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v. Sybel, Christliche Antike J.
Tafel 1.
1. Vase zwischen Tauben. Coemeterium Praetextati.
2. Psyche und Amor. Coemeterium Domitillae.
CHRISTLICHE ANTIKE
EINFÜHRUNG IN DIE ALTCHRISTLICHE KUNST
VON
LUDWIG VON SYBEL
ERSTER BAND
EINLEITENDES • KATAKOMBEN
MIT VIER FARBTAFELN UND 55 TEXTBILDERN.
*¥»
MARBURG
N. G. ELWERT'SCHE VERLAGSBUCHHANDLUNG
1906
Alle Kechte vorbehalten.
Die Verlagshandlung.
Dem Göttinger Kommilitonen
Rudolf Hirzel
dem Philologen
THEGETTYCOTt*
UBRMW
Vorwort.
Dies Buch will eine Einführung sein für alle, welche dem Gegenstande noch
nicht näher traten; insbesondere ist dabei an klassische Philologen und Archäo-
logen gedacht. Ob Theologen in dem Buche für sich etwas finden können, müssen
sie selbst sehen; jedenfalls haben sachliche Besprechungen von Theologen jeder Kon-
fession auf besonderen Dank zu rechnen. Das Buch ist so geschrieben, daß es auch
von weiteren Kreisen der Gebildeten gelesen werden kann; der gelehrte Apparat wurde
in die Fußnoten verwiesen.
Die altchristliche Kunst, verstanden als christliche Antike, hat Verfasser 1877
in den Kreis der klassisch -archäologischen Vorlesungen eingeführt und in gleichem
Sinne sie 1887 in seinen „Grundriß" aufgenommen (Weltgeschichte der Kunst im
Altertum, 2. verbess. Auflage, Marburg 1903). Das dort knapp Skizzierte wird hier
ausgeführt und begründet.
Das Buch hätte an sich früher herausgegeben werden können; aber es mußte
auf das Erscheinen von Wilperts „Malereien der Katakomben Roms" warten und
mußte dann erst auf die neue Grundlage ihrer zuverlässigen Reproduktionen gestellt
werden; in der Erklärung aber konnte es sich jetzt wesentlich nur um eine Aus-
einandersetzung mit Wilperts Textband handeln, sei es in offener Aussprache oder
stillschweigend. Von entgegengesetzten Ausgangspunkten herkommend gehen wir
doch große Strecken zusammen, um an wichtigen Punkten uns dann freilieh um
so weiter zu trennen. Die Moral der Sache ist: je mehr die „Weltanschauungen"
aus dem Spiele bleiben, desto eher wird man sich verständigen. Seinerseits hat
Verfasser gesucht, in einer ersten Einleitung „Glauben und Forschen" für seine
Arbeit wie für das ganze geistige Sein auf längst gegründeten Fundamenten eine dem
Streit der Weltanschauungen entrückte Position zu gewinnen.
Die Farbtafeln sollen eine Vorstellung von der Mal weise geben, und zwar der
besseren Malereien. Die Textbilder wollen bloß eine Anschauung der wichtigsten
Bildtypen vermitteln; der größeren Deutlichkeit zulieb sind sie nur zum Teil der
Wilpertschen Publikation entnommen, zum Teil de Rossi's Roma sotterranea und Gar-
rucci's Storia.
Mehreren Kollegen verdanke ich wertvolle Nachweisungen auf Gebieten, die mir
ferner liegen.
"VI Vorwort.
Nach dem Druck der ersten Bogen ging mir verschiedenes zu, dessen hier
Erwähnung zu geschehen hat. Erstens Hermann Gunkels Selbstanzeige seiner
„Israelitischen Literatur" in der Deutschen Literaturzeitung 1906, Seite 1797 und 1861.
Die schöne und große Aufgabe aber, von der unten im Abschnitt über die litera-
rischen Quellen die Rede ist, nämlich die erste Geschichte der altisraelitischen Literatur
zu schreiben, hat inzwischen Karl Budde gelöst; mein Kollege teilt mir mit, daß
seine Literaturgeschichte jetzt eben erscheint. Endlich ging mir die 1. Lieferung
von Lietzmanns Handbuch zum neuen Testament zu; den von Theologen verfaßten
Kommentaren wird ein von Philologen (Radermacher und Wendland) gearbeiteter
Band vorausgeschickt, grammatischen, literarhistorischen, kulturgeschichtlichen Inhalts.
Ob dies selbstverständlich strengwissenschaftliche Werk gerade unser Desiderat eines
philologischen Kommentars befriedigen wird, müssen wir abwarten.
Marburg, den 6. August 1906.
Ludwig v. Sybel.
Inhalt
Seite
Einleitung 1
Glauben und Forschen 1
Christliche Antike 9
Die literarischen Quellen 22
Die altisraelitische Literatur 23
Die christliche Literatur 30
Die Inschriften 37
Die Jenseitsgedanken des Altertums 38
Drei Entwicklungsstufen (Urglaube. Reform. Eeaktion) 39
Die Völker (Naturvölker. Ägypter. Babylonier. Perser. Inder. Thraker. Griechen. Römer.
Juden. Christen) 45
Die Katakomben 81
Der Bestand 82
Bau der Katakomben 98
Die Grüfte 103
Die Gräber • 122
Die Grabschriften 132
Die Malereien der.Katakomben 140
Die Publikationen 140
Chronologisches 143
System und Idee der Deckenmalerei 151
System der Wandverzierung. Ausblicke 156
Das Paradies. Adam und Eva 159
Übernommene Embleme 168
Erntebilder 177
Das Mahl der Seligen 181
Antike Mahlschemata 182
Die christlichen Mahle 190
Die Erlösung 210
Erlösungstypen (Alttestamentliche. Evangelische) 210
Erlösungsmittel (Brot und Wasser des Lebens. Taufe) 229
Der Erlöser (Der gute Hirt. Das Christkind) 240
VIII Inhalt,
Seite
Die Seligen im Himmel 254
Die Oranten 255
Im Himmel (Eintritt in den Himmel. Der Selige vor dem Christus. Der Christus und
die Apostel) 265
Ikonographisches (Christustypen. Petrus und Paulus) 280
Syntax der figürlichen Typen 285
Verzierung der Wandgräber (Nischengräber. Fachgräber) 287
Verzierung der Kammern (Vibiagruft. Christliche Grüfte. Einzelfiguren. Fossoren.
Handwerk und Gewerbe). Hypothesen 291
Verzeichnis der Illustrationen 305
Register 306
Berichtigungen.
Seite 39 Zeile 16 von unten lies: gereifterer.
„ 44 letzte Zeile: Griechen, Römer, Juden und Christen.
„ 49 Anm. 1, Zeile 2: Gilgamesch-Epos 1906.
Einleitung.
Glauben und Forschen.
Glauben und Forschen waren im Keime eins,
primitives Bemühen um Weltanschauung. Mit der
Herausbildung dessen, was wir methodisches Nach-
denken und Forschen nennen, fingen die Wege an
sich zu scheiden. Ausschlaggebend war die Stellung
zu den Lebensfragen. Wer, von der Notwendigkeit
des Fortschreitens in der logischen Erkenntnis durch-
drungen, sich entschied, diesen nicht schwindelfreien
Höhenweg zu gehen, der nahm das Risiko des Irrtums
bewußt in Kauf, im Vertrauen, daß Wahrhaftigkeit
besser sei als vermeinte Wahrheit, daß ein Grundsatz
sicherer leite als ein Lehrsatz. Wer aber gewohnt,
die Lebensfragen im Lichte der alten Weltanschauung
zu sehen, die Lösung jener an die Geltung dieser
unlösbar gebunden meinte, hielt um der Lebensfragen
willen die veraltete Weltanschauung fest; die anders
gearteten neueren Bekenntnisse schob er beiseite oder
fand sioh mit ihnen ab wie er mochte. Unter den
Lebensfragen begreifen wir nicht bloß die Existenz in der menschlichen Gemeinschaft,
sondern auch die Bedürfnisse des Gemüts, die zuletzt in der Mystik Befriedigung
suchen. Die Mystik stellen wir für besondere Besprechung zurück, wie wir überhaupt
das Gemütsbedürfnis, als ein Innerpersönliches, hier übergehen; aber das andere ist
öffentlicher Natur und von öffentlichem Interesse.
Die menschliche Gesellschaft organisiert sich in Staaten. Sobald nun auch der
Staat die Sicherheit dessen, was für ihn Lebensfrage ist, vom Bestände der altgewohnten
Weltanschauung abhängig glaubt, so meint er sich derer erwehren zu müssen, von
denen er für seine Götter fürchtet. Das war der Fall des gegen fremde Religion
bis zur Anerkennung und Übernahme toleranten, aber gegenüber allem den Staat
Bedrohenden, vor allem gegenüber „Atheismus" gereizten antiken Staates. Sokrates
und die Christen haben es erfahren. Der moderne Staat besteht grundsätzlich unab-
hängig von irgend einer Weltanschauung. Aber die gleichfalls politisch organisierten
Gemeinden der Gläubigen fühlen sich, wie der antike Staat, durch die Zweifler und
Forscher in ihrem Bestände bedroht und wenden nun ihrerseits gegen sie den Vorwurf
Sybel, Christliche Antike I. 1
Sokrates.
Born.
2 Einleitung.
des Atheismus; sie suchen die Staatsgewalt zu überreden, die freie Forschung nage an
der Lebens wurzel der Gesellschaft. Man sollte meinen, gerade vor den ernstesten
Fragen sei das Wort „Prüfet alles" am meisten angebracht. Aber diese Prüfung
möchten die Eifrigsten am liebsten durch die Staatsgewalt ganz verhindert sehen;
andere treten zwar in die wissenschaftliche Arbeit ein, verbieten sich jedoch selbst, die
Forschung über gewisse, von den Ämtern ihrer Religionsgenossenschaft gezogene
Grenzen hinauszuführen, sie halten an dem Punkte inne, wo ihre Ergebnisse in Wider-
streit geraten mit dem vom Genossenschaftsamt befohlenen Für wahrhalten.1)
Demgegenüber muß immer wieder, nicht nur das Recht, sondern die Pflicht, die
unbedingte Pflicht der wissenschaftlichen Forschung betont werden. So-
lange noch Eide geschworen werden, für solange sollte der Doktoreid in angemessener
Formel wieder eingeführt werden; kommt es aber einmal zur Abschaffung des Greuels
der Selbstverwünschung, dieses Nachlebsels heidnischer Religiosität („die Erde öffne
sich und schlinge mich hinab, wenn ich Unwahres euch berichte"), so bleibt die Selbst-
verpflichtung übrig, für den Doktoranden die Selbstverpflichtung auf die unbedingte
Forschung. Sie geht dahin, dem Grundsatz getreu den Weg der Forschung fort-
zusetzen, nicht beschränkt durch irgend ein Imperium, noch von irgend einer vor-
gefaßten Meinung. Nur dies ist der übrigens allen bekannte Sinn des Schlagwortes
von der „ voraussetzungslosen " freien Wissenschaft.
Gegen den Satz von der voraussetzungslosen Wissenschaft ist der Einwand er-
hoben worden, sie sei in Wirklichkeit gar nicht so voraussetzungslos, wie ihre Wort-
führer sich gebärdeten; im Gegenteil, diese sich frei nennenden Gelehrten ständen
tatsächlich im Banne vorgefaßter Meinungen, ihrer Weltanschauung und sonstiger
Vorurteile.
Der Streit ist leicht zu schlichten durch die notwenige Unterscheidung zwischen
den einzelnen Gelehrten und der Wissenschaft selbst. Es ist gewiß richtig, die ein-
zelnen Gelehrten sind Menschen, dem Gesetz der Kausalität unterworfen, insoweit
Produkte der Gesellschaft, der sie entstammen, durch Erziehung, Unterricht und Ver-
kehr mit fertigen Urteilen und Anschauungen, also in der Tat mit Vorurteilen an-
gefüllt, ehe sie an den Arbeitstisch nur herantreten. Aber die Wissenschaft selbst ist
frei davon. Die Wissenschaft selbst, das will sagen, wie sie dem Arbeiter zur Auf-
gabe gestellt ist: den Weg der Forschung zu gehen, aufrichtig und ohne Vorbehalt,
rücksichtslos alle entgegenstehenden Meinungen beiseite zu setzen, vor allem diejenigen,
welche er selbst mitgebracht hat aus Familie und Verkehr, aus Schule und Kirche,
oder woher immer. Die Wissenschaft hat ihr Gesetz, aber nur in sich selbst; das ist
ihre Freiheit. Aber Freiheit bedeutet Selbstverantwortung; der Gelehrte genügt seiner
Verantwortlichkeit, indem er das Gesetz der Wissenschaft achtet und das Gebot der
Wissenschaftlichkeit erfüllt, die unbedingte Pflicht der Forschung ohne Vorbehalt.
Die Wissenschaft muß den Fragen auf den Grund gehen; in diesem Sinne ist
J) Atheismus: Leclercq bei Cabrol, Dictionnaire I 1903, 275. — „Prüfet alles": Kant,
Kritik der reinen Vernunft, Vorrede zur ersten Ausgabe 1781: „Unser Zeitalter ist das eigentliche
Zeitalter der Kritik, der sich alles unterwerfen muß. Eeligion, durch ihre Heiligkeit, und Gesetz-
gebung, durch ihre Majestät, wollen sich gemeiniglich derselben entziehen. Aber alsdann erregen
sie gerechten Verdacht wider sich und können auf unverstellte Achtung nicht Anspruch machen,
die die Vernunft nur demjenigen bewilligt, was ihre freie und öffentliche Prüfung hat aushalten
können."
Glauben und Forschen. 3
sie radikal, oder sie ist nicht. Die historische Wissenschaft ist radikale kritische
Historie oder sie ist nicht. Mag das Ergebnis ausfallen wie es wolle, man hat es hin-
zunehmen; und hierin besteht die Objektivität des Historikers. Denn keineswegs soll
einer interesselosen Geschichtsbetrachtung das Wort geredet werden, welche den Spielen
auf der Weltbühne aus behaglicher Loge nur mit ästhetischem Wohlgefallen zuschaute,
oder die unparteiisch wie ein Gott die Wage in der Hand hielte. Das ist dem vom Weibe
Geborenen nicht möglich und soll auch nicht sein. Praktisches Interesse, im Ineinander-
wirken mit Spiel des freien Geistes, hat die Wissenschaft überhaupt ins Leben gerufen
und gibt ihr fortdauernd neue Anregung. Der Mensch steht im Leben als Lebender,
und aus innerstem Bedürfnis ergreift er Partei. Nur daß das wissenschaftliche Ge-
wissen nicht erschlaffe unter dem Parteiinteresse, sondern umgekehrt das Parteiideal
sich immer neu berichtige an den Ergebnissen der voraussetzungslosen Wissenschaft.
In der Wissenschaft wird nicht nach dem Glauben des Gelehrten gefragt, wohl
aber danach, ob er willens ist, der unbedingten Pflicht der Forschung zu leben, oder
ob er irgend welche Vorbehalte machen zu müssen glaubt, seien sie kirchlicher, poli-
tischer oder welcher Art immer. Dies eben ist der innerste Grund, weshalb (von den
theologischen Fakultäten reden wir nicht) konfessionelle Professuren und konfessionelle
Studentenverbindungen von den Universitäten als Fremdkörper im akademischen Wesen
empfunden werden: die Inhaber jener Professuren und die Angehörigen dieser Ver-
bindungen widmen sich der Wissenschaft, die doch ihr Gesetz in sich selbst trägt, nicht
im Sinn und Geist der unbedingten Forschungspflicht, sondern „ihres an kirchliche
Dogmen gebundenen Glaubens". Von der politischen Seite dieser Sache sehen wir
hier ab.1)
Ein anderer Einwand wird gegen die freie Wissenschaft selbst erhoben; es ist
der schon eingangs angedeutete, sie zerstöre die Religion, und damit den Grund der
Sittlichkeit; sie nehme dem Menschen schließlich seinen inneren Halt und seinen
inneren Frieden.
Religion. Religio ist Rücksicht, Scheu, ursprünglich die Scheu vor den Ge-
spenstern, Geistern, Göttern, die Angst vor ihrer Macht und Tücke, Deisidämonie; man
suchte ihren Groll zu besänftigen, ihre Gunst zu erkaufen, indem man ihnen zu Opfer
hinwarf und preisgab, worauf man sie lüstern hielt, Essen und Trinken, Geschenke
aller Art, auch Menschen. Veredelte Sitte hat dann auf die Religion zurückgewirkt;
die Gespenster und Dämonen hat man in Schattenreiche gebannt, die veredelten Götter
*) Die Worte in Anführungszeichen nach v. Hertling, Akademische Freiheit (in der Monats-
schrift Hochland III 1905, 67). Um einer sich bildenden Legende entgegenzutreten, sei hier fest-
gestellt, daß der Protest der Professoren in der Straßburger Sache tatsächlich nicht durch die
Berufung eines Katholiken auf einen akademischen Lehrstuhl veranlaßt war, sondern — dieser
springende Punkt sollte in keiner Besprechung der Angelegenheit verschwiegen werden — durch
die Errichtung eines konfessionellen Lehrstuhles in der philosophischen Fakultät. Um dem Sinn
dieser von der Unterrichtsverwaltung getroffenen Maßregel gerecht zu werden, sei zugegeben, daß
die Erziehung der Kandidaten des geistlichen Amts besser an der Universität geschieht als in
Priesterseminaren; wenn man sie dann aber in Konvikte sperrt und ihren Unterricht in Philosophie
und Geschichte konfessionalisiert, so ist's mit der akademischen Erziehung bloßer Schein. Endlich,
der durch solche Maßregeln erzielte nationale Gewinn, darin bestehend, daß die ultramontanen
Katholiken sich diesseits der Vogesen jetzt behaglicher fühlen als jenseits, ist zu teuer bezahlt mit
der fortgesetzten Übertragung staatlicher Hoheitsrechte an den auswärtigen Souverän, den absoluten
Monarchen der internationalen Religionsgesellschaft, und seine Agenten.
1*
4 Einleitung.
aber wurden zu Lenkern der Welt, ein jeder in .seiner Sphäre, zu Horten und
Wächtern aller Tugenden, zu deren Idealen. Die Gottesangst wurde Gottesfurcht.
Nun ist es neben dem immer noch fortdauernden Opferkultus vor allem die Scheu vor
Pflichtverletzung, die Rücksicht auf die Pflicht, welche Religion heißt, eine Religion,
die „besser ist als Opfer". Religentem esse oportet, religiosum non opus est. So
wechselt der Gegenstand der Religion, sie selbst bleibt. Denn sie hängt nicht an
diesem oder jenem Gott, sie hat ihren Gott schon oft gewechselt, Gott allein weiß, ob
schon zum letztenmal, dennoch bleibt sie. Gesetzt also, die freie Wissenschaft zerstörte
die eine oder andere Religionsform, so hätte sie noch längst nicht alle und jede Re-
ligion zerstört, nicht die Religion selbst.
Sittlichkeit. Hierüber haben wir nur das für den Zweck Nötigste zu sagen,
nicht in die Tiefe zu gehen; das Ethische liegt nicht im Thema dieses Buches. Die
veredelte Sittlichkeit, sagten wir, veredelte rückwirkend die Götter. Die veredelte
Sittlichkeit, das heißt, tiefer eindringendes und schärfer fassendes Denken, bezogen
auf die menschliche Gesellschaft, wie es dann auch bezogen wurde auf die Natur weit
in ihrem ganzen Umfang und Inhalt. Das tiefere und schärfere Denken über die
Verhältnisse in der menschlichen Gesellschaft hat aus der harten Kruste der Barbarei
die Sittlichkeit als zarten Kern des Menschentums erst herausgeschält und sie immer
weiter entwickelt, hat immer tiefer eindringend ihre innere feinere und feinste Struktur
in langer Zeit ans Licht gebracht. Weil man aber als Lenker der Welt Götter
dachte, so nahmen mit dem Wachstum der Sittlichkeit die Götter notwendig selbst zu
an sittlichem Gehalt, ein Widerwillen erwachte gegen die in der sittlicher gewordenen
Atmosphäre unsittlich erscheinenden Naivitäten des Mythus; die Achtung der Sitten-
gesetze erschien nun als Unterwerfung unter die Ordnungen des Zeus, als Gehorsam
gegen die Gebote Jahwes. Aber im Denken war das Sittengesetz erzeugt worden;
darum kann es durch methodisches Denken nie bedroht, nur gefördert werden.
Der innere Halt. Es pflegt gesagt zu werden, es sei dem Menschen notwendig,
daß er etwas glaube, man müsse einen Glauben haben. Der Satz ist richtig, wenn er
meint, der Mensch müsse ein Vertrauen haben; aber er ist evident unwahr und ver-
hängnisvoll irreführend, wenn er besagen soll, man müsse irgend welche Lehrsätze
ungeprüft hinnehmen, auch wenn sie nicht durch logische Erkenntnis gewonnen sind
oder gar ihr widerstreiten. Das Wort Glauben, so schönen Klanges wie schillernden
Sinnes, hat viel auf dem Gewissen. Es sollte nur von Vertrauen die Rede sein, Glaube
an eine Person darf nur Vertrauen in seine Persönlichkeit meinen. Man sollte einmal
den Versuch machen, Luthers „ Glaubensbibel " in eine „ Vertrauensbibel * umzuschreiben;
es lautete nicht so schön, aber es wäre besser. Freilich wird der Versuch nicht durch-
zuführen sein, da schon in der Entstehungszeit der neutestamentlichen Schriften der
Übergang vom „Vertrauen" zum „Dogmenglauben" sich vollzog.
Die Religionen wechseln, aber die Religion bleibt, die Religenz, die Achtung
dessen, dem man sich fügt, aus Einsicht und also freien Geistes und freien Willens.
Religion war Abhängigkeit, Religion ist Überwindung der Abhängigkeit. Dem man
sich fügt, das ist das Sittengesetz und das Naturgesetz. Diese Achtung des Gesetzes
ist innerlichst unabhängig von der „Weltanschauung". Eine Weltanschauung baut
sich jeder denkende Mensch auf, der primitive und der ungeschulte, wie der höchst-
gebildete und der höchstmethodische. Je nachdem schaut er die Welt an, den
„Himmel" als hohle Halbkugel über die tellerförmige Erde gestülpt, oder sphärisch und
Glauben und Forschen. 5
geozentrisch, oder heliozentrisch; oder er denkt ungezählte Sonnensysteme, die den
Geist in schwindelnde Fernen führen, und erschöpft zuletzt das Denkbare in der Vor-
stellung einer in Raum und Zeit unendlichen Welt. Wiederum grübelt der Mensch
über die Kräfte und die Bewegungen in der Welt und ihren Einzeldingen, was es
damit sei; über das organische Leben, über das Lebensprinzip, das er gern hypostasiert
in einer Seele, der Trägerin zugleich der Persönlichkeit; wie er denn auch die Welt-
gebiete, so oder so im Denken sie abgliedernd, nicht denkt ohne Analoga der Pflanzen-,
Tier- und Menschenseele, ohne einen zugehörigen persönlichen Gott; zuletzt erhebt
sich ihm, mit dem Aufgehen des Begriffs der in die Allwelt gestellten Menschheit, über
und gegenüber den vielen Göttern, der Eingott. Und die eigne Erfahrung des
Geborgenseins im Arm eines gütigen Vaters in die gottregierte Welt projizierend hat
der Mensch sich von jeher als Kind seines Gottes gefühlt. Es ist psychologische Not-
wendigkeit, daß er die Welt als sinnreiches Kunstwerk sieht und daß er hinter dem
Kunstwerk den Künstler sucht; es ist psychologische Notwendigkeit, daß er, in die
gottgetragene Welt gestellt, sich wie im Arm eines auch in der Strenge gütigen Vaters
fühlt. Er mag den persönlichen Gott zur Gottheit, zur Natur, zum Gesetz verflüch-
tigen, sobald er das Ganze sich vorstellt und sich in ihm, so kann er nicht anders als
personifizieren. Aber er muß wissen, was er tut.
Die Weltanschauungen kommen mit einem großen Anteil Phantasie zustande.
Wer aber sein Lebensgesetz dem Sichersten entnimmt, das dem Menschen zu Gebote
steht, dem Denken, der wird vorziehen, der Phantasie in ihrem eigensten Tummelplatz
Raum zu geben, nämlich in den weiten Gefilden und hohen Hallen der Kunst, aller
Künste; sie bieten auch dem Gemüte reiche Nahrung. In Musik und Tanz, in
Dichtung und Malerei, in allen Künsten hin und wieder zieht die Kunst alle Register
menschlicher Gefühle, durchmißt alle Tiefen und Höhen, ergötzt, rührt und erschüttert,
beruhigt und beseligt ihre Andächtigen. Was am religiösen Kultus zum Gemüt
spricht, verdankt es in weitgehendem Maße eben derselben Kunst; seine im Gegensatz
zur Kälte des Rationalen so gern empfohlene Wärme, sie ist wesentlich ästhetischer
Natur.
Es muß zugegeben werden, in der Wissenschaft selbst kann die Phantasie nicht
entbehrt werden; da ist sie aber nicht die Herrin in wallender Robe, sondern die be-
scheidene Gehilfin im schlichten Kleid, Häubchen und Schürze. So dienend, verdeut-
licht sie das Nichtsinnfällige durch Bilder, schaut sie Hypothesen, baut sie Synthesen,
und so wird eine wissenschaftliche Weltanschauung. Jene in Raum und Zeit un-
endliche Welt des unerschaffenen und ewigen, in unerschöpflichem Wechsel bewegten
Stoffes, in aller Bewegung dieselbe Kraft, in allem Geschehen dieselbe Gesetzmäßig-
keit, diese und ähnliche Momente bilden die AVeltanschauung des heutigen Nalur-
denkens. Und wenn sie kritisch die Visierung umkehrend das Weltgesetz statt
draußen in der Welt vielmehr in der Tiefe des Denkens findet, so wird sie philosophisch.
Aber wie die naturwissenschaftliche, so bleibt auch die philosophische Weltanschauung
als Weltanschauung hypothetisch, immer steht dem Forscher ein Warner zur Seite und
sitzt ihm der Stachel Vorwärts in der Seele; jeder neue Tag mag unser heutiges
Dogma berichtigen, vor uns liegt unerforscht immer Unendlichkeit.
Und in der ewig fließenden, in der Wissenschaft und im Glauben gleich wandel-
baren „Weltanschauung" soll einer seinen Halt finden? Es ist wunderlich genug, daß
die Menschen sich das immer wieder einreden, sie fänden ihren inneren Halt im Für-
6 Einleitung.
wahrhalten dessen, was sie nicht wissen und wohl auch nicht wissen können, sogar in
solchem, was sie nicht einmal denken dürften, wenn sie nämlich etwas glauben, weil
es absurd ist (credo quia absurdum est). Die Folge ist immer, daß der Weltanschauung
die Menschlichkeit geopfert wird; sie beurteilen und richten die Menschen nach ihrer
Weltanschauung, klassifizieren sie in die guten Theisten, die schon recht bedenklichen
Pantheisten und die ganz verworfenen Atheisten, oder umgekehrt in die gescheiten
Atheisten, die leidlich vernünftigen Pantheisten und die ganz törichten Theisten, und
was dergleichen wunderliche Äußerungen des Verstandes und Herzens mehr sind.
Heute ruft der Monismus die denkenden Menschen zu seiner Fahne. Die Monisten
gegen die Dualisten. Gewiß, die monistischen Hypothesen wollen so ernst erwogen sein
wie die dualistischen; man muß gestehen, die Erklärung der Welt aus nur einem
Prinzip scheint in ihrer Einfachheit eine gewisse logische Beruhigung zu versprechen.
Wenn es nur gelingt. Nun, es ist möglich und zu hoffen, daß der Monistenbund die
Sache der geistigen Freiheit fördert, aber die religiöse Frage wird er um keinen Schritt
der Lösung näher bringen, weil er die Religion nicht vom Dogmatismus erlöst. Auch
der Monismus bleibt dabei, das Leben auf Weltanschauung zu gründen, das ist, auf
das Fürwahrhalten einer Hypothese. Hypothesen sind gut, der Forschung neue Pfade
zu öffnen; aber dogmatisiert sind sie auch nur Glaubensartikel, bloße Fürwahrhaltungen.
Als ob diese „Weltanschauungen" nicht samt und sonders Phantasien wären, die
atheistische, die pantheistische, die theistische, die dualistische, die monistische, alle ohne
Unterschied. Die Phantasie spielt, die Phantasie erfreut. Sie hilft auch bauen, am
liebsten am Hochbau, um ihm den schönen und das Gemüt befriedigenden Schein der
Abrundung zu geben, der Geschlossenheit und Vollendung, so daß einer darin warm
wohnen kann in seinen Gedanken. Grundsteine legt die Phantasie nicht. Man baut
aber auf Grundsteine.1)
Wirklich, die Bäume sagen uns nichts, ebenso wenig die Alpen, oder die Fix-
sterne, sie sagen uns nichts, worauf wir bauen könnten. Sie reden vom Kosmos der
Welt, dessen Größe und Feinheit uns ästhetisch packt und dessen Betrachtung mittel-
bar allerdings etwas nützen kann, indem sie uns zu tieferem und feinerem Empfinden
stimmt. Das Schöne ist das Sinnbild des Guten, die Betrachtung des Kosmos der
Naturwelt kann in uns die Ahnung des Kosmos der Pflichtwelt erwecken, nicht aber
kann sie ihn unmittelbar in uns erzeugen. Um den Aufbau des ethischen Kosmos
aber handelt es sich.
Die Betrachtung der Unendlichkeit und des Reichtums der physischen Welt
wirkt in zwiefacher und entgegengesetzter Weise. Indem der Mensch sich in der un-
endlich großen Welt als eines der unendlich kleinen Wesen weiß, die im einzelnen
und im ganzen von der Weltmaschine irgend einmal zermalmt werden, so wirkt dies
Wissen niederdrückend. Auf der anderen Seite aber ruft der Gedanke, im inneren
Reichtum der Welt der reichste und seiner selbst bewußteste Organismus zu sein, der
einzige den Kosmos und sein Gesetz denkende und empfindende, er löst ein freudiges
Schwellen der Brust aus. Dies Schwellen unter jenem Druck erzeugt die psychische
Spannung, die Entladung sucht in psychischer Tätigkeit. Aber das Gesetz des Wirkens
im psychischen Kosmos lehrt sie ihn nicht.
!) Zum Kampf der Weltanschauungen vgl. auch v. Sybel bei Kappstein, Modernes Christen-
tum. Erste Serie. Heft 1, 1906, S. 152.
Glauben und Forschen. 7
Das den natürlichen Menschen erdrückende Gefühl, der kalten Kausalität preis-
gegeben zu sein, wird den von der Weltästhetik Ergriffenen nicht verzweifelt
stimmen, wohl aber bescheiden und zur Aufnahme der Idee der Solidarität des
Menschengeschlechts empfänglich. Andererseits wird das Bewußtsein des eigenen
inneren Besitzes ihn mit der freudigen Genugtuung erfüllen, das reichste Eigenleben
entfalten zu dürfen auf einem unermeßlichen und unergründlichen, ganz ihm eigenen
Arbeitsfeld. Nach welcher Richtschnur aber setzt er seiner Arbeit das Ziel?
Nur im Denken, nur logisch läßt sich die Sittlichkeit begründen, nicht mytho-
logisch. Allerdings, wer eine geschichtlich gegebene Sittlichkeit verstehen will, der
muß sie kulturgeschichtlich studieren; wer wissen will, was das sittliche Leben im
Arbeiten der Psyche bedeutet, der muß sich der psychologischen Methode bedienen.
Das auf diese Weise, historisch und psychologisch, gewonnene Verständnis wird die
„Weltanschauung" bereichern, wird ohne Zweifel auch nützliche Warnungstafeln und
Wegweiser für den Lebensweg errichten. Wer aber vor der praktischen Frage steht,
nach welchem Grundsatz er leben soll, wer an den ethischen Erörterungen seiner Zeit
teilnehmend sich vor die Wahl gestellt sieht, diesen oder jenen Weg einzuschlagen,
vielleicht auch alle zu Markt gebrachten Richtungen abzulehnen und einen eignen
Weg sich zu bahnen, der ist genötigt, das Kriterium aus der Tiefe seines sittlichen
Denkens zu schöpfen; ohne die Winke der Moralgeschichte und der Psychologie un-
genutzt zu lassen, wird er zuletzt doch auf die Entscheidung der Logik angewiesen sein.
Das Gesetz, wie der Natur, dem man sich fügt, so der Sitte, das man zu befolgen
sucht, findet man nicht draußen in der Welt, sondern nur in sich; gewiß nicht im
zufälligen Wesen seiner Individualität, sondern im festen Grunde seiner geistigen
Persönlichkeit, im Denken. Aus diesem fruchtbaren Boden erwächst uns, wie die Er-
fahrungswissenschaft, so der Pflichtbegriff. Nur da, im Denken, ist es dem Menschen
gegeben, den wirklichen inneren Halt zu finden. Unter uns gesagt, im Grunde auch
dann, wenn die mythische Vorstellungsweise ihn hinausspiegelt in die Vorstellungs-
welt; denn wir Menschen haben doch alle dieselbe Art Verstand.
Wie nun im Denkgrund der feste Grund des Erfahrungswissens gegeben ist und
zugleich der sittliche Halt, so auch die Möglichkeit des inneren Friedens. Wo der
Geist mit sich selbst in Zwiespalt liegt, da ist kein innerer Friede vorhanden. Ein
solcher innerer Widerspruch ist mit dem Credo quia absurdum und allen seinen Vor-
und Unterstufen verknüpft. Es ist möglich und üblich, der „Weltanschauung" zulieb
und von ihr verführt, den Sinn für Wahrhaftigkeit des Denkens so abzutöten, daß er
keinen Widerspruch mehr zu erheben vermag gegen Unlogik — nein Widerlogik — und
Phantastik; aber das so gewonnene Sicherheitsgefühl ist doch nur ein Fundament von
Wachs, das schmilzt, sobald der phantastische Dunst vor der Sonne des Gedankens
verfliegt. Und hält der fragwürdige Bau unter peinlicher Hut auch eine Weile, so
tickt doch im Holz der mahnende Wurm, wenn auch zurückgedrängt warnt die ein-
geborene Logik. Wo aber das Denken mit sich selbst in Einklang steht, somit auch
mit dem Gesetz, der Natur und der Sitte, dort und nur dort ist wirklich der innere
Friede, die Ruhe der Seele.
Hat der Mensch im Grunde des Denkens seinen Gleichgewichtspunkt und Anker-
grund gefunden, so geht ihm hieraus das Vertrauen auf, welches ihm nötig ist als
Wanderstab durchs Leben. Der religiöse „Glaube" hat bekanntlich zwei Seiten, nach
der objektiven Seite ist er ein Für wahrhalten, nach der subjektiven ist er Vertrauen.
8 Einleitung.
Das Fürwahrhalten bezieht sich auf Vorstellungen, die sich dem logischen Beweis ent-
ziehen, weil an ihrer Erzeugung die Einbildungskraft jenen allzu großen, nicht genügend
durch den Verstand kontrollierten Anteil hat. Dies Fürwahrhalten kann ohne jenes
unsittliche Abtöten des Verstandes die Grundlage für ein lebendiges Vertrauen nicht
abgeben. Das ist ja nun jedermanns Sache, wie er es damit halten will. Die Religion
ist ein Persönliches, Innerliches. Eben deshalb aber gilt der Glaube nur in der
Gemeinde, und zwar nur innerhalb der ebendasselbe und in derselben Weise
glaubenden Gemeinde; streng genommen, nach dem Gesetz der Individualität, gilt
der Glaube nur im Innern der glaubenden Einzelseele. Solange er innerhalb
dieser seiner Grenze bleibt, wird man ihn respektieren. Sobald er aber aus dem Schutze
seiner Grenze und auf den Markt tritt, so wird man die angebotene Religion, ehe man
sie kauft (denn auch für inneren Erwerb muß man zahlen), wie jede andre AVare
prüfen. Vollends, wenn eine Religion propagandistisch oder gar mit Prätentionen auf-
tritt, oder wenn sie in die der logischen Wissenschaft bestimmten Anstalten sich
einnisten will, so fordert sie die Kritik selbst heraus, vor der sie unweigerlich zu
Boden fallen muß, weil der Glaube für die Logik immer nur eine subjektive Gewißheit
von Sachen ist, die man nicht weiß. Man unterscheide wohl, das auf Logik gegründete
wissenschaftliche Vertrauen ist eine Gewißheit nicht dessen, das man nicht weiß,
sondern dessen, das man „ nicht siehet", eine Gewißheit, die, weil logisch erzeugt,
logischer Prüfung ruhig stand hält. Wenn wir den kritischen Pfad Piatos bis ans
Ende verfolgen, unangesehen wie weit er selbst gegangen ist, so besteht die philosophische
Wendung eben hierin: nicht, wie der Mythus tut, unseren Ankergrund an den blauen
Himmel zu spiegeln, noch die Güte in die Welt der Fixsterne, sondern, das Bild ist
umzukehren, über die Brüstung gelehnt in den Brunnen unseres Denkens zu blicken,
in ihm spiegelt sich der unergründliche Himmel alles Wirklichen, aus ihm schöpfen
wir unsere Urteile, unsere Entschlüsse, über allem liegt sein stiller Glanz.
In der ruhigen Gewißheit des logischen Denkens ruht unser Vertrauen. Es
macht uns den Gang durchs Leben möglich und läßt auch über dem ewigen Eise der
Kausalität die Sonne des heiteren Geistes scheinen.
Wo innerer Friede und Vertrauen ist, da stellt sich das „Gefühl reinen Glückes"
ein, welches mit Recht Seligkeit genannt wird, weil auch die Götter- und Gottes-
seligkeit nichts der Art nach Höheres sein kann; denn sie ist, wie das ganze Gottsein,
lediglich ein potenziertes Menschsein. Der Mythus verlegt die Seligkeit in die Zeit
nach dem Tode und beschreibt sie als einen vollkommenen Genuß; in seinem primitiven
Stadium versteht der Mythus darunter den Mitgenuß des vollkommenen, dabei sehr
substantiell gedachten Lebens, dessen sich die Götter erfreuen; auf gereifterer Stufe
wird auch die Seligkeit sublimiert zu einem ungetrübten Schauen der Vollkommenheit
des Gottes. Eine Seligkeit in Betrachtung, in Theorie. Die Philosophie ihrerseits
lernte nur langsam auf die Flügel der Phantasie verzichten, war aber immer auf der
Suche nach dem Rückweg aus dem Wunderreich drüben und zurück auf den festen
Boden des Logischen; ein Plato hat, unzweideutig in seinem „Gastmahl", die be-
seligende Schau zurückverlegt in die Lebenszeit hienieden. Auch ihm war es eine Schau
des Ewigen, aber als eines Unpersönlichen; es ist die Seligkeit in der logischen Be-
trachtung selbst, in der wissenschaftlichen Erkenntnis.
Da wir es an dieser Stelle eigentlich nur mit dem Leben in der Wissenschaft zu
Jtun haben, so brechen wir hier ab. Mit dem Gesagten sind die gegen die freie Wissen-
Christliche Antike.
schaft erhobenen Einwände für uns erledigt. Mögen die Toten ihre Toten begraben,
wir folgen dem Weg des wissenschaftlichen Lebens.
Christliche Antike.
Die Werke altchristlicher Kunst sind
Denkmäler aus der frühen Jugend des
Christentums; in dieser Eigenschaft besitzen
sie einen Gefühlswert für alle diejenigen,
welche im Christentum einen wertvollen und
noch nicht erschöpften Besitz der Menschheit
erkennen. So ist es nur natürlich, daß vor
allem Theologen sich gern diesen Denk-
mälern zuwenden. Und sie haben den be-
deutenden Vorsprung, daß ihnen die das
Verständnis erschließenden literarischen Denk-
mäler, wie die ganzen in den Kunst- und
Schriftwerken sich aussprechenden Vor-
stellungskreise, geläufig sind oder doch nahe
zur Hand liegen. Auf der anderen Seite
pflegen die Kunsthistoriker die altchrist-
liche Kunst in den Kreis ihrer Betrachtungen
zu ziehen. Diese haben den Schwerpunkt
ihrer Arbeit in der mittleren und neueren
Kunst; da pflegt denn die altchristliche Kunst
mehr einleitungsweise vorausgeschickt zu
werden, als erstes Kapitel der Kunstgeschichte
des Mittelalters. Man begrüßt im Christentum den Anfang einer neuen Kultur-
entwicklung; man rechnet vom Beginn der christlichen Kunst an eine aufsteigende
Entwicklung, ausgehend von den Malereien der Katakomben und hinführend zu
Raffael und Rembrandt. Es bleibt noch Raum für eine dritte Gruppe von Ar-
beitern; neben den Theologen und den Kunsthistorikern finden auch die Archäologen
zu tun. Vom Standpunkte der klassischen Archäologie aus treten auch wir an den
ohne Zweifel ehrwürdigen Gegenstand heran; und wir meinen, dieser Gesichtspunkt
sei den beiden andern gegenüber eigenartig genug, um von uns zur maßgebenden
Richtschnur genommen zu werden.
Wir betrachten den Gegenstand nicht aus dem Gesichtspunkte des Theologen,
also nicht auf sein Interesse für die heute lebende christliche Religion; wir betrachten
die altchristliche Kunst auch nicht als die Vorstufe der allgemeinen christlichen,
richtiger zu sprechen, der mittleren und neueren Kunst; sondern für den Archäologen
ist sie das Ende einer Entwicklung, wenn man will, ihr geschichtliches Ziel, in dem
diese sich vollendet, das Ende und Ziel nämlich der Entwicklung und des ganzen
Verlaufs der antiken Kunst, worin sie zuletzt auslief. Dem Archäologen ist die alt-
christliche Kunst das letzte geschichtliche Ergebnis der gesamten Antike; er glaubt,
für ihr geschichtliches Verständnis die wesentlichen Vorbedingungen mitzubringen in
seiner methodischen Kenntnis der Antike.
10 Einleitung.
Damit haben wir auch Stellung genommen zu der Frage nach dem Verhältnis
der altchristlichen Kunst zur Antike. Einige stellten sie zur Antike in Gegensatz;
die christliche Kunst sei im Gegensatz zur Antike entstanden, wie das ganze Christen-
tum in schroffem Gegensatz zum Altertum ins Leben getreten sei. Andere erklären,
die christliche Kunst sei von der Antike abgeleitet, von ihr abhängig gewesen, eine
Ansicht, welche der Gegenseite fast als eine Verkennung und Kränkung des Christen-
tums erscheint. Wir nun können weder zugeben, daß das Christentum so ganz
allgemein zur Antike in Gegensatz getreten sei (der Kampf ging nur gegen gewisse
Seiten und Richtungen des Altertums, wurde aber auf dessen eigenem Boden geführt),
noch lassen wir gelten, daß die christliche Kunst im Gegensatz zur antiken erwachsen
sei. Freilich auch nicht in Abhängigkeit; denn sie leitet sich nicht von der Antike
ab, sie ist nicht deren Tochter, sondern sie ist selbst noch Antike. So geben wir die
ganze Gegenüberstellung antiker und christlicher Kunst als pseudhistorisch auf;
richtig kann nur antike und nachantike Kunst in Gegensatz gestellt werden, und
wiederum heidnische und christliche. Innerhalb der gesamten Antike gibt es Kunst
heidnischer und solche christlicher Religion, es gibt heidnische Antike und christ-
liche Antike.
In der christlichen Kunst vollendet die Antike ihren Lauf, vollzieht sich ihr
letztes Schicksal. In Malerei und Plastik bewegt sich die Kunst der Kaiserzeit, ein-
schließlich der christlichen, auf absteigender Linie, in künstlerischer Hinsicht ist da
keine Rede von anhebender Neuentwicklung; es ist nicht quellende Jugendkraft,
sondern absterbendes Greisentum. Schönheit ist nur in den frühesten Werken noch
vorhanden; im übrigen liegt die Bedeutung dieser Arbeiten nicht im Künstlerischen,
sondern im Gegenständlichen, in der Entstehung einer christlichen Typik und in
ihrem Quellenwert für die Kenntnis des frühen Christentums. In der Baukunst
dagegen hat die Antike, gerade die christliche, in der ausgehenden Kaiserzeit noch
Neues gestaltet, man muß sagen, sie hat da gerade zuletzt noch Triumphe feiern dürfen.
Genauer zu sprechen, ist die altchristliche Kunst ein Teil der Spätantike;
diese Stellung am Ende der antiken Kunstentwicklung brachte sie in die zweifel-
hafte Lage des Epigonentums. Die Zeit der höchsten Schöpferkraft, die eigentlich
klassische Blüte der Antike, war abgelaufen; aber sie hatte im Laufe der Jahrhunderte
ein reiches Kapital von Kunstformen, einen unerschöpflichen Kunstschatz geschaffen,
davon die Epigonen zehren mochten. Es konnte nicht leicht eine neue Idee, ein
neues Programm zur Aufgabe gestellt werden, für deren künstlerische Lösung nicht
geeignete Formen zu Gebote oder doch gebahnte Wege offen standen. Die Bedürf-
nisse der christlichen Gemeinden waren aber gerade in den Anfangszeiten die ein-
fachsten, wenige Elemente bildlicher und baulicher Typik genügten zu ihrer Befrie-
digung, und zu dem Ende brauchte man das aus dem Vorrat Geschöpfte nur dem
besonderen Kultus anzupassen. Daß es sich dabei um in der heidnischen Antike auf
keine Weise Dagewesenes gehandelt hätte, wäre eine unwahrscheinliche Voraussetzung.
Wo heute zu irgend einem christlichen Typ heidnische Analoga nicht nachweisbar
sind, kann sich das Fehlende jeden Tag durch Fund oder Ausgrabung ergänzen. Die
christlichen Typen stehen in der Kette der typengeschichtlichen Entwicklung; es ist
nötig, sie ebenso typologisch zu untersuchen und ihre typengeschichtliche Filiation zu
ermitteln, wie es in der Archäologie sonst geschieht, beim phidiasischen Zeus oder
bei der praxitelischen Aphrodite. Wie der Zeus und die Aphrodite durch den Nach-
Christliche Antike. 11
weis ihrer typengeschichtlichen Stellung nichts an ihrem Wert als originale Schöp-
fungen verlieren, so nimmt die typologische Behandlung auch den christlichen Kunst-
erzeugnissen nichts von dem Originalwert, welchen sie etwa besitzen. Und soweit die
Spätantike noch fähig war, Neues zu schaffen, vermochte sie es für jede Religion zu
leisten, wie für Mithras, so für Christus.1)
Den Satz vom antiken Charakter der altchristlichen Kunst müssen wir nun aber
erweitern, um ihn in seinem tiefsten Grunde zu erfassen. Er gilt auch von der christ-
lichen Religion, vom Christentum selbst. Die universalhistorische Stellung der
christlichen Religion, ihre Stellung in der allgemeinen Religionsgeschichte, ist analog
der eben bezeichneten Stellung der altchristlichen Kunst in der allgemeinen Kunst-
geschichte. Die altchristliche Religion, ihr Eintreten in die Welt und ihr Leben
während des ersten Halbjahrtausends, will auch nicht als Anfangsglied einer neuen
Entwicklungsreihe betrachtet sein, sondern als Endglied einer ablaufenden, als das
Schlußkapitel der Religionsgeschichte des Altertums. Historisch betrachtet war der
Christianismus das geschichtlich notwendige Endergebnis der religiösen Entwicklung
des Altertums.
Hier steht die Bemerkung am Platze, daß der Archäologe immer Philologe ist;
und der Philologe ist auch Mytholog. Mythus heißt in diesem Zusammenhange auf
deutsch Glaube; das griechische Wort meint den Glauben, insofern er ein Fürwahr-
halten ist. Mythologie ist Glaubenslehre. Es handelt sich bei diesem Fürwahrhalten
nicht um wissenschaftliche Erkenntnisse, sondern bloß um Vorstellungen. Auch für
die Kirche; sie hat die Gnosis als Intuition und als Spekulation benutzt, aber als
logische Erkenntnis verworfen und sich ganz auf die Doxa gestellt. Wenn das Dogma
etwas mehr ist als bloße Vorstellung, so ist es die Lehrmeinung des Theologen als
des christlichen Philosophen, und vermöge der Sanktion durch die Organe der reli-
giösen Genossenschaft ist es der für die Mitglieder verbindlich erklärte theologische
Lehrsatz. Wo aber das Glauben schwand, da konnte Mythologie Märchenerzählen
werden; der erfolgreichste Erzähler bedeutender Märchen war Plato.2)
Die historische These wollen wir präzisieren. Der Christianismus ist die Summe,
die das Altertum aus all seiner Geistesarbeit selbst gezogen hat. Das ist festzuhalten:
das Altertum selbst, und zwar in seinem letzten Stadium, der römischen Kaiserzeit.
Es könnte ja sein, daß eine andere Zeit, mit anderen Aufgaben ringend und anders
geschult, aus dem Altertum sich eine andere Summe zöge, als es im Christentum der
Kaiserzeit geschah. Man denke etwa an die Renaissance des fünfzehnten, an den
*) Christliche Antike: Den Zusammenhang der altchristlichen Kunst mit der Antike
betonte zuerst Raoul-Rochette, ohne doch die abschließende Formel zu finden; vgl. seine Schriften
Sur l'origine etc. des types imitatifs qui constituent l'art du christianisme 1834. Tableau des
catacombes de Rome 1837. (Trois memoires sur les antiquit^s chre*tiennes, in den Memoires de
l'Academie des inscriptions XIII 1838.) Sein berühmter Satz Un art ne s'improvise pas ist richtig.
Aber der ganze Streit erledigt sich, sobald man die altchristliche Kunst als antike anerkennt.
2) Für Mythologie und Religion kann ich mich einstweilen nur auf den Versuch in
meiner Mythologie der Ilias 1877 Abschnitt I — VI beziehen. Ich bemerke noch, daß Wundts
Völkerpsychologie II, Mythus und Religion I 1905, mir erst nach Abschluß des Manuskriptes
zuging; beachte u. a. S. 3 „Die letzte Quelle aller Mythenbildung, aller religiösen Gefühle und
Vorstellungen ist die individuelle Phantasie" usf.; ferner 17 Die elementaren Funktionen der
Phantasie; 577 Allgemeine Psychologie der Mythenbildung: Apperzeption, AVahrnebmungs-
gehalt usf.
12 Einleitung.
Klassizismus des achtzehnten Jahrhunderts, an den Hellenismus des neunzehnten, oder
an die Aufgabe, die uns Heutigen obliegt in der Fruchtbarmachung des Altertums;
die Lösung wird in jedem neuen Jahrhundert zu einem anderen und immer zu einem
vom Christianismus der Kaiserzeit sehr abweichenden Ergebnis führen. Aber auf
dergleichen kommt es unserer historischen Betrachtung nicht an; nicht auf solche
spätere Vorkommnisse und künftige Möglichkeiten kommt es hier an, sondern ledig-
lich auf das noch im Altertum selbst Vollzogene, auf jene Summe, welche es aus
seinem abrollenden Leben noch selbst gezogen hat, in seiner letzten Stunde, in der
Kaiserzeit.
Das Altertum hatte seinen Ursprung in vielen einzelnen Quellen und Bächen;
diese alle aber ließ die herrschende universalistische Tendenz zuletzt in einen
großen Strom einmünden. Das ganze Altertum fand sich in einer Art Einheit zu-
sammen; denn wenn auch im so zusammengesetzten Endbild die Komponenten in
ihrer Eigenart noch kenntlich sind, so war doch ein umfassendes Ganzes zustande
gekommen: politisch in einem Weltreich, kulturell in einer Weltkultur, religiös in
einer Weltreligion.
Die politische Geschichte des Altertums durchzieht ein leitender Gedanke, der
Kampf um die Macht, um die Obherrschaft , der Imperialismus. Ägypter und
Assyrer bewarben sich um die Vorherrschaft im Orient, danach ging das Groß-
königtum über an die Babylonier, die Perser. Jede Etappe auf dem Wege bedeutete
die Erweiterung des Großreiches um ganze Völker. Alexander verband Asien und
Europa. Endlich fand sich unter dem römischen Adler die ganze alte Welt politisch
vereint. Die Kaiserzeit bildet das Schlußkapitel der politischen Geschichte des
Altertums.
Das Werben um die politische Herrschaft war zugleich und sehr wesentlich ein
Kampf um die Kulturgüter. Im Weltreich wurden die Völker nicht bloß politisch
zusammengebracht, sondern auch kulturell; was jedes Volk an Kulturgütern aller
Art beizusteuern hatte, kam auf den Markt, und so wuchsen die Kulturkreise ineinander.
Die stärkste Kultur überschattete die anderen; das war die griechische, zuletzt als die
hellenistische. Wohl trennte eine Kluft den Orient von griechischer Art, in sich
behauptete jeder Teil sein Eigen wesen; dennoch erwuchs die hellenistische Kultur
nicht mehr als nationale, sondern als Weltkultur. Sie nahmen auch die Römer an,
sie wurde die Kultur der Kaiserzeit.
Auch auf religiösem Gebiet muß sich, bei dem frühen und wachsend regen
Völkerverkehr, zeitig Gelegenheit zu Berührung und Austausch geboten haben. Der
Polytheismus ist tolerant; er will die fremden Götter nicht entthronen, eher sich
aneignen. Der Orient reizte die Griechen; was ein Herodot und andere in verwandten
Bahnen vom orientalischen Ursprung griechischer Dinge erzählen, hat seine Bedeutung
weniger im Inhalt der Erzählungen als in ihrer Tatsache, in dem symptomatisch
bedeutsamen Interesse, welches diese Griechen am Orient nahmen. Orientalische
Kulte sind durch Händler schon in der klassischen Zeit nach Griechenland gekommen;
ihr Überhandnehmen in der Kaiserzeit und der damit zusammenhängende Synkretismus
sind nur Anzeichen des zur Herrschaft durchdringenden Universalismus. Die grie-
chischen Mysterien haben auf das entstehende Christentum direkt vielleicht weniger
eingewirkt, dagegen haben sie auf der griechischen Seite selbst den Boden für die
Aufnahme des Christentums vorbereitet. Die starken Kräfte der ihrer universalis-
Christliche Antike. 13
tischen Vollendung zustrebenden Religion aber wurzelten in den Tiefen der Geistes-
arbeit hüben und drüben, dort in der griechischen Philosophie, hier im prophetischen
Israelitismus. Der universale Gedanke spricht sich mythisch aus im Monotheismus.
Der griechische Zeus, der römische Juppiter, hat sich annähernd zur Bedeutung des
Universalgottes erweitert, soweit es innerhalb des polytheistischen Systems möglich
war. Schon lange haben die Griechen von Gott schlechthin gesprochen (o 0-s6g). Auch
die praktische Bedeutung des Monotheismus fehlte nicht, die Menschheitsidee hat sich
in der Philosophie angekündigt. In ihrer Sprache sprechend, aber klar und gewaltig,
hat die Prophetie den Gedanken formuliert. Einerlei, wie die israelitische Religion
im geschichtlichen Werden zu ihrer Reife und Höhe sich entwickelt hat, das gehört
nicht hierher, jedenfalls war sie in ihrer schönsten Reife universalistischer Monotheismus,
das ist Humanität. Im Christentum fand sich die Formel, welche von den Griechen
aufgenommen wurde, unter ihnen neue Wurzeln trieb und von hier aus sich zu dem
weltüberschattenden Baume entwickelte, als den wir es in der Geschichte kennen.
Was wollte Jesus? Wenn die synoptischen Evangelien alles in der Ankündigung
des „ Gottesreiches " zusammenfassen, so ist klar, daß es sich ihm um die Verwirk-
lichung eines Ideals handelte, des Ideals, wie er es aus dem Schatze der prophetischen
Ideen gehoben hatte und wie er es sich dachte, natürlich in der Vorstellungs weise
seines Volkes in seiner Zeit. Vom Israelitismus übernahm Jesus dessen höchstes
Gebot, welches das Wort des Monotheismus ausspricht: den einen Gott mit allen
Kräften umfassen; und dasselbe Gebot noch einmal, aber praktisch gewendet, auf die
Menschheit bezogen: im Menschen den Menschen mit der ganzen sittlichen Liebe
umfassen, den Nächsten lieben wie sich selbst. Wenn dann die Menschenliebe lebendig
wurde, so wie Jesus sie empfand, dann wäre allerdings das Ideal Wirklichkeit ge-
worden, das Erdenleben ein „ Gottesreich ", und zwar ein innerliches, lebenverbreitendes,
ein ganzes, nicht bloß eine Kirche. Und eine solche Wirklichkeit wäre erblüht, daß als
höchste Betätigung der Liebe, und zugleich als ihr Korrelat, unerschöpflich bereites
Verzeihen der „Sünde" keinen Raum ließ. Es heißt zwar, daß auch in Jesus der
Zorn aufwallen konnte, selbst etwas wie ein Anathem soll dann und wann über seine
Lippen gekommen sein; doch würde jenes allzu menschliche Aufwallen schließlich über-
wunden worden sein durch die Triebkraft seines innersten Prinzips, seiner tiefgrün-
digen Menschlichkeit. Soviel ist aber klar, daß in ihrem Keime seine Idee auf das
Diesseits gerichtet war.
Nun hatte es viele Propheten gegeben; gesagt war schon so vieles, daß Jesus
sachlich kaum radikal Neues sagen konnte. Was war nun sein Eigenes? Es war nicht
diese oder jene besondere Lehre, wäre sie auch an sich oder in seiner besonderen Auf-
fassung oder Vertiefung etwas Neues gewesen, sondern es war seine Persönlichkeit,
die sich durchsetzte und mit sich soviel von dem Ideal, als aus der Persönlichkeit
lebendig hervortrat; es war sein Aufruf zum unmittelbaren Eintritt in das „ Gottes-
reich ". Warum auf morgen warten, warum nicht heute? warum nicht auf dem Fleck?
Man kann es verstehen, daß die Menschen, des Harrens müde, das Wort aufnahmen;
man begreift, daß es zündete. Es dürfte dauernd das Bleibende von Jesus sein, im
Sinne der logischen Erkenntnis, das „ Gottesreich " aus der unabsehbar sich hinaus-
ziehenden Zukunft herausgegriffen und in die Gegenwart gestellt zu haben, selbst-
verständlich nicht auf dem Wege des Wunders, sondern der Forderung und der Tat:
er hat die Forderung, nicht bloß nach dem Kommen des Reiches auszuschauen,
14 Einleitung.
sondern es unmittelbar ins Werk zu .setzen, in der Sprache der Zeit gestellt und an
seinem Teil erfüllt, wie es menschlicherweise irgend möglich war; in seiner Tat aber
hat er ein zur Nachfolge aufrufendes Beispiel gegeben. Andere haben Ähnliches ver-
sucht, nur bei ihm war die Tat Wirkung.
Die Menschheitsidee, welche unter Achtung der nationalen Gliederungen die
Einheit des Menschengeschlechts betont, setzt seine physiologische Einheit voraus;
ihre Absicht aber geht auf seine sittliche Einheit. Den durch die Philosophie vor-
bereiteten Griechen bot sich in der israelitisch-christlichen Formel des ethischen
Universalismus, der nach Lage der Dinge nur auf dem Boden des Monotheismus klar
herauskommen konnte, bot sich, sagen wir, die adäquate Religion für die im Hellenismus
kulturell und im römischen Reich politisch geeinte Welt. Eine, wie es für damals
scheinen durfte, abschließende Lösung des Problems des Lebens, soweit es Leben
in der menschlichen Gesellschaft ist.
Aber das Leben ist auch an sich ein Problem, auch abgesehen von der uns um-
gebenden Menschheit. Der Mensch bedarf eines Mittel- und Ruhepunktes, eines
Gleichgewichtspunktes seines Denkens und Lebens. Ihn fand Jesus in demselben
Gott, der ihm die ausstrahlende Liebe bedeutete. Die Idee der Gotteskindschaft ist
so alt wie die sittliche Menschheit; solange der Mythus einen persönlichen Gott
glaubte, immer stellte sich das Verhältnis des Menschen zu seinem Gott im Bilde der
Kindschaft dar. Je nach den politischen Zuständen war die Vorstellung der Gottes-
kindschaft mehr aristokratisch oder mehr demokratisch ausgebildet, aber sie war da.
Die Gotteskindschaftsidee war für Jesus gegeben, nur daß er sie in seltener Inbrunst
erfaßte. Ihre geschichtliche Ursprünglickheit und Allgültigkeit aber war es, welche
dieser Lösung des Problems des inneren Lebens die Herzen der Völker öffnete.
Das Problem des Lebens brannte auf die Nägel; aber es gibt noch eine andere
Frage, welche die Menschen ängstigt, das Problem des Todes. Es hat alle Völker
der Welt beschäftigt, so weit menschliche Erinnerung zurückreicht. Wenn der Mensch
stirbt, soll es dann mit ihm ganz zu Ende sein? Lebt er nicht fort? Von Uranfang
her hat man Antworten auf diese Fragen gesucht, Fragen, die immer weiter griffen:
wenn es ein Fortleben gibt, was harrt unser drüben? gibt es im Jenseits ein Glück?
was bürgt, wer bürgt für jenseitige Seligkeit? Der Glaube an das Fortleben war das
Frühere, der Zweifel das Spätere, erst erwacht mit dem erwachenden Nachdenken.
Der Zweifel war nahe daran, die klassischen Völker zum allgemeinen Verzicht auf
alle Jenseitsgedanken zu bringen; aber in einer Unterströmung hat sich der alte
Glaube behauptet, er hat Wege gefunden, wieder Oberwasser zu bekommen und in
der Kaiserzeit das Feld zu behaupten, auch unter Einfluß der in das Abendland ein-
dringenden fremden Religionen, nicht zum wenigsten, und zuletzt entscheidend, des
Christentums. Im Christus fand man den sichersten Bürgen jenseitiger Seligkeit.
Aber wie war es nur möglich, daß die so diesseitig gerichtete „Religion der Er-
füllung" auf einmal abdrehte und den Kurs auf das Jenseits nahm? Es lag an
der Un Vollkommenheit der menschlichen Dinge; solch ein „ Gottesreich " verwirklicht
sich im Augenblick doch nur sehr teilweise. Fast noch mehr lag es wohl an der
Verknüpfung der Sache mit der Person ihres Trägers. Da er als der erwartete
Messias galt, so identifizierte sich das Reich mit seiner Person, und das Schicksal
seiner Person ward das Schicksal seiner Sache. Nicht nur, daß er das allgemeine
Menschenlos der Sterblichkeit teilte, sondern er mußte schon an der Unlösbarkeit
Christliche Antike. 15
seiner besonderen Mission scheitern. Der tragische Tod war ihm unausweichlich, so
sehr, daß Jesus schließlich ihn selbst voraussehen und die Grundlage zum christlichen
Jenseitsglauben noch selbst legen mußte. Dieser tragische Tod vollzog sich am Kreuz.
Damit schien die Sache verloren. Aber sie arbeitete zu mächtig in den Jüngern,
gerade durch die nachwirkende Kraft seiner Persönlichkeit. Sie konnte nicht dahin
sein; es war ihnen gewiß, daß er lebe. Hier traten zwei Hilfsvorstellungen ein, die
Auferstehung und die Himmelfahrt, welche der Vorstellungsweise jener Zeit ent-
sprachen und genügten: er mußte vom Tode auferstanden sein; und weil er denn doch
nicht mehr da war, so mußte er zum Himmel aufgefahren sein zu seinem Vater.
Freilich war damit das Prinzip aufgegeben, die gegenwärtige Erfüllung der Hoffnungen;
die Gegenwart (Parusie) des Messias und in ihm des Gottesreiches wurde damit wieder
in die unbestimmte Zukunft hinausgeschoben, die Gewißheit des gegenwärtigen Besitzes
wurde wieder zur ausschauenden Hoffnung auf die Zukunft. Jene zwei Hilfsideen,
Auferstehung und Himmelfahrt, waren nun ganz im Sinne des Altertums. Rettung
vom Tode, Wiederkehr aus der Unterwelt, dergleichen Wünsche lagen, wo sie nicht
durch das Nachdenken zurückgedrängt waren, dem Menschen in der Seele, ebenso
aber auch eine jenseitige Seligkeit, die man sich am liebsten als eine himmlische in
Gemeinschaft mit den Göttern dachte. Das Christentum bot dem Altertum im auf-
erstandenen und in den Himmel eingegangenen Christus den Erstling und Bürgen
einer ewigen Seligkeit; so löste es dem antiken Menschen das Problem des Todes
in antikem Geiste.
Die christliche Religion, so sagen wir, bildet das Schlußkapitel der Religions-
geschichte des Altertums; ebenso bildet die altchristliche Kunst das Schlußkapitel der
Kunstgeschichte des Altertums. Wer die Religionsgeschichte des Altertums oder seine
Kunstgeschichte, überhaupt wer die Geschichte des Altertums im ganzen oder in
irgend einer seiner Seiten erzählen will und vor der christlichen Zeit Halt macht, der
läßt seine Geschichte als einen Torso ohne Kopf in die Welt gehen.
Der Theologe fragt nach dem Heilsplan der göttlichen Weltregierung, der
Metaphysiker konstruiert den Weltlauf teleologisch, der Historiker dagegen sucht die
Dinge aus ihren Ursachen zu verstehen; in unserem Falle lautet ihm die Aufgabe:
wie war die Religiosität des Altertums, wie waren die Religionen des Altertums
beschaffen, und welches war ihr Entwicklungsgang, daß als sein notwendiges Ergebnis
das Christentum herauskam? Dabei will natürlich der Orient mitgerechnet werden;
aber auch von ihm abgesehen ging die griechische Welt den Weg, der zu jenem
Endziele führen mußte.
Wohl ist es wahr, daß die neue Prägung, welche das Christentum den Menschen
gab, scharf kontrastiert zu dem Bilde, das wir uns vom klassischen Hellenen zu malen
pflegen. Wenn er, um Christ zu werden, alles aufgeben musste, seine Freiheit, seinen
fruchtbaren Individualismus, seine sieghafte Heiterkeit, seinen impulsiven Aristokratis-
mus, seinen unerschöpflichen Formensinn, was blieb dann an ihm Antikes? So
scheinen sich Griechentum und Christentum als ausschließende Gegensätze gegenüber-
zustehen. Ist aber unser Begriff von Hellenentum nicht zu eng gefaßt? Wenn die
Griechen jener Wandlung sich unterzogen, so muß sie ihnen psychisch möglich gewesen
sein, sie verlangt ihre psychologische Erklärung. Und sie findet sich in der Beobach-
tung, daß zu alledem, was als spezifisches Merkmal des Hellenentunis aufgerechnet
wird, die Gegensätze in demselben Griechentum von jeher vorhanden waren, in den
16 Einleitung.
früheren Zeiten vielleicht nur als später zu entwickelnde Keime; sie sind nicht
so sehr Ausnahmen als Entwicklungen. Gegenüber dem Individualismus stand auch
bei den Griechen von je her die Autorität, gerade die auf Freiheit erpichten Indivi-
dualisten waren zur Ausübung jeder Autorität bereit, selbst Philosophen forderten
und fanden Glauben. Neben der antiken Heiterkeit (seine beste entfaltete der Hellene
nicht bei Wein und Weib, sondern beim Genüsse des Geistes) bestand ein deutliches
Bewußtsein von den Schattenseiten des Daseins, und hierauf baute schon früh die
mystische Hoffnungsreligion. Dem Aristokratismus der Hellenen gegenüber den
Barbaren schlug seine Stunde schon, als die Griechen durch den Mazedonier im Verlust
ihrer Selbständigkeit ihr babylonisches Exil erlebten; da gaben sie dem Kosmo-
polit smus Raum und schenkten ihre in sich humane Bildung der Menschheit; und
wenn die Keime des stoischen Sozialismus schon in der sokratischen Lehre liegen, so
darf man das Menschenrecht nicht als unhellenischen Begriff bezeichnen.
Der Verzicht auf die literarische, schöne Form hat auch nicht erst mit der
christlichen Literatur eingesetzt; es ist aber damit eine eigene Sache. Es ist nicht
eigentlich Verachtung des Ästhetischen überhaupt, sondern der gegebenen Formen;
die zur leeren Formel gewordene Klassizität verwarf man mit Recht, um wahr zu sein.
Das ist gesunde Reaktion gegen ungesund gewordene Ästhetik. Die Evangelisten
schreiben nicht den klassischen Stil, aber darum schreiben sie nicht stillos, sie tragen
schlecht und recht ihre Sache vor und sind eben deshalb volkstümlich; Paulus, der
„Klassiker des Hellenismus" schreibt Briefe, auch er ganz von der Sache eingenommen,
die freilich nicht ebenso volkstümlich ist, außer wo aus dem arbeitenden Schmelzofen
des Gedankens das reine Metall tiefmenschlicher Empfindung strömt. Dieselbe Reaktion
gegen den klassizistischen Formalismus wirkt auch noch, wenn auch nur beschränkt,
in den späteren Kirchenschriftstellern. Was wir von dieser Bewegung in der Literatur
sagen, das gilt auch von den ganzen Menschen, es handelt sich nicht um Selbstauf-
gabe, sondern um Erneuerung. Früher einmal war eine gründliche Regeneration ins
Werk gesetzt worden, von einem ganzen Mann, nicht einem Aristokraten von Geburt,
aber einem echten Hellenen, dem Forscher, dem fleischgewordenen Eros, eben darin
einem Typus der Hellenen. Das von Sokrates klug Begonnene ward mit Enthusiasmus
fortgesetzt; in Plato hat das griechische Denken den Faden wahrhaft ergriffen, wenn
auch nur für einen Augenblick. Danach wurde noch vieles und Bedeutendes gedacht,
aber der Faden war verloren; was übrig blieb, hier Materialismus, dort Mystik, konnte
nicht befriedigen. Da entsagte der Grieche seinem ziellos gewordenen Forschen und
versuchte es mit dem Glauben. Die schwache Kreatur will einen Herrn haben, und
dem Stärksten kommt ein Augenblick der Schwäche. Aber es dauerte nicht lange,
bis die wissenschaftliche Ader wieder so kräftig pulsierte, daß die griechischen
Sophisten christliche Theologen wurden.
Auf der anderen Seite mag doch gefragt sein, ob nicht auch das Christentum
den Griechen entgegenkam, ob es ihnen in seiner Weise nicht auch Freiheit und
Heiterkeit und Adel und Schönheit zu bieten hatte. Da eben alle irgendwie kräftigen
Ströme des antiken Seins in das große Reservoir, die Kaiserzeit mit ihrer Kultur und
Religiosität, einmündeten, so war alles darin zu finden, daraus zu schöpfen. Christus
war alles in allem. Wer aber vieles bringt, wird jedem etwas bringen.
Da ist denn nun die Frage präzis zu stellen, warum eigentlich die Griechen
Christen wurden. Die Griechen, das ist im Sinne des Hellenismus gesagt. Die
Christliche Antike. 17
Frage ist jetzt nicht, welche Werte das Christentum zu bieten hatte, sondern was der
Grieche, der griechische wie der griechisch gebildete Heide, im Christentum sah, was
er an ihm fand, daß er sich ihm zuwandte. War es, daß die Armen und Elenden
auf den Ruf horchten, der an sie erging? War es die reinere sittliche Luft, die von
dort herüberzuwehen schien? War es ein Verlangen nach Sühnung? Lockte den Ge-
bildeten die Andacht ohne Tempel und ohne Altäre? War es der Monotheismus? die
Humanität? oder die ewige Seligkeit? Schien sie ihnen durch den Christus und seine
Sakramente wirklich sicherer verbürgt zu sein als durch Eleusis, Orpheus, Mithras?
War es der Glaube, dem der forschungsmüde Grieche sich in die Arme warf? nicht
zu reden von etwaigen außerreligiösen Motiven, z. B. politischer Opposition. Bei der
ganzen Fragestellung haben wir natürlich die vorkonstantinische Zeit im Auge, wo es
unter Umständen riskiert war, sich als christlichen Revolutionär zu bekennen; mit
Konstantin, jedenfalls mit Theodosius schlug das Verhältnis ins Gegenteil um, da
braucht man nicht mehr nach Gründen zum Übertritt zu fragen.
Warum wurden die Griechen Christen? Die Frage beantworten heißt die religiöse
Entwicklung der Griechen darlegen , von der Urreligion an durch alle Phasen der
griechischen Religionsgeschichte; dazu gehört, ihren Aberglauben und ihre Aufklärung
zu beleuchten, den Einschlag der Mystik und der Philosophie abzuwägen und sonst
festzustellen, was alles, vorzüglich auch an Orientalischem, auf den Gang der Dinge
von Einfluß war, um endlich die Probleme authentisch formulieren zu können, vor
welche der Grieche der Kaiserzeit sich gestellt sah und deren Lösung er im Christen-
tum zu finden meinte. Das hieße also die Geschichte der griechischen Religion
schreiben und zwar mit Einschluß ihres christlichen Schlußkapitels.1)
Wenn wir das Christentum als das Ende der religiösen Bewegung des Alter-
tums bezeichneten, so sprachen wir damit nur von seinem Ursprung und von seiner
Geltung innerhalb der zeitlichen Grenzen des Altertums; selbstverständlich sollte damit
nicht über seine weitere Wirkung abgesprochen werden. Es konnte nicht gemeint
sein, mit dem Ausgang des Altertums sei auch die antike Religion einschließlich des
l) Die geschichtliche Stellung des Christentums ähnlich bei Ad. Harnack, Lehrbuch
der Dogmengeschichte I3 1894, 785: „Drei große Religionssysteme haben seit Ausgang des 3. Jahr-
hunderts in Westasien und Südeuropa einander gegenübergestanden: der Neuplatonismus, der
Katholizismus und der Manichäismus. Alle drei dürfen als die Endergebnisse einer mehr als
tausendjährigen Geschichte der religiösen Entwicklung der Kulturvölker von Persien bis Italien
bezeichnet werden usf." Vgl. dessen Mission und Ausbreitung des Christentums in den ersten
drei Jahrhunderten 1902, 226, 1; dazu eb. 358 „Die Kirche — der zusammenfassende Abschluß der
bisherigen Religionsgeschichte". Eb. 2 1906, 419 „Diese Kirche wirkt durch ihr bloßes Dasein
missionierend, weil sie als der zusammenfassende Abschluß der bisherigen Religionsgeschichte auf
allen Linien erscheint. In diese Kirche gehörte die Menschheit am Mittelmeerbecken um das Jahr
300 einfach hinein." — Unsere Frage, warum die Griechen Christen wurden, ist durch
Harnack nicht beantwortet. Wohl bespricht sein Buch die Christianisierung der Griechen, aber
es betrachtet die Dinge von der christlichen, weil von der theologischen Seite aus; die Motive der
Griechen selbst aber wollen vom heidnischen, also vom philologischen Standpunkte aus gesehen
sein. Die Antwort kann nur in der Form einer Religionsgeschichte der Griechen gegeben werden,
die sich von ihrer Urzeit bis zu ihrem Christentum erstrecken müßte. Zur Erklärung der Genesis
des griechischen Christentums hat man philologischersei ts schon manche Fäden angeknüpft, aber
es konnte natürlich noch kein Gewebe werden. Auch ist es ein besonders ausgedehntes, verwickeltes
und streckenweis schlüpfriges Gebiet. Immerhin sei auf die in verschiedener Weise einschlagenden
Arbeiten der H. Usener, A. Dieterich, P. Wendland, E. Norden, R. Reitzenstein usf. summarisch
hingewiesen.
Sybel, Christliche Antike I. 2
1 8 Einleitung.
Christentums zur Rüste gegangen; sondern wie das Altertum im ganzen auf alle
Folgezeiten nachgewirkt hat und heute noch nachwirkt, so bildete auch das Christen-
tum einen Bestandteil der großen Hinterlassenschaft des Altertums an die Folgezeit,
einen Teil des Erbes der Antike. Das Mittelalter war es zunächst, das jenes Erbe
übernahm. Nun pflegt herkömmlich gesagt zu werden, das Mittelalter werde charak-
terisiert durch das Eintreten des christlichen und des germanischen Geistes. Dagegen
ließe sich einwenden, daß beides längst zuvor in Wirksamkeit gewesen war, ohne eine
neue Weltzeit ins Leben gerufen zu haben; das Christentum hat ein halbes Jahr-
tausend bestanden, die Völkerwanderung ist über die Länder gegangen, das alles hat
wohl den Boden vorbereiten helfen, aber nicht mehr. Das blieb alles im Rahmen
des Altertums, wenn wir Recht haben, dessen Grenzen bis Justinian zu erstrecken;
und es scheint diese Abgrenzung sich mehr und mehr durchzusetzen. Neue Welt-
zeiten ins Leben zu rufen, dazu gehören große konzentrierte Kräfte, stark genug, die
Welt in neue Formen zu gießen. Für das Mittelalter waren die maßgebenden Faktoren,
abgesehen von dem letzten Rest des alten Römerreiches in Byzanz, im Osten Mohammed
und der Islam, im Abendland das Papsttum, etwa von Gregor an, und Karl der Große.
Das Auftreten und das Ineinanderspielen dieser Mächte begründete die neue Weltzeit,
das Mittelalter. Warum sie warben und warum sie sich bekämpften, das war eben
jenes Erbe des Altertums, zuoberst die antike Idee des Imperiums, gesteigert zu der
des Weltreichs, inbegriffen im Reich aber die antike Kultur mit der Weltreligion.
Denn als den integrierenden und dominierenden Bestandteil der antiken Kultur, der
es war, haben wenigstens die nordischen Völker das Christentum übernommen. Die
altsemitischen Völker hingegen lösten sich aus dem Bannkreis der christlichen Welt-
religion und schufen sich einen ihnen gemäßen orientalischen Monotheismus, unter
strikter Ausscheidung aller hellenistischen Momente, ohne deshalb Israeliten zu werden.
Sie schieden das ihnen blutfremde Hellenistische aus ihrer Religion aus, um dann mit
gesammelter Kraft sich erobernd auf den Länderkreis der klassischen Völker zu
werfen und ihrerseits das Erbe der hellenistischen Zivilisation anzutreten, bis ihnen
die Franken entgegentraten, ihre Gegenspieler im Weltdrama.1)
Wenn die altchristliche Religion und Kunst zum Altertum gehört, so wächst
auch ihre wissenschaftliche Bearbeitung den Aufgaben der Altertumswissenschaft
zu, der klassischen Philologie und Archäologie; den Philologen und Archäologen
erwächst die Pflicht, das christliche Altertum nicht den Theologen allein zu über-
lassen, sondern es in ihre eigenen Studien mit einzubeziehen, nicht etwa in der
falschen Meinung, es wäre noch alles zu tun oder sie dürften an der Arbeit der
*) Das Altertum bis Justinian: So auch m. Weltgeschichte der Kunst 1888. 21903 Ein-
leitung. Bekanntlich hat bereits A. v. Gutschmid (in den Grenzboten 1868 = Kleine Schriften V
393) die ersten sechs Jahrhunderte der christlichen Ära dem Altertum zugerechnet; ebenso ver-
fahren u. a. Christ, Geschichte der griech. Literatur, Schanz, Geschichte der römischen Literatur,
v. Wilamowitz, Griechische Literatur (in Hinnebergs Kultur der Gegenwart I VIII 1905). Die
frühbyzantinische Zeit (324—640, vgl. Krumbacher, Byzantin. Literaturgeschichte 21897 Einleitung)
fällt in der Hauptsache in dieselben Grenzen. Anderen schien mit Konstantin eine neue Weltzeit
anzubrechen. Einige bezeichnen die Zeit von Diocletian bis zu Karl dem Großen als einen für
sich bestehenden Zeitraum im Sinne einer Übergangsepoche. Ich bekenne, selbst ähnliches erwogen
zu haben. Wir werden sagen, daß jede methodisch gefundene Gliederung, indem sie gewissen
Momenten gerecht wird, ihre relative Berechtigung hat; man sollte nicht die eine gegen die andere
ausspielen, sondern eine jede zutreffenden Ortes anwenden.
Christliche Antike. 19
Theologen vorbeigehen, sondern in Anerkennung und mit Verwertung dessen, was
von der wissenschaftlichen Theologie bereits geleistet wurde und fortgesetzt geleistet
wird, dabei allerdings unter der Verpflichtung, die Erkenntnisse sich überall selbständig
neu zu erarbeiten, was denn nicht in einem Tage geschehen kann. Tatsächlich hat
es ja immer einzelne Philologen gegeben, welche Hand anlegten; ihre Zahl hat in
neuerer Zeit erfreulich zugenommen, wenn auch noch kaum Anstalten getroffen werden,
das christliche Altertum im ganzen in die klassische Altertumswissenschaft aufzu-
nehmen. Auch ist die Arbeit der Philologen noch recht ungleich auf die fraglichen
Einzelgebiete verteilt. Die Untrennbarkeit der christlichen Epigraphik von der
heidnischklassischen scheint anerkannt; die Kirchenväter werden von Theologen und
Philologen in vereinter Arbeit herausgegeben, auch finden sie in der griechischen und
römischen Literaturgeschichte Aufnahme; den neutestamentlichen Schriften fehlt es
nicht an philologischen Arbeitern für Kritik und Grammatik, aber die griechische
Literaturgeschichte, in welche Evangelien und Episteln trotz ihrer Eigentümlichkeiten doch
gehören, bleibt ihnen so gut wie verschlossen. Die Geschichte der griechischen Philo-
sophie nimmt die heidnische theologisierende Spekulation auf, weil sie mit der Philo-
sophie allzu eng verwachsen ist; auch die philonische nimmt sie auf, warum nicht auch
die altchristliche? Die Religionswissenschaft zieht jedes einzelne Christliche in ihre
Kreise, aber die griechische Mythologie scheut noch davor zurück; auch die jetzt im
Handbuch der klassischen Altertumswissenschaft erscheinende schließt die Zusammen-
hänge der griechischen mit den übrigen antiken Religionen von ihren Betrachtungen
aus. Dafür haben wir die Artikel im mythologischen Lexikon und in der Real-
encyklopädie: beide bringen Attis, Besas, Isis und Osiris, Mithras und viele andere
fremde Götter, sehr mit Recht, denn sie haben in Griechenland und in der griechischen
Literatur Gastrecht erhalten; aber vergebens sucht man Artikel wie Christus, Diabolos,
Michael, oder dürfen wir auf Satanas hoffen? Einen Artikel Heros finden wir, aber
ob Gott (o S-eög) folgen wird, heidnisch und christlich? Ebenso vergeblich würde man
in den Handbüchern der Altertümer die christlichen Antiquitäten suchen. Endlich
die altchristliche Kunst wird von klassischen Archäologen gelegentlich berührt, aber als
Ganzes hat sie in der klassischen Archäologie noch nicht Bürgerrecht erhalten, sie war
immer so gut wie ausschließlich Domäne der Theologen.
Über das bisher auf dem Gebiete der altchristlichen Kunst Geleistete geben die
untenstehend aufgeführten Handbücher Nachricht. Hier genügt zu erwähnen, daß
die Geschichte der altchristlichen Kunstarchäologie in Hauptmomenten zusammenfällt
mit der weiter unten zu bringenden Geschichte der Katakombenforschung. Die Zeit-
schriften für christliche Archäologie führen wir ebenfalls hier unten auf.1)
*) Handbücher: Heinrici, Theologische Encyklopädie 1893, 141 Die christliche Kunstwissen-
schaft. Victor Schul tze, Archäologie der altchristlichen Kunst 1895. Franz Xaver Kraus, Ge-
schichte der christlichen Kunst. I Die hellenistisch-römische Kunst der alten Christen; die byzan-
tinische Kunst; Anfänge der Kunst bei den Völkern des Nordens 1896. Adolf o Venturi, Storia
dell' arta italiana I 1901 (Altchristi. Kunst bis Justinian). Carl Maria Kaufmann, Handbuch der
christlichen Archäologie 1903. Diese Bücher pflegen Übersichten über die Geschichte der christ-
lichen Archäologie zu geben, Schultze Seite 3 — 8; Kraus S. 6— 29; Kaufmann S. 9— 51; vgl. deRossi,
Roma sott. I 1—82. Müller, Realencykl. für prot. Theol. X 1901, 795. - - Zu nennen sind noch:
Orazio Marucchi, Elements d'archeologie chr^tienne 1900 ff. I Notions geniales. II. Itineraire
(Guide) des catacombes. III Les basiliques (Les trois volumes forment un cours ölc'mentaire
d'archeologie chrötienne tant pour l'ötude priv^e que pour l'usage des classes). Pe>ate, Archeologie
2*
20 Einleitung.
Die Betrachtung der geschichtlichen Dinge hat sowohl auf das Bleibende zu
achten als auch auf den Wandel. Bei aller Stabilität im Kerne hat die Religiosität
seit der römischen Kaiserzeit doch so gründliche Wandlungen durchgemacht, daß es
dem heutigen Menschen schwer wird, für die antike Religion und Kunst zutreffendes
Verständnis zu gewinnen. Einem Evangelischen, nicht bloß einem liberaleren, droht
leicht die Gefahr, die Art seiner eigenen Religiosität in die alte hineinzutragen und
ihr, sollen wir sagen eine Rationalität, oder eine so geläuterte Vorstellungsart, unter-
zuschieben, wie sie der Religion gerade der Kaiserzeit ganz fern lag. Wiederum ist
es die Stabilität der Religion in dem, was der Römer als religiosum bezeichnete, welche
bewirkte, daß ungeachtet des himmelweiten Abstandes zwischen Jesus' Religion und
dem heutigen Katholizismus doch ein stetiges schrittweises Auswachsen der einen zum
anderen hin sich verfolgen läßt; ist dieser Katholizismus auch nur einer der vielen
Stämme und Äste, die aus jeuer Wurzel sproßten, so leitet er sich doch aus jener
Wurzel her. Mit anderen Worten, wenn es auch unrichtig wäre zu sagen, daß bereits
Jesus katholisch gewesen sei, so treten die Ansätze zum „Katholischen" im alten
Christentum doch schon früh auf, wider Verhoffen früh für manchen guten Protestanten.
Solche gehen mit Sympathie an die altchristlichen Denkmäler heran, scheinen aber öfter
eine Enttäuschung zu erleben.
Der Katholik andererseits lebt in der Tradition, er steht der Religiosität des
alten Christentums nach seinem eigenen religiösen Empfinden näher und bringt ihm
unmittelbareres Verständnis entgegen; dafür sind ihm andere Schlingen gelegt. Er ist
der Gefahr ausgesetzt, den steten Wandel der Dinge zu unterschätzen und Ergebnisse
späterer Entwicklungen in frühere Zeiten zurückzusehen, wo sie tatsächlich sich noch
nicht eingestellt hatten. So kommt er leicht zu der Anschauung, daß die römische
Kirche immer dieselbe gewesen wäre, wie heute so schon in den Tagen des Petrus; als
ob sie ausgenommen wäre vom Gesetz der geschichtlichen Entwicklung. „Es ist die
Überzeugung aller gläubigen Katholiken, daß die Kirche der ersten Jahrhunderte keine
andere war, als die des neunzehnten Jahrhunderts," sagte Franz Xaver Kraus in der
Vorrede seiner Roma Sotterranea 1873. 21879. Er verlangte für monumentale
Theologie und christliche Archäologie Raum im katholisch-theologischen Unterricht,
damit „die Kandidaten des Priestertums in einem den Forderungen unserer Zeit ent-
chrötienne 1892; ders., Les commencements de l'art chr^tien en Occident (in Andre Michel Histoire
de Part I 1905). Lowrie, Christian art and archaeology 1901. — Lexikalisch: Fr. X. Kraus, Real-
encyklopädie der christlichen Altertümer 1882, 86. Don Fernand Cabrol, Dictionnaire d'arche'ologie
chrötienne et de liturgie 1903 ff. im Erscheinen (m. Bibliographie). — Eine umfassende Wieder-
gabe altchristlicher Bildwerke: Garrucci, Storia dell' arte cristiana nei primi otto secoli 1873 ff.
(II Katakombengemälde, III andere Gemälde, IV Mosaiken, V Sarkophage, VI sonstige Skulpturen).
Zeitschriften: Bullettino di archeologia cristiana 1863—1894. Es war gegründet und ge-
leitet von de Rossi, nach seinem Tode wurde es fortgesetzt unter dem Titel Nuovo bullettino di
arch. cristiana 1895 ff. von M. St. de Rossi, Armellini, Marucchi, Stevenson. — Römische
Quartalschrift für christliche Altertumskunde und für Kirchengeschichte 1887 ff., geleitet von
deWaal, Rektor des Kollegiums vom Campo Santo der Deutschen zu Rom; seit 1900 bringt die
Quart. Kirschs Anzeiger für christliche Archäologie. — Ferner sind die Literaturberichte im
Repertorium für Kunstwissenschaft zu beachten, von Fr. X. Kraus 1879 ff. — Weniger eine Zeit-
schrift als eine Folge von Monographien sind die von Joh. Ficker herausgegebenen Archäologischen
Studien zum christlichen Altertum und Mittelalter 1895 ff, fortgesetzt seit 1902 unter dem Titel
Studien über christliche Denkmäler. — Baumstarks Oriens christianus, römische Halbjahrshefte für
die Kunde des christlichen Orients 1900 ff.
Christliche Antike. 21
sprechenden Maße geschickt werden, in der jugendlichen Erscheinung der altchristlichen
Kirche die geliebten Züge derjenigen wieder zu finden, welche sie selbst als die Mutter
ihres geistigen Lebens ehren." Kraus aber hat früh Fühlung gesucht mit der aus
dem Protestantismus geborenen voraussetzungslosen Wissenschaft, der philologisch-
historischen Forschung des neunzehnten Jahrhunderts; und er ist einer der Gründer,
und mit seinem Tode ein Heros des „wissenschaftlichen Reformkatholizismus" ge-
worden. So läßt sich auch in seinen Arbeiten zum christlichen Altertum ein Fortschritt
in der Auffassung erkennen; er ist zur Erkenntnis des antiken Charakters der alt-
christlichen Kunst durchgedrungen, er bezeichnet sie in seiner Geschichte der christ-
lichen Kunst I 1896 als die „hellenistisch-römische Kunst der alten Christen", sie ist
ihm „die letzte und lieblichste Offenbarung des dahinsterbenden Genius der Antike"
(S. 58). So angenehm dies, auch in neuesten Werken katholischer Autoren zur christ-
lichen Archäologie wiederkehrende Anerkenntnis berührt, beim Lesen der Werke selbst
hat man nicht immer den Eindruck, daß die doch weittragende Prämisse auf den
Kontext der Bücher wesentlich eingewirkt hätte. Wir dürfen keinen Augenblick ver-
gessen, daß zwar auch der Katholizismus Wissenschaft pflegen, wissenschaftliche
Forschung treiben will und tatsächlich fruchtbar treibt, daß er aber grundsätzlich sich
an die Dogmen seiner Kirche gebunden hält. Da nun das Material der altchristlichen
Kunst nahezu ganz, und seine Verarbeitung ganz überwiegend in katholischen Händen
liegt, so erschien das vorstehend und eingangs Gesagte angebracht.
Die literarischen Quellen.
Philosoph.
Neapel.
Wenn wir das Christentum als orientali-
sierende griechische Religion zu betrachten
haben, welche die religiöse Entwicklungs-
geschichte der Griechen ebensosehr zur Vor-
aussetzung hat wie die der Juden und der
Judenchristen, so gehört die griechische,
überhaupt die klassische Literatur in die erste
Reihe unserer literarischen Quellen. Nach
der besonderen Aufgabe aber, die wir uns
gestellt haben, genügt es, auf die Literatur
des klassischen Altertums nur hinzuweisen
(freilich muß in Erinnerung gebracht werden,
daß man wohl schon versucht hat, die
Religions- und die Geistesgeschichte der
Griechen zu schreiben, ebenso wie auch ihre
Literaturgeschichte, aber noch nicht im Sinne
der hier vertretenen Auffassung des Christen-
tums). Wir beschränken die hier an die
Hand zu gebenden Nachweise auf die
israelitisch -jüdische und die altchristliche
Literatur. Vorweg sei auf die in der An-
merkung genannten wissenschaftlichen Hand-
bücher der theologischen Disziplinen hin-
gewiesen.1)
l) Handbücher: Es gibt eine Sammlung von
„ Lehrbüchern" und eine solche von „ Grundrissen". Aus der Sammlung der Lehrbücher nennen
wir: Chantepie de la Saussaye, Keligionsgeschichte; R. Smend, Alttestamentliche Religions-
geschichte; Nowack, Hebräische Archäologie; H. J. Holtzmann, Einleitung in das Neue
Testament; A. Harnack , Dogmengeschichte; Möller • Kawerau , Kirchengeschichte. Aus der
Sammlung der Grundrisse: Heinrici, Encyklopädie; Cornill, Einleitung in das Alte Testament;
Guthe, Geschichte des Volkes Israel; Buhl, Geographie des alten Palästina; Benzinger, Hebräische
Archäologie; Krüger, Geschichte der altchristlichen Literatur; Jülicher, Einleitung in das Neue
Testament; 0. Holtzmann, Neutestamentliche Zeitgeschichte; Harnack, Dogmengeschichte; Müller,
Kirchengeschichte.
Die altisraelitische Literatur. 23
Die altisraelitische Literatur.
Die Schriftquellen, deren wir zum Verständnis der altchristlichen Kunst bedürfen,
finden sich zunächst in der altchristlichen Literatur; bei dem engen Verhältnis aber,
welches zwischen dem Christentum und dem Israelitismus besteht, ist es nötig, auch
die israelitische Literatur heranzuziehen. Die griechisch redenden und schreibenden
Christen haben sich nicht der hebräischen Bibel selbst bedient, sondern ihrer
griechischen Übersetzung; sie ist dem klassischen Philologen ohne weiteres zugänglich.
Aber er muß auch mit den kritischen Forschungen auf dem alttestamentlichen Gebiete
vertraut sein, welche zur Rückverwandlung des biblischen Kanons in den ursprüng-
lichen Zustand des hebräischen Schrifttums führen, in den einer geschichtlich ge-
wordenen Literatur. Zur ersten Orientierung geben wir einen kurzen Überblick; er
umfaßt die altisraelitische Literatur in ihrem ganzen Umfange, mit Einschluß also
auch der vom Kanon ausgeschlossenen Schriften.
Die Kritik der alttestamentlichen Schriften richtet sich auf Ermittelung der
wirklichen Entstehungszeiten ihrer Bestandteile.
Kritik ist Unterscheidungskunst, methodische Unterscheidung des Verschiedenen.
Die alttestamentlichen Schriftsteller sind ausgeprägte Individualitäten und eben deshalb
verschieden genug in Vorstellungen und Absichten, in Sprache und Stil, um an solchen
Kennzeichen voneinander unterschieden zu werden. Dazu hängt ihre Entstehung wie
ihre Tendenz mit Vorgängen der politischen und Religionsgeschichte Israels eng
zusammen. Die Kritik hat viel erreicht. Auf Grund jener Kennzeichen vermochte
sie die Zeiten, z. B. der prophetischen Schriften in engeren oder weiteren Grenzen
festzustellen, auch wo sie ihre Ursprungszeiten nicht selbst oder nicht zuverlässig an-
geben. Aber noch mehr. Das Altertum kannte den Begriff des geistigen Eigentums
noch fast gar nicht. Einerseits schrieben spätere Schriftsteller die früheren aus, ohne
sich der Mühe einer Neubearbeitung des Gegenstandes zu unterziehen; dann heben
sich die unveränderten Bruchstücke älterer Schriftstellerei aus der jüngeren Umgebung
kennbar heraus. Solche ältere Bestandteile herauszuschälen und ihrem Eigendasein
zurückzugeben ist eine Hauptaufgabe der Kritik bei den historischen Büchern des
alten Testaments. Andererseits fand man kein Arg darin, eigne Erzeugnisse unter
dem Namen eines älteren Autors herauszugeben, in dessen Geist man zu schreiben
gemeint war; oder der Sammlung von dessen Schriften Stücke einzureihen, die irgend-
wie ihm verwandt schienen, ohne doch von ihm verfaßt zu sein. So sind in die ge-
sammelten Schriften des Jesaias viele jüngere Stücke eingereiht worden, die es nun
auszuscheiden und auf ihre Ursprungszeit zu bestimmen gilt. Weder diese Inter-
polationen noch jene Pseudepigraphen sind als Fälschungen zu bezeichnen, weil eine
eigennützige Absicht nicht dabei obwaltete; aber es sind tatsächlich Entstellungen der
geschichtlichen Wahrheit, welche der Berichtigung bedürfen. In Ausübung dieser
Funktionen leistet die Kritik positive Arbeit; sie schafft neue Werte, indem sie mit
dem Zauberstab des methodischen Unterscheidens ganze Reihen literarischer Werke, die
bisher im Kanon verschüttet lagen, zu neuem Leben auferstehen läßt und eine zuvor
nicht geahnte Doppelkette literarischer Produktion vor uns aufrollt, die eine von
historischen, die andere von prophetischen Büchern um nur die Hauptgattungen hier
zu nennen. Erst durch die Kritik ist aus der „Bibel" eine Literatur wiedererstanden.
24 Die literarischen Quellen.
Die Ergebnisse all der kritischen Arbeit finden sich, für jede biblische Schrift
gesondert, in den „Einleitungen" in das Alte Testament, wie sie nach altakademischem
Brauch immer neu aus den Vorlesungen hervorzugehen pflegen, als Marksteine des
Weges, welchen die Forschung nie rastend zurücklegt.
Den kanonischen Schriften fügen wir die außerkanonischen hinzu, nicht bloß die
Apokryphen, auch die Septuaginta, sowie Aristobul, Philo und Josephus.1)
Es empfiehlt sich die für unseren Zweck wichtigen historischen Daten in einer
Zeittafel vorauszuschicken.
Königszeit.
ca. 1020 Saul. ca. 1000 David, ca. 970 Salomo.
933 Abfall der Nordstämme; Reiche Israel und Juda.
722 Fall Samarias, Ende des Nordreichs durch Sargon von Assyrien.
607 Niniveh von den Medern und Babyloniern zerstört.
604 Nebukadnezar besiegt die Ägypter bei Karkemisch.
597 Erste Wegführung von Juden in das babylonische Exil.
587 Zerstörung des Tempels.
Persische Zeit.
549 Cyrus stürzt das Mederreich, 538 erobert er Babylon. Erste Rück-
kehr der Juden unter Serubabel.
516 Einweihung des zweiten Tempels.
458 Weitere Rückführungen von Juden durch Esra. 445 Nehemia Statt-
halter in Jerusalem; 432 abermals dort.
Hellenistische Zeit.
332 Alexander der Große in Syrien; die Juden den Mazedoniern Untertan;
wechselnde Schicksale unter den Diadochen; seit 198 dauernd unter
den Seleukiden von Syrien.
*) Einleitungen: Hier seien nur die neueren genannt. C. H. Cornill, Einleitung in die
kanonischen Bücher des Alten Testaments 51905 (darin eine Geschichte der Bibelkritik). Driver-
Rothstein, Einleitung in die Literatur des Alten Testaments (nach der fünften Ausgabe des eng-
lischen Originals übersetzt) 1896. Robertson Smith-Rothstein, Das Alte Testament, seine Entstehung
und Überlieferung; Grundzüge der alttestamentlichen Kritik in populärwissenschaftlichen Vor-
lesungen dargestellt (nach der 2. Ausgabe des englischen Originals) 1904. W. Graf Baudissin, Ein-
leitung in die Bücher des Alten Testaments 1901. — Außerkanonische Literatur: Jülicher,
Apokryphen (in Pauly-Wissowa, Realen cyklopädie des klass. Altertums I 2838). Gunkel, Apo-
kryphen und Pseudepigraphen (in Vorbereitung). Kautzsch (und Fachgenossen), Die Apokryphen
und Pseudepigraphen des Alten Testaments 1900: I. Apokryphen: Esra III; Makkabäer I— III;
Tobit; Judith; Zusätze zu Chronik, Daniel, Esther; Baruch; Brief Jeremias; Jesus Sirach; Weisheit
Salomos. IL Pseudepigraphen: Aristeasbrief ; Jubiläen; Martyrium Jesaiä, Psalmen Salomos; Mak-
kabäer IV; Sibyllinen; Henoch; Himmelfahrt Moses; Esra IV; Apokryphen des Baruch ; Testamente
der zwölf Patriarchen; Leben Adams und Evas. — Septuaginta: H. B. Swete, The old testament
in Greek according to the Septuagint I3 1901, II2 1896, III2 1899. Dazu Swete, Introduction to
the old testament in Greek 1900. Christ, Gesch. d. griech. Lit. 41905, 515. — Zu Septuaginta,
Aristobul, Philo und Josephus vgl. die Handbücher zur Geschichte der griechischen Literatur,
zu Aristobul und Philo außerdem die Handbücher zur Geschichte der griechischen Philosophie
(Zeller; Überweg-Heinze ; Vorländers Geschichte der Philosophie I 1903, 188). — Zu den Sibyl-
linen noch: J. Geffken, Oracula Sibyllina 1902; Komposition und Entstehungszeit der Orac.
•Sibyll. (in Gebhardt-Harnacks Texte und Untersuch. N. F. VIII i 1902).
Die altisraelitische Literatur. 25
176 Antiochus IV Epiphanes; 168 gewaltsames Hellenisieren Judäas.
167 Erhebung der Makkabäer; 165 Herstellung des Tempelkults; 163 Ge-
währung freier Religionsübung; 142 Judäa selbständig (Dynastie
der Hasmonäer), 139 von den Römern anerkannt.
37 — 4 Herodes der Große.
70 nach Chr. Zerstörung von Jerusalem durch Titus.
Nun lassen wir eine chronologische Übersicht der Geschichte der alt-
israelitischen Literatur folgen, unter Beschränkung auf das Erhaltene und auf die
Hauptmomente der Entwicklungsgeschichte.1)
Ohne Zweifel machten auch bei den Hebräern, wie bei anderen Völkern, Lieder
den Anfang; die erhaltenen Lieder mögen zum Teil älter sein als die Königszeit, so
das Lied der Deborah Richter 5. Eigentliche Literatur erscheint in der Königszeit,
uns greifbare im neunten, vielleicht erst im achten Jahrhundert. Dahin gehören die
ältesten Quellenschriften des Hexateuch (hierunter werden die fünf Bücher Mosis und
Josua verstanden); sie gehen unter den Namen „Jahwist" (J) und „Elohist" (E),
jener gehört dem Südreich, dieser dem Nordreich, aber beide folgen der prophetischen
Richtung, die am Jahwisten stärker hervortritt. Auch ihre Verschmelzung (JE, auch
Rj) fällt noch in denselben Zeitraum; ebenso die Quelle des „ Bundesbuches ■ Exodus
20 — 23; die älteren Bestandteile des Richterbuchs und der Bücher Samuels. —
Von Prophetenbüchern fallen in diese früheren Zeiten Arnos (760/746) und Hosea
(746/734), die beide sich an das Nordreich wenden; für das Südreich die echten Be-
standteile der Bücher des Jesaias (740/700) und seines jüngeren Zeitgenossen
Micha. Es folgen Zephanja und Nahum, jener kurz vor der Reform des Josias 621,
dieser in der letzten Zeit Ninivehs.2)
Epoche macht alsdann die Abfassung des Deuteronomiums (in Mos. V); im
siebenten Jahrhundert verfaßt, wahrscheinlich in dessen erster Hälfte unter König
Manasse, wurde es 621 vom Oberpriester Hilkia im Tempel gefunden, von König
Josia veröffentlicht und einer Reform des Kultus zugrunde gelegt. Es ist eine neuen
Bedürfnissen angepaßte Neugestaltung der älteren Gesetzgebung, seine eigentümliche
Färbung macht sich auch anderweit bemerklich, so im Buch Josua und vorzüglich im
Richterbuch. Deuteronomistisch ist ferner die uns vorliegende Redaktion der aus
älteren Quellen, annalistischen und prophetischen, bearbeiteten zwei Bücher der
Könige; die Redaktion ist von einem Gesinnungsgenossen des Jeremias um 600 ab-
geschlossen (dazu kamen später die bis 562 reichenden Nachträge II 24, 18 ff.). —
Des Jeremia prophetische Tätigkeit begann 626; nach Auffindung des Deuteronomiums
trat er öffentlich dafür ein (11, 1 — 8); er überlebte die Zerstörung Jerusalems und
wandte sich mit anderen Flüchtlingen nach Ägypten; seine Prophetien reichen bis in
diese Zeit. Um die Zeit der Schlacht von Karkemisch ließ er sie durch Baruch
niederschreiben, nach Vernichtung dieser Niederschrift durch den König diktierte er
1) Die kanonischen Schriften nach Driver- Rothstein (ich wähle für jetzt den kritisch
gesinnten, aber vorsichtig zurückhaltenden Führer; das entschiedene Vordringen findet man bei
Cornill). Die Apokryphen und Pseudepigraphen uach Kautzschs gleichnamigem Sammelwerk.
2) Der echte Jesaias: Kap. 1—11. 14—20. 21. 28—33, wovon einiges noch entfällt, anderes
zweifelhaft ist.
26 Die literarischen Quellen.
sie im folgenden Jahre zum zweitenmal, wie das erstemal aus dem Gedächtnis, also
nur dem Sinne nach getreu, das zweitemal außerdem mit Zusätzen. Auch das Buch
Jeremia enthält viel Späteres. — In die Zeit des Aufkommens der Babylonier, vielleicht
der Zerstörung Ninivehs, fällt Habakuk.
Den tiefsten Schnitt in das Leben der alten Israeliten machte das babylonische
Exil; es ist nur zu begreiflich, daß eine solche Erschütterung des ganzen äußeren
und inneren Seins auch an der Literatur empfunden wird.
Unter den Exilierten von 597 befand sich der Priester Ezechiel, der danach
in Babylonien von 592 bis 570 als Prophet wirkte. Er kennt das ältere Gesetz, auf
dem das ,, Heiligkeitsgesetz " (H) Levit. 17 — 26 sich aufbaut. Letzteres hinwiederum
fand Aufnahme in den Priesterkodex (P), welcher vom priesterlichen Standpunkte
aus eine systematische Darstellung der israelitischen Theokratie bieten wollte, ihres
Ursprungs und ihrer Haupteinrichtungen unter Benutzung der bereits vorhandenen
Geschichtserzählungen und Gesetzesredaktionen; die Gestaltung des Priesterkodex
scheint eine Frucht des Exils zu sein. — Der Schmerz über das nationale Unglück äußert
sich in den Klageliedern (Threnoi): sie werden in der Sphäre des Jeremias
geschaffen sein, doch nicht von ihm selbst. — In der exilischen und nachexilischen
Zeit entstand eine Reihe zum Teil bedeutender Prophetien, die später in die gesammelten
Schriften teils des Jesaias, teils des Jeremia eingereiht wurden. Exilisch ist Jes. Kap.
34 — 35, noch aus der Mederherrschaft Jes. 13 — 14; aus der Zeit zwischen dem Fall
der Mederherrschaft und demjenigen Babylons (549/38) der sog. Deutero jesaias
(Jes. 40 — 66) sowie Jerem. 50 — 51. Dem Ende des babylonischen Exils (538) wird
Jes. 21, 1 — 10 zugeschrieben. Nach der Rückkehr aus dem Exil scheint Jes. 12
gedichtet, als ein Dankpsalm; ferner die weitausschauende Prophetie Jes. 24 — 27;
sicher ist es der Fall mit Haggai und Sacharja 1 — 8, Mahnungen zum Tempelbau,
den Serubabel denn auch begann. — Buch Ruth gilt einzelnen Kritikern wegen seiner
Schönheit und Stilreinheit für vorexilisch, den meisten aber wegen gewisser anti-
quarischer und sprachlicher Besonderheiten für exilisch oder nachexilisch. — Die
Psalmen sind eine Sammlung von Kultusgesängen verschiedener Zeit; vorexilisch
kann höchstens eine Minderzahl sein, die Mehrzahl ist nachexilisch, nicht wenige
reichen bis in die Makkabäerzeit hinab. Auch das Buch der Sprüche ist eine all-
mählich herangewachsene Sammlung mit vor- und nachexilischen Bestandteilen. Hier
mögen die Bücher Joel, Obadja und Hiob genannt sein.
Die Klassizität der ältesten Literatur, des Jahwisten und des Elohisten sowie
der älteren Erzählungsstücke sonst, erhielt bereits im Deuteronomium ein etwas ver-
ändertes Gepräge; noch getrübter erscheint sie in den jüngeren Bestandteilen der
Königsbücher und bei Jeremias, bei Ezechiel, Deuterojesaias, Haggai. Der entschieden
nachklassische Stil beginnt im fünften Jahrhundert mit den Aufzeichnungen
Es ras und Nehemias (benutzt in den Büchern gleichen Namens; es sind die Ich-
partien in Esra 7 — 9, Neh. 1 — 7, 12 — 13), mit der aramäisch geschriebenen Quelle
von Esra 4 — 6 und mit dem gleichzeitigen Propheten Maleachi. In das fünfte Jahr-
hundert wird auch das Buch Jona gesetzt.
Der hellenistischen Zeit gehören: Das Buch Esther; die Bücher der Chronik
(Paralipomena) nebst den Büchern Esra und Nehemia; der Prediger (Koheleth,
Ecclesiasticus); das Hohelied (als Verwertung von ländlichen Gesängen für die
städtische Literatur ein merkwürdiges Analogon zur griechischen Bukolik ebenfalls
Die altisraelitische Literatur. 27
hellenistischer Zeit); ferner die griechische Bibeltibersetzung (Septuaginta und
Aristobulos.1)
Zweites Jahrhundert: Sprüche Jesus Sirach; Buch Tobit; Buch Judith;
Gebet Manasses (zu Chron. II 33); Buch Daniel (164); Zusätze zum Buch
Daniel (Gebet Asarjas und Lobgesang der drei Jünglinge im glühenden Ofen;
Susanna); Zusätze zum Buch Esther; Buch der Jubiläen; Buch Henoch.
Erstes Jahrhundert ' vor Christus: Makkabäer I (IV ist vielleicht später);
Weisheit Salomos; Psalmen Salomos; Brief des Aristeas.
Christliche Zeit, erstes Jahrhundert: Esra III. IV; Makkabäer IL III. ; Buch
Baruch; Martyrium Jesaiä; Himmelfahrt Moses; Apokalypse des Baruch;
Testamente der zwölf Patriarchen. Außerdem Philo und Josephus.
Die Entstehung der Sibyllinen (Buch III — V) erstreckt sich von der helle-
nistischen Zeit bis zu den Antoninen. —
Großes hat der kritische Fleiß der Theologen an der hebräischen Literatur ge-
leistet. Aber die Leistung selbst stellt ihnen zwei neue Aufgaben, deren Lösung
nicht länger hinausgeschoben werden sollte; die wissenschaftliche Welt und der weitere
Kreis der Gebildeten, wer irgend für die hebräische Literatur oder für die Weltliteratur,
für Religionsgeschichte oder für die heutige religiöse Frage interessiert ist, brennt
darauf.
Die eine Aufgabe wäre die Feststellung des Textes der aus den biblischen
Schriften herausgeschälten früheren und späteren Literaturreste und ihre Heraus-
gabe im hebräischen Original und (getrennt davon) in deutscher Übersetzung, in
umfassenden Sammelwerken, geordnet nach der zeitlichen Folge der einzelnen Schriften
und gruppiert nach den Zeiträumen der israelitischen Literaturgeschichte. Nicht als
ob den Fachmännern vorgegriffen werden sollte, sondern lediglich um das hier vor-
getragene Desiderat zu präzisieren, sei in Anlehnung an die vorstehende Übersicht ein
solches Sammelwerk skizziert:
Band I. Die vordeuteronomische Literatur.
Band II. Deuteronomium und deuteronomistische Literatur.
Band III. Der Priesterkodex.
Band IV. Exilisches und nachexilisches (außer dem Priesterkodex).
Band V. Hellenistische Zeit.
Und so fort.
Einer jeden Schrift müßte eine sachlich orientierende Einleitung vorausgehen (für
das Kritische wäre überall auf die „Einleitungen ins Alte Testament" und die
x) Hohelied: Baudissin, Einleitung, § 182. Ob mit Vatke an irgend eine Abhängigkeit
von der griechischen Bukolik zu denken ist, bleibt offene Frage; aber Analogie liegt vor, wenn
ländliche Hochzeitslieder (Wetzstein , Budde) einem städtischen Dichter als Motiv zu einer
neuen Dichtart dienten; so haben die Bukoliker nicht Hirtenlieder in die städtische Literatur
eingeführt, sondern das Hirtenleben und den Hirtengesang als Motiv verwertet, wie etwa unsere
Komponisten ungarische und andere Volksweisen als Motive für eigene Kompositionen. Die zwei
Perlen der griechischen Idyllendichtung sind die „Adoniazusen", die eben deshalb so gut gelangen,
weil sie als städtisches Motiv dem Großstadtdichter lagen, und das Stück „Oaristys", in welchem
der Dichter das Ländliche (hier die Vorwegnahme der ehelichen Verbindung unter Verlobten, wie
es bei unseren Bauern und Arbeitern vielfacher Brauch ist) so künstlerisch unmittelbar wiedergibt,
wie nur unsere besten Dorfnovellen, etwa Gottfried Kellers „ Romeo und Julia auf dem Dorfe".
Die Bukolik im ganzen ist barocke Gelehrtenpoesie. Und das Hohelied?
28 Die literarischen Quellen.
kritische Spezialliteratur zu verweisen); verbindende Bemerkungen müßten die nur in
Trümmern erhaltenen Schriften auch dem Nichtf achmann zugänglich machen; er-
klärende Anmerkungen sollten das Notwendigste an historischen und antiquarischen
Erläuterungen in knapper Form und mit Verweisen auf die Fachliteratur geben. Ist
es noch nötig, das Desiderat zu begründen? Werke von solcher religions- und literatur-
geschichtlicher Bedeutung wie etwa der „Jahwist" oder der „Elohist" müssen endlich
einmal sauber herauspräpariert, ein jedes in seiner Eigenart vorgelegt werden. Einen
Propheten wie den Jesaias muß man von allem Fremden gründlich gesäubert besitzen,
um ihn, den echten Jesaias, genießen zu können, ohne auf Schritt und Tritt durch
Einschiebsel jüngeren Ursprungs gestört zu sein. Geschieht einem „Deuterojesaias"
nicht bitter unrecht, wenn er in den Bibeldrucken im besten Fall als unechter Anhang
des Jesaias mitgeschleppt wird, statt daß er nach seiner selbständigen Bedeutung,
unter angemessener Überschrift, im Rahmen seiner Zeitgenossen herausgegeben würde?
Technische Schwierigkeiten stehen solcher Herausgabe nur bei den bloß bruchstück-
weise erhaltenen Schriften entgegen, z. B. beim Jahwisten und Elohisten. Für solche
Fälle ist längst die zutreffende Form gefunden in der Fragmentensammlung, wie
man sie für die so traurig zerstörten Literaturen der Griechen und Römer immer
neu bearbeitet.
Die andere Aufgabe wäre die Schöpfung einer Literaturgeschichte. Es
müßte schon eine „Geschichte der altisraelitischen Literatur" sein; denn eine „Geschichte
der hebräischen Nationalliteratur ■ würde dem Stoffe zu enge Grenzen ziehen. Wir
wollen nicht fragen, warum die Literaturgeschichte noch nicht geschrieben ist. Ihre
anerzogene Scheu vor dem heiligen Kanon haben unsere Kritiker doch längst abgelegt.
Vielleicht spielt der zufällige Umstand ein wenig mit, daß der akademische Unter-
richt neben der „Einleitung" nicht Raum hat für eine literaturgeschichtliche Vor-
lesung, und was nicht als Kolleg gelesen wird, das erscheint an unseren Universitäten
auch so leicht nicht als Buch. Der einzige Grund, welcher öffentlich ausgesprochen
wird, ist angebliche Unlösbarkeit der Aufgabe: in gewissen Hauptsachen sei wohl
Übereinstimmung erzielt, aber im einzelnen gingen die Ansichten noch viel zu weit
auseinander. Diese Schwierigkeit aber löst sich überraschend einfach, nämlich nach
der in der Wissenschaft allgemein geltenden Regel, daß der einzelne Gelehrte ledig-
lich seiner persönlichen Auffassung folgt und ihr Ausdruck gibt. Wenn die Philo-
logen mit Publikation ihrer Fragmentensammlungen hätten warten wollen, bis allseitige
Übereinstimmung erzielt worden wäre, etwa über die Fragmente der griechischen
Lyriker oder der Tragiker oder der Philosophen, dann wäre nie eine solche Sammlung
erschienen, und es käme nie eine zustande. Genau so steht es mit der griechischen
Literaturgeschichte. Möglich wurde Fragmentensammlung und Literaturgeschichte
dadurch, daß einer die Sache herzhaft angriff und nach bester Überzeugung, und zwar
nach dem augenblicklichen Stand derselben, sie machte, die eine oder die andere
Arbeit oder auch beide. Dann machten es andere ebenfalls, ein jeder auf seine Weise.
So geschehe es auch in unserem Falle. Vielleicht kommt man zu dem Schlüsse, nur
eine Fragmentensammlung, nur eine Gesamtausgabe der israelitischen Literatur zu
schaffen, in vereinter Arbeit vieler; aber viele Literaturgeschichten müssen geschrieben
werden, eine jede von nur einem Autor; mindestens müßte jeder Verfasser einer
„Einleitung" sich verpflichtet halten, auch eine „Literaturgeschichte" zu schreiben.
Man steht da vor einem psychologischen Rätsel. Man sollte meinen, jeder Gelehrte,
Die altisraelitische Literatur. 29
der am alten Testament ein Leben lang kritisch gearbeitet hat, der jahraus, jahrein
seinen Zuhörern die Methoden und die Ergebnisse der Kritik vorgetragen, vielleicht
auch schon eine „Einleitung" in Druck gegeben hat, man sollte meinen, ein solcher
müßte die Brust zum Springen voll haben von einem positiven Geschichtsbild, von
einem Bild der literargeschichtlichen Entwicklung und zwar, wie das bei einem
Theologen gar nicht anders sein kann, der Literaturgeschichte im Zusammenhang der
religiösen, der politischen und der Kulturgeschichte des Volkes Israel. Vielseitig
fruchtbar würden solche Bücher wirken; als Proben auf das Exempel würden sie die
alttestamentliche Kritik selbst neu befruchten; darüber hinaus würden sie mit der
vorbesprochenen altisraelitischen Bibliothek die dann erst wiedergeborene israelitische
Literatur als ein neues Ding in die Welt stellen, und was als „Kanon" und „Bibel"
dem heutigen Menschen grundsätzlich zuwider ist, das würde als ein der Werdewelt
zurückgegebenes Lebewesen dem Kreis der Denkenden und ästhetisch Genießenden etwas
bieten. Dann würde auch das ängstliche Gerede von der „verneinenden und zer-
setzenden Kritik" sich verkriechen müssen. Die Wissenschaft wird positiv gerade daduroh,
daß sie radikal ist. Wer scheu nur eben hier und da ein welkes Blatt wegnimmt,
der bleibt immer im „Negieren"; wer aber die kranke Pflanze bis auf die Wurzel
zurückschneidet, wo sie dann sofort neu treibt, und zum gesunden Baum heranwächst,
der schafft Positives. Die „Einleitungen" können nur zergliedern und zertrümmern,
in dieser Art sind sie verneinend; aber die Fragmentensammlung, die israelitische
Bibliothek, ebenso die Literaturgeschichte, bauen auf. Beides wird geschaffen werden,
und beneidenswert wird der Schöpfer heißen. Es wird geschaffen werden, wenn nicht
von den Deutschen, dann von den Engländern, sicher von den Amerikanern. Wer
wird zuerst auf dem Plan sein?1)
x) Es gibt Vorarbeiten zur israelitischen Bibliothek und zur Literaturgeschichte. Von
ersteren nenne ich Carl Budde, Die biblische Urgeschichte 1883. B. W. Bacon, The genesis of
the Genesis 1892. In dem Werk „Die Heilige Schrift des Alten Testaments in Verbindung mit
anderen Gelehrten übersetzt und herausgegeben von E. Kautzsch 1894 21896" sind die Quellen
durch Randbuchstaben angegeben, in P. Haupts Sacred books of the old Testament (sowie in den
begonnenen englischen und deutschen Ausgaben des Werkes) durch verschiedenfarbigen Druck. —
Der Versuch einer Literaturgeschichte liegt vor in E. Reuß, Geschichte der heiligen Schriften
des alten Testaments 2 1890; vgl. dess. Das Alte Testament, herausgegeben von Erichson und
Horst 1892 — 94; ferner ist zu nennen: E. Kautzsch, Abriß der Geschichte des alttestamentlichen
Schrifttums, hinter seiner Bibelübersetzung, auch in Sonderausgabe 1897. Wildeboer-Risch, Literatur
des alten Testaments nach der Zeitfolge ihrer Entstehung 1895. Cornill gibt immerhin eine
tabellarische „Übersicht über den Entwicklungsgang der alttestamentlichen Literatur nach den
Ergebnissen der speziellen Einleitung''. Sein Israelitischer Prophetismus 41903 ist eine Art
Literaturgeschichte des prophetischen Astes in chronologischem Aufbau. Wie mit der analytischen
„Einleitung" der von uns allen geteilte Durst nach ästhetisch genießender synthetischer Literatur-
geschichte ringt, das liegt in Baudissins Einleitung vor Augen, die in einer freilich noch nicht
chronologischen Folge von Charakteristiken eine lesbare Darstellung gibt. Außerdem: J. Well-
hausen, Geschichte Israels 1878, Israelitische und jüdische Geschichte 1894. 51904. B. Stade,
Geschichte des Volkes Israel 1881 ff. Wellhausen und Stade überspringen zwar nicht die Bibel-
kritik, wohl aber die Stufe der Literaturgeschichte und schreiben gleich „Geschichte". Wenn es,
wie gesagt wird, unmöglich wäre, eine israelitische Literaturgeschichte zu schreiben, um wieviel
unmöglicher müßte es dann sein, eine israelitische Geschichte zu schreiben, da wir doch letztere
nur durch die erstere kennen. Über eins dürfen sich die wissenschaftlichen Bibelforscher keiner
Täuschung hingeben: durch ihren esoterischen Betrieb haben sie versäumt, zur Verringerung der
zwischen Bildung und Bibel bestehenden Kluft dasjenige beizutragen, was in ihrer Macht ge-
legen hätte.
30 Die literarischen Quellen.
Die christliche Literatur.
Eine Geschichte der christlichen Literatur des Altertums müßte, abgesehen von
den orientalischen Sprachen, die christlichen Griechen und Lateiner der ersten sechs
Jahrhunderte umfassen. Eine in diesem Sinne vollständige altchristliche Literatur-
geschichte konnte noch nicht geschrieben werden, die Vorarbeiten aber sind im
Gange. Eine solche Vorarbeit, umfang- und inhaltreich, ist im Erscheinen begriffen;
als Grundlage für eine Ausgabe der älteren griechischen Kirchenväter gedacht, musste
sie freilich die neutestam entliehen Schriften übergehen, reicht auch (zunächst, wie es
heißt) nur bis Eusebius. Gestützt auf den ersten Teil dieses großen Werkes, dabei
doch selbständig, ist ein Grundriß für Vorlesungen gearbeitet, der die neutestament-
lichen Schriften in die Literaturgeschichte aufnimmt, wenn auch nur in kürzester
Erledigung; auf die ersten drei Jahrhunderte beschränkt er sich lediglich aus dem
Grunde, weil für die späteren Zeiten die Überlieferung noch nicht so durchforscht
und bearbeitet ist wie für die früheren.1)
Die altchristlichen Schriften werden in mehrere Klassen geschieden: die kano-
nischen Schriften des neuen Testamentes und die außerkanonische Literatur, nämlich
die Apokryphen, die sogenannten apostolischen Väter und die Kirchenväter; dazu die
bischöflichen und Synodalschreiben, die Kirchenordnungen (Didache, Didaskalie und
Cauon ecclesiasticus) und die Märtyrerakten. Hier folgen einige Nachweisungen für
die einzelnen Klassen.
Neutestamentliche Schriften. Analog der Bibel alten Testamentes bildete
sich auch ein neutestamentlicher Kanon heraus. Die kanonischen Schriften sind auch
heute noch Gegenstand gesonderter wissenschaftlicher Bearbeitung. „Einleitungen in
das Neue Testament" geben die nötige Orientierung.2)
*) Altchristliche Literatur: Friedr. Nitzsche, Geschichtliches und Methodologisches zur
Patristik (in den Jahrbüchern für deutsche Theologie. X, 1865, 37). Franz Overbeck, Über die
Anfänge der patristischen Literatur (in H. v. Sybels Histor. Zeitschrift XLVIII, 1882, 472) —
A. Harnack, Geschichte der altchristlichen Literatur bis Eusebius 1893. 1897. 1903. G. Krüger, Ge-
schichte der altchristlichen Literatur in den ersten drei Jahrhunderten 1895 (Nachträge 1897). —
O. Bardenhewer, Geschichte der altkirchlichen Literatur 1902. 1904. Batiffol, Literature gre"cque
chrdtienne 1897. — Christ, Geschichte der griechischen Literatur bis Justinian 21905, 912 ff.
Krumbacher, Geschichte der byzantinischen Literatur von Justinian 21897, darin 37 ff. Ehrhard,
Die Theologie. Teuffel-Schwabe, Geschichte der römischen Literatur bis Justinian B1890 (927
Minucius Felix). Schanz, Geschichte der römischen Literatur III 21905, 240 ff. IV I 1904. Christ
gibt die christlichen Schriftsteller griechischer Sprache vom neuen Testament an, vorzugsweise
solche, welche für den klassischen Philologen besonderes Interesse haben, insofern sie das Gepräge
des Hellenismus an sich tragen oder als Quellenschriften für die Kenntnis der klassisch-griechi-
schen Literatur Wert haben. Schanz beginnt die Einzel besp rechung S. 267 mit Minucius Felix,
als dem ersten christlichen Schriftsteller in lateinischer Sprache. — Ebert, Geschichte der christ-
lich-lateinischen Literatur von ihren Anfängen bis zum Zeitalter Karls des Großen 1874. M. Manitius,
Geschichte der christl.-lat. Poesie 1891. "Vorländer, Geschichte der Philosophie, I 1903, 203
Philosophie des Mittelalters. 207 Philosophie der Kirchenväter (mit Literatur).
2) Einleitungen: H. J. Holtzmann, Lehrbuch der historisch-kritischen Einleitung in das
Neue Testament s1892. Jülicher, Einleitung in das Neue Testament *~ a 1906. — Die Schriften
des Neuen Testaments neu übersetzt und für die Gegenwart erklärt (in Verbindung mit Fach-
genossen) von Joh. Weiß 1906. — Als Spezialschrift eines Philologen nennen wir W. Soltau, Unsere
Evangelien, ihre Quellen und ihr Quellen wert vom Standpunkt des Historikers aus betrachtet
Die christliche Literatur. 31
Die Tübinger historische Schule Ferdinand Christian Baurs ist es gewesen, welche
die Kritik der neutestamentlichen Schriften auf ihre wissenschaftliche Höhe
gehoben hat. Baur und seine nächsten Schüler hatten den Bildungsgang der schwä-
bischen Theologen durchgemacht. Nach gründlicher humanistischer Vorbildung traten
sie in das Tübinger Seminar (das Stift), in dem sie erst zwei Jahre Philosophie nebst
Geschichte und Philologie, dann drei Jahre Theologie zu studieren hatten; durch die
philosophischen Studien gewannen sie Einblick in die geistigen Strömungen der Ver-
gangenheit und Fühlung mit denen der Gegenwart, durch die philologisch-historische
Schulung wurden sie zu geschichtlicher Betrachtungsweise in philologischer Methode
erzogen. Darauf ruhte die wissenschaftliche Kraft der Männer, für welche Eduard Zeller,
einer aus der Zahl, den treffenden Namen der Tübinger historischen Schule ge-
prägt hat.
Baurs Tat bestand darin, daß er die Gesetze der historischen Kritik, wie sie von
den Historikern bei der Quellenkritik befolgt werden, auf die neutestamentlichen
Schriften anwandte, indem er sie im Zusammenhang mit der Geschichte des jungen
Christentums eine jede als notwendiges Erzeugnis einer Entwicklungsphase desselben
zu begreifen lehrte. Der Historiker unterscheidet zwischen „Urkunden", als Stücken
der Geschichte selbst, und „Berichten" dritter über die Geschichte. Baur erkannte in
den echten paulinischen Briefen und der Apokalypse die unmittelbarsten und ältesten
Urkunden aus der frühchristlichen Zeit, die daher als vorwiegend geeignet erschienen,
eine haltbare Unterlage für historische Forschung über dieselbe Zeit abzugeben; die
Evangelien hingegen besitzen nur den bedingten Wert von Berichten, so unersetzlich
sie uns sind als die immerhin besten, vielmehr als die so gut wie einzigen Quellen für
Jesus' Lehren und Wollen. Gegenüber den Briefen und der Apokalypse, als Ur-
kunden, gilt es die Situation zu ermitteln, aus welcher heraus sie geschrieben wurden;
gegenüber den Evangelien gilt es, das Glas zu ermitteln, durch welche ihre Verfasser
die Dinge gesehen haben; beiden gegenüber stellt sich die Aufgabe, die Absicht zu
erkennen, in welcher sie geschrieben wurden, die Wirkung, welche durch sie erzielt
werden sollte. Das ist der Sinn der für jeden Historiker selbstverständlichen und
allen Quellen gegenüber geübten „Tendenzkritik".
Es ist aber Pflicht des Historikers, bevor er Urkunden zu historischer Synthese
verwertet, ihre Echtheit zu prüfen, ihren wirklichen Ursprung festzustellen; und als
1901. — Ausgaben: Tregelles, Greek new testament 1857—79. Westcott and Hort, New
testament in the original Greek 1881. Tischendorf, Novum testamentum graece, editio octava
critica maior 1869—72; ed. de Gebhardt »1898 (ed. stereotypa «1894). Nestle 8° 31901; 24° 41903.
Hierzu Nestle, Einführung in das griechische Neue Testament 21899 (Textgeschichte und Text-
kritik). Jülicher, Einleitung 5570ff. — Sprache: Deißmann, Bibelstudien 1895; neue Bibelstudien
1897. Winer-Schmiedel, Grammatik des neutestamentlichen Sprachidioms 81894. Blaß, Grammatik
des neutestamentlichen Griechisch 21902. — Synopsen: A. Huck, Synopse der drei ersten Evan-
gelien (Anhang zum „Handkommentar zum Neuen Testament" I) 21898. R. Heineke, Synopse der
drei ersten kanonischen Evangelien mit Parallelen aus Johannes 1898. Mehr bei Jülicher, Ein-
leitung 5251 unten („leider vermißt man in diesen Synopsen durchweg die handschriftlichen
Varianten"). — Einen philologischen Kommentar zu den neutestamentlichen Schriften, Sprach-
liches und Sachliches berücksichtigend, gibt es noch nicht. Das müßte ein Philologe in die Hand
nehmen, etwa einer aus der Bonner Schule, der die Vorzüge ihrer Meister in sich vereinigte, der
Welcker und Usener, der Friedrich Ritschi und Otto Jahn; er müßte sich dazu mit einem sprach-
kundigen Theologen verbinden, wie es deren ausgezeichnete gibt.
32 Die literarischen Quellen.
literarische Erzeugnisse einer gewissen Person und Zeit haben auch Berichte die
Geltung von Urkunden, verlangen also dieselbe Echtheitsprobe, verlangen ein jeder
an die ihm zukommende Stelle im Fachwerk der Geschichte eingeordnet zu werden,
außerdem aber fordern sie, eben als Berichte, die Prüfung ihrer Zuverlässigkeit. Baur
gelangte auf Grund der von ihm in den neutestamentlichen Schriften gefundenen
Tendenzen zu dem Ergebnis, daß von den Briefen nur die vier an die Galater, die
Korinther und die Römer echt seien; es sind diejenigen, welche auf jeden Fall den
bedeutenden Kern der ganzen Briefsammlung bilden und von denen jede Rekonstruktion
der paulinischen Religion auszugehen hat. Alle übrigen Briefe galten ihm als unecht,
das will sagen als nachapostolisch. Aus der apostolischen Zeit entstammt nur noch
die Apokalypse, Baur erkannte den Apostel Johannes als ihren Verfasser an. Die
Evangelien sind, wie die nachpaulinischen Briefe, erst im zweiten Jahrhundert verfaßt,
zuerst Matthäus, dann Lukas (dem sich die Apostelgeschichte desselben Verfassers
anschließt), aus beiden ist unter starken Kürzungen Markus hergestellt, zuletzt folgt
das vierte Evangelium, in welchem die Grundlagen für die Theologie der Kirche
gelegt wurden.
Kein Entdecker ist gegen den Fehler gefeit, daß er neugefundene Schlüssel zu
ausschließlich und in zu weiten Grenzen anwendet. Wenn die Tübinger Schule dem-
selben Fehler verfallen ist, so hat ihn eben die, selbst inzwischen geschärfte Tübinger
historische Methode auch berichtigt. Es ist die Methode der wissenschaftlichen
Theologie.1)
Die Kritik der neutestamentlichen Schriften steht auf Baurs Schultern. Im
ganzen ist sie konservativer geworden. Von den Briefen werden (von Jülicher) außer
Galater, Korinther und Römer auch Thessaloniker, Philipper, Philemon, Kolosser und
vielleicht Epheser als echt anerkannt; von den Evangelien wird jetzt lieber Markus
an die Spitze gestellt, Matthäus und Lukas gelten als von ihm abgeleitet und aus
anderen Quellen erweitert. Das vierte Evangelium rückt aus der Mitte des zweiten
Jahrhunderts näher an dessen Anfang.
Außerkanonische Literatur. Die außerkanonischen Schriften bis zum Aus-
gang des Altertums findet man in Bardenhewers Patrologie verzeichnet; dieselben, aber
nur bis Eusebius, beziehungsweise nur bis 300, in Harnacks und in Krügers Ge-
schichten der altchristlichen Literatur. Unter dem Namen der Apokryphen, diesen
in weiterem Sinne verstanden, werden wohl auch die apostolischen Väter und die
ältesten Kirchenordnungen mit einbegriffen; so geschieht in Henneckes Neutestament-
lichen Apokryphen und dem dazu gehörigen Handbuch. — Apokryphen. Unter
neutestamentlichen Apokryphen, im eigentlichen Sinne, versteht man Schriften, welche,
meist neutestamentlichen Autoren untergeschoben, die neutestam entliche Literatur
fortbilden; den Gliederungen des Neuen Testamentes entsprechend, zerfallen sie in
Evangelien, Apostelgeschichten, Apostelbriefen und Apokalypsen.2)
l) Über die Tübinger historische Schule vgl. E. Zeller in der historischen Zeitschrift
IV 1860, über Baur denselben in den Preußischen Jahrbüchern 1861 (beide Aufsätze auch in
seinen Vorträgen und Abhandlungen 1865, 356 ff.) und in der Deutschen Biographie II Artikel
Ferd. Chr. Baur; ferner Jülicher, Einleitung 1894, 11. *~* 1906, 12 und in Joh. Weiß' Schriften
des N. T. 1906 I 26.
a) Apokryphen. Jülicher in Pauly-Wissowas Kealencykl. I 2823 Apokryphen. H. J. Holtz-
mann, Einleitung, 2 534 Neutest. Apokryphen. Harnack, Geschichte Ii Christliche Urliteratur. Krüger,
Die christliche Literatur. 33
Sog. apostolische Väter. Ihre Bezeichnung als apostolisch ist insofern un-
zutreffend, als sie erst der nachapostolischen Zeit angehören, rund den Jahren 75 — 150.
Sie werden neuerdings auch den Apokryphen beigezählt; sonst stehen sie an der Spitze
der Väter und bilden den Eingang der Patrologie. Es sind Briefe, genannt des Bar-
nabas, Clemens Romanus, Polykarp, Ignatius; auch der Hirt des Hermas ist hinzu-
gerechnet worden, wiederum Papias und der Brief an Diognet.1)
Aus der christlichen hebt sich als ein Hauptbestandteil die kirchliche Literatur
heraus; unter den Kirchenschriftstellern (Scriptores ecclesiastici) stehen obenan die so-
genannten Väter (Patres, das Wort bezeichnet in diesem Kreise eigentlich die Bischöfe).
Die geschichtliche Kunde von ihrem Leben und ihrer Schriftstellerei wird unter dem
Namen der Patrologie begriffen; dagegen die Patristik stellt die Lehren der Väter
systematisch dar (jetzt in der Form der Dogmengeschichte). Weil die Ermittelung
des Lehrsystems zur Vorbedingung die kritische Erforschung des Lebens und der
Schriftstellerei hat, so kann die Patrologie als Hilfsdisziplin der Patristik (oder
Dogmengeschichte) aufgefaßt werden; weil aber die Literaturgeschichte erst vollkommen
wird, wenn sie auch den Inhalt der Schriften aufnimmt, so kann umgekehrt auch die
Patristik in der Patrologie aufgehen. Die Kirchen haben eine engere Auswahl der
Väter als höchster Autoritäten anerkannt, die griechische Kirche Basilius den Großen,
Gregorius von Nazianz und Johannes Chrysostomus, die römische Kirche Ambrosius,
Hieronymus, Augustinus und Gregor den Großen; man nennt sie Kirchenlehrer
(Doctores ecclesiae). Diese Distinktionen haben nur kirchliche Bedeutung, die Wissen-
schaft läßt sie fallen, sie kennt nur „Kirchenschriftsteller", als eine Hauptklasse der
antiken Schriftsteller christlicher Religion.2)
Geschichte 32. 54. 23. ßardenhewer, Patrologie § 28 Übersicht über die neutest. Apokryphen (mit
Literatur). — Fabricius, Codex apocryphus novi testamenti 21719. 1743. Thilo, Codex apocryphus
n. t. I 1832. Hilgenfeld, Novum testamentum extra canonem receptum IV (apokryphe Evangelien,
Peter und Pauls Predigt und Akten, Petrusapokalypse) 21884. Andere Sonderausgaben erwähnt
bei Holtzmann, Krüger, Bardenhewer. Preuschen, Antilegomena , Eeste der außerkanonischen
Evangelien und urchristlichen Überlieferungen, herausgeg. und übers. 1901 (Ev. der Ägypter,
Hebräer, Ebioniten usf.). Klostermann, Apocrypha I (Petrusevangelium, -apocalypse, -kerygma)
1903 (wird fortgesetzt). Hennecke, Neutestamentliche Apokryphen, in Verbindung m. Fachgelehrten
in deutscher Übers, und m. Einleitungen herausgeg. 1904 (Evangelien, Briefe, Lehrschreiben und
Predigten, Kirchenordnungen, Apokalypsen, Apostelgeschichten [Legenden]) ; ders. Handbuch zu den
neutest. Apokr. in Verb. m. Fachgelehrten herausgeg. 1904 (Inhalt wie vor, dazu Jesus, seine
Jünger u. das Evangelium im Talmud u. verw. jüdischen Schriften; Neutestamentliches aus dem
Koran). — Über Apokalypsen vgl. E. Norden, Vergils Äneis Buch VI (S. 9 ein Verzeichnis).
A. Dieterich, Nekyia, Beiträge zur Erkl. der neuentdeckten Petrusapokalypse 1893.
*) Apostolische Väter: Hilgenfeld, Die apostolischen Väter 1853. Harnack, Geschichte I
Abschnitt I. Krüger, Geschichte, Erste Abteilung. Bardenhewer, Patrologie 14 Die urkirchliche
Literatur. — Hilgenfeld, Novum testamentum extra canonem receptum I Clemens Rom., II Barnabas,
III Hermas 1866. 2 1876 ff. v. Gebhardt-Harnack-Zahn, Patrum apostolicorum opera 1875 ff.; editio
minor zuletzt 1900. Lightfoot, Apostolic fathers I S. Clement of Rome 1890. II S. Ignatius.
S. Polycarp 21889. Hennecke, Apokryphen, 80 Briefe, 141 Lehrschreiben und Predigten; ders.,
Handbuch 172. 205.
2) Harnack (und Preuschen), Geschichte der altchristlichen Literatur bis Eusebius, I Über-
lieferung u. Bestand 1893. II Chronologie 1897. 1904. G. Krüger in Herzog-Haucks Real-
encyklopädie XV 1904 Patristik; ders., Geschichte der altchristlichen Literatur in den ersten drei
Jahrhunderten 1895 (§ 2 Überlieferung, Bearbeitungen, neuere Literatur, Hilfsmittel, Ausgaben).
O. Bardenhewer, Patrologie 21901; ders., Geschichte der altkirchlichen Literatur I 1902 (bis 200).
II 1904 (bis 300). Die griechische Literaturgeschichte von W. Christ, die römische von Teuffel-
Sybel, Christliche Antike I. 3
34 Die literarischen Quellen.
Als bemerkenswerte Unterarten der Kirchenväter heben wir die Apologeten, die
Häretiker und die Antihäretiker hervor. Die Apologeten des zweiten Jahrhunderts
wurden durch die Auseinandersetzung zwischen Christentum und griechischem Heiden-
tum ins Feld gerufen. Die Unterscheidung zwischen Häretikern und Anti-
häretikern ist natürlich vom Standpunkt der siegenden Partei aus gemacht; dabei
will beachtet sein, daß Rechtgläubige und Ketzer keineswegs durch eine scharfe Grenz-
linie voneinander geschieden sind.1)
Kirchenordnungen. Sie gelten als apostolisch, obwohl sie in späteren Jahr-
hunderten geschrieben sind. Es sind die Apostellehre (Didache) des zweiten, die
Didaskalia und die Canones ecclesiastici des dritten, die apostolischen Konstitutionell
des ausgehenden vierten Jahrhunderts.2)
Bischöfliche und Synodalschreiben des zweiten und dritten Jahrhunderts.3)
Märtyrerakten. Sie beginnen unter Antoninus Pius mit der Passio Polycarpi;
es folgen unter Marc Aurel die Acta Carpi, Papyli et Agathonices, die Acta S. Justini
et sociorum, die Epistola ecclesiarum Viennensis et Lugdunensis, die Acta martyrum
Scilitanorum , unter Commodus die Acta S. Apollonii, unter Septimius Severus die
Acta SS. Perpetuae et Felicitatis, unter Decius die Acta S. Pionii und die Acta
disputationis S. Achatii.4)
Hier folgt eine chronologisch geordnete Übersicht der altchristlichen Literatur;
es wird manchem angenehm sein, den ganzen Bestand mit einem Blick zu übersehen,
ehe er dem einzelnen näher tritt. Die Ansetzungen der neutestamentlichen Schriften
nach Jülichers Einleitung5, die der außerkanonischen Literatur bis Eusebius nach
Harnacks Geschichte der altchristlichen Literatur II, das übrige nach Bardenhewers
Patrologie 2.
Schwab und von M. Schanz III 21905, 240 (S. 266 neuere Literatur). — M. de la Bigne, Bibliotheca
sanctorum patrum 1575. Magna bibl. veterum patrum 1618. Maxima bibliotheca 1765. Migne,
Patrologia graeca 1857 ff. ; Patrologia latina 1844ff. Gebhardt-Harnack, Texte u. Untersuchungen
zur Geschichte d. altchristl. Literatur 1882 — 97; dasselbe als Archiv für die von d. Kirchenväter-
kommission d. K. pr. Akad. d. Wiss. unternommene Ausgabe der älteren christlichen Schriftsteller
1897 ff. Robinson, Texts and studies 1891 ff. Die griechischen christlichen Schriftsteller der
ersten drei Jahrhunderte, herausgeg. von der Kirchenväterkommission d. K. pr. Akad. d. Wiss.
1897ff. Corpus scriptorum ecclesiasticorum latinorum Vindob. 1866ff. Graffin-Nau, Patrologia
orientalis 1903ff. Ohabot etc., Corpus scriptorum christianorum orientalium 1903ff. Syrische,
slawische, koptische Übersetzungen bei Harnack, Geschichte I 885 ff. Syrische Schriftsteller bei
Bardenhewer 337, armenische eb. 519.
x) Apologeten: Krüger, Geschichte 60. Bardenhewer, Patrologie 39. Joh. Geffken, Zwei
griechische Apologeten (Aristides und Athenagoras; in der Teubnerschen Sammlung wissenschaft-
licher Kommentare) lb06. — Häretiker: Krüger 43. Bardenhewer 64. — Antihäretiker:
Krüger 88. Bardenhewer 103.
2) Didache: Harnack, Geschichte I 86. Krüger, Geschichte 40. Bardenhewer, Patrologie
17. Hennecke, Apokryphen 182; Handbuch 256. — Didaskalia: Harnack I 515, 14. Krüger
223, 1. Bardenhewer 148. — Canones ecclesiastici: Harnack I 451, 31. Krüger 224, 2.
Bardenhewer 141. — Apostolische Konstitutionen: Bardenhewer 307.
3) Schreiben des zweiten Jahrhunderts: Krüger, Geschichte 95, des dritten eb. 219.
4) Märtyrerakten: Bardenhewer, Patrologie 199, der nur unzweifelhaft echte und glaub-
würdige Akten aus der ältesten Zeit aufführen will, gibt obige Reihe. Krüger, Geschichte 236,
führt das Verzeichnis bis zu den Quadraginta martyres fort (unter Licinius um 320). Vgl. noch
Harnack, Geschichte I 969 Märtyrerverzeichnis, II 2. 463. Leclercq bei Cabrol, Dictionn. d'archeol.
clir^t. I 1903, 373. van Gulik, Rom. Quartalsschrift 1904, 265 über Pio Franchi de' Cavaleriis
hagiographische Schriften.
Entstehung der altkatholischen Kirche. 35
Urchristliche Zeit.
Jesus' Lebenszeit hat keine christliche Literatur hervorgebracht. •
Die apostolische Zeit (von der Kreuzigung bis Nero). In diesem Zeitraum,
zwischen 53 und 63, hat Paulus seine Briefe geschrieben; an Berichten entstanden die
frühesten Aufzeichnungen der Worte und Taten des Jesus, sowie der in die Apostel-
geschichte aufgenommene „ Wirbericht ".
Das zweite Geschlecht, der Epigonen (70 — 100), ließ an Briefen Hebräer und
Petrus I entstehen und die Apokalypse, an Berichten die synoptischen Evangelien
Markus, Matthäus, Lukas, dazu die Apostelgeschichte. In den Anfang des zweiten
Jahrhunderts gehören die drei Johannesbriefe und Judas, daneben, weniger Bericht als
Urkunde, weil eine neue Schöpfung, das vierte Evangelium. Vielleicht erst nach 125
fallen die „ Pastoralbriefe " an Timotheus und Titus, zu allerletzt kommen die
„katholischen" Briefe (Jakobus und Petrus II). — Den letzten Jahren des ersten und
der ersten Hälfte des zweiten Jahrhunderts werden die „apostolischen Väter" ver-
dankt, Klemens I, Polykarp, Ignatius, Barnabas, Hirt des Hermas, Papias, außerdem
Kerygma Petri, Petrusapokalypse; dem zweiten und teilweise vielleicht dem dritten
Jahrhundert eine Reihe apokrypher Evangelien (Hebräer, Petrus, Ägypter) sowie die
Acta Pauli.
Entstehung der altkatholischen Kirche.
Das zweite Jahrhundert (von Hadrian und Antoninus Pius bis Septimius
Severus). Auseinandersetzungen mit den heidnischen Griechen und zwischen den
Christen.
Apologeten: Quadratus, Aristides, Aristo, Justin, Tatian, Miltiades, Apollinaris,
Melito, Athenagoras, Theophilus.
Gnostiker: Basilides (zu Hadrians Zeit) und sein Sohn Isidor, Valentin und die
Valentinianer, Bardesanes, die Karpokratianer, die Marcioniten, Julius Cassianus.
Antihäretiker: Rhodon, Modestus, Musanus, Hegesippus, Irenäus; Montanisten
und Antimontanisten.
Bischöfliche Schreiben des Soter von Rom (Klemensbrief II), des Victor von
Rom u. a.
Märtyrerakten: des Polycarp 155, des Carpus, des Justinus, der Brief der Ge-
meinden von Vienne und Lyon 177, die Akten der Scilitaner 180, des Apollonius
ca. 185.
Das dritte Jahrhundert, (von Septimius Severus bis Diocletian). Schaffung
einer christlichen Philosophie (theologischen Wissenschaft).
Die Orientalen. Die Alexandriner Klemens, Origenes, Dionysios. Von den
Alexandrinern beeinflußt: S. Julius Africanus (Palästina), Alexander (Jerusalem),
Gregorios Thaumaturgos (Pontus), Eusebius von Cäsarea (dessen frühere Zeit). Andere
Orientalen: Pseudoclemens de virginitate, Paul von Samosata und Malchion, Lucian
von Antiochien, Methodius (Lykien), Adamantius, PseudoJustins Cohortatio ad Graecos.
Johannesakten (noch zweites Jahrhundert), Petrusakten, Thomasakten. Inschrift des
Abercius. Christliche sibyllinische Orakel. Sprüche des Sextus (christlich interpoliert).
Pistis Sophia.
Die Occidentalen. Die Afrikaner Tertullian, Cvprian, Arnobius und sein Schüler
36 Die literarischen Quellen.
Lactantius In Rom Hippolytus, Novatian. Victorinus von Pettau, Reticius von
Autun.
Didaskalia und Canones ecclesiastici.
Märtyrerakten: Perpetua und Felicitas 203. Pionius 250. Achatius usf.
Die orthodoxe ßeichskirche.
Das vierte Jahrhundert. Die neue Zeit wurde eröffnet durch das Toleranz-
edikt von 313; nach langem Kampfe, der nicht ohne Wunden blieb, erfolgte der Sieg,
besiegelt 392 durch das Verbot des Götterdienstes. Die Apologetik richtete sich
besonders gegen Kaiser Julian und gegen den Neuplatoniker Porphyrius, die Hauptmasse
der theologischen Schriftstellerei aber galt den innerkirchlichen Kämpfen um die
Christologie.
Das Zeitalter Konstantins und seiner Nachfolger. Die Griechen Arius, der Vater
des Arianismus, Eusebius von Cäsarea, Athanasius von Alexandria, Cyrill von Jeru-
salem; die Väter des ägyptischen Mönchtums, Antonius der Große und Pachomius; die
Gegner der Manichäer Hegemonius, Alexander von Lykopolis, Serapio von Thmuis,
Titus von Bostra. Der Syrer Jakob Aphraates. Die Lateiner Juvencus, Hosius von
Corduba, Firmicus Maternus, Marius Victorinus, Eusebius von Vercellae; der Dichter
Commodianus; Proba; der Chronograph von 354.
Die julianische und vortheodosianische Zeit. Die Griechen: ßasilius der Große,
Gregor von Nazianz und Gregor von Nyssa (die drei Kappadozier); Didymus der
Blinde; Epiphanius von Cypern und Nemesius von Edessa; die Mönche Orsisius und
Theodorus, Macarius Aegyptius und Macarius Alexandrinus. Der Syrer Ephräm. Die
Lateiner Hilarius von Poitiers, Zeno von Verona, Lucifer, Hilarius von Rom, Gregor
von Eliberis, Phoebadius, die Altercatio Heracliani; Pacianus, Optatus von Mileve.
Das theodosianische Zeitalter. Die Griechen: die Exegeten von Antiochia Diodor
von Tarsus, Johannes Chrysostomus, Theodor von Mopsuestia; vielleicht noch die sog.
apostolischen Konstitutionen. Die syrischen Gedichte des Cyrillonas. Die Lateiner
Ambrosius, Hieronymus, Rufinus, Prudentius und Paulinus von Nola, Priscillian,
Philastrius, Faustinus und Marcellinus; das Itinerarium von Burdigala und die Pere-
grinatio ad loca sancta; das Carmen adversus paganos und das ad quendam senatorem.
Das fünfte Jahrhundert. Erste Hälfte des Jahrhunderts. Die Alexandriner
Synesios von Kyrene und Cyrill; die Antiochener Polychronios, Theodoret von Kyrrhos;
die Kirchenhistoriker Philipp Sidetes, Hesychius, Timotheus, Sabinus, Philostorgius,
Sokrates, Sozomenos, Theodoret. Die Syrer Baläus, Rabbulas von Edessa, Isaak der
Große. Die Lateiner: Sulpicius Severus; Augustinus und sein Kreis, Marius Mercator,
Orosius, Prosper und Hilarius, Paulin von Mailand; die Leriner Joh. Cassianus, Hono-
ratus, Eucherius, Vincentius, Hilarius von Arles; Leo der Große, Petrus Chrysologus,
Maximus von Turin.
Zweite Hälfte des Jahrhunderts. Die Griechen Basilius von Seleucia Isauriae,
Antipater von Bostra, Ammonius, Gennadius von Konstantinopel, Gelasius von
Kyzikos, Victor von Antiochia, Pseudodionysios Areopagita, Prokop von Gaza. —
Die Lateiner, Gallien: Paulinus von Pella, Salvianus, Faustus von Reji, Apollinaris
Sidonius, Paulinus von Petricordia, Gennadius von Marseille, Avitus von Vienne.
Spanien: Hydatius (Idacius). Afrika: Victor von Vita, Vigilius von Thapsus, Ful-
gentius von Ruspe, Dracontius. Italien: Papst Gelasius I.
Die Inschriften. 37
Das sechste Jahrhundert (Justinian 527 — 565). Leöntius von Byzanz,
Justinian (schrieb vor 553), Theodorus Lector, Zacharias Rhetor, Kosmas Indikopleustes,
der Hagiograph Cyrill von Skythopolis. Der Lateiner Cäsarius von Arles. Italien:
Ennodius von Pavia, Dionysius Exiguus, Eugippius; Benedikt von Nursia, Victor von
Capua, Boethius, Cassiodor.
Zweite Hälfte des Jahrhunderts. Gregor von Tours. Yenantius Fortunatus.
Gregor der Große 590 — 604, der erste „Papst" im prägnanten Sinne, eröffnet das
Mittelalter.
Die Inschriften.
Neben den literarischen Quellen verlangen die Inschriften gebührende Er-
wähnung. Es sind vor allem Grabschriften, dann Weihinschriften von Bauten und
andere minder erhebliche Gattungen, unter denen die interessanten Kritzeleien (Graffiti)
hervorgehoben seien. In Material und Technik, Paläographie und Formular schließen
sich die christlichen Inschriften im allgemeinen den heidnischen an. Auf die einzelnen
Gattungen kommen wir ihres Ortes zurück; zuerst werden uns die Grabschriften der
Katakomben begegnen.
Ein Lehrbuch der christlichen Epigraphik fehlt noch; es ist mit Recht als be-
sonders dringendes Desiderat der christlichen Archäologie bezeichnet worden. Dazu
aber würde eine neue und umfassende Sammlung der christlichen Inschriften gehören;
innerhalb der antiken Inschriften bilden die christlichen doch eine Sondergattung von
oolcher Bedeutung, daß sie eine gesonderte Sammlung verlangen. Da sie in der Haupt-
sache — manches vorbehalten — bereits gut veröffentlicht sind oder neuer Ver-
öffentlichung entgegensehen wie die des Coem. Domitillae, so denken wir dabei weniger
an ein monumentales Corpus inscriptionum christianarum, als an handliche Bände, wie
es dergleichen für die heidnischen Inschriften bereits gibt.1)
*) Epigraphik: S. Reinach, TraUe" d'e'pigraphie grecque 1885. Larfeld, Griechische Epi-
graphik (in Iwan Müllers Handbuch d. klass. Altertumswissenschaft I 21892, 357). Cagnat, Cours
d'^pigraphie latine 1890. Hübner, Römische Epigraphik (in Müllers Handbuch I2 625). Le Blant,
Manuel d'öpigraphie chrötienne d'apres les marbres de la Gaule 1869 (vgl. dess. Epigraphie
chrötienne en Gaule et dans l'Afrique romaine 1890). Nik. Müller, Inschriften (in Herzog-Haucks
Realencykl. prot. Theol. IX 1901, 167. Kaufmann, Archäologie 1905, 188 Epigraphische Denk-
mäler. C. Cäsar, Observ. ad aetatem titulorum lat. Christ, definiandam spectantes 1896. Die großen
Inschriftwerke, das Corpus inscriptionum graecarum und das Corpus inscriptionum latinarum, haben
auch christliche Inschriften aufgenommen. Die folgenden Verweise beziehen sich teils auf den
Text, teils auf die Indices. CIG IV pag. 277 pars XL inscriptiones christianae. CI atticarum
III 11 p. 240. IG XIV Italiae et Siciliae p. 741. Ein CIG christianarum ist in Vorbereitung
(Bull. corr. hell. XXII 1898, 410). CIL III Orientis et Illyr. suppl II p. 2522. 2666. V Galliae cisalpinae
p. 982. VIII Africae I pag. 1087. IX Calabriae Apuliae Samnii Sabinorum Piceni p. 773. X 1
Bruttii Lucaniae Campaniae, n Siciliae Sardiniae p. 1137. XII Galliae Narbonensis p. 929. XIV
Latii veteris p. 568. — Eine Sammlung der stadtrömischen christlichen Inschriften begann de Rossi:
Inscriptiones christianae urbis Romae septimo saeculo antiquiores I 1861 (datierte). II 1 1888
(metrische). Einzelpublikationen im Bulletino cristiano und in der Roma sotteranea, sowie in
der Rom. Quartalschrift. Lichtdrucktafeln, welche die Abteilungen der von de Rossi im Lateran
geschaffenen Inschriftensammlung wiedergeben, in dessen Museo epigrafico cristiano Pio-Lateranense
(im Triplice omaggio alla Santita di Papa Pio IX) 1877. — F. X. Kraus, die christlichen In-
schriften der Rheinlande 1890 — 94. — Bücheier, Anthologia latina, II Carmina latina epigraphica
1895; vgl. Weymann, Blätter für Gymnasialschulwesen 1895 Heft 9, und Rom. Quart. 1896, 407
(Verzeichnis der christlichen carmina bei Bücheier, dem ein Sachregister fehlt).
Die Jenseitsgedanken des Altertums.
Die altchristliche Kunst entstand und stand
im Dienst des christlichen Jenseitsglaubens, die
Katakomben und der ganze Grabbau von vorn-
herein und ausschließlich, aber auch der Kirchen-
bau im wesentlichen, sicher in den uns vor-
liegenden Denkmälern. Um diese baulichen
Anlagen und ihre künstlerische Ausbildung
richtig zu verstehen, nämlich um den Vor-
stellungskreis vor Augen zu haben, aus dem
heraus die Christen ihre Gräber und Grab-
kammern, ihre Sarkophage, ihre Kirchen ge-
stalteten und schmückten, ist es nötig, die
christliche Seligkeit im Zusammenhang der
christlichen Jenseitsvorstellungen sich zu ver-
gegenwärtigen. Damit wir aber der Absicht
dieses Buches gerecht werden, müssen wir die
christlichen Vorstellungen in ihrem religions-
geschichtlichen Zusammenhang vorführen, mit-
hin im Rahmen des ganzen Altertums und der
von ihm erzeugten Seligkeitsbilder. Wir werden
die Völker des Altertums auf ihre Jenseits-
vorstellungen befragen, jedes für sich, werden
aber einleitend den Gang ihrer Entwicklungsgeschichte in der Gleichartigkeit der
Grundzüge bei allen charakterisieren. Es geschieht dies hier aber nicht, um der
literarischen Filiation jener Vorstellungen nachzugehen, noch um religionsvergleichende
Untersuchungen anzustellen und etwa auf Fragen der Mythogenese Antwort zu suchen.
In diesem ganzen Kapitel hat selbstverständlich der Mythologe das Wort, der vor
allem über die Widersprüche im Mythus sich nie verwundert.
Die Auswahl der hier vorgeführten Völker wird kaum eine Rechtfertigung
nötig haben. Am wenigsten durften neben den Juden die Griechen und Römer fehlen
(die Thrazier glaubten wir von den Griechen gesondert vorführen zu sollen). Alt-
ägypten und Altbabylonien sind so oft, gerade jetzt wieder, als Urquellen bezeichnet
worden, daß wir schon deshalb nicht an ihnen vorbeigehen konnten. Ferner liegen
Piaton.
Rom.
Drei Entwicklungsstufen. 39
die Perser und vollends die Inder. Aber wenn man bedenkt, wie sehr die EJerser
und die Griechen (von den jüdisch-persischen Beziehungen nicht zu reden) einander
suchten, freilich in sehr verschiedenem Sinne; wie schon seit dem sechsten Jahr-
hundert Griechen in immer wachsender Zahl an den persischen Hof gingen; wie es
griechische Künstler waren, die nach dem Sinne des Königs die persische Kunst
schufen; wieviel Kriegsgefangene die Griechen an die Perser abgaben, aber auch die
Perser in Griechenland zurückließen; wenn wir sehen, wie Antisthenes und Xenophon,
indem sie ihrem Volke neue Ideale vorzeichneten, auf die Perser hinwiesen: so würde
man sich nicht wundern, Spuren eines Austausches auch auf religiösem Gebiet zu
treffen. Greifbar wird solches Herüberwirken freilich erst im letzten Zeitraum
des Altertums, wo ein Samenkorn aus Persien in den klassischen Boden fiel und sich
zu einem weithin über das Römerreich schattenden Baume entwickelte, allerdings der
Mutter fast ähnlicher als dem Vater, darin verwandt der gleichzeitigen Entwicklung
jenes aus Judäa in den griechischen Boden gebrachten Senfkorns. Fehlte es auch
ganz an solcher Fernwirkung, wie sie in den Mithrasmysterien doch vorliegt, so bliebe
immer die wichtige Wurzelverwandtschaft der Perser und Griechen. Ebendies gilt
von den Indern, nur daß Übertragungen von Indien her noch problematischer sind.
Andere Gesichtspunkte werden uns zu diesen Völkern noch zurückführen.
Drei Entwicklungsstufen.
In der Geschichte der Jenseitsvorstellungen lassen sich mancherlei Wandlungen
beobachten, in denen drei Hauptmomente hervortreten, Urglaube, Reform und Reaktion.
Zunächst einige Worte über diese drei Entwicklungsstufen.
Alle Jenseitsvorstellungen wurzeln im Urglauben, der seinerseits mit den
Urgebräuchen zusammenhängt. Ihrer aller Ursache ist der absolute Gegensatz des
Lebensgefühls zu dem das Leben aufhebenden Tod; der natürliche Mensch weiß
weder das Leben richtig zu werten noch sich in die Tatsache des Todes zu schicken
und begehrt in naiver Unbescheidenheit mehr als des Menschen Teil ist. Die primi-
tive Einbildung eines Fortlebens des doch toten Menschen rechtfertigt sich nur als
ein erster Versuch, die Aufgabe zu lösen, welche gereiftere Geistesverfassung sich
klarer darstellt, das ist, den Tod geistig zu überwinden.
Der Widerspruch zwischen der Tatsache des eingetretenen Todes und dem
Postulat der Fortdauer fand einen Ausgleich in der Vorstellung eines vom Körper
sich lösenden und getrennt weiter existierenden Lebensträgers. Den Vorgang des
Sterbens beobachtend glaubte man im letzten Hauch aus dem offenbleibenden Munde
den entweichenden Träger des Lebens und Willens zu erkennen, der nun wie ein aus
dem Nest gestoßener Vogel in die Luft flattere, vielleicht im Winde verwehe oder
aber, hieran klammert sich das Lebensgefühl, sich erhalte und einen Aufenthalt suche.
Das ist die Genesis der eigentlichen Seelenidee, im besonderen der Hauch- oder Luft-
seele (Psyche) und des grob mythischen Seelenvogels. Von der Hauchseele, sofern sie
nicht verweht, dachte man zunächst, daß sie in der Nähe bleibe, der Todesstätte, des
Hauses, des Grabes; und daß vielleicht diese oder jene dem Nachgebliebenen
begegnende oder auffallende Gestalt eben der Verstorbene sei, in deren Körper die
Seele eintrat, um in ihm sichtbar zu werden, etwa ein Tier, eine Blume, vielleicht
auch ein anderer Mensch. Vermag die Seele aber sich so frei zu bewegen und in
40 Die Jenseitsgedanken des Altertums.
dieser oder jener Gestalt zu erseheinen, so kann sie aus einem Körper in den
anderen übergehen, der Typus der Seelenwanderung ist gegeben. Doch gehen die
Gedanken auch weiter, lassen die Luftseele in die Höhe steigen; die Sterne, die auf
uns niederblicken, erscheinen dann wohl als die Seelen unserer Verstorbenen, oder in
abgeschwächter Vorstellung, die Seelen wohnen auf den Sternen und schauen auf
uns nieder. Oder sie wohnen auf dem Mond. Auch die Milchstraße kommt in
Betracht. Waren aber da oben im lichten Himmel, der besonders licht ist um die
Sonne, Götter gedacht, so sieht man die Seelen noch lieber im reinen Licht in der
Gemeinschaft der Gottheit. Genauere Lokalisierung wird den himmlischen Ort nicht
gleich im Zenith suchen, eher in der Sonnenbahn, im ganzen lieber auf der Seite des
Aufgangs, sei es nun mehr nach dem Mittag hin oder nach Norden, von wo die
Sonne bei ihrem frühesten Aufgang zu kommen scheint. Doch brachte die Leibhaftig-
keit der Göttervorstellung es mit sich, daß man sie gern auf festeren Boden stellte,
so auf die in den lichten Himmel ragenden Berggipfel; dem früheren Menschen lag
es ja fern, die Gipfel selbst zu ersteigen.
Es kommt auch der Gedanke vor, daß das Leben im Blute sei; er ist aber
mythogenetisch unfruchtbar geblieben. Dagegen fand man einen anderen brauchbaren
Träger des Selbst in der Gestalt. Man hielt sich zunächst an die Erscheinung des
Menschen im ganzen und dachte ihn so weiterseiend; im Traume hatte man ihn
gesehen, oder eine überhitzte Phantasie hatte sich sonst mit seinem Trugbild erschreckt.
Freilich lag der Körper tot am Boden. Aber was man im Traum gesehen hatte, war
doch nicht der Verstorbene im Körper selbst gewesen, wohl aber er in seiner Gestalt, oder
etwas wie sein Bild. Also die vom Körper gelöste Gestalt (ägyptisch Ka, man sucht
den Begriff mit „Doppelgänger" zu umschreiben; griechisch Eidolon, Bild in ganzer
Figur), diese wahrhafte Abstraktion des Menschen konnte nun leicht als der fort-
dauernde Träger der Persönlichkeit gelten. Im Sterben löste sich das Eidolon ab,
vielleicht mit der Fähigkeit, nach Umständen vorübergehend oder dauernd sich wieder
mit dem Körper zu vereinigen.
Wir müssen jetzt nach dem Verbleib des Körpers fragen. Der Leichnam des
im Freien Gestorbenen, Verunglückten oder Getöteten mochte in der Urzeit an der
Stätte des Todes liegen bleiben; wer in seiner leichtgebauten Hütte den Tod fand,
dem mochte man die Hütte überlassen. War das Haus dafür zu wertvoll und die
Behauptung der Stätte zu wichtig, so konnte man den Körper in der Mitte des
Raumes unter dem Herdplatz vergraben (an den Wänden herum schliefen die
Lebenden) oder außer dem Hause unter dem Dachrand; dauernd erhielt sich Bestat-
tung auf dem Familiengut. Bei gedrängterer Ansiedelung mußten die Toten den
Lebenden den Platz einräumen. Man trug sie hinaus in die nächste Schlucht, Wildnis
oder Wüste, wo sie ein Fraß der Raubtiere wurden, oder auf eine Felsklippe, wo die
Raubvögel sie fanden. Fehlte es an solcher Gelegenheit, so vergrub man sie in ge-
sonderter Totenstadt, einer Art Abbild der Städte der Lebenden. Immer ist das
Totenreich ein Scheinbild des Lebens. Wie es dazu gekommen sein mag, das bleibe
hier ungefragt, kurz, als jüngste Bestattungsart kam die Verbrennung in Aufnahme.
Die fast vollständige Vernichtung des Körpers und die Auflösung im flammenden
Feuer mochte der Seelenvorstellung zugute kommen; doch wenn die Asche beigesetzt
wurde, so fiel der Nachgedanke nicht viel anders aus als beim Vergraben des
ganzen Körpers.
Drei Entwicklungsstufen. 41
Jedenfalls hatte der Bestattungsbrauch Einfluß auf die Jenseitsgedanken. In
Memphis hat sich die Kultur der Ägypter zuerst gefestigt, auch ihre Gedankenwelt;
brachten die Memphiten ihre Toten über den Fluß an den Rand der westlichen
Wüste, so wurde ihnen der Rachen des Schakals der Wüste ein Bild für den Ver-
schlinger Tod; darüber hinaus aber entstand ihnen, rein aus den örtlichen Bedingungen,
die Vorstellung eines westlichen Reiches der Toten. Stützend trat das Bild der in
demselben Westen untergehenden Sonne hinzu, welches anderen zum alleinigen Grund
für die Vorstellung des westlichen Totenreiches wurde; denn die Sonne bedeutet
Leben (den Primitiven in noch viel unmittelbarerer Kraft als uns gegen die Natur
Verschanzten), ihr Untergang bedeutet Tod. — Sobald aber die Beerdigung stehender
Brauch geworden war, so mußte sich die Vorstellung eines Totenreiches unter der
Erdoberfläche bilden. Da liegen die Toten und ruhen. Da liegt einer neben dem
andern, immer mehr kommen hinzu, schon sind es die mehreren. Die durch Verstand
nicht gezügelte Einbildungskraft belebt alles; sobald sie die vielen unter der Erde
auch nur denkt, so sind sie ihr schon belebt, ein Reich und Abbild wieder der
Reiche auf der Oberwelt, ein Schattenreich. Ein finsteres Reich, lichtlos; oder nein,
die im Westen gesunkene Sonne fährt des Nachts durch das Totenreich zum Aufgang
zurück, sie leuchtet, wie sie nachts und unterirdisch eben leuchten mag, den Unter-
irdischen. Es taucht wohl auch die Phantasie einer eigenen Totensonne auf. — Der
Tod gibt nichts zurück; wer in die Unterwelt eintrat, den läßt sie nicht wieder heraus,
ihre Tore sind ehern und festverriegelt, bewacht von unerbittlichen Pförtnern. Nackt
gehst du dort hinein, wie du nackt in die Welt gekommen bist. Das Totenreich,
Abbild der oberirdischen Reiche, hat einen König, der wohnt in einem Palast mitten
unter den Toten. — War das Begraben Ritus, so war der Tote, der unbegraben
blieb, ausgeschlossen von der Teilnahme an dem Reich, in das er gehörte. Der Hinter-
bliebene schuldet dem Toten das Begräbnis, wäre es auch nur ein rituales; eine
Handvoll Erde auf die Leiche geworfen, genügt, daß er in die Unterwelt
einkehre und zur Ruhe komme. Die Kulturpflicht, die Leiche zu vergraben, wurde
Aberglauben.
Der Tote lebt, flüstert die Einbildungskraft, den einen tröstend, den anderen
ängstigend. Er lebt, auch dies im Abbild des Lebens, als Freund oder als Feind.
Er hat Macht, dir zu nützen oder zn schadeu. Er ist um dein Haus, kann es behüten
und ihm Segen schaffen. Und wieder: er ist nicht tot; wenn du ihm das Seine vor-
enthältst, so kommt er herauf, mahnt und büßt dich. Alles, was er hinterließ, ist
sein eigen; er kann es fordern. Und wieder: er lebt; so bedarf er Speise und Trank,
Kleid und Salbe wie du. Willst du seinen Groll nicht reizen, so gib ihm, wessen er
bedarf. Bist du es, der ihn erschlug, so fürchte seine Rache, er wird sich an deine
Fersen heften; also gib ihm die Sühne, die er verlangt, damit er in seiner Ruhe
bleiben und du in deiner Ruhe bleibest. Seit jenen Tagen spricht man: Ruhe in
Frieden. — Begräbnis, Totenopfer und Spende, vorkomm endenf alles Sühnopfer,
das zusammen macht den Totenkultus aus. Es ist möglich, den Toten bei freund-
licher Gesinnung zu erhalten. Wer aber den richtigen Namen richtig auszusprechen
weiß, der besitzt magische Gewalt, er vermag Götter zwingend zu rufen (das nennt
man beten) und Tote aus der Tiefe.
Das Reich der Toten ist abgeschieden von dem der Lebenden; es kann auf der
Erde gedacht sein, dann ist's aber außerhalb der Grenzen der Siedelung, des Landes,
42 Die Jenseitsgedanken des Altertums.
des menschlichen Bereiches, die nun freilich nach dem Gesichtskreis des betreffenden
Volkes enger oder weiter gezogen sein können, so weit auch, daß das jenseitige Land
außerhalb der Welt fällt. Es ist abgeschieden: um dahin zu gelangen, muß der Tote
über einen Fluß, einen See, ein Meer; gilt aber die Luftseele und ist das Seelenreich
am Himmel gedacht, so muß die Seele durch die Luft und über das Luftmeer fahren.
Über den Fluß, den See, das Meer fährt ein Kahn, der Totenfährmann setzt über,
auch über das Luftmeer. Der Seelenvogel, oder die befiederte Seele, entschwebt auf
den eigenen Flügeln; sonst wird die Seele auch von Vögeln geleitet oder von Engeln
getragen, wie eine schräge Bahn hinan, gen Morgen. Durch das Wasser geht auch
eine Furt; oder eine Brücke führt hinüber, über den Fluß, über das Luftmeer. Das
Land ist fern, der Weg dahin ist weit, schwierig, gefahrvoll, die Brücke ist
schmal, wer keine Helfer hat, der stürzt hinab; darum ist es gut, die Gunst der Voran-
gegangenen sich zu sichern.
Bei dem Scheindasein der Toten bleibt die Phantasie nicht stehen, sie läßt sie
drüben sich regen in einem Abbild des diesseitigen Lebens. Der Tote lebt weiter in
der Gestalt und Kleidung, im Zustand des Leibes und Zuschnitt der Lebenshaltung,
wie er es hatte zur Zeit seines Todes. Er lebt sein altes Leben weiter, der Jäger
jagt, der Bauer baut das Land, die Kinder hüpfen in der Blumenwiese, die Jugend
treibt allerlei Spiel. Die Freuden dieses Lebens stehen als Schmuck des jenseitigen
vor Augen. Ein Trunk frischen Wassers aus der Quelle dünkt auch für den Toten
Erquickung; Wasser oder Honigseim, Milch, Butter, Ol, Bier oder Wein, einem jeden
sein Getränk auch drüben. Das Mahl ist der Gipfel des Tages, das Gelage ein Fest, auch
jenseits, das Gelage im Garten voller Blumenduft, im Schatten von Bäumen, das
Gelage mit den alten Zechgenossen, die der Verstorbene alle drüben wiederfindet.
Damit er ohne Erröten in den Kreis der Vorangegangenen eintreten dürfe, will die
Leiche anständig gekleidet und ausgestattet sein. — In Gebirgsländern wohnte der
Mensch zuerst in Höhlen, dachte sich daher auch den Gott in einer Berghöhle
wohnend. Auch die Toten ruhten in Höhlen; so entstand das Bild des Totengelages
im Berg unter Vorsitz des Gottes. War eine Quelle in offner Höhle, so mochte
auskleidender Efeu mit anderem Grün sie zu einer bacchischen Grotte gestalten;
auch dies Bild folgte ins Jenseits. Wohnten Götter auf den Berggipfeln im lichten
Himmel, so warf der hinaufschauende Blick das Gelage in die Höhe. Und da
ursprünglich der Mensch nicht differenziert wurde in Leib und Seele, so hieß es ein-
fach, er ist zu dem Gott hingegangen, der Gott hat ihn zu sich geholt, was dann leicht
zur Vorstellung von Entrückung Lebender wurde. — Wenn der Blick sich zur Unter-
welt hinabsenkte, so schaute er das Gelage dahinein. — Das Bild des Jenseits in der
Auffassung als eines Zustandes üppiger Glückseligkeit floß in der Ausmalung
zusammen mit dem zwar anders visierten , nämlich in die Vergangenheit zurück-
gespiegelten, aber im Gehalt identischen Bild des goldenen Zeitalters, der saturnischen
Zeit; so wurden die Inseln der Seligen, die elysischen Gefilde.
Die Reform. Sie begann leise und allmählich aufzukeimen; sie wuchs heran
und sammelte Kraft. In der Hand großer Reformatoren brach sie dann hervor und
bewirkte fundamentale Änderungen des Denkens. Ägypten und Babylonien können
uns hier weniger geben; deren Entwicklungs- und Blütezeiten, obendrein noch recht
unbekannt, liegen vor dem klassischen Altertum und was ihm parallel geht, im
Israelitismus, in Persien und Indien. Ungefähr um dieselben Jahrhunderte sehen wir eine
Drei Entwicklungsstufen. 43
tiefgehende geistige Bewegung die genannten Völker ergreifen; sie hängt eng zu-
sammen mit dem Aufblühen der Literaturen. Bei den Griechen geht das homerische
Epos voran, nachher wird die Reformbewegung vorzüglich von der Philosophie
getragen. Bei den Israeliten ist es die Prophetie, die den Jahwismus in seiner eigen-
tümlichen Bedeutung ausprägt und die hebräische Literatur erst schafft. Bei den
Persern trat Zarathustra als Reformator auf, bei den Indern Gotama Buddha. In
welcher Richtung die Reform ging, müssen wir uns hier vergegenwärtigen, soweit es
unser Thema berührt. Die Reform war im Grunde logischer Natur, beruhte auf
tieferem und schärferem Denken, vorzüglich im Ethischen, dann aber auch im
Physischen. Die ganze Jenseitsmythik wurde neu durchgedacht, ethisiert, wurde zu
einem wichtigen Träger der sittlichen Idee.
Aus der blutdürstigen rohen Urzeit heraus strebt die Reform in reinere Luft.
Sie will nicht mehr die Frauen und Sklaven, die Hunde und Rosse der Verstorbenen
ihnen ins Grab oder auf den Scheiterhaufen nachwerfen; den Blutzoll löst sie ab mit
einer symbolischen Handlung. Der Gedanke des Fortlebens bleibt, aber er wird für
die Lebenden paralysiert; die Verstorbenen entläßt man in das abgeschiedene Schatten-
reich, indem man den Leib beerdigt und mit der letzten Schaufel Erde auf den Grab-
hügel das Tor hinter ihnen schließt, das Tor der Rückkehr, auf welcher alle Gespenster-
furcht beruhte. Praktisch bedeutsam bleibt das Fortleben im Nachruhm, in den
Nachkommen, im Nachwirken eines jeden in seinem Kreise. — Der Gedanke des
Jenseits bleibt; aber die Ethisierung macht das jenseitige Schicksal statt von Geburt
und Gnade abhängig von der im Leben bewährten Gerechtigkeit. Nach dem Her-
kommen galt der Edeling als der Edle und Gute, der Geringe war der Schlichte und
Schlechte; die neue Versittlichung brachte den inneren Wert zur Anerkennung, verfiel
dann freilich zuletzt in das entgegengesetzte Extrem, den armen Lazarus nur seiner
Armut halber in Abrahams Schoß zu bringen und den in diesem Leben gesättigten
reichen Mann eben deshalb in das höllische Feuer. Es muß aber schon als Reform
betrachtet werden, wenn an die Stelle des politischen und sozialen Wertmessers zu-
nächst erst der religiöse trat, wenn die Gerechtigkeit in der Religiosität gefunden
wurde, in der ritualen Korrektheit; der Fromme galt als der Gerechte. Es war ein
weiter Weg bis zur reinen Sittlichkeit. Als ein Zeichen feiner unterscheidenden sitt-
lichen Urteils mag es auch gelten, wenn das fortdauernd geglaubte jenseitige Schicksal
immer genauer abgestuft wurde für die Grade der vollkommen Guten, der Besseren,
der Mittelmäßigen und der Verworfenen.
Die Seelenlehre selbst, befruchtet von der inzwischen weitergebildeten Welt-
lehre, erfuhr eine Verfeinerung, nämlich der Luftseele zur Atherseele. Endlich die ganze
Psychomythie verlor im Reformprozeß Saft und Farbe, oft scheint sie zur poetischen
Metapher zu verblassen. Dies Schweben zwischen Mythus und Metapher fällt z. B.
bei der persischen Literatur sehr auf; bei den griechischen Philosophen ist es ver-
schieden: in den alten Vorstellungsformen arbeiten neue Gedanken, oder jene dienen als
Vehikel für diese, oder sie werden bestimmt abgelehnt. Die Reformatoren der Perser
und Inder, der Israeliten und Griechen sind alle auf diesen Wegen zu finden, auf dem
Wege vom Mythischen hinweg zum Logischen. Uns geht besonders die Frage an,
heute die brennende, ob der Grieche, ob Plato bis auf den Ankergrund des logischen
Gedankens hinabgetaucht sei.
Die Reaktion. Der Urglaube war nie verlöscht, unter der Asche glomm er
44 Die Jenseitsgedanken des Altertums.
fort, um bald wieder aufzulodern und nach langem Ringen zuletzt siegreich mit seinem
magischen Schimmer das Licht der Welt zu sein. Allerdings nicht in seinem Urzu-
stand; sondern in seiner höheren Potenz, der Mystik, bemächtigte er sich des praktisch
stärksten Motivs der Reform, des Ethischen, und verband damit Elemente der Natur-
wissenschaft. So wurde die Theologie wissenschaftlich; die Philosophen aber (Vorher-
gesagtes kehrt hier wieder, nur in anderer Beleuchtung) waren in den alten Vor-
stellungsformen meist noch zu sehr verstrickt, um für den neuen Wein gleich neue
Schläuche schaffen zu können; einige meinten vielleicht, das neue Lied leichter unter
die Leute zu bringen, wenn sie es der altvertrauten Singweise unterlegten; kurz, sie
gerieten in die Irrgänge theologisierender Spekulation, jedenfalls in den Schein solcher
Zwitterart.
Das rituelle Begräbnis mit dem Apparat des Totenkultus hatte sich erhalten,
und der übrige Ritualismus kam nun erst in seine Blüte. Hades wie Scheol hatten
soviel mythische Dichtigkeit, daß moralisierende oder politisierende Phantasie alles
daraus bilden und darauf bauen konnte. Die Menschen, von jeher lüstern, dem Tod
auf irgend eine Art zu entgehen, erzählten sich Geschichten von Hinabgang und
Wiederkehr, von Wiederbelebung Toter; die Hoffnung der Juden fügte die leibliche Auf-
erstehung in ihren Erlösungsplan ein. Die aus den verschiedensten Notionen unab-
hängig voneinander entstandenen Jenseitsvorstellungen wurden durch die planmäßige
Ethisierung in ein System gebracht; das lichte und heitere Jenseits wurde den fromm-
gerechten Geweihten verheißen, das finstere und qualenreiche den gottlos ungerechten
Ungeweihten angedroht. Die hiermit eingeführte Scheidung der Verstorbenen ver-
dichtete sich zum Bilde eines Gerichts, das von persönlichen Richtern abgehalten
wird; es sind immer selbst Verstorbene (die scheinbare Ausnahme in Piatos Gorgias
ist nur ein geistreiches Spiel), immer sind es Bevorzugte, mehrfach ist es der jeweilige
„Erstling", der Herr und Erlöser der Toten. Die Phantasie hatte weiten Spielraum,
in der Ausmalung des Jenseits sich zu ergehen. Auf der einen Seite die Seligkeit
im Licht, in herrlichen Paradiesen mit berauschenden Düften, das Gelage oder das
Lager der Heiligen, dort in ewiger Trunkenheit, hier in ewigem Anbeten und Lob-
singen; da ist alles Licht und überirdische Farbe, das Weiß weißer als Schnee, das
Rot röter als Rosen, weiße Gewänder, die Mauern des Palastes wie von Licht; die
Stadt und das Land der Seligen, die Stadt Gottes, das himmlische Jerusalem, das ist
alles Gold und Elfenbein, Jaspis, Sarder, Beryll und Smaragd. Auf der anderen Seite
Verdammnis in Finsternis, in Schlamm- und Feuerströmen; Grundgedanke war die
Fortdauer des Lebenszustandes, der „Unreine" liegt auch drüben im Kot, der Schuldige
leidet, was er getan. Die kosmologische Spekulation gab mehreres dazu: die Ge-
danken von Weltuntergang und Welterneuerung, die neue Welt wird unvergänglich
sein, zuletzt wird der Teufel, der Tod selbst vernichtet; ferner die Sonderung des
Äthers in der Sonnensphäre von der unteren Atmosphäre, die Sublimierung der Luft-
seele zur Ätherseele und ihre Rückkehr in die himmlische Heimat.
Alles weitere wird sich im Folgenden finden. Die nach Völkern geordnete Über-
sicht der Seligkeitsvorstellungen (diese immer im Rahmen der ganzen Jenseitsgedanken)
hat nicht, das sei wiederholt, die Ursprünge als Ziel (sonst müßten auf Ursemiten
und Babylonier die Israeliten folgen), sondern die Ausgänge des Altertums, wo dann
die Juden den Christen vorangehen. Es folgen sich also Ägypter und Babylonier,
Perser und Inder, Thraker und Griechen, Juden und Christen.
Die Völker. 45
Die Völker.
Religionsgeschichtliche Forschungen suchen überall in die Anfänge einzudringen,
um die religiösen Gedanken an ihrem kulturgeschichtlichen Keimpunkt zu erfassen
und von da aus ihre weitere Entwicklung verfolgend, neues Licht zum Verständniss
der gereifteren Anschauungen zu erschließen. Als Hilfswissenschaft der Religions-
geschichte bietet sich die Religionsvergleichung an, welche auch die sogenannten
Naturvölker in Betracht zieht, das Hauptobjekt der Völkerkunde. Man hofft an
den lebenden Völkern die primitiven Vorstellungen gleichsam auf der Tat zu ertappen,
welche für die Anfänge der Kulturvölker aus den dürftigen Denkmälern der Urzeit
selbst und aus deren Nachlebseln in der Literatur und den Monumenten der geschicht-
lichen Zeit so schwer zu rekonstruieren sind. Das Unternehmen ist nicht fruchtlos,
immer unter dem Vorbehalt, daß die Naturvölker von den Kulturvölkern im jahr-
tausendelangen stillen Verkehr von Hand zu Hand, an dem es nie fehlte, dies und
jenes angenommen haben können. Wenn es nun wahr ist, daß der natürliche Mensch
den Tod nicht begreift, und wenn wir den Jenseitsglauben als eine primitive Er-
scheinungsform der geistigen Überwindung des Todes auzuerkennen haben, so ver-
stehen wir, was die Völkerkunde lehrt, daß auch das roheste Naturvolk nicht ganz
ohne Glauben an eine Fortdauer nach dem Tode ist. Zunächst, so hören wir weiter,
läßt man die Geister in Pflanzen, Tieren, Steinen wohnen; daraus entwickelt sich die
Vorstellung besonderer Geisterländer, zu denen in der Regel ein schwieriger Zugang
über schmale Brücken und reißende Ströme führt. Diese Geisterländer denkt man
sich, dem beschränkten Gesichtskreis der meisten Naturvölker entsprechend, oft ganz
in der Nähe oder unter der Erde, wohl auch auf Bergen, in der Sonne oder im
Mond.1)
Die Kulturvölker des Altertums haben jedes eine lange Geschichte durchlebt
und bei gleichbleibender Grundart manche Wandlungen in der Kultur erfahren; daher
ist es nötig, die Zeiten zu unterscheiden. Die Jenseitsvorstellungen wurzeln natur-
gemäß in der primitiven Vorzeit; bei den Ägyptern standen sie bereits zur Pyramiden-
zeit in der Hauptsache fest, sogar eine so sekundäre wie Osiris, der Totengott, war
schon damals durch ganz Ägypten anerkannt.
Unbefangen genug nahmen die Ägypter verschiedene Träger des Lebens neben-
einander an, einen, den Ka, in der Gestalt des Menschen, man nennt ihn wohl den
Doppelgänger, wie auch eine Seele, die als Vogel, doch auch als Blume, als Tier oder
sonst in einer beliebigen Gestalt sichtbar werden könne (Wie ein Mißverständnis dieses
Glaubens sieht aus, was die Griechen von einer Seelenwanderungslehre der Ägypter
berichten; authentisch ist sie nicht bezeugt). Das Reich der Toten dachten sie sich
im Westen und unter der Erde, lieber aber am Himmel. Die großen Sterne waren
ihnen Götter, die kleinen aber Verstorbene, denen der große Gott, der Herr des
Himmels (der Sonnengott Re) die Hand gereicht hatte. Der Verstorbene, so heißt es
x) Religionsgeschichte: Chantepie de la Saussaye, Lehrbuch der Religionsgeschichte 2I
1897. — Naturvölker: Th. Waitz, Anthropologie der Naturvölker 1859 ff. Mehr bei Chantepie
I 18. Unser kurzes Resurne- nach H. Öchurtz, Katechismus der Völkerkunde 1893, 91.
46 Die Jenseitsgedanken des Altertums.
in den Texten, geht zum Himmel voll Lebenskraft, daß er seinen Vater schaue, daß
er den Re schaue; der aber spricht zu ihm: ich gebe dir deine Sprache und deinen
Leib, und du empfängst die Gestalt eines Gottes. Und Re läßt seinen Leib leuchten
wie den der Himmlischen; er nimmt ihn als Ruderer in seine Barke, er macht ihn
zum Befehlshaber seiner Ruderer, er setzt ihn an die Stelle seines Schreibers, so daß
er Richter und Schiedsrichter ist und Befehle gibt einem, der größer ist als er. Der
Wohnort der Verklärten wurde genauer an der Ostseite des Himmels gedacht auf
seinem nördlichen Teile, man malte ihn aus als eine Reihe fruchtbarer Inseln (viel-
leicht wurden die dunklen Flecke in der Milchstraße als Inseln aufgefaßt), auf dem
„ Speisenfeld " und dem „Feld Earu" (das sich andere Gelehrte freilich auf der Erde
denken, etwa im Nildelta) bestellen sie ihre Äcker und haben Brot, Fleisch und Bier,
die ewig dauern. Dorthin tragen den Verstorbenen die Vögel des Himmels; der
Fährmann der Götter wird sie übersetzen, aber nur den Gerechten, der nichts Böses
getan hat, der nie den König geschmäht oder die Götter mißachtet hat.
Diese, wenigstens in den Grundzügen primären Vorstellungen wurden über-
wuchert und durchwachsen von den Osirisgedanken. Osiris mußte den Tod erleiden,
ward aber wieder zum Leben erweckt und wurde der König der Toten; er ist der
Erstling derer, die im Westen sind, und sein Teil wird auch das Teil des Verstorbenen
werden. So wahr Osiris lebt, wird auch er leben. Er steigt in den Himmel empor,
das Himmelstor wird ihm geöffnet; da nimmt Re ihn bei der Hand und setzt ihn auf
den Thron des Osiris, damit er die Verklärten regiere. Die im Keim schon alte Idee
des Totengerichts wurde erst in verhältnismäßig jüngerer Zeit ausgebildet (im mitt-
leren Reiche). Vor dem Thron des Orisis und der zweiund vierzig Richter beteuert
der Tote, er habe keine Sünde gegen Menschen getan, nichts, was die Götter verab-
scheuen; er habe niemand bei seinem Vorgesetzten schlecht gemacht, habe nicht
hungern lassen, nicht weinen gemacht, nicht gemordet, den Göttern und den Ver-
klärten ihre Speise nicht genommen, nicht Unzucht getrieben, nicht falsches Maß und
Gewicht gebraucht, nicht die Milch vom Munde des Unmündigen geraubt; ich gab
Brot dem Hungrigen, spricht der Tote im gleichen Sinne auf seinem Grabstein, und
Kleider dem Nackten und fuhr den, der nicht übersetzen konnte, auf meiner Fähre
über; ich war ein Vater dem Waisen, ein Gatte der Witwe, ein Windschirm des
Frierenden, ich sprach nur Gutes von den Menschen, ich erwarb meine Habe in
gerechter Weise. Der Tote nun, welcher die Prüfung nicht bestand, findet keinen
Eintritt in das Reich des Osiris, der Gerechtfertigte aber hat seinen Sitz in der Halle
vor dem großen Gott; er geht ein und aus in der Unterwelt und bewohnt das Feld
Earu. Unterwelt und Himmel fließen da überall durcheinander. Den Weg der Toten
zum Reich der Seligen hat die ägyptische Spekulation immer detaillierter und immer
abstruser ausgemalt, sie hat ihn an die allnächtliche Fahrt der Sonnenbarke durch die
Unterwelt angeknüpft, jeder Stunde entspricht ein begrenztes, auch wohl durch
Pforten abgeschiedenes Gebiet, in welchem dem durchfahrenden Sonnenschiffe bald
freundlich, bald feindlich begegnet wird; die Gefahren werden überwunden, und mit
der zwölften Stunde kommt die Sonne aus dem letzten Stadium der Fahrt, der
„langen Schlange", hervor als die neue Morgensonne, die nun ihre Tagesfahrt am
Himmel beginnt. Diese ganze Schilderung ist ein Zauberbuch; wer seine Bilder
und Namen kennt, der ist ein „Insasse der Barke des Re" im Himmel und in
der Erde.
Die Völker. 47
In der hellenistischen Zeit endlich wurde das ethische Moment neuerdings betont.
Beim Gericht in der Unterwelt werden die Taten der Menschen gewogen; bei wem
die bösen Taten überwiegen, der wird der Verschlingerin der Unterwelt übergeben, die
Guten aber werden unter die göttlichen Räte des Herrn der Unterwelt aufgenommen,
während seine Seele mit den herrlichen Verklärten zum Himmel geht. Der reiche,
aber ungerechte Mann wird in der Unterwelt als ein Verdammter gepeinigt, der
Arme, der Gutes tat, wird in den prächtigen Kleidern des Reichen am Throne des
Osiris stehen, unter den herrlichen Verklärten, als ein Mann Gottes.1)
Die Jenseitsvorstellungen der Babylon ier sind noch so wenig aufgeklärt, daß
nicht einmal feststeht, ob sie überhaupt annähernd soweit entwickelt waren wie etwa
die der Ägypter. Nachstehend geben wir das leidlich Greifbare nach dem gegen-
wärtigen Stande des Wissens wieder.
Die Schatten der Verstorbenen, die Totengeister, konnten die Lebenden ängstigen;
Kranke glaubten sich durch Zauberei der Gewalt eines umherirrenden Totengeistes
ausgeliefert. In einem freilich erst spätassyrischen Gebet wird geklagt, daß der
Totengeist den Kranken Tag und Nacht nicht losläßt, der Sonnengott soll ihn be-
freien von diesem Dämon, möge es der Schatten eines Verwandten oder eines Er-
mordeten sein; er habe ihm bereits Kleider und Schuhe und Lendengurt gegeben,
Wasserschlauch und Wegzehrung, nun möge er nach dem Westen, nach der Unter-
welt gehen, und dort soll Gott Nedu, der Pförtner der Unterwelt, ihn festhalten. —
Man kannte Boten aus der Unterwelt. Gilgames klagt um seinen abgeschiedenen
Freund Eabani; schließlich legt Gott Ea Fürbitte ein; Nergal, der Herr der Unter-
welt, öffnet die Erde und der Totengeist Eabanis fuhr heraus wie ein Wind. Da
sagte er seinem Freunde das Gesetz der Unterwelt: Wer den Tod des Eisens starb,
im Schlafgemach ruht er und trinkt reines Wasser; wer in der Schlacht erschlagen
ward, sein Vater und seine Mutter erheben sein Haupt, und sein Weib [beugt sich auf
ihn nieder]; aber wessen Leichnam in die Steppe geworfen ward, sein Schatten ruht
nicht in der Erde; wessen Schatten niemanden hat, der sich um ihn kümmert, Reste
im Topf, Bissen von Essen, die auf die Straße geworfen wurden, ißt er. — Speise
und Trank bedarf auch der Tote. Schüsseln mit Speisen setzte man ihm in und auf
das Grab, Wasser spendete man für die Totengeister. Eine Guttat an einem Ver-
storbenen soll belohnt werden: droben sei sein Name gesegnet, drunten möge sein
Geist klares Wasser trinken. In den Nekropolen von Surghul und El Hibba fanden
sich viele Brunnen.
Die Welt der Toten (Staub ist ihre Nahrung, gekleidet sind sie wie Vögel im
Flügelgewand), das Land ohne Rückkehr, lag den Babyloniern in erster Linie da, wo
die Toten liegen, im dunklen Schoß der Erde, aus dem auch alles Wachstum quillt.
Ihre vollkommene Abgeschiedenheit von der Welt der Lebenden wurde zur Vor-
stellung, daß man sieben Tore durchschreiten müsse, um hineinzukommen; damit verband
sich der andere Gedanke, daß man nackt in die Unterwelt eingehe, wie man nackt
in die Welt gekommen sei: so muß Istar bei ihrer Hadesfahrt, in welcher der Unter-
gang des Abendsterns mythisch angeschaut ist, an jedem der sieben Tore seinem
») Ägypter: Ennan, Ägyptische Eeligion 1905, 87 Der Totenglaube der älteren Zeit und
des neuen Reiches. 193 Seelenwanderung. 231 Der reiche und der arme Mann. Erman gibt
reiche Zitate aus den Pyramidentexten, dem Toteubuch, dem Buche Amduat usf.
48 Die Jenseitsgedanken des Altertums.
Pförtner ein Stück ihres Schmuckes abgeben, an dem letzten das Hemd. Für den
logisch Denkenden setzen die sieben Tore einen siebenfachen Mauerring voraus; das
mythische Phantasiebild aber brauchte nur die Tore. Wohl aber scheint ein ewiger
Palast in der Unterwelt gedacht; sie hat ihre Götter, die Allatu, den Nergal, die
Anunaki. In ihrer Abgeschiedenheit wurde die Totenwelt auch zu einem fernen Land.
Den Gott des Pflanzenwuchses, den Tammuz, läßt der Mythus im Sommer, wenn die
Vegetation von der Sonnenglut verdorrt, in die Unterwelt hinabgehen: der Sonnengott
hat ihn verschwinden lassen zum Lande der Toten, zu einem fernen Lande, das man
nicht sieht. Für den Babylonier schob es sich naturgemäß in den Westen, wo die
Wüste ist (die syrisch-arabische) und wo die Sonne untergeht. — Ein seliger Ort für
verstorbene Fromme ist nicht nachweisbar. Doch Istar und Tammuz kehren wieder
an die Oberwelt zurück, sie im Aufgang des Venussterns, er mit dem Aufsprießen
der Frühlings Vegetation; Niedergang und Wiederaufgang wiederholen sich bei ihnen
periodisch. Bevor Istar aber ins Leben zurückkehren darf, muß sie mit „Wasser
des Lebens" besprengt werden.
Auch fehlte den Babyloniern nicht die Idee eines Landes der Seligen, dahin ein
Mensch durch die Götter lebend entrückt werden kann, um an ihrem seligen Leben
teilzuhaben. Freilich wissen wir nur von einem einzigen Fall von Entrückung, und
dieser einzige Selige wird jetzt als ursprünglicher Lichtgott angesprochen, dem also
die Seligkeit von Haus aus eignete; doch kennt ihn der Mythus, wie er vorliegt, nur
als geborenen Menschen, der aus besonderer Gunst der Götter in das Seligenland
versetzt wurde. Es ist der Held der babylonischen Flutsage, Utnapistim („Er hat
das Leben gefunden") mit dem Beinamen Atrachasis (das gräcisierte Xisuthros scheint
die Form Chasisatra vorauszusetzen). Nach der Flut erging an ihn das Wort „Nun
sollen Utnapistim und sein Weib werden wie wir, die Götter"; und die Götter ent-
rückten ihn nebst seinem Weibe und seinem Schiffer und ließen ihn in der Ferne
wohnen, an der „Mündung der Ströme".
Den Weg zum Seligenland schildert das Epos von Gilgames, der nach dem Tode
seines Freundes und Kampfgenossen Eabani von Todesfurcht ergriffen beschließt, seinen
Ahn Utnapistim, der das Leben gefunden hat, aufzusuchen und zu befragen. Von
seiner Stadt Erech aus gelangte er durch die Wüste zum Berg Masu, der von einem
Paar riesiger Skorpionenmenschen bewacht wird (unter die Unterwelt hinab reicht
ihre Brust); nach anfänglicher Weigerung öffnen sie doch das Bergtor, durch lange
Finsternis wandert er, nach vierundzwanzig Stunden wird es wieder hell, und nun
liegt ein wunderbarer Park vor ihm mit Götterbäumen, die Edelsteine als Frucht
tragen, „Rotsteine" wie die äthiopischen, an Reben hängend, Lasursteine und andere.
Auf dem „Thron des Meeres" aber sitzt die Göttin Siduri („das Mädchen"), eine
Göttin der Weisheit und Schutzgöttin des Lebens. Abmahnend spricht sie ihm von
der Unwegsamkeit des Meeres, nur der Sonnengott, der Gewaltige, ist über das Meer
gegangen; das Leben, das du suchst, wirst du nicht finden, die Götter haben dem
Menschen den Tod bestimmt, das Leben hielten sie in ihren Händen fest (so heißt es
bei der Schöpfung des Adapa: Gott Ea gab ihm Vollmacht und Weisheit, nicht aber
gab er ihm ewiges Leben), er möge nur sein Leben genießen. Nun aber findet sich
Utnapistims Schiffer, sie legen zusammen eine fünf und vierzigtägige Strecke in drei
Tagen zurück, um endlich die „Gewässer des Todes" und die „Mündung der Ströme"
zu erreichen.
Die Völker. 49
Wo ist nun das Seligenland gedacht? Bisher glaubte man unter der „Mündung
der Ströme" diejenige des Euphrat und Tigris verstehen zu müssen; dann lag das
Seligenland von Erech aus gerechnet im Südosten, am oder im persischen Meer, oder
weiter hinaus im erythräischen; es war auch nicht so uneben, im Seligenland eine
dunkle Vorstellung vom Wunderland Indien zu vermuten. Jetzt aber wird eine Lage
im Westen vorgezogen; der Weg dahin, und damit auch die Reise des Gilgames, geht
dann zunächst durch die syrische Wüste, der Berg Masu wäre das System des Libanon und
Antilibanon, die fünf und vierzigtägige Meeresstrecke wäre das Mittelmeer, das Gewässer
des Todes der Ozean; die Mündung der Ströme und das Seligenland blieben in Süd-
westspanien zu suchen. Die Westlage ist eine Hypothese, deren Bewährung die
babylonischen Jenseits Vorstellungen vereinfachen würde.
Utnapistim, mit seinem Weib, blieb der einzige in das selige Land lebend Ent-
rückte, sein Schiffer verließ ihn mit dem heimkehrenden Gilgames. Nicht ganz das-
selbe ist es, wenn einzelne altbabylonische Könige zu den Göttern versetzt wurden; es
wurden ihnen Opfer gebracht, und ihr Name bekam das Determinativ der Gottheit,
kurz sie blieben in Kultverbindung mit den Lebenden, was bei Utnapistim nicht der
Fall war. Wieder andrer Art ist der Verkehr der Götter mit dem Urkönig
Enmeduranki von Sippar; da handelt es sich um göttliche Inspiration, wie sie Minos
und Numa Pompilius zuteil wurde.1)
Soweit es möglich ist, den Urglauben der Perser zu ermitteln, hatten auch sie
die allgemein primitive Vorstellung einer Fortdauer nach dem Tode, der Fortdauer
nämlich eines vom Körper sich lösenden bleibenden Teiles, eines Doppelgängers oder
einer Seele, die sie Fravasi nannten. Sie bedarf Nahrung, Kleidung und Wohnung;
letztere nimmt sie im eigenen Hause, falls ihr dies eingeräumt wird, sonst in der Um-
gebung oder wo sie will. Sie weilt in der Nähe der Hinterbliebenen, teilt deren
Freuden und Leiden, Arbeiten und Vergnügungen. Die Familie opfert ihren Toten
(im Frühjahr ist ein allgemeines Totenfest, ebenfalls von den Familien gefeiert); denn
die Verstorbenen haben Macht, dem Lebenden zu nützen oder zu schaden; von ihrem
guten Willen, sich ihrer Gewalt über die Himmelskörper zu bedienen, hängt Kinder-
reichtum, Gesundheit des Viehs, Fruchtbarkeit der Felder ab. Der Tote wurde in
*) Babylonier: Alfred Jeremias, Hölle und Paradies der Babylonier 21903; Peter Jensen,
Kosmologie der Babylonier 1888; desselben Gilgamesch - Epos 1905, dessen Aushängebogen der
Verfasser mich hat einsehen lassen; daselbst Seite 33 Anm. 3 wird die Hypothese von der Westlage
des Seligealandes begründet. Jensen schreibt mir zum „ewigen Palast" in der Unterwelt: „ dessen
sumerischer Name Egalgina oder Ekalgina (Keilinschr. Bibl. VII 81, 83f , besonders 89,31) bedeutet
,der feststehende, unwandelbare Palast'. Das assyr. Wort für gina bedeutet nun zugleich „treu, zu-
verlässig" und kennzeichnet den idealen Richter, ist also soviel wie etwa „gerecht"; wenn daher in
Ek(g)algina die Richter der Unterwelt sitzen — und das scheint sicher zu sein — so möchte ich in
dem Ek(g)algina einen „gerechten Palast" sehen, einen „palais de justice". Wiederum bemerkt mir
Jensen zur „Entrückung": „Daß altbabylonische Könige vergöttert wurden und daß ihnen dann
geopfert wurde, ist sicher; siehe Radau, Early Babylonian history 307 ff. , mit Vorbehalt für das
Einzelne. Von dem Könige Xisuthros wissen wir, daß er zu den Göttern entrückt wurde; das aber
hängt, denke ich, damit zusammen, daß er eigentlich ein Lichtgott ist. Von dem altbabylonischen
Könige Enmeduranki wissen wir weniger, als mau gemeiniglich meint. Daß er direkt mit den oder
doch einigen Göttern verkehrte und ihm von dem Sonnengott und Wettergott Geheimnisse mit-
geteilt wurden, wird gesagt; aber daß sie ihn in ihre Gemeinschaft berufen hätten, können wir nicht
behaupten, von einer Entrückung Enmedurankis verlautet nichts. Man glaubt wohl an sie, weil
man ihn mit Henoch identifiziert."
Sybel, Christliche Antike I. 4
50 Die Jenseitsgedanken des Altertums.
sein bestes Gewand gehüllt; die Verwandten im Jenseits freuen sich, wenn er gut-
gekleidet kommt, sonst müssen sie seinetwegen erröten. Er wird mit lauten Klagen
unter strömenden Tränen gefeiert, zurückgerufen. Drei Tage liegt der Körper auf-
gebahrt; so lange bleibt die Seele in seiner Nähe, hoffend in den Leib zurückzukehren,
in Furcht zugleich vor allerlei bösen Geistern. Danach, also mit der Bestattung des
Körpers, betritt die Seele die schwindelnde Brücke, die hinüber führt; schmal ist sie
wie die Schneide eines Schwertes, der Tote zittert, indem er darüber geht, und ist
er nicht jung und kräftig, so stürzt er in den Abgrund. Bei diesem gefährlichen
Übergang kommt viel darauf an, daß die früher Abgeschiedenen dem Kommenden
helfen; daher suchte man sie sich mit allerlei Gaben für den Brückenweg günstig zu
stimmen. Nebenher ging die Idee einer künftigen Welterneuerung. Die gegenwärtige
Welt geht durch Kälte und Schnee zugrunde; zuvor aber baut Yima einen (unter-
irdischen) Raum , in den er von allem Lebenden die kräftigsten Exemplare setzt,
Pflanzen, Tiere und Menschen, je ein Paar, als Stammeltern für die Wesen der
neuen Welt.
Die Reform Zarathustras brachte einen neuen Geist zur Geltung. Die primitiven
Vorstellungen wurden wohl bewahrt, aber ethisiert; dabei fällt die Durchsichtigkeit
ihrer Jenseitsbilder auf, ihr Schweben zwischen Mythus und Metapher. Das Schicksal
des Verstorbenen hängt jetzt ab von seiner Frömmigkeit; waren seine Gedanken,
Worte und Werke gut oder böse? Wenn ein Frommer „entschwindet", so heißt es
im Hadhocht-Nask, so sitzt seine Seele drei Nächte beim Haupte des Körpers, sie
atmet während dieser Zeit „den ganzen Frieden, den die Welt der Lebenden enthalten
kann". Am Ende der dritten Nacht, in der Morgenfrühe, glaubt die Seele zwischen
Pflanzen zu weilen und Wohlgerüche zu empfinden, die ein Wind aus Süden herträgt,
duftender als irgend ein andrer Wind. Nun tritt dem Verstorbenen ein Spiegelbild
seines sittlichen Selbst entgegen (seine Daena) in Gestalt eines wunderbar starken und
schönen Mädchens; sie ist so stark und so schön geworden durch seine guten Ge-
danken, Worte und Werke. Den ersten Schritt tut die Seele in die Seligkeit der
guten Gedanken, den zweiten in die der guten Worte, den dritten in die der guten
Handlungen, den vierten in das ewige Licht. Ein früher entschwundener Frommer
spricht sie an und fragt, wie sie entschwunden und aus der körperlichen in die geistige
Welt gekommen sei, aus der vergänglichen in die unvergängliche Welt. Ahuramasda
aber verbietet ihm, den so zu fragen, der den schrecklichen vernichtenden, auflösenden
Weg durchlief, wo der Körper und der Lebensgeist sich trennen; bringe ihm Nahrung,
„Saft des Frühlings" (Rahm oder Butter, natürlich geistige), das ist die Nahrung für
den Dahingegangenen guten Geistes, guter Worte, guter Handlungen, guten Glaubens.
Dem bösen Menschen aber geht es entgegengesetzt. Am Ende der drei Nächte glaubt
seine Seele von Schnee umgeben zu sein, von Norden her weht ihn ein stinkender
Wind an; indem begegnet ihm sein böses Gewissen in Gestalt einer abscheulichen
Hexe und hält ihm vor, wie sie häßlich geworden sei durch seine häßlichen Gedanken,
Worte und Taten. Die Seele des bösen Menschen tut den ersten Schritt in die
Hölle der bösen Gedanken, den zweiten in die der bösen Worte, den dritten in die
der bösen Taten, den vierten in die ewige Finsternis. Ein früher verstorbener Böser
begegnet ihm, auch diesem verweist Ahuramasda das Fragen: bringe ihm Nahrung,
Gift, stinkendes Gift, das ist die Nahrung für den Verstorbenen bösen Geistes, böser
Worte, böser Taten, bösen Glaubens.
Die Völker. 51
Die zoroastrische Jenseitsvorstellung läßt in den späteren Quellen Weiterbildungen
und Umbildungen erkennen, aber in der Hauptsache bleibt die Vorstellung dieselbe;
manches nur in späterer Überlieferung Erhaltene scheint altes Gut zu sein. Wir
geben eine kleine Nachlese, wobei die Frage der Ursprungszeit für jedes Einzelne
offen bleibt. Es ist Brauch der Parsen, vor der Bestattung drei Nächte lang ein
Feuer neben der Leiche zu brennen. Die Sitte scheint alt und der Anlaß zu der
Vorstellung von der drei Nächte beim Haupt der Leiche sitzenden Seele zu sein; es
heißt im Bundehesch, so lange hoffe sie, daß das Blut im Körper sich wieder erwärme,
die Luft wieder in den Körper eintrete. Ebenda heißt es, der Seele des Frommen
begegne zuerst die Gestalt einer fetten und milchreichen Kuh, von welcher ihr Glück-
seligkeit und Süße komme, danach die Gestalt des schönen Mädchens, und zum dritten
die Gestalt eines Gartens, reich an Laub, an Wasser, an Früchten, an Fruchtbarkeit,
von welchem der Seele Seligkeit und fruchtbare Gedanken kommen, ein paradiesischer
Ort, unberechenbar paradiesischer, als man je einen in der Welt sieht. Umgekehrt
begegnet der Seele des Bösen die Gestalt einer milch- und kraftlosen Kuh, von
welcher der Seele Dürre und Schwäche kommt; wiederum begegnet ihr die Gestalt
eines widerlichen häßlichen Mädchens voller böser Gedanken, von welcher der Seele
Schrecken und Furcht kommt; zum dritten begegnet ihr die Gestalt eines wasserlosen,
baumlosen, freudlosen Gartens, von welchem der Seele üble Gedanken kommen, ein
Ort von unermeßlich höllischer Art. Wir übergehen die Angriffe der bösen Geister
auf die durch den Raum gehende Seele und ihre Abwehr mit Hilfe guter Geister,
ebenso die Scheidung der guten und bösen Seelen auf der Brücke Kinvat; sie fehlt in
der Eschatologie des Hadhocht-Nask, doch findet sich oft, auch in altavestischen
Stücken, der Ausdruck „Brücke des Richters" (Scheiders, kinvato peretas. In jüngeren
Schilderungen halten Mithra, Sraosa und Rasau Gericht. Mithra, der Sonnengott, ist
das Licht, die Wahrheit, das Recht, Sraosa ist der Geist des Gehorsams, Rasau wägt
die Handlungen der Menschen mit goldener Wage). Die Brücke des Scheiders ist
wie die Schneide eines Schwertes für die Bösen, die von ihrem Gewissen geängstigt
hinabstürzen in die Hölle, sie verbreitert sich aber für die Frommen, die von ihrer
Daena hinübergeführt werden in den Himmel. Die Wohnung der Seligen ist am Orte
der Sonne, wiederum beim Herrn (Ahuramasda) im Lichte. In ausführlicheren
Schilderungen gelangt die Seele nacheinander zu den Sphären der Sterne, des Mondes,
der Sonne, sie grüßen den Seligen; zuletzt kommt er in das anfangslose (ewige) Licht,
den höchsten Himmel, wo der Herr wohnt. In jeder Sphäre findet sie Heilige sitzen,
in der Sonnensphäre sitzen sie auf goldenen Thronen, Männer, die glänzen wie das
Sonnenlicht. Die Seligen singen dem Herrn Loblieder.
Die Absicht des Masdeismus ging auf das Leben, welches auf der Grundlage des
Landbaues kräftig und gesund erhalten werden sollte, nicht gebrochen sei es durch
Mangel oder durch Sünde, auch nicht durch Askese. Er ist frei von Weltverachtung,
frei von Jenseitssucht, will sich aber für den Todesfall den Himmel sichern. Es fehlt,
wenigstens im späteren Avesta, nicht an Vorschriften, den Himmel durch Magie zu
erzwingen. Ein einziger Arm voll Holz auf die heilige Flamme bringt die Seele ins
Paradies; wer alle Gebete Staota Yesna hersagt, durchläuft den ganzen Weg bis zum
höchsten Himmel; gewisse heilige Texte, im Sterben gelesen, haben die Kraft, den,
der sie liest, von der Hölle zu retten. Seit Zarathustras Tagen aber ist ein Schatz
aller guten Werke aufgespeichert, die in den sieben Kreisen der Erde getan worden
4*
52 Die Jenseitsgedanken des Altertums.
sind; aus ihm kann Mithra denen, die mit einer ungenügenden Zahl guter Handlungen
auf die Brücke des Richters kommen, das Fehlende ergänzen. Jedermann kann auf
die Barmherzigkeit des Herrn rechnen. Auch die zu Anramainju in die Hölle Ver-
stoßenen brauchen nicht zu verzweifeln; sie büßen ihre Schuld ab bis zum Tage der
Welterneuerung, wo der Teufel vernichtet und der von ihm befreite Höllenort der
neuen Welt hinzugefügt werden wird. Ein Zwischenreich kennt der Masdeismus wohl
(Hamistakan), aber es ist hier der Ort für die Halben, die zwischen Gut und Bös in
der Mitte stehen, es ist nicht ein Fegefeuer, als welches vielmehr die Hölle selbst
dient. Auch die Seligen erfahren im Paradies noch eine Läuterung, damit sie würdig
werden der Glückseligkeit in der neuen Welt. Von der Erde schwindet das Eis und
schwinden die Höhen, sogar der Berg, der die Brücke Kinvat trägt, ebnet sich ein.
Schließlich fließen neue Welt und Himmel ineinander, die Leiber selbst werden in das
Paradies Vahist und in den Himmel Garotman aufgenommen. Theopomps Bericht,
die Magier lehrten Auferstehung der Toten und unsterbliches Leben, entspricht der
Überlieferung.1)
Die arischen Inder. „Die Vorstellungen der vedischen Inder über den Tod
und das Leben nach dem Tode ruhen auf dem Seelenglauben, den die indogermanischen
Völker aus dem vorgeschichtlichen Stadium der Naturvölker mitgebracht haben." In
der Urzeit, das gilt auch für die Inder, ließ man die Leiche liegen oder schaffte sie
weg (noch später war für die Körper kleiner Kinder Vorschrift, sie in den Wald zu
bringen). Es ist auch von einem „Ausstellen" der Leiche die Rede; man denkt dabei
an den Brauch vieler Völker, die Leichen auf Bäumen zu befestigen, um den Bereich
der Lebenden rein zu halten. Weiterhin kannte man außerdem Begraben und Ver-
brennen, letzteres aber war der herrschende Ritus. Das ausgebildete Ritual verlangte
sorgfältige Leichentoilette, damit der Tote im Jenseits anständig auftrete. Es folgt
Aufbahrung im Hause und Hinausbringen zum Verbrennungsplatz, wobei die Fuß-
spuren verwischt werden, damit der Tod (oder eigentlich der Tote?) den Rückweg zu
den Lebenden nicht finde. Ursprünglich gab man dem Toten seine Habe ins Jenseits
mit, indem man sie mit ihm begrub oder verbrannte, seine Witwe, seinen Bogen, sein
Gold. Mit der Zeit ist das alles abgelöst, auf eine bloße Formalität reduziert worden;
man gab dem Toten den Bogen und ein Goldstück in die Hand, der Sohn nahm ihm
beides wieder aus der Hand. Die Witwe legte man neben den Toten, richtete sie
*) Perser: N. Söderblom, La vie future d'apres le Mazd&sme a la lumiere des croyances
paralleles dans les autres religions, £tude d'eschatologie compare'e (Annales Guimet IX) Paris
1901; behandelt werden, jedesmal auch in Religionsvergleichung, in Kap. I. III die vorzoroastrischen
(„ethnischen") Vorstellungen über die Fortdauer der Seele und die Welterneuerung, in Kap. II
und IV die zoroastrische Vergeltungslehre (hier die Hauptstellen aus dem Hadhocht-Nask und
Vendidad 19) und Eschatologie, in Kap. V das ewige Leben im Einssein mit Gott. — J. J. Modi,
An untranslated chapter of the Bundehesh, a paper read before the Bombay branch of the Royal
Asiatic Society, Bombay 1902. — Arta Viraf Namak ou Livre d'Arda Viraf, traduetion par M. A.
Barthölemy, Paris 1887. — Arda Viraf Nameh, the original Pahlavi text, with an introduetion,
notes etc. by D. Kaikhusru D. J. J., Bombay 1902. Arta viraf nameh ist eine breitere Jenseits-
schilderung bereits christlicher Ära, eine Himmel- und Höllenfahrt: Arda Viraf entschließt sich
für sieben Tage das Leben zu verlassen, um Kunde aus dem Jenseits zu holen. — Zu pehlewi
vahist, Paradies, vgl. den Bezirk Bazista, das quell- und wildreiche Waldgebirg in Sogdiana, unten
im Verzeichnis der Paradiese. — Theopomp bei C. Müller, Fragm. hist. graec. I 289 Fragm.
71. 72. Söderblom, a. O. 244. — Die vorstehende Literatur verdanke ich Ferd. Justi.
Die Völker. 53
dann aber an der Hand wieder auf und gab sie dem Leben zurück; der Veda hat das
Verbrennen der Witwe geradezu verboten, vermochte den barbarischen Brauch aber
nicht völlig zu unterdrücken, so daß er später wieder aufleben konnte. Vom Ver-
brennungsplatz ging man nach Haus, ohne hinter sich zu sehen, denn die Seele des
Toten war in der Nähe; man wagte nicht, in seinem Hause zu kochen, noch im Bett
zu schlafen oder ehelichen Umgang zu pflegen. Um diesem ängstlichen und undurch-
führbaren Zustand ein Ende zu machen, wird man irgendwann einmal dazu über-
gegangen sein, nach einigen Tagen zum Verbrennungsplatz zurückzukehren, um die
Gebeine zu sammeln und in die Erde zu betten, damit die Seele zur Ruhe komme.
AUe Zeremonien wurden mit entsprechenden Anrufungen des Toten begleitet, von
einstiger heftiger Totenklage sind die Klageweiber als Rückstand geblieben.
Die Toten haben die Bedürfnisse der Lebenden und erwarten von diesen ihre
Befriedigung; vernachlässigt rächen sie sich, ihr Zorn wird gefürchtet, man hat Ur-
sache, sich vor ihnen zu hüten. Da sie nun also in Besitz höherer Macht gedacht
werden, so können sie diese auch zum Guten verwenden; daher betet man zu ihnen
um Segen, im allgemeinen, oder um Besonderes, um Regen, Nahrung, Vernichtung von
Feinden, vorzüglich aber um Söhne. Dem Hingegangenen (Preta, das bedeutet auch
etwa Gespenst) opfert der Sohn Speise und Trank, Salbe und Gewand. Er braucht
die Seele nicht erst herbeizurufen, sie ist in der Nähe. Der Opfernde gräbt eine
kleine Grube und belegt sie mit Gras zum Sitz für die Seele, gießt Wasser hinein,
damit sie vor dem Mahl sich wasche, nimmt mit dem Löffel einen Kloß von der
zusammengerührten Speise und legt ihn in die Grube, der Seele zum Mahl, danach
opfert er ihr ebenso Öl (zum Trunk?), Salbe, Wohlgerüche, vielleicht Haar, zuletzt
Kleidung (ursprünglich doch wohl ein vollständiges Gewand, später in bloß markieren-
dem Verfahren nur eine Wollflocke). Im ausgebildeten Ritual findet sich der Ahnen-
kult ausgedehnt auf Großvater und Urgroßvater; der Opfernde ruft nun die „Väter"
herbei: kommt, ihr Väter, auf euren tiefen alten Pfaden, gebt uns schönen Besitz, laßt
uns Reichtum haben und unversehrte Mannen. Nach jedem Opfer dreht er sich weg,
indem er den Atem anhält: die Väter haben sich erfreut, so murmelt er; mögen wir
haben, Väter, davon wir euch spenden. Zuletzt verscheucht er die Seelen: geht weg
ihr Väter, auf euren tiefen alten Pfaden; aber über einen Monat kommt wieder zu
unserem Hause das Opfer zu essen.
Der Hingegangene weilt in der Nähe der Wohnung oder vielleicht unter der
Schwelle. Die Seele mochte auch die Gestalt eines Vogels oder sonst eines Tiers oder
einer Pflanze annehmen, oder eines Sterns. — Das Totenreich der vorvedischen Inder
scheint unterirdisch gewesen zu sein. Eine abschüssige Bahn führt hinab; Yama, der
Erstling der Gestorbenen, ist hingegangen die weiten, abschüssigen Bahnen, hat vielen
einen Pfad erspäht; Yama ist der König im Totenreich, der Herr der Erde. Auf
Furten kommen die Seelen hinüber über die weiten abschüssigen Bahnen; den Welten,
da die Götter wandeln, werden die tiefen Pfade gegenübergestellt, auf denen die
„Väter" wandeln. In der Erde ist der Sitz der Väter, die Welt, da die Väter sitzen.
Die Seelen gehen den furchtbaren Weg, auf dem Yamas vieräugige buntgescheckte
Hunde ihnen auflauern. Die den Manen heilige Richtung ist Südost.
Mit der Zeit erfolgte ein durchgreifender Wandel in den Vorstellungen über den
„Sitz der Väter"; er wurde auf eine höhere Stufe gehoben, in die Sphäre der seligen
Götter, also aus dem Dunkel der Erde in den lichten Himmel. „Der Gedanke vom
54 Die Jenseitsgedanken des Altertums.
Recht frommer Werke auf ihren Lohn verlieh den Wünschen den Charakter von An-
sprüchen; dazu kam, daß der Bestattungsritus des Verbrennens neben dem des Be-
grabens zu dem Wege nach unten auch einen nach oben kennen gelehrt hatte." Für
diese neuen Vorstellungen stehen uns reichere Quellen offen. Die Verstorbenen gehen
den Vätern nach. Sie sind im Himmel gedacht, im dritten Himmel, wo die Licht-
welten sind, wo Geistesspeise und Sättigung, wo Freuden und Wonnen, wo Genuß
und Genießen warten, wo des Wunsches Wünsche erlangt sind, dort gibt es nicht
Krankheit, nicht Lahmheit, dort hofft man unsterblich zu sein. Herrscher im Reich
der Seligen ist Yama, der Erstling der Sterbliohen, der als erster in jene Welt ein-
ging; aber die Dahingegangenen verkehren nicht allein mit Yama, sondern auch mit
den himmlischen Göttern, dem Gott Varuna, die Seligen sind Wagengenossen Indras
und der Götter, dann wohl auch ihre Gelaggenossen, wenn Yama zusammen mit den
Göttern unter schattigem Baume zecht, Soma trinken die einen, andre Honig oder ge-
schmolzene Butter; Lieder und Flötenspiel erschallen dazu. Die Speise und der
Trank, die Kleider und die Salben, den Verstorbenen bei der Bestattung gespendet,
folgen ihnen in den Himmel; so folgen ihnen ihre guten Werke, ihre Opfer und
frommen Gaben. Hoch am Himmel stehen, die reiche Opfergaben gespendet haben, die
Rossespender weilen bei der Sonne; dem, der den Milchbrei den Brahmanen gab, wird
vergolten mit Teichen von Butter, mit Ufern von Honig, mit Branntwein statt Wasser,
voll von Milch, von Wasser, von saurer Milch: solche Ströme sollen dir alle fließen,
honigsüß schwellend in der Himmelswelt, Lotusteiche von allen Seiten dich umgeben.
Und viel Weibsvolk gibt es für die Seligen in der Himmelswelt. — Eine Hölle
scheinen die vedischen Inder noch nicht ausgebildet zu haben; jedenfalls ist die Idee
zu jener Zeit im Keime stecken geblieben. Wohl wünschte man seinen Feinden, den
Missetätern, den Tod, man wünschte sie in die Grube, unter die drei Erden, in den
Kerker, in das haltlose Dunkel. Inwieweit dabei ein Strafort vorgeschwebt haben
mag, im Sinne einer Hölle, muß dahingestellt bleiben. Ein deutlicher Ansatz in solcher
Richtung läßt sich nur im Bilde der in Blutströmen sitzenden, ihr Haar verzehrenden
Sünder erkennen, die auf Erden einen Brahmanen beleidigt haben. So ist auch kein
Gericht gedacht; auch ohne ein solches wissen die Götter Redliche und Falsche zu
sondern und einen jeden an seinen Ort zu senden.
Die große Reform vollzog sich bei den Indern im Buddhismus. Schon im
Kreise der Brahmanen war die Reflexion erwacht; die Selbstvernichtung des vedischen
religiösen Denkens wird in das zehnte bis achte Jahrhundert gesetzt. Das einmal er-
wachte Nachdenken kam nun nicht mehr zur Ruhe; aber die reformatorische Tat und
Neuschöpfung gehört dem großen Gotama Buddha, dessen Tätigkeit, er war um 550
geboren, etwa in die Jahre 520 bis 480 fiel. Es war im nördlichen Indien, an der
Südseite des Himalaya, wo die Reform sich vollzog, die vorbereitende Denkarbeit der
Brahmanen im westlichen Gangesgebiet, das entscheidende Wirken des Buddha im
östlichen.
Die Brahmanen waren die Priester der vedischen Inder, eine zahlreiche und
wichtige Kaste, Opferer und magischer Kräfte kundig, die Verwalter aller jenseitigen
Seligkeit: denn sie waren die Wissenden. Dies transzendente Wissen aber wandelte
sich in ein Denken über den Menschen und über die Welt, darin er lebt, über die
Pole des Ich und des All, die Einzelseele (Atman), die eins ist mit der Weltseele
(Brahman), dem Grunde alles Seins. Da ist von Göttern keine Rede, aber auch die
Die Völker. 55
theoretische Spekulation steht nur in zweiter Linie, maßgebend sind die praktischen
Gedanken vom Leiden alles Daseins im ewigen Kreislauf der Wiedergeburten, von
sittlicher Vergeltung, vom Reinwerden des Geistes und einer Erlösung. Vertieft in
dies Denken, ließen Brahmanen davon ab, nach Söhnen zu begehren, nach Habe oder
weltlichem Heil zu begehren, und zogen als Bettler umher, es entstand ein überspanntes
Asketentum, in Mönchsorden organisiert. Aus der Unersprießlichkeit eines Daseins,
dem man nicht gelernt hatte, durch Arbeiten und Kämpfen um kampfeswerte Ziele
einen Halt zu geben, ist man, getrieben von Überdruß an diesem Leben und von der
Angst vor dem schreckenvollen Jenseits, hinausgeflohen, um der Welt entsagend Frieden
und Zuversicht zu finden. Mehr noch die Reichen und Vornehmen als die Armen
und Geringen, mehr noch Jünglinge, lebensmüde ehe sie gelebt, als Greise, die vom
Leben nichts mehr zu hoffen haben, Frauen und Jungfrauen, verlassen ihre Häuser
und legen das Mönchs- und Nonnengewand an.
So verließ auch Götama sein reiches Haus, verließ Weib und Kind, ging in den
Wald und kasteite seinen Leib, bis er inne ward, daß Kasteiungen nicht zur Erleuch-
tung führen. Danach, in einsamer Nacht unter einem Baume sitzend, der seitdem
der Baum der Erkenntnis heißt, ging er durch immer reinere Zustände der Selbstent-
äußerung seines Bewußtseins hindurch, bis das Gefühl allwissender Erleuchtung über
ihn kam; er erkannte das „Leiden" und erlebte seine „Erlösung", die Erlösung durch
Erkenntnis, nicht aber Erkenntnis der letzten Dinge, nicht unnütze Metaphysik, sondern
Erkenntnis des Notwendigen. Danach ging er hin und verkündete die Lehre vom
Leiden und von der Erlösung. Alle Körperlichkeit ist hinderlich, ist böse, ist Tod
(Mara). Was immer der Mensch erfährt ist Leiden, Geburt, Alter, Krankheit, Tod,
mit Unliebem vereint sein, von Liebem getrennt sein, nicht erlangen, was man begehrt.
Das Leiden entsteht aus dem Daseinsdurst, der nach dem Naturgesetz des ewigen
Werdens, Vergehens und Neuentstehens (des ewigen Weltfeuers und des ewigen
Flusses der Dinge) jedes Ich von Ewigkeiten her und in Ewigkeiten hin durch immer
neuen Tod und neue Wiedergeburt immer neue Gestalten annehmen läßt. Die Auf-
hebung des „Durstes" erfolgt durch gänzliche Vernichtung alles Begehrens. Wer
seinen Geist vom Reiche des Werdens völlig gelöst hat, der hat die Erlösung
gewonnen, die Flammen sind in ihm erloschen; das ist seine letzte Geburt, der Ein-
gang in den „Ort des Verlöschens", das Nirvana. Es ist nicht das Nichts (das wäre
ein metaphysischer und deshalb verbotener Gedanke), es ist das Freisein des Geistes
von allem Haften am Vergänglichen. Wie der Buddhist in Siegesfreudigkeit dem
Nirvana zustrebt, so findet er in ihm Stille, Ruhe, Frieden und Seligkeit; im AVald
oder in einem der Gemeinde geschenkten Parke lebt er, im irdischen Paradiese, ein
seliges Leben. Der „Vollendete", der „höchste Buddha" fand seine Erlösung in jener
Nacht unter dem Baum der Erkenntnis, und er hat seine Seligkeit hienieden noch
vierundvierzig Jahre genossen, als Lehrer und Vorbild für die wachsenden Jünger-
scharen. Er trachtete nicht zu leben, er trachtete nicht zu sterben, zu seiner Zeit ist
er hingegangen, wiederum in das Nirvana. — Einem jeden steht der Weg zur Auf-
hebung des Leidens offen, der heilige achtteilige Pfad, der da heißt: rechtes Glauben,
rechtes Entschließen, rechtes Wort, rechte Tat, rechtes Leben, rechtes Streben,
rechtes Gedenken, rechtes Sichversenken. So kann er ein „Erwachter und Erleuch-
teter" werden (Buddha). Wer aber im Leben nicht dazu schritt, oder nicht dazu
gelangte, das Nirvana zu gewinnen, dem bleibt der Trost (erst hier tritt die Spekulation
56 Die Jensei tsgedanken des Altertums.
in die Rechnung ein), daß ihm in der unabsehbaren Kette der künftigen Wieder-
geburten noch einmal die Gelegenheit zur Erlösung sich bieten werde. Auf dem Wege
der Seelenwanderung wird er noch in mancher Gestalt neu erstehen — wie die Tat
war, so wird der Lohn sein — als dies oder jenes Tier, als Mensch, vielleicht auch
als gepeinigter Höllenbewohner, als Gespenst oder als irgend ein Gott; denn die
Götter sind nicht abgeschafft, aber in Wesen und Wert herabgesetzt, nicht mehr un-
sterblich, und vor dem Buddha müssen sie sich neigen. Buddha diskreditierte den
brahmanischen Opferkult, und die buddhistische Predigt liebte es, Religion und Ritus
immer ethisierend, das wahre Opfer zu lehren, das unblutige, den Verzicht auf Freuden
und Leiden der Vergänglichkeit. Selbst übte der Buddhismus keinen Gottesdienst;
die halbmonatlichen Versammlungen der Mönche können als Kultus nicht gelten,
höchstens die Verehrung der Gebeine des Buddha.
Wie der Stifter ein Asket war (bei aller Abwendung von den Kasteiungen der
brahmanischen Asketen), so ist die höchste Heiligkeit an Askese gebunden, wenigstens
an das „Hinausgehen", nämlich aus Hab und Gut, Familie und Freundschaft in den
Wald. Ein Leben von täglich erbettelter Speise, gelbes Kleid und Bettelnapf die
ganze Ausrüstung des Mönchs (Bhikkhu, das ist Bettler). Auch das Sichversenken hat
asketisches Gepräge; es fehlt auch nicht ganz an Exzessen der Möncherei, den aus
dem Primitivismus herübergeflüchteten „höheren Kräften", nämlich Halluzinationen,
Suggestionen, Hypnotismus usf. bis zum Schweben. Wo aber die „Heiligen" Bettel-
mönche sind, da müssen auch Laien sein, um den täglichen Reisbrei zu geben, die
Klöster zu bauen und für Nachwuchs auch der Gemeinde zu sorgen, sie heißen Ver-
ehrer. In regelmäßigem Verkehr mit den Heiligen haben auch sie sich mit den
Ideen der Reinheit und der Erlösung erfüllt und viel von dem stillen und heiteren
Geiste, dem inneren Frieden gewonnen, dessen Erringen der tiefste Beweggrund Gotama
Buddhas gewesen war. Es liegt eine Ethisierung der Religion durch Wissenschaft
vor; denn die unbedingte Anerkennung des Weltgesetzes der Kausalität muß doch
wohl wissenschaftlich genannt werden. Von der buddhistischen Ethik haben wir hier
nicht zu reden; immerhin sei auf ihre fünf Gebote verwiesen (kein lebendes Wesen
töten, nicht an fremdem Eigentum sich vergreifen, nicht die Gattin eines anderen
berühren, nicht die Unwahrheit reden, nicht berauschende Getränke trinken) und
etwa auf die von den Bhikkhu aufgeworfene und bejahte Frage, ob denn ein König
nicht regieren könne ohne Blutvergießen.1)
Die Thraker bewegten sich in primitiven Jenseitsvorstellungen, die aber der
Eigenart nicht entbehren. Unter den Thrakernamen einbegriffen wurden die an der
unteren Donau wohnenden Geten. Herodot bekam Kunde über sie von den helles-
pontischen und pontischen Griechen, Joniern; was wir da lesen, ist auch „Natur ge-
sehen durch ein Temperament". Verwandtes fand sich bei den südlichen Thrakern.
Die Geten verehrten einen Gott Zalmoxis; er haust in einer unterirdischen
Halle oder Höhle, wo er als Herr der Toten im Kreise der verstorbenen Geten ein
ewiges Gelage abhält. Einen Geten töten hieß „ihn zu Zalmoxis senden"; periodisch
opferten sie, fragt mich nicht wie, einen durchs Los bestimmten Genossen als Boten
an den Gott, ihm ihre Anliegen zu überbringen. Sterben hieß ihnen „übersiedeln",
und zwar an einen besseren Ort, wo alles Guten die Fülle ist; so konnte es geschehen,
*) Inder: Nach Herrn. Oldenberg, Eeligion des Veda 1894 und dess. Buddha 41903.
Die Völker. 57
daß einige Griechen an dem Herrn des seligen Gelages die Züge ihres Kronos wieder-
fanden. Sie glaubten demnach an eine Fortdauer nach dem Tode; insofern also
glaubten sie nicht zu sterben, sondern, wenn einer starb, so sagten sie, er ist zu
Zalmoxis eingegangen. Herodot verstand, sie glaubten an Unsterblichkeit.
Von Stämmen der südlichen Thraker heißt es, daß sie die Verstorbenen unter
Scherzen und in Freudigkeit begrüben, weil sie nun so vielem Leid entronnen in reiner
Glückseligkeit sich befänden; um das neugeborene Kind aber setzten sie sich im
Kreise und beklagten es, was es im Leben nun alles zu erleiden haben werde — der
pessimistische Rückschlag der jenseitigen Glückseligkeit. Von andern wird berichtet,
daß sie beim Tode eines Stammesgenossen ihm opferten (schlachteten) und den Leichen-
schmaus in der Form eines Freudenmahles feierten; denn der Verstorbene werde
wiederkehren. Die Wiederkehr muß als Rückkehr ins Leben, aber in einer anderen
Gestalt, gedacht gewesen sein; denn jene pontischen Griechen glaubten darin die
pythagoreische Seelenwanderung wiedererkennen zu müssen. Es fällt auf, daß in der
Überlieferung (außer in ganz später und hangreiflich getrübter) nirgends eine Seele
unterschieden wird, sondern immer nur von den Personen schlechthin die Rede ist,
daß „sie" nicht sterben, zu Zalmoxis gehen, wiederkehren. Wir wissen, das Erscheinen
des Verstorbenen, sei es seines Eidolon oder seiner Psyche, in der eigenen oder in anderer
Gestalt, einer Pflanze, eines Tieres, eines Menschen, ist Urglaube.1)
Auch bei den Griechen müssen wir die Urvorstellungen voraussetzen, wie man
sie überall so oder so gewendet antrifft; finden wir sie doch in den geschichtlich helleren
Zeiten wieder auftauchend, bald im Volksglauben, bald in künstliche Gedankengewebe
eingeschlagen. Die Seele des Verstorbenen entschwebt als Hauch in die Luft. Sie
wird ein Stern, oder sie wohnt auf einem Stern; die Seelen wohnen auf dem Mond.
Die Seele schwebt um das Grab, um die Mordstelle. Im Tod löst sich vom Toten
seine Gestalt (sein Eidolon). Das Totenreich ist unten, wo die Toten ruhen, die bereits
die Mehreren sind. Das Gelage der Toten wird auch bei den Griechen so alt gewesen
sein wie das Gelage der Lebenden; die Vorstellung ist unabhängig von der Art der
Nahrung und des Getränkes, ob Wasser, Met, Bier oder Wein, es folgt dem Toten.
Als was einer stirbt, das bleibt er; wer im Leben ein Starker und Herrischer war,
der bleibt es auch dort, er wohnt und zecht mit den Göttern, im Licht. — Die
ägäische Kultur hat in langsamer Entwicklung im zweiten vorchristlichen Jahrtausend
die „kretisch-mykenische" Blüte gezeitigt. Die den Toten gewidmete Sorgfalt, die
Fülle der Beigaben, die Erhabenheit der fürstlichen Grabbauten, alles bezeugt, daß
auch jene Geschlechter die primitive Unfähigkeit teilten, sich in die Tatsache des
Todes zu schicken; ihre Vorstellungen aber vom Leben nach dem Tode verschweigen
die Denkmäler. — Nachlebsel der Uranschauungen möchte man noch eher bei Hesiod
suchen als bei Homer; in der Tat scheinen solche in den „Geschlechtern" oder „ Welt-
altern " zu stecken, freilich schon umgestimmt durch jüngere Denkweise. Gegeben war
dem Dichter der Totenkult und damit die Vorstellung vom Fortleben, sei es unter-
irdisch, oberirdisch oder überirdisch gedacht. Unterirdisch hausen die Abgeschiedenen
*) Thraker: Herodot IV 93—95. V 5; die anderen Quellen bei Ehode, Psyche 1894,
319 ff., 325, 1. Ich glaubte die thrakischen Jenseitsvorstellungen in ihrer Selbständigkeit geben zu
sollen, gelöst aus dem Zusammenhang, in welchen Rhode sie gestellt hat. Wegen Herodots
d9uvaTlt,ovT£Q vergleiche Bernhardy zu Suidas v. Zükftogiq.
58 Die Jenseitsgedanken des Altertums.
des silbernen Geschlechts; ihres sterblichen Ursprungs ungeachtet leben sie wie Götter,
als Selige. Die andere Vorstellung, von gelegentlicher Rückkehr der Toten an die
Oberwelt, ursprünglich um Vernachlässigung oder Kränkung zu rächen, haben sittlich
fortgeschrittenere Zeiten gemildert, sie haben aus egoistischen Rachegeistern ins All-
gemeine wirkende Rächer des Unrechts und Hüter des Rechts gemacht; so läßt Hesiod
die Abgeschiedenen des goldenen Geschlechts auf der Oberwelt verkehren, als unsicht-
bare Hüter der Menschen und zugleich als Segenspender. — Nachlebsei finden sich
auch bei Homer. Gleich die Grund Vorstellung der Psyche, die Hauchseele. Im Tode
ausgestoßen und heimlos geworden, flattert sie hinaus in die Luft. Hatte aber der
Bestattungsritus die Vorstellung einer Unterwelt erzeugt, so mußte die Seele dem
Körper in die Tiefe folgen; solange der Körper aber nicht nach dem Ritus bestattet
ist, flattert die Seele ruhelos auf der Oberwelt. Wenn aber Homer das Totenreich
lieber in den fernen Westen verlegt, wo die Sonne in Nacht versinkt, jenseits des
Okeanos, so bleibt auch dies in alten Geleisen. Ebenso das Eidolon. Noch andere,
grausigere Uranschauungen ragen in das homerische Gedicht herab: die Menschen-
opfer bei der Leichenfeier des Patroklos, der Bluttrunk der Seelen in der Hadesfahrt
des Odysseus; die Rache, welche die Erinyen unter der Erde an den Meineidigen
nehmen, indem sie die im Eide ausgesprochenen Selbstverwünschungen wahr machen.
Die auch ursprüngliche Vorstellung eines Fortlebens im Kreise der seligen Götter
malte der griechische Mythus nur in der Form der Entrückung Lebender; sie wurde
bevorzugten Menschen, Verwandten der Götter zuteil, dem Ganymed, dem Tithonos
und anderen. Näher geht uns die Entrückung nach dem fernen Lande der „ Hinkunft"
an, dem Elysium, wie Homer es nennt. Er setzt dorthin, neben anderen Ungenannten,
den Rhadamanthys, den Menelaos, Hesiod aber eine Anzahl der Helden des thebanischen
und trojanischen Kriegs (die Gefallenen gingen in den Hades hinab); jene entrückte
Zeus aus dem Kreis der Menschen an die Grenzen der Erde, da wohnen sie sorglos
auf den „Inseln der Seligen", am Okeanosstrom, als selige Heroen; dreimal im Jahre
trägt ihnen der Acker. Die Ausmalung des Wunschlandes fällt zusammen mit der
des goldenen Zeitalters unter Kronos' mildem Zepter.
Daß in der Stille eine sittliche Entwicklung bei den Griechen schon früh im
Gange war, lehrten uns bereits einzelne Symptome. Die wurzelverwandte Reform
der Jenseitsgedanken (beides beruht in demselben eindringenderen Denken) setzt bei
Homer kräftig ein. Er kennt kein Einwirken der Seele auf das Reich des Sicht-
baren, daher auch keinen Totenkult. Er läßt die Eidola in das ferne westliche
Schattenreich entweichen, von wo keine Wiederkehr ist; die Überlebenden brauchen keine
Angst vor Revenants zu haben, brauchen sie daher auch nicht mit Speis-, Trank- oder
sonstigen Opfern zu versöhnen. Darum darf Homer ein Befreier heißen. Wohl gibt es
auch für Homer, und gerade für ihn, ein Nachleben im Diesseits, aber kein gespenstisches,
sondern ein lichtfrohes, im Liede. Die Abgeschiedenen sind aus ängstigenden Ge-
spenstern durch die Kunst zu erhebenden Idealen geworden. In der homerischen
Reform trat das neue Ferment zuerst bedeutend auf den Plan. Seit dann die jonische
Regsamkeit Hebel um Hebel ansetzte, um Erkenntnis der sichtbaren WTelt zu gewinnen,
war für die alte Seelen- und Göttermythologie kein Platz mehr. Die Aufklärung
zerschlug und zerrieb die Überlieferung. Sokrates, auf der Suche nach einer rationalen
Ethik, öffnete den Weg für Piaton. Piaton begann als Dichter; aber der Dunst
seiner tragischen und dithyrambischen Jugenddichtung zerging ihm vor dem Blick der
Die Völker. 59
Sokratesaugen (üotteq sho&si Tavqrjdbv v7toßXeipai 7tqög zöv üv&qionov Phäd. 117 b). Beim
Tode des Meisters verlobte er sich, in dessen Stelle tretend, der Arbeit am Menschen
(Apol. 39 cd, Preuß. Jahrb. 1889, 707). Er gründete die Akademie als eine Hoch-
schule, welche durch wissenschaftliche Erziehung, nämlich durch Erziehung im wissen-
schaftlichen Denken, Staatsbürger bilden sollte, vor allem aber Staatslenker, die des
Namens würdig wären. Diese praktische Aufgabe blieb dem Sokratiker vorzüglich
wichtig. Und er schuf die Wissenschaft, indem er sie in der Logik gründete. Die
Körperwelt ist wandelhaft, die Sinneswahrnehmung ist unzuverlässig: wo gibt es Wahr-
heit, darin die Seele Ruhe fände und das Leben Heil? Prot. 356 d. e. Phädo 84 a.
Seinen Ankergrund findet das Denken nur in sich selbst, findet der denkende Mensch
allein in seinem eigenen Bewußtsein, niemand anderem darf er unkritisch glauben
Phädr. 244 — 257. Phädo 83 a. Im eigenen Bewußtsein findet er die Begriffe, an denen
die Dinge teilhaben. Aus dem letzten Grundbegriff (der Idee des Guten, dem plato-
nischen Symbol des Weltgesetzes, wie immer wir sie uns interpretieren mögen, als die
Zweckmäßigkeit oder die Gesetzmäßigkeit selbst oder wie sonst) entfaltet sich die
Wissenschaft in Ethik und Physik. In der Idee ist „Wahrheit", in ihrer Anschauung,
in der Wissenschaft, ist „Seligkeit". Das ist die Grundüberlegung der platonischen
Logik, die vor allem eine Erkenntnistheorie und Wissenschaftslehre war. Daher
müßte man zunächst eine Kritik der Seele erwarten; in der Tat scheint Plato gelegent-
lich anzudeuten, daß, was wir Seele und Geist nennen, in den seelischen und geistigen
Funktionen bestehe; im Gastmahl hat Plato die persönliche Unsterblichkeit scharf
geleugnet (208 b). — Wir übergehen die Weiterentwicklung der Wissenschaft im
Altertum. In der Zeit des Hellenismus rangen Stoizismus und Epikureismus um die
Herrschaft; beide waren auf das Diesseits gerichtet, jener allegorisierte alles Mythische,
dieser sah eine Hauptaufgabe in der Befreiung des Menschen von der Jenseitsangst.
— Die Wissenschaft stand neben dem Leben. Und dies scheint immer noch homerisch
gesinnt. Die attischen Grabreliefs des fünften und vierten Jahrhunderts, in ihrer
stillen Weise voller Gefühl, ja rührend innig, vergegenwärtigen nicht den Tod, sondern
verewigen das Leben, nicht ohne die menschlich natürliche Wehmut. In andrer Art,
aber ebenso unmittelbar, bringen uns die Redner ihr Athen nnd ihre Athener nahe.
Nun, der thukydideische Perikles, in seinem Epitaphios auf die im Kriege Gefallenen,
hat für die Tapferen kein Wort von jenseitigem Lohn, für die Hinterbliebenen kein
Wort von Wiedersehen. Erwähnt ein Redner einmal den Hades, so tut er es mit
dem Vorbehalt „wenn es im Hades dergleichen gibt". Ähnlich die Grabschriften;
in der Mehrzahl gehören sie zu den bei Einigen so verschrieenen „ohne Hoffnung",
sagen wir ohne Wahn und ohne Anmaßung. Es fehlt nicht laute Klage. Vielen
genügte ja wohl die urwüchsige sardanapalische Lebensweisheit „Iß, trink, genieße das
Weib, denn morgen bist du tot"; moderner, zivilisierter klingt die Sache in dem
Wahlspruch, den der pompejanische Kaufmann in sein Atrium setzte „Verdienst und
Vergnügen" (O verbeck, Pompeji4 1885, 435 übersetzt: „Gewinn ist meine Freude".
Zu Lucrum Gaudium vgl. pecuniae et corporis gaudia, Sali.). Anderen Grabschriften
fehlt nicht der tröstliche Ausblick auf ein gutes Andenken und, echt platonisch, auf
ein Fortleben in Kindern und Kindeskindern — Plato selbst würde hinzusetzen „und
in Nachwirken".
Aristophanes spottete der frommtuenden Mysten, die doch selbst „den Jakchos
des (ungläubigen) Diagoras sangen" (Frösche 320). Und die Aufgeklärten von Prota-
60 Die Jenseitsgedanken des Altertums.
goras bis Lucian wurden nicht müde, die Hadesphantastik zu verhöhnen. Also gab
es doch Jenseitsglauben und gab es Mysten. Allerdings, trotz Homer und der Wissen-
schaft sind die Urgedanken am Leben geblieben, zuerst nur in einer populären Unter-
strömung, die aber bald wieder zutage trat, anfangs nur hier und da, in kleinen
Sprudeln; dann aber, vermählt mit dem Hauptstamme der Wissenschaft selbst, gewann
sie Stärke und eine Art Tiefe, um schließlich in der Kaiserzeit das Feld zu behaupten.
Einen mächtigen Helfer fand die Reaktion in der griechischen Phantasie. Wir
müssen aber der Wahrheit die Ehre geben und gestehen, daß der Urglaube nicht
bloß trotz Homer, sondern durch Homer selbst sich erhalten hat, durch Homers eigene
Phantasie. Wohl hat er die Toten aus dem Bereich der Lebenden gebannt, aber nicht
in den ewigen Strom des Werdens und Vergehens, sondern in ein Reich zwar des
Nichtgreifbaren, insofern Wesenlosen, aber doch wieder Sichtbaren. Die negative
Vorstellung ist durch poetische Anschauung doch wieder positiv geworden im west-
lichen Reich des Hades; so wurde es möglich, daß der Märchenheld Odysseus lebend
bis an den Eingang des Nachtreiches gelangte und mit den durch Bluttrank zum
Bewußtsein Zurückgekehrten Zwiesprache pflegte. — Zäh haften Gebräuche. Was der
Urglaube an sepulkralen und sonst superstitiösen Gebräuchen gezeitigt hatte, das
erhielt sich trotz Homer, vor allem der Ahnenkult an den Gräbern der alten Fürsten-
und Adelsgeschlechter. Indem aber einerseits die Helden der Sage als Heroen ver-
ehrt, andererseits immer neue fiktive Ahnen (Eponymen, Archegeten) geschaffen wurden,
so kam ein neuer Heroenkultus in Blüte, stets gefördert durch das delphische Orakel.
Der sich zusehends erweiternde Kreis nahm Okisten neugegründeter Städte in sich
auf, Gesetzgeber, Dichter, Athleten, fürs Vaterland gefallene Krieger; schließlich
hatte die liberale Austeilung des Heroencharakters seine Entwertung zur Folge, echte
Heroen mußte man schon, um sie auszuzeichnen, als Götter begrüßen, wenn jeder
beliebige Verstorbene, wie es schließlich herauskam, Heros heißen durfte. Die Heroen
wurden im Tode noch wirkend gedacht, ihre Geister gingen um, rächten erfahrene
Kränkung, Versäumnis ihres Kults, stifteten Schaden; umgekehrt, wenn versöhnt,
konnten sie Segen bringen, Hilfe in Krankheit, Krieg und aller Not, galten wohl als
Schutzpatrone einer Stadt. Diese Ortsheiligen standen dem Volk im ganzen näher
als das homerische Götterpatriarchat auf dem fernen Olymp. — Entsprechend finden
wir im geschichtlichen Griechenland den Totenkult in allgemeiner Übung, mindestens
als anständige Sitte. Wie er auf der Voraussetzung beruht, daß die Seelen weiter-
leben, so ruft er diesen Glauben selbst immer neu hervor. Neben der alten Gespenster-
furcht bestand auch eine freundlichere Auffassung, die in sittlich gereifteren Zeiten
und Verhältnissen, z. B. in Athen, mehr in den Vordergrund trat, die Auffassung des
Verstorbenen als eines wohlwollenden Schutzgeistes und des Totenkultus als eines
traulichen Verkehrs. Die Sitte des Totenkults bezeugen zahlreiche Grabmäler, durch
die bloße Tatsache ihrer Errichtung, wobei von dem besonderen Sinne ihrer Bildwerke
abzusehen ist; ebenso die weißgrundigen attischen Lekythen, sie überdies durch ihre
graphischen Darstellungen der Besuche und Darbringungen am Grabe. — Superstitiös
waren auch die Gebräuche der Mantik, der Kathartik, der Mystik, die alle zum
Seelenglauben Bezug haben. Der Seher sagte auch dies, welcher Gott, welcher
Dämon, welche Seele gekränkt sei und Sühnung heische. Die rituale Reinigung
erlöste den Mörder von dem Rachegeist, der ihn verfolgte. Die Mysterien von Eleusis,
erwachsen im Kult von Göttern der Erde, welche die Keimstätte der Saat und die
Die Völker. 61
Ruhestätte der Toten in sich beschließt, im Dienst der Olympierin Demeter und der
zwischen Olymp und Hades wechselnden Köre, diese Mysterien versprachen den
Reichtum, wie ihn die Gottheiten des Ackerbaues ihren Dienern in das Haus senden,
darüber hinaus aber, was zur Hauptsache wurde, ein seliges Los im Jenseits; nur die
Geweihten dürfen hoffen, im Hades wahrhaft zu leben, für die Ungeweihten steht
dort die Sache übel. Wieweit die eleusinische Verkündigung Glauben fand, ist
schwer auszumachen. Tatsächlich wurden die Mysterien zu einem athenischen Staats-
kult erhoben, mit viel Gepränge gefeiert, und eine wachsende Zahl ließ sich weihen,
nicht bloß Athener, denn die Weihen standen jedem Menschen offen, den nicht rituale
Unreinheit überhaupt von allem Kult ausschloß.
Soweit war wohl von einem Fortleben die Rede, aber die den Göttern eignende
Unsterblichkeit im strengen Sinne des Wortes hatte damit noch keine Geltung für
die menschliche Seele. Vorbedingung hierzu war eine schärfere Scheidung zwischen
Leib und Seele und die Überzeugung von einem selbständigen Dasein der letzteren.
