I  285. 


■j 


Syntax  der  figürlichen  Typen.  161 

Endfeldern,  die  gesäulten  mit  ihren  Nischen.  Sie  führen  von  selbst  zur  Unterscheidung 
von  Zentral-  und  Endszenen.  Auch  Clipeus  und  Muschel  gliedern  die  Massen.  Schwie- 
riger lag  der  Fall  für  die  in  der  klassischen  Archäologie  als  „römisch"  bezeichnete 
Gattung  der  Sarkophage  ohne  alle  tektonische  Gliederung. 

Das  Thema  der  Syntax  für  die  Sarkophagbilder  erschöpfend  zu  behandeln  würde 
zu  weit  führen;  es  wird  genügen,  an  ein  paar  bedeutenden  Beispielen  zu  zeigen  was 
daran  ist. 

Als  erstes  Beispiel  wählen  wir  den  großen  Sarkophag  aus  Sankt  Paul,  gefunden 
bei  der  Confessio,  Lat.  n.  104  [Abb.  37],  zweizonig  mit  Muschel  in  der  oberen  Zone; 
links  von  der  Muschel  Schöpfung  der  Eva,  Zuweisung,  Baum  der  Erkenntnis;  rechts 
Weinzauber,  Speisensegnung,  Lazarus;  unten  in  der  Mitte  Daniel  in  der  Löwengrube; 
links  davon  Huldigung  der  Magier  und  Blindenheilung,  rechts  Hahnszene,  Bedrängung 
und  Quellwunder.  Die  römischen  Gelehrten,  obenan  de  Rossi,  haben  den  Doppelfries 
präkonisiert  als  eine  Epopöe  des  katholischen  Dogmas.  Diese  Art  apologetischer  Aus- 
legung hat  Garrucci  am  weitesten  getrieben;  trotz  aller  ihr  entgegengestellter  Kritik  wird 
sie  aufrecht  erhalten,  etwas  abgeschwächt  hat  Marucchi  sie  in  den  amtlichen  Führer  des 
lateranischen  Museums  aufgenommen.  Im  einzelnen  tut  man  den  Bildern  Gewalt  an, 
um  den  gewünschten  Sinn  herauszupressen,  im  ganzen  imputiert  man  dem  Bildhauer 
eine  Intention,  die  ihm  möglichst  fern  lag.  Wir  meinen,  wo  der  sepulkrale  Sinn  der 
einzelnen  Bilder  noch  so  wenig  feststeht,  wie  bei  den  meisten  gerade  der  vorliegenden 
Zusammenstellung,  sollte  man  zurückhaltender  sein  in  der  Ausdeutung  des  Ganzen. 

Wir  dürfen  das  Gesagte  nicht  unbelegt  lassen.  Der  Daniel  wird  da  auf  die  Er- 
lösung nicht  aus  dem  Tode  in  das  ewige  Leben,  sondern  aus  den  jenseitigen  Strafen 
bezogen;  die  drei  Bärtigen  in  der  Schöpfungsszene  gelten  ohne  weiteres  als  die  drei 
Personen  der  Triuität;  der  Bärtige  hinter  dem  Korbstuhl  der  Maria  sei  der  heilige 
Geist;  die  Huldigung  der  dem  Stern  folgenden  Magier  repräsentiere  die  Offenbarung 
des  Christus  an  alle  Heiden;  die  Wundertaten  sollen  Jesus'  Gottheit  erweisen;  die 
Hahnszene  muß  es  auf  sich  nehmen,  die  ganze  Passion  des  Christus  und  mit  einge- 
schlossen die  durch  sie  herbeigeführte  Erlösung  zu  vertreten  (Wittig,  der  die  Hahn- 
szene nach  Rom  verlegt,  wird  davon  nichts  wissen  wollen);  die  letzten  Szenen,  Be- 
drängung und  Quellwunder,  sollen  sich  auf  die  Gründung  der  Kirche  beziehen,  wohl- 
verstanden der  römischen;  die  „Bedrängung",  verstanden  als  Verhaftung  des  Petrus 
durch  die  Juden,  bringe  die  ersten  Verfolgungen  der  Kirche  in  Erinnerung,  vielleicht 
auch  die  Ankunft  des  Petrus  nach  Rom,  weil  sie  nach  seiner  Befreiung  aus  dem 
Gefängnis  der  Juden  erfolgte;  endlich  das  Quellwunder  bedeute  die  „Autorität  der 
Kirche,  und  des  Petrus  als  des  neuen  Moses,  der  das  Wasser  der  Gnade  aus  dem 
mystischen  Fels  —  der  ist  Christus  —  hervorspringen  läßt."  Was  nun  aber  für  unsere 
Syntax  die  Hauptsache  ist,  die  in  der  Einzelerklärung  auf  so  schwachen  Füßen  stehende 
dogmatische  Epopöe,  die  Erzählung  der  Heilsgeschichte  „in  chronologischer  Ordnung" 
„auf  zwei  Kolumnen",  scheitert  schon  im  ersten  Akt  an  der  Stellung  des  den  Sündenfall 
vertretenden  Baumes  mit  der  Schlange;  statt  auf  die  Zuweisung  zu  folgen  müßte  er 
zwischen  Schöpfung  und  Zuweisung  stehen.  Daß  dann  die  Erzählung  zum  unteren 
Fries  hinabspringt,  soll  nicht  weiter  bemängelt  werden,  daß  sie  aber  von  der  Blinden- 
heilung unten  links  zu  den  Wundern  oben  rechts  gehen  soll,  um  unten  rechts  zu  Ende 
geführt  zu  werden,  das  hat  wenigstens  der  Bildhauer  nicht  augenscheinlich  gemacht, 
also  wohl  auch  selbst  nicht  gewollt;  es  wäre  nicht  künstlerisch  disponiert. 

Sybel,  Christliche  Antike  II.  11 


162  Plastik. 

Schon  längst  hat  Viktor  Schultze  solche  apologetische  Exegese  abgelehnt.  Auch 
darin  gebe  ich  Schultze  Recht,  daß  der  Wert  dieses  Sarkophags  überschätzt  worden  ist, 
nicht  minder  aber,  wenn  er  seinem  Urheber  die  Gabe  geschickter  Gruppierung  zu- 
erkennt. Wenn  er  aber  über  die  Endszenen  der  zwei  Friese  sich  begnügt  zu  sagen, 
sie  schienen  absichtlich  parallel  gesetzt  zu  sein,  so  möchte  ich  noch  einen  Schritt  weiter 
gehen.  Schon  bei  der  Einzelbesprechung  erinnerten  wir  daran,  was  übrigens  längst  gesehen 
worden  ist,  daß  der  Grabbau  des  Lazarus  stets  an  das  Ende  des  Reliefs  gesetzt  wurde, 
ebenso  der  Fels  des  Quellwunders,  weil  sie  beide  einen  geradlinigen  Abschluß  gaben; 
eben  deshalb  wurden  sie  gelegentlich  an  den  Enden  eines  Sarkophags  sich  symmetrisch 
gegenüber  gestellt.  An  unserem  Sarg  hat  der  Bildhauer  sie  an  die  rechten  Enden  der 
zwei  Friese  angeordnet  (ähnlich  schon  Lat.  n.  55  G  358,  3  an  den  linken);  zur  sym- 
metrischen Entsprechung  an  den  linken  Enden  wählte  er  zwei  sitzende  Gestalten,  für 
unten  die  Mutter  des  Christkindes  in  der  Magierhuldigung,  für  oben  den  Gott  in  der 
Schöpfungsszene.  Das  Mittelstück  für  den  oberen  Fries  war  gegeben,  die  Muschel  mit 
den  Büsten;  statt  die  hier  sonst  beliebten  Typen  Gesetzesempfang  und  Opferverhinde- 
rung anzuschließen,  übernahm  er  aus  der  heidnischen  Sarkophagskulptur  die  zwei 
muschelhaltenden  Eroten.  Ein  geeignetes  Mittelstück  für  den  unteren  Fries  fand  sich 
in  der  streng  symmetrischen  Gruppe  des  Daniel,  hervorleuchtend  auch  durch  die 
Nacktheit  des  Heros  und  die  Tiere.  Nun  blieben  noch  die  Zwischenräume  zu  füllen. 
Zur  Schöpfung  der  Eva  aus  der  Rippe  des  schlafenden  Adam  mochte  sich  durch 
naheliegende  Gedankenverbindung  die  geläufige  Gruppe  des  „Sündenfalls"  gesellen; 
aber  das  reichte  nicht;  so  wählte  der  Künstler  die  Zuweisung,  mit  dem  zentralen 
Christus  als  Logos,  und  füllte  den  letzten  schmalen  Raum  mit  dem  Baum  aus  dem 
Sündenfall.  Rechts  von  der  Muschel  ließ  die  Lazarusszene  noch  Platz  für  eine  drei- 
figurige  und  eine  einfigurige  Gruppe,  letztere  mit  breiterer  Basis,  also  eine  Speisen- 
segnung mit  zentralem  Christus  als  Gegenstück  zur  Zuweisung,  und  Weinzauber  als 
Gegenstück  zum  Baum  mit  der  Schlange.  Unten  ließ  die  breit  angelegte  Magierszene 
wieder  nur  einen  schmalen  Raum  übrig;  rechts  reihte  sich  an  das  Quell  wunder  selbst- 
verständlich die  Bedrängung,  eine  höchstens  zweifigurige  Gruppe  konnte  noch  folgen; 
der  Bildhauer  wählte  zwei  annähernd  gleich  beliebte  Szenen,  für  die  linke  Seite  die 
Blindenheilung,  für  die  rechte  die  Hahnszene,  mochte  sie  nun  Moses  oder  Petrus  meinen. 

So  hatte  der  Künstler  sich  genug  getan  und  zugleich  den  Käufer  angenehm 
befriedigt.  Das  Ganze  war  eine,  für  diese  Art  Sarkophage  in  dieser  Phase  der  Sarko- 
phagkunst ungewöhnlich  geschlossene  und  wohlgegliederte  Komposition,  die  auch  alles 
Wünschenswerte  zu  verstehen  gab,  wenn  nicht  für  die  Römer  des  zwanzigsten  Jahr- 
hunderts, so  doch  für  die  des  vierten.1) 

Als  zweites  Beispiel  der  Versuche,  die  Syntax  der  Sarkophagbilder  aufzuklären, 
wählen  wir  den  großen  Sarkophag  des  Bassus  [Abb.  18],  welchen  de  Waal  in  seiner 
wertvollen  Monographie  gerade  in  Beziehung  auf  die  Anordnung  behandelt  hat.  In 
einem  besonderen  Kapitel  bespricht  er  den  einheitlichen  Zusammenhang  sämtlicher  Szenen, 
nachdem  er  zuvor  den  Sinn  jeder  einzelnen  festzustellen  suchte.  Er  kommt  zu  dem 
Ergebnis,  die  Bilder  seien  nicht  gedankenlos  zusammengestellt,  sondern  ein  sinnreich 
sich  aussprechendes  Glaubensbekenntnis;  sie  sprechen  das  Glauben  und  Hoffen  des 
Bestellers  wie  des  im  Sarge  Beigesetzten  aus,  ihr  Glauben  und  Hoffen  in  Beziehung  auf 
Tod  und  Ewigkeit.    Da  sei  der  erste  Gedanke  an  den  Richter  im  Endgericht,  die  Hoffnung 

J)  Lat.  n.  104:  G  365,  2.  —  Viktor  Schultze,  Archäol.  Studien  145. 


Syntax  der  figürlichen  Typen.  163 

auf  einen  für  die  Seinen  gnädigen  Richter.  Mit  Wilpert  sieht  er  in  den  Sepulkralbildern 
zugleich  Mahnungen  an  die  Hinterbliebenen,  für  die  Verstorbenen  zu  beten.  An 
unserem  Sarkophag  nimmt  de  Waal  die  Mittelbilder  der  zwei  Friese  für  Verherrlich- 
ungen des  Christus,  unten  den  Einzug  in  das  irdische  Jerusalem,  oben  das  Thronen 
über  dem  Himmel.  Der  schöne  Römerkopf  des  Petrus  sei  nichts  anderes  als  der 
Porträtkopf  des  Verstorbenen,  der  da  vor  seinem  Richter  (der  Maiestas  Domini) 
stehe,  wie  nebenan  Jesus  selbst  vor  seinem  irdischen  Richter  Pilatus;  gegenüber  aber 
die  intendierte,  doch  inhibierte  Opferung  Isaaks  (an  sich  wohl  ein  Typus  für  den 
Kreuzestod,  daher  in  dessen  Vertretung  der  Pilatusszene  gegenüber  gestellt)  sei  eschatolo- 
gisch  genommen  ein  Bild  der  Erlösung  aus  dem  Tod  in  das  ewige  Leben.  Im  unteren  Fries 
der  Sündenfall  versinnbilde  den  Tod  als  der  Sünde  Sold,  das  Gegenstück,  Daniel  in  der 
Löwengrube,  sei  auch  im  Gedanken  das  Gegenbild  zum  Tod,  nämlich  die  Erlösung  aus 
dem  Tod,  und  zwar  durch  die  Auferstehung.  Die  beiden  Endbilder,  Hiob  und  Paulus,  seien 
gewählt  als  die  Hauptverkünder  der  Auferstehung,  jener  im  alten,  dieser  im  neuen  Testa- 
ment; darum  seien  diese  zwei  Bilder  die  Pfeiler  und  Träger  des  gesamten  Ideenbaues. 

Auch  bei  de  Waal  läuft  einiges  mit  unter,  was,  ich  kann  nicht  helfen,  denn  doch 
in  die  Bilder  und  deren  Anordnung  von  ihm  hineingelegt  ist;  doch  spielt  z.  B.  die  bei 
Wilpert  so  wesentliche  Fürbitte  bei  de  Waal  nur  eine  ganz  nebensächliche  Rolle. 
Und  im  ganzen  bedeutet  gegenüber  de  Rossis  Schule  seine  Interpretation  einen  er- 
heblichen Fortschritt  zu  unbefangener  Auffassung  und  feinerem  Verständnis.  Wenn 
de  Waal  allen  Nachdruck  auf  die  eschatologische  Bedeutung  der  Bilder  legt,  so 
kommt  er  unserer  Auffassung  sehr  nahe.  Der  Unterschied  liegt  nur  darin,  daß  er 
meines  Erachtens  zu  sehr  an  die  Endzeit  denkt,  und  an  das  Endgericht,  notwendig 
dann  auch  an  die  Auferstehung,  während  ich  nicht  so  sehr  Hoffnung,  als  frohe  Ge- 
wißheit in  den  Bildern  ausgesprochen  finde,  das  feste  Vertrauen,  daß  der  Verstorbene 
durch  die  Kraft  seines  Erlösers  unmittelbar  aus  dem  Tode  in  das  ewige  Leben  ein- 
gegangen sei  (oder  wenn  Gruft  oder  Sarkophag  bei  Lebzeiten  bestellt  war,  die  Gewiß- 
heit, daß  er  unmittelbar  in  das  himmlische  Paradies  und  Jerusalem  eingehen  werde), 
wo  denn  für  Auferstehung  und  Gericht  kaum  noch  Raum  bleibt. 

Die  Säulen  unseres  Sarkophags  geben  so  kräftige  Rahmen  ab,  daß  hier  gar  kein 
Bedürfnis  nach  Reliefabschlüssen  durch  Mausoleen,  Quellfelsen  oder  Korbsessel  hervor- 
tritt. Wenn  spätere  einzonige  Säulensarkophage  Sitzende,  wie  den  Gott  in  Kain  und 
Abels  Opfer  und  Hiob,  oder  Petrus  bei  der  Fuß  wasch  ung  und  Pilatus,  der  Symmetrie 
zulieb  gegenüberstellen,  so  stand  das  im  Belieben  der  Bildhauer;  der  Symmetrie  zulieb 
hat  unser  Künstler  die  beiden  Nacktbilder  beiderseits  des  Einzugs  angeordnet.  In 
dieser  symmetrischen  Anordnung  von  Sündenfall  und  Daniel,  wie  in  der  zentralen 
Stellung  der  Maiestas  und  des  Einzugs  vermag  ich  eine  mit  Überlegung  ordnende 
Hand  zu  erkennen.  Da  die  Szenenfolge  des  oberen  Frieses  wenn  auch  modifiziert,  so 
doch  ähnlich  an  anderen,  und  zwar  einzonigen  Säulensarkophagen  wiederkehrt,  so  bliebe 
noch  zu  fragen,  ob  diese  Szenenfolge  vielleicht  typisch  war,  bildliche  Überlieferung. 
In  den  zwei  Apostelszenen  möchte  ich  keine  Sinnbilder  sehen;  sie  gehören  zu  den 
anscheinend  zuerst  in  der  Skulptur  auftretenden  Neuschöpfungen.  Die  Christologie, 
will  sagen  die  Vorstellung  vom  Erlöser,  wurde  weiter  ausgebaut,  z.  B.  in  der  Maiestas; 
und  so  auch  in  Darstellungen  der  Gehilfen  des  Christus,  der  Apostel.1) 

')  de  Waal,  Sarkophag  des  Junius  Bassus  1900.  Dazu  Garr.  Taf.  322,  2.  —  Betreffend  An- 
ordnung nach  Symmetrie  vgl.  Meader,  Americ.  Journ.  Arch.  1900  137. 

11* 


164 


Plastik. 


Um  die  zwei  Sarkophage  dreht  sich  die  Diskussion  über  den  inneren  Zusammen- 
hang der  Szenen,  zunächst  an  zweizonigen  Stücken.  Es  ist  klar,  daß  der  Interpret  Ur- 
sache hat  zurückhaltend  vorzugehen. 

Nur  noch  wenige  Worte  zu  den  einzonigen  Sarkophagen.  Wo  sie  zu  innerem 
Zusammenhang  und  selbst  zur  Einheit  der  Darstellung  gelangen,  da  beruht  es  auf  der 
Entfaltung,  die  der  Kultus  des  Erlösers  und  seiner  Gehilfen  mit  der  Zeit  gewonnen  hat; 
dahinter  trat  die  Sache  selbst  mehr  und  mehr  zurück,  so  daß  die  immer  reicher  ent- 
wickelten und  immer  höher  gesteigerten  Vorstellungen  vom  Erlöser  und  seinem  Kreis, 
dieser  christliche  Heroenkultus,  schließlich  den  ganzen  verfügbaren  Raum  in  Anspruch 
nahm.  Was  da  zuletzt  geschildert  wird,  ist  ein  christlicher  Olymp,  auf  dem  die  Stelle 
des  Herrn  nun  der  Christus  einnimmt,  hier  immer  als  der  Erlöser  aus  dem  Tod  in 
das  ewige  Leben. 

An  den  einzonigen  Säulensarkophagen  läßt  sich  bemerken,  daß  dem  Mittelfeld 
gern  Bedeutung  verliehen  wird,  und  in  den  übrigen  das  Bedürfnis  nach  Symmetrie  sich 
hier  und  da  geltend  macht.  Als  Mittelszene  dient  naturgemäß  gern  der  Christus,  etwa 
in  der  Hahnszene,  oder  auf  dem  Berge  stehend,  zwischen  Petrusszenen  und  Pilatus.  Ein 
andermal  finden  wir  den  Christus  in  einer  symmetrischen  Gruppe  mit  Kain  und  Abel, 
als  Logos,  beiderseits  schließen  sich  Petrusszenen  an.  Statt  des  Christus  erscheint  sein 
Monogramm,  und  zwar  zwischen  „Passionsszenen".  Die  großen  „griechischen"  Sarko- 
phage, meist  mit  Toren  im  Hintergrund,  bringen  den  Christus  auf  dem  Berg  zwischen 
den  Aposteln.  In  Laubengängen  sehen  wir  als  Mittelstück  eine  Orante,  die  Hahn- 
szene, das  Monogramm.1) 

Die  Sarkophage  mit  dichtgedrängten  Szenen  reihen  diese  meist  willkürlich 
aneinander;  höchstens  stellen  sie  Abschlußszenen  wie  Lazarus  oder  Quellwunder  ans 
Ende  und  eine  bedeutendere  Figur  in  die  Mitte,  etwa  die  Verstorbene,  häufiger  eine 
Orantenfigur.  Daneben  kommt  es  auch  an  solchen  Sarkophagen  vor,  daß  der  Christus 
in  die  Mitte  tritt,  sei  es  in  der  beliebten  Hahnszene  oder  in  der  symmetrischen 
Speisensegnung;  mehr  Einheit  kommt  auch  hier  hinein,  indem  solche  Nebenszenen 
gewählt  werden,  welche  die  Person  des  Christus  angehen,  z.  B.  Einzug  und  Pilatusszene, 
oder  auf  der  einen  Seite  Szenen  aus  der  Kindheitsgeschichte,  auf  der  anderen  aus  der 
Legende  vom  Auferstandenen.  Der  Durchgang  durch  das  Rote  Meer  ist  die  einzige 
Szene,  die  das  Relief  in  seiner  ganzen  Ausdehnung  füllt.  Dasselbe  Ziel  erreichen 
wieder  die  Darstellungen  des  christlichen  Olymps  in  seiner  damaligen  Begrenzung  auf 
Christus  und  die  Apostel,  unter  Ausschluß  also  sowohl  des  Gottes  wie  der  Maria.  Für 
den  Christus  sehen  wir  auch  hier  das  Monogramm  eintreten.  Neben  den  Aposteln 
erscheinen  auch  ihre  Sinnbilder,  die  zwölf  Schafe.  Vereinzelt  bleibt  der  sitzende 
Christus  zwischen  den  Schafen  und  Böcken,  dargestellt  durch  Schafböcke  und  Ziegen- 
böcke. 2) 

*)  Hahnszene:  Garr.  Taf.  320,  1.  Berg:  335,  3.  4.  Logos:  310,  2.  Passionsszenen:  350,  1. 
Griechische  Sarkophage:  325—329.    Laubgänge:  370,  1.  319,  1.  350,2. 

2)  Verstorbene:  G  316,  1.  372,  2.  Orans:  368,  2.  369,  1.  376,  1.  2.  4.  379,  4.  380,  4.  382,  2. 
Hahnszene:  318,  1.  Speisensegnung:  312,  1.  313,  2.  Einzug:  334,  2.  Kindheitsgeschichte:  315,  5. 
Rotes  Meer:  309,  3.    Apostel:  304,  4.    Monogramm:  349,  4.  350,  3.  4.    Schafböcke:  304,  3. 


Zur  Stilkritik  und  Chronologie  der  christlichen  Sarkophage.  165 

Zur  Stilkritik  und  Chronologie  der 
christlichen  Sarkophage. 

In  den  beiden  vorstehenden  Abschnitten  nahmen  wir  die  Typik  der  Sarkophage 
und  ihres  Bilderschmucks  systematisch  durch.  Der  Tektonik  lag  noch  besonders  ob, 
den  innigen  Zusammenhang  der  christlich  antiken  Sarkophage  mit  den  heidnisch  antiken 
in  Erinnerung  zu  bringen;  die  Typik  der  Bilder  sollte  den  klassischen  Archäologen 
den  Weg  zur  Interpretation  des  Gegenständlichen  ebnen.  Beide  Abschnitte  indessen 
wollen  an  ihrem  Teile  zugleich  der  geschichtlichen  Erfassung  der  Antike  dienen;  der 
klassische  Archäologe,  auch  wo  er  systematisch  disponiert,  denkt  immer  historisch.  Nun 
aber  gilt  es,  den  geschichtlichen  Gesichtspunkt  in  den  Vordergrund  zu  rücken  und 
nach  Epochen  geordnet  vorzulegen,  was  sich  zur  Stilkritik  und  Chronologie  unserer 
Sarkophage  soweit  ergab  oder  sonst  noch  als  fördernd  herangezogen  werden  mag. 
Weiter  zu  gehen  und  etwa  eine  Geschichte  der  altchristlichen  Skulptur  zu  entwerfen, 
davon  kann  bei  dem  jetzigen  Stande  der  Forschung  noch  keine  Rede  sein. 

Die  andere  Frage  nach  den  örtlichen  Ursprüngen  der  Typen,  ob  aus  Klein- 
asien, Syrien  oder  Alexandrien,  ob  überhaupt  aus  dem  griechischen  Osten  oder  dem 
Abendland,  dem  hellenistischen  natürlich,  auch  diese  Frage  stellen  wir  immer  noch 
zurück;  sobald  die  Chronologie  der  Denkmäler  eine  sichere  Basis  gefunden  hat,  wird 
es  Zeit  sein,  auf  die  Ursprungsfragen  einzugehen.  Solches  Zurückstellen  ist  selbst- 
verständlich nicht  so  gemeint,  als  solle  man  gegenüber  den  Ursprungsfragen  einstweilen 
die  Augen  verschließen ;  vielmehr  ist  es  nötig,  schon  jetzt  zur  künftigen  Inangriffnahme 
des  Problems  Beobachtungen  zu  sammeln  und  Kriterien  zurechtzulegen. 

Italien  (außer  Ravenna). 

Die  Chronologie  der  altchristlichen  Sarkophage  möchte  man  klargestellt  wissen. 
Da  ist  nun  zu  bedauern,  daß  es  an  äußeren  Daten  nur  zu  sehr  gebricht.  Grab- 
schriften an  den  Steinsärgen  sind  nicht  gerade  häufig,  die  öfter  in  Relief  angebrachten 
Schrifttafeln  meist  leer,  so  daß  die  Vermutung  auftauchen  konnte,  die  Grabschrift  sei 
in  diesen  Fällen  ähnlich  wie  öfter  in  den  Katakomben  aufgemalt  gewesen  und  ver- 
buchen, vielleicht  aber  durch  geeignete  Reagentien  wieder  lesbar  zu  machen.  Die 
vorhandenen  Inschriften  geben  etwa  den  Namen  des  Verstorbenen,  seinen  Stand,  ein 
lobendes  Prädikat,  die  Hinterbliebenen  die  ihm,  oder  für  die  mit  er,  das  Grab  bereitet, 
dazu  den  Kalendertag  der  Deposition,  weil  dessen  Fixierung  maßgebend  blieb  für  das 
Jahrgedächtnis.  Nur  ganz  vereinzelt  werden  die  Konsuln  des  Sterbejahrs  genannt. 
Der  Knabe  Heraklitos  starb  238,  Marius  273  oder  276.  Flavius  Faustinus  wurde 
am  11.  August  353  deponiert,  der  Stadtpräfekt  Junius  Bassus  am  25.  August  359. 
Zwei  unter  Sankt  Peter  gefundene  Sarkophage  wurden  von  römischen  Archäologen 
auf  Sextus  Petronius  Probus  und  auf  Anicius  Hermogenianus  Olybrius  bezogen, 
von    denen    jener  zwischen    389    und    395    starb,    dieser    kurz    vor    410.      Aber    die 


166  Zur  Stilkritik  und  Chronologie  der  christlichen  Sarkophage. 

Zurückfuhrungen  sind  zu  unsicher,  um  stilkritischen  Bestimmungen  zugrunde  gelegt 
werden  zu  können.1) 

Die  Meinung  de  Rossis  ging  dahin,  daß  es  christliche  Sarkophage  schon  im 
ausgehenden  ersten  Jahrhundert  gegeben  haben  müsse;  beweisend  schienen  ihm  die 
Wandnischen  im  ältesten  Gang  des  Coem.  Domitillae,  die  nur  zur  Aufnahme  von 
Sarkophagen  bestimmt  sein  konnten.  Früh,  aus  dem  zweiten  Jahrhundert,  sei  der 
Riefelsarg  der  Livia  Primitiva  mit  Inschrift  und  ein  paar  Sinnbildern  in  Umrißlinien. 
Bis  zum  dritten  Jahrhundert  habe  man  nur  geriefelte  Sarkophage  gehabt,  von  figurierten 
nur  solche  mit  „neutralen"  Darstellungen,  worunter  Motive  heidnischer  Erfindung,  doch 
für  die  Christen  unanstößigen  Inhalts  verstanden  wurden,  Hirtenszenen  und  dergleichen; 
die  in  San  Callisto  gefundenen  Stücke  hielt  de  Rossi  nicht  für  heidnische,  von  den 
Mausoleen  der  Via  Appia  in  die  Lichtschachte  der  Katakomben  hinabgestürzte,  sondern 
für  christliche.  Von  den  Sarkophagen  mit  biblischen  Szenen  sei  vielleicht  der  Jonas- 
sarkophag Lat.  n.  119  G  307,  1  [Abb.  5]  vorkonstantinisch;  was  er  von  dergleichen 
sonst  in  San  Callisto  fand,  könne  er  nach  topographischen  Indizien  nicht  für  so  früh 
halten.  Der  kolossale  Deckel  aus  dem  Cubiculum  des  Bischofs  Miltiades  (oder  Melchiades, 
gestorben  314)  mit  Hirtenszenen  an  den  Eckakroterien  und  Masken  an  den  Stirnziegeln 
gehöre  vielleicht  zu  des  Bischofs  Sarg.  Die  spezifisch  christlichen  Sarkophage  mit 
biblischen  Szenen  stammten  aus  dem  vierten  und  fünften  Jahrhundert,  übrigens  nicht 
aus  den  Katakomben,  sondern  aus  den  Coemeterialbasiliken.2) 

Andere  glaubten,  die  Gesamtheit  der  christlichen  Sarkophage  in  das  vierte  Jahr- 
hundert schieben  zu  müssen.  Die  ältere  schiefe  Beurteilung  der  Christenverfolgungen 
ließ  die  Meinung  aufkommen,  vor  Konstantin  hätte  sich  eine  christliche  Skulptur  nicht 
hervorwagen  können. 

Johannes  Ficker  aber,  welcher  der  Beschreibung  eines  wichtigen  Sarkophags 
den  Versuch  einer  stilkritischen  Sichtung  anfügte,  glaubte  nur  methodisch  zu  verfahren, 
wenn  er  gegebene  Daten  als  Fixpunkte  zugrunde  legte.  Es  waren  die  von  zweien 
der  großen  Sarkophage,  des  Junius  Bassus,  gestorben  359  [Abb.  18],  und  des  einen 
aus  Sankt  Paul,  Lat.  n.  104,  G  365,  2  [Abb.  37],  hart  bei  der  Confessio  gefunden; 
nach  diesem  Befund  müsse  er  gelegentlich  des  Neubaues  der  Kirche  um  400  dort 
aufgestellt  worden  sein.  In  den  kurzen  Zeitraum  zwischen  359  und  400  drängt  Ficker 
die  Hauptmasse  der  römisch  christlichen  Sarkophage  zusammen.  Doch  läßt  er  eine 
Vorperiode  zu,  die  dann  etwa  die  erste  Hälfte  des  Jahrhunderts  füllen  würde.  In 
dieser  könnten  die  Sarkophage  mit  neutralen  Darstellungen  entstanden  sein;  zu  ihnen 
kamen  nur  einige  wenige  spezifisch  christliche  Figuren  und  Szenen,  Erstlinge  der 
christlichen  Typik  in  der  Skulptur.     Die  Reliefs   mit   geringer  Erhebung   läßt  Ficker 


*)  Grahschrift  aufgemalt:  de  Waal,  Sarkoph.  d.  Bassus  10,  1.  — Über  die  problematische 
Bedeutung  des  Wortes  depositio  vgl.  einstweilen  den  Artikel  in  Fr.  X.  Kraus'  Bealenzykl.  I  353. 
Die  Frage,  ob  depositio  den  Tod  oder  die  Beisetzung  bedeute,  das  Datum  der  Deposition  mithin 
den  Sterbe-  oder  den  Beisetzungstag,  können  wir  als  für  die  Datierung  der  Sarkophage  unerheb- 
lich hier  unerörtert  lassen.  —  Heraklitos  und  Marius:  de  Eossi,  Inscr.  christ.  I  13  und  19.  — 
Faustinus:  Lat.  n.  228.  Bassus:  de  Waal,  Sarkoph.  d  Bassus.  G  322,  2. — Über  die  genannten 
Anicier  vgl.  Seeck  bei  Pauly-Wissowa  I  Anicius  n.  45  und  46;  die  Sarkophage  sind  in  S.  Peter 
und  im  Louvre,  G  325.  324. 

*)  de  Bossi,  Borna  sott.  III  440.  —  Livia  Primitiva:  Bull,  crist.  1870,  59  Taf.  5.  G296,3. 
—  Miltiades:  Borna  sott.    IL  Taf.  23  die  Gruft,  G  347,  1  der  Deckel. 


Italien  (außer  Ravenna).  167 

vorangehen,  die  kräftiger  sich  erhebenden  nachfolgen;  eine  dritte  Gruppe  sei  durch  aus- 
giebige Verwendung  des  Bohrers  charakterisiert.  In  der  dann  folgenden  Hauptperiode? 
von  etwa  359  bis  400,  also  dem  Zeitraum  knapp  eines  halben  Jahrhunderts,  habe  sich 
die  Sarkophagbildnerei  rein  christlichen  Charakters  voll  entfaltet.  Die  Reliefs  dieser 
Blüte  christlicher  Skulptur  tragen  nicht  alle  denselben  Charakter,  vielmehr  lassen 
sich  verschiedene  Werkstätten  unterscheiden.  Die  ersten  Anfänge  einer  „vatikanischen" 
Klasse  scheint  Ficker  denn  doch  in  frühere  Zeit  zu  setzen.  Zu  ihren  frühesten  Schöp- 
fungen zählt  er  den  Jonassarkophag  Lat.  n.  119,  der,  in  seiner  ganzen  Komposition 
und  Auffassung  fast  ohne  Analogie,  doch  aus  technischen  und  andern  Gesichtspunkten 
mehreres  an  sich  zieht,  darunter  die  besten  Beispiele  der  Sarkophagkunst  im  Lateran. 
Die  Masse  aber  verbleibt  der  Spätzeit  des  Jahrhunderts.  Einige  Stücke  gruppieren 
sich  um  den  Bassussarkophag,  wie  auch  sonst  noch  allerlei  Gruppen  sich  absondern, 
die  mit  gereihten  Säulen  oder  Bäumen,  wieder  andere  mit  Mauern  und  Zinnen ;  die 
vorausgenannten  haben  hohes  Relief,  die  letzteren  flaches.  —  Die  „kallistische"  Klasse 
bilden  die  Denkmäler  aus  der  Kaliistkatakombe  und  deren  Umgebung;  es  ist  die 
numerisch  bedeutendere,  die  meisten  Sarkophage  der  letzten  Zeit  lassen  sich  auf  sie 
zurückführen.  Auch  in  dieser  Klasse  werden  Gruppen  unterschieden,  deren  eine  den 
erwähnten  Sarg  aus  Sankt  Paul  Lat.  n.  104  zum  Mittelpunkte  hat;  die  Exemplare 
entbehrten  der  Bohrerarbeit.  Aber  es  finde  eine  Einwirkung  der  Werkstätten  auf- 
einander statt;  eine  ganze  Reihe  von  Sarkophagen,  die  nach  Komposition  und  Technik 
der  kallistischen  Gruppe  zugehören,  zeigt  deutliche  Einflüsse  seitens  der  vatikanischen 
mit  ihren  vollständig  herausgearbeiteten  Figuren.  Gewisse  zweizonige  Sarkophage,  wie 
Lat.  n.  55  G  358,  3  [Abb.  14]  hängen  mit  San  Callisto  zusammen,  aber  für  ihre 
Ausführung  ist  die  vatikanische  Weise  besonders  maßgebend  gewesen. 

Verdienstlich  wäre  Fickers  Hinweis  auf  die  datierten  Reliefs  am  Konstantinbogen 
(nämlich  auf  die  echt  konstantinischen  an  den  unteren  Teilen),  wenn  er  nicht  im  selben 
Augenblick  auf  ihre  stilkritische  Verwertung  verzichtete.  Da  der  laut  Inschrift  359 
gearbeitete  Bassussarkophag  stilistisch  auf  weit  höherer  Stufe  stehe  als  die  um  Jahr- 
zehnte älteren  konstantinischen  Reliefs,  so  könne  von  einheitlichem  Charakter  und 
einheitlicher  Entwicklung  der  altchristlichen  Skulptur  in  Rom  nicht  die  Rede  sein. 
Das  heißt  aber  so  ungefähr  auf  die  Anwendung  der  stilkritischen  Methoden  verzichten. 
Dazu  nun  werden  wir  uns  nicht  entschließen;  allerdings  ist  der  Fall  kompliziert,  wir 
kommen  darauf  zurück.1) 

Die  ältere  Meinung,  von  vorkonstantinischem  Ursprung  der  christlich  antiken 
Sarkophagskulptur,  aber  behauptete  sich.  Marucchi  schrieb  den  von  ihm  aus  seiner 
Verborgenheit  in  einer  suburbanen  Villa  an  der  Via  Salaria  hervorgezogenen  Sarkophag 
Lat.  M  n.  181  [Abb.  2]  dem  dritten  oder  auch  zweiten  Jahrhundert  zu.  Wilpert 
setzte  den  Travertinsarg  der  Euelpiste  in  Priscilla  in  den  Anfang  des  zweiten  Jahr- 
hunderts, die  Sarkophage  der  Livia  Primitiva  und  des  Sohnes  von  Saturninus  und 
Musa  (G  296,  3.  1)  in  die  Antoninenzeit.  Schon  1901  durfte  Aloys  Riegl  sagen, 
daß  auf  Grund  des  Sarkophags  von  Via  Salaria  es  schon  seit  Jahren  allerseits  zu- 
gegeben sei,  christliche  Sarkophage  habe  es  vor  Konstantin  gegeben;  zugleich  be- 
zeichnete   er    die    Beisetzung   des  Junius  Bassus   im  Jahre   359    als    sicher   sekundäre 

*)  Joh.  Ficker,  Altchristi.  Bildwerke  1890,  44  zu  n.  104.  —  Gegen  die  Annahme  einer 
vatikanischen  Bildhauerschule  sprach  sich,  wegen  der  zu  großen  Verschiedenheiten  zwischen  den 
vatikanischen  Sarkophagen,  Graeven  aus,  Gott,  gelehrte  Anzeigen  1901,  80. 


168  Zur  Stilkritik  und  Chronologie  der  christlichen  Sarkophage. 

Verwendung  des  Sarkophags.  Weis-Liebersdorf  wollte  ihn  bis  in  die  Antoninenzeit 
zurückschieben,  und  Strzygowski  stimmte  ihm  bei.1) 

Die  Wiederverwendung  des  Bassussarkophags  erkannte  auch  Wittig  an,  als  er 
die  von  de  Waal  im  deutschen  Campo  santo  gesammelten  altchristlichen  Skulpturen 
neuerdings  herausgab;  zugleich  lehnte  er  die  Datierung  des  Sarkophags  aus  S.  Paul 
Lat.  n.  104  nach  dem  Umbau  der  Kirche  gegen  400  ab;  er  könne  den  Platz  schon 
beim  konstantinischen  Bau  erhalten  haben.  Zugleich  suchte  Wittig  mit  der  Vergleichung 
der  Reliefs  vom  Konstantinsbogen  Ernst  zu  machen;  er  erhob  sie  zu  einem  Markstein 
in  der  Stilgeschichte,  der  die  einheitlich  sich  entwickelnde  Geschichte  der  altchristlichen 
Sarkophage  in  eine  vor-  und  eine  nachkonstantinische  Periode  zerlege.  Wittig  also 
akzeptiert  das  frühe  Datum  des  Euelpistesarkophags,  dem  er  den  Jonassarkophag  Lat. 
n.  119  mit  seiner  freien  malerischen  Komposition  gleichzeitig  setzt. 

Nach  dem  geringeren  oder  größeren  Reichtum  der  skulpturellen  Ausstattung 
unterscheidet  er  Klassen,  eine  ärmere  der  geriefelten  Steinsärge  und  eine  reichere. 
Innerhalb  dieser  reicheren  Klasse  nun  sucht  Wittig  Entwicklungsstufen  aufzuzeigen, 
die  in  ihren  nach  der  Mode  wechselnden  Verzierungsweisen  gegeben  seien.  Die  Säulen- 
sarkophage (die  er  vom  Urbilde  der  römischen  Theaterszene  abzuleiten  vorschlägt) 
setzt  er  in  die  vorkonstantinische  Zeit;  glänzendste  Vertreter  der  Art  in  Rom  seien 
der  des  Bassus  und  Lat.  n.  174  (G  322,  2.  323,  4  [Abb.  18.  19]).  An  dieser  Stelle 
nun  greift  der  in  den  konstantinischen  Reliefs  gegebene  Markstein  ein,  alles  Weitere 
ist  konstantinisch  oder  nachkonstantinisch.  Aus  dem  Säulenmotiv  entwickelte  sich 
zunächst  das  Zinnen-  und  das  damit  zusammenhängende  Mauermotiv  (vielmehr  Tormotiv); 
jenes  erscheint  zuerst  an  den  Nebenseiten  eines  Mantuaner  Säulensarkophags,  an  dessen 
Deckel  das  konstantinische  Christusmonogramm  steht  (G  320,  3.  321,  1.  2).  Da  alle 
Exemplare  mit  „Stadtmauern"  gleichen  Stil  zeigten,  so  seien  sie  alle  in  kurzem  Zeit- 
raum, also  wesentlich  in  Konstantins  Zeit  entstanden.  Eine  folgende  Entwicklungsreihe 
lässt  er  mit  den  Palmbäumen  anheben,  zwischen  denen  öfter  die  Hauptpersonen  stehen 
(so  an  Lat.  n.  106  G  331,  2)  und  in  die  Ölbaumreihen  auslaufen,  deren  sich  berührende 
Kronen  über  den  Figuren  und  Szenen  Laubbögen  bilden,  im  Umriß  sich  deckend  mit 
den  Arkaden  krönenden  Giebeln  und  Bögen  (Lat.  n.  164  G  350,  2  [Abb.  34]).  End- 
lich, durch  immer  neue  Ubergangsformen  vermittelt,  die  letzte  Gattung  mit  ungetrennten 
Szenen  und  dichtgedrängten  Figuren;  sie  müßte  abhängig  sein  von  den  gleichartigen 
konstantinischen  Reliefs.  Nur  an  den  besseren  Exemplaren  sind  die  Szenen  einiger- 
maßen auseinander  gehalten,  wie  an  den  beiden  von  S.  Paul  und  dem  von  San  Sebastiano 
(Lat.  n.  55.  104.  178  G  358,  3.  365,  2.  367,  3).  Die  Gattung  hatte  Bestand  von 
Konstantin  bis  zum  Einbruch  der  Westgoten  unter  Alarich  410.  Das  war  das  Ende 
der  römischen  Sarkophagkunst.  Weitere  Bildungen,  unter  ravennatischen  Einflüssen, 
traten  im  fünften  und  sechsten  Jahrhundert  auf;  die  menschlichen  Gestalten  schwanden 
mehr  und  mehr  aus  der  Bildfläche,  das  Ornament  ward  alleinherrschend.  Wittigs 
Skizze  hat  darauf  verzichtet,  diesen  Prozeß  an  Hand  der  Denkmäler  nachzuweisen, 
wie  er  auch  die  erschöpfende  Darlegung  des  ganzen  Entwicklungsganges  den  Kunst- 
historikern überläßt.    Dieser  Entwicklungsgang  freilich  ist  besonders  in  den  Übergängen 

1)  Marucchi,  Accad.  di  archeol.  crist.  3.  Aprile  1881;  Guida  del  Museo  crist.  lateran.  1898 
n.  181.  —  Wilpert,  Fractio  panis  1895,  87  Euelpiste;  83,  3  Primitiva  und  Saturninus.  —  Eiegl, 
Spätröm.  Kunstindustrie  I  1901  94.—  Weis-Liebersdorf,  Christus-  und  Apostelbilder  1902  8,  3. 
16.  89.  —  Strzygowski,  Münch.  Allg.  Zeitung,  Beilage  19.  1.  1903. 


Italien  (außer  Ravenna).  169 

oft  gekünstelt  und  im  ganzen  gesucht;  die  stilgeschichtlichen  Anschauungen  aber 
enthalten  manches  Wahre.1) 

Wenn  wir  nun  unsererseits,  als  klassische  Archäologen,  zu  dem  Problem  Stellung 
nehmen  sollen,  so  befinden  wir  uns  in  einiger  Verlegenheit.  Wir  möchten  die  alt- 
christliche Kunst,  als  christliche  Antike,  in  den  Rahmen  der  Gesamtantike  einfügen, 
das  heißt  aber,  praktisch  genommen,  in  Rahmen  und  Fach  werke  der  heidnischen 
Antike.  Leider  aber  ist  die  Stilgeschichte  der  Kaiserzeit,  vollends  der  späteren,  noch 
nicht  genügend  ausgebaut.  Nicht  allein,  daß  es  für  große  Zeiträume  an  datierten 
Denkmälern  fehlt,  sondern  auch  von  den  in  Denkmälern  greifbaren  Perioden  ist  unser 
Wissen  noch  recht  fragmentarisch  und  vag.  Den  eigentümlichen  Stil  der  augusteischen 
Skulptur  hat  man  zu  definieren  gesucht,  Geistvolles,  freilich  auch  Widersprechendes, 
wurde  über  die  Kunst  der  Flavier  gesagt,  wir  reden  auch  von  trajanischem,  hadrianischem, 
antoninischem  und,  selten  genug,  auch  einmal  von  spätantikem  Stil,  aber  hat  man  das 
Werk  auch  nur  einer  dieser  Epochen  erschöpfend  gesammelt  und  stilkritisch  durch- 
gearbeitet herausgegeben?  Und  solche  Bearbeitungen  der  Einzelepochen  wären  doch 
nur  Bausteine,  mit  deren  Hilfe  die  Stilgeschichte  der  Kaiserzeit  dann  erst  auf- 
geführt werden  müßte.  Solange  diese  Arbeit  nicht  getan  ist,  bleibt  die  Stilkritik  der 
christlichen  Antike  ein  Bau  in  die  Luft.  Immerhin  muß  versucht  werden,  was  bei 
der  gegenwärtigen  Sachlage  möglich  ist.  Wenigstens  muß  sammelnd  und  sichtend 
vorgearbeitet  werden;  vielleicht  hilft  es  auch  rückwirkend  zur  Belebung  der  Forschung 
auf  dem  Gebiet  der  heidnischantiken  Skulptur.2) 

Die  nächste  Aufgabe  geht  dahin,  das  zeitliche  Verhältnis  der  christlichen 
Sarkophage  zu  den  heidnischen  zu  ermitteln,  die  etwa  sich  ergebenden  vorkonstantinischen 
in  die  heidnische  Reihe  einzugliedern  und  die  nachkonstantinischen  ihrerseits  stil- 
geschichtlich zu  ordnen. 

Die  heidnischen  Sarkophage  der  Kaiserzeit  haben  früh  die  Augen  der 
Archäologen  auf  sich  gezogen;  unser  archäologisches  Institut  hat  ihnen  eine  Publikation 
gewidmet,  von  der  bereits  drei  Bände  vorliegen,  leider  noch  nicht  der  erste.  Es  wird 
eines  der  großen  Denkmäler  deutscher  archäologischer  Arbeit  sein,  in  vieler  Beziehung 
abschließend,  darüber  hinaus  aber  Grundlage  für  weitere,  in  ihrer  Ergiebigkeit  noch 
nicht  zu  übersehende  Forschung. 

Für  Otto  Jahn,  den  Urheber  des  Plans,  handelte  es  sich  vor  allem  darum,  die 
für  die  Sagengeschichte  wichtigen  Sarkophagreliefs  kritisch  zu  sammeln.  Damit  ver- 
band sich  ohne  weiteres  der  andere  Gesichtspunkt,  sie  als  zwar  späte  und  sekundäre, 
immerhin  aber  sehr  erwünschte  Hilfsmittel  zur  Rekonstruktion  der  zugrunde  gegangenen 
Heroendarstellungen  aus  der  klassischen  Malerei  und  Plastik  zu  betrachten.  Die 
Institutspublikation  gibt  daher  wohl  die  ganzen  Sarkophage,    aber   geordnet  nach  den 


*)  Witt  ig,  Die  altchristl.  Skulpturen  im  Museum  d.  deutschen  Nationalstiftung  am  Campo 
Santo  in  Rom  1906.  Wer  die  Einleitung  Wittigs  benutzt,  wird  gewahr  werden,  daß  die  An- 
merkungen zu  Seite  18.  19  beim  Druck  in  Unordnung  geraten  sind;  S.  18  Anm.  5  sollte  Anm.  1 
sein;  S.  19  Anm.  1  gehört  zu  Zeile  1;  Anm.  2  zu  Zeile  10  usf.    Das  Zitat  zu  Rom  ist  ausgefallen. 

2)  Ein  paar  Anläufe  in  der  Richtung  auf  eine  Stilgeschichte  zunächst  der  heidnischen 
Skulptur  in  der  Kaiserzeit  mögen  hier  verzeichnet  sein.  A.  Hekler,  Römische  weibliche  Gewand- 
statuen (in  den  Münchner  archäol.  Studien  109)  1906,  verfolgt  die  weiblichen  Gewandstatuen 
chronologisch  bis  ins  vierte  Jahrhundert,  wo  die  Reihe  erlischt.  —  Mrs.  Arthur  Strong,  Roman 
sculpture  from  Augustus  to  Constantine,  London  1907,  mit  130  Tafeln. 


170  Zur  Stilkritik  und  Chronologie  der  christlichen  Sarkophage. 

in  den  Reliefs  dargestellten  Mythen;  erst  in  zweiter  Linie  werden  Tektonik  und  Stil- 
geschichte berücksichtigt. 

Inzwischen  hat  der  Herausgeber,  ganz  in  Anspruch  genommen  durch  das  wie 
angedeutet  disponierte  Korpus  der  Reliefs,  die  Bearbeitung  des  rein  Formalen  der 
Sarkophage,  getrennt  vom  Gegenständlichen  der  Darstellung,  einem  langjährigen  Hilfs- 
und Mitarbeiter  übertragen,  der  alsbald  die  Grundlinien  einer  Tektonik  und  Ornamentik 
der  Sarkophage  mit  kundiger  Hand  entwarf;  bereits  oben,  in  dem  Abschnitt  über  die 
Tektonik  der  Sarkophage,  machten  wir  davon  Gebrauch.  So  wertvoll  das  Büchlein  uns 
ist,  so  können  wir  es  doch  nur  als  eine  Abschlagszahlung  annehmen  auf  das  uns  ge- 
schuldete Ganze,  das  ist  eine  das  Material  erschöpfende  Geschichte  der  Sarkophage, 
insbesondere  derjenigen  der  Kaiserzeit;  sie  müßte  reich  illustriert  sein,  natürlich  aus- 
schließlich mit  photomechanisch  hergestellten  Abbildungen,  wie  sie  die  Stilkritik  heute 
verlangt.  Ansätze  und  Vorarbeiten  sind  bereits  vorhanden;  schon  Robert  hat  im 
Text  der  „Antiken  Sarkophagreliefs"  die  einzelnen  Stücke  tunlichst  datiert,  und 
Altmann  gab  seiner  in  jeder  Zeile  vom  historischen  Geiste  getragenen  „Architektur 
und  Ornamentik"  ein  Schlußkapitel  mit  „Zur  Datierung  der  Sarkophagtypen."1) 

Noch  ein  die  Zeitbestimmung  erschwerender  Umstand  will  erwähnt  sein.  Man 
muß  im  Auge  behalten,  daß  es  sich  bei  den  Sarkophagen  um  Handwerksarbeit 
handelt,  um  eine  durch  Jahrhunderte  fortgesetzte  Handwerkstradition.  Allerdings  will 
die  Prägung  der  Sarkophagtypen  und  die  Herstellung  besserer  Stücke  als  Kunst- 
schöpfung aufgefaßt  sein  (eine  scharfe  Grenze  zwischen  Handwerk  und  Kunst  besteht  ohne- 
hin nicht;  die  Handwerksarbeit  kann  sich  in  jedem  einzelnen  Falle  zur  Höhe  künstlerischen 
Schaffens  erheben,  umgekehrt  sinkt  Massenarbeit  im  Künstleratelier  unweigerlich  auf 
die  Stufe  des  gemeinen  Handwerks  herab),  aber  die  große  Mehrzahl  der  christlichen 
Sarkophage  bleibt  im  Geleise  des  Handwerklichen.  Nicht  daß  im  buchstäblichen  Sinne 
Schablonenarbeit  gemacht  wäre  (das  gab  es  im  Altertum  höchstens,  und  auch  da  nicht 
immer,  wo  eine  Prägetechnik  dazu  verführte),  jedes  Stück  ist  neu  komponiert;  dennoch 
sind  es  bildliche  Typen,  die  da  von  Geschlecht  zu  Geschlecht  sich  überlieferten,  ohne 
unter  den  wechselnden  Händen  sich  viel  zu  ändern.  Noch  mehr.  Vor  manchen 
Stücken  schwankt  das  Urteil,  ob  sie  als  früh  oder  als  spät  anzusprechen  seien;  ein 
starker  Rest  plastischer  Gestaltung  scheint  in  Widerspruch  zu  stehen  mit  Anzeichen 
späterer,  schlechterer  Arbeit.  Man  kommt  dann  auf  den  Gedanken,  daß  da  ältere 
Vorbilder  von  später  Hand  kopiert  seien,  immer  mehr  oder  weniger  frei,  und  immer 
im  Stil  der  Ausführungszeit.  Schon  wegen  dieser  Komplikation  wäre  es  verfrüht,  jetzt 
das  ganze  Material  stilkritisch  aufarbeiten  zu  wollen.  Wir  werden  uns  begnügen 
müssen,  markante  Stücke  herauszuheben,  um  nur  erst  einige  Richtpunkte  für  die  Zeit- 
bestimmung zu  gewinnen. 

x)  Carl  Eobert,  Die  antiken  Sarkophagreliefs  II  Mythologische  Cyklen,  Berlin  1890; 
III  Einzelmythen  i  1897;  n  1904.  —  "Walter  Altmann,  Architektur  und  Ornamentik  der  antiken 
Sarkophage  1902.  —  Wäre  zu  Otto  Jahns  Zeiten  die  Stilkritik  schon  ausgebildeter  und  in  sich 
gefestigter  gewesen,  als  es  tatsächlich  der  Fall  war,  so  hätte  er  ein  Korpus  der  Sarkophage  wohl 
selbst  vorgezogen,  geordnet  nach  deren  Klassen  und  Zeiten,  und  hätte  damit  die  zuverlässigste 
Grundlage  für  ihre  Verwertung,  nicht  bloß  zugunsten  der  Sagengeschichte,  zu  legen  geglaubt.  Da- 
durch wäre  z.  B.  das  in  Altmanns  Vorwort  berührte  Mißliche  wohl  vermieden  worden.  Nun  es 
anders  kommen  mußte,  sind  wir  auch  für  das  Gebotene  dankbar,  hoffen  aber  auf  seine  Ergänzung 
in  der  oben  angedeuteten  Weise  und  mit  Einbeziehung  auch  der  christlichen  Sarkophage.  Unsere 
Studie  will  nur  als  Eisbrecher  wirken. 


Italien  (außer  Kavenna).  171 

Erschwerend  wirkt  bei  einer  Anzahl  von  Sarkophagen  noch  ihr  unfertiger 
Zustand  mit;  das  ergibt  Verhältnisse,  die  nicht  immer  richtig  beurteilt  werden.  Das 
Studium  der  Originale  läßt  erkennen,  daß  die  Figuren  zuerst  mit  dem  Meißel  angelegt 
wurden;  dann  trat  der  Bohrer  in  Funktion,  teils  stehend,  teils  laufend;  zuletzt  mochten 
dann  die  Bohrlöcher  mit  dem  Meißel  nachgearbeitet  werden.  Nun  gibt  es  Sarkophage, 
die  faßt  ausschließlich  mit  dem  Meißel  gearbeitet  sind;  es  war  nicht  richtig,  aus  ihnen 
eine  besondere  Klasse  „ohne  Bohrerarbeit"  zu  bilden,  sie  sind  bloß  unfertig.1) 

Die  Forderung  „absoluter  Chronologie"  kann  wegen  Mangels  an  ausreichendem 
Vergleichsmaterial  noch  nicht  erfüllt  werden;  wir  werden  für  jetzt  bei  der  „relativen 
Chronologie"  stehen  bleiben  müssen.  Und  vermögen  wir  auch  in  diesem  beschränkteren 
Sinne  eine  klar  verlaufende  Entwicklungsreihe  noch  nicht  aufzustellen,  so  fordert  es 
doch,  wenigstens  solche  Kriterien  herauszuholen,  wie  sie  einst  zum  Aufbau  der  Ent- 
wicklungsgeschichte verhelfen  werden. 


Auf  die  frühere  Kaiserzeit  zurückzugreifen  geben  die  christlichen  Sarkophage 
bis  jetzt  kaum  Anlaß;  vielleicht  dient  es  aber  dem  besseren  Verständnis,  auch  der 
älteren  Typen  hier  kurz  zu  gedenken.  Dem  ersten  Jahrhundert  gehört  die  Klasse  der 
Girlandensarkophage  an,  die  Girlanden  hingen  anfangs  an  Stierschädeln,  seit  50 
werden  sie  von  Eroten  und  Niken  getragen;  über  den  Girlanden  fand  sich  Raum  für 
die  bereits  eingeführten  heroischen  Szenen.  Im  Anfang  des  zweiten  Jahrhunderts  fiel 
die  Girlande  fort,  übrigens  nicht  für  alle  Zeit;  dafür  erschien,  zunächst  am  Deckel, 
der  Titulus,  die  Inschrift tafel  oder  ein  von  Eroten  gehaltener  Rundschild  (Clipeus), 
statt  dessen  auch  eine  runde  Muschelschale,  von  Meerwesen  gehalten.  Von  da  aber 
beginnt  die  lange  und  zusammenhängende  Reihe  der  Sarkophage  mit  mythischen 
Szenen,  die  sich  bis  in  das  vierte  Jahrhundert  fortsetzt;  die  ältesten  Exemplare, 
stadtrömische,  sind  die  ursprünglichsten,  schlichte  Kasten  ohne  künstlerischen  Rahmen, 
mit  charakteristischer  Darstellung  der  Sagen. 

Im  Verlauf  der  Untersuchung  wird  man  bemerken,  daß  die  Haupttypen  der 
christlichen  Sarkophage  von  der  früheren,  heidnischen  Kunst  geschaffen  sind;  der  Kunst 
des  vierten  Jahrhunderts  blieb  nur  übrig,  einiges  zu  modifizieren. 

Bei  der  Datierung  der  heidnischen  Sarkophage  helfen  bisweilen  die  in  verschiedener 
Weise  an  ihnen  angebrachten  Porträts  vermöge  der  wechselnden  Moden  insbesondere 
der  Haartracht.  Die  Kaisermünzen  bleiben  immer  die  sichere  Grundlage,  auf  der 
die  chronologische  Bestimmung  der  Büsten  und  Statuen  sich  aufbauen  muß  (auf  die 
dargestellten  Personen  selbst  kommt  es  hier  nicht  an).  Abgesehen  von  den  in  allen 
Museen  vorkommenden  mehr  oder  minder  zahlreich  vertretenen  Einzelstücken  steht 
eine  zeitlich  geordnete  Büstenreihe  in  den  Gängen  der  Uffizien,  eine  Sondersammlung 
von  Frauenbüsten  besitzt  das  Antiquarium  in  den  Diokletiansthermen.  Bis  Trajan 
gingen  die  Herren  rasiert,  Hadrian  ließ  den  Bart  wieder  stehen.  Jene  Christen,  die 
sich  in  skulpierten  Marmorsärgen  begraben  ließen,  gehörten  den  Kreisen  an,  welche  im 
großen  und  ganzen  mit  der  Mode  Schritt  halten.2) 


*)  Das  sagte  bereits  Riegl,  Spätröm.  Kunstindustrie  I  84,  1. 

*)  Kaiserbilder:  H.  Cohen,  Me"dailles  imperiales8.  E.  Stuart  Poole,  Roman  medaillons  in 
the  British  Museum  1874.  Bernoulli,  Römische  Ikonographie  II.  Imhoof -Blumer,  Porträtköpfe 
auf  römischen  Münzen  *1904. 


172  Zur  Stilkritik  und  Chronologie  der  christlichen  Sarkophage. 

Mit  dem  Beginn  der  Antoninenzeit  (138)  dürfen  wir  schon  aufmerksamer 
werden,  die  Wahrscheinlichkeit,  christlichen  Sarkophagen  zu  begegnen,  wächst. 

Die  Kaiserköpfe  von  Aelius  Verus  bis  etwa  Geta  haben  dichtes  krauses  Haar, 
das  sich  breit  über  den  Kopf  legt,  dazu  Vollbart;  der  obere  Teil  des  Backenbartes, 
zwischen  Mund  und  Ohr,  hebt  sich  vom  unteren  mehr  oder  weniger  ab.  —  Die  ältere 
Faustina,  Gemahlin  des  Antoninus  Pius,  schon  141  gestorben,  flocht  den  Schopf, 
führte  ihn  am  Hinterkopf  hinauf  und  rollte  das  Ende  auf  dem  Scheitel  in  zwei  auf- 
einanderliegende  längliche  Ringe.  —  Anders  die  jüngere  Faustina,  Gattin  Marc 
Aureis  von  146  bis  175.  Sie  schiebt  wohl  einmal  das  Zopfnest  an  den  Hinterkopf 
zurück,  meist  aber  bis  an  den  Nacken  hinab;  fast  ausnahmslos  bedeckt  das  Haar  die 
Ohren.  Ahnlich  ihre  Tochter  Lucilla.  Ein  Nest  am  Hinterkopf,  das  Haar  meist 
über  die  Ohren  gehend,  trägt  Crispina,  des  Commodus  Frau.1) 

In  der  Antoninenzeit  treten  eigenartige  Sarkophagtypen  auf,  abgesehen  von  den 
griechischen  Erotensarkophagen  die  ebenfalls  griechischen  (nach  Altmann  wahrschein- 
lich athenischen)  Prachtsärge,  im  Gegensatz  zu  den  schlichten  stadtrömischen  aus- 
gezeichnet durch  reichen  Schmuck,  verzierten  Sockel  und  Sims;  die  an  allen  vier  Seiten 
sich  herumziehenden  Heroenszenen  streben  weniger  nach  charakteristischer  Darstellung 
als  nach  formaler  Schönheit,  unter  Beschränkung  auf  wenige  Figuren  in  reichlichem 
Feld.  An  dem  Hippolytossarkophag  in  Konstantinopel  (Rob.  III  II  n.  151)  ähnelt  der 
Kopf  des  Heros  dem  Antinous,  wonach  der  Sarg  in  die  frühe  Antoninenzeit  gesetzt 
wird;  dem  Ansatz  widersprechen  nicht  die  unter  sich  allerdings  verschiedenen  Frauen- 
frisuren, bei  der  Amme  das  die  Ohren  bedeckende  Haar,  bei  der  ersten  Dienerin  das 
tiefsitzende  Knäufchen,  bei  der  zweiten  der  nach  dem  Wirbel  hinaufgenommene  Schopf. 
—  Von  den  griechischen  Prachtsärgen  sondert  sich  eine  Familie  aus  mit  Eckkaryatiden 
auf  Sockelchen,  an  denen  Tiere  oder  Girlanden  gemeißelt  sind;  in  allerlei  Spielarten 
werden  die  Karyatiden  auch  durch  Eckpfeiler  ersetzt  (Rob.  II  n.  20.  21.  138),  auch 
durch  Eckbäume.  —  Wiederum  nur  eine  Sondergruppe  der  griechischen  bilden  die 
unter  dem  Namen  der  „griechisch-römischen"  gehenden  Sarkophage;  mit  dem  archi- 
tektonischen Aufbau  der  griechischen  verbinden  sie  die  römische  Behandlung  der 
figürlichen  Szenen,  wären  daher  richtiger  als  „römischgriechische"  zu  bezeichnen. 
Am  Hippolytossarkophag  von  Girgenti  (Rob.  III  II  n.  152)  beginnen  Hintergrunds- 
köpfe sich  zu  zeigen.  —  Eine  Gruppe  der  römischgriechischen  Sarkophage  begnügt 
sich  mit  sparsamer  Ornamentierung.  Das  Reliefbild  behält  für  Komposition,  Proportion 
und  Bewegung  die  klassische  Weise  bei,  unterscheidet  aber  mehrere  Gründe.  Die 
Vordergrundfiguren  gibt  es  in  Vollrelief,  fast  gelöst  vom  Grunde,  wie  es  ähnlich  die 
Marcussäule  tut;  die  Mittel-  und  Hintergrundsfiguren  (nur  ihre  Köpfe  bleiben  sichtbar), 
jene  noch  vollrund,  diese  nur  ganz  flache  Profilgesichter,  verdecken  den  Reliefgrund 
fast  völlig.  Bestes  Beispiel  ist  der  Hippolytossarkophag  zu  Arles.  —  Die  stadt- 
römische Klasse  zeigt  neben  unklassisch  gesuchter  Unordnung  in  der  Gruppierung, 
die  selbst  den  Schein  symmetrischen  Aufbaues  vermeidet,  bereits  Neigung,  die  Falten 
schematisch  und  furchenartig  zu  bilden  (Rob.  III  II  n.  161.  164  [von  der  gleichen 
Hand  wie  III  i  20].  170.  198).  —  Es   treten,   nach    Altmann,   nun  auch    die    stolzen 

x)  Aelius:  Poole  6  Taf.  7,  1.  Bernoulli  II  n  134  Taf.  42.  43.  Münztafel  4,  1—3.  — 
Faustina  sen.:  Poole  12  Taf.  15—17.  Bernoulli  154  Taf.  46.  47.  Münzt.  4,  8—10.  —  Faustina  jun.: 
Poole  16  Taf.  23—24.  Bernoulli  189.  Münzt.  4,  19—21.  5,  1—3.  —  Lucilla:  Bern.  221.  Münz- 
tafel 5.  —  Crispina:  Bern.  245.    Münzt.  5. 


Italien  (außer  Ravenna).  173 

Säulensarkophage  auf,  sowohl  die  mit  Tabernakeln,  als  auch  die  mit  schlichten 
Kolonnaden;  die  Ursprungszeit  der  erhaltenen  Exemplare  bleibt  festzustellen.  —  Eben- 
falls die  Riefelsärge  (baccellati) ;  der  in  Palazzo  Farnese,  gen.  Sarg  der  Cäcilia  Metella, 
gilt  als  der  älteste.  Wenn  diese  Ansetzung  der  Riefelsärge  sich  bestätigt,  so  können 
die  christlichen  Exemplare,  wie  derjenige  der  Livia  Primitiva,  nicht  älter  sein.1) 

Seit  Marc  Aurel  macht  sich  der  Niedergang  der  Skulptur  bemerkbar.  Von 
schematischer  und  furchenartiger  Faltenbildung  war  bereits  die  Rede.  Vielleicht  hängt 
dies  schon  mit  der  zunehmenden  Bohrerarbeit  zusammen.  Der  Bohrer,  einst  der 
brauchbare  Gehilfe  des  Bildhauers,  wird  allmählich  sein  Tyrann,  und  mit  der  Zeit  sein 
Schicksal.  Die  Haarmassen  erscheinen  gerade  in  der  Antoninenzeit  wie  große  löcherige 
Schwämme,  Löcher  und  Furchen  beginnen  die  Schatten  zu  markieren. 

Auch  wurde  es  beliebt,  dem  Heros  oder  der  Heroine  der  mythischen  Szene  die 
Züge  der  im  Sarg  beigesetzten  Person  zu  geben.  Auf  ein  Jahrzehnt  genau  datiert  ist 
der  Sarkophag  des  C.  Junius  Euhodus  und  seiner  Frau  MetiliaActe  [Abb.  1].  Euhodus- 
Admet  ist  ein  typischer  Antoninenkopf,  der  Bart  wird  schon  spitzer,  den  des  L.  Verus 
vorbereitend.  Acte-Alkestis  (ebenso  die  herbeieilende  Mutter)  trägt  ein  Zopfkrönchen 
auf  dem  Scheitel,  wie  bei  Bernoulli  die  ältere,  bei  Cohen  aber  vereinzelt  auch  die 
jüngere  Faustina  (die  typische  Frisur  der  letzteren  mit  Knäufchen  im  Nacken  trägt 
Aphrodite  Rob.  III  II  n.  192).2)  —  Hier  möchte  ich  den  anerkannt  ältesten  christlichen 
Sarkophag  des  Lateran  einreihen,  die  Wanne  von  Via  Salaria,  die  bereits  Marucchi 
dem  zweiten  oder  dritten  Jahrhundert  zuweisen  wollte  (Es  ist  viel  daran  ergänzt,  vor 
allem  der  Kopf  des  guten  Hirten).  Der  Seelenhirt  nimmt  die  zentrale  Stellung  ein 
zwischen  den  Paradiesesbäumen  und  zwei  symmetrisch  angeordneten  ihm  zugewendeten 
Gruppen,  zu  seiner  Rechten  dreier  Männer,  zu  seiner  Linken  dreier  Frauen,  in  der  Art 
der  Rezitationsszenen.  Man  beachte  die  jüngere,  doch  matronale  Adorantin  im  Peplos 
bei  der  sitzenden  älteren  Matrone.  Die  Art  und  Innigkeit  des  Ausdrucks,  man  möchte 
sagen  des  Seelenspiels,  zwischen  den  Beteiligten,  erinnert  an  den  Sarkophag  des  Euhodus. 
Dessen  Mittelszene  ist  zwar  erregter,  drückt  sie  doch  —  eine  seltene  Erscheinung  auch 
in  der  heidnischen  Grabkunst  —  den  Jammer  der  Sterbestunde  aus;  ruhiger  sind  die 
Nebenszenen,  besonders  sei  auf  die  dem  Pluto  zusprechende  Proserpina  aufmerksam 
gemacht,  die  auch  den  Peplos  trägt.  Die  Köpfe  der  Männer  haben  nicht  ganz  so 
üppiges  Haar  wie  die  Antonine  und  Euhodus,  sie  nähern  sich  mehr  dem  gewöhnlichen, 
alsbald  zu  beschreibenden  Typus  [Abb.  2].3) 

Noch  seien  zwei  Sarkophage  angeschlossen,  die  ebenfalls  aus  der  Masse  heraus- 
treten und  sowohl  untereinander  wie  zur  Wanne  von  Via  Salaria  Beziehungen  auf- 
weisen, doch  jünger  zu  sein  scheinen.  Die  Wanne  von  S.  Maria  Antiqua  mit  einer 
ganzen  Reihe,  freilich  nur  dünn  bewipfelter  Ölbäume.  In  der  Mitte  das  Ehepaar,  er 
als  sitzend  Lesender,  sie  als  matronale  Adorantin;  rechts  folgt  der  Gute  Hirt,  in  Exomis 
und  anscheinend  Hosen,  nach  dem  Paare  blickend,  und  die  Jordan  taufe,  der  Täufer 
in  bloßem  Mantel  mit  bärtigem,  struppigem,  ordinärem  Gesicht;  links  Jonas  ruhend 
unter  der  Laube,  auf  der  sich  naiv  genug  eine  Schafweide  entwickelt;  an  der  Rundung 


1)  Griechisch-römische  Sarkophage:  Robert,  Sarkophagreliefs  III  u  Seite  170.  Altmann, 
Architektur  87.  —  Arles:  Rob.  III  n  n.  160.  Altmann,  Archit.  107  Taf.  2,  wo  aber  die  Hinter- 
gruudköpfe  wegen  zu  starker  Beschattung  nicht  zur  Geltung  kommen. 

2)  Euhodus:  Mus.  Chiar.  n.  179.  Rob.  Uli  n.  26.     Altmann,  Archit.  103  Fig.  32. 
8)  Via  Salaria:  Lat.  M  n.  181,  noch  nicht  bei  Ficker. 


174  Zur  Stilkritik  und  Chronologie  der  christlichen  Sarkophage. 

links  Meertier,  Schiff  und  Poseidon,  rechts  Fischer.  Man  bemerke  die  Modellierung  des 
Jonas  [Abb.  4].  —  Sodann  der  berühmte  Jonassarkophag  Lat.  n.  119,  die  hellenistische 
Seelandschaft  mit  Küste  und  anschließendem  Land,  alles  mit  reicher  Staffage.  Die 
Köpfe  sind  meist  ergänzt;  vom  zweiten  Moseskopf  ist  soviel  alt,  daß  der  Antoninentyp 
gesichert  erscheint  [Abb.  5].  Dazu  sein  jüngerer,  aber  das  Wesentliche  der  künstlerischen 
Konzeption  reiner  bewahrender  Bruder,  der  Kindersarg  von  Porta  Angelica  [Abb.  6].1) 

Des  Commodus  Vorliebe  für  die  Amazonen  scheint  in  einigen  Heraklessarko- 
phagen anzuklingen,  die  den  Amazonenkampf  aus  der  sonst  üblichen  neunten  in  die 
sechste  Stelle  der  Arbeiten  vorrücken,  also  mehr  in  die  Mitte.  Am  Exemplar  Ludovisi 
befindet  er  sich  in  nächster  Nähe  der  Mitte,  diese  selbst  aber  nimmt  der  fünfte  Agon 
ein,  die  Erlegung  der  Stymphaliden.  Hier  trägt  der  Heros  die  Züge  des  Verstorbenen, 
den  typischen  bärtigen  Kopf,  dessen  größter  Durchmesser  aber  nicht  wie  bei  den 
erwähnten  Antoninen  im  Oberkopf  liegt,  sondern  in  der  halben  Kopfhöhe.  Ein  gutes 
Beispiel  ist  der  Rhetor  Aristides,  dessen  Sitzbild  vor  dem  Eingang  aus  dem  christlichen 
Museum  in  die  vatikanische  Bibliothek  steht.  Man  vergleiche  etwa  noch  den  sitzenden 
Hirten  am  kapitolinischen  Endymionsarkophag  und  die  bärtigen  Köpfe  am  Ehesarkophag 
der  Uffizien.  Dieser  Kopftypus  begegnet  an  den  christlichen  Sarkophagen  oft,  er  scheint 
den  Bildhauern  besonders  in  der  Hand  gesessen  zu  haben.8) 

Septimius  Severus  (193 — 211)  trägt  noch  das  volle  Haar  wie  die  Vorgänger. 
Seine  Gemahlin  Julia  Domna  (gestorben  217)  ließ  das  gescheitelte  Haar,  die  Ohren 
mit  breiter  Masse  überdeckend,  tief  herabfallen,  um  es  dann  aufzunehmen  und  am 
Hinterkopf  zu  befestigen.  Ahnlich  Julia  Soaemias  und  Julia  Maesa.  —  Der  Adonis- 
sarkophag  Lateran  n.  769  zeigt  den  jugendlichen  Verstorbenen  (im  Typus  des  Adonis) 
zur  Rechten  seiner  Mutter  (im  Typus  der  Aphrodite),  welche  die  Frisur  der  Julia 
Domna  trägt;  das  edle  Gesicht  des  die  Wunde  waschenden  Arztes  ist  offenbar  auch  Porträt.8) 

In  diese  Zeit  fällt  die  Masse  der  heidnischen  Riefelsärge,  derjenige  der  Clodia 
Secunda  ist  auf  207  datiert.  Von  den  christlichen  geriefelten  Sarkophagen  gehört  die 
pariser  Wanne  mit  dem  lange  Zeit  für  Aristaios  gehaltenen  Guten  Hirten  zu  den 
früheren,  wohl  auch  der  pisaner  Sarkophag  mit  Gutem  Hirten  in  der  Mandorla  und 
Eroten,  auf  die  gestürzte  Fackel  gestützt,  auf  den  Endsockeln.  Auf  Grund  der  Frisuren 
der  Verstorbenen,  ä  la  Julia  Domna,  möchte  man  hierhin  setzen  den  Riefelsarg  in  Villa 
Medici  mit  Eros-  und  Psychegruppen  in  den  Endfeldern;  einen  im  Konservatorenpalast 
[Abb.  7];  den  von  San  Callisto  mit  bärtigem  Guten  Hirten  in  den  Endfeldern  [Abb.  8]; 
und  den  in  Pisa  mit  sitzend  Lesendem  und  stehender  Frau  in  der  Mitte,  Frau  in 
hellenistischer  Tracht  und  Mann  im  bloßen  Mantel  in  den  Endfeldern,  alle  drei  Bilder 
auf  Sockelchen  und  vor  Parapetasma*.) 

1)  Maria  Antiqua:  Bull,  crist.  1901,206  Abb.—  Jonassarkophag:  G  307, 1.  —  Kinder- 
sarg: de  Waal,  Bassussarkophag  21  Abb. 

2)  Ludovisi:  Eob.  III  i  n.  103.  —  Aristides:  Christ.,  Gesch.  d.  griech.  Lit.  41905,  748 
Taf.  43.  —  Endymion:  Eob.  III  i  n.  61.  —  Uffizi:  Dütschke  III  n.  62;  die  rasierten  Köpfe 
haben  den  gleichen  Bau  wie  die  bärtigen. 

8)  Severus:  Bernoulli  II  m  n.  21  Taf.  10—15.  Münzt.  1,  10—12.  —  Domna:  eb.  35  Taf. 
16.  Münzt.  1,  13—15.  —  Soaemias  und  Maesa:  eb.  93.  Münzt.  2,  18—21.  —  Adonis:  Benndorf- 
Schöne  n.  387.    Eob.  III  i  n.  21.    Heibig  n.  698.    Altmann,  Archit.  110. 

4)  Clodia:  Bull.  com.  1900,  297.  —  Paris:  G  295,  2.  —  Pisa:  G  297,  1.  —  Medici:  G  357,  1. 
—  San  Callisto:  G  372,  1.  Grousset  24.  Barbier  setzte  das  Stück  in  das  vierte,  Grousset  in  das 
Ende  des  dritten  Jahrhunderts.  —  Pisa,  Fünffeldersarg:  G  370,  3. 


Italien  (außer  Bavenna).  175 

Die  damals  vorübergehend  erscheinenden  stadtrömischen  Sarkophage  mit  st  äff  ei- 
förmig er  Komposition  bauen  die  Figuren  in  mehreren  Reihen  übereinander  auf;  der 
dramatische  Vorgang  wird  in  die  Mittelstufe  gelegt,  untenhin  kommen  Naturgötter  wie 
Gaea,  und  Naturstaffagen  wie  Hirt  und  Herde,  oben  Berggötter  sowie  Helios  und 
Selene.  Eine  verwandte  Kompositionsweise  schildert  Riegl.  Eine  Gestalt  in  der  Mitte 
bildet  die  Dominante,  um  welche  die  übrigen  gleichsam  zu  rotieren  scheinen,  alle  in 
heftigster  Bewegung  und  vielfach  sich  überschneidend,  daher  den  Eindruck  bunter 
Verwirrung  erregend;  die  Lösung  wird  bewirkt  durch  Einschieben  von  vier  Figuren 
mittlerer  Größe,  die  in  regelmäßigen  Abständen  zwischen  der  dominierenden  Mittel- 
figur und  der  Masse  der  flächenfüllenden  kleinen  Figuren  verteilt  sind.  Unter  den 
christlichen  Sarkophagen  wird  man  keinen  finden,  welcher  dieser  Charakteristik  ent- 
spräche. Der  Sarkophag  von  Velletri  G  374,  4  besitzt  wohl  die  Dominante,  eine 
Adorantin  mit  Frisur  Julia  Domna,  und  wenigstens  noch  zwei  größere  Figuren,  den 
Hirten  an  beiden  Enden,  dazwischen  eine  Menge  kleiner  Füllfiguren  in  mehrstöckigem 
Aufbau;  aber  abgesehen  von  dem  Mangel  an  erregter  Bewegung  macht  das  Ganze 
fast  mehr  den  Eindruck  eines  Fünffeldersargs,  dessen  Riefelfelder  durch  die  klein- 
figurigen  Szenen  ersetzt  wären,  unter  Ausfall  auch  der  Trennungslinien.1) 

Bei  Caracalla  (211 — 217)  und  Geta  nimmt  die  krause  Fülle  des  Haares  ab, 
mit  Elagabal  (218)  und  Alexander  Severus  (222)  beginnt  eine  neue  Mode,  das 
Kopfhaar  ganz  kurz  zu  tragen;  es  wird  als  flache  Masse  angelegt,  die  kurzen  Haar- 
stoppeln sind  durch  Einspitzen  mehr  nur  angedeutet.  Ähnlich  der  Bart.  —  Das  kurze 
Haar  trägt  der  biedere,  von  Eroten  umspielte  „Endymion"  Richmond.2) 

Die  Damen  blieben  im  allgemeinen  bei  der  Frisur  der  Julia  Domna,  nur  legten 
sie  das  Haar  hinter  die  Ohren,  so  daß  diese  frei  blieben.  So  Julia  Paula,  Aquilia 
Severa,  Annia  Faustina,  die  drei  Frauen  des  Elagabal,  Orbiana,  eine  der 
Gattinnen  des  Alexander  Severus,  und  Julia  Mamaea,  seine  Mutter  und  Mitregentin 
(222 — 235);  so  wohl  auch  Paulina,  die  Gattin  Maximians  (235 — 238).  Diese  Frisur 
pflegt  nach  Mamaea  benannt  zu  werden,  irrigerweise  aber  wird  die  Benennung  oft  auf 
frühere  und  spätere  Frisuren  ausgedehnt,  die  doch  nicht  unerheblich  verschieden  sind.  — 
Die  echte  Mamaeafrisur  findet  sich  an  manchen  heidnischen  Sarkophagen;  wir  fähren 
einige  an.  Die  Braut  am  Tabernakelsarkophag  mit  Pronuba  im  Thermenmuseum,  Süd- 
halle des  Chiostro.  Die  Büste  im  Clipeus  des  Marsyassarkophags  von  Genzano.  Die 
Penthesilea  an  den  Sarkophagen  desBelvedere  und  der  Paläste  Rospigliosi  und  Lancelotti; 
die  des  Belvedere  hat  das  Haar  deutlich  hinter  das  rechte  Ohr  gestrichen,  am  linken 
aber  ist  es  bei  ihrem  Zusammenbrechen  vorgefallen.    Die  weiblichen  Figuren  im  Hylas- 


*)  Riegl,  Spätröm.  Kunstindustrie  73.  Altmann,  Archit.  92.  —  Schon  Garrucci  hat  den 
Sarkophag  von  Velletri  zu  den  frühesten  gerechnet. 

8)  Elagabal:  Bernoulli  II  in  83  Münzt.  2,  11 — 12.  Von  Elagabal  besitzen  wir  ein  datiertes 
Denkmal  in  dem  Pfeilerkapitell  vom  Forum,  Studniczka,  Rom.  Mitt.  1901  Taf.  12.  Jordan-Hülsen, 
Topographie  I  1907,  106,  das  noch  immer  nicht  genügend  publiziert  ist.  Zwischen  Elagabal  und 
Aurelian,  also  für  ein  halbes  Jahrhundert,  hatte  Altmann,  Archit.  110,  in  der  Reihe  datierter 
Denkmäler  eine  klaffende  Lücke  konstatieren  zu  müssen  geglaubt.  Die  von  Riegl,  Spätröm.  Kunst- 
industrie 72  ff.  versuchsweise  hier  eingereihten  Sarkophage  setzte  er  teils  früher  teils  später;  den 
Penthesileasarkophag  des  Belvedere  (II  n.  92)  in  die  Zeit  des  Septimius  Severus  und  der  Julia 
Domna,  wir  aber  setzen  ihn  in  die  des  Alexander  Severus  und  der  Mamaea.  —  Alexander:  Ber- 
noulli II  in  97  Taf.  29—30.  Münzt.  3,  1—3. 


l^G  Zur  Stilkritik  und  Chronologie  der  christlichen  Sarkophage. 

raub  Mattei  (auch  die  männlichen  haben  Porträtköpfe,  Hylas  als  die  Hauptperson  trägt 
den  bärtigen  Kopf  des  Familienhauptes).  Rhea  am  Endymionsarkophag  Mattei,  usf. 
Hier  ist  auch  ein  athenischer  Grabstein  zu  nennen,  der  Hilara,  an  welchem  zwei  Frauen 
in  unserer  Frisur  bei  einer  Herme  stehen.  Ein  Sarkophag  in  Konstantinopel  zeigt  die 
Verstorbene  in  Mamaeafrisur  auf  dem  Sofa  liegend,  ein  Dreibeintischchen  vorsieh,  zwischen 
zwei  Dienerinnen,  deren  eine  ihr  Früchte  reicht,  die  andre  musiziert;  die  Kleider- 
falten sind  wesentlich  Bohrgänge,  viele  mit  Endaugen,  die  des  Mantels  etwas  plastischer; 
der  hohe  Deckel  ist  als  Gebälk  behandelt,  mit  jonischem  Epistyl,  konvexem  Fries, 
Sims  und  Eckakroterien.  —  Von  christlichen  Sarkophagen  ist  mir  als  hierhingehörig 
nur  einer  bekannt,  der  Eiefelsarg  Rondanini,  mit  Gutem  Hirten  im  rechten,  Adorantin 
im  linken  Endfeld,  zentral  die  auf  einem  Pfeiler  gestützt  dem  unter  einer  Sonnenuhr 
sitzend  lesenden  Gatten  zuhörende  Ehefrau.  Sein  Auge  liegt  verdeckt  wie  das  des 
Caracalla  [Abb.  9.].1) 

Die  Kaiserköpfe  der  Folgezeit  zeigen  fortgesetzt  die  erwähnte  flache  Bildung  der 
Haar-  und  Bartmasse  mit  eingespitzten  kurzen  Haarlinien;  so  Gordianus  III  (238), 
Philippus  sen.  und  Decius  (bis  251).  —  Die  Kaiserinnen,  deren  Reihe  mit  Tran- 
quillina, Gemahlin  Gordians  III  beginnt,  führen  das  hinter  die  Ohren  gestrichene,  im 
Nacken  emporgehobene  und  geflochten  am  Hinterkopf  hinauflaufende  Schopfhaar  bis 
auf  den  Scheitel,  so  daß  es  bei  Vorderansicht  auf  dem  Scheitel  sichtbar  wird  (sog. 
Scheitelzopf).  Marmorköpfe  im  Antiquario  an  Via  Gregoriana,  in  den  Uffizien  und 
sonst  zeigen  das  Hinaufgehen  des  oft  sehr  breiten  Zopfgeflechts;  an  früheren  Stücken 
geht  es  nur  bis  zum  Wirbel,  an  späteren,  wie  gesagt,  bis  auf  den  Scheitel.  Deutlich 
zeigen  letzteres  die  Münzen  der  kaiserlichen  Damen,  außer  der  Tranquillina  auch  der 
Otacilia,  Etruscilla  usf.  Der  Scheitelzopf  erhielt  sich  übrigens  auch  im  vierten 
Jahrhundert,  wodurch  denn  die  genauere  Zeitbestimmung  erschwert  wird.2) 

In  das  mittlere  dritte  Jahrhundert  setzte  Riegel  auch  den  sog.  Alexander-Severus- 
Sarkophag  des  Kapitols;  Altmann  will  ihn  schon  in  den  ersten  Jahrzehnten  desselben 
Jahrhunderts  entstanden  wissen.  Der  Sarkophag  bereitet  besondere  Schwierigkeiten. 
Das  Relief  am  Kasten  weist  in  der  Tat  auf  frühere  Zeit;  überdies  findet  Altmann 
Anklänge  sogar  an  Trajanisches.  Der  Deckel,  an  dessen  Zugehörigkeit  noch  kein 
Zweifel  geäußert  wurde,  zeigt  ein  Ehepaar  auf  einer  Matratze  gelagert.  Ihre  Körper 
sind,  wie  so  oft  an  diesen  Deckelfiguren,  ungenügend,  die  Falten  entfernt  nicht  mehr 
so  plastisch  wie  am  Kasten;  die  Köpfe  aber  bestätigen  Riegls  Ansetzung:  er  hat  das 
ganz  kurze  Haar,  sie  den  Scheitelzopf.    Der  Widerspruch  zwischen  Kasten  und  Deckel 


J)  Elagahals  Frauen:  Bernoulli  Um  90  Münzt.  2,  13— 17.  —  Orbiana:  eb.  106  Taf.  31. 
Münzt.  3,  4—5.  —  Mamaea:  eb.  108  Taf.  32.  Münzt.  3,  6—7.  —  Paulina:  eb.  119  Münzt.  3,  13. 
—  Genzano:  Eob.  III  n  n.  209.  —  Pentheailea:  Eob.  II  n.  92.  96.  100.  —  Hylas:  eb.  Uli 
139.  —  Ehea:  eb.  III  n  60.  —  Hilara:  Athen.  Instituts  phot.  Gr.  360.  —  Konstantinopel: 
Phot.  Sebah  n.  76  Sarcophage  de  Syrie.  Es  gab  vielleicht  keine  Eeichskunst,  aber  es  gab  eine 
Eeichsmode. 

2)  Kaiserköpfe:  Bernoulli  II  m  Taf.  38.  40.  46.  Decius  besser  bei  Eiegl,  Spätröm. 
Kunstind.  70  Fig.  9;  aber  diese  wie  eingehackte  Haardarstellung  verfolgt  nicht  „ farbig-optische" 
Effekte,  sondern  will  nur  das  nach  der  Mode  über  den  Kamm  (damals  noch  nicht  wie  heute  mit 
der  Maschine)  kurz  geschorene  Haar  —  in  Marburg  nennt  man's  Stiftekopp  —  wiedergeben.  Nur 
die  Darstellung  des  hervorstehenden  Härchens  durch  eine  dunkel  wirkende  Vertiefung  kann  als 
optischer  Effekt  gelten.  —  Tranquillina:  Bernoulli  II  in  137  Münzt.  4,  3.  —  Otacilia:  eb.  144 
Taf.  43.  44.  Münzt.  4,  6—7. 


Italien  (außer  Ravenna).  177 

wird  sich  mit  der  Formel  lösen  lassen,  daß  die  ursprünglich  nur  abbozzierten  Deckel- 
figuren erst  eine  Generation  nach  der  Fertigstellung  des  Kastens  entsprechend  der 
späteren  Mode  ausgearbeitet  wurden.  Die  Porträts  sind  nicht  schlecht.  —  Auch  der 
Säulensarkophag  Torlonia,  mit  Heraklestaten,  hat  Deckelfiguren;  auch  hier  trug  der 
Mann  Haar  und  Bart  über  den  Kamm  geschoren,  sie  den  Scheitelzopf.  —  Denselben 
Scheitelzopf  trug  Selene  am  Endymionsarkophag  zu  Woburn  Abbey.  —  Hierhin  gehört 
die  realistische  Reoitatio  im  Lateran  mit  vier  Männern  und  zwei  Frauen,  anscheinend 
ein  sepulkrales  Relief:  vor  Parapetasma  sitzt  die  Hauptperson  in  kurzem  Haar  und 
Bart,  zwischen  zwei  Matronen  mit  Scheitelzopf;  im  Hintergrund  sind  drei  bärtige 
Männer  verteilt,  in  der  Frisur  teils  noch  der  Antonine,  teils  des  Aristides  Rhetor.  — 
Endlich  noch  ein  Grabstein  aus  Griechenland,  der  Nike:  sie  steht  unter  dem  Bogen, 
in  hellenistischer  Gewandung,  mit  Scheitelzopf.1) 

Von  christlichen  Sarkophagen  hat  ein  pisaner  im  Clipeus  einen  Männerkopf  noch 
mit  plastischem  Haar  und  Bart,  dazu  aber  einen  Frauenkopf  mit  Scheitelzopf.  —  Das 
ganz  kurze  Haar  trägt  die  Büste  im  Clipeus  eines  Fragments  in  San  Callisto;  daneben 
Eros  und  Psyche  und  Guter  Hirt  [Abb.  11].  —  Einen  weiteren  Beleg  für  den  Scheitel- 
zopf bietet  die  symmetrische  Komposition  Lat.  n.  128:  in  der  Mitte  schaut  das 
realistische  Porträt  der  Verstorbenen  wie  aus  einem  Fenster,  an  den  Enden  je  eine 
sitzend  Musizierende,  rechts  im  Korbstuhl  mit  Laute,  links  auf  Stuhl  mit  Stier-  oder 
Füllhörnerbeinen  mit  Lyra.  Die  Verstorbene  scheint  noch  die  Mamaeafrisur  zu  tragen, 
die  Haartracht  ihrer  jüngeren  Jahre,  die  jüngere  Leierspielerin  aber  trägt  den  modischen 
Scheitelzopf  [Abb.  12].*) 

In  der  zweiten  Hälfte  des  Jahrhunderts  erscheint  vereinzelt  immer  noch  einmal 
plastische  Haardarstellung,  z.  B.  bei  Gallienus  (260).  Aber  seit  Trebonianus  Gallus 
(251)  leise  aufdämmernd  und  allmählich  zunehmend  kommt  eine  neue  Haartracht  in 
Mode.  Das  Haar  wird  ein  geringes  voller  und  vom  Wirbel  aus  in  die  Stirn  gekämmt, 
hier  aber  gerade  abgeschnitten.  Auch  ein  kurzgeschnittener  Bart  bleibt  stehen.  So, 
mit  einigen  Modifikationen  (z.  B.  bei  Postumus),  geht  es  bis  Licinius  (307 — 324), 
im  Westen  bis  Konstantin  (312).  —  Bei  den  Kaiserinnen  herrscht  der  Scheitelzopf 
fast  ausnahmslos.  —  In  der  Reihe  der  heidnischen  Skulpturen  scheint  hier  wirklich 
eine  Lücke  offen  zu  stehen,  falls  sich  unter  den  Sarkophagen  nicht  doch  noch  Ein- 
schlagendes findet.3) 

Es  bleibt  uns  danach  übrig,  an  die  christliche  Skulptur  die  Frage  zu  richten,  ob 
sie  vielleicht  die  Lücke  in  etwa  zu  schließen  vermöge.  Hier  bietet  sich  nun  der  unter 
der  Tribuna  der  Paulskirche  gefundene  Sarkophag  Lat.  n.  55  an,  eines  der  schönsten 
christlichen  Stücke.  Man  sehe  nur,  wie  in  der  Erweckung  des  Lazarus  der  Christus,  und 
im  Quellwunder  der  Moses  nicht  als  Wundertäter  dargestellt  sind,  sondern  in  feinerer 
Auffassung  Jesus  die  vertrauende  Schwester  des  Verstorbenen  tröstend,  Moses  mit 
sprechender  Handbewegung  einladend,  das  Wasser  des  Lebens  zu  trinken.     Wie  aus- 


l)  Kapitol:  Robert  II  n.  25.  Heibig,  Führer  n.  432.  Altmann,  Archit.  108.  —  Torlonia: 
Rob.  III  i  n.  126  Taf.  36.  37  Coburgensis.  Altmann  56  setzt  auch  ihn  i.  d.  Anfang  des  Jahrhunderts. 
—  Woburn  Abbey:  Rob.  III  i  n.  79,  1  Coburgensis.  —  Lateran:  Museo  profano,  Saal  I  n.  16. 
Benndorf-Schöne  Taf.  17.  Birt,  Buchrolle   153  Abb.  87.   —  Nike:    Athen.  Instituts  phot.  Gr.  291. 

8)  Pisa:  G  363,  3.  —  San  Callisto:  G  395,  3  (das  Haar  falsch  wiedergegeben).  Grousset 
n.  48.     Simelli  n.  84;  Barbier  n.  31.  —  Lat.  n.  128:  G  359,  3. 

•)  Gallus:  Bernoulli  II  in  Münzt.  5,  1—2.  —  Licinius:  eb.  Münztafel  8,  12 — 13. 

Sybel,  Christliche  Antike  II.  12 


178  Zur  Stilkritik  und  Chronologie  der  christlichen  Sarkophage. 

drucksvoll  ist  die  Silhouette  des  Christus  in  dieser  Szene  und  in  der  Blindenheilung. 
Dazu  die  Rückansichten  des  Moses  oben  und  des  Christus  in  der  Blindenheilung.  Wie 
plastisch  ist  noch  alles  gestaltet;  wie  raumig  ist  es  komponiert,  so  sehr,  daß  Riegl 
diese  Raumkunst,  in  der  Pilatusgruppe,  gar  nicht  mehr  als  „antik"  anerkennen  wollte, 
sondern  als  Morgenröte  der  in  der  Spätantike  sich  ankündigenden  Moderne  —  als  ob 
nicht  schon  die  hellenistische  Malerei  den  Raum  dargestellt  hätte.  Die  Porträts  in 
der  Muschel  bleiben  noch  im  Charakter  der  Köpfe  von  Aristides  Rhetor;  und  es  sieht 
aus,  als  hätte  der  Verstorbene,  der  in  der  Muschel  den  Ehrenplatz  einnimmt,  in 
mehreren  der  biblischen  Szenen  den  Heroen  seine  Züge  geben  lassen,  dem  Petrus  und 
dem  Abraham  oben,  dem  Moses  und  dem  Lesenden  unten,  während  die  Züge  der 
beiden  Muschelporträts  auf  die  zwei  Männer  mit  den  Speisen,  unten  rechts,  verteilt 
scheinen.  Die  Interpretation  hatte  also  Ursache,  bei  der  Verrechnung  der  Köpfe 
Vorsicht  zu  üben.  Auffallend  ist  der  jugendliche  Kopf  des  Moses  im  Gesetzesempfang; 
er  hat  das  Haar  in  der  neuen  Art  in  die  Stirn  gekämmt,  wie  Pilatus  und  mehrere 
seiner  Begleiter,  wie  Daniel,  wie  drei  der  Bemützten.  Soll  man  etwa  in  dem  jugend- 
lichen Moses  auch  ein  Porträt  vermuten?  Mehreres  spricht  dafür,  daß  auch  abgesehen 
von  altüberliefertem  Gut  wie  Daniel  die  hier  vereinigten  Gruppen  nicht  Original- 
schöpfungen sind;  Riegl  glaubte  die  Komposition  der  Mitte  des  dritten  Jahrhunderts 
vindizieren  zu  dürfen,  die  Arbeit  des  Exemplars  aber  einer  um  ein  paar  Jahrzehnte 
späteren  Zeit  [Abb.  14].1) 

Wenn  bei  dem  zweistöckigen  Säulensarkophag  in  den  Grotten  von  Sankt  Peter, 
der  im  Jahr  359  zur  Beisetzung  des  Stadtpräfekten  Junius  Bassus  diente,  von  dieser 
Beisetzung  und  der  sie  kündenden  Inschrift  als  von  einer  sekundären  abgesehen  werden 
darf,  so  erhält  die  Stilkritik  freie  Bahn.  Sofort  drängt  sich  die  Beobachtung  auf,  daß 
mehrere  Szenen  wie  vom  eben  besprochenen  Sarkophag  aus  Sankt  Paul  abgeschrieben 
erscheinen,  fast  Wort  für  Wort,  Opferverhinderung  und  Händewaschung,  welch  letztere 
aber  erweitert  erscheint  durch  Jesus'  Vorführung.  Wir  beachten  die  neuen  Szenen, 
Einzug  und  Maiestas,  Petrus'  Verhaftung  und  Paulus'  Enthauptung.  Die  Gruppen- 
komposition neigt  beim  Sündenfall  zur  starren  Symmetrie,  Garbe  und  Lamm  der  Zu- 
weisung sind  hinzugefügt.  Die  Säulen  stehen  frei  vor  der  Wand,  die  Gestalten  sind 
höchstes  Relief,  fast  Rundfiguren,  noch  im  plastischen  Sinne  durchgeführt.  Es  ist 
überwiegend  Meißelarbeit,  der  Bohrer  hat  besonders  im  Ornament  mit  kleinen  unaus- 
geglichenen Löchern  Drucker  in  die  Schatten  gesetzt,  auch  zwischen  die  Finger  der 
Hände  in  Aufsicht,  und  in  der  Gewandung  einige  Falten  vertieft;  dergleichen  sieht 
aus  wie  ein  aufgestochener  Kupferstich.  Hiobs  Frau  hat  das  Haar  verhüllt,  über  der 
Stirn  wird  es  ganz  wenig  sichtbar.  Ich  halte  es  nicht  für  ein  um  den  Kopf  geschlungenes 
Tuch,  was  sie  trägt,  sondern  für  eine  Art  Spitzenhaube  mit  umgebundenem  breitem 
Band,  ähnlich  wie  die  der  Veneranda  im  Katakombengemälde  des  vierten  Jahrhunderts; 
die  vorn  säumende  Spitzenrüsche  ist  deutlich  gegeben.  Wegen  dieser  Haube  braucht 
der  Sarkophag  nicht  erst  im  späteren  vierten  Jahrhundert  gearbeitet  zu  sein,  die  Ge- 
schichte der  Spitzenhaube  ist  noch  nicht  geschrieben.  Die  bärtigen  Köpfe  stammen 
von  dem  zuletzt  an  den  Muschelbüsten  von  Lat.  n.  55  beobachteten  Typus.  Der 
Abrahams  hat  noch  plastisches  Haar,  am  Petrus  ist  das  Kopfhaar  schon  recht  abgeflacht, 
bei  Paulus  der  Bart  kräftig  lockig,  das  Kopfhaar  nur  eingespitzt,  also  ein  Bild  ähnlich 


»)  Lat.  n.  55:  G  358,  3.    Riegl,  Spätröm.  Kunstind.  I  95  Fig.  23. 


Italien  (außer  Ravenna).  179 

dem  sog.  Pupienus  des  Louvre.  Von  anderem  Schlag  sind  die  Köpfe  der  zwei 
Seligen  in  der  Maiestas;  der  zur  Linken  des  Christus  trägt  den  vollhaarigen,  wie 
orientalisch  anmutenden  Typus,  von  dem  oben  die  Rede  war.  Die  bartlosen  Köpfe 
könnten  auf  die  konstantinische  und  noch  spätere  Zeit  zu  weisen  scheinen;  aber  die 
Soldaten  beweisen  hierfür  überhaupt  nichts,  und  Pilatus  beweist  deshalb  nichts  für  das 
vierte  Jahrhundert,  weil  sein  Haar  noch  nicht  in  geschlossener  Masse  in  die  Stirn  fällt, 
sondern  in  getrennten  spitzen  Strähnen.  De  Waal  vermutet  in  dem  schönen  Kopf  des 
Petrus  das  Porträt  des  Verstorbenen;  dieser  aber  könnte  unmöglich  erst  859  gestorben 
sein,  vielmehr  muß  er  bald  nach  250  das  Zeitliche  gesegnet  haben.  Dann  dürfen  wir 
aber  weiter  fragen,  ob  nicht  der  Paulus  den  Kopf  eines  Angehörigen  trägt.  Wären 
das  Vorfahren  des  359  gestorbenen  Junius  Bassus,  so  würde  sich  die  Wiederbenutzung 
des  Prachtsargs  für  ihn  am  einfachsten  erklären.  Riegl  und  de  Waal  machen  —  aller- 
dings in  verschiedener  Absicht  —  auf  schlimme  Einzelheiten  aufmerksam,  wie  den 
umfallenden  Petrus,  die  monströse  Eselin;  man  könnte  noch  anderes,  z.  B.  den  miß- 
ratenen Kopf  des  Assessors  hinzufügen.  Aber  wir  kennen  die  Skulptur  des  dritten 
Jahrhunderts  viel  zu  wenig,  um  sagen  zu  dürfen,  so  schlimme  Dinge  seien  ihr  nicht 
zuzutrauen  [Abb.  18].1) 

Wir  können  nur  tastend  vorgehen.  Es  gilt  weniger,  Daten  vorzuschlagen,  als 
die  Kriterien  zu  sammeln  und  zu  sichten. 

Die  letzten  Jahrzehnte  des  Zeitraums,  etwa  die  Regierungsjahre  Diokletians 
(284 — 305)  umfassend,  haben  vielleicht  einige  Denkmäler  hinterlassen.  Der  Meleager 
am  Sarkophag  von  Trinitä  la  Cava  trägt  einen  Porträtkopf  mit  dem  nur  eingespitzten 
Haar-  und  Barthaar;  Robert  vergleicht  die  Münzbilder  des  Carausius  (287 — 293)  und 
Constantius  Chlorus  (305 — 306).  Das  Künstlerische,  die  Skulptur,  des  Sarkophags 
steht  auf  ähnlicher  Stufe  wie  am  Meleagersarkophag  des  Konservatorenpalasts  im  Fond 
des  oberen  Ganges.  Natürlich  liegt  auch  diesem  ältere  Kunst  zugrunde;  daher  stammen 
auch  die  vollhaarigen  bärtigen  Köpfe.  Aber  alle  Figuren  sind  mehr  in  die  Fläche 
ausgebreitet,  übel  ist  das  Verhältnis  der  Reiter  zu  den  andern  Figuren,  die  Pferde 
sind  in  der  Proportion  mißraten.  Der  Bohrer  hat  die  Ausführung  übernommen,  harte 
Bohrgänge  umzeichnen  die  Figuren  (wie  übrigens  schon  am  Julierdenkmal  zu  S.  Remy), 
gerade  auch  bei  Überschneidungen,  und  zeichnen  die  Falten,  in  kurzen  Haken,  Strichen 
und  Punkten,  zeichnen  das  Haar  der  Menschen  und  das  Fell  der  Tiere.  Die  Deckel- 
figuren erinnern  an  schlechte  etruskische;  das  hübsche  Motiv  der  zum  Manne  auf- 
blickenden Lautenschlägerin  leidet  unter  dem  Ungeschick.  Da  die  zwei  Köpfe  nur  abbozziert 
sind,  kann  man  die  Haartracht  nicht  scharf  bestimmen.  Jedenfalls  trägt  sie  die  seit 
Mamaea  übliche  Frisur,  aber  es  bleibt  undeutlich,  ob  das  Zopfende  bis  auf  den  Scheitel 
reicht.  Er  hat  deutlich  in  die  Stirn  gekämmtes  Haar;  man  möchte  das  Gesicht  für 
bartlos  halten,  doch  könnte  der  Bildhauer  den  modischen  ganz  kurzen  Bart  noch 
herausholen.2) 


x)  G  322,  2—4.  Grisar,  Rom.  Quart.  1896  Taf.  5—6.  Riegl,  Spätröm.  Kunstind.  93.  de  Waal, 
Sark.  d.  Junius  Bassus  1900.  Rom.  Quartalschr.  1907,  116.  —  Vgl.  das  Bruchstück  Wittig,  Campo 
santo  96  n.  52  Abb.  40. 

2)  Trinitä  la  Cava:  Rob.  III  n  n.  240.  —  Carausius:  Bernoulli  II  in  199  Münzt.  7,  10. 
Chlorus:  eb.  Münzt.  7,  13—16.  —  Conservatori:  Rob.  III  n  n.  221.  Heibig,  Führer  I  n.  578. 
Riegl,  Spätröm.  Kunstind.  I  76.  Altmann,  Archit.  110.  —  Vgl.  noch  die  Meleagersarkophage  von 
Salerno  und  Autun  Rob.  III  ii  n.  239.  219. 

12* 


180  Zur  Stilkritik  und  Chronologie  der  christlichen  Sarkophage. 

In  Diokletians  Zeit  würden  dann  auch  die  späteren  Säulensarkophage  gehören, 
die  mit  Kolonnaden,  wie  der  londoner  Musensarkophag,  und  die  mit  Tabernakeln,  wie 
die  von  Selefkieh  und  Eski  Bedestan.  Die  bärtigen  Köpfe  an  der  einen  Schmalseite 
des  Sargs  von  Selefkieh,  der  mittlere  sogar  mit  Spitzbart,  werden  auf  Werkstatt- 
überlieferung beruhen;  sie  können  nicht  wohl  Porträts  der  im  Sarg  Beigesetzten  sein. 
Oder  wollte  jemand  den  Sarkophag  der  Antoninenzeit  zuschreiben?1) 

Einen  festen  Punkt  besitzen  wir  für  die  Spätzeit  Diokletians,  nämlich  für  das 
Jahr  303 — 304  in  den  Reliefs  der  Säulenbasis,  die  jetzt  auf  dem  Forum,  östlich  von 
den  „Rostra  Vandalicia"  liegt.  Die  Basis  ist  auf  allen  vier  Seiten  skulpiert,  nach 
Norden  liegt  (vornübergeneigt)  die  Front  mit  der  auf  den  Rundschild  eines  Tropaion 
gesetzten  Inschrift  Caesarum  decennalia  feliciter]  die  Rückseite  zeigt  eine  Opferszene, 
an  den  Nebenseiten  sieht  man  einerseits  einen  Zug  Senatoren,  andrerseits  die  Hostien 
Stier,  Widder  und  Schwein.  Die  Figuren  der  Opferszene  blicken  natürlich  nach  dem 
Altar,  die  meisten  jedoch  wenden  im  übrigen  ihre  breite  Seite  dem  Beschauer  zu.  Die 
Relieferhebung  ist  gering,  im  Hintergrund  gleich  Null.  Die  noch  eben  leidlich  ent- 
worfenen Falten  sind  mit  dem  laufenden  Bohrer  gearbeitet,  der  auch  alle  Umrisse 
umfahren  hat;  die  ganz  flachen  Hintergrundfiguren,  besonders  die  Trophäen  hinter  den 
Victorien  der  Frontseite,  hat  überhaupt  nur  der  Bohrer  gezeichnet.  Einzelne  Männer 
tragen  noch  Bart,  der  Kopf  des  spendenden  Caesars  ist  leider  abgeschlagen  [Abb.  20].2) 

Der  spätere  der  zwei  Adonissarkophage  des  Lateran  (im  ersten  Saal),  nach  einem 
Vorbild  des  zweiten  Jahrhunderts  gearbeitet,  hat  manches  von  der  früheren  plastischen 
Art  bewahrt.  Aber  die  Spätzeit  verrät  sich  unverkennbar,  in  den  schlechten  Propor- 
tionen insbesondere  des  Pferdes,  in  der  Minderung  des  plastischen  Gefühls  bis  zu  der 
Eingesunkenheit,  wie  sie  Riegl  an  den  Figuren  am  linken  Ende  feststellte;  endlich  in 
den  geometrisch  gezeichneten  und  völlig  unplastisch  nur  durch  Bohrerläufe  hergestellten 
Falten.  Da  sind  wir  allerdings  schon  ganz  nahe  an  die  konstantinische  Kunst  heran- 
gekommen. Man  sieht  nicht  mehr  Falten,  sondern  Schlitze,  z.  B.  der  hängende  Mantel- 
zipfel des  Adonis  sieht  aus  wie  durchbrochene  Arbeit,  Gitterwerk.  Dieser  Wechsel 
von  Licht  und  Schatten  war  aber  doch  wohl  kein  „Kunstwollen".  —  Der  Hippolytos- 
sarkophag  aus  Salona,  im  Museum  zu  Spalato,  nach  einem  Exemplar  von  der  Art  des 
im  Louvre  (Rob.  III  II  n.  161)  kopiert,  ist  in  der  linken  Hälfte  der  Komposition 
sehr  ähnlich  derjenigen  des  eben  besprochenen  Adonissarkophags.  Es  wiederholen  sich 
dieselben  Erscheinungen,  aber  vermehrt  um  einige  neue.  Zerfall  der  Komposition  in 
eine  lockere  Aneinanderreihung  hier  noch  paarweis  zusammengefasster  Figuren  wieder 
in  freierem  Grund;  schlechte  Proportionen,  die  nun  überdies  eine  Neigung  zu  unter- 
setzter Figur  verraten;  flächigere  Darstellung;  geometrisch  gezeichnete  Falten  der 
Gewänder  und  des  Parapetasma;  ihre  Ausführung  in  harten  Bohrgängen;  schräges 
Unterschneiden  der  Figuren  an  ihrer  Peripherie.8) 

Christliche  Sarkophage.  In  die  Zeit  Diokletians  möchte  ich  ein  Deckelrelief  des 
deutschen  Campo  santo  stellen,  das  zwischen  zwei  Jonasszenen  vor  einem  von  Eroten 
gehaltenen  Parapetasma  in  Rumpf bildern  eine  Familie  bringt,  Mann,  Frau  und  Kind. 

J)  Selefkieh:  Strzygowski,  Orient  57  Abb.  21. 

*)  O.  Jahn,  Sachs.  Ges.  Ber.  1868,  195  Taf.  4.  CIL  VI  n.  1203.  Matz-Duhn  III  n.  3629. 
Hülsen  Rom.  Mitteil.  1893,  281.    Riegl,  Spätröm.  Kunstind.  I  81  Fig.  18.  19. 

8)  Adonis:  Robert  Uli  n.  19.  Riegl,  Spätröm.  Kunstind.  77  Fig.  15.  Altmann,  Archit. 
112,  1.  —  Hippolytos:  Rob.  III  n  n.  163.     Riegl  80  Fig.  17.     Altmann  111. 


Italien  (außer  Ravenna).  181 

Die  Frau  trägt  nicht  ein  Haarnetz,  sondern  einen  stattlichen  Scheitelzopf,  der  Mann 
hat  das  schlichte  Haar  in  die  Stirn  gekämmt  und  gerade  abgeschnitten,  den  ganz 
kurzen  Bart  deutet  nur  eingespitztes  Gestrichel  an.  Mutter  und  Kind  haben  aus- 
gesprochene Familienähnlichkeit.  Das  Relief  ist  flach  und  nur  mit  dem  Meißel  gemacht. 
Das  Stück  gehört  weder  in  das  spätere  vierte  oder  gar  das  fünfte  Jahrhundert  noch 
in  das  volle  dritte,  sondern  in  den  Übergang  vom  dritten  zum  vierten  [Abb.  13]. 
Der  Prachtsarg  Lat.  n.  174,  seine  glänzende  Barockarchitektur  und  die  Hochreliefs 
dazwischen  mit  ihren,  in  der  Hauptsache  gemeißelten  Falten  könnten  auf  früheren  Ur- 
sprung schließen  lassen.  Aber  die  ganze  auf  drei  Nischen  verteilte  Mittelszene  warnt 
vor  zu  früher  Ansetzung.  Auch  vergleiche  man  die  Endszenen  mit  den  entsprechenden 
an  Lat.  n.  55;  der  Isaak  kniet  dort  neben  dem  Altar,  hier  auf  ihm;  der  dort  so  künst- 
lerisch durchdachte  schräggesetzte  Pilatus  ist  hier  mit  dem  Diener  in  die  Frontstellung 
gedreht.  Dazu  das  in  die  Stirn  gekämmte  Haar.  Andrerseits  scheint  die  Arbeit,  auch 
der  Schmalseiten,  noch  zu  gut,  um  über  Diokletian  herabzugehen.  Freilich  ist  die 
Arbeit  ungleich;  der  Paulus  z.  B.  zeigt  eine  merkmürdig  flaue  Faltengebung,  dergleichen 
allerdings  weiterhin  mehr  begegnet.  Wenn  man  bei  den  weinumrankten  Säulen  denken 
könnte,  sie  seien  von  den  in  der  konstantinischen  Peterskirche  aufgestellten  abhängig, 
so  spricht  hiergegen  einmal,  daß  letztere  gewunden  waren,  dann  aber,  daß  weinumrankte 
Säulen  schon  viel  früher  vorkommen;  ein  Bruchstück  fand  sich  in  Pompeji,  und  ein 
am  Hateriergrab  dargestellter  Tempel  hat  eine  Vorhalle  von  eben  solchen  Säulen. 
Die  Architekturbilder  an  den  Schmalseiten  besprechen  wir  später  (sie  enthalten  keine 
mehrschiffige  Basilika).  Das  Christusmonogramm  auf  der  Eotunde  links  scheint  für 
Konstantin  zu  entscheiden;  aber  das  Alter  des  Monogramms  steht  doch  selbst  noch  in 
Frage  [Abb.  19].  Vergleicht  man  dies  christliche  Prachtstück  mit  den  letztbesprochenen 
heidnischen  Sarkophagen,  so  möchte  man  stutzend  fragen,  ob  so  verschiedene  Arbeiten 
gleichzeitig  entstanden  sein  können.  Man  prüfe  daher  von  neuem,  ob  nicht  der  christ- 
liche Sarg  trotz  seines  Monogramms  etwas  zurückzuschieben,  der  Adonissarkophag  aber, 
um  nur  diesen  einen  herauszugreifen,  in  die  konstantinische  Zeit  selbst  hinabzurücken  sei.1) 
Konstantin  (306 — 337)  behält  das  in  die  Stirn  gekämmte  Haar,  trägt  aber 
keinen  Bart;  ebenso  seine  Nachfolger,  mit  Ausnahme  des  Julian  (361 — 363)  und  etlicher 
ephemerer  Nebenkaiser,  wie  Nepotianus  und  Vetranio  (350),  Eugenius  (392), 
Johannes  (425).  —  Die  ältere  Helena,  Gemahlin  des  Constantius  Chlorus  und  Mutter 
des  großen  Konstantin  (Augusta  306 — 328)  erscheint  auf  den  ihr  zugeteilten  Gold- 
münzen mit  Scheitelzopf;  eine  Schleife  oder  Schlinge  bildend  legt  er  sich  nach  vorn 
über  das  Diadem.  Konstantins  Gemahlin  Fausta  zog  es  vor,  statt  den  Schopf  zu 
flechten,  ihn  nur  um  sich  selbst  zu  drehen  und  dies  Haargewinde  am  Hinterkopf  nach 
dem  Scheitel  hinaufzulegen,  das  Ende  wieder  in  eine  Schleife  gebogen.  Dieselben 
Kaiserinnen,  Helena  und  Fausta,  trugen  gelegentlich  auch  den  Schopf  im  Nacken 
zu  einem  Knäufchen  zusammengedreht.  Endlich  sehen  wir  Helena  noch  in  einer 
dritten  Frisur.  Das  Haar  ist  umschlossen  von  etwas  Breitem;  Cohen  und  Poole  er- 
klären es  für  ein  breites  Band,  das  ein  engerer,  daher  einschneidender  Kranz  umfasse, 
während  Bernoulli  eine  breite  Flechte  erkennen  will;  ich  gestehe,  die  hinten  und  noch 
stärker  auf  dem  Scheitel  sich  verbreiternde  Form  weder  als  Band  noch  als  Zopf  recht 


»)  Campo    santo:    de   Waal,  Rom.   Quartalschr.  1890,  63  Taf.  3,  2.     Wittig,    Campo  santo 
n.  19  Taf.  3.  —  Lat.  n.  174:  G  323,  4—6.     Riegl,  Spätröm.  Kunstind.  98  Abb.  25. 


182  Zur  Stilkritik  und  Chronologie  der  christlichen  Sarkophage. 

zu  begreifen.  Sollte  es  sich  bei  Helena  wirklich  um  einen  umgelegten  Doppelzopf 
handeln,  so  wäre  die  kapitolinische  „Agrippina"  heranzuziehen,  die  Heibig  für  anto- 
ninisch  hält;  Bernoulli  sagt,  die  Haartracht  sei  gegen  Trajans  Zeit  üblich  gewesen,  was 
dort  aber  an  Zöpfen  vorkommt,  ist  anders  gelegt.  Ein  verwandt  aussehender  Haar- 
schmuck der  Faust a  gleicht  schon  eher  einem  Band,  hat  aber  ebenfalls  die  Einkerbung, 
nur  auf  dem  Scheitel.  Vereinzelt  hat  Fausta  den  Zopf  auf  dem  Wirbel  zu  einem  Nest 
aufgewickelt.  —  Mit  Helena,  Theodora  und  Fausta  beschließt  Bernoulli  die  Reihe  der 
Kaiserinnenköpfe  seiner  römischen  Ikonographie.  Doch  möchte  man  weiter  vordringen; 
uns  kommt  es  dabei  nur  auf  die  Frisuren  an.  Da  wird  aber  ein  Mangel  sehr  empfindlich, 
der  an  Büsten;  solche  geben  Vorder-,  Profil-  und  Rückansicht,  die  Münzen  dagegen, 
auf  die  wir  fortan  allein  angewiesen  sind,  nur  das  Profil.  Zunächst  ist  festzustellen, 
daß  wir  von  der  jüngeren  Helena,  Julians  Gemahlin,  absehen  müssen;  die  Köpfe 
mit  den  Beischriften  „Deae  Sanc.  Cereri"  und  „Isis  Faria",  die  Cohen  ihr  zuteilt  und 
von  deren  einigen  er  sagt,  sie  stellten  die  Göttin  mit  den  Zügen  der  Helena  dar,  tragen 
sämtlich  Idealfrisuren  nach  Vorbildern  der  klassischen  Blütezeit.  In  Modefrisur  und 
zwar  durchaus  mit  Scheitelzopf  stellen  sich  vier  Kaiserinnen  dar:  Flaccilla,  TheodosiusI 
Gemahlin  (379— 383),  Galla  Placidia  (Augusta  421),  Honoria  (A.  433),  Euphemia 
(A.  467).  Mehr  vermögen  wir  nicht  zu  sagen.  Licinia  Eudoxia,  vermählt  mit 
Valentinian  437,  erscheint  in  Vorderansicht  mit  dem  typischen  gewellten  Stirnhaar  und 
seitlich  hängendem  Haar  in  allzu  schematischer  Zeichnung,  um  genaueres  erschließen 
zu  können.1) 

Ein  amtliches  und  datiertes  Denkmal  der  Kunst  aus  Konstantins  Zeit  ist  der 
Triumphbogen,  den  ihm  nach  seinem  Sieg  über  Maxentius  am  Ponte  Molle  (312)  Senat 
und  Volk  315  errichtete.  Konstantin  hatte  im  Banne  der  herrschenden  Superstition 
das  Christusmonogramm  auf  die  Schilde  seiner  Soldaten  gesetzt;  weshalb  ihn  die  In- 
schrift des  Bogens  nicht  bloß  mentis  magnitudine,  sondern  auch  instinctu  divinitatis  den 
Sieg  erringen  läßt.  Hier  zuerst  spricht  heidnische  und  christliche  Antike  aus  einem 
und  demselben  offiziellen  Monument  uns  an,  und  die  heidnische  bereitet  sich,  vor  der 
christlichen  die  Fahne  zu  senken,  damit  das  Altertum  zu  der  kulturellen  und  politischen 
Einheit,  die  es  bereits  besaß,  auch  die  religiöse  gewinne  und  damit  seinen  Lauf 
vollende.2) 

Konstantinisch  sind  an  dem  Bogen  nur  die  Reliefs  der  unteren  Teile  des  Außen- 
baues:   an  den  hohen  Postamenten    der  Säulen  und  in  den  Bogenzwickeln,  ferner  der 


x)  Konstantin:  Bernoulli  II  in  211  Münzt.  8,  15—19.  —  Julian:  Cohen  8VIII  47,  35  und 
weiterhin  (51,  63  mit  Halsbart;  Münzbilder  wie  dieses  machen  es  vielleicht  begreiflich,  daß  Köpfe 
des  fünften  vorchristlichen  Jahrhunderts  in  alter  oder  neuer  Zeit  auf  Julian  bezogen  werden  konnten, 
dergleichen  die  kapitolinische  Herme  mit  der  Inschrift  ianus  inpeator  erlebte;  dies  als  Nachtrag  zu 
Band  I  151).  —  Nepotian:  Cohen  2VIII  1,  1.  2,2.  Vetranio:  eb.  5,  7.  8.  Eugenius:  eb.  172,  1. 
Johannes:  eb.  208,  3.  4.  —  Helena  mit  Scheitelzopf:  Cohen  2VII  96,  10.  97,  11.  Bernoulli  II  m 
201  Münzt.  8,  2.  Fausta  mit  Haargewinde:  Cohen  334,  4.  Bernoulli  231  Münzt.  9,  1.  Helena 
und  Fausta  mit  Knäufchen:  Cohen  97,  14.  335,  5.  336,  13.  338,  25.  Bernoulli  Münzt.  9,  2. 
Helena  mit  umgelegtem  Band  oder  Zopf:  Cohen  95,  4.  96,  7.  Poole  83  Taf.  56,  4.  Bernoulli, 
Münzt.  8,  1.  „Agrippina*:  Heibig,  Führer  n.  468.  Bernoulli  II  i  245  Fig.  44.  Fausta  mit 
umgelegtem  Band:  Cohen  337,  23.  Fausta  mit  Nest:  Cohen  337,  22.  —  Helena  junior:  Cohen 
VHI  67—72.  —  Flaccilla:  Cohen  VIII  164,  1.  165,  6.  Placidia:  eb.  194,  1.  3.  195,  7.  196,  10. 
197,  14.    Honoria:  219,  1.     Euphemia:  234,  1.  —  Eudoxia:  eb.  218,  1.  2. 

a)  Konstantin:  Benjamin  bei  Pauly-Wissowa  IV  1013. 