Ein solches schien erwiesen nicht bloß durch Erscheinungen im Traum oder durch
die Ohnmacht, sondern vorzüglich durch die Ekstase, wie sie in den nachhomerischen
Jahrhunderten, zumeist auf dem fetten Boden des Dionysosdienstes, ausgiebig geübt
wurde. Hieran schließt sich die besondere Vorstellung, daß die Seele zeitweise den
Körper verlassen, in jede Ferne, auch in das Jenseits, schweifen und Nachricht von
dort bringen könne. Die sonach eines selbständigen Daseins fähige Seele, ohnehin
den Göttern verwandt, schien nun auch an deren Unsterblichkeit teilzunehmen. War
bei der Urvorstellung vom Gelage Verstorbener mit Göttern zwischen Körper und
Seele überhaupt noch nicht unterschieden worden, und schloß der Entrückungsglaube
eine Trennung der Seele vom Körper aus, so wurde das Merkmal der Unsterblichkeit
nun gerade erst bei der Trennung der Seele vom Leib bedeutend. Wenn so die
Seele göttlicher Art und unsterblich war, so folgte leicht auch das andere, daß sie,
als unabhängig vom körperlichen Sein, auch vor der Geburt schon war, daß sie mithin
ewig sei wie auch die Gottheit. Solches Denken arbeitete mit den Elementen des
Urglaubens, aber was es daraus gestaltete, ging weit darüber hinaus, war nur möglich
auf Grund einer wir müssen sagen wilden Ehe des Entgegengesetzten, nämlich des
phantastischen Mythus und der wissenschaftlichen Logik. Kaum war die Logik zu
Eigenleben erwacht, da überschatteten sie die Flügel des wiedererstarkten Mythus,
und sie brachte sonderbare Kinder zur Welt, einige mit Tauben-, andere mit Fleder-
mausflügeln, alle mit verträumten Augen. Die Verkünder der Lehre nannte das
Altertum Theologen; nun, diese Theologie wurde wissenschaftlich. Und die Wissen-
schaft hüllte sich in den Talar des Priesters. Doch bleibt in jedem Einzelfalle zu
prüfen, wie weit das Mythische eigentlich, wie weit es uneigentlich gemeint war, ob
nicht eine der mannigfach abgestuften Möglichkeiten von Halbbewußtheit vorliegt.
Ihre Wiege und bleibende Heimat besaß diese Seelenlehre in der orphischen
Mystik, wie sie im sechsten vorchristlichen Jahrhundert hervortrat. Man kann nicht
gerade sagen, daß sie zu einem gleichmäßig entfalteten hochragenden Baume heran-
wuchs, eher läßt sie sich einem kriechenden Unkraut vergleichen, welches einen
schönen Rasen durchwächst, hierhin und dorthin einen Trieb entsendend und dabei
in allerlei bunten Farben schillernd. Aus den wilden Orgien Thraziens leitet man
ihren Ursprung her, mehr bürgerlich gesittet erscheint sie bei den Griechen. Früh
hat sie bei den Westgriechen sich mit dem Pythagoreismus verbunden, das Orphisch-
62 Die Jenseitsgedanken des Altertums.
pythagoreische bildet eine kaum zu sichtende Masse. In Athen fand die Orphik eine
feste Stätte, doch wirkte sie durch alle Länder griechischer Kultur, überall in das
geistige Leben sich eindrängend und von ihm Vorteil ziehend. So erhob sich über
dem groben Ritualismus orphischer Geschäftskatharten eine sublime Erlösungslehre
von solcher Werbkraft, daß sie im zweiten Jahrhundert der Kaiserzeit im Kampf der
Religionen um den Thron der Weltreligion mit ringen durfte und weit darüber hinaus
tiefgreifenden Einfluß behielt.
Orphiker haben eigene „Offenbarungen" gedichtet, vorzüglich eine Niederfahrt
des Orpheus in die Unterwelt; aber wir kennen sie hauptsächlich nur aus ihren Ver-
wendungen in der theologischen und theologisierenden Literatur (die Moralisten er-
kannten früh die Brauchbarkeit des orphischen Tones für eindringliche Predigt), sowie
aus der wissenschaftlichen und der satirischen Polemik. Es wäre ein aussichtsloses
Beginnen, den Gesamtkomplex der orphisch-pythagoreischen Psychologie harmonistisch
in ein wohlkonstruiertes System glätten zu wollen; es muß genügen, die innerlich ja
von einem Grundgedanken getragenen, aber aus heterogenen Elementen erwachsenen
und dazu ungleich und selbst widersprechend ausgewachsenen Vorstellungen in eine
leidliche Übersicht zu bringen, wobei nicht alle Einzelheiten erwähnt werden können.
Beweggrund zum Ganzen ist das ewige praktische Bedürfnis des Menschen, einen be-
friedigenden Ausgleich zu finden zwischen dem sittlichen Elend des in das Leben
gestellten Menschen und seiner Anlage auf ein reines Dasein. Deshalb ist das Triebrad
der ganzen Veranstaltung die kathartische Methode, die rituale, hier durch die or-
phischen Weihen vermittelte Reinigung; wenn die also „Reinen" stillschweigend als die
Gerechten gesetzt wurden, etwa wie bei Theognis der Geburtsadel als Seelenadel, so
schoben die orphisierenden Dichter und Philosophen den Reinen die Gerechten unter. Der
Grundgedanke der jenseitigen Buße ist, daß die Unreinen in ihrer Unreinigkeit liegen
(„im Kotfluß"); als steigernde Strafmittel dienen Feuer, Pech und Schwefel und
raffiniert ausgedachte Foltern. Wie aber Orpheus dem dionysischen Kreis angehört,
so ist auch das Elysium der Reinen und Heiligen ein bacchisches, ewige Trunkenheit.
Die Menschenseele aber ist ein Teil der Weltseele; aus ihrer ätherischen Heimat in
der Stunde der Geburt in den Erdenleib getreten wie in ein Gefängnis, oder in ein
Grab, wird sie im Tode daraus befreit und kommt zu den Inseln der Seligen oder
je nachdem in den Tartarus. Das gilt aber nur für die Guten und die ganz Schlechten.
Die Mittelwertigen müssen zu wiederholter gründlicher Reinigung den „Kreis der
Geburt" (der Palingenesie) durchlaufen, das will sagen, während 10 000 Jahren zehnmal
je ein Erdenleben und eine Bußzeit im Hades, zusammen von je 1000 Jahren, durch-
machen. Nach Ablauf jedes Jahrtausends trinken sie aus dem Lethequell Vergessen-
heit des Vergangenen, um dann ein neues Leben zu wählen. Von den Mittelwertigen,
die im unterirdischen Reinigungsort büßen, wird noch eine Sonderklasse abgezweigt.
Die Besseren (relativ Besten), nämlich Vaterlands Verteidiger, Priester und Sänger,
Philosophen, königliche Wohltäter der Menschen, sie dürfen in einem eigenen Himmels-
raum, der auch Elysium genannt wird, seliger Ruhe pflegen, ohne deshalb der
Wiedergeburten enthoben zu sein. Die mythischen Straf- und Ruheorte werden dann
noch in die Sphären der Kosmologie eingeordnet: das Leibesleben verläuft auf der
Erde; die Seele entweicht in die Luft, deren unterer Teil, die schwere trübe Atmos-
phäre, nun als Hades und Purgatorium dient; davon wird eine obere Region als die
Hades wiesen gesondert; höher folgt die Sphäre des Mondes, der jetzt Elysium wird;
Die Völker. 63
die höchste und äußerste Sphäre, der feuriglichte Äther, ist erst der Himmel der
Gottheit, dorthin kommen die ganz Geläuterten, zurück also in ihre Heimat, die sie
vor einer Jahrmyriade verließen.
Einen Auszug aus der pythagoreisch-orphisch beeinflußten Literatur, in dem be-
sonders die Seligkeitsschilderungen berücksichtigt werden sollen, die der vorläufigen
wie der ewigen Seligkeit, beginnen wir mit Pin dar (Ol. II; Threnoi). Die Seele
stammt von den Göttern; der Leib verfällt dem Tod, lebend bleibt nur die Seele.
Unter der Erde büßt sie alle Schuld mit unanschaubarer Qual im finsteren Tartarus.
Die Gerechten aber, die gern ihre Eide hielten, leben mit den Unterweltsgöttern
mühelos, leidlos: die Sonne leuchtet ihnen während unserer Nacht, in Auen mit roten
Rosen gelegen ist ihr Garten voll schattender Weihrauchbäume und goldener Früchte;
sie ergötzen sich mit ritterlicher und musischer Kurzweil, jegliche Frucht gedeiht
dort, und das Räucherwerk ihrer Altäre verbreitet Duft über den lieblichen Ort. —
Wenn Persephone die Buße für die „alte Schuld" annimmt, so dürfen die Seelen im
neunten Jahre das Tageslicht wiedersehen; aus ihnen werden starke und weise Könige,
der Nachwelt heißen sie heilige Heroen; die aber in dreimaligem Leben oben und
unten die Seele sich schuldlos bewahrten, gehen den „Weg des Zeus" zum Schlosse
des Kronos auf der Insel der Seligen, welche die Lüfte vom Okeanos umspielen;
Goldblumen leuchten an herrlichen Bäumen und aus dem Wasser, mit Kränzen davon
umwinden sich die Seligen; dort ist Rhadamanthys Beisitzer des Kronos. Peleus und
Kadmos weilen dort, den Achill brachte seine Mutter dahin. — Der dichtende
Philosoph Empedokles bezeugt die ätherische Heimat der ewig lebenden Seelen; er
nennt sie Dämonen. Für Frevel, wie Mord und Meineid, müssen sie drei Myriaden
Hören fern von den Seligen umherschweifen, um im Laufe der Zeit in den Gestalten
aller möglichen sterblichen Geschöpfe geboren zu werden. Er schildert dann mit
Bitterkeit, wie Äther, Meer, Erde, Sonnenlicht und wieder Äther mit der armen
Seele Fangball spielen, einer sie dem andern zuwerfend, weil keiner sie mag (Fragm.
115 bei Diels Vorsokratiker S. 217). — Den Äther, welcher der Sitz der Götter, ja
die Gottheit selbst ist, nennt auch der philosophierende Dichter Euripides als den
Ort, dahin die Seelen der Verstorbenen gehen. Diese Anschauung hat im Athen der
perikleischen Zeit schon so sehr Fuß gefaßt, daß in der offiziellen Grabschrift auf die
bei Potidäa Gefallenen gesagt werden konnte: der Äther hat die Seelen aufgenommen,
die Leiber die Erde (CJA. I n. 442). — Der Komiker Aristophanes, in den Fröschen
(137 — 163 = 181 — 459), mischt Orphisches und Eleusinisches. Dionysos selbst tritt
die Hadesfahrt an; er kommt an einen abgrundtiefen See, über den ihn der greise
Fährmann setzt; nachdem eine Region der Schlangen und andrer Ungeheuer passiert
ist, kommt er an den orphischen Kotfluß, darin die Büßer liegen, die Frevler gegen
Eltern und die Meineidigen, endlich in die Gegend der Seligen. Er hört Flötenmusik,
unter hellem Tageslicht sieht er in Myrtenhainen selige Scharen sich bewegen, das
sind die Geweihten, sie wohnen nächst Plutons Palast. Der Chorgesang der Mysten
ist eleusinisch gefärbt, sie singen der „Soteira", der Demeter und dem Jakchos. Die
Lust der Seligen ergeht sich in Tanz, der selbst die Alten mit fortreißt; doch spürt
man auch Bratenduft.
Wir wenden uns sofort zu Piaton. Dem griechischen Dichter lag das an-
schauende Denken im Blute. Seine aus dem Bewußtsein des Menschen entwickelte
messerscharfe Logik wurde so nicht bloß Psychologie, sondern Psychomythologie; und
64 Die Jenseitsgedanken des Altertums.
in der Sprache der pythagoreisch-orphischen Mystik fand die sittliche Gesinnung der
sokratisch-platonischen Philosophie den für Jahrtausende packendsten Ausdruck. Aber
aus den pompösen Falten des Epoptengewandes schaut überall — gewiß nicht der
theatralische Talar eines „ Priesters der Wissenschaft", sondern der schlichte Rock des
denkenden Menschen, oder in anderem Bilde zu sprechen, durch das farbenschimmernde
Gewölk der Mythen bricht überall die Sonne der Logik und leuchtet zugleich das an-
gezündete Licht der Arbeit in der Akademie.
Der Keimpunkt von Piatons Logik, das Gewinnen der Begriffe im eigenen Be-
wußtsein, ist auch der Keimpunkt seiner Psychomythologie. Was kein Lehrer zuvor
in die Seele hineingebracht hat, das wird durch methodisches Fragen in ihr geweckt,
wie aus einem Schlummer, Lernen ist „ Wiedererinnerung " dessen, was die göttlich
unsterbliche Seele in ihrer himmlischen Präexistenz, in zahlreichen Metempsychosen
auf der Erde, und in den Zwischenzeiten im Hades „erfahren" hat (Meno Kap. 14 f.
20 f.). Der Gegensatz von Sinneswahrnehmung und Ideendenken erhält sein Gleichnis
im Gegensatz von Körperwelt und Jenseitswelt. Das Reich „dessen, das man nicht
sieht" (to dsiSe'g) findet Plato etymologisierend im „Hades" vorgedeutet (Gorg. 493b.
Phäd. 79a — 81a). Also, die Sinneswahrnehmung gibt nur trübe Vorstellungen, im
Ideendenken ist Wahrheit, die nackte Seele sieht die nackte Wahrheit. Als Kronos
noch die Welt regierte, da wurde vor dem Tode jedes Menschen das Gericht über ihn
gehalten, von Lebenden über den Lebenden; als dann aber Zeus zur Regierung kam,
verordnete er, daß hinfort das Gericht erst nach dem Tode stattfinden und daß auch
der Richter ein Toter sein solle, damit nackte Seelen die nackten Seelen richteten; so
erst würden sie gerecht richten, weil unbeirrt durch Körper, Kleider, Stand des zu
Richtenden, aber auch unbeirrt durch die eigenen, immer trüben Sinnesorgane, Auge,
Ohr usf., die wie Schleier vor der Seele sind (Gorg. 523).
Das Ideendenken (die „Schau" der Idee Phäd. 84a, b, Symp. 210 e) wird
projiziert in den Himmel und zugleich in die Präexistenz und die Postexistenz; ein-
mal geschieht das bloß metaphorisch, ein andermal mythologisch: die vom Körper
befreite Seele wird in den Himmel zurückgekehrt die Ideen wieder rein schauen wie
einst vor der ersten Geburt. Da nun ferner auch die Ethik in der Logik ihren Grund
hat, so ergibt sich die Kongruenz von Wissenschaftlichkeit und Sittlichkeit, analog
dem mystischen Gleichsetzen der Begriffe Geweiht und Gerecht: der wissenschaftlich
Denkende ist der „zur Seligkeit bestimmte Gerechte", der Unwissenschaftliche aber der
„zu den jenseitigen Strafen verdammte Ungerechte". — Die Seele schwebte oben unter
dem Himmel, sie (nun wieder das um die Erforschung der Dinge bemühte Denken)
durchgeht den ganzen Himmel, ordnet (wissenschaftlich) den Kosmos, bis sie (jetzt die
zur Sinnenwelt hingezogene) entfiedert hinabstürzt und sich an einen Körper klammert,
in dem sie Wohnung nimmt. Wenn unter dem Himmel die heraklitische Welt des
Werdens ist, so muß ein etwaiges „Höheres", wie es Plato im eleatischen Sein fand
und als die Idee bestimmte, so muß es im „überhimmlischen Räume" zu Hause sein.
Um sich an dessen Schau zu ersättigen, fahren die schwebenden Seelen im Gefolge
der Götter (die als Herren der unterhimmlischen Dinge auch unter dem Himmel
wohnen) hinauf zum Scheitel der Himmelswölbung; die Götter treten durch das Opaion
hinaus zur Schau in das „Gefilde der Wahrheit", die Seelen aber, behindert durch ihr
schwieriges Gespann Mut und Begierde, Lenker ist die Vernunft, vermögen bestenfalls
den Kopf des Lenkers durch die Öffnung in den überhimmlischen Raum zu bringen,
Die Völker. 65
andere können nur gerade ab und zu einen Blick hinauswerfen, die übrigen müssen
verzichten (auf das Ideendenken, und sich mit bloßen Vorstellungen begnügen).
Welche Seele das wahre Sein erschaut, bleibt in der Höhe schweben, die anderen
stürzen entfiedert herab und verbinden sich mit Leibern; die am meisten schaute wird
ein Philosoph, die nächste ein König oder Krieger, die folgende ein Politiker oder
Geschäftsmann, die vierte ein Gymnast oder Arzt, erst an fünfter Stelle — man
beachte das — kommt der Seher und der Myste, dann noch der Poet und der
Mimet, der Handwerker und der Landmann, der Sophist und der Demagog, an neunter
und letzter Stelle der Tyrann. In ihre Heimat in der Höhe gelangt die Seele erst
nach einer Jahrmyriade zurück. Früher gewinnt ihre Flügel nur die Seele des auf-
richtigen Philosophen und des akademischen (nämlich des philosophisch denkenden)
Lehrers wieder; wenn sie binnen dreitausend Jahren dreimal das Leben in Philosophie
erwählt haben, so kehren sie zuletzt wieder beflügelt zur Schau der überhimmlischen
leuchtenden Schönheit zurück. Von denen, die sich nicht zum Ideendenken er-
hoben haben, kommen die einen in die unterirdischen Straf örter, die andern jedoch in
einen himmlischen Läuterungsort, beide auf tausend Jahre, dann wählen sie sich beide
ein zweites Leben (Phädr. Kap. 23 — 28).
Das Lohnende des Ideendenkens gegenüber der bloßen Vorstellung verkündet
auch der Phädo, er in besonders breiter Mythologie {Siaanoiiüv re %al nv&oloyüv 61 e).
Dies ist das Studium der Philosophie, Lösung der Seele vom Körper 67 d. 80e; im
Tod wird es vollkommen erreicht Kap. 8 — 13. Wie danach die Palingenesie ver-
wertet wird Kap. 15 — 17, und die Präexistenz Kap. 18 — 22, das dürfen wir hier
übergehen, wichtig aber ist uns die Eschatologie Kap. 57 — 63. In das Schema eines
sphärisch-geozentrischen Weltsystems wird eine phantastische, vielmehr metaphorische
Psychokosmographie hineingezeichnet 108d — 111c. Wir Menschen glauben auf der
Erdoberfläche zu wohnen, da wir doch auf dem Boden großer Eintief ungen uns be-
finden (gleichsam riesiger Erdbrüche; sie sind die Vorläufer der nicht minder meta-
phorischen „Höhle" Rep. 514. Die drei Sphären der mythischen Kosmographie im
Phädrus, Erde, Himmel, Überhimmel, sind hier im Phädo um eine Stufe herunter-
geschoben: Erdmuldensystem, Erdoberfläche, Himmel). In den Erdmulden sammeln
sich die Wasser zu Meeren und Flüssen, alles Land aber ist zerfallen und zerfressen.
Unser Luftmeer, durch das wir Sonne, Mond und Sterne nur trüb sehen (so etwa —
der sinnreiche Dichter unterbaut das Gleichnis mit einem neuen Bild — als wohnten
wir auf dem Meeresboden und sähen die Himmelslichter nur durch das Meerwasser),
unser Luftmeer ist für die „wahren" Bewohner der „wahren" Erde (der Erdoberfläche)
ihr Meer; deren Atmosphäre aber ist der reine Äther unter dem „wahren'' Himmel,
in welchem sie die Himmelslichter sehen wie sie wirklich sind. Dort auf der wahren
Erde sind alle Farben viel reiner und leuchtender als hier unten, das Weiß weißer als
Gips oder Schnee, und es gibt dort mehrere und schönere Farben als wir hier je
gesehen haben. Entsprechend wunderbar ist dort der Pflanzenwuchs, ebenfalls Gebirg
und Gestein, die dortigen Steine sind glätter, durchsichtiger und schönfarbiger als
unsere teuren Edelsteine Sarder, Jaspis, Smaragd, die nur Bruchstückchen jener sind;
denn dort ist das Gebirg nicht zerfallen und vom Wasser zerfressen wie bei uns. Gold
und Silber liegt dort gediegen zutage und schmückt die Erde, die eine Schau ist für
selige Beschauer. Sie leben in gesundestem Klima ohne Krankheit, langlebiger als
wir, und der Abstand ihrer Sinnesschärfe von der unsrigen ist wie der zwischen Erde
Syliel, Christliche Antike I. 5
66 Die Jenseitsgedanken des Altertums.
und Äther. In ihren Hainen und Tempeln wohnen wirklich Götter, die Menschen
verkehren wirklich mit den Göttern (vgl. 69 c. 81a) und ihre übrige Seligkeit ist dem-
entsprechend. — Mit jenem Erdmuldensystem wird auch die Unterweltstopographie
in Zusammenhang gebracht, der die Erdkugel durchbohrende Tartarus und die Unter-
weltsflüsse. Die meisten Seelen Verstorbener kommen an den acherusischen See, um
dort eine bestimmte aber verschieden bemessene Zeit zu bleiben; da gibt es Wieder-
sehen und Austausch der Erlebnisse. Danach werden sie hinausgesandt zur Wieder-
geburt. — Aus der Gerichtsschilderung 1 1 3 d ff . heben wir nur die Verheißung für die
Besten hervor: die ausgezeichnet heilig gelebt haben, werden aus der „ Erdmulde ■
befreit wie aus einem Gefängnis, sie kommen nach oben in die reinen Wohnungen
auf der „wahren" Erde; die aber durch Philosophie (Wissenschaft) gründlich Ge-
läuterten leben (im Tdeendenken) „körperlos" in alle Zukunft und kommen in noch
schönere Wohnungen, deren Schönheit zu schildern nicht leicht ist. Hierauf gründet
sich die im Phädo so oft ausgesprochene „Hoffnung", die heiß erstrebte reine Vernunft
im „Jenseits" rein zu gewinnen 63f. 67f. 70a. 114e (die Hoffnung auch z. B. bei
Pindar, Plat. Rep. 331a).
Jede neue Jenseitsschilderung bringt neue Variationen des Themas. Im Staat
weiß unser göttlicher Lügenprophet (Ist kein Lucian da, daß er ihn stäupe?), er weiß
nach dem Bericht eines Augenzeugen und Boten aus dem Jenseits, des vom Tode
auferstandenen Pamphyliers Er, des Armenios Sohn, nicht bloß von dem einen Tartarus-
schlund, sondern von zwei Erd- und zwei Himmelsschlünden zu erzählen, zwischen
deren Mündungen die Totenrichter sitzen; die Gerechten gehen zur Rechten und
fahren in den einen Himmelskamin hinauf, die Ungerechten zur Linken in den einen
Erdschlund hinunter; nach tausendjähriger Reise, auf der die einen Gesichte von un-
säglicher Schönheit, die andern viel Ungemach gesehen und erlebt haben (jede Guttat
wird zehnfach belohnt, jede Schuld zehnfach gebüßt, in jedem Jahrhundert einmal;
besonders gutes oder schlimmes Verhalten gegen Götter und Eltern, sowie Selbstmord,
werden extra berechnet), kommen sie jeder aus dem entsprechenden Zwillingsschlund
wieder heraus (nur wenn ein unheilbarer Sünder heraus will, da brüllt der Höllen-
rachen, und er wird unter Martern zurückgeschleudert), rasten sieben Tage auf der
Wiese, erleben manches Wiedersehen und erzählen sich von ihren Erlebnissen, um
dann zu neuer Wanderung aufzubrechen, diesmal zur Spindel der Ananke und den
Parzen; dort wählen sie sich das Los für das nächste Leben, wobei denn der Philosoph
wieder am besten fährt (Rep. 614).
Endlich der Timäus läßt, allem früheren zuwider, die Seelen nicht von Ewigkeit
her, sondern geschaffen und (dies als Voraussetzung der Anamnese) vom Schöpfer
selbst unterrichtet sein. Statt jener „Befiederung" tritt ein neues Bild ein: er schuf
die Seelen in der Zahl der Sterne, teilte jede Seele einem Stern zu und wies ihr von
dort aus die Natur des Alls. — In der ersten Geburt kamen alle als Männer zur
Welt. Wer nun seine bestimmte Zeit gerecht gelebt hat, kehrt auf seinen Stern
zurück und führt dort ein seliges Leben; andernfalls wird er bei der Wiedergeburt
ein Weib; bessert er sich dann noch nicht, so wird er ein Tier, und so fort, bis
er der Sinnlichkeit Herr geworden, die ursprüngliche Reinheit wiedergewinnt
(41dff.).
Die platonische Logik ist den Epigonen nicht so eingegangen wie die aus
populären und mystischen Vorstellungen entwickelten Phantasiebilder Piatos. So ist
Die Völker. 67
es gekommen, daß der Gipfel der Reform in seiner Wirkung umschlug in einen wahren
Atlas der Reaktion.
Aus dem pseudoplatonischen, aber das Platonische benutzenden Dialog Axiochos
sei nur die wieder zwiefache Seligkeit hierhergesetzt. Die eine unten im Hades: reiche
Ernten von allerlei Frucht, Quellen reinen Wassers, Wiesen und bunte Blumen,
Akademien und Theater, Chortänze und Konzerte, Symposien und automatisch bediente
Schmause, dazu Schmerzlosigkeit, temperiertes Klima, sanfte Sonnenstrahlen; die Ge-
weihten haben den Vorsitz (371). Die andere Seligkeit im Himmel: aus dem Gefäng-
nis des Leibes befreit, gewinnt die göttlich unsterbliche Seele ein mühe-, leid- und
alterloses Leben in stillem Frieden und Heiterkeit, in wissenschaftlicher Betrachtung
der Natur im Angesicht der Wahrheit (370) — das Ideal eines Gelehrtenlebens.
Wir müssen uns Beschränkung auferlegen und vieles übergehen. Der platoni-
sierende Stoiker Posidonius, Ciceros Lehrer, bedeutet einen Knotenpunkt im Weiter-
wachsen der pythagoreisch-orphischen Phantasien, ein Staubecken, von dem viele
Kanäle ausgehen und die Kaiserzeit im Sinne jener Spekulationen befruchten sollten.
Zwei Griechen der Kaiserzeit lassen wir zu kurzem Worte kommen (sie hätten weit
mehr zu sagen), den ehrlichen Plutarch und den schlimmen Lucian.
Plutarch, in seiner Divina commedia (de sera numinis vindicta cap. 22) zeichnet,
auch er nach der Schilderung eines Wiedergekehrten, in den unermeßlichen Weltraum
Treiben und Leiden der abgeschiedenen Seelen. Unter den Sonderräumen tritt der
Ort hervor, wo Dionysos zu den Göttern heraufgekommen sei und wo er später die
Semele heraufgeführt habe. Der allgemeine Charakter des Ortes entspricht der her-
kömmlichen Typik des Seligeulandes, aber in dionysischer, vielleicht orphischer Ab-
tönung: das nach unten sich erweiternde Chasma (sein Schema mit der Scheitelöffnung
erinnert an den Himmel in Piatons Phädrus, wiederum an den römischen Mundus
und das Pantheon) ähnelt den „bacchischen Grotten"; mit grünen Pflanzen und Blumen
geschmückt, voll berauschenden Duftes ist es belebt von freundlich miteinander ver-
kehrenden Seelen: rings herrscht bacchische Lust, Spiel und Lachen.
Aus den „Wahren Geschichten" Lucians exzerpieren wir unter Weglassung der
hineingewürzten Satiren eine Reise zu den Inseln der Seligen und der Verdammten,
in solcher Form eine Parodie der Jenseitsphantasien, wie sie damals im Schwange
waren; das Gemälde von der Insel der Seligen ist wieder ausgemalt nach Art der
saturnischen Zeit, aber karikiert im Stil der Wunderländer in den griechischen
Romanen. Düfte verbreiten sich von der Insel wie vom glücklichen Arabien, Düfte
von Rosen, Narzissen, Hyazinthen, Lilien und Veilchen, Myrrhen, Lorbeer und Wein-
blüte. Sie hat ruhig strömende klare Flüsse, blumige Wiesen, Wälder, man hört Singvögel,
und im leisen Winde tönen melodisch die Zweige. Auf der Insel herrscht Rhada-
manthys. Die Stadt der Seligen ist golden, ihr Boden Elfenbein, die Mauer smaragden,
die sieben Tore aus je einem Stück Zimmetholz, die Tempel Beryll, die für Hekatomben
ausreichenden Altäre sind Amethystmonolithen. Die Stadt umfließt ein hundert Ellen
breiter Strom von schönster Myrrhe, die Badehäuser sind Glas, das Brennholz Zimmet,
das Badewasser erwärmter Tau. Die Seligen selbst sind körperlos, haben aber Be-
wegung und Stimme. Die Weinstöcke bringen alle Monate Früchte, die Obstbäume
noch öfter, in einem Monat zweimal; die Ähren tragen pilzförmige Brote, an vielen
Stellen quillt Wasser, Honig, Myrrhen aus dem Boden, Milchflüsse gibt es sieben,
Weinflüsse acht. Das Gelage der Seligen ist vor der Stadt im elysischen Gefild, eine
5*
68 Die Jenseitsgedanken des Altertums.
schöne Wiese an schattendem Waldesrand, das Lager von Blumen. Aufwärter sind
die Winde. Weinschenke sind überflüssig, denn rings stehen gläserne Bäume, die
tragen statt der Früchte Trinkbecher jeder Art und Größe: wer zum Gelage kommt,
pflückt ein oder zwei Becher und stellt sie neben sich, sie füllen sich von selbst. Auch
Kränze und Salben braucht's nicht; die Singvögel fliegen mit Gesang über das Gelage
hin und lassen Blumen aus ihren Schnäbeln herabschneien. Wolken ziehen Myrrhen
aus den Quellen; über dem Gelage stehend und von den Winden leise gestrichen
lassen sie wie feinen Tau träufeln. Zum Mahl werden die Gedichte Homers gesungen,
die Chöre sind Knaben und Mädchen unter Leitung weiland berühmter Musiker, wie
Arion uud Anakreon; es folgt ein zweiter Chor von Schwänen, Schwalben und
Nachtigallen, zuletzt flötet der ganze Wald seine Melodien, die Winde singen vor. Zum
Frohsinn aber tragen am meisten zwei Quellen bei, aus denen zum Beginn des Ge-
lages alle trinken, die Quelle des Lachens uud die Quelle der Lust.
Zum Beschluß kehren wir noch einmal zu den Grabschriften zurück, die
schließlich doch manche der Wünsche aussprechen von der Art der Hoffnungen, die
uns soviel beschäftigt haben. Der Gedanke der Sorge um die Zurückgebliebenen
erscheint, ein junger Arzt erbittet vom verstorbenen Meister fernere Unterweisung.
Die Hoffnung auf ein Wiedersehen, als Volksglaube von Plato bezeugt, Phäd. 68 a,
kommt vor. Auf das Gericht wird öfter angespielt, natürlich ist nur von Lohn für
Frömmigkeit, Keuschheit und Tugend die Rede und von Seligkeit im Elysium, mit
den Frommen im Elysium, mit den Heroen. Der Glaube an Unsterblichkeit spricht:
du bist nicht gestorben, sondern an einen besseren Ort übergesiedelt; auf den elysischen
Gefilden (so wird einem siebenjährig gestorbenen Mädchen nachgerufen) springst du
fröhlich herum zwischen Blumen, da ist weder Frost noch Hitze, weder Hunger noch
Durst, nicht einmal Sehnsucht nach dem Leben, so lebst du glücklich im reinen
Licht wahrhaft nahe dem Olymp. Die Seelen treten ein in den Reigen der Sterne,
gehen in den Himmel, in den Äther, werden mit den Göttern sein. Die Erde möge
zu Seiten des Ruhenden Blumen wachsen lassen wie die Blumen Arabiens und Indiens.
Totenführer, Bote der Persephone, ist Hermes, aber auch sie selbst ist Führerin zu
Rhadamanthys; ein Gott ist es, der einen in den Reigen der Sterne einführt; einen
jeden führt sein Gott, auch im Tod, wenigstens die Eleusinierin Hierophantis führt
Demeter. Wasser der Erquickung, frisches Wasser für die drüben Durstenden, ist ein
häufiges Gebet; gebe dies, heißt es, Ai'doneus, Osiris, Isis.1)
') Griechen: E. Rhode, Psyche, Seelenkult und Unsterblichkeitsglaube der Griechen 1894;
31904 (mit reicher Literatur und eingehendem Kegister); ders., Griech. Roman 21900, 279, 3 Höllen-
fahrten. Ferner A. Dieterich, Nekyia, Beiträge zur Petrusapokalypse 1893. E. Maaß, Orpheus
1895, 247 Aus den Apokalypsen. E. Norden, Vergils Äneis Buch VI 1903 Einleitung: Die
Eschatologie des sechsten Buches und ihre Quellen (Posidonius). Zu nennen bleibt noch C. M.
Kaufmann, Jenseitshoffnungen der Griechen und Römer nach den Sepulkralinschriften 1897;
Forschungen zur monumentalen Theologie I Sepulkrale Jenseitsdenkmäler der Antike 1900. —
Attische Grabreliefs: Nachweise bei v. Sybel, Weltgesch. d. Kunst im Altert. 21903, 172. 213.
245. Lekythen: eb. 179. 215. 253. — Piatons Mythik: Kant, Krit. d. reinen Vernunft 1781, 313f.
Herrn. Cohen, Zeitschr. f. Völkerpsychol. u. Sprachwiss. IV 1866, 403. Paul Natorp, Piatos Ideen-
lehre 1903, 35f. und oft. Der Tenor der platonischen Dialoge ist im ganzen pure prosaische
Logik oder so durchsichtige Metapher, wie die Mäeutik, die Erotik und Erosmythologie. Die
Möglichkeit einer gewissen Halbbewußtheit auf Piatons Seite lasse ich offen; stutzig machen aber
doch Äußerungen wie Phädr. 275 b paölioq ai Aiyvnxiovq xal önoöanovq elv t&eXyq ?.6yovq noislq, oder
Die Völker. 69
Die Römer. Die römische religio, wie sie im Totenkultus spricht, ist niemals
aus dem Stande des Urglaubens herausgetreten. Das konnte aber nicht verhindern,
daß die Gebildeten, unter Führung der Griechen, von solchem Urglauben sich inner-
lich frei machten, wie ein Lukrez. Freilich sind sie danach durch die Spekulation
derselben Griechen auch wieder verführt worden.
Die technische Bezeichnung für Totenopfer, parentatio, beweist den Ausgang des
Brauches vom Ahnenkult. Inferi parentes, di parentes, sind eigentlich die Geister der
verstorbenen Erzeuger, im weiteren Sinne die der Voreltern, der Ahnen, endlich aller
Verwandten. Sie werden über dem Hause waltend gedacht im Guten wie im Bösen,
Vatermörder und andere Frevler gegen die Familie sind ihnen verfallen. Auf die
privaten und staatlichen Totenfeste gehen wir nicht ein, nur des Kultusgebrauchs der
Lemurien sei gedacht: um Mitternacht hatte der Hausvater unter gewissen Zeremonien
schwarze Bohnen neunmal auszuwerfen, als Opfergabe für die irrenden Seelen
(Lemures), um sie fernzuhalten. Auch Larvae, die in der Literatur als unterirdische
Quälgeister und oberirdische Spukgeister gehen, waren ursprünglich wohl nur solche
Seelen; nicht anders die wütenden Furiae.
In der Unterwelt gibt es Götter, Di inferi, wie Veiovis (ein unterirdischer
Juppiter), daneben Orcus, auch Göttinnen treten auf. Bei den Di manes kann man
schwanken, ob da mehr an jene unterirdischen Götter gedacht sei oder an die Toten-
geister. Die Pflichten der Hinterbliebenen gegen die Abgeschiedenen werden unter
den Jura deorum manium begriffen; die Gräber stehen als Eigentum der Unterirdischen
unter dem Schutz der Di manes. Mit der Kaiserzeit traten die Di manes an die Stelle
der Di parentes; sie wurden auch spezialisiert auf die Abgeschiedenen bestimmter
Familien (z. B. infernos Silanorum manes invocare Tac. ann. XII 14). In den Grab-
schriften der Kaiserzeit werden die Gräber typisch den Dis manibus geweiht, davon
getrennt wird das Grabmal dem darunter Bestatteten gewidmet. Seltener ist die un-
mittelbare Beziehung der Di manes ä"uf die Verstorbenen.
Hier ein paar Proben römischer Spekulation, deren Abhängigkeit von der
orphisch-pythagoreisch-platonisch-stoischen auf der Hand liegt. Varro glaubte in den
Di manes die Lares familiäres wiederzuerkennen (ursprünglich Flur-, dann auch Haus-
Dinge wie die Einführung des ganzen Dialogs Phädo als ein öiaoxontlv ts xal fiv&o?.oyeiv fein
6iaXeyeod-ai im platonischen Sinn, aber mit mythischem Einschuß: in logischer und zugleich in
mythisierender Behandlung über die „ Reise ins Jenseits"4 diskutieren; die Gegenüberstellung der
zwei Termini gibt dem zweiten eine Prägnanz, welcher Heindorfs confabulari nicht gerecht wird),
oder wie die allegorische Deutung des "Aiötjg auf das äeiöhg und aögarov (jedenfalls stempelt das
wie beiläufig zwischengeworfene Wort zo äeiöhg örj Xeywv Gorg. 493 b den Hadesmythus zu einem
Bild des Ideendenkens). Dann die immer neu geprägten und miteinander unvereinbaren Bilder zur
Veranschaulichung des Unzureichenden der Sinneswahrnehmung und des Befriedigenden des Ideen-
denkens: die Sinne, Augen und Ohren, als Schleier vor der Seele, im Gegensatz zum Klarsehen
der „nackten" Seele (Gorg.); deren Einkerkerung im Erdenleib im Gegensatz zum Schauen in die
Gefilde der Wahrheit (Phädr.); das trübe Sehen aus der Tiefe der Erdmulden im Gegensatz zum
Schauen der Himmelslichter (wie sie „wirklich" sind) auf der „wahren" Erde (Phädo); die „Höhle"
im Staat. Für meine Stellungnahme zum Problem der platonischen Mythen fiel ins Gewicht, daß
ich ihnen als Mytholog gegenüber trat und daß ich mir meinen grundlegenden Begriff von Piatos
Gedankenwelt nicht wie die meisten am Phädo holte, sondern am Gastmahl, das in seiner unzwei-
deutigen Sprache die unsterbliche Seele rund leugnet (v. Sybel, Piatons Symposion ein Programm
der Akademie 1888. Über das Dichterische in Plato vgl. noch m. Gedanken eines Vaters zur
Gymnasialsache 1903, 63 und die Zeitschrift Das humanistische Gymnasium 1904, 133 f.).
70 Die Jenseitsgedanken des Altertums.
geister), die er zugleich den „Genien" und den „Heroen" gleichsetzte; als Wohnung wies
er ihnen die sublunare Luft an, unterhalb der nur den reinsten Seelen vorbehaltenen
flammenden Sonnen- und Athersphäre. Eine weitergehende, bei Apuleius vorliegende
Systematisierung setzt den Namen Lemuren für die aus dem Körper geschiedenen
Seelen. Wer nun mit der Gottheit versöhnt als Hausgeist über den Nachkommen
waltet, heißt Lar familiaris; die aber zu ihrer Buße als heimlose Seelen schweifen
müssen, den Schlechten zum Schaden, den Guten leere Schreckbilder, das sind Larven;
Lemuren unbestimmter Qualität heißen Di manes. — Von Posidonius erscheint auch
Vergils Unterweltsdichtung im sechsten Buch der Anei's abhängig. Außerhalb des
Acheron bleiben die Unbegrabenen; im Vorhades weilen alle Klassen vor ihrer Zeit
Gestorbener, die dort den Rest der ihnen zukommenden Zeit aushalten müssen. Im
inneren Hades werden drei Orter unterschieden. Der Tartarus mit den mythischen
und typischen Büßern, dort für die Ewigkeit gefesselt. Das Elysium, liebliche Haine
in heiterem Licht mit eigener Sonne und eigenen Sternen, die Seligen beschäftigt mit
palästrischen Spielen, andere mit Reigentänzen und Gesang, Orpheus spielt dazu;
Helden stehen müßig, wie ihre Waffen, Wagen und Lanzen, die Rosse grasen; aber
unter duftendem Lorbeerhain durch das Gehölz gleitet hinaufwärts der Eridanus, sieht
man Schmausende, eine weiße Binde um die Stirn geknüpft, Päane singend; das sind
die fürs Vaterland fielen, keusche Priester, fromme Sänger (darunter Musäus), große
Erfinder einschließlich der Entdecker auf geistigem Gebiete, endlich königliche Wohl-
täter der Menschen. Im Lethetal aber versammeln sich die Vergessenheit trinken, um
im Kreis der Geburten in neue Leiber einzugehen; dieser Abschnitt schließt mit einer
Heldenschau, welche ebenso wie Dido im Vorhades oder die Troerschar im Elysium
den besonderen Absichten des augusteischen Dichters dient. — Von Vergil wieder
geht ein Hauptkanal der Jenseitspoesie weiter, zunächst, immer tiefer ebbend, durch
die letzten römischen Dichter, bis er nach langer Zeit in Dante noch einmal zu mäch-
tiger Hochflut anschwillt.
Der Grundton der römischer Grabschriften ist auf Ruhe in Frieden gestimmt,
aber auch Elysium, Himmel und Göttergemeinschaft wird erhofft.1)
Die Juden. Auch die Urvorstellungen des hebräischen Volks sind nicht direkt
überliefert, sie müssen erschlossen werden; ihre Unausrottbarkeit erlaubt den
Versuch.
Wie überall, so ist auch hier auf der ersten Stufe von Kultur Ahnenkultus
vorauszusetzen. Die Pflicht des Almenkultus den Söhnen einzuprägen, scheint die
ursprüngliche Absicht des Gebotes „Ehre Vater und Mutter" gewesen zu sein. Auf
dem Ahnenkult ruht die Kraft der Drohung, die Sünden des Vaters an den Kindern
zu rächen; denn die Vernichtung der Söhne entzieht dem Vater den Kult, das will
sagen, seinen Unterhalt drüben. Daher auch die ängstliche Sorge, Söhne zu hinter-
lassen, und die Pflicht des Bruders, dem kinderlos Verstorbenen Söhne zu erwecken,
die ihm den Kultus ausrichten.
1) Römer: Roschers Lexikon: Steuding, Artikel Inferi, Manes. Rapp, Art. Furiae. Birt,
Art. Genius. Ihm, Art. Junones. Wissowa, Art. Larea (besonders S. 1888f ), Larvae, Lemures; ders.,
Religion und Kultus der Römer 1902 S. 187 Unterwelt und Totengötter. Jus manium: Marquardt-
Wissowa, Römische Staatsverwaltung III 1885 8. 307AF. Zu Orcus vgl. R. Peter bei Röscher, Art.
Orcus, und Rud. Hirzel, Der Eid 1902 S. 153. — Norden, Vergilius Äneis Buch VI 1903. Zu den
Grabschriften: Cholodniak, Carmina sepulcralia latina lb97.
Die Völker. 71
Die Seele ist Luft, Wind, dem aus Erde geformten Menschen blies Jahwe den
Lebensodem in die Nase. Wiederum ist die Seele im Blut, das Blut ist das Leben,
die Seele; sie entflieht im entfließenden Blut. Die Verstorbenen wurden begraben, in
der Tracht des Lebens, im Hause, im Garten, in Höhlen, auf Höhen, unter heiligen
Bäumen. In der Familiengruft wohnen die „zu ihren Vätern Versammelten" im
Kreise der vorangegangenen Familienglieder. Darüber hinausgehend bildete sich die
Vorstellung eines allgemeinen Totenreiches, eine Zusammenfassung nicht der Gräber,
sondern der Toten; die Scheol dachte man im tiefsten Grunde der Erde, sonnenlos, aus
ihr gibt es keine Rückkehr. Die Toten führen ein Schattenleben, ein schattenhaftes
Weiterleben ihres einstigen Lebens; sie erscheinen im Traum; der Wissende vermag die
Geister zu beschwören, wie die kundige Frau zu Endor; sie erscheinen in der Gestalt,
die sie im Leben trugen, Samuel als alter Mann im Mantel; sie sprechen, aber ihre
Stimme ist klanglos. Die Verstorbenen nehmen teil am Ergehen der Lebenden, sie
haben Macht zu nützen und zu schaden. Sie haben die Bedürfnisse der Lebenden;
sie zu befriedigen ist die Aufgabe des Totenkultus, nämlich: die Leiche begraben oder
wenigstens bedecken, geflossenes Blut bedecken, am Grabe dem Toten einen Trunk
bieten, und ihm Brot brechen, Speisen auf das Grab setzen, an seinem Mahle teil-
nehmen, seine Habe ihm wenigstens zum Teil verbrennen oder sonst mitgeben, den
Verstorbenen anrufen, ihm fasten, für ihn Haar und Bart scheren, sich den Körper
blutig ritzen, sich das Haupt schlagen, sich Asche oder Erde aufs Haupt streuen, sein
Gewand zerreißen und den Sak anlegen (der eine primitivere Tracht gewesen sein
muß). Wir kennen diese Gebräuche nur als Trauersitten, verständlicher aber sind sie
als Bestandteile des einstigen Totenkultus. — Weiter gingen die Gedanken nicht, von
einer Seligkeit ist nicht die Rede, außer durch Entrückung Lebender, wie des Henoch,
des Elias, von dem, als dem selig Fortlebenden, dann auch angenommen werden
konnte, -daß er wiederkommen würde; auch das späte Buch Esra IV läßt den fingierten
Verfasser zuletzt zu seinesgleichen (in locum similium eius) entrückt werden. — Dem
Entrück ungsmythus parallel geht der mythische Baum des Lebens; er hat die Zauber-
kraft, daß der Genuß seiner Früchte unsterblich macht und ewiges Leben verleiht.
Wir haben hier nicht zu fragen, wie früh die jahwistische Reform einsetzte und
von wo sie ihren Ausgang nahm; jedenfalls waren es die Prophetei:, welche den
fruchtbaren Keim successiv zur Entwicklung brachten. Die prophetische Reform vollzog
sich seit der Periode, in der auch die hebräische Literatur anhob, der Königszeit.
Durch Jahrhunderte zog sich der Kampf gegen den heidnischen Kult, wohl auch
gesteigert bis zur grundsätzlichen Bekämpfung des Kultus überhaupt: nicht soll man
mit Opfern Gott bestechen, sondern in gerechtem Wandel seinen Geboten gehorchen.
Dies war wenigstens die Idee, so formalistisch die Gerechtigkeit bisweilen auch ver-
standen wurde. Strenge Durchführung des Jahwismus hätte zur Abstellung nicht bloß
des Ahnenkultes, sondern auch seiner zu Trauergebräuchen abgeschwächten Riten
führen müssen; tatsächlich wird Deut. 26, 14 nicht bloß der Brauch des Totenopfers,
sondern auch ein Verbot desselben erwähnt, untersagt wurden auch die Selbstverletzung,
die Haarschur als Trauerzeichen, sowie Totenbeschwörung und Totenbefragung (14,
1. 2. 18, 11. 12). Im übrigen begnügte sich der Jahwismus die Teilnehmer an
den Trauergebräuchen (die im Grunde genommen einen heidnischen Kult ausübten)
für unrein, d. h. für zeitweilig unfähig zu erklären, am Jahwedienst teilzunehmen; un-
bedingt galt der Grundsatz für Hohepriester und Nasiräer, sie durften überhaupt nicht
72 ßie Jenseitsgedanken des Altertums.
trauern, auch nicht um Vater und Mutter. AVas nun das Gebot der Kiudespflicht
betrifft, so haben Goethe und Wellhausen, nicht ohne Widerspruch, aber auch nicht
ohne Zustimmung zu finden, in den „zweiten Tafeln" Exod. 34 den ursprünglichen
Dekalog erkannt. Darin fehlt das Gebot Vater und Mutter zu ehren; in dem ver-
muteten alten Sinn, als Verpflichtung zum Ahnenkult, konnte es in der jahwistischen
Gesetzgebung keine Stelle finden; denn wenn der Jahwekult wie den Baalsdienst so
auch den Ahnenkult lang genug neben sich dulden mußte, so konnte er ihn doch
nicht zur Pflicht machen. Der Dekalog Exod. 20 ist prophetisch, das will sagen, er
ist auf dem Wege, die Religion zu ethisieren; er beschränkt die Sakralgesetzgebung
auf die ersten Gebote, er dehnt die Sabbatruhe auf die Sklaven aus, und er reiht das
Gebot die Eltern zu ehren ein, nun aber nicht als Gebot des Ahnenkultus, sondern
der Sittlichkeit. Der jahwistische Israelitismus, ganz erfüllt vom Ernst der Aufgabe
des Lebens, hat grundsätzlich keinen Raum für Jenseitsphantasien, für Auferstehung,
für Seligkeit in Paradiesen. Diese Seite des echten Jahwismus vertreten in
hellenistisch-römischer Zeit noch Jesus Sirach, Buch Tobit, die Sadduzäer und der
fromme Simeon Luk. 2, 29.
So ganz folgerichtig ist der Jahwismus freilich kaum je durchgeführt worden; die
Urvorstellungen erhielten sich wie überall als Unterströmung, die nur auf günstige
Zeit warteten, um wieder hervorzutreten und neue Kraft zu gewinnen. Die günstige
Zeit schafften nicht zum wenigsten die Welteroberer mit dem unleugbaren Unheil, das
sie über die Menschen brachten, mit der Trostlosigkeit und Weltmüdigkeit, in die sie
viele Menschen tatsächlich stürzten. Bei allem Glauben doch zu kleingläubig, um sich
in dieser Not zurechtzufinden, gerieten die Menschen auf den Ausweg, die allem
Anschein nach hienieden versagte Gerechtigkeit und Glückseligkeit im Jenseits zu
suchen. Das gerade unter dem Druck gereifte sittliche Denken diente dazu, den sich
wieder hervorwagenden und sich vielleicht auch von draußen her anbietenden Ur-
vorstellungen neue Kraft einzuflößen. Handhaben bot der Jahwismus selbst in der
von ihm geduldeten Vorstellung vom Schattenleben in der Scheol. Und wer etwa
darauf verfiele, aus gewissen Ähnlichkeiten zwischen der hebräischen Scheol und dem
homerischen Hades auf gleichartigen Ursprung und gleichgerichtete Meinung zu
schließen, daß nämlich die Scheolidee nicht primitiv, sondern reformatorisch und eine
gewollte Abschwächung des Ahnenreiches und Ahnenkultus sei, der müßte doch zu-
geben, gerade wie man es gegenüber dem homerischen Hades tun muß, daß damit der
Phantasie immer noch zu viel Spielraum und der phantastischen Geisterwelt ein Asyl,
nach Umständen eine Hintertür offen blieb. Solche Vorstellungen sind natürlich ein
schwankendes Spiel der Dichterlaune, widerspruchsvoll. Wenn der König von Babel
gestürzt wird, gerät die Scheol in Aufregung, die Schatten begrüßen ihn bei seiner
Ankunft Jes. 14, 9; die Schatten selbst werden in Beben versetzt Hiob 26, 5. Dagegen
eb. 14, 21 ist der Tote ohne Gefühl: kommen seine Kinder zu Ehren, er weiß es nicht,
sinken sie herab in die Unterwelt, er gewahrt sie nicht; nur über sich selbst fühlt
seine Seele Schmerz. Die auslösende Kraft, die den Phantasien die Tür wieder öffnete,
fand sich in der messianischen Hoffnung. In allen Unterdrückungen erhielten sich
die Israeliten die Hoffnung auf Herstellung des Reichs, als einer Herrschaft Jahwes in
Frieden und Wohlstand; auf die Wandlungen der Reichsidee ist hier nicht einzugehen,
nur auf die von ihr ausgelösten Gedanken, ewiges Leben, Auferstehung, Vergeltung,
mag dabei nun mehr an Teilnahme am theokratischen Zukunftsstaat gedacht sein oder
Die Völker. 73
mehr an Belohnung individueller „Gerechtigkeit". Die Exile haben diese Gedanken
herausgebracht. Das Reich wird diesseitig sein und sein Leben ewig. Wenn das
„Ich" in den Psalmen die Gemeinde ist, so wird von ihr gesagt, daß sie kein Ende
haben wird 16, 10. 49, 15. Wenn die Teilnehmer am Reich nach Jes. 65, Zach. 8, 4
ein fabelhaft hohes Alter erreichen, so werden sie nach Jes. 25, 8 überhaupt nicht
sterben: vernichten wird Jahwe den Tod für immer (Ewiges Leben lag den alten
Völkern im Sinn. Adam hätte ewig leben können Gen. 2, 17; andererseits vermöchte
er ewig zu leben, äße er vom Baume des Lebens 3, 22.) Die aber beim Anbruch des
Reichs bereits gestorben waren, sie können nur teilnehmen, wenn sie zuvor vom Tode
auferstehen, um dann auch ihrerseits an dem immer diesseitig gedachten Reiche teil-
zunehmen. Stehen denn aber Tote auf? der Israelitismus hatte es verneint; jetzt
wurde doch öfter die Frage aufgeworfen. Bin ich ein Gott, der töten und lebendig
machen kann? Kön. II 5, 7. Wenn der Mensch stirbt, lebt er dann wieder auf?
Hiob 14, 14 (vielleicht nur Verneinung in Frageform). Manches Wort ist nur bild-
licher Ausdruck, wie die Vision Ezech. 36, eine Art Totenbeschwörung in Masse, Bild
für die Idee der „Auferstehung des Volkes". Auch Jes. 26, 14 ist vielleicht nur
Bild, jedenfalls nur Wunsch, zur Mehrung des geschwächten Volks „möchten meine
Leichen auferstehn". Zu beachten ist Makkab. II 7 wegen der dort als Trost im
Martyrium erhofften fleischlichen Auferstehung. — Mit den Hoffnungen für die Ge-
rechten verbanden sich Drohungen gegen die Unterdrücker und die Untreuen, mit
einem Wort die Gottlosen. Nach der eigentlich israelitischen Vorstellung sollte die
Vergeltung sie im Leben treffen; seit man hieran zweifelte, mußte auch den Gottlosen
die Auferstehung angesagt werden, aber zum Gericht. Solange Jerusalem als Mittel-
punkt des Reiches galt, mußte auch der Ort der Verdammnis dort gesucht werden.
Dazu erschien das Tal Hinnom geeignet, in dem einst dem Moloch lebende Menschen
verbrannt wurden; der Mensch in Feuerflammen wurde zum Typus der Verdammnis.
Oder man verlegte die Verdammnis in die Scheol und malte diese entsprechend aus,
als finstern Ort des ewigen Feuers. Beides, Gehenna und Scheol, flössen schließlich
zusammen.
Aus der apokalyptischen Literatur sei das Buch Daniel zuerst genannt: zur Er-
füllungszeit, die eine große Bedrängnis einleitet, werden die im Buche Aufgeschriebenen
gerettet werden; viele von denen, die in der Erde schlafen, werden erwachen, die
einen zum ewigen Leben, die anderen zur ewigen Abscheu; die Weisen aber werden
leuchten wie der Glanz der Himmelsveste und die, welche viele zur Gerechtigkeit
geführt haben, wie die Sterne auf immer und ewig (12, 1 — 3). Das Gemälde von
den letzten Dingen wurde immer reicher ausgeführt, in der erhaltenen Literatur am
breitesten im Buch He noch, das etwa zwei Menschenalter vor Christi Geburt ent-
stand. Ein paar Stellen gehen uns näher an. Der vierteilige Hades im Westen ent-
hält einen Raum für die Gerechten, mit einer hellen Wasserquelle in der Mitte 22, 2.9.
Im äußersten Westen ein Berg, der Thron Gottes wenn Gott herabkommt, ist rings
bedeckt mit wohlriechenden Bäumen, darunter befindet sich der Baum des Lebens,
unverwelklich, er verbreitet mehr Duft als alle Wohlgerüche; am jüngsten Tage wird
er an den heiligen Ort bei dem Hause Gottes verpflanzt werden, seine Frucht wird
den Auserwählten zum Leben dienen; sie werden ein längeres Leben führen als das
ihrer Väter war, weder Trübsal noch Mühe wird sie berühren (Kap. 24 — 25). In
der Mitte der Erde sah Henoch einen gesegneten Ort, ganz voll von Bäumen, und
74 Die Jenseitsgedanken des Altertums.
eine verfluchte Schlucht dazwischen, diese für die Verfluchten, die Gott lästern; da
werden sie zu einem Schauspiel für die Gerechten (an dem gesegneten Ort) in alle
Ewigkeit (Kap. 26). Dann kommt Henoch, im Osten, zum Paradies (nicht pardez,
sondern ganat), dem Garten der Gerechtigkeit, mit vielen herrlichen Bäumen, darunter
ist der Baum der Weisheit (Kap. 32). Danach, in der „ersten Bilderrede *, schildert
Henoch die Wohnungen der Gerechten bei den Engeln und ihre Lagerstätten bei den
Heiligen; sie legen Fürsprache ein und bitten für die Menschenkinder; alle Gerechten
und Auserwählten glänzen vor dem Herrn der Geister wie Feuerschein (Kap. 39). — Hin-
gewiesen sei noch auf die Psalmen Salomos und auf das vierte Buch Esra, das
bereits in die christliche Ära fällt und gegen den Christus als Weltrichter polemisiert: wie
die Schöpfung, so auch das Ende durch Jahwe und sonst niemand (5, 56 — 6,6).
In diese Reihe gehören, im Gegensatz zu den Sadduzäern, die Pharisäer.
Die Seelenlehre der hellenisierenden Spekulation, in der „Weisheit Salomos", bei
Philo von Alexandria, bei Josephus, berühren wir nur im Vorübergehen: die Seele
ist präexistent und unsterblich, ein Teil der Gottheit; herabgestiegen in den Kerker
des Leibes, freut sie sich, durch den Tod befreit, zu Gott zurückzukehren; also Un-
sterblichkeit, nicht Auferstehung. Josephus' Bericht über die Psychologie der Essener
ist umstritten, unbestritten aber scheint seine Angabe, nach der Meinung der Essener
fänden die guten Seelen ihren Ort über dem Ozean, unbelästigt von Regen, Schnee
oder Hitze, aber von der milden Seeluft erquickt, die bösen Seelen dagegen den ihrigen
in einem finstern und eisigen Winkel, der voll sei von Qualen, die niemals aussetzen.
Der wohltemperierte westliche Ort der guten Seelen dürfte allerdings, wie Josephus
andeutet, ein Widerschein der griechischen Inseln der Seligen sein. Die jüdische
Synagoge, nach den großen Römerschlägen sich aufs neue sammelnd, stieß die Apoka-
lyptik, wie die Literatur in griechischer Sprache , von sich (Gunkel). So war die
Apokalyptik in der israelitischen Religion und Literatur nur eine Episode.1)
Die Christen. Wir müssen sie den Völkern anreihen, obgleich sie kein Volk
waren im Sinne einer Nation, sondern das Volk des „ Gottesreichs ".
Die Religion des ausgehenden Altertums, zu der hellenistischen Weltkultur und
für das römische Weltreich die kongeniale Weltreligion, war ein letzter Höhepunkt
der sittlichen Reform, zugleich aber der endgültige Verzicht auf die logische Wissen-
schaft und der entscheidende Sieg der den Urglauben erhaltenden und in Schein-
wissenschaft ausbauenden Reaktion.
Der Christusglaube, durch die Kreuzigung ins Wanken geraten, hatte sich ge-
halten an der Hilfsidee der Auferstehung, die nun für viele sein Grundstein wurde;
und durch die andere sukkurrierende Idee der Entrückung in Form der Himmelfahrt.
Nun ist er im „Himmel" bei Gott — das primitive Weltbild, über der Erdscheibe
*) Juden: Zur Ableitung des vierten (bzw. fünften) Gebots vom Ahnenkult vgl. m. Piatons
Symposion ein Programm der Akademie 1888 Seite 74; ferner Schwally, Das Leben nach dem
Tode nach den Vorstellungen des alten Israel und des Judentums einschließlich des Volksglaubens
im Zeitalter Christi 1892, 29. Dass die oben gegebene Skizze wesentlich auf Schwally beruht,
braucht nicht erst gesagt zu werden. Siehe dazu A. Dieterich, Nekyia 1893, 214 Jüdische Apo-
kalyptik. Rhode, Psyche 667, 1. Zum Totenkult siehe noch Benzinger, Hebräische Archäologie
1894 Seite 166. Die Hand aufs Haupt legen Sam. II 13, 19 könnte doch wohl ein Rest des
xönxso&cu sein; xvnrso&ai kultlich z. B. Herodot II 61, wo auch das kultliche Ritzen des Körpers
sich findet: die in Ägypten ansässigen Karer za (xhconu xcmrovrcu [xaxaiQqoiv. — Baum des Lebens:
Budde, Biblische Urgeschichte S. 75. 85.
Die Völker. 75
wölbt sich die Halbkugel des Himmels. Damit aber das Gottesreich auf Erden end-
lich wirklich werden könne, mußte die alte Hoffnung wieder in ihr Recht treten;
wieder wurde auf sein Kommen gewartet, nun also auf seine Wiederkunft.
Diese Hoffnung konnte sich nicht erfüllen. Was wird nun aus dem Reich und
aus den Christen? Sie sterben und gehen in den „Himmel" zu dem dort neben Gott
thronenden Christus; so bildet sich dort oben wohl ein Christusreich, aber nicht von
Lebenden, sondern von Verstorbenen, die nun da als Selige „leben" in Ewigkeit.
Damit bleibt ein nie ganz ausgeglichener Widerstreit der Parallel Vorstellungen des
Reiches auf der Erde und des Reiches im Himmel. Und es bleibt die Frage, ob die
nach dem Vorbilde und durch die Macht des Christus auferstehenden Leiber der
Entschlafenen ihren in den Himmel vorangegangenen Seelen nachfolgen oder ob letztere
zu ihren Leibern auf die Erde zurückkehren. Es braucht nicht erst gesagt zu werden,
daß das Gegenbild zu den Seligen nicht fehlt, die Unseligen, denen ewige Verdammnis
bestimmt ist. Mit der Unterscheidung Seliger und Unseliger war auch die Vorstellung
eines Gerichts gegeben; es wird sich nur fragen, wer Richter sein soll, und wann das
Gericht stattfinden soll, ob schon jetzt über jeden einzelnen unmittelbar nach seinem
Tod, oder erst bei der Parusie und der sie begleitenden Auferstehung als ein allge-
meines Gericht; in letzterem Falle würde sowohl über die bis dahin Verstorbenen ab-
zuurteilen sein, als auch über die dann noch Lebenden.
Das etwa ist im Schema der Gedankengang der christlichen Jenseitsvorstellungen,
so weit er uns hier angeht. Es bleibt nun übrig, in das Schema einzutragen, was die
altchristliche Literatur, vorzüglich die neutestamentliche, zur Zeichnung des Ortes und
Zustandes der Verstorbenen an belebenden Einzelzügen bietet; der ganze Inhalt der
apokalyptischen Schilderungen soll hier nicht wiedergegeben werden. Vorauszuschicken
wäre noch, daß die Komplikation der christlichen Gedanken es außerordentlich er-
schwert, klar umrissene Begriffe von ihnen zu gewinnen. Da insbesondere die Grundidee
ebenso diesseitig gerichtet ist, wie eigentlich auch das Endziel, während nur die aller-
dings als höchst real empfundene Zwischenzeit auf das Jenseits abgelenkt ist, so
schwankt die Vorstellung beständig zwischen hüben und drüben. Auch besteht zwischen
den verschiedenen Schriften nichts weniger als Übereinstimmung; die folgende Zu-
sammenstellung soll nur eine knappe, auch in den Belegen nicht erschöpfende Über-
sicht der wichtigsten Vorstellungsbilder geben, hier so wenig wie oben bei der Orphik
ein harmonisiertes Gesamtbild.
Der gekreuzigte und begrabene Christus, so wird gesagt, ist vom Tode aufer-
standen und wiederholt einer wachsenden Zahl von Jüngern erschienen; dann wurde
er zum „Himmel" hinaufgenommen, eine Wolke nahm ihn vor ihren Augen hinweg
(ApGesch. 1,9). Er hat nun teil an der Herrlichkeit des Vaters (den Thron Gottes
schildert Off. Joh. 4,2 ff., als wie von Jaspis und Sarder, rings ein Regenbogen wie
Smaragd, vom Throne gehen Blitze, Stimmen, Donner aus usf.); ihm ist alle Gewalt
gegeben im Himmel und auf Erden (Mt. 18, 18); er ist um so mächtiger geworden
als die Engel, um wieviel sein Name höher ist (Hebr. 1,4); alle Engel, Gewalten und
Mächte sind ihm unterworfen (I. Petr. 3,22); er sitzt zur Rechten Gottes (Stephanus
sieht ihn so stehen ApGesch. 7, 55), zur Rechten der Majestät in den Höhen Hebr.
1, 3. Die Engel sind um den Thron Gottes geschart, die Engel des Lichts II Kor.
11,14, mehr denn zwölf Legionen, Myriaden Myriaden Mt. 26, 53. Off. Joh. 5, 1 1 ; die Engel
(der Kinder) in den Himmeln schauen immerdar das Angesicht des Vaters Mt. 18, 10.
76 Die Jenseitsgedanken des Altertums.
Der Erzengel Gabriel steht zur Seite Gottes Luk. 1, 19. 26, vgl. den Erzengel
Michael im Streit mit dem Teufel um den Leib Mosis, Jud. 9.
Wer als Gerechter oder als Christ stirbt, geht sofort in die Seligkeit ein; hier-
von ist aber in den neutestamentlichen Schriften wenig die Rede. Ich habe Verlangen
abzuscheiden und mit Christus zu sein, heißt es Phil. 1, 23. Auch die Patriarchen
und Propheten werden als in der Seligkeit befindlich vorausgesetzt; den armen Lazarus
tragen Engel vom Sterbelager weg in „Abrahams Schoß", der Reiche kommt ebenso
unmittelbar in den Hades Luk. 19, 22 f. Heute noch wirst du mit mir im Paradiese
sein, spricht Jesus am Kreuz zum Schacher Luk. 23, 43, und Joh. 5, 24 sagt gleich
ausdrücklich, der Gläubige gehe aus dem Tod unmittelbar in das ewige Leben über.
Bei ihren Lebzeiten sehen sich die Christen wieder auf die Hoffnung ange-
wiesen; auf diese konzentriert sich das Interesse (wenn schon die Hoffnung dem
Paulus, wie Jesus, erst in zweiter Linie stand, hinter der „Liebe" I Kor. 13, 13). In
ihrer Hoffnung unterscheiden sich die Christen von den Heiden (wir müssen sagen
von denjenigen Heiden), die „keine Hoffnung haben" I Thes. 4, 13. Eph. 2, 12, sowie
von den Sadduzäern. — Die Christen erwarten das Kommen des Messias, seine
Parusie und Epiphanie, nun als ein Wiederkommen des Christus Jesus, des Gottes-
sohnes, aus dem Himmel I Thess. 1, 10. I Kor. 1, 7. — Der „Tag des Herrn" ist
aber noch nicht da, zuvor hat der „Sohn der Verdammnis", der Teufel, seinen Tag;
einstweilen hintangehalten, wird die Apokalypse des Satans zu ihrer Zeit erfolgen
II Thess. 2, 1 — 12. Die Evangelien nennen als Vorzeichen der Parusie Auftreten
falscher Propheten, Verfolgung der Christen, Belagerung Jerusalems und heidnische
Greuel im Tempel, sodann Verfinsterung von Sonne und Mond, Herabfallen der
Sterne, Erschütterung der Himmelsmächte Mark. 13, 4 — 25 und Parallelen. Es ist
das Ende dieser Welt Matth. 13, 39. 49; Himmel und Erde werden verbrannt II Petr.
3, 7. Andererseits wird eingeschärft, die Parusie werde plötzlich eintreten; niemand
weiß die Stunde vorher, weder die Engel, noch der Sohn, nur der Vater Mark. 13, 32;
der Tag des Herrn werde kommen wie ein Dieb in der Nacht, wie der Blitz. Immer
wieder meint man den Tag nahe Rom. 13, 12. Off. Joh. 1, 1, das lebende Geschlecht
wird ihn sehen Mark. 9, 1. 13. 20.
Alsdann wird der Menschensohn kommen in der Herrlichkeit seines Vaters
mit den heiligen Engeln in Wolken Mark. 8, 38. 13, 26. 14, 62; nach der Off. Joh.
1, 13 — 16 ist er gekleidet in einen Talar, unter der Brust gegürtet mit goldnem
Gürtel, Haupt und Haar weiß wie schneeweiße Wolle, die Augen wie Feuerflammen,
seine Stimme wie der Ton vieler Wasser, aus seinem Munde geht ein scharfes zwei-
schneidiges Schwert, und sein Anblick ist wie die Sonne leuchtet in ihrer Kraft. —
Dann wird er die Engel aussenden (mit lautem Trompetenruf Matth. 24, 31) und die
Auserwählten versammeln aus den vier Winden vom Ende der Erde bis zum Ende
des Himmels Mark. 13, 27. Er wird über Tote und Lebende herrschen Rom. 14, 9. —
Da werden zuerst die Toten auferstehen, die noch nicht Entschlafenen aber werden
zugleich mit jenen Auferstandenen lebend entrückt, in Wolken, zu dem Herrn, in die
Luft I Kor. 15, 51 f. I Thess. 4, 16 f. Für Paulus ist die Auferstehung der Angel-
punkt seiner „Hoffnung", die Auferweckung des Christus ist ihm die Bürgschaft für
die Auferstehung der Christen I Kor. 6, 14. II Kor. 1, 9. Christus ist der Erstling
der Entschlafenen und Auferstandenen I Kor. 15, 20. ApGesch. 26, 23. — Wie aber
wird es mit dem Körper gehen, sowohl der Toten wie der Lebenden? Jene werden
Die Völker. 77
auferstehen in Unvergänglichkeit, diese werden verwandelt werden, der sterbliche Leib
wird „Unsterblichkeit anziehen" I Kor. 15, 35 — 58, die Leiber werden verklärt
werden gleich dem Leibe des verklärten Christus Phil. 3, 21. Bei den Synoptikern
kommt die Auferstehung eigentlich nur gelegentlich der Verhandlung mit den sie
leugnenden Sadduzäern vor, wo dann festgestellt wird, daß die Auferstandenen wie
Engel sind und nicht heiraten Mark. 12, 25. Sonst gedenkt noch Luk. 14, 14 der
Auferstehung der Gerechten, ApGesch. 24, 13 der Gerechten und Ungerechten. Vgl.
auch nachher Off. Joh. Spätere lassen das Evangelium auch den Toten verkündet
werden I Petr. 4, 6.
Als Ort der Seligen gilt der Himmel, an wenigen Stellen steht dafür das
Paradies. Paulus erzählt von einer Vision, in der er lebend entrückt worden sei —
ob im Leibe oder außer dem Leibe, das wisse er nicht zu sagen — entrückt bis in den
dritten Himmel, in das Paradies, wo er unsagbare Worte hörte, die einem Menschen
nicht erlaubt ist auszusprechen II Kor. 12, 2 — 4. In der Off. Joh. 2, 7 (vgl. 22, 2)
will Christus dem „Sieger" zu essen geben vom Baum des Lebens, der im Paradiese
Gottes steht. Und Luk. 23, 43 sagt Jesus am Kreuz zum Schacher: Heute noch
wirst du mit mir im Paradiese sein. — Die Christen kommen zu Gott I Kor. 8, 6,
sie werden die Wahrheit von Angesicht sehen 13, 10 — 12, werden Gott sehen wie
er ist I Joh. 3, 2; Herrlichkeit wird ihnen Rom. 8, 18; sie werden der göttlichen
Natur teilhaftig II Petr. 1, 4. Gott nimmt sie als seine Kinder an, auf Grund dieser
Adoption erben sie das Reich, die Welt Gal. 3, 29. 4, 5 — 7. Rom. 8, 14 — 17; sie
werden als Könige herrschen Rom. 5, 17. Sie gehen in das Reich Gottes ein Mark.
9, 57, sie ernten das ewige Leben Gal. 5, 8. Mark. 9, 43. 10, 17. — Das Jerusalem,
das oben ist, Gal. 4, 26, „unsere ewige Wohnung", die wahre Heimat II Kor. 4,
16 — 5, 9, das himmlische Vaterland Hebr. 11, 16 (wir sind hienieden nur Beisassen
I Petr. 1, 1), Zion, Berg und Stadt des lebendigen Gottes, Jerusalem das himmlische,
da sind die Myriaden Engel, da ist die Festversammlung und Gemeinde der Erst-
geborenen, die in den Himmeln aufgeschrieben sind. Die neue heilige Stadt Jerusalem
aus dem Himmel, von Gott bereitet wie eine Braut, die für ihren Mann geschmückt
ist; ihre Mauern und Tore werden beschrieben, die Mauern von Jaspis, die Stadt von
reinem Gold ähnlich reinem Glas; in der Stadt ist kein Tempel, denn Gott und das
Lamm sind ihr Tempel; anstatt Sonne und Mond leuchtet ihr die Herrlichkeit Gottes,
und ihre Leuchte ist das Lamm. Hebr. 12, 22 f. Off. Joh. 3, 12 und Kap. 21. Den
Ort der Seligen beschreibt die Petrusapokalypse von Achmim wie folgt (Jesus zeigt
ihn dem Petrus von fern): ein sehr großer Raum außerhalb der Welt überaus leuchtend
von Licht, die Luft dort von Sonnenstrahlen beleuchtet, das Land selbst blühend von
unverwelklichen Blumen und voll von Wohlgerüchen und von blütenreichen, unvergäng-
lichen und gesegnete Frucht tragenden Gewächsen; der Duft kam bis zu uns herüber
15. 16. — So häufen sich . die Phantasiebilder, auch sie schwebend zwischen Mythus
und Metapher? Bedeutsam ist die Vorstellung vom himmlischen Mahl; da werden
die Christen zu Tische liegen mit Abraham, Isaak und Jakob im Reich der Himmel
Matth. 8, 11. Luk. 13, 28 f. Dahin gehört auch das Gleichnis vom Hochzeitsmahl, das
ein König seinem Sohne ausrichtete Matth. 22, 2 — 10. Luk. 14, 15 — 24; die Braut
des Sohnes ist das neue Jerusalem, selig, die zum Mahle geladen werden Off. Joh. 19,
7 — 9, 21, 9. Ich vermache euch, sagt Jesus, wie mir mein Vater vermacht hat das
Reich, daß ihr essen und trinken mögt an meinem Tisch in meinem Reich Luk. 22,
78 Die Jenseitsgedanken des Altertums.
29 f. Dem Sieger werde ich das mystische Manna geben Off. Joh. 2, 17. Wie die
Sieger im Wettlauf, so erhalten auch die Christen den Kranz, aber einen unvergäng-
lichen I Kor. 9, 25, den Kranz der Gerechtigkeit II Tim. 4, 8, den unverwelklichen
Kranz der Herrlichkeit I Petr. 5, 4, den Kranz des Lebens Off. Joh. 2. 10. Jak. 1, 12.
— Die Seligen tragen weiße Kleider und Palmzweige in den Händen Qff. Joh. 6
9 — 11. 7, 3— 10. Ausführlicher die Petrusapokalypse: ihre Herrlickeit und Schönheit
ist unausdenkbar; leuchtend ihre Gestalt und ihr Gewand, ihre Leiber weißer wie der
weißeste Schnee und röter wie die röteste Rose, das Weiß und das Rot aber mitein-
ander gemischt; ihr Haar gelockt und lieblich, es schmückt ihnen Antlitz und
Schultern wie ein Kranz aus Nardendolden und bunten Blumen oder wie der Regen-
bogen in der Luft 7 — 10.
Wie der Mensch durch den Christus eine neue Schöpfung werden soll II Kor.
5, 17, so wird auch die Parusie eine Erneuerung der Schöpfung bringen, eine Wieder-
geburt (Palingenesie Matth. 19, 28). Auf den Menschen bezieht die Palingenesie
Tit. 3, 5, auf die ganze Welt Off. Joh. 21, 1. II Petr. 3, 7. 12 f.
Erben der Verheißung sind die „Gerechten", die die „Liebe" haben, vor allem
aber die Glaubenden, die ihr ganzes Vertrauen auf den Christus werfen Gal. 3, 7.
Mark. 8, 35 ff. Den Täufer schließt Matth. 11, 11 vom Himmelreich aus; doch Luk.
13, 28 nimmt die Patriarchen Abraham, Isaak und Jakob und alle Propheten auf, ja
„Abrahams Schoß" ist ihm geradezu ein Ausdruck für den Ort der Seligen 16, 22. —
Die Christen sind berufen durch Gott und zu ihrer Rettung vorher bestimmt I Kor.
1, 2 (die „Heiligen" sind eben die Christen). Rom. 8, 28. 9, 23 f. Gott hat sie aus-
erwählt (vor Gründung der Welt) II Thess. 2, 13 f. (Eph. 1, 9). Sie sind aufge-
schrieben im Buche des Lebens Phil. 4, 3, Off. Joh. 3,5. Auch das Sitzen zur Seite
des Christus ist bestimmt Matth. 20, 21 — 23; insbesondere ist es den zwölf Jüngern
(welchen zwölf?) bestimmt, neben dem Menschensohn zu thronen Matth. 19, 28. Luk.
22, 30. Ebenso aber ist es Gott, welcher den Verlorenen, die der Wahrheit nicht
glauben, den Irrtum schickt, damit sie gerichtet werden II Thess. 2, 1 — 12.
Die Unterscheidung zwischen Gerechten und Ungerechten, fast mehr noch die
zwischen Christen und Feinden des Christus, oder zwischen „echten" und „falschen"
Christen (bereits der Jesus der Evangelien verflucht die Ungläubigen, und bereits
Paulus verflucht, die anders lehren als er Gal. 1, 9), führte zur Vorstellung von einem
Gericht, das mit der Parusie verbunden erscheint, vom kommenden Zorn I Thess.
1, 10, dem Tag der Inspektion (emaxoniig I Petr. 2, 12). — Der Richter ist zunächst
Gott, er richtet gerecht Rom. 14, 10 f. II Thess. 1, 5. Hebr. 10, 31. Doch findet
sich in der Regel der Menschensohn als Richter genannt II Kor. 5, 10. Luk. 21, 36;
einen jeden wird er nach seinem Tun, aber auch nach seinen Gedanken vergelten
I Korr. 4, 5; oder Gott richtet durch ihn Rom. 2, 16; Gott hat ihn zum Richter
bestellt über Lebende und Tote ApGesch. 10, 42. 17, 31. Er sondert das Unkraut
vom Weizen, Schnitter werden die Engel sein Matth. 13, 30. 39, er stellt die „Schafe"
zur Rechten, die „Böcke" zur Linken eb. 25, 31 — 46. — Auch die Christen selbst
erscheinen als Richter: die „Heiligen" werden die Welt richten, ja die Engel I Kor.
6, 2 f. Das Sitzen der zwölf beim Thron des Christus wird erweitert dahin, daß sie
richten sollen über die zwölf Stämme Israels Matth. 19, 18. Das Herren wort „Was
ihr binden (lösen) werdet auf Erden, wird gebunden (gelöst) sein im Himmel" Matth.
18, 18 war nicht eschatologisch gemeint; aber es wurde umgeprägt zu dem Wort an
' Die Völker. 79
Petrus: „Ich werde dir die Schlüssel des Himmelreichs geben, und was du binden
(lösen) wirst auf der Erde, wird gebunden (gelöst) sein in den Himmeln" Matth. 16, 19.
— Paulus nahm an, daß alle vor den Richterstuhl treten müßten II Kor. 5, 10, aber
das Johannisevangelium läßt nur die Ungläubigen gerichtet werden, die Gläubigen
gehen ohne Gericht unmittelbar ins ewige Leben ein 5, 24. Das Gericht gilt eben
wesentlich als Ausdruck der Verdammung, ergeht daher über die Feinde der Christen,
die Ungläubigen II Thess. 1, 6 — 9.
Im Feuer kommt der Herr, das Feuer wird eines jeden Werk prüfen, danach
wird er seinen Lohn empfangen I Kor. 3, 13 f. II Thess. 1, 8. Das unauslöschliche
ewige Feuer ist der Straf ort der Verdammten I Kor. 7, 9. Mark. 9, 43. Matth. 18,
8; darin wird das „Unkraut" verbrannt Matth. 13, 30; die Gehenna (des Feuers)
Mark. 9, 45. Matth. 10, 28 (18, 9). Der Name Hades kommt ein paarmal vor, im
Sinne von Hölle. Der Reiche leidet im Hades Folterqualen und brennenden Durst;
es ist eine unüberbrückbare Kluft zwischen ihm und Abrahams Schoß, in dem der
arme Lazarus ruht, obwohl man hinüber und herüber sich sehen und sprechen kann
Luk. 16, 19 — 31. In die Tiefe des Hades wird das ungläubige Kapernaum hinab-
gestoßen werden Matth. 11, 26. Andererseits werden die Verworfenen in die „äußerste
Finsternis" hinausgestoßen, da wird „Heulen und Zähneklappern" sein Matth. 8, 12.
22, 13. — Den Gegengott, den Satan, wird Gott zermalmen Rom. 16, 20. Das Ende
aber wird sein, wenn der Christus das Reich dem Gott und Vater übergibt, wenn er
alle Herrschaft, Gewalt und Macht abschafft; denn er muß herrschen, bis er alle Feinde
unter seine Füße legt. Als letzter wird der Tod abgeschafft I Kor. 15, 24 — 26. Der
Herr des Todes aber ist kein andrer als der Teufel; der Herr vernichtet ihn Hebr. 2,
14. Die gefallenen Engel hat Gott zum Gericht des großen Tags bewahrt mit ewigen
Fesseln unter der Finsternis. Jud. 6. II Petr. 2, 4.
Umständlicher entwickelt die Offenbarung Johannis das Ende. Erst kommt
eine Zwischenzeit von tausend Jahren. Der Drache, die alte Schlange, das ist der
Teufel, der Satan wird von einem Engel, der den Schlüssel zum Abgrund und eine
große Kette vom Himmel herabbringt, auf tausend Jahre gefesselt, in den unergründ-
lichen Abgrund geworfen, darin verschlossen und versiegelt, damit er während dieser
Zeit die Völker nicht in die Irre führe. Indessen werden die Seelen der Märtyrer
und der treugebliebenen Christen auf Throne gesetzt, und sie herrschen mit dem
Christus die tausend Jahre. Das ist die erste Auferstehung, selig und heilig, wer
daran teil hat. Nach Ablauf der tausend Jahre wird der Satan auf eine kurze Zeit
losgelassen, und er führt die ungezählten Scharen von „Gog und Magog" wider das
Lager der „Heiligen" und die „geliebte Stadt"; aber Feuer kommt vom Himmel und
verzehrt sie, der Teufel aber wird in den Feuer- und Schwefelsee geworfen, wie die
andern Feinde des Christentums und die falschen Propheten, und sie werden gefoltert
Tag und Nacht in alle Ewigkeit. Die übrigen Toten aber (nämlich außer den Seelen
die mit Christus die tausend Jahre herrschten), welche die Zeit her schliefen, werden
aufstehn und vor dem Thron Gottes stehn, von überall her versammelt und auf Grund
der Bücher gerichtet nach ihren Werken. Der Tod und der Hades werden in den
Feuersee geworfen. Das ist der zweite Tod, der Feuersee, und wer nicht im Buch
des Lebens steht, wird in den Feuersee geworfen. Off. Job. Kap. 21.
Auf die Spezialisierung der Höllenstrafen in den späteren Apokalypsen gehen
wir nicht ein, wollen aber noch ein paar Proben aus den Märtyrer Visionen geben. In
80 Die Jenseitsgedanken des Altertums.
einem dieser Traumgesichte steigt Perpetua die Himmelsleiter hinan, Satyros ging ihr
voran. Oben sah sie einen sehr großen Garten, und mitten darin einen übergroßen
weißharigen Mann sitzen, in Hirtengestalt, der die Schafe melkte (der Christus); es
umstanden ihn aber viele Tausende in weißen Kleidern. Er hob den Kopf, hieß
Perpetua willkommen und gab ihr von dem „frischgemolkenen Käse" wie einen Mund-
voll, sie nahm's, die Hände gefaltet, und aß, und alle sprachen Amen (IV). — Der
selige Satyros erzählt sein Gesicht. Schon aus den Körpern gegangen wurden wir
(die Seelen) von vier Engeln getragen (gegen Morgen, und zwar ohne von ihren
Händen berührt zu werden) wie eine schräge Rampe hinan. Aus der ersten Welt
hinausgegangen, sahen wir ein sehr glänzendes Licht. Da kamen wir in einen großen
Raum, er war wie ein Garten mit Rosenbäumen und Blumen aller Art, die Bäume
so hoch wie Zypressen, unaufhörlich fielen (sangen?) ihre Blätter. Doch fanden wir
viele Vorausgegangene. Dann führten die Engel uns zum Herrn. Der Raum hatte
Wände wie von Licht aufgebaut, vor der Tür zogen uns die Engel weiße Kleider an.
Eingetreten, hörten wir im Chor gesprochen unaufhörlich die Worte „Heilig, Heilig,
Heilig". In der Mitte saß ein Mann mit schneeweißem Haar und jugendlichem Ge-
sicht, die Füße sahen wir nicht; je vier Älteste standen ihm zu den Seiten, hinter
ihnen noch viel mehr. Vor dem Throne hoben uns die Engel auf, und wir küßten
ihn, und er fuhr uns mit der Hand über die Augen. Weiterhin treten sie in den
Garten, finden viele Brüder — — uns alle sättigte ein unbeschreiblicher Duft (Passio
Perpetuae XI — XIII Robinson).
Zum Ende des Kapitels nehmen wir das eingangs Gesagte wieder auf, daß es
für den Zweck dieses Buches notwendig erschien, die christlichen Jenseits Vorstellungen
in ihren geschichtlichen Zusammenhang gestellt vorzuführen, also in den Rahmen der
entsprechenden Vorstellungen des gesamten Altertums. Aber wir durften nicht daran
denken, das schwierige und oft schlüpfrige Gebiet der mythen vergleichenden und
religionsgeschichtlichen Forschung zu betreten, oder zu den schwebenden Streitfragen
auch nur andeutend uns zu äußern. Es wird noch viel Wasser den Euphrat und
den Nil, den Kephissos und den Tiber hinablaufen, bis daran gedacht werden kann,
statt eines bloßen Schemas der antiken Jenseits Vorstellungen ihre lebendige Geschichte
zu geben. Wohl möglich jedoch und ein dankenswertes, in Teilen auch schon vor-
bereitetes Unternehmen wäre es, wenn ein so nüchterner wie durchdringender Kopf
eine kritische Darstellung der christlichen Jenseitsvorstellungen geben und einen
mythologischen Kommentar dazu schreiben wollte.
Eingang zum Hypogäum der Lucina. Im Mittelgrund Lichtschachte, weiter zurück heidnisches Mausoleum au
der Via Appia.
Die Katakomben. 1}
Der Name Katakombe, entstanden aus der Sonderbezeichnung einer römischen
Begräbnisstätte, wurde schon verhältnismäßig früh, wenn auch nur vereinzelt, auf
andere gleichartige ausgedehnt; der generelle Gebrauch des Wortes für alle unter-
irdischen Grabanlagen der Christen ist nicht bloß nachantik, sondern modern. Die
antike Bezeichnung der christlichen Begräbnisstätten war Cömeterium, latinisiert aus
dem griechischen Koimeterion; dies wurde in der spätgriechischen itazistischen Aus-
sprache Kimit^rion, spätlateinisch Cimiterium, italienisch Cimitero (die Form Cömiterium
bei Andrea Fulvio dürfte humanistische Rückbildung sein).
Koimeterion (xoi^iijTrjQiov), Schlaf kammer, Gaststube, bezeichnet im christlichen
*) Literatur: Nik. Müller, Koimeterien (in Herzog-Haucks Realencykl. für prot. Theol. X
1901, 794. Außerdem Fr. X. Kraus, Realencykl. der christl. Altertümer II 1886, 98. V. Schultze,
.Die Katakomben 1882; ders., Archäologie 1895, 134. 163. Kaufmann, Handbuch 1905, 74. 111.
205. 285. Armellini, Antichi cimiteri cristiani di Roma e d'Italia 1893 (war gedacht als Programm-
schrift für ein grösseres Werk L'Italia sotterranea cristiana). Marucchi, Elements II, Itindraire
(Guide) des catacombes 1903. — Th. Mommsen, Die Katakomben Roms 1871 (Reden und Aufsätze
1905, 294).
Sybol, Christliche Antike I. 6
82 Die Katakomben.
Gebrauch durchaus die Stätte für die Todesruhe (den Glauben an die künftige Auf-
erstehung des Leibes als lebendig vorausgesetzt, darf man dabei nicht an ewige Ruhe
denken, sondern nur an die Ruhe bis zur Auferstehung), und zwar im Einzel- und im
Familiengrab; so im griechischen Osten (in Phrygien wurde hierfür auch Heroon
gebraucht). Allmählich aber, mit der Entwicklung von Gemeindefriedhöfen, hat das
Wort Koimeterion seine Bedeutung erweitert und meint nun die Begräbnisstätte der
religiösen Genossenschaft, den Friedhof; so in Rom durchweg. Da aber unter
Cömeterien sowohl ober- wie unterirdische Friedhöfe verstanden werden, so empfiehlt
es sich für letztere den Namen Katakomben, lediglich als einen konventionellen, beizu-
behalten. Der genaue Ausdruck für die unterirdische Begräbnisstätte wäre Hypogäum
(■imöycaov), das ist die etwaige unterirdische Gruft einer Grabanlage im Gegensatz zu
deren oberirdischem Gelände (der area); antik aber wird Hypogäum nur von der
Grabkammer gebraucht, nicht vom Gemeindefriedhof unter der Erde. Im späteren
Gebrauch, da die Katakomben nur mehr dem Märtyrerkult dienten, wird Cimiterium
von Ecclesia und Basilica nicht mehr scharf unterschieden.1)
Der Bestand.
Eine Übersicht der erhaltenen Katakomben macht füglich den Anfang; unser
Zweck aber verlangt nicht eine erschöpfende Aufzählung in gleichmäßiger Betonuug
alles Einzelnen, sondern eine orientierende, das will sagen, das Wichtigere hervor-
hebende, das Übrige mehr nur streifende Vorführung. Wir sind in der Lage, auf
umfassende Katakombenverzeichnisse verweisen zu können.2)
Die römischen Katakomben behaupten einen Vorrang, weil sie, die umfang-
reichsten und inhaltreichsten von allen, alle Phasen der Katakombengeschichte ohne
Lücke vertreten. Ihre Bedeutung entspricht der Bedeutung Roms als der Welthaupt-
stadt. Hätte Antonius gesiegt und Alexandria zur Hauptstadt gemacht, so wären
Petrus und Paulus dorthin gegangen, und die Päpste säßen in Alexandrien, es gäbe
keine Roma aeterna. Die politische Vorzugsstellung Roms verlieh auch seiner Christen-
gemeinde vom ersten Augenblick an ein tatsächliches politisches Übergewicht über die
Schwestergemeinden; zugleich bedingte sie, wie den Umfang der Stadt, so auch die
Ausdehnung ihrer Nekropolen, der heidnischen und der christlichen. Diese umlagern
die Stadt in einem breiten Gürtel, der außerhalb der Vierzehnregionenstadt (und der
aurelianischen Mauer), innerhalb im allgemeinen des dritten Meilensteines liegt. Die
Katakomben bilden nicht ein zusammenhängendes, die ganze Stadt umspannendes Netz,
sondern ein mehr oder minder dichtes Aggregat in sich abgeschlossener, untereinander
nicht verbundener Einheiten.
Vom neunten Jahrhundert ab gerieten die römischen Katakomben in Verlassen-
heit und Vergessenheit. Nur eine Katakombe blieb zugänglich, die unter San
*) Koimeterion: de Rossi, Eoma sott. I 85. III 427. Rom. Quart. 1891, 5. Müller, Artikel
Koimeterien 794.
2) Katakombenverzeichnisse: Kraus, Realencykl. II 110. Müller, Koimeterien 803.
Kaufmann, Handbuch 74. Müller ordnet geographisch, von Ost nach West gehend, die römischen
Katakomben verzeichnet er von denen an der Via Appia beginnend; Kaufmann gibt die Cömeterien
im Rahmen einer alle Denkmälerklassen umfassenden alphabetischen Topographie der altchristlichen
Denkmäler.
Der Bestand. 83
Sebastiano an der Via Appia, vor dem Anstieg der Straße zu dem von seiner Höhe
aus die Campagna weithin beherrschenden Grabmal der Meteller (Capo di Bove).
Das Cömeterium führte die Bezeichnung Sebastiani in (ad) catacumbas. Dies ist ein
Flurname, dunkel wie einer, natürlich viel älter als die christlichen Anlagen; daher
hat die Etymologie des Namens für die Katakombenforschung keine Bedeutung. Weil
aber dies Cömeterium das einzige noch zugängliche war, so begreift sich, daß sein Bei-
name zum Gattungsnamen wurde, der noch im selben Jahrhundert in Neapel auf-
taucht. *)
Pilger und Neugierige haben durch das ganze Mittelalter hindurch vereinzelt
ihren Weg in die Katakomben gefunden und sich an den Wänden verewigt, wie
Kritzeleien aus dem elften, zwölften, vierzehnten Jahrhundert bezeugen. Im fünf-
zehnten nahm der Besuch zu, Minoriten treten in Gruppen auf, 1475 ebenso die Mit-
glieder der Humanistenakademie des Pomponius Laetus. Sie unternahmen weite
Wanderungen durch die Katakomben der appischen, der labikanischen und der
salarischen Straße; in ihren Graffiti nennen sie sich „einmütige Liebhaber und Er-
forscher des Altertums" und bezeichnen ihre Stellung in der Akademie mit antiken
Titeln, Pomponius heißt Pontifex maximus, Pantagathus nennt sich sacerdos Academiae
romanae. Im Anfang des sechzehnten Jahrhunderts scheint nur die Krypte unter San
Pancrazio besucht worden zu sein, gegen die Mitte des Jahrhunderts war auch sie
vergessen.
Dafür warf sich die Forschung auf die Katakomben, wenn auch zunächst nur
auf Grund des literarischen Materials; Onofrio Panvinio war der erste, der über das
altchristliche Begräbniswesen schrieb. Die Katakomben selbst mußten zuvor wieder-
entdeckt sein, ehe sie wissenschaftlich bearbeitet werden konnten. Schon um 1550 ist
man auf sie gestoßen (wahrscheinlich war es das Coem. Praetextati); nachhaltig wirkte
aber erst die zufällige Entdeckung des Coem. Jordanorum an der Via Salaria; dessen
Gemälde ließ Ciacconio kopieren, andere Zeichnungen fertigte de Winghe. Zur
Publikation kamen weder diese Zeichnungen, noch die Erklärung der Bildwerke von
Jean l'Heureux; die grundlegende Roma sotterranea hat ein Jüngerer geschaffen,
Antonio Bosio, nachdem er dreißig Jahre lang die Katakomben durchforscht und
die Überlieferungen durchgearbeitet hatte. Nur der zweite Teil seines Werkes ist
erschienen, auch er erst nach seinem Tode, ergänzt und herausgegeben von Severano.
Das waren die Anfänge. Zunächst aber folgte ein für den Denkmälerbestand ver-
hängnisvoller Zeitraum systematischer Ausbeutung der Katakomben, der planmäßigen
Erhebung von Gebeinen vermeintlicher Märtyrer für Kultuszwecke, woran sich nur
eine zwar umfangreiche, aber für die Wissenschaft unfruchtbare polemische und
apologetische Literatur anknüpfte. Zu nennen ist nur Boldetti Osservazioni sopra
i cimiteri de santi martiri ed antichi Christiani di Roma 1720.2)
x) Sebastiani in catacumbas: Chronograph von 354, Depositio martyrum XIII Kai. Febr.
— Neapel: Joh. Diaconus, Chron. episc. s. Neap. eccl. bei Muratori, Rer. ital. script. I. Ducange,
Gloss. med. lat. v. catacumba.
2) Panvinius, De ritu sepeliendi mortuos apud veteres christianos et de eorundem
coemeteriis 1568. — Fund 1550: Hülsen, Rom. Quartalschrift 1891, 188. — Fund 1578: Sauer-
land, Rom. Quart. 1888, 209; dazu de Rossi und de Waal eb. 212. — Jean l'Heureux (Macarius)
Hagioglypta sive picturae et sculpturae sacrae etc., herausgeg. von Garrucci 1856. — Bosio,
Roma sotterranea, opera postuma etc. 1632. Lateinisch durch Aringhi (Roma subterranea novissima
6*
84 Die Katakomben.
Im neunzehnten Jahrhundert brachte die „Beschreibung der Stadt Rom" von
Platner, Bunsen, Gerhard und Röstell im ersten Band aus der Feder des letzt-
genannten eine Beschreibung der Katakomben (1830). Aus eben dem Kreise ging
1829 das Institut für archäologische Korrespondenz hervor, das jetzige kaiserlich
deutsche Archäologische Institut, dessen Kräfte und Mittel durch die dringenden Ar-
beiten auf dem klassischen Gebiete zu sehr in Anspruch genommen wurden, um, wie
es sonst gern geschehen wäre, in gleichem Maße für die christlichen Denkmäler ver-
wendet werden zu können. So blieb die Arbeit an den Katakomben den einheimischen
Gelehrten vorbehalten. 1841 wurde Marchi Konservator der Katakomben. Er be-
gann ein großes Werk über sie, hat auch einen Band herausgegeben; aber er fühlte
sich der Aufgabe nicht gewachsen und übertrug sie dem jungen Giovanni Battista
de Rossi, der von Anfang an sein Begleiter auf den Wanderungen in den unter-
irdischen Gängen war und dabei selbständige wissenschaftliche Pläne im Sinne trug.
De Rossi ist der Schöpfer der heutigen altchristlichen Archäologie geworden, dadurch,
daß er eine wissenschaftliche Topographie der Katakomben geschaffen hat, durch
methodische Kritik der literarischen Tradition und ihre Verknüpfung mit den
Monumenten. Er hat schöne Resultate erzielt, durch Identifikation der vorfindlichen
Grüfte mit den literarisch bezeugten, in welchen vom vierten bis ins neunte Jahr-
hundert Totenkultus in Übung gewesen war. Das sind die von ihm sogenannten
historischen Krypten. In ihnen fand er die bestätigenden Inschriften, teils die Original-
grabschriften, teils Zeugen des späteren Grabkultus. De Rossi hat sein Lebenlang in
enger Verbindung mit dem deutschen archäologischen Institut und mit der deutschen
und außerdeutschen historischen und epigraphischen Wissenschaft gestanden: er war
auf diesen Gebieten einer der Großen des neunzehnten Jahrhunderts. Zugleich aber
war er römisch-kirchlich gesinnt und dogmatisch gebunden; es war ihm die höchste
Genugtuung seines Lebens, die von ihm wiedergefundene Gruft der römischen Bischöfe
des dritten Jahrhunderts dem regierenden Pontifex zu zeigen, dem skeptischen Pio nono,
dessen Erröten vor den bescheidenen Ruhestätten seiner Amtsvorgänger zu deuten uns
überlassen bleibt. De Rossis Entdeckungen erfolgten seit etwa 1849, sein monumentales
Katakombenwerk erschien seit 1864. Von ihm ist die römische Schule christlicher
Archäologen ausgegangen, Stevenson, Armellini usf. Er war auch die Seele der seit
1851 gebildeten päpstlichen Commissione di archeologia sacra; nach seinem Tode
übernahm Crostarosa das Sekretariat. Der Kommission wurde die Leitung der Aus-
grabungen in den Katakomben und die Bildung zweier Museen christlicher Altertümer
übertragen, des vatikanischen und des lateranischen. Es besteht auch eine päpstliche
Akademie für Archäologie, welche ihre Verhandlungen herausgibt; daneben gründete
de Rossi eine Gesellschaft für christliche Archäologie. Einen ferneren Mittelpunkt
schuf ihr de Waal am deutschen Campo Santo bei Sankt Peter zu Rom (dem Hospiz
und Friedhof für katholische Deutsche, als Schola Francorum von Karl dem Großen
797 gestiftet); 1876 wurde ein neues Priesterkolleg organisiert, eine Bibliothek und ein
archäologisches Museum traten hinzu. Auch hat die „Görresgesellschaft zur Pflege
der Wissenschaft im katholischen Deutschland" an ihrem historischen Institut zu Rom
1651). Die Stiche neu herausgegeben von Bottari (Sculture e pitture sacre estratte dai cimiteri
di Roma 1737).
Über Bosios Zeichner vgl. Wilpert Die Katakombengemälde und ihre alten Kopien 1861
und Rom. Quart. 1891, 284.
Der Bestand. 85
(Direktor Ehses) eine unter Wilperts Leitung stehende Sektion für christliche
Archäologie und Kunstgeschichte eingerichtet. De Waal und Ehses geben die
„Römische Quartalschrift für christliche Altertumskunde und für Kirchengeschichte "
heraus. Wie aber bereits im achtzehnten Jahrhundert die Societas Matthaeorum es
unternahm, den seit dem neunten Jahrhundert in den Katakomben aufgegebenen
Märtyrerkultus nach und nach wieder ins Leben zu rufen, so ging nun auch aus den
genannten römischen Kreisen, 1871 in freier Form, 1879 organisiert, eine das religiöse
mit dem antiquarischen Interesse verbindende Genossenschaft hervor, das Collegium
cultorum martyrum, welches sich nicht wie die Mattei auf Absingen von Vespern an
den Gräbern beschränkt, sondern die Grüfte zum sakralen Gebrauch restauriert und
den Kult selbst wieder einrichtet. Endlich sind noch die von Rom ausgehenden
Kongresse zu erwähnen, der „christlich -archäologische Kongreß" (der erste war zu
Spalato-Salona) und der „eucharistische Kongreß" im Dienste des zentralen Ritus der
katholischen Kirche.1)
Die Aufgabe der Katakombe ntopographie besteht in der Bestimmung der
Cömeterien und, soweit angängig, der Einzelgrüfte und Einzelgräber. Der Ermittelung
ihrer alten Bezeichnungen werden in erster Linie die alten Cömeterien listen zu-
grunde gelegt, wie sie seit der Organisierung des Märtyrerkultus im vierten Jahr-
hundert für Verwaltungszwecke angelegt und nachgehends in die Stadtbeschreibung
eingefügt wurden. Die Stadtbeschreibung folgt der konstantinischen Einteilung in
vierzehn Regionen. In den zwei Regionarien aus den fünfziger Jahren des genannten
Jahrhunderts, der Notitia und dem Curiosum urbis Romae haben christliche Kultstätten
noch keine Berücksichtigung gefunden. Ein erstes Verzeichnis von 16 Cömeterien,
nach Kardinal Rampolla aus der Zeit des Bischofs Liberius (352 — 355) hat, wie
Baumstark urteilt, Andrea Fulvio aus handschriftlicher Überlieferung schöpfend
zu seinem Kapitel über die Cömeterien benutzt und ist daraus wieder zu gewinnen.
Die Liste bestimmt die Lage der Cömeterien nach darüber- oder dabeistehenden
Cömeterialbasiliken und ordnet sie nach den von den Stadttoren ausstrahlenden Land-
straßen; sie beginnt an der Straße nach Ostia mit dem Coemeterium Comodillae bei
Sankt Paul und umkreist die Stadt linksherum bis zur Via Portuensis. Dieselbe An-
ordnung scheint auch im Verzeichnis der Florentiner Handschrift Laur. 1554 wenigstens
*) Marchi, Monumenti delle arti cristiane primitive nella metropoli del cristianesimo,
I Architettura della Roma sotterranea cristiana 1844. — De Rossi, Roma sotterranea I 1864.
II 1867. III 1877 (behandelt die Kaliistkatakombe und die der Generosa). Band IV (Coem.
Domitillae) ist in Vorbereitung. Nach de Rossi: Fr. X. Kraus, Roma sotterranea 1873. 21879 u. a.
Über de Rossi vgl. Paul Maria Baumgarten, G. B. de Rossi Festschrift 1892. Marucchi, G. B.
de Rossi 1903. Theodor Mommsen, Reden und Aufsätze 1905, 462. Wilpert, Malereien 1903, 121.
— Pontificia commissione di sacra archeologia nelle catacombe romane, Berichte im Bull, crist.
seit 1876; vgl. Crostarosa, Bull, crist. 1900, 324. — Accademia pontificia d'archeologia, gibt Atti
heraus. — Societa delle conferenze di archaeologia cristiana, seit 1875, vgl. Bull, crist. 1895, 118.
— Campo santo: de Waal, Der Camposanto der Deutschen zu Rom von der Gründung durch
Karl den Großen bis zur Mitte des 15. Jahrhunderts 1897. Das Jubiläum: Rom. Quartalschr. 1897,
213. — Görresgesellschaft: Rom. Quart. 1901,99. — Märtyrerverehrung: Marucchi, Rom. Quart.
1899 I precursori dei Cultores martyrum; ders., Elements II 2159, 2. — Kongresse zu Spalato
1894 (Bull, crist. 1895, 106. Rom. Quart. 1896, 223. W. Neumann, Bull. arch. stör. Dalm. 1896,
115), Rom 1900 (Bull, crist. 1900, 161. Rom. Quart. 1900, 217). Eucharistischer Kongreß zu
Orvieto 1896: Rom. Quart. 1896, 395. — Louis Perret, Catacombes de Rome, 6 Bände, Paris 1851
bis 1855, ist weniger zuverlässig als Th^ophile Rollers gleichnamiges Werk, Paris 1879. 1881.
86 Die Katakomben.
nachzuklingen. Der entgegengesetzten Richtung, rechtsherum, folgt das nach de Rossi
aus dem sechsten Jahrhundert stammende Verzeichnis einer vatikanischen und einer
chigischen Handschrift.1)
Dazu kommt die aus den Wallfahrten erwachsene Literatur. An der Spitze
stehen, noch nicht eigentlich Literatur, aber doch Aufzeichnung, die Etiketten der zur
Zeit Gregors des Großen (um 600) von Abt Johannes der lombardischen Königin
Theodolinde heimgebrachten und zu Monza bewahrten Fläschchen, die er mit Ol aus
den an den Märtyrer- und Heiligengräbern brennenden Lampen gefüllt hatte; dazu
ein Blatt mit dem Verzeichnis der Öle. Es sind nur Heiligennamen, aber in der topo-
graphischen Gruppierung, wie sich die Gräber dem Pilger boten. Sodann die Pilger -
bücher, Verzeichnisse der von den Pilgern besuchten und zu besuchenden Stätten,
also Führer zu den heiligen Stätten. Den Gang der Pilger zu den verschiedenen
Gräbern (beginnend an der Flaminischen Straße, als ob für die nordischen Pilger be-
rechnet) verfolgt am genauesten das dem siebenten Jahrhundert verdankte Itinerar
einer früher Salzburger, jetzt Wiener Handschrift; sie begeht nicht die Landstraßen
radial, nämlich immer wieder zum Zentrum zurückkehrend, sondern sie sucht die an
den Straßen, die sie auch nennt, zerstreut liegenden Stätten jedesmal auf dem kürzesten
Verbindungswege auf. Diese genaue Periegese ist der Katakombentopographie zu-
grunde zu legen.2)
x) Topographie der Katakomben, literarische Tradition: de Rossi, Roma sott. I 111 (die
von ibm abgedruckten Texte wiederholt bei Armellini, Cimiteri 1903, 99). Schultze, Katakomben
26. Kaufmann, Handbuch 52. Marucchi, Elements I 2p. XIII. — Notitia und Curiosum: Otto
Richter, Topographie der Stadt Rom 2 1901, 7. — Andrea Fulvio De urbis antiquitatibus libri
quinque 1527, libro quarto. Rampolla del Tindaro, Secondo congresso d'archeologia cristiana
1900. Baumstark, Rom. Quart. 1901, 1. — Cod. Laur. 1554: Stevenson, N. Bull. 1897, 255. —
Cod. Vat. 3851: de Rossi, Roma sott. I 130. Cod. Chig. A. V. 141: Bull, crist. 1878, 44. Beide
auch N. Bull. 1897, 260, 1.
Zur Veranschaulichung der Art unserer Quellen geben wir hier und weiterhin Proben, hier
zunächst die Cömeterienliste bei Fulvio; in kritischer Beziehung begnügt sich der Abdruck
mit Baumstarks Herstellung der ursprünglichen Folge der Straßen, bzw. mit deren Andeutung durch
vorgesetzte Ordnungszahlen :
1. Coemiterium Comodillae via Ostiensi iuxta basilicam s. Pauli.
2. Coemiterium Domitillae via Ardeatina iuxta s. Petronillam.
3. Eadem via coemiterium Balbinae {tilge Priscillae)
4. et [ergänze coemiterium] Basilei.
5. Coemiterium Praetextati via Appia apud s. Januarium.
6. Eadem quoque via coemiterium Calixti [ad s. Sixtum].
7. [Eadem via coemiterium ad catacumbas] ad aedem (nunc) s. Sebastiani. (Coemiterium
Cyriacae via Tiburtina ad s. Laurentium extra muros).
9. [Coemiterium Jordanorum via Salaria nova].
10. [Coemiterium] Priscillae (item) via Salaria [nova] apud s. Silvestrum.
11. Eadem via [coemiterium] Thrasonis
12. et [coemiterium] Basillae [via Salaria vetere]. (Item Aproniani).
13. [Coemiterium] ad clivum cueumeris.
14. Coemiterium Calepodii via Aurelia apud s. Callistum.
15. Coemiterium ad insalatas via Portuensi iuxta s. Felicem.
8. Coemiterium inter duos lauros via Labicana.
16. Item (iuxta s. Bibianam) [eadem via coemiterium] ad ursum pileatum.
2) Olea: Marini, Papiri diplomatici 1805, 377. de Rossi, Roma sott. I 133. — Cod. Salis-
burg. n. 140, jetzt Vindob. 795: de Rossi, Roma sott. I 138.
Der Bestand. 87
Der Umstand , daß die Andacht der Pilger nicht den ganzen Cömeterien,
sondern nur gewissen Einzelgräbern galt, bewirkte, daß die Namen der Cömeterien in
den Itinerarien früh ausfielen und bloß die nach Straßen geordneten und nach Basiliken
bestimmten Märtyrer- und Heiligengräber übrig blieben. Aus einem solchen Buche,
auch noch des siebenten Jahrhunderts, sind mehrere Handschriften, in Würzburg und
Wien, geflossen. Ein gleichartiges Verzeichnis aus demselben Jahrhundert teilte im
Zeitalter der Kreuzzüge Wilhelm von Malmesbury mit. Um die Zeit Karls des
Großen entstand auf Grund älterer Quellen die Topographie einer Handschrift des
Klosters Einsiedeln. *)
Neben den topographischen Quellen gibt es noch andere kalendarisch oder
chronologisch geordnete Verzeichnisse von Märtyrern und solche von römischen
Fol. 184 Notitia ecclesiarum Urbis Eomae. Primum in urbe Roma beatorum martyrum
corpora Johannis et Pauli tarnen quiescunt in basilica magna et valde formosa (auf dem Caelius).
Deinde intrabis per urbem ad aquilonem, donec pervenies ad portam Flamineam ubi scs
Valentinus martyr quiescit via Flaminea in basilica magna quam Honorius reparavit, et alii
martyres in aquilone plaga sub terra.
Deinde vadis ad orientem ad ecclesiam Johannis martyris via Salinaria etc.
Fol. 185 med. Postea pervenies via Appia ad s. Sebastianum martyrem, cuius corpus
iacet in inferiore loco, et ibi sunt sepulcra apostolorum Petri et Pauli, in quibus XL annorum
requiescebant. Et in occidentali parte ecclesiae per gradus descendis ubi s. Cyrinus papa et
martyr pausat.
Et eadem via ad aquilonem ad ss. martyres Tiburtium et Valerianum et Maximum. Ibi
(intrabis in speluncam magnam et ibi von zweiter Hand) invenies s. Urbannum episcopum et con-
fessorem, et in altero loco Felicissimum et Agapitum martyres et diaconus Syxti, et in tertio loco
Cyrinum martyrem, et in quarto Januarium martyrem. Et in tertia ecclesia sursum s. Synon
martyr quiescit.
Eadem via ad s. Caeciliam, ibi innumerabilis multitudo martyrum. Primus Syxtus papa et
martyr, Dionysius papa et martyr, Julianus papa et martyr, Flavianus martyr, s. Caecilia virgo et
martyr, LXXX martyres ibi requiescunt deorsum. Geferinus papa et confessor sursum quiescit.
Eusebius papa et martyr longe in antro requiescit. Cornelius papa et martyr longe in antro
altero requiescit.
Postea pervenies ad s. virginem Soterem et martyrem (Eadem via venis ad ecclesiam parvam
ubi decollatus est s. Xystus cum diaconibus suis, am Rande) cuius corpus iacet ad aquilonem.
Et dimittis viam Appiam et pervenies ad s. Marcum papam et martyrem, postea ad
s. Damasum papam et martyrem via Ardeatina. Et ibi in altera ecclesia invenies duos diaconos
et martyres Marcum et Marcellianum fratres germanos cuius corpus quiescit sursum sub
magno altare.
Deinde descendis per gradus ad ss. martyres Nereum et Achilleum.
Et sie vadis ad oeeidentem et invenies s. Felicem episcopum et martyrem, et descendis per
gradus ad corpus eius.
Et sie vadis ad s. Paulum via Ostiensi.
Et in australi parte cerne ecclesiam s. Theclae supra montem positam in qua corpus eius
quiescit in spelunca in aquilone parte.
In occidentali parte Tiberis ecclesia est etc.
*) Cod. Wirceburgensis: Eckart, Commentarii de rebus Franciae Orientalis I 831. — Cod.
Salisburgensis n. 209, jetzt Vindob. 1008: de Rossi, Roma sott. I 141 De locis sanetis martyrum
quae sunt foris civitatis Romae. — Guilelmus Malmesburiensis, Gesta regum Anglorum, ed. Hardy
1840 II 539. — Einsiedlensis: de Rossi, Inscr. Christ. II. Jordan, Topogr. II 329. 646. Lanciani,
Mon. ant. dei Lincei I 1891, 439. — Das Cömeterienverzeichnis der Mirabilia urbis Romae des
12. Jhs. ist zu sehr entstellt; vgl. Richter, Topogr.'2 14. Jordan Top. II 605. de Rossi, Roma
sott. I 157.
88 Die Katakomben.
Bischöfen mit regelmäßiger Angabe ihres Depositionstages. Nach altchristlicher An-
schauung bezeichnet der Tod eines Christen seinen Eingang in das wahre Leben,
mithin gilt der Sterbetag (als welcher, scheint es, der Tag der Beisetzung, depositio,
angenommen wurde) als der wahre Geburtstag: er wurde aufgezeichnet und an ihm
das Jahrgedächtnis gefeiert. Die Aufzeichnung des Todestages und seine Eintragung
in den Festkalender diente eben der Sicherung des Gedächtnisses. Es handelt sich
hierbei nicht um die Masse der Verstorbenen, sondern gemäß dem auch im so demo-
kratischen Christentum sich behauptenden antiken Aristokratismus (Aristokratismus
und Demokratismus sind gleich antik) um hervorragende Persönlichkeiten, wie Bischöfe,
Märtyrer und Heilige, eben um solche Personen, deren Grabstätten de Rossi suchte.
Die Aufzeichnungen der Depositiohen haben für die Cömeterialtopographie Wert,
wenn sie, wie es üblich war, mit dem Tag zugleich auch die Stätte der Beisetzung
angaben. Die erste Stelle gebührt dem „Chronograph von 354"; er enthält für die
Katakombenforschung wichtige Verzeichnisse: eine Depositionsliste der römischen
Bischöfe, beginnend mit Lucius (f 256) und fortgehend bis vor Liberius, zu dessen
Zeit das Werk entstand; sodann ein Depositionsverzeichnis von Märtyrern; und eine
Liste der römischen Bischöfe bis Liberius. — Das Verzeichnis der römischen Bischöfe
ist successiv fortgeführt (auch inhaltlich erweitert) worden, zuletzt von Anastasius
Bibliothecarius bis ins neunte Jahrhundert. Das ist das sog. Papstbuch (der Liber
pontificalis). Die Verzeichnisse der Bischöfe sind noch dadurch wertvoll, daß sie neben
deren etwaigen anderen Taten auch ihre Bauarbeiten in den Cömeterien erwähnen,
sowie ihre eigene Ruhestätte.1)
l) Chronograph: Mommsen, Sachs. Akad. Abh. I 1850, 547. Mon. Germ. hist. , Script,
antiquiss. IX. CJL I 322. — L. Duchesne, Le Liber pontificalis, texte, introduction et commentaire
(Biblioth. des öcoles franc. d'Athenes et de Rome) I 1886 Seite 1 Catalogue libörien, 10 Depositio
episcoporum, 11 Depositio martyrum, 47 Liber pontif., premiere edition, 115 seconde Edition. Aus
letzterer entnehmen wir Proben.
Zepherinus (202) — sepultus est in cymiterio suo iuxta cymiterium Calisti via Appia.
Callistus (218) sepultus est in cymiterio Calepodi via Aurelia miliario III — fecit alium
cymiterium via Appia, ubi multi sacerdotes et martyres requiescunt, qui appellatur usque in
hodiernum diem cymiterium Calisti.
Pontianus (230) — quem beatus Fkbianus — sepelivit in cymiterio Calisti via Appia.
An t er os (235) — gestas martyrum diligenter a notariis exquisivit et in ecclesia recondit
— sepultus est in cymiterio Calisti.
Fabianus (236) — regiones dividit diaconibus et fecit VII subdiaconos qui Septem notariis
imminerent, ut gestas martyrum in integro fideliter colligerent, et multas fabricas per cymiteria
fieri praecepit — sepultus est in cymiterio Calisti — .
Cornelius (251) — Hie temporibus suis, rogatus a quodam matrona Lucina, corpora
apostolorum beati Petri et Pauli de Catacumbas levavit noctu: primum quidem corpus beati Pauli
aeeepto beata Lucina poauit in praedio suo, via Ostiense, iuxta locum ubi decollatus est; beati
Petri aeeepit corpus beatus Cornelius episcopus et posuit iuxta locum ubi crueifixus est, inter
corpora sanetorum episcoporum — in Vaticanum — . Cuius corpus noctu collegit beata Lucina
cum clericis et sepelivit in crypta iuxta cymiterium Calisti via Appia in praedio suo — .
Lucius (252) — sepultus est in cymiterio Calisti — . Ebenso Stephanus (253).
Xystus (II. 257) — comprehensus a Valeriano et duetus ut sacrificaret demoniis. Qui
contempsit praeeepta Valeriani ; capite truncatus est, et cum eo alii sex diaconi, Felicissimus et
Agapitus, Januarius, Magnus, Vincentius et Stephanus. — Et post passionem beati Xysti, post
tertia die, passus est beatus Laurentius eius archidiaconus — . Qui vero sepultus est in cymiterio
Calisti via Appia; nam VI diacones supradicti sepulti sunt in cymiterio Praetextati via Appia;
Der Bestand. 89
Noch ein Märtyrerverzeichnis von Bedeutung ist das Martyrologium Hierony-
mianum, unter Benutzung älterer Vorlagen im fünften Jahrhundert entstanden.1)
Endlich kommen die Ritualbücher in Betracht, soweit sie zu den vorge-
geschriebenen Riten die Stationen angeben, an denen sie zu vollziehen sind. Topo-
graphische Angaben über Cömeterialkulte finden sich im Sacramentarium Leonianum
(dem Papst Leo I. 440 zugeschrieben, aber wohl jünger), nicht aber im Sacramentarium
Gelasianum. Beim Orationale des Sacramentarium Gregorianum (Gregor I 590) hat
der Herausgeber Thomasius jedesmal die Station hinzugefügt, zum Teil auch die
ursprüngliche Kultstätte, wie sie vor Übertragung der Gebeine aus den vorstädtischen
supradictus autem beatus Laurentius in cymiterio Cyriaces, in agro Verano, in crypta, cum aliis
multis martyribus — .
Dionysios (259) — presbiteris ecclesias dedit et cymiteria et parrocias diocesis constituit
— sepultus est in cymiterio Calisti — .
Felix (269) — constituit supra memorias martyrum missas celebrare (vgl. Duchesnes
Kommentar, hier wie überall) — fecit basilicam in via Aurelia ubi et sepultus est (vielmehr im
Coem. Callisti).
Eutycianus (275) — sepultus est in cymiterio Callisti — .
Gaius (283) — fugiens p.ersecutionem Diocletiani in criptis habitando martyrio coronatur
— sepultus est in cymiterio Calisti — .
Marcellinus (296) — Marcellus presbiter collegit noctu corpora cum presbyteris et
diaconibus cum hymnis et sepelivit in via Salaria in cymiterio Priscillae in cubiculum qui patet
usque in hodiernum diem, quod ipse praeceperat paenitens dum traheretur ad occisionem, in crypta
iuxta corpus sancti Criscentionis — .
Marcellus (308) — fecit cymiterium Novellae via Salaria et XXV titulos in urbe
Eoma constituit quasi dioecesis — propter baptismum et paenitentiam — et propter sepulturas
martyrum — . Cuius corpus collegit beata Lucina et sepelivit in cymiterio Priscillae via Salaria — .
Eusebius (309) — sepultus est in cymiterio Calisti via Appia — . Ebenso Miltiades
(311—313) als letzter.
Silvester (314) — constituit ut si quis desideraret in ecclesia militare aut proficere,
ut esset — custus martyrum annos X — . Eodem tempore Augustus Constantinus fecit basilicam
beato Petro apostolo in templum Apollinis, cuius loculum cum corpus sancti Petri ita recondit eqs
— . Eodem tempore fecit basilicam beato Paulo apostolo ex suggestione Silvestri episcopi —
Eodem tempore fecit basilicam sanctae martyris Agnae — Eodem tempore fecit basilicam beato
Laurentio martyri via Tiburtina in agrum Veranum supra arenario cryptae — Eisdem temporibus
fecit Aug. Const. basilicam beatis martyribus Marcellino presbytero et Petro exorcistae in territurio
inter duos lauros — via Lavicana — . Hie Silvester — sepultus est in cymiterio Priscillae via
Salaria, ab urbe Roma miliario III — .
Marcus (336) — fecit duas basilicas, unam via Ardeatina ubi requiescit — . Qui etiam
sepultus est in cymiterio Balbinae via Ardeatina, quem ipse insistens fecit — .
Julius (337) — fecit — et cymiteria III, unum via Flamminea, alium via Aurelia et
alium via Portuense — sepultus est via Aurelia in cymiterio Calepodi, miliario III — .
Liberius (352) — fecit in exilio annos III — rediens autem Liberius de exilio habitavit
in cymiterio sanctae Agnae apud germanam Constanti Augusti — ornavit de platomis marmoreis
sepulchrum sanctae Agnae martyris — sepultus est via Salaria in cymiterio Priscillae — .
Damasus (366) — fecit basilicas duas — alia(m) via Ardeatina ubi requiescit; et in
Catacumbas, übi iacuerunt corpora sanetorum apostolorum Petri et Pauli, in quo loco (?) platomam
ipsam, ubi iacuerunt corpora saneta, versibus exornavit. Hie multa corpora sanetorum requisivit
et invenit, quorum etiam (gesta?) versibus declaravit — sepultus est via Ardeatina in basilica sua
— iuxta matrem suam et germanam suam — .
Das Verzeichnis geht bis Hadrian (772 — 995).
l) Martyrologium Hieronymianum edd. de Rossi et Duchesne (in den Acta sane-
torum. Nov. H) 1893.
90 Die Katakomben.
Katakomben in die Stadtkirchen bestand (Statio olim, z. B. via Latina in Calisti seil,
coemiterio); aber die Quellen, aus welchen Thomasius seine Angaben schöpfte, sind noch
nicht ermittelt. Das Capitulare evangeliorum, in der vorliegenden Fassung für Karl
den Großen geschrieben, verzeichnet die bei der Messe zu singenden Evangelien-
lektionen für jeden Tag und jedes Fest, unter Angabe der Märtyrer und Heiligen des
Tages, nebst der Station; dabei wird das betreffende Cömeterium nicht genannt, oft
aber die Straße, woran die Kultstätte lag.1)
Mit Hilfe der vortehend skizzierten literarischen Überlieferung hat de Rossi
Cömeterien und Grüfte festgestellt; seine Hauptentdeckung betraf das Cömeterium
Callisti an der Via Appia mit der Gruft römischer Bischöfe des dritten Jahrhunderts
und anderen Gräbern von hervorragenden Märtyrern, Heiligen und Bischöfen. Die
einzelnen Gräber selbst ließen sich oft mittels vorfindlicher Reste der Originalgrab-
schriften verifizieren; dazu traten ergänzend oder bestätigend die von Bischof Damasus
(366) in die historischen Krypten gestifteten metrischen Elogien, auf Marmortafeln in
eigenartigen Schriftzügen gemeißelt nach der Vorschrift des Furius Dionysios
Philokalos.2)
Da die ursprüngliche Anordnung der Cömeterienliste des vierten Jahrhunderts
noch nicht authentisch vorliegt, so folgt unser Katakombenverzeichnis einstweilen
den Itinerarien, die mit der Via Flaminia beginnen, die Stadt rechts herum umkreisen und
mit Sankt Peter schließen.8)
Via Flaminia (vor Porta del popolo).
Coemeterium (Sabinillae?) ad sanetum Valentinum. Rechts der Straße auf
den Monti Parioli (Parco Margherita). Valentin soll nach seinen Akten von Sabinilla
auf ihrem Grundstück begraben worden sein.4)
Via Salaria vetus (vor Porta Salaria; von der Mündung der Via Po in
den Corso di Porta Pinciana nordwestlich nach Ponte Molle strebend. Die Bezeichnung
Salaria vetus nur in altchristlichen Quellen).
Hypogaeum des h. Pamphilus. De Rossi glaubte es in einer Katakombe
unter der Osteria delle tre madonne gefunden zu haben.5)
Coemeterium Basillae ad s. Hermete m. Links der Straße auf den Monti
Parioli in einer Vigna des Collegium Germanicum. Beglaubigt durch Inschriften mit
den Namen der Basilla und des Hermes. Malereien des 3. und 4. Jahrhunderts. Auch
die Gruft der H. Protus und Hyancinthus ist durch Inschriften beglaubigt.
Coemeterium ad Septem columbas (palumbas) ad caput s. Johannis in clivum
cueumeris (letzteres ist die Senkung der Straße zum Tiber, bei Aqua acetosa).
Via Salaria (in den christlichen Quellen Salaria nova; vor Porta Salara).
*) Sacramentarien: de Rossi, Roma sott. I 126. — Capitulare: eb. 127.
2) Damasus: de Rossi, Roma sott. I 118. Damasi epigrammata rec. Ihm 1895. Beim
Epigramm auf Bischof Eusebius steht die Beischrift: Furius Dionysius Filocalus scripsit, Damasi
papae eultor atque amator. Er war Schreiber und Zeichner, nicht Steinmetz.
3) Eine Karte bei Crostarosa, Bull, crist. 1900, 321 Taf. 11; vgl. dazu die Pläne von
Alt- und Neurom bei Otto Richter, Topographie der Stadt Rom 1901. — Die Spezialliteratur
zu den einzelnen Katakomben bei Kraus, Realencykl. II 110; Müller, Koimeterien 808; Armellini
und Marucchi.
4) Coem. Valentini: Marucchi, Bull, comunale, Roma 1888,240.429; ders., Cimitero e
basilica di San Valentino 1890.
5) Via Salaria: Bull, crist. 1894, 7 Taf. 1. 2.
Der Bestand. 91
Coemeterium Maximi ad s. Felicitatem. Letzteres inschriftlich, erstere Be-
zeichnung durch das Martyrolog. Hieronymianum bezeugt. Links der Straße.1)
Coemeterium Thrasonis ad s. Saturninum. Rechts. Vielleicht das Hypo-
gaeum in Villa Odescalchi.
Coemeterium Jordanorum ad s. Alexandrum, Vermutet im Hypoygäum unter
Vigna Massimo.
Coemeterium Priscillae ad s. Silvestrum. Links; unter den Hügeln vor dem
Anio in Villa Ada. Beglaubigt durch Inschriften (Felix, Philippus) und Graffiti
(Priscilla). Darin die Cappella greca, so genannt wegen zweier griechischen In-
schriften; die Gruft der Acilier; ein Baptisterium u. a. Angeschlossen war das
Coemeterium Novellae, rechts der Straße.2)
Via Nomentana (vor Porta Pia).
Coemeterium Nicomedis. Eechts der Straße, unter Villa Patrizi.
Coemeterium Agnetis. Links.3)
Coemeterium maius ad Capream (Martyrolog. Hieronym.), Coem. fontis s. Petri
(Mirab.); de Rossi identifiziert es mit dem Coem. Ostrianum (der Acta Liberii: non
longe a coem. Novellae cim. Ostr. ubi Petrus apostolus baptizavit; vgl. Acta Mauri
et Papiae: in via Nomentana ad Nymphas ubi Petrus baptizaverat). In den Vignae
Leopardi und Crostarosa. Die Crypta Emerantianae ist durch eine Inschrift beglaubigt.
Die Katakombe ist architektonisch interessant; dazu gehören auch ihre aus dem Tuff
geschnittenen Sessel.4)
Via Tiburtina (vor Porta San Lorenzo).
Coemeterium Cyriacae ad s. Laurentium in agro Verano. Rechts der Straße.
Großenteils zerstört durch die neueren Friedhofanlagen. Eingang im Friedhof bei
den Grabstätten Odescalchi und de Romanis. Beglaubigt durch die Lage an der
Basilica di San Lorenzo.
Cömeterium des h. Hippolytus. Links der Straße, in Vigna Caetani.
Beglaubigt durch Inschriften. Hier fand man 1551 die Statue des Bischof Hippolytus;
daher wird gefragt, ob dieser identisch war mit dem Märtyrer.
Via Labicana (vor Porta Maggiore).
Cömeterium des h. Castulus. In seinem Gelände gabelt sich die Bahn für
Neapel und für Civitavecchia.
Coemeterium ad duos lauros, ad ss. Petrum et Marcellinum ad s. Helenam,
in comitatu (Chronogr.), sub Augusta seil. Helena, ad s. Tiburtium (Acta Petri et
x) Via Salaria nova: Bull, crist. 1894. Taf. 1. 2.
2) C. Priscillae. Lanciani, Bull. com. Roma 1891, 323.
Capella greca. Wilpert, fractio panis 1895.
Acilier. Hülsen, Rom. Mitt. 1892, 314. v. Rhoden in Pauly- Wissowas Realencykl.
I 257 n. 40.
Baptisterium. Marucchi, Bull, crist. 1901, 71 u. 277. Rom. Quart, 1902, 256. 1903, 355.
Zettinger, eb. 343. de Waal, eb. 1901, 388. de Waal. eb. 1903, 358.
s) C. Agnetis. Armellini, Cimitero di s. Agnese 1880. Leclercq bei Cabrol , Dic-
tionnaire I 1904, 918.
4) Coem. maius. Bosio III cap. 50 (unter dem Namen Coem. der h. Agnes). Marchi,
Mon., bezieht sieb wesentlich auf diese Katakombe.
Armellini, Scoperta della cripta di s. Emerenziana 1877. Marucchi sucht das Baptiste-
rium Petri vielmehr im Coem. Priscillae (s. dort).
92 Die Katakomben.
Marcellini. Im Gelände einer Villa der Cäsaren, darin auch das Mausoleum der
Helena errichtet wurde (Tor Pignattara); nahe beim Begräbnisplatz der Equites singu-
lares (Henzen, Iscrizioni recentemente scoperte degli Equites singulares 1885). In-
schriftlich bezeugt. Reich an Gemälden.
Coemeterium in der Vigna del Grande (jetzt Marchi und Cellere), anscheinend
ohne Verbindung mit dem Com. Petri et Marcellini; als christlich nicht sicher bezeugt.
Via Latina (vor Porta San Giovanni).
Coemeterium Gordiani et Epimachi ad s. Gordianum. Vielleicht die Kata-
kombe am Fienile Cartoni, rechts der Straße.
Coemeterium Aproniani ad s. Eugeniam.
Coemeterium et basilica Tertulliani.1)
Via Appia (vor Porta San Sebastiano).
Coemeterium Lucin ae. Rechts an der Straße. Ursprünglich selbständig, später
dem Coem. Callisti angeschlossen; es enthält die inschriftlich bezeugte Gruft des
Bischof Cornelius (251/52), in welcher de Rossi seine Grabungen begann.'2)
Coemeterium Callisti (Calixti) ad. s. Sixtum (Xistum). Rechts der Straße,
zwischen Appia und Ardeatina. Callistus war Diakon des Bischof Zephyrinus (208 bis
218) und wurde von diesem mit der Verwaltung des schon zuvor bestehenden Cöme-
teriums betraut; als dessen Nachfolger vergrößerte er es. Seit Bosio betrachtete
man alle Cömeterien der Appia und Ardeatina als Glieder der Kaliistkatakombe.
Deren historisch-topographische Kritik und die Feststellung ihrer historischen Krypten
war de Rossis bahnbrechende Tat. Durch Inschriften bezeugt ist die sog. Papst-
gruft. Kailist, den Bischof Zephyrinus über das Cömeterium gesetzt hatte, wurde
Zephyrins Nachfolger, ihm folgte Urbanus 223 — 230. Diese drei sind anderswo
bestattet worden, Zephyrin nahebei, Kailist an der Via Aurelia, Urbanus im Coem.
Praetextati; die in der Bischofsgruft gefundene Urbanusinschrift weist Wilpert einem
anderen Träger des Namens zu. Sicher dort bestattet wurden Pontianus 235, Anteros
236, Fabianus 250, nicht Cornelius, wohl aber Lucius und seine Nachfolger bis
Eutychianus (283). Reste der griechischen Grabschriften sind erhalten, abgesehen
von der zweifelhaften Urbanusinschrift die des Anteros, Fabianus, Lucius und Euty-
chianus. Die Gruft der h. Cäcilia, wie de Rossi sie bestimmte, ist unbezeugt.
Nach de Rossi wäre sie unter M. Aurel hingerichtet und dort bestattet worden,
nach Erbes unter Septimius Severus, nach Wilpert erst unter Alexander Severus.
Daß die fragliche Kammer unbezeugt ist, darauf hat Lipsius hingewiesen; es
haben sich nur zwei spätere Grabschriften von Caeciliani gefunden. Der Cäcilien-
kult entwickelte sich, soweit ersichtlich, erst im 5. Jahrhundert, die Akten werden
dem Ausgang des Jahrhunderts zugeschrieben. Duchesne aber verweist auf die Angabe
des Liber pontificalis, derzufolge der Körper der Heiligen aus dem Coem. Prätextati
in die Stadt übertragen worden sei, also gar nicht in der Kailistkatakombe geruht
habe. Bezeugt ist die Sondergruft des Bischofs Eusebius (309 — 311), nicht die
des Gaius (283 — 284) und des Miltiades (311 — 314). Die nördlich anschließenden
Hypogäen bezeichnete de Rossi als Arenarium Hippolyti, Regio Liberiana,
*) Alle drei nicht bestimmt und nicht erforscht. Armellini, Cimiteri cristiani della via
Latina 1874. Zum Coem. Aproniani vgl. Leclercq bei Cabrol Dictionnaire I 1906, 2636.
2) Via Appia: Canina, Annali d. Instit. 1853, 132. Mon. V Tal 57. 58 (Karte).
C. Lucinae. de Rossi, Roma sott. I 274—351. Taff.
Der Bestand. 93
coemeterium Soteridis; die Richtigkeit dieser unzureichend begründeten Benenn-
ungen ist bestritten, Wilpert erkennt in der sogenannten Soteriskatakombe nur Er-
weiterungen der Eusebius- und Gaiusregion des Coemeterium Callisti und verlegt die
Soteriskatakombe weiter nördlich (in das Gebiet des Trappistenklosters), das Hippo-
lytusarenar noch entfernter an den Rand der Appia (die Bezeichnung Regio Liberiana
sollte nur ausdrücken , daß dies Hypogäum nach Ausweis der Grabschriften dem
späteren vierten Jahrhundert angehöre; Liberius regierte 352 — 355).1)
Coemeterium Praetextati ad s. Januarium. Gegenüber der Kaliistkatakombe, links
der Straße, zwischen Via Appia und Marrana della Caffarella in der Gegend des Triopium
des Herodes Atticus, Besitzung de Romanis. Enthält die Gruft des h. Januarius
und die der h. Felicissimus und Agapitus (Agapetos), beide inschriftlich bezeugt.2)
An der Via Appia, bei der Prätextatkatakombe, liegt die Gruft des Sabazios-
priesters Vincentius und seiner Gattin Vibia mit Gemälden in der Art der Kata-
kombenmalereien.8)
Coemeterium ad (in) catacumbas ad s. Sebastianum (Basilica Apostolorum).
Rechts der Straße, vor dem Anstieg zur Rotunde der Meteller (Capo di bove). Der-
selbe Flurname erscheint auch zur Ortsbestimmung des in der Nähe liegenden Circus
Maxentii gebraucht (circus in catacumbas, Chronogr. 354). Durch Inschriften und
Berichte bezeugt. Hier wurde der h. Quirinus, Bischof von Siscia Pannoniae, beige-
gesetzt. Vorübergehend sollen die Leiber der Apostel Petrus und Paulus hier hin-
gebracht worden sein, man vermutet im Jahre 258, nach einigen sogar zweimal, das
erstemal kurz nach ihrem Martyrium, Lanciani setzt die Übertragung in die Zeit
Heliogabals (218 — 222). Ihre Ruhestätte, mit Marmor ausgekleidet, daher Platonia
genannt, sucht man in einer Kammer neben der Apsis von San Sebastiano, de Waal
in der Kirche selbst; in jener Kammer sieht er die Quirinusgruft, wegen der ihm dort
gewidmeten Inschrift.4)
Via Ardeatina (die alte ging von der Porta Naevia der servischen und der
Porta Ardeatina der aurelianischen Mauer aus, die heutige — ein antiker Verbindungs-
weg von der Appia zur alten Ardeatina — zweigt vor Porta San Sebastiano bei dem
Kirchlein Domine quo vadis von der Appia rechts ab).
Coemeterium Balbinae ad s. Marcum. In der Gabel der zwei Straßen. In-
schriftlich bezeugt.5)
*) C. Callisti: de Rossi, Roma sott. I 225. II. Nortet, Catacombes d. s. Calixte 1887.
Schultze, Katakomben 334. Wilpert, Rom. Quart. 1901, 32 und zur Topographie der Appia und
Ardeatina; 50 zur Entwicklungsgeschichte der Kaliistkatakombe. Cäcilia: Lipsius, Chronologie
der römischen Bischöfe 181. Duchesne, Lib. pont. II 56. Erbes in Briegers Zeitschr. für Kirchen-
geschichte IX 1887, 1. Kirsch, H. Cäcilia 1901.
2) C. Praetextati. Felicissimus und Agapitas: de Rossi, Bull, crist. 1872, Tf. 4.
Armellini, Scoperta d'un graffito storico 1874. Kanzler, Bull, crist. 1895, 172 Tf. 9—10.
3) Sepulcrum Vibiae: Garrucci, Storia VI 172 Taf. 493. Maaß, Orpheus 1895, 209. Wilpert,
Malereien 144. 392 Taf. 132. 133, 1.
4) C. Sebastiani: Armellini, Descrizione delle cat. di s. Sebastiano 1895. Platonia:
Marchi, Mon. 199. Armellini 745. Nur eine Translation: zuletzt Duchesne, Lib. pont. I pag. CIV.
Lanciani, Pagan and Christian Rome 131. 345. de Waal, Die Apostelgruft ad catacumbas Rom.
Quart. 1894. Dagegen Marucchi, Bull, crist. 1895, 168; dafür Grizar. eb. 170.
5) Via Ardeatina: Hülsen, Rom. Mitteilungen 1894, 320. Richter, Topographie der Stadt
Rom «71. Wilpert, Rom. Quart. 1894, 39 (Karte Seite 36). C. Balbinae: Wilpert, Rom. Quart.
1901, 32.
94 Die Katakomben.
Crypta Damasi. Bischof Damasus ließ sich neben seiner Mutter Laurentia und
seiner Schwester Eirene beisetzen. Die Krypta ist noch nicht gefunden.1)
Coemeterium Basilei ad s. Marcum (et s. Marcellianum). Wilpert vermutet es
in einer 1902 entdeckten Krypta zwischen dem Trappistenkloster und der Via
Ardeatina; sie ist noch im vierten Jahrhundert zu einem kreuzförmigen Kultusraum
ausgebaut worden und enthält in der Aspis die Spuren eines Steintisches, im linken
Kreuzarm einen Doppelsarg mit einem dahinter ausgebrochenen kleineren dritten Grab,
ferner an Malereien in der Grabnische eine kleinere Frauenfigur zwischen zwei
Heiligen, im Arcosolbogen ein Christusmedaillon zwischen zwei Heiligen auf je einer
Himmelsleiter. Durch Inschriften nicht beglaubigt.2)
Coemeterium Domitillae, Nerei et Achillei ad s. Petronillam. Jenseits der Via
delle sette chiese in der Tenuta di Tor Marancia (einst Praedia Amarantiana, nach
Inschriften zeitweilig in Besitz einer Flavia Domitilla). Die Katakombe ist reich an
Gemälden zum Teil früher Zeit; wir heben das Cubiculum Ampliati hervor. Die
Basilica Nerei et Achillei et Petronillae fand de Rossi; ihre Identität ist durch
Inschriften bezeugt. Eine beim Casale di Tor Marancia 1884 gefundene Treppe
führt zu einer 1897 ausgegrabenen Krypta mit einem Gemälde von sechs Märtyrern;
Marucchi glaubte hier die Gruft der H. Marcus und Marcellianus gefunden zu
haben.3)
Via Ostiensis (vor Porta San Paolo).
Coemeterium Comodillae iuxta basilicam s. Pauli ad ss. Felicem et Adauctum.
Links der Via Ostiensis an der von Osten einmündenden Via delle sette chiese in
der Vigna Villani (Serafini). Vom damasianischen Epigramm auf Felix und Adauctus
ist ein Bruchstück gefunden. Von der hier bestatteten s. Emerita sah Boldetti ein
Gemälde mit Namensbeischrift.4)
Das Coemeterium Lucinae war oberirdisch; der Apostel Paulus wurde seinen
Akten zufolge hier bestattet. Über seinem Grabe erhob sich später die Basilica
s. Pauli.
Coemeterium Timothei in horto Theonae. Nach seinen Akten wurde er von
Theona in ihrem Garten beim Grabe des Apostels Paulus begraben. Hinter der
Apsis von S. Paul führt eine Treppe zu einer historischen Krypta ohne Kennzeichen;
vielleicht ist es die des Timotheus.
Coemeterium Theclae. Am Ponticello di San Paolo bei der Osteria del ponti-
cello in Vigna Serafini. Krypta mit übergebauter Basilika. Die Identität ist durch
Inschriften nicht bezeugt.
Coemeterium bei Tre fontane (ad Aquas salvias), von Bosio als C. Zenonis an-
1) Damasus: Wilpert, Rom. Quart. 1903, 72. 368.
2) C. Basilei (Marcus und Marcellianus): Wilpert, Rom. Quart. 1902, 364; ders., Malereien
483 Taf. 214-216.
3) C. Domitillae: (de Rossi) Roma sott. IV (ist in Vorbereitung). Tor Marancia:
Biondi, Museo Chiaramonti III 77. Wilpert, Rom. Quart. 1901, 45. Pfuhl, Rom. Mitteilungen
1904, 1, 2. Cubiculum Ampliati: Leclercq bei Cabrol Dictionnaire I 1904, 1712.
Basilica: de Rossi, Bull, crist. 1874, 1 Taf. 4. 5; 1875.
Treppe: de Rossi, Bull, crist. 1884, 138. Krypta: Marucchi, Bull, crist. 1899, 8; 1900,
165; ders. Catacombes 128. Dazu Wilpert, Malereien 486, 1.
4) Via Ostiensis: Stevenson, Bull, crist. 1897, 283. Borsari, Notizie scavi 1898, 452.
C. Comodillae: Bull, crist. 1904. Emerita: Boldetti, Osservazioni 542. Rom. Quart. 1904.
Der Bestand. 95
gesetzt, weil hier S. Zeno mit seinen Genossen getötet worden sein soll. Die Über-
lieferung sagt nichts von einem C. Zenonis.
Via Portuensis (vor Porta Portese, Trastevere). Alle Cömeterien dieser Straße
liegen, des Flusses wegen, rechts.
Coemeterium Pontiani ad ursum pileatum. Im Monte verde. Durch Malereien
mit Beischriften und durch Graffiti sind die Krypten der H. Milix und Pumenius,
Abdon und Sennen bezeugt, auch ein Baptisterium.1)
Coemiterium ad insalatos (insalatas Fulvio, insalsatos Notitia, mphalatos Laur.)
ad s. Felicem. Noch nicht gefunden.2)
Via Aurelia (vor Porta San Pancrazio).
Coemeterium (Octavillae) ad s. Pancratium. In der Villa Pamfili. Octavilla
soll den Leichnam in ihrem Grundstück begraben haben.
Cömeterium der Lucina und der Heiligen Processus und Martinianus. Es
wird in einer noch nicht ausgegrabenen Katakombe unter den Villen Pellegrini und
Pamfili vermutet.
Begräbnisstätte der duo Feiice s. Noch nicht gefunden.
Coemeterium Calepodii ad s. Callistum. Darin war Bischof Kallistus be-
graben.3)
Via Cornelia.
Coemeterium Vaticanum. An der Südseite der Straße lag der Circus Gai et
Neronis. Petrus soll an der Nordseite der Straße beigesetzt worden sein; bei ihm
fanden die Bischöfe bis Victor (202 — 218) ihre Ruhestätte. Über dem Petersgrab
errichtete Konstantin die Petersbasilika. Reste eines oberirdischen Cömeteriums haben
sich gefunden, aber keine unterirdischen Krypten und Galerien.
Die suburbicarischen Cömeterien schließen sich den stadtrömischen an; es
sind die Katakomben im weiteren Umkreis bis höchstens zum 30. Meilenstein. Sie
liegen an den Heerstraßen und bei den Orten des Rayons. Indem wir auf die
neueren Katakombenverzeichnisse verweisen, heben wir nur einige namhaftere Stätten
hervor.
Coemeterium Alexandri via Nomentana miliario VII.
Coemeterium Symphorosae via Tiburtina mil. IX.
Coemeterium Zotici via Labicana mil. X.
Coemeterium della Nunziatella (so modern genannt nach dem Kirchlein dieses
Namens). Beim Forte Ardeatino. Via Ardeatina mil. IV.
Coemeterium Cyriaci via Ostiensi mil. VII. Dort ist eine Tenuta di San
Ciriaco.
Coemeterium Generosae via Portuensi mil. VI, ad sextum Filippi (bei der
Villa La Magliana). Hier lag auch der Hain der Arvalbrüder. Das Cömeterium
entwickelte sich an den Gräbern der H. Simplicius, Faustinus, Viatrix (Beatrix). In
den Trümmern der damasianischen Basilika fand sich ein Epistylfragment mit In-
*) Coem. Pontiani, Abdon und Sennen: Cabrol, Dictionnaire I 1903, 42.
2) C. ad insalatos: infulatos vermutet Tomasetti, Bull, crist. 1899, 77 mit Beziehung auf
die infula (Tiara) der Perser Abdon und Sennen in einem Gemälde.
8) C. Calepodii: de Rossi, Roma sott. I 165.
96 Die Katakomben.
schrift: „Simplicio Faujstino Viatrici". Die Benennung C. Generosae nur am Trans-
lationssarkophag von 683: positi sunt in cimiterium Generoses super Filippi.1)
Italien außer Rom und seinem engeren und weiteren Umkreis. Das übrige
Mittel- und Oberitalien nebst den nördlich anstoßenden Ländern bietet wenig. Von
unteritalienischen Cömeterien sind nur die von Neapel bedeutend, vorzüglich die
von San Gennaro, S. Gaudioso und S. Severo. Sie fordern eine Publikation mit Auf-
gebot aller Mittel der archäologischen Technik. Reich an christlichen Begräbnisanlagen
ist Sizilien, besonders die Ostküste; vorzüglich wichtig sind die Katakomben von
Syrakus, die in der Vigna Cassia, die von San Giovanni u. a. Neuerdings haben sich,
Paolo Orsi und Joseph Führer um die Erforschung der Denkmäler verdient gemacht.
Letzterer, der seine erste Reise als Stipendiat des deutschen archäologischen Instituts
machte, bereitete eine umfassende Publikation der Sicilia sotteranea vor, deren
Vollendung durch seinen frühen Tod unterbrochen wurde. Die Katakomben auf
Malta, welche viel Verwandtschaft mit den sizilischen zeigen, untersuchten von
deutschen Gelehrten Albert Mayr und Georg Stuhlfauth.
In Nordafrika (Algier und Tunis) forschen die Franzosen; bis jetzt sind nur
wenige Hypogäen bekannt geworden.2)
In Griechenland hat sich bisher nur auf Euboea eine Katakombe finden lassen,
von den Cykladen kommt hauptsächlich Melos in Betracht. Kleinasien, in der
Geschichte der Ausbreitung des Christentums so intensiv hervortretend, hat noch
keine Katakomben dargeboten; wohl aber die Cyrenaica und Ägypten. Ebenfalls
Syrien mit Einschluß von Palästina; insbesondere ist Jerusalem zu nennen. Auch in
Mesopotamien fehlen sie nicht ganz.
Wohl hat sich das Christentum von Ost nach West verbreitet, soweit die Mittel-
meerländer in Frage kommen; und der Archäologe möchte gern diese ost westliche
*) Suburbicarische Cömeterien: Stevenson bei Kraus Kealencykl. II 114. Müller, Koime-
terien 811. Armellini, Cimiteri 641. Marucchi, Oatacombes 545.
C. Alexandri: Leclercq bei Cabrol, Dictionnaire I 1904, 1091.
C. Symphorosae: Stevenson, Scoperta della basilica di Sinforosa 1878. Studi e docum.
di storia e diritto I 1880, 105.
C. Zotici: Stevenson, Cimitero di Zotico 1876.
Nunziatella: Wilpert, Malereien 403.
C. Generosae: de Rossi, Eoma sott. III 647. — Arvalen: Henzen, Acta fratrum Arvalium
1874. Wissowa in Pauly-Wissowa Kealencykl. II 1463.
2) Mittel- und Oberitalien: Kraus, Realencykl. II 130. Armellini, Cimiteri 619. Müller,
Koimeterien 812. Kaufmann, Handbuch 90. Albano : Leclercq bei Cabrol, Dictionnaire I
1904, 1053.
Unteritalien: Bellermann, Über die ältesten christl. Begräbnisstätten und besonders die
Katakomben zu Neapel mit ihren Wandgemälden 1839. V. Schultze, Die Katakomben von San
Gennaro dei proveri zu Neapel 1877. Bull, crist. 1899, 106. 1900, 177. Kraus II 130. Müller 802.
807. 858. Armellini 697.
Sizilien: Kraus II 134 n. 30-38. Müller 802. 805. 852. Armellini 720. Orsi in den
Notizie degli scavi 1893. 1895—1898. Rom. Quart. 1895. 1897. 1900, 187. 1904, 235. Führer,
Forschungen zur Sicilia sotteranea in Abh. der Bayer. Akad. XX 1897 I 673; eb. XXII 1902 I 109.
Rom. Mitteilungen 1902, 110.
Malta: Mayr, Rom. Quart. 1901, 216. 352. Stuhlfauth, Rom. Mitt. 1898, 275 Taf. 9—10.
Müller 806. 856. Armellini 738. Caruana, Ancient pagan tombs and Christian cemeteries in the
island of Malta 1898 m. Taff. Sardinien: Müller 807. Armellini 740. 758.
Nordafrika: Müller 805h. 851. Kaufmann, Handbuch 77 § 36.
Der Bestand. 97
Entwicklung an der Hand der Denkmäler verfolgen. Da aber unter den außer-
römischen Cömeterien nur die Neapeler auf Entstehung in der Frühzeit Anspruch
machen, und da doch schon in der apostolischen Zeit das Christentum in der Reichs-
hauptstadt Fuß gefaßt hat, so stehen beim Studium der Katakomben die römischen
ihrer vielseitigen Bedeutung entsprechend mit Recht in erster Linie.1)
*) Griechenland: Lampakis, M£m. sur les antiquitees chr^tiennes de la Grece, Athenes 1902.
In Athen besteht eine Gesellschaft für christliche Archäologie, XQiaxiavixrj aQxaioXoyixi} eraiQiu,
welche Berichte herausgegeben hat (JsXzlov neQi&xov rag tQyaalaq z^g hxaiQiaq), Athen 1892; vgl.
Ath. Mitteilungen 1892, 280.
Euböa (Chalkis): Strzygowski, Rom. Quart. 1890, 2. Müller 813c. Kaufmann, Hand-
buch 88.
Kykladen (Melos): Roß, Reisen auf d. griech. Inseln III 1845, 145. Bayet, Bull. corr. hell.
1878, 347. Schultze, Katakomben 275. Kraus II 136. Müller 805 i. 857. Kaufmann 89.
Kleinasien: Müller 804 d. 844. Kaufmann 98.
Kyrene: Pacho, Relation d'un voyage dans la Marmarique, la Cyrenaique etc. 1827, 207.
Smith and Porcher, History of recent discoveries at Cyrene 1864. Royal Soc. Lit. Transact.
II. series, IX 1870, 135. Schultze, Katak. 286. Kraus II 136. Müller 805g. 850. Kaufmann 86.
Ägypten (Alexandria): Schultze 280. Kraus II 136. Müller 805. 848. Kaufmann 75.
Leclercq bei Cabrol, Dictionnaire I 1904, 1125.
Syrien und Mesopotamien: Kraus II 136. Müller 804. 841. Kaufmann 105.
Sybel, Christliche Autike I.
Bau der Katakomben.
Die Grundlagen für das technische
Verständnis der Katakomben hat Giovanni
ßattista de Rossis Bruder Michele Stefano
gelegt. Er war, wie sein Bruder, philo-
logisch gebildeter Jurist, zugleich aber für
Mathematik und Naturwissenschaft bean-
lagt und interessiert, daher doppelt be-
fähigt, die wissenschaftliche Erforschung
der Katakomben zu fördern. So hat er
die geologischen Verhältnisse festgestellt,
die für die Anlage der Katakomben maß-
gebend wurden, dann ihre Disposition und
rechtlichen Grundlagen, endlich den Bau.1)
Die Campagna di Roma, das Vor-
land der Stadt, besteht aus Ablagerungen
submariner Vulkane, die in einer Vorzeit
tätig waren, da allein der Apennin sich
aus dem Meere erhob. Die Eruptivmassen,
Schlacke, Asche und Sand, haben, im Wasser schwimmend gleichmäßig sich ausbreitend,
Tufflager verschiedener Dichtigkeit gebildet. Einiges blieb lockerer Sand (arena), ein
natürlicher Schlackensand, wegen seiner Schärfe der beste Sand zur Mörtelbereitung
(genannt Puzzolana, nach der in Puteoli verschifften gleichartigen arena Puteolana,
herrührend aus den Eruptionen des Vesuv); der Sand wurde in Gruben gewonnen,
vielfach auch unterirdisch in unregelmäßig verlaufenden Stollen (Arenarien). Anderes
ist harter Fels geworden, den die Römer zu ihrem Quaderbau verwendeten (lapis ruber,
saxum quadratum; tufa litoide). Zwischen beiden Gattungen in der Mitte steht die
dritte Art, der körnige Tuff (tufa granuläre), weder loser Sand noch harter Fels,
sondern mürbes Gebirg, weich genug, um sich leicht bearbeiten zu lassen, fest genug,
um zu halten. In diesem körnigen Tuff legten die Christen ihre Katakomben an,
unter möglichster Vermeidung der zwei anderen Gebirgsarten, des Sandes und des
Fossor.
Coem. Callisti.
*) M. Stef. de Kossi: über ihn G. B. de Rossi, Roma sott. I 351; danach folgt seine
Analisi geologica ed architettonica, mit besonderer Paginieruug; dazu Taf. 32 — 40.
Bau der Katakomben.
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11.0 1H.C. IIA tili
Geologischer Schnitt des Hypogäuin der Lucina.
II — VI Vulkanischer Tuff' mit den Katakomben.
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7*
100 Bau der Katakomben
Felsens; sie bevorzugten den körnigen Tuff zunächst wegen seiner Zweckdienlichkeit,
zugleich aber schonten sie das für die Lebenden Nutzbare, ähnlich wie beispielsweise
die Ägypter ihre Toten aus dem fruchtbaren Acker- und Gartenland des Niltals an
den unfruchtbaren Wüstenrand brachten.
Nur vereinzelt sind Christen in Sandgruben beigesetzt worden, mehr in der Not
des Augenblicks; die literarische Überlieferung erwähnt solche Beisetzung in Sand-
gruben (in arenario, in cryptis arenariis, ad arenas, iuxta arenarium), daher in früheren
Stadien der Forschung die irrige Meinung entstehen konnte, daß die Katakomben über-
haupt gar nicht ursprünglich christliche Anlagen gewesen seien, sondern sekundäre
Verwendungen heidnischer Sandgruben. Wohl aber ist vorgekommen, daß man bei
Anlage und Erweiterung von Katakomben in die Netze von Arenarien geriet und sich
so gezwungen sah, sie in das System der Katakombe einzubeziehen. Der unregel-
mäßige Verlauf ihrer Stollen konnte freilich nicht auf den Fuß des rechtwinklig
geradlinigen Galeriennetzes der Katakomben gebracht werden; aber die allzu breiten
Gänge mit ihren bröckligen Wänden konnten durch vorgesetzte Futtermauern auf das
Normalmaß verengt und zugleich befestigt, in dem Mauerwerk Plätze für Gräber aus-
gespart werden. So geschah es unter anderem in den Cömeterien des Hermes und
der Priscilla.
Unter der dreißig bis vierzig Meter starken Tuffschicht liegt der Ton und
Mergelsand des alten Meeresbodens; bis in dies Tonlager betten sich die tief eingerissenen
Flußläufe.1)
Die Katakomben sind die einzigen Denkmäler frühchristlicher Kunst; es ist
dies ein Verhältnis, das sich in den alten Kulturgebieten ständig wiederholt, daß
nämlich die Monumente der Gräberkunst, wo nicht die einzigen, so doch die zahl-
reicheren und besser erhaltenen sind. Es beruht dies auf zwei Gründen; einmal darauf,
daß die Menschen wohl überall durch ihre Jenseitsgedanken dazu geführt wurden,
früher auf monumentale Gräber zu denken, als auf solche Häuser für ihre eigene Lebens-
zeit und für die Götter; sodann darauf, daß die Gräber unter der schützenden Erd-
decke sich auch besser erhalten als die Hochbauten über der Erde. Beides gilt ebenso
für die aus dem Tuff gehöhlten Katakomben, die von Haus aus monumentaleren
Charakter besaßen als die auch gefährdeteren frühchristlichen Wohnhäuser und Ver-
sammlungsräume, von denen nicht die Spur übrig geblieben ist. Freilich müssen wir
sofort hinzufügen, daß die etwaige Auffindung christlicher Räume aus den ersten
Jahrhunderten über christliche Kunst uns schwerlich viel lehren würde; solche
Räume waren in künstlerischer Beziehung kaum verschieden von den gleichzeitigen
heidnischen.
Wie das ganze Christentum nur allmählich das geworden ist, als was wir es
kennen, so ist auch die christliche Kunst ein Gewordenes, und sie ist dem Werden
der christlichen Gedankenwelt erst gefolgt. Jesus hatte keinen Gedanken für Kunst,
weder im Guten noch im Bösen, sie lag außerhalb seines Arbeitsfeldes. Hätte er länger
gelebt, so würde sie vielleicht auch in sein Gesichtsfeld getreten sein, am ehesten wohl
in Gestalt der Künstler. Der ganz allein auf die Seele zielende Sokrates wußte mit
einem jeden fruchtbar zu reden, auch mit einem Zeuxis; nun denke man sich einmal
Jesus in der Gesellschaft von Malern oder Baumeistern, man erinnere sich dabei, daß
') Campagna di Roma: O. Richter, Topographie der Stadt Rom 224.
Bau der Katakomben. 101
ihm, wie übrigens uns allen, das Schöne zugleich Sinnbild war, daß also sein im
Grunde fröhliches Herz doch Blick dafür hatte. Wie er persönlich sich dann über
Kunstschaffen und Kunst geäußert haben könnte, die Frage wird man als eine müßige
nicht auf werfen; aber man darf aussprechen, daß die über ihn selbst schließlich hinaus-
führende Konsequenz seiner Gedanken wohl auf eine Verneinung jeder religiösen
Kunst hinauslaufen dürfte, nicht aber notwendig auf eine Verneinung der Kunst
überhaupt.
Erst eine ganze Weile nach Jesus' Tod entstand eine christliche Kunst; daß sie
dann doch eine religiöse Kunst wurde, will erklärt sein. Man kann es mit einem
Worte aussprechen, es liegt in ihrem christlichen Charakter selbst. Die Religion des
Jesus hatte sich um den Kardinalpunkt seines Todes umgedreht und sich umgesetzt
in eine Christusreligion; aus dem Träger und der persönlichen Darstellung der religiösen
Reform wurde er, oder vielmehr seine Potenzierung ins Himmlische, Gegenstand einer
neuen Religion, eines Christuskultus. Möglich war diese Umsetzung nur in der
hellenistischen Atmosphäre, in welcher die damalige Welt lebte, auch die jüdische; zur
vollen Entwicklung aber kam die neue Kultusreligion erst mit der Verpflanzung der
Reform in die heidnische Welt selbst. Hiermit wurde das Christentum nun auch in
eine kunstgewohnte und kunstbedürftige Welt verpflanzt, die mit ihrer antiken
Religiosität auch ihr antikes Kunstgefühl in die neue Lebensweise mit hinübernahm.
Ihren besonderen Inhalt endlich empfing die neue und letzte Phase der antiken
religiösen Kunst aus der vom Christentum genommenen Wendung zum Jenseitigen und
durch das Jenseits wieder zurück zum Diesseits: die Seligkeit des Verstorbenen im
himmlischen Paradies und in der künftigen neuen Welt, die Seligkeit, die er durch
den Christus gewann und die in der bleibenden Vereinigung mit ihm bestand; die
Auferstehung bildet in diesem Vorstellungskreis ein Moment von nicht immer gleich
starker Bedeutung.
Die christliche Kunst war also Grab k uns t. Daher mußte, damit sie in Er-
scheinung treten konnte, noch eine Ursache wirksam werden, die trivial erscheinen
mag, aber in unserem Falle wichtig war: es mußten Tote zu begraben sein, nicht bloß
dann und wann, sondern täglich, regelmäßig, so daß ein fester Bestattungsbrauch und
eine typische Grabkunst sich ausbilden konnte. Das trat nun aber erst ein, als die
Christen der ersten Generation im ganzen abstarben; nehmen wir Jesus' Jünger als ihm
annähernd gleichalterig an, so mußten sie insgemein etwa mit Neros Zeit und bald
danach den Platz räumen. Die Leute der zweiten Generation, die Epigonen um die
Zeit der flavischen Kaiser, wurden ihre Totengräber, wurden ebendamit die ersten Be-
gründer der christlichen Kunst. Die Weiterbildung und breite Entfaltung der christ-
lichen Kunst, nämlich der Sepulkralkunst in den Katakomben, erfolgte im zweiten und
dritten Jahrhundert. Im vierten setzte die Kultusreligion mit altneuem Hebel tiefer
ein, indem sie neben dem Christuskult die Verehrung der Märtyrer organisierte; in
diesem Bemühen war Bischof Damasus (366 — 384) epochemachend. Die regelmäßigen
Beisetzungen aber gingen in der zweiten Hälfte des Jahrhunderts, nur unter Damasus
in den Jahren 370 — 373 vorübergehend wieder gesteigert, zugunsten der oberirdischen
Friedhöfe zurück, um 409 mit der Einnahme Roms durch die Westgoten unter Alarich
ganz aufzuhören. Ende des fünften Jahrhunderts, in Theodorichs Zeit, begann die
Beerdigung innerhalb der Stadtmauer (in den Castra praetoria), im siebenten fing man
an, die Gebeine der Märtyrer aus den Katakomben zu erheben und in die Stadtkirchen
102 Bau der Katakomben.
zu übertragen. So ging der Kultus in den Katakomben mehr und mehr zurück, um im
neunten Jahrhundert zu erlöschen.1)
Die Christen haben ihre Verstorbenen unverbrannt beigesetzt, wie die Syrer
einschließlich der Juden, und wie die Ägypter. Wir wissen, das war der ältere Ritus
gegenüber der jüngeren Leichenverbrennung. Letzterer Brauch trat als ein Kultur-
fortschritt auf und hat sich weithin verbreitet. Es ist nicht richtig zu sagen, das
Begraben sei spezifisch semitisch gewesen, das Verbrennen unsemitisch; die Aus-
grabungen zu Fara, Surgul und El Hibba haben hochalte babylonische Verbrennungs-
stätten kennen gelehrt, und selbst bei den Juden kam das Verbrennen vor, wenn auch
nur als Ausnahme. Bei den Griechen hatte es sich in den Zeiten der homerischen
Dichtung schon durchgesetzt, bei Etruskern und Römern geschah es erst später; die
Särge der Scipionen legen für die Fortdauer des Beisetzens der unverbrannten Leiche
Zeugnis ab, einzelne römische Familien haben sich bis in die letzten Zeiten der
Republik dagegen gewehrt. In der Kaiserzeit aber, im zweiten Jahrhundert, sehen wir
die ganze antike Welt zum Begraben zurückkehren, damals wurde der Sarkophag ein
Massenprodukt der hellenistisch-römischen Kunst.
Die Jünger haben den gekreuzigten Jesus nach der jüdischen Sitte begraben, es
heißt in einem Felsengrab; daß sie ihn unverbrannt beigesetzt haben, müssen wir an-
nehmen, auch ganz unabhängig von der Überlieferung. Und so, unverbrannt, wurden
alle verstorbenen Judenchristen begraben, danach auch die Heidenchristen, ohne
Zweifel immer wieder in Befolgung der aus dem Judentum überkommenen Sitte. So
hat das Christentum den Ritus des Begrabens unter Griechen und Römern vielleicht
ein wenig früher wieder eingeführt, als die religiöse Reaktion heidnischerseits es zu-
wege brachte. Mag der Prioritätsstreit zugunsten der Christen entschieden werden:
wenn die Christen ihre Toten begruben und damit zuversichtliche Jenseitshoffnungen
verbanden, so standen sie damit im Strome des antiken Empfindens gerade auch ihrer
Zeit. Und so oft heidnische Griechen Christen wurden und zum Begraben zurück-
kehrten, sofern nämlich sie es nicht schon vorher getan hatten, so beschleunigten sie
nur den kultur- und knltusgeschichtlichen Prozeß, der auch innerhalb des Heidentums
sich ohnehin vollzog.2)
Die Herstellung der unterirdischen Cömeterien lag in den Händen der Gräber,
Fossoren (Fossores, ■mnvaxaC). Über die Arbeitsweise hat M. St. de Rossi Unter-
suchungen angestellt; sie läßt sich von den Denkmälern sozusagen ablesen, besonders
wo Arbeiten unvollendet liegen blieben. Auf dem Reißbrett ausgearbeitete Pläne und
raffinierte technische Hilfsmittel darf man bei ihnen nicht voraussetzen. Sie orientierten
sich an den Schachten zum Herausschaffen des Schuttes und zum Einführen von Luft
und Licht (Luminarien); vor Kollisionen mit bereits vorhandenen Kammern und
Gängen wurden sie durch den andern Klang des Gebirgs bei Annäherung an solche
gewarnt. Das Profil eines Stollens umrissen sie mit tiefen Einschnitten und holten
dann die innere Masse heraus. War ein Gang ausgehöhlt, so teilten sie die Wand-
flächen durch ein Netz senk- und wagerechter Linien und zeichneten da hinein die Um-
risse der Wandgräber. Dergleichen Liniennetze und Umschneidungen sind an mehreren
*) Die Katakomben von 409 bis zum neunten Jahrhundert: de Eossi, Roma sott. I 215 ff.
2) Fara: Orientgesellsch. Mitteilungen 1903 n. 17; vgl. eb. 1905 n. 27, 29 (ähnlicher Fund in
Assur). Surgul und El Hibba: Koldewey, Zeitschr. f. Assyriol. 1887, 403. Maspero, Histoire I 685.
Semiten und Juden: Studniczka, Archäol. Jahrbuch 1894, 238.
Die Grüfte. 103
Stellen stehen geblieben, wo die Arbeit unvollendet abgebrochen wurde. In den
Katakombenmalereien erscheinen die Fossoren öfter, auch an der Arbeit, mit Lämpchen
und Spitzhacke; berühmt ist das Grab des Fossor Diogenes mit Bild und I^pitaph
(im Coem. Petri et Marcellini via Labicana). Die Fossoren sind von Haus aus als
kleinere, später wohl, mit dem Wachsen der Katakomben, größer werdende Unter-
nehmer oder vielleicht auch unternehmende Genossenschaften zu denken; im vierten
Jahrhundert erscheinen sie unter die Kleriker eingereiht.1)
Die Grüfte.
Die Katakomben nahmen ihren Ausgang vom Kamm ergrab. Das Kammergrab
gehört zu den ältesten Typen der monumentalen Grabanlagen, ist aber seiner Natur
nach ein Erzeugnis bereits höherer Kultur; folglich war und blieb die Gruft ein Vor-
recht der Aristokratie, die aristokratische Grabform.
Der Mensch der Urzeit ließ die Leiche liegen und wechselte selbst den Ort.
Oder wenn er sich schon fester angesiedelt hatte, so trug er sie in eine nahe Schlucht,
oder wenn Gelegenheit war, wie in Ägypten, zum Wüstenrand, in allen Fällen wurde
die Leiche eine Beute der Raubtiere. Hierbei galt es lediglich, die Leiche zu be-
seitigen. Waren aber erst, durch die Einbildungskraft, Vorstellungen von einem Fort-
leben in Gang gebracht, so trat die Bestattung ein, und mit ihr der Totenkult, in der
Absicht, dem Verstorbenen im Jenseits Annehmlichkeiten zu verschaffen. War der
Totenkult aber einmal fester Brauch geworden, so folgte ein weiteres: seine Vorteile,
so imaginär sie für den Toten waren, sie leuchteten dem Lebenden ein, und er, der
Lebende, sorgte nun beizeiten dafür, daß auch ihm sein Todesleben angenehm werde.
So baute er sich selbst ein möglichst festes Grab, traf alle Vorkehrungen für reich-
liche Mitgabe und für pünktlich wiederkehrenden Grabeskult. Mit ihm aber gingen
die Seinen, die Grabkammer ward Familiengruft.
Es bildeten sich verschiedene Typen des Kammergrabes aus. Gebirgsländer mit
anstehenden Felswänden sind die Heimat des Höhlengrabes. Natürliche Höhlen
wurden von den Menschen der Frühzeit in Benutzung genommen, zur Wohnung für
die Lebenden, dann aber auch als bleibende Wohnung der Toten. Eine solche Höhle
bei Hebron, sagt die Bibel (Mos. I 23. 25, 9 P), wählte sich Abraham zur Ruhestätte
und zum Erbbegräbnis für die Seinen, das heißt, ein solches Höhlengrab stand im
Ruhme eines vaterländischen Heroengrabes, welches den Nachkommen Anrecht auf
das Land gab. In viel früherer Zeit haben die Ägypter das Grottengrab bereits
künstlerisch ausgebildet, als ein Wohnhaus mit pfeilergetragener Vorhalle, alles aus
dem gewachsenen Felsen gehauen; berühmt sind die Grottengräber zum Beispiel von
Beni Hassan, in einer Felswand über dem Nil, wo das Gebirg nahe an den Fluß
herantritt (es ist nur zu bemerken, daß hier Kombination des Grottentyp mit dem der
unterirdischen Gruft vorliegt; denn der Tote wurde nicht in der Grotte selbst bei-
gesetzt, die diente dem Totenkult, sondern in altägyptischer Weise in besonderer, tief
unter dem Fußboden liegender Gruft). Berühmt sind auch die weit in den Berg
*) Fossor es: G. B. de Rossi, Roma sott. III 533. M. St. de Rossi, eb. III 699. Kraus,
Realencykl. I 537. Schultze, Katakomben 29. Müller, Koimeterien 823. 826. Wilpert, Malereien 520.
104 Bau der Katakomben.
hineingetriebenen Stollen, die zu den Grabkammern der Pharaonen von Theben führen,
die Syringen. In den kleinasiatischen Gebirgsländern finden wir die Grottengräber in
Lykien, Phrygien, Paphlagonien ; ihre architektonische Ausbildung ist nach Ort und
Zeit verschieden gestaltet, bald mehr im Sinne von Zimmerwerk oder von Tischlerei
in Verbindung mit Matten oder Teppichen, auch im Charakter des Säulenbaues. Im
fernen Persien haben sich die Könige seit Darius in solche Felsgrüfte betten lassen;
immer wurde die Fassade reich ausgemeißelt. Im Griechenland der Heldenzeit
kommen die Felskammern vor, zahlreich bei Mykenä, bei Nauplia, auch in Attika
fehlen sie nicht (Spata). In der klassischen Zeit traten sie zurück. Nach Maßgabe
des Geländes hat man auch in Etrurien Felsgräber als Grottengräber hergestellt
(Sovana u. a.). Wiederum finden sie sich im Osten, in der glänzenden Ausführung
der hellenistisch-römischen Zeit, am reichsten, im üppigsten Barockstil, an den Fels-
wänden Arabiens, bei Petra; modifiziert, aus dem Felsen herausgelöst und ganz frei-
gelegt, so daß sie wie freistehende Hochbauten erscheinen, bei Jerusalem (die fälschlich
sogenannten Propheten- und Königsgräber).1)
Im ebenen Gelände entwickelten sich andere sepulkrale Typen, die oberirdische
und die unterirdische Kammer; auch hier fehlt es nicht an Variationen und Kombi-
nationen. Die oberirdische Grabkammer mag mit ihrer Wurzel bis in die früheste
Urzeit zurückreichen, da man die Leiche am Orte des Todes liegen ließ. Damit ver-
band sich weiterhin der Brauch der Bedeckung mit Erde; nach der Bedeutung des
Mannes trugen mehrere Erde hinzu, und so häufte wachsend sich ein Erdhügel an, ein
Tumulus. Verband sich hiermit die Idee des Wohnhauses für den Toten, so baute
man erst eine Steinkammer um die niedergelegte Leiche und schüttete danach den
Erdhügel darüber. Diese Entwicklung des Tumulus läßt sich in Phrygien verfolgen.
Im Grundsatz verwandt, bei manchen Besonderheiten, sind die Riesenstuben und
Heidengräber an unserer Nordküste, auf Rügen, in Dänemark und Schweden; sie
reichen zurück bis in unsere Steinzeit. Die höchste Entwicklung megalither Tumulus-
gräber stellen in Griechenland die Tholoi der Heroenzeit dar (aus der Bronzezeit
im zweiten Jahrtausend vor Christi Geburt): die hohen Kuppelgewölbe mit anschließen-
der Kammer, halb in den Berg gegraben (das Hineingehen in den Berg nähert die
Tholos dem Höhlengrab, das Tief erlegen des Fußbodens in der Halle nähert sie der
oft halb in den Boden gegrabenen Hütte der Primitiven) und mit Erde überschüttet,
so daß sie dem Gewölbescheitel folgend eine Art Tumulus bildet. Schliemann und seine
Nachfolger haben sie ausgegraben, die Kuppelgräber zu Mykenä, Amyklä, Acharnä,
Orchomenos und ihresgleichen.2)
Aus dem Vergraben der Leiche entwickelte sich andererseits das unterirdische
Kammergrab; wieder erfolgte die Entwicklung durch Aufpfropfen der Wohnidee auf
das Grab. Die Ägypter haben, in ihrem „alten Reich", den Typus zuerst mit Kunst
gestaltet. Die ägyptischen Aristokraten legten die Gruft tief im Schoß der Erde an
1) Grotten zu Beni Hassan: v. Sybel, Weltg. 21903, 29. Syringen: eb. 40. Lykien: eb.
90. Phrygien: eb. 88 (Körte Gordion 1904) 420. Paphlagonien: eb. 88 (Vollmöller, Kammergräber
1901, 11. Leonhard Paphl. Denkni. 1903). Persien: eb. 144. Mykenä, Nauplia, Spata: eb. 44.
Etrurien: eb. 517 (Martha l'art efrusque). Petra: Studniczka, Tropaeum Trajani 67. Jerusalem:
v. Sybel, Weltg. 393.
2) Phrygische Tumuli: Körte, Gordion 1904. Riesenstuben: v. Sybel, Weltgeschichte 253.
.56. Tholoi: eb. 48.
Die Grüfte. 105
und stellten da hinein den Sarg. Über dem Schacht aber, an der Oberfläche, warfen
sie einen haushohen, mächtig gestreckten Grabhügel auf, von einem Steinmantel um-
schlossen; durch diesen Grabhügel (modern Mastaba) ließen sie den Schacht hinauf-
gehen und in der oberen Abdeckung münden, innerhalb des Hügels aber sparten sie
einen Raum aus zur Kapelle für den Totenkult. Aus dem länglichen Hügel entwickelten
die Pharaonen einen berggleichen Tumulus, stilgerecht dem Steinbau, in dem sie ihn
ausführten, auf rechteckigem Grundriß, als Pyramide; für den Totendienst setzten sie
einen eigenen Tempel davor. Anderwärts begnügte man sich mit der Grabkammer,
der Kultus vollzog sich im Freien, vor dem Eingang. Später finden wir in Phönizien
geräumige Grabkammern unter der Erde; über ihnen erheben sich ägyptisierend
Pyramiden oder assyrisierend Kuppeln, das sind die „ Spindelgräber " zu Amrith. Die
Königsgruft von Sidon besteht aus einem Komplex von Kammern, darin die Fürsten
in kostbaren griechischen Steinsärgen beigesetzt wurden, dem sog. Alexandersarg und
seinen Genossen im Museum zu Konstantinopel. Die Griechen selbst haben in ihrer
klassischen Zeit auch auf das Kammergrab verzichtet; sie begnügten sich, ober-
irdische Grabmäler aufzustellen, um das Andenken der Verstorbenen zu erhalten und
zu ehren. In Etrurien aber hat das Kammergrab auch als unterirdische Gruft sich
eine Reihe Jahrhunderte hindurch in Geltung gehalten. Im hellenistischen Ägypten
finden wir es bei Alexandria (Sidi Gaber), die Römer in der Spätzeit der Republik
und in der Kaiserzeit zogen das oberirdische Kammergrab vor; wir erinnern an das
Grab der Scipionen an der Via Appia.1)
Dergleichen Grabkammern waren die Keimpunkte der christlichen Katakomben,
und auch später, nachdem diese sich zu umfangreichen Wegnetzen entwickelt hatten,
blieben die Cubicula immer die Haupträume, ausgezeichnet durch ihre verhältnis-
mäßig künstlerische Ausstattung, wie auch durch ihre wenigstens häufig erkennbare
Bestimmung, hervortretenden Persönlichkeiten zur Ruhestätte zu dienen. Überwiegend
in solchen Kammern waren die Orte, wo sich mit der Zeit der Kultus entwickelte,
der insbesondere den Märtyrern dargebracht wurde. Wenn die Katakomben mit Ein-
schluß der Cubicula nach Maßgabe der Zusammensetzung der Gemeinde anfangs mehr
Personen geringeren Standes zum Begräbnis dienten, so hat der ursprüngliche aristo-
kratische Charakter des Gruftbegräbnisses doch seine Geltung zu behaupten gewußt.
Abgesehen davon, daß in der Gemeinde selbst die statutarische Brüderlichkeit den
Unterschied der Stände nicht aufhob, so wurde in der antikerweise sich bald ent-
wickelnden Hierarchie noch ein kirchlicher Vorzugsstand neu geschaffen, dazu in den
Märtyrern, den christlichen Heroen, und in weiteren Kreisen den kirchlich anerkannten
Heiligen, eine spezifisch jenseitige, also sepulkrale Aristokratie, in deren Verehrung
die ganze suburbane Cömeterialpraxis zuletzt aufging.
Anlagen in Form von Grotten oder Stollen kommen bei den Katakomben seltener
vor; bei der Wahl zwischen der Grotten- und der Gruftform sprach natürlich die Art
des Geländes das entscheidende Wort. Zum Grotten bau eignet sich zerschnittenes
Terrain mit steilen Hängen. Beispiele bieten die Katakomben von San Gennaro zu
Neapel; sie haben den Anfang ihrer Anlage mit Grotten gemacht, auf die ursprüng-
lich vielleicht die ganze Absicht allein ging. Die erste Katakombe beginnt mit einer
*) Gruft. Mastaba: v. Sybel, Weltgeschichte 222. Pyramide: eb. 23. Amrith: eb. 132.
Sidon: eb. 214. 241. 258. 303. Etrurien (Chiusi, Corneto): eb. 140. 159. 372. Alexandria: H. Thiersch,
Zwei antike Grabanlagen 1904. Scipionen: Mommsen CJL. I 11.
106 Bau aer Katakomben.
Halle (dem jetzigen Vestibül), der zwei Nebenräume anliegen, die zweite höher am
Berg gelegene, mit zwei hintereinander angeordneten Kammern, mithin einer Doppel-
kammer; aus dem vorderen Raum führen in der ganzen Breite der geöffneten Rück-
wand ein paar Stufen in den zweiten Raum hinauf; in den Stufen stehen zwei Pfeiler
zum Stützen der Decke. Ein Beispiel auch aus der Frühzeit der Katakomben, und
zwar eines entschieden aristokratischen Grottengrabes, bietet für Rom das Coemeterium
Domitillae; hier aber liegt wohl eine Grotte vor, doch ist sie mehr in Gestalt eines
Stollens ausgeführt. Er ist zwei Meter breit, doppelt so breit als wir die Gänge der
römischen Katakomben finden werden, und geht 20 m tief in den Berg, beiderseits
mit einigen großen Nischen zum Einstellen von Sarkophagen ausgestattet. Der Ein-
gangswand ist ein Vestibulum vorgebaut mit Nebenräumen, der Raum links enthält
einen Brunnen und Wassertrog, der rechts eine umlaufende Bank.1)
Die unterirdische Gruft ist der bei den römischen Katakomben weitaus vor-
herrschende, wir müssen sagen, fast ausschließlich angewendete Typus. Hier kann
man nicht aus dem Freien auf gleichem Boden in die Gruft eintreten, es bedarf eines
Schachtes oder einer Treppe, um von der Oberfläche in die Tiefe zu gelangen; Schachte
führten die Ägypter hinab, Treppen die Phönizier, die Etrusker, die römischen Christen.
Beispiel einer solchen Gruft aus früher Zeit ist die mit der Inschrift Ampliati im
Coem. Domitillae; in dem Inhaber, dem Namen nach einem Sklaven, vermutete de
Rossi den Ampliatus, welchen Paulus Rom. 16, 8 grüßen läßt, doch scheint die
Inschrift erst der Zeit Trajans anzugehören. Das Cubiculum war Familiengruft, wie
die unterhalb der ersteren Inschrift von dem Freigelassenen Aurelius Ampliatus seiner
Frau Aurelia Bonifatia im dritten Jahrhundert gesetzte Grabschrift ergibt. Die Gruft
war ursprünglich für Sarkophage bestimmt, später wurden Wandgräber darin angebracht.
Sie ist eine der Einzelgrüfte, aus deren Erweiterungen und endlichem Zusammenschluß
das Cömeterium der Domitilla erwuchs.'2)
Die vorstehend aufgeführten Cubicula waren ursprünglich wohl alle Familien-
grüfte von der Art, wie sie als Keimzellen und Ausgangspunkte für die Bildung der
Katakomben dienten. Aber auch später, in den schon bestehenden unterirdischen
Cömeterien, blieb das Cubiculum ein Vorzugsraum. So wurde Januarius, einer der
Söhne der an der Via Salaria nova bestatteten Felicitas, im Coem. Praetextati beige-
setzt; die Gruft ist durch Graffiti und eine damasianische Inschrift beglaubigt. Das
Martyrium der Familie fand unter Marc Aurel statt, und die ganz ausgemauerte
Crypta Januari (auch Crypta quadrata genannt) zeigt den Stil der Antoninenzeit,
nämlich der Backsteinbauten nahe der Appia, beiderseits über der Caffarella, des
Tempio del dio redicolo und von San Urbano hüben und der Grabbauten an der Via
Latina drüben; es hat nämlich an der Front gelbe Wände, rote Pilaster und Terra-
cottagesims. Das Innere ist quadratisch, mit vier Kappen überwölbt, in jeder Wand
wurde eine Nische ausgespart und rundbogig übermauert; von den drei Sarkophagen
sind Bruchstücke geblieben.8)
*) Neapel: Schultze, Katakomben von S. Gennaro Taf. 1.
Domitilla: Bull, crist. 1865, 35 Plan. Kraus, Roma sott. 78 Fig. 8 Ansicht der Vorbauten,
(de Rossi) Roma sott. IV wird Genaueres bringen.
2) Ampliatus: Bull, crist. 1880, 171. 1881, 57. Armellini 456. Marucchi 118. Leclerq
bei Cabrol, Dict. d'arch. chre*t. fasc. 6 1904 Art. Ampliatus.
3) Crypta Januarii: Bull, crist. 1863, 1. 1866, 16. Armellini 402. Marucchi 202.
Die Grüfte.. 107
Architektonische Ausbildung der Kammer ist selten. Abgesehen von Nachbildung
des Kreuzgewölbes im Schnitt der Decke sind nur die Säulen zu nennen, die in
einigen späteren Kammern aus dem gewachsenen Fels geschnitten wurden; in den
Einzelkammern pflegen sie in den Ecken zu stehen oder auch ein bedeutenderes
Nischengrab zu flankieren.1)
Noch seien zwei Kammern des Coem. Callisti genannt. Aus dem dritten Jahr-
hundert eine mit lauter schlichten Wandgräbern, darin aber ruhen die römischen
Bischöfe dieser Zeit (es ist die sog. Papstgruft). Aus dem Anfang des vierten das
Cubiculum Oceani, dessen Bezeichnung der Deckenmalerei entnommen, dessen Inhaber
aber unbekannt ist; er muß vornehm oder reich gewesen sein, denn die Kammer hat
in seiner ersten Anlage nur ein Wandgrab im Fond erhalten (die sonst vorhandenen
sind sekundär). Unsere Farbtafel IL8)
Eine Sonderart von Kammern ist in den römischen Katakomben durch ein paar
Beispiele vertreten, im frühesten Teil des Coem. Domitillae und im Coem. Agnetis.
Durch einen kleinen, höher in der Wand gelegenen, verschließbaren Eingang kommt
man in einen backofenartigen Raum mit einem Wandnischengrab und einer Steinbank
davor. De Rossi dachte bei Besprechung des ersteren Beispiels, es sei hier das Grab
des Jesus nachgebildet, wie die Evangelien es voraussetzen. Markus spricht von einer
aus dem anstehenden Fels gehauenen Gruft, dessen auf gleichem Boden zu betretender
Eingang mittels einer vorgesetzten hohen Steintafel verschlossen werden konnte. Bei
Matthäus kommen einige nähere Bestimmungen hinzu: das Grab ist neu, Joseph von
Arimathia hat es für sich selbst aus dem Felsen brechen lassen. Lukas betont die
Neuheit und Unbenutztheit des Grabes. Johannes sagt, es habe in einem Garten bei
der Kreuzigungsstätte gelegen; im folgenden scheint er vorauszusetzen, daß man nur
gebückt hineinkommen konnte. Also ein künstlich hergestelltes Grottengrab, im Typus
des oben erwähnten Grabes Abrahams zu Hebron, eventuell im hellenistisch-römischen
Stil der ersten Kaiserzeit ausgebildet; der Körper wurde einfach auf den Boden oder
auf eine Felsbank niedergelegt, weder ein Sarg noch irgend ein besonderer Leichen-
behälter, sei es in der Wand oder im Fußboden, verträgt sich mit der zugrunde
liegenden Vorstellung von der Auferstehung. Nun lag ja für Christen die Idee nahe
genug, sich ihr Grab ähnlich bauen zu lassen, wie sie sich das Grab des Christus
dachten, des Erstlings der Auferstehung, auf die auch sie hofften; möglich, daß auch
die Erbauer der zwei in Rede stehenden römischen Grüfte unter dem Einflüsse ähn-
licher Gedanken standen. Nur darf man die Unterschiede zwischen dem Grab Christi
und den zwei römischen Grüften nicht übersehen: dort wurde der Leichnam auf den
Boden niedergelegt, während er hier ein Wandgrab vorfindet. Noch weniger geht es
an, den gewöhnlichen Typus der Katakombenkammern durch die zwei Exemplare der
besprochenen Sonderart von dem Grab Christi abzuleiten. Da wachsen die Differenzen
weit über die Analogien hinaus.3)
1) Säulen: Marchi, Architettura Tai 19. 22. 27. 23. de Rossi, Roma sott. III Taf. 9.
2) Bischofsgruft: de Rossi, Roma sott. II Taf. 1—3. Armellini 366. Marucchi 138. Wir
bringen Abbildungen gelegentlich des Märtyrerkultus.
Cub. Oceani: de Rossi, Roma sott. II Tf. 27. 28.
8) Christusgrab: Mk. 15, 46. Mt. 27, 60. Lk. 23, 53. Job. 19, 41. Domitilla: de Rossi,
Bull, crist. 1865, 38. Agnes: Armellini, Cimitero di S. Agnese 87 Taf. 1.
,108 Bau der Katakomben.
Besondere Aufmerksamkeit erheischen die Doppel kam mern, davon wir bereits
oben in Neapel Beispiele trafen. Zwei Kammern liegen verbunden hintereinander;
die Verbindung besteht meist in einem türartigen Durchgang, bisweilen aber auch in
einer breiteren Wandöffnung. Sonst werden die Cubicula gern auch so angeordnet,
daß sich zwei gegenüber liegen, zu beiden Seiten des Ganges; wenn dann jedes wieder
verdoppelt wird, so kommen im ganzen vier Räume in einer Flucht zu liegen. Als
Beispiel der gewöhnlichen Doppelkammer seien aus dem zweiten Jahrhundert die
Cubicula XY im Coem. Lucinae genannt; zahlreiche Kammern in verschiedenen
Gruppierungsweisen findet man auf de Rossis Plan von San Callisto.1)
Wir müssen sofort fragen, ob schon der vorchristliche Grabbau Doppelkammern
kannte. Die Frage ist zu bejahen, Beispiele finden sich in allen Gebieten mit Kammer-
bestattung; bisweilen treten noch seitliche Anschlüsse hinzu, so daß ganze Kammer-
gruppen entstehen. Man hat sich zu denken, daß eine überfüllte Familiengruft mittels
hinten und seitlich angeschlossener Kammern erweitert wurde; in anderen Fällen hat
auch schon die erste Anlage für weitergehende Raumbedürfnisse Vorsorge getroffen.
Ein Kammersystem von besonderem Interesse aus dem zweiten Jahrhundert hat
Wilpert neu veröffentlicht, die Cappella greca im Coem. Priscillae; sie hat den
Namen von zwei in ihr gefundenen griechischen Inschriften. Kommt man die Treppe
herunter, so betritt man zuerst einen querliegenden Saal, von Wilpert als Atrium
bezeichnet; er mißt 13 zu 33/4 m und ist von fünf antiken Kreuzgewölben gedeckt.
Die Wandkompartimente öffnen sich teils in Nischen mit eingemauerten Leichen-
behältern, teils in kleine Kammern; eine (F) hat drei Sargnischen, A ist unsere
Cappella greca, zwei Kammern hintereinander, in ganzer Breite gegeneinander geöffnet,
nur durch einen Gurtbogen auf Wandpfeilern geschieden, beide Kammern zusammen
ein gegliederter, doch einheitlicher Raum. In den drei Wänden der hinteren Abteilung
sind Nischen angebracht, die wie kleine Apsiden bilden und von Wilpert so aufgefaßt
werden. Jedenfalls aber haben wir es da mit Nischengräbern zu tun, sei es, daß, wie
de Rossi sagt, Sarkophage in den Nischen aufgestellt waren oder daß, wie Wilpert
vorzieht, Troggräber im Boden der Nischen sich befanden; in der Fondnische glaubt
er ein Kindergrab konstatieren zu müssen. Die Wände der vorderen Abteilung blieben
ohne Gräber, dafür sind solche in und an die Erde gelegt, zwei in den Fußboden
längs der rechten Wand der Gruft, zwei Doppelgräber längs der linken; da liegen je
zwei Leichen übereinander, die obere auf der Deckplatte des unteren Behälters, wie
denn alle Behälter mit Marmortafeln abgedeckt sind. Die geschlossenen Doppelsärge
bilden eine Art Wandbank, die auch vor der mittleren Apsis hergeführt ist. Ver-
wandte Denkmäler, aber aus dem dritten Jahrhundert, bietet das Coem. Ostrianum
(bei Marchi Coem. Agnetis). Das bedeutendste ist eine Flucht von fünf Kammern,
die zu beiden Seiten des Ganges so verteilt sind, daß auf der einen zwei, auf der
anderen drei Cubicula liegen. Jede dieser zwei Gruppen von Kämmerchen ist wieder
durch Offnungen der Trennungswände in einen einheitlichen Gruftraum verwandelt;
nur Wandpfeiler blieben stehen, in welche Nischen eingehauen sind, wohl für Lampen;
an anderen Stellen hat man die Wandpfeilei' zu Dreiviertelsäulen gestaltet, wie der-
gleichen Grabarchitektur in den späteren Katakomben vereinzelt auch sonst vorkommt.
J) XY: de Rossi, Roma sott. I Taf. 14 und 9. Plan: eb. II Taf. 59, kleiner wiederholt bei
Kraus, Roma sott.
Die Grüfte. 109
Gräber liegen in allen Wänden, außerdem läuft in der innersten Kammer der drei-
teiligen Gruft wieder eine Wandbank herum, darin Kinder bestattet waren. In der
Mitte der Rückwand aber steht in der Bank ein aus dem Tuff geschnittener Sessel.
Ähnliche Bänke und Sessel kommen in dieser Katakombe mehr vor, gleich in der
Nähe in der Crypta Emerentianae ein Tuffsessel an der linken Seiten wand vor dem
Grab der Heiligen, falls er nicht, was doch am nächsten liegt, zu dem Wandgrab
gehört, an dem er steht. In einer anderen Kammer stehen zwei „Sessel" vor den
Wandgräbern beiderseits der Tür, „Bänke" an den Seiten wänden.1)
Die Tatsachen festgeteilt, fragen wir wieder nach heidnischen Analogien, nach
Analogien also für Bänke und Sessel in Grabkammern und für ihre sepulkrale
Verwendung.
Die Leichen wurden in den Grabkammern niedergelegt, zunächst zur ewigen
Rühe; in diese Vorstellung aber drängte sich die andere von bacchischer Seligkeit
auch im Jenseits, es entstand ein Gelage der Toten. Die Leichen also wurden nieder-
gelegt, auf den Boden, doch auf irgend einer Unterlage; hernach kam es auch vor,
daß man sie auf ihr Ruhebett aufgebahrt hinausfuhr und daß man das Bett mit der
Leiche so in die Gruft setzte. Solche Klinen haben sich gefunden, ein Bronzebett im
Grab Regulini-Galassi bei Caere, ein Holzbett mit Bronzefüßen in Civitella d'Arna bei
Perusia. Wir müssen aber fragen, ob nicht bisweilen der Tote in sitzender Haltung
auf dem Sessel, der dem Lebenden gedient hatte, in der Gruft deponiert wurde.
Ähnlich heißt es von Karl dem Großen, er sei thronend bestattet worden; und noch
heute werden in Griechenland die Bischöfe sitzend auf ihrer Kathedra, die dann als
Sella gestatoria dient, zum Grabe getragen. Vorkommende Sessel denken sich einige
Gelehrte als Ehrensitze für die Seelen der bestatteten Personen hingestellt; und man
wird dies als zutreffend ansehen dürfen, wo der Sessel auf das Grab gestellt ist (in
Tanagra scheint es Brauch gewesen zu sein). Aber die Sessel innerhalb der Grüfte
können auch anders gedeutet werden, und die gleich zu erwähnenden etruskischen
Sessel mit Aschenurnen fordern den Gedanken, daß einst Leichen sitzend bestattet
worden seien, geradezu heraus. Für solche und ähnliche Bräuche fehlt es auch nicht
an Zeugnissen. In Rom wurde bei feierlichen Begräbnissen die effigies des Toten
auf dem Sarge stehend mitgeführt; sollte dem nicht ein vorzeitlich barbarischer
Brauch zugrunde gelegen haben, demzufolge die Leiche selbst aufrecht zu Grabe
gebracht wurde?
War die Leichenverbrennung eingebürgert, so konnte der Verstorbene selbst
nicht mehr auf den Sessel gesetzt werden, sondern nur die Aschenurne; und
man gestaltete das Ossuar zu einer Art Bild des Verstorbenen, der nun doch auf
dem Sessel zu sitzen schien. In etruskischen Grabkammern fanden sich bronzene
Aschengefäße mit angesetzten Gliedern, dem Kopf und manchmal auch den Armen,
so auf Sessel gestellt (Aus diesen anthropoiden Ossuaren ist nach Milanis Hypothese
J) Cappella greca: Wilpert, Fractio panis 1895. Dazu Liell, Fractio panis oder coena coelestis?
1903, 18 ff.
Ostrianum, fünf Kammern: Marchi, Mon. Taf. 35. Marucchi 337 Plan.
Emerentiana: Marucchi 338 Abb.
Sessel an Tür: Kraus, Roma sott. 37 Fig. 6.
HO Bau der Katakomben.
die römische Büste entstanden, deren Charakteristisches, im Unterschied von der
griechiechen Herme, in dem Aufbringen des Kopfes auf einem Yasenfuß be-
steht).1)
Wenn auch ursprünglich das im Leben benutzte Ruhebett dem Verstorbenen ins
Grab folgte, so traten nachgehends doch, wie für die übrige Ausstattung, eigens für
das Grab fabrizierte Surrogate an die Stelle. Ganz entgegengesetzt ging eine andere
Tendenz, nämlich auf monumentale Ausführung: Holz und Metall wurden vertreten
durch Stein. Aus Steintafeln zusammengesetzte Betten fanden sich in ,Vetulonia.
Von marmornen Betten haben sich Kopfbretter erhalten, eines ist im neuen kapito-
linischen Museum, ein anderes im etruskischen Zentralmuseum in Florenz. Beide
Kopfbretter sollten in architektonischem Rahmen Figuren zeigen, die aber am römischen
Exemplar nicht ausgeführt sind; am Florentiner Kopfbrett sieht man in der Mitte
Silvan zwischen jonischen Säulen unter Giebel, links einen Satyr, rechts einen Pan, je
zwischen korinthischen Säulen, die auf dreiteiligem Kämpfer (Gebälkausschnitt) einen
Flachbogen tragen. Schreiber hat den römischen Marmor als Bettlehne erkannt,
Petersen zweifelt nur, ob diese Marmorbetten für Lebende bestimmt seien, etwa
Sommers zu benutzen, oder für das Grab. Letzteres ist wahrscheinlicher. Gehören
die Marmorbetten erst der Kaiserzeit an, so kam es schon viel früher vor, daß Klinen
und Sessel direkt aus dem Tuff geschnitten wurden, die Klinen oder Bänke, um
unverbrannte Leichen darauf zu legen, die Sessel zum Aufstellen der Aschenurnen.
Beispiele finden sich in Etrurien, zu Cerveteri und sonst.2)
Nun aber bleibt die Frage nach Bänken und Sesseln als Leichen- und Aschen-
behältern; auch dies hat es in heidnischen Grüften gegeben. Grabkammern bei Eretria
aus dem vierten Jahrhundert bieten Belege. In einer solchen Kammer steht vor der
Mitte der Rückwand ein Marmorthron, und zu beiden Seiten stehen Ruhebetten von
Marmor. Alle sind ausgehöhlt und bargen die Reste verbrannter Leichen nebst Bei-
gaben; die Deckel waren bei den Klinen in Form und Farbe von Matrazen und
Decken, beim Thron in solcher des Sitzkissens. Ahnliche Aschenbehälter fanden
französische Forscher in Makedonien. Schließlich wollen in diesem Zusammenhang
auch die in Grabkammern aufgestellten Sarkophage in Klinenform erwähnt sein.
Etruskische Exemplare früherer und späterer Zeit verbinden hiermit eine künstlerische
Reminiszenz an das Bestatten des Toten auf seinem Ruhebett, weiterhin auch eine
Vergegenwärtigung des Gelages der Seligen: die lebensfrohen Etrusker ließen sich als
Deckelfiguren des Sarkophags plastisch abbilden, wie gelagert auf der Kline, die Trink-
schale in der Hand, in naturgetreuer und farbiger Darstellung (die jüngeren Exemplare
halten an dem Klinentypus des Behälters nicht mehr streng fest). Der Gelagtypus
x) Caere: Museo Gregor. I Taf. 15, 8. 9.
Perugia: Notizie d. seavi 1887, 86. Vgl. Martha, l'art £trusque 200. Vgl. auch die
Dipylonvase mit der Ekphora. Mon. d. Iust. IX 39. — Sitzend bestattete Leichen: hierzu vgl.
u. a. Brandenburg, Bayr. Ak. Abt. XXIII III 688 betreffend phrygische Grabsessel. — Seelensitze:
Vollmöller, Griech. Kammergräber mit Totenbetten 1901 S. 48. 57.
Kopfvasen auf Sesseln: Milani, Museo ital. di antich. class. I. Martha 201.
2) Vetulonia: Petersen, Böm. Mitteilungen 1891, 232.
Kapitol: Schreiber, Brunnenreliefs Grimani 1888, 13.
Florenz: Wissowa, Rom. Mitt. 1886, 161 Taf. 8. Vgl. Petersen, eb. 1892, 44-46. Cer-
veteri, tomba delle sedie: Mon. d. inst. II 19. Martha, l'art ötrusque 200 Fig. 156.
Die Grüfte. 111
ging bei den Etruskern von den Sarkophagen auch auf die kleinen steinernen Aschen-
kisten über, taucht auch an römischen Sarkophagen wieder auf. — Auch kommt das
etruskische Steinbild einer auf einem Stuhl sitzenden Frau vor; der massive Stuhl
enthielt ihre Asche. Spätlinge des ganzen Typus sind die Steinbilder der gelagerten
Männer und der sitzenden Frau in der Volumniergruft zu Perugia (neuere Ausläufer
sind Grabmonumente wie die der Medizeer zu Florenz). Seitdem die Männer gelernt
hatten, Schmaus und Trunk auf dem Ruhebett gelagert zu üben, während die Frauen
bei der älteren Sitte blieben und saßen, scheint der Sessel im Grabe den Frauen
vorbehalten; auch die Throne in der Gruft bei Eretria gehören ihren Inschriften zufolge
Frauen.1)
Es macht bei dem ganzen Brauch offenbar keinen wesentlichen Unterschied, ob
Klinen und Sessel aus dem Hausgebrauch dem Verstorbenen zur Ruhestätte ins Grab
mitgegeben werden oder ob sie in Stein nachgebildet oder endlich aus dem gewachsenen
Gestein geschnitten sind. All das ergibt nur verschiedene Ausführungsarten desselben
Typus, ebenso wie die Schwankungen, im Auf- und Einlegen der Leiche, im Beisetzen
der unverbrannten Leiche oder der Asche nur Spielarten einer und derselben Sitte
sind. Es käme auch gar nicht darauf an, daß genau die von den Christen angewendete
Spielart (wie das bankbildende Troggrab) im Bereich des heidnischen Gräberkultus
sich nachweisen ließe, sondern darauf, daß die christliche Weise sich überhaupt im
antiken Geleise bewegt. Und das ist der Fall.
Die Bänke in den Katakomben sind Leichenbehälter; daneben konnten sie als
Ruhesitze für die Besucher der Gruft dienen, vorzüglich für die Hinterbliebenen, wie
noch heute an vielen Gräbern Ruhebänke aufgestellt werden, für die Angehörigen,
wenn sie an den Gräbern ihrer Lieben verweilen. Dafür dienten auch die Sessel,
schwerlich für die Seelen, sicher nicht für die Leichen; denn Sessel wie beim Grab der
Emerentiana und wie in der Fünfkammerflucht sind zu schmal, um ganze Leichen bergen
zu können, für Aschenbehälter oder Urnenträger aber hatten die Christen keine Ver-
wendung. Dennoch haben sie, freilich nur vereinzelt, Sessel angeordnet, die uns nun wie
eine wenn auch unbewußte Reminiszenz an den Urbrauch anmuten, den Toten aufrecht
hinzusetzen mit dem Anstand, den er hatte, als er's Licht noch sah.
Damit wäre der sepulkrale Tatbestand erklärt, aus Gesichtspunkten der Sepul-
kralarchäologie; der archäologische Tatbestand stellt uns soweit vor keine weitere
Frage. Eine solche ist aber gestellt worden aus Gesichtspunkten sagen wir der
Sakralaltertümer. Marchi hat die Hypothese aufgestellt, jene Zwillings- und Drillings-
kammern seien Versammlungsräume gewesen, teils für Katechese und Beichte, teils für
Kultus, mithin hätten wir hier Katakombenkirchen für den regelmäßigen Gemeinde-
gottesdienst anzuerkennen. Hauptgrundlage der Hypothese ist die erwähnte Fünf-
kammerflucht im Coem. maius (n. a. Ostrianum oder Agnetis). Das innerste Cubiculum
der Dreikammergruft erklärt Marchi für das Presbyterium; der aus dem Tuff ge-
*) Eretria: Kuruniotis, Ephimeris archaeolog. 1899, 221 Taf. 11. 12. Vollmöller, Athen.
Mitteilungen 1901, 332 Taf. 13-17.
Sarkophage: Vollmöller, Griech. Kammergräber 1901. Altmann, Architektur und Orna-
mentik der antiken Sarkophage 1902, 31. Ältere: Murray, Terracotta sarc. Taf. 9—11. Mon. d.
Inst. VI Taf. 54. Lincei Mon. VII Taf. 13. Jüngere Deckelfiguren aus Chiusi: Mon. d. Inst.
VI Taf. 60; XI Taf. 1. Ant. Denkm. I Taf 20. — Thronende Frau: Martha, l'art e"trusque 337
Fig. 332. Volumnia: Conestabile, Sepolcro dei Volumni. Martha 352.
112 Bau der Katakomben.
schnittene Sessel sei der Bischofsstuhl, die umlaufende Bank habe den assistierenden
Klerikern gedient, ein tragbarer Altar sei in der Mitte des Hufeisens aufgestellt
worden. Die zwei vorderen Cubicula, das Schiff der Kirche, durch das eine Wand-
säulenpaar vom Presbyterium gesondert, wies er den Männern zu, die gegenüberliegende
Zweikammergruft den Frauen; er zog sogar zwei benachbarte, sich wieder gegenüber-
liegende Kammern am selben Gang heran und sah in ihnen eine Art Vestibül der
Kirche. Eine zweite „ Katakombenkirche ", an der Salita del Cocomero, erschien wichtig
wegen ihres halbkreisförmigen Abschlusses als der Apsis.1)
Die Hypothese hat viel Anklang gefunden und galt eine Zeitlang als gesichertes
Wissen. Und man glaubte in den Katakombenkirchen des dritten Jahrhunderts die
unmittelbaren Vorgänger und Keime der Basiliken des vierten gefunden zu haben.
Franz Xaver Kraus sagte in seiner Realencyklopädie I 1882, 116, es sei „als fest-
gestellt anzusehen, daß in den Krypten der Katakomben im ersten und zweiten Jahr-
hundert nur ausnahmsweise Synaxen stattfanden, häufiger aber im dritten Jahrhundert
in der Zeit der Verfolgungen; im vierten Jahrhundert hat die Feier der heiligen
Geheimnisse in sepulcris nur den Charakter der missa privata." Sein Endurteil for-
muliert er in der Geschichte der christlichen Kunst I 1896, 260f.: „Gewiß begegnen
uns in diesen Kulträumen der Katakomben Elemente, welche auch in der späteren
Basilika wiederkehren; so die Stellung des Altars in einem Ausbau (Exedra), welcher
in dem zweiten der uns hier beschäftigenden Fälle halbkreisförmig ist; weiter die Ab-
trennung des Klerus vom Volk und allem Anschein nach auch die Trennung der
Geschlechter. Aber all dies reicht nicht hin, um einen direkten Zusammenhang mit
der Basilika herzustellen." Kraus lehnt also den Ursprung der Basilika aus der
Katakombenkirche ab und lehnt auch regelmäßigen Gemeindegottesdienst in ihr ab,
schon deshalb, weil die Räume hierzu viel zu beschränkt waren (eine Kammer ist
insgemein zwei Meter lang und breit); wohl aber nimmt er als zweifellos an, daß der
eucharistische Ritus von Zeit zu Zeit über den Gebeinen hervorragender Märtyrer hier
gefeiert wurde; es seien Kapellen, geschaffen für den Märtyrerkult durch Verbindung
mehrerer Gemächer; Bischofstuhl und Klerikerbank scheint er anzuerkennen. Nikolaus
Müller, ähnlich Kraus, lehnt den Kirchencharakter und jeden Gebrauch der Kammern
für die Gemeinde ab und glaubt nur die private Totenfeier dort abgehalten; hierfür
seien die steinernen Sessel und Bänke bestimmt gewesen, im übrigen war das nötige
Mobiliar von Holz und beweglich (Koimeterien 836. 877 Be). Waren heidnische
Grüfte als Triklinien der Toten eingerichtet, so wären die christlichen Grabkammern
Speisezimmer der Lebenden geworden für die Leichenschmäuse zu Ehren der Ver-
storbenen und zur mystischen Vereinigung mit ihnen und dem Christus im Ritus der
Eucharistie — all dies bliebe im Rahmen der Antike.
Was nun Marchis Hypothese betrifft, so kann es ja bestechen, wenn der Sessel
im Fond an der Stelle steht, wo wir später in den Basiliken den Bischofsstuhl in der
Tat finden; aber dies trifft nur für die eine Fünf kammerflucht zu, in der Crypta
Emerentianae steht der Sessel bei einem Wandgrab der Längswand; und in einer
anderen Kammer fanden wir zwei Tuffsessel und zwar beiderseits der Eingangstür.
An der Tür und den Längswänden aber läuft die Bank in der sogenannten Miltiades-
gruft (Coem. Callisti, Area IIa8), die von de Rossi nun nicht als Katakombenkirche
*) Mar chi, Architettura 130 Taf. 17. 25; 182 Tai. 35. 36.
Die Grüfte. 113
angesprochen wird. Bestechen könnte auch den einen oder anderen, daß Marchi eine
tragbare Mensa annimmt; es muß aber bemerkt werden, daß die Hypothese in Wider-
spruch steht mit der anderen, derzufolge in den Katakomben die Eucharistie auf der
Deckplatte der Wandtroggräber gefeiert worden sei. Marchi war genötigt, statt dessen
den Tragaltar anzunehmen, weil nämlich der Tuffsessel gerade vor dem zentralen
Wandgrab steht, mithin die rituale Benutzung seiner Deckplatte unmöglich macht.
Wir sahen, daß in den „ Katakombenkirchen " kein Element vorliegt, das nicht in dem
Charakter des Raumes als einer Gruft seine Erklärung fände. Wir brauchen darum
eine rituale Benutzung nicht ganz auszuschließen; sie kann aber nur eine sekundäre
gewesen sein, hat daher weder auf die bauliche Gestaltung noch auf ihre erste
künstlerische Ausstattung Einfluß üben können. Um so weniger haben wir Ursache,
hier auf die sakralgeschichtliche Frage nach den in den Krypten vollzogenen Riten
einzugehen (vgl. hierzu Müller, Koimeterien 831 ff.).
Ein so wichtiger Bestandteil die Kammern auch waren, so beruht doch auf ihnen
weder die Eigenart noch die breite Entfaltung der Katakomben; vielmehr beruht dies
beides auf den Galerien, gelegentlich Krypten genannt, nach klassischem Gebrauch
(z. B. in Pompeji, im Gebäude der Eumachia, ist ein geschlossener Gang inschriftlich
so bezeichnet). Es sind dies mehr oder minder lange unterirdische Gänge, die zu den
Gräbern führen; durch diese Galerien wurden die Toten zu ihren Ruhestätten ge-
bracht, durch sie gelangten die hinterbliebenen Angehörigen, Freunde und Verehrer
zu den Gräbern ihrer Entschlafenen. Außerdem aber dienten die Gänge, um mehr
Plätze für Leichen zu schaffen; in den hohen Wandflächen konnten mehrere Gräber
übereinander angebracht werden, und mit der Länge des Ganges wuchs der belegbare
Raum.
Den Galerien genau entsprechende Analogien aus der vorchristlichen Baukunst
gibt es nicht. Dürfen wir hier einmal von einer originalen Schöpfung der christlichen
Kunst reden? Fragt man bloß nach der technischen Form des unterirdischen Ganges,
so hat es dergleichen schon längst gegeben, z. B. die Wasserleitung des Königs Hiskia
zu Jerusalem; oder die andere Wasserzuführung, welche die Stadt Samos versorgte,
der Techniker Eupalinos legte sie an, im sechsten Jahrhundert vor Christus; ein
Tunnel führt sie durch den Bergzug im Rücken der Stadt. Unterirdische Gänge aber
von sepulkralem Charakter, die zu Grabkammern führen, gab es bereits in viel früherer
Zeit; solche führten beim ägyptischen Theben in das Innere des in Pyramidenform
gipfelnden Bergs zu den Gräbern der Pharaonen, welche die Griechen Syringen nannten.
Das sind bloß Vorläufer der christlichen Galerien gewesen, nicht ihre unmittelbaren
Vorbilder; und es fehlen ihnen die Gräber in den Wänden, die Gänge selbst waren
auch viel stattlicher gestaltet, als die so schlichten Galerien der Katakomben. Diese
mit Wandgräbern besetzten unterirdischen Gänge sind etwas Neues gewesen, etwas
spezifisch Christliches. Der technische Ausdruck für einen unterirdischen Gang war
griechisch KQvml] {ödög), latinisiert crypta, unser Gruft, lateinisch euniculus. Crypta
ist jeder unterirdische (oder oberirdische ähnlich geschlossene) Raum, ursprünglich wohl
ein gangartiger, ein Tunnel (z. B. durch die Umwallung des Stadiums zu Olympia,
durch den Posilipp bei Neapel), dann aber auch ein Keller, ein gewölbter Raum unter
den Sitzen des Circus, eine Kloake; ferner eine Gruft, endlich ein unterirdisches
Kultlokal, wie sie im Mithrasdienst üblich waren. Im christlichen Sprachgebrauch
wurde Crypta nicht bloß, wie Marchi meinte, für größere Grabkammern gebraucht,
Sybel, Christliche Autike I. 8
114 BftU der Katakomben.
sondern auch, nach Michele de Rossis Nachweis, für Gänge und synonym für Kata-
kombe.1)
Wir wollen nun sehen, wie aus Kammern und Gängen das System der Kata-
komben erwuchs. Wir werfen zuerst einen Blick in die Katakomben von Neapel,
deren Vorhallen wir bereits kennen. In Fortführung des mit ihnen Begonnenen trieb
man einen fünf Meter breiten Gang in den Berg; in der ersten Katakombe ist er
90 Meter lang, ein schmälerer Nebengang läuft parallel. Quer liegen viele Cubicula
an, die zum Teil sich wieder gangartig erstrecken; die am weitesten seitlich sich ent-
wickeln, fallen auf durch ihre netzartige Ausbreitung, sowie durch ihre Schmalheit
(die schmälsten sind nur etwa einen Meter breit) und ihre dichte Besetzung mit Wand-
gräbern.2)
Nun Rom. Zum Verständnis des Systems der römischen Katakomben hat
Stefano Michele de Rossi wichtige Grundlagen gelegt. Die Anordnung der Kata-
komben ist mitbedingt durch die Verhältnisse des Grundbesitzes. Wurde eine Be-
gräbnisstätte innerhalb eines weitausgedehnten Grundeigentums angelegt, wie ein
solches beispielsweise die Praedia Amarantiana gewesen zu sein scheinen, so konnte sich
auch das Cömeterium ungehemmt ausbreiten. Anders bei parzelliertem Boden; da war
der Eigentümer nach allen Seiten beengt. Hatten die Gänge des unterirdischen
Cömeteriums die Grenzen des Grundstückes erreicht, so ließ sich weiterer Raum
dadurch gewinnen, daß man in größere Tiefe hinabstieg und ein zweites, nach Bedarf
auch ein drittes Geschoß anlegte. Daneben blieb noch der Weg offen, das Niveau
der Kammern und Gänge um ein paar Meter tiefer zu legen, wodurch dann mehr
Wandfläche zum Einlegen von Gräbern geschaffen wurde. Solche Nacharbeiten lassen
sich an den Monumenten erkennen; Michele Stefano de Rossi hat mit unermüdlichem
Spürsinn die Kriterien festgestellt und erprobt. Es ist lehrreich, an der Hand seiner
Analyse die Entstehung und spätere Entwicklung eines Katakombenkomplexes zu ver-
folgen; seine Arbeit bezog sich vor allem auf die Erstlingsentdeckungen seines Bruders,
das Coem. Lucinae mit der historischen Krypte des Bischofs Cornelius und das
größere Coem. Callisti, mit welchem jenes schließlich verschmolzen wurde.3)
Den Keimpunkt, oder die Wiege des Coem. Lucinae bildet eine ursprünglich
vielleicht heidnische Grabanlage rechts an der Via Appia. Das Monument, heute eine
von zwei Zypressen beschattete Ruine, steht in der Reihe der die Appia weithinaus
») Hiskia: Kon. II 18, 17. 20, 20. Sirach 48, 17 (Kautzsch, Apokryphen 1900, 464). —
Eupalinos: Fabricius, Ath. Mitt. 1884, 163. — Syringen: Prisse d'Avennes, Hist. de l'art
egyptien I Taf . 8. — Crypta: M. de Eossi, Eoma sott. I, Analisi 23; noch schärfer, gegen Marchi,
G. B. de Eossi, eb. III 424. Müller, Koimeterien 863. Mau bei Pauly-Wissowa, Eealencykl. IV
1732. Inschrift in Priscilla: crypta undecima, pila secunda, Eöm. Quart. 1904, 46.
") Neapel: Schultze, San Gennaro Taf. 8. 9 Pläne.
3) Coem. Lucinae: Michele Stefano de Eossi, Analisi (am Ende von G. B. de Eossi, Eoma
sott. I) Seite 53 ff. Taf. 32—40. Taf. 32, 3 zeigt den Plan der Lucinakatakombe in der ersten
Bauperiode, Taf. 32, 2 den Längsschnitt des Gangs B mit den Kammern C und E, Taf. 34 einen
geologischen Schnitt, Taf. 35—40 den Gesamtplan von Callist und Lucina, das Hauptgeschoß beider
Katakomben in Kreuzschraffierung, das Obergeschoß von Callist rot. Band II Taf. 51 gibt in
Fig. 2 noch einen geologischen Schnitt, Band III Taf. 42—45 gibt denselben vermehrt, elf Grund-
stücke verschieden koloriert, die Wege des Hauptgeschosses (secondo piano) weiß, die des Ober-
geschosses (primo piano) schraffiert. — Zu den von M. St. de Eossi Analisi 54 ff. behandelten
Formae monumentorum in Florenz und Urbino hat Hülsen eine dritte in Perugia gefügt, Eöm.
Mitteilungen 1890, 46 Taf. 3.
Die Grüfte.
115
säumenden Mausoleen der Kaiserzeit. Unser Monument stand in geräumiger Area,
einst vielleicht von den üblichen Nebengebäuden begleitet, dem Triclinium funebre
und der Custodia monumenti. Die Area monumenti maß 100 Fuß an der Straße (in
fronte), vermutlich 50 in die Tiefe (in agro); dahinter noch ein angeschlossenes Grund-
stück (area adiecta) 180 Fuß tief. Das ganze Grundstück maß also 100 zu 230 Fuß.
Das angeschlossene Grundstück wurde vom Eigentümer oder der Eigentümerin für
Begräbnisse von Christen hergegeben oder von
ihnen selbst dazu verwendet. Ziemlich in der
Mitte der Area wurde eine Treppe Z in die Tiefe
geführt, die nach einer Wendung in einen wieder-
holt umbrechenden Gang mündet; an ihm liegt
erst die Doppelkammer XY und weiter ein anderes
Cubiculum duplex LL, welches nachgehends zum
Begräbnis des Bischof Cornelius hergerichtet wurde.
Eine zweite Treppe a führt zu einem tiefer-
gelegenen Geschoß hinab, das regelmäßig rost-
förmig geplant war. Seine zwei Längsgalerien gehen
genau an den Grenzen der Area hin; von beiden
Geschossen östlich vorstoßende Nebengänge laufen
bald im Tuff tot, in Entfernung von einigen
fünfzig Fuß von der Via Appia; daraus eben ist
zu schließen, daß hier die Grenze der dem christ-
lichen Cömeterium eingeräumten Area adiecta ihrem
weiteren Vordringen Halt gebot. In einer späteren
Bauperiode griff man zu dem Auskunftsmittel, die
Fußböden um 21/2 Meter tiefer zu legen; so ge-
schah es z. B. mit dem Gange B und der Kammer
C, die damit eine ungewöhnliche Höhe erhielten;
die nun hoch über dem neuen Fußboden schwe-
bende alte Tür der Kammer wurde vermauert.
Auf dem neuen Niveau setzte man dann die Aus-
grabung fort und höhlte die Kammer E aus, von
gewöhnlicher Höhe; der Umstand, daß sie auf
dem tieferen Niveau liegt, verrät ihren späteren
Ursprung. Die Kammer E überschreitet zugleich, und so tun es andre Anlagen, die
Grenze des Grundstücks, die mithin ihre Bedeutung verloren hatte. Endlich entsandte
das nahe Coemeterium Callisti die Ausläufer seines obersten Geschosses bis über das
erste Geschoß von Lucina und verband mit letzterem sein eigenes zweites und Haupt-
geschoß.
Scharfsinnig haben die Brüder de Rossi die Entwicklungsgeschichte der Kallist-
katakombe ermittelt und anschaulich sie dargelegt; neuerdings wurde von Wilpert
einiges berichtigt.1)
_J mA*v*
Hypogäum der Lucina.
Vorn die Via Appia, daran heidnisches
Mausoleum ; dahinter die Katakombe : aZL
erster Stock, bd zweiter Stock.
l) Coem. Callisti: de Rossi, Roma sott. II mit M. St. de Rossis Analisi geologica ed
architettonica im Anhang. Dazu Taf. 53. 59. Die Bauperioden der Area I auf Taf. 53 Fig. 3—6.
2; die drei Areen in Fig. 1; vgl. aber Wilpert, Rom. Quart. 1901, 50 Neue Studien zur Kailist-
katakombe.
116
Bau der Katakomben.
Das Cömeterium setzt sich in seiner größten Entfaltung aus einer Anzahl von
Grundstücken zusammen, die an zwei sich kreuzenden Verbindungsstraßen zwischen
Appia und Ardeatina lagen. Das Cömeterium der ersten Area, von wo die Ent-
wicklung ihren Ausgang nahm, entstand bereits im zweiten Jahrhundert; auch hier
handelt es sich um ein oblonges Grundstück, das aber mit einer Langseite an der
Straße liegt. Von der südlichen Schmalseite her wurden zwei Treppen A und B in
die Tiefe geführt. Die ganze Südhälfte des Areals
blieb für Kammern vorbehalten, zunächst entstand
das Cubiculum L2; die Nordhälfte nimmt wieder ein
rostförmiges Wegenetz ein. Wilpert zu folgen wurde
noch im zweiten Jahrhundert gegenüber L2 die
Doppclkammer L'O ausgebrochen, letztere wegen des
nahen ersten Querweges J aus der Hauptachse ver-
schoben; diese zwei Kammern wurden nun wichtige
historische Krypten. O gilt als Gruft der heiligen
Cäcilia, L1 ist die berühmte Gruft römischer
Bischöfe des dritten Jahrhunderts. An der Außen-
seite des östlichen Hauptwegs AA hatte man in-
zwischen, von Süden nach Norden fortschreitend, eine
Reihe kleinerer Kammern A1 bis Ac successiv aus-
*■ i H ' \ J I gehöhlt, die unter dem konventionellen Namen
" u| -/^^Ttfc-yv y"M Sakramentskapellen gehen.
Zur Erweiterung des Friedhofs wurde sodann,
im dritten Jahrhundert, jenseits der Straße, durch
den Gang S mit der ersten Area verbunden, eine
zweite aufgeschlossen. Ihr sehr breiter Hauptgang a,
ein Querweg, biegt sich um in der Richtung nach
dem Coem. Lucinae. An diesem Hauptgang zeichnet
sich in zentraler Lage eine Kammer a3 durch ihre
Größe und durch eine an drei Seiten umlaufende
marmorbelegte Bank aus; in der sekundär ver-
größerten Fondnische stand der größte aller existieren-
den altchristlichen Sarkophage, der giebelförmige
Deckel fand sich an Ort und Stelle. Aus topo-
graphischen Gründen glaubte de Rossi hier die
Gruft des Bischofs Miltiades (f 314) erkennen zu sollen.
Die zweite Area erhielt in nordwestlicher Richtung eine unmittelbare Fortsetzung
in Area III; an ihrem Hauptgang o liegt die inschriftlich bezeugte Gruft des 311
gestorbenen Bischofs Eusebius (o10). Dann überschritt man den an der Nordseite her-
laufenden ostwestlichen Verbindungsweg zwischen Appia und Ardeatina, um weitere
Grundstücke und unter ihnen Raum für neue Wegnetze zu erschließen, de Rossis
Arenarium Hippolyti, Regio Liberiana und Coem. Soteridis, die aber eben nur Er-
weiterungen der Kaliistkatakombe sind, übrigens von dem zwei- bis dreifachen Flächen-
gehalt als die ersten drei Areen.
Es sei noch bemerkt, daß das erste Geschoß etwa 7,50 Meter tief liegt, das
zweite 12 bis 13, das dritte 16 Meter. Wie nun in der Kailistkatakombe über dem
Coem. Callisti, erste Area.
Vierter Zustand. L1 Bischofsgruft.
A1 ß Sakramentskavjcllen.
Die Grüfte.
117
Coeni. Callisti, Area I: L1 Bischoi'sgruft, O Caecilia (?). A.1 " Sakramentskapellen. — Area II: a3 Miltiades (?)
d1 Oceanussrruft. — Area III: o Eusebius.
\\g Bau der Katakomben.
ursprünglichen Hauptgeschoß später noch ein Obergeschoß eingeschoben wurde, so hat
man gelegentlich noch Zwischengeschosse eingeschaltet, so daß dann wohl vier bis fünf
Geschosse gezählt werden.
In ähnlicher Weise, wenn auch nicht zu so großer Ausdehnung, haben sich auch
die übrigen römischen Katakomben entwickelt, in die Tiefe und in die Breite. So
legte sich der Gürtel des unterirdischen Roms um die Mauern der oberirdischen Stadt,
in der Hauptsache zwischen dem ersten und dritten Meilenstein. Die Weiträumigkeit
der Stadt macht es wahrscheinlich, was sich mehr und mehr zu bestätigen scheint,
daß die meisten Katakomben mit ihren Anfängen bis in die frühchristliche Zeit
zurückreichen.
Den alten Ritus des Begrabens, sagten wir, haben die Christen wieder auf-
genommen, gemäß dem Zug der Zeit, der auch die heidnischen Griechen und Römer
zum Beisetzen der unverbrannten Körper zurückführte. Doch liegt in der Anordnung
ihrer Ruhestätten etwas Eigenes; in dem einheitlichen System der Katakombe ist etwas
Neues, spezifisch Christliches, damit aber doch nicht aus dem Rahmen des Antiken
Heraustretendes anzuerkennen. In baulicher Beziehung liegt der Unterschied in dem
belegbaren Räume. Während in einer Kammer, wenn es hoch kam, kaum zehn
Leichen Platz fanden, gewöhnlich aber weniger, in einer Kammergruppe entsprechend
mehr, so gab es in einer Katakombe eine Mehrheit von Kammern und Kammer-
gruppen, dazu aber kamen die Gänge, deren Wandflächen noch völliger ausgenutzt
wurden als die der Kammern. Michele Stefano de Rossi hat für das Coem. Lucinae,
allerdings in dessen letztem Ausbau, eine Belegung mit 2000 Leichen berechnet.
Vorchristliches in genau gleicher Art gibt es nicht. Vorkommende heidnische
Massengräber sind doch verschieden; von vornherein ist hier abzusehen von den
Polyandrien auf den Schlachtfeldern, wie dem bei Marathon oder dem bei Chaeronea.
Auch von den Schachtgräbern auf dem Esquilin, den puticuli für die Proletarier; die
von Horaz betonte Gemeinsamkeit (hoc miserae plebi stabat commune sepulcrum
Sat. 1, 10) ist gerade nicht christlich. Ahnlich gab es bei den Juden Begräbnisstätten,
die der Gemeinde zustanden, für die geringen Leute, für die Verbrecher und für die
Fremden. Jojakim ließ den Uria hinrichten und auf den Leichenacker der geringen
Leute werfen (Jer. 26, 23), also um den vornehmen Mann zu erniedrigen. Dagegen
scheint Jes. 53, 9 ein Platz für Hingerichtete vorausgesetzt: „man gab (dem Knecht
Jahwes) bei den Gottlosen sein Grab und bei den Übeltätern, als er dahinstarb".
Matth. 26, 7 aber hören wir von einer Begräbnisstätte für Fremde. All das enthält
Elemente, die im christlichen Gemeindefriedhof wesentlich sind, dies Ganze aber ist
etwas Neues.
Die heidnischen Grüfte könnte man nach ihrer ursprünglichen Abzweckung eher
Einzelgräber nennen; denn wenn auch die Angehörigen des Eigentümers in der Gruft
Aufnahme fanden, so geschah es eben deshalb, weil sie ihm gehörten und er sie auch im
Tode um sich haben wollte. Tatsächlich aber wurden sie Familiengräber, die unter
Umständen viele Generationen derselben Familie aufnahmen. Anfangs mehr auf dem
Familienbesitz angelegt, bei städtischer Siedelung in oder am Hause, wurden sie bald
vor die Stadttore verwiesen, wo sie sich entweder an den Rändern der von der Stadt
ausstrahlenden Heerstraßen reihten, zu Athen vorzüglich vor dem Dipylon, zu Pompeji
vor dem Herkulanertor, zu Rom an der Appia, oder in besonderen, mehr oder
weniger entlegenen Nekropolen gruppierten, wie z. B. in Ägypten, Lykien, Etrurien.
Die Grüfte. 119
Nun aber ist wichtig festzuhalten, nur das einzelne Monument hatte sakralen Charakter,
nicht die Nekropole; sie war immer nur ein Aggregat von Familiengrabstätten, war
nicht ein geschlossener und einheitlich verwalteter Gemeindefriedhof. Dies letztere blieb
den Cömeterien der Christen vorbehalten: von Einzelkammern, von Familiengrüften
haben sie ihren Ausgang genommen, aber sie haben sich zu Gemeindefriedhöfen ent-
wickelt.
Der antike Familienvater erbaute die Gruft für sich und die Seinen, und zwar
für die Nachkommen in unbegrenzter Abfolge (monumentum fecit sibi et suis
posterisque eorum, sagen die Grabschriften); mancher nahm seine Freigelassenen in die
Gruft auf (et libertis libertabusque suis); ein anderer stellte seine Gruft auch den
Freunden zur Verfügung (et amicis caris meis). Dann aber vereinzelt auch einmal
den Armen; ein Freigelassener des Hadrian widmete seine Gruft sich und seinen
Freigelassenen, und der Barmherzigkeit (misericordiae), das heißt den Armen und
Fremden. Im vermutlichen Bereich der Praedia Amarantiana haben sowohl heidnische
wie christliche Verstorbene von den Eigentümern Raum zu Ruhestätten erhalten; dort
gefundene heidnische Grabschriften danken dafür der Fla via Domitilla (ex indulgentiaFlaviae
Domitillae; Flaviae Domitillae, divi Vespasiani neptis, beneficio). Es ist nicht erkenn-
bar, in welche Kategorie die Verstorbenen gehörten, ob der Freigelassenen oder der
kleinen Leute. Über die Beisetzungshallen für Aschenurnen, die sog. Columbarien,
wissen wir, daß einige von den Grundeigentümern für ihre Freigelassenen errichtet
waren, andere von den korporativ zusammengeschlossenen Freigelassenen selbst aus
eigenen Mitteln. Solcher Begräbnisvereine gab es viele.
Neben den kollegialisch geordneten Staatspriestertümern (collegia sacerdotum) gab
es staatlich eingesetzte Kultgenossenschaften (sodalitates sacrae), nicht von Priestern,
sondern von Verehrern oder Gläubigen einer Gottheit (cultores Jovis, Dianae etc.).
Einst waren sie Geschlechterkulte, später wurden sie Genossenschaften beruflich oder
örtlich Verbundener, die in Nachwirkung der einstigen Geschlechtsverwandtschaft
unter den Mitgliedern der Kultgenossenschaft stets als in einer Art Verwandtschaft
stehend gedacht wurden. Drittens gab es private Kollegien oder Vereine, die alle
auch einen Schutzgott verehrten und in der Regel zugleich Begräbnisvereine waren.
Dies hängt damit zusammen, daß die meisten sich aus den ärmeren Klassen rekrutierten
(daher collegia tenuiorum). Die statutarische Bestimmung des Collegium salutare
Dianae et Antinoi zu Lanuvium, wonach der monatliche Beitrag zur Vereinskasse für
das Begräbnis verstorbener Mitglieder verwendet werden soll, erweist diese Collegia
tenuiorum als Sterbekassen (Collegia funeraticia). Einige dieser Begräbnis vereine, wie
der eben genannte, entledigten sich ihrer Aufgabe, indem sie beim Tode eines Mit-
gliedes eine bestimmte Summe (funeraticium) für die Begräbniskosten zahlten, andere,
die im Besitz eines eigenen Monuments oder eigenen Begräbnisplatzes waren, besorgten
die Bestattung selbst. Vereine mit gemeinsamem Monument (Ossuarium) waren an
Feuerbestattung gebunden, während solche mit Begräbnisplatz auch Beerdigung zu-
ließen. Bei den meisten Sterbekassen aber war die Aufgabe der Überlebenden mit
dem Begräbnis noch nicht erfüllt, sondern sie pflegten wie jede Familie den Totenkult,
man ehrte die heimgegangenen Mitglieder durch jährliche Totenfeste. Reichere
Mitglieder vermachten dem Kollegium Legate, um sich regelmäßige Ehrungen zu
sichern, Ehrungen teils in Gestalt von Gräberschmuck, teils von Gedächtnis-
schmäusen.
120 ßau der Katakomben.
Auch die Vereine von Berufsgenossen sind hier zu nennen; nach antiker Weise
hatten sie religiösen Charakter, wählten sich einen Schutzgott, zu dessen Verehrung
gemeinsame Opferfeste veranstaltet, selbst eigne Tempel erbaut wurden. Auch diese
Vereine bildeten gewissermaßen eine Familie im großen (vgl. die Ausdrücke pater,
mater, f rater, fratres et sorores, und die Satzung a nostro collegio dolus malus abesto);
und sie waren in der Regel nebenbei Sterbekassen.
Unter den ordentlichen Ausgaben der Kollegien figurieren neben den Kosten des
Vereinshauses und des Kultus besonders die zwei Posten für das Grabmonument oder
den Begräbnisplatz (in Gegenrechnung kam der Erlös aus dem Verkauf von Plätzen
an Nichtmitglieder) und für das Begräbnis sowie den Totenkult; er bestand in Opfern
und Schmausen, Bekränzen der Gräber, Unterhaltung einer brennenden Lampe auf dem
Grabe oder im Monument, war aber öfter durch besondere Stiftung seitens des Ver-
storbenen gedeckt.
Das christliche Begräbniswesen nun wird sich so entwickelt haben, daß die
Bestattungen anfangs in der jeweils landesüblichen Weise vollzogen wurden. Von
früh an sind christliche Einzel- und Familiengräber entstanden; dergleichen finden sich
zerstreut hier und da, auch in Rom. Inschriften geben Kunde, wie einzelne sich auf
ihrem Grundbesitz Gräber errichteten, in ihren Gärten (in hortulis nostris secessimus),
wie sie dem eigenen Grund und Boden ihre Körper anvertrauten (propriae terrae, de
Rossi, Roma sott. I 109). Wiederum bezeugen Inschriften den Übergang der alten
Weise zu Familiengräbern erweiterter Einzelgräber in das Christentum. M. Antonius
Restitutus ließ eine Gruft herstellen für sich und, so fügt er hinzu, für die Seinen,
die auf den Herrn vertrauen (fecit hypogeum sibi et suis fidentibus in domino). Der
Charakter der sogenannten Familiengräber, im Grunde Einzelgrüfte zu sein, findet im
vorliegenden Falle so harten Ausdruck, daß der Stifter des Hypogäums diejenigen
von der Benutzung ausschließt, welche bei ihrer alten Religion bleiben würden.
Gleichfalls landesüblich war die Bestattungsweise, wie sie die Evangelien für den
gekreuzigten Jesus voraussetzen. Und auch dies erscheint als typisch, noch über die
Anfangszeit hinaus, daß ein Anhänger sich den Leichnam des Hingerichteten heraus-
geben läßt, um ihn in seinem Grund und Boden beizusetzen, sei es, daß dieser ihm
schon zuvor gehörte oder erst zu dem Zwecke von ihm erworben wurde (Mk. 15,
42 — 47). Die Überlieferung läßt erkennen, welche Bedeutung für die Ausbreitung
des Christentums einzelne ihm gewonnene reichere Häuser hatten, indem sie als Keim-
zellen für die Bildung neuer Gemeinden dienten; ebenso aber gaben Begräbnisstätten
oder sonstige Grundstücke solcher Familien Ausgangspunkte für die Bildung christ-
licher Friedhöfe. In beiden Beziehungen treten Frauen besonders hervor; in den
Paulusbriefen und der Apostelgeschichte stellen sie ihre Häuser und ihre persönliche
Wirkungskraft der Mission zur Verfügung, in den Märtyrerakten begraben sie die
Gerichteten in ihrem Garten oder sonst in ihrem Grundbesitz; verschiedene römische
Katakomben führen ihren Ursprung auf solche Frauen zurück, welche in ihrem Eigen-
tum für christliche Begräbnisse Raum hergaben. Wie bald nun und auf welche Weise
die inzwischen geschaffenen Katakomben aus dem Privat- in den Gemeindebesitz über-
gingen, darüber sind wir nicht genügend unterrichtet. Erst um 200 finden wir ein
Cömeterium im Besitz der römischen Gemeinde; es heißt, daß Bischof Zephyrinus den
Kallistus über den Klerus und über „das Cömeterium" gesetzt habe, also doch wohl
über eben dasjenige, welches seitdem, und vorzüglich wohl seit dem Bistum des
Die Grüfte. 121
Kailist, unter dessen Namen geht. Unter Bischof Dionysius ging die Verwaltung der
Cömcterien in die Hände der Presbyter über.1)
Nun ist die Frage aufgeworfen worden, unter welcher Form, genau zu sprechen,
unter welcher Maske die Gemeinde politisch existiert habe, da das Christentum als
nach seinem Atheismus zu der religiös aufgefaßten Staatsverfassung in Widerspruch
stehend eine nicht zugelassene und bei straffer Handhabung der Verwaltung unver-
meidlich Maßregeln herausfordernde Religion war. De Rossi hat die Hypothese auf-
gestellt, die Christengemeinden hätten sich der Form von Begräbnisvereinen bedient,
um unter diesem Namen Gemeindehäuser und Grundstücke für Beerdigungszwecke
besitzen zu können. Die Hypothese hat besonders in Fr. X. Kraus einen warmen
Fürsprecher gefunden, weite Kreise haben ihr Beifall gezollt. Indessen hat es nicht
an Widerspruch gefehlt; schon früh trat V. Schultze gegen sie auf, und Sohms Kirchen-
recht hat sie aufgegeben. Jedenfalls haben sich zwingende Beweise für sie nicht auf-
bringen lassen.
Wenn demnach die Hypothese vielleicht nicht standhält, wonach die römische Ge-
meinde unter dem Decknamen eines Begräbnisvereins eine Art Legalität gefunden habe, so
erfüllte die Gemeinde doch tatsächlich den Zweck solcher Sterbekassen und teilte mit
ihnen den Charakter einer Familie aus Konvention. Es ist derselbe Geist der Brüder-
lichkeit, wie wir ihn in den Kollegien und insbesondere den Begräbnisvereinen sich
herausbilden sahen, der auch in der Genossenschaft der Christusverehrer waltete, nur
daß er hier grundsätzlicher gefaßt war, weiter und tiefer wirkte. Es ist insoweit nicht
unzutreffend von V. Schultze gesagt worden, die Entwicklung des Familiengrabes zum
Gemeindefriedhof, wie sie christlichcrseits sich vollzog, bedeute eine Abwendung von
dem antiken Egoismus uud Aristokratismus und sei als die große Tat des neuen
Geistes zu beurteilen, welchen das Evangelium in der Welt gewirkt habe. Man wird
aber nicht übersehen dürfen, worauf wir bereits hinzuweisen Anlaß hatten, daß der
Gedanke des Demokratismus nichts absolut Neues war, sondern wie im Israelitismus
so im Griechentum längst sich zu entfalten begonnen hatte. Andererseits war das
Christentum wohl grundsätzlich demokratisch, insoweit es seine Mitglieder vor der
Moral, vor dem Ritus und im Grabe gleichstellte. Tatsächlich aber hat auch das
Christentum dem Aristokratismus nicht sein Ende bereitet, was ja auch nicht seine
Aufgabe sein konnte, wie es unter dieser Sonne niemals Ziel sein kann; sondern das
Christentum hat auch wieder nur neue Aristokratien an die Stelle der alten gesetzt,
in den Klerikern und Mönchen eine Aristokratie unter den Lebenden, in den Märtyrern
und anderen Heiligen eine zweite unter den Toten. Beides ist der Art nach nicht
blos antik, sondern auch heidnisch. Auch sollte man nicht so absprechend von heid-
nischem Egoismus im Gegensatz zu christlichem Altruismus reden. Letzterer tritt in
spezifische Erscheinung in der auf das diesseitige Leben zielenden christlichen Ethik,
wo er allerdings bis zur Überspannung gesteigert ist, wie ja auch ihre Geschlechts-
moral überspannt wurde bis zur Empfehlung der Enthaltung in der Ehe und der
Ehelosigkeit selbst. Aber gerade im Jenseitsglauben und im Begräbniswesen tritt auf
Seiten der Christen kein höherer Grad von Altruismus hervor, als bei den Heiden.
Familiensinn und Brüderlichkeit sind überhaupt nichts spezifisch Altruistisches; sondern
*) Zephyrinus: Philosophum. IX 11. De Rossi, Roma sott. I 197. II 370. Dionysius:
Notiz im Lib. pontif. Vgl. Müller, Koimeterien 824.
122 Bau der Katakomben.
die sich balancierenden Grundkräfte Egoismus und Altruismus wirken da harmonisch
ineinander.
Eins aber darf nicht mit Stillschweigen übergangen werden, die Bedeutung der
Katakomben für die christliche Propaganda. Wir wissen, welchen Wert der antike
Mensch auf ein angemessenes Begräbnis und auf dauernden Totenkultus von Haus aus
und in der Kaiserzeit wieder zunehmend legte. Nun ist hierin das Christentum so
völlig antik, daß es gerade diese Sorgfalt in Behandlung der Toten übte und das in
Hinblick und Hoffnung auf ein seliges, ewiges Leben. Daher begreift man die Aus-
sage des Kaisers Julian über die Gründe der raschen Ausbreitung des Christentums,
daß neben der Mildtätigkeit vorzüglich seine Sorgfalt für die Toten es war, welche
ihm rasch Anhänger gewann. Vollends wirksam wurde dies, nachdem die Gemeinde
die Friedhöfe übernommen hatte und die Gesamtheit für das Grab jedes einzelnen
bürgte, wie der Christus bürgte für die Seligkeit ihrer aller. Für viele muß die Be-
deutung und der Wert des Christentums ganz auf diesem Gebiete gelegen haben; die
Entwicklung, welche das Christentum genommen hatte, führte dazu, und die Monumente
scheinen die Tatsache zu bestätigen.
Bestand nun die Gemeinde tatsächlich, einerlei unter welchem Namen, als eine
geschlossene Körperschaft mit dem Charakter einer großen Familie, so ergab sich als
unmittelbare Folge die Abgeschlossenheit der Gemeinde (nicht ohne weiteres auch der
einzelnen Mitglieder) gegen alle Nichtmitglieder, eine Exklusivität, die sich bis auf den
Gemeindefriedhof erstreckte und zwar mindestens mit derselben Schärfe, wie sie für
jede andere antike Familiengruft zu Recht bestand. Sobald die „neue Welt" sich zu
einer politisch organisierten Konfession und Kirche verdichtet und verengt hatte,
unterlag sie der Konsequenz dieses geschichtlichen Prozesses, sie mußte die Grundsätze
des politischen Lebens selbst in Gebrauch nehmen, welche ihr eigenster Grundsatz
grenzenloser Menschlichkeit doch aufgehoben hatte.1)
Die Gräber.
Nach den Kammern und Gängen betrachten wir die Gräber. Es handelt sich
um die Bestattung unverbrannter Leichen. Kulturgeschichtlich hat man zu unter-
scheiden zwischen der Beerdigung an sich und der vorgängigen Bergung in einem
Sarg. Die Beerdigung erfolgt auf ebenem Boden in einem mehr oder minder flachen
Schachtgrab (Senkgrab), über dem nachher die herausgehobene Erde zu einem Hügel
aufgeschüttet wird. In felsigem Boden wird ein entsprechender Hohlraum ausgehauen,
x) Collegia: Theod. Mommsen, De collegiis et sodaliciis Romanorum 1843. Marquardt,
Rom. Staatsverwaltung2 II 110. III 135. Schieß, Die röm. collegia funeraticia nach ihren In-
schriften 1888. Liebenam, Zur Geschichte und Organisation des röm. Vereinswesens 1890. Waltzing,
Etüde historique sur les corporations professionelles chez les Romains (in den Mem. cour. de
l'acad. roy. de Beige) 4 vols. 1895 ff. (darin I 17 die vollständige Literatur). Kornemann bei
Pauly-Wissowa IV 380. — De Rossi, Roma sott. III 512. Kraus, Realencykl. II 106. Waltzing I
150. 314. 319. V. Schultze, De Christianorum veterum rebus sepulcralibus 1879. Müller, Koime-
terien 838. R. Sohm, Kirchenrecht I 8. 104. — Vgl. Heinricis Hypothese von der Anlehnung
der frühchristlichen Gemeindebildung an die Formen der religiösen Genossenschaften der Griechen,
Zeitschr. f. wiss. Theol. 1870, zuletzt Theol. Stud. und Krit. 1881, 505. — Vgl. auch Rhode,
Psyche 628, 1.
Die Gräber. 123
der einem Trog ähnlich sieht und Troggrab genannt wird; man pflegte ihn mit einer
aus dem anstehenden Gestein gewonnenen Steinplatte oder kostbarer mit einer Marmor-
tafel zu bedecken und zu verschließen. Soll aber die Leiche in einem besonderen
Behälter geborgen werden, so verwendet man entweder ein dafür geeignetes Gerät,
eine Kiste oder Truhe, eine Wanne, einen Trog (zur Bergung der Asche verbrannter
Leichen ein tönernes oder metallenes Gefäß), oder man fertigt eigens für den Zweck
einen Sarg (eine Art Troggrab) von Holz oder Metall. Alle Typen können in Stein
nachgebildet werden; es kann Sand- oder Kalkstein oder Tuff sein, in den klassischen
Ländern und wo die klassische Kunst zu Hilfe gerufen wurde, wie in Sidon, nahm
man gern Marmor, in Ägypten und in der spätantiken Kunst auch Hartsteine, Granit,
Porphyr und dergleichen.
In der altchristlichen Kunst, zunächst in den Katakomben, begegnen verschiedene
Formen von Leichenbehältern, reichere und schlichtere. Die kostbarste und vornehmste
Art war der Sarkophag, die vollkommenste Anordnung aber bestand in der Auf-
stellung des Sarkophags in einer Wandnische der Gruft; der Typus wurde in den
hellenistisch-römischen Mausoleen gern angewendet, neuerlich ist eine derartig behandelte
Gruft von Alexandria veröffentlicht worden. Auch in den römischen Katakomben
findet sich die Anordnung, so in dem frühchristlichen Ambulacrum des Coem. Domi-
tillae und im ältesten Teil des Coem. Priscillae; Bruchstücke der Sarkophage haben
sich in den dortigen Nischen vorgefunden. Die in anderen Katakomben vorkommenden
Sarkophagreste sind aus späterer Zeit. Die Idee einer mit Sarkophagen in Nischen
besetzten Gruft veranschaulicht gut eine Katakombe von Kyrene; hier sind die archi-
tektonischen Formen reicher ausgebildet, die Nischen schließen mit Halbkuppeln.1)
Ein zweiter Typus ist das Arkosol (arcosolium Bogengrab, von arcus Bogen
und solium Thron, Wanne). Das Arkosol ist ein in die Wand gelegtes Senkgrab;
damit seine Öffnung zugänglich sei, muß darüber eine Nische offen bleiben, die in der
Regel mit einem Rundbogen schließt, öfter aber auch wagerecht bei senkrechten
Leibungen (in Sizilien kommt auch eine trapezförmig gezeichnete Nischenform vor).
Die Öffnung des Trogs pflegt mit einer Marmorplatte abgedeckt zu sein. Wollte man
ein Doppel- oder Drillingsgrab haben, so war nur nötig, der Nische mehr Tiefe zu geben,
um in deren Boden die gewünschte Anzahl Tröge aushöhlen zu können. Ein Doppel-
grab heißt mit hybrid gebildetem Wort bisomus (von aufia), ein Drillingsgrab
trisomus locus usf.2)
Es gibt Ubergangsformen zwischen der Nische mit eingestelltem Sarkophag und
dem Nischenwandgrab (Arkosol). Eine im Bau vorgesehene Nische wird wohl im
unteren Teil vermauert; dadurch entsteht hinter der Abmauerung ein Trog, der nur
der Abdeckung mit Marmorplatte bedarf, um ein Arkosol vorzustellen. Dies Vor-
kommen regt die Frage an, ob etwa der Typus des Arkosols überhaupt entstanden
sei aus demjenigen der Nische mit eingestelltem Sarkophag. Die zwei Elemente, die da
nur gesellt erscheinen, wären im Arkosol verschmolzen und einheitlich aus dem
gewachsenen Felsen gewonnen. So würde das Arkosol eine aus dem reicheren Typus
*) Alexandria: v. Bissing, Kom el Chougafa Taf. 2.
Ambulacrum: de Eossi, Bull, crist. 1865, 32.
2) Arkosolien und Bisomen z. B. bei de Rossi, Roma sott. II Taf. 51 Fig. 5 — 7. III Taf. 15
und in den Handbüchern. Schultze, Katakomben 76.
124
Bau der Katakomben.
des Sarkophags in Nische vereinfachte Form darstellen. Nun aber wird es nötig, dem
Ursprung des Arkosols weiter nachzuforschen. Da wird man die Hypothese wagen
dürfen, daß es nicht spezifisch christlich sei, sondern gemein antik. Tatsächlich gibt
es heidnische Beispiele, noch nicht viele; diese aber kommen an so verschiedenen
Punkten vor und in so verschiedenen Zeiten, daß man berechtigt scheint, nach Mittel-
gliedern zu fragen. Aus älterer Zeit sind die Gräber der persischen Könige aus der
zweiten Dynastie anzuführen, des Darius und seiner Nachfolger. Während Cyrus sich
ein freistehendes Mausoleum hatte errichten lassen, in Form eines steinernen
Giebelhauses auf umlaufenden Stufen, in der Mitte eines mit Säulengang umgebenen
Haines — der Sarg stand in der Kammer des Giebelhauses, zog Darius die Form des
Höhlen- oder Felsengrabes vor (Felsgräber von Naksch-i-Rustem). Die Fassade wurde
Zwei Spielarten des Wandnischengrabs (sepolcro a inensa): 1. in rundbogiger Nische (Arkosol), 2. in oblonger Nische.
in Relief architektonisch und figürlich verziert, eine Tür zwischen den Halbsäulcn
führt in den orientalisch querliegenden Felsensaal. In dessen Rückwand öffnen sich
nebeneinander drei große Arkosolien, jedes ein arcosolium trisomum; als Hauptgrab
darf man vielleicht das vorderste des der Tür gegenüberliegenden Arkosols bezeichnen.
Hier ist die Idee des Arkosols in früher Zeit bereits großartig verwirklicht. Man
erinnere sich aber, daß die Perserkönige zu ihren baulichen Unternehmungen immer
griechische Künstler zu Rate gezogen haben, vermutlich jonische, und zwar muß es
schon Cyrus getan haben; die Profile am Giebelhaus sowie die Arbeit an den Säulen
des Peristyls beweisen es. Senkgräber im Boden von AVandfachgräbern, mit einer
Steinplatte gedeckt, gibt es in Etrurien, in Cerveteri. Sodann haben sich gelegentlich
der archäologischen Erforschung der Insel Thera bei der antiken Stadt lehrreiche
Felsgräber gefunden (zu Exomyli), darunter solche in Form von Nischen in archi-
tektonischem Rahmen; in zweien standen Sarkophage, in einer dritten war in einer
stehen gelassenen Stufe ein länglich ovaler (anthropoider) Trog ausgehauen. Dies
ergibt den Typus des Arkosols. Der architektonische Rahmen besteht in einem Rund-
bogen innerhalb zweier Parastaden unter Gebälk und Giebel; die Anordnung des
Rahmens mit eingeschlossenem Rundbogen kam in der attischen Grabkunst des zweiten
Die Gräber. 125
Jahrhunderts vor Christus auf. Der Bearbeiter der antiken Gräber von Thera, Dragen-
dorff, hat aus dem Studium jener Felsnischen denselben Schluß gezogen, zu dem uns
gewisse Erscheinungen in den Katakomben geführt hatten, das Arkosol sei durch ein
Zusammenwachsen von Nische und Sarkophag entstanden. „Alle Elemente," sagt
Dragendorff, „aus denen sich die Arkosoliengräber zusammensetzen, sind schon in spät-
hellenistischer Zeit auf griechischem Boden vorhanden." Auf griechischem Boden,
diese Worte richten sich gegen eine andere Hypothese, derzufolge das Arkosol in
Italien entstanden und erst im Laufe der Kaiserzeit nach dem griechischen Osten
übertragen worden sei. Alfred Körte hat in Phrygien zahlreiche Felsgräber studiert;
darunter sind auch Arkosolien. Er setzt sie in die Zeit Hadrians und der Antonine,
unbedeutend später als die ältesten christlichen Arkosolien etwa der Katakomben von
Neapel. Die Chronologie aller dieser italischen und kleinasiatischen Denkmäler ist
noch nicht exakt genug festgestellt, um so genau rechnende Schlüsse ziehen zu dürfen;
wir müssen soweit uns begnügen, die ungefähre Gleichzeitigkeit der italischen und
phrygischen Denkmäler festzustellen. Die persischen Königsgräber von Naksch-i-Rustem
beweisen, daß der Typus des Arkosols in weit ältere Zeit zurückreicht.
Das Arkosol ist gelegentlich mit den Wandnischen im Ossuarium verglichen
worden (columbarium bezeichnet antik das Taubennest, übertragen die Nische in der
Urnenhalle; sekundär bezeichnet das Wort auch den ganzen Taubenschlag, nicht aber
die Urnenhalle, die antik ossuarium heißt; der Gebrauch von columbarium für Urnen-
halle ist modern). Diese Nischen pflegen unter kleinen Halbkuppeln zu stehen; die
Aschenurnen wurden in der Nische aufgestellt oder in deren Boden versenkt. In
letzterem Falle stellt die Columbarnische eine Art Arkosol dar, aber in wesentlich
kleinerer Abmessung, weil sie nicht zur Aufnahme eines ganzen Körpers, sondern bloß
der Asche eines verbrannten dient. Es geht nicht an, den Bautypus des Arkosols
von der Columbarnische abzuleiten.1)
De Rossi nahm an, daß auf der den Trog des Arkosols deckenden Marmorplatte
der eucharistische Ritus vollzogen worden sei, wie sonst auf der Platte des Altar-
tisches (mensa); daher nannte er das Wandtroggrab Tischgrab (sepolcro a mensa, Roma
sott. II Taf. 5 1 Fig. 5 con nicchia rettangolare, Fig. 6 con nicchia arcuata = arco-
solium). Die Annahme, daß die Arkosolplatte auf dem Grabtrog bei der Feier des
Abendmahls in den Katakomben die Stelle des Altars vertreten habe, ist als irrtüm-
lich bezeichnet worden. Wir dürfen den Streit hier beiseite schieben. Denn keines-
falls ist der, wie wir sahen, bereits in vorchristlicher Zeit auftretende Typus des
Nischentroggrabes für solche liturgische Zwecke erfunden worden. Liturgische Be-
nutzung der Art wäre nur eine sekundäre gewesen; daher hat die Frage, ob sie statt-
gefunden hat, kein baugeschichtliches Interesse, sie gehört in das Kapitel der Sakral-
antiquitäten. Nur soviel sei hier gesagt, daß jeder Nachweis von Totenkultus am
') Zu Arkosol und Sarkophag in Nische vgl. A. Schmid bei Kraus, Realeneykl. I 90.