Italien  (außer  Ravenna).  183 

über  den  Nebenbögen  und  in  gleicher  Höhe  außen  herumlaufende  Fries,  nebst  den 
zwei  Medaillons  über  dem  Ost-  und  Westfries.  Die  oberen  Reliefs  und  die  zwei  großen 
im  mittleren  Torweg  sind  von  älteren  Denkmälern  entlehnt.  Diese  Verteilung  macht 
den  Eindruck,  als  habe  beim  Beginne  des  Aufbaues  die  Absicht  bestanden,  alles  aus 
eigenen  Mitteln  zu  bestreiten,  daß  aber  während  der  Arbeit  der  Entschluß  reifte,  viel- 
leicht auch  um  rascher  zum  Ziele  zu  kommen,  fremdes  Gut  nutzbar  zu  machen.  Die 
konstantinischen  Rundbilder  der  Schmalseiten  sind  in  ihrer  Form  und  Größe  durch 
die  entlehnten  der  Langseiten  angeregt,  ihren  Inhalt,  Sol  und  Luna,  entnahmen  sie 
klassischen  Vorbildern.1) 

Die  Reliefs  der  Säulenpostamente  hatte  man  ursprünglich  nicht  so  unmittelbar 
vor  dem  Auge  wie  jetzt;  die  Sockel  der  vier  mächtigen  Torpfeiler  sind  verschüttet. 
Die  Viktorien,  um  nur  von  diesen  zu  reden,  haben  recht  kräftiges  Relief;  um  einen 
Grad  kräftiger  plastisch  sind  die  der  Südseite,  etwas  minder  die  der  Nordseite,  von 
dort  zu  hier  ist  ein  fühlbarer  Abfall.  Die  Flügel  der  Siegesgöttinnen  der  Südseite  stehen 
parallel,  an  der  Nordseite  symmetrisch;  dort  ist  mehr  freie  Bewegung,  hier  breitet  sich 
die  Gestalt  mehr  in  der  Fläche  aus.  Im  Gewand  ist  an  der  Südseite  mehr  Massen- 
gliederung, nicht  bloß  in  dem  plastischer  behandelten  Mantel,  dessen  Überfallwulst 
kräftig  auslädt,  sondern  auch  am  Kleid,  besonders  am  linken  Unterbein;  die  Falten 
am  Leib,  bei  aller  Linienmanier  der  Darstellung,  sind  mehr  im  Sinne  der  Massen- 
verteilung behandelt,  während  an  der  Nordseite  das  Gestrichel  gleichmäßig  über  die 
Fläche  hingehend  einen  ähnlich  flauen  Eindruck  macht,  wie  am  Paulus  des  Sarkophags 
Lat.  n.  174.  —  Die  Flußgötter  und  Viktorien  der  Zwickel  braucht  man  nur  mit  denen 
am  Bogen  des  Septimius  Severus  zu  vergleichen,  um  den  starken  Rückgang  zu  er- 
messen; man  sehe  nur  die  wie  ausgesägten  Beine,  die  teils  in  Kreislinien,  teils  in  Geraden 
geometrisierten  Falten,  von  der  unlebendigen  Modellierung  des  Nackten  und  der  Be- 
handlung des  Kopfes  nicht  erst  zu  reden. 

Die  zwei  Südfriese  zeigen,  weil  an  der  Außenfront,  Kriegsbilder,  links  die  Be- 
lagerung von  Verona,  rechts  die  Schlacht  am  Pons  Milvius.  An  den  Schmalseiten 
sieht  man  militärische  Züge,  an  der  Nordseite  links  den  Kaiser  auf  den  Rostra,  rechts 
denselben  das  Congiarium  spendend.  Bei  den  Kriegsbildern  wollen  wir  hier  nicht  ver- 
weilen, die  Schlacht  am  Ponte  Molle  wird  uns  weiterhin  beschäftigen.  Die  Zermonien- 
bilder  sind  uns  in  mehr  als  einer  Beziehung  interessant.  Im  Hintergrund  der  Forums- 
szene erheben  sich  ähnlich  wie  an  den  trajanischen  Balustraden  die  umliegenden  Ge- 
bäude, links  Basilica  Julia  und  Bogen  des  Tiberius,  rechts  der  des  Septimius  Severus. 
Beide  Bilder  sind  streng  symmetrisch  komponiert,  auf  dem  einen  steht  der  Kaiser  in 
der  Mitte  der  Rostrafront,  im  andern  sitzt  er  frontal  auf  hohem  Suggestus  vor  einem 
Gebäude,  das  über  den  Köpfen  der  um  das  Bema  sich  drängenden  Menge  sich  in  einer 
Reihe  von  Logen  öffnet;  man  hat  mit  ihm  schon  öfter  den  thronenden  Christus  ver- 
glichen; auch  an  die  adorierende  und  zum  Empfang  der  Spende  Hand  und  Mantel- 
bausch hebende  Menge  erinnert  manches  christliche  Bild  [Abb.  21].  —  Nun  der  Stil 
der  Skulptur.  Der  Kopf  des  Kaisers  ist  (in  beiden  Bildern)  abgeschlagen,  spätere 
Ignoranz  hat  den  Begründer  der  politischen  Kirche  wohl  für  einen  schlimmen  Heiden 
gehalten,   was  freilich  in  sich   kein  Widerspruch  wäre.     Die    übrigen  Köpfe    sind  gut 


*)  Konstantinsbogen:    Richter,  Topographie  von  Rom   173.  —  Reliefs:  Venturi,  Storia 
deü'  arte  italiana  I  1901  Fig.  26—38.    Strong,  Roman  sculpture  1907  pl.  102—104. 


184  Zur  Stilkritik  und  Chronologie  der  christlichen  Sarkophage. 

erhalten  und  Vertreter  der  Zeittracht;  daß  mehrere  Männer  noch  Barte  tragen,  kurz- 
geschnittene natürlich,  darf  um  diese  Zeit  nicht  wundernehmen.  Übrigens  ist  auch 
sonst  allerlei  Abwechslung  wie  in  die  Figuren,  so  auch  in  die  Köpfe  gebracht,  einzelne 
haben  etwas  Individuelles.  An  dem  Kaiser  und  seiner  bürgerlichen  Umgebung  erscheint 
zum  ersten  Male  die  toga  contabulata,  konventionell  auch  trabea  oder  laena  genannt. 
Alle  Sarkophage,  deren  Porträtbüsten  diese  Tracht  angelegt  haben,  sind  konstantinisch 
oder  später.  Aus  den  datierten  Elfenbeinreliefs,  die  unten  zur  Besprechung  kommen, 
ermittelte  Graeven  die  Entwicklungsgeschichte  der  Tracht.  Die  Tragweise  A,  im  vierten 
Jahrhundert  üblich,  findet  sich  an  G  304,  1  des  Catervius.  338,  4  der  Hydria,  zu 
Arles.  357,  2.  361,  1  aus  Villa  Ludovisi.  364,  2  [Abb.  38].  365,  1  der  Adelfia,  zu 
Syrakus.  366,  1.  366,  2.  366,  3.  367,  1.  367,  2.  367,  3.  394,  8.  402,  3.  402,  4.  403,  1. 
Die  Tragweise  B,  Anfang  des  fünften  Jahrhunderts,  finde  ich  vorläufig  nur  an  G  384,  3. 
Tracht  C,  mittleres  fünftes  Jahrhundert,  an  G  296,  4.  365,  2  [Abb.  37].  Für  Tracht  D, 
Ende  des  fünften,  und  E,  sechstes  Jahrhundert,  finde  ich  an  Sarkophagen  keine  Bei- 
spiele ;  die  römische  Sarkophagskulptur  hatte  damals  für  Träger  der  Trabea  nichts  mehr 
zu  tun.  Die  unbedingt  erforderliche  Nachprüfung  des  Punktes  an  den  Originalen,  die 
mir  nicht  mehr  möglich  war,  muß  ich  den  Archäologen  in  Rom  überlassen.  In  der 
Proportion  sind  die  Gestalten  zu  kurz  geraten,  zu  untersetzt;  ihrer  Gebärdung  sieht  man 
wohl  an,  was  der  Künstler  im  Sinne  hatte,  aber  es  ist  kindisch  herausgebracht,  deutlich, 
aber  formlos.  Dazu  hat  das  Relief  alle  Plastik  eingebüßt,  die  Figuren  sind  „in  die 
Fläche  gequetscht",  dafür  aber  ihre  Ränder  unterschnitten.  Die  Falten  sind  nur  in 
Bohrlinien  eingezeichnet.1) 

Die  Ägypter  hatten  in  der  Pyramidenzeit  sorgfältig  echte  Reliefs  gearbeitet,  in- 
dem sie  um  die  Figuren  den  Grund  wegmeißelten  und  sie  selbst  nach  bestem  Wissen 
modellierten;  später  aber,  als  sie  die  unermeßliche  Oberfläche  der  Pylonen  und  Tempel- 
wände mit  Schildereien  überdeckten,  begnügten  sie  sich,  die  schwach  modellierten  Figuren 
nur  zu  umschneiden,  indem  sie  den  umgebenden  Stein  stehen  ließen  (relief  dans  le  creux). 
Es  galt  Erleichterung  der  Arbeit,  flottes  Erledigen.  Dabei  aber  ergab  sich,  unbewußt, 
daß  die  Oberfläche  der  Wand  im  ganzen  intakt  blieb,  die  nicht  so  sehr  herausgehauenen 
als  bloß  hineingezeichneten  Figuren  mehr  als  Flächenbild  wirkten,  wie  eine  leicht 
darübergeworfene  Stickerei,  so  meinte  Gottfried  Semper.  —  Die  griechischen  Bildhauer 
fingen  mit  flächigem  Relief  an,  holten  die  Figur  aus  dem  Stein,  ohne  sie  recht  zu  runden; 
im  wesentlichen  diente  die  Oberfläche  des  Rohblocks  als  Vorderfläche  der  wie  bloß 
ausgesägten  Figur.  Mit  der  Zeit  lernten  sie  die  Figuren  von  der  Rohblockform  des 
Steins  emanzipieren,  runden;  eine  hohe  Freiheit  gewannen  die  Bildhauer  schon  an  den 
Parthenonskulpturen,  die  weitestgehende  aber  in  der  hellenistischen  Blüte.  Im  Verlauf 
der  Kaiserzeit  führte  der  Niedergang  des  plastischen  Vermögens  zu  dem,  was  in  den 
konstantinischen  Friesen  vorliegt,  zum  Rückfall  in  die  flächige  Behandlung;  wieder  gab 
die  Wandfläche  die  Vorderfläche  der  Figuren  ab. 

Diese  Figuren  wurden  nun  an  ihrem  Rande  herum  unterschnitten,  ein  letzter 
Versuch,  den  in  die  Fläche  zurückgeschnellten  Figuren  Körperlichkeit  zu  erhalten.  Die 
Friese  zeigen  aber  auch,  in  welcher  Art  Skulptur  es  zu  diesem  Verfahren  kam,  aus- 
schließlich nämlich  im  Hoch-  und  Vollrelief,  demselben,  das  von  der  Sarkophagskulptur, 
der  heidnischen  und  der  christlichen,  so  bevorzugt  wurde;  da  hatte  man  ja  immer  die 

*)  Congiarium:  Hultsch  bei  Pauly-Wissowa  IV  875. 


Italien  (außer  Kavenna).  185 

Ränder  der  Figuren,  indem  man  sie  rundete,  unterschnitten.  Das  ging  die  Reliefs 
geringer  Erhebung  nichts  an,  sie  gaben  keinen  Anlaß  zum  Unterschneiden  der  Ränder; 
von  dem  letzten  Prozeß  blieben  sie  unberührt  und  gingen  ihren  gewohnten  Weg  weiter. 
Daraus  folgt,  daß  die  konstantinischen  Friese  allerdings  einen  Markstein  in  der  Geschichte 
des  antiken  Reliefs  bedeuten,  aber  nicht  fiir  jede  Art  desselben,  sondern  eben  nur  fiir 
das  Hoch-  und  Vollrelief. 

Die  christlichen  Archäologen  haben  lange  gezögert,  die  konstantinischen  Friese 
als  Markstein  zu  verwerten,  erst  Wittig  gedachte  damit  Ernst  zu  machen.  Nun  aber 
hat  ein  Kenner  der  römischen  Denkmäler  wie  Hülsen  vor  Überschätzung  der  Friese 
als  Wertmesser  gewarnt.  „Man  tut  den  ersten  Dezennien  des  vierten  Jahrhunderts 
unrecht,  wenn  man  ihr  Können  immer  und  hauptsächlich  nach  den  aus  jener  Zeit 
stammenden  Teilen  des  Konstantinbogens  beurteilt,  für  deren  große  Roheit  die  eilfertige 
Herstellung  des  Monuments  eine  gewisse  Entschuldigung  bietet.  Zur  Vorsicht  sollte 
es  mahnen,  daß  ein  Kolossalkopf,  den  Petersen  neuerdings  als  Porträt  Konstantins 
erkannt  hat,  lange  Zeit  als  ein  Werk  des  ersten  Jahrhunderts,  als  ein  Porträt  des 
Domitian  oder  sogar  des  Augustus  gelten  konnte."  Mit  diesen  Sätzen  will  Hülsen 
rechtfertigen,  daß  er  das  Curtiusrelief  (im  Treppenhaus  des  Conservatorenpalastes)  der 
diokletianischen  Forumsrestauration  zuschreibt;  er  denkt  es  als  Kopie  eines  älteren, 
vielleicht  unscheinbar  und  ersatzbedürftig  gewordenen  Originals.  „Die  Kunstübung 
war  in  Rom  nicht  so  weit  gesunken,  um  nicht  noch  eine  gute  Kopie  eines  älteren 
Bildwerks  zu  liefern."  Ich  stimme  Hülsen  völlig  darin  bei,  daß  in  dem  Curtiusrelief 
eine  Skulptur  aus  den  ersten  Jahrzehnten  des  vierten  Jahrhunderts  zu  erkennen  sei. 
Dabei  lasse  ich  die  Frage,  ob  Original  oder  Kopie,  ganz  außer  Betracht;  so  wie  es 
vorliegt,  ist's  in  der  Zeichnung  jedenfalls  ein  echtes  Kind  dieser  Zeit,  zunächst  der 
inhaltlich  verwandten  Schlacht  bei  Ponte  Molle  zu  vergleichen.  Soweit  also  würde  die 
Autorität  der  konstantinischen  Friese  durch  das  Curtiusrelief  nicht  so  sehr  erschüttert, 
eher  fast  bestätigt.  Im  übrigen  bleibt  zu  beachten,  daß  wir  es  beim  Curtius  nicht  mit 
einem  in  die  Fläche  zurückgeschnellten  Hochrelief  sondern  mit  einem  Basrelief  zu  tun 
haben,  wie  man  sie  —  wir  stellten  das  soeben  fest  —  auch  im  vierten  Jahrhundert 
fortfuhr  zu  meißeln;  hierauf  beruht  die  von  Hülsen  betonte  als  verhältnismäßig  gut  an- 
sprechende Arbeit  [Abb.  24].1) 

Die  statuarischen  Denkmäler  der  Zeit  Konstantins  sind  für  uns,  die  wir  es  wesent- 
lich mit  Reliefs  zu  tun  haben,  minder  wichtig,  vollends  Panzerstatuen  wie  die  in  der 
Vorhalle  der  Lateransbasilika  und  am  Kapitolsplatz;  nur  auf  die  Gewandstatuen  sei 
hingewiesen,  vor  allem  auf  die  zwei  die  Mappa  hebenden  Magistrate  im  Konservatoren- 
palast. Bemerkenswert  ist  auch  an  den  Statuen  die  flächige  Darstellung;  dazu  kommt 
das  eckige  Armheben  in  der  Ebene  des  Körpers.  Neigung  zu  flächiger  Darstellung 
zeigte  sich  schon  etwas  früher;  ein  Beispiel  ist  das  Sepulkralrelief  im  zweiten  Saal  der 
Galeria  Borghese,  n.  188,  eine  Frau  zwischen  zwei  Männern  in  ganzen  Figuren  und 
in  vollem  Relief,  frontal  gestellt  analog  den  frontalen  Sepulkralbüsten. 

Demnach  haben  wir  zu  unterscheiden  zwischen  einer  zum  Flächenhaften  neigenden 
statuarischen  Plastik  und  einem  in  die  Fläche  zurückfallenden  Hochrelief  mit  rings 
unterschnittenen  Figuren,  endlich  dem  fortdauernden  gewöhnlichen  Basrelief.     Ob  das 


*)  Relief  des   Konservatorenpalastes:    Heibig,    Führer   n.  563.    Strong,   Roman    sculpture 
Taf.  101.    Hülsen,  Rom.  Mitteil.  1902,  328. 


186  Zur  Stilkritik  und  Chronologie  der  christlichen  Sarkophage. 

Hochrelief  neben  der  neuen  Kückfallform  nicht  auch  die  echte  den  Körper  rundende 
Art  weitererhielt,  bleibt  die  Frage.1) 

Die  staatliche  Anerkennung  des  Christentums  stellte  es  auf  eine  breitere  Basis, 
Wenn  auch  vorher  schon  zahlreiche  Glieder  der  mittleren  und  oberen  Stände  sich 
hatten  tauchen  lassen,  so  fielen  nun  doch  für  noch  weit  mehrere  die  Bedenken  weg,  von 
denen  sie  sich  bisher  zurückhalten  ließen;  noch  mehr,  bei  der  neuen  Sachlage  empfahl 
die  Klugheit,  den  vorher  nicht  unbedenklichen  Schritt  jetzt  zu  tun.  Daß  der  Bedarf 
an  christlichen  Sarkophagen  eine  Steigerung  erfahren  mußte,  gleichlaufend  dem  Rück- 
gang in  der  Nachfrage  nach  heidnischen,  liegt  auf  der  Hand. 

Mit  dem  Massenübertritt  aber  mußte  notwendig  eine  Änderung  im  Charakter 
des  Christentums  eintreten,  heidnische  Anschauungen  und  Gebräuche  gingen  mit  hinüber, 
dies  um  so  leichter,  als  Heidentum  und  Christentum  im  letzten  Grunde  auf  demselben 
Boden  der  Antike  standen.  Auch  an  der  christlichen  Kunst  hat  man  im  vierten  Jahr- 
hundert eine  Zunahme  der  heidnischen  Elemente  zu  bemerken  geglaubt,  in  dem  Maße, 
daß  man  von  einer  „Renaissance  der  Antike"  (der  heidnischen)  sprechen  zu  dürfen 
meinte.  Die  Bezeichnung  ist  kaum  am  Platze;  denn  es  handelte  sich  nicht  um  Wieder- 
geburt einer  gesunkenen  Kunst  durch  Zurückgreifen  auf  die  Vorbilder  einer  größeren 
Vergangenheit.  Tatsächlich  hat  eine  Erneuerung  gar  nicht  stattgefunden,  sondern  die 
plastische  Kunst  ging  immerzu  nieder.  Was  sich  zutrug,  war  nichts  weiter,  als  daß 
jetzt  die  Masse,  vor  allem  der  Höhergestellten,  übertrat  und  sich  hinfort  unter  Inne- 
haltung der  Formen  des  christlichen  Ritus  bestatten  ließ;  die  Bildhauerwerkstätten, 
welche  bisher  für  diese  Familien  gearbeitet  hatten,  fuhren  fort,  ihnen  die  benötigten 
Sarkophage  zu  liefern,  sofern  man  nicht  vorzog,  ältere  Stücke  in  Wiederbenutzung  zu 
nehmen.  Man  muß  richtig  vergleichen;  die  neuen  christlichen  Sarkophage,  die  mit  den 
vermehrten  heidnischen  Elementen,  muß  man  nicht  mit  den  früherchristlichen  ver- 
gleichen, sondern  mit  der  Gesamtheit  der  früheren  antiken  Särge,  der  christlichen  und 
der  heidnischen;  so  wird  man  erkennen,  daß  der  Strom  ruhig  weiterfließt,  nur  gegen- 
ständlich ein  wenig  verändert  durch  die  neue  Religion,  im  künstlerischen  jedoch  un- 
verändert; er  fließt  so  weiter,  freilich  mehr  und  mehr  ebbend. 

Ist  denn  aber  die  Tatsache  richtig  beobachtet?  Die  Statistik  der  heidnischen 
Elemente  in  der  altchristlichen  Kunst,  und  ihrer  Verteilung  in  deren  Epochen,  wird 
man  erst  aufstellen  können,  wenn  die  Chronologie  der  Denkmäler  feststeht. 


*)  Konstantin  in  Statuen  und  Köpfen:  Bernoulli  a.  a.  O.  216.  Petersen,  Dissertazioni 
della  Pontificia  Accedemia  romana  1899.  —  Magistrate:  Heibig,  Führer  n.  583.  584.  Strong, 
Eoman  sculpture  Taf.  129.  —  Immerhin  sei  hier  der  Wunsch  ausgesprochen,  daß  auch  die  männ- 
lichen Gewandstatuen  durch  die  Kaiserzeit  einmal  verfolgt  würden,  ähnlich  wie  Hekler  in  den 
Münchn.  archäol.  Stud.  1906  für  die  weiblichen  tat.  Hekler  gelangt  auf  seinem  Wege  bis  ins 
vierte  Jahrhundert,  wo  die  Reihe  erlischt;  als  letzte  Stücke  führt  er  auf:  Poggio  imperiale  Dütschke 
n.  94.  EA  n.  296  und  Uffizi  Dütschke  n.  209.  Amelung  n.  97.  EA  n.  356,  zwei  „ganz  wüste 
Figuren*.  Dann  sagt  er:  „Was  an  Kunst  nun  noch  kam,  war  nicht  mehr  antik,  etwas  ganz  anderes, 
kraftloser,  kleinlicher,  kümmerlicher,  weil  keine  selbständige  Erfindungskraft  da  war,  kein  frisches 
Formgefühl.  An  den  frühchristlichen  Sarkophagreliefs  tauchen  noch  Erinnerungen  aus  der  antiken 
Formenwelt  auf."  Das  letzte  sagt  zu  wenig;  denn  in  den  altchristlichen  Sarkophagen  leben  wir 
noch  ganz  in  der  antiken  Formenwelt.  Das  Erste  aber  sagt  zu  viel;  denn  das  Spätere  ist  keines- 
wegs etwas  ganz  anderes.  Wenn  keine  selbständige  Erfindungskraft  da  war,  so  konnte  auch  nicht 
ein  neues,  anderes  entstehen;  das  Kraftlose,  Kleinliche,  Kümmerliche  ist  bloß  Niedergang,  nicht 
Neugeburt.     Auch  die  niedergehende  Spätantike  ist  Antike,  ihr  letztes  Verglimmen. 


Italien  (außer  Ravenna).  187 

Um  nun  die  christlichen  Sarkophage  des  vierten  Jahrhunderts,  insbesondere  der 
konstantinischen  und  nachkonstantinischen  Zeit,  erkennen  zu  können,  müssen  wir  uns 
nach  geeigneten  Kriterien  umsehen.  Vielleicht  empfiehlt  es  sich,  die  Sarkophage 
klassenweise  vorzunehmen,  zunächst  also  die  geriefelten.  Unsere  erste  Frage  geht 
wieder  nach  Porträts  der  Verstorbenen  und  ihrer  Angehörigen.  Die  Männer  sind  im 
allgemeinen  bartlos  und  lassen  das  Haar  kurzgeschnitten  in  die  Stirn  fallen,  sie  tragen 
die  kontabulierte  Toga,  einer  die  Chlamys  der  Offiziere.  Der  Ehesarkophag  des 
Aurelius  Theodorus  und  der  Varia  Octaviana,  aus  Villa  Ludovisi,  von  dem  man  an- 
nimmt, daß  er  christlich  sei,  eröffne  die  Reihe.  Theodorus  trägt  die  kontabulierte  Toga, 
in  die  Stirn  gekämmtes  Haar,  dazu  noch  einen  kurzen  Bart,  sie  den  Scheitelzopf;  der 
Vollhaarige  neben  ihm  beweist  nichts  (Lat.  M  n.  26.  Strzygowski,  Orient  50  Abb.  18). 
Der  veroneser  Riefelsarg  G  363,  1  zeigt  in  der  Muschel  die  Büsten  einer  Mutter  mit 
ihrem  Sohn,  sie  trägt  den  Scheitelzopf,  die  Ohren  frei.  Lat.  n.  108  G  359,  2:  in  der 
Muschel  eine  Frau  mit  Scheitelzopf,  aber  die  Ohren  wieder  bedeckt.  Riano  G  364,  1: 
im  Clipeus  ein  Ehepaar,  sie  mit  Scheitelzopf,  die  Ohren  bedeckt.  Lat.  n.  228  G  363,  2: 
im  Clipeus  ein  Ehepaar,  er  trägt  die  Chlamys,  sie  ein  Band  ums  Haar,  vielleicht  ein 
Häubchen  darunter,  im  Nacken  hängt  eine  Haarschlinge  heraus  wie  beim  Scheitelzopf; 
am  Deckel  die  Inschrift  des  Faustinus  mit  den  Konsuln  des  Jahres  353  zwischen  je 
zwei  Paaren  heranschwimmender  Delphine.  Aber  es  sieht  aus,  als  ob  die  Inschrift 
in  Rasur  stände,  mithin  sekundär  wäre.  Endlich  am  Sarkophag  von  Pesaro  G  377,  2 
sind  vier  anbetende  Frauen  in  ganzer  Figur  dargestellt,  im  Mittelfeld  ein  junges 
Mädchen,  dem  eine  zu  ihrer  Rechten  stehende  Matrone  die  Hand  um  den  Nacken 
legt,  in  den  Endfeldern  je  eine  Jungfrau;  alle  vier  haben  den  Zopf  um  das  Haar  gelegt. 
Alle  die  hier  genannten  Sarkophage  dürften  konstantinisch  sein;  dazu  stimmt  auch  der 
Stil  der  an  ihnen  vorkommenden  Szenen. 

Wir  lassen  nun  die  gesäulten  Sarkophage  folgen  und  was  sich  anschließt,  die 
mit  Baumgängen  und  die  mit  Hintergrundarchitekturen. 

Der  Säulensarkophag  von  Salona,  mit  Hadestür,  trägt  einen  Deckel  mit  darauf- 
gelagertem Ehepaar;  leider  sind  die  Köpfe  abgeschlagen,  so  daß  uns  die  Frage,  ob 
der  Deckel  überhaupt  zugehörig  ist,  hier  nicht  interessiert.  Die  in  ziemlicher  Anzahl 
dargestellten  Männer  haben  kurzen  Bart.  Der  Sarkophag  stand  in  der  Memoria  des 
Anastasius  aus  etwa  312;  als  einer  der  ersten  dort  aufgestellt  wird  er  vermutungsweise 
in  die  zwanziger  Jahre  datiert,  der  erwähnten  Barte  wegen  möchte  ich  möglichst  nahe 
an  312  herangehen.1) 

Außerdem  haben  wir  bartlose  Männer  beizubringen,  womit  für  die  betreffenden 
Sarkophage  Entstehung  in  konstantinischer  oder  nachkonstantinischer  Zeit  wahrschein- 
lich wird;  das  gilt  aber  nicht  bloß  für  die  mit  Bildern  der  Verstorbenen  geschmückten 
Sarkophage  selbst,  sondern  sie  ziehen  auch  die  Särge  von  gleicher  Art  und  gleichem 
Stil  nach  sich.  Lat.  n.  159  G  397,  9  stellt  ein  Ehepaar  im  Typus  von  Susanna  und 
Jojakim  dar  (man  dürfte  hier  sagen,  an  der  Stelle  von  Susanna  und  Jojakim).  Es  ist 
einer  von  den  Säulensarkophagen,  die  abwechselnd  Giebel  und  Bögen,  auch  wohl  Ge- 
bälkstücke, auf  die  Kapitelle  setzen.  Damit  erhalten  wir  Ursache,  den  Rest  ähnlicher 
Sarkophage,  soweit  sie  nämlich  nicht  früheren  Zeiten  zuzuteilen  waren,  daraufhin  an- 
zusehen, ob  sie  nicht  spätantik  sind.     Da  fallen  allerdings  diese  und  jene  Momente  in 


*)  Salona:  G  299.  Rom.  Quartalschr.  1891,  266  Taf.  3.  4. 


188  Zur  Stilkritik  und  Chronologie  der  christlichen  Sarkophage. 

die  Augen,  die  für  verhältnismäßig  späteren  Ursprung  sprechen,  wenn  sie  für  jetzt 
auch  nicht  durchschlagend  sind;  z.  B.  zu  kleine  Nebenfiguren  in  den  Jesusszenen,  das 
Auftreten  jenes  vollhaarigen,  orientalisch  anmutenden  Kopftypus,  die  Darstellung  des 
Gottes  in  ganzer  Figur,  die  Einstellung  des  Logos  an  die  Stelle  des  Gottes,  neue 
Petrusszenen  usf.  am  Sarkophag  von  Fermo  u.  a.  —  Dahin  gehören  ferner  Sarkophage 
mit  der  Maiestas  domini,  dem  thronenden  jugendlichen  Christus,  wie  der  in  Perugia; 
Lat.  n.  106mitdemnimbierten  jugendlichen  Christus,  der  die  hohe  Crux  gemmata  wie  ein 
Zepter  führt,  auf  dem  Berg  stehend  zwischen  zwei  kleinen  Apostelfürsten  und  zwei 
Palmbäumen;  der  Sarkophag  in  der  Peterskirche  mit  demselben  Christus,  nur  ohne 
Nimbus,  und  dem  Ehepaar  an  der  Rückseite;  Lat.  n.  171,  der  den  erhöhten  Christus 
durch  sein  Monogramm  ersetzt  [Abb.  35].  Wenn  Konstantin  vor  der  Entscheidungs- 
schlacht das  Christusmonogramm  seinen  Soldaten  auf  den  Schild  setzte,  so  muß  es 
vorher  schon  vorhanden  gewesen  sein,  wie  wir  es  denn  auf  der  Kuppel  einer  Rotunde 
an  Lat.  n.  174  sahen;  aber  wie  es  nun  an  n.  171  hingestellt  ist,  umkränzt,  wie  ein 
Feldzeichen,  hoch  auf  dem  Kreuz,  dürfte  es  zu  einem  Triumphzeichen  der  durch 
Konstantin  siegreichen  Kirche  geworden  sein.  So  erhalten  vielleicht  auch  die  Soldaten 
unter  dem  Kreuz,  die  der  Erklärung  Raum  zu  Zweifeln  ließen,  noch  einen  bedeutsamen 
Nebensinn.  Natürlich  sind  sie  den  Evangelien  entnommen,  hier  nun  aber  ist's  vielleicht 
die  Wache  des  auferstandenen  und  verklärten  Christus  invictus;  wo  der  eine  Soldat 
schläft,  könnte  man  zögern,  aber  an  dem  Sarkophag  in  Palermo  G  349,  4  stehen  beide 
aufrecht.  —  Dies  Monogramm  kommt  auch  an  Sarkophagen  mit  Baumgängen  vor.  Die 
Gattung  ist  als  Typus  natürlich  jünger  als  ihr  Vorbild ,  der  Säulensarkophag  mit 
Arkaden;  nur  wissen  wir  nicht,  um  wieviel,  von  der  Datierung  der  einzelnen  Exemplare 
gar  nicht  zu  reden.  Das  pariser  G  319,  1  macht  einen  besseren  Eindruck;  aber  die 
Szenen,  oder  wenigstens  ihre  Ausprägungen,  sind  nicht  der  frühchristlichen  Kunst  ent- 
lehnt, wie  wir  sie  in  den  Malereien  kennen  lernten,  sondern  der  Sarkophagkunst  eigen. 
Lat.  n.  164  G  350,  2  nun  bringt  zentral  das  konstantinische  Monogramm  auf  dem 
Kreuz.  Auch  die  Skulptur  ist  konstantinisch,  hier  wie  an  Lat.  n.  171,  die  flachen 
Figuren  sind  wie  ausgesägt  und  rings  unterschnitten,  die  Baumkronen  wie  durch- 
brochene Arbeit  [Abb.  34].  Dem  vierten  Jahrhundert  gehören  auch  die  Deckel  mit 
Laubengängen  G  370,  1.  402,  9.1) 

Die  Säulensarkophage  sind  mit  den  bereits  aufgeführten  noch  nicht  erschöpft. 
Die  Schmalseite  eines  solchen,  das  berliner  Christusrelief  aus  Konstantinopel,  nach 
Strzygowski  aus  Kleinasien  stammend  und  von  ihm  dem  vierten  Jahrhundert  zugewiesen, 
der  Zeit  unmittelbar  vor  Theodosius,  sei  hier  genannt;  es  wurde  in  der  Tektonik  be- 
sprochen: in  einem  Tabernakel  der  jugendliche  Christus  mit  Kreuznimbus,  zwischen 
zwei  Aposteln,  die  das  Haar  in  die  Stirn  gekämmt  tragen.  Die  Gestalten  sind 
flächig  [Abb.  25].2) 

Sodann  noch  einige  Säulensarkophage  mit  dem  bärtigen  Christus  auf  dem  Berg. 
Lat.  n.  151  G  335,  3  zeigt  ihn  zwischen  zwei  kleinen  Apostelfürsten,  die  Figuren  sind 


*)  Fermo:  G  310,  2.  Lat.  n.  155  G  315,  2.  Lat.  n.  138  G  317,  1.  Civitä  Castellana:  G  319,  3. 
Leyden  G  319,  4.  Lat.  n.  132  G  320,  1.  —  Perugia:  G  321,  4.  Lat.  n.  106:  G  331,  2.  Peters- 
kirche: G  325.  Lat.  n.  171:  G  350,  1.  —  Lat.  n.  164:  G  350,  2.  —  Über  christliche  Siegeszeichen 
vgl.  Strzygowski,  Kleinasien  137. 

•)  Christusrelief:  Strzygowski,  Orient  oder  Rom  40  Taf.  2.  Ainalow  hatte  es  dem  fünften 
Jahrhundert  vindiziert. 


Italien  (außer  Ravenna).  189 

flach  uud  schräg  unterschritten  [Abb.  33],  das  Exemplar  in  den  vatikanischen  Grotten 
G  335,  4  zwischen  einem  Offizier  und  seiner  Frau,  beide  in  der  typischen  kleinen 
Gestalt;  ein  anderes  ebenda  G  330,  5,  zwischen  einem  Lamm  Gottes  mit  kleinem 
Kreuz  auf  dem  Kopf  und  einem  unten  ruhenden  Schaf,  Sinnbild  eines  Seligen  (unter 
zwei  Giebeln  hängen  lyraförmige  Ampeln). 

Der  Offizier  mit  seiner  Frau  erscheint  an  den  Sarkophagen  der  Zeit  öfter,  man 
kann  fast  sagen  typisch.  Es  sind  meist  stattliche  Stücke,  Spätlinge  der  vierseitig 
skulpierten  griechischen  Klasse;  sie  sind  als  Denkmäler  des  offiziellen  Christentums  zu 
betrachten,  des  militärischen  und  höfischen.  Ob  im  Einzelfall  der  Chlamysträger  als 
hoher  Offizier  oder  als  hoher  Staatsbeamter  anzusehen  ist,  lasse  ich  dahingestellt.  Es 
handelt  sich  um  Sarkophage  mit  Toren  im  Hintergrund  und  meist  dem  bärtigen 
Christus  auf  dem  Berg  im  Vordergrund.  Das  veroneser  Exemplar  G  333  mit  vier 
Toren  (dazwischen  noch  zwei  Architravjochen  und  einem  zentralen  Arkadenjoch)  um- 
gibt die  Bergszene  mit  Jesusszenen;  ein  Offizier  ist  auch  dabei,  aber  es  ist  der  (vielleicht 
doch  mit  Beziehung  auf  den  Verstorbenen  gewählte)  Hauptmann  von  Kapernaum. 
Das  Hauptstück  bildet  der  vatikanische  Sarkophag  im  Louvre  G  324  mit  dem  Christus 
vor  gesäulter  Exedra  zwischen  zweimal  drei  Toren  (sie  setzen  sich  an  den  Schmal- 
seiten fort  und  greifen  in  die  Rückseite  ein);  beiderseits  des  Bergs  der  Offizier  und 
seine  Frau,  in  kleiner  Gestalt,  sowie  an  der  rechten  Schmalseite  eine  Gruppe  von  vier 
Männern,  darunter  einer  in  Chlamys,  also  wohl  unser  Offizier  noch  einmal,  allerdings 
in  etwas  längerer,  wohl  nicht  der  kriegsmässigen  Tunika  (die  drei  andern  tragen  die 
Talaris,  einer  ist  noch  bärtig)  [Abb.  31].  Nah  verwandt,  aber  jünger  scheint  das 
Exemplar  in  Mailand  G  328.  329,  1;  beide  Langseiten  bringen  den  Christus  auf  dem 
Berg,  die  eine  den  bartlosen  sitzend,  die  andere  den  bärtigen  stehend;  jedesmal  kniet 
der  Offizier  mit  seiner  Frau  am  Berg  in  kleiner  Gestalt;  zwischen  ihnen  jedesmal  das 
Lamm  Gottes,  das  eine  Mal  zwischen  zwölf  Schafen,  die  aus  Toren  kommen;  an  der 
rechten  Schmalseite  wiederholt  sich  die  Gruppe  der  vier  Männer,  nur  sind  jetzt  alle 
vier  bartlos,  und  die  Tunika  des  Offiziers  hat  hier  beinahe  die  Länge  des  Talars  er- 
reicht; am  Deckel  sieht  man  im  Clipeus  dasselbe  Ehepaar  noch  einmal  in  Büsten,  den 
einen  Giebel  füllt  das  konstantinische  Monogramm  im  Kranz,  nun  zwischen  A  und  Q. 
Der  Sarkophag  des  Catervius  zu  Tolentino  G  303.  304,  1  entfernt  sich  weiter  vom 
Schema;  die  Tore  sieht  man  nur  noch  an  den  Schmalseiten,  die  früher  für  sie  typischen 
Szenen,  Elias'  Himmelfahrt  und  Moses'  Gesetzesempfang,  Opferverhinderung  und  Vier- 
männergruppe, sind  ersetzt  durch  Kindheitsmythen,  die  Magier  vor  Herodes  und  vor 
dem  Christkind;  ein  großes  Medaillon  an  der  einen  Langseite  gibt  unter  einer  kranz- 
haltenden Hand  die  Büsten  des  Ehepaars,  ihn  mit  glattem  Kinn  und  in  bürgerlicher 
Tracht  mit  kontabulierter  Toga  A,  sie  mit  Scheitelzopf  und  wieder  bedeckten  Ohren 
(vgl.  die  Riefelsärge  G  359,  2  und  364,  1,  sowie  die  Adorantin  mit  Halsschmuck  im 
Laubengang  G  370,  1);  an  den  Akroterien  der  anderen  Seite  Eheleute,  er  noch  mit 
kurzem  Bart,  sie  auch  mit  Halsschmuck;  im  einen  Giebel  steht  das  konstantinische 
Monogramm  im  Kranz  zwischen  zwei  Tauben  im  andern  das  Kreuzmonogramm  zwischen 
zwei  Schafen,  in  den  oberen  Zwickeln  am  großen  Medaillon  das  sechsstrahl  ige  Mono- 
gramm zwischen  A  und  Q.  —  Endlich  der  Sarkophag  inMantua  G  320,  2 — 4.  321,  1.  2 
hat  Monogramm  im  einen  Giebel,  Ehepaar  mit  Kind  an  der  einen  Schmalseite,  eine 
Anbetende  zwischen  zwei  Bärtigen  im  Talar,  der  eine  trägt  die  Chlamys,  das  bleibt 
zu  erklären. 


190  Zur  Stilkritik  und  Chronologie  der  christlichen  Sarkophage. 

Die  Gruppe  des  pariser  Sarkophags  mit  seinen  nächsten  Verwandten  bedarf  noch 
genauerer  Untersuchung  daraufhin,  wie  ihr  Hochrelief  sich  zum  flächigen  am  Kon- 
stantinsbogen  usf.  verhält,  stilistisch  und  zeitlich. 

Als  im  Typus  jünger  muß  die  Zeichnungsweise  der  Tore  gelten,  welche  die  Zinnen 
unorganisch  unmittelbar  auf  die  Torbogen  setzt.  Das  Hauptexemplar  so  ausgestalteter 
Sarkophage  befindet  sich  in  den  vatikanischen  Grotten  (G  327,  2 — 4);  das  Schema  des 
pariser  Stückes  zugrunde  legend  ersetzt  es  an  der  Front  die  Tore  durch  Weinstöcke 
und  wiederholt  am  Sockel  das  vom  mailander  Sarkophag  uns  bekannte  Motiv,  das 
Lamm  Gottes  zwischen  zwölf  Schafen,  die  aus  zwei  Toren  kommen.  An  den  Schmal- 
seiten sind  die  Tore  nun  fast  völlig  zu  einem  fortlaufenden  Bogengang  verschmolzen, 
ähnlich  den  Aquaedukten  der  Campagna;  von  den  vier  Männern  ist  der  am  Rande 
ausgefallen,  die  Köpfe  stehen,  wie  der  des  Abraham  (auch  des  Moses  und  des  Elias 
drüben),  in  je  einem  Bogenrund.  Der  Sarg  des  Gorgonius  zu  Ancona,  G  326.  327,  1, 
setzt  an  der  linken  Schmalseite  die  Zinnen  zum  Teil  noch  auf  die  wagrechte  Ab- 
deckung des  Torbaues,  sonst  auf  die  Archivolte;  an  derselben  Schmalseite  bringt  er, 
zwischen  Gesetzesempfang  und  Opfer  Verhinderung,  zwei  Männer,  einen  Offizier  und 
einen  Bürgerlichen,  an  der  rechten  die  Magier  vor  Herodes;  an  der  Langseite  mit  der 
Inschrift  den  Offizier  und  seine  Frau  am  Berge  knieend,  an  der  andern  ein  Ehepaar 
in  ganzer  Gestalt,  ihn  in  bürgerlicher  Tracht.  Die  Figuren,  besonders  die  Apostel, 
sind  in  der  späteren  Weise  in  mehr  gelockerter  Reihe  angeordnet.  —  Wie  eine  Reminis- 
zenz an  den  Christus  auf  den  Berg  zwischen  den  Aposteln  und  dem  Lamm  Gottes 
zwischen  den  Schafen  als  Sockelbild  sieht  der  Deckel  G  304,  2  aus:  der  Gute  Hirt, 
nimbiert,  zwischen  den  zwölf  Aposteln  und  zwölf  Schafen ;  an  den  Enden  Hirtenszenen. 
Spät  dürften  auch  die  zwei  andern  Deckel  auf  der  Tafel  G  304  sein,  Fig.  3:  ein 
Bärtiger  sitzt  unter  Ölbäumen  zwischen  Schafböcken  zu  seiner  Rechten  und  Ziegen- 
böcken zu  seiner  Linken  (man  beachte  die  spiralig  eingerollten  Palmettenblätter  der 
Akroterien),  und  Fig.  2:  beiderseits  des  Titulus  bewillkommnet  in  dem  durch  gereihte 
Palmbäume  markierten  himmlischen  Paradies  je  ein  Bartloser  die  mit  Kränzen  in  den 
Mäulern  herankommenden  Schafe. 

Wenn  der  Künstler  um  den  Christus  den  Halbkreis  der  Zwölf  gruppierte ,  so 
gewann  er  damit  ein  einheitliches,  die  ganze  Sarkophagfront  füllendes  Bild,  dergleichen 
an  den  heidnischen  Sarkophagen  mit  mythischen  Darstellungen  die  Regel  gewesen, 
gelegentlich  auch  in  historischen,  aus  dem  Leben  des  Verstorbenen  gegriffenen,  wenn 
auch  mit  freier  Phantasie  nachgeschaffenen  Szenen  gelungen  war,  wie  der  Barbaren- 
schlacht des  Museo  Ludovisi.  Der  künstlerische  Trieb  zu  einheitlicher  Zusammenfassung, 
wie  er  z.  B.  auch  an  den  Sarkophagen  mit  Pilatus,  mit  der  Fußwaschung,  mit  Petrus- 
szenen treibt,  scheint  auch  an  Lat.  n.  125  G  314,  5  zu  spüren.  Auch  er  gibt  ja  eine 
Reihe  voneinander  unabhängiger  Szenen,  deren  Abfolge  nicht  etwa  der  Erzählung  der 
Evangelien  sich  anschließt;  denn  die  Heilung  des  Gichtbrüchigen  hat  man  dem  Einzug 
in  Jerusalem  vorgeschoben.  Dennoch  scheint  im  Relief  eine  einheitliche  Bewegung 
rechtshin  zu  strömen,  etwa  als  ob  dem  Künstler  Jesus'  letzter  Zug  nach  Jerusalem  vor- 
schwebte; links  vor  einem  Tor,  aus  dem  die  Leute  gekommen  zu  sein  scheinen,  heilt 
Jesus  wie  im  Vorbeigehen  die  Blinden,  weiterhin  die  Blutflüssige,  rechts  spricht  er  zu 
Zachaeus  im  Baum  und  reitet  in  das  Tor  von  Jerusalem  ein,  dessen  Bewohner  ihm 
mit  Zweigen  und  Girlanden  entgegenkommen.  An  beiden  Toren  stehen  die  Zinnen 
unmittelbar  auf  der  Archivolte,  an  das  Tor  links  aber  reihen  sich  die  von  früher  be- 


Italien  (außer  Ravenna).  191 

kannten  Hintergrundsarchitekturen,  Säulen  unter  Gebälkstück,  Giebel,  Bogen;  wenn  sie 
etwas  bedeuten,  so  meinen  sie  wohl  weniger  die  Vorhallen  des  Teiches  Bethesda,  als 
den  Tempel,  in  dem  Jesus  anbetet  [Abb.  32]. 

Tore  im  Hintergrund  besitzt  auch  die  soweit  einzige  wirklich  einheitliche  Kom- 
position eines  dramatischen  Vorgangs  in  der  altchristlichen  Sarkophagskulptur,  die 
Darstellung  des  Durchzugs  der  Israeliten  durch  das  Rote  Meer  (Lat.  111  G  309,  3). 
Aus  den  Toren  links  ist  der  Pharao  auf  seinem  Streitwagen  gekommen  mit  Reitern 
und  Fußvolk;  er  hat  das  Meer  erreicht,  mit  dessen  Wellen  bereits  Krieger  und  Rosse 
der  Ägypter  kämpfen,  die  geretteten  Israeliten  befinden  sich  auf  dem  jenseitigen  Ufer, 
im  Begriffe  weiter  zu  ziehen;  außer  der  Feuersäule  bemerkt  man  im  Hintergrund  drei 
Tore,  das  mittelste  mit  vollen  Fruchtkörben  in  den  Zwickeln  [Abb.  23].  —  Angesichts 
der  stürzenden  Rosse  und  Reiter  erinnert  sich  de  Waal  der  Unfälle  im  römischen 
Zirkus,  wie  sie  an  heidnischen  und  vereinzelt  auch  an  christlichen  Sarkophagen  ge- 
schildert werden.  In  den  Motiven  besteht  gewiß  einige  Verwandtschaft;  noch  näher 
aber  liegt  die  Vergleichung  mit  der  Schlacht  bei  Ponte  Molle  am  Konstantinsbogen 
[Abb.  22].  Die  Übereinstimmung  im  Motiv,  in  der  Komposition  und  in  Einzelheiten 
ist  zu  groß  um  zufällig  sein  zu  können.  Das  Motiv:  der  Untergang  der  Krieger  im 
Fluß  (das  Rote  Meer  ist  flussartig  gedacht,  sonst  wäre  der  Durchzug  nicht  vorstellbar). 
Die  Komposition:  links  die  Vordringenden  um  die  ragende  Gestalt  des  Führers  ge- 
schart (Konstantin  und  der  Pharao  nehmen  dieselbe  Stelle  ein),  im  schräg  eingezeichneten 
Fluß  die  mit  den  Wellen  kämpfenden  Krieger  und  Rosse,  rechts  einige  Personen  auf 
dem  Ufer,  in  der  Schlacht  sind  es  Tubabläser,  im  christlichen  Bild  die  geretteten 
Israeliten,  in  ihrer  Mitte  Mirjam  mit  dem  Tympanon.  Einzelheiten:  ich  mache  auf  den 
vornüber  Stürzenden  aufmerksam,  der  sich  in  beiden  Bildern  übereinstimmend  findet. 
Wenn  es  sich  darum  handelte,  als  ein  Sinnbild  der  Erlösung  aus  dem  Tod  ins  ewige 
Leben  die  Rettung  der  Israeliten  durch  den  Untergang  ihrer  Feinde  zu  schildern,  so 
lag  dem  Künstler,  wenigstens  wenn  er  in  Rom  arbeitete,  sofern  der  Konstantinbogen 
schon  stand,  nichts  näher,  als  sich  von  dem  Fries  inspirieren  zu  lassen.  Es  kann  sogar 
sein,  daß  der  Sieg  Konstantins,  der  den  Christen  sich  so  vorteilhaft  erwies,  überhaupt 
erst  ihre  Gedanken  auf  die  biblische  Erzählung  lenkte,  als  auf  ein  Prototyp  des  Siegs 
beim  Pons  Milvius;  wie  Alexanders  des  Großen  Sieg  über  die  Perser  und  deren  Sturz 
es  gewesen  sein  wird,  der  den  Maler  der  berühmten  Dariusvase  inspirierte.  Der  Sieg 
Konstantins  erfolgte  vor  den  Toren  Roms,  sein  Triumphbogen  erhob  sich  in  Rom;  so 
wird  in  diesem  Falle  auch  das  christliche  Bild  allerdings  in  Rom  entstanden  sein.  Die 
beiden  Reliefs,  die  Konstantinschlacht  und  der  Durchzug  durchs  Rote  Meer  verknüpfen 
an  diesem  Punkte  heidnische  und  christliche  Antike;  und  das  dritte  Relief,  der 
Todessprung  des  Marcus  Curtius,  mit  jenen  beiden  innig  verwandt,  schließt  den  Ring 
[Abb.  24].1) 


*)  de  Waal,  Sarkoph.  d.  Bassus  82.  —  Zu  Durchzug  und  Konstantinschlacht  schrieb  Fr. 
X.  Kraus,  Gesch.  d.  ehr.  Kunst  I  146  etwas  verschieden:  „ Nicht  unwahrscheinlich  ist  mir  übrigens, 
daß  sich,  namentlich  in  Gallien,  welches  das  in  Rom  fast  ganz  beiseite  gelegte  Sujet  bevorzugte, 
der  Gedanke  an  Konstantins  Sieg  am  Ponte  Molle  mit  dem  Durchgang  durchs  Rote  Meer  verband. 
Der  Kaiser  selbst  erinnert  nach  dem  Sieg  über  Licinius  an  seinen  Zug  über  das  Meer  von 
Britannien  her,  und  christliche  Schriftsteller  vergleichen  den  Untergang  des  Maxentius  mit  dem 
des  Pharao  usw."  Auch  wenn  die  Komposition  in  Rom  entstanden  war,  konnte  sie  in  Gallien 
auf  besonders  fruchtbaren  Boden  fallen. 


192  Zur  Stilkritik  und  Chronologie  der  christlichen  Sarkophage. 

Der  verschollene  oder  zugrunde  gegangene  Sarkophag,  den  Garrucci  Taf.  308,  5 
nach  Bottari  gibt,  setzte  die  Zinnen  unmittelbar  auf  die  Archivolte  (der  Zeichner  hat 
das  mißverstanden),  war  also  später;  ebenso  das  Exemplar  von  Spalato  G  309,  4. 

Die  Zinnen  auf  wagrechter  Abdeckung  werden  wir,  bis  auf  bessere  Belehrung, 
der  konstantinischen  Zeit  zuschreiben  müssen,  dagegen  die  unmittelbar  auf  die  Archi- 
volte gesetzten  Zinnen  —  und  alles  was  stilgeschichtlich  damit  zusammengeht  —  den 
folgenden  Zeiten.   Deren  genauere  Datierung  muß  ich  der  künftigen  Forschung  überlassen. 

Bevor  wir  weitergehen,  sei  das  Martyrium  des  Achilleus  eingeschaltet,  dessen 
Darstellung  an  der  Säule  in  der  Basilika  Petronillae;  wir  haben  gesehen,  daß  der  be- 
scheidene Bildhauer  das  Schema  der  Enthauptung  des  Paulus  befolgte.1) 

Von  den  Sarkophagen  mit  dichtgereihten  Szenen  nehmen  wir  die  zweizonigen 
vorweg,  weil  diese  in  Clipeus  oder  Muschel  Porträts  der  Verstorbenen  zu  bieten  pflegen. 
Die  Männer  tragen  die  kontabulierte  Toga.  Neben  der  jetzt  modisch  gewordenen 
Bartlosigkeit  fanden  wir  am  Konstantinbogen  im  Fries  der  Largitio  immer  noch  Barte, 
kurzgeschnitten.  Lat.  n.  175  G  367,  1:  ein  Ehepaar,  er  bärtig  mit  Bohrungen  in  Haar 
und  Bart,  weder  mit  Ficker  ins  fünfte,  noch  mit  Biegl  in  die  Schlußphase  der  west- 
römischen Sarkophage  zu  setzen,  sondern  wegen  der  Toga  A  noch  ins  vierte  Jahr- 
hundert. Die  hohen  Schädel  ohne  Tiefe  könnten  an  die  Söhne  Konstantins  erinnern, 
wie  sie  auf  ihren  Münzbildern  erscheinen;  aber  der  Porträtkopf  weist  auf  die  Frühzeit 
des  Jahrhunderts,  es  wäre  denn,  daß  man  in  dem  Verstorbenen  einen  Verehrer  des 
Julianus  Apostata  erkennen  wollte;  dessen  Kopf  sieht  freilich  trotz  der  Bärtigkeit 
anders  aus.  Die  Gattin  scheint  Haube  oder  Mütze  zu  tragen.  —  An  Lat.  n.  178 
G  367,  3  sind  die  Porträtköpfe  mit  den  meisten  Vordergrundsköpfen  ergänzt,  aber  die 
Toga  zeigt  die  Tracht  A;  die  modernen  Christusköpfe  nehmen  sich  in  der  antiken 
Umgebung  recht  befremdlich  aus.  —  Lat.  n.  184  G  364,  2  nähert  sich  der  Largitio, 
in  der  gedrungenen  Proportion  der  Männer,  in  den  Köpfen,  in  der  flächigen  und  rings 
unterschnittenen  Skulptur  der  Figuren;  die  Intervalle  zwischen  den  Figuren  sind  ähn- 
lich [Abb.  38].  —  Der  Sarkophag  der  Adelfia  zu  Syrakus  G  365,  1  zeigt  in  der 
Muschel  das  Ehepaar,  ihn  rasiert  in  Toga  A,  sie  mit  Zopf  ums  Haar,  die  Figuren  in 
den  Szenen  erinnern  an  die  Friese  des  Konstantinbogens.  —  Der  große  Sarkophag 
von  der  Confessio  Sankt  Pauls,  Lat.  n.  104,  G  365,  2,  ist  unfertig,  besonders  die 
Porträts  sind  nur  angelegt;  er,  in  Toga  C  (mittleres  fünftes  Jahrhundert)  scheint  einen 
kurzen  Bart  zu  tragen,  sie  nicht  ein  Barett,  sondern  ein  breites  Band  um  das  Haar. 
Die  Figuren  sind  noch  plastisch  gerundet,  aber  die  Frontalität  nimmt  zu;  der  Christus- 
kopf, etwa  in  der  Zuweisung,  steht  dem  letzthin  besprochenen  Adonis,  auch  dem  Hippo- 
lytos,  recht  nahe;  man  beachte  auch  die  Kleinheit  der  Schwester  des  Lazarus  und  der 
Trinkenden;  ingleichen  die  Fortbildung  der  christlichen  Kunstmythologie  in  Schöpfung 
und  Zuweisung  [Abb.  37]. 

Von  den  einzonigen  Sarkophagen  mit  dichtgedrängten  Figuren  gehört  ohne 
Zweifel  die  Mehrzahl  dem  vierten  Jahrhundert,  viele  wohl  erst  dem  fünften.  Zunächst 
drei  Beispiele  Lat.  n.  191  G  312,  1  (nebst  den  Schmalseiten  Lat.  n.  187.  192,  bei 
Ficker  Taf.  2)  stellt  in  die  Mitte  die  symmetrische  Gruppe  der  Speisensegnung,  rechts 
Sündenfall  und  (statt  der  schematisch  verwandten  Schöpfung  des  Weibes)  Toten- 
erweckung,  links  drei  Erlösungstypen.     Man  bemerkt  die  durchgeführte  Frontalität  der 

*)  Achilleus:  Bull,  crist.  1875,  8  Taf.  4.  Kraus,  Gesch.  d.  ehr.  Kunst  T  198  Fig.  166  und 
anderwärts. 


Italien  (außer  Ravenna).  193 

Figuren,  noch  nicht  der  Köpfe  [Abb.  39].  —  Lat.  n.  193  G  372,  3  stellt  die  Ver- 
storbene in  die  Mitte,  an  die  Enden  Lazarus  und  Opfer  Kains  und  Abels.  Der  Wunder- 
täter blickt  in  keiner  seiner  vier  Szenen  auf  seine  Arbeit  (bei  der  Erweckung  des 
Lazarus  steht  er  abgewandt,  frontal,  mit  Augenaufschlag,  beim  Gichtbrüchigen  wendet 
er  sein  Gesicht  der  Verstorbenen  zu),  wieviel  schöner  ist  das  bei  der  Blindenheilung 
Lat.  n.  55.  Die  Figuren  sind  flach;  um  alles  unterzubringen  ist  der  ebenfalls  flache 
Christus  der  Zuweisung  schräg  eingestellt.  Bereits  hängen  die  Füße  wie  in  Aufsicht. 
Die  Falten  sind  mit  dem  Meißel  gemacht,  wie  geschnitten  [Abb.  40].  —  Lat.  n.  135 
G  318,  1 — 3  (die  Köpfe  links  sind  ergänzt).  Die  Falten  sind  hier  Bohrerarbeit,  harte 
Rillen.     Die  hängenden  Füße  treten  auf  die  der  Nachbarn  [Abb.  41]. 

Drei  weitere  Sarkophage  können  Anspruch  darauf  machen,  in  der  Geschichte  der 
stadtrömischen  Sarkophagskulptur  die  Schlußphase  zu  repräsentieren,  einerseits  für  den 
Schwund  des  Plastischen,  andrerseits  für  die  Entwicklung  des  Flächigen,  wie  man  das 
nun  auffassen  und  schätzen  mag.  Lat.  n.  116  G  376,  4  stellt  eine  Anbetende  in  die 
Mitte  (ihre  Arme  und  Hände  sind  ergänzt,  anscheinend  unter  dem  Bemühen,  den  Stil 
zu  wahren).  „Derbe  Arbeit  vom  Ende  des  vierten  Jahrhunderts",  urteilt  Ficker. 
Derbe,  man  möchte  sagen  herb  bäuerliche  Gesichter,  der  Orantin,  des  Abraham  und 
anderer  [Abb.  42].  —  Wenn  am  vorigen  Stück  schon  mehr  Grund  zwischen  den  Figuren 
sichtbar  wird,  so  treten  diese  an  einem  Sarkophag  aus  San  Callisto  schon  soweit  aus- 
einander, daß  alle  fast  oder  ganz  frei  im  Felde  stehn.  Die  nächste  Folge  dieser  offenen 
Anordnung  ist,  daß  viel  weniger  Figuren  Platz  finden,  als  bei  der  geschlossenen,  im 
vorliegenden  Falle  nur  dreimal  drei  Figuren,  links  Daniel  zwischen  zwei  Männern, 
zentral  ein  Anbetender  zwischen  zwei  Seligen,  rechts  Wasserverwandlung  und  Erweckung 
des  Lazarus,  wobei  die  Mumie  im  Mausoleum  mit  der  Schwester  am  Boden  als  dritte 
Figur  zählt  [Abb.  43].  —  Endlich  Lat.  n.  219  G  369,  1,  eine  Arbeit,  die  nur  so  hin- 
gehauen ist.  Zentral  eine  Anbetende  vor  Parapetasma,  dessen  Aufhängebäusche  in 
ihrer  schematischen  Bildung  den  Händen  der  Orantin  ähnlich  geworden  sind.  Die 
Darstellung  des  Auges  fällt  ins  Primitive  zurück.  Äußerste  Unbeholfenheit  verrät  das 
Gewand  des  Jüngers  hinter  dem  Hahn.  Doch  bemerken  wir,  daß  die  Köpfe  hinsichtlich 
der  Frontalität  im  allgemeinen  den  Körpern  noch  nicht  gefolgt  sind  [Abb.  44].1) 

Noch  manches  Stück  ließe  sich  in  diesen  Zusammenhang  einreihen.  Ich  nenne 
den  mailänder  Sarkophag  G  315,  5  mit  dem  bärtigen  Christus  zwischen  zwei  Aposteln, 
der  vom  Berg,  hier  auf  ebenen  Boden  gestellt,  links  die  Magier  den  Stern  erblickend 
und  die  Anbetung  der  Hirten,  rechts  die  Frauen  vor  dem  Grabe  und  der  ungläubige 
Thomas,  alles  in  lockerer  Anordnung,  dabei  noch  lange  nicht  so  rüde  gearbeitet  wie 
die  drei  letztgenannten  Stücke. 

Die  zuletzt  erwähnten  Sarkophage  legen  den  Gedanken  nahe,  daß  es  sich  bei 
ihnen  vielleicht  doch  nicht  um  führende  Arbeiten  handle,  sondern  um  geringere  Markt- 
ware. Es  fehlen  aber  nicht  ganz  die  Anzeichen  dafür,  daß  auch  jetzt  noch  Arbeiten 
besserer  Qualität  entstanden.  In  Rom  gibt  es  zwei  altchristliche  Marmorsarkophage, 
die  allen  andern  gegenüber  eine  Sonderstellung  einnehmen;  bei  weitgehender  Ver- 
schiedenheit haben  sie  doch  viel  Verwandtes.  Sie  sind  vierseitig  skulpiert,  sonach  der 
griechischen  Klasse  zuzurechnen.    Mich  wundert,  daß  diese  zwei  Stücke  in  den  neueren 


*)  San  Callisto:  de  Rossi,  Roma  sott.  III  446  Taf.  41.     Simelli  n.  113;  Barbier  n.  8  (fünftes 
Jahrhundert).     Grousset  n.  182.  183.  G  368,  2. 

Sybel,  Christliche  Antike  II.  13 


194  Zur  Stilkritik  und  Chronologie  der  christlichen  Sarkophage. 

Verhandlungen  so  gar  keine  Rolle  gespielt  haben,  obwohl  ihre  Bedeutung  gerade 
Forschern  von  den  Richtungen  der  Riegl  und   der  Strzygowski  sich  aufdrängen  muß. 

Der  in  der  Prätextatkatakombe  gefundene  Sarkophag  Lat.  M  n.  183A  (F  n.  181) 
G  302,  2 — 5  ist  eigen  komponiert.  Das  reich  entfaltete  Weinlesemotiv  bedeckt  die 
ganze  Front;  dahinein  sind  drei  Gute  Hirten  gestellt,  als  Statuen  gedacht,  daher  auf 
Basen  gebracht.  Im  Zusammenhang  mit  den  Eckkaryatiden  heidnischer  Sarkophage 
lernten  wir  Eckbasen  kennen,  die  aber  im  Grunde  nichts  als  Verkröpfungen  des 
Sarkophagsockels  waren,  unsere  drei  Basen  dagegen  sind  oberhalb  des  Sockels  in  das 
Reliefbild  selbst  eingestellt.  Ob  es  Reminiszenzen  der  von  Konstantin  in  seiner  neuen 
Hauptstadt  aufgestellten  Gutehirtstatuen  sind,  ist  eine  besondere  Frage,  deren  sichere 
Beantwortung  natürlich  grundlegend  wäre  für  die  Datierung  des  Sarkophags.  Die  drei 
Hirten  sollen  den  Eindruck  von  Statuen  machen,  das  Relief  ist  recht  hoch,  die  Figuren 
lösen  sich  vom  Grund,  Arme  und  Beine  auch  materiell.  Viel  Relief  haben  die  Figuren 
z.  B.  auch  von  Lat.  n.  104,  aber  unsere  Hirten  sind  flacher  gearbeitet,  die  Lösung 
vom  Grund  erhalten  sie  durch  Unterschneiden  der  Ränder.  Ähnlich  die  vier  alten 
Weinstöcke  mit  Laub  und  Trauben,  sowie  die  darin  spielenden  Putten,  alles  löst  sich 
vom  Grund  durch  Unterarbeiten,  der  Grund  selbst  liegt  in  einer  tieferen  Ebene  parallel 
zur  Bildebene.  Nun  ist  alles  Geformte,  Hirten,  Putten,  Weinstöcke,  gleichmäßig  über 
den  Grund  verteilt,  so  daß  es  wie  ein  naturalistisch  durchgebildetes  Gitterwerk  aus- 
sieht, das  sich  hell  vom  dunklen  Grund  abhebt.  Den  Übergang  des  ursprünglichen 
Hoch-  und  Vollreliefs,  wie  es  z.  B.  am  Bassussarkophag  oder  an  Lat.  n.  174  vorliegt, 
in  das  Flachrelief  mit  Unterschneidung  der  Ränder,  lernten  wir  bereits  kennen;  die  so 
unterarbeitete  Weinlaube  hat  ihre  Vorläufer  schon  in  der  Jonaslaube  an  Lat.  n.  119 
und  am  Sarkophag  von  Maria  Antiqua.  Das  Besondere  an  unserem  Relief  aber  besteht 
in  der  vom  Grunde  gelösten  Ebene,  in  welcher  die  gleichmäßig  und  dicht  verstreuten 
Formen  sich  halten.  Ein  schlagendes  Analogon  aus  früherer  Zeit  bietet  jener  Pilaster 
mit  Weingerank  im  Museo  profano  des  Lateran,  von  Wickhoff  um  200  angesetzt,  was 
Riegl  für  etwas  zu  früh  hält.  Die  fünflappigen  Weinblätter  mit  den  als  Doppellinien 
eingezeichneten  Blattrippen  kommen  ähnlich  am  Sarkophag  vor,  auch  die  symmetrisch 
sich  gabelnden  Helikes;  das  Randornament  ist  gebohrt  [Abb.  45].1) 

Lehrreich  ist  die  Vergleichung  unseres  Sarkophags  mit  dem  des  Bassus,  ins- 
besondere laden  die  fast  identisch  verzierten  Schmalseiten  zum  Vergleich  ein.  Angesichts 
dessen  könnte  man  denken,  beide  Sarkophage  müßten  aus  derselben  Hand  hervor- 
gegangen sein.  Bei  genauerem  Zusehen  wird  man  bedeutsamer  Unterschiede  inne. 
An  unserem  Sarkophag  rechts  unten  der  Frühling  als  Horenerot  neben  den  Eroten 
der  drei  andern  Jahreszeiten;  darüber  der  Sommer  im  Bild  der  Weizenernte,  nur 
daß  die  Olivenernte  mit  hineinspielt;  links  oben  die  Weinlese,  unten  die  Olivenernte 
mit  Ochsenkarren.  Man  sieht,  daß  hier  keine  Originalkomposition  vorliegt,  sondern 
etwas  durcheinanderlaufende  Reminiszenzen.  Fast  schlimmer  sieht  es  mit  dem  Bassus- 
sarkophag aus,  mit  seinen  sechs  Horeneroten  und  seiner  Verwandlung  der  Olivenernte 
in  eine  zweite  Weinlese.  Beide  Sarkophage,  das  wissen  wir  schon,  arbeiten  nach  gleich- 
artigen älteren  Vorlagen.  Und  der  Sarkophag  aus  Prätextat  ist  der  jüngere.  Die 
Weinrebe  links   oben  zeichnet  er  schematischer,   verwandelt  sie  mit  ihren  Helikes  in 


»)  Pilaster:  Benndorf -Schöne  n.  320.    Wickhoff,  Wiener  Genesis  38  Fig.  11.    Riegl,  Spät- 
röm.  Kunstind.  71. 


Italien  (außer  Ravenna).  195 

eine  Art  Wellenranke;  bezeichnend  sind  auch  die  symmetrisch  eingerollten  Helikes, 
wie  sie  ähnlich  an  der  Sarkophagfront  vorkommen,  nicht  am  Bassussarg.  Auch  die 
Eroten,  in  der  ganzen  Anlage  gleichartig,  sind  doch  verschieden;  die  Stirn  der  vati- 
kanischen ist  hoch  und  frei,  den  lateranischen  fällt  das  Haar  in  die  Stirn.  Das  Ge- 
gitter  an  der  Rückseite  haben  wir  als  Parkgitter  verstehen  gelernt,  somit  als  Andeutung 
des  Paradiesgartens.  Auch  die  andern,  in  der  Tektonik  aufgeführten  Gitter  an  Sarko- 
phagen gehören  der  Spätzeit. 

Der  ebenfalls  vierseitig  skulpierte  Sarkophag  von  San  Lorenzo  stand  früher  hinter 
dem  Chor  der  Kirche,  jetzt  steht  er  in  der  Vorhalle  gegen  die  Wand  gerückt.  Daß 
die  gegen  die  Kirchenwand  gerückte  Seite  die  Front  sei,  schloß  Garrucci  aus  ihrer 
reicheren  Verzierung  des  Untersatzes.  Man  sollte  den  eigenartigen  Sarkophag  —  Zoega 
erwähnte  ihn  als  das  vielleicht  letzte  große  Relief  vor  der  Renaissance  —  frei  auf- 
stellen, in  gutem  Schutz  und  gutem  Licht;  auch  bedarf  er  einer  kritischen  Nachprüfung 
auf  Beschädigungen  und  Ergänzungen.  Es  ist  ein  Sarkophag  des  Klinentypus  (leider 
fehlt  der  Deckel),  an  den  vier  Ecken  sind  die  Bettpfosten  dargestellt;  sie  stehen  auf 
anscheinend  verkröpftem,  also  Bathra  bildendem  und  reichverziertem  Sockel.  Die  Er- 
klärer haben  zu  Zeiten  geschwankt,  ob  der  Sarkophag  heidnisch  oder  mittelalterlich 
sei;  inzwischen  dürfte  sich  das  Urteil  allgemein  dahin  festgestellt  haben,  daß  er  der 
christlichen  Spätantike  zugehöre.  Die  Wandflächen  zwischen  den  vier  Pfosten  füllen 
Weinleseszenen.  Starke  Weinstöcke  verbreiten  ihre  Reben  in  den  Raum,  zwischen  den 
selteneren  Blättern  prangen  Riesentrauben;  Pfauen  und  Tauben  spielen  dazwischen, 
Putten  lesen  die  Trauben  und  treiben  allerlei  Kurzweil  [Abb.  46].  Vor  diesem  Relief 
wird  man  nicht  bloß  sagen,  alle  Formen  liegen  in  einer  Ebene,  sondern  sie  liegen  in 
der  Fläche,  das  ist  Flachverzierung.  Dabei  läßt  sich  die  Arbeit  nicht  durchbrochen 
nennen.  Wohl  ist  der  Grund  stellenweis  ausgehoben,  besonders  entlang  den  Asten, 
aber  nicht  sonderlich  tief  und  ohne  Unterschneidung  der  Konturen;  so  entsteht  kein 
Tiefendunkel.  An  vielen  Stellen  aber  drängen  sich  die  Formen  so  dicht,  daß  gar  kein 
Grund  sichtbar  wird.  Es  ist  aber  auch  nicht  die  Art  der  ravennatischen  Sarkophage 
mit  Weinstöcken;  dort  stehen  Reben,  Blätter  und  Trauben,  Pfauen  und  was  sonst  vor- 
kommt, frei  in  reichlichem  Grund.1) 

An  den  ravennatischen  Sarkophagen  werden  wir  ein  Zurücktreten  des  Figürlichen 
gegenüber  einer  beschränkten  Auswahl  von  Symbolen  aufkommen  sehen.  In  ähnlichem 
Sinne,  wenn  auch  in  andrer  Ausbildung,  wäre  hier  der  Sarkophag  von  Tusculum  zu 
nennen,  G  386,  4,  ein  Riefelsarg:  im  Mittelfeld  das  konstantinische  Monogramm  in 
Kranz,  aber  ganz  schematisiert,  auch  nicht  auf  dem  Kreuz,  sondern  über  einem  Marmor- 
thron, das  Feld  eingerahmt  von  zwei  Säulen  mit  glattem  Schaft,  unter  verkröpftem 
Epistyl;  zwei  ebensolche  Endsäulen,  an  jedem  Schaft  ist  ein  kleines  Kreuz  eingemeißelt. 

Hier  sind  die  Riefeln  noch  sorgfältig  ausgearbeitet;  anderwärts  sieht  man  sie  auf 
ein  rohes  Schema  reduziert,  auch  die  Riefelfelder  nicht  mehr  symmetrisch  angeordnet, 
dazu  auch  die  Spiralsäulen  gleich  roh  behandelt:  G  362,  3  mit  der  Witwe  Latobia 
und  ihrem  Sohn  im  Mittelfeld;  G  386,  2  mit  Lamm  Gottes  unter  Taube  im  Mittel- 
feld, Bärtigem  und  Matrone  in  den  Endfeldern. 

Wir  schließen  noch  einige  späte  Sarkophage  an,  auch  sie  ohne  ihre  genauere 
chronologische  Bestimmung  zu  versuchen.     G  300,  2  in  Osimo,    mit  geriefelten  Eck- 


»)  Bottari  III  19.    Zoega,  Bassirilievi  I  129.    Garrucci  306,  1—4. 

13* 


196  Zur  Stilkritik  und  Chronologie  der  christlichen  Sarkophage. 

pfeilern;  zentral  steht  ein  Hirt  rechtshin  auf  seinen  Stab  gestützt  inmitten  seiner 
Herde  (gutes  altes  Motiv,  hier  aber  doch  wohl  den  johanneischen  guten  Hirten  vor- 
stellend); beiderseits  steigt  aus  einer  Vase  eine  Weinrebe,  die  in  kreisförmigen  Win- 
dungen sich  im  Bildfeld  ausbreitet.  —  G  393,  1 — 3  in  Fusignano:  glatte  Eckpfeiler 
tragen  ein  jonisches  Epistyl;  darauf  sitzt  der  dachförmige  Deckel  mit  Schuppen  in 
Form  spitzer  Pflanzenblätter,  in  den  Akroterien  gelockerte  Halbpalmetten  mit  eingerollten 
Blattspitzen.  Im  Hauptfeld  des  Kastens  radförmiges  Monogramm  auf  Akanthwurzel- 
blatt  (vgl.  den  auf  einer  Akanthuspflanze  ruhenden  Schild  der  sog.  Athena  Hephaisteia, 
Österr.  Jahreshefte  1898  Taf.  3.  Heibig,  Führer  I  Fig.  6.  7  zu  n.  67)  zwischen  zwei 
Schafen  und  zwei  Palmbäumen.  Die  linke  Schmalseite  füllt  ein  Anthemion:  Akanth- 
wurzelblatt,  daraus  gehen  zwei  symmetrische  Weinreben  hervor,  auf  denen  zwei  Tauben 
sitzen,  zentral  das  Kreuz;  an  der  rechten  Schmalseite  ein  Wassergefäß  —  zwischen 
zwei  Pfauen  und  zwei  Palmbäumen;  in  beiden  Giebeln  Kreuzmonogramm  zwischen 
zwei  Pfauen.  —  G  887,  6  in  S.  Lorenzo  zu  Mailand:  Eckpfeilersarkophag  mit  ge- 
schupptem dachförmigem  Deckel,  an  den  Wänden  Tabernakel  mit  spiral  geriefelten 
Säulen;  an  der  Front  ein  breiteres  unter  klassischem  Giebel  zwischen  zwei  schmäleren 
unter  Bögen;  an  der  Schmalseite  wieder  eins  unter  Giebel.  In  den  drei  letztgenannten 
Tabernakeln  je  ein  Kreuzmonogramm,  diejenigen  an  der  Front  unter  herabschießender 
Taube  (aus  der  Jesustaufe),  das  an  der  Schmalseite  zwischen  zwei  Schafen  (zwei  Selige 
um  den  Herrn).  Als  Füllung  des  Haupttabernakels  ist  in  ein  überhöhtes  Viereck  eine 
Vase  eingezeichnet,  aus  der  symmetrisch  zwei  Reben  aufsteigen,  sie  bilden  regelmäßige 
kreisförmige  Verschlingungen;  in  die  zwei  oberen  Eckschlingen  sind  eigenartige  Kreuz- 
monogramme gesetzt  (siehe  Garrucci),  in  die  zwei  darunter  Tauben;  vgl.  die  Ver- 
schlingungen an  dem  noch  späteren  Epitaph  des  Bischofs  Vitalianus,  zu  Osimo,  G.  393,  9 
und  die  ähnlichen  Ornamente  in  der  Sophienkirche.  —  G  387,  1  aus  Concordia:  Taber- 
nakelsarg unter  dachförmigem  Deckel;  alle  Tabernakel  tragen  Bögen;  an  der  Front 
Tabula  ansata  zwischen  zwei  Tabernakeln,  an  der  linken  Schmalseite  ein  breitgeöffnetes, 
an  der  rechten  zwei  schmälere.  Als  Füllung  an  der  Front  je  ein  kleines  sog.  Ordens- 
kreuz, in  dem  breitoffenen  eine  Schale,  an  der  anderen  Schmalseite  eine  Schüssel  mit 
drei  Fischen  und  eine  Kanne  (Schale  und  Kanne  von  heidnischen  Sakralmonumenten 
übernommen).  Am  Akroter  die  gelockerte  Halbpalmette;  in  den  Giebeln  Schale  mit 
Griff,  und  Monogramm  auf  den  Nimbus  gelegt.  Alles  in  schwachem  Relief  nur  eben 
angedeutet.  —  Auch  an  den  zuletzt  aufgeführten  Sarkophagen  finden  sich  weitgehende 
Analogien  zu  den  ravennatischen,  die  eben  auch  spät  sind;  wir  müssen  es  andern 
Archäologen  überlassen,  diesen  Beziehungen  weiter  nachzugehen.  Sarkophage  wie  der 
mailänder  sind  vielleicht  einfach  ravennatische,  durch  Handel  verbreitet. 


Ravenna. 

Die  Stilgeschichte  der  ravennatischen  Sarkophage  ist  noch  nicht  geschrieben; 
doch  wurden  neuerdings  mehrere  Anläufe  genommen,  ein  weiterer  mag  hier  folgen. 
Wir  sind  noch  nicht  am  Ziel,  aber  es  wird  immer  ein  Schritt  getan. 

Zunächst  ist  ein  Stück  vorwegzunehmen,  weil  es  ältere  Art  aufweist,  als  die 
übrigen;  es  steht  den  vorbesprochenen  Sarkophagen  des  dritten  Jahrhunderts  nahe. 
Vor  Parapetasma,    dessen   Aufhängungsbäusche    noch    ganz  gut   gearbeitet  sind,   sitzt 


Ravenna.  197 

linkshin  auf  einer  Art  Sella  curulis  ein  langhaarig  Bärtiger,  deutlich  Porträt;  ein 
Schriftenbündel  steht  bei  ihm,  er  liest  in  einem  weitaufgerollten  Volumen  (mitsamt  der 
Linken  großenteils  ausgebrochen);  vor  ihm  steht,  ihn  aufmerksam  anblickend,  eine  Frau 
im  Musentyp,  das  Kinn  in  der  aufgestützten  Hand  (den  Pfeiler  verdeckt  der  breit- 
fallende Mantelzipfel  und  das  Schriftenbündel),  den  linken  Fuß  übergeschlagen.  Links 
zwischen  zwei  Ölbäumen  eine  Matrone,  mit  der  Rechten  adorierend,  zwischen  ihrem 
bartlosen  Sohn  (im  bloßen  Mantel,  die  Rechte  sprechend,  in  der  Linken  die  Rolle) 
und  einem  kleinen  Mädchen,  das  ein  Schmuckkästchen  trägt.  Rechts  von  der  Mittel- 
szene der  Gute  Hirt,  jugendlich  lockig,  in  Exomis,  zwischen  zwei  Schafen,  ein  drittes 
säuft  aus  einer  Quelle,  auf  der  Felsstufe  darüber  ruht  ein  viertes,  hinter  dem  Felsrand 
wird  ein  Baum  sichtbar  und  der  jugendlich  lockige  Hirt  in  Exomis  mit  dem  kurzen 
Krummstab.  An  der  rechten  Schmalseite  zieht  ein  Angler,  den  Fuß  aufgestützt,  einen 
Fisch  aus  dem  Wasser,  an  der  Linken  fährt  ein  Erot  im  Schiff,  sich  umwendend. 
G  371,  2—4. 

Alle  übrigen  ravennatischen  Sarkophage  bilden  eine  geschlossene  Masse.  Den 
ersten  Versuch  einer  chronologischen  Klassifikation  unternahm  Ch.  Bayet  (Recherches 
1879  113),  den  ersten  Versuch  ihrer  stilkritischen  Analyse  aber  verdanken  wir  Aloys 
Riegl.  Viele  dieser  Särge  tragen  Grabschriften  ravennatischer  Erzbischöfe,  deren 
Lebenszeit  bekannt  ist.  Riegl  lehnt  die  da  vorliegenden  Daten  ab,  weil  es  sich  immer 
wieder  um  zweite  Benutzung  älterer  Särge  handle.  Damit  wird  die  Forschung  ganz 
auf  den  Weg  der  Stilkritik  gewiesen  (die  Bischofsnamen  dienen  nach  wie  vor  zur 
Benennung  der  Stücke).  Dem  vierten  Jahrhundert  vindizierte  Riegl  die  Sarkophage 
mit  menschlichen  Figuren,  an  deren  Spitze  er  den  Typus  der  Arkaden-  oder  Konchen- 
särge mit  Giebeldach  stellte;  der  des  Liberius  G  348  könnte  der  Zeit  unmittelbar 
vor  Konstantin  gehören.  Eine  zweite  Gattung  derer  mit  menschlichen  Figuren  begnügt 
sich  mit  Eckpilastern  oder  Ecksäulen,  der  Deckel  ist  gewölbt  (Pignatta,  Rinaldus, 
Isaak  G  344.  345.  311);  später  sind  Barbatianus  und  Exuperantius  (G  336.  337), 
Nachzügler  mag  es  noch  im  fünften  Jahrhundert  gegeben  haben.  Als  Typus  jünger 
sei  die  Art  ohne  menschliche  Figuren,  bloß  mit  Architekturformen  und  Symbolen,  wie 
der  Sarkophag  des  Theodoros  G  391,  3  und  die  im  Mausoleum  der  Galla  Placidia.1) 

Sodann  hat  Karl  Goldmann  die  Sarkophage  zu  gruppieren  und  in  seinen  Gruppen, 
allerdings  nur  an  einer  sehr  kleinen  Auswahl,  eine  in  sich  abgeschlossen  verlaufende 
Entwicklung  nachzuweisen  versucht.  Auch  Goldmanns  erste  Gruppe  umfaßt  die  wenig 
zahlreichen  Konchensärge  mit  Satteldachdeckel  (Liberius'  II,  gestorben  351;  G  347, 
vielleicht  Liberius'  III,  gestorben  370).  Die  zweite,  geringere  Gruppe  (Rinaldus,  Bar- 
batianus, Exuperantius)  bildet  den  Übergang,  in  Zwischengliedern,  zu  einer  dritten, 
besseren  Gruppe  (dei  Pignatta,  Isaak),  die  er  den  Inschriften  folgend  dem  siebenten 
Jahrhundert  beläßt.  Die  nur  mit  Architekturformen  und  Symbolen  verzierten  Särge 
sind  ihm  Denkmäler  des  siebenten  bis  neunten  Jahrhunderts.2) 

Die  Gruppenbildungen  Goldmanns  erkennt  Oskar  Wulff  im  wesentlichen  als 
zutreffend  an,  kommt  aber  zu  einer  sehr  verschiedenen  kunstgeschichtlichen  Anschauung 
von  dem  Verhältnis  der  Gruppen  zueinander.  Die  Denkmäler  der  zweiten  Gruppe 
sind  ihm  nicht  Übergangsformen  von  der  ersten  zur  dritten,  sondern  Mischformen  aus 


*)  Riegl,  Spätrömische  Kunstindustrie  99. 

8)  Goldmann,  Die  ravennatischen  Sarkophage  (zur  Kunstgesch.  d.  Auslandes,  Heft  47)  1906. 


19g  Zur  Stilkritik  und  Chronologie  der  christlichen  Sarkophage. 

diesen  beiden,  mithin  später  entstanden.  Unmittelbar  auf  die  Arkadensarkophage  mit 
dachförmigem  Deckel  folgten  die  Eckpilastersärge  mit  Wölbdeckel.  Der  letzteren 
tektonische  Form  behauptete  sich,  auch  ihre  Kompositionsweise;  dagegen  Gestalten- 
bildung, Kopftypen,  Gewandbehandlung  erfuhren  eine  Umbildung  im  Sinne  der  ersten 
Gattung.  Die  Sarkophage  ohne  menschliche  •  Figuren  gingen  den  Mischformen  als 
gleichartig  zur  Seite;  diejenigen  im  Mausoleum  der  Galla  Placidia  sind  nicht  lange 
nach  Vollendung  des  Baues  zur  Aufstellung  gekommen.  Die  spätesten  ravennatischen 
Sarkophage  haben  Motive  und  figürliche  Typen  des  um  sich  greifenden  langobardischen 
Ornaments  aufgenommen.  Im  Gegensatz  zu  Goldmann  geht  Wulff  auch  auf  die 
Ursprungsfragen  ein.  Während  Strzygowski  die  gesamte  Kunst  von  Ravenna  aus 
Syrien  ableitet,  nimmt  Wulff  die  Sarkophage  der  ersten  Gattung  davon  aus,  er  ver- 
mutet den  Ursprung  des  Typus  im  nordwestlichen  Kleinasien.1) 

Für  jetzt  nur  auf  die  Chronologie  gerichtet,  als  auf  die  dringendste  Aufgabe, 
stellen  wir  die  Ursprungsfragen  auch  hier  zurück.  Als  Anfänger  auf  diesem  Gebiet 
bescheiden  wir  uns  zu  beobachten. 

Die  ravennatischen  Sarkophage  gehören  zu  der  alle  vier  Seiten  skulpierenden 
griechischen  Klasse  mit  profiliertem  und  ornamentiertem  Sockel  und  Sims.  Da  sie  im 
großen  und  ganzen  später  sind  als  die  stadtrömischen,  so  könnte  man  erwarten,  sie 
würden  auf  der  in  den  Friesen  des  Konstantinbogens  und  in  zahlreichen  jüngeren 
römischen  Sarkophagen  so  entschieden  beschrittenen  Bahn  der  Gestaltenformung  weiter- 
gehen, nämlich  in  der  flächigen  Bildung  mit  schräg  unterschnittenen  Rändern;  daß  es 
nicht  geschieht,  überrascht  und  will  erklärt  sein.  Die  Arbeit  ist  als  Regel  nicht  Hoch- 
relief mit  rundgearbeiteten  Säulen  und  mehr  oder  weniger  vom  Grund  sich  lösenden 
Figuren,  sondern  Basrelief  mit  mäßiger  Erhebung,  die  Säulen  sind  nur  Halbsäulen; 
daher  scheint  es  zu  kommen,  daß  die  Bildhauer  nie  auch  nur  in  Versuchung  kamen, 
die  Gestalten  flächig  mit  schräg  unterschnittenen  Rändern  zu  bilden. 

Wulff  unterscheidet  zwei  Typen  ravennatischer  Steinsärge,  den  Arkadensarkophag 
mit  dachtörmigem  und  den  Eckpilastersarkophag  mit  rundgewölbtem  Deckel.  Der 
klassische  Archäologe  wird  Bedenken  tragen,  diese  Unterscheidung  ohne  Randglosse 
hinzunehmen.  Daß  der  zweite  Typus  in  reiner  Form  erst  später  auftritt  als  in  Misch- 
form, mag  auf  Zufall  beruhen.  Richtig  werden  Säulen-  und  Eckpfeilersärge  unter- 
schieden, ingleichen  Satteldach-  und  Wölbdeckel;  aber  beide  Kastentypen  können  die 
eine  wie  die  andere  Deckelform  wählen,  das  ältere  Satteldach  oder  die  jüngere  Tonnen- 
form. Von  diesen  Erwägungen  unabhängig  besteht  die  Ursprungsfrage,  wann  und 
woher  die  Bildhauer  der  ravennatischen  Sarkophage  den  Wölbdeckel  übernahmen. 

Der  älteste  unserer  Steinsärge  ist  G  348,  2,  ein  Säulensarkophag,  welcher  die 
Grabschrift  des  Erzbischof  Liberius  trägt,  der  351  starb.  Der  Deckel  des  Sarges  fehlt. 
Der  Sockel  ist  nicht  der  reichste  der  in  Ravenna  erhaltenen;  er  besitzt  nur  einen  mit 
Blättergirlande  verzierten  Wulst  zwischen  zwei  Plättchen.  Die  den  Kasten  umgebenden 
spiralkannelierten  Säulen  mit  korinthischen  Kapitellen  bilden  an  den  Langseiten  je 
fünf,  an  den  Schmalseiten  je  drei  Nischen  unter  Rundbögen;  die  Halbkuppel  der  Nische 
ist  mit  einer  Muschel  ausgekleidet.  Die  Zwickel  füllt  ein  nicht  recht  klares  Blatt- 
ornament. Von  heidnischen  und  christlichen  Säulensarkophagen  war  oben  die  Rede; 
auch  die  ravennatischen  sind  einzureihen  in  die  künftig  zu  schreibende  Geschichte  der 


x)  Wulff,  Eepertorium  für  Kunstwissenschaft  1908,  281. 


Bavenna.  199 

antiken  Sarkophage,  insbesondere  der  Säulensarkophage.  Hier  machen  wir  nur  darauf 
aufmerksam,  daß  die  Muschel  auch  an  den  besprochenen  stadtrömischen  und  sonst 
italischen  Sarkophagen  vorkam  (G  322,  2.  331,  2.  319.  325.  328  [Abb.  18]),  mit  dem 
Unterschied  jedoch,  daß  dort  das  Muschelschloß  oben  sitzt,  an  den  ravennatischen  da- 
gegen unten.  Soweit  es  sich  um  die  zwei  Reihen  Sarkophage  handelt,  können  wir  für 
jetzt  nur  die  erstere  Art  für  die  frühere,  die  letztere  für  die  spätere  halten.  In  jeder 
Nische  ist  eine  Figur  so  angeordnet,  daß  der  Kopf  das  Schloß  der  Muschel  deckt, 
mitten  in  der  Muschel  steht.  In  der  Mittelnische  jeder  Langseite  thront,  etwas  schräg 
gestellt,  ein  jugendlicher  Christus,  mit  der  Rechten  einen  Gegenstand  reichend,  der 
beidemal  abgebrochen  ist;  man  vermutet  für  die  eine  Seite  eine  Schrift,  die  er  dem 
mit  verhüllt  vorgestreckten  Händen  nahenden  kahlstirnigen  Paulus  übergebe,  bei  der 
andern  Langseite  denkt  man  den  Schlüssel  für  Petrus.  In  den  übrigen  Nischen  stehen 
die  andern  zehn  Apostel,  nicht  individualisiert.  —  Ein  etwas  jüngerer  Säulensarkophäg, 
G  347,  2,  hat  statt  eines  gegliederten  Sockels  nur  eine  als  Stylobat  dienende  Platte, 
an  den  Kapitellen  sind  die  Helikes  durch  ein  Schilfblatt  ersetzt,  auch  das  aus  der 
heidnischen  Sarkophagkunst  übernommene  Akanthusmotiv  in  den  zwei  mittleren  Zwickeln 
ist  ersetzt  durch  das  in  diesem  Falle  spezifisch  christliche  Rebenmotiv:  Traube  unter 
großem  Weinblatt,  beiderseits  Helikes  in  Pfropfenzieherform.  Über  den  Arkaden- 
scheiteln folgt  ein  lesbisches  Kyma  mit  hängendem  Blattkranz.  Das  Exemplar  hat 
seinen  Deckel  bewahrt;  die  Dachschrägen  sind  als  mit  großen  Marmorziegeln  belegt 
gedacht,  vor  den  Deckziegeln  sitzen  Löwenköpfe;  im  einen  Giebel  steht  ein  lateinisches 
Kreuz  mit  Schwalbenschwanzköpfen,  im  andern  ein  achtarmiges  Monogramm  (Kreuz 
und  X)  in  Kranz,  beides  zwischen  Tauben;  die  am  zweiten  Giebel  picken  am  Kranz. 
Die  Figuren  in  den  Nischen  sind  denen  am  vorigen  Exemplar  gleichartig;  nur  trägt 
der  Christus  hier  kurzes  Haar,  wie  in  der  frühchristlichen  Kunst,  er  scheint  dem  Paulus 
eine  Schrift  zu  reichen  (die  Rückseite  ist  unbearbeitet);  die  andern  Apostel  haben  zum 
Teil  ihre  Plätze  gewechselt  [Abb.  47].  —  Der  Liberiussarg  scheint,  wie  gesagt,  etwas 
älter  als  G  347;  Riegl  und  Goldmann  hielten  den  zweiten  für  Kopie  des  ersten,  Wulff 
glaubt  beide  einem  gemeinsamen  Original  nachgebildet,  dessen  Elemente  nun  aus  den 
zwei  Nachbildungen  zusammenzusuchen  wären.  Die  Arbeit  ist  so  gut,  daß  Riegl  den 
Liberiussarg  in  den  Anfang  des  vierten  Jahrhunderts  setzen  wollte;  Goldmann  bleibt 
beim  Todesjahr  des  Bischofs  stehen  (351).1) 

Ich  lasse  einen  Sarkophag  mit  Eckpfeilern  folgen,  den  großen  im  Museum  G  332; 
sein  Deckel  fehlt  leider.  In  die  Riefeln  der  Pilaster  sind  unten  Stäbe  gelegt;  auf  den 
korinthischen  Kapitellen  liegt  ein  jonisches  Epistyl.  An  der  Front  steht  der  bärtige 
langlockige  Christus,  mit  Nimbus  und  darin  eingezeichnetem  Monogramm,  auf  dem 
Berg,  wie  üblich  die  Rechte  offen  gehoben,  den  Kopf  etwas  zum  anbetenden  Paulus 
gewendet,  in  der  Linken  die  offen  hängende  Rolle,  welche  der  heraneilende  Petrus  mit 
verhüllten  Händen  empfängt.  Es  folgt  jederseits  ein  naturalistisch  dargestellter  Palm- 
baum, hinter  dem  links  der  Verstorbene  steht  (in  der  ravennatischen  Skulptur  nur 
hier),  ein  Offizier,  rechts  seine  Frau,  beide  anbetend,  er  geneigten  Hauptes  [Abb.  48]. 
An  den  Schmalseiten  links  Daniel  in  der  typischen  Barbarentracht,  und  zwar  mit  ge- 
schlitztem Rock,    zwischen  den  zwei  symmetrisch   sitzenden  Löwen,   rechts  Jesus,    das 


J)  Liberius:  G  348.  Riegl  Fig.  27.  Goetz,  Ravenna  1901  Abb.  76.  Goldmann  1.  19Taf.  1. 
Ricci  n.  320—322.  —  G  347:  Riegl  Fig.  28.  Goetz  Abb.  74.  75.  Goldmann  2.  19  Taf.  2,  2. 
Ricci  n.  323—324. 


200  Zur  Stilkritik  und  Chronologie  der  christlichen  Sarkophage. 

Haar  in  die  Stirn,  mit  Nimbus  und  eingezeichnetem  Monogramm  zwischen  A  und  £2, 
mit  vorgestreckter  Rechten  den  Lazarus  erweckend.  Die  Mumie  steht  frontal,  nur 
das  Gesicht  Jesus  halb  zugewandt,  in  dem  auf  zwei  Säulchen  unter  Rundbogen  redu- 
zierten Mausoleum;  zur  Höhe  des  Unterbaues  führen  links  Stufen  hinauf,  das  Ganze 
ein  Kompromiß  zwischen  lateraler  und  frontaler  Richtung.  Hinter  Jesus  ein  Laub- 
baum, Stamm  und  Wipfel  plastisch,  das  Laub  durchbrochen,  auslaufende  Zweige  liegen 
ganz  flach  auf  dem  Grund,  ein  letzter  Nachklang  der  hellenistischen  Landschaftskunst, 
wie  sie  aus  den  wiener  Brunnenreliefs,  einerlei  welcher  Zeit,  am  bekanntesten  ist.1) 

Eine  Vermischung  heterogener  Elemente  bringt  bereits  der  Sarg  des  Petrus 
Peccans.  Der  rund  gewölbte  Deckel  ist  rings  von  einem  glatten  Randstreifen  umzogen, 
das  Innere  füllen  Schuppen,  die  vom  First  nach  beiden  Seiten  hin  abfallen.  Der 
Kasten  hat  zwar  das  einheitliche  Feld  des  Eckpfeilertyp,  aber  die  Spiralsäulen,  und 
auf  die  Kapitelle  gelegt  einen  Balken  mit  dem  hängenden  Blattkranz,  beides  wie  G  347. 
In  viel  freiem  Feld  (man  möchte  in  diesem  Falle  glauben,  es  sei  durch  den  Ausfall 
der  Arkaden  bedingt)  thront  der  jugendliche  und  immer  noch  kurzhaarige  Christus, 
ein  wenig  in  der  erregten  Haltung  des  Nervasitzbildes,  Gesicht  und  Rechte  dem  von 
links  mit  verhüllten  Händen  herbeieilenden  Paulus  zugewandt;  dazu  drei  anbetende 
Apostel.  An  den  Schmalseiten  je  zwei  in  Halbprofil  in  verhüllten  Händen  ihre  Kränze 
des  Lebens  bringende  Selige,  im  einen  Bogenfeld  ein  Schaf,  am  Bogen  läuft  eine 
flache  Wellenranke  (sie  erinnert  an  die  am  Giebel  des  berliner  Christusreliefs),  im 
andern  Bogenfeld  eine  Blumenvase  zwischen  zwei  Tauben,  am  Bogen  eine  schematische 
Blättergirlande.2) 

Am  Sarkophag  des  Rinaldus  sind  die  Blätter  am  Deckel  spitz  und  haben  eine 
Mittelrippe,  in  deutlich  pflanzlicher  Auffassung;  das  Motiv  wird  vom  Blattkranz  des 
Architravs  herübergenommen  sein.  Der  architektonische  Rahmen  des  Kastens  ist  der- 
selbe wie  am  vorigen  Stück;  doch  scheint  das  unsre  jünger.  Der  jugendliche  Christus, 
wieder  langlockig,  mit  Nimbus  und  eingezeichnetem  Monogramm,  thront  auf  dem  Berg, 
streng  frontal,  auf  der  Linken  das  aufgeschlagene  Buch  der  Buchreligion,  die  offne 
Rechte  dem  von  links  heraneilenden  Paulus  zugestreckt;  in  symmetrisch  entsprechender 
Haltung  kommt  von  der  andern  Seite  Petrus  mit  geschultertem  Kreuz;  beide  Apostel 
bringen  auf  verhüllten  Händen  ihre  Kränze  des  Lebens  als  Weihgeschenk  dar.  Hinter 
jedem  Apostel  ein  Palmbaum,  nun  zum  Schema  geworden.  Am  Himmel  schweben 
beiderseits  des  Nimbus  Wolken  [Abb.  49].  An  der  linken  Schmalseite  das  Monogramm, 
mit  eingeschriebenem  A  und  2,  in  Kranz,  umgeben  von  zwei  Wellenranken,  auf  deren 
Spitzen  Vögel  sitzen,  im  Bogenfeld  das  sechsarmige  Monogramm  IX  in  Kranz;  an  der 
rechten  Schmalseite  steigen  aus  einer  Vase  zwei  schon  schematische  symmetrische  Wein- 
ranken, an  deren  Trauben  Vögel  picken,  im  Bogenfeld  steht  etwas  erhöht  das  Kreuz- 
monogramm, zwischen  zwei  Schafen.  Die  Säulen  der  Schmalseiten  sind  schlanker  als 
die  der  Front.8) 

Bereits  beginnen  die  Schuppen  vom  Deckel  zu  verschwinden;  auf  der  glatten 
Fläche  finden  große  Kreuze  oder  Monogramme  breites  Feld.     Der  Sarg  des  Exarchen 


l)  G  332,  2—4.    Goetz   Abb.  81—83.    Goldm.  10.  42.   Ricci  n.  53.  54.  —  Über  Holzsärge 
mit  gewölbtem  Deckel  vgl.  Watzinger,  Griech.  Holzsarkophage  1905,  4.  41. 
»)  G  349,  1—3.    Goldm.  4.  27  Taf.  3,  3.    Ricci  n.  434. 
»)  Rinaldus:  G  345,  1—3.    Goldm.  7.  34  Taf.  5,  5.    Ricci  n.  195.  196. 


Bavenna.  201 

Isaak  setzt  auf  jede  Abwölbung  ein  großes  Kreuz;  auch  die  Bogenfelder  sind  glatt, 
in  dem  rechten  steht  ein  solches  auf  der  Bosse.  Der  Kasten  bewahrt  die  architektonische 
Umrahmung  wie  die  Särge  des  Petrus  Peccans  und  des  Rinaldus  sie  hatten.  An  der 
Vorderseite  sieht  man  die  Weisen  aus  dem  Morgenlande  im  typischen  Eilschritt  in 
großen  Schalen  ihre  Gaben  bringen;  das  Christkind,  mit  monogrammiertem  Nimbus, 
streckt  verlangend  die  Händchen  danach  aus,  es  sitzt  auf  dem  Schoß  der  Mutter,  die 
nonchalant  die  Beine  übereinander  schlägt  (ihr  Sitz  hat  große  Ähnlichkeit  mit  der 
Sella  castrensis);  in  der  oberen  Ecke  steht  der  Stern.  An  der  linken  Schmalseite  die 
Erweckung  des  Lazarus,  an  der  rechten  Daniel  zwischen  den  Löwen,  beides  nach  unserem 
ersten  Sarkophag  des  ersten  Typus  G  332;  nur  fehlt  in  der  ersten  Szene  der  Baum, 
und  die  Mumie  erstreckt  ihre  Frontalität  nun  auch  auf  das  Gesicht;  dafür  blicken 
die  Löwen  zu  Daniel  auf.  Die  Rückseite  zeigt  ein  großes  Monogramm  einem  Nimbus 
eingezeichnet,  auf  ebensolchem  Untersatz  mit  vorhängender  Nase,  wie  er  im  rechten 
Bogenfeld  des  Rinaldussargs  das  Kreuz  trug;  von  beiden  Seiten  kommt  ein  Pfau, 
hinter  dem  ein  Palmbaum  steht,  Pfau  und  Baum  sind  gleich  groß.  Die  Sinnbilder 
meinen  Selige  im  himmlischen  Paradiesgarten  im  Angesichte  des  Herrn.  —  Das  Front- 
bild hat  diesmal  volleres  Relief,  die  vorderen  Arme  und  Beine  sind  vom  Grund  ge- 
löst, daher  großenteils  abgebrochen;  deshalb  möchte  ich  den  Sarkophag  nicht  später 
ansetzen.1) 

Die  im  Mausoleum  der  Galla  Placidia  vorfindlichen  Sarkophage  schreibt  eine 
hinsichtlich  der  Zuteilung  schwankende  Tradition  den  Nachkommen  des  Theodosius  zu. 
Wir  reihen  hier  den  meist  auf  Honorius  zurückgeführten  Sarg  ein;  das  Mausoleum 
wurde  in  den  vierziger  Jahren  vollendet,  der  Sarkophag  könnte  somit  um  450  ent- 
standen sein.  Er  ist  höher,  seine  Gestalt  gedrungener,  darin  ähnlich  den  Porphyrsärgen. 
Der  gewölbte  Deckel  ist  wieder  geschuppt,  wenn  auch  in  etwas  anderer  Art,  auch 
hängen  zwischen  den  untersten  Schuppen  Blattspitzen  herab,  als  ob  auch  die  Schuppen 
als  Blätter  gedacht  wären,  wie  es  beim  Rinaldussarg  der  Fall  war;  die  untere  Rand- 
leiste trägt  ein  Flechtband,  auf  den  der  Wölbung  folgenden  Querrändern  läuft  ein 
Eierstab.  Die  Eckpilaster  tragen  einen  schlichten  Balken;  darunter,  zwischen  die 
Kapitelle,  ist  das  jonische  Epistyl  gesetzt.  Im  Feld  der  Frontseite  stehen  keine 
menschlichen  Figuren,  sondern  drei  Tabernakel,  das  mittlere  unter  steilerem  Giebel 
(Rosetten  sind  in  die  Zwickelräume  gesetzt),  die  äußeren  unter  Muschelbogen;  die  sechs 
Säulen  sind  spiralkanneliert.  Die  Konchen  mit  Spiralsäulen  entlehnte  der  Bildhauer 
dem  ersten  Sarkophagtyp;  aber  das  Blattwerk  der  Kapitelle  ist  an  den  Säulen  wie  an 
den  Pilastern  nicht  mehr  plastisch,  sondern  flach  ausgeschnitten.  Im  Mittelnaisk  steht 
auf  dem  Berg  der  vier  Ströme  das  Lamm  Gottes,  dahinter  ein  hohes  Kreuz  mit  zwei 
pickenden  Tauben  auf  den  Querarmen;  in  jedem  Nebennaisk  noch  ein  hohes  Kreuz 
[Abb.  50].  An  jeder  Schmalseite  ein  großes  Wasserbecken,  an  der  linken  Seite  zwei 
nippende  Tauben  auf  dem  Rand.  Das  Flechtband  des  Deckels  läuft  auch  an  den 
Schmalseiten  herum;  im  linken  Bogenfeld  ist  es  in  einem  Cancellum  statt  des  Netz- 
werks wiederholt,  in  etwas  größerem  Maßstab,  die  Augen  mit  kleinen  Vierblättern  ge- 
füllt, in  zweimal  zwei  liegenden  Strängen;  auf  dem  mittleren  Pfosten  der  Schranke  sitzt 
ein  kleines  Kreuzmonogramm,  mit  A  und  J2,  in  einem  Doppelkreis,  dem  Rudiment  des 


»)  Isaak:    G  311.    Götz  Abb.  84   die  Schmalseiten.    Goldm.   12.  45  Taf.  7,  9.  8,  9.    Ricci 
n.  50—52. 


202  Zur  Stilkritik  und  Chronologie  der  christlichen  Sarkophage. 

ursprünglichen  Kranzes,  wie  die  Bandenden  beweisen.  Im  rechten  Bogenfeld  ein  Palm- 
baum zwischen  zwei  Schafen.1) 

Von  ähnlich  hoher,  gedrungener  Gestalt,  in  den  Einzelformen  schlanker,  im  ganzen 
jünger  ist  ein  Tabernakelsarkophag  in  S.  Apollinare  in  Classe.  Das  versenkte  Feld  des 
Deckels  ist  leer,  die  Querrahmen  sind  glatt,  die  Längsrahmen  tragen  das  Gurtgeflecht. 
In  den  Bogenfeldern:  links  das  Monogramm  in  Kranz  zwischen  zwei  Tauben,  rechts 
eine  Vase,  aus  der  zwei  symmetrische  Reben  mit  spiralig  eingerollten  Astchen  wachsen, 
zwischen  zwei  Pfauen.  Die  Riefeln  der  Pilaster  haben  unten  Stäbe  eingelegt.  Das 
jonische  Epistyl,  das  wir  am  Honoriussarg  zwischen  die  Kapitelle  gesetzt  sahen,  ist  nun 
folgerichtig  ausgeschieden,  dafür  wurden  die  jetzt  vier,  daher  schmäleren  Tabernakel 
höher  gefuhrt.  Alle  vier  haben  die  Muschel  im  Bogen;  die  zwei  äußeren  besitzen 
Spiralsäulen  mit  plastischen  Kapitellen  (wie  auch  die  der  Eckpilaster  plastisch  sind), 
die  zwei  inneren  dagegen  geriefte  Pilaster  mit  flachgeschnittenen  Akanthuskapitellen. 
In  jenen  steht  je  ein  Palmbaum,  in  diesen  je  ein  schlankes  Kreuzmonogramm.  In  den 
drei  Zwickelräumen  stehen  auf  Fußleisten  Tauben,  die  aber  fast  wie  Raben  aussehen 
[Abb.  51].  An  den  Schmalseiten  begegnet  ein  neues,  der  Barockarchitektur  des  dritten 
Jahrhunderts  entlehntes  Motiv:  Konsolen  an  den  Eckpfeilern,  seitlich  ihnen  angearbeitet, 
sie  tragen  einen  Flachbogen;  darunter  steht  an  der  rechten  Schmalseite  auf  dem  Vier- 
stromberg das  Lamm  Gottes  mit  monogrammiertem  Nimbus,  an  der  linken  Schmalseite 
eine  Vase,  in  die  aus  einer  darüber  angebrachten  Muschel  Wasser  strömt;  beider- 
seits auf  dünnen  Pfeilern  stehende  Vögel  strecken  durstig  die  Schnäbel  nach  dem 
Wasser  aus.2) 

Die  hoch  und  gedrungen  gebauten  Sarkophage  blieben  doch  Ausnahmen;  auf  die 
Dauer  behauptete  sich  die  niedriglange  Form.  Und  es  siegte  der  Pfeiler  über  die 
Säule,  wohl  weil  er  flach  ist.  Ein  andrer  Sarkophag  in  Apollinare  in  Classe  G  346,  2 — 4 
veranschaulicht  die  neue  Phase.  Der  Architrav  trägt  wieder  einmal  den  hängenden 
Blattkranz,  der  nun  auch  als  Längssaum  des  Deckels  auftritt,  scheinbar  steigend,  die 
Spitze  nach  oben;  aber  er  ist  als  Rahmen  des  in  Aufsicht  zu  betrachtenden  Feldes 
zu  nehmen,  wie  die  Bogenfelder  bestätigen,  die  er  rings  umläuft.  Im  Deckelfeld  stehen 
auf  jeder  Seite  drei  große  achtarmige  Monogramme,  in  den  Bogenfeldern  je  ein  Kreuz 
in  der  Symmetrieachse  zweier  Ranken,  auf  denen  zwei  Tauben  sitzen,  oben  zwei 
Rosetten.  Der  Archäologe  erinnert  sich  der  reichentwickelten  klassischen  Anthemien, 
in  Skulptur  und  in  Malerei,  dies  z.  B.  an  unteritalischen  Vasen,  aus  deren  Herzstücken 
Köpfe  und  ganze  Figuren  sich  erheben.  Am  Kasten  der  streng  frontal  thronende 
Christus  mit  dem  aufgeschlagenen  Buch  zwischen  den  herbeieilenden  Apostelfursten ; 
diesmal  reicht  er  dem  Paulus  eine  Schriftrolle,  Petrus  hat  den  Schlüssel;  dazu  zwei 
anbetende  und  zwei  ihre  Lebenskränze  darbringende  Apostel.  Was  am  Sarg  des  Petrus 
Peccans  auf  Haupt-  und  Nebenseiten  verteilt  war,  finden  wir  hier  an  der  Front  zu- 
sammengerückt, um  den  obendrein  längeren  Raum  besser  zu  füllen.  Die  übrigen 
Apostel  stehen  an  den  Schmalseiten  zu  dreien,  frontal,  nur  die  Gesichter  sind  ver- 
schieden gestellt.  An  der  Rückseite  sehen  wir  das  Kreuz  auf  dem  Nimbus  zwischen 
zwei  Pfauen  mit  detaillierten  Schwanzfedern,  hinter  ihnen  entsenden  zwei  Weinstöcke 


')  G  356:   Götz  Abo.  88.    Goldm.  13.    57  weist   den  Sarg   dem   siebenten  Jahrhundert  zu, 
wegen  des  P,  Wulff  dagegen  der  Zeit  gleich  nach  Vollendung  des  Mausoleums.  Ricci  n.  62.  63. 
2)  Ricci  n.  246. 


Ravenna.  203 

in  großen  Kreislinien  sich  bewegende  Reben;  die  Blätter  sind  ausgezackt,  die  Helikes 
pfropfenzieh  erförmig.  *) 

Hier  erst  möchte  ich  den  Sarkophag  der  Pignati  folgen  lassen  [Abb.  52  die 
Rückseite].  Der  Deckel  trägt  an  den  Seiten  ein  großes  Kreuz  mit  Schwalbenschwanz- 
köpfen ;  der  antike  Schmuck  der  Eckakroterien  (die  hier  ausnahmsweise  an  gewölbtem 
Deckel  auftreten)  ist  nur  an  der  Rückseite  erhalten,  es  sind  unverstandene  Halb- 
palmetten mit  eingerollten  Blattspitzen.  Der  Kasten  hat  wieder  einmal  einen  profilierten 
Sockel;  die  Eckpilaster,  mit  plastischen  Kapitellen,  tragen  wieder  das  jonische  Epistyl. 
An  der  Vorderseite  thront  Christus,  unter  dessen  Füßen  sich  Löwe  und  Schlange 
krümmen  (Psalm  91,  13),  zwischen  zwei  wie  er  frontal  gestellten  Aposteln  und  den 
zwei  Palmbäumen.  An  der  einen  Schmalseite  die  Verkündigung:  zu  der  sitzend 
spinnenden  matronalen  Maria  kommt  der  Engel,  jetzt  geflügelt;  an  der  andern  Schmal- 
seite die  Begegnung  der  Elisabeth  und  der  Maria,  im  Hintergrund  zwei  Pinien,  wie 
sie  in  den  Attisreliefs  vorkommen.  Die  Rückseite  zeigt  ein  Wassergefäß,  aus  dem  zwei 
Hirsche  trinken.  —  Ein  Sarkophag  im  Museum,  mit  profiliertem  Sockel  und  Sims 
aber  ungeriefelten  Eckpilastern,  bringt  das  Monogramm  in  Kranz  zwischen  zwei  Schafen 
und  zwei  Palmbäumen.  —  Apollinare  in  Classe.  Ecksäulen,  mit  glatten  Schäften;  die 
Girlande,  die  einst  den  Sockel  zierte,  jetzt  am  Epistyl;  dazu  wieder  der  gewölbte 
Deckel  mit  Kreuzmonogramm,  an  Ketten  hängen  A  und  Q  zwischen  zwei  Pfauen. 
Am  Kasten  dasselbe  Monogramm  zwischen  zwei  Schafen,  hinter  denen  Palmbäume 
stehen.  An  der  einen  Schmalseite  ein  umblickendes  Schaf,  hinter  dem  ein  mit 
Gemmen  verziertes  Kreuzmonogramm  steht,  eine  Taube  fliegt  herzu,  einen  kleinen 
Kranz  im  Schnabel;  im  Bogenfeld,  über  der  zu  einem  Löwenkopf  ausgearbeiteten  Bosse, 
eine  Vase,  aus  der  zwei  Weinreben  steigen.  An  der  andern  Schmalseite  das  Kreuz- 
monogramm zwischen  zwei  Pfauen  auf  dem  Vierstromberg,  zwischen  den  Strömen 
schießt  eine  Blume  auf;  oben  das  gemmierte  Kreuzmonogramm  zwischen  zwei  Tauben. 
Die  Schafe  sind  modelliert,  aber  die  Wollzotteln  als  Schuppen  gezeichnet.2) 

Ein  Spätling  der  Sarkophaggattung  mit  spiralkannelierten  Ecksäulen,  der  Sarg 
des  Exuperantius,  hat  seinen  Deckel  eingebüßt.  Die  Vorderseite  bringt  den  nimbierten 
Christus  mit  Rolle,  zwischen  Paulus  mit  Buch  und  Petrus  mit  Kreuz,  alle  drei  streng 
frontal,  die  Gebärden  wie  von  Automaten,  der  Christus  redend,  die  Apostel  anbetend; 
Paulus  ist  kahl  und  bärtig,  Christus  und  Petrus  bartlos,  das  Haar  in  die  Stirn.  Beider- 
seits ein  Palmbaum,  dessen  Stamm  sich  jetzt  nach  oben  verjüngt,  statt  nach  unten. 
An  der  linken  Schmalseite  das  Anthemion  mit  zentralem  Kreuz,  an  der  rechten  das 
Monogramm  mit  eingezeichnetem  A  und  Q  im  Nimbus  und  im  Kranz.  In  technischer 
Beziehung  ist  zu  bemerken,  daß  zur  Herstellung  der  Monogramme  die  Bildhauer  von 
jetzt  an  sich  begnügen,  sie  in  einen  Kreis  einzuzeichnen  und  den  Grund  innerhalb  des 
Kreises  auszuheben.3) 

Noch  ein  Spätling,  und  zwar  des  Arkadensarkophags,  ist  der  Sarg  des  Barbatianus. 
Am  Deckel  auf  jeder  Seite  das  Monogramm  im  Nimbus  und  im  Kranz,  zwischen  zwei 
großen  Kreuzen;  an  der  Vorderseite  ist  alles  reicher,  in  den  Winkeln  des  Monogramms 


*)  G  346,  2—4.  Götz  Abb.  77.  78.  Goldm.  4.  30  Taf.  5,  4  a  die  Rückseite.  Ricci  n.  250. 
251.  644. 

^deiPignatta:  G  344.  Götz,  Abb.  90  die  Rückseite.  Goldm.  10.  44  Taf.  4,  8.  Ricci 
n.  339—341.     Museum  n.  514.     Goldm.  11.    Ricci  n.  348.  —  Apollinare:  G  389,  2—4. 

3)  Exuperantius:  G  336,  1—3.    Götz  Abb.  80.     Goldm.  37  Taf.  2,  6. 


204  Zur  Stilkritik  und  Chronologie  der  christlichen  Sarkophage. 

wechselt  das  A  und  Q  mit  Rosetten,  der  Kranz  ist  von  Blumen  gewunden  (hinten  nur 
von  Blättern),  die  Kreuze  sind  reich  mit  Edelsteinen  besetzt.  Diesmal  umzieht  eine 
Wellenranke  den  Deckel;  dieselbe  schließt  auch  die  Architektur  des  Kastens  ab  (an 
der  Front  und  an  der  linken  Schmalseite  ist  ein  kleines  Kreuz  zentral  hineingesetzt). 
Die  viel  dünneren  Säulen  haben  glatte  Schäfte,  die  Ecksäulen  sind  in  Säulenbündel 
aufgelöst,  die  erst  im  Oberteil  des  Kapitells  sich  wieder  vereinigen.  Die  Muscheln 
über  den  Nischen  schweben  in  der  Luft,  die  Bögen  fehlen.  In  den  Zwickeln  zwei 
Vasen,  zwei  Ranken,  zwei  Tauben,  alles  wie  mittelalterliche  Metallarbeit  anmutend. 
In  den  Nischen  die  drei  frontalen  Gestalten  des  Exuperantiussarges  fast  unverändert 
wiederholt,  in  den  Endnischen  je  eine  große  Blumen vase  [Abb.  53].  In  den  vier 
Nischen  der  Schmalseite  jedesmal  das  bekannte  Symbol  des  Monogramms  (hier  IX  im 
Nimbus)  auf  dem  Kreuz,  nun  aber  zwischen  zwei  Kandelabern  mit  brennender  Kerze. 
In  den  Bogenfeldern,  hier  eine  Vase  zwischen  Ranken,  dort  das  nimbierte  Monogramm 
in  Kranz  zwischen  zwei  Pfauen.  Die  Bosse  darunter  ist  zu  einem  Dickhäuter  aus- 
gebildet; einige  sehen  darin  ein  Nilpferd  als  Bild  des  Teufels,  andere  ein  Nashorn  als 
Bild  des  Christus.  An  der  Rückseite  das  Monogramm  IX  in  Nimbus  zwischen  zwei 
großen  Schafen.1) 

Der  Sarg  des  Theodorus  erweist  sich  im  tektonischen  Schema  als  Nachbild  des 
Sarkophags  Apollinare  in  Classe  G  346.  An  beiden  Seiten  des  Deckels  hat  der  Bild- 
hauer das  Monogramm  mit  eingezeichneten  A  und  Q  angebracht,  zwischen  zwei  Kreuz- 
monogrammen mit  anhängenden  A  und  ß,  alle  drei  Monogramme  in  dicken  Kränzen 
(aber  ohne  Ei!).  Diese  Monogramme  hat  er  in  der  gelegentlich  des  Exuperantiussargs 
beschriebenen  Technik  hergestellt.  Dagegen  am  Kasten  hat  er  ein  Monogramm  mit 
A  und  2  in  flachem  Relief  auf  die  ebenfalls  erhabene  Nimbusscheibe  gelegt;  im  übrigen 
wiederholt  er  hier  die  Komposition  von  G  346,  nur  sind  ein  paar  Kleintiere  nebst 
zwei  Rosetten  hinzugefügt  [Abb.  54].  Die  Rückseite  ist  ähnlich  verziert,  mit  noch 
mehr  Abwechslung  in  den  Tieren.  An  den  Schmalseiten  je  eine  Vase,  in  die  ein 
Kreuz  eintaucht,  von  oben  schwebt  eine  Taube  darauf  herab,  also  die  aus  der  Jordan- 
taufe, eingerahmt  von  zwei  Blumenranken,  in  deren  jeder  eine  Taube  sitzt.  In  den 
Bogenfeldern  das  Anthemion  mit  zentralem  Kreuz  und  zwei  Tauben,  auch  dies  nach 
G  346  kopiert;  nur  ist  hinzugekommen,  daß  auf  den  Bossen  Löwenköpfe  sitzen.2) 

Man  kann  nicht  sagen,  die  Bildhauer  hätten  nach  der  Schablone  gearbeitet;  im 
Gegenteil,  aus  ihrem  kleinen  Kapital  wußten  sie  immer  neue  Spielformen  heraus- 
zuschlagen. Der  Giebelsarkophag  kommt  noch  einmal  wieder  in  Mode,  mit  Steilgiebel, 
und  zwar  in  Verbindung  mit  einem  viel  älteren  Motiv,  dem  Urmotiv,  der  Holzkiste. 
Der  Sarg  des  Bartholomäus  verbindet  den  satteldachförmigen  ziegelgedeckten  Deckel 
mit  Formen  der  Tischlerarbeit  am  Kasten,  Rahmen  und  Füllung.  In  die  Akroterien 
sind  weibliche  Porträts  gesetzt;  am  Kasten  ist  eine  die  ganze  Höhe  der  Front  ein- 
nehmende Tabula  ansata  angedeutet,  die  von  zwei  Eroten  in  langen  Kleidchen  und 
Mantel  gehalten  wird.  An  einer  Schmalseite  steht  das  Kreuzmonogramm  mit  an- 
hängendem A  und  Q  (der  Stern  belebt    den    linken  oberen  Winkel)    auf  dem   Berg 


*)  Barbatianus:  G  336,  4.  337,  1—3.  Götz,  Abb.  79.  Riegl,  Spätröm.  Kunstind.  103  nennt 
die  Art  des  Reliefs  schon  mittelalterlich,  setzt  das  Stück  aber  doch  noch  ins  vierte  Jahrhundert. 
Goldm.  9.  38  Taf.  7,  7.    Ricci  n.  192.  193. 

2)  Theodorus:  C  391,  3.    Goldm.  5.  55  Taf.  6,  10.    Ricci  n.  252.  253.  638. 


Ravenua.  205 

zwischen  zwei  aufblickenden  Schafen,  hinter  denen  Bäumchen  stehen  —  alles  in  flacher 
Arbeit  wie  ausgeschnitten.  —  Eine  Sarkophagfront  in  S.  Giovanni  Battista  zeigt  die 
Weisen  aus  dem  Morgenland,  wie  sie  dem  Christkind  ihre  Gaben  bringen;  die  Mutter, 
im  Korbstuhl  sitzend,  hält  er  vor  sich  hin.  —  Einer  der  Sarkophage  im  Mausoleum  der 
Galla  Placidia  zeigt  an  der  Vorderseite  das  Lamm  Gottes  mit  monogrammiertem  Nimbus 
auf  dem  Vierstromberg  zwischen  zwei  Schafen  und  zwei  zierlich  gearbeiteten  Palmbäumen 
[Abb.  55];  an  der  einen  Schmalseite  eine  Vase  mit  Wassersprudel,  daran  zwei  Tauben  nippen, 
zwischen  zwei  ähnlichen  Palmbäumen.  In  die  Akroterien  der  Front  sind  Monogramme 
gesetzt,  in  die  Steilgiebel  eine   Vase  mit  Sprudel  und  ein  Monogramm  mit  A  und  Q.1) 

Aber  unter  den  als  Giebeldach  gebildeten  Deckel  schiebt  sich  von  neuem  der 
Kasten  mit  Eckpilastern.  Ein  Stück  im  Museum  bringt  das  Monogramm  mit  an- 
hängendem A  und  Q  in  Kranz,  zwischen  zwei  Schafen,  über  denen  je  eine  große 
Rosette  steht.  An  den  Schmalseiten  wieder  der  Bogen  auf  zwei  Konsolen,  darunter 
dasselbe  Monogramm  auf  den  Nimbus  gelegt;  eben  dies  Symbol  wird  im  Steilgiebel 
klein  wiederholt,  im  Kranz,  zwischen  zwei  Tauben.  —  Noch  ein  hoher  kurzer  Sarko- 
phag, im  Museum.  Ziegelgedecktes  Satteldach;  in  den  Akroterien  nach  einer  Blume 
in  Aufsicht  umblickende  Pfauen.  Am  Kasten  Tabula  ansät a  zwischen  zwei  schlanken 
Kreuzen.  An  den  Schmalseiten  der  Bogen  auf  Konsolen,  darunter  das  Kreuz,  mit 
anhängendem  A  und  J0,  auf  dem  nun  in  einen  Stufenbau  umgearbeiteten  Berg,  an  dem 
zwei  Ströme  schematisch  noch  eben  angedeutet  sind.  Im  Steilgiebel  Kreuz  zwischen 
zwei  Schafen.2) 

Künstlerische  Erschöpfung  offenbart  sich  an  dem  Sarkophag  von  S.  Apollinare 
in  Classe  G  390,  2 — 4,  offenbart  sich  um  so  handgreiflicher,  als  der  Bildhauer  noch 
einen  Versuch  wagt,  den  glänzenden  Arkadensarkophag  zu  erneuern  und  zwar  mit 
gewölbtem  und  geschupptem  Deckel.  An  der  Front  hat  er  die  mittlere  der  herkömm- 
lichen fünf  Konchen  auf  zweieinhalbfache  Breite  erweitert,  unter  zwei  Muschelbögen 
und  einem  breiteren  Wandstück  dazwischen;  die  inneren  Bogenanfänger  ruhen  auf  einer 
halben  Kapitelldeckplatte,  das  Wandstück  auf  einem  Stückchen  Eierstab.  In  das  Wand- 
stück wurde  das  Monogramm  in  Kranz  gesetzt.  Die  Zwickel  sind  mit  Blumen  aus- 
gefüllt, die  in  ihrer  ganzen  Anlage  atavistisch  an  die  altägyptischen  und  kretisch- 
mykenischen  Zwickelblumen  der  damals  beliebten  Spiralnetze  erinnern;  sie  wiederholen 
sich  an  der  linken  Schmalseite,  während  die  rechte  Palmwedel  vorzieht.  Merkwürdig 
sind  die  korinthischen  Kapitelle,  angelegt  in  der  längst  üblichen  plastischen  Form  mit 
ungezackten  Rändern,  Schilfblättern  und  dergleichen  ähnlich;  aber  man  hat  ihnen  flache 
ausgezackte  Blätter  aufgelegt.  Den  Unterrand  des  Deckels  säumt  das  kindlich  aus- 
geführte Schema  des  Eierstabs;  „Pfeilspitzen"  sind  nur  an  der  rechten  Schmalseite 
zustande  gekommen,  die  Spitzen  weisen  wieder  nach  dem  Bogenfeld.  Die  zwei  Bögen 
selbst  tragen  Girlanden  in  flachem  Relief.  Zur  Füllung  dient  im  breiteren  Mittelfeld 
die  Vase  mit  Wassersprudel,  an  dem  zwei  Pfauen  nippen,  auf  gegliederten  Bathren 
stehend;  in  den  nächsten  Nischen  hohe  Kreuze,  in  den  letzten  Palmbäume,  an  den 
Schmalseiten   wieder   Kreuze.     Im   rechten   Bogenfeld    eine   Muschel,    im    linken    das 


^Bartholomäus:  G  387,  8  die  Schmalseite.  Götz,  Abb.  87  die  Frontseite.  Goldm.  3. 
Ricci  n.  325,  26.  —  S.  Giovanni  Battista:  Götz,  Abb.  85,  aber  die  Heiligen  drei  Könige  sind 
sie  noch  immer  nicht,  sondern  immer  noch  die  persischen  Magier.  —  Galla  Placidia:  G  355. 
Götz,  Abb.  89.    Goldm.  13.  57  Taf.  8,  11.    Kicci  n.  64.  65. 

*)  Mit  Schafen:  Ricci  n.  344.  —  Mit  Tabula:  Ricci  n.  342. 


206  Zur  Stilkritik  und  Chronologie  der  christlichen  Sarkophage. 

Monogramm  in  Kranz  zwischen  zwei  Tauben.  —  Dann  aber  ein  noch  schlimmerer 
Abfall;  die  Figuren,  unbeholfen  gezeichnet,  werden  nur  ganz  flach  ausgeschnitten.  G391,  2 
gibt  den  Eckpilastersarg  ganz  schematisch  wieder.  Am  Kasten  sieht  man  das  radartige 
achtarmige  Monogramm  zwischen  zwei  Schafen,  deren  jedes  ein  Kreuz  trägt,  wie  wir 
den  Petrus  es  tragen  sahen;  die  Symbolgruppe  würde  demnach  auf  den  Christus 
zwischen  Paulus  (der  zur  Wahrung  der  Symmetrie  auch  das  Kreuz  bekommen  hätte) 
und  Petrus  zu  deuten  sein.  Am  Deckel  eine  Vase  zwischen  zwei  Pfauen.  —  Kurz 
verzeichnen  wir  die  Reihe  der  Särge  G  392  mit  den  Inschriften  der  Erzbischöfe  Felix, 
Johann  VIII,  Gratiosus,  gestorben  gegen  705,  784,  788;  die  Inschriften  bewegen  sich 
alle  in  derselben  Formel:  j*  Hie  tumulus  clausuni  servat  corpus  domini  Felicis  sanetissimi  ac 
ter  beatissimi  archiepiscopi.  Alle  drei  Sarkophage  führen  am  Deckelsaum  das  Flecht- 
band, Felix  noch  leidlich,  die  beiden  andern  etwa  in  der  Barbarisierung  der  älter- 
italischen  Ornamentik.  Felix  legt  über  die  ganze  Länge  des  Deckels  ein  riesiges  Kreuz, 
in  die  Winkel  je  ein  Kreuzmonogramm  mit  anhängendem  A  und  2  in  Kranz;  die 
Kastenfront  rahmt  links  eine  Säule  mit  glattem  Schaft,  rechts  ein  geriefelter  Pfeiler; 
im  Feld  drei  Tabernakel;  im  mittleren  unter  Giebel  dasselbe  Kreuzmonogramm,  in 
den  seitlichen,  unter  Bögen,  hängen  Kronleuchter;  in  den  mittleren  Intervallen  je  ein 
Kreuz  über  einem  fast  pferdartigen  Schaf,  in  den  äußeren  je  ein  Kandelaber  mit 
brennender  Kerze.  —  Die  beiden  anderen  Sarkophage  kehren  zum  Tischlerwerkmotiv 
zurück,  Johannes  gibt  das  innere  Rahmenprofil  noch  gut,  Gratiosus  markiert  es  bloß. 
In  der  Füllung  stehen  drei  versenkte  Kreuze;  in  den  Zwischenräumen  liest  man  die 
Inschrift.  Gratiosus  legt  wieder  das  große  Kreuz  langhin  auf  den  Deckel  und  füllt 
die  Räume  mit  ein  paar  kleineren  Kreuzen;  alle  diese  Kreuze  haben  Schwalbenschwanz- 
köpfe,  die  Spitzen  der  Schwalbenschwänze  sind  aber  eingerollt  [Abb.  56].1) 

Zu  guter  Letzt  wird  das  Feld  zwischen  den  Eckpfeilern  eines  Sarkophags  mit  ge- 
wölbtem Deckel  auch  noch  mit  dem  Tischlerrahmen  umschlossen.  Die  Eckpilaster  selbst 
erhalten  in  hellenistischer  Art  eine  verzierte  Füllung,  die  steigende  Ranke  ist  natürlich 
spätestantik  gezeichnet  und  gemeißelt,  das  Kapitell  erinnert  an  spätmykenische  und 
altkyprische  Abschleifungen.  Im  Feld  Kreuz  in  gemmiertem  Kranz  zwischen  zwei 
Schafen  und  zwei  kaum  erkennbaren  Palmbäumen.  Am  Deckel  drei  sechsarmige 
Monogramme  (IX)  in  Kranz.  Goetz,  Abb.  91.  —  Von  einem  andern  Sarkophag  liegen 
mir  nur  die  Photographien  der  Schmalseiten  vor.  Das  Arkadenmotiv  in  neuer  Stilisie- 
rung, die  Bögen  hufeisenförmig,  Säulenschäfte  und  Bögen  gefüllt  mit  je  einer  Reihe 
dicker  Punkte;  eine  S förmige  Ranke  füllt  die  Nische,  in  jedem  Rund  bilden  vier  vom 
Stengel  sich  ablösende  Blätter  die  Form  einer  Turbinenschraube.  Alles  in  flacher  und 
roher  Ausführung.  Ricci  n.  258.  —  Endlich  das  Flechtband  in  seiner  Vorherrschaft, 
und  zwar  in  der  barbarisierten  Ausführung  wie  wir  es  an  den  Särgen  der  Erzbischöfe 
Johannes  und  Gratiosus  sahen.  Die  oblonge  Inschrift  des  Gregorius  und  der  Maria, 
im  erzbischöflichen  Palast,  umrahmen  vier  voneinander  unabhängige  Flechtbänder,  an 
jeder  Seite  eines;  jederseits  eins  von  den  letzterwähnten  Kreuzen.  Ricci  228.    —    Ein 


x)  G  390,  2-4.  Götz,  Abb.  86.  Goldm.  6.  Ricci  n.  254.  255.  639.  —  Zwickelblumen :  v.  Sybel, 
Kritik  des  ägyptischen  Ornaments  1883,  9  Taf.  1;  Weltgesch.2  58  Abb.  des  Plafonds  von  Orcho- 
menos  und  Taf.  1  Plafond  in  Theben.  —  G  391,  2:  Goldm.  6.  —  G  392,  1  Felix:  Götz,  Abb.  92. 
Goldm.  7.  Ricci  n.  259.  —  G  392,  2  Johannes:  Goldm.  6.  —  G  392,  3  Gratiosus:  Goldm.  5. 
Ricci  249. 


Gallien.  207 

ganzer  Sarg  umgibt  die  Vorderfläche  (daran  eine  sekundäre  Inschrift  von  1570)  mit 
doppelsträhnigem  Flechtband,  an  der  linken  Schmalseite  ist  es  sogar  dreisträhnig,  im 
Feld  steht  ein  Kreuz.     Ricci  n.  346. 

Ich  habe  versucht,  eine  Anzahl  der  in  Photographien  vorliegenden,  also  kontrollier- 
baren ravennatischen  Sarkophage  chronologisch  zu  ordnen ,  freilich  nur  mittels  der 
Stilkritik  in  relativer  Chronologie.  Auch  dies  bleibe  offene  Frage,  wieweit  die  hier 
aufgestellte  Reihe  über  das  sechste  Jahrhundert  herabreiche  in  das  Mittelalter. 


Gallien. 

Unter  Gallien  ist  die  Gallia  transalpina  der  Kaiserzeit  verstanden;  von  den 
Provinzen  kommen,  nach  ihrer  Einteilung  zu  Ende  des  vierten  Jahrhunderts,  folgende 
in  Betracht:  Narbonensis  secunda  und  prima,  Viennensis;  Novempopulana,  Aquitanica 
prima  und  secunda;  Lugdunensis  prima  und  quarta,  Maxima  Sequanorum;  Belgica 
prima  und  secunda.1) 

Edmond  Le  Blant  hat  die  altchristlichen  Sarkophage  dieses  Gebietes  veröffentlicht, 
zuerst  die  von  Arles,  dann  die  des  übrigen  Galliens.  Die  erste  Publikation  gibt  die 
Sarkophage  nach  Zeichnungen  wieder,  die  zweite  photomechanisch.2) 

Ähnlich  wie  bei  den  ravennatischen  Sarkophagen  ist  auch  bei  den  gallischen  ein 
Stück  vorwegzunehmen,  das  beste  und  um  ein  Jahrhundert  ältere  als  alle  übrigen. 
Der  berühmte  Sarkophag  von  La  Gayolle,  mit  sekundärer,  also  hier  nicht  zu  be- 
rücksichtigender Grabschrift,  gehört  zur  Klasse  der  griechischen  mit  profiliertem  Sockel 
und  Sims;  der  Sockel  trägt  eine  Wellenranke.  Verziert  ist  nur  die  Vorderseite,  be- 
schädigt manches,  besonders  an  den  Köpfen,  herausgebrochen  ein  Stück  in  der  Mitte. 
Vier  Hintergrundbäume  (auf  jedem  ein  Vogel)  trennen  fünf  Räume,  in  welche  die 
Figuren  verteilt  sind.  In  der  Mitte  sitzt  rechtshin  auf  geschweiftem  Stuhl  ein  Mann, 
anscheinend  im  bloßen  Mantel  (Oberfigur  ausgebrochen),  vor  ihm  steht  in  Vorder- 
ansicht ein  Knabe  in  seinen  Mantel  geschlagen;  zwischen  beiden  befindet  sich  der  Rest 
eines  unerkennbaren  Gerätes.  Links  folgt  eine  Anbetende  in  Orantentypus  zwischen 
Schafen;  eins  kommt  hinter  ihr  hervor,  drei  andere  lagern  auf  einem  Hügel  unter  dem 
letzten  Baum;  an  den  Hügel  ist  ein  Anker  gelehnt.  Zuletzt  ein  bärtiger  Angler  in 
Exomis,  der  einen  Fisch  aus  dem  Wasser  zieht,  in  der  Linken  trägt  er  den  Fischkorb; 
im  Feld  oben  Büste  des  Sonnengottes  in  Chlamys  und  mit  Strahlen.  Rechts  ein  bärtiger 
Guter  Hirt  in  Exomis,  neben  ihm  ein  Schaf;  er  wendet  sich  einem  Bärtigen  zu,  der 
in  bloßem  Mantel  auf  Fels  linkshin  sitzt,  mit  einer  Art  Zepter  im  aufgelehnten  linken 
Arm,  die  Rechte  grüßend  oder  anbetend  dem  Hirten  zugestreckt.  In  dem  zentral 
Sitzenden  darf  ohne  weiteres  der  Verstorbene  erkannt  werden,   mit  seinem  Knaben, 


*)  Provinzen:  Marquardt,  Komische  Staatsverwaltung  2I  1881,  282. 

2)  Le  Blant,  Fltude  sur  les  sarcophages  chre"tiens  antiques  de  la  ville  d' Arles,  dessins  de 
M.  Pierre  Fritel  (in  der  Collection  de  documents  ingdits  sur  Phistoire  de  France  publik  par  les 
soins  du  ministre  de  l'instruction  publique,  troisieme  serie,  arche"ologie)  Paris  1878.  Derselbe,  Les 
sarcophages  chretiens  de  la  Gaule  (in  derselben  Sammlung)  1886.  Ich  zitiere  die  beiden  Werke 
mit  den  Schlagworten  Arles  und  Gaule,  die  Sarkophage  außerhalb  von  Arles  aber  nach  Provinz, 
Nummer  und  Tafel,  zutreffenden  Falles  unter  Beifügung  von  Garruccis  Tafelnummer.  —  Prost, 
Rev.  arch.  1887,  I  329.  II  51.  195. 


208  Zur  Stilkritik  und  Chronologie  der  christlichen  Sarkophage 

in  der  Anbetenden  eine  Angehörige;  auch  der  rechts  Sitzende,  vielleicht  künstlerisch 
geschaffen  unter  Anlehnung  an  heidnische  Götter-  oder  Königsdarstellungen,  ist  doch 
ein  Angehöriger,  wegen  der  offenkundigen  Beziehung  zwischen  ihm  und  dem  Guten 
Hirten.  Geist  und  Komposition  des  Reliefs  hat  bei  mehreren  Eigenheiten  doch  viel 
Verwandtschaft  mit  unseren  ältesten  stadtrömischen  Sarkophagen,  wie  denen  von  der 
Via  Salaria  und  Maria  Antiqua.  Le  Blant  setzt  den  unseren  an  das  Ende  des  zweiten 
Jahrhunderts.  Die  Frisur  des  Frauenkopfs  scheint  auf  das  frühere  dritte  zu  weisen; 
leider  ist  er  zu  verwittert,  um  mit  Sicherheit  erkennen  zu  lassen,  ob  die  Ohren 
bedeckt  sind  oder  frei  [Abb.  8].1) 

An  der  Mittelmeerküste  und  das  Rhonetal  hinauf  gab  es  schon  um  die  Mitte 
des  zweiten  Jahrhunderts  kleine,  vorwiegend  griechische  christliche  Gemeinden,  zuerst 
in  den  größeren  Städten.  Die  Christianisierung  der  römischen  Bevölkerung  muß  sich 
wesentlich  im  dritten  Jahrhundert  vollzogen  haben,  um  450  war  sie  vollendete  Tat- 
sache. Die  Mission  bei  den  Kelten  ging  langsamer  voran,  noch  im  dritten  Jahrhundert 
hatte  sie  nur  bescheidene  Erfolge  aufzuweisen,  so  in  den  westlichen  Gebieten,  so  in 
den  Belgicae;  zum  Ziele  gelangte  sie  erst  erheblich  später  als  die  Christianisierung  der 
römischen  Bevölkerung  des  Landes.  —  Die  christlichen  Inschriften  beginnen  in  Gallien 
erst  mit  dem  vierten  Jahrhundert.8) 

Der  Sarkophag  von  La  Gayolle,  vielleicht  importiert,  vielleicht  in  Südostgallien 
selbst  entstanden,  bedeutet  für  die  dortige  christliche  Antike  die  eine  Schwalbe,  die 
noch  keinen  Sommer  macht.  Erst  nach  langer  Pause,  im  vierten  Jahrhundert,  gleich- 
zeitig mit  den  christlichen  Inschriften,  erscheint  die  Masse  der  christlichen  gallischen 
Sarkophage.  Sie  werden  in  der  Hauptsache  auch  diesem  Jahrhundert  angehören; 
welche  Arten  und  wieviele  Stücke  dem  fünften,  ist  vorläufig  schwer  zu  sagen.  Daher 
werden  wir  diese  in  sich  geschlossene  Masse  ähnlich  behandeln,  wie  die  nahverwandte 
der  stadtrömischen  und  italischen  desselben  vierten  Jahrhunderts,  nach  ihren  tektonischen 
Typen  geordnet;  innerhalb  jedes  Typus  aber  werden  wir  versuchen,  in  relativer  Chro- 
nologie Früheres  und  Späteres  zu  unterscheiden.  Es  ist  wichtig  zu  bemerken,  daß  die 
Masse  dieser  Steinsärge  so  gleichartig  erscheint,  daß  die  Exemplare  sämtlich  aus  einem 
und  demselben  räumlich  beschränkten  Bezirk  stammen  müssen,  nämlich  aus  dem  Süden, 
der  Provence.  Von  dort  wurden  sie  der  Nachfrage  entsprechend  exportiert,  das  Rhone- 
tal hinauf  und  peripherisch  ins  Weite,  doch  nicht  allzu  weit.  Lokale  Entstehung  läßt 
sich  eigentlich  nur  für  den  Trierer  Sarg  mit  der  Arche  Noahs  wahrscheinlich  machen. 
In  alle  dem  hat  Le  Blant  wohl  richtig  gesehen.  —  Die  enge  Verwandtschaft  der 
gallischen  Sarkophage  mit  den  italischen  erlaubt  uns,  ausgesprochen  oder  stillschweigend, 
auf  das  über  die  italischen  Gesagte  Bezug  zu  nehmen;  vor  allem  auf  den  grundlegend 
bedeutsamen  Satz,  den  für  die  gallischen  schon  Le  Blant  und  Prost  aussprachen,  daß 
die  christlichen  Sarkophage  sich  als  Fortsetzung  der  heidnischen  geben.  Wichtigere 
Eigenheiten  der  gallischen,  besonders  in  der  Typik  der  Figuren,  werden  wir  hervorheben. 

Die  Deckel  besitzen  jene  gelegentlich  der  italischen  Sarkophage  besprochene 
Form  einer  Deckplatte  mit  auf  deren  Vorderkante  aufsitzendem  Fries. 

Geriefelte    Sarkophage.     Clipeus   mit   männlicher  Büste;   im    linken  Endfeld 


*)  La  Gayolle:  Narb.  II  n.  215  Taf.  59  =  Arles  Taf.  34  G  370,  2. 

2)  A.  Harnack,  Mission  und  Ausbreitung  des  Christentums  *II  1906  222.  —  Inschriften: 
Le  Blant,  Inscriptions  chrötiennes  de  la  Gaule. 


Gallien.  209 

unbärtiger  Guter  Hirt  in  Exomis,  im  rechten  Hirt  in  Exomis  mit  Pedum,  beide  leb- 
haft schreitend.  Lugd.  I  n.  5  Taf.  1,  2—4.  —  Clipeus  mit  weiblicher  Büste,  darunter 
Tabula  ansata  (in  dieser  Anordnung  nicht  in  Rom);  links  Anbetende,  rechts  Guter 
Hirt,  beide  auf  Basis.  Arles  n.  21  Taf.  16.  —  Clipeus  mit  männlicher  Büste  in  kon- 
tabulierter  Toga,  darunter  Jonas  ruhend;  links  Quellwunder,  rechts  Gesetzesempfang. 
Vienn.  n.  53  Taf.  14,  2  G  357,  2.  —  Es  folgen  Sarkophage  mit  ganzen  Gestalten  im 
Mittelfeld.  Anbetende;  links  und  rechts  vor  Parapetasma  ein  Seliger  mit  der  Rechten 
nach  der  Mitte  grüßend.  Arles  n.  30  Taf.  12,  4.  —  Jugendlich  langlockiger  Christus 
nimbiert  mit  offenem  Buch;  links  und  rechts  ein  Seliger  mit  Rolle;  diese  Endfiguren 
sind  stets  der  Mittelfigur  zugewandt.  Am  Deckel  Tabula  von  zwei  Eroten  gehalten, 
links  Melkszene,  rechts  Hirt  mit  Herde;  ein  Eckkopf,  das  Haar  in  die  Stirn  und 
bartlos,  wie  die  Eckköpfe  an  den  gallischen  Sarkophagen  immer.  Arles  n.  25  Taf.  19. 
—  Jugendlicher  Christus  bewillkommnet  bartlosen  Anbetenden;  links  Petrus,  rechts 
Paulus,  beide  mit  der  Rechten  adorierend.  Narb.  II  n.  211  Taf.  53,  1  G  368,  3.  — 
Jugendlicher  Christus  steht  rechtshin  vor  einem  Tor  ein  hohes  Kreuz  haltend,  den 
linken  Fuß  auf  einem  Stein;  die  Verstorbene  in  kleiner  Proportion  kniet  vor  ihm; 
links  und  rechts  ein  Seliger  mit  der  Rechten  adorierend.  Vienn.  n.  40  Taf.  8,  3 
G  331,  1.  Die  Gruppierung  des  Mittelbildes,  Christus  und  ein  Verstorbener,  kommt 
in  Rom  nicht  ebenso  vor,  wie  an  den  zwei  letztgenannten  Sarkophagen.  —  Jugend- 
licher Christus  mit  Rolle  zwischen  zwei  Bäumen;  an  den  Enden  je  ein  geriefelter 
Pilaster.  Arles  n.  14  Taf.  11,  1.  —  Bärtiger  Christus  thront  zwischen  Paulus,  dem  er 
die  Rolle  reicht,  und  Petrus;  keine  Endfelder.  Vienn.  n.  67  alte  Zeichnung  nach 
dem  verlorenen  Original.  —  Sodann  Fünffeldersärge  mit  geteilten  Feldern.  Oben 
Anbetung  eines  Hirten  vor  der  Krippe,  mit  Maria,  Ochs  und  Esel,  unten  die  Magier 
wie  sie  den  Stern  sehen;  links  Gesetzesempfang,  rechts  Opferverhinderung,  beides  auf 
Basis.  Arles  n.  28  Taf.  21.  —  Oben  Anbetung  des  Hirten  vor  der  Krippe  mit  Ochs 
und  Esel,  unten  die  Magier  den  Stern  erblickend;  links  oben  Elias  bei  seiner  Himmel- 
fahrt den  Mantel  hinter  sich  werfend,  unten  Elisa  den  Mantel  auffangend,  sodann  mit 
ihm  den  Jordan  schlagend  (rechtes  Endfeld  fehlt).  Die  Teilung  der  Mantelübergabe 
in  zwei  Szenen  und  die  Jordanszene  sind  gallische  Eigenheiten.  Arles  n.  24  Taf.  18,  1.  — 
Oben  Judaskuß,  unten  wahrscheinlich  die  Schlüsselübergabe  (nur  ein  Kopf  erhalten); 
links  oben  die  Samariterin  mit  Jesus  am  Ziehbrunnen,  unten  die  Kananäerin  und  Jesus 
mit  Zacchäus  redend  (rechtes  Endfeld  fehlt).  Arles  n.  23  Taf.  18,  2.  —  Die  linke 
Hälfte  mit  der  Zentralfigur  (Christus?)  fehlt;  im  rechten  Endfeld  ein  Seliger  mit  der 
Rechten  anbetend,  statt  der  Riefeln  ein  zweigeschossiges  Bild,  ländliche  Szenen,  in 
Rahmen  mit  Wellenranke;  ein  geriefelter  Pilaster  zwischen  dem  Rahmen  und  dem 
Endfeld.  Narb.  In.  177  Taf.  44,  2.  —  Noch  ein  ganz  spätes  Stück.  Schöpfung, 
vielmehr  Segnung  Adams,  der  auf  kleinem  Bema  steht;  im  linken  Endfeld  (am  Rand 
Spiralsäule)  Heilung  des  Blinden?  im  rechten  Heilung  des  Gichtbrüchigen?  statt  der 
Riefelfelder  ländliche  Szenen  in  zwei  Geschossen.  An  der  einen  Schmalseite  Daniel 
zwischen  den  Löwen,  in  einem  Mäntelchen,  das  aussieht  wie  Nachklang  der  Exomis; 
in  der  andern  ländliche  Szenen  in  zwei  Geschossen.     Aquit.  II  n.  95  Taf.  23. 

Säulensarkophage.  Das  früheste  Exemplar  vielleicht  noch  aus  dem  dritten 
Jahrhundert  ist  Arles  n.  31  Taf.  23.  24  G  361,  2.  Die  Vorderseite  sieht  ganz  aus 
wie  heidnisch:  in  den  zwei  Mittelnischen  je  eine  Matrone  mit  ihrem  Sohn,  der  links 
als  Offizier  und  rasiert,  rechts    in  bürgerlicher  Tracht    und   bärtig   erscheint  (weil  die 

Sybel,  Christliche  Antike  II.  14 


210  Zur  Stilkritik  und  Chronologie  der  christlichen  Sarkophage. 

Matrone  den  Ehrenplatz  einnimmt,  kann  nicht  ein  Ehepaar  gemeint  sein).  Es  sind  in 
beiden  Nischen  dieselben  Personen;  wegen  der  stärkeren  Verhüllung  der  Matrone 
könnte  man  in  der  zweiten  Gruppe  den  früheren  Tod  der  Mutter  und  die  Wieder- 
vereinigung beider  im  Jenseits  angedeutet  finden.  In  den  zwei  äußeren  Nischen  steht 
je  ein  Dioskur  mit  seinem  Pferd;  der  links  ist  bartlos,  der  rechts  bärtig,  entsprechend 
ihren  Nachbarn  in  den  Mittelnischen;  sie  sind  demnach  mit  Le  Blant  nach  heidnischem 
Brauch  als  idealisierende  Darstellungen  des  Verstorbenen  aufzufassen.  In  den  Zwickeln 
ein  leiser  Anklang  christlicher  Vorstellungen:  dreimal  ein  Anbetender  mit  Rolle  in  der 
Linken,  zweimal  eine  Taube,  die  an  einem  Fruchtkorb  pickt  [Abb.  17].  Die  Schmalseiten 
geben  volle  Gewißheit  über  den  christlichen  Stand  des  Verstorbenen:  links  Segnung  der  in 
Schüsseln  dargereichten  Speisen,  rechts  der  sitzend  Lesende,  vor  dem  ein  Soldat  steht. 
Alle  übrigen  Exemplare  gehören  sicher  dem  vierten  Jahrhundert  an,  einige  dem 
fünften.  Ein  zweigeschossiger  ist  vorhanden,  Arles  n.  32  Taf.  25.  26.  Er  hat  ab- 
wechselnd Giebel  und  Bögen,  im  Untergeschoß  steht  in  der  Mitte  ein  Bogen,  im  Ober- 
geschoß ein  Giebel.  In  den  Eckzwickeln  an  Fruchtkörben  pickende  Vögel,  in  den  mittle- 
ren Kränze.  Das  Untergeschoß  zeigt  in  der  Mitte  eine  Anbetende;  links  einen  Seligen 
oder  Apostel  mit  Begleiter,  Jesus  redend,  das  Quell  wunder;  rechts  die  Kananäerin,  noch 
einmal  Jesus  redend,  den  Weinzauber;  das  Obergeschoß  in  der  Mitte  Jesus  redend,  zu 
seinen  Füßen  steht  der  Hahn,  es  folgt  je  ein  Apostel,  Le  Blant  erklärt  den  rechts 
für  Petrus;  ferner  links  ein  Apostel  mit  Begleiter,  zuletzt  die  Segnung  der  Brote,  die 
Fischschüssel  steht  des  engen  Raumes  wegen  auf  einem  Pfeilerchen;  rechts  noch  die 
Blindenheilung  und  Daniel  den  Drachen  tötend.  An  den  Schmalseiten  links  oben  das 
Opfer  Kains  und  Abels,  und  Jesus,  in  der  Linken  einen  Stab,  mit  der  Rechten  nach 
dem  Wipfel  eines  Ölbaums  zeigend  (gemeint  ist  das  Verdorren  des  Feigenbaums  Mk.  11, 
13.  14;  das  Motiv  fehlt  an  den  italischen  Reliefs);  unten  die  drei  Jünglinge  die  Ver- 
ehrung des  Bildes  weigernd.  Rechts  oben  die  Huldigung  der  Magier,  hinter  der  Mutter 
steht  ein  Mann  in  Exomis,  der  Tracht  nach  eher  ein  Hirt,  dem  Platze  nach  eher 
Joseph,  der  ja  auch  im  Arbeitskleid  dargestellt  werden  konnte;  unten  der  Einzug  in 
Jerusalem.  Die  Falten  wie  die  Bohrgänge  eines  Holzwurms.  —  Verwandter  Art  sind 
ein  paar  eingeschossige  Säulensärge.  Arles  n.  19  Taf.  13:  Jesus  steht  sprechend,  mit 
offner  Rolle  in  der  Linken,  bei  ihm  ein  Begleiter,  jederseits  drei  Apostel.  In  den 
Zwickeln  Adler  Kränze  tragend;  das  Motiv  ist  von  Zeus- Jupiter  auf  den  Kaiser  und 
nun  auf  den  Christus  übertragen,  vgl.  auch  Gaule  159  an  einem  Altar  von  La  Gayolle 
Adler  Kranz  tragend  über  dem  Monogramm.  Der  Sarkophagdeckel  ist  fremd  [Abb.  29]. — 
Lugd.  I  n.  6  Taf.  2,  2 — 3  hat  Muscheln  in  den  Bögen,  das  Schloß  oben.  Vom  zentralen 
Christus  sind  nur  die  auf  einen  Schemel  gesetzten  Füße  erhalten;  er  saß  zwischen 
sechsmal  zwei  stehenden  Aposteln,  unter  denen  auch  ein  Vollhaariger  ist.  —  Andere 
Sarkophage  haben  mehr  Meißelarbeit  am  Falten  werk,  die  ersten  mögen  früher  sein 
als  die  eben  aufgeführten.  Arles  n.  3  Taf.  2,  1  hat  breite  Nischen  unter  Flachbögen, 
ähnlich  wie  der  Dioskurensarg,  in  den  Zwickeln  Marinemotive;  erhalten  sind  nicht  ganz 
anderthalb  Nischen  mit  dreifigurigen  Gruppen,  vollständig  die  Schlüsselübergabe.  — 
Narb.  II  n.  206  Taf.  52,  1  G  379,  2  Matrone  anbetend  zwischen  zwei  Seligen;  links 
Lazarus  und  Opfer  Verhinderung,  rechts  Blutflüssige  verbunden  mit  Blindenheilung, 
Gesetzesempfang.  —  Vienn.  n.  35  Taf.  7,  1  G  319  Hahnszene;  links  Gichtbrüchiger, 
Daniel  den  Drachen  tötend,  Jüngling  zu  Nain;  rechts  Blindenheilung,  zwei  Soldaten 
in  Mütze  vor  dem  unter  einem  Baum  lesend  Sitzenden.  —  Narb.  In.  128  Taf.  28,  2 


Gallien.  211 

Monogramm  in  Kranz  von  Adlerschnabel  gehalten,  auf  Kreuz,  unter  dem  zwei  Soldaten; 
links  Kreuztragen  und  Faßwaschen,  rechts  Jesus'  Vorführung  und  Händewaschen.  — 
Narb.  II  n.  212  Taf.  54  G  352,  2 — 4  die  zwei  Mittelsäulen  umrankt;  Monogramm 
auf  Kreuz,  darunter  zwei  Soldaten;  links  Kreuztragen  und  Paulus'  Enthauptung,  rechte 
Jesus'  Vorführung  und  Händewaschen.  Linke  Schmalseite:  zwei  behelmte  Soldaten 
vor  einem  in  einem  Tor  Sitzenden  und  Sprechenden;  rechts  Judaskuß.  —  Narb.  I  n  171 
Taf.  42,  3  rechtes  Ende  eines  Sarkophags:  Jesus'  Vorführung  und  Händewaschen.  — 
Narb.  I  n.  130  Taf.  30,  3  linkes  Ende:  Hahnszene,  Blindenheilung,  zwei  Apostel  an- 
betend. —  Narb.  I  n.  188  Taf.  47,  1.  2  G  402,  7.  Die  drei  mittleren  Nischen  sind 
großenteils  abgemeißelt,  in  der  Mitte  unten  scheint  der  Cälus  dargestellt;  das  würde 
auf  einen  darüber  thronenden  jugendlichen  Christus  schließen  lassen,  in  den  Nachbar- 
nischen dürften  Paul  und  Peter  gestanden  haben.  In  den  Endnischen  links  Kana  und 
Hahnszene,  rechts  Blindenheilung  und  Nain.  Schmalseite  (nur  eine  ist  sichtbar):  Jesus, 
hier  sitzend  (so  nicht  in  Italien)  und  die  Samariterin  am  Ziehbrunnen. 

Einige  Spätlinge  wird  man  geneigt  sein,  dem  fünften  Jahrhundert  zuzuschreiben; 
eine  begründete  Bestimmung  läßt  sich  noch  nicht  geben.  Lugd.  IV  n.  11  Taf.  2,  4; 
Architektur  und  Zwickelverzierung  in  der  herkömmlichen  Weise,  nur  sind  die  Säulen- 
schäfte bereits  glatt  und  die  Figuren  überschlank;  Monogramm  in  Kranz  auf  Kreuz, 
darunter  zwei  stehende  Soldaten,  zwischen  sechsmal  zwei  Aposteln.  —  Danach  tritt 
eine  wesentliche  Vereinfachung  der  Architekturformen  ein.  Narb.  I  n.  189  Taf.  43,  2 
hat  zwar  noch  einmal  Spiralsäulen,  aber  die  Schilfblattkapitelle,  wie  wir  sie  in  Ravenna 
fanden,  schlichtprofilierte  Bögen  und  andersartige  Zwickelpflanzen;  in  den  Nischen  den 
jugendlichen  Christus  zwischen  sechs  Aposteln.  Die  Falten  sind  nur  hakenförmig  ein- 
gezeichnet. —  Vienn.  n.  52  Taf.  12,  4  G  332,  1  ordnet  die  acht  Nischen  in  ungleicher 
Breite  an,  die  zwei  mittelsten,  ohnehin  am  breitesten  sind  zu  einem  breiten  Raum 
vereinigt,  wie  wir  ähnliches  auch  in  Ravenna  fanden;  nach  den  Enden  zu  werden  die 
Nischen  immer  schmäler.  Die  Säulen  haben  glatte  Schäfte  und  sind  schlecht  gezeichnet, 
nicht  einmal  senkrecht;  zwischen  den  Bögen  Zwickelblumen  von  der  ebenfalls  ge- 
legentlich der  ravennatischen  Sarkophage  besprochenen  Art.  In  der  Doppelnische 
steht  der  bärtige  Christus  nimbiert  und  die  Rechte  ausstreckend  auf  dem  Vierstrom- 
berg zwischen  dem  anbetenden  Paulus  und  dem  die  Rolle  auffangenden  Petrus  mit 
dem  Kreuz;  beiderseits  die  übrigen  Apostel.  Am  Deckel  Tabula  mit  eingezogenen 
Längskanten  von  zwei  Eroten  gehalten,  darüber  Monogramm  zwischen  zwei  Delphinen^ 
die  ganze  Gruppe  zwischen  zwei  Bäumen;  links  das  Lamm  Gottes  (zwischen  zwei 
Palmbäumen)  auf  dem  Vierstromberg,  an  dem  zwei  Hirsche  saufen,  ganz  links  noch 
ein  Baum;  rechts  ein  Seliger  den  im  Monogramm  dargestellten  Herrn  adorierend,  sodann 
das  Wunder  von  Kana,  und  die  Kundschafter  die  große  Traube  an  einer  Stange 
tragend  (dies  Motiv  nicht  in  Italien).  —  Endlich  Narb.  II  n.  203  Taf.  51,  1  G  335,  1 
hat  umgekehrt  gedrungene  Architektur  und  ebensolche  Gestalten:  in  der  Mitte  thront 
der  jugendliche  Christus,  sodann  steht  links  Paulus,  rechts  Petrus,  in  den  Endnischen 
je  eine  adorierende  Matrone. 

Wir  schalten  zunächst  einige  Pfeilersärge  ein.  Arles  n.  12  Taf.  10  bringt 
eine  besonders  reiche  Architektur,  sieben  Konchen  getrennt  durch  geriefelte  Stirn- 
pfeiler; das  Halbrund  der  Nische  ist  sorgfältig  angedeutet,  ihre  Wand  als  Quaderbau 
behandelt.  In  der  Mitte  steht  der  jugendliche  Christus,  die  Rechte  gehoben,  zwischen 
den  zwei  Jüngern  mit  Brotkorb  und   Fischschüssel,   zwei   Aposteln,    und   in  den  End- 

14* 


212  Zur  Stilkritik  und  Chronologie  der  christlichen  Sarkophage. 

nischen  Abraham  mit  Messer,  Altar  und  Widder,  Daniel  mit  Altar  und  Drache,  beide 
adorierend  [Abb.  26].  —  Vienn.  n.  54  Taf.  16,  2  G  368,  1  ein  schwacher  Nachklang 
solcher  Architektur:  schlichte  Pilaster  zwischen  den  Nischen,  die  im  oberen  Rund  eine 
vorhängende  Nase  haben,  ein  Rudiment  des  Muschelschlosses.  In  der  Mitte  steht  ein 
jugendlicher  Adorant  in  ungegürteter  Talaris  und  Pänula,  zwischen  Paulus  und  Petrus, 
die  ihn  mit  der  Rechten  begrüßen;  in  der  linken  Endnische  eine  Familie  rechtshin, 
der  bartlose  Vater  trägt  ein  Kind  auf  den  Händen,  zu  seiner  Rechten  geht  seine  Frau; 
rechts  ein  mit  der  Rechten  Anbetender  oder  Bewillkommnender.  —  Vienn.  n.  59 
Taf.  11,  1  G  342,  1  eine  andre  Abschwächung  des  Motivs  im  Sinne  der  Tischler- 
arbeit: die  Mittelnische  unter  flachem  Bogen  auf  korinthischen  Pfeilern  ruhend,  deren 
Schaft  Rahmen  und  Füllung  zeigt;  die  übrigen  Nischen  haben  wagerechten  Abschluß, 
die  Pfeiler  sind  so  aufgelöst,  daß  ihre  Rahmen  vom  Boden  aufsteigen  und  auch  die 
Nische  oben  schließen,  in  der  Füllung  läuft  eine  Wellenranke  hinauf.  In  der  Mittel- 
nische thront  der  jugendliche  Christus  nimbiert,  jederseits  stehen  drei  Apostel.  —  Arles 
n.  33  Taf.  27.  Vier  geriefelte  Pfeiler  reichen  bis  an  den  schließenden  Balken,  drei 
rundbogige  Nischen  zwischen  sich  offen  lassend.  In  der  Mitte  thront  der  bärtige  und 
langlockige  Christus,  den  linken  Fuß  auf  den  Schemel  gestellt,  den  rechten  am  Boden, 
die  Rechte  sprechend,  in  der  Linken  die  offene  Rolle;  links  adoriert  Paulus  tief  sich 
bückend,  rechts  Petrus  mit  dem  Kreuz,  das  die  späte  Kreuzmonogrammform  hat,  wie 
das  kleine  Kreuzmonogramm  über  dem  Haupte  des  Christus. 

Auch  Gebälkstücke  treten  zwischen  die  Bögen.  Arles  n.  11  Taf.  9,  wieder 
sehr  reich,  die  Mittelsäulen  umrankt,  die  folgenden  senkrecht  geriefelt  mit  eingelegten 
Stäben,  die  letzten  spiralgeriefelt.  In  der  Exedra  mit  sich  zurückziehendem  Gebälk 
steht  der  bärtige  Christus  auf  dem  von  Schafen  umstandenen  Vierstromberg,  die  Rechte 
ausgebreitet,  aus  der  Linken  hängt  die  Rolle,  deren  Ende  der  das  Kreuz  tragende 
Petrus  im  Mantel  auffängt,  links  adoriert  Paulus;  hinter  jedem  Apostel  ein  adorierender 
Begleiter,  hinter  dem  Christus  vier  Palmbäume,  ein  fünfter  mit  dem  Phönix  hinter 
Paulus;  in  der  linken  Endnische  das  Fuß  waschen,  in  der  rechten  das  Händewaschen.  — 
Aus  einem  späteren  Exemplar  stammt  das  Bruchstück  Narb.  II  n.  207  Taf.  52,  2, 
der  bärtige  Christus  vor  der  Exedra,  ein  Schaf  zur  Seite,  zwischen  Aposteln;  alle 
Säulen  sind  in  der  gewöhnlichen  Art  spiral  geriefelt.  —  Gebälkstück  wechselnd  mit 
Bögen,  auf  Pfeilern  ruhend,  darunter  die  Erweckung  der  Tabitha  durch  Petrus:  Arles 
n.  4  Taf.  2,  2.  —  Der  jugendliche  Christus  sitzt  zwischen  zwei  Seligen,  vor  Exedra 
auf  Berg,  an  dem  Offizier  und  Frau  kniet;  in  den  Nischen  links  eine  Steinigung,  sowie 
Paulus  und  Christus  (beide  Szenen  nicht  in  Italien);  rechts  Jesus'  Vorführung  und  das 
Händewaschen.     Vienn.  n.  57  Taf.  14,  1  G  346,  1. 

AlsHintergrundsarchitektur  wird  eine  lange  Halle  eingeführt,  mit  verkröpftem 
Gebälk  und  mit  Marmorziegeln  gedeckt,  endigend  in  zwei  Pavillons  mit  Giebeln;  davor 
sitzt  der  bärtige  Christus  mit  offenem  Buch,  worin  steht  Dominus  legem  dat,  zwischen 
den  zwölf  ebenfalls  sitzenden  Aposteln;  sie  halten  Rollen  und  Bücher,  in  viere  sind  die 
Namen  der  Evangelisten  geschrieben  Matthäus,  Marcus,  Lucanus,  Johannes;  wie  schon 
längst  Paulus  den  Zwölfen  zugerechnet  wurde,  ohne  einer  von  ihnen  gewesen  zu  sein, 
so  finden  wir  hier  die  Evangelisten  als  Mitglieder  des  Zwölferkollegs.  An  den  Enden 
je  zwei  Verstorbene,  links  zwei  Männer,  rechts  ihre  Frauen,  jedesmal  die  vordere 
Figur  sich  vor  dem  Christus  verbeugend.  Von  den  Männern  trägt  anscheinend  der 
Stehende  die  Pänula,  der  sich  verbeugende  die  Chlamys;    es  handelt  sich  also  nur  um 


Gallien.  213 

eine  Modifikation  der  Gruppe  des  Offiziers  und  seiner  Frau,  die  wir  so  oft  zu  Füßen 
des  auf  dem  Berg  stehenden  Christus  sich  verneigen  oder  knien  sahen.  Arles  n.  6 
Taf.  4  G  343,  3  [Abb.  30].  Zu  diesem  Kasten  gehört  der  Deckel  Vienn.n.  46  Taf.  10,  1  : 
Tabula  (mit  Inschrift  des  Concordius  sacerdos)  zwischen  zwölf  Unbärtigen,  die  teils 
nach  der  Tabula  hin  grüßen,  teils  mit  Schriftrollen  beschäftigt  sind;  an  jedem  Ende 
ein  Lesepult,  von  einem  großen  Löwenbein  getragen.  —  Eine  ähnliche  Anordnung  an 
Seq.  n.  18  Taf.  4,  2  G  343,  2,  aber  ohne  Dach  und  ohne  die  Pavillons,  womit  auch 
die  Verstorbenen  weggefallen  sind;  ferner  fehlen  die  Inschriften,  es  bleibt  also  bei 
den  zwölf  Aposteln.  Der  dritte  links  wendet  sich  um,  der  dritte  rechts  trägt  volles 
Haar,  beides  in  beiden  Exemplaren.  —  Etwas  anders  an  Vienn.  n.  56  Taf.  13  G  343,  1. 
Hier  ist's  der  jugendliche  Christus,  der  auf  dem  Berg  sitzt;  davor  steht  das  Lamm; 
im  Hintergrund  Arkaden.  An  der  Schmalseite  Transennamuster.  Giebelförmiger  Deckel 
mit  großen  unbärtigen  Eckköpfen.  —  Der  stadtrömische  Sarkophag  Lat.  n.  125 
G  314,  5  findet  in  Gallien  mehrere  Parallelen.  Das  Bruchstück  Vienn.  n.  23  Taf.  5,  4 
zeigt  die  Heilungsszene  vor  den  Hallen  mit  dem  wogenden  Wasser  darunter;  das  voll- 
ständigere Stück  Aquit.  I  n.  76  Taf.  17,  1  gibt  Blindenheilung,  Blutflüssige,  Bethesda 
und  ein  Stück  der  Zacchäusszene,  hier  aber  alles  unter  gleichmäßig  fortlaufenden  Ar- 
kaden, die  Bethesdaszene  in  sich  auch  zweigeschossig;  vgl.  Le  Blant,  Gaule  63.  Ficker, 
Lateran  72.1) 

Das  Motiv  der  Tore,  abweichend  von  Lat.  n.  125  an  Aquit.  I  n.  76  nicht  ver- 
wendet, findet  sich  doch  auch  in  Gallien,  insbesondere  als  Hintergrund  des  Apostel- 
kollegs um  den  Christus,  teils  gereiht  mit  zentraler  Exedra,  teils  nur  an  den  beiden 
Enden.  Narb.  II  n.  205  Taf.  51,  2  G  331,  3.  Lugd.  I  n.  1  gereiht.  Vienn.  n.  36 
Taf.  7,  2  nur  Endtore.  Narb.  II  n.  214  Taf.  51,  2  G  334,  3  nur  ein  Tor  hinter  Petrus, 
entsprechend  dem  Palmbaum  mit  Hahn  (Phönix)  hinter  Paulus,  statt  der  übrigen 
Apostel  links  Hahnszene  und  Gesetzesempfang,  rechts  Schlüsselübergabe  und  Opfer- 
verhinderung. —  Es  kommt  auch  Wechsel  von  Toren  mit  Gebälkjochen  vor,  z.  B.  an 
dem  Bruchstück  Vienn.  n.  43  Taf.  8,  4,  das  Le  Blant  auf  die  Geschichte  des  Ana- 
nias  bezieht. 

Auch  an  Baumgängen  fehlt  es  nicht.  Der  bestgearbeitete  wird  Narb.  I  n.  187 
Taf.  45,  2  G  402,  2  sein,  ein  Bruchstück  mit  jugendlichem  Christus,  dem  die  zwei 
Apostelfiirsten  sich  verneigend  ihre  Kränze  darbringen.  —  Allzuschlank  sind  Bäume 
und  Gestalten  Arles  n.  7  Taf.  9:  anbetende  Matrone  zwischen  zwei  Seligen,  links  Brot- 
vermehrung und  Segnung  der  Fische,  Kananäerin,  Jüngling  zu  Nain;  rechts  Wasser- 
verwandlung, Blindenheilung,  Heilung  des  sitzenden  Gichtbrüchigen  [Abb.  27].  —  Um- 
gekehrt sind  die  Gestalten  dürftig  Vienn.  n.  58  Taf.  11,  3  G  352,  1.  — Der  jugend- 
liche Christus  zwischen  sechs  Aposteln  uuter  Bäumen,  die  sich  nicht  berühren,  weil 
die  Köpfe  der  Figuren  zwischen  den  Wipfeln  stehen;  auf  dem  Baum  links  vom  Christus 
der  Hahn,  wonach  der  folgende  Apostel  Petrus  ist.  Narb.  I  n.  175  Taf.  44  G  318,  5.  — 
Drei  Tore,  davon  zwei  (genauer  ein  Doppeltor)  mit  Zinnen,  sodann  Ölbäume;  vor  den 


x)  Concordius:  Wilpert,  Eöm.  Quartalschr.  1906,  8,  5  macht  darauf  aufmerksam,  daß  laut 
der  Inschrift  der  Verstorbene  von  Mutter  und  Bruder  bestattet  wurde ;  daher  müßten  die  Ehegatten 
an  den  Enden  des  Sarkophags  nicht  für  den  Fall,  sondern  auf  Vorrat  gearbeitet  sein.  Doch  könnte 
der  Verstorbene  Witwer  gewesen  sein.  Aber  wie  ist's  mit  der  Chlamys?  Und  ist  die  Inschrift 
sicher  nicht  sekundär? 


214  Zur  Stilkritik  und  Chronologie  der  christlichen  Sarkophage. 

Toren,  die  Köpfe  konzentrisch  zu  den  Torbögen,  der  Engel  dem  schlafenden  Joseph 
im  Traum  erscheinend,  und  die  Vermählung  Josephs  (in  Exomis)  mit  Maria;  unter  den 
Bäumen  der  jugendliche  Christus  mit  Aposteln  Aquit  I  n.  91  Taf.  17,  4.  —  Einzelne 
Bäume  im  Hintergrund  der  Szenen  Arles  Taf.  1.  —  Palmen  im  Hintergrund  noch 
Vienn.  n.  49  Abb.  G  341,  4  und  Vienn.  n.  50  Abb.  G  386,  3. 

Sarkophage  mit  gedrängten  Szenen  ohne  Trennung.  Ein  paar  zweizonige 
mit  Porträts.  Arles  n.  8  Taf.  6  in  Muschel  Ehepaar  bis  zum  Oberschenkel,  er  mit 
kontabulierter  Toga,  bartlos,  Haar  in  Stirn,  sie  mit  Zopf  ums  Haar.  Links  oben  Gesetz- 
empfang, Blindenheilung,  Bedrängung,  Kain  und  Abels  Opfer;  rechts  Opferverhinderung, 
Speisensegnung,  Leseszene  mit  den  zwei  Soldaten.  Unter  der  Muschel  Jonasszenen; 
links  Daniel  den  Drachen  tötend,  Weinwunder,  anbetende  Matrone  zwischen  zwei 
Paradiesesbäumen  nebst  einem  Seligen;  rechts  Sündenfall  mit  Garbe,  Daniel  zwischen 
den  Löwen.  —  Arles  n.  10  Taf.  8:  in  Clipeus  Büsten  eines  Ehepaars,  er  in  Toga 
contabulata,  sie  mit  Zopf  ums  Haar  und  Perlenschnur  um  den  Hals;  links  Opferver- 
hinderung, und  die  zwei  Ältesten  aus  der  Susannageschichte  vor  Daniel  geführt;  rechts 
Susanna  unter  zwei  Bäumen  stehend  und  lesend  (ähnlich  wie  Crispina  an  ihrem  Sarkophag 
im  Lateran),  hinter  den  Bäumen  lauern  die  Ältesten;  zuletzt  das  Händewaschen.  Unter 
der  Muschel  und  rechts  der  Untergang  der  Ägypter  im  Roten  Meer  und  die  Rettung 
der  Israeliten;  links  Daniel  zwischen  den  Löwen,  sowie  die  drei  Jünglinge  vor  Nebu- 
kadnezar.  —  Arles  n.  35  Taf.  29,  zweizonig  ohne  Porträts;  unter  den  sehr  beschädigten 
Darstellungen  ist  besonders  bemerkenswert  die  Himmelfahrt,  dargestellt  als  ein  Berg- 
steigen; eine  Hand  aus  Wolken  kam  Jesus  dabei  zu  Hilfe  (das  Motiv  nicht  an  italischen 
Sarkophagen). 

Aus  der  großen  Zahl  einzoniger  Sarkophage  mit  gedrängten  Figuren  möchte 
ich  einen  hervorheben  als  Verwandten  von  Lat.  n.  55  G  358,  3,  ich  meine  Aquit.  I 
n.  83  Taf.  18  G  381,  1 — 3.  Eine  anbetende  Matrone  steht  zwischen  zwei  Seligen, 
der  zur  Linken  hat  kahle  Stirn.  Links  folgt  die  Heilung  des  Blinden  und  das  Quell- 
wunder; die  zwei  Soldaten  trinken  nicht,  sondern  stehen  hinter  Moses,  der  vordere 
legt  die  Hand  an  dessen  Arm.  Rechts  die  Blutflüssige,  und  die  Erweckung  des  Lazarus; 
eine  Matrone  steht  bei  Jesus  vor  dem  Grab,  eine  kniende  Schwester  des  Lazarus  ist 
nicht  dabei;  Jesus  selbst  steht  in  halber  Rückansicht  vor  dem  Monument.  An  der 
rechten  Schmalseite  Jesus  und  die  Samariterin  (mit  Kopfband  oder  Haube)  am  Zieh- 
brunnen, an  der  linken  der  Einzug  in  Jerusalem,  ein  Jude  breitet  seinen  Mantel  aus; 
im  Hintergrund  ein  andrer  auf  einem  Baum,  Le  Blant  meint  ein  beliebiger  Zuschauer, 
vielleicht  ist's  aber  doch  Zacchäus,  in  ungenauer  Anordnung  [Abb.  15].  —  Novempop. 
n.  120  Taf.  26  G  301,  3 — 5  hat  einen  Deckel  mit  Medusenköpfen  an  den  Enden; 
links  von  der  Tabula  der  Gichtbrüchige,  der  den  Kopf  durch  das  Gurtgeflecht  der 
Kline  steckt,  und  die  Opfer  Verhinderung,  Abraham  ist  jugendlich,  im  kurzen  Chiton 
wie  der  Gichtbrüchige;  rechts  speit  das  Ketos  den  Jonas  aus,  und  Tobias  holt  die 
Leber  aus  dem  Fisch.  Am  Kasten  in  der  Mitte  der  unbärtige  Gute  Hirt  zwischen 
einer  Frau,  die  ein  vor  ihr  stehendes  kleineres  Mädchen  mit  beiden  Händen  umfaßt 
(sog.  praesentatio  oder  commendatio),  und  einer  Matrone  zu  seiner  Linken;  linkshin 
folgt  ein  Knabe  in  längerer  Tunika  und  darübergeworfener  Dalmatika,  mit  ausgebreiteten 
Händen  zum  Hirten  hinblickend,  hinter  ihm  zwei  Paradiesesbäume;  zu  seinen  Füßen 
ruhen  zwei  aus  dem  Bild  blickende  Löwen,  es  ist  ein  Angehöriger  jener  Familie  im 
Typus  des  Daniel,  also  nicht  ein  bekleideter  Daniel.    Alle  diese  Figuren  stehen  frontal. 


Gallien.  215 

Links  am  Ende  folgt  noch  die  Erweckung  des  Lazarus;  vor  dem  Eingang  scheint  auf 
einem  Pfeiler  ein  Pyramidion  zu  stehen.  Rechts  Sündenfall,  dann  Taufszene  nach  Le 
Blant,  Schöpfung  Adams  nach  Garrucci;  am  Ende  ein  mit  Wellenranke  verzierter  und 
mit  Schilfblattkapitell  gekrönter  Pilaster.  Die  Figuren  der  Front  sind  plastisch  ge- 
arbeitet, die  der  Schmalseiten,  zwei  Jonasszenen,  nur  flach  ausgeschnitten.  —  Der  Unter- 
gang der  Ägypter  im  Roten  Meer  und  die  Rettung  der  Israeliten  findet  sich  in  Gallien 
öfter  dargestellt  als  in  Rom.  Wenn,  wie  zu  vermuten  steht,  die  Wahl  des  Motivs 
durch  Konstantins  Sieg  am  Pons  Milvius  veranlaßt  wurde  und  die  Komposition  von 
dem  Schlachtbild  am  Konstantinsbogen  abhängig  ist,  so  braucht  das  häufigere  Vor- 
kommen des  Gegenstandes  an  gallischen  Sarkophagen  doch  nicht  zu  befremden;  es  ist 
ganz  begreiflich,  daß  man  dort  das  neue  Bild  lebhaft  aufnahm.  Dieser  ganz  eigen- 
artige Sonderfall  hat  natürlich  keine  Bedeutung  für  die  Frage,  in  welchem  Lande  die 
altchristliche  Skulptur  sich  ausgebildet  habe.  Le  Blant  hat  in  seinen  beiden  Werken 
verschiedene  Exemplare  abgebildet;  dazu  kommen  Garruccis  Tafeln.  Ich  bemerke  hier 
nichts  weiter,  als  daß  an  Arles  n.  36  Taf.  31.  32  (in  Aix)  G  308,  2 — 4  die  Zinnen 
der  Tore  unmittelbar  auf  dem  Bogen  sitzen  (ebenso  am  Exemplar  von  Spalato  G  309,  4 
und  dem  verlorenen  römischen  G  308,  5);  diese  Exemplare  scheinen  demnach  jünger 
zu  sein.  Das  von  Arles  zieht  die  Darstellung  auf  die  rechte  Schmalseite  hinüber,  wo 
sich  der  Wachtelfang  und  das  Quell  wunder  anschließen,  während  an  der  linken  der 
Auszug  dargestellt  ist,  unter  Benutzung  des  Typus  Gesetzesempfang  (der  Auszug  findet 
sich  nicht  an  italischen  Sarkophagen).1) 

Umkränztes  Monogramm  auf  Kreuz,  darunter  zwei  Soldaten  als  Wache,  zwischen 
den  Zwölf;  jeder  Apostelkopf  steht  zwischen  zwei  Sternen  und  unter  einer  kranz- 
haltenden Hand.  Am  Deckel  Tabula  von  zwei  Viktorien  gehalten,  beiderseits  Clipeus, 
von  Eroten  gehalten,  darin  die  Büsten  rechts  des  Ehemanns,  links  der  Ehefrau,  sie 
anscheinend  mit  Zopf  ums  Haar;  bartlose  Endköpfe.  An  der  rechten  Schmalseite  das 
Quellwunder,  der  eine  Soldat  hält  eine  Phiale.  An  der  linken  Schmalseite  Jesus'  Taufe; 
er  ist  kleingebildet  und  nackt;  der  Täufer,  mit  vollem  Haar  und  Bart,  trägt  ein  Fell, 
die  Taube  kommt  schräg  von  oben;  hinter  dem  wie  im  Quellwunder  aus  einem  oben 
angedeuteten  Fels  herabschießenden  Wasser  steht  ein  Unbärtiger,  die  Rolle  zwischen 
den  zwei  Händen.    Arles  n.  20  Taf.  14.  15.   Später  ist  Narb.  II  n.  204   Taf.  50G  351. 

Hier  mag  das  trierer  Lokalerzeugnis  Platz  finden  Belg.  I  n.  12  Taf.  3,  1  G  308,  1. 
Im  breiteren  Mittelfeld  die  Familie  des  Noah  nebst  allerlei  Tieren  in  der  Arche  (arca) 
linkshin;  vor  der  Arche  sitzt  der  Rabe,  von  links  oben  kommt  die  Taube  mit  dem 
Zweig  geflogen.  In  den  Endfeldern  je  ein  nackter  Putto  auf  umgestürztem  Korb 
sitzend  und  eine  Girlande  flechtend.  Die  übrigen  einzölligen  Sarkophage,  und  zwar 
mit  gedrängten  Szenen,  sind  später,  zum  Teil  recht  spät.  Typisch  bleibt  die  Orans 
in  der  Mitte.  Arles  n.  13  Taf.  11,  2  steht  sie  zwischen  zwei  Bäumen  beim  Guten 
Hirten,  Arles  n.  9  Taf.  7  vor  Parapetasma  zwischen  zwei  Seligen,  Narb.  I  n.  126 
Taf.  29,  1  G  378,  4  zwischen  zwei  Paradiesesbäumen  und  zwei  Seligen,  Narb.  In.  176 
Taf.  45,  1  G  378,  2  zwischen  zwei  Seligen,  ebenso  Vienn.  n.  44  Taf.  9,  3  und 
Aquit.  I  n.  88  Taf.  20,  1  G  380,  2,  sowie  Arles  n.  5  Taf.  3.  —  Noch  einige  Be- 
sonderheiten. Arles  n.  29  Taf.  22  steht  die  Orans  zwischen  zwei  Palmbäumen.  — 
Novempop.  n.  115  Taf.  25,  1 — 3  ist  die  Gruppe  der  Orans  zwischen  zwei  Seligen  ersetzt 

*)  Rotea  Meer:  Narb.  I  n.  129  Taf.  30,  1.  Narb.  I  n.  141  Taf.  31,  1.  Garr.  309,  1.  2. 
Ferner  die  im  Text  erwähnten.    Vgl.  Le  Blant,  Arlea  50 


216  Zur  Stilkritik  und  Chronologie  der  christlichen  Sarkophage. 

durch  die  Speisensegnung;  die  Orans  hat  man  nach  links  verschoben.  Am  linken  Ende 
Lazarus ;  das  Mausoleum  ist  eine  Aedicula  mit  Grabbüste  (die  Mumie  fehlt).  Am  rechten 
Ende  Isaak;  der  Widder  steht  auf  einem  schematisch  gezeichneten  Fels.  Das  Ganze 
ist  eins  der  häßlichsten  Erzeugnisse  der  niedergehenden  Antike.  —  Novempop.  n.  121 
Taf.  25,  1 — 3,  ganz  ähnlich  komponiert,  ersetzt  nur  die  Orans  durch  Heilung  des 
Blinden  und  des  Gichtbrüchigen;  auch  der  Widder  steht  in  einer  gesäulten  Aedicula, 
auf  den  flachen  Dächern  beider  Baulichkeiten  ruht  eine  männliche  Gestalt.  —  Die  zwei 
letztgenannten  Sarkophage  haben  beide  an  den  Schmalseiten  den  Sündenfall  und  den 
Daniel  in  der  Löwengrube,  auch  in  ähnlicher  Komposition;  nur  sind  an  n.  121  dem 
Daniel  im  Hintergrund  zwei  Gestalten  beigefügt,  deren  eine  einen  Stab  hält;  Daniel 
wendet  Gesicht  und  Rechte  dahin,  die  Linke  ist  gesenkt.  —  An  dem  ganz  späten 
Sarkophag  Narb.  I  n.  154  Taf.  40,  2  sieht  man  in  der  Mitte  wieder  die  Speisen- 
segnung, links  daneben  die  Orans  zwischen  zwei  Seligen. 

Eigene  Wege  geht  Arles  n.  22  Taf.  17  G  316,  3.  Links  das  Ouellwunder, 
rechts  die  Erweckung  der  Tochter  des  Jairus  und  anderes;  dazwischen  sitzt  der 
jugendliche  Christus,  die  Füße  auf  einem  Schemel,  in  der  Linken  das  halb  abgerollte 
Volumen ;  sechs  Männer  umgeben  ihn ,  vorn  liegen  zwei  am  Boden ,  mit  den 
Händen  auf  den  Schemel  gestützt,  dann  drängen  sich  zwei  vorgebeugt  heran, 
vor  das  Gesicht  ein  Tuch  haltend,  als  ob  sie  weinten,  im  Hintergrund  stehen 
zwei,  wie  üblich  beim  thronenden  jugendlichen  Christus.  Garrucci  sieht  in  den  drei 
Männerpaaren  drei  Stufen'  der  kirchlichen  Pönitenz  dargestellt,  die  damit  freilich  un- 
wahrscheinlich genug  in  den  Himmel  verlegt  wäre;  Le  Blant  wollte  Hinterbliebene 
erkennen,  wo  doch  die  Szene  wie  gesagt  im  Himmel  ist.  Es  wird  sich  um  weitere 
Ausbildung  des  Motivs  der  dort  zu  Füßen  des  Herrn  dargestellten  Verstorbenen  handeln; 
meist  war  es  ein  Offizier  mit  seiner  Frau,  hier  sind  es  Männer  in  bürgerlicher  Tracht. 
Nur  das  Weinen  brächte  einen  neuen  und  fremden  Ton  in  die  Szene,  wie  in  die  ganze 
Katakombenkunst;   aber  sie  verhüllen  nur  ihr  Antlitz    vor    dem   Glänze   des  Herrn.1) 

Der  nach  oben  sich  erweiternde  Sarg.  In  seiner  oberen  Erweiterung  nähert 
er  sich  wieder  der  nach  oben  sich  verbreiternden  Wanne.  Ursprünglich,  so  schien  es 
uns  oben  in  der  Tektonik,  rundete  sie  ihre  zwei  Enden  ab,  dann  nahm  sie  senkrechte 
Wände  an  und  verschmolz  schließlich  mit  der  länglich  viereckigen  Kiste.  Nun  aber 
griff  man  —  wie  das  zuging,  wissen  wir  noch  nicht  —  auf  die  obere  Erweiterung 
zurück,  behielt  aber  die  vierkantige  Gestalt  mit  länglich  vierkantigem  Grundriß;  der 
Deckel  wurde  entsprechend  geformt,  nach  den  vier  Seiten  schräg  abfallend  (doch  findet 
sich  daneben  auch  das  Satteldach  und  die  flache  Deckplatte  mit  auf  der  Vorderkante 
aufsitzendem  Fries).  Form  verwandt  ist  das  Silberkästchen  aus  Rom,  das  uns  unten 
beschäftigen  wird;  es  ist  älter  als  die  fraglichen  Sarkophage.  Ich  weiß  nicht,  ob 
derartige  Behälter  mit  Erweiterung  nach  oben  vor  der  Kaiserzeit  überhaupt  angetroffen 
werden;  vielleicht  ist  diese  Gestaltung  als  ein  jüngerer  Geschmack  anzusehen,  der 
zuerst  an  den  Wannen,  dann  an  dem  Silberkasten,  zuletzt  an  den  südwestgallischen 
Sarkophagen  sich  geltend  machte. 

Die  Zeit  dieser  Sarkophagklasse  läßt  sich  noch  nicht  sicher  bestimmen.  Wegen 
des  vorkommenden  offenen  Rho  setzt  Le  Blant   ein   Exemplar    um   600,    ein    anderes 

*)  Verhüllen  des  Antlitzes:  V.  Schultze,  Archäologie  252.  David  Kaufmann,  Monats- 
schrift f.  d.  Wiss.  d.  Judentums  XL  183  läßt  als  Beleg  nicht  Exodus  3,  6,  sondern  bloß  Kön.  I 
19,  13  gelten. 


Gallien.  217 

datiert  er  in  das  siebente  Jahrhundert  (Gaule  n.  118.  81).  Trifft  diese  Ansetzung  das 
Richtige,  so  überschreitet  die  ganze  Klasse  die  von  uns  angenommene  untere  Grenze 
des  Altertums;  doch  wollen  wir  sie  nicht  übergehen,  das  sie  das  letzte  Ausklingen  der 
Antike  recht  anschaulich  macht.  Ohnehin  lassen  sich  die  Zeiträume  nicht  so  scharf 
abgrenzen,  am  wenigsten  nach  unten  hin.  —  Ihre  Heimat  war  Südwestgallien,  ein  Mittel- 
punkt der  Erzeugung  die  westliche  Narbonensis  prima,  die  Stadt  Tolosa  (Toulouse). 
Doch  kommen  dergleichen  auch  in  Novempopulania  vor  und  in  Aquitanien  —  Burdigala 
(Bordeaux)  ist  ein  ergiebiger  Fundplatz  —  versprengt  sogar  in  der  Lugdunensis  quarta. 
Le  Blant  hat  mit  Recht  auf  die  örtliche  Scheidung  dieser  südwestlichen  Gruppe  von 
der  südöstlichen  Nachdruck  gelegt;  nur  darf  sie  nicht  dahin  mißverstanden  werden, 
als  ob  diese  eigenartige  südwestliche  Art  neben  der  den  stadtrömischen  Sarkophagen 
so  verwandten  südöstlichen  bestanden  hätte.  Das  ist  durchaus  nicht  der  Fall,  sondern 
es  handelt  sich  vor  allem  um  einen  zeitlichen  Unterschied;  unsere  späte  Gruppe  steht 
der  älteren  provencalischen  Sarkophagkunst  nicht  etwa  als  etwas  Selbständiges  gegen- 
über, sondern  es  ist  lediglich  eine  weitere  Entwicklungsphase  immer  derselben  helle- 
nistischen Skulptur  in  Gallien,  und  zwar  die  letzte.  Nur  hat  sich  in  der  Spätzeit  der 
Fabrikationsbrennpunkt  aus  dem  unteren  Rhonetal  nach  Westen  verschoben ,  nach 
Toulouse  und  Bordeaux.  Die  Ursache  dieser  Verschiebung  bleibt  zu  suchen;  sie  wird 
in  politischen,  kirchenpolitischen,  kulturhistorischen  Umständen  zu  finden  sein.  Ihre 
Erkenntnis  wird  auch  die  Lösung  der  Zeitfrage  fördern. 

Da  es  sich  um  ein  äußerstes  Grenzgebiet  handelt,  so  beschränken  wir  uns  darauf, 
die  Klasse  in  Gruppen  zu  gliedern  und  dabei  Späteres  von  Früherem  zu  unterscheiden. 
Im  allgemeinen  kann  von  den  spätgallischen  dasselbe  gesagt  werden  wie  von  den 
ravennatischen,  daß  anfangs  das  Figürliche  überwiegt,  später  das  Ornamentale.  Aber 
in  Toulouse  so  wenig  wie  in  Ravenna  läßt  sich  hierauf  eine  Zweiteilung  gründen;  die 
beiden  Elemente,  Figuren  und  Ornamente,  laufen  durcheinander,  die  Stilkritik  wird 
sich  nach  noch  andern  Kriterien  umtun  müssen. 

Die  uns  bekannte  architektonische  Ausgestaltung  mit  Spiralsäulen  behauptet  sich 
auch  an  unserer  Klasse  (alle  Beispiele  finden  sich  in  Le  Blants  zweitem  Werk,  es 
genügt,  Nummer  und  Tafel  anzuführen).  N.  142  Taf.  31,  2  zeigt  die  langgestreckte 
Säulenhalle  unter  geradem  Gebälk,  davor  der  Christus  und  die  Apostel  sitzen.  N.  149 
Taf.  37  hat  am  Kasten  neun  Nischen  unter  Steilgiebel,  in  den  Nischen  den  Christus 
und  acht  Apostel  stehend,  n.  147  Taf.  41  nur  sieben,  daher  breitere  Nischen.  In  den 
Zwickeln  dieser  zwei  Sarkophage  stehen  Vasen,  aus  denen  Reben  wachsen,  genau  be- 
sehen nur  Helikes,  die  sich  einrollen;  der  Stilcharakter  dieser  Anthemien  hat  Verwandt- 
schaft mit  denen  zwischen  den  Rundbogen  Taf.  43,  2. 

Dann  erscheint  eine  Kombination  von  Formen  der  Tischlerarbeit  mit  der  Säulen- 
architektur, die  Nischen  werden  eingerahmt;  an  einem  Sarkophag  mit  senkrechten 
Wänden,  n.  156  Taf.  42,  1  G  340,  3,  schließen  die  Nischen  teils  im  Halbrund,  das 
schmäler  als  die  Nische  aus  dem  oberen  Rahmen  sich  hinaufbiegt,  teils  mit  geschweiftem 
Giebel;  in  den  Zwickeln  stehen  Sförmige  Ornamente  und  ihre  Spiegelbilder.  Es  ist 
eine  Wandlung  in  der  Spätantike,  die  im  modernen  Spätbarock  Analogien  hat.  — 
Aquit.  I  n.  89  Taf.  22,  1  G  339,  5  besitzt  neun  in  dieser  Art  gebildete  Nischen;  in 
den  Zwickeln  wechseln  die  S  förmigen  Ornamente  mit  Rosetten.  N.  173  Taf.  43,  1: 
neun  Nischen  unter  Steilgiebeln;  die  Säulen  zwischen  den  Nischen  sind  geschwunden, 
beibehalten  nur  die  Endsäulen.    —    Verkümmerte  Nachzügler    der   Art   schließen    die 


218  Zur  Stilkritik  und  Chronologie  der  christlichen  Sarkophage. 

Nischen  wagrecht  und  gestalten  sie  von  verschiedener  Breite.  N.  183  Taf.  39,  1  G  373 
hat  ein  schnurartiges  Rudiment  der  Zwischensäulen  bewahrt,  an  den  Enden  aber 
geriefelte  Pilaster.  In  den  Nischen  stehen  überall  Figuren,  meist  der  Christus  mit 
Aposteln. 

An  ravennatische  Verzierungsweise  könnte  allenfalls  n.  151  Taf.  38,  1  G  387,  9 
erinnern.  Von  der  Architektur  sind  nur  Ecksäulen  übrig  geblieben.  Die  Front  ist  in 
drei  von  Flechtband  umrahmte  Felder  zerlegt;  im  Mittelfeld  vor  Bäumen  eine  Eber- 
jagd zwischen  zwei  größeren  Dioskuren  mit  Pferden;  in  den  Nebenfeldern  symmetrisch 
sich  ausbreitende  Weinanthemien.  Flache,  aber  sauber  detaillierte  Arbeit.  Am  Deckel 
das  Christusmonogramm  in  Kranz  von  schwebenden  Eroten  gehalten,  im  Feld  Wein- 
ranken [Abb.  57]. 

Weiterhin  sehen  wir  ein  neues  Motiv  eintreten  in  den  gerafften  Vorhängen 
(Portieren).  Am  Säulensarkophag  Aquit.  I  n.  81  Taf.  19  G  338,  1  in  allen  sieben 
Nischen  angebracht  sieht  ihr  Innenkontur  fast  wie  ein  Nachklang  der  Giebelkontur 
aus.  —  N.  193  Taf.  48  ist  etwas  reicher  gebildet;  fünf  Felder  durch  dünne  Spiral- 
säulen getrennt,  jedes  für  sich  eingerahmt  mit  umlaufender  Wellenranke,  vier  in  Giebel- 
form schließend,  das  größere  mittlere  wagrecht;  darin  hängen  wieder  zwei  geknotete 
Vorhänge,  ebenso  an  der  einen  Schmalseite  beim  Daniel  in  der  Löwengrube.  —  Am 
Deckel  n.  155  Taf.  40,  1  mit  sieben  annähernd  quadratischen  Feldern,  in  deren  durch- 
laufenden Rahmen  Wellenranken  laufen,  hängen  im  breiteren  Mittelfeld  zwei  geknotete 
Vorhänge  an  Ringen.  —  N.  145  Taf.  32,  1.  2  zeigt  eine  Weiterbildung  des  Fünffelder- 
schemas mit  wagrecht  geteilten  Zwischenfeldern,  nämlich  drei  schmale  Felder  mit 
stehenden  Figuren  unter  Vorhängen  zwischen  vier  wagrecht  geteilten  breiteren  Feldern 
mit  Weinstöcken;  dazu  Endpilaster. 

Noch  eine  Verwandtschaft  mit  Ravenna,  der  geschuppte  Deckel.  N.  145  Taf.  32,  1: 
auf  der  Frontseite  in  ausgespartem  Feld  das  Monogramm  mit  A  und  Q  auf  dem  Nimbus, 
zwischen  zwei  symmetrischen  Weinstöcken.  —  Lugd.  IV  G  387,  4  bringt  im  aus- 
gesparten Feld  eine  Vase,  aus  der  ein  symmetrisches  Anthemion  wächst,  zwischen  in 
Kreisbewegungen  sich  schwingenden  Ranken  ein  senkrecht  aufschießender  Stengel  mit 
gegenständigen  großen  Blättern;  am  Kasten  zwischen  Ecksäulen  drei  Felder,  darin 
zentral  das  Monogramm,  beiderseits  eine  Rosette  in  der  Mandorla  symmetrisch  ge- 
schwungener Riefeln.  —  Lugd.  IV  n.  10  Taf.  4,  1  ähnlich  verziertes  Deckelfeld;  am 
Kasten  das  Monogramm  auf  dem  Nimbus,  von  Wellenranke  umzogen,  zwischen  fast 
augustisch  elegant  über  die  Fläche  versponnenen  Weinanthemien.  —  Der  Deckel 
Vienn.  n.  27  Taf.  6,  1  zeigt  geometrische  Muster,  an  Plattenmosaik  der  Pavimente 
erinnernd,  falls  nicht  unter  Einfluß  der  Plattenmuster  aus  den  Schuppen  der  Deckel 
entwickelt.  Im  Mittelfeld  ein  nackter  Guter  Hirt  barbarischen  Stils,  vielleicht,  meint 
Le  Blant,  einem  heidnischen  Kriophor  nachgebildet. 

Die  senkrecht  aufschießende  Pflanze  mit  kräftigem  Schaft,  großen  gezackten 
gegenständigen  Blättern,  die  in  Seitenansicht  als  Halbblätter  gezeichnet  sind,  und  mit 
krönender  Blume  (sie  wird  aus  dem  Akanthusornament  entwickelt  sein)  wurde  auch 
als  selbständige  Felderfüllung  verwendet.  Am  Deckel  n.  143  Taf.  34  sind  fünf  Felder 
abgeteilt;  als  Füllung  dient  im  Mittelfeld  Daniel  zwischen  den  Löwen  unter  Vorhängen, 
in  den  Endfeldern  je  ein  Weinstock,  in  den  Zwischenfeldern  die  in  Rede  stehende 
Pflanze.  Am  Kasten  wieder  fünf  Felder  getrennt  durch  Säulen  zwischen  Rahmleisten; 
im  Mittelfeld  drei  Figuren,  in  den  Endfeldern  je  eine,  jedesmal  unter  Vorhängen;  in 


Spanien.  219 

den  Zwischenfeldern  je  vier  Personen  vor  zwei  übergiebelten  Nischen,  in  den  Zwickeln 
jene  Helikes  aus  Vasen.  Alle  Figuren  frontal,  die  Köpfe  nur  zum  Teil.  —  N.  125 
Taf.  28,  1  zeigt  am  Kasten  sieben  durch  geriefelte  Pfeiler  mit  Schilfblattkapitellen 
getrennte  Felder;  in  der  Mitte  und  an  den  Enden  je  eine  Figur  unter  Vorhang, 
beiderseits  des  Mittelfeldes  unsere  Pflanze,  hier  mit  etwas  unorganisch  ausschlagenden 
Wurzelblättern,  in  den  zwei  übrigen  Feldern  aus  Vasen  aufsteigende  symmetrisch  sich 
verschlingende  Ranken,  die  den  Schematismus  ähnlicher  an  der  Platte  des  Vitellianus 
G  393,  9  vorausahnen  lassen.  Am  Deckel  das  Monogramm  zwischen  Ranken.  — 
Ähnlich  eingeteilt  ist  der  Sarkophag  n.  147  Taf.  36,  1  G  388,  3.  Die  Mittelfigur 
wird  durch  das  Monogramm  ersetzt,  jede  Endfigur  durch  eine  unserer  Pflanzen;  eine 
solche  trat  auch  am  Deckel  an  die  Stelle  des  Monogramms. 

Die  umgebenden  Ranken  desselben  Deckels  tragen  herzförmige  Blätter,  noch  ein 
Motiv  mehr.  Es  kehrt  wieder  an  n.  180/186  Taf.  46,  1  [Abb.  59],  an  Aquit.  II 
n.  104  Taf.  33,  1  G  388,  5  [Abb.  58],  endlich  an  G  388;  der  Sarkophag  füllt  einzelne 
Felder  nun  gar  mit  einer  Art  Korbgeflecht. 


Spanien. 

Die  spanischen  Sarkophage  sind  noch  nicht  genügend  publiziert,  um  ihren  Stil 
scharf  beurteilen  zu  können.  Einige  teilt  Garrucci  mit,  über  andere  hat  Joh.  Ficker 
berichtet.1) 

Im  allgemeinen  stimmen  die  spanischen  Sarkophage  mit  den  italischen  überein. 
Es  gibt  einige  Fünffeldersärge.  G  377,  4  Gerona  und  378,  1  Barcellona  befolgen  das- 
selbe Schema:  zentral  eine  Anbetende  zwischen  zwei  Seligen  (im  zweiten  Exemplar 
Peter  und  Paul),  im  linken  Endfeld  die  Bedrängung,  im  rechten  Blindenheilung;  die 
zwei  Riefelfelder  haben  profilierten,  aber  glatten  Sockel  und  Sims.  —  Ein  Nischen- 
sarkophag ist  der  von  Murcia  G  341,  3.  Geriefelte  Pfeiler  tragen  profilierte  und 
ornamentierte  Flachbögen,  unter  dem  der  breiteren  Mittelnische  hängt  ein  Muschel- 
schloß vor;  in  den  Zwickeln  wechseln  Kränze  mit  Fruchtkörben.  In  der  Mitte 
der  jugendliche  Christus  mit  offenem  Buch,  die  Rechte  spricht,  zwischen  zweimal  zwei 
adorierenden  Aposteln;  rechts  folgt  Jesus'  Taufe  mit  bärtigem  Täufer  in  Exomis,  der 
kleine  nackte  Jesus  steht  im  Wasser,  hinten  ein  Felsquell  wie  im  Quell  wunder,  die 
Täube  schießt  schräg  herab;  zuletzt  die  Opfer  Verhinderung.  Links  Blindenheilung  und 
Quell  wunder. 

Die  Masse  der  spanischen  Särge,  soweit  man  bisher  von  Masse  reden  darf,  haben 
dichtgedrängte  Szenen  ohne  tektonische  Trennung.  Ein  dreiseitig  skulpierter  tritt 
hervor,  G  381,  4 — 6  in  Saragossa;  er  hat  ein  Motiv  der  einst  so  reichen  griechischen 
Klasse  bewahrt,  nämlich  Eckkaryatiden;  es  sind  nackte  Jünglinge,  welche  als  Atlanten 
die  Simsplatte  mit  den  Händen  stützen.  Vorn  in  der  Mitte  steht  eine  Anbetende,  die 
Hand  von  oben  ergreift  sie  am  rechten  Arm;  sie  steht  zwischen  zwei  Seligen,  der 
Kopf  des  zweiten  ist  unkenntlich.  Weiter  links  eine  zweite  Gruppe  einer  Adorantin 
zwischen  zwei  Seligen  und  Jesus  mit  der  Kananäerin;  rechts  Blindenheilung  und  Wein- 
zauber.    An  Sockel-  und  Simsplatte    sind  Monogramme   eingegraben,    über  Jesus  mit 


»)  Joh.  Ficker  im  Bull,  crist.  1888—89,  87;  Rom.  Mitteil.  1889,  77. 


220  Zur  Stilkritik  und  Chronologie  der  christlichen  Sarkophage. 

der  Kananäerin  und  in  der  Blindenheilung;  ferner  eine  Anzahl  Namen,  in  der  Mitte 
FLORIA  zwischen  PETRVS  und  PAVLVS ;  über  und  unter  anderen  Figuren  Namen 
von  Männern  und  Frauen,  je  nach  dem  Geschlecht  der  Figuren,  über  der  zweiten 
Adorantin  steht  INCRATTV  (^Eyngdteia,  sie  wird  in  der  Kapelle,  die  den  Sarg  birgt, 
als  Heilige  verehrt),  unter  der  Kananäerin  MARTA,  über  dem  Mann  bei  Encratia 
ARON  usf.,  alles  Namen  der  Verstorbenen  und  ihrer  Angehörigen,  die  dadurch  in  den 
Typen  der  betreffenden  biblischen  Personen  dargestellt  erscheinen.  An  der  linken 
Schmalseite  die  Zuweisung,  nebst  einem  Bärtigen  mit  der  Überschrift  ISAC,  an  der 
rechten  der  Sündenfall  mit  Garbe  und  Lamm.  —  Eine  Ausnahmestellung  behauptet 
der  Sarkophag  von  Gerona  G  377,  3.  Am  rechten  Ende  steht  eine  Matrone  mit 
Dalniatika  über  der  Tunika,  auf  der  Linken  ein  Schmuckkästchen,  mit  der  Rechten 
adorierend,  vor  einem  zwischen  zwei  Paradiesbäumen  ausgespannten  Parapetasma;  jeder- 
seits  ein  ihr  zugewandter  Seliger.  Linkshin  folgen  Szenen,  die  Garrucci  aus  der  Ge- 
schichte der  Susanna  erklärt.  Ein  marmorgedecktes  Haus  mit  schmälerer  Vorhalle, 
mit  aufgenommenen  Vorhängen  zwischen  den  Säulen,  und  drei  Fenstern  im  Giebel; 
davor  steht  Susanna,  eine  Cista  (oder  einen  Blumenkorb?)  neben  sich,  zwischen  den 
Ältesten,  deren  einer  sie  am  Arm  faßt;  rechts  eine  kleine  Dienerin  mit  Kanne  und 
Schale,  links  ein  kleiner  Diener  mit  Rolle.  Es  folgt  Susanna  vor  dem  Richterstuhl 
der  zwei  Altesten  stehend,  im  Hintergrund  viel  Volk.  Sodann  ein  Zeuge  wider 
Susanna,  zum  Schwur  legt  er  die  Hand  auf  ihr  Haupt.  Weiterhin  werden  die  zwei 
Altesten  von  einem  Manne  mit  bloßem  Schwert  abgeführt,  vor  Daniel  (der  am 
zerstörten  linken  Ende  des  Sarkophags  dargestellt  war).  —  Die  übrigen  Sarkophage 
brauchen  wir  nicht  im  einzelnen  zu  schildern.  Eine  Adorantin  oder  einen  Adoranten 
stellen  in  die  Mitte,  zwischen  zwei  Selige,  die  bisweilen  als  Petrus  und  Paulus  erkenn- 
bar sind,  G  374,  3  Gerona  (an  vorletzter  Stelle  das  uns  in  der  vorliegenden  Gestalt 
neue  Bild  des  Christus,  der  auf  Löwe  und  Schlange  tritt),  379,  3  Saragossa,  376,  3  und 
369,  4  Lagos.  —  Szenen  stellen  in  die  Mitte  G  313,  1  Gerona  die  Speisensegnung, 
314,  6  Astorga  das  Quell  wunder  (Moses  hat  kahle  Stirn),  318,  1  Gerona  die  Hahnszene. 


Nordafrika. 

Auch  die  in  Algier  und  Tunis  gefundenen  Sarkophage  harren  noch  der  Ver- 
öffentlichung; sie  wird  um  so  länger  auf  sich  warten  lassen,  als  die  Reihe  der  Funde 
noch  nicht  abgeschlossen  sein  kann.1) 

Wir  begnügen  uns,  einige  nordafrikanische  Sarkophage  aufzuführen,  die  in  Ab- 
bildungen vorliegen.  Der  erste  Blick  lehrt,  daß  auch  sie  nur  einen  Arm  des  großen 
Stromes  antiker  Sarkophagkunst  hellenistischen  Gepräges  bilden,  welche  für  die  Völker 
der  Mittelmeerländer  arbeitete,  und  die  ohne  Unterbrechung  für  sie  fortarbeitete,  als 
deren  immer  antikes  Phantasieleben    zu   seinem  letzten  Leitstern    den  Christus    nahm. 

Zuerst  sei  einer  Wanne  gedacht,  mit  senkrechten  Wänden,  vorn  symmetrisch  ge- 
riefelt; vor  der  Mitte  steht  der  Gute  Hirt  in  Exomis  zwischen  zwei  Schafen,  an  den 
Rundungen  wirft  je   ein  Löwe  mit  Leibgurt    einen  Bock    nieder.     Aus  Tipasa,    Gsell, 


*)  Ein  kurzes  Verzeichnis  von   sechzehn   Sarkophagen  aus  Algier,    sechsunddreißig  solchen 
aus  Tunis  gab  H6ron  de  Villefosse  im  Bull.  arch.  du  comite"  des  traveaux  hist.  1898  p.  CLIX— CLX. 


Nordafrika.  221 

M£langes  ecole  franc.  Rome  1894,  443  Taf.  8.  Leclercq,  Dictionn.  d'arch.  ehr.  I  735 
Fig.  165.  —  Sodann  ein  Säulensarkophag  aus  Dellis,  die  Nischen  abwechselnd  unter 
Giebeln  und  Flachbögen,  in  den  Zwickeln  Kränze.  Zentral  der  jugendliche  Christus, 
in  der  Linken  das  halb  aufgerollte  Volumen,  die  Rechte  geöffnet,  thronend  über  dem 
Caelus;  vorn  stehen  zwei  kleine  Selige  oder  Apostel,  im  Hintergrund  zwei  Palmbäume. 
In  den  Nebennischen  links  die  Kananäerin,  der  Weinzauber  und  die  Tötung  des 
Drachen  zu  Babylon,  rechts  Brotvermehrung,  Blindenheilung  und  Hahnszene.  Am 
Deckel  Tabula  ansata  zwischen  je  drei  im  Meer  schwimmenden  Delphinen.  Garrucci 
321,  3.  Kraus,  Gesch.  d.  ehr.  Kunst  I  250  Fig.  200.  —  Der  Christus  (sein  Kopf  ist 
ausgebrochen)  ganz  in  den  Mantel  geschlagen,  die  Rechte  vor  der  Brust,  die  Linke  im 
Schooß,  sitzt  zwischen  den  stehenden  vier  Jahreszeiten,  die  als  Jünglinge  in  Chlamys, 
ohne  Flügel,  gebildet  sind:  der  Frühling  mag  einen  Blütenzweig  gehalten  haben,  in 
der  Linken  hält  er  eine  Schale,  der  Sommer  führt  Sichel  und  Garbe,  der  Herbst  trägt 
eine  Traube,  nach  der  eine  Eidechse  kriecht,  der  Winter,  den  Kopf  in  die  Kapuze 
gesteckt,  schultert  eine  Hacke  und  trägt  ein  Paar  Enten.  Am  rechten  Ende  das 
Quellwunder;  das  Bild  am  linken  Ende  ist  abgehauen.  Aus  Tipasa,  Gsell,  Melanges 
ecole  franc,  1894,  445  Taf.  9. 

Spätere  geringere  Arbeiten  sind  folgende.  Ein  Deckel  aus  Scherschel  mit  leerem 
Clipeus  gehalten  von  zwei  Eroten.  Links  die  Huldigung  der  Magier;  sie  fuhren  ihre 
Kamele  mit,  der  vorderste  zeigt  nach  dem  Stern  über  dem  Christuskind;  Maria  sitzt 
im  Korbstuhl,  Joseph  steht  hinter  ihm  und  legt  die  Hand  an  die  Lehne.  Rechts  die 
drei  Jünglinge  im  glühenden  Ofen,  ein  Heizer  bringt  ein  Scheit  Holz.  Waille,  Rev. 
arch.  1890,  214  Abb.  d'Audollent,  M&anges  <5cole  franc.  1890,  406  Abb.  —  Ein  paar 
Sarkophage,  deren  Säulen  glatte  Schäfte  haben.  Aus  Lambaesa,  Garr.  300,  3:  Zwischen 
den  zwei  Endsäulen  Vierblatt  in  Kranz,  Vase,  Büste  des  Guten  Hirten  mit  Armen, 
die  Linke  hält  die  Schafspfoten,  die  Rechte  trägt  den  Melkeimer.  —  Aus  Philippeville, 
Garr.  300,  4.  Delamarre,  Exploration  Algerie,  Archäologie  Taf.  156:  Zentral  der  Gute 
Hirt  zwischen  zwei  Schafen  in  gesäultem  Tabernakel  unter  Flachbogen,  in  den  Zwickeln 
je  eine  Rosette.  Jederseits  eine  Fruchtvase,  bei  der  links  steht  VANDIA,  bei  der 
rechts  PROCVLA,  auf  der  Vase  HES  (wird  erklärt  für  Hie  Est  Sita).  —  Aus  Guelma, 
Delamarre  Taf.  179,  15:  aus  einer  Vase  steigen  zwei  symmetrische  Ranken;  beiderseits 
Teile  eines  Cancellums  von  gekreuzten  Stäben  mit  Knöpfen  auf  den  Kreuzungspunkten, 
eingestreut  sind  Rauten  und  eine  größere  Rosette  —  ein  Nachklang  des  Parkgitters  als 
eines  Elementes  der  Paradiesesbilder.  —  Ein  Deckel  aus  Collo,  G  385,  5:  in  der  Mitte 
die  Verstorbene,  eine  Matrone,  die  (abgebrochenen)  Hände  abwärts  gestreckt  (Garrucci 
meint  adorierend),  zwischen  zwei  Paradiesesbäumen  und  zwei  Guten  Hirten,  deren  einer 
mit  der  Matrone  zwischen  den  zwei  Ölbäumen  steht,  der  andere  außerhalb;  beide 
tragen  das  Schaf  vor  der  Brust,  der  eine  mit  beiden  Händen,  der  andere  trägt  in  der 
Rechten  den  Melkeimer;  am  Boden  drei  Schafe;  rechts  folgen  drei  Palmbäume,  zwischen 
denen  zwei  Figuren  stehen;  die  eine  in  der  Talaris  hält  eine  Vase  in  der  Linken,  die 
Rechte  ist  abgebrochen,  Garrucci  denkt  an  Habakuk;  denn  zuletzt  steht  Daniel  in 
Tunika  zwischen  den  zwei  Löwen.  Im  größeren  Endfeld  links  speit  das  Meertier  den 
Jonas  aus,  der  danach  unter  der  Laube  ruht.  Die  Bäume  sind  kindlich  schematisch 
gezeichnet,  die  Tiere,  besonders  die  Löwen,  zu  klein,  die  Figuren  stehen  fast  ganz 
frontal.  —  Aus  Tebessa,  Duprat,  Recueil  Socie'te'  arch.  prov.  Constantine  XIV  1870 
Taf.  9.     de  Rossi,  Bull,  crist.  1887,  124.     Gsell,   Melauges  e*cole  franc.  1901,   211,  2: 


222  Zur  Stilkritik  und  Chronologie  der  christlichen  Sarkophage. 

Roma  thront  im  Amazonenkleid  und  Helm,  sie  hält,  wie  auf  Münzen  christlicher  Kaiser- 
zeit einen  Globus  mit  daraufstehendem  Monogramm,  so  hier  den  Becher  der  Dank- 
sagung. Rechts  eine  Frau  mit  Rolle,  links  ein  Anbetender.  Jede  Figur  steht  zwischen 
zwei  brennenden  Fackeln.  Man  hat  das  interessante  Denkmal  in  die  Zeit  um  400 
datiert.  Gsell  und  Leclercq  (Dict.  734)  sehen  in  der  Anbringung  der  Roma  ein  Be- 
kenntnis der  Zugehörigkeit  der  Katholiken  von  Theveste  zur  römischen  Kirche.  Das 
wäre  hübsch,  die  römische  Kirche  in  Gestalt  der  Roma.  De  Rossi  hatte  dem  Relief 
allerdings  auch  besondere  Bedeutung  beigelegt,  aber  teils  in  religiöser  teils  in  politischer 
Beziehung.1) 

Fr.  X.  Kraus,  Gesch.  d.  ehr.  Kunst  I  249  führt  unter  den  afrikanischen  Sarko- 
phagen solche  auf,  deren  Deckel  mit  Mosaiken  geschmückt  sei,  darstellend  die  Ver- 
storbenen inmitten  von  Blumen,  Vögeln,  Kerzen,  also  im  Paradies.  Das  sind  aber 
nicht  Sarkophagdeckel,  sondern  Grabplatten.  Bei  Besprechung  der  Mosaiken  werden 
wir  darauf  zurückkommen. 

Ein  nichtsepulkrales,  leider  sehr  mitgenommenes  Relief,  immer  noch  gute  Arbeit, 
sei  zum  Schluß  hier  erwähnt,  aus  der  Basilika  von  Damus-el-Karita.  In  reichem 
Blattwerkrahmen  zeigt  es  eine  halblinkshin  etwas  erhöht  sitzende  Mutter,  Maria,  mit 
dem  Kind  auf  dem  Schoß;  hinter  dem  Stuhl  Reste  einer  männlichen  Gestalt,  welche 
die  flache  Rechte  hebt;  weiter  links  solche  eines  geflügelten  Engels,  der  sich  rechtshin, 
zum  Christuskind,  zu  bewegen  scheint.  Man  hat  an  eine  Verkündigung  gedacht,  aber 
das  ist  unvereinbar  mit  dem  Vorhandensein  des  Kindes;  oder  an  die  Huldigung  der 
Magier.  De  Rossi  schreibt  die  Skulptur  noch  der  besseren  „römischen"  oder  „latei- 
nischen" Periode  zu,  nicht  der  späteren  „italobyzantinischen"  oder  „ravennatischen". 
Mit  anderen  Worten ,  die  Skulptur  gehört  der  früheren  Periode  an ,  die  durch  die 
Masse  der  stadtrömischen,  provencalischen,  spanischen  und  nordafrikanischen  Sarko- 
phage vertreten  wird,  noch  nicht  der  späteren,  wie  sie  in  den  ravennatischen  und 
südwestgallischen  vorliegt.2) 


Ägypten.     Syrien. 

In  Ägypten  fehlt  es  nicht  an  Denkmälern  altchristlicher  Kunst,  wenn  sie  auch  mit 
denen  Italiens  den  Wettbewerb  nicht  bestehen  können.  Die  Masse  des  zugänglichen 
Materials  findet  sich  in  Kairo,  anderes  und  zum  Teil  Wertvolleres  in  den  europäischen 
Sammlungen.3) 

In  den  letzten  Jahrzehnten  wurde  über  die  koptischen  Stelen  viel  verhandelt;  sie 


*)  Roma:  vgl.  Röscher,  Ausführl.  Lexikon  d.  griech.  und  rom.  Mythol.  IV  153  Münze  des 
Nepotian  (351)  mit  sitzender  Roma,  auf  der  Rechten  Globus  mit  Monogramm.  Der  Typus  kehrt 
wieder,  von  Nepotian  bis  unter  Olybrius. 

")  de  Rossi,  Bull,  crist.  1884/85,  49  Taf.  1.  2;  in  der  Ergänzung  ist  der  Engel  falsch  ge- 
zeichnet, besonders  das  linke  Knie  geradezu  verfälscht.  Heron  de  "Villefosse,  Bull.  arch.  comite' 
trav.  hist.  1886,  220  Taf.  12.    Delattre,  La  Basilique  de  Damous-el-karita  1892,  11. 

8)  Catalogue  general  des  antiquite's  egyptiennes  du  Musee  du  Caire,  XIII  Edgar,  Greek 
sculpture  1903;  XII  Strzygowski,  Koptische  Kunst  1904;  Crum,  Coptic  monuments  1902,  zu 
haben  bei  Hiersemann,  Leipzig.  Vgl.  Strzygowski,  Rom.  Quartalschr.  1898,  1  Ägyptische  Kunst. 
Derselbe  Bull,  de  la  soc.  archeol.  d'Alexandrie  V  Hellenistische  und  koptische  Kunst  in  Alexandria 
1902,  zu  haben  bei  Harrassowitz,  Leipzig. 


Ägypten.    Syrien.  223 

bilden  die  Masse  des  Materials.  Gay  et  fand  sie  von  der  hellenistisch-römischen  Weise 
ganz  abweichend,  Ebers  glaubte  eine  neue,  nationalägyptische  Kunst  zu  erkennen. 
Anders  urteilten  Riegl,  Schultze,  Kraus;  unter  der  kritischen  Lupe  blieb  von 
Nationalägyptischem  nicht  viel  mehr  übrig  als  das  Minimum,  das  man  erwarten  durfte, 
an  Stelle  des  Kreuzmonogramms  das  Henkelkreuz  als  das  altägyptische  Zeichen  des 
Lebens.  Crums  Publikation  (ohne  Vorwort,  ohne  Einleitung,  ohne  Kommentar,  sogar 
ohne  Beschreibung  der  Bildwerke,  ein  bloßes  Inventar,  aber  mit  wertvollen  Abbil- 
dungen) stellte  das  Urteil  auf  eine  breitere  und  festere  Basis.  Strzygowski  gab 
dem  Begriff  des  Koptischen  eine  neue  Begrenzung;  während  noch  Maspero  das  Koptische 
auf  das  Ägyptische  unter  dem  Zeichen  des  Christentums  beschränkte,  ließ  er  diese 
Schranke  fallen;  ihm  ist  „koptisch"  alles,  sei  es  heidnisch  oder  christlich,  was  in  der 
Kaiserzeit  ägyptische  Künstler  in  ägyptischer  Technik  wie  er  meint,  doch  in  helle- 
nistischer Typik  gestalteten.1) 

Kunstgeschichtlich  ist  es  ohne  Zweifel  richtig,  dem  Christentum  die  epoche- 
machende Bedeutung  abzuerkennen,  die  ihm  bisher  fälschlich  beigelegt  wurde.  Dann 
verlangt  man  aber  nach  einem  anderen  Kriterium,  mittelst  dessen  sich  die  „koptische" 
von  der  späthellenistischen  Kunst  in  Ägypten  unterscheiden  läßt.  Ägyptische  Typen, 
auch  die  in  Ägypten  beliebte  Technik  des  relief  dans  le  creux  hat  die  hellenistische 
Skulptur  des  Landes  stets  aufgenommen;  und  ob  die  Bildhauer  der  bei  Edgar  ver- 
öffentlichten Stücke  von  Geburt  Griechen  oder  Ägypter  waren,  letztere  dann  griechischer 
Schulung,  das  kann  man  den  Arbeiten  kaum  ansehen.  Auf  der  andern  Seite  läßt  sich 
nicht  sagen,  an  den  „koptischen"  Sachen  seien  griechische  Hände  unbeteiligt  (von 
Spezifischägyptischem  sind  sie  aber  reiner  als  Edgars  griechische);  die  Griechen  im 
Lande  sind  demselben  künstlerischen  Niedergang  verfallen  wie  die  Ägypter.  Kurz, 
einstweilen  handelt  sich's  nur  um  einen  Unterschied  der  Zeiten. 

Wenn  früher  von  koptischer  Kunst  die  Rede  war,  so  dachte  man  an  die  Zeiten 
etwa  vom  fünften  bis  zum  achten  Jahrhundert,  Riegl  an  das  siebente  und  achte; 
Strzygowski  rechnet  anders,  im  Zusammenhang  seiner  anderen  Definition.  Er  schiebt 
die  Anfänge  bis  in  das  dritte  Jahrhundert  zurück,  die  Blüte  würde  in  das  vierte  und 
fünfte  Jahrhundert  fallen.  Freilich  fehlt  es  durchaus  an  datierten  Stücken  aus  dem 
vierten  bis  sechsten  Jahrhundert;  es  bleibt  nur  der  Weg  der  Stilkritik  offen,  die 
natürlich,  solange  sie  auf  sich  selbst  angewiesen  ist,  höchstens  zu  einer  relativen 
Chronologie  gelangt.  Strzygowski  versucht,  die  von  ihm  beschriebenen  Stücke  hypo- 
thetisch auf  Jahrhunderte  genau  zu  bestimmen;  er  sagt  selbst,  „die  Zeitansätze,  die  ich 
gebe,  haben  oft  reinen  Gefühlswert  und  sollen  lediglich  mehr  als  Steine  des  Anstoßes 
Anregungen  geben".  Hieraus  ergibt  sich,  was  vor  allem  not  tut,  nämlich  eine  ein- 
dringende und  erschöpfende  Stilanalyse  der  einschlagenden  Denkmäler  aus  der  ptolemä- 
ischen  und  der  Kaiserzeit.  Die  Stilvergleichung  wird  dann  weiter  helfen,  vor  allem 
bieten  Ravenna  und  Toulouse  bereitliegendes  Material.  Es  wäre  zu  wünschen,  daß 
klassische  Archäologen  die  Arbeit  übernähmen,  welche  gewohnt  sind,  die  Geschichte 
nicht  rückwärts  zu  sehen,  sondern  von  den  Wurzeln  ausgehend  vorwärts  zu  verfolgen; 


*)  Gayet,  Mem.  miss.  arch^ol.  franc.  Caire  III  Mon.  coptes  mus.  Boulaq,  Paris  1889.  Ebers, 
Sinnbildliches.  Die  koptische  Kunst  1892.  Riegl,  Byz.  Zeitschr.  1893,  114;  Eranos  Vindob.  1893, 
191.  Spätröm.  Kunst  115.  V.  Schultze,  Archäologie  262.  Kraus,  Gesch.  d.  ehr.  Kunst  I  254. 
Marucchi,  Rom.  Quartalschr.  1896,  380.  Strzygowsky,  Koptische  Kunst,  Einleitung;  Jahrb.  d. 
preuB.  Kunstsamml.  1894,  362. 


224  Zur  Stilkritik  und  Chronologie  der  christlichen  Sarkophage. 

ihre  Aufgabe  ist  nicht  die  geschichtliche  Erklärung  des  Mittelalters,  sondern  die  Er- 
kenntnis der  Ausgänge  des  Altertums  und  nichts  weiter.  Bei  der  Arbeit  müßten  sie 
sich  zur  Pflicht  machen,  streng  bei  der  Stilkritik  in  chronologischer  Absicht  zu  bleiben 
und  sich  jeden  Seitensprung  auf  das  Gebiet  der  Fernwirkungen  in  der  Kunstentwicklung 
zu  versagen,  etwa  sich  aufdrängende  Hypothesen  dieser  Richtung  aber  höchstens  am 
letzten  Ende  mitzuteilen. 

Um  einige  Anschauung  von  den  christlichen  koptischen  Stelen  zu  geben,  haben 
wir  vier  derselben  als  Abb.  60 — 63  dem  Bilderanhang  eingereiht,  nämlich  Crum  n.  8687. 
8656.  8557.  8591. 

Syrien  hat  noch  weniger  hergegeben  als  Ägypten.  In  Antiochien  sah  Richter 
ein  Relief  mit  Adam  und  Eva,  Kraus  vermutete  darin  ein  Sarkophagfragment.  Doch 
wurden  bisher  in  Syrien  keine  christlichen  Sarkophage  mit  Reliefschmuck  gefunden, 
nur  späte  bildlose  Särge  mit  satteldachförmigem  Deckel;  ferner  Senkgräber,  deren 
Deckplatten  ebenfalls  in  Gestalt  von  Giebeldächern  mit  Eckakroterien  zugehauen  sind. 
In  Mudjeleia  füllt  die  Grabschrift  die  ganze  Front  des  Sarkophags,  einmal  hat  man 
ein  Kreuz  hineingesetzt,  ein  sogenanntes  Ordenskreuz.  Ein  Zierfries  in  Dana  zeigt  die 
Vase  zwischen  zwei  Pfauen,  wie  wir  sie  an  den  gleich  spätantiken  Sarkophagen  von 
Ravenna  sahen.1) 


Im  Vorstehenden  versuchte  ich  einer  stilkritischen  Analyse  und  Würdigung  der 
christlichen  Antike  auf  dem  Gebiete  der  Marmorskulptur  die  Wege  zu  ebnen.  Möchten 
nun  recht  viele  klassische  Archäologen,  vor  allem  die  Arbeiter  an  den  „Antiken  Sarko- 
phagreliefs" und  wer  sonst  in  der  Kunst  der  Kaiserzeit  Erfahrungen  sammelte  oder 
zu  sammeln  gewillt  wäre,  Hand  anlegen  und  wetteifernd  zur  Lösung  des  chronologischen 
Problems  beitragen. 

Wenn  wir  in  der  Chronologie  und  Synchronistik  der  altchristlichen  Sarkophage 
erst  einmal  auf  festem  Boden  stehen,  dann  wird  es  Zeit  sein,  der  andern  Frage  näher 
zu  treten,  von  wo  die  Typen  und  von  wo  die  Stile  ausgingen.  Früher  galt  es  der 
Forschung,  die  ja  mit  den  Denkmälern  überwiegend  in  römischkatholischen  Händen 
lag,  als  ausgemacht,  daß  Rom  die  Wiege  der  christlichen  Kunst  gewesen  sei.  Inzwischen 
trat  der  Osten  mehr  und  mehr  in  den  Bereich  der  Forschung,  und  so  hat  sich  denn 
die  Frage  auch  an  ihn  gewandt,  ob  und  in  wieweit  er  Heimat  der  Typen  und  Stile 
gewesen  sei.  Dabei  faßte  man  vorwiegend  Alexandrien  ins  Auge;  dessen  Anteil  grenzten 
die  verschiedenen  Gelehrten  in  verschiedener  Weise  ab.  Nachdem  die  Kraus  und 
Wickhoff  vom  Schauplatz  abgetreten  sind,  ist  es  wesentlich  Strzygowski,  der  die  Her- 
kunft aus  dem  Osten  verficht,  und  zwar  aus  dem  hellenistischen.  In  ihm  unterscheidet 
er  zwei  Kreise,  den  westkleinasiatischen,  in  dem  sich  das  Griechische  rein  erhielt,  und 
den  südöstlichen,  syroägyptischen,  der  vom  semitisch  und  persisch  Orientalischen  stark 
durchsetzt  erscheint  Aus  dem  Osten,  nicht  aus  Rom,  stamme  die  christliche  Kunst 
der  drei  ersten  Jahrhunderte;    von  dort  verbreitete  sie  sich   nach  Westen,  nach   Rom 


"■)  Adam  und  Eva:  J.  P.  Eichter,  Mosaiken  von  Eavenna  131,  1.  Kraus,  Gesch.  d.  ehr. 
Kunst  I  233.  —  Senkgräber  zu  Sergila  und  Dana:  de  Vogüe*,  Archit.  civile  et  relig.  de  la  Syrie 
centrale  Taf.  78.  86.  V.  Schultze,  Archäologie  153  Fig.  46.  Kaufmann,  Handbuch  135  Fig.  24.  — 
Mudjeleia:  de  Vogüe*  Taf.  78.  —  Dana:  ebenda  Taf.  45. 


Ägypten.    Syrien.  225 

wie  nach  Südfrankreich,  nach  der  Provence,  auf  dem  alten  Schiffahrtswege  von  Klein- 
asien nach  Massilia.  In  Rom  könne  diese  einheitlich  hellenistische  Kunst  nicht  zu  Hause 
sein,  weil  schon  damals  auch  Rom  orientalisch  durchsetzt  gewesen  sei.  Von  Syrien 
aber  sei  Ravenna  abhängig  gewesen,  seine  Kunst  sei  nicht  hellenistisch,  sondern  syrisch 
(Kleinasien  ein  Neuland  Seite  1.  194). 

Neuestens  geht  Strzygowski  noch  einen  Schritt  weiter.  Während  er  früher  lehrte, 
die  christliche  Kunst  stamme  in  Rom  und  in  Gallien  aus  derselben  Wurzel,  der  klein- 
asiatischen, läßt  er  jetzt  Rom  sogar  von  Gallien  abhängig  sein.  „Die  Entwicklung 
geht  nicht  von  Rom  nach  Gallien,  sondern  umgekehrt.  Das  seiner  Kultur  nach 
griechische  Gallien  empfängt  direkt  zur  See  von  seinem  Mutterlande  Kleinasien,  es 
gibt  mehr  an  Rom  ab,  als  es  von  diesem  empfängt."  Noch  eine  zweite  Modifikation 
seiner  früheren  Aufstellungen  beachten  wir,  sie  betrifft  Ravenna:  die  ravennatische 
Kunst  ist  doch  nicht  ausschließlich  syrisch,  sondern  die  ravennatischen  Säulensärge 
sind  als  späte  Ableger  des  kleinasiatischen  Hellenismus  zu  betrachten  (in  Schiele's 
„Religion"  I  383). 

Meines  Wissens  hielt  die  antike  Schiffahrt  sich  an  die  Küsten;  die  nach  Massilia 
bestimmten  kleinasiatischen  Schiffe  machten  an  der  Tibermündung  Station.  Und  sie 
sollten  ihre  Kunstfracht  an  Rom  vorbei  nach  Gallien  gebracht  haben,  um  dann  Kopien 
oder  Derivate  davon  als  Rückfracht  nach  der  Reichshauptstadt  zu  bringen?  Oder 
sollte  der  gallische  Einstrom  nach  Rom  etwa  von  Vienne  über  Alpen  und  Apennin 
gegangen  sein?  Hätte  sich's  um  original-gallische  Typen  gehandelt,  so  konnten  sie 
allenfalls  über  Luna  (Carrara)  nach  Rom  kommen,  wohlverstanden  zu  Schiff.1)  Aber 
Kleinasiatisches?  Die  Hypothese  ist  sehr  kompliziert,  und  der  Sarkophag  von  La  Gayolle 
kann  sie  nicht  stützen.  Ich  denke,  die  chronologische  und  synchronistische  Basis,  auf 
der  alle  unsere  Forschung  sich  zu  bewegen  haben  wird,  stellt  jedenfalls  dies  sicher, 
daß  die  Kunst  Kleinasiens,  Italiens  (mit  Einschluß  also  der  ravennatischen  Säulen- 
sarkophage, das  sagt  ganz  viel),  Südostgalliens  und  Nordafrikas  die  Art  eines  früheren, 
dagegen  die  syrische  und  koptische,  die  spätestravennatische  und  die  südwestgallische 
Kunst  die  Art  eines  späteren  Zeitraums  ist;  die  beiden  Arten  laufen  nicht  rivalisierend 
parallel,  sondern  folgen  aufeinander,  die  erstere  wesentlich  als  Stil  der  früheren  und 
mittleren  Kaiserzeit,  die  letztere  als  Stil  der  Spätantike  vorzüglich   in  ihrem  Ausgang. 


Bildwerke  aus  besonderen  Materialien. 

Es  handelt  sich  um  die  Skulpturen  in  Porphyr,  sowie  in  Elfenbein  und  in  Holz, 
endlich  um  die  im  technischen  Sinne  plastischen  Arbeiten  in  Metall  und  in  gebranntem  Ton. 

Porphyr. 

Die  Hartsteine  verlangen  eine  andere  Bearbeitungs weise,  und  durch  ihre  Farbe 
sowie  durch  die  Politur  erhalten  sie  ein  anderes  Aussehen,  als  der  Marmor  (nur  mit 
weißem  Marmor  hatten  wir  zu  tun;  die  hier  und  da,  wie  beim  trierer  Noahsarkophag 

*)  Luna:  H.  Nissen,  Italische  Landeskunde  II  1902,  286. 

Sybel,  Christliche  Antike  II.  15 


226  Bildwerke  aus  besonderen  Materialien. 

verwendeten  lokalen  Gesteine  sind  auch  weich).  Die  Arbeiten  in  Hartstein  haben 
naturgemäß  durchweg  als  Prunkstücke  zu  gelten. 

Im  Bereich  der  christlichen  Skulptur  tritt  eine  Klasse  von  Arbeiten  in  Porphyr 
bedeutsam  hervor,  die  Hauptgruppe  bilden  wieder  Sarkophage.  Seit  langem  berühmt 
sind  die  zwei  in  der  Sala  a  croce  greca  des  Vatikan.  Sie  gelten  als  die  Särge  von 
Konstantia  und  Helena,  Töchtern  des  großen  Konstantin.  Sie  haben  gedrungene  Ver- 
hältnisse; an  jedem  der  beiden  zeigen  beide  Langseiten  dieselbe  Darstellung,  ebenso 
sind  die  Schmalseiten  jedesmal  bis  auf  Kleinigkeiten  identisch.  An  den  Langseiten 
des  Konstantiasargs  windet  sich  eine  riesige  Wellenranke  drei  Ringe  bildend,  die 
traditionelle  Akanthusranke  des  schweren  Typus,  hier  infolge  des  widerstrebenden 
Materials  von  ungelöster  wulstiger  Gestalt;  doch  ist  sie  als  Weinranke  gemeint,  daher 
entsendet  sie  hauptsächlich  in  die  oberen  Räume  Helikes,  annähernd  so  schematisch 
gezeichnet  wie  am  Sarkophag  mit  den  drei  in  die  Weinlese  gestellten  Guten  Hirten 
Lat.  M  n.  183  A  (F  n.  181).  Auch  am  Konstantiasarkophage  geht  eine  Weinlese  vor 
sich,  in  die  drei  Ringe  der  Wellenranke  sind  vier  Eroten  verteilt.  Unterhalb  noch 
ein  Pfau,  ein  Schaf,  und  noch  ein  Erot,  der  mit  beiden  Händen  eine  Girlande  vor 
sich  hält.  An  den  Schmalseiten  je  eine  Kelter  unter  Weinlaube;  drei  sich  fassende 
frontal  gestellte  Eroten  stampfen  die  hochgehäuften  Trauben,  aus  einem  Löwenmaul 
fließt  der  Saft  in  das  mittlere  von  drei  Gefäßen.  Die  Laube  wird  von  zwei  Reb- 
stöcken gebildet,  sie  entfalten  sich  im  Sinne  schematischer  Wellenranken.  Die  mächtige 
Deckplatte  des  Sarkophags  ist  in  ihrer  oberen  Hälfte  nach  den  vier  Seiten  abgeschrägt, 
doch  bleibt  von  der  oberen  Fläche  ein  kleineres  Oblongum.  Am  Senkrechten  der 
Deckplatte  hängen  Girlanden,  an  jeder  Seite  in  der  Mitte  hochgenommen  und  von  einem 
herausschauenden  menschlichen  Kopf  getragen.  Der  Sarkophag  ist  als  christlich  zu 
bezeichnen.  —  Der  Helenasarg,  aus  dem  Mausoleum  an  Via  Labicana  (Tor  Pignattara) 
bedurfte  starker  Ergänzungen,  deren  Umfang  Amelungs  Skulpturen  des  vat.  Museums  III 
wohl  genau  mitteilen  wird.  Auch  hier  wiederholen  sich  an  den  gegenüberliegenden 
Seiten  dieselben  Darstellungen,  in  diesem  Falle  Triumphalbilder;  die  Sieger  sind  als 
sprengende  Reiter  gegeben,  die  besiegten  Barbaren  schreiten  oder  knien  gefesselt.  Der 
Sarkophag  wurde  ursprünglich  wohl  für  einen  christlichen  Kaiser  gearbeitet,  der  figürliche 
Schmuck  aber  ist  nichts  weniger  als  christlich.1) 

Strzygowski  hat  darauf  aufmerksam  gemacht,  daß  das  Fragment  eines  mit  dem 
Konstantiasarkophag  nahezu  identischen  Exemplars  sich  in  Konstantinopel  befindet. 
Da  die  übrigen  dort  teils  vollständig  teils  fragmentarisch  erhaltenen  Porphyrsärge  des 
figürlichen  Schmuckes  entbehren,  so  glaubt  Strzygowski  in  dem  fraglichen  Exemplar 
einen  Rest  des  Sargs  von  Kaiser  Konstantin  dem  Großen  erblicken  zu  dürfen;  Porphyr- 
särge bargen  einst  in  der  Apostelkirche  die  Reste  Konstantins  und  anderer  Kaiser  des 
vierten  Jahrhunderts.  —  Ferner  aber  zieht  derselbe  Forscher  einen  in  Alexandrien 
gefundenen  und  im  dortigen  griechisch-römischen  Museum  befindlichen  Sarkophagdeckel 
heran,  der  wiederum  eine  fast  identische  Wiederholung  vom  Deckel  des  Konstantia- 
sarkophags  darstellt.  Ein  Unterschied  ist  vorhanden:  am  römischen  Exemplar  hängt 
an  jeder  Seite  eine  lange,  in  ihrer  Mitte  gehobene  Girlande;  dagegen  am  alexandrinischen 


J)  Die  beiden  Sarkophage:  Heibig,  Führer  I  n.  322.  326.  —  Zu  Eiegl's  Zurückdatierung  des 
Sargs  ins  zweite  Jahrhundert  vgl.  Strzygowski,  Orient  80,  4. 