Darius: Flandin et Coste, Perse ancienne Taf. 110. Perrot et Chipiez, hist. de l'art V 626
Fig. 3891 Persische Kunst: Ferd. Justi, Gesch. Persiens 1896. v. Sybel, Weltgesch. der Kunst
21903, 123 Cyrus. 142 Darius. 157 Skulptur. Cerveteri: Martha, l'art ötrusque 195. Thera:
Dragendorff in Hiller von Gärtringens Thera II 1903, 278. Phrygien: Körte, Athen. Mitteilungen
1898, 167. — Ossuarium: Samter bei Pauly-Wissowa, Realeneykl. IV unter dem Worte Colum-
barium. Vorläufer der augusteischen Columbarien: DragendorflT 279. Martha l'art etrusque 184-
126 Bau der Katakomben.
christlichen Grabe, auch in der Form der römischen Messe, den unaustilgbar antiken
Charakter des Christentums immer neu bestätigen würde.
Das Arkosol ist der vornehmere Typus des christlichen Grabes, der häufigere
und geringere ist das Fachgrab (gewöhnlich Loculus genannt; locus ist der Platz
im Theater, der Sitzplatz, im Columbarium der Platz für eine Aschenurne, in den
Katakomben der Platz für eine Leiche). Das Fachgrab ist ein in die Wand einge-
schnittenes Gefach, gerade groß genug für eine Leiche; sie wird flach in die Wand
gelegt, parallel zur Wandfläche, wie auch im Arkosol die Leiche parallel zur Wand-
fläche liegt. Für Kinder wurde das Grab entsprechend kleiner bemessen. Auch bei
den Fachgräbern kommen Doppelplätze vor. Nach der Beisetzung der Leiche wurde
die offene Vorderseite des Faches mit einer länglichen Marmortafel geschlossen, die
zugleich als Schrifttafel diente für das Epitaph (titulus); seltener sind Tafeln aus
gebranntem Ton. Jetzt sind die meisten Verschlußtafeln herausgebrochen, die leeren
Gräber starren in der Wand.1)
Woher stammt der Typus des christlichen Fachgrabes? Verwandt ist das
Schiebgrab, daß in Syrien und Palästina üblich war; auch das bereits oben heran-
gezogene Kammergrab zu Sidi Gabr bei Alexandria hat Schiebgräber. In Pom kommt
der Typus vereinzelt vor; Marchi hat im Coem. Cyriacae Schiebgräber gefunden, auch
in den Katakomben von Kyrene und Alexandria wurden sie beobachtet. So haben
denn viele Gelehrte das christliche Fachgrab vom syrischen, speziell auch jüdischen
Schiebgrab ableiten wollen. In der Tat besteht Ähnlichkeit zwischen beiden Typen,
insofern beiderseits der Leichenbehälter aus dem Fels herausgehauen und vorn mit
einer vertikalen Steintafel geschlossen wird. Aber es ist doch auch ein wesentlicher
Unterschied vorhanden. Das Schiebgrab steht im rechten Winkel zur Wandfläche,
geht in die Tiefe; der Körper wurde da hinein geschoben, den Kopf voran, die Füße
gegen den Eingang. Dagegen das Fachgrab, und mit ihm der darin beigesetzte
Körper, liegt parallel zur Wandfläche. Das ist immerhin ein erheblicher Unterschied
zwischen Schiebgrab und Fachgrab. Jenes nutzt den Raum mehr aus, dieses ist
leichter herzustellen, weil es weniger tief in den Felsen geht.
Es gibt aber noch andere Analogien, vielmehr, es gibt noch anderwärts ganz
eigentliche Fachgräber, und zwar in Italien selbst. Einmal zu Licodia in Sizilien,
altsizilische Gräber aus der ersten Zeit der griechischen Kolonisation, noch aus dem
siebenten Jahrhundert vor Christus. Die ganze Anlage ist den Katakomben recht
ähnlich, ein unterirdischer Gang mit anliegenden Fachgräbern; in diesen sind auch
Kopfkissen aus dem gewachsenen Fels geschnitten. Sodann in den Grabkammern
Etruriens, wir nennen die Tomba dei rilievi zu Cervetri (Caere); auch hier sind Kopf-
kissen stehen gelassen und, wie die ganze Kammer, kunstvoll durchgebildet. Es besteht
nun allerdings auch ein Unterschied zwischen dem sizilischen und etruskischen Fach-
grab einerseits und dem christlichen Loculus andererseits. In Sizilien und Etrurien
blieben die Fachgräber offen; nach jeder Beisetzung wurde die ganze Gruft geschlossen,
der Totenkult vollzog sich vor ihrem Eingang. Der christliche Loculus aber wurde
vorn durch eine Steintafel geschlossen, wegen des fortdauernden Verkehrs im Cöme-
terium, geschlossen wie die syrischen und jüdischen Schiebgräber. Aber auch in
') Fachgrab: Abbildungen auf vielen Tafeln in de Rossis Roma sott. Vgl. Kraus, Real-
encykl. I Art. Loculus. V. Schultze, Katakomben 76.
Die Gräber. 127
Etrurien (zu Falleri, Veji, Bieda) finden sich Fachgräber mit Verschlußtafeln, und zwar
heidnische, im Freien in Felswänden ausgebrochen. Das Anbringen und das Weg-
lassen von Verschlüssen hing überall von den besonderen Verhältnissen ab; die Fach-
gräber im Freien mußten geschlossen werden, weil die Körper sonst den Raubvögeln
preisgegeben gewesen wären. Auf solche Unterschiede kommt nicht viel an. Ebenso-
wenig auf die altsizilisch-etruskischen Kopfkissen, deren Fehlen in den christlichen
Fachgräbern sich genügend aus der extremen Schlichtheit dieser Grabstätten erklärt;
übrigens kommen sie in Malta vor.1)
De Rossi hat eine eigentümliche Ableitung des Fachgrabes versucht, nämlich
vom Sarkophag. Auf den Gedanken brachten ihn gewisse loculi des frühen Ambulacrum
im Coem. Domitillae; deren vertikale Verschlußtafeln sind mit Stuck verziert, in Nach-
ahmung von Sarkophagen und zwar ihrer skulpierten Vorderseiten. Er nennt sie
loculi-sarcofagi. Aber der Fachgrabtypus ist ganz unabhängig vom Sarkophag ent-
standen, beide Typen sind radikal verschieden; das Fachgrab hat seine Öffnung an der
Vorderseite, der Sarkophag dagegen, als ein Trog, in der Oberfläche. Jene Stuck-
verzierung ist rein dekorativ hinzugebracht; der Besitzer des schlichten loculus wollte
sich wenigstens den Schein der reicheren Grabform, des Sarkophags, gönnen und ließ
solchen Schein an seiner Grabtafel in Stuck hervorbringen. Auch sonst kommt es
vor, daß die Verschlußplatte des schlichten Fachgrabes an den stolzen Sarkophag und
seine Erscheinungsweise erinnert. Das Epitaph der Urbica im Hypogaeum Lucinae
trägt die Inschrift, den bloßen Namen der Bestatteten, im oberen Teil eines großen
Kreises, in dessen unteren Raum ein halbmondförmiger Amazonenschild gezeichnet ist.
Der Kreis klingt an den Rundschild an, den an der Vorderseite heidnischer Sarko-
phage öfter zwei Putten halten; wiederum waren zu sinnvollem Schmuck solcher
Sarkophage Amazonenkämpfe und infolge davon auch Amazonenschilde beliebt. Der
Marmorarius oder Skriptor mag die Schilde aus ihm geläufiger Sarkophagarbeit auf
den Titulus der Urbica herübergebracht haben, jedenfalls grub er sie mit Wissen und
Willen des Bestellers ein, sei es rein dekorativ oder in beabsichtigter Erinnerung an
den Sarkophagtyp, nicht ohne die christlichen Sinnbilder Anker, Baum und Taube
hinzuzufügen (vielleicht aber schließt ein Exeget aus dem Amazonenschild, Urbica sei
eine gottgeweihte Jungfrau gewesen).2)
Wir haben die Formen der Katakomben und der Gräber darin betrachtet und
ihr genetisches Verständnis vorzubereiten gesucht; damit lernten wir ihre Art kennen,
wie sie in einer Entwicklungszeit von über dreihundert Jahren sich herausgebildet
hat. Nun aber trat im letzten dieser drei Jahrhunderte ein Moment in den Vorder-
grund, welches auf die Gestaltung der Katakomben noch kurz vor Ablauf ihres eigent-
lichen Lebens tiefgreifenden Einfluß ausüben sollte. Es war der Märtyrerkult, der,
schon vorbereitet, im vierten Jahrhundert zur vollen Entfaltung kam. Der erste, der
J) Schiebgräber in Syrien und Palästina: Tobler, Topographie von Jerusalem 1854 II 227.
de Saulcy, Voyage en Terre sainte I 111. II 108. 229. Swoboda, Rom. Quart, 1890, 321. — Coem.
Cyriacae: de Waal, Rom. Quart. 1899, 15. — Zur Ableitung des christlichen Loculus vom syrischen
Schiebgrab: de Rossi, Roma sott. I 90. Schultze, Katakomben 19. 38. Kraus, Gesch. d. christl.
Kunst I 43. — Licodia: Orsi, Rom. Mitteilungen 1898, 309 Fig. 2. — Caere: Martha, l'art
elrusque 184 Taf. 2. — Falleri etc.: Martha 185. — Malta: Müller, Koimeterien 857.
8) Loculi-sarcofagi: de Rossi, Bull crist. 1865, 38. — Urbica: de Rossi, Roma sott.
I Taf. 18, 2.
128 Bau der Katakomben.
sein Zeugnis für die Sache mit seinem Blute besiegelt hatte, war Jesus gewesen; über
dem Grabe, welches als das des Christus galt, erbaute Kaiser Konstantin eine Kirche,
eine große Rotunde. Ebenso erhoben sich über den Gräbern vor den Toren Roms,
wo römische Märtyrer verehrt wurden, Petrus und Paulus standen in höchster Ehre,
Grab- und Triumphalbasiliken, in deren wie der anderen konstantinischen Kirchen
Errichtung die altchristliche Hochbaukunst erst eigentlich geboren ward. Weil der in
den Basiliken geschaffene Typus auch für die Stadtkirchen maßgebend wurde, so sind
wir zu dem Satze gezwungen, daß die gesamte altchristliche Kunst Grab- und Jenseits-
kunst gewesen ist. Aber vom altchristlichen Hochbau wird besonders zu reden sein;
hier gilt es nur kurz zu skizzieren, inwiefern der Märtyrerkult auf die römischen
Katakomben in baulicher Beziehung eingewirkt hat.
Die Grabkirche zu Jerusalem und die römischen Basiliken waren, wie der antike
Sakralbau durchweg, dem Personenkultus gewidmet, dem Kultus des Protomartyrs und
höchsten Heros der Christen, von dessen Prädikat sie ihren Namen ableiteten, mithin
ihres Heros eponymos, und seiner Nachfolger im tragischen Tod. Sie alle, die für
ihren Glauben gestorben sind (vielmehr für ihren Unglauben; denn sicher die Märtyrer
wurden nicht für das Positive ihres Glaubens zur Verantwortung gezogen — der
Polytheismus war tolerant, sondern für das Negative, für ihren der religiös begründeten
Staatsverfassung widerstreitenden Atheismus und, um ganz präzis zu reden, nur für
ihre Verweigerung des Kultus), sie alle wollen als antike Heroen anerkannt sein und
wurden in der Tat so angesehen. Das Wort Heros kommt in Grabschriften nur ge-
legentlich vor, zum Teil auch nur in derselben abgeschwächten Bedeutung, wie in einer
Klasse heidnischer Epitaphien; die Abschwächung war die Folge privater Heroisierung
gewöhnlicher Verstorbener. Der Märtyrerkult war antiker Heroenkult christlicher
Konfession; da traten dieselben eigentümlichen Erscheinungen auf, die am heidnischen
Heroenkult bemerkt werden, Steigerungen des gewöhnlichen Totenkults; im ganzen
genommen ists der große Wert, der auf den Besitz der Gebeine gelegt wird, weil man
sich in den Gebeinen der Person des Heros und seiner Hilfe zu versichern glaubte.
Schon im heidnischen Altertum kamen nicht selten Übertragungen von Reliquien vor,
translationes ossium; man scheute weder Gewalt noch List, um in den Besitz begehrter
Reste zu gelangen. In den Kämpfen zwischen den griechischen Stadtstaaten kam es
öfter vor, daß das delphische Orakel einer ratsuchenden Partei dergleichen empfahl;
auf Grund solcher Orakel verschafften sich die Athener durch Kimon von der Insel
Skyros die Gebeine des Theseus, die Spartaner aus Tegea durch Lichas die Gebeine
des Orestes. Eine Art Polis war auch jede Christengemeinde, und so geschah es,
daß Raub von Märtyrergebeinen vorkam. So wird von einem Raub oder Raubversuch
an den Körpern des Petrus und des Paulus erzählt, „Orientalen" werden dessen
beschuldigt; in diesen sieht de Waal römische Judenchristen, indem er den Vorfall
in die Zeit gleich nach den Martyrien der Apostel setzt. Die übrigens problematische
Geschichte hängt mit der vorübergehenden Bergung der Apostelkörper in der Sebastianus-
katakombe zusammen. Vom Körper des Märtyrer Silanus heißt es, die Novatianer
hätten ihn geraubt (hunc Novati[ani] furati sunt, sagt die Depositio martyrum). Von
den späteren Übertragungen der Gebeine aus den Cömeterien in die Stadtkirchen ist
hier weniger zu reden, weil es da zunächst ihre Rettung aus Kriegsgefahr galt; immerhin
ist diese Sorge um die körperlichen Reste echt antik. Ganz im Geiste antiker Kultus-
gebräuche aber, bei aller Eigenartigkeit des neuen Ritus, ist die Übertragung von
Die Gräber. 129
Märtyrergebeinen in die Kirchen der ganzen römisch-christlichen Welt, um über ihnen
die Messe zu lesen.1)
Nachdem unter Konstantin dem Kultus des Protomartyr Christus und der im
Range ihm nächstgeordneten Märtyrer entsprechende Bauten genügt hatten, griff
Bischof Damasus (366) entscheidend ein, um auch den Märtyrern zweiten Ranges
angemessene Kultusstätten zu bereiten.
Sein eigenstes waren die Epigramme, die er in lateinischer Sprache dichtete, in
engem Anschluß an Vergils Ausdrucks weise; die Epigramme auf Märtyrer ließ er auf
Marmortafeln eingraben und an den Gräbern selbst anbringen. In den Kriegsstürmen
des sechsten Jahrhunderts, als die Ostgoteu unter Vitiges 537 Rom belagerten, arg
mitgenommen wurden die Märtyrerkapellen von Bischof Vigilius (537 — 555) her-
gestellt; die Herstellung betraf auch damasianische Epigramme. Letztere fanden Auf-
nahme in Sammlungen christlicher Inschriften, die um das siebente Jahrhundert ent-
standen; im zweiten Bande seines Inschriftenwerkes hat de Rossi diese Sammlungen
behandelt. Seit dem 15. Jahrhundert kamen einzelne der lange verschollenen Original-
inschriften wieder zum Vorschein, de Rossi aber hat von vielen wenigstens Bruch-
stücke aufgefunden, die ihm als wertvolle Bestätigungen seiner topographischen
Forschungen und als Wegweiser zu neuen Ergebnissen dienten. Aus den Hand-
schriften der mittelalterlichen Inschriftensammlungen, unter Verwertung der erhaltenen
Bruchstücke hat zuletzt Max Ihm alle erreichbaren damasianischen Epigramme, mit
Einschluß der nicht auf Märtyrergräber bezüglichen, herausgegeben. Die Originale
der damasianischen Inschriften aus der Zeit seines Bistums sind in eigenartigen Schrift-
zügen ausgeführt, die man filocalianische (daneben auch damasianische) nennt, filo-
calianisch deshalb, weil sie Furius Dionysius Filocalus vorgezeichnet hat, der griechische
Zeichner des Kalenders im „Chronographen von 354" Auf der Marmortafel am Grab
des Bischof Eusebius (309 — 310), die wir abbilden, hat er sich genannt, in kleiner
Schrift, die links und rechts des Epigramms säulenförmig angeordnet ist. Er nennt
sich Verehrer des Papa Damasus; papa war ehrende Bezeichnung der Bischöfe. Ein-
zelne der damasianischen Inschriften sind ganz kurz gefaßte Widmungen: Beatissimo
martyri Januario Damasus episcop(us) fecit (Ihm n. 22). Die meisten aber sind mehr-
zellige Elogien, in Hexametern abgefaßt, wie das auf Eusebius; in diesem Falle aber
ist noch eine zweizeilige Widmung in Prosa oberhalb und unterhalb des Elogiums
verteilt: Damasus episcopus fecit | Eusebio episcopo et martyri (Ihm n. 18). Die
in den ersten Zeilen des Elogiums berührten innerkirchlichen Streitigkeiten sind
literarisch ebensowenig überliefert wie das in den Schlußzeilen erwähnte Exil des
Eusebius.2)
1) Heros in christlichen Tituli: Le Blant 415a. Rom. Quart. 1891, 347. Marucchi, eb.
1890, 149. Märtyrerkult als Heroenkult: V. Schultze, Archäologie 136, 2. -- Heroisieren Ver-
storbener: Deneken in Roschers Lex. I 2550. Rhode, Psyche 234. 647. — Translatio heidnisch:
Lobeck, Aglaophanus 280. Deneken 2490. Rhode 151. — Orientalen: de Waal, Rom. Quart.
Suppl. III 1894 25.
2) Damasus: de Rossi, Roma sott. I 118. III 241. Maximilianus Ihm, Damasi epigrammata,
accedunt Pseudodamasiana aliaque ad Damasiana illustranda idonea (Anthologiae latinae suppl. I)
1895. Bücheier, Anthologia latina II 1895 Index s. v. Damasus. Marucchi, Elements I2 226. —
Vigilius: de Rossi I 217. Bücheier carm. 917. — Filocalus: Strzygowski, Die Kalenderbilder
des Chronogr. vom Jahre 354 (Archäol. Jahrb., Ergänzungsh. I) 1888. — Elogium auf Eusebius:
Sybel, Christliche Antike I. 9
130
Bau der Katakomben.
Bischof Damasus
hat über den Kata-
komben mit Pietät
gewaltet. Jene glän-
zenden Cömeterial-
basiliken über den
Grüften der hohen
Himmelsaristokratie
hatten nicht gebaut
werden können, ohne
die vielen im Bau-
gelände liegenden an-
deren Gräber massen-
haft zu zerstören;
Damasus dagegen be-
gnügte sich mit einer
diskreten Ausbildung
der Grüfte, und mit
peinlicher Gewissen-
haftigkeit vermied er
jede Störung des Be-
standes. Seine Be-
mühungen erstreckten
sich über alle rö-
mischen Cömeterien.
Manche Märtyrer-
gräber waren bereits
verschollen, er hat sie
wieder aufgesucht.
Und er hat den An-
fang gemacht mit den
von seinen Nach-
folgern fortgesetzten
baulichen Herrich-
tungen der Märtyrer-
kapellen und ihrer Zugänge. Die vielfach den Einsturz drohenden Wände mußten
durch Futtermauern und eingespannte Gurtbögen gesichert, neue Luft- und Lichtschachte
Heraclius vetuit labsos peccata dolere,
Eusebius miseros docuit sua crimina flere:
scinditur in partes populus gliscente furore,
seditio, caedes, bellum, discordia, lites,
extemplo pariter pulsi feritate tyranni,
integra cum rector seruaret foedera pacis,
pertulit exilium domino sub iudice laetus.
litore Trinacrio mundum uitamq(ue) reliquit.
Zu V. 3 vgl. Verg. Aen. II 39 scinditur incertum studia in contraria volgus; XII 9 gliscit uiolentia
Turnus; zu V. 7 eb. II 638 exiliumque pati und Hör. Ars poet. 78 sub iudice lis est; zu V. 8 Verg.
Aen. I 196 litore Trinacrio, V 517 uitamque reliquit (s. Ihms Kommentar).
Gruft römischer Bischöfe des dritten Jahrhunderts.
Einbauten des fünften Jahrhunderts.
Die Gräber.
131
durch die Decke ge-
brochen werden, ver-
fallene Treppen waren
herzustellen , auch
wohl neue einzubauen,
um die Zirkulation
der Andächtigen zu
regeln. Die Märtyrer-
grüfte selbst wurden
zu Kapellen einge-
richtet, ein Steintisch
für die Eucharistie
hineingestellt, davor
eine Marmorschranke,
auch wohl Säulen.
Reste solcher Aus-
stattungen haben sich
mehrfach gefunden,
und man sucht aus
den Resten das ur-
sprüngliche Ganze
wieder zu gewinnen.
Beispielsweise ruhten
die heiligen Felicis-
simusund Agapitus
in einer und derselben
Gruft des Coem.
Praetextati, in zwei
Fachgräbern überein-
ander; Porphyrsäulen
umrahmten das untere
Grab und das Elogium
des Damasus ; eine
durchbrochene Mar-
morschranke, wie sie
in der Kaiserzeit üb-
lich waren , stand
davor. Hier ist noch
einmal die Gruft der Bischöfe des dritten Jahrhunderts zu nennen, als ein
Hauptbeispiel der Katakombenkapellen, mit reicher Ausstattung in Marmor, die
wohl nachdamasianisch ist. Eine damasianische Inschrift schließt das Arkosol
der Fondwand, eine Bodenplatte mit vier Standspuren trug einen Marmortisch,
Reste von durchbrochenen Schranken liegen umher, auch ein dekorativer Doppel-
kopf fand sich, die einstige Krönung eines Brüstungspfeilers. Zwei kannelierte
Säulen auf Postamenten, deren eins noch vor der rechten Längswand steht,
gliederten den Raum. Der Dichter Prudentius beschreibt die Gruft des heiligen
9*
Gruft römischer Bischöfe in Kailist
Die späteren Einbauten hergestellt.
132 Bau der Katakomben.
Hippolytus; er spricht von parischem Marmor und spiegelnd polierten Silber-
platten.1)
Die Hebung des Märtyrerkultes wirkte, allerdings nur vorübergehend, auf die
Benutzung der Katakomben. Bereits hatten sich oberirdische Friedhöfe zu entwickeln
begonnen. Nun hat de Rossi eine Statistik aufzustellen unternommen über das Ver-
hältnis zwischen den unter- und den oberirdischen Bestattungen; er hat gefunden, daß
die im vierten Jahrhundert zugunsten der oberirdischen Begräbnisse schnell ab-
nehmenden unterirdischen in den Jahren des Damasus, genauer von 370 bis etwa 373,
wieder eine Steigerung erfuhren. Danach geht die Ziffer der unterirdischen Be-
stattungen wieder zurück, um gegen 410 ganz zu verschwinden. Dabei hatte die
unterirdische Bestattung eine neue Richtung eingeschlagen; es leitete das Verlangen,
in möglichster Nähe eines verehrten Märtyrers zu ruhen (intra limina sanctorum, retro
sanctos). Eine eigentümliche Materialisierung des zugrunde liegenden Verlangens, mit
Gott und den Seligen im Tode vereinigt zu werden, war es, daß man Wert darauf
legte, auch körperlich in Gesellschaft der Heiligen zu ruhen, in ihrer Gesellschaft einst
aufzuerstehen und so mit ihnen verklärten Leibes an dem ewigen Leben teilzunehmen.
Es waltete dabei nicht bloß die angenehme Vorstellung, die Gesellschaft der Heiligen
zu genießen, sondern zugleich eine starke Hoffnung auf ihren bisweilen geradezu
magisch wirkend gedachten Beistand. Wenn es auch schwer halten dürfte, genau
Analoges im heidnischen Altertum nachzuweisen, in dem Sinne, daß ein Grab in der
Nähe eines Heroengrabes wertvoll erschienen wäre, so ist die uns auffallende Er-
scheinung doch ganz im antiken Geiste empfunden, allerdings als eine weitere Ent-
wicklungsstufe des in gleicher Richtung früher Vorgekommenen.
Die Nachfrage nach Gräbern bei den Heiligen war stärker als das Angebot
(quod multi cupiunt et rari accipiunt), und es war nicht möglich, solchem Verlangen
zu genügen ohne Eingriffe in den cömeterialen Bestand. Damasus verzichtete deshalb
auf seine Bestattung in der Bischofsgruft, weil er Scheu trug die dort Ruhenden zu
stören. Vereinzelte Stimmen warnten auch vor der abergläubischen Hoffnung auf
einen Vorteil für das Heil der Seele, der von der Bestattung des Körpers in der
Nähe eines Märtyrergrabes zu erwarten wäre. Die allgemeine Meinung, die auch die
kirchliche war, aber ist bis heute dieselbe geblieben.2)
Die Grabschriften.
Zur Ausstattung der Gräber und Grüfte gehören in erster Linie die Grab-
schriften und die Malereien. Zuerst besprechen wir die Grabschriften, so verlangt
es ein planvolles Vorgehen. Denn die Inschriften sprechen, sie geben unmittelbar
Aufschluß über die Verstorbenen, über ihre Person und über ihre und der Hinter-
bliebenen Gedanken angesichts des Todes. Die Malereien sprechen ja auch, sie sind
sinnvoll gewählt; aber sie sprechen nicht in Worten, sondern eben in Bildern, welche
*) Felicissimus: Bull, crist. 1895 Taf. 9—10.
Bischofsgruft: de Rossi, Roma sott. II Taf. la, unsere Abbildungen vorstehend.
Hippolytus: Prudentius Peristeph. XI.
2) Begräbnis ad sanctos: Fr. X. Kraus, Realencykl. I 19. H. Leclercq bei Cabrol, Dictionnaire
d'archlol. chr£t. I 1903, 479.
Die Grabschriften.
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Zwei Grabschriften: 1. frühchristlich, 2. aus dein vierten Jahrhundert. 3. Damasianisches Elogium auf Eusebius
(die erhaltenen Bruchstücke des Originals schwarz).
134 Bau der Katakomben.
mißverstanden werden können. Daher suchen wir festen Fuß zu fassen, indem wir uns
zuerst an die Inschriften wenden.
Die Sammlung christlicher Inschriften, welche de Rossi im Museum des Lateran
vereinigt hat, besteht hauptsächlich aus Grabschriften, die meist den Katakomben ent-
stammen. Er hat sie in eine Reihe numerierter Wandfelder verteilt und zwar nach
einer Art sachlicher Anordnung. Drei Felder enthalten kirchliche Kultusdenkmäler
(eins davon die damasianischen Elogien), vier andere umfassen datierte Inschriften, die
zehn folgenden führen Denkmäler kirchlicher Stände und christlicher Dogmen vor
Augen; die sieben letzten gruppieren die Inschriften nach der Provenienz, das ist
nach den Katakomben, zu denen sie gehören. Die oben geforderte Sammlung der
christlichen Inschriften, vor allem der römischen Grabschriften, müßte versuchen, die
Anordnung nach der Provenienz zum obersten Einteilungsgrund zu machen. Freilich
bereiten die Verwüstungen, die in alten und neuen Zeiten über die Katakomben dahin-
gegangen sind, solchem Unternehmen zum Teil unüberwindliche Hindernisse, aber soweit
die Aufgabe noch lösbar ist, sollte sie je eher je besser gelöst werden. Nun ermög-
lichen die Forschungen der Brüder de Rossi und ihrer Nachfolger, die Baugeschichte
jeder Katakombe vom Denkmal abzulesen; so ist es auch möglich (und vielfach schon
begonnen), die zugehörigen Grabschriften gleichlaufend zu ordnen, um daran die Ent-
wicklung des christlichen Vorstellungslebens auf dem sepulkralen Gebiete unmittelbar
verfolgen zu können. Analoge Wünsche werden uns die Malereien nahelegen.1)
Der Totenkult macht nötig, an den Gräbern unterscheidende Zeichen anzubringen,
je zahlreicher sich die Gräber in den Grüften drängen, desto mehr. Man wußte sich
auch mit bescheideneren Kennzeichen zu helfen, allerlei in den nassen Mörtel einge-
drückten kleinen Gegenständen oder eingeritzten Zeichen. Das Beste aber war die
Grabschrift. Als Schrifttafel diente den Christen wie den Heiden meist die Marmor-
platte; anfangs kamen auch solche aus gebranntem Ton vor, mit aufgepinselten In-
schriften (Coem. Domitillae und Priscillae), doch die Marmortafeln mit eingehauenen
Inschriften sind bei weitem die Regel. Bei den Fachgräbern diente die Verschluß-
platte sofort auch zur Aufnahme des Epitaphs. Die Sprache der Grabschriften,
wie überhaupt die der Kirche, war früher und langehin die griechische (das Christentum
ist griechische Religion), erst allmählich trat die lateinische ihr zur Seite, um im
Abendland schließlich die Alleinherrschaft zu gewinnen.
Die früheren Tituli gehören den zwei ersten Jahrhunderten, falls aus dem ersten
überhaupt welche erhalten sind, zahlreicher werden sie erst im dritten Jahrhundert.
Knapp und schlicht abgefaßt, ohne Ruhmredigkeit, geben die früheren nur den
Namen und zwar den Rufnamen (Onesimos, Celsus); dazu etwa den Zivilstand, als
Gattin, Gatte, Sohn, Tochter, Bruder, Schwester (Meinem Sohne Marcus, Meine
Schwester Silvina) mit einem freundlichen Prädikat (Obrimos der seligen Nestoriane,
seiner lieben Lebensgefährtin zum Gedächtnis, Onesimos und Semne als Eltern ihrem
lieben Kind Epiktetos). Nennung der drei Namen nach der vollen römischen Nomen-
klatur wird erst allmählich häufiger. Beruf oder Stand wird für gewöhnlich nicht an-
*) Inschriften: Literatur oben, am Schluß des Kapitels von den Quellen, Seite 37. Vgl.
V. Schultze, Katakomben 233; Handbuch 151, 5. Kaufmann, Handbuch 189 Epigraphische Denk-
mäler, 205 Sepulkralinschriften (im engeren Sinn). Marucchi, Elements I 141 l'^pigraphie
chrötienne.
Die Grabschriften. 135
gegeben; seit Konstantin erscheinen die viri clarissimi und feminae clarissimae
(Personen von senatorischem Stande). Viele Inschriften beziehen sich auf Ziehkinder,
auf Sklaven und Freigelassene. In der Spätzeit werden kirchliche Ämter zahlreicher
erwähnt, der Episkopos und der Presbyter (oder Pastor), der Diakonos (Minister),
der Lector, der Exorcistes.
Die Lebensdauer wird oft angegeben, und zwar manchmal auffallend genau,
nicht bloß Jahre und Monate, sondern Tage und Stunden; in anderen Fällen dafür
um so ungenauer, mit „mehr oder weniger", in griechischer wie in lateinischer Sprache
(Onesimos seinem lieben Kind Titus Flavius Onesiphoros, es lebte sechs Jahre.
Marcellus, der auch Exuperius heißt, lebte 5 Jahre, 1 Monat, 7 Tage). Besonders
wichtig, wenn auch erst später auftretend, war die Angabe des Sterbetages und neben
ihm (oder statt seiner, falls beide nicht zusammenfielen) die des Tages der Bestattung
(xarä&eacg, depositio), angegeben mit Monat und Tag nach dem antiken Kalender.
Endlich wurde auch das Jahr bezeichnet, nach den Konsuln, doch war dies nicht so
wesentlich wie die Angabe des Kalendertages; denn nach letzterem richtete sich der
Totenkult. Das Grab selbst wird selten genannt, allenfalls in der Form Ruhestätte
{xoifuj<x> dormitio), Platz (xönog, locus) des und des. In der ausführlicheren späteren
Redeweise heißt es: Hier ruht der und der.1)
Manche Grabschriften rühmen, wie gottesfürchtig, wie heilig der Verstorbene
war (&£OG£ßrig, uyiog). Wenn seine Menschenfreundlichkeit, seine Liebe (humanitas,
oaritas) gepriesen wird, wenn er allen Freund, keinem Feind war, wenn er die Armen
liebte, wenn er der Witwe ein Gatte, der Waise ein Vater war, so mutet uns das
spezifisch christlich an, weil die Menschlichkeit Wurzel, Ziel und einziges Kennzeichen
des echten Christentums ist. Nicht als hätte es die Idee der Humanität den Menschen
zuerst gebracht, noch als hätte es vermocht, die schöne Idee auch wirklich durch-
zusetzen, vielmehr hat die politische Tendenz der Kirche die Entfaltung der Humanität
immer gehemmt, trotzdem hat das Christentum viel zu ihrer Verbreitung beigetragen.
Dieser Grundsatz der christlichen Ethik also klingt in den dem Verstorbenen beige-
legten Prädikaten an; der Hauptgegenstand alles Sinnens und Trachtens der Christen
aber war nur die Seligkeit im Jenseits, das sprechen die Grabschriften in verschiedenen
Formeln übereinstimmend aus.
Was wird nun über den Verstorbenen im Jenseits ausgesagt? Vorauszuschicken
ist dies. Meist wird von der Person schlechthin geredet, ohne Unterscheidung von
Seele oder Geist und Körper; doch kommt letzteres vor: dein Geist {nvtv^iu, Spiritus)
*) Grabschrif ten aus dem Coem. Priscillae : \)vrtaiixoq, IlbXQoq. EvtXmaxoq. TliXQoq.
Stefanus. Zosime. Felicitas. — 'Ayämj 0-vyaxQt. Marco filio. Silvina soror. — v()ßQi^t.oq Xtaxopiüry
ftaxagirc yXvxvxdxy ov/ißho fivt'jfitjq '/kqiv. 'OvrjGiftoq xal Sifirtj yovelq 'Enixxrjxco xixvio ykvxvvdvo)
(■noiTjoav. Aeliae nutrici benenierenti. Aeliabus Serenae et Noricae filiabus pientissimis P. Aelius
Noricus pater posuit. Aureliae Secundae coniugi incomparabili. 'Ov^aifioq Tino 'lO.ccßüo
'Ovr]Oi<p6()ü) zexvco ylvxvxäxio "Qrj I'ztj g. Marcellus qui et Exuperius egit an(nos) V, m(enses) I, d(ies)
VII. — Dep(ositio) Caeciliae XIIII K(al) Jun. — . . . . Maximo et Patjerno co|nsulibus
233 nach Chr. Hie Bonifatia dormit cum Honorato marito suo. Marcianus hie dormit in pace.
Felicissima hie posita est. — 'AyccTtTjrbq bv dg^vy. Celestina pax. Zosime pax tecum. - - Zieh-
kinder: Leclercq bei Cabrol, Dictionnaire II 1904, 1295. — Androhung von Strafen für Grab-
verletzungen: Leclercq eb. I 1904, 1575. — Abbildungen christlicher Tituli bei de Eossi, Eoma
sott. I Taf. 17 ff. und anderwärts.
136 BftU der Katakomben.
ruht in Gott, im Himmel, im Frieden. Die Formel „in Frieden" (iv eiQrjvri, in pace)
ist jüdisch und christlich; jüdisch meint sie die Grabesruhe nach den Stürmen des
Lebens, denselben Gedanken, den auch heidnische Epitymbien in mancherlei Wendungen
aussprechen. Für den Christen aber bedeutete der „Frieden" das jenseitige Ruhen
im Himmel, in Gott, gelegentlich heißt es auch „im Schöße Abrahams". Schließlich
aber ward die Formel geradezu gebraucht zur Kennzeichnung des christlichen Standes;
statt „er ist als Christ geboren", „hat als Christ gelebt", heißt es dann „geboren im
Frieden", „gelebt im Frieden" (natus in pace, vixit in pace), nach Umständen auch
im geschärften Sinne „in der Großkirche" unter Ausschluß der „Häresien". Das
Gewöhnliche aber ist der jenseitige Sinn, im Frieden des Himmels. Der schillernde
Gebrauch der Formel beruht auf dem Schwanken der christlichen Vorstellung zwischen
Diesseits und Jenseits: das Gottesreich war ursprünglich, wenn schon als vom Himmel
kommend, so doch als diesseitig verwirklicht gedacht, aber durch die auf allem Mensch-
lichen liegende Tragik war es jenseitig geworden; doch bewahrten sich die Christen
im Hintergrund immer die Identität beider Reiche, die sie vermittelten durch den
Hilfsgedanken der endlichen Welterneuerung und Weltverklärung.
Der Verstorbene, so heißt es weiter, möge leben in Gott, du mögest leben in
Ewigkeit (vivat in deo, vives in aeternum); oder zuversichtlicher: du wirst leben, du
lebst (vivis in deo). Sterben heißt hier zu Gott gehen: er ist hingegangen zu Gott
(ivit ad deum), er war begierig, Gott zu schauen und hat ihn geschaut (deum videre
cupiens vidit); er ist aufgenommen in das Licht des Herrn (susceptus in luce domini).
Das schildert schon die Herrlichkeit des Paradieses, wo alles Licht und Glanz ist, wo
der Verstorbene vor dem leuchtenden Angesicht des Herrn steht. Da möge Gott ihn
erquicken (deus refrigeret spiritum tuum). Zugleich tritt er in die Gemeinschaft der
Geister der Heiligen, der heiligen Geister, sie nehmen ihn, seinen Geist, auf (te sus-
cipiant omnium ispirita sanctorum, accepta est ad spirita sancta, refrigera cum spirita
sancta). Von einem Kinde heißt es, daß es bei seinem zarten Alter ohne Sünde zum
Sitze der Heiligen eingehend in Frieden ruht (Eusebius infans per aetatem sine peccato
accedens ad sanctorum locum in pace quiescit). Die große, freilich nicht allgemein im
Vordergrund stehende Hoffnung aber ist die zukünftige Auferstehung, in dieser Hoff-
nung ruhen die Entschlafenen (in spe resurrectionis).1)
Worauf beruhen nun diese Hoffnungen? Auf Gott; wer auf Gott vertraut, wird
ewig leben (qui in deo confidit, semper vivet). Und auf dem Christus; der Verstorbene
wird auferstehen in Christus (resurrecturus in Christo). So heißt es auch: durch
Christus' Tod erkauft, erlöst (Christi morte redemptus). Endlich aber ruht die Hoffnung
auch auf den Heiligen und ihrer Fürsprache: durch Christus' Tod erlöst ruht er im
Frieden und erwartet den Tag des künftigen Gerichts froh bei der Fürsprache der
*) Das ad sanctos wollen viele nur von der Bestattung bei einem Märtyrergrab verstehen,
wie sie im Kapitel vom Bau der Katakomben begegnete; so Kraus, Kealencykl. I 19, vgl. Rom.
Quart. 1902, 50. 171; eb. 1894, 135. Dagegen siehe Leclerq bei Cabrol, Dictionnaire d'archebl.
chrdt. I 503 — 506. — Hier sei kurz hingewiesen auf die Inschriften, welche vom Kauf des Grabes
reden, und auf solche, die um Schonung des Grabes bitten, z. B. Peto a bobis, fratres boni,
per unum deum, ne quis VII (hunc?) titelom molestet post mortem meam. Siehe Müller,
Koimeterien 826. 829. — Vgl. auch Cabrol, Dictionnaire I 1903 244 III Acclamations sous forme
d'inscriptions.
Die Grabschrifteu. 137
Heiligen (diem futuri iudicii intercedentibus sanctis laetus expectat). In der Regel
wird die Intercession der Heiligen angerufen, man darf aber nicht übersehen, daß
ursprünglich und eigentlich jeder Christ durch die Taufe ein Heiliger ist (ßytog, sänctus
ist ursprünglich synomym mit Christ). Daher auch jeder Getaufte eben damit am Reich
teil hat und im Todesfall in den Himmel eingeht. Und so war es nur folgerichtig,
daß jeder verstorbene Christ um seine Fürbitte angegangen werden konnte, um Für-
bitte dann auch für die Hinterbliebenen. So wird ein Verstorbener angerufen: Bitte
für deine Schwester, andere: Bitte für uns (Petas pro sorore tua, Pete pro nobis).
Und schließlich bitten die Verstorbenen auch um das Gebet der Hinterbliebenen für
sich. Fürsprache, wie Bitte, ist allgemein menschlich. In der Odyssee 3,55 betet
Mentor- Athene zu Poseidon, erst für Nestor und die Seinen, dann für Telemach und
sich selbst. Der Jahwist erzählt Exod. 8, 4, Pharao habe Mose und Aaron rufen
lassen und gebeten: Legt bei Jahwe Fürbitte ein, daß er mich und mein Volk
von den Fröschen befreie; so will ich das Volk ziehen lassen, damit sie Jahwe
Opfer bringen. Und so geschah es, auf Moses Fürbitte ließ Jahwe die Frösche
sterben. Hierhin gehören auch die jüdischen Fürsprechengel, wie Hiob 33, 23,
Henoch 40, 6; an letzterer Stelle heißt es, in der Vision von den vier Engeln
vor dem Angesicht des Herrn der Geister: „Die dritte Stimme (Gabriels) hörte ich
bitten und beten für die Bewohner des Festlandes und Fürbitte einlegen im Namen
des Herrn der Geister." Bei Besprechung der Oranten und der Gerichtsbilder kommen
wir auf die Fürbitte zurück.
Die christlichen Grabschriften, das leidet keinen Zweifel, lassen die heidnischen
an Allgemeinheit und Zuversicht der Hoffnung weit hinter sich. Wir haben in einem
früheren Kapitel gesehen, daß verschiedene Strömungen durch das Altertum gingen,
die eine aus der Urzeit herrührende und an den Urvorstellungen haftende, zeitweise
zurückgedrängte, aber nie ganz verdrängte jenseitsgläubige, die andere vorwärtstreibende,
vom Jenseits zum Ideal hinüberstrebende, die durch die klassischen Jahrhunderte
leuchtete, doch in der nachklassischen Zeit dem neuerstarkten Urglauben unterlag.
Zwischen den hoffenden heidnischen und den hoffenden christlichen Grabschriften ist
der Art nach soweit kein Unterschied; und wenn ein Unterschied besteht, im Grade der
Zuversicht, so bestätigt sich darin wieder der Satz, daß das Christentum vollendete,
was im Heidentum begonnen war, daß das Christentum die geschichtliche Vollendung
des Heidentums war. Das Streben des Altertums zur Einheitsreligion hat im Christen-
tum sein Ziel erreicht, und die antike Religion hat in der Rückkehr zum Jenseits-
glauben und in dessen höchster Vervollkommung, die er im Christentum erfuhr, ihren
Kreislauf vollendet.
Zu den Inschriften treten noch Sinnbilder. Von Haus aus nicht ein Sinn-
bild, sondern bloß eine Abkürzung von Schrift (compendium scripturae) ist das
Monogramm; für uns kommt das Christusmonogramm in Frage, die zwei griechischen
Buchstaben X und F, die Anfangsbuchstaben des Wortes Christus, ineinander-
gezeichnet. So findet es sich im Kontext von Inschriften, die noch vorkonstantisch
sein können, z. B. in den Formeln „in Christus", Christusdiener ( 1ö%a <><>i iv
Xqigtm, dovlog Xqigtov, Christi servus, also iv ^, dovlog )^, )^ servo Luciliano,
das heißt, dem Christusdiener Lucilianus). Auch die Formel in )j£ deo wird ent-
sprechend aufgelöst, wonach sie „in Christo deo" lautet und als Zeugnis für den
Glauben an die Gottheit des Christus gilt. Außerhalb von Schrifttext, isoliert und
138 Bau der Katakomben.
als Symbol, verwendete das Christusmonogramm zuerst Konstantin; auf seinem Zuge
gegen Maxentius 312 setzte er es auf die Schilder der Soldaten, in abergläubischer
Absicht. Danach wurde es auch von den Christen als Symbol gebraucht und häufig
den Grabschriften hinzugefügt. Daher die chronologische Regel, daß alle Epitaphien
mit dem symbolischen Monogramm später sind als 312.
Eigentliche Sinnbilder erscheinen im zweiten Jahrhundert. Das Kreuz, nach
welchem man geneigt ist zuerst zu fragen, hat sich nur langsam als Symbol durch-
gesetzt. Es tritt zuerst im zweiten Jahrhundert auf, im Coem. Lucinae, im Epitaph
der Rufina und, man möchte sagen, schüchtern, in zwei Deckenmalereien; deren radiale
Linien sind so gezogen, daß sie ein gleicharmiges Kreuz bilden (Farbtaf. III). Ein auf-
gerichtetes Kreuz kommt in der altchristlichen Malerei nur selten vor, so in der Lünette
eines Arkosols des vierten Jahrhunderts: zwei Tauben stehen in einer Art Paradiesgarten,
welcher durch ein System stilisierter Rosenzweige angedeutet ist; in deren Symmetrieaxe
erhebt sich das Laubkreuz. Wir müssen also sagen, dem Mittelstück seiner Paradies-
malerei hat der Maler die Gestalt eines Kreuzes gegeben. Bei dergleichen Andeutungen
hat man von einem versteckten Kreuz gesprochen (crux dissimulata); nun muß
man nicht denken, daß die Christen etwa unter dem Druck der Verfolgungen
nicht gewagt hätten, das Kreuz offen darzustellen. Abgesehen davon, daß die frühere
Vorstellung von einer andauernden Verfolgungszeit sich als unhaltbar gezeigt hat,
was hätte die Christen hindern sollen, in ihren unterirdischen Cömeterien, die den
Augen der heidnischen Welt entzogen waren, neben anderen Symbolen, die sie unbe-
denklich anbrachten, auch das Kreuz zu malen? Das Kreuz zu malen lag ihnen von
Haus aus eben so fern, wie alle Szenen der Passion; denn gerade in der Grabmalerei
kam es ihnen darauf an, nicht das Leiden, sondern den Sieg über das Leiden und den
Triumph über den Tod vor Augen zu stellen. Der Künstler hat das Kreuz nicht
unter Laub versteckt, sondern umgekehrt, er hat den Laubstab, um ihm mehr Be-
deutung zu geben, zu einem Kreuz herausgebildet. Das Kreuz hat sich erst allmählich
zum herrschenden Symbol entwickelt, immerhin kommt es bei Grabschriften schon
ziemlich früh vor.1)
Häufiger sind andere Sinnbilder. Der Anker ist das Bild des Vertrauens, der
Zuversicht, christlich der zuversichtlichen Hoffnung auf die ewige Seligkeit durch den
Christus (Hebr. 6, 19). Der Palmzweig bedeutet den Sieg über den Tod. Der
Baum ist der Paradiesbaum, Sinnbild des Paradieses. Andere Symbole sind nicht so
eindeutig. Taube, Schaf und Fisch sind Bilder des Christen, und zwar des durch
Christus seligen. So auch die an Früchten pickende Taube; aber die Taube mit dem
Zweig im Schnabel erinnert an die Taube des Noah, das Schaf ist im Lauf der Zeit
auch zum Bilde des Christus geworden, und der Fisch kommt in den Mahlbildern so
häufig als die christliche mystische Speise vor, daß es nahe liegt, bei seinem Vor-
kommen an den Epitaphien die Frage zu stellen, ob er auch hier so gemeint sei.
Der Hirt ist der christliche Gute Hirt, das ist Christus selbst, der die Verstorbenen
in die Seligkeit einführt. Endlich, um nicht alles aufzuzählen, die betende Figur
(Orans) ist wieder ein Bild des seligen Christen in Anbetung vor der Herrlichkeit
*) Christusmonogramm: Kraus, Realencykl. II 224 Art. Kreuz, 412 Art. Monogramm
Christi, 432 Münzen; ders. Geschichte I 130. 490. Marucchi, Rom. Quart. 1896, 88. Über A i2
vgl. Cabrol, Dictionnaire I 1903, 1.
Die Grabschriften. 139
des Herrn. Alle diese Bildtypen werden uns bei Besprechung der Malereien wieder
begegnen; das hier zu ihrer Erklärung kurz Gesagte wird dort seine Begründung
finden.1)
») Kreuz: Kraus, Realencykl. II 224; Gesch. I 130. Wilpert, Bull. Christ. 1902, 3; Male-
reien 495. Rufina: de Rossi, R. sott. I Taf. 18, 1. Decken: Wilpert, Taf. 25. 38. Arkosol:
de Rossi, Roma sott. III 79 Taf. 11, 12. Über früheren Kultus des Kreuzes vgl. die Monumente
und Hypothesen bei A. Evans, Annual of Brit. school Athens IX 1902/03, 88 zu Fig. 62.
Anker: de Rossi, Roma sott. I Taf. 18, 2. 3. Kirsch bei Cabrol, Dictionnaire I 1905, 1999.
Palme: de Rossi III Taf. 28, 2. 25.
Baum: eb. I Taf. 18, 2.
Taube: eb.; Zweig bringend eb. II Taf. 45, 8. Noah eb. II Taf. 47, 42.
Schaf: eb. I Taf. 20, 1.
Fisch: eb. II Taf. 41, 12.
Hirt: eb. I Taf. 21, 1.
Orans: eb. II Taf. 39. Rom. Quart. 1891, 348 Taf. 12; 1892, 366 Taf. 12; 1893, 287 Taf.
19; 1894, 131.
Wassergefäß: de Rossi III Taf. 24, 13.
Die Malereien der Katakomben.
Der Hauptschmuck der Katakomben be-
steht (abzusehen von den in der Frühzeit
hier und da auftretenden Stuckdekorationen)
in den Malereien, mit denen teils die Grüfte
als solche, teils einzelne Gräber ausgestattet
sind. Bevor wir sie selbst betrachten (es
kommen hier wesentlich nur die römischen
in Frage), muß ein Wort über ihre Ver-
öffentlichungen gesagt werden.
Die Publikationen.
Die älteren Publikationen können nur mit
Vorbehalt verwertet werden, mit dem doppelten
Vorbehalt, mit welchem der Archäologe alle
älteren Reproduktionen antiker Bildwerke zu
benutzen gewohnt ist. Einmal war die
Archäologie in ihren ersten Jahrhunderten
noch zu ungeübt und unerfahren, um alles
richtig verstehen zu können, vollends die
Zeichner haben vieles mißverstanden, um so
mehr als die Denkmäler durch mancherlei
schädigende Einwirkungen alle mehr oder
weniger gelitten haben. Dazu kam das andere, die mangelhafte Kenntnis der Stile
und die fehlende Übung in der Wiedergabe des stilistisch Charakteristischen. Den
alten Kopisten war für die Eigenart antiker Zeichnung und Farbengebung das Auge
zu wenig geöffnet, sie gaben alles im Stile ihrer eigenen Zeit wieder, des sechzehnten,
siebzehnten, achtzehnten Jahrhunderts. Wie die alten Kupfer nach antiken Skulpturen
alle im Stil der Zeit der Stecher ausgeführt sind, so daß die Antike nur in getrübtem
Bilde vor unser Auge tritt, so geben auch die alten Kopien der Katakombenmalereien
die Originale verfälscht wieder. Im Laufe des neunzehnten Jahrhunderts führte plan-
mäßige Ausbildung der archäologischen Methode dahin, die stilistische Eigenart der
verschiedenen Kunstperioden, Kunstprovinzen und Künstler schärfer zu unterscheiden
Die Publikationen. 141
und auch die Kopisten zu stilgetreuerer Wiedergabe der Antike zu erziehen. Im
Gebiete der altchristlichen Archäologie bezeichnen die Tafeln von de Rossis Roma
sotteranea immerhin einen Fortschritt, wenn sie auch noch zu wünschen übrig lassen.
Vollkommene Stiltreue, und -zugleich exakte Wiedergabe des Gegenständlichen erzielte
erst die mechanische Reproduktion mittels der Photographie. Joseph Wilpert, wohl
vorbereitet durch kritische Studien über die alten Kopisten, hat sich das große Ver-
dienst erworben, die zugänglichen Malereien der römischen Katakomben zum erstenmal
exakt und stilgetreu veröffentlicht zu haben. Er hat an fünfzehn Jahre in den
Katakomben gearbeitet, ehe er mit seinem Werke hervortrat. Er hat die oft von
Schimmel oder Sinter überzogenen Malereien gereinigt, nicht ohne Anwendung ver-
dünnter Säuren (hoffentlich ohne den Farben zu schaden); er hat die Malereien bei
künstlichem Licht photographiert und die gewonnenen Aufnahmen durch den
Aquarellisten Tabanelli unter seiner Aufsicht vor den Originalen in deren Farben be-
malen lassen. Diese in Farbe gesetzten Photographien ließ er photomechanisch, teils
schwarz, teils in Dreifarbendruck, vervielfältigen. Hierdurch hat Wilpert an Treue
der Wiedergabe alles erreicht, was mit den heutigen technischen Hilfsmitteln zu er-
reichen möglich ist. Einige in neuerer Zeit beschädigte Malereien hat er ergänzt
wiedergegeben, teils nach älteren Kopien, teils aus eigener Erinnerung; überall aber
hat er den Umfang und die Quelle seiner Ergänzungen angegeben, so daß niemand
irregeführt werden kann. Bei den Vorarbeiten in den Katakomben hat er Voll-
ständigkeit in der Aufnahme des zugänglichen Bestandes erstrebt, aber von seinem
Tafelband, zu einiger Unbequemlichkeit der Benutzer, um an den hohen Kosten
zu sparen, diejenigen fast alle ausgeschlossen, die er in früheren Monographien
bereits veröffentlicht hatte. Überhaupt wäre die monumentale Publikation ohne
die Unterstützung des deutschen Kaisers, des Fürstbischofs Kopp, und des Vor-
standes der Görresgesellschaft , in dem nun erreichten Umfange nicht möglich
gewesen.
Für die Reihenfolge der Tafeln hat Wilpert die chronologische Anordnung der
topographischen vorgezogen, weil bei ihr die allmähliche Entwicklung der altchristlichen
Kunst am klarsten zutage trete. Die meisten Archäologen würden doch wohl die
topographische Anordnung lieber gesehen haben. Ein Denkmälerkorpus soll den
monumentalen Befund vorlegen, ganz objektiv. Nun akzeptieren wir — bis auf bessere
Belehrung — Wilperts Datierungen als die besten bis heute erreichten; ganz frei von
subjektivem Dafürhalten aber sind diese chronologischen Ansetzungen keinenfalls. Am
liebsten fände man die Malereien im Rahmen eines Corpus coemeteriorum, eine jede
an ihrer Stelle. Wenn aber an ein so umfassendes Werk nicht gedacht werden konnte,
so hätten die Malereien doch topographisch geordnet, hätten mindestens Planskizzen
und Querschnitte der etwas dürftigen topographischen Übersicht in der „ersten Bei-
lage" zugegeben werden können. Die Entwicklung der Katakombenmalerei geht
parallel der baulichen Entwicklung der Katakomben selbst; die Baugeschichte einer
Katakombe liefert wichtige Kriterien zur Datierung ihrer Malereien, Wilpert hat von
ihnen ausgiebigen Gebrauch gemacht. Es wäre nun sehr belehrend gewesen, wenn er
sich hierüber nicht bloß in ein paar Andeutungen ausgesprochen, sondern die Geschichte
jeder Katakombe im Zusammenhang der künstlerischen mit der baulichen Entwicklung
dargelegt hätte. Auch die Auswahl und Anordnung der Gemälde, hiermit aber zu-
gleich ihre ganze Meinung und Absicht, würde in der nach Katakomben gegliederten
142 £)ie Malereien der Katakomben.
#
Betrachtung verständlicher sein als bei dem Zusammenwerfen aller Malereien in eine
einzige chronologische Reihe.
Der Textband endlich ist nicht, wie man es bei archäologischen Publikationen
erwartet, ein Kommentar zu den Tafeln, sondern geht ganz selbständige Wege, so
sehr, daß nicht einmal ein Verzeichnis der Tafeln mit Nachweis der die Bilder be-
handelnden Textstellen dem Erläuterung suchenden Leser entgegenkommt (Es fehlt
auch eine vergleichende Übersicht seiner Tafeln und derjenigen der früheren Publi-
kationen.) Statt dessen hat sich der Textband das über die nächste Aufgabe einer
Publikation hinausgehende, an sich gewiß dankenswerte Ziel gesetzt, den Bilderschatz
der römischen Katakomben nicht bloß in kritischer Weise, sondern auch erschöpfend
zu verarbeiten. Ein erstes Buch, allgemeine Untersuchungen, legt die Grundlagen in
einer Reihe wertvoller Kapitel, über die Technik der Malereien, über Entlehnungen
aus der heidnischen Kunst, über die Tracht der dargestellten Personen und ihre Ver-
wertung für Chronologie und Exegese, usf. Das zweite Buch, „Inhalt der Malereien",
leidet an dem Fehler, den Stoff nicht aus dem wirklichen Grundgedanken der
Cömeterialmalerei, sondern unter dem Zwange dogmatischer Vorurteile als eine Art
Dogmatik in Bildern zu verstehen. Das Buch legt die falsche Meinung zugrunde,
Christus sei der Hauptgegenstand der Malereien; wie das Johannesevangelium als
seinen Zweck die Verbreitung des Glaubens an die Gottheit Christi angebe (dabei
wird Gottheit für Gottessohnschaft untergeschoben; es heißt aber Joh. 20, 31 „Diese
Wunder sind geschrieben, damit ihr glaubet, Jesus sei der Christus, der Sohn Gottes"),
wie der älteste uns bekannte kirchliche Hymnus die Verherrlichung der Gottheit
Christi zum Gegenstand habe, wie die Gottheit Christi stets das Grunddogma gebildet
habe, dem sich alle übrigen Glaubenswahrheiten unterordnen müßten, so sei auch für
die cömeteriale Malerei Christus der Hauptgegenstand ihrer Schöpfungen; des weiteren
heißt es, ihre Hauptaufgabe habe die Malerei zunächst in der Hervorhebung der
Menschwerdung des Sohnes Gottes gesetzt usf (Seite 185 ff.). Darum stellt Wilpert
die christologischen Bilder an die Spitze (er beginnt deren Besprechung sogar mit dem
Jesuskind auf dem Schoß der Mutter, also dem Madonnentypus). Nun ist uns das
numerische Übergewicht der Christusdarstellungen, wenn man die Bilder des guten
Hirten mitzählt, wohl bekannt; dennoch bleibt der Satz bestehen, daß nicht der
Christus Hauptgegenstand der Katakombenmalerei war. Vielmehr sind es in dieser
sepulkralen Kunst die Verstorbenen; sie sind, Wilpert selbst sagt es gelegentlich, der
„Mittelpunkt, um den sich alles wendet" S. 459. Der Christus wird unbeschadet seiner
zentralen Bedeutung im christlichen Glauben doch nur als Mittel zum Zweck dar-
gestellt. Die Malereien sprechen das zuversichtliche Vertrauen aus, daß die Ver-
storbenen in die ewige Seligkeit eingegangen sind durch die Hilfe des Christus. Von
hier aus finden alle Bilder ihre einheitliche Erklärung. Endlich ist zu bedauern, daß
auf einem Gebiete, bei dessen Bearbeitung behutsames Vorgehen dringend nötig ist,
Wilpert Vermutungen und Wahrscheinlichkeiten allzurasch als gesicherte Erkenntnisse
in Rechnung setzt, sowie daß auch er sich von der Tendenz noch nicht genügend
freihält, beweisen zu wollen, daß die Lehren und Einrichtungen der römischen Kirche
schon in den ersten Jahrhunderten „im wesentlichen" die gleichen gewesen wären Avie
in den späteren Zeiten (z. B. Seite 213 über die Stellung der Maria).
Wir durften die Mängel des Werkes nicht verschweigen; trotzdem erkennen
wir gern an, daß Wilpert in wissenschaftlicher Erfassung des Gegenstandes nicht
Chronologisches. 143
bloß über Garrucci, sondern in. mancher Beziehung auch über de Rossi hinaus-
gekommen ist.1)
Chronologisches.
Wenn wir die Denkmäler historisch verstehen und zum Aufbau der Kunst-
geschichte verwerten wollen, so müssen wir danach streben, ihre Ursprungszeiten zu
finden. An Kriterien zur Ermittelung der Entstehungszeiten fehlt es für die Kata-
kombenmalcreien nicht, dank vorzüglich der Bemühungen der Brüder de Rossi und
Joseph Wilperts. Mit Hilfe dieser Unterscheidungsmerkmale ist es möglich, die
Malereien nicht bloß im Sinne der relativen Chronologie in eine zeitliche Folge zu
bringen, sondern auch diese Reihe von Stufe zu Stufe mit den Epochen der Zeit-
geschichte in Beziehung zu setzen.2)
Solche Kriterien sind erstens aus der Baugeschichte der Katakomben zu ent-
nehmen. Ein Gemälde kann nicht älter sein als die Gruft, der Gang, das Grab, über-
haupt der Bauteil, an dem es angebracht ist. Man kann aber die Entstehungs-
geschichte einer Katakombe vom baulichen Befund gleichsam ablesen. Bei dergleichen
Untersuchungen sind datierte Gräber von Nutzen; freilich pflegen nur von Bischöfen
die Sterbejahre durch Überlieferung bekannt zu sein. Inschriftlich datierte Gräber,
auch anderer Personen, gibt es erst aus dem vierten Jahrhundert. Da der Schrift-
charakter der Epitaphien im Laufe der Jahrhunderte AVandlungen erfahren, auch das
Formular sich geändert hat, so ist es möglich, die Inschriften nach den Eigentümlich-
keiten ihrer Schrift und ihres Formulars wenigstens annähernd zu datieren.
Andere Kriterien gibt die Maltechnik an die Hand. Die Malereien sind auf
weißen Putz gesetzt. Die fünf bis sechs Schichten Putz übereinander, teils Sand-
mörtel, teils Marmorstuck, wie sie Vitruv und Plinius fordern, finden sich höchstens
in Kaiserpalästen. In den Katakomben kommt nur einmal dreischichtiger Putz vor,
*) Joseph Wilpert, Die Katakombengemälde und ihre alten Kopien 1891; Ein Cyklus
christologischer Gemälde aus der Katakombe der hl. Petrus und Marcellinus 1891; Fractio panis,
die älteste Darstellung des eucharistischen Opfers 1895; Die Malereien in den Sakraments-
kapellen in d. Katak. des hl. Kallistus 1897; Die Malereien der Katakomben Korns 1903, mit
einem Tafelband.
2) Chronologie: Lefort, Etudes sur les monum. primit. de la peinture chr^tienne en Italie
1885. Wilpert, Malereien 121. Wilpert beruft sich für seine chronologische Schätzung der ältesten
Malereien in der Katakombe der Domitilla auf die Zustimmung August Mau 's, der ihn fast in
alle größeren Nekropolen begleitet habe. Bei dem Werte, welcher dem Urteil des gegenwärtig
besten Kenners Pompejis beiliegt, würde es alle Archäologen zu Dank verpflichten, wenn Mau
selbst nicht bloß über die genannten Malereien, sondern über die Katakombenmalerei überhaupt
sich aussprechen möchte. Auf Mau's grundlegende Geschichte der dekorativen Wand-
malerei zu Pompeji 1882 können wir nicht unterlassen, mit Nachdruck hinzuweisen (und den
Wunsch hinzuzufügen, daß ihre Fortsetzung, eine der dringendsten Aufgaben der deutschen
Archäologie, nicht länger hinausgeschoben werden möchte). Wer die Malereien der Katakomben
mit den rechten Augen betrachten will, der studiere vorher und daneben die Tafeln von Mau's
Geschichte, sowie diejenigen der anderen Publikationen, wie Zahn, Die schönsten Ornamente aus
Pompeji, Presuhns Pompeji usf.; er achte dabei einerseits auf das System der Decken- und Wand-
dekoration, andererseits auf die Einzelheiten, die Banken, Blumen und Früchte, die Seedrachen,
die Panther und Böcke, die Rinder und Schafe, die Enten, Tauben und Pfauen, die Eroten und
Psychen usf.
144 Die Malereien der Katakomben.
nämlich auf Mauerwerk, in der Januariusgruft im Coem. Praetextati; auf dem ge-
wachsenen bröcklichen Tuff ist er, wie übrigens meist auch in den pompejianischen
Häusern, nur zweischichtig. Besseren Stuck weisen nur einzelne frühe Kammern auf,
wie die sog. Galerie der Flavier und die Ampliatusgruft in Domitilla, die Aciliergruft
in Priscilla. Im späteren dritten Jahrhundert beginnt die Arbeit nachlässig zu werden,
man begnügte sich meist mit nur einer Schicht. Übrigens konzentrierte sich alle
Sorgfalt auf den Malgrund, die übrigen unbemalten Wandflächen blieben oft sogar
roh. Die Malereien selbst wurden auf den noch frischen Bewurf, al fresco, auf-
getragen. Die Farbenskala war eher arm, selten kamen die teureren Farben zur Ver-
wendung. In der Spätzeit verschlechterte sich die Qualität der Farben wie des
Stuckes. Die Schlichtheit dieser ganzen Katakombenkunst brachte es mit sich, daß
die Malereien unmittelbar auf den weißen Grund gesetzt wurden, nur ausnahmsweise
auf roten oder auch gelben Grund (Rotgrund: Wilpert Taf. 15f, u. ö.); im vierten
Jahrhundert kam es vor, daß der Grund nachträglich mit Farbe gestrichen wurde.
Dem Malen ging die Einteilung der Fläche und die Vorzeichnung voraus, die Ein-
teilung z. B. einer Decke durch konzentrische Kreise und Radien, mittels Schnur und
Stift; sodann die Vorzeichnung der Figuren, ebenfalls mit eingeritzten Linien, später
auch wohl mit dem Pinsel. Seit dem dritten Jahrhundert riß auch in diesen Dingen
Nachlässigkeit ein, die Einteilung der Fläche geschah aus freier Hand nach dem
Augenmaß, Fehler in der Vorzeichnung wurden nicht mehr verbessert.1)
Besonders wichtig für die Zeitbestimmung ist das Stilistische. Die künstlerische
Entwicklung bewegt sich nicht weniger auf absteigender Linie als die technische; die
ältesten Malereien sind die besten, darunter ist manches, was noch den künstlerischen
Geist der pompejianischen Wandmalereien atmet, so der Putto, Wilpert Taf. 5, die Vögel
Taf. 12; die Blumenvase zwischen zwei Tauben auf unserem Titelbild repräsentiert die
mittlere Periode der römischen Katakombenmalerei um 200. In den früheren
Malereien ist noch ziemlich korrekte Zeichnung und richtige Farbengebung, die
Figuren leidlich proportioniert und passend bewegt. Der Verfall tritt deutlich seit
dem späteren dritten Jahrhundert in Erscheinung. Verzeichnungen häufen sich, es
fehlt nicht an falschem Kolorit, der künstlerische Sinn versagt. Um den Abstand
zwischen Früherem und Späterem sich anschaulich zu machen, braucht man nur
Wilperts Tafeln in ihrer Folge zu durchblättern oder Darstellungen eines und des-
selben Gegenstandes aus früherer mit solchen aus späterer Zeit zu vergleichen, etwa
eine Mutter mit Kind im Priscilla aus dem zweiten Jahrhundert, mit einer in Domitilla
aus dem vierten (jene bei Wilpert Taf. 22, diese Taf. 141) oder eine Anbetende in
Lucina mit denen der Vigna Massimo (jene bei de Rossi, Roma sott. I Taf. 11, diese
bei Wilpert Taf. 174 ff.).
Wir möchten noch zwei bezeichnende Momente hervorheben, die auch miteinander
in einem gewissen Zusammenhang stehen, die symmetrische und die frontale Dar-
stellung. Die Beziehung zwischen beiden besteht darin, daß die Mittelfigur einer
symmetrischen Gruppe naturgemäß in Frontstellung, andererseits eine in Vorderansicht
gegebene Figur leicht auch symmetrisch gezeichnet wird. Symmetrische Gruppen
x) Technik: Vitruv de architectura VII 3, 5—8. Plinius, nat. hist. XXXVI 176. Donner
v. Richter bei W. Heibig, Wandgemälde — Campaniens 1868. Wilpert, Malereien 3. Swoboda,
Rom. Quart. 1889, 145 nimmt Malerei al secco an.
Chronologisches. 145
waren in Flächenzeichnung und Relief von Haus aus seltener; im Profil gezeichnet
traten die Figuren sich gegenüber, die zwei Parteien sowohl im Kampf- wie im
Adorationsbild meist von ungleichem Gewicht, ein Sieger gegenüber einem Unter-
liegenden, der Gott gegenüber seinen Verehrern. Die symmetrische Gruppe hat man
aus technischen Ursachen ableiten wollen, aus einem Umlegen der Schablone bei Her-
stellung gemusterter Gewebe; man kann auch an tektonischen Ursprung denken, an
den Zwang, den ein symmetrisch geformter Rahmen auf die Komposition ausübt.
Z. B. die symmetrische Gruppe einer Säule zwischen zwei aufgerichteten Tieren am
mykenischen Löwentor könnte man in ihrer besonderen Ausprägung durch das Ent-
lastungsdreieck bedingt denken, in welches das Relief komponiert ist; unter analogem
Zwang des Giebeldreiecks haben sich die (als Reliefs zu betrachtenden) Giebelgruppen
wie von Agina oder von Olympia gestaltet. Aber die im Parthenon erreichte Kunst-
blüte hat die Starrheit der Symmetrie gelöst und durch das Gleichgewicht der Massen
ersetzt. Da ist es nun merkwürdig zu sehen, wie in ihrer letzten Periode die alte
Kunst in die symmetrische Kompositionsweise zurückfällt, wenn auch, wie natürlich,
nicht in allen Szenen: wir nennen Daniel zwischen zwei Löwen, dies abweichend von
der Erzählung mit ihren sieben Löwen; der Gute Hirt zwischen zwei, vier, sechs
Schafen; die typische Orans ebenso zwischen zwei Schafen. Auch das Adorationsbild
wird gelegentlich gegen alles Herkommen, nicht im Sinne der Legende, symmetrisch
komponiert; in der Anbetung der Magier wird das Christkind auf dem Schoß der
Mutter öfter in die Mitte gesetzt, zwischen die symmetrisch von beiden Seiten nahen-
den Magier. Endlich der sich schließlich zum Haupttypus der altchristlichen Malerei
herausbildende erhöhte Christus im Kreis der Apostel; nur in einem frühen Neapeler
Gemälde ist die Gruppe noch unsymmetrisch komponiert, nachher, und in Rom immer,
symmetrisch: Christus thront in der Mitte des Halbkreises der Apostel. Nach dem
Vorgang früherer Kritiker sieht Wilpert in der symmetrischen Komposition einen
künstlerischen Wert, er hebt rühmend hervor, die Maler hätten die Gesetze der
Symmetrie nie verletzt (S. 59). Vielmehr ist ihre Neigung zu symmetrischer
Gruppierung nur Verkümmerung.
Die Frontstellung der Figuren charakterisiert die altchristliche Kunst noch
auffallender. Voran sind die typisch in Vorderansicht dargestellten Betenden zu
nennen, teils solche in biblischen Szenen, wie Daniel in der Löwengrube, Noah in der
Arche, teils isolierte, die sog. Oranten; sie werden zugleich symmetrisch gezeichnet,
beide Hände offen gehoben. Dann die Christusdarstellungen außerhalb der Heilungs-
geschichten, sowohl die indirekten im Typus des Guten Hirten als auch die direkten,
nämlich des erhöhten Christus, mag er stehen oder thronen. Er kommt allerdings
auch in Seitenansicht vor, das ist aber örtlich bedingt; die Malerei befindet sich an
der Laibung eines Nischengrabes, so daß der Christus doch aus der Nische herausschaut.
Endlich die Heiligenbilder aus der Spätzeit; diese kirchlich sanktionierten Heiligen
stehen in Front gereiht, durch keine Handlung belebt oder verbunden. Zu diesem
Ende in Armut ist die Antike gekommen. Die Flächenzeichnung war einst ausge-
gangen von der Seitenansicht, höchstens die Brust wurde von vorn gegeben, beides
zur Vermeidung der schwierigen Verkürzungen. Die Darstellung in Seitenansicht er-
laubte auch, die Figuren ohne weiteres in Bewegung zu setzen, auch gegeneinander,
sei es zu freundlichem oder feindlichem Begegnen. Erst ziemlich spät begann man,
erst die Köpfe, dann auch ganze Gestalten in Vorderansicht zu drehen; die Blütezeit
Sybel, Christliche Antike I. 10
146 Die Malereien der Katakomben.
des fünften und vierten Jahrhunderts erlangte die volle Freiheit, die Gestalt in jeder
beliebigen Ansicht, Drehung und Wendung zu zeichnen. Aber es kam die Zeit der
Erschlaffung, nicht plötzlich, nicht auf einmal, sondern hier und da kündigte sie sich
an, mit am frühesten im attischen Grabrelief. In denen der Blütezeit war eine Fülle
ansprechender Familiengruppen entstanden, Mann und Frau sich gegenüber, Hand in
Hand gelegt, Mutter und Kind traulich vereint, Vater und Sohn, Bruder und Schwester,
die Figuren immer zueinander gewandt und durch eine kleine Bewegung verbunden;
allmählich wurde das Relief voller, runder herausgearbeitet, so daß die Figuren zuletzt
wie Statuen in Kapellen standen, aber immer noch zu wirklichen Gruppen vereint.
Dann also kam die Erschöpfung, nicht mehr wie früher komponierte man jedes Grab-
relief neu, sondern man begnügte sich, im herkömmlichen Rahmen Statuen in Vorder-
ansicht zu kopieren, zu mehreren in Front gereiht. Diese hellenistischen Grabreliefs
sind, ein wenig auch in der Idee, Vorläufer der schablonenhaft gereihten Heiligen in
Frontstellung (Wilpert Taf. 256. 258). Mit Schemen endigt die Antike, sie hat ihre
Bahn ganz durchlaufen.1)
Die Tracht der in den Katakomben gemalten Figuren läßt wechselnde Moden
erkennen; wenn deren Zeiten bekannt sind, so kann danach in gewissen Grenzen auch
die Entstehungszeit der Bilder bestimmt werden. Unter günstigen Umständen vermag
die Tracht auch zu genauerer Erklärung der Bilder zu verhelfen. Es ist ein besonderes
Verdienst Wilperts, diesen Gegenstand, der längst nach kritischer Untersuchung rief,
ernstlich in die Hand genommen zu haben, fußend auf dem, was die Altertumswissen-
schaft bis dahin zur Kenntnis der antiken Tracht erforscht hatte; denn ganz ins Reine
gebracht ist die Sache noch nicht.2)
Die Männerkleidung. Bereits in der mykenischen Zeit wurde eine Art Schurz
getragen, dazu kam nach Gelegenheit ein Mantel. Nachdem später völligere Be-
kleidung Sitte geworden war, blieb doch Schambinde und Lendentuch als Unterzeug
im Gebrauch; in den Katakombenmalereien kommt es ein paarmal bei im übrigen
entkleideten Personen vor, bei dem Täufer, da er im Wasser stehend tauft, und bei
Daniel in der Löwengrube. Hauptbekleidungsstück war der in der nachmykenischen
Zeit aus dem Orient zu den Ioniern und den übrigen Griechen gelangte Leibrock
(Chiton, Tunika). Die schlichteste Form hatte keine Ärmel, der klassische Typus
hatte Halbärmel, der orientalische aber lange, anschließende Ärmel (Chiton cheiridotos,
tunica manicata). In der altchristlichen Kunst kommen alle diese Typen vor, den
langärmligen, den die heidnisch-griechische Kunst allen Barbaren gab, sehen wir an
den Magiern, den drei babylonischen Jünglingen, dem Orpheus; schon in der vor-
kaiserlichen Zeit hatten ihn auch einzelne Griechen und Römer getragen, aber erst im
dritten Jahrhundert der christlichen Ära bürgerte er sich bei den klassischen Völkern
ein und findet sich nun in unseren Malereien auch bei Okzidentalen (Fossoren und
J) Hellenistische Grabreliefs: v. Sybel, Weltgesch. d. Kunst2 371 Abb. Heilige in
Front: Wilpert, Malereien. Taf. 256 ff. 262.
2) Antike Tracht: Hermann Blümner, Lehrbuch der griech. Privataltertümer 1882, 172.
Iwan Müller, Griech. Privataltertümer 1887, 395. Marquardt-Mau, Privataltertümer der Kömer
1886, 550. 542. Voigt, Eöm. Privataltertümer2 1893. Über die Anfänge vgl. jetzt Walter A. Müller,
Nacktheit und Entblößung in der altorientalischen und älteren griechischen Kunst 1906. Tracht
der Christen: Kraus, Realencykl. II 175 (Krieg). Wilpert, die Gewandung der Christen in den
ersten Jahrhunderten 1898; Malereien 63.
Chronologisches. 147
Oranten). Die Griechen hatten den Chiton einst in der Form des Talars übernommen,
aber bald ihn gekürzt und aufgeschürzt, nur Musiker, Rosselenker, Priester und
Theaterkönige behielten das lange Kleid bei; sonst waren es einzelne Narren, die sich
damit auffällig machten, oder auch kluge Leute, etwa wie Floquet mit seinem großen
Hut. Erst im vierten Jahrhundert der Kaiserzeit brachte der wachsende orientalische
Einfluß den Talar wieder zu Ehren, so daß ihn in der Katakombenmalerei einmal sogar
der Gute Hirte trägt.
Um „angezogen" zu sein, mußte der Freie über dem Leibrock den Mantel
tragen, auch wenn das Wetter ein Schutzgewand nicht erforderte, gerade wie in neueren
Zeiten der Herr den „Überrock". Der Mantel (Himation, Pallium, Toga) war bei
allen Völkern ein oblonges Stück Zeug, wie es vom Webstuhl kam, der schottische
Plaid ist nichts anderes. Griechen und Römer trugen ihn in gleicher Art (nur bekam
die Toga der Römer zu irgend einer Zeit runden Zuschnitt) um Rücken und rechte
Seite, um die Schulter oder unter der Achsel her, das Ende über die linke Schulter
geworfen oder über den linken Unterarm gelegt (vgl. die Statuen bei Sybel, Weltgesch.
d. Kunst2 342. 373, Marquardt-Mau 558 Fig. 2). Erst seit dem Ausgang der Republik
hat sich die Toga zu ihrer bekannten Eigenart entwickelt, nämlich zu einem im Sinne
der Weltbeherrscher würdevoll imponierenden, in Wahrheit barock aufgebauschten
Staatskleid. Als Tracht des täglichen Lebens aber war die Toga, vollends die der
Kaiserzeit, so unmöglich, daß schon vor und unter Augustus ein Widerstreben gegen
sie hervortrat; man beschränkte sie auf die offiziellen Gelegenheiten, dergleichen für
manche sich erst auf der Bahre fand. Der umständlichen Toga zog man bequemere
Formen des Oberkleides vor. Eine Menge Bürger, denen das pompöse Tuchgebäude
zu teuer sein mußte, blieb bei der schlichten Toga ihrer Väter (toga brevis, exigua).
Überdies flössen in der Reichshauptstadt alle denkbaren Typen aus Ost, West und
Nord zusammen, so daß man die Auswahl hatte; in der Tat nahm selbst die elegante
Mode dies und jenes fremde Stück auf, daneben auch Trachten der niederen Klassen.1)
Da war die Dalmatika, eine Art Tunika, mit kurzen aber weiten Armein; un-
gegürtet getragen fiel sie bis über die Knie. Commodus führte sie in Rom ein, als
Obergewand; im vierten Jahrhundert wurden die Ärmel noch weiter, die Ausstattung
reicher. Die übrigen in Betracht kommenden Obergewänder waren Mäntel. Hier ist
das Pallium der Griechen zu nennen, das schon längst einzelne Römer gelegentlich
getragen hatten; übrigens ist es in den Bildern von der alten Toga kaum zu unter-
a) Toga: Noch Voigt, Köm. Privataltertümer2 1893, 330 schreibt ihr den runden Schnitt
ganz allgemein zu; aber schon aus webtechnischen Gründen muß sie ursprünglich viereckig gewesen
sein; es fragt sich nur, wann und zu welchem Zweck der runde, genauer halbkreisförmige Schnitt
aufkam. Posidonius ist der erste, der ihn zur sonst üblichen viereckigen Mantelform in Gegensatz
stellt. Dionys von Halikarnass spricht vom Purpurmantel der römischen Könige und Triumphatoren
(sie entliehen das Gewand vom kapitolinischen Juppiter), der den halbkreisförmigen Schnitt besaß,
und fügt die Bemerkung hinzu, daß dergleichen Mäntel von den Römern Togen, von den Hellenen
Tebennen genannt würden. Damit scheint gesagt, daß Dionys die Togen wenigstens seiner Zeit
als halbkreisförmig kannte. Aber soll diese Aussage für die Königszeit beweisend sein? Und der
Gott trug doch umgekehrt das Gewand des Menschen; da der Gott jährlich neue Gewänder er-
hielt, so gingen sie mit der Mode. Quintilian, der zwischen der alten bauschlosen Toga und ihren
späteren Entwicklungsstufen bis zur stark gebauschten Toga genau unterscheidet, empfiehlt den
runden Schnitt (rotundam — velim); dieser scheint also nicht selbstverständlich, nicht allgemein
gewesen zu sein. Isidor endlich spricht überhaupt nur von der stark gebauschten Toga.
10*
148 Die Malereien der Katakomben.
scheiden. Die Chlamys, ein um die linke Schulter gelegter, auf der rechten Schulter
gehefteter Mantel, einst von Makedonien und Thessalien her zu den Athenern ge-
kommen, als Reitertracht, aber auch Gott Hermes erhielt sie; ihr entspricht der
römische Soldatenmantel, das Sagum und das Paludamentum. In einem trajanischen
Relief trägt diese Art Mantel ein Liktor, also ein Bürgerlicher, später erscheint sie
als byzantinische Hoftracht. Die Paenula (Phainoles, Phenol es), eine Decke mit
Ausschnitt in der Mitte zum Durchstecken des Kopfes, so daß der übrige Stoff nach
allen Seiten herabfiel; ursprünglich eine Tracht der arbeitenden Klassen bei schlechtem
Wetter, wie man auch heute Fuhrleute eine Pferdedecke in gleicher Weise für den
gleichen Zweck sich zurichten sieht. Und wie heutzutage elegante Jäger und
Touristen Lodenmäntel dieses Typus tragen, so wurde er in der Kaiserzeit von den
höheren Ständen aufgenommen, als Regen- und Reisemantel, auch vorn aufgeschnitten
ganz wie die erwähnten Lodenmäntel. Endlich die Lacerna. Sie wurde um die
Schultern genommen und auf der Brust geschlossen.
In der Katakombenmalerei kommt die Toga nur ein einziges Mal vor, und das
erst im vierten Jahrhundert; dafür erscheint das Pallium als der eigentliche Anzug,
zum Zeichen, daß die an die offizielle Toga gebundene Welt im allgemeinen nicht in
den Katakomben ihre Ruhestätte suchte. Das Christentum kam nach Rom als eine
Religion Fremder, und das Evangelium fand vor allem bei den niederen Ständen Auf-
nahme. Nach und nach sehen wir dann die vorgenannten anderen Typen des Ober-
kleides auch in der Katakombenmalerei erscheinen, am häufigsten Dalmatika und
Paenula, beide in ihren Spielarten nach den Launen der Mode; die Chlamys begegnet
nur vereinzelt, die Lacerna erst zu Ende des Altertums, um 600.
Religion und Kultus sind konservativ; wenn sie auch Neues aufnehmen, so halten
sie doch das Alte fest. Als Toga und Pallium im Leben ausgespielt hatten, blieb in
der Kirche doch das Pallium angesehen. Auch die religiöse Kunst ist konservativ:
die einmal geschaffenen Typen blieben erhalten. Und ähnlich wie anfangs die Christen
im Leben alle Heilige und im Tode alle Selige hießen, dann aber ein engerer Kreis
von der Kirchenbehörde sanktionierter Heiliger und Seliger ausgesondert wurde, so
sehen wir in den Malereien der Katakomben den Kreis der Palliumträger mit der
Zeit enger gezogen und zuletzt, am Ende einer mehrstufigen Entwicklung, auf Ideal-
gestalten wie Moses, wie den Christus, seine Apostel und andere sanktionierte Heilige
beschränkt.1)
Endlich aber, so ist jetzt die Auffassung der wissenschaftlichen Katholiken ein-
schließlich Wilperts, gingen aus den Typen der antiken Gewandung diejenigen der
mittelalterlichen kirchlichen Kleidung hervor. Das Pallium, das ist Wilperts Meinung,
war ursprünglich der umgelegte Mantel; dann mittels Faltung (Kontabulation) streifen-
artig geworden, wurde es zuletzt durch einen wirklichen bloßen Streifen ersetzt, der
l) Heilige: Wenn z. B. in Kraus, Realencykl. I 654, gesagt wird, schon der Apostel Paulus
unterscheide zwischen gewöhnlichen Christen und Heiligen, so trifft dies nicht zu. Kor. I 1, 2
stellt er nicht die „berufenen Heiligen" als einen engeren Kreis im Gegensatz zu dem weiteren
Kreis „aller derer, die den Namen des Herrn anrufen", sondern den Christen der ephesischen
Gemeinde erteilt er allgemein und ohne Ausnahmen zu machen das Prädikat „berufene Heilige";
sodann fügt er ihnen die Christen in weiterem geographischen Umkreise hinzu („samt allen, die
den Namen unseres Herrn anrufen an jedem Orte"). Auch aus den andern, in der R.-E, angeführten
Stellen lassen sich keine Vorzugsheiligen gewinnen.
Chronologisches. 149
ringförmig auf beide Schultern gelegt mit den Enden vorn und hinten herabhing;
daraus entstand schließlich das heutige Pallium, das Zeichen der bischöflichen Gewalt.
Auch Dalmatika, Paenula und Lacerna behaupteten sich im kirchlichen Gebrauch; sie
wurden liturgische Gewänder, die Dalmatika in ihrer letzten und längsten Form, die
Paenula ward zum Meßgewand (Planeta und Casula genannt), die Lacerna zu Cappa
und Pluviale. Die Tunika wurde zur Alba.1)
Wilpert Seite 73 sagt, das Pallium sei gleich bei seinem ersten Erscheinen in
der christlichen Kunst ein Kleid der Auszeichnung und Würde, das dem einfachen
Gläubigen nur gegeben werde, wenn man ihn in der Seligkeit als Orans vorführe, und
auch diese Beispiele seien als Ausnahmen zu betrachten; seit dem dritten Jahrhundert
bilde es, zusammen mit der Tunika und den Sandalen, die den „heiligen Gestalten"
eigentümliche Tracht. Der Satz bedarf der Berichtigung, mindestens der Ein-
schränkung. Das Pallium konnte von Haus aus nur in dem Sinne eine auszeichnende
Bedeutung haben und eine gewisse höhere Würde verleihen, als es eine Tracht der
Freien war, den Unfreien verboten. Man begreift, daß die Beamten der christlichen
Gemeinden darauf hielten, immer „angezogen" zu erscheinen. Aber mehr lag nicht
darin. Was in der Katakombenmalerei Erklärung verlangt, ist nicht so sehr das Auf-
treten des Palliums, als das der bloßen Tunika, gegürtet oder ungegürtet. Wenn man
in einem frühen Gemälde zwei Selige so gekleidet beim Mahle sitzen sieht, so läge es
nahe, dabei an die zum Gebrauch beim Gelage eingeführte bequeme vestis cenatoria
(synthesis) zu denken; aber diese Erklärung versagt bei Oranten wie bei Noah. Sollte
ein moderner Beschauer auf das Totenhemd verfallen, so müßte er erinnert werden,
daß die Alten, auch die Christen, „angezogen" bestattet wurden. Dies gilt freilich
nur für diejenigen, welche einen vollständigen Anzug besaßen, oder denen er zustand,
den Freien. Könnte der Typus ursprünglich für verstorbene christliche Sklaven ge-
schaffen sein? Oder ist irgendwo gesagt, daß die Seligen im Himmel oder im Para-
dies nur die Tunika trugen?
Die Frauentracht. Das Kleid (Chiton, Tunika, mit Armein Stola) erscheint in
der Katakombenmalerei anfangs ohne Ärmel, dann mit Halbärmeln, oder, und dies
schon früh und bald überwiegend, mit langen, engen Ärmeln. Bei Oranten ist die
Tunika meist ungegürtet. Seit dem dritten Jahrhundert tragen die Frauen vorzugs-
weise die Dalmatika, die bis an die Knöchel herabreicht; im vierten wird das Ge-
wand langfallend gemalt, und die Ärmel nehmen an Breite noch zu. Die Dalmatika
wirkte auf die Tunika zurück, deren Ärmel auch breiter wurden. Der Mantel
(Himation, Palla) wurde von den Frauen ähnlich wie von den Männern getragen, um
die rechte Seite, die Enden über die linke Schulter gelegt. Etwaige Verhüllung des
Haupthaars wird nach alter klassischer Weise entweder durch Heraufziehen des
Mantels über den Hinterkopf und Scheitel bewirkt oder durch einen Sehleier; einen
solchen trägt in altklassischer Kunst z. B. die Hegeso auf ihrem Grabstein vor dem
Dipylon zu Athen (Sybel, Weltgesch. d. Kunst 2245), in den Katakombenmalereien
die Madonna in Priscilla, eine Orans und die Veneranda, letztere mit Spitzenhaube
*) Kirchliche Kleidung: Ohne hier auf das Thema eingehen zu dürfen, verweisen wir,
als auf andere Versuche, beispielshalber außer auf Kraus, Realencykl. unter Kleidung, auf
Marquardt-Mau 564 oben, und Petersen, Rom. Mitteilungen 1897, 325, wo Wuscher-Becchi und
Grisar genannt werden.
150 Die Malereien der Katakomben.
unter dem Schleier (Wilpert Taf. 22. 88. 213; über Spitzen in der Spätantike vgl.
AI. Riegl in Br. Buchers Gesch. d. techn. Künste III 1893, 385).
Gewandverzierungen. Die Tunika, beider Geschlechter, konnte mit allerlei
Verzierungen versehen sein, die auf- oder eingesetzt waren. Hauptmotiv waren zwei
vertikale Purpurstreifen, schmal oder breit. In der Katakombenmalerei kommen nur
schmalgestreifte Tuniken vor (tunicae angusticlaviae), nicht so sehr als das Standes-
abzeichen der römischen Ritter, sondern im ursprünglichen, nur dekorativen Gebrauch;
auch an Noah, Daniel, Moses und dem Guten Hirten sehen wir die Streifen. Seit
dem vierten Jahrhundert werden sie bei Christus und den Aposteln breiter; daneben
erscheinen kürzere, aber in vermehrter Zahl (lora). Seit dem dritten Jahrhundert kamen
Borten am Hals, unterem Saum und Ärmeln hinzu, sowie eingesetzte runde Purpurflecke
(segmenta; in der Archäologie wurden sie eine Zeitlang irrig calliculae genannt, das sind
aber Schuhe, nach einigen caligulae, nach anderen galliculae). Das Pallium erhielt seit
dem dritten Jahrhundert viereckige Segmente, kurze Streifen, gleichschenkelige Kreuze
und Henkelkreuze, häufig griechische Buchstaben oder buchstabenähnliche Ornamente.
Die Chlamys bekommt im fünften Jahrhundert den großen viereckigen Einsatz (tabula
xaßllov). Im vierten Jahrhundert treten Schmucksachen an den Frauen auf, Hals-
ketten und Ohrringe; auch die breiten Streifen der Frauendalmatika werden mit
Stickereien bedeckt (Wilpert Taf. 174).
Fußbekleidung fehlt nur bei ganz oder annähernd unbekleideten Gestalten,
außerdem bei bekleideten in frühen Malereien, die nicht alle Einzelheiten angeben.
Wie zur Toga der Schuh, so gehörte zum Pallium die Sandale, sie bildet daher die
Hauptfußtracht in der Katakombenmalerei. Die Frauen aber tragen Schuhe. Eine
Art ausgeschnittenen Halbschuh, den compagus, tragen, frühestens um 600 gemalt,
die Bischöfe am Grabe des h. Cornelius und ein Heiliger in Ponzian (Wilpert Taf.
256. 258).
Bei den Männern ist die Barttracht zu beachten. Von Alexander dem Großen
bis Trajan herrschte die Sitte des Rasierens vor. Da die Anfänge der altchristlichen
Kunst bis in die Zeit der flavischen Kaiser zurückreicht, so entsprach es dem damals
zwar nicht ausschließlich aber vorwiegend geübten Brauch, wenn in den Katakomben
die Männer typisch bartlos gemalt wurden. Man hat nach besonderen Gründen dieser
Bartlosigkeit gesucht. Sie eigne den Seligen im Himmel, weil da die Trauer keinen
Platz habe, der Bart aber deute Trauer an. Eher könnte sie als Zeichen von Jugend
aufgefaßt werden: wie die Götter im Himmel sich ewiger Jugend erfreuen, wie
Herakles bei seinem Eintritt in den Himmel mit der Jugend selbst, mit Hebe, sich
vermählte, so könnte die Jugendlichkeit der Gestalten auf ihre Seligkeit deuten;
Wilpert denkt bei dem bartlosen Christus an die „ewige Jugend des Gottmenschen ".
Nachdem nun in der Zeit, da man sich rasierte, der Typus einmal geschaffen war,
bedurfte es keiner besonderen kirchlichen Autorität, um ihm längere Geltung zu ver-
schaffen, vollends wenn ein Nebengedanke im Spiele war von der Art der eben er-
wähnten. Ganz ausschließlich aber hat sich die Bartlosigkeit nicht behauptet. Hadrian
machte den Bart wieder hof- und gesellschaftsfähig, und seit seiner Zeit treten ver-
einzelt auch in den Katakomben wieder Bärtige auf, mit dem vierten Jahrhundert
werden sie häufiger; von einer problematischen Figur abgesehen, sind es von Anfang
an würdigere Personen, die im Bartschmuck erscheinen, Moses, Abraham, Christus,
einzelne Apostel. Darf man annehmen, daß auch hier die Mode den Typus begründete,
System und Idee der Deckenmalerei. 151
so würde der Bart während des zweiten und dritten Jahrhunderts seine alte Autorität
so weit wieder gewonnen haben, daß sie sich auch in der Zeit des wiedereingeführten
Rasiermessers behauptete; denn nach einigen vereinzelten Vorläufern erhob Konstantin
das glatte Kinn neuerdings zur Regel, nur Julian macht eine bedeutsame Ausnahme
(wenn die kapitolinische Büste mit der Inschrift Janus impeator wirklich den Kaiser
meinen sollte, so hätte der Bildhauer, der ihn zu gestalten hatte, einen bärtigen Kopf
des fünften Jahrhunderts zugrunde gelegt).1)
An den Frauenköpfen ist die Haartracht nicht immer deutlich charakterisiert;
unverkennbar aber zeigen die Malereien im dritten Jahrhundert eine damals neue
Frisur, das gescheitelte Haar hinter den Ohren in einem tiefhängenden Bogen rück-
wärts und das Ende geflochten auf den Scheitel geführt (vgl. unsere Abbildung S. 140
und Wilpert Taf. 61 und weiterhin). Gewelltes Haar ähnlich der Gemahlin des
Septimius Severus trägt Dionysas in der Malerei unserer Farbtafel IV (AVilpert
Taf. 110f.)2)
Der Nimbus, ein den Kopf umgebender Lichtschein in eine Kreislinie ein-
geschlossen, ursprünglich den Lichtgöttern eignend, danach freigebiger ausgeteilt (die
Etrusker gaben ihn gelegentlich sogar ihrem, in dem gemeinten Falle recht teufelhaft
gezeichneten Tod), drang auch in die Katakombenmalerei langsam ein, zuerst an heid-
nischen Köpfen; im vierten Jahrhundert wurde er Attribut des Christus, erst gegen
500 bekamen die „Heiligen" den Heiligenschein, infolgedessen der Nimbus des Christus
zum Kreuznimbus differenziert wurde.3)
System und Idee der Deckenmalerei.
Einheitliche Ausmalung des ganzen Raumes findet sich nur in Kammern. Da
ist alsdann zu unterscheiden zwischen den Decken und den Wänden; selbstverständlich
wurden die Decken immer zuerst gemalt, danach die Wände. In vielen Fällen be-
schränkt sich die Dekoration der Kammer auf die Deckenmalerei; nicht immer wurden
die Wände im ganzen bemalt, meist nur einzelne Wandgräber mit ihrer nächsten Um-
gebung. Das ist dann Grabmalerei im engeren Sinn, solche die sich auf das einzelne
Grab beschränkt.
Soweit nicht Gräbertechnik und Totenkultus eigene Anordnungen nötig machen,
wird die Gruft gern als Haus des Toten behandelt, die Ausschmückung der Grab-
kammern, der christlichen wie der heidnischen, schloß sich mit Vorliebe derjenigen
des Hauses an.
Zuerst also die Decken. Da sind verschiedene Typen zu unterscheiden. Voran
stellen wir die gewölbte Decke mit Stuckverzierung; hier kommt nur das Kreuz-
gewölbe in Betracht. Entsprechend dessen Gliederung ist auch die Verzierung ein-
1) Julian: Heibig, Führer durch die röm. Museen 2I 316 n. 82. Bernoulli, Rom. Ikonographie
II III 247.
2) Frisur: Bernoulli, Röm. Ikonogr. II III 1894. 138 Taf. 43 (Otacilia?), Taf. 47 (Etruscilla?),
Münztafel IV n. 3. 6. 7. 13.
3) Nimbus: Stephani, Nimbus und Strahlenkranz (Acad. Petersb. m£m. IX) 1859. Dieterich,
Nekyia 1893, 40 ff. Etruskischer Todesdämon: Mon. d. instit. IX 1870 Taf. 14b. Vgl. Kraus, Gesch.
d. ehr. Kunst I 220.
152 Die Malereien der Katakomben.
geteilt: im Zentrum und Zenith des Ganzen zeichnet sich das flache Scheitelfeld aus,
daran schließen sich nach den Wänden hin die vier Gewölbkappen; zwischen diesen
Kappen, mit den diagonalen Gewölbgraten zusammenfallend, erstrecken sich nach den
Ecken hin vier Zwickelfelder. Die Grenzen der Felder sind durch Stuckleisten oder
durch ornamentale Linien und Bänder bezeichnet; figürliche Darstellungen füllen die
Felder selbst. Ein gutes Beispiel ist die Decke eines heidnischen Kammergrabes an
der Via Latina, ausgeführt im späteren zweiten Jahrhundert in einer Kombination
von Stuck und Malerei. Im Scheitelfeld sieht man einen auf einem Adler Sitzenden,
es ist Juppiter, oder der Verstorbene im Typus des Gottes, der sonst freilich den
Kaisern vorbehalten blieb; es scheint damit die Himmelfahrt des Verstorbenen irgend-
wie angedeutet. Die vier Kappenfelder bringen heroische Szenen: der Tür gegenüber
das Urteil des Paris, dann rechtsherum die Werbung des Admet um Alkestis, Priamos
die Leiche Hektors auslösend, Herakles im Kreis von Göttern musizierend, doch wohl
im Olymp — mindestens dies Bild deutet auf Seligkeit, sinnvoll scheinen alle vier
gewählt. Die Grate schmücken jagende Kentauren, die Zwischenräume kleine Land-
schaften, ferner Stilleben mit pickenden Vögeln, schwebende und tanzende Gestalten,
allerlei Fabeltiere; vor den Gratanfängen stehen die vier Jahreszeiten als Mädchen-
figuren in hohem Relief. — Anders die Malerei an der flachen Decke eines pompej-
anischen Zimmers. Dieser Plafond ist leicht aufgebaut, ein Netz von graziös hin-
geworfenen Linien in zentrierter Anordnung. Es ist die Fortsetzung der leichten
Strukturen, wie sie im obersten Teil der Wände gemalt wurden; das wächst an die
Decke hinauf und fügt sich zu einer Art luftiger Laube, gebildet aus Linien und
leichtesten Zweigen oder Girlanden, belebt von verschiedenen Fabelwesen, schweben-
den Amoretten und flatternden oder an Früchten pickenden Vögelchen. — In einem
Hause auf dem Caelius wurde eine Decke gefunden, die Bellori veröffentlicht hat und
Wilpert wiederholt. Das lineare System wird hauptsächlich durch Blätterschnüre ge-
bildet. Im runden Scheitelfeld halten zwei Putten einen Handspiegel, in den Kappen-
bildern sind andere Putten in vier verschiedenen Szenen mit Girlanden beschäftigt:
sie pflücken Blumen in einen Korb, sie tragen gefüllte Körbe fort, winden Girlanden
und verkaufen sie. In den vier Ecken stehen nimbierte Köpfe, wohl Jahreszeiten, in
Blattkelchen, aus denen auch die systembildenden Blattschnüre hervorgehen.1)
In den Katakomben sind die Decken im allgemeinen flach, oder auch haben sie
die Form sehr verflachter Tonnengewölbe. Formte man sie im Typus des Kreuz-
gewölbes, so vermied man auch hier starke Wölbungen und scharfe Grate, letztere
glich man nach dem Mittelfeld zu ab, um ihm breiteren Raum zu schaffen; nur im
vierten Jahrhundert hat man einige Male die Grate in voller Schärfe stehen lassen
(unsere Abbildung Seite 154). Die christlichen Decken sind alle gemalt; daher, und
weil die Flachdecke vorherrscht, war es natürlich, das vorgeschilderte Laubenmotiv
zugrunde zu legen. Weil aber die Plafonds tatsächlich nicht Balkendecken sind,
sondern aus dem Fels gebildet und zwar oft genug in Gewölbeform, so mußte auch
das andere Motiv der Stuckdecke zur Geltung kommen, dies um so mehr, als im ober-
irdischen heidnischen Grabbau die Wölbdecke dominierte. Aber es war immer nur
*) Via Latina: Petersen, Annali delP instituto 1861, 190 zu Mon. VI 49. Seemann,
Kunsthistorische Bilderbogen, Farbtafel 7. Ronczewski, Gewölbeschmuck im röm. Altertum 1903,
29 Taf. 17. 18. — Pompeji: Presuhn, Pompejanische Wanddekorationen 1877, 37 Taf. 13.
Caelius: Bellori, Picturae antiquae 64. Wilpert, Mal. 57 Fig. 2.
System und Idee der Deckenmalerei. 153
der Typus der Stuckdecke, nicht wirklich in Stuck ausgeführt, sondern in Malerei
imitiert, vielmehr bloß als Motiv verwertet; die in der Stuckverzierung beliebten
starken Rahmen verflachen in der Malerei zu trennenden und rahmenden Bändern.
Sehr bald sind dann beide Motive, des stuckierten Gewölbes und der Laube, auch
miteinander verwebt worden.1)
Wir betrachten zuerst zwei Plafonds der Katakomben von San Giovanni dei
poveri zu Neapel, beide aus der Frühzeit, dem Anfang des zweiten Jahrhunderts.
Das System der Decke in der ersten Katakombe ist ein gemischtes: ein Netz
von konzentrischen Kreisen und Radien, die Linien aber nicht gebildet aus dünnen
Stäben und feinen Girlanden, sondern aus Bändern, die sich mannigfach ver-
schlingen; zwischen eingestreut und eingespannt sind leichte Zweige. In die Eckfelder
hat man Fruchtvasen gestellt von Vögelchen umflattert, in andere Felder allerlei Getier,
Vierfüßler, Seewesen und Vögel; im innersten Ring (im Scheitelfeld) zwei fliegende
Vögelchen, die tragen eine Girlande mit den Schnäbeln. Da ist alles und alles
antik und vom Heidnischen in nichts verschieden, die Vögelchen, die Seetiere, die
bacchischen Böcke und Panther; es ist nichts spezifisch Christliches zu finden; so daß
man schon vermutet hat, ein ursprünglich heidnisches Kammergrab sei nachträglich
in christlichen Besitz übergegangen.
Nun die Decken in den römischen Katakomben. Wir nehmen die selteneren
Reminiszenzen an Stuckdecken vorweg; sie sind kenntlich an den die Bildfelder ein-
rahmenden breiten Bändern. Es fällt hier eine Vorliebe für achteckige Scheitelfelder
auf; die acht Nebenfelder erscheinen teils differenziert in Kappen und Zwickel, teils
aber gleichartig gebildet, in Trapezform oder als Lünetten; als ob der Typus in acht-
seitigen Räumen mit Kloster- oder Kuppelgewölben entstanden und von dort auf die
Katakombendecken übertragen sei. In einer Decke umringen das Zentralfeld zehn
Nebenfelder, fünf figurierte, fünf mit Pfauen aus Ranken. Es muß übrigens bemerkt
werden, daß diese Decken mit breiten Bildrahmen von den leichter gezeichneten sich
nicht ganz scharf scheiden lassen.2) — Der Plafond dagegen aus der zweiten Neapeler
Katakombe kombiniert in anderer Weise architektonische Elemente mit dem Lauben-
motiv, da gibt's Ranken und Blumengewinde mit belebenden Vögeln, hier und da
verteilten Fruchtschalen oder hängenden Trauben, ferner Seetieren, den bacchischen
Panthern, Böcken, Masken und apollinischen Greifen; in den Ecken des Scheitelfeldes
schweben girlandentragende Amorettenpaare im Wechsel mit ebenso angeordneten
Psychen — kaum daß ich Bacchus den herrlichen habe, kommt auch schon Amor,
der lächelnde Knabe - — , im Zenith aber schwebt Nike, Viktoria, mit dem Palmzweig,
hier der Sieg über den Tod; in die Kappenfelder endlich sind Stilleben eingeordnet, über
jedem aber ein spezifisch christliches Figurenbild, diese mithin analog den heroischen
Szenen in den Kappenfeldern des Mausoleums an der Via Latina. Übrigens findet
sich auch dort eine Viktoria mit Palmzeig und zwar auch an hervorragender Stelle,
wenn nicht im Scheitelbild, so doch an der Fondwand, auf welche der Blick des
Eintretenden zuerst fällt.3)
1) Grate stehen gelassen Wilpert Taf. 168. 171. 210. Zu der Banddekoration vgl. z. B.
Ronczewski, Gewölbeschmuck Taf. 24.
2) Wilpert Taf. 55 (dazu Garr. Storia II Taf. 25, unsere Abbildung S. 155) 131. 151.
171. 196.
3) Neapel: V. Schultze, Katakomben von San Gennaro Taf. 4. 5.
154
Die Malereien der Katakomben.
Decke im Coemeterium maius. Guter Hirt, Orans, Jonas, Moses, Adam und Eva.
Die anderen, aus leichteren Linien nebst eingewobenen Zweigen und Blätter-
schnüren, laubenartig konstruierten Decken bilden das Scheitelfeld bald viereckig,
bald rund oder auch einmal oktogon. Sinnvoll, in unverkennbarer Absicht, zeichnen
die Linien im Scheitelfeld ein paarmal ein gleichschenkliges Kreuz, auf dessen Mitte
das Zenithbild gelegt ist, Christus als Hirt; wie bemerkt, wohl das früheste Vor-
kommen des Kreuzes in der christlichen Kunst (unsere Farbtafel III).1) Die Kappen-
felder, trapez- oder halbkreisförmig, dienen zur Aufnahme figürlicher Szenen. Die
Zwickel, als schmälere und höhere Felder, eignen sich mehr für Einzelfiguren, wie
Eroten, Pfauen, Oranten; enger mit dem Ornament verbunden erscheinen diese Figuren
gern auf ornamentalen Blumen oder symmetrischen Rankengruppen stehend. Oft
J) Wilpert Taf. 25. 38.
System und Idee der Deckenmalerei.
155
Decke in Domitilla. Orpheus, Daniel, Lazarus, David, Moses.
bleibt noch ein Eckstück unter jeder Zwickelfigur übrig, das mit einem Vögelchen
gefüllt ist, später einem Schaf oder anderem Tier.
Als Embleme zeigen die frühesten Decken, Wilpert Taf. 2. 3. 4, Eroten und
Vögelchen, Blumen und Fruchtvasen; 9 tritt Christus als Hirt in die zentrale Stelle,
der Pfau in Nebenräume, 24. 25 (unsere Farbtafel III) erscheinen Gestalten von
Seligen, 55 und 56 figürliche Szenen. Taf. 61 bringt das Normalsystem: zentral der
Hirt, in den vier Kappenfeldern Jonasszenen, in den Zwickeln Oranten, zwei männliche
diagonal sich gegenüber und weibliche auf den zwei andern Graten. Mehr ausnahms-
weise treten 72 die Oranten in die Kappen, Tauben rücken dafür wieder in die Zwickel
vor. Taf. 75 nimmt der thronende Christus die Zenithstelle ein, in den Nebenfeldern
kehren die Seligen wieder, acht wie auf Taf. 24, die Hälfte in Tunika, die Hälfte im
Mantel, erstere nun aber zwischen je zwei Schafen. Kleinere Decken begnügen sich
mit einem abgekürzten System, in zunehmend flüchtiger bis zu roher Ausführung.1)
») Wilpert Taf. 35. 37. 56. 67. 128. 221.
156 Die Malereien der Katakomben.
Mehrere Decken nehmen eine Sonderstellung ein, wir werden sie geeigneten
Ortes besprechen (die Heben der Flaviergalerie und der Cappella greca, die Wölb-
decke der Cappella quadrata, die Decke des Cubiculum Oceani). Im ganzen sind
vierzig Decken in Wilperts Malereien wiedergegeben, außerdem sehe man seine
Monographien „Fractio panis" und „Cyklus christologischer Gemälde" nach.
Die Decke, welche sich über dem Räume spannt oder wölbt, ist der Himmel.
Diese naheliegende Idee hatten schon die alten Ägypter ihren Plafondmalereien zu-
grunde gelegt; sie belebten das blaue Feld mit Sternen oder schwebenden Vögeln.
In der klassischen dekorativen Malerei wurde die Decke licht gehalten, wir sahen ihr
Liniensystem leicht aufgebaut, von Zweigen, Blätterschnüren, Kränzen durchflochten,
eine Art Laube, Vögel flattern, Eroten und Psychen schweben darin. Wenn in deren
Stellen dann die christlichen Gestalten treten, die Seligen, und in den höchsten Kreis
der erhöhte Christus, so schaut, wer in der Kammer steht, unmittelbar in den Himmel
der Christen hinein.1)
System der Wandverzierung. Ausblicke.
Sodann die Wände. Architektonische Gestaltung der christlichen Grabkammern
kam erst unter Diocletian auf; es handelt sich hauptsächlich um Dreiviertelsäulen als
Stützen von Gewölben und Bögen, man schnitt sie aus dem gewachsenen Tuff, verputzte
und tünchte sie. Solche Säulen kamen als scheinbare Träger der Wölbdecke in die
vier Ecken des Raumes zu stehen; in Doppelkammern, den sogenannten Katakomben-
kirchen, tragen zwei sich gegenüberstehende Dreiviertelsäulen den trennenden Gurt-
bogen. Auch die vorderen Kanten der Arkosoliennische wurden bisweilen als Drei-
viertelsäulen ausgearbeitet, wo sie dann wieder als Stützen des Bogens erscheinen.2)
Soweit die Kammern sonst als solche Verzierung erhielten, war diese gemalt,
im Sinne der in der Kaiserzeit üblichen Wanddekoration. Die Wandverzierung der
Innenräume war von Haus aus textil; im Keime, dem Zelt oder der geflochtenen
Hütte, war der textile Charakter schon in der Struktur gegeben, und auch die ge-
mauerte Wand behängte man mit Teppichen (eigentlichen Tapeten, noch nicht mit
papierenen Surrogaten). Trat dafür Wandbemalung oder Reliefschmuck ein, so blieb
man formal beim textilen Motiv, in welchem ja auch Figürliches mit eingeschlossen
war; dahin gehört die altägyptische und babylonische Wandverzierung, wie auch die der
kretisch-mykenischen Kultur in Griechenland. Auf dieser Basis entwickelte sich
sodann die klassisch-griechische Wandmalerei, gipfelnd in Polygnot. Wie aber Agatharch
das Haus des Alkibiades ausgemalt hat, ob noch im Teppichstil oder bereits im
architektonischen, das wissen wir nicht; letzteres hätte gerade dem Agatharch nahe
1) Ägypter: Prisse, Histoire de l'art egypt. I Taf. 35. Borchardt, Ägypt. Zeitschrift
1897, 54.
2) Doppelkammer im Coem. maius (sog. Ostrianum) : Marchi Taf. 35. Kraus, Gesch. I 260
Fig. 205. Marucchi, Guide 276.
Eegio XII: de Eossi, R. S. III 232 m. Bild; 258; 269 (Datierung aus Inschriften); Plan
Taf. 42/45.
Grab des Fossor Diogenes Wilpert Taf. 180.
Böttchergruft: eb. Taf. 202. Orpheusarcosol Taf. 229.
System der Wandverzierung. Ausblicke. 157
liegen müssen, den wir als den ersten Theatermaler kennen: er hatte dem Äschylus
die Szene gemalt. Das war also der Hintergrund für das Spiel, Architektur, nach
Umständen weniger oder mehr Landschaft. Wenn Agatharch, erfüllt von dieser neuen,
reichen Aufgabe, seine Skenographie der Innendekoration zugrunde legte, so hat diese
schon im fünften Jahrhundert architektonischen Charakter erhalten bei fortdauernder
Ausführung in Flächenmalerei. Eine neue Befruchtung aber erfuhr der architektonische
Stil im vierten Jahrhundert von Seiten des Palastbaues selbst. Schon in der kretisch-
my kenischen Zeit, derselben, die im künstlerischen Bilde der „ Heroenzeit " verklärt ward,
spielte die Säule eine wichtige Rolle, in den Hallen, um den Hof wie im Innern des
Megaron. Dann, in der frühklassischen Zeit, zeigen attische Vasenbilder und bemalte
Terrakottatafeln die Vorhallen und Säulenhöfe der Aristokratenhäuser; das Peristyl
eines solchen gibt die Szenerie ab für Piatons Dialog Protagoras. Ein neuer Ton
aber wurde im Palastbau jetzt angeschlagen durch Verbindung materieller Pracht mit
griechischem Geist, griechischer Form, auf der Schwelle von Griechenland und Asien;
König Maussolos von Halikarnass schmückte seinen Palast, der nach uraltem Her-
kommen als Ziegelrohbau aufgeführt war, auf das kostbarste; die Wandflächen wurden
mit spiegelndem Marmorstuck verkleidet, alle Zierglieder, also wohl Säulen, Pilaster,
Gebälk, aus prokonnesischem Marmor hergestellt. Architektonisch gegliedert waren
wohl auch die Wandflächen; ob der Stuck durchweg ein und dieselbe Marmorart
nachahmte, etwa auch den prokonnesischen, oder ein Getäfel aus verschiedenfarbigen
Marmorplatten, das muß dahingestellt bleiben. Kein Zweifel aber, daß dies neue
System, immer reicher sich entwickelnd, auch den Stuck nach Laune durch echten
Marmor ersetzend, dasjenige der Diadochen und der späteren Fürsten wurde. Und
so stehen wir vor der hellenistisch-römischen Wandverzierung.1)
Die Tapezierkunst hat gerade in der frühhellenistischen Zeit ihre genialsten
Schöpfungen hervorgebracht in den Prachtzelten Alexanders und des Ptolemäos
Philadelphos; das hätte sie aber nicht vermocht, wenn sie nicht in den Palästen und
Tempeln beschäftigt und geübt worden wäre. Und wir dürfen voraussetzen, daß
der textile Stil auch aus der Wandmalerei nie ganz verschwand: in der Tat finden
sich einzelne pompejanische Wände sogar mit richtigen Tapetenmustern bemalt. Doch
der architektonische Stil herrschte weitaus, in der Hauptsache ausschließlich. Ein
wichtiges Denkmal aus der Diadochenzeit ist die oben Seite 105 erwähnte Gruft zu
Sidi-Gaber bei Alexandria, bestehend aus Saal und Kammer. Hier finden sich bereits
die Elemente der typischen Wandtetfung, Sockel, Mittelwand, Oberwand. Im Sockel
tritt schon das abhebende Schwarz auf; daneben aber erscheinen geäderte Marmor-
tafeln in Malerei nachgeahmt, also das Motiv aus dem halikarnasischen Palast. Die
Mittelwand ist kräftig rot, die Oberwand dagegen lichtblau getönt wie der Himmel;
die Kammer ist geradezu wie eine Art Laube oder Veranda behandelt, zwischen Eck-
pfeilern, und wie von einem Epistyl hängend schweben gebänderte Girlanden in der
blauen Luft. Neben die Malerei aber stellen sich plastisch gebildete Architektur-
formen: der Sturz des breiten Durchgangs vom Vorsaal zur Kammer ruht auf dorischen
Dreiviertelsäulen, und die Mittelwand ist durch eine profilierte plastische Leiste abge-
*) Agatharch: Studniczka, Tropaeum Trajani 67. — Maussolos: Vitruv 118, 10. Plinius
gibt statt dessen Marmortäfelung an; man sollte allerdings meinen, daß diese der Stuckimitation
vorangegangen wäre.
158 J^e Malereien der Katakomben.
schlössen. Das Verfahren der plastischen Darstellung von Architekturformen in Stuck
als Surrogat für Marmor, und zwar für die ganze Wanddekoration, hat sich im Laufe
des dritten Jahrhunderts die allgemeine Gunst erobert, Proben erhielten sich in
Pergamon und Pompeji (Maus „erster Stil").1)
Das erste Jahrhundert vor Christus aber kehrte zur Flächenmalerei zurück, blieb
jedoch bei den architektonischen Motiven (zweiter bis vierter Stil). Als ob man nicht
im engen, dunklen Zimmer sich befinde, sondern in einem weiten, lichten Hof; wenn
es auch nur eine Art Anpassung des Hoftyps auf das Zimmer war. Die Wand erhielt
unten einen Sockel und in Zweidrittelhöhe ein Gesims (an Stelle des alten Wandbortes);
auf dem Gesims ließ man Vögel sich niederlassen, dekorative Geräte oder Figuren
wie von freier Luft sich abheben, oder es ragen Baulichkeiten hinter dem Gesims in
die Luft, alles nur leicht hingemalt. Pilaster oder Halbsäulen zerlegten die Wandfläche
in Felder, umlaufende Hallen wurden dem Auge vorgetäuscht, man steht wie inmitten
eines Peristyls. Hauptprinzip dieser Architekturmalerei war scheinbare Erweiterung
des Raumes und Auflösung, Belebung der Flächen. Man ordnete Durchblicke an wie
ins Freie draußen, als ob man durch Fenster in freie Natur hinausblicke, in lichte
Auen oder schattige Haine mit Bächen und Brücken, besetzt mit ländlichen Heilig-
tümern. Da ist auch Staffage, Enten im Bach, Hirsche im Wald oder grasende Kühe,
weidende Schafe; auch Menschen treten auf, Hirten und Jäger, oder bedeutsamere
Personen, Heroen und Götter, beliebte Szenen aus der Helden- und Göttersage werden
vorgeführt. Das ist der Ort, der Ursprung und der Sinn der berühmten pompeja-
nischen Wandgemälde. Wie sehr man im Altertum Ausblicke aus dem Zimmer ins
Freie zu schätzen wußte, lehrt außer einigen glücklichen Fensteranlagen in erhaltenen
Häusern eine Stelle des Vitruv, wo er den „Kyzikenischen Saal" beschreibt; er faßte
zwei Triklinien und gab Ausblick nach drei Seiten, durch die Flügeltür in der Front
und durch zweiflügelige Fenster links und rechts, so daß man, sagt Vitruv, von den
Lagern aus durch die Fensteröffnungen ins Grüne blickte. Die vorgeschilderten
Scheinfenster freilich konnten die Idee weder ganz rein herausbringen noch auf die
Dauer rein festhalten; die architektonisch gedachten Fensterumrahmungen flauten zu
rahmenden Ornamenten ab. Die Maler der Füllungen lernten früh mit Reminiszenzen
an bekannte Gemälde arbeiten; mit dem Erinnerungsbild an Tafelgemälde mischte sich
dann leicht das an Tischlerrahmen ein, und so entstanden allerlei Zwitter zwischen
Fensteridee und Tafelbildidee. Schließlich blieb dekorative Wirkung der Endzweck.2)
x) Prachtzelte: v. Sybel, Weltgesch. d. Kunst 1903, 320. Studniczka, Tropaeum Trajani
1904, 62, 137. Sidi-Gaber: H. Thiersch, zwei antike Grabanlagen bei Alexandria 1904. Pompeji:
Mau, Gesch. d. dekorat. Wandmalerei zu Pompeji 1882; ders. Pompeji 1900, 446.
2) Durchblicke: v. Sybel, Weltgesch. d. Kunst 1888, 364; dass. 1903, 397 Taf. 3, Petersen,
Eöm. Mitt. 1894, 217, 2; 1903, 87; 1904, 157, Eobert, Votivgemälde eines Apobaten 1895, 6
gegen Mau, Geschichte 169; Eöm. Mitt. 1902, 178. 222, Heibig, Führer durch die Sammlungen
Eoms II 1899, 222. Das Schattieren der in der Wirklichkeit belichteten Fensterbänke und Lai-
bungen hat nur malerischen Zweck, es soll den Eahmen von der lichtem Fernsicht lösen. Daß
die vortretenden Säulen auf Sockeln stehen, daß die Hallen unten weniger scheinbare Tiefe haben
als oben, daß die vorkommenden Wandöffnungen unterwärts geschlossen werden, dient alles der
Illusion; auch bei den Theaterkulissen ist die untere Partie der schwache Punkt. Das Hineinmalen
von Kassetten unter dem Prostasisgebälk soll der Prostasis Tiefe geben; sie setzen ganz natürlich
unter dem Gebälk ein, ungeachtet des Widerspruchs zum Fenster. Diese Spiele der Phantasie
muß man nicht pressen; es genügt, daß sie wirken. — Oecus cyzicenus: Vitruv VI 6.
Das Paradies. Adam und Eva. 159
Leider besitzen wir nicht viele Innendekorationen heidnischer Mausoleen der
Kaiserzeit; das wenige Erhaltene, wie die Gräber an der Via Latina, oder auch die
Columbarien, zeigt, daß die Dekoration mit derjenigen der Häuser übereinstimmte,
soweit eben nicht die Erfordernisse der jeweiligen Grabanlage Abweichungen nötig
machten. Dasselbe gilt für die Katakomben. Öfter bemerkt man einen Sockel, dessen
Dekor Inkrustiernng mit umrahmten Marmortafeln nachahmt; nicht ganz so oft findet
sich architektonische Gliederung der Mittelwand meist im typischen Dreifelderschema
mit Zwischenfeldern in schmalem Hochformat, öfter wiederum die stilgemäße Anord-
nung der Oberwand. In der Capella greca ist die nicht hohe, gerade Wand in der
Weise der Sockel mit marmorierten Tafeln in Rahmen bemalt, die unmittelbar darüber
aufsetzenden Bögen tragen reiche Ranken, das übrige hat figürliche Darstellungen.
Am vollständigsten und durchgebildesten erscheint die architektonische Wandverzierung
im Cubiculum Ampliati: über einem leergelassenen unteren Sockel die Zone der einge-
rahmten Tafeln, darüber die Hauptzone, drei Tierstücke in Rahmen, getrennt durch
die charakteristische Säulenarchitektur in schmalem Hochformat; auf den Gebälken
ruht ein durchlaufender Kassettenstreif. In der „ Bäckergruft" ist am Sockel künstliches
opus sectile nachgeahmt. Meist begnügt man sich mit Andeutung der Disposition in
linearem Schema. In Kammern, deren Wände mit Fachgräbern besetzt sind, ist der
schmale Wandstreifen zwischen den Gräbern einer Wand und der nächsten Kammer-
ecke ein paarmal mit einem hohen Kandelaber verziert, dergleichen auch in der
pompejanischen Wanddekoration zur Verzierung der schmalen Zwischenfelder eine
Rolle spielen; sonst stehen nur die Oberwände über den je obersten Fachgräbern und
die Eingangswände für die typische Verzierung offen.1)
Jene fensterartig ausgebildeten Durchblicke täuschten dem Auge Ausblicke aus
dem Zimmer ins Freie vor. Auch nachdem die ursprünglich architektonisch gemeinten
Fensterumrahmungen zu rahmenden Ornamenten eingetrocknet waren, und wenn die
ganze, nun abgeblaßte Fensteridee der Nachahmung eines in die Wand eingesetzten
Tafelbildes gewichen war, blieb es inhaltlich und dem Gehalte nach für den immer
sentimentalen Beschauer ein Ausblick, sei es auf heitere, ländliche Natur oder auf
dramatische Szenen des tragischen Stils. Das ist ja der Zweck alles bedeutenden
AVandschmuckes, über seine dekorative Absicht hinaus mittels der ästhetischen Wirkung
das Gemüt zu interessieren, ihm eben Ausblicke zu geben. So sind denn auch die
figürlichen Gemälde in den Katakomben zu verstehen, als bedeutende Ausblicke in
das Reich der christlichen Hoffnung, vielmehr der christlichen Gewißheit, durch den
Christus selig, des himmlischen Paradieses teilhaftig zu werden.
Das Paradies. Adam und Eva.
Neben den Wanddekorationen des eigentlich architektonischen Stils gab es noch
andere, die dem Auge freiere Natur vortäuschten; die ganze Wandfläche stellt einen
Park vor, allerdings in dem gebundenen, selbst auch architektonischen Stil der klassischen
*) Capella greca: Wilpert, Fractio Taf. 2. 3; ders. Malereien Taf. 13. Cub. Ampliati: Wilpert,
Taf. 30, 31, 1. Bäckergruft Taf. 194 f. Lineares Schema Taf. 10, 44, 54, 74. Eingangswände: de
Rossi, Roma sott. I Taf. 9 (Wilpert Taf. 24), 14. Wilpert Taf. 59, 69, 93, 98, 101. Kandelaber
Taf. 97. 101. 102, 1.
Iqq Die Malereien der Katakomben.
Gartenkunst, wie er von den Ägyptern und Babyloniern bis zu Louis XIV. und darüber
hinaus geherrscht hat.
Von altersher war es Brauch der orientalischen Könige und Großkönige gewesen,
Parks zu halten, bewässerte und schattige Haine, zum angenehmen Aufenthalt in der
heißen Jahreszeit, dabei ausgedehnt und wildreich, so daß sie auch zum Abhalten der
Königsjagden dienten. Auf bescheidenerem Fuße dürfen wir sie schon bei den Herren
der altchaldäischen Städte voraussetzen, auf größerem bei einem Könige wie Hammurabi,
der ganz Babylonien in seiner Hand vereinigte (um 2250). Das altbabylonische Epos
von Izdubar (Gilgames) schildert den Palast des elamitischen Tyrannen Chumbaba in
der Stadt Erech als in einem von einer Mauer umschlossenen „Walde" gelegen voll
lieblicher, schattiger, hochgewachsener Bäume, namentlich Zypressen und Zedern.
Bezeugt sind die Parks für Assyrien und zwar für dessen Frühzeit, welche erst durch
die neuesten Ausgrabungen sich aufzuhellen beginnt. Aus der großen Inschrift
Tiglatpiteser I. (noch vor 1100) geht hervor, daß das Anpflanzen von Parks (hiru)
altherkömmliche Königssitte war; denn so spricht der König: „Zedern, Buchsbäume (?)
und . . . bäume aus den Ländern, die ich unterworfen hatte, diese Bäume, die keiner
von den früheren Königen, meinen Vätern, gepflanzt hatte, nahm ich und pflanzte ich
in den Parks meines Landes ein ..." Das Herübernehmen und Akklimatisieren
fremdländischer Pflanzen, welches zuerst im sechzehnten Jahrhundert vor Chr. in den
Berichten der ägyptischen Königin Hatschepsowet erscheint und welches so bezeich-
nend ist für die Bedeutung der königlichen Gärten, begegnet in Vorderasien in
Tiglatpilesers Inschrift zum erstenmal. Derselbe König hat allerlei jagdbare Tiere
nach seiner Hauptstadt bringen und dort züchten lassen. Sanherib berichtet über
Arbeiten in seinem Palastgarten, über dessen Bewässerung und über Anpflanzung
fremder Gewächse; auch Asarhaddon spricht von seinem großen Schloßpark. Für die
jünger assyrischen Großkönige sind die Parks monumental bezeugt durch die Wand-
reliefs ihrer Paläste, insbesondere des Assurbanipal; da sehen wir in Bildern sowohl
die Jagden auf Löwen und auf Rehe (das weite und offene Gelände könnte darauf
hindeuten, daß letztere Jagden außerhalb des Parkes zu denken seien; eher aber
sind die Wildparks als freie Natur zu denken, wie ähnlich heutzutage) wie auch das
Siegermahl unter der Bebenlaube in einem Hain von Palmen und Zedern. Die Gärten
der babylonisch-assyrischen Könige übernahmen ihre Erben, die Meder und Perser
(bei diesen finden wir sie in den Händen der Könige, der Prinzen und der Satrapen),
und von den Persern wieder Alexander der Große und seine Nachfolger. Von den
hellenistischen Königen aber kamen sie an die letzten Herren der alten Welt, die
Römer, welche die transeuphratischen Gebiete freilich den Parthern lassen mußten.1)
Nach dem Bilde der Königsgärten ist nun auch der Garten in Eden gedichtet.
Der jahwistische Schriftsteller, welcher gegen 800 vor Chr. die Urgeschichte im Sinne
*) Hesych v. nccQÜdeiooq. — r] xönoq evvÖQoq, tv w TCeQinaxoq. xal tf ßaoikeojq xaräkvaiq. —
Parks des Chumbaba, des Tiglatpileser, Sanberib und Assarhaddon: Friedrich Delitzsch, Wo lag
das Paradies? Seite 96 f. Die angeführte Stelle aus der Prismainschrift Tiglatpileser I nach Jensen.
Assyrische Reliefs (teils nach Stickereien oder Wirkereien) bei Layard, Mon. of Niniveh I Taf. 10.
31. 49 (Löwenjagden), 11. 32. 48, 6 (Stierjagden), II Taf. 32 (Gazellen- und Hasenjagd im Hain),
I Taf. 12 (König trinkt bei der Strecke nach Stierjagd), 5 (König sitzt und trinkt). Proben
nach Photographie bei v. Sybel, Weltgesch. d. Kunst2 1903, 86 (Jagdhunde im Park geführt),
94 (Sardanapals Gelage im Park).
Das Paradies. Adam und Eva. 161
des Israelitismus gestaltete, stellt die Erschaffung des Menschen gleich hinter die der
Erde und des Himmels. »Am Tage, da Jahwe Erde und Himmel machte
von Sträuchern des Feldes gab es noch nichts auf Erden, und von dem Kraut des
Feldes war noch nichts gesprossen, weil Jahwe nicht auf die Erde hatte regnen lassen
und kein Mensch da war, den Erdboden zu bebauen: nur ein Nebel stieg von der
Erde auf und durchfeuchtete die ganze Fläche des Erdbodens — da bildete Jahwe
den Menschen aus Erde vom Erdboden und blies den Lebensodem in seine Nase, und
so ward der Mensch zum lebenden Wesen" (Genesis 2, 4 b bis 7). „Und Jahwe," so
geht die Erzählung weiter, „pflanzte einen Garten in Eden (gen Eden) fern im Osten
und setzte darein den Menschen, den er gebildet hatte. Und Jahwe ließ aus dem
Erdboden hervorsprossen allerlei Bäume, schön zum Ansehen und gut zum Essen, und
mitten im Garten den Baum der Erkenntnis des Guten und Bösen" (2, 8 — 9). Von
den Früchten dieses Baumes soll der Mensch nicht essen. Dann folgt die Erschaffung
der Tiere, dem Menschen zur Gesellschaft; Jahwe bringt sie zum Menschen (also in
den Garten), daß er ihnen Namen gebe. „Aber der Mensch fand keine Gesellschaft,
die zu ihm paßte" (20 b), da schuf ihm Gott das Weib, und es folgt der Sündenfall
und die Vertreibung aus dem Garten.
Jüngere Redaktionen der Geschichte haben allerlei eingefügt, so zur Beschreibung
des Gartens den Strom, der ihn bewässert und der sich weiterhin in vier Flüsse teilt
als welche außer den uns unbekannten Pison und Gihon der Tigris und der Euphrat
genannt werden (Hiddekel und Phrath 10 — 14). So sind denn die wesentlichen
Elemente eines Paradeisos vorhanden, der Baumgarten (für die Bewässerung wird
Sorge getragen), die Tiere und der im Garten lebende Mensch; nur ein Wohnhaus ist
nicht genannt, weil der neugeschaffene Mensch noch keins hatte. Aber es fehlt nicht
die wesentliche Annehmlichkeit, die der Park, abgesehen von den Baumfrüchten, bietet,
die Erquickung; es wird zwar nicht vom Menschen gesagt, aber in naiv anthropo-
morpher und anthropopathischer Gottesvorstellung von Gott selbst, daß er in der Abend-
kühle im Garten lustwandelte (3, 8).1)
Für die Parks und Tiergärten der Orientalen gebrauchten die Griechen das
Lehnwort paradeisos. Das Originalwort kommt in persischen Inschriften nicht vor,
nur im Awesta in der Form pa'ridaeza. Für das Lehnwort ist Xenophon der früheste
Zeuge, er scheint es vom Zug der Zehntausend heimgebracht und in die griechische
Literatur eingeführt zu haben. Dann griffen die Komiker es auf; den alten Erklärern
zu glauben, wäre das Wort von einem stumpfsinnigen Menschen gebraucht worden,
der auf sich herumtreten läßt (etwa wie der Weg? die Griechen scheinen den Para-
deisos zum Teil wesentlich als Ort zum Lustwandeln aufgefaßt zu haben). In der
hellenistischen Zeit fand das persische Wort im Hebräischen Aufnahme, in der
Form pardes.2)
*) Nach Karl Budde, Die biblische Urgeschichte 1883. Was die Lage des Paradieses nach
der Vorstellung des Jahwisten betrifft, so läßt sich Eden nicht authentisch identifizieren. Die Ur-
schrift gibt als nähere Bestimmung nur die Worte „fern im Osten" ; da der Verfasser in Palästina
schrieb, so ist möglich und wahrscheinlich, daß ihm als das Ostland Babylonien vorschwebte.
Dies scheint die Auffassung dessen gewesen zu sein, der die Flüsse hinzufügte. Weitergehende
Versuche bei Friedr. Delitzsch, Wo lag das Paradies? 1881, besonders S. 64 ff.
2) napööetoog, so lehrt mich Ferd. Justi, dem ich auch den Hinweis auf Brissonius und Notizen
zu Damaskus und Triparadeisos im folgenden Verzeichnis der Paradiese verdanke, müßte pers.
Sybol, Christliche Antike I. 11
162 Die Malereien der Katakomben.
Eine Reihe orientalischer Parks kennen wir aus der alten Literatur; es waren
teils Lustgärten, teils Tierparks, oder sie vereinigten beides im selben Gehege, und
dies ist das Urbild der Vorstellungen vom biblischen Paradies. Wir geben einen
Überblick und beginnen mit Indien. In der Zeit des Gotama Buddha, um 500 vor
Chr., gehörte es wie heute zum Komfort, um das Haus einen schattigen Garten zu
haben und vor der Stadt einen Park, wo Kühle und Ruhe den Kommenden empfängt.
Solche vorstädtische Parks, entfernt vom Geräusche des Verkehrs, aber leicht erreichbar
für alles Volk, schenkten reiche Verehrer des Buddha der Gemeinde zum Aufenthalt
für die Mönche, so das Veluvana (Bambuswald) und den noch berühmteren Park des
Prinzen Jeta, das Jetavana; so schenkten ihre Mangowälder der Arzt Jivaka und die
Kurtisane Ambapäli. Das alles geschah in der Heimat des Buddhismus, im Ganges-
land; auf Ceylon wiederholte sich derselbe Vorgang. In der Geschichte des Buddha
kommt auch der Wildpark Isipatana bei Benares vor. Griechische Schriftsteller be_
richten aus späterer Zeit, daß der indische König im Wildgeheg auf dem Anstand
schießt, von einer Kanzel, im freien Feld vom Rücken eines Elephanten herab.
Wiederum im Norden, in Bazeira (Bazista), einem Bezirk der Sogdiana, fand
Alexander Haine und Wälder, von Mauern umschlossen, mit reichlichen Quellen und
viel Edelwild, auch da waren Kanzeln vorgesehen; abgesehen von dem Löwen, den
Alexander selbst erlegte, wurden 4000 Stück Wild erlegt zu einem im Park selbst
abgehaltenen Schmaus für das ganze Heer. Auf seinem Zug gegen die Cadusier,
am kaspischen Meer, rastete Artaxerxes Mnemon in einem Königsquartier, bei welchem,
inmitten einer baumlosen, kahlen Ebene, die wunderbarsten Paradiese angelegt waren,
mit Prachtexemplaren von Fichten und Zypressen. Medien war reich an Parks: der
große im Tal Bagistana (Baghastana, Götterort), unter der mit Skulpturen und
para claiza, medisch paradaeza sein, es kommt aber nur (medisch, im Awesta), pairidaeza vor und
zwar nicht in der Bedeutung Garten, sondern Umwallung (temporäre Umhäufungen von Lehm um
einen Platz für eine Reinigungszeremonie, Vendidad 3, 18); para involvirt den Begriff „von weg,
fern", was nicht paßt, pajri ist gleich tisq!, klang den Griechen aber näher ihrem naQcc, vielleicht
aber wirkte ihr anderes Lehnwort nuQuaäyyrjq ein, in welchem übrigens naQcc auch ungenau für
altpers. fra steht. Im Sanskrit ist das Wort nicht vorhanden, wohl aber das einfache daihi (spr.
dehl) Aufwurf, Wall, Damm und das nachvedische deha, Körper (die materielle, lehmige, irdene
Verhüllung der Seele). Die Wurzel ist indogerm. dheigh, dazu gehört griech. zoT'/og, niederdeutsch
dlk, hochdeutsch teich (nicht das Wasser im Teich, sondern der Behälter), lat. Wurzel fig in figulus
und dgl., weil der Grundbegriff das Formen etc. mit Lehm ist. Im A. T. scheint der Begriff
Paradeisos durch das ebräische ginät, Garten, ausgedrückt zu sein: Esther 7, 7, was Genesis 2, 8
gan, gan be-cEden, Garten in Eden, lautet. Pardes findet sich Pred. Sal. 2, 5. Hohelied 4, 13. Nehem.
2, 8; häufig im Talmud, in den Targums etc. Das Komikerzitat steht bei Photius (ed. Porson.) v.
nuQÜöeiooq, vgl. Kock, Comic, att. fragm. III 1888, 590 n. 1102. Photius teilt das persische Ur-
wort mit, das er <pagöcu&i schreibt; zu der vorgeschlagenen Änderung in (pciQÖaiöi liegt kein Grund
vor, die Aspirate (neugriechisch gleich englisch th zusprechen) ist gewählt, um das weiche z
wiederzugeben. Die anlautende Aspirate beruht auf der arabischen Aussprache, woraus folgt, daß
diese ganze Notiz mittelalterlich ist. Jensen teilt mir noch mit, daß in einem Kontrakt aus der
Zeit des Kyros (Straßmaier, Cyrus Nr. 212) ein u-rasch (ras?) eines ? — di(e)-su genannt wird. Da
ein urasch ein Bewässern sein könnte, für die in Keilschrift erhaltene, aber noch ungedeutete
Silbe die Lesung par möglich sei (neben anderem auch möglichen), so könnte hier ein pardesu =
Park vorliegen, sicher sei es aber uatürlich nicht. Zutreff enden falles würde dies das früheste
urkundliche Vorkommen des persischen Wortes im Sinne von Park sein. Friedrich Delitzsch, Wo
lag das Paradies? 1881, Seite 95 — 97, hält für möglich, daß das persische Wort selbst schon Lehn-
wort sei; freilich sei ein babyl. pardasu bis jetzt nicht belegt.
Das Paradies. Adam und Eva. 163
Inschriften des Darius geschmückten Felswand, galt als Schöpfung der „Semiramis";
ebenso der bei Chauon, rings um eine isoliert ragende Felsklippe mit einem, die
ganze Umgegend beherrschenden Lustschlosse; natürlich hatte die Residenz Egbatana
ein Paradies, dessen Wild Astyages (in Xenophons Roman) dem jungen Cyrus zur
Verfügung stellt, der aber findet die Jagd auf freies Wild in offenem Feld viel
schöner. Aus Persien hören wir nur von dem schattigen Hain zu Pasargadae, in
dessen Baumlaub versteckt das Grab des Cyrus lag; die Schloßgärten von Persepolis
und Pasargadae werden nicht erwähnt, denn Hauptresidenz der Perserkönige war
Susa. Das Buch Esther erzählt von einem Fest, das König Ahasverus den Großen
des Reiches gab, hundertachtzig Tage lang, und von einem anschließenden Gelage,
das er allem Volk von Susa im Gehege des Gartens am Palast gab; wiederum von
einem Gelage bei der Königin Esther, wo es geschah, daß der König über Haman
ergrimmt aufstand und in den Garten ging. Xenophon sagt, der Perserkönig sorge
dafür, daß in allen seinen Residenzen und wohin er komme, Gärten vorhanden seien, die
sogenannten Paradiese, die voll seien von allem Guten und Schönen, was die Erde
hervorbringen wolle, Bäume und andere Pflanzen; darin pflege der König zu weilen,
soweit nicht die kalte Jahreszeit es unmöglich mache. Es ist zu bemerken, daß der
Kiosk insgemein so sehr im Park verschwand, daß das Wort Paradeisos öfter geradezu
für Residenz gesetzt wurde. Den Kiosk selbst denkt man sich weniger gern im Typus der
säulenlosen, massigen Ziegelkörper der babylonischen und assyrischen Paläste, als in
der Gestalt des hittitischen Hilani (zwischen zwei Eckpavillons eine gesäulte Vorhalle
vor einem querlicgenden, wiederum durch Säulen abgeteilten Saal). Das Hilani haben
die assyrischen Könige übernommen und als Kiosk in den Garten ihrer Ziegelpaläste
gesetzt. So mögen auch die Perserkönige den Typus des Hilani ihren Absteige-
quartieren wie den Lust- und Jagdschlössern zugrunde gelegt haben; wird doch
selbst der schwer erklärbare persische Palast, wie er in Persepolis und Susa erhalten
ist, wenigstens zu einem Teil verständlicher, wenn man ihn als eine Entfaltung der
Hilaniidee auffaßt. Auch die Paläste von Firuz-Abad und von Ktesiphon beruhen,
wie man bemerkt hat, auf der Hilaniidee, nur ist sie da der urbabylonischen Wölb-
kunst (natürlich in deren spätantiker Ausbildung) unterworfen worden; also eine Ver-
schmelzung der zwei im Prinzip so entgegengesetzten Systeme, des Holz- und des
Ziegelbaues. Die Fassade von Sarvistan modifiziert den Hilanityp noch außerdem,
indem sie die Eckpavillons in der Front öffnet, wie das auch der Palast Bachno zu
Schiraz tut.
Daß in Babylonien alle Königsburgen, vor allem die von Babylon selbst von
alters her mit Schloßgärten und Tierparks versehen waren, vermuteten wir oben; daß
nur spätere und späteste Quellen davon reden, verschlägt nichts. Eine Sonderstellung
nehmen die „hängenden Gärten" ein, nicht aber der „Semiramis", sondern des
Nebukadnezar, der sie als Schloßgarten für eine Nebenfrau, eine Perserin, schuf, um
ihr das heimatliche Gebirgsland zu ersetzen; die Terrassen erhoben sich bis zu den
Zinnen der hohen Stadtmauer, mächtige Humuslager genügten für die größten Bäume,
die Hohlräume darunter enthielten fürstlich ausgestattete Salons, die sich nach den
vorliegenden Terrassen öffneten, außerdem Pumpwerke. Von Alexander heißt es, daß
er in die babylonischen Paradiese griechische öe wachse pflanzen ließ, mit Vorliebe
schattige Laubhölzer; alle gediehen, nur der Efeu ging trotz Harpalos' Bemühungen
ein. Hier darf auch der Paradeisos des Jojakim Erwähnung finden, in dem die keusche
11*
164 ®'ie Malereien der Katakomben.
Susanna des Nachmittags zu lustwandeln pflegte; echt ist jedenfalls der Typus
des Privatgartens eines reichen Mannes, denn Jojakim wird als der Mittelpunkt
der babylonischen Judenschaft hingestellt, in dessen Garten morgens die Juden sich
einzufinden pflegten.
Bei Seleukeia am Tigris traf Kaiser Julian ein königliches Wildgehege mit
Löwen, Ebern, Bären an; die Tore wurden erbrochen und alles Wild zur Strecke ge-
bracht. Von den königlichen Gärten in Assyrien und den dortigen Akklirnatations-
versuchen bereits im zweiten Jahrtausend vor Chr. war oben die Rede. Der Ort
Paradeisos im Quellgebiet des Orontes, also im Hochtal zwischen Libanon und
Antilibanos gelegen, vielleicht identisch mit Triparadeisos (Riblah), wo die Diadochen
321 vor Chr. die zweite Verteilung der Satrapien vornahmen, wird seinen Namen ent-
weder dem landschaftlichen Charakter seiner Lage verdanken oder einem dort künst-
lich geschaffenen, nach Umständen aus der Natur herausgebildeten Paradeisos. Auf
einen analog benannten Ort im Gebiet des Königs von Damaskus scheint sich Bet-
Eden beim Propheten Arnos zu beziehen, wo er Jahwe drohen läßt: „ich werde den
Riegel von Damaskus zerbrechen und die Bewohner ausrotten aus Bik at-Awen und
den Zepterträger aus Bet-Eden". In Sidon hatten die Perserkönige einen Paradeisos
als Absteigequartier; mit dem Abholzen seiner Bäume begann 351 vor Chr. der Abfall
der Phönizier von Artaxerxes. Hier sei denn auch der königlichen Gärten von
Jerusalem gedacht, des Gartens der Davidsburg und des Garten Ussa beim
Tempel, in jenem wurden die Könige von David bis Ahaz bestattet, in diesem die
folgenden. Endlich Kleinasien. In Phrygien, zu Kelainai, hatte der jüngere Cyrus
einen Palast, der über die Quelle des Mäander gebaut war; vom Palast bis zu der
weiter unterhalb liegenden Stadt erstreckte sich beiderseits des Flusses der große
wildreiche Park; darin jagte Cyrus zu Pferd, um sich und die Pferde zu üben, in
demselben Park hielt er die Musterung der 10000 (genauer 13 000) Griechen. In
Daskylion an der Propontis war die Residenz der Satrapen Kleinphrygiens, mit
wertvollen Jagden, teils in eingehegten Paradiesen, teils im offenen Feld. Von den
Lydern heißt es in einer antiken Sittenschilderung, daß sie aus Üppigkeit sich
Paradiese mit dichtem Schatten hielten, um darin zu leben, ohne den Sonnenstrahlen
ausgesetzt zu sein. In Sardes zeigte jener selbe Cyrus dem Lysander das dortige
Paradies, in dem er eigenhändig zu arbeiten pflegte; der Spartaner bewunderte den
schönen Wuchs der Bäume, ihre regelmäßige Pflanzung in gleichen Abständen und
gerade gezogenen Reihen, alles genau winkelrecht, dazu die mancherlei angenehmen
Blütendüfte in den Wandelgängen, noch mehr freilich den Geist der Anlage und die
daran gewandte Arbeit. Regelmäßige Anlage und architektonischer Charakter, wie sie
aus dieser Beschreibung sprechen, beherrschten die antike und alle folgende Garten-
kunst bis zum letzten Gipfel des Stils in Le Nötre.1)
*) Indien: Oldenberg, Buddha 41903, 144. 162f. 166f. 405, 1. 411. 435. 438. Strabo XV 710.
Sogdiana: Curtius VIII 1, 11 — 19. Diodor XVII prol. 26 Baaista; vgl. Tomaschek bei Pauly-
Wissowa III 178 Bazista. Cadusier: Plut. Artoxerxes 25. Medier: Bagistana: Diodor II 13, 1
Bogistanon oros. Weißbach bei Pauly-Wissowa II 2769 Bagistana. Chauon: Diodor II 13, 3.
Weißbach a. O. III 2203. Egbatana: Xen. Cyrupaed. I 3, 14. 4, 7ff. 4, 11. Cyrusgrab: Strabo
XV 730. Susa: Esther Kap. 1 und 7 (Kautzsch; Sept. Swete 1,5 iv avky ol'xov xov ßaaileux;
7,7 elq xbv xrjnov). Perserkönige: Xen. Oec. IV 13ff. Hilani: Puchstein, Archäol. Jahrbuch
1892, 1. Koldewey, Ausgrab, in Sendschirli II 1898, 183. v. Sybel, Weltgesch. 1903, 146. Firuz-
Das Paradies. Adam und Eva. 165
Um andere berühmte Gärten, wie die der Kleopatra, zu übergehen, so wurden in
der Kaiserzeit naturgemäß die kaiserlichen Gärten, deren es in Rom mehrere und
ausgedehnte gab, zum idealen Schauplatz höchster Lebensfreude.1)
Wir kennen den Charakter der Parks aus den Wandgemälden im Gartensaal
einer kaiserlichen Villa zu Primaporta (vor Porta del popolo). Da sehen wir mannig-
fache Bäume und Sträucher, üppig blühend und in Früchten prangend, daran Vögel
picken, zu einem herrlichen Park zusammengestellt; die Darstellung ist nicht botanisch
exakt, immerhin fehlt es nicht an Elementen, um danach einige der Gattungen zu
bestimmen, die dem Maler als Modelle gedient haben, darunter Pinie und Palme,
Zitrone und Granate. Offenbar sind es ausgesuchte Pflanzen, aus allen Ländern zu-
sammengebracht und akklimatisiert, wie das schon zu der alten Pharaonen Zeit könig-
liche Sitte gewesen war. Der gemalte Park ist vorn eingefriedigt mit einer Marmor-
schranke; davor läuft auf einem grünen Rasenstreif noch ein niedriges Gitter aus
schräg gekreuzten Holzleisten; dergleichen Holzgitterwerk war in den antiken Zier-
gärten so beliebt wie in den modernen. Ähnliche Parks wurden auch in bürgerlichen
Häusern gern an die Wände gemalt, besonders an die der Peristyle und Gärten, um
den meist beschränkten Hausgärtchen mehr Perspektive zu geben. An einer solchen
Gartenwand sieht man die Bäume des gemalten Parks, darunter eine breitschattende
Pinie hinter marmorner Brüstung ragen; im Vordergrund ist eine reiche Ausstattung
in Marmor angeordnet, eine Schale mit sprudelndem Wasser zwischen zwei Brunnen-
figuren, Nymphen, die sprudelnde Schalen vor sich halten, dahinter auf hohem Sockel
der Wassergott, ein gelagerter Silen; eine Taube nippt von dem Wasser in der Schale,
vorn steht ein Pfau mit dem vielaugigen Gefieder. In einem anderen pompejanischen
Abad und Ktesiphon: Borrmann, Baukunst des Altertums 1904 Abb. 244. 242. Sarvistan: eb. Abb.
245. Schiraz: Perrot et Chipiez, Hist. de l'art dans l'antiq. V 657. Babylon, Tiergarten mit
Löwen, Bären, Panthern: Philostrat Vita Apoll. Tyan. I 38. Hängende Gärten: Diodor II 10, 1.
Strabo XVI 738, dessen Angaben über die Struktur von denen Diodors abweichen; dieser gibt
Flaehdecken au, Strabo Gewölbe, die mächtigen Pfeiler seien hohl und mit Humus gefüllt gewesen
für tiefwurzelnde Bäume, eine Art Biesenkübel, die fast wahrscheinlicher klingen als Diodors An-
nahme einer in gleicher Stärke durchgehenden Humusdecke; die Bäume mußten dann in regel-
mäßigen Reihen stehen. Curtius V 1, 32. Josephus, Antiq. Jud. X 226. Plut. de fort. Alex. II
342b. Dio Chrysost. nepl tcXovtov z. E. (irrig: in Susa). Suidas v. Naßov/oöovöaoQ. Alexanders
Akklimatationsversuche: Theophrast bei Plutarch quaest. conviv. III 648c. Susanna: Swete, Old
Testament in Greek III 576, deutsch vou Rothstein bei Kautzsch, Apokryphen 1900 S. 176. 184.
Seleukeia: Ammian. Marceil. XXIIII 5, 2. Paradeisos: Ptol. V 15, 20 (V 14, 16 bei Müller-
Fischer I ii 1901, 977). Strabo XVI 756. Plin. V 82. Triparadeisos Diodor XIX 12.
Damaskus: Arnos 1, 5 (Bet-Eden, Kautzsch: Lusthaus). Vgl. Keil-Delitzsch, Bibl. Kommentar
über d. A. T. III iv 1866, 175. Nowack, Handkomm, zum A. T. III iv 1897, 123. Marti, Kurzer
Handkomm. XIII Dodekapropheton 1904, 159 ff. Sidon: Diodor XVI 41. Jerusalem, Davids-
burg: Kön. I 2, 10 usf. bis II 16, 20. Ussa: für Hiskia vorauszusetzen (Kön. II 20, 21), über-
liefert für Manasse 21, 18 usf. Kelainai, Xen. Anab. I 21, 7—9. Pauly-Wissowa I 2664.
Cabrol, Dict. I 2502. Daskylion: Xen. Hell. IV 1, 15. Rüge bei Pauly-Wissowa IV, 2220.
Lyder: Klearch negl ßt'wv IV bei Atb. XII 515e. Sardes: Xen. Oec. IV 20 — 21. Älian, nat.
anim. I 59. Cic. de senect. 17, 59 interpretiert die regelmäßige Anlage als versetzte Reihen
(derectos in quincuncem ordines). — Erste Behandlung orientalischer Paradeisoi bei Brissonius, de
regio Persarum principatu I 78. 79. Vgl. noch Stephanus (Hase-Dindorf), Thesaurus ling. graec. s. v.
nuQ&Sziaoq.
l) Die bedeutendsten der von reichen Privaten wie Lucullus oder Sallust angelegten Gärten
gingen bald in kaiserlichen Besitz über. Vgl. O. Richter, Topographie von Rom, Register
unter Horti.
166 Die Malereien der Katakomben.
Haus, an der Nolaner Straße, lehnt sich an eine Wand des Peristyls ein Triclinium
unter einer einst rebenberankten Pergula; die Wände umher lassen einen, jenem
kaiserlichen verwandten Park sehen, dessen Bäume Tauben beleben; vorn zieht sich
das Holzgitter her. Noch bleibt zu erinnern, daß die antiken Speisesäle gern sich
nach Peristyl und Garten öffneten, so daß die Vögel hereinkamen, Sperlinge, Tauben
und Pfauen, wo solche gehalten wurden; auf dem Mosaik des Sosos von Pergamon,
berühmt unter dem Namen des „ungefegten Saales", war dergleichen stilvoll und
sinnig dargestellt, auch sehen wir im Speisesaal des pompe janischen Vettierhauses
unter anderen Motiven der Wandmalerei auch Pfauen angebracht.1)
In den christlichen Grabkammern finden sich keine ausgeführten Parkwände,
wohl aber Andeutungen von solchen. So im Cubiculum Oceani (unsere Farb-
tafel II). Eine vornehme Gruft mit ursprünglich nur einem Arkosol (in der Rück-
wand). Am Wandsockel ist ringsherum einer jener Gitterzäune gemalt, mit einladend
halbgeöffneter Gittertür auf jeder Seite. Mit diesem bezeichnenden Bruchteil des
Parkmotivs kombiniert die Oberwand den Architekturstil, doch in sehr abgeschwächter
Wiedergabe (breite und schmale Felder im Wechsel); in die Hauptfelder sind über
dem Arkosol der gute Hirt, an den Längswänden, je in der Mitte, Selige, beiderseits
schwebende Amoretten gesetzt, in die schmäleren Zwischenfelder hängende Frucht-
schalen und Blumen. Wie das Liniensystem der Oberwand mit den hineingehängten
Schalen und Blumen, so nähert sich auch die Decke der Art einer Laube; zwischen
den Stäben spielen Tauben in Zweigen, auf jeder Seite schreitet ein Pfau nach dem
Fond hin, wo ein Okeanoskopf an fließendes Wasser erinnert.2)
Auch an Fach- und Nischengräbern kommt das Gitter am Sockel vor, meist
sind Blumen oder Blätterbüschel in seine Offnungen gemalt, als ob rankende Pflanzen
dahinter zu denken seien; oberhalb aber sieht man Landschaften mit bedeutsamer
Staffage oder auch Selige unter aufgehängten Girlanden.3)
Die malerisch ausgeführten Paradiese, die wir in den Kammern vermißten, finden
sich aber doch an Einzelgräbern. Hauptbeispiel ist das Gemälde der Cinque Santi.
Über eine Brüstung hinweg, die hier nur durch die beiderseits verlängerte Fußlinie
der Grabnische angedeutet ist, blicken wir in einen Park; dessen Bäume sind schwer
von Blüten und Früchten, Vögel schwirren durch die Zweige; ganz vorn (beiderseits
des Arkosols) zwei prächtige Pfauen. Vor der Brüstung (am Sockel) drei wasser-
sprudelnde Vasen, auf deren Rand Tauben sitzen und trinken. Mitten hinein in dies
Paradies (über der Nische auf besonderer Fußlinie) sind fünf Verstorbene gemalt, die
in den Fachgräbern der Wand Beigesetzten: drei Frauen, Dionysas, Eliodora und
Zoe, zwei Männer, Nemesius und Procopius; von einer sechsten ist nur der Name
beigeschrieben, Arcadia (unsere Farbtafel IV).4)
*) Primaporta: Ant. Denkm. d. Instituts I Taf. 11. 24. Möller, Röin. Mitt. 1890, 78. —
Pompeji: Presuhn, Pompeji 1877, 40 Taf. 22; vgl. auch eb. Taf. 24 = eb. 1878 Abt. 2 Taf. 2.
Mau, Rom. Mitt. 1894, 51 Bild und Taf. 4, Haus 15 o. — Sosos: Brunn, Gesch. d. griech.
Künstler II 311. v. Sybel, Weltgesch. d. Kunst 1903, 367. — Vettier: Mau, Eöm. Mitteilungen
1901, 110.
2) Cub. Oceani: de Rossi, Roma sott. II Taf. 27. 28. Wilpert 32 Taf. 134.
3) de Rossi, Roma sott. III Taf. 9 Crypta delle pecorelle. Wilpert Taf. 121. 143, 1. 218, 2.
Vgl. noch 201, 1. 3. de Rossi, Bull, crist. 1876, 145 Taf. 3. 9 sieht in den Gittern an Arkosolien
Nachahmungen der Gitter um oberirdische Gräber.
*) de Rossi, Roma sott. III Taf. 1—3. Wilpert, Mal. 462 Taf. HOf.
Das Paradies. Adam und Eva.
167
Adam und Eva.
Neapel.
Die Bäume deuten das Paradies an. Wo
immer wir in den Katakomben Bäume gemalt
sehen, haben wir in erster Linie an das Paradies
zu denken. Wir werden weiterhin Baumpaare
oder auch einzelne Bäume in solchem Sinn an-
gebracht finden: ein Verstorbener zwischen zwei
Bäumen als Seliger im Paradiese; Christus der
gute Hirt ähnlich als Herr des Paradieses. Auf
Verschlußplatten von Fachgräbern ist neben
anderen Emblemen auch wohl einmal ein Baum
eingemeißelt; er besagt, der Verstorbene sei ein-
gegangen ins Paradies.1)
Aber es gibt noch ein besonderes Vor-
kommen des einzelnen Baumes und zwar in Ver-
bindung mit einem Figurenpaar, Adam und
Eva. Das älteste Exemplar des Typus, aus
frühchristlicher Zeit, befindet sich in Neapel, als
eines der Kappenbilder im zweiten der früher besprochenen Plafonds. In Bewegung
und Leben ein noch klassisch gezeichnetes Bild; der Adam ist wie ein lysippischer
Athlet, die Eva ein Nachklang der knidischen Aphrodite des Praxiteles, die Arme
aber sind die der kapitolinischen Venus. Das Bild pflegt auf den Sündenfall gedeutet
zu werden. Der Apfel ist vorhanden, in der Hand der Eva, aber weder pflückt sie
ihn, noch reicht sie ihn dem Adam, vielmehr hält sie ihn fast mehr als Attribut, so
wie Aphrodite den Apfel wohl als Attribut hält. Oder Eva hält ihn verlockend hin;
Adam streckt abgewandt die Hand nach ihm aus, vielleicht noch unentschlossen. Mit
diesem mehr vorbereitenden Moment ist nun aber die nächste Folge des Sündenfalls
gleich verbunden, diejenige, welche noch im Paradies erfolgte, vor der Austreibung:
bereits tragen Adam und Eva Laubgürtel um die Lenden. Das Bild macht der
Erklärung Schwierigkeiten, weil es bei aller formalen Schönheit nicht scharf gedacht
ist. Man wird anerkennen müssen, daß die biblische Erzählung vom Sündenfall dem
Maler vorschwebte, wenn schon im Neapeler Exemplar die Schlange fehlt. In den
römischen Exemplaren pflegt sie gegenwärtig zu sein, in den früheren vom Boden sich
aufrichtend, in den späteren um den Baum gewunden. Dürfen wir eine Entwicklungs-
geschichte voraussetzen, der zufolge erst Adam und Eva im Paradies dargestellt, später
die Momente des Sündenfalls hinzugefügt worden wären, und zwar zuerst der Laub-
gürtel, danach die Schlange? Vgl. die Gruppe in der Deckenmalerei oben Seite 154.
Die altchristliche Literatur hat den Sündenfall in den christlichen Gedankenkreis
einbezogen. Paulinisch ist der Gegensatz Adam — Christus: jener hat durch die
Sünde den Tod in die Welt gebracht, Christus bringt das Leben, das ewige. Den
Ursprung des Todes darzustellen, das könnte einem Gruftmaler allerdings nahe liegen;
aber damit fiele er aus seinem sonst so glaubensfrohen Ideenkreis heraus. Setzen wir
den Fall, daß das Bild ursprünglich den Sündenfall darstellen wollte, so begreift
sich, daß ein Maler aus der Urgeschichte gerade ihren kritischen und im Grunde
fruchtbarsten Moment heraushob. Aber in den Katakomben wirkte das Bild anders,
») Verschlußplatten: de Rossi, Eoma sott. I Taf. 18. 21. II Taf. 39/40.
168 ßie Malereien der Katakomben.
da erkannte man das Paradies, und die Stammeltern als dessen natürliche Staffage;
der christliche Besucher aber dachte an das himmlische Paradies. Diese Auffassung
scheint durch ein paar Verwendungen bestätigt zu werden. Im ältesten römischen
Exemplar ist mitten in den „ Sündenfall ■ der unter der Laube ruhende Jonas hinein-
geschoben, zwischen den Baum und Adam, hinein ins Paradies; daß der ruhende Jonas
in den Katakomben zu einem Seligkeitstypus wurde, werden wir später sehen. Ein
andermal finden wir drei Paradiesestypen nebeneinandergestellt, Taube, Baum von der
Schlange umwunden, Schaf; Taube und Schaf werden sich uns als Typen der Seligen
ergeben, der abgekürzte ,, Sündenfall " ist hier deutlich Bild des himmlischen Paradieses.
Wilpert läßt dieser Auffassung wenigstens ein kleines Spältchen offen; der eine oder
andere Besteller oder Beschauer möge in dem verlorenen Paradiese zugleich auch das
im Tode wiederzugewinnende erkannt haben, wie dies der Dichter Prudentius in seinem
Hymnus zur Leichenfeier tue. Konnten denn aber, wird man einwerfen, die zwei
Paradiese, das biblische in Eden und das christliche im Himmel, so ganz zusammen-
geworfen werden, hat man sie denn nicht scharf auseinandergehalten? Die Antwort
ist leicht zu geben: das himmlische Paradies ist doch nichts als die Übertragung des
irdischen in den Himmel.1)
Übernommene Embleme.
Mit der ganzen Dekorationskunst fanden auch manche Embleme in die Kata-
kombenmalerei Eingang, die als Ornamente harmlos hingenommen mit der Zeit ent-
weder ausgeschieden wurden oder sich einem Assimilierungsprozeß unterwerfen mußten,
um für die Christen brauchbar zu werden. Daß sie als bloße Ornamente arglos über-
nommen wurden, ist die herkömmliche Rede und ist so weit richtig. Es mag auch
sein, daß sie schon in der heidnisch-antiken Dekoration bloß als Ornamente galten; doch
war dies nicht allgemein der Fall. Es gab ohne Zweifel Besteller und Besucher, denen
all diese Embleme nur Dekoration waren, nur im engsten Sinne ästhetischen Wert
hatten; es gab aber daneben andere, die in den schönen Figuren einen guten Sinn
fanden, denen sie über die dekorative Wirkung hinaus etwas sagten. Und das waren
alle diejenigen, denen die alte Religion, die alte Mythologie, die alte Poesie noch
nicht ganz literarisches Herbarium geworden war, sondern denen das alles noch eine
praktische Bedeutung hatte. Der Polytheist sah in jeder Sache und jeder Sphäre ihre
Gottheit, einem jeden Gott erwuchsen Attribute: Geräte, Pflanzen, Tiere, Fabelwesen.
*) Neapel: V. Schultze, Katakomben von San Gennaro Tafel 6, 1. Eom: Wilpert, Mal. 324.
Schlange am Boden Tai 70, 2. 93. 101. Schlange um Baum Taf. 166, 2. 169, 1. 171. 186, 2.
197, 2. 211, 3. 227. 240, 1. Der abgekürzte Typus am Grab der Calendina: Wilpert, Mal. 461
Taf. 183, 2; nur zufällig berühren die Füße des doch abgewandten Schafes den Schwanz der
Schlange; das Wort des Psalms 91, 13 „über Löwen und Ottern wirst du schreiten'' müßte im
Bilde anders ausgedrückt sein. — Paulus: Köm. 5, 12 ff. 1. Kor. 15, 22. — Vgl. Breymann,
Adam und Eva 1893. de Waal, Rom. Quartal schrift 1893, 326. Leclercq bei Cabrol, Dictionn. I
509 Adam et Eve, 2691 Arbres. — Der Typus der den Baum umwindenden Schlange hat Vor-
läufer in der heidnischen Antike in den Drachen, deren einer die Äpfel der Hesperiden bewacht
(Röscher, Lexikon I n 2599 m. Abb.), ein anderer das goldene Vließ (eb. II i 82 m. Abb.
Seite 80 und 83), vgl. Piper, Mythologie und Symbolik der christl. Kunst I 1847, 66. Leclercq
a. O. 2701. 2705.
Übernommene Embleme.
169
Wo immer solche Dinge gemalt erschienen,
welche als Attribute eines Gottes liefen, etwa
als apollinische oder als bacchische, da mußten
sie den antiken Beschauer an den Gott er-
innern und an seine Sphäre; darauf gründete
sich die Bedeutsamkeit einer Zimmerdekoration.
Wenn nun die Bewohner der Häuser
christlich wurden, und wenn sie als Christen
fortfuhren die Grüfte ähnlich den Häusern aus-
zumalen, so blieb die sachliche Bedeutsamkeit
der Embleme bestehen; der Gott verblaßte zum
Begriff, aber die Sache, die Sphäre, die er re-
giert hatte, blieb, blieb in ihrer Bedeutung,
mochte sie auch in christlichem Geiste um-
gedacht werden. Daß man fortfuhr die Embleme
sinnbildlich zu verstehen, wird durch ihre fort-
schreitende Ausscheidung und die Assimilierung
des beibehaltenen Restes bewiesen. Solange
nun die alten Embleme an den Wänden ver-
blieben oder in neuen Malereien wiederholt
wurden, redeten sie ihre Sprache, jedem nicht
ganz Achtlosen vernehmlich, ganz gewiß dem
Christen, der mit der Taufe keineswegs auf-
hörte ein antiker Mensch zu sein; war doch die neue Methode selig zu werden, gerade
ganz antik.1)
Wir wollen nicht von dem Laub- und Blumenschmuck reden, den Zweigen,
Kränzen und Blätterschnüren (das sind auf Fäden gereihte Blätter, etwa Rosenblätter),
die im System der Wand- und Deckenverzierung als deren organische Bestandteile
ihre anmutende Rolle spielen. Wir dürfen immerhin nicht vergessen, daß die Decken-
malereien in dem laubenähnlichen Schema den Himmel vorstellen, das himmlische
Paradies. Und es gibt Nischen- und Fachgräber, deren ganze Verzierung in auf-
gehängten Blätterschnüren besteht; an einem Grabe rinden wir die Seligen über (das
ist hinter) dem Parkgitter stehen, aber nicht in einem Park, sondern unter solchen
Girlanden, die nun also zu einem Bilde des christlichen Paradieses geworden sind
(Wilpert, Taf. 218, 2).2)
Als eigentliche Embleme nennen wir zuerst die kleinen, beckenförmigen Schalen,
und die tiefen Vasen ähnlich den Kelch- oder Glockcnkrateren; wie in der
pompejanischen Wandmalerei erscheinen sie irgendwie aufgestellt oder aufgehängt, mit
Blumen oder Früchten gefüllt; häufig sind sie phantastisch verarbeitet, als Herz- oder
Kopfstück eines Pflanzenornaments. Mehr vereinzelt erscheint das in der Spätantike,
insbesondere in der altchristlichen Skulptur und Mosaikmalerei so beliebte Motiv der
Erot mit Pedum und Taenie.
Coem. Domitillae.
*) Dekoratives: Wilpert, Malereien 22 Die rein dekorativen, aus der heidnischen Kunst
entlehnten Elemente.
2) Die an den Gräbern gemalten Kränze und Blattschnüre werden auch mit dem heidnischen,
in den christlichen Gebrauch übergegangenen Darbringen von lebenden Blumen und Kränzen in
Zusammenhang gebracht: Kraus, Realencykl. I 169. Müller, Koimeterien 833.
170 Die Malereien der Katakomben.
aus Vasen sich entwickelnden, mit Vögeln belebten Ranken; die Rebe tritt da in den
Vordergrund. Blumen und Früchte, Fruchtschalen und Blumenkörbe, denn auch diese
kommen vor, waren in den Häusern ein angemessener Schmuck der Triklinien; als
übliche Bestandteile der Malerei mit herübergenommen, konnten sie die Paradiesbilder
weiter ausmalen, im besonderen aber in Gedankenrichtungen deuten, die uns bei Be-
sprechung der Ernte- und der Mahlbilder näher treten werden. Allerlei anderes
Gerät, mit Tänien geschmückt und an Schnüren aufgehängt, ein Trinkhorn (Rhyton),
findet leicht seine Erklärung in der Gelagidee, wiederum ein Spiegel, ein Ölfläschchen
(Alabastron) als Toilettengerät der Verstorbenen.1)
Von Seetieren treten Delphine wiederholt auf, ein paarmal um den Dreizack
ihres göttlichen Meisters gewunden. Delphin und Dreizack waren Attribute des
Poseidon, wie Adler und Zepter solche des Zeus; Zeichnen der Attribute statt des
Gottes aber war antiker Brauch. Ein in den Katakomben beliebtes Kompositions-
schema stellt zwei gleiche Tiere symmetrisch zusammen, mit einem Cippus als
Symmetrieachse; das findet sich so mit Delphinen ausgeführt. Fabelwesen der
See, wie Seedrache, Seestier, kommen einige Male vor, wie sie auch in der
pompejanischen Wandmalerei gern angebracht wurden; die Rolle, welche das Meer in
den Ländern griechischer Kultur spielt, erklärt die Beliebtheit des Ketos in der
Dekorationsmalerei. Doch darf nicht verschwiegen werden, daß auch in heidnischer
Grabkunst das Seetier verwendet wurde, ob bloß dekorativ? Konnte dabei der Ge-
danke an den etwas problematischen Zug Achills zu den Inseln der Seligen vor-
schweben? Speziell der Seedrache hat in den Darstellungen der Jonasgeschichte
Verwendung gefunden; davon später.2)
Um die Enten vorläufig zurückzustellen, haben wir ein Gewimmel von Vögeln
zu verzeichnen, die nur zum Teil bestimmbar sind; man will Kohlmeise, Wachtel,
Wiedehopf erkennen; einmal kommt der Papagei vor. Dergleichen Vögelchen, durch
die Ranken fliegend, auf Zweigen sitzend oder ein Zweiglein tragend, an Früchten
pickend, um Vasen gruppiert, waren die nächstliegende Belebung der immer ins Freie
zielenden Dekoration, wie der Zimmer so der Grüfte; sehr regelmäßig flattern sie in
den Ecken unserer Plafonds. Bei diesen Vögelchen vollzieht sich nun auch jene
Auslese; die anderen verschwinden, es bleibt die immer schon vorhanden gewesene
Taube als spezifisch christlicher Vogel: flatternd (die Eck vögelchen in den späteren
Decken werden als Tauben gemeint sein); auf einem Zweig; oder sie trägt einen
Zweig, an den auch wohl eine Tänie geknüpft ist, das antike Weihesymbol; sie geht
auf einem rahmenden Stab; sie sitzt auf einer eingespannten Blätterschnur; zwei
Tauben stehen beiderseits einer Schale oder eines Kraters (unsere Farbtafel I), eines
Fachgrabes, eines Arkosols. Neben der Taube erhält auch der Pfau Bürgerrecht
in der christlichen Kunst: frontal gestellt mit entfaltetem Rad steht er auf
einer Blume, auf einer Vase, auf einer Kugel, zwischen zwei Vasen; oder er
1) Schale: Wilpert Taf. 25; in Pflanzenornament 35, 2. 67. 73.
Vase 39, 2. 77, 2. 97, 2 u. ö., in Pflanzenornament 24. 35, 2. 38. 54, 2 u. ö.
Ranken aus Vase 162. 235. Rhyton 4. Spiegel, Alabastron 52, 2.
2) Delphin: Wilpert Taf. 49. 128, 2, um Dreizack 39, 1. 106; symmetrisch 165. Ketos
11, 1. 37. 85, 2. Die Gruppe des Skopas stellte nicht einen Zug dar, sondern den entrückten
Achill dem Poseidon als einen TiovzäQXV? beigesellt.
Übernommene Embleme. 171
schreitet vorüber; oder eine Vase steht zwischen zwei symmetrisch herantretenden
Pfauen.1)
Die Vögel in den Zweigen und wie sie sonst in die Malerei eingestreut wurden,
blieben auch an den christlichen Decken und Wänden zunächst Staffage der Laube
und des Parks, die zu Bildern des himmlischen Paradieses geworden waren. Aber
die Tauben und Pfauen, als die Auserwählten unter den Vögeln, nötigen zu der
Frage, ob sie nicht eine besondere religiöse Bedeutung bekamen oder vielleicht schon
mitgebracht haben.
Es war uralte Vorstellung, die Seele als Vogel zu denken, gelegentlich auch
speziell als Taube. Im letzten Atemzug, so dachte man, entfliegt die Seele dem
Munde des Sterbenden: altägyptisches Bild für die entfliegende Seele war der über
der Leiche schwebende Vogel mit Menschenkopf. Bei den Griechen wurde er zur
Sirene, als einem Bilde des entraffenden Todes. Aber der ursprüngliche Gedanke
hat in der Stille weitergelebt und tritt gelegentlich zutage; die spätantike Literatur
weiß von Fällen zu berichten, da Verstorbene in Tauben verwandelt wurden. Ähn-
liches kommt auch in christlichen Legenden vor. So darf immerhin die Frage auf-
geworfen werden, ob die Taube in der Katakombenmalerei wieder zum Bilde der
Seele geworden sei, nämlich der des Verstorbenen im himmlischen Paradies. Soviel
aber muß vorweg zugegeben werden, daß die Bezeichnung Verstorbener als „Tauben
ohne Galle", wie sie in Anlehnung an Matth. 10, 16 „ohne Fälsch wie die Tauben" in
Grabschriften des dritten und vierten Jahrhunderts vorkommt, nicht auf die Seele im
Himmel geht, sondern auf den Charakter des Verstorbenen, wie er im Leben sich
gezeigt hatte.2)
Der indische Pfau erscheint in den Mittelmeerländern zuerst am Hof des Königs
Salomo, oder wenigstens im Buche der Könige (denn vielleicht gehört die Stelle I 10, 22
dem deuteronomistischen Redaktor, der nicht verfehlt hat, das neueste Wunder dem
salomonischen Wunderhofe zuzulegen). Im perikleischen Athen fand er Eingang und
eine gewisse Verbreitung; wann er Lieblingsvogel der Hera geworden ist, in Samos
und Argos, das wissen wir nicht, auch nicht, wann er zu den Römern kam und der
Juno zugeeignet wurde; Ennius nennt ihn zuerst, Varro kennt die Pfauenzucht, in der
Kaiserzeit wimmelte Rom von den zwar unangenehmen, aber prächtigen Tieren. Wie
nun der Adler des Juppiter die Apotheose des verstorbenen Kaisers vollbringt, indem
er die Seele aus dem Scheiterhaufen zum Himmel hinaufträgt, so deutet der Pfau auf
die Apotheose der Kaiserin; auf Münzen erscheint er, sie zum Himmel tragend, oder
auch als ihr, der neuen Juno, Symbol. In solchem Sinne mag es gewesen sein, daß
um das Mausoleum des Hadrian, auf der Einfriedigung, unter anderem Pfauen standen.
*) Papagei: Wilpert Taf. 12, 3. Vogel in Ranken 1. 35. 162; Zweig tragend 77, 1. 85, 1.
103, 5; vor einer Vase 3; Eckvogel 9. 17. 24. 35, 2.
Taube flattert 47, 1. 109, 1; Ecktaube 71. 130. 171; Taube auf Zweig 26. 39, 1. 42; trägt
Zweig mit Tänie 89, 2, sonst 219. 223; geht auf Stab 52, 1. 2. 91, 1. 166; auf Blätterscbnur 113, 1;
Schale (Vase) zwischen Tauben 86. 87. 31, 2. 49. 50; Clipeus 200, 1.
Pfau frontal auf Blume 9. 12, 1. 38. 196; auf Vase 37; auf Kugel 71. 131. 151; zwischen
Vasen 202; schreitend 12, 4. 30. 91, 1; Vase zwischen Pfauen 31, 2. 109, 1.
Wir führen nur einige Belege an, sie lassen sich leicht vermehren. — Der Phönix kommt
in der Katakombenmalerei nicht vor.
2) Sirene: Weicker, Der Seelen vogel 1902. Verstorbene in Tauben verwandelt: Antonin.
Lib. 1. Grabschriften: V. Schultze, Katakomben 130. Kraus, Geschichte I 99.
172 Die Malereien der Katakomben.
Das Sinnbild der Entrückung in den Himmel, in Gleichsetzung mit Juppiter und Juno,
wurde auch auf andere Sterbliche übertragen; so haben die freigelassenen Griechen,
Pomponius Eudämon und Pomponia Elpis, an dem für ihre Söhne und sich selbst
errichteten Grabmal über ihren Büsten den Adler und den Pfau anbringen lassen.
Aus diesem Gedankenkreise heraus versteht man, daß das Tier, nachdem es mit der
Parkmalerei in die Katakomben gekommen war, auch für die Christen bedeutsam
wurde, zunächst wohl eben als Sinnbild der Aufnahme in den Himmel.
Daß der Pfau aber ein christliches Sinnbild der Unverweslichkeit oder der Un-
vergänglichkeit oder der Auferstehung oder der Unsterblichkeit gewesen sei, wie unter
Berufung auf Augustinus bald so, bald so gesagt wird, ist unbezeugt. Hortensius
brachte den ersten Pfauenbraten auf den Tisch, bei seinem Antrittsdiner als Augur;
ein teurer Braten, so teuer, daß er auf keinem besseren Tisch fehlen durfte, aber zäh,
so zäh, daß die Gäste nach Tisch einander ins Ohr sagten, Pfauenfleisch sei sogar
zum Faulen zu zäh. Der heilige Augustinus, das heißt, als er noch in Karthago das
unheilige Leben führte, hatte eines Tages einen Pfau auf dem Tisch. Er beschloß,
der Sache auf den Grund zu gehen und ließ ein Stück Brustfleisch zurücklegen; nach
so langer Zeit, daß jedes andere Fleisch inzwischen verdorben wäre, roch es noch nicht
einmal; nach weiteren dreißig Tagen, nach einem ganzen Jahr dieselbe Sache, nur war
das Stück etwas eingetrocknet. Man sieht, die Pfauenesser vom Augur Hortensius bis zum
unheiligen Augustinus dachten an keine Symbolik des Pfauenfleisches; aber auch dem
geheiligten Augustinus lag der Gedanke fern. Er überlegt, wie es möglich sei, daß
die armen Sünder im höllischen Feuer ewig brennen ohne zu verbrennen, und findet
es ganz verständlich, es gäbe Analogien: der Salamander lebe im Feuer; der Ätna
brenne immer zu und verbrenne doch nicht; die Seele empfinde Schmerz, sterbe aber
nicht; der Schöpfer habe dem Fleisch des toten Pfauen verliehen, daß es nicht faule,
Verfasser habe es bei einem Versuch bestätigt gefunden, usf.1)
Seite 166 sahen wir die wassergefüllten und wassersprudelnden marmornen Vasen,
an denen Tauben trinken, aus den heidnischen Parklandschaften in die christlichen
Paradiese übergehen, eines der ansprechendsten Motive antiker Kunst und zugleich ge-
haltvoll. Man muß sich der südlichen Sonne erinnern und der Wohltat frischen
Wassers. Pindar beginnt eine olympische Ode mit dem Satz, das Allerbeste ist das
Wasser; erst an zweiter Stelle folgt ihm das Gold, und an dritter ein olympischer
Sieg (bald nachher sank er ernstlich im Preise). Darum wurde den antiken Plätzen
und Straßen, Häusern und Gärten eine Fülle laufenden Wassers zugeführt und in
allen denkbaren Formen gefaßt; die Garten- und Hausvögel, Tauben vor allen, nippten
daran und badeten darin. Die Kunst hat das Motiv aufgenommen. Berühmt ist das
Taubenmosaik des Sosos von Pergamon, geschaffen als Bestandteil seines Mosaikpaviments,
das den Fußboden eines Trikliniums darstellte, wie er nach großem Gelage aussieht;
*) Pfau: Viktor Hehn, Kulturpflanzen und Haustiere3 1877. 307. Koscher, Lexikon der
Mythologie I 2133. Preller-Robert, Griechische Mythologie I 163. Preller-Jordan, Römische
Mythologie II 444. — Älteste Darstellung eines Pfau in einer Terracotta zu Dresden: Archäol.
Anzeiger 1889, 158. Bild.
Moles Hadriani: Mirabilia urbis Romae pag. 29 (Parthey). Grisar, Rom. Quart. 1895,
252. — Pomponius Eudämon: vgl. Leclercq bei Cabrol Dict. I 2627. — Augustinus, de civitate dei
XXI cap. 4. — Pfau, christlich: Schultze, Katakomben 102. — Kraus, Geschichte I 111.
Pfauenbraten: Marquardt-Mau, Privatleben der Römer II 431.
Übernommene Embleme. 173
von den trinkenden und sich putzenden Tauben besitzen wir mehrere antike Nach-
bildungen oder Reminiszenzen.1)
Das war nun auch von jeher ein wichtiges Element in den Jenseitsvorstellungen,
das erfrischende Wasser; so schon in den altägyptischen Totenbüchern. In griechischen
Grabschriften wird der Wunsch ausgesprochen, Hades möge dem Verstorbenen (oder
der dürstenden Seele) kühles Wasser zu trinken geben (aus dem Quell der Mnemosyne,
erklärt Erwin Rhode, damit sie, die Begnadeten, die Erinnerung an ihr einstiges
Leben und die Beziehung zu den Hinterbliebenen sich bewahren). Spätere griechische
Osiris Verehrer sprechen ähnliche Wünsche aus: daß Osiris dem Verstorbenen das kühle
Wasser reiche, daß Isis ihm das heilige Wasser des Osiris gewähre. Die Vorstellung
solcher Erquickung ist in den christlichen Ideenkreis übergegangen. Dies Erfrischen
(griechisch uva\pv%si.v, lateinisch refrigerare, eigentlich abkühlen) ist ein stehender
Terminus in den Grabschriften, z. B. in der (im Osiriskult ähnlich vorkommenden)
Formel: „Gott erquicke deinen Geist", Deus refrigeret spiritum tuum; es meint die
Erquickung im Paradiese. Bildlich dargestellt wird es durch den Typus der am Wasser
nippenden Tauben.2)
In diesem Zusammenhang müssen wir auf das Cubiculum Oceani zurückkommen
und auf seine Deckenverzierung. Wir sahen da beiderseits einen Pfau nach dem
Fond hinschreiten; dort ist ein Okeanoskopf gemalt, mit Krebsscheren im Haar, ganz
übereinstimmend kommt er in pompejanischen Wandmalereien vor. Da der Kopf über
der Rückwand ro angebracht ist, daß der erste Blick des Eintretenden auf ihn fällt,
also an ausgezeichneter Stelle, so muß der Schöpfer dieser Gruft irgend einen Gedanken
mit dem Urvater aller Gewässer verbunden haben; die Malerei kann nicht bloß
dekorativ gemeint sein, auch wohl nicht als Anspielung auf den Namen oder das
Gewerbe des hier zu Bestattenden, etwa eines Schiffers oder eines Fischers, was ja auch
anders ausgedrückt sein müßte. Die Kammer wird in die ersten Jahrzehnte des vierten
Jahrhunderts gesetzt; damals war die giiechische Mythologie noch allen geläufig. Der
Kopf bedeutet fließendes Wasser; und wenn die Pfauen zu ihm hingehen, so hieß das
für antike Beschauer dasselbe, wie die um eine wassergefüllte Vase gruppierten
Pfauen oder wie die vom sprudelnden Wasser nippenden Tauben. Okeanoskopf und
Pfauen sind in das Laubengerüst des Plafonds gemalt, stehen also im Himmel; auch
hier handelt es sich um die Erquickung im himmlischen Paradies, um das Paradies
als den Ort des Refrigeriums.
Hier dürfen wir noch die Hirsche anschließen, welche von einem Felsen herab-
strömendes Wasser trinken. Der Felsenquell ist aus dem Bild „Quellwunder des
Moses" entlehnt, der Gedanke aber durch Psalm 42, 2. 3 angeregt: „Wie eine Hirschkuh,
die nach Wasserbächen lechzt, so lechzt meine Seele nach dir, Gott." Das Bild ist
*) Wasser: Overbeck-Mau, Pompeji 1884 und Mau, Pompeji 1900 im Register unter Wasser-
leitung, Thermen, Brunnen, Brunnenfiguren; über letztere E. Curtius, Archäolog. Zeitung 1879, 19. —
O. Richter, Topographie Roms2 316. — Sosos: s. oben Seite 166, 1. Ferner E. Seilers The eider
Pliny's chapters on the history of art 1896, 223 zu Plin. N. H. XXXVI 184.
2) Erquickung: Näheres bei Rhode, Psyche 1894, 678. Dieterich, Nekyia 95. Kraus,
Realencyklopädie der christl. Altertümer II u. d. W. Refrigerium. Wilpert, Malereien 424. uvaxpvyeiv =
refrigerare wird auch in weiterem Sinn für erquicken gebraucht, wie 2. Tim. 1, 16; dann kann es
unter Umständen auch eine Erquickung mit Speise bedeuten, sowie durch Ausruhen.
174 Die Malereien der Katakomben.
nun übertragen auf die Seele, welche nicht bloß nach der himmlischen Erquickung
lechzt, sondern bereits ihrer teilhaftig geworden ist.
Wir schließen: Taube, Pfau, Hirsch sind Synonyme. Meinen sie die Seele?1)
Nun treten wir in die Sphäre des ländlich Idyllischen, das bereits in der
pompejanischen und stadtrömischen Hausdekoration gut vertreten ist; Ziegen, Schafe,
Rinder erscheinen da vielfach als Embleme, einzeln und in Gruppen. In den Kata-
komben scheidet das Rind vorweg aus. Der Ziegenbock fehlt nicht, doch häufiger
ist, besonders als Eckstück der Plafonds, ein bartloses Tier, zierlich in Gliedern, gern
im Sprung aufgefaßt; es wird Gemse, Steinbock, Antilope oder Gazelle genannt, nicht
überall ist seine Verschiedenheit vom Ziegenbock ganz sicher. Zum typischen Tier in
der christlichen Kunst in diesem Kreise aber bildete sich das Schaf heraus. Es
steht und geht, öfter grasend, wird als Füllstück im System der Decken verwendet,
auch in Form der symmetrischen Gruppe, wo dann der Melkeimer oder ein Cippus
zwischen zwei ihm zugewandten Tieren steht. Der Melkeimer kommt in späteren
Malereien auch isoliert vor, bisweilen ornamental auf eine Blume gestellt.2)
Hier ist der Ort, die kleinen Landschaften zusammenfassend zu über-
schauen, die ganz im Stil der „pompejanischen" Wandmalerei als anziehende
Mittelstücke vereinzelt in Wandfelder oder in Arkosollü netten, meist in die Kappen-
oder Zwickelfelder der Plafonds eingesetzt, stimmungsvolle Ausblicke gewähren.
Mehrere sind aus der heidnischen Kunst einfach herübergenommen, vielmehr
in deren Sinn neu komponiert (dergleichen saß den Malern im Pinsel): eine Land-
schaft mit ländlichen Heiligtümern und figürlicher Staffage, eine andere mit Schilf-
hütten, allerlei Leuten und einem Hund, eine dritte mit dem an einen Baumstumpf
gelehnten Priap, andere mit Enten, im Grünen oder im Wasser. Eine mittlere Stel-
lung nehmen religiös indifferente Tierstücke im Cubiculum Ampliati ein, Schafe in
Gruppen, selbst Herden, auch ein Bock findet sich darunter; das Mittelstück der einen
Wand aber ist bereichert mit einem Hirten, der, in freundliche Beziehung zu seinen
Schafen gebracht, zwar nicht den ausgeprägten Typus des „guten Hirten" darstellt,
wohl aber seine Stimmung ausspricht und auf jeden Leser des Johannesevangeliums die
Eindrücke eines guten Hirten machen mußte. Neben anderen Tierstücken mit Schafen
gibt es auch solche mit „Gazellen". Typisch kehrt ein Motiv wieder, das, auch aus
der heidnischen Malerei übernommen, durch die Niedrigkeit des Bildfeldes in Quer-
format bedingt ist, das Motiv mit Baumstumpf, der bisweilen noch einen grünen Ast
trägt; es lag uns schon in dem Bildchen mit dem Priap vor. Ohne Staffage dient
es gelegentlich als Füllwerk, mit Tierstaffage findet es sich öfter, und zwar der Stumpf
zwischen zwei symmetrisch angeordneten Tieren, Tauben oder Schafen; einmal sind
statt dessen Fische ins Grüne gelegt. Statt des Stumpfes tritt wohl auch der Cippus
in die Symmetrieaxe, mit Delphinen, Tauben oder Schafen. Der Melkeimer gesellt
') Cub. Oceani: de Rossi, Roma sott. II Taf. 27. 28. Wilpert Mal. 32 Taf. 134. Oben
Seite 526 und unsere Farbtafel II.
Okeauos: Weizsäcker in Roschers Lexikon III 820. Presuhn, Pompeji 1877, 40 Taf. 21. 3.
Hirsche: Wilpert 479 Taf. 150, 3 (kurz vor 340).
2) Bock: Wilpert Mal. Taf. 3.
Gemse: Taf. 49. 72. 73. 104. 113, 1. 136, 1.
Schaf: 97, 1. 102, 1. 151. 165; symmetrisch 83. 165.
Melkeimer: 183, 2. 265f.; auf Blume 265. 267.
Übernommene Embleme. 175
sich auch in solchen Bildchen zu dem Schaf, wie der Dreizack zum Delphin, oder der
Eimer steht auf dem dann besonders kurzen Baumstumpf zwischen den zwei Schafen,
oder beim Schaf unter einem Baum.
Seinen christlichen Sinn verdankt das Schaf der Idee und dem Typus des guten
Hirten. Wenn es nun dort den Christen bedeutet, so wird das auch der Fall sein,
wo es außerhalb des Hirtenbildes vorkommt und nicht bloß in den Gemälden, die
ihm das Hirtenattribut des Melkeimers beigesellen; ganz gewiß, wenn es in den Systemen
erscheint, welche das himmlische Paradies andeuten, sei es an Wandgräbern oder an
Decken (vom „Lamm Gottes" ist hier noch nicht zu reden). Sehen wir dann aber
in gleichartigen Kompositionen, sogar in Gegenstücken, hier Schafe, dort Tauben, so
scheinen auch letztere unter die gleiche Deutung zu fallen, und mit ihnen die Pfauen
und Hirsche. Es muß nur immer festgehalten werden, daß dies alles sich allmählich
entwickelt hat, daher nicht alles gleich fertig da war, noch überall alles übereins zu
sein braucht; die trinkende Taube mag zuerst die Erquickung mehr veranschaulicht
als bedeutet haben, ehe sie zu einem Sinnbild des seligen Christen wurde.
Diese Tierbilder sind bezeichnend; in engem Rahmen lassen sie erkennen, wie
vielseitig das Christentum war, wie alle Elemente des Altertums in ihm sich zusammen-
fanden. Die genannten Tierbilder, alle aus der heidnischen dekorativen Kunst über-
nommen, schöpften ihre Bedeutsamkeit aus verschiedenen Quellen, das Schaf (in ihrer
Weise auch die Taube) aus den Evangelien, der Hirsch aus den Psalmen, nur der
Pfau entbehrte jeder biblischen Basis (die Bücher der Könige kommen hier nicht in
Betracht). Uns mutet das vornehme Tier wie ein Sinnbild desjenigen Christentums
an, welches, durch Genieindebildung und Propaganda politisch geworden und von
Paulus selbst auf die Reichshauptstadt als das zentrale Ziel hingewiesen, in den oberen
Kreisen der griechisch-römischen Welt Boden suchte und fand.1)
Die Menschengestalt bleibt noch übrig. Sie tritt in vielen Putten entgegen,
die meist geflügelte Eroten sind. Die hellenistisch-römische Kunst war unerschöpflich
auf diesem Gebiete. In reichem Wechsel ließ sie die Knäbchen in Kinderart alle
Betätigungen der Erwachsenen mit spielendem Ernst nachmachen. Den lieblichsten
Blumenstrauß solcher köstlicher Szenen brachte uns das Haus der Vettier zu Pompeji;
im Speisesaal gemalt bereiten und verkaufen die Amoretten alles den Gästen Nötige,
Gewand und Schmuck, Salböl und Kränze. Die Katakomben geben nur eine kleine
Auswahl von ihrem Gebaren. In bacchischem Treiben bewegen sie sich in Weinlauben,
oder schwebend schwingen sie den Thyrsos, wiederum führen sie den ländlichen
Krummstab (unser Textbild); oder sie tragen Tänien, Blumengewinde, Blätterschnüre,
dies auch zu zweien. Der dekorativen Skulptur sind die zwei Putten entlehnt, die
zwischen sich das Täfelchen mit der Grabschrift halten. Oder eine Blume entwickelt
*) Landschaften: Belege aus der heidnischen Wanddekoration, der römischen und
der pompejanischen , brauchen wir nicht beizubringen, man findet sie in allen einschlagenden
Publikationen. — Heiligtümer: Wilpert Mal. Taf. 6, 1. Hütten 6, 2. 10. Priap 7, 3. Enten im
Grünen 17, schwimmend 36, 3. 136, 1. Cub. Ampliati 30, 2. 31, 1. Andere Tierstücke: Herde
mit Hirt? Taf. 10. Schafe 36, 4. 206, 2, mit Heiligtum 55: Gazellen 161. Schafe 149, 1. 2. —
Baumstumpf ohne Staffage 56, mit Tauben 24. 114. 150, 1, Schafen 24. 150, 2; drei Schafe 206, 1;
Fische 114. — Cippus mit Delphinen 165, Tauben 171. 211, 2, Schafen 151. — Melkeimer und
Schaf 7, 2, auf Stumpf 24, unter Baum 96. — Sonst kommt noch Stute und Fohlen vor 136, 2,
ein Pferd 161. — Symbolik des Schafs: Leclercq bei Cabrol, Dictionn. I 877.
176 Die Malereien der Katakomben.
sich zwischen zwei am Boden hockenden Putten. Andere stehen auf Blumen, in den
Zwickeln einer Decke, wechselnd mit Psychen. Eroten und Psychen werden wir noch
bei den „ Ernteszenen " geschäftig sehen. Ali das harmlose Wesen erscheint in der
Frühzeit naturgemäß am unbefangensten auf dem Plan, taucht aber auch später und
bis in die letzte Zeit immer wieder auf.
Eroten und Psychen mögen wesentlich dekorativ verwendet sein, obwohl sie den
Gebildeten und Sinnenden unter den Hellenen und Hellenisten mehr sagten. Eros,
der Wunsch, der heiße Drang nach allem Schönen und Hohen, und Psyche, die Seele,
die zwei hatten durch Plato ihre bleibende Bedeutung erhalten, die dann fortwirkte
durch die Jahrhunderte bis in das innerste Mark des Altchristentums.1)
Dann wäre noch als übernommen aus der heidnischen Kunst der Sonnengott
zu nennen, der zweimal in Jonasszenen vorkommt, einmal als Lockenkopf in Strahlen-
kranz, das anderemal (fraglich) in ganzer Gestalt auf einem Zweigespann; und beim Tobias
Tigris im üblichen Schema des gelagerten Flußgottes. Endlich noch eine Figur in
langem Kleid mit Stab und Eimer wie dahineilend oder schwebend (die Füße sind
zerstört), sowie mehrere nackte männliche Figuren, lysippischem Stil sich anlehnend:
einer an einen athlethischen Sieger mit Palmzweig erinnernd; ein zweiter hält einen
Stab in der Linken, den Mantel über den Arm geworfen; ein dritter mit Schale und
Tänie, dieser im Scheitelfeld eines Plafonds, irgendwie wird er glückliche, selige
Zeit bedeuten. Zwei männliche Kanephoren, als Gegenstücke komponiert, jeder auf
einer Art Kandelaberbasis stehend, nackt, mit lang den Kücken hinabfallender Chlamys,
sind gewiß dekorative Figuren; doch ist es ebenso sicher nicht bedeutungslos, daß
sie volle Fruchtkörbe auf den inneren Händen emporhalten.
Von Tierköpfen gibt es in dekorativer Verwendung nur den Widderkopf, der
aus einem Blattkelch hervorkommt, paarweis in symmetrischer Gegenüberstellung.
Ebenso pflegen dekorative menschliche Köpfe aus Blattkelchen hervorzuwachsen in
bekannter hellenistischer Weise; es gibt auch Köpfe bloß mit dem Hals, ohne allen
unteren Abschluß, wie aus dem Rumpf gerissen. Die menschlichen Köpfe sind öfter
nimbiert. Ein paarmal steht der aus dem Blattkelch wachsende Kopf in einem Reif
oder Blumenring über der Tür. Einmal findet sich, einer schweren Blumengirlande
vorgeheftet, eine tragische Maske.2)
Eine Bemerkung wollen wir nicht unterdrücken. Die Empfindung, aus welcher
jene ganze Richtung der Innendekoration entsprang, auf Raumerweiterung, auf täuschende
Blicke wenigstens aus der engen Stube in die freie Natur, die Empfindung war senti-
mental. In der Stadt war sie entstanden; die gesteigerte Kultur solcher Städte wie
Athen oder Syrakus hatte sie gezeitigt; im Hellenismus und seinem intensiven Welt-
*) Eroten im Vettierhaus: Mau, Eöm. Mitt. 1901, 111. Christlich, in Eeben: Wilpert Mal.
Taf. 1. 148, mit Thryrsos und Schale 25, Pedum 2. 3. 4. 5, Taenie 134, 2. 149, 3. 188, Girlande
235. 211, 1, Täfelchen 218, 1, Blume 158, 2. Eroten und Psychen in Decke 217. — Eros und
Psyche: Preller-Robert, Griech. Mythologie I 505. Petersen, Rom. Mitteil. 1901, 69. — Vgl.
Leclercq bei Cabrol, Dict. I 1606.
2) Sonnengott: Wilpert Taf. 56. 160, 1. Tigris 212. Figur mit Eimer 10. Nackter Athlet?
145, 2. 146, 1; mit Mantel 158, 1; mit Schale 217. Kanephoren: Wilpert 527 Taf. 244, 1. 3. —
Widderkopf 55. 100. Köpfe aus Kelchen 8, 1. 3. 149, 3. 161. Nur Kopf und Hals 25. 38. Nimbus
8, 1.3. 25. 161. Kopf über Tier 13. 156; Blumenring auch 149, 3. 156. Maske: de Rossi, Roma
sott. III Taf. 6, 1.
Erntebilder. 177
leben erwuchsen jene Großstädte in sehr modernem Sinn, Antiochia, Alexandria, Rom.
Im Rückschlag gegen deren Unnatur und Raffinement arbeitete die Sehnsucht nach
Ursprünglichkeit, nach Einfalt und Unschuld. Die sentimentale Stimmung, die sich in
den ländlichen Idyllen des Theokrit aussprach wie in der nun auch zur Stadt ge-
gangenen Hirtendichtung des Hohenliedes, hat jene gemalten Durchblicke in die
Natur eingegeben, jene idyllischen Szenen, wie die analogen Stimmungen des acht-
zehnten Jahrhunderts Watteaus Schäferstücke, Geßners Idyllen, Haydns Pastoral-
symphonie.1)
Die Sentimentalität der hellenistisch-römischen Zeit, gerade der höheren und
gebildeten Klassen, begründet auch einen Teil ihrer Empfänglichkeit für die christliche
Verkündigung. Es lag darin das Sehnen nach der vergangenen goldenen Zeit, dem
heidnischen Analogon des jüdisch-christlichen verlorenen Paradieses. Sentimental
waren die ganzen messianischen Hoffnungen, sentimental war auch das Christentum,
seitdem es sich wieder auf Hoffnung gestellt hatte. Die Religion der Erfüllung war
naiv gewesen; aber die Religion der Wiederkunft und der Jenseitigkeit war sentimental.
Aus dem Kreise solcher Stimmungen heraus versteht man, wie der reiche Freigelassene
Ampliatus seine Gruft mit den pastoralen Szenen schmücken lassen konnte, deren wir
gedachten.
Erntebilder.
Aus der Klasse der übernommenen Embleme hebt sich eine Gruppe meist auch
sehr anmutig entworfener Malereien heraus; wegen ihrer besonderen Bedeutung erfordert
sie gesonderte Behandlung. Es sind teils Ernteszenen in ausführlicher Schilderung,
teils Personifikationen der Jahreszeiten; die Attribute derselben haben Bezug auf die
Erträge der betreffenden Jahreszeit.
Hauptdenkmal ist die recht frühe Crypta quadrata (Januarii). Die viereckige
Kammer hatte man ausgemauert, in jeder Wand aber eine rundbogige Nische aus-
gespart; oberhalb der Nischen neigen sich die Wände in der Art eines vierseitigen
Klostergewölbes zusammen, zwischen ihnen bleibt ein Lichtschacht offen. Die vier
Bogen der Nischen sind mit Ernteszenen bemalt, entsprechend den vier Jahreszeiten.
Der Frühling bringt Blumen. Vier Mädchen arbeiten an Blumengewinden; sie sitzen
um das Gerüst, an dem die Blumenschnüre hängen, und entnehmen das Material
einem davorstehenden Korb; von jeder Seite kommt ein Arbeiter im Kittel eilig heran
und bringt auf einem geschulterten Brett zwei Körbe voll Blumen; an den Enden des
Frieses werden sie von je einem Mädchen in gegürtetem Kleid gepflückt, es sind
Rosen. Den Sommer bezeichnet die Weizenernte. Ein Putto schneidet mit der Sichel,
ein zweiter rafft mit dem Rechen die Ähren zusammen, links bindet ein dritter die
Garbe, rechts trägt der vierte eine gebundene Garbe fort, neben ihm drischt der
fünfte. Dem Herbst eignet die Weinlese. Zwei Putten, an die Enden verteilt, brechen
Trauben, zwei tun sie in einen Korb, der fünfte bringt den vollen Korb zur Kelter
in der Mitte, darin treten der sechste und siebente die Trauben aus, der Saft fließt vorn
') Die von Mahaffy, Progress of hellenism 1905, 122 geschilderte Landflucht beweist nichts
gegen die oben besprochene Landsucht; jene ist Ursache, diese Folge, oder Kehrseite, derselben
Erscheinung.
Sybol, Christliche Antike I. 12
178 Die Malereien der Katakomben.
in zwei untergestellte Gefäße ab. Im Winter werden die Oliven gebrochen. Die
Putten tragen winterlich warme Kleidung, Ärmeltunika, Schulterkragen mit Kapuze,
Gamaschen und Schuhe. Einer steht auf der Leiter und pflückt die Oliven, rechts
schlägt sie ein zweiter mit der Stange vom Baum, in der Mitte liest der dritte die
heruntergefallenen auf, der vierte schüttet die Ernte in einen Korb, links hat der
fünfte den vollen Korb auf die Schulter genommen. Die Jahreszeiten sind so verteilt,
daß der Frühling über der Tür zu stehen kommt und die übrigen Szenen für den in
der Kammer Stehenden rechtsherum folgen, also an der linken Wand der Sommer,
dann der Herbst und an der rechten Wand der Winter; mit deutlicher Absicht ist
die Anordnung so getroffen, daß die Weinlese dem Eingang gegenüber an die Fond-
wand kam und in deren Mitte der Rebensaft aus der Kelter fließt.
Wie aber die Wände sich laubenartig zusammen wölben, so ist auch die Aus-
malung laubenähnlich. In den Ecken erheben sich auf Ständern Muschelschalen, hoch-
gefüllt mit Rosen; Zweige und Ranken ziehen sich höher hinauf, um dann nach beiden
Seiten in vier von Stäben geschiedene Zonen auseinanderzugehen. Zu den Ranken
zwischen den das Laubengerüst bildenden Stäben wählte der Maler sinnvoll wieder die
bezeichnenden Pflanzen der Jahreszeiten; es folgen sich von unten nach oben Rosen-
zweige, Ähren, Weinranken mit Trauben, und Ölzweige mit Oliven. In dem Geranke
der drei warmen Jahreszeiten sind Vögelchen verteilt in mancherlei zierlicher Be-
wegung, hin und wieder auch Nester mit Jungen, denen die Alten Futter bringen;
dem Frühling fehlt auch nicht der Schmetterling, dem Sommer die Zikade.1)
Vollständige Zyklen der Ernteszenen gibt es noch einige, doch in kürzerer Fassung.
Verhältnismäßig ausführlich, mit je drei Putten, wurden die Szenen in einer späten
Decke des Coem. Marci et Marcelliani gemalt; vom Frühling und Sommer sind bloß
ein paar Blumen und Ähren erhalten, ganz nur die Weinlese und die Olivenernte.
Sonst wird jede Ernte durch nur einen Putto zur Darstellung gebracht. In der
„ Bäckergruft " pflückt einer Rosen in den Korb, der zweite schneidet Ähren, der dritte
trägt ein Füllhorn mit Früchten und eine Traube, der letzte ist fast ganz zerstört;
sie folgen sich so von rechts nach links, zwischen sie in die Mitte ist der gute Hirte
gestellt. Um den zentralen Hirten ordnen sie sich auch an einer Decke in Ponzian:
so trägt der Frühling (wir dürfen diese Putten einfach als Jahreszeiten bezeichnen)
Blumenschnüre an einem Stock und in der Hand, der Sommei schneidet Ähren,
der Herbst keltert, der Winter steigt auf der Leiter in den Ölbaum hinauf; in den
Zwischenfeldern standen blumenumrankte Putten, wahrscheinlich wieder mit Attributen
der Jahreszeiten, der einzig erhaltene trägt eine Garbe.2)
Dekorative Verwendung der für die Jahreszeiten charakteristischen Pflanzen,
dergleichen wir an den Wölbflächen der Ciypta quadrata sahen, kommt zweimal an
gewöhnlichen Decken in diesen angepaßter Form vor; da wird aus Rosen, Ähren,
Reben und Olivenzweigen ein reich sich entwickelnder Kranz um den zentralen Guten
Hirten gebildet oder ein ganzes Deckensystem.3)
*) Wilpert, Mal. 34 Taf. 32—34.
2) Marcus: Wilpert, Mal. 37, 8 Taf. 245. 1. Bäckergruft: Wilpert 36, 5. Garrucci, Storia
II Taf. 21, 1. Ponzian: Wilpert, 36, 6. Jahreszeiten als Putten: Marx, Rom. Mitt. 1892, 27.
Petersen, eb. 250. G. Thiele, Antike Himmelsbilder 1898, 134.
aj Wilpert 36, 4 Taf. 161; S. 37, 7 Taf. 162, 1.
Erntebilder. 179
Die ursprünglich vier, jetzt nur noch zwei gelagerten Figuren an der Decke
des „Cubiculum Terrae", die eine mit nacktem Oberkörper, den Mantel um die Unter-
figur, die andere in ärmellosem Chiton und Mantel, jene die Rechte auf den Boden
gestützt, diese sie an den Kopf hebend, beide bekränzt und mit einer Fruchtschale
auf der Linken, galten früher als weiblich und als Bilder der fruchttragenden Erde;
eher könnte man an Nymphen oder Hören denken, in letzterem Falle würden sie
den Bildern der Jahreszeiten zuzurechnen sein. Sollten sie deren Kennzeichen ganz
abgestreift haben, so blieben immer noch Typen seliger Zeit übrig. Wilpert freilich
erklärt die erstgenannte Figur für männlich; die Körperformen würden nicht dagegen
sprechen, aber vielleicht nicht entscheidend, am wenigsten hinsichtlich der ursprüng-
lichen Bedeutung dieser entlehnten Figuren.1)
Von den mannigfaltigen Typen der Jahreszeiten, über welche die heidnische
Kunst verfügte, haben die Katakombenmaler gelegentlich noch die Büste verwendet.
Solche waren an der vorderen Decke der Cappella greca als Eckstücke eingesetzt, aus
dem Blätterkelch herauswachsend und von einem Blumenring umgeben; erhalten ist
nur der Sommer mit Ähren im Haar. Die Köpfe zwischen den Kreuzbalken an einer
Decke in Lucina werden Horenköpfen wenigstens nachgebildet sein.2)
Die Ernteszenen sind ursprünglich eine jede für sich entstanden, erst sekundär
in einen Zyklus gebracht worden; so finden sie sich auch einzeln, nicht als Bruchstücke
eines eigentlich umfassenderen Ganzen, sondern in ihrer selbständigen Bedeutung. In
dieser Art kommen Frühlings- und Herbstbilder vor.
Eine Kammer in Domitilla enthält drei Arkosolien; über jedem ist Eros und
Psyche gemalt, Eros bald mit, bald ohne Flügel, Psyche hier gegürtet, dort nicht; sie
pflücken Rosen und sammeln sie in Körbe. Jede Gruppe umgibt ein Rahmen aus
leichten Stäben, darüber und zur Seite hängen Rosengirlanden, einzelne Rosen sind
dazwischen gestreut. Das Ganze ist offenbar als Paradiesbild gemeint (unsere Farb-
tafel I).8)
Weinstöcke mit ausgebreiteten Reben und traubenschwere Weinlauben , von
Vögeln durchschwirrt, kommen mehrfach vor. Gleich in der frühen Flaviergalerie;
aus Akanthusblättern hervorwachsend, breiten sich die Reben über den Decken aus,
dahinein waren Eroten bei der Weinlese gemalt, sie sind zerstört. Wenn dann an
einem späteren Arkosolbogen in Domitilla wiederum eine Weinlaube mit Vögeln und
weinlesenden Putten gemalt ist und an der Lünette darunter der erhöhte Christus
zwischen den Aposteln, so erklären sich auch diese Lauben als Paradiesbilder.4)
Nun noch einige Bemerkungen zur Erklärung der Jahreszeiten in der Katakomben-
malerei. Wilpert deutet sie als Sinnbild der Auferstehung; er zitiert neutestament-
liche und patristische Stellen, in denen vom Samenkorn die Rede ist, daß es sterben
J) Cub. Terrae: Wilpert, Mal. 22 Taf. 85, 1. 182.
Hören: Petersen, Annali 1861, 215. Rapp in Roschers Lexikon I 2737. Michaelis, Rom.
Mitteil. 1893, 182, 23.
2) Büsten: Wilpert, Mal. 23 Taf. 8, 2. 13; ähnlich Taf. 100. Thiele, Himmelsbilder 133.
Lucina: Wilpert 23 Taf. 25.
3) Domitilla: Wilpert 38 Taf. 52. 53. Im Cub. I des Coem. maius aus dem vierten Jahr-
hundert sind im Fries der Türwand zwei einander zugekehrte nimbierte Putten gemalt, deren jeder
einen Korb voll Blumen auf einem geschulterten Brett trägt; hinter ihm steht ein zweiter Korb
am Boden: Garrucci, Storia II 60, 1.
4) Flaviergalerie: Wilpert Taf. 1. Arkosolbogen eb. Taf. 148.
12*
180 Die Malereien der Katakomben.
müsse, damit Früchte daraus hervorgehen. Joh. 12, 24 f. spricht Jesus allerdings in
diesem Sinne vom Weizenkorn und zwar mit Beziehung auf seinen bevorstehenden
Tod, aber es ist nicht seine Auferstehung als die aus ihm zu erwartende Frucht ge-
gedacht. Erst Paulus hat das Gleichnis auf die Auferstehung bezogen. Das geht
aber alles die Jahreszeiten nichts an. In deren Wechsel sehen erst so spate Schrift-
steller wie Minucius Felix, Tertullian, Cyrill von Jerusalem ein Zeugnis für die Auf-
erstehung der Toten; sie gehören dem ausgehenden dritten und dem vierten Jahr-
hundert an, die Jahreszeiten aber haben sich viel früher in der Katakombenmalerei
eingebürgert. Halten wir uns einfach an die Bilder. Vor Augen gestellt sind Ernte-
szenen und Sinnbilder der Haupterntearten des Jahres; von diesem Punkte muß die
Erklärung ausgehen. Das Bild der Ernte muß etwas bedeuten. Nun, die Metapher
ist uns vertraut; die Erntezeit ist die Zeit der Reife, der Erfüllung froher Hoffnungen.
In bekannten evangelischen Worten ist es die Erfüllung der Erwartungen, die wir
als messianische bezeichnen: die Zeit der Reife, der Ernte ist da; es bedarf Schnitter
zur Ernte, Arbeiter in den Weinberg. Kurz, die Ernte ist ein messianischer Typus,
ein Bild für die Idee, die messianische Zeit ist angebrochen.
Doch bleibt ein Bedenken. Die messianische Zeit, als deren Anbruch man
Jesus' Auftreten verstanden hatte, war diesseitig und gegenwärtig. Was soll ihre Dar-
stellung an einem christlichen Grabe, dessen Gedankenkreis ganz auf das Jenseits und
die Zukunft gerichtet ist? Nun, das Christentum ließ keine Idee fallen, die es einmal
gefaßt hatte. Allerdings, der kurze Traum einer nun wirklich gewordenen messianischen
Zeit war mit der Kreuzigung zunichte geworden; aber die Idee blieb, nur mußte sie
sich den veränderten Umständen anpassen, sie ward übertragen auf das Jenseits, auf
das himmlische Paradies. Auch hier konnte jeder Beschauer seine Gedanken spielen
lassen nach seinem Gefallen; die Erntebilder konnten ihm zusammenfließen mit den
anderen Paradiesesbildern, und es mochte der Umlauf der Hören, gleich dem Umlauf
der Jahre bei Homer, ihm von der nahenden Vollendung sprechen. So fließende
Gedankenspiele scheinen sich der logischen Erfassung zu entziehen; aber hier befinden
wir uns im Reiche der Phantasie. So konnte ein Christ seine Gruft ganz wohl mit
Ernteszenen, Hören und deren Attributen ausmalen lassen, indem er mit dem an-
mutigen Schmuck alle seine Jenseitsh Öffnungen verknüpfte. Nicht sein Verstand sollte
befriedigt werden, sondern sein Gemüt.1)
1) Wilpert, Malereien 321. Joh. 12,24 tav (irj 6 xöxxoq zov alrov nsacuv slg ri\v y7jv änoftüvy,
avrbq fiövog (xhet, mv de ano&ccvy, noXvv xctQitbv (peQei. Paulus, Kor. I 15, 36 — 38.
Das Mahl der Seligen.
Grabstele Peruzzi, Florenz.
Oben Gelage, unten Schmausende
sitzend.
Nach den übernommenen Emblemen, deren viele
wir übrigens spezifisch christlichen Charakter an-
nehmen sahen, hätten wir nun die neugeschaffenen zu
betrachten, und zwar was an menschlichen Figuren
und Gruppen die in den Dienst des Christentums
getretene Kunst hervorgebracht hat. An dieser Stelle
erscheint es ratsam, in Erinnerung zu bringen, was
wir in der Einleitung über die geschichtliche Stellung
der altchristlichen Kunst sagten, sie sei nicht im
Gegensatz zur Antike entstanden, sei aber auch nicht
als deren Tochter anzusehen, sondern, so sagten wir,
die altchristliche Kunst ist selbst Antike, Antike christ-
licher Konfession im Unterschiede von der Antike
heidnischer Konfession. Im Künstlerischen blieb die
Kunst immer dieselbe Antike, nach Maßgabe der ihr in
der Kaiserzeit noch innewohnenden Kräfte gleich
bereit, alle an sie herantretenden Aufgaben zu lösen,
mochte es sich um den Kult des Juppiter, des Mithras
oder des Christus handeln, um die künstlerische Aus-
stattung einer heidnischen oder einer christlichen Gruft.
Wenn es nun wahr ist, daß in der Gräberkunst
die Verstorbenen den Angelpunkt bilden, um den
sich alles dreht, so werden wir zuerst nach Dar-
stellungen der Verstorbenen fragen und nach der
besonderen Art und Weise ihrer Darstellung. Da ist
sofort zu sagen, daß die Malereien im ganzen, ins-
besondere aber gerade die früheren, den Eindruck
machen, als hätten die Christen eine gewisse Scheu
gehabt, ihre A'erstorbenen in Person darzustellen; es
gibt nur wenige Bilder, die man als Porträts anzu-
erkennen hätte, und das sind vor allem solche, denen
der Name beigeschrieben ist. Man fragt nach den
Gründen der Erscheinung. Um sie erklärlich zu
182 l^as Mahl der Seligen.
finden, könnte man an diese und jene im Altertum auftretende Empfindung denken;
der ausreichende Grund aber wird die aus den folgenden Betrachtungen sich ergebende
Tatsache sein, daß das ganze Sinnen und Trachten der Katakombenkunst nicht auf
Verewigung des Diesseits ging, sondern auf Vergegenwärtigung des Jenseits.
Antike Mahlschemata.
Unter den Darstellungen der Verstorbenen nehmen die Mahlbilder einen bevor-
zugten Platz ein; nicht, daß sie an Zahl überwiegen, aber tatsächlich pflegen sie in
der Gruft an bevorzugter Stelle zu stehen, der Tür gegenüber, so daß der erste Blick
des Eintretenden darauf fallen muß, an der Rückwand der Kammer über dem
Hauptgrab.
Bevor wir die Gemälde selbst betrachten, wird es nützlich sein, einiges voraus-
zuschicken über die wechselnde Art, wie man sich im Altertum zum Mahle niederließ,
und über verschiedene Arten von Mahlzeiten, wie sie im Leben und in der Vorstellung
sich herausbildeten. Wenn wir etwas weit ausholen, so geschieht es — es sei hier
noch einmal wiederholt, um die christliche Antike so recht mitten in den Entwicklungs-
strom des Gesamtaltertums zu stellen, dessen organisches Glied sie ist.
Die Art, wie man sich zur Mahlzeit niederläßt, hat ihre kulturgeschichtliche Be-
deutung. Es lassen sich wechselnde Gebräuche erkennen, in ihnen verraten sich Ent-
wicklungsstufen der Kultur. Es gibt zwei Hauptarten, hocken und sich lagern; beide
sind primitiv. Jede aber hat sich auf eine höhere Stufe zu erheben gewußt, durch
das einfache Mittel, den Sitz mittels eines untergeschobenen Gestelles zu heben: der
Hocker schuf sich den Stuhl und wurde zum Sitzer; der Gelagerte schuf sich das
Bett, die Kline.
Ursprünglich also hockte man um das am Boden entzündete Herdfeuer und um
den gemeinsamen Napf; es war schon ein Fortschritt, als man dazu überging, erst
eine Streu, dann eine Matte unterzulegen. Der Brauch des Hockens beherrschte die
Urzeit und hat sich gehalten bei den Völkern auf niederer Kulturstufe, bei den Ost-
asiaten sogar in ihrer Hochkultur. In der Kultur zurückgeworfene Völker, wie die
Griechen nach den Überflutungen durch Slawen, Kreuzfahrer und Türken, müssen
wieder hocken; die Herstellung Griechenlands gibt seinen Bewohnern, den Bauern erst
in unseren Tagen, den gehobenen Herd und die Möbel zurück. Für das Hocken fehlt
es nicht an Belegen aus dem Altertum. Zwar daß die Leichen mit heraufgezogenen
Knien, wie sie in Gräbern der Frühzeit gefunden werden, die „Hocker", in dieser
ihrer Haltung das Hocken der Lebenden nachahmen sollen, ist nur eine Hypothese
neben anderen, die vielleicht schlüssigere Beweise ins Feld führen können. Aber allein
die Tatsache der Herdplätze, wie man sie in frühzeitlichen Ansiedelungen trifft, ist
Beweis genug dafür, daß man das Herdfeuer am Boden anmachte, folglich um das-
selbe am Boden hockte. Beweisend sind die zahlreichen Darstellungen in ägyptischen
Bildwerken; man kann da auch die Unterart des Hockens mit untergeschlagenen
Füßen beobachten. Soviel scheint aus den Bildern hervorzugehen, daß nur unter-
geordnete Personen zur Zeit der Pharaonenkultur noch hockten.1)
*) Ägyptische Bilder: Prisse, Histoire de l'art ögyptien II Tal 6 Nudeln der Gänse,
Taf. 43 Frau des Te'i. Füße untergeschlagen: Schreiber, bei Prisse II Taf. 15; Perrot et Chipiez,
Antike Mahlschemata. 183
Zufällige Gelegenheit auf Felsblöcken oder Holzklötzen sich niederzulassen ließ
die Bequemlichkeit und nach Umständen die Bedeutsamkeit eines gehobenen Sitzes
früh erkennen. Die Erfindung des Stuhles war bereits vor den Zeiten gemacht, als
die ältesten uns bekannten Könige von Altchaldäa und Ägypten herrschten; wir finden
sie von Anfang an thronend dargestellt und zwar schon damals auf Stühlen ver-
schiedener Konstruktion. Throne finden wir in den Palästen der kretisch-mykenischen
Kultur und in allen späteren Residenzen. Und das Sitzen auf Stühlen hat sich durch
alle Zeiten behauptet, auch nachdem eine noch bequemere Art sich niederzulassen ge-
funden war. Insbesondere bei Mahl und Trunk machte man sich's bequem. So sehen
wir in den Grüften der Ägypter den Vornehmen gemalt, sitzend vor dem mit Speisen
hochbeladenen Tischchen, daneben stehen volle Krüge am Boden, anderes wird in
Fülle herbeigebracht. So saßen die assyrischen Könige beim Festtrunk, von Eunuchen
bedient, wie Assurnazirpal in seinem Relief. So sitzen an den Grabsteinen der Nord-
syrer die Verstorbenen an Tischchen. So sitzen die homerischen Helden auf Stühlen
und Thronen schmausend und zechend. So in Reliefs aus Sparta die Unterirdischen,
den mächtigen Doppelhenkler in der Hand, so sehen wir in den Vasenbildern des
Oltos und des Sosias die Olympischen thronend beim Trunk im Hause des Vaters.1)
Das Lagern am Boden ist so primitiv wie das Hocken, vielleicht sogar diesem
gegenüber das Primäre. Man lagert sich zur Ruhe, flach ausgestreckt, dagegen mit
aufgerichtetem und an eine Rückenstütze gelehntem Oberkörper, oder mit auf-
gestütztem linken Arm, zum Essen und Trinken (zu jeder weitergehenden Hantierung
müßte man wenigstens in die Hocke übergehen). Das Gelage am Boden fand ur-
sprünglich im Freien statt, im Grünen, und neben aller Steigerung der Zivilisation bis
zum verfeinertsten Luxus hat der Mensch immer soviel Gefühl für Natur und Ur-
sprünglichkeit sich bewahrt oder durch den Gegensatz wiedergewonnen, um das Wohl-
tuende des Lagerns im Grünen sich zur Erholung und Erfrischung zu gönnen. Das
sind immer Feierstunden für den kultursatten Menschen. Der alte Brauch erhielt
sich besonders im Kultus; zu gewissen Festschmäusen lagerte man sich am Boden,
und man bot solches Gelage auch den Geistern an, das ist den Toten und den
Göttern.
Zum Gelage am Boden gehört eine weiche Unterlage; beim Aufenthalt in der
freien Natur suchte man sich grasbewachsene Flächen, sonst schüttete man eine Streu
auf, etwa von frischem Laub (aztßüg, stratio). Oder man richtete künstliche Lager
her, bestehend in Vließen oder wollene Decken ((jTQcofival). Die Streu konnte auch in
eine Art Matratze gestopft sein. Auf einer Streu von zartem Gras, am liebsten jedoch
von Klee, breitete der Perser, wenn er opferte, das gekochte und zerlegte Fleisch für
den Gott aus, den er herbeirief. Auf einer Streu von Efeu lagerten sich im
athenischen Kerameikos die Bürger und Fremden, wenn Herodes Atticus an den
großen Dionysien ihnen einen Trunk Wein spendete. Auch scheint in den Statuten
des athenischen Jobakchenvereins die Darbietung einer Streu unter den herkömmlichen
Histoire de l'art dans Fantiquite" 1 Taf. 10. Mädchen eb. 794 Fig. 523. Erman, Ägypten I
1885, 264.
*) Altchaldäa: Heuzey-de Sarzec, Decouvertes en Chaldöe Taf. 16 ff. Kreta: Archäol. An-
zeiger 1900, 142. Ägyptisches Relief z. B. Perrot-Chipiez, Histoire I 133 Fig. 86. Assurnazirpal:
v. Sybel, Weltgeschichte 21903, 69 Bild. Sparta: Furtwängler, Sammlung Saburoff Taf. 1. Oltos:
Archäologische Vorlegeblätter Serie D Taf. 1. Sosias: Antike Denkmäler I Taf. 9.
184 ^as Mahl der Seligen.
Leistungen des erwählten Priesters aufgeführt zu sein. Ähnliches galt im Verein
der Cultores Dianae et Antinoi zu Lanuvium: die „ Tafelmeister " haben guten
Wein, Brot, marinierte Sardinen, Streu, heißes Wasser und das Ministerium zu
stellen.1)
Eine ziemliche Anzahl antiker Bildwerke illustriert das Gelage am Boden; wir
teilen hier einiges mit. Bisweilen ruhen im selben Bilde die Gäste teils unmittelbar
auf dem Boden, das heißt im Rasen oder auf Streu, teils auf untergelegten Decken oder
Pfühlen. Mit wenig Kunst und viel Behagen schildert eine um 600 vor Chr. bemalte
kyprische Vase aus Amathus ein Gelage im Grünen. Die Szene ist in einem Hain
von Palmen und Laubbäumen, Vögel beleben die Zweige, an einem Schoß hängen
Kränze; drei Personen sind gelagert, eine mit vorgestreckter Trinkschale ruht im
Rasen, dessen üppigen Wuchs eine aufsprießende Blume andeutet, ein Aufwärter mit
einem Kranz in der Hand beugt sich zu ihm vor; zwei andere Personen lagern auf
einer Matratze, es folgt noch ein Aufwärter, am anderen Ende ein Flötenbläser. Die
Berliner Trinkschale vom Kap Kolias in Attika, aus der Zeit gegen die Perserkriege,
zeigt auf der weißgrundierten Außenseite zwei Gelagerte, auf zusammengeklappte
Kissen gestützt; ein unmittelbar auf dem Boden ruhender Mann trinkt, ein auf einer
Matratze sich's bequem machender Jüngling singt und schnalzt dazu mit den Fingern.
Ob da mit Vorbedacht ein Unterschied gemacht ist? Es scheint im Londoner Vasen-
bild mit dem Symposion des Herakles und Dionysos der Fall zu sein: ersterer ist
auf dem bloßen Boden gelagert, der vornehmere Dionysos hat eine Decke unter-
gelegt.2)
Auch sonst, wo der Gelagerte unmittelbar auf die Bodenlinie gesetzt ist, wird
man Rasen oder Streu vorauszusetzen haben. Unter den Schildereien am Architrav
vom altdorischen Tempel zu Assos ist ein Gelage am Boden; die Männer stützen den
Ellbogen auf Kissen, von denen eins zusammengeklappt ist, in den Händen halten sie
Trinkgefäße verschiedener Form, es fehlt nicht der Mischkessel und der Knabe als
Mundschenk. Die naive Kunst der archaischen Zeit hat das Motiv sogar vom Land
auf das Wasser übertragen: ein Elfenbeinrelief aus Chiusi zeigt einen auf dem Meeres-
grund gelagerten fischschwänzigen Triton, der den Ellbogen auf ein Kissen stützt; in
jeder Hand hält er einen Fisch. Wir führen das Bildwerk an, obschon es sich nicht
gerade um ein Zechgelage handelt; dasselbe ist der Fall bei der Schale des Phintias:
der Riese Alkyoneus ruhte behaglich am Boden, gegen ein Rückenkissen gelehnt, da
kommt Herakles über ihn und schlägt ihn tot. Ein etruskisches Grabgemälde von
*) Perser: Herodot 1, 132. Oldenberg, Keligion des Veda 1894, 341 f.
Her ödes: Philostratos, Vit. soph. II 2, 59.
Jobakchen: Wide, Ath. Mitt. 1894, 272.
Lanuvium: C1LXIV n. 2112, 15 strationem, caldam cum ministerio. Vgl. E. Maaß, Orpheus
1895 26, 3. 36. 53. Die Ausdrücke GTQÜvvvo&ai öt^co/zvtjV (z. B. Archäol. Anzeiger 1894, 79) und
sternere lectum bedeuteten ursprünglich doch, eine Streu oder Decke oder ein Pfühl zum Lager
auf dem Boden ausbreiten, und sie konnten in dieser Bedeutung auch nach Erfindung der Bett-
stellen immer wieder gebraucht werden. Ob das Lectisternium als Opfertyp im Götter- oder im
Totenkult entstand, ist eine zweite Frage; dazu W. Altmann, Architektur und Ornamentik der
antiken Sarkophage 39. H. Thiersch, Zwei antike Grabanlagen 1904, 11.
a) Amathus: A. Smith bei A. S. Murray, Excavations in Cyprus 1900, 105 Fig. 152, 2.
Berlin: Mon. dell' Istituto X Taf. 37. London E 66, Catalogue III 89.
Antike Mahlschemata. 185
Chiusi schildert ein Gelage in seinem Beginne, dem letzten Gast nimmt ein Sklave
die Sandalen ab.1)
Das Lagern auf Pfühlen oder Matratzen, die am Boden liegen, findet sich oft
genug. In der Tomba della pesca e della caccia zu Corneto ist im Giebelfeld ein
Ehepaar auf einer mächtigen Matratze ruhend gemalt, zwei Frauen hocken dabei auf
Kissen; die Szene ist im Grünen, der Mischkrug und die Weinkrüge stehen im hohen
Gras. An einer Augenschale ist Herakles auf einer Decke am Boden gelagert, unter
einem Ölbaum bei einem Weinstock, Athena steht vor ihm. An der Bonner Kalpis
des Euthymides sitzen zwei Epheben auf Pfühlen, der rechts bläst die Doppelflöte,
der links akkompagniert mit Krotalen. So malte Euphronios die zechenden Hetären
auf Matratzen am Boden gelagert. Das Hochzeitsgelage des Peirithoos findet an der
einige Jahre nach Vollendung des Zeustempels zu Olympia gemalten Wiener
Kentaurenvase im Palasthof statt; an der Säulenhalle entlang ist eine durchlaufende
Matratze ausgebreitet, in angemessenen Abständen liegen sechs Stützkissen darauf, eins
wird eben im Kampf heruntergeschoben. Entsprechend ist denn auch dieselbe Szene
im Westgiebel des Zeustempels zu verstehen, die Pfühle in den Giebelecken sind die
Matratzen eines Gelags am Boden.2)
Wenn am Gelage im Grünen eine Mehrzahl von Personen beteiligt ist, so ergibt
sich von selbst eine Anordnung im Kreis oder Halbkreis, wobei dann das Geschirr
innerhalb des Kreises Aufstellung findet; an einigen Vasen hat der Maler es in einem
besonderen Streifen innerhalb des Lagerkreises angeordnet. So an der rotfigurigen
Vase mit Herakles, wie er dem Dionysos und seinen Satyrn ins Gelage fällt, und an
der Schale im Stil des Brygos mit dem Symposion der zweimal drei Männer.3)
Soweit waren es ältergriechische Bildwerke, die wir vorführten; es folgen noch
einige aus der hellenistisch -römischen Zeit. Das Deckenbild einer etruskischen
gravierten Toilettenciste in Petersburg schildert vier junge Mädchen, die im Grünen,
inmitten sprossender Blumen, gelagert sind, teils auf Kissen gestützt; sie haben ihre
Spieltiere bei sich, Gänse, eine tränkt die ihrige. Ein Mosaik von Sussa (Hadrumetum)
spiegelt das ländliche Leben am Nil wieder; unter anderm sieht man nahe dem Ufer
ein Gelage zweier Männer; dem einen gibt oder nimmt eine Frau den Becher, zur
Seite mischt ein Sklave den Wein.4)
*) Assos: Brunn-Bruckmann, Skulptur u. 411.
Triton: Mon. VI 46, 4; Brunn, Annali 1860, 478. Phintias: Furtwängler- Reichhold,
Griech. Vasen I Taf. 32; ferneres TT S. 66 und Taf. 63. 71.
Chiusi: Mon. V 17; Braun, Annali 1850, 280. Am Boden sitzend wird Polyphem von
Odysseus trunken gemacht und geblendet: Gaz. arch. 1887 Taf. 1.
2) Corneto: Mon. XII Taf. 14; Sittl, Annali 1885, 132. Augenschale: Gerhard, Auserl.
Vasenbilder Taf. 132, 4. Euthymides: Kekulö, Archäol. Zeitung 1873, 95 Taf. 9. Euphronios:
Archäol. Vorlegeblätter Serie V Taf. 2. Wiener Kentaurenvase: Curtius, Archäol. Zeit. 1883,
351 Taf. 18. Westgiebel: Olympia -Ergebnisse III 135 nebst Atlas Taf. 33, 2. Tatsächlich be-
finden sich die Kissen auf demselben Niveau mit den Füßen der Kämpfenden, also auf dem
Fußboden; wie und wozu käme auch die Alte auf die Kline, auf der sie vorher nicht war? Der
Eindruck im Kissen muß jedenfalls von etwas anderem herrühren als dem Pfostenkopf einer Kline.
a) Herakles: Gerhard, Auserl. Vas. I Taf. 59. Symposion: Mon. III Taf. 12. Hartwig,
Meisterschalen 1893, 329.
4) Petersburg: Mon. VIII Taf. 58.
Sussa: Schulten, Archäol. Anzeiger 1900, 68 Fig. 3.
186 Das Mahl der Seligen.
Wichtig sind die Darstellungen religiöser Gelage. In Pompeji, im Hause der
Vettier, ist neben anderen Szenen, die von Eroten und Psychen agiert werden, auch
eine Feier der Vestalien gemalt. Ein Gelage im Grünen: vier Teilnehmer ruhen im
Gras und auf Kissen gelehnt, im Inneren ihres Kreises steht das Trinkgeschirr, links
reiht sich eine Psyche an, auf einem Steinwürfe] sitzend, eine weitere bringt als Auf-
wärterin eine Schüssel; die zwei rechts entsprechenden Nebenfiguren sind sehr ver-
blaßt; im Hintergrund das Tier der Vesta, der Esel, zweimal. Einige Weihreliefs aber
führen Gelage religiöser Vereine unmittelbar vor Augen. Eins gilt dem Apoll; der
Gott sitzt mit seiner Kithara auf Bergeshöhe hinter dem Felsaltar und hält seine
Schale hin; den Abhang herauf kommt der Zug seiner Verehrer, nicht ohne die Kanne;
weiter unten ein Reigentanz und das festliche Gelage im Grünen, Männer und Frauen
mit Phialen, vorn steht der Krater, zur Seite sitzt der Flötenbläser. Sodann zwei
Reliefs aus der Synagoge des Zeus Hypsistos. In einem oberen Felde pflegen da
Götter dargestellt zu sein, im einen Falle mit Baum, Altar und Adoranten. Unterhalb
ist das Gelage abgebildet, an dem einmal sechs, einmal zehn Personen teilnehmen, den
Ellbogen auf ein Kissen gestützt; in einer unteren Zone sind Flötenbläser und
Tänzer, Kratere und Schenke hinzugefügt, etwa auch mit Fleischstückchen besteckte
Bratspieße. Bei diesen letzten Reliefs kann allerdings ein Zweifel Raum haben, ob
das Gelage am Boden oder auf einer langen Kline gedacht sei. Wie die vorliegenden
Exemplare gearbeitet sind, scheinen in der Tat Gelage am Boden gemeint; der bis zu
den Rändern des Steins durchgehende Streifen unter den Gelagerten kann keinen
„Diwan" vorstellen. Höchstens könnte gefragt werden, ob die etwas eigentümliche
zweistreifige Komposition vielleicht von einem einzonigen Typus abgeleitet sei, nämlich
dem unten zu erwähnenden mit langer Kline und dem nötigen Apparat nebst junger
Bedienung vor ihr; es wäre freilich etwas ganz verschiedenes daraus geworden.1)
Jenseitige Gäste in diesseitigen Gelagen erscheinen zu den Theoxenien, den Ge-
lagen, wie sie Göttern geboten wurden, und zwar auch in der Form von Gelagen -am
Boden. Dergleichen scheinen die Odessiten ihrem Gott, einer Art Pluton, angeboten
zu haben; denn Münzen von Odessos zeigen seit etwa 300 vor Chr. den bärtigen Gott
gelagert, auf ein Armkissen gestützt, im linken Arm das Füllhorn, in der Rechten
(wenigstens auf späteren Exemplaren) die Phiale; wie ein Beizeichen aussehend, aber
zum Typus gehörig steht im Feld über der rechten Hand eine gestürzte Amphora,
aus welcher Wein tropft, später in einem Strahl herausschießt, eintretendenfalles in
die vorgestreckte Phiale. Im ältesten Exemplar lagert der Gott auf einer Matratze,
daran die Inschrift der Odessiten angebracht ist, sonst lagert er unmittelbar auf dem
Boden. Auf Münzen von Tomis, in der Kaiserzeit geprägt, sind es die Dioskuren,
die zur Entgegennahme der Opfer gerufen auf der Erde sich niedergelassen haben, die
Phiale in Händen; in einer der verschiedenen Prägungen ruhen sie auf einem
Pfühl.2)
Weiter fragen wir nach Darstellungen jenseitiger Personen in jenseitigen Gelagen
am Boden. Die Bilder des ruhenden und dabei zechenden Herakles scheinen zwischen
x) Vettier: Mau, Rom. Mitteilungen 1896, 80 Bild. Apoll: Cesnola, Cyprus 149 Bild.
Schreiber, Kulturhist. Bild Taf. 16, 7. Zeus Hypsistos: a) Perdrizet, Bull corresp. hell. 1899,
592 Taf. 4. b) eb. 593. Luders, Dionysische Künstler 1873, 9 Taf. 2.
2) Pick, Archäol. Jahrbuch 1898, 157. 152 zu Taf. 10, 15—17. 13—14.
Antike Mahlschemata. 187
diesseitiger und jenseitiger Auffassung zu schwanken: vorwiegend dürfte er, wenigstens
in den ernsten Bildern, in seiner Seligkeit gedacht sein. Er pflegt auf der über eine
Felspartie gebreiteten Löwenhaut zu ruhen. In einem Kreise Seliger beiderlei Ge-
schlechts, die im Grünen gelagert zechen — bei den Hauptpersonen stehen runde
Präsentierbretter mit Speisen — treffen wir auch Herakles im oberen Fries der
Pränestiner Ciste Napoleons III. Unter den Wandmalereien im augusteischen
Columbarium der Villa Pamfili zu Rom befindet sich ein Gelage im Grünen; acht
Personen, teils mit Phialen versehen, lagern in seliger Stimmung im Halbkreis; in
dessen Mitte steht eine Schüssel, weiter vorn Krug und Becher. Da ein religiöses
Fest hier ebensowenig indiziert ist wie ein Totenmahl (Leichenschmaus oder
Anniversar), so bleibt kaum eine andre Wahl als ein Seligenmahl.1)
Das auf ein untergeschobenes Gestell gehobene Lager (Kline, Lectus) hat Zeit
gebraucht, um sich durchzusetzen, zuerst zur Nachtruhe. Bei den Ägyptern scheinen
Bettgestelle nicht vor dem „neuen Reich" im zweiten Jahrtausend vor Chr. auf-
gekommen zu sein. Erhöhte Lager, aus Stein aufgebaut, finden sich in den kretischen
Palästen der Heroenzeit; in den homerischen Epen schlafen die Fürsten durchweg auf
Bettstellen, eine andere Frage ist, wie früh die Kline zu Mahl und Trunk gebraucht
wurde. Monumental erscheint das Gelage auf dem Ruhebett zuerst im siebenten
Jahrhundert und zwar in einem der jüngeren assyrischen Reliefs. König Assurbanipal,
der Sardanapal der Griechen, feiert ein Siegesfest in seinem Park auf der Kline ge-
lagert, den Ellbogen auf Lehne und Kissen gestützt, die Königin thront ihm zu Füßen;
beide führen Trinkschalen zum Munde, vor ihnen steht ein Tischchen mit Speisen,
zur Seite ein Weihrauchgefäß, Eunuchen fächeln Kühlung, Harfen und Zymbeln be-
gleiten das Mahl. Mit diesem für uns ältesten Denkmal ist übrigens assyrischer
Ursprung des Gelags auf dem Ruhebett noch nicht bündig bewiesen; die nächstältesten
Monumente, nicht assyrisch, dem sechsten Jahrhundert angehörig, folgen in so nahem
Abstand, daß die Ursprungsfrage noch offen gehalten werden muß, nicht bloß zwischen
Assyrien und Hellas, es kann auch ein Zwischenland in Betracht kommen. Es sind
archaische Reliefs, die Stele Peruzzi in Florenz, welche in ihren zwei Bildfeldern die
zwei Mahlschemata nebeneinander zeigt, unten das Sitzen auf Stühlen, oben das Lagern
auf der Kline (Abbildung zu Anfang dieses Kapitels), und das aus Tegea stammende
älteste Exemplar der so reich vertretenen Gattung der v Heroenmahle ". Der Typus
dieser Reliefs stimmt im wesentlichen mit dem des assyrischen Siegesmahls überein:
der Mann gelagert auf der Kline, die Phiale in der Hand, die Frau ihm zu Füßen
thronend (später wohl auch auf dem Fußende der Kline sitzend); vorn steht der Tisch
mit den Speisen, ein Knabe als Mundschenk schöpft aus dem Mischkessel; statt des
assyrischen Hofstaates treten Adoranten heran, öfter bringen sie Opfer. Denn diese
, Heroenmahle " sind Weihbilder; der Gelagerte, dem die Verehrung gilt, ist ein
Seliger, sei es nun ein Gott oder ein Heros oder ein heroisierter Verstorbener; dies
eben bleibt fraglich.
]) Herakles: Jahn-Michaelis, Griech. Bilderchroniken 1873, 39. Löwy, Rom. Mitt. 1897,
56 Taf. 3. Ciste: Mon. d. instit. V Taf. 51. Pamfili: Jahn, Bayer. Akad. Abh. VIII 1858
Tal 6, 17. Eine ähnliche Anordnung läßt die übrigens nur mit Vorbehalt zu benutzende Ab-
bildung eines Gelages erkennen, bei Beger, Meleagrides, Colon. Brand. 1696, 22: die Gäste scheinen
sich hier wie dort um eine natürliche Erdschwellung gelagert zu haben, auf der in die Mitte ge-
stellten Platte liegt ein Schweinskopf, von rechts bringt ein Aufwärter eine andere Schüssel.
188 Das Mahl der Seligen.
Das „ Heroenmahl " ist in der Idee verwandt dem Ritus der Götterbewirtungen
(Xenien oder Theoxenien), bei welchem Kline, Tisch und Krater dem herbeigerufenen
Gott gerüstet, er selbst aber in einem Bilde auf das Ruhebett gesetzt wurde. Wir
fanden den Ritus oben in der primitiveren Form des Gelages am Boden, wenn auch
nur in späteren Zeugnissen; nachdem die Kline einmal in Gebrauch gekommen war,
wurde sie für diese Kultusform vorherrschend. Von den Griechen übernahmen die
Römer den Ritus unter dem Namen Lectisternien oder Pulvinarien.1)
Es ist nicht nötig, die ganze literarische und monumentale Überlieferung über
klassische Gelage auf Ruhebetten hier beizubringen; ein paar Beispiele mögen genügen.
In griechischen Vasenbildern, besonders älteren Stiles, finden wir vor anderen Dionysos
und Herakles auf der Kline gelagert zechend; im fünften Jahrhundert wurde das
Gelage, bei welchem Odysseus die Freier der Penelope niedermacht, als auf Ruhebetten
begangen geschildert. In ihren Grüften ließen sich die Etrusker beim Gelage malen,
etwa unter grüner Laube von Reben oder Efeu, da ruht die Gattin auf der Kline
des Gatten; dazu gibt's Flötenbläser und Tänzer, alles unter Bäumen und blühenden
Stauden. Und ihren Särgen gaben sie wohl das Ansehen von Ruhebetten, auf denen
sie selbst in plastischem Bilde ruhen, die Trinkschale in der Hand.2)
Zu einem geselligen Mahl mit folgendem Trunk (Deipnon und Symposion,
lateinisch Convivium und Commissatio) wurden ursprünglich drei Ruhebetten im Huf-
eisen aufgestellt, vor jeder Kline der zugehörige Tisch; die vierte Seite blieb frei für
die Bedienung und etwaige Vorführungen zur Unterhaltung. Solch ein Dreiklinen-
gelage aus der Zeit der Perserkriege schildert der Vasenmaler Duris an einer Trink-
schale. Zu größeren Gelagen wurden entsprechend mehr Klinen aufgestellt; bei dem
Gelage, welches Attaginos in Theben dem Mardonios mit fünfzig Persern und ebensoviel
Thebanern gab, kam ein Perser und ein Thebaner auf je eine Kline zu liegen; beim
gemeinsamen Hochzeitsmahl Alexanders und seiner Hetairoi wurden im Speiseraum
des Riesenzeltes hundert Klinen aufgestellt, im Prachtzelt des Ptolemäos Philadelphos
sogar 130 im Kreise herum. Uns gehen hier mehr die Gelage in kleinerem Kreise
an, für welche die Anordnung in Hufeisenform typisch blieb, das Dreiklinengelage
(Triklinon, Triklinion). Es sind nun eine Reihe von Neuerungen zu verzeichnen,
1) Ägyptische Betten: Perrot et Chipiez, Histoire I 842. Kretisch: Annual British
school Athens IX 10 E 1 zum Südosthaus in Knossos, Plan Fig. 1. Assurbanipal: v. Sybel,
Weltgesch. d. Kunst 294 Bild. Peruzzi: eb. 129 Bild. Tegea: Ath. Mitt. 1879 Taf. 7.
Heroenmahle: Deneken in Boschers Lexikon I 2571ff. Pick, Archäolog. Jahrbuch 1898, 148 ff.
C. M. Kaufmann, Jenseitsdenkm. 1900, 13. Theoxenien: Deneken, De Theoxeniis 1881. Furt-
wängler in Boschers Lexikon I 1166 ff. Pick, Jahrbuch 1898, 149. Schoemann-Lipsius, Griech.
Altertümer II 1902, 478. Kömer: Marquardt-Wissowa, Rom. Staatsverwaltung III 1885, 45.
Wissowa, Religion und Kultus der Römer 1902, 355.
2) Dionysos: Gerhard, Auserles. Vasenbilder Taf. 142. Herakles: Furtwängler-Reichhold,
Griech. Vasen Taf. 4. Freiermord: Mon. X Taf. 53. Benndorf, Gjölbaschi-Trysa 96 Taf. 7. 8.
Etruskische Grabmalereien: Tomba del triclinio, Mon. I Taf. 23; Querciola, eb. I Taf. 33;
Casuccini, eb. V Taf. 33; del vecchio, eb. IX Taf. 14, 1 u. a. Deckelfiguren: ein älteres
Exemplar aus Caere, Mon. d. inst. VI Taf. 59, jüngere aus Chiusi, Mon. XI Taf. 1 ; Antike Denkm.
I Taf. 20. Die Figuren ruhen auf Pfühlen oder Matratzen, aber der Sargkasten ist in den jüngeren
Exemplaren nicht als Bettgestell oder Kline behandelt, sondern mit einem architektonischen Fries
verziert, der sonst auch Altären und altarförmigen Särgen gegeben wurde; es liegt hier also eine
Kontamination zweier Typen vor. Andere Särge (Mon. VI Taf. 60), ebenso die Aschenkisten mit
auf Matratzen ruhenden Deckelfiguren, bedecken die Flächen des Kastens mit figürlichen Reliefs.
Antike Mahlschemata. 189
deren Ursprungszeiten aber nicht genau feststehen. Während in der klassischen Zeit
der Griechen zwei Personen für jede Kline die normale Zahl geworden war, die nur
im Notfall überschritten wurde (wie gegen Ende des platonischen Symposions der
trunken ins Gelage fallende Alkibiades zwischen Sokrates und Agathon eingeschoben
wird), war man in der römischen Kaiserzeit dahin gelangt, jeder Kline soviel Breite zu
geben, daß drei Personen bequem Platz fanden, im Triclinium also neun die Regel
ward. Ein solches Triclinium nun wurde als geschlossenes Hufeisen konstruiert, die
Oberflächen nach außen geneigt; es war eine rechtwinklig hufeisenförmige Pritsche,
die man mit Polstern, Decken und der nötigen Anzahl Stützkissen belegte. Zu ständigem
Gebrauch, besonders im Freien, wurden die Triklinien wohl auch aufgemauert; der-
gleichen kommen in Pompeji vor, sowohl in den Hausgärten, hier unter Lauben, als
auch bei den Gräbern, dort für Leichenschmäuse und Anniversarien.1)
In der Kaiserzeit finden wir vereinfachte Formen: das rechtwinklige Hufeisen
des Tricliniums ist abgerundet zum Halbkreis (semirotundum), und die Stützkissen der
Gäste sind verschmolzen in eine zum Halbkreis gekrümmte durchlaufende mächtige
Polsterrolle. Nach der damals gebräuchlichen Halbkreisform des Buchstabens Sigma
nannte mau die gekrümmte Polsterrolle, und nach ihr das ganze Semirotundum, auch
Sigma. Bei Benutzung der halbkreisförmigen Pritsche wurde die Sigmarolle auf den
inneren Rand des Semirotundum gelegt, in den offenbleibenden inneren Halbkreis
kam das Gestell zur Aufnahme der Speisenplatte zu stehen. Fand das Gelage aber
im Freien am Boden statt, so brauchte man nur die halbkreisförmig gekrümmte
Polsterrolle auf den Rasen zu legen, weiter war nichts nötig, die Gäste lagerten sich
auf den Rasen, den Ellbogen auf die Sigmarolle gestützt; Brotkorb, Schüssel und
Mischkrug fanden ebenfalls im Rasen Platz, im inneren Halbrund.2)
Auf die Kline konnte man sich nach Umständen auch setzen, so gut wie man
sich gelegentlich auf den Bettrand oder die Chaiselongue setzt, ohne die Beine herauf-
zunehmen. Man ist aber weitergegangen und hat die Kline eigens zum Sitzen her-
gerichtet, als eine Art Kanapee mit zwei Seitenlehnen, zunächst noch ohne Rückenlehne,
späterhin mit einer solchen (um einen antiken Namen verlegen, nennen wir es Kanapee,
conopium Hör. epod. 9, 16, obwohl hier kein Stechmückennetz angebracht war). Antike
') Duris: Archäolog. Vorlegebl. VI. Taf. 19. Attaginos: Herodot IX 15 f. Alexander:
Athenäns XII 538c. Philadelphos: eb. V 196a. Triclinium: Marquardt-Mau, Privatleben
der Römer I 302. Pompeji: Mau, Pompeji 1900, 246. 417, vgl. das Triclinium funebre unter
Laube bei Benndorf, Heroon zu Gjölbaschi-Trysa 1889 zu Taf. 1 — 5.
2) Sigma am Boden: ein Beispiel bei Caylus, Recueil d'antiq. II Taf. 115, 3 und bei
Niccolini, Case di Pompei, Descr. gen. Taf. 3 = Schreiber Kulturhist. Bild Taf. 77, 5. Die Gäste
liegen um den Halbkreis der Sigmarolle, vorn steht eine Schüssel mit einem Schweinskopf, von
links kommt ein Aufwärter mit einer anderen Platte. — Seit Forcellini geht die Rede, das Wort
Stibadium bezeichne in der römischen Zeit das halbkreisförmige Ruhebett (Marquardt-Mau,
Privatleben 307. Wide, Ath. Mitt. 1894, 272). Ohne Zweifel ist das Wort an mehreren Stellen in
diesem Sinne gebraucht, ganz natürlich, weil damals die Kliuen in der Regel eben halbrund waren;
das Wort an sich aber bedeutet ganz allgemein „Ruhelager", und wenn Sidonius Apollinaris epist.
II 2, 11 eine cenatiuncula beschreibt, darin ein stibadium et nitens abacus sich befand, so war
dem, wie Forcellini selbst betont, stets quadraten Abacus entsprechend dies Stibadium ein recht-
winklig hufeisenförmiges Triclinium. — Lampridius, Heliogabal 25, gibt an, Elagabal (Kaiser
218 — 222) sei der erste gewesen, welcher das Sigma auf die Erde gelegt habe, nicht auf Gestelle
(primus denique invenit simma in terra sternere, non in lectulis). Marquardt-Mau, Rom. Privat-
altertümer I 309.
190
Das Mahl der Seligen.
Abbildungen kommen in Sarkophag- und Grabreliefs vor. Wiederum findet sich ein
richtiges Kanapee oder Sofa mit Rücklehne, ein Sofa von besonders großen Dimensionen,
auf welchem vier Personen gelagert sind, davor steht das Dreibein mit der Platte.
Es gab auch verlängerte Klinen ohne Lehne für eine Mehrzahl von Personen; ein
spätathenisches Relief zeigt Herakles in dieser Weise mit den Musen vereint; ein
zwischen Herakles und den Musen gelagerter Mann wird bald als Apollon, bald als
Verstorbener und Seliger erklärt.1)
W*»fe.*R,
Einführung der Vibia in die Gefilde der Seligen und Mahl der Seligen.
Heidnische Gruft beim Coem. Praetextati.
Die christlichen Mahle.
In Mahl und Trunk hat der natürliche Mensch von jeher den Gipfel seines
Daseins gefunden; wohl lernte der geistlich und sittlich sich ausbildende Mensch
feinere Freuden schätzen, doch behauptete das Mahl seine Bedeutung. In Verbindung
mit der Ruhe nach getaner Arbeit bringen Speise und Trank die verbrauchte Lebens-
kraft wieder ein, in der Sättigung fühlt sich der Mensch im Genüsse von Lebenshöhe
und Lebensfreudigkeit. So ist schon das tägliche Mahl eine Art Siegesfest, wenn
nicht über den Tod selbst, so doch über die totkündende Entkräftung, ein Sieges-
und Freudenmahl. Freilich verliert es von dieser gehobenen Stimmung viel in der
^Kanapee: am Deckel auf dem kapitolinischen Endymionsarkophag. Robert, Sark. III i
n. 61. Baumeister, Denkmäler I 480 Fig. 523. Herrn. Thiersch, Antike Grabanlagen in Alexandria
1904, 10. Kanapee mit Gelagerten: Petersen bei Michaelis, Rom. Mitt. 1893, 183 n. 25.