Porphyr.  227 

hat  man  je  zwei  kürzere  Girlanden,  deren  Blätter  auch  derber  gearbeitet  sind,  über 
dem  menschlichen  Kopf  zusammengebunden.1) 

Der  Porphyr  stammt  aus  Ägypten;  sollte  nicht,  fragt  nun  Strzygowski,  das  in 
Alexandria  gefundene  Exemplar  in  Ägypten  gearbeitet  sein?  und  wird  es  dann  nicht 
wahrscheinlich,  daß  auch  die  beiden  andern  Sarkophage,  der  konstantinopeler  und  der 
römische,  in  Ägypten  hergestellt  und  fertig  exportiert  worden  sind?  Vor  die  Fund- 
tatsachen gestellt  wird  jeder  Archäologe  sich  dieselben  Fragen  vorlegen.  Der  für  einen 
solchen  Sarg  bestimmte  Rohblock  wurde  selbstverständlich  im  Steinbruch  fertig  aus- 
gehöhlt, um  seine  Riesenlast  für  den  Transport  zu  erleichtern;  aus  demselben  Grunde 
wurde  er  auch  außen  mindestens  soweit  abgearbeitet,  daß  nur  gerade  die  für  die  Ver- 
zierungen nötige  Masse  stehen  blieb.  Nun  aber  hatte  sich  am  Steinbruch  schon  vor 
Jahrtausenden  die  rechte  Technik  zur  Bearbeitung  des  Hartsteins  herausgebildet,  und 
über  allen  Wandel,  auch  manche  Ungunst  der  Zeiten  hatte  sich  die  Handwerksüber- 
lieferung bis  in  die  Kaiserzeit  gerettet.  Nur  langsam  fand  Rom  Geschmack  an  Skulp- 
turen in  solchem  Stein,  und  nur  einzelne  Prachtstücke  ließ  man  aus  ihm  herstellen. 
War  es  da  nicht  am  einfachsten  und  zweckmäßigsten,  die  Sachen  von  der  einzig  ge- 
schulten Arbeiterschaft  am  Steinbruch  gleich  fertig  machen  zu  lassen?  Geschieht  das- 
selbe doch  heutzutage  sogar  mit  Marmor  werken.  In  Berlin,  oder  sonstwo  an  einer 
unserer  Kunststätten,  wirds  nicht  etwa  gehauen,  sondern  modelliert,  das  Modeil  geht 
nach  Carrara  und  wird  von  Carraresen  in  Marmor  übertragen,  dem  erfindenden  „Bild- 
hauer" liegt  nur  die  letzte  Retouche  ob.  Freilich,  seit  Adolf  Hildebrands  Problem  der 
Form  ist's  Mode  geworden,  mit  dem  Rohblock  zu  kokettieren,  nur  ein  Kopf  und  etwa 
eine  Schulter  oder  Hüfte  taucht  eben  auf,  als  ob  der  Bildhauer,  nun  als  ein  echter, 
in  michelangeleskem  Furor  seinen  Einfall  so  herausgehauen  hätte;  ein  Atelierscherz,  der 
nun  bald  genügend  zu  Tode  geritten  sein  dürfte.  Ob  aber  der  Furor  immer  echt  ist?  ob 
nicht  doch  der  Carrarese  behilflich  war?  Wer  bürgt  uns  nun  dafür,  daß  nicht  auch 
die  römischen  und  neurömischen  Kaiser  die  von  ihren  Hofbildhauern  modellierten 
„Typen"  in  die  Porphyrbrüche  sandten  und  dort  danach  die  ägyptischen  Scalpellini 
arbeiten  ließen?  Zwar  ist  mir  nicht  eingefallen,  für  irgend  ein  Rom  gegen  den  Orient 
zu  streiten  (einstweilen  lehne  ich  jede  Einmischung  ab;  erst  müßte  der  Prozeß  richtig 
instruiert  sein),  aber  ich  muß  der  Wahrheit  die  Ehre  geben,  die  Herstellung  jener 
Porphyrsärge  im  ägyptischen  Steinbruch  mag  Tatsache  sein.  Doch  hat  das  mit  der 
kunstgeschichtlichen  Frage  nichts  zu  schaffen.2) 

Etwas  anderes  ist  es,  wenn  Strzygowski  in  den  Formen  Orientalismen  erkennt. 
Den  Knoten,  mit  dem  am  alexandrinischen  Deckel  die  Girlanden  über  den  Köpfen 
verknüpft  sind,  findet  er  in  Syrien  und  Kleinasien  wieder;  figürliche  Typen  am  Helena- 
sarkophag vergleicht  er  mit  solchen  an  einer  berliner  Holzskulptur  aus  Ägypten.    Das 


J)  Konstantinopel  und  Alexandria:  Strzygowski,  Orient  75  Abb.  36.  37. 

*)  Wer  der  Frage  der  antiken  Hartsteinbildwerke  näher  treten  wollte,  müßte  sie  umfassend 
studieren.  Wir  besitzen  bekanntlich  ausgezeichnete  Kopien  klassischer  Bronzestatuen  in  solchem 
Material;  bevorzugt  wurden  Gesteine  in  grünlichgrauer  und  schwarzer  Farbe,  weil  diese  in  Ver- 
bindung mit  der  Politur  die  Wirkung  patinierter  Bronze  gut  wiedergab,  v.  Sybel,  Böm.  Mitteil. 
1891,  242  unten.  Furtwängler,  Meisterwerke  421.  —  Besonders  zu  beachten  wäre  die  Verwendung 
auch  des  härtesten  Gesteins,  des  Basaltes.  Instruktive  Veranschaulichung  der  Härtegrade  ver- 
schiedener Steinarten  gewährt  jetzt  das  münchener  Deutsche  Museum  Abt.  II. 

15* 


228  Bildwerke  aua  besonderen  Materialien. 

sind  aber  Stilvergleichungen  und  Fragen  nach  den  örtlichen  Ursprüngen,  deren  Erörterung 
vertagt  bleiben  muß  bis  wir  sonst  festen  Boden  unter  den  Füßen  haben. 

Skulpturen  christlicher  Zeit  und  aus  Auftrag  christlicher  Kaiser  geschaffen,  wenn 
auch  nicht  spezifisch  christlichen  Inhalts  sind  die  mehrfach  erhaltenen  Porphyrsäulen 
mit  angearbeiteten  Konsolen,  auf  denen  ebenfalls  angearbeitete  militärische 
Gestalten  stehen.  Diese  Militärs,  Offiziere  gewiß  hohen  Ranges,  in  Panzer  und 
Chlamys,  tragen  jene  Militärmütze,  die  uns,  früher  irrig  als  Judenbarett  erklärt,  in  den 
Szenen  „Quellwunder"  und  „Moses'  Bedrängung "  begegnete.  Je  zwei  solcher  Gestalten 
stehen  auf  einer  Konsole  nebeneinander,  zugleich  sich  umfassend.  Zwei  solcher  Gruppen 
größeren  Formates,  mit  geringen  Resten  ihrer  Säulenschafte,  befinden  sich  in  Venedig 
an  der  Markuskirche;  zwei  ganze  Säulen  in  kleineren  Verhältnissen,  mit  den  an- 
gearbeiteten Gruppen,  stehen  in  der  vatikanischen  Bibliothek.  Es  mögen  Arbeiten 
vielleicht  noch  des  vierten  Jahrhunderts  sein.1) 

Endlich  sei  noch  die  des  Kopfes  beraubte  Porphyrstatue  eines  Thronenden  im 
Museum  von  Kairo  (hoch  3,08  m)  erwähnt,  in  der  Strzygowski  zuerst  den  Christus 
und  ein  Werk  frühestens  des  fünften  Jahrhunderts  vermutete;  im  Katalog  läßt  er 
dahingestellt,  ob  es  ein  Kaiser  oder  ein  Christus  sei  (ein  Christus  togatus?)  und  denkt 
an  das  vierte  Jahrhundert.2) 

Weil  die  Porphyrarbeiten  sich  in  stilistischer  Beziehung  mit  den  Marmorsachen 
nicht  unmittelbar  vergleichen  lassen,  so  verzichten   wir  auf  ihre  bildliche  Wiedergabe. 


Elfenbein  und  Knochen. 

Daß  Elfenbein  seit  den  frühesten  Zeiten  in  Ägypten  und  Vorderasien  künstlerisch 
verarbeitet  wurde,  durfte  man  von  vornherein  voraussetzen  und  wird  durch  die  Aus- 
grabungen bestätigt.  Auch  die  ältere  Steinzeit  Südeuropas  bildete  primitive  Gestalten 
aus  den  Stoßzähnen  des  einheimischen  Elefanten.  In  der  Kultur-  und  Kunstgeschichte 
der  klassischen  Völker  spielte  das  wertvolle  Material  eine  wichtige,  zum  Teil  führende 
Rolle,  von  der  kretisch-mykenischen  Zeit  bis  in  die  römische  Kaiserzeit.  Schon  die 
kretisch-mykenischen  Elfenbeinarbeiten  sind  nicht  Import  aus  Ägypten  oder  Vorderasien, 
sondern  Schöpfungen  der  ägäischen  Kunst.  Unzählige  Geräte,  wie  musikalische  In- 
strumente, Gestell-  und  Kastenmöbel,  wurden  im  Altertum  aus  Elfenbein  gefertigt  oder 
mit  Elfenbeinschnitz  werk  verziert.  Auch  arbeitete  man  Figuren  daraus,  von  den 
kleinsten  Statuetten  bis  zu  den  großen  Goldelfenbeinstatuen  der  perikleischen,  hadria- 
nischen,  konstantinischen  Zeit.  Aus  alle  dem  geht  hervor,  daß  das  afrikanische  Material 
von  jeher  roh  verhandelt  und  von  den  Kulturländern  in  Ost  und  West  selbständig 
verarbeitet  wurde  (das  indische  erst  in  zweiter  Linie).  An  allen  Hauptsitzen  des 
Reichtums  und  der  Luxuskunst,  also  auch  in  den  Residenzen,  wird  man  sich  auf  die 
Bearbeitung  des  Elfenbeins  verstanden  haben,  an  allen  solchen  Orten  wird  es  Elfenbein- 
schnitzer gegeben  haben.    Aus  dem  afrikanischen  Material  darf  man  nicht  ohne  weiteres 


1)  Strzygowski  in  den  Beiträgen  zur  alten  Geschichte  II  1902,  105.    Danach  Wittig,  Campo 
santo  118  Abb.  45. 

2)  Strzygowski,  Rom.  Quartalschr.  1898,  4  Fig.  1;  Koptische  Kunst  1904,  3  n.  7256  Abb.  1 
Tafel  1. 


Elfenbein  und  Knochen.  229 

auf  ägyptische  Arbeit  schließen.  Möglich,  daß  in  der  Spätantike  die  Elfenbeinarbeit 
sich  auf  einzelne  Brennpunkte  zurückzog,  das  muß  aber  bewiesen  werden. 

Geweihe  und  Knochen  wurden  überall  verarbeitet,  gewiß  schon  vor  und  un- 
abhängig von  der  Elfenbeineinfuhr;  nachdem  aber  die  Elfenbeinschnitzereien  ins  Leben 
getreten  waren,  dienten  Knochen  als  Surrogat. 

Eine  umfassende  Publikation  „Kunstwerke  aus  Elfenbein"  bereitete  Ernst  aus'm 
Weerth  vor;  in  Kraus'  Realenzyklopädie  I,  1882,  401  kündigte  er  das  Erscheinen  des 
ersten  Bandes  an,  der  die  sämtlichen  bis  dahin  bekannten  Pyxiden  bringen  sollte;  was 
daraus  geworden  ist,  weiß  ich  nicht.  Neuerdings  begann  Hans  Graeven,  unterstützt 
vom  deutschen  Archäologischen  Institut  und  von  der  Göttinger  Gesellschaft  der  Wissen- 
schaften, das  Material  länderweise  zu  photographieren  und  der  Forschung  zugänglich 
zu  machen,  in  der  Art  der  münchener  „Einzelaufnahmen"  griechischer  Skulptur;  aus 
seinen  Bemerkungen  gegen  den  oben  Seite  41  erwähnten  Plan  eines  Corpus  monumen- 
torum  christianorum  zu  schließen  scheint  die  Ausarbeitung  eines  Korpus  der  Elfenbein- 
werke nicht  in  seinen  Gedanken  gelegen  zu  haben.  Wohl  war  eine  Ausgabe  der 
Diptychen  geplant;  aber  sowohl  sie  wie  das  so  nützliche,  nur  in  zu  kleinem  Maßstab 
ausgeführte  Unternehmen  der  serienweisen  Einzelveröffentlichung  hat  sein  zu  früher  Tod 
unterbrochen *) 

Diptychen.  Unter  den  uns  erhaltenen  Elfenbeinarbeiten  der  christlichen  Kaiserzeit 
nehmen  die  Diptychen  die  erste  Stelle  ein,  welche  die  Konsuln  und  andere  höhere 
Beamte  bei  ihrem  Amtsantritt  an  den  Kaiser  und  an  ihre  Freunde,  Private  bei 
wichtigen  Familienfesten  verschenkten.  Theodosius  verbot  384  den  übrigen  Beamten 
außer  den  consules  ordinarii  Elfenbeindiptychen  zu  verschenken;  doch  pflegen  Luxus- 
gesetze nicht  viel  zu  erreichen.8) 

Kein  Hauch  christlichen  Geistes  beseelt  diese  Denkmäler  offizieller  Eitelkeit,  diese 
Selbstdarstellungen  höchster  Prunkbeamten  in  goldstrotzender  Pupuruniform,  dar- 
gestellt im  Glanzpunkt  ihres  ephemeren  Daseins,    da   sie   im  Zirkus    das  Zeichen    zum 


1)  Blümner  Technologie  und  Terminologie  der  Gewerbe  und  Künste  II  1875,  360.  Mar- 
quardt-Mau,  Privatleben  der  Römer  II2  1886,  741.  Westwood,  A  descriptive  catalogue  of  the 
fictile  ivories  in  the  South-Kensington-Museum  with  an  account  of  the  Continental  collections  of 
classical  and  mediaeval  ivories,  London  1876  mit  Tafeln.  Garrucci,  Storia  VI  1880  Taf.  414  ff.  437  ff. 
Kraus'  Kealencyclopaedie  I  1882  399  Übersicht  der  Gattungen  und  Schulen  (aus'm  Weerth); 
402  Statistik  der  altchristlichen  Elfenbeinskulpturen,  museographisch  (Kraus).  Dobbert  im 
Repertor.  1885,  162  Zur  Geschichte  der  Elfenbeinskulptur.  Molinier,  Histoire  g6n6rale  des  arts 
applique*s  ä  l'industrie,  du  V.  a  la  fin  du  XVIII  siecle,  I  Jvoires,  Paris  1896  mit  Tafeln  (chrono- 
logisch geordnet).  Stuhlfauth,  Altchristliche  Elfenbeinplastik  1896  mit  5  Tafeln  (er  konstruiert 
Schulen;  S.  198  eine  nach  ihnen  geordnete  Zusammenstellung  der  Denkmäler).  Hans  Graeven, 
Antike  Schnitzereien  aus  Elfenbein  und  Knochen,  Serie  I,  Rom  1902;  frühchristliche  und  mittel- 
alterliche Elfenbeinwerke  in  photogr.  Nachbildung,  Serie  I  (England)  Rom  1889.  II  (Italien)  Rom 
1900;  Bonner  Jahrbücher  CV  148,  6.  Venturi,  Storia  delF  arte  italiana  I  1901  456  Fig.  273  ff. 
Schultze,  Archäologie  267.     Kaufmann,  Handbuch  516.     Leclercq,  Manuel  327. 

2)  Marquardt-Mau,  Rom.  Privatleben  II a 803.  562.  Kubier  und  Wünsch  in  Pauly-Wissowa's 
Realenzykl.  IV  1135  und  V  Art.  Diptychon.  Bloch  in  Daremberg-Saglio's  Dict.  I  271  Art.  Dipty- 
chon. —  Hauptwerke:  Gori,  Thesaurus  vet.  Diptychorum  consularium  et  ecclesiasticorum,  4  Bde. 
1759.  Wilhelm  Meyer  aus  Speyer,  Bayer.  Akad.,  philos.-philol.  Klasse  XV  1881,  1.  He>on  de 
Villefosse,  Gaz.  arch.  1884,  117.  Von  Meyer  wurde  Graeven  zum  Studium  der  Diptychen  an- 
geregt. Die  reichhaltigste  Übersicht  des  Materials,  mit  Abbildungen,  immer  noch  bei  Molinier 
(s.  vorige  Anm.). 


230  Bildwerke  aus  besonderen  Materialien. 

Beginn  der  Wagenrennen,  der  blutigen  Tier-  und  Gladiatorenkämpfe,  der  Athleten- 
spiele gaben.  Höchstens  das  konstantinische  Monogramm  auf  der  Kriegsfahne  eines 
Kaisers,  das  Kreuzchen  etwa  auf  einem  Zepter,  schließlich  auch  ein  eingeschobenes 
Christusmedaillon  verrät,  daß  Cultores  Christi  vor  uns  stehen.  Trotzdem  sind  die 
Diptychen  so  wertvolle  Zeugen  der  christlichen  Spätantike  wie  die  gleichzeitigen  Elfen- 
beinarbeiten kirchlichen  Gepräges.  Beide  Klassen  gingen  aus  denselben  Werkstätten 
hervor;  und  wie  sehr  sie  nach  Inhalt  und  Form  eins  sind,  beweist  schon  die  Tatsache, 
daß  eine  wenig  spätere  Zeit  so  einen  Konsul  mit  ein  paar  Messerschnitten  in  einen 
König  David  oder  einen  h.  Gregorius  verwandeln  konnte.  Da  bestätigt  sich  wieder 
einmal,  wie  unwissenschaftlich  es  ist,  die  Erzeugnisse  einer  und  derselben  Kunst,  hier 
der  Antike,  nach  den  in  ihnen  zur  Erscheinung  gebrachten  religiösen  Ideen  gesondert 
zu  behandeln,  die  christlichen  losgerissen  von  ihren  Geschwistern,  den  heidnischen,  ge- 
schichtlich verstehen  zu  wollen.  Wäre  es  unsere  Aufgabe,  die  Kunstgeschichte  der 
altchristlichen  Elfenbeinwerke  zu  schreiben,  so  müßten  wir  sie  im  Zusammenhang  der 
gesamten  Elfenbeinschnitzerei  der  Kaiserzeit  bearbeiten.  Hier  freilich  soll  ja  nur 
den  klassischen  Archäologen  das  Material  an  die  Hand  gegeben  werden;  daher  be- 
schränken wir  uns  darauf,  von  den  Elfenbeinwerken  mit  heidnischen  Motiven  bloß  die 
Diptychen  heranzuziehen,  als  die  einzigen  datierten  Denkmäler  der  Elfenbeinskulptur. 

Für  die  Stilkritik  und  Chronologie  der  gleichzeitigen  Kunst  von  grundlegender 
Bedeutung  sind  die  mit  Namensinschrift  des  Konsuls  versehenen  und  dadurch  datierten 
Diptychen.  Die  erhaltenen  Exemplare  laufen  von  406 — 540  n.  Chr.;  im  folgenden 
Jahre  hob  Justinian  das  Konsulat  auf.1) 

Der  Name  des  Gebers  steht  bei  einigen  Exemplaren  aus  der  früheren  Zeit  im 
Genetiv  (Felicia),  sonst  im  Nominativ;  ferner  schrieb  man  anfangs  nur  einen  Namen, 
mit  der  Zeit  immer  mehrere,  der  an  letzter  Stelle  stehende  ist  der  Kalendername,  nach 
dem  das  Jahr  genannt  wurde.  Auf  unserem  ältesten  datierten  Exemplar  tritt  zu  dem 
Namen  ein  Prädikat  (Probus  famulus;  laut  Inschrift  war  das  Diptychon  für  den  Kaiser 
bestimmt).  Es  folgen  noch,  meist  auf  der  zweiten  Tafel,  die  Titel  (Vir  clarissimus, 
Vir  inlustris,  Patricius,  Ex  consule  usf.).  Ist  der  Konsul  in  ganzer  Figur  dargestellt,  so 
steht  die  Inschrift  über  ihm  in  einem  Streifen,  der  sich  zur  Tabula  ansata  ausbildet, 
nur  ausnahmsweise  unten.  Einige  Tafeln  ohne  Figuren  bringen  die  Inschrift  in  einem 
zentralen  Medaillon.  —  Die  Tafeln  haben  Hochformat,  die  ältesten  und  einzelne  spätere 
schließen  oben  giebelförmig;  die  übrigen  schließen  wagrecht,  setzen  aber  gern  im  Relief 
einen  Giebel  über  den  Konsul.  Die  Ränder  der  Tafeln  sind  manchmal  verziert,  be- 
sonders an  früheren  Stücken.  Beide  Tafeln  tragen  in  der  Regel  fast  dieselben  Dar- 
stellungen, das  Bild  des  Kaisers  (wenn  das  Diptychon  für  ihn  bestimmt  war),  sonst 
das  des  Konsuls  als  des  Gebers,  aber  auf  den  zwei  zusammengehörenden  Tafeln  in 
etwas  verschiedener  Haltung  und  mit  verschiedenen  Attributen.  —  Der  Konsul  steht 
(Felix)  oder  sitzt  (Asturius)  in  einem  geschlossenen  Raum;  diesen  Typus  bezieht  man 
auf  die  Empfänge  bei  seinem  Amtsantritt.  Seit  Valentinian  III  (424 — 455)  entwickelte 
sich  ein  eigener  Typus,  der  Konsul  in  dem  für  ihn  hochwichtigen  Augenblick,  wo  er 
im  Zirkus  eine  Art  Taschentuch  (die  Mappa)  hebt,  um  das  Zeichen  zum  Beginn  der 
Spiele    zu  geben;    dabei    konnte    er  stehen    (vgl.  die    zwei  Marmorstatuen    im  Konser- 


*)  Aus  der  Zeit   nach  541  stammt   vielleicht    ein  kleines  Diptychon,    s.   Graeven,  Jahrb.  d. 
preuß.  Kunstsamml.  1898,  86. 


Elfenbein  und  Knochen.  231 

vatorenpalast  zu  Rom,  Heibig,  Führer  I  n.  583.  584)  oder  sitzen.  Statt  die  Mappa 
zu  heben  legt  er,  wenn  er  sitzt,  die  Hand  mit  der  Mappa  wohl  auch  auf  den  Schoß 
oder  hält  sie  vor  flie  Brust.  Das  Nähere  über  die  öfter  angedeuteten,  vom  Konsul 
verteilten  Geschenke,  über  die  in  den  Sockelbildern  mehrfach  dargestellten  Zirkusspiele, 
über  die  oben  angebrachten  Medaillons  mit  Kaiserbildern,  über  Sessel  und  Zepter 
des  Konsuls  findet  man  bei  Wilhelm  Meyer. 

Nur  einige  Worte  über  die  Tracht  des  Konsuls.  Abgesehen  von  den  Schuhen 
trägt  er  als  eine  Art  Unterkleid  eine  lunica  talaris  mit  langen  engen  Ärmeln;  darüber 
die  kürzere  Tunika  mit  weitem  Halsausschnitt  und  halblangen  weiten  Ärmeln;  endlich 
als  Oberkleid  die  Toga  und  zwar  kontabuliert  (gefaltet,  so  etwa  wie  man  ein  langes 
Tischtuch  zunächst  in  der  Länge  mehrmals  zusammenfaltet,  so  daß  es  an  der  Ober- 
fläche einen  langen  Streifen  bildet).  Mit  andern  wendet  Meyer  auf  diese  Staatstracht 
den  überlieferten  Namen  Trabea  an.  Ihm  schien  das  gefaltete  Gewand,  unter  der 
rechten  Achsel  irgendwie  befestigt,  von  da  über  Brust  und  linke  Schulter,  um  den 
Rücken  und  wieder  unter  der  rechten  Achsel  nach  vorn  zu  laufen,  vom  Rücken  an 
sich  wieder  entfaltend  und  dann  ganz  entfaltet  vor  dem  Leib  vorbei  über  den  linken 
Unterarm  zu  fallen  (dies  öfter  beim  griechischen  Himation,  lat.  Pallium).  Unter  der 
letztbeschriebenen  vorderen  Togapartie  pflegt  aber  noch  ein  längerer  Streifen  bis  über 
den  Saum  der  kürzeren  Tunika  herabzufallen,  von  der  linken  Schulter,  seit  dem  Anfang 
des  sechsten  Jahrhunderts  von  der  rechten.  Da  nun  in  der  Largitio  am  Konstantin- 
bogen, wo  die  ganze  Tracht  zuerst  erscheint,  ebenfalls  in  anderen  Darstellungen,  ein 
entsprechender  Streif  auch  im  Rücken  herabhängt  [Abb.  21],  so  schloß  Meyer,  es  handle 
sich  um  einen  besonderen  Streifen,  der  über  die  eine  Schulter  geworfen  vorn  und  hinten 
lang  herabhänge,  unter  dem  vorbeschriebenen  „Umwurf".  Zweierlei  erregt  Bedenken, 
einmal  die  Befestigung  des  Umwurfs  unter  der  rechten  Achsel,  sodann  die  ganze  Zer- 
legung der  Tracht  in  „Streifen"  und  „Umwurf",  da  doch  das  Ganze  nichts  ist  als  die 
Toga  picta.  Wilpert  faßt  beides  zusammen,  indem  er  den  von  der  linken  Schulter 
nach  vorn  fallenden  Streifen  im  Rücken  sich  mit  dem  Meyerschen  Anfang  unter  der 
rechten  Achsel  verbinden  läßt.  Hierbei  aber  bleibt  der  im  Rücken  herabfallende 
Streifen  unberücksichtigt  und  unerklärt,  desgleichen  die  jüngere  Trag  weise  des  Streifens 
über  die  rechte  Schulter.  Graeven,  der  sich  Meyer  anschloß,  unterschied  noch  vier 
Nuancen  der  Tracht  im  vierten  und  fünften  Jahrhundert.  A)  Die  vorbeschriebene 
Weise:  Beamtendiptychon  des  Probianus,  vermutlich  Ende  des  vierten  Jahrhunderts 
[Abb.  64].  B)  An  der  rechten  Seite  ist  der  Umwurf  himationartig  drapiert,  so  daß 
er  den  rechten  Arm  bis  zum  Handgelenk  umschließt:  nicht  datiertes  Konsulardiptychon 
mit  der  Inschrift  Lampadiorum;  umgearbeitetes  Konsulardiptychon  in  Prag;  beide  ver- 
mutlich aus  dem  Anfang  des  fünften  Jahrhunderts.  C)  Das  Rückenteil  umschließt  die 
rechte  Schulter:  die  datierten  Konsulardiptychen  428  Felix  und  449  Asturius  [Abb.  67]. 
D)  Der  Umwurf  begann  auf  der  Brust,  wurde  erst  über  die  rechte  Schulter  gelegt 
und  dann  unter  der  rechten  Achsel  durchgeführt,  von  wo  ab  seine  Anordnung  dieselbe 
war  wie  auf  der  Probianustaf el :  datiertes  Konsulardiptychon  487  Boethius  [Abb.  70]; 
das  undatierte  der  Barbarinischen  Bibliothek  und  das  früher  auf  530,  von  Graeven 
auf  480  angesetzte  des  Basilius.  E)  Als  man  um  506  anfing,  den  langen  Streifen  über 
die  rechte  Schulter  zu  legen,  kehrte  man  zur  Tracht  des  Umwurfs  zurück,  wie  sie  das 
Diptychon  des  Probianus  zeigt;  so  Anastasius  517  [Abb.  71].  Neuere  Untersuchungen 
halten  die  Einheit  der  ganzen  Tracht  fest,  indem  sie  voraussetzen,  daß  die  sehr  lange 


232  Bildwerke  aus  besonderen  Materialien. 

Toga  an  beiden  Enden  kontabuliert  wurde,  in  der  Mitte  aber  offen  blieb:  der  un- 
gefaltete mittlere  Teil  gab  den  um  die  Körpermitte  drapierten  „Umwurf"  ab,  die  beiden 
gefalteten  Enden  hingen  als  die  „Streifen"  vorn  und  im  Rücken  herab.  Ganz  klar 
gestellt  ist  der  vielgewundene  Gang  des  purpurgesäumten  Goldmantels  noch  nicht.1) 

Wir  lassen  zunächst  ein  Verzeichnis  der  zweifellos  datierten  Konsulardiptychen  folgen. 

406  Probus  (Konsul  zu  Rom).  In  Aosta.  Garrucci,  Storia  VI  Taf.  449,  3.  Meyer 
n.  1.  Molinier  n.  2  Taf.  2.  [Abb.  66]. —  Giebelformiger  Abschluß,  verzierter  Rahmen. 
Unter  pfeilergetragenem  verziertem  Rundbogen  steht  Kaiser  Honorius  nimbiert, 
gepanzert,  in  a)  mit  Victoria  auf  Kugel  und  Labarum,  in  b)  mit  Stab  und  Schild, 
in  a)  etwas  halbrechts,  in  b)  ebenso  halblinks. 

428  Felix  (Rom),  a)  in  Paris,  Bibl.  nat.  b)  verschollen.  Beide  Tafeln  bei  Gori  I 
131  Taf.  2  (nach  Mabillon).  a)  Meyer  n.  2.  Mol.  n.  3  Abb.  Venturi  I  Fig.  334 
[Abb.  67].  —  Giebelformiger  Abschluß,  verzierter  Rand,  a)  In  geöffneter  Portiere 
steht  Felix  frontal,  in  der  Linken  das  Zepter,  die  Rechte  vor  der  Brust,  b)  Felix 
steht  in  Chlamys,  in  der  Rechten  das  Volumen. 

449  Asturius  (Rom),  a)  verschollen  b)  in  Darmstadt.  Gori  I  58  Taf.  3.  Meyer 
n.  3.  Mol.  n.  4.  —  a)  ähnlich  b)  Vor  vier  Säulen,  unter  Giebel  zwischen  Halban- 
themien,  sitzt  Asturius  auf  der  Sella  curulis,  zwischen  zwei  Dienern  in  Tunika  und 
Chlamys,  der  eine  hält  die  Fasces,  der  andere  ein  Gefäß.  Hinten  das  Gestell  mit 
den  Kaiserbildern. 

487  Boethius  (Rom).  In  Brescia.  Meyer  n.  5.  Mol.  n.  5  Abb.  Venturi  I  Fig.  336 
[Abb.  70].  —  Verzierter  Rahmen,  a)  Vor  pfeilergetragenem  Giebel,  darin  Mono- 
gramm in  Kranz,  steht  Boethius  gering  halbrechts,  in  der  Linken  das  Zepter,  die 
Rechte  mit  der  Mappa  hängt  herab,  b)  Er  thront  gering  halblinks  mit  Zepter 
und  gehobener  Mappa. 

488  Sividius  (Rom),  a)  in  Paris,  Bibl.  nat.  b)  verschollen.  Meyer  n.  6.  Mol.  n.  6 
Abb.  —  a)  gleich  b)  Inschrift  in  zentralem  eingerahmtem  Medaillon,  nach  oben 
und  unten  Anthemien,  in  den  vier  Ecken  Fünfblattrosetten  in  wirbelndem  Blätter- 
kranz. 

506  Areobindus  (Konstantinopel).  In  Zürich.  Meyer  n.  7.  Mol.  n.  7.  —  a)  Areo- 
bindus  thronend  hebt  die  Mappa,  unten  Zuschauer  im  Zirkus,  in  der  Arena  Löwen- 
kämpfe, b)  ebenso,  in  der  Arena  Bärenkämpfe.  Die  fortschreitende  Überladung 
mit  Beiwerk  schränkt  die  Figur  des  Konsuls  auf  immer  kleineres  Maß  ein. 

506  Areobindus  (Kpel).  In  Petersburg.  Meyer  n.  8.  Mol.  n.  8.  —  a)  wie  vor, 
unten  Bärenkämpfe,     b)  fehlt. 

506  Areobindus  (Kpel).  In  Besancon.  Meyer  n.  9.  Mol.  n.  9  Abb.  —  a)  wie  vor, 
unter  den  Ecken  des  Sitzbrettes  Löwenköpfe  mit  Ringen  im  Maul;  unten  Gladia- 
torenkämpfe,    b)  fehlt. 

506  Areobindus  (Kpel).  a)  fehlt  b)  früher  in  Dijon,  jetzt  in  Paris,  Cluny.  Meyer 
n.  10.  Mol.  n.  10.  —  b)  wie  vor,  unten  Tierkämpfe. 

506  Areobindus  (Kpel).  In  Lucca.  Meyer  n.  11.  Mol.  n.  11.  Venturi  I  Fig.  337.  — 
a)  gleich  b)  Monogramm  des  Areobindus  unter  kleinem  Kreuz,  zwischen  zwei  ge- 

*)  Näheres  über  die  kontabulierte  toga  picta  (trdbea)  bei  v.  Premerstein  im  Jahrb.  d.  kunst- 
hist.  Sammlung  des  Allerh.  Kaiserhauses,  Wien  1903  (gelegentlich  der  Anicia  Juliana  im  wiener 
Dioskorides-Kodex). 


Elfenbein  und  Knochen.  233 

kreuzten  Füllhörnern,  aus  jedem  steigt  eine  Efeuranke;  oben  die  Inschrift  auf 
Tabula  ansata. 

506  Areobindus  (Kpel).  In  Mailand,  Trivulzi.  Gori  II  Taf.  18.  Meyer  n.  12. 
Graeven,  Rom.  Mitteil.  1892,  205.  Molinier  n.  12.  —  a)  gleich  b)  Büste  des  Areo- 
bindus in  Ring,  ober-  und  unterhalb  ein  Monogramm  des  Konsuls  in  griechischer 
Schreibung;  alles  innerhalb  einer  großen  Raute,  deren  Seiten  pflanzlich  aus- 
gebildet sind. 

506  Areobindus  (Kpel).  In  Paris,  Louvre  (nur  eine  Tafel  erhalten).  HeYon  de  Ville- 
fosse,  Gaz.  archeol.  1884,  117.  Graeven,  Rom.  Mitteil.  1892,  205.  Mol.  n.  13 
Taf.  3.  —  Wie  die  vorige  Tafel;  flache  Arbeit,  wie  ausgestochen.  Auf  der  Rück- 
seite der  Tafel,  von  breitem  verziertem  Rahmen  umgeben,  in  sieben  Zonen  das 
irdische  Paradies  mit  dem  Sündenfall  und  Kentauren,  Sirenen,  Panen,  tierköpfigen 
Menschen,  Greif,  Einhorn,  Löwen  und  andern  Tieren;  Molinier  erklärt  die  Arbeit 
für  antik  und  wenig  später  als  506,  Villefosse,  ebenso  Graeven,  für  Renaissance 
des  fünfzehnten  Jahrhunderts. 

513  Clementinus  (Kpel).  In  Liverpool.  Meyer  n.  13.  Mol.  n.  15.  Venturi  I 
Fig.  338.  —  a)  fast  gleich  b)  Clementinus  thront  mit  Zepter,  die  Rechte  mit  Mappa 
auf  dem  Schoß,  die  Füße  auf  zweistufigem  Schemel;  hinter  ihm  Roma  und  Kon- 
stantinopolis;  im  Hintergrund  Bogen  zwischen  zwei  Pfeilern,  vor  dem  Bogen 
Medaillon  mit  eigenartigem  Monogramm  des  Konsuls.  Über  der  Tabula  ansata 
Kreuz  zwischen  den  Medaillonbrustbildern  des  Kaisers  und  der  Kaiserin.  Unten 
zwei  Diener  in  Tunika,  volle  Geldsäcke  entleerend,  andere  Geschenke  liegen  am 
Boden. 

515  Anthemius  (Kpel).  Früher  in  Limoges,  jetzt  verschollen.  Villefosse  120.  Graeven, 
Rom.  Mitteil.  1892,  204.  Mol.  n.  16.  —  Ähnlich  517  Anastasius:  der  Konsul  thront, 
über  dem  Giebel  drei  Medaillons,  das  mittlere  zwischen  Flügelgestalten.  —  Frag- 
ment Janze"  (Unterteil  einer  Tafel).  Meyer  n.  17.  Graeven  a.  a.  O.  Mol.  n.  20. 
Venturi  I  Fig.  348.  Ahnlich  517  Anastasius,  daher  meist  diesem  zugeschrieben, 
von  Graeven  für  515  Anthemius  Mol.  n.  16  in  Anspruch  genommen. 

517  Anastasius  (Kpel).  In  Paris,  Bibl.  nat.  Meyer  n.  14.  Mol.  n.  17  Abb.  [Abb.  71]. 
—  a)  fast  gleich  b)  Anastasius  thront,  in  der  Linken  das  Zepter,  die  rechte  hebt 
die  Mappa;  Victorien  stehen  auf  den  Enden  des  Sitzbrettes,  an  diesen  je  ein  Brust- 
bild, die  Löwenköpfe  krönen  je  ein  Pfeilerchen,  der  Schemel  ist  flach,  Sella  und 
Schemel  stehen  auf  quadratischer  Platte  innerhalb  jener  Pfeilerchen.  Der  Kopf  des 
Konsuls  steht  vor  einer  Muschel  in  Steilgiebel  auf  Pfeilern;  als  Eckakroterien 
kubische  Basen,  darauf  Brustbilder  in  Medaillons,  als  Firstakroter  Kaisermedaillon 
zwischen  zwei  Genien.  Unten  an  a)  Halbkreis  des  Zirkus,  in  den  Zwickeln  Zu- 
schauer, in  der  Arena  Bärenkämpfe,  an  b)  zwei  Friese,  im  oberen  werden  Pferde 
geführt,  drei  Gruppen  unten  werden  verschieden  erklärt.  Der  Eierstab  des  Giebel- 
rahmens ganz  flach,  nur  die  Umrisse  eingeschnitten. 

517  Anastasius  (Kpel).  a)  in  Berlin,  b)  in  London,  South  Kensington.  Meyer  n.  15. 
Mol.  n.  18.     Venturi  I  Fig.  347.  —  Ahnlich  wie  das  vorige. 

517  Anastasius  (Kpel).  In  Verona.  Meyer  n.  16.  Mol.  n.  19.  Venturi  I  Fig.  346.  — 
a)  fehlt,  b)  ähnlich  wie  das  vorige. 

518  Magnus  (Kpel).  a)  Früher  in  Leyden,  jetzt  in  Paris,  Bibl.  nat.  b)  fehlt.  Meyer 
n.  18.  Mol.  n.  21  Abb.  —  Magnus    thront;    der  Thron    ist    höher   aufgebaut,  die 


234  Bildwerke  aus  besonderen  Materialien. 

Füße  des  Konsuls  stehen  auf  hoher  Doppelstufe.     Hinten  Roma  und  Konstantino- 
polis.     Oben  hängt  eine  Blätterkrone    zwischen  zwei  Girlanden.     Unten   entleeren 
zwei  Männer  Geldsäcke.     Geringe  flache  Arbeit. 
521  Justinianus  (Kpel).     In  Mailand,  Trivulzi.     Meyer  n.  23.  Mol.  n.  26  Abb.  — 

a)  gleich  b)  Inschrift  in  zentralem  Medaillon  mit  verziertem  Rahmen;  in  den  vier 
Ecken  Löwenköpfchen  in  Blätterkranz,  dessen  Blätterspitzen  nicht  wirbelnd  in  der- 
selben Richtung  sich  umbiegen,  sondern  abwechselnd  rechtshin  und  linkshin. 

521  Justinianus    (Kpel).     In    Le    Puy.     Villefosse  n.   21.    Mol.   n.    27.  —  a)  gleich 

b)  ähnlich  dem  vorigen  Diptychon. 

521  Justinianus  (Kpel).     Aus  Autun,  in  Paris,  Bibl.   nat.   Meyer  n.  24.  Mol.  n.  28 

Abb.  —  a)  wie  vor,  b)  fehlt. 
525  Philoxenus  (Kpel).     In    Paris,    Bibl.    nat.  Meyer   n.    26.  Mol.  n.    29    Abb.    — 

a)  gleich  b)  drei  runde  Medaillons  untereinander,  umrahmt  von  Bändern  mit 
medianer  Perlschnur;  die  Bänder  sind  an  den  Berührungspunkten  miteinander 
verschlungen.  In  den  Medaillons  die  Büste  des  Konsuls,  die  lateinische  Inschrift, 
die  Büste  seiner  Gattin?  Eine  vierzeilige  griechische  Inschrift  in  Reliefschnitt  ist 
über  die  Tafel  verteilt. 

525  Philoxenus  (Kpel).  In  Mailand,  Trivulzi.  Meyer  n.  27.  Graeven,  Rom.  Mitteil. 
1892,  206  Abb.  Mol.  n.  30  Abb.  —  a)  gleich  b)  lateinische  Inschrift  in  zentralem 
umrahmtem  Achteck,  das  einer  großen  Raute  eingeschrieben  ist.  Griechische  In- 
schrift verteilt  in  vier  kleine  Medaillons  in  den  Ecken. 

525  Philoxenus  (Kpel).  In  Liverpool.  Aus  Knochen.  Meyer  n.  28.  Graeven,  Rom. 
Mitteil.  1892,  208.  Mol.  n.  31.  —  a)  fehlt,  b)  gleich  dem  vorigen  Diptychon,  doch 
kleiner.     Die  Echtheit  wird  von  einigen  bezweifelt. 

525  Philoxenus  (Kpel).  In  Paris,  Bibl.  nat.  Meyer  n.  46.  Graeven,  Rom.  Mitteil. 
1892,  209.  Mol.  n.  32  Abb.  Venturi  I  Fig.  345.  —  Wie  die  vorigen.  Während 
der  naturalisierte  Rautenrahmen  des  Areobindus  (Mol.  n.  13)  an  vier  Stellen  ge- 
stielte Blätter  nach  außen  sendet,  ist  hier  je  ein  großes  Blatt  in  die  Rautenspitze 
gesetzt,  das  mit  einem  gegabelten  Stil  aus  den  diesmal  nicht  naturalisierten  Schenkeln 
der  Rautenspitze  kommt. 

530  Orestes  (Rom).  In  London,  South  Kensington.  Gori  II  Taf.  17.  Meyer  n.  29. 
Molinier  n.  34.  Haseloff,    Jahrb.  d.    preuß.    Kunstsamml.  1903,   55.  —  a)  ähnlich, 

b)  Orestes  thront,  hinter  ihm  stehen  Roma  und  Konstantinopolis,  unten  entleeren 
zwei  Männer  Geldsäcke  in  Gefäße  (vgl.  513  Clementinus  und  518  Magnus). 

539  Apion  (Kpel).  In  Oviedo.  Meyer  n.  30.  Mol.  n.  35.  —  a)  gleich,  b)  Brustbild 
Apions  in  Medaillon. 

540  Justinus  (Kpel).  In  Berlin.  Meyer  n.  31  Taf.  1,  2.  Mol.  n.  36.  —  a)  ähnlich 
b)  Halbfigur  des  Konsuls  in  Medaillon;  nach  oben  und  unten  Ranken.  Oben  in 
Medaillons  Brustbilder,  Christus  zwischen  Justinian  und  Theodora,  unten  zwei 
Männer,  die  Geldsäcke  entleeren. 

Wir  lassen  nun  die  nicht  datierten  Konsulardiptychen  folgen,  das  sind  solche 
denen  der  Name  des  Konsuls  fehlt;  doch  läßt  er  sich  durch  Vergleichung  mit  wachsender 
Sicherheit  ermitteln.  Ihnen  reihen  wir  solche  ein,  die  den  Konsulnamen  zwar  an  sich 
tragen,  die  aber  aus  verschiedenen  Jahren  stammen  können;  auch  hier  müssen  Typen- 
vergleichung  und  Stilkritik    entscheiden.     Da  es    darauf  ankommt,    das  Material  nach 


Elfenbein  und  Knochen.  235 

dem  Stand  der  Frage  vorzulegen,   so  folge  ich  den  Datierungen  Graevens,   soweit  er 
solche  bekannt  gegeben  hat. 

„Lampadiorum* .  In  Brescia.  Meyer  n.  42.  Graeven,  Rom.  Mitteil.  1892,  216;  Götting 
gelehrte  Anzeigen  1897,  352.  Molinier  n.  33  Abb.  —  Der  Konsul  mit  Zepter  und 
Mappa  zwischen  zwei  anderen  Beamten  in  seiner  Loge;  im  Hintergrund  tragen 
vier  Säulen  einen  verzierten  Architrav,  der  über  den  mittleren  Säulen  und  dem 
Konsul  einen  Bogen  bildet.  Die  Loge  nimmt  nicht  die  Hälfte  des  Diptychons  ein. 
Unten  der  Hippodrom,  schräg  gezeichnet,  mit  vier  fahrenden  Rennwagen.  —  Früher 
auf  530  Lampadius  bezogen,  von  Graeven  zuerst  in  den  Anfang  des  fünften 
Jahrhunderts,  dann  gegen  350  datiert,  letzteres  im  Widerspruch  mit  seinen  Be- 
obachtungen über  die  Tracht  und  ohne  Begründung. 

In  Halberstadt,  Meyer  n.  4.  Mol.  n.  38.  Hermes,  Dom  zu  Halberstadt  1896,  126. 
127  Abb.  Graeven,  Gott.  gel.  Anz.  1897,  58.  [Abb.  68].  —  a)  ähnlich  b)  im  Mittel- 
feld steht  der  Konsul,  einmal  in  Toga,  einmal  in  Chlamys,  zwischen  zwei  anderen 
Beamten;  oben  sitzen  vier  Personen  nebeneinander,  ein  jugendlicher  Kaiser,  dem 
Konstantinopolis  die  Hand  auf  die  Schulter  legt,  und  zu  seiner  Rechten,  also  ge- 
ringeren Ranges,  ein  älterer,  neben  diesem  Roma;  unten  kriegsgefangene  Barbaren. 
—  Meyer  bezog  das  Diptychon  auf  Fl.  Aetius,  als  den  Konsul  von  454  (nach  Seeck 
bei  Pauly-Wissowa  I  701,  57  und  703,  10  war  er  Konsul  432,  437,  446,  ein 
andrer  Aetius  war  454  Konsul),  Graeven  setzte  es  in  das  erste  Viertel  des  fünften 
Jahrhunderts. 

„Basilius"  (Kpel).  a)  in  Florenz,  Uffizien,  b)  in  Mailand,  Brera.  Gori  II  134.  136 
Taf.  20.  21.  Meyer  n.  32.  Graeven,  Rom.  Mitteil.  1892,  210,  1  (für  die  von  anderen 
bestrittene  Zusammengehörigkeit  der  beiden  Tafeln).  215.  Mol.  n.  37.  Yenturi  I 
Fig.  349.  —  a)  Basilius  steht,  bei  ihm  Roma;  unten  ein  Adorierender  und  noch 
ein  Mann,  daneben  der  Hippodrom  mit  vier  laufenden  Rennwagen,  b)  unten  ab- 
gebrochen, erhalten  das  Oberteil  eines  Adlers  mit  ausgebreiteten  Flügeln,  darüber 
sitzende  Victoria,  die  ein  ovales  Medaillon  hält,  dessen  Brustbild  dem  Basilius 
gleicht.  —  Früher  dem  Konsul  des  Namens  von  541  zugeschrieben,  von  Graeven 
dem  von  480;  es  sei  so  unerfreulich  wie  487  Boethius. 

In  Rom,  Barberini.  Meyer  n.  33  Taf.  1.  Graeven,  Rom.  Mitteil.  1892,  215.  Molinier 
n.  41.  Venturi  I  Fig.  344.  —  a)  fehlt,  b)  Brustbild  des  Konsuls  in  Früchtekranz, 
in  den  vier  Ecken  je  eine  Rosette,  oben  Inschrift  in  einer  Art  Tabula  ansata.  — 
Graeven  setzt  es  in  die  achtziger  Jahre  des  fünften  Jahrhunderts,  Molinier  in 
das  sechste. 

506  Areobindus  (Kpel)?  Früher  in  Novara,  jetzt  in  Bologna.  Meyer  n.  35.  Mol. 
n.  14.  —  a)  gleich  b)  wie  506  Areobindus  im  Louvre,  Mol.  n.  13  (Brustbild  des 
Konsuls  in  großem  Medaillon,  dies  innerhalb  pflanzlich  naturalisierter  Raute);  statt 
der  zwei  Monogramme  Rosetten. 

In  Liverpool.  Aus  Kamelsknochen.  Meyer  n.  36.  Mol.  n.  43.  —  Brustbild  des  Konsuls 
in  Medaillon,  oben  und  unten  Rosette  zwischen  Zweigen.  Rohe  flache  Arbeit  wie 
506  Areobindus  Louvre. 

In  Bourges.  Meyer  n.  38.  Molinier  n.  39  Abb.  Graeven,  Gott.  gel.  Anz.  1897,  353.  — 
a)  ähnlich  b)  vor  einem  Bogen,  dessen  wagerechte  Fortsetzungen  auf  Pfeilern  ruhen 
(in  den  Zwickeln  je  ein  Adler)  thront  der  Konsul  zwischen  zwei  Dienern;  in  der 


236  Bildwerke  aua  besonderen  Materialien. 

unteren  Hälfte  Gladiator  in  Tierkampf.  —  Meyer  schlägt  vor,  es  dem  Franken- 
könig Chlodwig  zuzuschreiben,  welchen  Kaiser  Anastasius  508  zum  Konsul  er- 
nannte; gegen  Molinier  ist  Graeven  dafür. 

In  London,  teils  in  South  Kensington,  teils  im  Brit.  Mus.  Meyer  n.  34.  Mol.  n.  42.  — 
Die  stark  abgescheuerte  Tafel  enthielt  unter  einem  Bogen  mit  Adlern  in  den 
Zwickeln  (vgl.  Bourges)  einen  thronenden  Konsul.  Auf  der  Rückseite  sekundäre 
Passionsszenen. 

518  Magnus  (Kpel)?  In  Liverpool.  Knochen.  Meyer  n.  19.  Mol.  n.  22.  —  Ähnlich 
518  Magnus:  Konsul  thront,  hinter  ihm  Roma  und  Konstantinopolis.  Oben  hängt 
zwischen  Girlanden  eine  Blätterkrone;  unten  entleeren  zwei  Männer  Geldsäcke. 
Die  Inschrift  auf  der  Leiste  oben  wurde  im  Mittelalter  ersetzt  durch  die  Worte 
Pio  praesule  Baldrico  iubente. 

518  Magnus  (Kpel)?  In  Petersburg.  Knochen.  Meyer  n.  20.  Mol.  n.  23.  —  Ähnlich 
518  Magnus.  Inschriftleiste  leer.  Zwischen  ihr  und  den  Girlanden  steht  in  Relief- 
schnitt: f  Arabonü  deo  vota. 

518  Magnus  (Kpel)?  In  Paris,  Bibl.  nat.  Meyer  n.  21.  Mol.  n.  24.  Venturi  I 
Fig.  342.  —  Ähnlich  518  Magnus,  aber  die  Inschriftleiste  oben  und  das  Sockelbild 
unten  fehlen. 

Hiernächst  folgen  die  ins  Kirchliche  umgearbeiteten  Konsulardiptychen. 

In  Prag.  Graeven,  Rom.  Mitteil.  1892,  213.  Mol.  n.  45.  —  Der  sitzende  unbärtige 
Konsul  wurde  im  Mittelalter  umgearbeitet  in  einen  bärtigen  Petrus,  die  Bogen- 
architektur  in  eine  zweitürmige  Kirche,  wobei  man  den  Bogen  zwischen  den  Türmen 
stehen  ließ.  —  Das  Konsulardiptychon  setzt  Graeven  in  die  zwei  ersten  Jahr- 
zehnte des  fünften  Jahrhunderts,  etwa  gleichzeitig  den  Diptychen  406  Probus  und 
Lampadiorum. 

518  Magnus  (Kpel)?  In  Mailand,  Brera.  Meyer  n.  22.  Graeven,  Rom.  Mitteil.  1892^ 
213.  Mol.  n.  25.  Venturi  I  Fig.  343.  —  Ähnlich  518  Magnus,  aber  der  Konsul 
wurde  später  umgearbeitet  in  einen  Paulus. 

In  Monza.  Gori  II  218  Taf.  6.  Meyer  n.  37.  Graeven,  Rom.  Mitteil.  1892,  218;  Gott, 
gel.  Anz.  1897,  77.  1.  Mol.  n.  44  Abb.  Venturi  I  Fig.  390.  —  Verzierter  Rahmen. 

a)  thronender  Konsul  hebt  die  Mappa;  der  Thron  und  sein  hoher  Schemel  stehen 
auf  einer  wie  freischwebend  gezeichneten  Fußplatte;  im  Hintergrund  tragen  zwei 
auf  dem  unteren  Rahmen  stehende,  daher  überhohe  Pfeiler  einen  Bogen;  in  den 
Zwickeln  je  ein  Adler  auf  Basis;  im  Bogenrund  eine  freischwebende  kleine  Muschel. 

b)  der  die  Mappa  hebende  Konsul  steht  auf  hohem  zweistufigem  Bema  zwischen 
den  Pfeilern.  Der  stehende  Konsul  trägt  die  geistliche  Tonsur;  am  Gebälk  über 
ihm  steht  Sanctus  Gregorius,  an  dem  über  dem  thronenden  steht  David  rex.  Auf 
den  Bögen  steht  je  ein  Kreuz.  Die  meisten  Flächen  bedeckt  flachgeschnittenes 
mittelalterliches  Ornament.  Pulszky,  Meyer,  Bloch,  Venturi  erklären  das  Werk 
für  mittelalterliche  Nachahmung  eines  Konsulardiptychons,  Gori,  Graeven  und 
Molinier  erkennen  ein  echtes  Konsulardiptichon,  das  später  umgearbeitet  wurde, 
nach  Graeven  von  langobardischen  Künstlern.  Der  Konsul  trägt  die  Toga  im 
Schema  C  wie  428  Felix  und  449  Asturius,  dazu  paßt  auch  der  Rahmen.  Aber 
der  Bogen  mit  den  Adlern  wiederholt    den  Typus    des  Diptychons    von  Bourges, 


Elfenbein  und  Knochen.  237 

die  Anordnung  von  Thron  und  Bema  ist  der  von  517  Anastasius  und  518  Magnus 
verwandt. 

Sodann  die  Beamtendiptychen;  darunter  werden  Diptychen  verstanden,  welche 
von  Beamten  verschenkt  wurden,  die  nicht  Konsuln  waren.1) 

Rufus  Probianus  (vicarius  urbis  Romae).  In  Berlin.  Meyer  n.  44  Taf.  2.  Graeven, 
Rom.  Mitteil.  1892,  215;  Gott.  gel.  Anz.  1897,  75.  Mol.  n.  50  Taf.  4  [Abb.  64].  — 
Giebelförmiger  Abschluß;  verzierter  Rahmen,  ein  besonderer  um  das  Sockelbild, 
obwohl  seine  Szene  mit  der  oberen  im  selben  Räume  spielt,  a)  In  einer  perspek- 
tivisch gezeichneten  Pfeilerhalle  mit  Velenverschluß  sitzt  Probianus  in  nicht  ge- 
stickter toga  contabulata  auf  zweistufigem  Bema  (das  in  verkehrter  Perspektive  ge- 
zeichnet ist,  vgl.  Oskar  Wulff,  Kunstwiss.  Beitr.  für  Schmarsow  1907,  1  und  Fried- 
länder, Repertor.  1908,  273),  die  Linke  auf  ein  geschlossenes  Buch  gestützt,  die 
Rechte  sprechend  gehoben.  Links  steht  die  Kaisertafel,  vorn  zu  beiden  Seiten 
je  ein  Ofnzial  in  Tunika  und  Paenula,  der  in  einen  Codex  schreibt.  Im  Sockel- 
bild stehen  zwei  Togati,  die  Blick  und  Hand  zum  Vikar  heben.  Zwischen  ihnen 
steht  auf  niedrigem  Dreifuß  das  Amtstintenfaß  mit  Schreibrohr  darin  (zum  Amts- 
tintenfaß vgl.  Graeven,  Gott.  gel.  Anz.  352,  5,  auch  den  Dreifuß  in  Pilatus'  Hände- 
waschung [Abb.  35]).  b)  wie  vor,  doch  tragen  alle  Beteiligte  die  Chlamys,  der 
Vikar  trägt  in  eine  offene  Rolle  die  ihm  zuteil  werdende  Begrüßung  Probleme 
floreas  ein.  —  Das  Diptychon  gehört  zu  den  besten,  Graeven  setzt  es  in  die  Glanz- 
zeit dieser  Kunst  zu  Ende  des  vierten  und  eingangs  des  fünften  Jahrhunderts. 

In  Wien.  Gori  II  182  Taf.  3.  Meyer  n.  54.  Mol.  n.  53.  R.  v.  Schneider,  Album  1895 
Taf.  49.  Strzygowski,  Bull.  Soc.  arch.  d'Alexandrie  V  1902,  48  Abb.  34.  35.  — 
Die  Tafeln  schließen  giebelförmig.  a)  unter  gegiebeltem  Naisk  steht  Roma,  b)  ebenso 
Konstantinopolis,  (Strzygowski:  Alexandria).     Rings  Eierstab. 

In  Novara.  Gori  II  200  Taf.  4.  Meyer  n.  48.  Mol.  n.  54.  Venturi  I  Fig.  331.  a)  ähn- 
lich b)  Mann  in  Chlamys  steht  auf  Schwelle  eines  flachüberkuppelten  Baues.  Auf 
den  Innenseiten  sekundäre  Bischofslisten. 

In  Liverpool.  Meyer  n.  41.  Mol.  n.  51.  Venturi  I  Fig.  335.  —  Verzierter  Rahmen. 
Oben  in  Loge  drei  Beamte  in  Toga  contabulata,  der  rechts  hält  die  Mappa,  der 
mittlere  eine  Schale.  Die  zwei  unteren  Drittel  der  Tafel  nimmt  der  Zirkus  ein: 
Kampf  mit  Elentieren. 

In  Petersburg.     Mol.  n.  52.  —  Rings  Perlstab,     a)  ähnlich  b)  Tierkämpfe. 

fEine  Klasse  Diptychen  stammt  nicht  von  Beamten,  sondern  von  Privaten  her. 
sie  mögen  bei  irgend  welchen  Anlässen  privater  Natur  verschenkt  worden  sein.  Die 
meisten  entnehmen  ihre  Motive  dem  Typenschatz  der  klassisch-griechischen  Kunst,  wenn 
auch  vielleicht  in  deren  hellenistischen  Ausläufern.2) 

In  Paris,  Cluny  (a)  und  in  London,  South  Kensington  (b).  Meyer  n.  53.  Mol.  n.  58. 
Venturi  I  Fig.  354.  355.  —  Im  Rähmchen  das  Palmettenband  wie  am  Beamten- 
diptychon des  Probianus.  Über  a)  steht  Nicomachorum,  über  b)  Symmachorum. 
a)  eine  Frau   steht  rechtshin    und    hält  zwei  brennende  Fackeln    schräg  abwärts, 


*)  Beamtendiptychen:  Meyer  34.  Molinier  7. 

2)  Diptychen  von  Privaten:    Meyer  41.  Molinier  11. 


238  Bildwerke  aus  besonderen  Materialien. 

vielleicht  indem  sie  die  eine  an  der  andern  entzündet;  dahinter  brennender  runder 
Altar  unter  Pinie,  daran  zwei  Kymbala  hängen,  b)  Eine  Frau  steht  linkshin,  in 
der  Linken  eine  Dose,  aus  der  sie  Räucherwerk  entnimmt,  um  es  in  die  Flamme 
des  schräg  ins  Bild  gestellten  viereckigen  Altars  zu  werfen;  dahinter  Knabe  mit 
Kanne  und  Schale,  und  Laubbaum.  —  Das  Diptychon  bezieht  sich  auf  eine  Heirat 
zwischen  Mitgliedern  der  zwei  genannten  Familien;  solche  fanden  nach  Seeck 
zwischen  392  und  394,  sowie  401  statt  (Mon.  Germ,  hist.,  auct.  antiquiss.  VI 
pag.  LIX);  Haseloff  zieht  den  ersteren  Fall  vor,  weil  damals  ein  Sohn  des  Virius 
Flavianus  Nicomachus  heiratete,  der  den  heidnischen  Kult  für  kurze  Zeit  neu- 
belebte (Jahrb.  d.  preuß.  Kunstsamml.  1903,  55). 

In  Monza.  Gori  I  Taf.  7.  Meyer  n.  47.  Jullian,  M£l.  d'archeol.  de  Pe'cole  fr.  de 
Ron  I  5.  Mol.  n.  1  Tat.  1.  Graeven,  Gott.  gel.  Anz.  1897,  354.  —  a)  Bärtiger 
steht  frontal  auf  rechtem  Standfuß  in  Tunika,  um  die  ein  Schwert  gegürtet  ist, 
und  Chlamys,  die  Linke  liegt  auf  dem  abgesetzten  Schild,  die  Rechte  stützt  sich 
auf  die  Lanze.  In  einem  Medaillon  auf  dem  geschuppten  Schild  die  Brustbilder 
seines  Sohnes  und  seiner  Gattin;  dieselben  Bilder  sind  in  die  Ornamentfelder  der 
Tunika  und  der  Chlamys  gesetzt.  Im  Hintergrund  ein  trapezförmiger  Giebel, 
getragen  von  zwei  Säulen  mit  verkröpf tem  Gebälk;  dahinter  erheben  sich  noch 
zwei  Spiralsäulen,  b)  vor  ebensolcher  Architektur  steht  die  Gattin  und  der  Sohn, 
letzterer  in  Chlamys.  —  Jullian  und  Molinier  erkennen  in  den  drei  Personen  den 
Stilicho  mit  seiner  Gattin  Serena  und  seinem  Sohn  Eucherius.  Graeven  sprach 
sich  hiergegen  aus. 

In  Brescia.  Meyer  n.  57.  Mol.  n.  59  Abb.  Venturi  I  Fig.  356.  —  Die  Architektur 
sonst  im  Typ  des  Diptychons  von  Bourges,  nur  schließt  die  Tafel  mit  dem  Bogen 
ab,  so  daß  die  Adler  entfallen.  Zwischen  den  Spiralsäulen  steht  je  ein  mythisches 
Paar,  a)  erklärt  als  Hippolytos  und  Phaedra,  b)  als  Virbius  und  Diana  oder 
Endymion  und  Selene. 

In  Liverpool.  Meyer  n.  55.  Wieseler,  Denkmäler  II  Taf.  61.  Mol.  n.  61.  Bau- 
meister, Denkmäler  1 139.  Graeven,  Gott.  gel.  Anz.  1897,  351.  Venturi  I  Fig.  357.  — 
a)  Asklepios,  b)  Hygieia.  —  Graeven  setzt  die  Arbeit  in  das  vierte  Jahrhundert. 

In  Monza.  Meyer  n.  51.  Mol.  n.  63  Abb.  Venturi  I  Fig.  358.  —  Im  Hintergrund 
antike  Barockarchitektur,  unter  anderem  Muschel  unter  Bogen;  davor  in  a)  Muse 
eine  Kithara  spielend,  in  b)  ein  sitzender  Kahlkopf  mit  Rolle,  am  Boden  offene 
Rolle  und  Diptychon. 

In  Sens.  Meyer  n.  56.  Mol.  n.  64  Abb.  —  Gravierte  Pflanzenbordüre,  a)  Sonnen- 
aufgang, b)  Mondaufgang,  mit  Bacchus  als  Sol,  Diana  als  Luna. 

In  Rom.  Bull.  mun.  1874,  101.  Meyer  n.  45.  Mol.  11,  2.  —  Bildlos,  doch  mit  In- 
schrift Gallieni  Goncessi   VC.1) 

Bei  einigen  Tafeln  kann  man  zweifeln,  wie  man  sie  rubrizieren  solle.    So  bei  der 
„Apotheose  des  Romulus",    wie  eine  Tafel  genannt  wird,  die,  früher  in  Florenz,  jetzt 


x)  Die  Tafel  in  Triest  (Pervanoglou,  Archäol.  Zeit.  VIII  1876  Taf.  12  Mol.  n.  60),  im 
oberen  Feld  sich  umarmende  Dioskuren,  im  unteren  Europa  den  Stier  küssend,  sowie  das  Dipty- 
chon im  Louvre  (Meyer  n.  52.  Mol.  n.  63),  auf  jeder  Tafel  in  drei  Feldern  ebensoviele  Schrift- 
steller, jeder  von  einer  Muse  begleitet,  hat  Graeven,  Gott.  gel.  Anz.  1897,  350  aus  der  Eeihe  der 
Diptychen  ausgeschieden. 


Elfenbein  und  Knochen.  239 

in  London  im  Brit.  Mus.  ist,  Meyer  n.  40.  Molinier  n.  40  Abb.  Graeven,  Gott.  gel. 
Anz.  1897,  351.  355.  Venturi  I  Fig.  359.  —  Rings  Perlstab.  Apotheose  eines  Kaisers : 
auf  einem  von  vier  Elefanten  gezogenen  Wagen  sitzt  unter  einem  tempelformigen 
Baldachin  der  Verstorbene;  gleichzeitig  fährt  er  in  kleinerer  Gestalt,  nackt,  auf  einem 
Viergespann  empor  von  dem  im  Mittelgrund  errichteten  verhängten  Scheiterhaufen, 
von  dem  auch  zwei  Adler  auffliegen;  oben  wird  er,  bekleidet,  von  zwei  mit  Kopf-  und 
Schulterflügeln  versehenen  nackten  Genien,  der  rechts  ist  bärtig  (also  Schlaf  und  Tod?) 
zu  den  Göttern  und  Göttinnen  getragen;  den  Himmel  bezeichnet  ein  Stück  Tierkreis 
und  der  Kopf  des  Sol.  —  Graeven  setzt  die  Tafel  in  den  Anfang  des  vierten  Jahr- 
hunderts, der  bärtige  Kaiserkopf  müsse  sich  deuten  lassen. 

In  Bologna.  Meyer  n.  49.  Mol.  n.  55.  Venturi  I  Fig.  391.  Stuhlfauth  Taf.  3,  1. 
Graeven,  Frühchristi.  Elfenb.  II  n.  1.  —  Giebelförmiger  Abschluß.  Rings  Eier- 
stab nach  guter  Zeichnung.  Auf  einer  in  verkehrter  Perspektive  gezeichneter 
Basis  steht  ein  Bärtiger  rechtshin,  in  Sandalen,  Chiton  und  Himation,  mit  Rolle, 
den  Kopf  vorgeneigt.     Oben  Clipeus  mit  frontaler  Büste. 

Aus  Trier,  in  Berlin.  Meyer  n.  43.  Mol.  n.  56.  —  Unter  Giebel  Muse,  dabei  Erot 
mit  Palme  und  mit  Büste  auf  Basis. 

In  Wien.  Meyer  n.  50.  Mol.  n.  57,  1.  Rob.  v.  Schneider,  Album,  Wien  1895 
Taf.  50.  Venturi  I  Fig.  340.  Graeven,  Gott.  gel.  Anzeigen  1897,  355;  Arch. 
Jahrb.  1898,  84.  —  Das  Konchamotiv  ist  zu  einer  Art  Kuppelbau  entwickelt,  in 
den  Zwickeln  je  ein  Adler;  Architektur  reich,  am  Kuppelkranz  und  den  Kapitell- 
deckplatten Perlstab.  In  der  geöffneten  Portiere  thront  frontal  eine  Fürstin  in 
reichem  Kopfschmuck,  doppeltem  Kleid  und  perlenumsäumter  Chlamys  mit  großem 
Einsatz,  auf  der  Linken  den  Globus  mit  Kreuz,  die  Rechte  wie  spendend  ge- 
öffnet. 

In  Florenz,  Bargello.  Meyer  n.  50.  Mol.  n.  57,  1  Taf.  5,  3.  Venturi  I  Fig.  341. 
[Abb.  72].  Aus  derselben  Werkstätte  und  von  derselben  Hand  wie  das  vorige 
Stück,  aber  von  einem  andern  Diptychon.  —  Die  Adlerschnäbel  halten  eine  Gir- 
lande, an  den  Kapitellen  fehlt  der  Perlstab.  Die  Fürstin  steht  mit  Zepter  und 
Globus.  —  Graeven  erklärt  die  Fürstin  für  Amalasvintha,  Regentin  für  Atha- 
narich  526—534;  das  Diptychon  (er  betrachtet,  wie  alle  Gelehrten  vor  Schneider, 
die  zwei  Tafeln  für  zusammengehörig)  sei  bald  nach  526  gemacht  vor  dem  Kon- 
sulardiptychon  des  Orestes  530,  jedenfalls  sei  es  besser,  oder  vielleicht  Gabe  des 
Orestes  an  die  Königin. 

Diptychen  fanden  auch  im  christlichen  Kultus  Verwendung.  In  solchen  führte 
man  Verzeichnisse  von  Personen,  verstorbener  und  lebender,  deren  man  Anlaß  hatte 
beim  Gottesdienst  zu  gedenken;  ihre  Namen  wurden  bei  der  Messe  verlesen.  Es  konnten 
Wohltäter  der  betreffenden  Kirche  sein,  oder  ihre  Bischöfe,  und  ähnliches  mehr;  in 
erhaltenen  Exemplaren  finden  sich  z.  B.  Bischofslisten  eingetragen,  auch  wohl  Abschnitte 
des  Rituals.  Zunächst  werden  gewöhnliche  Diptychen  genügt  haben,  wie  sie  jedermann 
in  Gebrauch  hatte.  Doch  zeigen  auch  Elfenbeindiptychen  von  Konsuln  und  andern 
Beamten  derlei  Eintragungen ;  ansprechend  ist  vermutet  worden,  diese  kostbaren  Diptychen 
habe  der  antretende  Beamte  gelegentlich  auch  an  Bischöfe  geschenkt,  die  sie  dann  ihrer 
Kirche  ließen.     Sie  konnten  übrigens  auch  aus  den  Händen  anderer  Empfänger  oder 


240  Bildwerke  aus  besonderen  Materialien. 

ihrer  Erben  durch  Schenkung,  Vermächtnis  oder  Kauf  zum  selben  Ziele  gelangen. 
Nun  aber  trugen,  wie  wir  sahen,  die  Konsular-  und  Beamtendiptychen,  erst  recht  die 
privaten,  mehr  oder  minder  heidnischen  Bilderschmuck  zur  Schau;  so  ist  es  begreiflich, 
daß  man  mit  der  Zeit  dazu  überging,  für  den  kirchlichen  Gebrauch  eigene  Diptychen 
herstellen  zu  lassen  mit  Bildern  christlichen  Inhalts,  wie  man  eben  das  Christen- 
tum damals  verstand.  Für  die  ganze  Anordnung  und  die  Ornamentik  legte  der  Künstler 
zunächst  natürlich  die  „profanen"  Diptychen  zugrunde,  die  benötigten  Figuren  und 
Sinnbilder  fand  er  in  der  bereits  bestehenden  christlichen  Skulptur  und  Malerei.  Viktor 
Schultze  hat  angemerkt,  daß  die  kirchlichen  Diptychen  in  den  Einzelfiguren  sich  denen 
der  Konsuln  anschließen,  in  den  Szenen  mehr  denen  der  Privaten;  doch  gilt  das  nicht 
allgemein.  Wir  geben  zunächst  ein  paar  Tafeln  mit  Einzelfiguren,  dann  solche  mit 
Szenen.1) 

In  Rouen.  Linas,  Gaz.  archeol.  1886,  25  Taf.  4.  Mol.  53  Abb.  Graeven,  Gott.  gel. 
Anz.  1897,  71.  —  Dient  als  Einband  einer  Bischofsliste,  war  ursprünglich  vielleicht 
ein  Diptychon  mit  solcher  Liste.  Rings  Eierstab.  Auf  Pfeilern  Steilgiebel,  darin 
Muschel,  auf  den  Giebelschrägen  (statt  der  Adler)  je  eine  umblickende  Taube. 
In  a)  steht  Paulus  rechtshin;  sein  Schema  im  Sarkophagrelief  Lat.  n.  174  [Abb.  19]. 
der  Typus  in  Sarc.  Gaule  Taf.  11,  1.  12,  4  (G  342.  332,  1).  In  b)  steht  Petrus 
etwas  halblinks;  sein  Typ  in  Sarc.  Gaule  Taf.  11,  1  im  zweiten  Feld  von  rechts. 
Die  Apostel  sind  nimbiert.  —  Die  Anordnung  der  Tafeln  ist  den  Konsulardipty- 
chen  entlehnt,  die  Typik  der  Apostel  der  Sarkophagskulptur.  Graeven  setzt  das 
Diptychon  um  400  an. 

In  London,  Brit.  Mus.  Garr.  457,  1.  Mol.  60  Taf.  5,  1.  Venturi  I  Fig.  396.  Strzy- 
gowski,  Journ.  hell.  1907,  117  [Abb.  69].  —  Oben  auf  Täfelchen  steht  f  Jä%ov 
rcaqovTa  xal  (.tad-cov  rfv  ahiav  (die  Ergänzung  stand  auf  der  andern  Tafel).  Zwei 
Säulen  tragen  einen  verzierten  Bogen,  darin  steht  eine  Muschel  und  vor  ihr,  in 
Kranz,  ein  Kreuz  auf  Kugel;  in  den  Bogenzwickeln  Rosetten  in  Akanthuswerk. 
Aus  der  Koncha  führen  sechs  zu  niedrige  Stufen  herab,  die  vorn  von  zwei  Pilasterchen 
wie  von  Wangen  eingefaßt  sind  (Treppen  und  Pilasterchen  sind  aus  Motiven  der 
Konsulardiptychen  entwickelt,  vgl.  den  Sanctus  Gregorius  und  518  Magnus).  Auf 
der  Treppe  steht  ein  geflügelter  Engel  (jeder  Fuß  bedeckt  gleich  drei  Stufen)  in 
Poderes  und  Himation,  das  die  rechte  Schulter  umschließt  (vgl.  die  Toga  picta 
Schema  C  des  füuften  Jahrhunderts);  die  Linke  stützt  sich  auf  einen  Stab,  die 
Rechte  trägt  den  Globus  mit  dem  Kreuz. 

Früher  bei  Denon,  zuletzt  bei  Carrand,  jetzt  in  Florenz,  Bargello.  G.  451,  3.  452,  3. 
Mol.  57  Abb.  und  Taf.  5,  2.  Venturi  I  Fig.  385.  Graeven,  Gott.  gel.  Anz.  1897, 
67.  —  a)  Adam  im  irdischen  Paradies  sitzt  zwischen  Bäumen  und  vielerlei  Tieren, 
b)  Paulus  auf  Malta  (Ap.  Gesch.  28)  in  drei  Szenen  übereinander;  in  der  Mittel- 
szene lehnt  sich  seine  Figur  an  den  Typus  im  Diptychon  von  Rouen.  —  Graeven 
setzt  das  Diptychon  in  das  vierte  Jahrhundert. 

In  Mailand,  Trivulzi.  G  449,  2.  Mol.  63  Taf.  6.  Graeven,  Gott.  gel.  Anz.  1897,  69,  2. 
72  [Abb.  65].  —  Eingeteilt  in  zwei  Felder,  jedes  eingerahmt  von  verziertem  les- 
bischem  Kyma,  nur  ist  am  oberen  Feld  der  untere  Rahmen  wie  öfter  glatt  ge- 
lassen.    In    eigentümlicher  Weise    geht    dieselbe    Darstellung    durch   beide  Felder. 

*)  V.  Schultze,  Archäologie  273. 


Elfenbein  und  Knochen.  241 

Unten  sitzt  der  ungeflügelte  nimbierte  Engel  auf  einem  Stein  vor  der.  halboffnen 
Tür  des  Christusgrabes,  vor  ihm  lebhaft  erregt  die  zwei  Frauen;  das  Grab  er- 
scheint als  ein  Quaderbau  mit  zwei  Lichtschlitzen  und  Flügeltür  mit  Jesusszenen  in 
den  Füllungen,  umrahmt  von  breitem  Palmetten-  und  Lotusband.  Oben  erhebt  sich 
ein  tambourförmiger  Aufsatz  des  Mausoleums  (Graeven  73,  3  vergleicht  die  Moles 
Hadriani  und  die  Mausoleen  bei  Canina,  Edifizi  di  Roma  IV  Taf.  284  =  Bau- 
meister, Denkm.  I  Taf.  11)  mit  Rundbogenfenstern  und  Zeltdach  mit  krönender 
Pigna;  Efeu  rankt  daran  herauf.  Wie  von  einer  furchtbaren  Erscheinung  erschreckt 
sind  zwei  Wächter  mit  Militärmützen  (vgl.  die  Moses-Petrusbilder  der  Sarkophage) 
in  die  Knie  gestürzt,  und  zwar  anscheinend  auf  der  Plattform  des  kubischen 
Unterbaues.  Oben  über  Wolken  die  geflügelten  Symbole  des  Lukas  und  Matthäus. 
Graeven  setzt  die  Tafel  um  400  an.  —  Man  vergleiche  damit  die  früher  in  Bam- 
berg, jetzt  in  München  befindliche  Tafel  G  459,  4.  Stuhlfauth,  Engel  138  Abb- 
Molinier  65.  Graeven,  Gott.  gel.  Anz.  1897,  69,  2  (Ende  des  vierten  Jahrhunderts). 
Das  Grab  besteht  hier  klar  aus  kubischem  Unterbau  mit  aufsitzendem  Tambour, 
der  hier  sichtbar  überkuppelt  ist;  am  Unterbau,  größer  als  er,  stehen  zwei  Wächter, 
mit  Kopf  und  Armen  darauf  ruhend;  hinten  ein  Baum,  vorn  links  sitzt  der  un- 
geflügelte Engel,  von  rechts  kommen  drei  Frauen.  Über  ihnen  „der  Berg"  mit 
der  Himmelfahrt  des  Christus,  dargestellt  als  ein  Hinansteigen,  die  Hand  aus 
Wolken  ergreift  die  des  Steigenden;  am  Abhang  zwei  wie  betäubt  hinstürzende 
Jünger,  in  der  Auffassung  verwandt  den  Wächtern  der  Tafel  Trivulzi. 

In  Mailand,  Dom.  G  450.  Graeven,  Gott  gel.  Anz.  1897,  75.  77.  —  Rings  ein  ver- 
ziertes Silberrähmchen;  im  Elfenbein  läuft  rings  eine  Reihe  aufrechter  Blätter.  Je 
vier  Passionsszenen,  a)  Fuß  waschen;  Hände  waschen  des  Pilatus  (hier  ist  das 
Waschen  in  einer  Schüssel  wirklich  dargestellt)  und  Abführen  des  Christus;  Judas' 
Ende;  die  Wächter  um  das  Grab  (Rotunde  mit  Tambour),  b)  Der  Engel  und  die 
zwei  Frauen  am  Grab;  der  Auferstandene  und  die  zwei  Frauen  im  Garten;  der 
Auferstandene  auf  dem  Berg  und  die  Elf;  der  ungläubige  Thomas.  —  Nach  Graeven 
aus  dem  fünften  Jahrhundert. 

In  Berlin  n.  2.  3.  G  451,  1.  2.  Beschr.  d.  ehr.  Elfenbeinwerke  Berlin  1902  Taf.  2. 
Graeven,  Jahrb.  d.  preuß.  Kunstsamml.  1898,  83.  Venturi  I  Fig.  383.  384.  — 
Unten  ein  C,  das  als  Rest  vom  Monogramm  des  Bischof  Maximian  von  Ravenna 
erklärt  wird,  a)  Vor  Koncha  (in  den  Zwickeln  Sol  und  Luna)  sitzt  auf  einer  Art 
Sella  curulis  der  langbärtig,  langhaarige  Christus,  die  Linke  auf  das  Buch  gestützt, 
die  Rechte  „griechisch  segnend"  (Daumen  und  vierter  Finger  berühren  sich);  hinter 
ihm  Petrus  und  Paulus,  b)  vor  gleichem  Bau  und  auf  gleichem  Stuhl  thront  (den 
Kaiserinnen  der  Konsul ardiptychen  nachgeschaffen)  Maria  mit  dem  Kind  auf  dem 
Schoß,  beide  frontal;  hinter  ihnen  zwei  Engel,  der  eine  mit  umkreuztem  Globus 
(vgl.  Stuhlfauth,  Die  Engel  205).  —  Maximian  lebte  um  550. 

In  Tongern  (a),  (b)  früher  bei  Spitzer,  jetzt  in  Brüssel.  Mol.  54  Abb.  Graeven,  Bonner 
Jahrb.  1900,  152.  Rings  Weinranke  mit  Trauben.  Vor  Koncha  steht  frontal  in 
a)  der  langbärtige  Paulus,  griechisch  segnend,  in  b)  der  kurzbärtige  Petrus,  beide 
mit  weitoffnen  Augen.  —  Um  550. 

In  England,  früher  bei  Bateman,  jetzt  bei  Clean.  (Aus  S.  Maximin  bei  Trier,  nicht 
aus  Luxemburg).  G  452,  1.  2.  Mol.  78,  1.  Graeven,  Bonner  Jahrb.  1900,  153  f.  — 
a)  ähnlich    b)  vor  drei  Säulen   zwei   Evangelisten;  in  Kopfbildern  a)  Heilung  des 

Sybel,  Christliche  Antike  II.  16 


242  Bildwerke  aus  besonderen  Materialien. 

Gichtbrüchigen,  b)  Jesus  und  die  Samariterin;  jedesmal  trägt  Jesus  ein  langes 
Kreuz.  —  Um  550. 

In  Rom,  Stroganoff.  Venturi  I  Fig.  393.  Graeven,  Frühchr.  Elfenb.  II  n.  66  (sechstes 
Jahrhundert).  —  Zwei  Pfeiler  tragen  eine  muschelförmige  Kuppel.  Der  auf  niedrigen 
Stufen  stehende  Petrus  faßt  mit  der  Rechten  ein  hohes  Kreuz  an,  das  auf  dem  Vier- 
stromberg steht  (abgeleitet  vom  Christus  auf  dem  Vierstromberg  mit  hohem  Kreuz, 
das  Paulus  anfaßt;  der  Typus  begegnete  uns  an  Sarkophagen). 

In  Cremona.  G  453,  2.  3.  Mol.  78,  2.  Unter  Koncha  steht  in  a)  der  heilige  Akakios, 
in  b)  der  heilige  Theodoros,  jeder  in  Chlamys  und  als  Orans.  Die  Muschel  schwebt 
klein  unter  dem  Bogen.  Über  diesen  Brustbilder,  in  a)  der  Christus  zwischen  zwei 
Heiligen,  in  b)  Maria  zwischen  zwei  Engeln.  Rings  spätes  Blattornament.  —  Wird 
ins  siebente  bis  achte  Jahrhundert  gesetzt. 

Diptychen  mit  fünfteiligen  Tafeln.  Aus  den  erhaltenen  Inschriften  geht 
hervor,  daß  sie  anfangs  Geschenke  des  Konsuls  an  Kaiser  oder  Kaiserin  waren, 
daher  auch  ihr  Typus  aus  den  einfachen  Konsulartafeln  entwickelt  ist.  Die  fünf 
Teile  sind  (mit  ihren  mutmaßlichen  Darstellungen):  ein  Mittelstück  mit  dem  Kaiser 
oder  der  Kaiserin,  stehend  oder  thronend;  zwei  Seitenstücke  mit  dem  huldigenden 
Konsul,  vielleicht  einmal  in  Toga,  einmal  in  Chlamys ;  ein  Kopfstück  mit  zwei  schwebenden 
Viktorien  [vgl.  Abb.  1],  die  einen  Clipeus  halten  mit  dem  Brustbild  des  Kaisers  oder 
der  Kaiserin,  in  den  oberen  Ecken  Sol  und  Luna  als  Büsten;  endlich  ein  Sockelstück 
mit  gefesselten  oder  tributbringenden  Barbaren.  Natürlich  banden  sich  die  Künstler 
bei  den  fünfteiligen  Tafeln  ebenso  wenig  an  ein  feststehendes  Schema  wie  bei  den 
einfachen.1) 

In  Paris,  Louvre  (früher  in  Rom,  Bibl.  Barberini).  Gori  II  168  Taf.  1.  Meyer  n.  58. 
Mol.  10.  Strzygowski  in  Materialien  z.  Archäol.  Rußlands  1892  Taf.  4;  Helle- 
nistische und  koptische  Kunst  in  Alexandrien  21  Abb.  17;  Kleinasien  137.  183. 
Graeven,  Gott.  gel.  Anz.  1897,  55;  Archäol.  Jahrb.  1900,211.  Venturi  I  Fig.  360. 
Strong,  Roman  Sculpture  Taf.  105.  [Abb.  75].  —  Mittelstück:  Kaiser  zu  Pferd 
stößt  die  Lanze  nach  unten,  links  flehender  Barbar,  rechts  unten  Gaea,  oben  bringt 
auf  umkreuzter  Weltkugel  schwebende  Viktorie  dem  Kaiser  den  Kranz.  Linkes 
Seitenstück:  Krieger  halbrechtshin  bringt  dem  Kaiser  eine  kleine  Viktorie  auf 
Plinthe.  Rechtes  Seitenstück  fehlt.  Kopfstück:  im  Clipeus  Brustbild  des  griechisch 
segnenden  Christus  mit  Stabkreuz,  um  ihn  Sonne,  Mond  und  Stern  (Sol  und  Luna 
fehlen).  Sockelstück:  Barbaren  bringen  Tribut.  Abwechselnd  auf  Konstantius, 
auf  Justinian,  auf  Konstantin  bezogen  wurde  das  Werk  von  Graeven  dem  vierten 
Jahrhundert  zugeschrieben;  ich  vermag  ihm  und  Strzygowski  hierin  nicht  zu  folgen. 

In  München.  Nur  das  rechte  Seitenstück  (die  im  jetzigen  Einband  links  anschließende 
Tafel  —  vgl.  Strzygowski,  Bull.  Soc.  arch.  d'Alexandrie  V  1902,  8  Abb.  2  — 
konnte  nicht  wohl  das  Gegenstück  bilden).  Meyer  n.  61  Taf.  3.  —  Rings  auf- 
rechte Blätter.     Der  Konsul    in  gestickter  Toga  bringt    halblinkshin   (dem  Kaiser 


*)  Meyer  49.  Strzygowski,  Byzantin.  Denkm.  I  Das  Etschmiadzin-Evangeliar  1891,  28.  Moli- 
nier  38  (auch  73)  n.  46—49.  Viktor  Schultze,  Archäologie  273.  Graeven,  Gott.  gel.  Anz.  1897,  352 . 
Oskar  Wulff,  Deutsche  Lit.-Zeitung  1906,  1468. 


Elfenbein  und  Knochen.  243 

im  verlorenen  Mittelstück)  auf  einem  Gewandteil  eine  Rolle?  Hinter  ihm  ein 
Protektor  (kaiserlicher  Leibwächter)  mit  Speer  und  Schild. 

In  Bologna.  Nur  das  linke  Seitenstück,  oben  gekürzt.  G  448,  9.  Graeven,  Gott.  gel. 
Anz.  1897,  60.  Rahmen  mit  fast  nur  graviertem  spätem  Blattornament.  Konsul 
fast  genau  frontal,  in  Chlamys  mit  sehr  großem  Einsatz;  hinter  seinem  Kopf  Rest 
vom  Schilde  des  Protektors  (vgl.  das  vorige  Stück).  Früher  hielt  man  den  Schild 
für  einen  Kreuznimbus  und  den  Mann  in  Chlamys  für  den  heiligen  Ovinius 
Gallicanus. 

In  Mailand,  Trivulzi.  Nur  Kopf  und  Sockelstück  der  zweiten  Tafel.  Meyer  n.  59 
Taf.  1.  2.  Mol.  n.  46.  47.  —  Kopfstück:  die  Viktorien  halten  einen  Kranz,  darin 
Brustbild  der  Konstantinopolis;  statt  Sol  und  Luna  zwei  Rosetten;  die  untere  Rand- 
leiste trägt,  als  Tabula  ansata  gestaltet,  die  Worte  -f-  ac  triumphatori  -\-  perpetuo 
semper  augusto.   Sockelstück:  Barbaren  bringen  Tribut,  dazu  die  Titel  des  Konsuls. 

In  Basel.  Nur  das  Kopfstück,  de  Rossi.  Bull,  crist.  1878  Taf.  1,  3.  Meyer  n.  60 
Mol.  n.  48.  —  Wie  das  vorige  Kopfstück,  mit  der  Inschrift  perpetuae  semper  -f- 
augustae. 

Das  Diptychon  mit  fünfteiligen  Tafeln  ging  ebenso  in  kirchliche  Verwendung 
über,  wie  das  mit  einfachen.  Wurden  solche  eigens  hergestellt,  so  trat  an  die  Stelle 
des  Kaisers  der  Christus,  in  enger  Anlehnung  an  die  Typik  der  stehenden  und  thronenden 
Kaiser,  an  die  Stelle  der  Kaiserin  Maria  mit  dem  Kind;  die  in  den  Seitenstücken 
huldigenden  Konsuln  oder  Krieger  wurden  ersetzt  durch  analoge  Engel,  das  Tribut- 
bringen der  Barbaren  im  Sockelbild  durch  das  Gabenbringen  der  ja  auch  barbarischen 
Magier;  das  Kopfstück  endlich  wird  unverändert  übernommen,  die  Siegesgöttinnen 
heißen  nun  Engel  (in  der  christlichen  Kunst  dienen  sie  besonders  zur  Verkörperung 
der  Sieghaftigkeit  des  Christus),  das  Christusbild  mit  kreuzgekröntem  Zepter  sahen  wir 
schon  im  barberinischen  Exemplar  an  die  Stelle  des  Kaisermedaillons  treten. 

Im  Vatikan  (aus  Lorch).  Gori  III  Taf.  4.  G  457,  2.  —  Unter  dem  Rundbogen 
steht  auf  Löwe  und  Drache  (zu  den  Seiten  noch  Schlange  und  ein  unkenntliches 
Tier)  der  jugendlich  langlockige  Christus,  frontal,  mit  Buch.  In  jedem  Seitenstück 
naht  sich  gebückt  ein  geflügelter  nimbierter  Engel  mit  Stab  und  Rolle;  in  den 
Zwickeln  über  dem  Christus  je  ein  kleiner  Baum  (kommt  auch  an  Sarkophagen 
vor),  in  den  andern  je  eine  Rosette.  Im  Clipeus  des  Kopfstücks  ausgeschweiftes 
gleicharmiges  Kreuz  auf  Strahlensonne,  die  schwebenden  Engel  sind  nimbiert,  statt 
Sol  und  Luna  je  eine  Rosette.  Im  Sockelstück  die  Magier,  links  vor  Herodes, 
rechts  vor  dem  Christkind  (mit  Kreuznimbus)  auf  dem  Schoß  der  nimbierten 
Mutter;  im  Hintergrund  Architekturen. 

Weiter  entfernen  sich  die  für  kirchlichen  Bedarf  arbeitenden  Elfenbeinschnitzer 
vom  Schema  der  Konsulardiptychen,  wenn  sie  die  Seitenstücke  in  Felder  zerlegen, 
deren  jedes  ungefähr  quadratisch  ist  und  einen  eigenen  verzierten  Rahmen  besitzt;  ein 
ebensolcher  umgibt  auch  die  übrigen  drei  Teile,  so  daß  die  Anordnung  des  Ganzen 
sich  einer  Tür  mit  Rahmen  und  Füllungen  nähert.  Eine  erste  Gruppe  solcher 
fünfteiliger  Diptychen  scheint  noch  im  vierten  Jahrhundert  ihren  Ursprung  gehabt 
zu  haben. 

In  Mailand,  Dom.  G  454.  455.  Venturi  I  Fig.  388.  389.  Strzygowski,  Kleinasien  198 

16* 


244  Bildwerke  aus  besonderen  Materialien. 

Abb.  144.  —  Das  Mittelstück  bewahrt  die  Architektur  der  einfachen  Konsular- 
diptychen,  zwei  Pfeiler,  die  hier  einen  Architrav  mit  Sims  tragen;  b)  behielt  auch 
die  geöffnete  Portiere.  An  Stelle  des  Christus  bringt  a)  das  Lamm  Gottes  in 
einem  Früchtekranz  aus  Ähren,  Wein  und  Obst,  und  Oliven,  b)  eine  Crux  gemmata 
auf  dem  Vierstromberg,  Lamm  und  Kreuz  von  Silber  mit  eingelegten  Smalten  und 
Steinen.  In  den  Seitenstücken  folgen  sich  von  oben  nach  unten,  in  a)  links:  Ver- 
kündigung an  Quelle  (Protev.  Jac.  11),  Magier  den  Stern  erblickend,  Jesus'  Taufe; 
rechts:  einer  Frau  in  Modetracht  weist  ein  Engel  einen  Stern  über  einem  Tempel, 
Jesus  vor  einem  Schriftgelehrten,  Einzug  in  Jerusalem,  in  b)  links:  Heilung  der 
Blinden,  Gichtbrüchiger  (trägt  die  Kline  verkehrt),  Lazarus;  rechts:  dem  auf 
gestirntem  Globus  sitzenden  Herrn  bringen  zwei  Selige  ihre  Kränze  dar,  ein  Ge- 
lage von  vier  Personen  mit  Brot  und  Fisch,  drei  Personen  vor  dem  auf  gestirntem 
Globus  sitzenden  nimbierten  Herrn.  Kopfstück  a)  das  Christkind  in  der  Krippe 
mit  Joseph  und  Maria  zwischen  den  umkränzten  Symbolen  des  Matthäus  und 
Lukas,  b)  Magier  vor  Christkind  zwischen  den  Symbolen  des  Markus  und  Johannes. 
Sockelstücke:  a)  Kindermord,  b)  Weinzauber,  jedes  Bild  zwischen  zwei  bärtigen 
Brustbildern  in  Kranz. 
In  Berlin  (aus  Amiens).  Rechtes  Seitenstück.  Haseloff,  Jahrb.  der  preuß.  Kunst- 
samml.  1903,  47  mit  Tafel.  Strzygowski,  Kleinasien  198.  —  Eierstab  umschließt 
die  Felder,  Perlstab  läuft  unter  den  zwei  oberen  Feldern  und  lief  um  die  ganze 
Tafel.  Im  Mittelstück  wird  der  Christus  irgendwie  dargestellt  gewesen  sein,  im 
linken  Seitenstück  der  Anfang  der  Kindheitsgeschichte;  das  erhaltene  rechte  bringt 
Kindermord,  Taufe,  Weinzauber.  —  Der  Thron  des  Herodes  ist  schlicht  wie  der 
im  Kindermord  des  mailänder  Diptychons  und  wie  derjenige  Konstantins  in  der 
Largitio  an  seinem  Bogen  [Abb.  21].  Haseloff  setzt  die  Arbeit  in  das  ausgehende 
vierte  Jahrhundert. 

Es  wird  Sache  des  Korpus  der  Elfenbeinarbeiten  sein,  die  ursprüngliche  Be- 
stimmung der  vielfach  einzeln  oder  gepaart  vorkommenden  Tafeln  zu  ermitteln,  ob  es 
sich  um  einfache  Diptychen  oder  Tafeln  von  solchen  handelt,  oder  um  Stücke  von 
fünfteiligen  Diptychen,  oder  welche  tektonische  Aufgabe  sie  erfüllen  sollten,  z.  B.  die 
zwei  dreiteiligen  Tafeln  in  der  Kathedrale  von  Palermo,  Venturi  I  Fig.  382. 

Eine  zweite  Gruppe  kirchlicher  fünfteiliger  Diptychen  ist  jünger  als  die  vor- 
besprochene, hält  sich  aber  enger  an  die  großen  Konsulardiptychen.  Die  Seitenstücke 
sind  in  nur  zwei  Felder  zerlegt.  Der  Christus  und  die  Engel  tragen  häufig  das 
Stabkreuz  (kommt  schon  im  pariser  fünfteiligen  Diptychon  vor). 

In  Ravenna  (aus  Murano).  a)  Gori  III  Taf.  8.  G  456.  Venturi  I  Fig.  394.  Wulff, 
Deutsche  Lit.  Zeit.  1906,  1468.  b)  Graeven,  frühchristl.  Elfenb.  II  n.  64.  Strzy- 
gowski, Bull.  Soc.  arch.  d'Alexandrie  V  1902,  87  Abb.  63—66.  [Abb.  73].  — 
a)  Der  jugendliche  Christus  thront,  zwischen  den  stehenden  Apostelfürsten,  unter 
einer  von  zwei  Spiralsäulen  getragenen  muschelförmigen  Kuppel;  in  den  Zwickeln 
Kreuze.  In  einer  Predelle  die  Jünglinge  in  Flammen.  In  den  Seitenstücken  links 
Blindenheilung  und  Dämonischer,  rechts  Lazarus  und  Gichtbrüchiger  Typ  II; 
Jesus  überall  mit  Stabkreuz.  Im  Kopfstück  Kreuz  in  Kranz,  gehalten  von  den 
zwei  schwebenden  Engeln;  an  den  Enden  je  ein  stehender  Engel  mit  Stabkreuz 
und  umkreuzter  Kugel.     Im  Sockelstück  Jonas  aus  dem  Schiff  geworfen,  sodann 


Elfenbein  und  Knochen.  245 

unter  der  Laube  (aber  auf  dem  Ketos  ruhend).  Zu  beachten  ist  die  Zahnleiste 
über  der  Predelle,  die  Ranke  über  den  Seitenbildchen,  die  Punktreihe  über  den 
oberen  derselben,  die  fast  mittelalterlich  gezeichnete  Randleiste  der  ganzen  Tafel, 
b)  Nur  in  Teilen  erhalten:  das  Mittelstück  mit  der  unter  der  muscheltörmigen 
Kuppel  thronenden  Maria  mit  dem  Kind,  Engel  und  Magiern,  in  der  Predelle  die 
Geburt  mit  Salome,  bei  Crawford;  die  zwei  linken  Seitenfelder  mit  Verkündigung 
an  Anna  und  Heimsuchung,  bei  Botkin;  das  Sockelstück  mit  Verkündigung,  Fluch - 
wasser,  Flucht  nach  Ägypten,  bei  Stroganoff.  —  In  das  sechste  oder  siebente 
Jahrhundert  gesetzt. 

Eine  weiter  entartete  jüngere  Reihe  der  zweiten  Gruppe  scheint  späteren  Ursprungs. 
Zur  Typenkritik  und  Typengeschichte  vergleiche  man  die  nächstgenannte  Veröffent- 
lichung. 

In  Etschmiadzin.  Strzygowski,  Byz.  Denkm.  I  Das  Etschmiadzin-Evangeliar  1892, 
Tafel  1.  —  a)  Im  Mittelstücke  thront  der  jugendliche  Christus,  die  Linke  auf  das 
Buch  gestützt.  In  den  Seitenstücken  Szenen  aus  Jesus'  Leben.  Links  Heilung 
des  Wassersüchtigen,  Luk.  14,  2,  und  eine  unerklärte  Heilung,  rechts  Gichtbrüchiger 
und  die  Dämonischen,  Mt.  8,  28.  Kopfstück:  „Ordenskreuz"  in  gemmiertem  dickem 
Kranz,  die  Bandenden  sind  schematisch  eingerollt,  die  umblickenden  Engel  halten 
den  Kranz  noch  mit  beiden  Händen;  in  den  oberen  Ecken  Sol  und  Luna.  Sockel- 
stück: Einzug  in  Jerusalem  (Jesus  sitzt  seitwärts  auf  dem  Tier,  im  Tor  steht  die 
Stadtgöttin),  b)  Maria  thront,  das  Kind  auf  dem  Schoß,  hinter  ihr  zwei  Engel 
mit  Stäben.  In  den  Seitenstücken  Szenen  aus  Marias  Leben.  Links:  Verkündi- 
gung und  Fluch  wasser  (Protevang.  Jac.  16.  Hist.  de  nativ.  Mar.  12),  rechts  unten 
Ritt  nach  Bethlehem,  oben  Jesus'  Geburt.  Kopfstück  wie  a);  Sockelstück:  Hul- 
digung der  Magier  (der  erste  bärtig).  Ornamente:  schuppenartige  Blätter  an  den 
Säulen  bzw.  Stäben  um  das  Mittelstück,  Zahnleiste  und  hölzerner  Perlstab  über 
den  Nebenbildern.  —  Strzygowski  erklärte  das  Diptychon  für  etwas  älter  als  den 
Stuhl  des  Maximian  (um  550),  setzt  es  demnach  in  die  erste  Hälfte  des  Jahrhunderts. 

In  Paris,  Bibl.  nat.  n.  9384.  G  458,  1.  2.  [Abb.  76].  —  a)  Mittelstück:  Der  thronende 
Christus  ist  langbärtig,  hat  den  Kreuznimbus  und  trägt  das  Buch  auf  der  Hand; 
hinter  ihm  Paulus  und  Petrus.  Links  Blindenheilung  und  Gichtbrüchiger,  rechts 
Kananäerin  und  Dämonischer.  Im  Kopfstück  tragen  die  Engel  auf  gemusterten 
und  gefranzten  Tüchern  Bücher.  Im  Sockelstück  Samariterin  und  Lazarus, 
b)  Mittelstück:  das  Kind  trägt  ein  Kreuzzepter.  In  den  Seitenstücken:  links  Ver- 
kündigung und  Heimsuchung,  rechts  Fluchwasser  und  Ritt  nach  Bethlehem.  Das 
Kopfstück  wie  in  a),  nur  haben  die  Engel  die  Beinstellung  gewechselt.  Im  Sockel- 
bild Einzug  in  Jerusalem. 

Zu  dieser  Reihe  gehört  auch  ein  in  Kasan  erworbenes  Seitenstück  mit  völlig  geo- 
metrisiertem  Randornament  (Strzygowski,  Byz.  Denkm.  I  43  Abb.). 

Es  bleibt  übrig  zu  bemerken,  daß  die  großen  Diptychen  sich  meist  als  Einband- 
decken von  kirchlichen  Büchern  erhalten  haben;  wie  diese  Einbände  vorliegen,  sind 
sie  im  Mittelalter  hergestellt.  Man  hat  gefragt,  ob  die  fünfteiligen  Tafeln  nicht  von 
Haus  aus,  schon  im  Altertum,  zu  Einbänden  bestimmt  gewesen  seien.  Als  Einbände 
in  einem  allgemeinen  Sinne  lassen  sich  alle  Elfenbeindiptychen  betrachten,  insofern  sie 


246  Bildwerke  aus  besonderen  Materialien. 

die  Außenseiten  und  Schutzdeckel  von  Schreibflächen  darstellen.  Ob  sie  aber  schon 
ursprünglich  als  Bucheinbände  im  engeren  Sinne  des  Wortes  entstanden  sind,  so  daß 
also  die  Konsuln  dem  Kaiser  nicht  bloß  ein  kostbares  Diptychon,  sondern  eine  kostbar 
eingebundene  Handschrift  geschenkt  hätten,  das  ist  eine  Frage,  die  ohne  genaueste 
technische  Untersuchung  der  Tafeln  sich  kaum  beantworten  läßt. 

Kästchen  mit  Elfenbein  ausgelegt  oder  beschlagen,  oder  auch  ganz  aus  Elfen- 
bein, waren  von  alters  her  in  Gebrauch.  Sie  dienten  dem  häuslichen  Gebrauch,  in  der 
Hauptsache  wohl  zur  Aufbewahrung  von  Kleinod.  Da  sie  nicht  aus  einem  Stück  ge- 
arbeitet sein  konnten,  sondern  aus  Täfelchen  zusammengesetzt  werden  mußten,  so  standen 
sie  immer  in  Gefahr,  auseinanderzufallen  oder  auch  auseinandergenommen  und  anders 
verwendet  zu  werden.  Aus  dem  späteren  Altertum  sind  uns  mehrere  Kästchen  mit 
Reliefs  christlichen  Inhalts  bewahrt  worden.  Ob  sie  für  kirchlichen  oder  privaten  Ge- 
brauch bestimmt  waren,  steht  in  Frage.  Das  Exemplar  in  Brescia  (seit  langem  sind 
die  Tafeln  auseinandergenommen  und  in  Kreuzform  wieder  zusammengesetzt)  gilt,  wie 
die  gebräuchliche  Bezeichnung  „Lipsanothek"  verrät,  als  Reliquienbehälter;  Viktor 
Schultze  aber  erklärt  es  für  eine  Privatschatulle1). 

In  London,  Brit.  Mus.  G  446,  1—8.  Mol.  64.  Kraus,  Gesch.  I,  Fig.  390—392.  137. 
Graeven,  Gott.  gel.  Anz.  1897,  75.  Venturi  I,  Fig.  397—400.  —  Vier  Täf eichen: 
a)  Pilatus'  Händewaschen,  Kreuztragung,  Petrus'  Verleugnung,  b)  Judas  Ischarioths 
Ende,  der  Gekreuzigte  mit  Titulus  Rex  Jud,  zwischen  Johannes  und  Maria  links 
und  einem  Soldaten  rechts,  c)  Christusgrab  als  gesäultes  Mausoleum  mit  ge- 
fenstertem  Tambour,  die  mit  ringhaltenden  Löwenmäulern  und  Reliefs  verzierte 
Flügeltür  steht  halboffen;  vorn  sind  zwei  Wächter  im  Sitzen  eingeschlafen,  hinten 
sitzen  zwei  Matronen  (zum  Typus  vgl.  Furtwängler,  Sammlung  Saburoff  zu  Taf. 
15 — 17).  d)  Christus  jugendlich  und  nimbiert,  die  Linke  offen  ausgestreckt,  steht 
auf  dem  Berg,  zwischen  Paulus  und  Petrus  und  noch  zwei  Aposteln.  —  Die 
Soldaten  bei  Kreuztragung,  Kreuzigung  und  dem  Grab  tragen  Militärmütze.  Etwas 
kurze  schwere  Gestalten,  übrigens  noch  guter  Stil,  entsprechend  den  Akanthleisten 
G  446,  5 — 8.    Graeven  setzt  das  Kästchen  in  den  Ausgang  des  vierten  Jahrhunderts. 

In  Brescia  (sog.  Lipsanothek).  G  441 — 445.  Stuhlfauth  39.  Graeven,  Gott.  gel. 
Anz.  1897,  68;  Frühchr.  Elfenb.  II  n.  11—15.  Venturi  I,  Fig.  273—277.  Ein 
Schema  der  Disposition  bei  Stuhlfauth,  Elfenbeinplastik  41.  —  Vier  Seiten  eines 
länglichen  Kästchens,  nebst  dem  Deckel.  Jede  Seite  ist  in  vier  Zonen  zerlegt,  in 
der  obersten  reihen  sich  rings  um  den  Kasten  fünfzehn  Medaillons  mit  Männer- 
köpfen, vorn  in  der  Mitte  der  jugendliche  Christus  zwischen  Petrus  und  Paulus. 
Von  den  drei  übrigen  Zonen  gibt  die  mittlere  das  Hauptfeld  ab,  überwiegend  mit 
Christusszenen;  niedrige  Kopf-  und  Sockelstreifen  enthalten  alttestamentliche  Bilder. 
—  Vorderseite  (G  441):  Die  weitgeöffnete  Rolle  in  Händen  steht  der  jugendliche 
Christus  zwischen  sechs  sitzenden  Aposteln  in  überwölbter  Halle,  deren  Schildbogen 
an  Thermen  erinnert;  die  Halle  flankieren  zwei  Türme  unter  Satteldach,  der  Ein- 
gang zwischen  Säulen  und  mit  den  zurückgeschlungenen  Portieren  erinnert  an  die 
Diptychenarchitektur,  nur  daß  er  viel  breiter  ist.  Links  eine  Gruppe  im  Typus 
der  Heilung  der  Blutflüssigen,  von  einigen  auf  das  „Berühre  mich  nicht"  Joh.  20,  17 
bezogen;  rechts  Jesus  in  seiner  gewöhnlichen  Erscheinung,  aber  als  der  gute  Hirt 

*)  Schultze,  Archäologie  278. 


Elfenbein  und  Knochen.  247 

(im  Tor  des  Schaf  hofs  stehend)  tritt  er  dem  anspringenden  Wolf  entgegen,  während 
der  Mietling  flieht.  Kopfleiste:  Jonas  ausgeworfen  und  wieder  ausgespieen.  Sockel: 
Susanna  im  Garten  und  vor  Daniel,  Daniel  zwischen  den  Löwen.  —  Linke  Schmal- 
seite (G  442):  Erweckung  der  Jairustochter.  Kopfstreifen:  links  David  und  Goliath, 
rechts  der  Prophet  aus  Juda  wider  Jerobeams  Altar  rufend,  derselbe  tot  (als 
Mumie)  am  Boden  liegend,  dabei  Esel  und  Löwe  (Kön.  I  13,  2.  24).  Sockel: 
Tanz  und  Gelage  der  Israeliten  vor  dem  goldenen  Kalb.  —  Rechte  Schmalseite 
(G  443):  Blindenheiluug  und  Lazarus.  Kopf  streif:  Sieben  Männer  in  Flammen; 
links  Moses  auf  dem  Horeb,  rechts  auf  dem  Sinai.  Sockel:  Jakob  und  Rahel;  er 
ringt  mit  Gott;  sein  Traum.  —  Rückseite  (G  444):  Verklärung;  Sapphira  (mit 
Scheitelzopf)  vor  Petrus,  Ananias'  Leiche  wird  hinausgetragen  (hebt  aber  die  Hand). 
Kopfstreifen:  Jonas  unter  der  Laube,  links  Susanna  im  Garten,  Daniel  und  der 
Drache.  Sockel:  Findung  des  Moses;  er  tötet  den  Ägypter;  ein  Gelage,  wird  er- 
klärt aus  Mos.  II  16.  — ■  Die  zwei  Deckelfriese:  a)  Jesus  in  Gethsemane;  Ge- 
fangennahme; Petrus'  Verleugnung  (die  Magd  trägt  den  Scheitelzopf);  b)  Jesus 
vor  Kaiphas  und  vor  Pilatus;  dazu  eine  schmale  Leiste  mit  Draperien  und  Tauben. 
Es  bleiben  noch  die  Sinnbilder  zu  Seiten  der  Hauptfelder,  einige  deutlich  aus  dem 
bekannten  christlichen  Typenschatz  entnommen,  andere  ohne  Gewaltsamkeit  nicht 
zu  deuten:  der  Fisch  (wie  beim  Fischhändler  am  Nagel  hängend),  der  Hahn  auf 
einem  Pfeiler,  Judas  Ischarioth  erhängt,  der  Baum,  der  Turm,  die  Tür,  der  Kande- 
laber, die  Wage.  —  Das  Kästchen  setzt  Graeven  in  das  ausgehende  vierte  Jahr- 
hundert. 

In  London,  South  Kensington  (aus  Werden).  G  447,  1 — 3.  Stuhlfauth,  Elfenbein- 
plastik 71.  —  Zwei  Langseiten  und  eine  Schmalseite;  jedes  Täfelchen  umgibt  ein 
Blätterkyma.  a)  Verkündigung  an  der  Quelle;  Josephs  Traum;  Heimsuchung  (?); 
Frau  und  weisender  Engel  vor  Tempel,  b)  Magier  (ohne  Mützen)  den  Stern  er- 
blickend; Krippe;  Magier  ihre  Gaben  bringend,  c)  Pharisäer  und  der  Täufer 
(nach  Mt.  3,  7.  10);  Taufe.  —  Die  Typik  ist  nächstverwandt  der  fünfteiligen 
Mailänder  Tafel;  aber  Jesus  hat  in  der  Taufe  den  Kreuznimbus,  und  in  a)  ist 
zwischen  die  zwei  Szenen  rechts  eine  Kirche  mit  zwei  runden  Türmen  eingeschaltet. 

In  London,  Brit.  Mus.  G  446,  9 — 11.  —  Drei  Täf eichen  gleicher  Größe,  in  ähn- 
lichem Rahmen  wie  vor.  a)  Quell  wunder,  die  Trinkenden  tragen  Chlamys  und 
Militärmütze,  b)  Petrus  erweckt  die  Tabitha.  c)  Paulus  sitzt  lesend,  Thekla  hört 
zu,  über  einem  Stadttor  mit  rundem  Turm  mit  halbem  Leibe  sichtbar;  Paulus 
gesteinigt. 

Von  den  Bischofstühlen  waren  einige  ganz  oder  teilweise  mit  Elfenbein  belegt. 
Der  zuerst  bei  Ennodius  (um  500)  erwähnte  Tragstuhl  des  Petrus,  des  problematischen 
ersten  Bischofs  von  Rom,  hat  uns  hier  nicht  zu  beschäftigen,  seine  Elfenbeineinlagen 
sind  heidnisch,  Heraklestaten.1) 

Dagegen  ist  von  hervorragender  Wichtigkeit  der  Stuhl  des  Bischof  Maximian  von 
Ravenna  (546 — 556)  in  der  Domsakristei  daselbst.  Sein  Holzgerüst  verschwindet  unter 
dem  Elfenbein.     An    den   Flächen    der  Eckpfosten    steigen  mit  Tieren    belebte   Wein- 


J)  Cathedra  Petri:    de  Rossi,  Bull,  crist.   1867,  33.    Kaufmann,  Handbuch  522.    Venturi  I 
Fig.  381. 


248  Bildwerke  aus  besonderen  Materialien. 

ranken  aus  Vasen  empor,  ebenso  an  den  Sprossen  der  Rücklehne.  An  der  Vorderseite 
des  Sitzes  läuft  unten  ein  hoher  Fries  mit  symmetrisch  sich  auseinanderlegenden,  aus 
zentraler  Vase  wachsenden  Weinranken  mit  Löwen,  Hirschen  und  Kleintieren;  ein  ent- 
sprechender Fries  oben,  mit  Pfauen,  Hirschen,  Rindern,  zeigt  in  der  Mitte  statt  der 
Vase  das  Monogramm  des  Bischofs.  Ähnliche,  nur  kürzere  Leisten  decken  die  Quer- 
riegel zwischen  den  Sprossen  der  Rücklehne,  die  oben  und  unten  von  bandumwundenen 
dicken  Lorbeergewinden  abgeschlossen  wird.  Die  Füllung  der  Vorderwand  zerfällt  in 
drei  schlicht  eingerahmte  Tafeln  in  Hochformat,  getrennt  durch  zwei  schmälere  Tafeln 
ohne  Rahmen;  diese  fünf  Felder  sind  als  Konchen  ausgebildet,  deren  jede  eine  Figur 
umschließt,  die  mittelste  den  Täufer,  die  vier  übrigen  die  Evangelisten.  Die  vierund- 
zwanzig Felder  der  Rücklehne  waren  mit  neutestamentlichen  Szenen  ausgefüllt  (nur 
dreizehn  sind  erhalten),  die  vorn  mit  solchen  aus  der  Kindheit  des  Christus,  die  hinten 
mit  Christustaten.  Die  Seiten  des  Throns  schmücken  je  fünf  alttestamentliche  Szenen, 
aus  der  Geschichte  Josephs;  sie  sind  übereinander  angebracht,  immer  zwei  größere 
wechselnd  mit  drei  kleineren. 

Die  Konchen  mit  dem  Täufer  und  den  Evangelisten  erinnern  sofort  an  die 
Diptychen;  ihre  Gruppierung  zu  fünfen  aber  will  Strzygowski,  ebenso  wie  die  An- 
ordnung der  Tabernakelsarkophage,  von  der  Scenae  frons  ableiten.  Bemerkenswert  ist 
das  Auftreten  längerer  Zyklen  alt-  und  neutestamentlicher  Geschichten  an  Rücklehne 
und  Seiten  wänden.  Aus  der  Kindheitsgeschichte  erhielten  sich:  Verkündigung,  Fluch- 
wasser, Ritt  nach  Bethlehem,  Geburt,  Anbetung  des  Christkindes  durch  die  Magier 
(letztere  müßten  auf  einer  besonderen  Tafel  dargestellt  gewesen  sein);  somit  war  die 
Kindheitsgeschichte  entwickelt  im  Sinne  der  apokryphen  Marienleben.  Zur  Typik  heben 
wir  einiges  hervor;  den  Täufer  mit  langem  Haar  und  Bart,  in  Talar  und  Pelzkragen; 
die  zwei  Evangelisten  links  als  Derivate  der  Typen  des  Paulus  und  Petrus;  die  ge- 
flügelten Engel,  deren  zwei  bei  der  Taufe  Gewänder  bereit  halten;  das  Stabkreuz  in 
Jesus'  Hand  in  den  Szenen  der  Rückseite.  Die  Tafeln  der  Rücklehne  sind  geringer 
gearbeitet  als  die  der  Vorderseite,  noch  geringer  die  der  Nebenseiten.  Das  ganze 
Kunstwerk  führt  Strzygowski  auf  Antiochia  zurück.  [Abb.  74].  —  Der  einzige  Rest 
eines  ähnlichen  Bischofsstuhls,  Relief  in  Querformat  mit  Abraham  und  seinem  Knechte, 
befindet   sich  im  Provinzialmuseum  zu  Trier.1) 

Dem  früher  in  Grado  aufbewahrten  sogenannten  Stuhl  des  Markus,  des  legendären 
Bischofs  von  Alexandrien,  schreibt  Graeven  eine  Reihe  Elfenbeintafeln  zu,  die  sich  zu- 
meist in  Mailand,  zum  Teil  in  London  befinden;  von  den  im  ganzen  acht  Tafeln 
scheint  eine  sekundär.  Gegenständlich  interessant  sind  die  Szenen  aus  der  Legende 
des  Markus  (beiläufig  bemerkt,  die  Libyer  tragen  bis  zur  Taufe  barbarische,  nachher 
römische  Tracht,  woraus  hervorzugehen  scheint,  daß  die  Annahme  des  Christentums 
und  der  klassischen  Kultur  tür  die  Barbaren  zusammenfiel).  Auffallend  sind  dicht- 
gedrängte Hintergrundsbauten. 2) 


*)  Maximiansthron:  G  414—419.  Schultze,  Archäologie  281  Fig.  88.  Stuhlfauth,  Elfen- 
beinplastik 86.  Kraus,  Geschichte  I  504.  Kaufmann,  Handbuch  523.  Leclercq,  Manuel  II  352. 
Molinier  67  Abb.  und  Taf.  7.  Graeven,  Frühchr.  Elfenb.  II  n.  41.  62—63;  Bonner  Jahrb.  1900, 
159.  162.  Strzygowski,  Journ.  hell.  stud.  1907,  115 ff..  —  Relief  in  Trier:  Graeven,  Bonner 
Jahrb.  1909,  154  Taf.  19,  1. 

2)  Mailand:  Graeven,  Rom.  Quartalschr.  1899  Taf.  8.  9;  Frühchristi.  Elfenb.  II  n.  42—48 
(kurz  vor  610).  Strzygowski,  Orient  34.  74  Abb.  32.  Venturi,  Storia  II  Fig.  451—457.  Leclercq, 
in  Cabrols  Dict.  I  1124,  7  Fig.  274.  275. 


Elfenbein  und  Knochen.  249 

Mit  den  Markusreliefs  vergleicht  Strzygowski  eine  Arbeit  des  Louvre,  aus  der 
natürlichen  Rundung  eines  Elefantenzahns  geschnitten;  vorn  thront  frontal  ein  Mann 
im  Paulustyp,  in  Poderes  und  Himation,  mit  großem  Buch,  umgeben  von  fünfund- 
dreißig Männern  in  Talar  und  gestickter,  von  der  linken  Hand  aufgenommener  Chlamys; 
im  Hintergrund,  über  den  Köpfen,  eine  Stadtmauer  mit  Tor,  Türmen  und  abgetreppten 
Zinnen;  dahinter  ragen  Häuser  hervor.  Aus  vielen  Erkerfenstern,  der  Türme  und  der 
Häuser,  schauen  Menschen.  Schlumberger  erklärte  die  Szene  als  eine  Predigt  des 
Paulus;  Strzygowski  erkennt  den  Markus  von  Alexandrien  mit  seinen  fünfunddreißig 
Nachfolgern;  die  Zeit  des  letzten,  des  Bischofs  Anastasius,  607 — 609,  ergäbe  die  Ent- 
stehungszeit des  Werkes.  Ohne  der  späten  Ansetzung  widersprechen  zu  wollen  möchte 
ich  doch  mit  Schlumberger  an  der  Darstellung  eines  Vorgangs  festhalten;  es  braucht 
aber  nicht  gerade  eine  Predigt  zu  sein.1) 

Anderes  übergehend  beschließe  ich  die  Aufzählung  der  Elfenbeintafeln  mit  der 
vielbesprochenen  im  Domschatz  zu  Trier.  In  Querformat  schildert  sie  die  Einbringung 
von  Reliquien.  Rechts  steht  vor  einer  Basilika,  auf  deren  Dächern  Leute  klettern, 
eine  Fürstin,  im  linken  Arm  ein  Kreuz  tragend  (wie  wir  Jesus  und  Petrus  es  tragen 
sahen);  grüßend  streckt  sie  die  rechte  Hand  aus,  dem  sich  nahenden  Zuge  entgegen. 
Voran  schreitet  der  Kaiser  mit  Gefolge,  alle  in  Chlamys,  die  vordersten  mit  brennen- 
den Kerzen.  Dann  kommt  der  Wagen,  auf  dem  zwei  Bärtige  sitzen,  das  Reliquiar  auf 
dem  Schoß,  in  Toga,  den  Längsstreifen  über  die  linke  Schulter  gelegt;  danach  wäre 
das  Relief  vor  506  zu  datieren,  wenn  nicht  etwas  ganz  Neues  hinzukäme,  nämlich  die 
Führung  des  Bruststreifens  im  Bogen  von  Schulter  zu  Schulter.  Die  zwei  Männer 
werden  als  Bischöfe  erklärt.  Im  Hintergrund  links  ein  gesäulter  Bau  unter  großem 
Rundbogen,  darin  ein  unbärtiger  Christus,  Brustbild  mit  Kreuznimbus  in  Medaillon. 
Rechtshin  entwickelt  sich  ein  langer,  mit  Menschen  besetzter  Bau;  im  Erdgeschoß 
Pfeilerhalle,  darauf  eine  Logenreihe  (die  Leute  darin  schwingen  Räuchergefäße),  zu 
oberst  noch  zwei  Reihen  Menschen,  sei  es  hintereinander  stehend  oder  auf  Sitzstufen 
untergebracht.  —  Wir  wiederholen  weder  alle  Deutungen,  die  schon  versucht  wurden, 
noch  die  Datierungen;  sie  gehen  vom  fünften  bis  zum  elften  Jahrhundert.  Ich  hebe 
nur  einen  Umstand  hervor,  der  mir  wichtig  erscheint,  die  genaue  Übereinstimmung 
der  Fürstin  in  Haar-  und  Kleidertracht  mit  Graevens  Amalasvintha  im  Diptychon  von 
Wien  und  Florenz  und  den  analogen  Kaiserinnenbildern.2) 

Von  den  Elfenbeinschnitzereien  bleibt  noch  die  wichtige  Klasse  der  Pyxiden.  Es 
sind  Büchsen  oder  Dosen,  Abschnitte  vom  hohlen  Teil  des  Elefantenzahns;  ein  Boden 
wird  eingesetzt,  ein  Deckel  aufgelegt.  Die  Büchse  {-rtv^ig)  erscheint  früh;  leicht  ließ 
sie  sich  aus  einem  Stück  Rundholz  oder  Elfenbein  herrichten.  In  Vasenmalereien  und 
in  Grabreliefs  der  klassischen  Griechen  sieht  man  dergleichen  in  den  Händen  der 
Frauen;  zahlreiche  Exemplare  in  Terrakotta  fanden  sich  in  den  Gräbern,  sie  ahmen 
die  Formen  der  auf  der  Drehbank  hergestellten  hölzernen  Büchsen  genau  nach.  Die 
tönernen  Pyxiden  tragen  die  übliche  griechische  Firnismalerei,  oft  in  zierlichster  Aus- 
führung, die  elfenbeinernen  dagegen  sind  rings  geschnitzt.    Elfenbeinpyxiden  mit  heid- 

J)  Louvre:  Schlumberger,  Mon.  Piot  I  1894,  165  Taf.  23.  Strzygowski,  Orient  72  Abb.  30. 
Leclercq  bei  Cabrol,  Dict.  I  1122  Fig.  273. 