Hiller v. Gärtringen, Ath. Mitt. 1900, 5 Taf. 1, 2. Hettner, Führer, Trier 1903 n. 5 Abb.
Herakles: v. Sybel, Katalog d. Skulpt. zu Athen n. 548. Furtwängler in Roschers Lexikon
I 2184.
Die christlichen Mahle. 191
Enge und Not des Daseins; dafür traten immer besondere Anlässe ins Mittel, um das
gebundene Hochgefühl wieder zu entbinden. Obenan stand der Sieg in Zweikampf
und Schlacht. Jenes Mahl des Sardanapal war ein Siegesmahl, die Köpfe der ent-
haupteten Feinde sieht man an die Zweige der Bäume gehängt, unter deren Schatten
der König seine Feier hält. Ähnlich schildern griechische Vasenbilder den Achill
beim Triumphgelage über der Leiche des erschlagenen Hektor. So gab der siegreiche
Feldherr seinen. Truppen einen Festschmaus im erbeuteten Wildpark. Auch friedliche
Siege wurden mit Festmälern gefeiert. Agathon beging den Sieg seiner. Tragödie mit
Gastereien. Die mancherlei Anlässe, die man in wichtigen Augenblicken des Lebens
fand, werden wir hier nicht aufzählen, nur erinnern an die Hochzeitsschmäuse, und
wiederum an die festlichen Mahlzeiten und Gelage der Vereine und Genossenschaften,
an denen die antike Gesellschaft so reich war. Es war mehr als bloße Laune, wenn
Piaton denjenigen seiner Dialoge, welcher nicht bloß durch seinen glänzenden drama-
tischen Aufbau sich von den anderen auszeichnet, sondern der in besonderem Sinn als
eine Programmschrift seiner Akademie aufgefaßt sein will, die Szenerie eines Gast-
mahls und Gelages gegeben hat; das so vielseitig bedeutsame Motiv charakterisiert
den Dialog als die Weiheschrift der ersten Hochschulgenossenschaft, der die Aufgabe
gesetzt war, die erneuernden Gedanken des Meisters fortzuentwickeln und durch
wissenschaftliche Erziehung der Jugend für das Leben fruchtbar zu machen.
Die das ganze Leben durchwirkende Religiosität des Polytheismus weihte, wo sie
nicht völlig tot war, auch jedes Mahl durch die ideelle Teilnahme einer Gottheit. Es
gab keine Form menschlichen Daseins, die nicht ihren Gott gehabt hätte; mochte der
Staat, die Genossenschaft oder die Familie das Fest feiern, so lud sie ihren Gott
dazu; einerlei, welcher Idee das Fest diente, die Idee wurde verehrt in einem Gott,
der nicht zu vergessen war. Er erhielt außer Anruf und Verehrung einen Teil an
den Speisen im Opfer, am Getränk in der Spende, nicht zu reden von den besonderen
Gelagen, die man anbot in Theoxenien und Lektisternien.
Es bleiben die Toten übrig. Nach der Beisetzung, wohl auch wiederkehrend,
hielt man am Grab Gelage. Die Toten waren der Speise und des Trankes bedürftig;
man brachte ihnen beides. Wo man unter der Erde Grüfte aushob, da legte man
wohl die Leichen zum ewigen Triklinium im Kreise, auf den Boden oder auf Ruhe-
betten, in Wandbetten, das Trinkgeschirr zur Hand, ein grausiges Gelage. In den
Kreisen derer aber, die ein Jenseits sich ausmalten, in elysischen seligen Gefilden, da
sprach man auch vom Gelage der Heiligen und von ewiger Trunkenheit.1)
Aus dem israelitischen Vorstellungskreis, dem Mutterboden der Religion des
Jesus und des palästinensischen Christentums, wird es genügen, ein paar der wichtigsten
Punkte herauszuheben. Einmal das rituelle Mahl, das Passah; ursprünglich ein fröh-
liches Frühlings- und Dankfest der Schafhirten, welche die P>stlinge ihrer Herden
opferten, zum Mahl für den Gott und für sich, wurde es umgedeutet zu einem Los-
kauf der dem Jahwe ebenso geschuldeten menschlichen Erstgeburten. Ferner als die
Hauptsache die Idee der messianischen Zukunftszeit. Da werden die Durstigen getränkt
und die Hungrigen satt werden, da gibt es Getreide ohne Geld und ohne Bezahlung
Wein und Milch; hört auf mich, spricht Jahwe, so sollt ihr Gutes zu essen haben, und
*) Leichengelage: z. B. Petersen, Rom. Mitt. 1896, 188. Orsi, eh. 1898, 309 Fig. 2.
Triclinium der etruskischen Sarkophage mit gelagerten Deckelfigureu: Martha, Part e'trusque
1889, 198.
192 Das Mahl der Seligen.
eure Seele soll sich erlaben an Fett (Deuterojesaias 55, 1. 2). Und Jahwe der Heer-
scharen wird für alle Völker auf diesem Berge bereiten ein Mahl von Fettspeisen,
ein Mahl von Hefenweinen, ein Mahl von Fettspeisen, die mit Mark bereitet, von
Hefen weinen, die gereinigt sind; vernichten wird er auf diesem Berg die Hülle, die
alle Völker verhüllt, und die Decke, die über alle Nationen gedeckt ist; vernichten wird
er den Tod für immer, und der Herr Jahwe wird die Thränen von allen Angesichtern
abwischen und die Schmach seines Volkes überall auf Erden verschwinden lassen
(Pseudojesaias 26, 6 — 8). Wir haben die Stelle vollständiger hier ausgeschrieben als
es für den Gegenstand, die Mahlidee, nötig zu sein scheinen könnte; aber die ganze
Stelle ist für die weitere Entwicklung bedeutsam. In demselben Sinne erinnern wir
noch an die Idee des Bundes zwischen Jahwe und seinem Volk; Moses opfert junge
Stiere als Heilsopfer, mit der Hälfte des Blutes besprengt er den Altar, mit der
anderen Hälfte das Volk und spricht: Das ist nun das Blut des Bundes, den Jahwe
mit euch geschlossen hat auf Grund aller jener Gebote (Exodus 24, 4 — 8 Kautzsch,
to aTfta rfjg diu&rt%rj3 Sept.). Dazu aber dies: Jahwe will mit Israel und Juda einen
neuen Bund schließen, nicht wie der Bund war, den er mit ihren Vätern schloss, da
er sie aus Ägypten führte, sondern dies ist der Spruch Jahwes: Ich lege mein Gesetz
in ihr Inneres und schreibe es ihnen ins Herz; fürderhin sollen sie nicht mehr einer
den anderen belehren Erkenne Jahwe! Denn sie werden mich allesamt erkennen vom
Kleinsten bis zum Größten; denn ich will ihnen ihre Verschuldung vergeben und
ihrer Sünde nicht mehr gedenken (Jerem. 31, 31 — 34). Über das Gelage im Jenseits
als jüdische Vorstellung vgl. Dav. Kaufmann, Monatsschrift d. Judent. XL 1893, 383.
Waren ohnehin schon mancherlei Fäden aus der Mahlidee herausgesponnen
worden, so erscheint sie bei den Christen vollends merkwürdig kompliziert; da schillert
sie, wie das ganze Christentum, in allen Farben. Das liegt in dessen Natur als der
letzten Form der antiken Religion; um jedem etwas und allen alles zu sein, mußte
es neu sein ohne irgend etwas aufzugeben.
Der Keim der christlichen Mahlidee liegt im messianischen Zukunftsmahl; er hat
sich indessen nicht in gerader Linie entfalten dürfen, weil die Kreuzigung ihm den
Weg verwirrte. Etwa wie der weiße Lichtstrahl, durch ein Prisma gebrochen, in die
vielen Farben des Regenbogens sich zerlegt, so wurde die einfache Vorstellung des
messianischen Mahles, nach ihrer Brechung durch die harte Tatsache der Kreuzigung,
in viele Erscheinungsformen auseinandergelegt.
Noch eine Bemerkung müssen wir vorausschicken. Einige evangelische Erzäh-
lungen wollte Baur als bewußte Dichtungen verstanden wissen, David Friedrich Strauß
aber erkannte in den meisten einen literarischen Niederschlag urchristlicher Mythen,
hervorgegangen aus der Meinung, die Lebensmomente des Christus seien Erfüllungen
der messianischen Weissagungen, das heißt, derjenigen prophetischen Stellen, die man
unter Christen auf den Messias bezog. Wissenschaftliche Systeme pflegen als solche
Überspannungen von richtigen Grundsätzen zu sein, kurzsichtige Verallgemeinerungen
gut gesehener Einzelheiten, sie haben bestenfalls den Wert anregender Hypothesen;
dagegen der Einzelbeobachtung, aus welcher das System entsprang, seinem Motiv, darf
man bis auf bessere Belehrung ein günstiges Vorurteil entgegenbringen. So mag auch
von Strauß der Grundgedanke, die mythische Erklärung der Wunder, überspannt
worden sein, richtig und gesund ist er darum doch. Es ist die einzig wissenschaftliche
Auffassung aller Wunder, alles außerhalb möglicher Erfahrung Liegenden in den Er-
Die christlichen Mahle. 193
Zählungen. Außer dem prinzipiell durchaus zulässigen Vorbehalt etwaiger bewußter
Dichtungen nach Baurs Meinung aber muß noch, in eben dieses schöpferischen
Forschers Sinn, der andere Vorbehalt der „Tendenz" gemacht werden: schon während
der Lebenszeit des Jesus und von den ersten Tagen des werdenden Christentums durch
alle Zeiten bis heute sind die Meinungen der Christen fließend gewesen (alle Stauver-
suche haben nur bewirkt, den ruhig, aber unaufhaltsam fließenden Strom der geistigen
Entwicklung durch mehr oder minder jähe Katarakte zu unterbrechen); nun, alle lite-
rarische Fixierung der selbst so nebelhaft schwankenden mündlichen Überlieferung,
niedergeschrieben frühestens ein Menschenalter nach Jesus, durch eine Generation, die
ihn nicht erlebt hatte, sie stand in jedem ihrer Momente unter dem Einfluß der zur
Zeit, am Ort, und in dem Subjekt des Schriftstellers eben wirksamen Auffassung.
Da es gerade für die Frühzeit an kontrollierender, gleichzeitiger Berichterstattung
sachkundiger und unbefangener Dritter so gut wie gänzlich gebricht, so läßt sich die
Evangelienliteratur nicht völlig exakt analysieren, obwohl es sicher ist, daß die Momente
des angedeuteten Prozesses in der Überlieferung vorliegen. Endlich ist noch daran zu
erinnern, daß dieselbe Idee bald in einem schlichten Wort ausgesprochen wird, bald
in einem Gleichnis, bald in einer Erzählung oder einem Mythus.1)
Wir gehen aus von dem messianischen Mahl. Wenn auch seit dem Täufer
das Grundthema der Ankündigung nur auf ein nahes Bevorstehen des Gottesreiches
lautete, so war doch, nachdem einmal in Jesus der Messias gesehen wurde, ebendamit
auch das Gottesreich als gegenwärtig anerkannt; dies vorausgesetzt, mußte schon die
tägliche Abendmahlzeit des Christus und seiner Anhänger etwas vom Charakter des
messianischen Mahles an sich haben, etwas von einem Sieges- und Freudenfest. Es
ist auch kein Zufall, daß Jesus in den Evangelien so gern beim Mahle vorgeführt
wird; dabei machen sich wichtige Züge des messianischen Mahles bemerkbar. Das
Gottesreich ist Freude: im Gegensatz zu dem fastenden Bußprediger sehen wir Jesus
essen und trinken. Das Gottesreich ist die Ausgleichung, es sättigt die Hungrigen,
heilt die Kranken, entsühnt die Schuldbedrückten: Jesus, der Arzt, sucht nicht die
Gesunden auf, sondern die Kranken, er ißt mit den Sündern. So in einem Herrenwort
Mt. 11, 16 — 19; wiederum im Gleichnis vom König, der seinem Sohne ein Hochzeits-
mahl ausrichtet, Mt. 22, 1 — 10 (die vorauszusetzende Urform ging auf das diesseitige
Gottesreich; die vorliegende Redaktion aber ist nach V. 6. 7 jünger als die Kreuzigung
und als die Zerstörung Jerusalems). Dieselbe Idee begegnet in Erzählungsform im
Mahl beim Zöllner Levi Mk. 2, 13 — 17, Lk. 5, 29 — 32 (im eigenen Haus findet es
statt Mt. 9, 10 — 13). Ferner im Mahl bei Simon, wo die Sünderin Jesus salbt; den
ursprünglichen Gedanken hat Lk. 7, 36 — 50 am reinsten (wenn auch in dem breiten
Stil des Auetor ad Theophilum ausgeführt; bei Mk. 14, 8 a klingt der Gedanke eben
noch an; Vers 7 „allezeit habt ihr die Armen bei euch, mich habt ihr nicht allezeit"
ist hoch und frei gedacht, nähert sich aber schon der sekundären Beziehung auf Jesus'
Tod und Begräbnis in 8 b (Joh. 11, 2 vollends ersetzt die Sünderin durch Maria, die
Schwester der Martha und des Lazarus). Auch der mythische Ausdruck fehlt nicht,
*) David Friedrich Strauß, Das Leben Jesu, kritisch bearbeitet 1835. 41840; Das Leben
Jesu für das deutsche Volk bearbeitet 1864. ,41904. Hier soll nicht in die Erörterung der oben
berührten kritischen Fragen eingetreten werden; es kann sich nur darum handeln, einleitend das
Nötigste zum Verständnis der Mahlbilder zu geben.
Sybel, Christliche Antike I. 13
194 Das Mahl der Seligen.
er liegt vor in der Speisung der Tausende (fünftausend Mk. 6, 31 — 44, viertausend in
der Doublette 8, 1 — 10, beide Stellen mit ihren Parallelen. Das Ritual stimmt zu
genau mit dem liturgischen des Abendmahles, um nicht von ihm beeinflußt zu sein);
man beachte das förmliche Gelag am Boden, wie es auch beim Zukunftsmahl des
Pseudojesaias 26, 6 gedacht ist. Im Johannisevangelium finden wir außer der Speisung
der Tausende Kap. 6 noch die selbständige Mythisierung des messianischen Mahles im
Hochzeitsmahl zu Kana, welches, die wunderbare Speisung ergänzend, für gleich wunder-
baren Trank sorgt 2, 1 — 11. Das Motiv des Hochzeitsmahles begegnete uns bereits in
der Parabel von der königlichen Hochzeit; aber während in der Speisung der Tausende
wohl das sachlich Wunderbare des Vorgangs angelegentlich betont wurde, unterstreicht
das Hochzeitsmahl zu Kana den Thaumaturgen.
Aus der Zahl der gewöhnlichen Mahle hebt sich das letzte Mahl heraus, das
die Synoptiker als Passahmahl bezeichnen. Wenn der Christus mit den Seinen gemeinsam
ein Mahl begeht, so wird es ein Genossenschaftsmahl, dann auch in der besonderen
Nuance des paulinischen Erinnerungs- und Gemeinschaftsmahles Kor. I 10, 16. Da
aber Jesus, dies muß doch wohl angenommen werden, den tragischen Ausgang seines
Unternehmens voraussah, so konnte er einerseits Abschiedsworte sprechen, andererseits
und gleichzeitig den in seinen Willen aufgenommenen Tod aus seinem Hauptzweck
erklären und für ihn fruchtbar zu machen suchen; solche in der Situation begründete
Worte mochten durch ein paar Drucker im Sinne des späteren Gemeindeglaubens
dann leicht die vorliegenden Fassungen erhalten (Mk. 14, 12—25. Mt. 26, 17 — 29.
Luk. 22, 7 — 18; dazu Kor. I 11, 23 — 26. Joh. 6. Das angewandte Ritual ist wieder
das liturgische. Das alte Bild des Bundesblutes wird hier übertragen auf das in der
Kreuzigung vergossene und im ritualen Wein versinnbildlichte Blut des Christus.
Von da war es nicht mehr weit zum Opfertod des Christus).
Auch in die Legenden von Erscheinungen des Auferstandenen fand die Mahl-
idee Eingang. Mt. 28, 16 — 20 erscheint er den Elf in Galiläa auf dem typischen
Berg (auf dem Mt. auch die Bergpredigt lokalisiert und den Joh. 6, 3. 15 in Be-
ziehung zur Speisung der fünftausend setzt. Pseudojesaias dachte sich das Zukunfts-
mahl auf dem Berge Zion). Im Nachtrag des Markus heißt es kurz, der Auferstandene
erschien in veränderter Gestalt zweien Jüngern, da sie aufs Land gingen, und sie be-
richteten es den übrigen (16, 12 — 13); später erschien er den Elfen selbst, da sie zu
Tische lagen (14). Lk. 24 erzählt dasselbe ausführlich. Es ist der Gang der zwei
Jünger nach Emmaus, wo sie ihn dann am Abendmahlsritus erkennen (13 — 35); und
den Elf erscheint er, doch nicht da sie zu Tische lagen, wohl aber verlangt er, der
in Fleisch und Bein vor ihnen steht, zu essen, und sie geben ihm ein Stück Bratfisch,
das er vor ihren Augen verzehrt (36—43). Im ursprünglichen Schlußkapitel 20 des
Johannesevangeliums erscheint der Auferstandene zweimal unter verschiedenen Um-
ständen; die Mahlidee verwertet erst der Anhang Kap. 21 zu einer dritten Erschei-
nung. Auf der Grundlage des Mythus von Petrus' Fischzug baut sich die neue
Legende vom Fischzug der sieben Jünger auf, die aber auch von Petrus ausgeht und
auf ihn sich zuspitzt; ans Land zurückkommend sahen sie am Ufer ein Kohlenfeuer
mit Fisch und Brot; Jesus lädt sie ein zuzugreifen und teilt ihnen Brot und Fisch aus,
in deutlichem Anklang an die Speisung der Tausende und die Abendmahlsliturgie.
Nun die ritualen Mahle der christlichen Gemeinden. Anschließend an Kor. I
11, 20 — 34 sind zwei Arten zu unterscheiden. Einmal dasjenige, welches wir als das
Die christlichen Mahle. 195
messianische Mahl in der Gemeindeübung bezeichnen mögen. Die Apostelgeschichte
schildert das Leben in der jungen Gemeinde: sie hingen fest an der Lehre der
Apostel und der Gemeinschaft, an dem Brotbrechen und den Gebeten 2, 42; dies wird
dann noch präzisiert: indem sie Tag für Tag einmütig ausharrten im Heiligtum (in
einer der Hallen des Tempels) und zu Hause das Brot brachen, genossen sie ihre
Nahrung in Jubel und in Einfalt des Herzens 46. Hier ist mehrerlei zu beachten:
der Jubel, mit dem sie das Brot brachen, also die freudige Stimmung, wie sie zum
messianischen Mahl gehörte; sodann das Brotbrechen selbst, der uns schon bekannte
Ritus; endlich aber, daß sie das Brot nicht in der Gemeindeversammlung, sondern zu
Hause brachen (xarolxov), womit denn wenigstens der Verfasser der Apostelgeschichte
das tägliche häusliche Abendessen als die damals übliche Form des Ritus
hinstellt. Das Brotbrechen mit Danksagung kommt auch sonst in der Apostel-
geschichte typisch vor.
Anders das Mahl in der Gemeindeversammlung (Liebesmahl, Agape). Ein solches
fand Paulus bei den Korinthern vor. Wohl nahm auch dort ein jeder sein gewohntes
Mahl ein, aber er brachte es in die Gemeindeversammlung mit, wo dann, wie Paulus
rügt, der eine Hunger litt, der andre trunken war, und die Armen beschämt wurden
(Klagen verwandter Art noch Jud. 12. Petr. II 2, 14 var. lect.). Solchem Mißbrauch
gegenüber erinnert Paulus an das letzte Mahl, wie es ihm überliefert worden
war; ohne selbst Teilnehmer gewesen zu sein, bezeichnet er es bestimmt als Stiftung
eines Ritus.
Das typische Brotbrechen ist ein Ritus. Wir wollen aber nicht unterlassen,
ausdrücklich zu erinnern, daß es ursprünglich nicht Ritus war, sondern täglicher Ge-
brauch, überall da geübt, wo etwa ein Hausvater, oder wer an dessen Stelle trat, das
Brot an die Teilnehmer des Mahles austeilte. Davon, daß Essen und Trinken nach
altem Brauch von einem Dankgebet eingeleitet wurde, kommt der neben dem „ Brot-
brechen " für den Ritus gebräuchliche Name „ Danksagung, Eucharistie".
Es bleibt noch übrig, von einer letzten Gattung christlicher Mahle zu reden,
den jenseitigen. Auch das messianische Mahl, ursprünglich eminent diesseitig, wurde
mit den anderen Reichsvorstellungen durch die Kreuzigung jenseitig. Zuerst freilich,
unmittelbar nach dem Tode des Christus, war es nicht als ein Mahl der Verstorbenen
im Himmel gemeint; sondern die neuerdings erwartete Parusie galt als unmittelbar
bevorstehend, die Generation der Jünger sollte die Errichtung des Reiches noch er-
leben, nur die bereits Verstorbenen sollten, um daran teilnehmen zu können, aus ihren
Gräbern körperlich wieder auferstehen, wie als ihr Erstling der Christus selbst zu
bleibendem Leben wieder auferstanden sei. Daher die Worte beim letzten Mahl:
„Nicht mehr werde ich vom Erzeugnis des Weinstocks trinken, bis zu jenem Tage,
da ich es neu trinken werde im Reiche Gottes" Mk. 14, 25. Lk. 22, 18 — „mit euch"
setzt Mt. 26, 29 hinzu; das gibt Lukas ausführlicher 28 — 30 „ihr seid es, die ausge-
halten haben mit mir in meinen Versuchungen; und ich verordne euch, wie mir mein
Vater das Reich verordnet hat, daß ihr essen und trinken sollt an meinem Tisch in
meinem Reich." Analysiert man diese Reden, so finden sich darin die zwei Elemente,
das tragische („meine Versuchungen", „nicht mehr trinken") und das messianische
(„ich werde es neu trinken im Reiche Gottes, ihr sollt an meinem Tisch essen und
trinken in meinem Reich"). Angesichts dessen drängt sich die Frage auf, ob denn
die in den letzteren Worten enthaltene Ankündigung, für die Jünger eine Verheißung,
13*
196 Das Mahl der Seligen.
das künftige Essen und Trinken, von Haus aus nur im Zusammenhang der Passion
gesprochen worden sein sollten; ob nicht längst bevor das tragische Ende irgend
einen Schatten vorauswerfen konnte, Jesus ähnliches gesagt haben werde. Im Zu-
sammenhang seiner ganzen Ankündigung des nun kommenden Reichs hieß es dann
nichts anderes, als daß die Jünger mit ihm das messianische Mahl genießen sollten.
Erst nachdem die Ankündigung des Zukunftsmahles in den Rahmen der Passion auf-
genommen war, mischte sich das tragische Motiv ein und gab ihr die veränderte
Färbung, das Mahl wurde hinausgeschoben in die Zeit der neuen Parusie nach der
Kreuzigung und Auferstehung des Christus. Diese als endgültig gedachte Parusie aber
war diesseitig gedacht, sofern nicht in der Idee der „neuen Welt" der ganze Gegensatz
von Diesseits und Jenseits aufgehoben wurde und verschwand.
Hier erinnern wir uns des „ Hochzeitsmahles " in seinem verschiedenen Vor-
kommen; eigentlich eben dasselbe messianische Mahl ist auch das Hochzeitsmahl von
der Kreuzigung berührt und in die Zukunft gerückt worden. Eschatologisch ist das
Hochzeitsmahl des Lammes, Off. 19, 9 „Selig die zum Hochzeitsmahl des Lammes
Berufenen". Auch von der Zerstörung Jerusalems ist das Hochzeitsmahl berührt
worden (Mt. 22, 1 — 10); diese jüngere Redaktion wird nun kaum noch auf die baldige
Wiederkunft des Christus gerechnet haben; sie war damals schon in so weite Ferne
gerückt, daß die andere Idee des Mahles im Himmel, die heidnische Idee des Mahles
der Seligen, natürlich in christlicher Ausprägung, in die Lücke treten mußte. Auch
das ursprünglich messianische Wort „Selig wer Brot (a. L. Frühmahl) ißt im Reich
Gottes" Lk. 14, 15 und die daraus entwickelte Verheißung an die Jünger, daß sie
im Reiche des Herrn an seinem Tisch essen und trinken sollten (eb. 22, 30) wird
schon früh so verstanden worden sein. Jenseitig ist auch gemeint, was in der
Offenb. Joh. 2, 7 dem Engel der ephesischen Gemeinde gesagt wird „Dem der siegt,
ihm werde ich geben zu essen vom Baume des Lebens, welcher ist im Paradiese
Gottes"; das ist dieselbe Verjenseitigung des biblischen Paradieses wie im Wort an
den Schacher „Heute wirst du mit mir im Paradiese sein". Ist dort nicht eigentlich
von einem Gelage die Rede, so gibt es doch noch andere Zeugnisse dafür, daß die
Vorstellung vom Mahl der Seligen von den Christen aufgenommen wurde. Wilpert
führt ein paar Visionen von Märtyrern an, in denen das Seligenmahl seine Rolle
spielt. Unter Marc Aurel wurden Karpos und Papylos auf dem Scheiterhaufen ver-
brannt; dabei hatte Papylos eine Vision, er sah die Herrlichkeit des Herrn, und
sprach dies aus. Eine Christin, Agathonike, stand dabei; von der Überspannung der
Märtyrer angesteckt, hatte sie dieselbe Vision; sie meinte sich vom Himmel gerufen,
und mit den Worten „Das Frühmahl (es war vorher nicht erwähnt worden, aber in
der „Herrlichkeit des Herrn" war es ihr mit enthalten) ist auch für mich bereitet,
ich muß teilnehmen und essen von dem ruhmvollen Mahle" sprang sie freiwillig an
den Marterpfahl. Unter Valerian erlitt Agapius den Bekenntnistod, nach ihm Marianus
und Jacobus; dieser hatte kurz vor seinem Martyrium eine Vision: „Jetzt, sagte er,
eile auch ich zu des Agapius und der übrigen Märtyrer Mahl. Denn in dieser Nacht
sah ich Agapius . . . ein herrliches und freudenvolles Mahl begehen. Als ich und
Marianus im Geiste der Liebe dorthin, wie zu einem Liebesmahle, hingerissen wurde,
begegnete uns einer von den beiden Knaben, die mit ihrer Mutter vor drei Tagen
das Martyrium erduldet hatten; derselbe trug einen Kranz um den Hals und hielt
einen frischen Palmenzweig in der rechten Hand. Was eilt ihr so? fragte er; freuet
Die christlichen Mahle. 197
euch und frohlocket; denn morgen werdet auch ihr mit uns speisen." Die Vorstel-
lung ging dann auch in die liturgischen Sterbegebete über; in ihnen kehrt in
verschiedenen Wendungen die Bitte wieder, Gott wolle die Verstorbenen zum seligen
Gelage seines Reiches gelangen lassen; sie sind eingeladen zum Hochzeitsmahl, zum
Gelage; Gott Vater möge die Körper und Geister seiner Sklaven (der Christen nach
ihrem Tode) zu jenen himmlischen Gütern gelangen lassen, zum Gelage, das kein
Ende hat; er möge sie ruhen lassen in den lichten Wohnungen und in jenen deliziösen
Gelagen.
Wilpert sieht im himmlischen Mahl nur ein Sinnbild der himmlischen Seligkeit,
nicht einen ihrer wesentlichen Bestandteile. Allerdings der moderne Mensch, auch
der religiöse, wenn anders er durch die Schule der Logik in Mathematik und Natur-
wissenschaft wie in kritischer Historie ging, vermag eine Vorstellung wie die vom
Seligenmahl nicht realistisch zu verstehen; dasselbe gilt ebenso für den antiken Ge-
bildeten, der sich die sublimierte Seelenvorstellung der heidnisch-christlichen Speku-
lation angeeignet hatte, gilt daher für die Theologenkirche, in deren Augen Über-
schwenglichkeiten wie die der Agathonike leicht der montanistischen Häresie ver-
dächtig sind. Jene kirchlichen Sterbegebete nennen das jenseitige Mahl geradezu ein
geistiges (fac illos discumbere ad mensam tuam spiritualem). Dabei wäre immerhin
berichtigend zu bemerken, daß die Spiritualität das Mahl noch nicht zu einem bloßen
Sinnbild macht, sondern bloß die Art des Mahles modifizierend es näher bestimmt als
eines von Seelen, und die Speise als Seelenspeise. Wir wollen nicht fragen, wozu
denn in demselben Sterbegebet neben den Seelen auch die Körper der Verstorbenen
zum Mahle gewünscht werden, wenn es gar kein Mahl für sie gibt; denn so fragen
hieße selbst das Unnützeste treiben und spekulieren. Aber wenn das Seligenmahl nur
Symbol sein soll, als was sollen dann die anderen völlig gleichartigen Vorstellungen
gelten? die leuchtenden Gewänder, das himmlische Paradies, die Blumen und ihr Duft,
der Lichtpalast, schließlich die Herrlichkeit des Herrn selbst und das Schauen des
Herrn. Sind das nicht alles ebenso sinnliche Bilder wie das Seligenmahl? Nimmt
man sie nun wie das letztere als bloße Symbole, was bleibt dann von der ganzen
Seligkeit noch übrig, die doch die Märtyrer nicht allein um den teuren Preis ihres
Lebens, sondern auch bei den unsäglichsten Schmerzen lächelnd erkauften? Das Prinzip
dieser Art Symbolik einmal aufgestellt, führt noch viel weiter. Wenn alles, was den
Himmel begehrenswert macht, nur Symbol ist, so kann der Gegensatz, das höllische
Feuer, auch nicht mehr realistisch verstanden werden, usf. Agathonike sicher würde
all dergleichen Verflüchtigungen ihrer Phantasievorstellungen weit von sich weisen,
war sie doch, wie alle Märtyrer, sogar davon überzeugt, im Feuer des Scheiterhaufens
mit dem Satan körperlich zu ringen; wird Wilpert ihr auch dies Bewußtsein abstreiten
wollen? Man darf nie die Kluft übersehen, welche immer zwischen dem Volksglauben
und der theologischen Spekulation besteht. Wir meinen, der ganze Komplex der
transzendenten Vorstellungen konnte nur bei einem Rückfall der Menschheit in die
primitiv naive Gemütsverfassung entstehen, oder bei einem Beharren eines großen
Teiles in derselben, nämlich in einem solchen Geisteszustand, der die kritische Frage
gar nicht aufkommen läßt. Und in solcher Verfassung befanden sich die Kreise, aus
denen die christlichen Jenseitsbilder hervorgingen.1)
l) Agathonike: Harnack, Texte u. Untersuchungen III 1888 435 Acta Carpi, Papyli et
Agathonices (Text mit Kommentar und Einleitung); ders., Altchristi. Lit. II i 1897 362. Barden-
^"
Das Mahl der Seligen.
w <\
Die in den Katakomben vorfindlichen
Mahlbilder verteilt Wilpert, ihre Erklärung
vorwegnehmend, in drei verschiedene Kapitel
seiner systematischen Darstellung des Inhalts
der Malereien. Wir unsererseits vermögen
nicht mit eben solcher Zuversicht vorzugehen,
wir ziehen vor, die sämtlichen Mahlbilder,
nach Typen gruppiert, zusammenzunehmen
und abzuwarten, was ihre Interpretation er-
gibt; dabei sind wir, hier wie in aller
Forschung, auf die Möglichkeit gefaßt, daß
beim augenblicklichen Stande der Wissen-
schaft eine sichere Entscheidung, sei es für
alle oder für einige Bilder, noch nicht mög-
lich ist. Wir meinen, es spreche hier ein
Unterschied im Prinzip mit. Der katholischen
Wissenschaft ist es natürlich, dogmatisch
vorzutragen, während die dem protestantischen
Geiste artverwandte voraussetzungslose For-
schung lieber Probleme diskutiert. Aller-
dings gibt es Ausnahmen hüben und drüben;
es gibt protestantische Gelehrte und wirkliche
Forscher, die dogmatisch vortragen, als wären
sie die heilige Kirche selbst, und es gibt
katholische Gelehrte, die sich so entschieden
auf den Weg des wissenschaftlichen Lebens
begeben haben, daß es ihnen Bedürfnis
geworden ist, ihre Leser zum Selbstdenken
anzuregen. Eben diese Aufgabe aber muß
sich vollends ein Buch stellen, das wie das
unsere nur der Einführung dienen will.1)
Wer die Mahlbilder in den Katakomben
betrachtet, dem wird sich eine Wahrnehmung
sofort aufdrängen: sie erscheinen nicht bloß
an bevorzugten Stellen der Grüfte, wo das
hewer, Patrologie 1901, 201. — Jacobus: Passio
S. S. Mariani, Jacobi etc. ed Franchi, in Studi e testi
n. 3 1900. Harnack, Altchr. Lit. II II 1904, 470. -
Wilpert, Malereien 470, wo weitere Belege zum
christlichen Seligenmahl sich finden.
*) Wilpert, Malereien S. 282, 15. Kap.,
Darstellungen der Eucharistie; 470 § 118 Das
himmlische Mahl; 506, 23. Kap., Totenmahle. Vgl.
K. M. Kaufmann, Forschungen I 1900, 107 Mahl
der Vibia, 194 Darstellungen des himmlischen Gast-
mahls; anderes bei Leclercq in Cabrol, Dictionnaire
I 1903, 836 ff.
Die christlichen Mahle. 199
Bild dem Verstorbenen ganz unmittelbar und in irgend einer Art Bedeutsamkeit
gelten muß, sondern obendrein im Zusammenhang mit jenen dekorativen, in ver-
schiedener Weise das himmlische Paradies andeutenden Malereien von Weinlauben,
laubenähnlichen Plafonds, Blumenranken und -ge winden, Kosen und Vögelchen.
Damit sind wir der Hypothese schon halb gewonnen, daß die Mahlbilder Seligen-
mahle darstellen. So eminent antike Vorstellungen wie das „Gelage der Heiligen"
brauchen in der Frühzeit des hellenistischen Christentums ohnehin nicht zu be-
fremden.
Das älteste Mahl der Art besitzt die sog. Galerie der Flavier; sie wird noch
in das erste Jahrhundert gesetzt. Die Deckenmalerei der Galerie bereitet auf das
Gemälde vor und bezeichnet die ideale Sphäre, in die es gehört, das himmlische
Paradies: zuerst die aus Akanthusblättern herauswachsenden und sich weit ver-
zweigenden Reben, mit Vögeln und weinlesenden Eroten darin; sodann ein zentrierter
Plafond mit Krummstab und Tänie führenden Putten im Scheitel und in den
Zwickeln; die Kappenfelder enthielten anscheinend idyllische Bildchen. Im Fond des
Raumes ist das Mahl als Hauptbild gemalt, der Eintretende und Vorschreitende hat
es immerfort vor Augen, seine zentrale Stellung verbürgt seine zentrale Bedeutung.
Leider sehr beschädigt stellt es ein Mahl zweier Personen dar, bartloser Männer im
Chiton; sie sitzen auf jener Art Kanapee, wie sie in der Kaiserzeit Mode war und
mit dem Dreibeintischchen davor gerade auf Grabsteinen sich öfter findet. Der besser
erhaltene der beiden wendet sich im Gespräch zu seinem Genossen. Vor ihnen steht
ein Dreibein mit den Speisen, einem Fisch und drei Brötchen. Von rechts tritt ein
Auf wärter heran, im ärmellosen ungegürteten Chiton, er bringt das Getränk zum
Mahle, in der Linken trägt er die Kanne, in der Rechten den Becher.1)
Unser Mahl kann weder die Speisung der Tausende, noch Jesus' letztes Mahl
oder sonst eines der in den Evangelien erzählten Mahle sein, noch auch das liturgische
Abendmahl. Das allgemeine Schema ist das des häuslichen Mahles, das nun aber in
die paradiesische Umgebung über dem Grabe verpflanzt in der Tat ein Seligenmahl
zu meinen scheint. Christliche Besonderheit in dem gemein-antiken Mahlschema ist
nur die Auswahl der Speisen, welche als eine und dieselbe in allen Mahlbildern der
Katakomben wiederkehrt. Es ist Brot und Fisch. Warum gerade diese? Das
Brot galt im ganzen Altertum als das wesentliche Nahrungsmittel, alles übrige galt
nur als Zukost. Auch im Herrengebet wird nur das Brot genannt: unser täglich
Brot gib uns heute. Unter den mancherlei Arten der Zukost nun, Obst und Gemüse,
Fisch und Fleisch, nimmt bei Anwohnern fischreicher Gewässer notwendig der Fisch
die Hauptstelle ein; das galt für die Anwohner des galiläischen Sees wie für die
hellenisch redenden des Mittelmeers, für welche die Evangelien geschrieben sind. Da-
her kommt es, daß in der Speisung der Tausende, das ist dem messianischen Mahl in
der Gestalt eines christlichen Mythus, eben jene übliche Volksnahrung das Material
abgibt, mit dem der Messias das Volk wunderbar sättigt. Nun aber ist das Seligen-
mahl im himmlischen Paradies lediglich eine Verschiebung des Vollendungsmahles ins
Jenseits, es ist eine Verjenseitigung des Vollendungsmahles; daher versteht man, daß
*) Flaviergalerie: de Rossi, Bull, crist. 1865, 42. Garucci, Storia II Taf. 19. Decken-
malereien: Wilpert, Malereien Taf. 1. 2. Mahl: eb. 518 zu Taf. 7, 4, an letzter Stelle aller
Mahlbilder besprochen und als Totenmahl (Leichenschmaus) erklärt. — Kanapee: oben S. 189.
200 -Das Mahl der Seligen.
es etwas von der Typik des Speisungsmythus angenommen hat; die Speisen des himm-
lischen Mahles sind eben die des messianischen, Brot und Fisch. Somit stammen die
Elemente des Seligenmahles aus zwei verschiedenen Quellen, das allgemeine Mahl-
schema stammt aus der heidnischen Religion und Kunst, die typischen Speisen, Brot
und Fisch, entstammen der christlichen Ausprägung prophetischer Ideen.
Zur Form der Brote ist noch folgendes zu bemerken. Man kennt die Ent-
wicklungsgeschichte der Brotformen. Zuerst wurde das möglichst fein geschrotete,
später gemahlene Korn mit Wasser (oder auch Milch?) angerührt und teils frisch als
Brei verzehrt, teils getrocknet in Form dünner Fladen; ein Nachlebsel dieser Urform
des Brotes läßt sich in gewissem Sinne in den gewalzten Sorten der Nudeln und
Maccaroni erblicken. Den nächsten Fortschritt brachte das Feuer. Daß Nudeln
auch im Altertum gekocht wurden, gehört nicht in die Geschichte des Backens; aber
man klatschte die frischen Fladen an einen durch rings angemachtes Feuer erhitzten Stein
und röstete sie so. Diese Stufe erhielt sich sakral, in den Matzen und Muzen. Die
Vollendung aber beruhte auf der Entdeckung der Kraft des Sauerteigs; die Gestalt
der Brote angehend, ermöglichte sie dieselben voluminöser zu formen, als Laib. Um
das Brot leichter brechen und verteilen zu können, versah man die runden Laibe mit
diagonalen Kerbeinschnitten; kleinere Brötchen erhielten zwei Kerben ins Kreuz, wie
noch heute unsere Kreuzwecken (Rosenbrötchen), größere Brote bekamen eine ent-
sprechend größere Anzahl radialer Einschnitte. Noch bequemer zum Brechen war die
Kranzform, auch sie mit radialen Kerben. Die Brote in den christlichen Mahlbildern
sind eher klein, rund, und zeigen den Kreuzschnitt; aus dem Vorgesagten ergibt sich,
daß dieser Kreuzschnitt altheidnischer Handwerksbrauch war und praktischem Zweck
diente; von Haus aus ist dabei nicht an das Kreuz des Christus gedacht, sekundär
aber wurde diese Beziehung allerdings hineingelegt. — Eben diese Brötchen dienten
auch beim liturgischen Abendmahl. Wegen des Brötchens ist unser Mahlbild aber
noch nicht als Darstellung der Eucharistie zu verstehen; der Fisch neben dem Brot
wäre dann Tautologie, da jedes von beiden den Leib, nach Ev. Joh. Kap. 6 (eventuell
nach seinem Interpolator) das im Abendmahl gegessene Fleisch des Christus bedeuten
müßte. Andererseits weist gerade die Verbindung von Brot und Fisch auf das
Vollendungsmahl, sei es das diesseitige messianische oder, was wir hier annehmen, das
jenseitige im himmlischen Paradies.1)
Ob es in den Katakomben noch andere Mahlbilder mit sitzenden Teilnehmern
gibt oder gegeben hat, müssen wir dahingestellt sein lassen; alle bei Wilpert ver-
öffentlichten mit einer Mehrzahl von Gästen zeigen dieselben gelagert und zwar um
die im Halbkreis gekrümmte große Polsterrolle, das Sigma. In den ältesten und
wohl auch meisten Exemplaren liegt die Rolle am Boden, in anderen scheint sie auf
halbkreisförmiger Pritsche zu liegen, wo dann die Schüsseln mit den Speisen nicht auf
dem Boden, sondern auf einem Dreibein stehen; ab und zu bleibt es auch zweifelhaft,
wie die Anordnung gemeint ist. Diese Undeutlichkeit der Darstellung hat ihren
Grund in dem handwerksmäßigen und flotten Malverfahren, in dem die Katakomben-
malereien hergestellt sind. Der handwerksmäßige Betrieb brachte es mit sich, daß ein
einmal gewähltes Muster immerzu wiederholt wurde, ohne kontrollierendes Zurückgehen
auf die Wirklichkeit, immerhin nicht mittels Schablone, sondern in Freihandzeichnung,
*) Kreuzwecken: H. Blümner, Technologie I 1875, 80. Wilpert, Malereien 293, 5.
Die christlichen Mahle. 201
daher mit allerlei Nuancen im einzelnen; weil es aber mehrere Mahltypen neben-
einander gab, das Gelag am Boden und das auf der Pritsche, die beide gleich hand-
werksmäßig, gleich unbedacht wiederholt wurden, so flössen sie auch ineinander. Das
flotte Hinhauen der Bilder aber führte zu einer oft nur andeutenden, nicht durch-
gearbeiteten Darstellung, die gelegentlich mißverstanden worden ist.
Eben wegen der Flüchtigkeit und teilweisen Undeutlichkeit der christlichen
Mahlbilder schicken wir zwei ihnen typverwandte heidnische voraus, die erheblich klarer
ausgearbeitet sind. Sie befinden sich in der Gruft des Sabaziospriesters Yincentius
und seiner Gattin Vibia, beim Coemeterium Praetextati an der Via Appia; Wilpert
setzt sie in das vierte Jahrhundert n. Chr. Es ist darüber gestritten worden, ob die
in der Vincentiusgruft auftretenden bildlichen Typen heidnisch-griechischen Ursprungs
oder von den christlichen Anschauungen und Darstellungen beeinflußt seien. Wir
haben hier keinen Anlaß, die Frage zu erörtern, uns genügt festzustellen, daß beide
Bilderreihen, die in Rede stehenden heidnischen wie die christlichen, Hervorbringungen
derselben spätantiken Kunst und in religiöser Hinsicht Früchte vom Baum eben
desselben religiösen Synkretismus sind. Nur auf dem gemeinsamen religiösen Boden
war die Typengemeinschaft möglich. Wilpert zwar nennt die Vincentiusgruft, um sie
zu unterscheiden, synkretistisch; das Beiwort charakterisiert die Sabaziosreligion der
Griechen und Römer an sich zutreffend, nur gerade nicht in ihrer Eigenart gegenüber
der Christusreligion, die doch genau so synkretistisch war wie der Sabazioskult.
Vincentius also scheint die Grabkammer gelegentlich des Todes seiner Frau angelegt
zu haben, sicher aber als Familiengruft, in der er selbst dereinst zu ruhen gedachte.
Dementsprechend bestimmte er die Sujets für die Gemälde. Drei, die einen Zyklus
bilden, gelten der verstorbenen Gattin, eines ihm selbst. Er ließ sich in der Höhe
seines Daseins, als Mitglied des Kollegiums der sieben frommen Priester (Septem
pii sacerdotes) beim Opfermahl darstellen, im Ornat; deutlich ist an Vincentius und
zwei Amtsbrüdern die Barbarentracht zu erkennen, hohe Mütze und Chlamys. Die
sieben frommen Priester lagern am Boden, hinter dem Sigma, unter hängenden
Rosenketten; vorn im Halbkreis liegen acht Kreuz wecken um vier auch auf dem
Boden stehende Schüsseln aus getriebenem Silber; neben Fisch scheint es bei diesem
Diner auch Braten zu geben, Becher halten die Herren in der Hand.
Das andere Mahlbild der Vincentiusgruft befindet sich dem Eingang gegenüber
an der Fond wand, es ist das End- und Hauptbild des Vibiazyklus und zeigt die
Verstorbene in der Seligkeit. Im Rahmen einer mehrgliedrigen, aber einheitlichen
Szenerie sind zwei getrennte Momente nebeneinander zur Darstellung gebracht. Links
die Einführung der Vibia durch das Tor zum Seligenland, rechts, den größeren Teil
des Bildraumes einnehmend, das Gelage der Seligen und Vibia mitten unter den
Gästen. Was nun dies Seligenmahl von den christlichen vorteilhaft unterscheidet, das
ist die deutliche Angabe der Szenerie. Es ist ein Gelage im Grünen, auf einer Wiese
mit vielen blühenden Blumen (Xetfiüv). In das Gras ist die Sigmarolle gelegt, dahinter
lagern die Seligen, in der Mitte Vibia (zwar sind nur sechs Gäste vorhanden, gemeint
aber war eigentlich das typische Gelage von sieben Personen; die Einführungsszene
beengte den Raum auf der linken Seite derart, daß das Gelage um einen Platz ge-
kürzt werden mußte). Im Halbrund stehen zwei Schüsseln im Rasen, die eine mit
etwas wie einem hohen Kuchen, die andere mit einem Fisch. Im Vordergrund
kommt ein Aufwärter eilfertig von links her und trägt auf den vorgestreckten Händen
202 Das ^fahl der Seligen.
eine Schüssel mit Geflügel herbei; ganz rechts steht eine schlanke Spitzamphora in
einer Engytheke (incitega). In der Mitte des Vordergrundes aber knien zwei Selige
im Rasen, der links auf einem, der andere auf beiden Knien; was sie treiben, ist nicht
ganz klar, man hat an ßlumenpflücken gedacht, an ein Kosten von Früchten (das
müßten etwa Erdbeeren sein, ohne Zweifel paradiesische Früchte), oder an Knöchel-
spiel, das auch angemessen wäre als Zeitvertreib im Elysium.1)
Die nunmehr vorzuführenden christlichen Gelage am Boden finden, sofern sie
Seligenmahle sind, natürlich auch alle in den blumenreichen Auen des Paradieses statt,
wenn schon die flott arbeitenden Maler sich nicht dabei aufgehalten haben, die Einzel-
heiten der Wiese, die Gräser und Blumen, vor Augen zu bringen.
Das älteste Beispiel bietet die dem Anfang des zweiten Jahrhunderts zu-
geschriebene Cappella greca des Coem. Priscillae. Das Seligenmahl steht wieder an
der Fondwand, hier also, da es eine Doppelkammer ist, an der Fondwand der zweiten,
inneren Kammer, über der Koncha mit dem Hauptgrab (es ist nötig zu bemerken,
daß es für die Erklärung der Malerei nichts austrägt, ob das Grab ein Boden-, Wand-
oder Sarggrab war). Die Decke überziehen Weinreben, zwischen denen in den Ecken
Selige stehen. Das Mahl also ist ein Gelag im Grünen. Das Sigmapolster liegt am
Boden in weitoffenem Halbkreis; davor stehen ein Becher und zwei Schüsseln, die
eine mit zwei Fischen, die andere mit fünf Broten. Sieben Personen sind beteiligt
(die Männer, soweit kenntlich, im Chiton), sechs um den Halbkreis der Polsterrolle
gelagert, so daß nur die Oberfiguren hervorschauen; unter ihnen, zur Linken der
Mittelperson, befindet sich eine Frau in reichem Kopfputz, es ist wie eine Haube mit
zwei lang herabfallenden Bändern. Der bärtige Siebente, auch er im Chiton, aber den
Mantel um die Beine geschlagen, sitzt links, es ist nicht ganz klar, ob auf dem Ende
der Rolle oder auf einem darangeschobenen Sitz; er hält mit vorgestreckten Händen
einen nicht mehr recht deutlichen Gegenstand, vielleicht eine kleinere Schüssel oder
ein größeres Brot. Endlich stehen zu beiden Seiten des Gelags, immer auf demselben
Niveau, linker Hand vier, rechts drei volle Brotkörbe gereiht; sie haben die hohe
Form des Kalathos, das ist des antiken Handarbeitskorbes.
Diese sieben Brotkörbe gehören nicht eigentlich zum Mahl; es wäre zuviel
Brot, für jeden Gast ein moderner Papierkorb voll. Die gereihten Brotkörbe, das
sieht jeder sofort, stammen aus der Speisung der Tausende. Hätte diese selbst dar-
gestellt werden sollen (die Frage darf aufgeworfen werden, denn auch die Tausende
lagerten sich im Grase und erhielten Brot und Fisch), so wären die Körbe voll
Brocken nicht unpassend dazu gestellt worden. Aber die Teilnehmer unseres Gelages
liegen an einem Sigma, ein Zug, der dem Speisungsmythus fremd ist. Es bleibt als
einzige Möglichkeit übrig, daß die Vorstellung von der mythischen Speisung mit der
anderen des himmlischen Mahles zusammengeflossen ist; wie wir sagten, daß die Idee
der Erfüllung infolge der Kreuzigung in das Reich des Jenseitigen hinübersprang,
womit denn für die in die Seligkeit Eingegangenen das Gastmahl des himmlischen
Bräutigams zu ihrem Erfüllungsmahl wurde.
Wilpert nimmt an, der links Sitzende halte ein Brot in der Hand und
') Vincentiusgruft: Garrucci, Storia VI 171 Tal 493. Danach Maaß, Orpheus 1895,
209 Abb. und unsere Wiedergabe oben S. 190. Vgl. Kaufmann, Jenseitsdenkm. 1900, 207.
Wilpert, Malereien 144. 392. 506. Taf. 132. 133, 1.
Die christlichen Mahle. 203
breche es; es sei der Bischof, der bei der eucharistischen Feier das konsekrierte Brot
breche, um es den Gläubigen in der Kommunion zusammen mit dem konsekrierten
Wein (der Becher steht zur Hand) zu reichen; kurz wir hätten ein liturgisches Ge-
mälde vor uns. Die Darstellung sei jedoch nicht ausschließlich realistisch, der Künstler
habe zur näheren Erklärung seines Gegenstandes das eucharistische Vorbild der
Speisung der Menge benutzt, indem er neben den liturgischen Kelch die Teller mit
den zwei Fischen und fünf Broten und zu äußerst die sieben vollen Körbe malte; die
Gläubigen habe er durch die zur Speisung gelagerte Menge (die fünf Männer und die
Frau) angedeutet. Das Ungewöhnliche, daß der Bischof das Brot sitzend breche,
glaubt Wilpert mit künstlerischen Rücksichten rechtfertigen zu dürfen.
Der ganzen Deutung auf eine liturgische Handlung wird der Boden entzogen
schon durch die Tatsache, daß ein Gelage im Grünen vorliegt. Und daß der Sitzende
das liturgische Brotbrechen (xlaoig aqxov, fractio panis) vollziehe, erscheint aus-
geschlossen durch das steife Vorstrecken der Arme; wer Brot brechen will, krümmt
die Arme und hält das Brot nahe vor die Brust. Die vorgestreckten Arme erinnern
etwas an Aufwärter wie im Seligenmahle der Vibia, nur daß solche die Hände mit
der Schüssel etwas höher heben. Unser Sitzender kann indessen einen Aufwärter
nicht wohl darstellen, weil es nicht angeht, sitzend und mit um die Beine ge-
schlagenem Mantel zu servieren. An den Hörnern des Sigma sitzende Personen
werden wir noch in anderen Mahlbildern finden; auch sie sind Selige. Als möglich
geben wir zu, daß der christliche Beschauer durch das auf den Speisungsmythus auf-
gebaute Seligenmahl an den kirchlichen Typus des Vollendungsmahles, zugleich das
Mittel zum Hiramelsmahl, an die Eucharistie, sich erinnert fühlte.
Die Frau im Gelage erinnert notwendig an die analogen Erscheinungen in
etruskischen Gruftgemälden, wo Mann und Frau die Kline teilen; das christliche
Mahlbild geht gewissermaßen noch weiter, indem es die Frau in das Gelag der
Männer einreiht. Das erklärt sich aus der idealen Bedeutung des Vorgangs; der
Schauplatz ist im Himmel, wo man nicht freit und nicht gefreit wird.1)
Kurz fassen können wir uns über die in den sog. Sakramentskapellen des
Coem. Callisti erhaltenen vier Mahlbilder. Die Kammern stammen aus dem späteren
zweiten Jahrhundert, die jüngere Serie aus dessen Ende. Es handelt sich überall um
Gelage im Grünen und Seligenmahle. Zwar sieht Wilpert das Speisungswunder
dargestellt als Bild der Kommunion; demgegenüber können wir uns auf früher
Bemerktes beziehen: die Vorstellung vom Speisungswunder liegt wohl im Hintergrund,
vielleicht klingt auch die Eucharistie mit an, aber der eigentliche Gegenstand des
Bildes ist das Mahl der Seligen im Himmel.
Die Wände dieser Kammern wurden gleich bei ihrer ersten Anlage zur Auf-
nahme mehrerer Fachgräber übereinander bestimmt, daher mußte sich die Wand-
malerei in der Hauptsache auf die friesartigen Streifen zwischen den Fachgräbern
beschränken» Aus dieser gräberreichen Anlage folgt noch das AVeitere, daß hier die
Fondwand nicht so wie sonst als Hauptwand betont ist, wir finden das Hauptbild, das
Mahl, nicht bloß an der Fondwand, sondern in einigen Kammern auch an einer
*) Wilpert, Fractio panis, die älteste Darstellung des eucharistischen Opfers in der Cappella
greca 1895 Taf. 3. 13; ders., Malereien 286 Taf. 15, 1. de Waal, Rom. Quartalschr. 1895, 527.
Liell, Fractio panis oder cena coelistis? Kritik der fractio panis von Wilpert, Trier 1903. Leclercq
bei Cabrol, Dictionn. I 1903, 707 Fig. 172.
204 Das Mahl der Seligen.
Nebenwand, doch immer an zentraler Stelle. Es ist nämlich zu bemerken, daß, soweit
die Malereien sich erhielten, sie im ganzen die gleiche Auswahl von Typen zeigen,
nur sind diese in den verschiedenen Kammern verschieden verteilt, wie es scheint
nach Laune des Malers.
Im einzelnen bleibt wenig hinzuzufügen. Das Mahl in der Gruft A2 ist besonders
flüchtig gemalt, auch in engerem Rahmen knapper gehalten. Die Figuren sind nur
im Gesamtschema angegeben, ohne Differenzierung von Körper und Bekleidung; daher
das Mißverständnis, die Gäste seien nackte Fischer, und es sei das Mahl der sieben
Jünger am See Tiberias dargestellt (nach Job. 21). Die Siebenzahl der Gäste ist
doch nur die typische. Auch das Fehlen der Brotkörbe hat nichts zu bedeuten;
könnte es in irgend einer Richtung beweisen, so spräche es für das simple Seligen-
mahl. — Das Mahl in A8 steht an zentraler Stelle der Fond wand, umgeben von
Seligen. Die sieben Gäste tragen den kurzärmeligen Leibrock; der mittelste langt über
die Rolle hinweg nach der himmlischen Speise; zwei Schüsseln stehen im Halbrund,
jede mit Fisch. Acht Brotkörbe sind aufgestellt, links und rechts je vier, aber mehr
zusammen und vor das Gelage gerückt (vgl. unsere Abbildung auf Seite 198). —
Sodann die zwei Bilder aus der jüngeren Serie. Das Mahl in A5 läßt die Kleidung
der sieben Gäste kaum erkennen; der Körbe sind es sieben. Das in A6 ist besser
ausgeführt; die sieben Gäste sind bekleidet, mehrere tragen deutlich den Mantel.
Zwei Schüsseln scheinen Fische, eine dritte mittlere Brot enthalten zu haben. Hier
waren es zwölf Körbe.1)
Die meisten Mahlbilder finden sich im Coemeterium Petri et Marcellini; aus
dem dritten und vierten Jahrhundert stammend zeigen sie manches Eigentümliche.
Die Brotkörbe aus dem Speisungswunder fehlen, weshalb auch Wilpert diese Bilder,
von gewissen Ausnahmen abgesehen, als Darstellungen des himmlischen Mahles aner-
kennt. Die Art des Gelages schwankt, und es bleibt mehrfach unklar, ob das Sigma
auf dem Boden oder auf hemicyklischer Pritsche liegt; es kommt vor, daß die Dar-
stellung widerspruchsvoll ist, wie in dem ältesten dieser Bilder, der sog. Hochzeit zu
Kana. Da liegt die grün gestreifte Rolle deutlich an der Erde; trotzdem steht die
Schüssel nicht auf dem Boden, sondern auf einem Dreibein, wie im Seligenmahl der
Flaviergalerie mit den zwei auf dem Kanapee sitzenden Männern. Typologisch betrachtet
stellt sich das Bild als ein Seligenmahl dar, mit sieben Gästen und dem vorn links
stehenden Pagen in langem Haar und umgegürteter Tunika, eine Schüssel auf den
Händen. Den Boden aber bedeckt diesmal grünes Laub; da die Blätter nicht aufrecht,
sondern wagrecht gemalt sind, so erkennt Wilpert, anscheinend richtig, gestreutes
Laub; das wäre also ein rechtes Stibadium, wie es Herodes Atticus den Athenern bot,
und das ebenso wie dieses im Freien gestreut sein könnte; ob aber auch im Paradiese?
Dem Gelage nun hat der Maler einen zweiten Typus hinzugefügt, vorn rechts, das
Weinwunder (das hier noch nicht zu besprechen ist). Die Frage ist nun, ob unser
Maler die zwei Typen zusammengeschoben hat, wie die Maler der Sakramentskapellen das
Seligenmahl und die Brotkörbe aus dem Speisungswunder, lediglich geleitet durch die
zwischen beiden Typen bestehenden gedanklichen Beziehungen; oder ob er durch die
*) Kallist A2: Wilpert, Malereien 290 Taf. 27. 2. — A3: eb. 289 Taf. 41, 3. — A6: eb. 292
Taf. 41, 4. — A6: eb. 291 Taf. 15, 2.
Die christlichen Mahle. 205
Kombination der zwei Typen wirklich die johanneische Hochzeit zu Kana hat zur
Darstellung bringen wollen.1)
Vorweg genommen sei die Dekorationsmalerei in der Kammer der Quintia, des
späteren dritten Jahrhunderts. Beiderseits des obersten Fachgrabes in der Hinterwand
steht je eine Orante; über ihren Köpfen liest man Buchstaben, links . . IN, rechts
TIA, zusammen gelesen gibt das CJINTTA (soviel wie Quintia). Oberhalb des Grabes
aber, an der bedeutenden Stelle, sieht man eine Frau am Boden gelagert, den Ell-
bogen anscheinend auf ein Kissen gestützt, die Rechte hebt einen Becher. Die Buch-
staben KEN beim Becher haben jetzt keine sichtbare Fortsetzung; es war wohl auch der
Name der Verstorbenen auf griechisch wiederholt KENt/« (für KOINTIA). Beiderseits
der Tür steht je ein Tafeldiener, von denen der rechts eine Kanne, der andere einen
Becher hält. Die gelagerte Quintia ist ihrer Seligkeit ebenso froh wie die zweimalige
adorierende. Auch die zwei Aufwärter, nicht unpassend neben der Tür gemalt, weisen
auf das himmlische Gelage; doch wie sie gemalt sind, in Vorderansicht und, wenigstens
der mit dem Becher, die Linke spreizend, nehmen sie Züge der Oranten an: es sieht
fast so aus, als hätte der Maler zuerst links von der Tür nur einen Oranten gemalt
und wäre erst während der Arbeit auf das Pagenmotiv gekommen.2)
Dem dritten Jahrhundert gehören noch zwei Bilder an. Das eine, aus Kammer
VI, zeigt ein Ehepaar beim Gelage. Das Dreibein steht vor dem Sigmapolster; es
bleibt unklar, ob die Rolle auf dem Boden liegend gedacht ist wie in der „Hochzeit
zu Kana" oder auf einer Pritsche. Ein Aufwärter, die Serviette (mappa) über die
Linke gehängt, reicht dem Manne einen Becher (bei Wilpert nicht als Becher zu er-
kennen); bei der Dame steht eine Dienerin, die Mappa über die Schulter geworfen.
Sie legt die Hand an das Polster; die Hebung der Hand hierbei spräche für ein er-
höhtes Lager, es wäre denn, daß das Mädchen die Hand nicht wirklich an das Polster
legte, sondern nur frei vorstreckte. Das Bild ist in mancher Beziehung ein Vor-
läufer der späteren Seligenmahle dieser Katakombe; aber es hat links neben sich ein
Nachbarbild, wohlverstanden in besonderem Rahmen und auf etwas verschiedenem
Niveau. In dessen erhaltenen Figuren erkennt Wilpert die Dame der Mahlszene
wieder, mit ihrem Mädchen, das diesmal einen Sack über die Schulter geworfen habe,
für die Gemüse, welche die Herrin eben einzukaufen im Begriffe stehe; deshalb müsse
auch das Mahlbild daneben eine Szene aus dem Leben wiedergeben, nämlich einen
Leichenschmaus, zu dem jene Gemüse dienen sollten. Leider ist vom „ Waarenkorb "
nur ein kleiner Rest erhalten, der eigentlich nicht nach Korbgeflecht aussieht, und
von der postulierten Verkäuferin gar nichts mehr, so daß ein sicheres Urteil nicht
gefällt werden kann. Eine Szene aus dem Gewerbeleben mag vorliegen; das würde
aber nicht ausreichen, um ein Seligenmahl im Nachbarbild auszuschließen.3)
Das Mahlbild in Gruft VII ist sehr verblichen. Man erkennt sechs Gäste hinter
dem Sigmapolster gelagert. Sich umwendend, streckt der erste die Rechte nach dem
Becher, welchen der (bis auf eine Spur seiner Hand mit dem Becher verschwundene)
x) Kana: Wilpert, Malereien 302 Taf. 57. — Page (delicatus): Marquardt-Mau, Köm. Privat-
altertümer I 158. Wilpert, Malereien 302. 507.
2) Wilpert, Malereien 477 Taf. 107, 1. 3.
3) Kammer VI: Wilpert, Malereien 506 Taf. 62, 2. In der Herstellung auf Seite 508 hätte
die gesonderte Umrahmung der, wie im Text Seite 507 richtig angegeben ist, auf verschiedenem
Niveau stehenden Nachbarbilder wiedergegeben und im Bilde links wie sonst die Grenze der Er-
gänzung eingetragen werden sollen.
206 Das Mahl der Seligen.
Aufwärter ihm reicht; der dritte und sechste scheinen die Becher zum Munde zu
führen, der fünfte streckt die gespreizte Hand aus (es ist die Gebärde des Orans,
wirkt aber in diesem Zusammenhang und mit der Kopfwendung ganz anders). Im
Halbrund des Sigma stehen ausnahmsweise drei Tischchen. Das wäre soweit ein Seligen-
mahl wie irgend eins. Unmittelbar daneben aber, ohne irgend eine Trennungslinie,
ist eine Felswand gemalt mit einem daran hauenden Fossor; es folgt noch kaum der
Schatten eines anscheinend gebückten, wie vermutet wird, die Felstrümmer auflesenden
Mannes. Wilpert glaubt mit dieser Fossorengruppe den Ort des Gelages angedeutet,
es finde in der Gruft statt „oder vielmehr" über der Katakombe, nämlich in einer
oberirdischen Cella; auch dieses Gelage sei ein „Totenmahl". Solche Mahle, abgehalten
von den Hinterbliebenen zu Ehren des Verstorbenen, teils als Leichenschmäuse bei
der Beerdigung, teils wiederkehrend am Todestag, waren antiker Brauch, heidnischer
und christlicher; die Frage ist nur, ob irgendwas in dem vorliegenden Gemälde uns
zwingt, es so zu verstehen. Wenn der Leichenschmaus über der Erde abgehalten
wurde, dann kann das Festlokal nicht durch eine Gruppe unter der Erde arbeitender
Fossoren angedeutet sein. Es bleibt also beim Seligenmahl.1)
Die übrigen Mahlbilder des Cömeteriums gehören dem vierten Jahrhundert an.
Eines, das letzte dieser problematischen, befindet sich schlecht erhalten über dem
Arkosol neben Kammer X; schon diese Anordnung, läßt ein Seligenmahl vermuten.
Abweichend von allen übrigen christlichen Mahlbildern scheint hier ein länglicher
Tisch aufgestellt; zwei Böcke tragen eine geometrisch in Aufsicht gezeichnete und wie
mit Intarsien verzierte Platte. Dahinter sitzen oder liegen drei Personen; der Bärtige
rechts spricht zu einer dort herankommenden Person. „Der an der linken Ecke sitzende
Gast hält in der Rechten ein Glas und bietet es einem mit Schuhen und der Discincta
bekleideten Manne an, der die Rechte nach dem Becher ausstreckt und sich dabei
mit der Linken auf einen Stab stützt. Der Stab legt nahe, daß der Künstler in diesem
Manne einen Armen, der um Almosen bittet und von den Mahlgenossen mit Wein
erfrischt wird, vorführen wollte. Dadurch ist zugleich auch gesagt, daß die Szene
ein Totenmahl vergegenwärtigt; denn ein Armer ist mit dem paradiesischen Mahl
unvereinbar." So Wilpert. Den armen Lazarus will er natürlich nicht vom para-
diesischen Mahl ausschließen; denn sobald der im Paradiese war, hörte er auf, arm zu
sein. Nach dem üblichen Kompositionsschema der Mahlbilder würde man an dieser
Stelle eher den Aufwärter erwarten. Die Frage wäre also, ob der Stab in der Hand
des Mannes auf einen Bettler zu schließen zwingt; oder ob es ein Pilger zum Himmel
sein könne bei seinem Eintritt (dessen Wanderstab wäre schließlich kaum naiver als
die Leiter, auf der in anderen Bildern Selige in den Himmel steigen, obschon das
Steigen der altchristlichen Kosmographie allerdings angemessener ist als das Wandern);
oder endlich, ob ein Stab in der Hand eines Tafeldieners, etwa des Trikliniarchen, so
ganz undenkbar wäre. Nun, in dem Hause am Südrand des Palatin, etwa aus der Zeit
der Antonine, sind die Wände des Trikliniums mit Säulenarchitekturen bemalt; vor
den Säulen bewegen sich als passende Staffage lebensgroße Dienergestalten in unge-
gürteten Tuniken, der Tür zunächst und ihr zueilend der Trikliniarch, mit der Rechten
die Gäste zum Eintreten einladend, einen Stab in der Linken.2)
*) Kammer VII: Wilpert, Malereien 515 Tai 65, 3.
2) Wilpert, Malereien 516 Tai 167. — Palatin: Petersen, Köm. Mitt. 1892, 194; Hülsen eb.
1893, 289 ff. mit Abb. Marcbetti, Notizie scavi 1892, 44.
Die christlichen Mahle. 207
Endlich die vier anerkannten „himmlischen Mahle". Immerhin anknüpfend an
die Traditionen unseres Cömeteriums sind sie doch durch besondere Kennzeichen so
miteinander verbunden, daß mit Recht auf ihre Herstellung durch ein und dieselbe
Künstlerfamilie des vierten Jahrhunderts geschlossen wird. Gemeinsam sind den vier
Bildern Beischriften zum Gelage, Zurufe an zwei Personifikationen, Eirene und Agape,
Zurufe, wie sie sonst an Aufwärter gerichtet wurden, nämlich, heißes Wasser zu bringen,
und, den Wein mit Wasser zu mischen. Ungemischt trank man den Wein nur in
bestimmten Fällen, für gewöhnlich mischte man ihn mit Wasser, auch bei eigentlichen
Trinkgelagen. Das Wasser nahm man nach Belieben kalt oder heiß; aber nicht bloß
warm, das hätte ein schales Getränk gegeben, sondern kochendheiß (calidam). Daher
die Zurufe an die Aufwärter. In der pompejanischen Darstellung einer Kneipe heißt
es „Gib etwas kaltes (Wasser)" Da fr(ig)idam pusillum, und in unseren Bildern „Gib
heißes" Porge caldam, Da caldam, daneben der andere Ruf „Mische mir" Misce mi.
Diese Zurufe nun werden hier nicht an die sonst üblichen Aufwärter gerichtet, sondern
an jene Personifikationen des christlichen Friedens und der christlichen Liebe, Eirene
und Agape. Das himmlische Gelage ist christlich ein Bild der Seligkeit; deren Genuß,
verbildlicht im Becher, als Gabe des „Friedens" anzusehen, war ein natürlicher Ge-
danke in den Kreisen, welche die Ruhe im Frieden, den Frieden in Gott, im Christus,
den Verstorbenen zu wünschen pflegten. Den Sinn der Agape präzis zu formulieren,
ist bei der Mehrdeutigkeit des Wortes für uns schwieriger; man darf sogar fragen,
ob der Maler selbst ihren Begriff so scharf gedacht habe, wie den der Eirene. Grab-
schriften des vierten Jahrhunderts enthalten das Wort in ihren Wunschformeln; dabei
dachte de Rossi an die Liebe der Hinterbliebenen, Wilpert denkt an die Agape als
Liebesmahl und überträgt die Bezeichnung direkt auf das himmlische Mahl. Was
auch die richtige Erklärung sei, das christliche Gefühl empfindet mit dem Maler und
findet die Agape neben der Eirene ganz am Platze. An der Siebenzahl der Gäste
wird nicht mehr streng festgehalten, wohl aber an der symmetrischen Anordnung des
Gelages; es zeigt wechselnd drei, fünf und auch sieben Gelagerte. Die vier Mahl-
bilder stehen jedes an der Rückwand eines Nischengrabes, unmittelbar über dem
Grabtrog.1)
Das erste befindet sich neben der Kammer XL Drei Männer lagern hinter
dem Sigma. Links steht „Irene da calda", rechts „Agape misce mi". Vorn an den
Hörnern des Sigma sitzen zwei Frauen (es bleibt unklar worauf) einander zugewandt.
Im Halbkreis steht die schlanke Amphora, der Dreifuß mit der Fischplatte, und ein
Knabe, der einen Becher hebt.
Das zweite Exemplar steht in der Lünette des Arkosols an der Fond wand der
„Kammer des Triklinarchen " . Es sind fünf gelagerte Gäste, der mittelste trinkt, dann
folgt auf jeder Seite von ihm ein Knabe und ein über die Rolle sich vorbeugender
Mann. Links lesen wir „Agape misce nobis", rechts „Irene porge calda". Am
*) De Rossi, Bull, crist. 1882 mit Tafeln. Wilpert, Malereien 470 Das himmlische Mahl.
Eirene und Agape: eb. 471 f. Calda: Marquardt-Mau, Rom. Privataltertümer II 3321 Mau in
Pauly-Wissowas Realencykl. III 1346; der Selbstkocher eb. II 2594 unter Authepsa. Athenaeus III
p. 124 f. und folg. Da fridam: C. J. L. IV n. 1291. Ferner Hülsen, Rom. Mitt. 1890, 287. 293.
Gatti, Bull, archeol. comunale, Roma 1891, 164. Verteilt man caldam passive iis qui ad tetra-
stylum epulati fuerint, so klingt das wie ein milder Ausdruck für eine auf die epulatio folgende
commissatio.
208 Das Mahl der Seligen.
linken Hörn des Sigma steht eine Frau mit Becher, am rechten eine mit Kanne,
beide einander zugewandt. Die Fischplatte ist nur zum Teil erhalten, der Dreifuß
darunter zerstört.
Das dritte Seligenmahl, im Arkosol der „Kammer der Gaudentia" hat ebenfalls
fünf gelagerte Gäste, darunter eine Frau. Die Zurufe lauten „Agape da calda" und
„Irene misce". Im Halbkreis steht der Dreifuß mit der Fischplatte, ein Aufwärter
mit Schüssel und wieder eine Frau mit Becher.
Das vierte Mahl, im Arkosol gegenüber der letztgenannten Kammer, hat drei
gelagerte Gäste, eine Frau zwischen zwei Männern; der Mann links hält in der einen
Hand den Becher und hebt die Rechte. Vorn standen wieder die zwei Frauen, die
links ist fast ganz zerstört, die rechts hält einen Becher hoch, wie in bacchischer Be-
geisterung; beide tragen die Haarkrone der Frauen im sog. Totenmahl der Kammer VI.
Dazu kommt noch ein fünftes, leider nur in geringen Resten erhaltenes Seligen-
mahl, auch an der Rückwand einer Grabnische. Es enthielt sieben gelagerte Gäste;
dafür fehlten die stehenden oder sitzenden Figuren vorn an den Hörnern des Sigma,
nur der becherhebende Knabe des ersten Bildes scheint hier an gleicher Stelle, rechts
vom Dreibein, wiederholt zu sein.
Problematisch sind die Frauen an den Hörnern der Sigmarollen. Sind sie die
Personifikationen Irene und Agape? Das wäre sehr antik, es wären Göttinnen; wir
besitzen die schöne Statue der Eirene, wie Kephisodot sie zu Athen einst schuf. Und
Agape würde zu den vielen Göttinnen der Art nur noch eine mehr sein. Aber
dürfen wir ohne zwingenden Grund den Christen solche Schöpfungen zuschreiben?
Die bildliche Darstellung geht doch über die Personifikation im bloßen Worte erheb-
lich hinaus. Gerade das erste Bild scheint die Frauen lediglich als Gäste zu geben;
auf besonderen Sesseln sitzen sie (als Irene und Agape wären sie so, im Himmel
thronend, wirklich Göttinnen) an den Enden des Sigma, wie z. B. auf den griechischen
Heroenmahlreliefs am Fußende des Ruhebettes die Gattin des Heros sitzt; zum Be-
dienen aber ist ein Knabe da. Nachher allerdings scheinen die Zurufe des ersten
Bildes auf die zwei Frauen bezogen worden zu sein; denn im zweiten stehen sie, und
der einen ist eine Weinkanne in die Hand gegeben, das Attribut, welches in der
antiken Kunst sonst den einschenkenden Knaben und Mädchen eignet.1)
Die Gruft mit dem zweiten Bild wird „Kammer des Trikliniarchen" genannt,
nach einer Malerei an ihrer linken Wand. Dort sitzt, dem Seligenmahl an der Fond-
wand zugewendet, ein Unbärtiger in ungegürteter Tunika und streckt die rechte
Hand nach einer Art Napf aus, der auf anscheinend zweibeinigem Tischchen steht und
gebrockte Speise enthält oder allenfalls ein Kreuzbrötchen. Daß der Mann ein Vor-
schneider sei (scissor), ist durch nichts angedeutet; ein solcher würde seines Amtes
doch wohl stehend walten. Aber auch den Tafelmeister (tricliniarcha) müssen wir
uns nach seiner Darstellung im palatinischen Hause anders denken. Uns fällt auf,
daß der Sitz und der Sitzende, mit zurückgezogenem linken Fuß und vorgestreckter
l) Erstes Bild: Wilpert 473, 1 Taf. 157, 1. Zweites: eb. 473, 2 Taf. 133, 2. Drittes:
eb. 474, 3 Taf. 184. Viertes: eb. 475, 4 Taf. 157, 2. Fünftes: eb. 303 Fig. 25 (Wilperts Er-
gänzung), Taf. 133, 3 (das Original im heutigen Zustand). Ein Aufwärter mit Schüssel noch Taf.
95, 1 aus dem früheren vierten Jahrhundert. Eine Aufwärterin oder Kneipwirtin bei Presuhn,
Pompeji 1878 Abt. V Taf. 6 ganz rechts. — Eirene des Kephisodot: v. Sybel, Weltgesch. d. Kunst2
235 Abb. — Heroenmahle: eb. 247, 3.
Die christlichen Mahle. 209
Rechten, im Schema übereinstimmt mit der sitzenden Frau links im ersten Bild. Nun
liegt folgendes vor: die zwei sitzenden Frauen des ersten Bildes ließ der Maler des
zweiten aufstehen und gab der einen den Becher des dort aufwartenden Knaben, der
anderen die dazugehörige Kanne in die Hand; das Schema der im ersten Bilde links
sitzenden aber benutzte er zu einer Neuschöpfung, eines, sagen wir homerisch an
eigenem Tischchen bedienten Unbärtigen, in dem wir doch auch einen Seligen
beneiden möchten. Die Einzelfigur einer Seligen in Gelage sahen wir noch eben
vorher; und sitzend zeigte das himmlische Mahl der Flaviergalerie seine zwei Gäste.
Nur das Tischchen und der Napf behalten in ihren Formen etwas Unbefriedigendes;
das bleibt aber bei jeder Erklärung der Szene.1)
Endlich zwei Mahlbilder des Coemeterium Maius (früher S Agnetis oder
Ostrianum genannt) aus dem vierten Jahrhundert. Das eine Seligenmahl, am Bogen
eines Arkosols der Gruft I, hat unter aufgehängten Blätterschnüren die typischen
sieben, teils weiblichen Gäste, von denen einige nach den Speisen greifen, andere den
Becher zum Munde führen. Die Speisen bestehen in drei Fischschüsseln, zwischen
denen zwei Brötchen liegen; der Publikation zu glauben läge das alles auf der Polster-
rolle. Der Gast in der Mitte hat einen Nimbus, wie auch die zwei Putten an der
Eingangswand nimbiert sind. Das andere Mahl ebenda, an der Rückwand des Arkosols
in Kammer III, nimmt den linken Flügel der dreigeteilten Lünette ein; im Mittelfeld
steht die Verstorbene als Orans, ihr Name wird Victoria gelesen; im rechten Flügel
kommen die fünf klugen Jungfrauen im Zuge heran, mit brennenden Fackeln und
kleinen Gefäßen, die sie mit der linken Hand an Bügelhenkeln tragen, den Olgefäßen.
Am Mahle nehmen nach den älteren Publikationen fünf Gäste teil; Bosio sah Männer
und Frauen in gemischter Reihe wie üblich, Garrucci nur Frauen und sah in ihnen
die fünf klugen Jungfrauen beim Gastmahl des himmlischen Bräutigams. Wilpert er-
kennt nur vier Gäste an, die auch ihm weiblichen Geschlechts und zwar Jungfrauen
sind, die klugen Jungfrauen beim himmlischen Hochzeitsmahl; der fünfte Platz sei
für die Verstorbene offen gehalten. Daß rechts von dem zentral angeordneten dritten
Gast Raum genug für zwei weitere sei, gibt Wilpert (in seiner früheren Besprechung
der Malerei) selbst zu; seine Wiedergabe aber ist zu klein und zu undeutlich, um
irgend etwas erkennen zu lassen. Wir müssen daher die Frage nach der Zahl der
Gäste ebenso offen halten, wie die nach ihrem Geschlechte. Soviel können wir mit
Bestimmtheit sagen: einerseits das rechte Flügelbild mit den klugen Jungfrauen, denen
die Teilnahme am Hochzeitsmahl des himmlischen Bräutigams gewiß ist, andererseits
die Darstellung des himmlischen Mahles selbst im linken Flügel der Lünette charakte-
risieren die Verstorbene als Selige im Himmel.2)
J) Der sog. Trikliniarch: Wilpert, Malereien 474 Taf. 159, 2. — Palatin: oben S. 206.
2) Coem. maius, Gruft I: Bosio, Roma sott. 447. Garrucci Storia II Taf. 60. Wilpert,
Malereien 304. — Gruft III: Bosio, Roma sott. 459. Garrucci, Storia II Taf. 64, 2. Wilpert,
Gottgeweihte Jungfrauen 1892, 66 Taf. 2, 5; Malereien 427, leider ohne Reproduktion des Ge-
mäldes; eine solche in etwas größerem Maßstab wäre erwünscht gewesen.
Sybel, Christliche Antike I. 14
Daniel in der Löwengrube.
Guter Hirt.
Arkosolbogen im Coem. maius.
Jünglinge im Ofen.
Die Erlösung.
„Der Kuhm des, der bewegt das große Ganze,
„Durchdringt das All, und diesem Teil gewährt
„Er minder, jenem mehr von seinem Glänze.
„Im Himmel, den sein hellstes Licht verklärt,
„War ich und sah — "
Unsere göttliche Komödie — sie hat es nur mit dem Paradies zu tun — muß
bedachtsam vorschreiten. Bereits haben wir die Auserwählten beim Hochzeitsmahl
des himmlischen Bräutigams gesehen; nun aber müssen wir Halt machen und zurück-
blicken auf eine Reihe Bilder, die noch nicht den Genuß der Seligkeit selbst dar-
stellen, sondern nur erst die Gewißheit ihrer Erlangung aussprechen, die Mittel dazu
vor Augen bringen, und den Vermittler.
Erlösungstypen.
Das Vertrauen der Christen, ihre Zuversicht auf die Gewißheit ihrer Hoffnung,
aus dem leiblichen Tod (an das höllische Feuer braucht dabei nicht gedacht zu sein)
erlöst zu werden in das ewige Leben (de morte ad vitam, Cypr. ed. Hartel III 147,
vgl. Wilpert, Malereien 367, 1), hat in der Katakombenmalerei entschiedenen Ausdruck
gefunden. Die religiöse Überlieferung, die ihnen heilig war, erzählte so manche
Rettung durch die Hand Gottes, des Herrn. Solche Rettungen malten sie an ihre
Gräber als Prototype der eigenen Erlösung vom Tode.
Alttestamentliche Typen. Diese stammen aus der israelitischen Überlieferung,
wie sie in den biblischen Schriften vorlag. Die Auswahl entspricht dem wunder-
Erlösungstypen. 211
süchtigen Geschmack der Zeit, diese Rettungen aus allerlei Todesnot, des Daniel aus
der Löwengrube, der drei Jünglinge aus dem glühenden Ofen, dös Noah aus der
Sintflut, des Jonas aus dem Bauch des Meertiers, des Isaak vom drohenden Opfer-
tod usf. Mehrere sind auffallend oft wiederholt, sie waren beliebter als andere, ver-
mutlich weil sie den Gedanken, auf den es den Christen ankam, besonders deutlich
ausdrückten. Sinnbildlich sind alle diese Bilder zu verstehen; das Bild erschöpft seine
Aufgabe, indem es eine Idee ausspricht. Nicht als ob der Maler nicht als Künstler
empfunden hätte, aber das Künstlerische kommt nur in der Form des Dekorativen
zur Geltung. Erst im dritten und vierten Jahrhundert keimt ein Interesse am
Gegenstand auf, leise beginnt der Maler den Ton des Erzählers anzuschlagen, das
Sinnbild möchte Historienbild werden.
Daniel in der Löwengrube. Der Typus hatte sich in 39 Exemplaren er-
halten, davon sind drei verschollen (Abbildungen oben S. 155 im Orpheusplafond,
S. 210 in der Kopfleiste dieses Kapitels, und unten in der des Kapitels „Selige im
Himmel"). Auf Anstiften seiner Gegner, so heißt es, wurde Daniel in die Löwen-
grube geworfen, am anderen Morgen aber fand man ihn unversehrt, „weil er auf seinen
Gott vertraut hatte", Daniel Kap. 6, vgl. das Stück vom Drachen Vers 38 — 39 Sept.
Dargestellt wird er, die Hände betend erhoben, zwischen zwei Löwen, die symmetrisch
angeordnet nach ihm hinschreiten oder sitzen, in der Regel mit drohend geöffnetem
Rachen; auch berühren sie ihn mit gehobener Tatze. Daniel erscheint anfangs in der
Tunika, seit dem dritten Jahrhundert nackt, vereinzelt auch mit einem Lendentuch
(Wilpert Taf. 166, 2. 169, 1). Die christlichen Künstler suchten die Nacktheit nicht,
wie es die heidnischen aus künstlerischem Interesse getan hatten; aber sie nahmen sie
antik arglos, wo sie gegeben war, wie bei Adam und Eva, Jonas, Daniel. Gegeben
war dessen Nacktheit zwar nicht im Buch Daniel, auch nicht im ursprünglichen bild-
lichen Typus, sondern in der Auffassung der späteren Maler; für die Löwengrube
schob sich ihrer Phantasie die ihnen geläufigere Vorstellung von der Arena mit den
Tierkämpfen unter und die der Verurteilungen „zu den Raubtieren", „zu den Löwen"
(ad bestias, ad leones); diese Art Tierkämpfe aber wurde in mehr oder minderer
Nacktheit ausgeführt. Was aber bedeutete das Bild den Christen? Natürlich einen
Schmuck des Grabes und der Gruft; darüber hinaus aber nicht ein historisches Bild,
der Endzweck war nicht, einen Vorfall aus der jüdischen Geschichte zu erzählen. Das
Interesse der Christen an der jüdischen Geschichte ging gerade nur so weit, als ihr
Christentum daran interessiert war; die biblischen Geschichten waren ihnen Pro to type
der christlichen Geschichten und der christlichen Erfahrungen. Der Gott Daniels
„kann erretten und befreien, tut Zeichen und Wunder am Himmel und auf Erden, er,
der Daniel aus der Gewalt der Löwen errettet hat" (Vers 28), er errettet auch den
Christen aus dem Rachen des Todes. Einmal ragt Daniel mit halbem Leibe aus dem
Boden hervor, wie aus einer Grube, etwa dem Grabe? so daß also im Daniel der aus
dem Grabe, das ist dem Tod, ins Leben gerettete Christ selbst dargestellt wäre (vgl.
die Abbildung in der Kopfleiste über unserem Kapitel „Selige im Himmel").
Sekundär finden wir bei den Kirchenschriftstellern Daniel noch für einen besonderen
Fall prototypisch verwendet, als Trost im Martyrium; dahin konnte auch der von den
Malern in die Arena verpflanzte Daniel gedeutet werden.
Daß gerade das Buch Daniel für die altchristliche Malerei wichtig wurde, darf
nicht Wunder nehmen nach der großen Bedeutung, die dem Buche für das nach-
14*
212 ^'e Erlösung.
persische, hellenistische Judentum zukommt, aus welchem wiederum das Christentum
hervorgehen sollte. Zu dieser Volkstümlichkeit des Buches unter den Christianern,
die auf seiner ganzen ihnen zusagenden Geistesart beruhte, kam noch die Analogie
zwischen den Verfolgungen der Christen mit denen der Juden unter Antiochus
Epiphanes. Als eine Trost- und Mahnschrift an die Juden war damals das Buch
Daniel entstanden; sie sollten nur in Gottvertrauen aushalten, so würden sie errettet
werden wie einst Daniel in der Löwengrube errettet worden sei. Den analogen Trost
also konnten auch die Christen in Verfolgungen aus der Danieldichtung schöpfen;
aber das ist, wie gesagt, nur eine sekundäre Bedeutung des Typus, die Anwendung
auf einen besonderen Fall, die primäre und allgemeine ist die der gewissen Erlösung
aller Christen aus dem leiblichen Tod in das ewige Leben.1)
Aus dem Buch Daniel sind auch die drei Jünglinge im glühenden Ofen
genommen; von 17 bekannten Exemplaren des Typus sind 14 erhalten (Abbildung in
der Kopfleiste dieses Kapitels). Weil die Jünglinge das vom König Nebukadnezar
aufgerichtete goldene Bild (doch wohl ein Götterbild) nicht verehren wollten, wurden
sie gefesselt in den glühenden Ofen geworfen, der so heiß war, daß die Henker durch
die Glut getötet wurden; aber die drei Jünglinge bewegten sich unversehrt im Feuer,
so daß Nebukadnezar sie herausrief und hoch ehrte (Daniel Kap. 3). In der Malerei
erscheinen die Jünglinge, Israeliten am persischen Hof in persischer Tracht, in der typischen
Barbarentracht der griechischen Kunst, die wir am Sabaziospriester Vincentius sahen;
hier erscheint sie vollständiger, zu phrygischer Mütze, Ärmelkleid und umgeknüpftem
Mantel kommen noch die engen Hosen. Mit betend ausgebreiteten Händen stehen sie
in einem flammenden Ofen (der in unserer Abbildung wie öfter rund ist), Feuer
schlägt auch aus den Schürlöchern. In späteren Bildern lassen die Maler den Ofen
manchmal weg, das Feuer scheint auf dem Boden zu brennen (Wilpert Taf. 114 u.a.).
In einem Exemplar aus dem späteren dritten Jahrhundert fliegt den Jünglingen von
oben her eine Taube mit Ölzweig im Schnabel zu, die ist aus dem Noahtypus
herübergenommen, die Taube des Friedens (Taf. 78, 1); in einem anderen aus dem
vierten Jahrhundert erscheint die Hand Gottes schützend über ihnen (Taf. 172, 2).
Jene Friedenstaube bestätigt, was ohnehin klar ist, daß das Bild der Jünglinge im
flammenden Ofen ein eben solches Prototyp für die Rettung der Christen aus dem
Tod in das ewige Leben ist wie Daniel in der Löwengrube. Wo die Flammen nicht
in einem Ofen, sondern auf dem Boden brennen, denkt man an eine beabsichtigte An-
näherung an das Martyrium des Feuertodes. Die römischen Kommentatoren dieser
Bilder lieben es, Äußerungen der Kirchenschriftsteller über die Härte der Martyrien
zu wiederholen; sie bedenken nicht, daß die römische Kirche das Beschwerderecht
verwirkt hat, seitdem sie zur Macht gelangt, im Interesse ihrer Macht, den Scheiter-
haufen gegen die Reformatoren ihrer Zeit ihrerseits anwenden ließ. — Auf zwei
Bildern erscheint zwischen den Jünglingen der Engel, den Nebukadnezar bei ihnen im
Feuer sah (Vers 25; Wilpert n. 5, de Rossi, Roma sott. Taf. 15, 1 und Wilpert n. 15
Taf. 231, 1). Der zweite Engel hat den Nimbus. Wenn es richtig ist, daß in der
1) Daniel: Wilpert, Malereien 41. 148. 332. 335 mit Verzeichnis der Exemplare. Ob die
Maler Dan. 6 oder die jüngere Version (vom Bei und vom Drachen, Swete III 586, Kothstein bei
Kautzsch, Apokryphen 172. 192) im Sinne hatten, verraten die Gemälde nicht. Vgl. auch Leclercq
bei Cabrol, Dict. I 1903, 457 im Artikel Ad hestias.
Erlösungstypen. 213
christlichen Kunst des vierten Jahrhunderts nur der Christus den Nimbus erhält, so
wäre hier für den Engel der christliche Erlöser selbst eingesetzt, was die Deutung der
Bilder als Symbole der Erlösung aus dem Tode nur bestätigen könnte.1)
Aus der Erzählung von den drei Jünglingen hob man im vierten Jahrhundert
noch eine andere Szene zu bildlicher Gestaltung heraus, nämlich wie sie das von
König Nebukadnezar errichtete goldne Bild anzubeten sich weigern. Man kennt
nur zwei Exemplare des Typus, das eine, in Priscilla, ist in schlechtem Erhaltungs-
zustand, das andere, in Kailist, liegt nur in der für das Einzelne unzuverlässigen
Kopie bei Bosio vor. Das erste zeigt das goldne Bild in Gestalt einer bärtigen
Porträtbüste auf Hermenschaft zwischen dem auf einem Stuhl sitzenden König und
den drei Jünglingen, die sich entschieden abwenden, als wollten sie forteilen, und
dabei abwehrende Gebärden machen; die Kopie des andern Exemplars gibt den König
stehend (Abbildung unten unter „Syntax"). Wenn der König in beiden Exemplaren
wirklich in römischer Kaisertracht gemalt war, so mag in der Komposition wie in der
ganzen Konzeption bei den drei Israeliten mehr an die Christen gedacht sein, wie sie
den Kaiserkult weigerten. Es scheint, als ob Anspielungen auf die christlichen Martyrien
weniger durch ihr Vorkommen selbst, als durch den im vierten Jahrhundert zur
Blüte gekommenen Märtyrerkult veranlaßt seien.2)
Aus der altisraelitischen Literatur genommen ist Noah in der Arche. Der
Typus erscheint unter den frühesten, neben Daniel in der Flaviergalerie , und gehört
zu den häufiger vorkommenden; von 32 bekannten Exemplaren sind 28 erhalten.
Gen. 6 — 8 erzählt die Geschichte von der Sintflut; den „Kasten" des Jahwisten malt
der Priesterkodex aus als einen Riesenbau von 300 Ellen Länge, dessen viele Zellen
in drei Stockwerken an den Tempel erinnern. Die Maler zeichnen die Arche
(xtßoixög Sept.) als einen gewöhnlichen Kasten, der Deckel ist, wenn angegeben, auf-
geschlagen. Die Arche schwimmt im Wasser; bisweilen scheint sie auf Land zu
stehen, ist aber nicht etwa als gelandet gedacht. Noah, bartlos, in der Tunika mit
zwei Vertikalstreifen (tunica angusticlavia), steht mit betend ausgebreiteten Händen
im Kasten, so daß er mit halbem Leibe daraus hervorragt. Die ganze Erscheinung
der Figur ist nicht die eines biblischen Patriarchen, wie er in einem Historien-
gemälde zu erwarten wäre, sondern eines Christen der frühen Kaiserzeit, hier dar-
gestellt im Schema der Seligen im Himmel; immer dieselbe Symbolik, auch Noah
Prototyp des seligen Christen, Noah in der Arche Sinnbild der Erlösung aus dem
Tod ins ewige Leben. Wenn die Arche eines späten Exemplars (Wilpert n. 31), wie
die allein vorliegende Kopie sie gibt, als eine Art Sarkophag mit Löwenköpfen ge-
zeichnet war, so sprach es den Gedanken nur noch unmittelbarer aus; allgemein darf
man indessen nicht sagen, die Arche sei der Sarg. — Zum Typus gehört die heran-
fliegende Taube mit dem Ölzweig im Schnabel. In der Erzählung war sie das
Zeichen der Rettung für Noah, im Bilde ist sie das besondere Symbol der Erlösung
aus dem Tod in den ewigen Frieden. In dieser ihrer selbständigen Bedeutung konnte
die Kunst sie auch sonst verwenden, wir fanden sie bereits einem Bilde der drei
Jünglinge im flammenden Ofen hinzugefügt. Auch bei diesem Typus bemerken wir
1) Drei Jünglinge im flammenden Ofen: Wilpert, Malereien 42. 332. 356 mit Verzeichnis
der Exemplare.
2) Drei Jünglinge vor Nebukadnezar: Wilpert, Malereien 332. 357. 361 Taf. 123.
214
Die Erlösung.
Noah in der Arche.
Coem. Domitillae.
in späteren Bildern, seit dem dritten Jahr-
hundert, ein Erwachen der Neigung zum
Erzählen; da sehen wir Noah sich der Taube
zuwenden und ihr die Hände entgegen-
strecken (Wilpert Taf. 73. 196). Diesen
zweiten Noahtyp hat die Stadt Apamea in
Phrygien seit der Zeit des Kaisers Septi-
mius Severus auf ihre Münzen gesetzt:
Noah und seine Frau stehen im Kasten,
an deren Vorderseite Noahs Name steht
(Nwi); auf dem Deckelrand sitzt der Rabe,
die Taube mit dem Ölzweig fliegt herzu.
Der Anlaß, die Noahgeschichte in der
phrygischen Stadt zu übernehmen (und
später, die Landung der Arche daselbst
zu lokalisieren), wird in ihrem Beinamen
Kibotos, Kasten, gefunden; vermittelt ist
sie vielleicht durch dort ansässige Juden.
Man wird aber bemerken, daß der Typus nicht einfach aus den Katakomben auf die
Münze übertragen wurde; das Münzbild geht im Erzählen weiter, fügt die Frau und
den Raben hinzu. Es bleiben die Fragen zu beantworten, wie wir uns die Ent-
wicklungs- und Verbreitungsgeschichte des Typus zu denken haben und von wo er
seinen Ursprung genommen hat.1)
Unter den Kindheitslegenden von Heroen und Göttern gibt es einen Typ, der
Analogien hat zur Arche: junge Mütter sind es, die mit ihrem Kinde von ihrem ent-
rüsteten Vater in einem Kasten aufs Meer hinausgestoßen, immer aber ans Land
getrieben und gerettet werden; so Semele mit dem Bacchuskind, so Danae mit dem
kleinen Perseus. Rotfigurige Vasen schildern die Aussetzung der Danae, bereits steht
sie mit dem Knäbchen auf dem Arm im Kasten, der Tischler ist noch an der Arbeit,
mit dem Drillbohrer. Oder die Mutter wird allein in den Kasten gesetzt, wie Auge,
die Mutter des Telephos. Auf einer Münze von Elaea, geprägt unter Marc Aurel,
sehen wir die Rettung der Auge: der Kasten ist gelandet, in einem Fischernetz hatte
er sich gefangen; der schwere Deckel wird geöffnet, und Auge, die Schöne, zeigt sich;
sie faßt die Hand des ersten Fischers, um herauszusteigen. So landen aber auch die
Geschwister Tenos und Hemithea auf Tenedos, und so landet Thoas, der Vater der
Hypsipyle, auf Oinoe. Die Kasten der Danae und der Auge sind als Tischlerarbeit
gezeichnet, jede Wand ein System von Rahmen und Füllung; bei Noah aber tritt
bisweilen noch präziser hervor, was gemeint ist, nämlich das Kastenmöbel, wie es im
antiken Hause gebräuchlich war, als Gewandtruhe und als Geldkiste (xißcoTÖg, arca;
x) Noah: Wilpert, Malereien 41. 262. 333. 344 m. Verz. de Waal, Rom. Quart. 1896, 338.
Unsere Abbildung gibt das Exemplar mit manieriert gezeichnetem Deckel nach Garrucci; im
Original, Wilpert Taf. 56, schwimmt die Arche in durchsichtigem Wasser, die rechte Hand des
Noah ist geöffnet wie die linke. — Apamea: Head, Hist. num. 558. Hirschfeld bei Pauly-
Wissowa I 2665. Leclercq bei Cabrol, Dictionn. I 1906, 2509 Fig 825—827. Vgl. ebenda 2710
Art. Arche.
Erlösungstypen. 215
die Maler nahmen den Schrifttext beim Worte). Geldkisten sind in mehreren Atrien
Pompejis gefunden worden; stark gearbeitet und mit Metall beschlagen, auch fest mit
dem Fußboden verbunden dienten sie wie diebssichere Schränke.1)
Daniel und die drei Jünglinge stehen, wie Noah, mit betend ausgebreiteten
Händen; die Israeliten stehen allezeit vor dem Angesicht ihres Gottes, auf den sie
vertrauen (Dan. 3, 28). Das Gebetsschema ist hier ein Ausdruck eben dieses Ver-
trauens, durch das sie siegreich aus der Not hervorgehen; es ist nichts weiter, nicht
der Ausdruck eines Bittgebets. Die Texte lassen weder Noah im Kasten noch
Daniel in der Löwengrube beten, auch in der zwischen Dan. 3, 23 und 24 vermuteten
Lücke braucht kein Gebet gestanden zu haben. Die Texte berichten nichts der-
gleichen, daß die Genannten sich in tiefer Not gefühlt und zu ihrem Gott geschrien
hätten; erst die große Interpolation der genannten Stelle bringt ein Gebet und einen
Gesang. Aber was ist der Inhalt? Das „Gebet Asarjas" ist ein Bußpsalm Israels im
Exil, den man in die Erzählung eingelegt hat, ohne daß er irgend eine Beziehung zur
Situation hätte; der Gesang aber ist ein Lobgesang und endigt mit Dank. Mit den
christlichen Märtyrern steht es ähnlich. Ihre Seele war so ganz ausgefüllt vom, man
darf wohl sagen, bergeversetzenden Vertrauen, daß kein Raum mehr darin blieb für
Wünsche oder Bitten; sie hatten nur die Seligkeit vor Augen, viele visionär, gar nicht
als Wunsch, sondern als Gewißheit; in der Marter leuchtenden Angesichts breiteten
sie ihre Arme aus, sie zu umfassen. Das ist freilich auch gebetet, und wie, aber nicht
in der Form des Bittgebets, sondern eben in der des Umfassens und Ergreifens. Auch
sie drängte es zu Dankgebet und Lobgesang. Ist doch Jubel und Dank die christ-
liche Grundstimmung, äußere Not reicht nicht an die Seele des Christen, am wenigsten
des Märtyrers. So ist Dank und Jubel auch die christliche Friedhofsstimmung, sie
klingt in tausend Tönen aus allen Malereien der Katakomben.
Daniel im ursprünglichen Typus, bekleidet, und Noah durchaus, sind in derselben
Tracht und Haltung gemalt wie bald auch die Verstorbenen gemalt wurden im Para-
diese stehend, wir lassen einstweilen dahingestellt, ob individuell oder generell. Maler,
Besteller, Beschauer, alle sahen im Prototyp immer sich selbst. Das ist wieder ein
antiker Zug, durch viele Belege zu erhärten. Wir wollen nicht dabei verweilen, daß
Damen im Typus der Venus, der Ceres oder Proserpina (so wird vermutet) dargestellt
wurden, Antinous als Bacchus, der Kaiser als Juppiter, die Kaiserin als Juno. Näher
liegen die Sarkophagreliefs der Kaiserzeit, teils Bilder des unerbittlichen Todes-
geschicks, teils eines bacchisch seligen Daseins; da kommt es denn vor, daß in
tragischen Szenen dem Heros, etwa Meleager, die Porträtzüge des Verstorbenen ge-
geben sind, der Verstorbene ist im Typus des tragischen Heros idealisiert.2)
Andre biblische Prototype sind zu sehr in Anspruch genommen, um die Hände
betend ausbreiten zu können. Auch dann ist die Sinnbildlichkeit unverkennbar, vollends,
wenn das Gebetschema sich ausnahmsweise doch durchgesetzt hat, bisweilen im
Widerspruch zur Geschichte.
*) Kastensagen: Marx, Athen. Mitteilungen 1885, 25 (zur Münze von Elaea, abgeb. eb.
Seite 21). Zu Auge vgl. noch Wernicke bei Pauly-Wissowa II 2305f. Danae: Escher bei Pauly-
Wissowa IV 2086; die Vase bei Gerhard, 14. Berliner Winkelra.-Progr. 1854 m. Tal arca:
Overbeck-Mau, Pompeji, Register unter Geldkisten. Mau, Pompeji 238 Abb.
2) Venus: Dümmler bei Pauly-Wissowa I 2786. — Proserpina: v. Sybel, Weltgesch. d.
Kunst 2275, 2. — Antinous: Wernicke bei Pauly-Wissowa I 2441.
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02
a
Die Erlösung.
Die Dichtung vom Propheten Jonas hat mehrere
Typen geliefert, zum Ausdruck der beiden Ideen, der
Rettung aus dem Tod ins Leben, und der Seligkeit.
Die Eettung aus dem Rachen des Todes. Der
Rachen des Todes, ein uraltes und weitverbreitetes Bild,
wurde bis in die christliche Literatur hinein festgehalten;
es klingt in mehreren griechischen Sagen an, wenn auch
in deren poetischer Ausgestaltung das Untier nur tod-
bringend, nicht Personifikation oder Sinnbild des Todes
ist. Andromeda, einem Seetier (xiJTog) zum Opfer an-
boten, wurde von Perseus befreit. Der mächtige Rachen
ragt in das Bild einer altkorinthischen Vase, Perseus
wirft Steine nach ihm; aus der Zeit der freien Kunst gibt
es herrlich gezeichnete Darstellungen. Es kommt aber
auch die Befreiung buchstäblich aus dem Rachen des Tiers
vor, also ein Verschlingen und Wiederausspeien. Hesione,
im Parallelmythus zur Andromeda, wurde von Herakles
befreit; das herandringende Ketos aber verschluckte den
Helden erst und spie ihn wieder aus; dabei verlor er sein
Haar und kam als Kahlkopf zum Vorschein. Auf dies
Abenteuer wird ein Vasenbild bezogen, das einen mit ge-
zücktem Schwert in einen riesigen Rachen eindringenden
Helden darstellt; wenn Herakles gemeint ist, so liegt eine
andere Version zugrunde. Nicht literarisch, nur monumental
bezeugt ist ein ähnliches Abenteuer des Jason. Der
kolchische Drache hat ihn verschlungen, aber das Tier
muß den Unverwundbaren wieder ausspeien; dies stellt
eine Trinkschale der Vorblüte dar. Wie ohnmächtig ent-
gleitet Jason dem Rachen, seine Schutzgöttin Athena steht
besorgt dabei, im Hintergrund hängt das goldne Vließ am
Baum.1)
Die Israeliten besassen einen Psalm, der Jahwe für
Rettung aus tiefster Not dankt; diese ist näher bezeichnet
als Versinken in die Tiefe des Meeres. Ob ein wirklicher
Schiffbruch gemeint war oder ob das Versinken nur ein
Bild für tiefe Not ist, bleibt dahingestellt. Der Dank-
psalm wurde in das Buch Jonas aufgenommen (man
beachte, Jonas spricht einen Dankpsalm, da er noch im
') Andromeda: Koscher, Lexikon I 345. Wernicke bei
Pauly-Wissowa 12157. — Hesione: Furtwängler in Roschers
Lexikon I 2234. Vase: Mon. V Taf. 9, 2. Sextus Empir. adv.
gramm. p. 656 B rj de 'HQccxkeovg xecpaXri expeövwxo pvfiacüv avxov
xwv tQiyöjv, oxe V7i6 xov eyop/nävxoq xy 1Holov% x/',xovg xccrenö&t] (den
Nachweis der Stelle verdanke ich E. Maaß). — Jason: Trink-
schale: Mon. II Taf. 35. Heibig, Führer II2 328 n. 1271. Seeliger
.in Roschers Lexikon II 70. 83.
Erlösungstypen. 217
Bauche des Tieres ist). Wäre der Psalm nicht ein so spätes Produkt, so könnte
man auf die Vermutung kommen, die Dichtung sei aus ihm herausgesponnen, unter
Verwendung des alten Propheten Jona Kön. II 14, 25 und des Bildes vom Rachen
des Todes für den Schoß der Unterwelt Vers 3; von den für Gnade undankbaren
Heiden Vers 9 wäre es nicht weit zu den bösen Nineviten 1, 2. Aber auch wenn
der Psalm jünger als die Dichtung und in sie nur nachträglich eingeschaltet ist, muß
sie doch eine ähnliche Genesis gehabt haben. Jonas also will sich dem von Jahwe
erteilten Auftrag, den Nineviten zu predigen, entziehen, indem er auf ein nach Tarsis
bestimmtes Schiff flieht; da nun Jahwe einen Sturm erregt, läßt Jonas in seinem
Schuldbewußtsein sich als Opfer ins Meer werfen, ein Ketos verschlingt ihn, speit ihn
aber nach drei Tagen wieder ans Land aus. Auf wiederholten Befehl Jahwes geht
Jonas nun nach Ninive und auf seine Predigt bessern sich die Nineviten usf. Aus
dieser Erzählung wählten die Maler zwei Momente (beide in unserer Abbildung), ein-
mal wie Jonas aus dem Schiff geworfen wird, in der See wartet das im verbreiteten,
gerade auch bei den Wandmalern beliebten Typus der Seedrachen gezeichnete Ketos
auf seine Beute (Wilpert Taf. 47, 2; in einer genetisch jüngeren Spielart werfen ihn
die Schiffer dem Tier unmittelbar in den Rachen, Taf. 45; schließlich wird das Ver-
schlingen selbst und allein dargestellt, die Beine des Propheten hängen aus dem
Rachen, Taf. 104), sodann das andere Moment, wie der Seedrache ihn wieder aus-
speit, den Kopf und die wie in der ersten Szene ausgebreiteten Arme voran, Taf. 26, 2.
Das sind zwei sich gegenseitig bedingende Momente, pointierend in dem zweiten, der
Rettung aus dem Rachen des Ketos; also ein in sich geschlossener zweigliedriger
Zyklus, er bedeutet in der Katakombenmalerei, entsprechend dem Urgedanken vom
Rachen des Todes, die Erlösung aus dem Tod ins ewige Leben.
Zu der Inhaltsangabe des Buches Jona haben wir noch den Schluß nachzutragen:
verdrießlich über die Begnadigung der Nineviten setzt Jonas sich abseits; um ihn zu
rügen, läßt Jahwe eine ihm Schatten gebende Kürbisstaude wachsen, am anderen
Morgen aber verdorren, an des Propheten neuen Verdruß knüpft er dann seine Rüge,
die Pointe des Buches. Ihre humane Idee ist besser als deren etwas gekünsteltes und
schief geratenes Gleichnis; indessen geht uns hier nur der Gebrauch an, den die
Katakombenmaler vom Propheten gemacht haben, wie er unter der Kürbislaube sitzt.
Sie malen ihn unter einer Laube, die allerdings nicht, wie der griechische Text, von
einer Kolokynthen-, sondern einer Flaschenkürbisstaude gebildet wird; dies wohl aus
künstlerischen Gründen, weil nämlich der Flaschenkürbis leichter verständlich gemacht
werden kann als der runde. Sodann aber malen sie ihn nicht sitzend, sondern am
Boden gelagert, die Füße übereinandergelegt, den Ellbogen aufgestützt, den anderen
Arm im ältesten Exemplar in den Schoß, nachher über den Kopf gelegt (Taf. 26, 1.
26, 3. Unsere Abbildung oben S. 154). Es ist das Schema der Ruhe, wie es in der
heidnischen Kunst Berg-, Quell- und andere Ortsgottheiten zeigen, statuarisch z. B.
die sog. Ariadne im Vatikan und in Madrid; ferner Endymion, der den ewigen Schlaf
schläft, in einzelnen seiner Darstellungen. Jonas unter der Laube in diesem Schema
gemalt, hat einen ganz anderen Sinn, als der im Buch. Einen Anhalt gab das Text-
wort »und Jonas hatte an der Kürbisstaude eine große Freude" Vers 6. Nun ist es
ein unter einer Laube Ruhender (daß er schlafe, läßt sich im allgemeinen nicht
behaupten). Tn der Katakombenmalerei bedeutet das Bild natürlich die Ruhe im
Frieden des Paradieses. Dies Bild, selbständig entstanden, wurde als drittes Glied
218 ^e Erlösung.
dem zweigliedrigen Seezyklus hinzugefügt. Unser ältestes Beispiel des dreigliedrigen
Zyklus, vollständig, wenn auch zum Teil schlecht erhalten, liegt in der Gruft A3
Callisti vor, in den obersten Friesen der drei mit Fachgräbern besetzten Wände;
links sieht man Jonas' Auswerfung, rechts wie er ans Land gespien wird, an der
Mittelwand, oberhalb des zentral angeordneten Seligengelages, ruht er unter der Laube
(de Rossi, Roma sott. II Taf. CD. Wilpert n. 4 Taf. 26, 2. 3). Eine Nische der
Gruft IV Priscillae zeigt umgekehrt rechts das Auswerfen, links das Ausspeien, aber
in der Mitte, an der Lünette, wieder das Ruhen unter der Laube (Wilpert n. 5 Taf.
44, 2. 45, 2). Die drei Szenen kommen auch in einem und demselben Wandfries
aneinandergereiht vor (Gruft A6 Callisti, Wilpert n. 6 Taf. 47, 2). Endlich aber
treten sie in die Kappenfelder der Decken ein, und zwar mit dem Typus des Ver-
schlingens statt des Auswerfens, das vierte Feld erhält irgend eine andere Füllung.
Diese Anordnung haben einige Decken in Petrus und Marcellinus, aber in so mannig-
fachen Variationen, daß es hier als bloßer Zufall erscheint, was wir als Regel er-
warten möchten, wenn die Laube einmal oberhalb der Fondwand zu stehen kommt
(Taf. 130; Wilpert n. 13. 19. 25. 26).
Schließlich erfand man, vielleicht gerade zu dem Ende, um alle vier Kappen-
felder mit einem viergliedrigen Zyklus zu füllen, einen vierten Typus, eine Variante
des dritten, des Jonas unter der Laube. Dabei hielt man sich, in mehr erzählender
Tendenz, enger an den Buchtext: Jonas wird nun auf einem Stein oder am Boden
sitzend dargestellt (Taf. 61, 96 u. ö. Abbildung in der Arkosolmalerei unten im
Abschnitt „Syntax"). Die eine Hand stemmt er auf den Sitz, die andere führt er an
das Gesicht. Die Gebärde deutet Trauer oder sonst eine Mißstimmung an und wird
bei Jonas auf seinen Kummer über das Welken der Kürbisstaude bezogen (soweit die
Publikation ein Urteil erlaubt, ist die Laube nur in den zwei späteren Exemplaren
Taf. 221 und 233 als entblättert charakterisiert. Die Sonne Taf. 56 links ist bei
Wilpert nicht zu erkennen, die Hauptfigur ist zerstört). Man findet Anlaß zu zweifeln,
ob die Maler ihre Typen immer nach deren genauen Sinn verwendet haben; so stellen
sie einmal in das Schiff, aus dem Jonas ausgeworfen wird, eine Orans, das ist eine
Selige, nicht etwa eine Hinterbliebene beim Begräbnis, Wilpert n. 17. — Der Typus
des trauernd oder sonst verstimmt, bedenklich, nachdenklich Sitzenden hat seine Ge-
schichte, die manche ansprechende und bedeutende Kunstschöpfungen umschließt; er
hat auch seine Entwicklungsgeschichte, die aber, wie sich das bei den meisten Gebärden
wiederholt, sozusagen in absteigender Linie verläuft, dies nicht im Sinne von Ver-
kümmerung, sondern von Abschwächung, aber mit dem Ergebnis größerer Mannig-
faltigkeit der Typik. Das Grundschema ist Hocken am Boden, das Gesicht in die
aufgestützten Hände vergraben, den Mantel über Kopf und Gesicht gezogen. Die
drei Elemente des Schemas nun wurden oft abgeschwächt, sei es ein einzelnes oder
mehrere zugleich. Für das Hocken am Boden konnte Sitzen eintreten, nach Umständen
mit übereinandergeschlagenen Beinen, selbst Stehen. Der eine Arm mochte sich auf
den Sitz stützen oder frei herunterhängen; auch der andere Ellbogen brauchte sich
nicht fest aufzustützen, die Hand legte sich nur an das Gesicht. Der Mantel fiel.
Es seien hier nur wenige hervorragendere Repräsentanten der verschiedenen Schema-
tismen namhaft gemacht: Achill grollend, Elektra am Grabe Agamemnons trauernd,
Penelope des Gatten harrend, Philoktet krank und verlassen auf Lemnos, Agamemnon
starr bei der Opferung der Tochter; dann Verstorbene an Grabreliefs, aus Lakonien,
Erlösungstypen. 219
aus Attika (Demokleides), auf Korfu, Klagefrauen (Statuen Saburoff, Reliefs an einem
attischen Grabbau und am sidonischen Sarkophag der Klagefrauen).1)
Schließlich muß erwähnt werden, daß Jonas von allen biblischen Typen am
häufigsten gewählt ist, zu 57 Malereien in 129 Bildern. Verschiedene Szenen wurden
auch isoliert verwendet, besonders gern Jonas unter der Laube.
Ein Herrenwort soll des Jonas gedacht haben. Die Pharisäer hätten Jesus auf-
gefordert, ein Zeichen vom Himmel geschehen zu lassen. Seine Antwort wird in drei
verschiedenen Fassungen berichtet. Erstens „Ein böses Geschlecht; ob ihm ein
Zeichen gegeben werden wird!" Mark. 8, 12; es klingt, als sei das Kommen des
Messias in seiner Herrlichkeit gemeint. Zweitens „Es wird ihnen kein Zeichen
gegeben werden außer dem des Propheten Jonas" Matth. 16, 4. Aber 12, 39. 41
wird die Erklärung hinzugefügt: „Die Nineviten werden beim Gericht wider dies Ge-
schlecht aufstehen; denn sie besserten sich auf die Predigt des Jonas, und siehe, hier
ist mehr als Jonas." Drittens Vers 40 „Wie Jonas im Bauch des Ketos drei
Tage und Nächte war, so wird der Sohn des Menschen drei Tage und drei Nächte
im Herzen der Erde sein." So gewiß dies kein echtes Herrenwort ist, ebenso gewiß
verraten die Katakombenmaler keine Kenntnis desselben. Jonas, aus dem Seetier
hervorgehend, Daniel aus dem Grabe, Noah aus dem Sarge, auf die Auferstehung zu
deuten, konnte naheliegend erscheinen, diese Auffassung liegt aber nicht im Geiste
der Katakombenmalerei. Auf die homiletischen, mehr oder minder geistreichen, frei
hin und her spielenden Deutungen der Kirchenschriftsteller darf man sich nicht stützen.
Nachdem ein Paulus das ganze Sein des Christentums wenigstens theoretisch auf die
eine Karte des Auferstehungsglaubens gesetzt hatte, kann es auffallen, ihn im christ-
lichen Volksglauben so wenig lebendig zu finden; aber die Tatsache besteht, noch
entschiedener als die Grabschriften bezeugen es die Malereien der Katakomben.2)
Zu Jonas stellen wir sofort Hiob, wegen ihrer Typenverwandtschaft. Gemeint
ist der leidende Hiob, der aus aller Not schließlich nicht bloß wieder in den früheren
Glücksstand gesetzt wird, sondern Jahwe gab ihm alles doppelt zurück und segnete
seine nachfolgende Lebenszeit noch mehr als seine frühere 42, 10. 12: so ist Hiob
wieder ein Rettungstypus. Den leidenden Hiob sollte man erwarten im Typ der
traurig Sitzenden dargestellt zu sehen und zwar eher in dessen ursprünglicher, stark-
redender Ausprägung (vgl. 2, 8 „und saß dabei mitten in der Asche", 13 „und so
saßen sie bei ihm an der Erde"). Tatsächlich aber ist bei Hiob das Trauermotiv
noch mehr abgeschwächt als bei Jonas; er sitzt nicht an der Erde, sondern auf einer
Erhöhung, nicht den Kopf in der Hand, sondern die Hand liegt auf dem Knie, er
läßt nur den Kopf etwas hängen. Man hat den Eindruck, als ob der sitzende Jonas
den kräftigen Typ vorweggenommen hätte, obwohl ja für Hiob immer noch das An-
dererdesitzen zur Verfügung gestanden hätte. Die Bilder des sitzenden Jonas und
») Traurig Sitzende: Th. Wiegand, Athen. Mitteil. 1900, 191. Br. Schröder, eb. 1904,
47 Taf. 3 (Lakonische Grabstele). Eoschers Lexikon III 2334 f. (Philoktet). Robert, Sarkophag-
reliefs II 191 Taf. 60, 183. Heibig, Führer in Rom 2I n. 698 (Laios) u. a.
2) Buch Jonas: Swete, Old testament m. greek III 112. Driver-Rothstein 343. Cornill
B209. — Jonasbilder: Wilpert, Malereien 50. 366 m. Verz. Vgl. Otto Mitius, Jonas auf den
Denkmälern des christl. Altertums 1897. — Gelagerte: Steuding in Roschers Lexikon II 2112
Berggötter, z. B. 2125 im esquilinischen Laestrygonenbild. Stoll bei Röscher I 545 Abb. und
Wagner bei Pauly-Wissowa II 810 (Ariadne). Bethe bei Pauly-Wissowa V 2557 (Endymion).
220
Die Erlösung.
des Hiob traten erst im dritten Jahrhundert auf. Der Typ des Hiob ist so allgemein
gehalten, daß seine Meinung nicht verstanden werden könnte, wenn nicht ein Exemplar
des vierten Jahrhunderts seine Frau hinzufügte, die dem aussätzigen Gatten ein
Kranzbrot hinreicht, um sich nicht an ihm anzustecken, auf der Spitze eines Stabes,
Wilpert, Taf. 147. Nicht daß das Element ursprünglich zum Typus gehörte und in
den anderen Exemplaren aus Oberflächlichkeit weggelassen worden wäre, sondern es
scheint einer der erzählenden Züge zu sein, die seit dem dritten und hauptsächlich
im vierten Jahrhundert öfter sich einfinden.1)
Isaak trägt die Holzscheite zum brennenden Altar; Abraham weist ihn an.
Die Errettung Isaaks vom Opfertod. Sie ist recht oft gemalt, Wilpert zählt
22 Exemplare, nicht alle sind erhalten. Die Künstler haben den Vorwurf verschieden
und immer neu angefaßt, so daß ein fester Typus sich nicht herausbilden konnte.
Der Knabe Isaak wird zuerst kniend dargestellt, Abraham hat ihn am Kopf gefaßt,
in der rechten Hand zückt er das Messer über ihm; das kommt gelegentlich mit
einem auf neuere Darstellungen vordeutenden, fast wilden Realismus heraus, der
die Opferhandlung zum Mord stempelt, Taf. 188, 1. Der brennende Altar und das
Ersatztier, der Widder, stehen dabei. Oder es ist ein früherer Augenblick, der der Vor-
bereitung, gewählt; Isaak trägt das Bündel Holzscheite auf dem Rücken, Abraham
weist ihn damit zu dem bereits brennenden Altar hin (unsere Abbildung bringt diese
erzählende Fassung). Einmal entsteht durch Entwicklung einer zweiten Szene eine
Art Zyklus: neben dem unter dem Messer Abrahams knienden Knaben sieht man
das Ersatzopfer nicht bloß hingestellt, sondern im Begriff, geopfert zu werden, Taf. 201.
Gelegentlich werden die Berge angedeutet, auf denen die Geschichte spielt. Im vierten
') Hiob: Wilpert, Malereien 54. 381 in Verz.
Erlösungstypeu. 221
Jahrhundert erscheint, statt des einhalttuenden Engels der Bibel, die Hand Gottes
aus Wolken, Taf. 139, 1. 196 u. ö. Die Beziehung des Bildes auf die Erlösung aus
dem Tode wird bestätigt durch das Schema der ausgebreiteten Arme, in dem Isaak
gelegentlich vorkommt (Taf. 196) und durch die Taube mit Ölzweigen in den Krallen,
Noahs Taube, die einmal in die Szene gesetzt wird und zwar doppelt (Taf. 201, 3).
Wie die Landleute Erstlinge der Früchte, so opferten die Hirten solche ihrer
Herden, das erste Lamm, Ferkel, Kälbchen. Dann auch die eigene Erstgeburt. So
auch die Hebräer. „Alle Erstgeburt gehört mir; ebenso all dein Vieh, soweit es
männlich ist, der erste Wurf von Rindern und Schafen" Exod. 34, 19 f. Gereiftere
Gesittung verstattete, die Erstgeburt von Menschen mit einem Tieropfer abzulösen,
wie auch den ersten Wurf eines größeren Tieres mit einem kleineren: „Den ersten
Wurf eines Esels sollst du mit einem Schaf auslösen — alle Erstgeburt unter deinen
Söhnen sollst du auslösen" Vers 20, vgl. 22, 18 [E] und 13, 2 nebst Nura. 3, 12.
Lev. 12, 6 P. Zu der Institution des Auslösens bringt der Elohist einen ätiologischen
Mythus, eben unsere Opferung Isaaks Gen. 22, 1 — 13. 19, die israelitische Gestalt
des verbreiteten, mythologischen Typus; man erinnere sich nur der analogen Opferung
Iphigeniens, bei der auch ein Ersatztier an die Stelle des Menschenopfers tritt. Wir
fragen hier nicht, ob der ursprüngliche Sinn des Mythus dem Elohisten noch lebendig
war. Den Verzicht des Gottes auf das Menschenopfer stellt er als Lohn für die
Gottesfurcht und den unbedingten Gehorsam Abrahams hin Vers 12; nicht anders
der den Lohn ins Unbegrenzte steigernde Redaktor Vers 14 — 18. Eine andere Frage
ist, welches Interesse die Christen an der Geschichte von Isaaks Rettung nehmen
konnten; die Ablösung des Menschenopfers konnte sie um so weniger interessieren,
als das Christentum, in dem es weder Tempel noch Altäre gab, blutige Opfer über-
haupt nicht kannte. Den Christen erschien an der Geschichte bedeutsam vor allem
die Verheißung für den Samen Abrahams Gal. 3, 16; nicht als ob Paulus den Isaak
als ein Prototyp des Christus hinstelle, sondern er versteht unter dem Samen Abrahams,
dem die Verheißung gegeben wird, den Christus. Schon Paulus hebt das unbedingte
Vertrauen Abrahams auf den Gott hervor; es wird ihm ein Eckstein seiner Vertrauens-
lehre. Der Hebräerbrief 11, 19 fügte ein neues Moment hinzu, er sagt: „Im Ver-
trauen brachte Abraham den Isaak dar — indem er berechnete, daß Gott Macht
hat, auch von den Toten zu erwecken." Die biblische Erzählung gibt keine so
berechnende Motivierung von Abrahams Gehorsam; sie schwächt die Vorstellung von
seinem Vertrauen nur ab und den Wert seines Gehorsams vernichtet sie. Hier verrät
sich die beherrschende Stellung, welche die Idee der Erlösung aus dem Tode allmählich
für die Christen gewonnen hatte. Das* war der Gesichtspunkt, der ihnen die Isaak-
geschichte wert machte; deshalb malten sie seine Rettung in den Katakomben. Die
Kirchenväter endlich deuten die Geschichte, ihrem Sinne ganz zuwider, auf den Opfer-
tod des Christus; kein Wunder, daß sie schwanken, worin eigentlich Christus vorge-
bildet sei, ob in Isaak (insofern er das Holz trage, wie Jesus sein Kreuz nach Golgatha)
oder im Widder (insofern dieser es ist, der geopfert wird, nicht der Sohn). Man
sieht, das sind alles Deuteleien aus der Mühle der christlich gewordenen stoischen
Allegorie.1)
*) Isaak: Wilpert, Malereien 44. 350 m. Verz., vgl. 33 über die Hand Gottes. Leclereq bei
Cabrol, Dictionn. I 1903 112 Le sacrifice d'Abraharn, fresques.
222 Die Erlösung.
Andere Sujets kommen nicht so oft vor, David, mit der Schleuder in der Hand,
wurf bereit, nur in einem Exemplar (Abbildung oben Seite 155). Das Attribut der
Schleuder weist deutlich auf seinen Sieg über Goliath hin; also wieder eine Rettung
aus Todesgefahr.1)
Von Tobias kennt man drei Darstellungen, die früheste, aus dem dritten Jahr-
hundert, ist verloren. Tobias und der Engel Rafael „zogen ihre Straße und kamen
abends an den Tigris und übernachteten daselbst. Der Jüngling aber stieg hinab, um
zu baden. Da fuhr ein Fisch aus dem Fluß und wollte den Jüngling verschlingen.
Der Engel aber sprach zu ihm: Ergreife den Fisch! Und der Jüngling ergriff den
Fisch und warf ihn auf das Land", Tobit 6, 2 — 4. Abermals eine Rettung aus
Todesgefahr. Tobias wird, den Fisch in der Hand tragend, dargestellt; zweimal ist
er nackt, das zweite Mal hat er ein Lendentuch um, denn die Geschichte spielt beim
Baden. Einmal trägt er die ungegürtete Ärmeltunika. Im jüngsten Bild, aus der
Mitte des vierten Jahrhunderts, ist auch der Engel dabei, ein Jüngling in Rock und
Mantel, ohne Flügel (so wurden die Engel ursprünglich gezeichnet); eilig bringt ihm
Tobias den Fisch. Getrennt von dieser Gruppe durch eine Heilung des Gichtbrüchigen
ist ein am Boden sitzender Flußgott gemalt; trotz der Entfernung von der Gruppe
wird er auf den Tigris gedeutet, zugleich aber auf den Schafteich. Der Maler scheint
die Bedeutung der Figur nicht mehr gekannt zu haben.2)
Zwei weitere Rettungsbilder werden wir unter „Erlösungsmittel" besprechen,
Moses' Quellwunder und den Mannaregen.
Elias wird von einem Feuer wagen mit Feuerroß zum Himmel emporgeführt;
Elisa zerreißt sein Gewand und nimmt den herabgefallenen Mantel des Elias auf: mit
dem zauberkräftigen Mantel schlägt er, wie er es den Meister tun sah, das Wasser
des Jordan, an dem er stand; es teilt sich auch ihm, so daß er hindurchgehen kann,
Kön. II 2, 11 — 13. Es liegt eine problematische Darstellung der Himmelfahrt des
Propheten vor und eine gesicherte, beide gehören dem vierten Jahrhundert an. In
beiden steht ein Mann in langem Gewand (wie es die antiken Fahrer trugen) auf
einem Zweigespann. Das problematische Bild, im Scheitelfeld eines Arkosolbogens,
zeigt nur diese Gruppe; der Fahrende, die Enden des Mantels flattern zurück, hat
einen blauen Nimbus um den unbärtigen Kopf, Taf. 160, 2. Wilpert erkennt den
Sonnengott, dessen Darstellung er zu einem benachbarten „Jonas unter der Laube"
in Beziehung setzt. Der Nimbus kam allerdings in erster Linie den Lichtgöttern zu,
ging aber auf andere Personen über, in der Katakombenmalerei erhielt ihn im vierten
Jahrhundert vor allen der Christus. Im Typus des Sonnengottes könnte der im
Feuerwagen zum Himmel fahrende Prophet recht wohl gemalt sein, auch im Nimbus.
Die zwei benachbarten Bilder aber, deren jedes seinen eigenen breiten Rahmen hat,
können kaum zueinander in Beziehung gesetzt werden; andererseits würde eine
Himmelfahrt, als Prototyp des Eingangs der Christen in den Himmel, im Zenitbild
eines Nischengrabes oder einer Decke sehr passend stehen. — Das andere, etwas
*) David: Wilpert, Malereien 387 Taf. 55 (das „Tuch in der Linken, in welchem er die
übrigen im Bache aufgelesenen Steine (Kön. I 17, 40) geborgen hat" ist in der Reproduktion nicht
zu erkennen). •
2) Buch Tobit: M. Löhr in Kautzschs Apokryphen 135. — Tobias: Wilpert, Malereien
54. 384.
Erlösungstypen. 223
jüngere Eliasbild ist in seiner Bedeutung gesichert durch ein paar erzählende Züge,
Taf. 230, 2. Elias (leider oberwärts zerstört) läßt seinen Mantel hinter sich aus der
Hand fallen (so hat der Maler die Textworte interpretiert); der zurückbleibende Elisa,
im bloßen Mantel, wirft dem scheidenden Meister mit der Hand den letzten Gruß
zu; die rechts mit aufgestütztem Fuß in ärmellosem Leibrock stehende Figur trägt
im Haar doch wohl einen Schilfkranz, wird also ein Flußgott sein, der Jordan des
Textes. Wie die Flußgötter in antiken Bildern es zu tun pflegen, erhebt er seine
Hand, am Vorgang Anteil nehmend. Flußgötter wurden in der Regel allerdings gelagert
dargestellt, aber nicht ausnahmslos; stehende Flußgötter finden sich auf sizilischen
Münzen vom fünften vorchristlichen Jahrhundert abwärts; z. B. der Flußgott Chrysas
auf einer Kupfermünze von Assorus römischer Zeit, etwa des zweiten Jahrhunderts.
Mindestens muß die Frage offen gehalten werden. — Eine Konsekrationsmünze auf
Kaiser Konstantin zeigt seinen Kopf nimbiert, eine andere zeigt ihn als Pontifex
maximus mit verhülltem Hinterhaupt (capite velato); auf der Kehrseite fährt der
Kaiser auf galoppierendem Viergespann gen Himmel, indem er seine Hand einer von
oben her ihm geöffnet gereichten Hand entgegenstreckt. Wenn die Hand Gottes als
die biblisch-christliche anerkannt werden muß, so ist doch der ganze Gedanke durch
und durch heidnisch, nur mit der im Bilde nicht merkbaren Modifikation, daß der
Christ nicht wie der heidnische Kaiser als Gott zu den Göttern, aber doch in die
Gottesgemeinschaft aufgenommen wird. Nach Fr. X. Kraus wirkt das Münzbild in
unserer altchristlichen Darstellung von der Himmelfahrt des Elias nach.1)
Es folgt eine Reihe evangelischer Rettungstypen, nämlich Totenerweckungen wie
des Lazarus und Heilungen wie des Gichtbrüchigen, des Blinden, der Blutflüssigen.
Diese evangelischen Rettungstypen waren für die Christen inhaltlich insofern bedeutender
wie die alttestamentlichen, als der Erwecker der Toten und der Heiland der Kranken
darin eine Person ist mit dem Erlöser der verstorbenen Christen.
Jede Persönlichkeit, im prägnanten Sinne des Wortes, wirkt auf ihre Umgebung;
eine positive Natur wirkt in gleichem Sinne, positiv, immer fördernd, aufrichtend.
Eine solche positive Natur war Jesus, er war es im höchsten menschlichen Sinne.
Nun sind viele Nervenaffektionen psychischer Einwirkung zugänglich und manche
Heilungen, die in den Evangelien Jesus zugeschrieben werden, lassen sich als psychische
Einwirkungen oder noch besser als psychische Auslösungen (sein ausstrahlendes Ver-
trauen löste ihr aktives Vertrauen aus) natürlich erklären, allenfalls bis zur Aufhebung
von Lähmungserscheinungen. Darüber hinaus wird niemand gehen mögen; Aussatz
oder Blindheit, gar angeborene, wird sich so nicht heilen lassen, nicht zu reden vom
Tod, für den nun einmal kein Kraut gewachsen ist, auch kein Zauberkraut. Wenn
trotzdem dergleichen von Jesus erzählt wird, und zwar mit dem Weiterwachsen der
altchristlichen Überlieferung in zunehmendem Maße, so haben wir es mit jenem „unbe-
wußten Weiterspinnen der Volksphantasie a zu tun, das unter den Begriff des Mythischen
*) Elias: Kön. II 2, 11 — 13 (aQ[ia nvQoq xal 'mitoq jcvqoq Swete I 744, Imtoi cod. A). Wilpert,
Malereien 417. — Chrysas: Head, hist. num. 111. Catal. greek coins Brit. Mus., Sicily 31 Abb.
Lehnerdt in Roschers Lexikon I 1491. — Konstantin nimbiert: Eckhel, Doctr. num. VIII 79.
Konsekrationsmünze: H. Cohen, Med. imp. 2VII 318 n. 760. Kraus, Geschichte I 1896, 218.
224 Die Erlösung.
fällt (sagt man die Sache, so sollte man die wissenschaftliche Terminologie nicht
scheuen); beteiligt sich aber an diesem Weiterspinnen die spekulierende Theologie, so
hält es schwer, noch an Unbewußtheit des Dichtens zu glauben, allenfalls mag auch
eine Halbbewußtheit statuiert werden.
Die Persönlichkeit, welche Jesus war, verstanden seine Landsleute und Zeit-
genossen auf ihre Weise; er selbst, als Kind seines Volkes und seiner Zeit, konnte
sich auf die Dauer nicht anders verstehen. In aufsteigender Laufbahn wurde er als
Lehrer, als Prophet, als der Messias aufgefaßt, als Sohn Gottes und späterhin als
Gott selbst; dies natürlich nicht von echten Israeliten, die seine Vergottung als Gottes-
lästerung empfanden, eher von hellenisierenden Juden oder von Proselyten, wenn nicht
einfach von Heidenchristen. Zu seinen Lebzeiten handelte es sich erst noch um
die früheren Entwicklungsstufen. Die messianische Auffassung schlug die prophetische.
Dann aber mußte die messianische Zeit angebrochen sein in der ganzen Fülle, wie man
sie in den Schriften geschildert las. „An jenem Tage werden die Tauben geschriebene [?]
Worte vernehmen und die Augen der Blinden aus Dunkel und Finsternis heraus
sehen können. Die Dulder werden sich aufs neue Jahwes freuen und die Ärmsten
der Menschen über den Heiligen Israels jubeln", Jes. 29, 18. 19. „Dann werden sich
die Augen der Blinden auftun und die Ohren der Tauben sich öffnen. Dann wird
der Lahme springen wie ein Hirsch, und die Zunge des Stummen wird jauchzen",
35, 5. 6 vgl. 61, 1 (beides exilisch). Die Boten des fragenden Täufers weist Jesus
selbst auf die Zeichen der messianischen Zeit hin, in jesaianischen, allerdings aus den
Zeitverhältnissen und den Zeitvorstellungen heraus erweiterten Worten: „Gehet und
berichtet Johannes, was ihr hört und seht: Blinde blicken auf und Lahme gehen
umher, Aussätzige werden gereinigt und Taube hören, Tote werden aufgeweckt und
den Armen wird frohe Botschaft gebracht", Mt. 11, 5. Luk. 7, 22. Ob Jesus diese
Worte wirklich gesprochen hat und in welchem Sinne er sie sprechen konnte, im
eigentlichen oder im bildlichen, mit solchen Fragen haben wir uns an dieser Stelle
nicht zu beschäftigen. Soviel ist klar, daß die evangelischen Totenerweckungen und
Wunderheilungen im Grunde Mythen sind, mythische Verdichtungen der Idee vom
Anbruch des messianischen Reiches. Da nun aber der Anbruch der messianischen
Zeit an das Auftreten des persönlichen Messias geknüpft wurde, so erschienen die
messianischen Zeichen als Wundertaten wie eines Propheten, dergleichen ein Elias,
ein Elisa getan hatte. Als Wundertäter schildern den Christus die vorliegenden
Redaktionen der evangelischen Überlieferung. Und es bleibt in der Hauptsache
bestehen, daß Markus und Johannes die Thaumaturgie breiter ausmalen als Matthäus
und Lukas.1)
Die Besprechung der evangelischen Rettungsbilder beginnen wir mit der Toten-
erweckung, wie ihre Reihe auch in der Katakombenmalerei mit ihr einsetzt, im zweiten
Jahrhundert. Es ist die Auf er weckung des Lazarus, wie sie das vierte Evangelium
Kap. 1 1 und nur dieses erzählt. Bei der Bedeutung dieses Evangeliums für die Ent-
wicklungsgeschichte der christlichen Vorstellungen darf man sich nicht wundern, es
gleich bei der ersten Gestaltung spezifisch christlicher Typen in maßgebender Wirk-
*) Mythen: David Fr. Strauß, Leben Jesu kritisch bearbeitet I 1835, Einleitung, Der
mythische Standpunkt. II 1836, 9. Kap., Wunder Jesu. Ders., das Leben Jesu f. d. deutsche
Volk, § 25 Begriff des Mythus, § 71 Wunder Jesu. Vgl. Joh. Weiß, Die Schriften des
N. T. I 43 f.
Erlösungstypen.
225
samkeit zu finden. Der Einzelbesprechung der evangelischen Rettungstypen schicken
wir noch die für alle geltende Bemerkung voraus, daß der Christus nicht überall mit
dargestellt wurde; seine Gestalt fehlt gerade in der ältesten Totenerweckung und in
den meisten Exemplaren des Gichtbrüchigen, kann also nicht den Hauptakzent getragen
haben. Wo er aber zur Darstellung gekommen ist, da erscheint auch er unbärtig und
er als Regel „angezogen", in Rock und Mantel (Chiton und Himation, lateinisch tunica
und pallium).
Die Auf er weckung des Lazarus wurde gern gemalt, 50 Exemplare sind er-
halten. Nach einigem Tasten hat sich im späteren zweiten Jahrhundert der Typus
fixiert. Wesentlich ist die Gestalt des Lazarus; in ein Tuch gehüllt oder wie eine
Mumie gewickelt steht er vor dem Grab oder in dessen Tür. Das Grab, nicht das
bei Johannes vorausgesetzte palästinensische Höhlengrab, ist als Freibau dargestellt,
nach Art der vor den Toren Roms an den Heerstraßen errichteten Mausoleen, wie sie
in Ruinen noch vielfach erhalten
sind, besonders an der appischen
und der latinischen Straße. Von
den mannigfachen dort verwen-
deten baulichen Typen ist fürdas
Grab des Lazarus die Adicula
meist in Form eines Giebel-
hauses gewählt, mit einer zur
Tür hinaufführenden Freitreppe
(in der Deckenmalerei oben
Seite 155); der Gruftbau fehlt
Tai 93. 240, 2. Der Christus
fehlt im ältesten Exemplar; ge-
legentlich findet er sich ohne
Leibrock im bloßen Mantel
(Taf. 39, 1), ein andermal im
Talar (190), beides teilt er
mit anderen Figuren je derselben Gruft, es ist also Laune des Künstlers. In
einem späten Exemplar steht sein Kopf im Nimbus, der einzige Fall eines nimbierten
Christus in den Rettungsbildern (Taf. 250> 1). Aus den unten zu besprechenden Typen
Mosesquell und Brotvermehrung ging der Zauberstab auch in die Auferweckung des
Lazarus über; der Christus hält ihn nur attributiv in der Linken Taf. 46, 2, aber
durch ihn wirkend in der Rechten 45, 2. — Neben Lazarus ist in Priscilla einmal, im
vierten Jahrhundert, die Auferweckung der Jairustochter gemalt. Das Bild ist sehr
beschädigt, man erkennt nur die Bettstelle mit etwas von einer Decke, und den
untersten Teil der Christusfigur; erklärbar wird es erst durch Vergleichung einiger
dasselbe Sujet darstellender Sarkophagreliefs. Wir stellen fest, daß die Erzählung der
Synoptiker für die Malerei später verwertet worden ist als die johanneische.
Die synoptischen Totenerweckungen (Jairustochter Mk. 5, 22. Mt. 9, 18. Luk.
8, 41, Jüngling zu Nain Lk. 7, 11) sind Zeichen der messianischen Zeit beziehungs-
weise Beglaubigungswunder wie die Heilungen. Dasselbe gilt modifiziert auch für die
Erweckung in der johanneischen Dichtung; sie läßt den Lazarus, statt wie in der
Parabel Lk. 16, 19 durch Engel in Abrahams Schoß, vielmehr durch den Christus
Auferweckung des Lazarus.
Coem. Callisti, Gruft A6.
Sybel, Christliche Antike I.
15
226
Die Erlösung.
wieder zum Leben bringen; durch die Totenerweckung wird bestätigt, daß er, der „in
die Welt gekommene Sohn Gottes" „die Auferstehung und das Leben" ist, V. 27, 25.
„Wer an mich glaubt, wird, wenn er auch stirbt, leben", das ist der Sinn des Lazarus-
typus in den Katakomben; es ist auch hier an unmittelbaren Eingang aus dem Tod
ins ewige Leben gedacht, die künftige Auferstehung des Fleisches liegt auch hier
höchstens im Hintergrund.1)
Der Gichtbrüchige (eig. Gelähmte, Paralytische) Mk. 2, 1. Mt. 9, 2. Lk. 5, 18.
Job. 5. Den Doppelkern der Geschichte hat die johanneische Umdichtung festgehalten:
„Stehe auf, hebe dein Bett auf und gehe; und sofort wurde der Mensch gesund, hob sein
Bettauf und ging". Und wiederum (statt des synoptischen
„Dir sind deine Sünden vergeben") „Du bist gesund
geworden, sündige nun nicht mehr, damit dir nicht
etwas Schlimmeres geschieht". An die Stelle des
Hinablassens in das Haus zu Jesus tritt das Hinab-
steigen in den Teich. Der bildliche Typus gibt das
Wesentliche der Heilungsgeschichte: der Geheilte eilt mit
dem Bett auf den Schultern davon. Meist ist nur er ge-
geben, der Christus tritt nur ein paarmal dazu (Taf. 68, 2.
212; wir haben kein Recht, ihn in den zerstörten Bild-
feldern Taf. 27, 3. 74, 1 vorauszusetzen, noch dazu
gegen alle Wahrscheinlichkeit). Einmal ist der Geheilte
nackt gemalt; das mag unter Einwirkung des johanneischen
Eintauchens in den Teich geschehen sein, obwohl ja
gerade unser Kranker gesund wurde, ohne je in das
Wasser gelangt zu sein. Es ist daher recht gekünstelt,
unseren Mann als Symbol der Taufe zu deuten; nur das
Untertauchen im Teich Bethesda selbst ließe sich füglich so verwerten. Den Sinn
des bildlichen Typus spricht die an die Erzählung angeschlossene Rede aus: „Wer
mein Wort hört und dem der mich gesandt hat vertraut, hat ewiges Leben und kommt
nicht ins Gericht, sondern geht aus dem Tod in das Leben", V. 24.2)
Die Blinden h eilung. Alle vier Evangelien bringen den Mythus, Markus und
Matthäus doppelt Mk. 8, 22. 10, 46. Mt. 9, 27. 20, 30. Matthäus läßt jedesmal zwei
Blinde heilen. Bei Mk. 10, 46. Lk. 18, 35 geschieht die Heilung durch bloßes Wort,
bei Matthäus beidemal durch Berühren mit dem Finger, bei Mk. 8, 22. Joh. 9, 1
(hier ists ein Blindgeborener) durch umständlichere magische Manipulation; dort spuckt
Jesus auf die blinden Augen, hier macht er aus Erde und Speichel einen Teig, den
der Blinde an einem bestimmten Teich abwaschen muß. Daß er bei Markus nach
dem Bespucken (dergleichen Appetitlichkeiten gelten in der Magie viel) dem Blinden
die Augen zuhält, gehört nicht zum Heilverfahren; der Verfasser glaubt das Wunder
Der Gichtbrüchige.
Coem. Petri et Marcellini.
*) Lazarus: Wilpert, Malereien 43. 310 m. Verz. — Jairustochter: Wilpert 322.
2) Der Gichtbrüchige: Wilpert, Malereien 42. 264. 218. Die Teilung der im ganzen
20 Exemplare in zwei Klassen, deren eine die johanneische Heilung am Schafteich als Taufsymbol, die
andere das synoptische Rettungswunder darstellen solle, ist gesucht und angesichts der Gleichheit
des Typus unhaltbar. Auch von dem für die zweite Klasse behaupteten Ausdruck des Glaubens
an die „Gottheit" Christi kann keine Eede sein; die Erklärung ist doppelt falsch, es müßte heißen:
Ausdruck des Glaubens an die Seligkeit durch den Sohn Gottes.
Erlösungstypen.
227
plausibler zu machen, indem er die Heilung sich fortschreitend entwickeln läßt: beim
ersten Wegnehmen der Hände sieht der Patient die Menschen „wie wandelnde Bäume",
das meint in verschwimmenden Umrissen, beim zweiten sieht er dann scharf. Es gibt
nur zwei sichere Bilder der Blindenheilung, beide aus dem dritten Jahrhundert, in
Domitilla (nur in der Kopie bei Bosio erhalten, unsere Abbildung) und in Petrus und
Marcellinus; im ersten berührt oder bestreicht Jesus die Augen mit dem Finger, im
zweiten mit der ganzen Hand. In beiden Bildern kniet der Blinde, obwohl die Texte
nichts von dergleichen sagen; es mag wohl so gemalt sein, weil beides Gegenstücke
sind zu Malereien mit je einer knienden Figur, das eine Mal glaubt man des Aus-
sätzigen, das andere Mal der Blutflüssigen. Beide Blinde breiten die Hände aus, der
erste weniger (das kann Gebärde der Bereitschaft und Erwartung sein), der andere
mehr: da spielt sicher das typische Orantenschema der Seligen in das Prototyp.1)
Heilung des Blinden. Heilung des Aussätzigen.
Coem. Domitillae, cubiculum III.
Soweit erklären sich die Rettungstypen leicht; es gibt aber ein paar, die, weil
nicht genügend individualisiert, Zweifel übrig lassen. Der eine kommt nur ein paar-
mal vor: ein Mann kniet, auf nur einem Knie, vor Jesus, der mit geöffneter Hand
vor ihm steht (unsere Abbildung, neben der des Blinden). Sicher scheint, daß die
Bitte des Mannes von Jesus erfüllt wird; aber um welchen Kranken handelt es sich?
Wilpert denkt an den Aussätzigen Mk. 1, 10. Mt. 8, 2. Lk. 5, 12; denn dieser
kniet vor Jesus (so bei Markus; bei Matthäus adoriert er, bei Lukas wirft er sich
auf sein Gesicht zu Boden). Aber in den Evangelien vollzieht Jesus die Heilung
durch Berühren, im Bilde nur durch sein Wort. Freilich weicht ja auch die Heilung
des Blinden von den Textworten ab; diese Abweichung jedoch, das Knien des Blinden,
in der Tat wohl auf künstlerischen Gründen beruhend, ist unerheblich, durch die Be-
rührung der Augen wird die Krankheit unmißverständlich gekennzeichnet. Eine ent-
sprechend klare Kennzeichnung wird in unserem Typus vermißt. Deutlicher ist die
Darstellung in der Malerei einer Gruft an der Via Latina; da berührt Jesus den
Knienden an der Schulter; dies meint wohl sicher den Aussätzigen. — Der andere
') Blindenheilung: Wilpert, Malereien 54. 220 n. 1 und 2.
15J
228 Die Erlösung.
Typus zeigt einen vor Jesus Stehenden; er ist bekleidet, meist mit der ungegürteten
Tunika, und breitet die Hände seitwärts aus, anfangs weniger, später mehr, so daß er
nun fast genau das Orantenschema der Seligen wiedergibt (Taf. 129, 2). Einmal hält
Jesus die Zaubergerte in der Linken (Taf. 68, 3), zum Zeichen, daß es sich um eine
Heilung handelt; immer legt er dem Kranken die Hand auf. Wilpert erklärt ihn als
den Blinden nach seiner Heilung, das Handauflegen sei als der allgemeinste Gestus
für Gnadenerweisungen zu betrachten. Dagegen spricht, daß die Blind enheilung in
einem verständlich entworfenen Typus bereits vorlag; man versteht nicht, wie die
Maler dazu gekommen sein sollen, einen zweiten minderverständlichen bildlichen Aus-
druck derselben Sache danebenzustellen. Das Handauflegen ist aber doch die
Manipulation, durch welche die Heilung vollbracht wird, wie es bei der kontrakten
Frau heißt: „er legte ihr die Hände auf und sofort richtete sie sich auf Lk. 13, 13.
Der Gestus schließt also die Deutung auf einen bereits Geheilten aus; daß etwa Jesus
einen solchen hinterher noch durch Handauflegen gesegnet hätte, wird auch nirgends
gesagt, der Geheilte hatte seinen Segen. Es käme nun darauf an, eine bessere Er-
klärung zu finden. Könnte es der Aussätzige sein, den Jesus allerdings durch
Berühren heilt, wenn auch nicht gerade durch Handauflegen? nicht allzuschwer
würde das Fehlen des Kniens, als eines nebensächlichen Moments, in die Wagschale
fallen. Bei der verhältnismäßigen Kleinheit dessen, dem die Hand aufgelegt wird,
könnte man ferner an den epileptischen Knaben denken; freilich wäre die sehr
charakteristische Schilderung des Vorfalls im Bilde ersetzt durch das ganz allgemeine
Schema der Heilung mittels Handauflegen. Oder könnte endlich das Segnen der
Kinder gemeint sein (Mk. 10, 16. Mt. 19, 15)? Die Kinder sind da Typen solcher,
die in das Gottesreich kommen, das heißt in den Katakomben in den Himmel. Die
in einem Exemplar vorkommende Zauberrute würde dabei freilich bedeutungslos sein
(nur gedankenlos aus den Heilungen in das Bild übertragen) oder geradezu die Macht
des Christus über den Tod andeuten. Wir halten die Frage der richtigen Inter-
pretation für beide Typen vorläufig offen.1)
Der Besessene von Gerasa, Mk. 5, 1. Mt. 8, 28. Lk. 8, 26, nicht bei Johannes.
Markus und Lukas lassen nur einen Besessenen auftreten, bei Matthäus sind es zwei;
ausgetrieben wird eine „Legion" Dämonen, mit Jesus' Bewilligung fahren sie in eine
Herde Schweine, die sich dann ins Meer stürzt. Der Dämonische war tobsüchtig,
Lukas zufolge hatte er seit langer Zeit kein Oberkleid getragen; aber nach der
Heilung saß er angezogen und vernünftig bei Jesus. Es gibt nur ein Bild, des vierten
Jahrhunderts. Der Maler setzt für nichtangezogen ohne weiteres nackt. Er stellt das
Zusammentreffen dar und zwar nach Lukas; bei Jesus' Nahen lief der Besessene herzu
und fiel vor ihm nieder (bei Markus adorierte er ihn bloß), er kniet auch im Ge-
mälde. Jesus legt ihm die Hand auf, eine Manipulation statt der in den Evangelien
gesprochenen Worte. Ein ravennatisches Mosaik, das der Gruppe die Schweine hinzu-
fügt, bestätigt die Deutung.2)
*) Typus eines Knienden (sog. Aussätzigen): Wilpert, Malereien 222 Taf. 72, 2; das andere
Exemplar nur bei Garrucci, Storia II Taf. 29, 4 (unsere Abbildung neben dem Blinden als
dem Gegenstück). Via Latina: Wilpert 539 Taf. 265. 266. — Typus des Stehenden (sog. ge-
beilten Blinden): Wilpert, Malereien 221 n. 3—7.
2) Der Besessene: Wilpert, Malereien 223 Taf. 246. — Mosaik in San Apollinare nuovo:
Garrucci, Storia IV 248, 2.
Erlösungstypen.
229
Die Heilung der Blutflüssigen
Mk. 5, 25. Mt. 9, 20. Lk. 8, 43,
nicht bei Johannes. Sie tritt von
hinten an Jesus heran und berührt
sein Gewand (so Markus), den Saum
seines Gewandes (Matthäus und
Lukas). Es wird nicht gesagt, daß
sie dabei niederkniete, war es aber
der Saum, den sie berührte, so mußte
sie mindestens sich bücken. Erst
nach der Heilung, da Jesus sich um-
wendet und fragt, wer ihn berührt
habe, kniet sie nieder (dies nur bei
Markus und Lukas). Das früheste
Bild, aus dem zweiten Jahrhundert,
zeigt Jesus mit zwei Jüngern stehend;
hinter dem Rücken der Jünger auf
den Knien herankommend berührt
die Frau den Saum von Jesus' Gewand (unsere Abbildung und Wilpert Taf. 20).
Das Knien entspricht nicht dem Text, ist aber innerlich nicht falsch, erscheint auch
in der Geschichte, bei Markus und Lukas, allerdings erst an späterer Stelle. Die
Darstellung aber ist so treffend, gerade das Herankommen von hinten und das ver-
stohlene Anfassen des Kleides, daß es jede andere Deutung ausschließt; denn man
hatte auch an die Kananäerin Mk. 7, 25 gedacht, die sich vor Jesus niederwirft, aber
sie tut es nicht hinter seinem Rücken und berührt nicht sein Gewand. In jüngeren
Exemplaren unseres Typus fehlen die zwei Jünger, Jesus ist allein mit der Frau, die
den Mantel über den Kopf gezogen hat; in anderen Spielarten des Bildes hält Jesus
den Zauberstab in der Hand und die seit zwölf Jahren Blutflüssige ist im Gesicht als
alt gezeichnet.1)
Heilung der Blutflüssigen.
Coem. Praetextati.
Erlösungsmittel.
In einigen Fällen des Gelages fanden wir eine Reihe Körbe dazu gemalt, gefüllt
mit denselben Brötchen, die in den Mahlszenen bei oder auf den Schüsseln zu liegen
pflegen. Wir fragen nach Herkunft und Bedeutung dieser Brotkörbe und sagten
sofort, sie kämen aus dem Mythus der wunderbaren Speisung der Tausende, wie sie
die Evangelien erzählen, wenn schon in der Katakombenmalerei das Gelage selbst in
das Jenseits versetzt sei. Dieselben Brotkörbe nun bilden den Hauptgegenstand eines
besonderen bildlichen Typus, der unter dem Namen der Brotvermehrung oder des
Brotwunders geht.
Der bildliche Typus, abgesehen von dem Mahle, zeigt die Reihe der vollen Brot-
körbe, meist sieben, dazwischen oder dazugestellt aber die Gestalt des Christus, der
mit einem Stäbchen einen der Körbe berührt (Wilpert, Taf. 45, 1. 54, 2). Der Sinn
ist, daß er eben die wunderbare Vermehrung der Brote bewirkt und zwar vermittels
x) Blutflüssige: Wilpert, Malereien 216.
230 Die Erlösung.
des Zauberstäbchens. — Es kommen einige Varianten des Typus vor: einmal steckt in
jedem Korb nur ein Brot, Wilpert, S. 295 Fig. 23, ein andermal soll Jesus zwei
Stäbchen halten, in jeder Hand eins, doch scheint das zweifelhaft, Taf. 115; oder
er bewirkt das Wunder mit der bloßen Hand, ohne Stäbchen, Taf. 142, 2, und
was dergleichen unwesentliche Nuancen mehr sind. In die Augen springt die
Abweichung vom Speisungswunder der Evangelien: dort waren die Tausende
gelagert, Jesus hatte nur wenige Brote und Fische, die unter seiner Hand nach
dem mythologischen Schema des Öls der Witwe und der Brote des Elisa Kön. II 4
sich wunderbar vermehrten, so wunderbar, daß nicht bloß die Menge satt wurde,
sondern die aufgesammelten Brocken noch sieben, oder zwölf Körbe füllten; hier
dagegen fehlt das Gelage der Tausende, die Brotvermehrung ist als selbständiges
Wunder erzählt, eine wunderbare Füllung leerer Körbe, bewirkt durch einen Zauber-
stab. Ein solcher Parallelmythus zum Speisungswunder hätte ganz wohl sich bilden
können; da die Evangelientradition aber von dergleichen nichts weiß, so scheint der
Maler, der die Unerschöpflichkeit bildnerisch nicht ausdrücken konnte, ihn fingiert zu
haben. Der Typus steht dem Weinzauber zu Kana näher.1)
Neben die wunderbare Brotvermehrung stellt sich der Weinzauber, die Ver-
wandlung des Wassers in Wein nach der Erzählung von der Hochzeit zu Kana Joh.
Kap. 2. Wir gedachten der Hochzeit zu Kana oben als des frühesten Mahlbildes
in Pietro e Marcellino. Die in den älteren Gelagszenen typischen sieben Gäste ruhen
am Sigma. Im Vordergrund links kommt ein Aufwärter mit einer Schüssel, rechts
aber steht der Christus und berührt mit dem Zauberstäbchen einen der sechs Misch-
krüge, die vor ihm stehen (es sind henkellose Kratere). Typologisch, so sagten wir,
ist das Bild durchaus ein Seligenmahl, nur erweitert durch Hinzufügung des Wein-
wunders. Das Hochzeitsmahl des himmlischen Bräutigams war, soweit die uns erhaltene
Literatur zu urteilen erlaubt, der Keimpunkt, aus welchem die johanneische Hochzeit
zu Kana entstand; das als künftig und jenseitig gedachte Mahl des himmlischen
Bräutigams wurde mythisiert, zurückgespiegelt in die diesseitige Gegenwart des Christus,
der als Thaumaturg einen übernatürlichen Wein zu dem Gelage zaubert. Nur ist er
dann nicht mehr der Bräutigam, sondern er gibt gleichsam die Hochzeit, genau gesagt
ist's der Wunderwein, den er gibt. Der Maler aber hat, um die Hochzeit zu gestalten,
auf den Typus des jenseitigen Mahls der Seligen zurückgegriffen; und um die Hochzeit
als die zu Kana zu charakterisieren, hat er den besonderen Typus des Weinzaubers
hinzugefügt. — Ähnliches scheint sich bei dem Mahlbild von der Via Latina wieder-
holt zu haben; es gehört ins vierte Jahrhundert und steht unmittelbar über dem
Grabtrog. Es sollen hier zwölf Gäste sein, der erste freilich ist in der Abbildung nur
zu ahnen. Links vom Gelag steht eine Orantenfigur, rechts der Christus mit dem
Stäbchen. Aber welches Wunder bewirkt er, den Brot- oder den Weinzauber? Die
entscheidende Stelle der Malerei ist durch ein nachträglich eingehauenes Fachgrab leider
zerstört. Wilpert entscheidet sich für die Brotvermehrung, Christus berühre mit dem
Stabe einen der Brotkörbe, welche „bis auf den obersten auf der linken Seite" dem
Fachgrab zum Opfer gefallen seien. Soweit die schwer zu entziffernden Abbildungen
*) Wilpert, Malereien 45. 292, mit Verzeichnis von 28 Exemplaren aus dem dritten und
vierten Jahrhundert; dazu das allerdings problematische Exemplar von der Via Latina, Wilpert,
Seite 539.
Erlösungsmittel. 231
etwas erkennen lassen, ist oberhalb des Stäbchens, aber vielleicht auch außerhalb
seines Bereichs, etwas vorhanden, was allenfalls für den Oberteil eines Brotkorbes
gelten kann; dagegen sieht man unterhalb des Stäbchens ziemlich deutlich (deutlicher
in der Gesamtansicht des Arkosols) die Mündung eines Kraters, der sowohl denen
der vorbesprochenen Hochzeit zu Kana gleich gewesen sein könnte wie auch dem beider-
seits unseres Bildes von schlanken Pflanzenstengeln gleichsam als Blüten getragenen,
allerdings mit Ringhenkeln versehenen (hier gedenkt man der im Elysium von Bäumen
zu pflückenden Becher bei Lucian). Dann hätten wir im Gemälde von der Via
Latina eine Analogie zur „Hochzeit zu Kana". Doch möchten wir nichts entscheiden.
— Die zwei Wunder, Brotvermehrung und Wasserverwandlung, sind noch im dritten
Jahrhundert in Pietro e Marcellino als Pendants sich gegenübergestellt worden.
Höchstens hypothetisch läßt sich das Bilderpaar an der Eingangswand der Gruft 33
rekonstruieren; erhalten ist es an den Laibungen eines Arkosols: links sieht man das
Brot-, rechts das Weinwunder. Beide sind rechte Gegenstücke, auch formal; der
Christus mit dem Zauberstab ist in beiden Bildern derselbe, und den Brotkörben des
einen entsprechen die Mischkrüge des anderen Typus.1)
Abgekürzte Darstellungen oder Anspielungen auf Brot- und Weinzauber in ihrer
Gegenüberstellung sind gewiß vorgekommen; doch hat es mit allem, was derart ange-
führt wird, besondere Bewandtnis. Im Coeni. maius sind in die verhältnismäßig kleine
Lünette, des Arkosols in Gruft I, sieben Gefäße abgestumpft-konischer Gestalt neben
zwei spitzendigenden Kannen gemalt; Wilpert sieht in den Gefäßen Körbe, so daß
hier sieben Körbe und zwei Kannen auf Brot- und Weinwunder anspielten. Doch
sind die Gefäße so klein im Verhältnis zu den Kannen, daß man sie eher für Becher
halten möchte. — In Domitilla stehen links von einer zentral angeordneten Orans
sieben Körbe, denen rechts sechs Mischkrüge entsprochen haben mögen; sie sind jetzt
verblichen. — In Pietro e Marcellino, im Scheitelrund eines Bogens, thront Christus
zwischen einem mit Broten gefüllten Kasten und drei Mischkrügen. Der Brotkasten
ist in der Malerei Unikum.2)
Brot- und Weinzauber treten beide im früheren dritten Jahrhundert auf, also
ungefähr gleichzeitig. Da erhebt sich die Frage nach dem Ursprung der zwei so
übereinstimmenden Typen: welcher wurde zuerst geschaffen und diente dem anderen
zum Vorbild? Da die gereihten Brotkörbe, ohne den zaubernden Christus, schon im
zweiten Jahrhundert erscheinen, so liegt es nahe, die Brotvermehrung als den früher
geschaffenen Typus und das Weinwunder als ihm nachgeschaffen zu denken. Indessen
muß man berücksichtigen, daß der Typus des Brotwunders allzustark von den evange-
lischen Darstellungen des Speisungswunders abweicht, als daß man ihn rein von dort
aus entstanden glauben könnte; er muß das neue Element, den zaubernden Christus,
anders woher genommen haben. Der Typus des Weinwunders hingegen ist ein ver-
hältnismäßig unmittelbarer, bildlicher Ausdruck des johanneischen Vorgangs der
magischen Wasserverwandlung. Daher muß die Frage offen gehalten werden, ob nicht
das Weinwunder zuerst gestaltet und ihm dann unter Benutzung der von früheren
Malern geschaffenen Brotkörbe der Typus des Brotwunders nachgebildet sei.
1) Kana: Wilpert, Malereien 301 f. Taf. 57. Via Latina: eb. 538 f. Taf. 265. 267. Gruft 33:
eb. 303 Taf. 105, 2. Arkosol: eb. 302 Taf. 186, 1.
2) Maius: Bosio, Roma sott. 447. Garrucci, Storia II Taf. 60, 2. Wilpert, Mal. 301 Fig. 26.
— Domitilla: Wilpert 305 Taf. 92, 1. — Pietro e Marcellino: Wilpert 306 Taf. 166, 1.
232 Die Erlösung.
Eine abgekürzte Darstellung anderer Form, aber verwandten Inhalts, fügen wir
an. Brotkorb nämlich und Fisch, zusammengestellt auf grüner Fläche, finden sich
an einem Fachgrab des Hypogaeums Lucinae zweimal, in symmetrischer Gegenüber-
stellung. De Rossi meinte, der Fisch schwimme in Wasser und trage den Brotkorb
auf dem Rücken; der Fisch bedeute den Christus, der die geistige Speise, das Brot,
trage oder bringe. Jeder Archäologe mußte sich schon immer sagen, der Fisch
schwimme nicht in Wasser, sondern liege auf grünem Rasen, und den Brotkorb trage
er nicht, sondern er liege neben ihm. Nun hat Wilpert eben dies als das Tatsächliche
festgestellt, und seine photographische Reproduktion bestätigt es: der Fisch liegt
hinter dem Brotkorb, mit diesem auf demselben Rasen. Nun bleibt noch ein dunkler
Punkt. Der Korb sieht vorn aus wie durchbrochen gearbeitet, und in den Durch-
brechungen steht rote Farbe. De Rossi erklärt sie für Rotwein, der in einem Glase
innen im Korbe stehe; es sei also Brot und Wein gemalt, die zwei Gestalten der
Eucharistie, welche der Fisch, das ist Christus, trage. Wie soll man sich das aber
vorstellen? in einem mit Brötchen gefüllten Korb soll ein Glas Rotwein stehen? Das
ginge nicht ohne höhere Magie. Oder soll das Glas Rotwein in einen leeren Korb
gestellt und auf dessen Rand nur eine Platte mit Brötchen gesetzt sein? Solch ein
Rationalismus wäre zu dumm. Man könnte noch fragen, ob der Korb, wenn er wirk-
lich durchbrochen gearbeitet ist, etwa nur mit rotem Stoff gefüttert wäre, in der Art
unserer eleganteren Papierkörbe; aber von so künstlich gearbeiteten Körben, vollends
Brotkörben, gibt es im ganzen Altertum keine Spur. Wilpert jedoch will „ganz
deutlich einen dicken Glasbecher erkennen". An dem Bildchen links ist in der Tat so
etwas sichtbar. Diese schattenhafte Spur eines sehr großen Weinglases, das übrigens
einen Stielfuß haben müßte, ist aber breiter als die durchbrochen gearbeitete Stelle,
das Weinglas stände also nicht im Korb, sondern davor. Nur müßte dann aber
auch von dem Stielfuß eine Spur erkennbar sein, mindestens im Grase; das scheint
aber nicht der Fall zu sein. Fiele der Wein fort, so gehörte das Motiv zu den Mahl-
bildern, als deren Abbreviatur; andernfalls verbände es mit den Speisen der Mahle,
Brot und Fisch, den in der Hochzeit zu Kana eingeführten Wein.1)
Die Samariterin am Brunnen in ihrer Unterredung mit Jesus, Joh. 4. Diese
Szene kommt nicht oft vor, aber zwei Exemplare stammen noch aus dem zweiten
Jahrhundert. Der Brunnen ist dargestellt als Mündung einer Zisterne, zylinderförmig
ragt sie aus dem Boden; man schöpfte daraus mittels eines Eimers, den man an
einem Strick hinabließ. Also ein Ziehbrunnen. Solche Brunnenränder aus Marmor,
Puteale, in deren innere Kante die laufenden Seile oft Rillen eingeschliffen haben, sind
aus dem Altertum erhalten. Im ältesten Bild hält die Samariterin eine Trinkschale in
den Händen, während der vor ihr stehende Christus, in Leibrock und ausnahmsweise
rotem Mantel, zu ihr spricht Taf. 19; in einem späteren Exemplar hält sie den Eimer
am Strick über der Brunnenmündung Taf. 54, 2. Diesmal steht sie allein, ohne den
Christus, als Gegenstück zu einer anderen Einzelfigur; beide bilden Bestandteile des
größeren Arrangements an der Frontwand eines Nischengrabes (in Domitilla, Gruft III).
Jedes der drei Bilder wird von einem eigenen Rahmen umschlossen, ist also in sich
*) De Rossi, Roma sott. I Taf. 8. Wilpert, Malereien 288 Taf. 27, 1. 28. Ein pompejanisches
Stilleben mit Brot und einer Flasche Rotwein bei Presuhn, Pompeji 1882 Abt. VIII S. 6 Taf. 7.
Vgl. die Überlieferung von der durchscheinenden Glasschale, die Pausias malte, Paus. II 27, 3,
dazu Six im Archäol. Jahrbuch 1905, 162 mit Belegen.
Erlösungsmittel.
233
Samariterin am Brunnen.
Coem. Praetextati.
abgeschlossen: im größeren Mittelbild über
der Nische sehen wir das Brotwunder, im
Nebenfeld links die Samariterin am Brunnen,
rechts den Christus noch einmal, und zwar
in einer dritten Variante des Brotzaubers, er
trägt die aus den Speisungsgeschichten be-
kannten fünf Brote in einem Bausch seines
Mantels. Das Schema der Gestalt erinnert
an den Antinous im Museum des Lateran,
der Blumen und Früchte im Gewandbausch
trägt; ähnlich wird auch die Höre des Früh-
lings abgebildet. Blumen und Früchte
sammelte man im Gewandbausch, daher der
Typus der Höre und sekundär des Antinous.
Solchen heidnischen Göttern ist dann der
Christus nachgebildet, mit den Broten im
Gewandbausch. Es ist der johanneische
Christus, er trägt das Brot des Lebens, Joh. Kap. 6, wo sich die Rede vom Brote
des Lebens an die Erzählung vom Speisungswunder anschließt. Unser Mittelbild, die
Brotvermehrung, und das rechte Nebenbild, der Christus mit den fünf Broten im
Bausch, führen das Brot des Lebens vor Augen, das linke Nebenbild, die Samariterin
am Brunnen, das johanneische Wasser des Lebens. Nicht als ob die Samariterin das
„Wasser des Lebens" aus der Zisterne schöpfte; gerade im Gegensatz zum Zisternen-
wasser ist das „Wasser des Lebens" vielmehr als Quellwasser gedacht und wird vom
Christus geboten. Die Einzelfigur der Samariterin am Brunnen wurde vom Maler
gewählt als in der Kürze deutlichste Vergegenwärtigung der ganzen Szene, in der
dem Christus die Hauptrolle zufällt. Immerhin mag der Typ bisweilen mißverstanden
worden sein, als ob das Brunnenwasser das Wasser des Lebens sei.1)
Moses' Quellwunder. Als es den Israeliten in der Wüste an Trinkwasser
fehlte, da schlug Moses, auf des Herrn Geheiß, mit dem Stabe, mit dem er in Ägypten
bei den Plagen in den Fluß geschlagen hatte, den Fels; es kam Wasser daraus, und
die Israeliten tranken Exod. 17. Der bildliche Typus, unmittelbar ansprechend als
ein Bild der Errettung aus Todesnot und zugleich der Erquickung in der Seligkeit,
gehört zu den am häufigsten gemalten, Wilpert zählt 68 Exemplare, sie reichen vom
Anfang des zweiten bis zum Ende des vierten Jahrhunderts (das älteste Exemplar bei
Wilpert Taf. 13. Vgl. unsere Abbildungen Seite 154 und 155). Moses, in der
Regel bartlos, bärtig nur in einigen Exemplaren der letzten Zeit (Wilpert Taf. 122,
x) Samariterin am Brunnen: Wilpert, Malereien 224. 423. Wilpert bringt auch hier die
Bilder, so wenige es sind, unter zwei verschiedene Bubra verteilt; die einen versteht er als Ausdruck
des Glaubens an Jesus als den verheißenen Messias, die andern als Ausdruck des Gebets, daß
Gott den Verstorbenen das Befrigerium verleihen möge. Der Glaube an Jesus als den Christus
ist selbstverständliche Voraussetzung aller Katakombenbilder; wiederum alle sind nicht Ausdruck
eines Gebetes, sondern der festen Zuversicht, daß die Verstorbenen des Brotes und Wassers des
Lebens teilhaft geworden sind. — Frühlingshore: Bapp in Boschers Lexikon I 2736. —
Antinous: Heibig, Führer in Bora2 I n. 653 (Antinous als Vertumnus?). Wernicke bei Pauly-
Wissowa I 2441.
234
Die Erlösung.
1. 143, 2. 186, 2 usf.), schlägt mit dem Stab an den Felsen und es springt ein
reicher Wasserstrom hervor. Der Stab ist nicht etwa der große, wie ihn die
Männer zu führen pflegten, auch Moses in den Auszugsgeschichten (das griechische
Skeptron), sondern es ist dasselbe kürzere Stäbchen, das wir in den Wunder-
geschichten öfter in der Hand des Christus sahen, der Zauberstab. Im Bilde mußte
das aus dem Fels hervorbrechende Quell wasser als die Hauptsache gelten, nötig
war noch die Gestalt des den Fels schlagenden Moses, andere Israeliten sind in der
Regel nicht hinzugefügt. Letztere treten erst mit dem vierten Jahrhundert in das
Bild ein; im ersten Beispiel wurde hierzu der Typus geändert: Moses schlägt nicht
an den Fels, sondern führt einen Israeliten an der Hand zum Quell (Taf. 119, 1). In
Moses auf dem Berge Horeb. Moses' Quellwuuder.
Coem. Callisti, cripta delle pecorelle.
fünf anderen Bildern ist je ein Israelit trinkend dargestellt; er beugt sich zum Wasser
vor und faßt es mit den Händen auf (Taf. 237, 2 und unsere Abbildung). Die Figur
des trinkenden Israeliten ist wichtig für die Deutung des Bildes: der Quell aus dem
Fels war zum Trinken bestimmt, wie in der Erzählung des Exodus, so auch in der
Katakombenmalerei. Mehrmals finden wir den Quellzauber neben das Brotwunder oder auch
ihm als Gegenstück gegenübergestellt (in der „ Bäckergruft " Taf. 142, 2, in der Cripta
delle pecorelle Taf. 237), mit anderen Worten, das Wasser des Lebens dem Brot des
Lebens. In der „Samariterin am Brunnen" kam nicht das Wasser des Lebens selbst
zur Darstellung, sondern die Szene, in der Jesus davon spricht; dagegen im Quell-
wunder wird das Quellwasser selbst gemalt.1)
*) Moses' Quellwunder: Wilpert, Malereien 266 m. Verz. Er sieht in dem Typus meist
ein Taufsymbol; die Begründung entnimmt er nicht dem Bilde selbst, sondern seiner jeweiligen
Zusammenstellung mit gewissen anderen Typen. Daneben läßt er für einige Exemplare der
späteren Zeit zwei andere Bedeutungen gelten: als Bettungstypus, insofern die Israeliten vor dem
Verdursten gerettet wurden, und als Bilder der Erfrischung im Jenseits, des Refrigeriums, Erklä-
rungen, die beide ungezwungen und für den ganzen Typus zutreffend sind; durch die Beziehung
auf das in das ewige Leben springende „ Wasser des Lebens" werden sie nicht aufgehoben, nur
spezifiziert.
Erlösungsmittel. 235
Der Mannaregen, Exod. 16, 13 ff. Es gibt nur ein spätes Exemplar des Typus,
Wilpert Taf. 242, 2. Vier Israeliten stehen in der Wüste, zwei links, zwei rechts, und
fangen das wie Schneeflocken (sie sind blau gemalt) vom Himmel fallende Manna im
Gewandbausch auf. Das ist eine Abweichung vom Text, der das Manna jeden Tag
mit dem Morgentau fallen und danach durch die Israeliten vom Boden auflesen läßt.
Im Grunde ist auch dies ein Rettungsbild, es handelt sich um Rettung von drohendem
Hungertode. Weil es nun aber eine Rettung durch wunderbar (und zwar wiederum
gegen den Text vom Himmel herab) gespendete Speise ist, so glauben wir den Sinn
der Christen des vierten Jahrhunderts zu treffen, wenn wir den Typus in den gegen-
wärtigen Zusammenhang stellen.1)
Die Taufe. Johannes verlangte Umkehr, dann sollten die Sünden vergeben
sein, sonst würde das göttliche Strafgericht die Sünder treffen, jenes Gericht, welches
die Propheten den Feinden Israels anzudrohen pflegten. Als ein sinnfälliges Zeichen
der Umkehr im Sinne einer Reinigung vom Unsittlichen (ob in ritualistischer Auf-
fassung, das lassen wir dahingestellt) wählte er wie andere das Bad, er tauchte die
Willigen im Flusse unter. Jesus taufte nicht; wo unter dem Zauber seiner Persön-
lichkeit die Herzen auftauen, was braucht es da Zeremonien, geschweige denn
ritualistische? Sobald er den Seinen fehlte, sank alles von dem gehobenen Zustand
auf das gewöhnliche Niveau herab; die Führer einer nun erst zu sammelnden und zu
organisierenden Gemeinde glaubten eines Aufnahmeverfahrens nicht entraten zu können
und nahmen die Taufe des Johannes in den sakralen Gebrauch auf, denn es sollte
eine Gemeinde von Reinen, Heiligen sein (daß die Jünger selbst Getaufte gewesen
seien, ist nirgends gesagt). Und sie wußten einander zu erzählen, Jesus habe sich wie
die andern von Johannes im Jordan untertauchen lassen; und indem er aus dem
Wasser wieder herausstieg, da habe er, Jesus, gesehen, wie der Himmel sich teilte und
der Geist wie eine Taube auf ihn herabkam. Was Markus und Matthäus nur Jesus
sehen lassen, das erzählt Lukas als allgemein sichtbaren Vorgang, und der vierte
Evangelist, der Jesus' Taufe nicht kennt oder leugnet, läßt den Täufer förmlich
bezeugen, er selbst habe den Vorgang beobachtet und Gott habe ihn über ihre Be-
deutung aufgeklärt. Mk. 1, 9. Mt. 3, 13. Lk. 3, 21. Joh. 1, 32.
In der Cappella greca ist die Deckenmalerei meist mit dem Stuck herabgefallen;
von dem Bild der einen Decke blieb nur etwas Weniges haften; Wilpert erkennt
Wasser und vermutet, es habe zu einer Darstellung der Taufe gehört, sei es der
Jordantaufe oder der kirchlichen. Es würde das älteste Taufbild sein, aber es ist
nichts damit zu machen. Die frühesten Bilder, die wir haben, gelten der Jordan-
taufe, die späteren mehr dem kirchlichen Ritus. Im ältesten Exemplar ist das Wasser
des Flusses sehr breit und das Heraussteigen des als nackter Jüngling gegebenen
Jesus recht lebendig geschildert; der Täufer, in der Exomis, reicht ihm vom mählich
ansteigenden Ufer aus behilflich die Hand, so etwa wie Jesus beim Gehen auf dem
See dem versinkenden Petrus die Hand reichen würde nach Mt. 14, 31. Die Taube
fliegt von links oben nach dem nach rechts gewendeten Jesus hin, so daß er sie
nicht sieht; der Maler dachte sich mit Lukas die Erscheinung der Taube als allgemein
sichtbaren Vorgang (Wilpert Taf. 29, 1 und unsere Abbildung). Während die Auf-
fassung dieses Bildes durch die Evangelien bestimmt scheint, lehnen sich die übrigen
*) Man n aregen: Wilpert Malereien 388.
236
Die Erlösung.
Jesus' Taufe im Jordan.
Hypogaeum Lucinae, Gruft Y.
Darstellungen der Taufe
wohl mehr an den kirch-
lichen Ritus der früh-
christlichen Zeit an.
Der Täufling, nackt, in
den Proportionen eines
Knaben, steht mit dem
Taufenden in einem
flachen Wasser ; letzterer
hat die Hand auf dem
Kopf des Täuflings
liegen. Der Gestus war
ursprünglich zur Tauf-
handlung wesentlich;
denn Johannes tauchte
die Leute im Flusse
unter, also doch mit
seiner Hand, sie kamen,
um sich „von ihm unter-
tauchen zu lassen". Die
Prozedur wurde mit der
Zeit schrittweis gemildert, schließlich auf eine bloße Andeutung eingeschränkt; da
mochte denn auch die Hand auf dem Kopf ihre Bedeutung ändern. Auf Jesus' Taufe
werden die Bilder bezogen, in denen die Taube vorkommt und der Taufende nur
Exomis oder Lendentuch trägt (Wilpert Taf. 27, 3). Im dritten Jahrhundert kam
es auf, die Taube senkrecht von oben auf Jesus herabfliegen zu lassen, was dann
typisch wurde. In dem ersten Exemplar dieser neuen Anordnung steht Jesus, auch
hier knabenhaft gebildet, mit ausgebreiteten Händen betend. Es kann wieder durch
Lukas eingegeben sein, der ihn nach der Taufe anbeten läßt, wo dann der Himmel
sich öffnet und die Taube kommt; es kann aber auch hier, wie sonst so oft, bei
Daniel, Noah usf., das Orantenschema der Seligen in das Prototyp eingedrungen sein;
denn Jesus ist hier der Erstling der Getauften und Heiligen, derer, denen die Selig-
keit gewiß ist.1)
Den kirchlichen Taufritus meinen diejenigen Taufbilder, in denen die Taube
fehlt und der Taufende „angezogen" ist, also Rock und Mantel, richtiger Leibrock und
Überrock trägt (unsere nächste Abbildung). Die knabenhafte Bildung des Täuflings ist
von der Darstellung des Ritus in diejenige der Jordantaufe übergegangen; Wilpert
erklärt sie daraus, daß die Taufe als geistige Wiedergeburt aufgefaßt wurde, weshalb
die Getauften auch infantes, Kinder, und auf Inschriften Wiedergeborene, Neugeborene,
Knaben und Mädchen genannt werden (renati, neophyti, pueri, puellae).'2)
Der Fischer. Nur mit dem Lenden tuch angetan sitzt er am Ufer und zieht
mit der Angel einen Fisch aus dem Wasser. Der Typus des Anglers ist in der
heidnischen Kunst reichlich vertreten, in der römischen und pompejanischen Wand-
x) Jesustaufe: Wilpert, Malereien 257. Scherman, Eöm. Quart. 1903, 351.
2) Taufritus: Wilpert, Malereien 259.
Erlösungsmittel.
237
Die Taufe.
Coeni. Callisti, Gruft A2.
dekoration und in zum Teil meister-
haften Einzelschöpfungen wie der
Bronze in Neapel. In der Kata-
kombenmalerei kommt er nur dreimal
vor, im ersten und zweiten Jahr-
hundert. Einmal in der Flavier-
galerie, Wilpert Taf. 7, 1, dort zwischen
anderen übernommenen Typen, idyl-
lischen Kleinbildern , weidenden
Tieren, auch einem Hirten. Wilpert
glaubt daher auch dem Angler hier
nur dekorative Bedeutung zuerkennen
zu sollen; doch möchten wir an das
früher Gesagte erinnern, daß es
immer auf den Besteller, den Maler
und den Beschauer ankam, welche
Ideen ein jeder mit einem Zierbild
verbinden wollte. Der Angler tritt
überdies aus der Reihe der gewöhn-
lichen Dekorationsmotive doch etwas
heraus. Den Fischfang mit der
Angel erwähnen die Evangelien
gelegentlich des Staters, den Petrus im Maule eines mit dem Hamen zu fangenden
Fisches finden sollte, Mt. 17, 27; aber es würde allerdings gesucht sein, gerade dieser
Wundergeschichte eine sepulkrale Deutung unterzulegen. Dann wäre noch an die
Berufung der ersten Jünger zu denken (daß es sich da um Netzfischer handelt,
brauchte nicht urgiert zu werden). Jesus rief sie von ihrem Kahn ab: „ Folgt mir
und ich mache euch zu Menschenfischern u Mk. 1, 17. Mt. 4, 19. Lk. 5, 10, hier mit
Erweiterung des Vorfalls durch den wunderbaren Fischzug. Das vierte Evangelium
verwertet dies Material, erst im Nachtrag Kap. 21, in der Weise, daß der Auf-
erstandene den Petrus den wunderbaren Fischzug tun läßt (womit noch die Motive
Lk. 24, 41 und 30 verknüpft sind) und ihn dann statt zum Menschenfischer zum
Hirten seiner Schafe macht. Seitdem die Taufe als Aufnahmeverfahren eingeführt
war, pflegen christliche Schriftsteller die aus dem Taufwasser in den Stand der Heilig-
keit Gekommenen mit aus dem Wasser geangelten Fischen zu vergleichen und die
Taufenden mit Fischern. Deshalb sieht Wilpert im Anglerbild der Exemplare aus
dem zweiten Jahrhundert (Taf. 27, 2. 3) ein Taufsymbol, dies um so mehr, als der
eine Angler neben einem „Quellwunder" (das W. auch als Taufsymbol versteht), der
andere neben einer Taufe gemalt ist. In beiden Fällen dürfte die Nebeneinander-
ordnung ihren Grund aber lediglich darin haben, daß hier das Wasser vom Felsen-
quell, dort das Taufwasser dem Maler bequem lag für den Fisch, den der Angler
zieht. Wir möchten die Frage nach dem sepulkralen Sinn des Fischerbildes noch
offen halten.1)
x) Fischer: Wilpert, Malereien 263.
352 Abbildung.
Bronze in Neapel: v. Sybel, Weltgesch. d. Kunst2
238 Die Erlösung.
Die frühchristlichen Gemeinden hatten zwei Sakramente, das Abendmahl und die
Taufe; die Taufe macht heilig, der Genuß des Abendmahls macht selig. Paulus ver-
gleicht mit dem Untertauchen bei der Taufe das Unter der Wolke Gehen und das
Durchs rote Meer Gehen der Israeliten beim Auszug aus Ägypten; wiederum mit der
eucharistischen Speise und dem eucharistischen Trank vergleicht er das Manna und
den Mosesquell in der Wüste. Kor. I 10 „Unsere Väter gingen unter der Wolke
und zogen alle durchs rote Meer, und alle ließen sich taufen auf Moses in der Wolke
und im Meereswasser. Und alle aßen dieselbe wunderbare (himmlische) Speise und
alle tranken denselben wunderbaren Trank. Sie tranken nämlich aus dem sie be-
gleitenden wunderbaren Felsen. Der Fels aber war Christus" (Bousset). Wenn Paulus
damit sagen will, daß der präexistente Christus in dem wasserspendenden Fels war, und
ebenso im Manna und in allen anderen Wundern der Väterzeit wirkte, daß also im
Felsenquell und im Manna von den Israeliten der noch nicht Fleisch gewordene
Christus so real getrunken und gegessen wurde, wie im christlichen Abendmahl der
verklärte, so mußte es allen paulinisch Denkenden nahe liegen, Mosesquell und Manna
wenigstens als Symbole auf das Abendmahl zu beziehen, wie in der Bibel so in den
Bildern.1)
Der johanneische Christus verspricht „lebendiges . Wasser"; wer davon trinkt,
den wird nicht mehr dürsten in Ewigkeit; es wird in ihm zu einer Quelle von
Wasser, welches „springt in das ewige Leben", Joh. 4, 10. 14. Ahnlich redet er
im Anschluß an die wunderbare Speisung von der Speise, die bleibt in das ewige
Leben; nicht das Manna des Moses, sondern das Brot, das der Vater durch den Sohn
gibt, ist das wahre Himmelsbrot. „Ich bin das Brot des Lebens", „das Brot, das
vom Himmel herabkommt, damit man davon esse und nicht sterbe" 6, 27 — 50. Dann
folgt die bestrittene Stelle 51 — 56, die das Fleisch des Christus für das Brot einsetzt:
„Wer mein Fleisch ißt und mein Blut trinkt, hat das ewige Leben und ich werde
ihn auferstehen lassen am letzten Tage." „Wer mein Fleisch ißt und mein Blut trinkt,
der bleibt in mir und ich in ihm." Wie im Hinblick auf das Speisungswunder die
Danksagung (Eucharistie, V. 23) Terminus des Ritualmahles ist, so sind in V. 51 — 56
Fleisch und Blut dem eucharistischen Ritual entnommen. Wenn man das Brot und
Wasser des Lebens für sich betrachtete, herausgenommen aus dem Zusammenhang, so
könnte man zweifeln, ob darunter notwendig die Gestalten des Abendmahles verstanden
sein müssen; aber der Verfasser der Verse 51 — 56 hat bei dem ganzen Kapitel nichts
anderes im Sinne gehabt. Der Korintherbrief spricht, bald nach den vorerwähnten
Worten, von der Gemeinschaft im Sakrament; nach dem Johannesevangelium gewährt
das Sakrament, kraft des Ritus, ewiges Leben, das Abendmahl ist ein Mittel, und
zwar ein Zaubermitte], zur Erlangung der Unsterblichkeit geworden ((pägfianov ä&avaolug
sagt Ignatius epist. ad Ephes. 20, vgl. Wilpert, Malereien 282). Dahin ist es schließ-
lich mit der Mahlidee gekommen. Bei der großen Bedeutung, welche dem vierten
Evangelium in der Entwicklungsgeschichte der christlichen Dogmatik zukommt, muß
man erwarten, in den Katakomben eucharistisch gemeinten Bildern zu begegnen.
Brot und Wasser, und die ursprünglich messianischen Speisen Brot und Fisch, werden
in den vorstehend besprochenen Bildern eucharistisch verstanden sein. Nicht ebenso
in den Seligenmahlen ; sondern dort sind die messianischen Speisen mit dem ganzen
*) Bousset: bei Joh. Weiss, Schriften des N. T. II 1899.
Erlösuugsmittel. 239
Mahl in das Jenseits hinübergewandert. Die Märtyrervisionen kennen noch andere
Formen von Himmelsspeise; man denke an den Mundvoll frischen Käse, welcher der
Perpetua nach ihrem Eintritt in den Himmel vom guten Hirten gegeben wird,
wie ein Ambrosia und Nektar, nicht bloß als einer Speise für Götter, sondern
als einer solchen, die Unsterblichkeit, wie die der Götter, verleiht. Es ist
ein eucharistisches Mahl im Himmel als Ritus der Aufnahme in den Himmel, der
Aufnahme in die Gemeinschaft der Seligen mit dem Erstling der Seligen. Endlich
sei erwähnt, daß der aus dem Speisungsmythus stammende Fisch, durch seine Ver-
wendung als eucharistisches Symbol, zu einem allgemeinen Sinnbild des Christus ge-
worden ist.
In Malereien seit Ende des zweiten Jahrhunderts sahen wir Wunder mittels
eines Zauberstabes bewirkt, die Erweckung des Lazarus, die Brotvermehrung, das
Weinwunder (Wilpert Taf. 45 und weiterhin). Schon vorher schlug Moses die Quelle
aus dem Fels (Taf. 13). Letzteres beruht auf dem Bibeltext; da verrichtet Moses, im
Wettstreit mit den ägyptischen Zauberern, die Wunder mit seinem oder Aarons Stab.
Aarons Stab, vor den Pharao hingeworfen, verwandelt sich in eine Schlange; das
machen die Zauberer nach, jedoch der Stab Aarons verschlang ihre Stäbe, Exod. 7,
9 — 12. Moses schlug mit dem Stab das Wasser des Nil, es verwandelte sich in Blut,
7, 20. Aaron schlug mit dem Stab den Staub auf dem Boden, der verwandelte sich
in Stechmücken, 8, 13. Moses reckte seinen Stab gen Himmel empor und es erfolgte
Gewitter und Hagelschlag, 9, 23. Er reckte seinen Stab aus über Ägypten und Ost-
wind brachte Heuschreckensch wärme, 10, 13. Das war der übliche, reichlich manns-
hohe Stab (Skeptron, Rhabdos) der Alten. Auch Kirke bedient sich zur Zauberei
ihres hohen Handstabes; durch Berühren mit dem Stab verwandelte sie die Gefährten
des Odysseus in Tiere, Od. 10, 237. 293. Artemis verwandelt die Schwestern des
Meleager, die über seinen Tod in tiefer Trauer sind, mittels des Stabes in Vögel,
Meleagriden (Antonin. Lib. 2, 10 nach Nikanders Heteroiumena). Der Stab des
Hermes ist auch zauberkräftig; in alter Zeit war er lang, nachher kürzer, und gabel-
förmig (eigentlich ein sich gabelnder Zweig) mit verknoteten Enden.
Der Zauberstab ist nicht verschieden von der Wünschelrute. Varro betitelte
eine Satura Menippea „Die Wünschelrute", Virgula divina; ihr Inhalt ist leider nicht
erkennbar. Die virgula divina bezeichnet Cicero ausdrücklich als Wünschelrute; er
spricht einmal davon, wie es wäre, wenn uns alles, was zum Lebensunterhalt und
Komfort gehört, gleichsam durch eine Wünschelrute geliefert würde. Nun, wie eine
Wünschelrute pflegt auch der Zauberstab in der Katakombenmalerei zu wirken: damit
(nicht mit dem langen Stab) schlägt Moses den Quell aus dem Felsen, damit werden
die Brote ins Ungemessene vermehrt, so daß Tausende satt werden; damit wird Wasser
in Wein verwandelt. Nur die Erweckung des Lazarus tritt aus diesem Kreise heraus,
es ist eher der Stab des Seelenführers, der hier aber in umgekehrter Richtung führt,
aus dem Tod ins Leben. In allen Fällen aber bleibt die christliche Malerei im Rahmen
der Antike, denkt ganz antik. Mit dem Zauberstab in der Hand erscheint Jesus als
Thaumaturg, als Zauberer. Das ist er ja schon in den drei ersten Evangelien,
überall wo sie von Wundern erzählen, es sind ja meist Heilungswunder; doch blieb
es dem vierten Evangelium vorbehalten, diesen Charakter mit viel stärkerem Nach-
druck zu unterstreichen; gleich im Beginne, Nathanael gegenüber, kündigt er
sich so an (1, 48. 50). Der Zauberstab ist den Evangelien unbekannt; aber im
240 Die Erlösung.
Bilde drückt er den Charakter des Wundermannes auf die einfachste und deutlichste
Weise aus.1)
Der Erlöser.
Wir sahen Jesus, als den Christus, in Ausübung des messianischen Berufs Kranke
heilend, Tote erweckend; diese Szenen waren gemalt als Prototype, und insofern sie
Leistungen seiner Wunderkraft waren, als Bürgschaften der Erlösung aus dem Tod
ins ewige Leben. Andere Bilder zeigten ihn als den Spender des Brotes und Wassers
des Lebens, überhaupt der Himmelsspeisen, deren Genuß das ewige Leben verschafft.
Wir lassen nun die Bilder folgen, die ihn als Vermittler der Seligkeit und als den
Herrn der Seligen darstellen, beides im Typus des Hirten, dem sich einigemal Orpheus
unterschiebt. Anschließend besprechen wir die Darstellungen aus der Kindheitslegende.
Der gute Hirt. Die Metapher vom Hirten als dem Herrn und Leiter ist allgemein
antik, griechisch und semitisch. Völkerhirt heißt der homerische Agamemnon. Hirt
des Volkes Israel ist in der königlosen Zeit, und so im Exil, Jahwe. Der frühexilische
Prophet Ezechiel verkündet, Kap. 34, die im Exil zerstreuten Israeliten sollen wieder
gesammelt und in ihre Heimat zurückgebracht werden. Weil die Hirten Israels ihre
Herde nicht recht weiden, so will Jahwe selbst seine Schafe weiden; und er will einen
einzigen Hirten über sie bestellen, seinen Knecht David. „Ich werde sie aus den
Völkern herausführen und aus den Ländern sammeln und in ihr Land bringen."
„Auf guter Weide werde ich sie weiden — ". „Das Verirrte werde ich aufsuchen
und das Versprengte werde ich zurückholen, das Verwundete verbinden und das
Kranke stärken — ." Man sieht, das ist alles politisch gemeint. Aber gerade unter
dem Drucke des Exils und seiner Nachwirkung nahmen die Gedanken eine Richtung
auf Verinnerlichung. Das spricht aus den Psalmen. „Der Herr ist mein Hirte, und
nichts wird mir mangeln. An den Ort des Grases, dort läßt er mich lagern; am
Wasser des Ausruhens zieht er mich auf. Meine Seele leitet er, er führt mich auf
Pfade der Gerechtigkeit wegen seines Namens. Wenn ich auch wandere mitten im
Schatten des Todes, so fürchte ich nichts Schlimmes, weil du mit mir bist — ", Psalm
22 (23) Swete II 238.
Den Hirten, der das verirrte Schaf aufsucht und heimbringt, haben Matthäus
und Lukas. Die Metapher vom verirrten Schaf ist nun moralisch gemeint; es ist der
Hirtenberuf des Christus und seiner Apostel, die sittlich Verirrten aufzusuchen, denn,
heißt es in Verwendung der Worte des Ezechiel, das Volk war mißbraucht und ver-
nachlässigt wie Schafe, die keinen Hirten haben (Mt. 15, 24. 10, 6. 9, 36). Dasselbe
Motiv existierte auch zu einer ausführlichen Parabel entwickelt, Mt. 18, 12 — 14.
Lukas trägt sie breiter vor, die Parabel von dem Manne, der hundert Schafe hat und
eins davon verirrt sich; da verläßt er die neunundneunzig, um das verirrte zu suchen,
und wenn er es gefunden hat, legt er es auf seine Schultern mit Freuden und
l) Varro, Sat. menippea 95, AI. Riese p. 235. — Cic, de off. I 158 si omnia nobis, quae
ad victum cultumque pertinent quasi virgula divina, ut aiunt, suppeditarentur. Vgl. noch Furt-
wängler, Antike Gemmen 1900, 245. 451 Fig. 233, auch Taf. 22, 2. 7. 61, 51: abgeschnittener
Kopf aus der Erde kommend, davor ein Mann, bald auf ein Diptychon schreibend, bald mit
Zepter oder Stäbchen in der Hand.
Der Erlöser. 241
bringt es nach Haus: so wird im Himmel mehr Freude sein über einen Sünder,
der umkehrt, als über neunundneunzig Gerechte, die der Umkehr nicht bedürfen
(Lk. 15, 4—7).
Das vierte Evangelium ist abgefaßt zu einer Zeit, da längst nicht mehr der
Jesus vor Augen stand, wie er im Leben gewesen war, sondern da man nur noch den
Verklärten im Himmel dachte; und die Lehre vom Christus als dem Logos ist von
seiner völligen Vergottung nur noch wie durch ein dünnes Blatt Papier getrennt, sie
ist Vergottung in der Sache, scheut aber noch die Sache beim Namen zu nennen.
Der johanneische Christus ist anderer Art als der synoptische, er spricht in ganz
anderem Tone. Er spricht immer wie im alten Testament Jahwe spricht: Ich — ,
Ich bin — . Dies wiederkehrende Ich hämmert auf die Nerven des feinfühligen Lesers.
Was bei Ezechiel Jahwe spricht: Ich selbst werde meine Schafe weiden — ich werde
sie aus den Völkern herausführen und in ihr Land bringen — auf guter Weide werde
ich sie weiden — , das nimmt der johanneische Christus in seinen Mund: „Ich bin
die Türe der Schafe — , Ich bin die Türe — . Ich bin der gute Hirte (d novprjv
6 xaXög). Der gute Hirte setzt seine Seele ein für seine Schafe — . Ich bin der gute
Hirte und ich kenne die Meinen, und sie kennen mich — . Und ich habe andere
Schafe, die nicht aus diesem Hofe sind; auch sie muß ich führen, und sie werden auf
meinen Ruf hören, und es wird Eine Herde sein, Ein Hirt," Joh. 10, 1 — 16.
Das „Tragen auf den Schultern" verwendet Johannes nicht. Nachher läßt er das
Thema noch einmal aufnehmen, um ein wichtiges Moment hinzuzufügen: „Meine Schafe
hören auf meine Stimme, und ich kenne sie, und sie folgen mir, und ich gebe ihnen
das ewige Leben, und sie werden nicht verloren sein in Ewigkeit, und keiner wird
sie aus meiner Hand reißen" 27 — 28. Wilpert meint, das Gleichnis berücksichtige
nicht so sehr den Zustand der Gläubigen nach dem Tode, als vielmehr ihr zeitliches
Leben auf Erden: die Herde versinnbilde die Gemeinde der Gläubigen, die
Kirche unter ihrem geistigen Oberhaupte Christus. Richtig ist nun, daß Vers 16,
gerade gegenüber der Herkunft der Schafe aus verschiedenen Höfen, die Einheit der
Herde und des Hirten scharf betont; dies geschieht in Vorbereitung des später
folgenden sog. hohepriesterlichen, richtiger oberhirtlichen Gebetes. Es bittet um die
Einigkeit der Jünger (17, 11) und ebenso der Apostelschüler, das ist der nachaposto-
lischen Christen, daß sie eins seien, wie der Sohn mit dem Vater, und sie in ihnen
beiden (20 — 23). Das ist der praktische Angelpunkt im Gedankengang des vierten
Evangeliums; der Nachtrag Kap. 21 bekräftigte es durch die Wendung, welche er
dem Mythus vom wunderbaren Fischzug gibt. Neben diesem allerdings Diesseitigen
steht aber die oben berührte Jenseitigkeit, sagen wir einmal die theoretische Seite der
johanneischen Ideenwelt. Auch das Hirtenbild mündet dahin aus: es ist der gute
Hirte, der den Schafen das ewige Leben gibt (10, 28); er hat die Macht über alles
Fleisch, damit er allen, die Gott in seine Hand gab, das ewige Leben gebe, dadurch,
daß sie den einen Gott und seinen Gesandten Jesus, den Christus, erkennen (17, 2 — 3);
keiner, außer dem Verräter, ist ihm verloren gegangen (12); sie sollen alle dahin
kommen, wo auch er, der verklärte Christus, ist, damit sie seine Herrlichkeit sehen
(24 — 26).
In diesem jenseitigen Sinne ging das Bild vom Hirten und vom Schaf, das er
auf die Schultern nimmt und nach Hause trägt, in die kirchlichen Begräbnisgebete
über: „Ich bin das verlorene Schaf", heißt es in der griechischen Totenliturgie, „rufe
Sybel, Christliche Antike I. 16
242
Die Erlösung.
Der gute Hirt.
Coem. Callisti (Arkosol der Madonna).
mich zurück, Retter und rette mich,"
nämlich in die Seligkeit. In der
lateinischen wird Gott gebeten, daß er
den Verstorbenen, nachdem ihn der
gute Hirte auf seinen Schultern
heimgebracht, die Gemeinschaft der
Heiligen genießen lasse. Da ist der
johanneische „Gute Hirt" mit dem
Lukasschen Heimtragen auf den Schul-
tern kombiniert.1)
Die Bilder des guten Hirten sind
nächst denen des Jonas in den Kata-
komben am häufigsten verwendet. Zwei
Haupttypen lassen sich unterscheiden.
Der ältere und häufiger angebrachte ist
der Hirt, der das Schaf auf den
Schultern trägt (Wilpert Taf. 9. 11).
Selten steht er allein da (Taf. 17), in
der Regel aber zwischen zwei Schafen,
die zu ihm aufblicken oder grasen, und zwei Bäumen (unsere Abbildung). Der gute
Hirt trägt ein Schaf in das Paradies zu anderen Schafen, die schon dort sind, bis-
weilen sitzt auf jedem der beiden Paradiesesbäume eine Taube (Taf. 66, 1): das ist
also der Christus, der einen Verstorbenen in das ewige Leben einführt zu den bereits
früher selig Gewordenen. Meist steht der Hirt in Vorderansicht, das Schaf auf dem
Nacken hält er an den Beinen, manchmal mit beiden Händen, die Vorderbeine mit
der einen, die Hinterbeine mit der andern (unsere Abbildung unten unter Syntax)
oder nur mit der linken Hand, die rechte hält dann die vielrohrige Hirtenpfeife
(Panspfeife). Seine Kleidung, die der Hirten, besteht in dem Arbeiterkittel, der auf
der rechten Schulter gelöst ist (Exomis); auch trägt er lederne Beinschienen, mit
Bändern kreuzweis umwickelt, wie schon in der Odyssee der alte Laertes zum Schutz
der Schienbeine gegen Dornen und Disteln bei der Gartenarbeit sie trug. Spätere
Bilder fügen den Mantel hinzu (Taf. 61. 63, 1, unsere Abbildung Seite 210), die
Hirtentasche. Um eine Lünette oder einen Arkosolbogen zu füllen, wird die
Komposition auch erweitert, die Paradieseslandschaft ausführlicher gemalt, die Zahl
der Schafe vermehrt, der Schäferhund hinzugefügt (Taf. 117. 190. 203. 222).2)
Der andere, spätere und seltenere Typus ist der Hirt inmitten seiner Herde,
sie weidend; da trägt er kein Schaf auf den Schultern. Das also wäre eigentlich
der johanneische Gute Hirt (dieser Terminus wird irrig auf den das Schaf tragenden
übertragen, das Motiv kommt gerade bei Johannes nicht vor, wir fanden es nur bei
Lukas). Johanneisch ist der seine Herde weidende Hirt, unser zweiter Typus. Er
*) Tb a7toX(t)Xog TtQÖßaxov tya> d/xi, avaxäXsaöv fis, oüJreQ, xal aöiaov /xe. Offic. exseq. bei
Jac. Gras, EvxoXöyiov sive Rituale Graecorum 2425. — Deum fideliter deprecemur, ut — morte
redemptum, debitis solutum, patri reconciliatum, boni pastoris humeris reportatum —
sanctorum consortio perfrui concedat. Or. post sepult. des Sacramentarium Gelasianum, bei
Muratori, Liturg. Rom. vetus I 751.
2) Guter Hirt, ein Schaf tragend: Wilpert, Malereien 48. 431 m. Verz.
Der Erlöser.
243
steht auf seinen Stab gestützt, in
späteren Exemplaren kreuzt das
eine Bein das andere (Taf. 112, 3).
In der Hand hält auch er die
Syrinx, vereinzelt soll er die
Doppelflöte halten, Taf. 147. In
diesem Fall trägt er statt des
Arbeiterkittels den ungegürteten
Talar, womit er ganz aus der
Rolle fällt. Einmal sitzt er, auf
sein Pedum gestützt, den Kragen
um die Schultern gehängt, in
reicher Landschaft, vorn unter
Bäumen die Herde mit einem
Widder darunter, den Hinter-
grund bilden Berge, Taf. 121 f.
Eines der früheren Bilder, aus
dem Anfang des dritten Jahr-
hunderts, zeigt ihn zwischen zwei
Tiergruppen; zu seiner Rechten
drängen sich Schafe an ihn heran,
zu seiner Linken stehen Schwein
und Esel, nach Wilpert Bilder
des Teufels.1)
Man begreift, daß die zwei
Typen ihre Züge austauschten. So findet sich der Hirt, der das Schaf trägt, mit
verschränkten Beinen gemalt, obwohl das Schema für ihn so unpassend ist, wie ge-
eignet für den die Schafe weidenden Hirten (Taf. 100). Daß das Schema bei
Exemplaren des seh af tragenden Hirten früher vorkommt als bei weidenden, steht
nicht im Wege, das ist Zufall. Wiederum kommt es vor, daß der schaftragende Hirt
das Tier mit keiner Hand hält; eigentlich ist's der Typus des Weidenden, aber der
Maler hat ihm ein Schaf auf den Nacken gelegt.
Die Geschichte des Hirtentypus ist noch nicht geschrieben; ein reiches Material
liegt vor, obwohl es nur Trümmer eines einst viel reicheren Bestandes sind. Ein
paar Proben müssen uns hier genügen. Aus altgriechischer Kunst, des sechsten Jahr-
hunderts vor Christus, haben wir zunächst die Statue eines kalbtragenden Mannes in
Athen, er faßt die Beine des Tiers mit beiden Händen. Aber auch das Tragen eines
Schafes, was man ohne Zweifel im Leben oft sah, hat die Kunst gestaltet. Besonders
gern erscheint Hermes in diesem Schema; ein Exemplar in Dresden, vielleicht noch
des sechsten Jahrhunderts, zeigt ihn in symmetrischer Haltung, in Spitzhut und um
den Rücken genommenem Mantel. Bei den Verhandlungen über heidnische Vorbilder
des guten Hirten wurde der widdertragende Hermes von Tanagra viel genannt, im
Kultus stellte ihn ein nackter Knabe dar; bei dem jährlichen Grenzbegang trug er ein
Lamm auf dem Nacken. Künstlerisch gestaltet wurde der Typus durch Kaiamis, einem
Der gute Hirt.
Coem. Callisti (Region des Eusebius).
Der weidende Hirt: Wilpert, Malereien 231 m. Verz.
16«
244 Die Erlösung.
Künstler aus der Zeit zwischen den Perserkriegen und der perikleischen Blüte; auf
Münzen der Stadt Tanagra sieht man den Typus. Um andere Beispiele zu übergehen,
gibt es im freiesten Stil einen lammtragenden Knaben, bekleidet, in der Opferszene
einer palatinischen Wandmalerei augusteischer Zeit. Es hat natürlich auch lamm-
tragende Hirten in der griechischen Kunst gegeben.1)
Auch der zweite Typus, der Hirt inmitten seiner Herde, hat klassische
Analogien. Eine Terrakotte zeigt wieder einen jugendlichen Hermes, aber bekleidet
mit Kittel, Mantel und Hut; ein Schaf steht zu seiner Rechten, freundlich legt er ihm
die Hand auf den Kopf. Stil und Tracht sind verschieden, aber die Hauptsache, das
Motiv, die Freundlichkeit gegen das Tier, ist beim Hermes und beim Christus
identisch. Es gibt aus der Kaiserzeit Hirtenbilder, die auch in der Tracht den
christlichen Hirtenbildern genau entsprechen. Aber wir sagten schon, es kommt nicht
soviel darauf an; es ist die Spätantike im ganzen, welche all diese Hirtenbilder
geschaffen hat, wie die heidnischen, so die christlichen, beides aber im Strom der
typengeschichtlichen Entwicklung. Man könnte vielleicht sagen wollen, und es ist
gesagt worden, die christlichen Maler hätten täglich soviel Gelegenheit gehabt, wirk-
liche Hirten zu beobachten, daß sie nicht zu den Vorbildern aus der heidnischen
Kunst zu greifen brauchten. Indessen liegt die Sache umgekehrt. Die antiken
Künstler kamen immer, Ausnahmen bestätigen die Regel, aus einer Schule; den
Grundstock ihres Könnens wie ihres Typenschatzes brachten sie aus der Schule mit
und aus dem Studium der anderen Schulen; das überkommene Kunstkapital aber ver-
mehrten sie durch Weiterbildung der Technik und Schöpfung neuer, im Wetteifer mit
der Wirklichkeit gestalteter Typen. So vorgebildet und so erzogen, sind auch die
christlichen Maler an die Gestaltung herangetreten, in unserem Falle an die des guten
Hirten, als antike Maler christlicher Konfession. Der Typus des guten Hirten ist aus
dem Schöße der hellenistischen Idyllenmalerei hervorgegangen.2)
Der Melkeimer, als Attribut des Hirten und in selbständiger Verwendung,
verlangt besondere Erwähnung. Der gute Hirt des ersten Typus hält einmal einen
kupfergetriebenen Melkeimer in der Hand (Taf. 66, 2), ein andermal steht er zwischen
zwei Eimern, an deren einen der Hirtenstab gelehnt ist (Taf. 171, unsere Abbildung
Seite 154). Zu letzterer Zusammenstellung, Melkeimer und Krummstab, muß der
Gebrauch des Hakenstocks erläutert werden, wie er noch heute auf den arkadischen
Bergweiden beobachtet werden kann. Will der Hirt ein Schaf oder eine Ziege melken,
so wählt er das Tier mit dem schwersten Euter; um es herauszufinden, scheucht er
die ganze Herde, daß sie in wilder Flucht dahingeht. Er mit großen ruhigen Sätzen
hinterher, den Hakenstock in der Hand wiegend. Die Tiere mit schwerem Euter
kommen bald ins Hintertreffen, und das schwerstbeladene wird letztes; nun mit ein
paar größeren Sprüngen näherkommend, hakt er es mit vorgestrecktem Stab am Bein
fest, es steht und läßt sich melken. Das ist der Gebrauch des Krummstabs, deshalb
ist er im Bilde mit dem Melkeimer zusammengestellt. In anderen Malereien sehen
J) Dresden: Hermann, Archäol. Anzeiger 1896, 208, 11 Abb. Tanagra: Koscher, Lexikon
I 2396. Bekleidete Kriophoren: Veyries, Figures criophores (Bibl. äcoles franc. d' Athen es et de
Rome XXXIX 1886). de Rossi, Roma sott. I 347; Bull. com. 1889, 137. Vgl. die Hirten aus der
Komödie: Alfr. Körte, Archäol. Jahrb. 1893, 74 u. 79 n. 31—33.
2) Terrakotte: Roschers Lexikon I 2431. Treu, Archäol. Anzeiger 1891, 22 Abb. —
Bergner, Der gute Hirt in der altchristlichen Kunst 1890.
Der Erlöser.
245
Orpheus.
Coem. Callisti.
wir den Hirten melken (93. 117, 1). Nun
aber war es antiker Brauch, statt der Person
auch nur ihre Attribute vorzuführen, Blitz und
Adler statt Zeus, Dreizack und Fisch statt
Poseidon, Traube und Thyrsus statt Dionysos;
so konnte auch Melkeimer und Krummstab,
oder nur ersterer allein, statt des Hirten ge-
malt werden (Taf. 24, 2 Eimer auf Pfeiler
zwischen zwei Schafen). Endlich tritt der
Eimer ganz selbständig auf, als immerhin be-
deutsames Ornament: ein Pflanzenstengel trägt
ihn wie eine Blüte (der Eimer soll nimbiert
sein, Taf. 158, vgl. Taf. 265 ff.). Die Milch,
die der gute Hirt zu bieten hat, ist Himmels-
speise zum ewigen Leben, unsterblich machen-
der Nektar und Ambrosia. Man denkt an
den Bissen frischgemolkenen „Käse", den
der gute Hirt der in den Himmel eingetretenen
Perpetua in den Mund steckt. Doch bleibt
die Frage, ob der Melkeimer nicht auch eucharistisch verstanden werden kann; das
würde die Absicht nicht einmal wesentlich ändern.
An Stelle des guten Hirten treffen wir fünfmal den Sänger Orpheus. Es ist
hier nicht der Ort, den Orpheus der Griechen zu schildern, noch zu fragen, woher
sie ihn hatten und was er ihnen bedeutete; so notwendig die Kenntnis dieser Dinge
zum vollen Verständnis der Religionsgeschichte der Kaiserzeit ist, so brauchen wir an
dieser Stelle doch das Orpheusproblem nicht aufzurollen. War er ursprünglich, wie
seine Gattin, selbst eine Unterweltsgottheit? War er ein Hirt der Toten? Oder
bleiben wir besser bei dem Orpheus, wie ihn die griechischen Dichter und Maler
schildern, die sonst unerbittlichen Todesgötter durch die Macht seines Zauberlieds
erweichend? Er muß die Geister viel beschäftigt haben, auch die Christen griechischer
Herkunft und griechischer Bildung. Justinus Martyr gewann aus untergeschobenen
Hymnen die Vorstellung, Orpheus sei eine Art Prophet des Christus gewesen. Im
Gegensatz hierzu erklärte Clemens Alexandrinus, nicht Orpheus, sondern Christus sei
der wahre Zaubersänger, der nicht bloß die Leier in Harmonie gestimmt, sondern den
Makrokosmus, die ganze Welt, und den Mikrokosmus, den Menschen.
Auf einem attischen Vasenbild sehen wir den thrakischen Sänger auf einem Fels
sitzen und singen; Thraker stehen herum, in Gruppen verteilt, sie scheinen in ver-
schiedener Weise, aber alle gleich tief ergriffen von seinem Gesang. Gehört das
Vasenbild der Zeit unmittelbar vor der perikleischen Blüte an, so finden wir anderes
in den Darstellungen aus römischer Zeit. Auch da sitzt Orpheus in einer Landschaft,
aber sein Publikum ist ein anderes geworden; seine magische Kraft geht so weit, daß
sie auch die Tiere zwingt, sie stehen und sitzen in großem Kreise um ihn herum.
Thrakische Münzen geben neben den indifferenten Tieren wie Pferd, Rind, Schwein
auch solche, die für Thrakien charakteristisch sind, Eber und Bär, alexandrinische
dagegen spezifisch ägyptische wie Ibis, Affe, Gazelle, Schakal. Löwe und Panther,
Hirsch, Hase, Eber, Storch und Ibis finden wir in der pompejanischen Landschafts-
246 Die Erlösung.
maierei, die neben anderer Tierstaffage auch den Kreis der um Orpheus versammelten
Tiere verwendet. Sodann gibt es zahlreiche Mosaikbilder desselben Inhalts. Die
pompejanischen Wandmalereien, aus dem Anfang der Kaiserzeit, gehen dem Beginn
der Katakombenmalerei unmittelbar vorher, die Mosaiken aus dem zweiten und dritten
Jahrhundert sind ihrer Entwicklung gleichzeitig, beide sind aber nicht als die un-
mittelbaren Vorbilder der christlichen Malerei zu betrachten.
In der Katakombenmalerei erscheint Orpheus im zweiten Jahrhundert, und zwar
im Scheitelfeld einer Decke, mithin an einer Stelle, an der wir in erster Linie den
guten Hirten zu finden gewohnt sind. In der auch für ihn als Thraker typischen
Barbarentracht sitzt er, die Lyra im Arm, auf einem Stein, zwischen zwei ihn an-
blickenden Schafen (Wilpert Taf. 37, unsere Abbildung). In einem späteren Exemplar
sind es sechs Schafe, noch später wird, wie zum Hirten inmitten seiner Herde, der
Schäferhund hinzugefügt (Taf. 98. Bull, crist. 1887 Taf. 6). Das Bild kann nicht
einfach den Orpheus meinen; der war, wenn er Hirt war, Rinderhirt, nicht Schafhirt.
Die symbolische Bedeutung des Orpheus erhellt aber aus den, statt der sonst üblichen
mancherlei Tiere, ihm hier beigesellten Schafen, den Schafen des guten Hirten.
Mithin ist entweder der Orpheus im Schema des guten Hirten, das ist mit Schafen
dargestellt, oder der Christus, der gute Hirt, im Habitus und Typus des Orpheus.
Tatsächlich ist der stehende gute Hirte durch die sitzende Orpheusfigur vertreten,
also der gute Hirt im Typus des Orpheus gemalt, weniger wohl als Totenhirt, eher
wegen seiner Zauberkraft auch über den Tod. — Im dritten Jahrhundert regte sich
die Neigung zu erzählen, zu den zwei Schafen nebst einer Taube und einem Pfau in
den Bäumen — alles christianisierten Typen — treten die anderen Tiere des orphischen
Kreises, Pferd, Schlange, Schildkröte, Maus, Eidechse, ein Löwenpaar, in einer Wieder-
holung kommen dazu noch Rind, Kamel und Dromedar (Taf. 55, unsere Abbildung
auf S. 155. Wilpert Taf. 229).1)
Aus dem Kindheitsmythus.
Es ist ein reiches und anmutendes Kapitel der Mythologie, die Kindheits-
geschichten. Von jedem Gott, von jedem Heros weiß die lokale Kultlegende die
Geschichte seiner Geburt zu erzählen, wie seine Eltern sich fanden, unter welchen
Umständen das Kind zur Welt kam, bisweilen wird auch von seinem Aufwachsen be-
richtet. Dergleichen Kindheitslegenden gab es allerorten: von Zeus wurde sie in
Kreta erzählt, auch in Arkadien, von Dionysos in Theben, von Apollon und Artemis
auf Delos, usf. Mannigfaltig gestaltet waren die Geburtsgeschichten der Heroen. Ein
erhebliches Moment bildete überall, wo sie vorkam, die Gotteskindschaft. War die
Mutter eine Göttin, so hatte es bei Vater und Mutter sein Bewenden; so waren
Peleus und Thetis die Eltern des Achill, Anchises und Aphrodite die des Äneas.
Wenn aber das Kind einen Gott zum Vater hatte, so stand meist noch ein sterblicher
Vater daneben, der eigentliche Gatte der Mutter. Wesentlich bei der Gotteskindschaft
scheint zu sein, daß das Gotteskind das Erstgeborene ist; als der Gott ihr nahte, war
a) Orpheus: Gruppe, Orpheus, in Koschers Lexikon III 1058. — Justinus M., Cohort. ad
Graecos 15. Clemens AI., Protreptic. 1. Vasenbild: Eobert, 50 Berliner Winkelm. Programm.
Münzen: Pick, Archäol. Jahrbuch 1898, 135 Taf. 10, 1. 2. Pompeji: Presuhn, Ausgrab. v.
Pompeji 1878 III 2. 6. Mosaiken: Gauckler, Mon. Piot 1896, 215. Strzygowski, Orpheusmosaik
in Jerusalem (Zeitschr. d. deutschen Palästinavereins 1901, 539). — Christliche Orpheusbilder:
Heußner, Altchristi. Orpheusdarstellungen 1893. Gruppe, a. O. 1202. Wilpert, Malereien 38. 241.
Der Erlöser. 24?
die Mutter des Kindes noch Jungfrau. So Danae, die ihr Vater einsperrte, damit
kein Mann ihr nahe; so Alkmene, deren neuvermählter Gatte Amphitryon gelobt
hatte, ihr nicht zu nahen, bis er ihre Brüder gerächt habe. Aber Zeus wußte zu
Danae zu gelangen, und Alkmene besuchte er eben in Amphitryons Abwesenheit.
Ähnlich göttlichen Ursprungs glaubte man auch historische Personen zu wissen,
obschon jedermann ihre wirklichen Väter kannte: Plato sollte Sohn des Apollo sein,
Alexander des Zeus, Augustus wiederum des Apollo.
Die Jesuslegende fällt unter den Begriff der Heroenmythologie; in den Evangelien,
sicher den synoptischen, ist er Gottessohn, nicht Gott; zur Vergottung bilden sich da
erst Ansätze, am weitesten geht darin das vierte Evangelium. Die Kindheitslegende,
die bei Markus fehlt, sei es, daß er sie nicht kannte oder nicht kennen wollte, und
die bei Johannes durch die Identifikation mit dem Logos ausgeschlossen wird, bringen
Matthäus und Lukas, ein jeder auf seine Weise. Joseph war der Gatte der Maria,
ihr Erstgeborener war Jesus, der Heros der Christen, als solcher ein Gottessohn: Gott
nahte seiner Mutter, ehe Joseph die Vermählung mit ihr vollzogen hatte. Maria hat
dem Joseph noch mehrere Kinder geschenkt.
Die Vorgeschichte der Eltern haben die heidnischen Dichter oft novellistisch aus-
gesponnen, was denn zur Folge hatte, daß der Gott Vater in einem bedenklichem Lichte
erschien und der wirkliche Vater in einem unverdient komischen. Im Kultus dagegen
blieb das Kind immer die Hauptsache, und der Gott blieb in ehrwürdiger Höhe und
Ferne. So ist auch in unserem Falle das Kind die Hauptsache.
Bildliche Darstellungen aus der ersten Kindheit hat die antike Kunst unzählige
geschaffen. Das Motiv wurde natürlich immer der Wirklichkeit im täglichen Leben
entnommen, manch eines ist ihr glücklich abgelauscht, wenn auch viele der in der
Kunst dargestellten Kinder Namen von Heroen oder Göttern tragen. Galt es bei
mythischen Szenen manchmal einer Situation, die im Leben so leicht nicht beobachtet
wird, so wußte der Künstler aus seiner intimen Kenntnis der Natur doch naturhaft
zu gestalten, z. B. wenn Neugeborene von Tieren gesäugt werden, wie Zeus von der
Ziege, Telephos von der Hindin, Romulus und Remus von der Wölfin. Kinder an
der Brust der Mutter oder einer Amme gibt es in der alten Kunst so gut wie solche,
die auf dem Arm getragen werden (Beispiel für beides ist Dionysos, für letzteres
Apollon und Artemis, Plutos) oder die auf dem Schoß spielen (Erot auf dem der
Aphrodite, in Florenz, ein anderes Erotenkind auf dem Schoß einer Tanagräerin, von
ihr mit dem Spinnrocken geneckt.1)
Das Christuskind auf dem Schöße der Mutter kommt schon im Anfang
des zweiten Jahrhunderts vor, es ist das berühmt gewordene Gemälde in Priscilla, in
der Tat eins der schönsten Gemälde, welche die Katakomben zu bieten haben, von ähn-
licher Schönheit wie etwa „Adam und Eva" der Neapeler Katakombe. Unser Christ-
kind ist nackt, die Mutter hat es auf den Schoß genommen, doch wohl, um ihm die
Brust zu geben, indem sie sich etwas vorneigt; das Kind selbst legt das gespreizte
Händchen auf die Mutterbrust, wendet aber wie unruhig das Köpfchen herum nach
dem Beschauer; dies eben wollte der Maler, begreiflicherweise. Beide, Kind und
Mutter, sind in Haltung und Gebärdung vollkommen natürlich und lebenswahr; so
') Florenz: Dütschke n. 89. Einzelverkauf n. 283. Tanagräerin: Furtwängler, Samml.
Saburoff Taf. 82.
248
Die Erlösung.
natürlich hat erst wieder Raphael Kind und Mutter gemalt; besonders nah kommt in
der Bewegung des Kindes die Berliner Madonna aus dem Hause Colonna. Die genre-
Das Christuskind auf dem Schoß der Mutter.
Coem. Priscillae.
hafte Auffassung hatte einzelne Erklärer veranlaßt, in dem Katakombengemälde ein
bloßes Familienbild zu sehen; aber der Stern zu Häupten des Knaben bezeugt den
Der Erlöser. 249
mythischen Charakter der Gruppe (in unserer Abbildung, einem Ausschnitt, erscheint
links oberhalb der Mutter, senkrecht über dem Kind, eben noch das untere Ende des
achtstrahligen Sterns).
Links neben der Gruppe steht, ihr zugewandt, ein Mann im Mantel und Sandalen,
in der Linken eine Schriftrolle, mit der Rechten wie nach dem Stern zeigend. Früher
wurde er als Joseph erklärt, wo dann die Familie beisammen gewesen wäre; aber abge-
sehen davon, daß vielleicht der Mantel, nicht aber die Schriftrolle noch die zeigende
Gebärde zu Joseph passen würde, wäre für jene Zeit der Joseph ein kunstgeschicht-
licher Anachronismus, in der Frühzeit der altchristlichen Kunst hat man ihn noch
nicht gemalt. Er wird jetzt als ein Prophet erklärt, bald als Jesaias, der von dem
„ Licht" redet, das in der Zeit der künftigen Herrlichkeit aufgehen werde (Deuterojes.
60, 1 — 6), bald als ßileam, der den „Stern aus Jakob" weissagte (Num. 24, 17; dazu
Off. Joh. 22, 16 „Ich (Jesus) bin die "Wurzel und das Geschlecht Davids, der leuch-
tende Morgenstern"). Bei Kirchenvätern wird die Prophezeiung des Sterns aus Jakob
gelegentlich dem Jesaias zugelegt (Justin. M., apolog. 1, 32); das Vorkommnis warnt
davor, die Deutung des Propheten zu sehr zu pressen. Wenn die Gestalt überhaupt
ein Prophet der Art ist, so beweist seine Zusammenstellung mit dem bereits er-
schienenen Kinde wieder einmal, daß wenigstens die frühere Katakombenmalerei nichts
weniger als historische, sondern ganz sinnbildliche Kunst war. Übrigens werden wir
auf den Mann im Zusammenhang mit anderen „zeigenden Gestalten" unten zurück-
kommen.1)
Den auf den Stern zeigenden Propheten allein, ohne die Gruppe der
Mutter mit dem Kind, hat Wilpert in drei Bildern erkannt, die bisher falsch auf
Moses gedeutet worden waren; man hatte geglaubt, Moses empfange das Gesetz aus
der Hand Gottes; diese Szene scheidet nun aus dem Typenschatz der römischen
Katakombenmaler aus. Alle drei Exemplare gehören dem vierten Jahrhundert an.2)
Die späteren Exemplare der Gruppe, des Christuskindes auf dem Schöße der
Mutter, führen den im Verlauf der Kaiserzeit einreißenden Niedergang der Kunst
eindringlich vor Augen. Jenem ältesten und schönsten Bild in Priscilla sind zunächst
zwei weitere anzureihen, beide aus dem späteren dritten Jahrhundert. Im einen, auch
in Priscilla, hält die Mutter das wieder nackte Kind in den Händen, sieht aber
darüber hinweg aus dem Bilde heraus; damit ist die Gruppe zerrissen, ein fremder
Ton klingt an (Wilpert 203 Taf. 81). Im anderen Exemplar, in Domitilla, hat die
Gruppe wieder den „Propheten" neben sich; mit vielen anderen Teilen des Bildes ist
auch die Hand des Mannes zerstört, sie sollte nicht auf Maria zeigend ergänzt werden.
Auch das Kind, nun bekleidet, hat eine aufrechtsitzende Haltung eingenommen, bereit,
Huldigungen entgegenzunehmen (Wilpert 189 Fig. 14 Taf. 83, 1). In dieser zeremoniellen
Haltung kommt die Gruppe oft vor, in der Szene des Kindheitsmythus, wie die
Magier aus dem Morgenlande ihm Geschenke bringen.
Nur Matthäus erzählt den Mythus von dem Stern, den Magier im fernen Osten
gesehen hatten und der sie nach Bethlehem führte; da blieb er über der Stätte stehen,
wo das Kind sich befand, in dem sie (nicht einen Gott! sondern) den „neugeborenen
J) Wilpert, Mal. 187 Taf. 21, 1. 22.
2) Prophet: Wilpert, Malereien 199 Taf. 158, 2. 159, 3. 165 (die einzige Rückenansicht
einer Figur in der ganzen Katakombenmalerei).
250
Die Erlösung.
Die Magier vor dem Christuskind.
Coem. Callisti.
König der Juden" verehrten
und dem sie Geschenke
brachten, wie sie der Orient
liebt, Gold, Weihrauch und
Myrrhen (Lukas hat statt
dessen die Ankündigung des
Kindes als des Volksheilandes
durch die Worte der Engel
an die Hirten). Die Magier
waren der sternkundige
Priesterstamm bei den Per-
sern; in einem Relief der
Hundertsäulenhalle zu Perse-
polis sieht man einen Magier
in Funktion bei Hofe, in der
auch den Mund verhüllenden
Kapuze (Tiara) und dem medischen Talar, räuchernd vor dem thronenden König
Darms. Wo und wie der Mythus vom Zug der Magier nach Bethlehem entstand,
welche gegebenen Elemente, heidnische und jüdische, zusammengeschossen sind, um
den Kristall zu bilden und in welchem Sinne der Mythus erzählt wurde, auf diese
Fragen dürfen wir nicht eingehen. Den Katakombenmalern lag der Mythus fertig
vor; wir begreifen, daß man in Rom lieber die Huldigung der aus dem Heidentum
gekommenen Magier darstellte, als die Verkündigung der Engel an die jüdischen
Hirten.1)
Zu den Gemälden bleibt nur zu bemerken, daß das Kind ein paarmal als Wickel-
kind erscheint, sonst im Kleidchen, daß dreimal der Stern über seinem Haupte gemalt
ist (Wilpert S. 198 Taf. 166, 2. 172, 2), daß die Magier in der typischen Barbaren-
tracht auftreten (von der hierzu gehörigen hohen Mütze ist die persische Tiara nur
eine Spielart), daß sie die nicht näher bestimmten Geschenke anfangs in den Händen,
nachher auf runden Schüsseln bringen, daß sie meist eilfertig herankommen (das
Exemplar in unserer Abbildung bildet eine Ausnahme; aber man sehe das andere,
übrigens in Einzelheiten inkorrekt wiedergegebene unten unter „Syntax"). Da der
Mythus die Zahl der Magier unbestimmt ließ, so wählten die Maler als Regel den
kleinsten Ausdruck der Mehrheit, die Dreizahl, aber ohne sich daran zu binden; nach
Maßgabe des Raumes und der Gesamtanordnung malten sie auch zwei oder vier Magier,
und zwar in symmetrischer Verteilung. Die Festlegung der Dreizahl, die Deutung
der Magier auf Könige, nicht alle des Ostens, sondern der drei Weltteile Asien, Afrika
und Europa, ihre Eigennamen Kaspar, Melchior, Balthasar, die Differenzierung ihrer
Lebensalter, zu diesem ganzen Sagengespinst knüpfte das christliche Altertum nur
die ersten Fäden an, die Ausbildung gehört dem Mittelalter; ebenso die Festsetzung
ihres Kultes auf den 6. Januar, den ehemaligen Tag der Epiphanie des Christus, der
J) Magier räuchernd: Ker Porter, Travels I Taf. 49. Flandin et Coste, Voyage en Perse
III Taf. 154. Texier, l'Armenie, la Perse et la Mösopotamie Taf. 114. Dazu Ferd. Justi, Chiliarch
des Dareios (Zeitschrift der morgenländ. Gesellsch. 1897, 659).
Der Erlöser. 251
verfügbar geworden war durch die im vierten Jahrhundert erfolgte Verlegung der
Geburt des Christus auf den 25. Dezember.1)
Problematisch ist eine späte Malerei, über dem Orpheusarkosol in Domitilla:
rechts der Mosesquell mit einem Paradiesesbaum hinter dem nach der Mitte blickenden
Moses; links, symmetrisch entsprechend, ein nach oben zeigender Mann. Das Mittel-
bild ist leider durch ein sekundär ausgebrochenes Fachgrab im obersten Teil zerstört,
dabei fiel die rechte Hälfte des Mittelbildes herunter; die erhaltene, aber stark ab-
geblaßte linke Hälfte soll zwei Türme und eine nach rechts blickende Mutter mit dem
Kind auf dem Schoß enthalten. Früher vermutete man in der Lücke die drei Magier,
de Rossi und Wilpert bestreiten, daß hierfür genügend Raum sei (doch ist ein
vertikales Trennungsband zwischen der Christkindszene und dem Mosesfelsen unwahr-
scheinlich). Wilpert erklärte die Türme für Bethlehem, davor sitze Maria mit dem
Kind, der zeigende Mann sei der Prophet Micha (nach Micha 5, 2. Mt. 2, 2).2)
Ebenso problematisch ist ein stark beschädigter Bilderstreif in Petrus und
Marcellinus. Wilpert glaubt folgendes zu erkennen: von links kommend die Magier
vor dem Christkind (erhalten nur das Mittelstück des dritten Magiers und Oberteil
mit Stuhllehne der Maria); links und rechts je ein zur Mittelgruppe gewendeter Hirt,
in der einen Hand eine Flöte (vielmehr einen kurzen Stab), der rechts hebt die offne
Hand in der Richtung nach dem Kind; hinter ihm sei durch einige dicke Striche die
Krippe angedeutet. Wilperts Meinung geht dahin, es seien hier die Hirten aus Lukas
2, 16 zu den Magiern des Matthäus hinzugefügt.3)
Jesaias 1, 2 sagt: „Jahwe hat geredet: Kinder habe ich großgezogen und
emporgebracht; sie aber haben sich gegen mich empört. 3Ein Stier kennt seinen
Besitzer und ein Esel die Krippe seines Herrn — Israel erkennt nicht — ".
Vers 3 wurde von Christen messianisch gedeutet, daher das Bild des Ochs und Esels,
die den „Herrn" kennen. Eine ganz späte Malerei aus der Sebastianskatakombe, von
de Rossi publiziert, hat Wilpert nicht wiedergegeben, weil sie zu verblaßt ist. Hier
nun liegt das Wickelkind, mit Nimbus um das Köpfchen, auf einem Tisch, die Köpfe
eines Esels und eines Ochsen beugen sich darüber; oberhalb ist eine Christusbüste
gemalt.4)
Es sind noch einzelne andere Momente aus der Kindheitslegende herausgehoben
und bildlich gestaltet worden. Es heißt dort: „Da (die Magier) den Stern sahen (über
dem Ort, wo das Kind war), hatten sie eine sehr große Freude" (die naive Kraft des
*) Magier vor dem Christuskind: Wilpert, Malereien 190 m. Verz. — Zum Mythus:
A. Dieterich, Die Weisen aus dem Morgenland (Preuschens Zeitschr. f. neutest. Wiss. 1902, 1). -
Drei Könige: Ferd. Justi , Miscellen zur iranischen Namenskunde (Zeitschr. d. deutschen
morgenländ. Ges. 1895, 688). Fr. X. Kraus, Geschichte I 151. — Epiphanias und Weih-
nachten: Herrn. Usener, Religionsgesch. Untersuch., I Das Weihnachtsfest 1889. de Waal, Rom.
Quartalschr. 1887, 297. Baumstark, eb. 1897, 51.
2) „Micha": Wilpert, Malereien 200 Taf. 229.
3) Bilderstreif: Wilpert, Malereien 201 Taf. 147 unten. Die Krippe ist doch sehr zweifel-
haft, vollends in so weiter Entfernung vom Kind; man sollte das Kind in der Krippe liegend er-
warten. Dunkel bleibt auch der Gegenstand zwischen dem Stuhl und den „Hirten".
4) de Rossi, Bull, crist. 1877, 154 Taf. 1. 2. Wilpert, Malereien 202. Die messianische
Deutung der Jesaiasstelle findet sich in Worten ausgesprochen erst im apokryphen Matthäus-
evangelium, das sich nicht über das 6. Jahrhundert zurückverfolgen läßt, vgl. Leclercq bei Cabrol
Dictionn. I (1905) 2048 Art. Ane.
252 Die Erlösung.
griechischen Ausdrucks läßt sich deutsch nicht wiedergeben). Ein Maler des dritten
Jahrhunderts hat diese große Freude der Magier über den Stern zum Gegen-
stand eines besonderen Bildes gemacht: sie zeigen nach dem Stern und drücken ihre
freudige Erregung durch verschiedene mehr oder weniger lebhafte Gebärdungen aus.
Der Stern ist nicht wie sonst achtstrahlig, sondern der mittlere Querstrich wurde aus-
gelassen, so daß ein Monogramm übrig blieb, gebildet aus den griechischen Buchstaben
IX, den Anfangsbuchstaben des Namens Jesus der Christus (Ljaovg XpiaTog). — Es
wird ein zweites Beispiel derselben Darstellung angeführt, aus dem vierten Jahr-
hundert, wovon aber nur der eine Magier, der auf das Monogramm zeigt, erhalten
sei. Vielmehr füllt der nach dem Stern zeigende Magier das rechte Zwickelfeld
an einem Arkosolbogen aus (analog wie die Zwickelfelder an römischen Triumphbögen
etwa durch schwebende Viktorien ausgefüllt sind); der Stern ist hier als das in einen
Kreis gesetzte konstantinische Monogramm gezeichnet. Was im linken Zwickelfeld
dargestellt war, können wir nicht wissen; der nach dem Stern zeigende Magier aber
ist nicht bloß das Bruchteil einer Szene, sondern eine in sich abgeschlossene Komposition,
ein von den Kindheitsszenen abgeleiteter symbolischer Typus.1)
Endlich die „Verkündigung" nach Lukas 1, 26. Wie im Homer der Götter-
bote Hermes von Zeus, so wird hier der Engel Gabriel von Gott gesandt, und zwar
nach Nazaret zu Maria. Er verkündet ihr die bevorstehende Geburt ihres Sohnes
Jesus, des Sohnes Gottes und Königs von Jakob in alle Zeiten. Da Gabriel Maria in
ihrem Hause aufsuchte, so war es für den Künstler nur natürlich, anzunehmen, daß er
sie sitzend fand, wie sie denn in der nächsten Erzählung Vers 39 „aufstand", um in
das Bergland zu gehen. Für den Boten, der nur, um seinen Auftrag auszurichten, in
das Haus trat, war es ebenso natürlich, daß er stand. Daher hatte der Maler nur
nötig, den bereits vorhandenen Typus der sitzenden Maria, unter Weglassung des
Kindes, mit einem ihr gegenübertretenden gekleideten Manne zu verbinden, um die
Komposition fertig zu haben. Damit, daß er Maria die Botschaft sitzend empfangen
ließ, wollte er ihr nicht etwa einen Vorrang vor dem Engel zusprechen; die Doktor-
frage, ob der Engel Gottes oder die Mutter des Christus höheren Rang habe, lag
wenigstens dem Maler ganz fern. — Die Engel waren auch im alten Testament als
Männer gedacht, in Anzug und Benehmen gleich anderen Männern; in der Katakomben-
malerei sind sie mit den anderen bartlos. — Es gibt zwei Exemplare der Verkündigung,
aus dem Ende des zweiten und dem dritten Jahrhundert.2)
Den Typus der betenden Mutter mit dem nicht betenden Knaben vor sich be-
sprechen wir füglich bei den „Oranten". —
Wilpert, der stetig Gottessohnschaft mit Gottheit verwechselt, nennt Seite 188
die, nach seiner Chronologie vor 150 gemalte „Madonna in Priscilla" eine „Mutter
Gottes". Und die Besprechung der Bilder, in denen Maria eine Rolle spielt, die
problematische betende Mutter mit eingeschlossen, schließt er Seite 213 mit dem Satze,
diese Bilder zeigten, daß die Stellung der Maria in der Kirche der ersten Jahrhunderte
*) Magier und Stern: Wilpert, Cyklus christologisch er Gemälde Taf. 1 — 5; ders., Malereien
197. — Ein Magier: Wilpert, Malereien 198 Taf. 241.
2) Verkündigung: Wilpert, Cyklus christolog. Gemälde 20 Taf. 6, 2 in Priscilla und
Taf. 1 — 4 in Petrus und Marcellinus. Wilpert, Malereien 202. Leclercq bei Cabrol, Dictionnaire I
(1905) 2255. — Engel: Stuhlfaut, Die Engel in der altchristlichen Kunst (Joh. Fickers Studien
III 1897).
Der Erlöser. 253
„im Wesentlichen" schon damals die gleiche gewesen sei wie in den späteren Zeiten.
Das ist ein starkes Stück dogmatisch befangener Interpretation. Die neutestament-
lichen Schriften, die Reden Gabriels, der Elisabeth und Simeons miteingeschlossen,
wissen nichts von irgend einer Art Marienkultus. Gabriel sagt, sie habe Gnade
gefunden vor Gott, Elisabeth preist die Mutter, Simeon die Eltern selig wegen ihres
Kindes. Von da war es doch ein weiter Weg bis zur Erhebung der „Verkündigung"
zu einem Kirchenfest und zur Definition der Maria als „Gottesgebärerin", was beides
erst Jahrhunderte später geschah, ersteres frühestens im vierten, letzteres im fünften.
Ein noch viel weiterer Weg aber war es bis zum Dogma von der unbefleckten
Empfängnis nicht bloß des Christus, sondern auch seiner Mutter Maria, dem Dogma,
das erst Pio nono verkündete, in unseren Zeiten, im Jahre 1854. Von alledem sagen
die Katakombengemälde, die wir besprachen, nichts, sicher nichts von der unbefleckten
Empfängnis, aber auch nichts von der jungfräulichen Mutter Gottes. Was sie vor
Augen führen, das ist der Erlöser vom Tod, wie er auf die Welt gekommen ist, seine
Epiphanie.1)
]) Marienbilder: de Rossi, Immagini scelte della beata vergine Maria 1863. v. Lehner,
Die Marienverehrung in den ersten Jahrhunderten 1881. Liell, Darstellungen der allerseligsten
Jungfrau und Gottesgebärerin Maria auf den Kunstdenkmälern der Katakomben 1887. Fr. X. Kraus,
Realencykl. II 361; Geschichte I 186, 4. Vgl. Cabrol, Dictionnaire I (1905) 2241.
Daniel in der LöweDgrube.
Orante.
Coem. Callisti.
Jonas unter der Laube.
Die Seligen im Himmel.
Durch die reiche Fülle, durch die schier verwirrende Menge der Katakomben-
malereien haben wir uns den Weg zu bahnen gesucht. Wir setzten hier und dort an,
und es wurde mählich licht. Wie wenn die Kreuzfahrer endlich das erstrebte
Jerusalem vor sich liegen sahen, so liegt nun das Ziel vor uns, nicht das irdische
Jerusalem, sondern das himmlische.
Wir sahen an den Gräbern das Paradies gemalt als lieblichen Park, mit
blühenden Bäumen, sprudelndem Wasser und im Laub spielenden, am Wasser
nippenden Vögeln. Wir sahen die Decken der Grüfte sich wölben wie leichte
Lauben, zum Himmel sich wölben mit seinen seligen Bewohnern. Bereits sahen wir
die Seligen beim himmlischen Gelage, die vom Tod Erlösten und in das ewige Leben
Eingegangenen. Der Gedanke der Erlösung ließ andere Bilder sich aneinanderreihen,
in wunderbaren Rettungen Typen der Erlösung, wiederum mystische Mittel zur Er-
lösung, endlich den Erlöser selbst, im Haupttypus des guten Hirten, der die Ent-
schlafenen auf seinen Schultern in das Paradies trägt, und des Hirten, der seine Herde
weidet. Zuletzt erlebten wir den Tag seiner Erscheinung, da er auf die Welt kam;
mit den Weisen aus dem Morgenland begrüßten wir das Christkind. Denn wahrlich,
der Christus hat viele erlöst, wenn nicht vom Tode, so doch, was mehr ist, von der
Todesangst. Es ist mehr, weil es etwas ist.
Wir sind am Ziele, wir treten ein. Kein Pförtner fragt nach unseren Papieren.
Die Güte selbst tut sich weit auf. Als Heilige und als Selige treten wir ein. Wir
stehen vor dem Angesicht des Herrn.
Moses auf dem Berge Horeb. Da er die Schafe weidete, sah er den Busch,
der brannte, jedoch nicht abbrannte. Er wollte das Wunder aus der Nähe betrachten,
Die Oranten. 255
aber der Herr rief ihm aus dem Busche zu, nicht nahe zu kommen, sondern seine
Sandalen abzulegen, denn der Ort, auf dem er stehe, sei heiliges Land. „Ich bin der
Gott deines Vaters, der Gott Abrahams, Isaaks und Jakobs". Moses wandte sein
Gesicht ab, denn „er scheute sich anzublicken angesichts Gottes" (Exod. 3, 1 — 6 Sept.).
Die Bilder des Moses auf dem Horeb gehören alle erst dem vierten Jahrhundert an.
Moses, unbärtig, in Rock und Mantel, hat einen Fuß auf einen Stein gestellt, um die
Sandalen zu lösen; zugleich wendet er das Gesicht ab, das heißt nach der Seite des
Beschauers oder noch weiter zurück. Den Typus der Figur mit hochaufgestelltem
Fuß hatte einst die polygnotische Malerei geschaffen, im fünften Jahrhundert vor
Christus; in Vasenbildern, die von ihr beeinflußt sind, kommt der Typus zuerst vor;
dann finden wir ihn im Parthenonfries in das Relief übertragen, endlich statuarisch
entfaltet im vierten Jahrhundert; bekannt ist der Hermes, der die Sandalen anlegt,
um einen Auftrag des Zeus auszurichten (früher als Jason erklärt). Für das Motiv
trägt es so gut wie nichts aus, ob die Sandale an- oder abgelegt wird; Moses zieht
sie aus. Aber was soll das Bild in den Katakomben? Es schien so schwer, eine
zutreffende Beziehung zu finden, daß einzelne Erklärer auf den verzweifelten Ausweg
verfielen, es liege eine „mehr historische Auffassung" vor, es solle nur einfach
biblische Geschichte erzählt werden. Andere fanden die Scheu vor dem Heiligen aus-
gedrückt; der Grund, weshalb Moses das Gesicht abwandte, war aber mehr Furcht
vor dem vernichtenden Anblick Gottes. Eher läge dergleichen im Ausziehen der
Sandalen; denn „die Stätte, auf die du trittst, ist heiliger Boden". In der Kata-
kombensprache aber ist der heilige Boden das himmlische Paradies, der bartlose Moses
auf heiligem Boden ist Typ des verstorbenen Christen im Himmel. Und schließlich,
Moses steht vor dem Angesicht Gottes (in unserer Abbildung Seite 234 sieht man
die Hand Gottes aus Wolken hervorgestreckt), wie eben die Seligen im Himmel vor
dem Angesicht des Herrn stehen.
„Herr" war den Israeliten ein Prädikat des Gottes, Jahwes; die Christen über-
trugen es (in Gestalt des griechischen Wortes -/.vgiog) auf ihren Christus und bezogen
manches, was dem Herrn Gott galt, auf ihren Herrn Jesus den Christ. Man könnte
erwarten, die Seligen vor dem Angesicht Gottes stehend zu finden, es ist aber immer
der gute Hirt, oder aber der Christus in direkter Darstellung, den wir im Zenith des
gemalten Himmels sehen und vor dessen Angesicht die Seligen stehen. Der Grund
dafür ist nicht bloß das Verbot, „abzubilden, was man verehrt"; sahen wir doch Moses
auf dem Berge Horeb vor Gott stehen, ohne daß der Maler das Verbot übertreten
hätte.1)
Die Oranten.
Der beliebteste Typus für Darstellung Verstorbener ist der Betende (orans), es
ist mit 153 Exemplaren gegen 129 Jonasbilder überhaupt der in der Katakomben-
!) Moses auf dem Berge Horeb: Wilpert, Malereien 421, gibt die Erklärung soweit richtig,
schiebt aber dem Ausdruck des zuversichtlichen Vertrauens das Gebet unter. — Polygnotische
Vasen: v. Sybel, Weltgesch.d. Kunst2 179 mit Anm. u. Farbtafel. Parthenonfries: Michaelis, Der
Parthenon 1870 Taf. 9 Figur 29. Hermes (Jason): Scherer in Roschers Lexikon I 2418. Ab-
bildung bei v. Sybel, Weltgesch. 2289.
256 Die Seligen im Himmel.
maierei am stärksten vertretene Typus. Es muß aber bemerkt werden, daß in den
Malereien, welche nach dem jetzigen Stand der Katakombenforschung als die frühesten
gelten, Oranten noch nicht vorkommen; ihre anerkannte Reihe beginnt, immer noch
früh genug, im zweiten Jahrhundert, in der Cappella greca und in Priscilla (Wilpert,
Fractio panis 7 Taf. 12 und Malereien, Tai 21, 2; das Orantenpaar Wilpert Taf. 14
wird aus der Susannageschichte gedeutet). Wohl kommen schon in den Malereien der
Flavierzeit Betende vor, das sind aber nicht verstorbene Christen, wenigstens nicht in
unmittelbarer Darstellung, sondern sinnbildliche Typen wie Noah in der Arche oder
Daniel in der Löwengrube. Daß die Oranten im erhaltenen Bildervorrat nicht früher
vorkommen, kann Zufall sein, ältere Exemplare können zugrunde gegangen sein; die
besondere Art, wie ein Noah dargestellt wird, scheint sogar das frühere Dasein von
Orantenbildern vorauszusetzen.
Die Gebärde des Gebets im Altertum war mannigfaltig differenziert, zumeist ein
Heben der geöffneten Hände; es wird in semitischen, griechischen und christlichen
Schriften erwähnt (z. B. Jes. 1, 15 Wenn ihr eure Hände ausbreitet, so verhülle ich
meine Augen vor euch, und wenn ihr noch soviel betet, so höre ich euch nicht.
Aristoph. Vögel 622 Wir werden zu ihnen beten, beide Hände emporstreckend, daß
sie uns von allem Guten unser Teil geben. Tim. I 2, 8 Ich wünsche nun, daß die
Männer beten an jedem Ort aufhebend heilige Hände). Das Grundmotiv des Gebets-
gestus war nicht demütig abwartendes Erbitten, sondern gewaltsames Erzwingenwollen
des Begehrten; hinter jeder Bitte lauert Ungeduld: Und folgst du nicht willig, so
brauch ich Gewalt. Wie die Urmeinung unter der Decke der Sitte nur schläft, kann
man an den heißblütigen Südländern sehen; die in der antiken Religiosität dahin-
lebenden Neapolitaner, wenn sie durch einen stärkeren Aschenregen des Vesuvs
geängstigt ihren heiligen Januarius um sein Blutwunder anrufen, da gehen sie bald
von dringenden Bitten zu Verwünschungen und Drohungen über. Den Gott zu
zwingen ist die Grundabsicht des ganzen Kultus, ihn zu zwingen mit Gewalt oder mit
List oder durch Kauf; es ist ein dauernder Kampf zwischen Gott und Mensch mit
dem Risiko des Unterliegens. Den Gott gewaltsam zu zwingen, das geht ja nur im
Mythus: so, wenn Herakles dem Triton sein Wissen durch körperliches Ringen abzwingt;
das heißt eindringlich gebetet. Im Verkehr unter Menschen mildert die Kultur den
Zwang zur Bitte, aber je dringender die Bitte, desto handgreiflicher wird sie; dann
legt der Bittende die Hand an den Arm, an das Kinn des Gebetenen, und hatte er
sich vor einem Mächtigen niedergeworfen, an dessen Knie. Dasselbe konnte man vor
Göttern nur an ihrem Bilde tun. Wer aber nicht an ein Bild sich wandte, sondern
an den Gott selbst, der konnte ihn nicht fassen; zum Himmelsgott droben mochte er
Blick und Handwurf senden, zum Meeresgott vor sich mochte er die Hände vor-
strecken, nur die Mutter Erde konnte er mit den Händen schlagen, daß sie ihn er-
höre; mehr vermochte er auch nicht gegenüber den Mächten und den Toten in der
Unterwelt.1)
Das vollkommene Gebetsschema besteht darin, daß man die beiden Hände aus-
wirft, gegen den Gott hin geöffnet, und zwar mit gespreizten Fingern. Letzteres
l) Gebetsgesten: Hermann-Stark, Lehrbuch der gottesdienstlichen Altertümer 1858, 114.
Schömann-Lipsius, Griechische Altertümer II 1902, 262. Sittl, Gebärden der Griechen und Römer
1890, 174, 305.
Die Oranten. 257
stammt wohl vom Urgebet mit seiner Spannung aller Muskeln am ganzen Körper,
wie sie das sprungbereite Raubtier zeigt; war es doch nicht das Handausstrecken des
Bettlers, um hingeworfene Almosen aufzufangen, sondern ein Fassenwollen, um zu
zwingen. Weil die meisten Gebete an die Götter droben gerichtet wurden, so wäre
der Haupttypus des Gebetsgestus, die flachen Hände zugleich mit dem Blick zu heben
(%£i()(xg vnTiag, manus supinas, nach moderner Terminologie aber nicht supiniert, sondern
proniert); in der Regel jedoch werden Blick und Handflächen nicht nach oben, sondern
mehr geradeaus gerichtet, wie zu einem gegenwärtigen Gott oder seinem Bild.
Anschauung Betender gewähren viele alte Kunstdenkmäler, indessen will mehreres
dabei berücksichtigt sein. Einmal ist das Gebet nur Unterart eines Allgemeineren,
nämlich der Ansprache, gerichtet an irgend eine Person, an einen Menschen, auch
einen Verstorbenen, oder an einen Gott, der ja immer menschartig gedacht ist. So-
dann tritt das Auseinanderführen, Offnen und Spreizen der Arme, Hände und Finger
als Folge äußerster Erregung und Spannung unter verschiedenen Umständen auf,
außer bei dringender Bitte kommt es z. B. auch unter Einfluß von Schreck vor; dieser
kann sich allerdings auch in einem Hilferuf und Gottesanruf äußern, besonders leicht
bei so religiös empfindenden Menschen, wie die Alten von Haus aus waren. Kurz es
ist nicht immer leicht, Beter von typ verwandten Figuren zu unterscheiden, sei es,
daß Ansprache oder Anruf nicht an eine kultlich zu verehrende Person gerichtet
oder der Gestus nicht Ausdruck eines eigentlichen Gebetes ist. Wenn in einem be-
rühmten Wandgemälde Iphigenie zum Altar geschleppt wird und in höchster
Todesgefahr die Arme ausbreitet, da ruft sie doch wohl die Götter an; zweifelhafter
kann es bei Kirke sein vor dem gezückten Schwert des Odysseus, bei Eurydike, da
Orpheus sich zu ihr umkehrt zu ihrem Verhängnis.1)
Beachtenswert sind auch die mancherlei Abstufungen in der Ausführung der
Gebärde. Die Hände können verschieden hoch geführt werden. Bisweilen sehen wir
sie bis über den Scheitel gehoben; es ist vermutet worden, der Berliner betende Knabe,
dessen jetzige Arme modern ergänzt sind, habe sie so hoch gehalten. Die Sitte führte
umgekehrt Mäßigungen in der Bewegung ein. Da wird der linke Arm unter dem
Mantel gehalten, nur der rechte ausgestreckt, wie Metilius es tut. Oder die Hand
wird überhaupt nicht ausgestreckt, sondern nur eben gehoben, nicht ganz in Schulter-
höhe, nahe am Körper; die Hand wird nur halb geöffnet, nur eben der Zeigefinger
und etwa der Mittelfinger. So zeigen es die unzähligen griechischen Adorantenreliefs.
Die Athener übten, was Tertullian seinen afrikanischen Christen empfiehlt, die Hände
nicht zu hoch, sondern maßvoll zu heben (de orat. 13 temperate). Der Gestus der
halboffen gehobenen Hand diente, neben dem Handkuß, auch zur bloßen Adoration
ohne Bitte; auf attischen Vasenbildern des fünften Jahrhunderts grüßt in dieser Weise
ein Athener im Vorübergehen ein Bild seiner Göttin, und Herakles bei seinem Ein-
gang in den Olymp seinen Vater, den Zeus. Doch konnte die Adoration auch mit
ausgestreckter Hand, oder beiden ausgestreckten Händen geschehen.
Nicht übergehen dürfen wir die Tatsache, daß die Grabkunst der Heiden Beter
dargestellt hat. An einem attischen, um 400 vor Chr. gemeißelten Grabstein streckt
*) Iphigenie: Heibig, Wandgemälde n. 1304. v. Sybel, Weltgesch. d. Kunst 2252 Abb. —
Kirke: Mon. d. inst. V Taf. 41. Röscher, Lexikon II i 1195 Abb. — Eurydike: Mon. Vlil
Tai 28. Röscher, Lexikon III i 1176 Abb.
Sybel, Christliche Antike I. 17
258 Die Seligen im Himmel.
der Verstorbene die flache Hand aus; eine späte Stele zeigt eine sitzende Frau, nicht
wie in der klassischen Zeit üblich war, in Profil oder Halbprofil, sondern in voller
Vorderansicht aus dem Relief herausblickend, die flachen Hände nach beiden Seiten
ausgestreckt. Erwähnung verdienen auch die flachen Hände, welche als Sinnbild des
Gebets des öfteren angebracht wurden; bisweilen findet sich in gleicher Bedeutung
auch nur eine Hand. Das Symbol steht z. B. beim „Stadtgebet von Itanos", ferner
bei Votivinschriften, an Felsgräbern und an Grabsteinen. Wenn die Grabschrift die
besondere Meinung des Gebets nicht ausspricht, so hält es schwer, sie zu präzisieren;
denn es kann bloße Adoration sein, es kann aber auch Anklage erheben, wie Prokope
ihre Hände gegen die Götter erhebt, die sie dem Leben entrissen haben, oder sie
kann eine Verwünschung gegen den Mörder aussprechen. In letzterem Sinne begegnet
das Symbol auch an jüdischen Grabsteinen aus dem Altertum; es hat sich übrigens
bei den Juden erhalten,, nur umgedeutet in rituellen Segen.1)
Wie Heiden und Juden, so erhoben die Christen die Hände zu ihrem Gott.
Solche Beterfiguren, beide Hände proniert gehoben, sind, wie gesagt, sehr häufig in
der Katakombenmalerei. Die geistreichen Kirchenväter, immer geneigt, zu kombinieren
und zu allegorisieren, fanden im Schema der ausgebreiteten Arme eine Reminiszenz
an den Gekreuzigten; das ist natürlich sekundär hineingedeutet, doch kann diese Auf-
fassung immerhin die Haltung mancher Beter beeinflußt haben. Die Darstellungen
zeigen die „Oranten" mit sehr verschieden modifizierter Armhaltung, bald stehen die
Hände höher, bald tiefer, in einigen der ältesten und in vielen späteren Malereien
sind die Arme im Ellbogen scharf gebeugt, so daß die Kreuzform doch nur sehr vag
herauskommt. Klar erscheint sie erst im dritten Jahrhundert. Die Männer beteten
wie die heidnischen Griechen, mit bloßem Kopf, die Frauen mit verhülltem Haar
(Kor. I 11, 4— 15).2)
Die Oranten finden wir teils in die Decken, teils in die Wandmalereien einge-
setzt. Die Decken disponierte man nach dekorativen Gesichtspunkten, auch wenn man
das Laubensystem als Andeutung des himmlischen Paradieses verstand und die Embleme
in eben diesem Sinne wählte und verteilte; denn für das Zenithfeld nahm man vor-
herrschend den Christus, im Typus des Guten Hirten, oder denselben in direkter
Darstellung, für die Zwickel- und Kappenfelder teils Selige, teils Rettungstypen. (Eine
Orans in der Decke oben Seite 154). Solche Seligenbilder, meist im Orantentypus,
bei aller Bedeutsamkeit auch sie dekorativ angeordnet, z. B. in der Form, daß je zwei
x) Betender Knabe: Conze, Archäol. Jahrbuch 1886, 1. Furtwängler und Conze, Archäol.
Anzeiger 1904, 75. Metilius: Amelung, Fährer Florenz n. 249. v. Sybel, Weltgesch. der Kunst
2373 Abb. Adorantenreliefs: v. Sybel, Katalog d. Skulpturen pag. VIII Votivreliefs. —
Vasenbilder: Petersen, Ath. Mitteil. 1897, 318 Abb. Monum. d. instit. XI Taf. 39. — Grab-
stein: Conze, Attische Grabreliefs n. 204. v. Sybel, Weltgesch. d. Kunst 228 Abb. Stele: Ath.
Instituts phot., Gräbst, n. 238. — Anderes bei Brückner, Anakalypteria 1904, Anm. zu S. 9. —
Hände: Material bei Sittl, Gebärden 306 f. Dümmler, Ath. Mitteil. 1891, 127 (Itanos). Noack,
Ath. Mitteil. 1894, 318. Förster, Archäol. Jahrbuch 1898, 190. Kaiinka, Österr. Jabreshefte 1898,
Beibl. 108; ders., Tituli Lyciae 1901 n. 4. Wilhelm, Jahreshefte 1901, Beibl. 10 (jüdische Inschriften).
Sind nicht auch die Bronzehände Gebetsbände? vgl. Hörnes, Urgeschichte der bild. Kunst in
Europa 1898, 423.
2) Oranten: Liell, Die Darstellungen der allerseligsten Jungfrau und Gottesgebärerin
Maria auf den Kunstdenkmälern der Katakomben 1887, 115 Die Oranten in der altchristlichen
Kunst. Wilpert, Malereien 115. 456 Die Oranten. Kreuzform: zuerst Wilpert Taf. 84, 2.
Die Oranten. 259
Männer und zwei Frauen sich diagonal gegenüberstehen, können nur dienen, die Idee
des himmlischen Paradieses näher zu veranschaulichen. Diese Seligen sind nicht die
besonderen, in der Kammer beigesetzten, sondern sie haben allgemeinere, wenn man
will symbolische Bedeutung, sofern es Symbolik zu nennen ist, wenn die Maler ganz
einfach den Himmel mit seinen seligen Bewohnern vor Augen zu bringen gedachten,
so wie sie ihn etwa sich dachten und mit den bescheidenen Mitteln ihrer Kunst aus-
zudrücken vermochten. Die Tauben und Pfauen, ursprünglich die gegebene Tier-
staffage der Parks und Lauben, wie die aus der Idyllenmalerei stammenden Schafe,
gehen da mit hinein, vollends wenn sie als Bilder der Seligen verstanden wurden, die
einen als Bilder derer, die sich im Paradies erquicken, die anderen derer, die der
gute Hirt aus dem Tod erlöste und in das ewige Leben einführte. Übrigens darf
man an die Spiele der Phantasie nicht die Maßstäbe pedantischer Logik anlegen. Die
geschilderte Bedeutung der Oranten wird durch den Umstand erhärtet, daß die Decken
zuerst gemalt wurden, in der Regel ehe über Beisetzungen in der Gruft irgendwie
bestimmt war. Die Vergleichung der Oranten in den Deckenmalereien mit den tat-
sächlichen Bestattungen in den Wandgräbern zeigt, daß keine Beziehung zwischen
ihnen besteht; so wenn an der Decke einer Kammer zwei männliche und zwei weib-
liche Oranten in der erwähnten Anordnung gemalt sind, während in den Fachgräbern
derselben großenteils Kinder beigesetzt waren. Auch an vielen Wänden ließ sich
feststellen, daß ihre Bemalung vorweg gemacht war, zusammen mit derjenigen der
Decke. Dabei wurden im Putz längliche Felder für die nach Bedarf einzubrechenden
Gräber ausgespart, wobei es denn vorkam, daß einzelne Felder unbenutzt blieben, in
andere, für Erwachsene berechnete Felder aber nur Kindergräber gebrochen wurden.
Also war die ganze Ausmalung der Kammer unabhängig von den Gräbern und den
darin Bestatteten entstanden (Liell 127). Solche Herstellung von Grüften auf Vorrat
kam natürlich in der ersten Zeit noch nicht vor, erst nachdem die Katakomben-
bestattung sich zu einem festen Brauch ausgebildet hatte und die Anlagen weiter-
blickend geplant wurden.
Immerhin gibt es in den Wandmalereien einige Oranten, die durch beigeschriebene
Namen als Darstellungen der dort Beigesetzten gekennzeichnet sind. In diesen Fällen
war der Wandputz mit der Malerei erst nach der Beisetzung und dem Verschließen
des Grabes aufgetragen; so ist es z. B. bei den sog. fünf Heiligen der Fall (unsere
Farbtafel IV). Ob indessen die Persönlichkeiten und ihre Gesichtszüge wirklich
porträthaft individualisiert seien, darüber gehen die Ansichten auseinander; Liell
bejaht die Frage, Wilpert verneint sie. Ihre Erörterung ist aber ein so schöner
Unterhaltungsstoff für alle diejenigen, welche die Malereien in den Katakomben selbst
oder in der neuen Publikation gemeinsam betrachten, daß wir, um ihrem Witz nicht
vorzugreifen, das Problem unerörtert lassen möchten. Im Ernst gesprochen, Archäologen
und Kunsthistoriker, denen die Naturgeschichte der Porträtmalerei sowie die Subjek-
tivität der Urteile über Porträts bekannt ist, werden unsere Zurückhaltung verstehen,
vollends gegenüber der Handwerksarbeit der Katakombenmalerei. Ein einzigartiges
Porträt auf Leinwand, das doch wohl ausgeführter gearbeitet war — im Cubiculum
Oceani hatte man es oben im Lichtschacht auf den Putz befestigt, ist leider herunter-
gefallen und zugrunde gegangen.1)
l) Cub. Oceani: Unsere Farbtafel II, vgl. Wilpert, Malereien 32, 3.
17 =
260 Die Seligen im Himmel.
De Rossi, zuerst allerdings durch einige spätere literarische und monumentale
Tatsachen bestimmt, hat versucht, die Bedeutung der Oranten genauer zu präzisieren:
es seien bei diesem Typus nicht so sehr die Verstorbenen selbst gemeint, nämlich nach
ihrer ganzen Persönlichkeit und Erscheinung im Leben, als deren im Tode ab-
geschiedene Seelen. Das wäre also eine selbständige Personifikation der Seele, ein
neues und letztes Kapitel zur Mythologie der Psyche im Altertum. Unsere Einleitung
vertrat den Gedanken vom antiken Charakter des Altchristentums und der altchrist-
lichen Kunst; müßte dem Satz die Tragweite gegeben werden, daß nichts als altchrist-
lich anzuerkennen wäre, das sich nicht über seinen antiken Charakter auszuweisen
vermöchte, so wäre die fragliche Seelenmythologie als altchristlich legitimiert, wenn
nicht nach ihrer Tatsächlichkeit, so doch nach ihrer Möglichkeit in den Grenzen der
Antike. Sie gehorcht der Regel, wonach das Geschlecht einer Personifikation dem
grammatischen Geschlecht des Begriffs folgt; die Psyche, anima, Seele, ist weiblichen
Geschlechts wie in der Sprache so in der poetischen und bildnerischen Personifikation.
Schon die heidnischen Griechen stellten sie als Mädchen dar; das Bild sahen wir von
den Katakombenmalern übernommen, unsere Farbtafel I zeigt sie mit Eros Blumen
pflückend. Ist das nicht auch ein Bild paradiesischer Seligkeit? So wäre es ein
Präludium zu der neuen Personifikation der Seele in der Orans.
Aber warum soll denn die Orans nicht die Verstorbene als die ganze Persön-
lichkeit darstellen, sondern nur ihre in den Himmel eingegangene Seele? Vielleicht
weil nach christlicher Vorstellung der Körper bis auf weiteres im Grabe bleibt, nur
die befreite Seele unmittelbar in das Paradies eingeht? Die Gründe sind in Wirklich-
keit nicht dogmatischer, sondern archäologischer Art. Es kommt vor, daß am Grabe
eines Mannes, des Cäsidius Faustinus, eine weibliche Orans abgebildet ist; also scheint
nicht er dargestellt, sondern seine Seele. Und seine Witwe Cyriace, die achtund-
zwanzig Jahre mit dem wackeren Manne lebte, weiht ihm seine Ruhestätte als der
guten Seele, die nun im Frieden ruht (bonae animae in pace. Bull, crist. 1868, 12 n. 3).
Ähnliches kommt mehr vor. Überhaupt fällt auf, daß die weiblichen Oranten in den
Katakombenmalereien soviel zahlreicher sind als die männlichen. In der Tat ist es
schwer, die Erscheinung zu erklären; die Deutung der Orans auf die Seele aber hilft
nur scheinbar, weil sich ihr die doch auch vorhandenen seligen Männer nicht fügen.
Ebensowenig wollen sich der Deutung auf verkörperte Seelen diejenigen Oranten
fügen, welche zu mehreren gruppiert (wenn bloße Reihung als Gruppierung gelten
darf) eine Familie darstellen: in Priscilla Mann und Frau, zu seiner Rechten ein
Knabe, von dem leider nur ein Fuß erhalten ist; in Kaliist ein Ehepaar (der Mann
indes nicht betend, sondern nach der Speise auf einem Tischchen greifend) durch ein für
sich eingerahmtes Seligenmahl getrennt von ihren zwei Kindern; in demselben Cöme-
terium in einer Arkosollünette eine Mutter zwischen ihren Kindern oder sonstigen
Angehörigen, links vielleicht ein Kind (ganz zerstört) und anscheinend ein Knabe
(nur der Kopf erhalten), rechts ein Kind, ein Jüngling und ein Mädchen; im Coeme-
terium maius in einer Lünette Frau und Mann (oder Mutter und Sohn, das bleibt
zweifelhaft) und in einer anderen Lünette Mutter mit Schoßkind, das die Hände
seinerseits nicht ausbreitet, beide voreinander und nur als Brustbilder (Wilpert
Taf. 207). Die Meinungen über dieses Bild gehen auseinander, Bosio, de Rossi, Liell
erklären die Mutter für Maria mit dem Jesusknaben, Bottari, Schultze, Kaufmann für
eine gewöhnliche Orans. Wilpert hat geschwankt, früher vertrat er letztere Ansicht,
Die Oranten. 261
jetzt zieht er die erstere vor. Die Deutung auf Maria wurde darauf gegründet, daß
die Gruppe zwischen symmetrisch gezeichneten Christusmonogrammen steht, welche
auf Christus hinweisen oder geradezu den Namen des Dargestellten angeben sollen
(aber das Monogramm wird in den Malereien auch sonst den Verstorbenen hinzu-
gefügt, übrigens ganz willkürlich); daß das Kind nicht bete (daraus folgt nichts, denn
gerade Jesus betete sehr viel, andererseits beten Schoßkinder überhaupt nicht; übrigens
findet sich ein nicht betendes Kind, dort neben seiner Mutter, Tai 243, 2); das Schema
der Gruppe lebe in einer Serie byzantinischer Muttergottesbilder fort (das eben ist
die Frage, ob in unserem Falle das Schema schon für die Madonna verwendet sei).
Wilpert erkennt diese Gründe nicht an, glaubt aber selbst einen neuen Beweis gefunden
zu haben in der Tatsache, daß am Arkosolbogen über der Lünette ein Christuskopf
angebracht, in allen Fällen vorkommender Christusbüsten aber noch wenigstens eine
zweite Darstellung mit der Figur des Christus vorhanden, also auch an unserem Arkosol
vorauszusetzen sei; das könne aber nur das Lünettenbild sein, weil hier außerdem nur
noch zwei Oranten gemalt sind, an den Laibungen. Das Interesse der Sache für
Wilpert ist ein dogmatisches; es liegt darin, daß, die Richtigkeit der Deutung auf
Maria vorausgesetzt, sie hier zum erstenmal als Betende, mithin als solche erscheinen
würde, die bei Gott für Lebende Fürsprache einlegen soll; damit wäre eines ihrer
„großen Privilegien" dargestellt, „mit denen die Vorsehung die Mutter Gottes aus-
gezeichnet" habe. Wenn nun unser Gemälde, das nach de Rossi und Wilpert erst
dem vierten Jahrhundert angehört, wirklich Maria als Fürbitterin darstellte, so wäre
damit gerade dies immer noch nicht bewiesen, daß die Stellung der Maria in der
Kirche der „ersten Jahrhunderte" „im Wesentlichen" die gleiche gewesen sei wie in
den späteren Zeiten. Leider aber können wir, bei der Freiheit, womit an den Gräbern
die Typen zusammengewürfelt sind, Wilperts neuen Beweis nicht ernst nehmen. Bis
auf weiteres also müssen wir unsere Orans als eine gewöhnliche Verstorbene ansehen,
als eine christliche Mutter mit ihrem Söhnchen, das, so denken wir uns, noch zu klein
war, um schon zu beten. Es ist zur Erklärung des Bildes in diesem Sinne keineswegs
nötig, aber bei der früheren so mangelhaften und oft geradezu fehlerhaften Therapie
eigentlich recht naheliegend, zu fragen, ob die Mutter vielleicht bei der Geburt oder
im Wochenbett starb, wobei es dahingestellt bleiben kann, ob das Kind am Leben
blieb oder nicht.1)
l) Orans als Seele: de Rossi, Bull, crist. 1867, 85; Roma sott. II 324. Kraus, Realencykl.
II Art. Orans. Liell, Darstellungen der allerseligsten Jungfrau und Gottesgebärerin 1887, 132.
Wilpert, Cyklus 1891, 43; Malereien 456; Kaufmann, Antike Jenseitsdenkmäler 1900, 114. Leclercq
bei Cabrol, Dictionn. 1 1488. — Die ältere Deutung einiger weiblicher Oranten auf die Kirche
haben die vorgenannten Gelehrten so wesentlich eingeschränkt, wenn nicht aufgegeben, daß wir
nicht mehr davon zu reden brauchen: Liell 168. Wilpert, Malereien 456. Kaufmann 154. —
Familien: Priscilla: Wilpert 189 Taf. 21, 2. Kallist: eb. Tal 41, 1.2 (leider wurde der Bildstreif
in dieser Publikation zerschnitten; uuzerschnitten gibt ihn de Rossi, Roma sott. II Taf. 16, wo nun
aber das Größenverhältnis der Figuren rechts zu denen links ein anderes ist als bei Wilpert); auf
die strittige Erklärung des Bildstreifs kommen wir zurück unter „Syntax14. Callist: Wilpert 90, 2.
Coem. maius: Taf. 163. — Die angebliche Maria orans: Wilpert, Cyklus 47; Rom. Quart. 1900,
303. Malereien 57. 209. Taf. 163, 1. 207. 208. Liell, Allerseligste Jungfrau und Gottesgebärerin 333
Taf. 6. Kaufmann, Jenseitsdenkmäler 118 Taf. 9. Zu Maria orans noch Strzygowski, Rom. Quart.
1893, 4. — Eine verschollene Arkosolmalerei, welche de Rossi, Roma sott. III 10, 2 nach Bosio
wiederholt, bringen wir unten unter »Syntax": in der Lünette steht ein Mann zwischen Frau und
262 Die Seligen im Himmel.
Daß die Zahl der weiblichen Oranten in der cömeterialen Malerei ungleich
größer ist als die der männlichen, will erklärt sein. Nach Wilpert hätten die Künstler
an ihnen mehr Geschmack gefunden, weil sie malerischer waren (Malereien S. 112,
eine etwas überraschende Erklärung bei einem Gelehrten, der die Malereien von der
so antifemininen Geistlichkeit wenn nicht diktiert, so doch überwacht glaubt, eb. S. 58).
Der Archäologe erinnert sich, daß schon in den heidnisch griechischen Grabreliefs die
Frauen das numerische Übergewicht und selbst einen gewissen Vorzug haben. Es
fällt auf, weil doch die Männer auch im Altertum insgemein später heirateten als die
Frauen, also im ganzen öfter von ihnen begraben wurden als es umgekehrt der Fall
sein konnte. Wenn auch viele Grabsteine durch einen frischen Todesfall veranlaßt
sind, so gilt das doch nicht für alle. Die Männer, mag man denken, werden beizeiten
für die Familiengrabstätte und ihren künstlerischen Schmuck gesorgt haben; dann
wäre das in Rede stehende Phänomen eine Ergänzung zu den schriftlichen Nachrichten
über die Stellung der Frau im Altertum.
Betend stehen die Seligen, sowohl die Repräsentanten aller derer, die schon in
den Himmel eingingen, wie wir sie in den Deckenmalereien und gelegentlich an Wand-
gräbern finden, als auch die eben Beigesetzten, wie sie unverkennbar vorliegen in den
Ehepaaren und Familien. Sie beten, aber was ist der Inhalt ihres Gebetes, wie be-
zeichnen wir ihr Gebet? Sie stehen vor dem Angesicht des Herrn; des Herrn, das
heißt nun also nicht Gottes, sondern des Christus. Die Seligen stehen vor dem An-
gesicht des Herrn und schauen seine Herrlichkeit, wie das in den Märtyrervisionen
geschildert ist. Dieser Ideenkreis einmal angenommen gibt es für die Seligen gar
keine Möglichkeit einer anderen Haltung als die der Anbetung, der Adoration.
Wilpert freilich rügt es als eine Verwirrung zweier elementarer Begriffe, wenn neuer-
dings mitunter der Ausdruck Adoranten statt Oranten (Anbetende statt Betende) ge-
braucht werde; der Gestus des Anbetens sei von dem des Gebetes verschieden, zur
Adoration gehöre Kniebeugung (Malereien 456,5. 487,5). Die klassischen Archäologen
werden dagegen geltend machen, daß zum antiken Ritus der Adoration, das ist der
verehrenden Begrüßung, die Kniebeugung mit nichten gehörte: die letztere hat ihren
besonderen Sinn neben der Anbetung, konnte zu ihr hinzutreten, war aber so wenig
ihr unerläßlicher Bestandteil, daß wenigstens die Griechen als Regel sie nicht in An-
wendung brachten. Man sehe außer der in den Handbüchern der Sakralaltertümer
verzeichneten literarischen Überlieferung nur die vielen klassischen Adorationsbilder
durch (einiges führten wir oben an), um sich davon zu überzeugen, daß der Grieche
insgemein stehend adorierte; dabei konnten die Hände jede beliebige von den oben
aufgeführten Stellungen einnehmen. Daß die Christen von jeher und allezeit die An-
betung nur kniend vollzogen hätten, ein so weitgehender Satz müßte doch reichlicher
belegt werden als es Malereien 487 geschieht. Es bleibt bei dem Selbstverständ-
lichen, die Seligen im Himmel stehen vor der Herrlichkeit des Herrn in Anbetung.
Das hindert nicht, den konventionellen Terminus Oranten weiter zu gebrauchen.
Wir wollen doch hören, was denn der besondere Inhalt des Betens der Seligen
sein soll, wenn sie nicht bloß anbeten. Liell machte einen Unterschied zwischen den
Sohn, nur letzterer hebt beide Hände, die Eltern heben bloß die Rechte und zwar der Vater
vor der Brust. Vgl. noch Wilpert Taf. 212 Mutter zwischen zwei Kindern, 243, 2 Mutter mit
Kind.
Die Oranten. 263
gewöhnlichen Oranten und denen, welche Märtyrer vorstellen: jene beteten überhaupt
nicht, sondern sie, die im Fegfeuer zu denken seien, flehten die Besucher des Grabes
um Fürbitte an; die Märtyrer aber legten umgekehrt für uns Fürbitte ein, die sie auf
Erden und im Kampfe mit dem Bösen und der Welt zurückgelassen hätten. Die
Idee des Fegefeuers, aus heidnischen Spekulationen abgeleitet und in die christliche
Spekulation übergeführt, in ihrer Entwicklungsgeschichte auf der christlichen Seite an
die Namen Tertullian, Clemens, Origenes, Ambrosius geknüpft, darf kurzerhand bei-
seite geschoben werden, wie sie in der christlichen Archäologie auch weiter keinen
Anwalt gefunden hat. Der Augenschein lehrt nun, daß zwischen den Oranten irgend
ein erkennbarer Unterschied nicht gemacht ist; wo immer sich eine Andeutung des
Aufenthaltsortes der Oranten findet, sei es in einer ausgeführten Parklandschaft oder
in einem Parkgitter, unter aufgehängten Girlanden und Rosen, wie endlich in den
Lauben, ist klar, daß da immer das Paradies gemeint ist. Folglich sind alle Oranten
als Selige im himmlischen Paradies gedacht. Wo aber den vorkommenden Eigennamen
der Seligen die Worte in pace, im Frieden, beigefügt sind, da bedeutet das Wort das-
selbe wie das gemalte Bild, den Frieden im himmlischen Paradiese. Freilich kommt
auf Grabschriften auch die Formel vor „er lebte soviel Jahre im Frieden", das will
sagen im Reich Gottes auf Erden, kurz als Christ. Ursprünglich meinte das Wort
den Frieden auf Erden, im messianischen Sinne, aber seit der Verjenseitigung des
Reiches ging auch der Friede von der Erde hinweg und in den Himmel hinüber.
Das bedeutendste Paradiesesbild, das sich erhielt, ist das auf unserer Tafel IV wieder-
holte mit den sogenannten fünf Heiligen, die aber auf keine Weise als Märtyrer oder
sonst als präkonisierte Heilige bezeichnet sind, Dionysas (?), Nemesius, Procopius,
Eliodora und Zoe, eine sechste, Arcadia, ist nur mit Namen genannt. Wie die heid-
nisch-griechischen Grabschriften, so weit sie überhaupt ein Jenseits voraussetzen oder
auch nur für möglich halten, den Verstorbenen immer ohne irgend ein Zögern oder
Zweifeln als in den Ort der Frommen und Seligen eingegangen ansehen, so betrachten
auch die Christen den Eingang ihrer Verstorbenen in die Seligkeit als gegebene Tat-
sache. Epitaphe, tout est Epitaphe. Die Märtyrer aber, die wir als solche anerkennen
dürfen, wie die Cäcilia, Abdon und Sennen, Milix und Bicentius, die man sich doch
auch im Himmel dachte, sind jedenfalls in der vor dem Angesicht des Herrn sich
gebührenden Stellung der Verehrung dargestellt.1)
Liells Erklärung der Märtyrer als Fürbitter dehnt Wilpert auf alle Oranten
aus; sie seien Bilder der in Seligkeit gedachten Seelen der Verstorbenen, welche für
die Hinterbliebenen beteten, damit auch diese das gleiche Ziel erlangen möchten.
Wilpert meint, den Gedanken an bloße Anbetung beseitigt und so Raum für den aus
dogmatischem Interesse ihm wichtigen besonderen Gebetsinhalt gewonnen zu haben.
Für sich zu beten haben Selige nicht nötig, da sie sich am Ziel ihrer höchsten
Wünsche angelangt sehen. An Dankgebet sei auch nicht zu denken, denn auf keiner
Grabschrift finde sich Andeutung eines Dankgebets, nämlich für die Aufnahme in
den Himmel. In der Tat, so nahe eigentlich ein Dankgebet für die nicht durch eignes
Verdienst, sondern durch reine Gnade (um die erzwingende Kraft der Riten hier aus
*) Liell, Darstellungen der allerseligsten Jungfrau und Gottesgebärerin 154. 156. 165. —
Fegfeuer: Harnack, Lehrbuch d. Dogmengeschichte 81894 I 570 (Tertullian), 645,5 (Clemens und
Origenes), II 65,4 (Ambrosius). — in pace auf das Leben bezogen z. B : Maxeina que vixit in pace
annos triginta, de Kossi, Roma sott. I Taf. 17, 2.
264 Die Seligen im Himmel.
dem Spiele zu lassen) in den Himmel Gelangten läge, so wenig ist davon die Rede;
wir wollen sagen, der Dank der Seligen geht in der Anbetung, dem allein und ewig
ertönenden „ Heilig, heilig, heilig ist der Herr" unter. Somit bliebe denn als Inhalt
des Gebets der Seligen per exclusionem nur das gewünschte Demonstrandum übrig,
die Fürbitte für die Hinterbliebenen. Aber sollte nicht auch diese Fürbitte in der
Anbetung untergehen? Sollte nicht jedes Sondergefühl, selbst für die teuersten An-
gehörigen, in dem alles Einzelne einschließenden und anheimstellenden Allgefühl der
Vereinigung mit dem Dreimalheiligen untergehen? Um jedoch im engeren Kreis der
monumentalen Überlieferung zu bleiben, was für monumentale Zeugnisse werden für
die Fürbitte der Seligen beigebracht? Es sind zu wenige und zu späte Zeugnisse, um
für den Sinn der Malereien beweisen zu können. Wenn im vierten, oder auch schon
im dritten Jahrhundert jemand eine Bitte an den Verstorbenen an das Grab schrieb,
er möge im Himmel Fürbitte einlegen für ihn, den Lebenden, daß ihm seine Sünden
zu seiner Zeit nicht angerechnet werden möchten, so beweist das noch nichts für das
erste und zweite Jahrhundert. Und selbst, wenn solche Beischriften aus der Frühzeit
der Katakomben gefunden würden, so könnten sie nichts für die Erklärung der
Malereien beweisen; der Augenschein zeigt nur Anbetung, alles weitere ist von den
Exegeten hineingelegt.1)
Könnte die Fürbitte der Seligen in literarischen oder Kunstdenkmälern der
christlichen Frühzeit nachgewiesen werden, so fände der klassische Archäologe eine
solche Tatsache ganz verständlich, immer wieder aus dem antiken Charakter des
Christentums heraus. Da wir in der Erfahrung Persönlichkeit nur an Menschen finden,
so kann eine persönliche Gottheit nicht anders als anthropopathisch gedacht werden,
mit menschlicher Empfindung begabt und aus menschlich empfundenen Beweggründen
menschlich handelnd; sie ist, wie wir schon Gelegenheit hatten zu erinnern, bestimmbar
durch Gewalt und List, durch Geschenke und Bitten. Daß der persönliche Gott zu-
gänglich und bestimmbar sei, wird in aller Mythologie und mythologischen Religion
als selbstverständlich vorausgesetzt. Wie im Leben bei vorkommender Gelegenheit
für Verwandte und Freunde Fürbitte einzulegen im Altertum gang und gäbe war, so
erwartete man auch von den Himmlischen, daß sie für ihre sterblichen Angehörigen
und Schutzbefohlenen zur rechten Zeit Fürbitte einlegen würden. Die klassische
Reigenführerin aller Fürbitter und Fürbitterinnen ist Thetis, da sie im ersten Gesang
der Ilias aus dem Meere hinauf zum Olymp geht, zum Zeus, der abgesondert auf dem
höchsten Gipfel sitzt; da bittet sie für ihren Sohn, daß Zeus den Agamemnon nötige,
die dem Achill zugefügte Kränkung wieder gut zu machen; dabei beruft sie sich auf
den Schatz ihrer Verdienste um Zeus. Wir lassen die Morgenröte folgen. Den
schönsten Jüngling hat sie sich geraubt, den Tithonos; dann geht sie zu Zeus und
erbittet für ihn Unsterblichkeit und ewiges Leben. Und als im trojanischen Krieg
Achilleus und Memnon aufeinandertrafen, da traten die beiden Mütter, Thetis und
Eos, an Zeus heran, eine jede Fürbitte einlegend für das Leben ihres Sohnes; nachdem
*) Zeugnisse für die Bitte der Hinterbliebenen um Fürbitte der Seligen: Dormi in pace —
et pro nostris peccatis pete sollicitus, de Rossi, Bull, comunale, Roma 1893, 1. Vic[toria?] ... et
pete . . . Wilpert, Gottgeweihte Jungfrauen Taf. II 1, 5; Malereien 427. 457. Anderes bei Cabrol,
Monumenta liturgica I, zitiert in seinem Dictionnaire I 245 (ora pro parentibus tuis, pete pro
Celsinianu coiugem, pete pro nos ut salvi simus usf.). Wilpert, Malereien 211: „in orationibus tuis
roges pro nobis quia scimus te in Christo."
Im Himmel. 265
dann Memnon im Kampfe gefallen war, erbat Eos von Zeus auch für ihn Unsterblich-
keit. Noch ein Beispiel aus der Kaiserzeit, aus Hadrians Zeit: am Obelisk auf dem
Monte Pincio zu Rom steht eine Inschrift des Inhalts: Antinous, nach dem Tod zu
neuem Leben erwacht, findet sich als Genossen des Sonnengottes wieder und bittet
diesen Lenker der Welt, dem Kaiser gnädig zu sein. Endlich ein paar Grabschriften,
die von Fürbitte der Verstorbenen für Hinterbliebene wissen; man wolle beachten,
daß unsere Beispiele aus dem ersten vorchristlichen und dem zweiten nachchristlichen
Jahrhundert, zu den besseren Grabgedichten gehören und trotz der Popilia rein
griechisch sind. „Hediste, Witwe des Menedemos, Tochter des Butichos, hat von
ihrem Sohn Philippos die letzten Ehren gebührend erhalten; deshalb hat sie im Hades
dem Rhadamanthys es gesagt, daß sie für ihre Kindesnöte den schuldigen Dank
empfangen hat." „Dies ist das Grab der Popilia, mein Gemahl hat es selbst ge-
schaffen, Okeanos, der in jeder Kunst erfahren ist; deshalb ist mir die Erde leicht,
und am Acheron werde ich, lieber Mann, deine Pietät rühmen." Die Mutter legt für
den frommen Sohn, die Gattin für ihren frommen Mann, beide zum Dank für die
richtige Bestattung (und diese ist nach der ganzen Meinung zu verstehen, als Voll-
ziehung eines in das Jenseits wirksamen Ritus) bei den Herren und Richtern der
Toten Fürbitte ein, auf daß auch sie nach ihrem Tode drüben gutes Los finden.1)
Wenn wir die Oranten, Bilder der Verstorbenen in der Seligkeit, zwischen zwei
Bäume oder zwei Schafe oder zwei Milcheimer oder neben einen guten Hirten gestellt
finden, so bedarf dergleichen keiner besonderen Erklärung; der Sinn ergibt sich aus
früher Gesagtem, das etwa noch Fehlende wird weiterhin zur Sprache kommen. End-
lich sehen wir an einer Türwand zwei Oranten gemalt, über, das meint hinter einem
von Blüten durchsetzten Parkgitter unter hängenden Blätterschnüren und zwischen
Blumen stehend, einen Mann links von der Tür, eine Frau rechts, über der Tür aber
den Halbmond zwischen Sternen; wie Gitter, Girlanden und Blumen auf das Paradies,
so deuten die Himmelslichter auf den Himmel: das Ehepaar steht im himmlischen
Paradies in Anbetung vor der Herrlichkeit des Herrn.2)
Im Himmel.
Die Himmelsleiter. Nach einer Anschauung, die bei den alten Ägyptern an-
getroffen wird, konnte die Seele des Verstorbenen auf einer großen Leiter, welche die
Götter für sie errichteten, den Himmel erreichen, wo sie sich dann unter die Götter
setzen durfte; Maspero hat bei einigen Mumien kleine Modelle von Treppen oder
Leitern gefunden, deren die Toten sich dieser Anschauung gemäß bedienen sollten, um
zum Himmel hinaufzusteigen. Anders verwendet der Elohist das Bild der Himmels-
leiter, in der ätiologischen Sage, die er zur Erklärung des Namens der Stadt Bethel
x) Thetis: Ilias A 495. Tithonos: Rapp in Roschers Lexikon Ii 1261. Escher bei Pauly-
Wissowa V 2658. Memnon: Röscher, Lexikon I i 1264. Holland, eb. II ni 2654. Antinous:
Erman, Rom. Mitteil. 1896, 116. Grabschriften: Kaibel, Epigrammata graeca ex lapidibus
conlecta 1878 n. 514 und 559.
2) Wilpert 462 Taf. 218, 2; die achtstrahligen Sterne wie der Stern über dem Christuskind
Tai 172, 2.
266 D*e Seligen im Himmel.
(d. i. Wohnsitz Gottes) erzählt: „Da zog Jakob aus von Beersaba und machte sieh
auf den Weg nach Haran. Da gelangte er an eine [heilige] Stätte und blieb daselbst
über Nacht — . Und er nahm einen von den Steinen dieser Stätte, legte ihn zu seinen
Häupten und legte sich schlafen an selbiger Stätte. Da träumte ihm, eine Leiter set
auf die Erde gestellt, deren oberes Ende bis zum Himmel reichte, und die Engel
Gottes stiegen auf ihr hinauf und herab. — Da fürchtete er sich und sprach: Wie
schauerlich ist diese Stätte! Ja, das ist der Wohnsitz Gottes und die Pforte des
Himmels! Frühmorgens aber nahm Jakob den Stein, den er zu seinen Häupten gelegt
hatte, stellte ihn auf als Malstein und goß Ol oben darauf usf. Gen. 28, 10 — 12. 17 ff.
In der christlichen Literatur aber dient die Himmelsleiter wieder, wie es bei den
alten Ägyptern gewesen war, den Seelen der Verstorbenen zum Aufstieg in den
Himmel; es wird aber, wie bei der Jakobsleiter, der Rahmen einer Traumvision dazu
benutzt. Das geschah in der Vision der Perpetua und ihrer Nachahmungen; die
Märterin sah sich und ihre Leidensgefährten die schmale Himmelsleiter hinaufsteigen,
einem unter der Leiter liegenden Drachen zertrat sie vor dem Aufstieg den Kopf. An
der linken Laibung eines Arkosolbogens in Domitilla, aus dem vierten Jahrhundert, ist
solch eine Szene gemalt: ein Mann in Tunika und Oberkleid setzt den Fuß auf die
angelehnte hohe Leiter. Wilpert will unter der Leiter auch eine Windung der
Schlange erkennen; die Windung sieht man, daß es aber eine Schlange wäre, kann
man nicht sicher sagen, in der Abbildung erscheint es als ein Auslauf des „Hügels"
neben der Leiter. Über oder hinter dem Hügel wachsen riesenhafte Ähren, die
Wilpert als Sinnbild der Auferstehung oder der Eucharistie deutet; man könnte auch
an das Bild von der reifen Ernte denken. Was die völlig zerstörte Malerei an der
rechten Laibung enthielt, kann man nicht wissen; im Scheitelbild befand sich das
nimbierte Brustbild des Christus.1)
Auf der Schwelle des Himmels sehen wir eine Verstorbene im Gemälde an
der Vorderwand ihres Grabes (Wilpert 467, 5 Taf. 241, unsere Abbildung): zwei
Bartlose in ungegürteter Tunika ziehen einen Vorhang auseinander, das heißt sie
öffnen den Eingang zum Paradies, zum Himmel, wenn man will zum Gelag, zum
Gemach des himmlischen Bräutigams. Denn mit Vorhängen waren im Altertum die
Eingänge der Empfangsräume geschlossen, die Türhüter zogen sie zur Seite, um Be-
sucher einzulassen. Als Diener an der Himmelspforte (Ostiarii) möchte man sich
Engel denken, es scheinen aber Selige gemeint zu sein. Die eben Verstorbene also
tritt ein, anbetend breitet sie die Hände aus, denn nun steht sie vor dem Angesicht
des Herrn. — Andere Malereien deuten den Eintritt in den Himmel dadurch an, daß
der neu Eintretende von Bewohnern des Himmels, früher Verstorbenen, begrüßt wird.
Eine eben Verstorbene tritt ein, in Dalmatika (vom Zeichner der Bosioschen Re-
produktion mißverstanden) und Schleier, anbetend die Hände ausgebreitet; zwei ältere
Selige, beide in Tunika und Oberkleid, begrüßen sie mit entgegengestreckten Händen
(unsere zweite Abbildung, Wilpert 469, 10). Eine solche Begrüßung (nicht Unterstützung
der im Gebet gehobenen Arme) war auch in Petrus und Marcellinus gemalt (Wilpert
*) Himmelsleiter, ägyptisch: Chantepie de la Saussaye, Lehrbuch der Eeligionsgesch. 2 I
138. — Jakobstraum ausgedeutet in platonisierender Kosmologie: Philo de somniis I 22
(Wendland-Cohen III). Norden, Äneis VI Seite 48, 1. — Domitilla: Wilpert, Malereien 484
Fig. 43 Taf. 153, 1.
Im Himmel.
267
465, 1 Taf. 101), eine dritte, mit einem Kind neben der Seligen, im Coem. Theclae
(Wilpert 468, 6 Taf. 243, 2), eine vierte, einer Familie, bestehend aus Mutter und
Kind, Vater und Sohn (?), in zwei Gruppen zwischen je zwei Seligen, beiderseits eines
zentralen Christusmedaillons (Wilpert 468, 7. 8 Taf. 219, 1). — Das himmlische
Selige in der Himmelstür.
Coem. Cyriacae.
Selige im Paradies begrüßt.
Coem. Cyriacae.
Paradies wird dabei gelegentlich durch Bäume angedeutet, zwischen denen die Orans
steht; die zwei sie begrüßenden Seligen kommen von den Seiten heran, einmal recht
eilfertig (Wilpert 365, 5 Taf. 232, 3). Die Seligen werden ein andermal als Mann
und Frau unterschieden, es sind vielleicht die früher verstorbenen Eltern, welche nun
die nachfolgende Tochter im Paradies empfangen (Wilpert 467, 4 Taf. 219, 2). Ein
andermal handelt es sich um einen Verstorbenen, der nicht die Hände ausbreitete,
268 Die Seligen im Himmel.
aber adorierend die Rechte vor der Brust hob; er stand zwischen zwei Laubbäumen,
zwei Schafen und zwei bärtigen Seligen mit Schriftrolle, das Ganze in symmetrischer
Komposition, wovon aber noch nicht die Hälfte sich erhielt (Wilpert 465, 2 Taf. 153,1).
In späteren Bildern sind die hinzutretenden Seligen bisweilen mehr oder minder nam-
hafte Himmelsbewohner, wie die „Petronella martyr" neben der Verstorbenen
„Veneranda". Petronilla war in der Nähe bestattet; das Recht auf den Titel Martyr
wird ihr bestritten (Wilpert 466, 3 Taf. 213). In einem Bild aus der letzten Zeit
der Bestattung in den Katakomben waren die Namen beigeschrieben, in den schwachen
Spuren glaubt Wilpert „Petrus" und „Paulus" zu erkennen (W. 469, 9 Taf. 249, 1).
Susanna, ein Rettungs- oder Erlösungstyp wie die früher besprochenen, mußte
zurückgestellt werden, weil er mit den Typen der adorierenden Seligen und der Be-
grüßung durch Selige so eng verknüpft ist, enger als etwa Noah oder Daniel, daß die
Unterscheidung oft schwer hält, ob eine Verstorbene oder Susanna gemeint sei. In
der vorderen Abteilung der Cappella greca sind an den Längswänden Priese mit figür-
lichen Gruppen gemalt, links ein Orantenpaar, Mann und Frau, und eine Frau, an
den Handgelenken, wie es scheint, von zwei Männern gehalten, die ihr die Rechte
auf den Kopf legen; gegenüber sieht man eine Orans zwischen einem Mann, der vor
einem Giebelhaus steht, und zwei heraneilenden, die Hand nach ihr ausstreckenden
Männern. Gegen die beim ersten Sehen sich anbietende Deutung auf adorierende,
von anderen Seligen eingeführte und begrüßte Verstorbene erheben sich verschiedene
Bedenken; daher griff man zu der Deutung auf Susanna: rechts der Überfall der
beiden Alten, Daniel Wäre proleptisch hinzugefügt, links die Anklage, bei der
die Presbyteroi nach den Textworten ihr die Hand auf den Kopf legten, endlich das
Dankgebet Susannas und Jojakims (Wilpert, Fractio panis Taf. 2. 4. 5; Malereien
119. 363 Taf. 14). Die Richtigkeit der Erklärung vorausgesetzt, ergäbe sich
freilich das Unerwartete, daß das nach Wilperts Chronologie hier zuerst an ganzen
Figuren auftretende Orantenschema nicht für den Typus der Seligen, sondern
der Susanna geschaffen und von ihr auf die Seligen übertragen wäre, ebenso erschiene
vom Überfall Susannas der Begrüßungstypus abgeleitet. Indessen treten die nach
Wilpert frühesten Oranten als Selige schon unmittelbar nachher auf, bei der
„Madonna in Priseilla" Taf. 21. — In einer Lünette des Coem. maius steht eine
Orans zwischen zwei Bäumen, man möchte sie für eine Selige im Paradies halten;
beiderseits folgt je ein Mann, aber nicht wie in den Begrüßungsszenen herankommend,
sondern der eine kauert oder kniet am Boden (ähnlich lauert Achill dem Troilus auf,
Peleus der Thetis), der andere streckt ihr nicht die Hand hin, sondern hebt sie in
entgegengesetzter Richtung; das will weder zur Begrüßung noch zum Überfall passen
(Wilpert 365, 4 Taf. 220). — In Prätextat, am Grab der Celerina, steht ein Schaf
zwischen zwei Wölfen, dazu die Beischriften „ Susanna " und „Senioris". Also eine
doppelte Typologie in einem Bild: die Selige als Schaf aus der Herde des Christus
und als Susanna, wie sie aus den Nachstellungen der zwei Alten gerettet ward
(Wilpert 366, 6. 413 Taf. 251).
Den " Begrüßungsszenen verwandt ist eine Malerei in Prätextat, in einer Gruft,
die man nach dem Gemälde, als der einzigen Passionsszen,e in den Katakomben,
Passionskrypta nennt. Man erkennt darin nämlich die Dornenkrönung und Ver-
spottung: Jesus steht in Vorderansicht, die Rechte vor der Brust, das Haupt bekränzt;
sein Obergewand ist nicht purpurn, auch keine Chlamys, wie Matthäus sagt, sondern
Im Himmel. 269
ein Himation, wie bei Johannes. Ihm zugewandt stehen links zwei Männer in weit-
ärmeliger Tunika und nicht sehr deutlich gezeichneter Chlamys, als Soldaten erklärt;
der eine hält einen Stock aufrecht, der andere ein Schilfrohr mit Blättern über Jesus'
Haupt. Rechts ein kahler Baum, von dem sich ein Vogel herabbeugt. — Eine gewisse
Verwandtschaft mit dem Bild hat ein viel späteres im Coem. maius: zwei Männer in
Tunika und kurzer Chlamys scheinen die Hauptperson, einen Mann in ungegürteter
Tunika und langer Chlamys rechtshin abführen zu wollen; von links folgt ein Mann
in Tunika und Oberkleid mit erhobenem Stab. Wilpert schlägt vor, die Bedrängung
des Aaron und Moses durch die murrenden Israeliten zu erkennen; letztere werden
durch das Quellwunder beruhigt und so Moses und Aaron gerettet; also ein Rettungstyp.
Die Darstellung wäre recht frei und nicht recht deutlich.1)
Ein oder anderer Leser hat sich vielleicht gewundert, daß wir bereits Szenen
des Eintritts Verstorbener in den Himmel und ihrer Begrüßung durch Selige vorgeführt
haben, ohne des Gerichtes zu gedenken, das doch erst über die Aufnahme zu be-
finden hätte. Es werden viele Malereien als Darstellungen des Gerichts erklärt, die
wir nun allerdings betrachten wollen. Wir dürfen die generelle Bemerkung voraus-
schicken, daß jedenfalls das Zukunfts- und Weltgericht in der altchristlichen Malerei
niemals zur Darstellung gewählt worden ist; wenn überhaupt Seelengerichte vorkommen,
so gehen sie immer nur die einzelnen Verstorbenen an und gelten als unmittelbar
beim Tode abgehalten mit dem bei Epitaphmalerei selbstverständlichen günstigen Er-
folge der sicheren Zulassung des Verstorbenen in das himmlische Paradies.
Zunächst ein vielbesprochenes Gemälde in Kaliist, welches von allen Erklärern
als Gerichtsszene aufgefaßt, wenn auch verschieden bezogen wird, von de Rossi auf
das Verhör zweier Märtyrer vor dem Prätor, von Schultze auf das Verhör des Apostels
Paulus vor dem cyprischen Prokonsul, von Wilpert auf die Verurteilung der beiden
Ältesten durch Daniel: eine weibliche Gestalt, vom Orantentypus abgeleitet, die Linke
auf die Brust gelegt, die Rechte mit eingeschlagenen zwei Fingern gehoben, sei
Susanna, die durch Daniels Klugheit gerettet wird; sie wendet sich zu einer, links
auf einem Bema (Podium) stehenden kleineren Figur, welche die Rechte nach ihr
vorstreckt, das sei der Knabe Daniel; der zwischen beiden mehr im Hintergrund
stehende und ein zweiter ganz rechts, völlig abgewandt, die Hand wie nachdenklich
oder mißmutig am Munde, das seien die beiden Ältesten, die Daniel getrennt verhörte;
daher der eine, bereits verurteilt, abgewendet steht, der andre sein Urteil erst eben
empfängt. Wenn das ganze wirklich eine Gerichtsszene ist, so könnte man immerhin
fragen, ob die vermeintliche Susanna nicht eine Verstorbene vor dem Richterstuhl des
Christus sei. Aber ein Umstand steht der Deutung auf ein Gericht entgegen: im
ganzen Altertum, in der ganzen literarischen und bildlichen Überlieferung, ist es feste
Regel, daß der Richter sitzt (auch in unserer Erzählung, Vers 50 Theod.). Auch
damit läßt sich die Deutung nicht retten, daß man statt des Urteilsspruchs das Verhör
dargestellt denkt; denn Verhör und Urteilsspruch sind beides nur Einzelmomente der
vom sitzenden Richter geführten Verhandlung. Die Gestalt auf dem Bema gibt nicht
das Schema von Richtern auf dem Tribunal wieder, sondern von Rednern auf der
Rednerbühne, auch von Kaisern bei Ansprachen und anderen, jedenfalls nicht
") Prätextat: Wilpert, Malereien 77. 226 Taf. 18. Vgl. Mk. 15, 17. Mt. 27, 28. Job. 19, 3
(ifiäuov noQ(fVQOvv). — Coem. maius: Wilpert 388 Taf. 224, 2.
270
Die Seligen im Himmel.
richterlichen Handlungen. Eine zutreffende Erklärung vermögen wir noch nicht zu
geben.1)
Das Totengericht ist eine uralte Idee, ausgebildet zuerst wohl von den alten
Ägyptern. Man siebt es im Totenbuch, das der Leiche beigegeben wurde: Osiris
thront als Herr der Toten; vor ihm sitzt der Höllenhund, eigentlich der Rachen des
Todes; ferner steht da die Wage zum Wägen der Seele und der Schreiber mit der
Feder hinter dem Ohr; eine Verstorbene wird hereingeführt. Aus der griechisch-
römischen Kunst besitzen wir manche Gerichtsbilder, mehrere in der pompejanischen
Verstorbener zwischen Seligen. Hinter ihm thront der verklärte Christus.
Coem. Hermetis.
Wandmalerei, z. B. das sogenannte Urteil Salomonis; eine andere führt eine Gerichts-
szene aus der täglichen Wirklichkeit vor: der Gerichtshof sitzt auf dem sehr hohen
Tribunal unter einem Baldachin, unten werden Kläger und Beklagter herangeführt,
jener blutet aus vielen Wunden, Gerichtsdiener und Wachen sind in Funktion. Eine
ganze Reihe Gerichtsszenen finden sich in den Wandmalereien des im Garten der
Farnesina zu Rom ausgegrabenen antiken Hauses.2)
In der Gruft, die der Sabaziuspriester Vincentius beim Tode seiner Gattin Vibia
an der Via Appia herrichten und ausmalen ließ, findet sich auch das Totengericht
dargestellt. Auf hohem Tribunal sitzen die Totengötter „Dispater" und „Aeracura";
zur Seite des Tribunals stehen assistierend die drei matronalen „Fata divina", unter-
») Susanna: Wilpert, Sakramentskapellen 1897, 13; Malereien 119. 364, 2 Taf. 86. de Waal,
Köm. Quart. 1898, 92.
2) Totengericht: Kühl, de mortuorum iudicio (bei Dieterich -Wünsch, Religionsgesch. Ver-
suche) 1903. — Osiris: Dümichen, Gesch. des alten Ägyptens. — Pompeji: Overbeck, Pompeji
4583. Mau, Pompeji 15 (Urteil Salomonis). Presuhn, Pompeji 1878 IV 4 Taf. 5 (Gerichtsverhand-
lung). — Casa Farnesina: Mon. d. instit. XI Taf. 44, 2. Zone. Hülsen, Annali 1832, 309.
Im Himmel. 271
weltliche Parzen; der Bote Merkur („Mercurius nuntius") führt die Verstorbene vor
(„Vibia"), welcher Alkestis („ Alcestis") das Geleite gibt. Alkestis erscheint als Anwalt
und Fürsprech, denn Vibia war wie sie ein Muster von Gattinnentreue. Daß Vibia
vor dem Gericht besteht, ist nicht bloß selbstverständlich, sondern auch dargestellt;
wir sahen das Bild bereits, ihre Einführung in die Gefilde der Seligen und ihre Teil-
nahme am Gelage der Seligen, die aufgenommen sind nach dem Urteilsspruch der
„Guten" („Bonorum iudicio iudicati"). Die „Guten" ist Euphemismus für die strengen
Richter, deren Strenge freilich, nach den geschriebenen und gemalten Epitaphien zu
urteilen, der jeweils Verstorbene nie zu fürchten hatte (unsere Abbildung S. 191).1)
Nach Wilperts Chronologie gehört die Vibiagruft der ersten Hälfte des vierten
Jahrhunderts und die paar christlichen Malereien, die vielleicht als Gerichtsszenen auf-
gefaßt werden können, der zweiten. Wenn es nötig wäre, ein direktes Abhängigkeits-
verhältnis zwischen dem heidnischen und den christlichen Bildern anzunehmen, so
müßten die christlichen vom heidnischen abhängig sein; wir indessen begnügen uns, gemäß
dem in der Einleitung Gesagten, mit der Feststellung, daß auch im vorliegenden Falle die
christliche Kunst mit der heidnischen zusammen im Strome der Gesamtantike steht.
Im Cömeterium des Hermes sehen wir einen Verstorbenen als Orans stehen,
zwischen zwei Seligen; hinter ihm, auf hohem Podium, zu dem Stufen hinaufführen,
sitzt der erhöhte Christus und hält die flach ausgestreckte Hand über den Kopf des
Verstorbenen. Die beiden Seligen strecken ihre Rechte nach dem Neueingetretenen
aus, in der Linken hält jeder eine Schriftrolle, eine offene hat auch der Christus in
der Hand. Wegen der Schrif trollen wollten de Rossi und Kraus den Christus als
lehrend verstehen; dagegen aber spricht das hohe Podium, der antike Lehrer saß nicht
höher als seine Schüler; auch die Gebärde des Orans paßt nicht dazu, wie überhaupt
die ganze Situation nicht recht verständlich wäre. Wilpert sieht das Seelengericht
dargestellt, der Verstorbene stehe vor dem Herrn als seinem Richter; die zwei Seligen
seien Fürsprecher. Suchen wir die Komposition des Bildes typologisch zu verstehen,
so finden wir im Vordergrund eine Begrüßungsszene, den neu in den Himmel Ein-
getretenen von zwei Seligen begrüßt; mehr im Hintergrund ist der auf dem Podium
thronende Christus hinzugefügt. Zunächst also ergibt sich, außer der Begrüßung, daß
der Verstorbene nun im Himmel vor dem Angesicht des Herrn steht, anbetend, wie
sich gebührt; also ein Seligkeitsbild. In dem hohen Podium aber kann vielleicht
eine Andeutung an die Richtereigenschaft des Christus liegen (Kor. II 5, 10). Ob
die begrüßenden Seligen damit zu Fürsprechern werden, wäre noch besonders zu
überlegen. — In Cyriaca gibt es, an den Laibungen eines Arkosolbogens, zwei ver-
wandte Bilder. Je eine Verstorbene steht im Orantenschema vor uns, seitlich und
etwas zurückgeschoben sitzt der Christus, ihr zugewandt und ihr die Rechte zum
Gruß zustreckend. Also auch hier einer Orantengestalt der Christus hinzugefügt,
diesmal nicht auf hohem Podium, wozu freilich auch kein Raum gewesen wäre.
Dies Bild am Arkosol des Zosimianus ist etwas älter als das im Coem. Hermetis, ein
früherer Versuch; im letzteren ist etwas mehr gewagt.2)
1) Vibia: Garrucci, Storia VI Taf. 493; danach bei Maass, Orpheus 219. Jetzt bei Wilpert,
Malereien 144. 392 Taf. 132, 2.
2) Coem. Hermetis: Wilpert 394, 1 Taf. 247. — Schulszenen: Mon. d. inst. IX Taf. 54
Schale des Duris. Wissowa, Rom. Mitt. 1890, 3 Taf. 1. Hettner, Führer Trier 1903 n. 21. —
Zosimianus: Wilpert, Malereien 403 n. 10 Taf. 206.
272 Die Seligen im Himmel.
Die andere Malerei, welche vielleicht als Gerichtsszene verstanden werden kann,
befindet sich im Scheitelfeld einer Decke in Domitilla (Wilpert 395 Taf. 196). Der
Christus thront auf niedrigem Suggest, bei dem ein Schriftkasten steht; zwei Selige
assistieren; beiderseits aber kniet je ein Mann, die Hände zum Herrn hebend. Bitten
sie den Richter um Gnade? Das wäre ganz antik empfunden; denn der antike Richter
galt dem Angeklagten keineswegs als unbestechlicher Künder des objektiven Rechtes,
sondern es war Brauch, mit allen Mitteln den Richter günstig zu stimmen. Unserer
Rechtsauf fassung widerspricht dies Andrängen auf die Stimmung des Richters, es
scheint uns auch der christlichen Sittlichkeit zu widersprechen, ebensosehr der christ-
lichen Haltung. Nun sind schon im Altertum Stimmen laut geworden gegen diese
Truggerichte, Plato z. B. geißelt sie in seinem ersten Totengerichtsmythus, der selbst
nur Sinnbild kritischer Gedanken ist. Einst, da Kronos noch die Welt regierte, wurde
das Gericht am Todestage, unmittelbar vor der Sterbestunde gehalten, ein Gericht
Lebender über Lebende; sie erschienen umhüllt mit schönen Leibern und Adel und
Reichtum, begleitet von vielen Zeugen, die bekundeten, daß sie gerecht gelebt hätten.
Die Richter hatten als Lebende auch Schleier vor der Seele, Augen, Ohren und den
ganzen Leib, so daß sie sich täuschen ließen und Unwürdige zu den Inseln der Seligen
einließen. Daher verordnete Zeus, nachdem er die Weltregierung übernommen hatte,
daß hinfort nur Tote über Tote richten sollten, nackte Seelen über nackte Seelen, die
aller jener irreführenden Umhüllungen entkleidet wären (Gorg. 523). Was nun unsere
Malerei betrifft, so sind die vorkommenden heidnischen Darstellungen Kniender meist
im Krieg Besiegte, die sich dem Sieger unterwerfen, alles weitere seiner Gnade anheim-
stellend; so die Juden in einem Relief des Sanherib; so die Barbaren in einem
Triumphalrelief des Kaiser Mark Aurel. D*e Perser hatten den orientalischen Brauch
übernommen, sich vor dem König der Könige niederzuwerfen, und man weiß, wie
verächtlich diese Art Proskynese den freidenkenden Griechen erschien. Auch den
Römern war solche Unterwürfigkeit von Haus aus fremd; erst als in der Kaiserzeit
orientalisches Wesen immer mächtiger eindrang, fand auch die devote Adoration Ein-
gang, und Diocletian fügte sie in die Hofetikette ein. So mußte dann auch der er-
höhte Christus sich die Proskynese als Fußfall im Sinne göttlicher Verehrung bieten
lassen, die der lebende Jesus grundsätzlich abgelehnt hätte. Unser Bild zeigt zwei
Verstorbene in solcher fußfälliger Adoration, auch hier kann der Gedanke an das
Gericht mit unterlaufen, es ist aber nicht klar ausgesprochen.1)
Zu einer Gerichtsszene sind unerläßlich ein Richter und ein Beklagter; nicht
ganz so wesentlich sind Gerichtsboten und Wachen, Fürsprecher und Zeugen. Weil
in den paar eben besprochenen Bildern Richter und Beklagter gefunden werden
können, so mag bei ihnen an das Gericht mitgedacht sein. Nun aber konstruiert
Wilpert noch eine ganze Reihe von Gerichtsbildern, wo die unerläßliche Verbindung
von Richter und Beklagtem gar nicht vorhanden ist; er bringt Figuren, die wohl in
Nachbarschaft gemalt sind, aber jede in besonderem Rahmen, in eine bildlich nicht
bestehende Beziehung zueinander und gewinnt so, die vorbesprochenen drei Malereien
mitgerechnet, eine Liste von vierzehn Gerichtsbildern. Vorweg ist eine Malerei aus-
zuscheiden, in der der angebliche Richter nicht sitzt, sondern steht (W. 406 n. 12
Taf. 54, 2. 40, 2). Ordnet man die übrige Liste chronologisch, so steht an der Spitze
*) Adoratio: Seeck bei Pauly-Wissowa I 400. Mark Aurel: v. Sybel, Weltgesch. d. Kunst
1903, 423 Abb. — Mk. 1, 40 yorvnezwv, 5, 33 und 7, 25 nQogtneaev ist anders gemeint.
Im Himmel. 273
die Decke der Kammer X Lucinac; ergänzen wir das erhaltene Bruchteil mit Wilpert,
so sah man im Scheitelfcld den sitzenden Christus (es ist nichts davon übrig), in den
Kappen- und Zwickelfeldern Selige, in jenen „angezogene" Männer, in diesen weib-
liche Oranten. Das ist wieder einmal der christliche Himmel, aber nicht die leiseste
Andeutung von Gericht (W. 408 n. 14 Taf. 24, 1). Dasselbe gilt von den anderen
Decken (W. 399 n. 6 bei Wilpert, Cyklus Taf. 1—4. — W. 403 n. 11 Taf. 75. —
W. 400 n. 7 Taf. 96). Ahnlich gewaltsam werden an Fachgräbern und Arkosolien
Gerichtsszenen konstruiert. In der Sakramentskapelle A2 ist rechts vom Haupt-
grab ein Sitzender gemalt, als sein Gegenstück (das zerstört ist) vermutet Wilpert
einen Orans, an der Eingangswand beiderseits der Tür zwei Selige (nur einer ist er-
halten): diese über den ganzen Raum zerstreuten Figuren sollen Komponenten einer
Gerichtsszene sein (W. 407, n. 13 Taf. 39, 2. 40, 3). An der Lünette eines Arkosols
ist öfter der oder die Verstorbene gemalt, am Bogenscheitel darüber der sitzende
Christus; oder umgekehrt am Bogenscheitel die Orantenfigur, an der Lünette darunter
der Christus; sind andere Selige („Heilige" als „Fürsprecher") dabei, so sieht Wilpert
in Scheitel- und Lünettenbild ein Seelengericht (Christus im Scheitelbild: W. 399 n.
5 Taf. 170. — W. 402 n. 9 Taf. 154, 2. 155, 1. — W. 401 n. 8 Taf. 154, 1. 155, 2.
— Christus in der Lünette: W. 398 n. 4 Taf. 245, 2). Alle diese Malereien ver-
langen eine weniger künstliche, schlichtere Erklärung.
Zunächst noch eine Malerei, eine spätere, aus dem vierten Jahrhundert. Wilperts
Herstellung zu folgen, wären in zwei Gemälden drei Männer und drei Frauen gemalt
gewesen, auf einer etwas merkwürdigen Erhöhung kniend vor dem thronenden Christus.
Von den acht Personen ist nur der eine Christus erhalten nebst dem Oberteil der
ersten Frau; sie hebt die Rechte in Brusthöhe, die zwei letzten Finger eingeschlagen,
dieselbe Gebärde macht der Christus (W. 487 Fig. 44 Taf. 124). Man möchte er-
warten, die zwei Bilder mit den vor dem Christus Knienden als Gerichtsszenen erklärt
zu sehen, wenn auch freilich keine Advokaten dabei sind. Aber man sagt uns, diese
Personen streckten nicht die Hände aus, um Gnade zu erflehen, sondern sie erhöben
nur die eine Hand, bloß sprechend; ein solches fast familiäres Auftreten gegenüber dem
Christus, als dem Herrn in seiner Herrlichkeit und Macht, komme nicht gewöhnlichen
Verstorbenen, sondern nur Märtyrern zu, die in der Aufopferung ihres Lebens um
Christi Namen willen sich ein Verdienst erworben hätten und Ansprüche erheben
dürften. Wir hingegen sehen, die Richtigkeit der Ergänzung vorausgesetzt, lediglich
eine andere Form von Adoration Verstorbener und in den Himmel Aufgenommener
vor dem thronenden Christus. Und wir müssen die ganze, zugunsten der Märtyrer
und im Sinne einer Bevorzugung derselben gemachte Unterscheidung ablehnen; dazu
gehört auch ihr angeblicher Vorzug, daß sie unmittelbar nach ihrem Hinscheiden und
ohne erst sich einem Gericht unterziehen zu müssen, sofort der ewigen Seligkeit teil-
haft würden. Mag ein Tertullian in ähnlicher Richtung spekulieren, insgemein stellen
die Kirchenschriftsteller den unmittelbaren Eingang der Märtyrer in den Himmel
nicht zu einem Zwischenzustand der anderen Verstorbenen in Gegensatz, sondern zu
der kurzen Qual des Martyriums: durch das Martyrium um so rascher zum Herrn.
Wilpert selbst erkennt an anderer Stelle als die im christlichen Altertum mit Einschluß
der Katakombenmalereien herrschende Meinung an, daß alle verstorbenen Christen
unmittelbar vom Sterbebett in den Himmel kommen (Seite 430).
Aus der Liste der angeblichen Gerichtsbilder hatten wir einen stehenden
Sybel, Christliche Antike I. 18
274 Die Seligen im Himmel.
Christus vorweg auszuscheiden: Christus, bärtig, steht mit gespreizt geöffneter Rechten,
darin dem Orantentypus gleichend, und mit einer offenen Schriftrolle in der Linken
(Wilpert 406 n. 12 Taf. 54, 2. 40, 2). Das Bild befindet sich im Scheitel eines
Arkosolbogens und eröffnet eine Reihe von stehenden Christusgestalten in Einzel-
figuren. Das folgende Exemplar befindet sich an einer Bogenlaibung; Christus, hier
bartlos, schaut aus der Nische heraus, die Rechte vor der Brust (W. 252 Taf. 83, 2).
Wiederum findet sich der Typ in einer Deckenmalerei zentral, das Schema ist gleich
dem des vorigen Exemplars (W. 252 f. Taf. 165). Endlich in noch einem Bogen-
scheitel; in der Linken hat er die Schriftrolle, die Rechte ist wie im ersten Falle
geöffnet und ausgestreckt (W. 252 Taf. 172, 1). Die Bilder gehören dem dritten und
vierten Jahrhundert. — Wir schließen eine bei der Auffindung großenteils zerstörte,
von Wilpert aus dem Gedächtnis hergestellte späte Malerei an; danach stand der
Christus auf der Weltkugel, die Rechte ausgestreckt, in der Linken die Rolle; zwischen
Petrus, der mit verhüllten Händen die Rolle entgegennahm (erklärt als das neue
Gesetz), und Paulus, der eine Rolle zwischen den Händen hielt (Bull, crist. 1887
Taf. 7. Wilpert, Malereien 250). — Noch ein anderes Unikum in der Katakomben-
malerei mag hier seine Stelle finden, die Verleugnung des Petrus. Während das
vorige Bild, aus der symmetrischen Gruppe des Christus zwischen Petrus und Paulus
entwickelt, keine wesentliche Schwierigkeit bereitet, nimmt die Verleugnung eine Sonder-
stellung in der Katakombenmalerei ein. Der hier unbärtige Petrus steht mit flach
erhobener Rechten links, rechts der größere bärtige Christus, der die Rechte hebt,
die zwei letzten Finger eingeschlagen; zwischen beiden steht auf einem Pfeiler (der
an einen Votivträger erinnert) der Hahn. Es hält schwer, dem Bilde einen der
Katakombenmalerei angemessenen Sinn abzugewinnen. Garrucci erklärte es für eine
Warnung, de Rossi merkwürdig genug für eine Darstellung der Glaubensstärke des
Petrus; Wilpert sieht auch in dieser Malerei, wie in allen anderen, ein gemaltes Gebet:
der Herr wolle der Verstorbenen verzeihen, wie er dem Petrus die Verleugnung ver-
ziehen habe. Wir vermögen diese Bildergebete nicht anzuerkennen und harren weiter
der richtigen Deutung.1)
Der Christus sitzend. Er kommt sowohl als Einzelfigur vor wie auch gruppiert
mit anderen Personen, wobei wir nur solche zählen, die mit dem Christus innerhalb
eines und desselben Bildrahmens zusammengestellt sind. In einigen Fällen ist solchen
Personen, Oranten, der sitzende Christus hinzugefügt, als genauere Bestimmung: der
Orans ist ein Verstorbener in der Seligkeit, diese Seligkeit wird durch den hinzu-
fügten erhöhten Christus näher bestimmt als die christliche, durch den Christus ver-
bürgte und gewährte. Wiederum erscheint der Christus umgeben von anderen Per-
sonen; seine nähere Umgebung kann natürlich nur von ihm Nahestehenden gebildet
werden, es sind Jünger oder Verehrer von ihm, nach Umständen können es diese
oder jene selige Christen sein, nach Umständen der engere Kreis der Apostel. Und
zwar sind es nicht die geschichtlichen zwölf, die während seines Auftretens im Leben
ihm zur Seite standen, es ist auch nicht der, dem Bericht der Apostelgeschichte zufolge,
nach dem Ausscheiden des Judas Ischarioth ergänzte Zwölferkreis, sondern ein ideeller,
welcher den Paulus einschließt. Diese Umgebung von Seligen oder Jüngern erscheint
in verschiedener Zahl zusammengesetzt, von zweien bis zu zwölfen. Die Begleiter
x) Verleugnung: Wilpert, Malereien 329 Taf. 241. 242, 1.
Im Himmel.
275
Der erhöhte Christus im Halbkreis der zwölf Apostel.
Coem. Domitillae, Ampliatusregion.
werden bald stehend, bald auch sitzend gegeben; erscheinen sie in größerer Zahl, so
sitzen sie meist gedrängt wie auf einer halbrunden Bank, während der Christus einen
grösseren Thron inne hat, der auch wohl auf einem Untersatz steht und eine Fußbank
vor sich hat. Mit der Zeit werden einzelne Apostel aus der Schar hervorgehoben, die
sogenannten Apostelfürsten Petrus und Paulus.
Sowohl der Christus wie die Begleiter, letztere nicht ausnahmslos, erheben die
Rechte, in Einzelfällen ganz geöffnet und die Finger gespreizt, wie die Oranten es
tun; in der Regel aber wird die Hand nur eben in Brusthöhe gehoben, die zwei
letzten Finger eingeschlagen, also in dem abgekürzten Schema der Begrüßung und
Verehrung, das aber in seiner Unbestimmtheit sehr mannigfaltig verwendet werden
konnte; Wilpert bezeichnet es als Redegestus, später figuriert es als das „lateinische"
Schema des Segnens (Kraus, Gesch. I 118).
Der sitzende wie der stehende Christus, pflegt in der linken Hand die Schrift-
rolle zu führen, bald geöffnet, bald geschlossen, auch die Begleiter bekommen sie
bisweilen in die Hand. Häufig steht neben oder vor dem Stuhl des Christus ein
runder Schriftrollenbehälter (scrinium, capsa; zweifelhaft bleibt die isolierte Verwendung
des Skriniums, vgl. Wilpert 233 Fig. 19 zu Taf. 178, 2). Der klassische Archäologe
erinnert sich, sowohl die Schriftrolle wie das Skrinium als Attribut von Porträtbildern
gesehen zu haben, und zwar erst an Exemplaren der hellenistisch-römischen Zeit.
Demosthenes war mit ausdrucksvoller Gebärde dargestellt worden, die Hände inein-
andergeschlagen, ein späterer Kopist legte ihm die Schriftrolle hinein; Kopien der
Sophoklesstatue wurden mit einem Skrinium versehen (beide Statuen bei Sybel,
Weltgesch. d. Kunst2 342 Abb.). Darin spricht sich die Tatsache aus, daß das
Geistesleben der klassischen Blüte Griechenlands für die Epigonen nur mehr Literatur
war, die Geistesheroen existierten nur noch, insofern sie Schriftsteller gewesen waren,
deren Werke nun in den Bibliotheken gesammelt und katalogisiert, ediert und
kommentiert wurden. Die Schriftrollen in der Hand des verklärten Christus und
18*
276 Die Seligen im Himmel.
seiner Seligen, die Apostel miteingeschlossen, dazu die Schriftenbehälter neben seinem
Stuhl, sie sprechen die Tatsache aus, daß das Christentum aus einer Erneuerung des
Lebens eine Buchreligion, eine Wissenschaft geworden war, wir haben hier nicht davon
zu reden was für eine; nun, es war eine antike Wissenschaft, die antike Metaphysik
in ihrem letzten Stadium unter dem Zeichen jener Reaktion.
Wo sich der Christus auf keine Weise zum Richter pressen läßt, da erklärt man
ihn für einen Lehrer oder auch Gesetzgeber. In der Tat schildern die Evangelien
Jesus als Lehrer an vielen Stellen, wie er in die Synagogen ging und dort lehrte,
sowie auch sonst — gewaltig, so heißt es, redete er, und nicht wie die Schriftgelehrten;
und wie ihm die Anrede Lehrer gegeben wurde ( hdäo%al£, Rabbi). Diese bei Leb-
zeiten ausgeübte Lehrtätigkeit aber hatte die praktische Reform zum Gegenstand, und
was von Theologie und Eschatologie mitlief (die Evangelien sind dafür befangene
Zeugen), das stand im Dienst der Reform; sonst hätte seine Messianität keinen Sinn
gehabt. Und es war nur lebendiges Wort, vom Menschen zum Menschen, wie bei
Sokrates. Keiner von beiden hat je ein Wort geschrieben, und es hat lange gedauert,
bis niedergeschrieben wurde, was in den Hörern Wurzel gefaßt hatte, und wohlver-
standen, so wie es in ihnen ausgewachsen war. Nur in der christlichen Literatur
wirkte er nach. Dieser Lehrer Jesus aber kann in den Malereien nicht wohl gemeint
sein, nicht bloß deshalb, weil kein Christ mehr lebte, der ihn so gekannt hatte, sondern
auch deshalb, weil nicht der Mensch Jesus von Nazareth, sondern der Christus im
Himmel, der erhöhte Gottessohn und spätere Gott, gemalt wurde. Als Gesetzgeber
ist er in keiner Katakombenmalerei deutlich bezeichnet. Alle diese Erklärungen des
himmlischen Christus, als des Richters, des Lehrers, des Gesetzgebers, wollen uns zu
eng vorkommen, zu sehr spezialisiert, zu spekuliert, zu scholastisch. Der da oben im
Bogenscheitel des Nischengrabes oder im Scheitelfeld der Decke gemalt ist, im Zenith
des Himmels, das ist der erhöhte und verklärte Christus in seiner ganzen Wesenheit.
Jenes Besondere ist alles darin einbegriffen. Und dem christlichen Besucher der
Gruft und des Grabes, der da liebe oder verehrte Tote ruhen hatte, es blieb ihm,
wenn er das Auge über die bescheidene Malerei hinlaufen ließ, es blieb ihm über-
lassen, nach seiner persönlichen Empfindung und Stimmung die Bilder auf sich wirken
und aus ihrem Gesamtgehalte diese oder jene Saite anklingen zu lassen, in dem Christus
aber je nachdem den Lehrer, allenfalls auch den Gesetzgeber, oder aber den Richter zu
sehen, den gnädigen eher als den strengen, mit anderem Wort, den einen, den Erlöser.
Um beim Ei der Leda zu beginnen, nur im Rahmen der Katakombenmalerei, so
tritt der Typus des Sitzenden zuerst in Kaliist auf, in den Sakramentskapellen, auf
die wir unten zurückkommen. Zweimal findet sich dort ein auf einem Steinwürfel
Sitzender, das eine Mal mit einer offenen Schriftrolle in den Händen; etwas tiefer ist
eine hoch aufgeschürzte Frau, wenn es nicht doch ein Mann ist, beschäftigt, aus einem
Brunnen Wasser zu schöpfen. Die beiden Figuren kümmern sich nicht umeinander,
dennoch werden sie auf Jesus und die Samariterin am Jakobsbrunnen gedeutet
(Wilpert Taf. 29, 2). Der andere sitzt wie zeigend neben einem Fachgrab; sein Gegen-
stück ist zerstört (Taf. 39, 2).
Nun die sicheren Christusbilder. Zuerst die Einzelfiguren. In einem Bogen-
scheitel in Praetextat sitzt der Christus, hier und weiterhin immer auf einem Stuhl
oder Thron, mit einer offenen Schriftrolle in den Händen (W. 235. 251 Taf. 49); im
Zentrum einer Decke in Nunziatella mit Rolle in der Linken (W. 403 Taf. 75), in
Im Himmel.
277
Der erhöhte Christus im Halbkreis der zwölf Apostel.
Coem. Domitillae, Bäckergruft.
einem Bogenscheitel in Thekla hält er die Rechte über einem Skrinium (Rom.
Quartalschr. 1890 Taf. 9), wiederum in einem Deckenzentrum im Coem. maius thront
er zwischen zwei Skrinien (W. 409 Taf. 168). Bei einem Sitzenden mit Skrinium, der
an den Laibungen eines Arkosolbogens in Domitilla sich wiederholt, einmal bärtig,
einmal bartlos, mag man schwanken, ob Christus oder sonst ein Seliger gemeint sei
(W. 341 Taf. 197, 1).
Die Gruppe des sitzenden Christus im Kreise der Seinen. Eine Neapeler
Katakombenmalerei aus der Frühzeit zeigt den bartlosen Christus halb linkshin sitzend;
von dort kommt eine Schar Jünger oder Verehrer heran (das Bild ist am Rande ver-
letzt, so daß ihre Zahl nicht festgestellt werden kann, erkennbar sind neun oder zehn,
vielleicht waren es zwölf). Alle heben die Rechte, die letzten Finger eingeschlagen;
das ganze ist ein Adorationsbild im klassischen Stil, vielleicht sind die Adoranten
etwas lebhafter bewegt, als die in gemessener Haltung Anbetenden auf den vielen
Weihreliefs der klassischen Blütezeit (Garrucci, Storia II Taf. 92, 3). Man wird nun
fragen, ob im Neapeler Gemälde die Adoration diesseitig oder jenseitig gemeint sei,
ob als eine dem lebenden Jesus von den Jüngern oder dem erhöhten Christus von
Seligen dargebrachte Huldigung. Die Girlanden, unter denen die Gruppe steht,
scheinen auf das himmlische Paradies zu weisen; sind es dann aber die in der
Gruft dort Bestatteten? oder generelle Typen der Christen im Himmel? oder die
Apostel ?
Anders als das Neapeler Bild sind die römischen Gruppen komponiert, frontal
und symmetrisch. Die Männer sitzen im Halbkreis, der Christus in dessen Mitte.
Im ältesten Exemplar, in Petrus und Marcellinus, bereits aus dem späteren dritten Jahr-
hundert, sitzt der Christus, mit gestrecktem Zeigefinger, wie lehrend, zwischen beider-
seits je drei Seligen (der zur Rechten des Christus scheint bärtig zu sein, wird daher
als Petrus erklärt; die Sechs wären dann die Apostel, Wilpert 400 Taf. 96). Die
übrigen Exemplare gehören alle erst dem vierten Jahrhundert an. Zwischen sechs
278 Die Seligen im Himmel.
Aposteln sitzt der Christus noch an einem Arkosolbogen des Coem. maius, der mittlere
Apostel rechts ist bärtig (W. 399 Taf. 170); zwischen nur zweien in der Lünette des
Zosimianusgrabes (W. 402 Taf. 205). Sonst sind es die zwölf: in der „Kammer der
sechs Heiligen" in Domitilla, wo mehrere Apostelköpfe bärtig sind (W. 244 Taf. 126); in
einer Lünette ebenda, in der Ampliatusregion , von den Aposteln sind einige durch
Einbrechen eines Fachgrabes zerstört, den Bogen darüber schmückt eine Weinlaube
mit lesenden Putten (W. 245 Taf. 148, 2, unsere Abb. Seite 275); an der Front über einem
Arkosol des Coem. Hermetis, mit der Besonderheit, daß jeder der zwölf auf einem
besondern Lehnstuhl sitzt, was der ganzen Darstellung etwas Puppenhaftes gibt
(W. 414 Taf. 152); an einem Arkosolbogen in Domitilla, dem nimbierten Christus
zunächst, sitzen Petrus und Paulus, ikonographisch differenziert, auch sie im Nimbus,
außerdem ist noch ein Apostel der Reihe links bärtig (W. 401 Taf. 155, 2). — Bis-
weilen thront der Christus zwischen stehenden Seligen; so an einem anderen
Arkosolbogen ebenda zwischen je zweien, neben denen links soll noch das Bein eines
Putto erkennbar sein (W. 402 Taf. 155, 1); eine Lünette in Marcus und Marcellianus
zeigt den thronenden Christus nimbiert, zwischen zwei Monogrammen, in der Linken
die offene Rolle, den rechten Zeigefinger ausgestreckt, zwischen vier stehenden Männern,
deren erster (von links her gezählt) nach einem Stern zeigt, daher erklärt man ihn
als Matthäus, die drei andern als die übrigen Evangelisten (W. 250 Taf. 162, 2); in
einer Lünette in Kailist sitzt der nimbierte Christus halbrechtshin zwischen zwei ado-
rierenden Seligen, die zwei Ecken der Lünette sind mit je einem Skrinium ausgefüllt
(W. 397 Taf. 243, 1); in einer Lünette des Coem. maius sitzt er zwischen zwei Skrinien,
neben denen zwei Selige stehen, die nicht adorieren, im Hintergrund sind Pflanzen
angedeutet (Taf. 245, 2); im Arcosolio rosso saß er zwischen Adorierenden, nur einer
ist erhalten und wird auf Petrus gedeutet, sein Gegenüber sei Paulus gewesen (W. 249
Taf. 248. 128, 1). — Wir nehmen nun die Serie der Halbkreise mit zwölf Aposteln
wieder auf. Sie setzt sich fort in zwei Exemplaren des Coem. Marci et Marcelliani
(W. 246 f. Taf. 177, 1. 2). Kunstvoller komponiert ist die Malerei in einer Apsis in
Domitilla, in der Bäckergruft; Christus sitzt auf einem Podium, davor das Skrinium
steht; die zwei Apostelgruppen sind malerischer gestaltet durch Kombination der
Schemata Stehender und Sitzender, die Mehrzahl der Apostel steht, nur Peter und
Paul sitzen, jeder auf einem Klappstuhl vor den Stehenden, der Mitte zugewendet;
die zu äußerst Stehenden scheinen in lebhafter Teilnahme sich näher zu drängen
(W. 246 Taf. 193 unsere Abb. Seite 277). Endlich in einer Malerei in Domitilla sitzen
wieder alle Apostel, in einer anderen in Pontian stehen sie alle (W. 248 Taf. 225, 1. 2).
Zum Verständnis des Typus ist es erforderlich, auf die altchristliche Literatur
zurückzugreifen. Da es sich um den erhöhten Christus und seinen Kreis handelt, so
sind wir auf die apokalyptische Literatur gewiesen; sie liegt teils in Stücken der
Evangelien vor, teils in selbständigen „Offenbarungen". Für den ganzen Typus kann
die Schilderung des himmlischen Presbyteriums herangezogen werden, Off. Joh. 4, 4;
da sitzen die vierundzwanzig Ältesten um den Thron des Herrn , im Halbkreis wie
andere antike Kollegien. Zu unserem einen Gemälde aber, auf dem jeder Apostel
auf eigenem und von den Nachbarn isoliertem Lehnstuhl sitzt, wird mit Recht auf
eine der zahlreichen apokalyptischen Ausführungen bei Matthäus hingewiesen. Petrus
sprach zu Jesus: „Wir haben alles verlassen uud sind dir gefolgt, was wird uns dafür
werden?" Jesus antwortete: .In der Wiedergeburt, wenn der Menschensohn sitzen
Im Himmel. 279
wird auf dem Thron seiner Herrlichkeit, werdet auch ihr sitzen auf zwölf Thronen,
richtend die Stämme Israels," Mt. 19, 27. 28. Dies Wort wird den Maler zu seiner
Auffassung angeregt haben, obschon man nicht übersehen darf, daß es sich im Gemälde
nicht eigentlich um die Palingenesie handelt, auch nicht um ein Richten, am wenigsten
über die zwölf Stämme Israels.
Die Anordnung im Halbkreis war für Besprechungen, Beratungen, Verhand-
lungen in Kollegien zweckmäßig und, wie es scheint, typisch. Ohne auf den Gegen-
stand an dieser Stelle tiefer eingehen zu wollen, seien nur einige monumentale Belege
beigebracht, die zwei ersten führen uns in das vierte vorchristliche Jahrhundert zurück.
Eine Rats Versammlung schildert die Malerei einer unteritalischen Vase, nämlich
den Kriegsrat der Perser unter Darius, vor seinem Feldzug nach Griechenland: Darius
thront in der Mitte, die übrigen sitzen zu beiden Seiten auf Sesseln, im Halbkreis, in
welchem, auf einem niedrigen runden Bema stehend, einer der Räte warnend und sie
beschwörend spricht. Die Vase mag aus der Zeit Alexanders des Großen stammen,
durch seinen Zug mag die Malerei veranlaßt sein. Sodann ein Philosophendialog,
wiedergegeben auf zwei in der Hauptsache übereinstimmenden Mosaiken, deren eines
schon länger in der Villa Albani aufbewahrt wird, das andere neuerdings in Torre
Annunziata gefunden wurde. Die Szene scheint Athen zu sein, die Akademie, im
Hintergrund sieht man die Akropolis. Vorn steht unter einem Baumheiligtum und
einer auf einer Säule angebrachten Sonnenuhr eine halbkreisförmige Bank. Sieben
Philosophen sind teils auf der Bank sitzend verteilt, vor deren Enden und hinter ihrer
Mitte steht je einer. Plato, so wird vermutet, mehr in die Mitte gerückt, zeigt mit
einem Stab auf einen im Halbkreis aufgestellten Globus, die Verhandlung scheint
Astronomie oder Kosmologie zu betreffen. Die ganze Gruppe ist auf der festen Basis
des Hemizykliums mit viel Freiheit und mannichfachem Leben komponiert. Die
Sitzung eines Stadtrats sehen wir auf einer Münze der Kaiserzeit, des dritten Jahr-
hunderts. Es ist der Senat von Alexandria Troas in Kleinasien, auch diese Stadträte
sitzen im Halbkreis, einer zentral, die an den Ecken auf Klappstühlen. So fand in
den altchristlichen Kirchen der Bischof seinen Platz im Fond der halbrunden Apsis,
die Presbyter schlössen sich beiderseits an, mithin bildete der Klerus einen Halbkreis
mit dem Bischof in der Mitte. In der christlichen Malerei hat sich der Typus
behauptet, er fand seine höchste künstlerische Ausprägung in Rafaels Disputa: im
Himmel sitzt der erhöhte Christus, über dessen Glorie sein göttlicher Vater erscheint,
er sitzt zwischen Vorläufer und Mutter, im Halbkreis ausgewählter Apostel und anderer
heiliger Personen, biblischer und kirchlicher; unten auf der Erde aber bilden Kirchen-
väter, Päpste und andere geistlichen Standes einen Kreis christlicher Philosophen,
deren Dialogos die in den Augenpunkt des Gemäldes gesetzte Hostie auf dem Altar
zum Gegenstand hat, also die Messe, den Brennpunkt des katholischen Ritus, den Angel-
punkt, auf den gestützt die Kirche die Welt regiert.1)
Die altchristliche Entwicklungsreihe schließt ab mit einigen späten Bildern, in
denen neue Töne anklingen, die bis dahin in den Malereien nicht hervorgetreten
waren. Eine größere Komposition in zwei Zonen — es ist eine Decke, in Petrus und
Marcellinus — zeisrt oben den nimbierten thronenden Christus zwischen Paulus und
*) Vasenbild: Mon. dell' instit. IX Taf. 50. — Mosaiken: Petersen u. a, Rom. Mitteil.
1897, 328 Abb. — Münze: v. Sallet, Münzen und Medaillen 1898, 50 Abb.
280 Die Seligen im Himmel.
Petrus, unten steht das nimbierte „Lamm Gottes" auf dem Berg, dem die vier
Paradiesflüsse entströmen, zwischen vier Heiligen, links ein Petrus und Gorgonius, rechts
Marcellinus und Tiburtius; die sechs Heiligen adorieren mit der gespreizt offenen
Rechten; ihrer jeweiligen Stellung zum Christus entsprechend, strecken Peter und Paul
die Haud einfach gegen jenen hin, während die unten Stehenden sie hoch heben,
grüßend oder anbetend zum Christus hinauf: der Himmel hat seine Kreise, nicht
jedem ist es gegeben, in den innersten Kreis oder den höchsten Himmel zu gelangen
(W. 496 Taf. 252). Das Deckenbild wird um 400 angesetzt, in die letzte Zeit, da in
den Katakomben noch Bestattungen vorkamen. Waren die sechs Heiligen dort noch
in einiger Bewegung gegeben, mit Richtung nach dem ideellen Mittelpunkt, dem
Christus, so trat mit dem Ausgang des Altertums die monotone Frontstellung ohne
irgend welche Bewegung in alleinige Herrschaft. In einer Malerei des Coem. Hermetis
thront der Christus zwischen rein frontal stehenden Heiligen, denen nun auch das
Prädikat Heilig beigeschrieben wird (Sanctus Protus, Sanctus Hyacinthus; W. 497
Taf. 260, 1). Endlich eine Malerei in Generosa, mit dem thronenden Christus in
Kreuznimbus und vier Heiligen im einfachen Nimbus, jener mit einem Buch, diese
mit einer kostbaren Krone auf der verhüllten linken Hand ("W. 498 Taf. 262). Die
Malerei ist mit Sorgfalt ausgeführt; auf die Darstellung der Gesichter möchten wir
aber gerade keine physiognomischen Studien bauen und die monotone leblose Front-
stellung beweist, daß die Antike ihren Kreislauf nun wirklich bis zum letzten Punkt
durchlaufen hat.
Ikonographisches.
Wir berührten gelegentlich ikonographische Momente. Wir fanden Jesus bald
bartlos, bald bärtig gemalt, wir sahen in der späteren Malerei aus der Schar der
Apostel den Petrus und den Paulus hervorgehoben und beide voneinander unter-
schieden. Was nun die angedeutete Entwicklung des Christusbildes betrifft, so beweist
ihr Vorhandensein, daß die Christen ein authentisches Porträt ihres Christus nicht besessen
haben; es ist keines überliefert worden, sonst hätten die Maler in seiner Darstellung
nicht so schwanken können, wie sie es getan haben. Andrerseits erfolgte die Fest-
stellung der Typen des Petrus und Paulus so spät, daß schon hieraus für die Apostel
sich die gleiche Folgerung ergibt, nämlich daß irgend welche Porträts von ihnen nicht
überliefert waren. Dergleichen lag nicht im Sinne der ersten Christen; es muß ihnen
um so ferner gelegen haben, als bei der Blüte der gleichzeitigen Porträtkunst es ein
leichtes gewesen wäre, zu Lebzeiten der verehrten Männer, des Jesus und der Apostel,
ihre Porträts gestaltet zu bekommen. Bezeichnend ist auch, daß in der römischen
Katakombenmalerei nur die in Rom zumeist verehrten Apostel Petrus und Paulus von
der Kunst individualisiert wurden, nicht die übrigen, die doch sonst in der Christenheit
hohe Verehrung genossen; man sieht, daß erst die Entwicklung des Kultus der
„ Apostelfürsten " das Bedürfnis nach ihren Porträts gezeitigt hat, ein Bedürfnis, das
die Kunst dann aus ihren eigensten Mitteln zu befriedigen wußte.
In aller Kürze skizzieren wir die Entwicklung des Christusbildes in der
Katakombenmalerei. Den Anfang macht ein bartloser Typus mit kurzem Haar. Es
ist zu bemerken, daß dieser Typus für den lebenden Jesus immer beibehalten wurde;
Ikonographi sches. 281
der lebende, das ist aber der Wundertäter. Wir sind genötigt hinzuzufügen, er galt
als Wundertäter, weil man in ihm den Messias sah, den man sich, nach der Vor-
stellungsweise der hellenistischen Zeit, nur als Thaumaturgen und zugleich als Gottes-
sohn vorstellen konnte. In der Frühzeit, welche das Bild des wundertuenden Gottes-
sohnes mythologisch, literarisch und bildnerisch erschuf, dachte man ihn noch nicht
als Gott. Jener bartlose, kurzhaarige Kopf, das war aber kein Individualtypus, sondern
der allgemeine Kopftypus für die Männer in der Katakombenmalerei der ersten Jahr-
hunderte. Wenn dieser erste Christuskopf kein Porträt, sondern nur ein Kunsttypus
war, so machen sich die später auftretenden Christustypen erst recht verdächtig, kon-
struiert zu sein. *)
Ein zweiter Christustyp hat reicheres Haar, bis zu lang gelocktem. Dabei blieb
das Gesicht zunächst bartlos; dadurch sieht es jugendlich aus. Dieser Typus kam im
dritten Jahrhundert auf. Einige Archäologen haben sich durch diesen unbärtig
lockigen Typ an griechische Götter, wie Apollon oder Dionysos, erinnert gefühlt und
haben dies Christusbild wohl direkt von Apollon oder von Dionysos abgeleitet geglaubt.
Das ist ihnen von anderer Seite sehr verdacht worden. Nun, den lockigen Christus
braucht man nicht gerade vom Apollon oder vom Dionysos abzuleiten, wenn man schon
die Frage aufwerfen dürfte, was an Apollinischem und Dionysischem in dem sehr
gehaltreichen und sehr verschieden blickenden literarischen Christusbild stecke. Aber
alle die Lockenköpfe der klassischen und hellenistischen Kunst waren doch da, noch
viele andere außer den genannten zwei Göttern, in ihnen war der künstlerische Typus
des Lockenkopfes geschaffen und wieder mannigfach differenziert worden. In der
Reihe dieser Differenzierungen des klassischen Lockenkopfs, die den christlichen Malern
natürlich geläufig waren , ist dann auch der lockige Christuskopf entstanden. Auch
der Christuskopf unterliegt den Gesetzen der Typik.-)
Kein neuer Typus, nur eine Variante des zweiten Christusbildes mit reicherem
Haarwuchs, dabei aber noch unbärtigem Gesicht, wäre seine Darstellung mit den
ernsteren Zügen des gereiften Mannesalters. Wilpert findet diesen Ausdruck in einer
seiner Gerichtsszenen ohne Beklagten (Christus säße da wie ein Richter bei Beginn
des Termins, unmittelbar ehe die Sache aufgerufen wird) an der besprochenen Decke
der Nunziatellakatakombe; er findet die Züge ernst, wie es einem Richter zukomme;
das Haar ist ungeteilt in die Stirn gekämmt und fällt in langen Strähnen auf den
Rücken (Wilpert 107 Taf. 75. 76, 2). Bei dem ungeteilt in die Stirn fallenden Haar
denkt der Archäologe unwillkürlich an das Vorkommen derselben Haartracht in der
heidnischen Kunst, an den jugendlichen, in Eleusis gefundenen Kopf, der unter dem
Namen Eubuleus geht, mit allerdings stärker quellendem, aber eben in die Stirn
fallendem Haar, sowie an die bärtigen Köpfe des Hades und Sarapis; kurz, er erinnert
sich, daß in die Stirn fallendes Haar, das einst, in der vorperikleischen Kunst, eine
') Christusbilder: Da wir uns hier auf eine Skizze der Entwicklung des Christusbildes in
der Katakombenmalerei zu beschränken haben, so verweisen wir auf Kraus, Realencykl. II 15 Jesus
Christus; ders., C4eschichte I 176. V. Schul tze, Katakomben 143. v. Dobschütz, Christusbilder (in
v. Gebhardt und Harnacks Text. u. Unt. III) 1899. Wilpert, Malereien 106. 254, 1. Die ältere
Literatur findet man bei den erstgenannten Autoren. — Brustbilder (Medaillons, imagines clipeatae):
Wilpert 210. 253f. — Erster, bartloser Christustyp: z.B. Wilpert Taf. 19. 45. 46,2 u. ö.
2) Beispiele des zweiten Christustyps mit längerem bis zu lockigem Haar: Wilpert,
Malereien 107 Taf 75 = 76, 2. 125 = 76, 1. 14«, 2. 164, 1. 170. 177, 1. 181 = 251.
282
Die Seligen im Himmel.
anmutige Mode war, später Unterweltspersonen charakterisierte. Der Christus ist in
der Katakombenmalerci, als guter Hirt wie in direkter Darstellung, der Hirt und
Herr der Toten; doch wird er mit seiner Herde als in den Himmel erhöht,
verklärt und ewig lebend gedacht, kurz, er ist der Unterwelt entrückt und würde
nicht mehr als Unterweltsperson zu charakterisieren sein. Es bleibt also die Frage,
wie der Katakombenmaler zu dem in die Stirn fallenden Haar des Nunziatellachristus
gekommen sei, ob er sich dabei etwas gedacht habe und was. — Als bartloser Mann
sei der Christus auch auf dem Gemälde des Cubiculum II in Domitilla, aus der Mitte
des vierten Jahrhunderts, geschildert (Taf. 196); der ernste Gesichtsausdruck erinnere
an die fast gleichzeitige Darstellung in San Ponziano (Taf. 225, 2).
Als dritter Typus folgt der bärtige, mit langem Haar, auch er im dritten Jahr-
hundert auftretend. Der Bart des Christus ist in der Katakombenmalerei immer un-
geteilt, zunächst viereckig und kurz geschnitten. Als ältestes Exemplar müßte der
Stehende in Gruft III Domitillae gelten, mit offner Rolle in der Linken, die Rechte
Bärtiger Christus.
Coem. Domitillae, Gruft III.
Bärtiger Christus.
Coem. Domitillae, Gruft IV.
geöffnet wie bei Oranten (Wilpert 107 Taf. 40, 2, unsere Abbildung), wenn er
sicher der Christus ist. Wie kam es aber, daß die Maler vom bartlosen zum bärtigen
Christus übergingen? Wir denken, bei Schöpfung dieses dritten Typus wirkte derselbe
Umstand wie bei der ersten, nämlich die Mode. Im dritten Jahrhundert war das
Barttragen üblich, und so gab man ihn auch dem Christus. Wilpert findet einen be-
sonderen Anlaß in den Gerichtsdarstellungcn. Wir hörten bereits, wie er den gereiften
Ernst gewisser noch unbärtiger Christusbilder aus der Richterwürde erklärte; aber wir
erinnern uns auch, daß die Richterqualität höchstens in ganz wenigen Bildern aus-
gedrückt ist und auch da nicht sehr deutlich. Zurückhaltender sprachen wir vom er-
höhten Christus. Dieser nahm mit der Steigerung seines Charakters in das Göttliche
göttliche Qualitäten an; nun kann man in ihm auch sarapische, auch joviale Elemente
entdecken. Wir müssen den bärtigen Christus typologisch in die Reihe der bärtigen
Götterköpfe einordnen, und es ist auch berechtigt, seinem Verhältnis etwa zu Zeus
oder zu Sarapis, oder auch zu Asklepios nachzufragen.
Die spätere Auffassung des Christusbildes bereitete sich im Laufe des vierten
Jahrhunderts vor. Das Medaillon im Deckenzentrum der Gruft IV Domitillae zeigt
den Christus in lang auf die Schultern fallenden Locken mit halbkurzem, ungeteiltem
Ikonographisches.
283
Vollbart, breiter, niedriger Stirn, gerader Nase und geschlossenem Mund. „Die breite
Kopfbildung paßt zu den übertrieben robusten Schultern. Trotzdem imponiert der
Kopf durch den feierlichen Ernst, der aus ihm spricht" (Wilpert 108 Taf. 187, 3,
unsere Abbildung).
Als den Gipfel der Christusbilder in den Katakomben bezeichnet Wilpert das
der Deckenmalerei in Petrus und Marcellinus aus der Zeit um 400. Während andere
Köpfe oft merkwürdig breit und gewöhnlich aussehen, interessiert dieses Gesicht durch
sein schönes Oval, umrahmt vom reichen, kastanienbraunen Haar und langem, zu-
gespitzem Vollbart. Die Stirn hoch, die Augen mandelförmig, von dunklen Brauen
überschattet, die Nase fein, der Mund zum Sprechen geöffnet, das bildet einen
majestätischen, äußerst charakteristischen Kopf, dessen Würde noch durch die Purpur-
rarivx
Petrus.
Coem. Petri et Marcellini.
gewandung gehoben wird: als ob der Maler nicht einen bärtigen Kopf schlechthin,
sondern womöglich ein Abbild „des Gottmenschen " habe schaffen wollen (Wilpert 109
Taf. 253). Am Schlüsse dieses Bandes bringen wir die Abbildung eines noch späteren
Christuskopfes, aus dem fünften oder sechsten Jahrhundert, im Kreuznimbus, mit ge-
scheiteltem, aber mehr in den Nacken als auf die Schultern fallendem Haar, wieder
kürzerem, aber noch ungeteiltem Bart; besonders charakteristisch sind die großen Augen
(Wilpert 109 Taf. 257).
Aus der Zahl der Apostel wurden Petrus und Paulus herausgehoben und
individualisiert; damit begann eine neue Entwicklungsreihe, Differenzierung der
Apostel, die aber innerhalb der altchristlichen Kunst noch nicht weitergeführt wurde.
Ein sitzend Lesender aus dem dritten Jahrhundert wird als Petrus erklärt (Taf. 93.
94), die übrigen Darstellungen, den Petrus und Paulus umfassend, gehören dem
vierten. Peter und Paul stehen zu den Seiten einer Seligen im Typus der Orans, oder
284 Die Seligen im Himmel.
zu denen des Christus, in der Regel Petrus zur Rechten der Mittelfigur (links vom
Beschauer); nur der Deckenmaler in Petrus und Marcellinus hat ihre Plätze vertauscht.
Petrus trägt dichtes Haupthaar und einen kurzgeschnittenen, meist mehr viereckigen
Bart, darin ähnlich dem bärtigen Christus in seiner ersten Phase. Paulus dagegen
hat eine hohe Stirn und kahlen Schädel, dabei einen langen spitzen Bart; es ist das
Oval und der lange spitze Bart des bärtigen Christus in seiner zweiten Phase, nur
fehlt ihm das lange Lockenhaar. Paulus sieht unstreitig bedeutender, geistvoller aus,
Petrus gewöhnlicher. Diese Typik der „ Apostelfürsten " wurde festgehalten. Bei der
Konstanz ihrer Darstellungsweise könnte man vermuten, daß es gleichzeitige Porträts
von ihnen gegeben habe. Es werden dafür gewisse Bronzeplättchen mit ihren Bildern
angeführt; da deren Datierung aber in weiten Grenzen schwankt, so müssen wir sie
hier beiseite lassen. Die Autoren, welche von Apostelporträts reden, sind auch erst
spät; freilich redet Eusebius von Porträts aus der Lebenszeit des Christus und der
zwei Apostel, aber der Abstand vom ersten bis zum vierten Jahrhundert ist doch zu
groß, um seiner Angabe Wert beilegen zu können. Hält man sich an die Katakomben-
malereien, so wird man zu dem Verdacht gedrängt, die zwei Apostelbilder, mit den
Phasen des bärtigen Christus, seien einfach typengeschichtlich entstanden, als Nieder-
schläge der Entwicklungsphasen des bärtigen Männerkopfes. Zuerst kam der Typus
mit kürzerem viereckigem Bart: auf dieser Stufe hätte sich der erste bärtige Christus
und der Petrus gebildet. Sodann der lange spitze Bart: diesen erhielt der spätere
Christus und der Paulus, der aber im scharfen Gegensatz zum langlockigcn Christus
kahlköpfig gestaltet wurde.1)
*) Apostel: Joh. Ficker, Darstellungen der Apostel in der altchristlichen Kunst 1887
(Seite 33 Literatur). -- Peter und Paul: Wilpert 112 Taf. 153,2. 154, 1 = 179. 182, 1 = 248;
182,2 = 181,2. Petrus und Marcellinus: Taf. 254, unsere Abbildung. — Bronzeplättchen: Kraus,
Geschichte I 195.
Syntax der figürlichen Typen.
Wir haben die figürlichen Typen studiert und glauben ihre Bedeutung in der
Hauptsache erfaßt zu haben, wenn auch einzelnes noch Problem bleibt. Die Typik
bildet gleichsam die Formenlehre in der Grammatik der Bildersprache. Nach der
Formenlehre käme nun die Syntax, die Lehre von der Zusammenstellung jener Typen
im dekorativen Ganzen. Die Dekoration schließt sich den gegebenen Räumen an, der
Art der zu verzierenden Wandflächen. Diese aber sind in ihrer Form bestimmt durch
die Bestattungsweise: Avir unterscheiden Nischengräber (Arkosolien) und Fachgräber
(loculi), sowie Kammern mit Decken und Wänden. Danach gliedern wir unsere
Syntax der figürlichen Malereien.1)
Gegenstand der Malereien war die Erlösung aus dem Tod ins ewige Leben und
die Seligkeit durch den Christus und in der bleibenden Gemeinschaft mit ihm, dies
alles dargestellt nicht so sehr als bloße, vielleicht ängstlich zweifelnde Hoffnung,
sondern als Gewißheit. Daher war der Haupttypus der Selige im Himmel. Dar-
gestellt wurde der in die Seligkeit eingegangene Verstorbene in vollem bürgerlichen
Anzug, also in Leibrock und Oberkleid (Tunika und Pallium); und zwar wie die
so „Angezogenen" in der Kunst herkömmlich, nur mit der rechten Hand anbetend;
die Frau aber in der Tunika oder der Stola, meist mit Kopftuch, sie, weil nicht durch
den Mantel gehindert, mit beiden Händen adorierend (der konventionell sogenannte
Orantentypus). Männer in der bloßen Tunika erscheinen in der ersten Zeit nur
vereinzelt, wie die zwei Seligen beim Mahl und der Noah im Kasten, beide in
Domitilla; später wurden sie häufiger, auch sie im Orantenschema gegeben. Die
Oranten stellt der Maler wohl auch in die ihnen geöffnete Himmelstür, die Portieren
werden für sie auseinandergehalten; ferner zwischen Paradiesesbäume und zwischen
andere Selige. Auch fügte er manchmal den erhöhten Christus hinzu, zum Zeichen,
daß der Verstorbene durch ihn in den Himmel gekommen sei. In der Spätzeit ver-
wendete man den Typus des Seligen im Mantel nur mehr für die Apostel und andere
kirchlich geprüfte und gebuchte „Heilige"; jetzt liebte man, in Rom wenigstens, den
Verstorbenen als Seligen etwa zwischen Petrus und Paulus zu stellen.
Eine andere Darstellung der Seligen war die beim Gelage im himmlischen Paradies.
Eine besondere Klasse bildeten die Pro to type (oder Pro type) der Erlösung aus
dem Tod, die biblischen Rettungen, des Noah aus der Sintflut, des Daniel aus der
Löwengrube, der drei Jünglinge aus dem glühenden Ofen, des Isaak vom Opfertod,
des David aus den Händen des Goliath, des Hiob aus seinen Leiden; dazu die
evangelischen Heilungen, des Gichtbrüchigen, des Blinden, des Aussätzigen, der
1) In der Literatur, einschließlich Wilperts, ist der Gegenstand gelegentlich wichtiger Einzel-
fälle berührt, aber noch nicht im ganzen behandelt worden.
286
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Verzierung der Wandgräber. 287
Blutflüssigen und die Erweckungen vom Tode, vorzüglich des Lazarus. Wiederum
eine andere Klasse umfaßte die sinnbildlichen Darstellungen der Mittel zur Erlösung
aus dem Tod ins ewige Leben. Die alten Christen besaßen zwei Sakramente, die
Taufe, welche heilig machen sollte, den Menschen zum Christen, und das Abendmahl,
das die Gemeinschaft mit dem Christus verbürgte, mithin, im sepulkral -jenseitigen
Gedankenkreis der Katakombenkunst, die jenseitige Gemeinschaft in der Seligkeit. Die
Taufe wurde teils in der vorbildlichen Jordantaufe des Jesus vor Augen gestellt,
teils, wo ohne Taube, als die rituale Handlung. Das Abendmahl erscheint nie in
direkter Darstellung (es gibt keine des Abendmahlsritus), immer nur in sinnbildlicher;
das Speisungswunder, schon im Johannisevangelium eucharistisch verstanden, besaß in
seinen Broten und Fischen heilige, wunderbar wirkende Speisen, die sich eucharistisch
deuten ließen. In gleichem Sinn mochten auch das Weinwunder und der Mannaregen
verwendet werden, sowie das johanneische Brot und Wasser des Lebens (Brot-
vermchrung, Samariterin am Brunnen, Mosesquell).
Die Seligen im Himmel stehen anbetend vor der Herrlichkeit des Herrn, wobei
zu fragen ist, ob unter dem Herrn in altbiblischer Weise der Gott gedacht sei, der
aber nicht abgebildet wurde, oder aber, wie bei den Christen gewöhnlich, ihr Herr,
der Christus, den man in verschiedener Weise darstellte. Beim Typus des guten
Hirten, der das Schaf auf den Schultern trägt, ist mehr an den Erlöser aus dem
Tod gedacht, der die Verstorbenen in den Himmel bringt; der Hirte, der seine Schafe
weidet, meint den Herrn der als Christen Gestorbenen und nun Seligen im Himmel.
Der Christus in direkter Darstellung erscheint, abgesehen von den evangelischen
Wundern, in der Epiphanie, sodann aber als der erhöhte und verklärte, der
nach den literarischen Apokalypsen zur Hechten des Gottes sitzt, in den Malereien,
den Zenithbildern, dagegen an dessen Stelle getreten zu sein scheint. Die Apostel
umgeben ihn, gleichfalls apokalyptischen Vorstellungen gemäß, im Halbkreis.
In den vielen Bildern sind wenige Gedanken ausgedrückt, ein jeder durch viele
Typen. Daraus folgt, daß eine große Mannigfaltigkeit in der Anordnung möglich war,
scheinbar unendliche Variationen boten sich ohne feste Regel. Einige Bildtypen treten
als herrschend aus der Reihe, sie nehmen gern Zentralstellen ein, allerdings selbst
wieder in willkürlichem Wechsel untereinander.
Verzierung der Wandgräber.
Unter den Wandgräbern nehmen nach dem Alter des Typus und nach seinem
höheren Rang die Nischengräber (Arkosolien) die erste Stelle ein. Ihr komplizierter
Bau stellte dem Maler mannigfaltige Flächen zur Verfügung, die halbkreisförmige
Rückwand der Nische (Lünette), ferner die Untersicht des Bogens über dem Trog
mit ihren drei Teilen, den zwei ansteigenden Laibungen und dem im Zenith schwebenden
Scheitelfeld, endlich die Frontwand rings um die Nischenöffnung, wiederum sich
gliedernd in den Sockel (die Trogfront) und die Oberwand (die Umgebung des Nischen-
bogens). Hauptbildfeld ist der Regel nach die Lünette, an der Untersicht des Bogens
nimmt das Scheitelfeld im Zenith über dem Trog eine bedeutsame Stelle ein; die
Ausdehnung der Malerei auf die Frontwand ist seltener. In die Lünette fügt sich gut
das Gelag, wegen der Halbkreisform des Sigma (Tat*. 57. 184); auch sonst werden
288 Syntax der figürlichen Typen.
liier gern die Verstorbenen in der Seligkeit gemalt, unmittelbar über dem Trog (z. B.
Taf. 117, 1 oder in unserer Abbildung Seite 286); dafür tritt dann auch der Seligkeitstyp
„Jonas unter der Laube ruhend" ein; seltener findet sich hier der gute Hirte, in
späteren Bildern aber erscheint da nicht ungern und gut in den Rahmen sich fügend, der
erhöhte Christus, zwischen den Aposteln oder anderen Seligen sitzend (Taf. 148. 205).
Im Bogensch eitel steht vorzugsweise gern der gute Hirt, in Taf. 117, 2 ist der
ganze Bogen mit einer ausführlichen Hirtenmalerei ausgefüllt, in der Mitte der Hirt
zwischen Schafen und Bäumen, an den Laibungen je ein Schäferhund. Die reichste
Front maierei besitzt das Arkosol der Cinque santi, mit den fünf Oranten im Paradies-
park und den aus Wasserbecken nippenden Tauben am Sockel (unsere Farbtafel IV).
Wir wollen nun einige Arkosolien betrachten, zunächst nur innen bemalte. In
der Lünette eines Nischengrabes aus dem dritten Jahrhundert sehen wir die sog.
Hochzeit zu Kana, typologisch betrachtet ein Seligenmahl, nämlich das Hochzeitsmahl
des himmlischen Bräutigams, dem das Weinwunder aus der johanneischen Hochzeit
zu Kana hinzugefügt ist; in der anstoßenden Laibung das Wasser des Lebens unter
dem Typus der Mosesquelle, gegenüber das andere Wasserbild, die Taufe, im Scheitel
die Verstorbene als Orans (Taf. 57). Die übrigen Malereien, die wir hier besprechen,
gehören dem vierten Jahrhundert. In der Abbildung S. 286 zeigt die Lünette die Seligen,
eine Familie, Vater, Mutter und Sohn, die Laibung links die babylonischen Jünglinge,
die rechts die Epiphanie, der Scheitel den guten Hirten zwischen vier Jonasszenen.
In einer Lünette sitzt der erhöhte Christus im Halbkreis der zwölf, unter der den Bogen
füllenden Weinlaube mit Putten (Taf. 148). Die Grabnische des Marcus und Marcel-
lianus ist sehr tief und überhöht, mit senkrechten Wänden unterhalb des Bogens;
im Fond sind die hier Bestatteten gemalt, erhalten aber nur die untersten Teile von
drei Figuren, zwischen zwei Männern stand eine kleiner gezeichnete Frau; an den
Wölbungen des Bogens steigt je ein Seliger die Himmelsleiter hinan (?), aus dem Bogen-
scheitel schaut ein Christuskopf herab; an den Wänden sieht man rechts Moses vor
dem Angesicht des Herrn und die Rettung Isaaks vom Tod, links Wasser und Brot
des Lebens in den Typen des Mosesquells und des Brotwunders (Taf. 214 — 216). Im
Arkosol der cripta delle pecorelle hat der Maler die Motive eigentümlich miteinander ver-
schränkt. In der Lünette steht der gute Hirt in Landschaft zwischen sechs zerstreut ange-
brachten Schafen; auf die Laibungen ist Wasser und Brot des Lebens verteilt, rechts schlägt
Moses den Quell aus dem Felsen, ein Israelit fängt das Wasser mit den Händen auf,
links vollführt der Christus den Brotzauber, zwei Christen, Selige, empfangen Brote
(die Arme des einen sind mit dem größten Teil des Christus zerstört; wenn er wirk-
lich Fische hielt, so hat er sie vom Christus eben auch empfangen). Nun hat der
Maler den Felsenquell noch zweimal in die Landschaft der Lünette gesetzt, zwischen
die Schafe, mit je einem Wasser fangenden Israeliten; überdies hat er in die rechte
Laibung, die noch Raum bot, den „Moses vor dem Angesicht des Herrn" eingeschoben;
er ist in der älteren Weise bartlos, der andere Moses mit dem Felsenquell dagegen
bärtig, nach der späteren Weise (Wilpert 279. 300. 453 Taf. 236—238). Das Arkosol
des Hypogäums an der Via Latina vereinigt viele Typen in mehreren Zonen. Über
dem Trog, in der Mitte Selige, ein Gelage von anscheinend zwölf Personen, rechts
den Brot- oder Weinzauber, links eine Orans; in der oberen Zone der gute Hirt unter
Bäumen. An den Seiten sind Rettungstypen verteilt, unten Jonasszenen, oben links
eine Heilung, rechts Noah im Kasten und weiter oben noch Daniel. Von den
Verzierung der Wandgräber. 289
zwischen den Mittel- und den Randbildern auf Pflanzenstengeln wachsenden mystischen
Gefäßen war früher die Rede (Wilpert 538 Taf. 265—267).
Nun noch einige Nischengräber mit Frontmalereien. Sauber und nicht ohne
Plan ist die Verzierung des Arkosols der Zosimiane in Cyriaka. Die Laibungen sind
mit der Lünette innerlich verbunden; an den Laibungen steht je eine Orans, man hat
ihr sinnvoll den erhöhten Christus hinzugefügt; dieser ist wiederholt im Fond, zwischen
zwei gleichfalls sitzenden Seligen oder Aposteln. Im Zenith dann der gute Hirt;' an
der Front in der Mitte über dem Bogenscheitel der Seligentyp „Jonas in der Laube
ruhend", rechts und links die zwei Mosesbildcr, Moses vor Gott und der Felsenquell,
unterhalb in den Zwickeln je eine Taube (Taf. 205). In derselben Katakombe findet
sich wiederholt die Parabel von den klugen Jungfrauen verwendet, jedesmal in einer
Lünette. Einmal steht die Selige in der Mitte, als Orans, rechts von ihr nahen die
klugen Jungfrauen, die also zum Hochzeitsmahl des himmlischen Bräutigams zugelassen
werden, links von der Orans ist das Mahl selbst dargestellt (Garrucci, Storia II Taf.
64, 2. Wilpert 427). Das andere Mal steht der himmlische Bräutigam selbst in der
Mitte, vor und im Rahmen des rundbogig gezeichneten Himmelstores, von der einen
Seite nahen sich die klugen Jungfrauen, von der anderen die törichten; dazu kommt
hier nun noch ein synonymes Sockelbild, die Verstorbene erscheint in der von zwei
Seligen geöffneten Himmelsportiere. Die Bogenbilder übergehen wir, der erhaltene
Frontzwickel zeigt statt der Epiphanie wegen Raummangels nur einen auf den Stern
zeigenden Magier (Wilpert 428, Taf. 241 f.).
Die Verzierung der Fachgräber hält sich im allgemeinen in engeren Grenzen.
Es handelt sich meist nur um niedrige Friese, wie sie über und zwischen den über-
einander angeordneten Gefachen übrig bleiben; bisweilen aber wird eine solche Gräber-
gruppe, die einer Familie gehört zu haben scheint, durch eine gemeinsame Front-
malerei in einheitlichem Rahmen auch dekorativ zusammengefaßt. Die älteren und
besseren Dekorationen begnügen sich mit nur einem sinnigen Motiv, spätere schütten
eine ganze Bilderfibel mit wenig Kunst und viel Behagen aus. Am Grab, das ein
Januarius seiner Gattin machen ließ, ist im unteren Fries ein Schrifttäfelchen mit der
Widmung gemalt; beiderseits steht ein weidendes Schaf neben einer Orans (Wilpert
Taf. 116, 2; gegen 300). Ein andermal sehen wir unter dem Fachgrab, als Sockel-
malerei, den Gitterzaun, oberhalb aber, statt des Paradiesesparks, eine Landschaft mit
abschließendem Gebirg, darin sitzt der gute Hirt inmitten seiner Herde (Taf. 121;
bald nach 300). Die folgenden Malereien, des vierten Jahrhunderts, geben alle zu-
viel. Rechts am Grab eine Orans; im Fries ein weidender Hirt, Lazarus' Erweckung,
der Mosesquell, Hiob von seiner Frau gespeist; im nächst tieferen Fries, wieder rechts,
zwei Oranten, im übrigen Fries anscheinend die Epiphanie (Taf. 147). Zweimal die
Verstorbene als Orans, mit Namensbeischrift Grata, dazwischen die drei Jünglinge im
glühenden Ofen und Daniel, links noch Lazarus (Taf. 62, 1). Eine durch gemeinsame
Frontmalerei zusammengefaßte Fachgräbergruppe ist mit zwei Friesen und einigen
Nebenbildern geschmückt: oben rechts drei Oranten (eine Mutter zwischen zwei
Kindern), links sehen wir die Typen der Erlösungsmittel Mosesquell und Brotwrunder
nebst der Epiphanie des Erlösers, am Rand und im unteren Fries eine Anzahl
Rettungswunder als Erlösungstypen, Noah, Lazarus, Daniel, Tobias, der Gichtbrüchige,
ein nackter Gelagerter in der Ecke gilt nicht als Jonas, sondern als Tigris (Taf. 212).
Links vom Grab eine Taube auf einem Zweig sitzend, rechts eine fliegende Taube mit
Sybel, Christliche Autike I. 19
290 Syntax der figürlichen Typen.
Zweig in den Krallen; im Fries über dem Grab, rechts Orans zwischen Paradieses-
bäumen und Seligen, links Daniel, Mosesquell, Lazarus (Taf. 219).
Die Malerei über einem Fachgrab (in Priscilla, späteres drittes Jahrhundert, an
der Wandliinette unter der Wölbung) macht besondere Schwierigkeiten. In der Mitte
steht die Verstorbene, nun Selige, als reichgekleidete Orans mit Schleier. Auf jeder
Seite ist eine Nebengruppe hinzugefügt zu näherer Bestimmung der Zentralfigur.
Hechts die Epiphanie des Erlösers aus dem Tod, das Christkind auf dem Schoß der
Mutter; es ist noch nackt und spielend gezeichnet, Avenn die Gruppe auch nicht mehr
ganz so lebendig anmutet wie die ihres Orts besprochene früheste Epiphanie auch in
Priscilla. Die Szene links von der zentralen Orans also macht der Erklärung
Schwierigkeit. Nach der ganzen Art der Katakombenmalerei wird man in erster
Linie versuchen, eine Szene im Himmel zu erkennen, wie wir dergleichen in ver-
schiedenen Ausführungsweisen sahen. Die Hauptperson, ein Mädchen, ist, typologisch
betrachtet, nicht gerade eine Orans, aber vom Orantentypus abgeleitet; man hat ihr
eine offene Schriftrolle in die Hände gegeben, ohne aber Kopfstellung und Blick-
richtung dem neuen Motiv anzupassen. Halb hinter ihr steht eine irgendwie
sekundierende Gestalt; so halb hinter der Hauptperson sahen wir Alcestis bei Vibia,
Petronilla bei Veneranda. Hier aber ist es ein bartloser Mann, den wir in diesem
Falle vielleicht auch als Jüngling aufzufassen haben; er trägt über die Hände gehängt
ein weißes Stück Zeug, mit zwei Vertikalstreifen und gezackter Borte. Wilpert ver-
stand es früher als Tunika, jetzt zieht er einen Schleier vor; der aber müßte quer-
gestreift sein, ist jedenfalls ganz verschieden vom Schleier unserer zentralen Orans.
Links von dem Mädchen mit der Schriftrolle, noch etwas weiter zurück, sitzt ihr zu-
gewandt ein Bärtiger und streckt die Rechte vor, zeigend, wie es scheint. Nun könnte
man etwa denken, der Sitzende sei der erhöhte Christus, wie wir ihn auf mehreren
Bildern einem Oranten, das will sagen einem Seligen im Himmel, hinzugefügt sahen
(Taf. 206 und im sog. Gericht in Hermes); der Jüngling mit dem weißen Zeug könnte
ein Engel sein, welcher der in den Himmel Eintretenden das lichtweiße Gewand der
Verklärten bringe; oder wenn er, seiner Tracht wegen, kein Engel sei, dann vielleicht
ein Seliger, wie wir nicht Engel, sondern Selige die Himmelsportiere öffnen sahen.
Aber der Bärtige soll ein Greis sein, und er trage über der weißen Tunika eine
Pänula, während der Christus wohl bärtig, aber so wenig wie Juppiter als Greis
gemalt wird und immer das Pallium trägt. Andere versuchten in der Szene die
Konsekration einer gottgeweihten Jungfrau zu erkennen oder eine Eheschließung oder
endlich Unterricht. Das etwas trübe Kapitel von den gottgeweihten Jungfrauen
zunächst im Altertum, bei Heiden, Juden und Christen, lassen wir gern beiseite.
Wenn das Bild die Einkleidung einer solchen Jungfrau darstellen sollte, so wäre es
in der Tat ein für die Kultusaltertümer besonders wertvolles Denkmal. Die Meinung
ist, der bärtige Greis sei der Bischof, der auf der Kathedra sitzend die Ansprache
hält; das Mädchen stehe bereit, von der Schriftrolle die Formel des Keuschheits-
gelübdes abzulesen, ihr zur Seite stehe der Diakon mit dem für sie bestimmten
Schleier. Anf der Kathedra sitzend kann der Bischof allerdings nur die Ansprache
halten, eine eigentliche Konsekration, oder der Moment der Konsekration selbst wäre
nicht dargestellt (es ist übrigens nicht richtig, daß der Bischof alle liturgischen Hand-
lungen auf der Kathedra sitzend vornehme; wenn er persönlich die Messe liest und
die Kommunion austeilt, wenn er tauft oder firmt oder traut oder ein Totenamt hält,
Verzierung der Kammern. 291
so steht er). Eine Eheschließung pflegt anders komponiert zu sein, stets stehen die
Brautleute auf gleicher Linie sich gegenüber. Zu einer Schulszene sind einige Elemente
vorhanden, doch stimmt dazu weder der Jüngling mit dem weißen Stück Zeug, noch
die typologische Ableitung der Hauptfigur von der Orans.1)
Verzierung der Kammern.2)
Den Schematismus der Decken besprachen wir oben. Wir unterschieden Kappen-
und Zwickelfelder, je vier im Wechsel, und das zentrale Scheitelfeld, im Zenith der
Gruft. Als figürliche Embleme fanden wir vor allem Selige, Männer ursprünglich im
Pallium, Frauen als sog. Oranten, meist in die Zwickel gestellt, auf Blumen stehend
und so in den Himmel gleichsam hineinwachsend, zu dem im Scheitelfeld und Zenith
dargestellten guten Hirten, an dessen Stelle später die direkte Darstellung des er-
höhten Christus trat (Selige bei Wilpert Taf. 25 = unsere Farbtafel III, Hirt bei
Wilpert Taf. 9. 17. 35. 38, Christus Taf. 165. 168). Ausnahmsweise tritt auch ein
anderes beliebtes Bild in das Scheitelfeld, Noah oder Daniel (Taf. 56. 104). Die
breiteren Kappenfelder eigneten sich mehr für Handlungsbilder, wie die schmäleren
Eckfelder mehr für ruhig stehende Einzelfiguren. Unter den vier Kappenfeldern
kommt einem eine Vorzugsstellung zu, demjenigen zu Füßen der Zentralfigur im
Scheitel und zugleich gegenüber dem Eingang, so daß der erste Blick des Eintretenden
darauffällt. Wenn auch im allgemeinen die Typen , hier die Rettungstypen, als
Synonyme wie im Kaleidoskop in zufälligem Wechsel erscheinen, so taucht doch
immer einmal der Versuch einer planvollen Anordnung auf. Der wichtigste ist der
mit dem Jonaszyklus, der eben deshalb auf vier Bilder gebracht wurde, um mit ihm
die je vier Kappenfelder einer Decke zyklisch zu füllen. Dabei nun wurde gern der
Jonas unter der Laube, der Seligkeitstyp, in das Vorzugsfeld über der Fondwand
gesetzt (Taf. 61. 130 mit der Blutflüssigen statt des vierten Jonasbildes). Ein Ver-
such verwandter Art in engeren Grenzen ist es, wenn die zwei Mosesbilder sich
gegenübergestellt werden (Taf. 168). Irgend welche feste Regeln befolgt zu finden
darf man nicht erwarten.
Die frühere zentrierte Anordnung wurde zuletzt aufgegeben, die Komposition
baut sich auf einer Richtungsachse auf, in zwei Zonen. Wir meinen die Decke in
Petrus und Marcellinus mit dem „Lamm Gottes" auf dem Paradiesesberg, dem die
Flüsse entströmen, zwischen vier Heiligen; diese adorieren mit erhobener Hand den
im oberen Himmel zwischen den gleichfalls adorierenden Apostelfürsten thronenden
Christus (Wilpert Taf. 252).3)
Da die Plafonds vorweg gemalt werden mußten, so pflegen sie eine in sich
abgeschlossene Malerei zu tragen. Wurden die Wände der Gruft auch einheitlich
ausgeschmückt, so findet nur vereinzelt eine Wechselbeziehung zwischen Decken- und
Wandmalerei statt. Eine einheitliche Wandmalerei zeigt die heidnische Gruft bei
J) V. Schultze, Archäol. Studien 1880, 182 (Unterrichtsszene). Mitius, Familienbild (in
Fickers Archäol. Studien I) 1895 (Eheschließung); de Waal, Rom. Quartalschr. 1898, 93 findet ein
Familienbild aus dem wirklichen Leben sehr plausibel. Wilpert, Gottgeweihte Jungfrauen 1892,
52; Malereien 203 § 63 Taf. 79—81.
2) Wilpert, Malereien 150 Die hervorragendsten Bildercyklen des 2. 3. und 4 Jahrhunderts.
3) Decken: oben Seite 153.
19*
292 Syntax der figürlichen Typen.
Prätextat, des Vincentius und der Vibia, zunächst einen dreigliedrigen Bilder-
zyklus, der sich auf Vibia bezieht. Das erste Bild schildert den Tod der Vibia als
eine Art Brautraub, sie wird von Pluto entführt wie Proserpina. Im zweiten Bild
führt der Götterbote und Seelenführer sie vor das Gericht der Unterirdischen, Al-
cestis begleitet sie als Fürsprecherin. Wir sahen das dritte Bild mit ihrer Einführung
in die Gefilde der Seligen und wie sie am Gelage der Seligen teilnimmt. Vincentius
hat die Gruft gelegentlich des Todes seiner Gattin angelegt, um selbst dereinst in ihr
seine Ruhe zu finden; daher ließ er sich in einem vierten Bilde verewigen, im Höhe-
punkt seines Daseins, beim Mahl im Kollegium der „sieben frommen Priester" des
Sabazios; das war ein mystischer Kult, einer von denen, welche die Jenseits-
hoffnung pflegten.1)
Wir heben einige christliche Kammern hervor, welche die Aufmerksamkeit
besonders auf sich gezogen haben und um deren Erklärung manche Kämpfe aus-
gefochten worden sind. Um so nötiger ist es, alle etwa mitgebrachten Vorurteile
beiseite zu setzen und mit größter Zurückhaltung in die Interpretation einzutreten.
Die Cappella greca in Priscilla, eine Doppelkammer, durch Wegnahme der
Trennungswand zu einem oblongen Raum verbunden, immerhin durch einen stehen-
gelassenen Gurtbogen in zwei Abteilungen geschieden. Die großenteils zerstörte Decke
der ersten Abteilung war in den Ecken (Zwickeln) mit Köpfen der vier Jahreszeiten
geschmückt, in den Kappenfeldern standen Vasen, an deren eine ein Thyrsus gelehnt
war; nur in einem der seitlichen Kappenfelder (rechts) fand sich statt dessen ein
figürliches Bild, der Gichtbrüchige. So die Ergänzung Wilperts; ihr auffallender
Mangel an Gleichgewicht hat keine Analogie. Ebensowenig hat die Einordnung der
Tauf szene in das Scheitelfeld Analogien in der römischen Katakombenmalerei; auf
Grund eines kleinen Bruchstückes Stuck, an dem Wasser gemalt sei, wird diese An-
ordnung für unsere Decke vorgeschlagen. Am Gurtbogen der Türwand ist das Wasser
des Lebens gemalt im Typus des Mosesquells, links der Tür ein Zeigender, rechts der
glühende Ofen; im oberen Teil der Längswände sieht man die sog. Susannaszenen,
am trennenden Gurtbogen die Epiphanie des Erlösers aus dem Tod. An der Decke
der zweiten Abteilung war eine Weinlaube gemalt, in den vier Ecken Selige,
abwechselnd in Mantel und in Tunika (Oranten); am Gurtbogen und über den zwei
seitlichen Grabnischen Erlösungsbilder, Lazarus' Erweckung, Isaaks Rettung, Daniel
in der Löwengrube (daneben noch Noah), im Fond aber, über der Mittelnische, das
Seligenmahl (Wilpert, Fractio panis; Malereien Taf. 13 — 16).
Die „Passionskrypta" in Prätextat trug an den beiden Längswänden je vier
Bilder; an der linken Wand sind noch drei erhalten: unten die Samariterin am Jakobs-
brunnen, oben die Erweckung des Lazarus, links das auf die Dornenkrönung gedeutete
Bild, das vierte ist zerstört, wie auch drei Bilder der rechten Wand verloren sind,
erhalten ist da nur das untere, die Heilung der Blutflüssigen. Die immerhin nicht
ganz sichere Deutung jenes einen Bildes auf die Dornenkrönung hat der Kammer den
konventionellen Namen Passionskrypta verschafft. Wilpert sucht die Sujets der zer-
störten vier Bilder zu erschließen und gelangt auf diesem Wege zu einem christo-
logischen Zyklus: gegenüber der Verspottung setzt er die Richtszene „Christus vor
Pilatus" an, es könne „keinem Zweifel unterliegen, daß sie hier auch wirklich, in einer
») Vincentiusgruft: Garrucci, Storia VI Taf. 493. Maaß, Orpheus 219. Wilpert 144.
392. 506 Taf. 132. 133.
Verzierung der Kammern. 293
den Sarkophagreliefs ähnlichen Form, abgebildet war." Uns ist es zu gewagt, von
den Sarkophagreliefs des vierten Jahrhunderts zurückzuschließen auf Wandmalereien
des zweiten , vollends wo Passionsszenen ihr sonst ganz fehlen , auch die Dornen-
krönung bleibt problematisch. Ebensowenig können wir die christologische Auffassung
des Lazarus und der Samariterin uns zu eigen machen; in der Auferweckung zeige
sich Christus als Überwinder des Todes, also als Gott, der Samariterin gebe er sich
als den Messias zu erkennen. Uns bedeutet jenes Bild die Erlösung aus dem Tod, dieses
das Wasser des Lebens. Daß an der rechten Wand Jesaias oder die Magier mit dem
Stern und Huldigung der Magier gestanden haben sollen, diese Vermutungen sind eben
dem Wunsche entsprungen, hier einen christologischen Zyklus zu konstruieren
(Malereien 226 Taf. 18 — 20).
Die „Sakramentskapellen'' A1 bis Aö im Coem. Callisti, sechs Kammern an
einem Gang nebeneinander gelegen; A1 bis A3 wurden zuerst angelegt, etwas später
A4 bis A°, nach Wilpert alle noch im zweiten Jahrhundert. Sakramentskapellen
nannte man sie, weil man ihre Malereien als Darstellungen der Sakramente verstehen
zu sollen glaubte; allerdings ließen sich die jetzt sieben römischkatholischen Sakra-
mente nicht alle nachweisen, immerhin glaubte man drei teils in direkter, teils in
symbolischer Darstellung vorzufinden, Taufe, Abendmahl und Buße. Dabei konnte
man auch dies sich nicht verhehlen, daß nicht alle Malereien in der Darstellung von
Sakramenten aufgingen, sondern daß noch ein mehr oder minder erheblicher Rest
anders zu erklärender Bilder übrig blieb. An die ganze Deutung haben sich Ver-
handlungen angeknüpft, die zu dem Ergebnis führten, daß das dritte Sakrament, die
Buße, von den römischen Archäologen selbst aufgegeben worden ist. Die Buße
sollte im Typus des Gichtbrüchigen dargestellt sein, mit Beziehung auf die in seiner
Geschichte gesprochenen Worte: „Dir sind deine Sünden vergeben", oder, wie es bei
Johannes heißt, „Sündige hinfort nicht mehr"; aber von Buße ist bei der Geschichte
gerade in den Evangelien keine Rede. Das Bild aber haben wir als Typus der Er-
lösung aus dem Tode verstehen gelernt. Nach alledem dürfte korrekterweise gar
nicht mehr von Sakramentskapellen gesprochen werden; doch wird man den Namen
konventionell im Gebrauch behalten.
Es blieben nun noch die zwei Sakramente Taufe und Abendmahl übrig, die
zwei einzigen , welche das christliche Altertum kannte , die Taufe als Mittel zur
Heiligkeit und das Abendmahl als Mittel zur Seligkeit, in der Gemeinschaft mit dem
Christus; sie konnten sich den Katakombenmalern zur Darstellung wohl empfehlen.
Tatsächlich findet sich in unsern Kammern die Taufe unzweideutig gemalt. Nicht
ganz so klar liegt die Sache für die Eucharistie. Direkt ist sie in der Katakomben-
malerei nirgends dargestellt, höchstens indirekt (davon sprachen wir), wie andere
Bilder als Symbole der Taufe gedeutet werden. Bei der fließenden Art sowohl der
christlichen Vorstellungen wie der antiken Allegorie bleibt da vieles fragwürdig;
vollends fragwürdig werden dergleichen Deutungen, wo der Wunsch Vater des
Gedankens ist.
Leider ist viel von den Malereien zerstört, diejenigen von A1 sind völlig zu-
grunde gegangen. Von den beiden anderen Kammern der älteren Serie zeigt A3 am
ehesten etwas wie planvolle Anordnung der Bilder, während eine solche in A2 vermißt
wird. Wir wissen nicht, welche Kammer früher entworfen wurde; es bleibt uns die
Antwort auf die Frage versagt, ob die Maler aus anfänglicher Planlosigkeit sich zu
294 Syntax der figürlichen Typen.
der durchdachten Disposition in A3 heraufgearbeitet haben, oder ob A2 als willkürliche
Änderung und Zerrüttung des in A3 korrekt zur Ausführung gebrachten Grundplanes an-
gesehen werden muß. Was uns hier interessiert, das ist die andere Frage, wie weit über-
haupt, nach dem Zeugnis unserer Kammern, die Katakombenmaler es in planvoller Anlage
gebracht haben; daher halten wir uns an die Gruft A3 (übrigens dieselbe, auf welche
de Rossi seine Theorie von den Sakramentskapellen vorzugsweise gebaut hatte).
Die Decke zeigt das lineare Laubensystem und zwar mit „übernommenen Em-
blemen", Vasen, Vögeln usf., im Scheitelfeld den guten Hirten. In den drei geschlos-
senen Wänden sind je zwei Fachgräber, so daß zwischen, unter und über ihnen nur
niedrige Friese zur Dekoration offenstehen. Der oberste Fries der drei Wände ist
zyklisch verziert, mit den drei Jonasbildern: links und rechts die zwei Seeszenen, wie
der Prophet aus dem Schiff geworfen und nachher vom Seetier wieder ans Land
gespien wird;, an der Mittel wand der Seligkeitstypus Jonas unter der Laube ruhend.
Sodann der Mittelfries; man hat dabei zu bemerken, daß hier an jeder Wand das
Mittelstück des Frieses von einer besonderen Rahmenlinie umzogen ist. An der linken
Wand hat der Maler als Mittelstück Jesus' Taufe im Jordan gemalt; aus demselben
Wasser, in dem der Täufling steht, zieht der Angler einen Fisch; außerhalb der
Rahmenlinie steht rechts der Gichtbrüchige, die Figur links ist zerstört, es mag, wie
Wilpert annimmt, Lazarus gewesen sein. Der Mittelfries an der rechten Wand ist
zerstört; hervorragende Bedeutung aber besitzt derjenige der Fondwand, dem Eingang
gegenüber; um ihn dreht sich auch der meiste Streit. Man sieht da einen Mann im
Mantel, der mit der Hand nach den Speisen auf der Platte eines Dreibeins greift, es
sind die typischen heiligen Speisen Brot uud Fisch; an der anderen Seite des Tisch-
chens steht eine Orans. Dann folgt in besonderem Rahmen ein Gelage von sieben
Personen, ein Gelage am Boden mit ein paar Schüsseln im Halbrund, vorn stehen
die Brotkörbe aus dem Speisungswunder, ihrer acht. Sodann rechts vom Mittelstück
zwei kleinere Oranten, mindestens der eine ein Knabe, dazu ein Schaf und ein Baum
nebst einem Bündel Holzscheite (unsere Abbildung des Mittelstreifs der Fondwand oben
Seite 198).
De Rossi Mrollte in dem Mann im Pallium, der nach den mystischen Speisen
greift, einen konsekrierenden Priester sehen, mithin in der ganzen Szene das römische
Meßopfer, die Orantin daneben sei die römische Kirche. Wilpert dagegen erklärt den
Palliatus für Jesus, der das Speisungswunder, die Brot- und Fischvermehrung, ver-
richte, diese aber als Symbol der eucharistischen Konsekration, daher unter Aufnahme
des Altartisches in das Bild; die Orantin aber sei eine Selige. Die Brotvermehrung
pflegt anders dargestellt zu werden, da berührt Jesus mit der Wünschelrute die bereits
voll gezeichneten Körbe; die Fischvermehrung wurde in den Katakomben überhaupt
nicht gemalt. Typologisch betrachtet erscheint der Mann als einer der Seligen im
Mantel, mit der Modifikation, daß man ihm jenes aus den Seligenmahlen sattsam
bekannte Speisentischchen beigegeben hat; der Maler hat Typus an Typus gereiht,
wie man Letter an Letter reiht, oder besser, er hat dem Seligen das Tischchen als
nähere Bestimmung hinzugefügt, der Selige ist nun nicht als anbetend geschildert,
sondern als teilnehmend am himmlischen Mahle. Die Umbiegung des Typus ist ein
wenig ungeschickt ausgefallen, wie die rechte Hand des Seligen, der doch in Vorder-
ansicht steht, vor seinem Leibe vorbeigreift nach dem auf seiner anderen Seite stehenden
Tischchen. Die Orantin hat Wilpert richtig als Selige erklärt, nur wissen wir, daß
Verzierung der Kammern. 295
sie nicht betend (bittend), sondern anbetend steht. Mit dieser Gruppe, es ist Mann
und Frau, verbinden sich ungezwungen die zwei abgestuft kleineren Oranten rechts
vom Mittelstück, es sind die Söhne des Paares; hinzugefügt zu näherer Bestimmung
sind hier die geläufigen Paradiesestypen Schaf und Baum. Das dann noch folgende
Bündel Holzscheite hat Anlaß gegeben, die zwei Knaben auf Isaak und Abraham zu
deuten, hier als Symbol des Kreuzesopfers. Aber sie werden doch nie adorierend
gezeichnet. Vielmehr ist auch dies Bündel nur eine jener Abbreviaturen kompli-
zierterer Typen, denen wir so oft begegneten, auch dies nur eine Letter, den Oranten
hinzugefügt, um zu sagen, daß sie aus dem Tod erlöst seien wie Isaak aus seiner
Todesnot.
Das Gelage im Mittelstück erklärt Wilpert für die Speisung der Tausende
als Symbol der Kommunion; wir haben im Kapitel über die Mahlbilder den Typus
zur Genüge besprochen. Wohl stammen die vollen Brotkörbe aus dem Speisungs-
mythus, aber das Gelage ist ein Mahl der Seligen, hier eingeschoben in die Reihe der
Oranten, um durch das vollständige Gelage am Boden noch runder auszusprechen,
was durch das Tischchen nebenan nur erst angedeutet war, daß die hier bestattete
Familie nun nicht bloß anbetend vor dem Angesicht ihres Herrn stehe, sondern auch
an seinem himmlischen Mahle teilhabe. Und wegen dieser seiner hervorragenden
Bedeutung ist das Bild an den Ehrenplatz in der Mitte der Fondwand gestellt, der
Tür gegenüber.
Endlich an der Eingangs wand, links von der Tür: eine wasserschöpfende Gestalt,
sowie etwas höher und seitwärts geschoben ein sitzend Lesender im Mantel; beide zu-
sammen werden als die Samariterin am Brunnen und Christus erklärt. Rechts von
der Tür: das Quellwunder des Moses. Also zweimal Wasser des Lebens.1)
In der gleichzeitig entstandenen Kammer A2 finden wir die gleiche Raum-
disposition und großenteils dieselben Bilder, nur etwas anders verteilt, zum Teil auch
etwas umgebildet. Man empfängt hier doch überwiegend den Eindruck des Sekun-
dären. Das Gelage der Seligen hat mit der Taufe den Platz gewechselt, es steht nun
an der linken Wand, mit dem Angler und dem eben dorthin versetzten Quellwunder
vom selben Rahmen umfaßt, daher beengt und kaum skizziert. Das Quellwunder, als
Bild für das Wasser des Lebens, paßt gut zum Gelage, besser als der Angler. Die
Taufe, nun in der zentralen Stelle an der Fondwand, ist hier, ohne Taube, die rituale.
Die Jonasszenen wurden aus dem oberen Fries in die Kappenfelder der Decke ver-
pflanzt; dabei mußte sich der Seligkeitstyp „Jonas unter der Laube ruhend" aus der
Vorzugsstelle über der Fond wand an die Seite schieben lassen, um einer sinnvollen
Letterngruppe Platz zu machen, dem Dreibein mit Fisch und Brot zwischen den hier
sieben vollen Brotkörben. Das Dreibein gehörte schon im frühesten Exemplar in
l) Sakramentskapellen: Um das Ensemble vollständig und richtig vor Augen zu haben,
muß man auf de Rossi, Roma sott. II zurückgehen, Tafel CD gibt Übersichten in Skizze. — A3:
Roma sott. II Taf. CD oben die Übersicht, Taf. 16. 17 die Wände, 18, 1 die Decke. Dazu
Wilpert, Malereien derSakramentskapellen 1897; Mal.d.Kat. Seite 289 Taf.26, 2.3. 27, 3. 29, 2. 41, 1—3.
— Eine zufällige, rein formale und nicht einmal ganz genaue Typverwandtschaft besteht zwischen
dem Palliatus, wie er nach den Speisen auf der Dreibeinplatte greift, und dein Epikur an dem in
das zweite vorchristliche Jahrhundert gesetzten Gerippebecher von Boscoreale; der Epikur greift in
die Schüssel auf eben solchem Dreibein, oder er wärmt sich die Hand über dem Kohlenbecken
(Michaelis, Preuß. Jahrb. 1896, 17. Winter, Arch. Anzeiger 1896, 81).
296 ' Syntax der figürlichen Typen.
Domitilla zum Seligenmahl, die Körbe sahen wir typisch mit dem Seligengelage ver-
bunden, also deutet die Letterngruppe „Dreibein und Körbe" abermals, und zwar
zwiefach, das Seligenmahl an. War das Gelagbild selbst auch von der Fondwand ver-
drängt, so fand die Idee doch im Fond der Gruft bedeutsamen Ausdruck.
A7om Jonaszyklus ist immerhin noch ein Nachklang an der Oberwand, und zwar
im Fond der Gruft, übrig geblieben, ein Derivat von der Szene, wie Jonas aus dem
Schiff geworfen wird. Ein Schiff im Sturm, eine Sturzsee geht über das Vorder-
teil, ein Mann ist über Bord; einer aber steht im Schiff, ein Orans, und aus dem
Himmel neigt sich, von einem Nimbus mit Strahlen umgeben, Büste und Arm eines
wie üblich Bartlosen vor, der die Hand auf das Haupt des Orans legt, wie in der
Taufszene darunter der Taufende seine Hand auf den Kopf des Täuflings. Das Ver-
trauen, welches in dem Israeliten Jesus Wirklichkeit und Leben geworden war, das
ihn trug wie auf Händen, über alles hinweg, das Vertrauen, welches „Berge versetzt"
(Mt. 17, 20), welches „auf dem Wasser geht" (Mk. 8, 48. Mt. 14, 29), welches „im
Sturm ruhig schläft" (Mk. 4, 88), dieser große, man möchte sagen größte, unerschöpf-
lich reiche und fruchtbare Gedanke wurde unter den Händen der Christen verengt
und verbogen zur Vorstellung, durch die Hilfe des Christus aus dem Tod in das
ewige Leben gerettet zu werden. Das gemalte Bild ist ein Bettungsbild, ein Typus
der Erlösung aus dem Tod, der Orans im Schiff ist der aus dem Sturm, der Todesnot,
in das ewige Leben gerettete Selige, die lichtumflossene Gestalt, die aus dem Himmel
sich neigt und die Hand über ihn hält, ist nicht Gott (Gott wurde nicht gemalt),
sondern der verklärte und erhöhte Christus im Himmel. Die römischen Interpreten
reden von dem „Schiff der Kirche"; das ist aber in unserem Bilde nicht dargestellt,
in der ganzen Katakombenmalerei kommt es nicht vor.1)
Auch die übrigen Kammern operieren mit denselben bildlichen Typen, nur
mischen sie die Karten immer etwas anders. A4 bringt wieder Oranten in der Fond-
wand, wie A3, hier aber sind es nur zwei, Mann und Frau, zwischen zwei Schafen;
A5 setzt das Gelage an die linke Wand, wie A2, aber den ruhenden Jonas an die
rechte; A6 hat die Jonasszenen links, das Gelage der Seligen rechts.
Eine Gruft in Petrus und Marcellinus mit Fachgräbern in den daher unverziert
gelassenen geschlossenen Wänden zeigt an der Türwand drei Heilungen, einerseits die
Blutflüssige und den Gichtbrüchigen, andererseits den Blinden, dazu die Samariterin
mit Jesus am Brunnen, also Typen der Erlösung aus dem Tod und das Wasser des
Lebens; an der Decke in den vier Zwickelfeldern zwei Selige, Oranten, und zwei
Hirten; in den Kappenfeldern drei Szenen aus der Kindheitslegende, über der Fond-
wand die Magier in der Freude über den Stern, links die Epiphanie, über der Tür
die Verkündigung, dazu rechts Jesus' Taufe; im Scheitelfeld sitzt der erhöhte Christus
im Halbkreis von acht Seligen, vielleicht Aposteln, der Schriftenbehälter steht dabei.
Die vier Kappenbilder mit dem Zenithbild, diese fünf, aber nur diese, kann man wirk-
lich als einen christologischen Zyklus bezeichnen. Die Hirten, auch wenn sie den
Guten Hirten meinen, gehören doch nicht in den Zyklus; die Oranten erst recht
nicht, obschon sie durch den Christus selig sind; endlich die Bilder an der Tür
sprechen nicht „den Glauben an die Gottheit Christi", sondern das Vertrauen auf die
') Gruft A2: de Eossi, Roma sott. II Taf. CD unten; ferner Taf. 11.15. Wilpert, Malereien
290. 418 Taf. 27, 2. 38. 39. 40, 3.
Verzierung der Kammern. Einzelfiguren.
297
Erlösung durch den Christus und das Wasser des Lebens aus, sind daher wohl christ-
lich gedacht, aber nicht Glieder jenes christologischen Zyklus. Es ist auch zu
beachten, daß diese Malereien frühestens dem ausgehenden dritten Jahrhundert an-
gehören; am Anfang der Katakombenmalerei war überhaupt noch kein Zyklus christ-
licher Bilder zustande gekommen, am wenigsten ein christologischer, aber im Lauf der
Jahrhunderte, mit dem Überwuchern des Kultus der Person, wurde dergleichen mög-
lich und Tatsache.1)
Kammern, deren Malereien zu beschädigt sind, als daß man die Anordnung des
Ensembles übersehen könnte, wie es bei der
Doppelkammer XY Lucinae und der „ Gruft
der sechs Heiligen" in Domitilla der Fall ist,
müssen wir übergehen.2)
Eine noch unbeantwortete Frage aus dem
Gebiete der Syntax aber wollen wir wenigstens
auf werfen. Es betrifft gewisse Einzelfiguren,
die im ganzen eine mehr untergeordnete Stellung
einzunehmen scheinen, und welche eine präzise
Erklärung noch nicht gefunden haben. Zum
erstenmal begegnet eine solche Gestalt in der
Cappella greca, an der Eingangswand links von
der Tür. Ein Mann im Mantel zeigt mit aus-
gestrecktem Finger nach der Tür oder an
ihr vorbei nach der Malerei auf der anderen
Seite, den drei Jünglingen im glühenden Ofen.
Wilpert schreibt der Figur keine höhere Be-
deutung zu, sicher weiß er sie nicht zu erklären;
mit Recht lehnt er eine engere Beziehung zur
Ofenszene ab, wegen der Entfernung könne es
weder der Engel noch Gott sein; entweder sei
sie für eine bloße Raumfüllung zu halten oder
für den Erzähler der Perikope, den Propheten
Daniel (Wilpert 357 Taf. 13). Ebenfalls in
Priscilla findet sich das zweite Beispiel. Dort
ist ein Fachgrab hart unter der Decke eines
Ganges oder Winkels angebracht; links vom
Grab sind die Verstorbenen gemalt, als Selige
im Orantenschema, ein Ehepaar, der Mann im
Pallium, mit einem Knaben, rechts vom Grab ein andrer Palliatus, der mit ausgestrecktem
Zeigefinger sei es nach dem Grabe, sei es nach der an dessen anderer Seite gemalten
Familie zeigt (übrigens ist es ein berühmter Winkel, an seiner Decke befindet sich die
früheste und schönste Epiphanie). Auch hier hat Wilpert nur eine Vermutung: der
Zeigende solle wohl nicht allein das kleine Feld ausfüllen, sondern auch die Aufmerk-
samkeit des Beschauers auf die drei Oranten lenken (Malereien 189 Taf. 21).
') Wilpert, Ein Zyklus christologischer Gemälde aus der Katakombe der heiligen Petrus
und Marcellinus 1891.
-) „ Sechs Heilige": Wilpert, Malereien 486-494 Taf. 124—126.
Fossor zeigend.
Coem. Callisti.
298 Syntax der figürlichen Typen.
In den „ Sakramentskapellen " gibt es auch dergleichen Zeigende, jeweils an der
Fondwand und an der Türwand. In der Gruft A'2 beiderseits der dort zentral an-
gebrachten Taufszene; die Figur links ist zerstört, rechts sitzt ein Mann im bloßen
Mantel auf einem Steinwürfel und zeigt nach dem oberen Grab (Taf. 39, 2. Die von
Wilpert konstruierte Gerichtsszene erledigten wir oben). An der Eingangswand steht
links der Tür ein Mantelmann mit Schriftrolle, die Rechte ausgestreckt; diesmal nicht
nach der Tür, sondern nach der Nebenwand, ihren Gräbern und Malereien (Taf. 40, 3).
Das Gegenstück ist wieder zerstört; es bleibt zweifelhaft, ob hier ein zweiter Palliatus
oder ein hauender Fossor zu sehen war, von dem sich ein Bruchstück im
Schutte fand.
Die Frage geht also dahin, wer diese stehend oder sitzend Zeigenden sind,
worauf sie eigentlich zeigen und in welchem Sinne sie es tun. Im ersten Fall ließ der
Augenschein es zweifelhaft, ob der Mann nach der Grufttür oder nach der Malerei
daneben zeige; wenn er noch wenigstens an der Außenseite gemalt wäre, so könnte
man denken, er zeige nach der Gruft wie die zwei anderen nach dem Grab.
Eine Klasse zeigender Mantelmänner sondert sich aus; sie zeigen nach dem Stern
des neugeborenen Königs der Juden, des Messias. Sie gelten für Propheten, werden
aber verschieden benannt, meist Jesaias oder Bileam; wir wissen schon, daß in der
Namensfrage nicht vorwärts zu kommen ist. Das früheste Beispiel bot uns die
Epiphanie in Priscilla mit dem Stern zu Häupten des Kindes; der Prophet hält eine
Schriftrolle in der Linken (oben S. 248). Ein weiteres Beispiel findet sich, erst im
vierten Jahrhundert, in Petrus und Marcellinus; hier ist's eine Einzelfigur (Taf. 159,3).
In Gruft IV Domitillae war über der Grabnische die jetzt fast ganz verblaßte
Epiphanie gemalt, Mutter und Kind rechtshin blickend, wir können nicht wissen, ob
mit oder ohne Stern. Hinter ihnen ist Bauwerk gemalt zur Andeutung von Bethlehem;
ganz links steht ein rechtshin zeigender Palliatus, der auf Micha gedeutet wird (vgl.
Micha 5 bei Mt. 2, 6. Wilpert Taf. 229). Sicher auf den Stern zeigt ein vierter
Mann, den aber seine Tracht als Magier kennzeichnet, in Cyriaka, im Zwickelfeld
rechts über der Grabnische mit den klugen und törichten Jungfrauen (Taf. 241). Der
sog. Überfall Susannas im Coemeterium maius ist im Typus der Orans zwischen zwei
Paradiesesbäumen und zwei Seligen gemalt; nur daß der eine am Boden kniet oder
kauert (vielleicht nur des engen Raumes wegen), der andere aber die Hand nicht nach
der Orans hinstreckt, sondern in der Richtung nach der Bogenlaibung, an der die
Epiphanie mit Magiern und Stern gemalt ist. Sollte die Richtung dieser Hand nicht
zufällig, sondern beabsichtigt sein, so spräche das für die Deutung der Orans als einer
Seligen im Paradies (Taf. 220).
Zur Typik tragen wir nach, daß das Schema des zeigenden Mantelmannes in
biblischen Bildern wiederkehrt. Mehrfach bewirkt Jesus die Auferweckung des
Lazarus nicht mit der Zaubergerte (er hält sie dann wohl müßig in der Linken),
sondern mit dem erhobenen Finger (Taf. 45, 1. 230, 2). Man könnte auf die Ver-
mutung verfallen, jener Zeigende bei Bethlehem hänge typologisch irgendwie mit der
Lazarusszene zusammen. Hier ist auch der Moses im Quellwunder zu nennen; überall
wo Stab und Fels verblaßt sind, glaubt man zuerst einen Zeigenden zu sehen.
Bei den Gestalten an den Türen gedenkt man leicht der Hadestüren und ihrer
figürlichen Belebung. Das Motiv war den alten Ägyptern wichtig, ihre sepulkralen
Schein- und Prunktüren vermittelten den Verkehr der Verstorbenen mit der Welt
Verzierung der Kammern. Fossoren. 299
der Lebenden; daher wurden sie an solchen Türen dargestellt, allein oder mit Ange-
hörigen, Familie und Untergebenen. Auch in den etruskischen Gruftmalereien sehen
wir die Hadestür, zwei Männer stehen davor, die eine Hand begrüßend vorgestreckt,
mit der anderen schlagen sie sich in Trauer den Kopf. Auf freierer Kunststufe sehen
wir einmal zwei Personen an der Tür, einen Jüngling Saties, die Hände unter dem
reichgestickten Mantel, und einen Knaben, der am Boden hockend mit seinem an
einen Faden gebundenen Vogel spielt. Es sind nicht dieselben Typen wie in der
christlichen Kunst, aber wir bemerken die Tatsache, daß auch dort an den Türen
besondere Gestalten erscheinen. Der Unterschied, daß es in den Katakomben nicht
Scheintüren sind, sondern die wirklichen Grufttüren, ist nicht so erheblich.1)
War in der Sakramentskapelle A2 neben dem Zentralbild der Fondwand ein
Sitzender, an der Türwand ein Stehender, beide zeigend, gemalt, so sehen wir in A8
umgekehrt den Sitzenden an der Tür, den Stehenden im Fond. Das Hauptbild, die
Familie mit dem eingeschobenen Seligenmahl, wird eingefaßt von zwei stehenden
Fossoren, welche die Spitzhacke müßig im Arm tragen und mit der anderen Hand
nach der Mitte zeigen, wenn auch nicht mit vorgestrecktem Finger. Sie tragen die
ungegürtete Tunika; der Typus scheint von denen der Oranten abgeleitet (unsere Ab-
bildung S. 297, de Rossi, Roma sott, II Taf. 17 und CD 1). — Der Sitzende also
befindet sich in A3 an der Tür, aber er hält in beiden Händen eine Schriftrolle (vgl.
den sitzend Lesenden, der auf Petrus gedeutet wird, Wilpert 251 Taf. 93. 94). Auf
tieferem Niveau und in keiner Weise zu ihm in Rapport gebracht, sehen wir die wasser-
schöpfende Figur undeutlichen Geschlechts, die man als die Samariterin am Brunnen
erklärt; wir können nur soviel sagen, daß die schöpfende Figur von der Samariterin
abgeleitet sein und irgendwie das Wasser des Lebens andeuten wird, als Synonym des
Mosesquells auf der anderen Seite der Tür (Wilpert Taf. 29, 2).
Die Fossoren malte man sonst bei der Arbeit an den Grüften, in das Gestein
hauend (unsere Abbildung S. 98. Wilpert Taf. 48, 1. 3. 59, 2. 65, 3. 112, 5). Sie
tragen dann die Tunika gegürtet, bisweilen einen Spitzhut; die Lampe hängt an einer
Schnur von einem eingeschlagenen Stab herab. Einmal ist der Fossor gemalt, wie er
zur Arbeit geht, die Lampe am Stab tragend, einen Sack mit Mundvorrat über den
Rücken geworfen (48, 2). Zwei Fossorenbilder sind an Fossorengräbern gemalt, sehr
bekannt ist dasjenige des Diogenes in Domitilla, in der Lünette seines Nischengrabes.
Er steht vor einem Gebäude, mit seinem Gerät, die Rechte schultert die Hacke,
über die linke Schulter hat er den Sack geworfen, die linke Hand trägt die Lampe
am Stab, zu beiden Seiten sind Bohreisen und Hammer angelehnt (Garrucci, Storia II
41, 1. Wilpert Taf. 180). Die in das Gebirg hauenden Fossoren pflegen beiderseits
der Grufttüren gemalt zu sein, passenderweise, weil sie eben durch die Tür in den
Fels eindrangen. Hierzu lassen sich monumentale Analogien beibringen. In einem
altphrygischen Felsgrab sieht man im Eingang in Relief einen vorgestreckten Arm, die
Hand hält einen Doppelhammer. Sie wird als abwehrend aufgefaßt, als ob sie jeden
unbefugt in die Gruft Eindringenden zerschmettern wolle; vielleicht aber ist es, ur-
sprünglich wenigstens, auch nur das Zeichen des Fossors, der die Felsgruft aushöhlte.
Andere Vorläufer der christlichen Fossoren waren die etruskischen. Sie selbst sind
unseres Wissens in den dortigen Grabkammern nicht abgebildet worden; aber ihre
') Hadestür etruskisch: Mon. d. inst. XI 26. — Saties: eb. VI Taf. 32.
gOO Syntax der figürlichen Typen.
Attribute, Hacke und Hammer, entlehnte von ihnen der etruskische Todesdämon, sei
es Mantus oder Charun. Das Werkzeug in dessen Hand gleicht bald mehr der
Doppelhacke, bald mehr dem Doppelhammer. Charun erscheint auch als Türhüter am
Grabe, wiederum verdoppelt.1)
An Darstellungen aus Handwerk und Gewerbe verzeichnet Wilpert, außer den
Fossoren, noch folgende, alle erst aus dem vierten Jahrhundert.
Arkosol eines Wagenlenkers, der grünen Partei: in der Lünette ein nacktes
Brustbild des Verstorbenen in Rundschild, zwischen zwei Frauen mit offenen Schrift-
rollen (Musen?). An den Laibungen des Bogens je ein Viergespann, dessen Lenker
als Sieger Kranz und Palme in den Händen hält; darüber in je drei schmalen Feldern
zwischen zwei Flügelpferden unter Girlanden ein auf einer Blume stehender Jüngling,
mit Fruchtschale auf der gehobenen Hand; im Scheitelrund des Bogens ein tizianisch
dahineilender jugendlicher Bacchus mit Stab (Thyrsos) und Becher (Kantharos), neben
ihm springt, doch wohl nicht ein Hund, sondern ein Panther daher. An der Front,
in den Zwickeln über dem Nischenbogen, schwebt je eine Viktoria, auch sie mit Palme
und Kranz, unter jeder steht ein Adler auf der Weltkugel — kaiserliche Symbole, die
Viktorien sind von den Triumphbögen entlehnt. De Rossi erklärte, freilich im irrigen
Glauben, die Gestalten zwischen den Flügelpferden seien Venusse, das Arkosol für
heidnisch; Christliches ist allerdings nichts darin, und Bacchus als Seligkeitstyp statt
des guten Hirten ist in christlicher Malerei mindestens gewagt, auch als Vertretung
der Weinlaube oder des Seligengelages (Wilpert 523 Taf. 145, 2. 146, 1).
Das Arkosol eines Kriegers, nur wenige Schritte von dem des Wagenlenkers
entfernt (beide in der Katakombe der Vigna Massimo). Die Lünette, jetzt sehr zer-
stört, zeigte den Krieger mit einem Knaben, seinem Sohn; die Bogenlaibung rechts ihn
noch einmal mit gezogenem Gewehr, im Feld einen Ehrenkranz; die Laibung links
bringt seine Frau, ihrerseits auch mit dem Sohn; das Scheitelrund zeigt noch einmal
die Büste des Kriegers. Auch hier ist nichts spezifisch Christliches zu finden; immer-
hin sind uns die Girlanden, unter welchen die Verstorbenen in der Lünette und an den
Laibungen stehen, vertraute Sinnbilder des himmlischen Paradieses (Wilpert 5 28 Taf. 144,1.3).
Die „Bäckergruft" in Domitilla, die Grabkammer eines Brotlieferanten. Von drei
Feldern in Hochformat zeigt das mittlere einen hinter einem besonders großen Modius
stehenden Mann in Tunika, mit vollem Gesicht, vermutlich den Inhaber der Gruft; im
Feld rechts hat er das Brotwunder malen lassen, in stolzer Anspielung auf seinen
Beruf, gegenüber in üblicher Entsprechung das Quellwunder, beides zusammen also
Brot und Wasser des Lebens andeutend (Wilpert 530 Taf. 142, 2). Der Fries über
den Arkosolien bringt Szenen aus dem Gewerbe des Verstorbenen, wertvolle Er-
gänzungen des zu einem Viertel zerstörten Frieses am Denkmal des Brotlieferanten
Eurysaces vor Porta Maggiore: dargestellt ist das Ausladen von Getreide in Säcken,
man sieht drei Kähne, Laufbretter sind ans Quai herübergelegt; dann einige schwerer
zu erklärende Szenen, zwei Berittene, vier Träger mit einer Bahre auf den Schultern,
und sieben Männer in Tunika und Oberkleid (Taf. 194 f.).2)
J) Pkrygien: Erich Brandenburg, Bayer. Akad. Abh. XXIII in 1906, 713. Etrurien:
Müller-Deecke, Die Etrusker II 1877 1031 v. Sybel in Rosebers Lexikon I 886. Waser bei Pauly-
Wissowa III 2178. — Fossoren: oben Seite 102.
2) Zur Bäckergruft vgl. Wilpert Taf. 193. — Eurysaces: Canina und Jahn, Annali 1838
Mon. d. inst. II Taf. 58 f.
Verzierung der Kammern. Hypothesen. 301
So interessant in antiquarischer und archäologischer Hinsicht dergleichen Dar-
stellungen aus dem Gewerbeleben im Altertum sind, so wenig bringen sie an spezifisch
Christlichem; daher haben wir hier nicht bei ihnen zu verweilen. Wir gehen kurz
über die anderen Beispiele hinweg, die Arkosolien des „Viktualienhändlers" mit Dar-
stellung seines Ladens und dessen Personals, der „ Gemüsehändlerin " mit ihrem ganzen
Gemüsestand, zwei Tischplatten auf Böcken, des „Schiffers" mit seinem amphoren-
beladenen Kahn, der „Böttcher" mit einem Transport großer Fässer, des „Winzers" mit
seinem Ochsenwagen und dem großen Faß darauf. Wenn nun die Hökerin ihren
Gemüsestand unter einer den Bogen füllenden Weinlaube malen ließ und Rosenblätter-
schnüre und abgeschnittene Rosen an die Trogfront, wenn der Winzer seine Wein-
fuhre unter den typischen Girlanden anbrachte, also die eine wie der andere das eigne
Gewerbe in das Bild des himmlischen Paradieses verpflanzte, so könnte dieser und
jener sich der Urvorstellung erinnern, daß dem Toten sein Werk nachfolge; aber man
braucht diese Malereien wohl nicht so beim Buchstaben zu nehmen.1)
Wir sind am Ende der Bildererklärung. Aber wir dürfen das Buch nicht
schließen, ohne eine Schuld abzutragen, die uns noch aufliegt, eine Schuld der An-
erkennung für viele Arbeit, die von den verschiedensten Seiten geleistet wurde, um
das Verständnis der Katakombenmalereien auf festeren Boden zu stellen. Wrir zielen
jetzt nicht auf das bleibende Verdienst, welches Viktor Schultze sich dadurch
erwarb , daß er die sepulkrale Bedeutung der altchristlichen Bildwerke zuerst ent-
schieden hervorhob. Wir denken auch nicht gerade an den Streit über Freiheit oder
Gebundenheit der Maler. Dieser Streit ist nur eine Episode in dem teils inter-
konfessionellen, teils innerkonfessionellen Streit um die Freiheit. Die einen suchen
ihre Unterwerfung unter die Befehle einer kirchlichen Monarchie aus der Geschichte
zu rechtfertigen, als ob das sittlich Unzulässige aus der Geschichte gerechtfertigt
werden könnte, die andern suchen ihre Freiheit geschichtlich zu begründen, als ob
das ethisch Begründete einer geschichtlichen Begründung bedürfte. Während jene in
der Geschichte des Christentums nur die Momente der Gebundenheit sehen , finden
diese überall Bekundungen und Wirkungen des Prinzips der Freiheit. Nach den einen
sollen die Katakombenmaler ihre sinnreichen Dekorationen nach Vorschrift der Geistlichkeit
entworfen haben, nach den andern folgten sie ungebunden den eignen Eingebungen.
Während doch vom ersten Tage des Christentums an innere Freiheit und äußere
Gebundenheit miteinander in Widerstreit lagen. So gewiß Jesus ein Prophet der
sittlichen Freiheit war, so gewiß hat die Macht seiner Persönlichkeit die Gemüter
seiner Jünger vom ersten Tage an gebunden, und die harte antike Polis hat in ihrer
letzten Gestalt, der Kirche, sich ausgelebt, immer schärfer in ihrer Eigenart sich voll-
endet. In dieser unfrei freien Christenheit schwammen die Maler mit. Gerade in den
ersten Jahrhunderten schufen sie aus privatem Auftrag, von kirchlicher Leitung der
Katakomben ist erst später die Rede. Sie malten, was die Christen dachten; die
christlichen Gedanken standen aber offiziell unter Leitung des Lehramts, ohne doch
l) Viktualienhändler: Wilpert, Rom. Quurtalschr. 1887 Taf. 1; Malereien 532. — Ge-
müsehändlerin: Wilpert 534 Taf. 143, 2. — Schiffer: eb. 535 Taf. 173, 1. — Böttcher: eb.
535 Taf. 202. — Winzer: eb. 536 Taf. 245, 2.
302 Syntax der figürlichen Typen.
mit dessen Lehrmeinungen identisch zu sein. Vor allem weiteren aber müssen wir
die Bilder richtig verstehen; es wäre verfrüht, über die Quelle ihrer Ideen zu streiten,
solange nicht über das Tatsächliche dieser Ideen Verständigung erzielt ist.1)
Den besonderen Quellen, aus denen die Maler ihre Ideen schöpften, hat man
neuerdings eifrig nachgespürt; und man hat — eine Fragestellung, die den philo-
logisch denkenden Archäologen sofort interessiert — nach literarischen oder doch
literarisch greifbaren Quellen gesucht. Den Anstoß gab Le Blant, dessen Forschungen
so läuternd auf die Interpretation der altchristlichen Bildwerke wirkten. Bei seinen Unter-
suchungen über die christlichen Sarkophage Galliens machte er die Beobachtung, daß
in den Grabschriften Formeln wiederkehrten, die den Sterbegebeten eignen; dies führte
zu der Hypothese , daß dieselben Gebete auch Quelle für die sepulkrale Skulptur
gewesen seien. Die in den Gebeten sich wiederholende Bitte, der Herr möge den
Verstorbenen erlösen, wie er den Daniel aus der Löwengrube erlöst habe, den Jonas
aus dem Bauche des Fisches usf., legte den Gedanken nahe, eben aus diesen Gebeten
seien die Sujets der Sarkophagreliefs entnommen, Daniel, Jonas usf. Nun gehören
die Sarkophage dem vierten Jahrhundert an, die Sterbegebete aber finden sich erst in
wesentlich jüngeren Niederschriften; doch glaubt man ihr Dasein bis in das vierte
Jahrhundert zurückführen zu dürfen, und Liell versuchte, ihre Spuren bis in das
dritte Jahrhundert zurückzuverfolgen , so daß sie auch für die von Le Blant ganz
beiseite gelassenen Katakombenmalereien einigen Wert erhalten würden. Aber man
kam auf diesem Wege doch nicht bis zu den ersten Anfängen der Katakomben und
ihrer Malereien im ersten Jahrhundert, gerade ihre erste Entstehung ließ sich aus den
Totenliturgien nicht erklären.-)
Inzwischen hatte man diesen und jenen anderen Weg zur Erklärung der Bild-
werke einzuschlagen versucht. David Kaufmann machte auf die altjüdischen
liturgischen Gebete aufmerksam, Johannes F ick er auf die altchristlichen Dichtungen,
Steinmann auf die Predigten, de Waal zog die Psalmen heran. Die altjüdischen
Bußgebete können Motive an die frühchristlichen Gebete abgegeben und durch diese
auf die Bildung der altchristlichen Typik in Einzelfällen eingewirkt haben. Die alt-
christlichen Dichtungen und Predigten sind zu jung, um zur Erklärung wenigstens
der Katakombenmalereien dienen zu können. Mit Psalmengebeten und -gesängen
endlich war das ganze christliche Leben in der Tat durchwebt; es gibt Psalmen-
stellen, die zum Verständnis der Malereien heranzuziehen sind.3)
Neuerdings hat Karl Michel das Problem der Gebete als Quellen der Bilder
J) Viktor Schultze, Archäologische Studien über altchristliche Monumente 1880. Dazu
Kraus, Geschichte I 74, 1.
2) Sterbegebete: Comniendatio animae, quando infirmus est in extremis. Ordo in exitu
animae. Oratio de agonizantibus. — Le Blant, Etüde sur les sarcophages chrötiens de la ville
d'Arles 1878, Introduction § 5 Les basreliefs des sarcophages chretiens et les liturgies funeraires.
Auch Revue archebl. 1879. — Über Le Blant, Les commentaires des livres saints et les artistes
chretiens des premiers siecles (Acad. des inscript., extr. des mäm. tome XXXVI n, Paris 1899) vgl.
Joh. Ficker in der Deutschen Literaturzeitung 1900, 372. — Liell, Darstellungen der allerseligsten
Jungfrau und Gottesgebärerin 1887, 139.
3) David Kaufmann, Bevue des etudes juives 1887. Monatsschrift für die Wissenschaft
des Judentums 1896, 382. — Joh. Ficker, Bedeutung der altchristlichen Dichtungen für die
Bildwerke (in der Festgabe für Anton Springer) 1885. — Steinmann, Tituli und kirchliche
Wandmalerei 1892, 72. — de Waal, Römische Quartalschr. 1896, 339.
Verzierung der Kammern. Hypothesen. 303
einer neuen Bearbeitung unterzogen. In Untersuchungen, die bis in die vorchristliche
Zeit zurückgreifen, ist er den Ursprüngen der in Frage kommenden christlichen
Gebete nachgegangen; er findet, daß sie ursprünglich exorcistisch waren, Gebete zur
Beschwörung des Satans und der Dämonen. In primitiv antiker Anschauungsweise
schrieb man den Dämonen die Schuld an Krankheit, Tod und allem Übel zu, ein-
schließlich Schuld und Sünde; hiergegen rief man die Macht Gottes und Christi an und
zählte die biblischen Taten Gottes zum Heile Israels auf, man sprach das Vertrauen
aus, Gott werde auch weiter, und im besonderen Fall, helfen, vermöge derselben Kraft,
mit der er früher Tote erweckt, Blinde sehend, gemacht, Lahme und Aussätzige
geheilt, den Jonas aus dem Bauche des Fisches gerettet habe, den Daniel aus der
Löwengrube, die drei Knaben aus dem Feuerofen usf.; so wolle Gott den Betenden
auch aus der Hand dessen befreien, der ihm nach der Seele trachte, des Satans. Von
hier aus erklären sich nun auch die Sterbegebete. Der Exorcismus trat zurück, und
der Gebetsinhalt beschränkte sich auf die Erlösung aus dem Tod. Der von Johannes
Ficker angegebene , von Michel beschrittene Weg , durch Verwertung neuer litera-
rischer Hilfsmittel und durch Verbindung der literarkritischen mit der religions-
geschichtlichen Methode weiter zu kommen , eröffnet verheißungsvolle Perspektiven,
wenn auch die Forschung über das dritte Jahrhundert vorläufig nur hypothetisch
zurückzugehen vermag.
Gesetzt aber, die Gebete mit den alt- und neutestamentlichen Rettungstypen ließen
sich bereits im ersten Jahrhundert sicher nachweisen, so wäre damit immer noch nicht
bewiesen, daß sie die entsprechenden Bildtypen hervorgerufen hätten. Franz Xaver
Kraus hat das Umgekehrte als durchaus nicht undenkbar bezeichnet, daß nämlich die
populär gewordenen und allgemein verständlichen Szenen der Bildnerei gerade wegen
ihrer Geläufigkeit in die Liturgien aufgenommen wurden. Wir wollen nicht soweit
gehen, wollen es auch dahingestellt sein lassen, ob es wahrscheinlich sei, daß gerade
die Sterbegebete in erster Linie die Volksvorstellung befruchteten, deren Niederschlag
jetzt in den Katakombenmalereien als einer altchristlichen Volkskunst gesehen wird.
Einstweilen werden wir bei einer zurückhaltenderen Formel stehen bleiben: Die christ-
lichen Vorstellungen waren vorhanden auch ohne Sterbegebete und Katakomben-
malereien, die eher beide als parallelgehende Niederschläge aus eben jenen Vor-
stellungen betrachtet sein wollen.1)
Über die von den genannten Gelehrten versuchte Ableitung der Bilder aus
gewissen Gebeten als der Quelle ihrer Idee geht nun Wilpert noch wesentlich hinaus,
indem er die Bilder selbst für gemalte Gebete erklärt. Die Fürbitte für die Ver-
storbenen, sowie der Verstorbenen für die Hinterbliebenen, und die große Rolle, die
sie im katholischen Kultus spielt, hat ihn dazu verführt, das Schema der „Oranten",
wie wir hörten, nicht als das der Anbetung, sondern der Bitte zu erklären, der Für-
bitte, weiter aber ganze Reihen von Bildern für Bildergebete. Die meisten Typen
aus dem alten Testament, Daniel, Noah usf., bezeichnet er als „Darstellungen, welche
die Bitte um den Beistand Gottes für die Seele der Verstorbenen ausdrücken"
(Malereien Seite 332). Diese Auffassung bestätigt er bei einzelnen Bildern: Hiob sei
]) Karl Michel, Gebet und Bild in frühchristlicher Zeit (in Joh. Fickers Studien über
christliche Denkmäler I) 1902. Vgl. Wilpert, Malereien 145— 148. — Franz Xaver Kraus, Gesch.
d. christl. Kunst I 1896, 71. — Zu den Beziehungen zwischen Kunst und Literatur vgl. noch
Hennecke, Altchristliche Malerei und altchristliche Literatur 1896.
304 Syntax der figürlichen Typen.
in der Grabmalerei ein Ausdruck der Bitte um den Beistand Gottes für die Seele des
Verstorbenen (382). Die Susanna zwischen den zwei lüsternen Alten führe uns im
Bilde vor, was die Bitte besage: Befreie, o Herr, die Seele des Verstorbenen (413).
Wieder andere Bilder seien Darstellungen , welche die Bitte um Zulassung des Ver-
storbenen in die ewige Seligkeit ausdrückten (417). Er geht sogar so weit, daß er
den Malern die Absicht zuschreibt, „die Besucher der unterirdischen Grabstätten zum
Gebete für die Verstorbenen anzuleiten" (334).
In gleicher Weise, als bildlichen Ausdruck von Bittgebeten, erklärt Wilpert
weiterhin die zwischen Seligen („Heiligen") stehenden Oranten. Solch ein Gemälde
habe „einen großen Wert; denn es sei eine. Verbildlichung der uralten Bitte um Anteil
an der Gemeinschaft der Heiligen" (464). Aus Grabschriften des vierten Jahrhunderts
bringt er eine Reihe Bitten an Heilige um Aufnahme des Verstorbenen in den himm-
lischen Frieden, fährt dann aber fort „In der Malerei der Katakomben fanden jene
Bitten ihren bildlichen Ausdruck" — nun gebe man acht — „oder vielmehr ihre
Beantwortung in den Darstellungen, welche den Verstorbenen zwischen Hei-
ligen zeigen" (465). Mit den Worten „oder vielmehr ihre Beantwortung" nimmt
Wilpert seine ganze Lehre von den „Bildergebeten" selbst zurück; er muß der Wahr-
heit die Ehre geben und anerkennen, daß eben nicht Bitten gemalt sind, sondern
„vielmehr ihre Beantwortung", das ist ihre Erfüllung. Denn gemalt ist ganz einfach
der Verstorbene zwischen anderen Seligen im Himmel, gemalt ist „die Gewißheit, daß
der Verstorbene der Seligkeit teilhaftig geworden ist", das sind Wilperts eigne Worte
an andrer Stelle (431).
In den Grabschriften gehen die Hinterbliebenen allerdings den Verstorbenen um
seine Fürbitte an, „denn, sagen sie, wir wissen, daß du bei Christus bist" (quia scimus
te in Christo, bei Wilpert 211). In einem andern Epitaph heißt es „er war begierig
Gott zu schauen, er hat ihn zu schauen bekommen" (Deum videre cupiens vidit);
daran anschließend sagt Wilpert „Was die Hinterbliebenen hier mit solcher Sicherheit
aussprechen, daß der Verstorbene nämlich zur Anschauung Gottes gelangt ist, wird
in einigen liturgischen Gebeten und späteren Inschriften Gott in Form einer Bitte
vorgetragen" und „die cömeteriale Kunst brachte diese Bitte zum Ausdruck" (421).
Warum geht Wilpert am Nächstliegenden, daß die Bilder das Schauen Gottes aus-
sprechen, vorbei und folgt den liturgischen Gebeten und späteren Inschriften? Auch
hier war der Wunsch Vater des Gedankens, der Wunsch, geltende Dogmen in den
Denkmälern des christlichen Altertums ausgedrückt zu sehen.
Gott zu schauen, das war der Gedanke des antiken Christen; darum stellen ihn
die Gruftmalereien anbetend dar, vor dem Angesicht des Herrn, der ihn aus dem Tod
erlöst, wie er so viele schon aus allerlei Not, Todesnot, erlöste, und der ihn in das
himmlische Paradies verbringt zum Gelage des himmlischen Bräutigams.
Das ist der Gedanke der Katakombenmalereien.
Verzeichnis der Illustrationen.
Tafel I Vase zwischen Tauben, nach Wilpert
Taf. 50
Amor und Psyche. Wilpert Taf. 53.
, II Oceanusgruft. de Eossi II Taf. 28.
„ III Deckenmalerei. Wilpert Taf. 25.
„ IV Selige im Paradies. de Rossi III
Taf. 1/2.
Seite 1 Sokrates, nach Photographie.
„ 9 Juppiter. v.Sybel, Weltgeschichte 2 355.
„ 22 Philosoph. Photographie.
„ 38 Piaton. Arch. Jahrbuch 1886 Taf. 6, 2.
„ 81 Eingang d.Hypogäum Lucinae. deRossi
I Taf. 1.
„ 98 Fossor hauend, de Rossi II Taf. 18, 3.
„ 99 Geologischer Schnitt. deRossi I Taf. 34.
.115 Plan d. Hyp. Lucinae. de Rossi I
Taf. 31/33, 3.
„ 116 Plan d Coem. Callisti area I. de Rossi
II Taf. 53/54, 6.
. 117 Plan d. Coem. Callisti. de Rossi II
Taf. 53/54, 1.
„ 124 Arkosoltypen. de Rossi II Taf. 51/52,
5. 6.
„ 130 Bischofsgruft, Ruine, v. Sybel, Welt-
geschichte 445.
„ 131 Bischofsgruft, Restitution, de Rossi II
Taf. 1A.
. 133 Inschrift des Hesperos. de Rossi I
Taf. 18, 3.
„ 133 Inschrift des Cartilius. de Rossi II
Taf. 35/36, 14.
„ 133 Inschrift des Damasus, de Rossi II
Taf. 3, 1.
„ 140 Porträtkopf. Photographie.
„ 154 Deckenmalerei. Wilpert Taf. 171.
„155 „ Garrucci II Taf. 25.
„ 167 Adam und Eva. Schultze, San Gennaro.
„ 169 Erot. Wilpert Taf. 5, 2.
„ 181 Stele Peruzzi. v. Sybel, Weltgesch. 129.
. 190 Vibia im Seligenmabl. Garrucci VI
Taf. 494, 3.
Seite 198 Selige aus Kaliist A3. de Rossi II
Taf. 16, 1.
„ 210 Arkosolbogen. Wilpert Taf. 169.
„ 214 Noah. Garrucci II Taf. 27.
„ 216 Jonasszenen, de Rossi II Taf. 16, 3.
„ 220 Isaak. Wilpert Taf. 78^
„ 225 Lazarus. Garrucci II Taf. 9, 1.
„ 226 Gichtbrüchiger. Garrucci II Taf. 45,3.
„ 227 Blinder. Garrucci II Taf. 29, 3.
„ 227 Aussätziger. Garrucci II Taf. 29, 4.
„ 229 Blutflüssige. Garrucci II Taf. 38, 2.
„ 233 Samariterin. Garrucci II Taf. 38, 3.
„ 234 Moses, de Rossi II Taf. Bl.
„ 236 Jesus' Taufe. Wilpert Taf. 29, 1.
„ 237 Taufe, de Rossi II Taf. 15.
„ 242 Der gute Hirt, de Rossi III Taf. 8, 2.
„ 243 Der gute Hirt, de Rossi II Taf. 20, 2.
„ 245 Orpheus, de Rossi II Taf. 18, 2.
B 248 Epiphanie. Wilpert Taf. 22.
„ 250 Magier vor Christkind, de Rossi III
Taf. 8, 2.
„ 254 Arkosolbogen. de Rossi II Taf . 20, 1 .
„ 267 Eintritt ins Paradies. Garrucci II
Taf. 59, 2.
„ 267 Orans zwischen Seligen.
Taf. 59, 1.
. 270 Seliger vor Christus.
Taf. 83, 1.
„ 275 Christus und Apostel.
Taf. 21, 2.
„ 277 Desgl. unter Weinlaube.
148.
. 282 Christuskopf bärtig.
_ 282 Christuskopf bärtig,
II Taf. 29, 5.
„ 283 Peter u. Paul, Köpfe.
„ 286 Arkosolmalerei bei
III Taf. 10, 2.
„ 297 Fossor zeigend, de Rossi II Taf. 17, 3.
„ 308 Christuskopf in Kreuznimbus. Wilpert
Taf. 257.
Garrucci II
Garrucci II
Garrucci II
Wilpert Taf.
Wilpert Taf. 40,2.
lockig. Garrucci
Wilpert Taf. 179.
Bosio. de Rossi
Sybel, Christliche Antike I.
20
Register.
* Abbildung.
Abendmahl 238
Adam und Eva 167*
Adoration 257 262 272
273
Altertumswissenschaft
18
Ampliatus 106 177
Anbetung 257 262
Angler 236
Anker 138
Apokryphen , alttesta-
mentliche 24
— , neutestamentliche
32
Apostel 274 275
Archäologie 11 18
Aristokratismus 121
Arkosol 123 124* De-
koration 287
Atheismus 1 6 121 128
Auferstehung 179
Ausblicke 159
Aussätziger 227* 228
Bäckergruft 300.
Bänke und Sessel 109
ßarbarentracht 146 212
Barttracht 150
Baur, Christian 31 192
Baum 138 167 267
Becher 231
Begraben und Ver-
brennen 102
Begräbnisvereine 119
121
Begräbniswesen 120.
Besessener 228.
Bestattungsbrauch 41
Beten s. Gebet
Bibel 23.
Bildergebete 303
Bileam 249 298
Bischofsgruft 107 117
130* 131*
Blindenheilung 226
227* 228
Blumenschmuck 169
Blutflüssige 229*
Böttcher 301
Boldetti 83
Bosio 83
Brot 199 — brechen
195 —-formen 200
— des Lebens 233
238 — lieferant 300
— wunder 229
Calliculae 150
Campagna di Koma 98
Cappella greca 108 292
Seligenmahl 202
Catacumbas 83 93
Chiton 146 149
Chlamys 148
Christentum 10 11 15
16 134 135
Christliche Antike 9
ChristologischerZyklus
296
Christus und Apostel
275* 277*
Christusbild 280 290
Christus bärtig 282*
— bärtiglockig 282*
Christus mit Broten 233
— Gesetzgeber 276
— kind 247 248* 290
Christus sitzend 274
276
— stehend 274
Ciacconio 83
Cippus 174
Cömeterienlisten 85
Collegiafuneraticia 119
Collegia tenuiorum 119
Columbarium 125
Commendatio animae
302
Compagus 150
Crypta 113
— quadrata 177
Dalmatika 147 148 149
Damasus 129 130 132
Daniel 211* 255*
David 222
Deckenmalerei 151 154*
155* 258 291
Delphin 170 175
Demokratismus 121
Depositionslisten 88
de Waal 84 302
de Winghe 83
de Eossi 84 143
Michele Stefano 98
114
Dogma 3 5 11
Dogmatismus 6
Dornenkrönung 268
Dreizack 175
Durchblicke 158 159
Eden 160
Einzelfiguren 297
Elias 222
Embleme 168
Emerentianagruft 109
Engel 222 252 290
Epigraphik 37
Epileptischer Knabe
228
Epiphanie 250 286*
290
Erntebilder 177
Erot 169* 179 Eroten
175
Ethik 4
Eucharistische Bilder
238
Evangelisten 278
Fachgrab 126
Fachgräberdekoration
289
Familien 260 286*
Felicissimus und Aga-
pitus 131
Ficker, Joh. 302
Filocalus 129
Fisch 138 199
— und Brotkorb 232
Fischer 236
Flußgott 223
Forschen 1
Forschungspflicht 2
Fossor 98* 102 297*
299
Frontmalereien 289
Frontstellung 145 280
Fürbitte 137 263 264
Fußbekleidung 150
Galerien 113
Gazellen 174
Gebet 41 215 256 257
Bildergebete 303
Gelage am Boden 183
189 194
— im Jenseits 192
— der Toten 109
Gemüsehändlerin 301
Geologischer Schnitt
99*
Gericht 269 272
Gichtbrüchiger 226* 293
Girlanden 169
Glauben 1 4 8 11 16
Gottesreich 13
Register.
307
Gottheit 5 Christi 142
Grab Christi 102107120
— kammer 103
— Schriften 132 133*
Grottengrab 103 105 107
Haartracht 151
Hadestür 299
Hände symbolisch 258
Halbkreis 279
Handbücher 19
Heilige 148
Heiligenschein 151
Hellenentum 15
Heroon 82
Heros 128
Himation 147 149
Himmel 77
Himmelfahrt 222
Himmelsleiter 265
Hiob 219
Hirsch 173 175
Hirt, guter 138 175 211*
240 242* 243* 286*
Hirtentypus 243
Hochzeit zu Kana 230
Hochzeitsmahl 196
Hohelied 26 177
Hören 179
Humanität 13
Hypogäum 82
Idyllisches 174
Ikonographisches 280
Imperialismus 12
Imperium 2 18
Inschriften 37
Isaak 220*
Israelitische Fragmen-
tensammlung 28
Literatur 23.
Jahreszeiten 177
Jairustochter 225
Januariusgruft 106
Jenseitsvorstellungen
15 38
Jesaias 249 298
Jonas 216* 255* 286*
Joseph 249
Jünglinge vor Nebu-
kadnezar 213 286*
— im Ofen 211* 212
Jungfrauen, fünf 209
— , gottgeweihte 290
Julian, Büste 151
Kaliistkatakombe 115
— , Plan 116* 117*
Kammergrab 103
Kammern, Dekoration
291
Kana 230
Kanapee 189
Kanephoren 176
Katakomben 81 Bau 98
— als Gemeindefried-
höfe 119 121
— kirchen 111
— suburbicarische 95
— System 114
— topographie 85
— Verzeichnis 90
Kaufmann, David 302
Kausalität 7 8
Kinder gesegnet 228
Kleidung , kirchliche
148
Kline 187
Könige, drei 251
Köpfe 176
Körbe 231
Koimeterion 81
Konfessionalismus an
Universitäten 3
Konsekration 290
Kontabulation 148
Kraus, Fr. X. 20112 303
Kreuz 138
Kreuznimbus 151 283
308*
Krieger 300
Kritik 23 31
Krummstab 244
Kunst, Christentum und
100
Ijacerna 148.
Lamm Gottes 175.
Landschaften 174.
Lauben 178
Laubschmuck 169
Lazarus 225 225*
Le Blant 302
Liber pontificalis 88
Liell 302
Literatur, christliche 30
Literaturgeschichte, is-
raelitische 28
Loculus 126
Logik 1 7 8
Lora 150
Lucina, Hypogäum 81*
114 115*
Luminarien 102.
Macarius 83
Madonna 261
Märtyrer 263 273
— akten 34
— kapellen 129 131
— kult 127
— Visionen 79
Magier 249 286* und
Stern 251
Mahl 77 der Seligen
196 christlich 190
himmlisches 197 mes-
sianisches 191193195
Mahlbilder 198
Mahlschemata 182
Maler unter geistlicher
Leitung 301
Maltechnik 143
Mannaregen 222 235
Maria 260 Marienkult
253
Marchi 84
Martyrologium Hiero-
nymianum 89
Mau, August 143 158
Melkeimer 174 244
Michel, Karl 302
Monismus 6
Monogramm Christi 137
Monotheismus 13 18
Moses und Aaron 269
Moses Schuhe aus-
ziehend 254
Moses' Quellwunder 222
233 238
Mythen 192 224
Mythologie 11
Mythus 11 223
Nacktheit 211
Nain, Jüngling zu 225
Neapel , Katakomben,
Plafonds 153
Nike 153
Nimbus 151 209 212
222 251
Noah 213 214*
Ochs und Esel 251
Okeanosgruft 107 117
Okeanoskopf 173
< kanten 138 255*
— weibliche 262
Oranten Seelen 260
Ornamente 168
— an Kleidern 150
Orpheus 245*
Paenula 148
Palla 149
Pallium 147 148
Palmzweig 138
Paludamentum 148
Panvinio 83
Papa 129
Papstbuch 88
Paradies 77 159 161
Paralytische 226
Parks 160
— , Verzeichnis antiker
162
Parkmalereien 165
christlich 166
Parkgitter 169
Parusie 15 76 78
Passionskrypta 292
Patrologie 33
Paulus 283* 283
Petri Verleugnung 274
Petrus 282* 283
Pfau 170 171 175
Phainoles 148
Phantasie 5
Phenoles 148
Philokalos 129
Pilgerbücher 86
Piaton 11 16 39* 43 58
63 68, 1 191 272
Polytheismus 12 191
Pomponius Laetus 83
Porträts 181 259 284
Prophet 249 298
Prophetischer Israeli-
tismus 13
Psyche 176 179
Putten 175
Quellen, literarische 22
Quellwunder222233238
Quintiagruft 205
Ranken 170
Reaktion 43
Reform 42
Refrigerium 173
Religion 3 4
Reliquien , Übertra-
gungen 128
de Rossi 84 143 Michele
Stefano 98 114
20*
308
Kegister.
Saguni 148
Sakramente 238 293
Sakramentskapellen 117
293
Seligenmahle 203
Samariterin am Brun-
nen 232
Sanctos, ad (retro) 132
136
Sandale 150
Sarkophag 123
Schaf 138 174 175
Schalen 169
Schiebgrab 126
Schiff im Sturm 296
Schiffer 301
Schleier 149 290
Schmucksachen 150
Schriftrolle 275 — be-
hälter 275
Schuh 150
Schultze, Viktor 301
Schurz 146
Seedrache 170
Seelengericht 269
Seestier 170
Segmenta 150
Selige 290 in der Him-
melstür 266 267*
kniend vor Christus
272 273 im Paradies
begrüßt 266 267*
Seligenmahl 187 190*
197 198*
Seligkeit 8 15
Sentimentalität 176
177
Septuaginta 24 27
Severano 83
Sigma 189 200
Sinnbilder 138
Skrinium 275
Sokrates 1* 16 58 100
Sonnengott 176 222
Spitzenhaube 149
Steinmann 302
Sterbegebete 302 303
Sterbekassen 119
Stern 248 249 298
Stibadium 189
Stilentwicklung 144
Stola 149
Strauß, David Friedrich
192
Sündenfall 167
Susanna 268 269 298
Symmetrie 144
Synkretismus 12
Syntax 285
Synthesis 149
Tabula der Chlamys
150
Talar 147
Taube 138 170 171 175
— mjt Ölzweig 213
Taufe 285
— des Jesus 236*
Taufritus 237*
Tendenzkritik 31
Terra 179
Testament, Einleitung
ins alte 24 ins neue
30
Tierköpfe 176
Tigris 176
Tobias 222
Toga 147 148
Totengericht 270
— kultus 41
Tracht 146
Trikliniarch 206 208
Triklinium 189
Tübinger historische
Schule 31
Tunika 146 149
— angusticlavia 150
Universalismus 12 14
Universitäten 3
Urglaube 3 43 74
Vasen 169
Verkündigung 252
Verspottung Christi
268
Verstorbene zwischen
Seligen vor Christus
270* 271
Vertrauen 4 7 296
Viktoria 153 209
Vibiagruft, Bilderzyk-
lus 292 Gericht 270
Seligenmahl 201
Viktualienhändler 301
Vincentiusgruft 201
Virgula divina 239
Vögel 170
de Waal 84 302
Wagenlenker 300
Wandmalerei 291
Wandsäulen 156
Wandverzierung 156
Wasser des Lebens 233
Weinlese 177 178 179
Weinwunder 231
Weltanschauung 14 7
Weltreligion 12 18 74
Wilpert 85 141 143 146
149 303
de Winghe 83
Winzer 301
Wünschelrute 239
Zauberstab 239
Zeigende 249
Zeitschriften 19
Bärtiger Christuskopf.
Coem. Pontiani.
v. Sybel, Christliche Antike I.
Tafel IL
Cubiculum Oceani. Coemeterium Callisti.
v. Sybcl, Christliche Antike 1.
Tafel III
Deckenmalerei. Hypogaeum Lucinae.
v. Sybel, Christliche Antike I.
Tafel IV
*&
\&* ^
PvJ
Fünf Selige im Paradies. Coemeterium Callisti.
Die zwei kleinen Fachgräber sind nachträglich eingehalten.
Der Gute Hirt. Rom, LateraD.
CHRISTLICHE ANTIKE
EINFÜHRUNG IN DIE ALTCHRISTLICHE KUNST
VON
LUDWIG VON SYBEL
ZWEITER BAND
PLASTIK * ARCHITEKTUR UND MALEREI
MIT TITELBILD, DREI FARBTAFELN UND 99 TEXTBILDERN
-ofca^M^O-
MARBURG
N. G. ELWERT'SCHE VERLAGSBUCHHANDLUNG
1909
Alle Rechte vorbehalten.
Die Verlagsbuchhandlung.
Vorwort.
Wohl! Die Massen sind in Fluß.
Der erste Band dieses Werkes hat viele Besprechungen gefunden. Vorweg ge-
denke ich der klugen und schönen Worte des nun heimgegangenen Carl Aldenhoven
im letzten Hefte der „Nation". Ich nenne weiter Julius Ziehen in der Wochenschr.
für klass. Philologie, Max Maas im Literaturblatt der Frankfurter Zeitung; H.
J. Holtzmann in der Deutschen Literaturzeitung, Viktor Schultze in Hölschers
Theol. Literaturblatt, A. Hasenclever in den Prot. Monatsheften, Edgar Hennecke in
Schürers Theol. Literaturzeitung, H. Bergner in der Zeitschrift für bildende Kunst,
den Anonymus des Lit. Zentralblattes; ferner Paul Monceaux im Journal des savants,
Paul Lejay in der Revue critique, Seb. Ronzevalle S. J. im Maschriq, H. Stuart
Jones im Journal of theol. studies, Josef Sjöholm in Staves Bibelforskaren.
Es ist verstanden worden, daß meine „Christliche Antike" die Bearbeitung der
altchristlichen Kunst zu einer Aufgabe der Altertumswissenschaft gemacht wissen will,
sich daher an die klassischen Philologen und Archäologen wendet. Deshalb die Nach-
weise zur alt- und neutestamentlichen Literatur, nicht zur klassischen; deshalb, da die
gesamte altchristliche Kunst nun einmal Jenseitskunst war, die Vorführung der christ-
lichen Jenseitsgedanken in dem religionsgeschichtlichen Zusammenhang, in den sie ge-
hören, dies nicht bloß mit ihren Einzelheiten, sondern mit ihrer Wurzel; deshalb auch
die Erklärung der Paradiesesvorstellungen und Paradiesesbilder aus den Parks und
Parkbildern der Alten, wie der Seligenmahle aus den Gelagen im Grünen. Treffend
sagten Erneste Babelon in der Acade'mie des inscriptions und Hipp. Delehaye in den
Anal. Bolland., mein Bestreben gehe dahin, die altchristliche Kunst mit der klassischen
zu verbinden. Ein Hauptwert des Begriffs Christliche Antike scheint mir in diesem
zu bestehen: während die hergebrachte Ableitungsmethode immer in die Spitze aus-
zulaufen drohte, der altchristlichen Kunst jeden Eigenwert abzusprechen, so ermöglicht
der neue Begriff, ihre Schöpferkraft, soweit sie deren besaß, unbefangen anzuerkennen.
War die altchristliche Kunst selbst Antike, so hat eine Auseinandersetzung zwischen
ihr und der Antike keinen Sinn mehr.
Die Besprechung des Kunsthistorikers in der Beilage zur Münchner Allg.
Zeitung gibt mir nichts, deshalb weil sie im Grunde nicht von dem Buche redet, das
ich geschrieben habe, sondern von dem anderen Buche, an dem er selbst schafft. Die
Historische Zeitschrift hat sich leider zum Sprachrohr des Dogmatismus gebrauchen
lassen. Die konfessionelle Berichterstattung weiß zu reden und weiß zu schweigen ; selbst
die Marucchi, de Waal, Leclercq, Schermann (auch Stuhlfauth in der „Christ-
lichen Welt") verschweigen ihren Lesern das Wesentliche, die Auseinandersetzung mit
Wilpert. Diese betreffend nehme ich gern Akt von Delehayes und Ronzevalles An-
IV Vorwort.
erkennung, daß sie sich in den Grenzen der Billigkeit und Höflichkeit halte. Und
während die Germania das Buch wegen seiner Haeresien auf ihren privaten Index
librorum prohibitorum setzt, hat der dem Buche mit besserem Verständnis gegenüber-
stehende Ronzevalle sich begnügt, die Leser vor der falschen Philosophie zu warnen.
Wenn er dann die Hoffnung ausspricht, der zweite Band werde alles vermeiden, was
die Empfindungen frommer Katholiken verletzen könne, so denke ich, nur kranker
Glaube ist empfindlich, ein gesunder wie derjenige des verehrten Kollegen verträgt
eine historische Studie über unser Altertum; wir sind doch — trotz allem Trennenden
— unter uns Christen?
Alle meine Rezensenten bewahren Haltung, nur einer läßt sich gehen, Joseph
Sauer, in der Deutschen Literaturzeitung. Dem Begriff Christliche Antike, der
geschichtlichen Erfassung des Christentums, hält er den Schild des Glaubens entgegen:
„Für uns und jeden überzeugten Christen ist das Christentum seinem Ursprung, Wesen
und Ziel nach etwas schlechthin Absolutes." Wider das Glauben ist nicht zu streiten.
Nur einen Vorschlag zur Güte: in den Gemeinden, wenn sie es so wollen, und in der
Deutschen Literaturzeitung, solange ihre Leser sich's bieten lassen, gelte das Dogma,
das Fürwahrhalten um jeden Preis, in der Wissenschaft dagegen die Forschung ohne
Vorbehalt. Das wäre eine reinliche Scheidung.
Wenn im zwanzigsten Jahrhundert in wissenschaftlichen Organen der Dogmatismus
das große Wort führen darf, so war meine erste Einleitung am Platze, die über Glauben
und Forschen, so war es am Platze, eine nicht dogmatisch interessierte Forschung zu
fordern. Eine solche Forderung in Frankreich erheben, so bekommen wir im Journal
des savants zu hören, hieße offene Türen einrennen, anders in Deutschland, wo die
klassischen Philologen, Archäologen und Historiker die frühchristliche Welt fast völlig
vernachlässigten und wo die christliche Archäologie das Monopol der Theologen blieb.
Nun aber meinen einige Gelehrte meinem Streben nach einer dem Streite der Welt-
anschauungen entrückten Position noch obendrein Steine in den Weg legen zu sollen,
mit dem Einwand, mein Standpunkt sei selbst Weltanschauung. Aber das ist nur ein
Wortstreit; sie gebrauchen das Wort Weltanschauung in einem weiteren, wie mir vor-
kommt laxeren Sinne als ich. Weltanschauung ist die Vorstellung, die man sich
vom Weltganzen und der in ihm wirkenden Kraft macht; wohl ist es Aufgabe des
denkenden Menschen, an der Weltanschauung zu bauen, nicht aber, eine Weltanschauung
zu haben und zu behaupten. Der Grundsatz aber, nach dem einer sein wissenschaft-
liches wie sein übriges Leben gestaltet, ist nicht Weltanschauung, er besteht unabhängig
von den streitenden Weltanschauungen, wie vom Theismus, so vom Atheismus. Als sich
ausschließende Gegensätze erscheinen diese nur dem Dogmatismus; für die Wissenschaft
sind sie gleichwertige heuristische Hypothesen, die, weil alle beschränkt, alle neben-
einander bestehen, die theistische wie die atheistische, die dualistische, die monistische,
und wie sie sonst heißen mögen. Der Mensch, der die Hypothesen denkt, ist Herr
ihrer aller und bedient sich hier der einen, dort der andern nach der Art des jeweils ihn
beschäftigenden Problems. Und so ist er unabhängig von der Weltanschauung.
Gemäß dem Zwecke dieses Buches, den klassischen Philologen und Archäologen die
Denkmäler der christlichen Antike einigermaßen gesichtet an die Hand zu geben, notwendig
nach Kunstgattungen geordnet, behandelte der erste Band die verhältnismäßig früheste
Vorwort. V
Monumentenklasse, die Katakomben; da ihre Chronologie bis auf weiteres feststeht, so
konnte alle Mühe auf die Interpretation gewandt werden — wer auf einem neuen
Gebiet Fuß fassen will, muß zuerst wissen, worum es sich da handelt. Im zweiten
Band tritt, neben dem Gesichtspunkt der christlichen Antike, das chronologische Problem
in den Vordergrund; solange die Chronologie der Denkmäler nicht geordnet ist, schweben
Typik und Kunstgeschichte in der Luft, von jedem Windhauch hin und her geweht.
Die Denkmälergruppen bespreche ich in der Reihenfolge, in der sie auftreten, Skulptur,
Architektur, Mosaiken. Eingehender wurde die Skulptur behandelt, weil sie, zugleich
am leichtesten zugänglich, den Archäologen am nächsten liegt; sie werden eben des-
halb hier am ersten Hand anlegen.
Um die Versuche des Textes zur Chronologie der Sarkophage und der Elfen-
beinwerke zusammenhängend vor Augen zu stellen, wurden die Abbildungen diesmal
am Schlüsse des Bandes vereinigt. Abb. 18 (Bassussarg) mußte nach Garrucci ge-
geben werden, wegen der Fälschung des Originals; ebenso Abb. 31, weil die ungünstige
Aufstellung im Louvre den Versuch einer Aufnahme vereitelte. Die gallischen Sarko-
phage sind teils nach Photographie, teils nach Le Blant wiedergegeben, das Curtius-
relief nach E. Strong, Abb. 13 nach Wittig, 25 nach Strzygowski, 64 nach Molinier,
81 nach Konrad Lange.
Vielfachen Dank habe ich abzutragen, Herrn Dr. Carl Jacobsen für die mir
übersandte Photographie zu Abb. 6; Geheime Archivrat Koennecke in Marburg und
Oberlehrer Miehe in Halberstadt für die Vermittlung der Photographien zu Abb. 68;
Walter Altmann für die Mühen, denen er sich bei Beaufsichtigung zahlreicher Neu-
aufnahmen in Rom freundwilligst unterzogen hat; dem all verehrten Rektor des Deutschen
Campo santo zu Rom, Monsignore de Waal, für liebenswürdigste Förderung meiner
römischen Studien; den wechselnden Vorständen des hiesigen Christlich-archäo-
logischen Apparates für die seit Jahren mir gewährte Erlaubnis, ihn unbeschränkt
zu benutzen; der Verlagsbuchhandlung für ihr jederzeit freundliches Entgegen-
kommen.
Marburg, den 3. Oktober 1909.
Ludwig v. Sybel.
Inhalt.
Seite
Einleitung 1
Orient und Hellas 1
Hellas, Rom und der Orient 17
PLASTIK.
Skulptur 35
Tektonik der Sarkophage 43
Die wannenförmigen Sarkophage 45
Die kastenförmigen Sarkophage 47
Die Pfeiler- und Säulensarkophage . . 50
Architekturen, Baumgänge, Palmbäume, Weinstöcke 62
Sarkophage mit nur figürlichem Schmuck 68
Schmalseiten, Rückseiten, Deckel 70
Typik der Sarkophagbilder 75
Die Seligen (Verstorbene. Adoranten. Hippolytos- und Petrusstatuen. Seligenmabi) . 77
Andere übernommene Typen (Verschiedenes. Ernte. Jagd. Fischer. Hirten; Guter
Hirt; Orpheus) 95
Alttestamentliche Typen (Daniel. Drei Jünglinge. Noah. Jonas. Hiob. Isaak. David.
Elias. Moses) 107
Sondergruppe (Adam und Eva. Zuweisung. Kain und Abel. Schöpfung der Eva.
Totenbelebung) 124
Evangelische Erlösungstypen (Totenerweckungen. Heilungen. Erlösungsmittel) .... 129
Der Erlöser (Kindheit. Taufe. Einzug. Motive aus der Passion. Paulus; Petrus. Der
erhöhte Christus) 135
Ikonographisches (Christus. Apostel) 158
Syntax der figürlichen Typen 160
Zur Stilkritik und Chronologie der christlichen Sarkophage 165
Italien (außer Ravenna) 165
Ravenna 196
Gallien 207
Spanien 219
Nordafrika 220
Ägypten. Syrien 222
Bildwerke aus besonderen Materialien 225
Porphyr 225
Elfenbein und Knochen (Diptychen. Kästchen. Stühle. Pyxiden. Chronologie) . . . 228
Holz (Türen und anderes Schnitzwerk) 257
Gemmen 259
Plastik 260
Metall (Bronze. Silber. Blei) 260
Terrakotta 263
VIII Inhalt.
ARCHITEKTUR UND MALEREI.
Seite
Architektur 267
Der Gemeindesaal 268
Die Saalkirche 273
Die Basilika 278
Wölbkirchen 306
Zur Formenlehre der spätantiken Architektur 317
Geographische Übersicht der Kirchengebäude 320
Malerei 324
Wandmalerei (Katakomben. Hausmalerei. El-Bagauat) 325
Mosaik (Mosaiken. Goldgläser) 327
Miniatur 333
Register 338
Berichtigungen und Nachträge.
Zu S. 12 Z. 4 von unten, Problem des jonischen Kapitells: Karo, Arch. Anz. 1909, 99 kre-
tische Volutenkapitelle.
Seite 32 Anm., Zeile 5 lies: meine Satteltaschen zu packen zum Ausritt.
„ 36 Z. 2. Die Hoffnung ist durch August Mau's Ableben in die Ferne gerückt; doch
vertrauen wir auf die Fürsorge des Instituts.
„ 58 Z. 7 lies: Acanthus spinosa.
Zu S. 119 und 149 „ Quellwunder ■ und „Moses' Bedrängung", sowie zu S. 147 „Verhaftung
des Petrus" vgl. Erich Becker, Das Quellwunder des Moses in der altchrist-
lichen Kunst, Erlanger Inauguraldissertation 1909 (vollständig in Heitz' Zur Kunst-
geschichte des Auslandes Heft 72). Die von Nik. Müller angeregte, vom Verf.
freundlichst mir gesandte Abhandlung erreichte mich leider zu spät, um sie noch
verwerten zu können. Becker erkennt im „ Quellwunder u eine Darstellung des
Befrigeriums, in „Petrus' Verhaftung" die Verleugnung Lk. 22, 58. Joh. 18, 25. 26.
Auch wollen seine Bemerkungen zur Virgula divina beachtet sein.
Seite 122 Z. 12 lies: di Cristo.
„ 134 Z. 25 lies: neben einer Speisensegnung.
Zu 229, 1 und 243 Zeile 27: B. Kanzler, Collezione artistiche, archeologice ecc. dei Pa-
lazzi Pontifici, I Gli avori dei Musei profano e sacro della Biblioteca vaticana.
Zu S. 276, 1 : Die heidnische Saalkirche der syrischen Götter auf dem Janiculum, mit Apsis,
Narthex, Vorhof usw., Gauckler, Mel. d'arch. et d'hist. 1908, 283. Nicole et Darier,
Le sanctuaire des dieux orientaux au Janicule, Borne 1909. Delbrück, Arch. Anz
1909, 129 Abb. 2.
Zu S. 284, 1 : Arch. Anz. 1909, 88. In Milet fand sich ein Tempel des Serapis und der Isis
„in Form einer altchristlichen Basilika", mit zwei Reihen monolither glatter Schäfte.
Seite 292 Z. 2 von unten lies: v. Schneider.
Zu S. 317 Z. 3 Theodorichs Grabmal: Arch. Anz. 1909, 127 Abb. 1.
Zu S. 323 unten Nordländer: Joh. Ficker, Altchr. Denkmäler u. Anfänge des Christen-
tums im Eheingebiet 1909.
Zu S. 325 Eömische Katakomben: Marucchi, Roma sotteranea cristiana. N. S., I Cimitero
di Domitilla, Fase. 1° Vestibolo dei Flavi erscheint eben.
Zu 334, 1: Engelhardt, Die Illustrationen der Terenzhandschrif ten , Jenaer Inaugural-
Dissertation 1905. Engelhardt vergleicht die Terenzillustrationen mit Mosaikbildern
und datiert sie danach um 500.
Zu 336, 1 Rossanensis: E. Maaß, Analecta sacra et profana, Marburger akad. Programm
1901, 16.
Sarkophag, gefunden in der Katakombe von San Callisto, Rom.
Einleitung.
Wir haben gesagt, die altchristliche Kunst sei Antike und sie mache das letzte
Kapitel aus von der Kunstgeschichte des Altertums. Auf den Ausgang der Antike
nun bezieht sich die Frage, der diese Einleitung gilt: wie waren Hellas, Rom und
der Orient an der Spätantike beteiligt? Den genauen Anteil eines jeden dieser drei
Faktoren schon jetzt zu bestimmen maßt sich unsere Einleitung nicht an; es kann sich
nur um vorbereitende Schritte handeln.
Man kann den Ausgang der Antike nicht verstehen, ohne die ganze voraus-
gegangene Entwicklung zu überschauen. Deshalb müssen wir weit ausholen und bis
auf die vorklassischen Zeiten zurückgreifen; nicht um die Kunstgeschichte des Alter-
tums zu erzählen, sondern bloß um die internationalen Beziehungen kurz ins Gedächtnis
zurückzurufen, zunächst die zwischen Orient und Hellas, danach kommt Rom in Frage,
und zuletzt wieder der Orient1).
Orient und Hellas.
Den Zugang zum Verständnis der internationalen Beziehungen auf dem Gebiete
der Kunst des Altertums, zunächst in der vorklassischen Kunst, erschloß ich mir ein-
mal durch die Kritik von Schliemanns „Trojanischen Altertümern", die ich unter den
ersten als Denkmäler nicht des von Schliemann gesuchten homerischen Troja, sondern
einer Primitivkultur erklärte; sodann durch die Kritik des ägyptischen Orna-
ments. Eine Wahrnehmung an den in langer Reihe vorliegenden altägyptischen
Deckenmalereien regte zu Beobachtungen an, die sich auf das Gesamtgebiet der alt-
ägyptischen Ornamentik erstreckten und dazu dienten, eine kunstgeschichtliche Hypothese
der Feuerprobe des historischen Experimentes (welches ein anderes ist als das der
Naturforscher) zu unterwerfen. Meine, durch planmäßig verfolgte Beobachtung be-
*) Dabei darf ich mich auf meinen Grundriß beziehen (Weltgeschichte der Kunst bis zur
Erbauung der Sophienkirche, Marburg 1888; zweite Auflage u. d. T. Weltgesch. der Kunst im
Altertum 1903).
Sybel, Christliche Antike II.
2 Einleitung.
stätigte Wahrnehmung ging dahin, daß die Ornamentik des Neuen Reichs ein wesentlich
anderes Gesicht zeige, als die frühere, besonders als die des Alten Reichs. Die Wandlung
erschien so tiefgreifend, daß sie nicht wohl als bloßer innerer Entwicklungsprozeß ver-
standen werden konnte; es mußten äußere Umstände, fremde Einflüsse im Spiele sein.
In der Weltgesch. charakterisierte ich das zweite Jahrtausend als die erste
Epoche intensiveren Weltverkehrs. Hier nun standen Ägypten und Vorderasien im
Vordergrunde, dazu aber trat, dank Schliemanns weiteren Forschungen und seiner
Mitarbeiter und Nachfolger emsigem Spüren, das Ländergebiet des Ägäischen Meeres.
Einzelne Kunsthistoriker schreiben die ägäische Kunst ohne weiteres dem Orient gut.
So aber, und so einfach, liegt die Sache nicht; bei allem internationalen Austausch
tritt die kretisch-mykenische Kunst uns als besonders originell entgegen. Bei der
Frage nach internationalem Austausch wollen demnach die genannten drei Gebiete
berücksichtigt sein.
Die Annahme fremder Einflüsse auf die Ornamentik des neuen Reichs, vielleicht
auf seine ganze Kunst, war die Haupthypothese, die nun freilich noch eine Frage offen
ließ, nämlich von welchem Lande her diese Einflüsse auf Ägypten gewirkt haben
könnten. Die Antwort konnte wieder nur hypothetisch gegeben werden. Von Anfang
an, und zunehmend im Fortgang der Untersuchung, machten sich Übereinstimmungen
der neuen ägyptischen Ornamentik mit den freilich viel jüngeren assyrischen Denk-
mälern bemerklich. Fördernd aber traten noch andere Momente ins Mittel. Um Auf-
klärung über die geschichtliche Stellung Ägyptens zu erhalten, war es nötig, die
Ägyptologie zu befragen; nicht des Archäologischen wegen, denn eine ägyptische
Archäologie gab es nicht, die Ägyptologen waren mit Erklärung der Inschriften und
allenfalls den Antiquitäten vollauf beschäftigt. Von der Ägyptologie also konnte man
erfahren, daß im zweiten Jahrtausend Ägypten mit den Nachbarvölkern in lebhaftem,
teils friedlichem, teils kriegerischem Verkehr stand. Um das östliche Mittelmeerbecken
muß es damals recht unruhig zugegangen sein. Die ägyptischen Inschriften berichten
von allerlei nördlicheren Völkern, die den Ägyptern zu schaffen machten, aber auch
von Siegen der Ägypter und von Tributen, die ihnen solche Völker darbrachten.
Unter ihnen figurierten die Kafa (Keftiu). Ebers hatte sie für die Phönizier erklärt;
dabei konnte er sich auf eine ägyptische Notiz hellenistischer Zeit stützen. Also mußte
ich die Kafa (Keftiu) als Phönizier ansehen.
An den Tributvasen dieser Leute fällt eine Vorliebe für Spiralornamentik in
Band- und Netzsystemen auf; ähnliche Systeme aber kehren in der neuägyptischen
Plafondmalerei wieder, ebenso in gleichzeitigen Wandmalereien, an Kajüt vorhängen
und Segeltüchern, wie ja auch die ornamentalen Wand- und Deckenmalereien Gewebe-
mustern nachgebildet waren. Die Annahme, daß die Spiralornamentik außer an Metall-
vasen auch an Geweben, also ebenfalls transportfähiger Ware, zu den Ägyptern ge-
kommen sei und zwar aus dem Lande der Kafa, den Ägyptologen zufolge der Phönizier,
schien noch in dem bemerkenswerten Umstände eine Stütze zu finden, daß die reichsten
Plafonds- und Segeltücher die Spiralmuster in sattroten Grund setzten, wie er in älter-
ägyptischen Textilmustern nicht so vorkommt. Also wird dies Rot auch zu den Neu-
einführungen gehören. Was lag näher als an den phönizischen Purpur zu denken?
Nun aber hatten Schliemanns Ausgrabungen von Tiryns und Orchomenos gleichartige
Wand- und Deckenmuster ans Licht gebracht, dort in Malerei, hier in Flachrelief;
allgemein schloß man auf direkte Abhängigkeit der mykenischen von der ägyptischen
Orient und Hellas. 3
Kunst. Waren aber die Kafa Phönizier, so mußten deren Fabrikate (Vasen und
Textilien) ebenso nach Griechenland wie nach Ägypten gekommen sein; die in die
Webmuster aufgenommenen Lotusornamente konnten die Phönizier ihrerseits dem
Nillande entlehnt haben. Tatsächlich fanden sich in Griechenland, neben den erwähnten
Nachbildungen der fraglichen Webmuster, auch dort mit dem roten Grund, originale
Vasen in Edelmetall, in Formen und Ornamentierung identisch den in Ägypten ab-
gemalten. Diese mußten dann auch als phönizische Handelsware gelten.
Erst die neueren Funde auf Kreta haben es wahrscheinlich gemacht, daß die
Kafa oder Keftiu nicht Phönizier, sondern Kreter waren; jene spätägyptische Notiz
wird nicht auf Überlieferung beruhen, sondern auf gelehrter Kombination, darf uns
also nicht binden. Setzen wir nun statt der Phönizier die Kreter ein, so bleibt meine
Annahme fremder Einflüsse in Ägypten zu Recht bestehen; es ergibt sich aber eine
Beeinflussung Ägyptens von Seiten der kretisch-mykenischen Kultur. Wir dürfen
unbedenklich sagen, die in Ägypten abgemalten, in Griechenland in goldnen und silbernen
Originalstücken wiedergefundenen Vasen identischen Stils sind Erzeugnisse der kretisch-
mykenischen Kunst. Nicht ebenso glattweg dürfen wir die mehrerwähnten Textilien
derselben Heimat zuschreiben. Da liegt die Sache verwickelter: ägäische Spiralen ver-
binden sich mit ägyptischen Lotusblumen und mit phönizischem Purpur. Die nur in
den ägyptischen Plafonds eingestreuten spezifisch ägyptischen Embleme wie Skarabäen
mögen von den ägyptischen Malern hineingesetzt sein. Aber wo füllten sich die Zwickel
der ägäischen Spiralnetze mit den ägyptischen Lotusblumen? wo verband sich mit
alledem der phönizische Purpur? Das bleibt noch offene Frage; aber es kann gesagt
werden, daß trotz Kreta Phönizien nicht ganz ausgeschaltet werden darf1).
Unter den Ornamenten des Neuen Reichs wollen einige Blumen beachtet sein.
Die für Oberägypten sinnbildliche sog. Lilie (ihre botanische Bestimmung gelang noch
nicht) rollt von da an ihre überhängenden Blattspitzen ein. Nun machte Borchardt
darauf aufmerksam, daß die echte Lilie der ägyptischen Flora fehlte, neuestens aber
schließt Hermann Thiersch aus der großen Zahl ihrer Darstellungen in der ägäischen
Kunst, daß die königliche Blume ein Liebling insbesondere der Kreter gewesen sein
müsse; da sie nun dort immer mit eingerollten Blattspitzen gezeichnet wurde, so scheint
sie im Neuen Reich zu den Einrollungen am altägyptischen Symbol für Oberägypten
Anlaß gegeben zu haben. — Sei es nun diese hybride Kunstform gewesen oder die
in Ägypten eingeführte echte Lilie, kurz eine lilienartige Blume mit zwei abwärts ein-
gerollten Blattspitzen fand in den Kompositkapitellen der Baldachinstützen des
Neuen Reichs häufige Anwendung. Da diese Kapitelle zunächst nur aus Wandmalereien
bekannt waren, so konnte der Argwohn Platz greifen, ihre üppig wuchernde Formenfülle
sei zum Teil vielleicht nur phantastisches Spiel der Maler. Aber seit Garstang ein aus-
gegrabenes Lilienkapitell von Holz veröffentlichte, sogar aus dem Mittleren Reich,
*) v. Sybel, Über Schliemanns Troja 1875. Derselbe, Kritik des ägyptischen Ornaments 1883.
Der Gedanke, daß die Kunst der Ägypter irgendwie abhängig gewesen sein sollte, erschien den
Ägyptologen wie eine Verwegenheit. Mit freundlichem Lächeln gab mir ihr liebenswürdiger
Nestor, ßichard Lepsius, das Manuskript zurück. Andere schalten. Ihr Haupteinwand, die Gegen-
frage, warum denn das als mesopotamisch so bekannte Flechtband in die Kunst des Neuen Reichs
nicht auch eingedrungen sei, fiel zu Boden an der kurz nachher gewonnenen Erkenntnis, daß das
Flechtband zur Zeit der achtzehnten Dynastie noch gar nicht auf der Welt war (Weltgesch.2 80).
Zur Deutung der Keftiu vgl. Weltgesch.2 61.
1*
4 Einleitung.
kann an der tektonischen Verwendung des Typus nicht mehr gezweifelt werden; da-
neben spielen nur Lotus-, Palm- und Löwenkapitelle mit, an deren wirklicher Ver-
wendung auch kein Zweifel besteht1).
Eine andere Blume des Neuen Reichs hatte ihre Heimat in Syrien. Ihr komplizierter
Aufbau, in der schematischen Zeichnung schwer verständlich, ließ an ein künstliches
Arrangement denken, analog dem ägyptischen Etagenbukett (Kritik 24). Thiersch hat
darin jetzt die in Syrien beheimatete Iris erkannt, deren Blütenblätter sich in drei
Etagen aufbauen, den überhängenden Kelchblättern, den wagerecht abstehenden, wohl
auch sich aufrollenden Narbenblättern, und den aufrecht stehenden Kronenblättern.
In der symmetrischen Zeichnung hängen zwei Kelchblätter herab, bald auch mit Ein-
rollung, zwei seitwärts abstehende Narbenblätter rollen sich aufwärts ein, zwischen ihnen
steht eine Gruppe aufrechter, schlank kolbenförmig gezeichneter Kronenblätter. Tuth-
mosis III hat die Iris in Ägypten eingeführt, aus dem Lande der Rutennu (nach
jetziger Interpretation die Phönizier). Außer in Tuthmosis' Bericht kommt sie in
Ägypten nur in Goldschmiedearbeit vor und in rein ornamentaler Verwendung, nicht
in tektonischer oder architektonischer; Thiersch zufolge weil das Gebilde dafür allzu
reich aufgebaut war2).
Das sind Proben und Symptome internationaler Beziehungen, zum Teil auch des
Austauschs. Wie originell aber die kretisch-mykenische Kunst im Grunde war, wie
selbständig sie auch bei Anerkenntnis solchen Austauschs dem Orient gegenüber dastand,
das führen jene Goldvasen eindringlich zu Gemüte, unter denen sich so wertvolle
Proben der ägäischen Lebensdarstellung finden, wie der einzigartige Stierfang; das zeigen
auch die Dolchklingen, die Gemmen, die Vasen; etwas Originaleres als die
ägäische Keramik gibt es in der ganzen Welt nicht. Das bestätigt auch ihre Baukunst.
Im Plane hat man eine Abweichung des kretischen Grundrisses vom tirynthisch-
mykenischen bemerkt, insofern hier das Megaron in die Tiefe ging, auf Kreta aber in
die Breite. In diesem Punkte besteht eine Übereinstimmung mit dem Orient; also
darf wohl eine Beeinflussung von ihm vermutet werden, soweit nur für das südlichere
Kreta, nicht für das nördlichere griechische Festland. — Die Bauweise, auf Stein-
sockel Lehmwände mit Holzfestigung, war weithin verbreitet auf der langlebigen
Zwischenstufe zwischen der primitiven Hütte und dem Monumentalbau. Hat sie irgendwo
zuerst begonnen und von da aus sich verbreitet, so lag dieser Vorgang im zweiten
Jahrtausend weit zurück. — Strittig ist die Bedachung. Dörpfeld erschloß ein Flach-
dach, Lehmestrich in Holzrahmen; lieber rekonstruierte ein Giebeldach. Neuerdings
wurde die Meinung geäußert, beide Weisen seien wohl nebeneinander in Übung gewesen.
Schwerlich aber gleichwertig; ich halte an der Auffassung fest, daß die heimatliche
Dachform nicht bloß in Griechenland, sondern in der ganzen nördlichen Zone das
*) Borchardt, Ägyptische Pflanzensäule 20. — Thiersch in Hirschs Zeitschr. für Gesch.
d. Architektur 1908, 257. — Garstang, Burial customs of ancient Egypt. 1907, 141 Fig. 139 mit
sechs radial überhängenden Blattspitzen noch ohne Einrollung, und zentralem Kolben, auf dem
ein Dübelholz sitzt.
8) Kritik 25 f. „phönizisches Bukett"; Weltgesch. 63. 108 „syrische Blume"; eb. 2 63. 121
„etagiertes syrisches Bukett". Naturalistisch ist die Iris nur in Tuthmosis' Bericht wiedergegeben
(Thiersch Abb. 4), mißverstanden, oder zu freiem Spiel des Ornamentisten benutzt, in der Gold-
schmiedearbeit Thiersch Abb. 5, im Plafond Prisse I Taf. 30 (Weltgesch. 63 Fig. 51 nur der obere
Teil), an den Fayenceplättchen Thiersch Abb. 6.
Orient und Hellas. 5
Satteldach war, daß aber in der Blütezeit der ägäischen Kultur, da sie in Austausch
mit dem Orient trat, der Königssaal das orientalische Flachdach übernahm (dies also
nicht bloß auf Kreta, sondern auch auf dem griechischen Festland), wenn auch nur
vorübergehend. Denn es verschwand mit dem Ende der Heroenzeit; danach trat das
Giebeldach aus seiner zeitweisen Zurücksetzung wieder hervor und krönte hinfort vor
allem den Erben des Königssaals, das Gotteshaus, den Tempel. Abbildungen orien-
talischer Flachdächer gewähren die Felsfassaden von Beni Hassan; sie zeigen die Köpfe
der Deckstangen und den Rahmen des auflagernden Estrichs. Nur sind die Holzstützen
der Vorhalle ersetzt durch mehrkantige Steinpfeiler. Deren quadratische Deckplatte,
ein Rest des vierkantigen Rohblockes, genügt kaum, um das Ganze als Nachbildung
einer ägäischen Vorhalle erklären zu dürfen. — Endlich die kretisch-mykenische Säule
(es hat nur eine Art gegeben, sonst müßten sich Spuren der andern erhalten haben);
sie ist verschieden von der ägyptischen. Der Schaft verjüngt sich nach unten, wohl
aus denselben Gründen tektonischer Zweckmäßigkeit, wie es beim Stuhl- und Tischbein
der Fall ist. Diese praktische, aber originelle Anordnung kommt im Altertum sonst
nur noch unter Tuthmosis HI vor, auch dort nur vereinzelt und vorübergehend; falls
nicht die analog gebildeten Zeltstangen Vorbild genug waren, möchte man glauben,
Tuthmosis sei von Kreta her zu dem Versuch angeregt worden. Das unägyptisch
wuchtige Kapitell ist die rechte Krönung für solch eine wie mit stämmigen Schultern
tragende Säule. Seinesgleichen hat es nicht; doch artverwandt ist das paphlagonische
Kapitell, dessen Denkmäler aber aus späterer Zeit stammen, auch nicht so durchgebildet
sind wie das ägäische in seinen reichsten Exemplaren. Diese zeigen den Schaft glatt,
kanneliert oder gemustert (Spiralbänder in Zickzackbänder eingezeichnet). Dasselbe
Muster trägt das Pfühl des Kapitells, es sieht aus wie ein gemusterter Stoffüberzug
des Kissens. Pflanzenähnliche Bildung weisen weder Schaft noch Torus auf. Einige
gehen soweit, pflanzenhafte Bildung der Säulen als spezifisch orientalisch und unhellenisch
zu bezeichnen; auf die weit über das Ziel schießende Behauptung wird noch zurück-
zukommen sein, hier genügt der Hinweis, daß der Hals der ägäischen Säule ein pflanzen-
ähnliches Gebilde ist, ein Kelch mit überhängender Lippe, darin das Pfühl zu ruhen
scheint, ausgeführt als Blätterkranz mit überhängenden Blattspitzen, natürlich in sche-
matischer Zeichnung.
Die Epoche der Assyrer, der Fibel und des Eisens, brachte in Griechenland
den geometrischen Stil wieder zur Herrschaft, dessen damit eintretende Hochblüte ich,
im Unterschied vom primitiv geometrischen, als den hochgeometrischen Stil be-
zeichnete (Weltgesch. 278). An der Hervorbringung dieses merkwürdigen Phänomens
hatte der Orient keinen Anteil. Im Gegenteil, wenn wir bei den Assyrern nun ein
neues, und zwar geometrisches Ornament antreffen, das für ihre Verzierungskunst typisch
werden sollte, so verdankten sie es Griechenland; es ist das Flechtband (auch Gurt-
geflecht genannt), eine der verschiedenen Geometrisierungen des Spiralbandes. Den
Anlaß zu seiner Geometrisierung gab wohl der Übergang zur gravierten Darstellung
und in deren Dienst zur erleichternden, freilich auch vereinfachenden und schemati-
sierenden Erzeugung durch Zirkelschlag. An die Stelle der Einzelspirale trat das
System zweier konzentrischer Kreischen, an die Stelle des Spiralbandes die Reihung
solcher Kreissysteme. Wurden sie sich überschneidend gereiht, so entstand das Flecht-
6 Einleitung.
band. Es kommt zuerst an my kenischen Ringen vor; der ganze Prozeß derartiger
Geometrisierungen der Spirale läßt sich an den mykenischen, über gravierte Holzformen
gepreßten Goldblättern gut beobachten. Jünger scheint die andere Reihungsart in
kurzen Abständen, wobei die konzentrischen Kreischen durch Tangenten verbunden
wurden (sog. Tangentenkreise. Weltgesch. 280).
Es folgte die klassische Zeit der Griechenkunst, zunächst ihre erste Periode,
die wir konventionell als die orientalisierende zu bezeichnen pflegen. Freilich hat
sich die Entdeckung der kretisch-mykenischen Kultur und die Erkenntnis ihrer weit-
tragenden Bedeutung auch für unsere Periode fruchtbar gezeigt, hat gezeigt, daß manche
Elemente, von denen wir annahmen, sie seien erst jetzt, durch Vermittlung etwa der
kleinasiatischen Griechen, aus dem Orient in die griechische Kunst gekommen, vielmehr
Nachlebsel der ägäischen Kultur waren, also weit ältere und längst assimilierte Ent-
lehnungen. Immerhin kam noch Neues hinzu. Und wenn auch die Errungenschaften
des hochgeometrischen Stiles nicht verloren gingen, so ist doch die Anbahnung einer
tiefgreifenden Wandlung zu bemerken, eine Rückwendung zur geschwungenen Linie
und zu weicherer Zeichnung. Diese Wandlung entbehrt bei aller Eigenheit nicht einer
gewissen Analogie mit derjenigen, die an der ägyptischen Kunst des Neuen Reichs unter
Wirkung jener fremden Einflüsse sich zu vollziehen schien (Kritik 40). Ob nun bei
den Griechen der Geist der immer noch nicht ganz ausgestorbenen kretisch-mykenischen
Kunst wieder lebendig wurde, vielleicht ausgelöst durch den intensiveren Verkehr mit
dem Orient und seinen weicheren Formen, das kann wohl gefragt werden.
Lotus und Palmette werden die typischen Ornamente, daneben Rosette und
Flechtband; vom Hochgeometrischen bleibt dauernd der Mäander, zum Teil in ent-
wickelten Formen, auch mit Vierblatt oder Rosette durchsetzt, dergleichen schon das
Neue Reich kannte. Stier, Löwe, Sphinx und Greif, bereits von der ägäischen Kunst
aufgenommen, aber in der hochgeometrischen Periode zurückgetreten, erwachen zu neuem
Leben; dazu kam z. B. Chimäre, Sirene, Triton, Kentaur. In dergleichen Fabelwesen
war die mesopotamische Kunst von jeher fruchtbar gewesen, triton- und kentaurartige
Monstren finden sich auch in der assyrischen Kunst; aber die griechischen Typen sind
doch wieder eigenartig.
Die klassische Skulptur und Architektur erlebten ihre Geburtsstunde im Übergang
zum monumentalen Steinmaterial.
Die ägäische Plastik hatte sich, von den Goldschmiedearbeiten abgesehen, in der
Hauptsache auf das Relief in Stein und Stuck beschränkt und darin schon Bedeutendes
geleistet. Auch Statuetten entstanden, in Terrakotta und in Bronze. Ob schon damals
lebensgroße Rundfiguren, muß zweifelhaft bleiben. Die alten Götterbilder in Pfahl-
und Brettform, wie man sie später in Ehren hielt, mögen aus dem hochgeometrischen
Zeitraum stammen; sie klingen noch in den Anfängen der klassischen Kunst nach. Die
statuarische Kunst der neuen Zeit aber erhielt ihre entscheidenden Anregungen von
außen, von Ägypten und Vorderasien. Die nackten Statuen lehnten sich mehr an die
ägyptischen Vorbilder an; die ägyptische Steinskulptur wird es gewesen sein, welche
die Griechen anregte, sich ihres unvergleichlichen Marmors zu bedienen (andere Stein-
sorten kamen nur vorübergehend oder in untergeordneter Weise zur Verwendung).
Aber man braucht nur die Erstlinge der griechischen Marmorskulptur mit den voll-
Orient und Hellas. 7
endeten ägyptischen Statuen zu vergleichen, um zur Erkenntnis des fundamentalen
Unterschiedes zu gelangen: die Ägypter hatten nur Sinn für das Porträt, darin waren
sie groß, darin aber erschöpfte sich auch ihre statuarische Kunst; plastischen Sinn und
Trieb brachten erst die Griechen ins Spiel. Man möchte sagen: wo die Ägypter auf-
hörten, da fingen die Griechen an. Jene begnügten sich mit der elementarsten Schematik;
sobald aber der Grieche der Technik einigermaßen Herr wurde, da nahm er das Problem
der bewegten Figur in die Hand (Lebensschilderer waren ja schon die ägäischen Bildner
gewesen) und ruhte nicht, bis er alle Bewegungsmöglichkeiten des menschlichen Körpers
künstlerisch durchgearbeitet, eine zweite bewegte Menschheit in Stein und Erz ge-
schaffen hatte. — Die bekleideten Figuren scheinen ihre Anregung mehr von Vorder-
asien her bekommen zu haben, wie ja auch die Kleidung zunächst der Ostgriechen,
Chiton und Himation, ihnen ebendaher zugekommen war. Aber auch hier sehen wir
die Griechen sehr schnell die Gebundenheit der Asiaten durchbrechen, einerseits den
Faltenwurf als neues Problem einführen, andererseits dem plastischen Ausgleich zwischen
Körperform und Gewand nachgehen.
Sollte nicht auch der Anblick ägyptischer Tempel den empfänglichen Geist der
Griechen befruchtet haben? Es entstand der dorische Steintempel, aber durch
Übersetzen der Formen aus dem alten Holz- und Lehmbau. Mit seiner Leugnung
dieses Ursprungs behält Karl Bötticher unrecht gegenüber Vitruv und neuerdings
Dörpfeld. Die Übersetzung der alten Formen in das neue Material aber gelang so
vollkommen, daß der neue Bau durchaus steingemäß ausfiel; die vollendete Tatsache
hatte Bötticher richtig gesehen, nur die Tatsache historisch falsch erklärt (Weltgesch. 21 15).
Die nach unten verjüngte ägäische Holzsäule ward ersetzt durch den Steinpfeiler,
welchen aber untere Schwellung und obere Verjüngung zur pflanzen haften Säule
organisierte. Hals und Kapitell blieben, nur mußten auch sie der Wandlung in Stein
sich fügen: die Kannelierung des Schaftes schuf den Blätterkranz des Halses sich gleich-
artig um (er reicht von den wagerechten Kerbschnitten bis hinauf zu den irreführend
sogenannten Kiemchen; der Torus aber schmiegte sich der Deckplatte eng an, das Pfühl
wurde zum Kessel (Echinus) (Weltgesch. 101; 2115). Durch die Umkehrung der Ver-
jüngung veränderte sich die Silhouette der Säule gründlich: war früher das mächtige
Kapitell der folgerichtige Abschluß des nach oben sich verdickenden Gebildes gewesen,
so lag jetzt die dünnste Stelle im Halse, die Säule verdickte sich nach oben und nach
unten, die Silhouette wurde reicher. Aber die weitere Entwicklung strebte wieder zur
Vereinfachung der Form, das Kapitell trocknete solange ein, bis nur noch eine diskrete
Abdeckung des immer schlanker gewordenen Schaftes übrig blieb. — Den Triglyphen-
fries übergehen wir hier, weil noch Zweifel über seine Entwicklungsgeschichte bestehen.
Aber hervorzuheben ist ein fremdes Element, das an zwei Stellen des Baues sich ein-
nistete, die ägyptische Kornische. Sie war bereits erobernd in Syrien und Assyrien
eingedrungen, vermutlich auch in Kleinasien; an kunstgewerblichen Gegenständen mochte
der Handel sie auch nach Griechenland gebracht haben. Doch sahen Griechen sie auch
in Ägypten selbst, als typische Krönung von Pfeilern und ganzen Gebäuden. So ge-
schah es, daß am griechischen Tempel Stirnpfeiler und Dachkranz dieselbe Kornische
zur Krönung erhielten (daneben auch Einzelpfeiler als Votivträger). Es gibt Denkmäler,
welche die ägyptische Kornische unverändert zeigen (Hohlkehle, vertikal gestreift,
unter Platte, über Rundstab); aber auf die Dauer ließ es der griechische Genius hierbei
nicht. Er wandelte das Entlehnte wiederum in pflanzenhafte Form um, indem er aus
3 Einleitung.
der Untersicht der Platte eine Nase oder Lippe herauszog, wodurch dann die Kehle
zur Welle wurde; die vertikale Streifung machte sie zu einem schematisch gezeichneten
Blattkranz mit vorfallenden Blätterspitzen, ähnlich dem kretisch -mykenischen Säulen-
hals. — So wuchs Alteinheimisches und Fremdes, dazu das monumentale Material, zu
einem ganz Neuen zusammen, dem klassischen griechischen Tempel1).
Neben den alteinheimischen Baustil, der sich nun auf die Stufe der Monumen-
talität erhob, trat alsbald ein anderer, zuerst bei den kleinasiatischen Griechen. Seitdem
erhielt ersterer den Namen des dorischen, letzterer — in seiner Hauptart — den des
jonischen Stils. Kernpunkt des komplizierten Problems ist das Schneckenkapitell.
Davon besitzen die Griechen zwei Variationen, außer dem jonischen noch das kon-
ventionell sog. äolische. Der wesentliche Unterschied besteht darin, daß bei letzterem
die Volutenstiele voneinander unabhängig aufsteigen, während bei jenem eine obere
wagerechte Randlinie des Kapitells sich nach beiden Seiten überhängend einrollt.
Das äolische Kapitell meint klärlichein pflanzliches Gebilde; es ist dem kyprischen
Stelen- und Antenkapitell so verwandt, daß es entweder von diesem oder mit ihm von
demselben Vorbild abstammen muß. Es bleibt dabei, daß nichts anderes als die syrische
Blume zugrunde liegen kann, dieselbe, in welcher Herrn. Thiersch die Iris erkannt hat.
Beide Kapitelle, das kyprische wie das äolische, sind nicht mehr so verstehende und
so verständliche Abbilder der Iris, wie es deren ältere Darstellungen waren. An der
kyprischen Spielart wuchert die Krone, schon das Narbenblattpaar ist dreifach inein-
andergesetzt; umgekehrt wurde am äolischen Kapitell die ganze Krone mit den Narben-
blättern bis auf dürftige Rückstände der Kronenblätter zurückgeschnitten. Was dort
zuviel war, ist hier zu wenig. Beide Kapitellformen aber (die kyprische wenigstens in
Tamassos, Inst. Phot. Cyp. 72 a) bewahren das charakteristische Merkmal gewisser
syrischer Irisarten, die Haarraupe auf der Mittelrippe der Kelchblätter (an den Kapi-
tellen auf dem Scheitel der Voluten). — Das äolische Kapitell war zuvor in Metall
ausgeführt und im Sinne der Metallarbeit stilisiert worden, ehe man es in Stein über-
setzte. Die Ausbildung in Metall spricht verständlich aus der Formgebung im Ganzen
und Einzelnen. Die von dem Ringe aufsteigenden Volutenstiele bildeten in der Metall-
ausführung eine auf das obere Schaftende aufzuschiebende Hülse. Die in Koldeweys
Herstellung unterhalb noch folgenden Glieder, ein flacher Knauf, als hängender Blätter-
kranz ausgebildet, und ein unterer Blätterkranz mit überfallend frei endigenden Blatt-
spitzen (nach Dörpfeld Elemente eines Rundkapitells, Blume mit überfallenden Blatt-
spitzen), verraten nicht minder deutlich den Ursprung ihrer Formgebung aus der Metall-
technik. Solche den konstruktiven Stäben und Riegeln aufgeschobene Hülsen, in Form
von Lilien und aus Blech geschnittenen Blätterkränzen, fanden sich in den assyrischen
Palästen und sind im Britischen Museum zu sehen; fertige Möbel bilden die assyrischen
Reliefs ab2).
Nachdem wir gelernt haben, die Blumen genauer zu unterscheiden, kann der „Lilie"
nur mehr eine bescheidenere Rolle in der Entwicklungsgeschichte der außerägyptischen
Kapitelle zugeschrieben werden. Der ganz in der Form der Lilie gezeichnete Wipfel
*) Kritik 5 erklärte ich die ägyptische Komische als das aus Rohrabschnitten mit auf-
liegender Handlehne gebildete Geländer der Dachterrasse, übersetzt in Stein (mißverstanden von
Riegl, Stilfragen 58, 17). — Die Wandlung der Kornische in das Kyma: Weltgesch. 1031 2 1 1 8 f .
Das Kyma vereinzelt schon in Ägypten: Weltgesch. 2120, 1, dazu noch Prisse I Tal 20, 3.
2) Weltgesch. 108; 2121.
':
Orient und Hellas.
auf dem Palmstamm, der dem Baldachin des Samas von Sippar zur Stütze dient, ist
allzu problematisch. Und das Lilienkapitell der Säulen Jachin und Boas ist vorläufig
nur eine allerdings ansprechende Hypothese. Das äolische Kapitell, als Nachbild der
Iris erkannt, bedarf des Zurückgreifens auf die Lilie nicht mehr, und für das jonische
kommt sie von vornherein nicht in Betracht.
Die geschichtliche Erklärung des jonischen Kapitells liegt noch immer im
Dunkeln 1).
Von jeher glaubte ich in seiner Zierform ein Blumenbild erkennen zu müssen und zwar
ursprünglich orientalischer Prägung. Neuerdings hat Puchstein seine früher aufgestellte
Sattelholzhypothese aufgegeben und leitet das jonische Kapitell auch von einem orien-
talischen Blumenbild ab. Wenn nun aber Groote und Puchstein das äolische Kapitell
als Zwischenglied einschieben und das jonische lediglich als dessen Umbildung ansehen,
so vermag ich nicht zu folgen; nach unserem Material können wir das äolische nicht
als einen Vorgänger, sondern bloß als einen Rivalen des jonischen anerkennen.
Es ist auch nicht richtig, daß das äolische von dem jonischen Kapitell abgelöst worden
sei. In Architekturbildern des fünften Jahrhunderts lebt es fort (in Vasenbildern) und
in der hellenistischen Zeit erwachte es zu neuem Leben (Weltgesch. 2325. Koch, Rom.
Mitteil. 1907, 407. Thiersch 268); freilich hat es in die Monumentalarchitektur keine
Aufnahme gefunden, schon für das sechste Jahrhundert wird man seine Bedeutung
nicht überschätzen dürfen. Die Ableitung des jonischen Kapitells vom äolischen wird
aber durch den Umstand vollends unmöglich gemacht, daß sein Typus älter ist. Dem
mesopotamischen Ziegelbau war die Säule ursprünglich fremd; erst die Assyrer über-
nahmen sie, wie Puchstein des Näheren nachwies, mit dem Bautypus des Hilani aus
der nordsyrisch - kappadokischen Kunst. In assyrischen Reliefs liegen Abbildungen
solcher Säulenbauten vor; die Kapitelle sind teils vom jonischen Typus, mit Verdoppelung
des Volutenstücks, teils auch vom äolischen (Perrot et Chipiez II 142 Fig. 41. 42;
vgl. S. 221 Fig. 77. Weltgesch. 81; 2121). In den Ruinen von Sendschirli haben sich
Kapitelle leider nicht vorgefunden. Aber die berühmten Adikulen in den Felsreliefs
von Jasilikaja bei Bogasköi sind doch da (Weltgesch. 80 Fig. 63; 277). Längst be-
merkte man den jonischen Typus ihrer Säulen, längst stellte man die Frage, ob die
Jonier ihre Säule aus dem inneren Kleinasien bezogen hätten. Doch mein Kollege
Jensen leugnet, daß überhaupt ein Architekturbild vorliege; es sei nichts als eine
Gruppe hittitischer Hieroglyphen, die in den Texten auch sonst vorkämen; die ver-
meintlichen Säulen seien aus zwei Schriftzeichen zusammengesetzt, einem steilen Kegel
und einer Art Bügel oder Brille. Wenn ein so intimer Kenner dieser Hieroglyphen
das sagt, so werden wir Archäologen es annehmen; damit aber wird die Deutung des
») Jonisches Kapitell: v. Sybel, Kritik 24; Weltgesch. 80; 277. 121. Puchstein, Das
jonische Kapitell, Berliner Winckelmannsprogramm 1887; derselbe, Die jonische Säule als klassisches
Bauglied orientalischer Herkunft 1907.
v. Groote, Die Entstehung des jonischen Kapitells 1905.
Kawerau, Eine jonische Säule von der Akropolis zu Athen, im Jahrbuch 1907, 197.
v. Lichtenberg, Die jonische Säule 1907. Herrn. Thiersch in Hirschs Zeitschrift für Ge-
schichte der Architektur I 1908, 256.
Birt, Buch- und Bauwesen, im Eheinischen Museum 1908, 45 beschäftigt sich nicht mit der
Frage, woher die Griechen die Form des jonischen Kapitells entlehnt haben, sondern er fragt,
was die Griechen bei dieser Form sich gedacht haben könnten.
\q Einleitung.
Ganzen auf ein Architekturbild meines Erachtens keineswegs ausgeschlossen. Daß wir
hier etwas Besonderes vor Augen haben, folgt schon aus der Tatsache, daß eine derart
symmetrisch aufgebaute Zeichengruppe mit der krönenden geflügelten Sonnenscheibe in
den Texten sonst nicht vorkommt; auch die Art, wie sie ostentativ auf der Hand ge-
tragen wird, hebt die Zeichengruppe eigen hervor (unwillkürlich fallen einem die mittel-
alterlichen Heiligenfiguren ein, die ein Modell ihrer Kirche auf der Hand tragen).
Schließlich aber entscheidet der Augenschein: mag das Gebilde hervorgebracht sein
wie es will, mag es nur Schrift sein, so ist es doch im Schema einer Tempelfassade
geschrieben. Das mutet uns gereif tere Menschheit an wie kindisches Spiel; aber haben
sich nicht sogar aus der hellenistischen Zeit Gedichte erhalten, die in der Niederschrift
den Umriß eines Bechers oder sonst eines Gegenstandes zeichnen? Der Fall ist nicht
genau derselbe, aber eine genügende Analogie. Die so wiedergewonnene frühere Form
des hittitischen Schneckenkapitells (die Spiralen sind am Gyps deutlich erkennbar)
unterscheidet sich von der in den assyrischen Reliefs wiedergegebenen jüngeren dadurch,
daß dort die obere Randlinie einen Bogen beschreibt, hier aber wagrecht durchgezogen
ist. Nun war die Verwendung des „Bügels" in der Schriftgruppe von Jasilikaja viel-
leicht nur ein Notbehelf, und ein altjonisches Kapitell in der Rundbogenform hat sich
noch nicht gefunden. Aber es darf nicht übersehen werden, daß der Typus in den
Reliefsäulen am altsamischen Sarkophag vorliegt und im Kapitell des achtkantigen
Pfeilers aus Porös, den Dörpfeld bei seinen Ausgrabungen unter dem Westabhang der
athenischen Akropolis fand, sowie daß Iktinos die jonischen Säulen im Neubau des
Apollontempels zu Bassä im selben rundbogigen Typus anordnete. Sowohl am samischen
Sarkophag wie am athenischen Pfeiler hängen die Voluten tief über den Schaft herab.
Bemerkenswert ist, daß auch sie kein rundes ausbauchendes Unterglied haben; doch
ist an den samischen Reliefsäulen durch einen Querstrich etwas wie ein Kopf- oder Hals-
stück des Schaftes abgegliedert1).
Wenn also nicht von der Iris und dem äolischen Kapitell, von welchem Blumen-
bild sollen wir dann das jonische Kapitell ableiten? Wir müssen zugestehen, daß das
Pflanzenbild schon in der vorgriechischen Stilisierung, wenigstens in den uns vorliegenden
Denkmälern, schwach genug herauskommt; aber es steht leider so, daß wir für die vor-
griechische Phase nur die vereinfachenden Reliefdarstellungen, für die frühjonische
Epoche aber fast gar keine Denkmäler besitzen, sicher keine vollständigen Exemplare.
Die athenischen Anathemträger, mögen einzelne Stücke auch in die Zeit der Poros-
skulpturen zurückreichen, sind alle abgeleitet; zudem dürfen sie für die doch weiter
zurückliegende Entwicklungsgeschichte des jonischen Kapitells nur mit größter Vor-
sicht verwertet werden, weil sie nicht der Großarchitektur angehören, sondern Einzel-
säulen sind, genauer gesagt, Einzelträger, welche nicht aus Notwendigkeit, sondern aus
künstlerischer Laune einigemal die Form von Säulen wählen und dabei mit den Motiven
des dorischen Kyma, des äolischen und des jonischen Kapitells spielen.