*)  Trier:  Ausm  Weerth,  Kunstdenkm.  d.  Rheinlande  I  Taf.  58.  Westwood  64  n.  148  Abb. 
Kraus,  Gesch.  I  502  Fig.  384.  Palustre,  Tresor  de  Treves  1  Taf.  1.  Molinier  74  Abb.  Strzygowski, 
Orient  85  Abb.  38.     Stuhlfauth,  Elfenbeinplastik  168.     Graeven,  Gott.  gel.  Anz.  1901,  84,  4. 


250  Bildwerke  aus  besonderen  Materialien. 

nischen  Darstellungen  haben  sich  in  ziemlicher  Zahl  erhalten,  doch  fehlt  eine  Gesamt- 
ausgabe. Einzelne  besitzen  an  einer  Seite  unten  einen  halbkreisförmigen  Ausschnitt 
mit  Verschlußklappe;  während  sonst  die  Pyxiden  als  Schmuckbehälter  galten,  erklärte 
Graeven  die  mit  Klappe  für  Weihrauchgefäße.  Die  christlichen,  das  will  sagen  die 
mit  christlichen  Bildern  verzierten  Pyxiden  gelten  allgemein  als  Behälter  der  Hostien; 
nur  Schultze  glaubte  sie  für  profanen  Hausgebrauch  bestimmt.1) 

Der  Bilderkreis  der  Pyxiden  ist  nicht  allzugroß,  viel  Fläche  bieten  sie  ja  nicht; 
er  ruht  auf  dem  aus  der  frühchristlichen  Zeit  überkommenen  und  im  Lauf  der  Jahr- 
hunderte bereits  weiter  entwickelten  Gut;  einiges  über  die  Katakombenmalereien  und 
die  Sarkophage  hinausgehende  bestätigt  den  ohnehin  handgreiflich  späten  Ursprung, 
wie  es  sich  auch  mit  den  späteren  Elfenbeintafeln  berührt.  Von  alttestamentlichen 
Typen  begegnet  Daniel  zwischen  den  zwei  Löwen,  er  in  einer  Art  Barbarentracht, 
dazu  Habakuk  vom  Engel  getragen;  die  drei  Jünglinge  in  den  Flammen,  die  vom 
Boden  und  vom  Himmel  lodern;  dieselben  vor  Nebukadnezar,  der  aber  die  umkreuzte 
Weltkugel  der  römischen  Kaiser  trägt,  das  Kaiserbild  fehlt;  Jonas  aus  dem  Schiff  ge- 
worfen, derselbe  unter  der  Laube,  eigentümlicherweise  jedoch  auf  dem  Ketos  ruhend; 
die  Opferung  Isaaks  mit  eigen  hochgebautem  Altar;  Moses  unbärtig  aus  der  Gottes- 
hand das  Gesetz  empfangend,  das  hier  mit  einem  Kreuz  bezeichnet,  somit  dem  Christen- 
tum vindiziert  ist.  Ein  neu  auftretender  Typus,  Szene  vor  dem  Tempel,  wurde  von 
einigen  auf  Melchisedek,  von  andern  auf  Aaron  und  den  Bock  für  Asasel  Mos.  III 
16,  5 — 10.  20 — 22  gedeutet.  Auch  finden  sich  wieder  einzelne  Szenen  aus  der  Ge- 
schichte Josephs,  der  Verkauf  an  die  Ismaeliten  Mos.  I  37,  28,  sein  Mahl  eb.  43, 
31 — 34,  der  Becher  im  Sack  Benjamins  eb.  44.  Neutestamentliche  Szenen.  Heilung 
des  Blinden  und  des  Gichtbrüchigen  (an  ihm  werden  zwei  Typen  unterschieden, 
je  nachdem  er  die  Längsrahmen  oder  die  hinteren  Beine  des  Bettes  auf  die  Schultern 
nimmt).  Neu  ist  die  Heilung  des  Lahmeu  und  des  Dämonischen,  was  beides  auch 
an  fünfteiligen  Diptychen  vorkommt.  Sodann  die  Erweckung  des  Lazarus  (das  Grab 
einmal  als  Kuppelbau  gestaltet,  ähnlich  dem  Tambour  auf  dem  Christusgrab)  und  der 
Jairustochter.  Die  Samariterin  am  Ziehbrunnen,  in  einem  Falle  sitzt  Jesus.  Die 
Speisensegnung  mit  ebenfalls  sitzendem  Jesus,  neu  hinzugefügt  aber  sind  Jünger, 
die  nach  beiden  Seiten  hin  die  Speisen  zur  Verteilung  forttragen.  Aus  der  Kindheits- 
geschichte kehren  mehrere  Szenen  wieder,  auch  ein  paar  Motive  aus  den  Apokryphen 
sind  eingemischt:  die  Verkündigung,  Maria  spinnt;  das  Fluchwasser,  Maria  hält 
die  Schale;  der  Ritt  nach  Bethlehem;  die  Krippe  mit  Maria  und  Joseph  (auch  mit 
Salome,  Protev.  Jac.  20),  dazu  die  Hirten;  an  einer  Pyxis  erblicken  die  Hirten  statt 
der  Magier  den  Stern;  die  Magier  ihre  Gaben  bringend  (einmal  alle  drei  bärtig,  ein 
andermal  einer).  Die  Frauen  am  Grabe.  Der  thronende  Christus  zwischen 
Paulus  und  Petrus,  die  übrigen  Apostel  stehen  umher.  An  den  meisten  Pyxiden  tragen 
Jesus  und  die  Engel  ein  Stabkreuz,  gelegentlich  verrichtet  Jesus  seine  Wunder  statt 
mit  dem  Zauberstab  mit  dem  Stabkreuz.     Die  Engel  sind  geflügelt. 

Eine  kritische  Aufstellung  der  erhaltenen  Pyxiden,  in  der  Art  der  grundlegenden 
Wilhelm  Meyers  für  die  Diptychen,  fehlt  noch,  so  daß  schon  in  dieser  Beziehung  alle 


l)  Pyxiden  heidnisch:  Westwood  271.  Graeven,  Antike  Schnitzereien  I  1903  n.  1 — 2, 
15—19  (mit  Klappe).  20—21.  Derselbe,  Archäol.  Jahrb.  1901,  126.  —  Christlich:  Garrucci,  Storia 
VI  56.  61,  3.  Schultze  Archäologie  275.  Vöge,  Beschreibung  d.  Bildw.  d.  ehr.  Epochen,  Elfen- 
beinbildwerke, Berlin  1900  zu  n.  1. 


Elfenbein  und  Knochen.  251 

Arbeit  an  ihnen  des  sicheren  Bodens  ermangelt.  Das  nachstehende  Verzeichnis  will 
nur  den  mit  dem  Gegenstand  noch  nicht  vertrauten  Gelehrten  das  Material  an  die 
Hand  geben.  Soweit  der  noch  unentwickelte  Stand  der  Forschung  es  erlaubt,  ist  es 
chronologisch  geordnet,  das  heißt,  einzelne  als  verhältnismäßig  früh  sich  gebende  Stücke 
sind  vorangestellt,  andere  anscheinend  späte  mehr  ans  Ende;  über  die  Entstehungszeit 
der  übrigen  soll  damit  nichts  gesagt  sein. 

Berlin  n.  1  Beschr.  der  christl.  Elfenbein  werke  1902  Taf.  1  (früher  n.  427  Taf.  63  der 
„Beschreibung").  G  4-40,  1.  Westwood  272  n.  767  Taf.  22.  Stuhlfauth,  Elfenbein- 
plastik Taf.  1,  1.  Molinier  55.  Strzygowski,  Bull.  Soc.  arch.  d'Alexandrie  V  1902, 
10  Abb.  4  (drittes  oder  viertes  Jahrh.).  Venturi  I  Fig.  395  (Spiegelbild!).  Graeven, 
Gott.  gel.  Anz.  1897,  41  (viertes  Jahrhundert).  [Abb.  77].  —  Der  jugendliche 
Christus  thront  vor  rundbogigem  Tabernakel,  zwischen  den  individualisierten  Apostel- 
fürsten, die  übrigen  Apostel  stehen  umher.  Hinten  Isaak  (als  Putto),  der  Altar 
steht  auf  vierzehn  Stufen,  außer  der  Gotteshand  noch  ein  Engel. 

Bologna.  Stuhlfauth  30  Fig.  3  Taf.  1,  2.  —  Blinder,  Lazarus,  Gichtbrüchiger,  Isaaks 
Opferung,  Taubstummer.  Die  Isaakszene  ist  der  berliner  ähnlich,  aber  die  bolog- 
neser  Pyxis  ist  geringere  Arbeit  und  wohl  später. 

Paris,  bei  Wasilewski.  G  440,  2.  —  a)  Gesetzesempfang  mit  unbärtigem  Moses,  auf 
dem  Gesetz  ein  Kreuz;  dazu  drei  erregte  Israeliten,   b)  Der  Sühnbock  für  Asasel. 

London,  Brit.  Museum  (aus  Rom,  früher  bei  Nesbitt).  G  440,  3.  Westwood  274 
n.  771,  a.  Stuhlfauth  92.  Graeven,  Frühchr.  Elfb.  I  n.  14 — 17.  —  Menas  vor  dem 
Richter,  der  Beistehende  hält  eine  Schrift,  auf  dem  Tisch  ein  Tintenfaß.  Der 
nimbierte  Menas  als  Orans  unter  Tabernakel  (mit  Halbanthemien  über  den  Pfosten, 
beiderseits  des  Bogens,  wie  am  Tabernakel  der  berliner  Pyxis),  jederseits  ein 
kauerndes  Kamel  und  Adoranten,  rechts  Männer,  links  Frauen. 

Werden.  G  438.  1.  Ausm  Weerth,  Denkm.  Rheinlande  Taf.  29,  6.  Westwood  474. 
Molinier  56.  Stuhlfauth  79,  2.  —  Krippe  mit  Maria  und  Joseph,  adorierender  Hirt; 
Hirten  erblicken  den  Stern,  ein  Hirt  in  Strohhütte  (sog.  Simson). 

Keele  Hall  bei  Walter  Sneyd.  (Aus  Aachen,  nicht  aus  Sens,  Stuhlfauth  63,  5).  G  439,  4. 
Westwood  274  n.  771.  —  Unter  dem  Schloß  Draperie.  Dämonischer  (Jesus  mit 
Stabkreuz)  und  fünf  Apostel  (einer  „segnet  griechisch"),  dazu  das  Grab. 

Berlin  n.  4  Beschr.  1902  Taf.  3  (früher  n.  430).  G  439,  5.  Westwood  273  n.  768. 
Stuhlfauth  91.  —  Josephs  Verkauf  an  die  Ismaeliten. 

Petersburg,  Ermitage  (früher  bei  Wasilewski).  G  439,  6.  Westwood  402.  Stuhl- 
fauth 91.  —  a)  Josephs  Mahl,     b)  Der  Becher  wird  in  Benjamins  Sack  gefunden. 

Hannover;  bei  Hahn  (aus  Westfalen).  G  437,  1.  Hahn,  Fünf  Elfenbeingefäße  Taf.  1,  1. 
Westwood  402.  —  Unter  dem  Schloß  ein  Kreuz  vor  X,  in  Kranz.  Drei  Jünglinge 
in  Flammen,  dazu  Engel  mit  Stabkreuz;  dieselben  vor  Nebukadnezar  (mit  Welt- 
kugel). 

Berlin  n.  6  Beschr.  1902  Taf.  3  (aus  Minden).  G  437,  4.  —  Oval.  Unter  dem  Schloß 
Kreuz  vor  X  (Kreuzmonogramm),  in  Kranz.  Verkündigung.  Ritt  nach  Bethlehem. 
Krippe,  mit  Salome,  und  Engel  mit  Stabkreuz. 

Pesaro.  G  439,  1.  Venturi  I  Fig.  402.  403.  —  Unter  dem  Schloß  Kreuz  in  Kranz. 
Erweckung  der  Jairustochter,  Heilung  des  Blinden  (Jesus  mit  Stabkreuz). 

London,  Brit,  Museum  (früher  bei  Garthe).  Stuhlfauth  189  Fig.  8.  Graeven,  Frühchr. 


252  Bildwerke  aus  besonderen  Materialien. 

Elfenb.  I  n.  18 — 21.  —  Unter  dem  Schloß  Kreuz  zwischen  zwei  Schwänen.  Daniel 
zwischen  den  Löwen  unter  einer  Pfeilerhalle  mit  Muschelkuppel  (ähnlich  der 
über  dem  thronenden  Christus  G  456,  fünfteiliges  Diptychon  aus  Murano);  links 
Habakuk  vom  Engel  gebracht.  Rechts  Figur  mit  Stab,  jenseits  des  Schlosses 
Figur,  Engel,  Schaf  (Graeven:  Engel  weist  auf  Lamm  Gottes.  Vielmehr:  Ver- 
kündigung an  Hirten?). 

Livorno  (aus  Karthago),  de  Rossi,  Bull,  crist.  1891,  47  Taf.  4.  5.  Graeven,  Gott, 
gel.  Anz.  1897,  76,  1.  —  Unter  dem  Schloß  Adler.  Speisensegnung,  Jesus  sitzt, 
jederseits  tragen  Jünger  Speisen  zur  Verteilung  fort.     Flüchtige  Arbeit. 

Wien,  Münz-  und  Antikenkabinet.  v.  Sacken,  Österr.  Centralcomm.  Mitteil.  1876,  52 
m.  Taf.  Rohault  de  Fleury,  La  messe  V  Taf.  373.  Schmid,  Geburt  Christi  39, 
Kat.  n.  57.  Stuhlfauth  126.  —  Unter  dem  Schloß  Adler.  Magier  bringen  Gaben, 
Maria  mit  Kind  frontal.  Krippe  mit  Maria  (links)  und  Salome  (ähnlich  Berlin 
n.  6  aus  Minden). 

Kertsch,  bei  Novikow.  Ainalow,  Kais.  ruß.  archäol.  Ges.  Petersb.  V  Taf.  1.  Stuhl- 
fauth 93  Fig.  6.  —  Verkündigung  mit  schwebendem  Engel  (unter  ihm  Kreuz  in 
Kranz).     Fluchwasser. 

Paris,  bei  Lavoulte-Chilhac.  Rohault,  La  messe  V  Taf.  366  f.  Stuhlfauth  108.  — 
Samariterin  am  Ziehbrunnen,  Jesus  sitzt.     Heilung  des  Lahmen. 

Paris  (aus  Rouen).  G  438,  2.  Molinier  56  Abb.  Stuhlfauth  79,  3.  —Unter  dem  Schloß 
eine  Area  mit  vierseitig  abgeschrägtem  Deckel.  Krippe  ohne  Maria  und  Joseph, 
mit  Hirten.  Drei  bärtige  Magier  bringen  Gaben,  bei  Mutter  und  Kind  un- 
bärtiger Joseph. 

Vatikan  (aus  Mailand).  G  438,  3.  Westwood  273  n.  770.  —  Auf  der  quadratischen 
Fläche  für  daß  Schloß  Christusmonogramm  in  Rahmen,  darunter  Area,  wie  vor. 
Blinder,  Gichtbrüchiger  Typ  II,  Lazarus  (Jesus  zweimal  mit  Stabkreuz). 

Paris,  Cluny  n.  1033.  G  438,  4.  [Abb.  78].  —  Unter  dem  Schloß  Kreuz.  Samariterin, 
Blinder,  Gichtbrüchiger  Typ  I,  Lazarus  (Jesus  einmal  mit  Stabkreuz). 

Paris,  Cluny.  G  438,  5.  —  Unter  dem  Schloß  der  vorgebückte  Dämonische.  Sama- 
riterin, Blinder,  Gichtbrüchiger  Typ  II,  Lazarus,  Dämonischer. 

Darmstadt.  Stuhlfauth  118  Fig.  7.  Nöhring,  Kunstschätze  Darmstadts  Blatt  18b.  — 
Unter  dem  Schloß  der  vorgebückte  Dämonische.  Gichtbrüchiger  Typ  II  (Jesus 
mit  Kreuznimbus),  Lazarus  (das   Grab   als  Rotunde  unter  Kuppel),    Dämonischer. 

Florenz,  Bargello  (aus  Luxemburg).  G  437,  5.  Venturi  I  Fig.  401.  Stuhlfauth  79,  4. 
Graeven,  Frühchristi.  Elfenb.  II  n.  20.  21  (fünftes  bis  sechstes  Jahrhundert).  — 
Unter  dem  Schloß  ein  Schaf.  Magier  (der  erste  bärtig)  bringen  Gaben  (das  Christ- 
kind hält  Stabkreuz);  Verkündigung  an  die  Hirten. 

Sitten.  Rohault,  La  messe  V  Taf.  371.  Stuhlfauth  132.  —  Frauen  am  Grabe,  Engel 
sitzt  mit  Kreuzstab;  beiderseits  ein  Evangelist?  Beiderseits  des  Schlosses  ruhende 
Wächter. 

Wien,  bei  Figdor.     Strzygowski,  Rom.  Quartalschr.  1898,  37  Fig.  6  Taf.  12. 

Rom,  Thermenmuseum  (aus  Nocera).  Venturi  I  Fig.  406.  —  Fragment:  Opferung  Isaaks. 

Paris,  bei  Wasilewski  (früher  in  Mailand,  dann  bei  Gherardesca).  G  437,  2.  West- 
wood 273  n.  769.  —  Jonas  aus  dem  Schiff  geworfen,  viel  Fische  im  Wasser,  auch 
unter  dem  herzförmigen  Schloß,  ein  Engel  mit  Stabkreuz  schwebt  heran;  ein  Engel 
schreitet  zu  dem  unter  der  Laube  auf  dem  Ketos  ruhenden  Jonas. 


Elfenbein  und  Knochen  253 

Hannover,  bei  Hahn  (aus  Bayern).  G  437,  3.  Hahn  Taf.  11,  5.  —  Komposition  wie 

zuvor,  Ausführung  mißverstanden. 
Berlin  n.  5  Beschr.  1902  Taf.  3  (aus  Straßburg).  —  Fragment:    Lazarus?  Jesus  mit 

Nimbus,  zwei  bärtige  Apostel. 
Bonn  (aus  Bayern).  G  439,  2.  Hahn  Taf.  3,  4.  —  Unter  dem  Schloß  Area  oder  Käfig. 

Lazarus  (Jesus  hält  Stabkreuz),  links  sieben  bärtige  Apostel. 
Paris  (aus  Bar-sur-Aube).  G  439,  3.    du  Sommerard,  Les  arts  au  moyen  age  Taf.  11.  — 

Blindenheilung  (Jesus  mit  Stabkreuz),  fünf  bärtige  Apostel. 
Paris,  Cluny  n.  1034.  —  Blinder  (Jesus  mit  Stabkreuz),   fünf  bärtige  Apostel.     Die 

vier  letztgenannten  Pyxiden  stehen  sich  nahe. 


Fassen  wir  zusammen,  was  an  Daten  und  Indizien  zur  chronologischen  Bestimmung 
der  Elfenbeinwerke  vorkam;  von  den  hypothetischen  Ansetzungen  machen  wir  dabei 
nur  ganz  zurückhaltend  Gebrauch. 

Aus  dem  Anfang  des  vierten  Jahrhunderts  stammt  nach  Graeven  das  lon- 
doner Privatdiptychon  mit  Apotheose  eines  Kaisers  (sog.  Apotheose  des  Romulus)  Mol. 
n.  40  Abb.  Venturi  1  Fig.  359.  —  Wir  bemerkten,  daß  unter  Konstantin  die  kon- 
tabulierte  Toga  (Trabea)  zuerst  auftritt,  am  Konstantinsbogen  [Abb.  21].  —  In  das 
vierte  Jahrhundert  setzt  Graeven  das  private  Diptychon  in  Liverpool  mit  Asklepios 
und  Hygieia  Wieseler,  Denkm.  II  Taf.  61.  Baumeister,  Denkm.  1 139.  Venturi  I  Fig.  357. 
Das  kirchliche  Diptychon  im  Bargello  mit  Adam  im  Paradies  und  den  Paulusszenen 
G  451,  3.  452,  3.  Die  berliner  Pyxis  mit  zwischen  den  Aposteln  thronendem  jugend- 
lichem Christus  und  dem  Isaakopfer  G  440,  1  [Abb.  77];  letztere  Szene  kehrt  ähnlich 
an  der  übrigens  späteren  bologneser  Pyxis  wieder,  Stuhlfauth  30  Fig.  3. 

Im  ausgehenden  vierten  Jahrhundert  erreichte  nach  Graeven  die  (römische) 
Elfenbeinskulptur  und  in  ihr  die  altchristliche  Kunst  ihren  Höhepunkt.  Das  Beamten- 
diptychon des  Probianus  in  Berlin  Mol.  n.  50  Taf.  4  mit  Giebelabschluß,  verziertem 
Rahmen,  Raumtiefe  [Abb.  64].  Das  Privatdiptychon  Nicomachorum-Symmachorum, 
nach  Haseloff  eher  aus  392/394  als  aus  401.  Das  rechte  Seitenstück  eines  fünfteiligen 
Diptychons  in  Berlin  Haseloff,  Jahrb.  d.  pr.  Kunstsamnil.  1903,  47  Abb.  mit  Kinder- 
mord, Taufe,  Kana.  Das  Fragment  in  Nevers  Haseloff  51  Abb.  Das  fünfteilige  mai- 
länder  Diptychon  G  454.  455  und  das  verwandte  werdener  Kästchen  in  London 
G  447,  1—3.  Das  Diptychon  Trivulzi  mit  den  Frauen  am  Grabe  G  449,  2  [Abb.  65] 
und  das  münchener  aus  Bamberg  mit  derselben  Szene  und  der  Himmelfahrt  G  459,  4. 
Die  Lipsanothek  in  Brescia  G  441 — 445.  Die  vier  Kastenreliefs  mit  Passionsszenen 
G  446,  1 — 4,  und  die  drei  mit  Petrus-  und  Paulusszenen,  G  446,  9 — 11,  beide  Reihen 
in  London.  —  Einige  Diptychen  seien  hier  angeschlossen,  die  vielleicht  doch  nicht 
ganz  so  alt  sind.  Ein  Beamtendiptychon  in  Wien  mit  Roma  und  Konstantinopolis 
oder  Alexandria,  die  Tafeln  mit  giebelförmigem  Abschluß,  die  Figuren  unter  gegiebelten 
Tabernakeln,  Gori  II  182  Taf.  3.  R.  v.  Schneider,  Album  Taf.  49.  Das  Privat- 
diptychon in  Monza,  vermeintlich  mit  Stilicho  und  Familie,  Gori  I  Taf.  7.  Molinier 
n.  1  Taf.  1,  mit  trapezförmigem  Tabernakelschluß.  Das  kirchliche  Diptychon  von 
.Rouen  mit  Paulus  und  Petrus  in  bekannten  Typen,  die  Tabernakel  mit  Steilgiebel, 
darin  frei  schwebende  kleine  Muschel,  in  den  Zwickeln  Tauben  (statt  der  an  Profan- 
diptychen beliebten  Adler)  Molinier  53  Abb. 


254  Bildwerke  aus  besonderen  Materialien. 

Fünftes  Jahrhundert,  Anfang.  Toga  Tracht  B  (der  Umwurf  umschließt 
den  rechten  Arm).  Konsulardiptychon  496  Probus,  in  Aosta,  G  449,  3  [Abb.  66]. 
Nichtdatiertes  „Lampadiorum"  in  Brescia,  Molinier  n.  33  Abb.  Der  Konsul  in  einen 
Petrus  umgearbeitet,  Diptychon  in  Prag.  Gehört  hierhin  das  rechte  Seitenstück  eines 
fünfteiligen  Kaiserdiptychons  in  München,  Meyer  n.  61  Taf.  3? 

424 — 455  Valentinian  III.  Zu  seiner  Zeit  kommt  der  Typus  des  die  Mappa 
hebenden  Konsuls  auf.  Toga  Tracht  C  (der  Umwurf  umschließt  die  rechte  Schulter). 
Nicht  datiertes  Konsulardiptychon  in  Halberstadt  [Abb.  68].  428  Felix,  in  Paris,  Moli- 
nier 3  Abb.  Venturi  I  Fig.  334  [Abb.  67].  449  Asturius,  in  Darmstadt,  Gori  I  Taf.  3. 
Das  Konsulardiptychon  in  Monza  Molinier  n.  44  Abb.,  dessen  Figuren  in  einen  König 
David  und  einen  heiligen  Gregor  umgearbeitet  sind,  gibt  dem  Konsul  die  Tracht  C, 
doch  finden  sich  im  Architektonischen  Anklänge  an  Diptychen  aus  dem  anfangenden 
sechsten  Jahrhundert;  im  Rundbogen  des  Tabernakels  freischwebende  kleine  Muschel.  — 
Ist  es  bloßer  Zufall,  daß  auch  die  Schulter  des  Engels  auf  dem  londoner  Diptychon 
G  457,  1  [Abb.  69]  der  Mantel  umschließt?  —  Das  kirchliche  Diptychon  im  mailänder 
Dom  G  450  mit  Szenen  aus  den  Evangelien  setzt  Graeven  in  das  fünfte  Jahrhundert. 
Wie  sich  die  Rückwärtsbewegung  zur  frontalen  Darstellung  vollzog,  bleibt  noch  zu  er- 
mitteln, somit  auch  die  genauere  Zeitbestimmung  des  fünfteiligen  Konsulardiptychons 
mit  zentralem  Kaiser,  davon  nur  das  linke  Seitenstück  mit  fast  genau  frontalem  Konsul 
in  Chlamys,  hinter  ihm  der  Schild  des  leider  abgesägten  Protektors,  in  Bologna  be- 
wahrt wird,  G  448,  9;  man  vergleiche  die  Figur  mit  den  zum  Anfang  des  fünften 
Jahrhunderts  erwähnten  münchener  Seitenstück,  um  den  Abstand  zu  ermessen.  Reicht 
der  hier  vorausgesetzte  Zeitabstand  überhaupt  aus,  um  die  Verschiedenheit  des  Stils 
zu  erklären? 

In  den  letzten  Jahrzehnten  des  fünften  Jahrhunderts  erscheint  die  Tracht D 
der  Toga.  Graeven  zieht  hierhin  die  Konsulardiptychen  des  Basilius  Venturi  I  Fig.  349, 
das  er  auf  480  datiert;  des  Boethius  487  Venturi  Fig.  336  [Abb.  70],  und  das  der 
Bibliothek  Barberini  bei  Meyer  Taf.  1,  1.  Venturi  I  Fig.  344.  In  diese  Zeit  gehört 
noch  das  rein  ornamental  behandelte  Diptychon  488  Sividius,  Molinier  n.  6  Abb. 

Sechstes  Jahrhundert  Anfang.  Für  diese  Epoche  liegt  eine  Reihe  von 
Konsulardiptychen  vor.  Die  Toga  kehrt  zur  ursprünglichen  Anordnung  zurück,  nur 
wird  der  „Streifen"  über  die  rechte  Schulter  gelegt.  506  Areobindus,  Molinier  n.  9 
Abb.;  n.  13  Taf.  3;  Venturi  I  Fig.  337;  Gori  II  Taf.  18.  —  Das  Diptychon  von 
Bourges,  Mol.  n.  39  Abb.,  von  Meyer  und  Graeven  dem  Frankenkönig  Chlodwig, 
Konsul  508,  zugeschrieben.  —  513  Clementinus,  Venturi  I  Fig.  338.  —  515  Anthe- 
mius.  —  517  Anastasius,  Mol.  n.  17  Abb.;  Venturi  I  Fig.  347.  346  [Abb.  71].  — 
518  Magnus,  Mol.  n.  21  Abb.;  Venturi  I  Fig.  342.  343.  —  521  Justinianus,  Mol.  n.  26 
Abb.,  n.  28  Abb.  —  525  Philoxenus,  Mol.  n.  29  Abb.,  n.  30  Abb.  —  Die  noch  nicht 
datierten  christlichen  Pyxiden  werden  sich  mit  der  Zeit  auf  die  verschiedenen  Epochen 
zwischen  Konstantin  und  Justinian  verteilen  lassen. 

Die  Zeit  des  Kaisers  Justinian  527 — 565.  Die  im  fünften  Jahrhundert  rapid 
gesunkene  Kunst  des  Elfenbeinschnitzens  hebt  sich  wieder  in  der  Zeit  Justinians,  sagt 
Graeven  in  den  Gott.  gel.  Anz.  1897,  75.  Derselbe  erklärt  die  Fürstin  auf  den 
Diptychontafeln  in  Wien  und  Florenz  (Mol.  n.  57,  Taf.  5,  3.  Venturi  I,  Fig.  340. 
341.  [Abb.  72])  für  Amalasvintha,  das  Diptychon  müßte  bald  nach  526  entstanden  sein. 
Der    aus  der  herkömmlichen  Koncha  entwickelte  Kuppelbau  kehrt    etwas    modifiziert 


Elfenbein  und  Knochen.  255 

auf  dem  Beamtendiptychon  in  Novara  wieder,  Venturi  I,  Fig.  331.  In  anderer  Rich- 
tung ist  die  Barockarchitektur  im  Hintergrund  der  Muse  und  des  kahlköpfigen  Dichters 
entwickelt,  auf  dem  Privatdiptychon  zu  Monza  Mol.  n.  63  Abb.  Venturi  I,  Fig.  358; 
da  sind  auch  die  um  die  Säulen  geschlungenen  Vorhänge  wie  bei  Amalasvintha.  Hier 
möchte  ich  fragweise  das  Trierer  Relief  mit  der  Einbringung  von  Reliquien  durch  zwei 
Bischöfe  stellen;  die  genaue  Übereinstimmung  der  Haar-  und  Kleidertracht  der  das 
Kreuz  tragenden  Kaiserin  vor  der  Basilika  mit  Graevens  Amalasvintha  scheint  einst- 
weilen das  greifbarste  Kriterium  zur  Zeitbestimmung  des  vielbesprochenen  Werkes 
(Mol.  74  Abb.  Kraus,  Gesch.  I  502,  Fig.  384).  Würde  die  Tracht  der  „Bischöfe" 
dazu  stimmen?  —  Es  folgen  die  letzten  Konsulardiptychen.  530  Orestes,  Gori  II  104 
Taf.  17.  —  539  Apion.  —  540  Justinus,  Meyer  Taf.  1,  2.  Man  vergleiche  488 
Sividius  Mol.  n.  6  Abb.,  um  den  Abfall  zu  ermessen;  dabei  beachte  man,  daß  die 
Halbpalmetten  des  Sividius  bereits  die  Tendenz  verraten,  welche  bei  denen  des  Justinus 
zur  Reife  gekommen  ist. 

Von  kirchlichen  Elfenbeinarbeiten  wird  frühestens  an  dieser  Stelle  die  zweite 
Gruppe  der  fünfteiligen  Diptychen  einzureihen  sein,  aber  höchstens  die  ältere  Serie, 
vertreten  durch  das  Exemplar  aus  Murano,  in  Ravenna,  G  456  [Abb.  73].  Der  im 
Sockelstück  unter  der  Laube  so  sonderbar  auf  dem  Ketos  ruhende  Jonas  kehrt  ebenso 
an  der  Pyxis  Wasilewski  G  437,  2  wieder,  und  in  der  geringeren  Wiederholung  bei 
Hahn  G  437,  3.  Die  in  Anlehnung  an  wirkliche  Kuppeln  aus  der  Koncha  entwickelte, 
muschelförmige  Kuppel  (man  wird  sich  erinnern,  daß  am  ravennatischen  Sarkophag 
des  Barbatianus  die  Muscheln  den  sie  ursprünglich  umschließenden  Bogen  bereits  ab- 
geworfen hatten  [Abb.  53])  findet  sich  in  etwas  abweichender  Behandlung  auch  an  der 
Tafel  Stroganoff  Venturi  I  Fig.  393.  Graeven,  Frühchristi.  Elfenb.  II  n.  66  (Petrus 
mit  Schlüssel  faßt  das  hohe  Kreuz  auf  dem  Vierstromberg);  ferner,  und  zwar  genau 
in  der  muraneser  Gestaltung,  nur  auf  Pfeilern  statt  auf  Säulen  ruhend,  über  Daniel 
zwischen  den  Löwen,  an  der  Pyxis  Garthe  (jetzt  in  London),  Stuhlfauth  189  Fig.  8.  — 
Hier  etwa  möchte  sich  die  Pyxis  Cluny  n.  1033  G438,  4  [Abb.  78]  einreihen  lassen; 
nah  verwandt  ist  die  Schnitzerei  des  Elfenbeinkammes  von  Antinoe,  veröffentlicht  von 
Strzygowski  in  der  Rom.  Quartalschrift  1898,  9  Taf.  1:  a)  Reiter  in  Chlamys,  orans, 
in  Kranz,  den  zwei  bewegt  schreitende  Viktorien  oder  Engel  halten,  b)  Lazarus  (Jesus 
mit  Stabkreuz)  und  Blindenheilung. 

Danach  käme  der  Thron  des  Bischof  Maximian  von  Ravenna  (546 — 556) 
G  414 — 419.  Mol.  67  Abb.  und  Taf.  7.  [Abb.  74].  Dazu  gesellt  sich  der  Rest  eines 
gleichartigen  Thrones  in  Trier,  Bonner  Jahrb.  1900  Taf.  19,  1,  das  Diptychon  mit  Paulus 
und  Petrus,  teils  in  Tongern,  teils  in  Brüssel,  Mol.  54  Abb.,  sowie  dasjenige  aus 
S.  Maximin  bei  Trier,  in  England  (früher  bei  Bateman,  jetzt  bei  Clean)  G  452,  1.  2, 
mit  je  zwei  Evangelisten  und  je  einer  Jesusszene  oben  statt  des  Muschelbogens. 

Die  jüngere  Reihe  der  zweiten  Gruppe  fünfteiliger  kirchlicher  Diptychen  kann 
ich  bis  auf  bessere  Belehrung  dem  Maximiansthron  nicht  voranstellen.  Erst  aber  will 
das  einst  barberinische,  jetzt  pariser  fünfteilige  Diptychon  hier  eingeordnet  sein;  man 
erinnert  sich,  es  zeigt  zentral  den  Kaiser  auf  bäumendem  Pferd  mit  rechtsgestelltem 
Kopf,  im  Sockelstück  tributbringende  Barbaren,  im  Kopfstück  das  Brustbild  des  griechisch 
segnenden  unbärtigen  Christus  mit  kreuzbekröntem  Zepter  (Stabkreuz),  Gori  II  168 
Taf.  1.  Venturi  I  Fig.  360.  Strong,  Roman  sculpture  Taf.  105.  [Abb.  75].  Die  noch 
umblickenden,  schwebenden  Siegesgöttinnen  oder  Siegesengel,  die  verzierten  rahmenden 


256  Bildwerke  aua  besonderen  Materialien. 

Stäbe  um  die  hohen  Tafeln,  die  Zähnchen  über  dem  Soldaten,  alles  kehrt  wieder  in 
dem  führenden  Vertreter  der  jüngeren  kirchlichen  Diptychen  zu  Etschmiadzin,  Byz. 
Denkm.  I  Taf.  1.  Die  eingerollten  Bandenden  unter  dem  Christusmedaillon  beweisen, 
daß  das  Vorbild  des  Kaiserdiptychons  im  Kopfstück  einen  ähnlichen  Kranz  enthielt 
wie  die  Deckel  des  Evangeliars.  Den  tributbringenden  weithosigen  bärtigen  Ägyptern 
dort  entsprechen  die  gabenbringenden  weithosigen  bärtigen  Magier  hier;  die  Sieges- 
göttin mit  Tropaeon  zwischen  Ägyptern  und  Indern  dort  kehrt  wieder  in  dem  die  Magier 
begleitenden  Engel  hier.  Nur  ist  die  Arbeit  für  den  Kaiser  sorgfältiger,  die  für  die 
Kirche  allzuflott.  —  Noch  später  ist  Paris,  Bibl.  nat.  n.  9384  G  458,  1.  2.  Dazu  das 
Seitenstück  aus  Kasan,  in  Moskau,  Byz.  Denkm.  I  43  Abb.  —  Nebenher  gehen  mehrere 
Arbeiten  von  Interesse.  Das  berliner  Diptychon  n.  2.  3  (G  451  1.  2.  Venturi  I  Fig.  383. 
384)  mit  dem  bärtigen  Christus  und  dem  Christkind  auf  dem  Schoß  der  Mutter.  Wenn 
Smirnov  das  C  am  unteren  Rande  mit  Recht  als  den  Rest  eines  ursprünglich  vorhandenen 
Maximiansmonogrammes  ansieht,  so  hat  der  Bischof  das  Diptychon  zu  anderer  Zeit  und 
aus  anderer  Werkstatt  bezogen,  als  den  Thron.  —  Ferner  die  Tafel  in  Paris,  Cluny, 
Giraudon  n.  276,  mit  langbärtigem  Paulus  vor  geschlossenem  gemustertem  Vorhang  der 
Koncha.  —  Eine  Anzahl  Pyxiden  schließt  sich  an.  Verhältnismäßig  früh  scheint  die 
bei  Wasilewski  G  440,  2  mit  Gesetzesempfang;  das  Gesetz  ist  mit  einem  Kreuz  be- 
zeichnet wie  das  Buch  des  Christus  an  den  Diptychen  zu  Etschmiadzin  und  Paris 
G  458,  1  und  das  des  Paulus  an  der  Tafel  zu  Cluny.  Damit  läßt  sich  vielleicht  die 
Pyxis  in  Pesaro  vergleichen  G  439,  1.  Der  Heilung  des  Blinden  assistieren  zwei  bärtige 
Apostel  mit  Büchern;  die  Zahl  solcher  assistierender  bärtiger  Apostel  mit  Büchern 
steigt  in  den  letzten  vier  Pyxiden  unseres  Verzeichnisses  bis  zu  fünfen.  Diese  vier 
Büchsen  sind  später  als  die  bei  Wasilewski  und  in  Pesaro,  sie  gehören  in  die  Gefolg- 
schaft des  Diptychons  der  Bibliotheque  nationale  und  des  Paulus  von  Cluny,  sind  aber 
bis  zur  Rohheit  flüchtig  geschnitten:  Berlin  n.  5.  Bonn  G  439,  2.  Paris  G  439,  3. 
Paris,  Cluny  n.  1034. 

Auf  der  Schwelle  zum  Mittelalter  stehen  die  Tafeln,  welche  Graeven  auf 
den  als  Markusthron  verehrten  Stuhl  zu  Grado  zurückführt  (Rom.  Quartalschr.  1899 
Taf.  8.  9;  Frühchr.  Elfenb.  II  n.  42 — 48);  sie  seien  kurz  vor  610  entstanden.  Daneben 
bliebe  die  sog.  Predigt  des  Paulus  zu  nennen,  die  Strzygowski  anfangs  auf  Markus 
und  seine  fünfunddreißig  Nachfolger  deutete,  Strzygowski,  Orient  72  Abb.  30;  Bull. 
Soc.  arch.  d'Alexandrie  1902,  79.  —  In  das  Mittelalter  selbst  führt  uns  die  immer 
noch  im  Geleise  der  Konsulardiptychen  fahrende  Doppeltafel  in  Cremona  G  453,  2.  3 
mit  den  heiligen  Akakios  und  Theodoros. 

Sobald  die  Elfenbeinarbeiten  in  sich  chronologisch  geordnet  sind,  soweit  die  in 
ihnen  oflenliegenden  Kriterien  es  erlauben,  und  die  Sarkophage  ebenso,  wird  es  förder- 
lich sein,  beide  Reihen  miteinander  zu  vergleichen,  die  Elfenbeinsachen  insbesondere 
mit  den  spätantiken  Sarkophagen,  den  ravennatischen,  gallischen  usf. 

Zum  Schlüsse  sei  noch  kurz  auf  die  Versuche  hingewiesen,  den  einzelnen  Elfen- 
beinarbeiten ihre  Heimat  nachzuweisen.  Stuhlfauth  blieb  bei  Italien  (Rom,  Mailand 
und  Ravenna,  Monza  und  Byzanz).  Strzygowski  verlegte,  mit  anderen,  den  Schwerpunkt 
nach  dem  Osten,  insbesondere  nach  Syrien  und  Ägypten.  Graeven  stand  dieser  Richtung 
keineswegs  ablehnend  gegenüber,  meinte  aber,  erst  wenn  das  ganze  Material,  mitein- 
geschlossen   die    spätantiken    Reliefs    heidnischen   Inhalts,    gesichtet   und  geordnet  sei, 


Holz.  257 

würden  wir  eine  festere  Grundlage  besitzen,  auf  der  sich  die  Geschichte  der  altchrist- 
lichen Elfenbeinskulptur  aufbauen  ließe.1) 


Holz. 

Die  geschnitzte  Tür  von  San  Ambrogio  zu  Mailand  hat  Goldschmidt  einer 
eingehenden  Prüfung  unterzogen,  die  zum  Ergebnis  gelangt,  das  Werk  sei  nicht  mittel- 
alterlich, aus  dem  neunten  oder  elften  Jahrhundert,  wie  man  früher  meinte,  sondern 
antik,  und  rühre  vom  ursprünglichen  Bau  der  Basilika  her,  welchen  Bischof  Ambrosius  379 
begann  und  386  weihte;  die  Türe  würde  aus  dem  Ende  der  Bauzeit  stammen.  Beim 
Neubau  der  Kirche  um  1100  würde  die  Tür  wieder  verwendet  worden  sein,  an  der 
alten  Stelle;  damals  hätte  man  die  Ringe  haltenden  Löwenmäuler  durch  neue  ersetzt. 
Später  stand  die  Tür  als  eine  Reliquie  des  H.  Ambrosius  in  Ehren;  die  frommen  Be- 
sucher lösten  sich  Splitter  vom  Bildwerk  und  nahmen  sie  als  köstliche  Kleinodien  mit. 
Diese  langsame  Zerstörung  war  1750  soweit  gediehen,  daß  eine  gründliche  Herstellung 
nötig  schien.  Die  am  stärksten  beschädigten  unteren  Bildfelder  wurden  durch  neue 
ersetzt  (die  Reste  der  unteren  Großfelder  werden  im  Archiv  der  Kirche  aufbewahrt), 
die  nicht  ebenso  stark  verletzten  übrigen  stellte  man  her,  so  gut  man  es  damals  ver- 
mochte. Von  den  Ornamentrahmen  der  Füllungen  wurden  große  Teile  neu  gearbeitet, 
ebenso  das  Hauptrahmensystem. 

Die  Tür  besteht  aus  zwei  Flügeln,  ein  jeder  enthält  zwei  hohe  Felder  zwischen 
drei  niedrigen;  die  hohen  Felder  sind  in  zwei  Zonen  zerlegt,  so  daß  im  ganzen  vierzehn 
Bilder  zu  schaffen  waren.  In  den  modernen  Sockelfeldern  sind,  vielleicht  in  Anlehnung 
an  das  Ursprüngliche,  je  zwei  Drachen  sich  gegenübergestellt;  in  den  Kopffeldern 
halten  je  zwei  umblickende  Viktorien  oder  Engel  einen  Kranz  mit  dem  Monogramm, 
das  Zeichen  des  triumphierenden  Christus.  Die  andern  zehn  Bilder  erzählen  Momente 
aus  der  Geschichte  Davids,  wie  er  als  Hirt  den  Löwen  und  den  Bären  besiegt;  wie  er, 
der  jüngste  unter  den  Söhnen  Isais,  von  Samuel  gesalbt  wird;  wie  er  durch  sein  Harfen- 
spiel den  König  Saul  vom  bösen  Geist  befreit;  und  wie  er  den  Goliath  erschlägt. 
David  war  der  Lieblingsheld  des  Ambrosius.  In  der  altchristlichen  Kunst  kommt  er 
auch  sonst  vor,  allerdings  verhältnismäßig  selten,  nur  mit  der  Schleuder,  und  gegen- 
über Goliath,  häufiger  erst  in  den  mittelalterlichen  Psalterillustrationen.  Die  Figuren 
sind    überwiegend    frontal    gestellt;    gern  werden  im  Hintergrund  Architekturen  ange- 


*)  Stuhlfauth,  Altchristliche  Elfenbeinplaatik  1896,  seine  Ergebnisse  S.  198—203.  Strzy- 
gowski,  Rom.  Quartalschr.  1898,  1;  Orient  oder  Born  1901  Der  ägyptische  Kunstkreis,  85  Die 
Elfenbeintafel  des  Domes  zu  Trier.  Derselbe,  Bull.  Soc.  arch.  d'Alexandrie  V  1902  Hellenistische 
und  koptische  Kunst  in  Alexandria.  Ainaloff,  Hellenistische  Grundlagen  der  byzantinischen 
Kunst  1900  (vgl.  ßepertorium  1903,  44).  Graeven,  Gott.  gel.  Anz.  1897,  50  über  Stuhlfauths 
Schulen;  Bonner  Jahrb.  1900,  161.  Wulff  Deutsche  Lit.  Zeitung  1906,  1468  macht  recht  fühlbar 
auf  wie  unsicherem  Boden  diese  ganze  Forschung  noch  steht.  »Aus  alledem,"  sagt  Wulff,  ergibt 
sich  der  Schluß:  die  fünfteiligen  Diptychen  gehören  mindestens  verschiedenen  Schulen  an  (oder 
bestehen  nur  zeitliche  Unterschiede?),  —  aber  zwischen  ihnen  existieren  Zusammenhänge  oder 
Beziehungen  usf."  Man  beachte  auch  den  Satz  bei  Strzygowski,  Bull.  d'Alexandrie  1902,  77: 
„Nach  dieser  Zeit  gab  es  auch  in  Ägypten,  scheint  es,  wieder  nur  eine  Kunst,  jenes  Chaos  von 
griechischen,  einheimischen  und  syrisch-orientalischen  Elementen,  das  man  damals  überall  findet*  usf.. 
Wäre  es  nicht  ratsam,  erst  das  Allgemeine  festzustellen,  das  man  .überall  findet",  und  zwar  fest- 
zustellen in  seinem  geschichtlichen  Verlauf,  um  dann  das  Besondere  um  so  sicherer  zu  fassen? 

Sybel,  Christliche  Antike  II.  17 


258  Bildwerke  aus  besonderen  Materialien. 

bracht  (was  man  versucht  sein  könnte,  für  eine  zweitürmige  Kirche  zu  halten,  beim 
harfenierenden  David,  ist  großenteils  moderne  Ergänzung,  nur  der  Turm  zunächst  Saul 
ist  alt).  —  Die  hohen  Felder  umrahmen  Perlstab,  unterschnittenes  naturalistisches  Wein- 
laub mit  darin  spielenden  Vögeln,  ein  zweiter  Perlstab  und  eine  intermittierende  Wellen- 
ranke gefüllt  mit  stilisiertem  Blatt-  und  Blüten  werk;  die  niedrigen  Felder  begnügen 
sich  mit  einem  Perlstab  und  der  Wellenranke.1) 

Die  Holztüre  der  Kirche  Santa  Sabina  auf  dem  Aventin  zu  Rom,  wie  die 
vorige  aus  hartem  Zypressenholz,  hat  wulstiges  Rahmenmerk,  Weinreben  in  durch- 
brochener Arbeit;  aus  Abstand  betrachtet  fällt  die  Wirkung  des  regelmäßigen  Wechsels 
glatter,  also  hellerer  Blätter  und  gegliederter,  also  dunklerer  Trauben  auf.  Jede  Füllung 
umschließt  noch  ein  flachgeschnittenes  Ornamentband.  Zum  Gebrauch  ist  die  Tür  in 
zwei  breite  Flügel  zerlegt,  künstlerisch  aber  in  vier  schmale  Bahnen;  in  jeder  wechseln 
drei  hohe  mit  vier  niedrigen  Feldern,  so  daß  viermal  sieben,  gleich  achtundzwanzig 
Felder  gezählt  werden.  Die  Bilder  von  sechs  niedrigen  und  vier  hohen  Feldern  aus 
dem  unteren  Teil  der  Türe  fehlen;  erhalten  sind  acht  hohe,  zehn  niedrige  Bildfelder. 
Bei  einer  Reparatur  scheinen  sie  so  gründlich  in  Unordnung  geraten,  daß  ihre  ur- 
sprüngliche Anordnung,  vollends  bei  dem  Verlust  so  vieler  Stücke,  nicht  mehr  ermittelt 
werden  kann.  Es  sind  aber  mehr  Szenen,  als  Bildfelder;  denn  verschiedene  hohe  Felder 
enthalten  zwei  bis  vier  Szenen. 

Die  Motive  entnahm  der  Künstler  teils  dem  alt-,  teils  dem  neutestamentlichen 
Kreis;  der  Christus  ist  in  den  Szenen  aus  der  Passion,  als  Auferstandener  und  in  den 
Himmel  Erhobener  langlockig  bärtig,  sonst  unbärtig.  Von  den  acht  großen  Feldern 
enthält  die  Hälfte  alt-,  die  andere  Hälfte  neutestamentliche  Szenen;  in  den  kleinen 
findet  sich  eine  alttestamentliche  neben  neun  neutestamentlichen.  —  Erhalten  sind  aus 
dem  alten  Testament  verschiedene  Mosesszenen,  Elias'  Himmelfahrt  und  Habakuk  auf 
dem  Felde;  aus  dem  neuen  Testament  Zacharias  vor  dem  Tempel,  Magier  vor  dem 
Christkind,  Weinzauber,  Brotwunder,  Blindenheilung(?),  Verklärung,  Christus  vor  Kaiphas, 
Hahnszene,  Pilatus'  Händewaschen  und  Kreuztragen,  Kreuzigung,  Frauen  am  Grabe, 
der  Auferstandene  erscheint  den  Frauen,  ebenfalls  den  Männern,  Himmelfahrt  und 
Triumph  des  Christus. 

Über  das  Alter  der  Tür  gehen  die  Ansichten  weit  auseinander.  Die  Frage  wird 
noch  dadurch  kompliziert,  daß  man  in  den  vielen  und  vielerlei  Reliefs  verschiedene 
Hände  zu  erkennen  glaubt  und  zwar  Hände  aus  verschiedenen  Jahrhunderten;  über 
die  Zuteilung  der  Felder  an  die  verschiedenen  Hände  aber  kann  man  sich  auch  nicht 
einigen.  So  schwankt  die  Datierung  zwischen  dem  fünften  Jahrhundert  als  der  Ent- 
stehungszeit der  Kirche  und  allen  folgenden  Jahrhunderten  bis  zum  dreizehnten.  Die 
neuere  Forschung  neigt  im  ganzen  dahin,  die  Arbeit  der  Tür,  wenigstens  der  als  ur- 
sprünglich angenommenen  Felder,  in  das  fünfte  Jahrhundert  zu  setzen  oder  doch  wenig 
später.  Ohne  auf  das  einzelne  der  Stilkritik  eingehen  zu  wollen  stelle  ich  nur  fest, 
daß  die  Typik  zwar  durchaus  an  die  Tradition  anknüpft,  aber  in  mancher  Beziehung 
Neues  bringt.    Außerdem  möchte  ich  nur  eine  Kleinigkeit  hervorheben,  den  ringförmig 


*)  Adolf  Goldschmidt,  Die  Kirchentür  des  Heiligen  Ambrosius  in  Mailand,  ein  Denkmal 
frühchristlicher  Skulptur,  mit  6  Tafeln,  Straßburg  1902.  Zweifelnd  äußert  sich  Jos.  Sauer,  Köm. 
Quartalschr.  1902,  72. 


Gemmen.  259 

über  Brust  und  Schultern  gelegten  Streifen  (einmal  mit  herabhängender  Verlängerung), 
den  zwei  der  grüßenden  Männer  auf  der  Zachariastafel  VI  anhaben,  freilich  anscheinend 
über  Chlamys;  es  sieht  aus  wie  eine  Weiterbildung  der  gelegentlich  der  Diptychen  be- 
sprochenen kontabulierten  Toga  (Trabea),  eine  Weiterbildung,  die  in  derselben  Halb- 
kreisform die  zwei  „Bischöfe"  auf  dem  Wagen  der  Trierer  Tafel  tragen. 

Neben  der  Diskussion  über  die  Ursprungszeit  geht  natürlich,  unermüdlich  und 
unerschöpflich,  der  alte  Streit,  ob  römisch,  ob  byzantinisch  oder  nun  ostgriechisch, 
syrisch.  Man  streitet  vergebens,  solange  die  Chronologie  der  Denkmäler  nicht  fest- 
steht und  damit  der  Verlauf  der  altchristlichen  Kunst  als  Ganzes.1) 

Reste  von  Türen  im  Sinaikloster  und  im  Museum  zu  Kairo  datiert  Strzygowski 
versuchsweise  ins  fünfte  bis  achte  Jahrhundert.2) 

Eine  Holzschnitzerei  aus  Ägypten,  im  Kaiser  Friedrich-Museum,  hat  Strzy- 
gowski als  eine  Arbeit  des  vierten  Jahrhunderts  veröffentlicht;  die  figurenreiche  Dar- 
stellung mit  viel  architektonischer  Szenerie  deutet  er  auf  die  „Vertreibung  der  Barbaren 
von  der  Feste  des  Glaubens".  Als  verwandte  Arbeiten,  sie  aus  dem  Gebiete  der 
Elfenbeinskulptur,  reiht  er,  in  reichlichem  Abstand,  das  trierer  Relief  mit  der  Reliquien- 
einbringung und  die  pariser  sog.  Predigt  des  Paulus  an.8) 

Skulpierte  Bauhölzer  aus  Bawit,  in  Kairo  und  in  Berlin,  tragen  teils  orna- 
mentalen teils  figürlichen  Schmuck.  Einige  stellen  bärtige  Gestalten  in  Konchen  dar, 
einer  hält  in  der  Linken  das  deutlich  mit  Kreuz  bezeichnete  Buch;  sie  erinnern  an  die 
bärtigen  Gestalten  der  Elfenbeinskulptur  des  sechsten  Jahrhunderts,  werden  aber  von 
Strzygowski  versuchsweise  in  das  fünfte  datiert.  Andere,  in  Berlin,  zeigen  schwebende, 
ein  Rund  tragende  „Engel",  den  Daniel  zwischen  den  Löwen,  in  Barbarentracht  wie 
wir  es  an  der  Gartheschen  Pyxis  in  London  sahen,  usf.4) 


Gemmen. 

Die  Gemmen  bilden  eine  Spezialität,  die  nur  von  solchen  Gelehrten  beurteilt 
werden  kann,  welche  größere  Bestände  derselben  dauernd  unter  Händen  haben.  Auf 
solcher  vertrauter  Bekanntschaft,  in  Verbindung  mit  ausgebreiteter  Denkmälerkenntnis 


J)  Holztür  von  S.  Sabina:  Kondakoff,  Eev.  arch.  XXXIII  1877,  361  Taf.  11.  Garrucci, 
Storia  VI  178  Taf.  499.  500.  Strzygowski,  Jahrb.  pr.  Kunstsamml.  1893,  75.  Grisar,  Rom.  Quartal- 
schrift 1894,  4  Taf.  1.  Kraus,  Gesch.  I  494  Fig.  381.  Stuhlfauth,  Elfenbeinplastik  1896,  26.  203. 
Holtzinger,  Altchr.  u.  byz.  Baukunst8  1899,  45  Fig.  39.  Wiegand,  Altchristi.  Hauptportal  an  d. 
Kirche  der  heiligen  Sabina  auf  dem  aventin.  Hügel  zu  Rom,  mit  21  Phototypien,  Trier  1900. 
Vehturi,  Storia  I  476  Fig.  308—325.  Ainaloff,  Hellenistische  Grundlagen  121  (Repert.  1903,  47). 
Kaufmann,  Handb.  518.  Leclerq,  Manuel  II  633.  —  Es  ist  zu  bedauern,  daß  Grisar  eine  andere 
Bezifferung  der  Felder  eingeführt  hat  als  Garrucci. 

8)  Strzygowski,  Koptische  Kunst  1904,  126  zu  n.  8782  ff. 

s)  Strzygowski,  Orient  oder  Rom  65  Taf.  3.  Dazu  Wulff  in  den  Kunstwiss.  Beitr.  für 
Schmarsow  1907,  16.  Kaufmann,  Handbuch  522,  1  bezweifelte  trotz  des  Labarum  den  christlichen 
Ursprung. 

4)  Strzygowski,  Koptische  Kunst  117  n.  8775—8781.  Führer  durch  das  Kaiser  Friedrich- 
Museum8  1905,  30.  —  Daniel  in  Barbarentracht  zwischen  den  Löwen  auch  an  der  Gemme  bei 
Furtwängler,  Antike  Gemmen  Taf.  57,  1. 

17* 


260 


Plastik. 


und  geschultem  Stilgefühl,  beruht  Furtwänglers  Gemmenwerk.  Darin  sind  einige  christ- 
liche Stücke  abgebildet,  aber  des  Näheren  ist  dort  nicht  auf  die  Materie  eingegangen. 
Unter  diesen  Umständen  müssen  wir  uns  begnügen,  die  Hoffnung  auszusprechen,  daß 
ein  gemmenkundiger  Archäologe  sich  dem  Gegenstand  widmen  und  die  altchristlichen 
Gemmen  auf  Echtheit,  Ursprungszeit  und  Typik  im  Zusammenhang  untersuchen  werde.1) 


Plastik. 

Das  Wort  Plastik  wird  konventionell  meist  im  weiteren  Sinne  gebraucht  (so  auch 
von  uns  oben  S.  33.  35)  für  alle  Art  erhabener  Arbeit,  in  Relief  und  Rund  werk.  Im 
engeren  und  technischen  Sinn  bezeichnet  es  die  Arbeit  in  bildsamen  Stoffen,  wie  Ton 
oder  Wachs,  dann  aber  auch  die  in  Metall,  weil  auch  dies  ein  bildsamer,  duktiler  Stoff 
ist;  das  Metall  läßt  sich  hämmern  und  treiben,  ziehen,  schmelzen  und  in  Formen 
gießen.  Dabei  erlaubt  es  aber  auch  den  Angriff  mit  scharfen  Instrumenten,  Gravieren, 
Ziselieren,  Schneiden,  Meißeln. 

Metall. 

Lange  Zeit  galt  das  große  Sitzbild  des  Petrus  in  der  Peterskirche  als  antik  und 
zwar  als  ein  Werk  aus  dem  fünften  Jahrhundert.  Zuerst  bestritt  Didron  den  antiken 
Ursprung,  ihm  folgte  neuerdings  Wickhoff;  beide  setzten  die  Figur  in  das  dreizehnte 
Jahrhundert.  Während  Kraus  und  Kaufmann  zustimmten,  suchen  Grisar  und  Wittig 
die  Statue  der  christlichen  Antike  zu  erhalten.  Das  Urteil  wird  erschwert  durch  den 
Mangel  an  spätantikem  Vergleichsmaterial;  Neues  bringt  Petersen,  der  Grisar  zu- 
stimmt. —  Eine  berliner  Kleinbronze,  Bärtiger  in  Poderes  und  Himation,  der  in 
der  Linken  ein  Kreuzmonogramm  hält  (in  der  Größe  des  in  den  Bildwerken  von  Petrus 
und  von  Simon  von  Kyrene  getragenen  Kreuzes)  und  linkshin  blickend  die  Rechte 
sprechend  hebt,  wird  auf  Petrus  gedeutet,  unter  Widerspruch  V.  Schultze's.  Die  Statuette 
wird  in  das  Ende  des  vierten  Jahrhunderts  gesetzt,  Nik.  Müller  hält  sie  für  den  Rest 
einer  Bronzelampe.  Der  Typus  der  Figur,  nur  mit  schlichtem  Kreuz,  kehrt  in  einem 
Relief  aus  Sinope  wieder. 

Den  Henkel  einer  Bronzekanne,  in  Gestalt  des  Paulus,  auf  einem  Weinblatt 
stehend,  den  Kopf  vor  einer  Muschel,  aus  dem  sechsten  Jahrhundert,  gibt  Garrucci 
467,  1  gleich  neben  der  Petrusstatuette;  auch  in  der  ungenügenden  graphischen  Wieder- 
gabe fällt  der  Stilunterschied  auf.  Bronzelampen,  auf  die  wir  nicht  eingehen,  findet 
man  bei  Garrucci  auf  den  Tafeln  468 — 472.2) 


*)  Gemmen:  Max  Bauer,  Edelsteinkunde,  mit  20  Tafeln,  1896.  Blümner,  Terminologie  und 
Technologie  III  227.  Furtwängler,  Antike  Gemmen,  Gesch.  d.  Steinschneidekunst  im  Altertum 
1900  III  360.  363  Taf.  50,  55.  67,  1—7.  —  de  Bossi,  Spicileg.  Solesm.  IV  577.  Kraus,  BE  II  786. 
Garrucci  VI  Taf.  477—479.     Kaufmann,  Handb.  592.     Leclercq,  Manuel  II  361. 

a)  Großbronze:  Didron,  Ann.  archeol.  1863,  29.     Wickhoff,  Zeitschr.  für  bild.  Kunst  1890, 


Metall.  261 

Von  Arbeit  in  Silber  liegen  wertvolle  Proben  aus  der  Spätantike  vor.  Eine  Keine 
von  Schalen  ist  bekannt  unter  der  konventionellen  Bezeichnung  Silberschilde.  Ihre 
hohle  Innenseite  trägt  Bildwerk  (der  Archäologe  erinnert  sich  derart  angeordneter 
Silberschalen  aus  der  hellenistischen  und  frühkaiserlichen  Zeit);  dem  Zweck  und  Geiste 
nach  den  Kaiser-,  Konsular-  und  Beamtendiptychen  verwandt  schließen  sie  sich  auch 
ihrer  Typik  mehrmals  eng  an.  Die  älteren  Stücke  geben  das  Bild  in  Relief,  die  aus 
dem  sechsten  Jahrhundert  nur  in  Gravierung;  teilweise  Vergoldung  tritt  hinzu.  Wie 
jene  Diptychen  so  sind  auch  die  Silberschilde  datiert  oder  annähernd  genau  datierbar. 

Schale  des  Valentinian  I  (364 — 375),  in  Genf.  Relief:  der  nimbierte  Kaiser,  ge- 
panzert, steht  mit  Labarum  und  Weltkugel  zwischen  sechs  Protektoren.  Im  Seg- 
ment Schild,  Schwert  und  Helm.  Umschrift:  Largitio  D  N  Valentiniani  Augusti. 
CJL  XII  5697,5. 

Schale  des  Theodosius  vom  Jahr  388,  in  Madrid.  Relief:  in  den  Interkolumnien 
eines  viersäuligen  Baues  mit  Giebel,  in  dem  zwei  heranschwebende  Eroten  auf 
Tüchern  Blumen  bringen,  thront,  er  unter  Rundbogen,  der  Kaiser  zwischen  seinen 
zwei  Söhnen;  letztere  tragen  die  umkreuzte  Weltkugel,  der  links  hält  ein  Zepter, 
der  rechts  hebt  drei  Finger  der  Rechten  (ohne  die  Chlamys  wäre  er  völlig  ein 
Christus);  alle  drei  sind  nimbiert  und  in  Chlamys;  der  Kaiser  übergibt  einem 
kleiner  gezeichneten  Beamten  Befehle;  jederseits  zwei  Protektoren.  Im  Segment 
lagert  Terra  zwischen  Ähren,  mit  Füllhorn,  umspielt  von  drei  Putten.  Umschrift: 
D  N  Theodosius  perpet.  Aug.  ob  dient  felicissimum  X.  CJL  II  483.  Mat^riaux 
Taf.  5. 

Schale  des  Konsul  Aspar  vom  Jahr  434,  in  Florenz,  Uffizi.  Relief:  der  Konsul  in 
sog.  Trabea  thront  die  Mappa  hebend,  neben  ihm  steht  sein  Sohn,  dabei  Roma 
und  Konstantinopolis  (so  Meyer  und  Strzygowski;  nach  Amelung  Karthago).  Oben 
zwei  Medaillons  mit  den  Porträts  des  Ardabur  und  Plinta.  Im  Segment  Blätter, 
Schilde  und  Tafel.  Umschrift:  f  Fl.  Ardabur  Aspar  vir  inlustris  com.  et  mag. 
militum  et  consul  Ordinarius.  CJL  XI  3637.  Meyer,  Bayr.  Akad.  Abh.,  philos.- 
philol.  Classe  XV  1881,  6.  Amelung,  Führer  265  u.  259.  Über  Aspar  und  seine 
Verwandten  vgl.  Seeck  bei  Pauly-Wissowa  II  606. 

Schale  aus  Perugia,  zusammengefunden  mit  Goldmünzen  Justins  und  Justinians,  ver- 
schollen. Gravierung:  Reiter  in  römischer  Rüstung,  ohne  Helm,  sprengt  nach 
rechts,  stößt  mit  der  Lanze  nach  einem  gebückt  fliehenden  Feind,  die  Linke  hält 
das  Schwert;  hinter  ihm  ein  Baum.  Umschrift:  f  de  donis  dei  et  domni  Petri  utere 
felix  cum  gaudio.  CJL  XI  2088.  de  Rossi,  Bull,  crist.  1873,  152  (denkt  sich  die 
Schale  als  Geschenk  des  Papstes  Vigilius  an  Belisar  für  die  Befreiung  Roms  von 
den  Gothen  537). 


109.  Kraus,  Gesch.  I  231  Fig.  186.  Kaufmann,  Handb.  509.  Frey,  Deutsche  Lit.  Zeit.  1896, 
1044  denkt  an  das  achte  Jahrhundert.  Grisar,  Anal.  Rom.  I  627;  Civilta  catt.  1898,  461.  Wittig, 
Campo  santo  103.  Petersen,  Rom.  Mitteil.  1900,  172,  1.  —  Statuette:  Beschr.  d.  Bildw.  ehr. 
Epoche  Berlin  1888  n.  1.  G  467,  3.  Kraus,  Gesch.  I  232  Fig.  188.  Schultze,  Katak.  184.  Leclercq, 
Manuel  II  259  Fig.  227.  Müller,  Rom.  Quart.  1900,  218.  —  Sinope:  Strzygowski,  Kleinasien 
197  Fig.  141. 


262  Plastik. 

Schale,  wahrscheinlich  des  Justinian,  aus  Kertsch.  Gravierung:  der  nimbierte  Kaiser 
in  gegürtetem  Leibrock  auf  rechtshin  sprengendem  Pferd,  unter  dem  ein  Schild 
liegt,  in  der  Rechten  die  Lanze;  vor  ihm  hebt  die  Siegesgöttin  einen  Kranz,  die 
Linke  hält  einen  Palmzweig;  hinter  ihm  ein  Protektor,  dessen  Schild  das  Christus- 
monogramm (mit  etwas  offenem  P  trägt).     Materiaux  Tal  l.1) 

Ein  Silberkästchen  aus  Rom,  nach  unten  sich  verengernd,  der  Deckel  wie  ein 
nach  den  vier  Seiten  schrägabfallendes  Dach;  also  formverwandt  den  späten  südwest- 
gallischen Sarkophagen,  war  wohl  ein  Hochzeitsgeschenk.  Es  trägt  heidnische  Dar- 
stellungen (Brustbilder  des  Brautpaars  in  einem  von  Eroten  gehaltenen  Kranz;  Toilette 
der  Venus,  die  in  einer  Muschel  sitzt;  ein  Teil  ihres  Gefolges,  Nereide  auf  einem  See- 
drachen, an  der  Rückseite,  usf.),  aber  eine  christliche  Inschrift  Secunde  et  Proiecta 
vivatis  in  Chrifsto,  das  übrige  fehlt.  —  Ein  zweites  Silberkästchen  in  S.  Nazario  zu 
Mailand  setzt  Riegl  in  die  Zeit  Diokletians,  Graeven  in  die  konstantinische,  de  Mely 
zwischen  370  und  406.  —  Eine  ovale  Silberschachtel  aus  Numidien,  im  Vatikan, 
zeigt  auf  dem  Deckel  einen  Seligen  zwischen  zwei  auf  Kandelabern  brennenden  Kerzen; 
er  steht  auf  dem  Vierstromberg  und  hält  einen  Kranz  in  den  Händen,  eine  Hand  aus 
Wolken  hält  einen  zweiten  Kranz  über  ihn.  An  der  Kastenwand  einerseits  das  Christus- 
monogramm auf  dem  Vierstromberg,  Hirsch  und  Hindin  trinken  knieend,  diese  Gruppe 
zwischen  zwei  Palmbäumen;  andrerseits  das  Lamm  Gottes,  über  dessen  Rücken  ein 
Kreuz  steht,  zwischen  acht  Schafen  aus  Jerusalem  und  Bethlehem.  Die  Seligen  zwischen 
brennenden  Kerzen  sind  spät  nordafrikanisches  Motiv,  die  Kerzen  kommen  auch  an 
spätravennatischen  Sarkophagen  vor.8) 

Eimer  von  Blei  aus  Tunis,  für  christlichen  Kultgebrauch  bestimmt;  aber  die 
verwendeten  Bildstempel  sind  aus  dem  Vorrat  der  Werkstatt  genommen,  wie  sie  zur 
Hand  waren,  heidnische  neben  christlichen.  Ein  Spruchband  bringt  die  Worte  Jes.  12,  3 
* Avrhqoare  vdtüQ  fier'  stxpQOOvvrjg.  Rein  heidnisch  ist  die  Nereide  auf  einem  Seebock 
reitend,  der  trunkene  Silen  auf  dem  Esel,  ein  Bestiarius  mit  Siegeskranz,  der  Löwe 
einen  Stier  zerfleischend;  der  Hirsch  von  einem  Hund  verfolgt  und  der  anspringende 
Bär  stammen  wohl  auch  aus  der  Arena.  Die  Stadtgöttin  von  Karthago,  streng  ge- 
nommen heidnisch,  sahen  wir  wie  Roma,  Konstantinopolis,  Alexandria,  an  den  Denkmälern 
der  christlichen  Kaiserzeit  eingebürgert.  Der  Palmbaum  ist  durch  Wahl  christlich  ge- 
worden, ebenso  das  an  der  Vase  nippende  Pfauenpaar.  Die  Siegesgöttin  kann  als 
Engel  aufgefaßt  werden.  Originale  christliche  Schöpfungen  sind  nur  der  Gute  Hirt 
und  der  Berg  mit  Kreuz  und  Hirschen.  Die  umlaufende  Weinranke  ist  auch  über- 
nommen; in  der  Anordnung,  Blatt  und  Traube  wechselnd,  erinnert  sie  an  die  Tür  von 
S.  Sabina.3) 


*)  Strzygowski  hat  bei  Veröffentlichung  der  Schale  aus  Kertsch  die  Denkmäler  zuletzt  zu- 
sammengestellt und  besprochen,  Materiaux  pour  servir  a  Parchöologie  de  la  Russie  Nr.  8  1892. 
Zustimmend  Graeven,  Gott.  gel.  Anz.  1897,  58. 

*)  Born:  d'Agincourt,  Hist.  de  l'art,  Sculpture  Taf.  9,  1 — 5.  Schultze,  Archäologie  278.  — 
Mailand:  Graeven,  Zeitschr.  für  bild.  Kunst  1899,  1.  Weis-Liebersdorf,  Christus-  und  Apostel- 
bilder 92.  Wittig,  Campo  santo  102.  de  Mely,  Ac.  inscr.  CE  1900,  52.  —  Vatikan:  de  Eossi, 
Bull,  crist.  1887,  118  Taf.  8—9;  Capsella  argentea  africana  1889.  Kraus,  Gesch.  I  527.  —  Noch 
ein  Silberkästchen  bei  Grisar,  Die  röm.  Kapelle  Sancta  Sanctorum  und  ihr  Schatz  1908. 

3)  de  Eossi,  Bull,  crist.  1867,  77.  G  428,  1.  2.    Schultze,  Archäologie  277. 


Terrakotta.  263 

Auf  einige  Bleisärge,  in  Italien,  Südfrankreich  und  Syrien  zum  Vorschein  ge- 
kommen, sei  nur  hingewiesen.  Sie  werden  in  das  dritte  und  vierte  Jahrhundert  ge- 
setzt. An  dem  von  Kraus  nach  de  Rossi  wiederholten  Exemplar  aus  Saida  ist  die 
umlaufende  Weinranke  mit  nippenden  Vögelchen  ganz  ansprechend;  aber  das  wieder- 
kehrende Christusmonogramm  mit  umgeschriebenem  IXSlC,  auf  dem  Deckel  unter 
Tabernakel,  und  die  Felderteilungen  in  Eautenform  mit  eingesetzten  Rosetten  (was  an 
einige  Konsulardiptychen  erinnert)  machen  gerade  nicht  den  Eindruck  sehr  frühen 
Ursprungs.1) 

Summarisch  erledigen  wir  auch  die  Münzen,  die  Enkolpien,  und  die  Me- 
daillen.2) 


Terrakotta. 

Altchristliche  Lampen  aus  Terrakotta  kommen  in  allen  Ländern  von  Gallien 
bis  Syrien  fortgesetzt  zahlreich  zutage;  das  meiste  Material  lieferte  Rom,  neuerdings 
Karthago,  auch  Ägypten.  Die  Lampen  dienten  im  Hause,  in  der  Kirche,  in  den 
Katakomben;  das  Altertum  hat  einen  reichen  Gebrauch  von  Lampen  gemacht.  Wenig 
Kunst  wurde  an  die  tönernen  Lampen  verschwendet.  Immerhin  bilden  die  christlichen 
eine  erwünschte  Ergänzung  der  nicht  minder  zahlreich  erhaltenen  heidnischen,  als  Ver- 
treter der  Gattung  aus  der  Zeit  der  Spätantike;  eine  scharfe  Scheidelinie  zwischen 
heidnischen  und  christlichen  Lampen  läßt  sich  ebensowenig  ziehen  wie  etwa  zwischen 
heidnischen  und  christlichen  Sarkophagen,  oder  Diptychen.  Es  fehlt  nicht  an  Stil- 
kriterien, nützliche  Arbeit  aber  kann  nur  bei  zusammenfassender  Behandlung  des  ganzen 
Materials,  des  heidnischen  und  des  christlichen,  geleistet  werden.  Toutain  hat  ein 
Korpus  der  christlichen  Lampen  in  Aussicht  gestellt.3) 

Ampullen.  Tönerne  Krüglein  dienten  den  Pilgern,  um  aus  den  an  den  heiligen 
Stätten  brennenden  Lampen  Ol  als  wertvolle  Reliquie  mitzunehmen.  Am  weitesten 
verbreitet  finden  sich  die  Menaskrüglein,  eigens  für  den  Zweck  gefertigte,  flachrunde 
kleine  Ampullen  mit  dem  Bilde  des  Heiligen  Menas  von  Alexandrien.  Ein  Märtyrer 
aus  der  diokletianischen  Verfolgung  wird  er  dargestellt  als  Orant  zwischen  zwei 
kauernden  Kamelen.     Viel  Kunstgeschichte  steckt  nicht  darin.4) 


»)  Renan,  Mission  en  Ph<5nicie  427  Taf.  60.  de  Rossi,  Bull,  crist.  1866,  76;  1873,  77  Taf.  4.  5 
Kraus,  Gesch.  I  236  Fig.  191. 

l)  Münzen:  Kraus  Realenzykl.  II  432;  Gesch.  I  490.  Schultze  in  Herzog-Haucks  Real- 
enzykl.3  1901,  768.  Kaufmann,  Handb.  597.  Leclercq,  Manuel  II  575.  —  Enkolpien:  de  Waal 
bei  Kraus,  Realenzykl.  II  419.  Strzygowski,  Byz.  Denkm.  I  99  Taf.  7.  Kaufmann,  Handb.  594.  — 
Medaillen:  de  Rossi,  Bull,  crist.  1869,  33  Taf.  Heuser  bei  Kraus,  Realenzykl.  II  384.  Marucchi, 
Rom.  Quartalschr.  1887,  320.     Kraus,  Gesch.  I  491. 

*)  Lampen:  Toutain  in  Daremberg-Saglios  Dictionn.  III  323  Art.  Lucernae.  Schultze, 
Katakomben  206;  Studien  280;  Archäologie  292.  de  Waal  in  Kraus'  Realenzykl.  II  267.  Kraus, 
Gesch.  I  485.  Kaufmann,  Handb.  568.  Leclercq,  Manuel  II  509.  —  Älteste  christliche  scheinen  die 
mit  dem  Stempel  ANN!  SER[apiodori?  Dressel,  Bull,  crist.  1895,  165.  Über  die  karthagischen 
Lampen  vgl.  Delattre,  Lampes  chrötiennes  de  Carthage,  in  der  Rev.  de  l'art  chröt.  1890 — 1893. 

a)  Ampullen:  Garrucci  VI  52  Taf.  435,  4.  Schultze,  Archäologie  300  Abb.  95.  Kaufmann, 
Handbuch  580  Fig.  217.  Leclercq,  Manuel  II  527.  Wilpert  bei  de  Waal,  Rom.  Quartalschr.  1906, 
86  Abb. 


264  Plastik. 

Wir  haben  einen  weiten  Weg  zurückgelegt,  von  den  Sarkophagen  der  Antoninen- 
zeit  nicht  bloß  zu  den  Menaskrüglein,  sondern  bis  zu  den  späten  Diptychen  und  Pyxiden, 
den  ravennatischen  und  südgallischen  Sarkophagen,  den  koptischen  Stelen.  Obendrein 
mußten  wir  uns  im  echternacher  Rhythmus  bewegen,  bei  jeder  Denkmälerklasse  wieder 
von  vorne  anfangen,  um  uns  von  neuem  demselben  Ziele  zu  nähern,  dem  Ausgang  der 
Antike.  Zu  einer  alle  Zweige  zusammenfassenden,  einheitlich  fortschreitenden  Erzählung 
war  es  noch  nicht  an  der  Zeit.  Und  ein  paar  kräftige  Aste,  darunter  seiner  Bedeutung 
nach  der  stärkste,  stehen  noch  zurück,  Architektur  und  Malerei. 


Architektur 

und 

Malerei. 


Architektur  und  Malerei. 

Die  Denkmäler  der  altchristlichen  Architektur  und  Malerei,  der  letzteren  soweit 
sie  im  folgenden  besprochen  wird,  treten  später  auf,  als  —  im  ganzen  genommen  — 
die  Skulpturen.  Daher  behandeln  wir  sie  nach  diesen.  Da  der  Bestand  an  Original- 
denkmälern bei  ihnen  viel  geringer  ist,  als  bei  den  Skulpturen,  so  wird  dieser  Abschnitt 
gegen  den  die  Plastik  betreffenden  an  Umfang  erheblich  zurückstehen,  trotzdem  wir 
Architektur  und  Malerei  unter  einem  Titel  vereinigen,  wie  sie  denn  auch  kunstgeschicht- 
lich eng  miteinander  verknüpft  waren. 


Architektur. 

Wir  betrachten  die  altchristlichen  Kirchengebäude  unter  dem  Gesichtspunkte  der 
christlichen  Antike.  In  periodologischer  Beziehung  unterscheiden  wir  die  früheren 
Entwicklungsstufen,  der  ersten  drei  Jahrhunderte,  von  den  reifen  Schöpfungen  der 
Spätantike,  seit  Konstantin  und  bis  Justinian.  Übrigens  wurde  das  Thema  schon  so 
vielfach  behandelt,  daß  die  Absicht  dieser  Einführung  nicht  darauf  gehen  kann,  neues 
zu  sagen,  als  vielmehr  nach  bestem  Vermögen  das  Richtige.  Dies  vorausgeschickt 
muß  nun  aber  doch  ausgesprochen  werden,  daß  die  Geschichte  der  altchristlichen  Bau- 
kunst noch  niemand  geschrieben  hat,  denn  noch  niemand  hat  die  Geschichte  der  Bau- 
kunst des  Altertums  geschrieben,  insbesondere  auch  nicht,  sagen  wir  lieber  rund  heraus 
am  wenigsten,  die  der  Kaiserzeit.  Denn  die  Kunsthistoriker  suchen  wohl,  sehr  mit 
Recht,  die  Wurzeln  der  ihnen  anbefohlenen  Kunst  des  Mittelalters  und  der  Neuzeit  in 
der  Antike,  speziell  auch  in  der  Spätantike,  aber  sie  gehen  fehl,  wenn  sie  meinen,  eine 
Geschichte  der  altchristlichen  Kunst  geschrieben  zu  haben,  wo  es  doch  nur  eine  mehr 
oder  weniger  fragwürdige  Einleitung  zur  Kunstgeschichte  des  Mittelalters  wurde.  Nur 
als  Schlußkapitel,  als  Endergebnis  der  Kunstgeschichte  des  Altertums  kann  die  Spät- 
antike richtig  verstanden  und  geschildert  werden;  das  gilt  für  alle  Kunstzweige,  auch 
für  die  Baukunst.  Vor  einigen  zwanzig  Jahren  suchte  meine  Weltgeschichte  den 
weiten  Weg  abzustecken,  von  Tello  und  von  Karnak  bis  zum  Pantheon  und  zur 
Sophienkirche.  Seitdem  ist  noch  nicht  viel  am  Ausbau  geschehen,  abgesehen  von 
einzelnen,  durch  den  Zufall  der  Funde  veranlaßten  Vorarbeiten.  Zieht  man  die  popu- 
larisierenden Darstellungen  ab,  überhaupt  die  nicht  von  den  Verfassern,  sondern  von 
unternehmenden  Verlegern,  im  modernen  literarischen  Großbetrieb  mit  durchgeführter 
Arbeitsteilung,  gezeugten  Bücher,  worunter  auch  die  für  Praktiker  geschriebenen  zu 
gehören  pflegen,  dann  noch  die  dogmatisch  abhängigen,  was   bleibt   dann   übrig?     Mit 


268  Architektur  und  Malerei. 

das  Beste  steckt  in  den  für  den  oberflächlichen  Augenblicksbedarf  erfundenen  alpha- 
betisch gruppierenden  Enzyklopädien.  Wer  wird  das  Buch  von  antiker  Baukunst 
schreiben,  so  erschöpfend  gründlich  auf  Raum-  und  Körperbildung,  auf  Konstruktion 
und  künstlerische  Durchbildung  eingehend  wie  geistig,  geschichtlich  durchdringend? 
Es  müßte  mindestens  ein  philologisch  geschulter  Architekt  sein,  wenn  nicht  doch  besser 
ein  architektonisch  geschulter  Archäologe.1) 


Der  Gemeindesaal. 

Jesus  hatte,  wie  Sokrates,  ohne  örtliche  Bindung  gewirkt,  überall  wo  Menschen 
Anknüpfung  boten.  Beide  wirkten  durch  ihre  in  sich  sonnenklare  und  sonnenwarme 
Persönlichkeit.  Sokrates,  der  Frager,  der  Dialektiker,  suchte  die  Jünglinge  und  die 
Männer  in  ihrer  Palästra  auf,  die  Künstler  in  ihrer  Werkstätte,  eine  Schule  gründete 
erst  Piaton,  die  Akademie.  Jesus,  der  Antworter  aus  Intuition,  ging  als  Wanderlehrer 
von  Ort  zu  Ort,  überall  wo  er  sich  gerade  befand  gab  er  Antwort  und  lehrte,  am  See, 
in  der  Wüste,  auf  der  Straße,  in  diesem  und  jenem  Haus,  am  Sabbat  in  der  Synagoge. 
Es  scheint,  man  lud  ihn  mit  seinen  nächsten  Jüngern  gern  zu  Tisch,  zum  abendlichen 
Mahle.  Jesus,  der  nicht  etwa  aus  der  Gemeinschaft  der  Israeliten  austrat,  um  eine 
neue  Religion  zu  stiften,  blieb  bei  den  religiösen  Gebräuchen  seines  Volkes;  so  wanderte 
er  mit  den  Jüngern  nach  Jerusalem,  um  dort  das  Passahlamm  zu  essen  und  im  Tempel 
zu  beten  und  zu  lehren,  nicht  im  Tempel  selbst,  sondern  in  seinen  Höfen  und  Hallen. 
Er  hat  weder  Lehr-  noch  Kultusräume  für  sich  und  die  Seinen  geschaffen;  er,  in  dem 
ein  so  mächtiges  Gemeinschaftsgefühl  lebte,  hat  eine  Gemeinde  nicht  gegründet  —  er 
meinte  es  unendlich  freier,  weiter,  größer;  er  hat  kein  Gemeindehaus  gebaut,  noch 
weniger  eine  Kirche. 

Die  apostolische  Zeit  (dreißiger  bis  sechziger  Jahre).  Erst  nach  der  Kreuzigung 
und  nachdem  die  Jünger  sich  wieder  gesammelt  hatten,  kam  es  zu  Gemeindebildungen, 
zuerst  in  Jerusalem.  Solange  die  Trennung  vom  Judentum  nicht  vollzogen  war,  standen 
den  Christen  die  Höfe  und  Hallen  des  Tempels  immer  noch  offen  und  dienten 
ihnen  als  täglicher  Versammlungsort;  eine  Halle  Salomons  wird  besonders  genannt. 
Ebenso  standen  ihnen  überall  die  Synagogen  noch  offen,  auch  in  der  durch  das  ganze 
römische  Reich  verbreiteten  jüdischen  Diaspora;  sie  waren  für  die  missionierenden 
Apostel  die  gegebene  Anknüpfung,  erst  recht,  wenn  unabhängig  von  ihnen  das  Christen- 
tum in  ihr  schon  Wurzel  gefaßt  hatte.  Die  Art  ihres  Vorgehens  kennen  wir  verbürgt 
nur  von  Paulus,  aus  seinen  echten  Briefen;  dazu  treten  als  zweitbeste  Quelle  gewisse 
Teile  der  Apostelgeschichte.2) 

Diese  öffentlichen  Versammlungsräume  der  Juden  aber  genügten  nicht;  die 
„Heiligen"  (Christen)  brauchten  Räume,  wo  man  unter  sich  war.  Das  gab  es  zunächst 
nur  in  Privathäusern,  in  Wohnräumen,    die  vom  Eigentümer  oder  Mieter  zur  Ver- 


*)  v.  Sybel,  Weltgesch.  1888,  441.  U903,  444.  Hauck  in  Herzog-Haucks  Eealenzyklopädie 3 
X  1901,  774.  Dehio  und  Bezold,  Kirchl.  Baukunst  des  Abendlandes  I  1884.  Holtzinger,  Alt- 
christliche Architektur  in  systematischer  Darstellung  1889.  Derselbe,  Altchristliche  und  byzan- 
tinische Baukunst  a1899.    Fr.  X.  Kraus,  Gesch  d.  ehr.  Kunst  I  1896  257.  Und  so  weiter. 

■)  Versammlung,  Lehre  und  Gebet  im  „Heiligtum* :  Lk.  24,  53.  Ap.  2,  46.  5,  21.  42.  Halle 
Salomons:  3,  11.  5,  12.  Synagogen:  Ap.  9,  20. 


Der  Gemeindesaal.  269 

fügung  gestellt  wurden.  Ähnliches  schildert  Piatons  Protagoras,  einen  Philosophen- 
kongreß; Kallias  hatte  sein  stattliches  Haus  den  fremden  Philosophen  und  den  mit 
ihnen  verhandelnden  Athenern  geöffnet.  So  nun  erzählt  die  Wirquelle  der  Apostel- 
geschichte 21,  18:  Paulus  kam  nach  Jerusalem  und  ging  zu  Jakobus;  bei  demselben 
fanden  sich  alle  „Presbyteroi"  der  jerusalemer  Gemeinde  ein.  Jakobus  stammte  selbst 
nicht  aus  Jerusalem;  also  hatte  sein  Gastfreund  ihm  einen  Versammlungsraum  zur 
Verfügung  gestellt.  Oder  in  Philippi.  Da  ist's  die  Purpurhändlerin  Lydia,  die  sich 
mit  ihrem  ganzen  Hause  taufen  läßt  und  den  Paulus  bittet,  mit  seinen  Begleitern  in 
ihrem  Hause  einzukehren;  dort  finden  sich  denn  auch  die  „Brüder"  ein,  die  kleine 
Gemeinde,  die  sich  am  Orte  bildete  (Ap.  16,  15 — 40).  Also  Versammlungen  in  Privat- 
häusern; einmal  waren  es  Apostel  und  Alteste,  die  zu  einer  Verhandlung  in  engerem 
Kreise  zusammentreten,  das  andere  Mal  eine  ganze  kleine  Gemeinde.  Es  könnte  noch 
mehreres  angeführt  werden,  vor  allem  aus  den  Briefen,  wie  Rom.  16,  5.  Kor.  16,  19 
die  Gemeinde  im  Haus  von  Aquila  und  Prisca.  Kol.  4,  15  die  im  Haus  der  Nympha, 
Philemon  2  die  im  Hause  des  Adressaten  (rfj  xcct*  olxov  oov  IxxA^a/p). 

Die  Epigonen  (das  zweite  Geschlecht;  einzelne  Apostel  mögen  da  noch  am 
Leben  gewesen  sein,  das  kann  aber  die  Periodenteilung  nicht  beeinflussen).  Wir  nehmen 
die  Anfänge  des  zweiten  Jahrhunderts  hinzu.  —  Es  stand  damals  noch  fest  und  wurde 
gerade  jetzt  nachdrücklich  ausgesprochen,  daß  es  für  Christen  keinen  Tempelkult  gibt. 
Die  Apostelgeschichte  könnte  die  prophetischen  Stellen  gegen  den  salomonischen  Tempel 
nicht  anfuhren,  wie  sie  es  tut  (7,  47 — 49),  wenn  damals  die  Christenheit  an  Tempel- 
kult gedacht  hätte.  Wohl  wird  vom  Tempel  gesprochen,  aber  es  ist  nur  Redefigur. 
Paulus  hatte  gesagt:  Ihr  seid  ein  Tempel  Gottes  (Kor.  I  3,  16.  II  6,  16).  Im  Jo- 
hannesevangelium 2,  19  wird  das  Wort  vom  Tempel,  den  Jesus  abbrechen  und  in  drei 
Tagen  wieder  aufbauen  wollte,  auf  seinen  Körper  bezogen.  Der  Hebräerbrief  operiert 
zwar  mit  dem  Begriff  Hohepriester,  aber  er  schildert  den  Christus  als  den  wahren 
Hohenpriester,  der  nicht  wie  der  jüdische  in  Tempel  von  Menschenhänden  gemacht 
geht,  sondern  in  den  wahren  Tempel,  in  den  Himmel  selbst  (9,  24  f.).  Die  Off.  Joh. 
spricht  es  aus,  daß  in  dem  neuen  Jerusalem,  der  heiligen  Stadt,  kein  Tempel  sein  werde 
(yaov  ovy.  siöov  iv  ccvt?]  21,22);  denn  der  Herr  ist  selbst  der  Tempel,  und  das  Lamm. 
Der  vorher  in  den  apokalyptischen  Bildern  oft  genannte  Tempel  im  Himmel  steht 
damit  natürlich  nicht  in  Widerspruch.  Aus  dem  Bilde  Off.  3,  12  „den  Sieger  werde 
ich  zu  einer  Säule  im  Tempel  meines  Gottes  machen,  und  er  wird  nicht  mehr  aus  ihm 
hinausgehen"  wird  niemand  schließen  wollen,  es  habe  damals  schon  gesäulte  Kirchen 
gegeben.     Es  scheint  noch  immer  bei  Privaträumen  sein  Bewenden  gehabt  zu  haben. 

Was  für  Räume  waren  es  nun,  in  denen  die  Zusammenkünfte  stattfanden?  Ge- 
wöhnliche kleine  Zimmer  können  es  kaum  gewesen  sein,  oder  man  hätte  mehrere  zu- 
sammennehmen müssen.  Da  indessen  Reden  an  die  Versammelten  gehalten,  gemein- 
schaftlich Hymnen  gesungen  wurden  u.  ä.  m.,  so  wurde  ein  einheitlicher  Raum  verlangt. 
Die  erste  Gemeinde  in  Jerusalem  soll  etwa  120  Köpfe  gezählt  haben  (Ap.  1,  15),  das 
erforderte  schon  einen  kleinen  Saal. 

Des  Näheren  aber  heißt  es,  man  habe  sich  im  Obergeschoß  versammelt;  so 
hatte  die  erste  Gemeinde  ihr  ständiges  Versammlungszimmer  im  Obergeschoß  eines 
Hauses  (Ap.  1,  13  ävsßrjoav  elg  to  vtteqioov  ov  rtoav  xarafievortEs).  Wiederum  in 
Troas;  da  war  man  im  dritten  Stock  versammelt,  Paulus  hielt  eine  Rede,  so  lang,  daß 
der  Jüngling  Eutychos  darüber  einschlief;   er  saß  am  offenen  Fenster  und  stürzte,  ein 


270  Architektur  und  Malerei. 

christlicher  Elpenor,  hinab  auf  die  Straße  (Ap.  20,  7 — 9).  All  das  setzt  Verhältnisse 
der  Großstadt  voraus,  große  mehrstöckige  Miethäuser,  rechte  Mietkasernen  (Zinshäuser). 
In  dieser  Art  waren  die  antiken  Großstädte  gebaut,  ebenso  wie  die  modernen,  so 
Jerusalem,  so  Antiochia,  Ephesus,  ebenso  Alexandria  Troas.  Und  so  auch  Rom.  Ein 
römischer  Geschichtschreiber  erzählt  einen  merkwürdigen  Vorfall,  der  sich  in  Rom  zu- 
trug; am  Rindermarkt  geriet  ein  Ochse  in  ein  Haus,  stieg  die  Treppen  hinauf  bis  in 
den  dritten  Stock  und  stürzte  durchs  Fenster  hinunter  auf  den  Platz;  das  war  218 
vor  Chr.  Schon  damals  also  besaß  Rom  mehrstöckige  Häuser;  später  wurden  sie  bis 
sechsstöckig  gebaut.  Ein  amtlicher  Stadtplan  des  kaiserlichen  Roms  hat  sich  bis  heute 
erhalten,  wenn  auch  nur  in  Bruchstücken;  auf  Marmortafeln  eingegraben  bedeckte  er 
eine  große  Wand.  Da  sieht  man  denn  auch  die  Grundrisse  vieler  Miethäuser  ein- 
getragen, sie  füllen  oft  ganze  Straßenvierecke.  Selbstverständlich  ist  nur  das  Erdgeschoß 
gezeichnet;  an  den  Straßen  reihen  sich  viele  schmale  Räume,  die  aber  tief  in  das  Haus 
hineingehen,  lauter  Werkstätten  und  Verkaufsbuden,  vielleicht  mit  einer  Kammer  im 
Fond.  Die  Grundrisse  der  Obergeschosse  konnten  nicht  eingetragen  werden;  oben  gab 
es  natürlich  auch  breitere  Räume  und  ganze  Säle.  Man  darf  nun  nicht  übersehen, 
daß  die  Apostel,  als  die  scharfblickenden  Realpolitiker,  wie  sie  etwa  im  Römer-  oder 
Galaterbrief  erscheinen,  mit  dem  ersten  Eintreten  in  die  universale  Richtung,  in  die 
Heidenmission,  sich  von  vornherein  auf  die  Großstädte  warfen;  gewannen  sie  diese,  so 
fiel  das  übrige  Land  dem  Christentum  mit  der  Zeit  von  selbst  zu.  Gerade  der  Römer- 
brief ist  das  beredteste  Zeugnis  dafür,  wie  sie  wetteifernd  sofort  die  Reichshauptstadt 
ins  Auge  faßten,  da  hier  die  Entscheidung  über  die  Zukunft  des  Christentums  lag. 
Für  die  Großstädte  aber,  und  vor  anderen  für  Rom,  wird  nachgewiesen  und  berechnet, 
daß  dort  das  alte  Einfamilienhaus  in  der  Kaiserzeit  der  Mietskaserne  Platz  gemacht 
habe,  wo  dann  zunächst  nur  jene  Obergeschosse  zur  Verfugung  standen,  die  Hyperoa, 
von  denen  oben  die  Rede  war.1) 

Auf  die  Dauer  befriedigten  die  Säle  im  Obergeschoß  die  Raumbedürfnisse  der 
christlichen  Gemeinden  nicht;  die  Versammlungen  fanden  zweckmäßiger  zu  ebener  Erde 
statt.  Brauchbare  Räume  im  Erdgeschoß  aber  gab  es  nicht  in  den  Mietkasernen,  nur 
im  Einfamilienhaus;  denn  dies  hatte  seine  Haupträume  zu  ebener  Erde. 

Über  das  orientalische  Haus  der  frühchristlichen  Zeit  sind  wir  zu  wenig  unter- 
richtet, um  dabei  verweilen  zu  dürfen.  Nur  hat  man  das  jüdische  Haus  der  auguste- 
ischen Zeit  aus  den  Erwähnungen  in  der  Mischnah  zu  rekonstruieren  gesucht;  da  aber 
Denkmäler  nicht  zu  Gebote  stehen,  so  bleibt  die  Rekonstruktion  ein  ähnlich  ver- 
schwimmendes Schema  wie  etwa  Salomons  Palast.  Aus  dem  Nebel  tritt  uns  ein  Vor- 
hof einigermaßen  erkennbar  entgegen,  mit  Tor  nach  der  Straße  und  Torwächterhäus- 
chen; dann  das  Haus  mit  Vorhalle  und  Flur;  um  ein  Triklinium  gruppieren  sich  die 
Zimmer  des  Vorhauses;  dahinter  folgt  ein  Peristyl  mit  den  anliegenden  inneren  Ge- 
mächern, im  Fond  eine  Exedra;  gern  stellte  man  noch  eine  Stube  auf  das  flache  Dach. 


*)  Es  wird  darauf  aufmerksam  gemacht,  daß  bei  den  Juden  im  Zeitalter  der  Mischna  (gleich- 
zeitig den  Anfängen  des  Christentums)  wichtige  Beschlüsse  öfter  in  Obergemächern  gefaßt 
wurden.  Levy'  Talmudwörterbuch  Art.  vnsQwov.  David  Kaufmann,  Monatsschrift  f.  d.  Judentum 
XL  382.  —  Eindermarkt:  Liv.  XXI  62.  v.  Sybel,  Weltgesch.  «322,  2.  —  Stadtplan,  im  Kon- 
servatorenpalast: Jordan,  Forma  Urbis  Romae,  Berlin  1874.  Richter,  Topographie  von  Rom  21901,  3. 
—  Mietkasernen,  Konrad  Lange,  Haus  und  Halle  1885,  262.    Hülsen,  Rom.  Mitteil.  1892,  281. 


Der  Gemeindesaal.  271 

Das  Ganze  erinnert  an  den  Plan  des  gleich  zu  besprechenden  pompejanischen  Hauses, 
nur  daß  das  jüdische  ein  geschlossenes  Dach,  mithin  offene  Bebauung  voraussetzt.1) 

Greifbarer  ist  das  Einfamilienhaus  in  Griechenland  und  Italien.  Auf  Delos 
haben  die  französischen  Ausgrabungen  einen  Teil  der  hellenistischen  Stadt  des  zweiten 
vorchristlichen  Jahrhunderts  freigelegt.  Das  delische  Haus,  in  wesentlichen  Zügen 
gleichartig  dem  athenischen  des  fünften  und  vierten  Jahrhunderts,  wie  es  aus  Lysias, 
Piaton,  Xenophon  wiedergewonnen  wird,  doch  auch  verwandt  dem  pompejanischen, 
besitzt  ein  Peristyl  mit  Alae,  davor  liegt  ein  Vestibül,  dahinter  ein  Saal;  das  Hypaithron 
ist  als  flaches  Bassin  ausgebildet,  darunter  liegt  die  Zisterne  zum  Sammeln  der  Dach- 
wasser [Abb.  79].2) 

Das  reichste  Material  bietet  Pompeji.  Auf  die  Vorgeschichte,  das  Bauernhaus 
und  seine  Umwandlung  in  das  Stadthaus,  auf  den  Übergang  von  der  offenen  Bebauung 
(mit  Ambitus  zwischen  den  Häusern)  und  der  geschlossenen,  brauchen  wir  hier  nicht 
einzugehen;  uns  geht  nur  die  städtische  Bauweise  an,  wie  sie  in  Pompeji  in  vielen 
Spielarten  vorliegt.  Ein  Vestibül  führt  in  das  Atrium,  um  welches  sich  die  Räume 
des  eigentlichen  Hauses  gruppieren,  die  cubicida  an  den  Längswänden,  das  tablinum  und 
dessen  Nebenräume  im  Fond.  Wegen  der  geschlossenen  Bebauung  mußten  die  Dach- 
traufen nach  innen  verlegt  werden,  die  Dachschrägen  fallen  von  den  Außenmauern 
nach  innen  ab,  einen  weiten  Trichter  bildend,  der  das  Regenwasser  durch  das  zentrale 
compluvium  in  das  im  Fußboden  darunter  vorgesehene  impluvium  leitet.  Über  dem 
Atrium  ruht  das  Dach  auf  ein  paar  starken  Querbalken,  ursprünglich  freischwebend; 
nach  Einführung  des  Säulenbaues  in  das  Wohnhaus  aber  wurden  sie  oft  von  vier  oder 
mehr  um  das  Impluvium  gestellten  Säulen  getragen;  je  weiter  das  Impluvium  und 
je  mehr  Säulen,  desto  mehr  näherte  sich  die  Anlage  dem  Schema  des  Peristyls 
[Abb.  80].8) 

Wir  fragen  hier  weder  nach  der  Entwicklungsgeschichte  des  antiken  Hauses  noch 
nach  dem  was  aus  ihm  vielleicht  entstehen  konnte,  sondern  lediglich  nach  denjenigen 
Räumen,  die  sich  zu  Versammlungen  christlicher  Gemeinden  eigneten.  Man  hat  alles 
Denkbare  vorgeschlagen,  darunter  aber  auch  mehreres  Unmögliche. 

Das  Atrium  eignete  sich  nicht  zum  christlichen  Versammlungsraum  wegen  des 
Impluviums;  wenn  ein  großer  Teil  des  Raumes,  und  zwar  gerade  in  seiner  Mitte,  von 
einem  Wasserbassin  eingenommen  wird,  so  können  da  keine  Versammlungen  abgehalten 
werden.  Wohl  könnte  man  im  Atrium  Verhandlungen  führen,  immer  nur  zwischen 
wenigen  Personen,  derart  wie  sie  Piaton  im  Protagoras  schildert,  wo  die  Philosophen, 
soweit  sie  sich  nicht  in  Zimmern  befinden,  in  den  Säulengängen  des  Peristyls  auf-  und 
abgehen;  aber  eine  Versammlung,  die  eine  Ansprache  hören  oder  sonst  irgend  etwas 
Gemeinsames  vornehmen  will,  dergleichen  die  Christen  zusammenführte,  wird  nicht 
einen  so  zerstückten  Raum  wählen.  Auch  die  Überdachung  des  Compluviums  mit 
einer  Art  Laterne  würde  nichts  nützen;   denn  das  Impluvium,  das  Bassin  also,  müßte 


x)  Rosenzweig,  Das  Wohnhaus  in  der  Mischnah,  Berlin  1907,  58. 

•)  Paris,  Bull.  hell.  1884,  473  Taf.  20.  21.  Couve,  ebenda  1895,  460  Taf.  3—8.  Wiegand  und 
Schrader,  Priene  1904,  285  lehren,  einen  früheren  Typus  (Hof,  Prostas,  Oecus)  und  einen  jüngeren 
mit  Peristyl  zu  unterscheiden. 

s)  Nissen,  Pompe  janische  Studien  1877,  593.  Mau  bei  Pauly-Wissowa,  Art.  Atrium,  Com- 
pluvium, Impluvium.  Derselbe,  Pompeji  1900  228.  —  Zum  korinthischen  Atrium  und  seinem  Ver- 
hältnis zum  Peristyl  des  griechischen  Hauses  vgl.  auch  v.  Duhn,  Pompeji  1906,  5.  Kapitel. 


272  Architektur  und  Malerei. 

bleiben,  um  die  Dachwasser  aufzunehmen.  Höchstens  könnte  eine  kleinere  Haus- 
gemeinde im  Tablinum  und  dem  unmittelbar  vorliegenden  Quergang  des  Atriums, 
zwischen  den  Alae,  Platz  finden.1) 

Das  Peristyl,  sei  es  des  jüdischen  oder  des  delischen  oder  des  pompejanischen 
Hauses,  eignete  sich  nicht,  weil  es  kein  überdachter  Saal  war,  sondern  ein  von  Säulen- 
gängen umgebener  Hof  oder  Garten  (entsprechend  den  mittelalterlichen  Kreuzgängen). 

Wohl  aber  eignete  sich  jeder  größere  Saal  im  Hause,  einerlei  ob  er  in  die 
Breite  ging,  wie  die  in  Delos  oder  wie  der  in  der  Casa  del  Fauno,  den  das  Alexander- 
mosaik schmückte,  oder  ob  in  die  Tiefe,  wie  es  beim  Oecus  hinter  dem  Peristyl  die 
Regel  war,  dem  Prunkraum  des  Hauses.  Ganz  im  Fond  gelegen,  fern  vom  Haustor 
(nur  eine  Hinterpforte  war  bei  der  Hand),  mit  dem  Peristyl  vor  sich,  gegen  das  er 
sich  weit  öffnete,  war  er  wie  geschaffen  für  solche  Gemeinden.  Die  nötigen  Geräte 
ließen  sich  nach  Bedarf  leicht  hineinstellen.  Der  vorliegende  Säulengang  bot  genügen- 
den Raum  für  die  noch  nicht,  oder  zeitweise  nicht,  zum  Vollgenuß  Zugelaßnen,  sowie 
für  Fremde.   Das  Bassin  im  Viridarium  reichte  aus,  um  die  Neueintretenden  zu  tauchen. 

Die  wohlhabendsten  Bürger  von  Pompeji  waren  arme  Leute  gegen  die  Großen 
und  Reichen  in  Rom.  Die  besaßen  fürstliche  Paläste,  aus  dem  nämlichen  Plan  ent- 
wickelt, den  wir  in  Pompeji  kennen  lernten,  aber  gesteigert  zu  gewaltigem  Umfang, 
und  luxuriös  ausgestattet.  Einzelne  der  pompejanischen  Säle  suchen  mit  wesentlich 
bescheideneren  Mitteln  dieser  Pracht  nahe  zu  kommen,  wie  die  „korinthischen"  in  den 
Häusern  des  Labyrinths  und  des  Meleager  mit  ihren  an  den  drei  Wandseiten  dekorativ 
umlaufenden  Säulenreihen.  Vitruv  nämlich  beschreibt  den  korinthischen  Saal  als 
gesäult;  die  Säulen  konnten  auf  dem  Fußboden  stehen  oder  auf  einem  umlaufenden 
Podium  (im  Haus  des  Meleager  stehen  sie  einzeln  auf  Postamenten),  die  Decke  war 
gewölbt  und  kassettiert.  Der  kyzikenische  Saal,  in  Italien  weniger  eingebürgert 
als  die  anderen  Typen,  umfaßte  zwei  Triklinien;  er  wurde  nach  Norden  gelegt  und 
zwar  so,  daß  man  durch  tiefstehende  offene  Fenster  in  beiden  Langseiten  ins  Grüne 
sah.  Der  ägyptische  Saal  war  eine  dreischiffige  Säulenbasilika  mit  überhöhtem 
Mittelschiff  und  Fenstern  zwischen  den  oberen  Säulen.  Auch  von  diesen  reichsten 
Saalformen  konnte  jede  den  Christen  dienen;  es  kam  nur  darauf  an,  den  Eigentümer 
der  christlichen  Sache  zu  gewinnen.2) 

Der  Typus  des  Oratoriums  in  Form  eines  einfachen  Saales  blieb  natürlich  neben 
allen  allmählich  aufkommenden  reicheren  Gestaltungen  in  Gebrauch.  Bei  einer  römischen 
Ausgrabung  fand  sich  ein  Mosaikboden  in  Größe  eines  ansehnlichen  Zimmers;  in  zwei 
Drittel  der  Hauptachse  war  ein  Viereck  angebracht,  darin  stand  ein  Kreuz,  umgeben 
von  einem  Streifen  mit  vielen  Fischen;  in  den  Ecken  und  in  der  Mitte  der  vorderen 
Schmalseite  stiegen  aus  Kantharen  Weinranken,  die  sich  über  den  Boden  verbreiteten. 
Gatti  setzt  das  Mosaik  ins  dritte  Jahrhundert.3) 

Zwecke  der  Zusammenkünfte  waren  Verhandlungen  und  Ansprachen,  Gebet  und 
Hymnengesang,  sowie  das  abendliche  Gemeinschaftsmahl.  Abgelehnt  wurden  solche 
heidnische  Formen  des  Gottesdienstes,  wie  Tempelkult  und  Opfer.     Noch    im    dritten 


*)  Leclerq  bei  Cabrol,  Dictionn.  d'archeol.  chr6t.  II  (1907)  532  denkt  sich  die  Erbauung  im 
Atrium,  das  Abendmahl  im  Triklinium. 

*)  Casa  del  laberinto  und  C.  di  Meleagro:  K.  Lange,  Haus  u.  Halle  Taf.  6,  1—3.  —  Oeeus 
corintbius,  cyzicenus,  aegyptius  (basilica):  Vitruv  VI  3,  8—9.    5,  2.    Lange  140.  245. 

3)  Oratorium:  Gatti,  Bull.  com.  1901,  86  Abb. 


Die  Saalkirche.  273 

Jahrhundert  rühmten  sich  die  Christen,  im  Gegensatz   zu  den  Heiden,  weder  Tempel 
noch  Altäre  zu  haben,  Delubra  et  aras  non  habemus.1) 


Die  Saalkirche. 

Aber  alle  Räume  in  Privathäusern,  selbst  in  Palästen,  waren  doch  nur  ein  Not- 
behelf. Die  Zunahme  der  Gemeinden,  an  Zahl  und  an  Umfang,  machte  die  Errichtung 
eigener  Gemeindesäle  zur  Notwendigkeit.  Diese  konnten  dann  auch  für  die  Zwecke 
der  Zusammenkünfte  eigens  angeordnet  und  bleibend  eingerichtet  werden.  Maßgebend 
wurde  dabei  eine  neue  Entwicklung  des  Ritus. 

In  der  mittleren  Kaiserzeit  (die  wir  von  den  Antoninen  bis  an  Konstantin  rechnen) 
durchlebte  das  Christentum  eine  Krisis,  aus  der  es  gründlich  verändert  hervorging. 
Es  war  eine  zweite  fundamentale  Wandlung.  Die  erste  hatte  sich  als  Folge  der 
Kreuzigung  vollzogen;  da  war  die  Religion,  welche  Jesus  lebte  und  lehrte,  zurück- 
getreten hinter  dem  Kultus  des  Christus  als  des  Erlösers  in  die  ewige  Seligkeit.  Dem 
Kultus  stand  Jesus,  ähnlich  den  Propheten,  zwar  nicht  geradezu  feindlich  gegenüber, 
aber  die  an  ihrer  Ausübung  und  an  ihr  selbst  geübte  Kritik  hätte  folgerichtig  zu 
seiner  Verneinung  führen  müssen.  Statt  dessen  geschah  das  Widerspruchsvolle,  die 
Religion  der  Liebe  wurde  selbst  Kultusreligion;  ihr  Kultus  gilt  nicht  allein  der  Sache, 
sondern  der  Person.  Die  nun  eintretende  zweite,  nicht  minder  fundamentale  Wandlung 
war  eine  Folge  des  Universalismus,  der  Heidenmission. 

Nicht  ungestraft  war  das  palästinensische  Christentum  in  die  weitere  hellenistische 
Welt  und  in  deren  Kultur  hinausgegangen.  Aus  dem  Heidentum,  aus  dem  Hellenis- 
mus waren  die  meisten  Christen  gekommen.  Sie  nahmen  vieles  ihnen  Gewohnte  mit 
hinüber,  sowohl  Anschauungen  wie  Gebräuche.  Es  folgte  eine  lang  dauernde  und  tief 
greifende  Auseinandersetzung  zwischen  Christentum  und  Heidentum.  Deren  Endergebnis 
war  ein  hellenistisches  Christentum,  die  letzte  Gestalt  der  antiken,  man  darf  sagen  der 
griechischen  Religion,  die  vom  römischen  Weltreich  und  ihrer  hellenistischen  Weltkultur 
geforderte  und  ihnen  adäquate  Weltreligion. 

Zur  Religion  der  Liebe  und  zum  Kultus  des  Christus  kam  ein  Drittes,  ein  eigen- 
artiger Opfer-  und  Altardienst.  Durch  die  Einführung  der  Opferidee  wurden  die 
Gemeindebeamten  zu  Priestern  (leosig,  sacerdotes);  und  da  es  sich  um  einen  mystischen 
Kult  handelte,  so  erhielten  sie  eine  mystische  Gewalt  über  die  Seelen.  Mit  dem  in 
dieser  Richtung  bestimmten  Begriff  des  Opferpriesters  war  zugleich  der  Gegensatz  ge- 


*)  Minucius  Felix,  Üctavius  10,  2  fragt  der  Heide:  (Christiani)  cur  nullas  aras  habent,  templa 
nulla,  nulla  nota  simulacra?  Der  Christ  antwortet  32,  1 — 3:  Putatis  autem  nos  occultare  quod  colimus, 
si  delubra  et  aras  non  habemus?  quod  enim  simulacrum  deo  fingam,  cum  si  rede  existimes,  sit  dei 
homo  ipse  simulacrum?  Templum  quod  si  exstruam,  cum  totus  hie  mundus  eius  opere  fabricatus  tum 
capere  non  possit?  et  cum  homo  latius  matieam,  intra  unam  aediculam  vim  tantae  maiestatis  includam? 
nonne  melius  in  nostra  dedicandus  est  mente?  in  nostro  immo  est  consecrandus pectore?  hostias  et  victimas 
deo  off  er  am,  quas  in  usum  meum  protulit,  ut  reiciam  ei  suum  munus?  ingratum  est,  cum  sit  litabilis 
hostia  bonus  animus  et  pura  mens  et  sincera  conscientia.  igitur  qui  innocentiam  colit,  deo  supplicat,  qui 
iustitiam,  deo  libat,  qui  fraudibus  abstinet,  propitiat  deum,  qui  hominem  periculo  subripit,  opimam  vic- 
timam  caedit,  haec  nostra  sacrificia,  haec  dei  sacra  sunt:  sie  apud  nos  religiosior  est  ille  qui  iustior. 
Über  die  Entstehungszeit  des  Dialogs  vgl.  Harnack,  Chronol.  d.  altchr.  Lit.  II  1904,  324.  —  Ähn- 
lich Tertullian:  altarem  non  habemus. 

Sybol,  Christliche  Antike  II.  18 


274 


Architektur  und  Malerei. 


geben  von  Priesterstand  und  Laienstand,  der  Gegensatz  eines  Standes  besonders 
Erwählter,  des  Klerus,  als  einer  geistlichen  Aristokratie  gegenüber  dem  Volke,  den 
Laien.  Mit  anderen  Worten,  es  entstand  die  katholische  Kirche.  Und  mit  ihr, 
für  den  katholischen  Opferritus,  das  katholische  Gotteshaus.  Aus  diesem  Gedanken- 
gang erwuchsen  die  Typen  des  altchristlichen  Kirchenbaues.  Und  in  diesem  Sinne 
darf  man  sagen,  es  sind  nur  katholische  Kirchen  gebaut  worden.1) 

Der  Gemeindesaal  (IxxA^ff/a  ),  der  Betsaal  (evxrroiov,  Oratorium)  wurde  jetzt  zum 
Haus  Gottes  (olxog  d-eov,  domus  dei),  etwas  später,  im  Verlauf  des  dritten  Jahrhunderts, 
zum  Haus  des  Herrn  (xvqiccxov,  „Kirche";  dominicum).  Und  so  wurde  er  zum  Tempel. 
Der  Tempel  ist  das  irdische  Haus  des  Gottes,  von  Menschenhänden  errichtet,  eine  enge 
Wohnung  für  den  Unendlichen.  Von  da  an  hatten  auch  die  Christen,  wie  die  Heiden, 
sowohl  Tempel  als  Altäre.  Nach  Abschluß  dieser  Entwicklung  nennt  Eusebius  die 
Kirchen  typisch  Tempel. 

Nun  konnten  sich  die  Gemeinden  wirklich  nicht  mehr  mit  jenen  zufällig  zur  Ver- 
fügung gestellten  Privatsälen  begnügen;  sondern  der  zu  dominierender  Stellung  empor- 
gekommene Kultus  verlangte  für  seinen  Ritus,  vorzüglich  für  den  mystischen  Opfer- 
ritus, ein  eigens  errichtetes,  genau  auf  den  Zweck  zugeschnittenes,  ihm  allein  dienendes 
Haus,  eine  Kirche.     Und  so  beginnt  hier  der  christliche  Kirchenbau. 

Bald  gab  es  überall  solche  eigens  errichtete  Kirchen,  die  ausschließlich  dem  christ- 
lichen Ritus  dienten.  Im  dritten  Jahrhundert  soll  man  in  Rom  allein  schon  über 
vierzig  gezählt  haben.2) 

Anfangs  werden  reiche  Privatleute  sie  auf  ihre  Kosten  erbaut  haben,  wohl  auch 
auf  ihren  eigenen  Grundstücken.  In  schwierigen  Zeiten  mochte  als  Eigentümer  dem 
Staate  gegenüber  der  Stifter  gelten;  das  Grundstück  blieb  im  Grundbuch  auf  den 
Namen  des  Stifters  eingetragen,  mit  dem  Kirchengebäude  darauf.  Tatsächlich  aber 
waren  auch  solche  ihrer  Gemeinde  überwiesen.  Daß  es  vor  Konstantin  außer  den 
Versammlungssälen  in  Privatbesitz  auch  dergleichen  in  Gemeindebesitz  gab,  bestätigt 
das  „Toleranzedikt  von  313".  Die  Rechtsverhältnisse  aber  hatten  keinen  Einfluß 
auf  die  Bauform;  sie  war  ausschließlich  bedingt  durch  den  Zweck,  den  Kultus.  Damit 
erhielten  die  Gebäude  ein  eigentümliches  Gepräge,  das  sie  schon  von  weitem  als  christ- 
liche Kirchen  erkennen  ließ.3) 

Wie  waren  nun  die  ersten  Kirchen  gestaltet?  Erhalten  blieb  keine,  wir  sind  aui 
den  Weg  der  Hypothese  verwiesen.     Als  die  Aufgabe    an    die    Baumeister   herantrat, 


x)  Katholische  Kirche:  vgl.  Jakob  Burckhardt,  Griech.  Kulturgeschichte  I  83  Die  Kirche 
als  antike  Polis,  als  die  Universalpolis,  religiösen  Charakters,  wie  die  Poleis  alle  religiösen  Charakter 
besessen  hatten. 

2)  Quadraginta  et  quod  excurrit  basilicas.     Opt.  Mil.  de  schism.  Donat.  II  4. 

3)  Kraus,  Gesch.  I  262.  271  bestreitet,  daß  vor  Konstantin  Kirchen  eigens  errichtet  worden 
seien,  weil  das  Christentum  seit  Trajan  eine  religio  illicita  war.  Wenn  er  aber  S.  272  meint,  die 
von  Euseb.  hist.  eccl.  VIII,  1  erwähnten  Kirchen  der  vordiokletianischen  Zeit  könne  man  unter 
der  Annahme  verstehen,  daß  sie  vor  dem  Gesetz  nur  als  Privatgebäude  galten,  so  gibt  er  damit 
alles  zu.  Denn  für  die  Baugeschichte  kommt  es  nicht  auf  die  Bechtsform  an,  sondern  auf  die 
Tatsache,  daß  gebaut  wurde,  und  auf  die  Bauform.  Eusebius  sagt,  die  Christen  hätten  svpelag  dvä 
näaag  rag  nöleiq  ix  &£[iellu)v  ixxX^alag  gebaut.  Wenn  Eusebius  de  mart.  Palaest.  13  sagt,  wg  xal 
ol'xovg  sig  ixxlrjolctg  del(iao9ai,  so  heißt  das  nicht  „Wohngebäude  zu  Kirchen  verwenden",  sondern 
„Säle  zu  bauen  mit  der  Bestimmung,  als  Kirchen  zu  dienen".  —  Lact,  de  mort.  persec.  12  in  alto 
constituta  ex  palatio  videbatur. 


Die  Saalkirche.  275 

Kirchen  zu  bauen,  da  konnten  sie  keinen  Augenblick  in  Verlegenheit  sein.  Die  heid- 
nische Baukunst,  der  Griechen,  hatte  so  vieles  geschaffen,  nicht  bloß  für  die  Bedürf- 
nisse ihrer  Heimat,  sondern  auch  in  weitgehender  Weise  für  die  anderer  Völker,  ins- 
besondere der  Römer,  sie  hatten  ihre  gewohnten  Schemata  so  oft  und  so  vielseitig  im 
Sinne  neuer  Zwecke  ausgestalten  müssen,  daß  für  jedes  auftretende  Baubedürfnis  im 
voraus  gesorgt  war,  man  brauchte  nur  aus  dem  aufgespeicherten  Schatz  zu  schöpfen. 
Zu  allem  Überfluß  blieb  jedes  Planschema  duktil,  und  konnte  den  Besonderheiten  des 
Einzelfalles  leicht  angepaßt  werden. 

Verlangt  wurde,  wie  von  Anfang  an  der  Fall  gewesen  war,  ein  geräumiger  Saal. 
Länglich  viereckig  war  die  Eegel  gewesen,  bei  den  Oeci  wie  bei  den  Tempeln,  in  die 
Tiefe  gehend,  mit  dem  Eingang  in  der  schmalen  Front.  Verlangt  wurde  zweitens  ein 
gesonderter  Platz  für  den  Klerus,  ein  Presbyterium.  Jede  Gemeinde  hatte  ihren  Vor- 
stand und  Lehrer,  ihren  Presbyter  oder  Bischof;  wuchs  sie  so  an,  daß  ein  Gemeinde- 
saal nicht  reichte,  so  wurden  in  angemessener  Zahl  Parochialkirchen  gebaut  (so  die 
tituli  in  Rom).  Der  Platz  des  Presbyters  oder  Bischofs  war  der  Gemeinde  gegenüber, 
vor  der  hinteren  Schmal  wand.  Wie  in  der  Schule,  auch  in  der  antiken,  der  Lehrer 
unmittelbar  vor  den  Schülern  sitzt,  so  mußte  auch  Presbyter  und  Bischof  der  Gemeinde 
unmittelbar  gegenübersitzen,  um  auf  seine  Hörer  wirken  zu  können;  der  Abendmahls- 
tisch muß  soweit  beweglich  gewesen  sein,  damit  er  nicht  störend  zwischen  Sprecher 
und  Hörern  stehe.  Erst  nachdem  der  Tisch  den  Charakter  eines  Opferaltars  an- 
genommen hatte,  konnte  die  Entwicklung  des  Ritus  dahin  fuhren,  dem  Tisch  oder 
Altar  eine  feste  Stelle  zu  geben,  dem  Bischof  aber  eine  wechselnde.  Diese  Entwicklung 
wird  sich  bereits  in  unserem  Zeitraum  vollzogen  haben. 

Den  Anforderungen  entsprach  sehr  gut  ein  Bautypus,  der  vielfach  angewendet 
auch  die  nötige  Flüssigkeit  besaß,  sich  allen  Einzelfällen  anzupassen:  ein  in  die  Tiefe 
gehender  Saal  mit  dem  Eingang  in  der  schmalen  Front  und  Ausbau  im  Fond.  Der 
Ausbau  konnte  einen  Suggestus  enthalten,  oder  er  mochte  sich  im  ganzen  über  den 
Fußboden  des  Saals  erheben,  um  wenige  oder  um  mehrere  Stufen;  er  selbst  konnte 
rechteckig  oder  halbrund  sein;  das  waren  untergeordnete  Modifikationen,  die  je  nach 
Bedarf  eintraten,  das  Ganze  blieb  im  Rahmen  des  Typus.  Er  kommt  monumental  vor, 
Hauptbeispiele  finden  sich  in  Pompeji,  wo  drei  solcher  Gebäude  nebeneinander  an 
der  Südseite  des  Forums  stehen.  Das  mittlere  und  architektonisch  am  reichsten  aus- 
gestattete, mit  Wandsäulen,  hat  im  Fond  einen  hohen  Suggestus  vor  rechteckiger  ge- 
säulter  Bildnische,  die  beiden  andern  aber  ein  hinausgebautes  Halbrund,  das  eine  mit 
umlaufender  hoher  Bank,  wie  man  annimmt  zum  Aufstellen  von  Statuen.  Die  drei 
Gebäude  gelten  als  Amtsräume  städtischer  Behörden,  andere  erklären  sie  als  Zunft- 
häuser [Abb.  81].  Wir  haben  hier  keinen  Anlaß,  auf  die  Frage  einzugehen,  welche 
Bestimmung  die  drei  pompejianischen  Gebäude  hatten;  auch  die  andere  Frage  lassen 
wir  unerörtert,  als  zwecklos,  ob  die  Christen  bei  ihrem  Kirchenbau  heidnische  Amts- 
oder Kollegienhäuser  zum  Vorbild  genommen  haben  oder  nicht.  Die  uns  angehende 
Frage  liegt  lediglich  auf  dem  Gebiete  der  Kunst  und  der  Kunstformen,  und  zwar  im 
Rahmen  der  Antike.  Die  Sache  liegt  genau  wie  bei  den  figürlichen  Typen.  Wir 
sagten  dort,  der  Kopf  des  Guten  Hirten  und  der  zweite,  jugendlich  lockige  Christustyp, 
sind  nicht  abgeleitet  vom  Apollon,  oder  vom  Dionysos,  oder  vom  Eubuleus,  usf.,  sondern 
alle  diese  Köpfe  sind  Anwendungen,  Ausprägungen  des  einen  zugrunde  liegenden  Typus 
Jugendlich  lockiger  Kopf,  der  Gute  Hirt  aber  und  der  Christus  sind  nur  neue  Speziell 

18* 


276  Architektur  und  Malerei. 

immer  derselben  Gattung,  eben  des  jugendlichen  Typus.  Der  Künstler,  in  diesem 
Falle  der  Menschenbildner  (den  Götterbildner  mit  eingeschlossen)  bewahrt  in  seiner 
Vorstellung  eine  Anzahl  schematischer  Kopftypen,  den  allgemeinen  Typ  Mensch,  die 
besondern  Typen  Mann,  Weib,  Jüngling  usf.  Der  Bildhauer,  der  ein  Porträt  zu  schaffen 
sich  anschickt,  z.  B.  eines  Jünglings,  baut  seinen  schematischen  Jünglingskopf  auf;  dann 
genügen  einige  Drucker,  um  das  Schema  dem  Naturvorbild  entsprechend  zu  indivi- 
dualisieren. So  steht  es  auch  mit  dem  Architekten.  In  seiner  Vorstellung  bewahrt  er 
einen  Schatz  schematischer  Raumformen;  tritt  eine  Aufgabe  an  ihn  heran,  so  wählt 
er  den  zutreffenden  Raumtypus  und  paßt  ihn  den  Besonderheiten  des  Falles  an.  Als 
nun  die  Aufgabe,  einschiffige  Kirchen  zu  entwerfen,  zuerst  an  einen  Baumeister  heran- 
trat, da  griff  er  nicht  zur  Nachahmung  heidnischer  Kurien  oder  heidnischer  Scholen, 
sondern  er  wendete  den  für  den  Zweck  geeigneten  Raumtypus  an;  so  reihte  er  den 
bereits  vorliegenden  Ausprägungen  desselben,  mögen  sie  Magistraten,  Kollegien  oder 
wem  immer  gedient  haben,  noch  eine  weitere  an.  Das  blieb  natürlich  immer  innerhalb 
der  Antike.  Für  den  Klerus  paßte  weniger  ein  hoher  Suggestus  als  eine  vielleicht  nur 
einstufige  Erhöhung;  sehr  dienlich  war  ihm  die  Apsis,  mit  der  Stufe  zusammen  gab 
sie  seinem  Auftreten  Autorität.1) 

Antike  Abbildungen  wahrscheinlich  christlicher  Gebäude  (eines  ist  durch  das  auf 
ihm  angebrachte  Christusmonogramm  beglaubigt)  gibt  der  Sarkophag  Lat.  n.  174 
G  323,  5.  6  an  seinen  Schmalseiten.  Der  Sarkophag  pflegt  in  das  vierte  Jahrhundert 
datiert  zu  werden.  Wegen  des  Christusmonogramms  auf  der  Spitze  eines  Rundbaues 
braucht  man  ihn  nicht  erst  in  konstantinische  oder  nachkonstantinische  Zeit  zu  setzen. 
Diejenigen  dürften  recht  haben,  welche  das  Monogramm  bereits  als  vor  Konstantin 
gebräuchlich  anerkennen;  denn  der  Kaiser  hätte  es  nicht  auf  die  Schilder  der  Soldaten 
setzen  können,  sei  es  in  eigner  abergläubischer  Meinung  oder  um  sich  den  soldatischen 
Aberglauben  zunutze  zu  machen,  wenn  es  nicht  als  Zeichen  des  Christus  bekannt  ge- 
wesen wäre.  Daher  kann  sein  Vorkommen  am  lateranischen  Sarkophag  uns  nicht  ab- 
halten, ihn  vor  Konstantin  zu  setzen.  Seine  Architekturbilder  haben  wir  an  dieser 
Stelle  weder  als  Ganzes  zu  untersuchen  noch  in  allen  Einzelheiten;  wir  beschränken 
uns  auf  die  Betrachtung  eines  einzigen  der  dargestellten  Gebäude,  nämlich  der  ein- 
schiffigen Kirche  im  Hintergrund  des  Quellwunders  an  der  rechten  Schmalseite;  unter 
den  übrigen  Gebäuden  mögen  noch  mehr  einschiffige  Kirchen  sein,  doch  ist  bei  keinem 
die  Darstellung  so  klar,  daß  wir  sie  verwerten  möchten.  Unsere  Kirche  also  ist  wie 
alle  anderen  Gebäude  Quaderbau  mit  dekorativ  betontem  Fugenschnitt.  Der  Bild- 
hauer bringt  mit  der  Seitenansicht  von  Apsis  und  Langhaus  gleichzeitig  auch  die 
Fassade  zur  Anschauung,  dadurch  daß  er  sie  um  einen  rechten  Winkel  dreht,  dem 
Beschauer  zu.     Über  der  ganz  offenen  hohen  Pforte  (Torflügel   sind  nicht  angegeben, 


x)  Pompeji:  Nissen,  Pompejanische  Studien  306.  Overbeck-Mau,  Pompeji  41884,  139  Fig.  80. 
Mau,  Pompeji  1900,  110  Fig.  53.  Konrad  Lange,  Haus  und  Halle  294.  —  Schola:  Lange,  Haus 
und  Halle  290.  Mau,  Rom.  Mitteil.  1890,  278.  Hülsen,  eb.  289.  Gatti,  Bull.  com.  1891,  161. 
Schulten,  Archäol.  Anzeiger  1899,  72.  1902,  61.  Maaß,  Tagesgötter  1902,  97.  —  Es  sei  noch  auf 
die  Curia  der  Stadt  Rom,  des  Diokletian,  hingewiesen  (jetzt  San  Adriano),  bei  Hülsen,  Köm. 
Mitteil.  1905,  47  Fig.  9—12;  sowie  auf  eine  Schola  oder  Curia  bei  den  Thermae  Titianae  et 
Traianae  bei  Ricci,  Bull.  com.  1891,  196  mit  Plan.  Die  von  Friedrich  Wilhelm  IV.  zur  evan- 
gelischen Kirche  ausgebaute  Backsteinruine  in  Trier,  die  dort  sog.  Basilika,  wurde  vor  dem  Aus- 
bau leider  nicht  untersucht  und  aufgenommen. 


Die  Saalkirche.  277 

die  Portieren  zurückgenommen)  reihen  sich  drei  Fenster,  ein  viertes  durchbricht  die 
Wand  des  steilen  Giebels,  der  das  untere,  wagerechte  Gesims  bewahrt.  In  der  Wand 
des  Langhauses  stehen  zwei  Rundbogenfenster.  Die  Apsis,  schmäler  und  niedriger  als 
das  Langhaus,  wird  ebenfalls  durch  Fenster  erhellt,  deren  zwei  sichtbar  sind,  und  ist 
anscheinend  von  einer  Halbkuppel  bedeckt.  Apsiskuppel  und  Langhausdach  sind  mit 
Dachpfannen  antiken  Systems  eingedeckt  [Abb.  83]. 

Von  einschiffigen  Kirchen  ist  wenig  erhalten  und  das  Wenige  ist  spät,  gehört 
frühestens  dem  vierten  Jahrhundert  an.  Bei  den  Diokletiansthermen  führte  —  de  Rossi 
zufolge  —  eine  Straße  zwischen  einer  offenen  Bottega  und  einem  Privathaus  durch. 
In  christlicher  Zeit,  etwa  um  die  Wende  des  vierten  zum  fünften  Jahrhundert,  wurde 
das  Stück  Straße  zwischen  Bottega  und  Haus  zu  einem  Oratorium  oder  einer  kleinen 
Hauskirche  hergerichtet,  mithin  üherdacht  und  mit  gewölbter  Apsis  versehen;  in  ihrer 
Wand  sind  drei  Nischen  ausgespart,  die  aber  nicht  auf  den  Boden  herabreichen.  Die 
Apsis  wurde  ausgemalt,  in  eine  obere  Zone  stellte  man  Figuren,  deren  Bedeutung 
nicht  mehr  festgestellt  werden  kann,  in  eine  untere  eine  Marine,  in  bekannter  helle- 
nistischer Art  fischreiches  Gewässer  belebt  von  bemannten  Kähnen.  Gleichzeitig  wurde 
auch  die  an  das  Schiff  angeschlossene  Bottega  dekoriert.  Die  oberen  Figuren  können 
Apostel  oder  sonstige  christliche  Gestalten  gewesen  sein,  die  Seeszene  unten  kann 
christlich  gemeint  sein;  dazu  will  de  Rossi  auf  einem  abgefallenen  Stück  Bewurf  das 
Christusmonogramm  gefunden  haben.  —  Eine  großartige  Villen-  und  Palastanlage 
(vielleicht  des  Sex.  Varius  Marcellus  und  später  seines  Sohnes,  des  Kaisers  Elagabal) 
ist  durch  die  Aureliansmauer  in  zwei  Hälften  zerschnitten;  innerhalb  der  Stadt  gehört 
dazu  der  große  Saal,  aus  welchem  durch  Zufugung  einer  Apsis  die  Kirche  S.  Croce 
in  Gerusalemme  geschaffen  ist.1) 

Einschiffige  Kirchen  des  vierten  Jahrhunderts  machte  Truhelka  bekannt,  aus 
Bosnien  und  der  Herzegowina.  Sie  gehören  nach  ihm  der  antiken  Kultur  des 
Landes  im  vierten  Jahrhundert  an,  die  393  durch  die  Goten  vernichtet  wurde.  Diese 
Kirchen  haben  Apsiden,  von  denen  nur  einzelne  außen  polygon  gestaltet  sind.  Sie 
pflegen  vorn  in  der  Apsis  einen  Tischaltar  zu  besitzen  (erhalten  ist  die  Fußplatte  mit 
fünf  Eintiefungen  für  die  Stützen),  außerdem  in  dem  reichsten  Exemplar  eine  um- 
laufende Presbyterbank  mit  Stufen  für  den  Bischofsstuhl,  außerdem  gleich  vor  der 
Apsis  an  die  Seite  gerückt  einen  Ambo.2) 

In  das  fünfte  Jahrhundert  datiert  de  Vogtie*  die  einschiffige  Kirche  zu  Babuda. 
—  Einschiffige  Kirchen  fand  Crowfoot  in  Kleinasien  als  verlassene  Ruinen,  Strzygowski 
teilt  sie  mit.  Dergleichen  kommt  in  Lykaonien  vor  (Binbirkilisse)  und  in  Kappadokien, 
über  dem  Halys,  die  Ruine  heißt  Jedikapulu.  Die  Fassade  blickt  nach  Westen,  der 
Eingang  ist  abweichend  von  der  Regel  in  der  langen  Südseite.  Die  Apsis,  von  drei 
Fenstern  erhellt,  hat  außen  polygonen,  innen  hufeisenförmigen  Grundriß;  die  Form  des 


*)  Oratorium:  de  Rossi,  Bull,  crist.  1876,  37,  Taf.  6—7.  —  S.  Croce:  Lib.  pontif.  ed. 
Mommsen  I  61,  25:  Eodem  tempore  fecit  Constantinus  Augusius  basilicam  in  palatio  Sossorianum, 
tibi  etiam  de  ligno  sandae  crucis  domini  nostri  Jesu  Christi  posuit  et  in  auro  et  gemmis  inclusit,  ubi 
et  nomen  ecclesiae  dedicavit,  quae  nominatur  usque  in  hodiernum  dient  Hierusalem.  Dehio  u.  Bezold, 
Kirchl.  Baukunst  d.  Abendlands  I  83  Taf.  15,  12.  Lanciani,  Mon.  Lincei  1890,  490  Taf.  2,  3. 
Hülsen,  Rom.  Mitteil.  1892,  300.  1896,  124  Plan.  130.  Stegensak,  Rom.  Quartalschr.  1900,  177.  Eine 
spätere  Zeit  baute  das  Querschiff  und  die  zwei  Säulenreihen  hinein.     Letzter  Umbau  1743. 

2)  Truhelka,  Rom.  Quartalschr.  1895,  198  mit  Grundrissen. 


278  Architektur  und  Malerei. 

Hufeisens  beschreibt  auch  ihr  Eingangsbogen.  Die  Kirche,  in  Quaderbau  aufgeführt, 
war  überwölbt.  Anhaltspunkte  zur  Datierung  des  Denkmals  liegen  nicht  vor;  wegen 
der  Hufeisenform  des  Bogens  und  der  Apsis  wird  es  nicht  allzufrüh  sein.1) 


Die  Basilika. 

Kaiser  Konstantin  verschaffte  dem  Christentum  die  staatliche  Anerkennung;  damit 
machte  er  Epoche  in  der  Geschichte  des  Christentums.  Es  ist  herkömmlich,  die  voraus- 
liegenden Jahrhunderte  als  Zeit  der  „Verfolgung"  zu  charakterisieren,  die  nachfolgenden 
als  Zeit  des  „Friedens".  Als  ob  das  Christentum  das  harmlose  Lamm  gewesen  wäre, 
das  nie  ein  Wässerlein  trübte,  das  Heidentum  aber  der  böse  Wolf,  der  nur  darauf 
ausging  das  Lamm  zu  fressen.  Der  angreifende  Teil  war  doch  das  Christentum,  das 
Heidentum  handelte  in  Notwehr  und  in  der  harten  Art,  welche  nach  ihrem  endlichen 
Siege  die  Kirche  von  ihm  übernahm;  man  muß  von  ihrem  Kampf  und  erobernden 
Vordringen  reden,  wie  sie  das  Heidentum  Schritt  für  Schritt  zurückdrängte  und  den 
Staat  (gerade  der  antike  Staat  war  religiös)  durch  Verweigerung  des  Kultus  im  Innersten 
beunruhigte.  Der  Eroberungszug  hat  ihm  viel  Blut  gekostet;  aber  die  Märtyrer  wollen 
nicht  beklagt,  sondern  beglückwünscht  sein,  sie  fielen  auf  dem  Schlachtfeld  und  gingen 
ein  zu  den  ewigen  Freuden  Walhallas. 

Da  war  es  Konstantin,  der,  in  schwerem  Bingen  mit  seinen  Nebenbuhlern  be- 
griffen, mit  dem  Blick  des  Kaisers  erkannte,  daß  im  Christentum  die  stärkere  Kraft 
bereit  stand;  so  machte  er  die  Sache  des  Christentums  zu  der  seinen,  und  so  siegten 
beide  zusammen,  der  Kaiser  und  das  Christentum.  Es  gewann  den  Sieg  und  hat  ihn 
verfolgt  bis  zur  Vernichtung  des  Gegners.  Aber  er  war  teuer  erkauft,  immer  neu 
zollte  es  der  geschichtlichen  Notwendigkeit.  Ihr  zollte  die  „Religion  der  Liebe"  mit 
ihrer  ganzen  Theologie,  mit  ihrer  Hoffnung  (noch  Paulus,  so  hoch  er  die  Hoffnung 
und  den  Glauben  wertete,  über  beide  stellte  er  die  Liebe),  mit  dem  Personen-  und 
dem  Opferkult  einschließlich  des  Priestertums  (zugleich  wurde  die  Liebe  selbst  zum 
Ritus  degradiert).  Nun  gar  die  letzte  Ate,  der  Bund  mit  der  politischen  Macht.  Von 
seinem  ersten  Tage  an  hatte  das  Christentum  auf  persönlicher  Autorität  gestanden; 
ihr  schob  sich  bald  genug  die  Autorität  des  Amtes  unter  mit  seiner  mystischen  Ge- 
walt über  die  Seelen;  endlich  verband  sich  die  Kirche  mit  der  politischen  Macht.  Der 
Bund  hat  ihr  große  äußere  Erfolge  eingebracht,  hat  sie  selbst  aber  vollends  entseelt. 
So  vollendet  sich  denn  ihr  Schicksal.  Die  Liebe  aber  schaut  aus  nach  reineren  Händen, 
denen  sie  ihre  Sache  anvertrauen  könne. 

Seinen  und  der  Kirche  Sieg  zu  verherrlichen  und  zu  verewigen,  ließ  Konstantin 
Triumphalbauten  errichten,  zweierlei  Art,  einerseits  durch  den  Senat  den  herkömmlichen 
Triumphbogen  —  er  steht  noch  heute  zu  Rom  unterhalb  des  Palatin,  am  Eingang  zur 
Stadt  von  der  Via  Appia  her,  andererseits  im  eignen  Namen  glänzende  Triumphalkirchen 
über  den  Gräbern  der  christlichen  Heroen,  voran  des  Christus,  und  sinnverwandte 
Denkmalskirchen.  Dazu  erfolgte  allgemein  eine  Neubelebung  des  Kirchenbaues,  alte 
Kirchen  wurden  hergestellt,  vergrößert,  neue  erhoben  sich  vielerorts.   Zuerst  hören  wir 


*)  de   Vogüö,    Syrie    centrale  Taf.  67.  —  Crowfoot  bei  Strzygowski,  Kleinasien  28  Abb. 
22  Grundriß. 


Die  Basilika.  279 

von  Ty  rus,  wo  sich  die  hervorragendste  Kirche  des  Landes  Phönizien  befand;  bald  nach  dem 
Sieg  Konstantins  über  Maxentius  stellte  Bischof  Paulinos  sie  glänzend  her,  dreischiffig,  mit 
Apsis  und  Narthex,  Atrium  und  Brunnen,  angebauten  Kapellen,  das  Ganze  in  weitem 
Peribolos  mit  stattlichem,  nach  Osten  blickendem  Torbau  (Euseb.  Kirchengesch.  X  4, 1.  37  ff.). 

Dann  aber  setzte  Konstantins  eigne  Bautätigkeit  ein,  zuerst  im  Heiligen  Lande; 
der  Bischof  der  Hauptstadt  Cäsarea,  Eusebius,  berichtet  darüber  in  seinem  rhetorischen 
Stil  (Leben  Konstantins  HI  2  5  ff.).  An  der  Spitze  der  konstantinischen  Triumphal- 
kirchen steht  die  über  dem  Christusgrab.  Wie  Eusebius  selbst  bezeugte,  kannte 
niemand  das  Grab,  niemals  hatte  sich  irgend  jemand  darum  gekümmert,  wider  alles 
Erwarten  kam  es  zum  Vorschein.  Die  Heiden,  so  berichtet  Eusebius,  hatten  es  zu- 
geschüttet und  hoch  Erde  darüber  gehäuft,  ein  Paviment  darauf  gelegt  und  einen 
Aphroditetempel  obenauf  gebaut.  Konstantin  ließ  ihn  abbrechen  und  den  Boden  auf- 
graben, bis  die  Grabgrotte  zum  Vorschein  kam.  An  was  für  Kennzeichen  er  das 
„Denkmal  der  Unsterblichkeit"  erkannte,  darüber  schweigt  Eusebius.  Der  Kaiser  ist 
selbst  nicht  in  Jerusalem  gewesen;  er  muß  es  also  „instinctu  divinitatis"  getan  haben, 
oder  eher  „ex  suggestione  episcopi".  Kurz,  der  Kaiser  fand  das  Heilige  Grab,  das  er 
brauchte.  Den  Bau  gab  er  dem  Bischof  Makarios  von  Jerusalem  in  Auftrag,  durch 
einen  Brief,  den  Eusebius  mitteilt.  Ein  reichverzierter  Torbau,  die  Propyläen  des 
Ganzen,  trat  heraus  bis  auf  den  vorliegenden  Platz.  Es  folgt  der  peristyle  Vorhof 
(das  Atrium).  Drei  Türen  führten  zunächst  in  eine  Basilika,  auf  deren  glänzende  Aus- 
stattung Konstantin  ganz  besonderen  Wert  legte.  Ein  zweites  Atrium,  von  zwei- 
geschossigen Säulenhallen  umgeben,  mit  einem  seitlichen  Ausgang  nach  Süden,  verband 
die  Basilika  mit  dem  eigentlichen  Heiligtum,  dem  Heiligen  Grabe,  das  ein  prächtiger 
Säulenbau  umschloß.  Weil  das  Grab  als  Denkmal  der  Auferstehung  verehrt  wurde, 
das  will  sagen  der  Unsterblichkeit,  des  Christus,  und  durch  ihn  der  Christen,  so  heißt 
das  Heiligtum  Auferstehungskirche,  Anastasis.  Und  weil  dem  Christen  alles  auf 
die  Unsterblichkeit  ankam,  so  war  dem  Kaiser  der  Bau  gerade  dieser  Kirche  die 
wichtigste  Angelegenheit  (Euseb.  Leb.  Konst.  III  25 — 40). 

Auf  dem  Olberg  erbaute,  Eusebius  zufolge,  Konstantins  Mutter  Helena,  die  per- 
sönlich den  Orient  bereiste  und  die  heiligen  Stätten  verehrte,  die  Himmelfahrts- 
kirche (Analepsis),  in  Bethlehem  die  Geburtskirche;  der  Kaiser  aber  stattete  die 
drei  soweit  genannten  Kirchen  mit  den  kostbarsten  Weihgeschenken  aus  (Euseb.  eb. 
HI  41 — 43).  In  allen  Eparchien  des  Landes  ließ  er  neue  Kirchen  erstehen,  stattlicher 
als  die  früheren  (eb.  47,  4).  Auch  gab  er  dem  Bischof  Makarios  die  Weisung,  im 
Haine  Mamre  eine  Kirche  zu  bauen,  weil  es  auch  der  Erlöser  gewesen  sei,  der  dem 
Abraham  im  Haine  Mamre  erschien  (nach  Moses  I  18,  1.  Euseb.  eb.  HI  51 — 53). 
Ferner  errichtete  er  in  Antiochien,  „dem  Haupte  Syriens",  ein  Riesenoktogon  in 
weitem  Peribolos  (Euseb.  eb.  III  50),  und  unter  anderem  in  Heliopolis  in  Phönizien 
eine  Kirche,  wiederum  an  der  Stelle  eines  Aphroditetempels  (eb.  III  58). 

Endlich  stattete  Konstantin  die  Residenzen  mit  Kirchen  aus.  In  Nikomedien, 
seit  Diokletian  Residenz,  errichtete  er  eine  gewaltige  Triumphalkirche  „als  Weihgeschenk 
seinem  Erlöser,  zum  Danke  für  den  Sieg  über  seine  Widersacher,  die  Gottesfeinde" 
(eb.  III  50).  In  seiner  eignen  Gründung,  in  Konstantinopel,  erbaute  er  viele  Basi- 
liken und  Märtyrerkirchen,  in  und  außer  der  Stadt  (eb.  III  48 — 49).  Besondere  Auf- 
merksamkeit verdient  die  Apostelkirche,  so  genannt  weil  Reliquien  der  Apostel 
darin  aufbewahrt  wurden.     Sie   war  zur  Kaisergruft  bestimmt,  als  erster  wurde  Kon- 


280 


Architektur  und  Malerei. 


stantin  in  ihr  beigesetzt  (eb.  IV  58 — 60.  Sein  Begräbnis  IV  70).  Erwähnt  sei  noch 
die  goldne  Crux  gemmata,  die  er  im  Hauptsaal  des  Palastes,  in  der  Mitte  des  Lakunars, 
anbringen  ließ,  als  „Phylakterion  der  Kaiserresidenz",  sagt  Euscbius  eb.  III  49).  Kon- 
stantin lebte  ganz  in  den  heidnischen  Vorstellungen,  auch  des  heidnischen  Aberglaubens; 
daher  die  Triumphalmonumente,  die  Weihgeschenke,  die  Phylakterien. 

Der  Bischof  von  Cäsarea  redet  nur  von  Konstantins  Bauten  im  Osten,  um- 
gekehrt das  römische  Pontifikalbuch  nur  von  solchen  im  Westen.  Zur  Zeit  des  Bischofs 
Silvester  (314 — 336)  errichtete  der  Kaiser  folgende  Basiliken,  die  er  zugleich  auch 
reich  ausstattete.  In  Rom  die  Basilika  Constantiniana  (die  Lateransbasilika),  dazu 
das  Baptisterium,  in  dem  er  selbst  sich  danach  taufen  ließ.  Auf  Ersuchen  des 
Bischofs  die  Peters-  und  die  Paulsbasilika,  eine  jede  über  dem  betreffenden  Grabe. 
Eine  Basilika  im  Palatium  Sessorianum,  in  der  er  auch  eine  Partikel  vom  heiligen 
Kreuz  niederlegte  (Santa  Croce  in  Gerusalemme).  Auf  Bitten  seiner  Tochter  Constantia 
eine  Basilika  der  heiligen  Märtyrerin  Agnes  und  ein  Baptisterium  ebenda,  in  dem 
seine  Schwester  und  seine  Tochter  vom  Bischof  Silvester  getauft  wurden.  Auf  dem 
Ager  Veranus  an  der  Via  Tiburtina  eine  Basilika  des  seligen  Laurentius.  An  der 
Via  Labicana  am  dritten  Meilenstein,  inter  duos  lauros,  eine  Basilika  der  seligen 
Märtyrer,  des  Presbyter  Marcellinus  und  des  Exorcisten  Petrus,  und  ein  Mauso- 
leum für  seine  Mutter,  die  Kaiserin  Helena.  Ferner  auf  Suggestion  des  Bischofs  in 
Ostia,  beim  Hafen  der  Stadt  Rom,  eine  Basilika  der  seligen  Apostel  Petrus  und 
Paulus  und  des  Täufers  Johannes.  In  der  Civitas  Albanensis  (Albano)  eine 
Basilika  des  Täufers  Johannes.  Eine  Basilika  in  Capua,  zu  Ehren  der  Apostel, 
unter  dem  Namen  Basilica  Constantiniana.  Eine  Basilika  in  Neapel.  Im  eigenen 
Namen  errichtete  Bischof  Silvester  auf  einem  Grundstück  des  Presbyter  Equitius,  bei 
den  Thermen  des  Domitian  (Titus),  eine  Pfarrkirche,  den  Titulus  Equitii.  In  der- 
selben Gegend  noch  eine  Pfarrkirche  unter  seinem  eigenen  Namen,  als  Titulus  Sil- 
v  es  tri.  Noch  zur  Zeit  des  Konstantin  erbaute  Bischof  Marcus  (336 — 337)  zwei 
Basiliken,  eine  an  der  Via  Ardeatina,  die  andere  in  der  Stadt.1) 

Die  beiden  Quellen,  auf  deren  Benutzung  wir  uns  hier  wohl  beschränken  dürfen, 
sind  nicht  ganz  einwandfreie  Zeugen;  doch  werden  die  vorstehend  ausgezogenen  No- 
tizen ein  im  ganzen  der  Wahrheit  nahekommendes  Bild  von  der  kirchlichen  Bautätig- 
keit unter  Konstantin  geben. 

An  deren  Spitze  also  stand  die  kultliche  Schöpfung  und  künstlerische  Fassung 
des  Christusgrabes  in  Jerusalem.  Zunächst  geht  uns  nur  die  Basilika  vor  dem 
Grabbau  an. 

Indem  Konstantin  den  Bau  im  übrigen  unter  die  Aufsicht  und  Fürsorge  des 
Dracilianus,  des  Eparchen  des  Ostens  für  326,  stellt,  erwähnt  er  in  seinem  Brief  an 
Makarios  im  einzelnen  kurz  die  Mauern,  die  Säulen,  die  Decke;  für  letzte  überläßt  er 
die  Wahl  ihrer  Konstruktion  dem  Bischof,  scheint  aber  seinerseits  an  eine  kassettierte 
Holzdecke  zu  denken.  Man  sieht,  ihm  schwebt  vor  allem  ein  großartiges  Langhaus 
vor,    das    geeignet   wäre,    Tausende    von  Menschen  darin  zusammenströmen  zu  lassen. 


x)  Mon.  Germ.  hist.  Gesta  pontificum  Eomanorum  I  Libri  pontificalis  pars  prior  ed.  Theod. 
Mommsen  1898,  XXXIV  9  Huius  (Silvestri  episcopi)  temporibus  fecit  Constantinus  Augustus  basi- 
licas  istas,  quas  et  ornavit:  basilicam  Constantinianam,  ubi  posuit  ista  dona  —  — .  13  Fontem 
sanctum,  ubi  baptizatus  est  Augustus  Constantinus .  16  Eodem  tempore  Augustus  Constan- 
tinus fecit  ex  rogatu  Silvestri  episcopi  basilicam  beato  Fetro  apostolo  eqs. 


Die  Basilika.  281 

Die  Bauidee  der  Kirche  nach  Plan  und  Aufbau  erst  noch  zu  entwickeln,  hatte  der 
Kaiser  nicht  nötig,  das  Wort  Basilika  gab  das  Programm.  Da  wußte  Makarios,  was 
der  Kaiser  wollte,  eine  große  Prachtbasilika,  „würdig  seines  Ehrgeizes",  wie  Konstantin 
an  ihn  über  den  Bau  im  Haine  Mamre  schreibt.  Aber  das  Wort  Basilika,  was  ist 
damit  gemeint,  in  was  für  „Basiliken"  soll  Makarios  das  Schema  für  den  Neubau  finden, 
in  den  heidnischen  Marktbasiliken  oder  in  basilikalen  Kirchen?  Gab  es  schon  vor 
Konstantin  basilikale  Kirchen,  mehrschiffig,  mit  Überhöhung  des  Mittelschiffs?1) 

Der  Name  Basilika  für  christliches  Kirchengebäude  erscheint  in  der  erhaltenen 
Literatur  zuerst  in  Konstantins  Brief  an  den  Bischof  Makarios.  Damit  wird  die  An- 
nahme nahegelegt,  es  sei  eben  Konstantin  gewesen,  der  Namen  und  Typus  der  christ- 
lichen Basilika  einführte,  und  zwar  indem  er  die  Prachtbasilika  vor  dem  Christusgrab 
in  Auftrag  gab.  Das  wäre  dann  der  Schöpfungsakt  der  christlichen  Basilika  gewesen. 
Konstantin  schärft  dem  Bischof  ein,  dafür  Sorge  zu  tragen,  daß  nicht  allein  eine  Basilika 
entstehe,  bedeutender  als  alle  irgendwo  bestehenden,  sondern  daß  auch  das  Übrige  so 
ausfalle,  daß  die  schönsten  Bauwerke  in  jeder  Stadt  von  dieser  Schöpfung  übertroffen 
würden  (10g  od  fiovov  ßaoiXixrjv  tüjv  onta.vxayfiv  ßeXriova  äXXa  xal  rä  Xoiitä  rouxvra 
yevio&ai,  wg  7tävxa  tä  ecp*  exdoTrjg  xaXXiozsvovra  TtoXecog  vnb  xov  xrlo^iarog  rovtov 
vixäoöcu,  Euseb.  Leb.  Konst.  III  31).  Das  „Übrige"  außer  der  Basilika,  das  ist  die 
Grabeskirche,  das  wiederholte  Atrium  und  das  Propylaion,  soll  an  Pracht  alles  über- 
treffen, was  es  in  den  Städten,  also  doch  den  damaligen  Großstädten  in  Ost  und  West, 
Schönes  gab.  Nun  waren  bis  auf  Konstantin  die  größten  und  schönsten  Bau- 
werke, von  Antiochia  bis  Rom,  heidnische;  so  scheint  auch  die  neue  Basilika  alle 
irgendwo  bestehenden  Basiliken  ausstechen  zu  sollen,  gerade  die  heidnischen  Pracht- 
basiliken wie  die  Ulpia.  So  hat  Lange  S.  324  die  Stelle  verstanden;  vor  Konstantin 
habe  es  noch  keine  christlichen  Basiliken  gegeben,  Konstantin  verweise  den  Bischof 
auf  den  Typus  der  Forumsbasilika  als  das  zutreffende  Muster  für  die  Triumphalkirche. 
Dagegen  glauben  Mau  und  Hauck  gerade  aus  unserer  Stelle  schließen  zu  sollen,  der 
Kaiser  setze  bereits  den  christlichen  Basilikatypus  als  bekannt  voraus,  es  habe  dem- 
nach schon  vor  ihm  Ausführungen  gegeben.  Die  strittige  Interpretation  der  Stelle  sei 
den  Philologen  zur  Klarstellung  empfohlen. 


Die  christliche  Basilika,  den  reichsten  Typus  der  Kirchengebäude,  kennen  wir 
als  drei-  bis  fünfschiffige  Halle,  bisweilen  mit  vorderem  Querschiff;  es  kommt  vor, 
daß  die  Nebenschiffe  Emporen  haben;  das  Mittelschiff  ist  überhöht.  Die  Halle  steht  in 
räumlicher  Verbindung  mit  dem  im  Fond  anschließenden  Presbyterium,  das  in  der 
Regel  als  halbkreisförmige  Apsis,  seltener  im  Rechtecke  geschlossen  ist;  als  Erweiterung 
des  Presbyteriums  schiebt  sich  gern  zwischen  Halle  und  Apsis,  nach  beiden  weit  ge- 
öffnet, ein  Querhaus  von  der  Höhe  des  Mittelschiffs.  Der  Vorhof  pflegt  peristyl  zu 
sein,  nicht  leicht  fehlt  eine  Vorhalle.2) 

Das  etwa  ist  das  Schema  der  christlichen  Basilika.  Die  erste  Frage  geht  nach 
ihrem  Ursprung.     Nun  wird  der  Leser,  wenn  er  mit  der  Basilikaliteratur  vertraut  ist, 


*)  Dracilianus:  Seeck  bei  Pauly-Wissowa  V  1633. 

2)  Außer  auf  die  Handbücher  der  christlichen  Archäologie  und  der  altchristlichen  Archi- 
tektur ist  noch  auf  Leclercq  in  Cabrols  dictionnaire  d'arche'ologie  et  de  liturgie  II  525  Art. 
Basilique  zu  verweisen.     [Unsere  Abb.  87 — 89]. 


282  Architektur  und  Malerei. 

erwarten  und  vielleicht  befürchten,  wieder  einmal  eine  Abhandlung  lesen  zu  müssen, 
die  zum  so  und  so  vielsten  Male  versucht,  die  christliche  Basilika  von  diesem  oder 
jenem  „antiken"  —  gemeint  ist  heidnischantiken  —  Bautypus  „abzuleiten";  einen  Ver- 
such mithin,  der  von  vornherein  dem  neuerdings  öfter  ausgesprochenen  Verdikt  ver- 
fallen wäre,  daß  noch  alle  solche  Ableitungsversuche  mißlungen  seien.  Und  wir  wären 
mitten  in  den  so  end-  wie  fruchtlosen  Streit  hineingeraten,  von  dessen  Irrgängen  wir 
uns  schon  in  verschiedenen  Kapiteln  dieses  Buches  fernzuhalten  bemühten.  Stellen 
wir  noch  einmal  die  Frage  richtig.  Wir  gehen  aus  vom  antiken  Charakter  der  alt- 
christlichen Kunst.  Der  Satz  vom  antiken  Charakter  des  Christentums,  insbesondere 
gerade  desjenigen,  welches  in  der  Kunst  sich  ausspricht,  und  mit  Einschluß  dieser  seiner 
Kunst,  ist  dem  klassischen  Philologen  und  Archäologen  nicht  eine  These,  die  erst  noch 
des  Beweises  bedürfte,  sondern  ein  Gegebenes,  das  sich  auf  Schritt  und  Tritt  bestätigt, 
er  ist  für  ihn  ein  Ausgangspunkt;  und  er  wird  ja  auch,  wenigstens  in  Worten,  mehr 
und  mehr  zugegeben.  Mit  Anerkennung  dieses  Satzes  weicht  die  falsche  Gegenüber- 
stellung antiker  und  christlicher  Kunst  der  richtigen  heidnischer  und  christlicher  Antike. 
Und  mit  der  Erkenntnis,  daß  die  christliche  Kunst  nicht  Tochter  der  Antike  ist, 
sondern  selbst  Antike,  retten  wir  der  christlichen  Kunst  die  Fähigkeit  zu  selbständiger 
Erfindung,  immer  im  Rahmen  der  Antike  und  vermöge  des  noch  vorhandenen  Restes 
antiker  Schöpferkraft  im  Gebiete  der  Kunst.  Der  Begriff  der  christlichen  Antike  löst 
auch  das  Basilikaproblem,  vielmehr,  erlöst  uns  von  ihm. 

Wir  sahen,  wie  in  der  frühchristlichen  Zeit  die  Gemeinden  sich  in  Räumen  von 
Wohnhäusern  versammelten,  teils  in  Obergeschossen,  meist  wohl  von  Miethäusern,  teils 
zu  ebener  Erde  in  den  mehr  oder  minder  palastartigen  Einfamilienhäusern.  Wir  be- 
merkten, daß  von  den  Räumen  der  letzteren  sich  das  Atrium  weniger  eignete,  wegen 
des  zentralen  Impluviums;  ferner,  daß  es  einer  Gemeinde  nie  auch  nur  in  den  Sinn 
kommen  konnte,  sich  im  Peristyl  zu  versammeln,  das  ist  im  umsäulten  Garten.  Geeignete 
Räume  boten  sich  nur  in  den  Sälen,  den  großen  Triklinien  und  Oeci,  wie  sie  haupt- 
sächlich hinter  dem  Peristyl  lagen,  einerlei  ob  quer  oder  in  die  Tiefe  gehend.  Auch 
das  war  gleichgültig,  ob  sie  schlicht  waren  oder  umsäult  (die  Säulen  konnten  auch 
bloß  an  die  Wand  gemalt  sein  in  der  Weise  von  Mau's  „zweitem  Stil")  oder  gar  einen 
überhöhten  Mittelraum  besaßen.  Aber  aus  keinem  dieser  Räume  konnte  sich  die 
Basilika  entwickeln,  auch  schon  deshalb  nicht,  weil  das  Wesentliche  des  vermeintlich 
zu  Entwickelnden  längst  anderweit  vorhanden  war,  also  nicht  erst  entwickelt  zu  werden 
brauchte,  nämlich  der  geforderte  Raumbau. 

Viele  der  Versuche,  die  christliche  Basilika  von  dieser  oder  jener  älteren  Bau- 
form abzuleiten  —  das  muß  hier  kurz  erwähnt  werden,  um  der  Aufgabe  der  Ein- 
führung gerecht  zu  werden  —  leiden  an  dem  Fehler  mangelnder  Raumanschauung. 
Die  Ableitung  vom  Atrium  beruht  auf  einer  verführerischen  Ähnlichkeit  des  Grund- 
rißschemas; die  Raumfolge  Atrium  corinthium,  breiterer  Querraum  mit  Marmortisch, 
Tablinum,  schien  der  Raumfolge  Langhaus,  Querhaus  mit  Marmormensa,  Apsis  zu  ent- 
sprechen. Mangelnde  Raumanschauung  ließ  das  kirchliche  Querhaus  gegenüber  dem 
Querraum  des  Atriums  nur  mit  seinem  Plan,  nicht  mit  seinem  Aufbau  und  Raum- 
gehalt in  Rechnung  stellen;  daß  aus  dem  Impluvium  sich  das  Mittelschiff  der  Basilika 
nicht  entwickeln  konnte,  folgt  aus  dem  früher  Gesagten;  und  aus  dem  viereckigen 
Tablinum  konnten  nicht  halbrunde  Apsiden  werden.  —  Das  Langhaus  vom  Peristyl 
ableiten,  hieße  den  Typ  der  Kirche  aus  dem  Typ  des  Kreuzgangs  entwickeln.    Freilich 


Die  Basilika.  283 

war  die  Meinung,  der  Garten  wäre  überbaut  worden;  dazu  aber  war  das  Peristyl  zu 
schwach,  man  hätte  es  abbrechen  müssen,  um  auf  dem  nun  freien  Grundstücke  eine 
Kirche  zu  bauen;  und  hätte  sie  sich  an  den  Grundriß  des  ehemaligen  Peristyls  ge- 
halten, so  wäre  die  Kirche  statt  länglich  annähernd  quadratisch  ausgefallen.  Wenn 
der  Oecus  die  Apsis  abgegeben  hätte,  so  wären  die  ältesten  Apsiden  wieder  viereckig 
geworden,  statt  halbrund;  eine  so  scharfe  Scheidung  des  Presbyteriums  von  der  Ge- 
meinde, wie  sie  hier  durch  das  zwischenfallende  Stück  Säulenhalle  bewirkt  worden 
wäre,  hätte  dem  Mittelalter  vorgegriffen.  —  Ich  darf  diese  beiden  Hypothesen  nicht 
verlassen,  ohne  zu  erwähnen,  daß  sie  zuletzt  beide  anerkennen,  für  die  Ausführung 
des  Langhauses  sei  denn  doch  die  Forumsbasilika  Vorbild  gewesen.  Wozu  dann  die 
ganze  „Ableitung"?1) 

Ein  andrer  methodischer  Fehler  ist  es,  seinen  Ausgang  nicht  von  der  Hauptsache 
zu  nehmen,  sondern  von  einem  Nebenumstand.  Man  muß  unterscheiden  zwischen  dem 
kultisch  und  dem  architektonisch  Bedeutenden.  Für  den  katholischen  Opferdienst 
war  kultische  Hauptsache  das  den  Altar  umschließende  Presbyterium;  ein  für  die  Aus- 
gestaltung allerdings  maßgebender  Punkt.  Bauliche  Hauptsache  dagegen  war  das 
Langhaus,  die  große  mehrschiffige  Halle.  Das  wirkliche  Verhältnis  zwischen  diesen 
beiden  Raumteilen  ließ  z.  B.  die  Atriumhypothese  außer  acht.  Ähnlich  J.  P.  Richter, 
da  er  sich  Querhaus  und  Apsis  der  Basilika  als  eine  starke  Vergrößerung  des  Arko- 
sols  und  der  Mittelapsis  einer  Cella  cimiterialis  erklärte  (Die  Cella  trichoros  werden  wir 
unten  kennen  lernen,  es  ist  ein  kleeblattformiges  Oratorium  für  den  Grabkultus.  Aller- 
dings pflegt  der  katholische  Tischaltar  auf  einem  Grabe  zu  stehen  oder  wenigstens 
Reliquien  unter  oder  in  sich  zu  bergen).  Mit  der  so  entstandenen  Apsis  sei  dann  der 
ins  Große  gesteigerte  frühchristliche  Gemeindesaal  verbunden  worden.  Von  dieser 
Annahme  nicht  allzuweit  ab  liegt,  was  de  Rossi  und  Kraus  meinten;  die  christliche 
Basilika  sei  im  Zeitalter  Konstantins  durch  das  Zusammentreten  zweier  Faktoren  ent- 
standen; einmal  der  in  einer  oder  drei  Apsiden  ausladenden  Cella  cimiterialis,  und 
zweitens  der  großen  dreischiffigen  Halle,  sei  es  der  forensen,  sei  es  der  Privatbasilika. 
Ein  wesentliches  Motiv  für  diese  Hypothese  war  die  irrige  Voraussetzung,  es  könne 
vor  Konstantin  noch  keine  Stadtkirchen  gegeben  haben,  nur  Coemeterialoratorien; 
daher  müsse  die  konstantinische  Basilika  sich  von  letzteren  herleiten.  Alle  drei  Ab- 
leitungen fassen  die  Sache  am  falschen  Ende  an.2) 

Zunächst  haben  wir  ein  paar  ganz   abweichende  Erklärungsversuche  der  Basilika 


x)  Zestermann,  Die  antiken  und  die  christlichen  Basiliken  1847  meinte,  die  heidnische 
und  die  christliche  Basilika  seien  unabhängig  voneinander  entstanden ;  nur  wegen  einer  zufälligen 
Ähnlichkeit  sei  letztere  auch  Basilika  genannt  worden.  Ihm  widersprachen  die  Archäologen  Ur- 
lichs, Die  Apsis  der  alten  Basiliken  1847,  Brunn  im  Kunstblatt  1848,  19  u.  a.  Kinkel,  Gesch. 
d.  bild.  Künste  bei  den  ehr.  Völkern  1845  sah  in  der  Hausbasilika  das  Vorbild  für  kleinere  Kirchen, 
die  großen  führte  er  auf  die  Marktbasilika  zurück.  Ohne  letztere  Einschränkung  schrieben  für 
die  Ableitung  von  der  Hausbasilika  Meßmer,  Ursprung,  Entwicklung  und  Bedeutung  der  Basilika 
1854;  ZS  für  ehr.  Archäol.  II  1859,  und  Weingärtner,  Ursprung  und  Entwicklung  des  ehr. 
Kirchengebäudes  1858;  vgl.  Keber,  Mitteil.  d.  k.  k.  Zentralkommission  1869;  Crostarosa,  Le 
basiliche  cristiane  1892.  Die  Ableitung  vom  Atrium  lehrte  D eh io,  Münch.  Sitz.  1882,  301  Genesis 
der  ehr.  Basilika,  vgl.  Dehio-Bezold  69,  Hauck,  Realenzykl.  X  775;  die  vom  Peristyl  V.  Schultze 
Christi.  Kunstblatt  1882;  Archäologie  37. 

2)  J.  P.  Eichter,  Der  Ursprung  der  abendländischen  Kirchengebäude  1878.  —  De  Rossi, 
Koma  sotterranea  III  495.     Kraus,  Realenzykl.  I  119;  Gesch.  I  269). 


284  Architektur  und  Malerei. 

einzuschalten,  Ableitungen  vom  Mysterientempel,  vom  jüdischen  Tempel,  von  der 
Synagoge. 

Der  christliche  Gottesdienst  war  zu  einem  mystischen  Kultus  ausgewachsen, 
mindestens  im  Sinne,  wenn  nicht  auch  in  Formen  der  heidnischen  Mysterienkulte. 
Daher  sehr  wohl  die  Auffassung  sich  bilden  konnte,  die  heidnischen  Mysterien- 
tempel hätten  dem  christlichen  Kirchenbau  zum  Vorbilde  gedient.  Man  wird  noch 
hinzufügen  dürfen,  das  mystisch  gewordene  Christentum  werde  gerade  in  den  Kreisen 
der  Mysterienverehrer  Anklang  gefunden  haben;  es  braucht  nicht  gleich  ein  ganzer 
Mysterientempel  zum  Christentum  übergegangen  zu  sein  —  das  hätte  noch  nicht  auf 
den  Kirchenbau  im  ganzen  gewirkt,  doch  konnte  der  artverwandte  Kultus  in  verwandten 
Bauformen  Ausdruck  suchen.  Kraus  war  geneigt,  dem  Mysterientempel  wenigstens 
im  Osten  eine  gewisse  Einwirkung  auf  den  werdenden  Kirchenbau  zuzugestehen,  weil 
dort  nicht  so  gewaltige  Kaiserbauten  wie  in  Rom  die  Geister  präokkupierten.  — 
Lucian  beschreibt  den  Mysterientempel  der  syrischen  Göttin  zu  Hierapolis;  er  bestand 
aus  Vorhalle,  Schiff  und  Thalamos;  letzterer  entspräche,  als  das  Allerheiligste,  dem 
Presbyterium.  Ruinen  von  Mysterientempeln  sind  mehrfach  ausgegraben  worden;  bei 
keinem  hat  sich  die  Abdeckung  rekonstruieren  lassen.  Der  von  Samothrake  besaß 
keine  Peristasis,  doch  eine  Vorhalle,  im  Inneren  dreischiffigen  Hauptraum  und  ein- 
gebaute erhöhte  Apsis  mit  Opfergrube;  hierüber,  nach  vorhandenen  Standspuren  zu 
schließen,  ein  Tabernakel  auf  vier  Säulen.  Das  böotische  Kabirion,  aus  Alexanders 
Zeit,  bestand  aus  viersäuligem  Pronaos,  kleinerem  Vorraum,  großem  Hauptraum  und 
einem  Allerheiligsten  mit  Bild;  die  Opfergrube  befand  sich  hinter  dem  Tempel.  Dabei 
sei  bemerkt,  daß  griechische  Tempel  öfter  Apsiden  hatten,  außer  den  genannten  My- 
sterientempeln, dem  von  Samothrake  und  dem  Kabirion,  auch  der  Tempel  des  Ptoi'on, 
einer  zu  Thespiä  und  einer  zu  Lebadeia,  diese  drei  ebenfalls  in  Böotien  gelegen. 
Ferner  läßt  sich  das  Bakcheion  am  Westabhang  der  Akropolis  von  Athen  heranziehen 
aus  dem  zweiten  nachchristlichen  Jahrhundert,  ein  dreischiffiger  Saal  mit  noch  un- 
erklärten bauliehen  Vorrichtungen  für  Kultuszwecke  in  und  am  Mittelschiff,  und  einem 
viereckigen  Ausbau  als  Apsis  im  Fond,  mit  Rundaltar.  Auf  Melos  fand  sich  das  „heilige 
Haus"  der  „heiligen  Mysten"  des  Bacchus,  aus  dem  dritten  Jahrhundert,  mit  sieben 
nur  schmückenden  Säulen  vor  jeder  Langwand  und  einer  Statue  des  Hierophanten 
Trophimos  im  Bacchustyp;  im  langen  schmalen  Mittelraum  lagen  Mosaiken,  in  fünf 
Felder  geteilt,  im  ersten  entstiegen  den  vier  Ecken  Weinranken,  zwischen  denen  Tiere 
spielten,  im  zweiten  sah  man  Fische  im  Wasser,  inmitten  einen  Fischer,  weiterhin  geo- 
metrisches Ornament.  —  Auch  die  Grottenheiligtümer  des  Mithraskultes  hat  man  heran- 
gezogen, in  baulicher  Beziehung  aber  bieten  sie  keine  andere  Analogie  als  die  Längs- 
richtung nach  dem  im  Fond  befindlichen  Allerheiligsten  hin.1) 

Wiederholt  hat  man  an  den  jüdischen  Tempel  als  an  das  Vorbild  der  christ- 
lichen Basilika  gedacht.  Angesichts  der  Tatsache,  daß  das  Christentum  aus  dem  Juden- 
tum seinen  ersten  Ursprung  nahm,  scheint  eine  gewisse  Abhängigkeit  im  Gebiete  des 


x)  Ableitung  der  Basilika  vom  Mysterientempel:  Springer,  Grundzüge  der  Kunstgeschichte 
122.  Kraus,  Gesch.  I  269.  273.  277.  —  Samothrake:  Conze-Hauser,  Neue  archäol.  Unters,  auf 
Samothrake  I  Taf.  11.  II  1880,  27  Fig.  6.  Rubensohn,  Mysterienheiligtümer  1892,  183.  Kabirion: 
Dörpfeld,  Athen.  Mitteil.  1888,  87  Taf.  2.  Apsiden:  Noack,  Athen.  Mitteil.  1894,424.  Lebadeia: 
Bull.  corr.  hell.  1897,  334  Taf.  9.  Bakcheion:  Athen.  Mitteil.  1895,  176  Taf.  4.  Melos:  Bosan- 
quet,  Journ.  hell.  1898,  60  Taf,  1—3. 


Die  Basilika.  285 

Kultus  und  des  Kirchenbaues  von  vornherein  naheliegend.  Man  darf  aber  nicht  ver- 
gessen, daß  schon  zur  Apostelzeit  die  Christengemeinden  vom  Tempel  sich  lösten,  und 
wenigstens  die  frühchristlichen  Gemeindeversammlungen  recht  wenig  Ähnlichkeit  mit 
Tempelkult  hatten.  Danach  freilich  entwickelte  sich  bei  den  Christen  selbst  ein  neuer 
Tempeldienst,  doch  erst  lange  nach  der  Zerstörung  des  Tempels  von  Jerusalem  und 
dem  Erlöschen  seines  Kultus.  Der  christliche  Opferkult  konnte  gar  nicht  aus  dem 
jüdischen  Opferkult  hervorwachsen.  Ob  er  nachgehends  bei  den  biblischen  Kultus- 
vorschriften Anleihen  gemacht  habe,  ist  eine  andre  Frage,  die  mit  dem  Ursprungs- 
problem der  Basilika  nichts  zu  tun  hat.  Tatsächlich  hat  die  Basilika  mit  dem  Tempel 
so  gut  wie  nichts  gemein.  Freilich  sehen  wir  den  salomonischen  Bau  immer  noch 
bloß  wie  durch  einen  Nebel,  und  den  letzten  Tempel  auch  nicht  in  schärferen  Um- 
rissen. Nur  eine  Art  Schema  können  wir  uns  entwerfen,  das  in  manchen  Punkten 
unsicher  genug  bleibt.  Der  Tempel  steht  frei  in  weitem  Peristyl;  vor  seiner  Front 
erheben  sich,  darin  ähnlich  den  Obeliskenpaaren  vor  den  ägyptischen  Tempeln,  zwei 
Malsäulen;  eine  Vorhalle,  vielleicht  zwischen  zwei  Türmen,  führt  in  den  allerdings  in 
die  Tiefe  gehenden,  aber  nur  einschiffigen  Hauptraum;  dahinter  folgt,  durch  eine  "Wand 
geschieden,  nur  durch  eine  Tür  zugänglich,  das  Allerheiligste;  um  drei  Seiten  des 
Hauses  reihen  sich  in  mehreren  Stockwerken  Kammern,  die  zu  dem  Hauptraum  in 
keiner  Beziehung  stehen.  Da  ist  ziemlich  alles  anders  als  in  der  Basilika;  aus  den 
Kammern  z.  B.  konnten  niemals  Seitenschiffe  werden.  Man  muß  nicht  die  Linien  der 
Planschemata  vergleichen,  sondern  die  dreidimensionalen  Räume.1) 

Endlich  die  Synagoge.  Damit  steht  es  ja  anders  als  mit  dem  Tempel.  Die 
Synagogen  standen  anfangs  den  Christen  offen,  sicher  den  Judenchristen,  natürlich  nur 
zum  Wort,  nicht  zu  irgend  welchem  Ritus;  und  es  liegen  Anzeichen  dafür  vor,  daß 
gerade  in  der  jüdischen  Diaspora,  auch  unabhängig  von  der  Tätigkeit  der  Apostel  die 
christlichen  Ideen  sich  verbreiteten.  Wenn  es  wahr  ist,  daß  die  christliche  Gemeinde 
aus  der  Synagoge  hervorging,  sollte  nicht  auch  der  christliche  Kirchenbau  von  da 
seinen  Ausgang  genommen  haben?  Etwas  anders  meint  Strzygowski,  es  sei  nicht  un- 
möglich, daß  die  von  der  heidnischen  Antike  zu  Versammlungsräumen  verwendete 
Raumform  der  Basilika  den  Christen  durch  die  Tatsache  empfohlen  wurde,  daß  Christus, 
Paulus  und  die  übrigen  Apostel  gern  in  der  Synagoge  predigten.  „Wir  wissen  erst  durch 
die  Nachforschungen  der  deutschen  Orientgesellschaft,  daß  die  Synagogen,  entsprechend 
der  Basilika,  Säle  waren,  in  denen  zwei  Säulenreihen  in  der  Richtung  des  Eintretenden 
ein  breiteres  Mittelschiff  bildeten.  Die  Apsis  zwar  fehlt  der  Synagoge;  sie  zeigt  an 
der  Schlußwand  ebenfalls  Säulen.  Es  wird  daher  der  christliche  Kult  selbst  gewesen 
sein,  der  allmählich  aus  der  Synagoge  die  richtige  Basilika  mit  dem  Abschluß  für  den 
jetzt  ins  Innere  gelegten  Altar  und  die  Priester  gestaltete.  Wieweit  dabei  der  Sitz 
des  Richters  in  der  Apsis  der  heidnischen  Basilika  und  in  Syrien  antike  Fahnenheilig- 
tümer vorbildlich  wirkten,  ist  noch  nicht  klar  gestellt."  Also,  aus  der  Synagoge  die 
christliche  Basilika,  nur  vielleicht  unter  Einwirkung  des  Richtersitzes  in  der  Apsis  der 
heidnischen  Basilika  auf  die  Einführung  einer  Apsis  mit  Bischofsstuhl  in  die  christliche. 
Es  sei  vorläufig  nur  bemerkt,  daß  für  die  Synagoge  ein  bestimmtes  Schema  nicht  vor- 
geschrieben war,  auch  nicht  etwa  gewohnheitsmäßig  eingehalten   wurde.     Wir  kennen 


*)  Ableitung  vom  Tempel:  Kreuser,  Christlicher  Kirchenbau  1851;  Wiederum  der  Kirchen- 
bau 1868.     Puchstein,  Archäol.  Jahrbuch  1892,  12. 


286  Architektur  und  Malerei. 

schon  jetzt  sehr  verschiedene  Typen:  den  ungesäulten  oblongen  Saal  mit  kleiner  halb- 
runder Nische  in  der  einen  Langwand  (Hamman-Lif  bei  Karthago);  den  in  die  Tiefe 
gehenden  Saal  mit  drei  Eingängen,  unter  Umständen  mit  Vorhalle,  im  Innern  mit  fünf 
gleich  breiten,  wohl  auch  gleich  hohen  Schiffen  (Palästina);  den  von  der  deutschen 
Orientgesellschaft  gefundenen  Typ  mit  einem  Mittelraum,  welchen  drei  Säulenreihen 
im  Hufeisen  umgeben  (mithin  in  der  Raumgliederung  ähnlich  der  Cella  des  Parthenon). 
Die  auf  Grund  einer  ungenügenden  Beschreibung  versuchte  Rekonstruktion  der  großen 
Synagoge  von  Alexandria,  mit  breitem  Mittel-  und  zweimal  zwei  schmäleren  Neben- 
schiffen kann  nicht  mitzählen.1) 

Die  früher  geltende  Annahme,  die  christliche  Basilika  sei  der  heidnischen  nach- 
gebildet, hatte  Zestermann  als  eine  Erniedrigung  der  Christen  empfunden;  demgegen- 
über glaubte  er  ihre  unabhängige  Entstehung,  aus  eigner  Erfindungskraft,  nachweisen 
zu  sollen.  Doch  wohl  von  ähnlichen  Empfindungen  geleitet  hat  neuerdings  Witting 
Gedanken  über  Wesen  und  Entstehung  der  christlichen  Basilika  geäußert,  die  er  dahin 
zusammenfaßt,  daß  bei  ihr  „von  einer  schmarotzerhaften  Nachahmung  der  Antike  nicht 
die  Rede  sein  kann,  daß  vielmehr  die  altchristliche  Basilika,  selbst  bereits  höheres 
Glied  einer  innerchristlichen  Entwicklung,  primitive  Werte  enthält,  die  originell  sind 
und  neue  Entwicklungsbahnen  einleiten."  Also,  die  christliche  Basilika  ist  hervor- 
gegangen aus  einer  „innerchristlichen  Entwicklung".  Diese  Entwicklung  des  Kirchen- 
gebäudes aber,  sagt  Witting,  war  bedingt  durch  diejenige  des  Ritus,  und  zwar  des 
Hauptritus,  der  Eucharistie.  Witting  unterscheidet  drei  Phasen.  Zuerst  hatte  die 
Gemeinde  selbst  Zutritt  zum  Altar,  legte  selbst  ihre  Gaben  auf  den  Altar  nieder;  der 
Priester  segnete  sie  und  teilte  sie  wieder  aus.  Diesem  Brauch  entsprach  der  un- 
gegliederte Betsaal.  Auf  der  zweiten  Stufe  schiebt  sich  der  Diakon  zwischen  Gemeinde 
und  Altar,  sie  tritt  nicht  mehr  selbst  an  den  Altar  heran.  Für  diese  Phase  unterstellt 
Witting  eine  dreischiffige  Kirche  ohne  Überhöhung  des  Mittelschiffs  (die  sog.  Hallen- 
kirche). Auf /der  dritten  Stufe  wird  der  Ritus  für  die  Gemeinde  nur  noch  ein  Schauakt, 
den  die  Priesterschaft  vor  ihren  Augen  vollzieht;  daher  die  stärkere  Betonung  des  auf 
den  Schauakt  hin  gerichteten  Mittelschiffs  durch  dessen  Überhöhung,  wie  sie  der  Ritus 
in  der  Basilika  sich  geschaffen  habe. 

Die  Begründung  der  Bauform  im  Zweck  des  Baues,  bei  der  Kirche  im  Ritus, 
wäre  als  ein  gesunder  und  fruchtbarer  Gedanke  zu  bezeichnen,  wenn  er  nicht  zu  der 
unhaltbaren  Stufenfolge  geführt  hätte.  Ob  Witting  die  Geschichte  des  Ritus  richtig 
skizziert  hat,  insbesondere  nach  seiner  Wirkung  auf  den  Kirchenbau,  soll  nicht  unter- 
sucht werden,  auch  nicht  die  behauptete  innere  Beziehung  zwischen  seinen  drei  Stufen 
des  Ritus  und  den  ihnen  gegenübergestellten  Bautypen.  Nur  das  Eine  sei  erinnert, 
daß  die  Hallenkirche  wohl  vorgekommen  sein  mag,  aber  eine  solche  Rolle  in  der  Ent- 
wicklungsgeschichte des  Kirchenbaues  nicht  gespielt  hat.2) 

Zuletzt  ziehen  wir  die  heidnische  Basilika  in  Betracht,  wir  fragen,  ob  die 
christliche  in  einem  geschichtlichen  Verhältnis  zur  heidnischen  Basilika  gestanden  haben 
könne,  und  in  was  für  einem. 

Um  methodisch  richtig  vorzugehen,  suchen  wir  von  der  Hauptsache  auszugehen. 

*)  Das  früher  Zusammengebrachte  bei  Leclercq,  Manuel  I  340  Fig.  104 — 106.  Strzygowski 
in  Schiele's  Religion  I  1908,  381. 

2)  Felix  Witting,  Die  Anfänge  christlicher  Architektur  1902.  —  Die  Ästhetik  der  Schmarsow- 
schule  lasse  ich,  als  Archäologe,  beiseite. 


Die  Basilika.  287 

An  der  christlichen  Basilika,  deren  genetisches  Verständnis  wir  suchen,  dominiert  in 
baulicher  Beziehung  die  Halle  mit  ihrer  mittleren  Überhöhung.  Das  ist  nun  ein  Typus, 
die  basilikale  Überhöhung,  der  gegebenen  Falles  überall  und  zu  jeder  Zeit  von 
selbst  entsteht:  um  in  das  Innere  eines  größeren  überdeckten  Raumes  Licht  und  Luft 
zu  bringen,  hebt  man  den  mittleren  Teil  des  Daches,  je  nachdem  mit  Einschluß  der 
etwa  untergezogenen  Decke.  In  einfachster,  oft  auch  nur  ephemerer  Ausführung  ge- 
schieht das  heute  noch  bei  Schuppen,  Festhallen,  Zirkusbuden;  in  soliderer  Ausführung 
auf  Dauer  berechnet,  geschah  es  noch  unlängst  bei  Bahnhofshallen,  geschieht  es  immerzu 
bei  Markthallen,  bei  Fabriken  (auch  das  Shetdach  gehört  zum  Typus,  ist  nur  eine 
vereinfachende  Modifikation  desselben). 

Wirklich  monumentale  Ausführung  wirkt  natürlich  in  weitere  Kreise.   Sie  begegnet 
zuerst   in    Ägypten;    dort   wurde  sie  von  der  Forschung  zeitig  festgestellt,  immerhin 
konnte    es    geschehen,    daß    dieser    und  jener    Gelehrte  sich  ein  solches  Hypostyl  mit 
durchgehender   Decke    dachte.     Mir   wurde    alles   klar,   als   ich   1877   die  großen  und 
scharfen    Bonfilsschen    Photographien    ägyptischer   Ruinen    in    die    Hände    bekam.     Im 
Granittempel  bei   Giseh  liegt  das  Prinzip  noch  nicht  einmal  in  embryonalem  Zustand 
vor;   der   flachgedeckte    dreischiffige   Pfeilersaal  wird  durch  Luken  erhellt,  die  in  das 
äußere    Auflager    der   Decke,   in    die    Aufsicht    der   Außenwände,   kellerlochartig   ein- 
schneiden.    Schon  entwickelt  findet  sich  das  basilikale  Prinzip  in  den  großen  Tempeln 
des   neuen    Reiches,    an    den    höheren   Mittelräumen   der   Hypostyle.     Im    Ramesseum 
wurden    auf  die    Architrave    der    den   Mittelraum    von    den  Seitenschiffen  trennenden 
Kolonnaden  Steinwürfel  gesetzt,  als  Stützen  der  mittleren  Decke;  durch  deren  Zwischen- 
räume gelangt  Luft  und  Licht  in   das  Mittelschiff.     Den  Gipfel  der  Entwicklung  be- 
zeichnet das  große  Hypostyl  von  Karnak;  es  setzt  hohe  Steingatter  als  Lichtgaden  an 
jene    Stelle.     So  erweist  sich  dies  Riesenhypostyl  als  die  älteste  und  gewaltigste  aller 
Basiliken;  sie  ist  nicht  drei-  oder  fünf-,  sondern  siebzehnschiffig,  der  überhöhte  Mittel- 
raum  ist    für   sich    allein    dreischiffig,    die    Kelchkapitellsäulen    des    Mittelganges    sind 
21  Meter  hoch.     Daß   auch  ein  breiterer  Quergang  vorgesehen  ist  (sei  es  für  Zwecke 
des  Ritus  oder  nur  zu  leichterer  Orientierung),  ändert  nichts  am  Charakter  des  Ganzen. 
Die  dichte  Säulenstellung  ist  lediglich  konstruktiv  bedingt,  durch  das  Maß  der  steinernen 
Deckplatten.    Ein  Allerheiligstes  fehlt  keineswegs.     Bei  den  ägyptischen  Tempeln  führt 
der  Prozessionsweg  auf  der  Hauptachse  durch  Pylon,  Vorhof,  Vorhalle  und  Hypostyl 
gerades    Weges   zum    viel  kleineren  Adyton,  wie  das  bei  solchen  Tempeln  vor  Augen 
liegt,  die  aus  einem  Guß  gebaut  und  nicht  weiter  angetastet  wurden.     Das  ist  anders 
bei  den  Haupttempeln,  wie  dem  zu  Karnak;  an  ihm  haben  die  Geschlechter  nicht  bloß 
von    Jahrhunderten,    sondern    von    Jahrtausenden  geschaffen,  teilweis  auch  zerstörend, 
vorzüglich  aber  durch   immer  neues  Vorschieben  von  Pylonen  die  Planentfaltung  und 
die    Autorität    der  Anlage  steigernd.     In  dem  weiten  Zwischenhof  zweier  solcher  vor- 
geschobener Pylonen  hineingestellt  vermittelt  auch  unser  großes  Hypostyl  den  Zugang 
zu  dem  älteren,  daher  weiter  zurück  liegenden  Allerheiligsten  [Abb.  84.  85].1) 

*)  Hypostyl  von  Karnak  mit  durchgehender  Decke  gedacht:  Dümichen,  Gesch.  des  alten 
Ägyptens  (in  Onckens  Allg.  Gesch.  in  Einzeldarstellungen  I)  1887,  88.  —  Granittempel:  v.  Sybel, 
Weltgesch.  1888,  28;  225  Abb.  —  Ramesseum:  Perrot  et  Chipiez,  Hist.  de  l'art.  dans  Fantiquite"  I 
F^gypte  383  Fig.  219.  —  Karnak,  Hypostyl:  Plan  bei  Perrot-Chipiez  I  364  Fig.  212  und  Taf.  5 
Querschnitt.  Mittelgang  und  Seitenansicht  in  m.  Weltgesch.  1888,  50  Fig.  35.  36;  238  Abb.  39  Abb. 
—  Situationsplan  des  Tempels  von  Karnak  mit  farbiger  Unterscheidung  der  Bauperioden  (in 
einzelnen  Punkten  seitdem  berichtigt)  bei  Dümichen  zu  Seite  90. 


288  Architektur  und  Malerei. 

Gleichzeitig  mit  dem  neuen  Reich  der  Ägypter  erlebte  die  ägäische  Kultur 
ihre  Hochblüte  in  Kreta  und  Hellas;  in  den  dortigen  Palästen  fand  man  Anzeichen, 
die  auf  basilikale  Erleuchtung  einzelner  Räume,  zum  Teil  von  Haupträumen,  schließen 
ließen.  Aber  die  Forschung  steht  noch  zu  sehr  in  den  Anfängen,  als  daß  man  ihre 
doch  erst  vorläufigen  Ergebnisse  schon  verwerten  könnte.1) 

Das  ägyptische  Hypostyl  auf  der  einen,  die  christliche  Basilika  auf  der  anderen 
Seite,  das  sind  die  starken  Brückenköpfe,  zwischen  denen  die  ganze  Entwicklungs- 
geschichte der  klassischen  Basilika  eingespannt  ist;  die  Pfeiler  dieser  durch  die 
Jahrtausende  gespannten  Brücke,  die  etwaigen  Basiliken  der  Orientalen  und  die  der 
klassischen  Griechen,  haben  die  oft  hochgehenden  Wogen  des  Zeitenstroms  fortgerissen, 
nur  vom  letzten  Pfeiler  am  diesseitigen  Ufer,  der  römischen  Basilika,  ragen  noch 
Trümmer  empor. 

Konrad  Lange  fand  den  Mut,  Hand  anzulegen,  um  die  untergegangenen  Brücken- 
pfeiler wieder  aufzusuchen  und  aufzurichten,  um  die  weitklaffende  Lücke  zwischen  der 
altägyptischen  und  der  christlichen  Basilika  wieder  zu  schließen.  Seine  Rekonstruk- 
tionen haben  viel  Kritik  erfahren,  vielleicht  nicht  ohne  Grund;  aber  es  bleibt  sein 
Verdienst,  das  Problem  auf  der  von  der  Geschichte  und  ihren  Denkmälern  vor- 
geschriebenen breiten  Basis  aufgerollt  zu  haben.2) 

Es  ist  noch  keine  klassischgriechische  Basilika  ausgegraben  worden,  im  Osten  auch 
keine  hellenistische,  weder  in  Hellas  noch  in  Kleinasien,  Syrien  oder  Ägypten.  Das 
dort  zugrundegegangene  wiederzugewinnen,  ist  Sache  der  Zukunft,  das  liegt  im  Schoß 
der  Götter,  im  Schoß  der  Mutter  Erde.  Nur  im  Westen  gibt  es  Ruinen  von  helle- 
nistischen Basiliken  und  zwar  römischer  Zeit.8) 

Die  hellenistischen  Basiliken  waren  nicht  etwa,  wie  hier  und  da  irrig  gesagt 
wurde,  überdachte  Marktplätze,  sondern  Erweiterungen,  Annexe  der  Märkte,  dazu  be- 
stimmt, gewisse  Teile  des  Marktverkehrs  dem  Forum  abzunehmen  und  unter  Dach  zu 
bringen.  Es  waren  also  Markthallen,  wie  sie  auch  heutzutage  in  Großstädten  ent- 
stehen, selbst  in  mäßig  großen  Städten,  in  der  ganzen  Welt.  Unsere  Markthallen 
dienen  hauptsächlich  dem  Verkauf  von  Gemüse  und  Obst,  Fischen,  Geflügel,  auch  von 
Kleinkram.  Man  könnte  noch  die  Schrannen  für  den  Getreidehandel  nennen,  die 
Börsen  für  den  Geldverkehr,  zuguterletzt  ist  vergleichsweise  die  Glaspassage  {impasse, 
galleria)  herangezogen  worden.  Zu  all  dergleichen  Zwecken  dienten  im  Altertum  die 
Basiliken,  und  obendrein  noch  zu  Gerichtssitzungen.  Man  möchte  erwarten,  daß  die 
Religiosität  des  heidnischen  Altertums  in  allen  Basiliken  sich  irgendwie  Genüge  getan 
haben  werde.  —  Wir  heben  nur  einige  gesicherte  Beispiele  heraus.  Vor  allem  die 
Basilika  von  Pompeji.  Zunächst  den  früher  erwähnten  drei  Amtsstuben  gelegen  stößt 
sie  mit  der  schmalen  Front  an  den  gerade  dortherum  peristylen  Markt,  der  ihr  zum 
Vorplatz  dient,  wie  er  auch  den  Peribolos  des  ihn  beherrschenden  Jupitertempels 
bildet.  Im  Plane  weist  sie  einen  Vorraum  auf  {Chalcidicum),  im  Innern  einen  in  die 
Tiefe  gehenden,  vierseitig  umsäulten  Mittelraum;  doch  folgt  an  den  Schmalseiten  statt 


x)  Vgl.  u.  a.  Dörpfeld  in  Schliemanns  Tiryns  1886,  246.  Arthur  Evans,  Annual  Brit.  school 
Athens  IX  1902,  147. 

8)  K.  Lange,  Haus  und  Halle  1885. 

•)  Eine  gute  Übersicht  bei  Mau  in  Pauly-Wissowa's  Realenzykl.  III  83  Art.  Basilica.  — 
Altmann,  Italische  Rundbauten  1906,  91  läßt  das  basilikale  System  an  Rundbauten  aus  Griechen- 
land nach  Italien  kommen. 


Die  Basilika.  289 

einer  Abschlußwand  je  eine  zweite  Säulenreihe,  an  den  Längsseiten  sind  solche  nur 
angedeutet,  durch  Halbsäulen  an  den  Wänden.  Damit  wird  der  Mittelraum  ideell  von 
einem  zwiefachen  Säulengang  umzogen  und  im  Querschnitt,  wieder  nur  ideell,  fünf- 
schiffig.  In  einer  hinten  anschließenden  Raumzugabe,  nicht  apsisformig,  aber  apsis- 
artig,  erhebt  sich  das  Tribunal.  Der  Oberbau  ist  zerstört;  nach  Mau's  Rekonstruktion 
war  der  Mittelraum  zwar  überhöht,  in  Wahrung  des  Prinzips  der  basilikalen  Licht- 
zufuhr, aber  die  Decke  des  Umgangs  wurde  so  hoch  gehoben,  daß  die  Lichtgaden  in 
der  nun  verkümmerten  Oberwand  nicht  mehr  Raum  fanden,  sondern  in  die  Außen- 
wand verlegt  werden  mußten.  Kurz,  unser  erstes  Denkmal  einer  hellenistischen  Basilika 
repräsentiert  durch  einen  neckischen,  aber  erst  recht  lehrreichen  Zufall  nicht  den 
Haupttypus,  sondern  die  Spielart,  wie  sie  später  in  Südfrankreich,  auch  dort  als  hand- 
greifliches Rudiment  des  Haupttypus,  und  weiterhin  im  Norden  als  sog.  Hallenkirche 
wiederkehrt  [Abb.  86  Plan  der  Basilika  von  Pompeji].  —  Die  pompejanische  Basilika 
stammt  aus  dem  zweiten  Jahrhundert  v.  Chr.  Um  dieselbe  Zeit,  im  Jahr  184,  führte 
Cato  die  Markthalle  in  Rom  ein;  doch  ist  uns  seine  Basilica  Porcia  des  Näheren  eben- 
sowenig bekannt,  wie  die  in  der  letzten  republikanischen  Zeit  sich  rasch  folgenden 
weiteren  Basilikabauten  Roms.  Erst  mit  der  Kaiserzeit  beginnen  für  uns  die  Denk- 
mäler. Die  in  Ruinen  vorliegenden  stadtrömischen  Basiliken  liegen  alle  mit  einer  Lang- 
seite an  ihrem  Forum.  Die  Basilica  Julia,  eine  nach  den  drei  Hauptseiten  hin  offne 
Pfeilerbasilika,  besaß  zwei  zweigeschossige  überwölbte  Umgänge  um  den  langen,  später 
ebenfalls  überwölbten  Mittelraum,  der  so  groß  war,  daß  vier  Kammern  des  Centum- 
viralgerichts  darin  gleichzeitig  nebeneinander  tagen  konnten;  der  Marktverkehr  war 
auf  die  Umgänge  beschränkt.  Die  gegenüber  gelegene  Basilica  Aemilia  befindet  sich 
noch  im  Stadium  der  Ausgrabung;  auch  sie  hatte  ihren  umsäulten  Mittelraum;  doch 
scheinen  die  äußeren  Teile,  insbesondere  die  nach  dem  Forum  gelegenen,  wieder  eigen 
gestaltet  gewesen  zu  sein.  —  Hier  sei  die  von  Vitruv  gebaute  Basilika  zu  Fan  um  ein- 
geschaltet. Nach  seiner  Beschreibung  lag  auch  sie  mit  einer  Langseite  am  Forum, 
dem  Jupitertempel  gegenüber;  der  Mittelraum  war  überhöht,  ringsherum  lief  ein  zwei- 
geschossiger Umgang,  nur  in  der  Mitte  der  hinteren  Langseite  unterbrochen,  um  den 
Blick  aus  der  Mittelhalle  auf  den  Pronaos  des  dort  eingebauten  Augustustempels  frei- 
zuhalten; in  dessen  Podiumfront  schnitt  ein  flaches  Hemizyklium  als  Tribunal  für  das 
Handelsgericht  ein.  Unmittelbar  hinter  ihm  werden  Treppen  von  beiden  Seiten  zu- 
nächst zu  einem  Podest  geführt  haben,  von  dem  dann  eine  dritte  Stufenflucht  direkt 
auf  den  Pronaos  hinführte;  auf  dem  Podest  mag  der  Altar  gestanden  haben,  über  dem 
Fond  des  Hemizykliums.  —  Sodann  Trajans  Basilica  Ulpia,  die  Schöpfung  des  Apollodor 
von  Damaskus.  Im  Inneren  lief  ein  doppelter  Umgang  (ob  zweigeschossig,  wissen  wir 
nicht)  um  den  gewiß  überhöhten  Mittelraum;  die  Schmalseiten  öffneten  sich  mit  je 
sechs  Säulen  gegen  große  gesäulte  Exedren  mit  Naisk  im  Fond.  —  Endlich  die  von 
Maxentius  errichtete,  von  Konstantin  geweihte  Basilica  Constantiniana,  die  erste  ein- 
heitlich überwölbte  Basilika,  eine  baugeschichtliche  Tat.  In  der  Weise  der  Zentralsäle 
in  den  großen  Thermen  (des  Caracalla  und  des  Diokletian)  wurde  das  überhöhte  Mittel- 
schiff mit  drei  großen  Kreuzgewölben  überspannt,  die  zwei  Seitenschiffe  überdeckten  je 
drei  parallelliegende  Tonnen;  die  konstruktiv  unvermeidliche  Zerlegung  der  Nebenschiffe 
in  je  drei  Parallelräume  wurde  durch  breite  Verbindungstüren  gemildert.  Auf  Quer- 
schiffe verzichtete  man,  sie  wären  auch  kaum  unterzubringen  gewesen;  dafür  erhielt 
man    im  Mittelschiff  mit   der  im  Fond  sich  öffnenden  Apsis  einen  großgedachten  ein- 

Sybel,  Christliche  Antike  II.  19 


290  Architektur  und  Malerei. 

heitlichen  Raum.  Konstantin  oder  wer  es  war  verlegte  den  Haupteingang  in  die  süd- 
liche Langseite  an  der  Sacra  Via  und  durchbrach  die  nördlich  gegenüberliegende  Außen- 
wand, um  eine  neue  Apsis  als  Tribunal  einzubauen;  in  der  alten  Westapsis  erhielt  eine 
Statue  des  Konstantin  Aufstellung.1) 

Man  sieht,  wie  flüssig  das  Schema  der  Basilika  sich  den  besonderen  Anforderungen 
jedes  Einzelfalles  anpaßte.  Ein  solcher  Einzelfall,  eine  neue  Spielart  der  antiken  Basilika, 
selbst  wieder  mannigfacher  Modifikationen  fähig,  ist  auch  die  christliche.  Dabei  fällt 
die  Tatsache,  daß  ihre  meisten  Eigentümlichkeiten  einzeln  schon  in  dieser  oder  jener 
heidnischen  Basilika  sich  nachweisen  lassen,  durchaus  nicht  ins  Gewicht;  dergleichen 
Beobachtungen  wird  man  in  der  Typengeschichte  werten;  aber  wenn  auch  jene  Nach- 
weisungen nicht  geliefert  werden  könnten,  so  würde  der  antike  Charakter  der  christ- 
lichen Basilika  darum  nicht  weniger  feststehen.  Wohl  haben  die  Baumeister  der  ersten 
christlichen  Basiliken  die  heidnischen  Verwirklichungen  des  Typus  in  ihrer  ganzen 
Mannigfaltigkeit  gekannt  und  verwertet.  Darum  möchte  ich  sie  aber  nicht  mit 
Holtzinger  Eklektiker  nennen;  denn  ihr  Werk  stückten  sie  nicht  aus  Brocken  von 
diesen  oder  jenen  heidnischen  Basiliken  zusammen,  sondern  sie  schufen  eine  neue  Spezies 
der  antiken  Basilika,  aus  der  Eigenart  des  neuen  Einzelfalles  heraus.2) 


Verlangt  wurde  ein  Raum  von  Bedeutung,  der  Menschen  fassen  konnte  und  auf 
den  katholischen  Kultus  zugeschnitten  war.  Die  Architekten  hatten  kaum  eine  Wahl, 
sie  waren  auf  den  Typus  der  Basilika  angewiesen.  Zwar  versammelte  auch  manche 
heidnische  Panegyris  große  Menschenmengen,  auch  am  Altar,  der  aber  soweit  nicht  im 
Tempel  stand,  sondern  im  Freien.  Der  Tempel  war  eben  nur  Wohnung  des  Gottes, 
Gotteshaus,  nicht  Versammlungsraum;  wo  von  Versammlungen  in  Tempeln  die  Rede 
ist,  da  wird  weniger  an  die  Cella,  als  an  die  oft  genug  vertiette  und  als  selbständiger 
Raum  architektonisch  gekennzeichnete  Vorhalle  zu  denken  sein.  Die  meisten  Tempel 
waren  für  den  katholischen  Zweck  schon  zu  klein;  aber  auch  die  größten  stellten  einen 
für  ihn  unverwendbaren  Typus  dar.  Zwar  hätte  sich  die  Verlegung  des  Altardienstes 
in  das  Innere  machen  lassen,  Analoges  war  schon  in  den  vorerwähnten  Mysterientempeln 
geschehen  (den  Aufbau  und  die  Verwendungsweise  des  großen  eleusinischen  Mysterien- 
hauses kennen  wir  noch  nicht);  aber  abgesehen  von  solchen  Bedenken,  wie  z.  B.  der 
einseitigen  Beleuchtung  nur  durch  die  Tür,  wird  man  gerade  im  Anfang  schon  grund- 
sätzlich vermieden  haben,  den  christlichen  Tempel  im  Typus  des  heidnischen  zu  bauen. 
In  diesem  Stadium  des  Kirchenbaues  wird  man  auch  den  verschiedenen  Typen  der 
Synagogen  lieber  aus  dem  Wege  gegangen  sein. 

Für   Menschenansammlungen   unter   Dach    war  die  großräumige  Basilika  die  zu- 


*)  Pomp  ei:  Mau's  Rekonstruktion  mit  Quer-  und  Längsschnitt  Rom.  Mitteil.  1888,  40. 
Über  die  andern  Basiliken  vgl.  desselben  Artikel  Basilika  bei  Pauly-Wissowa ,  über  die  stadt- 
römischen noch  Richters  Topographie  der  Stadt  Rom,  Hülsens  Forum  Romanum  usf.  —  Zu 
Michaelis'  hallenförmigen  Basiliken  (MeUanges  Perrot  1903,  239),  die  hier  nur  insofern  in  Betracht 
kommen,  als  es  gilt  den  Umfang  des  Begriffs  Basilika  zu  bestimmen,  vgl.  Studniczka,  Deutsche 
Lit.  Zeit.  1906,  2626. 

")  Holtzinger,  Altchristi,  und  byzant.  Baukunst  1899,  25.  Dieser  und  jener  Lösungs- 
versuch des  Problems  kommt  dem  Richtigen  nahe  es  fehlt  nur  der  Begriff  der  „christlichen  An- 
tike", der  allein  Hilfe  bringt  in  der  immer  noch  nicht  überwundenen  Hilflosigkeit. 


Die  Basilika.  291 

treffende  Bauform,  und  dem  katholischen  Kultus  Heß  sie  sich  bei  ihrer  weitgehenden 
Schmiegsamkeit  leicht  anpassen.     Zum  Folgenden  gehören  unsere  Abb.  87 — 89.1) 

Die  Basilika  hat  im  christlichen  wie  im  heidnischen  Bau  entschiedene  Längs- 
entwicklung, sie  ist  ein  gestreckt  viereckiges  Gebäude  mit  überhöhtem  Mittelraum;  aber 
die  Verschiedenheit  der  Zwecke,  durch  welche  hier  und  dort  die  Menge  zusammen- 
geführt wird,  bedingt  gewisse  Abweichungen  in  der  Ausbildung.  Die  heidnische  Basilika 
diente  vorzugsweise  als  Anhang  des  Marktes  einen  Teil  des  Marktverkehrs  aufzunehmen; 
demgemäß  bewegten  sich  voneinander  unabhängige  Gruppen  in  den  Räumen.  Das  dem 
Gericht  vorbehaltene  Tribunal  erhielt  wohl  eine  ausgezeichnete  bauliche  Stelle,  aber 
praktisch  beherrschte  es  nicht  den  ganzen  Raum.  Dagegen  die  christliche  Gemeinde 
hatte  einen  einzigen  und  gemeinsamen  Zweck;  sie  füllte  daher  den  Raum  als  eine  große 
einheitliche  Versammlung  mit  allen  gemeinsamer  Richtung.  Daher  kommt  es,  daß  die 
Längsachse  unbedingt  als  Hauptrichtung  festgehalten,  der  Eingang  in  die  vordere,  das 
Blickziel  vor  die  hintere  Schmalseite  gelegt  wurde. 

Der  Gemeinde  gegenüber  war  der  den  Priestern  vorbehaltene  Raum,  das  Pres- 
byterium,  auf  erhöhter  Stelle  unterzubringen;  ihnen  diente  eine  im  Halbkreis  der  Apsis 
umlaufende  Bank,  der  gegebene  Platz  für  den  Bischofsstuhl  war  im  Fond  der  Apsis. 
Eintretenden  Falles  wurde  der  Raum  des  anschließenden  Querschiffs  zum  Presbyterium 
hinzugenommen;  der  Tischaltar,  sonst  am  vorderen  Rande  der  Apsis  aufgestellt,  wurde 
dann  bis  an  den  des  Querschiffs  vorgeschoben. 

Im  Einzelnen  sei  zur  Systematik  der  Basilika  noch  folgendes  bemerkt.*) 

Die  Kirche  stand  entweder  frei  inmitten  eines  Hofes  oder  sie  hatte  nur  einen 
Vorplatz,  der  aber  auch  als  umfriedeter  Vorhof  behandelt  sein  konnte.  Das  Hoftor 
wurde,  wenigstens  bei  bedeutenderen  Anlagen,  zu  größeren  Propyläen  entwickelt. 

Das  Heiligtum  inmitten  eines  weiten  Peribolos  anzulegen,  war  vorderasiatischer 
und  griechischer  Brauch.  In  Syrien  haben  sich  dergleichen  Anlagen  erkennen  lassen, 
auch  der  Tempel  von  Jerusalem  gehört  dahin.  Die  griechischen  Peripteraltempel  setzten 
immer  einen  Peribolos  voraus,  weil  sie  sich  nach  allen  vier  Seiten  hin  öffneten;  dasselbe 
gilt  für  die  hellenisierenden  Tempel  im  Westen  (z.  B.  Jupiter  und  Apollo  in  Pompeji). 
Diese  Anordnung  befolgten  vorzugsweise  die  östlichen  Kirchen;  gerade  im  Osten  be- 
fanden sich  einige  der  glänzendsten  Tempel  der  Art. 

Einen  Vorplatz  hatte  von  Haus  aus  jeder  Bau;  als  geschlossener  Vorhof  wurde 
er  bei  den  ägyptischen  Tempeln  ausgebildet,  ebenfalls  beim  Megaron  von  Tiryns.  Mangel 
an  Raum  mag  bei  manchem  städtischen  Bau  die  Wahl  dieser  Anordnung  herbeigeführt 
haben,  bei  Tempeln  und  Basiliken;  lagen  letztere  an  Märkten,  so  bildeten  diese  auch 
ihren  Vorhof.  Bei  den  christlichen  Basiliken  hieß  er  Atrium  (ai'&Qiov);  man  kann 
fragen,  ob  das  lateinische  Wort  nur  für  das  ähnlich  klingende  griechische  eingetreten 
sei,  oder  ob  wirklich  das  Atrium  diese  Entwicklung  durchgemacht  habe,  vom  Haus, 
durch  das  Vorhaus,  zum  Vorhof.  Das  Atrium  war  peristyl;  der  Innenraum  erhielt  ein 
Paviment  von  Marmorplatten,  in  der  Mitte  stand  ein  Brunnen,  Cantharus  (auch  (pidXrj). 
Ursprünglich  der  große  zweihenkelige  Trinkbecher  des  Dionysos  bedeutete  Kantharos 
später  die  Brunnenschale.     Die  in  den  kirchlichen  Atrien  wurden  bei  reicherer  Anlage 


J)  Vgl.  m.  Weltg.  1888,  450;  2452.  Was  ich  von  der  zwecklich  bedingten  Richtung  gesagt 
habe,  möchte  ich  weder  nach  Witting  noch  nach  R.  Kautzsch,  Bildende  Kunst  und  Jenseits  1905, 
43.  64  („Weg  zu  Gott")  modifizieren. 

2)  Mehr  bei  Holtzinger,  Die  altchristliche  Architektur  in   systematischer  Darstellung  1889. 

19* 


292  Architektur  und  Malerei. 

mit  einem  säulengetragenen  Baldachin  überdacht.  Der  Brunnen  diente  als  Waschbecken 
für  die  Kirchenbesucher,  zum  Waschen  von  Gesicht,  Händen  und  Füßen  vor  dem 
Eintritt  in  die  Kirche.  Der  Brauch  hat  sich  im  Islam  erhalten,  der  in  mancher  Be- 
ziehung die  griechische  Kultur  besser  bewahrte  als  die  christliche  Welt;  alle  Moscheen 
haben  den  Vorhof  mit  dem  Brunnen,  der  zu  den  Gebetsstunden  von  den  Gläubigen 
fleißig  benutzt  wird.  Wo  der  Vorhof  ganz  fehlte,  kam  der  Brunnen  in  die  Vorhalle 
zu  stehen;  im  Mittelalter  rückte  er,  als  Weih  Wasserbecken  (auch  eine  antike  Sache)  in 
das  Innere  der  Kirche.1) 

Die  hintere  Querhalle  des  Tetrastoon  konnte  zugleich  als  Vorhalle  der  Kirche 
dienen  (öfter  ist  das  übrige  Atrium  zerstört  worden  und  bloß  die  hintere  Halle,  eben 
als  Vorhalle  erhalten  geblieben),  konnte  auch  als  solche  besonders  hervorgehoben  werden. 
Damit  aber  war  gegeben,  daß  die  Vorhalle  nicht  in  den  Körper  des  Hauses  auf- 
genommen, sondern  wie  das  Chalcidicum  der  Marktbasiliken  (Pompeji,  Constantiniana) 
als  nur  eingeschossiger  Bau  der  sie  überragenden  Kirchenfassade  vorgelegt  wurde. 
Statt  all  dieser  Anlagen,  Propylon,  Vorhof  und  Vorhalle,  haben  einzelne  Kirchen  nur 
ein  viersäuliges  Tabernakel  vor  der  Tür  (S.  Prassede  u.  S.  demente  in  Rom).  —  Vorder- 
asiatische Kirchen,  in  Kleinasien  und  Syrien,  befolgen  eine  verschiedene  Anordnung. 
Die  Vorhalle  hat  nur  die  Breite  etwa  des  mittleren  Drittels  der  Kirchenfront,  die  Reste 
bleiben  geschlossen,  die  Halle  flankierend;  ein  Nachklang  des  althittitischen  (hinter- 
kleinasiatisch-nordsyrischen)  Palasttypus,  der  von  den  assyrischen  und  persischen  Königen 
übernommen  (in  Assyrien  als  Kiosk  im  Park  und  nicht  erheblich  geändert,  in  Persien 
als  Hauptpalastform  in  der  Richtung  auf  reicheren  Säulenbau  entwickelt)  auch  nach 
Zentralsyrien  überging.  Die  kleinasiatische  Kirchen  vorhall  e  (Birbinkilisse  I)  öffnet 
sich  nach  außen  nicht  in  der  hittitischen  Weise  mit  zwei  Säulen,  sondern  mit  einem 
Mittelpfeiler  (in  dieser  Zweiteilung  des  Eingangs  an  die  Paläste  des  minoischen  Kreta 
erinnernd);  die  zwei  Durchgänge  schließen  mit  Rundbögen.  Der  ganze  Vorbau  ist 
zweigeschossig,  von  der  Höhe  des  Hauses,  mit  Fenster  über  dem  Eingang.  —  In 
Zentralsyrien  findet  sich  der  hier  ungeteilte  Eingang  von  einem  großen  Rundbogen 
überspannt;  der  Vorbau  bleibt  in  seinem  Mittelteil  eingeschossig,  während  die  zwei 
Eckkuben  sich  nun  turmartig  annähernd  zur  Hauptschiffhöhe  erheben,  mit  Giebeldächern 
gedeckt.  Die  Decke  der  Vorhalle,  zwischen  den  von  da  an  sich  dreiseitig  frei  erheben- 
den Türmen,  wird  als  Terrasse  mit  Brustwehr  oder  auch  als  gesäulte  Veranda  aus- 
gebildet (jenes  in  Kalb-Luseh,  dies  in  Turmanin).  Die  Eckkuben  haben  in  den  hitti- 
tischen Ruinen  von  Sendschirli  wohl  ein  torturmartiges  Aussehen;  da  aber  der  weder 
dort  noch  in  Assyrien  und  Persien  vorliegende  obere  Abschluß  wohl  durchgehend  wag- 
recht war,  so  scheint  die  freiturmähnliche  Hochführung  an  den  syrischen  Kirchen  dort 
einheimisch  gewesen  zu  sein.8) 

Zwei  viereckige  Türme,  mit  Giebeldächern,  erheben  sich  hinter  einer  einschiffig 
gezeichneten  Kirche  mit  Ecksäulen  in  einem  Felde  der  Holztüren  von  S.  Sabina,  welches 
anlehnend  an  die  Typik  der  Elfenbeindiptycha  die  Akklamation  eines  Kaisers  in  Chlamys 
durch  Männer  teils  in  Toga,  teils  in  Paenula  darstellt;  leider  ist  der  Typus  der  Kirche 


*)  Antike  Weih wasserautomaten  beschreibt  Heron  von  Alexandria,  sie  gaben  einen  Guß 
Wasser  gegen  Einwurf  eines  Fünfdrachmenstückes  (etwa  eines  Talers),  v.  Wilamowitz-Möllendorff, 
Griechisches  Lesebuch,  Textband  261  mit  Abb. 

*)  Hittitisch,  assyrisch,  persisch,  syrisch:  Puchstein,  Archäol.  Jahrb.  1892.  —  Klein- 
asiatische Kirchen:  Strzygowski,  Kleinasien.  —  Syrische  Kirchen:  de  Vogüe",  Syrie  centrale. 


Die  Basilika.  293 

ebenso  schwer  verständlich  wie  das  Verhältnis  der  Türme  zu  ihr  (Garr.  VI  Taf.  500  VI). 
An  der  Lipsanothek  zu  Brescia  steht  der  Christus  zwischen  den  Aposteln  in  einem 
thermensaalähnlichen  Raum;  der  zwischen  zwei  Säulen  sich  weit  öffnende  Eingang  wird 
flankiert  von  zwei  viereckigen,  von  Giebeldächern  bekrönten  Türmen  (G  441).  —  Die 
viereckigen  Türme  stadtrömischer  Kirchen,  auch  von  solchen  antiken  Ursprungs,  sind 
im  Hochbau  nicht  antik;  wieweit  vielleicht  im  Unterbau  bleibt  nachzuprüfen.  —  Zwei 
hohe  Rundtürme  stehen  beiderseits  der  Frontseite  einer  wiederum  einschiffig  gezeich- 
neten Kirche  an  der  Elfenbeinpyxis  von  Werden  (G  447,  1)  und  zweier  Basiliken  in 
den  Mosaiken  des  Triumphbogens  von  Maria  Maggiore.  —  Ein  freistehender  Rundturm 
neben  der  Front  von  S.  Apollinare  nuovo  zu  Ravenna;  einer  neben  der  Apsis  von 
S.  Apollinare  in  classe  (m.  Weltgesch.  8463  Abb.).1) 

Das  Langhaus  ist  eine  antike  Basilika,  wir  sagten  eine  neue  Spielart  des  alten 
Bautypus;  meist  hatte  es  drei,  seltener  fünf  Schiffe.  Die  Längserstreckung  der  Basilika 
wurde  eher  noch  gesteigert.  Die  Besonderheit  der  christlichen  Basilika,  bedingt  durch 
den  katholischen  Ritus,  besteht  in  der  Richtung,  auf  der  Längsachse,  nach  dem 
Presbyterium  hin.  Dieser  Richtung  zulieb  hat  man  allgemein  die  hintere  Querhalle 
unterdrückt,  genau  wie  Vitruv  bei  seiner  Basilika  zu  Fanum  die  Mittelsäulen  der  hinteren 
Halle  unterdrückte,  ne  inpediant  aspectus  pronai  aedis  Augusti.  Es  hatte  nicht  bloß 
ästhetischen,  sondern  auch  kultischen  Wert,  vom  Mittelschiff  aus  in  der  Marktbasilika 
die  Kaiserkapelle,  in  der  Kirche  den  Altar  sehen  zu  können.  —  Die  vordere  Quer- 
halle war  nicht  ebenso  störend;  im  Osten  behielt  man  sie  bei,  um  die  dort  beliebten, 
für  die  Frauen  bestimmten  Emporen  im  Hufeisen  herum  führen  zu  können.  Die  nur 
zum  Anhören  der  Ansprachen  Zugelassenen  fanden  in  dieser  Halle  geeignetere  Auf- 
stellung als  in  dem  bloß  durch  Türen  mit  der  Kirche  verbundenen  Narthex.  —  Die 
im  Westen  vorherrschende  Unterdrückung  beider  Querhallen  fand  sich  schon  in 
heidnischen  Basiliken,  im  flavischen  Palast  und  in  der  Constantiniana. 

Als  Stützen  dienten,  wie  in  der  Marktbasilika,  in  der  Regel  Säulen.  Pfeiler- 
basiliken gab  es  am  römischen  Forum  (Julia,  Amilia),  unter  den  christlichen  Kirchen 
fast  nur  im  Osten  (Zentralkleinasien  und  Armenien,  Syrien  und  Ägypten;  die  Zeiten 
dieser  Kirchen  bleiben  zu  ermitteln).2) 

Die  ältere  Weise,  die  Säulen  durch  wagrechte  Architrave  (Epistyle)  zu  ver- 
binden, lag  im  Kampf  mit  der  neueren,  die  Interkolumnien  mit  Bögen  zu  überspannen. 
Als  frühesten  Beleg  dieses  Motivs  nennt  Altmann  den  Säulensarkophag  Torlonia, 
Robert  III  I  Taf.  34 — 37,  den  er  in  den  Anfang  des  dritten  Jahrhunderts  datiert;  er 
gehört  aber,  wie  wir  aus  der  Kopftracht  der  Verstorbenen  schließen  zu  müssen  glaubten, 
in  die  Zeit  nach  238,  immerhin  jedoch  noch  vor  Diokletian,  an  dessen  Bauten  Rob. 
v.  Scheider  das  Motiv  zuerst  auftreten  ließ.3) 

Die   Obermauern   über  den   das  Mittelschiff  begrenzenden  Säulenreihen  erhielten 


*)  Türme:  hierzu  wäre  der  antike  Turmbau  in  weiteren  Grenzen  heranzuziehen;  vgl.  z.  B. 
Herrn.  Thiersch,  Pharos  1909,  99  (viereckige),  174  (runde  Türme). 

*)  Honorius  ersetzte  die  Pfeiler  der  Ämilia  durch  Granitsäulen  (Hülsen,  Rom.  Mitteil.  1905, 
58);  daß  die  Pfeiler  im  Erneuerungsbau  durch  Säulen  ersetzt  wurden,  erfuhr  auch  die  Felixbasilica 
zu  Nola. 

8)  Altmann,  Architektur  und  Ornamentik  56.  Zu  Spalato  vgl.  Bruno  Schulz  im  Archäol. 
Jahrb.  1909,  50. 


294  Architektur  und  Malerei. 

als   Lichtgaden    rundbogige   Fenster,  ursprünglich  eins  über  jedem  Interkolumnium, 
mit  transparenten  und  gelochten  dünnen  Marmorplatten  geschlossen. 

Mehrschiffige  Kirchen  ohne  Mittelschiffüberhöhung  scheinen  im  allgemeinen 
in  der  christlichen  Antike  nicht  üblich  gewesen  zu  sein.  Kraus,  Gesch.  I  288  fuhrt 
als  einzige  Beispiele  die  syrischen  Kirchen  von  Schakka  und  Tafcha  an;  die  Decke 
ihrer  Emporen  liegt  im  Niveau  der  Mittelschiffdecke.  Man  erinnert  sich,  daß  Mau  die 
Basilika  von  Pompeji  mit  hochgeführten  Nebenschiffen  —  ohne  Emporen  —  rekon- 
struierte.1) 

Decke  und  Dach  der  christlichen  Basilika  waren  von  Holz.  Regelmäßig  lag 
eine  flache  Decke  unter  dem  Satteldach;  wo  jetzt  sich  offne  Dachstühle  finden,  da  sind 
sie  späteren  Ursprungs.  Die  flache  Decke  war  in  herkömmlicher  Weise  kassettiert. 
Das  ganze  System  der  Flachdecke  und  des  Satteldaches  darüber  entsprach  dem  bau- 
lichen Herkommen,  die  Architekten  hatten  keinen  Anlaß,  davon  abzuweichen  und  die 
Kirchen  einzuwölben. 

Von  der  Einführung  des  Gewölbes  in  die  Baukunst  werden  wir  noch  zu  reden 
haben;  hier  genügt  zu  sagen,  daß  seine  Anwendung  in  der  heidnischen  Architektur 
sich  auf  einzelne  Baugattungen  beschränkt  hatte,  die  erste  Stelle  nahmen  die  Thermen 
ein;  gewölbte  Tempel  gab  es  nur  vereinzelt,  von  den  forensischen  Basiliken  wurde  erst 
die  des  Maxentius  als  Wölbbau  geschaffen.  Als  nun  Konstantin  den  Bischof  von 
Jerusalem  mit  der  Errichtung  der  umfassenden  Triumphalanlage  am  Christusgrab  be- 
auftragte, da  stellte  er  ihm  anheim,  ob  er  die  Decke  der  Basilika  als  kassettierte  Holz- 
decke oder  in  anderer  Ausführung  herstellen  wolle,  im  ersteren  Falle  könne  Vergoldung 
hinzutreten.  Mit  der  „anderen"  Ausführungs weise  (Werkweise,  iqyaola)  kann  der 
Kaiser  doch  nur  das  Wölben  gemeint  haben.  Der  Bischof  hat,  so  will  mir  scheinen, 
wie  die  Dinge  lagen,  verständlich  und  verständig  entschieden.  —  Gegenüber  der  all- 
gemein angenommenen  Regel  bedeuten  Strzygowskis  kleinasiatische  Wölbkirchen  eine 
Ausnahme,  die  wohl  örtlich  bedingt  war;  ob  auch,  oder  eher,  zeitlich,  das  bedarf  noch 
der  Nachprüfung.     Ortlich  bedingt  sind  die  syrischen  Steindecken.2) 

Der  basilikalen  Halle  als  dem  Versammlungsraum  der  Laien  sich  anschließend, 
aber  mit  entgegengesetzter  Richtung,  insofern  gegenüber,  war  der  den  Priestern  vor- 
behaltene Raum  auf  erhöhter  Stelle  anzubringen,  das  Presbyterium.  Als  Hauptform 
desselben  lernten  wir  bereits  bei  Besprechung  des  einschiffigen  Kirchentypus  (der  Saal- 
kirche) die  mit  Halbkuppel  überwölbte  Apsis  kennen,  die  halbkreisförmig  aus  der 
hinteren  Schmalseite  des  Saales,  bei  der  Basilika  nun  aber  des  Mittelschiffs,  sich  hinaus- 
baut. Den  Priestern  diente  eine  im  Halbkreis  der  Apsis  herumlaufende  Bank,  der 
gegebene  Platz  für  den  Bischofsstuhl  war  im  Fond.  Der  Tischaltar  fand  seine  Auf- 
stellung am  vorderen  Rande  der  Apsis,  unmittelbar  vor  dem  Laienraum.  —  Wir  er- 


x)  Syrien:  de  Vogü£,  Syrie  centrale  pl.  15.  16  Schakka,  17  Tafcha. 

a)  Brief  Konstantins:  Euseb.  Leben  Konstantins  III  32  ttjv  dh  ztjg  ßaoiXixtjq  xafiüpav 
nozsQov  XaxwvctQiav  ij  61  evsQag  xivbq  hgyctaiaq  y£veo&at  ooi  Soxsi,  napa  aov  yvmvai  ßovXofiai.  El  yccQ 
XaxcovctQia  (jlbXXoi  elvai,  öwr/ceTcct  xal  XQvaäi  xaXXa>7tio9qvai.  Fast  meint  man  aus  diesem  letzteren 
Satz  einen  Wunsch  des  Kaisers  herauszuhören.  Dann  hätte  der  Bischof  nur  fein  gehört;  und  die 
Wahl  des  Holzdaches  wäre  nicht,  wie  man  wohl  meinen  zu  müssen  glaubte,  aus  Armut  oder  bau- 
technischem Unvermögen,  auch  nicht  aus  der  oben  angedeuteten  Verständigkeit  hervorgegangen, 
sondern  aus  dem  kaiserlichen  Verlangen  nach  goldstrotzendem  Prunk  seiner  Triumphalkirche.  — 
Strzygowski,  Kleinasien,  ein  Neuland  der  Kunstgeschichte  1903. 


Die  Basilika.  295 

innern  uns  des  reichlichen  Gebrauchs,  den  die  Antike  von  der  ßauform  der  Apsis 
machte,  auch  die  Marktbasilika;  die  Ulpia  hatte  an  jedem  Ende  eine  halbkreisförmige 
Exedra,  die  Constantiniana  eine  Apsis  zuerst  am  Westende  des  Mittelschiffs,  gegenüber 
dem  östlichen  Eingang,  nachher  in  der  Nordseite,  gegenüber  dem  in  die  Südseite 
verlegten  Eingang.  Kultische  Analogien  zum  christlichen  Allerheiligsten  bilden,  bei 
allen  Verschiedenheiten  im  Einzelnen,  die  Adyta  der  heidnischen  Tempel,  der  ägyp- 
tischen, auch  des  jüdischen,  der  griechischen  und  italischen,  soweit  sie  dergleichen  be- 
saßen; eine  Analogie  bildet  auch  die  Kaiserkapelle  mit  ihrem  Altar,  wie  sie  Vitruv  dem 
Fond  seiner  Basilika  eingebaut  hatte. 

Die  Außenseite  der  Apsis  finden  wir  im  Osten  gern  polygon  gestaltet.  —  Die 
heidnische  Apsis  (Schola)  war  ursprünglich,  auch  wenn  irgend  einem  geschlossenen 
Raum  angefügt,  allgemein  nicht  von  Fenstern  durchbrochen.  Es  liegt  nahe  anzunehmen, 
daß  auch  die  Kirchen  sie  zuerst  in  dieser  Form  verwendeten.  Bald  aber  wurde  die 
gefensterte  Apsis  Regel;  man  bringt  die  Änderung  wohl  mit  der  Orientierung  in  Zu- 
sammenhang. 

Die  Ausbildung  des  Altardienstes  und  die  Entwicklung  des  Klerikalsystems  hatte 
Erweiterungen  des  Presbyteriums  im  Gefolge.  Das  konnte  auf  verschiedene  Weise 
geschehen.  Entweder  durch  Ausnutzen  der  Winkel  beiderseits  der  Apsis;  das  ergab 
zwei  Nebenräume,  die  nach  außen  geschlossen  sich  nach  den  Nebenschiffen  öffneten 
(Pastophorien,  Sekretarien).  Der  eine,  in  seiner  Front  weit  offenstehende,  mit  einem 
Tisch  ausgestattete,  diente  zur  Entgegennahme  der  von  den  Gemeindegliedern  mit- 
gebrachten Abendmahlselemente  Brot  und  Wein  (Prothesis);  der  andere  zur  Auf- 
bewahrung der  Kultusgeräte  und  Kultusgewänder,  mithin  als  Sakristei  (Raum  der 
Diakone,  Diakonikon).  Dergleichen  Nebenräume  hatte  es  auch  in  heidnischen  Kult- 
lokalen gegeben,  z.  B.  in  dem  der  athenischen  Jobakchen.  Bei  solcher  Anordnung 
trat  die  Apsis  außen  nicht  mehr  hervor,  das  Gebäude  stellte  sich  rein  als  rechteckiges 
Oblongum  dar  (Beispiele  hauptsächlich  in  Syrien  und  Nordafrika). 

Die  andre  Weise,  das  Presbyterium  zu  erweitern,  bestand  im  Vorlegen  eines 
Querhauses  (besonders  in  Kleinasien  und  Rom).  Tatsächlich  an  der  Stelle  des  hinteren 
Querschiffs  der  Marktbasilika  befindlich  war  es  ein  ganz  andersartiger  Baukörper;  das 
Querschiff  war  zum  Querhaus  ausgebaut  worden,  um  den  unbehinderten  Durchblick  aus 
dem  Mittelschiff  in  das  Presbyterium  und  bis  in  die  Apsis  zu  gewähren.  Es  war  nun 
nicht  eine  von  Säulen  abgegrenzte  Halle,  sondern  ein  Haus  zwischen  vier  Wänden, 
mochten  diese  auch  an  gewissen  Stellen  sich  sogar  weit  öffnen,  nach  der  Apsis  und 
den  Schiffen.  Es  hatte  auch  nicht  bloß  die  niedrige  Höhenabmessung  eines  Quer- 
schiffs, vielmehr  die  volle  Höhe  des  Mittelschiffs.  So  konnte  es  auch  Fenster  nicht 
nur  in  den  Endseiten,  sondern  auch  über  den  Nebenschiffen  erhalten.  Ursprünglich 
auf  die  Breite  der  Basilika  beschränkt  schob  es  seine  Enden  später  weiter  hinaus.  Die 
Kreuzform  des  Grundrisses  der  Kirche  kam  erst  seit  dem  Ausgang  des  Altertums  zur 
Entwicklung.  —  Der  Tischaltar  wurde  nun  vom  Rande  der  Apsis  bis  an  den  Rand 
des  Querhauses  vorgeschoben.  Der  gewaltige  Rundbogen,  wenig  enger  als  das  Mittelschiff 
und  auf  zwei  den  Wandpfeilern  vorgesetzten  Säulen  ruhend,  mit  dem  sich  das  Querhaus 
gegen  das  Mittelschiff  öffnet  {arcus  maior),  pflegt  Triumphbogen  genannt  zu  werden 
{arcus  triumphalis).  Der  Name,  erst  in  der  Karolingerzeit  nachweisbar,  wird  abgeleitet 
von  dem  großen  Triumphkreuz,  das  wenigstens  später  auf  dem  wagrecht  eingespannten 
Balken    oberhalb    des    Altars  zu   stehen  pflegte;    eher  möchte  man  glauben,  der  Name 


296  Architektur  und  Malerei. 

stamme  von  der  konstantinischen  Inschrift  am  Triumphbogen  der  Peterskirche  quod 
duce  te  mundus  surrexit  in  astra  triumphans.  Die  Inschrift  konnte  Anlaß  geben,  den 
Rundbogen  über  dem  Altar  und  dem  Aspekt  des  Presbyteriums  mit  einem  altrömischen 
Triumphbogen  zu  vergleichen.  Auch  darüber  besteht  Unsicherheit,  ob  der  Name 
eigentlich  der  Öffnung  des  Querhauses  oder  der  Apsis  zukommt.1) 

Gegen  den  Laienraum,  das  Langhaus,  wurde  das  Presbyterium  nicht  bloß  durch 
die  Erhebung  seines  Fußbodens  um  eine  oder  mehrere  Stufen  abgegrenzt,  sondern  auch 
durch  Schranken  (öixtvcc,  ÖQvqxxxTa,  xiyxXideg,  cancelli)  in  den  gelegentlich  der  Sar- 
kophagrückseiten erwähnten  Ausführungen  in  Holz,  Metall  oder  Marmor.  Monumentale 
Schranken  aus  Marmor  sind  aus  der  christlichen  Antike  nur  bruchstückweis  erhalten. 
Den  Laien  war  das  Passieren  der  Schranken  und  das  Betreten  des  Presbyteriums  im 
allgemeinen  untersagt. 

Thron  und  Altar  in  der  christlichen  Basilika  bedürfen  noch  einiger  Worte. 

Der  Thron  des  Bischofs  (Kathedra,  Stuhl)  ist  in  einigen  Kirchen  erhalten,  ein 
Marmorsessel.  Seine  Gesamtform  (nicht  die  künstlerische  Ausbildung)  kommt  dem 
Korbstuhl  am  nächsten,  den  wir  in  der  Skulptur  als  Sitz  der  Maria  und  des  Gottes 
bei  der  Schöpfung  Evas  fanden  [Abb.  37];  in  ebensolchen  Korbstühlen  sitzen  Lehrer 
und  Schüler  im  trierer  Schulrelief.  Vielleicht  saß  auch  der  Lehrer  der  Gemeinde,  der 
Bischof,  ursprünglich  auf  solch  einem  Korbstuhl.  Die  literarische  Überlieferung  weiß 
von  hölzernen  Bischofsstühlen;  dergleichen,  mit  Elfenbeinplatten  bekleidet,  begegneten 
uns  in  der  Elfenbeinskulptur  (Holtzinger  bemerkt,  daß  der  Maximiliansthron  zu  Ra- 
venna,  weil  auf  der  Rückseite  verziert,  nicht  für  Aufstellung  im  Fond  der  Apsis  be- 
rechnet sein  könne,  sondern  für  freien  Stand  unmittelbar  vor  der  Gemeinde).  Die 
monumentalen  Marmorsessel  dürften  kaum  vor  Konstantin  aufgekommen  sein.  Sie  sind 
von  der  Art,  wie  sie  im  heidnischen  Altertum  zur  dauernden  Aufstellung  im  Freien 
gebräuchlich  waren;  wir  kennen  sie  als  Sitze  der  in  Theatern  die  Ehre  der  Proedrie 
genießenden  (vgl.  die  Protokathedrie  Mk.  12,  39).  Eine  ganze  Reihe  solcher  Marmor- 
sessel steht  noch  heute  vorn  an  im  großen  Theater  des  Dionysos  zu  Athen,  bestimmt 
für  Priester  athenischer  Heiligtümer,  die  Namen  stehen  an  den  Sesseln  eingegraben; 
den  Mittelplatz  nimmt  der  besonders  reich  skulpierte  Sessel  des  Dionysospriesters  ein, 
gleichsam  des  Hausherrn,  vielmehr  seines  sterblichen  Stellvertreters.  Bescheidener  ist 
die  im  Theater  zu  Oropos  gefundene  Anlage.  Die  Verzierung  aller  etwas  älteren 
christlichen  Exemplare  läßt  erkennen,  daß  sie  aus  heidnischen  Werkstätten  stammten, 
ähnlich  wie  die  „neutralen"  Sarkophage;  jüngere  Exemplare  tragen  den  späteren  Stil 
an  sich.  Gelegentlich  finden  sich  als  Bischofsstühle  sellae  perforatae  benutzt,  die  man, 
wohl  irrig,  als  Badestühle  zu  erklären  pflegt. 

Für  die  zu  den  Seiten  des  Bischofs  sich  reihenden  Presbyter  liefen  an  der  Apsis 
Bänke  herum  (Subsellien),  ursprünglich  von  Holz,  monumental  von  Marmor.  Numerische 
Zunahme  des  Klerus  führte  zu  amphitheatralischer  Anordnung  mehrerer  Bankreihen 
übereinander.  Dergleichen  Anlagen  erhielten  sich,  meist  wohl  aus  reichlich  später  Zeit, 
auf  der  Insel  Paros,  in  Torcello,  in  Grado.2) 


x)  Zum  Triumphbogen  vgl.  noch  Strzygowski,  Jahrb.  d.  preuß.  Kunstsamml.  1904,  253. 

2)  Der  sog.  Stuhl  Petri  in  der  Peterskirche,  von  Holz  und  mit  Elfenbein  belegt,  daher  bereits 
oben  erwähnt,  gehört  als  Tragsessel  überhaupt  nicht  in  die  Eeihe  der  hier  in  Eede  stehenden 
Bischofsstühle  mit  festem  Standorte  in  der  Apsis. 


Die  Basilika.  297 

Solange  der  Abendmahlstisch  beweglich  war,  wurde  er  nur  zur  eucharistischen 
Feier  aufgestellt,  konnte  also  bei  Ansprachen  nicht  im  Wege  stehen.  Nachdem  aber 
der  Tischaltar  mit  allem  seinem  Drum  und  Dran  seinen  festen  Platz  gefunden  hatte, 
zwischen  Bischof  und  Laien,  vollends  nachdem  der  Altar  bis  an  den  Vorderrand  des 
Querhauses  vorgeschoben  war,  konnte  der  Bischof  von  seinem  Stuhl  im  Fond  der  Apsis 
unmöglich  mehr  wirksam  zur  Gemeinde  sprechen,  es  wurde  nötig,  ihm  für  solche  Zwecke 
einen  besseren  Platz  zu  schaffen,  unmittelbar  vor  ihr,  also  an  den  Schranken,  den 
cancelli.  Hier  fand  der  Ambo  Aufstellung,  außerhalb  des  Presbyteriums,  der  Predigt- 
stuhl, aus  dem  sich  die  „Kanzel"  entwickeln  sollte. 


Der  Altar.1)  Am  Altar  bewährt  sich  der  Begriff  der  christlichen  Antike  vollends 
durchschlagend.  Wir  haben  hier  nicht  die  Entwicklung  zu  schildern,  welche  das 
messianische  Freudenmahl,  dann  Gemeinschafts-  und  Gedächtnismahl  durchlief,  um  zu- 
letzt zu  einem  Opfer  und  Opfermahl  zu  werden,  in  welchem  der  gekreuzigte  Messias 
Jesus  von  Nazaret,  der  Gottessohn,  endlich  der  Mensch  gewordene  Gott,  dem  zürnen- 
den Gott  als  Sühnopfer  dargebracht,  täglich  vom  Priester  auf  dem  Altar  neu  geopfert, 
und  sein  Fleisch  und  Blut  im  anschließenden  Opfermahl  an  dem  Tisch,  nun  zugleich 
Altar,  gegessen  und  getrunken  wurde,  um  den  Teilnehmern  die  ewige  Seligkeit  zu  ge- 
währen, alles  nur  spiritualiter.  Daß  es  indessen  doch  ernst  gemeint  war  mit  dem 
Opfer  und  dem  Opfermahl,  mit  dem  Fleisch  und  dem  Blut,  das  beweist  eine  lange 
Reihe  von  Zeugnissen,  angefangen  von  den  legendarischen  Einsetzungsworten  und  dem 
allerdings  „harten  Wort"  des  Johannisevangeliums,  bis  zur  blutenden  Hostie  in  der 
Messe  von  Bolsena,  der  Gründungslegende  des  Fronleichnamfestes.  Uns  aber  kommt 
es  darauf  an  zu  wissen,  welche  bauliche  Form  das  christliche  Opfer  und  Opfermahl 
sich  geschaffen  hat.  In  welcher  Weise  das  ursprüngliche  Freuden-,  Gemeinschafts- 
und  Gedächtnismahl  eigentlich  abgehalten  wurde,  ist  noch  völlig  dunkel;  nach  dem 
Wortlaut  der  Texte  sollte  man  meinen,  es  sei  in  Form  richtiger  Gelage,  wenn  nicht 
am  Boden,  so  doch  auf  Klinen  geschehen,  wobei  dann  der  Tisch  je  nachdem  gar  keine 
oder  doch  nur  eine  nebensächliche  Rolle  gespielt  hätte.  In  kleineren  Kreisen  wäre 
das  wohl  denkbar,  vielleicht  auch  monumental  erweislich,  aber  bei  ganzen  Gemeinden 
ist's  eine  schwer  realisierbare  Vorstellung.  Wie  dem  auch  sei,  sehr  früh  tritt  der  Tisch 
in  den  Vordergrund,  der  Tisch  des  Herrn.  Ein  hölzerner  Speisetisch,  ein  Möbel, 
wirklich  mobil,  nach  Bedarf  aufgestellt  und  wieder  beiseite  gesetzt,  wie  es  heute  in  der 
Kirche  Calvins  geschieht.2) 


*)  Altar:  Holtzinger,  Altchristliche  Archit.  in  syst.  Darst.  1889.  Wieland,  Mensa  und 
Confessio  I  Der  Altar  der  vorkonstantinischen  Kirche  (Veröffentlichungen  aus  dem  kirchen- 
historischen Seminar  München  II  11)  1906  schildert  die  Entwicklung  vom  Tisch  des  abendlichen 
Gemeinschaftamahles  zum  Opferaltar  auf  dem  Heiligengrab.  Derselbe,  Die  Schrift  Mensa  und 
Confessio  u.  P.  Dorsch  S.  J.  (eb.  III  4)  1908.  Dazu  de  Waal,  Rom.  Quartalschr.  1906,  153.  Har- 
nack,  Theol.  Lit.  Zeit.  1906,  627.  Funk,  Tüb.  Quartalschr.  1907,  466.  H.  Holtzmann,  Deutsche 
Lit.  Zeit.  1909,  209.  —  Raible,  Der  Tabernakel  einst  und  jetzt;  eine  historische  und  liturgische 
Darstellung  der  Andacht  zur  aufbewahrten  Eucharistie,  Freiburg  i.  Br.  1908.  —  Nik.  Müller,  Prot. 
Realenzykl.  8I  391.  Leclercq  in  Cabrols  Dictionnaire  I  3151  Art.  Auriol.  (Autels  d')  und  3155  Art. 
Autel.  Gressmann,  Drews  und  Bürkner  in  Schiele's  Religion  I  371  Art.  Altar.  —  Rohault  de 
Fleury,  La  messe,  6tudes  archeologiques  aur  ses  monuments  I  1883. 