Nun aber sind gerade diejenigen Forscher, welche besonders besonnen vorzugehen
und gediegen zu arbeiten gedachten, eben von den athenischen Votivträgern ausgegangen,
so seiner Zeit Puchstein in Winckelmannsprogramm 1887, auf das neuestens Kawerau
zurückgreift. Diese erkennen im Volutenstück den Hauptteil des Kapitells, indem sie
l) Jensen, Zeitschr. d. Deutschen Morgenl. Ges. XL VIII 1894, 284, 1.
Samos: Inst. Phot. Sana. 8. Ath. Mitteil. 1893, 224. — Athen: Inst. Phot. A. V. 120.
Orient und Hellas. 11
es als Sattelholz verstehen, das will sagen als ein kurzes Holz, das quer auf den
Scheitel der Stütze gelegt dem Architrav ein breiteres Auflager gewähren soll; und
es liegt ohne Zweifel der Weise des Holzbaues nahe, die Enden des Sattelholzes so
zu runden, daß unter der Hand des Zimmermanns wie von selbst das Volutenmotiv
zum Vorschein kommt. Man mag es auch bedeutsam finden, daß die erwähnten
assyrischen und hittitischen Reliefdarstellungen protojonischer Kapitelle sowie der
samische Sarkophag und der athenische Pfeiler nur das Volutenglied aufweisen. Und
die flache Bildung des Volutenstückes scheint für das Sattelholz zu entscheiden. Aber
so unbedingt tut sie es denn doch nicht; das ebenfalls flache äolische Kapitell wenigstens
kann man als Sattelholz nicht anerkennen (Versuche ich es rein konstruktiv zu ver-
stehen, so scheint sich mir, wie oben gesagt, als Urform eine auf die Schaftspitze
aufzuschiebende, irgendwie plastisch auszugestaltende Metallhülse zu ergeben; seine
Zierform aber ist, verstanden oder nicht, die syrische Blume, die Iris). Am joniscben
Kapitell selbst wäre die Deckplatte, sollte man denken, Sattelholzes genug; wozu noch
ein zweites unterlegen? Und gerade an den alten Denkmälern von Jasilikaja, Samos
und Athen wären die spiralisierten Sattelholzenden weit herabhängend gebildet! Wenn
man sieht, wie das runde Unterteil (Torus, Echinus oder Kymation genannt) schon
früh und immer wieder auftritt, so kommt man auf die erste Vermutung zurück, daß
es, als im Gesamtbild untergeordneter Bestandteil, in den erwähnten Fällen nur aus-
geblieben sei.
Die normale Endigung ist der Knauf. Kugelgestalt scheint er erst in neueren
Zeiten angenommen zu haben, für freie Endigungen liebte das Altertum die Eiform,
wenn es nicht ein Anthemion vorzog. Das gemeinägyptische Kapitell, das Knospen-
kapitell, ist ein überhöhter Knauf, der mykenische Torus dagegen ein gedrückter. Das
ägyptische Kelchkapitell ist ein Knauf mit oberer Ausladung. Das hybride Stelen-
und Antenkapitell ist flach, das äolische Säulenkapitell (das Volutenkapitell) ist unten
rund ohne Ausbauchung, wie das Palmkapitell, oben aber flach. Man könnte sich auch
ein Säulenkapitell denken, das unten knaufartig gebaucht, oben in Angleichung an die
kantige Deckplatte und den Hauptbalken, flach würde, ähnlich dem Sattelholz. Das
wäre der Fall des jonischen Kapitells. Sein ausbauchendes Unterglied, in der Stein-
ausfuhrung nur auf Untersicht berechnet, wird mit hängendem Blätterkranz verziert,
gemeißelt oder nur aufgemalt. War das Ganze ursprünglich als Blumenbild gedacht,
so sollte man statt des hängenden Blätterkranzes vielmehr ragende Kelchblätter erwarten,
in dergleichen die ägyptischen Blumenkelche ruhen. Die Umkehrung braucht erst
beim Übergang in die Steinausfuhrung sich vollzogen zu haben, da man der ursprünglichen
Idee nicht mehr bewußt war; man verzierte das Profil, wie es sich nun gestaltet hatte,
in der Weise, wie sie für dies Profil gegeben und typisch war. Das Kapitell kam
den Griechen aus der Fremde zu, so wurde es ihnen leicht zu einem nichts bedeutenden,
aber ästhetisch wertvollen Linien- und Formenspiel.
Der Sinn der Zierform bedarf eines Wortes. Karl Böttichers ergrübelte un-
künstlerische Lehre, die Zierform spreche die statische Funktion des Gliedes aus, sei
es eines Gerätes oder eines Gebäudes, war mir stets widerstrebend; immer habe ich,
wo Anlaß war, eine andere Auffassung vorgetragen, die der Art des Künstlers und
seines Schaffens besser gerecht wird. Wenn der troische Töpfer das Gefäß anthro-
pomorph bildete, so dachte er nicht daran, Funktionen auszusprechen, sondern er fühlte
sich als anderen Prometheus. Wenn der Ägypter seine Säulen als wurzelnde hoch-
1 2 Einleitung.
strebende Pflanzen gestaltete (das mischt sich mit dem andern Motiv eingesteckter
Schnittblumen), deren zarte Blätterspitzen oder deren schwanke Zweige der Decke sich
entgegen strecken, für das Auge sie tragen, so ist das nicht „ungeheuerlich", sondern
künstlerisch; wird doch die Decke selbst gar nicht als Last empfunden und vors Auge
gebracht, sondern als blauer Himmel mit schwebenden Vögeln darunter. Die Zierform,
weit entfernt den Druck der Last auszusprechen, negiert sie eher. Die Art, wie der
Ägypter über die Schwere der Last hinwegtäuschte, wie er den dunklen Säulensaal mit
Phantasie zum Scheinbild freier Natur machte, mag man kindlich heißen, jedenfalls
war sie fröhlich und echt künstlerisch. Die Griechen waren gereifter; aber auch sie
waren keine Pedanten, sondern spielende Künstler. Das dorische Kyma trägt genau
die gleiche Last wie das jonische; nach der Theorie müßten sie ihre Blattspitzen unter
der gleichen Last beide gleich tief neigen; aber nur das jonische beugt sie bis zum
Unterrand herab, das dorische neigt sie nur eben über. Der Unterschied der Zeichnung
liegt nicht an einem (gar nicht vorhandenen) Unterschied der Funktion, sondern bloß
an der Verschiedenheit des Profils. — Man redet von der „federnden Kraft der
Voluten." Aber der Schöpfer des äolischen Kapitells hat die oberen Partien der
Blume nicht deshalb zurückgeschnitten, um die Last auf die Schultern der „federnden
Voluten" zu bringen (dann hätte er sie gründlicher zurückschneiden müssen), sondern
weil er die nicht mehr verstandenen, daher in seinen Augen geilen Triebe als ästhetisches
Unkraut empfand. — Aber das jonische Kapitell, dessen Voluten die Deckplatte un-
mittelbar tragen? Daß auch sie nicht die „Funktion des leichten Tragens" aussprechen,
bewies Iktinos, da er in die Reihe der jonischen Kapitelle sein korinthisches stellte,
dessen zarte Schnecken doch genau dieselbe Last tragen müßen wie die mächtigen
jonischen Voluten.
Die Theorie beruht auf einer Verwechslung. Gewiß läßt sich von der konstruktiv
notwendigen Form die Funktion jedes Gliedes ohne weiteres ablesen; insofern
könnte man sagen, die Form sei Ausdruck der Funktion, nur daß dies nicht eine
bewußt verfolgte Absicht war (wozu auch?), sondern bloß eine selbstverständliche Folge
der zweckmäßigen Konstruktion. Dagegen das die Zierform erzeugende Kunstgesetz
ist ein anderes, es ist die durch Phantasie bewirkte Verklärung der Zweck- und
Konstruktionsform. „Die Tektonik", so sagte ich längst, „soll erst noch geschrieben
werden, welche das wahrhafte Gesetz der Dekoration an Haus und Gerät auf seinen
Thron erhebt, das Gesetz der plastischen Poesie. Solche Tektonik würde eine
frohe Botschaft für die Künstler sein, in sich beschließend Gesetz und Freiheit."
Was Kawerau zum Ursprung der jonischen Säule sagt, kann mich nicht ganz
überzeugen; aber im Grundsätzlichen ist mir sein Denken sympathisch. Und es ist
mir eine erwünschte Bestätigung meines Kunstempfindens, wenn er das künstlerische
Ausgestalten der Konstruktion in den schlichten Worten beschreibt: man greift zu
dem Motiv (im fraglichen Fall ists die Spirale), nicht weil es irgend etwas „ausdrückt",
sondern weil es zu dem gegebenen Umriß paßt1).
Das Problem des jonischen Kapitells ist noch nicht spruchreif.
Auch die jonische Basis leiten wir aus Kleinasien ab. Hittiter, Paphlagonier
und Assyrer bedienten sich einer kugeligen Basis. In Sendschirli, und durch Über-
tragung von dorther auch in Assyrien, fanden sich solche Basen getragen von Sphinxen
l) v. Sybel, Über Schliemanns Troja 1875, 19; Weltgeach. 323; 2331. Kawerau, Jahrbuch
1907, 201.
Orient und Hellas. 13
und Stierdämonen. Assyrische Kugelbasen sind vermöge der plastischen Poesie als
eben aufbrechende Blumen charakterisiert (wieder ein wenig kindlich fröhlich, aber es
geschah, weil das Blumenmotiv zu der gegebenen Grundform „paßte"; daher kann ein
unbefangenes ästhetisches Gefühl nicht dadurch verletzt werden); die Darstellung ist
schematisch in der Weise des damals herrschenden Metallstils (Weltgesch. 81 zu Fig. 65).
Die altjonische Basis ersetzt, wir wissen noch nicht wie es zuging, die volle Kugel
durch eine zum Tonis abgeplattete, auf einem Trochilus (Weltgesch. 2122). Von diesem
Typus stammt die klassisch attische Basis des Niketempelchens und der Propyläen,
weiterhin des Erechtheions usw. Aber es muß eine Spielart der altjonischen Basis ge-
geben haben mit glockenförmigem Unterglied statt des Trochilus; von dieser vorläufig
noch hypothetischen Mutterform stammt einerseits die persische Basis (Weltgesch. 111;
2 145; sie ist als hängende offene, auf die Blätterspitzen gestellte Blume charakterisiert,
dies immer wieder, weil das Blumenmotiv zu der Grundform paßte); andererseits die
der Athenerhalle zu Delphi1).
Die Geburt der klassisch-griechischen Kunst war keine so einfache Erscheinung,
daß sie mit dem einen oder anderen Schlagwort erschöpfend ausgesprochen wäre.
Und auch sie war schon früh in der Lage, nicht bloß zu empfangen, sondern auch
zu geben.
Die griechische Kunst haben wir auf ihrem Hochgang nicht zu verfolgen. Nur
eins will hier gesagt sein, weil die späteren Erörterungen auf den Punkt Bezug nehmen.
Es handelt sich um die Flächenverzierung.
Die Verzierung konnte entweder auf der Fläche bleiben, oder sich plastisch auf
sie legen, oder in ihren Körper, sei es in negativem Eingraben, oder positiv, ausgespart
beim Herausholen der Körpermasse. Das Primitive übergehen wir abermals, um uns
sofort über die vorklassische Art zu verständigen, wie sie im Orient ihr Bestes leistete,
zeitweise sekundiert von Griechenland, einst zur Heroenzeit, zuletzt in der nicht mehr
so ganz zutreffend als die orientalisierende, unvorgreiflicher als die des altertümlichen
Stils bezeichneten Periode. Die Malerei auf der Fläche gab es überall. Das positiv
aus dem Flächenkörper geschnittene Relief arbeiteten die Ägypter in zweierlei Weise
aus, früher unter Entfernung des Grundes; später ließen sie ihn stehen, indem sie die
Figuren nur durch eine umlaufende Furche von ihm abgrenzten (relief dans le
creux). Daneben verwendeten sie auch das negative Tief bild zur Monumentaldekoration,
in ihrem Relief in Vertiefung, in Tiefschnitt, Siegelschnitt (relief en creux). Die
plastische Arbeit im engeren Sinn, das Auftragen von bildsamem Ton, das Heraustreiben
der gewünschten Form aus Metallblech, war den Ägyptern nicht unbekannt, um so
vertrauter aber den Vorderasiaten. Besonders aus Assyrien besitzen wir noch manche
getriebene Arbeit, wie die Torbekleidung von Balawat, daneben zahlreiche Übertragungen
dieser Formen weit aus dem Metall in Stein, wie die assyrischen Wandreliefs; von der-
gleichen Dingen war oben gelegentlich die Rede. Noch ein paar Sonderarten orien-
talischer Flächenverzierung seien genannt: der vereinzelte Versuch einer Art Wand-
mosaik (Warka), und die Fliesentechnik. Auch sie fehlt nicht bei den Ägyptern, aber
die bedeutendsten Denkmäler dieser glänzenden Dekorationsweise hinterließen uns die
*) Puchstein 1907, 43 leitet die delphische Basis von der persischen ab, und vom Typus
der delphischen die klassisch-attische. Die weltgeschichtliche Stellung der persischen Kunst kommt
freilich nicht zum Bewußtsein, solange sie in der herkömmlichen Weise den altorientalischeu Kunst-
völkern angereiht wird. Meine Weltgesch. hat versucht, sie richtiger einzuordnen.
14 Einleitung.
Assyrer, Nebukadnezar, und die Perserkönige. Ursprünglich reine Flächenkunst lernte
sie zu Nebukadnezars Zeit, die Figuren in schwachem Relief zu höhen. Von allen
den Künsten übten die Hellenen vorzugsweise die Treibarbeit und die Meißelarbeit.
Ich mache darauf aufmerksam, daß die klassisch-griechische Kunst soweit nur mit ihren
Anfangen in Rechnung steht.
Die ältere Flächenverzierung wurde völlig überholt von der ausgebildeten griechi-
schen. Jene frühere Dekoration kam nie aus der Befangenheit heraus, blieb immer
wie im Keime stecken; aber ein unerhörtes plastisches Leben entfaltete sich, intensiv
und extensiv, in den Reliefs der griechischen Blütezeit. Man muß den Torbeschlag
von Balawat oder die Fliesen Nebukadnezars, auch der Perser, mit den griechischen
Monumentalskulpturen vergleichen, vom Parthenon bis zum pergamenischen Giganten-
fries, um die Weite des Abstandes zu ermessen.
Aber man hüte sich, dem Gesagten eine falsche Spitze zu geben. Wenn wir auch
als Hauptvertreter der alten Weise Orientalen nannten, Assyrier, Babylonier, Perser,
so entspräche es doch nicht unserer Meinung, die orientalische Weise der griechischen
in dem Sinne gegenüberzustellen, als ob die alte Weise spezifisch orientalisch und nur
orientalisch wäre. Wohl war die entwickelt plastische Art der Flächenverzierung
spezifisch griechisch, dem Orient blieb sie fremd. Aber nur deshalb, weil der Orient
in der Kunst nie aus dem Primitiven herauskam. Primitiv heißt uns hier nicht das
Frühzeitliche, Vorgeschichtliche, sondern das Unausgereifte, in der Entwicklung Stecken-
gebliebene. Wie wir von der statuarischen Plastik sagten, die Griechen fingen da an,
wo die Ägypter aufhörten, so gilt ähnliches von der Flächenverzierung: die griechische
Blüte brachte zur Reife, was zuvor — bei Orientalen und Griechen — noch im Keime
stak. Ein geistreicher Franzose hat einmal die japanische Malerei mit griechischen
Vasenbildern der Perserzeit verglichen; man wird solche Einfälle nicht pressen, aber
wenn der Vergleich ein Körnchen Wahrheit enthält, so ist's dieses, daß die japanische
Malerei bei allem verblüffenden Können doch über das Stadium nicht eigentlich hinaus-
kam, das für die Griechen noch Wiege war. Die japanische Kunst ist groß gerade
in ihrer Beschränkung, die griechische, und darauf kommt es uns hier an, hatte zu
Beginn des fünften Jahrhunderts die Eierschale, so lose sie ihr schon aufsaß, doch noch
nicht abgeworfen. Die unentwickelte Flächenverzierung ist nicht etwa ungriechisch,
nicht ausschließlich orientalisch, sondern in dem eben umschriebenen Sinne allgemein
primitiv.
An diese Bemerkungen seien andere angeschlossen über das wichtige Element der
Dekoration, das Ornament. Die Griechen behielten neben Wenigem aus dem geo-
metrischen Stil eine Auswahl jener meist entlehnten, allerdings auch gründlich assimi-
lierten Ornamente bei. Im ganzen behandelten sie das Gut als zierliches Linienspiel,
oft genug aber bricht der ursprünglich pflanzliche Charakter, bricht auch der immer
treibende Geist des Pflanzenornaments, deutlich durch; dabei hält sich die Zeichnung
im herrschenden Stil, mutet wie absichtliche Stilisierung an. Im fünften Jahrhundert
aber betrat die griechische Ornamentik einen neuen Weg, den Pfad des Naturalismus,
und zwar in Anlehnung an das Vorbild einheimischer Pflanzen. Schon im sechsten
Jahrhundert hatten jonische Vasenmaler gelegentlich naturalistische (intentionell natura-
listische) Zweige, anscheinend Lorbeer, auf die Schulter der Vase gelegt; im peri-
kleischen Zeitalter wurde der Lorbeerstab als bleibender Besitz in die Ornamentik
eingeführt; immer verleiht er ihr eine eigene Note von Vornehmheit. Schon kurz
Orient und Hellas. 15
zuvor war der Akanthus aufgesproßt, zuerst am Fuß des Anthemions, anfangs wie
schüchtern, aber stetig sich ausbreitend, bis er dann endlich dazu mitwirkte, die schönste
Blüte der griechischen Architektur zu zeitigen, das korinthische Kapitell. Wahrlich
eine originale Schöpfung; aber wie alle geschichtlichen Erscheinungen geschichtlich be-
dingt. Seine Grundform, im Gegensatz zum dorischen und zum jonischen Kapitell
überhöht, der Kalathos, war schon von den Ägyptern als edlere Form erkannt worden;
die an den vier Seiten wiederkehrende Verzierung, eine Palmette auf der Fuge zweier
Bandeinrollungen, mit seitlichen höheren, am oberen Ende ebenfalls eingerollten Ver-
tikalsprossen, vorgebildet in den Palmettenreihen der Simen, in den Anthemien der
Stelen, in den Henkelpalmetten der bemalten Vasen, deutet zurück auf Assyrisches;
von unten herauf aber wächst das griechische Neue, das Akanthusblattwerk. Das erste
uns bekannte Kapitell dieser Art, leider nicht zuverlässig überliefert, stellte Iktinos in
die Reihe jonischer Säulen im inneren Peristyl des Apollontempels zu Bassae. Nicht
erst das vierte Jahrhundert, sondern bereits das fünfte schuf dies griechische Pflanzen-
kapitell, als die reifste Idee der griechischen Architekten; durch den Baumeister des
Parthenon ist es mit der perikleischen Baukunst unlösbar verknüpft, als ein nach-
geborenes Kind des perikleischen Zeitalters. Sofort drückte das Juwel attischer Archi-
tektur, das Erechtheion, auf die Einführung des Akanthusornaments in die Baukunst
sein bestätigendes Siegel.
Freilich, am Kapitell von Bassae umkleiden die gereihten Akanthusblätter nur den
untersten Teil des Kalathos; aber im vierten Jahrhundert sehen wir sie an der epidau-
rischen Tholos und am Lysikratesdenkmal höher wachsen und die Helikes weiter
hinaufschieben. Endlich bildet sich der hellenistisch -römische Typus, der gleich hier
in einigen Hauptzügen charakterisiert sein mag: die Helikes schieben sich bis hart an
die Deckplatte heran, das Doppelblatt, aus dem je ein Volutenpaar hervorgeht, ent-
wächst dem Knoten eines geriefelten Stengels (dem sog. Füllhorn). So ward ein
Weltherrscher in der Kunst.
Das griechische Pflanzenkapitell geht im Naturalismus nicht so weit wie das
ägyptische. Der Kunsttheoretiker wird geneigt sein, in dieser Zurückhaltung bewußte
Weisheit zu sehen. Anders der Kunsthistoriker, dem die geschichtliche Bedingtheit
selbst dieser wundervollen Schöpfung durchsichtig ist; ihm liegt die Frage nahe, ob
nicht eine Gebundenheit durch die Tradition als Hemmungsursache mit im Spiele sein
könne. Längst hat man bemerkt, daß die klassische Kunst sich nur schrittweise ent-
wickelte, wieviel Schweiß es ihr kostete, der Gebundenheit Herr zu werden, in Frei-
heit walten zu können. Da läßt sich die angedeutete Frage nicht kurzerhand abweisen 1).
Wie stellt sich nun im Hellenismus die Rechnung zwischen Orient und Hellas?
Um die Frage exakt beantworten zu können, müßten wir die Kunst in der Zeit des
Hellenismus gründlicher kennen, als es bisher der Fall ist. Wohl hat unsere Kenntnis
im letzten Menschenalter erheblich zugenommen, aber gerade durch das neugewonnene
Licht tritt die noch übrige Dunkelheit um so schärfer hervor. Die Auffassung, in der
wir die soweit bekannten Tatsachen zu verstehen suchen, bleibt einstweilen hypothetisch.
Die griechische Kunst sandte schon im sechsten und fünften Jahrhunderte ihre
Missionare bis Massilia und bis Persepolis. Nun baut sie ihre Weltherrschaft aus.
Im Osten folgte sie den Heeren des großen Eroberers und seiner Nachfolger, des
l) Weltgesch. 198; 2221 Epoche des korinthischen Stils. Ebenda 207; 2227 Akanthus.
1 6 Einleitung.
Sonnenkönigs und der kleineren Fixsterne, die in den Teilen seines Reiches Herrscher
wurden. Da kam ein Schwung in die Kunst, der sie in die Geleise des Barockstils
warf. Orientalisch ist an alledem wesentlich nur die politische Voraussetzung, das
Großkönigtum. Die Kunst selbst blieb immer griechisch. Hätte die Überphantasie
ausgeführt werden können, den Berg Athos in eine gelagerte Gottesgestalt zu formen,
so wäre es der ungefügste Koloß geworden, aber ein griechischer. Der Hellenismus
hat seinen Namen daher, daß die Völker nun intensiver hellenisierten, als sie es zuvor
schon taten, nicht von einem Barbarisieren der Hellenen. Wohl übernahmen sie einiges
neu, was indessen nicht alles von Gewicht ist. Doch von mehreren! müssen wir reden,
wie vom Backsteingewölbe. In Lehm und lufttrocknen Ziegeln wölbten die Ägypter,
mehr noch die Mesopotamier seit alters; mit Keilsteinen wölbte man in Griechenland
und Italien, wir wissen nicht genau wie lange schon, die Denkmäler beginnen in der
hellenistischen Zeit. Das großräumige Backsteingewölbe mögen die Griechen in Ägypten
erdacht haben, vielleicht noch eher in Syrien (Seleukeia, Antiochia), irgendwann in der
Periode des Hellenismus: der griechische Geist befruchtete den altorientalischen Brauch.
— Dann interessiert uns wieder die Flächenverzierung. Einmal die Marmor-
verkleidung. Der altorientalische Ziegelbau hüllte sich in Verkleidung mit schützendem
und auch verschönerndem Überzug; dazu benutzte er die verschiedensten Materialien,
bemalten Putz und glasierte Fliesen, Metallblech in Bronze, selbst in Gold, Steinreliefs.
Bei den Griechen wurden die Tempelmauern seit dem siebenten Jahrhundert massiv
aus Quadern aufgeführt, auch wenn das Material Marmor war; die Wohnhäuser, auch
der Vornehmen und Reichen, begnügten sich mit Ziegelwänden, sie werden geputzt
und getüncht gewesen sein, vereinzelt kam auch bei ihnen Blechüberzug vor. Im Be-
reich des Mittelmeers waren es die hellenisierenden Könige an Asiens Westküste, die
zuerst ihre Ziegelpaläste monumental verkleideten, mit Marmortafeln, als deren Surrogat
später Marmorstuck eintrat; Mausolos von Halikarnaß führte den Reigen. Wenn wir
nun bemerken, daß bereits in der Zeit der Vorblüte die punischen Herren, und in der
perikleischen die sidonischen, ihre Särge von griechischen Bildhauern in griechischem
Marmor herstellen ließen, so werden wir nicht zweifeln, daß der ganze Palast des
Kariers in griechischem Stil ausgeführt war. — Endlich das Mosaik. Man pflegt
seinen orientalischen Ursprung stillschweigend vorauszusetzen, obwohl wir von älter
orientalischem Mosaik gar nichts und von dergleichen, das als Vorläufer des Mosaiks
gelten darf, nur wenig wissen. Man könnte sehr wohl auf den Gedanken kommen,
die Technik habe sich in und aus dem überall verbreiteten Estrich entwickelt, einerlei
wo, vielleicht bei den Griechen, bei denen wir Mosaik zuerst antreffen; auch fehlt es
nicht an Denkmälern klassischer Kunst, die eine solche Entwicklung plausibel zu
machen vermöchten. Doch sei es drum, es mag etwas Orientalisches zugrunde liegen,
das Wesentliche ist, daß die Orientalen nichts aus der Sache zu machen wußten, wohl
aber die Griechen. Und die Erfindung kaum gemacht haben sie ihr sofort hohe Auf-
gaben gestellt. Hieron von Syrakus, im dritten Jahrhundert vor Christus, ließ sich von
dem Architekten Archias von Korinth unter Oberleitung des Archimedes eine Yacht
bauen; der Fußboden des Aphrodisions war ein Plättchenmosaik aus Achat und andern
edlen Steinarten, das Verdeck aber trug einen Mosaikboden mit der Ilias in Bildern.
Die antike Mosaiknachbildung eines im Original verlorenen Gemäldes, mit das um-
fangreichste, jedenfalls das herrlichste aller Mosaikbilder, besitzen wir in der Alexander-
schlacht aus Pompeji; nach den vielleicht ursprünglich zugehörigen Mosaikstreifen der
Hellas, Rom und der Orient. 17
Schwelle zu urteilen, mit Nilstilleben, stammte es wahrscheinlich aus Alexandria, wohl-
verstanden aus dem griechischen.
Es bleibt die Zeit der Römer zu besprechen. Wie verteilen sich da die Rollen
zwischen Hellas, Rom und dem Orient?
Hellas, Rom und der Orient
Die Zeit der Römer rechne ich von der Periode ihrer entscheidenden Erobe-
rungen an, durch die sie Herren der alten Welt wurden. Die Kaiserzeit aber ver-
mag ich nur vom ersten, dem einzigen Cäsar an zu rechnen. „Der neue Monarch von
Rom," sagt Theodor Mommsen, „der erste Herrscher über das ganze Gebiet römisch-
hellenischer Zivilisation, Gaius Julius Cäsar, stand im sechsundfunfzigsten Lebensjahr,
als die Schlacht bei Thapsus, das letzte Glied einer langen Kette folgenschwerer Siege,
die Entscheidung über die Zukunft der Welt in seine Hände legte. Weniger Menschen
Spannkraft ist also auf die Probe gestellt worden, wie die dieses einzigen schöpferischen
Genies, das Rom, und des letzten, das die alte Welt hervorgebracht und in dessen
Bahnen sie denn auch bis zu ihrem eigenen Untergange sich bewegt hat."
Die Triumphzüge der römischen Feldherrn fällten Rom mit griechischen Kunst-
werken, brachten auch schon einzelne griechische Künstler dorthin. Bedeutungsvoller
für die weiteren Geschicke der Kunst war die Anziehungskraft, welche die Hauptstadt
auf die regsamen Griechen ausübte, war andererseits der maßgebende Einfluß, den die
Herren der Welt wenigstens auf das Programm ausübten, eines Baues, einer Aus-
stattung, zunächst für den Kunstbetrieb in Rom selbst, nach den Umständen aber auch
draußen im Reich. Das eigentlich Künstlerische verblieb den Griechen. Und wenn
zwischen den vielen griechischen Künstlernamen sich einmal ein römischer findet, nun,
so hat dieser Römer seine Lehrzeit eben in einer griechischen Werkstatt durchgemacht
und hat sich in die Mysterien der Griechenkunst einweihen lassen; dann trug er, ein
jeder in seinem Fach, den griechischen Thyrsos wie nur ein Grieche. Wie einst die
Skythes, die Amasis, die man für geborene Skythen und Ägypter zu halten Ursache
hat, in die athenischen Töpfereien eintraten und attische Vasenmaler wurden.
Noch immer und immer wieder hört man von „römischer Kunst" reden. Und
wenn die Kaiserzeit in Frage steht, so klingt es, als ob die Antike da ein ganz neues
Gesicht aufgesetzt hätte, statt des griechischen ein römisches. Einst als die klassisch-
griechische Kunst sich in den Sattel setzte, um zu reiten, da nahm sie allerdings dem
Orient den Herrscherstab aus der Hand. Jetzt aber, da die Römer den Griechen das
politische Zepter nahmen, ließen sie ihnen die Herrschaft mindestens der Kunst, allen-
falls daß sie wie gesagt in ihre Arbeit eintraten. Von einem tiefgreifenden Wandel,
von einem Übergang der Kunst aus den Händen der Griechen in die der Römer kann
keine Rede sein. Gab es denn überhaupt eine römische Kunst, die der griechischen
eigenkräftig genug gegenüber gestanden hätte, um sie entthronen und sich an die
Stelle setzen zu können? Nein, die in Rom geübte Kunst war immer abhängig. Emp-
fänglich war ja gewiß auch die griechische, aber sie blieb immer Herrin der Lage,
während die Italiker nicht imstande waren, eine nationale Kunst herauszuarbeiten. Die
Archäologen streiten darüber, wieviel die Etrusker den Phöniziern und Puniern, wieviel
sie den Griechen aus Hellas, aus dem Osten und aus Großgriechenland verdankten;
dies war soviel, daß man neuerdings geneigt ist, jedes bessere nicht geradezu barbari-
Sybel, Christliche Antike II. 2
18 Einleitung.
sierende Werk, das sich in Etrurien fand, für griechische Einfuhr zu erklären. "Wenn
dann die Römer bei den Etruskern in die Schule gingen, so wurden sie Enkelschüler
der Griechen. Nicht allein dies, sondern ihre Schriftsteller melden von griechischen
Künstlern, die zur Ausführung wichtiger Werke nach Rom berufen wurden, und der
Einstrom griechischer Kunsterzeugnisse ging fort und fort. Wenn dann gesagt wird, in
den hellenistischen Zeiten hätten die Römer der hellenistischen Kunst Einlaß gewährt,
so daß sie die etruskische Bauweise aufgaben und die griechische annahmen, so wird
damit festgestellt, daß die römische Kunst, soweit sie noch nicht griechisch gewesen
wäre, es nun wurde.
Nicht aus einer imperialistischen Voreingenommenheit für die Weltherrschaft der
griechischen Kunst betone ich das; im Gegenteil, lieber sähe ich ein jedes Volk im
Besitz einer nationalen Kunst. Wieviel reicher wäre die Welt dann. Und ich würde
jedem dankbar sein, der mir eine spezifisch römische Kunst demonstrierte, aber exakt,
vor allem auf synchronistischer Basis. Es würde ein Buch erfordern, aber es wäre
wert geschrieben zu werden. Ob es je dazu kommt? Einstweilen ist nur Griechisches
zu sehen. Wohl aber wirkt das Gesetz der Geschichte weiter, alles Seiende verändert
sich, Schritt vor Schritt ändert sich die griechische Kunst auch in der Kaiserzeit; und
so produktionskräftig der Osten noch ist, Kleinasien und die Hauptstädte, wie Alexandria,
Antiochia, so hat sich doch der Schwerpunkt der griechischen Kunst nicht unerheblich
verschoben, nach Rom. Das gilt für solange, als Rom die Reichshauptstadt blieb.
Streng genommen ist es noch nicht an der Zeit, über die Stellung Roms in der
Weltgeschichte der Kunst abschließende Urteile zu fällen. Die Kunst Roms und der
römischen Zeit hat lange nicht soviele Bearbeiter gefunden als die klassisch-griechische,
deren Bild dank den Funden und Ausgrabungen des letzten Jahrhunderts und der
darauf gewandten gelehrten Arbeit reich ausgebaut werden konnte. Dagegen gemessen
stand Rom die Zeit her einigermaßen im Schatten. Doch ist man nicht untätig. Am
natürlichen Mittelpunkte der römischen Studien, in Rom selbst, regen die auch dort
fortgehenden Ausgrabungen zu immer tiefer greifenden Untersuchungen an. Einen
besonderen Kristallisationsmittelpunkt bildet die Bearbeitung des Korpus der „Antiken
Sarkophagreliefs"; ihren Ergebnissen für die Kunstgeschichte sehen wir noch entgegen.
Aber außer den klassischen Archäologen haben noch andere Gelehrte von ganz ver-
schiedenen Gebieten her, allerdings Nachbargebieten, kräftige Vorstöße in unser Gebiet
unternommen, nämlich Kunsthistoriker im konventionellen engeren Sinne, diejenigen,
denen die Erforschung der mittleren und neueren Kunst obliegt. Die immer neu ver-
handelte Frage nach den Wurzeln der mittelalterlichen Kunst mußte sie notwendig in
die Antike zurückführen, zunächst in die spätere. Es war nur natürlich, daß sie ihre
eigenen Gesichtspunkte mitbrachten; infolgedessen mußte ihre Behandlung anregend
wirken, aber auch auf Widerspruch stoßen. Einstweilen wird man anerkennen, daß sie
auf manches nicht oder nicht genügend Beachtete die Aufmerksamkeit hingelenkt
haben. Übrigens sind weder die einschlagenden Forschungen noch die über sie ge-
führten Verhandlungen schon am Ziel. Der Aufgabe dieses Buches, welches noch
Fernstehende einfuhren will, wird es entsprechen, wenn wir über jene Forschungen
und die auf sie gebauten Hypothesen hier in Kürze berichten, auch mit Benutzung
ihrer Worte. Nur müssen wir dabei unsere Grenze einhalten. Hier interessiert uns
nicht der Ursprung der mittelalterlichen Kunst, sondern bloß der Ausgang der Antike.
Wir sind daher genötigt, jene Forschungen und Hypothesen gleichsam von ihrem
Hellas, Kom und der Orient. 19
Mutterboden abzulösen und nur dasjenige aus ihnen herauszuheben, was sie zum Ver-
ständnis der Antike anbieten. Wir wissen, daß wir ihnen auf diese Weise nicht völlig
gerecht werden; aber man wird es verstehen, wenn wir in den Grenzen der Antike zu
bleiben vorziehen.
Zur besseren Übersicht wird es gut sein, die Epochen der Kunstgeschichte in der
Kaiserzeit sich gegenwärtig zu halten. Von Unterabteilungen abgesehen unterscheiden
wir die frühere Kaiserzeit von Cäsar und Augustus bis Hadrian, eine zweite, mittlere
Epoche von den Antoninen bis Konstantin, und die Spätantike von Konstantin bis
Justinian (Weltgesch. 377; 2384).
Alois Riegl schrieb Grundlegungen zu einer Geschichte der Ornamentik. Im
Widerspruch zu Gottfried Sempers Lehre vom Einfluß des Materials und der Technik
auf die Stilbildung betonte er die Bedeutung des selbstherrlichen Kunstschöpf ens, des
freischöpferischen Kunstwollens; und im Widerspruch zu der anderen Lehre vom spon-
tanen Entstehen der Künste in den verschiedenen Ländern verlangte er Anwendung
der historischen Methode, der geschichtlichen Ableitung. So ist ihm die Entstehung
der Kunst des Islam nicht eine innere Angelegenheit des Orients, sondern der Universal-
geschichte der Kunst. Das Wesentliche der sarazenischen Kunst, die Arabeske, beruht
auf der Ranke; die Ranke aber war dem alten Orient noch fremd, Griechenland hat
sie gefunden.
Die Ranke schätzt Riegl als die besondere und als eine besonders fruchtbare Er-
rungenschaft der griechichen Ornamentik ein, schon in der ägäischen Zeit trat sie auf;
eine zweite Errungenschaft war das Akanthusornament, von Riegl als eine fortschreitende
Naturalisierung der Palmette aufgefaßt. Im Hellenismus setzt eine, die Folgezeit zu-
nehmend beherrschende rückläufige Bewegung ein, die auf Entnaturalisierung, Geometri-
sierung geht. Bemerkenswertestes Kennzeichen ist die „unfreie" Gestaltung sowohl der
neben allem Naturalisieren immer weiterlebenden Palmette als auch des Akanthus-
blattes: statt als freie Endigung sich von der Ranke zu lösen, läßt das Blatt, oder die
Palmette (beides nur halb gegeben, als Akanthushalbblatt, als Halbpalmette) aus der
eigenen Spitze die Fortsetzung der Ranke hervorgehen, eine dem Pflänzenorganismus
widersprechende Bildung. — Wir möchten lieber sagen, die beiden in der Ornamentik
wirksamen Tendenzen, einerseits sich in bloßen Linien- und Formenspielen zu gefallen
und gegebene Motive als bloße Linien- und Formenspiele zu behandeln, andererseits
die Linien und Formen zu naturalisieren, liegen in dauerndem Widerstreit, in ewiger
Spannung; gerade aus dieser Spannung strömt die lebendige Kraft, welche die Fort-
entwicklung des Ornaments in Gang erhält. Daß dabei bald die eine, bald die andere
Tendenz das Übergewicht hat, immer wieder aber beide in annäherndem Gleichgewicht
sich die Hände reichen zu gemeinsamem Schaffen, lehrt der Gang ihrer Geschichte.
Gerade aus dem Beginne der Kaiserzeit stammt das Äußerste an naturalistischem Orna-
ment, das wir der klassischen Antike verdanken; und die von Riegl wohlbemerkten
dichtbelaubten Ranken der Kaiserzeit sind ebenfalls von einem energisch naturalistischen
Trieb eingegeben, trotz der hinein verwebten unfreien Halbblätter.
Die abendländisch altchristliche Kunst hat Riegl übergangen. Ganz auf sein
eigentliches Objekt und Ziel gerichtet, die mittelalterliche Kunst, und zwar die des
mohammedanischen Morgenlandes, geht er sofort zur Betrachtung der oströmischen Kunst
über und zwar in ihrer frühbyzantinischen Phase; seine Beispiele entnimmt er dem
späteren fünften und dem sechsten Jahrhundert. Das grundsätzliche Unterscheidungs-
2*
20 Einleitung.
merkmal für den byzantinischen Akanthus findet er nicht wie Strzygowski in dem
scharfen Zackenschnitt der Ränder, gegenüber den weicheren Formen der westlichen
Akanthbildungen (er lehnt auch die Ableitung dieses Gegensatzes aus dem Unterschied
der östlichen acanthus spinosa von der westlichen acanthus mollis ab), sondern in der Auf-
lösung des früheren Gesamtblattes in einzelne kleinere Blätter durch scharfe Einziehungen
zwischen den Lappen. Die Einzellappen, meist Dreiblätter, erscheinen auch isoliert, wie
herausgezupft aus dem ganzen Blatt. Sodann aber wandelte sich die dichtbelaubte
Wellenranke mit ihren teilweis unfreien Halbblättern in ein wellenrankenförmig fort-
laufendes Akanthusblatt; dieses aber dient weiter dazu, nicht bloß niedrige Friese, sondern
in freien Schwingungen auch größere Flächen zu füllen. Endlich erscheinen auch die
durch eigentümliche Rankenführung entstehenden Bandverschlingungen , in Kreisen,
größeren und kleineren im Wechsel, im Spitzoval oder im Kielbogen, in geradlinigem
aber geknicktem Zuge. Zu alledem finden sich schon in früherer Zeit Ansätze, z. B.
in den pompejanischen Dekorationsmalereien, doch auch in skulpierter Ornamentik. —
Den byzantinischen gehen die sassanidischen Ornamente parallel, wie sie auch den by-
zantinischen gleichartig sind, sowohl vermöge ihrer Vorgeschichte wie in ihrem Nach-
leben; der Prozeß hat sich in allen von der oströmischen Kunst beherrschten Gebieten
gleichmäßig angebahnt.
Riegl kommt zu dem Schluß, daß die frühbyzantinische Weise der sarazenischen
bereits sehr nahe steht. An den Blumen- und Blattmotiven blieb nicht viel zu ändern,
um zur reinen Arabeske zu gelangen; nur in der Rankenführung war auf bereits ein-
geschlagenem Wege ein entschiedener Schritt vorwärts zu tun. Riegl, der vom Mittel-
alter ausgeht, um nach der Umschau in der Antike zu ihm zurückzukehren, mißt die
Antike am Sarazenischen. Wir, die wir das Mittelalter außer Betracht lassen, würden
uns begnügen zu sagen: auf dem Boden der griechischen Ornamentik, wie sie sich ins-
besondere seit dem Hellenismus und in der Kaiserzeit entwickelt hatte, erwachsen
brachte die frühbyzantinische Weise manche der während dieser Entwicklung befruchteten
Keime zur Reife; damit endete die antike Ornamentik, indem sie es dem kommenden
Mittelalter überließ, wie es mit dem hinterlassenen Erbe wirtschaften wolle.1)
Anderen Darstellungen gegenüber stellen wir fest, daß Riegl die von Anbeginn
vertretene Auffassung bis zum Ende behauptete, die Auffassung, daß der Hellenismus
der Boden war, auf dem alle folgende Kunst erwuchs, und daß die treibende Kraft
immer auf Seiten der Griechen war, durch alle Epochen der Kaiserzeit. Auch er
unterscheidet die frühere Zeit bis zu den Antoninen, eine mittlere von Mark Aurel bis
Konstantin, die späte von Konstantin bis Justinian.3) Die nachkonstantinische Zeit
nennt er „spätrömisch", aber nicht in dem Sinne, als hätte in der Stadt Rom oder im
römischen Westreich der Schwerpunkt der Kunst gelegen, die Führung lag stets beim
griechischen Osten. Sein „römisch" hat immer das Weltreich im Auge, in dessen
Kunstschaffen die schöpferische Rolle auch nach Konstantin demselben Griechenvolke
verblieb, das diese Rolle, seit dem Niedergange der altorientalischen Völker, das ganze
Altertum hindurch gespielt und zu unerhörten Erfolgen gebracht hatte. So ist auch
die Kunst der römischen Kaiserzeit im wesentlichen noch immer eine griechische zu
nennen; eines neuen Volkes mit neuen Kunstidealen bedurfte es nicht, die entscheidenden
*) Alois Riegl, Stilfragen, Grundlegungen zu einer Geschichte der Ornamentik, Berlin 1893.
9) Die mittlere und die späte (also von Mark Aurel bis Justinian) faßt er zusammen uuter
dem Begriff der „Spätantike*.
Hellas, Rom und der Orient. 21
positiven Leistungen gingen stets von der oströmischen Reichshälfte aus. In allen
Teilen des Reichs wirkte der Hellenismus; auch für Parther und Sassaniden wie für das
Ägypten der Spätantike gilt, daß ihre Kunst (Riegl redet speziell von der Teppich-
ornamentik, meint es aber umfassender) auf hellenistische Wurzeln zurückzuführen ist,
nicht, wie man meist glaubte, auf assyrische oder altpersische.
Eine großangelegte Charakteristik der nachkonstantinischen Kunst gibt das Werk
„Spätrömische Kunstindustrie". Riegls historische Forschung ist verwachsen mit einer
Kunsttheorie, die von einem gesunden Motiv ausgegangen zu einem System sich aus-
wuchs, das den Archäologen zu immer neuem Widerspruche reizt. So hat er gewiß
recht, gegenüber einer einseitig nur der Kausalität nachspürenden Kunstinterpretation
dem „Kunstwollen" des Künstlers zur Anerkennung zu verhelfen, das, auf Hervorbringen
einer bestimmten künstlerischen Wirkung zielend, die Kunstmittel freiwählend in den
Dienst der Kunstabsicht stellt. Aber er verfällt selbst der Einseitigkeit, wenn er die
doch auch bestehende Kausalität verneint und das bewußte Kunstwollen bis zum Bizarren
übertreibt. Gottfried Sempers Lehre vom Einfluß des Materials und der Technik auf
den Stil behält ihre Geltung so gut wie Riegls Lehre vom freien und bewußten Kunst-
wollen, eine jede an ihrem Ort und in ihren Grenzen. Wenn nun Riegl in der spät-
römischen Kunst einen Verfall nicht anerkennt, so hängt das mit dem „Kunstwollen"
zusammen. Die unleugbar auftretenden Verfallserscheinungen haben nur relative Be-
deutung. Sie sind ein Rückgang dessen, worauf die vorausgegangene Blüte beruhte;
das Plastische, worin die Stärke der klassischen Antike gelegen hatte, ging zurück.
Aber es ward, bewußt und absichtlich, einem höheren Zwecke geopfert, es mußte fallen,
um der Zukunft den Weg frei zu machen, der Moderne. Ich greife hier nur ein paar
Sätze heraus, deren Sachliches uns wiederbegegnen wird. Die klassische Antike hatte
die Formen nur in der reinen Ebene zur Anschauung gebracht, ohne Tiefe; sie war
„grundsätzlich raumfeindlich". In der mittleren Kaiserzeit (deren Art und Weise aber
noch weit in das vierte Jahrhundert hinein herrschte) kam insofern auch der Raum
zu einiger Geltung, als die Form sich vom Grunde löste, der nun dunkel unter und
zwischen den hellen Formen zu stehen kam; das gab einen Wechsel von Hell und
Dunkel, eine Art farbigen Rhythmus. Im ausgereiften, nachtheodosianischen Spät-
römischen fallt die plastische Form vollends in die Fläche ohne Tiefe zurück; aber der
Grund zwischen den Formen erhielt Eigenbedeutung, gleichwertig dem Muster, es ent-
stand der Rhythmus der Intervalle, usf.1)
In der Einleitung zur Ausgabe der Wiener Genesis entwarf Franz Wickhoff eine
geistvolle Entwicklungsgeschichte der Kunst der Kaiserzeit bis ins vierte Jahrhundert.
Seine Ausführungen fallen soweit ganz in den Rahmen der Antike und unseres Inter-
esses; nur aus dem Anlaß der Miniaturen wirft er ein paar Blicke in das Mittelalter.
Der hellenistische Barockstil hatte noch zu Ende des dritten vorchristlichen Jahr-
hunderts Werke allerersten Ranges geschaffen, an absolutem Werte in nichts den Meister-
werken der großen Künstler von Phidias bis Lysipp nachstehend, Gebilde, die in kühner
Bewegtheit und in pulsierendem Leben die Natur selbst zu übertreffen schienen. Aber
dem Rausche folgte die Ernüchterung, im alexandrinischen Empirestil. Nun erst trat
Rom in die Arena. Bis zum ersten Jahrhundert v. Chr. war die Kunst in Rom nur
*) Riegl, Altorientalische Teppiche 1891, 109 Der Knüpfteppich im Verhältnis zur alt-
orientalischen Kunst. Derselbe, Spätrömische Kunstindustrie I 1901 (der zweite Teil ist nicht
erschienen).
22 Einleitung.
gelegentlich herbeigerufen worden, von einer regelmäßigen Entwicklung konnte dort
nicht die Rede sein; erst in der Kaiserzeit fing sie an.
Rom kann als die letzte der hellenistischen Kunststätten gelten, Griechen waren
die Schöpfer der römischen Kunst. Der allgemeine Charakter dieses römischen Hellenis-
mus war ein etwas trockener Naturalismus. Er herrscht im „Architekturstil" der Wand-
malerei, wie in der Pflanzendarstellung der Wiener Brunnenreliefs, den beachtens-
wertesten unter den augusteischen Stücken der „hellenistischen Relief bil der". Natura-
listisch ist die Wirklichkeitsdarstellung in den Zeremonienbildern der Ära Pacis. Immer
derselbe nüchterne Empirestil eignete sich am besten, die kühle Eleganz des halb-
gebildeten römischen Adels auszudrücken; so schuf er den Knabenkopf des Oktavian
und, in seiner Fortdauer, die vatikanische Statue des Augustus. Von griechischen
Künstlern ausgebildet, jedoch schon von den römischen Auftraggebern beeinflußt, liefert
die letzte Phase der hellenistischen Kunst den Grund, auf dem sich die nationale römische
Kunst aufbauen sollte.
Den augusteischen imitativ naturalistischen Stil löste ein neuer ab, der „illusioni-
stische", wie er in der claudisch-flavisch-trajanischen Zeit sich herausbildete. Der
Naturalismus war seine Voraussetzung, er verschaffte dem Künstler die Beherrschung
aller Formen und Farben, auf daß er nun endlich dem Gegenstand in voller Freiheit
des künstlerischen Schaffens mit Abstand gegenüberstehen könne. Aber den Griechen
war ein Herauskommen aus dem imitativen Naturalismus nicht mehr möglich, es ge-
hörten neue Kräfte dazu, die mit dem römischen Auftraggeber verwandten Blutes waren.
Den benötigten Arbeiterstamm lieferte die gemeinlateinische Kunst, die auf etruskischer
Grundlage fußend in ganz Italien zu finden war, außer dem gräzisierten Süden. Ihre
erste bedeutende Leistung waren die etruskischen realistischen Porträts, wie wir sie im
Museo Gregoriano bestaunen; in deren noch unreifem Illusionismus behandelt z. B. der
Giebelschmuck von Luni sein hellenistisches Vorbild. Nach Augustus also zogen, zur
Ergänzung der für die Fülle der Aufträge nicht mehr zureichenden Griechen Arbeiter
aus den Kleinstädten Italiens nach der Hauptstadt. Nun standen den Auftraggebern
Künstler der eigenen Nation zur Verfügung, und an die Stelle des morgenländisch
hellenistischen trat der abendländisch lateinische Stil, die nationalrömische, die römische
Reichskunst. Ging die griechische Kunst immer auf das Typische aus, so die römische
auf das Individuelle. Nun erlebte der Illusionismus, der die Illusion des Wirklichen
nicht mehr durch erschöpfende Wiedergabe des dargestellten Organismus erstrebte,
sondern durch Auswahl der Züge, die den Eindruck der Erscheinung in einem be-
stimmten Momente täuschend wieder zu erzeugen vermögen, seine höchste Ausbildung.
Die neue Malweise, das letzte Wort des Malers, gesellte sich eine neue Erzählungs-
weise. Wickhoff unterscheidet die naive „kompletierende", die alles aussprechen will,
was mit dem Gegenstand zusammenhängt, sodann die reife und klassische „distin-
guierende", welche herausgehobene Momente der Erzählung in besonderem Rahmen vor-
führt, einzeln oder in Zyklen, endlich die neue „kontinuierende", welche die verschiedenen
Momente der fortschreitenden Handlung im selben Rahmen aneinanderreiht. Wenn
auch in der griechischen Kunst schon vorbereitet, gehörte diese letztere Erzählungs-
weise als ausgeprägter Stil doch erst der Kaiserzeit an, ist keine griechische noch
hellenistische Weise, sondern eine römische. Einige Belege für den Illusionismus und
die kontinuierende Darstellung. Die Wandmalerei bildete ihren Architekturstil ins Illu-
sionistische um im „vierten Stil"; eingestreute Kleinbilder aller Art, Stilleben und
Hellas, Rom und der Orient. 23
Küchenstücke sind Kabinettstücke des Stils, im pompejanischen Macellum hat er sein
Bestes geleistet. Illusionistisch behandelt ist die kontinuierende Darstellung der es-
quilinischen Odysseelandschaften (nach Wickhoff trajanisch). In Marmorrelief aber ent-
standen illusionistische Pflanzen- und Tierdarstellungen, wie die rankenden Rosen vom
Hateriergrab, der in den Kranz tretende Adler in Santi Apostoli, das lateranische
Relief mit über den Grund gestreuten Zitronen- und Quittenzweigen fast in japanischer
Art. Die Triumphalreliefs des Titusbogens täuschen illusionistisch das Vorbeiziehen
vor; das Wogen der Schlacht, in der kontinuierenden Weise verknüpft mit der Sieges-
feier, schildert Trajans großes Relief (zerlegt und dem Konstantinsbogen eingefügt);
das Höchste in kontinuierender Darstellung leistet die Trajanssäule. Groß ist die Zahl
vorzüglicher Privatporträts dieses Stils, leuchtendste Probe der Illusionsplastik aber der
Nerva in der vatikanischen Rotunde.
Wickhoff versucht das Fortleben jener Doppeltendenz an bedeutenden Denkmälern
bis in das vierte Jahrhundert zu verfolgen. Diese nationalrömische Kunst strömte als
Reichskunst nach dem griechischen Osten, zurück also zu ihren ersten Ausgangspunkten,
den Stammsitzen der hellenistischen Kunst in Ägypten, Syrien und Kleinasien. Jene
Länder hatten sich früh christianisiert, am intensivsten Kleinasien, Konstantin gab dem
Prozeß entschiedeneren Fortgang. In den althellenistischen ostgriechischen Großstädten,
Alexandria und Antiochia, wozu seit Konstantin das neue Rom kam, Byzanz, bildete
sich nun erst, im vierten und fünften Jahrhundert, die endgültige christliche Kunst,
deren Formenwelt auch maßgebend werden sollte für das Mittelalter. Dieselbe römische
Reichskunst war es, die immer Größeres im Sinne tragend, den Gewölbebau vom Pantheon
bis zur Basilika des Konstantin führte.1)
Den Angelpunkt in Wickhoffs Ausführungen bildet der Übergang der Kunst aus
den Händen der Griechen in die der Römer. Er legt diesen Übergang etwa in die
Zeit der Claudier. Ein so scharfer, so tiefgreifender Einschnitt in die Kunstgeschichte
der Kaiserzeit an dieser Stelle hat etwas Überraschendes. Kopfschüttelnd hört man
auch das Nähere: Die Griechen, die eben noch die römische Kunst begründeten, in
den Bahnen des Hellenismus, dieselben Griechen sollen nach Augustus plötzlich nicht
mehr mitkönnen, sie bleiben auf der Straße liegen, und Römer, römische Künstler „aus
den Kleinstädten Italiens" übernehmen die Führung, begründen einen neuen Stil zu
Sehen und Wiederzugeben, den Illusionismus, einen neuen Stil auch der Erzählung, die
kontinuierende, und mit und in diesem neuen Doppelstil beschenken sie die Menschheit
mit der römischen Reichskunst. Leider hat Wickhoff den Satz vom Zurückbleiben
der Griechen und dem Hervortreten der Römer ohne Beweis gelassen. Wir bleiben
mithin berechtigt, an der Auffassung festzuhalten, daß die römischen Auftraggeber wohl
Programme aufzustellen in der Lage waren, nach Umständen für alle Teile des Reiches;
aber das Künstlerische an der Kunst blieb immer griechisches Werk, sie blieb griechisch.
Sobald die Kunst der Kaiserzeit nicht als nationalrömische, sondern als hellenistische
Kunst anerkannt wird, und zwar nicht bloß für die augusteische Epoche, sondern für
ihre ganze Dauer, so tritt sie damit in den weiten Kreis der gesamthellenistischen
Kunst, wie sie das ganze Gebiet der Mittelmeerländer durchsetzte, im Zentrum bis auf
*) v. Hartel und Wickhoff, Die Wiener Genesis, Wien 1895.
Poppelreuter, Kritik der Wiener Genesis, zugleich ein Beitrag zur Geschichte des Unter-
gangs der alten Kunst, Köln 1908, wird mir erst bei der Drucklegung durch Neu wir ths Anzeige
in der Dtsch. Lit. Zeit. 1909, 1003 bekannt.
24 Einleitung.
den Grund, an der Peripherie mehr verlaufend. Das also wäre das Hauptkennzeichen,
welches vor allem festgehalten sein will, der weltbeherrschende Hellenismus. Dem-
gegenüber tritt die andere Frage, in welchem Sonderkreis der vielgliedrigen hellenis-
tischen Kulturwelt die einzelne künstlerische Erscheinung ihren Ursprung genommen
haben möge, ob in Athen oder in Ephesus, in Alexandrien, Antiochien oder Rom,
diese Frage, so wichtig sie bleibt, tritt doch in die zweite Linie zurück. Mag in Syrien
die altsyrische Weise, wie sie nun einmal war, immer sich noch gehalten haben, ton-
angebend war doch die hellenistische. Ähnlich stand es in Ägypten, nur daß die national-
ägyptische Kunst eine ganz andere Größe und Macht war, die dem Eindringling einen
viel härteren Granit entgegensetzte. Die alten Römer aber hatten ja Köpfe wie Granit,
doch über eine nationale Kunst verfügten sie nicht, geschweige denn über eine wider-
standsfähige; dem Hellenismus waren sie schon lange vor Alexander preisgegeben. Ob
und wieweit die Römer der Kaiserzeit ihrem Hellenismus einen Erdgeschmack zu geben
vermochten, etwas von italischer oder nationalrömischer Individualität, das bleibt
offene Frage, für sie wie für alle Landschaften. Rom eigentümlich ist sicher das
gewiß wichtige, aber in anderer Sphäre liegende Moment, das es Reichshauptstadt war.
Wenn wir nun aber sagen, die römische Kunst war Hellenismus in Rom, getragen von
Griechen und griechisch Geschulten, so gestehen wir ihr damit auch die Fähigkeit zu,
im Rahmen des Hellenismus ähnlich eigenschöpferisch zu sein, wie etwa die Griechen
in Hellas, vielleicht auch wie die Kleinasiens es waren, jedenfalls aber wie die Alexan-
driens oder Antiochiens. In jedem besonderen Falle bliebe das zu prüfen. Wir aber
tragen Bedenken aus Einzelheiten raschschließend verallgemeinernde Folgerungen zu
ziehen.
Die letzte noch übrige Frage, nach den Künstlern, tritt ganz in den Hinter-
grund, weil wir von solchen zu wenig wissen. Und dies wenige hilft nicht viel weiter.
Apollodor von Damaskus baute das Forum Trajans. Seinen Namen nach war er ein
Grieche; es hieße phantasieren, hinter dem griechischen Namen einen Syrer oder Halb-
syrer zu suchen. Griechen gab es überall, schon im sechsten Jahrhundert v. Chr. in
Babylonien und Persien. Wie nun unser Apollodor zu Rom das Forum ausbildete —
natürlich tat er es im hellenistischen Stil der trajanischen Epoche, aber ob er wie eine
Würze eine Spur Syrisches hineingab, oder ob er, den Römern ein Kompliment zu
machen, einen Tropfen römischer Individualität einfließen ließ (vorausgesetzt, daß er
dergleichen vorfand), oder gar dem Spanier auf dem Thron zulieb ein bißchen Iberisch,
um solche subtile und spinöse Fragen beantworten zu können, wird es in der Tat noch
der Arbeit von Generationen bedürfen.
An dieser Stelle sei Franz Xaver Kraus eingeschaltet. Schon im ersten Bande
war von ihm zu reden, als von einem ernsten, nach echter Wissenschaft verlangenden
Gelehrten, der im Laufe seiner Entwicklung manches Vorurteil abgelegt hat, nur nicht
das fundamentale, an dem schließlich alle Forschung strandet. Seine Weise zu arbeiten
und sich auszusprechen erschwert es, einen scharfumrissenen Bericht seiner Auffassung
zu geben.
Bei Besprechung der Katakombenmalereien tritt Kraus für ihren symbolischen
Charakter ein. Er geht aus vom Orient als der Wiege des Christentums. Die junge
Gemeinde hatte keinen weiten Weg zurückzulegen, um sich eine symbolische Ausdrucks-
weise, eine Bildersprache zu schaffen. Sie war im Orient geboren, und die Sprache
dieses Orients war von jeher eine symbolische; die ganze Kunst und Poesie des Morgen-
Hellas, Rom und der Orient. 25
landes war seit Jahrhunderten gewohnt und ist noch gewohnt, in Hieroglyphen ihre
Gedanken zu verbergen und in Gleichnissen anzudeuten; auch der Herr selbst pflegte
in Gleichnissen zu reden. Daran reiht Kraus einen Abriß der Geschichte der alle-
gorischen Interpretation, freilich nur der christlichen. Weiterhin erörtert er die Frage
nach dem lokalen Ursprung der Typen. Wo treten sie zuerst auf? schuf sie der Orient
oder der Okzident, Alexandria oder Rom? Er fugt sofort hinzu, eine zuverlässige
Antwort werde man wohl niemals geben können; der Vorrat an Denkmälern, besonders
des Orients, ist zu klein. Immerhin wird man den Einfluß des Alexandrinismus auf
die Entwicklung der christlichen Kunst nicht in Abrede stellen dürfen. Sein Einfluß
auf die Ausgestaltung der theologischen Literatur war geradezu maßgebend; es wider-
spräche allen Gesetzen des geistigen Lebens, wenn sich diese Einwirkung nicht auch
auf dem Gebiete der Kunstvorstellungen bewährt hätte. Einzelne derselben, wie der
Ichthys, sind gewiß auf Alexandria zurückzufuhren. Prüft man die wenigen früher-
christlichen Denkmäler aus dem Orient, so scheint sich zu ergeben, daß in den drei
ersten Jahrhunderten Orient und Okzident über denselben Bilderschatz verfügten, daß
aber diese Kunst provinziale und lokale Nuancen aufweist. Was Rom betrifft, so kann
nicht geleugnet werden, daß dort Typik und stilistische Behandlung sich im allgemeinen
der römischen Kunst der Kaiserzeit sozusagen vollständig anschmiegt. Die politische
und kirchliche Bedeutung der Stadt, die Zahl und Erhaltung der uns hier überlieferten
Denkmäler lassen diesen römischen Charakter der altchristlichen Kunst nicht bloß für
die ersten vier, sondern für die ersten sechs Jahrhunderte als den dominierenden er-
scheinen, neben dem die Kunst der Christen in Sizilien, Ägypten, Syrien, Griechenland,
Gallien gewissermaßen nur eine provinziale und lokale Physiognomie hat.
Die Besprechung der altchristlichen Miniaturen fuhrt wieder zu der Herkunfts-
frage zurück. Alexandrien war in jenen Jahrhunderten die geistige Hauptstadt der
Welt; das galt im Gebiet des profanen, das galt noch mehr in dem des kirchlich wissen-
schaftlichen Lebens. Damit ist auch das stärkere Hervortreten des griechischen Ele-
mentes in der Kunst des vierten und fünften Jahrhunderts gegeben; man bezog nicht
Bibeln und andere Bücher aus Alexandria, ohne auch von den diesen Büchern bei-
gegebenen Illustrationen berührt zu werden. Die Vorlagen der besten Psalter-
illustrationen, wohl im vierten Jahrhundert geschaffen, werden alexandrinischen Ur-
sprungs sein. Bei den illustrierten Bibeln haben wir es mit mehreren nebeneinander
entstandenen zu tun, einer römischen, einer griechisch-alexandrinischen, schließlich byzan-
tinisierenden, und einer syrischen erst aus dem sechsten Jahrhundert, den Stamm-
müttern aller jüngeren.
So erörterte Kraus die Frage in der „Geschichte der christlichen Kunst"; wenige
Jahre später kam er im „Repertorium" in Kürze auf den Gegenstand zurück, faßte
da aber nur Alexandrien für sich ins Auge, bloß in einem allerdings bedeutsamen
Nebensatze streifte er auch die altchristliche Gesamtkunst. Offen bleibt noch die Frage,
so etwa sagt er, der frühesten Anfänge christlicher Kunst in Alexandrien, wo der
Ausgang der gesamten Kunst der alten Christenheit zu suchen ist. Dort in Alexandrien
hatte die christliche Kunst vor dem dritten Jahrhundert wahrscheinlich einen spezifisch
hellenistischen, erst später dem römischen Einfluß weichenden Charakter. Kraus scheint
aber dabei zu bleiben, daß die christliche Kunst in Rom zwar von Alexandrien
angeregt, aber bei ihrer Ausbildung von Anfang an in der vorausgesetzten spezi-
fisch römischen Weise aufgegangen, eine spezifisch römisch - christliche Kunst ge-
26 Einleitung.
worden sei, die schließlich auf das bis dahin hellenistische Alexandrien umgestaltend
zurückwirkte.1)
Wir kommen nun zum Hauptwortfuhrer in der Diskussion, Josef Strzygowski,
dem Urheber und Vorkämpfer einer wichtigen Hypothese zur Lösung des großen
Problems, auf welchen Wegen und unter welchen Einflüssen aus der klassischen Antike
durch Vermittlung der Spätantike die Kunst des Mittelalters und der neueren Zeiten
geworden sei. Wenn Strzygowski seine Idee bisweilen auch, um sich Gehör zu er-
zwingen, in absichtlich tönenden Worten wie eine feststehende Wahrheit verkündete,
auch wenn sie „vorläufig noch nicht viel mehr als seine Überzeugung ist", so glauben
wir doch seiner eigentlichen Meinung besser gerecht zu werden, wenn wir sie, in Über-
einstimmung mit anderen seiner Wendungen, als das nehmen, als was sie in der Wissen-
schaft allein gelten kann, nicht als These, sondern als heuristische Hypothese, als eine
bescheidene Frage, ob das Problem vielleicht auf dem vorgeschlagenen Wege der
Lösung näher gebracht werden könne. Es liegt dann der planvollen Beobachtung ob,
festzustellen, ob die Tatsachen in der Hypothese ihre Erklärung finden, ob sie in ihr
restlos aufgehn. In ähnlichen Fällen, auch in den günstigsten, pflegt das Ergebnis zu
sein, daß die Hypothese sich nur unter mehr oder weniger Modifikationen bestätigt.
Es kann nicht unsere Aufgabe sein, hier den Inhalt der sämtlichen Schriften
dieses unermüdlichen Forschers vorzuführen, die alle um den erwähnten Punkt sich
drehen; wir dürfen uns darauf beschränken, einige wenige herauszuheben, die er selbst
als Marksteine auf seinem Wege bezeichnet hat. Dabei wiederhole ich, daß unser
Bericht nur diejenigen Teile seiner Geschichtsauffassung berücksichtigt, die sich auf die
Antike beziehen. — Für diejenigen, denen die Hypothese bisher unbekannt blieb, sei
im voraus bemerkt, daß man Ursache hat, einen Punkt sich stets gegenwärtig zu
halten, nämlich den Doppelsinn des Wortes Orient; er kann um so leichter verwirren,
als Strzygowskis Hypothese eine doppelte ist. Einmal besagt sie, die altchristliche
Kunst sei nicht römische, sondern hellenistische und zwar von der Art, wie sie in den
Großstädten des griechischen Orients, Kleinasiens, Syriens und Ägyptens, ihre Heimat
hatte, sodann aber weitergehend nimmt sie an, die gesamte hellenistische Kunst sei in
den Spätzeiten des Altertums durchsetzt worden von der Art des nichtgriechischen
Orientes, des autochthon Ägyptischen, Syrischen, Mesopotamischen, Persischen. Im
Interesse terminologischer Deutlichkeit werden wir nachstehend nicht von griechischem
Orient, sondern nur von griechischem „Osten" reden, den Terminus „Orient" aber dem
ungriechischen Morgenland vorbehalten. Man wende nicht ein, Orient sei nur geo-
graphischer Begriff, für Ostgriechen, Ägypter, Semiten und Perser gleichgültig. Denn
in Gegensätzen wie „Orient und Rom" handelt es sich um mehr, es handelt sich um
Kulturbegriffe.
Das Buch „Orient oder Rom" (1901) wendete sich gegen die ererbte, durch
Wickhoff neu formulierte Anschauung, als wenn im Wege einer von Rom ausgehenden
*) Fr. X. Kraus, Geschichte der christlichen Kunst I 1896, 77 (Bei Interpretation der Kata-
kombenmalerei Chr. Ant. I hielt ich es nicht für nötig, Kraus' rückständige Auffassung der
Bildersprache erst noch zu widerlegen. Die Bildersprache nicht bloß des Orients, sondern aller
Völker, die Gleichnisse der Evangelien, die sinnbildlichen Malereien der Katakomben wollen doch
die Gedanken nicht verbergen, auch nicht bloß andeuten, sondern im Gegenteil durch die Sinnfällig-
keit der Bilder gerade recht deutlich und eindringlich aussprechen). 81. 449; derselbe im Beper-
torium f. Kunstwiss. XXIII 1900, 49.
Hellas, Rom und der Orient. 27
Reichskunst das Phänomen der „römischen", wie der altchristlichen Kunst verständlich
wäre. Indem er einen bedeutenden Rest vom Prachtbau Konstantins am heiligen
Grabe zu Jerusalem nachweist und stilkritisch analysiert, kommt er zu dem Ergebnis,
daß da keine von Rom ausgehende Schöpfung vorliegt, im Gegenteil, alles daran ist
unrömisch. Griechischer, besser hellenistischer Geist spricht aus diesen Resten, und
was daran nicht in den griechischen und hellenisierenden Denkmälern des syrischen
und kleinasiatischen Kreises vorgebildet war, das stammt aus der christlichen Kunst
des Jerusalem benachbarten syrischen und ägyptischen Kreises. Es ist bodenständige
Kunst, die uns hier entgegentritt. — Ein aus Konstantinopel nach Berlin gekommenes
Christusrelief gehört zu einer Klasse reichverzierter Sarkophage, deren Exemplare sich
teils in Kleinasien, teils in Rom und sonst im westlichen Kunstkreise gefunden haben.
Strzygowski glaubt die Heimat der ganzen Klasse nicht im Westen, sondern im
griechischen Osten suchen zu sollen. — Eine späthellenistische Holzskulptur aus Ägypten
gibt Anlaß, der ägyptisch-christlichen Skulptur näherzutreten und ihr gewisse in euro-
päischen Sammlungen zerstreute Elfenbeinschnitzereien zuzuweisen. Im Anschluß hieran
werden die berühmten im Vatikan aufbewahrten Porphyrsarkophage der Helena und
der Konstantia untersucht; der Nachweis von Resten ganz gleichartiger Särge in
Konstantinopel und Alexandria führt zu der Hypothese, daß diese Sarkophagklasse in
den ägyptischen Porphyrbrüchen entstanden sei, wie auch Eigenheiten in der Behand-
lung gerade an ägyptischen Arbeiten Analogien fänden.
Dann, in dem Aufsatz „Hellas in des Orients Umarmung", ging Strzygowski dazu
über zu zeigen, daß die neue Richtung der Spätantike sich auch nicht erklären lasse
aus Riegls Annahme einer spontanen Entwicklung des antiken „ Kunst wollens", sondern
nur aus dem Vordringen des alten Orients Hellas gegenüber. Die reine duftige Psyche
von Hellas war von vornherein umringt von erbgesessenen Feinden, die gierig die
Arme ausstreckten, sie zu umfassen, zu erdrücken. Solange der Organismus des schönen
Kindes von Vollkraft strotzt und sie in glücklicher Selbstvergessenheit im eigenen
Lande aufwächst, gewinnen die Lauernden keine Macht; sie warten, und erst als Hellas
sie in ihrem Lande aufsucht, da erlangen sie zuerst Einfluß, dann Macht, endlich den
Sieg. Die zähe Natur des Orients ist unüberwindlich; was wir die byzantinische Kunst
nennen, das ist der alte Orient, das ist der Sieg des greisen Ahasvers über die Schön-
heit von Hellas und die imposante Größe Roms. Hellas in Ägypten: weit davon ent-
fernt, daß Hellas das Autochthone niedergerungen hätte, läßt sich im Gegenteil eine
Reaktion des Altägyptischen beobachten; im Kammergrab von Kom-es-schugafa (um
100 n. Chr.) fanden sich die griechischen Malereien eines Raumes übertüncht und mit
ägyptischen bedeckt. Im Zweistromland wurde die hellenistische Kultur ganz über-
schwemmt von der persischen, sprechendster Beleg ist das kommagenische Denkmal
auf dem Nemrud-dagh (im Jahrhundert vor Chr.). Persien: die Kunst der Sassaniden
(226 — 636) wurde das eigentliche Verhängnis der hellenistischen Kunst im Orient;
nicht nur daß sie im eigenen Lande die alte Tradition ungebrochen hochhielt, sondern
durch ihre Industrie wurde sie der gefährlichste Konkurrent des Griechisch-Römischen,
ihre Seidenerzeugnisse, Goldschmiedearbeiten und Schmucksachen in Edelsteinen wurden
die wichtigsten Faktoren in der Entwicklung des byzantinischen Stils. In Syrien war
die späthellenistische Industrie zu Hause; und doch ist die altheimische Tradition dort
nicht ausgestorben, hittitischer, das ist altnordsyrischer Brauch, durch Bauten wie den
salomonischen Tempel vermittelt, lebte in südsyrischen Kirchen wieder auf. In Klein-
28 Einleitung.
asien: wenn auch die Masse seiner Bauten römischer Zeit beweisen, daß die hellenistische
Kunst hier breiten Spielraum fand (trotz der römischen Bauinschriften wurden sie nicht
im römischen, sondern im griechischen Geist erbaut), so kann doch auch hier schon
in römischer Zeit von einem Sieg des Altorientalischen über das Griechiche gesprochen
werden. In Hellas selbst kündigt sich der Orient mit dem Denkmal des Philopappos
an, der Sieg über die heimische Kunst vollzieht sich im fünften Jahrhundert mit dem
Vordringen des Byzantinismus. Noch mehr nach Westen zu belegen den Sieg des
Orients Bauten wie der Diokletianspalast zu Spalato, des Theodorichsgrab zu Ravenna,
Santa Costanza zu Rom. Ruft denn nicht schon das Vordringen der orientalischen
Kulte laut genug den Sieg aus? von anderen zu schweigen, der des Mithras, des
Christus? Am Christentum ist ja der alte Orient wieder erstarkt, in der christlichen
Kunst findet er sich auch der äußeren Form nach wieder, und erst in dieser neuesten,
von einem bahnbrechenden ethischen Keimgedanken durchsetzten Form gelingt es ihm,
Hellas zu ersticken.1)
Der byzantinische Stil hat sich in Kleinasien, Syrien, Ägypten vorbereitet; er ward
groß in den hellenistischen Zentren, vor allem in Antiochien, zur vollen Einheit aber
erwuchs er erst in Konstantinopel im fünften und sechsten Jahrhundert. Der Stil ist
ein orientalischer, nicht Rom noch der Hellenismus hat ihn gezeitigt, sondern der sieg-
reich vordringende Orient. Das Wesen des neuen Stils ist von vornherein ein orienta-
lisches, weil seine Seele, das Christentum, auf semitischer Basis erwächst. Die christ-
liche Kirche hat mit dem antiken Tempel nichts zu tun, sie ist nicht Massen- sondern
Raumbau. Die alte Form der Basilika, wie es scheint hittitisch-semitischen Ursprungs,
wird bald verworfen, mit ihr der Quader, die Säule, das Epistyl. An die Stelle tritt
der altorientalische Ziegel, nicht der vom Orient bevorzugte Luftziegel, sondern der erst
von den großen hellenistisch-römischen Stadtkulturen in seinem ganzen Werte erkannte
Backstein, das Element des Mauer- und Gewölbebaues, damit aber des vollkommensten
Raumbaues. Dazu der Wandschmuck: das spezifisch Hellenische am griechischen Tempel
liegt weniger in seiner Formenschönheit als in dem ästhetischen Werte der leeren Stein-
wand, von deren stolzer Ruhe die Bewegung der Formen sich erst wirkungsvoll ab-
hebt; im Gegensatz zu der klassischen Schmucklosigkeit der Fläche kehrt der byzan-
tinische Stil zurück zum altorientalischen Wandschmuck in Prunk und Glanz, ausgeführt
im ebenso altorientalischen Flächenstil. Auch in den Ornamenten machen sich orien-
talische Motive breit.
„Kleinasien, ein Neuland der Kunstgeschichte" (1903), Strzygowskis dritter Vor-
stoß, will die Kraft dieser wachsenden orientalischen Flut, an sich und im Rahmen der
späthellenistischen Kunst, ahnen lassen an Hand der Mannigfaltigkeit gewölbter Kirchen-
bauten in Kleinasien.
Bei diesen knappen Auszügen müssen wir es soweit bewenden lassen. Die
klassischen Archäologen dürfen ohnehin an dem Studium der Strzygowskischen Arbeiten
nicht vorbeigehen; sie haben reichen Gewinn davon, werden freilich auch auf Schritt
und Tritt zum Widerspruch erregt, natürlich in verschiedener Weise, je nachdem sie
selbst z. B. über die römische Kunst denken. — Hier soll nichts von solchen Ein-
wendungen vorgebracht werden, ich möchte nur feststellen, daß auch Strzygowski die
Erhebung des Wölbbaues zum Raumbau in Backsteinausführung den hellenistischen
Großstädten wie Antiochien oder Alexandrien vindiziert, wie das in den Kreisen der
l) Münchner Allg. Zeitung, Beilage 1902 n. 40. 41.
Hellas, Rom und der Orient. 29
klassischen Archäologie schon lange erwogen wird. Also ist der Raumbau unter Ge-
wölbe griechische Schöpfung, wohl ostgriechische, aber nicht autochthon orientalische.
Die Griechen haben wieder einmal ein entlehntes Motiv erst zu vollem künstlerischen
Leben entfaltet. Wo immer wir in einen Raumbau unter Wölbung eintreten, vom
Pantheon bis zur Sophia, begrüßt uns die griechische Psyche.
Zum Schlüsse unserer Einleitung ein Wort über Mschatta, das Denkmal, in dem
Strzygowski einen Kronzeugen für die Übergriffe des Orients gefunden zu haben glaubt.
Es gehört den letzten Zeiten des Altertums an, die früheren Beurteiler setzen es nach
Justinian, Strzygowski nach Konstantin. Da es nicht christlich ist, so fällt es nicht
unter die Gegenstände dieses Buches; ein Wort über die Auffassung des Ganzen aber
wird hier am Platze sein.
Ich habe das Märchenschloß nicht im Glänze der Wüstensonne gesehen, nur die
Tordekoration im dumpfen Kerker des Kaiser-Friedrich-Museums, wo es unmöglich
ist, das Wunderwerk in flutendem Höhenlichte aus Abstand auf sich wirken zu lassen;
man kann es nur nahsichtig zergliedern. Strzygowski hat eine eindringende Analyse
mit einem auf ausgebreitete Erfahrung gegründeten und von kunstgeschichtlicher Auf-
fassung getragenen Kommentar geschrieben. Der Archäologe hat manches dazu zu
bemerken. Vor allem wäre die Fragestellung zu berichtigen. Was ist Kette, was ist
Einschlag im Gewebe dieser Spätantike? Wenn ein autochthoner Asiate in der syrischen
Wüste solch ein festes Schloß sich baut, so wird man in erster Linie voraussetzen, daß
es in Anlage, Aufbau und Ausbildung orientalisch sei; wenn wir unter der angegebenen
Voraussetzung fremde, nämlich hellenistische Elemente darin zu bemerken hätten, so
würden wir nicht fragen, inwieweit das Orientalische über das Hellenistische Herr
geworden sei, höchstens wieviel Orientalisches sich dem eingedrungenen Fremden gegen-
über habe behaupten können, wohl aber umgekehrt, wie weit die fremde Art, die
hellenistische, das orientalische Objekt ergriffen und hellenisiert habe. Wir begnügen
uns, im Sinne dieser Frage ein paar Gesichtspunkte hervorzuheben; dabei stellen wir
uns, um den Streitpunkt zu isolieren, auf den Boden der von Strzygowski gegebenen
Analyse.
Flächenverzierung der Torpfeiler, übergreifend auf die seitlich anschließenden
Wände, kennen wir als altorientalisch; wir besitzen Zeugnisse in den neuerdings der
Wissenschaft wiedergewonnenen, zur Zeit der Spätantike aber verschütteten Palästen
der Hittiter und Assyrer; bei denen der Perser erscheint das Motiv modifiziert. In
Mschatta lebt es wieder auf. Nun aber völlig hellenisiert. — Das Zickzackornament
ist allerdings auch orientalisch, aber nicht spezifisch orientalisch; die Primitivzeit der
ägäischen Länder besaß es, es ist allgemein primitiv geometrisch. Der Riesenzickzack
von Mschatta erinnert mich an Lorsch, wo ein solcher über die Kapitelle der kannel-
lierten Wandpfeiler steifbeinig einhersteigt; es sind die oft recht steilen Giebel, die,
meist im Wechsel mit Flachbögen, in der Spätantike gern die Intervalle der Kolonnaden
abschließen, schon früh zu fortlaufend auf- und absteigendem Bande verschmolzen, und
die in Mschatta von der Kolonnade emanzipiert auftreten. Aber sind nicht die Elemente
des ganzen Torschmucks von Mschatta von der Art, dergleichen wir in der Antike
nicht am Sockel, sondern über Säulen und unter dem Sims zu sehen pflegen? Das
ursprünglich bescheidene Zickzackornament mußte im Giebelbau erst monumental werden,
ehe es als Riesenzickzack die Flächenverzierung gliedern durfte.
Griechisch sind gleich die Rahmen, griechisch in der kräftig plastischen, schattenden
30 Einleitung.
Profilierung, und in den Profilen selbst. Griechisch sind die in die Zickzackzwickel
gesetzten großen Rosetten. Freilich, die Rosette ist altorientalisches Gut, doch schon
in der Heroenzeit wurde sie in Hellas aufgenommen; und diese ihre plastische, skulp-
turelle Ausbildung ist griechisch. Flachrunde Bossen wurden in der hellenistischen
Architektur schon längst teils konvex zu Rundschilden, teils konkav zu Phialen oder
Rosetten ausgemeißelt. Griechisch ist das Ornament, sowohl der Rahmen, wie der
Füllungen (mögen auch einzelne Motive durch persische Hände gegangen sein), der
Akanthus selbstverständlich, aber auch die in Griechenland längst heimisch gewordene
Palmette; und griechisch ist das Weinlaub. Freilich, der Wein stammt aus Asien,
der Orient hat ihn einst in Europa eingeführt, wahrscheinlich um die Psyche von
Hellas mit Alkohol zu vergiften. In der Kunst erscheinen Weinstock und Rebe zuerst
als Naturdarstellung, im Orient in assyrischen Reliefs, in Hellas kaum später im sechsten
und fünften Jahrhundert; da ist ein kunstreicher goldner Weinstock mit Trauben von
Edelsteinen, den samische Goldschmiede arbeiteten, der persische Hof erwarb ihn; da
sind zahlreiche bacchische Szenen mit Reben darin, wie z. B. an der Yase des Phintias
und weiterhin mehr. Als Ornament bemerken wir die Weinrebe zuerst am sog.
Alexandersarkophag, den griechische Bildhauer aus griechischem Marmor in einer Kunst
schufen, die nach Inhalt und Form griechisch war (Muß noch einmal daran erinnert
werden, daß die Wellenranke nicht im Orient entstand, sondern in Griechenland, früher
als das Flechtband auf der Welt war?). Unter den Figuren werden weinlesende Putten
bemerkt, Kentaur und Greif, der aus kleinasiatisch griechischen Denkmälern bekannte
Buckelochs.
Griechisch ist auch die Technik, einerlei von welchen Händen ausgeführt, es
kommt uns hier auf den Geist an. Es ist Flächenverzierung in flacher Ausführung.
Und die Flächendekoration war im Orient immer flach, die Griechen dagegen ent-
wickelten sie plastisch; ist nun die Flächenverzierung von Mschatta ungriechisch,
orientalisch? Der Schluß ist wieder zu kurz. Die Orientalen blieben bei der Flach-
verzierung stehen, nicht weil sie ihnen national, spezifisch orientalisch gewesen wäre;
vielmehr war sie allgemein primitiv, primitiv in dem früher ausgesprochenen weiteren
Sinne des Unentwickelten, Unausgereiften. Der Orient blieb da stehen, wo das
Klassischgriechische anfing. Letzteres entwickelte die Plastik. Als aber die griechische
Kunst ihren Kreislauf vollendete, da war die plastische Kraft der Griechen erschöpft,
da fiel die griechische Verzierung in das primitive Flache zurück, von dem auch sie
einst ausgegangen war. Das Höchste leistete der Grieche in seinem eigenen Material,
dem Marmor, sein eigenstes Werkzeug war der Meißel. Im Ausgang der hellenischen
und hellenistischen Antike sank die plastische Form in die Fläche zurück, wie ein
feuchtaufgebauter Ton, dem man den inneren Halt nimmt. Im Steinrelief, das die
Form in die Tiefe hinein gebaut hatte, schnellte sie wieder zur Oberfläche zurück,
blieb in ihr haften. Die Flachform wurde gleichsam ausgeschnitten, mit Meißel und
Bohrer. Das blieb immer griechische Skulptur. Aber die Formen wurden auch mehr
oder weniger unterhöhlt, so daß sie sich hell abheben vom Dunkel in der Tiefe, vom
„Tiefendunkel". Das wirkt malerisch; nur darf man dem Begriff der malerischen
Wirkung nicht den der farbigen unterschieben, um die Wirkung der griechisch skulpierten
Flachverzierung ableiten zu dürfen von der orientalischen farbigen.
Der Erbauer von Mschatta wußte sein Schloßtor nicht schöner zu schmücken
als mit griechischer Skulptur; allerdings nahm er sie in dem Stadium der im Plastischen
Hellas, Eom und der Orient. 31
rückläufigen Bewegung, in der er sie fand, als Flachskulptur in durchbrochener Arbeit,
heller Zierat auf dunklem Grund, malerisch wirkend im Freilichte, vollends im süd-
lichen. Es war Rückfall ins Primitive. Aber so gleichmäßig hatte sich der Rückfall
vollzogen, daß das Resultat ein in sich Homogenes wurde, etwas wie eine neue Art,
ein neuer Stil; es entstand nicht als Erzeugnis eines bewußten „Kunstwollens", viel-
mehr als notwendiges Ergebnis einer unvermeidlichen Entwicklung. Als die neue Art
anfing, unter Bohrer und Meißel sichtbar in Erscheinung zu treten, mag es den Bild-
hauern endlich bewußt geworden sein, daß ihr Tun hinzielte auf ein Leben in der
Fläche, als ein Spiel des Lichts über dem dunklen Grunde. Also, unbewußt oder
bewußt, ein letzter Stil der griechischen Skulptur.
Auch in Mschatta, wie in der Sophia, begrüßt uns die griechische Psyche.1)
*) Mschatta: Riegl, Altorientalische Teppiche 134 Maschita. Abbildungen bei Brünnow
und Domaszewski, Provincia Arabia II 1905, 105 und bei Strzygowski und Schulz, Jahrbuch d.
preuß. Kunstsammlungen 1904, 225.
Nachdem das Vorstehende niedergeschrieben war, erschienen die ersten Lieferungen von
Schieies „ Religion", darin Strzygowskis zwei Artikel über Altchristliche Kunst. Unermüdlich
aufrufend, mahnend, drängend entrollt er noch einmal sein Banner, stellt neue und wichtige Auf-
gaben, die alle hinzielen auf die Erforschung des Orients, nach seiner Hypothese der Wiege der
altchristlichen Kunst. Ihn selbst führt seine Idee von Fund zu Fund. Für dies unausgesetzte
Suchen im griechischen Osten wie im autochthonen Orient, für jedes hervorgezogene und neu
beleuchtete Denkmal sind wir alle voll Anerkennung. Aber er selbst hat oft genug gesagt, daß
es noch Generationen von Forschern bedarf, um die wirkliche Stellung des Ostens herauszuarbeiten.
Ist es da schon am Platze, die vielleicht divinatorisch das Richtige ahnende, vielleicht aber er-
hebliche Einschränkungen und Berichtigungen fordernde Hypothese als allein wahres Dogma zu
verkünden und jeden, der nicht gleich mittut, als nicht „ modern" zu verketzern? Wer heute noch
über die römischen Katakomben schreibt, der ist ihm schon verdächtig „romzentrisch" zu sein;
und wer sich noch bei Interpretation aufhält, der ist ihm „nur Philologe". Als ob die klassische
Archäologie erst vom Kunsthistoriker lernen müßte, daß auch Stilkritik sein muß; ist sie doch
während des letzten Menschenalters fast ganz in Stilkritik aufgegangen und hat damit ein Stück
Kunstgeschichte aufgebaut, wie wir Alten noch in unseren Studienjahren es uns nicht träumen
ließen. Mit Strzygowskis kunsthistorischen Hypothesen sich zu befassen hatte mein erster Band
nicht Anlaß; das Wenige, was hätte in Frage kommen können, wie die Oranten oder der bärtige
Christus, bislang noch allzu problematisch, läßt sich auch nicht im Rahmen einer Interpretation
der Katakombenbilder erledigen, sondern nur in einer alle Kunstzweige berücksichtigenden Typik
der christlichen Antike. Das wäre jetzt verfrüht. Zu seiner Zeit wird es kommen.
Zur Orienthypothese stehe ich im allgemeinen so. Dem Archäologen ist die christliche
wie die heidnische Kunst der Kaiserzeit Hellenismus. Darin sind wir also einig. Aber den an
sich durchaus anerkennenswerten Versuchen, die kunstgeschichtlichen Phänomene auf örtliche
Ursprünge zurückzuführen, sei es auf Rom, Alexandrien, Antiochien oder Westkleinasien, stehe
ich nicht gerade skeptisch, doch zurückhaltend gegenüber, nicht anders wie meine Weltgeschichte
den analogen Bemühungen auf dem Gebiete der klassischen Kunst. Die andere Hypothese, die
zugleich über die Grenzen des Altertums hinaus zielt nach dem Mittelalter, die Behauptung eines
Vordringens des Autochthonorientalischen („Hellas in des Orients Umarmung"), wird geprüft
werden, wenn es an der Zeit ist, jedenfalls scheint sie mir übertrieben. Da wir alle indessen,
Archäologen und Kunsthistoriker, auf dem zulange vernachlässigten Felde noch in den ersten
Anfängen der Forschung stehen, so tut nichts mehr not, als ruhiges Arbeiten.
Die Fundamente zum Studium der christlichen Antike werden jetzt eben gelegt, so schrieb
unlängst mein verehrter Grazer Kollege; es sei nur schade, daß Sybel, als der unverbesserliche
philologische Archäologe, an der Literatur klebe, statt die Augen den Formen und Farben zu
öffnen und in die Erforschung der christlichen Antike an der Hand seiner, Strzygowskis, Arbeiten
einzutreten (Journ. of hell. stud. 1907, 115). Ein Rat, für dessen gute Meinung ich ihm herzlich
dankbar bin. Nur glaube ich meine Augen schon immer offen gehalten zu haben. Und der
32 Einleitung.
Tavra [aev TOiavra. Wenn wir uns nun zum engeren Gegenstand dieses Buches
wenden, so sehen wir uns genötigt, etwas auszusprechen, was als selbstverständlich still-
schweigend Geltung haben sollte. Gewiß ist die Erforschung der Wiege eines auf-
tretenden Kunststils eine der wichtigsten Aufgaben der Forschung; wer aber auf diesem
schwierigen Pfade nicht ins Dunkle tappen will, wird gut tun, zuvor die Chronologie
der Denkmäler ins Reine zu bringen. Die Archäologie hat auf ihrem Stammgebiet,
dem klassischgriechischen, durch verfrühtes Erschließen wollen der landschaftlichen, ört-
lichen und persönlichen Ursprünge manche Enttäuschung erlebt. Hand aufs Herz,
der sizilischelischolympischdorischpeloponnesischargivischsikyonischattischnordgriechisch-
jonischparische Stil der Olympiaskulpturen — das aristophanisch klingende Lang wort
will die in ihm zusammengefaßten ernsten Bemühungen wahrlich nicht verspotten, will
nur dem bei Rechnungen mit zuviel Unbekannten unausbleiblichen negativen Ergebnis
ins Auge sehen — , der Stil der Olympiaskulpturen ist für uns vorläufig immer noch
bloß Zeitstil; meines Erachtens aber ist die sichere Erkenntnis des Zeitstils schon ein
großer Gewinn und die Voraussetzung für alles weitere. Solche Erfahrungen und Er-
wägungen lehrten mich, die Geschichte der Kunst des Altertums vorderhand ganz auf
die Sonderung der Epochen abzuzwecken; daher meine „Weltgeschichte" auf syn-
chronistischer Basis.
Auf die Chronologie der Denkmäler, und zwar zunächst auf die relative, geht
wesentlich auch die hier folgende Studie über die altchristliche Marmorskulptur.
freundlichen Einladung, Strzygowskis Führung mich anzuvertrauen, hedaure ich, nicht folgen zu
können. Gewiß führen nicht alle Wege nach Rom; aber verschiedene Wege führen zum Ziel.
Gern gäbe ich der Hoffnung Raum, daß wir uns am Ziele begegnen möchten; doch es liegt in so
weiter Ferne. Ich für mein Teil bin noch nicht einmal unterwegs; ich bin noch damit beschäftigt,
meine Satteltaschen zu packen zum Austritt, während unsere Eclaireurs schon weit voraus sind.
Im Begriff, das Manuskript dem Drucker zu übergeben, erhalte ich Thi er schs Besprechung
des ersten Bandes in der Hist. Zeitschr. 1909. Da spricht nun auch ein klassischer Archäologe,
doch wohl Strzygowski folgend, den Wunsch aus, bei der Fortsetzung meines Werkes möchte Rom
und sein Kreis zugunsten des Ostens und seiner wichtigen primären Gebiete mehr zurücktreten;
gerade der klassische Archäologe würde einen Giro in mehr ostwestlichem Sinne, in der Richtung
wie sie das junge Christentum selbst eingeschlagen hat, als den natürlichsten und der Gefahr der
Einseitigkeit am wenigsten ausgesetzten am liebsten aufnehmen. Ein solches Unternehmen sei
weit schwieriger, aber nicht unausführbar; schon ein Versuch würde fruchtbringend wirken. Nun,
ich habe selbst gesagt, ziemlich mit denselben Worten, ich wäre lieber den ostwestlichen Weg
gegangen (I 96); leider war es bei den Katakombenmalereien nicht möglich, weil es an frühem
östlichen Material völlig fehlt. Warten wir ab, was sich auf den andern Feldern herausstellen wird.
Plastik.
Sybel, Christliche Antike II.
Plastik.
Skulptur.
Von den Denkmälern der christlichen Antike mußten, im ersten Bande, die Kata-
komben und ihre Malereien an die Spitze gestellt werden, deshalb weil sie die am
frühesten begegnende Monumentenklasse ausmachen, die zugleich den Vorzug besitzt,
eine umfangreiche und geschlossene Masse zu bilden. An zweiter Stelle stehen die Skulp-
turen; auch sie sind in großer Zahl erhalten, doch treten sie später auf als die Kata-
komben und Malereien. Zuletzt kommen die Denkmäler des altchristlichen Hochbaues.
Sonach eröffnen wir den zweiten Band mit den Skulpturen, denen wir die im tech-
nischen Sinn plastischen Werke anschließen, die in Metall und Terrakotta.1)
Gleich beim Beginne sei es gesagt, daß die nachstehende Besprechung nur eine
Studie sein will; sie denkt nicht darauf, die Forschung auf diesem Gebiete irgendwie
abzuschließen, sondern im Gegenteil, wenn sie eine Wirkung sich wünscht und erhofft,
so wäre es nur die, der christlichen Archäologie neue Arbeiter zu gewinnen und ihnen
den Zugang zu dem bisher ziemlich abgesonderten Arbeitsfeld zu erleichtern. Ich rede
von den klassischen Archäologen. Schon längst wurde der innige Zusammenhang der
altchristlichen Kunst mit der heidnischen Antike bemerkt und ausgesprochen, hier und
da auch, gerade für die Skulptur, die Art dieses Zusammenhangs erörtert; und neuer-
dings scheint es fast Mode zu werden, das Wort vom antiken Charakter der altchrist-
lichen Kunst in jeder einschlagenden Arbeit erklingen zu lassen. Aber schließlich bleibt
es bei dem Klingen, dem Wort folgt nicht die Tat, das Christliche wird dann doch
nicht in den Zusammenhang der heidnischen Antike gestellt, ja neuestens möchten
einige die christliche Kunst für ein Reservat erklären, vor dem die klassischen Archäo-
logen Halt zu machen hätten. Und, worauf ich jetzt ziele, die klassischen Archäologen
selbst haben sich noch immer nicht entschlossen, ihre bisherige, doch nur auf außer-
wissenschaftlichen Ursachen und Beweggründen beruhende Zurückhaltung gegenüber
der christlichen Antike ganz aufzugeben und sie in ihrem vollen Umfange und nach
ihrer archäologischen und stilgeschichtlichen Bedeutung in ihr Pensum aufzunehmen.
Daß sie an der Katakombenforschung noch so wenig teilnahmen, erklärt sich hin-
*) Altchristliche Skulptur: Le Blant, Les ateliers de sculpture chez les premiers
chreliens (Melanges de l'e'cole francaise de ßome) 1883.
Victor Schultze, Archäologie 1895, 245.
Kraus, Geschichte I 1896, 224.
Kaufmann, Handbuch 1903, 489.
Leclercq, Manuel 1907 II 245. 279.
3*
36 Plastik.
reichend aus der schwer zugänglichen Art der Katakomben; immerhin besteht neuer-
dings gegründete Hoffnung, daß wir von bewährter klassischarchäologischer Seite auf
noch offene Fragen sachkundige Antwort erhalten. Die Skulpturen dagegen liegen dem
klassischen Archäologen näher, äußerlich und auch innerlich. Und so hoffen wir, daß
unsere Studie, der zu dem Zwecke reichliche Abbildungen beigegeben sind, diesem und
jenem den Gegenstand näher rücken werde. Was die Kenner der antiken Sarkophage
wissen, das werden auch die dem Gegenstande noch Fernstehenden bemerken, die
christlichen Sarkophage hängen mit den heidnischen so eng zusammen, diese gehen in
jene so unmerklich über, daß eine Grenze zwischen beiden gar nicht ziehbar ist. Es
gibt Sarkophage und Sarkophagbilder, die, eigentlich heidnisch, doch von den Christen
anstandslos übernommen wurden; man pflegt sie als neutrale Typen zu bezeichnen. Die
Gattung der antiken Sarkophage bleibt wesensgleich, mögen die in ihnen Beigesetzten
und die sie Beisetzenden Heiden oder Christen sein. Ein Korpus der antiken Sarko-
phage könnte nicht ohne Willkür die christlichen ausschließen.
Um Sarkophage handelt es sich hauptsächlich, sie machen die große Masse der
christlichen Skulpturen aus; wir besprechen sie zuerst, die wenigen Reste statuarischer
Bildhauerei schließen wir ein.
Wir fragen zuerst nach dem Bestand.
Als Vertreter der altchristlichen Skulptur in Kleinasien führt Strzygowski drei
Reliefs an: das Berliner Christusrelief aus Konstantinopel [Abb. 25], in dem er ein
kleinasiatisches Werk des vierten Jahrhunderts sieht; ein Petrusrelief ebenda, Bruch-
stück einer Darstellung vom Tode des Ananias, vielleicht aus dem fünften Jahrhundert;
ein Jonasrelief in New- York, das, gegenständlich dem Jonassarkophag Lateran n. 119
verwandt, der Auffassung und dem Stile nach nicht dem dritten, sondern frühestens
dem vierten Jahrhundert gehört. Dazu wäre ein noch nicht publizierter Grabstein aus
Sivrihissar zu fügen, mit Hades- oder Grabestür; doch sehen wir von den nicht veröffent-
lichten Stücken lieber ab.1)
In Konstantinopel finden sich ein paar Statuetten des Guten Hirten im späteren
Typus, wohl des vierten Jahrhunderts [Abb. 36], und Säulentrommeln mit Weinlaub
umsponnen, da hinein Bilder gesetzt sind, vorzüglich interessiert eine Jesustaufe mit
geflügeltem Engel, vielleicht des sechsten Jahrhunderts; ferner vier Medaillons mit
Evangelisten, nur Markus ist leidlich erhalten. Zu nennen ist noch das Mosesrelief aus
dem sechsten oder siebenten Jahrhundert, und das unter Kleinasien erwähnte Berliner
Christusrelief. Die Reliefs am Fußgestell des Obelisken im Hippodrom, stilgeschicht-
lich von Wichtigkeit, sind nicht spezifisch christlich. Einen heidnischen Orpheus im
Kreis der Tiere haben die Christen durch ein eingemeißeltes Kreuz sich angeeignet.2)
*) Altchristliche Skulpturen im griechischen Osten: vgl. im allgemeinen Bayet, Recherches
pour servir a l'histoire de la peinture et de la sculpture chr^tiennes en Orient avant la quereile
des iconoclastes (Bibliotheque des e"coles francaises d'Athenes et de Born X) Paris 1879, 27. 105. —
Strzygowski, Altbyzantinische Plastik der Blütezeit (von Theodosius bis Justinian) in der Byzantin.
Zeitschr. I 1892, 575. — Die drei oben genannten Reliefs: Strzygowski, Kleinasien 196 Abb. 140
Christus, 141 Petrus, 143 Jonas. — Sivrihissar: A. Körte, Ath. Mitteil. 1897, 50.
*) Säulentrommeln: Strzygowski, Byz. Zeitschr. 1892, 575 Taf. 1. 2. V. Schultze, Ar-
chäologie 331 Fig. 102. Zum Typus der geflügelten Engel vgl. Stuhlfauth, Die Engel in der alt-
christl. Kunst 1897 (römisch). Strzygowski, Byz. Zeitschr. 1899, 206; Orient 28 (ostgriechisch). —
Medaillons: Strzygowski, Byz. ZS 1892, 585. — Moses: Strzygowski, Jahrb. d. preuß. Kunstsamml.
1893, 65 Abb. — Fußgestell: d'Agincourt, Sculpture Taf. 10.
Skulptur. 37
Ein in seiner Art bedeutendes Denkmal ist der Ambo von Saloniki mit seinen
Magiergeschichten und dem zentral und frontal auf dem Schoß der Mutter sitzenden
Christuskind. — Athen und Sparta besitzen je einen späten Guten Hirten, Athen
auch einen mindestens ebenso späten Orpheus im Kreis der Tiere; im Typus heidnisch
ist er aber vielleicht doch in christlichem Gebrauch gewesen. — Ein Relief auf Naxos
stellt im unteren Feld die Krippe dar, mit Ochs und Esel zwischen zwei Bäumen, im
oberen die Flucht nach Ägypten. — Dalmatien bietet ein paar Sarkophage, den statt-
lichen Säulensarkophag Garr. 299 und den etwas späteren mit dem Durchzug durch
das Rote Meer, Garr. 309, 4.1)
Die Bemerkung drängt sich auf, daß die altchristlichen Denkmäler aus Griechen-
land und dem griechischen Osten, weil sämtlich der Spätantike angehörend, über die
Anfange der christlichen Skulptur nichts auszusagen wissen.
Unvergleichlich günstiger steht es mit den italischen Skulpturen, fast aus-
schließlich Sarkophagen. Erst hier liegt eine große geschlossene Masse vor, die sich
auf alle Perioden der altchristlichen Skulptur verteilt, bis zurück in die frühesten uns
erreichbaren Anfänge. Nur an diesem italischen Material ist es möglich, Tektonik,
Typik und Entwicklungsgeschichte der Sarkophage im Zusammenhang zu verfolgen.
Von den italischen Skulpturen aber gehören die allermeisten der Reichshauptstadt
Rom an. Für die Entwicklungsgeschichte der christlichen Antike sind wir demnach
auf dem Gebiete der Skulptur in erster Linie ebenso auf Italien, vorzüglich Rom, an-
gewiesen, wie auf dem der Malerei. Wenn wir nun fernerhin von römischen Sarko-
phagen reden, so wolle man dies in Erinnerung an das in der Einleitung Gesagte
richtig verstehen; es soll nicht eine der griechischen Kunst selbständig gegenüber-
stehende eigenartige römische Kunstart andeuten, sondern ist bloß lokal gemeint: unter
römischen Sarkophagen verstehen wir die stadtrömischen, die in und um Rom ge-
fundenen und (ein paar Ausnahmen zugegeben) daselbst entstandenen Sarkophage. Sie
sind Vertreter des hellenistischen Stils ihrer Zeit. Es mag ja sein, daß jede einzelne
Kunststätte, und so auch Rom, den gemeinhellenistischen Stil in seiner zeitlichen Ab-
wandlung, also den Zeitstil, nur in lokalbestimmter Schattierung wiedergibt; die Fest-
stellung dieser Schattierungen bleibt späterer Forschung vorbehalten. Unsere Studie
über die altchristlichen Sarkophage wird also die stadtrömischen zugrunde legen, unter
Hinzunahme der übrigen italischen (mit Ausnahme der ravennatischen, die eine ge-
sonderte Behandlung verlangen) und der dalmatinischen und ostgriechischen.
Auf dem so gewonnenen Grunde werden die in zweiter Linie wichtigen gallischen
Sarkophage sich leichter beurteilen lassen. Zuletzt reihen wir die spanischen, nord-
afrikanischen, ägyptischen und syrischen Skulpturen an.
Die bedeutendste Sammlung stadtrömischer Skulpturen der christlichen Antike um-
schließt das christliche Museum im Ostflügel des lateranischen Palastes. Es
wurde von Pius IX. 1854 gegründet und von P. Marchi geordnet. Eine Anzahl
christlicher Skulpturen befand sich schon vorher im Lateran; sie wurden von Garrucci
veröffentlicht. Abgesehen hiervon bildeten den Grundstock des neuen Museo cristiano
x) Saloniki: Bayet, Mission mont Athos 249; Recherches 105. Garr. 426, 1. Kraus, Gesch.
d. ehr. Kunst I 234 Fig. 189. — Naxos: Eph. arch. 1890, 21 Taf. 3.
38
Plastik.
die Skulpturen des von Benedikt XIV. (1740 — 1758) im Vatikan errichteten Museum
christianum; nach altem üblem Brauch waren sie bei dessen Anordnung weitgehenden
Ergänzungen und Überarbeitungen unterworfen worden. Den ersten Katalog des late-
ranischen Museums gab Johannes Ficker in deutscher Sprache 1890 heraus; seine Be-
schreibung folgt der 1887 durchgeführten amtlichen Numerierung und verzeichnet, unter
Benutzung der älteren Zeichnungen und Stiche, die Ergänzungen und Überarbeitungen.
Seitdem sind einige Stücke, zum Teil von höchstem Wert, hinzugekommen und infolge-
dessen Umstellungen und Änderungen der Nummern nötig geworden. Der italienische
Führer aus der Feder des gegenwärtigen Leiters Orazio Marucchi befolgt die neue
Numerierung. Im folgenden zitieren wir nach der jetzigen Anordnung, fugen aber, wo
nötig, die alten Nummern bei; ein der Nummer vorgesetztes F bedeutet Ficker, ein M
Marucchi.1)
Die in Rom zerstreuten altchristlichen Sarkophage verzeichnete Rene"
Grousset und gab das Verzeichnis 1885 heraus, mit einleitender Studie über die
Geschichte der altchristlichen Sarkophage. Kurz vorher erschien Matz und v. Duhn,
Antike Bildwerke in Rom mit Ausschluß der größeren Sammlungen, in drei Bänden;
der zweite Band gibt die Sarkophage. Das Werk war aus Matz' Vorarbeiten zu der
von Otto Jahn geplanten Sammlung der antiken, das wollte sagen heidnisch antiken
Sarkophagreliefs hervorgegangen und infolgedessen — zur Qual für die Verfasser und
für alle, die das wertvolle Hilfsbuch in Rom benutzen — nicht museographisch, sondern
nach typologischen, in der Hauptsache kunstmythologischen Gesichtspunkten geordnet.
Dies Vorbild mag Grousset zu dem Versuch verfuhrt haben, auch seinen Katalog nach
den Gegenständen der Reliefs zu ordnen, obwohl er die Unmöglichkeit, bei der Eigenart
der christlichen Sarkophage eine solche typologische Ordnung durchzuführen, selbst
einsah und die Hauptklasse, die Sarkophage mit gereihten Szenen (sujets historiques)
einfach nach den Aufbewahrungsstätten ordnen mußte; diese Katakomben und Kirchen,
Paläste, Villen und Häuser aber gruppierte er weder topographisch noch alphabetisch,
*) Lateran: Garrucci, Monumenti del Museo Lateranense, Roma 1861 Taf. 49 — 55. —
Jon. Ficker, die altchristlichen Bildwerke im christlichen Museum des Lateran untersucht und
beschrieben. Gedruckt mit Unterstützung des Kaiserlich Deutschen Archäologischen Institutes
Leipzig 1890. — Orazio Marucchi, Guida del Museo cristiano Lateranense, Borna 1898. — Zu
leichterer Orientierung im Museum diene die hier folgende schematische Grundrißskizze; die
feineren Querlinien bedeuten Treppen. Es ist zu beachten, daß die Numerierung auf jedem
Treppenabsatz an der Fensterwand beginnt und von rechts nach links läuft, um dann gegenüber
ebenfalls von rechts nach links weiterzugehen.
q
55
Vestibolo
Eingangszimmer
M26 Ml
D D
Erdgeschoß
Grande loggiato
Hofarkaden im ersten Stock
103
104
105 m
119
116
125
122
135
128
195 M181 M169A
Grande galleria M 183 An Treppenkorridor
dei sarcofagi (F 181) |_J
138 154 167
196 223
216
Fensterwand
Skulptur. 39
sondern ließ sie in bunter Unordnung aufeinander folgen. Da sein Katalog nur 195
Nummern umfasst, so ist die Sache nicht so schlimm wie bei Matz-Duhn mit ihren
über 4000 Nummern1).
Vergleichen wir Groussets Beschreibungen mit denen Fickers, so ist der Fort-
schritt von jenem zu diesem unverkennbar; Ficker beschreibt sorgsamer und eingehender.
Aber ich meine, in den achtziger und neunziger Jahren durfte man schon konzisere und
übersichtlichere Beschreibungen erwarten; es ist oft mühsam, wo nicht unmöglich, aus
den Worten ein anschauliches Bild zu gewinnen.
Unter den kleineren Sammlungen verdienen einige besondere Hervorhebung,
abgesehen vom Museum Kircherianum vornehmlich solche, die in der Hauptfund-
region sich gebildet haben, in der breiten Zone christlicher Begräbnisstätten rings um
Rom. Eine große Zahl lieferte das vatikanische Gebiet; daher stammen die in der
Peterskirche aufbewahrten, die teils in den Kapellen und besonders unter den Tisch-
altären stehen, hier als Reliquiare verwendet, teils in der Krypta unter der Kirche
(den Sagre Grotte Vaticane), so der berühmte des Stadtpräfekten Junius Bassus
[Abb. 18]. Sodann ergaben die Ausgrabungen de Rossis imCoemeterium Callisti be-
sonders viel Sarkophagfragmente, die in einer noch im christlichen Altertum über ihm
errichteten Grabkapelle aufbewahrt werden (Oratorio di San Sisto). Ahnlich sind die
Sarkophagfunde aus dem Coemeterium Domitillae in der dort hineingebauten Basilica
Petronillae niedergelegt. Wieder andere besitzt das Coemeterium Priscillae. Von
diesen Sammlungen ist ohne weiteres zugänglich nur die Basilica Petronillae; die Pub-
likation des Coemeterium Domitillae soll im vierten Band der de Rossischen Roma
sotterranea erfolgen, die Vorbereitungen sind seit Jahren im Gange, hoffentlich läßt
das Erscheinen nicht mehr allzulange auf sich warten.2)
Im Kunsthandel flottierende oder sonst gelegentlich vorkommende Reste alt-
christlicher Kunst zu retten hat sich der gelehrte und feinsinnige Rektor des deutschen
Campo santo zu Rom, Monsignore de Waal, seit über zwanzig Jahren mit erfreulichem
Erfolge angelegen sein lassen. 1892 konnte er zu de Rossis siebzigstem Geburtstag
einen Katalog von vierzig Skulpturen herausgeben, die er im Campo santo bis dahin
zusammengebracht hatte, und 1906 durfte Joseph Wittig zur silbernen Hochzeit
unseres Kaiserpaares einen neuen Katalog der inzwischen auf 74 Nummern angewachsenen
Skulpturensammlung veranstalten.3)
Die alten Zeichnungen, welche Ficker benutzte, waren die des Codex Vat.
lat. 3439, ferner die des Alfonso Ciacconio im Cod. Vat. lat. 5409, endlich die des
Claude Menestrier; letztere Handschrift befand sich im Besitz de Rossis.
*) Rene" Grousset, Etüde sur l'histoire des sarcophages chr^tiens. Catalogue des sarco-
phages chretiens de Rome (Bibliotheque des e*coles francaises d'Athenes et de Rome XLII)
Paris 1885.
2) Museum Kircherianum: Viktor Schul tze, Archäologische Studien 256.
Grotte: Dionysius, Sacrarum Vaticanae basilicae cryptarum monumenta2 Roma 1828. —
Coem. Callisti: de Rossi, Roma sotterranea I 343 Taf. 30 — 31; II 169. 295; zusammenfassend
III 340 Taf. 40. 41.
8) de Waal, Katalog der Sammlung altchristlicher Skulpturen und Inschriften im deutschen
Nationalhospiz vom Campo santo, Rom 1892 (Rom. Quartalschr. VI 9). — Joseph Wittig, Die
altchristl. Skulpturen im Museum des deutschen Campo santo in Rom 1906, Supplement der
Rom. Quartalschrift.
40 Plastik.
Die graphischen Reproduktionen, von den ältesten an und auch die jüngeren
nicht ausgeschlossen, leiden, wie jene Zeichnungen, oft genug durch Mißverständnis des
Dargestellten, immer aber durch mangelnde Genauigkeit; für stilkritische Untersuchungen
sind sie so gut wie unbrauchbar. Trotzdem tun sie, wie die Zeichnungen, als Quellen
zweiter Hand gute Dienste, wo die Originale inzwischen Schaden gelitten haben oder
verschollen sind. In Betracht kommen zu dem angegebenen Zwecke Bosio, Roma
subterranea 1632, Aringhi, Roma subterranea novissima 1651, Bottari, Roma sotter-
ranea 1737 folgg. Von Garruccis Storia dell'arte cristiana ist der fünfte Band
(Prato 1879) den Sarkophagen gewidmet; er teilt auf den Tafeln 295 — 404 über vier-
hundert Sarkophage mit, die meisten aus Rom, andere aus dem übrigen Italien, ins-
besondere aus Ravenna, wieder andere aus Spanien und Frankreich. Vielen seiner
Stiche liegen photographische Aufnahmen zu gründe, aber es ist doch eben alles durch
Augen, Kopf und Hand der Zeichner und Stecher gegangen. Nachträchlich zerstörte
oder verschollene Sarkophage älteren Fundes gibt Garrucci nach Bottari. Das Werk
ist immerhin ein unentbehrliches Inventar der Monumente und zu rascher, wenn auch
nur oberflächlicher Orientierung so gut zu brauchen, wie etwa Claracs Mus£e de sculp-
ture. In diesem Sinne füge ich jedem im folgenden angezogenen Sarkophage, sofern
er bei Garrucci wiedergegeben ist, die Tafelnummer der Storia mit vorgesetztem G bei.1)
Photographien der römischen Sarkophage gibt es eine ziemliche Zahl, in den
Kollektionen Parker, Simelli, Tuminello, Alinari, Anderson.2)
Das ganze Material an christlichen Sarkophagen, unter denen die römischen schon
durch ihre Fülle wohl immer den ersten Platz behaupten werden, muß noch einmal
ganz von neuem aufgearbeitet werden, es verlangt Neuaufnahme in Wort und Bild.
Schon mehrfach sind die Kataloge einzelner Sammlungen heidnischer Skulpturen dazu
fortgeschritten, den gesamten Bestand nicht bloß in Beschreibung, sondern auch in
Abbildung vorzuführen. Der Skulpturenkatalog des Berliner Museums fügt der Be-
schreibung eines jeden Stückes eine graphische Skizze bei; derjenige des vatikanischen
Museums, den im Auftrage des Archäologischen Instituts und unter entgegenkommendster
Förderung seitens der Verwaltung der päpstlichen Museen W. Amelung bearbeitet,
gibt seinen Bänden je einen Tafelband bei, der in photomechanischem Verfahren viele
Stücke einzeln reproduziert, im übrigen ganze Gruppen, wie sie vor den Komparti-
menten der Wände aufgestellt sind. Daß dabei manche Skulptur zu kurz kommt, sei
es, daß sie bei dem für ganze Gruppen gewählten Maßstab zu klein herauskommt,
oder daß wünschenswerte Sonderaufnahmen, z. B. der Nebenseiten von Sarkophagen,
unterbleiben, muß man in Kauf nehmen.8)
De Waal hat mit Recht gewarnt, an die Herausgabe des vom ersten Kongreß
*) Ein Verzeichnis der Abbildungen zu den Skulpturen des Lateran bei Ficker Seite 205.
8) Die an 4000 Nummern umfassende Kollektion Parker ist durch Brand zerstört, nur ein
Exemplar war 1908 noch verkäuflich, aber bloß im ganzen. — Simellis Aufnahmen, die de ßossi
veranlaßt hatte, soweit sie die Sarkophagreste von San Callisto betrafen (Roma sott. III 441), ver-
zeichnete Barbier de Montault. Ficker nennt die Nummer des Klischees unter Hinzufügung
der Ordnungsnummer bei Barbier; dabei unterscheidet er eine alte und eine neue Numerierung
der Klischees. Die Simellischen Photographien führt jetzt G. E. Chauffourier, Fotograf o-editore,
Via Pompeo Magno 3A, und zwar nach Barbiers Verzeichnis; die bei Ficker angeführten neuen
Nummern (die über 2900) sind bei Chauffourier nicht bekannt; auch fehlen jetzt einige der alten
Nummern. — Andersons Photographien führt die Spithöversche Buchhandlung am spanischen Platz.
8) Walter Amelung, Die Skulpturen des vatikanischen Museums, Berlin 1903. 1908.
Skulptur. 41
christlicher Archäologen geplanten Corpus monumentorum christianorum zu rasch heran-
zugehen. In der Tat sind noch viele Vorarbeiten nötig, auch für die Unter-
abteilung der Sarkophage. Diese Vorarbeiten würden aber erst richtig Ziel und Plan
gewinnen, wenn sie bereits im Rahmen und unter den Gesichtspunkten des großen
Unternehmens gemacht würden. Damit nun die Sarkophagforschung den ihr bisher
fehlenden festen Boden unter die Füße bekomme, ist es unerläßlich, daß mit dem
Gedanken der christlichen Antike Ernst gemacht werde. Zwar scheint einem die
christlichen mit den heidnischen Steinsärgen vereinigenden Corpus sarcophagorum anti-
quorum der Weg versperrt; aber es bleibt die Möglichkeit, die künftige Gesamt-
herausgabe der christlichen Sarkophage zu der großen Institutspublikation der „Antiken
Sarkophagreliefs" wenn nicht äußerlich, so doch innerlich in enge Beziehung zu setzen,
in solchem inneren Zusammenhang entstehen zu lassen. Damit ist denn die praktische
Folgerung schon angedeutet, die es nur noch auszusprechen gilt. Ein so großes und
bedeutsames wissenschaftliches Unternehmen verlangt, wie das schon der erwähnte
Kongreß aussprach, das Zusammenwirken vieler Kräfte. Nun hat auf dem geraeinsamen
Boden der Wissenschaft von jeher ein freundliches Einvernehmen und Zusammenwirken
zwischen den Gelehrten des Archäologischen Instituts und den christlichen Archäologen
Roms gewaltet; es braucht nur an das leuchtende Dioskurenpaar Theodor Mommsen
und Giambattista de Rossi erinnert zu werden und an die wechselseitige Förderung,
wie sie christliche Archäologen beider Konfessionen vom Institut, klassische Archäologen
von den römischen Gelehrten erfuhren. Das Institut vermöchte wohl vorgeübte Kräfte
zu dem gemeinsamen Werke bereit zu stellen. Dieses selbst würde ein bleibendes
Denkmal großen wissenschaftlichen Geistes sein. Allen etwa zu befürchtenden Schwierig-
keiten würde von vornherein begegnet, wenn die Publikation nur den tektonischen und
stilkritischen Gesichtspunkten nachginge und von der Interpretation ganz absähe; die
bildlichen Typen wären rein formal zu ordnen, die Literatur natürlich vollständig mit-
zuteilen.1)
All dergleichen bleibt anderen überlassen, wir wenden uns sofort zum ersten
Abschnitt unserer Studie, zur Tektonik der altchristlichen Sarkophage.
Auf das Technische der Skulptur brauchen wir nicht einzugehen, da war kein
Unterschied bei der heidnischen und der christlichen Antike; die Bildhauer haben die
gewohnte Meißelführung nicht geändert, weder wenn sie christliche Sujets darstellten
noch wenn sie für ihre Person die Taufe annahmen. Wenn die Masse der christlichen
Sarkophage schließlich doch einen andern Eindruck macht, als die Masse der heid-
nischen, so liegt es daran, daß jene im ganzen jünger sind als diese; und mit den
Zeiten wechseln auch die Manieren. Nur auf eines sei aufmerksam gemacht, auf das
Verhältnis zwischen Meißel und Bohrer. Die Reliefs wurden mit dem Meißel angelegt;
erst in einem vorgerückteren Stadium der Arbeit kam der Bohrer zur Anwendung.
Die Figuren mußten zuvor in den Massen angelegt sein, ehe z. B. der Haarmasse eines
Kopfes mit dem Bohrer das krauslockige Aussehen der Anton inenköpfe gegeben werden
konnte. In einem dritten Stadium, zu dem es aber bei flüchtiger Arbeit nicht immer
genügend kam, wurde die Bohrerarbeit mit dem Meißel ausgeglichen. Nun gilt die
*) de Waal, Rom. Quartalschr. 1896, 235 Die Resolutionen des ersten Kongresses christ-
licher Archäologen zu Spalato 1894; ders. , Sarkophag des Junius Bassus 1900, 95. Der Plan des
Kongresses scheint von der Verwirklichung noch weit entfernt zu sein, vgl. auch Wittig, Campo
santo 6 — 7.
42 Plastik.
übermäßige und aufdringliche Anwendung des Bohrers als ein Zeichen sinkenden Ge-
schmacks. Bei unfertigen Sarkophagen aber hat man das Fehlen oder die erst mäßige
Anwendung von Bohrerarbeit nicht immer als Zeichen früherer Entstehungszeit, sondern
bloß eines früheren Stadiums der Arbeit anzusehen.1)
Zum Technischen der antiken Skulptur gehört als letztes, aber nicht unwesentliches
Stück die Polychromie. Auch die beste verblaßt in Wind und Wetter, nach Um-
ständen auch unter der Erde. Die schwachen Spuren wurden in den Jahrhunderten
seit der Renaissance teils nicht beachtet, teils im Zusammenhang mit jenen unheilvollen
Ergänzungen und Überarbeitungen ausgetilgt. Erst seit im neunzehnten Jahrhundert
die Frage der Polychromie zur Erörterung kam, begann man die Spuren zu beachten
und zu schonen, aufzuzeichnen und farbig zu veröffentlichen. Es fand sich, daß un-
plastische, aber für den Eindruck wichtige Momente der Erscheinung aufgetragen
wurden, z. B. so wichtige wie Pupille und Iris des Auges, aber auch die Farbe des
Haars, der Lippen, der Gewandmuster. Ob auch die Oberfläche der Gestalt im ganzen
getönt wurde, gar des Nackten, blieb fraglich. Es mögen diejenigen Recht behalten,
welche den antiken Bildhauern darin Spielraum lassen wollen; in der Tat will es
scheinen, als ob die Aufgabe zu verschiedenen Zeiten und unter verschiedenen Umständen
verschieden gelöst worden sei. Das Gesagte gilt wie für die heidnische so für die
christliche Skulptur. Nachdem schon zuvor öfter Spuren von Polychromie an alt-
christlichen Bildwerken bemerkt worden waren, haben insbesondere Swoboda und
Ficker solche genauer verzeichnet.2)
Die Sarkophage wurden in Werkstätten von Bildhauern hergestellt, die der-
gleichen Arbeit lieferten. Spuren von antiken Bildhauerwerkstätten haben sich bei Aus-
grabungen gefunden; bei dem kolossalen Bedarf an Skulpturen in den ersten drei Jahr-
hunderten der Kaiserzeit muß es viele und große Ateliers gegeben haben. Und ein
jedes wird, gerade für Artikel wie Sarkophage, einen Kundenbezirk besessen haben,
der im großen und ganzen durch seine Lage bedingt war. An den erhaltenen Sarko-
phagen lassen Gleichartigkeiten in der Arbeit auf Ursprung aus derselben Werkstatt
schließen. Jedes Atelier hatte seine Eigenheiten, seine Tradition, bei aller Einheitlich-
keit der gleichzeitigen Kunstübung im ganzen.
Aber wer waren die Besteller? Zunächst muß man festhalten, daß die Besteller
von Marmorsärgen auf alle Fälle den wohlhabenderen Klassen angehörten, denselben, die
etwa in den Katakomben ganze Kammern für sich belegten. Das wird auch durch die
vorkommenden Porträts bestätigt. Sodann wird man geneigt sein, in erster Linie in
*) Nur mit dem Meißel angelegt ist beispielsweise ein bacchischer Sarkophag im Thermen-
museum. Ein berühmter christlicher Sarkophag aus Sankt Paul vor den Mauern, Lateran n. 104,
ist in manchen Teilen unfertig, es fehlt fast die ganze Bohrerarbeit [Abb. 37]. An Lat. n. 184
steckt eine ganze Figurengruppe noch im Stein [Abb. 38]. An heidnischen wie an christlichen
Sarkophagen, die auf Vorrat gearbeitet waren, sind die vorkommenden Porträts der Verstorbenen
häufig nur abbozziert; sie hätten für den Fall fertig gemacht werden sollen, das ist aber oft unter-
blieben. Dergleichen ist nur am Original oder an Photographien zu beobachten [Abb. 4]. — Die
Bohrerarbeit im Betrieb ist in Graffito am Sarkophag des „heiligen und gottesfürchtigen Eutropos"
dargestellt: der Bildhauer sitzt auf einem Treppenstuhl vor dem in Arbeit befindlichen Sarkophag,
einer Wanne mit symmetrischen Riefeln und zwei Löwenköpfen, und hat den Bohrer an den einen
Löwenkopf angesetzt, ein Gehilfe drillt ihn mittels eines Riemens. Wilpert, Malereien 476 Fig. 42.
Kaufmann, Handbuch 492 Fig. 181; aber warum soll ayioq „heiligmäßig'' heißen und nicht heilig?
2) Swoboda, Römische Quartalschrift 1887, 100. 1889, 134. Ficker, Altchr. Bildwerke 1890, 91.
Tektonik der Sarkophage. 43
den Hinterbliebenen des Verstorbenen die Besteller seines Sarges zu sehen. Das wird
auch für viele Fälle zutreffen, z. B. beim Tode eines noch nicht selbständigen Kindes.
Es konnte aber sein, und es wird durch viele Grabschriften bezeugt, daß einer den
Steinsarg, der ihn dereinst aufnehmen sollte, bei Lebzeiten bestellte, für sich und etwa
für seine Frau; vielleicht, und dafür scheint einiges zu sprechen, beim früheren Tode
der Gattin, vielleicht aber auch unabhängig hiervon. Solche frühzeitige Fürsorge lag
durchaus im antiken Charakter. Man konnte nun entweder einen fertigen Sarg kaufen
oder einen neuen eigens herstellen lassen, damit er ganz dem eigenen Sinn entspreche.
Es gab auch halbfertige Arbeit, die dann nach dem Fall beendigt wurde. Ein letztes
aber war auch nicht ausgeschlossen, nämlich die Wiederbenutzung eines alten Sargs.
Auch dafür gibt es Belege.1)
Tektonik der Sarkophage.
Eine Übersicht der christlichen Sarkophagtypen hat Wittig in der Einleitung
seiner „Altchristlichen Skulpturen" gegeben, freilich weniger in systematischer als in
chronologischer Absicht. Wir werden sowohl im tektonischen wie im stilgeschichtlichen
Abschnitt mit den dort aufgestellten Klassen zu tun haben.2)
Die tektonischen Typen der christlichen Sarkophage stammen aus der heidnischen
Sepulkralskulptur, sowohl nach der Grundform wie nach der künstlerischen Durchbil-
dung; die Antike bleibt sich auch auf diesem Gebiete treu. Und wenn wir bei den
Christen Spielarten finden sollten, die nicht ganz ebenso bei den Heiden vorkamen, oder
selbst weitergehende Neubildungen, so bliebe auch dies künstlerisch im alten Geleise.
Von den heidnischen Sarkophagen müssen wir ausgehen, wollen wir die christlichen
verstehen.
Eine erschöpfende, alles charakteristische Material aufarbeitende und verarbeitet
vorlegende Tektonik der heidnischen Sarkophage besitzen wir noch nicht, wohl aber
eine vorbereitende Untersuchung über das Formale von der Hand Walter Altmanns.
Aus genauer Vertrautheit mit dem ganzen Gebiet der antiken Grabskulptur hervor-
gegangen, legt sie auf dem Grund der bislang geleisteten Arbeit in selbständigem Vor-
gehen wichtige Punkte fest. Wir werden da anknüpfen.8)
Es empfiehlt sich, eine Klassifikation gleich hier herauszuheben. Eine „römische"
Klasse wird unterschieden von einer „griechischen" und von einer Sonderart gemischten
Charakters, die man „griechisch-römisch" nennt. Die „römischen" Sarkophage sind
Kasten mit schlichten Randleisten, die Flächen gefüllt mit figürlichen Darstellungen;
außer der Vorderseite wurden auch die Schmalseiten verziert, aber mehr nebensächlich;
die Rückseite blieb leer, weil sie gegen die Gruftwand geschoben wurde. Die „griechischen"
Sarkophage haben stark profilierten und reich ornamentierten Sockel und Sims; weil
*) Der kapitolinische Endymionsarkophag bei Robert, Antike Sarkophagreliefs III i 40 ist
wieder verwendet für eine Gerontia.
2) Wittig, Altchristliche Skulpturen im Campo santo, Einleitung.
3) W. Altmann, Architektur und Ornamentik der antiken Sarkophage, Berlin 1902.
44 Plastik.
frei aufgestellt, verzieren sie alle vier Seiten, so, daß jede Schmalseite mit der rechts
anstoßenden Langseite zusammengeht. Eine wahrscheinlich athenische Werkstatt ver-
sieht ihre Sarkophage mit Eckkaryatiden oder auch Eckfiguren, welche letztere dem
jeweils dargestellten Mythus angehören; sie stehen auf Sockelchen, die mit Tierbildern
belebt sind. Eine jüngere Gruppe läßt die Eckfiguren fort, behält aber die Sockelchen
bei. Die Profilornamente sind Astragal, Eierstab, lesbisches Kyma und Wellenranke
sowie das Flechtband. Die „griechisch-römischen" Sarkophage verbinden mit der tek-
tonischen Ausstattung der griechischen Klasse die Kompositionsweise der römischen
Sarkophagreliefs (da sie eine Unterart der griechischen Klasse bilden, so würden sie,
im Rahmen dieser ganzen Betrachtungsweise, vielleicht besser „römisch-griechisch" ge-
nannt).1)
Die Masse der altchristlichen Sarkophage gehört zur römischen Klasse. Es gibt
kein einziges Exemplar, das alle Kennzeichen einer der zwei griechischen Klassen auf-
wiese; wohl aber gibt es eine Anzahl Stücke, an denen einzelne ihrer Merkmale hervor-
treten, die also in irgendeinem Verwandtschaftsverhältnis zu der einen oder anderen
Klasse stehen.
Verzierten kräftigen Sims (mit Astragal, hängendem und stehendem Blatt-
kranz und Eierstab) hat das vom Archäologischen Institut der Sammlung de Waals
geschenkte Bruchstück eines schönen Riefelsargs (G 298, 2), verzierten kräftigen Sockel
(mit Flechtband unter lesbischem Kyma) und Sims (mit Astragal unter lesbischem Kyma)
besitzt der dreiseitig skulpierte Sarkophag von Salona, mit Ecksäulen und Figuren auf
Sockelchen (G 299). Alle übrigen Sarkophage reduzieren Sockel und Sims zu flachen
Leisten. Einige sind dreiseitig verziert: der reiche Säulensarkophag Lateran n. 174
(G 323, 4 — 6) bildet die Sockelleiste noch als Lorbeer- oder Olivenblättergirlande [Abb. 19];
am Sarkophag zu Verona (G 333) blieb nur eine in der Spätantike typisch gewordene
flache Wellenranke übrig; andere begnügen sich mit der gemeinrömischen kahlen Rand-
leiste, wie der Säulensarg des Junius Bassus (G 322, 2 — 4) und die Kasten mit ge-
drängten Figuren (G 318, 1 — 3. 382, 2 — 4 des Sabinus). — Eckfiguren auf Sockel-
chen finden sich am Riefelsarg zu Pisa, sog. Todesgenien mit umgestürzter Fackel
(G 297, 1) [auch an Abb. 7]. — Vierseitig skulpierte Sarkophage gibt es eine ganze
Reihe, in ihrer Art lauter Prachtstücke, aber alle spätantik. Der Klinensarg in der
Vorhalle von San Lorenzo fuori (G 306) hat Bettpfosten auf Löwentatzen; die Vorder-
seite (jetzt gegen die Kirchenwand geschoben) und die links anstoßende Schmalseite
(jetzt rechts) tragen von unten nach oben gezählt an dem hartprofilierten Sockel Akan-
thusranke, Eichenblättergirlande, flache Wellenranke, an den zwei anderen Seiten nur
die Eichenblättergirlande, an der Kopfleiste ein lesbisches Kyma unter Akanthusranke
[Abb. 46]. Lät. M n. 183 A (F 181) hat wieder, wie alle folgenden, nur Randleisten;
die Vorderseite trägt unten ein Flechtband; in die den Raum füllende Weinlese sind
drei Gute Hirten gestellt, auf Sockelchen, zwei als Endfiguren, eine in die Mitte; die
drei Sockelchen zeigen an ihrem Sockel und Sims Blattkränze, an ihrer Vorderfläche
Pfeil und Bogen zwischen Masken, das zentrale einen Dreifuß zwischen zwei sitzenden
Greifen [Abb. 45]. — Eine Gruppe vierseitig verzierter Prachtsarkophage belebt selten
die Kopfleiste, mit Mäander, öfter die Sockelleiste mit Wellenranken; deren Ausfüh-
rung schwankt von einem gewissen plastischen Reichtum bis zu Armut und flacher
*) Altmann, Architektur 86.
Die wannenförmigen Sarkophage. 45
Bildung; einige lassen die Leisten leer, noch andere ersetzen die Banken mit dem
Predellbild des Gotteslamms zwischen den zwölf Schafen [Abb. 31].1)
Im folgenden führen wir die Sarkophagtypen einzeln vor, jeden zuerst im heidnischen
Gebrauch, dann im christlichen. Das Zurückgreifen auf die heidnische Sarkophag-
skulptur ist wesentlich zur Bewährung des Begriffs der christlichen Antike; die Auf-
gabe geht dahin, die altchristliche Kunst in ihrem geschichtlichen Zusammenhang vor
Augen zu stellen.
Da zu einem Sarg nach seiner Zweckbestimmung nichts weiter verlangt wird, als
ein Behälter für die Leiche, so konnte jeder längliche Behälter von einem gewissen
Raumgehalt dazu dienen. In unserem Kreise begegnen als Grundformen die Wanne
und der Kasten.
Die wannenförmigen Sarkophage.
Die Wanne ist länglich mit parallelen Seiten, an beiden Enden im Halbrund
schließend (also nicht eigentlich oval). Ursprünglich verjüngt sie sich nach dem Boden
zu. Das war und ist der Typus der Badewanne {rcveXog solium); in den Ruinen von
Tiryns fand Schliemann die Bruchstücke einer Wanne aus Terrakotta. Dergleichen
nach unten sich verjüngende Wannen aus Hartsteinen wie Porphyr und Granit sind
viele erhalten, oft in bedeutender Größe (so zu Rom in den vatikanischen Sammlungen
und unter manchem Altar als Reliquienschrein, zu Florenz im Giardino Boboli). Andere
aber haben senkrechte Wände; sie näheren sich damit der Kastenform, z. B. die im
Cortile des Belvedere, Westhalle n. 58 A; ein Prachtexemplar war der 1903 im Coem.
Balbinae gefundene, jetzt auch im Belvedere, großenteils zerstörte.
Wannen dienten auch als Kelter (Arjvog). Die Kelter hatte in den Wänden Öff-
nungen zum Ablassen des ausgestampften Traubensaftes; in Darstellungen von Keltern,
dergleichen uns in der Typik der Bilder begegnen werden, erscheinen diese Ausfluß-
öffnungen immer zu zweien und analog den Brunnenmündungen als Löwenmäuler,
genauer Löwenmasken, gestaltet. Das Motiv übernahmen die wannenförmigen Särge,
nur bleibt die Wand hinter dem offenen Rachen undurchbrochen. An Sarkophagen mit
bacchischen Bildern wurde der Löwenkopf wohl auch ins Bacchische mit hineingezogen
und durch den Kopf eines der bacchischen Tiere ersetzt, sei es des Panthers, oder
des geflügelten Löwen mit den Hörnern des ebenfalls bacchischen Bockes (also des sog.
Löwengreifen). — Am Sarkophag Cortile del Belvedere n. 28 sehen wir zwischen den
Füßen des in der Mitte tanzenden Paares, eines Satyrs und einer Nymphe, einen Pan-
ther, der die Tatze auf einen daliegenden Widderkopf legt. Das ist Nachklang von
dem uralten Motiv des Raubtiers, das ein Huftier niederschlägt. Ursprünglich
ein Wirklichkeitsbild diente das Motiv auch als Sinnbild des Todes und fand so Ver-
wendung in der Gräberkunst. Die Bildhauer aber benutzten es noch besonders um die
am Sarg nur dekorativen Löwenköpfe zu ganzen Löwen zu entwickeln, die zugleich
etwas bedeuteten; die so entstandene Tiergruppe, zu der oft noch ein aufgeregt heran -
l) Paris, Peterskirche, Mantua, Ancona (des Gorgonius), Vatikanische Grotten, Mailand,
Tolentino (des Catervius): G 324. 325. 320, 2—4 und 321, 1. 326 und 327, 1. 327, 2—4. 328 und
329, 1. 303 und 304, 1.
46
Plastik.
eilender Hirt oder ein Jäger und ein die Landschaft andeutender Baum trat, wurde
an die seitlichen Rundungen der Wanne geschoben. In bacchischem Sinne gemildert,
so daß es Gedanken von Seligkeit andeutet, erscheint das Löwenmotiv, wenn das Tier,
sei es Löwe oder Panther, unter Bäumen schreitet, aus einem Kantharos trinkt, an einem
Korb oder einer Vase mit Früchten nascht.1)
Die Löwenmäuler selbst aber erlaubten noch eine ganz andere Verwendung, näm-
lich um zwischen den Zähnen entsprechend große Ringe zu halten, die an Türen zum
Auf- oder Zuziehen der Flügel, nach Umständen auch als Türklopfer dienen konnten,
an Badewannen und Särgen aber zum Tragen. Eine bronzene Löwenmaske mit in den
Zähnen hängendem Ring fand sich in den Trümmern des Prunkschiffs vom Nemisee
[Abb. vor unseren Sarkophagabbildungen]. An Hartsteinwannen sieht man die Löwen-
masken als Ringhalter oft skulpiert.2)
Die Wannen von Hartstein pflegen glatt zu sein, die von Marmor dagegen ge-
riefelt (striiert, baccellati). Die Riefeln laufen von oben nach unten, selten geradlinig
mit eingelegten Stäben; meist sind sie gewunden, an der linken Hälfte des Sargs S förmig,
an der rechten symmetrisch dazu. Die Riefelung erklärt sich wohl am ehesten aus der
Metallarbeit an kupfernen Badewannen; im praktischen Gebrauch müssen Metallwannen
üblich gewesen sein (in Boscoreale hat sich eine gefunden). Die S förmig geschwungene
Zeichnung der Riefeln aber dürfte lediglich durch den antiken Barockstil bedingt sein,
der auch die Spiralkannelierung der Säulen und die gewundenen Säulenschäfte zeitigte.
— Wo die symmetrisch gezeichneten Riefeln in der Symmetrieachse zusammenstoßen, da
lassen ihre oberen Ausbuchtungen einen aufgerichtet mandelförmigen Zwischenraum
(Mandel, mändorla); darin konnte eine kleine Figur angebracht werden, etwa ein Figür-
chen des Verstorbenen, die auf einen Schild schreibende Siegesgöttin, oder was für ein
Emblem man sonst wählen mochte.8)
Die Wannen wurden nicht ausnahmslos geriefelt; öfter traten an die Stelle der
Riefeln figürliche Darstellungen. So an der schönen Wanne mit bacchischen
Szenen Belv. n. 28, an der anderen im Belvedere n. 58A, mit dem Verstorbenen zwischen
vier Horeneroten.4)
Den Wannentyp übernahmen die Christen. Die meisten christlichen Wannen sind
geriefelt; figürliche Darstellungen statt der Riefeln aber bieten gerade einige der ältesten
und schönsten altchristlichen Sarkophage, der von Via Salaria im Lateran (M 181)
x) Wanne: Amelung zu Belv. n. 28. — Tiryns: Schliemann, Tiryns 158. 263 f. Taf. 24. —
Panther: Mus. Chiaramonti n. 180. — Löwengreif: Belvedere n. 28 (Heibig n. 140). — Löwe
gegen Eber: Mus. Chiar. n. 733a, gegen Bock: ebenda und Belvedere n. 58 A, Pferd, Gall. Lapid.
n. 111. Mehr bei Matz-Duhn II 170—174. Die Tiergruppe mit Mann und Baum: Gall. Lapid.
n. 111. Mua. Chiaram. unter n. 294. Altmann, Architektur 49 Fig. 17. — Es kommt auch vor,
daß der Lowe einen Erot niederwirft: Grousset zu n. 45 (Ariccia, Chigi). — Löwe schreitet: Pal.
dei Conservatori Oberstock Vorplatz. — Löwe trinkt: Matz-Duhn n. 2668 (Mellini). — Löwe
nascht Früchte: Piazza della Sagrestia, gleich beim Durchgang, Sarkophag als Brunnentrog.
Panther: Clarac 129, 202. San Callisto, Simelli 72.
2) Löwenmaske als Ringhalter aus dem Nemisee: Thermenmuseum, Antiquario. An Sarko-
phag: Gall. Lapid. n. 188. Matz-Duhn n. 2676 (Capo di Ferro), 2678 (Rospigliosi).
•) Victoria in der Mändorla: Mus. Capitolino, im Hof links. Matz-Duhn n. 2675
(Barberini).
4) Ferner Robert III i Taf. 24, 83. Altmann, Architektur 48 Fig. 16, mit Selene und Endy-
mion; eb. III i Seite 105.
Die kastenförmigen Sarkophage. 47
und der in S. Maria Antiqua [Abb. 2. 4]. Eine Wanne mit prächtiger Löwenmaske
besitzt der Louvre; als christlich erweist sie der zentrale Gute Hirt. Die Tiergruppe
findet sich an neutralen Wannen in Pisa und Arezzo, aber auch an entschieden christ-
lichen Särgen: der Löwe wirft ein Pferd nieder an einer Wanne in der ßasilica Petrönillae,
mit Orante in der Mandorla. Jene Wendung des Tiermotivs in das Sanfte mit an-
klingenden Seligkeitsgedanken führte einen christlichen Bildhauer zur Anbringung einer
idyllischen Szene, deren wir weiterhin so viele als Bestandteile des christlichen Bilder-
schatzes antreffen werden: ein Lamm ruht vor einer Strohhütte unter Bäumen; das
übrige ist Flachrelief, nur der Kopf des Tieres hebt sich vollrund heraus mit Wendung
nach außen [Abb. 2]. Löwenmasken als Ringhalter hat ein vielleicht doch christlicher
Sarkophag bei S. Maria del Priorato auf dem Aventin.1)
Die kastenförmigen Sarkophage.
Der Typus stammt von den hölzernen Truhen, wie sie im Haus gebraucht wurden
zur Aufbewahrung der Gewänder und Teppiche, und wie sie durch Mittelalter und
Renaissance hindurch im Gebrauch blieben, zum teil bis in die Gegenwart; ähnlich,
nur in kleineren Abmessungen, baute man Schmuckkästen. Solch eine längliche Truhe
oder Lade (XccQvat-, yußwxbg) eignete sich gut zum Sarg, und ihre Gestalt wurde vor-
bildlich für die Mehrzahl der Steinsärge. Von der Truhe und ihren unten hervor-
tretenden Eckpfosten dürften auch die Füße herstammen, mit denen gewiße Sarkophage
versehen wurden. Eine spätschwarzfigurige attische Vase aus dem Anfang des fünften
Jahrhunderts vor Chr. schildert die Beerdigung: zwei Männer heben den Sarg in die
Grube, aus der zwei andere die Hände emporstrecken, um ihn zu fassen und nieder-
zusetzen; es ist eine längliche Lade von Tischlerarbeit, Rahmen und Füllung, mit
Füßen und mit flachem Deckel. Doch erhielt der Deckel schon früh auch die Form
des Satteldaches.2)
Die künstlerische Aussstattung der Kastensärge bestand in Riefeln oder in
figürlichen Darstellungen. Oder es verband sich mit den Riefeln auch Figürliches, und
zwar konnte das in verschiedener Weise geschehen, ähnlich wie bei den Wannen. Da
Wannen- und Kastentyp nebeneinander im Gebrauch waren, so fand leicht ein Aus-
gleich statt; eben daher stammen jene Wannensärge mit senkrechten Wänden; wie es
denn umgekehrt Kastensärge gibt mit abgerundeten Ecken, an die dann gern die
Löwenmasken treten. Ein solcher Kastensarg mit gerundeten Ecken, daran Löwen-
masken mit Ringen, steht im Cortile des Belvedere.
Wurden die Wände des Sarkophags mit Riefelung versehen, so konnte man
den figürlichen Schmuck auf eine Gestalt in der Mandorla beschränken; am letzt-
genannten Sarkophag steht in der Mandel ein Mann im Mantel, mit Schriftrolle. Bis-
x) S. Maria Antiqua: Hülsen, Forum 143 Abb. 71. — Pisa: G 357, 3. Arezzo: eb. 383,2.—
Louvre: G 295, 2. — Bas. Petrönillae: Grousset n. 25. — Porto: Grousset n. 27. — Florenz:
Grousset n. 53 bis. — Idyllisch: an Lateran M 181, unten im stilgeschichtlichen Abschnitt. —
Aventin: Matz-Duhn n. 2682. Grousset n. 31.
2) Kastensarg: Altmann, Archit. 22. Watzinger, Griechische Holzsarkophage aus der Zeit
Alexanders des Großen, Leipzig 1905, 25. 63. — Vasenbild: Mon. d. Instit. VIII Taf. 4. 5.
48 Plastik.
weilen kommen auch hier gerade Riefeln vor mit unterwärts eingelegten Stäben;
da fällt die Mandorla aus, figürlicher Schmuck kann in solchem Fall nur in einer der
nachbenannten Weisen eintreten.1)
An der Mitte des Kastens wurde wohl eine Schrifttafel ausgemeißelt, meist in
der Form der tabula ansata, wie sie sonst an Gräbern und Columbarien die Grab-
schrift trug. An derselben Stelle des Sarkophags brachte man noch lieber das Bild
des oder der Verstorbenen an, zunächst als Brustbild, und zwar in kreisrundem Rahmen
in der Form des Rundschildes (clipeus), aus dessen Höhlung das Bild herausschaut.
Öfter halten Eroten, Tritonen oder Satyrn den Schild. Reicher wurde der Typus,
wenn den in Höhlung und Rahmen glatten Clipeus eine ebenfalls kreisförmige aber
geriefelte Muschel vertrat; das Muschelschloss pflegt unten zu stehen, die Riefeln
strahlen fächerförmig von da aus. Doch wird der größte Teil des Innern von der
figürlichen Darstellung ausgefüllt. Einigemal ist es die kauernde Aphrodite mit drei
Eroten, welche das von Seewesen getragene Muschelrund füllt, sonst sind es Büsten
oder Büstenpaare, Porträts der Verstorbenen. In der Typik der Bilder kommen wir
auf sie zurück.2)
Am häufigsten wird die Sarkophagfront derart gegliedert, daß die zwei breiteren
Riefelfelder durch drei schmälere eingerahmte Bildfelder in Hochformat getrennt
und begrenzt werden. Es lag nahe, im Mittelfeld den Verstorbenen darzustellen, in
ganzer Figur, in den Endfeldern bedeutende Mythen; oder, wenn es sich um ein Ehe-
paar handelte, Mann und Frau in die Endfelder zu verteilen, in das Mittelfeld aber
ein Sinnbild zu setzen; oder man konnte alle drei Felder mit Symbolen füllen. Man
wolle dabei beachten, daß auch das Sinnbild den Verstorbenen meint, seinen Tod oder
seine Seligkeit; jeder Heros konnte ihn vertreten, im einen Sinn etwa ein Meleager, im
andern der zur Gemeinschaft des Zeus emporgehobene Ganymed. Dionysische Szenen
deuten allemal auf seligen Zustand.8)
Mannigfache Kombinationen ergaben sich leicht. Am Riefelsarg im Hof des
kapitolinischen Museums, in dessen Mandorla Nike auf den Schild schreibt, zeigen
Endfelder den Mann in Toga, die Frau in matronaler Tracht. Ein solcher Sarkophag
im Konservatorenpalast, auf dem Treppenabsatz, hat zentralen Clipeus und Endfelder
mit je einem Eros auf die Fackel gestützt.
Auch an den christlichen Sarkophagen herrschen die geschwungenen Riefeln vor,
die geraden sind selten; Grousset führt ein paar an, einen im Theater des Marcellus,
einen zweiten im Palazzo Farnese, einen dritten bringt Ficker. Der Clipeus mit
*) Gerade Eief ein: Amelung. Gall. Lapid. n. 47. Giardino della pigna n. 196. San Callisto:
Simelli 115.
") Conservatori, Absatz der Haupttreppe: Clipeus mit weiblicher Büste der Aurelia Extri-
cata. — Aphrodite: Benndorf-Schöne, Lateran n. 296. Vgl. Clarac 224, 82. — Der Clipeus, dann
aber die gewölbte Außenseite nach vorn, trägt wohl auch die Inschrift, wie an einem Sarkophag
des Konservatorenpalastes, Treppenhaus des Oberstocks n. 116 die christliche des Promotus. Zwei
Tritonen halten den Schild.
8) Meleager: Bobert III n Taf. 98, 311, in den Endfeldern je ein Dioskur; vgl. eb. III n
272. — Ganymed tränkt den Adler des Zeus: Belvedere n. 97, in den Endfeldern je ein Erot auf
Fackel gestützt. — Dionysos geführt von Satyr und Nymphe: eb. n. 99, in den Endfeldern Satyr
und Nymphe tanzend. Weitere bacchische Särge Matz-Duhn II 96—100. Anderes Gall. Lapid.
n. 12 (zentral drei Chariten, in den Endfeldern je ein Erot mit Fackel). 15 (zentral Eros und
Psyche, in den Endfeldern je eine Nike).
Die kastenförmigen Sarkophage. 49
Büste ist nicht so häufig wie die Muschel [Abb. 11. 14. 87. 38]. Die Anordnung
dreier Bildfelder mit zwischentretenden Riefelfeldern war besonders beliebt. Wir
fuhren einen Sarkophag mit neutralen Darstellungen an, der auf dem Dach von S. Peter
als Brunnentrog dient, mit der Verstorbenen in der Mitte, Horeneroten an den Enden;
ferner eine Neuerwerbung de Waals mit realistisch porträtierter Adorantin (eingeengt
von zwei sie begleitenden Togati, daher für ihre Arme kein Platz blieb), in den End-
feldern stehen Hirten; ein Sarkophag auf dem oberen Vorflur des Konservatoren-
palastes zeigt den guten Hirten in der Mitte, auf ihre Fackeln gestützte Eroten in
den Endfeldern [Abb. 7]. Es fehlt nicht an Kombinationen der verschiedenen
Systeme. Da ist eine Orantin in der Mandorla, Gute Hirten in den Endfeldern
[Abb. 8], oder der Gute Hirt in der Mandorla auf akanthgeschmückter Konsole
stehend, dazu kommen Endfelder mit Mann und Frau, jedes sitzend, mit Begleit-
figuren. Da ist der Clipeus mit Büste, verbunden mit Endfeldern, darin einmal Horen-
eroten, andere male Hirten oder Fischer oder Christusszenen gesetzt sind. Auch
werden die Riefelfelder ersetzt durch figürliche Darstellungen: Lat. n. 236 hat als
Mittelfeld die Grabschrift der Juliane, im rechten Endfeld Juliane adorierend, im
linken einen Hirten, im rechten Zwischenfeld Schafweide, im linken Seeszenen (Jonas
und Arche).1)
Im Laufe der Kaiserzeit macht sich an der Architektur eine Richtung auf
Steigerung des Schmuckes bemerkbar, bis zur Überladung; einen Höhepunkt hierin
bezeichnet die Zeit des Septimius Severus. Dieselbe Richtung beobachtet man auch
in der christlichen Skulptur; wir werden ihr öfter begegnen, wie denn auch Beweg-
gründe verschiedener Art im Spiele waren. Dahin gehört auch die Zerlegung der
Bildfläche in zwei Zonen. An unseren Riefelsärgen tritt die Erscheinung variiert
auf, bald wurden nur die zwei Zwischenfelder geteilt, bald Mittel- und Endfelder, bis-
weilen auch alle fünf Felder. An zwei Sarkophagen bei Grousset sind die Zwischen-
felder geteilt; an einem in der Ecole francaise de Rome stehen in der Mitte eine
Adorantin, an den Enden Hirten, am andern in S. Petronilla haben wir in der Mitte
die Verstorbene, an den Enden ruhende Hirten (einer fehlt), an beiden Sarkophagen
füllen die zweizonigen Zwischenfelder idyllische Szenen. An einem anderen Sarkophag
sieht man in der Mitte ein Büstenpaar in Clipeus über einer Melkszene, in den zwei-
zonigen Endfeldern vier biblische Szenen, in den hier ungeteilten Zwischenfeldern
Riefeln. Ein lateranischer Sarg bietet zentral ein Ehepaar vor der Pronuba, darunter
den Hahnenkampf, in den ebenfalls zweizonigen Endfeldern vier biblische Szenen, in
den geteilten Zwischenfeldern Riefeln. An einem Fragment legt sich ein Zierband
auf den die oberen und unteren Riefeln trennenden Balken.2)
Wir dürfen die Riefel- und Kastensärge nicht verlassen, ohne auf ihre Orna-
mentik aufmerksam gemacht zu haben. Freilich müssen wir uns, hier und weiterhin,
versagen, auf die Materie einzugehen; sie könnte nur im Zusammenhang der gesamten
x) Grousset n. 15. n. 44 (G 403, 1). Lat. n. 235 des Priscus. — Clipeus: Lat. M 70 A
(F 72). Simelli 175. Muschel: Lat. n. 108. — Endfelder und Mandorla: G 296, 4 (zur tragenden
Blattkonsole vgl. die tragende Blume eb. 298, 2). 375, 2. Endfelder und Clipeus: Lat. n. 214.
108. Ferner 9. 122. 153. 144. 163. — Ferner Hirt in Mandorla, Endfiguren auf Basen: Pisa, G
297, 1; letztere ohne Basen eb. n. 297, 2.
2) Grousset n. 54. 55. Lateran M 26 (G 361, 1). — Zweizonige Endfelder: Riano, G 364, 1. —
Fünf Felder zweizonig, Campli: G 399, 7. — Fragment: G 402, 4.
Sybel, Christliche Antike II. 4
50 Plastik.
Ornamentik der Kaiserzeit, und zwar in deren geschichtlicher Erfassung, fruchtbar be-
handelt werden. Aber eben darum möchten wir auf das in den christlichen Sarko-
phagen vorliegende Material wenigstens hinweisen; es ist bisher nur gelegentlich befragt
worden.
In der Masse zwar behelfen sich die altchristlichen Sarkophage mit schmuckloser
Ausprägung der tektonichen Form; aber es gibt doch Exemplare, aus früherer wie aus
späterer Zeit, die ein übriges tun, nicht bloß mehr oder weniger berechnete Sinnbilder
häufen, sondern reine Freude am künstlerischen Schmuck verraten. Ein besonders statt-
licher, leider fragmentierter Biefelsarg sei hervorgehoben, der als Geschenk des Archäo-
logischen Instituts in die Sammlung de Waals überging; er besitzt in ihrer Art reich
und geschmackvoll verzierte Profile an Sockel und Sims. Andere verfügen über ein-
fachere, doch verzierte Sockel- und Simsprofile und geben den Riefelfeldern eigene
Unter- und Oberkante (oder wenigstens letztere), beide gemustert. Man ging aber noch
weiter und umgab jedes Riefelfeld mit rings umlaufendem Rahmen, mit dergleichen die
Architekten eingesenkte Pilaster- und Bildfelder zu umgeben pflegten; beispielsweise
sei der Bogen der Argentarier genannt. Solch einen Sarkophag besitzt der Lateran;
der Rahmen besteht aus umlaufender Leiste mit Flechtband, Kyma mit gereihten Akan-
thusblättern und innen säumendem Perlstab. Damit wäre unter anderem ein bacchisches
Relief in Mantua zu vergleichen, mit Weinlese in Gegenwart des jugendlichen Dionysos;
auch dies Relief umrahmen Flechtband und Akanthuskyma.1)
Die Pfeiler- und Säulensarkophage.2)
Die vom Tischler gefügte Truhe, mit Wänden nach dem System von Rahmen und
Füllung, fanden wir schon in der Zeit der Perserkriege in Athen als Sarg üblich.
Hölzerne Truhen und Särge, entsprechend auch kleinere Kästen, etwa Schmuckkästen,
bauen sich immer auf dem Grunde dieser Idee auf, mögen sie in ihrem Urmaterial, in
Holz, gestaltet werden oder unter Übertragung der Form in das monumentalere Material,
in Stein. Da sie immer einen Deckel hatten, so waren es allseitig geschlossene Be-
hälter, Gehäuse, die zur künstlerischen Ausbildung nach Analogie von Häusern oder
Tempeln nur so einluden. Geschah dies schon an Schmuckkästen, um wieviel näher
lag der Gedanke beim Sarg, als der Wohnung des Toten.
Die Gruft und den Sarg, beides die Wohnung des Toten, in diesem Sinne auch
künstlerisch auszugestalten, darauf ist man schon in frühen Tagen verfallen. Der aus-
gebildetere Jenseitsglaube aber führte zur Erhöhung wie des Verstorbenen, so auch
seiner Behausung; sie wurde zum Heroon, zum Tempel. Mit der unterirdischen Gruft
oder dem oberirdischen Mausoleum haben wir es hier nicht zu tun, nur mit dem Sarg,
nun also dem in Haus- und Tempelform. Doch erklärt man die Säulensarkophage auch
als Nachbilder von Baldachinen.
An den Sarkophagen, von welchen nachstehend die Rede sein soll, ist der Kasten
als Pfeiler- oder Säulenbau gebildet, der Deckel, wo er erhalten blieb, als Dach. Aber
l) Sammlung de Waal: Wittig n. 2 Taf. 2, 6. G 298, 2. — Einfachere Profile: Lat. M 77
(F 88). n. 201 G 360, 2. — Rahmen: Lat. n. 154. G 316, 4. — Mantua: Dütschke n. 838.
Einzelaufnahme n. 19.
a) Altmann, Architektur 13. 52.
Die Pfeiler- und Säulensarkophage. 51
wir werden bemerken, wie zähe die ursprüngliche Idee der Tischlerarbeit sich behauptet,
wie sie gern wieder durchbricht. Nun aber kam noch ein drittes hinzu, das monu-
mentale Material, der Stein; dessen Eigenart macht sich besonders am Sarkophagdeckel
fühlbar. Aber auf die Deckel kommen wir unten besonders zu sprechen.
Die Gattung der Pfeiler- und Säulensarkophage ist so alt wie die klassische
Kunst. An der Spitze unserer Denkmäler steht ein altsamischer Sarkophag aus dem
sechsten Jahrhundert v. Chr. Gleich an diesem Beispiel läßt sich beobachten, wie die
tektonische Grundform der Tischlerarbeit durch die aufgetragene architektonische Zier
sich so leichten Kaufes nicht ersticken läßt. Die Wandflächen, und ebenso die Dach-
schrägen, sind in Tischlerweise als Rahmen und Füllung gebildet. In demselben Flach-
relief, in dem die Rahmen hervortreten, stehen an den Langseiten je drei, an den
Schmalseiten je zwei jonische Säulen; erst infolge dieses Hineintragens von architek-
tonischen Formen werden die vertikalen Rahmenstücke als Lisenen aufgefaßt. Von der
mächtigen Deckplatte hat man nicht ganz ein Drittel belassen und als Gesims gedacht,
aber in dekorativ spielender Behandlung der an dieser Stelle typischen ägyptischen
Corniche hat man sie mit hängenden Stäben gezeichnet; der obere Rest der Platte
mußte ein Giebeldach mit Anthemien hergeben.1)
Die architektonische Idee, schon längst durch die früh auftretenden Deckel in
Satteldachform eingeführt, setzte sich durch. So wurden die Ecklisenen zu Eckpfeilern
ausgestaltet, mit Basis und Kapitell. Jetzt liegt ein reiches Material zur Beobachtung
der verschiedenen Entwicklungen vor in den griechichen Holzsärgen aus Ägypten und
Südrußland. Wir beschränken uns hier auf die Erwähnung einiger Steinsärge. Der
Sarkophag der „Klagefrauen" aus Sidon, ein hervorragendes Werk der praxitelischen
Zeit, setzt jonische Halbsäulen zwischen die Eckpfeiler. Andere Exemplare begnügen
sich mit den Eckpfeilern, unter Verzicht auf die eingereihten Säulen; an deren Stelle
treten figürliche Gruppenbilder. So tun der wiener Amazonensarkophag, noch aus dem
vierten Jahrhundert; das Musenrelief in Siena, das hierhin gehört, sofern es mit Arndt
und Altmann für die Vor der wand eines Sarkophags zu halten ist; der Amazonensarko-
phag von Corneto und der Sarg des P. Volumnus Violens aus Perusia, der an der
Frontseite Darstellung des Mauerwerks und einer Flügeltüre bringt.2)
Der Musensarkophag in Neapel, augusteischer Zeit, macht reichere Verwendung
von dem Pfeilermotiv; er setzt die Pilaster nicht bloß an die Ecken, sondern auch an
Stelle der jonischen Säulen jener älteren Sarkophage. Die Pfeilerschäfte schmücken
stilisierte Pflanzenstengel mit Laub und Blüten, dazwischen auch Weinstöcke, die aus
Vasen wachsen; zwischen den korinthisierenden Kapitellen spannen sich Blätter- und
Fruchtgirlanden mit langflatternden Bändern. Wie in den Interkolumnien jenes sido-
nischen Sarkophags die „Klagefrauen" stehen, so sind hier Göttergestalten in die Inter-
valle verteilt: Zeus zwischen Apollon und Hera, sodann die Musen. — Auch einige
Sarkophage der vorgerückteren Kaiserzeit ordnen die Figuren zwischen korinthische Pi-
laster an, die dann aber nach der inzwischen aufgekommenen Weise durch Rundbogen
x) Altsamischer Sarkophag: Wiegand, Ath. Mitteil. 1900, 209 Abb.
2) Holzsärge: Watzinger, Griechische Holzsarkophage 45. 82 Haussarkophage. — Sidon:
Hamdi-Bey, Necropole de Sidon Taf. 4—11. Wien: Robert II Tai 27, 68. Altmann, Archit. 15
Fig. 4 -4a. Siena: Arndt, Rom. Mitteil. 1893 Taf. 3. Altmann 18 Fig. 5. 6. Corneto: Mon. IX
Taf. 60. Volumnus: Conestabile, Sepolcro dei Volunni Taf. 11.
4*
52 Plastik.
verbunden werden. — Wie die Eckpfeiler durch Karyatiden vertreten werden, das
haben wir hier nicht weiter zu verfolgen.1)
Von den christlichen Sarkophagen haben einige geriefelte die Eckpilaster über-
nommen, mit korinthischen Kapitellen; da sie nur auf die Frontseite des Sargs bezug
haben, so wären sie richtiger als Endpfeiler zu bezeichnen. Ein Fragment vom Esquilin
zeigt links den Rest eines Pilasters, dann den eines Guten Hirten; Grousset scheint
das ursprüngliche Ganze sich in der Art des neapeler Musensarkophags vorzustellen, mit
gereihten Pilastern; es handelt sich wohl um das von Pilastern flankierte Mittelstück
eines Riefelsargs. Ein figurierter Sarkophag mit Endpilastern in Osimo, ein anderer im
Lateran [Abb. 39].2)
Nun die wichtige Klasse der Säulensarkophage. In einigen Fällen verbindet sich
damit das Motiv der Hadestür. Dies ist ursprünglich selbständig entstanden, schon
in der altägyptischen Grabkunst war es von Bedeutung. Mit dem gesäulten Haus oder
Tempel konnte es sich um so leichter verbinden, als es längst Mausoleen in Tempel-
form gab, wo dann die Tür ein in die Augen fallendes Moment war. Wenn die Hades-
tür auch an Sarkophagen vorkommt, die sich in den Katakomben fanden, so bleibt die
Frage offen, ob sie unter und für Christen hergestellt waren, wenn es auch wahrschein-
lich ist, daß sie für Christen benutzt wurden. In der Basilica Petronillae z. B. wird ein
vollständiger Sarkophag mit Hadestür aufbewahrt; außerdem das Fragment eines ge-
riefelten Sargs, das rechte Riefelfeld mit links anstoßender Säule, die vielleicht eine
Hadestür flankierte. Hadestüren finden sich auch im Coem. Priscillae und in San
Callisto. Das Motiv kommt ferner an dem Säulensarkophag von Salona vor, den das
Bild des Guten Hirten als christlich bezeugt; aber auch hier ist es, wie der Augen-
schein lehrt, nur im Zusammenhang der ganzen Sarkophagtypik in die christliche Skulp-
tur mit hinüber gegangen. In den spezifisch christlichen Typenschatz fand es nicht
Aufnahme; in der Katakombenmalerei sahen wir nicht die Hadespforte dargestellt,
sondern die Himmelsportiere.3)
Unter den Säulensarkophagen der Kaiserzeit, sie sollen in der Antoninenzeit
beginnen, lassen sich mehrere Arten unterscheiden, von denen eine durch den Reich-
tum ihrer dekorativen Architektur sich auszeichnet. Sie hat vcrkröpftes Gebälk; drei
Säulenpaare, das zentrale unter Giebel, die äußeren unter Flachbogen, bilden drei Taber-
nakel (NaTsken, Adikulen), deren Inneres oben als Muschel (Concha) gestaltet ist. Die
zwei Intervalle zwischen den Tabernakeln sind schmäler als letztere. Figuren treten
sowohl in die Tabernakel wie in die Intervalle. Ein Exemplar von der Via Appia
steht im Thermenmuseum, Chiostro, Südhalle; es hat korinthische Säulen, nur die an
den Ecken sind komposit. Im Zentralnai'sk steht ein Ehepaar vor der Pronuba, der
x) Neapel: Archäol. Zeitung 1843 Taf. 7. Altmann Archit. 53, 2 Fig. 21. — Pfeiler unter
Bögen: Robert II Taf. 20, 40 Vat. Achill auf Skyros. III n Taf. 61, 192 Mattei. III i Taf. 39,
128 verschollen. Mus. Chiaram. Taf. 82, 662. — Eckkaryatiden: Eobert III n Taf. 44, 144
Konstantinopel. II Taf. 28, 69 Louvre usf.
2) Lat. M 70 A (F 72). Lat. n. 224 (G 301, 1). G 391, 1. Lat. n. 191 ist mit Endpilastern
ergänzt; ohne die Ergänzungen G 312, 1. — Grousset n. 39. — Osimo: G 300, 2. — Lat. n. 191.
8) Hadestür: Altmann, Architektur 5 gibt die heutige Auffassung der Ägyptologen wieder
(vgl. v. Bissing, Deutsche Lit. Zeit. 1903, 3095) ; weiteres bei demselben, Rom. Grabaltäre 1905, 13
und im Sachverzeichnis unter Grabtür. — Salona: G 299. Jelic, Rom. Quartalschr. 1891, zu
Taf. 3—4. — Himmelsportiere: Christi. Antike 1 267 Abb.
Die Pfeiler- und Säulensarkophage. 53
Mann, in Toga, ist bärtig, die Frau trägt die Frisur der Mamaea; in den Nebennischen
je ein Dioskur mit Pferd, der rechts über Gaea, der links über Okeanos. — Ein anderes
befindet sich im Cortile des Belvedere, Westhalle n. 60; es besitzt drei Nischen unter
Giebeln, die mittlere mit vollständigem Gebälk, wenn auch in teils abkürzender
Wiedergabe, der Fries ist ganz niedrig und ausgebaucht. Die Nebennischen haben nur
Gebälkskröpfe; hier ist der ausgebauchte Fries etwas völliger zur Geltung gekommen.
In der Mittelnische etwas geöffnete Hadestür zwischen zwei Säulen, in den Neben-
nischen das Ehepaar, rechts der Mann in Toga mit Begleiter und Kind, links die Frau
mit Begleiterin und Kind. In den Intervallen auf Rundbasen je ein Jüngling mit
Zweig und Füllhorn, bekränzt von über ihm schwebender kleiner Nike. — Ein drittes
Exemplar mag noch angeführt sein, obwohl es sich nicht in Rom befindet, sondern zu
Florenz im Hof des Palazzo Riccardi: kannelierte Pilaster tragen Epistyl und Gesims,
die Mittelnische einen Giebel, die Nebennischen Flachbogen; aus der sich eben öffnenden
Hadestür kommt Hermes, mit Kerykeion und Beutel, doch wohl als Totenführer. Rechts
der Mann in Toga, links die Frau in Mamaeafrisur, neben ihr ein Pfau auf einem Rosen-
korb. In den Zwischenräumen je eine Nike auf einer Kugel stehend. — Das Motiv
des Tabernakels geht auch auf geriefelte Särge über; die Zentralfigur oder -gruppe
wird dann in ein Tabernakel gestellt. So ein Ehepaar, mit dem kleinen Hymenäus,
an einem Exemplar der Galleria lapidaria n. 169. Sogar der Titulus wird mit einem
Nai'sk umschlossen an einem Sarkophag im Chiostro des Thermenmuseums. — Der
schöne und interessante Dreinischensarkophag in Salona hat ornamentierten Sockel und
Sims, vorn Ecksäulen hinten Eckpilaster, auf profilierten Basen, ferner vorn drei ge-
trennte Tabernakel, anders als bei den vorbesprochenen Tabernakelsärgen in das Feld
gestellt, das mittlere unter übergiebeltem Bogen, die seitlichen unter Bögen; in letzteren
stehen der Mann und die Frau auf Basen. An der linken Schmalseite Tabernakel
unter übergiebeltem Bogen, darin Erot auf Basis; an der rechten die Hadestür. — An
christlichen Sarkophagen stadtrömischen Ursprungs scheint das Dreinischensystem in
voller Ausprägung sich nicht vorzufinden. An einem Riefelsarg in der Osthalle des
genannten Chiostro ist die zentrale Adorantin in ein Tabernakel gestellt, gebildet aus
zwei Kompositpilastern unter Flachbogen; sie steht zwischen zwei Bäumen, worauf fünf
Tauben sitzen. Nur ein später Riefelsarg, in Zeichnung bei Ciacconio überliefert, dort
mit handgreiflichen Mißverständnissen wiedergegeben, gibt drei Tabernakel, die aber
architektonisch nicht zusammenhängen, sondern durch die zwei Riefelfelder voneinander
getrennt sind; es handelt sich also nur um eine architektonische Umrahmung der drei
Bildfelder, dabei in schlimmer Verkümmerung der Formen.1)
Eine Spielart der Tabernakelsarkophage, mit eigentümlichem Ornament, fordert
unsere besondere Aufmerksamkeit, obwohl sie unter den christlichen Särgen nur spär-
lich vertreten ist; es gibt bisher nur ein einziges christliches Exemplar, bloß ein aller-
dings interessantes Bruchstück, das nicht aus Rom, sondern aus dem Osten stammt.
Dafür ist eine Abart, ohne Tabernakelbildung, in Rom vertreten; für diesen Sarkophag,
aus Villa Ludovisi, wie für einen zweiten in Concordia, wird christlicher Ursprung an-
genommen, ohne daß er freilich streng erweislich wäre.
Die charakteristische Ornamentierung findet sich am Kapitell und am Gebälk. An
der Front des korinthischen Kapitells stehen vier Voluten gleichwertig nebeneinander;
») Riccardi: Dütschke n. 122. — Salona: G 299. — Ciacconio: G 386, 2. Vgl. 362, 3.
54 Plastik.
daher redet man von „Doppelschnecken". In der Entwicklungsgeschichte des
korinthischen Kapitells wirkt als eine treibende Kraft das schrittweise Hinaufwachsen
des ihm eigenen neuen unf fruchtbaren Elements, des Akanthusblattwerks, sein Empor-
wachsen vom Keimplatz am Kapitellboden (Bassai) hinan zur halben Kapitellhöhe (Tholos
von Epidauros), und mit den vorgeschobenen Stützblättern bis hart unter die Voluten
(Lysikratesdenkmal). Eine Folge war das allmähliche Hinaufrücken, Sichzurückziehen,
der kleineren Mittelschnecken, der Helikes; in der Kaiserzeit ist die Norm, daß die
Helikes mit ihrem Scheitel an die Abfasung des oberen Kalathosrandes stoßen, die Eck-
voluten aber bis an die Untersicht der Deckplatte herangehen. Hand in Hand mit
diesem Hinaufwachsen des Blattwerks und dem Hinaufschieben der Helikes ging ein
Ausgleich auch in der Art der Helikes und der Voluten. Die Helikes drehen sich
hinaus, in die radiale Stellung der Eckvoluten, so daß der Kalathos statt vier nunmehr
acht Schneckenpaare ausstrahlt (Mars Ultor, Agrippathermen u. a.). Eine dazu kommende
Ausgleichung auch der Größenverhältnisse hebt die ursprüngliche Differenz zwischen
Helikes und Eckvoluten vollends auf. An den Sarkophagen zeigen die Kapitelle die
bis an die Deckplatte hinaufgeschobenen und radial gestellten Helikes nebst je einer
Eckvolute links und rechts, also vier gleichartige, nur verschieden gerichtete Schnecken
(Lykischer Sarkophag in Athen aus dem zweiten Jahrhundert). Vermöge der Relief-
darstellung aber erscheinen sie nachher flach angedrückt. So sind die „Doppelschnecken"
entstanden. Da die späteren Reliefs in einer fast illusionistisch zu nennenden Art nur
das in die Augen Fallende, nämlich das Hängende der Schnecken wiedergeben, nicht
die zurückweichenden Scheitel, so ist es für den Laien erschwert, die Doppelschnecken
richtig zu verstehen, wie sie auch von den späteren Bildhauern mißverstanden wurden.1)
Das Gebälk, über den Säulen verkröpft, läuft an besseren Exemplaren durch; in
den Tabernakeln freilich muß es der Muschel weichen, an geringeren Exemplaren fallt
es auch in den Intervallen aus. Es besteht, von unten nach oben gezählt, aus les-
bischem Kyma, Eierstab und Gesims (Zahnschnitt unter Platte). Der Kropf über den
Säulen zeigt vorn nur charakteristische Ausschnitte aus Kyma und Eierstab („Dreizack"
und „Ei"), jedesmal von Akanthusblättern umschlossen; beide Glieder zusammen er-
scheinen konvex profiliert. Am ältesten Sarkophag läuft ein Eierstab auch unter dem
Gesims der Dachschrägen; an einem Bruchstück des Museo Chiaramonti aber schwingt
sich das Kyma des Kropfes, wie sonst wohl der Architrav, über der inneren Eckvolute
des Kapitells hochgehend, als nischenrahmender Rundbogen zum gegenüberstehenden
Kropf. Hierdurch wird bestätigt, was sich ja ohnehin von selbst versteht, daß es sich
bei diesem Aufbau von Kyma, Eierstab und Gesims um ein Rudiment des normalen
dreiteiligen Gebälks handelt.2)
Jenes älteste Exemplar, auch ein sog. Hochzeitssarkophag, befindet sich zu Florenz
im Hof des Palazzo Riccardi (links neben dem vorerwähnten mit dem aus der Hades-
tür tretenden Hermes). Unter der durchlaufenden Stylobatplatte ist der Sockel, inso-
*) Bassai — Tholos — Lysikratesdenkmal —Agrippathermen: v. Sybel, Weltgeschichte 2230. 257.
326. 395. Vgl. noch Mauch-Borrmann Archit. Ordnungen 81896 Taf. 40 Bassae. Taf. 46 Castor-
tempel. Forum (Helikes bis an Deckplatte stoßend). — Lykisch: Robert II Taf. 50, 138. — Von
anderer Art sind die Doppelschnecken an den Pilasterkapitellen auf den Treppenwangen vor
Trinita de' monti und hinter Villa Medici ; da legt sich hinter der Eckvolute, dem Grundriß gemäß
zurücktretend, eine zweite Volute in gleicher Richtung hinaus.
2) Mus. Chiaramonti Taf. 70 n. 518; die Abbildung ist zu klein, zu wenig deutlich.
Die Pfeiler- und Säulensarkophage. 55
fern die obere Verkröpfung wiederspiegelnd, in eine Reihe von Basen zerlegt, un-
gleicher Breite, je nachdem sie unter Säulen oder Figuren stehen. Im ZentralnaTsk
steht das Ehepaar, sie stärker verhüllt, wohl als bereits Verstorbene, er vollbärtig in
bürgerlicher Tracht; beide kehren in den Intervallen wieder, er hier als Offizier; in den
äußeren Naisken die zwei Dioskuren, jeder in bewegter Haltung ein bäumendes Pferd
führend, symmetrisch zueinander (ähnlich den Gruppen auf Monte Cavallo). Diesen
Sarkophag des Palazzo Riccardi schreiben Robert und Altmann dem zweiten Jahr-
hundert zu, der Antoninenzeit. Der Deckel scheint von anderem Marmor und nicht
zugehörig; den Kasten bezeichnet Altmann als bestimmt italisch. Andere Exemplare
der gleichen Gattung befinden sich in Rom teils vollständig (eines in Villa Colonna),
teils fragmentiert (ein schönes Bruchstück aus dem Ghetto ist in London). — Einige
Bruchstücke besitzt Athen, die meisten Exemplare fanden sich in Kleinasien. An einem
Fragment zu Isnik (Nikaia) sind Eckvoluten und Helikes der Kapitelle noch leidlich
verstanden. Das Ornament ist an den kleinasiatischen Exemplaren nur durch den
Bohrer hergestellt, was einen völligen Zerfall der Formen im Gefolge hat; übrig bleibt
nur ein Wechsel von lichten Stegen mit dunklen Bohrgängen und Bohrlöchern. Die
schon am Sarkophag Riccardi für die Figuren zu klein geratene Architektur wird immer
kleinlicher, so daß die Köpfe, die eigentlich vor den die Nischen abschließenden Muscheln
stehen sollten, zuletzt mit ihren Scheiteln den First des Tabernakels überragen; so am
Exemplar von Selefkieh (Seleukeia), obwohl gerade hier der Sockel in Säulenpostamente
aufgelöst ist, zwischen denen die Füße der Figuren stehen. Die kleinasiatische Gruppe
setzt man in das dritte Jahrhundert. — Sicher christlich endlich, im ganzen vom selben
Typus, nur ohne die „Doppelschnecken" des Kapitells, ist ein Bruchstück aus Kon-
stantinopel in Berlin, von prokonnesischem Marmor. Zentral steht ein jugendlich lockiger
Christus mit Kreuznimbus, in den Intervallen je ein Apostel in der Haartracht des
vierten nachchristlichen Jahrhunderts. Gegenüber den heidnischen Exemplaren des Typus
erscheint die berliner Tafel wie aus einem anderen, späteren Jahrhundert, wegen der
hier mit Bohrer und Meißel gearbeiteten Kapitelle, wegen des Flächigen nicht bloß der
Giebelornamentik, sondern selbst der Figuren, und wegen des Schematischen der Falten-
arbeit [Abb. 25].1)
Die Figuren an den Sarkophagen der in Rede stehenden Klasse, teils bekleidet
teils nackt, haben mit Recht Strzygowskis Aufmerksamkeit erregt. Hatte er gleich
anfangs in dem berliner Christus eine Reminiszenz an die Statuen griechischer Geistes-
heroen erkannt, deren vornehmstes Beispiel immer noch der lateranische Sophokles ist,
so gab ihm die Publikation der Cookschen Fragmente Gelegenheit, auch die Figuren
der heidnischen Exemplare als Nachklänge hauptsächlich des vierten vorchristlichen
Jahrhunderts zu erweisen. Dem hier wieder begegnenden Klassizismus in der heid-
nischen Sarkophagkunst der Kaiserzeit nachzugehen ist nicht dieses Ortes; nur möge
es verstattet sein, zu Strzygowski Seite 113 zu erinnern, daß die Zurückführung der
*) Riccardi: Dütschke II n. 105. Strzygowski, Orient oder Rom 52 Abb. 20. Altmann,
Architektur 55 Abb. 19. Watzinger, Griech. Holzsarkophage 90, 5. — Strzygowski, der a. a. O.
angefangen hatte, kleinasiatische Beispiele zu sammeln, hat, nachdem auch andere Wertvolles bei-
gesteuert, gelegentlich der Publikation eines leider zerlegten Sarkophags in Richmond seine letzten
Folgerungen gezogen. Ich zitiere hier nur Munoz, Bull, crist. 1905, 79. Strzygowski, Journal
hell, studies 1907, 99 Tat 5—12.
56 Plastik.
dresdener früher sog. Vestalinnen und ihrer zahllosen Repliken auf den praxitelischen
Kunstkreis zuerst von mir ausgesprochen wurde, bereits 1883.1)
Die ganze Sarkophagklasse, soweit sie damals bekannt war, glaubte Strzygowski, als er
sie zuerst besprach, in Kleinasien entstanden. Seine letzten Ausführungen treffen wesentlich
die kleinasiatische Gruppe des dritten Jahrhunderts (wegen der anders gearteten Kapitell-
arbeit sehe ich nicht klar, ob das älteste Exemplar der Klasse, der Sarkophag Riccardi,
mitgemeint ist, doch scheint es so; jedenfalls ist's der Spätling, das berliner Christus-
relief); sie gehörten einer südkleinasiatischen Kunstschule an (der er schon den in Sidon
gefundenen Sarkophag der Klagefrauen praxitelischer Zeit und Art vindiziert) und
hingen ab von Antiochia, als dem Kulturzentrum Syriens. Denn zu der Einflußsphäre
Syriens gehöre auch, wenn ich recht verstehe, Südkleinasien, von wo die Kunstrichtung
der Richmondfragmente (deren Herkunft ist unbekannt, aber ihr Marmor scheint klein-
asiatisch) nach Westkleinasien ihren Weg gefunden habe, ebenso auch nach Mazedonien,
Griechenland, Italien nnd Rom. Zwar lasse sich für jetzt nichts beweisen, aber es sei
seine feste Überzeugung, daß der fragliche Sarkophagtyp weder aus Westkleinasien,
noch aus Griechenland oder Rom stamme, sondern aus dem Winkel nächst Mesopotamien,
dessen Zentrum Antiochien sei. Auf die Nachbarschaft Mesopotamiens weise die Auf-
lösung der Ornamentformen in ein Durcheinanderspielen von Licht- und Schattenpunkten,
die Folge der ausschließlichen Bohrerarbeit (das Ornament ist griechisch, die Bohrer-
arbeit wurde längst von den Griechen überall geübt, ihre an unseren Sarkophagen her-
vortretende besondere Verwendungsweise erscheint hier, das ist für jetzt das einzig
Sichere, an Denkmälern des dritten Jahrhunderts; ihr Ausgangspunkt sollte gerade
Mesopotamien sein?). Für Antiochien spreche das Motiv der Konchen, in denen die
Figuren stehen. Die rundbogige Nische stamme aus Mesopotamien, die Ausgestaltung
des abschließenden Kugelviertels sei dem Naturvorbild der Muschel nachgeschaffen
(jedenfalls als ein griechischer Gedanke), das Ganze, die Kon che, sei wahrscheinlich
aus Mesopotamien in die antike Architektur Kleinasiens und Syriens gekommen (wenn
auch direkt nach Kleinasien, wozu dann der ganze Umweg über Antiocheia? Übrigens
die spätere Weiterverwendung hellenistischer Motive in der Kunst des Islam beweist
niemals etwas für den Ursprung jener Motive).
Wir haben weiter nichts dazu zu sagen; denn wo es keine Beweise gibt, da gibt's
auch keine Widerlegung. Wir gehen auch gar nicht auf Widerlegung aus, alles Bewiesene
ist uns willkommen. Aber der Glaube allein tut's in der Wissenschaft nicht. Als
heuristische Hypothese lasse ich's gelten, das will sagen, als einen Versuch neben
anderen, ob vielleicht auf diesem Wege der Lösung des Herkunftsproblems näher zu
kommen sein möchte. Jedenfalls verdanken wir Strzygowskis Osthypothese schon
manchen wertvollen Fund.
Soviel von den Tabernakelsarkophagen. Schlichter treten die gewöhnlichen Säule n-
sarkophage auf, welche die Säulen mit gleichen Abständen reihen und durch ein
gerades, auch wohl verkröpftes Gebälk oder durch aufgesetzte Giebel oder Flachbögen
verbinden. Statt des Wechsels von ungleichbreiten Nai'sken und Intervallen ergeben
sie eine Reihe gleichartiger Nischen.
Im Anschluß an die letztbesprochene Spielart der Tabernakelsarkophage, mit
l) v. Sybel, Athen. Mitteil. 1883, 24 Statuarische Typen; Weltgesch. 1888, 253 Typus A und B;
9 275 (Abb. Seite 273). Vgl. Treu, Olympia Ergebnisse III 254.
Die Pfeiler- und Säulensarkophage. 57
„Doppelschnecken" an den korinthischen Kapitellen, führen wir hier sofort einige
Säulensarkophage mit derartigen Kapitellen, teils früherer teils späterer Zeit, an. Zu-
vörderst eine Reihe Heraklessarkophage. Ein solcher in London hat gerades Gebälk,
über Säulenpaaren verkröpft; ein vatikanischer, der borghesische und einer in der
Sammlung Torlonia aus der Mitte des dritten Jahrhunderts setzen Bögen auf die Säulen,
meist mit wagrecbten Verbindungsstücken auf den Kapitellen. Ein lesbisches Kyma
läuft dann derart durch, daß ein „Dreizack" über jedes Kapitell zu stehen kommt;
man erinnere sich hierbei des Fragmentes im Museo Chiaramonti n. 518 und des oben
dazu Bemerkten. An den genannten Heraklessarkophagen findet man auch das radiale
Herauskommen des mittleren Volutenpaares noch deutlich ausgeprägt, z. B. am Exemplar
ßorghese. — Später ist der Londoner Musensarkophag, mit Musenpaaren in den Nischen;
in der diesmal schmälern Mittelnische steht Euterpe. Die üblichen spiralkannelierten
Säulen zwischen verzierten Endpilastern tragen wie diese nunmehr Kapitelle mit platt
angedrückten vier Schnecken. Unmittelbar von den Kapitelldeckplatten steigen die
Bögen auf, mit Akanthusranke verziert, mit Akanthblattwerk auch die Bogenzwickel
gefüllt. Während dieser Sarkophag sicher heidnisch ist, wurden zwei andere als christlich
publiziert, obwohl die Grabschrift des einen, im zentralen Giebel stehend, die heidnische
freilich auch von den Christen nicht ganz verschmähte Formel DM an der Spitze
trägt; das Gegenständliche der Darstellungen würde der Verwendung christlicherseits
ja nicht im Wege stehen, sie sind was man neutral nennt. Das besser erhaltene, auch
bessere, ältere Exemplar, aus Villa Ludovisi, zeigt in der Mittelnische unter Giebel
und vor Parapetasma das Ehepaar, der Inschrift zufolge ists Aurelius Theodorus und
seine Gattin Varia Oktaviana, vor ihnen den kleinen Hymenaeus; die Nebennischen,
unter Bögen, geben rechts noch einmal den Mann mit einem Begleiter in reichlichem
Haar und Bart, links die Frau mit Dienerin. Das andere Exemplar, aus Concordia,
hat Einzelheiten mißverstanden und gibt die Falten als schematisch gezeichnete Rillen.
Sollte es aus derselben Werkstatt stammen wie das vorige, so hat jedenfalls ein späteres
Geschlecht es auf dem Gewissen.1)
Fassen wir zurückblickend die artverwandten Säulen- und Tabernakelsarkophage
noch einmal zusammen, so werden wir nicht umhin können, die an ihnen vorkommenden
Porträtfiguren mit Modefrisuren dabei zu berücksichtigen. Die erste Stelle verdienen
die älteren Heraklessarkophage wie der borghesische (die Deckelfiguren des Sarkophags
Torlonia tragen aber die Frisuren aus der Mitte des dritten Jahrhunderts); dann
dürfte zunächst der Sarkophag Riccardi Dütschke n. 105 folgen. Das Fragment zu
Isnik bildet den Übergang zu denen mit der eigentümlich weitgehenden Bohrerarbeit.
Das Akanthusblatt erhält seine Zackung durch rings gereihte Bohrlöcher, so an den
Exemplaren von Selefkieh, Bedestan, London, deren Porträtfiguren den vollrunden
Bart tragen, die Mittelfigur der einen Schmalseite am Exemplar aus Selefkieh zeigt
sogar noch den antoninischen Spitzbart. Der Londoner Musensarkophag reiht sich an;
er besitzt keine Porträtfigur, aber den gebohrten Akanthus in reichster Entfaltung.
Der Hochzeitsarkophag aus Villa Ludovisi würde nach Haar- und Bartschnitt des
Mannes in die Jahrzehnte unmittelbar vor Konstantin gehören; nahezu konstantinisch
ist das Exemplar aus Concordia, noch später das berliner Christusrelief. Über dessen
l) London, Vatikan, Borghese, Torlonia: Robert III i Taf. 39, 131. 130. Taf. 38, 127. Taf.
34—37. — Musensarkophag: Smith, Catal. n. 2305 Ancient marbles X Taf. 44. — Ludovisi: G 362, 2.
Strzygowski, Orient 50 Abb. 18. — Concordia; G 362, 1.
58 Plastik.
Kapitellblätter bemerkt Strzygowski, daß sie nicht bloß mit dem Bohrer hergestellt
seien, sondern der Meißel habe ausgleichend nachgeholfen, so daß sie eine weiche, fette
Form erhielten. Diesen „fettzackigen" Akanthusschnitt hatte er an der theodosianischen
Goldenen Pforte zu Konstantinopel nachgewiesen; der Typus blieb durch das fünfte
Jahrhundert und bis an Justinians Zeit herrschend. Man kannte ihn längst an ravenna-
tischen Kapitellen. Strzygowski leitet diese Art zackiger Bildung vom Naturvorbild
des Acanthus mollis ab, den Heldreich im Orient bis Dalmatien nachwies; wir gehen
auf die Frage nach dem Naturvorbild für jetzt nicht ein und halten uns zunächst an
das Kunstbild und seine technische Erzeugung (so wird an der theodosianisch-ravenna-
tischen Ausprägung das Ersetzen der Blattrippen durch gereihte Bohrlöcher beobachtet).
Auch zu der flachgeschnittenen Ranke am Giebel der berliner Tafel finden sich theo-
dosianische Analoga.1)
Nun erst kommen wir zu den Säulensarkophagen mit ausgesprochen christlichen
Szenen. Unter ihnen zeichnet sich eine Gruppe aus mit gereihten Säulen unter
verkröpftem Gebälk; in dieser Gruppe finden sich die brillantesten Exemplare
christlicher Sarkophagskulptur. Voraus schicke ich ein verwandtes Werk heidnischer
Barockskulptur, den Stockholmer freistehenden Brunnen. Er hat annähernd Sarkophag-
form, nur ist er gedrungener gebaut (sekundär hat man ihn zu Sepulkralzwecken ver-
wendet). Rings stehen nischenbildende spiralkannelierte Dreiviertelsäulen unter ver-
kröpftem Gebälk, in den Nischen Bildwerke: vorn in breiterem Felde die römische
Wölfin in einer den Grimanireliefs ähnlich komponierten Felslandschaft, hinten ein
Gott mit Früchten im Chlamysbausch, an den Seiten je eine muschelhaltende Nymphe.
An diesem Denkmal wolle man das hochbarocke Motiv nicht übersehen, daß an der
Frontseite das Gebälk über dem breiteren Feld mit der Wölfin nicht im rechten Winkel,
sondern mit einer Kurve auf die Kapitelle vortritt; dasselbe geschieht an dem Rundbau
zu Baalbeck, und zwar dort nicht bloß bei einem, sondern bei jedem Interkolumnium.
Eben dies Motiv kehrt auch an christlichen Sarkophagen wieder; daß es zufällig spätere
Exemplare betrifft, tut dem architekturgeschichtlichen Zusammenhang nicht Abtrag.
Den Reigen der christlichen Prachtsärge des in Rede stehenden Typus führt der
zweigeschossige Sarkophag des Junius Bassus. Wir haben es hier nur mit der oberen
Zone zu tun. Von den sechs völlig rund gearbeiteten Kompositsäulen sind vier spiral-
kanneliert, die zwei mittleren rebenumrankt mit Amoretten in den Ranken [Abb. 18].
Die folgenden Stücke sind eingeschossig. Lat. n. 174 ist insofern noch prächtiger,
als alle acht Säulen umrankt sind [Abb. 19]. Mehrere Nebenpersonen tragen in die
Stirn gekämmtes Haar. Während an den zwei vorgenannten Sarkophagen, besonders
am ersten, die verhältnismäßig gute Arbeit trotz verschiedener bedenklicher Anzeichen
in frühere Zeit zu weisen scheint, tragen die übrigen hier noch aufzuführenden Särge
gegenständliche und stilistische Merkmale späterer Zeit. — Lat. n. 151 hat unverzierte
Basen, glatte Schäfte, schlichtere Kapitelle, schmuckloses Gebälk; aber über dem Mittel-
feld zeigt es den barocken Übergang des Gebälks in den Kropf, wie der vorbesprochene
Stockholmer Brunnen. Zentral steht der Christus, hier noch lockig, aber bärtig, auf
dem Berge der vier Ströme. Das Relief ist schon flächig und die Figuren sind rings
schräg unterschnitten [Abb. 33]. — Ein vierter Sarkophag kann nur fragweise hier
l) Strzygowski, Archäol. Jahrbuch 1893, 27 Abb. 17. 10 Abb. 7 das eckbildende Blatt. Der-
selbe, Orient 55. — Bavenna: v. Sybel, Weltgesch. 2471 die obere Abb. „(Die Blätter) sehen aus
wie von Leder, an den Bändern ausgezwickt. ' — Bänke: Strzygowski, Orient 23 Abb. 15. 10 Abb. 7.
Die Pfeiler- und Säulensarkophage. 59
angereiht werden; der charakteristische Oberstreif, an dem das durchlaufende Gebälk
sitzen müßte, ist zerstört; erhalten sind nur auf den Kapitellen Reste der Gebälkkröpfe.
Zentral steht Christus auf dem Berg (leider fehlt der Kopf). Zu beachten ist, daß
dieser Sarkophag nur in der Zeichnung bei Bottari vorliegt; deren manierierten Stil
hat dann Garrucci nach seiner Vorstellung vom Stil des vierten und fünften Jahr-
hunderts korrigiert.1)
Statt eines geraden Gebälks tragen die Säulen anderer Sarkophage Bögen, die
unmittelbar von den Kapitellen aufsteigen, meist Flachbögen; der Oberteil der durch
ein Säulenpaar und den Bogen darüber gebildeten Nische wird wieder gern mit einer
Muschel ausgekleidet, deren Schloß vom Bogenscheitel eine Nase bildend herabhängt.
Schon oben hatten wir dergleichen anzuführen, gelegentlich der Tabernakelsarkophage
mit eigentümlichen Architekturformen in der Art des Riccardischen, insbesondere waren
es solche mit Taten des Herakles. Das Exemplar der Galleria Borghese schien uns
mindestens bis in den Anfang des dritten Jahrhunderts zurückzugehen, dasjenige der
Sammlung Torlonia in dessen Mitte. — Von den christlichen Exemplaren des Typus
verlangt den Ehrenplatz der vatikanische, welcher dem S. Anicius Probus und seiner
Frau Anicia Faltonia Proba zugeschrieben worden ist, jetzt in der Peterskirche bei
Michelangelos Pietä. An allen vier Seiten skulpiert, zeigt er vorn sechs, an den Schmal-
seiten je vier spiralkannelierte Kompositsäulen, welche die mit aufrechten Blättern ver-
zierten Bögen tragen. In der breiteren Mittelnische steht der jugendlich lockige Christus
mit hohem Kreuz auf dem Berg, beiderseits sind unter Hinzunahme der Schmalseiten
die zwölf Apostel verteilt. An der Rückseite wechseln zwei Riefelfelder mit drei
schlichter gehaltenen Nischen. — Hierhin gehört ein aus Rom stammender Sarkophag in
Leyden mit Christusszenen in fünf Konchen; in die Bogenzwickel sind außer den her-
kömmlichen Tritonen und Tauben auch Momente der Jonasfabel gesetzt. — Sieben
Flachbögen besitzt der Sarkophag Lateran M n. 216 (F n. 1). — In den Grotten der
Peterskirche befindet sich noch ein Sarkophag mit glatten Säulen; der Mittelbogen ist
höher geschwungen als die Nebenbögen, um dem auf dem Berg stehenden bärtigen
Christus Raum zur Höhenentwicklung zu geben.2)
Die Mannigfaltigkeit nimmt zu; wir lassen dahingestellt, ob das unter allen Um-
ständen als wachsender Reichtum aufzufassen ist. Giebel und Bögen alternierend,
das war ein beliebtes Motiv der Baukunst in der Kaiserzeit; die Hofwand des ves-
pasianischen Kaisertempels zu Pompeji dürfte das früheste Beispiel aufweisen. Der
dortige Backsteinrohbau gibt nur die Hauptlinien an: die Giebel als niedrige Dreiecke
statt der Giebelschrägen abwechselnd Flachbögen. An den Sarkophagen fehlt die wage-
rechte Basislinie der Giebel, Giebelschrägen und Bögen stehen unmittelbar auf den
Kapitellen, allenfalls auf Gebälkkröpfen. Letzteres ist der Fall an dem Sarkophag im
Belvedere, Westhalle n. 68, mit einem Giebel zwischen zwei Bögen; die Mittelsäulen
1) Stockholm, K. Museum n. 217: Einzelaufnahme St. n. 178. — Baalbek: v. Sybel,
Weltgesch. 2426, 1. 428 Abb. — Bassus: Grousset n. 184. G 322, 2—4. de Waal, Sarkophag
des Junius Bassus in den Grotten von S. Peter, Born 1900; ders. Böm. Quartalschr. 1903, 77. Ein
gleich ausgezeichnetes Werk war der ebenfalls zweizonige Sarkophag, von dem ein Bruchstück aus
der oberen Zone, Christus' Vorführung, im Campo santo Teutonico sich befindet: Wittig n. 52
Abb. 40. — Lateran n. 174. G 323, 4—6. — Lateran n. 151. G 335, 3. — Bottari: G 341, 2.
2) Borghese: Robert III i Taf. 38, 127. Torlonia: eb. Taf. 34—37. Ferner Taf. 39, 128.
130. III ii Taf. 98, 309. — Probus: Grousset n. 148. G 325. —Leyden: Janssen, Grafreliefs,
Leyden 1851, 28 Taf. 8. G 319, 4. — Sagre Grotte: Grousset n. 186. G 335, 4.
60 Plastik.
sind umrankt, zwischen ihnen sitzt eine Matrone, beiderseits je ein Kahlkopf mit einer
Frau zur Seite. — Dagegen unmittelbar auf den Kapitellen stehen zwei Bögen zwischen
drei Giebeln an einem vatikanischen Heraklessarkophag. — Neutralen Charakters, mit
Giebel zwischen zwei Bögen, waren die früher erwähnten Sarkophage aus Villa
Ludovisi und aus Concordia. — Von spezifisch christlichen Sarkophagen steht hier
wieder der des Bassus an der Spitze; sein Untergeschoß enthält unter zwei Giebeln
und drei Konchen, deren Muschelschlösser zu den Köpfen herabschwebender Adler
entwickelt sind, zentral den Einzug in Jerusalem, außerdem drei alttestamentliche Szenen
und die Abführung des Paulus [Abb. 18]. — Einen Giebel zwischen zweimal zwei
Bögen zeigt Lateran n. 110 G 302, 1, drei Bögen alternierend mit vier Giebeln
Lateran n. 138. 152. 155, einer in Civitä Castellana; umgekehrt drei Giebel wechselnd
mit vier Bögen Lateran n. 195 [Abb. 28]. — Ein nur durch Bottari bekannter Sarg
hat zwei Bögen zwischen drei Giebeln, wie der vatikanische Heraklessarkophag; darf
man der Zeichnung glauben, so stünden die Endgiebel nicht auf Säulen, sondern auf
kannelierten Pilastern. — Drei Bögen zwischen vier Giebeln in Perugia. Dieselbe
Alternanz am Sarkophag zu Fermo. — Endlich verzeichnet Wittig ein paar Fragmente,
an denen Bögen mit Giebeln wechseln.1)
An heidnischen und an christlichen Sarkophagen sieht man bisweilen eine Gir-
lande den Säulen entlang gespannt. So am Medeasarkophag von Via Tiburtina und
an der Aschenurne der Egrilia Felicitas mit Waffenstreit. Und so am christlichen
Sarkophag Lateran n. 110 mit dem Guten Hirten zwischen vier Horeneroten, er unter
Giebel, sie unter Bögen.2)
In den Reigen der Giebel und Bögen treten nun aber noch Stücke geraden
Gebälkes. Die Exemplare gehören bestenfalls der konstantinischen Zeit an; da wird
es schon schwieriger, zutreffende Belege aus der doch älteren heidnischen Skulptur
herbeizuschaffen. Ein vatikanisches Fragment, in der Galleria delle statue n. 416, hat
wohl eine gewisse Analogie, ist im Grunde aber anders. Auf den Säulen sitzen Gebälk-
kröpfe; die zwei Nebenintervalle überspannen Bögen, deren Sima über dem breiteren
Mittelfeld, darin die schlafende Ariadne nebst Dionysos und Theseus, wagerecht durch-
läuft. Bei den christlichen Sarkophagen scheint es sich um bloßes Spielen mit zusammen-
gewürfelten Architekturgliedern zu handeln, als ob die Trümmer eines antiken Baues
von hinzugekommenen Barbaren auf gut Glück zusammengefügt worden wären. Dabei
konnte mit Ornament verschwenderisch umgegangen werden. — Lateran n. 106 hat
zwei Konchen zwischen drei Feldern unter geradem Gebälk (links fehlt ein Feld);
Bögen und Balken sind reich mit Blattwerk verziert, freilich in der gelochten Mache,
die aussieht wie Spitzen. Man könnte sich allenfalls denken, zugrunde läge ein System
mit geradem Gebälk und mittels Verkröpfung gebildeten Tabernakeln unter Bögen;
aber dergleichen ist nicht angedeutet, die Bögen sind unvermittelt zwischen Balken-
stücke eingeschoben. — Lateran n. 171 zeigt umgekehrt zwei Gebälkstücke zwischen
zentralem Flachbogen und seitlichen Giebeln; die Mitte füllt ein großes Christusmono-
gramm in Kranz, über dem Kreuz, die Nebenfelder enthalten Passionsszenen [Abb. 35]. —
l) Vespasiantempel: Mau, Pompeji 1900, 97 Fig. 45. 46. — Herakles: Robert III i
Taf. 39, 129. — Ludovisi und Concordia: G 362, 2. 1. — Bassus: G 322. — Civ. Castellana
G 319, 3. — Bottari Taf. 41, 2. G 375, 3. Fermo: G 310, 2. Perugia: eb. 321, 4.
•) Medea: Robert II Taf. 64, 20. — Egrilia: Terme, Chiostro, Ostzelle E. — Lat. n. 110:
G 302, 1.
Die Pfeiler- und Säulensarkophage. 61
Ein nicht fertig gearbeiteter Sarkophag in der Krypta von S. Peter stellt die drei
Mittelfelder unter wagerechtes Gebälk mit Verkröpf ung über den Säulen; seitlich
schließt sich je ein Giebel und eine Koncha an. Aber Giebel und Bögen stehen nicht
auf Gebälkkröpfen, sondern direkt auf Kapitellen, in gleicher Höhe mit dem Gebälk.
Da die äußeren der vier Kröpfe die ganze Deckplatte der sie tragenden Kapitelle
einnehmen, so konnte der nun folgende Giebel auf demselben Kapitell nicht einmal
Fuß fassen, er konnte nur angeschoben werden. Von den Giebeln hängen brennende
Ampeln ganz in der Art unserer Lyrahängelampen. Zentral steht der bärtige Christus
auf dem Berg, neben sich das Lamm Gottes mit kreuzförmigem Monogramm auf dem
Kopf, zwischen Paulus und Petrus; in den übrigen Feldern gibt es neutestamentliche
Szenen mit dem herkömmlich unbärtigen Christus.1)
An Riefelsärgen finden sich statt der Endfelder öfter Endsäulen (Ecksäulen).
Vorgänge in der heidnischen Antike nachzuweisen wird nicht nötig sein, Beispiele aus
der christlichen finden sich vor Porta San Lorenzo, in Villa Albani, in Villa Carpegna,
im Lateran (der Sarg des 353 bestatteten Faustinus), in Tusculum und in Pisa.2)
Die Zwickel der Bögen wurden teils mit Akanthornament oder Kränzen, teils
mit figürlichen Typen in kleiner Gestalt ausgefüllt. Beliebt waren Delphine, Tritone
das Muschelhorn blasend, pickende Vögel, Trauben lesende Amoretten; all das ging
in die christliche Sarkophagskulptur über, ebenso die Fruchtkörbe, gern umgestürzt,
so daß die Früchte herausrollen. Eigen ist die Ausfüllung an zwei christlichen Sarko-
phagen. Einmal an dem in Leyden, zum Teil mit Jonasszenen; sodann am Sarkophag
des Bassus mit biblischen Szenen, die aber statt von Menschen von Lämmern agiert
werden [Abb. 18]. So originell diese Bildchen sind, so ist es doch gewagt zu sagen,
der Künstler habe dafür keine Vorbilder gehabt; ähnliches war doch schon vorgekommen.
Nahe liegt der Vergleich mit den Amoretten und Putten der hellenistisch-römischen
Kunst, wie sie allerlei Beschäftigung der Erwachsenen spielend nachahmen. Aber auch
Tiere als Akteurs einzusetzen — also eine Art Tierfabel in Bildern — kannten nicht
bloß die alten Ägypter, sondern auch die Griechen; es sei nur an die von Affen agierte
Gruppe des mit Vater und Sohn fliehenden Aneas erinnert.8)
Wittig sprach die Vermutung aus, die Schöpfer der Arkadensarkophage hätten
die Fassade des römischen Theaters vor Augen gehabt und sich von diesem Vorbild
beeinflussen lassen; handelte es sich doch darum, den Hintergrund für Historien zu
schaffen. Er bezieht sich auf die Darstellung einer Bühne an einem Marmor des
Thermenmuseums zu Rom. Die Scenae frons, eine Quadermauer, ist jederseits der
hohen Zentralnische mit vier Säulen besetzt, deren Intervalle je ein Giebel zwischen
zwei Bögen krönt, alle drei auf geradem Gebälk; in die Mittelnische ist die Haupttür
gebrochen, die Nebentüren befinden sich in den mittleren Intervallen. Die architektonische
Anordnung ist also ähnlich der an den Sarkophagen.4)
*) Lateran n. 106: G 331, 2. — Lat. n. 171: G 350, 1. — Krypta: G 330, 5.
2) San Lorenzo: Grousset n. 32. — Albani: Grousset n. 28. G 373, 4. — Carpegna:
Grousset n. 33. G 369, 2. — Lateran n. 228: G 363, 2. — Tusculum: G 386, 4. — Pisa:
G 295, 1.
8) Leyden: G 319, 4. — Bassus: de Waal, Bassussarkophag 65. G 322. Ägypter: Perrot-
Chipiez, Histoire I 737. — Äneas: Heibig, Wandgemälde 310 n. 1380.
*) Wittig, Camposanto 1906, 18. — Relief: Mariani, Notizie d. scavi 1896, 68. Dörpfeld u.
Reisch, Das griechische Theater 1896, 333 Fig. 84.
62 Plastik.
Kurz nachher legte Strzygowski eine verwandte Hypothese über die Entstehung
des Typs jener kleinasiatischen Gruppe der Tabernakelsarkophage vor. Wie schon
Altmann die antoninischen Säulensarkophage mit der gleichzeitigen Wandmalerei ver-
glichen hatte, so brachte Strzygowski sie mit einer Sondergruppe des pompejanischen
vierten Stils zusammen. Puchstein zufolge hat sie das Bühnenbild für ihre dekorativen
Zwecke verwendet; auf Puchsteins Anregung hat Cube aus diesen Wanddekorationen
die Scenae frons wiederzugewinnen gesucht. Von solchen Theaterfassaden sei nun auch,
denkt Strzygowski, der fragliche Sarkophagtyp inspiriert, die Tabernakel seien die Vor-
hallen der drei Türen. Freilich stimmt die pompejanische Malerei mit dem Sarkophagtyp
insofern nicht überein, als die Bögen dort über die Wandstücke, hier über die Neben-
türen zu stehen kommen. Ein in den Malereien wesentliches Element fehlt den Sarko-
phagen, drei zur Bühne hinaufführende Treppen; doch findet Strzygowski das Taber-
nakel mitsamt vorliegender Treppe an einem berühmten Londoner Elfenbeindiptychon,
dessen Betrachtung wir zurückstellen müssen. — Die dekorative Wandmalerei der
Kaiserzeit hat sich in ihren verschiedenen Abwandelungen entwickelt aus einer und
derselben Grundlage, nämlich der naturalistischen, das will sagen, eine gewisse plastische
Illusion bezweckenden Architekturmalerei, die zuerst in Häusern der sullanischen Periode
Pompejis uns bekannt wurde (dem sog. zweiten Stil). August Mau vermutete, der
Übergang in den ornamentalen dritten Stil habe sich in Alexandria vollzogen, den
Übergang dagegen in den barocken vierten Stil möge eine parallele Entwicklung in
einem andern Zentrum des Ostens, etwa in Antiochia, gezeitigt haben; der dritte Stil
sei infolge des Siegs von Actium nach Italien gekommen, nachher aber, als man seiner
müde wurde, in der neronischen Zeit, von dem vierten Stil abgelöst worden. Strzygowski
findet in Maus Hypothese eines vielleicht antiochenischen Ursprungs des vierten Stils?
dem auch die dekorative Verwendung des Bühnenbildes gehört, eine Bestätigung seiner
bereits erwähnten eigenen Hypothese von einem antiochenischen Ursprung des Taber-
nakelsarkophags; er entwirft das Gemälde einer weittragenden, von Antiochia aus-
strahlenden Wirkung des Theaters auf die Gebiete der Malerei und Skulptur, in der
Malerei belegt durch den pompejanischen vierten Stil mit seinen Bühnenbildern, in der
Skulptur durch die Tabernakelsarkophage; unter demselben Einfluß des Theaters stehen
die christlichen Elfenbeinskulpturen, und noch heute bezeugt ihn die Ikonostasis der
griechischen Kirche. So bauen sich Hypothesen auf Hypothesen. Mögen sie sich an
den noch zu findenden Denkmälern bewähren.1)
Architekturen, Baumgänge, Palmen, Weinstöcke.
In jenen Säulenreihen, auch denen mit Tabernakeln, wirkte die Sakralidee des
Heroons oder Tempels. Sie sind wie eine Peristasis, zwischen deren Säulen Statuen
aufgestellt werden konnten; fast wie als Statuen gedacht pflegen die Figuren und
Figurengruppen an den heidnischen Sarkophagen entsprechend auf Basen angeordnet
*) Strzygowski, Journal of hellenic studies 1907, 115 — 122. — Altmann, Architektur 52. —
Puchstein, Archäol. Anzeiger 1896, 28. — v. Cube, Die römische „scenae frons" in den pompe-
janischen Wandbildern 1906. — August Mau, Pompeji 1900, 459. Gegen den östlichen Ursprung
des dritten Stils: Studniczka, Tropaeum Traiani 65. — Ikonostasis: Holl, Archiv für Religions-
wissenschaft IX 365.
Architekturen, Baumgänge, Palmen, Weinstöcke. 63
zu sein. Fällt dies selbstverständlich an den christlichen Sarkophagen auch fort, so
bleibt doch die Idee der sakralen Säulenarchitektur, die für die Figuren und Szenen
nur den Rahmen abgibt. Anderen Ursprungs sind Architekturen, die zur Szene
selbst gehören. Sehr beliebt war das Tor. Seit den Tagen des Hellenismus wurde
es rundbogig gezeichnet, so auch an den Sarkophagen der Kaiserzeit. Da dient es
verschiedenen Zwecken. Einmal als Szenentrennung bei mehrszenigen Reliefs. Die
Adonisreliefs geben drei Szenen, den Abschied von Aphrodite beim Aufbruch zur Jagd,
die Verwundung in der Eberjagd, die Pflege; die ans rechte Ende gestellte Jagd wird
von den anderen Szenen durch ein schräg in den Hintergrund sich verlierendes Tor
getrennt, durch das der Jagdzug die Stadt verläßt. Ähnlich ist's in den Hippolytos-
reliefs; am lateranischen Exemplar passiert die letzte Figur des Jagdzuges eben erst
das Tor. Dergleichen Tore sind auch am Deckel des lateranischen Adonissarkophags
n. 769 in die Odipusszenen und am Deckel des Orestessarkophags daselbst eingeschoben. —
Fast häufiger sind Tore an den Enden des Reliefs. Am linken Ende: Palasttor des
Admetos; in einem Rundbogentor erscheint das Eidolon des Agamemnon; wiederum
der Schatten der Klytaimestra. Ein Tor steht links an Meleagersarkophagen. Am
Sarkophag der Uffizien n. 39, an der linken Schmalseite sitzt der verstorbene Offizier
vor einem Tor und läßt sich die Beinschienen anlegen. — Ein Tor am Ende rechts:
bei Meleagers Tod; beim Wagen der Selene, die den Endymion belauscht. — Ein Tor
an jedem Ende des Reliefs: die Dioskuren entfuhren die Leukippiden auf ihren Wagen
durch Tore; bei Achill im Palast des Lykomedes. — Das eben erwähnte Hadestor
wiederholt sich an beiden Schmalseiten des Korasarkophags in den Uffizien: links führt
Hermes die Alkestis in das Tor des Hades, rechts führt Herakles sie heraus.1)
Es treten aber noch andere Architekturen auf, neben und außer den Toren. Ein
Mauerstück mit Tor im Meleagerrelief Pamfili; in Hektors Schleifung eine Quader-
mauer, mit Türmen und Zinnen, längs des ganzen Hintergrundes, oder auch nur
des halben; ein Artemistempel hinter Hippolytos und Phaedra; an einem Rund-
tempelchen befestigt Hippolytos eine Jagdtrophäe ; sonstige architektonischeHinter-
gründe bei Rhea, bei Meleager, in der mantuaner Iliupersis. Es mag auch erwähnt
sein, daß auf einer Silbermünze Maximians (286 — 310) eine Porta castrorum abgebildet
ist: über einer Quadermauer vier Türmchen, in der Mauer ein rundbogiges Tor, dessen
Flügel nach außen aufschlagen.2)
Die christlichen Sarkophage lieben es wieder, die Motive zu häufen, und gelangen
so zu Architekturbildern, die schließlich unverständlich werden, sofern man sich nicht
entschließt, sie als bloße Dekorationsstücke zu nehmen. Ahnlichen Mangel an archi-
tektonischem Sinn bemerkten wir bereits bei dem An- und Ineinanderschieben von
*) Adonis: Robert Uli Taf. 3. 4. 5. — Hippolytos: eb. HI n Taf. 52 ff. — Ödipus:
eb. H Taf. 60, 183. — Orestes: eb. II Taf. 54, 155. — Admetos: eb. III i Taf. 7, 26 Sarg des
Euhodus. — Agamemnon: eb. II Taf. 54, 155 Lateran. — Klytaimestra: eb. II Taf. 56, 163. —
Meleager: eb. III n Taf. 77, 225 ff. — Uffizien n. 39. Dütschke III n. 62. Amelung, Führer
n. 18. Abgeb. Vorlegeblätter 1888 Taf. 9, 5. — Meleager: Robert HI n Taf. 89, 275 Wilton-
house. — Selene: eb. III i Taf. 12 Capitol. — Dioskuren: eb. III n n. 182. — Achill: eb. II
Taf. 18, 28. — Kora: eb. III i Seite 35 Abb.
a) Pamfili: Robert III n Taf. 94, 283. — Hektor: eb. II Taf. 46 Achuria. Taf. 45 Coburg,
u. Gori. — Hippolytos: eb. III n Taf. 45, 144 Konstantinopel. 54, 168 Albani. 55, 170 Paris.
— Rhea: eb. Taf. 60, 188 Mattei. — Meleager: eb. Taf. 82, 239. — Iliupersis: eb. II Taf. 26,
63. - Maximian: Cohen, MeU imp. «VII 125, 227.
g4 Plastik.
Giebeln, Bögen und Gebälkstücken auf Säulenreihen. Eben diese Arkadentypen finden
wir jetzt gesellt mit Stadttoren und anderen Architekturen. Und sonderbar genug,
das Stadttor wird zwei-, dreimal und öfter nebeneinandergesetzt; Mauertürme werden
eingeschoben. Das ergibt eine unmögliche Art Stadtmauer, die nur aus Türmen und
Toren besteht und bei flüchtiger Betrachtung eher einem Aquädukt in der Campagna
ähnlich sieht. Man erklärt die Tore als die des himmlischen Jerusalems. Sie sind alle
mit Zinnen gekrönt. Dies unterscheidet die Mauern und Tore an den christlichen
Sarkophagen von denen an den heidnischen, daß sie alle nun Zinnen tragen. Zinnen
gab es im Altertum natürlich von jeher und sie wurden in Darstellungen aus Be-
lagerungskriegen oft genug zur Anschauung gebracht, in griechischer Kunst z. B. an
der Francoisvase, wo sie die Flucht des Troilos nach Troja hin schildert, und an einer
strengrotfigurigen attischen Vase mit der Verfolgung Hektors durch Achill um die
Stadt; erstere Vase stammt aus dem sechsten, letztere aus dem fünften vorchristlichen
Jahrhundert. Auch aus der hellenistischen und römischen Zeit ließen sich leicht Belege
beibringen. Die erwähnten heidnischen Sarkophage der Kaiserzeit freilich pflegen die
Tore ohne Zinnen zu geben, vermutlich weil es ihnen nur auf den Tordurchgang ankam ;
die christlichen aber nehmen das Motiv wieder auf. An den Mauern wird gern das
Quaderwerk angegeben, gelegentlich sogar der Randbeschlag.
Als erstes Beispiel fuhren wir den Durchzug durchs Rote Meer an, Lat. n. 111.
Aus einem Tor am linken Reliefende ist der Pharao mit seinen Streitern gekommen,
in der Mitte kämpft ein Teil derselben mit den Wellen, rechts, auf dem andern Ufer,
stehen die geretteten Israeliten; im Hintergrund drei Tore nebeneinander, zwei davon
mit Zinnen, das mittlere trägt als Eckakroterien die typischen Rosen- oder Fruchtkörbe;
im Mittelgrund die Feuersäule, als Kompositsäule mit auf der Deckplatte lodernden
Flammen [Abb. 23]. Die anderen Darstellungen des Durchzugs haben nur das Tor
links und die Feuersäule rechts. — Sodann ein Sarkophag in Verona: im Hintergrund
steht in der Mitte ein Flachbogen zwischen zwei symmetrisch angeordneten Toren mit
Zinnen, zwei Gebälkstücken und noch zwei Toren; es ist zu beachten, daß hier jedes
Joch selbständig steht. — Ein vatikanisches Exemplar, wieder ein Prachtstück, besitzt
der Louvre. Von dem Rankenwerk am Sockel und dem altägyptisch-altgriechischen
Mäander mit eingesetzten Rosetten sehen wir ab; auch auf das Figürliche ist nicht
einzugehen, hier handelt sichs nur um den architektonischen Hintergrund. Der Christus
steht vor einer Art Exedra, gebildet aus zwei Säulen unter verkröpftem Gebälk, das
im Bogen sich zurückzieht, wie an Lateran n. 151; während aber dort eine Säulenreihe
sich an der ganzen Sarkophagfront entlang zieht, ist hier nur die zentrale Exedra bei-
behalten. Beiderseits folgen dann je drei rundbogige Tore mit Zinnen, nur durch
zwischengeschobene Türme voneinander getrennt. An den Schmalseiten dasselbe System,
je vier Tore mit drei Türmen. Die Rückseite, nach Art der Riefelsärge behandelt,
bildet die zwei Endfelder wieder als Tore, in deren jedem eine Figur steht, der Kopf
ziemlich genau konzentrisch zum Rundbogen. Auch sonst sind mehrfach (nicht durch-
aus) die Figuren so angeordnet, daß der Kopf in einem der Torbogen konzentrisch
steht, z. B. Paulus und Elias. Der Kopf des auf dem Berge stehenden bärtigen Christus
hebt sich vom Gebälk ab [Abb. 31]. — Der Sarkophag zu Tolentino hat vorn und
hinten die Riefelfelder, die der pariser hinten zeigt; vorn mit Zentral- und Endfeldern,
hinten mit zentralen Büsten in Clipeus, an den Seiten aber biblische Szenen vor je drei
Toren mit Zinnen. — Der Sarkophag zu Mantua hat am flachen Sockel eine Wellen-
Architekturen, Baumgänge, Palmen, Weinstocke. 65
ranke, vorn dicht gereihte Apostel um Christus unter Bögen, die aber statt auf Säulen
auf Konsolen ruhen, wie es in der Eberjagd am Sarkophag aus Konia in Konstanti-
nopel der Fall ist, an den Schmalseiten jedoch auf gereihten Säulen Torbögen mit
Zinnen. — Ein andrer zu Ancona, des Gorgonius, setzt die Zinnen direkt auf die Archi-
volten, so wenigstens an der Vorder- und der rechten Schmalseite. — Der Sarkophag
Lateran n. 125 ist ein klassisches Beispiel für die Art; denn Säulen unter Gebälk,
Giebel und Bögen vereinigt er mit Toren an beiden Enden des Reliefs. Links etwas
Stadtmauer mit Tor unter Zinnen; anschließend tragen vier Kompositsäulen (die erste
verdeckt durch den ersten Christus) ein Gebälkstück, ferner einen Giebel, mit bebändertem
Kranz im Tympanon, und einen Flachbogen (in den Zwickeln umgestürzte Rosenkörbe,
auf der Endsäule noch eine Sonnenuhr): vor dem Tor und dem Interkolumnium unter
Gebälk sieht man Heilungsszenen, unter dem Bogen geht Christus mit zwei Jüngern
rechtshin, wohl zur folgenden Szene. Hier kommt in einer oberen Zone (wie auf einer
Bühne) vor dreibogiger Arkade die Heilung des Gichtbrüchigen zur Darstellung, unten
liegt der Kranke auf seiner Kline, zwischen drei anderen Männern. Zuletzt folgt
Zachäus auf dem Maulbeerbaum und der Einzug in Jerusalem (das Figürliche stark
ergänzt); rechts bildet das Stadttor den Abschluß, wieder mit einem Stückchen Quader-
mauer; aber vor dem linken Torpfeiler schiebt sich ein Mauerturm, an den sich ein
zweiter Torbogen anschließt. Die Zinnen sind nun unmittelbar auf die Torbögen gesetzt
[Abb. 32]. — Lateran M n. 169 A, aus Villa Ludovisi. Zu dem zentralen umkränzten
Christusmonogramm auf dem Kreuz kommen von jeder Seite sechs Apostel, ihre Kränze
vor sich tragend; den Abschluß bildet auf jeder Seite ein Tor, aus dem die Apostel ge-
kommen zu sein scheinen. Diese zwei Tore werden auf das mystische Jerusalem und
Bethlehem gedeutet. Ähnlich kommen zu dem zentralen Lamm Gottes zwölf Schafe
als Bilder der zwölf Apostel, zu sechsen aus je einem Endtor (Garr. 327, 2). — Es
sei hier noch das rätselhafte Bruchstück Lateran n. 202 angeführt; zu der Darstellung
bieten die Sarkophage keine Analogie. Ein Mann in Chiton und Himation steht linkshin
vor dem gesäulten Eingang eines Quaderbaues; rechts ist noch der oberste Teil eines
ebenfalls linkshin blickenden geflügelten Jünglings erhalten, der seiner Bildung nach
ein Horenerot sein könnte, aber als Engel aufgefaßt zu werden pflegt.1)
So wunderlich diese gereihten Tore dem auf das Werden der Erscheinungen
gerichteten Blicke vorkommen, so muß immerhin anerkannt werden, daß sie einer
ästhetischen Wirkung nicht entbehren, einer ästhetischen, das heißt nun aber einer
zugleich das Gemüt umfangenden. Der Bildhauer des pariser Sarkophags wurde immer
noch von künstlerischen Instinkten geleitet, als er nämlich in den Toren des himm-
lischen Jerusalems doch auch wieder Arkaden reihte, die in Verbindung mit der
zentralen Exedra den Figuren einen neuen idealen Hintergrund gaben. Die Gestalten
der Verklärten, des Christus und seiner Apostel wie des im Sarge Bestatteten, wurden
durch diese architektonische Szenerie ebenso in den Himmel versetzt, wie die ent-
*) Lateran n. 111: G 309, 3. — Verona: G 333, 1. — Louvre: Bottari Taf. 25—27. Clarac
227, 777. G 324. In guter Erhaltung unter der Peterskirche gefunden und so bei Bottari ver-
öffentlicht erlitt er später Beschädigungen, die dann zu fehlerhaften Ergänzungen führten; mit
diesen gibt es Clarac. Garrucci gibt eine nach Bottari berichtigte Zeichnung. Ferner Mailand:
G 328. 329, 1. — Tolentino: G 303. — Mantua: G 320, 2. 321, 1. 2. — Konia: Strzygowski,
Orient 48 Abb. 16. — Gorgonius: G 326, 1. 3. — Lateran n. 125: G 314, 5. — Lat. M n. 169 A:
Schreiber, Villa Ludovisi n. 141. — Lat. n. 202: Skizze bei Ficker Seite 158.
Sybel, Christliche Antike II. 5
66 Plastik.
sprechenden Gestalten in den Katakombenmalereien und, wie wir gleich sehen werden,
auch in manchen Reliefs, durch landschaftliche Motive, mindestens ein paar Bäume, in
das himmlische Reich gestellt wurden.
Bäume hatte einst das klassischgriechische Relief nur zögernd aufgenommen,
anfangs ohne das unplastische Laub, das erst allmählich an den zuvor kahlen Stämmen
und Ästen ausschlug; es brauchte noch einige Zeit, bis man den Baum in der Skulptur
naturwahr darzustellen, vollends ihn malerisch vor Augen zu bringen lernte. Von letzterer
Art ist in den Sarkophagreliefs freilich nicht viel zu spüren, je später sie sind, desto
weniger. An den heidnischen Sarkophagen finden sich Bäume nach Gelegenheit; in
der mantuaner Iliupersis sieht man Baum, Tempel und Turm im Hintergrund der Mord-
szene verteilt. Am Kentaurensarkophag der Sala delle Muse n. 515 sind drei Kampf-
gruppen getrennt durch zwei Platanen, an den Ecken stehen Säulen. Doch finden sich auch
Eckbäume, am Meleagersarkophag in Athen. Häufiger sind Bäume in Jagdbildern, wie
am Sarkophag im Konservatorenpalast, auf dem Treppenabsatz unter dem Hadrians-
relief n. 49, sowohl am Kasten angebracht wie am Deckel (an letzterem nur eben an-
gelegt); dort sind vier, hier sechs Bäume im Jagdgelände verteilt, in landschaftlich
freier Anordnung und Gestaltung. An der Vorwölbung des Hintergrunds unter dem
Gesims, wo sich sonst aufrechte Akanthusblätter reihen, stehen hinter Jagdszenen des
Hippolytos und des Meleager dichtgedrängte Baumkronen. In bacchischen Reliefs, z. B.
in Neapel, bewegen sich die Figuren unter Bäumen verschiedener Gattung, die Wipfel
sind schirmartig niedrig, aber breitschattend, vorspringend; an einem kapitolinischen
Sarkophag (im Erdgeschoß, Westgang) sind es gereihte Weinstöcke, deren Laub sich
über d6n Köpfen der Figuren an der Simsplatte ausbreitet.1)
Einige christliche Sarkophage haben an Stelle der Kolonnaden Baumgänge; die
breiten Wipfel der in gleichen Abständen gepflanzten Bäume berühren sich, so daß ihre
Silhouetten sich fast genau mit den jener Flachbögen decken; oberwärts schneiden sie mit
dem Kastenrand wagrecht ab. Solche Baumgänge hat man wie anderwärts auch im
heutigen Rom, in Gärten und auf öffentlichen Plätzen; man wird sie auch im alten
Rom gehabt haben. Hat doch schon Kimon den Markt von Athen mit Platanen be-
pflanzt, gewiß in regelmäßiger Verteilung, wie sie der antiken Gartenkunst nahe lag,
soweit die Anlagen in architektonischem Zusammenhang standen; von Kyros' Paradies
in Sardes z. B. wird es geradezu gesagt. Die Wahl des Baumganges statt der Kolon-
nade mochte den Christen sich empfehlen als ein Bild des himmlichen Paradieses, des
ständigen Schauplatzes für die Darstellung der seligen Christen und ihres verklärten
Herrn, des Christus. Einmal sehen wir denn auch eine Selige im Orantentypus zwischen
die mittelsten Bäume gestellt (Lat. n. 179). Von dem Deckelfragment Lateran n. 157
sind außer dem Eckkopf des Sol nur ein paar Christusszenen erhalten. Oder der
Christus steht in der Mitte, mit Petrus und dem Hahn. Andere Sarkophage stellen
statt des Christus selbst sein Sinnbild in die Mitte, das umkränzte Monogramm auf dem
Kreuz [Abb. 34]. Schließlich ist zu bemerken, daß die christliche Skulptur hier überall
Ölbäume verwendet. Einst hatte der Ölbaum als der heilige Baum der Athenaia in
der griechischen Kunst Aufnahme gefunden; in die christliche Kunst fand er Eingang
x) Iliupersis: Eobert II Taf. 26, 63. — Kentauren: eb. III i Taf. 40, 132. — Meleager:
eb. III ii Taf. 70, 216. — Hippolytos: eb. III n Taf. 47, 152 Girgenti, hinten und an der 1.
Schmalseite. Taf. 48, 154 Petersburg. Meleager: Taf. 73 A Lanza. —Neapel: Phot. Sommer 1553.
Architekturen, Baumgänge, Palmen, Weinstöcke. 67
im Zusammenhang der Schilderung der Jahreszeiten, welche sie aus der heidnischen
Kunst übernahm; die Olivenernte ist die typische Ernte des Winters.1)
Nebenher geht, wie in der Katakombenmalerei so in Reliefs, die Anordnung eines
Seligen oder etwa des Guten Hirten zwischen zwei Bäumen.2)
Außer den Ölbäumen finden sich in annähernd ähnlicher Verwendung nur noch
Palmbäume, mit Früchten. Der Palmbaum, bereits in die altorientalische und die
heroischgriechische (kretisch -mykenische) Kunst aufgenommen, erscheint auch in der
klassischen, z. B. in der Vasenmalerei des sechsten und fünften Jahrhunderts; er muß
früh in Griechenland eingeführt worden sein (später auch nach Italien). Die näheren
Beziehungen, in welche die Griechen seit Alexander zum Orient traten, brachten natürlich
auch neue Anlässe, die Palme künstlerisch zu verwerten. Das Prachtzelt des Ptolemaios
Epiphanes, zu einem Gelage von hundertunddreißig Klinen, hatte einen scharlachroten
Baldachin, der auf vier zu fünf Säulen ruhte; je fünfzig Ellen hoch waren sie als
Thyrsosstäbe gebildet, die Ecksäulen als Palmbäume; ob in griechischem oder ägyptischem
Stil, ist nicht gesagt. Aber die ägyptisch stilisierte Palmsäule ging, ihrerseits wiederum
hellenisiert, in die griechische Kunst über, z. B. in Pergamon. Naturalistisch wieder-
gegeben erscheint der Palmbaum in der Malerei. In der Sepulkralskulptur findet sich
der Palmbaum, auch hier mit anhängenden Früchten, an den Ecken von Aschenbehältern
in Altarform, aus der frühen Kaiserzeit. Von größerem Interesse für uns ist ein solches
Ossuar mit Seligengelage im alten Typus des Heroenmahls; das Sofa, auf dem der Ver-
storbene, P. Vitellius Successus, ruht, steht unter einem Palmbaum. Hier ist aber ferner
noch einmal jener Brunnen in Stockholm zu erwähnen, der sekundär als Ossuar ver-
wendet wurde, an der Rückseite mit einem Gott, der im Bausch seiner Chlamys Früchte
trägt; in Hochrelief dargestellt steht er zwischen zwei in Flachrelief gegebenen Palm-
bäumen. — Ebenso angeordnet sehen wir an dem christlichen Sarkophag Lateran n. 106
den jugendlichen Christus zwischen zwei Palmbäumen; Lateran n. 151 zeigt ähnliches
[Abb. 33]. — Lateran n. 66 stellt die Muschel mit den Büsten eines Ehepaares zwischen
zwei Palmbäume und n. 40 eine Selige als Adorantin zwischen zwei Selige und zwei
Palmbäume. Lateran n. 115, ein Sarkophagfragment mit verschiedenen Szenen, im
Hintergrund drei Palmbäume. N. 194, ein Deckel: beiderseits der Tabula je ein Seliger,
der sich bewillkommnend mehreren mit Kränzen im Maul nahenden Schafen zuwendet;
im Hintergrund im ganzen acht Palmbäume. N. 145 und 149 (Schmalseiten von n. 193)
mit der Speisen Vermehrung und Elias' Himmelfahrt; an den beschädigten Rändern
Reste von Palmwipfeln. Demnach war den Christen die Palme ein Paradiesbaum; die
eben erwähnten Schafe sind von der Herde des Guten Hirten, der seine Schafe auf den
Schultern in das Paradies trägt; darum haben sie ihren „Kranz des Lebens" im Maul.
— Die Sarkophage mit Palmbäumen sind späteren Ursprungs; wenn man damals ihre
Einfügung noch als Orientalisieren bezeichnen darf, so beschränkte es sich auf Gegen-
ständliches. 8)
*) Sardes: Christi. Antike I 164 mit Anm. — Lateran n. 179: G 370, 1. — Lat. n. 157:
G 402, 9. — Christus mit Petrus und Hahn: Clarac 226, 357. Sarkophag in Paris: G 319, 1. —
Monogramm: Lat. n. 164. G 350, 2 mit Vögeln und einem Nest in den sechs Wipfeln. — Lat.
M n. 166. — Noch ein paar Fragmente: Wittig 77 u. 37 und eb. 125 n. 60.
a) Katakombenmalerei: Chr. Antike I 167. 265. — Relief: Lateran n. 168 Magna als Adorantin.
Ebenda M n. 181 von Via Salaria Guter Hirt. Ebenda n. 190 Crispina zwischen zwei Bäumen.
8) Palmkapitelle in Pergamon: v. Sybel, Weltgesch. 2364 Abb. — Palmbäume in
Malerei: ebenda 348 Abb. — Aschenbehälter zweier Clodier, des L. Visillius Sedatus, der Cornelia
5*
ßg Plastik.
Den Beschluß mache ein vatikanischer Sarkophag von der Art des pariser, doch
eher etwas späterer Zeit. Er bietet bemerkenswerte Varianten, vor allem ein Neben-
einander nicht bloß von Bögen auf Säulen und Torbögen, sondern auch von Palm-
bäumen und von Weinstöcken. Die Schmalseiten wiederholen im wesentlichen die
Darstellungen des pariser Sarkophags, doch fällt auf, daß die Torzinnen, deren Deck-
platten doch sämtlich an die obere Randleiste des Sargs stoßen, nicht auf einem wag-
rechten Hauptgesims, sondern auf der Archivolte des Tors sitzen; dasselbe findet an
den Toren mit dem Einzug in Jerusalem statt, Lateran n. 125 [Abb. 32]. An die
Stelle der Sockelranke sind an der Frontseite die früher erwähnten zwölf Apostelschafe
mit dem zentralen Lamm Gottes getreten; der bärtige Christus steht, auf dem Berg,
vor einer Arkade; die beiderseits sich reihenden Tore des pariser Exemplars sind hier
ersetzt durch zwei Palmbäume, auf deren einem der Vogel Phönix steht, und durch
im ganzen sieben Weinstöcke, deren Reben und Trauben den Raum über den Köpfen
der nur in Zehnzahl gegebenen Apostel füllen. Der Weinberg ist hier ein neues Bild
des himmlischen Paradieses.1)
Sarkophage mit nur figürlichem Schmuck.
Wir führten eine Anzahl Sarkophagtypen vor, die sich durch eine oder andere
tektonische Gestaltung oder Gliederung auszeichnen, die Wannen und die Riefelsärge,
die Säulensarkophage; die mit Hintergrundsarchitekturen und -pflanzen, Ol- oder Palm-
bäumen, endlich Weinstöcken, schlössen wir gleich an. Es bleibt die Masse der übrigen
Sarkophage, die auf jede Gliederung der Fläche verzichtend den ganzen Raum unein-
geschränkt für figürliche Darstellungen ausnutzen. Auch dieser Typus ist nicht
neu, im Gegenteil war er herrschend im heidnischen Rom der Kaiserzeit. Freilich gibt
es keine christlichen Sarkophage, die das erregte Leben in den mythologischen Reliefs
der heidnisch-römischen Sarkophage aufwiesen; solches lag eben nicht im Geiste der
christlichen Seligkeitsvorstellungen. Aber auch bei den heidnischen Mythologien legte
sich das aufgeregte Getümmel bald wieder, nach den ersten Jahrzehnten des dritten
Jahrhunderts trat ein ruhiges Nebeneinanderreihen von Figuren an die Stelle.2)
Die meisten der hier in Frage kommenden heidnischrömischen Sarkophage füllen
die Frontseite mit nur einer Szene; doch gibt es auch zwei- und mehrszenige
Reliefs. Dreiszenig finden wir die Marsyassage geschildert, ebenso die des Adonis,
des Hippolytos. Bisweilen wird ja eine Art tektonischer Trennung beliebt, durch das
vorbesprochene Tor, aus dem der Jagdzug kommt. Eine andere Art, die Räumlichkeit
anzudeuten und damit auch zu begrenzen, besteht in der Anbringung eines Parapetasma,
vor dem die Szene sich abspielt. Aber es kommt auch die Szenenreihung ohne irgend-
einen Hinweis auf Wechsel der Örtlichkeit vor. Das läßt sich z. B., trotz des End-
tores und der Kline, von dem mehrszenigen Alkestissarkophag des Euhodus geltend
Glyke (letztere trägt die Frisur der Julia Titi) bei Altmann, Bömische Grabaltäre der Kaiserzeit
1905 n. 83 Fig. 85; n. 128 und 129; n. 130 Fig. 98. — Seligengelage: ebenda n. 259 Fig. 154. —
Brunnen: Stockholm, K. Museum n. 217. Einzelaufnahme St. n. 178. — Lateran n. 106: G 331, 2.
— Lat. n. 151: G 335. 3. -- Lat. n. 194: G 304, 2. — Lat. n. 145. 149: G 372, 4. 5; bei Elias
deuten die Palmen wie die Sterne den Himmel an, zu dem der Prophet auffährt.
*) G 327, 2—4.
2j Stadtrömische Sarkophage der heidnischen Kaiserzeit: Altmann, Architektur 91—93.
Sarkophage mit nur figürlichem Schmuck. 69
machen [Abb. 1]; härter, möchte man sagen, empfindet man die Szenenreihung an den
ungesäulten Heraklessarkophagen, wo Kampf neben Kampf steht, immer derselbe Held
in wenig geänderter Situation sich wiederholt. Von da ist's nur ein Schritt zu den
dichtgereihten Christusszenen, vielmehr es ist schon eben dasselbe; denn der Gegensatz
der ruhigen Christusszenen zu der Gewaltsamkeit in den Heraklestaten ist gegenständ-
lich gegeben, nicht stilistischer Art. Szenen feierlicher Stille gab es auch in der heid-
nischen Kunst.1)
Eine Vorzugsstellung nehmen in dieser Klasse, ganz wie unter den gesäulten, die
zweizonigen Sarkophage ein; es sind in allen Fällen Prachtstücke für die reicheren
Familien. Der Lateran besitzt eine Anzahl davon, am berühmtesten sind die zwei aus
Sankt Paul vor den Mauern, der eine unter der Tribuna, der andere bei der Confessio
gefunden (n. 55 und n. 104). Büsten der Verstorbenen pflegen in Clipeus oder häufiger
in Muschel an der Mitte des Oberstreifs angebracht zu sein. Oft aber ist die Muschel
so groß genommen, daß ihr Unterrand mit dem Schloß mehr oder weniger tief in die
untere Zone hinabreicht und deren Bildraum verkürzt (n. 55). Diese Rundschilde und
ßundmuscheln fanden wir bereits im Mittelstück der Riefelsärge angebracht, wo sie
denn auch einen niedrigen Bildraum unter sich offen lassen. Zur Ausfüllung wählte
man — hierin übrigens wieder der heidnischen Antike folgend — Zierstücke ge-
ringerer Höhe, zunächst von den neutral genannten Typen, wie das Füllhorn der
Fortuna, und zwar ein paar gekreuzt und zusammengebunden; ein Schriftbündel zwischen
zwei Masken; Putten und Amoretten bei allerlei Spiel, gern auch mit dem Hahnen-
kampf beschäftigt. Ganz christlich geworden sind die Schafe, hier ruhend gezeichnet.
Sollten aber Szenen mit erwachsenen Personen zur Verwendung kommen, so war es
nur natürlich, Sitzende oder Gelagerte zu bevorzugen, wie den sitzend melkenden Schaf-
hirten, einen sitzend Lesenden (wenn auch mit stehenden, jedoch kleiner gebildeten
Nebenpersonen), den unter der Laube ruhenden Jonas, dazu die auch niedrige Schiffs-
szene, oder Maria mit dem Christkind. Doch blieb man nicht immer bei so günstig
komponierten Bildern stehen; dann mußten sie freilich in den gegebenen Raum gepreßt
werden, wie es eben gehen mochte, wie etwa Daniel in der Löwengrube [Abb. 14. 37. 38].2)
Mit Einführung der zweiten Zone, die meines Wissens an heidnischen Sarkophagen
nicht vorkommt, wurde eine Verdoppelung der Szenenzahl erreicht. Diese Steigerung
der Quantität bedeutet keine Erhöhung der künstlerischen Qualität; Überfülle an plas-
tischer Form war ja gerade ein Kennzeichen der kaiserlichen Barockkunst, als sie den
Todeskeim schon in sich trug. Inhaltlich aber sind alle diese gehäuften Bilder nicht
viel mehr als Synonyme, nahezu Tautologien, für den einen Gedanken der Seligkeit
durch den Christus. Man kann sich des Gedankens kaum erwehren, daß bei der Häu-
^Marsyas: Robert III n S. 249 ff . — Euhodus: Mus. Chiaram n. 179. — Heraklessarko
phage ohne Szenentrennung: Robert III i Taf. 28 ff.
") Büsten im Oberstreif z. B. Pisa, G 364, 3. — Füllhörner: Benndorf-Schöne n. 194. 196.
Lateran M n. 70 A (F 72). G 360, 2. — Masken: Robert II n. 213. An einem Fragment in der
Basilica Petronillae. — Putten: Grousset n. 48. G 395, 2. Auch Grousset n. 2. — Putten und
Amoretten: Grousset n. 12 bis. G 401, 8. — Hahnenkampf: Benndorf-Schöne n. 189. Matz-
Duhn II Seite 222. Mus. Chiaramonti n. 521. Clarac 121, 215. Lateran M n. 26 (G 361, 1 Predelle
unter der Pronubagruppe). Grousset n. 6 (G 402, 4). n. 92 (G 361, 1). — Schafe: Grousset
n. 19. — Schafhirt: Conservatori, Treppenabsatz. Lateran n. 108 (G 359, 2). 228. — Lesender:
Lat. n. 55 (G 358, 3). — Jonas: Lat. n. 178 (G 367, 3). — Maria: Syrakus, G 365, 1. —
Daniel: Lat. n. 175 (G 367, 2).
70 Plastik.
fung dieser Rettungswunder, dieser Christusbilder, noch etwas anderes, mehr Praktisches
im Spiele war, nämlich eine Meinung, die Hoffnungen damit eindringlicher und vielleicht
auch in mystischem Sinne wirksamer auszusprechen. Begünstigt wurde diese Neigung
durch die simple Ausdrucksweise, die für die Einzelszene nur ein Minimum von Raum
beanspruchte. Dazu wurden die Szenen hart aneinandergerückt, gelegentlich sogar zwei
benachbarte in immer weitergehender Abkürzung miteinander verschmolzen.
Schmalseiten, Rückseiten, Deckel.
Die stadtrömischen Sarkophage bilden eine große Familie, mögen sie der heid-
nischen oder der christlichen Antike verdankt werden. Diesen Satz bestätigt auch die
Art, wie man an christlichen Sarkophagen die Nebenseiten und Deckel behandelte.
Die Schmalseiten wurden bei den römischen Sarkophagen beide gleichmäßig
oder gar nicht zur Darstellung herangezogen; sie wurden wirklich immer mehr zur
Nebenseite, und nur bei ganz sorgfältig gearbeiteten Stücken verwendete der Künstler
Zeit auf gute Durchfuhrung. Bei Heraklessarkophagen gab es sich leicht, den Über-
schuß der Taten an den Schmalseiten zu bringen. Von manchen Mythen konnte eine
Szene abgesondert und auf die Schmalseiten verlegt werden, etwa von Achilleus' Ama-
zonenkämpfen oder vom Raub der Leukippiden. War dies aus dem Mythus heraus
nicht möglich, so wußte man sich mit Nebenmomenten zu helfen; an den Schmalseiten
von Meleagersarkophagen sieht man Jagdszenen oder Leute mit Jagdgerät, an Musen-
sarkophagen treffen wir Marsyas am Pfahl, oder eine Muse bei einem Dichter, bacchische
Sarkophage zeigen Satyrn und Nymphen usf.1) — An christlichen Sarkophagen setzen
sich die Szenen der Vorderwand des öfteren auf den Schmalseiten fort; wenn jedes
Bild auch für sich besteht, so bleiben sie doch alle in demselben Vorstellungskreis.
So finden wir an der linken Schmalseite Adam und Eva, rechts die Jünglinge im
glühenden Ofen an Lateran n. 152 und n. 161; oder links die drei Jünglinge, rechts
Daniel zwischen den Löwen an n. 135; Elias' Himmelfahrt an n. 198 und in n. 149
(Schmalseite zu n. 193), ferner an dem vatikanischen Sarkophag, dem im Louvre mit
den gereihten Torbögen und seinem jüngeren Bruder mit den Weinstöcken. Eine
reich entwickelte Weinlese bringt vorn sinnverwandte Ernteszenen und Horeneroten an
den Seiten Lat. M n. 183 A (F 181). 2)
Doch gab es auch Typen allgemeinerer Bedeutung, die zur Füllung der Schmal-
seiten dienen konnten, ohne zu den Szenen an der Frontseite in unmittelbarer Beziehung
zu stehen; das waren vorzüglich die Greife und andere Monstren. Wenn einzeln ver-
wendet, richten sie ihr Gesicht nach der Frontseite; wenn gepaart, sitzen sie entweder
Rücken gegen Rücken, oder gegeneinandergekehrt mit einem vertikalen tektonischen
Gebilde als Symmetrieachse. Es ist der apollinische Adlergreif (am Sarkophag Uffizien
n. 89 neben Apollon und den Musen; ebenda n. 110 an einem bacchischen Sarkophag),
ferner der bacchische Löwengreif mit Bockshörnern, sowie die Sphinx. Wo sie so ein-
fach dasitzen, könnte man über ihre Bedeutung zweifelhaft sein. Wenn aber der Greif
*) Altmann, Architektur 87. 95.
«) Lateran n. 152 und n. 161: G 314, 1 Adam und Eva. 382, 3—4. — n. 135: G 318, 2. 3.
— n. 198 und n. 149: G 396, 9. 372, 5. — Paris: G 324, 2. Dazu 327, 3. — Lat. n. 183 A:
G 302, 3. 4.
Schmalseiten, Rückseiten, Deckel. 71
oder die Sphinx eine Tatze auf einen Stier- oder Widderkopf legt, so liegt die Meinung
zutage: es ist ein Sinnbild des Todes, abgeleitet von dem oben gelegentlich der Wannen
herangezogenen uralten Bilde des ein Huftier zerfleischenden Raubtiers; an einem Sarko-
phag kommt die ganze Gruppe vor, ein Greif wirft einen Stier nieder. Die Vorliebe
der Sarkophagskulptur für Seewesen hat auch den Greif in ihre Sphäre gezogen; am
Sarkophag des Euhodus sehen wir einen Seegreif. — Der Greif kommt an dem christ-
lichen Sarkophag Grousset n. 15 vor und an einem in Leyden, die symmetrische Gruppe
zweier um ein flammendes Thymiaterion gruppierter Greifen an dem neutralen Sarko-
phag Lateran n. 18; der Löwengreif an dem christlichen geriefelten Sarkophag im
Konservatorenpalast, Treppenhaus zum Obergeschoß.1)
Ein anderes Motiv, herstammend von Triumphalmonumenten, dann aber anscheinend
rein dekorativ verwendet, sind zwei schräg gekreuzte längliche Schilde nebst Waffen:
an heidnischen Sarkophagen, wie dem der Minucia Sedate im Lateran, Museo profano,
Saal II; an einem bacchischen Sarkophag im Belvedere, Osthalle n. 99; an einer Wanne
im Cortile; an Sarkophagen im christlichen Museum des Lateran M n. 70A (F 72). 242.
Körbe mit Blumen und Früchten gefüllt, das ist ein besonders beliebtes Motiv
der Antike. An dem christlichen Kindersarkophag Lateran n. 224 steht an jeder
Schmalseite ein großer mit Früchten gefüllter Korb.
Es bleibt nur noch übrig, in Ergänzung der einleitenden Worte über die neben-
sächliche Behandlung der Schmalseiten an römischen Sarkophagen zu erwähnen, daß
die Reliefs der Schmalseiten durchweg eine geringere Erhebung zeigen, als die der
Hauptseite. Es genügt an den Säulensarkophag n. 174 zu erinnern, dessen Frontseite
in Vollrelief gemeißelt ist, die Nebenseiten dagegen ungeachtet ihres reichen architek-
tonischen Hindergrundes ganz flach (diese Hintergründe legen wir zurück bis zur Be-
sprechung der christlichen Architektur).
Die Rückseite. An den griechischen Sarkophagen wurden alle vier Seiten ver-
ziert, und pflegte ihre Verzierung gleichartig zu sein; nur daß jede Langseite in engerer
Beziehung zur links anstoßenden Schmalseite stand. Doch kommt auch abweichende
Behandlung der Rückseite vor. Die römischen Sarkophage skulpieren nur die Front-
seite und, nebensächlich, die Schmalseiten, nicht die Rückseite, weil der römische Sarko-
phag nicht frei aufgestellt, sondern an die Wand gerückt wurde. Nun aber kommt
bei christlichrömischen Sarkophagen vereinzelt vor, daß auch die Rückseite verziert ist.
Hier fand also eine Einwirkung von Seiten der griechischen auf die römische Weise
statt. Solch ein Austausch darf nicht überraschen, es kommt oft genug vor, daß
parallelgehende Bewegungen schließlich konvergieren und sich irgendwie verschmelzen.
Wir haben den naheliegenden Fall der sog. griechischrömischen Sarkophage, die, in
Griechenland gearbeitet, die Gesamterscheinung der griechischen Sarkophage bewahrten,
aber in der Ausfuhrung dem Geschmack der römischen Käufer entgegenkamen, daher
wir sie zutreffender als römischgriechisch zu bezeichnen glaubten.2)
Unter den christlichen Särgen mit verzierter Rückseite ziehen vor allen drei uns
*) Greif sitzend: Gall. lapid. n. 9. — Greife Rücken gegen Rücken: Ossuar der Egrilia
Felicitas, Terme Zelle B. — Greife sich gegenüber: Belvedere, Nordhalle n. 39. Robert III n
218 c. — Löwengreif: Rob. in n Taf. 68, 209. — Sphinx: Rob. III n 91. — Stier- oder
Widderkopf: Rob. II Taf. 56, 158. HI i Taf. 6, 24. 14, 51. in n Taf. 44, 144. — Euhodus:
Mus. Chiaram. n. 179. — Leyden: Die Greife bei Wilpert, Rom. Quartalschr. 1906, 6 Fig. 1. 2.
a) Griechisch-römische Sarkophage: Altmann, Architektur 87f.
72 Plastik.
schon bekannte vatikanische Säulensarkophage die Aufmerksamkeit auf sich. Da ist
einmal der in S. Peter, bei der Pietä des Michelangelo, mit den sechs Konchen an der
Front und den zweimal drei Nischen an den Schmalseiten; die Rückseite zeigt zwei
Riefelfelder zwischen drei Bildfeldern, die nun aber von dem Hauptmotiv der anderen
Seiten beeinflußt auch als Konchen gestaltet sind, wenn auch von schlichterer Er-
scheinung. Da ist ferner der Sarkophag im Louvre mit der zentralen Exedra und mit
den gereihten Torbögen an drei Seiten; auch hier stehen an der Rückseite drei Riefel-
felder, jedes diesmal zweizonig, zwischen drei Bildfeldern; auch hier wirkte die archi-
tektonische Idee der anderen Seite herüber, die zwei Endfelder zeigen je eine Figur
vor einem Torbogen. Drittens das vatikanische Exemplar von derselben Gesamtanlage,
nur mit den Palmbäumen und Weinstöcken an der Front; hier sind die drei Bildfelder
der Rückseite wieder als Konchen behandelt, nur die mittlere ruht auf Säulen, die
äußeren werden von Pilastern getragen. Auch das Sockelornament und das an der
Simsleiste, am reichsten am pariser Exemplar, läßt vermuten, daß es durch die prächtigen
griechischen Sarkophage angeregt sei; die römischen pflegen als schlichte Kasten ohne
Ornament aufzutreten. x)
Eigenartige Verzierung, ganz abweichend von allem bisher Betrachteten, weisen
die Rückseiten von Lateran n. 224 G 301, 1 und M n. 183 A (F 181) G 302, 5 auf,
nämlich Nachahmung von Netz- und Gitterwerk. Das Netz (ßlxrvov, transenna)
diente auf der Treibjagd um einen Kessel zu bilden, wie das schon auf dem wunder-
baren Goldbecher aus der Heroenzeit Griechenlands, dem mit dem Stierfang, und dann
wieder in zahlreichen Darstellungen der Hasenjagd in griechischen Vasen vorkommt.
Weiter aber diente es zur Absperrung von Versammlungsräumen, als Schranke und als
Geländer. Die Verwendung zu letzterem Zwecke lehrt anschaulich ein Relief am theo-
dosianischen Untersatz des Obelisken im Hippodrom zu Konstantinopel. Die Flecht-
weise ist da auch gut zu erkennen; die Maschen sind nicht rauten-, sondern halbkreis-
förmig. Ein solches Netzwerk, in Eisen oder Bronze nachgebildet und dadurch schema-
tisiert, erhielt ein Aussehen wie Schuppen; man sieht es z. B. im rundbogigen Oberlicht
über dem Tor der einen Rotunde an der rechten Schmalseite von Lateran n. 174. Das
Schema konnte auch für Marmorschranken verwertet werden; eine solche ist gemalt in
den Parkwänden von Prima Porta. In Relief nachgebildet kommt es an einer Marmor-
schranke im Lateran vor (Museo profano Saal II; sie steht auf dem Sarkophag der
Minucia Sedate), nur an der Rückseite, die Vorderseite trägt einen Meerthiasos. Und
so finden wir dies schuppenähnliche Gittermuster in den zwei äußeren Dritteln der Rück-
seite unseres christlichen Sarkophags. Das mittlere Drittel aber ahmt in Relief Gitter-
werk aus axial und diagonal gekreuzten Rohrstäben oder dünnen Holzleisten nach; auf
jeder Kreuzung sitzt ein Knauf. Auch dies System wurde an Marmorschranken nach-
gebildet; in den Gewölben an der Nordwestecke des Palatin kann man dergleichen
wieder aufgestellt sehen. Nun aber sind an unserem Relief hinter den Gitterstäben
nnd in den Maschen offene Blumen dargestellt, gewiß sollen es Rosen sein; es sind
teils kleine Röschen, in die dreieckigen Maschen verteilt, teils große vierblättrige, deren
eine je eins der Vierecke füllt, also von dem inneren Diagonalkreuz überkreuzt wird.