2)  Gelag  am  Boden:  Band  I  181  „Das  Mahl  der  Seligen". 


298  Architektur  und  Malerei. 

Nun  kam  es  auf,  in  ein  früheres  Moment  im  Verlauf  des  Mahlritus,  vor  der 
Verteilung  der  Speise  und  des  Tranks,  die  Meinung  zu  legen,  daß  da  die  Opferung 
des  Christus  bei  jeder  Messe  neu  geschehe.  Da  das  ganze  Ritual  immer  an  dem  einen 
Tisch  vollzogen  wurde,  so  nahm  der  Tisch  des  Herrn,  auf  dem  jetzt  der  Herr  selbst 
dem  Herrn  selbst  als  Opfer  dargebracht  wurde,  den  Charakter  eines  Opferaltars 
an.  Und  der  neu  eingeführte,  vielmehr  auf  einem  Umweg  wieder  eingeführte  antike 
Opferaltar  behielt  grundsätzlich  und  langehin  tatsächlich  die  Tischgestalt;  er  mußte  sie 
behalten,  weil  dem  neuen  Opfer  das  alte  Gemeinschaftsmahl,  nun  als  Opfermahl  ver- 
standen, sich  unmittelbar  anschloß. 

Wenn  in  der  hostia  oblata  der  Christus  verehrt  wurde,  so  war  damit  der  Gott, 
als  den  man  ihn  nun  glaubte,  leibhaft  in  das  Kirchengebäude  gezogen,  das  Gemeinde- 
haus zum  Wohnhaus  des  Gottes  geworden,  zum  Tempel.  Und  das  Presbyterium  zum 
Allerheiligsten  i^Ayiov,  ayiov  äyiwv,  sanctuarium) ,  dem  Laien  untersagt  (advrov,  äßarov), 
alles  nach  antikem  Kultgebrauch.  Zum  Allerheiligsten  wurde  das  Presbyterium  nicht 
durch  den  Altar,  sondern  durch  den  Gott  auf  dem  Altar.  Wohl  thront  er  im  Himmel, 
oder  wie  die  Reliefs  es  darstellten,  über  dem  Himmel.  Es  ist  aber  die  Art  des  antiken 
Gottes,  im  Himmel  und  in  seinem  Tempel  zu  sein.  Wurde  nun  der  Gott  auf  dem 
Altar  in  seinem  Tempel  verehrt,  so  durften  die  Christen  sich  den  Heiden  gegenüber 
nicht  mehr  rühmen,  sie  hätten  weder  Altäre  noch  Tempel.  Von  da  an  sprechen  sie 
offen  von  ihren  Tempeln  und  ihren  Altären. 

Die  Tischform  des  christlichen  Opferaltars  bleibt  im  Rahmen  der  antiken  Kult- 
gebräuche. Der  Tisch  (zgarte^a,  mensa)  eignete  sich  mehr  dazu,  unblutige  Darbringungen 
(Opfer)  aufzunehmen,  wie  Baum-  und  Feldfrüchte,  Brot,  Honig.  Wo  immer  man  den 
Geist  oder  Gott  gegenwärtig  wähnte,  da  legte  man  ihm  Speise  nieder,  an  der  Erde,  auf 
einem  Fels,  einem  Erdhaufen,  einem  aus  Steinen  geschichteten  Altar,  oder  auf  einem 
Tisch,  also  dem  Speisetisch  für  den  Gott.  Unter  Dach  konnte  er  von  Holz  sein,  schlicht 
oder  kostbar,  sei  es  von  edlerem  Material  oder  in  künstlerischer  Durchbildung;  monu- 
mentaleres Material  war  Stein,  natürlich  waren  die  im  Freien  aufgestellten  Tischaltäre 
von  Stein.  Der  Brauch,  solche  Tische  aufzustellen,  ging  durch  alle  Zeiten  und  Völker, 
man  findet  ihn  bei  Ägyptern  und  Vorderasiaten  (es  sei  nur  der  „Tisch  der  Schaubrote" 
erwähnt),  in  den  griechischen  Ländern  schon  zur  mykenischen  oder  Heroenzeit,  z.  B.  auf 
Kreta.  In  den  klassischen  Zeiten  war  die  Cella  des  griechischen  Tempels  speziell  für 
den  Tisch  bestimmt,  die  älteren  sizilischen  Tempel  besaßen  ein  besonderes  Adyton  für 
den  Gott,  für  sein  Bild.  Reste  von  sakralen  Tischen  fanden  sich  vielerorts:  in  Athen 
im  Lenaion  und  im  Amynaion,  in  Aulon  (in  Attika),  in  Eleusis,  Epidauros,  Lykosura  usf. 
Ein  Relief  aus  Megara  zeigt  den  Tisch  vor  einem  Achelooskopf.  Für  unseren  Zweck 
genügen  die  angeführten  Beispiele.  Ich  füge  noch  eine  Münze  des  Licinius  hinzu,  die 
einen  Tischaltar  zeigt;  er  steht  auf  einer  Stufe  zwischen  Schild  und  Helm,  quer  liegt 
die  Lanze,  auf  dem  Altar  selbst  sitzt  eine  Eule.     Also  kein  Speisetisch.1) 

Auf  die  verschiedenen  Anlässe,  aus  welchen  einem  Gott  ein  Speisetisch  hergerichtet 
werden  konnte,  haben  wir  nicht  einzugehen;  an  die  den  Göttern  gegebenen  Mahle,  die 


*)  Sizilien:  Koldewey-Puchstein,  Griech.  Tempel  in  Unteritalien  u.  Sizilien  1899,  193.  — 
Steintische.  Ath.  Mitteil.  1895,  167  Lenaion,  1896,  289  Amyneion,  1880,  116  Aulon,  1899,  243  Eleusis, 
1898,  1  Epidauros.  Lykosura:  'E<p.  ccqx-  1896,  107.  Megara:  Furtwängler,  Sammlung  Saburoff 
Taf.  27.  Licinius:  Cohen,  MeU  imp.  «VII  204  153.  —  Vgl.  noch  Reisch  bei  Pauly-Wissowa  I 
1640  Art.  Altar,  1676  über  Tischaltäre,  II  338  Art.  Ära.     v.  Prott,  Ath.  Mitteil.  1898,  219. 


Die  Basilika.  299 

Theoxenien  und  Lectisternien,  braucht  nur  erinnert  zu  werden.  Aber  von  einer  Klasse 
Steintische  ist  noch  zu  reden,  die  einen  sakralen  Charakter  nicht  zur  Schau  tragen,  die 
künstlerisch  durchgebildeten  pompejanischen  Marmortische;  sie  stehen  imCavaedium 
an  ausgezeichneter  Stelle,  hinter  dem  Impluvium,  im  Querschiff  zwischen  den  Alae,  vor 
dem  Tablinum.  Ihre  Bestimmung  liegt  nicht  zu  tage.  Sehr  einleuchtend  dachte  sich 
Nissen,  an  dieser  Stelle  habe  einst  der  Herd  des  Hauses  sich  befunden;  als  dann  eigene 
Küchen  eingerichtet  wurden,  habe  man  den  alten  Herd  mit  einer  Marmorplatte  bedeckt 
und  schließlich  durch  einen  Marmortisch  ersetzt.  Die  Kostbarkeit  der  Exemplare 
widerrät,  an  Benutzung  für  häusliche  Zwecke  zu  denken;  könnte  der  Marmortisch 
nicht,  als  Vertreter  des  heiligen  Herdes,  zum  Tisch  für  die  Hausgötter  bestimmt  sein, 
die  doch  ihren  Anteil  vom  häuslichen  Mahle  erhielten?  Die  auf  und  bei  ihm  offenbar 
bleibend  hingestellten  Bronzevasen  würden  nicht  dagegen  sprechen.  Diese  Marmortische 
nun  schienen  die  Hypothese  zu  unterstützen,  das  Atrium  sei  der  Keim  der  christlichen 
Basilika  gewesen;  die  Tische  seien  unmittelbar  in  den  kirchlichen  Gebrauch  über- 
gegangen, der  christliche  Altar  sei  Abkömmling  des  Atriumtisches.  Die  Hypothese  ist 
weder,  wie  wir  wissen,  mit  dem  baulichen  Charakter  des  Atriums  vereinbar  noch  ist 
sie  es  mit  der  Entwicklungsgeschichte  des  christlichen  Ritus;  richtig  aber  ist,  daß  die 
Marmortische,  wie  wir  sie  in  Pompeji  sehen  und  wie  sie  in  Varros  Jugendzeit  in  vielen 
Häusern  aufgestellt  wurden,  zu  christlichen  Tischaltären  sehr  wohl  verwendet  werden 
konnten,  auch  ihrem  von  uns  vermuteten  Sinne  nach.1) 

Eigentümlich  christlich  scheint  die  Verwendung  des  Opfertischs  für  das  blutige 
—  mental  blutige  —  Christusopfer  zu  sein.  Doch  ist  zu  bemerken,  daß  einerseits  analoge 
Verwendung  des  Tisches,  für  blutige  Opfer,  auch  im  heidnischen  Kult  vorkam;  anderer- 
seits war  sie  im  christlichen  Kult  ebendadurch  erleichtert,  daß  es  sich  —  nicht  mental, 
aber  real  —  doch  um  ein  unblutiges  Opfer  handelte  (ausgenommen  die  blutende 
Hostie  von  Bolsena,  die  aber  dem  Mittelalter  angehört  und  dessen  Kulminationspunkt 
an  ihrem  Teile  deutlich  zeichnet).  Übrigens  verlangt  der  Satz  von  der  christlichen 
Antike  ja  nicht,  daß  mit  den  christlichen  identische  Erscheinungen  im  heidnischen 
Altertum  nachgewiesen  werden,  sondern  nur,  daß  das  Christliche  sich  als  antiken 
Geistes  und  antiker  Art  erweise,  was  bei  dem  gesamten  Opferkultus  unbedingt  der 
Fall  ist.2) 

Der  Tischaltar  erhielt  nun  aber,  außer  zum  Opfer  und  zur  Kommunion,  noch 
eine  dritte  Beziehung,  nämlich  zum  christlichen  Heroenkult.  Das  war  vorbereitet 
durch  den  Brauch,  an  den  Gräbern,  insbesondere  der  Märtyrer,  das  ist  der  christlichen 
Heroen,  die  Eucharistie  zu  feiern;  seinen  Ursprung  aber  nahm  es  in  den  konstantinischen 
Triumphalkirchen.  Die  erste  ließ  der  Kaiser  in  Jerusalem  über  dem  Grottengrab  er- 
richten, das  hinfort  als  Christusgrab  gelten  sollte;  Jesus  war  der  erste  und  Hauptheros 
der  Christen,  der  wahre  Protomartyr.  Dann  folgten,  wie  es  heißt,  in  Rom  die  Coemeterial- 
basiliken  über  den  Gräbern  der  Petrus,  Paulus  usf.  In  allen  Fällen  gab  das  Grab  den 
festen  Punkt  für  den  Plan  des  Baues  ab;  oft  unter  Zerstörung  der  Umgebung,  der 
umliegenden  Christengräber,  wurde  die  Gruft  freigelegt,  das  Grab  des  Märtyrers 
oder    Bekenners,    Confessors,    daher    die    Gruft    Confessio    heißt.      Auf  das     Grab 


*)  H.  Nissen,  Pompejanische  Studien  420.  641. 

*)  Blutige    Opfer   auf   Tischen:    Keisch   bei    Pauly-Wißowa    I   1676.      Pfuhl,    Ath.    Mitteil. 
1903,  336. 


300  Architektur  und  Malerei. 

kam  der  Altar  zu  stehen,  innerhalb  des  Presbyteriums;  damit  war  die  Grenze  zwischen 
Presbyterium  und  Laienhaus  gegeben,  die  architektonische  Ausgestaltung  ergab  sich 
wie  von  selbst. 

Die  ursprüngliche  Anordnung  von  Grab  und  Altar  in  Jerusalem  ist  nicht  genauer 
bekannt.  In  Rom  liebte  man,  das  Niveau  des  Laienhauses,  oder  wenigstens  den  un- 
mittelbaren, dann  durch  eine  Doppeltreppe  zu  erreichenden  Vorplatz  der  Gruft,  dem 
Fußboden  der  Gruft  gleichzulegen,  so  daß  es  möglich  war,  durch  Öffnungen  in  der 
Vorderwand  der  Krypta  hineinzusehen  und  den  dort  Ruhenden  anzusprechen,  auch 
mit  der  Hand  hineinzugreifen.  So  glaubte  man  die  dem  Toten  eignende  göttliche 
Kraft  auf  sich  wirken  lassen  zu  können,  auch  Tücher  (brandea),  in  die  Gruft  gelegt, 
würden  diese  divina  virlus  in  sich  aufnehmen  und  überallhin  mitbringen.  In  anderen 
Kirchen,  so  in  Sankt  Peter,  war  die  Öffnung  in  der  Decke  der  tiefliegenden  Gruft. 
Die  Öffnung  in  der  Vorderwand  hieß  Fenestella  confessionis,  die  in  der  Decke  der  Gruft 
Cataracta.1') 

In  der  weiteren  Entwicklung  der  Kombination  von  Grab  und  Altar  lassen  sich 
allerlei  Spielarten  unterscheiden.  Man  hob  das  Grab  bis  unmittelbar  unter  die  Tisch- 
platte, so  daß  es  zwischen  den  vier  Tischpfosten  stand.  Der  Typus  der  Confessio  mit 
Fenestella  wurde  wohl  noch  beibehalten,  aber  nur  in  starker  Verkleinerung;  so  in  San 
Alessandro.  Oder  man  gab  dem  Steinkörper  unter  der  Tischplatte  Form  und  Front 
einer  römischen  Grabara  mit  Hadestür  (vermutlich  verwendete  man  hierzu  anfangs 
heidnische  Grabaren,  mit  den  nötigen  Anpassungen):  die  Hadestür  wurde  zur  Fenestella, 
sie  pflegt  unter  einer  Koncha  zu  stehen,  diese  zwischen  zwei  kandierten  Pilastern;  wir 
kennen  das  Schema  von  den  Tabernakelsarkophagen,  stilverwandt  sind  besonders  die 
ravennatischen  [Abb.  50.  51],  die  koptischen  Stelen  reihen  sich  an  als  letzte  Ausläufer 
[Abb.  60— 6 3].2) 

Dann  wurde  der  Sarkophag  des  Märtyrers  unter  die  Mensa  gestellt;  hieraus  ging 
der  sarkophagförmige  Altar  hervor,  der  auf  die  Dauer  sich  als  Haupttypus  durch- 
setzte; dabei  konnte  die  Tischidee  immer  noch  festgehalten  werden,  indem  man  an  den 
vier  Kanten  die  Tischpfosten  markierte.  Eine  Analogie  zu  diesem  Vorgang  fand  sich 
im  athenischen  Asklepieion,  Darstellung  eines  Steinaltars  mit  Andeutung  der  Beine 
eines  Bronzetisches  an  den  vier  Kanten.  Ahnliche  Übertragungen  von  Bronze-  oder 
Holzmöbeln,  Gestellmöbeln,  in  Steinarbeit  beobachtet  man  zahlreich  im  ganzen  Alter- 
tum, in  Ägypten  wie  in  Altchaldäa  und  in  Assyrien,  in  Griechenland  und  in  Italien  zu 
allen  Zeiten.  —  Nachdem  in  Rom  der  wieder  einmal  in  die  Art  der  Primitivkultur 
zurückfallende  Brauch  aufgekommen  war,  die  sterblichen  Reste  eines  Märtyrers  zu  zer- 
stückeln und  an  verschiedene  Kirchen  zu  verteilen,  genügte  eine  Vertiefung  in  der 
Tischplatte,  um  in  einer  Kapsel  die  Partikel  aufzunehmen.  Denn  die  Kombination  von 
Grab  und  Altar  war  inzwischen  ein  so  dominierender  Gedanke  geworden,  daß  auch 
die  Stadtkirchen,  die  doch  nicht  über  Gräbern  errichtet  waren,  die  Verbindung  von 
Christus-  und  Märtyrerkultus  glaubten  mitmachen  zu  müssen.  Schließlich  weihte  man 
keine  Kirche  mehr,  ohne  eine  Märtyrerpartikel  in  ihrem  Altar  niederzulegen;  konnte 
man  einer  solchen  nicht  habhaft  werden,  so   begnügte  man  sich  auch  mit  einer  durch 


»)  de  Waal,  Köm.  Quartalschr.  1900,  57. 

2)  Altmann,  Eöm.   Grabaltäre  1905  Fig.  43.  114.  138.  —  Hadestür:   oben   Seite  52.  —  Auch 
wurden  heidnische  Cippen  und  Aren  direkt  als  christliche  Altäre  geweiht. 


Die  Basilika.  301 

Berührung  eines  Märtyrergrabes  kraftbegabten  Brandea.  Die  Nachfrage  nach  Märtyrer- 
stücken war  um  so  größer  geworden,  als  man,  ebenfalls  unter  den  Auspizien  Roms,  die 
Regel  preisgab,  in  jeder  Kirche  nur  einen  Altar  aufzustellen,  um  eine  beliebige  Zahl 
derselben  in  den  Nebenschiffen  weihen  zu  können.  Die  griechische  Kirche  hat  sich 
davon  freigehalten,  sowohl  von  der  Zerstückelung  der  Märtyrerleiber  wie  von  der  Er- 
richtung mehrerer  Altäre  in  einer  Kirche.1) 

Altäre  auf  Gräber  gestellt  kannte  das  heidnische  Altertum  in  verschiedener 
Weise.  Die  dem  Verstorbenen  nicht  bei  der  Beerdigung  beigegebenen,  sondern  im 
wiederkehrenden  Kultus  gebrachten  Gaben  konnten  einfach  auf  den  Erdhügel  nieder- 
gelegt werden,  oder,  war  ein  Grabmal  errichtet,  auf  dessen  Stufe;  attische  Lekythen 
zeigen  das  oft.  Auf  Brandgräbern  von  Thera  standen  Opfertische.  Später,  übrigens 
Älteres  wiederaufnehmend,  legte  man  auch  bloß  das  Wesentliche,  die  Platte,  als  TQaTte^a 
oder  mensa  auf  das  Grab;  dieser  Typus,  mit  einer  Marmorvase  darauf,  wurde  ein 
herrschender  Grabmaltypus  in  Athen,  nach  dem  Gräberedikt  des  Demetrios  Phalereus. 
Der  sepulkrale  Gebrauch  des  Opfertisches  bestätigt  sich  in  seiner  Darstellung  vor  der 
Grabestür  am  Sarkophag  aus  Konia.  Im  selben  Gedanken  formten  sich  die  Grabmäler 
selbst  zu  Grabaltären.*) 

Zugrunde  liegt  die  primitive  Vorstellung,  daß  der  Tote  lebe,  daß  er  Speise  und 
Trank  bedürfe  und  Anteil  begehre  an  allen  Annehmlichkeiten  des  Lebens  auf  der  Erde. 
Daher  die  Beigaben  bei  der  Beerdigung  und  die  Darbringungen  im  Totenkult,  vor 
allem  Geschirr  mit  Speise  und  Trank.  Man  meißelte  Näpfe  in  die  Grabmalstufe  für 
die  Opferspeise,  man  hob  Opfergruben  am  Grabe  aus,  man  führte  Röhren  von  der 
Erdoberfläche  senkrecht  ins  Grab,  direkt  auf  den  Mund  der  Leiche,  um  Trankspenden, 
sogar  Speisen,  wenigstens  Früchte,  dem  Toten  zuzuführen.  Zu  gleichem  Behufe  bohrte 
man  Löcher  durch  den  Deckel  des  Sarkophags,  oder  durch  die  Trinkschale  in  der  Hand 
des  auf  dem  Deckel  gelagerten  steinernen  Toten.  Ein  solches  Loch,  zu  welchem  Zwecke 
nun?  fand  sich  auch  in  der  Deckplatte  eines  christlichen  Arkosols.  Selbst  die  Fenestella 
am  Körper  des  Altars,  wie  in  San  Alessandro,  hat  wenigstens  eine,  sicher  nur  durch 
den  Zufall  der  Überlieferung  bisher  einzige  Analogie  in  dem  Türchen  am  altarformigen 
Bathron  des  amyklaeischen  Apollon,  das  als  Grab  des  Hyakinthos  galt;  das  eherne 
Türchen  war  an  der  linken  Seite  angebracht;  an  den  Hyakinthien,  vor  dem  Opfer  für 
den  Gott,  wurde  dadurch  dem  Heros  sein  Totenopfer  in  das  Grab  gegeben.  Altäre 
mit  Türen  kommen  auch  auf  Kaisermünzen  vor,  übrigens  nicht  bloß  nach  der  Konse- 
kration, sondern  auch  zu  Lebzeiten  des  Kaisers.  Die  Türen  an  den  Grabaltären  und 
Sarkophagen,  die  sog.  Hadestüren,  begegneten  uns  wiederholt;  auch  sie  deuten  auf  den 
Verkehr  zwischen  Unter-  und  Oberwelt,  in  etwas  andrer  Weise.  Wenn  römische  Grab- 
kammern der  Kaiserzeit  über  der  Tür  Schlitze  aufweisen,  wie  die  Gruft  des  Schweine- 
metzgers sie  besaß,  so  sind  die  Schlitze,  an  Stelle  der  Lichtöffnung  über  dem  Türsturz 
stehend,  tektonisch  genommen  auch  Fenestellae,  aber  nicht  zum  Verkehr,  sondern  zum 
Lüften.  Eigentümlich  verwendeten  die  altägyptischen  Bildhauer  die  Lichtöffnung  über 
den  von  ihnen  gemeißelten  Hadestüren;  während  unten  an  der  Tür  und  an  ihren  Pfosten 


*)  Asklepieion:  Ath.  Mitteil.  1877  Taf.  16. 

2)  Thera:  Dragendorff  in  Hiller  von  Gärtringens  Thera  II  1903,  18.  35.  —  Platte:  Watzinger, 
Studien  zur  unteritalischen  Vasenmalerei  1899.  —  Konia:  Strzygowski,  Byz.  Denkm.  III  pag.  XII 
Abb.  1.  —  Grabaltäre:  Altmann,  Römische  Grabaltäre  1905. 


302 


Architektur  und  Malerei. 


der  Verstorbene  dargestellt  ist  wie  mit  der  Außenwelt  verkehrend,  sieht  man  ihn  durch 
die  Lichtöffnung  drinnen  beim  Schmause  sitzen.1) 

Neben  aller  Aufklärung  pflegt  sich  der  Aberglauben  lange  zu  erhalten,  gar  nicht 
davon  zu  *eden,  daß  er  zu  Zeiten  wieder  Oberwasser  bekommt.  Die  Hinterbliebenen 
kamen  natürlich  bald  dahinter  (die  alten  Ägypter  wußten  es  längst),  daß  der  Tote  die 
ihm  hingesetzten  Speisen  und  Getränke  nicht  wirklich  verzehre,  daß  auch  ein  plastisches 
oder  ein  gemaltes  Abbild  davon  ihm  denselben  Dienst  tue,  ja  schon  die  bloße  Für- 
bitte, für  ihn  vor  seinem  Grabe  gesprochen:  Tausend  in  Gänsen,  Tausend  in  Bier! 

Man  darf  sich  nicht  darüber  täuschen,  die  auf  dem  Grabe  eines  Christen  ge- 
feierte Eucharistie  war  auch  ihm  ein  Lebensmittel,  als  solches  gedacht,  ein  Mittel  für 
das  ewige  Leben,  was  man  da  Leben  hieß.  Mag  auch  die  Gemeinschaft  in  Christus 
die  Spitze  der  christlichen  Meinung  gewesen  sein,  so  blieb  doch  das  Mahl  Mahl, 
Speise  blieb  Speise,  Wein  blieb  Trank,  auch  für  den  Märtyrer,  wenn  auch  so  wenig 
materialiter  wie  bei  den  alten  Ägyptern.  Auch  die  übrigen  Christen  waren,  wie  die 
Katakomben  uns  lehrten,  ihres  unmittelbaren  Eingangs  in  den  Himmel  durch  ihren 
Erlöser,  den  Erlöser  vom  Tod,  gewiß;  aber  man  unterließ  nicht  ein  Übriges  zu  tun, 
der  ewigen  Gemeinschaft  mit  ihm  sich  auch  durch  die  Eucharistie  bei  Lebzeiten  zu 
versichern,  und  nach  dem  Tode,  wenn  es  ging,  durch  eine  Totenmesse  sich  die  Ver- 
sicherung erneuern  zu  lassen,  wenn  nicht  auf  dem  Grab,  so  doch  am  Grab  oder  viel- 
leicht in  einer  der  Friedhofskapellen,  dergleichen  auf  den  römischen  Coemeterien  mehr- 
fach errichtet  waren. 

Wieder  anders  als  über  dem  Märtyrergrab  mußte  die  Meinung  der  Eucharistie 
am  Altar  über  dem  Christusgrab  in  Jerusalem  sein.  Da  wurde  auf  dem  Altar  eben 
derselbe  geopfert,  genossen  und  angebetet,  dessen  Grab  man  unter  dem  Altar  ver- 
ehrte, freilich,  ohne  daß  seine  Gebeine  darin  ruhten.  Hier  also  wurden  ein  und  der- 
selben Kultperson  zugleich  göttliche  und  heroische  Ehren  erwiesen,  unten,  am  Keno- 
taph,  heroische,  oben,  am  Altar,  göttliche  (dabei  bleibe  ununtersucht,  wie  weit  der 
langsam  verlaufene  Prozeß  der  Apotheose  zu  Konstantins  Zeit  schon  gediehen  war). 
Ein  solcher  zwiefacher  Charakter  derselben  Kultperson  war  dem  antiken  Kultus  ganz 
geläufig;  nur  besteht  bei  den  Einzelfällen  gewöhnlich  eine  Kontroverse  darüber,  ob 
der  Heros  eine  Hypostase  des  Gottes  oder  ob  er  umgekehrt  vergottet  worden  sei. 
Der  Doppelcharakter  drückt  sich  öfter  auch  in  einer  Kultverbindung  des  Gottes  und 
des  Heros  aus;  es  sei  nur  beispielsweise  an  Erechtheus-Poseidon  erinnert. 

Das  braucht  kaum  erst  gesagt  zu  werden,  daß  die  Öffnungen  in  der  Front  oder 
der  Deckplatte  des  Märtyrergrabes,  die  Fenestellae  und  Cataractae,  wenigstens  tekto- 
nisch  nächstverwandt  sind  außer  jenen  Schlitzen  auch  den  Opfergruben,  Röhren  und 
Löchern  für  die  Libationen  ins  Grab;  nur  ihre  Verwendung  hat  sich  etwas  verschoben, 
sie  dienen  nicht  mehr  zum  Nutzen  des  Toten,  ihn  zu  nähren,  sondern  des  Lebenden, 
von  der  Kraft  des  Toten  zu  zehren. 


l)  Näpfe  in  der  Grabmalstufe:  Gsell,  Mus.  et  coli,  de  l'Algerie  X  Taf.  3.  Schulten,  Arch. 
Anz.  1903,  103.  Auch  schon  in  Athen.  —  Opfergruben:  Pfuhl,  Ath.  Mitteil.  1903.  —  Eöhre: 
Petersen,  Anz.  1903,  90.  Hülsen,  Köm.  Mitteil.  1905,  99.  —  Sarkophagdeckel:  Eobert  III  I  62 
Abb.  40.  Trinkschale:  Altmann,  Archit.  101,  3.  —  Arcosol:  Orsi,  Rom.  Quartelschr.  1894,  157 
Abb.  Führer-Schultze,  Altchr.  Grabstätten  Siziliens  1907,  16  Abb.  —  Hyakinthos:  Pausanias  3, 
19,  3.  —  Kaisermünzen:  Hülsen,  Rom  Mitteil.  1905,  41,  1.  —  Grabfassade:  Hülsen,  Anz.  1889, 
102  (Abb.).  156,  1. 


Die  Basilika.  303 

Das  Grab  unter  dem  Altar  konnte  übrigens  sehr  verschieden  aufgefaßt  werden. 
Der  Bischof  Ambrosius  bereitete  sich  sein  eigenes  Grab  unter  dem  Altar  der  von  ihm 
errichteten  Kirche,  offenbar  um  einst  täglich  an  der  Communio  und  dem  aus  ihr  zu 
erhoffenden  Segen  teil  zu  haben;  freilich  wurde  er  genötigt,  darauf  zu  verzichten  und 
an  seiner  Statt  Märtyrer  einzugraben.  Wenn  es  ferner  richtig  ist,  was  gesagt  wird, 
das  christliche  Volk  habe  darauf  gedrungen,  daß  in  allen  Kirchen  Märtyrerreliquien 
niedergelegt  würden,  wonach  alle  Kirchen  wenigstens  in  der  Idee  auf  Gräbern  standen, 
so  drängt  sich  die  Frage  auf,  ob  nicht  noch  ein  besonderer  Volksaberglaube  im  Spiele 
gewesen  sei,  der  unheimliche  Wahn  nämlich,  unter  jeden  Bau  müsse,  damit  er  be- 
stehe, ein  Lebendes,  selbstverständlich  tot.  Das  ist  der  Grund  des  unter  „Wilden" 
wie  auch  im  Altertum  verbreiteten  Inauguralopfers  bei  Haus-  und  Tempelgründungen. 
Tätsächlich  gehört  das  Heiligengrab  unter  dem  Altar,  oder  nach  den  Umständen  das 
Niederlegen  von  Märtyrerpartikeln,  zur  Inauguration  des  christlichen  Tempels.  Doch 
ist  der  Sinn  modifiziert:  heidnisch  gilt  es,  mittels  des  Inauguralopfers  den  durch  den 
Bau  gestörten  Genius  loci  zu  versöhnen;  in  der  christlichen  Basilika  dagegen,  wo  die 
Märtyrerleiche  an  die  Stelle  des  Inauguralopfers  getreten  und  der  Märtyrer  selbst  der 
Genius  loci  ist,  da  gilt  es,  mittels  der  Communio  ihn  zu  stärken  und  seine  Kraft  sich 
zu  sichern.1) 

Den  Aufbau  der  Altaranlage  vollendete  das  Ciborium,  das  ist  ein  Baldachin 
auf  vier  im  Quadrat  aufgestellten  Säulen,  aus  Holz,  bei  reichster  Ausführung  mit 
Metallüberzug,  oder  Stein;  er  überdeckte  den  Altarplatz.  Baldachine  über  Altären 
hat  es  im  Altertum  verschiedentlich  gegeben,  nachweisbar  im  Ägypten  des  Neuen 
Reiches  wie  der  Ptolemäerzeit,  ebenfalls  in  Italien.  Daneben  gab  es  Baldachine  über 
Gräbern  (Tegurien),  anscheinend  waren  sie  noch  seltener  als  die  über  Altären.  Das 
Ciborium  aber  überschattete  beides  in  einem,  Grab  und  Altar.2) 

Wegen  ihres  architektonischen  Charakters  seien  die  sechs  Marmorsäulen  er- 
wähnt, welche  Konstantin  in  einer  Reihe  vor  der  Confessio  der  Petrusbasilika  auf- 
stellen ließ  (Gregor  III.  fügte  noch  weitere  sechs  hinzu).  Sie  haben  gewundene 
Schäfte,  von  Reben  umrankt,  darin  Eroten  spielen.  Reste  sind  erhalten,  ein  Schaft 
steht  arg  vergittert  bei  der  Pietä  des  Michelangelo.  „Gewundene  Säulen"  gab  es  in 
der  ältesten  Kunst  Griechenlands  und  wieder  in  der  Zeit  des  Hellenismus.  Man  muß 
aber  mehrere  Arten  unterscheiden.  In  der  kretisch-mykenischen  Kunst  und  in  der 
früharchaischen  Kunst  Athens  hatte  man  Säulen  mit  spiralig  den  geraden  Schaft  um- 
ziehenden Wülsten,  ähnlich  der  aus  drei  Schlangenleibern  gewundenen  Schlangensäule, 
jetzt  in  Konstantinopel.  Die  hellenistischen  Säulen,  miteingeschlossen  die  der  christ- 
lichen Sarkophage,  haben  spiralig  umlaufende  Kannelüren  [Abb.  17.  18.  29  und  öfter]. 
Bei  den  von  Konstantin  in  der  Petrusbasilika  aufgestellten  Säulen  dagegen  windet  sich 
der  Schaft  selbst  spiralig,  pfropfenzieherartig.  Hiermit  nun  verbindet  sich  das  andere 
Motiv  der  den  Schaft  umrankenden  Reben.  Akanthusumrankte  Säulen  trugen  den 
Baldachin  über  Alexanders  Leichenwagen.  Säulenstücke,  derart  umrankt,  finden  sich 
in  Pompeji,   augusteischer  Zeit;  in  der  Darstellung  eines    Tempels  vom   Hateriergrab, 


x)  Inauguralopfer:  Pinza,  Bull.  com.  1898,  178  mit  Literatur. 

•)  Baldachine  über  Altären:  Koch,  Rom.  Mitteil.  1907,  381.  —  Bei  den  Baldachinen  über 
Gräbern  wird  man  auch  die  christlichen  Baldachingräber  in  den  Katakomben  von  Sizilien  und 
Malta  in  Betracht  ziehen  müssen;  vgl.  Führer-Schultze,  Altchr.  Grabstätten  Siziliens  262  Abb.  98. 


304 


Architektur  und  Malerei. 


flavischer  Zeit;  in  Fiesole,  unter  den  Resten  des  römischen  Theaters;  am  christlichen 
Sarkophag  Lat.  n.  174  [Abb.  19].  Eine  spiralig  kannelierte  Säule  mit  Rebzweig- 
bändern, darin  Eroten,  steht  im  Konservatorenpalast,  im  oberen  Gang,  unter  dem 
Grabmal  des  Schusters.  Daneben  sei  auch  auf  rebenumrankte  Baumstämme  hin- 
gewiesen, wie  an  der  Dionysosstatue  aus  Eleusis;  ein  spiralig  gewundener  Baumstamm, 
von  allerlei  Gezweig  umrankt,  befindet  sich  im  Museo  Ludovisi  (n.  30).  —  Konstantin 
soll  die  sechs  rebenumrankten  Säulen  aus  Griechenland  nach  Rom  haben  schaffen 
lassen;  später  heißt  es,  sie  stammten  vom  Tempel  zu  Jerusalem,  daher  Raphael  in  den 
Arazzi  sie  zur  Darstellung  des  Tempels  benutzte.  Andere  verwendeten  sie  auch  für 
sonstige  Architekturbilder,  z.  B.  Raflaele  dal  Colle  in  der  Schenkung  Roms,  Gerard 
Douffel  im  Besuch  Nikolaus'  V.  am  Grab  des  H.  Franz,  Rubens  im  Bilde  des  Thomas 
Arundel  und  seiner  Gemahlin.  Auch  sind  die  oft  verschrienen  gewundenen  Säulen 
an  Berninis  Tabernakel  über  der  Confessio  in  S.  Peter  von  Konstantins  Säulen  in- 
spiriert. *) 

Ein  in  mancher  Hinsicht  interessantes  Kapitel  wäre  die  übrige  Ausstattung  der 
Kirche,  vorzüglich  des  Grabaltars,  mit  kostbaren  Verkleidungen  und  mit  Geräten,  in 
den  Prunkbasiliken  von  Silber  und  Gold  nebst  Edelsteinen,  mit  Vorhängen,  Teppichen 
und  Tüchern,  vielfach  auch  von  großem  Werte,  und  mit  manchem  andern.  Einiges  Material 
bei  St.  Beißel,  Bilder  aus  der  Geschichte  der  altchristlichen  Kunst  und  Liturgie  in 
Italien  1899,  221  Das  Mobiliar  der  römischen  Basiliken  und  dessen  Verzierung  in 
edlen  Metallen;  260  Ausschmückung  der  altchristlichen  Basiliken  mit  Webereien  und 
Stickereien. 

Die  Orientierung.  Ein  Bau,  dessen  Front-  und  Eingangsseite  (was  nicht 
immer  tatsächlich,  aber  was  normal  zusammenfällt)  gegen  Osten  blickt  (orientem  spectat), 
ist  im  buchstäblichen  Sinne  „orientiert".  Die  griechischen  Tempel  waren  in  der  Regel 
in  diesem  Sinne  orientiert,  blickten  nach  Osten,  z.  B.  der  Parthenon.  Allerdings 
kommen  Ausnahmen  verschiedener  Art  vor,  sei  es,  daß  der  Eingang  nicht  genau  nach 
dem  Ostpunkt  sieht,  sondern  mehr  oder  weniger  seitlich  abweicht,  nach  Nord-  oder 
Südost;  oder  daß  der  Eingang  nach  irgend  einer  anderen  Himmelsrichtung  blickt.  In 
manchen  Fällen  scheint  die  Erklärung  aus  der  Lage  im  Gelände  sich  zu  empfehlen, 
oder  aus  dem  Plane  der  Stadt,  der  Anordnung  der  Straßen  und  Plätze;  obwohl  Be- 
stimmungsgründe dieser  Art  nicht  immer  zwingend  sind.  Und  es  bleibt  doch  die  Tat- 
sache bestehen,  daß  die  meisten  Tempel  im  ganzen  übereinstimmend  nach  Osten 
blicken,  auch  dann,  wenn  der  Zugangsweg  von  Westen  herkommt,  wie  beim  Parthenon. 
Da  scheint  doch  eine  Absicht  zugrunde  zu  liegen. 

Nissen  hat  versucht,  die  von  der  Ostung  abweichenden  Axenlegungen  aus  dem 
Grundgesetz  der  Orientierung  (das  Wort  nun  im  weiteren  Sinne  genommen,  der  Rich- 
tung einerlei  wohin)  zu  erklären.  Er  nimmt  an,  daß  die  Axenlegung  nicht  nach  den 
konventionell  feststehenden  Himmelsrichtungen  erfolgt  sei,  sondern  nach  dem  in  Wirk- 
lichkeit wechselnden  Sonnenaufgangspunkt,  der  im  Sommer  mehr  nordöstlich,  im  Winter 
mehr  südöstlich  fällt;   der  erste,  den  Bauplatz  schneidende  Strahl  der  am  Gründungs- 


*)  Mykene:  Beiger,  Anz.  1895,  15  Abb.  —  Athen:  Beiger,  a.  a.  O.  Wiegand,  Porosarchi- 
tektur  172,  1  Abb.  —  Römisch:  Altmann,  Grabaltäre  142.  —  Pompeji:  Mau,  Rom.  Mitteil. 
1896,  41.  v.  Sybel,  Weltgesch.  2395.  —  Eleusis:  Ath.  Instit.  Photogr.  El.  60.  —  Douffel: 
Klassischer  Bilderschatz  n.  1485.  —  Rubens:  Knackfuß,  Rubens  Abb.  63. 


Die  Basilika.  305 

tag  aufgellenden  Sonne  gab  die  Hauptaxe  des  Tempels  an,  bei  jeder  Wiederkehr  des 
Gründungstags  traf  er  das  im  Hause  stehende  Bild.  Andere  Tempel  seien  analog 
nach  dem  Aufgang  von  Sternen  gerichtet,  solcher  Sterne,  welche  zum  Gott  des  Tempels 
in  Beziehnng  standen.  Da  der  Christus,  das  Licht  der  Welt,  als  neue  Sonne  gedacht, 
daher  auch  sein  Geburtstag  in  die  Zeit  der  Wintersonnenwende,  das  ist  des  wieder 
zunehmenden  Lichtes,  und  auf  den  Geburtstag  des  Sol  invictus,  sowie  der  Auf- 
erstehungstag auf  den  Sonntag  gelegt  wurden,  so  kommt  für  seine  Tempel  nur  der 
Sonnenaufgang  in  Betracht. 

Darum  schreiben  die  sog.  apostolischen  Konstitutionen  (aus  dem  vierten  Jahr- 
hundert) vor,  daß  der  christliche  Tempel  nach  Osten  gerichtet  werde.  Der  Priester, 
von  seinem  Stuhl  in  der  Apsis  aufstehend  und  an  den  Altar  herantretend,  blickte  über 
Altar  und  Gemeinde  hinweg  durch  die  offene  Tür  nach  Osten,  zum  Gebet  drehte  sich 
die  Gemeinde  um,  ebenfalls  nach  der  Tür  hin,  den  Rücken  gegen  den  Altar.  Wenn 
in  den  letzten  Jahrzehnten  des  vierten  Jahrhunderts  Gregor  von  Nyssa  schreibt: 
„Wenn  wir  uns  nach  Osten  wenden,  so  geschieht  es  nicht,  um  dort  Gott  zu  suchen, 
der  überall  ist,  sondern  weil  der  Orient  unser  erstes  Vaterland  ist;  er  war  unsere 
Wohnung,  als  wir  im  Paradiese  lebten",  so  ergibt  sich  die  von  ihm  bekämpfte  Mei- 
nung als  die  ältere,  die  von  ihm  vertretene  als  eine  zunächst  subjektive,  mag  sie  auch 
in  weiteren  Kreisen  Beifall  gefunden  haben.  Wie  subjektiv  die  Meinungen  der  Kirchen- 
lehrer eigentlich  waren,  bestätigt  sich  in  der  Erscheinung,  daß  mittelalterliche  Kirchen- 
schriftsteller noch  eine  dritte  Meinung  aufstellten,  der  Christus  habe  am  Kreuze  nach 
Westen  geblickt,  sei  aber  nach  Osten  zum  Himmel  gefahren  und  werde  von  dort  zum 
Gericht  wiederkommen.  Die  Urheber  dieser  dritten  Meinung,  Honorius  von  Autun, 
Innocenz  III ,  Durandus  und  Thomas  von  Aquino,  sind  damit  im  Grunde  zur  ersten 
Meinung  zurückgekehrt,  daß  der  angebetete  Gott  im  Osten  zu  suchen  sei. 

Die  Basiliken  des  vierten  Jahrhunderts  hatten  den  Eingang  von  Osten,  in  Jeru- 
salem wie  in  Rom,  S.  Peter,  S.  Paul,  S.  Laurentius,  S.  Johann  im  Lateran  usf.  Im 
fünften  Jahrhundert  begann  man  den  Eingang  nach  Westen  zu  legen,  die  Richtung 
beim  Gebet  aber  nach  Osten  zu  behalten;  damit  wird  das  Anbringen  von  Fenstern  in 
der  nun  auf  der  Ostseite  liegenden,  ursprünglich  geschlossenen  Apsis  wand  zusammen- 
hängen. Nicht  alle  Kirchen  folgten  der  neuen  Regel,  eine  strenge  Durchführung  des 
jeweils  geltenden  Grundsatzes  scheint  zu  keiner  Zeit  stattgefunden  zu  haben.  Ob  dies 
nun  auf  Zufälligkeiten  wiederum  des  Geländes  oder  des  Stadtplanes  beruht  oder  doch 
auf  einer  Gesetzmäßigkeit,  das  kann  hier  nicht  untersucht  werden;  Nissen  denkt  an 
Axenleguug  nach  den  Natalitien  der  Märtyrer,  denen    die    Kirchen   geweiht    waren.1) 


*)  Orientierung:  Heinrich  Nissen,  Das  Templum  1869;  Über  Tempelorientierung  I — V 
(Rhein.  Museum,  N.  F.  XXVIII.  XXIX.  XL.  XLII);  Orientation,  Studien  zur  Geschichte  der 
Religion  I  1906.  —  Kraus,  Geschichte  I  281.  Leclercq  in  Cabrols  Dictionn.  II  505.  Strzygowski, 
Kleinasien  217  nennt  Ostung  die  Aufstellung  des  Altars  im  Ostende  der  Kirche.  Diese  Stellung 
der  Apsis  am  Ostende  gilt  als  spezifisch  griechisch-orientalisch;  so  auch  Strzygowski,  Kleinasien 
183  f.  Derselbe  legt  mit  Mommert  die  Apsis  der  Auferstehungsbasilika  in  das  Mittelschiff,  ihren 
Rücken  gegen  den  doch  im  Osten  gelegenen  Haupteingang  (Orient  oder  Rom  140  Abb.  51). 
Eusebius'  Beschreibung  der  Anastasisanlage  geht  von  dem  im  Fond  gelegenen  Kern  des  Ganzen 
aus,  dem  Grabe,  um  von  da  aus,  das  Westatrium,  die  Basilika  und  das  Ostatrium  durchschreitend, 
den  östlichen  Haupteingang  zu  gewinnen.  In  diesem  der  Intention  des  Architekten  zuwiderlaufenden 
Gange  seiner  Ekphrasis  liegt  ihre  Undeutlichkeit;  man  wird  den  Bauplan  besser  verstehen,  wenn 
man  die  Beschreibung  rückwärts  liest. 

Sybel,  Christliche  Antike  II.  20 


306  Architektur  und  Malerei. 

Wir  treiben  hier  nicht  „praktische  Theologie",  es  ist  nicht  unsere  Sache,  Regeln 
aufzustellen  für  den  heutigen  Kirchenbau.  Doch  wird  das  Verständnis  der  geschicht- 
lichen Erscheinungen  gefordert  durch  vergleichende  Blicke  auf  die  Bedürfnisse  und 
die  Gewohnheiten  der  Gegenwart;  überall  wirken  Theorie  und  Praxis  mit  Vorteil  auf- 
einander. Nun,  den  katholischen  Kultus  dürfen  wir  übergehen,  er  hat  sich  auf  der 
noch  im  Altertum,  seit  dem  dritten  Jahrhundert,  beschrittenen  Bahn  lediglich  weiter- 
entfaltet. Anders  der  evangelische  Gottesdienst,  der  in  seinem  Bestreben,  über  den 
Katholizismus  zurückzugreifen  auf  ein  früheres  und  reineres  Christentum,  in  der 
Frage  des  Kirchenbaues  sich  vor  ein  heikles  Problem  gestellt  sieht,  zu  dessen  Lösung 
schon  die  verschiedensten  Anläufe  genommen  wurden,  ohne  daß  ein  befriedigendes  Er- 
gebnis erzielt  wäre.  Wir  beschränken  uns  auf  die  freilich  grundlegende  Frage,  ob  die 
altchristliche  Basilika,  ob  auch  nur  die  „Saalkirche"  dem  evangelischen  Bedürfnis  ent- 
spreche. Wir  müssen  die  Frage  durchaus  verneinen.  Eine  Gemeindeversammlung, 
der  es  vor  allem  um  das  gesprochene  Wort  geht  und  um  das  Hören  des  Wortes, 
kann  eine  mehrschiffige  Halle  nicht  gebrauchen.  Eine  Gemeinde,  die  keinen  Priester- 
stand kennt,  keinen  Gegensatz  zwischen  Klerus  und  Laien,  kann  das  Presbyterium 
nicht  gebrauchen,  weder  Querhaus  nooh  Apsis.  Eine  Gemeinde  endlich ,  die  den 
Opferkult  wie  den  Märtyrerkult  verwirft,  kann  weder  den  Altar  gebrauchen  noch  das 
Märtyrergrab  darunter.  Nur  der  bewegliche  Holztisch  wird  von  der  Gemeinde  als 
Speisetisch  angesehen  werden.  Allerdings,  wer  S.  Pierre  oder  die  Aja  Sophia  betritt, 
wird  im  ersten  Augenblick  den  gewohnten  Steinaltar  vermissen,  und  in  der  Sophien- 
kirche wird  ihm  die  gegen  die  ferne  Kaaba  gerichtete  Gebetsnische,  ein  Fetischdienst 
in  körperloser  Kultusform,  keinen  Ersatz  bieten.  Aber  wenn  er  alles  bedenkend 
zurückkehrt,  so  wird  ihm  die  Sophia  wie  S.  Pierre  sympathisch  werden,  gerade  in 
ihrer  Beschränkung  auf  Gebet,  das  ist  Sammlung,  und  Lehre.  Der  Gegensatz  des 
evangelischen  Bedürfnisses  zu  der  katholischen  Idee  wird  dazu  dienen,  das  richtige 
geschichtliche  Verständnis  der  Basilika  zu  gewinnen.  Und  der  historisch  Geschulte 
wird  imstande  sein,  sich  in  den  Katholizismus  des  vierten  Jahrhunderts  einzufühlen 
wie  in  den  Paganismus  der  perikleischen  Zeit,  und  er  wird  imstande  sein,  den  Tempel- 
bau dieser  wie  jener  Epoche  nach  ihrem  kunstgeschichtlichen  und  ästhetischen  Werte 
zu  würdigen.1) 


Wölbkirchen. 

In  Lehm  und  lufttrockenen  Ziegeln,  so  sagten  wir  in  der  Einleitung,  wölbten 
die  Ägypter,  mehr  noch  die  Mesopotamier,  seit  alters;  mit  Keilsteinen  wölbte  man  in 
Griechenland  (man  sollte  sagen  in  den  Griechenländern)  und  Italien,  wir  wissen  nicht 


*)  Eine  rheinische  Gemeinde,  die  für  ihr  neues  Gotteshaus  den  Basilikatypus  als  vermeintlich 
frühchristliche  Kirchenform  wählte,  glaubte  auch  darin  frühchristlich  zu  sein,  daß  sie  statt  des 
üblichen  massiven  sarkophagförmigen  Altars  einen  Tischaltar  aufstellte;  sie,  wie  viele  andere  Ge- 
meinden, merkte  nicht,  daß  der  steinerne  Tischaltar,  auch  ohne  das  Märtyrergrab,  Opferaltar 
bleibt.  Dieselbe  Gemeinde  sah  mit  Recht  davon  ab,  was  andere  taten,  ihre  Presbyter  in  die  Apsis 
zu  setzen;  da  sie  nun  aber  mit  der  Apsis  nichts  anzufangen  wußte,  so  verfiel  sie  auf  den  Ausweg, 
im  Anschluß  an  die  antiken  Presbyterbänke  amphitheatralisch  ansteigende  Sitzbänke  in  der  Apsis 
anzuordnen  für  ihren  gemischten  Kirchenchor,  sie  machte  also  den  Sängerchor  zum  Blick-  und 
Brennpunkt  des  Hauses,  sie  machte  die  Kirche  zum  Konzertsaal,  dies  gewiß  unabsichtlich. 


Wölbkirchen.  307 

genau  wie  lange  schon,  die  Denkmäler  beginnen  in  der  hellenistischen  Zeit.  Das  groß- 
räumige Backsteingewölbe  mögen  die  Griechen  in  Ägypten  erdacht  haben,  vielleicht 
noch  eher  in  Syrien  (Seleukeia,  Antiocheia),  irgendwann  in  der  Periode  des  Hellenis- 
mus: der  griechische  Geist  befruchtete  den  altorientalischen  Brauch.  In  der  römischen 
Zeit  kam  das  Gußwerk  hinzu.  Herkömmliche  Gewölbtypen  waren  Tonne  und  Kreuz- 
gewölbe, Halbkuppel  und  Kuppel.1) 

Die  Einführung  des  Gewölbes  in  die  klassische  Architektur  geschah,  den  Denk- 
mälern zu  glauben,  zunächst  mehr  seinem  praktischen  als  seinem  ästhetischen  Werte 
zulieb.  Um  von  Kanälen,  Tunnels,  Brücken,  Unterbauten  abzusehen  und  beim  Raum- 
bau zu  bleiben,  so  finden  wir  das  Gewölbe  vor  allem  in  Nymphaeen  und  Thermen,  in 
diesen  bis  zu  großartigsten  Raumgebilden  gesteigert,  sowie  in  Grüften,  in  jenen  wegen 
der  das  Holz  widerratenden  Feuchtigkeit,  in  diesen,  weil  dem  Grabbau  von  jeher  eine 
Tendenz  auf  höchste  Monumentalität  innewohnt.  Als  erster  großräumiger  sakraler 
Wölbbau  der  heidnischen  Antike  (von  kleineren  Vorläufern  nicht  zu  reden)  tritt  uns 
das  Pantheon  entgegen,  als  letzter  heidnischer  Wölbbau  überhaupt  der  große  Wurf 
der  Maxentiusbasilika ,  beide  unter  deutlicher  Abhängigkeit  vom  Thermenbau.  Aber 
erst  im  Tempel-  und  Basilikenbau  kam  die  Monumentalität  des  Gewölbes  in  ihrer 
ästhetischen  Bedeutung,  unabhängig  von  irgendwelchen  praktischen  Bedingtheiten,  rein 
heraus;  es  waren  erste  Schritte  auf  neuer  Bahn. 

Apsidale  Memorien.  Oberirdische  Begräbnisanlagen  gab  es  jederzeit  und 
überall,  wie  für  Heiden  so  für  Christen;  die  Länder  ohne  Katakomben  waren  ganz 
auf  subdiale  Bestattung  angewiesen.  An  den  Gräbern  errichtete  man  Cippen;  Reichere 
ließen  sich  und  ihre  Angehörigen  in  Mausoleen  bestatten,  wie  sie  nicht  nur  aus  der 
Kaiserzeit  zahlreich  erhalten  sind.  Familien,  die  zum  Christentum  übertraten,  werden 
fortgefahren  haben,  ihre  Erbbegräbnisse  zu  benutzen;  auch  verehrte  Märtyrer  mag  man 
in  solchen  beigesetzt  haben.2) 

Für  die  oberirdische  Gruft  ist  cella  (memoriae)  inschriftlich  belegter  Ausdruck, 
in  heidnischem  und  christlichem  Gebrauch;  man  beachte,  daß  cella  (penaria,  vinaria  u. 
ähnl.)  eine  Kammer  bedeutet,  einerlei,  ob  holzgedeckt  oder  gewölbt,  ein  schlichtes 
Viereck  oder  gegliedert.  Märtyrerkapellen  heißen  griechisch  kurz  „Martyrien";  mit 
der  Übertragung  des  antiken  Polytheismus  auf  die  Kirche,  wie  sie  in  der  Entwick- 
lung des  Märtyrer-  und  Heiligenkultus  sich  vollzog,  entstanden  ungezählte  Märtyrer- 
kapellen, in  verschiedenen  Formen.  Uns  gehen  zunächst  nur  die  apsidalen  Memo- 
rien an.3) 

Die  schlichte  Nische  unter  Halbkuppel  (schola)  kommt  an  der  Gräberstraße  von 


*)  Einleitung  S.  16.  —  Backsteingewölbe  osthellenistisch :  Adler,  Das  Pantheon  1871, 
16.  v.  Sybel,  Weltgesch.  2324.  —  Wie  der  Orient  so  begannen  auch  Griechenland,  Italien  und 
der  Norden  mit  Rundhütten,  die  auf  einer  gewissen  Entwicklungsstufe  mit  Lehm  oder  Kalk  ge- 
dichtet wurden;  doch  hat  sich  in  den  genannten  Ländern,  anders  als  im  Orient,  daraus  kein  Ge- 
wölbebau entwickelt;  nur  die  in  falschem  Gewölbe  ausgeführten  Kuppelgräber  der  griechischen 
Heroenzeit  werden  damit  in  Zusammenhang  stehen. 

2)  Die  Annahme  gilt  für  Petrus,  der  unter  dem  Mons  Vaticanus  im  Zirkus  des  Gaius  und 
Nero  hingerichtet  und  an  der  vorbeiführenden  Via  Cornelia  bestattet  worden  sein  soll.  Die  Stätte, 
über  der  im  vierten  Jahrhundert  die  Basilika  errichtet  wurde,  ist  als  Petrusgrab  ziemlich  so  un- 
bezeugt  wie  das  Christusgrab  in  Jerusalem. 

3)  Cella:  de  ßossi,  Bull,  crist.  1863,  94;  1864,  28.  —  Martyrien:  Strzygowski,  Orient  96; 
Kleinasien  172. 

20* 


308  Architektur  und  Malerei- 

Pompeji  vor;  sie  umfängt  eine  dem  Rund  ihrer  Wand  sich  einschmiegende  Bank,  wie 
eine  solche  auch  ohne  Nische  auf  einem  andern  Grab  gleich  vor  dem  Tor  steht.  In 
Termessus  findet  sich  eine  Anzahl  ebenfalls  heidnischer  Grabkapellen  aus  dem  zweiten 
und  dritten  Jahrhundert,  meist  gesäulte  Naisken  von  verschiedenem  Grundriß;  der 
olxog  im  Heroon  der  Perikleia,  in  ummauertem  Peribolos  stehend,  besitzt  viersäuliges 
Prostoon  und  Apsis.  —  Reicher  ist  der  kleeblattförmige  Grundriß;  an  drei 
Seiten  eines*  (vielleicht  überkuppelten)  Quadrates  legt  sich  je  eine  Apsis,  die  vierte 
Seite  bleibt  offen.  Die  Kleeblattform  findet  sich  zuerst  in  der  Villa  des  Hadrian  zu 
Tivoli,  dann  noch  großräumiger  in  den  Kaiserpalästen  des  vierten  Jahrhunderts,  so  in 
Trier,  andererseits  im  Zentralbau  von  Mschatta,  mit  zentraler  Kuppel,  als  Abschluß 
der  dreischiffigen  Halle.  Christlicherseits  wurden  auf  mehreren  römischen  Coemeterien 
cettae  trichorae  errichtet  (tQixcoQog  ist,  was  drei  Plätze  hat,  hier  wohl  Platz  für  drei 
Gräber).  Man  glaubt  sie  im  dritten  Jahrhundert  gebaut,  vor  der  dioklezianischen 
Verfolgung;  damals  mehr  oder  weniger  zerstört  scheinen  sie  im  vierten  Jahrhundert 
wieder  aufgebaut  worden  zu  sein.  Eine  solche  Memorie  über  der  Kaliistkatakombe 
erhielt  einen  oblongen  Vorbau,  um  die  vermehrten  Teilnehmer  am  Märtyrerkult  zu 
fassen;  es  ist  die  sog.  Basilica  Sancti  Sixti.  Die  Memorie  in  der  Nähe  führt  den 
Namen  S.  Soteris.  Dann  bleibt  noch  S.  Symphorosa  an  der  Via  Tiburtina  zu  nennen, 
mit  kleinem  Vorhaus;  aber  es  wurde  nachgehends  eine  Basilika  dahintergebaut, 
Rücken  gegen  Rücken,  und  aus  der  einen  Apsis  in  die  andere  durchgebrochen,  damit 
man  aus  der  Basilika  in  die  Grabkapelle  blicken  könne.  Einen  triapsidalen  Grund- 
riß, doch  mehr  kreuzförmig  (die  Mittelapsis  ist  in  die  Länge  gezogen)  besitzt  die  doch 
wohl  spätere  Grabkapelle  IX  neben  der  Kirche  VI  zu  Binbirkilisse  in  Kleinasien,  die 
Vierung  unter  Kuppel.  Die  Kleeblattform  für  Presbyterien  findet  sich  zuerst  in  Beth- 
lehem, dann  in  ägyptischen  Klosterkirchen.1) 

Gewölbte  Basiliken.  An  den  Basiliken  war  die  Apsis  regelmäßig  gewölbt, 
sie  stand  da  wie  immer  unter  Halbkuppel.  Vom  Langhaus  wurden  gelegentlich  die 
Nebenschiffe  allein  überwölbt,  in  andern  Fällen  alle  drei  Schiffe.  Es  kann  befremden, 
daß  man  in  Syrien,  dem  holzarmen  Lande,  dessen  heidnische  Bauten  der  Kaiserzeit 
mit  Steinplatten  gedeckt  sind,  den  Kirchen  Holzdächer  gab.  Ganz  gewölbte  Kirchen 
finden  sich  typisch  nur  im  innern  Kleinasien,  die  Schiffe  unter  Tonnen,  mit  Zuhilfe- 
nahme von  Gurtbögen.  Der  Unterschied  der  kleinasiatischen  Kirchen  gegenüber  den 
syrischen  wird  darauf  beruhen,  daß  diese  im  ganzen  früher,  jene  später  entstanden 
sind.  Gewölbte  Nebenschiffe  kommen  in  Ägypten  und  Numidien  vor.  Von  Kirchen 
in  Italien  käme  Roccella  di  Squillace  bei  Rossano  in  Calabrien  in  Frage,  wenn  Strzy- 
gowski  sie  mit  Recht  ungeachtet  ihres  schon  ganz  romanischen  Charakters  der  Spät- 
antike vindiziert;  sie  hat  nur  ein  Schiff  unter  Holzdecke,  aber  das  weit  herausspringende 


*■)  Termessus:  Herberdey  und  Wilberg,  Jahreshefte  1900,  17.  —  Sixtus:  Marchi,  Archit. 
Taf.  45  f.  de  Eossi,  Roma  sott.  II  5.  III  468.  Soteris:  de  Eossi,  eb.  III  16.  471.  Zu  beiden  Cellen 
eb.  Taf.  42—43.  —  Symphorosa:  de  Eossi,  Bull,  crist.  1878,  79.  Kraus,  Gesch.  I  262.  —  Bin- 
birkilisse: Strzygowski,  Kleinasien  26  Abb.  20.  21.  —  Bethlehem:  man  streitet  darüber,  ob  das 
kleeblattförmige  Presbyterium  dem  konstantinischen  Bau  angehöre  oder  einer  späteren  Erneuerung 
verdankt  werde.  —  Klosterkirchen:  Strzygowski,  Kleinasien  137.  186.  —  Nach  meinem  Sprach- 
gebrauch (oben  S.  26)  ist  die  Kleeblattform  keinenfalls  orientalisch,  vielleicht  östlich  (darüber  weiß 
bis  heute  noch  niemand  etwas  Gewisses),  jedenfalls  ist  sie  hellenistisch. 


Wölbkirchen.  309 

Transept  steht  unter  drei  Kreuzgewölben,  daran  schließen  sich  drei  ebenfalls  gewölbte 
Chorkapellen.1) 

Rundkirchen.  Die  geringsten  Schwierigkeiten  beim  Einwölben  macht  die 
Kuppel  auf  einem  Rundbau  von  gleichem  Durchmesser,  weil  Ring  auf  Ring  schließend 
sitzt.  Nur  sind  Strebepfeiler  nötig,  als  Widerstand  gegen  den  Seitenschub  des  Ge- 
wölbes, welcher  den  Mauerzylinder  zu  sprengen  und  damit  die  Kuppel  selbst  zum 
Einsturz  zu  bringen  droht.  Da  die  Konstruktion  in  den  Anfängen  ihrer  Entwicklung 
mit  größerem  Aufwand  zu  arbeiten  pflegt,  als  auf  ihrer  Höhe,  so  wird  in  unserem 
Falle  der  Anfang  der  gewesen  sein,  daß  man  den  Mauerring  in  seinem  ganzen  Um- 
kreis zum  Widerstand  verwendete,  das  heißt,  man  gab  ihm  doppelte  bis  dreifache 
Stärke;  dabei  kam  die  Kuppel  auf  den  Innenrand  der  Mauer  zu  stehen.  —  Es  war 
ein  Fortschritt,  als  man  einsah,  die  Verstrebung  brauche  nur  auf  eine  beschränkte 
Anzahl  Punkte  zu  wirken,  zwischen  diesen  Punkten  genüge  die  Wand  von  einfacher 
Stärke,  ja  sie  könne  hier  sogar  durchbrochen  werden.  Soweit  Denkmäler  Anschauung 
gewähren,  hat  der  hellenistische  Kuppelbau  mit  solcher  Verstrebung  durch  die  ver- 
stärkte Mauerdicke  begonnen,  mit  Einbrechungen  in  die  Wand  von  innen  her,  also 
nach  innen  geöffneten  Nischen,  wie  sie  für  die  Gewölbebauten  der  römischen  Zeit 
geradezu  charakteristisch  sind.  Die  Frigidarien  der  pompejanischen  Thermen,  innen 
überkuppelte  Rotunden  mit  vier  Nischen,  sind  außen  rechteckig  ummauert;  die  „Strebe- 
pfeiler" stecken  in  der  mächtigen  Mauer,  beiderseits  der  Nischen,  in  den  Ecken  des 
umfassenden  Quadrates.  Bei  genügender  Wandstärke  darf  die  Außenwand  der  Innen- 
wand konzentrisch,  die  ganze  Wand  ringförmig  gebildet  sein.  Acht  Nischen,  von 
denen  eine  den  Eingang  abgibt,  ist  die  Regel.  So  bei  „Tor  de  schiavi"  an  der  Via 
Praenestina  und  an  der  „Madonna  della  tosse".  bei  Tivoli.  Christliche  Rotunden  dieser 
Art  waren  das  Mausoleum  der  Helena  (Torre  pignattara)  und  die  zwei  Mausoleen  süd- 
lich vom  Presbyterium  der  alten  Peterskirche,  S.  Petronilla  und  S.  Andreas  [Abb.  88 
die  zwei  Rotunden  links  vom  Querhaus].  Auch  S.  Georg  zu  Thessalonich  gehört 
hierhin.2) 

Was  von  Anfang  an  latent  vorhanden  war,  das  tritt  in  der  weiteren  Entwick- 
lung zutage:  zwei  konzentrische  Mauerringe,  auf  dem  inneren  ruht  die  Kuppel,  der 
äußere  umfängt  die  radial  stehenden  Strebepfeiler.  Das  ist  der  Fall  des  Pantheon: 
acht  Paar  Strebepfeiler  stehen  radial  zwischen  den  zwei  Mauerringen,  zwischen  den 
Strebepfeilerpaaren  liegen  acht  Nischen,  die  sich  durch  den  inneren,  die  Kuppel 
tragenden  Ring  mit  Rundbögen  öffnen;  die  unter  die  Bögen  gestellten  Säulen  sind 
konstruktiv  bedeutungslos.  Während  aber  am  Pantheon  der  äußere  Mauerring  ge- 
schlossen bleibt,  abgesehen  vom  Eingang,  öffnen  sich  bei  der  Rotunde  der  Caracalla- 
thermen  die  acht  Nischen  auch  nach  außen;  das  Strebesystem  bleibt  dasselbe.  (Das 
Pantheon  auch  in  m.  Weltgesch.  2390.) 

Hier  müssen  wir  eine  redaktionelle  Bemerkung  einschalten.  Es  ist  nicht  ganz 
leicht,  eine  der  komplizierten  Sachlage  genügende   und  doch   einfache  Gliederung  des 


*)  Kleinasien:  Strzygowski,  Kleinasien  1903.  —  Squillace:  ebenda  220  Abb.  154—156. 
159—162. 

2)  Petronilla  und  Andreas:  Dehio-Bezold  Taf.  18.  Rohault  de  Fleury,  Bull,  crist.  1896,  41. 
de  Waal,  Rom.  Quartalschr.  1902,  58.  —  Vgl.  den  Bau  bei  Cohen,  Me"d.  imp.  «VII  183,  6  und 
184,  10:  Quaderbau  unter  Kuppel,  einmal  mit  Blendarkaden. 


310  Architektur  und  Malerei. 

Stoffes  zu  finden.  Wegen  der  zuletzt  entscheidenden  Bedeutung  des  Wolbens  haben 
wir  die  noch  zu  besprechenden  Bauten  unter  dem  Titel  Wölbkirchen  zusammengefaßt, 
während  andere  vielleicht  das  Kubrum  Zentralkirchen  vorgezogen  hätten.  Mit  letzterem 
kommt  man  am  Ende  nicht  aus,  mit  ersterem  am  Anfang;  wir  sind  nun  genötigt,  auch 
die  nicht  oder  wenigstens  nicht  sicher  gewölbten  Rundkirchen  hier  aufzunehmen,  zum 
Teil  wenigstens  kultgeschichtlich  hochbedeutende  Schöpfungen,  die  eben  hierdurch 
aber  auch  baugeschichtlich  nachwirkten. 

Zunächst  einen  heidnischen  Vorläufer  von  kleineren  Verhältnissen,  eigentlich  — 
falls  nicht  doch  überdacht  —  nur  ein  kreisrundes  Peristyl,  dessen  zwölf  Säulen  eben- 
so vielen  Halbsäulen  an  der  Ringwand  entsprachen;  die  Halbsäulen  wiederholten  sich 
außen  herum  (Suardi  Taf.  47,  Verwandtes  auf  andern  Tafeln;  Dehio  u.  Bezold 
Taf.  7,  2).  —  Hierhin  gehört  nun  auch  das  einst  hochbedeutende  Heiligtum  zu  Gaza, 
das  Marneion.  Nach  der  Beschreibung  aus  der  Feder  des  Markos,  des  Diakons 
unter  Bischof  Porphyrios,  der  den  Tempel  400  zerstörte,  hatte  die  Rotunde  gesäulten 
Umgang  in  zwei  Geschossen;  der  Innenraum  war  so  eingerichtet,  daß  Opferrauch, 
Weihrauch-  und  anderer  Dunst  nach  oben  abziehen  konnte  (eins  vero  medium  erat 
ad  emittendo8  vapores  constitutum).  Was  dann  mit  dem  auf  den  Innenraum  bezüglichen 
Beiwort  septentrionale  gemeint  sei,  weiß  man  nicht,  klar  aber  scheint  extensum  in  alium, 
der  Mittelbau  erhob  sich  über  die  Empore,  als  Zeltdach  oder  Kuppel,  sei  es 
mit  Zenitöffnung  oder  als  Tambour.  —  Sodann  die  vorangedeuteten  christlichen 
Bauten,  obenan  die  Heiliggrabkirche  zu  Jerusalem;  326  gegründet  hat  sie  bei  der 
persischen  Eroberung  der  Stadt  614  sehr  gelitten,  wurde  jedoch  bald  wieder  her- 
gestellt. Trotz  vieler  Wandlungen,  die  über  die  Gesamtanlage  noch  hingingen,  glaubt 
man  die  konstantinische  Anlage  der  Grabrotunde  in  den  Hauptzügen  erkennen  zu 
können,  unter  Verwertung  der  von  Adamnanus  aufgezeichneten  Beschreibung  Arculphs. 
In  Verbindung  mit  der  dazugehörigen  Grundrißskizze  läßt  sie  erkennen,  daß  der  Rundbau 
einen  (bei  den  Terrain  Verhältnissen  problematischen)  äußeren  und  einen  inneren,  ver- 
mutlich zweigeschossigen  Säulenkranz  besaß;  die  drei  Nischen  des  inneren  Umgangs 
scheinen  nicht  in  der  Wandstärke  zu  liegen,  sondern  sich  in  die  Peristasis  hinaus- 
zubauen. Die  Gestaltung  des  Daches  ist  ebenso  fraglich  wie  beim  Marneion;  bei  diesen 
Denkmalskirchen  neigt  man  zur  Annahme  einer  Zenitöffnung.  Das  Grab  selbst  wäre 
nach  Arculphs  Skizze  von  einem  runden  Naisk  umschlossen  gewesen  (Dehio-Bezold  36. 
Strzygowski,  Orient  138  Abb.  53).  Die  Elfenbeintafeln  zeichnen  das  Christusgrab 
anders,  als  viereckigen  Bau,  der  einen  Tambour  trägt;  das  londoner  Kästchen,  die 
Tafel  Trivulzi  und  das  mailänder  Diptychon  geben  dem  Tambour  Rundbogenfenster 
und  ein  ziegelgedecktes  Zeltdach,  die  münchner  Tafel  ringsherumgestellte  Halbsäulen 
(Blendarkaden)  und  Kuppel  (Garr.  446,  3.  449,  2  [Abb.  65].  450,  2.  459,  4).  Mit 
Unger  erkennt  Stuhlfaut  die  kubische  Form  als  die  konstantinische  Gestalt  des  Unter- 
baues an.  Die  Zeugniskraft  jener  Schnitz  werke,  besonders  der  drei  erstgenannten, 
würde  nicht  unerheblich  verstärkt,  wenn  sich  die  Hypothese  bestätigen  sollte,  daß  die 
altchristlichen  Elfenbeinskulpturen  überwiegend  östlichen  Ursprunges  seien.  —  Die 
Himmelfahrtskirche.  Man  nahm  an,  der  Christus  müsse  vom  höchsten  Punkte  des 
Berges  gen  Himmel  gefahren  sein;  so  wurde  auch  über  diesem  Punkte  eine  Denkmals- 
kirche errichtet,  nach  Arculph  wieder  als  Rundbau  mit  gesäulten,  überwölbten  und 
überdachten  Umgängen,  der  Binnenraum  hypaethral;  er  enthielt  den  Fels  mit  Jesus' 
Fußspuren  und  an  der  Ostseite  einen  Altar  unter  Ciborium.     Der  Himmelfahrtskirche 


Wölbkirchen.  31 1 

ähnlich  war  die  Kirche  zu  Nikaia,  in  welcher  325  das  Konzil  getagt  haben  soll.  — 
Die  Marienkirche  im  Tale  Josaphat  wird  als  zweigeschossig  beschrieben,  die  Unter- 
kirche unter  Steindecke,  die  obere  hypaethral  mit  vier  Altären.  —  Von  stadtrömischen 
Kirchen  ist  S.  Stefano  rotondo  anzureihen:  zwei  konzentrische  Säulenkränze  inner- 
halb einer  viermal  unterbrochenen  Ringmauer,  so  daß  eine  Art  Kreuzform  entstand; 
die  umlaufenden  Hallen  unter  niedrigerem  Dach,  der  Innenraum  unter  hohem  Tam- 
bour. Nach  einigen  Gelehrten  eine  heidnische  Gründung,  Zentrum  eines  großen  Vik- 
tualienmarktes,  nach  andern  vom  Ursprung  an  christlich  und  zwar  als  Nachahmung 
palästinensischer  Denkmalskirchen  errichtet;  geweiht  wurde  der  Bau  von  Bischof  Sim- 
plicius  (468— 482).1) 

Ein  erhaltener  Rundbau  unter  Kuppel,  konstantinischer  Zeit,  ist  S.  Costanza, 
das  Mausoleum  der  Konstantia  bei  S.  Agnese  vor  Rom,  aber  ein  Gewölbebau,  der  einen 
neuen,  wennschon  aus  Vorausgegangenem  entwickelten  Typus  vertritt.  Die  Kuppel, 
hier  im  Zenit  geschlossen  und  auf  eine  Laterne  gesetzt,  steht  wieder  auf  dem  inneren 
von  zwei  konzentrischen  Ringen;  neu  ist,  daß  dieser  innere  Zylinder  nicht  bloß  in  eine 
Anzahl  von  Nischen  sich  öffnet,  sondern  ganz  sich  auflöst  in  einen  Kranz  radial  ge- 
stellter, durch  Bögen  verbundener  Säulenpaare;  ein  sie  kuppelndes  Gebälkstück  trägt 
als  Kämpfer  die  Bögen.  Zwischen  Säulenkranz  und  Außenmauer  läuft  ein  Umgang 
unter  Tonne;  letztere  stemmt  sich  gegen  den  Fuß  der  Laterne,  zum  festen  Widerhalt 
wenn  nicht  der  Kuppel  selbst,  so  doch  der  so  leicht  auf  Säulen  gesetzten  Rotunde. 
Die  Außenwand  selbst  ist  so  stark,  daß  Nischen  hineingelegt  werden  konnten,  wie  wir 
es  bei  den  Mauern  der  schlichten  Kuppelrotunden  sahen.  Eine  Peristasis  umschließt 
den  Bau  [Abb.  90].  —  Dasselbe  Schema  der  auf  den  Säulenkranz  gestellten  Kuppel 
befolgt  das  ein  zentrales  Wasserbecken  umschließende  Baptisterium  von  Nocera.  Der 
Kuppelbau  ist  gedrückter,  ängstlicher;  die  Peristasis  fehlt.2) 

Zentralbau  oder  Langbau?  Ein  Thermensaal  in  Rundform  mit  Bassin  in  der 
Mitte  ist  reiner  Zentralbau,  ebenso  das  im  selben  Typus  angelegte  Baptisterium.  Reiner 
Zentralbau  ist  auch  ein  rundes  Mausoleum  mit  in  die  Wandnischen  gestellten  Sarko- 
phagen. Höchstens  daß  der  doch  unentbehrliche  Eingang  die  Geschlossenheit  des 
Zentralbaues  unterbricht;  man  müßte  denn  —  was  aber  nur  bei  Thermenrotunden, 
Baptisterien  und  Mausoleen  mit  zentralem  Sarg  angängig  wäre  —  alle  Wandnischen 
nach  außen  öffnen,  so  daß  ebensoviele  Eingänge  entständen,  welche  die  Hauptradien 
zu  Richtungsaxen  machen  würden,  Richtungsaxen,  die  sämtlich  nach  dem  Mittelpunkte 
des  Gebäudes  hinliefen. 

Das  war  Bramantes  Gedanke  bei  seinem  berühmten  Entwurf  für  die  Peterskirche. 
Er  dachte  sie  als  vollkommenen  Zentralbau,  das  Petrusgrab  umschließend,  über  dem 
sich  die  Kuppel  wölben  sollte,  und  mit  vier  nach  außen  geöffneten  Apsiden,  durch 
welche  die  Ströme  der  Pilger  aus  den  vier  Enden  der  Erde  einziehen  würden.  Das 
Evangelium  läßt  die  sternkundigen  Magier  den  Stern  aus  Israel  anerkennen,  und  das 
Mittelalter  machte  sie  zu  Repräsentanten  und  Königen  der  drei  damals  bekannten  Erd- 
teile Asien,  Europa,  Afrika,  die  nach  Bethlehem  kommen,  dem  neugeborenen  Herrn 
der  Welt  zu  huldigen;    wie  aber  dem  Jahwe  der  Christus,  so  schob  sich  zuletzt  dem 


*)  Marneion:  Dehio-Bezold  36.  Strzygowski,  Kleinasien  101.  Vgl.  Marci  diaconi  vita 
Porphyrii,  episcopi  Gazensis,  edid.  Soc.  philol.  Bonn,  sodales.  —  Stuhlfaut,  Elfenbeinplastik  61; 
Engel  139.  —  Stefano  rotondo:  Lanciani,  Mon.  ant.  Lincei  1890,  506  Taf.  2.   Kraus,  Gesch.  I  353. 

9)  S.  Costanza  und  Nocera:  Dehio-Bezold  34  Taf.  8. 


312  Architektur  und  Malerei. 

Christus  der  Apostelfürst  unter,  vor  ihm  und  seinen  Nachfolgern  sollen  die  Völker 
der  Erde  niederknieen.  Wahrlich  ein  großartiger  Ausdruck  der  römischen  Weltherr- 
schaftsidee in  seiner  christlichen  Umbildung.  So  verführerisch  der  Baugedanke  sich 
gab,  der  vatikanische  Imperator  konnte  ihn  doch  nicht  gebrauchen.  Wohl  sprach  er 
den  Imperialismus  aus  und  zwar  in  vollendet  schöner  Form.  Aber  es  fehlte  das 
Wesentliche,  der  Grundstein  des  katholischen  Imperiums,  der  Altar.  Der  Opferpriester, 
welcher  den  durch  seinen  Tod  und  Auferstehung  die  Menschen  aus  dem  Tod  ins 
ewige  Leben  erlösenden  Menschen,  Gottessohn  und  Gott  täglich  neu  opfert,  hält  die 
Seelen  der  Menschen,  die  das  alles  für  wahr  halten,  und  in  ihnen  die  Menschenwelt 
in  seiner  Hand.  Darum  geschah  es,  daß  Raphael,  als  er  in  den  Stanzen  des  Vatikans 
die  Größe  und  Gewalt  des  Papsttums  verherrlichte,  im  Hauptgemälde  der  zuerst  in 
Angriff  genommenen  Camera  della  segnatura,  wo  in  erster  Schaffenslust  der  Maler  und 
seine  Berater  aus  dem  Vollen  schöpften  und  nach  dem  Höchsten  griffen,  den  Altar  in  die 
Mitte  stellte  und  die  Hostie  auf  ihm  in  den  Augenpunkt  des  ganzen  Bildes,  rings  die 
Kirchenväter  gruppierend,  nicht  als  die  E-ufer  im  Streit  der  christlichen  Metaphysiker, 
die  sie  wirklich  gewesen  waren  (das  spricht  aus  der  populären  Bezeichnung  Disputa), 
sondern  als  die  einmütigen  Zeugen,  als  die  sie  nun  gelten  mußten. 

Der  Altar  durfte  in  der  Peterskirche  nicht  fehlen.  Es  hätte  auch  nicht  aus- 
gereicht, ihn  auf  die  Confessio  zu  stellen,  auch  ihn  in  den  Mittelpunkt  des  Gebäudes. 
Denn  der  Altar  hat  notwendig  einseitige  Richtung,  die  ihm  gegeben  ist  durch  die 
Richtung  des  zelebrierenden  Priesters;  dieselbe  Richtung  muß  auch  das  Kirchengebäude 
haben.  Im  katholischen  Kultus  ist  der  Altar  nicht  ein  Gerät,  das  man  hierhin  stellt 
oder  dorthin,  sondern  er  dominiert,  bestimmt  den  Bau.  Deshalb  mußte  Bramantes 
Zentralbau  sich  gefallen  lassen,  daß  man  die  drei  westlichen  Apsiden  schloß,  später 
auch  die  östliche  zum  Langhaus  ausbaute. 

An  diesem  klassischen  Beispiel  wird  anschaulich,  wie  wenig  der  katholische 
Kultus  sich  mit  dem  Zentralbau  verträgt,  wie  unwiderstehlich  er  den  Langbau  fordert. 
Nun  aber  hat  es  Anlässe  gegeben,  doch  das  Zentralsystem  für  Kultusgebäude  nicht 
bloß  zuzulassen,  sondern  absichtlich  zu  wählen;  jedenfalls  besitzt  es  einen  eigentüm- 
lichen ästhetischen  Reiz.  Das  ging  dann  nicht  ohne  Kompromisse  ab,  das  Zentral- 
system mußte  dem  Kultus  und  seinem  Bedürfnis  nach  einseitiger  Richtung  Einräumungen 
machen.  Der  Tür  gegenüber  mußte  das  Altarhaus  Platz  finden.  Hatte  doch  ähnlich 
schon  das  Pantheon,  diese  frühere  Glanzleistung  des  Zentralbaues,  Richtung  erhalten 
in  der  mit  dem  Eingang  und  der  Hauptapsis  festgelegten  Axe.  Mochte  der  christliche 
Zentralbau  auch  reicher  entwickelt  werden,  so  drängten  ihn  doch  immer  neue  Kon- 
zessionen nach  der  basilikalen  Idee  hin.  Das  Ende  war,  daß  man  eine  echte  Basilika 
entwarf,  aber  nach  den  Methoden  des  Zentralbaues  ausführte. 

Oktogone.  Gegenüber  dem  Rundbau  besitzt  das  Polygon  größere  Mannigfaltig- 
keit; auch  entfällt  an  der  Nischenfront  der  beim  Rundbau  auftretende  Widerspruch 
zwischen  der  grundsätzlich,  wenn  auch  nicht  ausnahmslos,  geradlinigen  Architektur  und 
der  Wandkurve.  Je  vielseitiger  das  Polygon,  desto  mehr  nähert  es  sich  dem  Rundbau, 
desto  verschwommener  wird  seine  Gestalt,  desto  leichter  aber  bewerkstelligt  sich  der 
Übergang  in  den  Kreis  einer  daraufgesetzten  Kuppel.  Die  Schwierigkeit  läßt  sich 
freilich  umgehen,  wenn  man  auch  die  Kuppel  polygon  gestaltet  (sog.  Klostergewölbe). 
Klassisches  Beispiel  eines  Zehnecks  ist  die  sog.  Minerva  Medica  zu  Rom;  sie  löst  die 
Probleme    glänzend.     Jede    Seite    öffnet    sich   in  eine  Apsis  oder  Exedra  unter  Halb- 


Wölbkirchen.  313 

kuppel,  wodurch  die  Seiten  des  Polygons  vertieft  und  schärfer  gegeneinander  abgesetzt 
werden.  Die  Minerva  Medica  bildet  zugleich  ein  Übergangsglied  zu  der  mit  der  Zeit 
zur  Herrschaft  gelangenden  leichteren  Bauart;  während  früher  der  Sicherheit  wegen 
die  Wände  ringsum  so  stark  gemacht  wurden,  daß  die  Nischen  in  ihnen  Raum  fanden, 
werden  letztere  nun  an  die  dünneren  Wände  nur  angelehnt,  den  Seitenschub  des  Ge- 
wölbes aber  nehmen  einzelne  rings  verteilte  Wandverstärkungen  auf,  Strebepfeiler,  der- 
gleichen latent,  aber  viel  mächtiger,  schon  am  Pantheon  in  den  als  Hohlkörper  errichteten 
Pfeilern  zwischen  den  Nischen  vorliegen. 

Nicht  das  Zehneck,  sondern  das  Achteck  wurde  Regel,  eben  wegen  seiner  klaren 
Einfachheit.  Das  Oktogon  ist  nicht  altorientalische  Tradition,  sondern  hellenistischen 
Ursprungs.  Es  fehlt  nicht  an  Denkmälern  aus  der  früheren  und  mittleren  Kaiserzeit. 
Konstantin  aber  errichtete  381  zuAntiocheia  eine  bedeutende  Kirche  in  Achteckfornij 
innerhalb  eines  Peribolos.  Zweigeschossige  Hallen,  mit  anderen  Worten  säulengetragene 
Emporen  umgaben  den  Mittelraum;  ob  dieser  mit  Zeltdach  auf  Tambour  oder  mit 
Kuppel,  etwa  mit  Fenstern  im  Ansteigenden,  gedeckt  war,  verschweigt  die  Beschreibung 
ebenso  wie  das  Genauere  der  Säulenverteilung  und  wie  den  Grund,  weshalb  Konstantin 
für  die  Kirche  die  Zentralform  wählte.  —  Nicht  lange  nachher  erbaute  Gregor  von 
Diocaesarea  (gestorben  374)  in  Kleinasien  ein  ähnliches  Oktogon  mit  Emporen,  als 
Quaderbau  mit  Marmorbasen  und  -kapitellen.  —  Ruinen  späterer  kleinerer  Oktogone, 
ohne  Emporen,  hat  Strzygowski  zusammengestellt.  —  Das  Abendland  bietet  das  Bapti- 
sterium  des  Lateran,  im  vierten  und  fünften  Jahrhundert  errichtet,  mit  zentralem 
Bassin;   die  gesäulte  Vorhalle  besitzt  Apsiden  an  den  Schmalseiten.1) 

Eine  Bereicherung  von  höchstem  ästhetischem,  malerischem  Wert  bietet  das  An- 
lehnen nach  außen  geöffneter  Exedren,  wie  wir  es  an  der  Minerva  Medica  fanden. 
Wir  heben  zunächst  zwei  eigenartig  reizvolle  Gebäude  heraus,  deren  jedes  seinen  eigenen 
Weg  geht.  San  Lorenzo  zu  Mailand,  ein  Zentralbau  mit  Emporen,  scheint  aus 
einem  Profanbau  in  die  Kirche  verwandelt  (antik  sind  nur  die  lange  durch  weiten  Ab- 
stand von  der  Kirche  getrennte,  aber  zugehörige  Vorhalle  und  die  drei  dem  Hauptbau 
angeschlossenen  Kapellen;  der  Hauptbau  selbst  wurde  nach  Einsturz  der  Kuppel  im 
sechzehnten  Jahrhundert  neugebaut  unter  Benutzung  der  antiken  Fundamente).  Übrigens 
kann  man  schwanken,  ob  der  Plan  vom  Oktogon  oder  vom  Quadrat  ausging.  Gewiß 
verrät  der  Baugedanke  die  freie  Kühnheit  der  hellenistischen  Baukunst  [Abb.  91].  — 
Während  San  Lorenzo  auf  das  vierte  Jahrhundert  zurückgeht,  gehört  San  Vitale  zu 
Ravenna  dem  sechsten  (526  begonnen).  Ein  Zentralbau,  beruhend  auf  dem  Schema 
des  konstantinischen  Oktogons  zu  Antiochia,  aber  reicher  entwickelt,  durch  Einführung 
des  Motivs  der  offenen  Exedra.  Das  innere  Achteck,  gebildet  von  acht  Säulen  unter 
Bögen,  trägt  die  Kuppel,  kleine  herausgebaute  Nischen  vermitteln  den  Übergang  zu 
ihr,  acht  Fenster  in  deren  Ansteigendem  führen  das  nötige  Licht  zu.  Die  acht  an- 
gelehnten   Exedren    treten    in    den    Umgang.     Der  soweit  zentrale  Bau  sollte  indessen 


*)  Minerva  Medica:  Dehio  und  Bezold,  Kirchl.  Baukunst  des  Abendlandes  Taf.  4.  5.  — 
Oktogon,  Ursprung:  Strzygowski,  Kleinasien  101.  185.  —  Antiocheia:  Euseb.  V.  Const.  III  50. 
Unger  bei  Ersch-Gruber,  Enzykl.  LXXXIV  336.  Strzygowski,  Orient  138;  Kleinasien  95.  185.  — 
Gregor:  Strzygowski,  Kleinasien  93.  —  Kleinere  Oktogone:  Strzygowski,  Kleinasien  90  Abb. 
64 — 67.  —  Lateranbaptisterium:  Dehio  und  Bezold  I  33  Taf.  7.  26,  7.  Über  Baptisterien, 
insbesondere  das  lateranische,  vgl.  de  VVaal,  Gauckler,  Zettinger  in  der  Rom.  Quartalschr.  1902, 
58.  81.  326. 


314  Architektur  und  Malerei. 

dem  Altarkultus  dienen;  daher  mußte  der  Tür  gegenüber  Exedra  und  Empore  einem 
Presbyterium  Platz  machen.  Wenn  in  den  Gewölben  des  Umgangs  mehr  Gewölb- 
verschneidungen  vorkommen  als  an  früheren  Bauten,  so  braucht  dies  noch  nicht  gleich 
auf  dem  Gegensatz  des  Byzantinischen  zum  Römischen  zu  beruhen,  vielleicht  liegt  es 
lediglich  an  der  fortgeschritteneren  Stufe  der  Planbildung  und  der  Gewölbetechnik 
[Abb.  92].1) 

Anderweit  finden  wir  das  Achteck  von  einem  Viereck  umschrieben;  die  vier 
Ecken  werden  von  Nischen  eingenommen,  die  sich  in  den  Diagonalen  dem  Oktogon 
anlegen.  In  den  ravennatischen  Baptisterien  will  man  Thermensäle  erkennen,  die  zu 
Taufhäusern  gemacht  wären.  Das  Baptisterium  der  Orthodoxen  (San  Giovanni 
in  fönte)  hat  zwar  keine  Emporen,  doch  eine  entsprechende  Scheinarchitektur:  acht 
Säulen,  in  die  Ecken  des  Oktogons  gestellt,  tragen  Blendbögen,  die  sich  in  einem 
zweiten,  niedrigeren  Geschoß  mit  entwickelteren  Arkaden  wiederholen.  Die  acht  großen 
Zwickel  runden  etwas  sich  vorneigend  das  Oktogon  zum  Kreis.  —  Das  Baptisterium 
der  Arianer  (S.  Maria  in  Cosmedin)  vereinfacht  die  Bauidee  noch  mehr,  indem  es 
auf  die  Säulenarchitektur  ganz  verzichtet.  —  Das  Oktogon  in  Rechteck  mit  innerem 
achteckigen  Pfeilerkranz  und  mit  vier  Ecknischen,  welche  die  Nebenräume  in  gewisser 
Weise  zu  Nebenschiffen  ergänzen,  ferner  mit  Querhaus  und  Apsis,  weist  S.  Georg  zu 
Esra  in  Zentralsyrien  auf,  aus  dem  Anfang  des  sechsten  Jahrhunderts.2) 

S.  Sergius  und  Bacchus  in  Konstantinopel  (die  „kleine  Sophienkirche",  kütschük 
aja  Sophia,  gegründet  527)  verbindet  mit  der  Idee  des  dem  Oktogon  umschriebenen 
Vierecks  das  Motiv  der  Exedren:  ihrer  vier  treten,  den  Mittelraum  selbst  zum  Viereck 
ergänzend,  in  den  Umgang.  Die  unteren  Säulen  tragen  gerades  Gebälk,  die  oberen 
dagegen  Bögen.  Die  vier  Ecknischen,  obschon  im  Verhältnis  zum  ganzen  Haus  kleiner 
als  in  Esra,  dienen  doch  auch  hier  dazu,  die  beiden  Umgangshälften  zu  Nebenschiffen 
zu  stempeln.  Ein  breit  vorgelegter  Narthex  und  ein  in  den  hinteren  Quergang  ein- 
gebautes Presbyterium  nebst  hinausgebauter  Apsis  vollenden  die  basilikale  Umprägung  des 
Zentralbaues.  Fenster  im  Ansteigenden  der  Melonenkuppel  führen  das  Licht  zu  [Abb.  93].3) 

Die  Kuppelbasilika.  Hier  handelt  sich's  nicht  um  einen  Zentralbau,  der  dem 
Altardienst  zulieb  Längsrichtung  wie  einer  Basilika  annimmt,  sondern  um  eine  echte 
Basilika,  die  nur  in  der  Uberwölbung  Methoden  des  Zentralbaues  befolgt.  Das  klassische 
Beispiel  ist  die  Palastkirche  zu  Konstantinopel,  die  der  Heiligen  Weisheit  gewidmete 
Hagia  Sophia.  Konstantin  hatte  sie  als  typische  Basilika  errichtet,  532  brannte  sie 
ab.  Justinian  ließ  sie  neubauen,  als  Kuppelbasilika,  durch  die  von  ihm  dazu  berufenen 
Architekten  Isidoros  von  Milet  und  Anthemios  von  Tralleis;  537  war  der  Bau  vollendet. 
558  brachte  ein  Erdbeben  die  Kuppel  zum  Einsturz,  ein  gleichnamiger  Neffe  des  Isidoros 
stellte  sie  her;  sie  steht  noch  heute.  Die  justinianische  Sophienkirche  ist  wie  gesagt 
eine  Basilika,  dreischiffig,  mit  der  vom   Kultus  verlangten  Richtung  in   der  Hauptaxe. 


x)  San  Lorenzo:  Dehio  u.  Bezold  Taf.  14.  Holtzinger,  Altchr.  u.  byz.  Baukunst  1899,  88. 
Strzygowski,  Kleinasien  211.  —  San  Vitale:  Dehio  u.  Bezold  I  27  Taf.  4.  5.  Quitt  u.  Schenkl, 
Byz.  Denkm.  III  73.  111. 

•)  Orthodoxen:  Dehio  u.  Bezold  I  25.  125  Tf.  37.  Kraus  I  355.  Holtzinger,  Altchr.  u. 
byz.  Baukunst  78.  —  Arianer:  Dehio  u.  Bezold  I  24  Taf.  1,  7.  Bicci,  Mon.  Eav.  1890.  —  Esra: 
de  Vogü<«,  Syrie  centrale  Taf.  21.  Dehio  u.  Bezold  I  35  Taf.  8,  5.  Holtzinger,  Altchr.  u.  byz. 
Baukunst  140.     Strzygowski,  Kleinasien  76,  96. 

8)  Dehio  u.  Bezold,  Tafel  4,  5—6. 


Wölbkirchen.  315 

"Wenn  sie  sich  nicht  so  lang  erstreckt,  wie  sonst  die  Basiliken,  so  teilt  sie  diese  Ab- 
weichung von  der  Regel  mit  der  Maxentiusbasilika;  hier  wie  dort  liegt  es  an  der 
Überwölbung.  Aber  diese  ist  eine  andre.  Maxentius  hatte  in  der  Art  der  älteren 
Bauweise  die  Nebenschiffe  mit  je  drei  querliegenden  Tonnen  gedeckt,  das  überhöhte 
Mittelschiff  mit  drei  Kreuzgewölben;  Justinian  fand  die  Wölbtechnik  auf  einer  fort- 
geschritteneren Stufe  und  wählte  demgemäß  die  Kuppel  auf  quadratem  Raum.  Nun 
hätten  die  Architekten  bei  der  Deckeneinteilung  des  Maxentius  stehen  bleiben  und 
drei  gleichgroße  quadratische  Kompartimente  des  Mittelschiffs  mit  ebensoviel  unter  sich 
gleichgroßen  Kuppeln  decken  können.  Sie  zogen  vor  —  und  den  großen  Gedanken 
hat  der  Kaiser  gewürdigt  —  die  Decke,  und  entsprechend  den  ganzen  Aufbau,  nach 
den  Methoden  des  Zentralsystems  zu  gestalten,  demnach  dem  Mittelkompartiment  domi- 
nierende Stellung  zu  geben;  durch  die  Fenster  im  Ansteigenden  der  alles  über- 
ragenden Kuppel  und  dazu  durch  die  Fenster  in  den  zwei  seitlichen  Schildwänden  des 
Zentralkubus  strömt  reichliches  Licht  in  das  ganze  Mittelschiff.  Das  konstruktive 
Problem  betraf  die  Überführung  aus  dem  Quadrat  in  den  Kreis  der  Kuppel.  Leicht 
war  es  gewesen,  bei  Polygonen  und  bei  kleineren  Quadraten  in  den  Kreis  überzugehen; 
das  Riesenquadrat  verlangte  einen  besonderen  Aufwand,  vier  aus  den  Ecken  heraus 
gewölbte  gewaltige  Pendentifs,  mit  anderen  Worten  eine  abgestumpfte  Hängekuppel 
als  Trägerin  der  Hauptkuppel.  Im  Räume  der  zwei  Endkompartimente  erheben  sich 
große  Exedren  unter  Halbkuppel,  vom  Durchmesser  der  Hauptkuppel,  angelehnt  an 
die  zwei  offenen  Schildbögen  des  Zentralkubus;  der  Hauptkuppel  untergeordnet  reichen 
sie  mit  den  Scheiteln  gerade  nur  an  ihren  Fuß,  ihren  Schub  auffangend.  Jeder  dieser 
zwei  großen  Exedren  aber  lehnen  sich  zwei  kleinere  an,  um  das  Mittelschiff  zum  Werte 
des  verlangten  oblongen  Raumes  zu  ergänzen;  sie  öffnen  sich  mit  je  zwei  Säulen  gegen 
die  Nebenschiffe,  wie  auch  das  Zentralquadrat  durch  zweigeschossige  Säulenreihen  (die 
Kirche  hat  umlaufende,  nur  durch  die  Apsis  unterbrochene  Emporen)  von  den  Neben- 
schiffen getrennt  wird.  War  das  Pantheon  eine  zu  statischer  Möglichkeit  ausgebaute 
Kugel;  waren  die  großen  Thermen  und  das  Mittelschiff  der  Maxentiusbasilika  nach 
Art  antiker  Säle  höher  als  breit;  noch  höher,  die  Konchen  des  minderen  und  des 
höheren  Grades  überragend,  erhebt  sich  der  Kuppelraum  der  Sophia.  Ein  Wunder  in 
Konstruktion,  Raumbildung  und  malerischer  Perspektive,  in  Tönung  und  Stimmung, 
der  glänzende  Schlußakkord  der  antiken  Baukunst,  nicht  eben  christlichen,  aber  kaiser- 
lichen Geistes.     [Abb.  94.] x) 

*)  Gegen  die  Regel  korrekter  Konstruktion  sind  die  vier  Eckstrebepfeiler,  um  den  basilikalen 
Grundriß  nicht  zu  stören,  in  die  Queraxen  der  Basilika  gestellt  statt  in  die  Radien  der  Kuppel; 
aber  sie  sind  so  mächtig,  daß  sie  genügen,  auch  den  sie  treffenden  radialen  Schub  auszuhalten.  — 
v.  Sybel,  Weltgesch.  1888,  462  Fig.  362—364;  2467.  Dehio  u.  Bezold  I  29  Taf.  6,  1.  Holtzinger, 
Altchr.  u.  byz.  Archit.  1899,  150  Abb.  Derselbe,  Die  Sophienkirche  (Borrmann  u.  Grauls  Bau- 
kunst Heft  10).  Strzygowski,  Kleinasien  133.  Antoniadu,  *Ex<p(>aoiq  t%  lAyiaq  2o<piaq,  Leipzig 
1905.  Bury,  Journ.  hell.  1897,  92.  —  Auf  die  Ausstattung  gehe  ich  nicht  ein,  doch  8.  z.  B.  Preger 
bei  Graeven,  Bonner  Jahrb.  CV  148,  7  über  die  Elfenbeintüren.  —  Strzygowski  hat  in  seinem 
„Kleinasien  ein  Neuland  der  Kunstgeschichte"  eine  ganze  Reihe  von  „Kuppelbasiliken"  zusammen- 
gestellt, deren  Ruinen  sich  iu  Kleinasien  und  Nordsyrien  finden.  Die  meisten  fallen  aus  dem 
zeitlichen  Rahmen  dieses  Buches,  einzelne  werden  noch  in  die  Spätantike  gesetzt  (Kodscha-kalessi 
im  Taurus  von  Strzygowski  ins  vierte,  von  Wulff  und  Headlam  ins  fünfte  Jahrhundert,  die  Sophia 
zu  Salonik  vor  Justinian,  Kasr  ibn  Wardan  in  Nordsyrien  in  die  Spätzeit  Justinians;  vgl.  Holtzinger, 
Altchr.  u.  byz.  Archit.  1899,  154  C).  Alle  diese  Kirchen  erfordern  eingehende  sachverständige  Nach- 
prüfung, ehe  sie  zum  Aufbau  der  Kunstgeschichte  verwendet  werden  dürfen. 


316  Architektur  und  Malerei. 

Die  „ Kreuzkuppel kirche"  steht  der  Kuppelbasilika  sehr  nahe;  Hauptunter- 
schied ist,  daß  auch  die  seitlichen  Schildbögen  des  Zentral  Vierecks  offen  bleiben,  wo- 
durch dann  ein  zentrales  Raumkreuz  entsteht.  Das  Schema  liegt  schon  im  Prätorium 
von  Musmije  in  Syrien  vor,  aus  der  Antoninenzeit.  Strzygowski  hat  christliche  Beispiele 
zusammengestellt;  auch  an  diesem  Material  ist  noch  manches  problematisch,  und  der 
entwickelte  Typ  scheint  eher  später  als  Justinian.1) 

Die  kreuzförmige  Kirche  (oTavQoeidrjg  rvjtog).  Konstantin  errichtete  in  Kon- 
stantinopel die  Kaisergruft  unter  dem  Namen  der  Apostelkirche.  Der  innerhalb 
eines  Peristyls  stehende  Bau  hatte  eine  kassettierte  Holzdecke,  das  Dach  war  mit  ver- 
goldetem Kupfer  überzogen.  Als  Altarraum  diente  das  Zentralviereck,  wo  auch  der 
Sarg  Konstantins  stand,  zwischen  den  zweimal  sechs  Särgen  der  Apostel  (Reliquien 
waren  nur  von  einzelnen  vorhanden;  solche  des  Timotheos  wurden  356  unter  dem 
Tischaltar  beigesetzt).  Ob  dem  Bauplan  das  griechische  oder  das  lateinische  Kreuz 
zugrunde  gelegt  war,  steht  dahin.  Justinian  und  Theodora  bauten  die  Kirche  neu,  sie 
wurde  550  geweiht.  Die  Kreuzarme  erhielten  Emporen,  ihre  Mittelräume  Kuppeln 
ohne  Fenster,  der  Zentralraum  aber  eine  ebensogroße,  jedoch  mit  Fenstern  versehene, 
also  wohl  gehobene  Kuppel.  Die  am  Ostende  angebaute  Konche  umschloß  die  Särge 
des  Kaiserpaares.  —  Eine  Nachbildung  war  die  gleichnamige  Kirche  zu  Mailand, 
erbaut  382  von  Bischof  Ambrosius,  396  dem  H.  Nazarius  geweiht,  1075  auf  dem  alten 
Plan  neugebaut.  —  Auch  Ravenna  bekam  eine  kreuzförmige  Kirche,  vielleicht  der 
mailänder  nachgebildet;  mit  ihr  in  Zusammenhang  stand  die  noch  erhaltene  Grab- 
kapelle der  Galla  Placidia  (S.  Nazario  e  Celso,  um  450  gebaut)  in  ähnlichem  Typus 
mit  Hängekuppel.  —  Die  Felsenkirche  von  Ajasin  in  Phrygien,  nach  Reber  aus  dem 
sechsten  Jahrhundert,  nach  Strzygowski  älter,  auch  außen  aus  dem  Felsen  gelöst,  be- 
sitzt eine  zentrale  Kuppel  auf  vier  Säulen,  die  vier  Kreuzarme  stehen  unter  Tonne.3) 

Ein  reicher  entwickelter  Grundriß  entsteht  durch  Eintragen  eines  Oktogons  in 
das  Kreuz.  Hauptbeispiel,  doch  nur  durch  Beschreibung  bekannt,  ist  das  Martyrion 
des  Gregor  von  Nyssa,  erbaut  um  380  in  einem  Peristyl  von  vierzig  Säulen.  Die 
Kuppel  ruhte  auf  acht  ins  Achteck  gestellten  Säulen;  den  Seiten  schlössen  sich  Exedren 
an,  die  an  den  Diagonalseiten  waren  halbrund,  die  an  den  Axialseiten  viereckig.  Letztere, 
ziemlich  tiefe  Ausbauten,  gaben  der  Kirche  äußerlich  das  kreuzförmige  Aussehen,  im 
Inneren  dominiert  das  Oktogon.  —  Verwandt  war  die  Kirche  von  Wiranschehr  in 
Nordmesopotamien,  die  Strzygowski  ins  vierte,  Puchstein  ins  sechste  Jahrhundert  setzt. 
Ein  Pfeileroktogon,  aber  breiter  als  tief,  mit  querovalem  zweistöckigem  Umgang  und 
viereckigen  Anbauten  in  den  Hauptaxen,  drei  kleinere  dienten  als  Eingänge,  der  östliche 
war  länger  und  dreischiffig  mit  quadratem  Presbyterium  und  halbrunder  Apsis.  — 
Noch  ein  kreuzdurchsetztes  Oktogon  ist  die  Kirche  VIII  zu  Binbirkilisse  in  Lykaonien, 
aber  apart.  Die  vier  Tetragone,  das  eine  zur  polygonen  Apsis  ausgebildet,  die  drei 
andern  als  Eingänge  dienend,  sitzen  nicht  an  vier  Seiten,   sondern  an  vier  Ecken  des 


*)  Strzygowski,  Kleinasien  132.  186. 

9)  Apostelkirche:  Unger  u.  Richter,  Quellen  z.  byz.  Kunstgesch.  101.  Dehio  u.  Bezold  I 
44  versteht  die  kreuzförmige  Kirche  als  Quadratraum  mit  anschließenden  eckigen  Nischen.  Strzy- 
gowski, Orient  11;  Kleinasien  75.  186  leitet  sie  von  der  unterirdischen  Gruft  mit  in  den  Haupt- 
axen anschließenden  Grabkammern  ab.  —  Galla  Placidia:  Dehio  u.  Bezold  I  45  Taf  12,  4.  5. 
Holtzinger,  Altchr.  u.  byz.  Archit.  1899,  81. 


Zur  Formenlehre  der  spätantiken  Architektur.  317 

Oktogons,  in  die  zwischenliegenden  Ecken  sind  Fenster  gebrochen.     Die  Kuppel  hing 
über  den  Fenstern  des  zweiten  Geschosses  in  einem  Tambour.1) 

Das  Grabmal  des  Theodorich  (gest.  526)  bei  Ravenna,  sich  anlehnend  an  her- 
kömmliche Mausoleumstypen,  umschließt  in  dem  außen  mit  Nischen  versehenen  acht- 
eckigen Untergeschoß  einen  kreuzförmigen  Gruftraum,  in  dessen  Armen  Sarkophage 
Platz  finden  konnten.  Das  Obergeschoß  ist  eine  Rotunde  mit  umlaufenden  Blendarkaden, 
Pfeiler  im  Wechsel  mit  gekuppelten  Säulen.  Das  sogenannte  Zangenornament  unter 
dem  Hauptgesims  wird  der  Archäologe  wohl  immer  als  barbarisiertes  Kymation  deuten. 
Die  flache  Kuppel  ist  nicht  gemauert,  sondern  aus  einem  einzigen,  aus  Istrien  be- 
schafften Steinblock  gemeißelt;  Ornament  und  Megalithismus  sind  bezeichnend  für 
den  germanischen  Bauherrn.2) 


Zur  Formenlehre  der  spätantiken  Architektur. 

Wir  stellen  hier  einige  Einzelpunkte  zusammen,  die  in  der  Literatur  Beachtung 
gefunden  haben. 

Die  Säule.  In  der  Kaiserzeit  trat  eine  Neigung  auf,  die  Schäfte  monolith  zu 
bilden;  sie  mag  ihren  Ursprung  in  der  Vorliebe  für  Hartsteine  haben,  wie  Granit, 
Porphyr  und  dergleichen.  Was  in  dieser  Richtung  die  Architekten  der  heidnischen 
Zeit  begonnen  hatten,  vollendeten  die  der  christlichen.  —  Die  monolithen  Säulenschäfte 
pflegten  glatt  zu  sein.  Daneben  waren  noch  Bildungsweisen  des  hellenistischen  Barock 
beliebt.  Dahin  gehört  die  an  den  Sarkophagen  bevorzugte  Spiralsäule,  mit  spiralig 
den  Schaft  umziehenden  Kannelüren.  Wenn  die  Spiralsäule  bereits  in  der  kretisch- 
mykenischen  Heroenkunst  beobachtet  wird,  so  bestätigt  sich  darin  nur  die  Tatsache, 
daß  die  erste  Blütezeit  der  Kunst  im  zweiten  Jahrtausend  gipfelte  und,  besonders 
greifbar  in  der  spätmykenischen  Kunst,  analoge  Endergebnisse  zeitigte,  wie  eben  auch 
die  Endzeit  des  klassischen  Altertums.  —  Gesteigertes  Barockempfinden  offenbaren  die 
am  Petruskenotaph  aufgestellten  gewundenen  Säulen.  Das  Umranken  des  Schaftes 
mit  Pflanzen,  vorzüglich  mit  Weinlaub,  fanden  wir  zuerst  in  Pompeji,  dann  am  Haterier- 
grab,  an  christlichen  Sarkophagen  und  an  den  eben  erwähnten  gewundenen  Säulen.  — 
Kantige  Pfeiler  als  Stützen  zu  verwenden  war  die  Urweise  des  Steinbaues.  Ihre 
Umgestaltung  in  die  Art  der  runden  Holzsäule  ließ  die  Pfeilerform  in  der  entwickelten 
altorientalischen  wie  in  der  klassischgriechischen  Baukunst  zurücktreten,  doch  nie  ganz 
verschwinden.  Im  Späthellenismus  trat  der  Pfeilerbau  allmählich  wieder  hervor,  in  der 
Spätantike  (von  Konstantin  bis  Justinian)  finden  sich  bereits  Hallenbauten  der  Art,  nun 
also  an  christlichen  Kirchen  (Pfeilerbasiliken).  Daneben  kommt  auch  der  Wechsel 
von  Pfeilern  und  Säulen  vor  (Stützen Wechsel).  Das  klassische  Motiv  des  Pfeilers 
mit  angearbeiteter  Halbsäule  erscheint  im  Kirchenbau  erst  sehr  spät.8) 

Die  Arkaden.     Die  Säule  als  Stütze  des  Bogens,  statt  des  Pfeilers,  war  auf- 


*)  Nyssa:  Bruno  Keil  bei  Strzygowski,  Kleinasien  74. —  Wiranschehr:  Humann  u.  Puch- 
stein,  Keisen  in  Kleinasien  406.  Strzygowski,  Kleinasien  96.  —  Binbirkilisse:  Strzygowski 
(nach  Crowfoot),  Kleinasien  23.  71.  161.  Strzygowski  meint,  der  Bau  könne  ebensogut  aus  dem 
vierten  Jahrhundert  stammen  wie  aus  dem  fünften  oder  sechsten. 

2)  Dehio-Bezold  I  25  Taf.  3,  9.  10.  Holtzinger,  Altchr.  u.  byz.  Baukunst  1899,  81.  Abb. 
97—100. 

aj  Monolithe  Säulen:  Strzygowski,  Kleinasien  53  f.  und  öfter.  —  Zu  den  Spiralsäulen 


318  Architektur  und  Malerei. 

gekommen t  in  Zusammenhang  mit  dem  zunehmenden  Gewölbebau.  Das  mußte  not- 
wendig kommen,  unter  der  mittleren  Kaiserzeit  begann  es,  in  der  Spätantike  setzte  es 
sich  durch,  daher  in  Ravenna  und  in  Konstantinopel  die  klassischen  Muster  sich  finden, 
in  der  reichsten  Verwendung.  —  In  der  ganzen  Antike  herrscht  der  Rundbogen;  an 
den  christlichen  Sarkophagen  freilich  wird  er  meist  zum  Flachbogen;  zuletzt  aber,  in 
der  spätesten  Antike,  taucht  der  Hufeisenbogen  auf,  schon  an  einem  heidnischen 
Sarkophag,  dem  der  Musen  in  Villa  Mattei,  später  erscheint  er  in  der  wirklichen 
Baukunst. x) 

Die  Kapitelle.  In  der  Kaiserzeit  herrschte  das  korinthische  Kapitell,  gern 
nahm  es  die  Spielform  des  sog.  Kompositkapitells  an.  Das  ging  nun  alles  in  die 
Spätantike  über  und  erfuhr  hier  eine  gewisse  unbeholfene  Behandlung.  Innerhalb  der 
Spätantike  aber  werden  wieder  neue  Entwicklungsphasen  bemerkt.  Schon  unter  Theo- 
dosius  I.  sich  vorbereitend,  unter  Theodosius  IL  vollendet,  erscheint  eine  veränderte 
Behandlungsweise  der  Akanthusblätter ;  ich  verglich  sie  mit  ausgezwicktem  Leder, 
Strzygowski  nennt  sie  fettzackig,  dabei  werden  die  Rippen  durch  gereihte  Bohrlöcher 
markiert.  Das  theodosianische  Kapitell  behauptete  sich  das  fünfte  Jahrhundert  hin- 
durch und  bis  in  Justinians  Zeit.  Klassische  Beispiele  liefert  Ravenna  aus  Theodorichs 
und  Justinians  Epoche  (Herkulesbasilika  und  Apollinare  in  Classe);  es  findet  sich  in 
verschiedenen  Unterarten  weit  verbreitet,  auch  zu  Rom,  Bruchstücke  liegen  in  Maria 
Antiqua.  Eine  spätantike  Bildungs weise  des  Akanthus  ist  der  mit  umgewehten 
Blättern.2) 

Der  Kämpfer.  Der  Bogen  wurde  ursprünglich  auf  Pfeiler  von  gleicher  Stärke 
gesetzt,  Wandpfeiler  oder  freistehende.  Nicht  von  dem  Kämpfergesims  dieser  Pfeiler 
ist  hier  die  Rede,  sondern  von  dem  im  Bogenbau  auf  Säulen  verwendeten  Kämpfer. 
Genetisch  ist  er  zu  erklären  als  ein  Stück  des  dreiteiligen  Gebälks  (bestehend  aus 
Architräv,  Fries  und  breit  ausladendem  Gesims),  das  Profil  ringsherum  durchgeführt, 
all  das  aber  in  Verkümmerung.  Als  in  den  großen  Thermensälen,  und  danach  in  der 
Basilika  des  Maxentius,  jene  drei  Kreuzgewölbe  auf  acht  Riesensäulen  gesetzt  wurden, 
da  legte  man  bereits  einen  Gebälkausschnitt  zwischen  Kapitell  und  Bogenanfang;  es  ist 
ein  verkröpf tes  Gebälk,  genauer  der  Gebälkkropf  über  der  Säule.  In  S.  Costanza 
steht  die  Kuppel  auf  einem  Kranz  radialgestellter  Doppelsäulen;  um  jedes  Säulenpaar 
zu  verkoppeln,  legte  man  ein  Gebälkstück  mit  ringsumlaufendem  Profil  über  ihre 
Kapitelle  hin.  Das  Säulenpaar,  ebenso  das  aufgelegte  Gebälkstück,  entsprach  der 
Dicke  der  Bögen  und  der  Bogen  wand.  Aber  man  wagte  auch,  solche  Bögen  auf 
Einzelsäulen  zu  setzen;  meist  behielt  man  das  Zwischenstück,  auch  zum  Ausgleich  der 
verschiedenen  Stärken  der  Säule  und  der  getragenen  Wand.   Die  dreigliedrige  Gestaltung 


an  Sarkophagen:  Staehlin,  Eöm.  Mitteil.  1906,  368.  —  Zum  Pfeilerbau  einiges  bei  Kraus, 
Gesch.  I  288.  —  Pfeiler  mit  Halbsäule:  Strzygowski,  Kleinasien  179. 

r)  Mattei:  Eiegl,  Spätröm.  Kunstindustrie  78  Fig.  16.  —  Hufeisenbogen:  Strzygowski, 
Kleinasien  29.  180. 

2)  Kapitelle:  v.  Sybel,  Weltgesch.  1888,  466  Fig.  365;  2471  Abb.;  oben  S.  58  (lies  Acanthus 
spinosä).  Strzygowski,  Eöm.  Quartalschr.  1890,  3  Taf.  1;  Archäol.  Jahrb.  1893,  9.  27;  1894,  1; 
Byz.  Denkm.  II  208;  Bull.  corr.  1895,  517.  Laurent,  Bull.  hell.  1899,  206  ff.  Kraus  Gesch.  I  548. 
—  Umgewehte  Blätter:  Strzygowsky,  Byz.  Denkm.  II  209.  —  Die  jonischen  Kapitelle  in 
San  Lorenzo  fuori  zu  Eom  sind  nach  Herrn.  Thiersch,  Eöm.  Mitteil.  1908,  153  mittelalterlich,  aus 
dem  dreizehnten  Jahrhundert. 


Zur  Formenlehre  der  spätantiken  Architektur.  319 

des  Kämpfers  aber  war  bedeutungslos  geworden,  daher  verkümmerte  sie,  wie  sich 
nachweisen  läßt,  bis  zu  dem  abgestumpften  und  gestürzten  Pyramidion  des  spätantiken 
Kämpfers  [Abb.  95].  Der  als  besonderes  Glied  auf  das  Kapitell  gesetzte  Kämpfer 
herrschte  im  fünften  Jahrhundert;  im  sechsten  wurde  diese  Kombination  abgelöst  durch 
eine  aus  Kapitell  und  Kämpfer  zusammengeschmolzene  Form,  das  Kämpferkapitell, 
welches  beide  Funktionen  zugleich  ausübt,  die  des  Kapitells  und  die  des  Kämpfers; 
nach  Strzygowski  erschien  es  zuerst  in  der  Konstantinopeler  Zisterne  Bin  bir  direk 
(528,  vor  der  Sophia  von  532). J) 

Noch  ein  Wort  zum  durchbrochenen  Flachornament,  von  dem  bereits  in 
der  Einleitung  S.  21  und  30  die  Rede  war.  Es  erscheint  an  ravennatischen  Kapitellen 
in  S.  Vitale,  des  sechsten  Jahrhunderts,  von  zweierlei  Form.  Das  Faltenkapitell 
mit  seinem  durchbrochenen  Flachornament  sieht  aus  wie  eine  in  Falten  gelegte  ä  jour 
gearbeitete  Stickerei.  Diese  Falten  aber  geben  genau  das  Schema  des  korinthischen 
Kapitells  wieder;  man  verfolge  nur  das  Aufsteigen  der  Hanken  vom  Kapitellboden  zur 
echt  korinthisch  umzeichneten  Deckplatte.  Weiter  entfernt  sich  das  Trichter- 
kapitell von  der  Gestalt  des  korinthischen;  aber  in  seiner  Verzierung  spürt  man  noch 
Nachklänge  der  Akanthusornamentik,  am  besten  erkennt  man  es  an  den  Eckblättern. 
—  Während  an  diesen  Kapitellen  das  durchbrochene  und  unterhöhlte  Ornament  dem 
Kern  des  Kapitells  aufliegt,  so  daß  es  sich  hell  von  dem  dunklen  Grund,  dem 
„Tiefendunkel"  abhebt,  bieten  die  marmornen  Presbyteriumschranken  ein  wirklich 
ä  jour  gearbeitetes  Muster  [Abb.  96].  —  Daß  diese  Art  Meißelarbeit  nicht  autochthon 
orientalisch  ist,  sondern  spätest  hellenistisch,  höchstens  osthellenistisch,  darüber  haben 
wir  uns  oben  genügend  ausgesprochen.'2) 

Wer  einmal  das  Ornament  der  Kaiserzeit  erschöpfend  und  kritisch  aufarbeitet, 
der  wird  manches  aufklären;  unter  anderem  wird  er  aus  stadtrömischen  Denkmälern 
den  Nachweis  liefern,  daß  der  aus  länglichen  Blättern  zusammengesetzte  Zickzack  ein 
verkümmertes  hellenistisches  Pflanzenornament  ist. 

In  der  Baugeschichte  der  Kaiserzeit,  von  Cäsar  bis  Justinian,  spielt  eine  grund- 
legende Rolle  das  Material  und  die  Technik.  Die  Wahl  des  Materials  ist  zunächst 
örtlich  bedingt;  da  aber  wertvollere  Materialien,  wie  Marmor  oder  Granit,  verschifft 
wurden,  so  lassen  sich  in  ihrer  Verwendung  auch  entwicklungsgeschichtliche  Indizien 
finden.  Entscheidender  ist  die  Technik;  mit  den  Jahrhunderten  kann  sich  der  Zu- 
schnitt der  Mauerelemente  ändern,  ebenso  die  Art  des  Verbandes  und  die  Verwendung 
des  Mörtels.  Dergleichen  kann  ja  unter  Umständen  örtlich  variieren,  ohne  doch 
eigentlich  örtlich  bedingt  zu  sein.  Man  wird  immer  gut  tun,  vorkommende  Unter- 
schiede in  erster  Linie  zeitlich  zu  verstehen,  z.  B.  wenn  an  stadtrömischen  Denk- 
mälern die  Mörtelschicht  höchstens  so  dick  sich  fände  wie  der  Ziegel,  an  östlichen  aber 
dicker. 8) 


x)  Kämpfer:  v.  Sybel,  Weltgesch.  1888,  430;  2436,  die  Abbildungen  S.  465.  471  oben; 
Kämpferkapitell  Weltgesch.  «473  Abb.  Ferner  De  Rosai,  Bull,  crist.  1880,  153.  Laurent,  Bull.  hell. 
1899,  214.  Kraus,  Gesch.  I  290.  Strzygowski,  Wasserbehälter  Konstantinopels  (Byz.  Denkm.  II) 
208.  215;  Byz.  Zeitschr.  1892,  69;  Bull.  hell.  1895,  517;  Kleinasien  180.  Bruno  Schulz,  Archäol. 
Jahrb.  1909,  51. 

*)  Falten-  und  Trichterkapitell:  v.  Sybel,  Weltgesch.  1888,  467  Abb.  367.  366;  2471  Abb. 
Schranken:  ebenda,  Schlußstück. 

3)  Auf   die   Handbücher   der  alten  Architektur  brauchen  die  klassischen  Archäologen  nicht 


320  Architektur  und  Malerei. 


Geographische  Übersicht  der  Kirchengebäude. 

Nachdem  wir  die  Haupttypen  der  altchristlichen  Baukunst  vorgeführt  haben, 
wobei  notwendig  entwicklungsgeschichtliche  Gesichtspunkte  sich  geltend  machen 
mußten,  so  bleibt  uns  übrig,  auf  die  räumliche  Verteilung  der  Denkmäler  die  Auf- 
merksamkeit zu  lenken.  Sie  ist  in  mehrfacher  Beziehung  wichtig.  Einmal  geht  die 
Denkmälerforschung  naturgemäß  länderweis  vor,  sie,  die  das  monumentale  Material  zum 
Aufbau  der  Kunstgeschichte  liefert;  außerdem  aber  —  der  Punkt  wurde  schon  be- 
rührt —  kommen  bei  aller  Einheitlichkeit  der  Gesamtantike,  auch  der  gesamten 
christlichen  Antike,  doch  immer  in  jedem  Land  Besonderheiten  zur  Beobachtung.  Nur 
muß  man  sich  hüten,  nicht  zeitliche  Unterschiede  für  örtliche  zu  nehmen. 

Da  es  sich  bei  jeder  Kunsttopographie  um  eine  rein  systematische  Übersicht 
handelt,  so  ist  es  gleichgültig,  in  welcher  Reihenfolge  man  die  Länder  auffuhrt. 
Kaufmanns  Handbuch  reiht  sie  alphabetisch,  Holtzingers  Altchristliche  und  byzan- 
tinische Baukunst  1899  ordnet  sie  geographisch  (Abendland,  Osten  und  Nordafrika). 
Die  Sarkophage  verfolgten  wir  um  das  Mittelmeer  linksherum,  den  Kirchen  wollen  wir 
rechtsherum  nachgehen  und  zwar  von  Hellas  beginnend.  Es  handelt  sich  aber  auch 
für  uns  nicht  um  eine  erschöpfende  Kunsttopographie,  sondern  immer  nur  um  Ein- 
führung; ferner  nicht  um  den  Bestand  an  Kirchen  im  Altertum,  sondern  bloß  um  die 
erhaltenen  Reste. 

Die  Balkanhalbinsel.  Griechenland  hat  nur  wenig  zu  bieten;  diese  Kirchen 
werden  dem  fünften  Jahrhundert  zugeschrieben.  Zu  Athen  ein  Kirchlein  am  Lyka- 
bettos,  dreischiffig  mit  Apsis,  die  entlehnten  Säulen,  mit  theodosianischem  Kapitell,  auf 
Bathren  gestellt,  Schranken  zwischen  den  Säulen.  —  Der  Parthenon  wurde  noch  vor 
Justinian  umgebaut  in  eine  Basilika  zu  Ehren  der  heiligen  Weisheit  (später  der  Theotokos 
geweiht),  der  Eingang  wurde  nach  Westen  verlegt,  in  die  östliche  Vorhalle  die  Apsis  ge- 
baut, auch  der  Innenbau  geändert.  Erechtheion  und  Theseion  erfuhren  ähnliches. — 
Die  Basilika  zu  Olympia,  in  das  „Atelier  des  Phidias"  eingebaut,  1551  durch  Erdbeben 
zerstört,  dann  erneuert,  hat  wenig  tiefen  Vorhof,  gesäulte  Vorhalle  in  der  Kirchenbreite; 
die  drei  Schiffe  scheiden  die  Säulen  tragende  Mäuerchen;  eine  Treppe  führt  zum  Presby- 
terium,  das  noch  keine  Ikonostasis  besitzt,  nur  Marmorschranken  und  in  deren  Mitte 
eine  Tür  (Rundbogen  auf  zwei  Säulen).  Die  Apsis  umschließt  eine  Priesterbank.  — 
Auch  im  Apollotempel  zu  Delphi  richtete  man  eine  Basilika  her;  erhalten  sind  nur 
Reste  von  Kapitellen  u.  dergl.  —  Saloniki:  Die  Rotunde  S.  Georg,  die  dreischiffige 
Eski  Dschuma,  die  fünfschiffige  Demetrioskirche,  soviel  von  alledem  auf  die  Gründungs- 
zeit zurückgeht.    —    Die  Kapellen   und  Saalkirchen  in  Bosnien   und  Herzegowina, 


erst  hingewiesen  zu  werden.  Von  Nutzen  ist,  außer  Choisy,  L'art  de  bätir  chez  les  Eomains 
1873  und  L'art  de  bätir  chez  les  Byzantins  1883,  nur  Durm,  Baukunst  der  Etrusker  und  Römer 
2 1905.  Aber  auch  Durms  Werk  leidet  von  der  unhistorischen  Gewohnheit,  vor  dem  Siege  des 
Christentums  Halt  zu  machen.  Als  ob  in  der  Wahl  der  Überwölbungsweise  die  Maxentiusbasilika 
von  der  heidnischen,  die  Sophienbasilika  von  der  christlichen  Beligion  irgendwie  bedingt  wäre. 
Man  sollte  endlich  die  den  Tatbestand  nicht  treffende  Einteilung  in  griechische,  römische,  alt- 
christliche und  byzantinische  Baukunst  aufgeben  und  die  gesamte  Baukunst  der  alten  Griechen 
und  Römer,  einschließlich  der  christlichen  und  der  Frühbyzantiner,  in  ein  einheitliches,  daun 
natürlich  mehrbändiges  Werk  zusammenfassen.     Denn  es  hat  nur  Eine  Antike  gegeben. 


Geographische  Übersicht  der  Kirchengebäude.  321 

aus  dem  vierten  Jahrhundert,  die  vollständigeren  mit  Apsis  und  Priesterbank,  Tisch- 
altar und  Ambo.  —  Endlich  Konstantinopel.  Hier  bleibt  die  Johanneskirche  des 
Studios  von  463  nachzutragen,  Sergius  und  Bacchus  und  die  Sophienkirche  wurden 
oben  besprochen.1) 

Kleinasien.  Harnacks  „Mission  und  Ausbreitung  des  Christentums"  legte  die 
hervorragende  Bedeutung  der  Halbinsel  in  der  Entwicklung  unserer  Weltreligion  klar, 
und  Strzygowski  hat  auf  ihre  und  ihrer  Denkmäler  kunstgeschichtliche  Bedeutung  in 
seinem  „Kleinasien  ein  Neuland  der  Kunstgeschichte"  nachdrücklich  hingewiesen.  Die 
rege  internationale  archäologische  Forschung  erstreckt  sich  nicht  zum  wenigsten  auch 
auf  Kleinasien.  Die  allen  klassischen  Archäologen  wohlbekannten,  auf  das  Klassisch- 
antike gerichteten  Expeditionen  zeitigen,  wie  in  Olympia  und  Delphi,  so  auch  in  Klein- 
asien immer  auch  Ergebnisse  für  die  spätantike  Kunst  im  Dienste  der  Weltreligion. 
Nur  beispielshalber  sei  Pergamon  genannt,  von  den  Kirchenruinen  geht  wenigstens 
die  der  Agora  auf  das  vierte  Jahrhundert  zurück.  Oder  Priene;  von  dem  drei- 
schiffigen  Ausbau  eines  Hauses  mit  eckiger  Apsis,  dem  dritten  Jahrhundert  zu- 
geschrieben, weiß  man  angesichts  eines  Reliefs  mit  siebenarmigem  Leuchter  und  dem 
Mangel  christlicher  Symbole  freilich  nicht,  ob  eine  Hausbasilika  oder  eine  Synagoge 
vorliegt;  gesichert  aber  ist  eine  dreischiffige  Basilika  mit  geschlossenem  Narthex,  ent- 
lehnten Säulen,  Marmorschranken,  sargformigem  Altar,  Apsis  mit  umlaufendem  Ge- 
bänk,  wohl  des  sechsten  Jahrhunderts.  Andere  Expeditionen  gingen  von  vornherein 
auf  die  Suche  nach  christlichen  Denkmälern.  Aufnahmen  solcher,  von  Crowfoot  und 
von  Smirnov,  hat  Strzygowski  in  seinem  erwähnten  Buche  herausgegeben  und  kom- 
mentiert; dort  findet  man  das  bisher  für  die  Baugeschichte  Kleinasiens  in  der  Spät- 
antike und  darüber  hinaus  zusammengebrachte  Material  unter  den  weittragenden  Ge- 
sichtspunkten des  Verfassers  gruppiert.  Das  oben  S.  31  Bemerkte  zu  ergänzen  sei 
hier  noch  anerkannt,  daß  seine  Untersuchungen  in  erster  Linie  auf  die  scharfe  Er- 
fassung des  an  jeder  landschaftlichen  Bautengruppe  Eigentümlichen  geht.  Hoffentlich 
weiß  die  Stilkritik,  welche  in  der  Bearbeitung  der  klassisch  griechischen  Kunst  ihre 
Methode  so  außerordentlich  geschärft  hat,  auch  dem  je  späteren  desto  difficileren 
Gegenstande  gegenüber  dessen  chronologischer  Bestimmung  sich  zu  versichern.  Es 
würde  dies  insbesondere  für  die  Wölbbauten  im  Innern  Kleinasiens  von  Wert  sein,  mit 
ihren  zur  Spitzbogenform  neigenden  Tonnen,  ihren  Hufeisenbogen  und  hufeisenförmigen 
Apsiden,  mit  ihren  hittitischen  Vorhallen  zwischen  turmartigen  Eckkörpern.2) 


1)  Athen:  Leclercq  in  Cabrols  Dict.  I  3048.  —  Lykabettos:  Strzygowski,  Rom.  Quartal- 
schrift 1890,  3  Taf.  1.  —  Parthenon:  Michaelis,  Parthenon  1871,  45.  Judeich,  Stadt  Athen  101. 
—  Olympia:  Ergebnisse  II  93  Taf.  68—70.  Strzygowski,  a.  a.  O.  7  Taf.  2.  —  Delphi:  Laurent, 
Bull.  hell.  1899,  206.  —  Saloniki:  Laurent,  eb.  250.  —  Bosnien:  Truhelka,  Rom.  Quartalschr. 
1895,  198.  —  Konstantinopel:  Salzenberg,  Altchristi.  Baudenkm.  Cpels  vom  5.  bis  12.  Jahrh. 
1854.  Pulgher,  Les  anciennes  eglises  byz.  de  Cple  1878.  Leclercq  in  Cabrols  Dict.  II  1416  Sophien- 
kirche, 1443  Sergius  und  Bacchus. 

2)  Kleinasien:  Texier,  Description  de  l'Asie  mineure  1839.  Texier  and  Popplewell  Pullan, 
Byzantine  architecture  1843—64.  Petersen  und  v.  Luschan,  Reisen  in  Lykien,  Wien  1889.  Humann 
und  Puchstein,  Reisen  in  Kleinasien  und  Nordsyrien  1890.  Headlam,  Ecclesiastical  sites  in  Isauria 
(Journ.  hell,  suppl.  I  1892).  Lanckoronski,  Städte  Pamphyliens  u.  Pisidiens,  Wien  1892.  Die  Be- 
richte und  Publikationen  der  großen  Ausgrabungen.  Strzygowski,  Kleinasien  ein  Neuland  der 
Kunstgeschichte  1903.  Einiges  Altchristliche  auch  bei  Hans  Rott,  Kleinasiatische  Denkmäler  (Joh. 
Fickers  Studien  über  christl.  Denkm.  V— VI)  1908. 

Sybel,  Christliche  Antike  II.  21 


322 


Architektur  und  Malerei. 


Syrien.  An  dem  in  der  Kaiserzeit  dort  blühenden  Leben  nahm  auch  das  innere 
Land  teil,  bis  im  siebenten  Jahrhundert  die  Bewohner  vor  dem  andringenden  Islam 
flüchteten;  ihre  Häuser  und  Kirchen  stehen  noch  heute,  soweit  sie  nicht  dem  natür- 
lichen Vergehen  zollen.  Man  hat  zwei  Bezirke  zu  unterscheiden.  Der  Hauran, 
östlich  von  Damaskus,  ist  die  einzige  Landschaft  außerhalb  Ägyptens,  die  den  Hau- 
steinbau mit  Flachdecken  folgerichtig  durchgeführt  hat.  Nebeneinandergelegte  Stein- 
platten bilden  die  Decke;  um  die  kurzen  Tafeln  zu  stützen,  mußten  die  Pfeiler  ähnlich 
eng  gestellt  werden,  wie  in  den  ägyptischen  Tempeln  die  Säulen.  Rundbögen  ver- 
spannen die  Pfeiler  längs  und  quer.  Die  früheren  Steinbauten  des  Hauran  gehören 
der  heidnischen  Zeit  an,  die  späteren  der  christlichen,  so  die  Basiliken  zu  Kanawat 
und  Suweda.  Der  andere  Bezirk,  zwischen  dem  Orontes  und  Aleppo,  dessen 
Ruinen  aus  der  christlichen  Spätantike  stammen,  verwandte  Bauholz,  nur  für  das  Dach 
(Emporen  waren  nicht  üblich).  Bei  den  syrischen  flachgedeckten  Kirchen  treffen  wir, 
wie  bei  den  kleinasiatischen  Wölbkirchen ,  die  hittitische  Vorhalle  zwischen  zwei 
Türmen,  die  in  Syrien,  mehrstöckig  hochgeführt,  ein  paarmal  bis  zu  ihrem  Giebeldach 
sich  erhielten.  Typisch  ist  die  Anordnung  der  Apsis  zwischen  Prothesis  und  Dia- 
konikon, seltener  wurde  sie  für  sich  hinausgebaut.  In  architektonischer  Beziehung 
herrscht  die  Arkade  vor.  Die  Säulen  dienen  auch,  um  an  der  Oberwand  auf  Kon- 
solen gestellt  die  Deckbalken  tragen  zu  helfen;  zweigeschossig  disponiert  umstehen 
Halbsäulen  die  Außenseite  der  Apsis.  Reich,  im  spätantiken  Geschmack,  ist  auch  das 
Ornament,  die  Gesamtwirkung  bisweilen  glücklich.  Als  Glanzleistung  des  Stiles  darf 
einerseits  die  großentworfene  Denkmalskirche  zu  Ehren  des  Simeon  Stylites  bezeichnet 
werden  (Kalat-Siman),  andererseits  die  Basilika  von  Kalb-Luseh  und  besonders  die 
von  Turmanin.  —  In  Palästina  ist  wenig  Altchristliches  erhalten,  in  Jerusalem  der 
von  Strzygowski  nachgewiesene  Rest  der  Grabeskirche  Konstantins  (der  Südwand  des 
Westatriums),  zu  Bethlehem  die  konstantinische  Geburtskirche,  bei  der  nur  das  Alter 
des  kleeblattförmigen  Presbyteriums  strittig  bleibt.1) 

Ägypten.  Von  der  wetteifernden  Forschungsarbeit  der  Nationen  fällt  nur  ver- 
hältnismäßig wenig  für  die  Spätantike  ab.  Ein  paar  Hauptpunkte  hebe  ich  hervor, 
die  Basiliken  des  roten  und  des  weißen  Klosters  bei  Sohag  in  Oberägypten,  und  die 
neueste  Errungenschaft,  die  Auffindung  des  Menasheiligtums  in  der  Mareotiswüste 
durch  die  Frankfurter  Expedition  unter  C.  M.  Kaufmann.  Hierüber  liegen  nur  die 
ersten  Berichte  vor;  die  Publikation  muß  abgewartet  werden,  wie  denn  die  Verarbei- 
tung des  ganzen  ägyptischen  Materials  noch  in  den  Anfängen  steht.  Von  kunst- 
geschichtlichen Hypothesen  sei  nur  Strzygowskis  Herleitung  der  Kleeblattform  des 
Chors  aus  Ägypten  erwähnt.2) 


^Syrien:  de  Vogü£,  La  Syrie  centrale,  architecture  civile  et  religieuse  1865.  Anderes 
bei  Strzygowski,  Kleinasien,  und  in  seinen  neueren  Schriften.  Gemäß  seiner  Lage  zwischen 
Ägypten,  Mesopotamien  und  Persien,  Siidkleinasien,  spielt  Syrien  eine  hervorragend  wichtige  Rolle 
in  der  Orienthypothese;  es  ist  das  fast  wichtigere  Element  in  der  „syroägyptischen  Ecke";  be- 
sondere Aufmerksamkeit  schenkt  Strzygowski,  mit  Recht,  der  Hauptstadt  Antiochia,  den  spärlichen 
Resten  spätantiker  antiochenischer  Kunst  spürt  er  emsig  nach  (s.  Beitr.  z.  a.  Gesch.  II  1902,  105. 
Oriens  Christ.  II  421).  Butler,  Publ.  Princeton  Univ.,  Exped.  Syria II  Architecture.  —  Palästina: 
Zeitschrift  der  deutschen  morgenländischen  Gesellschaft.  Zeitschrift  des  deutschen  Palästina- 
vereins.    Palestine  exploration  fund.     Palestine  exploration  society,  u.  a.  m. 

a)  Älter  Bekanntes  z.  B.  bei  Kraus,  Gesch.  I  339.     Ferner  Butler,  Ancient   coptic  churches 


Geographische  Übersicht  der  Kirchengebäude.  323 

Nordafrika.  Die  Bedeutung  Nordafrikas  für  das  Christentum  hat  nach  andern, 
und  schärfer  als  frühere,  Theodor  Mommsen  betont.  „In  der  Entwicklung  des  Christen- 
tums spielt  Afrika  geradezu  die  erste  Rolle;  wenn  dasselbe  in  Syrien  entstanden  ist,  so 
ist  es  in  und  durch  Afrika  Weltreligion  geworden."  Mommsen  hat  die  Überführung 
des  Christentums  aus  dem  griechischen  in  das  lateinische  Medium  im  Sinne,  woran  die 
Afrikaner  so  wesentlich  beteiligt  waren.  Die  Bedeutung  der  Tatsache  ins  rechte  Licht 
zu  setzen  stellt  er  sie  in  die  Entwicklungsreihe,  deren  neuere  Glieder  auf  Luthers 
Spuren  die  Bibelmissionen  darstellen.  Sehr  richtig.  Nur  ist  dabei  die  weltgeschicht- 
liche Rolle  des  griechischen  Christentums  als  dem  Leser  bekannt  und  gegenwärtig 
vorausgesetzt.  Wie  die  griechischen  „Septuaginta"  den  Israelitismus  zu  einer  Welt- 
religion gemacht  haben,  so  eroberte  das  griechisch  redende  und  schreibende  Christen- 
tum Kleinasien  und,  zwar  nicht  Italien,  aber  die  hellenistische  Welthauptstadt,  Rom. 
Das  griechische  Christentum  tat  den  ersten  Schritt  zur  Weltreligion,  das  lateinische 
den  zweiten.  Mommsen  hebt  noch  hervor,  daß  die  werdende  Kirche  in  Afrika  die 
eifrigsten  Bekenner,  die  begabtesten  Vertreter  fand,  für  den  literarischen  Glaubens- 
kampf weitaus  die  meisten  und  tüchtigsten  Streiter.  Und  das  Christentum,  fügen  wir 
hinzu,  nahm  einen  Guß  afrikanischen  Blutes  in  seine  Adern  auf. 

Im  Gefolge  der  französischen  Neukolonisation  Nordafrikas  wurde  eine  Fülle  von 
Denkmälern  der  Wissenschaft  erschlossen,  auch  eine  Fülle  afrikanischer  Kirchen;  freilich 
liegen  sie  noch  nicht,  sicher  noch  nicht  alle,  in  genügenden  Veröffentlichungen  vor. 
Immerhin  läßt  sich  schon  jetzt  erkennen,  daß  auch  in  Nordafrika  der  bauliche  Hauptteil 
der  christlichen  Basiliken  konstant  ist,  nämlich  das  dreischiffige  Langhaus  mit  seiner 
Richtung  nach  dem  Altar;  vereinzelt  kommen  fünf  Schiffe  vor,  was  es  mit  den  sieben 
oder  neun  zu  Tipasa  und  bei  der  auch  sonst  eigenen  Damus-el-Karita  zu  Karthago  für 
eine  Bewandtnis  hat,  bleibt  in  Frage.  Wie  im  griechischen  Osten  gibt  es  auch  hier 
gelegentlich  Scheidewände  zwischen  den  Schiffen,  desgleichen  Pfeiler,  auch  solche  mit 
angearbeiteten  Halbsäulen,  u.  a.  m.  Schwankender  sind  die  An-  und  Einbauten.  Vor 
der  Kirche  findet  sich  bald  ein  Atrium,  bald  ein  Narthex,  auch  wohl  eine  hittitische 
Vorhalle.  Die  Apsis  ist  ein-  oder  ausgebaut,  sie  hat  Prothesis  und  Diakonikon  zu 
ihren  Seiten,  doch  nicht  regelmäßig.  Seit  dem  fünften  Jahrhundert  wird  die  Bestattung 
in  der  Kirche  häufig,  für  das  Grab  des  475  verstorbenen  Bischof  Reparatus  von  Orleans- 
ville  wurde  in  die  Basilika  eine  westliche  Apsis  eingebaut.1) 

Die  West-  und  Nordländer  Europas  dürfen  wir  übergehen  und  sofort  mit  Italien 
unsere  Umschau  beschließen.     Es  handelt  sich  um  Rom,  Mailand  und  Ravenna.    Kon- 


of  Egypt  1885.  de  Bock,  Matenaux  pour  servir  a  Farcheologie  de  l'Egypte  chrötien,  Petersburg 
1901  (Deir-el-Abiad  und  Deir-el-Achmar;  El-Bagauat);  vgl.  Leipoldt,  Schenute  von  Atripe  1903. 
Strzygowski,  Kleinasien  1903,  118;  Koptische  Kunst  1904,  XVII  f.;  Byz.  Denkm.  III  p.  XVII.  — 
Menasheiligtum:  Kaufmann,  Ausgrabung  der  Menasheiligtümer,  Erster  bis  Dritter  Bericht, 
Cairo  1906  —8  =  La  döcouverte  des  sanctuaires  de  Menas  dans  le  desert  de  Mareotis,  trad.  par 
A.  Hartmann,  Alexandrie  1908.  Beide  Ausgaben  mit  Abb.;  vgl.  Köm.  Quartalschr.  1906,  82.  169. 
189.     1907,  7.    Byz.  Zeitschr.  XVI  724  und  sonst. 

x)  Nordafrika:  Gsell,  in  den  Melanges  d'archeol.  et  d'hist.  1891  und  weiterhin.  Derselbe, 
Kech.  archeol.  en  Algene  1893;  Les  mon.  antiques  de  l'Algerie  1901.  Saladin,  in  den  Archiv,  d. 
miss.  scient.  1887.  1892.  Diehl,  L'Afrique  byzantine  1897.  Franz  Wieland,  Ein  Ausflug  ins  alt- 
christliche Afrika  1900.  Dazu  A.  Schulten,  Deutsche  Lit.  Zeit.  1900,  1649.  Kraus,  Gesch.  I  274. 
337.     Leclercq  in  Cabrols  Dict.  I  658. 

21* 


824 


Malerei. 


stantin  errichtete  die  glänzendsten  seiner  Prunkbauten  im  Mutterlande  der  von  ihm 
erwählten  Religion,  in  Palästina;  immerhin  sah  auch  Rom  Bedeutendes  erstehen.  Im 
weiteren  Verlauf  der  Spätantike  hat  es  nicht  mehr  die  politische  Rolle  gespielt  wie 
vorher;  dementsprechend  vollzog  sich  die  letzte  große  Entwicklung  der  antiken  Bau- 
kunst nicht  in  Rom,  sondern  in  der  neuen  Reichshauptstadt,  in  Konstantinopel.  Was 
aber  die  Spätantike  zu  Rom  überhaupt  schuf,  das  ist  entweder  ganz  zerstört  wie  die 
Peterskirche,  oder  mehr  oder  minder  eingreifenden  Erneuerungs-  und  Umbauten  unter- 
worfen worden,  so  daß  man  gegenüber  jeder  der  Stiftung  nach  antiken  Kirche  Anlaß 
hat  zur  kritischen  Frage.  Eine  in  bautechnischer  und  baukünstlerischer,  in  archäo- 
logischer und  kultgeschichtlicher  Beziehung  gleich  sachverständige  kritische  Bearbeitung 
oder  gar  wissenschaftliche  Rekonstruktion  der  in  der  Antike  entstandenen  Kirchen  fehlt 
noch,  soviel  auch  im  Einzelnen  getan  sein  mag,  zum  Beispiel  für  die  Peterskirche. 
Auch  die  „Topographie  der  Stadt  Rom  im  Altertum"  müßte  ausgedehnt  werden 
auf  die  Spätantike,  auf  die  Bautätigkeit  von  Konstantin  bis  Justinian.  Mag  man's 
in  einem  zweiten  Bande  unter  dem  Titel  Roma  christiana  für  sich  behandeln,  wenn 
es  nur  überhaupt  gemacht  wird,  im  Sinne  der  klassischen  Philologie  und  Archäologie. 
—  In  Mailand  interessieren  hauptsächlich  S.  Ambrogio  und  S.  Lorenzo;  bei  beiden 
geht  die  nächste  Frage  dahin,  inwieweit  sie  auf  das  vierte  Jahrhundert  zurückgeführt 
werden  dürfen.  —  Die  Kirchen  von  Ravenna  haben  sich  im  ganzen  besser  erhalten; 
neuerlich  ist  man  daran,  besonders  San  Vitale  auf  seine  Baugeschichte  gründlicher  zu 
untersuchen.  —  Die  kunstgeschichtlichen  Fragen,  ob  die  stadtrömische  Kunst  original 
sei,  ob  von  Syrien  oder  von  Gallien  beeinflußt,  ob  die  ravennatische  Kunst  byzantinisch 
oder  antiochenisch  oder  zum  Teil  auch  kleinasiatisch  sei,  alle  solche  Fragen  mögen  aus 
Anlaß  aufstoßender  Indizien  gestellt  werden,  aber  sie  sind  noch  nicht  spruchreif.  Erst 
müßten  wir  bestimmter  wissen,  wie  die  kleinasiatische,  die  antiochenische,  die  byzan- 
tinische Kunst  aussah,  wodurch  sich  eine  jede  unterschied  von  der  gemeinantiken 
Kunst,  alles  dies  unter  Berücksichtigung  der  Zeiten.1) 


Malerei. 

Wir  bringen  hier  die  Wandmalerei  außerhalb  der  Katakomben,  das  Mosaik,  die 
Goldgläser,  die  Miniatur,  alles  in  kürzester  Fassung,  nur  um  den  Lesern  die  Fäden  in 
die  Hand  zu  geben. 


*)  Eom:  Ciampini,  de  sacris  aedificiis  a  Constantino  Magno  constructis  1693.  Bunsen, 
Guttensohn  und  Knapp,  Die  Basiliken  des  christl.  Roms  1843.  Hübsch,  Die  altchristl.  Kirchen 
nach  den  Baudenkmalen  etc.  1862.  Mothes,  Baukunst  des  Mittelalters  in  Italien  1884.  Dehio  u. 
Bezold,  Kirchl.  Baukunst  d.  Abendlandes  I  1884.  Armellini,  Chiese  di  Borna  1887.  Holtzinger, 
Altchr.  Basiliken  in  Eom  u.  Ravenna  1898.  Marucchi,  l£l£ments  d'arche'ol.  chr^t.  III  Basiliques  et 
öglises  de  Rome,  Paris  1902.  —  Ravenna:  v.  Quast,  Die  altchristl.  Bauwerke  von  Ravenna  1842. 
Rahn,  Ravenna  1869.     C.  Ricci,  Ravenna  81900. 


Wandmalerei.  325 

Wandmalerei. 

Im  ersten  Bande  wurden  die  Malereien  der  Katakomben  besprochen,  die  im 
Ganzen  ältesten  und  zugleich  zahlreichsten,  die  römischen;  mit  herangezogen  wurde 
einiges  wenige,  mit  das  Beste,  aus  den  neapolitanischen.  Anderes  blieb  zurück,  was 
hier  nachgetragen  werden  soll.  Die  neapler  Plafonds  hatte  ich  als  Beispiele  der 
Deckenkomposition  verwertet  und  von  den  Einzelbildern  den  „Sündenfall"  als  das 
älteste  Exemplar  des  Typus.  Die  im  Scheitel  des  Plafonds  schwebende  „Siegesgöttin 
mit  Palmzweig"  deutet  hier  natürlich  auf  den  Sieg  über  den  Tod;  der  „Säemann"  ist 
leider  schon  als  Typus  problematisch,  die  „den  Turm  bauenden  Jungfrauen"  aber  sind's 
ihrer  Bedeutung  nach.  Mag  nun  der  Bau  einer  Gemeinde  oder  dem  Glauben  gelten, 
wenn  der  letzte  Gemeindezweck  auf  die  Erlösung  aus  dem  Tod  geht  und  der  ganze 
Christusglaube  ebendahin  zielt,  so  erklärt  sich  auch  dies  Bild  aus  den  christlichen 
Jenseitsgedanken.1) 

Von  den  sizilischen  Katakomben,  den  bedeutendsten  nach  den  römischen,  er- 
schien inzwischen  die  abschließende  Verarbeitung,  nach  Führers  zu  frühem  Tode  voll- 
endet und  herausgegeben  von  Schultze.  Ihre  merkwürdigen  Gräbertypen,  wie  die 
Baldachingräber,  seien  den  klassischen  Archäologen  hiermit  zur  Beachtung  empfohlen, 
auch  die  hier  zu  findenden  neuen  Momente  zur  Geschichte  des  Katakombenbaues  (für 
die  römischen  Katakomben  wird  sie,  wie  ich  bereits  im  ersten  Bande  bemerkte,  nur 
klarzustellen  sein,  wenn  erst  jede  Katakombe  für  sich  auf  ihren  allmählichen  Ausbau 
und  ihre  gleichzeitig  fortschreitende  künstlerische  Ausstattung  untersucht  sein  wird; 
dabei  wird  auch  der  Sinn  der  Malerei  besser  heraustreten,  als  aus  Wilperts  Vereini- 
gung aller).  In  den  sizilischen  Katakomben  blieb  von  den  einst  vorhandenen  Malereien 
nur  ein  Bruchteil  erhalten,  alles  aus  dem  vierten  Jahrhundert.  Die  Fülle  der  blühen- 
den Pflanzen,  in  der  Hauptsache  wohl  Rosen,  der  Girlanden,  dazu  auch  Weinranken 
kommen,  von  Vögeln  belebt,  dann  die  typisch  wiederkehrenden  Tauben  und  Pfauen, 
letztere  besonders  gern  und  besonders  farbig  gemalt,  die  Palmzweige  als  Bilder  des 
Siegs  über  den  Tod,  und  die  Palmbäume  als  die  spätantiken  Paradiesesbäume,  unter 
Girlanden  stehend  die  Oranten,  zwischen  Pfau  und  Taube,  oder  beim  guten  Hirten, 
dazu  die  Bettungen  aus  dem  Tod,  Jonas,  Daniel  zwischen  den  Löwen,  Lazarus  (dessen 
Mausoleum  hier  das  Kreuzeszeichen  trägt),  der  erst  jugendlich,  dann  bärtig  lockige 
Christus  zwischen  Paulus  und  Petrus,  eine  knieend  adorierende  Verstorbene  begrüßend 
oder  einer  anderen  in  den  Himmel  eintretenden  den  Kranz  des  Lebens  aufsetzend,  so- 
wie noch  andere,  zum  Teil  noch  nicht  ganz  aufgeklärte  Szenen  im  himmlischen  Para- 
dies, all  das  vergegenwärtigt,  wie  Schultze  richtig  interpretiert,  „die  blühenden  Gefilde 
der  Seligen,  in  denen  man  sich  die  Toten  vorstellte."  Ebendrum  aber  scheint  mir  die 
Resurrectio  mortuorum  ferner  zu  liegen.2) 

Eine  Gruft  zu  Alexandria  besteht  in  einem  oblongen  Vorraum  für  den  Toten- 
kult, mit  Apsis  in  der  einen  Schmalseite;  gegenüber  öffnet  sich  ein  Gang  mit  Schieb- 
gräbern;   wegen   dieser  den   Christen   ungewohnten   Grabform  vermutete  Schultze,    die 


*)  Neapel:  V.  Schultze,  Die  Katakomben  von  San  Gennaro  dei  Poveri  in  Neapel,  1877. 
2)  Jos.  Führer  u.  V.  Schultze,    Die   alten    Grabstätten    Siziliens    (Arch.  Jahrb.,  Ergänzungs- 
heft VII)  1907,  282. 


326 


Malerei. 


Gruft  sei  ursprünglich  von  einer  hellenistisch  jüdischen  Familie  angelegt.  In  der  einen 
Langseite  des  Vorraums  münden  Zugänge,  an  die  andere  schließt  sich  eine  Grab- 
kammer mit  drei  Sargnischen.  In  der  Apsis  läuft  eine  Bank  herum  und  über  ihr  in 
halber  Höhe  ein  gemalter  Fries  mit  Beischriften;  die  Malerei  ist  stark  mitgenommen 
und  scheint  stellenweise  übermalt.  Die  Szene  ist  im  Freien.  Der  in  der  Mitte 
thronende  Christus,  mit  Kreuznimbus,  segnet  die  von  „Petros"  und  „Andreas"  ge- 
brachten Speisen  (Brote  und  Fische);  die  vollen  Brotkörbe  stehen  zu  seinen  Seiten. 
Das  Thronen  des  die  Speisen  segnenden  Christus  fanden  wir  auch  an  einem  Sarkophag. 
Jederseits  folgt  nach  einem  die  Szenen  trennenden  Baume  noch  ein  Flügelbild,  je  ein 
Gelage  im  Grünen,  wieder  abgeschlossen  durch  einen  Baum.  Über  dem  rechts  steht 
rag  etkoyiag  xov  Xqiorov  io&iovreg,  „die  Danksagungen  des  Christus  Essende":  die 
„Danksagungen"  sind  die  Speisen,  über  die  der  Christus  den  Dank  sprach.  Im  linken 
Flügelbild  stand  noch  eine  nimbierte  Gestalt  beim  Gelage,  nach  der  Beischrift  Jesus; 
über  dem  Gelage  liest  man  dyla  Maq{t)a  (?)  und  über  noch  einer  Figur  itaidia,  wo- 
runter man  „Dienerschaft"  versteht;  das  Ganze  wird  auf  die  Hochzeit  zu  Kana  ge- 
deutet. Leider  ist  das  für  den  Kanatypus  Charakteristische  nicht  zu  erkennen,  die 
Gruppe  der  Weinkrüge  zu  Füßen  des  Christus.  Der  Fries  knüpft  an  die  Speisung 
der  Tausende  an,  gemeint  aber  ist  das  himmlische  Mahl.  Mit  Recht  warnt  Schultze 
vor  zu  früher  Datierung  des  Bildes;  spät  sind  vollends  die  übrigen  in  der  Katakombe 
gemalten  Gestalten.1) 

Nun  also  die  Wandmalerei  außerhalb  der  Katakomben.  Solche  hat  es 
im  christlichen  Altertum  mehr  gegeben,  als  die  wenigen  Reste  vermuten  lassen.  In 
der  schriftlichen  Überlieferung  kommt  gelegentlich  die  Rede  darauf;  es  sind  Ge- 
schichten aus  dem  alten  und  neuen  Testament,  und  Martyrien.  Wir  verzeichnen  kurz 
das  Erhaltene.  Zu  Rom  im  Hause  der  Märtyrer  Johannes  und  Paulus,  deren  Tod 
in  die  Zeit  des  Julianus  Apostata  gesetzt  wird,  finden  sich  zum  Teil  noch  rein  heid- 
nische Malereien,  Girlanden  von  Jünglingen  getragen  und  ähnliches  mehr;  die  Christen 
ließen  es  stehen,  als  neutrale  Dekoration.  Dann  finden  sich  Oranten  und  dergleichen 
mehr.  Eine  christliche  Hauskunst,  verschieden  von  der  Grabkunst,  hat  sich  nicht  ge- 
funden. Wohl  aber  Malerei  im  Dienste  des  Märtyrerkultes,  das  Martyrium  von  Cris- 
pus,  Crispinianus  und  Benedicta,  die  alle  drei  zugleich,  knieend  und  mit  verbundenen 
Augen,  enthauptet  werden.  Die  Darstellung  geht  einen  Schritt  weiter  als  die  der 
Martyrien  des  Petrus  und  des  Paulus  an  den  Sarkophagen,  oder  des  Achilleus  an  der 
Säule  in  S.  Petronilla;  es  bleibt  aber  immer  im  selben  Ideenkreis,  vom  Erlöser  und 
von  seinen  Gehilfen  und  Getreuen.  Seitdem  das  Christentum  seinen  Endzweck  in  die 
jenseitige  Seligkeit  setzte,  ordnete  sich  alles  unter  diese  eine  Idee,  der  neutestament- 
liche  Motivenschatz  ohne  weiteres,  der  alttestamentliche  aber  nicht  minder;  denn  der 
interessierte  die  Christen  ja  nur,  insofern  er  Symbole  und  Prototype  zu  den  christ- 
lichen Typen  abgab.2) 


*)  Wescher  und  de  Rossi,  Bull  crist.  1865,  57  m.  Taf.  1872,  26.  Schultze,  Katakomben  282. 
Kraus,  Gesch.  I  56  Fig.  17.  Leclercq  in  Cabrols  Dict.  I  1127  Fig.  279.  J.  P.  Richter  in  der 
Expedition  Ernst  Sieglin  I  1908  Kap.  V  konnte  ich  nicht  mehr  benutzen. 

9)  Johann  und  Paul:P.  Germano  di  S.  Stanislao,  Rom.  Quartalschr.  1888;  American.  Journ. 
Archaeol.  1890. 1892.  Hülsen,  Rom.  Mitteil.  1891, 107.  —  Von  den  Fresken  in  S.  Maria  Antiqua  wird 
die  unterste  Schicht  in  die  Zeit  der  Spätantike  gesetzt;  Joseph  Wilpert  gibt  die  Malereien  heraus. 


Mosaik.  327 

Darum  muß  auch  die  letzte  noch  übrige  Bildergruppe  sich  unter  dieselbe  Idee 
fügen,  die  in  der  Nekropole  El-Bagauat  in  der  großen  Oase,  nördlich  von  El-Kargeh. 
Von  den  an  zweihundert  Grabkapellen  aus  ungebrannten  Ziegeln,  die  im  Grundriß 
viereckig  auf  Pendentifs  eine  Kuppel  tragen,  haben  einzelne  ihre  Malereien  mehr  oder 
weniger  gut  erhalten.  Eine  ist  mit  biblischen  Szenen  geschmückt,  alten  und  neuen 
Testamentes;  Weinranken  füllen  die  Wölbung,  unterhalb  geht  die  Verfolgung  der  aus- 
ziehenden Israeliten  herum.  Unter  den  übrigen  Szenen  fällt  der  Zug  der  klugen 
Jungfrauen  auf.  Eine  andere  Kapelle  zeigt  in  der  Kuppel  rings  verteilt  zehn  Figuren, 
teils  auch  Gruppen,  die  Namen  sind  beigeschrieben:  der  Tür  gegenüber  Daniel  in  der 
Löwengrube,  zu  beiden  Seiten  folgen  weibliche  Personifikationen,  Friede,  Gebet  und 
Gerechtigkeit  (EiQijvrj,  Ev^q,  dLY.moGvvx]),  die  beiden  ersteren  als  Oranten,  die  Ge- 
rechtigkeit mit  Mauerkrone,  Füllhorn  und  Wage,  mithin  aus  bekannter  Typik  ent- 
wickelt. Außerdem  Isaaks  Rettung  vom  Opfertod,  mit  Sarah,  Adam  und  Eva,  Thekla 
und  Paulus  in  lebhaftem  Gespräch  sich  gegenübersitzend,  sie  mit  Diptychon,  endlich 
Maria,  Noah,  Jakob.  In  einer  dritten  Kapelle  ist  der  Tür  gegenüber  ein  Thronender 
gemalt,  dem  ein  Zug  Männer  zu  huldigen  scheint,  nach  einigen  der  Verstorbene,  nach 
andern  der  Christus.  Die  Anordnung  der  Kuppelmalerei,  soweit  sie  sich  der  Archi- 
tektur anschließt,  ebenso  die  Komposition  der  Hauptgestalten,  verrät  Zusammenhang 
mit  der  höheren  Kunst;  aber  die  Ausführung  ist  zum  Teil  von  einer  Kindlichkeit,  zu 
der  man  Analogieen  so  leicht  nicht  findet,  man  fühlt  sich  bisweilen  an  altkyprisches 
Gepinsel  erinnert.  In  gegenständlicher  Beziehung  will  beachtet  sein,  daß  die  Arche 
Noahs  nicht  mehr  ein  Kasten  ist,  sondern  ein  antikes  Schiff,  sogar  mit  recht  niedrigem 
Bord.  Alles  weist  auf  späte  Entstehung.  Die  in  so  mancher  Beziehung  eigenen 
Malereien  ordnen  sich  natürlich  auch  dem  Kreis  der  christlichen  Jenseitsgedanken 
unter;  wer  das  bezweifeln  sollte,  der  übersehe  nicht,  daß  es  tatsächlich  Grabmalereien 
sind.  Übrigens  vermag  ich  meine  Verwunderung  darüber  nicht  zu  unterdrücken,  daß 
gerade  katholische  Gelehrte  solche  Zweifel  äußern.1) 


Mosaik. 

In  der  Einleitung  S.  16  stellten  wir  fest,  die  Kunst  des  Mosaizierens  sei  viel- 
leicht durch  altorientalische  Techniken  vorbereitet  und  angeregt,  so  aber,  wie  sie  in 
der  „Alexanderschlacht"  und  andern  Meisterwerken  vorliegt,  sei  sie  eine  griechische 
Erfindung  hellenistischer  Zeit.  Im  Fußboden  entstanden  ging  das  Mosaik  später  auf 
Decken  und  Wände  über,  wegen  seiner  Widerstandsfähigkeit  gegen  Feuchtigkeit 
empfahl  es  sich  besonders  iür  Nymphaeen  und  Thermen.  Die  prächtigen  Mosaikbrunnen 
in  Pompeji,  Nischen  unter  Halbkuppeln  (Konchen)  sind  dafür  unsere  ältesten  Belege. 
Dann  findet  sich  Mosaik  in  der  Villa  Hadrians  zu  Tivoli,  an  Tonnen  und  Halb- 
kuppeln.    Aus   den  Thermen   aber  überkamen    es  die  christlichen  Baptisterien.     Halb- 


*)  Die  Nekropole  von  Bagauat  wurde  schon  von  früheren  Besuchern  der  großen  Oase  be- 
merkt und  beschrieben,  aber  publiziert  erst  bei  Wl.  de  Bock,  Matöriaux  pour  servir  a  l'archöologie 
de  l'^gypte  chr^tienne  1901.  Danach  Leclercq  in  Cabrols  Dict.  II  31  Fig.  1186—1189.  1191;  das 
Theklabild  eb.  I  2577  Fig.  850,  Noah  2714  Fig.  906.  907.  —  Über  verlorene  Wandmalereien,  ins- 
besondere zyklische,  vgl.  Kraus  Gesch.  I  383. 


328 


Malerei. 


kuppeln  waren  auch  die  Apsiden  der  Basiliken;  von  der  Apsis  aus  verbreitete  sich  das 
Mosaik  auf  die  übrigen  Flächen,  die  Triumphbogen  und  die  Wände.1) 

Die  stadtrömischen  Mosaiken,  die  bis  dahin  fast  nur  in  Umrißzeichnungen 
veröffentlicht  waren,  hat  de  Rossi  in  einem  großen  Werk  neu  herausgegeben;  die 
sorgfältig  gearbeiteten  farbigen  Steindrucke  vermitteln  soweit  eine  Anschauung  der 
Denkmäler.  Aber  es  sind  so  viele  Jahrhunderte  über  die  altchristlichen  Mosaiken 
hingegangen,  so  viele  Beschädigungen  und  Wiederherstellungen,  daß  der  Betrachter 
und  Bearbeiter  überall  Gefahr  läuft,  irregeführt  zu  werden,  wenn  ihm  nicht  eine 
kritische  Ausgabe  zur  Seite  steht.  De  Rossis  Tafeln  lassen  diesen  Tatbestand  nicht 
erkennen;  in  einzelnen  Textbildern  hat  er  durch  Schraffieren  der  ergänzten  Teile  da- 
von eine  Vorstellung  zu  geben  gesucht  (so  für  S.  Pudenziana).  Was  not  tut,  wäre 
eine  kritische  Prüfung  und  Neuedition  aller  Mosaiken;  einen  Anfang  solcher  Kritik 
hat  Joseph  Wilpert  in  S.  Maria  Maggiore  gemacht.  Bei  der  wissenschaftlichen  Wieder- 
gewinnung des  Ursprünglichen  sind  auch  in  diesem  Falle,  wie  bei  den  Sarkophagen, 
alte  Beschreibungen  und  Zeichnungen  zu  benutzen.  Selbst  ganz  zugrundegegangene 
Mosaiken  können  mit  solchen  Hilfsmitteln  wenigstens  im  Schema  wiedergewonnen 
werden.  —  Unsere  drei  Farbtafeln  geben  Proben,  nach  de  Rossi.  Das  Apsismosaik 
von  S.  Pudenziana,  das  der  klassischen  Kunst  noch  am  nächsten  steht,  zeigt,  wie  die 
christliche  Malerei  in  das  Mosaik  überging;  hier  ist  noch  Naturgefühl  und  Lebens- 
gefühl, die  Gestalten  und  Architekturen  heben  sich  von  einem  wolkigen  Himmel  ab; 
das  aufgesetzte  Gold  dient  zur  Hervorhebung  und  wirkt  idealisierend:  der  thronende 
Christus  wirkt  in  seinem  Kreise,  wie  der  Zeus  des  Phidias  in  dem  der  Heiden  wirkte 
[Taf.  1].  Das  andere  Apsismosaik,  aus  der  Vorhalle  des  lateranischen  Baptisteriums, 
ebenfalls  im  älteren  Stil  bleibend,  gibt  in  sattblauem  Grunde  grüne  Ranken,  auch  sie 
mit  Gold  gehöht  [Taf.  2].  Die  dritte  Tafel  dagegen  zeigt  die  spätere  Weise,  die  Dar- 
stellung sich  von  einem  idealen  Goldgrund  abheben  zu  lassen;  es  ist  der  Triumph- 
bogen von  S.  Paolo  fuori.  Wer  die  dritte  Tafel  mit  der  ersten  vergleicht,  wird  zu- 
gleich den  Fortgang  in  der  Erstarrung  bemerken,  in  der  ganzen  Anordnung  wie  in 
der  Zeichnung  [Taf.  3].2) 

In  den  Katakomben  fanden  sich  nur  vereinzelte  Mosaiken;  dagegen  bilden  solche 
den  Hauptschmuck  der  Kirchengebäude.  Ein  kritisches  Verzeichnis  der  römischen 
Mosaiken  aufzustellen  ist  noch  nicht  an  der  Zeit;  wir  müssen  uns  begnügen,  einiges 
Wichtigere  zu  nennen,  tunlichst  in  zeitlicher  Folge.  S.  Costanza,  Baptisterium  und 
Mausoleum  zugleich,  entstanden  in  den  fünfziger  Jahren  des  vierten  Jahrhunderts. 
Das  Kuppelmosaik,  1620  zerstört,  liegt  in  älteren  Abbildungen  vor;  in  offenbarem  An- 
klang an  die  Bestimmung  der  Rotunde  lief  rings  ein  von  allerlei  Getier  und  angelnden 


»)  Mosaik:  v.  Sybel,  Weltgesch.  1888,  320;  2329.  378.  409.  Gauckler  in  Daremberg-Saglios 
Dict.  III  2  Musivum  opus  (auch  separat:  La  mosaique  antique  1904).  —  Winnefeld,  Villa  Hadrians 
51  zu  Taf.  3  D  Kanopus.  —  Christliche  Mosaiken:  Garrucci,  Storia  IV.  Kraus,  EE  II  419; 
Gesch.  I  399.  Schultze,  Archäologie  197.  Kaufmann,  Handbuch  449.  Leclerq,  Manuel  II  193. 
Beißel,  Bilder  aus  d.  Gesch.  d.  altchr.  Kunst  u.  Liturgie  1899,  118.  Zimmermann,  Giotto  I  1899. 
Jacoby,  Das  geograph.  Mosaik  von  Madaba  1905,  8  Verzeichnis  syrischer  Mosaiken. 

a)  Stadtrömische  Mosaiken:  Ciampini,  Vetera  monimenta  1690.  1699.  a1747.  de  Bossi, 
Musaici  cristiani  1872—1900.  E.  Müntz,  La  mosaique  chrötienne  pendant  les  premiers  siecles 
(Mem.  Soc.  antiq.  France  1891—92).  Über  verlorene  Mosaiken:  Derselbe,  American  Journal 
Archaeology  1900. 


Mosaik.  329 

Putten  belebtes  Gewässer  herum,  eingefaßt  vom  Ufer  mit  figürlichen  Szenen;  Fels- 
klippen im  Wasser  trugen  eine  Art  Kandelaber  oder  Säulen,  aus  Akanthus  und 
menschlichen  Gestalten  aufgebaut,  aus  ihnen  erwuchs  das  Ranken  werk  der  Gewölb- 
kuppe. In  dies  Rahmenwerk  waren  alt-  und  neutestamentliche  Szenen  gestellt.  Er- 
halten sind  die  Mosaiken  des  Umgangs,  abwechselnd  Weinlese  und  Teppichmuster.  — 
S.  Pudenziana,  Apsismosaik  aus  den  neunziger  Jahren  des  vierten  Jahrhunderts, 
leider  rings  beschnitten.  Der  thronende  Christus»  inmitten  der  Zwölf,  hinter  denen 
zwei  Frauen,  wohl  S.  Pudentiana  und  S.  Praxedis,  ihre  Lebenskränze  darbringen,  im 
himmlischen  Jerusalem.  Hinter  dem  Christus  ragt  eine  hohe  goldne  Crux  gemmata, 
auf  dem  Berg  stehend,  in  den  Himmel  (vielleicht  nach  dem  Vorbild  der  auf  Golgatha 
errichteten),  in  dem  die  Evangelistentiere  schweben;  von  oben  reichte  die  Hand 
Gottes  herein.  Unten  senkte  sich  die  Taube  nach  dem  Lamm  Gottes  zwischen  den 
zwölf  Schafen  [Taf.  1].  —  S.  Rufina  e  Seconda,  ursprünglich  die  eine  Endexedra 
der  Vorhalle  des  lateranischen  Baptisteriums;  das  Mosaik,  goldgehöhte  Ranken  auf 
blauem  Grund,  stammt  aus  dem  fünften  Jahrhundert  [Taf.  2].  —  S.  Sab i na  auf  dem 
Aventin.  An  der  Eingangs  wand  die  zwei  Personifikationen,  Ecclesia  ex  circumcisione 
und  Ecclesia  ex  gentibus  (von  Bischof  Coelestin  422 — 432).  —  S.  Maria  Maggiore. 
Über  den  Säulen  des  Mittelschiffs  alttestamentliche  Szenen,  links  aus  der  Patriarchen- 
geschichte von  Abraham  bis  Jakob,  rechts  aus  dem  Zug  der  Israeliten  nach  Kanaan 
unter  Moses  und  Josua;  nach  der  gewöhnlichen  Meinung  aus  dem  fünften  Jahrhundert, 
von  der  neueren  Kritik  dem  vierten  zugeschrieben.  Am  Triumphbogen,  mit  Beziehung 
auf  die  431  vom  Konzil  zu  Ephesos  verkündete  Prädizierung  der  Maria  als  Gottes- 
gebärerin  durch  Sixtus  IV  geschaffen:  im  Scheitel  der  Götterthron  des  Christus  in 
Nimbus,  zwischen  den  Apostelfürsten  und  den  Evangelistentieren,  in  den  Zwickeln 
Szenen  aus  der  Kindheitsgeschichte,  zum  Teil  aus  Apokryphen;  u.  a.  sitzt  der  Christus- 
knabe bei  der  Huldigung  der  Magier  nicht  auf  dem  Schoß  der  Mutter,  sondern  auf 
einer  Art  Bisellium.  die  Mutter  sitzt  zur  Seite,  hinter  ihm  stehen  vier  geflügelte  Engel 
als  Protektoren;  im  Zwickel  rechts  wird  der  Christusknabe  in  Ägypten  als  neuer  Gott 
begrüßt.  Das  Apsismosaik,  Krönung  der  Maria,  rührt  von  Torriti  her  (1295),  die 
Predelle  mit  neutraler  Darstellung  hält  Wickhoff  für  Nachbildung  eines  Originals  des 
vierten  Jahrhunderts.  —  S.  Agata  dei  Goti  (in  Subura),  Apsismosaik  aus  etwa  460, 
zerstört,  in  Zeichnung  erhalten.  Der  Christus  thront  auf  blauer  Sphaira  zwischen  den 
Zwölfen;  es  ist  immer  noch  Leben  und  Bewegung  in  der  Komposition.  —  S.  Paolo 
fuori,  der  Triumphbogen  (von  Leo  dem  Großen  440 — 460  und  Galla  Placidia;  die 
Komposition  ist  bewahrt,  doch  besteht  alles  nur  in  Reparaturen).  Im  Scheitel  ge- 
waltiges Medaillon  des  bärtigen  Christus,  in  Strahlen,  zwischen  den  Evangelisten- 
tieren; in  den  Zwickeln  die  vierundzwanzig  Ältesten  und  die  Apostelfürsten  [Taf.  3]. 
—  S.  Cosma  e  Damiano,  Triumphbogen  (Schöpfung  Felix'  IV.  526  —  530).  Das 
Lamm  mit  dem  Buch  ruht  vor  dem  Kreuz  auf  dem  Altar,  zwischen  sieben  Leuchtern, 
vier  Engeln  und  den  Evangelistensymbolen;  darunter  wieder  die  vierundzwanzig 
Ältesten,  die  ihre  Lebenskronen  darbringen.  Apsis:  die  Hand  aus  Wolken  hält  einen 
Kranz  über  dem  auf  Wolken  stehenden  (das  Mosaik  hat  Blaugrund)  kolossalen  Christus 
in  langem  Haar  und  Bart.  Tiefer  stehen  die  zwei  Apostelfürsten,  auch  sie  in  weißem 
Gewand;  sie  führen  die  zwei  Titularheiligen  der  Kirche  beim  Christus  ein.  Dabei 
steht  hüben  noch  ein  Heiliger,  drüben  Bischof  Felix  mit  dem  Kirchenmodell,  beider- 
seits   ein  Palmbaum,    auf  dem    einen  sitzt   der  Phönix.     Die  Komposition  ist  streng 


330  Malerei. 

symmetrisch,  alle  Gestalten  stehen  frontal.  In  der  Predelle  das  Lamm  zwischen  den 
zwölf  Schafen,  die  aus  Jerusalem  und  Bethlehem  kommen.1) 

Der  Christus  zwischen  den  Apostelfürsten  oder  den  Zwölfen,  öfter  auch  im 
himmlischen  Jerusalem,  das  waren  feststehende  Typen  auch  in  der  späteren  Sarkophag- 
skulptur; die  Übereinstimmung  zwischen  Skulptur  und  Mosaik  geht  so  weit,  daß  die 
Frage  aufgeworfen  werden  konnte,  ob  nicht  jene  von  diesem  abhängig  sei.  Wir 
mußten  die  Frage  vorläufig  offen  lassen;  aber  so  viel  ist  klar,  daß  den  Christus- 
szenen dieser  Art  unmöglich  diesseitige  Bedeutung  beigelegt  werden  kann,  auch  nicht 
in  der  Skulptur;  die  in  den  Mosaiken  hinzutretenden  apokalyptischen  Elemente  schließen 
vollends  jeden  Zweifel  aus. 

Man  muß  die  Mosaiken  in  den  Basiliken  selbst  sehen ,  in  den  Basiliken ,  deren 
geistigen  Schwerpunkt  der  Altar  bezeichnet  mit  der  Hostie.  Die  alttestamentlichen 
Szenen  über  den  Säulen  des  Mittelschiffs,  wde  in  S.  Maria  Maggiore,  haben  nur  vor- 
bereitende Bedeutung,  die  Geschicke  Israels  im  alten  Bund  haben  da  nur  Sinn  als 
Prototype  der  Erlösung  im  neuen.  Der  Triumphbogen  aber  kündet  schon  das  Reich 
an,  das  sich  durch  den  Altar  erschließt,  das  Reich  im  Himmel.  Dieses  selbst  aber 
schaut  in  der  Apsis  hinter  dem  Altar,  deren  Wölbung  das  Himmelsgewölbe  selbst  vor 
Augen  führt,  sei  es  im  Blau  des  natürlichen  Himmels  oder  im  Goldton  des  ewigen 
Lichtes.  Da  nun  thront  der  Herr  des  Himmels  und  der  Erlöser,  im  himmlischen 
Jerusalem,  über  dem  Halbkreis  seiner  Apostel,  oder  er  sitzt  auf  der  Himmelskugel 
selbst,  oder  endlich  er  steht  im  paradiesischen  Palmenhain  in  erhabener  Größe,  mit 
großer  Gebärde,  nicht  lehrend,  sondern  (es  ist  die  Geberde  der  Largitio)  einladend, 
gewährend,  eine  Lichtgestalt  wie  in  der  Verklärung,  begleitet  von  zwei  anderen  lichten 
Gestalten,  die  freilich  nicht  mehr  Moses  und  Elias  sind,  sondern  die  Apostelfürsten, 
und  sie  führen,  ein  uraltes  religiöses  Motiv  erneuernd,  zwei  Verstorbene  zum  Christus 
in  den  Himmel  ein.  Das  ist  das  Endziel  des  christlichen  Kultus  und  ist  der  einzige 
Inhalt  der  christlichen  Kunst  auch  im  Kultusgebäude. 


*)  Götterthrone  kommen  öfter  vor,  in  Eeliefs,  meist  mit  den  Attributen  des  Gottes:  auf 
dem  Thron  des  Zeus  sitzt  ein  Putto  mit  dem  Blitz,  Graeven,  Mon.  Piot  1899,  170  Taf.  15;  Putten 
bringen  Dreizack  und  Muschel  zum  verhängten  Thron  des  Poseidon,  in  S.  Vitale  zu  Eavenna, 
Alinari  n.  10250;  Bogen,  Köcher  und  Schlange  liegen  auf  dem  Thron  des  Apollo,  Sammlung  Lans- 
downe,  Mon.  V  1851  Taf.  28;  wieder  bringen  Putten  Sichel  und  Zepter  zum  Thron  des  Kronos, 
Clarac  218,  156  (auch  in  Venedig,  Valentinelli,  Marmi  scolpiti  124).  Vgl.  auch  die  vielen  Throne 
in  der  Pompe  Ptolemaios'  II  bei  Athenaeus  V  202a,  auf  denen  Binden,  Kränze,  Hörner  lagen; 
offenbar  waren  sie  bestimmten  Personen  geweiht,  Göttern  oder  vergötterten  Verstorbenen  wie 
Ptolemaios  Soter.  Der  leere  Thron  auf  dem  Globus  des  farnesischen  Atlas  gilt  als  Thron  des 
Zeus  oder  als  der  Caesaris  thronos  Plin  II  178  (Thiele,  Antike  Himmelsbilder  1898,  41.  Boll, 
Münch.  Akad.  Sitz.  1899,  77.  Heiberg,  DLZ  1900,  418).  Zur  Anbringung  der  Attribute  ohne  den 
Gott  vgl.  die  römische  Sitte,  die  Exuvien  der  Götter  oder  göttergleich  geehrter  Personen  in  der 
Pompa  vom  Capitol  zum  Circus  maximus  zu  fahren,  Marquardt-Wissowa,  Rom.  Staatsverwaltung  III 
509.  Staehlin,  Rom.  Mitteil.  1906,  377  betr.  die  Thensa  Capitolina.  Doch  haben  wir  auf  das  Ge- 
samtproblem der  Götterthrone  hier  nicht  einzugehen,  auch  nicht  auf  die  Frage,  ob  Reichel,  Vor- 
hellenische Göttervorstellungen  1897  den  Begriff  Götterthrone  zu  weit  ausgedehnt  habe  (vgl.  z.  B. 
Budde,  Theol.  Stud.  u.  Krit.  1906,  489  War  die  Lade  Jahves  ein  Thron?).  —  Das  Hauptattribut  des 
Christusthrones  ist  das  Kreuz,  in  S.  Maria  Maggiore  und  sonst.  Der  byzantinische  Ausdruck  für 
ihn  ist  Etimasie  (svoi/xaala  xov  öqovov  nach  Ps.  89,  15,  Swete  II  331).  Siehe  Kraus,  RE  I  432. 
Zimmermann,  Giotto  I  5,  1.  13,  1. 


Mosaik.  331 

Einen  reichen  Schatz  altchristlicher  Mosaiken  besitzt  Ravenna.1) 
Das  Baptisterium  der  Orthodoxen  (425,  S.  Giovanni  in  fönte)  zeigt  in  den 
unteren  Zwickeln  Selige  zwischen  prächtigen  Goldranken,  in  dem  uns  schon  bekannten 
schönen  satten  Blaugrund.  Das  Kuppelmosaik  scheint  etwas  späteren  Ursprungs.  Am 
Fuß  der  Kuppel  zieht  sich  eine  Art  Metopenfries  herum;  in  dessen  durch  Säulen  ge- 
gliederten Feldern  wechseln  vier  Christusthrone  mit  vier  Altären,  auf  denen  die 
Evangelien  aufgeschlagen  liegen.  Darüber  folgt  eine  breitere  Zone  mit  den  Zwölfen 
und  im  Scheitelbild  die  Jesustaufe  im  Jordan.  Man  weiß,  durch  die  Taufe  ist  der 
Christ  heilig  und  somit  eigentlich  schon  selig.  —  Sodann  das  Mausoleum  der  Galla 
Placidia  (um  450,  später  erhielt  es  den  Titel  S.  Nazario  e  Celso).  Es  führt  den 
sattblauen  Grund  ganz  durch,  schmückt  die  Bogenlaibungen  mit  schweren  Frucht- 
girlanden, andere  Flächen  mit  Ranken.  Im  Figürlichen  ist  das  ansprechendste  die 
Lünette  mit  dem  in  Landschaft  inmitten  seiner  Herde  sitzenden  guten  Hirten;  das 
Gemälde  trifft  den  empfindsamen  Ton  des  vierten  Evangeliums.  —  Aus  Theodorichs 
Zeit  stammt  das  Baptisterium  der  Arianer  (S.  Maria  in  Cosmedin);  erhalten  blieb 
das  Kuppelmosaik,  in  der  Anlage  dem  orthodoxen  folgend:  im  Zenit  die  Jordantaufe, 
rings  die  zwölf  Apostel,  hier  aber  nicht  mehr  durch  Akanthuskandelaber,  sondern 
durch  Palmbäume  voneinander  getrennt;  zwischen  die  zwei  vordersten  ist  einer  der 
früheren  vier  Christusthrone  gestellt.  —  Die  Basilika  S.  Martinus  in  coelo  aureo 
(später  S.  Apollinare  nuovo).  Nur  die  Mosaiken  der  Langwände  erhielten  sich.  Unter 
der  Decke,  über  den  Fenstern  reihen  sich  neutestamentliche  Szenen,  links  Wunder  des 
unbärtigen  Jesus,  noch  in  der  schlichten  Art  der  Katakomben  und  Sarkophage,  rechts 
figurenreiche  Szenen  aus  der  Passion  (doch  ohne  die  Kreuzigung)  mit  bärtigem  Jesus. 
Zwischen  den  Fenstern  einzelne  Selige,  sie  wie  jene  Szenen  aus  Theodorichs  Zeit.  An 
dem  Hauptfries  über  dem  Architrav  scheinen  verschiedene  Zeiten  gearbeitet  zu  haben. 
Jetzt  sieht  man  zwei  lange  Züge,  rechts  einen  Zug  seliger  Männer,  ausgehend  vom 
Palatium  und  mündend  vor  dem  thronenden  bärtigen  Christus,  links  einen  Zug  seliger 
Frauen,  ausziehend  von  Classis  und  unter  Führung  der  Magier  anlangend  vor  dem 
Christkind  auf  dem  Schoß  der  Mutter;  die  zwei  Throne  sind  umstellt  von  je  vier  ge- 
flügelten Engeln.  Nur  die  beiden  Enden  der  Friese  gelten  als  ursprünglich  (aus 
Theodorichs  Zeit),  doch  sind  auch  sie  alteriert;  die  Seligen,  unter  Palmbäumen,  fallen 
stark  gegen  alles  Frühere  ab,  sie  scheinen  in  der  Spätzeit  Justinians  von  Bischof 
Agnellus  interpoliert;  die  Königsköpfe  der  Magier  sind  mittelalterliche  Fälschung.  — 
S.  Vitale,  erbaut  in  der  letzten  Ostgotenzeit,  erhielt  seinen  Mosaikschmuck  erst  unter 
der  byzantinischen  Herrschaft;  erhalten  ist  nur  der  des  Presbyteriums.  An  der 
Laibung  des  Triumphbogens  stehen  übereinander  Medaillons  mit  Apostelbildern.  Die 
Schildwände  des  Altarhauses  füllen  auf  den  Opferdienst  bezügliche  Bilder,  Bewirtung 
der  drei  Engel  durch  Abraham  und  Opferung  Isaaks,  die  Opfer  Abels  und  Melchi- 
sedeks;  an  der  Decke  schwebt  das  Lamm  in  Medaillon,  getragen  von  vier  Engeln. 
Die  Seitenwände  der  Apsis  nehmen  realistische  Darstellungen  ein  (natürlich  im  starren 
Frontalstil  des  sechsten  Jahrhunderts),  der  Einzug  des  Kaisers  Justinian  in  die  Kirche, 


*)  Ravenna:   Eicci,    Ravenna   s1900.  Richter,  Mosaiken  von  Ravenna  1878.     Richter  and 

Taylor,    Golden    age    of   Christian    art    1890.  Redin,    Mosaiken  der  ravennatischen  Kirchen  1896 

(russisch,  vgl.  Strzygowski,  DLZ  1898,  129).  Kurth,    Die  Mosaiken  der  christlichen  Aera,  I    Die 
Wandmosaiken  von  Ravenna  1902. 


332  Malerei. 

unter  Vortritt  des  Klerus,  gegenüber  der  Einzug  der  Kaiserin  Theodora;  Kaiser 
und  Kaiserin  bringen  der  Kirche  kostbare  Geschenke,  goldene  Vasen.  An  der  Apsis- 
wölbung  aber  der  jugendliche  Christus  auf  der  Kugel  thronend,  zwischen  zwei  Engeln, 
einem  Heiligen  und  dem  Bischof  Ecclesius  mit  dem  Kirchenmodell.  —  Endlich 
S.  Apollinare  in  Classe.  Erhalten  sind  nur  die  Mosaiken  des  Presbyteriums:  rechts 
drei  prototypische  Opfer  in  einem  Rahmen,  Melchisedek  zwischen  Abel  und  Abraham; 
das  Bild  links,  eine  Zeremonie  in  der  Art  des  kaiserlichen  Einzugs  in  S.  Vitale,  kam 
erst  im  siebenten  Jahrhundert  hinzu.  In  der  Apsis  zwischen  den  Fenstern  fünf  ver- 
storbene Bischöfe  von  Ravenna,  an  der  Wölbung  der  verklärte  Christus,  vertreten 
durch  das  Kreuz  im  Sternenhimmel,  verbunden  mit  Elementen  der  mythischen  Vor- 
wegnahme der  Verklärung,  auf  Tabor,  nämlich  den  aus  Wolken  hervortretenden 
Halbfiguren  des  Moses  und  Elias  und  dreien  Schafen  als  Vertretern  der  drei  be- 
teiligten Jünger,  Petrus,  Johannes  und  Jakobus.  An  Sarkophagen  waren  zum  Christus 
zwischen  den  Aposteln  in  verschiedener  Weise  die  Verstorbenen  hinzugefügt,  an  einem 
gallischen  Sarkophag  an  den  Enden,  an  römischen  in  kleiner  Gestalt  zu  Füßen  des 
Christus;  wenn  an  deren  Stelle  in  den  späteren  Mosaiken  (Cosmas  u.  Damian,  S.  Vi- 
tale, Apollinare  in  Classe)  Titularheilige  der  Kirche,  Stifter  und  Donatoren  treten,  so 
ändert  das  selbstverständlich  nichts  an  der  jenseitigen  Idee  des  Kultus,  des  Hauses, 
der  Bilder. 


Ein  Wort  zur  Technik  sei  nachgetragen.  Das  Fußbodenmosaik,  in  dem  die 
ganze  Technik  entstand,  setzte  sich  aus  Würfelchen  von  farbigen  Steinen  zusammen. 
Das  Aussuchen  von  Gesteinen  in  den  verlangten  Farbtönen  machte  viel  Umstände; 
mancher  Ton  war  nur  schwer  oder  gar  nicht  zu  beschaffen.  Da  half  das  farbige 
Glas;  mit  blauen,  grünen  und  gelben  Tönen  hatte  der  Glasschmelz  angefangen,  mit  der 
Zeit  lernte  man  ihm  jede  gewünschte  Farbe  zu  geben.  So  begreift  man,  daß  die 
Mosaizisten  mehr  und  mehr  nach  den  Glasstiften  griffen.  Das  fing  schon  in  der 
frühen  Kaiserzeit  an,  wohl  im  Zusammenhang  mit  dem  Übergang  des  Mosaiks  auf 
Wände  und  Gewölbe;  das  altchristliche  Wand-  und  Gewölbemosaik  war  durchaus 
Glasmosaik.  Auf  diesem  Wege  ließ  sich  auch  Gold  verarbeiten.  In  der  Kaiserzeit 
liebte  man  den  Glanz;  je  mehr  das  feinere  Kunstempfinden  schwand,  desto  höher 
schätzte  man  die  starke  Wirkung.  Die  Goldstifte  bestanden  aus  Glas,  dem  ein  kleines 
Goldblatt  aufgelegt  wurde;  ein  durchsichtiger  Glasüberfang  schützte  das  Gold. 

Diese  Technik  hängt  mit  einer  andern  zusammen,  deren  Erzeugnisse  eine  be- 
sondere Klasse  der  altchristlichen  Kunstdenkmäler  ausmachen,  die  Goldgläser.  Es 
sind  eher  kleine  Glasscheiben,  die  als  Böden  von  Schalen  dienten,  bisweilen  auch  von 
Bechern.  Man  belegte  sie  mit  Goldblatt,  in  das  mit  der  Nadel  Zeichnungen  eingeritzt 
oder  ausgeschabt  wurden.  Ein  Glasüberfang  diente  zum  Schutz.  Die  meisten  dieser 
Schalenböden  fanden  sich  in  den  Katakomben ,  sie  waren  beim  Verschließen  der 
Gräber  in  den  noch  feuchten  Mörtel  eingedrückt  worden;  einige  wurden  außerhalb  der 
Katakomben  gefunden,  in  weitem  Zerstreuungskreise  bis  in  das  Rheinland.  De  Rossi 
glaubte  sie  nur  im  vierten  Jahrhundert  entstanden,  neuere  Untersuchungen  verteilen  sie 
in  die  reichlich  drei  Jahrhunderte  vom  Ende  des  zweiten  bis  in  das  sechste  Jahr- 
hundert; die  Masse  bleibt  der  zweiten  Hälfte  des  vierten.  Mit  heidnischen  Dar- 
stellungen feinerer  Zeichnung  beginnend  gehen  sie  immer  entschiedener  zu  christlichen 


Miniatur.  333 

im  Verfallstil  über.  Die  Bilder  haben  mehr  antiquarischen  als  Kunstwert;  für  die 
Kunstgeschichte,  vorzüglich  die  Typengeschichte,  können  sie  in  dem  Maße  —  wenn 
auch  immer  nur  bescheiden  —  fruchtbar  werden,   als  ihre   exakte  Datierung  gelingt.1) 


Miniatur. 

Die  Illustration  von  Handschriften  wurde  zuerst  im  alten  Ägypten  geübt. 
Hauptbeleg  ist  das  in  älteren  und  jüngeren  Rezensionen  vorliegende  Totenbuch;  es 
war  eminent  praktisch  gemeint,  als  ein  Vademekum  für  den  Verstorbenen  im  Jenseits. 
Daneben  kommen  die  Tierfabeln  in  Betracht,  der  neunzehnten  Dynastie  zugeschrieben, 
die  humoristischen,  vielleicht  auch  satirischen  Darstellungen  wie  Katzenundrattenkrieg, 
Verkehrte  Welt.  Alle  altägyptischen  Illustrationen  sind  mit  dem  Schreibrohr  auf 
Papyrus  gezeichnet,  nur  weniges  wurde  mit  Farbe  angegeben. 

Wie  früh  die  Griechen  ihre  Handschriften  zu  illustrieren  anfingen,  wissen  wir 
nicht,  einstweilen  kommen  wir  höchstens  in  die  hellenistische  Zeit  zurück.  Die  helle- 
nistische Kunst  wurde  dann  im  Gesamtgebiet  der  hellenistischen  Kultur  auch  für  die 
Buchillustration  maßgebend,  die  somit  im  Ganzen  einheitlich  war,  vielleicht  lokal  ab- 
getönt. Daß  Griechen  den  hellenistischen  Juden  ihre  Bibel  illustrierten,  vor  der 
christlichen  Zeit,  ist  freilich  nur  Hypothese;  zur  Voraussetzung  hat  sie  eine  zweite 
Hypothese,  daß  nämlich  die  hellenistischen  Juden  das  mosaische  Bilderverbot  nicht  in 
allgemein  bilderfeindlichem  Sinne  verstanden.  Diese  zwei  Hypothesen  angenommen 
wagt  man  die  dritte,  die  alttestamentlichen  Bilder  der  Christen,  wie  sie  zuerst  in  den 
Katakombenmalereien  monumental  auftreten,  seien  von  jenen  hellenistisch  jüdischen 
Bibelillustrationen  abgeleitet.  Da  nun  aber  schon  die  frühesten  Katakombengemälde, 
wie  der  Noah  oder  der  Daniel  in  der  „Flaviergalerie"  des  Coemeterium  Domitillae, 
nicht  Historien,  sondern  Symbole  des  christlichen  Vertrauens  sind,  so  bedarf  es  noch 
der  vierten  Hypothese,  bereits  die  hellenistisch  jüdischen  Bibelillustrationen  seien  nicht 
Historien  gewesen,  sondern  ebenfalls  Symbole.  Es  liegt  auf  der  Hand,  daß  ein  Noah- 
bild  im  Sinne  einer  Historie  komponiert  ganz  anders  aussehen  würde,  als  der  symbo- 
lische Noahtyp  der  Katakomben. 

Die  erhaltenen  illustrierten  Handschriften  heidnischen  oder  doch  profanen  oder 
neutralen  Inhalts  stammen  frühestens  aus  der  Kaiserzeit ,  meist  erst  aus  dem  Mittel- 
alter; man  glaubt  aber,  daß  ihre  Bilder  überwiegend  auf  ältere  Vorlagen  zurückgehen. 
Die  äußere  Form  der  Handschriften  war  wie  bekannt  ursprünglich  die  Rolle  (Volumen), 
später  das  Buch  (der  Codex),  das  Material  früher  Papyrus  (Charta),  dann  Pergament 
(Membrana).  Die  Illustrationen  wurden  nicht  als  Buchschmuck,  sondern  lediglich  zu 
sachlicher  Veranschaulichung  des  im  Texte  Gesagten  ihres  Ortes  eingeschaltet,  ohne 
Initialen  oder  Randornamentik;  außer  den  eigentlichen  Erläuterungsbildern  zum  Texte 
gab  es  höchstens  Autorenbilder  und  Widmungsblätter. 

Vor  allem  wurden  solche  Werke  illustriert,  welche  die  Veranschaulichung  des 
Textes  am  nötigsten  hatten,  Werke  zur  Geometrie  und  Mechanik,  Astronomie,  Feld- 


*)  Goldgläser:  Buonarroti,  Osservazioni  sopra  alcuni  frammenti  di  vasi  antichi  di  vetro 
1716.  Garrucci,  Vetri  ornati  di  figure  in  oro  1864;  Storia  III.  Vopel,  Die  altchristlichen  Gold- 
gläser (Joh.  Fickers  Archäol.  Stud.  V)  1899.     Kisa,  Das  Glas  im  Altertum  III  Kap.  10. 


334  Malerei. 

messerkunst,  Medizin  und  Botanik,  Chirurgie.  Doch  wurden  auch  Dichter  illustriert, 
wie  Homer,  Terenz,  Vergil,  ferner  die  äsopischen  Fabeln,  auch  Romane.  Dabei  kennen 
wir  nur  zufällig  Erhaltenes;  den  ganzen  Reichtum  an  Illustrationen,  dessen  sich  die 
alte  Literatur  erfreute,  vermögen  wir  nicht  zu  übersehen.1) 

Obschon  die  vorerwähnten  Handschriften  alle  unter  der  Herrschaft  des  Christen- 
tums entstanden,  so  pflegt  man  doch  eine  besondere  Klasse  christlicher  illustrierter 
Handschriften  zu  konstituieren.2) 

An  ihre  Spitze  wird  der  Chronograph  von  354  gestellt;  das  künstlerische 
Verdienst,  sicher  am  Titelblatt,  gehört  demselben  Griechen  Furius  Dionysius  Filo- 
calus,  der  dem  römischen  Bischof  Damasus  die  Vorzeichnung  zu  den  von  ihm  in  den 
Krypten  der  Katakomben  angebrachten  Epitaphien  lieferte.  An  Bildern  erhielten  sich 
(in  Kopien  zweiter  Hand):  die  Hauptstädte  Rom,  Alexandria,  Konstantinopel  und  Trier, 
eine  auf  den  Schild  schreibende  Viktoria,  die  Natales  Caesarum  und  fünf  Planeten- 
bilder, alles  in  architektonischen  Rahmen,  die  Monatsbilder,  endlich  die  Bilder  der 
Konsuln  des  Jahres,  Constantius  II  Aug.  und  Constantius  Gallus  Caes.  Ihre  sorgfältig 
wiedergegebene  Tracht  scheint  die  Trabea  B  zu  sein,  die  Graeven  um  400  ansetzte, 
während  man  ihm  zufolge  für  354  eher  die  Tracht  A  erwarten  sollte;  dieser  Punkt 
bedarf  noch  der  Aufklärung.  Daß  die  Bilder  der  Handschrift,  insbesondere  die  zwei 
Fürstenbilder,  bei  allem  durch  die  verschiedene  Technik  bedingten  Auseinandergehen 
viel  Verwandtschaft  mit  den  Konsulardiptychen  besitzen,  hat  man  längst  bemerkt.  — 
Wir  lassen  den  Papyrus  GolenischefP  folgen,  dessen  Inhalt  Strzygowski  als  eine 
alexandrinische  Weltchronik  aus  dem  früheren  fünften  Jahrhundert  bestimmt, 
endigend  mit  der  Zerstörung  des  Serapeions  392  und  dem  Tode  seines  Zerstörers,  des 
Patriarchen  Theophilos,  412;  die  Abschrift  soll  nicht  viel  jünger  sein.  —  Kosmas 
Indikopleustes  war  ein  weitgereister  Kaufmann,  der  sich  in  ein  Kloster  des  Sinai 
zurückzog  und  um  547  eine  „Christliche  Topographie"  schrieb,  mit  dem  besonderen 
Zweck,  eine  christliche  physikalische  Geographie  in  Kurs  zu  bringen,  wie  er  es  ver- 
stand; wieweit  die  vorliegenden  Handschriften  die  ursprüngliche  Gestalt  wiedergeben, 
ist  fraglich.  —  Der  Physiologus,  ein  in  phantastischen  Auslegungen  sich  ergehendes 
Tier-  und  Pflanzenbuch,  liegt  nur  in  mittelalterlichen  Rezensionen  vor;  doch  wird  an- 
genommen, daß  am  letzten  Ende  Altchristliches  zugrunde  liege.8) 


*)  Illustrierte  Handschriften:  Wattenbach,  Schriftwesen  s1896,  350.  Thiele,  de  anti- 
quorum  libris  pictis  1897.  Bethe,  Deutsche  Literaturzeitung  1906,  187.  de  Vries,  Codices  graeci  et 
latini  photogr.  depicti.  Kondakoff,  Hist.  de  l'art  byzantin  I  1886,  65.  Sittl,  Archäologie  der 
Kunst  1895  780.  —  Zur  Astronomie:  Notices  et  extraits  des  manuscrits  XVIII,  2  1864. 
Thiele,  Antike  Himmelsbilder  1898.  Boll,  Münch.  Akad.  Sitz.  1899.  Medizin  und  Botanik: 
Swarzenski,  Jahrb.  d.  pr.  Kunstsamml.  1902,  46.  Diez,  Byz.  Denkm.  III  1903,  3  Der  wiener 
Dioskurides.  v.  Premerstein,  Jahrb.  d.  Kunstsamml.  des  Ah.  Kaiserhauses  1903,  105  Taf.  21.  — 
Homer:  Mai,  Iliadis  fragmenta  antiquiss.  cum  picturis  1819.  Wickhoff,  Wiener  Genesis  1895, 
95  Taf.  E.  —  Terenz:  Leo,  Ehein.  Mus.  1883,  345.  Dieterich,  Pulcinella  1897,  209.  Bethe, 
Archäol.  Jahrb.  1903,  93.  Graef,  Archäol.  Anzeiger  1904,  77.  —  Vergil:  Wickhoff,  Wiener  Genesis 
95  Taf.  DE.  Traube,  Strena  Heibig.  1900,  307.  —  Aesop:  Thiele  bei  de  Vries,  suppl.  III, 
Leiden  1905. 

2)  Christliche  Miniaturen:  Garrucci,  Storia  III.  Kondakoff,  Hist.  de  l'art.  byzantin. 
Schultze,  Archäologie  186.  Kraus,  Gesch.  I  447.  Kaufmann,  Handbuch  474.  Leclercq,  Manuel  II 
599.    Beißel,  Vatikanische  Miniaturen  1893.     Stuhlfauth,  Engel. 

3)  Chronograph:  Strzygowski,  Calenderbilder  des  Chronographen  vom  Jahre  354  (Archäol. 


Miniatur.  335 

Als  kirchlichen  Charakters  darf  man  die  illustrierten  Bücher  des  alten  und  des 
neuen  Testamentes  bezeichnen.  Wir  wissen  bereits,  daß  sie  sich,  als  im  christlichen 
Kultus  gebraucht,  ganz  in  den  Dienst  dieses  Kultus  stellten.  Aus  dem  Psalter,  ganz 
wie  aus  den  Propheten,  hörten  die  Christen  nur  den  Schrei  nach  der  Erlösung,  sie 
natürlich  nicht  nach  der  Erlösung  ins  irdische,  sondern  ins  himmlische  Jerusalem.  Die 
Erzählungen  des  alten  Testaments  hatten  für  sie  keine  andere  Bedeutung  als  die  von 
Prototypen  der  christlichen  Erlösung  ins  himmlische  Paradies;  eben  diese  war  für  sie 
der  erste  und  letzte  Inhalt  der  Evangelien  und  Epistel. 

Der  Psalter  war  von  Anfang  an  in  den  Händen  der  Christen,  mag  auch  ver- 
hältnismäßig früh  mit  Bildern  ausgestattet  worden  sein.  Bessere  Handschriften  lassen 
vermuten,  daß  ihre  Bilder  von  Originalen  der  christlichen  Antike  abstammen,  so  der 
David,  der  Jesaias  des  Paris,  gr.  139.  Der  Utrechter  Psalter  wird  der  karolingischen 
Renaissance  verdankt.  Ein  serbischer  Psalter  des  fünfzehnten  Jahrhunderts  mag  im 
letzten  Grunde  auf  die  Spätantike  zurückgehen  und  darin  seine  eigentümliche  kunst- 
geschichtliche Bedeutung  besitzen,  aber  er  gehört  zu  dem  Letzten,  was  der  klassische 
Archäologe  zu  berücksichtigen  hat.1) 

Die  geschichtlichen  Bücher  des  alten  Testaments  bilden  die  zweite  Haupt- 
gruppe der  kirchlichen  illustrierten  Handschriften.  Eine  Sonderstellung  nimmt  die 
vatikanische  Josuarolle  ein,  das  einzige  Volumen  unter  den  illustrierten  Handschriften. 
Verwandt  den  die  kaiserlichen  Triumphalsäulen  in  Spiralen  umziehenden  Friesen  schildert 
es  in  kontinuierender  Darstellung  die  Geschichte  Josuas.  Die  Komposition  wird  auf 
ältere  Vorbilder,  etwa  des  sechsten  Jahrhunderts,  zurückgeführt.  —  Alle  andern  Hand- 
schriften dieser  Klasse  sind  Codices.  Die  quedlinburger  Bruchstücke  der  Itala,  in 
Berlin,  setzt  man  in  das  vierte  Jahrhundert.  Die  wiener  Genesis  wird  bald  in  das 
vierte,  bald  in  das  sechste  Jahrhundert  gesetzt,  die  Cottonbibel  in  London,  mit 
lateinischem  Text,  ins  fünfte  oder  sechste.  Der  Ashburnham-Pentateuch  hat  eben- 
falls lateinischen  Text,  ist  daher  wie  die  Cottonbibel  im  Abendland  angefertigt,  läßt 
aber  trotzdem  die  wiederkehrende  Frage  offen,  aus  welchem  antiken  Kunstkreise  seine 
Vorbilder  stammten.2) 

Endlich  die  illustrierten  Evangeliare.  Dazu  gehören  auch  die  Synopsen  der 
Parallelstellen,  die  sog.  Kanon  es  des  Eusebius;  zwei  sehr  schöne  Blätter  derart  besitzt 
das  British  Museum  (Add.  5111).  Die  ältesten  Fragmente  eines  Evangeliars,  des 
sechsten  Jahrhunderts,  aus  Sinope,  erwarb  die  Bibliotheque  nationale  zu  Paris.  Dem 
sechsten  Jahrhundert  wird  der  Codex  Rossanensis  zugeschrieben,  von  andrer  Seite 
freilich    erst   dem  achten  oder  neunten.     Das  Original  des  armenischen  Evangeliars  zu 


Jahrb.,  Ergänzungsh.  I)  1888.  —  Weltchronik:  Ad.  Bauer  u.  Jos.  Strzygowski,  Eine  alexandri- 
nische  Weltchronik  (Wien.  Akad.  Denkschr.  LI)  1905.  Frick,  Byz.  Zeitschr.  XVI  632.  —  Kosmas: 
Mc  Crindle,  Christian  topogr.  of  Cosmas,  London  1897.  —  Physiologus:  Strzygowski,  Bilderkreis 
des  griechischen  Physiologus  (Byz.  Archiv  II)  1899. 

x)  Serbisch:  Strzygowski,  Die  Miniaturen  des  serbischen  Psalters  der  K.  Hof-  u.  Staats- 
bibliothek in  München  (Wien.  Akad.  Denkschr.  LH)  1906.     Frick,  Byz.  Zeitschr.  XVI  644. 

2)  Itala:  V.  Schultze,  Die  quedlinburger  Itala-Miniaturen  der  K.  Bibliothek  zu  Berlin,  Frag- 
mente der  ältesten  christlichen  Buchmalerei  1898. —  Genesis:  Hartel  u.  Wickhoff,  Die  Wiener 
Genesis  1895.  Poppelreuter,  Kritik  der  wiener  Genesis,  zugleich  ein  Beitrag  z.  Gesch.  d.  Unter- 
gangs der  alten  Kunst.  —  Ashburnham:  0.  v.  Gebhardt,  The  miniatures  of  the  Ashburnham- 
Pentateuch,  London  1883.     Strzygowski,  Orient  oder  Rom  32. 


336  Malerei. 

Etschmiadzin  setzt  Strzygowski  in  die  erste  Hälfte  des  sechsten  Jahrhunderts,  die 
vorliegende  Kopie  rührt  aus  dem  Jahre  989  her.  Das  syrische  Evangeliar  der  Lauren- 
tiana  wurde  586  von  Rabulas  ausgemalt.1) 

Schon  die  vorstehende  knapp  gehaltene  Übersicht  läßt  erkennen,  daß  einige  der 
illustrierten  Handschriften  datiert  sind,  daß  die  Chronologie  der  anderen  aber  um  so 
weniger  sicher  steht.  Dazu  kommt  die  Komplikation,  daß  wir,  auf  die  Erkenntnis  der 
christlichen  Antike  gerichtet,  uns  in  den  meisten  Fällen  nicht  für  die  Bilder  der  vor- 
liegenden Handschriften  selbst  interessieren,  sondern  für  ihre,  bisweilen  weit  zurück- 
liegenden Originale.  Dabei  bleibt  nicht  bloß  die  Ursprungszeit  der  letzteren  fraglich, 
sondern  auch  die  Art  der  Überlieferung  von  Original  zu  Kopie.  Die  bisherige  For- 
schung hat  sich  selbstverständlich  immer  auch  um  die  Chronologie  der  von  ihr  jeweils 
untersuchten  Handschriften  bemüht,  ebenfalls  um  die  Erschließung  der  Originale  ihrer 
Bilder,  ihr  Hauptinteresse,  ihr  eigentlich  treibendes  Interesse  aber  blieb  der  anderen 
Frage  zugewandt,  aus  welchem  Kunstkreise  die  vorliegenden  Bilder  oder  ihre  Originale 
stammten.  Um  diese  Frage  dreht  sich  seit  langem  die  wissenschaftliche  Erörterung 
auch  der  Miniaturen,  ob  sie  römisch  seien  oder  byzantinisch,  neuerdings  aber,  unter 
Strzygowskis  Führung,  ob  nicht  vielmehr  kleinasiatisch,  alexandrinisch  oder  syrisch, 
wenn  nicht  vielleicht  oberägyptisch  oder  sinaitisch. 

Ohne  Zweifel  muß  das  Ziel  der  Forschung  dahin  gehen,  festzustellen,  wie  sich 
die  künstlerische  Tätigkeit  einer  jeden  Epoche  auf  die  überhaupt  in  Frage  kommenden 
Kunststätten  verteilte,  wie  groß  zu  einer  gegebenen  Zeit  der  Anteil  einer  jeden  war 
und  in  welcher  Richtung  sie  Neues  förderte  oder  auf  die  andern  wirkte,  und  wie  der 
Schwerpunkt  des  Kunstschaffens  sich  von  Epoche  zu  Epoche  verschob.  Aber  auch 
für  die  Miniaturen  gilt,  wie  für  die  übrigen  Kunstzweige,  daß  alle  solche  Forschung 
nur  auf  der  Grundlage  einer  gesicherten  Chronologie  —  und  zwar  der  sämtlichen 
antiken  Miniaturen,  der  profanen  wie  der  kirchlichen  —  zu  Ergebnissen  gelangen 
kann,  auf  die  Verlaß  ist. 

Es  wird  nötig  sein,  die  gesamte  Kunstgeschichte  der  alten  Kaiserzeit,  von  Cäsar 
bis  Justinian,  von  Grund  aus  ganz  neu  aufzubauen,  in  ruhiger,  erschöpfender  und 
exakter  Arbeit.  Architektur,  Skulptur  und  Malerei  umfassend,  ganz  besondere  Sorgfalt 
aber  der  Geschichte  des  Ornamentes  zuwendend.  Es  wird  Sache  der  klassischen 
Archäologen  sein,  die  große,  aber  fruchtbringende  Arbeit  in  die  Hand  zu  nehmen. 
Mit  der  frühen  Kaiserzeit  beginnend  (von  dem  unerläßlichen  Zurückgreifen  auf  die 
vorkaiserliche  Kunst  nicht  zu  reden)  werden  sie  durch  die  Zeiträume  vordringen  bis 
ans  Ende.  Dann  wird  auch  den  ihres  Wertes  gewiß  nicht  ermangelnden  Beobachtungen 
und  Hypothesen  der  Kunsthistoriker  ihr  Recht  werden.  Und  es  wird  erst  dann  sich 
darüber  reden  lassen,  welcher  Kunstart  die  führende  Rolle  zukam,  ob  z.  B.  der  Miniatur 
gegenüber  den  anderen  darstellenden  Techniken,  insbesondere  der  Fresko-  und  der 
Mosaikmalerei;    das  Verhältnis  konnte  zu  verschiedenen  Zeiten  auch  ein  verschiedenes 


x)  Evangeliare:  Beißel,  Gesch.  d.  Evangelienbücher  i.  d.  ersten  Hälfte  d.  Mittelalters  1906.  — 
Sinope:  Omont,  Notices  et  extraits  des  manuscrits  XXXVI  1901,  699.  Mon.  Piot  VII,  1900,  175 
Taf.  16  —  19.  Leclercq  gibt  zu  Cabrols  Dict.  I  3332  eine  Farbtafel  mit  der  Heilung  der  Blinden. 
—  Bossanensis:  v.  Gebhardt  u.  Harnack,  Evangeliorum  cod.  graec.  purp.  Bossanensis  1880.  Hase- 
loff, Die  Miniaturen  der  griech.  Evangelienhandscbrift.  in  Bossano  1898.  Funk,  Kirchengesch. 
Abh.  I  1897.  Strzygowski,  Kleinasien  200;  Byz.  Zeitschr.  1902,  668.  —  Etschmiadzin:  Strzy- 
gowski, Das  Etschmiadzin-Evangeliar  (Byz.  Denkm.  I)  1891. 


Miniatur.  337 

sein.     Für  jetzt  lassen  sich  über  diese  Fragen  wieder  nur  Hypothesen  aufstellen,  Er- 
kenntnisse werden  wir  später  gewinnen. 

Mancher  Leser  dieses  Buches  wird  zum  Schlüsse  eine  Typik  der  christlichen 
Antike  erwartet  haben.  Vermißten  einige  sie  doch  schon  im  ersten  Band,  obwohl 
dort  nur  von  den  Katakombenmalereien  die  Rede  war;  da  skizzierten  wir  die  Typik 
ihrer  Szenen  und  Gestalten,  wie  wir  in  diesem  zweiten  Bande  die  der  Sarkophagbilder 
entwarfen.  Eine  zusammenfassende  Typik  der  altchristlichen  Bilder  aus  allen  Kunst- 
zweigen zu  schreiben  würde  vielleicht  der  und  jener  christliche  Archäologe  oder  Kunst- 
historiker schon  heute  bereit  sein;  der  klassische  Archäologe  kann  sich  das  noch  nicht 
erlauben.  Erst  muß  der  solide  Aufbau  der  Kunstgeschichte  der  Kaiserzeit  weiter  ge- 
fördert, muß  die  Chronologie  der  christlichen  Denkmäler  gesichert  sein.  Die  bisher 
versuchten  Ansetzungen  der  Ursprungszeiten  und  Ursprungsorte  haben  im  besten  Falle 
den  Wert  wissenschaftlicher  Hypothesen,  noch  nicht  denjenigen  von  Erkenntnissen. 
Helfen  kann  da  nur  die  Akribie  der  klassischen  Philologen  und  Archäologen.  Fasse 
jeder  zu,  wo  es  ihm  liegt.     Er  wird  Arbeit  finden. 


Sybel,  Christliche  Anüke  II. 


22 


Register. 


Ägypten  222  293  308 

322 
Afrika,  Nord-  220  295 

323 
Ajasin  316 
Alexandria  17  325 
Altmann    43    170    175 

176  177 
Ancona  45  65  92  116 

124  138  139  156  190 
Antiocheia  313 
Aosta  232 
Arezzo  47 
Arles  207 
Armenien  293 
Athen  37  55    106   320 

Erechtheion  320 

Parthenon  320 

Theaeion  320 
aus'm  Weerth  229 

Babuda  277 

Barett  s.  Mütze 

Basel  243 

Bassus  44  58  60  61  98 
109  115  139  143  146 
151  162  178  194 

Baumstark  152 

Bayet  197 

Benndorf  84 

Berlin  55  57  154  188 
233  234  237  239  241 
244  251  253  259  260 

Besancon  232 

Bethlehem  308 

Binbirkilisse  277  308 
316 

Birt  79  87  92  152 

Bisellinm  152 

Bologna  235  239  243 
251 

Bonn  253 


Bosnien  277  320 
Bottari  40 
Bourges  235 
Bresciall5152  232  235 

238  246 
Brüssel  241 
Brunn,  H.  283 

Campli  49  127 
Chlamys   (Sagum)    189 
Civita    Castellana    60 
135  142  146  149  188 
Concordia  53  160  196 
Cremona  242 
Crostarosa  283 
Crowfoot  277  321 
Crum  223 
Curtiusrelief  191 

Dalmatien  37 
Darmstadt  232  252 
Dehio  283 
Delphi  320 

Durchbrochenes  Orna- 
ment 319 

Ebers  2  223 
El-Bagauat  327 
England  241 
Esra,  S.  Georg  314 
Etimasie  330 
Etschmiadzin  245  336 
Euelpiste  167 
Euhodus  172 

Fermo  60  126  129  148 

188 
Ficker,    Joh.    38    122 

127  128  132  146  148 

153  159  166  192  219 
Flachornament  319 
Flächenverzierung     13 

16  30 


Flechtband  3  5  44  201 

206  218 
Flechterei  73 
Florenz    235    239   240 

252  261 
Frick  152 
Frontansicht  106 
Führer,  Jos.  325 
Fusignano  196 

Gallien  207 

Garucci  37  40  122  127 

128  146  148  152  153 

161  175  216 
Gayet  223 
Genf  261 
Goldgläser  332 
Goldmann  197 
Goldschmidt  257 
Gori  229 
Graeven   123    144   167 

229  231  248 
Grousset  38  146 
Grotten,  s.  Peterskirche 
Gunkel  136 

Halberstadt  235 
Hannover  251  253 
Hauck  283 
Hekler  84  169  186 
Hellenismus  15 
He*ron  de  Villefosse 

220  229 
Herzegowina  277  320 
Hippolytos,  Bischof  93 
Holtzinger  290 
Hülsen  114  185 

Jedikapulu  277 
Jensen,  Peter  9 
Jerusalem,  Grabkirche 
279  310  322 


Johannesevangelium 

100  140  142  144  1241 
Jüdische  Kunst  109 

Kämpfer  318 
Kairo  222  228  259 
Kapitell,  Korinthisch  15 

53  318 

theodosianisch58  318 
Kaufmann,  C.  M.  42  322 
Kautzsch,  E.  291 
Kawerau  12 
Keele  Hall  251 
Kertsch  252  262 
Kinkel  283 
Kleinasien    23    36    55 

292  295  308  321 
Koncha  52  55  56  59  60 

61   199  204  205  210 

223  Abb.  60  63  233 

236  238  239  240  241 

242  244  248 
Konstantin  278 
Konstantinsbogen    182 

191  215 
Konstantinopel  36  226 

Apostelkirche       279 
316 

Sergius  und  Bacchus 
314 

Sophienkirche      196 
314 

Studios'      Johannes- 
kirche 321 
Kopenhagen  114  174 
Kopftyp  vollhaarig  160 
Koptische  Kunst  222 
Kraus ,    Franz    Xaver 

24  137   191   223  283 

284 
Kreuser  285 
Kunsthistoriker  18 


Register. 


339 


Iia  Gayolle  207 
Lange,  Konrad  288 
Le  Blant  207  216 
Leiden   59   61   71    132 

142  149  188 
Le  Puy  234 
Liverpool  233  234  235 

236  237  288 

Livia  Primitiva  166  173 

Livorno  252 

London  233  234  236 

237  240  246,  247  251 
Lucca  232 

Madrid  261 

Mailand  45  74  117  124 

138  146  147  152  156 

189  193  196  233  234 

236  240  241  243  257 

262 

S.  Lorenzo  313 
Mantua  45  64  111  138 

189 
Marchi  37 
Martyrium  des   Achil- 

leus  147  192 
Marucchi  38  161  167 
Matthaei  94 
Mau  62 

Menas  Heiligtum   322 
Meßmer  283 
Meyer  aus  Speier   229 
Mitius  114 
Molinier  229 
Monogramm  188  276 
Monza  236  238 
Mosaik  16  222  272  327 
München  242 
Mütze  120  142  241 
Muschel  in  Architektur 

s.  Koncha 

Neapel  325 
Nissen,  Heinr.  304 
Nocera  311 
Novara  237 
Numidien  309 
Nyssa  316 

Offizier  156  189  213 
Olympia  320 
Ornament  1  49  336 
Osimo  52  104  136  195 

196 
Oviedo  234 

Palermo  146  188 


Paris  45  47  64  70  72  86 
103  116  124  133  135 
142  156  174  188  189 
190  232  233  234  236 
288  242  245  251  252 
253  255 

Pergamon  321 

Persische  Kunst  13 

Perugia  60  75  91  151 
188 

Pesaro  85  187  251 

Petersburg  232  236 
237  251 

Petersen  260 

Petrus,  Marmorsitzbild 
93,  Bronzen  260 

Phoenix  155 

Pisa  44  47  49  61  84 
103  119  174  177 

Porphyrsärge  226 

Porto  Torres  100  106 

Prag  236 

Priene  321 

Prost  207 

Puchstein  9  285 

Ravenna  196  244  247 
255 
Apollinare  in  Classe 

332 
Apollinare  nuovo 

331 
Galla  Placidia  Mau- 
soleum 316  331 
S.  Giovanni  in  Fönte 

314  331 
S.  Maria  in  Cosme- 

din  314  331 
Theodorich,   Mauso- 
leum 317 
S.  Vitale  313  331 
Reber  283 

Relief    flächig,     rings 
unterschnitten      184 
194  198  258 
Renaissance,        antike 

186 
Riano  49  187 
Richter,  J.  P.  283 
Riegl  19  144  167  176 
180  192  194  197  223 
Robert  170 
Roccella    di    Squillace 

308 
Römische  Kunst  17  22 
37 


Rom  17  21  262  277 

S.  Agata  dei  Goti  829 

S.  Agnese  135 

S.  Andreas  u.  S.  Pe- 
tronilla  309 

Campo   santo  39  49 
50  73  81  83  86 
103    111    114    119 
130143  146156180 

S.  demente  292 

Coem.  Callisti  1  39 
52  74  83  86  91  124 
130   133    166    174 
177  193 
Sakramentskapelle 

A8  80 
S.  Sixtus  308 
S.  Soteris  308 

Coem.  Domitillae  39 
Bas.  Petronillae  39 
47  49  52  91 

Coem.  Priscillae  39 
52 

S.  Cosma  e  Damiano 
329 

S.  Costanza  311  328 

Flcole  francaise  49 

Esquilin  52 

S.  Giovanni  e  Paolo 
326 

Institut,  Archäol.  140 

Kircherianum  39  133 
153 

Lateran ,  Baptiste- 
rium  313 

S.  Lorenzo  44  75  133 
195 

Marcellustheater    48 

S.  Maria  Antiqua  47 
86  91  96  99  101 
114  138  173 

S.  Maria  Maggiore 
328  329 

S.  Maria  del  Priorato 
47 

Mausoleum  der  He- 
lena 309 

Pal.  Barberini  235 
Conservatori  48  69 
70  102  174  Corsetti 
92  Farnese  48  Ron- 
danini 91  104  114 
176 

S.  Paolo  fuori  329 

Peterskirche  39  45  49 
59  72  82  86  99  188 


268  Grotten  89  45 

61  68  72  87  124  141 

146  149  156  157  190 

S.  Pietro  in  vincoli 

149 
Porta  S.  Lorenzo  61 
S.  Prassede  292 
S.    Pudentiana    146 

157  329 
S.  Rufina  e  Seconda 

329 
S.  Sabina  258  329 
S.    Stefano    rotondo 

311 
Stroganoff  242 
S.  Symphorosa  308 
Thermenmuseum   53 

139  252 
Vatikan  133  135  142 
146  226  228  243  252 
262 
Villa  Albani  61  Car- 
pegna    61      Doria 
Pamfili  81  114  119 
Ludovisi  53  57  81 
160  187  Medici  174 
Rossano  335 
de  Rossi   100  104  106 
138  161  163  166  222 
283  328 
Rouen  240 

Salerno  103 

Salona  44  52  53  75  93 
187  192 

Saloniki  37.  H.  Dimi- 
trios320.EskiDschu- 
ma  320.  H.  Georgios 
309  320 

Sarkophage  36  römisch 
70 

Sarkophagreliefa,  heid- 
nisch antike  38  41 

Saturninus  u.  Musa  85 

Schlumberger  249 

Schmarsow  286 

Schmid  136  137  138 

Schultze,  Viktor  39  94 
107  122  127  128  139 
162  223  250  283  325 

Sella  castrensis  201  cu- 
rulis  92  112  115  126 
141  150  152  197 

Sens  238 

Sevilla  106 

Sinai  259 

22* 


340 


Kegister. 


Sitten  252 

Sizilien  325 

Smirnov  321 

Sohag  322 

Spanien  219 

Sparta  37  106 

Springer  284 

Stroganoff  157 

Strong  169 

Strzygowski  26  31  55 
62  84  101  109  123 
152  160  168  194  198 
222  224  226  228  248 
249  285  305  321 

Stuhlfauth  229  310 

Syrakus  69  112  122  124 
126  192 

Syrien  292  293  295  308 
322 


Tarsos  114 

Tektonik  12 

Thiersch,  Herrn.  4  32 
84  108  113  131 

Throne,  Christus-  329 
331.    Götter-  330 

Tiefendunkel  30 194319 

Toga  contabulata  (pic- 
ta)  78  91  184  187 
189  192  209  214  231 
249  253  254  259 

Tolentino  45  64  74  81 
103  136  138  145  189 

Tongern  241 

Trabea  s.  Toga 

Trier  215  248  249  255 

Triest  238 

Tunis  262 

Tusculum  61  145  195 


Unger  310 
Urlichs  283 

Velletri   124    125    128 

133  175 
Venedig  228 
Verhülltes  Antlitz  216 

Hände  152 
Verona  44  64  111  126 

133  135  152  155  187 

233 

de  Waal  39  40  92  116 
122  123  129  144  152 
159  162  166  179  191 

Weingärtner  283 

Weis  -  Liebersdorf  104 
158  159  168 

Wendland  129  136 


Werden  251 

Wernicke  136 

Wickhoff  21  194 

Wien  237  239  252 

Wilpert  91  135  144  150 
163  167  213  231  328 

Wiranschehr  316 

Wittig  39  43  61  92 
114  123  125  127  135 
138  141  142  149  159 
161  168  185 

Witting  286  291 

Wölben  294  306  Back- 
steingewölbe 16  307 

Wulff  197 

Zestermann  283 
Zürich  232 


Lateran,  Museo  cristiano. 


Marucchi,      Guida 

1898. 
n.  1    83 

26  49  82  132  187 
37  74  81  99 
70 A  49  52  71  81 
72  96 
74  74 

77  50  83  99 

78  74 

152  A  95  139 

169  A  65  146 

169  B  146 

181  46  67  85  91  103 

167  173 
183  A  44  70  72  99  103 

194 
216  59  154 

Fickee,    Altchrist- 
liche    Bildwerke 

1890. 
n.  1    59  154 
9    49  83  103 
11    74  96 
18    71  74  81 
29     103 


30  99 

34  85 

35  92 

39  96 

40  86  115 

41  96 
47  67 

53  112 

54  96 

55  69  81  92  110  121 
124  130  132  134  142 
143  149  167  168  177 

60  96 

62  96 

63  102 

65  96 

66  67  81  102  103  104 
72  49  52  69  71  81 

81  96 

83  74  96 

88  50  83  99  103 

99  83 

103  104 

104  69  81  96  110  121 
126  127  129  130  132 
134  135  136  142  161 
166  167  168  192 


106  60  67  144  147 
155  168  188 

108  49  69  81  102  121 
130  187 

109  103 

110  60  99 

111  64  118  191 

112  130 

113  96  154 

114  113 

115  67  129 

116  85129131142193 
117,1  95 

117,4  95 

118  102  103 

119  92  96  100  101 
102  113  120  123  130 
150  166  167  174  194 

120  96 

121  129  136 

122  49  135 

123.3  151 

123.4  103 

124  84  110  136  152 

125  65  68  132  133 
140  190 

126  74  81  96  136 


127  85  130  132  134 

128  819199102104177 
132  188 

134  112  113 

135  70  110  112  113 
116  121  122  128  129 

132  135  193 

136  96  111  126  134 

137  110  116  136 

138  60  142  188 

139  102 
141  102 

143  102 

144  49  86  103  104 

145  67 

146  125  130  132  134 

147  81 

148  86  121  130  133 
134  135  137 

149  67  70  117 

150  74  81  85  96  99 
102  104 

151  58  67  141  144 
148  152  155  188 

152  60  70  74  96  112 
115  116  123  124  126 

133  134 


Register. 


341 


153  49 

154  50  81  96  125  142 

155  60  132  134  135 
142  154  188 

156  100  106 

157  66  74  115  134 

158  100 

159  113  115  187 

160  85  132  135 

161  70  74  81  86  99 
112  122  125  130  134 
135 

162  110  130  140  147 
153 

163  49  84  86  103  104 

164  115  127  146  147 
168  188 

165  74  95 

166  130132134135142 

167  86 

168  67 

171  60'  99  144  145  146 
188 

172  91  95 


173  121  132  135  154 

174  44  58  7172  92  116 

120  133  142  144  150 
151  157  168  181  183 
276  304 

175  69  81  92  110  121 
124  130  132  133  134 

142  150  192 

176  113  124  125  136 

177  102  104  154 

178  69  81  110  115  118 

121  126  132  133  134 
135  168  192 

179  66  85  111  131  133 
134  135 

180  83121129132134 
140 

181  44  70  72  99  103 
194  226 

182  81  84  112  113 

183  83  123  131  137 

143  148 

184  81  86  99  110  121 
124130132134135192 


186  126  129  130  132 
135  140 

187  110  192 

189  81  84  HO  121  124 
126  131  132  133  134 
135  140  142 

190  67  84  110  121  134 
137 

191  52  125  128  129  132 
133  134  192 

192  112  192 

193  83126127  130132 
135  193 

194  67  84  157 

195  60  111  131  133 

198  70  117 

199  138 

202  65 

203  81  99 

204  138 

205  112 

206  112 

209  74  102 

210  81 


212  81  110  134  136 
140 

214  49  81  99 

215  102 

219  85  135  142  193 

222  132 

223  93 

224  52  71  72  103 

225  96 

227  122 

228  61  74  81  96  99 
102  187 

230  81 

233  96 

234  96  110 

235  49 

236  86  113 

239  96 

240  102 

241  74  96 

242  71 
247  96 


N.  G.  Elwert'sche  Verlagsbuchhandlung,  Marburg  in  Hessen. 


Im  Jahre  1906  erschien: 


Christliche  Antike. 

Einführung  in  die  altchristliche  Kunst 


von 


Ludwig  von  Sybel. 

Erster  Band. 

Einleitendes.  —  Katakomben. 
Mit  4  Farbtafeln  und  55  Textbildern. 


Preis:  broschiert  M.  7.—,  gebunden  in  Ganzleinen  M.  8.50. 


Christliche  Antike  —  damit  ist  gesagt,  daß  die  altchristliche  Kunst  nicht  etwa  als  etwas  völlig 
Neues  im  Gegensatz  zur  Antike  entstand;  auch  kann  sie  nicht,  als  wäre  sie  von  ihr  abgeleitet,  deren 
Tochter  heißen;  sondern  sie  war  antike  Kunst  selbst,  ein  integrierendes  Glied  derselben,  deren  letzte 
Entwicklungsstufe.  In  der  altchristlichen  Kunst,  wie  diese  nun  beschaffen  sein  mochte,  vollendete  die 
Antike  ihre  Bahn,  genau  so  wie  die  Religionsgeschichte  des  Altertums  in  das  Christentum  als  ihr  ge- 
schichtlich notwendiges  Endergebnis  auslief.  Diese  Einsicht,  der  Altertumswissenschaft  mit  Einschluß 
der  klassischen  Archäologie  eigentlich  selbstverständlich,  hätte  längst  zu  der  Folgerung  führen  müssen, 
die  altchristliche  Kunst  nicht  wie  herkömmlich  als  Einleitung  zur  mittelalterlichen  und  neueren  Kunst 
zu  behandeln,  sondern  als  Schlußkapitel  der  Kunstgeschichte  des  Altertums,  ohne  welches  diese  als 
Torso  ohne  Kopf  umgeht.  Es  galt  mithin,  sie  als  Ganzes  in  den  Aufgabenkreis  der  klassischen 
Archäologie  hereinzunehmen.  In  diesem  Sinne  hatte  sie  der  Verfasser  bereits  in  seinem  „Grundriß" 
eingeordnet  (Weltgeschichte  der  Kunst  im  Altertum,  2.  Aufl.  1903),  um  das  dort  Skizzierte  nun  in  der 
»Christlichen  Antike"  auszuführen.  Der  erste  Band  ist  den  Katakomben  gewidmet,  vorzüglich  ihren 
Malereien,  welche  greifbar,  für  manche  vielleicht  überraschend,  das  eine  vor  Augen  stellen,  was,  bei 
aller  Kompliziertheit  der  christlichen  Idee  als  der  Universalreligion,  den  Christen  der  römischen  Kaiser- 
zeit ihr  Christentum  schließlich  bedeutete.  Weil  das  Christentum  nun  aber  nicht  bloß  religions- 
geschichtliches Objekt,  sondern  lebende  Religion,  daher  ihre  Erforschung  fortdauernd  der  Trübung 
durch  konfessionelle  und  andere  Weltanschauungsvorurteile  ausgesetzt  ist,  so  sucht  der  Verfasser  in 
einer  ersten  Einleitung  über  „Glauben  und  Forschen"  für  diese  seine  Arbeit  wie  für  das  ganze  geistige 
Sein  auf  längst  gegründeten  Fundamenten  eine  dem  Streit  der  „Weltanschauungen"  entrückte  Position 
zu  gewinnen. 

Als  Leser  denken  wir  uns  außer  Theologen  vor  allem  die  klassischen  Philologen  und 
Archäologen,  von  den  Religions-  und  den  Kunsthistorikern  nicht  zu  reden.  Bei  dem  wieder  zunehmenden 
Interesse  für  die  allgemeinen  und  tiefergreifenden  Fragen  aber  hofft  das  Buch  auch  weiteren  Kreisen 
der  Gebildeten  etwas -zu  bieten;  es  ist  flüssig  geschrieben,  der  gelehrte  Apparat  wurde  in  die  Fuß- 
noten verwiesen. 


Brouze  aus  dem  Neinisee.     Rom,  Therinenniuseuiu. 


Abbildungen. 


7.    Rom,  Palazzo  dei  Conservatori. 


8.    Rom,  Cimitero  di  San  Callisto. 


9.    Rom,  Palazzo  Rondanini. 


•  I  •  I H 


10.     Bischof  Hippolytos  (Oberfigur  und  Kopf  ergänzt).     Rom,  Lateran  n.  223. 


Amor  und  Psyche 
11.    Rom,  Cimitero  di  San  Callisto. 


Guter  Hirt 


mlwvt 


Guter  Hirt 


12.     Rom,  Lateran  n.  128. 


13.  Rom,  Campo  santo  dei  Tedeschi. 


Lazarus  Hahnszene 


Abraham 


Pilatus 


Quellwunder 


Daniel  Leseszene  Blinder 

14.    Rom,  aus  S.  Paul.    Lateran  n.  55. 


Speisensegnung 


Quellwunder         Blinder 


Orante 
lö.    Clermont. 


Blutflüssige 


16.     Rom,  Palazzo  Corsetti. 


17.    Arles. 


Abraham 


Pilatus 


Iliob  Sündcnfall  Einzug  Daniel  Paulus 

18.    Rom,  Grotten  der  Peterskirche.    Sarkophag  mit  Grahschrift  des  Junins  Bassus. 


Abraham 


Paulus  Maiestas  Petrus 

19.    Rom,  Lateran  n.  174. 


Pilatus 


20.    Rom,  Forum.    Heidnische  Säulenbasis. 


21.     Rom,  am  Konstantiubogen.     Der  Kaiser  spendend. 


Meergott  Konstantin 

22.    Rom,  am  Konstantinbogen.    Untergang  des  Maxentius  im  Tiber. 


Pharao  Moses  Mirjam 

23.    Rom,  Lateran  n.  111.    Untergang  der  Ägypter  im  Roten  Meer. 


24.    Rom,  Palazzo  dei  Conservatori.     Todessprung  des  Curtius. 


Jh^<- ' 


25.    Aus  Konstantinopel,  in  Berlin,  Kaiser-Friedrichsmuseum. 


Christus 
26.    Arles. 


Nain  Kananäerin 


Brotwunder  Orante  Woinwunder 

27.    Arles. 


Blinder  Gichtbrüchiger 


Abraham  Moses 


Blinder  Hahnszene  Blutflüssige 

28.     Rom,  Lateran  n.  152. 


Brotwunder  Quellwunder 


Christus 
29.     Arles. 


Christus 

30.     Arles. 


^KiS^^^ 


-mmmmmm, 


Christus 
31.     Aus  Rom,  in  Paris. 


Blinde 


BlutfliUsige  Bethesda  Zachaeus         Einzug 

32.     Koni,  Lateran  n.  125. 


Schöpfung 


Zuweisung 


Weinwunder 


Speisensegnung      Lazarus 


Magier  Blinder  Daniel  Hahuszenen  Bedrängung  Quellwunder 

37.    Rom,  aus  S.  Paul.     Lateran  n.  104  (Mittleres  fünftes  Jahrhundert). 


Speisenseguung        Hahnszene        Moses 


Abraham 


Blinder        Lazarus 


m~*£(m   J-     *    *    — '  -JP     1 


Orante  Bedrängung  Horeneroten  Daniel  Weinwunder  Gichtbrüchiger  Quellwunder 

38.    Rom,  Lateran  n.  184  (Viertes  Jahrhundert). 


Abraham  Blinder       Gichtbrüchige     Speisensegnung  Kananäerin     Sündenfall        Totenerweckung 

39.    ltom,  Lateran  n.  191. 


Abel       Kiiin 


Zuweisung  Verstorbene     Gichtbrüchiger  Blinder     Weinwunder  Lazarus 

40.    Rom,  Lateran  n.  193. 


Sündenfall  Weinwunder  Blinder     Totenerweckung  Uahnszene         Gichtbrüchiger  Isaak        Moses 

41.    Koni,  Lateran  n.  135. 


Jairus'  Tochter 


Hahnszene    Orante  Totenerweckung  BedräDgung        Abraham 

42.    Rom,  Lateran  n.  116. 


Noah 


Daniel 


»'■»nOMto.a.11        >■■-»■ 


Orans  Weinwunder 

43.    Rom,  Cimitero.  di  San  Callisto. 


Hahnszene 


Orans 
44.    Rom,  Lateran  n.  219. 


Weinwunder 


Quellwunder 


45.    Rom,  Lateran.     Marucchi  n.  183  A  (Ficker  n.  181. 


46.    Rom,  San  Lorenzo  fuori. 


47.    Ravenna,  San  Francesco. 


48.    Ravenna,  Museum. 


49.    llavenna,  Dom.  Mit  Inschrift  des  Kinaldus. 


m 


y 


y    y 


y      y 


y 


/     j     / 

Jt  Ja         Ja  Ja  Ji  J*  J>         J^Ui  Vi 

MiMM 


^^g 


■MM 


i  ■     ■'        -  -*  i 


50.     Kavenna,  Mausoleum  der  tuilla  Placidia. 


51.    Ravenna,  Apollinare  in  Classe. 


52.    Ravenna.    Rückseite  des  Sargs  der  Pignatta. 


w 


V  v\'l 


^;,'\^,,'vni  ,• 


53.    Ravenna,  Dom.    Mit  Inschrift  des  Barbatianus. 


54.    Itavcnna,  Apollinare  in  (Masse.     Mit  Inschrift  lies  Theodorus. 


HR 


m 


55.      Ilaveuna,  Mausoleum  der  Galla  Placidia. 


fe*  »*v> 


i  ■  ■  ''"<»■'  l»W»H» 


f *«■>'# -»^  in«»»!!«!^«*»»— «^^^»^»a>i>i  ^'"dn   i   ■■ 


tHtcTV  MV  r-®"S — i  GfWIOS  1*J 


GOKPVS  'v1 


Muätt 


56.    Ravenna,  Apollinare  in  Classe.     Inschrift  des  Gratiosus. 


&&&3&&S&&&2&&&&&S&: 


►y  ^  v*-  ^pv5^ä  •'" 


g^v?ig^g>e<sagissasgsggg 


57.    Toulouse. 


58.     Bordeaux. 


59.    Narbonne. 


60.    Koptische  Stele  Crum  n.  8687. 


61.    Koptische  Stele  Crum  n.  8656. 


C2.    Koptische  Stele  Crum  n.  8557. 


63.    Koptische  Stele  Crum  n.  8591. 


64.    Diptychontafel  des  Probianus.    Berlin. 


65.     Diptychontafel.      Mailand. 


66.    Diptychontafel  des  Probus,  Konsul  40G.    Aosta. 


67.    Diptychontafel  des  Felix,  Konsul  428.    Paris. 


68.     Anonymes  Konsulardiptychon.     Halberstadt. 


69.    Kirchliche  Diptychontafel.     London. 


70.      Diptychoutafel  des  Roethius,  Konsul  487. 
Brescia. 


71.     Diptychontafel  des  Anastasius,  Konsul  517. 
Paris. 


72.    Diptychontafel,  zugeschrieben  der  Amalasvintha.    Florenz. 


73.    Fünfteilige  Diptychontafel  aus  Mnrano.    Kavenna. 


74.    Elfenbeinthron  des  Bischof  Maximian  von  ßavenna. 


75.    Fünfteilige  Diptychontafel,  früher  Barberini,  jetzt  Paris. 


7C.    Fünfteilige  Diptychontafel.    Paris,  Bibl.  nat.  n.  9384. 


77.    Elfenbeinpyxis.     Berlin. 


78.    Elfenbeinpyxis.     Paris. 


vy« 


79.    Delos.     Haus  der  Theaterstraße. 


80.    Pompeji.     Haus  des  Pansa. 


81.     Pompeji.     Drei  Amtshäuser. 


I 


OT 


.  I  I  V 


tw  * 

iw 

»  o 

■ 

••  H 

Y 

\             I 

ii    mB 

82.    Rom.     Sarkophag  Lat.  n.  174,  linke  Schmalseite. 


83.    Kom.     Sarkophag  Lat.  n.  174,  rechte  Schmalseite. 


84.     Hypostyl  voa  Karnak.     Seitenansicht  mit  den  Lichtgraden  der  mittleren  Überhöhung. 


Tribunal 


85.    Karnak,  Chonsutempel. 
Grundriss. 


86.    Pompeji,  Basilika.     Grundriss. 


87.     Rom,  S.  Paul.     Querschüitt  des  Laughauses,  Westausicht  des  (Querhauses,     (lloltzinger.) 


Rom,  S.  Peter.     Grundriss.     (Holtzinger.) 


89.    Rom,  S.  Aguese.     Inneres.     (Holtzinger.) 


90.    Rom,  S.  Costanza.    Iuneres,  aus  dem  Umgang  gesehen. 


91.    Mailand,  S.  Lorenzo.     Grundriss. 
(Holtzinger.) 


#■*■■_■■■■  ■■■■■■  rnj 


92.  Ravenna,  S.  Vitale.     (Dehio 


94.    Konstantinopel.     II.  Sophia. 
(Essenwein.) 


93.    Konstantinopel,  Sergius  und  Bacchus. 
(Dehio.) 


95.     Ravenna.     Kompositkapitell  mit  Kämpfer. 


96.    Ravenna.     Schranke  mit  durchbrochenem  Flachornament. 


ga^mgßgammmmmmmmD 


M 

'3 

Ol 

O 

B 

- 


J2 


4pMM|  - 


0 

Zu'0* 


y  s*l 


ak^ 


^^  s?... 


•  ^  -I