Es ist wohl dieselbe ungefüllte, vierblättrige Rose gemeint, die an den Pfeilern vom
Hateriergrab, nach Hülsen flavischer Zeit, so viel künstlerischer wiedergegeben ist. Das
l) S. Peter: Grousset n. 148 (G 325). — Louvre: G 324. — Vatikanisch: G 327.
Schmal Seiten, Rückseiten, Deckel. 73
Ganze soll ein mit Rosen beranktes Gartengitter vorstellen. Ganz ähnlich nun sahen
wir in einer Malerei im Coemeterium Domitillae ein ebenfalls rosenberanktes Gitter als
Andeutung des Paradieses, in dem der Gute Hirt bei seiner Herde sitzt, im Hinter-
grund ist Gebirg gemalt. Danach wird man auch unser gemeißeltes Gitterwerk mit
seinen stilisierten Rosen als Paradiesgitter aufzufassen haben, nicht mit de Rossi als
Grabgitter. An einem Fragment aus Santa Agnese steht im Mittelfeld zwischen Feldern
mit Transennamuster eine Orante.1)
Die genannten Sarkophage sind alle spät; noch später, nach de Waals Urteil aus
dem fünften oder sechsten Jahrhundert, wird ein Sarkophag seiner Sammlung sein, der,
nach Art der Riefelsärge eingeteilt, statt der Riefelfelder auch das schuppenähnliche
Transennamuster zeigt, in den schmalen Endfeldern Pilaster, im Mittelfeld das umkränzte
kreuzförmige Monogramm mit anhängendem A und J?.2)
Die Sarkophagdeckel. Bei Besprechung der Pfeiler- und Säulensarkophage
bemerkten wir, daß der Sarg ursprünglich ein Kasten von Tischlerarbeit war, der sich
aber die künstlerische Ausbildung nach Analogie eines Säulenbaues gern gefallen ließ.
Zu der Zweckform des Kastens und der Kunstgestalt des Tempels kam dann noch ein
dritter Faktor formbestimmend hinzu, das monumentale Material, der Stein. Die stil-
gerechte, durch die Natur des Materials bedingte Form des Sarkophagdeckels wäre die
dem Kasten aufgepaßte Platte, deren vertikale Schnittflächen einen niedrigen Fries fiir
die Grabschrift oder auch für Verzierungen bieten.8)
Die meisten Sarkophagdeckel (es sind ja nur verhältnismäßig wenige erhalten) ver-
danken aber ihre Gestalt einem Kompromiß zwischen den sich eigentlich gegenseitig
ausschließenden Typen der wagrechten Deckplatte und des schräg ansteigenden Sattel-
daches. Am Sarkophag der „Klagefrauen" der „kastenartige, zwischen den Seiten-
giebeln angebrachte Aufsatz, der wohl weniger wirklicher Gewohnheit entstammt, als
nur als Kollektivfläche für einen langen Zug von Wagen dienen soll", ist eben der bei
dem Kompromiß zwischen Deckplatte und Giebeldach übrig gebliebene Rest der Platte.
Diese Interpretation des für den ersten Blick befremdlichen Aufsatzes besteht auch dann
zu Recht, wenn der Dachfirst höher liegt als die Oberkante des Aufsatzes. Denn es
ist nicht so zu verstehen, als müsse das Dach genau aus dem Körper einer Platte ge-
schnitten sein, sondern es war die Plattenidee, die mit der Dachidee den Kompromiß
einging.
*) Zu Prima Porta, den gemalten Parks und ihren Gittern, nebst deren Rosengeranke vgl.
Christi. Antike I 165 f. de Rossi auch Roma sott. III 439. — Die Rosenpfeiler vom Hateriergrab
bei Wickhoff, Wiener Genesis 34 Fig. 9. 10. — Genaueres Durchforschen der in Rom erhaltenen
Skulpturreste hat mich gelehrt, daß im ersten Bande S. 232 den Alten die Kunstflechterei nicht
hätte abgesprochen werden sollen; sie machten auch Körbe in teilweis durchbrochener Arbeit und
liebten es, bei Darstellung von Blumenkörben einzelne Blumen in den rautenförmigen Maschen
sichtbar werden zu lassen. Diese Körbe konnten dann auch nicht gefüttert sein. Im Konservatoren-
palast, im Vorflur des Oberstocks, steht eine Wanne mit Horeneroten, der Frühling trägt einen
solchen durchbrochenen Korb mit Rosen. Im Chiostro des Thermenmuseums, vor dem Eingang
zum Museo Ludovisi, liegt das Bruchstück eines großen marmornen Blumenkorbs, an dem sich
nebeneinander Gittergeflecht mit durchblickenden Rosen, Zopf- und Mattengeflecht unterscheiden
läßt. Diese Erkenntnis verhilft aber leider nicht zur Lösung des Rotweinproblems. — S. Agnese:
G 402, 10.
2) Wittig n. 73.
3) Schlichte Deckplatten mit Inschrift: de Rossi, Roma sott. I Taf. 30, 8 und 9.
74 Plastik.
An den Sarkophagdeckeln der Kaiserzeit ist die Dachidee selten so vollkommen
durchgeführt worden, wie an demjenigen auf dem Tabernakelsarkophag des Palazzo
Riccardi. Der „neutrale" Sarkophag Lateran M n. 37 (F 18) besitzt an seinem dach-
förmigen Deckel sechs palmettengeschmückte Stirnziegel; die Stelle des Dachkranzes
aber nimmt die ebene Schnittfläche der idealen Deckplatte ein, sie ist mit Ranken ver-
ziert. Ebendasselbe, die flache Leiste statt des profilierten Gesimses, wiederholt sich
an den wenigen christlichen Deckeln in Dachform. Im Coemeterium Callisti fand de
Rossi einen besonders schweren Deckel der Art, ohne seinen Kasten; die fünf Stirn-
ziegel der Langseiten sind mit tragischen Masken verziert, die Akroterien mit Idyllen:
je ein Schäfer unter seinem Strohschirm sitzend, umgeben von Hund und Herde. Noch
schlichter ist das Dach auf dem Sarkophag mit den Weinstöcken behandelt: wieder die
flache Leiste, keine Stirnziegel, an den Frontakroterien je ein Früchtekorb.1)
Es scheint aber, als ob die Dachidee mehr und mehr an Kraft verliere; das sieht
soweit aus, wie ein Rückfall, wenn nicht ins Primitive, so doch ins Fundamentale, näm-
lich wie eine Rückkehr zur Deckplatte. In die Oberfläche der Platte werden der Länge
nach zwei parallele Furchen eingeschnitten, die zwischen sich eine Andeutung von
Satteldach übrig lassen; an den Schmalseiten werden die Giebel sichtbar, die an den
hinteren Ecken mit Akroterien besetzt sind. Als Beispiel sei Lateran n. 150 angeführt:
vorn in der Mitte eine Tabula mit verblaßter Miniumschrift, rechts Büste vor Para-
petasma mit drei Eroten, links Treibjagd auf Hasen. Sodann Lateran M n. 74 (F 83).
228. 241, der Leontina, des Faustinus (f 353) und des Sallustius Hippolytus, mit je
einer Inschrifttafel zwischen heranschwimmenden Delphinen. Als wertvoll erscheint
hier nur der Fries an der Front; weil aber für die Frontansicht, auf die der Sarko-
phag so ganz berechnet ist, der Rest von Dach verschwindet, so tat man noch einen
Schritt mehr und meißelte auch jene letzte Andeutung von Dach weg. Es blieb dann
hur eine dünnere Deckplatte mit auf deren Vorderkante stehendem Fries; das ist der
Fall bei Lateran n. 152 [Abb. 28] und 161.9)
Festgehalten von der Dachidee werden gern, auch dies nicht immer, die Eckakro-
terien, vorzugsweise die zwei an den Enden der Frontseite. Sie dienen dann als tek-
tonischer Abschluß des Deckelfrieses. Als Verzierung an den Akroterien kommen
weniger Anthemien vor, vereinzelt die erwähnten Fruchtkörbe und Idylle, meist Ge-
sichter in Profil: Masken, Helios mit Strahlenkranz und Selene mit Halbmond, sonstige
unbestimmbare Köpfe [Abb. 43], schließlich aber stellen sich gewisse bärtige Typen fest,
Petrus und Paulus.8)
*) Eiccardi: Strzygowski, Orient 52 Abb. 20. Altmann, Architektur 52 Fig. 19. — San
Callisto: G 347, 1. — Sarkophag mit Weinstöcken: G 327, 1.
2) Lat. n. 150: G 298, 3. — Lat. n. 152: G 320, 1. — Lat. n. 161: G 382, 2—4. Leider
gibt Garrucci nicht die Seitenansichten (Querschnitte) der Deckel; zum Ersatz vgl. man für die
freistehende Friesplatte seine Tafel 328, 2. 3, wo aber immer noch ein Eest des Daches bewahrt ist.
•) Anthemien: an dem Sarkophag von Tolentino G. 303, 2. 3, an dem mailänder eb. Taf.
328, 1. — Masken, und zwar komische, Lat. n. 126 G. 385, 2. — Sonstige Köpfe: Lat. n. 209;
einen ähnlichen hatte n. 165. — Helios und Selene: Lat. n. 157 (nur ersterer erhalten). —
Herakles im Löwenrachen: Grousset n. 5 G 394, 7 (Darstellungen idyllisch, neutral). — Satyr:
Grousset n. 122 G 404, 4. — Peter und Paul: so vielleicht Lateran M n. 78 (F 11), wo nur ein
Kopf erhalten ist, nicht kahl, das Stirnhaar ist nur verwittert; dazu Ficker und seine Taf. 1.
Deckel in San Callisto, Simelli 108 beide Köpfe kahl; an dem Fragment ebenda oben ist nur der
Kopf links erhalten, er ist nicht kahl.
Typik der Sarkophagbilder. 75
Der Säulensarkophag von Salona ist der einzige christliche mit auf dem Deckel
gelagerten Figuren der Verstorbenen; nur sind sie bloß abbozziert und dazu stark
verstümmelt. Das ist also ein Nachlebsel der Sarkophage in Klinenform. Diese
Idee klingt in anderer Weise nach in dem großen Sarkophag in der Vorhalle von San
Lorenzo zu Rom, an dessen Ecken Bettpfosten dargestellt sind; der zugehörige Deckel
ist leider verloren gegangen [Abb. 46].1)
Die Grabschrift, früher am Kasten angebracht, rückte im zweiten Jahrhundert
an den Deckel hinauf und ward hier auf eine viereckig gerahmte Tafel gesetzt oder
auf einen Rundschild. Die eine wie den anderen halten meist Eroten oder Sieges-
göttinnen. Dieser Typus entwickelt sich so sehr zu einem gern gesehenen Zierstück,
daß er auch ohne Inschrift verwendet wird, wenigstens ohne eingegrabene; und das
ist, wenigstens bei den christlichen Sarkophagen, der häufigere Fall. Die Eroten —
gegenüber den Niken weit in der Überzahl — werden in mannigfach bewegten Stel-
lungen gegeben, auf die wir hier nicht eingehen, wie ebensowenig auf die sonstigen
Darstellungen an den Deckelfriesen. Es genüge zu sagen, daß häufig Büsten der Ver-
storbenen hier Platz finden, sodann auch idyllische Szenen, besonders aber Meerwesen,
Delphine, Seerosse usf., endlich dann auch spezifisch christliche Figuren und Szenen
[Abb. 28. 43].*)
Typik der Sarkophagbilder.
Der Gedankenkreis, aus welchem die Bildhauer der Sarkophage, im Zusammen-
wirken mit den Auftraggebern, die Schmuckmotive zu entnehmen hatten, war ihnen
gegeben, es ist der sepulkrale. Der Kreis der Gedanken, die das Grab umspinnen, zer-
fällt in Unterkreise, je nachdem sie sich auf das Leben beziehen, oder auf den Tod,
wobei dann wiederum Krankheit und Sterben zu unterscheiden ist von dem, was mit
und nach dem Sterben wird. Die heidnischantiken Sepulkralreliefs beziehen sich auf
alle diese Unterkreise. Auf das Leben, insofern sie die Verstorbenen im Bilde ver-
ewigen, sei es für sich allein oder mit bezeichnenden Attributen und Szenen, die ihr
Dasein und Wirken im Leben schildern; in solchen Darstellungen der Verstorbenen
fand denn auch, was gerade die Kreise der Höchstgebildeten befriedigte, das Nachleben
im Andenken, seinen oft so gemütvollen Ausdruck. Auf den Tod selbst beziehen sich
einige Grabreliefs, indem sie, selten genug, die Krankheit und das Sterben realistisch
darstellen, eher die Totenklage, häufiger aber, indem sie den Tod unter den Begriff des
Tragischen stellen, die Verstorbenen im Typus tragischer Heroen vor Augen bringen.
Endlich beziehen sie sich auf das, was mit und nach dem Sterben eintritt, auch dies
nicht in realistischer Ausmalung der Verwesung, sondern in Andeutungen einer jen-
seitigen Seligkeit, gemäß den phantastischen Vorstellungen, wie sie in frühen und späten
Tagen des Altertums gewisse Kreise hegten. Diese Vorstellungen vergegenwärtigte ein
eigener Abschnitt unseres ersten Bandes.8)
*) Salona: Jelic, Rom. Quartalschrift 1891 zu Taf. 3—4. — San Lorenzo G 306.
*) Grabschrift: Altmann, Architektur 96. — Christliche Tabula von Eroten gehalten, am
Deckel, z. B. Perugia, G 321, 4.
•) Christi. Antike I 38 Die Jenseitsgedanken des Altertums.
yg Plastik.
Im Banne dieser Grabgedanken standen, als die antiken Menschen die sie waren,
auch die Christen. Der Gattung nach waren ihre Grabgedanken immer die antiken,
nur daß durch sie neben die schon vorhandenen Jenseitsvorstellungen noch eine neue
Spezies trat. In der Eigenart dieser neuen Spezies lag es begründet, daß die christ-
liche Grabkunst, so sehr sie stets im Rahmen der Antike blieb, im Vorstellungsinhalt
wie in der künstlerischen Gestaltung doch gegenüber der heidnischen modifiziert er-
scheint. Von den Unterkreisen der Grabgedanken übernahm sie den ersten, die bild-
liche Verewigung der Verstorbenen, wenn sie auch in Schilderung ihres Lebens sich
engere Grenzen zog; den zweiten Unterkreis, Kranksein und Sterben, vermied sie völlig,
weil sie eben ganz von dem dritten Gedanken erfüllt war, dem eines unmittelbaren
Überganges aus dem Tod in ein neues und ewiges Leben und in eine jenseitige Selig-
keit. Dies Überherrschen der Seligkeitsidee hatte noch die Folge, daß sie auf die erste
Idee zurückwirkte, das heißt, daß die Verstorbenen zwar in der Gestalt dargestellt
wurden, die sie im Leben trugen, aber gedacht waren als jenseitig Selige. Daß der
wissenschaftliche Standpunkt gegenüber allen Jenseits Vorstellungen, heidnischen wie
christlichen, nur der des Mythologen sein kann, wurde im ersten Bande mehrfach
gesagt. Es macht dabei keinen Unterschied, ob die Vorstellungen eigentlich, das ist
naiv mythisch sind, oder als bewußte Spekulationen nur Mythoide. Die nachfolgende
Typik würde also unter den Begriff der „Kunstmythologie" fallen, wenn dieser Termi-
nus noch üblich wäre.1)
Die Typen der Katakombenmalereien haben wir früher besprochen und lassen jetzt
die der Sarkophagreliefs folgen. Denn bei dem gegenwärtigen Stande der Forschung
erschien es zweckmäßig, zunächst eine jede Kunstgattung für sich auf ihre Typik zu
untersuchen, nicht gleich eine Gesamttypik der altchristlichen Bildnerei zu unternehmen.2)
Man braucht nicht zu befürchten, die Typik der Reliefs werde nur eine Dublette
dessen sein, was die Typik der Malerei schon geboten hatte. Naturgemäß ist der
Grundgedanke beiderseits derselbe; in der Tat decken sich die Bilderkreise zu einem
guten Teile. Trotzdem besteht so viel Verschiedenheit, daß Sonderbehandlungen nicht
allein sich lohnen, sondern gar nicht umgangen werden können. Malerei und Relief-
bildnerei sind schon technisch verschiedener Art; der Maler kann mit größerer Frei-
heit seinen Eingebungen Raum geben, der Bildhauer ist mehr gebunden. Auch stellen
die andersartigen tektonischen Verhältnisse der Grüfte einerseits, der Sarkophage anderer-
seits, verschiedene Anforderungen. Die Decken und Wände der Grabkammern, selbst
die Flächen der Grabnischen und Fachgräber, bieten dem Künstler andere Räume als
die Sarkophage. Das wirkt nicht bloß auf die Verteilung, sondern auch auf die Kom-
position. So sahen wir, daß die Gruftmaler, die identisch waren mit den Stubenmalern,
und wiederum ursprünglich dieselben Künstler für Heiden und Christen, das System
der Stubenmalerei, wie wir es aus den römischen und pompejanischen Denkmälern kennen,
in die Gruftmalerei übertrugen, nicht bloß in die heidnische, sondern auch in die christ-
liche; selbstredend unter Anpassung an die vorkommenden Besonderheiten des Gruft-
baues, und für die Christen unter Bevorzugung dessen, was auf das Paradies gedeutet
werden konnte. In anderer Beziehung bemerkten wir, daß das Vierkappensystem der
x) Mythoid: v. Sybel, Mythologie der Ilias 1877, 31; derselbe, Die klassische Archäologie
und die altchristliche Kunst, Rektoratsrede 1906, 16.
*) Katakombenmalereien: Christi. Antike I 140.
Die Seligen. 77
als Wölbdecken gedachten Plafonds den bereits dreigliedrigen Jonaszyklus an sich zog
und ihn zu einer viergliedrigen Folge entwickelte. Von alledem ist bei den Sarko-
phagen keine Rede. Wohl werden wir auch hier die Verstorbenen und ihren Retter
ins ewige Leben, den Christus, im himmlischen Paradiese sehn, aber es ist teils ver-
einfacht, teils anders zur Darstellung gebracht. Und der vierte Jonastyp, der unter
der Laube sitzende Prophet, entfällt hier, weil hier der künstlerische Daseinsgrund fehlt,
der an den Decken ihn ins Leben gerufen hatte. Andererseits wirkte die eigne Tech-
nik und die eigne Tektonik der Sarkophage bestimmend ein. Dabei bestätigt sich die
Macht der Tradition. Als Nebenarbeit heidnischer Bildhauer entstanden, werden sich
die ersten christlichen Sarkophage wenig von den heidnischen unterschieden haben,
kaum durch größere Schlichtheit; wir werden sehen, daß die nachweislich ältesten Exem-
plare keineswegs arm erscheinen. Und bei allem spezifisch Christlichen, das an ihnen
bereits hervortritt, stehen sie doch mitten im Strom der gesamtantiken Sepulkral-
skulptur. Wie die Maler mit der gewohnten Decken- und Wandmalerei, so haben die
Bildhauer mit der ganzen Sarkophagbildner ei die in ihrem Handwerk üblichen Schmuck-
stücke herübergebracht. Wieder treffen wir „übernommene Embleme", wenn schon in
teilweis anderer Auswahl und Verwendung. Durch den Prozeß der bewußten Auslese
und Assimilierung vollzog sich aber auch in der Skulptur eine Christianisierung der
Typen und eben hierdurch ein Ausgleich zwischen ihr und der Malerei.
Zu den hier genannten Gründen für eine Sonderstellung der Skulptur kommt nun
noch ein zeitlicher. Die Katakombenmalerei ist im ganzen etwas älter als die christ-
liche Sarkophagskulptur. Nach der herrschenden Ansetzung, die freilich noch der
genaueren Nachprüfung seitens der klassischen Archäologen harrt, begann die Kata-
kombenkunst noch im ersten Jahrhundert, unter den flavischen Kaisern; soweit aber
scheinen wenigstens die erhaltenen Sarkophage nicht zurückzureichen, die frühesten
Exemplare werden der Antoninenzeit angehören. Der Schwerpunkt der Katakomben-
malerei fällt in das zweite und dritte Jahrhundert, derjenige der Sarkophage dagegen
in das dritte und vierte. Somit laufen die beiden Entwicklungsreihen, der Malereien
und der Reliefs, nicht parallel, sie werden auch deshalb in der Untersuchung besser
voneinander getrennt gehalten. An die bei den Malereien befolgte Ordnung der Gruppen
binden wir uns nicht. Schon dort war sie übrigens weniger durch den systematischen
Gesichtspunkt bestimmt als durch den entwicklungsgeschichtlichen (daher z. B. die Ein-
schaltung der Erlösungstypen in die Reihe der Seligenbilder); er wird auch hier unser
Führer sein. Es gilt, die Typik der antiken Kunst in ihrem letzten Wandel zu be-
obachten, den Prozeß ihrer fortschreitenden Christianisierung, zugleich den Prozeß der
fortschreitenden Entwicklung des christlichen Himmels.
Die Seligen.
Die größere Zahl der bildlichen Typen hat allgemeinere Bedeutung, insofern sie
jedem Christen von dem ewigen Leben durch den Christus sprachen; eine kleinere Zahl
aber bringt die Verstorbenen und nun Seligen vor Augen, mithin in mehr individuali-
sierender Darstellung. Dabei bedienten sich die Bildhauer gewisser Typen, die sie aber
mit Freiheit verwendeten. Wo immer wir diesen Typen begegnen, werden wir in erster
Linie annehmen dürfen, daß sie wirklich die in dem Sarkophag Beigesetzten irgendwie
meinen, daß mithin Männerbilder auf männliche, Frauenbilder auf weibliche Verstorbene
78 Plastik.
schließen lassen usf. Nach Umständen konnten natürlich auch Angehörige in die Dar-
stellung aufgenommen werden, die nicht in dem Sarg bestattet waren. Aber es kommt
vor, daß das Relief bild nicht mit dem wirklichen Inhalt des Sarkophags stimmt; z. B.
kommen Typen Erwachsener an Kindersärgen vor. Wir müssen also die Möglichkeit
gelten lassen, daß gelegentlich von engerer Beziehung des bildlichen Schmuckes auf den
Verstorbenen abgesehen und irgend etwas gewählt wurde, was eben nur das christliche
Vertrauen ganz allgemein aussprach und was gefiel, auch nicht zu teuer war.
Die Verstorbenen treten uns in den Sarkophagreliefs, heidnischen wie christlichen,
in der Erscheinung entgegen wie im Leben; die in heidnischen Sarkophagreliefs beliebte
Darstellung zwar mit Porträtzügen, übrigens aber im Typus von Heroen oder Göttern,
kommt in christlichen seltener vor (z. B. Juliane im Typus des Noah G 301, 2).
Grundsätzlich wollen ja alle Bilder von Verstorbenen sie porträtieren; tatsächlich
aber wurde der Grundsatz doch nur für eine Minderheit verwirklicht. Auf deren
Gesichtszüge hier einzugehen, haben wir keinen Anlaß; doch mag gesagt sein, daß
die Gabe der Antike, nicht bloß Typen zu wiederholen, sondern auch zu individuali-
sieren, sowohl an den heidnischen wie noch an manchen christlichen Sepulkralporträts
sich bewährt. Zum Gesamteindrucke trägt die Frisur und die Kleidung bei. Da die
Frisuren noch rascherem Wechsel unterworfen waren als die Kleidermoden, so bieten
sie ein besonders wertvolles Material zur Datierung der Bildwerke; deshalb stellen wir
ihre Besprechung zurück zur Verwertung im stilkritischen Abschnitt. Über die Kleidung
berichteten wir zu den Malereien; es wird hier genügen, kurz das Tatsächliche zusammen-
zustellen, was in den Sarkophagreliefs sich vorfindet.1)
Die Männertracht besteht insgemein in dem, was zum „Angezogensein" gehörte,
dem Rock (einem Kittel, Chiton, Tunika) und dem Mantel (Himation, Pallium). Oft
fällt der Mantel so lang, daß er die Tunika ganz verdeckt und über deren Länge im
Ungewissen läßt; fällt er kürzer, so ist manchmal das eine Schienbein unbedeckt, was
auf die gewöhnliche kurze Tunika schließen läßt; häufiger, besonders an späteren Bild-
werken, aber erscheint unter dem Mantel die lange tunica talaris. Bei den Griechen,
zunächst den Ioniern, war der orientalische lange Chiton einst eine Zeitlang Mode
gewesen, aber bald wieder abgelehnt worden, nur Priester, Theaterkönige und ein paar
andere Kategorien behielten ihn bei; den Römern erschien er einerseits weibisch, anderer-
seits anmaßend. Aber in der Kaiserzeit gewann er Gunst, wohl unter Einfluß des
wachsenden Orientalisierens; kein Wunder, daß der Talar für die Christen das typische
Gewand wurde [Abb. 10. 19 u. öfter]. Selten ist der Mantel ohne Chiton, sodaß die
Brust nackt erscheint (Garr. Taf. 297, 3. 363, 3) [Abb. 2]. — Arbeiter trugen die Exomis,
welche die rechte Schulter frei läßt. — Neben dem Himation (Pallium) kommt die
spezifisch römische Toga nicht gar oft vor, immerhin öfter als in den Malereien, und
zwar in der Spätform der Zusammenfaltung, wie man ein Tisch- oder Bettuch der Länge
nach zusammenfaltet (Kontabulation); sie ist kenntlich an dem breiten Streifen, eben
dem gefalteten Stoff, der über die linke Schulter und die Brust läuft [Abb. 13. 21.
37. 38]. — Die um die linke Schulter geworfene, auf der rechten Schulter geheftete
Chlamys (Sagum, Paludamentum) tragen Militärs über der kurzen Tunika [Abb. 14.
18. 30. 31 u. öfter]. Die später aufgekommenen Mantelarten Paenula und Lacerna
finden sich in den Sarkophagreliefs nur ausnahmsweise.
*) Christi. Antike I 146. Vgl. noch V. Schultze in Herzog-Haucks Realenzyklopädie 3 X 1901
unter Kleider und Insignien.
Die Seligen. 79
Die Frauentracht besteht typisch aus dem Rock (Chiton, Tunika, mit Ärmeln
Stola, eventuell Dalmatika) und dem Mantel (Himation, Palla). Verheirateten und
Witwen gebührt die bräutliche und matronale Verhüllung des Hauptes, meist
bewirkt durch Heraufziehen des Rückenteils vom Mantel. Sollte die Dargestellte aus-
drücklich als Tote charakterisiert werden, so gab man ihr durch weiteres Vorziehen des
Mantels bis über die Stirn herab eine tiefere Verhüllung, so dem Schatten der Klytai-
mestra, entsprechend übrigens auch dem des Agamemnon, ebenso der Alkestis; und so
kommt es auch bei Verstorbenen in heidnischen Sarkophagreliefs vor; die christlichen
Seligkeitsdarstellungen ließen es nicht dazu kommen. Statt des über den Kopf ge-
zogenen Mantels finden wir auch in der Skulptur den Kopfschleier, bald kürzer bald
länger; im letzteren Falle konnten die Enden um den Hals genommen werden, wie
beim modernen ßaschlik.
Die in den Malereien auf den Gewändern beider Geschlechter erscheinenden
Streifen, Flecke und Zeichen haben die Bildhauer mit dem Meißel nicht angegeben;
sie konnten durch den Pinsel ergänzt werden.
Übliche Fußbekleidung ist die Sandale.1)
Jeder Beschauer antiker Sarkophage muß bemerken, daß die daran abgebildeten
Verstorbenen, vielfach auch die Frauen, eine Schrift rolle in der Hand halten, bis-
weilen auch ein Schreibtäfelchen (Diptychon, Triptychon), und daß sie mit der Rolle
oder den Täfelchen, eventuell auch einem Buch irgendwie beschäftigt sind. Die Rolle,
das ist das häufigere, wird geschlossen in der linken Hand gehalten, nicht leicht als
etwas Gleichgiltiges, etwa daß die Hand herabhängt und die Rolle Gefahr läuft, unter
dem Mantel zu verschwinden; sondern es pflegt eine gewisse Betätigung dabei zu sein,
der Arm wird gekrümmt, die Hand zeigt die annähernd senkrecht stehende Rolle, wie
ein dem Träger wichtiges Attribut. Ein zweites Schema steigert die Aktion und lenkt
dadurch die Aufmerksamkeit stärker auf die Rolle. Da hält sie der Rollenträger nicht
seitlich, sondern vor sich und legt zugleich die offene rechte Hand, oder wenigstens
zwei Finger, auf das obere Rollenende; manchmal steht die Rolle mit dem Unterende
in der hohlen linken Hand. Wenn man eine Papierrolle nach Gebrauch wieder zu-
sammengerollt hat, wobei immer leicht ein wenig schief gerollt wird, so richtet man
die Rolle gerade und gleicht den Schnitt ab durch Aufstoßen des Unterendes und
Klopfen auf das Oberende. Dasselbe kann auch erforderlich werden, wenn man eine
Rolle senkrecht trägt, auch ohne sie gerade einzusehen; faßt man sie zu lose, so kommen
die inneren Lagen leicht ins Rutschen, was man dann durch jenes Aufstoßen auf die
Hand und Klopfen auf das obere Ende ausgleicht. Schließlich aber kann dies Spiel der
Hände auch bloßes Fingerspiel sein, etwa im Gespräch, es sei denn, daß von der Schrift
gerade die Rede wäre und daß man durch das Auflegen der zwei Finger auf die Schrift
und ihre Bedeutung hinweisen wollte. Welche Erklärung im Einzelfalle angebracht
sei, und welche Bedeutung die Rolle, als Attribut betrachtet, für die einzelnen Träger
haben konnte, das läßt sich von vornherein schwer sagen [Abb. 11. 12]. Wir werden
noch anderen Schematen des Rollenhaltens begegnen, auch der geöffneten Rolle. Da
erst werden wir die Frage der richtigen Interpretation anschneiden.2)
*) Sandalen: de Waal, Sarkophag des Bassus 90 Fig. 1 — 5.
a) Theodor Birt, Die Buchrolle in der Kunst, archäologisch-antiquarische Untersuchungen
zum antiken Buchwesen, Leipzig 1907, hat das Vorkommen der Rolle in der alten Kuust (und zwar
go Plastik.
Noch ein letztes wird besser generell voraus besprochen, das ist das Vorkommen
von Abbildungen Verstorbener in Gruppen, Gruppen von einem Mann und einer Frau,
oder von zwei Männern. Wenn die Frau zur Rechten des Mannes steht, so könnte
man aus modernen- Vorstellungen heraus meinen, sie nehme den Ehrenplatz ein. Kenner
des Altertums wissen, daß dies nicht der Fall ist: der Ehrenplatz ist der zur Linken, im
Bild der rechts (vom Beschauer aus gerechnet). Beim Ehepaar kommt nach altem
Brauch und Recht dem Manne der Ehrenplatz zu; die Frau wird nicht bloß kleiner
gezeichnet (und zwar typisch), sondern auch als an ihn sich anschmiegend [Abb. 37. 38].
Daraus folgt nun weiter, daß eine männliche Figur, die zur Rechten einer Frau dar-
gestellt wird, nicht ihr Ehemann sein könne: es ist ihr Sohn. Schwieriger wird die
Erklärung, wenn zwei Männer in Gruppen erscheinen. Auch dann wird die Person zur
Rechten der anderen als minderen Ranges zu betrachten sein, wie das auch im Bilde
durch ihre gedrücktere Stellung sich ausspricht; ob wir aber Vater und Sohn oder sonst
wie verwandte Männer oder ein Freundespaar zu erkennen haben, bleibt offene Frage.
Der früher erwähnte Mangel an Grabschriften beraubt uns des sichersten Mittels, die
Frage zu beantworten [Abb. 14]. — Eine dritte Person, dritten Ranges, kommt zur
Linken der Hauptperson zu stehen, das Kind eines Ehepaares also zur Linken des
Vaters; es sei denn es wäre noch so klein, daß die Mutter es vor sich nähme [Abb. 13].1)
Die Verstorbenen werden häufig nur in Büstenform gegeben, im Rahmen eines
Clipeus oder einer Muschel [Abb. 11]. Eine andere Weise, für Darstellung in ganzer
Figur erfunden, aber auch übertragen auf Büsten, besteht in einem aufgespannten Stoff
(Parapetasma, Velum) als Hintergrund [Abb. 13]. Selten geschah es, daß man die
Büsten ohne Rahmen noch Hintergrund unmittelbar aus der Sarkophagfläche heraus-
treten ließ. Die Hände sind nicht immer mitgegeben; vorkommenden Falles hält die
Linke Rolle oder Diptychon, die Rechte legt wohl zwei Finger auf das Oberende.
Sonst greift die Rechte ins Gewand oder sie steht vor der Brust, zwei Finger offen, zwei
eingeschlagen (im sog. Redegestus). Weibliche Büsten sind häufiger als männliche; eine
hält Lyra und Pektron, andere heben adorierend die offenen Hände. Alle Motive
waren natürlich ursprünglich für ganze Figuren erfunden. — Vereinzelt kommen auch
Büsten von Knaben vor. Ehepaare pflegen die Köpfe einander zuzuwenden, doch
mit dem Unterschied, daß er nur halblinks schaut, sie ihn direkt, also annähernd im
Profil, anblickt, dabei steht sie halb hinter ihm, legt die Linke um seinen Nacken und
die Rechte auf seinen rechten Arm. Ein Ehepaar hat ein Kind vor sich: die einzige
Familie in der altchristlichen Sarkophagskulptur [Abb. 13]. Nun kommt noch die
mit Einschluß der christlichen Antike) verfolgt und die Schemata zu unterscheiden und zu inter-
pretieren unternommen; die ohen aufgeführten zwei Schemata sind hei Birt Motiv I und II (Seite 43
und 99).
*) In der verschollenen Arkosolmalerei , die de Eossi, Eoma sott. III Taf. 10, 2 nach Bosio,
meine Christi. Antike I 286 nach de Eossi wiederholt, steht so der Vater zwischen Mutter und
Sohn. Die vielbesprochenen Figuren beiderseits des für sich eingerahmten zentralen Seligenmahls
in der „Sakramentskapelle'' A8 (de Eossi, Eoma sott. II Taf. 16. Wilpert, Katakombenmalereien
Taf. 41, 1. 2. Christi. Antike I 198 Ahh. 260. 294) verlangen nach Obigem zwei Worte: rechts
steht der Jüngere zur Eechten des Älteren, übereinstimmend mit der Eegel; links der nach der
Speise des Lebens Greifende (auch er ein ayixtäv) ist nicht Gatte, sondern Sohn der Adorantin.
Wilpert Taf. 21, 2 ist die Gruppe zu beschädigt, um sie beurteilen zu können. Taf. 90, 2 steht
eine Mutter inmitten ihrer Kinder. Taf. 163, 2 ist ein Ehepaar, er steht rechts zu ihrer Linken.
Ein Schoßkind bei Wilpert Taf. 207. Christi. Antike I 260.
Die Seligen. 81
Verbindung von Mutter und Sohn vor, sie mit Rolle, er (zu ihrer Rechten) als
Adorant, am Sarkophagdeckel der Eugenia. Endlich ein Männerpaar, beide bärtig, aber
der ältere mit kahlem Scheitel, der jüngere mit vollem Haar, mag Vater und Sohn
meinen ; es findet sich an dem unter der Tribuna von S. Paul gefundenen Sarkophag
[Abb. 14]. — Am Sarkophag von Tolentino hält eine Hand von oben den Kranz
des Lebens über dem Ehepaar.1)
Häufiger noch als in Büsten wurden die Verstorbenen in ganzer Figur dar-
gestellt.
Für Ehepaare kommt der Typus der Vermählung einigemal vor: der Gatte
ergreift die Hand der ihm gegenüberstehenden Braut; zwischen ihren Köpfen wird unter
Stephane das Antlitz der Ehegöttin sichtbar, die man Juno Pronuba zu benennen pflegt;
vor dem Paar steht als kleiner Knabe Hymenäus mit der Fackel, oder Eros mit Psyche.
Die typische Rolle in der Hand des Bräutigams erklärt man in diesem Fall, seit dem
siebzehnten Jahrhundert bis heute, als den Ehekontrakt (tabulae nuptiales). Römische
Sarkophage der Antoninenzeit schildern den Verstorbenen in Hauptmomenten seines
Lebens; da fehlt denn auch nicht die Vermählung, neben Kriegs- und Jagdszenen. Wenn
nun aber andere Sarkophage die Szene der Vermählung in den Mittelpunkt des Relief-
schmuckes schieben und die Nebenbilder im selben Gedankenkreis bleiben, so liegt eine
etwas andere Idee zugrunde: der Sarg birgt die Reste des Ehepaares, eben dies drücken
die Reliefs aus. Man spricht hier wohl von Hochzeitssarkophagen; nun, wir kennen,
wenigstens aus neueren Zeiten, Schränke und andere Möbel, sogar ganze Häuser, welche
die Brautleute sich herstellen ließen, bei ihrer Hochzeit und für ihren Ehestand, aber
keine Hochzeitssärge. Wohl dienten unsere Sarkophage dem Ehepaar, doch erst nach
dem Tode. — Ein solcher Sarkophag von der Via Appia (im Thermenmuseum, Süd-
halle des Chiostro) hat den Hymenäus vor dem Paar. An Stelle des Eroten steht an
einem Exemplar im Cortile des Belvedere (n. 102n) ein Altar, für den heidnischen
Opferritus bei der Hochzeitsfeier. Christlich ist ein Sarkophag aus Villa Ludovisi mit
Eros und Psyche; ferner ein leider fragmentiertes Exemplar im deutschen Campo santo,
die untere Hälfte des Reliefs mit Hymenäus oder Eros und Psyche ist abgebrochen;
drittens ein Bruchstück in Villa Doria-Pamfili. Diese drei Exemplare weisen die Pronuba
auf; ohne diese, aber mit dem Hymenäus stellt sich das Ehepaar (er ist bärtig) an dem
neutralen Säulensarkophag von Villa Ludovisi dar. Das Ehepaar allein, ohne Pronuba,
*) Von heidnischen Sarkophagbüsten nur ein paar Proben: Amelung, Giardino d. pigna
Taf. 107, 159 m. Büste mit Antoninenfrisur. Gall. lapid. Taf. 29, 162 zwei Nabelbüsten ohne
Rahmen an den Ecken einer Wanne, eine unbärtig in Chlamys, eine bärtig in Toga (Haar „ver-
waschen"). Giard. d. pigna Taf. 96, 65 w. Büste mit Mamäafrisur. — Christlich: Männliche Büste :
Lat. n. 147 G 384, 3; eb. n. 150 G 298, 3; Grousset n. 15. — Weiblich: Lat. M n. 37 (F 18); eb.
n. 70 A (F 72); eb. n. 108 G 359, 2; eb. n. 126 G 385, 2; eb. n. 161 G382; Grousset n. 2. 3; Grousset
n. 14 G360, 2. Diptychon: Lat. n. 128 G 359, 3. Hand vor Brust: Lat. n. 182 G 384, 1. Lyra:
Lat. n. 203. Adorantin: Lat. n. 154 G 316, 4; Grousset n. 34 G 385, 3 Agapetilla. — Knabe: Lat.
n. 212 G 358, 1; eb. n. 214; Grousset n. 8. Ehepaar: Lat. n. 66; n. 104 G 365, 2; eb. n. 175 G 367, 1;
eb. n. 184 G 364, 2; n. 210 G 402, 5 beide in Profil; eb. n. 228 G 363, 2 des Faustinus f 353. Grousset
n. 44 G 403, 1 sie in Mamäafrisur. Man wolle beachten, daß mehrfach die Köpfe, zum Teil die
ganzen Büsten modern ergänzt sind: Lat. n. 178 G 367, 3; eb. n. 189 G 367, 2. Familie: Wittig 49
n. 19. Mutter u. Sohn: Lat. n. 230. Vater u. Sohn: Lat. n. 55 G 358, 3. — Vgl. dazu Pelka,
Altchristi. Ehedenkmäler 123. — Tolentino: G 304, 1. — Hand aus Wolke reicht einen Kranz:
Cohen, MeU imp. a VII 453, 88 Constantino II; VIII 219, 1 Honoria (Augusta 433).
Sybel, Christliche Antike II. 6
82 Plastik.
Hymenäus oder Eros und Psyche, begegnet z. B. an den Tabernakelsarkophagen des
Typ Biccardi und der Rückseite des Sarkophags bei der Pietä des Michelangelo in der
Peterskirche.
Die „Juno Pronuba" gehört, wie die ganze Szene, zu den aus der heidnischen
Antike übernommenen Typen. Eines Wortes bedarf noch der Angelpunkt der Szene,
nämlich die Verbindung der Brautleute durch ihre Hände. Altgriechisch war, daß der
Bräutigam die Braut am Handgelenke faßte, um von ihr Besitz zu ergreifen und sie
heimzuführen. Dagegen zeigen zahlreiche griechische Grabreliefs der klassischen Blüte
das Ineinanderlegen der Hände, gerade auch bei Eheleuten, allerdings nicht als Moment
der Hochzeit; es ist viel darüber geschrieben worden, ob dieser Händedruck den Ab-
schied fürs Leben bedeute oder ein Ausdruck für die Zusammengehörigkeit sei. Letzteres
ist im Grunde der Hauptsinn aller wie immer modifizierten sepulkralen Ehepaarstypen.
Die römische Verraählungszeremonie der dextrarum iunctio kann nur im Ineinander-
legen der Hände bestanden haben, wie es auch Sarkophagreliefs bezeugen, sofern nicht
die Hände ausgebrochen sind. Wenn dieselbe Gebärde an dem christlichen Sarkophag
des deutschen Campo santo bemerkt wird, so ist das also nicht eine spezifisch christ-
liche Art, wie es Wittig auffaßt; eher kann man fragen, wie es komme, daß an heid-
nischen und neutralen Sarkophagen das Fassen am Handgelenk noch vorkommt, wie an
dem Säulensarkophag aus Villa Ludovisi (übrigens auch an dem Riefelsarg der „Baleria
Latobia", wo die verwitwete Mutter den Sohn am Handgelenk faßt). Wirkt da viel-
leicht nur bildliche Tradition nach?
Ein Relieffragment der Villa Albani soll enthalten: den unbärtigen Gatten mit
der Hand seiner Frau in der Rechten, unter den zwei Händen ein offenes Buch auf
einem Pult, oben die Halbfigur des jugendlich lockigen Christus, der mit der Linken
einen Kranz über das Haupt des Mannes hält (jedenfalls hielt die Rechte einen eben-
solchen Kranz über die Frau). Ob die Kränze des Lebens, die da Christus über das
Paar hält, nuptial oder sepulkral zu verstehen sind, darauf kommen wir besser gelegent-
lich der Goldgläser mit ähnlichen Darstellungen zurück; über das Buch auf dem Pult
aber möchte ich ohne Autopsie nicht urteilen. Leider hält der Besitzer der Villa Al-
bani dies köstliche Eigentum der Menschheit vor jedermann verschlossen.1)
Eros und Psyche kommen auch selbständig an Sarkophagen vor, heidnischen
und christlichen. Bei seinen Ausgrabungen in San Callisto bemerkte de Rossi, daß
Reliefs heidnischen Charakters abgeschlagen oder mit Kalk gedeckt und so vermauert
waren, nicht bloß eine bacchische Szene, sondern auch Psyche. Aber ganz davon ab-
zusehen, daß hier nicht unbedingt notwendig oder ausschließlich religiöse Rücksichten im
Spiel gewesen sein müssen (es braucht sich auch bloß um Nutzbarmachung des Stückes
Marmor gehandelt zu haben), so wurde insgemein, wie auch de Rossi feststellt, nicht so
*) Hochzeit: Marquardt-Mau, Privataltertümer der Römer 47. Roßbach, Hochzeits- und
Ehedenkmale 1871. Matz-Duhn II Seite 328—341. Pelka, Christliche Ehedenkmäler 1901, 91.
Altmann, Rom. Grabaltäre 1905, 233. Birt, Buchrolle 67. — Ludovisi: Grousset n. 92; jetzt Lateran
M n. 26 G 361, 1. Campo santo: Wittig n. 1 Taf. 1. Doria: Grousset n. 75. Säulensarkophag:
G 362, 2. Pelka 98. Peterskirche: G 325, 4. — Juno Pronuba: dazu vgl. Wissowa, Religion
u. Kultus der Römer 119. Bei Pauly- Wissowa wird unter dextrarum iunctio auf den noch aus-
stehenden Artikel Juga verwiesen. Baleria Latobia: G 362, 3. Villa Albani: Marucchi,
Studi in Italia 1882 II matrimonio cristiano sopra un antico monumento inedito. Grousset n. 91.
Pelka 107 Taf. 1, 6. Über Lesepulte vgl. Birt, Buchrolle 175.
Die Seligen. 83
rigoros verfahren. Die Gruppe „Eros und Psyche sich umarmend" findet sich teils an
Bruchstücken unbestimmbaren Charakters, die aber, als in den Katakomben gefunden,
die Vermutung für sich haben, von Christen verwendet worden zu sein, teils an ganzen
Sarkophagen, deren spezifisch christliche Typen, wie der Gute Hirt oder Jonas, keinen
Zweifel lassen [Abb. II].1)
Bereits bei Besprechung der Büsten wurde gesagt, daß sie eigentlich Abbrevia-
turen von ganzen Figuren seien. Auf letztere ist nun einzugehen. Auch an den Sarko-
phagen überwiegen die Bilder weiblicher Verstorbener, wie in den Katakombenmalereien;
deshalb stellen wir die Frauen voran.
In den Büsten traten uns die Verstorbenen in Tracht und Haltung des Lebens
entgegen; solche in ganzer Figur also betrachten wir hiernächst. Ein Teil dieser Frauen
trägt die matronale Verhüllung des Kopfes, auch halten sie die attributive Rolle in der
Linken, oder ein Diptychon, die Rechte, zwei Finger eingeschlagen, vor der Brust oder
auf Rolle oder Diptychon gelegt; die ganze Erscheinung hat etwas Repräsentatives.
Diese Frauen stehen in der Regel zentral in der Sarkophagfront, nach Umständen vor
einem Parapetasma. Bisweilen steht am Boden Schriftenbündel oder Scrinium. Heid-
nisch ist das Sarkophagfragment der Lampadia im Lateran, mindestens neutral Grousset
n. 33 (die Frau steht zwischen Pfau und Fruchtkorb); Lateran Marucchi n. 1 (F 99)
mit Porträt, ernst aufblickende ältere Frau in Mamäafrisur, welche ausnahmsweise die
rollentragende Linke herabhängen läßt. Christlich sind Grousset n. 1 7 ; Lat. n. 9 ; M n. 7 7
(F 88); ferner Grousset n. 22 (die Verstorbene zwischen zwei Bäumen); n. 24, Lateran
n. 180 und 193 [Abb. 40]; n. 183.2)
Ein Verstorbener, mit Rolle in der Linken und Rollenbündel zu seinen Füßen,
steht vor Parapetasma an der heidnischen Wanne des Cortile n. 58 A. Von den gleich-
artigen Figuren an christlichen Sarkophagen sind viele problematisch. Der deutsche
Campo santo besitzt zwei zusammenpassende Bruchstücke eines Säulensarkophags, erhalten
sind zwei Kompartimente: unter einem Flachbogen ein Heilungswunder, unter rechts
anstoßendem Giebel ein Bärtiger, die Rolle in Händen, zu seiner Rechten steht eine
sehr große Rolle, auf die eine Nebenfigur die Hand legt. Ob der Bärtige den Ver-
storbenen meint? und ob ein Gegenstück seine Gattin meinte? Bei Grousset n. 22
finden wir zentral eine Verstorbene zwischen zwei Bäumen, im rechten Endfeld steht
ein Verstorbener mit Rolle. Hieran schließen sich Fickers „Lehrfiguren" und „Pro-
pheten" an, als untätige Statisten sowohl neben übernommene Typen als auch neben
biblische Szenen gesetzt. In einzelnen Fällen könnte man versucht sein, in der Figur
einen Verstorbenen zu erblicken, wenn er z. B. am rechten Ende des Deckels neben
einer Büste (vor Velum von Eroten gehalten) steht, oder zwischen Tabula (auch sie
von Eroten gehalten) und Eckmasken [Abb. 43]; oder am Sarg der Crispina, wo einer
der lesenden Crispina, ein zweiter der Geburtsszene nahe steht. In anderen Fällen,
wenn den dichtgedrängten biblischen Szenen hinzugefügt, scheint der Gedanke an den
Verstorbenen ferner zu liegen; da eben war die Vorstellung aufgetaucht, es könnten
*) Eros und Psyche an heidnischen Sarkophagen: Gall. lapid. n. 15; Mus. Chiar. n. 522.
Matz-Duhn II Seite 227—230. — Christlich: in San Callisto Simelli n. 112 Barbier 26; neben dem
Guten Hirt Grousset n. 48 G 395, 3; neben Jonas (im Clipeus w. Büste mit Frisur der Julia
Domna) Grousset n. 52 G 357, 1. — de Rossi, "Roma sott. II 170.
a) Malereien: Christi. Antike I 262. — Grousset n. 33: G 369, 2. Grousset n. 17: G 375, 5.
— Grousset n. 24, Lat. n. 180. 193: G 372, 1—3. — Lat. n. 183: G 316, 1.
6*
84 Plastik.
Propheten sein. Schließlich ließe sich Beziehung auf die Verstorbenen aber auch hier
verteidigen.1)
Hier würde sich die Klasse der Seligen anschließen, nicht der jedesmal im Sarg
beigesetzten, sondern vorausgegangener, die ein neu Verstorbener im Himmel vorfindet.
Da steht etwa die Verstorbene zwischen zwei Seligen. Von dergleichen aber wird uns
bei den Adoranten mehr begegnen; einstweilen erinnern wir uns der Begrüßung Ver-
storbener durch Selige beim Eintritt in den Himmel, wie das mehrere Malereien ver-
anschaulichten. Endlich sehen wir an einem späten Sarkophag beiderseits der zentralen
Tabula je einen unbärtigen Seligen die nahenden, den Kranz des Lebens im Maul
tragenden Schafe begrüßen.2)
Andere Verstorbene, und zwar weit mehrere, wurden im Schema der Anbetung
(Adoration) dargestellt; man dachte sie im himmlischen Paradies, anbetend vor der Herr-
lichkeit des Herrn. Zu den Bemerkungen des ersten Bandes über den ursprünglichen
Sinn des Gebetsgestus sei hier nachgetragen, daß Benndorfs Erklärung nicht annehm-
bar ist, wonach die Gebärde Scheu und Ehrerbietung ausdrücke, das Überwältigende
solle ferngehalten werden. Aber die apotropäische Gebärde ist vom Gebetsschema ver-
schieden. Übrigens wollte auch die zur Begrüßung ausgestreckte Hand ursprünglich
den Gegenstand der Begrüßung fassen. Man sehe sich nur Kinder und Darstellungen
von Kindern darauf an; das der Mutter zugebrachte Kind auf dem Relief Albani
streckt das Händchen nach der Mutter aus, ebenfalls der kleine Plutos nach dem der
Eirene. Eine Begrüßung ist aber auch die Adoration. — Den Ursprung des christ-
lichen Orantentypus leitet Strzygowski aus Ägypten her; schon die altägyptische Kunst
habe dergleichen geschaffen, allerdings nur in Profilstellung; die frontale Stellung sei
eine durch hellenistische Einflüsse freigewordene orientalische Form. Aber der frontale
Typus ist etwas Neues gegenüber dem älteren in Profilstellung. Die altägyptische Typik
kommt bei der Frage nach dem Ursprung der christlichen so wenig in Betracht, wie
die späte koptische; bloß auf die hellenistische kann es ankommen. Und die ägyp-
tischen Denkmäler wie die Stele des Ismenodoros sind bis jetzt zu vag datiert und
schwerlich früh genug, um ernstlich in Rechnung gestellt werden zu können. Eine Reihe
heidnischer Statuen anbetender Frauen, die beide Hände heben, stellt Hekler zusammen;
den zugrunde liegenden Typus ist er geneigt, auf einen Meister des früheren vierten
Jahrhunderts vor Chr. wie Euphranor zurückzuführen.8)
*) Campo santo: Wittig 80 n. 40-|-41. — Lehrfiguren und Propheten: Fickers Register. —
Neben Büste: Lat. n. 182 G 384, 1. — Neben Tabula: G 868, 2. — Crispina: Lat. n. 190 G 384, 5.
- Bei Speisenvermehrung: Lat. n. 189 G 367, 2. Bei Daniel: Lat. n. 124 G 398, 4.
2) Verstorbene zwischen Seligen: Lat. n. 163 Roller II Taf. 52, 2. Malereien: Christi. An-
tike I 267 Abb. — Schafe: Lat. n. 194 G 304, 2. — Begrüßende Selige werden auch die Jung-
frauen am Sarkophag zu Pisa sein, G 359, 4.
8) Anbetung: Christi. Antike I 225 Oranten. — Benndorf und Strzygowski, Wiener
Akad. Denkschr. LI 1905 156. Das Relief dans le crevac (nicht en crmx), in dem die Stele des
Ismenodoros nebst ihren Verwandten ausgeführt ist, kommt auch bei den Griechen vor. — Hekler,
Römische weibliche Gewandstatuen (München, archäol. Studien 1909) 134. — Thiersch, Hist.
Zeitschr. CII 1909 583 will in den Oranten nicht Anbetende im himmlischen Paradies, sondern ein-
fache Betende erkennen, als ein „graphisches Determinativ für den Begriff Christ". Das Urchristen-
tum habe das „Ruhen in Frieden" niemals dem Endziel, dem Schauen Gottes, gleichgesetzt; das
Gestorbensein sei ihm nur ein interimistischer Zustand gewesen, aus dem man erst durch die für
später erhoffte Auferstehung zum Schauen Gottes gelangen sollte. Ich halte mich daran, daß die
„Oranten" im Paradies stehend oder durch die Himmelsportiere eintretend gemalt werden, ich halte
Die Seligen. 85
In der Skulptur wie in der Malerei gibt es zwei Typen adorierender Frauen; die
einen, an den Sarkophagen meist in Seitenansicht gezeichnet, heben nur die offene
Rechte, ein bekanntes klassisches Gebetsschema. Am besten eignete es sich für das
rechte Ende der Sarkophagfront, linkshin gewandt.1)
Vereinzelt sieht man eine Adorantin in Stellung halbrechts mit vorgehobenen
Händen, am Sarg des Sohnes von Saturninus und Musa. Die Masse der Adorantinnen
aber steht in Vorderansicht mit ausgebreiteten Armen und geöffneten Händen,
wie so oft in den Malereien. Es sind dies die konventionell sog. „Oranten" [Abb. 9. 42].
Es wiederholen sich die bekannten Varianten, die Verhüllung des Kopfes durch Mantel
oder Schleier, oder Dalmatika, Pänula, Pelerine; beliebt war Stand vor Parapetasma
(einmal vor einem Tor) oder auch zwischen zwei Paradiesesbäumen, dazu Tauben, auch
wohl Schriftbündel oder Capsa. Angebracht wurden sie gern zentral, doch auch in
Endfeldern; bei den Sarkophagen mit aneinandergereihten Szenen wird die Orante ohne
weiteres eingeschoben. Mit dem Umstand, daß an den Sarkophagen der Spielraum knapp
bemessen war, vollends für Figuren mit ausgebreiteten Armen, hängt es zusammen, daß
manchmal kaum die Hände eben aus dem Gewand heraustreten, schließlich aber der
Ausweg gefunden wurde, die Unterarme senkrecht in die Höhe gehen zu lassen, mehr
oder minder hoch.2)
Adorantinnen mit Angehörigen gruppiert kommen verschiedentlich vor. Am
Sarkophag von Via Salaria sehen wir neben dem unter Paradiesesbäumen stehenden
Guten Hirten eine Orante, beiderseits aber Gruppen von Angehörigen, sitzende und
stehende, bei denen man zweifeln kann, ob sie als Hinterbliebene oder als im Tod
vorausgegangene gemeint sind. Die der Orantin zunächst sitzende Matrone aber erhebt
begrüßend die Rechte, scheint also eine Vorausgegangene zu sein [Abb. 2]. — Wir heben
noch einen eigenartigen Fall hervor, an einem Riefelsarg in Pesaro: in den Endfeldern
zwei adorierende Mädchen, im Mittelfeld die Mutter, die ihren linken Arm um den
mich an Jesus' Wort zum Schacher „Heute wirst du mit mir im Paradiese sein" , ich halte mich
an die Märtyrervisionen, die den Gestorbenen ausnahmslos, als kenne man gar keine andere Vor-
stellung, unmittelbar in das Paradies gelangen lassen. Die Malereien, das Jesuswort, die Märtyrer-
visionen, all dergleichen ist übereinstimmender Ausdruck der lebendigen Volksvorstellung, der in
seiner Bedeutung nichts verliert durch die subjektiven Einfälle und Spekulationen der christlichen
Metaphysiker, der alten Theologen, die man Kirchenväter nennt, oder durch das an ihnen sich ent-
wickelnde offizielle Dogma. Die Katakombenkunst ist eine selbständige Quelle zur Kenntnis der
im Christenvolk am gegebenen Ort zur gegebenen Zeit lebendigen Vorstellungen. Zuletzt scheint
Thiersch auf Wilperts Fürbitter zurückzukommen; wenigstens meint er, ich hätte die Fürbitt-
inschriften an den Gräbern nicht genügend beachtet. Ich hatte gar keinen Grund mich ihrer zu
erwehren, sind sie doch auf ihre Weise sehr kräftige Beweise für die antike Natur des Christen-
tums; aber sie sind zu spät, um für das Motiv des Orantentypus zu beweisen. Vor allem aber
spricht das bildliche Schema Begrüssung, Adoration aus und deutet irgend etwas weiteres auch
nicht im geringsten an. — Über die Tyche von Konstantinopel als Orans, von Konstantin
aus einer Kybele zurecht gemacht, vgl. Amelung, Rom. Mitteil. 1899, 8.
*) Nur die Rechte gehoben: de Rossi, Bull, crist. 1866, 74. Grousset § 16; ebenda n. 19
(G 296, 2 des Januarius); eb. n. 112. Lat. n. 34. — Malereien: Band I 286 Abb.
8) Saturninus: G 296, 1. — Matronal: Lat. n. 160 und 116 (G 376, 2. 4). Schleier: Lat.
M n. 181 Taf. 3 (bei dorischem Peplos); Lat. n. 150 (G298, 3). Dalmatika: Lat. n. 150 (G 298, 3).
Pänula: G 380, 1. Pelerine: Lat. n. 179 (G 370, 1). Parapetasma: Lat. n. 127 (G 376, 1). Tor:
Lat. n. 219 (G 369, 1). Bäume: G 296, 1. Tauben: ebenda. Taube mit Zweig (des Noah) zu-
fliegend: Grousset n. 32. Schriftbündel: Grousset n. 14 G 360, 2. Capsa: Grousset n. 28 G 373, 4.
— Unterarme senkrecht: G 377, 2.
36 Plastik.
Nacken eines Töchterchens legt, beide adorieren mit der Rechten; das Mittelfeld ist ein-
gerahmt von zwei glatten Säulchen, die in der Art der antiken Votivträger zwei nackte
Knaben tragen, jeder hat eine Taube in der Hand. Sollen das zwei Knaben der Matrone
sein? Tektonisch sehen die zwei Säulchen aus wie eine Umbildung des Tabernakel-
motivs.1)
Bisweilen steht eine Taube zu Füßen einer Orans, dicht angedrückt, den Schwanz
auch wohl unter ihrem Gewandsaum. Oder Tauben sitzen auf den Bäumen, zwischen
denen die Orans steht.2)
Mehrfach steht die Or ante zwischen zweiSeligen, im Tod ihr vorausgegangenen ;
sie pflegen der Orante zugewandt zu sein, begrüßend ihr die offene Rechte zuzustrecken,
auch wohl sie an ihren Arm zu legen [Abb. 38]. Wo sie, was vorkommt, die Toga
tragen, müssen wohl Angehörige gemeint sein; in der Regel aber scheinen es nur Re-
präsentanten des Chors der Seligen zu sein. Einige sind in alter Weise unbärtig,
mehrere bärtig. In letzterem Fall glauben die Erklärer Petrus und Paulus dargestellt;
die Möglichkeit soll nicht geleugnet werden, obwohl kaum ein Exemplar in dieser Be-
ziehung Gewißheit gibt. Zwischen zwei Togati steht die Orante, offenbar sehr ähn-
liches Porträt, an einem neuerworbenen Sarkophag der Sammlung de Waals; das Stück
ist auch dadurch merkwürdig, daß die gehobenen Arme der Orante wegen der Raum-
not einfach weggelassen sind. An einem Riefelsarg derselben Sammlung stand im
Mittelfeld, zur Rechten der Orante, eine zweite weibliche Figur, vor einem Baum;
sekundär hat man die Nebenfigur bis auf geringe Spuren weggemeißelt und dafür den
Baumstamm weiter hinabgeführt. Der Sarkophag der Juliane gibt die Verstorbene
zweimal im Orantenschema, einmal vor Parapetasma, ein zweites Mal im Typus des
Noah in der Arche.8)
Männliche Oranten sind selten; ein solcher, in ungegürteter langer Tunika,
steht an einem Sarkophag von San Callisto zwischen zwei bärtigen Palliati [Abb. 23. 43].4)
Ein und dasselbe Schema kann nach den Umständen verschiedenes bedeuten. An
der geriefelten Rückseite des Säulensarkophags in der Peterskirche, in deren Mittel-
nische wir das Ehepaar bemerkten, sieht man in den Endnischen je einen Unbärtigen
die offene Rechte nach der Mittelgruppe hinhalten: die Seligen begrüßen das in den
Himmel aufgenommene Paar. An dem pariser Exemplar mit dem bärtigen Christus
stehen in den Endfeldern der Rückseite ähnliche Selige im selben Schema, aber nun
adorieren sie den im Mittelfeld angebrachten Guten Hirten.6)
An den späteren Exemplaren der letztberührten reichen Sarkophagklasse, mit
bärtigem Christus auf dem Berg, finden sich die Gestalten der verstorbenen Ehe-
leute in kleiner Figur zu den Füßen des Bergs: er unbärtig, als Offizier in Chlamys
(am pariser Exemplar steht er so auch an der rechten Nebenseite), eilfertig heran-
schreitend, wie sonst etwa die Magier zum Christkind oder wie die kranztragenden
*) Pesaro: G 377, 2.
9) Morey, Suppl. papers American school Eome I 1905, 150 über die Taube bei der Orante am
Sarkophag in Maria Antiqua.
8) Orante zwischen Seligen: Lat. n. 184 G 364, 2; eb. n. 148 G 380, 4; eb. n. 161 G 382, 2
des Sabinus; eb. n. 40. 163 (Roller I Taf. 50, 3; II Taf. 52, 2; eb. n. 144. 167. — Nebenfigur: Wittig
127 n. 63. — Juliane: Lateran n. 236 G 301, 2.
4) Orant: G 368, 2. G 402, 6 (nach Bottari) bedarf der Nachprüfung.
6) G 325, 4 (vgl. 328, 1). 324, 4.
Die Seligen. 87
Seligen zum Christus (von diesen Vorbildern scheint der adorierende Offizier auch ab-
geleitet), die verhüllten Hände nach dem rechten Fuß des Christus hinstreckend wie
auch den Blick auf ihn richtend; sie, matronal verhüllt, auf dem linken Knie liegend,
den rechten Fuß aufgesetzt, anbetend beide Hände geöffnet und zum Christus empor-
blickend. Nach der Etikette steht der Mann zur Rechten des Herrn, sie zu seiner
Linken. An dem Exemplar mit den Weinstöcken blickt auch der Gatte empor, beider
Hände (hier sind die seinigen unverhüllt) scheinen die Füße des Herrn zu fassen. Von
einem Küssen oder Küssenwollen spricht keines der beiden Exemplare. Diese Adoranten
in kleiner Figur zu Füßen des zentralen Adorierten sind Vorläufer der Stifterbilder
in der späteren Kunst [Abb. Bl].1)
Ein Komplex übernommener Typen, die zusammen behandelt sein wollen, fuhrt
uns in das erste Werden der christlichen Skulptur zurück. Ich meine die Verstorbenen,
wenn sie sitzend, und wenn sie lesend dargestellt werden, mit ihrer Umgebung,
Männern, Frauen, Kindern (Typus der Recitatio). Hier spielt also mehreres ineinander,
das Familienbild und die Schilderung musischer Betätigung. Heidnische Sarkophag-
reliefs charakterisieren die assistierenden Frauen oft als Musen, solche Szenen er-
scheinen auch an Musensarkophagen; es wird sich fragen, ob das in der christlichen
Skulptur nachklingt.
Lesende haben die Schriftrolle (das Volumen) vor sich aufgerollt zwischen beiden
Händen. Es wird angenommen, die Lektüre sei in der Mitte des Buches angelangt, so
daß die in der Rechten ruhende Rolle halb abgewickelt, das Gelesene in derselben
Rollenstärke in der Linken wieder aufgewickelt erscheint. Der sitzend Lesende hat
die geöffnete Rolle auf dem Schoß oder er bringt sie durch Heben den Augen etwas
näher. Ob er still für sich liest oder ob er laut vorliest, verrät die Figur des Lesen-
den selbst nicht; wenn aber Zuhörende dabei sind, wird man an Vorlesen denken
müssen. Blickt der Lesende nicht in die Rolle, sondern darüber hinweg, so liest er
in dem Augenblick nicht ab, sondern entweder denkt er dem Gelesenen einen Augen-
blick nach oder er rezitiert das voraus Abgelesene, den Blick auf die Zuhörer gerichtet.
Auch wenn der Lesende sich unterbricht, um über das Gelesene nachzudenken oder
darüber zu reden, nimmt er beide Konvolute in die Linke; die damit freiwerdende
Rechte mag ruhen oder seine Worte mit Nachdruck gebender Gebärde begleiten.
Letzteres findet sich auch bei Personen, welche die Rolle geschlossen in der Linken
halten. — Von dem stehend oder gehend Lesenden gilt dasselbe: er hält die offene
Rolle zwischen beiden Händen, blickt vorgebückt hinein, oder er wendet den Blick
seinen Hörern zu; auch er mag nach Umständen beide Konvolute (Rollenenden) in die
Linke nehmen.9)
Zu Dichtenden und Rezitierenden treten in der heidnischen Kunst oft Musen,
irgendwie charakterisiert durch Attribute. Ahnlich posierende Frauen, stehend oder
sitzend, zum Teil mit ähnlichen Attributen, wie musikalischen Instrumenten, finden sich
auch an christlichen Sarkophagen, so daß man fragen könnte, ob hier der Musentypus
übernommen, ob eine Verstorbene im Musentypus dargestellt worden sei, wie etwa an
heidnischen Sarkophagen als Penthesileia, mit Porträtkopf und Modefrisur. Rein typen-
») G 324, 1. 327, 2. Nur die Frau G 320, 2 Mantua.
9) Die vorkommenden Schemata des Lesens behandelt Birt, Die Buchrolle 124 Die ge-
öffnete Rolle und das Lesen; man beachte besonders Motiv VI Das Lesen bei entrolltem Buche lf
Das Lesen in Geselligkeit, und Motiv VII Unterbrechung der Lektüre.
88 Plastik.
geschichtlich mag der Musentyp mitspielen; aber man darf nicht vergessen, daß die
griechische Kunst schon längst Frauen in musischer Betätigung schilderte, einzeln und
in Gruppen, parallel gehend den Darstellungen der Musen selbst.
Musische Betätigung im weitesten Sinne ist der Kreis, innerhalb dessen die einzelnen
Bilder ihre Erklärung zu suchen haben. Musische Betätigung ist eben nicht bloß Musik
und Poesie (ursprünglich und mit in erster Reihe gehört ja auch der Tanz dazu, aber
er kommt hier nicht in Frage); musische Betätigung ist seit Piaton auch die Wissen-
schaft in ihrem weitesten Umfang. Wo nun musikalische Instrumente von den Frauen
in Händen gehalten werden, da ist es klar, daß es sich um Gesang mit Instrumental-
begleitung handelt. Wo hingegen die musische Betätigung an die Rolle geknüpft ist,
da bleibt der Vermutung ein allzu weiter Spielraum; die Rollen, die da still oder laut
gelesen werden, können alles mögliche enthalten, Poesie oder Wissenschaft, und zwar
beides von jeder Gattung.1)
In der christlichen Skulptur blieben die Formen erhalten, aber sie bekamen einen
anderen Inhalt, gemäß der Wandlung, die im antiken Geistesleben sich vollzog. Wie
einst die sokratische Wendung des griechischen Denkens durch Piaton eine neue Lite-
ratur ins Leben gerufen hatte, so setzte die christliche Wandlung des griechischen
Innenlebens an die Stelle der alten Literatur eine neue. Nur zu bald war das neue
Leben Buchreligion geworden. Die Bücher in den Händen der Christen sind christ-
liche Literatur.
Aber die geschlossene Rolle in der Linken all der Herren und Damen, Heiden
und Christen? Im allgemeinen wird sie literarische Bildung andeuten, in heidnischer
Hand musische. Wenn es heute Mode würde — wer weiß, was wir noch erleben? —
daß Promovierte bei repräsentativen Gelegenheiten eine Miniaturausfertigung ihres ja
auch gerollten Doktordiploms in der Hand trügen, zum Zeichen ihrer akademischen
Bildung, so sähe das ähnlich aus. Im Altertum haben die Universitäten freilich keine
Diplome verliehen; so gleicht die Rolle in der Hand eher den attributiven Büchern in
modernen Photographien, dem Bändchen Maeterlingk oder Ibsen in der Hand eines
Jünglings, vielleicht auch dem jüngsten Erzeugnis seiner Muse in der Hand eines
Dichters. Selbst die Möglichkeit ist nicht ausgeschlossen, daß die Rolle gar nicht
literarischen Charakter besitzt, sondern wirklich ein Diplom oder Edikt oder sonst etwas
Aktenhaftes ist; dergleichen wird bei Darstellungen von höheren Staatsbeamten und
Kaisern von den Erklärern erwogen. In der Hand des Christen ist natürlich auch die
geschlossene Rolle ein christliches Buch.
Ob die Rolle Sinnbild sein konnte für das Buch des Lebens, das der Mensch mit
seiner Sterbestunde ausgelesen hat, diese Frage brauchen wir nicht zu erörtern. Denn
die christliche Kunst hat es nicht mit diesem Leben zu tun, und die Rollen in den
Händen der Christen bedeuteten es nicht, sondern sie erzählten ihnen von einem anderen
Leben.
Wenn wir nun daran gehen, einige Proben solcher Szenen zu geben, zunächst von
heidnischen Sarkophagen, so empfiehlt sich vorauszuschicken, daß wohl gewisse
scharf ausgeprägte Typen zugrunde liegen, daß aber eine Klassifizierung in reinlicher
Scheidung schwer durchführbar ist, weil jene Typen mannigfaltig varüert durcheinander-
*) Vgl. Plut. Pomp. 55 (Cornelia) nspl ygafifiaza xakwg tjoxTjro xal nsgl Xvgav xal ysoofiszQlav ■
xal Xöywv <pikoob<p<ov si&iozo XQVJ^0>? dxovsiv, mehr bei Marquardt-Mau, Privatleben der Eömer
1886, 65.
Die Seligen. 89
spielen. Doch sieht man so viel, daß die Idee, welche wir an den sog. Hochzeits-
sarkophagen verkörpert fanden, eine Hauptrolle spielt, sei es, daß die Ehegatten sich
gegenüber sitzen, der Mann typisch rechts, ein jedes in der ihm zukommenden Be-
tätigung und Umgebung, oder daß die vorausgegangene Gattin den Mittelpunkt bildet;
aber auch um den Mann dreht sich's, und oft um ihn allein. Auf die Vorgeschichte
unserer Typen greifen wir nicht zurück. Nur können wir nicht unterlassen, gegenüber
all dem Papier, ich meine den Papyrus, des Gegensatzes wegen an das Bronzerelief
„Sokrates und Diotima" zu erinnern und an Otto Jahns feinsinnige Deutung. Sokrates
der Silen und Satyr in einem, steht linkshin, auf den Stab gestützt wie so viele „Herren
Athener" in den attischen Reliefs, mit Genuß verstehend, vor der auf geschweiftem
Stuhl vorgebeugt sitzenden und nachdrücklich auf ihn einredenden Diotima; sie sitzt
das rechte Bein übergeschlagen, den Ellbogen darauf gestützt, die Hand erörternd ge-
hoben, Auge in Auge — ein platonischer Dialog in Erz. Zwischen beiden im Hinter-
grund steht der, um den es sich handelt, aber wie dienstbereit, einstweilen abwartend
und zugleich mithörend den Kopf geneigt, auf der Linken ein Kästchen (oder doch
eine Schreibtafel?), Eros, das Kind der Penia und des Porös — eben deshalb das
Ganze der sinnreichste Schmuck einer Geldkiste, der Area eines gebildeten Pompejaners.1)
Die Ehegatten sitzen sich gegenüber, beispielsweise am Sarkophag des Cortile
del Belvedere, Nordhalle n. 48; der Mann liest aus der geöffneten Rolle in seiner
Linken, die Frau trägt aus einem Diptychon vor, beider Rechte begleitet die Rezi-
tation mit sprechender Gebärde; an jedem Stuhl lehnt eine Maske, dabei stehen je
zwei Musen, bei dem Manne die tragische und die komische, bei der Frau Euterpe
und eine mit Rolle. Mit den Musen im Hintergrund, einer rechts mit Maske, zweien
links am Globus, verbinden sich Familienszenen, deren eine allerdings eine Lese-
oder Literaturstunde ist: der Vater, vorgebeugt sitzend, schaut kontrollierend über die
Schulter seines aus offener Rolle, die er mit beiden Händen hält, laut lesenden Knaben;
links die Mutter, der die Amme das Kind zuführt (Uffizien n. 39, Dütschke III n. 62.
Ob das Kind und der Knabe, oder ob der Vater den im Sarg Ruhenden vorstellen
soll, ist für die Typik gleichgültig). Dazu vergleiche man Clarac 153, 333: der rechts-
hin sitzenden Mutter bringt die Amme das Kind, hinten vier Musen, eine zeigt mit
einem Instrument auf den Globus, der, wie im vorigen Beispiel, auf einem Pfeiler
steht. — An einer londoner Wanne sieht man Eros und Psyche beim Gelage, zwischen
Apoll mit Kithara und Muse mit Lyra in einem Korbstuhl sitzend. — Die Frau, in
Mamäafrisur, hält die Lyra; bei dem rezitierenden Manne drei Musen (Musensarkophag
im Gabinetto del Meleagro n. 13). — Musizierende Frauen, die eine sitzend, die andre
stehend, jede mit Lyra, bei der gleichfalls sitzenden Phaedra, am Hippolytossarkophag
von Girgenti.2)
Hier schalten wir den lykischen Sarkophag in Athen ein: rechtshin sitzt eine
Frau, die Linke mit Rolle im Schooß, die Rechte vor der Brust, den Zeigefinger aus-
gestreckt; vor ihr steht ein Mann in Antoninenhaar, in der hängenden Linken ein
Diptychon; es folgt noch Aphrodite auf dem Schild schreibend, und Bellerophontes
den saufenden Pegasus einfangend. An den drei anderen Seiten kämpfender Kentaur,
*) Otto Jahn, Annali d. Instit. 1841, 272 Taf. H; Piatonis Symposium in usum scholarum
edidit Otto Jahn, editio altera ab H. Usenero recognita, Bonnae 1875 pag. VII und 128 Abb.
•) London: Anc. marbles V Taf. 9, 3. — Girgenti: Robert III h 152b.
90 Plastik.
trunkener Herakles, Odysseus beim Palladienraub, anscheinend auch sinnbildlich. Denn
in dem Mann mit Diptychon erkennen wir nicht Proitos, sondern mit Duhn den Ver-
storbenen, in der Sitzenden seine Muse, falls sie nicht seine Gattin bedeutet, oder diese
selbst ist.1)
Sitzende Männer, mit dabeistehenden Frauen. In einem Falle sind zwei
solcher Gruppen symmetrisch angeordnet, der Mann rechts spricht über das Vorgelesene,
der links unterbricht Vorlesung und Rede, um der Frau zuzuhören; je eine zweite Frau
steht im Hintergrund. Es ist ein Säulensarkophag des Belvedere; in der Mittelnische
steht die Verstorbene in Vorderansicht, ein nacktes Knäbchen drängt sich an sie. Es
scheint in den drei Nischen eine größere Familie dargestellt; die bärtigen Männer sind
kahl, die Frauen bei ihnen tragen Mamäafrisur. — Eine vor Parapetasma in Vorder-
ansicht stehende Frau rezitiert gehobenen Blickes aus einem Triptychon vor dem rechts-
sitzenden, gleichfalls rezitierenden Bärtigen, hinten Melpomene und noch eine Muse
(Clarac 118, 48). — Das londoner Bruchstück aus dem einstigen römischen Ghetto:
ein Bärtiger sitzt rechtshin, die zu Ende gehende Rolle in der Linken, die Rechte
sprechend; vor ihm steht eine Muse mit Maske in der Hand. Ob hinter ihm eine
zweite Muse stand, muß dahingestellt bleiben; es ist der Fall an dem Sarkophag aus
Selefkieh in Konstantinopel, in dem der Sitzende in der Linken das halb abgerollte
Volumen hält, die Rechte hängt ruhend herab. — Ein anderer Typus ist die auf den
Pfeiler gelehnte Frau, bekannt von Polyhymnia, aber auch für Ehefrauen ver-
wendet, die so vor dem sitzend rezitierenden oder sprechenden Gatten steht; einmal
wird es die Mutter sein (sie trägt Etruscillafrisur), denn der Sitzende ist ein Knabe.2)
Zu den christlichen Exemplaren sei voraus bemerkt, daß sich da ein Wechsel in
den Stuhl formen vollzieht. Der frühe Sarkophag von Via Salaria hat noch den Stuhl
mit Löwenbeinen, die übrigen römischen dagegen den Stuhl im Typus der Sella curulis.
Er sieht einem Klappstuhl ähnlich, die Stuhlbeine jeder Seite kreuzen sich; das Bein
selbst hat die Form eines gewundenen Stierhornes. Wir werden am Bassussarkophag
den Pilatus auf der Sella curulis sitzen sehen; und es ist ganz möglich, daß den in
unseren Sarkophagen Beigesetzten diese Auszeichnung zukam. Daß sie im Verlauf der
Sarkophagskulptur gelegentlich auch einzelnen Heroen des christlichen Vorstellungs-
kreises verliehen wurde, kann nicht auffallen.3)
Ferner kann es nicht entgehen, daß die in Rede stehenden Typen an den christ-
lichen Sarkophagen sozusagen einschwinden und außerdem noch neue Schwankungen
erfahren. Gleich der genannte frühe Sarkophag von Via Salaria, der die Ehegatten
sich gegenüber sitzen läßt, setzt den Mann links, nämlich zur Rechten des Guten Hirten,
die Frauen zu dessen Linken. Er sitzt zwischen zwei stehenden Männern und hält das
1) Rob. n Taf. 50, 138.
2) Belvedere, Cortile n. 68: Birt, Buchrolle 64 Abb.; 189 Detail. — Ghetto: Smith, Cat.
sculpt. Brit. Mus. III 1904 n. 2312. Strzygowski, Orient 51 Abb. 19. — Selefkieh: Strzygowski,
eb. 47 Abb. 14. — Auf Pfeiler gelehnt: Clarac 205, 45. Matz-Duhn II n. 2616. Knabe: Giardino
d. Pigna n. 196. — Zu alledem vgl. noch Matz-Duhn II 355 Familie; 341—348 Studien, Musik;
405—425 Musen.
8) Sella curulis: Marquardt, Köm. Staatsverwaltung2 177, 1. Mommsen, Köm. Staatsrecht
I8 399. An einem Silberbecher von Boscoreale sitzt der Kaiser einmal auf der Sella curulis, das
anderemal auf der schlichteren Sella castrensis (Mon. Piot 1899; danach Strong, Roman sculpture
1907 Taf. 27).
Die Seligen. 91
halb aufgerollte Volumen vor sich, der Blick aber geht nicht in die Rolle, sondern
begegnet dem des vor ihm stehenden Mannes. Die Frau sitzt gegenüber, anscheinend
auf einem Scrinium (was auch an heidnischen Exemplaren vorkommt); hinter ihr steht
noch eine Frau, vor ihr eine Adorantin, die dem zentralen Guten Hirten ins Auge
schaut, vermutlich eine Tochter [Abb. 2].1)
Rechtshin sitzt noch (ohne Gegenüber, daher kein Verstoß) ein Unbärtiger, in die
Rolle vertieft, aber doch vorlesend, denn zwei Adorantinnen und ein Palliatus (ohne
Tunika) hören ihm zu; der einen Adorantin hat der Bildhauer eine Rolle in die Linke
gegeben (Lateran n. 172). Linkshin sitzt ein Bärtiger, auch er in die Rolle vertieft,
eine Adorantin steht bei ihm (S. Maria Antiqua [Abb. 4]). Ein schönes Beispiel am
rechten Ende eines Sarkophags in der Basilica Petronillae (links hinten). — Die auf
den Pfeiler gestützte Ehefrau, abzuleiten vom Musentyp, kommt im Mittelfeld eines
Riefelsargs im Palazzo Rondanini vor; auch der vorgebückt lesende, bärtige Mann hat
individuelle Züge, eine Adorantin im linken Endfeld trägt Mamäafrisur [Abb. 9]. —
Auch an Frauen mit Musikinstrumenten fehlt es nicht. Da ist noch ein Sarkophag
mit den sich gegenübersitzenden Ehegatten aus San Callisto älteren Fundes; hier sind
sie in die Endfelder eines Riefelsargs verteilt, rechts der rasierte Mann, noch einmal
auf einem Stuhl mit Löwenbeinen, die Linke hält die offene Rolle, die Rechte spricht,
hinter ihm stehen drei andere teils bärtige Männer, alle vier tragen die Toga contabulata;
links sitzt die Frau mit Lyra, hinter ihr stehen drei andere Frauen, vorn ringen zwei
nackte Knäbchen. Und der Sarkophag des Lateran n. 128 zeigt zentral das natur-
getreue Porträt der Verstorbenen, in den Endfeldern sitzen jüngere Frauen, die rechts
im Korbstuhl vor Parapetasma schlägt die Laute, die links auf Stierhörnerstuhl spielt
die Lyra [Abb. 12]. — Endlich gibt es auch stehend Lesende wie der eine Un-
bärtige am Säulensarkophag von Perugia, und wie Crispina; vornübergeneigt liest sie
in der Rolle, die, wie das öfter geschieht, ein wenig dem Beschauer zugedreht ist,
damit auch er hineinsehen könne. In der aufgerollten Spalte liest man das Christus-
monogramm, das ist der kürzeste Ausdruck für den Inhalt der Schrift: was jene Christen
in den christlichen Schriften fanden, das war die Verkündigung des Christus als des
wahren Heilands (awr^), des Erlösers aus dem Tode in ein ewiges Leben.2)
Noch bleibt ein Sonderfall zu verzeichnen, ein Kreuz der Erklärer, an dergleichen
die christliche Archäologie noch keinen Mangel leidet. Ein Bärtiger mit kahlem Scheitel
sitzt linkshin auf einem Fels unter einem Ölbaum, vertieft in die mit beiden Händen
schräg vor sich gehaltene, zu Ende gehende Rolle. Zwei Bartlose, in der typischen
*) Via Salaria: Lateran M n. 181 Tai. 3. de Rossi, Bull, crist. 1891, 55 Taf. 2. 3.
*) Lateran n. 172: G 371, 1. Dazu Grousset n. 18, nur ein Bruchstück, in Villa Doria-
Pamfili, eines Sitzenden, der bartlos und kahl ist. — Maria Antiqua: Vaglieri, Bull. mun. 1903,
225 Fig. 115. Hülsen, Forum 143 Abb. 71. Ferner G 395, 1 Unbärtiger sitzt vor einem unver-
ständlichen Hausrat (einem Rollenschrank?), in der Linken die Bolle, die Rechte gehoben. Bull,
mun. 1903, 225 Fig. 115. — Rondanini: Grousset 21. G 370, 4. Simelli 70. — San Callisto:
G 296, 4. — Lateran n. 128: G 359, 3. — Perugia: G 321, 4 Wilpert, Rom. Quartalschr. 1906,
1 Taf. Die Matrone ist allerdings weder Maria noch die Kirche, sondern die Verstorbene, nicht
vor ihrem Richter, sondern vor ihrem Herrn und Heiland; auch die übrigen Männer sind Selige;
ob Apostel oder eingetragene „Heilige"? als dergleichen sind sie nicht gekennzeichnet; der Typus
des stehend Lesenden kommt in den gesicherten Aposteldarstellungen nicht vor. Zu diesem Typus
vgl. noch den nicht in einer Rolle, sondern in einem Diptychon oder Buche Lesenden G 324, 3.
328, 3.
92 Plastik.
Barbarentracht der griechischen Kunst, wie sie auch den Magiern in der Epiphanie und
den Jünglingen im glühenden Ofen gegeben wird, auch Orpheus trägt sie (also Chiton
und Chlamys, Hosen und Schuhe, aber an Stelle der phrygischen Mütze ein Barett),
sind um den Lesenden beschäftigt: der eine steht vor ihm und legt die Rechte an die
Rolle, wie um sie zu stützen; der andere, hinter dem Baum, schaut anteilnehmend durch
die Aste, deren einen seine Linke faßt, während die Rechte in irgend einer Erregung
ausgestreckt ist [Abb. 14].1)
Die Erklärer gehen weit auseinander. Man hat bei dem durch die Baumäste
schauenden Mann an Zachäus auf dem Maulbeerbaum gedacht, bei dem Sitzenden an
Hiob, an Abraham; Le Blant, dem sich Grousset anschloß, erkannte die Gesetzes Verlesung
durch Esra (Neh. 8), Ficker die des Moses (Exodus 24, 7). Die zwei Männer in Bar-
barentracht mit Barett sollten Juden sein, weil ebensolche auch in der Doppelszene
„Moses' Bedrängung" und „Quellwunder", sowie in „Jesus' Vorführung vor Kaiphas"
beobachtet werden. Aber de Waal hat darauf aufmerksam gemacht, daß die Juden
beim Durchzug durchs Rote Meer und beim Einzug in Jerusalem diese Tracht nicht
anhaben; ferner daß in den ältesten Exemplaren der Doppelszene (Lat. n. 119 und 174,
G 307, 1. 323, 6) die Baretts noch fehlen, daß sie aber am Bogen des Konstantin bei
dessen Soldaten vorkommen, also wohl Uniform eines Truppenteils sei. Aus alledem
zog Wittig den Schluß, daß auch in unseren Szenen nicht Juden, sondern Soldaten
gemeint seien, und die Hauptperson, wie man übrigens bei der Doppelszene auch sonst
schon vermutet hatte, nicht Moses, sondern Petrus vorstelle. Die Szene, von der wir
ausgingen, sei der Apostel in der Gefangenschaft, er unterweise zwei seiner Wächter,
Prozessus und Martinianus, im Christentum. Dagegen erkennt Birt in dem Lesenden
dieselbe Person, die in der Muschel darüber als Büste gegeben ist, also den Verstorbenen,
der das Buch seines Lebens beendige; in den zwei Nebenpersonen aber seine Sklaven
oder Freigelassenen; das Barett sei die Fellmütze (galerus), die im vierten Jahrhundert
die flache Form bekommen habe, wie sie ähnlich auf einer Terenzillustration erscheine.
Die Moses- oder Petrusszenen werden uns unten wiederbegegnen.2)
Die Verstorbenen in anderen Tätigkeiten des Lebens dargestellt zu sehen
begegnet selten. Der weiland Com es largitionum Gorgonius hat sich in den Giebeln
seines Sarkophags zweimal darstellen lassen; einmal sitzt er in seiner Amtsstube und
diktiert aus einem ganz aufgerollten Volumen zweien Beamten in ihre Diptycha; im
andern Giebel reitet er mit zwei Begleitern, deren einer einen Stab, der andere eine
Rolle trägt.8)
*) So am Sarkophag Lateran n. 55 G 358, 3. Ein Fragment im Palazzo Coraetti gibt die-
selbe Szene, nur trägt der Sitzende sein volles Kopfhaar, der erste Bartlose kommt eilig heran
und streckt die Rechte vor, der zweite steht links hinter einem zweiten Baum, mit der Hand den
Stamm umfassend (G 396, 12 Grousset n. 118). Ein drittes Exemplar (Lat. n. 175 G 367, 1) setzt
die Hauptperson auf einen Stierhörnersessel (Sella curulis), läßt die Bäume weg, stellt die zwei
Nebenpersonen ruhig hin, die zweite hinter den Sitzenden; zwei Hintergrundfiguren. Abgebrochen
sind die Köpfe der drei Akteurs, die Linke des Sitzenden mit der Rolle, die Rechte des vor ihm
Stehenden. Genannt sei noch das kaum zu bestimmende Bruchstück eines Sitzenden mit offner
Rolle in der Linken (Lat. n. 35).
a) de Waal, Sarkophag des Junius Bassus 1900, 92 — 94. Dazu Graeven, Gott, gelehrte An-
zeigen 1901, 83—88 und Strzygowski, Beiträge zur alten Geschichte II 1902, 103. — Wittig, Campo
santo 1906, 107—118. — Birt, Buchrolle 1907, 173. Die Terenzillustration bei Baumeister, Denk-
mäler II Abb. 914 der Parasit.
8) Sarkophag zu Ancona: G 326.
Die Seligen. 93
Ein Unikum ist der Säulensarkophag von Salona, wo der Mann mit Rolle in der
Hand, die Frau mit einem Säugling auf dem Arm, beide umgeben sind von zahlreichen
Knaben und Mädchen, der Mann auch von Männern und Frauen. Wie das Ehepaar
mit ihrer Begleitung an der rechten Schmalseite sind es Anspielungen auf Verhältnisse
des Lebens; an der Schmalseite sind die Begleitfiguren sicher Augehörige, wahrschein-
lich auch an der Front.1)
Zum Beschlüsse dieses Abschnittes geben wir die einzige christliche Porträtstatue
aus vorkonstantinischer Zeit, auch ein Unikum, anscheinend damals wie heute. Es ist
das marmorne Sitzbild des römischen Bischofs Hippolytos, der um 236 starb, an der
Via Tiburtina bestattet wurde und vermutlich sofort auch die Statue erhielt. Sie wurde
1551 zwischen der Via Tiburtina und dem Prätorianerlager gefunden, in einer Ruine,
die von seiner Grabanlage herrühren könnte. Von dieser Porträtstatue hat sich frei-
lich nur die Unterfigur wiedergefunden, vom Nabel abwärts; die ganze Oberfigur, mit
Kopf, Armen, Händen und Buch, ist moderne Ergänzung; der Kopf ist Phantasie, ge-
staltet in Anlehnung an antike Köpfe wie Aelius Aristides. Hippolytos sitzt auf mar-
mornem Sessel, dessen Wangen mit Löwenköpfen und Löwentatzen verziert sind. Er
trägt den langen Leibrock (Chiton poderes, Talar, Stola), darüber den Mantel (Hima-
tion, Pallium) und Sandalen, die Tracht mancher Männer in den christlichen Sarko-
phagreliefs. Es ist nicht etwa eine geistliche Amtstracht. In der linken Hand wird
er eine Schriftrolle gehalten haben. Die Statue ist nicht eine heidnische Philosophen-
oder Rhetorenstatue, die man sekundär für Hippolytos zurecht gemacht hätte, sondern
sie ist eigens für ihn geschaffen worden, gestaltet allerdings im Habitus der statua-
rischen phüosophi. Die Zurückführung des Fragments auf Hippolytos würde ganz
problematisch sein, falls man überhaupt auf ihn verfallen wäre, wenn nicht an der
linken Seite des Marmorsessels ein Verzeichnis seiner Schriften und sein mit dem
ersten Jahr des Kaisers Severus Alexander (222) beginnender Osterkanon eingegraben
wären. Deshalb bilden wir das Sitzbild von der Seite gesehen ab. Jeder klassische
Philologe und Archäologe erinnert sich sofort der pariser Euripidesstatuette, an deren
Sessel ganz entsprechend ein Verzeichnis seiner Tragödien eingegraben ist [Abb. 10].2)
Erwähnt sei noch der durchaus fragwürdige marmorne Sankt Peter in den
vatikanischen Grotten, früher in der Vorhalle der alten Peterskirche über der ehernen
Kirchentür, wieder das Sitzbild eines phüosophus, für Petrus wahrscheinlich nur adap-
tiert; sein jetziger Kopf, nebst Händen und Schlüssel, stammen aus dem Anfang des
siebzehnten Jahrhunderts. Eine genaue Aufnahme des Befundes, nebst photographischen
Aufnahmen, wäre erwünscht und sei hier von der Redaktion der Römischen Quartal-
schrift erbeten. Ergänzt ist beispielsweise nicht bloß die rechte Hand, sondern der
Arm bis hinauf zum halben Oberarm, einschließlich der Säume der zwei Gewänder.
Die Falten sind tief und groß, zwischen den Knien gespannt, die Arbeit flächig. Der
Torso ist spätantik.3)
Übrig ist das Mahl der Seligen. Im ersten Bande haben wir ausführlich über
») Salona: G 299. Jelic, Rom. Quart. 1891, 266 zu Taf. 3-4.
*) Hippolytos: Lateran n. 223. Chronologie: Harnack,j Chronologie der altchristl. Lit.
bis Eusebius II 1904, 213, 1. Grabanlage: de Rossi, Bull, crist. 1881, 29 (Fundort der Statue: wo
die Via Cupa von der Tiburtina abzweigt). Euripides: Bernoulli, Griecb. Ikonographie I 152 n. 17.
8) „Sankt Peter": Garr. VI Taf. 429, 1. 2. Kraus Gesch. I 231 Fig. 187. Kaufmann,
Handbuch 510 Fig. 196.
94 Plastik.
den Gegenstand gehandelt, über die antiken Mahlschemata, das Hocken am Boden und
das Sitzen auf Stühlen, das Gelage am Boden und das auf Ruhebetten. Es galt haupt-
sächlich das Gelage am Boden ans Licht zu stellen, das bisher nicht genügend beachtet,
öfter verkannt (z. B. im Westgiebel des Zeustempels von Olympia), wenn in seiner Be-
deutung erfaßt die Erklärung der christlichen Gelage erst auf festen Boden stellt.
Innerhalb der Katakomben maierei fanden wir nur eine aus ihrer Frühzeit stammende
Darstellung zum Mahle Sitzender, nachher als Regel Gelage am Boden und im Grünen :
um die in das Gras gelegte mächtige sigmaförmige Polsterrolle reihen sich die Gäste,
darunter auch wohl Frauen, die Füße schräg hinter sich ins Gras gestreckt, den Arm
auf die Sigmarolle gestützt (manchmal sitzt auch ein Teilnehmer auf oder an einem
Hörn des Sigma; ausnahmsweise spielen auch wohl einmal Bestandteile des so ver-
schiedenen Motivs des Lagerns auf der Kline dem Maler in die Finger); die Gäste
greifen über die Rolle hinweg nach den im Innern des Halbrunds in Schüsseln auf-
gestellten oder einfach ins Gras gelegten Speisen, oder sie heben den Becher, wie in
bacchischer Begeisterung, auch sich zuwinkend, sich zutrinkend; Aufwärter tragen eil-
fertig Speisen zu oder füllen den Becher. Am ausführlichsten, besonders in der Szenerie,
und daher am anschaulichsten sieht man solch ein Gelag im Grünen in der heidnischen
Vibiagruft gemalt, durch die Beischriften ist es als Mahl der Seligen sicher gestellt.
Die christlichen Seligenmahle — denn auch die Gelage in der Katakombenmalerei
stellen nichts anderes vor — sind weit flüchtiger gemalt und deshalb, das sei zugegeben,
schwieriger zu verstehen; so läßt sich's entschuldigen, daß auch bei ihnen das Gelage
im Grünen nicht früher erkannt wurde.1)
Gelage im Freien und am Boden, aus heidnischem Kreise, finden sich oft an
Meleagersarkophagen; es ist das Jagdmahl nach Erlegung des kalydonischen Ebers.
Ein Gelage von Silenen vor Parapetasma zeigt links den typischen Sklaven, der den
aus Steinen aufgebauten Feldherd schürt, darauf der Kessel für das heiße Wasser (die
Calda) steht. Sehr anschaulich schildert das Relief am Sargdeckel des M. Ulpius
Romanus, aus dem dritten Jahrhundert: vor dem zwischen zwei Ölbäumen ausgespannten
Parapetasma lagern um das quergestreifte Polster vier Männer, im Halbkreis steht eine
Bratenschüssel zwischen drei Paar Brotkringeln; ein bärtiger Gast (die übrigen sind
bartlos) trinkt, zwei sprechen über den verlockenden Braten, der etwas größer ge-
zeichnete und in die Mitte des Reliefs gerückte Romanus empfängt aus der Hand des
Auf wärters den gefüllten Becher; links der Kessel auf dem Feldherd, ein Sklave
schürt, ein zweiter gießt Wasser in den Kessel. — Dann gibt es Exemplare, die heid-
nischen Charakter tragen, obwohl sie von Christen gebraucht scheinen; so wenn ein
Schweinskopf aufgetragen ist oder eine Wildkeule. Zweifelhaft liegt die Sache an einem
Bruchstück, an dem der Kessel erscheint und ein Aufwärter mit Fischplatte; oder wenn
x) Christi. Antike I 181 Das Mahl der Seligen, 182 Antike Mahlschemata, 190 Abbildung
des Vibiabildes als Überleitung zu den christlichen Mahlen. — Matthaei, Die Totenmahldar-
stellungen in der altchristlichen Kunst 1899 erklärt die christlichen Mahle für Mahle der Hinter-
bliebenen zu Ehren der Toten, also für Leichen- und Gedächtnisschmäuse ; das billigt Viktor
Schultze noch neuerdings (in Hölschers Theol. Literaturblatt 1907, 52) mit dem Zusatz, daß „die
Überlebenden sich dabei in die Gemeinschaft der Toten zurückversetzen". Ich kann die Toten-
mahltheorie nicht annehmen, auch mit diesem Zusatz nicht; die christliche Antike ist nun einmal
unheilbar transzendent. Übrigens sind in den heidnischen „ Totenmahlen * die Teilnehmer am
Mahle ebenfalls jenseitig, von den diesseitigen Adoranten deutlich unterschieden. — Mehr Literatur
zu Mahl (auch Agape und Eucharistie), sowie Mahlbildern: Wittig 90, 2.
Andere übernommene Typen. 95
ein Krater aufgestellt ist, oder ein Aufwar ter eine Amphore trägt, ein anderer Brot
bringt. Das kann schon christlich sein. Bei den sicher christlichen Exemplaren sieht
man wohl auch das Parapetasma gespannt; die Speisen sind Brot (Kreuzwecken) und
Fisch, bisweilen steht die Fischschüssel auf einem Dreifuß; der Aufwärter, auch wohl
ein Delikatus mit langem Haar, pflegt Brot zu bringen, andere sind am Brotkorb be-
schäftigt. Die Zahl der Gäste an der Sigmarolle (von den Erklärern öfter als Tisch
mißverstanden) geht bis sieben, einzelne trinken. Einmal ist ein Hirt hinzugefügt, ein
andermal das Quellwunder. Die gereihten Brotkörbe, welche die Malerei hinzuzusetzen
liebte, fehlen in den meisten Reliefs; der einigemal in die Szene aufgenommene Korb,
an dem die Aufwärter hantieren, ist anderer Art. Wie das Mahl am heidnischen Sarg-
deckel des M. Ulpius Romanus aufzufassen sei, bleibe hier unerörtert; bei den christ-
lichen Exemplaren liegt natürlich Übernahme des bildlichen Typus zugrunde, aber die
Christianisierung durch Beschränken der Speisen auf Brot und Fisch ist offenbar. So
wollen sie aus der Vorstellung erklärt sein, die allen christlichen Sepulkralbildern den
uns bekannten Sinn gibt.1)
Andere übernommene Typen.
Früher Erwähntes braucht nur in Erinnerung gebracht zu werden. Der Löwe,
der ein Huftier zerfleischt, an den Rundungen von Wannen; der Greif, auch der Löwen-
greif, an den Schmalseiten von Kasten; der bacchische Panther [Kopfbild auf Seite 1].
Bereits begegneten uns die in den Deckelfriesen so beliebten Seewesen; meist sind
es Delphine, die paarweis von beiden Seiten zur Mitte heranschwimmen; dazu gesellt
sich wohl noch ein auf dem Kopf stehender (aus dem Sprung herabschießender). In
ähnlich symmetrischer Anordnung finden sich Seelöwe, Seepanther, Seebock, See-
pferd, Seestier, Seewidder. Der Fisch, ursprünglich aus dem messianischen Mahl
stammend (der Speisung der Tausende, Band I 191 f.), daher typisch einerseits im Seligen-
gelag, andererseits in der Speisensegnung der Malereien und Sarkophagreliefs, wurde
selbständiges christliches Symbol und kommt als solches am Sarkophag der Livia Primi-
tiva vor, neben dem Guten Hirten und dem Anker. — Auch die Köpfe in den Eck-
akroterien der Sarkophagdeckel lernten wir bereits kennen, die Masken, tragische und
komische, Helios und Selene, Herakles, Satyr [Abb. 43]. Das Zirkusrennen,
symbolischer Typus an heidnischen Sarkophagen, kommt am Deckel eines Riefelsargs
vor, dessen reiche Verzierung ganz übernommen, nur durch das kleine Bild des Guten
Hirten in der Mandorla christliches Gepräge erhielt. Mehrmals fand sich, an Bruch-
stücken aus den Katakomben, das Abenteuer des Odysseus mit den Sirenen. Die
Kirchenväter haben den Mythus in ihrer Weise allegorisch verwertet, sie erklärten ihn
») Meleager: Robert III n 326 zu Taf. 88, 264; 380 n. 267 aus San Callisto; n. 269 auch
bei Amelung, Mus. Chiar. Taf. 42, 129; Rob. 332 Taf. 88, 272, aber die vermeintlichen über die
Sigmarollen gelegten mappae sind nur die Querstreifen des Polsterüberzugs. — Silene: Mus. Chiar.
Taf. 42, 131. — Romanus: Gall. lapid. n. 160a. — Schweinskopf: Grousset n. 85. 114. Wild-
keule: Lateran n. 117, 1. — Kessel: Grousset n. 164. Amphora: Wittig 89 n. 48. Krater: Grousset
n. 116 G 884, 4. — Hirt: Grousset n. 127 G 401, 13. Quellwunder: Grousset n. 53. Christlich
noch: Lateran n. 117, 1; 117, 4 G 401, 16; M n. 152 A Bull, crist. 1882, 90 Taf. 9 (vorn sieben
Korbe); n. 165; n. 172 G 371, 1, links eine Recitatio. Wittig 66 n. 28. Grousset n. 134. 187. 190.
Grousset 13 setzt die Mahlbilder in das dritte Jahrhundert, das mit dem Quellwunder in das vierte.
gg Plastik.
als eine Warnung vor den Versuchungen der Welt oder den an den Mast gebundenen
Odysseus als eine Allegorie für den Gekreuzigten. Neuere sind ihnen darin gefolgt,
andere halten an der sepulkralen Deutung auch hier fest. Poseidon mit Dreizack
beim Jonasschiff, der Jordan bei Elias' Himmelfahrt, der Gott des Roten Meeres
[Abb. 22].1)
Zwei schwebende Siegesgöttinnen (Niken, Viktorien) halten die Inschrifttafel
an den heidnischen Sarkophagen des Euhodus [Abb. 1] und des Aurelius Lucanus.
Solche halten den Clipeus mit der Inschrift der Christin Clodia Lupercilla; solche
schwebende Mädchen, aber ungeflügelt, fassen den Oberrand eines Clipeus mit Büsten.2)
Nun der Schwärm der Eroten; in verschiedenen Funktionen sind sie tätig. Sie
halten zu zweien die viereckige Inschrifttafel [Abb. 28. 43] oder den runden Clipeus,
die runde Muschel, das Parapetasma hinter dem Verstorbenen [Seite 1. Abb. 11. 12.
13. 37], lebhaft herzueilend, seltener wegeilend, auch wagerecht schwebend, oder aber
auf schwimmenden Delphinen reitend wie der Gott oder Heros der tarentinischen
Münzen, aber ins Spielende verkehrt. Schwebende Eroten halten Girlanden zwischen
den Händen. Wiederum Eroten mit brennenden Fackeln, entweder aufwärts gerichtet
oder meist abwärts und auf den Boden gesetzt, den Kopf legen sie wie müde auf die
Hand, bisweilen haben sie die Augen geschlossen, die hängende Linke hält eine Blätter-
girlande [Seite 1. Abb. 7]. Zwei Eroten in einem Schiff, das Segel gerefft, fahren dem
durch einen Leuchtturm markierten Hafen zu, dabei nach dem Meere zurückblickend.
Amoretten zur Raumfüllung unterhalb des Clipeus, mit allerlei Kurzweil beschäftigt,
der Hahnenkampf tritt dabei hervor, das sahen wir früher [Abb. II].3)
*) Vgl. Band I 168 Übernommene Embleme. — Delphine, heidnisch: Gall. lapid. n. 129a.
Lateran, Marucchi 1 (F 99). Christlich: Lat. n. 41. 54. 60. 62. 65. 83. 113. 225. 228. 241. 247.
Grousset n. 10. 20. G 362, 3. — Seelöwe u. a. Meerwesen: Matz-Duhn II 368. Clarac 207, 198.
Eobert III i 62 Abb. 40. Christlich: Lat. n. 39. 120 (G 396, 13). 220. Terme, Osthalle: G 296, 4
im Akroterzwickel ein Seestier. — Fisch: Li via Primitiva G 296, 3. Der aus den Wellen auf-
tauchende Fischkopf (Wittig 89 n. 47 Abb. 36 falsch eingestellt, die Wellen müßten wagerecht
stehen) kommt im Jonassarkophag Lat. n. 119 einmal schräg aus dem Wellenabhang, zweimal
schießt er hoch, nach der Angel schnappend; Lat. n. 241 taucht unter jedem Delphinenpaar noch
ein Delphinenkopf auf. Der Fischkopf des Campo santo kann kaum das Christussymbol sein.
Zu letzterem einige Literatur bei Wittig. — Zirkusrennen: G 296, 4. — Sirenen: de Eossi
Eoma sott. I 344 zu Taf 30, 5; III 445. G 395, 1. — Poseidon: an der Wanne von S. Maria
Antiqua. Jordan: G 324, 2. 327, 3. Eotes Meer: G 309, 3.
8) Siegesgöttinnen: Matz-Duhn II 143. — Euhodus: Mus. Chiar. n. 179. Lucanus: Eobert
III i Taf. 14, 49. — Lupercilla: Grousset n. 6. — Ungeflügelt: G 402, 3. — Vgl. noch Cohen,
Me*d. imp. 2VII 398, 265 Konstantin II, Vota XXX auf Schild gehalten von zwei bewegten
Victorien.
3) Eroten. Tabula: Eobert III i Taf. 18, 72. Gall. lapid. n. 63b. Christlich Lat. n. 126
G 385, 2; n. 136 G 383, 5; n. 152 G 320, 1; n. 154 G 316, 4. — Eunder Titulus: Lat. n. 233.
234. — Clipeus oder Muschel: Vgl. Anc. marbles I Taf. 6 Kandelaberfuß, daran Eroten mit
Emblemen des Ares, Helm, Schwert, Schild. Matz-Duhn, II 119. Christlich Lat. n. 104 G 365, 2.
Grousset n. 2. Eroten stützen den Clipeus: Grousset n. 8. — Parapetasma: Lat. n. 150 G. 298, 3.
— Schwebend Lat. M n. 72 (F 81). — Delphin reitend: Tarentinische Münzen bei Head, Hist.
numorum 1887, 44 Fig. 25 und weiterhin. Giard. d. pigna n. 126. Eobert II 1 a. Christlich Lat.
n. 11 (Ficker Taf. 1). — Girlanden: Eobert III i Taf. 10, 35, vgl. die Eckhore III n Taf. 57,
180. Christlich Lat. n. 239. — Fackeln: Eobert II 2. 3; III i Taf. 6. 24; Taf. 12—15. Giard.
d. pigna n. 23. 28. 65. 159. 171. Christlich G 297, 1. 2. 299. 1. 395, 7. 403, 1. Wittig 134 n. 68;
136 n. 70. Grousset 6 und n. 4. 5. 44. — Schiff: Benndorf-Schöne n. 465. G 395, 10. Vgl. z. B.
Mau, Pompeji 1900, 417 Fig. 246.
Andere übernommene Typen. 97
Aus den Katakombenmalereien sind uns die Erntebilder erinnerlich, die meist
von Eroten (oder flügellosen Putten) vollzogenen Ernten, auch ein Ausdruck der
christlichen Jenseitshoffnungen, vor allem das Hauptdenkmal die Crypta quadrata
(Januarii): im Frühling werden Eosen gepflückt und zu Girlanden gewunden, hierbei
sind auch Mädchen tätig (sonst tritt beim Rosenpflücken Psyche zu Eros); im Sommer
folgt die Weizenernte, Schneiden, Binden und Forttragen der Garben, dreschen; im
Herbst die Weinlese, Brechen der Trauben und Keltern; im Winter werden die Oliven
von der Leiter aus gepflückt oder mit Stangen abgeschlagen, aufgelesen und in Körben
fortgetragen, hier haben die Putten winterlich warme Kleidung, Ärmeltunika, Schulter-
kragen und Kapuze, Gamaschen und Schuhe. Auch dessen erinnern wir uns, daß die
Ernten nicht immer zyklisch auftreten, sondern auch einzeln; die Malerei bevorzugte
die Rosenernte und die Traubenlese nebst Kelterung. — An den Sarkophagen kommen
Ernten oft vor, an heidnischen mehr einzeln, häufigst Weinlese von Satyrn oder Eroten,
als Kelter dient die Wanne mit zwei Löwenmäulern zum Auslauf; dann die Oliven-
ernte, ei»mal kommt auch die Ölpresse vor. In ausgeführteren Szenen fehlt auch nicht
der Ochsenwagen mit Scheibenrädern, die Ernte einzubringen, beladen mit Körben voll
Trauben oder Oliven, einmal auch mit Garben; die Rosenernte scheint in der Relief-
skulptur nicht vorzukommen, doch mag hier an das Bruchstück vor dem Eingang zum
Museo Ludovisi erinnert sein, ein durchbrochen gearbeiteter Korb voll Rosen. — Neben
den genrehaften Ernteszenen aber gab es noch Personifikationen der Jahreszeiten; hier
ist nicht von den Hören die Rede, sondern von Eroten, die zu vieren gereiht und mit
den Attributen der Jahreszeiten ausgestattet, eine in der Sarkophagkunst beliebte Sonder-
gruppe der Flügelknaben ausmachen. Ein antiker Name ist für sie nicht überliefert
man pflegt sie als Genien der Jahreszeiten zu bezeichnen, wir nennen sie kürzer Horen-
eroten. Wie die Eroten an den Sarkophagen gewöhnlich, so tragen auch sie nur die
Chlamys umgeknüpft, an sorgfältiger differenzierenden Exemplaren erhält der Winter
eine der vorbeschriebenen ähnliche wärmere Kleidung. Die Attribute sind den Ernten
der verschiedenen Jahreszeiten entnommen, doch kommt noch anderes hinzu, wie Jagd-
beute, endlich noch dies oder jenes attributive Tier. Es scheint eine Folge der Jahres-
zeiten gegeben zu haben, in welcher der Winter den Anfang machte (auch kommt vor,
daß sie von rechts nach links zu zählen oder sonst anders gruppiert sind). Die Attribute
des W'inters sind Enten oder ein erlegter Hase, am Lagobol oder in der gehobenen
Hand getragen, wo dann wohl der Hund zu der Jagdbeute emporspringt; auch wird
Schilf oder ein Zweig, ich denke ein Ölzweig, gehalten. Der Frühling trägt Blumen,
der Sommer Sichel und Ähren in der Hand, oder in einem Korb, ein Böcklein kann
jenen begleiten, diesen ein Stier; den Herbst bezeichnen Reben und Trauben, dazu
ein bacchisches Tier, Bock, Panther.
Nur muß man beachten, daß der Handwerker das entstehende Bild nicht immer
neu nach der Idee schafft, sondern das Muster wiederholt, nicht gerade schablonenhaft,
doch oft gedankenlos; daher geschieht es, daß die Typen nicht immer scharf geschieden
bleiben, sondern ineinanderfließen. Die Sarkophage bringen sowohl Ernten als auch
Horeneroten, oder beides durcheinander, christliche aber nicht bloß einzelne Ernteszenen,
sondern auch den ganzen Zyklus, nicht immer intakt. Ein Beispiel bietet der rings
skulpierte Sarkophag aus dem Coemeterium Praetextati, jetzt mitten im Lateranmuseum
quer aufgestellt. Die Schmalseiten, in zwei Zonen zerlegt, gäben prächtige Räume für
vier Ernteszenen; aber die Skulptur hat die für den Frühling wohl geschaffen, aber
Sybel, Christliche Antike II. 7
98
Plastik.
fallen lassen, dafür hat man die vier Horeneroten eingesetzt, unter denen ja auch der
Frühling nicht fehlt mit seinen Rosen. Oben folgt der Sommer, drei Eroten bei der
Weizenernte, links oben der Herbst, die Weinlese, links unten der Winter, vor drei
Ölbäumen fährt der Ochsenwagen die in Körbe gesammelten Oliven ein. Aber das
Pflücken der Oliven ist mit dem Sommer verbunden; vielleicht weil im Süden das
Korn unter Fruchtbäumen reift, stehen solche hinter den Schnittern, eine Leiter ist an
einen Baum gelehnt, und ein Erot steigt mit vollem Korb herunter. Das verwirrt die
natürliche Folge der Jahreszeiten. — Fast schlimmer steht es mit dem ähnlich dis-
ponierten Bassussarkophag. Rechts unten nicht vier Horeneroten, sondern sechs Putten,
auf welche die Attribute der Jahreszeiten verteilt sind: der erste (von rechts) führt die
Schale kühlen Trunks zum Munde (so hält der Sommererot am Sarkophag aus Prae-
textat einen Becher); der zweite hält Zikade und Vögelchen (wie der Frühlingserot
dort), er lehnt sich auf einen Pfeiler mit Kürbis darauf (desgleichen steht dort auch
beim Frühlingserot); der dritte hält Traube und Seil, das in ein Gefäß (Zisterne) hängt,
eine Eidechse kriecht daran (so der Herbst drüben); der vierte trägt Traube und Feigen-
schnur (noch ein Herbst), der fünfte Lagobol und Hasen (der Winter), den sechsten bezeichnet
Ölzweig, Olivenkorb und Gans (noch ein Winter). Rechts oben drei Eroten bei der Weizen-
ernte, links oben vier Eroten bei der Weinlese, links unten der Ochsenwagen, dazu aber
die Kelter und statt Ölbäumen ein Weinstock. Die Olivenernte ist ausgefallen, von ihr
geblieben sind nur zwei Ölbäume bei den Schnittern und einer beim Wintererot. Es
gibt noch andere Beispiele von Weinlesen [Abb. 45. 46], von Horeneroten [Abb. 38].
Wie das Deckengewölbe der Crypta quadrata als Laube ausgemalt ist, mit den
Pflanzen der Jahreszeiten berankt, Rosen, Ähren, Reben und Ölzweigen, so finden
sich in der Skulptur in gleicher Art Girlanden zusammengesetzt. Den heidnischen
Kindersarg aus Nepi schmückt eine schwere, von vier Putten geschleppte Girlande,
den ersten Bogen bilden Frühlingsblumen, den mittleren halb Ähren halb Reben mit
Trauben, den dritten Ölzweige mit Oliven. Ähnlich ein christlicher Säulensarkophag;
in den Nischen steht der Gute Hirt zwischen den vier Horeneroten, dem Hirten zu-
nächst Frühling (mit Blumenkörben und Blättergirlande) und Sommer (mit Sichel,
Ährenkörben und Hund), in den äußeren Nischen Herbst (mit Fruchtzweig und zwei
Fruchtkörben, Oliven statt Trauben? zur Seite steht eine Vase) und Winter (mit dem
Hasen und Schilfstengel; alle vier tragen Chiton, Chlamys und Stiefel). Nun aber ist
unter jedem Nischenbogen ein Ring befestigt, durch die fünf Ringe läuft eine ge-
gliederte Girlande, über jeder Figur aus passendem Laub gebildet: Lorbeer ist's über
dem Guten Hirten, Rosen über dem Frühling, Ähren über dem Sommer, Fruchtschnur
über dem Herbst, über dem Winter doch wohl Ölzweige mit Früchten.
Der einzeln verwendeten Blumen- und Fruchtkörbe in den Bogenzwickeln der
Säulensarkophage und an Schmalseiten gedachten wir früher. Übrigens werden auch
den tafel-, schild- und vorhanghaltenden Eroten solche Körbe beigegeben.1)
x) Erntebilder: Christi. Antike I 177. Crypta quadrata: Wilpert, Malereien Taf. 32—34.
— Heidnisch: Matz-Duhn 213—218, vgl. auch 2391 (einzelne christliche sind darunter). Robert
III i 89 Lit., Taf. 18, 72 (Mädchen und Knabe mit Rosenkörben und Blättergirlanden, ein Knabe
trägt zwei Körbe auf geschultertem Brett). Gall. lap. n. 56 d; 162; Giard. d. pigna n. 32; Mus.
Chiar. n. 180. Clarac 136, 222. Ochsenwagen: Clarac 136, 122; 162, 123. Gall. lap. n. 63c. Am
Bogen des Septimius Severus Brunn-Bruckmann n. 499. Horenattribute: Rapp in Roschers
Lexikon I 2735. Zu Horeneroten vgl. eb. 2737. Matz-Duhn II 297—309. Gall. lap. n. 47
Andere übernommene Typen. 99
Zu Jagdbildern gaben die griechischen Sagen manchen Anlaß; an den Sarko-
phagen der Kaiserzeit steht die Eberjagd in erster Linie, bei Adonis und bei Meleager
ist sie typisch. Eberjagden haben auch christliche Sarkophage nicht verschmäht; man
unterscheidet dabei die Momente des Kampfes und der Heimkehr, das erlegte Tier
wird von zwei Leuten in einem Netz an einer Stange getragen oder auf einem Wagen
gefahren; der Jäger pflegt zu Pferde zu sein. Seltener ist das hochalte Motiv der
Hasenjagd, Hetzen mit Hunden und Treiben in ein aufgespanntes Netz, unter Bäumen.
Die Jagd findet im Winter statt, die Teilnehmer tragen Schulterkragen; es wird aber
kaum angehen, die Jagdszenen als Winterbilder etwa den Olivenernten gleichzusetzen.1)
Fischer, als Staffage der Küstenlandschaft, hier anscheinend lediglich genrehaft,
bringt der Sarkophag in Maria Antiqua, fast nackt sind sie mit dem aus dem Wasser
gezogenen Netz beschäftigt. Ferner der Jonassarkophag des Lateran; es arbeitet immer
ein Fischer in Chiton, auch wohl Mütze, mit einem Gehilfen, der höchstens ein Lenden-
tuch um hat, der also bei der Arbeit ins Wasser geht. Am Ufer rechts hat der bärtige
Fischer, den Fischkorb am Arm, die Angelschnur ausgeworfen, Fische schnappen nach
dem Köder, der junge Gehilfe, erregt über den schönen Fang, eilt dem Wasser zu.
Am Ufer links übergibt der Gehilfe dem Fischer den gefüllten Henkelkorb [Abb. 5. 6]. —
Wenn aber der Angler in der Exomis, den Henkelkorb in der Linken, die Angelrute
mit an der Schnur hängendem Fisch in der Rechten, im Endfeld eines Riefelsargs
steht, so muß die Figur etwas bedeuten. An dieser Stelle kommen wohl Bilder der
Verstorbenen oder Selige vor; weder das eine noch das andere dürfte hier zutreffen.
Man findet hier aber auch den Guten Hirten oder andere Typen, die irgendwie die
Rettung aus dem Tod in das ewige Leben aussprechen. Man denkt an einen „Menschen-
fischer", auch ein Sinnbild der Taufe hat man in den altchristlichen Anglern vermutet.
Eine sichere Erklärung läßt sich noch nicht geben.2)
Herbst und Winter (vgl. n. 77 vier Hören mit Putten). Giard. d. pigna n. 175. Clarac 124, 105;
146, 116 Winter, Frühling, Sommer, Herbst. Ferner Terme, Chiostro: Dionysos auf Satyr gestützt,
zwischen zweimal vier Horeneroten, einer trägt eine Ziege auf dem Nacken ; Ernte von vier Eroten.
Conservatori, Vorplatz des Oberstocks: Winter, Frühling, Sommer, Herbst. — Neutral: Auf S.
Peters Dach (als Brunnen trog): zwei Horeneroten, einer mit Enten und Korb, einer mit Hase und
Hund, auf 1. Arm Rosenkorb, am Boden Olivenkorb. Lat. Mn. 37 (F 18): von r. nach 1. Frühling,
Sommer, Herbst, Winter. — Christlich: Lateran n. 30 Deckelfragment, Reste von Horeneroten
und Olivenernte. Grousset n. 3 Weinlese mit Kelter; n. 14 Kornschneiden und Keltern; n. 50
Weinlese mit Kelter. G 296, 4 Lese mit Ochsenwagen, korbbeladenem Bock und Kelter. Wittig
91 n. 49 r. Weizenernte, 1. Weinlese mit Kelter. In Zwickeln Weinlese Lat. n. 150 G 320, 1. —
Lat. n. 184 G 364, 2 als Füllsel drei Horeneroten (Enten, Ähren u. Sichel, Hase); n. 214 zwei
Horeneroten, jeder mit Hase; n. 203 Herbst mit Traube, Winter mit Wildkeule; M n. 77 (F 88)
ein H. mit Sichel, einer mit Fruchtkorb; n. 128 G 359, 3. Grousset n. 45 der Verstorbene zwischen
r. zwei Horeneroten, 1. einem, an die Stelle des vierten ist der Gute Hirt getreten; n. 46. 47 Frag-
mente mit Gutem Hirt zwischen Horeneroten und Amoretten (an beiden Sarkophagen je ein H.
mit Füllhorn). — Praetextat: Lat. M n. 183 A (F 181) G 302, 3. 4. — Bassus: Grousset n. 184
G 322, 3. 4 de Waal, Sark. d. Bassus 92. — Nepi: Altmann, Architektur 80 Fig. 29 (vgl. die
fünfgliedrige Girlande am Priestersarg Gall lap. n. 126). Säulensarkophag Lat. n. 110 G 302, 1. —
Schildhaltende Eroten usf. mit Attributen der Horeneroten Lat. n. 128 G 359, 3. Grousset n. 3.
Weinlese im Zwickel Lat. n. 171 G 350, 1.
*) Eberjagd: Lateran n. 161 G 382, 2 (Heimkehr). Grousset n. 4 und 12. — Hasenjagd:
Lat. n. 150 G 298, 3; vgl. n. 229 Kniender Knabe hält einen Hund, der einem flüchtenden Hasen
nachwill. — Jagden als Winterbilder: Wittig 134 zu n. 67.
a) Maria Antiqua: American school Rome suppl. papers I 1905, 149 Fig. 2. Hier mag das
7*
100 Plastik.
Besonders zahlreich vertreten sind idyllische Figuren und Szenen aus dem Hirten-
leben; im Zentrum steht der Typus des Guten Hirten, wie er inmitten seiner Herde
steht oder sitzt, oder wie er ein Schaf auf den Schultern trägt, auch wohl beides ver-
einigt. Da pflegt die christliche Archäologie die nun schon reichlich alte Streitfrage
unnütz aufzubauschen, ob der Gute Hirt Schöpfung der „antiken" oder der „christ-
lichen" Kunst sei. Die Bedeutung dieser Frage sinkt auf ein ganz bescheidenes Maaß
herab, sobald man sie richtig formuliert, das will sagen, sobald man die falsche Gegen-
setzung „antik" und „christlich" fallen läßt und sich entschließt, auch die altchristliche
Kunst als Antike anzuerkennen. Das Künstlerische an der Kunst liegt auf einem
anderen Felde, als dem religiösen. Der antike Künstler, einerlei welchem Kultus er
sich anschloß, war künstlerisch imstande, heute einen Zeus, morgen einen Serapis, eine
Isis, einen Attis, einen Mithras, oder, wenn er den Auftrag erhielt, auch einen Christus
zu gestalten. War er aber selbst Attis- oder Mithrasgläubiger geworden, so blieb er
doch immer derselbe antike Künstler; ebenso wenn er sich tauchen ließ oder als Kind
christlicher Eltern auf die Welt kam, es stand ihm — der Satz muß immer wieder
eingeprägt werden, bis er einmal durchdringt — doch keine andere Kunst zu Gebote
als die einzige die es gab, die antike. Gewiß, die Idee des Guten Hirten stammt aus
den Evangelien; aber sobald es sich darum handelte, sie in künstlerische Form um-
zusetzen, so trat nicht der Christ, sondern der Künstler in Funktion, der antike. Gewiß
hatte er, Heide oder Christ, falls er auf dem Lande spazieren ging, oder auch in der
Stadt auf dem Viehmarkt, Gelegenheit genug, Schafhirten zu sehen, in allen möglichen
Typen; aber dann sah er die Natur mit den Augen des antiken Künstlers an. Jedoch
sollte es eine Binsenwahrheit sein, daß der Künstler mindestens ebensoviel aus der schon
vorhandenen Kunstformenwelt lernt als unmittelbar aus der Natur; und das idyllische
Genre war in der klassischen und besonders der hellenistischen Kunst, in Malerei und
Plastik, so ausgebaut, daß in der Kaiserzeit wohl jede in Auftrag gegebene Gestalt
schon irgendwie vorgeschaffen war oder im weiteren Ausbau des Vorhandenen leicht
hingeworfen werden konnte. De Rossi lehnte nur die nackten kriophoren Götter als
Vorbilder ab, keineswegs die zu Markt oder zum Opfer Schafe bringenden Landleute
der vorchristlichen Kunst.
Vor Jahren bemerkte Heinrici richtig, das vierte Evangelium habe die altchrist-
liche Kunst besonders maßgebend befruchtet. Es lag daran, daß erst dies jüngste
Evangelium (es bezeichnet sich 17, 20 selbst als nachapostolisch, und das will viel
heißen) so recht aus dem Kirchenglauben herausgewachsen ist, wenn es nicht umgekehrt
in gewissem Sinne ihn erst schuf. Seine Idee nun des Guten Hirten nimmt in ihm
eine geradezu zentrale Stellung ein; außer ihrer sehr diesseitigen kirchenpolitischen
Tendenz (auf Einheit der Herde) spricht sie die kirchliche Jenseitstheologie in einem
Sarkophagfragment von S. Valentin erwähnt sein, mit dem auf einem Fels am Meer sitzenden
Angler, der den eben gezogenen Fisch in der Hand hält; im Wasser fährt ein Schiff mit kahl-
stirnigem Steuermann und einem Matrosen; beim Stenermann steht PAVLVS, am Schiffsrumpf
THECLA. Weis-Liebersdorf, Christus- und Apostelbilder 72 meint, ein strenger, der Symbolik
abgeneigter Kritiker könnte das Relief für ein maritimes Genrestück erklären, dem später der Meißel
eines Christen durch die beiden Inschriften eine tiefere Deutung zu geben versuchte. Veröffent-
licht ist es von Marucchi, Bull. com. 1897, 35 Taf. 2. Bull, crist. 1897, 103 Taf. 4. — Lat. n. 119:
G 307, 1. — Lat. n. 156 und 158: G 307, 3. 395, 4. Zur Erklärung vgl. Band I 236. — Der wunder-
bare Fischzug: Torres (G 395, 5).
Andere übernommene Typen. 101
poetischen Bilde aus, das seine Wirkung auf so sentimentale Gemüter wie die Leute
der Kaiserzeit es insgemein waren, nie verfehlt hat (vgl. Band I 241). Also, die Idee
des „Guten Hirten" war von Anfang an jenseitig, wie der ganze Kirchenglaube jen-
seitig gerichtet war, vollends im Umkreis der Gräberwelt. Daher darf es nicht wunder-
nehmen, wenn der Hirt aus der Parabel Luk. 15, der das verirrte Schaf aufsucht und
auf seinen Schultern zurückträgt, wenigstens in der Kunst von Anfang an nicht als
Ausdruck einer moralischen, sondern der sepulkralen, d. h. der Jenseitsidee erscheint.
Der Denkmälerbefund scheint zu ergeben, daß in der Sarkophagskulptur der
Gute Hirt früher zu beobachten sei, als das Einströmen der idyllischen Genreszenen;
denn er erscheint bereits am Sarkophag von der Via Salaria, dessen Enden je ein
großes Schaf sinnvoll schmückt, die Genreszenen aber erst am Jonassarkophag Lat.
n. 119, dem Sarkophag in Maria Antiqua und anderen Stücken des dritten Jahrhunderts.
Letztere wären dann durch die vorherige Einsetzung des Guten Hirten gleichsam
legitimiert. Doch möchte es geraten sein, nicht vorschnell abzuurteilen, da neue Funde
das Verhältnis verschieben könnten; auch verrät die Hütte hinter jedem der zwei
großen Endschafe am Sarkophag von Via Salaria, daß sie aus den Genreszenen erst
abgeleitet sind, diese also zur Voraussetzung haben.
Im ersten Bande besprachen wir, was in den Katakombenmalereien von idyllischen
Szenen (es war nicht viel) und was von Guten Hirten dort vorkommt. Da nach der
jetzt geltenden Katakombenchronologie der Gute Hirt dort früher auftritt als in den
Skulpturen, so liegt- die Folgerung in der Tat nahe, daß die Malerei der Skulptur den
Typus fertig komponiert an die Hand gegeben habe. Ein solches Vorarbeiten der
Typen durch die Malerei wurde in der klassischen Kunst längst bemerkt; die Ent-
deckungen in der Natur z. B., welche die polygnotische Malerei machte, gingen alle
in die Skulptur über, auch ihr großer Stil hat sie entwickelt; den pathetischen Stil
hat wesentlich die Malerei von Parrhasios und Timanthes bis Aristides geschaffen, vor-
gearbeitet für die nachfolgende Plastik. Auf der andern Seite darf man aber nicht
übersehen, daß der Mann, der die ersten Guten Hirten meißelte, eben Bildhauer war,
daß er bildhauerisch sah und arbeitete, daß er die Welt der plastischen Hirtentypen
kannte und vielleicht auch sein Teil daran selbst gearbeitet hatte.
Wenn nun ein Kunsthistoriker im Typus des Guten Hirten eine Schöpfung des
hellenistischen Ostens zu erkennen vorschlägt, so hätte ich gegen die Hypothese soweit
nichts einzuwenden, als etwa, daß in der E-eichshauptstadt Rom (ich erinnere daran,
daß ich eine spezifisch römische Kunst noch nicht als nachgewiesen anerkenne) eine
Menge wurzelechter Griechen dieselbe hellenistische Kunst pflegte wie der Osten. Deren
lokale Differenzierungen stilkritisch zu unterscheiden ist wenigstens die Archäologie
noch nicht gereift genug.1)
Die Reste pastoraler Darstellungen aus der klassisch griechischen und helle-
nistisch-römischen Kunst sind noch nicht gesammelt Nur als Beispiel hebe ich ein
Relief hervor, das eine Ziegenherde auf felsigem mit Sträuchern bestandenen Gelände
schildert; der Hirt hat ein Fell um und steht mit seinem Krummstab unter einem
Baum, dabei der Hund. Zu beachten ist, daß auch an heidnischen Sarkophagen solche
*) Hirtenazenen und Guter Hirt in der Malerei: Christi. Ant. I 174. 240. Zur Literatur
trage ich nach: Clausnitzer, Die Hirtenbilder in der altchristlichen Kunst, Erlanger Dissertation t
1904. Wittig 31, 5. — de Rossi, Bull, crist. 1887, 144 f. — Gute Hirt ostgriechisch: Strzygowski,
Orient oder Rom 59; Alexandrin. Weltchronik (Wiener Denkschr. LI) 156.
102 Plastik.
Szenen vorkommen, als Staffage bei Endymion. An einem Sarkophagdeckel sieht man
zwei sich stoßende Ziegenböcke, ferner Rinder, teils grasend teils wiederkäuend, am
Ende einen bärtigen Hirten, gegenüber einen gelagerten jungen Satyr. — An einem
Sarkophagfragment aus den Katakomben im Lateran finden sich bei einer Rinderherde
ein paar Pferde, anderweit sieht man an christlichen Stücken wohl einen Hirten, der
Ziegen und Schafe weidet, oder Kühe, Ziegen und Schafe, oder einen, der eine Ziege
melkt; in einem abgestuften und mit Sträuchern bestandenen Terrain grasen, ruhen,
springen Schafe und Ziegen, zwei Schafböcke stoßen sich, vor einem Stall wird eine
Ziege gemolken, daran schließen sich andere Szenen des Landlebens.1)
In der Regel aber handelt es sich bei den christlichen Sarkophagen um Schafe.
Wenn das idyllische Genre zwar in ziemlich breiter Masse in der christlichen Kunst
fortfließt, so hat doch, in der Skulptur wie in der Malerei, eine Auslese stattgefunden.
— Besondere Aufmerksamkeit erheischt der Hirt. Erwähnt mag sein, daß vereinzelt
sich einmal ein Bauer zeigt, bärtig und kahl, den Sack über den Rücken, die Hand
auf den Stabknauf gelegt und das Kinn darauf gestützt, in der Rechten zwei Tauben.
Die Hirten, bald bartlos, bald bärtig, tragen als Regel die Exomis, darüber die Tasche,
später auch einen Schulterkragen; die Beine sind nackt oder mit über die Knöchel
gehenden Schuhen und den umschnürten, wohl ledernen Beinschienen bekleidet, wie sie
ähnlich noch heute in Italien zu sehen sind, übrigens die Vorläufer der tiroler und
oberbayerischen Wadenstrümpfe; in der Hand führen sie Stab oder Krummstab, nach
Umständen die Syrinx. Der Hirt sitzt wohl unter einem Baum oder unter einer Art
tragbarem Schirm aus zusammengebundenem Langstroh oder Canna, auf dessen über-
neigender Spitze bisweilen ein Vogel steht. Der Hirt entläßt die Schafe aus dem
Stall oder er sitzt melkend vor dem Stall. Er steht bei ein paar runden Hütten
(Tugurien). — Es kommen sitzende und stehende Hirtenfiguren vor. Ein Hirt sitzt
auf einem Stein und kost seinen Hund; meist aber sitzt er auf einem umgestürzten
Korb und melkt ein Schaf, auch wohl eine Ziege, einen Melkeimer neben sich, ein
zweites Schaf steht dabei, ein anderer Hirt schaut zu oder hält das zu melkende Tier.
Auf dem Felsgelände sitzt ein Berggott, einen Ast in der Hand. Es fehlt nicht ganz
an ruhenden Hirten, im Schema des Jonas, und an schlafenden. — Stehende Hirten
haben gern in altklassischer Schematik den Stab unter die Achsel gestützt, die Füße
gekreuzt; oder sie stützen den Kopf auf die Hand, den Ellbogen auf die andere, dem
Stabknauf aufgelegte Hand, oder den Arm auf einen Stamm, den Kopf in die Hand.
Ein Hirt trägt an einem Tragholz Milchgefäße. Einer blickt einem aufschauenden
Schaf freundlich ins Auge, ein anderer kost ein Schaf. Einer trägt ein Schaf in einem
um den Nacken geknüpften Tuch [Abb. 5. 12. 16].2)
*) Relief: Clarac 144, 387. Sarkophag: Robert Uli Tai 12 ff. Deckel: Anc. marbles X
pl. 40, 1. — Lateran n. 240. Grousaet n. 54. 55. 59. Lat. n. 150 G 298, 3.
a) Bauer: Grousset n. 23. Tasche: Lat. n. 128 G 359, 3. Schulterkragen: Lat. n. 177
G 304, 4. Beinschienen: Lat. n. 128 G 359, 3. — Schirm (nicht Ährenbündel) heidnisch: Mus.
Chiaram. Taf. 42, 127. 45, 180; christlich: Lat. n. 139. 143. Grousset n. 57. 59. de Rossi, Roma
sott. II Taf. 22 = Grousset n. 65 G 347, 1. — Stall: Lat. n. 119 G 307, 1. Grousset n. 54.
Hütten: Lat. n. 118 G 401, 10. — Hirt kost Hund: Lat. n. 141. 215 G 394, 5. — Melken, heid-
nisch am Endymionsarkophag Robert HI i Taf. 15; neutral an einem Sarg Conservatori, Treppen-
absatz (unter Clipeus); Christlich: Lat. n. 63. 66. 108 G 359, 2. Lat. n. 209. 228 G 363, 2. Grousset
n. 5. 66. 68. — Berggott (nicht ruhender Hirt), wohl heidnisch: Grousset n. 62. Wittig n. 15. —
Ruhender Hirt: Grousset n. 60 G 394, 6; schlafender: Grousset n. 61. — Stab unter Achsel: Lat.
Andere übernommene Typen. 103
Der Gute Hirt (d Ttoifxrjv 6 xaXog) ist, wie wir wissen, der johanneische Hirt mit
seiner Herde. Mit diesem Bilde nun wurde das andere aus der Parabel des Lukas-
evangeliums verschlungen, der Hirt, der das Schaf auf den Schultern trägt, dem erst
nach dieser Verschmelzung im Sinne der Jenseitstheologie der Name Guter Hirt zu-
kommt. So entstand der Haupttypus: ein Hirt, umgeben von meist zwei bisweilen zu
ihm aufblickenden Schafen, trägt ein Schaf auf dem Nacken. Die Begleitschafe sind
nicht bloße Staffage, sondern sie vertreten die Herde, machen den Hirten eigentlich erst
zum johanneischen Guten Hirten. Die zwei Bäume, zwischen denen er zu stehen pflegt,
stammen typologisch aus den idyllischen Genreszenen, deuten aber hier das himmlische
Paradies an. Der Hirt, anfangs unbärtig mit kurzem Haar, dann gelockt, endlich bärtig,
durchläuft hierin die drei gelegentlich der Malerei uns bekannt gewordenen Entwick-
lungsstufen des Christustypus. Er trägt zuerst die Exomis, später den geschlossenen
Chiton, auch mit langen Ärmeln, darüber wohl auch den Schulterkragen, ganz spät ein-
mal ein Fell; Schuhe, und seit dem dritten Jahrhundert Wadenstrümpfe, auch dies wie
die anderen Hirten, ebenso die Tasche, den Stab oder das Pedum, die Syrinx, so-
weit das vorkommt. — Kälber, Schafe, Ziegen, auch kleine Kinder, sieht man in der An-
tike hundertfach auf dem Nacken getragen, die Gutehirtliteratur hat viel Material dafür
zusammengetragen. In diesem bunten Kreise entstand auch unser Typus, einerlei
welchem Gott sein erster Schöpfer opferte. Dabei ist das Ergebnis der Statistik un-
erheblich; wenn er öfter christlich verwendet vorkommt als heidnisch, so liegt das nur
daran, daß die Christen ihn zu einem sepulkralen Symbol wählten. — Abgesehen von
der Haar- und Kleidertracht wandelt sich auch seine Gebärde. Anfangs hielt jede
Hand ein paar Pfoten des getragenen Tiers, später nahm er alle vier Pfoten in eine
Hand, wodurch die andere frei wurde, um einen Stab oder den Krummstab zu halten,
oder eine Vase, die ohne Zweifel einen Trank der Unsterblichkeit enthält, sei er nun
als Milch oder als Wein zu denken; einmal kost die Hand ein zu ihm aufblickendes
Schaf. Eine sonderbare Vermischung zweier Typen, die uns schon in der Malerei be-
gegnete, ist es, wenn der das Schaf tragende Hirt die Beine kreuzt, ohne doch auf den
Stab gestützt zu sein. An einem Sarkophag zu Tolentino, aus dem vierten Jahrhundert,
steht der Gute Hirt zwischen Ölbaum und Weinstock.1)
In der Regel ist der Gute Hirt zentral angeordnet, seiner Bedeutung entsprechend.
Wenn aber der Clipeus mit den Büsten der Verstorbenen in der Mitte der Sarkophag-
front sich behauptete, oder wenn diese in ganzer Figur dort abgebildet wurden, oder
sonst eine andere Darstellung den Raum einnahm, so trat der Gute Hirt in eines der
n. 29. Kopf auf Hand auf Stab: Lat. n. 66. Wittig n. 11. Arm auf Stamm: Lat. M n. 77
(F n. 88). Tragholz: Lat. n. 29. Blickt Schaf an: Lat. n. 123, 4. Kost Schaf: Lat. n. 177 G
304, 4. Schaf in Tuch: Grousset n. 30 G 399, 10.
*) Guter Hirt, hält die Pfoten des getragenen Schafs in zwei Händen: Sarkophag von Via
Salaria, Lat. M n. 181, Kopf ergänzt, richtig mit kurzem Haar, er trägt Exomis und Schuhe.
Paris, Clarac 122, 772 G 295, 2 (sog. Aristäus). Pisa G 295, 1. Salerno G 297, 3. Lat. n. 224
G 301, 1. Lat. 118 G 401, 10. Campo santo, Wittig n. 2. 3. 4. 6. Mit Schulterkragen: Stele der
Tullia, Armellini, Bull, crist. 1895, 11 Taf. 1, 1. — Bärtig: Lat. n. 109. Schulterkragen: G 296, 4.
372, 1 (Frauen mit Mamäafrisur). In Fell: G 298, 1. Füße gekreuzt: Pisa G 297, 1. Tolentino
G 303, 1. — Eine Hand hält vier Pfoten, die andere Krummstab: Wittig n. 8. Lat. n. 110 G 302, 1.
Lat. M n. 183 A (F n. 181); Vase: Lat. n. 9. 144. 163. Grousset n. 46. 49 G 357, 4; Hand kost
Schaf: Grousset n. 40. Ein paarmal ist der Hirt zwar in Vorderansicht, aber linkshin eilend ge-
zeichnet: G 296, 3. 299, 1.
104 Plastik.
Endfelder; als Gegenstück erhielt er dann etwa eine Adorantin, in einem der ver-
schiedenen Typen, oder einen zweiten Guten Hirten, der dann bärtig zu sein pflegt,
oder einen Hirten, der sich auf Stab oder Pedum stützte. Es kommt aber auch vor,
daß solch ein Hirt einer Adorantin gegenübergestellt wird. Man darf in dergleichen
Fällen fragen, wie diese aufgestützten Hirten zu verstehen seien, ob als bloße idyllische
Genrefiguren, oder ob auch sie als Bilder des Christus. Da bleibt eine gewisse Dunkel-
heit. Es ist aber sicher, daß in der Skulptur wie in der Malerei als Bild des Christus
außer dem schaftragenden Hirten auch der schlichte Hirt mit der Herde, also genau
der johanneische Gute Hirt, vorkommt. Das ist z. B. der Fall an der Rückseite des
pariser Sarkophags (mit dem bärtigen Christus auf dem Berg an der Frontseite), aus
dem vierten Jahrhundert. Noch später ist der Sarkophag in Osimo mit dem aufgestützten
Hirten inmitten der Herde zwischen zwei aus Vasen aufsprießenden stilisierten ßeb-
stöcken.1)
Gute Hirten des ersten Typ: unsere Abb. 2. 4. 7. 8. 9. 11. 12, des zweiten:
Abb. 6. 36. 45.
Guter Hirt in Chiton und Schulterkragen, die Pfoten mit zwei Händen haltend,
zwischen zwei aufblickenden Schafen, an der Stele der Tullia (ToXXia 'sfoxlrjTtiaM]).*)
Die zwei Typen des ein Schaf tragenden Guten Hirten sind auch in statua-
rischer Ausführung erhalten; die Exemplare sind höchstens meterhohe Statuetten.
Der Hirt, in Exomis mit umgehängter Tasche, hält die Pfoten des Tieres mit
beiden Händen und wendet den Kopf dem des Tieres zu. Dieser Typus ist ver-
treten in dem berühmten Exemplar Lateran n. 103, zugleich der frühesten und schönsten
aller dieser Statuetten. Ergänzt sind Arme und Beine, diese mit dem untersten Teil
des Chitons und dem Baumstamm, einiges am Gesicht des Hirten, Hals und Kopf des
Tieres [unser Titelbild]. Der Kopf des Hirten, jugendlich mit langen Locken, ist kein
anderer als der zweite Christustyp, der in der Katakombenmalerei im dritten Jahr-
hundert auftritt, an den Sarkophagen aber zuerst am Exemplar Feoli-Rondanini [Abb. 9]
— und zwar in Gestalt unseres, indessen abgesehen vom Kopf im Spiegelbild wieder-
gegebenen Guten Hirten; die Frauenfiguren des Sarkophags tragen die Frisur der
Mamäa (gest. 235). Damit wird bewiesen, daß die Schöpfung des Typus spätestens
den ersten Jahrzehnten des dritten Jahrhunderts gehört; die Entstehungszeit des late-
ranischen Exemplars bleibt zu bestimmen, wird aber kaum viel später fallen (de Rossi
setzte sie in dieselbe Zeit, Weis - Liebersdorf ins zweite Jahrhundert). Der zweite
Christustyp erinnerte die Erklärer an Apollon, wiederum an Dionysos, an die Dioskuren,
der Kopf unseres Guten Hirten gemahnte sie an die Eroten der Sarkophage, an den
Eubuleus, an Mithras und Orpheus, an Antinoos; zu letzterem setzt ihn die auf die
Formgebung des fünften vorchristlichen Jahrhunderts zurückgreifende Schädeltiefe und
das die Stirn bedeckende Haar in Beziehung, das in der vorperikleischen Zeit Mode
war. Aber wenn solche Beziehungen, ein wenig zu jedem der genannten heidnischen
Köpfe, auch tatsächlich vorhanden sind, so braucht man nicht den Christuskopf ent-
weder vom Apollon oder vom Dionysos usf. abzuleiten (man kann es nun erst recht
*) Guter Hirt zentral: Sarkophag von Via Salaria; öfter bei Garr. Taf. 295 ff. — Als Gegen-
stück Adorantin: Lat. n. 150 G 298, 3. Grousset n. 14 G 360, 2. 296, 1. 370, 4. Zwei Gute Hirten:
Lat. n. 144. 163; drei: G 302, 2. Guter Hirt und Hirt: Lat. n. 66. 128. Hirt und Adorantin:
G 296, 2. Paris: G 324, 4. Osimo: G 300, 2.
*) Tullia: Bull, crist. 1895, 11.
Andere übernommene Typen. 105
nicht); sondern alle jene Köpfe, und noch einige andere mehr (z. B. die Jünglinge im
glühenden Ofen, die Magier bei der Huldigung und sonst), sind Spielarten des Typus
„Jugendlicher Lockenkopf", und in diesem Kreise antiker Köpfe ist auch der Ckristus-
und Hirtenkopf entstanden. Haben wir erst einmal eine systematische Typik der
griechischen Kunst, dann werden wir in derartigen Fällen, die jetzt so viel unnütze
Debatten hervorrufen, auf die richtig gestellte Frage sofort die richtige Antwort bereit
finden. — Der Ausdruck des zu dem Tiere freundlich aufblickenden Hirten verlangt zwei
Worte. Der Hals des Tieres wird ursprünglich mehr senkrecht in die Höhe gegangen,
sein Kopf dem Gesicht des Hirten näher gekommen sein, so etwa wie an den Sarko-
phagen von der Via Salaria, von Maria Antiqua und an dem im Palazzo Rondanini
[Abb. 2. 4. 9]; dann entsteht eine geschlossenere Silhouette und der Kopf des Hirten
dominiert. Der Gute Hirte war nicht die erste Darstellung freundlichen Verkehrs
zwischen Mensch und Tier. In Wahrheit aber legte die altchristliche Kunst nicht den
Hauptnachdruck auf psychischen Ausdruck der Gesichtszüge, und wo dergleichen zu-
tage tritt, da ist's nur ein Beleg mehr für den Reichtum der Antike an mannigfach
abgestufter Gemütsstimmung. Wer das ja nicht gerade christliche Bedürfnis fühlt, sich
in seinem christlichen Selbstgefühl zu wiegen, der mag den guten Hirten dem an-
nähernd gleichzeitig geschaffenen bösen Caracalla gegenüber stellen; nur vergesse er
nicht, daß es allezeit auch freundliche Heiden und böse Christen gegeben hat, daß aber
im zeitlichen Rahmen des Altertums die künstlerische Darstellung der Freundlichkeit
wie der Bosheit immer derselben Antike verdankt wird.1)
Alle übrigen Statuetten des Guten Hirten geben einen zweiten Typus wieder
und fallen in spätere Zeit, in das vierte Jahrhundert. Auf einer Zwischenstufe steht
das vor Porta San Paolo (Ostiensis) gefundene Exemplar; auch an ihm sind die frei
abstehenden Armstücke und die Beine abgebrochen. Das Gesicht des Hirten ist noch
dem Tier zugewendet, obwohl dies sich nicht zu ihm umdreht, sondern den Kopf gerade-
aus hängen läßt. Kopf und Gesicht des Hirten sind nicht so edel gebaut, wie es vor-
hin der Fall war; der Schwerpunkt ist tiefer gelegt, das feine Oval aufgegeben. Der
Hirt trägt einen weitärmeligen Chiton, die Tasche hat er auf den Rücken geschoben.
Die Rechte faßt alle vier Pfoten, die Linke hielt wohl das Pedum. Was bei der vor-
geschlagenen Korrektur von Lat. n. 103 möglich erscheint, daß nämlich die Figur zur
Aufstellung in einer Nische bestimmt war, das gewinnt hier an Wahrscheinlichkeit
durch die halbkreisförmige Silhouette des Tiers. Doch darf man nicht außer acht
lassen, daß auch die Rückseiten ausgearbeitet sind, so daß eine freie Aufstellung so
weit denkbar bleibt; immerhin möchte ich lieber an Aufstellung vor festem Hinter-
grund denken, da die Figuren, entschieden auf Frontansicht berechnet, geradezu als
Reliefs wirken.2)
l) Lateran n. 103: de Rossi, Bull, crist. 1887 (ersch. 1889) 139 Taf. 12. Abbildung ohne die
Ergänzungen bei Garr. Storia VI Taf. 425, 5. — Weis-Lieberadorf, Christus- und Apostelbilder 15.
— Zweiter Christustyp Wilpert, Malereien 107. Unser Band I 281. — Sarkophag Rondanini:
Garr. V Taf. 370. 4. Die Augenpartie des lesenden Mannes hat eine sonderbare Verwandtschaft
mit Caracalla (m. Weltgesch. *440 Abb.). — Das Hirtenfigürchen mit dem Hund, im Kircheri-
anum zu Rom, bedarf erst noch der genaueren Untersuchung; einstweilen vgl. de Rossi,
Bull, crist. 1887, 140. — Bärtig ist der Gute Hirt aus San demente: Roller, Catacombes 264
Taf. 40, 5. Vgl. de Waal, Rom. Quart. 1890, 101, 2. — Endlich die Herme BuD. crist. 1895, 13
Taf. 1, 2.
•) Guter Hirt, zweiter Typ: de Rossi, Bull. com. 1889, 131 Taf. 5; ders. Bull, crist. 1887
106 Plastik.
Die nun folgenden Statuetten fallen frühestens in die Zeit Konstantins. Sie sind
Pfeilerfiguren mit einem der Rückseite angearbeiteten Pilaster; ob sie in marmorne
Schranken eingeordnet, oder wie sie sonst verwendet waren, steht dahin. — De Rossi
und andere neigen der Ansicht zu, daß der zweite Typus auch derjenige der konstan-
tinischen Brunnenfiguren gewesen sei, von denen Eusebius berichtet. Auf den Plätzen
Konstantinopels habe der Kaiser goldplattierte Bronzestatuen als Brunnenfiguren er-
richtet, in den Typen des Daniel zwischen den zwei Löwen und des Guten Hirten.
Beide Gruppen würden untereinander gleichartiger sein, wenn der Gute Hirte, wie in
den Malereien und Reliefs meistens, zwischen zwei Schafen stände. Da fast alle Exem-
plare ihre unteren Teile verloren haben, so ist es denkbar, daß bei ihnen dem Hirten
zwei Schafe zur Seite standen; das Exemplar, welches unsere Abb. 36 wiedergibt, weist
auf der erhaltenen Fußplatte in der Tat die Spalthufe des Tieres zur Rechten des
Hirten auf. Dabei bliebe noch unentschieden, ob die Brunnenfiguren frei oder in
Nischen aufgestellt waren. — Konstantinopel, Tschinili Kiosk. Auch ein Zwitter,
wie das vorige Stück, aber in anderer Weise; der Unterschied besteht darin, daß der
Kopf des Tieres sich wieder zum Gesicht des Hirten zurückwendet, dessen Gesicht da-
gegen fast genau frontal gegeben ist. — Athen, Ethnikon Mouseion. Bis zu den
Knien erhalten, linker Arm und Gesicht ab. — Sparta, Museum. Bis zum Gürtel er-
halten, linker Arm ab, Gesicht verscheuert. — Rom, Lateran n. 105. Nach de Rossi un-
ergänzt, nach Theodor Wiegand bei Strzygowski ist der linke Arm aus mehreren Stücken
zusammengesetzt und neu. Pas vollständigste Exemplar des Typus. — Sevilla, des
Herzogs von Medinaceli, Casa di Pilatos. Im übrigen vom zweiten Typus, aber an-
scheinend bärtig.1)
In den Malereien der Katakomben sahen wir den Guten Hirten einigemal durch
Orpheus vertreten, also den Christus im Typus des thrakischen Sängers dargestellt, wie
er durch die Zaubergewalt seiner Lieder sogar die Tiere zwingt. Daß hier wirklich
der Christus als der wahre Orpheus geschildert ist, wurde durch die Mehrzahl der
christlichen Bilder bestätigt, die ihn nicht von dem sonst typischen Kreis allerlei Ge-
tiers umgeben zeigt, sondern bloß von den zwei Schafen, welche die Begleitung des
Guten Hirten zu bilden pflegen. An einigen Sarkophagen nun begegnet Orpheus von
neuem; einer, mit der Inschrift FYRMI DULCIS ANIMA SANCT, befindet sich im
Lateran, der andere in Porto Torres auf Sardinien; beide sind geriefelt, am zweiten
die Riefeln ganz entartet. Sie zeigen im Mittelfeld den Sänger Orpheus, in der be-
wegteren Haltung wie die späteren Malereien ihn geben (die mit dem Kreis von mancherlei
Tieren), den linken Fuß auf eine Felsstufe gestellt, den Kopf halb links gewandt, um-
geben aber nur von einem Schaf rechts und einer flügelschlagenden Taube auf einem
Baum links. Am Exemplar von Porto Torres hat sich ein zweiter Vogel auf den Steg
erschienen 1889) 136 Taf. 11, die Rückseite S. 138 Abb. Venturi, Storia delP arte italiana I 25
Fig. 22. — Zu Frontansicht und Verhältnis zwischen Relief und Statue vgl. v. Sybel. Kunst-
chronik 1889, 33; Weltgesch. a268. Vgl. Wölfflin, Zeitschr. f. bild. Kunst 1896, 224. L. Volk-
mann, Grenzen d. Künste 1903, 78.
*) Brunnenfiguren: Euseb. Vita Const. III 49. Vgl. noch de Waal, Rom. Quartalsch. 1890,
103. — Konstantinopel: de Rossi, Bull, crist. 1887, 140, 5. Strzygowski, Rom. Quart. 1890,99.
Kraus Gesch. I 589 Fig. 363. — Athen: de Rossi a. O. 141, 2. Garr. VI Taf. 428, 7. Strzygowski,
a. O. 1890, 91 Taf. 4, 1. — Sparta: Ath. Mitteil. 1877, 358 n. 132. Dressel, Bull, crist. 1879, 34.
Strzygowski, a. O. 98 Taf. 4, 2. — Rom: de Rossi, a. O. 139. Strzygowski, a. O. 99 Taf. 5. —
Sevilla: Hübner, Ant. Bildw. in Madrid n. 879, 13. de Rossi, a. O. 141.
Alttestamentliche Typen. 107
der Kithara gesetzt; am lateranischen Exemplar ist die betreffende Stelle des Reliefs
ausgebrochen. *)
Der Marmor in Athen, aus Ägina, der auf einem vorn mit Tieren verzierten
profilierten Sockel vor einem oben hervorschauenden Palmstamm den sitzenden Orpheus
zeigt, umgeben von vielen Tieren, ein spätantikes Werk in unterarbeitetem flächigem
Relief, ist als Bildwerk heidnisch. Ob Christen es für ihre Zwecke verwendet haben,
natürlich dann unter Umdeutung auf den „wahren Orpheus", kann man dem athe-
nischen Marmor nicht ansehen, wohl aber der übrigens fragmentierten und in einigen
Teilen abweichenden konstantinopeler Replik, an deren Sockel Paul Arndt ein nach-
träglich eingeritztes Kreuz bemerkte.2)
Alttestamentliche Typen.
Der Begriff Christliche Antike scheint den Theologen unsympathisch zu sein; so
hält selbst Viktor Schultze an dem spezifischen, nicht antiken, Charakter des Christen-
tums fest. Ich gehe natürlich nicht so weit, dem Christentum sein Spezifisches, dem
Heidentum gegenüber, abzustreiten. Aber ich denke, Sokrates bedeutete eine viel
radikalere Revolution als Jesus (ebendeshalb mißlang jene, gelang diese; wenn jene
gelang, so war für diese kein Raum mehr); und es gibt gelehrte und geistreiche
Bücher, welche bei Definition des Griechentums originale Köpfe wie Sokrates außer
Ansatz lassen. Doch die Philologie insgemein stellt den Sokrates als antike Größe in
Rechnung. Und so werden auch die Theologen dahin kommen, das Christentum ein-
schließlich seines Spezifischen als antike Größe anzuerkennen. Wenn Schultze sich auf
Harnack beruft, so müßte ich, falls Schultze ihn richtig aufgefaßt hätte, Adolf Harnacks
Forschung in Ehren, den Theologen Harnack als Zeugen in dieser Sache ablehnen. Der
Philologe sieht die Dinge wohl anders, er sieht sie im Lichte der antiken Religions-
geschichte. Da die Religion der Griechen ihre letzte Entwicklungsphase, die christliche,
noch im zeitlichen Rahmen des Altertums erlebte und da die christlich griechische
Religion innerlich und äußerlich sich als antike Religion, antiken Kultus bewährt, so
kann der Philologe nicht anders, als im Christentum das Schlußkapitel der antiken
Religionsgeschichte sehen.8)
Die Bedeutung des Begriffs Christliche Antike muß, gegenüber den widerstrebenden
Theologen, auch für das engere Gebiet der Kunst aufrecht erhalten werden. Schultze
bemerkt zu unserem ersten Bande, daß bei den „Erlösungstypen" die Anknüpfungs-
versuche an antike (will sagen heidnische) Parallelen sehr zurücktreten. Im Vergleich
zu dem bei den „Übernommenen Emblemen" Gegebenen treten sie in der Tat zurück;
aber nicht, weil sie nichts eintrügen, sondern weil es sich da eben nicht mehr um
Übernommenes handelt, sondern um Neugeschaffenes. Gerade unsere Formel „Christ-
liche Antike* befreit die Forschung von dem Suchen nach Beweisen der Abhängigkeit
x) Orpheus: Lat. n. 156 G 307, 3. Porto Torres G 307, 4. — Malereien: Band I 245.
Spätere: Wilpert Taf. 55 (Christi. Antike I 155 Abb.). 229. — Mehr bei Ficker zu Lat. n. 156.
9) Strzygowski, Rom. Quartalschr. 1890, 104 Taf. 6. Institutsphot. N. M. 64.
•) In Wahrheit habe ich von Harnacks Geschichtsauffassung eine bessere Meinung als
Schultze, vgl. Band I 17, 1 die Zitate aus Harnack wie „Die Kirche — der zusammenfassende
Abschluß der bisherigen Religionsgeschichte *.
108 Plastik.
(der christlichen von der heidnischen Kunst) und erlaubt ihr, originale Schöpfung bei
der christlichen unbefangen anzuerkennen wie bei der heidnischen. Im Künstlerischen
blieb die Kunst immer dieselbe Antike, nach Maßgabe der ihr in der Kaiserzeit noch
inne wohnenden Kräfte gleich bereit, alle an sie herantretenden Aufgaben zu lösen,
mochte es sich um den Kult des Juppiter, des Mithras oder des Christus handeln
(Band I 181). Wenn ich aber (was Schultze seinerseits zu sehr zurücktreten läßt) fast
zu jedem alttestamentlichen Bild tatsächlich doch Parallelen aus der heidnischen Mytho-
logie und Kunst beibrachte, so geschah es nicht in dem Sinne jener Abhängigkeits-
theorie, sondern der archäologischen Typologie. Die christlichen Typen stehen in der
Kette der typengeschichtlichen Entwicklung; es ist nötig, ihre typengeschichtliche Filia-
tion ebenso zu ermitteln, wie es in der Archäologie sonst geschieht, beim phidiasischen
Zeus oder bei der praxitelischen Aphrodite. Wie der Zeus und die Aphrodite durch
ihre Einordnung in die typengeschichtliche Kausalität nichts an ihrem Wert als originale
Schöpfungen verlieren, so nimmt die typologische Behandlung den christlichen Kunst-
erzeugnissen nichts von dem Original wert, den sie etwa besitzen (Band I 10). Und
wenn ich zum David mit der Schleuder, zum Tobias mit dem Fisch, zu den neu-
testamentlichen Totenerweckungen und Heilungsszenen typologische Winke zu geben
verzichtete, so geschah dies, weil es den Archäologen gegenüber nicht nötig war. Denn
diese Art Szenen bedürfen für den Archäologen keiner eingehenden Untersuchung, sie
stellen sich ihm ohne weiteres zu den Malereien in den Kolumbarien und zu den Klein-
bildern in den stadtrömischen und pompejanischen Wanddekorationen, den Gerichts-,
Handwerks-, Fischer-, Hirten- und Wirtshausszenen. Man braucht beides nur neben-
einanderzuhalten, um sich zu überzeugen, daß hier wie dort dieselbe Kunst an der
Arbeit ist. Wenn endlich einmal die Typik der griechischen Kunst geschrieben werden
wird, so werden auch der David mit der Schleuder, der Tobias mit dem Fisch, der
Gichtbrüchige mit seinem Bett, usf., darin ihre Plätze finden, ein jeder an seinem Ort,
und eben damit auch ihre typengeschichtliche Erklärung.1)
Wenn wir uns nunmehr zur Betrachtung der einschlägigen Sarkophagreliefs wenden,
so sei allgemein gesagt, daß hier natürlich auch die heidnisch antiken Reliefs als typen-
geschichtliches Material in Frage kommen. Solches Material findet man in den offi-
*) Viktor Schultze: Hölschera Theol. Literaturblatt 1907, 50 f. — Thiersch, Hist.
Zeitschr. CII 1909, 582 meint, die Erlösungstypeu hätten doch wohl Beziehung auf die Christen-
verfolgungen, sie sprächen von der Erlösung aus dem Märtyrertod in den Himmel. Damit wird
vorausgesetzt, daß sie für Märtyrergräber erfunden seien; aber sie kommen von Anfang an all-
gemein vor, können also nur die allgemeinere Bedeutung der Erlösung aus dem Tod in die Selig-
keit haben. Nur zwei dieser Typen verlangen unter dem von Thiersch empfohlenen Gesichtspunkt
Beachtung, Daniel in der Löwengrube und die drei Jünglinge vor Nebukadnezar. Den Daniel
aus der babylonischen Löwengrube in die Arena zu versetzen, lag dem erfindenden Künstler nahe
genug, auch wenn es niemals Christenverfolgungen gegeben hätte. Man braucht bei dem Bilde
nicht an Märtyrer zu denken; freilich konnte man es, nach den Umständen, wenn man wollte.
Bei der Interpretation aber handelt sich's in erster Linie um die Motive, aus denen die Bilder
entstanden; nur in zweiter Linie interessieren die sekundären Vorstellungen, welche unter Um-
ständen mit dem bereits bestehenden Typus sich verknüpfen konnten. Bei den drei Jünglingen
kann man eher an primäre Beziehung auf die Märtyrer denken, weil das von Nebukadnezar er-
richtete Bild hier in der Form einer Kaiserbüste gegeben ist. Man wolle aber beachten, daß der
Typus in der Katakombenmalerei erst spät auftritt, in der Zeit des blühenden Märtyrerkultes
(wahrscheinlich ist er in der Skulptur entstanden und von da in die Malerei übertragen); er kann
für die Urspruugsmotive der Erlösungstypeu nichts beweisen.
Alttestamentliche Typen. 109
ziellen Reliefs der römischen Kaiserzeit; beispielsweise am Trajansbogen von Benevent
die Togati vor dem Kaiser in bürgerlicher, die Knienden vor demselben in militärischer
Tracht; oder in dem konstantinischen Relief an des Kaisers Bogen der spendende
Kaiser oben, die Adorierenden, Bittenden und Empfangenden unten; einige heben die
Hände wie Moses beim Gesetzesempfang, andere den Mantelbausch wie Petrus.1)
Es ist schwer, einen ausreichenden Einteilungsgrund für die bildlichen Typen zu
finden, die wir noch zu besprechen haben. Weil sie den christlichen Gedanken der
Erlösung aus dem Tode ins ewige Leben aussprechen, so brachten wir sie in dem der
Interpretation gewidmeten ersten Band unter dem Titel Erlösungstypen. Dem Her-
kommen folgend beließen wir es bei der an der Oberfläche bleibenden Zweiteilung in
alt- und neutestamentliche Szenen. Auch jetzt verzichten wir darauf, eine rationellere
Disposition zu suchen. Immerhin sei die Bemerkung nicht zurückgehalten, daß die her-
kömmliche Rubrizierung in mehreren Fällen auf Schwierigkeiten stößt, insofern einzelne
Typen ebensosehr als alt- wie als neutestamentliche Motive angesprochen werden können.
In welche Rubrik z. B. sollen wir den präexistenten Christus stellen? Aber wir wollen
uns hier nicht bei solchen Sorgen aufhalten und zur Sache kommen.
Alttestamentliche Typen. Von den vorbesprochenen Typen haben wir einige
wenige wie Orans und Guter Hirt als im Erfolg spezifisch christlich zu bezeichnen; die
nachgehends aufzuführenden sind es sämtlich. Halten wir uns im Gesichtskreis der
stadtrömischen Kunst, so werden wir sagen müssen, daß die Typik der christlichen
Sarkophagbilder vorgebildet sein müsse von der im ganzen genommen (also Aus-
nahmen vorbehalten) älteren Typik der Katakombenmalerei; und es würde an diesem
Verhältnis noch nichts geändert, wenn sich nachweisen ließe, daß die christliche Malerei
aus dem griechischen Osten nach dem Westen gekommen sei, einerlei ob im Gefolge
der christlichen Mission aus den Küstenländern Vorderasiens oder auf dem Verkehrs-
weg des mit am kräftigsten Kulturherdes, Alexandriens, zur Reichshauptstadt Rom.
Aber noch eine andere Frage hat Strzygowski aufgeworfen, in der Form einer weiteren
Hypothese: die Frage, ob es eine jüdische Kunst gegeben habe, welche die alt-
testamentlichen Szenen der christlichen Kunst vorgebildet haben könnte. Strzygowski
ist geneigt, die Frage zu bejahen. Er hebt hervor, daß in der römischen Katakomben-
malerei ursprünglich die alttestamentlichen Bilder überwiegen, die neutestamentlichen
erst allmählich hinzukommen, bis sie zuletzt überwiegen. Nun leitet seine bereits früher
erwähnte Hypothese die Katakombenkunst aus Alexandrien ab, also aus einem Haupt-
sitze des hellenistischen und speziell auch eines geistig besonders regen Judentums, das
durch den Hellenismus zu einer Figurenkunst angeregt sein könnte. Auch diese Doppel-
hypothese, von dem einstigen Dasein einer hellenistisch jüdischen Kunst als der Mutter
der altchristlichen, insbesondere ihres Schatzes an alttestamentlichen Bildern, will im
Auge behalten sein, auch sie als eine, die möglicherweise künftig einmal heuristisch
wertvoll werden kann.2)
Daniel in der Löwengrube. Wir kennen den Typus aus der Malerei: Daniel
steht nackt zwischen zwei Löwen, frontal, beide Hände im Oranstypus ausgebreitet (der
sentimentale alte Herr in Talar und Mantel, der am Bassussarkophag als Daniel
figuriert, ist moderne Fälschung; bei der Auffindung des Sarkophags war der antike
l) Benevent: Brunn-Bruckmann, Denkmäler Taf. 397, 1. 398, 2. Konstantinisches Belief:
unsere Abb. 21.
a) Strzygowski, Alexandrinische Weltchronik (Wiener Akad. Denkschr. LI 1905) 183 ff.
HO Plastik.
nackte Daniel ebensogut vorhanden wie die anderen Gestalten, Bottaris Kupfer gibt
ihn wieder, danach Garrucci [unsere Abb. 18]). Die Löwen stehen öfter abgewandt,
wenden aber den Kopf nach Daniel zurück; einmal springen sie auf, bisweilen sitzen
sie. — In den Zusätzen zum Buch Daniel wird erzählt, daß der Engel des Herrn den
Habakuk, da er in Judäa den Schnittern in einem Napf eingebrocktes Brot auf das
Feld brachte, am Schopf faßte und nach Babylon zur Löwengrube entführte, mit samt
dem Napfe, um ihn dem Daniel zu bringen. In den Reliefs pflegt Habakuk unbärtig
dargestellt zu werden, im Chiton, in den Händen einen Napf mit den typischen Kreuz-
wecken der christlichen Kunst. Dann kommt er auch bärtig vor, einmal auch in Rock
und Hosen. Meist steht er mit dem Napf ruhig neben Daniel, doch reicht er ihn wohl
auch sich vorneigend. Es treten noch Hintergrundsfiguren hinzu, bartlose oder bärtige,
gern aber wird dem Habakuk eine solche Figur symmetrisch gegenüber gestellt, welche
sprechend die Rechte vorstreckt; ob man in ihr den König erkennen darf, bleibt frag-
lich, da er auf keine Weise charakterisiert ist. — Einmal steht Daniel bis über die
Knöchel in einem die Löwengrube vertretenden länglichen sarkophagartigen Kasten;
damit verrät sich Daniel unverkennbar als Sinnbild der Erlösung aus dem Tod ins
ewige Leben, hier vielleicht auch durch die Auferstehung. Die Löwen sitzen etwas
unlogisch auf dem doch offen zu denkenden Trog, Daniel blickt zu ihnen hinab. Er
steht zwischen zwei bärtigen Hintergrundsfiguren, von denen die eine die Rechte
sprechend vorstreckt, die andere die ihre auf Habakuks Scheitel legt, daher man
schwankt, ob sie den Engel des Herrn oder den Herrn selbst vorstellen solle [Abb. 37].
— An einem Sarkophag zu Brescia endlich wird Habakuk, unbärtig und in Exomis,
von einer Hand, die aus einer Gruppe von sieben Sternen, das will sagen aus dem
Himmel, herabgreift, am Schopf vor Daniel gebracht. Unsere Abb. 14. 18. 37. 38. 43.1)
Daniel tötet den Drachen. Die Zusätze zum Buch Daniel erzählen von einer
Schlange (dqäyuov), der die Babylonier göttliche Ehre erwiesen. Zum Beweis ihrer nicht
göttlichen Natur erbot sich Daniel sie ohne Schwert zu töten und erhielt dazu die Er-
laubnis des Königs. Er kochte Pech, Fett und Haare zusammen, bereitete einen
Kuchen daraus (einen Kuchen ftdi^av, Septuaginta; Kuchen, pci^ag, Theodotion) und
warf ihn (sie) der Schlange ins Maul; nachdem sie gefressen hatte, barst sie. — Das
ist mehrfach in Sarkophagreliefs dargestellt, immer an einem Ende, der Baum oder der
Tempel bildet den Abschluß. Die Schlange ist um einen Baum gewunden, wie ähnlich
die im Sündenfall; es ist der typische Ölbaum der christlichen Kunst. Daniel, in
Chiton und Mantel, schiebt ihr den Kuchen ins Maul, zwischen beiden ein umgestürzter,
trotzdem flammender Altar, dazu eine bartlose Hintergrundsfigur. Ein andermal steht
der Altar noch aufrecht, zur Andeutung des Schlangenkultus; hier reicht Daniel der
Schlange eine Schüssel mit mehreren kleinen Kuchen hin, also wie bei Theodotion. An
») Daniel in der Löwengrube: Band I 211. 215. — Bassus: Bottari Taf. 15 G 322, 2.
Der jetzige Zustand nach Photographie bei Grisar, Böm. Quart. 1896 Taf. 5. de Waal, Sark. d.
Bassus Taf. 2. — Löwen abgewandt: Lat. n. 137 G 359, 1. n. 184 G 364, 2. n. 212 G 358, 1.
n. 187. 234; aufspringend: Wittig 67 n. 23; sitzend: Lat. n. 55 G 358, 3. — Habakuk (Zusätze zu
Daniel bei Swete, Old testament III 590. 591. Kautzsch, Apokryphen 192): Lat. n. 55 G 358, 3.
n. 147 G 384, 3. n. 175 G 367, 1; bärtig: Lat. n. 124 G 398, 4; Hosen: Lat. n. 135 G 318, 3;
vorgeneigt: Lat. n. 162 G 348, 1. Hintergrundsfiguren bärtig: Lat. n. 178 G 367, 3; Hechte
sprechend: Lat. n. 189 G 367, 2. n. 190 G 384, 5. Hand auf Scheitel: Lat. n. 104 G 365, 2.
Hand aus Sternen: G 323, 2.
Alttestamentliche Typen. 111
einem Sarkophag zu Verona steht der flammende Altar vor einem säulenlosen Tempel,
aus dessen offener Front die Schlange herauskommt; der Ölbaum hinter Daniel, hier
vielleicht nur als Szenentrennung. Am Sarkophag von Mantua kommt die Schlange
aus einer Öffnung am Ende des Reliefs hervor, hinter Daniel hebt ein Mann ver-
wundert die Hand. — Die zwei oberitalischen Danielbilder haben zu Gegenstücken eine
noch nicht genügend erklärte Szene: ein Mann in Rock und Mantel spricht einen
sitzenden großen Hund an, der wie aufheulend den Kopf und die Tatze hebt. Man
würde an eine freundliche Begrüssung denken, wenn nicht das Gegenstück zur Zurück-
haltung mahnte. Am veroneser Exemplar ist der Mann bärtig, der Hund sitzt vor
einem Haus mit rundbogig schließendem Eingang; am mantuaner Relief fehlt das Haus,
hinter dem Mann wendet sich ein zweiter weg, wie um sich in Sicherheit zu bringen,
blickt dabei aber zurück. Die Darstellung mit dem Haus, vor dem der Hund sitzt,
gemahnt an jene Ernteszenen, wo der heimkehrende Ochsenkarren von dem Haushund
begrüßt wird. Garrucci will in dem Haus den Schafstall Christi erkennen; Schafställe
sahen wir mehrfach als Quaderbauten dargestellt. Es darf nicht übersehen werden,
daß alle Exemplare dem vierten Jahrhundert angehören. Das Danielbild symbolisiert
den Sieg des Christus.1)
Das beim vorigen Typus erstgenannte Bild hat als Gegenstück den Daniel als
Richter in der apokryphen Geschichte von der keuschen Susanna. Zwei Älteste des
jüdischen Volks lauerten der schönen Susanna auf, da sie im Park ihres Mannes lust-
wandelte. Da Susanna standhaft bleibt, erheben die zwei, um sie zu verderben, falsche
Anklage gegen sie; aber der noch junge Daniel, dem der Engel des Herrn es eingab,
überführte sie, und Susanna ward gerettet. — Wir haben nur ein paar Darstellungen
der Geschichte. In der einen sind zwei Hauptmomente verbunden, und die zwei
Altesten sind auf die zwei Momente verteilt: der eine lauert hinter einem Baum, durch
dessen Zweige er den Kopf schiebt, die Rechte nach Susanna schon vorgestreckt; der
andere tritt in gebückter Haltung vor den vor Parapetasma frontal thronenden Daniel,
vorgeführt von zwei Soldaten (in Chlamys, der eine mit gezücktem Schwert). Auf der
anderen Seite des Biselliums steht Susanna matronal, mit sprechender Gebärde, vor
Daniel, neben ihr ein offener Schriftbehälter mit Rollen. — An einem Säulensarkophag
thront Daniel erhöht, dem von einem Soldaten mit gezücktem Schwert vorgeführten,
gebückt nahenden Ältesten zugewandt; auf der anderen Seite steht Susanna (in Mantel
und Schleier) neben ihrem Manne Jojakim. — Man hat den Typus als Rettungsbild auf-
zufassen. Der Rollenbehälter neben der Susanna dort und die Rolle in der Hand des
Jojakim hier verraten, daß jene Susanna und dieses Ehepaar die Verstorbenen meint.2)
Bei den Malereien fanden wir einen nicht ganz klaren Typus: eine Orans zwischen
Bäumen, hinter denen zwei Männer kauern. Weder die Deutung auf Susanna zwischen
den im Park auflauernden Ältesten noch die auf Bewillkommnung einer Verstorbenen
durch Selige, im himmlischen Paradies, ging restlos in den Darstellungen auf. Die-
selbe Szene findet sich auf einem Sarkophagfragment des deutschen Campo santo.8)
Die drei Jünglinge im glühenden Ofen waren in der Skulptur verhältnis-
*) Zusätze: Swete III 588. 589. Kautzsch, Apokryphen 191. — Umgestürzter Altar: Lat. n.
136 G 383, 5. Altar aufrecht: Lat. n. 179 G 370, 1. Verona: G 333, 1. Mantua: G 320, 2.
a) Susanna: Swete III 576. 577. Kautzsch, Apokryphen 184. — Lat. n. 136 G. 383, 5.
n. 195 G 397, 9.
8) Susanna im Park: Christi. Antike I 268. — Wittig 65 n. 31.
H2 Plastik.
mäßig so beliebt wie in der Malerei. Sie pflegen in den herausschlagenden Flammen
eines gemauerten Ofens mit Schürlöchern zu stehen, in denen brennende Holzscheite
liegen. Vereinzelt kommt auch an einem Sarkophag vor, daß der Ofen fehlt, die
Flammen, in denen die Jünglinge stehen, vom Boden auflodern. — Verschiedene Neben-
personen treten hinzu. Ein Heizer kniet vor dem Ofen um zu schüren; oder er trägt
Scheite zu. Dann eine Figur in Chiton und Mantel, verschieden gedeutet, als Prophet,
als Engel, als Nebukadnezar. Einmal steht die Figur vor Parapetasma, ein Schrift-
bündel neben sich, so daß an den Verstorbenen gedacht werden könnte; aber er wendet
sich im Profil zu der Ofenszene und mit deutenden Fingern scheint er den knienden
Heizer anzuweisen, was denn gut für den König passen würde, obschon er nicht als
solcher charakterisiert ist. Am Sarkophag Lat. n. 152 fehlt der Heizer, die Figur steht
im Habitus eines Verstorbenen mit Schriftrolle bei der Szene, ein Schriftbündel neben
sich [Abb. 28]. Wiederum sieht man ihn neben dem Heizer, aber weder mit Schriften,
noch den Heizer anweisend. In einer neuen Variante wendet er sich mit Blick und
gehobener Hand zu den Jünglingen, hier macht er am ehesten den Eindruck des Engels.
Die Taube mit dem Zweig, aus dem Noahbild, die in der Malerei bisweilen den Jüng-
lingen beigefügt wurde, findet sich hier nicht; häufig aber sind die beiden gleich-
bedeutenden Szenen nebeneinander gestellt.1)
Am Deckel eines verschollenen vatikanischen Sarkophags aus dem vierten Jahr-
hundert wird die Geschichte der drei Jünglinge etwas ausführlicher und teil weis
lebendiger erzählt. Nebukadnezar in Panzer und Chlamys sitzt rechtshin auf einer
Sella curulis, einen Soldaten in Chiton, mit Schild und Lanze, hinter sich; ein anderer
in Chlamys steht vor dem König und weist redend auf dessen Büste, die frontal auf
einer kurzen Säule steht (statt des Gottesbildes Dan. 3, 14). Die Jünglinge selbst sind
in dieser Szene nicht dargestellt, sondern sofort in der Ofenszene, weiter rechts im Fries.
Zwei stehen bereits in der Glut, der entferntere als Orans gegeben, der nähere neigt
sich, die Hand reichend, zu dem dritten, der erst an den Ofen herantritt wie freudig
bereit; ihm folgt ein Scherge. Zwischen den zwei Jünglingen im Ofen steht frontal
der Engel des Herrn (Vers 25). — Andere Reliefs stellen die Verweigerung der Adora-
tion unmittelbar vor Augen, die drei Jünglinge weichen mit abwehrender Gebärde vor
dem Bild zurück.2)
Noah in der Arche meint in der Skulptur wie in der Malerei die Erlösung,
also des Verstorbenen, aus dem Tod in das ewige Leben; er pflegt wie die frühchrist-
lichen Seligen bartlos dargestellt zu sein, erst in späteren Exemplaren bärtig. Die
Meinung wird über allen Zweifel hinaus bestätigt durch einzelne Frauen im Typus des
Noah, so der Juliane, die durch matronale Verhüllung gesichert ist. Noah steht in der
offenen Arche, im Orantentypus, später, an den Sarkophagen in der Regel, auch im
Profil, mit der Hand die heranfliegende Taube begrüßend, die bisweilen von einem
') Jünglinge im Ofen in der Malerei: Band I 212. 215. — Ofen: Lat. n. 135 G 318, 2.
n. 161 G 382, 4 des Sabinus. n. 206 G 397, 3 der Constantia. n. 192. 205. Wittig 119 n. 56.
Kein Ofen, Flammen und Jünglinge auf dem Boden: Wittig 58 n. 26. — Heizer kniet: G 397, 7;
trägt Scheite: Lat. n. 134 G 397, 6. König: G 397, 7. Lat. n. 152 G 320, 1. Figur ohne Attribute:
Lat. n. 182 G 384, 1. Engel: G 397, 4. — Heizer heidnisch: Robert III n Seite 327 n. 2641
Abb. S. 380 n. 266 x Abb. (Jagdmahl).
9) Nebukadnezar: G 334, 2. Grousset n. 193 (Nebukadnezar mit zwei Akoluthen, die
Büste, die drei Jünglinge). Ficker n. 53 Tai 1 (die drei Jünglinge). Syrakus (G 365, 1).
Alttestamentliche Typen. 113
Baume herab kommt. Die Arche wird gern in das Wasser der Jonasgeschichte gesetzt.
Der Kasten ist einmal sechseckig (Garrucci meint, wie ein Taufbecken, aber er hat wie
immer ein Schloß) [Abb. 5. 43].1)
Jonas. Bei der Malerei unterschieden wir Zyklen verschiedenen Umfangs; ein
zweigliedriger erzählte in seiner ersten Szene, wie Jonas von den Schiffern ins Meer
geworfen und vom Seedrachen verschlungen wird, in der zweiten, wie das Ketos ihn
wieder ans Land speit. Dazu trat eine dritte Szene, die selbständig entstanden war,
vielleicht in Anlehnung an den Schläfer Endymion, wie nämlich Jonas unter der Kürbis-
laube ruht. Wegen ihrer in der Katakombenkunst einzigartigen zyklischen Ausbildung
wurde die Jonasgeschichte von den Plafondmalern gern zur Füllung der vier Kappen-
felder genommen. Zur Verzierung der vierten Kappe bedurfte es einer vierten Szene;
man schuf sie der dritten gleichbedeutend, nur treuer dem Buchstaben des Jonasbuchs
folgend, wie Jonas unter der Laube sitzt. In der Grabkunst bedeutet der Sturz des
Jonas in die See und in den Rachen des Seedrachens den Tod, das Wiederhervor-
gehen die Erlösung in das ewige Leben, das Ruhen unter der Laube, sei es im
Liegen oder im Sitzen, die Seligkeit im himmlischen Paradiese.2)
Die Sarkophagreliefs mit Jonasszenen sind verhältnismäßig zahlreich. Mehreren
Exemplaren merkt man das Herauswachsen aus der heidnischen Typik noch deutlich
an, so dem berühmten Jonassarkophag des Lateran G 307, 1. Das Relief ist zwei-
zonig, die Darstellung der unteren Zone aber greift in die obere über. Man erinnert
sich des zweizonigen Frieses von Trysa, wo ebenfalls mehrfach für eine Darstellung
beide Zonen in Anspruch genommen werden. Die Art und Weise aber, wie es am
Jonassarkophag geschieht, besonders in der Landschaft mit Staffagen am rechten Ende,
läßt uns fragen, ob hier nicht eine zugrunde liegende ältere Komposition von einer
späteren, Verschiedenes kontaminierenden Ausführung zu unterscheiden sei. Die ur-
sprüngliche Komposition wäre demnach ein Seestück in hellenistischer Art gewesen,
mit Horizont und Himmel, in dem Wind- und Sonnengott erscheinen, abgeschlossen und
eingerahmt von felsiger Küste und anschließendem Land, alles als Szenerie für die
Jonasszenen; der obere, übrigens niedrigere Fries aber und die Arche Noahs wären
als Zutaten des vorliegenden Exemplars zu betrachten [Abb. 5]. Man vergleiche die
Wiederholung der Komposition am Kindersarkophag von Porta Angelica, jetzt im Besitz
») Noah in der Malerei: Band I 213. Bärtig: Lat. n. 114. Juliane: Lat. n. 236 G 301, 2.
Vgl. Wittig 61 n. 28 (aber keine phrygische Mütze). In Profil: Lat. n. 119 G 307, 1. n. 134.
n. 135 G 318, 3. n. 176 G 384, 6. n. 159 G 397, 5. n. 182 G 384, 1. G 368, 2. Wittig 60 n. 27.
— Sechseckig: G 328, 2.
a) Jonas in der Malerei: Band I 216. Wer sich für die Jonasmythologie interessiert, findet
in Bousset-Gunkels Forschungen IX 1907 eine Deutung Hans Schmidts auf die Sonne (dazu Jensen,
Deutsche Lit. Zeitung 1907, 2619, nebst Schmidts Replik eb. 3013) und in der Mythologischen
Bibliothek I i Leipzig 1907 eine andre von E. Sieke auf den Mond (dazu Jensen a. a. O. 1908, 82).
Das sind weder die ersten noch die letzten mythologischen Deutungen des Jonas. — Den Jonas
in der Laube will Thiersch, Hist. Zeitschr. 1909 582, auch als Errettungsszene verstehen, er nennt
sie , Jonas in der Sonnenglut * ; Gott lasse den Efeu über ihn wachsen, damit er in der Sonnen-
glut nicht umkomme. Man mag den Vorschlag in Erwägung ziehen, doch glaube ich, bei wieder-
holter Durchsicht der Bilder, auch mit Berücksichtigung ihrer syntaktischen Verwendung, wird
man auf die andere Erklärung zurückkommen, auf den Jonas unter der Laube als ein Sinnbild
der Ruhe im Paradies. Es ist geradezu ein Synonym der Oranten; und wer die Überzahl der
weiblichen Oranten erstaunlich findet, der versäume nicht, die Jonasbilder in Gegenrechnung
zu stellen.
Sybel, Christliche Antike II. 8
114 Plastik.
des Dr. Carl Jacobsen in Kopenhagen; da fehlt die Arche und der obere Fries (dafür
sind die Fischer an beiden Enden durch Gute Hirten ersetzt [Abb. 6]. — Am Sarkophag
von Maria Antiqua sitzt ein fast nackter stattlicher Poseidon mit Dreizack auf der
Felsküste über der Brandung (der Philologe denkt dabei an Odyssee V 282 — 283);
das Schiif hat im Sturm das Segel gerefft (wie in den Malereien; die meisten Sarkophage
geben es gebläht); es folgt das Ketos und der ruhende Jonas; das sanft abfallende
Dach der Laube wird oberwärts zu einer nach Hülsen und Morey aus den Endymion-
sarkophagen mit herübergenommenen Schaf weide; am anderen Ende der Wanne sind
zwei nackte Fischer mit einem eben gezogenen Netz beschäftigt, der Sitzende schaut
sich um nach der Jordantaufe hinter ihm [Abb. 4]. — Ein Fragment in Villa Doria-
Pamfili setzt an die Stelle des Schiffs eine Barke mit einem Ruderer und einem Fischer,
der ein Netz zieht; dann das Ketos und der ruhende Jonas.1)
Die Szene des Hinauswerfens aus dem Schiff schildert ein spätes Relief aus
Tarsos in der Art, daß Jonas mit den Füßen voran aus dem Schiff gestoßen wird;
sonst pflegt er den Kopf voran über Bord zu gehn. — Nachdem Mitius einen Anfang
gemacht hatte, die Exemplare zu klassifizieren und die Klassen zu datieren, suchte
Wittig weiter zu bauen. Er erkennt Mitius' erste und vierte Gruppe als vorkonstan-
tinisch an. Zur ersten Gruppe, in der Jonas wagerecht hinausgeworfen wird, gehört
ein verschollenes Exemplar G 377, 1, der lateränische Jonassarkophag, der bei Noah
erwähnte Sarg der Juliane, an dem eine Schaf weide dem Seestück gegenüber steht,
ferner das Fragment Rondanini G 397, 10; Wittig fügt Campo santo n. 19 hinzu.
Die gleichzeitige vierte Gruppe läßt das Schiff ruhig fahren, das Auswerfen und Ver-
schlingen sowie das Wiederausspeien fehlt, gegeben aber ist das Ketos nach dem Aus-
speien oder ausspeiend und Jonas ruhend; die Figur im Schiff, die ursprünglich ein
Orans war, spricht hier Erstaunen aus über den geretteten und ruhenden Propheten.
Auch der Sarkophag von Maria Antiqua gehört hierher, und das Schiff hat auffallende
Ähnlichkeit mit dem in G 397, 12. Mitius hat S. 59 richtig bemerkt, daß in der
Skulptur der schlafende (vielmehr ruhende) Jonas als die Hauptdarstellung anzusehen
ist (das gilt auch für die Plafondmalerei überall, wo der gelagerte oder sitzende Jonas
sich über der Fondwand befindet); keineswegs trägt nur Platzmangel die Schuld an
der abgekürzten und ganz auf die „Ruhe im Frieden" zugespitzten Darstellung,
am Exemplar von Maria Antiqua z. B. wäre reiehlich Raum gewesen für alle drei
Szenen.2)
Wie dann die Darstellung variiert wird, indem die Schiffer den Propheten senk-
recht, auf den Kopf gestellt, heben und so in die See und den Rachen des Ketos
werfen (G 397, 11. 380, 4 usf.), das möge man bei Mitius nachlesen. Die weiteren
Gruppenbildungen lassen wir auf sich beruhen, wir begnügen uns festzustellen, daß
der Kopf des Jonas dem Rachen bald ferner bald näher steht oder auch weniger oder
mehr in ihm verschwindet. Diejenigen Exemplare, welche, von der vorbesprochenen
2) Kindersarkophag: de Waal, Sark. d. Bassus 21 Abb. — Maria Antiqua: Marucchi
Bull, crist. 1901, 206 Abb. Morey, Americ. school Eome, Suppl. pap. I 1905, 148 Fig. 1—8 (auch
die Schmalseiten). Hülsen, Forum Romanum 1904, 143 Abb. 71. Neue Jahrbücher für Altertums-
wiss. 1904, 40. Vgl. Giard. d. pigna n. 240. — Doria: Grousset n. 81.
2) Tarsos: Lowrie, Americ. Journ. Archäol. 1901, 51; Arch. Anzeiger 1901, 27. — Mitius
Jonas 44. Wittig Campo santo 51. — Vierte Gruppe: G 384, 4. 385, 4. 397, 12.
Altteatamentliche Typen. U5
frühen vierten Gruppe abgesehen, die Darstellung mehr durch Zusammenrücken verein-
fachen, scheinen die späteren zu sein.
Die Sarkophage geben nicht leicht eine Jonasszene allein, sondern stets einen
Zyklus; niemals hatten sie Anlaß zu dem viergliedrigen der Deckenmalerei, wohl aber
zu dem dreigliedrigen (G 307, 1. Giardino d. pigna n. 21). Meist indessen, und zwar
schon früh, greift eine Vereinfachung Platz, ein Zusammenziehen der zwei Schluß-
szenen; entweder ist das Ketos nach dem Ausspeien dargestellt, mit offenem Rachen
dem Lande zugewandt, wo Jonas ruht, oder Ausspeien und Ruhe sind verschmolzen,
die Füße des bereits ruhenden Jonas stecken noch im Rachen des Untiers [Abb. 28];
in einer Spielart ergreift der dem Rachen entsteigende Jonas den Stamm der Kürbis-
staude. Jonas ist immer nackt, nur einmal trägt er die Exomis, da er unter der
Staude ruht.1)
Das Buch Hiob weiß nichts von einem Leben nach dem Tode; vollends die Vor-
stellung von einer Auferstehung des Fleisches hat erst die lateinische Übersetzung 19,
25 hineingebracht. In der christlichen Kunst ist der aus tiefster Trübsal nicht bloß
in den früheren Stand, sondern darüber hinaus in weit größeren Wohlstand erhobene
Mann ein Sinnbild des aus dem Tod in die Seligkeit erlösten Christen. — Auch in der
Skulptur, wie in der Malerei, kommt Hiob nur wenige Male vor. Er pflegt bartlos
zu sein; der bärtige Kopf, den er am Bassussarkophag trägt, ist moderne Ergänzung.
In der Exomis des geringen Arbeiters sitzt er geneigten Hauptes rechtshin auf einem
Fels, die Rechte auf ihn gestützt, den linken Fuß auf einen Stein gestellt, die linke
Hand liegt auf dem Knie; vor ihm steht seine Frau, das Haar in einer Haube, den
Mantel vor Nase und Mund gehalten — nach Hiob 19, 17 „Mein Atem ist zuwider
meinem Weibe" (Kautzsch); mit der Rechten hält sie dem aussätzigen Gatten in einer
Art langgestielter Zange ein Kreuzbrötchen hin (Zange und Brötchen abgebrochen).
Dazu eine bartlose Hintergrundsfigur [Abb. 18]. — Lat. n. 164 G 350, 2 zeigt in der
Endnische eines Baumganges dieselbe Szene, nur im Spiegelbild, als Gegenstück zu
Kain und Abels Opfer; sonderbarerweise sitzt Hiob auf einer Sella curulis, den Fuß
auf einen Schemel gestellt, dagegen der Gott gegenüber auf einem Stein [Abb. 34]. —
An der rechten Schmalseite des Sarkophags von Brescia sitzt Hiob ebenfalls linkshin,
hier nun wieder auf dem Stein; außer seiner Frau stehen ihm zwei Freunde gegen-
über, in der Barbarentracht, der Kopf eines dritten mag im Hintergrund sichtbar ge-
wesen sein (G 323, 3; leider ist ein großes Stück aus der Mitte herausgebrochen). —
Lat. n. 40 (Roller I 297 Taf. 50, 3) ist vielleicht eine Variante des Hiobtypus: ein
Bartloser spricht, nach oben weisend, zu einem auf Fels unter einem Palmbaum sitzenden
bärtigen Kahlkopf, der das Kinn in die linke Hand stützt.2)
Isaaks Rettung vom Opfertod war in der Skulptur ähnlich beliebt wie in
der Malerei. Bei deren Besprechung stellten wir fest, daß die Szene ein Bild der
x) Nach dem Ausspeien: Maria Antiqua; Grousset n. 154 G 397, 12; Lat. n. 159 G 397, 5;
n. 178 G 367, 3. Einmal sitzt Jonas, die Hand am Kopf ähnlich wie beim ruhenden, G 383, 3.
— Füße im Rachen: Lat. n. 152 G 320, 1. n. 157 G 316, 4. — Ergreift den Stamm: G 402, 3. —
Exomis: Grousset n. 135 G 396, 11 (spät).
2) Hiob in der Malerei: Band I 219. Traurig Sitzende, wie Philoktet, eb. 219, 1; vgl. auch
Cohen, M£d. imp. 2 V1H 284, 78 = Sabatier, Contorniates pl. 16, 2 „Salustius autor" : Bartloser
sitzt rechtshin auf Fels, 1. Fuß auf Felsstufe, L. stützt den Kopf, R. auf den Schenkel gelegt. —
Bassus: de Waal, Bassussarkophag 34 Taf. 8 G 322, 2.
8*
116 Plastik.
Erlösung aus dem Tode ins ewige Leben sei. Sie ist nicht „in erster Linie Typus
des Opfertodes Christi". Auf den Bischof Ambrosius darf man sich nicht berufen;
denn ihm ist Isaak nur ein Prototyp des zum Opfer bestimmten und bereiten
Christus, Isaac ergo Christi passuri est typus. Die bloß „intendierte", aber nicht voll-
zogene Opferung Isaaks konnte und wollte Ambrosius nicht als Prototyp der blutig
vollzogenen Opferung des Christus bezeichnen.1)
In den Sarkophagreliefs kniet Isaak meist neben dem brennenden Altar. Abraham
faßt den Kopf des Knaben mit der Linken und schwingt das Messer in der Rechten;
da erscheint eine Hand aus Wolken, Abraham blickt nach ihr um. Das Ersatztier,
der Widder, steht zur Seite, nicht immer als Widder charakterisiert. Abraham trägt
ziemlich ebensooft die Exomis, wie Rock und Mantel; die erhaltenen Skulpturen er-
lauben vorläufig kaum, die eine oder die andere Tracht als früheren Typus zu be-
zeichnen. Wie auch sonst in der christlichen Skulptur fällt der Mantel meist so tief,
daß er den Untersaum des Rockes verdeckt, so daß dessen Länge nicht bestimmt
werden kann. Bisweilen treten ein oder zwei Hintergrundsfiguren hinzu, deren eine
wohl den Abraham am linken Handgelenk faßt; es ist der Engel des Herrn, der die
Opferung Isaaks verhindert, eine Tautologie der Hand aus Wolken (letztere fehlt,
mehr zufällig, in ein paar Exemplaren, und zwar solchen ohne Engel) [Abb. 14. 18]. —
Am Sarkophag Lat. n. 152 steht Isaak dicht vor dem Altar, halbsitzend angelehnt
[Abb. 28]. An einigen sicher späteren Sarkophagen kniet Isaak auf dem Altar: am
Säulensarkophag Lat. n. 174 (G 323, 4) und am pariser vierseitigen Stück G 324, 3
nebst den verwandten 326 — 328; hier trägt Abraham deutlich den Talar unter dem
Mantel) [Abb. 19]. Als Typus wird dies Schema das jüngere sein. Das Knien neben
dem Altar entsprach dem gemeinantiken Opferbrauch, demzufolge die Hostie vor dem
Altar geschlachtet und dann das Opferstück auf den Altar gebracht wurde. Man
könnte die Frage aufwerfen, ob der jüngere Typus bloß auf inzwischen eingetretener
Unkenntnis des alten Ritus beruhe, oder ob er zusammenhänge mit der Umdeutung
der Isaakszene auf die jüngere Auffassung der Kreuzigung als einer Opferung. Der
christliche Priester opfert den Christus auf dem Altar. Übrigens hat sich auch der
erste Typus bis spät behauptet [Abb. 38. 39. 41. 42].2)
David kommt in der Sarkophagskulptur wie in der Katakombenmalerei einmal
vor, am Sarg des Gorgonius zu Ancona am Deckel: Goliath, anscheinend in Exomis,
aber mit den Hosen und Schuhen der Barbarentracht, steht, am linken Arm den Schild,
gegenüber David, der in Chiton und barfuß, in der Linken den Hirtenstab (abgebrochen),
mit der Rechten die gefüllte Schleuder zu schwingen sich anschickt. Goliath ist nicht
größer als David.8)
Elias' Himmelfahrt findet sich nicht vor dem vierten Jahrhundert, häufiger
an Sarkophagen als in Katakombenmalereien. Sie kehrt typisch wieder am pariser vier-
seitig skulpierten Sarkophag und seinen Verwandten. Elias steht auf dem Wagen,
*) Isaak in der Malerei: Band I 220. „Typus Christi": Hennecke, Altchristi. Malerei 211.
„Intendiert": de Waal, Sarkophag des Bassus 32. Ambrosius: de Abraham I 7, Migne XIV 446.
2) Exomis: G 312, 1. 358, 1. 359, 1. 364, 2. 367, 1. 3. 376, 4. 384, 3. Mantel: 318, 1. 322, 1.
358, 3. 367, 2. 402, 5 sowie in den drei oben zuletzt genannten Exemplaren. — Engel: G 364, 2.
367, 1. 2. 384, 3. Engel und Exomis gehen mehrfach zusammen. — Hand Gottes fehlt Lat. n. 135
G 318, 1. n. 137 G 359, 1. — Lat. n. 152: G 323, 4.
3) David in der Malerei: Band I 222. — Ancona: Garr. Taf. 326, 1.
Alttestamentliche Typen. 117
das Viergespann steigt zum Himmel empor über dem Jordan; hinter dem Wagen er-
hebt der zurückbleibende Elisa die verhüllten Hände, um den Mantel aufzufangen,
den der sich umwendende Elias aus der Hand fallen läßt. Von den ein oder zwei
Prophetenschülern im Hintergrund sehen wir ab. Den Fluß vertritt am pariser und
römischen Exemplar der gelagerte Flußgott, der mit erhobener Rechten den Ab-
scheidenden grüßt, mithin in echt antiker Weise am Vorgang teilnimmt; am mailänder
Exemplar ist statt seiner eine Wasserfläche gegeben, in der dann auch die Arche Noahs
schwimmt (der klein in die Fläche gezeichnete Sündenfall ist künstlerisch nur Lücken-
büßer). Elisa, in Mailand bartlos, hat sonst einen Bart bei kahler Stirn, Elias ist in
allen Exemplaren bartlos und in unserer Gruppe langlockig, kurz der zweite Christus-
typ. Wenn wir bei Besprechung der Katakombengemälde sagten, als Prototyp des
Eingangs der Christen in den Himmel sei eine Himmelfahrtsszene sehr passend ge-
wesen, so müssen wir jetzt fragen, ob hier nicht zugleich eine zweite Himmelfahrt mit
in Erinnerung gebracht werden sollte, diejenige nämlich des Erstlings der in den christ-
lichen Himmel Eingegangenen, des Christus selbst. Dann lag es nahe, den Elisa den
Aposteln ähnlich zu gestalten. — Die Szene findet sich nur an Schmalseiten. Lat.
n. 149 G 372, 5 läßt den Wagen über wogenden Wassern aufsteigen, Elias, bartlos,
in Exomis, hebt die Hand zum letzten Gruß, oder nach dem fallenden Mantel; das
Ziel der Fahrt, den Himmel, deuten drei Sterne an, dazu noch ein Palmbaum (großen-
teils abgebrochen) das himmlische Paradies: der sepulkrale Gesichtspunkt beherrscht
die Darstellung zwingend. — Lat. n. 198 ist stark ergänzt, G 396, 9 gibt das Erhaltene.
Elias war, einer von Garrucci erwähnten Zeichnung zufolge, unbärtig, das linke Ende
des Reliefs mit dem fallenden Mantel und Elisa fehlt. Unter den Pferden scheint
Wasser augedeutet, über ihnen auf einer Anhöhe sieht man die Füße zweier frontal
stehender kleiner Figuren (abgebrochen) zwischen zwei Bäumen. Rechts am Fuß einer
mit Pflanzen bestandenen Berglehne ein zottiges Tier rechtshin weidend, einem Schaf
nicht unähnlich, oben ein Quaderbau von zwei Rundbogen durchbrochen. Bei den zwei
Figuren zwischen den zwei Bäumen dachte Garrucci an Adam und Eva, während
Ficker in den kleinen Figuren, dem Bau und dem Tier zwei Knaben, die Andeutung
einer Stadt und einen Bären erkennt, in alledem aber eine Anspielung auf Könige H
2, 231: „Von dort aber ging (Elisa) hinauf nach Bethel. Als er nun eben den Weg
hinaufging, kamen kleine Knaben aus der Stadt heraus und verspotteten ihn mit dem
Zuruf: Komm herauf, Kahlkopf! Komm herauf, Kahlkopf! Er aber wandte sich um;
und als er sie sah, fluchte er ihnen im Namen Jahwes. Da kamen zwei Bärinnen aus
dem Walde und zerrissen zweiundvierzig von den Kindern."1)
Wir lassen die Gruppe der Szenen folgen, die sich auf Moses beziehen. Einige
begegnen uns hier zum ersten Male, sie fehlen in der Katakombenmalerei. Die meisten
bereiten der Interpretation Schwierigkeiten, weil es nicht ohne weiteres deutlich ist,
ob sie den Moses selbst meinen oder in seinem Bild einen andern.
Moses auf dem Berge Horeb die Sandalen ablegend. In der linken End-
nische eines vatikanischen Säulen- und Pilastersarkophags steht der bärtige Moses rechts-
hin, in Ärmelrock und Mantel, den linken Fuß auf eine Erderhöhung gestellt, mit der
*) Elias in der Malerei: Band I 222. — G 324 Paris, 327 Eom, 328 Mailand.
118
Plastik.
Linken einen Riemen der Sandale lösend (die Rechte ist abgebrochen); den Kopf
wendend blickt er nach oben, auf die göttliche Stimme lauschend, genau wie Hermes
im selben Typus (der sog. Jason), ähnlich auch wie Abraham in Isaaks Rettung; hinter
Moses ein bartloser Begleiter. — An einem zweizonigen Sarkophag aus San Callisto,
wieder am linken Ende, sehen wir den Gott selbst als Abschlußfigur, in reichlichem
Haar und Bart, in Rock, Mantel und Sandalen, die Linke hält die typische Rolle, die
Rechte faßt Mantelfalten. Er steht frontal, ein wenig zu Moses gewandt, der in Rock
und Mantel, nun linkshin, den rechten Fuß auf einen Stein gestellt die Sandale ablöst,
der linke Fuß ist schon entblößt (der Kopf ist dem Petrus ähnlich ergänzt). Hinter
ihm steht, ebenfalls linkshin, ein Bartloser in Rock und Mantel, die Rolle in der Linken,
die (ergänzte) Rechte hebt sich adorierend aus dem Mantel. Je eine Hintergrundfigur
erscheint neben dem Gott und zur Seite des Adoranten, die erstere bärtig. Ficker
erklärt die Gestalt links einfach für „Gott", Garrucci für den Logos-Christos (il Verbo);
soviel lehrt der Augenschein, daß sein Kopf mit dem vollen Haar und Bart, in der
Art mancher Zeus- und Sarapisköpfe, eben derjenige des erhöhten Christus am pariser
Sarkophag und seinen Verwandten ist. Ob nun der Logos oder der Gott schlechthin,
soviel steht fest, daß hier nicht bloß die andeutende „Hand Gottes aus Wolken",
sondern der Gott selbst, den man hier nicht mehr Jahwe nennen darf, in ganzer Figur
dargestellt ist. Die Sarkophagskulptur des vierten Jahrhunderts hat die Scheu abgelegt,
abzubilden was man verehrt; ein Zeichen mehr, daß das Christentum damals sicher im
Kreis der antiken Religionen stand, Art von ihrer Art.1)
Den Durchzug durchs Rote Meer haben die Katakombenmaler nicht dar-
gestellt; daß das Sujet in der Skulptur zur künstlerischen Gestaltung kam, hatte viel-
leicht besonderen Anlaß. In der sepulkralen Verwendung ist die Szene natürlich ein
Rettungsbild. — Lat. n. 111 G 309, 3 [Abb. 23]. Flußartig zieht sich eine Wasser-
fläche schräg durch das Bild (die einzige biblische Geschichte, welche die ganze Sarko-
phagwand füllt). Auf dem linken Ufer kommen die Ägypter heran, aus einem im
Hintergrund ganz links gezeichneten Tor; sie tragen Chiton und Chlamys, führen einen
Speer und die zu Fuß den Rundschild. Die Vordersten kämpfen bereits mit den Wellen;
der Pharao, er allein barhäuptig mit Diadem, bärtig, in Talar und Chlamys, mit Speer
und gehobenem Rundschild, steht auf seinem Zweigespann, die Pferde befinden sich
schon über dem Wasser. Ihm folgen noch Reiter, die Krieger im Hintergrund scheinen
zu Fuß zu sein. Unter den Pferden des Gefolges sieht man Pflanzen; man möchte
Schilferwarten, aber es sieht mehr aus wie kleingezeichnete Ölbäume; unter den Rossen
des Pharao der gelagerte Meergott, richtig dem Wasser zugewandt. Auf dem rechten
Ufer ziehen die geretteten Israeliten rechtshin weiter, aber die meisten blicken dabei
zurück nach dem Untergang der Ägypter. Voran geht ein Israelit, den Reisesack um
den Nacken genommen, an der Hand ein Kind, wie der aus Troja flüchtende Äneas
den Knaben Askanios; dann Mirjam mit einem Schlägel das Tympanon schlagend;
nach ein paar weiteren Israeliten zuletzt Moses, noch im Wegwenden nach dem Pharao
blickend und etwas vorgeneigt das Wasser mit dem Zauberstab berührend. Alle Israe-
liten sind bartlos. Im Mittelgrund, gleich hinter dem ersten Israeliten, die Feuersäule,
in Gestalt eines flammenden Feuers auf dem Kompositkapitell einer architektonischen
*) Moses die Sandalen ablegend: Band I 254. — Vatikanisch: G 325, 3. Callisto: Lat.
n. 178 G 367, 3.
Alttestamentliche Typen. 119
Säule; im Hintergrund drei Tore gereiht, zwei mit Zinnen auf dem wagerechten Ab-
schluß, das mittlere besteht nur in zwei Säulen, die eine Archivolte zwischen zwei vollen
Fruchtkörben tragen: also wohl eine Andeutung des himmlischen Jerusalems. — Grousset
n. 98 Wittig n. 29 Abb. 22. Erhalten ist nur der Pharao mit einem Stück Wagen-
rand und sein Gefolge. — Salona, G 309, 4. Wir verzeichnen nur ein paar Eigen-
heiten: das Tor trägt die Zinnen direkt auf der Archivolte; unter den Pferden des
Gefolges statt der Pflanzen zwei gelagerte Nymphen, die eine könnte auch eine Erd-
göttin sein; der Meergott wendet hier dem Wasser den Rücken, wie die Göttinnen;
der Krieger im Vordergrund steht (besser als am lateranischen Exemplar) mit einem
Fuß bereits im Wasser, er scheint hineinstürzen zu wollen; das Gewirr im Wasser ist
größer; die Israeliten sind zahlreicher, selbst an Mirjam, die auch sonst nicht so gut
charakterisiert ist wie am lateranischen Exemplar, hängen sich zwei kleine Mädchen-
die Hintergrundstore fehlen. Das Exemplar scheint jünger als das lateranische. —
Bottari Taf. 194 (danach G 308, 4) galt lange als verschollen, bis es sich in Villa
Doria Pamfili wiederfand (Grousset n. 74); es liegt nur die alte Reproduktion vor,
die offenbar vieles mißverstand. Auch hier die drei linkshin gelagerten Gottheiten, der
Gott hält nun statt eines Ruders ein Füllhorn, ist also zu einem Landgott geworden;
von den Israeliten trägt einer in kurzem Chiton ein Kind auf der Schulter, wir werden
ihn auf südfranzösisschen Sarkophagen wiederfinden; andere Varianten übergehen wir.
Ein Viergespann fährt der Pharao in abkürzenden späten Darstellungen, am vatikanischen
Sarkophag G 358, 1, ferner an Wittig n. 30 und an dem Exemplar in Pisa, G 364, 3,
wo die Szene rechts vom Clipeus sich befindet, daher die Bewegungsrichtung hier von
rechts nach links geht.1)
Der Wachtel fang. Als die Israeliten auf ihrem Zuge in die Wüste kamen,
fürchteten sie Hungers sterben zu müssen; Jahwe aber versprach ihnen Fleisch und
Brot die Fülle. „Als es nun Abend wurde, zog ein Wachteisch warm heran und fiel
überall im Lager nieder" (Exod. 16, 13). Als Gegenstück des Untergangs der Ägypter
ist am Sarkophag zu Pisa Garr. Taf. 364, 3 der Wachtelfang dargestellt: im Vorder-
grund werden die niedergefallenen Wachteln aufgegriffen, die Personen dahinter sind in
freudiger Aufregung. — Weiter wird berichtet, wie Jahwe am andern Morgen die
Israeliten statt Brotes das Manna auf dem Boden finden ließ. Dies Ereignis war in
den Malereien einmal dargestellt; den Sarkophagbildern ist es fremd geblieben, wohl
weil der Gegenstand zu unplastisch war, weshalb denn auch die Maler zur Aushilfe
griffen, eine Art Regen oder Schneefall zu malen.2)
Moses' Quell wunder und „Bedrängung". Wilpert zählt 68 Wiederholungen
des Quellzaubers in der Katakombenmalerei; sie beginnen früh im zweiten Jahrhundert
und setzen sich fort bis zum Ende der Katakombenkunst. Moses trägt den typischen
Kopf der frühchristlichen Malerei, bartlos mit kurzem Haar; erst in späteren Exem-
plaren erscheint er bärtig und mit vollerem Haar. Mit dem zauberkräftigen Stab
*) Durchzug: Exodus 14. Mirjam: eb. 15, 20. 21. Die Freiheiten des Bildes gegenüber
dem Texte findet man leicht heraus; wir heben nur den Zauberstab hervor statt der ausgereckten
Hand. Sie sind im Künstlerischen und in der Typengeschichte begründet; im Abschnitt über
Chronologie und Stilkritik kommen wir darauf zurück. — Aineias auf der Flucht, Kreusa trägt
den Reisesack auf dem Kopf: Röscher, Lexikon 1 167. Gerhard, Auserles. Vasenbilder Taf. 217.
Ein Reisesack auf dem Rücken getragen bei Ankunft Orests am Grabe Agamemnons: Röscher 1 1237.
a) Manna: Band I 235.
120 Plastik.
schlägt er an die rechts sich erhebende Felsklippe, ein breiter Wasserstrahl schießt herab.
Frühestens gegen Ende des dritten Jahrhunderts kommt, auch nicht immer, ein Israelit
hinzu. Mit seiner Einführung ist eine Änderung des Typus verbunden, die aber als-
bald wieder verschwindet: der Zauber ist bereits vollbracht, Moses führt einen Israeliten
zu dem herabströmenden Wasser, mit der linken Hand hinweisend; beide haben den
frühchristlichen Kopf und tragen nur den Chiton (Taf. 119, 1). Im folgenden Exem-
plar eilt der Israelit vom Felsen hinweg, rechtshin, die Rechte hoch gehoben, wie in
freudiger Erregung, eifrig, die andern zur Quelle zu rufen (Taf. 127, 1). In den übrigen
Beispielen finden wir den Israeliten vor dem Felsquell, mit den Händen das Wasser
auffangend, immer vorgeneigt, bald wie eilig herangekommen, bald auf einem Knie
liegend (Taf. 181, 2. 216, 1. 234, 2). In einer ausgeführteren Replik trägt er über dem
Chiton die Chlamys (des Sagum); die Gruppe ist am Aufsteigenden eines Arkosolbogens
gemalt, in der Lünette sieht man beiderseits des Guten Hirten, der unter Bäumen in-
mitten seiner Herde steht, je einen Israeliten (hier in längerem Chiton unter der
Chlamys) wieder vor einem Felsquell das Wasser auffangen (Cripta delle pecorelle,
Taf. 237. 736). Die Szene ist demnach das himmlische Paradies; das will sagen, dies
Wasser meint hier nicht erst den eucharistischen Zaubertrank, der ins ewige Leben
bringt, sondern bereits das Refrigerium, die Erquickung in der Seligkeit, kurz den Ge-
nuß der Seligkeit selbst.1)
Die Szene der „Bedrängung" wurde nicht in die Katakombenmalerei eingeführt;
dagegen kommt sie oft in der Skulptur vor, meist gepaart mit der Quellszene. Das
Quellwunder findet sich an Sarkophagen natürlich oft auch allein, seltener die „Be-
drängung".2)
Den Gemälden, insbesondere dem in der Cripta delle pecorelle, am nächsten kommt
die Darstellung der Quellszene an der rechten Schmalseite von Lat. n. 174 G 323, 6,
nur daß die Richtung, wie in den Reliefs oft, linkshin geht: der unbärtige Moses be-
rührt mit dem Stäbchen den Fels; ein Unbärtiger in Ärmelrock, Hosen und Chlamys
liegt auf einem Knie und streckt aufblickend die offenen Hände vor, um das Wasser
aufzufangen. — Ähnlich Lat. n. 119 G 307, 1, mit dem Unterschied, daß hier noch
zwei Kniende mehr auf Stufen der Felsklippe angeordnet sind (der bärtige Kopf des
Moses ist ergänzt). Hier nun aber tritt uns, durch einen Baumstamm getrennt, die
andere Szene zum ersten Male entgegen: Moses scheint mit ausgebreiteten Armen
rechtshin zu fliehen, mit ihm halten Zweie in Chiton und Chlamys gleichen Schritt;
einer voraus wendet den Kopf zu Moses zurück, ein zweiter, diesem folgend, legt ihm
die Hand an die Schulter (im Schema ähnelt er dem Laufenden bei Wilp. Taf. 127, 2);
am Boden liegen langgestreckt drei Männer, die den Moses an den Füßen festhalten zu
wollen scheinen. Man beachte die Vielheit der Männer bei Moses (die Köpfe der zwei
Begleiter sind ergänzt, der des Moses nur im Mittelgesicht) [Abb. 5].
Die dem Moses zugesellten Israeliten in den weiterhin anzuführenden Reliefs
unterscheiden sich von allen vorbesprochenen, gemalten wie gemeißelten, durch eine
Mütze, die sie zu Chiton und Chlamys tragen. Die steife runde Mütze (ohne Krempe,
ohne Schirm) kehrt in der Geschichte der Tracht häufig wieder, schon bei Assyrern
*) Quellwunder: Band I 233.
2) Quellwunder an Sarkophagen ohne „Bedrängung" : Lat. n. 52. 108. 122. 131. 152. 174.
176 usf. Bedrängung ohne Quellwunder: Lat. n. 115. 116 usf.
Alttestamentliche Typen. 121
und Persern findet man ähnliches; in neueren Zeiten begegnet sie in weltlicher und
geistlicher Tracht, in allerlei Gestalten, als Fell- oder Pelzmütze, als Barett, Haus-
käppchen usf.; die Kommißmütze unserer Soldaten ist nichts anderes, nur mit einem
unterscheidenden farbigen Band umnäht. — Die Reihe der einschlagenden Sarkophag-
reliefs möchte ich mit Lat. n. 55 G 358, 3 eröffnen, das sich inhaltlich mit der Malerei
Wilp. Taf. 119, 1 berührt und ihr wohl auch zeitlich nicht allzufern steht. Moses hat
den Zauber vollbracht, mit der Hand weist er, wie es anbietend, nach dem herab-
strömenden Wasser; die Gebärde gilt einem „Israeliten" in Chlamys und Mütze, der
im Herantreten dem Moses die Hand an die Schulter legt, nicht um ihn zu ergreifen,
sondern wie ihn vertrauensvoll ansprechend (von der zwischen beiden erscheinenden
Hintergrundsfigur dürfen wir absehen). Hinter ihm, halb von ihm verdeckt, steht ein
zweiter Israelit in gleicher Tracht, der aufmerksam einen mit sprechender Rechten
herantretenden Jüngling (in Rock und Mantel) anblickt; das, was zwischen den beiden
vorgeht, bleibt einstweilen ebenso dunkel, wie Name und Charakter des Jünglings selbst
(er hält etwa die Mitte zwischen dem Moses in der oberen Zone und dem lockigen
Christus). Wir dürfen nicht unerwähnt lassen, daß in der unteren Zone, unterhalb der
Muschel mit den zwei Männerporträts, ein kahlköpfig Bärtiger auf einem Stein sitzt
(also im Freien), vornübergeneigt in einer Rolle lesend, die ein vor ihm stehender
„Israelit" mit der Hand stützt, während ein zweiter zuhört, durch die Äste eines Öl-
baumes, in dem Schema des Ältesten im Park der Susanna, auch des Zachäus beim
Einzug in Jerusalem. Sowohl der Lesende wie der Moses im Quellwunder gleicht dem
älteren Porträt in der Muschel derart, daß man denken könnte, man habe in bekanntem
Verfahren den beiden die Züge des Verstorbenen gegeben [Abb. 14]. — Lat n. 108
(G 359, 2 sind die Endfelder vertauscht; der Fels bildet fast ausnahmslos den Ab-
schluß des Reliefs an der Sarkophagkante). Nur die Quellszene; Moses, in der Linken
die typische Rolle, ist bärtig, der vordere Israelit hält ein Gefäß unter das strömende
Wasser. Sonst ist's der forthin feststehende Haupttypus; in der Spätantike werden die
knienden Figuren, außer unseren Trinkenden z. B. auch die Schwester des Lazarus, zu
winzig gezeichnet.
Die „Bedrängung" wird weiterhin nur dreifigurig gegeben und weniger erregt als
in Lat. n. 119; Moses pflegt nun bärtig zu sein, die zwei Israeliten bartlos. Die Be-
wegung geht immer rechtshin, und Moses pflegt nach wie vor zu dem ihm folgenden
Israeliten umzublicken, beides einerlei ob der Quellzauber links oder rechts anschließt.
— Lat. n. 104 G 365, 2 ist der Fels mit den Köpfen der Trinkenden abgebrochen.
In der „Bedrängung " schreitet Moses mit dem gesenkten Stab in der Linken; der Näch-
drängende faßt jetzt seinen Oberarm, ähnlich wie der Soldat am Bassussarkophag den
des Petrus; der Vorausgehende greift zurück nach Moses' linkem Oberarm [Abb. 37].
— Ähnlich Lat. n. 178 G 367, 3; dagegen in n. 189 und 175 (G 367, 2. 1), welche
die Doppelszene an das linke Reliefende versetzen, ist im einen Fall im Quellwunder
die Richtung rechtshin beibehalten, im zweiten die linkshin gewählt, um den Fels als
Abschluß zu verwenden. — Lat. n. 184 G 364, 2 sind die zwei Szenen voneinander
getrennt, das Quell wunder steht am rechten Ende, die Bedrängung ist in die linke
Relief hälfte versetzt [Abb. 38]. — Nun noch einige Spätlinge, nur als Proben. Die
typische Doppelszene am rechten Ende n. 148 G 380, 4, am linken n. 173 G 315, 1.
Je ein Israelit bärtig n. 135 G 314, 2 [Abb. 41]. Nur ein Trinkender n. 180. 190
G 372, 2. 384, 5. Zwei trinkende und ein dritter „Israelit" (in Mütze) im Hinter-
122 Plastik.
grund n. 135. 161. 227 G 314, 2. 382, 2. 400, 6. Das Wasser strömt aus kreisrunder
Öffnung, Grousset n. 113. Vgl. noch unsere Abb. 42. 44.
Eine Sonderstellung behauptet der Sarkophag der Adelfia in Syrakus, ein Uni-
kum (G 365, 1). Er travestiert die Szene ins Weibliche, ganz ernsthaft natürlich. Am
Deckel, links vom Titulus und dem ihn haltenden Eroten, sieht man zunächst eine
Gruppe von fünf Matronen, erinnernd an die Eezitationsszenen, z. ß. an das Eelief im
ersten Saal des lateranischen Museo profano, nur daß an unserem Sarkophag die Rollen
fehlen: eine Matrone frontal würdig im Sessel, die Füße auf hohem Schemel, zu ihrer
Linken eine im Musen typ auf den Pfeiler gestützt; zur Rechten der sitzenden zwei
stehende und eine, wir wissen nicht wieso, am Boden sitzende. Garrucci möchte gern
in der Thronenden die römische Kirche erkennen und in der zu ihren Füßen, come la
Maddalena ai piedi die Cristo, die orientalische (da war der Wunsch Vater des Ge-
dankens). Dann folgt die Travestie der Doppelszene, zuerst von Garrucci als solche an-
gesehen. Zunächst eine Gruppe von drei Mädchen, im Schema der „Bedrängung", nur
das Greifen wesentlich gemildert zu einem Nähern der Hand; in dem Gerät freilich,
das die eine hält, in Gestalt einer liegenden Acht, sieht Garrucci Handschellen. Zuletzt
die Quellszene: statt des Moses steht ein Jüngling, eher dies als ein Mädchen, vor dem
Fels, die Rechte beschwörend oder adorierend ausgestreckt; ein vorgebeugtes fast in die
Knie fallendes Mädchen läßt von dem strömenden Wasser in ein untergehaltenes Känn-
chen laufen; die Falten des Felsens oder vielmehr Bergs erinnern an Mantelfalten, aus
denen ein übergroßer bärtiger Kopf heraus kommt, der Berggott. Eine antike Per-
sonifikation. Für das unmittelbare Übergehen des Bergs in die anthropomorphe Gestalt
weiß ich kein genaues Analogon; immerhin gedenkt man der in Delphine sich wandeln-
den Tyrrhener oder der in den Lorbeerbaum sich wandelnden Daphne. In antiker
Weise auch ist's, daß der Berggott in das Bild tritt, wie sonst ein Fluß-, Wind- oder
Sonnengott. Was nun den Sinn der drei Gruppen betrifft, so kam ihm Le Blant wohl
noch am nächsten, als er bei der Thronenden an eine Szene im Himmel dachte, Maria
im Kreise von seligen Frauen die verstorbene Adelfia bewillkommnend. In der Tat
scheint auch mir der Fries auf die Seligkeit der Verstorbenen zu gehen; nur möchte
ich in der Sitzenden nicht gleich eine Himmelskönigin sehen, sondern lieber die Ver-
storbene selbst oder vielleicht die Mutter, wie man sich's beim Sarkophag von Via Salaria
gedacht hat; statt der Orante dort sehen wir hier das Mädchen zwischen zwei Be-
gleiterinnen, was denn wieder an die Oranten zwischen Seligen erinnert. Die Quell-
szene deuten de Waal und Schultze auf die Verkündigung, das Übrige de Waal auf
die Einführung der Maria in den Kreis der Tempeldienerinnen, Schultze auf die Heim-
suchung; bei alledem bleiben viele Bedenken.1)
Nun wäre nach Erklärungen der originalen Doppelszene zu fragen. Ficker bleibt
bei der Deutung aus Exod. 17 stehen. Da es an Wasser fehlte, murrte das Volk wider
Moses, so daß er Jahwe um Hilfe anrief: Nur wenig fehlt, so werden sie mich steinigen.
Auf Jahwes Geheiß schlägt er mit dem Stab „womit er in den Nil geschlagen hatte",
auf den Fels am Horeb, so daß Wasser hervorsprudelte. Vorausgesetzt daß an den
Sarkophagen die Richtung der Bewegung als Regel rechtshin ginge, etwa wie im Jonas-
zyklus, so würde man die richtige Szenenfolge in den Exemplaren besitzen, welche die
Doppelszene an das rechte Sarkophagende verlegen; die bildliche Auffassung des Vor-
x) Vgl. Le Blant, Rev. arch. 1877 II 353. de Waal, Rom. Quartalschr. 1887, 391. Führer
und Schultze, Grabstätten Siziliens 1907, 314.
Alttestamentliche Typen. 123
falles ginge dann, das später auftretende Ergreifen zugrunde gelegt, weiter als der
Bibeltext, der nur von Murren redet (die an Lat. n. 119 Moses' Füße Umklammernden
würden ihn um Wasser anflehen). Ficker lehnt die von römischen Exegeten bevor-
zugte Deutung ab, die Petrus erkennt, wie er in der Rolle des Moses Wasser des
ewigen Lebens aus dem Felsen („der Fels aber ist Christus") schlage; neuerdings aber
scheint sie durch schärferes Erfassen einer Äußerlichkeit eine Stütze zu erhalten. De
Waal wies darauf hin, daß beim Durchgang durchs Rote Meer, beim Wachtelfang,
beim Einzug in Jerusalem die Juden jene Mützen nicht tragen (so wenig wie die
Chlamys); in der altchristlichen Kunst kommt die Tracht außer in den erwähnten
Szenen nur noch einmal vor, bei Jesus' Vorführung vor Kaiphas Lat. n. 183 G 316, 1.
Dagegen sehen wir am Triumphbogen des Konstantin in der Darstellung seines Ein-
zugs unter den ihm voraufgehenden Soldaten einige mit ebenderselben Kopfbedeckung
versehen; da sie auf früheren Sarkophagen noch fehlt, so muß sie im Lauf des vierten
Jahrhunderts für gewisse Truppenteile in Rom üblich geworden sein. So läge die An-
nahme nahe, daß die den Fliehenden festhaltenden Leute Soldaten seien oder städtische
Miliz im Dienste des Praefectus urbis. Der Festgenommene wäre demnach nicht Moses,
sondern Petrus. Graeven erkennt de Waals Deutung der Mützenträger auf Soldaten
an; das Relief an der Westseite des Konstantinsbogens aber bezieht er auf Konstan-
tins Reise durch Palästina, die geleitenden Truppen sind palästinensische, die Soldaten
der Sarkophagreliefs mithin jüdische, es handelt sich nicht um Petrus in Rom. Da-
nach brachte Strzygowski, der bereits gewisse hohe zylindrische Hüte in palmyre-
nischer und sonstiger orientalischer Kunst in Vergleich gezogen hatte, für die niedrige
Mütze weitere Belege zur Besprechung, in den Porphyrgruppen von je zwei Kriegern
in Panzer, Sagum und Mütze, an San Marco in Venedig, für die er syrischen Ursprung
annimmt. Wittig erkennt soweit an, daß die Uniform einer Truppengattung gehöre,
die vielleicht in Palästina stand; über die hierin liegende Schwierigkeit aber etwas zu
rasch hinweggehend glaubt er an de Waals Beziehung der Sarkophagszene auf Petrus
in Rom festhalten zu dürfen. Er erklärt sie aus der Legende von der Passion des
Petrus in Rom; wir berichten über die Hypothese bei Besprechung der Petrusbilder.1)
Moses das Gesetz empfangend. Exodus 19 folgg. schildert wiederholt das
Herabkommen Jahwes auf den Sinai, in einer Wolke, in Donner und Blitz, in Feuer,
Rauch und Erdbeben (19, 16. 24, 15). Moses durfte zu ihm hinaufsteigen, und Jahwe
übergab ihm die beiden Gesetzestafeln, steinerne Tafeln, vom Finger Gottes beschrieben
(31, 18). Diese Tafeln sind es doch wohl, welche die christliche Kunst meint, nicht
die zweiten 34, 1. 28, wo von einer IJbergabe keine Rede ist. — Im Bilde empfängt
Moses das Gesetz von der Hand Gottes aus einer Wolke. Die Gruppe eignete sich
als Gegenstück zum Isaak, dessen Opferung durch die gleiche Hand Gottes aus einer
Wolke verhindert wird. Diese Gegenüberstellung findet sich öfter beiderseits einer
Muschel angeordnet, weil die „Hand aus der Wolke" den Zwickel bei der Muschel-
rundung gut füllte. Moses bewahrt, bis tief in das vierte Jahrhundert, den früh-
christlichen bartlosen Kopftypus mit kurzem Haar; am Sarkophag Lat. n. 152 ist die
Oberfigur ausgebrochen, so daß man nicht wissen kann, wie der Kopf gestaltet war. In
*) Ficker, Darstellung der Apostel 93, 2. de Waal, Sarkophag des Bassns 92. Konstantin-
relief: Strong, Roman sculpture 1907 Taf. 104. Graeven, Gott. gel. Anz. 1901, 83. Strzygowski,
Orient oder Eom 30. 37; Porphyrgruppen (Beitr. z. alten Gesch. II 1902, 111 zu Abb. 1). Witt ig,
Campo santo 107 Petrusszenen aus der Legende.
124 Plastik.
den übrigen Exemplaren, die den späteren mit bartlosem Kopf übrigens zeitlich gleich-
laufen, ist er bärtig, vereinzelt auch mit vollerem Haupthaar. Moses steht auf ebenem
Boden Lat. n. 55 [Abb. 14] und an den Exemplaren von Ancona, Mailand und in den
vatikanischen Grotten; dagegen mit einem Fuß auf einer Erderhöhung, Gebirgsgelände
andeutend, am pariser Exemplare und an denen mit bärtigem Moses [Abb. 28. 38].
Durch letztere Anordnung tritt das Bild in eine gewisse typologische Verwandtschaft
zum Moses auf dem Horeb; doch bleibt diese Szene immer deutlich unterscheidbar,
jedenfalls durch das Lösen der Sandale. Statt der zwei steinernen Tafeln empfängt
Moses in den Reliefs entweder ein Täfelchen (Diptychon) oder eine Rolle; das eine
wie die andere ist umschnürt. Außerdem hält Moses einigemale eine offene Rolle in
der linken Hand, einen Finger dazwischen gesteckt.1)
Eine problematische Szene bietet der Sarkophag in Paris G 319, 1 mit Baum-
gang: ein Bärtiger zwischen zwei Knaben, alle drei in Chiton und Himation, legt
segnend die Hände auf ihre Scheitel; im Hintergrunde zwei Begleitfiguren, eine bärtig.
Es ist das Schema des Christus in der Speisensegnung. Hier also eine Kindersegnung.
Weil der Segnende bärtig ist, hat Garrucci an Isaak gedacht, Jakob und Esau
segnend. Nur wenn man annehmen dürfte, der Kopf des Bärtigen sei ergänzt, könnte
die Szene auf Jesus die Kinder segnend bezogen werden; ihrer ist das Himmel-
reich. 2)
Sondergruppe.
An die besprochenen alttestamentlichen Szenen reihen wir eine Gruppe solcher
Bilder, die ihre Stoffe ebenfalls dem alten Testament entnehmen, die aber, nach ihrer
Typik zusammengehörend, zum Teil wenigstens durch Einführung des präexistenten oder
Logoschristus eine Sonderstellung einnehmen. Wir beginnen mit „Sündenfall" und „Zu-
weisung".
Adam und Eva waren bereits in den Malereien der Katakomben vertreten. Wir
fanden, daß gerade im ältesten Exemplar, zu Neapel, die Schlange fehlt, obschon Frucht
und Feigenblätter vorhanden waren; da Eva die Frucht in der Hand hält, so war der
Moment des Sündenfalls dargestellt, die Feigenblätter waren unter allen Umständen pro-
leptisch hinzugefugt. Bei alledem schien uns in der Katakombenmalerei doch das Para-
diesesbild gemeint ohne Unterscheidung des biblischen vom himmlischen, oder das bib-
lische als Bild des himmlischen. Das älteste hier einschlagende Sarkophagrelief, zu
Velletri, füllt den Raum zwischen seinen drei großen Figuren mit kleineren Erlösungs-
typen, wie Jonas, Daniel, Brotvermehrung, Arche; dazwischen nun stehen auch Adam
und Eva, eine Gruppe von ähnlicher Empfindung wie die des Bildhauers Menelaos im
*) Gegenstücke: Lat. n. 55 G 358, 3. n. 184 G 364, 2. n. 175 G 367, 1. n. 189 G 367, 2.
— Moses bartlos: Lat. n. 55 und das pariser Exemplar G 324, 2 mit seinen Verwandten in Ancona
326, 2, Mailand 328, 2, vatikanische Grotten 327, 2. Lat. n. 152 G 320, 1. Bärtig: Lat. n. 175.
176. 184. 189. Volles Haupthaar: Lat. n. 189. Diptychon: Lat. n. 55. 184. 189. Syrakus.
Rolle: Paris und Verwandte. Lat. n. 176. Offne Rolle in der Linken: Lat. n. 152. Mailand.
*) Jakob auf dem Bett liegend und die Söhne Josephs segnend, Sarkophagfragment aus der
Kallistuskatakombe : Wilpert, Rom. Qnartalschr. 1906, 211.
Sondergruppe. 125
Museo Ludovisi, nur daß die Rollen vertauscht sind. Er legt den linken Arm um ihren
Nacken und die Rechte auf ihre Hand. Und sie halten keine Feigenblätter, nur ihre
freie Hand geht wie unbewußt vor die Scham. Es sind die „stillen Vertrauten" im
Paradies. Der Sündenfall kündigt sich erst an, zur Seite steht klein gezeichnet der
Baum, von ihm her nähert sich die Schlange, die Frucht im Maul. Diese Auffassung
ist nicht aus der Katakombenmalerei und ihrer Typik übernommen, sondern neue Schöp-
fung. Sonst pflegt auch in den Reliefs der Baum, mit oder ohne Schlange, zwischen
Adam und Eva zu stehen. Nur auf wenigen Reliefs belebt die Gruppe etwas Hand-
lung. Am Deckel Lat. n. 154 hält Eva die Hand (mit der Frucht) an den Mund,
Adam hebt den Finger wie warnend; dabei halten beide mit der andern Hand schon
das Feigenblatt vor. Letzteres auch an einem anderen Sarkophag zu Velletri, wo die
zwei freien Hände nach dem Baumwipfel greifen. Allmählich schwindet die Handlung.
Eva hält noch die Frucht in der gehobenen Hand, aber Adam hält das Feigenblatt
mit beiden Händen, die nicht mehr agieren. Einen Schritt weiter in der rückläufigen
Entwicklung und beide stehen handlungslos, beide Hände über das Feigenblatt gekreuzt;
die Schlange hält die Frucht im Maul. Oder sie richtet den Kopf nach dem Baum-
wipfel. Endlich fehlt die Schlange ganz. Unsere Abb. 18. 39. 41.
Die Reihenfolge, in der wir hier die Sarkophagbilder aufgeführt haben, macht
nicht den Anspruch, genau ihre zeitliche Abfolge wiederzugeben; ältere, bereits über-
holte Entwicklungszustände können in späteren Exemplaren immer noch einmal wieder-
kehren. Aber soviel scheint doch auf der Hand zu liegen, daß der Entwicklungsgang
von Leben und Handlung zu Verkümmerung und fast heraldischer Starrheit führte.
Sollten die Bilder auf Darstellung des Sündenfalls zugespitzt sein, so müßte es auf-
fallen, daß gerade das Spiel mit der Frucht ausfällt. Wie Adam und Eva zuletzt da-
stehn, machen sie wieder den Eindruck bloßer Paradiesesstaffage oder bloßer Paradieses-
symbole. *)
„Zuweisung" ist die konventionelle Bezeichnung der Szene, in welcher Adam
und Eva nach dem Sündenfall und der Vertreibung aus dem Paradiese ihre künftige
Arbeit zugewiesen erhalten, Adam in Gestalt eines Ahrenbündels, Eva in Gestalt eines
Schafs. Freilich, die Genesis weist nach dem Sündenfall der Eva die Schwangerschaft
und dem Adam den Feldbau zu; letzteres wiederholt bei der Vertreibung (3, 16. 17.
23). Von ihren Kindern wurde Abel ein Schafhirt, Kain ein Ackerbauer; Kain brachte
Jahwe zum Opfer Früchte des Ackers, Abel von den Erstlingen der Herde und zwar
von ihrem Fette (4, 3. 4). Doch damit sind Berufsarten unterschieden, nicht aber die
Arbeit des Mannes und des Weibes. Daher wird die Annahme nicht fehlgehen, daß
es sich in den Sarkophagreliefs wieder nicht um Illustration der biblischen Erzählungen
handle, sondern nach der Weise der frühchristlichen Kunst um Veranschaulichung von
Ideen. Wenn nun dem Adam ein Ährenbündel gegeben wird, so scheint dies Sinnbild
in der Tat auf den Ackerbau hinzuweisen; wenn der Eva aber ein Schaf, so ist dabei
doch wohl nicht an Schafzucht gedacht, wohl aber an das in erster Linie wichtige
Produkt der Schafhaltung, an die Wolle. Spinnen und Weben ist überall Frauenarbeit
gewesen, nicht bloß in primitiven Verhältnissen, sondern weit darüber hinaus. — Wittig
indessen beschreitet einen ganz verschiedenen Weg der Interpretation; für Garbe und
») Adam und Eva in der Malerei: Band I 167. — Velletri I: G 374, 4. Lat. n. 154:
G 316, 4. Velletri II: 396, 2. Eva hält Frucht: Lat. n. 191 G 312, 1. Haudlungslos: Lat. n. 161.
146. 176 G 382, 3. 313, 2. 384, 6. Grousset n. 94 G 314, 4.
126 Plastik.
Lamm setzt er „Ähre und Blut" ein, um die oft gesuchte Beziehung auf die Eucharistie
herauszubringen. Allenfalls könnte man die Frage stellen, ob das Zuweisungsbild
vielleicht schon im Altertum sekundär auf die Eucharistie bezogen worden sei.1)
Adam und Eva stehen frontal, höchstens die Blicke nach der Mitte gerichtet,
genau wie in der letzten Phase der Sündenfallsbilder; zwischen ihnen steht an Stelle
des Baumes eine männliche Gestalt in Rock und Mantel, bartlos langlockig, der zweite
Christustyp, der Christus als der Logos, der hier den Menschen ihre Aufgabe zuweist.
Er reicht dem Adam ein Ährenbündel (oder eine Garbe steht am Boden zwischen den
zwei Männern); mit der Linken hält er ein aufrecht stehendes Schaf an den Vorder-
pfoten, ebenso etwa wie die altgriechische „Herrin der Tiere" einen Löwen oder ein
Reh hält. — Es kommt auch vor, daß die „Zuweisung" mit dem „Sündenfall" kom-
biniert ist, so wenn in der Zuweisung neben Eva der Baum mit der Schlange steht,
die eine Frucht im Maul hat [Abb. 37]. Oder umgekehrt, mit dem Sündenfall werden
Elemente der Zuweisung verbunden, indem der Christus neben Adam erscheint, die
Ähren in der Rechten, und die Stammeltern nach ihm ihre Blicke richten [Abb. 40].
Die Assoziation der beiden Szenen war den Bildhauern so gewohnt, daß sie dahin
kamen, in das typische Sündenfallbild einfach Garbe und Schaf einzuschieben. Statt
deren sehen wir einmal zwei Fruchtkörbe eingesetzt, die natürlich mit der Zuweisung
nichts mehr zu tun haben, sondern die mit rechten „Paradiesäpfeln" gefüllt sind. Ein
andermal ist der Zuweisung ein solcher Fruchtkorb hinzugefügt.2)
Kain und Abel bringen ihre Opfer, Abel ein Lamm, zu seiner Rechten Kain
ein paar Ähren; beide sind unbärtig, in Chiton, barfuß; angezogen treten sie nur
G 319, 1 auf. Einmal bringt Kain statt Ähren Trauben; das ist verständlich, da
Trauben ein Haupterzeugnis der klassischen Länder sind [Abb. 40]. Die Brüder legen
ihre Opfer nicht auf Altäre, weder Kain die Ähren, noch Abel das Fett des Lammes,
sondern sie bringen ihre Gaben in den Händen; sie bringen sie dem auf einem Stein
sitzenden Gott. Der bärtige Gott sitzt rechtshin (stets mit dem Rücken gegen das
linke Ende des Reliefs) in Chiton, Mantel und Sandalen, den rechten Fuß etwas vor-
geschoben, manchmal schwebend (als ob das Bein übergeschlagen wäre, was aber nicht
der Fall ist); die Linke faßt in das Gewand (einmal hält sie eine Rolle), die Rechte
ist sprechend gehoben [Abb. 34]. Der Typus der dem Gott Opfer bringenden Brüder
will verglichen sein mit dem der Magier, wo sie dem Christuskind ihre Gaben bringen;
letzteres Bild war früher entstanden.
Im Fragment von Santa Agnese sitzt der Gott auf tuchbedecktem Korbstuhl und
legt die Linke an das Ährenbündel (G 402, 3). Am veroneser Exemplar sitzt der Gott
auf einem Bema, der Stuhl hat, der Sella curulis ähnlich, gekreuzte und geschwungene
Beine, die aber in Löwentatzen endigen; im Hintergrund (das Relief ist an einer
Schmalseite) tauchen die Architekturen der Frontseite noch einmal auf. Am Säulen-
sarkophag zu Fermo steht der bartlos langlockige Christus — dem Jahwe wieder ein-
mal der Christus untergeschoben — in der Mittelnische, zu seiner Rechten Abel, zu
*) Wittig, Campo santo 84.
a) Zuweisung: Lat. n. 178. 186. 189 G 367, 3. 313, 4. 367, 2. Garbe am Boden: Syrakus
G 365, 1. Zuweisung mit Sündenfall: Lat. n. 104 G 365, 2. Sündenfall mit Zuweisung: Lat.
n. 193 G 372, 3. — Garbe und Schaf: Lat. n. 152 G 314, 1. n. 136 G 383, 5 (nur die Garbe;
neben Adam ein bärtiger Gott). Bassussarkophag G 32'?, 2. Zwei Fruchtkörbe: Verona G 333, 3.
Ein Korb in der Zuweisung: Grousset n. 151 G 396, 4.
Sondergruppe. 127
seiner Linken Kain, jeder mit seiner Gabe. Diese Gruppe ist in Anlehnung an die
„Speisensegnung" komponiert; aber im Unterschied davon legt der Christus hier nicht
die Hände segnend auf die Objekte, sondern hebt die Rechte sprechend, genau wie der
sitzende Gott im gewöhnlichen Typus. Der Gedanke an „Opfersegnung" liegt um so
ferner, als die Geschichte des ersten Opfers sich bekanntlich dahin zuspitzt, daß aus
dem größeren Wohlgefallen Jahwes an Abel ein Brudermord entstand. Dementsprechend
nimmt in allen Exemplaren nicht der ältere Kain, sondern der dem Gott wohlgefälligere
Abel den Ehrenplatz ein, zur Linken des Bruders, zur Rechten des Christus.1)
Schöpfung der Eva. „Da ließ Jahwe Gott einen tiefen Schlaf auf den Menschen
fallen; als er entschlafen war, nahm er eine von seinen Rippen und füllte ihre Stelle
mit Fleisch aus. Alsdann gestaltete Jahwe Gott die Rippe, die er von dem Menschen
genommen hatte, zu einem Weibe" Gen. 2, 21. 22 Kautzsch; y.a.1 (pxodöitrjoe Kvqiog 6
&sög ttjv rtXevQcev, rjv elaßev änb xov 3Add(.i, eig ywalxa Sept. Swete I 4. Der Schöpfer,
bärtig in vollem Haar, sitzt rechtshin in einem Lehnstuhl von Holz oder Marmor; die
Füße zurückgezogen, etwas vorgebeugt, modelliert er, ein anderer Prometheus, mit den
Fingern an der Brust der auf einem Untersatz stehenden Eva. Hinter ihr der lockige
Christus, als Logos, den Mantel umgeschlagen, offenbar die Linke mit dem Mantelsaum
unter den rechten Arm gesteckt, und mit sprechender Rechten, sagt wie ein teilnehmen-
der Kollege sein Wort dazu. Diese hübsch gedachte Atelierszene befindet sich am
Sarkophag zu Campli. — An Lat. n. 104 sitzt der Schöpfer, wie die Maria in der
unteren Szene, in einem Korbstuhl, die Füße auf einem verzierten Schemel, doch ist
dem Gotte eine weiche Decke über das Korbgeflecht gelegt, gleicherweise wie in einem
Exemplar des ersten Opfers. Vor ihm am Boden liegt Adam schlafend, ausgestreckt
auf dem Rücken; zu seinen Füßen aber steht Eva, in kleiner Figur wie Adam, zum
Schöpfer aufblickend. Der Schöpfer spricht mit erhobenen zwei Fingern das Schöpfer-
wort; bei ihm stehen zwei Gestalten, bärtig, in kurzem Haar, angezogen und in San-
dalen wie er; der eine mit kahler Stirn, hinter dem Korbstuhl, faßt die Stuhllehne an,
der andere, zum Schöpfer sich zurückwendend, legt die Rechte auf Evas Scheitel. Das
Bild atmet eine theologischere Auffassung. Die drei am Schöpfungsakt Beteiligten er-
klärt Garrucci für die Dreieinigkeit, den mit der kahlen Stirn für Gottvater, den sitzen-
den Schöpfer für den Logos, den dritten für den heiligen Geist. Für Ficker dagegen
ist der hinter dem Korbstuhl eine Nebenfigur, so unbedeutend wie der Joseph der Zone
darunter, in den zwei anderen Bärtigen sieht er zweimal denselben Gottvater als Schöpfer;
das eine Mal, da er sitzt, versenke er durch sein Wort den Adam in Schlaf, oder er
vollziehe die Schöpfung des Weibes, das andere Mal lege er die Hand auf ihr Haupt,
um sie zu beseelen. Seine Kopfwendung nach dem Sitzenden hin scheint jedoch eine
Szenentrennung zu verbieten; da nun aber Ficker gegen die Dreieinigkeit ebenso ge-
wichtige Gründe geltend gemacht hat, wie gegen die von Schultze vorgeschlagenen
Engel beiderseits des Schöpfers, so liegt hier ein ungelöstes Problem vor. Analogien
aus der heidnischen Kunst hat Ficker angeführt, und er bemerkt soweit richtig, daß
der Bildhauer an heidnische Vorbilder angeknüpft, dann aber selbständig gearbeitet habe.
Nur hätte Ficker den Gegensatz zwischen Heidnisch und Christlich auf das Gegen-
ständliche beschränken sollen; der Künstler war als solcher weder ein heidnischer noch
l) Trauben: Lat. n. 193 G 372, 3. Fuß schwebend: Lat. n. 164 G 350, 2. Kolle: Grousset
88 G 396, 6. Verona: eb. 333, 2. Fermo: eb. 310, 2. Christus auch Grousset n. 115. Opfer-
segnung: Wittig, Campo Santo 87 zu n. 46.
228 Plastik.
ein christlicher, sondern ein antiker [Abb. 37]. — Am Sarkophag von Velletri scheint
der Schöpfer, bartlos lockig, vor der stehenden Eva zu sitzen; er legt ihr die Hand
auf den Mund, womit denn vielleicht die Beseelung der fertig modellierten Gestalt aus-
gedrückt werden soll.1)
Unter den Szenen, die in der Skulptur neu erscheinen, und zwar denjenigen des
vierten Jahrhunderts, befindet sich auch die Totenbelebung; nicht die Erweckung
des Lazarus ist gemeint, noch die der Jairustochter oder des Jünglings zu Nain, sondern
die Belebung der Gebeine einer Mehrheit von Toten, dergleichen in allen Schriften des
alten und des neuen Testamentes nur einmal vorkommt, freilich nur als Vision, wenn
nicht als bloße rhetorische Figur, im Propheten Ezechiel Kap. 37. Der Prophet wirkte
im babylonischen Exil. Da gab es welche, die sprachen: Unsere Gebeine sind ver-
dorrt, unsere Hoffnung ist verschwunden, es ist aus mit uns. Ezechiel aber hielt fest
an der Hoffnung auf eine Heimkehr aus dem Exil und Wiederherstellung des heimischen
Staates. Er sprach im Namen Jahwes: Fürwahr, ich will eure Gräber öffnen und euch,
mein Volk, aus euren Gräbern heraufholen und euch ins Land Israel bringen, und ich
will meinen Atem in euch geben, daß ihr wieder lebendig werden sollt, und will euch
in euer Land versetzen. Um das zu veranschaulichen schildert der Prophet eine Vision,
wie Jahwe ihn hinausgeführt habe in ein Tal voller verdorrter Gebeine; auf Jahwes
Geheiß rief er feierlich über die Gebeine hin, daß sie nach Jahwes Wort wieder
lebendig werden sollen: und sie fügten sich wieder zusammen und überzogen sich mit
Sehnen, Fleisch und Haut. Und auf abermaliges Rufen kam der Wind (Atem) und
fuhr in sie, daß sie Leben bekamen und sich auf ihre Füße stellten.
In den Sarkophagreliefs trägt der Wundertäter genau die Gestalt und den Kopf
des bartlos langgelockten Christus (nur Lat. n. 191 [Abb. 39] hat er kürzeres Haar, in
Übereinstimmung aber mit den anderen Christusbildern desselben Reliefs), die Rolle in
der Linken ; das Wunder bewirkt er mit dem typischen Stab, genau wie im Weinzauber.
Hinter seiner rechten Schulter erhebt ein Bärtiger zu ihm redend die Hand, bisweilen
erscheint noch ein Bartloser hinter des Christus linker Schulter, ihm zugewendet. Gar-
rucci und Schultze erklären den Wundertäter nach der Schilderung im Propheten-
buch für Ezechiel; in dem Bärtigen sieht Garrucci den Logos, im zweiten Bartlosen
den Christus, dessen Prototyp Ezechiel sei; Schultze dagegen, der den Christustyp des
„Ezechiel" richtig erkannte, meint, auch die zwei Begleitpersonen seien den neutestament-
lichen Wunderszenen entnommen (will sagen den Jüngertypen). Ficker zu Lat. n. 135
erklärt anlehnend an das Prophetenbuch den Bärtigen für Gottvater (untergeschoben
dem biblischen Jahwe, der niemals ein Gottvater gewesen ist), den Wundertäter aber
einfach für Christus. Der Augenschein spricht für die Richtigkeit letzterer Erklärung.
Ezechiels Belebung der Totengebeine gilt als Prototyp der Totenbelebung durch den
Christus, im Bilde ist dieser in die Rolle jenes eingetreten. Spricht das Bild nun aber
von der christlichen Vorstellung einer Auferstehung der Leichen bei der ja längst in
die Zukunft geschobenen Parusie des Christus? Wenn irgendwo scheint hier die Be-
ziehung evident, wie ja auch bei den anderen Totenerweckungen der Gedanke nahe liegt.
Dennoch möchte ich zur Vorsicht raten, da die altchristliche Skulptur sonst Zukunfts-
gedanken so wenig ausspricht, wie die Katakombenmalerei; z. B. Gerichtsszenen gibt es
weder hier noch dort.
*) Campli: G 399, 7. Lat. n. 104: G 365, 2. Velletri: G 396, 2.
Evangelische Erlösungstypen. 129
Die Toten sind durch kleine männliche Figuren dargestellt, ähnlich dem Adam
und der Eva in der letzteren Schöpfung. Eine solche Figur liegt ausgestreckt auf
einer Bodenschräge zu Füßen des Christus und wird von dessen Stab berührt, eine
zweite, auch eine dritte, steht bereits auf ihren Füßen; am Boden liegt wohl noch ein
Kopf oder ein Fuß (das worauf der Christus am Sarkophag aus Villa Ludovisi tritt,
sieht weniger wie vier Knochen aus als wie vier Zehen eines Fußes). Lat. n. 121 sind
die Lebenden nicht größer als die Wiederbelebten; deren stehen dort zwei, auch liegen
neben dem noch nicht aufgerichteten zwei Köpfe, der eine, wie alle die Wiederbelebten,
mit Fleisch bekleidet, der andere ein nackter Schädel. Unsere Abb. 39. 41. 42. *)
Abgesehen von dem aus der frühchristlichen Malerei stammenden „ Sündenfall"
sind die Bilder unserer „Sondergruppe" Neuschöpfungen des vierten Jahrhunderts. Der
sepulkrale und Jenseitssinn der Totenbelebung unterliegt keinem Zweifel. Was aber
bedeuteten in der Sargbildnerei die Szenen aus den ersten Kapiteln der Genesis,
Schöpfung der Eva (wo die des augenblicklich in Schlaf versenkten Adam wohl mit-
gedacht ist), Sündenfall und Zuweisung, Kain und Abels Opfer? An Lat. n. 104 sind
Schöpfung der Stammeltern, Sündenfall und Zuweisung vereinigt, letztere beide sogar
verschmolzen, und zwar in der Weise, daß der Zuweisungsgruppe der Baum mit der
Schlange hinzugefügt ist (nicht, wie sonst wohl, umgekehrt Garbe und Schaf, oder der
Christus mit den Ähren, den Stammeltern unter dem Baum). Das sieht aus, wie Lust
am Erzählen, hier der Urgeschichte, dergleichen man ja der Kunst des vierten Jahr-
hunderts nachrühmt, gegenüber der frühchristlichen Bildersprache. Was aber war das
Interesse der Auftraggeber? Das Hervortreten des präexistenten Christus Logos sieht
eher aus wie gesteigertes dogmatisches Interesse, wie Ausbau der Christologie. Diese
scheint auch die Gestaltung des ersten Opfers mit dem zentralen Christus am Sarko-
phag von Fermo veranlaßt zu haben. Und der Christus war doch, sicher im sepul-
kralen Kreis, durchaus der Herr des Lebens nach dem Tode. An der Ausarbeitung
der Interpretation bleibt noch viel zu tun.
Evangelische Erlösungstypen.
Die evangelischen Erlösungstypen erscheinen in den Sarkophagreliefs um ein
paar vermehrt.2)
Die Wiederbelebung des Lazarus hält sich in der Hauptsache an den aus der
Malerei bekannten Typus: das Grab als hellenistisches Mausoleum, auf einem Unter-
bau mit Freitreppe, die Front wohl gesäult, unter Giebel; in der Tür steht die Mumie
des Lazarus; Christus streckt die Hand nach ihm aus, später den Zauberstab; dabei
in der Regel Lazarus' Schwester Maria, einmal auch Martha, sowie ein oder zwei Hinter-
*) Totenbelebung: V. Schultze, Arch. Studien 99. — Lat. n. 115 verschmilzt die Toten-
belebung mit der Erweckung des Lazarus, insofern die zwei hier (und in n. 186) benachbart an-
geordneten Wunder durch eine und dieselbe Christusgestalt verrichtet werden, n. 116 (G 376, 4).
n. 121 (398, 3). n. 135 (318, 1). n. 180 (372, 2). n. 186 (313, 4). n. 191 (312, 1). Grousset n. 92
Villa Ludovisi, jetzt Lat. M n. 26. — de Waal, Rom. Quartalschr. 1906, 28 leugnet jede Beziehung
auf Ezechiel, es sei einfach die künftige Auferstehung gemeint.
a) Erlösungsbilder: Band I 223. — Zu Jesus als Heiland (omttJq) vgl. Wendland, Helle-
nistische Kultur 122, 3.
Sybel, Christliche Antike II. 9
130 Plastik.
grundsfiguren in wechselnder Anordnung, die man eher als Jünger, denn als tröstende
Juden verstehen wird. Das Mausoleum bildet regelmäßig den einen Abschluß des
Reliefs, in den früheren Exemplaren am linken Ende, später wechselnd links oder rechts.
Christus erscheint ohne Zauberstab an den verhältnismäßig frühen Exemplaren Lat.
n. 119 und 55 [Abb. 5. 14]; an letzterem beugt sich Maria auf die von ihr erfaßte
Linke des Heilands, der hier nicht nach Lazarus blickt, sondern geneigten Hauptes auf
Lazarus herab — einer von den Zügen, welcher die Komposition dieses Reliefs so viel
ansprechender macht, als wir es sonst an den Sarkophagen gewohnt sind. An n. 119
kniet Maria, aber noch mit aufrechtem Oberkörper, Martha steht im Hintergrund beim
Grab. In den späteren Exemplaren mit linkshin gewandtem Christus pflegt er die Rolle
in der Linken zu halten, in der Rechten das Stäbchen; an n. 146 legt die kniende
Maria die Hand an sein Knie. In den Sarkophagen seit Konstantin wirft sich die nun
immer zu klein gebildete Maria zu Boden, vornüber geneigt, wenn auch den Christus
anblickend (n. 148. 175); an n. 104 legt sie die Hand bittend an seinen Fuß [Abb. 37].
Ist die Szene an das rechte Ende des Sarkophags versetzt, so streckt Jesus die Rechte
mit dem Stäbchen an seiner Brust vorbei; einmal wendet er sich nach der Nachbär-
szene hin (n. 193) [Abb. 40], einmal fehlt Maria (400, 7); ganz winzig und fast hündisch
kriechend erscheint sie an n. 184 [Abb. 38]. Nach der lockeren Komposition zu ur-
teilen sind besonders spät n. 127 und 162 (an letzterem setzt Christus, neben dem keine
anderen Personen vorkommen, den Fuß auf die unterste Stufe), sowie am Sarkophag
von San Callisto Abb. 43. Ausnahmsweise findet sich die Szene an einem Säulensarko-
phag; hier sind bei der Einordnung die Reliefenden nicht berücksichtigt.1)
Die Erweckung der Tochter des Jairus kommt in der Sarkophagskulptur wie in
der Katakombenmalerei je einmal vor, beides im vierten Jahrhundert. Am linken Ende
des Reliefs steht eine Kline rechtshin, mit gedrehten Beinen, die sichtbare Kante des
Kopfbrettes mit einem herabschießenden Delphin verziert. Auf der Kline liegt das
Mädchen, das sich eben hebt, vom Christus an der Hand gefaßt; dieser hat in der
Linken eine sich öffnende Rolle. Der bärtige Jairus steht hinter der Kline, genau
frontal, die Rechte jedoch mit zwei eingeschlagenen Fingern gegen den Heiland hin
gehalten. Im Vordergrund hat sich eine Matrone ihm zu Füßen geworfen, im Schema
von Lazarus' Schwester, auch in derselben Winzigkeit; wohl die Mutter des Mädchens.
Hinter dem Kopfende der Kline steht ein Unbärtiger in Chiton, über die Kline hin-
weg adorierend die Hände zum Christus ausgestreckt [Abb. 42]. — Häufiger begegnet
die Erweckung des Jünglings zu Nain. Der Christus, in der Linken die Rolle, be-
rührt mit dem Stäbchen den sich bereits erhebenden Kopf einer mumienhaft ein-
gewickelt am Boden liegenden Gestalt; eine Nebenfigur pflegt dabei zu sein. Die Hand-
lung geht an einem Säulensarkophag linkshin, an Lat. n. 175 und 112 rechtshin. Andere
Darstellungen schließen sich dem Text enger an, indem sie den Sarg hinzufügen; als
marmorner, wohl auch geriefelter Sarkophag gedacht, steht er auf ebenfalls marmornen
Untersätzen in Form von Löwenbeinen mit Löwenköpfen, oder am Boden. Der Ge-
storbene erhebt sich aus ihm mit dem Kopf, oder ist wie auf dem Sarg liegend ge-
x) Lazarus in der Malerei: Band I 225. — Lat. n. 119. 55: G 307, 1. 358, 3. Maria knie-
fällig: Joh. 11, 32. — Lat. n. 146: G 313, 2. — Lat. n. 148. 175. 104: G 380, 4. 367, 1. 365, 2. —
Am rechten Reliefende: Lat. n. 161. 108. 186. M n. 26 (G 382, 2. 359, 2. 313, 4. 361, 1). Christus
weggewendet: n. 193 (372, 3). Maria fehlt n. 166 (400, 7); hündisch 184 (364, 2). Spätest 127.
162 (376, 1. 348, 1). Säulensarkophag: Wittig 78 n. 38. — Vgl. Ficker S. 16. 64.
Evangelische Erlösungstypen. 131
zeichnet. An n. 183 zeigt der Vater der Mutter das Wunder. An G 319, 4 hockt
beim Sarg die Mutter am Boden, im alten Schema der Trauer. An G 404, 2 tragen
zwei Männer auf den Schultern das Totenbett, das die Gestalt eines Sofas hat; auf
ihm hat sich der Verstorbene eben erhoben.1)
Es folgen Heilungsgeschichten.2)
Der Gichtbrüchige ist in den Sarkophagreliefs wie in den Malereien in dem
Augenblicke wiedergegeben, wo er durch Jesus' Wort geheilt auf dessen Geheiß sein
Bett auf den Nacken oder auf den Kopf genommen hat und davongeht. Die Heilung
ausgedrückt durch Berühren mit der Hand, ist mit dem Davongehen in einen und
denselben Moment zusammengefaßt; anders als in den Malereien wird in den Reliefs
der Heiland stets mit dargestellt. Der Geheilte trägt den Chiton, der Christus hält in
der Linken die Rolle. An einem Säulensarkophag wurde ein früherer Moment beliebt:
nachdem die Heilung eben vollzogen, stellt der Geheilte seine Kline auf ihr Fußende
hoch, um sie danach auf den Nacken zu nehmen. Die Kleinheit des Geheilten in
manchen Reliefs möchte ich nicht als die eines Knaben bezeichnen, sondern es ist die-
selbe, die wir in den späteren Sarkophagen an Figuren wie den Trinkenden im Quell-
wunder oder der Schwester des Lazarus bemerkt haben und weiterhin an dem geheilten
Blinden wiederfinden werden; je höher der Christus gehoben wird, desto tiefer wird
der Mensch erniedrigt [Abb. 38 — 41]. Die Nebenfiguren lassen wir beiseite. Ein
Sarkophag bringt die Szene neben der zentralen Orante; ihr, der Verstorbenen, wendet
der Christus den Kopf zu, als derjenigen, welcher der ganze Bilderaufwand, das heißt
die ganze Wundermacht des Erlösers eigentlich gilt [Abb. 40]. — Ein anderer Sarko-
phag mit gereihten Architekturen, darunter zwei Toren mit Zinnen direkt auf den Archi-
volten, rückt die Szene ungefähr in die Mitte des Reliefs. Links davon, unter einer
Arkade, kommt der Christus von linksher, gefolgt von zwei Jüngern, das Haupt geneigt,
als ob er es mit dem Gichtbrüchigen zu tun habe; aber seine Rechte ist vorgestreckt,
ohne daß seine ganze Bewegung Ziel und Gegenstand hätte. Statt dessen folgt jen-
seits der Säule unsere Szene, und zwar in ungewöhnlicher Entfaltung und in zwei
Zonen. Im niedrigeren Sockelbild liegt linkshin ein Kranker in Chiton und Mantel
auf verhängter Kline, die Hand auf dem Kopf wie Endymion, Jonas u. a. Ruhende;
dreie im Chiton sitzen um ihn herum, zwei links mit vorgestreckter Rechten, einer
rechts scheint die Hand an das Kopfende der Kline zu legen. Im oberen Hauptbild
aber sehen wir die typische Heilung des Gichtbrüchigen, etwas lebhafter in der Be-
wegung des Christus, dazu wieder drei Nebenfiguren in Chiton, teils sitzend teils stehend,
einen mit Stab, es mögen Kranke gemeint sein. Den Hintergrund bildet ein drei-
bogiger Säulengang, doch wohl in Anklang an die fünf Hallen am Teich Bethesda
Joh. 5, 12 [Abb. 32]. Einen Moment zwischen dem Ruhen auf der Kline und dem
*) Tochter des Jairus: Mk. 5, 22 und Parallelen. Malerei: Band I 225. Sarkophag: Lat.
n. 116 G 376, 4. — Jüngling zu Nain: Lk. 7, 11. Säulensarkophag: Lat. n. 195 G 397, 9.
Eechtshin: n. 175 G 367. 1. n. 112 Ficker Taf. I. Lat. n. 183. 179. 189 (G 316, 1. 370, 1. 367, 2).
Vgl. Ficker S. 54. — Zu beiden Szenen vgl. de Waal, Eöm. Quartalschr. 1906, 38.
2) Die Heilungsgeschichten machen auf Thiersch (Hist. Zeitschr. 1909, 582) den Eindruck,
als sei durch diese Szenen auf ein Sakrament angespielt, die Krankensalbung Jakob. 5, 14 — 15,
die sich in den griechischen und römischen Kirchen bis heute erhielt. Ich finde in den fraglichen
Szenen nichts, was darauf hinwiese.
9*
132 Plastik.
Aufnehmen der Kline stellen drei Sarkophage dar, an denen der Kranke auf der Kline
sitzt und so vom Christus am Kopf berührt wird.1)
Die Blindenheilung begegnet in der Skulptur weit öfter als in der Malerei.
Sie ist hier auch anders komponiert, insofern der Blinde steht, nicht wie in der Malerei
kniet; von Knien steht ja auch nichts in den Texten, es war in der Malerei nur
durch Gegenstücke mit Knienden veranlaßt. Der Heiland pflegt sich vorneigend, später
auch geradeaus oder aus dem Bilde herausblickend, die Hand oder zwei Finger an
die blinden Augen zu legen, einmal berührt er beide Augen mit einer Hand. Der zu
klein gebildete Blinde trägt den Chiton, der öfter ungegürtet ist, darüber den Schulter-
kragen oder die Pänula, und führt einen Stab in der Hand. Ein bisweilen hinter dem
Blinden stehender Jünger umfaßt seine Schulter, etwa wie bei einer Operation haltend
und beruhigend [Abb. 14. 28. 32. 37 — 41]. Einige Bildhauer geben nach Matthäus zwei
Blinde; der erste hat den Stab, der zweite hält sich an ihm; dem ersten legt der
Christus die Hand auf den Kopf. Oder Jesus legt dem ersten die Hand auf den Kopf,
der zweite wird von einem Jünger in vollem Haar und Bart um die Schulter gefaßt,
jeder Blinde führt einen Stab [Abb. 32].a)
Die Blut flüssige. Ficker S. 17 unterscheidet in der Skulptur vier Haupt-
auffassungen, „gewissermaßen die vier Akte der Handlung". Richtiger scheint die Be-
merkung, daß die verschiedenen Auffassungen nebeneinander hergehen — sofern näm-
lich überhaupt von solchen gesprochen werden kann. Ganz unzweideutig ist die Blut-
flüssige nur dann gekennzeichnet, wenn sie, kniend, oder gebückt stehend, das Gewand
des Heilandes berührt. Dem Wechsel in dessen Gebärdung (er hält seine Hand bald
ferner, bald näher und seine Fingerspitzen berühren den Scheitel oder seine Hand legt
sich auf ihn) möchte ich keine Bedeutung beimessen; sie wechselt wohl schon deshalb,
weil die Texte für ihre Gestaltung keinen Anhalt geben [Abb. 28. 32]. — In einigen
Reliefs fehlt das Motiv des Gewandanfassens, damit fehlt aber die unzweideutige Kenn-
zeichnung der Figur als der Blutflüssigen; man könnte da ebensogut an die Kananäerin
Mk. 7, 24 denken. Problematisch ist auch die Mittelszene am Sarkophag in Leiden,
wo eine Verschmelzung mit einer anderen Szene vorliegt: die Matrone, nicht eine
Verstorbene, kniet vor dem Christus, die Hand unter dem über die linke Schulter
geworfenen Mantelende (das ist aber nicht das Schema der „verhüllten Hände"); die
rechte Hand sowohl des Heilandes wie des hinter der Frau stehenden Jüngers ist ab-
gebrochen, weder näherte sich jene ihrem Scheitel, noch diese ihrer Schulter; letztere
aber auch nicht dem Kinne des Jüngers; im Hintergrund aber steht der (bei den
Petrusszenen zu besprechende) Hahn. — Auf die Kananäerin aber wird ein anderer
*) Der Gichtbrüchige in den Malereien: Band I 226. — Lat. n. 191. 146. 186. 173. 135.
184. 127 ( G 312, 1. 313, 2. 4. 315, 1. 318, 1. 364, 2. 376, 1). Wittig 83 n. 43. Kline hochgestellt:
n. 155 G 315, 2. Orante: n. 193 G 372, 3. Architekturen: n. 125 G 314, 5. — Der Kranke sitzt:
n. 175. 222 (G 367, 1. 400, 4). Grousset n. 87 G 379, 4.
a) Blindenheilung in der Malerei: Band I 226. — Christus sich vorneigend: vor allem,
dazu in halber Rückansicht, Lat. n. 55 (G 358, 3); ferner n. 104. 222 (365, 2. 404, 4). Geradeaus:
n. 146. 166. 193. M 26 (313, 2. 400, 7. 372, 3. 361, 1. 402, 3). Aus dem Bilde heraus: n. 186 (313, 4).
Nach zentraler Verstorbener umblickend: n. 180 (372, 2). Beide Augen: n. 160 (376, 2) — Chiton
ungegürtet: n. 191. 135. 189. 178 (312, 1. 318, 1. 367, 2. 3). Streckt beide Hände vor: n. 173. 184
(315, 1. 364, 2). — Jünger: n. 175 (367, 1). — Zwei Blinde: n. 125 (314, 5) und Leyden (319, 4). —
Zwei Fragmente: Wittig 77 n. 37. 38.
Evangelische Erlösungstypen. 133
Typus bezogen, in welchem eine Frau die Hand des Christus ergreift und küßt. Un-
mißverständlich findet sich das Küssen nicht in den Texten. Dort ist von Proskynese
die Rede; das war eigentlich eine bestimmte Art des Kusses, die Kußhand, dann aber
in weiterem Sinne jede Form unterwürfiger Verehrung; hier wäre es der Handkuß. —
Ein verwandter Bildtypus ist noch der Hauptmann von Kapernaum Mt. 8, 5. An
dem veroneser Sarkophag steht er vor dem Christus, sich verbeugend, die Hände unter
der Chlamys. Er ist, wie diese Art Personen vor dem Christus meistens, zu klein
gebildet.1)
Andere Erlösungstypen faßten wir im ersten Bande unter der Bezeichnung Er-
lösungsmittel zusammen. Mit den vorstehend besprochenen Bettungsbildern hängen
sie gedanklich eng zusammen, wie sie auch unterschiedslos mit ihnen zusammen ver-
wendet wurden; doch bilden sie eine eigene Gruppe, weil sie nicht bloß allgemein die
Erlösung aus dem Tod ins ewige Leben versinnbildlichen, sondern eben gewisse Hilfs-
mittel der Erlösung. In der Katakombenmalerei lernten wir zwei solche Typen kennen,
die auch als Gegenstücke verwendet wurden, Brotvermehrung und Weinzauber.
Der Christus gebraucht seinen Zauberstab, in einem Fall um die Brote zu vermehren, im
andern um das Wasser in Wein zu verwandeln; dort steht eine Reihe voller Brotkörbe
am Boden, hier eine Reihe Wasserkrüge (vielmehr Töpfe, vielleicht sind Kratere gemeint),
deren er je einen mit gesenktem Stabe berührt. Die Idee der Brotvermehrung stammt
aus der Speisung der Tausende, ebenso die Reihe der Brotkörbe, der Weinzauber aus
der Hochzeit zu Kana. An die Speisung der Tausende ist aber nicht mehr gedacht,
ebensowenig an Kana; sondern beide Bilder sind eucharistisch gemeint, sie veranschau-
lichen Brot und Wein des Abendmahls, deren Genuß das ewige Leben verbürgt. Eine
andere Versinnbildlichung der mystischen Speise bestand in Zusammenstellungen von
Brot und Fisch, den Speisen des messianischen Mahles, nämlich dem Gelage der
Tausende. Dieselben Speisen sahen wir in der Katakombenmalerei bei den Seligen-
mahlen figurieren, die im christlichen Gedanken- und Bilderkreis eine Übertragung des
messianischen Mahles ins Jenseits sind, wenn an sich auch Fortsetzungen der heid-
nischen Seligenmahle. 2)
Der ziemlich frühe Sarkophag von Velletri nimmt eine Sonderstellung ein: zwischen
fünf Brotkörben steht ein Bartloser in Exomis, die Hände seitwärts abgestreckt, auf
x) Die Blutflüssige in der Malerei: Band I 229. — Lat. n. 125 (Garr. Taf. 314, 5). Bottari
Taf. 41, 2 (375, 3). Lat. n. 152. 148. 195. 175. 189. 178 (320, 1. 380, 4. 397, 9. 367, 1—3). Mailand
(315, 4). Syrakus (365, 1). Civita Castellana 319, 3. Vatikan 330, 5. Kontamination: n. 191
(312, 1). Wilpert, Rom. Quartalschr. 1906, 5 erklärt die Kniende für eine Verstorbene. — Gewand
nicht angefaßt: Lat. n. 174. 179 (323, 6. 370, 1). Aus San Lorenzo (360, 1). Verona (331, 1). —
Leiden (319, 4). — Kananäerin: Vat. G 334, 1. Paris 319, 1. San Callisto 382, 1. — Haupt-
mann: Verona G 333, 1. Leyden 319, 4, wo der Hauptmann die richtige Proportion hat. — An
der Tafel des Kircherianum G 404, 1 sind noch drei Wunderheilungen dargestellt. Der Thauma-
turg ist bärtig, hat aber nicht das lange Haar wie der Christus der Bergpredigt im selben Relief;
er trägt einmal bloß den Mantel, wie derselbe Christus, zweimal Chiton und Mantel; in der Linken
hält er die Rolle. Einmal legt er die Hand auf den Kopf einer auf einem Stein sitzenden Frau,
das zweitemal auf einen mit gebogenen Knien ihm bittend nahenden Bartlosen in Tunika, das
drittemal legt er die Hand an die Brust eines auf einen Stock gestützten, zu ihm aufblickenden
Bartlosen in Lendentuch; Garrucci denkt an die Gebückte Lk. 13, 11, den Bartimaeus Lk. 18, 35
oder den Gerasener Mk. 5, 15, endlich an den mit der dürren Hand Mk. 3, 1.
*) Erlösungsmittel: Band I 229. Messianisches Mahl: I 192. Seligenmahl I 195. Brot
und Fisch auch I 232. 294.
134 Plastik.
jeder Hand ein Brötchen. Es ist der Christus, irgendwie im Vollzug des Brotwunders
gedacht. Die sonderbare Tracht mag dem Guten Hirten am linken Reliefende ent-
lehnt sein; die Haltung erinnert an die eines Jongleurs oder Prestidigitateurs, hat aber
einige Verwandtschaft mit der in der Speisensegnung.1)
In den Sarkophagreliefs tritt ein neuer Typus in den Vordergrund, der wohl erst
aus ihnen in die spätere Katakombenmalerei gelangt ist, die Segnung der mystischen
Speisen, Brot und Fisch. Die Idee auch dieses Typus ist aus der Speisung der
Tausende geflossen, meint aber wieder die Eucharistie. Aus letzterem Umstände er-
klärt sich das Auffallende, daß zur Darstellung ein Moment gewählt wurde, der im
Speisungsmythus nicht vorkommt, nicht einmal in der Legende von der Stiftung des
Abendmahls, nämlich das Segnen der Speisen. In beiden Erzählungen heißt es einfach,
Jesus sprach das Dankgebet, brach das Brot und verteilte es, kein Wort von einem
Segnen der Speisen. Das wird also erst aus dem Ritus des Altardienstes hinein-
gekommen sein. Im Bildtypus nun steht der Christus frontal, zwischen zwei ihm halb
zugewandten Jüngern; der zu seiner Rechten trägt in den Händen einen Brotkorb, der
zur Linken eine Schüssel mit zwei Fischen; der Christus hat segnend seine Hände auf
die Brote und die Fische gelegt. Die zwei Jünger pflegen bärtig zu sein [Abb. 14.
37. 39]. — Nun erinnern wir uns der gereihten Brotkörbe, die ursprünglich beim
Ende des Gelags der Tausende zur Aufnahme der gesammelten Brocken dienten; sie
wurden in den Malereien den Gelagen der Seligen hinzugefügt, sind aber längst zu
Behältern der mystischen Speise geworden. Die Bildhauer stellen sie nun auch vor
die „Speisensegnung", so daß der Christus zwischen sie zu stehen kommt; ihre Zahl
wechselt, meist, sind es vier bis sechs. — Die Brotvermehrung der Malerei, wo der
Christus mit dem Zauberstab einen der gereihten Körbe berührt, kommt so in der
Sarkophagskulptur nur vereinzelt vor (Lat. n. 175 G 367, 1 neben einer Brotver-
mehrung); öfter in Kontamination mit der Speisensegnung: der Jünger mit dem Brot-
korb fehlt; indem der Christus mit dem Zauberstab in der Rechten die gereihten Brot-
körbe berührt, segnet er mit aufgelegter Linken die Fische in der Schüssel des einen
Jüngers [Abb. 28. 38].2)
Die Verwandlung des Wassers in Wein bei der Hochzeit zu Kana, den Wein-
zauber, stellten die Katakombenmaler dar im selben Schema wie die Brotvermehrung:
mit dem Zauberstab berührt Jesus eine Reihe kleiner Gefäße, es scheinen Kratere ge-
meint. Es war nur natürlich, daß so gleichartig komponierte Szenen als Gegenstücke
angeordnet wurden. In der Sarkophagskulptur finden sich die beiden Szenen häufig
im selben Relief, sei es unmittelbar nebeneinander geordnet oder auf die zwei Relief-
hälften (an zweizonigen Sarkophagen auf die zwei Friese) verteilt; bei den ohne Szenen-
*) Velletri: Garr. Taf. 374, 4.
*) Speisensegnung: Frühestes Exemplar ist Lat. n. 55 (G 358, 3). Ferner n. 136 (383, 5).
Wittig 85 n. 44. Fragmentiert sind Wittig n. 45 u. 56. Am vatikanischen Sarkophag G 334, 1
liegen die Speisen in zwei Schüsseln, der Inhalt der Schüssel zur Eechten des Christus ist nicht
erkennbar. — Dazu die Brotkorbreihe: Lat. n. 191. 146. 155. Grousset n. 52. Lat. n. 212. 104.
189. 178. 180. 127. 148. 161. 190. 166 (G 312, 1. 313, 2. 315, 2. 357, 1. 358, 1. 365, 2. 367, 2. 3.
372, 4. 376, 1. 380, 4. 382, 2. 384, 5. 400, 7). — ßrotvermehrung und Segnung der Fische:
Lat. n. 152. 184. 179. 157 (G 320, 1. 364, 2. 870, 1. 402, 9). — Es sei noch bemerkt, daß der eine
Jünger bisweilen bartlos ist, der andere bisweilen kahlstirnig; daß sie manchmal Korb und Schüssel
vertauscht haben, oder daß jeder einen Korb trägt oder jeder eine Schüssel.
Der Erlöser. 135
trennung dicht gereihten Bildern hätte eine genaue Entsprechung keinen Zweck gehabt.
Ein oder zwei Jüngerfiguren treten manchmal hinzu. Eine erzählende Note klingt an,
wenn ein kleiner Sklave einen Krug (eine Amphora) auf der Schulter herbeiträgt, um
die Kratere zu füllen (Sarkophag zu Civitä Castellana, G 319, 3). Unsere Abb. 37.
38. 40. 41. 43. 44.1)
Die Samariterin am Brunnen kommt erst an Sarkophagen des vierten Jahr-
hunderts vor. Die Samariterin und Jesus sind beiderseits der Brunnenmündung an-
geordnet. Während sie nun in den Malereien, abgesehen vom frühesten Exemplar,
den Eimer an einem Strick aus dem Brunnen zieht, ist in den Reliefs über der Brunnen-
öffnung ein Gerüst errichtet, zwei Pfosten, zwischen deren Kopfenden eine Walze, auf
die sich das Seil aufwickelt. Die Erklärung der Szene, es handelt sich um das Wasser
des Lebens, gaben wir im ersten Bande, anders als Wilpert und Wittig.2)
Der Erlöser.
Es handelt sich immer und immer wieder nur um den Erlöser aus dem Tod ins
ewige Leben. Nachdem wir die mittelbaren Darstellungen, die Bilder des Guten Hirten
und des Orpheus, bereits früher gelegentlich des ländlichen Idylls erledigten, bleiben
die unmittelbaren zu besprechen, der Christus in Momenten seines Lebens, vielmehr
seiner Legende. Die Malereien der Katakomben boten nur die Huldigung der Magier
vor dem neugeborenen Erlöser und weniges, was sich darum gruppiert, einerseits das
Christuskind auf dem Schoß der Mutter, ohne die Magier, doch durch den Stern über
ihm gekennzeichnet und mit einem bald als Joseph bald als Jesaias gedeuteten Manne,
sodann hiervon abgeleitet Maria mit dem Engel, das ist also die Verkündigung der
Empfängnis und Geburt des Erlösers, andrerseits die Magier den Stern erblickend.3)
Die Sarkophagreliefs, die hier in Rede stehen (die aus Italien, außer den ravenna-
tischen) sind reich an Repliken der Magierszene; das Kind auf dem Schoß der Mutter
ohne die Magier kommt hier so wenig vor wie die Verkündigung. Die Reliefs des
vierten Jahrhunderts geben eine größere Zahl von Szenen, besonders aus der Passion.
Diese Tatsache ist als ein Symptom des zunehmenden Interesses an der Christologie
zu betrachten, des immer stärker überhandnehmenden theologischen Gesichtspunktes.
Die Künstler natürlich freuten sich der neuen Motive, die ihnen mehr Gelegenheit
gaben, im Erzählen ihr Können zu zeigen.
Zuerst denn die Huldigung der Magier und die Anbetung der Hirten.4)
Die Huldigung der Magier stellen die Bildhauer im ganzen in gleicher Art
*) Weinzauber: Band I 230. — Lat. n. 186. 173. 155. 135. 184. 104. 189. 178. 219. 179.
193. 122. 160. 148. 161. 166 (G 313, 4. 315, 1. 2. 318, 1. 364, 2. 365, 2. 367, 2. 3. 369, 1. 370, 1.
372, 3. 374, 2. 376, 2. 380, 4. 384, 2. 400, 7). Wittig 83 n. 43.
2) Samariterin: Band I 232. — Grousset n. 150 (G 313, 3). Paris (319, 1). Verona (333, 1).
Vatikan (334, 1). Santa Agnese (402, 4); hier steht ein Schriftbündel beim Christus. Wittig
76 n. 36.
*) Der Erlöser: Band I 240. — Aus dem Kindheitsmythus: Band I 246.
4) Magier und Hirten: V. Schultze, Arch. Studien 213. Liell, Die Darstellungen der
allerseligsten Jungfrau und Gottesgebärerin Maria 248. Max Schmid, Die Darstellung der Geburt
Christi in der bildenden Kunst 1890. Wittig, Campo santo 71.
136 Plastik.
wie die Katakombenmaler dar, nicht als Anbetung, sondern als ßeschenkung. Meist
eilfertig herankommend, etwa wie Aufwärter bei Gelagen, bringen sie auf Schüsseln
ihre Gaben; der erste deutet auf den Stern, indem er sich auch wohl zu den zwei
Gefährten umwendet, um sie aufmerksam zu machen. Mit dieser noch vorbereitenden
Handlung verbindet sich unmittelbar der Hauptmoment, die Huldigung selbst. Bereits
befinden sie sich vor dem Kind, über dem der Stern steht; in Chiton und Mäntelchen
sitzt es auf dem Schöße der Mutter, aufrecht, bald gehaltener, bald energischer bereits
nach der Gabe des ersten Magiers greifend. Die Mutter sitzt in einem Korbstuhl,
dessen Geflecht, in mehreren Exemplaren genau dargestellt, dem Gebrauch entsprechend
öfter mit einem Tuch überdeckt ist. Häufig ist jedem Magier ein Kamel an die Seite
gegeben, als ob er darauf hergeritten sei, nun aber abgesessen es am Leitseil führe.
Ein paarmal steht ein Mann hinter dem Korbstuhl der Maria, öfter bärtig als bart-
los, angezogen, und legt die Hand an die Rücklehne des Sessels, eine Gestalt wie sie
am Sarkophag aus S. Paul ganz gleichartig hinter dem Korbstuhl des Gottes in der
oberen Zone steht. Der Mann hinter Maria ist Joseph. Maria setzt die Füße gern
auf einen Schemel [Abb. 37].1)
Die Anbetung der Hirten. Das Kind ist gewickelt, die Armchen mit ein-
gewickelt, wie es seit alters bis fast in unsere Tage der Brauch war. Es liegt auf
einer kurzen tuchbedeckten Kline, der Kopf auf dem schräg ansteigenden Kopfbrett;
der Auszug aus der Komposition in der Wandmalerei von San Sebastiano läßt die
Konstruktion deutlich erkennen. Über dem Wickelkind werden die es betrachtenden
*) Magier: Band I 249. — Sarkophag aus S. Paul Lat. n. 104 (G 365, 2). Zwischen den
Köpfen der Magier sind schwache Bossen stehen gelassen, die Hintergrundsköpfe hätten abgeben
sollen; hier müßten es Kamelsköpfe' sein, doch würden die Bossen dafür kaum gereicht haben.
Statt eines Sterns sind drei runde Scheibchen an der Trennungsleiste der zwei Zonen stehen ge-
lassen, die zu Sternen ausgearbeitet werden sollten; nur versteht man die Dreizahl nicht. — Es
gibt nun manche Vereinfachungen der Komposition. Joseph fehlt: Lat. n. 124 (G 398, 6). Joseph
und der Stern fehlen: Osimo (384, 7); auch die Kamele fehlen: n. 137. 212 (359, 1. 358, 1). Die
Gruppe unter Bäumen: Grousset n. 165. Maria sitzt auf einem Stuhl mit geschweiften und ge-
kreuzten Beinen, die Füße ruhen auf einem Schemel, wie es beim Gott im Opfer Abels und Kains
am veroneser Sarkophag der Fall war: Tolentino (303, 3). — Magier rechtshin, mit Kamelen,
Maria (ohne Joseph) hält Jesus Händchen erhoben: Lat. n. 121 (G 398, 3). Mit Stern: n. 126
(385, 2). — Jesus als Wickelkind (das Motiv aus der Anbetung der Hirten): n. 176 (384, 6).
Wittig 73 n. 34 wo mehr. — Auf einem späten Exemplar hat man Maria mit dem Kind auf dem
Schoß nicht sitzend, sondern auf einer verhängten Kline gelagert dargestellt. Schmid erinnert an
den Typus des ersten Bades, das in der alten und neueren Kunst die Geburt vertritt; während
die Wärterin das Kind badet, pflegt da die Wöchnerin auf dem Bett zu ruhen. Aber unser
Sarkophag meint nicht die Geburt, sondern die Huldigung der Magier. Grousset n. 80. Schmid
81 zu n. 20. — Zu Maria im Korbstuhl vgl. das Schulrelief aus Neumagen (Hettner, Führer
n. 21). Wernicke, Rom. Mitteil. 1888, 94 verweist auf ähnlich sitzende Mütter an heidnischen
Kindersarkophagen, z. B. an den beiden von ihm Arch. Zeitung 1885 Taf. 14 veröffentlichten
Gegenüber allen solchen „Ableitungen* christlicher Typen von „antiken* muß ich immer wieder
betonen, daß sie bei der in meinem Buche vertretenen Auffassung von „Christlicher Antike* die
frühere tendenziöse Bedeutung verlieren, obwohl sie immer den Wert typengeschichtlichen Materials
behalten. — Zu Band I 251, 1 betreffend Epiphanias möchte ich noch auf Wendland, Hellenistisch-
römische Kultur 97 verweisen (Verlegung des Geburtsfestes Jesu als der neuen Sonne auf den
Geburtstag des Sol Invictus). Zu Band 1 247 betr. hellenistischen Charakter des Kindheitsmythus
vgl. Wendland a. a. O. 127, 1 gegen Gunkels Hypothese orientalischen Ursprungs (dessen
Forschungen I 67).
Der Erlöser. 137
Köpfe von Ochs und Esel sichtbar. Von beiden Seiten aber tritt je ein Hirt heran,
in Exomis, das Peduni in der Linken; mit offener Rechten begrüßt er das Kind. Oder
sie betrachten es ohne eine Gebärde.1)
Die Huldigung der Magier und die Anbetung der Hirten finden sich bis-
weilen nebeneinander, z. B. links die Magier mit ihren Kamelen und ihren Geschenken
linkshin zum Christkind eilend, der vorderste nach dem Stern zeigend; hinter dem
Korbstuhl der Maria steht wieder Joseph, die Hand an der Lehne; rechts dann die
Anbetung der Hirten.2)
Die übrigen Darstellungen der Krippenszene bringen die Krippe und die zwei
Tiere unter ein Schutzdach, das mit Ziegeln oder Stroh gedeckt ist; die „Krippe" ist
Korbgeflecht, an den Enden abgerundet und nach dem Kopfende hin ansteigend, eine
Art Wanne. Solche geflochtene Wannen dienten in Haus und Feld zu allerlei Gebrauch,
zum Einsammeln von Früchten, zum Worfeln des Getreides usf., nach Gelegenheit auch
als Bettchen für kleine Kinder, für menschliche und göttliche. Das war den Bild-
hauern wohl geläufiger und verständlicher als die Krippe. Die christlichen Skulptoren,
das heißt also die spätantiken, bauten den Korb bloß höher als die früheren heid-
nischen; vielleicht war man inzwischen dazu gelangt, eigene Kinderbetten zu flechten.
Der Sargdeckel der Crispina bietet links die Huldigung der Magier, rechts daran an-
schließend die Anbetung nun bloß eines Hirten; die Palmbäume hat der Bildhauer des
Exemplars eingesetzt, hier um den Ort der Krippe zu idealisieren, noch weiter rechts
um die dort dargestellte Crispina im himmlischen Paradies zu schildern. An dem Sarko-
phag Schmid n. 5 eilen die Magier rechtshin, die Mutter hier mit Wickelkind, sitzt
mit dem Rücken gegen den Stall, in dem nun das Winkelkind noch einmal figuriert,
mit Ochs und Esel, und dazu kommt der Hirt.3)
Schließlich wurden beide Szenen, der Magier und der Hirten, so miteinander
verschmolzen, daß das Kind nur einmal erschien, in der „Krippe" liegend, die
Mutter aber, ohne das Kind, hinter den Hirten zu sitzen kam, jetzt als im Freien auf
einem Stein, öfter unter zwei Bäumen; dazu ließ man sie das Gesicht abwenden, wo-
durch ihre Haltung bewegter wurde, man sagt, um die Erschöpfung nach der Geburt
anzudeuten. Die Magier kommen von links, der vorderste zeigt nach dem Stern, der
wegen der Niedrigkeit des Bildfrieses nicht über, sondern neben dem Dach des Stalles
steht. Der Stern hat sechs spitze Strahlen, das Christusmonogramm läßt sich darin
nicht wiedererkennen. Der dritte Magier trägt seine Gabe auf verhüllten Händen.
Wo die Mutter mit dem Schoßkind ausfiel, kann sich nun der Ochse in ganzer Länge
darstellen; er schlägt sich mit dem Schwanz die Weichen.4)
^Anbetung der Hirten: Schmid a. a. O. 2 Gruppe I, Sarkophag von 343 (Garr. Taf.
398, 8). Lat. n. 183 (316, 1). — Die Wandmalerei: Christi. Antike I 251. — Ochs und Esel:
Kraus, Gesch. d. ehr. Kunst I 171 nimmt an, aus Jesaias 1, 2 oder Habakuk 3, 2 Septuag. sei der
Zug in den apokryphen Evangelien entstanden, von da in die Skulptur gekommen. Da diese
apokryphen Evangelien nicht vor dem sechsten Jahrhundert nachweisbar sind, so glaubt Schmid
sie als die typischen Haustiere von den Bildhauern hinzugefügt, um anzudeuten, daß die Kline
als Krippe zu verstehen sei.
9) Magier und Hirten nebeneinander: Lat. n. 148 (Garr. Taf. 380, 4. Schmid n. 3).
8) Zu Schutzdach und Wanne bringt Schmid 79 und 85 einiges bei. Ein Kind in ge-
flochtener Wanne von Satyr und Nymphe gehalten: Anc. marbles Brit. Mus., Terracottas pl. 24,
44. — Crispina: Schmid n. 6, Lat. n. 190 (G 384, 5).
4) Magier und Hirtenszene verschmolzen: Schmid 8 Gruppe V n. 13, Grousset n. 105,
138 Plastik.
Schmid hat richtig bemerkt, daß die Huldigung der Magier dargestellt ist und
die Anbetung der Hirten, nicht die Geburt. Huldigung und Anbetung gelten selbst-
verständlich dem neugeborenen Erlöser, nicht der Maria. Irgend welchen Marienkultus
kennt weder die Katakombenmalerei noch die Sarkophagskulptur. Für ihren Typus
„das Christkind auf dem Schoß der Mutter" sollte man von der die Ehren verschieben-
den und einen bereits weitentwickelten Marienkultus voraussetzenden Bezeichnung
„Madonna" durchaus absehen.
In der Katakombenmalerei fanden wir einmal die sehr große Freude der
Magier dargestellt, die sie empfanden, als sie den Stern über dem Hause erblickten
Mt. 2, 10. Dieselbe Szene kommt auch an ein paar Sarkophagen vor. Einmal an
einem mailänder; rechtshin blicken die Magier zum Stern empor, der vorderste zeigt
nach ihm. Das „Haus", ein Strohdach auf zwei korinthischen Säulen, darunter das Wickel-
kind, sehr hoch gebettet, dazu Esel und Ochs und der Hirte, mit halbem Leib hinter
der Dachschräge sichtbar, in Exomis, die Rechte erhoben, in der Linken das (vorn ab-
gebrochene) Pedum, diese Szene ist sonderbarerweise nicht unter dem Stern, sondern
hinter dem letzten Magier angebracht. — Der Sarg des Catervius zu Tolentino zeigt
an den Schmalseiten, vor gereihten Toren, rechts die etwas veränderte Gruppe der hier
mit Wanderstäben ausgestatteten, den Stern freudig begrüßenden Magier und den ihnen
mit ausgestrecktem Arm zugewendeten König Herodes in Panzer und Paludament,
nebst zwei Leibwächtern; hinter ihm erhebt sich auf säulenförmigem Träger eine Büste
im Paludamentum, links die Huldigung der Magier. — Diese Szene ist nicht nach den
Textworten komponiert, sondern aus gegebenen Typen zusammengeschweißt; der ober-
flächliche Betrachter erkennt ihm vertraute Züge, den König Herodes, den Stern,
die Freude der Magier, und fühlt sich befriedigt. Der König mit der Kaiserbüste
hinter sich stammt aus der Geschichte der drei Jünglinge, die sich weigern, das von
König Nebukadnezar aufgerichtete goldene Bild anzubeten, und dafür in den flammen-
den Ofen geworfen werden. In der Malerei fanden wir den König bald stehend bald
sitzend dargestellt; dasselbe wiederholt sich bei den Herodesbildern. Am Sarkophag
des Gorgonius zu Ancona thront Herodes, vor ihm stehen die drei Magier; daß es sich
um die neutestamentliche Szene handelt, beweist das Zurückschieben der Büste und der
Wanderstab in den Händen der Dreie. An dem mailander Sarkophag mit architek-
tonischen Hintergründen ist sogar genau der Typus des auf die Büste weisenden Nebu-
kadnezars wiederholt; daß aber auch hier nicht er, sondern Herodes gemeint ist, be-
weist der Stern über den Dreien.1)
Jesus' Taufe. Der knabenhaft gebildete Jesus steht nackt mit den Füßen im
seichten Wasser des Jordan; vom flachen Ufer aus legt Johannes die rechte Hand auf
des Täuflings Kopf, er ist bärtig und trägt nur den Mantel ohne Chiton; die Taube
kommt von links oben schräg herab, am Sarkophag von Maria Antiqua des schmalen
Wittig 71 n. 33 (G 398, 7). Vatikan (334, 2). Lat. n. 199 (398, 5). Syrakus (365, 1). Ein Frag-
ment ist Schmid n. 19, Lat. n. 204 (398, 6). Maria rechtshin (der Korb steht auf zwei Böcken):
Ancona, Schmid n. 12 (326, 1). Dasselbe ohne Magier: Mantua, Schmid n. 8 (320, 2). Zur Aus-
füllung eines Giebels nur das Wickelkind im Korb, über ihm Stern, zwischen den zwei gelagerten
Tieren: Mailand, Schmid n. 18 (328, 2).
*) Freude der Magier: Band I 252. — Mailand: G 315, 5. Schmid n. 7; mit seiner Ab-
lehnung des Joseph behält er gegen de Eossi und Wittig recht. Tolentino: G 303, 2. Nebukad-
nezar: Band I 213. II 223. Ancona: G 326, 3. Mailänder Sark. m. Architekturen: G 329, 1.
Der Erlöser. 139
Raumes wegen zu sehr in das Bild hineingerückt, daher über Jesus' Kopf hin weg-
schießend [Abb. 4]. Den übrigen Exemplaren fehlt die Taube. Dafür fällt Wasser auf
den Täufling von oben herab wie aus einer Felsöffnung oder Muschel. An einem
Exemplar des Thermenmuseums, von dem mir Photographie vorliegt, hält der Täufer
eine halboffene Rolle in der Linken.
Für die Katakombenmalerei beließen wir es bei Wilperts Unterscheidung zwischen
Bildern, die Jesus' Taufe, und andern, die den kirchlichen Taufritus meinen: Ritual-
bilder seien diejenigen, in denen die Taube fehle und der Täufer in Rock und Mantel
auftrete. Vielleicht geben nun die Reliefs, in denen die Taube fehlt, Anlaß die Frage
einer Nachprüfung zu unterziehen. Wenn Viktor Schultze Jesus' Taufe in voller Nackt-
heit dem zweiten Jahrhundert abspricht, so sei erinnert, daß einerseits z. B. die Nackt-
gelage der Sakramentskapellen bloß auf der flüchtigen, skizzierenden Malweise beruhen,
also nicht buchstäblich zu nehmen sind, daß andererseits die Christen des Altertums,
wie schon der Tauchritus zeigt, dem in der Legende und Kunst auch der Christus
unterworfen wurde, nicht so prüde waren wie manche moderne.
Bei Markus sieht Jesus den Himmel sich spalten und den Geist (Gottes, das ist
Gott, welcher Geist ist) wie eine Taube herabkommen und in ihn eingehen; dazu er-
klärt die Stimme Gottes, nun wieder aus den Himmeln, ihn für seinen Sohn. Hier
ist er mithin Gottessohn noch nicht kraft mythischer Physiologie wie in der Geburts-
legende bei Matthäus, sondern durch Eintreten des göttlichen Geistes in ihn nach der
Taufe und durch Erklärung des Gottes, ihn hiermit zu seinem Sohn zu machen. Mit
diesem Augenblick, mit dieser Adoption, beginnt Jesus' Gottessohnschaft, sein Messias-
beruf, sein Erlösungswerk. Die andern Evangelien haben daran einiges modifiziert, aber
das Wesentliche ist geblieben.1)
Zachäus auf dem Maulbeerbaum und Einzug in Jerusalem. Bei Mar-
kus 11, 7. 8 und Lukas 19, 35 reitet Jesus auf einem „Füllen", bei Matthäus 21, 7
auf einer Eselin und ihrem Füllen, in zu wörtlicher Auslegung einer vermeintlich
messianischen Weissagung, bei Johannes 12, 14 auf einem Eselchen. Bei Markus streuen
die Leute Blätter und Halme, die sie von den Feldern gerafft haben (otißdöag äno tüv
dyQcöv), bei Matthäus Zweige von den Bäumen, bei Johannes gehen sie ihm mit Palm-
zweigen entgegen. Viele breiteten ihre Mäntel (tfiäria, wie Burnusse oder Plaids) auf
den Weg. Mit dem Einzug verbinden die Sarkophagreliefs den Zakcha ios auf dem
Maulbeerbaum nach Luk. 19, 4. Am Sarkophag des Bassus befindet sich die älteste
uns erhaltene Replik der Doppelszene; sie braucht deshalb nicht gerade für diesen Sarg
neu geschaffen zu sein [Abb. 18]. Da reitet Jesus auf einem Esel rechtshin, in der
Linken die Zügel (die Rechte ist abgebrochen); ein glatt rasierter Mann mit über den
Kamm geschorenen Haaren breitet seinen Mantel auf dem Weg aus, dicht vor dem
Esel. Im Hintergrund ein Eichbaum mit Eicheln, an die Osterzeit hat der Bildhauer
nicht gedacht; ein bartloser Mann mit kurzem Haar steht hinter dem Baum, nur mit
der Büste sichtbar, und schaut durch die Äste, mit der rechten Hand einen Ast fassend.
Da er nicht etwa Zweige abbricht, auch keinen Palmzweig in der Hand hält, sondern
*) Jesus' Taufe: Band I 235. Strzygowski, Ikonographie der Taufe Christi 1885. — Maria
Antiqua: Hülsen, Forum Eomanum 1904, 143 Abb. 71. — Ohne Taube: Lat. M n. 152 A (früher
Mus. Chiaramonti Grousset n. 187). Marucchi, Bull, crist. 1882, 90 Taf. 9; 1901, 206. Wasser
von oben: Grousset n. 162. Ancona, G 326, 1. Thermenmuseum, Osthalle. — Schultze: Hölschers
Theol. Lit. Blatt 1907, 52. Nacktgelage: Wilpert, Malereien Taf. 27, 2.
140 Plastik.
bloß schaut, so kann er nicht zum Einzug gehören, es muß Zachäus sein, obwohl er
bei Lukas nicht auf einer Eiche, sondern auf einem Maulbeerbaum sitzt. Das Motiv
des Schauens durch die Äste begegnete uns bereits. — Der ständige Typus wiederholt
die Szene des Bassussarkophags, öfter mit Erweiterungen. Ein abgebrochener Zweig
liegt unter dem Esel am Boden als Andeutung der Streuung; ein Füllen läuft neben-
her; Jesus hebt die Rechte sprechend; die Linke hat die Zügel fallen lassen und hält
eine Rolle; ein paar Nebenfiguren, bartlos oder bärtig, stehen im Hintergrund oder zu
beiden Seiten, nach Jesus hinschauend; Zachäus steht oder sitzt im Wipfel des Baums.
Den Vorfall mit Zachäus berichtet Lukas beim Durchzug durch Jericho am Vor-
tag des Einzugs; der Künstler aber hat beides verschmolzen, als ob die Begegnung mit
Zachäus beim Einzug in Jerusalem stattgefunden hätte. Etwas korrekter und zugleich
ausführlicher erzählt der Sarkophag Lat. n. 125 [Abb. 32], einer mit Hintergrunds-
architekturen: beim Einzug in das Tor von Jerusalem kommen zwei Männer entgegen,
der eine mit Palmzweig der andere mit Blumengewinde, zwei kleinere Gestalten breiten
ihre Mäntel auf den Weg, eine dritte hält einen Palmzweig; die Szene mit Zachäus
ist davon getrennt und zwar als vorausgegangen behandelt, Jesus, gefolgt von einem
Jünger, spricht zum Zachäus, der im Wipfel des Maulbeerbaumes steht.1)
Die Fußwaschung hat Johannes Kap. 13 in die Erzählung des letzten Mahles
an die Stelle der von ihm übergangenen Stiftungsgeschichte eingesetzt. Wenn man im
Altertum zum Mahle zusammenkam, das wenigstens in den besser gestellten Klassen
immer in der Form des Gelages abgehalten wurde, so nahm der Sklave den Teil-
nehmern die Sandalen ab und wusch ihnen den Straßenstaub von den Füßen; dann
lagerten sie sich auf der Kline (vgl. z. B. Piatons Symposion 175 a y.a.1 e fiev ecprj änovl-
£eiv xbv Ttaida). Jesus also legt sein Oberkleid (das Himation) ab, bindet ein Leintuch
um das Unterkleid (den Chiton), gießt Wasser in das Waschbecken, wäscht den Jüngern
die Füße und trocknet sie mit dem Leintuch, das er sich umgebunden hat. Den Sinn
der Handlung deutet er gegenüber dem sich anfangs sträubenden Petrus an und spricht
ihn nachher des weiteren aus, natürlich ohne daß der Verfasser des Evangeliums den
Gedankengang völlig verriete, der ihn bei seiner Redaktion des Berichtes vom letzten
Mahle leitete. Auf solche Fragen der Evangelienkritik haben wir hier nicht einzugehen;
nur sei darauf hingewiesen, daß der Verfasser in der Fußwaschung den Sinn des Ritual-
mahles, dessen Stiftungslegende er ausließ, nämlich die Gemeinschaft mit dem Christus,
hat anklingen lassen (Vers 8 käv (.li) viipto oe, ov% £%ug (.isgog ^ict1 ifiov). Die Über-
tragung der Gemeinschaftsidee vom Mahl auf das Fußwaschen ist etwas gequält; und
die ganze Einordnung der Fußwaschung, nicht dem Brauch gemäß vor Beginn des
Gelags, sondern als eine Unterbrechung desselben, befremdet; beides dient zur Be-
stätigung der Annahme, daß die Fußwaschung nicht etwa als neben der Stiftung be-
stehend und als ihr vorausgegangen gemeint ist, sondern als ihr Ersatz.
Die Szene der Fußwaschung kommt in den Reliefs nur wenige Male vor, an
Säulensarkophagen mit dem bärtigen Christus auf dem Berg in der Mittelnische und
mit der Pilatusszene am rechten Ende. Dieser gegenüber, am linken Ende, ist die
x) Einzug am Bassussarkophag: de Waal, a.a.O. 42 Taf. 10 (G 322, 2). — Zweige: Syrakus
(G 365, 1). Lat. n. 186 (313,4). Füllen: Lat. n. 212 (358, 1). 180 (372, 2). Grousset n. 86(334,2).
Wittig 93 n. 50. Eolle: Lat. n. 180. Zacchaeus im Wipfel: Lat. n. 162 (348, 1). 189 (367, 2). —
Lat. n. 125, dazu Ficker 71: G 314, 5. — Fragment im Vorhof des deutschen Archäol. Instituts,
der reitende Jesus gefolgt von Tunicati mit Palmzweig und Kranz: Grousset n. 122 (404, 4).
Der Erlöser. 141
Fuß waschung angeordnet, so daß die beiden Sitzenden, Pilatus und Petrus, sich sym-
metrisch entsprechen. Auf diesem symmetrischen Verhältnis zur Pilatusszene scheint
die ganze Anordnung der Fußwaschung zu beruhen; denn statt auf einer Kline, wie
der Text erwarten läßt (vgl. wie Sokrates sich auf die Kline setzt, ehe er sich lagert,
Symp. 175d), sitzt Petrus auf einem Stuhl, die Füße auf einem Schemel, wie Pilatus;
auf dem zweiten Exemplar steht der Stuhl, eine Sella curulis, nun gar wie der des
Pilatus auf einem Bema, wozu doch beim Gelage keine Gelegenheit war. Folglich ist
die Pilatusszene die ältere, die Fußwaschung aber ihr nachkomponiert. Auf den zwei
römischen Repliken ist Petrus angezogen, hat aber bloße Füße; neben dem Schemel
oder dem Podium steht das Waschbecken am Boden, dabei Jesus in gegürtetem langem
Chiton, das Handtuch nicht umgebunden, sondern über die Schultern geworfen, und
geneigten Hauptes mit beiden Händen es aufnehmend. Petrus macht im einen Exem-
plar eine beteuernde Gebärde, die eine Hand auf die Brust gelegt, die andere offen
vorgestreckt, als wollte er sagen: „Herr, Du wäschst mir die Füße?" [Abb. 33]. Im
andern Exemplar ist's eine entschieden protestierende Gebärde, beide Handflächen nach
vorn: „Du sollst mir die Füße in Ewigkeit nicht waschen."1)
Verleugnungsansage. Jesus sagt dem Petrus vorher, er werde ihn dreimal
verleugnen, ehe der Hahn zum zweitenmal krähe, wie es denn nachher auch geschieht.
Eine oft wiederholte Szene scheint sich hierauf zu beziehen. Jesus steht halblinks
gewandt im Vordergrund, entschieden als die Hauptperson behandelt, die Rechte
sprechend gehoben, meist zwei Finger eingeschlagen, zwei und den Daumen gestreckt,
um das Dreimal auszudrücken (Garr. 316, 4. 369, 1). Links steht Petrus rechtshin;
er pflegt bedenklich den Finger an den Mund zu führen, einige Male hält er die
sprechende Hand tiefer; seine Linke hat die Rolle gefaßt oder einen Stab. Um anzu-
deuten, worum es sich handelt, wird ein Hahn vornhin gesetzt, an die Erde; einmal
sitzt er auf einem Baum im Hintergrund [Abb. 14. 28. 37. 44]. Bei gedrängter Szenen-
folge tritt Petrus so sehr zurück, daß nur sein Kopf im Hintergrund erscheint; dabei
fehlt der Hahn, aus Raummangel. Mehrmal steht zur Linken des Jesus noch ein ihm
zugewandter bartloser Jünger, so daß eine dreifigurige Gruppe entsteht wie die „Zu-
weisung" und die „Speisensegnung". Am leidener Sarkophag ist die Szene mit der
Kananäerin zugleich auf unsere Szene bezogen durch Einschaltuug des hier auf einer
Säule stehenden Hahns.
In andern Wiederholungen steht Jesus links, Petrus rechts [Abb. 38. 41. 42]#
Dabei läßt Lat. n. 135 den Jesus halb linkshin gerichtet, stellt aber den Petrus rechts
hinter ihn, so daß Jesus allein im Vordergrund steht und dem Petrus den Rücken kehrt.
Lat. n. 173 dreht den Christus in die Wendung rechtshin, so daß nun die beiden
Männer einander zugekehrt sind; gleichwohl spricht Jesus nicht eigentlich zu Petrus,
sondern mehr aus dem Bilde heraus. An der linken Schmalseite des reichen Säulen-
sarkophags Lat. n. 174, mit den umfriedeten Kirchengebäuden im Hintergrund, steht
Jesus links, damit er nach der Sarkophagfront hinblicke; er und Petrus stehen im '
Profil sich gegenüber, mit so viel Abstand, daß zwischen ihnen auf jonischem Pfeiler
der Hahn Platz findet.
Wittig will die Hahnszene nicht auf die „Verleugnungsansage" der Evangelien
beziehen, sondern auf die römische Petruslegende, insbesondere auf die des Kirchleins
*) Fußwaschung: Lat. n. 151 (G 335, 3). Vatikauische Grotten (335, 4).
142 Plastik.
Domine quo vadis an der Via Appia. Vor seiner Hinrichtung machte Petrus einen
Fluchtversuch und gelangte vor das Tor; da begegnete ihm der Herr. Petrus fragt
„Herr, wohin gehst du?" — „Ich gehe, um mich zum zweitenmal kreuzigen zu lassen."
— Beschämt kehrt Petrus zurück ins Gefängnis und unterwirft sich der Kreuzigung.
Die Legende benutzt die johanneische Darstellung 13, 33. 36. Jesus hatte gesagt, wo-
hin er nun sich begeben werde, dahin könnten die Jünger nicht kommen; darauf fragt
Petrus „Herr, wohin gehst du?" Kvqis, itov vTtdyeig; Jesus antwortet „Wohin ich gehe,
dahin kannst du mir jetzt nicht folgen, du wirst mir aber später dahin folgen" (ob der
Kreuzestod oder der Himmel gemeint sei, bleibt dunkel); worauf denn, wieder einmal
etwas gezwungen, der Rückweg gesucht wird zur herkömmlichen Verleugnungsansage.
Wittig also will, um die Verleugnungsansage ausschalten zu können, den Hahn nur als
Merkzeichen des Petrus verstanden wissen (er wäre sozusagen sein Attribut, wie der
Adler des Zeus, der Pfau der Hera, die Taube der Aphrodite); die Mauer um die
Gebäude Lat. n. 174 sei die Stadtmauer von Rom, das Tor am vatikanischen Sarko-
phag Garr. 334, 1 sei, wenn ich recht verstehe, die Porta Capena oder die Porta Appia.
Aber Wittigs Vorschlag ist nur ein Glied in einem umfassenderen Hypothesenkomplex,
auf den wir bei Besprechung der Petrusszenen zurückkommen.1)
Der Judaskuß ist am veroneser Sarkophag mit Hintergrundsarchitekturen dar-
gestellt. Jesus rechtshin und Judas, jeder mit einem Begleiter, kommen sich in der
typischen raschen Bewegung entgegen, Judas legt den Arm um den Hals des Lehrers
und nähert ihm den Mund zum Kusse (G 333, 1). Minder anschaulich 402, 4.
Nach der Gefangennahme wird Jesus zuerst zum Hohepriester geführt, dem Mat-
thäus den Namen Kaiaphas gibt. Das Johannesevangelium läßt ihn zuerst zu Hannas
bringen, dem Schwiegervater des Hohepriesters Kaiaphas; unvermittelt spielen sich die
Vorgänge dann aber doch beim Hohepriester ab, die Szene im Hof mit der Verleug-
nung und das Verhör. Nachher wird Jesus zu Pilatus gebracht, der bei Luk. 23, 7
ihn zunächst dem Herodes vorführen läßt. — In den Sarkophagreliefs gibt es zwei Vor-
führungen. In der einen trägt der sitzend Verhörende bürgerliche Tracht; es ist also
weder Herodes noch Pilatus, die beide in militärischer Uniform dargestellt werden,
sondern der Hohepriester, Matthäus und Johannes zufolge Kaiaphas. Er sitzt rechts-
hin, die Rechte sprechend gehoben, umgeben von zwei Männern, deren einer den andern
auf Jesus aufmerksam macht, der, die Hände auf den Rücken gebunden, von zwei
Soldaten in langärmligem Rock, Hosen, Chlamys und Mütze vorgeführt wird. Bei
Markus und Matthäus sind es Juden, Leute gesandt von Hohepriester, Schriftgelehrten
und Ältesten, die Judas führte; Lukas läßt „die Hohepriester, Strategen des Tempels
») Verleugnungsansage: Mk. 14, 30. Mt. 26, 34. Lk. 22, 34. Joh. 13, 38. — Sarkophag-
reliefs: Lat. n. 55. 175. 219. 155 (G 358, 3. 367, 1. 3. 369, 1. 315, 2). Civitä Castellana G 319, 3.
Vatikanisch 334, 1. Wittig 83 n. 43. — Stab: Lat. n. 104. 189. 154 (365, 2. 367, 2. 316, 4). Hahn
auf Baum: n. 138 (317, 1). Hahn fehlt: n. 166 (400, 7). Dreifigurig: Paris (319, 1). Lat. n. 116
(376, 4). — Leiden (319, 4) ist schwerlich die älteste Keplik, eher Lat. n. 55. Wittig zählt ins-
gesamt 56 Repliken der Hahnszene an Sarkophagen aller Provinzen, dazu eine in der Malerei
(Wilpert Taf. 242, 1. Christi. Antike I 274. Ist der Christus wirklich bärtig?). Als heidnische
Analogie zum Hahn auf Pfeiler oder Säule bieten sich die Anathemträger in Säulenform von den
archaischen der athenischen Akropolis bis zu den Säulen mit Kaiserstatuen von Trajan an; vgl.
ferner die Stymphalide auf der Endsäule am Heraklessarkophag Robert III i Taf. 34—37; auch
den marmornen Hahn Visconti opp. VII Taf. 26. — Lat. n. 135. 173. 174 (G 318, 1. 315, 1. 323, 5)
— Wittig, Campo santo 107.
Der Erlöser. 143
und Ältesten" selbst kommen; nach Johannes aber hätte sich eine römische Truppe mit
ihrem Kriegstribun (Chiliarchen) schon an der Gefangennahme beteiligt. Wenn also die
Mützenträger Soldaten sind (davon war die Rede bei „Moses' Bedrängung"), so hat sich
der Bildhauer des Sarkophags dem Johannesevangelium angeschlossen.1)
Oft ist Pilatus zur Darstellung gekommen; für ihn wählte man das Hände-
waschen nach Mt. 27, 24. Wir beginnen mit Lat. n. 55 [Abb. 14]. Am rechten
Ende des Reliefs sitzt Pilatus linkshin, die Füße übereinandergelegt, überlegend, fast
verlegen, das Gesicht abgewandt, die Finger an der Wange, den Ellbogen auf den
untergelegten rechten Arm gestützt. Neben ihm ein Beisitzer, etwas vorgeneigt, das
Knie zwischen den verschränkten Händen; im Hintergrund stehen noch drei Militärs,
vielleicht ein Offizier und zwei Gemeine, letztere mit Schilden. Dem Landpfleger
gegenüber steht ein Diener in bloßem Mantel (der Kopf ist abgebrochen, er war wohl
bekränzt wie Pilatus es ist); in den Händen hält er Schale und Kanne. Die Kleinheit
der Schale läßt eher an ein Trinkgefäß denken und in dem Diener den Mundschenk
vermuten; das wird auch der zur Konstruktion der Szene verwendete Typus gewesen
sein, gemeint aber ist das Gerät zum Händewaschen. Vorn steht ein niedriger Unter-
satz und darauf eine Vase (abgebrochen). An der Komposition fällt das Fehlen der
Hauptperson auf, des Jesus; nur die Gruppe um Pilatus hat der Bildhauer gegeben,
vielleicht weil sie ihn künstlerisch mehr interessierte. Doch möchte man glauben, nicht
er habe die Gruppe geschaffen, sondern sie sei nur ein Auszug aus der Originalkomposi-
tion, die man sich kaum ohne den Erlöser vorzustellen wagt. Mit ihm aber hätte die
Szene die ganze rechte Hälfte des Frieses gefüllt; der Bildhauer des Muschelsarko-
phags hatte nur die Wahl, entweder den neben der Muschel typischen Abraham aus-
zulassen oder die Vorführungsgruppe; durch den Verzicht auf letztere rettete er den
Abraham. Indessen ist die Pilatusgruppe eine so geschlossene Komposition, daß sie
künstlerisch eine Zutat nicht zu bedürfen, nicht einmal sie zu vertragen scheint. Und
fragt man, was das Bild ausdrücke, so ist's nicht eigentlich das Händewaschen selbst,
sondern das Überlegen des Pilatus, ob er den in seinen Augen Schuldlosen preisgeben
solle. An Jesus wird nicht das Leiden hervorgehoben, sondern seine durch den Römer
bezeugte Schuldlosigkeit. Hier ist zwar, zum erstenmal, eine Szene aus der Passion
komponiert worden , aber es ist noch kein Passionsbild. Und Jesus konnte ohne
Schaden fehlen.
Die übrigen Repliken befinden sich an Säulensarkophagen; weil die Vorführungs-
gruppe nun hinzutritt, so füllen sie meist zwei Interkolumnien. Den Vortritt habe der
Bassussarg [Abb. 18]. Jesus, die Rolle in der Linken, steht geneigten Hauptes zwischen
zwei Soldaten in kurzärmeligem Chiton und Chlamys, barhaupt, der eine hält sein
Schwert. Die Pilatusgruppe beschränkt sich auf den Landpfleger, den Beisitzer und
den Diener; statt der Soldaten im Hintergrund sehen wir einen Bau mit Zinnen, der
das Prätorium andeuten mag. Die Vase auf dem Ständer ist hier erhalten. — Das
Bruchstück eines ähnlichen Säulensarkophags im deutschen Carupo santo, mit der Gruppe
des Jesus zwischen den zwei Soldaten, hat das Eigene und vielleicht nicht Zufällige,
*) Verhör beim Hohepriester: Mk. 14, 53. Mt. 26, 57. Lk. 22, 54. Job.. 18, 13. — Sarkophag:
Lat. n. 183 (G 316, 1), nach Ficker vielleicht aus Bimini. Das vereinzelte Vorkommen, die Mützen-
träger (im Gegensatz zu den Soldaten der Pilatusszene), die übrigen Szenen des Reliefs und der
Stil machen wahrscheinlich, daß das Verhör vor dem Hohepriester später geschaffen sei als das
vor Pilatus.
144 Plastik.
daß der Heiland gar nicht nach dem Landpfleger hinsieht, sondern gehobenen Hauptes
nach dem Soldaten sich umblickt, der ihn am Arme faßt; also auch diese Szene ist in
sich abgeschlossen und bedarf keiner Ergänzung. — Wir verzichten darauf, alle Exem-
plare einzeln zu beschreiben [s. Abb. 19. 33. 35], machen nur darauf aufmerksam, daß
ein paarmal die Doppelszene in ein Kompartiment und in eine einheitliche Gruppe
zusammengezogen ist (ähnlich wirkt die Engsäuligkeit des Sarkophags Lat. n. 174),
wobei der Diener dem Jesus Platz macht und in den Hintergrund sich zurückzieht. Der
Diener, dessen Mantel auch zur Exomis einschrumpft, wird nun in einem etwas späteren
Augenblick geschildert, wie er die Kanne hebt um das Wasser auszugießen. Pilatus
selbst sitzt auf dem Bema, in Profil oder in Vorderansicht; wenn er Jesus unmittelbar
vor sich hat, so streckt er die Hand fast wie adorierend gegen ihn aus; oder er hält
die Hand über die ihm hingehaltene Schale, und der Diener gießt das Wasser darüber,
aus dem Hintergrund die Hand mit der Kanne vorstreckend. Aloys Riegl rühmt die
Raumdarstellung besonders an den Sarkophagen Lat. n. 55 und 174, dort die in die
Tiefe gebaute Anordnung im Halbkreis um den zentralen Ständer, hier das Vorstrecken
der Schale und der Kanne aus der Raumtiefe heraus. Darin kündigt sich aber nicht
eine Zukunftskunst an, sondern es ist ein letztes Aufleuchten der hellenistischen Raum-
kunst. x)
Die Dornenkrönung. Jesus steht mit übereinandergelegten Händen ruhig da;
ein Krieger in langärmligem Rock und Hosen, Chlamys und Helm, das Schwert in
der Linken, hält einen Kranz über Jesus' Haupt [Abb. 35], Aber es ist kein Dornen-,
sondern ein Lorbeerkranz, mit Gemme über der Stirn. Auch diese Szene war zwar
der Passionserzählung entnommen, aber wieder ist nicht das Leiden geschildert, sondern
es ist in Triumph verwandelt.9)
Die Kreuztragung. In den synoptischen Evangelien wird Simon von Kyrene
genötigt, Jesus das Kreuz zu tragen, bei Johannes trägt er es selbst. Am Sarkophag
mit der „Dornenkrönung" folgt auf sie, in der Endnische links, die Kreuzestragung;
wie bei den Synoptikern trägt es Simon von Kyrene. Er geht im kurzen Chiton, dessen
Schoß auf jedem Oberschenkel mit großem Schnitt ausgezackt ist, wie es auch bei den
l) Lat. n. 55 (G 358, 3). Bassus: G 322, 2. de Waal, Sark. d. Bassus 46 Taf. 6. 7. Campo
santo: Wittig 96 n. 52. Lat. n. 174: G 323, 4. — Lat. n. 106. 151. 171. Vatikanische Grotten:
G 331, 2. 335, 3. 350, 1. 335, 4. Spätest: G 353, 4. — In der Vase auf dem Ständer sieht de
Waal 47 den Feuerbehälter auf dem Opferaltar zur Aufnahme der Weihrauchkörner für das
Numen Imperatoris, in dessen Namen der Praetor das Urteil sprach; dagegen erklärt sie Graeven
Gott. gel. Anz. 1901, 81 für das Wassergefäß zum Abmessen der Zeiten für die Reden der Parteien,
das, sonst in Gerichtsbildern nicht dargestellt, hier nur wegen des Händewaschens eingeführt sei. —
Das Händewaschen in der hier dargestellten Weise hat sich noch lange erhalten. Ich erlebte es
1879 in Arkadien, nach der Ankunft in dem alten, nur von Männern in Fustanella bewohnten
Schlosse am Stymphalischen See. Beim Mahle wurde der Wein ebenfalls in antiker Weise in
silbernen Phialen gereicht. — Über den Diener mit derPila (das Kaiserbild ist herausgebrochen)
hinter der Ecksäule (das meint hinter dem Stuhle des Pilatus) vgl. Garrucci V 46. Ficker,
Lateran 171. Vgl. das Elfenbeindiptychon des Probianus [Abb. 64].
a) Dornenkrönung: Mk. 15, 17. Mt. 27, 29. Joh. 19, 2. — Lat. n. 171 Garr. Taf. 350, 1.
— Dann wäre zu fragen, ob die „ Dornenkrönung" und „Verspottung" in Praetextat, nach Wilpert
(zu Malereien Taf. 18; vgl. Christi. Antike I 268) aus dem zweiten Jahrhundert, mit anderen
Worten die von den Soldaten ironisch gemeinte Kränzung und Begrüßung des Jesus, als des neuen
Königs der Juden, nicht im Sinne der Christen Ausdruck seines wahren Charakters sein sollen.
Und die „ Passionskrypta " hätte diesen ihren Namen zu Unrecht bekommen.
Der Erlöser. 145
Jünglingen im glühenden Ofen und bei Soldaten vorkommt, auf Bildwerken, die alle
ein und dem selben Zeitraum angehören werden; damals muß der ausgezackte Chiton
Mode gewesen sein (er läßt sich als eine Art Vorläufer des Fracks betrachten, wie er
im achtzehnten Jahrhundert aufkam, damals noch nicht als Festgewand, sondern als
Alltags-, Arbeits- und Reitkleid, sowie als Uniform der Soldaten). Simon trägt das viel
zu kleine T förmige Kreuz auf der linken Schulter; auf dieselbe legt ein ihn begleitender
Soldat, diesmal wieder barhaupt, seine Hand [Abb. 35]. Die synoptische Erzählung
ermöglichte auch hier, die Darstellung der Passion des Erlösers zu umgehen.1)
Kreuzigung, Begräbnis, Auferstehung und Himmelfahrt des Christus hat weder
die Katakombenmalerei noch die Sarkophagskulptur dargestellt; doch gibt es einige
bildliche Typen, die aus dem genannten Geschichtenkreis hervorgegangen sind.
In der Mittelnische von Säulensarkophagen, sowie im Mittelfeld von Baumgängen,
auch an der Stelle des Christus zwischen den zwölf Aposteln, findet sich wiederkehrend
ein Symbol eben des verklärten Christus, gebildet aus dem sechsarmigen Monogramm
in bebändertem Kranz auf dem Kopfe eines lateinischen Kreuzes; zwei auf dessen
Armen stehende Tauben picken an dem Kranz; unterhalb der Kreuzarme, gegen den
Stamm gekehrt, sitzen zwei Krieger mit Helm, abgesetztem Schild und Lanze, der
rechts auf den Schildrand gelehnt und schlafend, der links zum Monogramm auf-
blickend [Abb. 34. 35]. In den Repliken mit den Zwölfen pflegen beide Wächter zu
stehen, auf Schild und Lanze gestützt. — Das Kreuz bedarf keiner Erklärung, es
stammt aus der Kreuzigung. Wächter kommen nur bei Matthäus vor; 27, 36 bleiben
die Soldaten nach der Kreuzigung am Orte sitzen um den Gekreuzigten zu bewachen.
Vers 66 wird auf Betreiben der Juden eine Wache an das Grab gelegt. Da in den
Reliefs die Soldaten unter, dem Kreuz angebracht sind, und zwar sitzend, so können
wohl nur die von Vers 36 gemeint sein, obwohl gerade der Gekreuzigte im Bilde fehlt.
Daß der eine schläft, beruht auf künstlerischem Schalten (übrigens ist das Schlafen der
Wächter in den neutestamentlichen Schriften sozusagen typisch); in den späteren
Exemplaren sahen wir es beseitigt. Die Wächter sind bloß eine figürliche Staffage
zur Ausfüllung der leeren Räume unter den Kreuzesarmen. — Das sechsarmige Mono-
gramm ist zum Sinnbild des triumphierenden Christus geworden (und miteingeschlossen
den Seinen zur Bürgschaft des Siegs in diesem und jenem Leben, In hoc signo vinces),
darum wird es vom Lorbeerkranz umschlossen. Es erhebt sich über dem Kreuz, zum
Zeichen, daß der Christus gerade aus dem Tod zum ewigen Leben eingegangen ist,
verklärt und erhöht; er ist der Sieg über den Tod. Daß die ganze Zeichengruppe
den erhöhten Christus versinnbildlicht, bestätigt ihr Eintreten in die Stelle des persön-
lichen Christus an den späteren Sarkophagen, wo sie nun genau wie er selbst zwischen
den Zwölfen steht. Einmal wird dann das Monogramm durch den Vogel Phönix er-
setzt. — Das sechsarmige Monogramm im Kranz steht am Sarkophag von Tolentino
in einem Giebel zwischen zwei Tauben, im andern das vierarmige zwischen zwei Schafen
(Garr. 303, 2. 3). — Ein sechsarmiges Monogramm, aber nicht aus XP (Xoiorög) ge-
bildet, sondern aus IX ('Irjoovg Xotordg), auch in Kranz, steht im Mittelfeld eines
Riefelsargs von Tusculum über einem Thron ohne Lehne; auf einem darüber gebreiteten
Tuch liegt anscheinend ein Buch (386, 4). Mit solchen Thronen werden wir uns noch
») Kreuztragung: Mk. 15, 21. Mt. 27, 32. Lk. 23, 26. Joh. 19, 17. — Lat. n. 171 Garr.
Taf. 350, 1.
Sybel, Christliche Antike II. 10
m
146 Plastik.
mehr zu befassen haben. — Das gewöhnliche sechsarmige Monogramm in schlichtem
Kreis steht radartig im Mittelfeld des vatikanischen Riefelsargs Garr. Taf. 391, 1. —
Ein später Sarg im deutschen Campo santo Wittig n. 73 mit netzförmigem Transenna-
muster statt der Riefeln hat im Mittelfeld ein vierarmiges Monogramm mit Gemmen
besetzt, zwischen A und Q. Das kehrt im Sarkophagfragment Garr. 401, 1 wieder,
mit den zwei stehenden Wächtern unter den Kreuzarmen. — Endlich der Riefelsarg
in de Waals Sammlung Wittig n. 74 hat im Mittelfeld ein großes lateinisches Kreuz
mit geschweiften Köpfen.1)
Hier schließen wir das rechte Endbild des Sarkophags von Civitä Castellana an.
Jesus steht zusammen mit einem mehr im Hintergrund bleibenden Jünger. Es handelt
sich um eine vor Jesus sich ringelnde Schlange; man könnte denken, er beschwöre
sie, obschon dergleichen gerade von ihm nicht überliefert wird; leider ist sowohl der
Kopf der Schlange als auch Jesus' rechte Hand abgebrochen, so daß eine präzise Be-
schreibung und Erklärung nicht gegeben werden kann. Garrucci bezieht die Szene
auf Joh. 3, 14, wo Jesus spricht: Wie Moses die Schlange in der Wüste erhöhte (auf-
richtete), so muß auch der Sohn des Menschen erhöht werden (am Kreuz), damit jeder
der an ihn glaubt, das ewige Leben habe. Im Bilde ist die Erhöhung, worauf es doch
gerade ankommt, freilich ausgefallen.2)
An einem späten Sarkophag der vatikanischen Grotten mit dem Monogramm auf
Kreuz zwischen den Zwölfen hat man die nicht allzu bedeutsamen Soldaten ersetzt
durch eine Erscheinung des Auferstandenen. Zwei Matronen erzeigen dem sie
anredenden Christus ihre Verehrung, hinter ihnen sieht man das Grab in der Form
einer überkuppelten Rotunde. Etwas anders erzählt der mailänder Sarkophag mit
Anbetung der Hirten; hier hat die Rotunde ein konisches Dach, in der offenen Tür
liegt das Schweißtuch; zwei Matronen treten vor das Grab, die erste blickt vor sich
nieder auf das Schweißtuch, die zweite zu dem Engel hinauf, dessen Büste neben dem
Dach in Wolken steht. Am Ende desselben Reliefs legt der ungläubige Thomas,
von einem anderen Apostel begleitet, den Finger in die Wunde an der Seite des Herrn,
*) Tauben (Seelen vögel) am Kreuz: Weicker, Der Seelenvogel 1902, 26. — Wächter sitzend:
Lat. n. 171. 164 (Garr. 350, 1. 2). Mailand: griechisches Kreuz auf Stab, in den Boden gesteckt,
zwischen zwei sitzenden Wächtern (Garr. zu 353, 4 hält das Exemplar für longobardische Nach-
ahmung). — Wächter stehend: Grousset n. 93, jetzt Lat. M n. 169 A (850, 3). Palermo (349, 4) —
Kreuzigung: Mk. 15, 24. Mt. 27, 35. Lk. 23, 33. Joh. 19, 17. — Ficker, Darstellung der Apostel
77 bezieht die Wächter unter dem Kreuz auf das Grab Christi. — Phönix: Bull, crist. 1898, 24
Taf. 1. — Am Sarkophag von Palermo lassen geringe Spuren erkennen, daß über jedem Apostel-
kopf ein Kranz schwebte, der Kranz des Lebens; vermutlich hielt ihn die Hand von oben;
bei jedem Kopf steht ein Stern zur Andeutung des Lokals, des Himmels. Ähnliches Lat. M
n. 169 B, dazu Marucchi, Bull, crist. 1896, 180. — An einem Sarkophag in S. Pudentiana (Grousset
n. 147) steht das Monogramm auf Kreuz zwischen Kränze bringenden Aposteln. Ein jeder bringt
seinen Kranz des Lebens dem Herrn dar, wie die vierundzwanzig Altesten Off. 4, 10, ein echt
antikes Motiv. Es handelt sich mithin um eine Verehrung des Herrn, nicht aber haben wir in
dem Relief das älteste Denkmal der Verehrung des Kreuzes vor uns, wie Grousset wollte.
•) Civitä Castellana: Garr. Taf. 319, 3. Garruccis Wiedergabe läßt dem Zweifel Raum, ob
wirklich Jesus gemeint sei. — Ähnlich wie auch anderen Geweihten des Altertums wird den
Christen verheißen, sie würden im Namen des Christus allerlei Wunderbares verrichten, darunter
auch „ Schlangen aufheben", Mk. 16, 18; der Christus hat ihnen Gewalt gegeben, „auf Schlangen
und Skorpionen zu treten, und über die ganze Macht des Feindes, und nichts werde ihnen Schaden
tun", Lk. 10, 19. Ein solches Vorkommnis wird auch von Paulus erzählt, Ap. Gesch. 28, 3 — 6.
Der Erlöser. 147
der nur den Mantel um hat und den Arm über den Kopf legt, um die Brust dem
Thomas zu zeigen.1)
Wir lassen einige Szenen folgen, welche die zwei „ Apostel fürsten" angehen.
Zeitlich voran geht der Bassussarkophag mit der Verhaftung des Petrus und der Ent-
hauptung des Paulus. Aus Gründen redaktioneller Zweckmäßigkeit beginnen wir mit
der Paulusszene, ohne damit der Entscheidung des Rangstreites zwischen den zwei
Großen vorgreifen zu wollen, der gemäß Mk. 9, 33 ff. ohnehin nicht in ihrem Sinne
sein kann.
Die Enthauptung des Paulus. Am Bassussarg steht der Apostel halb rechts-
hin auf dem rechten Fuß, das linke Knie etwas vorhängend, Rumpf und Kopf etwas
vorgeneigt, ähnlich dem Jesus in der Vorführung desselben Sarkophags; die Hände
hat er in allen Repliken auf den Rücken gebunden. Es sind wieder zwei Schergen,
zwei Soldaten; der hinter ihm stehende scheint die Fessel zu halten, der andere ist im
Begriff, das Schwert zu ziehen; also wieder eine dreifigurige Gruppe, die Hauptperson
im Vordergrund. Im Hintergrund ein paar Schilfstengel, zur Andeutung des Lokals
Ad aquas Silvias (heute Tre fontane unweit der Paulsbasilika) [Abb. 18]. Die anderen
Repliken lassen den Soldaten hinter Paulus weg. Lat. n. 164 wendet den Paulus
linkshin und gibt oberhalb des Schilfs anscheinend ein kleines Schiff, das nur auf den
Tiber sich beziehen kann, als das einzige schiffbare Wasser in der Gegend [Abb. 34]. —
An die Stelle der Enthauptung setzt Lat. n. 106 die Abführung zur Enthauptung.
Paulus, die Hände auf den Rücken gebunden, wird linkshin abgeführt von zwei Soldaten,
deren erster mit der Linken des Apostels Arm faßt, mit der Rechten das Schwert
zückt; der zweite, beschildet, macht eine Gebärde. Statt des Schilfrohrs im Hinter-
grund sieht man hier einen Palmbaum; er ist aus der Mittelnische herübergewuchert,
wo der Christus auf dem Berg zwischen zwei das himmlische Paradies andeutenden
Palmbäumen steht. — Denselben Typus befolgt die flüchtige Darstellung an einer
Ciboriumsäule der Basilica Petronillae, das Martyrium des Soldaten Achilleus: ganz
wie Paulus in Chiton poderes und Himation, die Hände auf den Rücken gebunden,
wird Achilleus linkshin abgeführt; nur hebt der Soldat, hier bloß einer, das Schwert
höher und zwar mit der linken Hand; im Hintergrund erhebt sich der oben besprochene
Kranz (in dem nur das Monogramm ausblieb) auf dem Kreuz.2)
Eine Verhaftung des Petrus findet sich an mehreren Sarkophagen; da sie
teils Jesus' Vorführung, teils Paulus' Enthauptung gegenübergestellt, in einem Falle
aber auch zum letzten Gang umgebildet wurde, so scheint sie richtig als die letzte
Verhaftung des Apostels verstanden zu werden. Die Hände verschränkt (nicht ganz
so wie Demosthenes oder wie Medea) steht er ruhig, am Bassussarkophag etwas zu
stark zurückgelehnt. Zwei Soldaten sind von beiden Seiten an ihn herangetreten, der
eine legt die Hand an seinen Arm; an Lat. n. 164 legt auch der andere Soldat Hand
an; beide sind barhaupt und stehen hinter der Hauptperson etwas zurück [Abb. 18.
*) Erscheinung des Auferstandenen: Mk. 16,9. Joh. 20, 14. — Grotten: Garr. 350,4
Mailand: Garr. 315, 5. Schweißtuch: Lk. 24, 12. Joh. 20, 5. 7. Engel vom Himmel: vgl. Mt.28, 5.
— Thomas: Joh. 20, 24. Zur Pose des Herrn vgl. die Amazonen Typus I und II in m. Welt-
gesch.2 219 Abb.
2) de Waal, Sark. d. Bassus 50 Taf. 11 (Garr. 322, 2). Dazu Lat. n. 162 (348, 1). Mailand
(353, 4). — Lat. n. 164 (350, 2). — Lat. 106 (331, 2). — Achilleus: de Rossi, Bull, crist. 1875,8
Taf. 4. — Gefesselter geführt: vgl. Antigone Pauly-Wissowa I 2403.
10*
148 Plastik.
34]. — Die dreifigurige Gruppe bildet Lat. n. 151 um in die Abführung zur
Kreuzigung. Die Gruppe setzt sich halb linkshin in Bewegung, Petrus macht eine
Art konzedierender Geste (etwa „Also gehen wir!"); der vorangehende Scherge, in
bloßer Tunika, trägt das zu kleine lateinische Kreuz auf der Schulter [Abb. 33]. —
Ähnlich ruhig Stehende wie an Lat. n. 164 kommen ein paarmal vor, nur daß sie
nicht die Finger verschränken, sondern die eine Hand über den anderen Arm gelegt
haben. So Jesus in der Bekränzung („Dornenkrönung" Garr. 350, 1). Ebenso der
eine Bärtige in der sogenannten Verleugnung Petri; ein zweiter steht vor ihm, auf
ihn einsprechend, man könnte sich ganz wohl denken, er sage: Auch du warst bei
ihnen, denn du bist ein Galiläer. Aber der Vorgang hätte sich deutlicher machen lassen,
auch mit den Mitteln unserer Sarkophagskulptur. Warum fehlt der Hahn gerade hier?1)
Die Sarkophage mit den übrigen Petrusszenen sind alle spät; der gesäulte zu
Fermo bringt außer im Mittelfeld nur solche. Am rechten Ende sieht man im vor-
letzten Feld eine Gruppe Soldaten als Wächter des Gefängnisses, behelmt, mit Schild
und Lanze; zwei stehen im Grunde, vorn sitzt einer und schläft, den Kopf auf den
Schildrand gelegt wie der schlafende Wächter unter dem das umkränzte Monogramm
tragenden Kreuze; im letzten Feld wird Petrus vom Engel fortgeführt. Es ist also
nicht Petrus' Gefängnis dargestellt, sondern die wunderbare Errettung des Petrus
aus dem Gefängnis. Dergleichen erzählt die Apostelgeschichte wiederholt. 5, 17 werden
die Apostel von den Juden gefangen gesetzt und nachts vom Engel herausgeführt.
Kap. 12 erzählt das Wunder mehr ausgeschmückt und nur von Petrus. Herodes hat
ihn gefangen gesetzt und läßt ihn von Soldaten bewachen; der Engel führt ihn durch
alle Wachen, und die stärksten Tore springen von selbst vor ihm auf. Das ist's was
der Sarkophag von Fermo meint. — In den Endfeldern links, am selben Sarkophag,
scheinen zwei Petrustaten dargestellt. In der Endnische kniet eine Matrone vor Petrus,
ähnlich der Kananäerin die Hand bittend vorgestreckt; im Hintergrund ein bartloser
Begleiter und eine zweite Matrone. In der zweiten Nische steht Petrus mit bärtigem
Begleiter; in antiker Weise faßt er eine vor ihm stehende Matrone am Handgelenk.
Garrucci faßt die zwei Szenen als zwei Momente aus der Erweckung der Tabitha
Ap. Gesch. 9, 36 — 42; in der ersten sieht er die Witwen um Petrus, in der zweiten
die Erweckung selbst. In der Tat faßt Petrus die zum Leben wieder Erwachte an
der Hand und hilft ihr auf; aber das Wesentliche fehlt, das Bett. Ficker lehnt die
Erklärung ab unter Verweis auf den summarischen Wunderbericht 5. 12 (vgl. 2, 43).2)
Matthäus 18, 18 sagt Jesus zu seinen Jüngern: Was ihr binden werdet auf der
Erde, das wird gebunden sein im Himmel; und was ihr lösen werdet auf der Erde,
das wird gelöst sein im Himmel. In einer jüngeren Fassung wird dasselbe dem Petrus
allein gesagt: Ich werde dir geben die Schlüssel des Reichs der Himmel, und was du
binden wirst auf der Erde, wird gebunden sein in den Himmeln; und was du lösen
wirst auf der Erde, das wird gelöst sein in den Himmeln. — Die Metapher hat man
zu einem Bilde gestaltet, in dem Jesus dem Petrus einen oder zwei Schlüssel über-
gibt. Die Szene der Schlüsselübergabe kommt an nur vier römischen Sarkophagen
vor, in Italien außer ßavenna nur noch einmal. Petrus empfängt die ihm überreichten
l) Basaussarkophag (Taf. 4) und Lat. n. 164 siehe vorige Anmerkung. — Lat, n. 151 (Garr.
335, 3). — Verleugnung: Lat. n. 183 (316, 1). Mk. 14, 66—72 und Parallelen.
*) Fermo: Garr. 310, 2, vgl. de Waal, Rom. Quartalschr. 1906, 45.
Der Erlöser. 149
Schlüssel in einem Bausch, den er mit beiden Händen aus seinem Mantel bildet. Am
Exemplar von S. Pietro in vincoli liegt ein Schlüssel im Bausch, einen zweiten hält
Jesus noch in der Hand; an dem der vatikanischen Grotten und am leydener hält
Petrus den Gewandbausch bereit, Jesus reicht ihm einen Schlüssel hin; an dem von
Civitä Castellana war's ebenso, aber die Hand mit dem Schlüssel ist abgebrochen.
Während in den römischen Exemplaren die Szene am rechten Ende der Sarkophag-
front oder auf der linken Seite untergebracht ist, hat man sie in Civitä Castellana in
die Mitte geschoben. Ein Bruchstück im deutschen Campo santo bewahrt nur die
Oberfigur des Petrus mit dem Schlüssel im Bausch, und zwar linkshin gewendet, Jesus
also stand ihm gegenüber rechtshin.1)
Zu den Mosesszenen „Quellwunder" und „Bedrängung" gedachten wir der Deutung
der Mosesfigur auf Petrus, dessen Namen in der Tat gewisse Goldgläser dem Quell-
zauber beischreiben. Die beiden Nebenpersonen erweist schon die Chlamys als Soldaten,
ebenso die in späteren Repliken ihnen gegebene Mütze; de Waal betrachtete sie als
ein im vierten Jahrhundert üblich gewordenes Uniformstück, sei es einer in Rom
stehenden Truppe oder vielleicht städtischer Miliz im Dienste des Stadtpräfekten. Der
in der „Bedrängung" Festgenommene wäre demnach nicht Moses, sondern Petrus. Gräven,
durch Strzygowski unterstützt, erklärte die Truppe für palästinensisch; es handle sich
also um einen Vorfall in Palästina, nicht in Rom. Wittig hingegen glaubt nicht bloß
die Beziehung der „Bedrängung" auf Petrus in Rom festhalten, sondern eine ganze
Reihe von Szenen auf denselben Vorfall, die Passion des Petrus, deuten zu dürfen.
Über diese weitergehende Hypothese haben wir nun zu berichten.
Die Legende von der Passion des Petrus liest man in den Petrusakten, etwa
aus der ersten Hälfte des dritten Jahrhunderts, und in den Akten der Märtyrer Pro-
cessus und Martinianus, die späteren Ursprungs sind. Wittig meint, die Monumente
stellten einen bedeutend früheren Zustand der Legende dar als die Akten; das gilt
sicher für die späten Akten des Prozessus und Martinianus. Andererseits, meint Wittig,
hätten die Verfasser der Martyrien sich die Legende nicht etwa aus den Sarkophag-
reliefs zusammengedichtet; denn in manchen Punkten gehen Monument und Schrift
auseinander.2)
Es sind fünf Szenen aus der Passion des Petrus, die Wittig in den Sarkophag-
reliefs nachzuweisen unternimmt. Ich begnüge mich, Wittigs Ausführungen zu exzer-
pieren (etwa vorkommende Mißverständnisse bitte ich damit zu entschuldigen, daß Wittig
die Ergebnisse seiner Erwägungen nicht selbst zusammengefaßt hat) und ein paar Be-
merkungen hinzuzufügen.
Erste Szene. Die zwei Soldaten, Processus und Martinianus, halten den Petrus
gefangen. Dem entsprächen die Reliefs, die wir unter der Bezeichnung „Petrus' Ver-
haftung" zusammenfaßten.
Zweitens. Sie nehmen am christlichen Unterricht des Apostels teil. Das wäre
in der „Lehrszene" dargestellt, die man bisher auf Esra oder Moses deutete, wie sie
das Gesetz verlesen. Lat. n. 55 G 358, 3 unterhalb der Muscheln. Grousset n. 118
1) Schlüsselübergabe: de Waal, Schlüssel Petri (in Kraus' Realenzykl. II). Ficker,
Darstell, d. Apostel 99. — S. Pietro: G 313, 3. Grotten: 330, 5. Leyden: 319, 4. Civitä Castel-
lana: 319, 3. Campo santo: Wittig 105 n. 54, er setzt das Stück ins dritte Jahrhundert.
2) Wittig, Campo santo 107—118. — Petrusakten: Harnack, Chronologie d. altchristl. Litt. I
1897, 549. II 170. — Akten des Processus und Martinianus: Acta Sanctorum Boll., Juli I 270.
150 Plastik.
G 396, 12. Lat. n. 175 G 367, 1. Vgl. Ficker, Lateran 18. In den zwei ersten
Repliken spielt die Szene unter Bäumen, und der Lesende sitzt auf einem Fels;
das spricht nicht gerade für einen Unterricht im Gefängnis. Die dritte schon ab-
geschliffene Replik läßt die Bäume weg und setzt den Lesenden gar auf die Sella
curulis.
Drittens. Aus einem Felsen, an den Petrus das Kreuzeszeichen macht, strömt
Wasser, mit anderen werden die zwei Soldaten von Petrus getauft. Das „Quellwunder",
welches auf Petrus bezogen wird, kennen wir als ursprünglich den Moses angehend.
Das Trinken des Quellwassers bedeute die Taufe. Für diese Auslegung beruft sich
Wittig auf Grisar, Rom. Quartalschr. 1896, 321 und auf Wilpert, Malereien 40. 143.
266. Grisar redet nur von der Beziehung des Quellwunders auf Petrus, nicht von
seiner Auffassung als eines Taufsymbols. Letztere vertritt Wilpert als den älteren
Sinn der Quellszene; seit etwa 250 träten noch zwei andere Auffassungen daneben,
als eines Rettungssymbols und als Bitte um das Refrigerium im Jenseits. Die Auf-
fassung der Szene als eines Rettungssymbols und die Beziehung auf das Refrigerium
habe ich Band I 234, 1 als richtig anerkannt. Für seine Deutung des Quellwunders
auf die Taufe bezieht sich Wilpert auf gewisse schriftliche Zeugnisse, die zu bekannt
seien, als daß sie wiederholt zu werden brauchten; ferner auf die vorkommenden
Zusammenstellungen mit anderen Sakramentsymbolen, zum Teil freilich auch nur ver-
meintlichen. Bei den leider nicht namhaft gemachten schriftlichen Zeugnissen kann
unmöglich an Kor. I 10, 4 gedacht sein; Band I 238 machte ich darauf aufmerksam,
daß der „pneumatische Trunk" nicht das Taufwasser, sondern der Abendmahlstrunk
ist. Daß aber aus den Zusammenstellungen der Bilder nicht viel geschlossen werden
kann, [dürfte mein Kapitel „Syntax der figürlichen Typen" Band I 285 zur Genüge
ergeben. Abgesehen von der Sonderbarkeit, die Taufe durch ein Wassertrinken zu ver-
anschaulichen, legt das Bild des Trunkes die Beziehung auf die ohnehin wichtigere
Eucharistie und ihren Becher doch viel näher als die auf den Taufakt. Gesetzt also
in der Quellszene müßte unter der Figur des Moses Petrus anerkannt werden, so wäre
hier Petrus nicht taufend, sondern den Abendmahlskelch oder johanneisch das in das
ewige Leben springende Quellwasser spendend dargestellt. Wasser als eucharistisches
Element kam ja bis ins dritte Jahrhundert viel vor und eignet gerade auch den Petrus-
akten (Harnack, Texte u. Untersuch. VII II 115 „Brot und Wasser"; in den Petrus-
akten; eb. 134 C 16. Derselbe, Chronol. I 558, 7).
Viertens. Auf Drängen der zwei Soldaten begibt sich Petrus auf die Flucht.
Als eine Flucht läßt sich die „Bedrängnis" am Jonassarkophag Lat. n. 119 und in
anderen Repliken deuten; nur die des Petrus Füße umklammernden Männer im erst-
genannten Relief bleiben unerklärt.
Fünfte Szene. Vor dem Stadttor begegnet dem fliehenden Petrus der Christus
und läßt ihn wissen, daß er in der Stadt den Tod am Kreuze erleiden müsse. Das
wäre denn die „Hahnszene", in der also nicht der lebende Jesus dem Petrus in
Jerusalem seine Verleugnung vorhersage, sondern der eigens vom Himmel wieder
Herabgekommene vor der römischen Porta Appia seinen Tod; daher das bestürzte
Gesicht des Apostels. Der Hahn diene nur zur Kennzeichnung des Petrus; es wäre
schwer begreiflich, daß gerade die Verleugnung, oder auch nur ihre Ansage, mit am
häufigsten dargestellt sein sollte. Die Hintergrundsgebäude an der Schmalseite von
Lat. n. 174 (Garr. 323, 5) stellten Rom vor, das Tor im Hintergrund an Garr. 334, 1
Der Erlöser. 151
das Stadttor, vor weichein die Begegnung stattfand. Der Stab in der Hand des Petrus
sei nicht ein Zeichen seiner Macht, sondern vielleicht nur sein Wanderstab.
Abermals beschämt kehrt Petrus nach der Stadt zurück und läßt sich hinrichten.
Die beiden Soldaten Processus und Martinianus erlitten gleichfalls das Martyrium;
sie wurden in dem nach ihnen genannten Coemeterium an der Via Aurelia verehrt;
ihre Reliquien ruhen im nördlichen Querschiff von Sankt Peter.
In der Katakombenmalerei sahen wir den Erlöser thronend, allein oder mit
Umgebung; thronend finden wir ihn auch in der Sarkophagskulptur. Meist handelt
sich's um Säulensarkophage, denen ihre architektonischen Formen immer einen gewissen
Glanz verleihen. Wir beginnen mit dem ßassussarkophag [Abb. 18]. In der Mittel-
nische der oberen Zone sitzt der Christus im zweiten Typus, jugendlich lockig, auf
einem breiten Sitz, der vorn auf Löwenbeinen mit Löwenköpfen ruht und auf einem
Bema steht. Vor dem Suggest breitet Cälus, der bärtige Himmelsgott, mit Kopf und
Armen aus einer Wolke hervortretend, seinen Mantel im Bogen über sich aus; der
Christus setzt seine Füße darauf: der Himmel ist seiner Füße Schemel (das Prädikat
Jahwes wird auf den neuen Herrn übertragen). In der Linken hält er eine halb-
aufgerollte Schrift, den Zeigefinger zwischen den zwei Rollen; die abgebrochene Rechte
machte eine sprechende Gebärde. Also der als Weltherrscher im höchsten Himmel
thronende, erhöhte und verklärte Christus — nach der konventionellen Bezeichnung
die Majestät des Herrn, Maiestas Domini Im Hintergrund stehen, dem Herrn zu-
gewandt, beiderseits des Bema zwei Bärtige. Der zu seiner Rechten mit halblangem
Haar und Bart scheint mit der Rechten zu adorieren (die Finger sind abgebrochen),
die Linke hält die Rolle. Der andere hat den vollhaarigen und vollbärtigen Kopf,
der nun öfter, aber immer nur einzeln erscheint, sowohl unter den Verstorbenen als
auch unter den Zwölfen; seinen im rechten Winkel gebogenen linken Arm bedeckt
der Mantel, die Hände verschwinden hinter der Rolle des Christus. Das vorliegende
Bild gibt kein Merkmal an die Hand, die beiden Begleiter des Herrn zu benennen. —
Die Maiestas Domini am Sarkophag zu Perugia ist der am Bassussarg nahverwandt.
Doch statt des Cälus dient eine Art Basis, würfelförmig mit Sockel und Sims, als Fuß-
schemel; das darübergeworfne Tuch erinnert an den sich wölbenden Mantel des Cälus.
Es ist nur rechts eine Hintergrundsfigur vorhanden, wieder bärtig. Die Rechte des
Christus ist erhalten, er hebt den Zeigefinger. — Das lateranische Deckelfragment (also
ohne Säulen) n. 123, 3 zeigt Christus nimbiert; er thront frontal auf einem Bema, in
der Linken ein offnes Buch, die Rechte sprechend gehoben; von beiden Seiten kommen
die Apostelfürsten, beide adorierend, von links der kahlstirnige Paulus, von rechts
Petrus mit kräftigem doch knapp gehaltenem Haarwuchs. — Lat. n. 174 dehnt die
Gruppe auf drei Interkolumnien aus. Im mittelsten thront Christus über dem hier
bartlos gewordenen Cälus, zwischen zwei ebenfalls bartlosen Hintergrundsgestalten; die
zur Linken hält die Rolle, die andre streckt die Rechte offen vor, etwas gezwungen
um die Säule herum (ähnlich vorgestreckte Hände auch in der zweiten, fünften und
siebenten Nische von links; nur in der Pilatusgruppe ist die Haltung besser gelungen).
Das Bema ist ausgefallen, vom Sessel ist nur ein schlichtes Bein sichtbar, das auf einer
unverständlichen, wohl vom Bildhauer mißverstandenen Stütze ruht. In den Nachbar-
feldern kommt je ein Bärtiger im Profil heran, der zur Rechten des Herrn, Paulus,
aufblickend und mit beiden Händen ihn begrüßend, der andere, Petrus, in gebückter
Haltung, adoriert mit der Rechten, während die von einem Mantelzipfel ver-
152 Plastik.
hüllte Linke das Ende der vom Herrn gehaltenen Rolle auffängt. Das ist der Typus
der „Gesetzesübergabe", als der Übergabe des neuen Gesetzes, und zwar typisch an
Petrus; denn dieser steht bei der die Rolle haltenden Linken. Wenn es sich wirklich
hierum handelt, so darf man fragen, warum nicht das so leicht verständliche Schema
der „Gesetzesübergabe an Moses" dazu verwendet worden ist, warum an Stelle des
geschlossenen Diptychons die offne Rolle getreten ist. In unserem Relief sind die zwei
Apostel insofern individualisiert, als Paulus eine kahle Stirn hat (die beiden Köpfe sind
aber überarbeitet) [Abb. 19]. — Am Sarkophag zu Brescia ist von der Maiestas Domini
nur der auch hier bartlose Cälus erhalten.1)
Den thronenden Christus, jugendlich lockig, finden wir ferner an einem mai-
länder Sarkophag im Halbkreis der ebenfalls sitzenden Zwölfe; das kam in der
Katakombenmalerei häufiger vor, doch weist das Relief einiges Eigene auf. Die Sitze
des Christus und der Zwölfe sind nicht sichtbar; die Füße der letzteren stehen auf
Schemeln verschiedener Breite, ausreichend für ein oder zwei Personen. Die Apostel,
x) Christus thronend: Band I 274 ff. — Bassus: de Waal 57 Taf. 5. G 322, 2. de Waal,
welcher am Todesjahr des Bassus (359) als der Entstehungszeit des Sarkophags festhält, glaubt
das Maiestasmotiv in den Mosaiken der Kirchen entstanden und von da in die Skulptur über-
tragen. Der Vorschlag kann erst erörtert werden, wenn sowohl die Chronologie der Sarkophage
feststeht als auch die Anfangsgeschichte der Mosaiken. — Cälus: Eoscher, Lexikon I und Pauly-
Wissowa III sub voce. Die Augustusstatue von Primaporta, mit dem Cälus oben am Panzer, ist
abgebildet in m. Weltgesch. 2403. — Der Sitz des Christus ist weder der Korbstuhl des Gottes
bei der Schaffung Evas und im Opfer Kains und Abels, oder der Maria mit dem Kind, noch die
sella curulis der höheren Beamten, wie des Pilatus beim Händewaschen ; wegen der Breite des
Sitzes könnte man an das bisellium denken, wenn schon dies noch breiter zu sein pflegt;
verschieden ist auch der Sitz Konstantins an seinem Triumphbogen, ein Stuhl ohne Lehne,
schlichtester Form. Bisellium: Pauly-Wissowa III 502. Mau, Pompeji 1900, 414 Fig. 245). —
Perugia: G S21, 4 — Lat. n. 124: G. 323, 4. — Lat. n. 123, 3 Ficker Taf. 1 G 409, 1.
— Gesetzesübergabe: Ficker, Apostel 83. Gegen die Deutung der Szene mit der Bolle auf
die „ Gesetzesübergabe * wendet Birt, Buchrolle 185 ein, man könne ein Volumen nicht in auf-
gerolltem Zustand überreichen oder empfangen, das lange Band müsse zu Boden fallen. Nun ist
ja freilich nur ein verhältnismäßig kurzes Ende abgerollt (besonders wenn die drei Figuren zu
einer geschlossenen Gruppe zusammengefaßt sind, wie in den nachher zu besprechenden Reliefs
mit dem bärtigen Christus auf dem Berg, Verona G 333, 1; Lat. n. 151 G 335, 3, wo das Rollen-
ende senkrecht herabhängt; in dieser Gruppierung dürfte der Ursprung des Typus zu suchen sein);
aber das ist richtig, daß Diptycha, Rollen und Bücher in geschlossenem Zustand überreicht zu
werden pflegen, und zwar, wie Birt S. 82 bemerkt, mit der rechten Hand; er verweist auf die
Übergabe des Gesetzes an Moses. Petrus fange das herabhängende Rollenende in einem Tuche
auf, um das heilige Buch vor Verletzungen zu schützen, gemäß der schonenden Art, mit der man
im Altertum Bücher behandelte. Natürlich sei dies auch symbolisch gemeint, Petrus erscheine so
als der Schützer des Logos. Man beachte auch, daß der Herr keineswegs immer nach Petrus
hinblickt. Man kann darüber streiten, ob Jesus ein „Gesetz" gegeben habe (in der Spätantike
allerdings kommt die Formel Dominus legem dat vor); wenn unser Bildtypus eine Gesetzesübergabe
an Petrus darstellen will, so ist's ein unnötig ungeschickter Ausdruck der Idee. Eine Gesetzes-
übergabe (vgl. das „Dominus legem dat Valerio Severo Eutropi vivas" an der aus Rom stammenden
Bronzelampe der "Offizien, Kaufmann, Handbuch 324 Fig. 117) würde keinesfalls zugleich eine
Übertragung des Kirchenregiments, eben an Petrus, bedeuten, wie z. B. Garrucci Storia V 58 zu
Taf. 334, 1 will. Zum Ursprung des Typus „Traditio legis" oder „Legem dat" vgl. Baumstark,
Oriens Christ. III 173. Strzygowski, Byz. Zeitschr. XIII 661; Wien. Ak. Denkschr. LH 98. Vgl.
aber auch Frick, Byz. Zeitschr. XVI 647. — Brescia: Garr. 323, 1. — Zum Schema mit ver-
hüllten Händen tragen oder empfangen vgl. Dieterich bei Amelung, Bull. com. 1897, 132
(das Schema kommt aus dem Isiskult).
Der Erlöser. 153
teils bärtig teils bartlos, halten ein jeder seine Rolle mit allerlei Nuancen des Schemas,
die Rechte ist begrüssend oder redend gehoben. Im ganzen sitzen sie recht gleich-
mäßig und unlebendig da, den Kopf etwas nach der Mitte gewandt, wodurch der Eindruck
eines Halbkreises wenigstens unterstützt wird. Der Christus hält in der Linken ein
offnes Buch, die Rechte spricht, zwei Finger eingeschlagen. Hier nun setzt er die
Füße nicht auf das Himmelsgewölbe, sondern auf den Berg, der für den alsbald vor-
zuführenden stehenden Christus typisch ist; zum Typus gehört auch das unten am
Berg in den bekannten allzukleinen Verhältnissen verehrend dargestellte Ehepaar, zur
Rechten des Christus der Mann, typisch ein Offizier in der Chlamys, gegenüber seine
Frau. Zwischen beiden ein Schaf, das „Lamm Gottes". Hinter des Christus Schultern
werden die Wipfel zweier Palmbäume sichtbar. Er sitzt, wie an Säulensarkophagen
öfter, vor dem Halbrund einer offenen Exedra; hinter den Aposteln aber stehen, statt
der gewohnten Säulen, zweimal zwei Tore. Durch die Anordnung des Christus im
Halbkreis der Zwölf wurde ein einheitliches Bild für die ganze Sarkophagfront ge-
wonnen, wie wir es bisher nur beim Durchzug durchs Rote Meer beobachteten.1)
In einem der späten Reliefs mit weitläufiger verteilten Figuren sehen wir den
jugendlich lockigen Christus frontal nicht auf einem Stuhl, sondern unmittelbar auf
dem Berge sitzend, die Rechte geöffnet, mit der Linken eine offene Rolle hinhaltend.
Zu seiner Rechten steht (sitzt?) unten am Berge, ebenfalls frontal, ein Bärtiger, der
mit dem Finger auf das offne Buch in seiner Linken zeigt. Von rechts aber kommen
im Profil zweie herbei, ein Unbärtiger mit Rolle, zu seiner Rechten im Hintergrund ein
Bärtiger mit kahler Stirn. Garrucci hält die beiden für Moses und Elias, wie sie bei
der „Verklärung" neben Jesus erschienen. Ficker nennt die Gruppe „Christus mit
Paulus und Petrus", der Bärtige links ist ihm Paulus, der Bartlose rechts Petrus. Aus
dem Typus „Christus zwischen Paulus und Petrus" ist das Bild gewiß entwickelt, aber
es ist nicht mehr dasselbe. Weil der Christus hier nicht mehr auf einem Stuhl, sondern
auf dem Berg selbst sitzt, so dürfte Garrucci auf dem richtigen Wege sein, wenn er
an eine der evangelischen Bergszenen denkt. Ist die „Verklärung" gemeint, so wäre
sie nicht nach dem Wortlaut des Textes eigens konzipiert, sondern, wie gesagt, aus der
„Gesetzesübergabe" bloß entwickelt. Der auf das Buch zeigende Bärtige links sieht
etwa aus wie einer der Evangelisten mit ihrem typischen „wie geschrieben steht", „auf
daß die Schrift erfüllt würde". — Die Bergpredigt scheint dargestellt an einer Tafel
spätester Kunst im Kircherianum. In der besser erhaltenen unteren Zone sitzt der
bärtige Jesus im bloßen Mantel ohne Chiton auf dem Berg, in der Linken die Rolle,
die Rechte mit zwei eingeschlagenen Fingern sprechend gehoben. Vorn um den Berg
hockt an der Erde ein Kreis von gezählt sechs Menschen in Chiton, der letzte links
hebt die Linke, alle legen im Emporblicken (sie kehren dem Beschauer den Rücken)
den Kopf soweit zurück, daß man das ganze Gesicht sieht.2)
Der Christus stehend zwischen Jüngern. Dergleichen Szenen treten mitten
zwischen Wundergeschichten auf, sind auch in diesem Zusammenhang erwachsen; Ähn-
lichkeit hat besonders die Hahnszene. Jesus, im zweiten Typ, steht halbrechts, lehrend,
mit Rolle und sprechend gehobener Rechten (beides ergänzt) zwischen zwei Jüngern,
*) Mailand: Garr. Taf. 329, 1. Über den ideellen Zwölf erkreia : Band I 274. Über den
apokalyptischen Sinn des Bildes: Band I 278.
2) Verklärung: Mk. 9, 4 und Parallelen. Lat. n. 162 Garr. 348, 1. — Bergpredigt:
Mt. 5, 1. Garr. 404, 1.
154 Plastik.
die wie üblich mehr in den Hintergrund geschoben sind (Lat. n. 173). Lat. n. H5
steht Jesus halb linkshin, die Jünger sind bärtig, der rechts hat kahle Stirn. Die erste
Replik bezieht Garrucci auf die Begegnung mit den zwei Jüngern des Täufers Joh. 1,
36 — 39, Ficker erklärt sie als Jesus lehrend; bei der zweiten denkt Garrucci an den
Gang nach Emmaus, Ficker an Jesus zwischen Petrus und Paulus. — Lat. n. 177 stellt
den nimbierten Christus im zweiten Typ frontal in die Mitte, zwischen die zweimal
sechs meist adorierenden, in Dreiviertelprofil dem Herrn zugewandten Apostel; an der
Spitze der Reihe zu seiner Rechten steht Petrus, gegenüber Paulus mit kahler Stirn.
Vor den Aposteln reihen sich, als ihr Symbol, zweimal sechs Schafe, zum Christus auf-
blickend, der das vorderste zu seiner Rechten liebkost; den Schafen zulieb ist der
Christus als der Gute Hirt gegeben, mit Schulterkragen und hohem, hier zepterartig
geführtem Krummstab. An beiden Enden des Reliefs ein Hirt mit Schafen in ab-
gestuftem Gelände mit Bäumen. — An dieser Stelle wäre auch das reiche berliner Relief
aus Konstantinopel anzuführen, wo der jugendliche Christus, mit Kreuznimbus, zwischen
zwei Aposteln steht, durch Säulen von ihnen getrennt [Abb. 25].1)
Der Christus auf dem Berg stehend. In den synoptischen Evangelien geht
Jesus öfter auf „den Berg" (ro OQog). Es klingt, als ob ein bestimmter Berg gemeint
sei, der für Jesus eine besondere Bedeutung gehabt hätte; mit Namen wird er nicht
genannt, auch sonst nicht näher bezeichnet. Mk. 3, 13 steigt er auf den Berg und
beruft die Zwölf. Mt. 5, 1 geht er auf den Berg und setzt sich, die Jünger treten
hinzu und es folgt die Bergpredigt. Lk. 6, 12 geht er auf den Berg um zu beten,
die ganze Nacht verweilt er oben im Gebet, steigt dann morgens herab; nun folgt die
sogenannte Bergpredigt, aber „auf einem ebenen Ort". In handgreiflicher Absichtlich-
keit ist hier „der Berg" dem Gebet vorbehalten, die Predigt aber in die Ebene ver-
legt (nicht etwa auf eine Matte des Bergs), so daß bei Lukas von einer Bergpredigt
eigentlich gar nicht geredet werden darf. Mt 28, 16, nach der Auferstehung, gehen
die Elf nach Galiläa, auf „den Berg", wohin Jesus, so heißt es, sie befohlen hatte, und
wo sie ihn auch treffen (von einem solchen Befehl ist aber vorher nichts gesagt). —
Andere Stellen sprechen von „einem großen und hohen Berg". Das ist der Fall bei
der Verklärung Mk. 9, 2, Mt. 17, 1: Jesus ist mit drei Jüngern „auf einen großen
und hohen Berg" gegangen, wo dann die Verklärung stattfindet. Lukas aber bringt
9, 28 auch hier den Gebetsberg an: Jesus geht „auf den Berg" um zu beten, während
des Betens erfolgt dann die Verklärung. Off. 21, 10 werden wir auf „einen großen
und hohen Berg" geführt, um das himmlische Jerusalem zu schauen.
Der Gedanke liegt nahe, „der Berg" den Jesus besteigt, wenn er sich von der
Volksmenge zurückzieht, wenn er seine Jünger um sich sammelt um sich mit ihnen
zu besprechen, wenn er aus ihnen sich Mitarbeiter wählt, oder wenn er beten will,
der Berg in Galiläa, auf dem die Elf den Auferstandenen wiederfinden, der „große und
hohe Berg" der Verklärung (eingestandenermaßen eine Rückspiegelung der Verklärung
im Himmel), und „der große und hohe Berg", auf dem das himmlische Jerusalem steht,
auch in verklärtem Lichte, diese in jedesmal bedeutsamer Weise wiederkehrende Berg-
idee stehe in Zusammenhang mit dem uralten und über alle Wandlungen hinweg
») Lat. n. 178. 155: Garr. 315, 1. 315, 2. — Lat. n. 177: Garr. 304, 4. — An einem Säulen-
sarkophag steht der unhärtige Christus zwischen sechs Aposteln : Lat. M n. 216 (F n. 1), spät, wie
auch Grousset n. 157 und Lat. n. 113 (Christus und ein Jünger, spät und sekundär). — Nimbus:
Band I 151, 3; vgl. ferner Krücke, Nimbus u. verw. Attribute i. d. frühchr. Kunst 1905.
Der ErlöBer. 155
unaustilgbaren Höhenkultus, den wie alle Völker des Altertums so auch die Israeliten
übten vom Sinai bis zum Berge Zion.1)
Wenn wir nun den Christus in einem in der Hauptsache feststehenden Typus
auf einem Berg stehend dargestellt finden, so dürfen wir das Bild mit den angeführten
Textstellen in Vergleich bringen: auch im bildlichen Typus steht der Christus nicht
auf einem beliebigen Berg, sondern auf „dem Berg". Im Haupttypus brechen aus ihm
vier Quellen oder Flüsse hervor; sofort gedenken wir der vier Flüsse des biblischen
Paradieses, als der einzigen Analogie eines Vierstromsystems in der Bibel. Freilich
betont die Genesis nicht ihren Ursprung aus dem Gebirge; so hat die bildende Kunst,
vielleicht im Gefolge der Literatur, die vier Paradiesesflüsse mit „dem Berg" verbunden,
ebenso wie sie den Christus auf dem Berg zwischen Palmbäumen anordnet, die als
Synonyme der schon früher eingeführten Ölbäume wieder das Paradies andeuten, und
zwar die Verschmelzung des biblischen mit dem himmlischen. Wenn dann im Hinter-
grund des Apostelkollegiums gereihte Tore erscheinen, so hat man längst hierin die
Tore des himmlischen Jerusalems Off. 21, 12 erkennen zu sollen geglaubt. Daß der
Christus auf dem Berg stets die Mitte des Reliefs einnimmt, ist selbstverständlich.
Der jugendlich lockige Christus, im vorliegenden Exemplar des Lateran
nimbiert, steht auf dem Berg, in der Linken die beiden Endrollungen eines halbauf-
gerollten Volumens, den Zeigefinger zwischen den zwei Endrollungen; die Rechte faßt
wie ein Zepter eine hohe sogenannt lateinische Crux gemmata. Zu seiner Rechten
Petrus die Hände an den Kreuzschaft legend, gegenüber Paulus in der Linken das
Volumen haltend wie der Christus; hinten zwei Palmbäume. — Am Säulensarkophag
bei der Pietä des Michelangelo dieselbe Gruppe, nur hat der Christus den Zeigefinger
aus dem Volumen genommen, Paulus legt zwei Finger auf das obere Ende der ge-
schlossenen Rolle, die Köpfe der zwei Apostel geben ihre individualisierten Typen
besser wieder, als der vorige Sarkophag, an dem der Pauluskopf verscheuert ist; die
Gestalten sind weit länger, für die Palmbäume blieb kein Raum. In den übrigen zehn
Feldern, die Schmalseiten mitgerechnet, je ein Apostel mit Begleiter.2)
Der bärtige und lockige Christus. An einem veroneser Sarkophag steht er
auf dem Berg zwischen Paulus und Petrus, die Rechte offen erhoben, die Linke hält
das Volumen, dessen eines Ende abgerollt herunterhängt. Zu seiner Rechten Paulus
(mit kahler Stirn) adorierend, zu seiner Linken Petrus, der ein kleines lateinisches Kreuz
auf der Schulter trägt und mit untergehaltenem Gewandbausch das aus der Linken des
Christus herabhängende Rollenende auffängt. Beide Apostel blicken zu ihm auf. Hinter
Paulus ein Palmbaum, darauf der Phönix; dem andern Palmbaum hat das Kreuz des
Petrus seinen Platz genommen. Beiderseits Jesusszenen. Im Hintergrund ein Arkaden-
joch und zwei Kolonnadenjoche zwischen vier Toren. — Auch Lat. n. 151 bleibt die
dreifigurige Gruppe eng geschlossen, hier im Rahmen der Mittelnische des Säulen-
sarkophags; das Rollenende hängt daher noch senkrecht herab. Paulus und Petrus sind
viel kleiner, so daß über ihren Köpfen Raum blieb für die Palmwipfel; der hinter
Paulus ist in Garruccis Wiedergabe mißverstanden, der hinter Petrus nicht heraus-
*) Höhenkultus: Benzinger, Hebräische Archäologie, Kegister unter Bamoth. Beispiele von
griechischem und römischem Höhenkultus anzuführen ist überflüssig.
2) Vgl. Nike ein hohes Kreuz haltend: Cohen, MeU imp. «VIII 194, 1 Galla Placidia. 219, 1
Honoria. 222, 5 Avitus. 223, 1 Maiorianus. Lat. n. 106 Garr. 331, 2. — Grousset n. 148 Garr.
325, 1—3. — Eine Art Auszug am Riefelsarg Garr. 329, 3. Grousset n. 185.
156 Plastik.
gebracht [Abb. 33]. — Den merkwürdigen Profilkopf der Sammlung de Waals im
deutschen Campo santo teilt Wittig vermutungsweise unserer Szene zu.1)
Die Gruppe des bärtigen Christus auf dem Berg, zwischen Paulus und Petrus,
wie wir sie am veroneser Sarkophag sahen, wird nun bereichert durch Einschiebung
zweier Verstorbener, nämlich eines Offiziers und seiner Frau; in kleiner Gestalt
stehen oder knien sie devot zu beiden Seiten des Berges, unmittelbar vor den Aposteln,
er zur rechten des Herrn. Der pariser Sarkophag mit zentraler offener Exedra zwischen
zwölf Toren (die Schmalseiten mitgerechnet) läßt den Offizier eilend herankommen, die
vorgestreckten Hände mit einem Tuche verhüllt; seine zum Herrn aufblickende Frau
liegt auf einem Knie, ihre Hände adorieren. Unter dem rechten Arm des Christus
konnte eine Palme Platz finden, die andre wird durch das senkrecht hängende Rollen-
ende verdeckt. Auf beide Seiten verteilen sich die übrigen Apostel [Abb. 31]. —
Ähnlich der etwas spätere Sarkophag des Gorgonius zu Ancona. Die Devotion macht
Fortschritte, jetzt liegt auch der Offizier auf einem Knie, die Frau auf beiden, und
sie scheinen (diesmal beide und mit unverhüllten Händen) je eine Hand an einen Fuß
des Herrn zu legen; dabei bringt er sein Gesicht dem Fuße so nahe, daß man wohl
denken kann, er wolle ihn küssen. Ausgeblieben sind die vier Flüsse und die zwei
Palmbäume; jederseits stehen nur vier Apostel, lose gereiht; die Zinnen der Tore sitzen
auf den Archivolten.2)
Diese Sarkophage gehören zur Gattung der „griechischen" mit ornamentiertem
Sockel; in unserer spätantiken Kunst ist er reduziert auf einen Sockelstreif mit Wellen-
ranke. Das mailänder Exemplar ersetzt die Wellenranke durch das Lamm Gottes
zwischen zwölf Schafen, deren von jeder Seite sechs, aus einem Torbogen hervor-
gekommen, hintereinander der Mitte zuschreiten, ein Sinnbild für den Christus zwischen
den Aposteln. Es begegnete uns erst kürzlich, auch dort den eigentlichen Apostel-
figuren tautologisch hinzugesetzt; nur daß statt des Lammes unterhalb des Herrn dieser
in Hirtengestalt gegeben war. Das Lamm Gottes ist größer gezeichnet, so daß Kopf
und Hals sich vom Berg abheben. Über den Schultern des Herrn erscheinen zwei
Palmwipfel, hinter dem Paulus ein dritter, für den vierten war wieder kein Platz wegen
Petrus' Kreuz. Beiderseits sind die übrigen Apostel verteilt; den Hintergrund bildet
die Exedra zwischen zweimal drei Toren. An der anderen Langseite desselben Sarko-
phags befindet sich der bereits oben angeführte thronende jugendliche Christus auf dem
Berg, an dessen Fuß das Ehepaar, sowie zwischen den beiden das Lamm Gottes, beider-
seits die Apostel im Halbkreis sitzend. — Die Anordnung des auf dem Berg stehenden
Christus mit dem Ehepaar, Lamm Gottes und zwölf Schafen, zwischen den Aposteln,
wiederholt sich am Sarkophag mit den Weinstöcken statt der Tore, in den vatikanischen
Grotten; hier sind wieder beide Palmbäume zur Darstellung gekommen, auf dem zur
J) Verona: Garr. 333, 1. — Vogel Phönix: Piper, Mythologie und Symbolik der christ-
lichen Kunst I 1847, 446. Garrucci Storia I 180 bezieht den Phönix als Sinnbild der Auferstehung
auf Paulus als ihren Verkünder. Dagegen de Waal in Kraus' Realenzykl. II 622. Kraus, Gesch.
d. ehr. Kunst I 112. Über den Phönix vgl. ferner Fr. Schoell, Vom Vogel Phönix, Heidelb. Rede
1890. Türk in Roschers Ausführl. Lex. der griech. u. röm. Mythol. III 2409. 3450 (Sinnbild der
Ewigkeit, der Verjüngung, der Verbesserung, ja geradezu eines neu anbrechenden goldenen Zeit-
alters). — Lat. n. 151: G 335, 3.
*) Paris: Garr. Taf. 324, 1. — Ancona: eb. 326, 1.
Der Erlöser. 157
Rechten des Herrn, also auf der Paulusseite, steht der Vogel Phönix. Beiderseits noch
je vier Apostel.1)
Säulensarkophage neigen dazu, die Gruppe auseinanderzuziehen. An einem,
in denselben vatikanischen Grotten, sehen wir den bärtigen Christus auf dem Berg mit
den vier Strömen, beiderseits stehen der Offizier und seine Frau, etwas gebückt, die
Hand an den Knien des Herrn. Paulus und Petrus, ein jeder mit einem Begleiter,
mußten sich in die anschließenden Interkolumnien zurückziehen, so daß das Rollenende
wieder länger abgewickelt und an der Säule vorbei in schräger Richtung in das auf-
fangende Tuch zu führen war, wie an Lat. n. 174 (mit dem thronenden Christus). —
Diese Anordnung schafft Raum für eine andre Verwendung der Schafe, nämlich für
ihre Einschaltung in das Hauptbild. Am Säulensarkophag mit den unter zwei Giebeln
hängenden Ampeln, ebenfalls in den Grotten der Peterskirche, steht zur Rechten des
Herrn, aber mehr im Hintergrund gedacht, ein Schaf mit kreuzförmigem Monogramm
auf dem Kopf, also das Lamm Gottes; auf der anderen Seite, dicht am Berg, ruht ein
Schaf, Sinnbild eines Seligen. An einem verschollenen Sarkophag sind es drei Schafe,
das Lamm Gottes mit kleinem Kreuz auf dem Kopf, und je eins bei Paulus und Petrus,
zum Herrn aufblickend wie diese, kurz ihre Sinnbilder.2)
Wieder vereinfacht und in freies Feld gestellt, ohne das Ehepaar und ohne Schafe,
aber mit einem Palmbaum, diesmal auf der Petrusseite (von der Hintergrundsarchitektur
blieb nur am linken Ende ein Tor): an dem verschollenen vatikanischen Sarkophag
G 334, 1. — Der späte mailänder Sarkophag mit dem ungläubigen Thomas gibt eine
Art Auszug aus der Komposition, an zentraler Stelle: der bärtige Christus steht auf
ebenem Boden (nicht auf dem Berg), in der Linken die offene Rolle, die Rechte ge-
öffnet erhoben, zwischen Paulus und Petrus (G 315, 5).
Wir lassen noch ein paar Szenen mit Schafen folgen, Sinnbildern von Seligen.
Am lateranischen Deckelfragment n. 194 befindet sich in der Mitte die Schrifttafel;
beiderseits steht ein bartloser Seliger in Rock und Mantel, mit vorgestreckter Hand
drei Schafe bewillkommnend, die hintereinander herankommen, jedes mit einem Kranz
im Maul. Im Hintergrund zweimal vier Palmbäume, das himmlische Paradies andeutend.
Die Schafe tragen ihren Kranz des Lebens im Maul, als ob sie ihn ihrem Gott dar-
bringen wollten, wie die vierundzwanzig Ältesten Off. 4, 10 und die Apostel am Sar-
kophag in Pudentiana dem Herrn (s. Monogramm). — Wieder eine neue Idee am
Sarkophagdeckel Stroganoff. Der Christus, mit krausem Haar und wenig Bart, sitzt auf
einem Fels, ein Schriftbündel neben sich. Seine Rechte liebkost das vorderste von
acht paarweis heranschreitenden gehörnten Schafen, die Linke wehrt fünf Ziegenböcke
ab, im Hintergrund vier Ol- und drei Eichbäume. Die erste Gerichtsszene, die uns
begegnet, vielmehr das Gleichnis einer solchen, die Scheidung der Schafe von den
Böcken nach Matth. 25, 31 — 46, freilich apart wiedergegeben.3)
*) Mailand: G 328, 1. — Grotten: G 327, 2.
*) Grotten: Garr. 335, 4. 330, 5. — Verschollen: Bei Bottari Taf. 50 wiedergegeben im Stil
seiner Zeit, bei Garrucci Taf. 341 , 2 korrigiert nach seiner Vorstellung vom Stil der Spätantike.
a) Lat. n. 194: G 304, 2. — Stroganoff: G 304, 3.
158 Plastik.
Ikonographisches.
Unter diesem Titel sollten streng genommen nur die Porträts der Verstorbenen
erscheinen, deren wir schon gedachten und auf die wir im stilgeschichtlichen Abschnitt
zurückzukommen gedenken. Porträts von Jesus oder den Aposteln hat es nie gegeben;
sonst wäre das Schwanken in ihrer bildlichen Gestaltung ebenso unverständlich wie
das späte Auftreten individuellerer Darstellungen. Freilich gibt es tatsächlich antike
Porträts, deren Exemplare erhebliche Verschiedenheiten und auch Wandlungen in der
Auffassung bemerken lassen, Porträts, die Jahrhunderte hindurch immer wiederholt
wurden, wie Sokrates, wie Alexander; aber da behaupten sich durch alle Abwandlungen
hindurch doch immer gewisse Grundzüge, die allein es erlauben, so verschieden aus-
geprägte Köpfe alle auf eine und dieselbe Persönlichkeit zu beziehen. Anders bei den
Christus- und Apostelköpfen; da ist keine Spur einer solchen in allem Wechsel sich
gleichbleibenden Grundform. Im Gegenteil, man hat überall den Eindruck, es nur mit
Kunsttypen zu tun zu haben, deren Verschiedenheiten vor allem auf stilgeschichtlichen
Verhältnissen beruhen; anderes mag mit eingewirkt haben.1)
Christustypen fanden wir in der Katakombenmalerei hauptsächlich drei. Der
erste war nichts als der typische bartlose Kopf mit kurzem Haar, wie ihn alle Männer
in der frühchristlichen Malerei trugen, derselbe, der bis Trajan im Leben Mode war.
Der zweite, ausgesprochen jugendlich, mit langlockigem Haar, erschien als eine neue
Spezies des Jünglings, wie er uns in allerlei Spielarten als Apollon, als Dionysos, als
Eros, auch als Eubuleus, als Mithras geläufig ist. Der dritte Typus ist bärtig, früher mit
kürzerem Haupthaar, später mit langem, an den Enden sich aufrollendem, also eine in
sich wieder differenzierte Spezies des bärtigen Götterkopfes, wie ihn Zeus, Poseidon,
Hades und Serapis, Asklepios, wiederum Dionysos tragen (Ich wiederhole noch einmal,
daß es nicht richtig ist, den Christus von diesem oder jenem einzelnen Gott „abzuleiten",
um ihn damit erst der Antike zu vindizieren; so gut wie die Eubuleus-, Mithras-,
Serapisköpfe, sind auch die des Christus im Rahmen und organischem Zusammenhang
der alten und immer weiterwachsenden Typik originale Schöpfungen der Antike). In
der Sarkophagskulptur nun kommt der frühchristliche erste Christustyp nicht mehr vor,
zunächst herrscht der zweite jugendlich lockige. Es wird wohl gesagt, in diesem Typus
werde Jesus der Wundertäter vor Augen gestellt; allerdings wird er das, aber nicht
er ausschließlich, sondern auch „Des Herren Majestät" trägt denselben Kopf, wo er
über dem Himmel thront, sowie wo er mit dem hohen Kreuz auf dem Berge steht.
Es handelt sich um entwicklungsgeschichtliche Vorgänge, auch beim bärtigen Typus,
dem dritten und letzten. Nicht ausschließlich, doch vorwiegend eignet er dem erhöhten
Christus auf dem Berg (ohne hohes Kreuz), meist umgeben vom Kreise der Zwölf.
Die dogmatische, kultliche und bildliche Höherhebung des Christus, schon längst im
Gange und in stetem Wachsen begriffen, trat im gegebenen Augenblick, nehmen wir
an im vierten Jahrhundert, wieder einmal in ein neues Stadium; wenn nun damals
zugleich ein neuer Kopftypus aufkam, der bärtige, so war es geschichtlich nur natürlich,
daß er in dem neuentstehenden Verherrlichungstypus zur Anwendung kam. Aber wieder
*) Weis-Liebersdorf , Christus- und Apostelbilder, Einfluß der Apokryphen auf die ältesten
Kunsttypen 1902 (mit reicher Literatur). Wir haben es hier nur mit den Sarkophagreliefs zu tun,
können also auf die vielverhandelten Fragen über Zeit, Herkunft und dogmatische Gründe der
wechselnden Typen noch nicht eingehen.
Ik o n ograph isch es . 159
nicht ausschließlich in ihm, sondern daneben auch in Wunderszenen. Auf die besondere
Nuance des bärtigen Christustypus mit starkem Haarwuchs kommen wir bei den Apostel-
typen zurück.1)
Von den Aposteln hatte man ebensowenig Porträts wie von Jesus. Auch keine
Überlieferung. Spät genug hat man versucht, die kanonische Literatur ausdeutend,
auch unter Einfluß gewisser Vorstellungsgewohnheiten, Bilder der verehrten Männer
sich zu entwerfen, über deren Phantastik sich klare Köpfe alsbald entschieden aus-
sprachen. Man wird sich darauf verlassen können, daß die christlichen Archäologen
zur Beantwortung der wichtigen Frage nach Haar und Bart der Apostelfursten, und
der wichtigeren nach den in der christlichen Antike erwachsenen Vorstellungen davon,
alles Material zusammengetragen und kritisch geprüft haben; wir dürfen uns begnügen,
die Auffassungen der am Gegenstand besonders interessierten römischkatholischen
Gelehrten zu referieren, auch nur derjenigen, die zuletzt zur Sache gesprochen haben.
Es handelt sich nur um die „Apostelfursten". Weis-Liebersdorf kommt zu dem
Schlüsse, daß ein Petrusbild ursprünglich fehlte; der Paulustyp stand im Vordergrund,
bereits die vorkonstantinische Zeit besaß einen literarischen Porträttypus für den Völker-
apostel. Der Petrustyp dagegen entstand rein künstlerisch als Kontrastfigur zum
Paulus, gegenüber dem vornehmen Philosophen Paulus als der kraftvoll energische
Felsenmann. Die älteste literarische Schilderung des Völkerapostels liegt in den Akten
des Paulus und der Thekla vor, sie schildern ihn als „einen Mann von kleiner Statur,
mit kahlem Kopf, krummen Beinen, sehr rüstig, mit zusammengewachsenen Augen-
brauen, etwas langer Nase, voller Anmut; bald nämlich erschien er wie ein Mensch,
bald hatte er das Angesicht eines Engels". Daneben stellt Weis-Liebersdorf den Paulus
des Bassussarkophags; dazu muß ich warnend bemerken, daß dessen Haartracht einer
im dritten Jahrhundert auftretenden Modefrisur entspricht (beiläufig: die Figur ist nicht
klein und unscheinbar; er geht nur gebückt und in Profil, während der Petrus sich
zurücklehnt und dem Beschauer die volle Breitseite zeigt). Eine andere Wendung
nimmt Wittig. In der Plastik erscheint Petrus in wechselnder Typik; diese Typen
lassen sich erklären aus dem Eindringen der Porträts Verstorbener in die Petrustypik.
Dabei bezieht sich Wittig auf de Waals Vermutung, der Petrus des Bassussarkophags
trage den Porträtkopf des Verstorbenen (ich gebe die Möglichkeit zu; mit etwas
größerer Zuversicht aber könnte man dasselbe vom Paulus des Sargs sagen). Johannes
Ficker hatte gemeint, aus einer ursprünglichen Mehrheit verschiedener Typen für Petrus
wie für Paulus sei durch Auslese der kanonische Typ hervorgegangen. Wittig ist der
entgegengesetzten Ansicht, ursprünglich habe es nur je einen Typus gegeben, nämlich
den kanonischen, die Mannigfaltigkeit sei nur durch das Eindringen fremder Porträt-
züge hineingekommen. Vorläufig bleibe ich auf dem im ersten Band eingeschlagenen
Wege: die verschiedenen Typen sind lediglich zeitlich oder auch örtlich differenzierte
Haartrachten; erst allmählich hat sich der Kanon herausgebildet, etwa unter Mitwirkung
des künstlerischen Strebens nach Kontrastwirkung. In unseren Reliefs sehen wir aus
den typischen bärtigen Köpfen zwei Individualisierungen sich heraus lösen: aus dem
kahlen den Paulus, dessen Bart sich auch erst allmählich verlängert, aus dem mit vollem
Haar den Petrus, besonders anfangs weniger individuell, mit krauserem, die Stirn über-
schattendem Kopfhaar und gestutztem krausem Bart.2)
x) Christustypen der Katakombenmalerei: Band I 280.
2) Weis-Liebersdorf a. a. O. 106 Lösung der Typenfrage. Akten des Paulus und der
* <*
150 Plastik.
Die übrigen Apostel werden in den Sarkophagreliefs nur scheinbar indivi-
dualisiert. Wohl werden sie differenziert, in der Apostelreihe wechselt der frühchrist-
liche bartlose Typ mit dem bärtigen. Dadurch kommt Mannigfaltigkeit in die Männer-
reihe, aber noch keine wirkliche Individualisierung. Zu beachten ist eine Spielart
des bärtigen Kopfes mit starkem krausem Haarwuchs; das dicke Kopfhaar legt sich
mit aufquellendem Kranz um den Nacken, auch der Bart ist vollrund. Dergleichen
Haar denkt man sich blauschwarz, man sieht es schon in den assyrischen Eeliefs, nur
der Bart ist dort steifer stilisiert. Die christliche Kunst nahm den Typus erst in der
Spätantike auf; aber nicht etwa so, daß von nun an alle zwölf, oder nur die zehn ohne
Paul und Peter, so gezeichnet worden wären, als Juden, sondern der Typ kommt immer
nur einzeln vor. Gern steht solch ein Apostel halb rechtshin, doch den Kopf zurück-
gewendet. Der bärtige Christus, besonders der auf dem Berg stehende, mit frei aus-
gestreckter Rechten, kommt dem Typus oft so nahe, daß man ihn gleichen Ursprungs
denken möchte. Doch findet man den Typus auch an Verstorbenen, auch hier einzeln,
neben den gewöhnlichen bärtigen mit mäßigerem Haarwuchs. Indessen, ehe man daran
geht, der Herkunft und der Entstehungszeit der Typen nachzufragen, empfiehlt es sich,
die Chronologie der Denkmäler festzustellen.1)
Syntax der figürlichen Typen.
Die Typik der einzelnen Szenen, so sagten wir im ersten Bande, bildet gleich-
sam die Formenlehre in der Grammatik der Bildersprache. Sie findet ihre Ergänzung
in der Syntax, der Lehre von der Zusammenstellung jener Typen im dekorativen
Ganzen. Wir wissen, daß die Bilder alle denselben Gedanken ausdrücken, wenn sie ihn
auch von verschiedenen Seiten anfassen. Der Gedanke ist die Erlösung aus dem Tod
in das ewige Leben; dargestellt werden die Seligkeit selbst, die Erlösung in Proto-
typen, die sakramentalen Mittel der Erlösung, der Erlöser und seine Mitarbeiter.2)
In der noch klassisch gegliederten Deckenmalerei der Katakomben erhielt sich
einigermaßen verständige Auswahl und künstlerische Verteilung; dagegen an den Wand-
gräbern fanden wir die Typen insgemein aus vollem Sack einfach ausgeschüttet, wie sie
fallen mochten, ein loses Aggregat von Szenen.
Analog ist das Verhältnis an den Sarkophagen. Die tektonisch gegliederten be-
sitzen in ihren Gliederungen ein festes Rahmenwerk, in welches einzeln ausgewählte
Bilder in einiger Ordnung eingesetzt werden; so die geriefelten mit ihren Mittel- und
Thekla: Act. apost. apocr. ed. Lipsius et Bonnet I 237, die Übersetzung nach Weis-Liebersdorf 109.
Die Apostel am Bassussarkopbag : Weis-Liebersdorf 88 ff. — Wittig, Campo santo 101. — Die
kanonischen Peter- und Paul typen finden sich z. B. an G 350, 2 wo die vorher am Bassussarko-
phag aufgetretenen Szenen, Verhaftung des Petrus und Enthauptung des Paulus, in einem Baum-
gang beiderseits des den erhöhten Christus vertretenden Monogramms angeordnet sind; ebenfalls
ah den zwei Aposteln beiderseits des bärtigen Christus auf dem Berg.
l) Der bärtige Kopf mit starkem Haarwuchs z. B. in einem Prachtexemplar Bull, crist. 1896
Taf. 12; vgl. Garr. Taf. 304, 4. An Verstorbenen: Säulensarkophage mit sog. Doppelschnecken-
kapitellen, aus Villa Ludovisi und aus Concordia, eb. 362, 2 und 362, 1. Den bärtigen Christus-
typ leitet Strzygowski (Kleinasien 183; Wien. Ak. Denkschr. LI 185) aus Jerusalem ab, von wo
ihn Konstantin geholt habe.
9) Syntax: Band I 285.
■j
Syntax der figürlichen Typen. 161
Endfeldern, die gesäulten mit ihren Nischen. Sie führen von selbst zur Unterscheidung
von Zentral- und Endszenen. Auch Clipeus und Muschel gliedern die Massen. Schwie-
riger lag der Fall für die in der klassischen Archäologie als „römisch" bezeichnete
Gattung der Sarkophage ohne alle tektonische Gliederung.
Das Thema der Syntax für die Sarkophagbilder erschöpfend zu behandeln würde
zu weit führen; es wird genügen, an ein paar bedeutenden Beispielen zu zeigen was
daran ist.
Als erstes Beispiel wählen wir den großen Sarkophag aus Sankt Paul, gefunden
bei der Confessio, Lat. n. 104 [Abb. 37], zweizonig mit Muschel in der oberen Zone;
links von der Muschel Schöpfung der Eva, Zuweisung, Baum der Erkenntnis; rechts
Weinzauber, Speisensegnung, Lazarus; unten in der Mitte Daniel in der Löwengrube;
links davon Huldigung der Magier und Blindenheilung, rechts Hahnszene, Bedrängung
und Quellwunder. Die römischen Gelehrten, obenan de Rossi, haben den Doppelfries
präkonisiert als eine Epopöe des katholischen Dogmas. Diese Art apologetischer Aus-
legung hat Garrucci am weitesten getrieben; trotz aller ihr entgegengestellter Kritik wird
sie aufrecht erhalten, etwas abgeschwächt hat Marucchi sie in den amtlichen Führer des
lateranischen Museums aufgenommen. Im einzelnen tut man den Bildern Gewalt an,
um den gewünschten Sinn herauszupressen, im ganzen imputiert man dem Bildhauer
eine Intention, die ihm möglichst fern lag. Wir meinen, wo der sepulkrale Sinn der
einzelnen Bilder noch so wenig feststeht, wie bei den meisten gerade der vorliegenden
Zusammenstellung, sollte man zurückhaltender sein in der Ausdeutung des Ganzen.
Wir dürfen das Gesagte nicht unbelegt lassen. Der Daniel wird da auf die Er-
lösung nicht aus dem Tode in das ewige Leben, sondern aus den jenseitigen Strafen
bezogen; die drei Bärtigen in der Schöpfungsszene gelten ohne weiteres als die drei
Personen der Triuität; der Bärtige hinter dem Korbstuhl der Maria sei der heilige
Geist; die Huldigung der dem Stern folgenden Magier repräsentiere die Offenbarung
des Christus an alle Heiden; die Wundertaten sollen Jesus' Gottheit erweisen; die
Hahnszene muß es auf sich nehmen, die ganze Passion des Christus und mit einge-
schlossen die durch sie herbeigeführte Erlösung zu vertreten (Wittig, der die Hahn-
szene nach Rom verlegt, wird davon nichts wissen wollen); die letzten Szenen, Be-
drängung und Quellwunder, sollen sich auf die Gründung der Kirche beziehen, wohl-
verstanden der römischen; die „Bedrängung", verstanden als Verhaftung des Petrus
durch die Juden, bringe die ersten Verfolgungen der Kirche in Erinnerung, vielleicht
auch die Ankunft des Petrus nach Rom, weil sie nach seiner Befreiung aus dem
Gefängnis der Juden erfolgte; endlich das Quellwunder bedeute die „Autorität der
Kirche, und des Petrus als des neuen Moses, der das Wasser der Gnade aus dem
mystischen Fels — der ist Christus — hervorspringen läßt." Was nun aber für unsere
Syntax die Hauptsache ist, die in der Einzelerklärung auf so schwachen Füßen stehende
dogmatische Epopöe, die Erzählung der Heilsgeschichte „in chronologischer Ordnung"
„auf zwei Kolumnen", scheitert schon im ersten Akt an der Stellung des den Sündenfall
vertretenden Baumes mit der Schlange; statt auf die Zuweisung zu folgen müßte er
zwischen Schöpfung und Zuweisung stehen. Daß dann die Erzählung zum unteren
Fries hinabspringt, soll nicht weiter bemängelt werden, daß sie aber von der Blinden-
heilung unten links zu den Wundern oben rechts gehen soll, um unten rechts zu Ende
geführt zu werden, das hat wenigstens der Bildhauer nicht augenscheinlich gemacht,
also wohl auch selbst nicht gewollt; es wäre nicht künstlerisch disponiert.
Sybel, Christliche Antike II. 11
162 Plastik.
Schon längst hat Viktor Schultze solche apologetische Exegese abgelehnt. Auch
darin gebe ich Schultze Recht, daß der Wert dieses Sarkophags überschätzt worden ist,
nicht minder aber, wenn er seinem Urheber die Gabe geschickter Gruppierung zu-
erkennt. Wenn er aber über die Endszenen der zwei Friese sich begnügt zu sagen,
sie schienen absichtlich parallel gesetzt zu sein, so möchte ich noch einen Schritt weiter
gehen. Schon bei der Einzelbesprechung erinnerten wir daran, was übrigens längst gesehen
worden ist, daß der Grabbau des Lazarus stets an das Ende des Reliefs gesetzt wurde,
ebenso der Fels des Quellwunders, weil sie beide einen geradlinigen Abschluß gaben;
eben deshalb wurden sie gelegentlich an den Enden eines Sarkophags sich symmetrisch
gegenüber gestellt. An unserem Sarg hat der Bildhauer sie an die rechten Enden der
zwei Friese angeordnet (ähnlich schon Lat. n. 55 G 358, 3 an den linken); zur sym-
metrischen Entsprechung an den linken Enden wählte er zwei sitzende Gestalten, für
unten die Mutter des Christkindes in der Magierhuldigung, für oben den Gott in der
Schöpfungsszene. Das Mittelstück für den oberen Fries war gegeben, die Muschel mit
den Büsten; statt die hier sonst beliebten Typen Gesetzesempfang und Opferverhinde-
rung anzuschließen, übernahm er aus der heidnischen Sarkophagskulptur die zwei
muschelhaltenden Eroten. Ein geeignetes Mittelstück für den unteren Fries fand sich
in der streng symmetrischen Gruppe des Daniel, hervorleuchtend auch durch die
Nacktheit des Heros und die Tiere. Nun blieben noch die Zwischenräume zu füllen.
Zur Schöpfung der Eva aus der Rippe des schlafenden Adam mochte sich durch
naheliegende Gedankenverbindung die geläufige Gruppe des „Sündenfalls" gesellen;
aber das reichte nicht; so wählte der Künstler die Zuweisung, mit dem zentralen
Christus als Logos, und füllte den letzten schmalen Raum mit dem Baum aus dem
Sündenfall. Rechts von der Muschel ließ die Lazarusszene noch Platz für eine drei-
figurige und eine einfigurige Gruppe, letztere mit breiterer Basis, also eine Speisen-
segnung mit zentralem Christus als Gegenstück zur Zuweisung, und Weinzauber als
Gegenstück zum Baum mit der Schlange. Unten ließ die breit angelegte Magierszene
wieder nur einen schmalen Raum übrig; rechts reihte sich an das Quell wunder selbst-
verständlich die Bedrängung, eine höchstens zweifigurige Gruppe konnte noch folgen;
der Bildhauer wählte zwei annähernd gleich beliebte Szenen, für die linke Seite die
Blindenheilung, für die rechte die Hahnszene, mochte sie nun Moses oder Petrus meinen.
So hatte der Künstler sich genug getan und zugleich den Käufer angenehm
befriedigt. Das Ganze war eine, für diese Art Sarkophage in dieser Phase der Sarko-
phagkunst ungewöhnlich geschlossene und wohlgegliederte Komposition, die auch alles
Wünschenswerte zu verstehen gab, wenn nicht für die Römer des zwanzigsten Jahr-
hunderts, so doch für die des vierten.1)
Als zweites Beispiel der Versuche, die Syntax der Sarkophagbilder aufzuklären,
wählen wir den großen Sarkophag des Bassus [Abb. 18], welchen de Waal in seiner
wertvollen Monographie gerade in Beziehung auf die Anordnung behandelt hat. In
einem besonderen Kapitel bespricht er den einheitlichen Zusammenhang sämtlicher Szenen,
nachdem er zuvor den Sinn jeder einzelnen festzustellen suchte. Er kommt zu dem
Ergebnis, die Bilder seien nicht gedankenlos zusammengestellt, sondern ein sinnreich
sich aussprechendes Glaubensbekenntnis; sie sprechen das Glauben und Hoffen des
Bestellers wie des im Sarge Beigesetzten aus, ihr Glauben und Hoffen in Beziehung auf
Tod und Ewigkeit. Da sei der erste Gedanke an den Richter im Endgericht, die Hoffnung
J) Lat. n. 104: G 365, 2. — Viktor Schultze, Archäol. Studien 145.
Syntax der figürlichen Typen. 163
auf einen für die Seinen gnädigen Richter. Mit Wilpert sieht er in den Sepulkralbildern
zugleich Mahnungen an die Hinterbliebenen, für die Verstorbenen zu beten. An
unserem Sarkophag nimmt de Waal die Mittelbilder der zwei Friese für Verherrlich-
ungen des Christus, unten den Einzug in das irdische Jerusalem, oben das Thronen
über dem Himmel. Der schöne Römerkopf des Petrus sei nichts anderes als der
Porträtkopf des Verstorbenen, der da vor seinem Richter (der Maiestas Domini)
stehe, wie nebenan Jesus selbst vor seinem irdischen Richter Pilatus; gegenüber aber
die intendierte, doch inhibierte Opferung Isaaks (an sich wohl ein Typus für den
Kreuzestod, daher in dessen Vertretung der Pilatusszene gegenüber gestellt) sei eschatolo-
gisch genommen ein Bild der Erlösung aus dem Tod in das ewige Leben. Im unteren Fries
der Sündenfall versinnbilde den Tod als der Sünde Sold, das Gegenstück, Daniel in der
Löwengrube, sei auch im Gedanken das Gegenbild zum Tod, nämlich die Erlösung aus
dem Tod, und zwar durch die Auferstehung. Die beiden Endbilder, Hiob und Paulus, seien
gewählt als die Hauptverkünder der Auferstehung, jener im alten, dieser im neuen Testa-
ment; darum seien diese zwei Bilder die Pfeiler und Träger des gesamten Ideenbaues.
Auch bei de Waal läuft einiges mit unter, was, ich kann nicht helfen, denn doch
in die Bilder und deren Anordnung von ihm hineingelegt ist; doch spielt z. B. die bei
Wilpert so wesentliche Fürbitte bei de Waal nur eine ganz nebensächliche Rolle.
Und im ganzen bedeutet gegenüber de Rossis Schule seine Interpretation einen er-
heblichen Fortschritt zu unbefangener Auffassung und feinerem Verständnis. Wenn
de Waal allen Nachdruck auf die eschatologische Bedeutung der Bilder legt, so
kommt er unserer Auffassung sehr nahe. Der Unterschied liegt nur darin, daß er
meines Erachtens zu sehr an die Endzeit denkt, und an das Endgericht, notwendig
dann auch an die Auferstehung, während ich nicht so sehr Hoffnung, als frohe Ge-
wißheit in den Bildern ausgesprochen finde, das feste Vertrauen, daß der Verstorbene
durch die Kraft seines Erlösers unmittelbar aus dem Tode in das ewige Leben ein-
gegangen sei (oder wenn Gruft oder Sarkophag bei Lebzeiten bestellt war, die Gewiß-
heit, daß er unmittelbar in das himmlische Paradies und Jerusalem eingehen werde),
wo denn für Auferstehung und Gericht kaum noch Raum bleibt.
Die Säulen unseres Sarkophags geben so kräftige Rahmen ab, daß hier gar kein
Bedürfnis nach Reliefabschlüssen durch Mausoleen, Quellfelsen oder Korbsessel hervor-
tritt. Wenn spätere einzonige Säulensarkophage Sitzende, wie den Gott in Kain und
Abels Opfer und Hiob, oder Petrus bei der Fuß wasch ung und Pilatus, der Symmetrie
zulieb gegenüberstellen, so stand das im Belieben der Bildhauer; der Symmetrie zulieb
hat unser Künstler die beiden Nacktbilder beiderseits des Einzugs angeordnet. In
dieser symmetrischen Anordnung von Sündenfall und Daniel, wie in der zentralen
Stellung der Maiestas und des Einzugs vermag ich eine mit Überlegung ordnende
Hand zu erkennen. Da die Szenenfolge des oberen Frieses wenn auch modifiziert, so
doch ähnlich an anderen, und zwar einzonigen Säulensarkophagen wiederkehrt, so bliebe
noch zu fragen, ob diese Szenenfolge vielleicht typisch war, bildliche Überlieferung.
In den zwei Apostelszenen möchte ich keine Sinnbilder sehen; sie gehören zu den
anscheinend zuerst in der Skulptur auftretenden Neuschöpfungen. Die Christologie,
will sagen die Vorstellung vom Erlöser, wurde weiter ausgebaut, z. B. in der Maiestas;
und so auch in Darstellungen der Gehilfen des Christus, der Apostel.1)
') de Waal, Sarkophag des Junius Bassus 1900. Dazu Garr. Taf. 322, 2. — Betreffend An-
ordnung nach Symmetrie vgl. Meader, Americ. Journ. Arch. 1900 137.
11*
164
Plastik.
Um die zwei Sarkophage dreht sich die Diskussion über den inneren Zusammen-
hang der Szenen, zunächst an zweizonigen Stücken. Es ist klar, daß der Interpret Ur-
sache hat zurückhaltend vorzugehen.
Nur noch wenige Worte zu den einzonigen Sarkophagen. Wo sie zu innerem
Zusammenhang und selbst zur Einheit der Darstellung gelangen, da beruht es auf der
Entfaltung, die der Kultus des Erlösers und seiner Gehilfen mit der Zeit gewonnen hat;
dahinter trat die Sache selbst mehr und mehr zurück, so daß die immer reicher ent-
wickelten und immer höher gesteigerten Vorstellungen vom Erlöser und seinem Kreis,
dieser christliche Heroenkultus, schließlich den ganzen verfügbaren Raum in Anspruch
nahm. Was da zuletzt geschildert wird, ist ein christlicher Olymp, auf dem die Stelle
des Herrn nun der Christus einnimmt, hier immer als der Erlöser aus dem Tod in
das ewige Leben.
An den einzonigen Säulensarkophagen läßt sich bemerken, daß dem Mittelfeld
gern Bedeutung verliehen wird, und in den übrigen das Bedürfnis nach Symmetrie sich
hier und da geltend macht. Als Mittelszene dient naturgemäß gern der Christus, etwa
in der Hahnszene, oder auf dem Berge stehend, zwischen Petrusszenen und Pilatus. Ein
andermal finden wir den Christus in einer symmetrischen Gruppe mit Kain und Abel,
als Logos, beiderseits schließen sich Petrusszenen an. Statt des Christus erscheint sein
Monogramm, und zwar zwischen „Passionsszenen". Die großen „griechischen" Sarko-
phage, meist mit Toren im Hintergrund, bringen den Christus auf dem Berg zwischen
den Aposteln. In Laubengängen sehen wir als Mittelstück eine Orante, die Hahn-
szene, das Monogramm.1)
Die Sarkophage mit dichtgedrängten Szenen reihen diese meist willkürlich
aneinander; höchstens stellen sie Abschlußszenen wie Lazarus oder Quellwunder ans
Ende und eine bedeutendere Figur in die Mitte, etwa die Verstorbene, häufiger eine
Orantenfigur. Daneben kommt es auch an solchen Sarkophagen vor, daß der Christus
in die Mitte tritt, sei es in der beliebten Hahnszene oder in der symmetrischen
Speisensegnung; mehr Einheit kommt auch hier hinein, indem solche Nebenszenen
gewählt werden, welche die Person des Christus angehen, z. B. Einzug und Pilatusszene,
oder auf der einen Seite Szenen aus der Kindheitsgeschichte, auf der anderen aus der
Legende vom Auferstandenen. Der Durchgang durch das Rote Meer ist die einzige
Szene, die das Relief in seiner ganzen Ausdehnung füllt. Dasselbe Ziel erreichen
wieder die Darstellungen des christlichen Olymps in seiner damaligen Begrenzung auf
Christus und die Apostel, unter Ausschluß also sowohl des Gottes wie der Maria. Für
den Christus sehen wir auch hier das Monogramm eintreten. Neben den Aposteln
erscheinen auch ihre Sinnbilder, die zwölf Schafe. Vereinzelt bleibt der sitzende
Christus zwischen den Schafen und Böcken, dargestellt durch Schafböcke und Ziegen-
böcke. 2)
*) Hahnszene: Garr. Taf. 320, 1. Berg: 335, 3. 4. Logos: 310, 2. Passionsszenen: 350, 1.
Griechische Sarkophage: 325—329. Laubgänge: 370, 1. 319, 1. 350,2.
2) Verstorbene: G 316, 1. 372, 2. Orans: 368, 2. 369, 1. 376, 1. 2. 4. 379, 4. 380, 4. 382, 2.
Hahnszene: 318, 1. Speisensegnung: 312, 1. 313, 2. Einzug: 334, 2. Kindheitsgeschichte: 315, 5.
Rotes Meer: 309, 3. Apostel: 304, 4. Monogramm: 349, 4. 350, 3. 4. Schafböcke: 304, 3.
Zur Stilkritik und Chronologie der christlichen Sarkophage. 165
Zur Stilkritik und Chronologie der
christlichen Sarkophage.
In den beiden vorstehenden Abschnitten nahmen wir die Typik der Sarkophage
und ihres Bilderschmucks systematisch durch. Der Tektonik lag noch besonders ob,
den innigen Zusammenhang der christlich antiken Sarkophage mit den heidnisch antiken
in Erinnerung zu bringen; die Typik der Bilder sollte den klassischen Archäologen
den Weg zur Interpretation des Gegenständlichen ebnen. Beide Abschnitte indessen
wollen an ihrem Teile zugleich der geschichtlichen Erfassung der Antike dienen; der
klassische Archäologe, auch wo er systematisch disponiert, denkt immer historisch. Nun
aber gilt es, den geschichtlichen Gesichtspunkt in den Vordergrund zu rücken und
nach Epochen geordnet vorzulegen, was sich zur Stilkritik und Chronologie unserer
Sarkophage soweit ergab oder sonst noch als fördernd herangezogen werden mag.
Weiter zu gehen und etwa eine Geschichte der altchristlichen Skulptur zu entwerfen,
davon kann bei dem jetzigen Stande der Forschung noch keine Rede sein.
Die andere Frage nach den örtlichen Ursprüngen der Typen, ob aus Klein-
asien, Syrien oder Alexandrien, ob überhaupt aus dem griechischen Osten oder dem
Abendland, dem hellenistischen natürlich, auch diese Frage stellen wir immer noch
zurück; sobald die Chronologie der Denkmäler eine sichere Basis gefunden hat, wird
es Zeit sein, auf die Ursprungsfragen einzugehen. Solches Zurückstellen ist selbst-
verständlich nicht so gemeint, als solle man gegenüber den Ursprungsfragen einstweilen
die Augen verschließen ; vielmehr ist es nötig, schon jetzt zur künftigen Inangriffnahme
des Problems Beobachtungen zu sammeln und Kriterien zurechtzulegen.
Italien (außer Ravenna).
Die Chronologie der altchristlichen Sarkophage möchte man klargestellt wissen.
Da ist nun zu bedauern, daß es an äußeren Daten nur zu sehr gebricht. Grab-
schriften an den Steinsärgen sind nicht gerade häufig, die öfter in Relief angebrachten
Schrifttafeln meist leer, so daß die Vermutung auftauchen konnte, die Grabschrift sei
in diesen Fällen ähnlich wie öfter in den Katakomben aufgemalt gewesen und ver-
buchen, vielleicht aber durch geeignete Reagentien wieder lesbar zu machen. Die
vorhandenen Inschriften geben etwa den Namen des Verstorbenen, seinen Stand, ein
lobendes Prädikat, die Hinterbliebenen die ihm, oder für die mit er, das Grab bereitet,
dazu den Kalendertag der Deposition, weil dessen Fixierung maßgebend blieb für das
Jahrgedächtnis. Nur ganz vereinzelt werden die Konsuln des Sterbejahrs genannt.
Der Knabe Heraklitos starb 238, Marius 273 oder 276. Flavius Faustinus wurde
am 11. August 353 deponiert, der Stadtpräfekt Junius Bassus am 25. August 359.
Zwei unter Sankt Peter gefundene Sarkophage wurden von römischen Archäologen
auf Sextus Petronius Probus und auf Anicius Hermogenianus Olybrius bezogen,
von denen jener zwischen 389 und 395 starb, dieser kurz vor 410. Aber die
166 Zur Stilkritik und Chronologie der christlichen Sarkophage.
Zurückfuhrungen sind zu unsicher, um stilkritischen Bestimmungen zugrunde gelegt
werden zu können.1)
Die Meinung de Rossis ging dahin, daß es christliche Sarkophage schon im
ausgehenden ersten Jahrhundert gegeben haben müsse; beweisend schienen ihm die
Wandnischen im ältesten Gang des Coem. Domitillae, die nur zur Aufnahme von
Sarkophagen bestimmt sein konnten. Früh, aus dem zweiten Jahrhundert, sei der
Riefelsarg der Livia Primitiva mit Inschrift und ein paar Sinnbildern in Umrißlinien.
Bis zum dritten Jahrhundert habe man nur geriefelte Sarkophage gehabt, von figurierten
nur solche mit „neutralen" Darstellungen, worunter Motive heidnischer Erfindung, doch
für die Christen unanstößigen Inhalts verstanden wurden, Hirtenszenen und dergleichen;
die in San Callisto gefundenen Stücke hielt de Rossi nicht für heidnische, von den
Mausoleen der Via Appia in die Lichtschachte der Katakomben hinabgestürzte, sondern
für christliche. Von den Sarkophagen mit biblischen Szenen sei vielleicht der Jonas-
sarkophag Lat. n. 119 G 307, 1 [Abb. 5] vorkonstantinisch; was er von dergleichen
sonst in San Callisto fand, könne er nach topographischen Indizien nicht für so früh
halten. Der kolossale Deckel aus dem Cubiculum des Bischofs Miltiades (oder Melchiades,
gestorben 314) mit Hirtenszenen an den Eckakroterien und Masken an den Stirnziegeln
gehöre vielleicht zu des Bischofs Sarg. Die spezifisch christlichen Sarkophage mit
biblischen Szenen stammten aus dem vierten und fünften Jahrhundert, übrigens nicht
aus den Katakomben, sondern aus den Coemeterialbasiliken.2)
Andere glaubten, die Gesamtheit der christlichen Sarkophage in das vierte Jahr-
hundert schieben zu müssen. Die ältere schiefe Beurteilung der Christenverfolgungen
ließ die Meinung aufkommen, vor Konstantin hätte sich eine christliche Skulptur nicht
hervorwagen können.
Johannes Ficker aber, welcher der Beschreibung eines wichtigen Sarkophags
den Versuch einer stilkritischen Sichtung anfügte, glaubte nur methodisch zu verfahren,
wenn er gegebene Daten als Fixpunkte zugrunde legte. Es waren die von zweien
der großen Sarkophage, des Junius Bassus, gestorben 359 [Abb. 18], und des einen
aus Sankt Paul, Lat. n. 104, G 365, 2 [Abb. 37], hart bei der Confessio gefunden;
nach diesem Befund müsse er gelegentlich des Neubaues der Kirche um 400 dort
aufgestellt worden sein. In den kurzen Zeitraum zwischen 359 und 400 drängt Ficker
die Hauptmasse der römisch christlichen Sarkophage zusammen. Doch läßt er eine
Vorperiode zu, die dann etwa die erste Hälfte des Jahrhunderts füllen würde. In
dieser könnten die Sarkophage mit neutralen Darstellungen entstanden sein; zu ihnen
kamen nur einige wenige spezifisch christliche Figuren und Szenen, Erstlinge der
christlichen Typik in der Skulptur. Die Reliefs mit geringer Erhebung läßt Ficker
*) Grahschrift aufgemalt: de Waal, Sarkoph. d. Bassus 10, 1. — Über die problematische
Bedeutung des Wortes depositio vgl. einstweilen den Artikel in Fr. X. Kraus' Bealenzykl. I 353.
Die Frage, ob depositio den Tod oder die Beisetzung bedeute, das Datum der Deposition mithin
den Sterbe- oder den Beisetzungstag, können wir als für die Datierung der Sarkophage unerheb-
lich hier unerörtert lassen. — Heraklitos und Marius: de Eossi, Inscr. christ. I 13 und 19. —
Faustinus: Lat. n. 228. Bassus: de Waal, Sarkoph. d Bassus. G 322, 2. — Über die genannten
Anicier vgl. Seeck bei Pauly-Wissowa I Anicius n. 45 und 46; die Sarkophage sind in S. Peter
und im Louvre, G 325. 324.
*) de Bossi, Borna sott. III 440. — Livia Primitiva: Bull, crist. 1870, 59 Taf. 5. G296,3.
— Miltiades: Borna sott. IL Taf. 23 die Gruft, G 347, 1 der Deckel.
Italien (außer Ravenna). 167
vorangehen, die kräftiger sich erhebenden nachfolgen; eine dritte Gruppe sei durch aus-
giebige Verwendung des Bohrers charakterisiert. In der dann folgenden Hauptperiode?
von etwa 359 bis 400, also dem Zeitraum knapp eines halben Jahrhunderts, habe sich
die Sarkophagbildnerei rein christlichen Charakters voll entfaltet. Die Reliefs dieser
Blüte christlicher Skulptur tragen nicht alle denselben Charakter, vielmehr lassen
sich verschiedene Werkstätten unterscheiden. Die ersten Anfänge einer „vatikanischen"
Klasse scheint Ficker denn doch in frühere Zeit zu setzen. Zu ihren frühesten Schöp-
fungen zählt er den Jonassarkophag Lat. n. 119, der, in seiner ganzen Komposition
und Auffassung fast ohne Analogie, doch aus technischen und andern Gesichtspunkten
mehreres an sich zieht, darunter die besten Beispiele der Sarkophagkunst im Lateran.
Die Masse aber verbleibt der Spätzeit des Jahrhunderts. Einige Stücke gruppieren
sich um den Bassussarkophag, wie auch sonst noch allerlei Gruppen sich absondern,
die mit gereihten Säulen oder Bäumen, wieder andere mit Mauern und Zinnen ; die
vorausgenannten haben hohes Relief, die letzteren flaches. — Die „kallistische" Klasse
bilden die Denkmäler aus der Kaliistkatakombe und deren Umgebung; es ist die
numerisch bedeutendere, die meisten Sarkophage der letzten Zeit lassen sich auf sie
zurückführen. Auch in dieser Klasse werden Gruppen unterschieden, deren eine den
erwähnten Sarg aus Sankt Paul Lat. n. 104 zum Mittelpunkte hat; die Exemplare
entbehrten der Bohrerarbeit. Aber es finde eine Einwirkung der Werkstätten auf-
einander statt; eine ganze Reihe von Sarkophagen, die nach Komposition und Technik
der kallistischen Gruppe zugehören, zeigt deutliche Einflüsse seitens der vatikanischen
mit ihren vollständig herausgearbeiteten Figuren. Gewisse zweizonige Sarkophage, wie
Lat. n. 55 G 358, 3 [Abb. 14] hängen mit San Callisto zusammen, aber für ihre
Ausführung ist die vatikanische Weise besonders maßgebend gewesen.
Verdienstlich wäre Fickers Hinweis auf die datierten Reliefs am Konstantinbogen
(nämlich auf die echt konstantinischen an den unteren Teilen), wenn er nicht im selben
Augenblick auf ihre stilkritische Verwertung verzichtete. Da der laut Inschrift 359
gearbeitete Bassussarkophag stilistisch auf weit höherer Stufe stehe als die um Jahr-
zehnte älteren konstantinischen Reliefs, so könne von einheitlichem Charakter und
einheitlicher Entwicklung der altchristlichen Skulptur in Rom nicht die Rede sein.
Das heißt aber so ungefähr auf die Anwendung der stilkritischen Methoden verzichten.
Dazu nun werden wir uns nicht entschließen; allerdings ist der Fall kompliziert, wir
kommen darauf zurück.1)
Die ältere Meinung, von vorkonstantinischem Ursprung der christlich antiken
Sarkophagskulptur, aber behauptete sich. Marucchi schrieb den von ihm aus seiner
Verborgenheit in einer suburbanen Villa an der Via Salaria hervorgezogenen Sarkophag
Lat. M n. 181 [Abb. 2] dem dritten oder auch zweiten Jahrhundert zu. Wilpert
setzte den Travertinsarg der Euelpiste in Priscilla in den Anfang des zweiten Jahr-
hunderts, die Sarkophage der Livia Primitiva und des Sohnes von Saturninus und
Musa (G 296, 3. 1) in die Antoninenzeit. Schon 1901 durfte Aloys Riegl sagen,
daß auf Grund des Sarkophags von Via Salaria es schon seit Jahren allerseits zu-
gegeben sei, christliche Sarkophage habe es vor Konstantin gegeben; zugleich be-
zeichnete er die Beisetzung des Junius Bassus im Jahre 359 als sicher sekundäre
*) Joh. Ficker, Altchristi. Bildwerke 1890, 44 zu n. 104. — Gegen die Annahme einer
vatikanischen Bildhauerschule sprach sich, wegen der zu großen Verschiedenheiten zwischen den
vatikanischen Sarkophagen, Graeven aus, Gott, gelehrte Anzeigen 1901, 80.
168 Zur Stilkritik und Chronologie der christlichen Sarkophage.
Verwendung des Sarkophags. Weis-Liebersdorf wollte ihn bis in die Antoninenzeit
zurückschieben, und Strzygowski stimmte ihm bei.1)
Die Wiederverwendung des Bassussarkophags erkannte auch Wittig an, als er
die von de Waal im deutschen Campo santo gesammelten altchristlichen Skulpturen
neuerdings herausgab; zugleich lehnte er die Datierung des Sarkophags aus S. Paul
Lat. n. 104 nach dem Umbau der Kirche gegen 400 ab; er könne den Platz schon
beim konstantinischen Bau erhalten haben. Zugleich suchte Wittig mit der Vergleichung
der Reliefs vom Konstantinsbogen Ernst zu machen; er erhob sie zu einem Markstein
in der Stilgeschichte, der die einheitlich sich entwickelnde Geschichte der altchristlichen
Sarkophage in eine vor- und eine nachkonstantinische Periode zerlege. Wittig also
akzeptiert das frühe Datum des Euelpistesarkophags, dem er den Jonassarkophag Lat.
n. 119 mit seiner freien malerischen Komposition gleichzeitig setzt.
Nach dem geringeren oder größeren Reichtum der skulpturellen Ausstattung
unterscheidet er Klassen, eine ärmere der geriefelten Steinsärge und eine reichere.
Innerhalb dieser reicheren Klasse nun sucht Wittig Entwicklungsstufen aufzuzeigen,
die in ihren nach der Mode wechselnden Verzierungsweisen gegeben seien. Die Säulen-
sarkophage (die er vom Urbilde der römischen Theaterszene abzuleiten vorschlägt)
setzt er in die vorkonstantinische Zeit; glänzendste Vertreter der Art in Rom seien
der des Bassus und Lat. n. 174 (G 322, 2. 323, 4 [Abb. 18. 19]). An dieser Stelle
nun greift der in den konstantinischen Reliefs gegebene Markstein ein, alles Weitere
ist konstantinisch oder nachkonstantinisch. Aus dem Säulenmotiv entwickelte sich
zunächst das Zinnen- und das damit zusammenhängende Mauermotiv (vielmehr Tormotiv);
jenes erscheint zuerst an den Nebenseiten eines Mantuaner Säulensarkophags, an dessen
Deckel das konstantinische Christusmonogramm steht (G 320, 3. 321, 1. 2). Da alle
Exemplare mit „Stadtmauern" gleichen Stil zeigten, so seien sie alle in kurzem Zeit-
raum, also wesentlich in Konstantins Zeit entstanden. Eine folgende Entwicklungsreihe
lässt er mit den Palmbäumen anheben, zwischen denen öfter die Hauptpersonen stehen
(so an Lat. n. 106 G 331, 2) und in die Ölbaumreihen auslaufen, deren sich berührende
Kronen über den Figuren und Szenen Laubbögen bilden, im Umriß sich deckend mit
den Arkaden krönenden Giebeln und Bögen (Lat. n. 164 G 350, 2 [Abb. 34]). End-
lich, durch immer neue Ubergangsformen vermittelt, die letzte Gattung mit ungetrennten
Szenen und dichtgedrängten Figuren; sie müßte abhängig sein von den gleichartigen
konstantinischen Reliefs. Nur an den besseren Exemplaren sind die Szenen einiger-
maßen auseinander gehalten, wie an den beiden von S. Paul und dem von San Sebastiano
(Lat. n. 55. 104. 178 G 358, 3. 365, 2. 367, 3). Die Gattung hatte Bestand von
Konstantin bis zum Einbruch der Westgoten unter Alarich 410. Das war das Ende
der römischen Sarkophagkunst. Weitere Bildungen, unter ravennatischen Einflüssen,
traten im fünften und sechsten Jahrhundert auf; die menschlichen Gestalten schwanden
mehr und mehr aus der Bildfläche, das Ornament ward alleinherrschend. Wittigs
Skizze hat darauf verzichtet, diesen Prozeß an Hand der Denkmäler nachzuweisen,
wie er auch die erschöpfende Darlegung des ganzen Entwicklungsganges den Kunst-
historikern überläßt. Dieser Entwicklungsgang freilich ist besonders in den Übergängen
1) Marucchi, Accad. di archeol. crist. 3. Aprile 1881; Guida del Museo crist. lateran. 1898
n. 181. — Wilpert, Fractio panis 1895, 87 Euelpiste; 83, 3 Primitiva und Saturninus. — Eiegl,
Spätröm. Kunstindustrie I 1901 94.— Weis-Liebersdorf, Christus- und Apostelbilder 1902 8, 3.
16. 89. — Strzygowski, Münch. Allg. Zeitung, Beilage 19. 1. 1903.
Italien (außer Ravenna). 169
oft gekünstelt und im ganzen gesucht; die stilgeschichtlichen Anschauungen aber
enthalten manches Wahre.1)
Wenn wir nun unsererseits, als klassische Archäologen, zu dem Problem Stellung
nehmen sollen, so befinden wir uns in einiger Verlegenheit. Wir möchten die alt-
christliche Kunst, als christliche Antike, in den Rahmen der Gesamtantike einfügen,
das heißt aber, praktisch genommen, in Rahmen und Fach werke der heidnischen
Antike. Leider aber ist die Stilgeschichte der Kaiserzeit, vollends der späteren, noch
nicht genügend ausgebaut. Nicht allein, daß es für große Zeiträume an datierten
Denkmälern fehlt, sondern auch von den in Denkmälern greifbaren Perioden ist unser
Wissen noch recht fragmentarisch und vag. Den eigentümlichen Stil der augusteischen
Skulptur hat man zu definieren gesucht, Geistvolles, freilich auch Widersprechendes,
wurde über die Kunst der Flavier gesagt, wir reden auch von trajanischem, hadrianischem,
antoninischem und, selten genug, auch einmal von spätantikem Stil, aber hat man das
Werk auch nur einer dieser Epochen erschöpfend gesammelt und stilkritisch durch-
gearbeitet herausgegeben? Und solche Bearbeitungen der Einzelepochen wären doch
nur Bausteine, mit deren Hilfe die Stilgeschichte der Kaiserzeit dann erst auf-
geführt werden müßte. Solange diese Arbeit nicht getan ist, bleibt die Stilkritik der
christlichen Antike ein Bau in die Luft. Immerhin muß versucht werden, was bei
der gegenwärtigen Sachlage möglich ist. Wenigstens muß sammelnd und sichtend
vorgearbeitet werden; vielleicht hilft es auch rückwirkend zur Belebung der Forschung
auf dem Gebiet der heidnischantiken Skulptur.2)
Die nächste Aufgabe geht dahin, das zeitliche Verhältnis der christlichen
Sarkophage zu den heidnischen zu ermitteln, die etwa sich ergebenden vorkonstantinischen
in die heidnische Reihe einzugliedern und die nachkonstantinischen ihrerseits stil-
geschichtlich zu ordnen.
Die heidnischen Sarkophage der Kaiserzeit haben früh die Augen der
Archäologen auf sich gezogen; unser archäologisches Institut hat ihnen eine Publikation
gewidmet, von der bereits drei Bände vorliegen, leider noch nicht der erste. Es wird
eines der großen Denkmäler deutscher archäologischer Arbeit sein, in vieler Beziehung
abschließend, darüber hinaus aber Grundlage für weitere, in ihrer Ergiebigkeit noch
nicht zu übersehende Forschung.
Für Otto Jahn, den Urheber des Plans, handelte es sich vor allem darum, die
für die Sagengeschichte wichtigen Sarkophagreliefs kritisch zu sammeln. Damit ver-
band sich ohne weiteres der andere Gesichtspunkt, sie als zwar späte und sekundäre,
immerhin aber sehr erwünschte Hilfsmittel zur Rekonstruktion der zugrunde gegangenen
Heroendarstellungen aus der klassischen Malerei und Plastik zu betrachten. Die
Institutspublikation gibt daher wohl die ganzen Sarkophage, aber geordnet nach den
*) Witt ig, Die altchristl. Skulpturen im Museum d. deutschen Nationalstiftung am Campo
Santo in Rom 1906. Wer die Einleitung Wittigs benutzt, wird gewahr werden, daß die An-
merkungen zu Seite 18. 19 beim Druck in Unordnung geraten sind; S. 18 Anm. 5 sollte Anm. 1
sein; S. 19 Anm. 1 gehört zu Zeile 1; Anm. 2 zu Zeile 10 usf. Das Zitat zu Rom ist ausgefallen.
2) Ein paar Anläufe in der Richtung auf eine Stilgeschichte zunächst der heidnischen
Skulptur in der Kaiserzeit mögen hier verzeichnet sein. A. Hekler, Römische weibliche Gewand-
statuen (in den Münchner archäol. Studien 109) 1906, verfolgt die weiblichen Gewandstatuen
chronologisch bis ins vierte Jahrhundert, wo die Reihe erlischt. — Mrs. Arthur Strong, Roman
sculpture from Augustus to Constantine, London 1907, mit 130 Tafeln.
170 Zur Stilkritik und Chronologie der christlichen Sarkophage.
in den Reliefs dargestellten Mythen; erst in zweiter Linie werden Tektonik und Stil-
geschichte berücksichtigt.
Inzwischen hat der Herausgeber, ganz in Anspruch genommen durch das wie
angedeutet disponierte Korpus der Reliefs, die Bearbeitung des rein Formalen der
Sarkophage, getrennt vom Gegenständlichen der Darstellung, einem langjährigen Hilfs-
und Mitarbeiter übertragen, der alsbald die Grundlinien einer Tektonik und Ornamentik
der Sarkophage mit kundiger Hand entwarf; bereits oben, in dem Abschnitt über die
Tektonik der Sarkophage, machten wir davon Gebrauch. So wertvoll das Büchlein uns
ist, so können wir es doch nur als eine Abschlagszahlung annehmen auf das uns ge-
schuldete Ganze, das ist eine das Material erschöpfende Geschichte der Sarkophage,
insbesondere derjenigen der Kaiserzeit; sie müßte reich illustriert sein, natürlich aus-
schließlich mit photomechanisch hergestellten Abbildungen, wie sie die Stilkritik heute
verlangt. Ansätze und Vorarbeiten sind bereits vorhanden; schon Robert hat im
Text der „Antiken Sarkophagreliefs" die einzelnen Stücke tunlichst datiert, und
Altmann gab seiner in jeder Zeile vom historischen Geiste getragenen „Architektur
und Ornamentik" ein Schlußkapitel mit „Zur Datierung der Sarkophagtypen."1)
Noch ein die Zeitbestimmung erschwerender Umstand will erwähnt sein. Man
muß im Auge behalten, daß es sich bei den Sarkophagen um Handwerksarbeit
handelt, um eine durch Jahrhunderte fortgesetzte Handwerkstradition. Allerdings will
die Prägung der Sarkophagtypen und die Herstellung besserer Stücke als Kunst-
schöpfung aufgefaßt sein (eine scharfe Grenze zwischen Handwerk und Kunst besteht ohne-
hin nicht; die Handwerksarbeit kann sich in jedem einzelnen Falle zur Höhe künstlerischen
Schaffens erheben, umgekehrt sinkt Massenarbeit im Künstleratelier unweigerlich auf
die Stufe des gemeinen Handwerks herab), aber die große Mehrzahl der christlichen
Sarkophage bleibt im Geleise des Handwerklichen. Nicht daß im buchstäblichen Sinne
Schablonenarbeit gemacht wäre (das gab es im Altertum höchstens, und auch da nicht
immer, wo eine Prägetechnik dazu verführte), jedes Stück ist neu komponiert; dennoch
sind es bildliche Typen, die da von Geschlecht zu Geschlecht sich überlieferten, ohne
unter den wechselnden Händen sich viel zu ändern. Noch mehr. Vor manchen
Stücken schwankt das Urteil, ob sie als früh oder als spät anzusprechen seien; ein
starker Rest plastischer Gestaltung scheint in Widerspruch zu stehen mit Anzeichen
späterer, schlechterer Arbeit. Man kommt dann auf den Gedanken, daß da ältere
Vorbilder von später Hand kopiert seien, immer mehr oder weniger frei, und immer
im Stil der Ausführungszeit. Schon wegen dieser Komplikation wäre es verfrüht, jetzt
das ganze Material stilkritisch aufarbeiten zu wollen. Wir werden uns begnügen
müssen, markante Stücke herauszuheben, um nur erst einige Richtpunkte für die Zeit-
bestimmung zu gewinnen.
x) Carl Eobert, Die antiken Sarkophagreliefs II Mythologische Cyklen, Berlin 1890;
III Einzelmythen i 1897; n 1904. — "Walter Altmann, Architektur und Ornamentik der antiken
Sarkophage 1902. — Wäre zu Otto Jahns Zeiten die Stilkritik schon ausgebildeter und in sich
gefestigter gewesen, als es tatsächlich der Fall war, so hätte er ein Korpus der Sarkophage wohl
selbst vorgezogen, geordnet nach deren Klassen und Zeiten, und hätte damit die zuverlässigste
Grundlage für ihre Verwertung, nicht bloß zugunsten der Sagengeschichte, zu legen geglaubt. Da-
durch wäre z. B. das in Altmanns Vorwort berührte Mißliche wohl vermieden worden. Nun es
anders kommen mußte, sind wir auch für das Gebotene dankbar, hoffen aber auf seine Ergänzung
in der oben angedeuteten Weise und mit Einbeziehung auch der christlichen Sarkophage. Unsere
Studie will nur als Eisbrecher wirken.
Italien (außer Kavenna). 171
Erschwerend wirkt bei einer Anzahl von Sarkophagen noch ihr unfertiger
Zustand mit; das ergibt Verhältnisse, die nicht immer richtig beurteilt werden. Das
Studium der Originale läßt erkennen, daß die Figuren zuerst mit dem Meißel angelegt
wurden; dann trat der Bohrer in Funktion, teils stehend, teils laufend; zuletzt mochten
dann die Bohrlöcher mit dem Meißel nachgearbeitet werden. Nun gibt es Sarkophage,
die faßt ausschließlich mit dem Meißel gearbeitet sind; es war nicht richtig, aus ihnen
eine besondere Klasse „ohne Bohrerarbeit" zu bilden, sie sind bloß unfertig.1)
Die Forderung „absoluter Chronologie" kann wegen Mangels an ausreichendem
Vergleichsmaterial noch nicht erfüllt werden; wir werden für jetzt bei der „relativen
Chronologie" stehen bleiben müssen. Und vermögen wir auch in diesem beschränkteren
Sinne eine klar verlaufende Entwicklungsreihe noch nicht aufzustellen, so fordert es
doch, wenigstens solche Kriterien herauszuholen, wie sie einst zum Aufbau der Ent-
wicklungsgeschichte verhelfen werden.
Auf die frühere Kaiserzeit zurückzugreifen geben die christlichen Sarkophage
bis jetzt kaum Anlaß; vielleicht dient es aber dem besseren Verständnis, auch der
älteren Typen hier kurz zu gedenken. Dem ersten Jahrhundert gehört die Klasse der
Girlandensarkophage an, die Girlanden hingen anfangs an Stierschädeln, seit 50
werden sie von Eroten und Niken getragen; über den Girlanden fand sich Raum für
die bereits eingeführten heroischen Szenen. Im Anfang des zweiten Jahrhunderts fiel
die Girlande fort, übrigens nicht für alle Zeit; dafür erschien, zunächst am Deckel,
der Titulus, die Inschrift tafel oder ein von Eroten gehaltener Rundschild (Clipeus),
statt dessen auch eine runde Muschelschale, von Meerwesen gehalten. Von da aber
beginnt die lange und zusammenhängende Reihe der Sarkophage mit mythischen
Szenen, die sich bis in das vierte Jahrhundert fortsetzt; die ältesten Exemplare,
stadtrömische, sind die ursprünglichsten, schlichte Kasten ohne künstlerischen Rahmen,
mit charakteristischer Darstellung der Sagen.
Im Verlauf der Untersuchung wird man bemerken, daß die Haupttypen der
christlichen Sarkophage von der früheren, heidnischen Kunst geschaffen sind; der Kunst
des vierten Jahrhunderts blieb nur übrig, einiges zu modifizieren.
Bei der Datierung der heidnischen Sarkophage helfen bisweilen die in verschiedener
Weise an ihnen angebrachten Porträts vermöge der wechselnden Moden insbesondere
der Haartracht. Die Kaisermünzen bleiben immer die sichere Grundlage, auf der
die chronologische Bestimmung der Büsten und Statuen sich aufbauen muß (auf die
dargestellten Personen selbst kommt es hier nicht an). Abgesehen von den in allen
Museen vorkommenden mehr oder minder zahlreich vertretenen Einzelstücken steht
eine zeitlich geordnete Büstenreihe in den Gängen der Uffizien, eine Sondersammlung
von Frauenbüsten besitzt das Antiquarium in den Diokletiansthermen. Bis Trajan
gingen die Herren rasiert, Hadrian ließ den Bart wieder stehen. Jene Christen, die
sich in skulpierten Marmorsärgen begraben ließen, gehörten den Kreisen an, welche im
großen und ganzen mit der Mode Schritt halten.2)
*) Das sagte bereits Riegl, Spätröm. Kunstindustrie I 84, 1.
*) Kaiserbilder: H. Cohen, Me"dailles imperiales8. E. Stuart Poole, Roman medaillons in
the British Museum 1874. Bernoulli, Römische Ikonographie II. Imhoof -Blumer, Porträtköpfe
auf römischen Münzen *1904.
172 Zur Stilkritik und Chronologie der christlichen Sarkophage.
Mit dem Beginn der Antoninenzeit (138) dürfen wir schon aufmerksamer
werden, die Wahrscheinlichkeit, christlichen Sarkophagen zu begegnen, wächst.
Die Kaiserköpfe von Aelius Verus bis etwa Geta haben dichtes krauses Haar,
das sich breit über den Kopf legt, dazu Vollbart; der obere Teil des Backenbartes,
zwischen Mund und Ohr, hebt sich vom unteren mehr oder weniger ab. — Die ältere
Faustina, Gemahlin des Antoninus Pius, schon 141 gestorben, flocht den Schopf,
führte ihn am Hinterkopf hinauf und rollte das Ende auf dem Scheitel in zwei auf-
einanderliegende längliche Ringe. — Anders die jüngere Faustina, Gattin Marc
Aureis von 146 bis 175. Sie schiebt wohl einmal das Zopfnest an den Hinterkopf
zurück, meist aber bis an den Nacken hinab; fast ausnahmslos bedeckt das Haar die
Ohren. Ahnlich ihre Tochter Lucilla. Ein Nest am Hinterkopf, das Haar meist
über die Ohren gehend, trägt Crispina, des Commodus Frau.1)
In der Antoninenzeit treten eigenartige Sarkophagtypen auf, abgesehen von den
griechischen Erotensarkophagen die ebenfalls griechischen (nach Altmann wahrschein-
lich athenischen) Prachtsärge, im Gegensatz zu den schlichten stadtrömischen aus-
gezeichnet durch reichen Schmuck, verzierten Sockel und Sims; die an allen vier Seiten
sich herumziehenden Heroenszenen streben weniger nach charakteristischer Darstellung
als nach formaler Schönheit, unter Beschränkung auf wenige Figuren in reichlichem
Feld. An dem Hippolytossarkophag in Konstantinopel (Rob. III II n. 151) ähnelt der
Kopf des Heros dem Antinous, wonach der Sarg in die frühe Antoninenzeit gesetzt
wird; dem Ansatz widersprechen nicht die unter sich allerdings verschiedenen Frauen-
frisuren, bei der Amme das die Ohren bedeckende Haar, bei der ersten Dienerin das
tiefsitzende Knäufchen, bei der zweiten der nach dem Wirbel hinaufgenommene Schopf.
— Von den griechischen Prachtsärgen sondert sich eine Familie aus mit Eckkaryatiden
auf Sockelchen, an denen Tiere oder Girlanden gemeißelt sind; in allerlei Spielarten
werden die Karyatiden auch durch Eckpfeiler ersetzt (Rob. II n. 20. 21. 138), auch
durch Eckbäume. — Wiederum nur eine Sondergruppe der griechischen bilden die
unter dem Namen der „griechisch-römischen" gehenden Sarkophage; mit dem archi-
tektonischen Aufbau der griechischen verbinden sie die römische Behandlung der
figürlichen Szenen, wären daher richtiger als „römischgriechische" zu bezeichnen.
Am Hippolytossarkophag von Girgenti (Rob. III II n. 152) beginnen Hintergrunds-
köpfe sich zu zeigen. — Eine Gruppe der römischgriechischen Sarkophage begnügt
sich mit sparsamer Ornamentierung. Das Reliefbild behält für Komposition, Proportion
und Bewegung die klassische Weise bei, unterscheidet aber mehrere Gründe. Die
Vordergrundfiguren gibt es in Vollrelief, fast gelöst vom Grunde, wie es ähnlich die
Marcussäule tut; die Mittel- und Hintergrundsfiguren (nur ihre Köpfe bleiben sichtbar),
jene noch vollrund, diese nur ganz flache Profilgesichter, verdecken den Reliefgrund
fast völlig. Bestes Beispiel ist der Hippolytossarkophag zu Arles. — Die stadt-
römische Klasse zeigt neben unklassisch gesuchter Unordnung in der Gruppierung,
die selbst den Schein symmetrischen Aufbaues vermeidet, bereits Neigung, die Falten
schematisch und furchenartig zu bilden (Rob. III II n. 161. 164 [von der gleichen
Hand wie III i 20]. 170. 198). — Es treten, nach Altmann, nun auch die stolzen
x) Aelius: Poole 6 Taf. 7, 1. Bernoulli II n 134 Taf. 42. 43. Münztafel 4, 1—3. —
Faustina sen.: Poole 12 Taf. 15—17. Bernoulli 154 Taf. 46. 47. Münzt. 4, 8—10. — Faustina jun.:
Poole 16 Taf. 23—24. Bernoulli 189. Münzt. 4, 19—21. 5, 1—3. — Lucilla: Bern. 221. Münz-
tafel 5. — Crispina: Bern. 245. Münzt. 5.
Italien (außer Ravenna). 173
Säulensarkophage auf, sowohl die mit Tabernakeln, als auch die mit schlichten
Kolonnaden; die Ursprungszeit der erhaltenen Exemplare bleibt festzustellen. — Eben-
falls die Riefelsärge (baccellati) ; der in Palazzo Farnese, gen. Sarg der Cäcilia Metella,
gilt als der älteste. Wenn diese Ansetzung der Riefelsärge sich bestätigt, so können
die christlichen Exemplare, wie derjenige der Livia Primitiva, nicht älter sein.1)
Seit Marc Aurel macht sich der Niedergang der Skulptur bemerkbar. Von
schematischer und furchenartiger Faltenbildung war bereits die Rede. Vielleicht hängt
dies schon mit der zunehmenden Bohrerarbeit zusammen. Der Bohrer, einst der
brauchbare Gehilfe des Bildhauers, wird allmählich sein Tyrann, und mit der Zeit sein
Schicksal. Die Haarmassen erscheinen gerade in der Antoninenzeit wie große löcherige
Schwämme, Löcher und Furchen beginnen die Schatten zu markieren.
Auch wurde es beliebt, dem Heros oder der Heroine der mythischen Szene die
Züge der im Sarg beigesetzten Person zu geben. Auf ein Jahrzehnt genau datiert ist
der Sarkophag des C. Junius Euhodus und seiner Frau MetiliaActe [Abb. 1]. Euhodus-
Admet ist ein typischer Antoninenkopf, der Bart wird schon spitzer, den des L. Verus
vorbereitend. Acte-Alkestis (ebenso die herbeieilende Mutter) trägt ein Zopfkrönchen
auf dem Scheitel, wie bei Bernoulli die ältere, bei Cohen aber vereinzelt auch die
jüngere Faustina (die typische Frisur der letzteren mit Knäufchen im Nacken trägt
Aphrodite Rob. III II n. 192).2) — Hier möchte ich den anerkannt ältesten christlichen
Sarkophag des Lateran einreihen, die Wanne von Via Salaria, die bereits Marucchi
dem zweiten oder dritten Jahrhundert zuweisen wollte (Es ist viel daran ergänzt, vor
allem der Kopf des guten Hirten). Der Seelenhirt nimmt die zentrale Stellung ein
zwischen den Paradiesesbäumen und zwei symmetrisch angeordneten ihm zugewendeten
Gruppen, zu seiner Rechten dreier Männer, zu seiner Linken dreier Frauen, in der Art
der Rezitationsszenen. Man beachte die jüngere, doch matronale Adorantin im Peplos
bei der sitzenden älteren Matrone. Die Art und Innigkeit des Ausdrucks, man möchte
sagen des Seelenspiels, zwischen den Beteiligten, erinnert an den Sarkophag des Euhodus.
Dessen Mittelszene ist zwar erregter, drückt sie doch — eine seltene Erscheinung auch
in der heidnischen Grabkunst — den Jammer der Sterbestunde aus; ruhiger sind die
Nebenszenen, besonders sei auf die dem Pluto zusprechende Proserpina aufmerksam
gemacht, die auch den Peplos trägt. Die Köpfe der Männer haben nicht ganz so
üppiges Haar wie die Antonine und Euhodus, sie nähern sich mehr dem gewöhnlichen,
alsbald zu beschreibenden Typus [Abb. 2].3)
Noch seien zwei Sarkophage angeschlossen, die ebenfalls aus der Masse heraus-
treten und sowohl untereinander wie zur Wanne von Via Salaria Beziehungen auf-
weisen, doch jünger zu sein scheinen. Die Wanne von S. Maria Antiqua mit einer
ganzen Reihe, freilich nur dünn bewipfelter Ölbäume. In der Mitte das Ehepaar, er
als sitzend Lesender, sie als matronale Adorantin; rechts folgt der Gute Hirt, in Exomis
und anscheinend Hosen, nach dem Paare blickend, und die Jordan taufe, der Täufer
in bloßem Mantel mit bärtigem, struppigem, ordinärem Gesicht; links Jonas ruhend
unter der Laube, auf der sich naiv genug eine Schafweide entwickelt; an der Rundung
1) Griechisch-römische Sarkophage: Robert, Sarkophagreliefs III u Seite 170. Altmann,
Architektur 87. — Arles: Rob. III n n. 160. Altmann, Archit. 107 Taf. 2, wo aber die Hinter-
gruudköpfe wegen zu starker Beschattung nicht zur Geltung kommen.
2) Euhodus: Mus. Chiar. n. 179. Rob. Uli n. 26. Altmann, Archit. 103 Fig. 32.
8) Via Salaria: Lat. M n. 181, noch nicht bei Ficker.
174 Zur Stilkritik und Chronologie der christlichen Sarkophage.
links Meertier, Schiff und Poseidon, rechts Fischer. Man bemerke die Modellierung des
Jonas [Abb. 4]. — Sodann der berühmte Jonassarkophag Lat. n. 119, die hellenistische
Seelandschaft mit Küste und anschließendem Land, alles mit reicher Staffage. Die
Köpfe sind meist ergänzt; vom zweiten Moseskopf ist soviel alt, daß der Antoninentyp
gesichert erscheint [Abb. 5]. Dazu sein jüngerer, aber das Wesentliche der künstlerischen
Konzeption reiner bewahrender Bruder, der Kindersarg von Porta Angelica [Abb. 6].1)
Des Commodus Vorliebe für die Amazonen scheint in einigen Heraklessarko-
phagen anzuklingen, die den Amazonenkampf aus der sonst üblichen neunten in die
sechste Stelle der Arbeiten vorrücken, also mehr in die Mitte. Am Exemplar Ludovisi
befindet er sich in nächster Nähe der Mitte, diese selbst aber nimmt der fünfte Agon
ein, die Erlegung der Stymphaliden. Hier trägt der Heros die Züge des Verstorbenen,
den typischen bärtigen Kopf, dessen größter Durchmesser aber nicht wie bei den
erwähnten Antoninen im Oberkopf liegt, sondern in der halben Kopfhöhe. Ein gutes
Beispiel ist der Rhetor Aristides, dessen Sitzbild vor dem Eingang aus dem christlichen
Museum in die vatikanische Bibliothek steht. Man vergleiche etwa noch den sitzenden
Hirten am kapitolinischen Endymionsarkophag und die bärtigen Köpfe am Ehesarkophag
der Uffizien. Dieser Kopftypus begegnet an den christlichen Sarkophagen oft, er scheint
den Bildhauern besonders in der Hand gesessen zu haben.8)
Septimius Severus (193 — 211) trägt noch das volle Haar wie die Vorgänger.
Seine Gemahlin Julia Domna (gestorben 217) ließ das gescheitelte Haar, die Ohren
mit breiter Masse überdeckend, tief herabfallen, um es dann aufzunehmen und am
Hinterkopf zu befestigen. Ahnlich Julia Soaemias und Julia Maesa. — Der Adonis-
sarkophag Lateran n. 769 zeigt den jugendlichen Verstorbenen (im Typus des Adonis)
zur Rechten seiner Mutter (im Typus der Aphrodite), welche die Frisur der Julia
Domna trägt; das edle Gesicht des die Wunde waschenden Arztes ist offenbar auch Porträt.8)
In diese Zeit fällt die Masse der heidnischen Riefelsärge, derjenige der Clodia
Secunda ist auf 207 datiert. Von den christlichen geriefelten Sarkophagen gehört die
pariser Wanne mit dem lange Zeit für Aristaios gehaltenen Guten Hirten zu den
früheren, wohl auch der pisaner Sarkophag mit Gutem Hirten in der Mandorla und
Eroten, auf die gestürzte Fackel gestützt, auf den Endsockeln. Auf Grund der Frisuren
der Verstorbenen, ä la Julia Domna, möchte man hierhin setzen den Riefelsarg in Villa
Medici mit Eros- und Psychegruppen in den Endfeldern; einen im Konservatorenpalast
[Abb. 7]; den von San Callisto mit bärtigem Guten Hirten in den Endfeldern [Abb. 8];
und den in Pisa mit sitzend Lesendem und stehender Frau in der Mitte, Frau in
hellenistischer Tracht und Mann im bloßen Mantel in den Endfeldern, alle drei Bilder
auf Sockelchen und vor Parapetasma*.)
1) Maria Antiqua: Bull, crist. 1901,206 Abb.— Jonassarkophag: G 307, 1. — Kinder-
sarg: de Waal, Bassussarkophag 21 Abb.
2) Ludovisi: Eob. III i n. 103. — Aristides: Christ., Gesch. d. griech. Lit. 41905, 748
Taf. 43. — Endymion: Eob. III i n. 61. — Uffizi: Dütschke III n. 62; die rasierten Köpfe
haben den gleichen Bau wie die bärtigen.
8) Severus: Bernoulli II m n. 21 Taf. 10—15. Münzt. 1, 10—12. — Domna: eb. 35 Taf.
16. Münzt. 1, 13—15. — Soaemias und Maesa: eb. 93. Münzt. 2, 18—21. — Adonis: Benndorf-
Schöne n. 387. Eob. III i n. 21. Heibig n. 698. Altmann, Archit. 110.
4) Clodia: Bull. com. 1900, 297. — Paris: G 295, 2. — Pisa: G 297, 1. — Medici: G 357, 1.
— San Callisto: G 372, 1. Grousset 24. Barbier setzte das Stück in das vierte, Grousset in das
Ende des dritten Jahrhunderts. — Pisa, Fünffeldersarg: G 370, 3.
Italien (außer Bavenna). 175
Die damals vorübergehend erscheinenden stadtrömischen Sarkophage mit st äff ei-
förmig er Komposition bauen die Figuren in mehreren Reihen übereinander auf; der
dramatische Vorgang wird in die Mittelstufe gelegt, untenhin kommen Naturgötter wie
Gaea, und Naturstaffagen wie Hirt und Herde, oben Berggötter sowie Helios und
Selene. Eine verwandte Kompositionsweise schildert Riegl. Eine Gestalt in der Mitte
bildet die Dominante, um welche die übrigen gleichsam zu rotieren scheinen, alle in
heftigster Bewegung und vielfach sich überschneidend, daher den Eindruck bunter
Verwirrung erregend; die Lösung wird bewirkt durch Einschieben von vier Figuren
mittlerer Größe, die in regelmäßigen Abständen zwischen der dominierenden Mittel-
figur und der Masse der flächenfüllenden kleinen Figuren verteilt sind. Unter den
christlichen Sarkophagen wird man keinen finden, welcher dieser Charakteristik ent-
spräche. Der Sarkophag von Velletri G 374, 4 besitzt wohl die Dominante, eine
Adorantin mit Frisur Julia Domna, und wenigstens noch zwei größere Figuren, den
Hirten an beiden Enden, dazwischen eine Menge kleiner Füllfiguren in mehrstöckigem
Aufbau; aber abgesehen von dem Mangel an erregter Bewegung macht das Ganze
fast mehr den Eindruck eines Fünffeldersargs, dessen Riefelfelder durch die klein-
figurigen Szenen ersetzt wären, unter Ausfall auch der Trennungslinien.1)
Bei Caracalla (211 — 217) und Geta nimmt die krause Fülle des Haares ab,
mit Elagabal (218) und Alexander Severus (222) beginnt eine neue Mode, das
Kopfhaar ganz kurz zu tragen; es wird als flache Masse angelegt, die kurzen Haar-
stoppeln sind durch Einspitzen mehr nur angedeutet. Ähnlich der Bart. — Das kurze
Haar trägt der biedere, von Eroten umspielte „Endymion" Richmond.2)
Die Damen blieben im allgemeinen bei der Frisur der Julia Domna, nur legten
sie das Haar hinter die Ohren, so daß diese frei blieben. So Julia Paula, Aquilia
Severa, Annia Faustina, die drei Frauen des Elagabal, Orbiana, eine der
Gattinnen des Alexander Severus, und Julia Mamaea, seine Mutter und Mitregentin
(222 — 235); so wohl auch Paulina, die Gattin Maximians (235 — 238). Diese Frisur
pflegt nach Mamaea benannt zu werden, irrigerweise aber wird die Benennung oft auf
frühere und spätere Frisuren ausgedehnt, die doch nicht unerheblich verschieden sind. —
Die echte Mamaeafrisur findet sich an manchen heidnischen Sarkophagen; wir fähren
einige an. Die Braut am Tabernakelsarkophag mit Pronuba im Thermenmuseum, Süd-
halle des Chiostro. Die Büste im Clipeus des Marsyassarkophags von Genzano. Die
Penthesilea an den Sarkophagen desBelvedere und der Paläste Rospigliosi und Lancelotti;
die des Belvedere hat das Haar deutlich hinter das rechte Ohr gestrichen, am linken
aber ist es bei ihrem Zusammenbrechen vorgefallen. Die weiblichen Figuren im Hylas-
*) Riegl, Spätröm. Kunstindustrie 73. Altmann, Archit. 92. — Schon Garrucci hat den
Sarkophag von Velletri zu den frühesten gerechnet.
8) Elagabal: Bernoulli II in 83 Münzt. 2, 11 — 12. Von Elagabal besitzen wir ein datiertes
Denkmal in dem Pfeilerkapitell vom Forum, Studniczka, Rom. Mitt. 1901 Taf. 12. Jordan-Hülsen,
Topographie I 1907, 106, das noch immer nicht genügend publiziert ist. Zwischen Elagabal und
Aurelian, also für ein halbes Jahrhundert, hatte Altmann, Archit. 110, in der Reihe datierter
Denkmäler eine klaffende Lücke konstatieren zu müssen geglaubt. Die von Riegl, Spätröm. Kunst-
industrie 72 ff. versuchsweise hier eingereihten Sarkophage setzte er teils früher teils später; den
Penthesileasarkophag des Belvedere (II n. 92) in die Zeit des Septimius Severus und der Julia
Domna, wir aber setzen ihn in die des Alexander Severus und der Mamaea. — Alexander: Ber-
noulli II in 97 Taf. 29—30. Münzt. 3, 1—3.
l^G Zur Stilkritik und Chronologie der christlichen Sarkophage.
raub Mattei (auch die männlichen haben Porträtköpfe, Hylas als die Hauptperson trägt
den bärtigen Kopf des Familienhauptes). Rhea am Endymionsarkophag Mattei, usf.
Hier ist auch ein athenischer Grabstein zu nennen, der Hilara, an welchem zwei Frauen
in unserer Frisur bei einer Herme stehen. Ein Sarkophag in Konstantinopel zeigt die
Verstorbene in Mamaeafrisur auf dem Sofa liegend, ein Dreibeintischchen vorsieh, zwischen
zwei Dienerinnen, deren eine ihr Früchte reicht, die andre musiziert; die Kleider-
falten sind wesentlich Bohrgänge, viele mit Endaugen, die des Mantels etwas plastischer;
der hohe Deckel ist als Gebälk behandelt, mit jonischem Epistyl, konvexem Fries,
Sims und Eckakroterien. — Von christlichen Sarkophagen ist mir als hierhingehörig
nur einer bekannt, der Eiefelsarg Rondanini, mit Gutem Hirten im rechten, Adorantin
im linken Endfeld, zentral die auf einem Pfeiler gestützt dem unter einer Sonnenuhr
sitzend lesenden Gatten zuhörende Ehefrau. Sein Auge liegt verdeckt wie das des
Caracalla [Abb. 9.].1)
Die Kaiserköpfe der Folgezeit zeigen fortgesetzt die erwähnte flache Bildung der
Haar- und Bartmasse mit eingespitzten kurzen Haarlinien; so Gordianus III (238),
Philippus sen. und Decius (bis 251). — Die Kaiserinnen, deren Reihe mit Tran-
quillina, Gemahlin Gordians III beginnt, führen das hinter die Ohren gestrichene, im
Nacken emporgehobene und geflochten am Hinterkopf hinauflaufende Schopfhaar bis
auf den Scheitel, so daß es bei Vorderansicht auf dem Scheitel sichtbar wird (sog.
Scheitelzopf). Marmorköpfe im Antiquario an Via Gregoriana, in den Uffizien und
sonst zeigen das Hinaufgehen des oft sehr breiten Zopfgeflechts; an früheren Stücken
geht es nur bis zum Wirbel, an späteren, wie gesagt, bis auf den Scheitel. Deutlich
zeigen letzteres die Münzen der kaiserlichen Damen, außer der Tranquillina auch der
Otacilia, Etruscilla usf. Der Scheitelzopf erhielt sich übrigens auch im vierten
Jahrhundert, wodurch denn die genauere Zeitbestimmung erschwert wird.2)
In das mittlere dritte Jahrhundert setzte Riegel auch den sog. Alexander-Severus-
Sarkophag des Kapitols; Altmann will ihn schon in den ersten Jahrzehnten desselben
Jahrhunderts entstanden wissen. Der Sarkophag bereitet besondere Schwierigkeiten.
Das Relief am Kasten weist in der Tat auf frühere Zeit; überdies findet Altmann
Anklänge sogar an Trajanisches. Der Deckel, an dessen Zugehörigkeit noch kein
Zweifel geäußert wurde, zeigt ein Ehepaar auf einer Matratze gelagert. Ihre Körper
sind, wie so oft an diesen Deckelfiguren, ungenügend, die Falten entfernt nicht mehr
so plastisch wie am Kasten; die Köpfe aber bestätigen Riegls Ansetzung: er hat das
ganz kurze Haar, sie den Scheitelzopf. Der Widerspruch zwischen Kasten und Deckel
J) Elagahals Frauen: Bernoulli Um 90 Münzt. 2, 13— 17. — Orbiana: eb. 106 Taf. 31.
Münzt. 3, 4—5. — Mamaea: eb. 108 Taf. 32. Münzt. 3, 6—7. — Paulina: eb. 119 Münzt. 3, 13.
— Genzano: Eob. III n n. 209. — Pentheailea: Eob. II n. 92. 96. 100. — Hylas: eb. Uli
139. — Ehea: eb. III n 60. — Hilara: Athen. Instituts phot. Gr. 360. — Konstantinopel:
Phot. Sebah n. 76 Sarcophage de Syrie. Es gab vielleicht keine Eeichskunst, aber es gab eine
Eeichsmode.
2) Kaiserköpfe: Bernoulli II m Taf. 38. 40. 46. Decius besser bei Eiegl, Spätröm.
Kunstind. 70 Fig. 9; aber diese wie eingehackte Haardarstellung verfolgt nicht „ farbig-optische"
Effekte, sondern will nur das nach der Mode über den Kamm (damals noch nicht wie heute mit
der Maschine) kurz geschorene Haar — in Marburg nennt man's Stiftekopp — wiedergeben. Nur
die Darstellung des hervorstehenden Härchens durch eine dunkel wirkende Vertiefung kann als
optischer Effekt gelten. — Tranquillina: Bernoulli II in 137 Münzt. 4, 3. — Otacilia: eb. 144
Taf. 43. 44. Münzt. 4, 6—7.
Italien (außer Ravenna). 177
wird sich mit der Formel lösen lassen, daß die ursprünglich nur abbozzierten Deckel-
figuren erst eine Generation nach der Fertigstellung des Kastens entsprechend der
späteren Mode ausgearbeitet wurden. Die Porträts sind nicht schlecht. — Auch der
Säulensarkophag Torlonia, mit Heraklestaten, hat Deckelfiguren; auch hier trug der
Mann Haar und Bart über den Kamm geschoren, sie den Scheitelzopf. — Denselben
Scheitelzopf trug Selene am Endymionsarkophag zu Woburn Abbey. — Hierhin gehört
die realistische Reoitatio im Lateran mit vier Männern und zwei Frauen, anscheinend
ein sepulkrales Relief: vor Parapetasma sitzt die Hauptperson in kurzem Haar und
Bart, zwischen zwei Matronen mit Scheitelzopf; im Hintergrund sind drei bärtige
Männer verteilt, in der Frisur teils noch der Antonine, teils des Aristides Rhetor. —
Endlich noch ein Grabstein aus Griechenland, der Nike: sie steht unter dem Bogen,
in hellenistischer Gewandung, mit Scheitelzopf.1)
Von christlichen Sarkophagen hat ein pisaner im Clipeus einen Männerkopf noch
mit plastischem Haar und Bart, dazu aber einen Frauenkopf mit Scheitelzopf. — Das
ganz kurze Haar trägt die Büste im Clipeus eines Fragments in San Callisto; daneben
Eros und Psyche und Guter Hirt [Abb. 11]. — Einen weiteren Beleg für den Scheitel-
zopf bietet die symmetrische Komposition Lat. n. 128: in der Mitte schaut das
realistische Porträt der Verstorbenen wie aus einem Fenster, an den Enden je eine
sitzend Musizierende, rechts im Korbstuhl mit Laute, links auf Stuhl mit Stier- oder
Füllhörnerbeinen mit Lyra. Die Verstorbene scheint noch die Mamaeafrisur zu tragen,
die Haartracht ihrer jüngeren Jahre, die jüngere Leierspielerin aber trägt den modischen
Scheitelzopf [Abb. 12].*)
In der zweiten Hälfte des Jahrhunderts erscheint vereinzelt immer noch einmal
plastische Haardarstellung, z. B. bei Gallienus (260). Aber seit Trebonianus Gallus
(251) leise aufdämmernd und allmählich zunehmend kommt eine neue Haartracht in
Mode. Das Haar wird ein geringes voller und vom Wirbel aus in die Stirn gekämmt,
hier aber gerade abgeschnitten. Auch ein kurzgeschnittener Bart bleibt stehen. So,
mit einigen Modifikationen (z. B. bei Postumus), geht es bis Licinius (307 — 324),
im Westen bis Konstantin (312). — Bei den Kaiserinnen herrscht der Scheitelzopf
fast ausnahmslos. — In der Reihe der heidnischen Skulpturen scheint hier wirklich
eine Lücke offen zu stehen, falls sich unter den Sarkophagen nicht doch noch Ein-
schlagendes findet.3)
Es bleibt uns danach übrig, an die christliche Skulptur die Frage zu richten, ob
sie vielleicht die Lücke in etwa zu schließen vermöge. Hier bietet sich nun der unter
der Tribuna der Paulskirche gefundene Sarkophag Lat. n. 55 an, eines der schönsten
christlichen Stücke. Man sehe nur, wie in der Erweckung des Lazarus der Christus, und
im Quellwunder der Moses nicht als Wundertäter dargestellt sind, sondern in feinerer
Auffassung Jesus die vertrauende Schwester des Verstorbenen tröstend, Moses mit
sprechender Handbewegung einladend, das Wasser des Lebens zu trinken. Wie aus-
l) Kapitol: Robert II n. 25. Heibig, Führer n. 432. Altmann, Archit. 108. — Torlonia:
Rob. III i n. 126 Taf. 36. 37 Coburgensis. Altmann 56 setzt auch ihn i. d. Anfang des Jahrhunderts.
— Woburn Abbey: Rob. III i n. 79, 1 Coburgensis. — Lateran: Museo profano, Saal I n. 16.
Benndorf-Schöne Taf. 17. Birt, Buchrolle 153 Abb. 87. — Nike: Athen. Instituts phot. Gr. 291.
8) Pisa: G 363, 3. — San Callisto: G 395, 3 (das Haar falsch wiedergegeben). Grousset
n. 48. Simelli n. 84; Barbier n. 31. — Lat. n. 128: G 359, 3.
•) Gallus: Bernoulli II in Münzt. 5, 1—2. — Licinius: eb. Münztafel 8, 12 — 13.
Sybel, Christliche Antike II. 12
178 Zur Stilkritik und Chronologie der christlichen Sarkophage.
drucksvoll ist die Silhouette des Christus in dieser Szene und in der Blindenheilung.
Dazu die Rückansichten des Moses oben und des Christus in der Blindenheilung. Wie
plastisch ist noch alles gestaltet; wie raumig ist es komponiert, so sehr, daß Riegl
diese Raumkunst, in der Pilatusgruppe, gar nicht mehr als „antik" anerkennen wollte,
sondern als Morgenröte der in der Spätantike sich ankündigenden Moderne — als ob
nicht schon die hellenistische Malerei den Raum dargestellt hätte. Die Porträts in
der Muschel bleiben noch im Charakter der Köpfe von Aristides Rhetor; und es sieht
aus, als hätte der Verstorbene, der in der Muschel den Ehrenplatz einnimmt, in
mehreren der biblischen Szenen den Heroen seine Züge geben lassen, dem Petrus und
dem Abraham oben, dem Moses und dem Lesenden unten, während die Züge der
beiden Muschelporträts auf die zwei Männer mit den Speisen, unten rechts, verteilt
scheinen. Die Interpretation hatte also Ursache, bei der Verrechnung der Köpfe
Vorsicht zu üben. Auffallend ist der jugendliche Kopf des Moses im Gesetzesempfang;
er hat das Haar in der neuen Art in die Stirn gekämmt, wie Pilatus und mehrere
seiner Begleiter, wie Daniel, wie drei der Bemützten. Soll man etwa in dem jugend-
lichen Moses auch ein Porträt vermuten? Mehreres spricht dafür, daß auch abgesehen
von altüberliefertem Gut wie Daniel die hier vereinigten Gruppen nicht Original-
schöpfungen sind; Riegl glaubte die Komposition der Mitte des dritten Jahrhunderts
vindizieren zu dürfen, die Arbeit des Exemplars aber einer um ein paar Jahrzehnte
späteren Zeit [Abb. 14].1)
Wenn bei dem zweistöckigen Säulensarkophag in den Grotten von Sankt Peter,
der im Jahr 359 zur Beisetzung des Stadtpräfekten Junius Bassus diente, von dieser
Beisetzung und der sie kündenden Inschrift als von einer sekundären abgesehen werden
darf, so erhält die Stilkritik freie Bahn. Sofort drängt sich die Beobachtung auf, daß
mehrere Szenen wie vom eben besprochenen Sarkophag aus Sankt Paul abgeschrieben
erscheinen, fast Wort für Wort, Opferverhinderung und Händewaschung, welch letztere
aber erweitert erscheint durch Jesus' Vorführung. Wir beachten die neuen Szenen,
Einzug und Maiestas, Petrus' Verhaftung und Paulus' Enthauptung. Die Gruppen-
komposition neigt beim Sündenfall zur starren Symmetrie, Garbe und Lamm der Zu-
weisung sind hinzugefügt. Die Säulen stehen frei vor der Wand, die Gestalten sind
höchstes Relief, fast Rundfiguren, noch im plastischen Sinne durchgeführt. Es ist
überwiegend Meißelarbeit, der Bohrer hat besonders im Ornament mit kleinen unaus-
geglichenen Löchern Drucker in die Schatten gesetzt, auch zwischen die Finger der
Hände in Aufsicht, und in der Gewandung einige Falten vertieft; dergleichen sieht
aus wie ein aufgestochener Kupferstich. Hiobs Frau hat das Haar verhüllt, über der
Stirn wird es ganz wenig sichtbar. Ich halte es nicht für ein um den Kopf geschlungenes
Tuch, was sie trägt, sondern für eine Art Spitzenhaube mit umgebundenem breitem
Band, ähnlich wie die der Veneranda im Katakombengemälde des vierten Jahrhunderts;
die vorn säumende Spitzenrüsche ist deutlich gegeben. Wegen dieser Haube braucht
der Sarkophag nicht erst im späteren vierten Jahrhundert gearbeitet zu sein, die Ge-
schichte der Spitzenhaube ist noch nicht geschrieben. Die bärtigen Köpfe stammen
von dem zuletzt an den Muschelbüsten von Lat. n. 55 beobachteten Typus. Der
Abrahams hat noch plastisches Haar, am Petrus ist das Kopfhaar schon recht abgeflacht,
bei Paulus der Bart kräftig lockig, das Kopfhaar nur eingespitzt, also ein Bild ähnlich
») Lat. n. 55: G 358, 3. Riegl, Spätröm. Kunstind. I 95 Fig. 23.
Italien (außer Ravenna). 179
dem sog. Pupienus des Louvre. Von anderem Schlag sind die Köpfe der zwei
Seligen in der Maiestas; der zur Linken des Christus trägt den vollhaarigen, wie
orientalisch anmutenden Typus, von dem oben die Rede war. Die bartlosen Köpfe
könnten auf die konstantinische und noch spätere Zeit zu weisen scheinen; aber die
Soldaten beweisen hierfür überhaupt nichts, und Pilatus beweist deshalb nichts für das
vierte Jahrhundert, weil sein Haar noch nicht in geschlossener Masse in die Stirn fällt,
sondern in getrennten spitzen Strähnen. De Waal vermutet in dem schönen Kopf des
Petrus das Porträt des Verstorbenen; dieser aber könnte unmöglich erst 859 gestorben
sein, vielmehr muß er bald nach 250 das Zeitliche gesegnet haben. Dann dürfen wir
aber weiter fragen, ob nicht der Paulus den Kopf eines Angehörigen trägt. Wären
das Vorfahren des 359 gestorbenen Junius Bassus, so würde sich die Wiederbenutzung
des Prachtsargs für ihn am einfachsten erklären. Riegl und de Waal machen — aller-
dings in verschiedener Absicht — auf schlimme Einzelheiten aufmerksam, wie den
umfallenden Petrus, die monströse Eselin; man könnte noch anderes, z. B. den miß-
ratenen Kopf des Assessors hinzufügen. Aber wir kennen die Skulptur des dritten
Jahrhunderts viel zu wenig, um sagen zu dürfen, so schlimme Dinge seien ihr nicht
zuzutrauen [Abb. 18].1)
Wir können nur tastend vorgehen. Es gilt weniger, Daten vorzuschlagen, als
die Kriterien zu sammeln und zu sichten.
Die letzten Jahrzehnte des Zeitraums, etwa die Regierungsjahre Diokletians
(284 — 305) umfassend, haben vielleicht einige Denkmäler hinterlassen. Der Meleager
am Sarkophag von Trinitä la Cava trägt einen Porträtkopf mit dem nur eingespitzten
Haar- und Barthaar; Robert vergleicht die Münzbilder des Carausius (287 — 293) und
Constantius Chlorus (305 — 306). Das Künstlerische, die Skulptur, des Sarkophags
steht auf ähnlicher Stufe wie am Meleagersarkophag des Konservatorenpalasts im Fond
des oberen Ganges. Natürlich liegt auch diesem ältere Kunst zugrunde; daher stammen
auch die vollhaarigen bärtigen Köpfe. Aber alle Figuren sind mehr in die Fläche
ausgebreitet, übel ist das Verhältnis der Reiter zu den andern Figuren, die Pferde
sind in der Proportion mißraten. Der Bohrer hat die Ausführung übernommen, harte
Bohrgänge umzeichnen die Figuren (wie übrigens schon am Julierdenkmal zu S. Remy),
gerade auch bei Überschneidungen, und zeichnen die Falten, in kurzen Haken, Strichen
und Punkten, zeichnen das Haar der Menschen und das Fell der Tiere. Die Deckel-
figuren erinnern an schlechte etruskische; das hübsche Motiv der zum Manne auf-
blickenden Lautenschlägerin leidet unter dem Ungeschick. Da die zwei Köpfe nur abbozziert
sind, kann man die Haartracht nicht scharf bestimmen. Jedenfalls trägt sie die seit
Mamaea übliche Frisur, aber es bleibt undeutlich, ob das Zopfende bis auf den Scheitel
reicht. Er hat deutlich in die Stirn gekämmtes Haar; man möchte das Gesicht für
bartlos halten, doch könnte der Bildhauer den modischen ganz kurzen Bart noch
herausholen.2)
x) G 322, 2—4. Grisar, Rom. Quart. 1896 Taf. 5—6. Riegl, Spätröm. Kunstind. 93. de Waal,
Sark. d. Junius Bassus 1900. Rom. Quartalschr. 1907, 116. — Vgl. das Bruchstück Wittig, Campo
santo 96 n. 52 Abb. 40.
2) Trinitä la Cava: Rob. III n n. 240. — Carausius: Bernoulli II in 199 Münzt. 7, 10.
Chlorus: eb. Münzt. 7, 13—16. — Conservatori: Rob. III n n. 221. Heibig, Führer I n. 578.
Riegl, Spätröm. Kunstind. I 76. Altmann, Archit. 110. — Vgl. noch die Meleagersarkophage von
Salerno und Autun Rob. III ii n. 239. 219.
12*
180 Zur Stilkritik und Chronologie der christlichen Sarkophage.
In Diokletians Zeit würden dann auch die späteren Säulensarkophage gehören,
die mit Kolonnaden, wie der londoner Musensarkophag, und die mit Tabernakeln, wie
die von Selefkieh und Eski Bedestan. Die bärtigen Köpfe an der einen Schmalseite
des Sargs von Selefkieh, der mittlere sogar mit Spitzbart, werden auf Werkstatt-
überlieferung beruhen; sie können nicht wohl Porträts der im Sarg Beigesetzten sein.
Oder wollte jemand den Sarkophag der Antoninenzeit zuschreiben?1)
Einen festen Punkt besitzen wir für die Spätzeit Diokletians, nämlich für das
Jahr 303 — 304 in den Reliefs der Säulenbasis, die jetzt auf dem Forum, östlich von
den „Rostra Vandalicia" liegt. Die Basis ist auf allen vier Seiten skulpiert, nach
Norden liegt (vornübergeneigt) die Front mit der auf den Rundschild eines Tropaion
gesetzten Inschrift Caesarum decennalia feliciter] die Rückseite zeigt eine Opferszene,
an den Nebenseiten sieht man einerseits einen Zug Senatoren, andrerseits die Hostien
Stier, Widder und Schwein. Die Figuren der Opferszene blicken natürlich nach dem
Altar, die meisten jedoch wenden im übrigen ihre breite Seite dem Beschauer zu. Die
Relieferhebung ist gering, im Hintergrund gleich Null. Die noch eben leidlich ent-
worfenen Falten sind mit dem laufenden Bohrer gearbeitet, der auch alle Umrisse
umfahren hat; die ganz flachen Hintergrundfiguren, besonders die Trophäen hinter den
Victorien der Frontseite, hat überhaupt nur der Bohrer gezeichnet. Einzelne Männer
tragen noch Bart, der Kopf des spendenden Caesars ist leider abgeschlagen [Abb. 20].2)
Der spätere der zwei Adonissarkophage des Lateran (im ersten Saal), nach einem
Vorbild des zweiten Jahrhunderts gearbeitet, hat manches von der früheren plastischen
Art bewahrt. Aber die Spätzeit verrät sich unverkennbar, in den schlechten Propor-
tionen insbesondere des Pferdes, in der Minderung des plastischen Gefühls bis zu der
Eingesunkenheit, wie sie Riegl an den Figuren am linken Ende feststellte; endlich in
den geometrisch gezeichneten und völlig unplastisch nur durch Bohrerläufe hergestellten
Falten. Da sind wir allerdings schon ganz nahe an die konstantinische Kunst heran-
gekommen. Man sieht nicht mehr Falten, sondern Schlitze, z. B. der hängende Mantel-
zipfel des Adonis sieht aus wie durchbrochene Arbeit, Gitterwerk. Dieser Wechsel
von Licht und Schatten war aber doch wohl kein „Kunstwollen". — Der Hippolytos-
sarkophag aus Salona, im Museum zu Spalato, nach einem Exemplar von der Art des
im Louvre (Rob. III II n. 161) kopiert, ist in der linken Hälfte der Komposition
sehr ähnlich derjenigen des eben besprochenen Adonissarkophags. Es wiederholen sich
dieselben Erscheinungen, aber vermehrt um einige neue. Zerfall der Komposition in
eine lockere Aneinanderreihung hier noch paarweis zusammengefasster Figuren wieder
in freierem Grund; schlechte Proportionen, die nun überdies eine Neigung zu unter-
setzter Figur verraten; flächigere Darstellung; geometrisch gezeichnete Falten der
Gewänder und des Parapetasma; ihre Ausführung in harten Bohrgängen; schräges
Unterschneiden der Figuren an ihrer Peripherie.8)
Christliche Sarkophage. In die Zeit Diokletians möchte ich ein Deckelrelief des
deutschen Campo santo stellen, das zwischen zwei Jonasszenen vor einem von Eroten
gehaltenen Parapetasma in Rumpf bildern eine Familie bringt, Mann, Frau und Kind.
J) Selefkieh: Strzygowski, Orient 57 Abb. 21.
*) O. Jahn, Sachs. Ges. Ber. 1868, 195 Taf. 4. CIL VI n. 1203. Matz-Duhn III n. 3629.
Hülsen Rom. Mitteil. 1893, 281. Riegl, Spätröm. Kunstind. I 81 Fig. 18. 19.
8) Adonis: Robert Uli n. 19. Riegl, Spätröm. Kunstind. 77 Fig. 15. Altmann, Archit.
112, 1. — Hippolytos: Rob. III n n. 163. Riegl 80 Fig. 17. Altmann 111.
Italien (außer Ravenna). 181
Die Frau trägt nicht ein Haarnetz, sondern einen stattlichen Scheitelzopf, der Mann
hat das schlichte Haar in die Stirn gekämmt und gerade abgeschnitten, den ganz
kurzen Bart deutet nur eingespitztes Gestrichel an. Mutter und Kind haben aus-
gesprochene Familienähnlichkeit. Das Relief ist flach und nur mit dem Meißel gemacht.
Das Stück gehört weder in das spätere vierte oder gar das fünfte Jahrhundert noch
in das volle dritte, sondern in den Übergang vom dritten zum vierten [Abb. 13].
Der Prachtsarg Lat. n. 174, seine glänzende Barockarchitektur und die Hochreliefs
dazwischen mit ihren, in der Hauptsache gemeißelten Falten könnten auf früheren Ur-
sprung schließen lassen. Aber die ganze auf drei Nischen verteilte Mittelszene warnt
vor zu früher Ansetzung. Auch vergleiche man die Endszenen mit den entsprechenden
an Lat. n. 55; der Isaak kniet dort neben dem Altar, hier auf ihm; der dort so künst-
lerisch durchdachte schräggesetzte Pilatus ist hier mit dem Diener in die Frontstellung
gedreht. Dazu das in die Stirn gekämmte Haar. Andrerseits scheint die Arbeit, auch
der Schmalseiten, noch zu gut, um über Diokletian herabzugehen. Freilich ist die
Arbeit ungleich; der Paulus z. B. zeigt eine merkmürdig flaue Faltengebung, dergleichen
allerdings weiterhin mehr begegnet. Wenn man bei den weinumrankten Säulen denken
könnte, sie seien von den in der konstantinischen Peterskirche aufgestellten abhängig,
so spricht hiergegen einmal, daß letztere gewunden waren, dann aber, daß weinumrankte
Säulen schon viel früher vorkommen; ein Bruchstück fand sich in Pompeji, und ein
am Hateriergrab dargestellter Tempel hat eine Vorhalle von eben solchen Säulen.
Die Architekturbilder an den Schmalseiten besprechen wir später (sie enthalten keine
mehrschiffige Basilika). Das Christusmonogramm auf der Eotunde links scheint für
Konstantin zu entscheiden; aber das Alter des Monogramms steht doch selbst noch in
Frage [Abb. 19]. Vergleicht man dies christliche Prachtstück mit den letztbesprochenen
heidnischen Sarkophagen, so möchte man stutzend fragen, ob so verschiedene Arbeiten
gleichzeitig entstanden sein können. Man prüfe daher von neuem, ob nicht der christ-
liche Sarg trotz seines Monogramms etwas zurückzuschieben, der Adonissarkophag aber,
um nur diesen einen herauszugreifen, in die konstantinische Zeit selbst hinabzurücken sei.1)
Konstantin (306 — 337) behält das in die Stirn gekämmte Haar, trägt aber
keinen Bart; ebenso seine Nachfolger, mit Ausnahme des Julian (361 — 363) und etlicher
ephemerer Nebenkaiser, wie Nepotianus und Vetranio (350), Eugenius (392),
Johannes (425). — Die ältere Helena, Gemahlin des Constantius Chlorus und Mutter
des großen Konstantin (Augusta 306 — 328) erscheint auf den ihr zugeteilten Gold-
münzen mit Scheitelzopf; eine Schleife oder Schlinge bildend legt er sich nach vorn
über das Diadem. Konstantins Gemahlin Fausta zog es vor, statt den Schopf zu
flechten, ihn nur um sich selbst zu drehen und dies Haargewinde am Hinterkopf nach
dem Scheitel hinaufzulegen, das Ende wieder in eine Schleife gebogen. Dieselben
Kaiserinnen, Helena und Fausta, trugen gelegentlich auch den Schopf im Nacken
zu einem Knäufchen zusammengedreht. Endlich sehen wir Helena noch in einer
dritten Frisur. Das Haar ist umschlossen von etwas Breitem; Cohen und Poole er-
klären es für ein breites Band, das ein engerer, daher einschneidender Kranz umfasse,
während Bernoulli eine breite Flechte erkennen will; ich gestehe, die hinten und noch
stärker auf dem Scheitel sich verbreiternde Form weder als Band noch als Zopf recht
») Campo santo: de Waal, Rom. Quartalschr. 1890, 63 Taf. 3, 2. Wittig, Campo santo
n. 19 Taf. 3. — Lat. n. 174: G 323, 4—6. Riegl, Spätröm. Kunstind. 98 Abb. 25.
182 Zur Stilkritik und Chronologie der christlichen Sarkophage.
zu begreifen. Sollte es sich bei Helena wirklich um einen umgelegten Doppelzopf
handeln, so wäre die kapitolinische „Agrippina" heranzuziehen, die Heibig für anto-
ninisch hält; Bernoulli sagt, die Haartracht sei gegen Trajans Zeit üblich gewesen, was
dort aber an Zöpfen vorkommt, ist anders gelegt. Ein verwandt aussehender Haar-
schmuck der Faust a gleicht schon eher einem Band, hat aber ebenfalls die Einkerbung,
nur auf dem Scheitel. Vereinzelt hat Fausta den Zopf auf dem Wirbel zu einem Nest
aufgewickelt. — Mit Helena, Theodora und Fausta beschließt Bernoulli die Reihe der
Kaiserinnenköpfe seiner römischen Ikonographie. Doch möchte man weiter vordringen;
uns kommt es dabei nur auf die Frisuren an. Da wird aber ein Mangel sehr empfindlich,
der an Büsten; solche geben Vorder-, Profil- und Rückansicht, die Münzen dagegen,
auf die wir fortan allein angewiesen sind, nur das Profil. Zunächst ist festzustellen,
daß wir von der jüngeren Helena, Julians Gemahlin, absehen müssen; die Köpfe
mit den Beischriften „Deae Sanc. Cereri" und „Isis Faria", die Cohen ihr zuteilt und
von deren einigen er sagt, sie stellten die Göttin mit den Zügen der Helena dar, tragen
sämtlich Idealfrisuren nach Vorbildern der klassischen Blütezeit. In Modefrisur und
zwar durchaus mit Scheitelzopf stellen sich vier Kaiserinnen dar: Flaccilla, TheodosiusI
Gemahlin (379— 383), Galla Placidia (Augusta 421), Honoria (A. 433), Euphemia
(A. 467). Mehr vermögen wir nicht zu sagen. Licinia Eudoxia, vermählt mit
Valentinian 437, erscheint in Vorderansicht mit dem typischen gewellten Stirnhaar und
seitlich hängendem Haar in allzu schematischer Zeichnung, um genaueres erschließen
zu können.1)
Ein amtliches und datiertes Denkmal der Kunst aus Konstantins Zeit ist der
Triumphbogen, den ihm nach seinem Sieg über Maxentius am Ponte Molle (312) Senat
und Volk 315 errichtete. Konstantin hatte im Banne der herrschenden Superstition
das Christusmonogramm auf die Schilde seiner Soldaten gesetzt; weshalb ihn die In-
schrift des Bogens nicht bloß mentis magnitudine, sondern auch instinctu divinitatis den
Sieg erringen läßt. Hier zuerst spricht heidnische und christliche Antike aus einem
und demselben offiziellen Monument uns an, und die heidnische bereitet sich, vor der
christlichen die Fahne zu senken, damit das Altertum zu der kulturellen und politischen
Einheit, die es bereits besaß, auch die religiöse gewinne und damit seinen Lauf
vollende.2)
Konstantinisch sind an dem Bogen nur die Reliefs der unteren Teile des Außen-
baues: an den hohen Postamenten der Säulen und in den Bogenzwickeln, ferner der
x) Konstantin: Bernoulli II in 211 Münzt. 8, 15—19. — Julian: Cohen 8VIII 47, 35 und
weiterhin (51, 63 mit Halsbart; Münzbilder wie dieses machen es vielleicht begreiflich, daß Köpfe
des fünften vorchristlichen Jahrhunderts in alter oder neuer Zeit auf Julian bezogen werden konnten,
dergleichen die kapitolinische Herme mit der Inschrift ianus inpeator erlebte; dies als Nachtrag zu
Band I 151). — Nepotian: Cohen 2VIII 1, 1. 2,2. Vetranio: eb. 5, 7. 8. Eugenius: eb. 172, 1.
Johannes: eb. 208, 3. 4. — Helena mit Scheitelzopf: Cohen 2VII 96, 10. 97, 11. Bernoulli II m
201 Münzt. 8, 2. Fausta mit Haargewinde: Cohen 334, 4. Bernoulli 231 Münzt. 9, 1. Helena
und Fausta mit Knäufchen: Cohen 97, 14. 335, 5. 336, 13. 338, 25. Bernoulli Münzt. 9, 2.
Helena mit umgelegtem Band oder Zopf: Cohen 95, 4. 96, 7. Poole 83 Taf. 56, 4. Bernoulli,
Münzt. 8, 1. „Agrippina*: Heibig, Führer n. 468. Bernoulli II i 245 Fig. 44. Fausta mit
umgelegtem Band: Cohen 337, 23. Fausta mit Nest: Cohen 337, 22. — Helena junior: Cohen
VHI 67—72. — Flaccilla: Cohen VIII 164, 1. 165, 6. Placidia: eb. 194, 1. 3. 195, 7. 196, 10.
197, 14. Honoria: 219, 1. Euphemia: 234, 1. — Eudoxia: eb. 218, 1. 2.
a) Konstantin: Benjamin bei Pauly-Wissowa IV 1013.
Italien (außer Ravenna). 183
über den Nebenbögen und in gleicher Höhe außen herumlaufende Fries, nebst den
zwei Medaillons über dem Ost- und Westfries. Die oberen Reliefs und die zwei großen
im mittleren Torweg sind von älteren Denkmälern entlehnt. Diese Verteilung macht
den Eindruck, als habe beim Beginne des Aufbaues die Absicht bestanden, alles aus
eigenen Mitteln zu bestreiten, daß aber während der Arbeit der Entschluß reifte, viel-
leicht auch um rascher zum Ziele zu kommen, fremdes Gut nutzbar zu machen. Die
konstantinischen Rundbilder der Schmalseiten sind in ihrer Form und Größe durch
die entlehnten der Langseiten angeregt, ihren Inhalt, Sol und Luna, entnahmen sie
klassischen Vorbildern.1)
Die Reliefs der Säulenpostamente hatte man ursprünglich nicht so unmittelbar
vor dem Auge wie jetzt; die Sockel der vier mächtigen Torpfeiler sind verschüttet.
Die Viktorien, um nur von diesen zu reden, haben recht kräftiges Relief; um einen
Grad kräftiger plastisch sind die der Südseite, etwas minder die der Nordseite, von
dort zu hier ist ein fühlbarer Abfall. Die Flügel der Siegesgöttinnen der Südseite stehen
parallel, an der Nordseite symmetrisch; dort ist mehr freie Bewegung, hier breitet sich
die Gestalt mehr in der Fläche aus. Im Gewand ist an der Südseite mehr Massen-
gliederung, nicht bloß in dem plastischer behandelten Mantel, dessen Überfallwulst
kräftig auslädt, sondern auch am Kleid, besonders am linken Unterbein; die Falten
am Leib, bei aller Linienmanier der Darstellung, sind mehr im Sinne der Massen-
verteilung behandelt, während an der Nordseite das Gestrichel gleichmäßig über die
Fläche hingehend einen ähnlich flauen Eindruck macht, wie am Paulus des Sarkophags
Lat. n. 174. — Die Flußgötter und Viktorien der Zwickel braucht man nur mit denen
am Bogen des Septimius Severus zu vergleichen, um den starken Rückgang zu er-
messen; man sehe nur die wie ausgesägten Beine, die teils in Kreislinien, teils in Geraden
geometrisierten Falten, von der unlebendigen Modellierung des Nackten und der Be-
handlung des Kopfes nicht erst zu reden.
Die zwei Südfriese zeigen, weil an der Außenfront, Kriegsbilder, links die Be-
lagerung von Verona, rechts die Schlacht am Pons Milvius. An den Schmalseiten
sieht man militärische Züge, an der Nordseite links den Kaiser auf den Rostra, rechts
denselben das Congiarium spendend. Bei den Kriegsbildern wollen wir hier nicht ver-
weilen, die Schlacht am Ponte Molle wird uns weiterhin beschäftigen. Die Zermonien-
bilder sind uns in mehr als einer Beziehung interessant. Im Hintergrund der Forums-
szene erheben sich ähnlich wie an den trajanischen Balustraden die umliegenden Ge-
bäude, links Basilica Julia und Bogen des Tiberius, rechts der des Septimius Severus.
Beide Bilder sind streng symmetrisch komponiert, auf dem einen steht der Kaiser in
der Mitte der Rostrafront, im andern sitzt er frontal auf hohem Suggestus vor einem
Gebäude, das über den Köpfen der um das Bema sich drängenden Menge sich in einer
Reihe von Logen öffnet; man hat mit ihm schon öfter den thronenden Christus ver-
glichen; auch an die adorierende und zum Empfang der Spende Hand und Mantel-
bausch hebende Menge erinnert manches christliche Bild [Abb. 21]. — Nun der Stil
der Skulptur. Der Kopf des Kaisers ist (in beiden Bildern) abgeschlagen, spätere
Ignoranz hat den Begründer der politischen Kirche wohl für einen schlimmen Heiden
gehalten, was freilich in sich kein Widerspruch wäre. Die übrigen Köpfe sind gut
*) Konstantinsbogen: Richter, Topographie von Rom 173. — Reliefs: Venturi, Storia
deü' arte italiana I 1901 Fig. 26—38. Strong, Roman sculpture 1907 pl. 102—104.
184 Zur Stilkritik und Chronologie der christlichen Sarkophage.
erhalten und Vertreter der Zeittracht; daß mehrere Männer noch Barte tragen, kurz-
geschnittene natürlich, darf um diese Zeit nicht wundernehmen. Übrigens ist auch
sonst allerlei Abwechslung wie in die Figuren, so auch in die Köpfe gebracht, einzelne
haben etwas Individuelles. An dem Kaiser und seiner bürgerlichen Umgebung erscheint
zum ersten Male die toga contabulata, konventionell auch trabea oder laena genannt.
Alle Sarkophage, deren Porträtbüsten diese Tracht angelegt haben, sind konstantinisch
oder später. Aus den datierten Elfenbeinreliefs, die unten zur Besprechung kommen,
ermittelte Graeven die Entwicklungsgeschichte der Tracht. Die Tragweise A, im vierten
Jahrhundert üblich, findet sich an G 304, 1 des Catervius. 338, 4 der Hydria, zu
Arles. 357, 2. 361, 1 aus Villa Ludovisi. 364, 2 [Abb. 38]. 365, 1 der Adelfia, zu
Syrakus. 366, 1. 366, 2. 366, 3. 367, 1. 367, 2. 367, 3. 394, 8. 402, 3. 402, 4. 403, 1.
Die Tragweise B, Anfang des fünften Jahrhunderts, finde ich vorläufig nur an G 384, 3.
Tracht C, mittleres fünftes Jahrhundert, an G 296, 4. 365, 2 [Abb. 37]. Für Tracht D,
Ende des fünften, und E, sechstes Jahrhundert, finde ich an Sarkophagen keine Bei-
spiele ; die römische Sarkophagskulptur hatte damals für Träger der Trabea nichts mehr
zu tun. Die unbedingt erforderliche Nachprüfung des Punktes an den Originalen, die
mir nicht mehr möglich war, muß ich den Archäologen in Rom überlassen. In der
Proportion sind die Gestalten zu kurz geraten, zu untersetzt; ihrer Gebärdung sieht man
wohl an, was der Künstler im Sinne hatte, aber es ist kindisch herausgebracht, deutlich,
aber formlos. Dazu hat das Relief alle Plastik eingebüßt, die Figuren sind „in die
Fläche gequetscht", dafür aber ihre Ränder unterschnitten. Die Falten sind nur in
Bohrlinien eingezeichnet.1)
Die Ägypter hatten in der Pyramidenzeit sorgfältig echte Reliefs gearbeitet, in-
dem sie um die Figuren den Grund wegmeißelten und sie selbst nach bestem Wissen
modellierten; später aber, als sie die unermeßliche Oberfläche der Pylonen und Tempel-
wände mit Schildereien überdeckten, begnügten sie sich, die schwach modellierten Figuren
nur zu umschneiden, indem sie den umgebenden Stein stehen ließen (relief dans le creux).
Es galt Erleichterung der Arbeit, flottes Erledigen. Dabei aber ergab sich, unbewußt,
daß die Oberfläche der Wand im ganzen intakt blieb, die nicht so sehr herausgehauenen
als bloß hineingezeichneten Figuren mehr als Flächenbild wirkten, wie eine leicht
darübergeworfene Stickerei, so meinte Gottfried Semper. — Die griechischen Bildhauer
fingen mit flächigem Relief an, holten die Figur aus dem Stein, ohne sie recht zu runden;
im wesentlichen diente die Oberfläche des Rohblocks als Vorderfläche der wie bloß
ausgesägten Figur. Mit der Zeit lernten sie die Figuren von der Rohblockform des
Steins emanzipieren, runden; eine hohe Freiheit gewannen die Bildhauer schon an den
Parthenonskulpturen, die weitestgehende aber in der hellenistischen Blüte. Im Verlauf
der Kaiserzeit führte der Niedergang des plastischen Vermögens zu dem, was in den
konstantinischen Friesen vorliegt, zum Rückfall in die flächige Behandlung; wieder gab
die Wandfläche die Vorderfläche der Figuren ab.
Diese Figuren wurden nun an ihrem Rande herum unterschnitten, ein letzter
Versuch, den in die Fläche zurückgeschnellten Figuren Körperlichkeit zu erhalten. Die
Friese zeigen aber auch, in welcher Art Skulptur es zu diesem Verfahren kam, aus-
schließlich nämlich im Hoch- und Vollrelief, demselben, das von der Sarkophagskulptur,
der heidnischen und der christlichen, so bevorzugt wurde; da hatte man ja immer die
*) Congiarium: Hultsch bei Pauly-Wissowa IV 875.
Italien (außer Kavenna). 185
Ränder der Figuren, indem man sie rundete, unterschnitten. Das ging die Reliefs
geringer Erhebung nichts an, sie gaben keinen Anlaß zum Unterschneiden der Ränder;
von dem letzten Prozeß blieben sie unberührt und gingen ihren gewohnten Weg weiter.
Daraus folgt, daß die konstantinischen Friese allerdings einen Markstein in der Geschichte
des antiken Reliefs bedeuten, aber nicht fiir jede Art desselben, sondern eben nur fiir
das Hoch- und Vollrelief.
Die christlichen Archäologen haben lange gezögert, die konstantinischen Friese
als Markstein zu verwerten, erst Wittig gedachte damit Ernst zu machen. Nun aber
hat ein Kenner der römischen Denkmäler wie Hülsen vor Überschätzung der Friese
als Wertmesser gewarnt. „Man tut den ersten Dezennien des vierten Jahrhunderts
unrecht, wenn man ihr Können immer und hauptsächlich nach den aus jener Zeit
stammenden Teilen des Konstantinbogens beurteilt, für deren große Roheit die eilfertige
Herstellung des Monuments eine gewisse Entschuldigung bietet. Zur Vorsicht sollte
es mahnen, daß ein Kolossalkopf, den Petersen neuerdings als Porträt Konstantins
erkannt hat, lange Zeit als ein Werk des ersten Jahrhunderts, als ein Porträt des
Domitian oder sogar des Augustus gelten konnte." Mit diesen Sätzen will Hülsen
rechtfertigen, daß er das Curtiusrelief (im Treppenhaus des Conservatorenpalastes) der
diokletianischen Forumsrestauration zuschreibt; er denkt es als Kopie eines älteren,
vielleicht unscheinbar und ersatzbedürftig gewordenen Originals. „Die Kunstübung
war in Rom nicht so weit gesunken, um nicht noch eine gute Kopie eines älteren
Bildwerks zu liefern." Ich stimme Hülsen völlig darin bei, daß in dem Curtiusrelief
eine Skulptur aus den ersten Jahrzehnten des vierten Jahrhunderts zu erkennen sei.
Dabei lasse ich die Frage, ob Original oder Kopie, ganz außer Betracht; so wie es
vorliegt, ist's in der Zeichnung jedenfalls ein echtes Kind dieser Zeit, zunächst der
inhaltlich verwandten Schlacht bei Ponte Molle zu vergleichen. Soweit also würde die
Autorität der konstantinischen Friese durch das Curtiusrelief nicht so sehr erschüttert,
eher fast bestätigt. Im übrigen bleibt zu beachten, daß wir es beim Curtius nicht mit
einem in die Fläche zurückgeschnellten Hochrelief sondern mit einem Basrelief zu tun
haben, wie man sie — wir stellten das soeben fest — auch im vierten Jahrhundert
fortfuhr zu meißeln; hierauf beruht die von Hülsen betonte als verhältnismäßig gut an-
sprechende Arbeit [Abb. 24].1)
Die statuarischen Denkmäler der Zeit Konstantins sind für uns, die wir es wesent-
lich mit Reliefs zu tun haben, minder wichtig, vollends Panzerstatuen wie die in der
Vorhalle der Lateransbasilika und am Kapitolsplatz; nur auf die Gewandstatuen sei
hingewiesen, vor allem auf die zwei die Mappa hebenden Magistrate im Konservatoren-
palast. Bemerkenswert ist auch an den Statuen die flächige Darstellung; dazu kommt
das eckige Armheben in der Ebene des Körpers. Neigung zu flächiger Darstellung
zeigte sich schon etwas früher; ein Beispiel ist das Sepulkralrelief im zweiten Saal der
Galeria Borghese, n. 188, eine Frau zwischen zwei Männern in ganzen Figuren und
in vollem Relief, frontal gestellt analog den frontalen Sepulkralbüsten.
Demnach haben wir zu unterscheiden zwischen einer zum Flächenhaften neigenden
statuarischen Plastik und einem in die Fläche zurückfallenden Hochrelief mit rings
unterschnittenen Figuren, endlich dem fortdauernden gewöhnlichen Basrelief. Ob das
*) Relief des Konservatorenpalastes: Heibig, Führer n. 563. Strong, Roman sculpture
Taf. 101. Hülsen, Rom. Mitteil. 1902, 328.
186 Zur Stilkritik und Chronologie der christlichen Sarkophage.
Hochrelief neben der neuen Kückfallform nicht auch die echte den Körper rundende
Art weitererhielt, bleibt die Frage.1)
Die staatliche Anerkennung des Christentums stellte es auf eine breitere Basis,
Wenn auch vorher schon zahlreiche Glieder der mittleren und oberen Stände sich
hatten tauchen lassen, so fielen nun doch für noch weit mehrere die Bedenken weg, von
denen sie sich bisher zurückhalten ließen; noch mehr, bei der neuen Sachlage empfahl
die Klugheit, den vorher nicht unbedenklichen Schritt jetzt zu tun. Daß der Bedarf
an christlichen Sarkophagen eine Steigerung erfahren mußte, gleichlaufend dem Rück-
gang in der Nachfrage nach heidnischen, liegt auf der Hand.
Mit dem Massenübertritt aber mußte notwendig eine Änderung im Charakter
des Christentums eintreten, heidnische Anschauungen und Gebräuche gingen mit hinüber,
dies um so leichter, als Heidentum und Christentum im letzten Grunde auf demselben
Boden der Antike standen. Auch an der christlichen Kunst hat man im vierten Jahr-
hundert eine Zunahme der heidnischen Elemente zu bemerken geglaubt, in dem Maße,
daß man von einer „Renaissance der Antike" (der heidnischen) sprechen zu dürfen
meinte. Die Bezeichnung ist kaum am Platze; denn es handelte sich nicht um Wieder-
geburt einer gesunkenen Kunst durch Zurückgreifen auf die Vorbilder einer größeren
Vergangenheit. Tatsächlich hat eine Erneuerung gar nicht stattgefunden, sondern die
plastische Kunst ging immerzu nieder. Was sich zutrug, war nichts weiter, als daß
jetzt die Masse, vor allem der Höhergestellten, übertrat und sich hinfort unter Inne-
haltung der Formen des christlichen Ritus bestatten ließ; die Bildhauerwerkstätten,
welche bisher für diese Familien gearbeitet hatten, fuhren fort, ihnen die benötigten
Sarkophage zu liefern, sofern man nicht vorzog, ältere Stücke in Wiederbenutzung zu
nehmen. Man muß richtig vergleichen; die neuen christlichen Sarkophage, die mit den
vermehrten heidnischen Elementen, muß man nicht mit den früherchristlichen ver-
gleichen, sondern mit der Gesamtheit der früheren antiken Särge, der christlichen und
der heidnischen; so wird man erkennen, daß der Strom ruhig weiterfließt, nur gegen-
ständlich ein wenig verändert durch die neue Religion, im künstlerischen jedoch un-
verändert; er fließt so weiter, freilich mehr und mehr ebbend.
Ist denn aber die Tatsache richtig beobachtet? Die Statistik der heidnischen
Elemente in der altchristlichen Kunst, und ihrer Verteilung in deren Epochen, wird
man erst aufstellen können, wenn die Chronologie der Denkmäler feststeht.
*) Konstantin in Statuen und Köpfen: Bernoulli a. a. O. 216. Petersen, Dissertazioni
della Pontificia Accedemia romana 1899. — Magistrate: Heibig, Führer n. 583. 584. Strong,
Eoman sculpture Taf. 129. — Immerhin sei hier der Wunsch ausgesprochen, daß auch die männ-
lichen Gewandstatuen durch die Kaiserzeit einmal verfolgt würden, ähnlich wie Hekler in den
Münchn. archäol. Stud. 1906 für die weiblichen tat. Hekler gelangt auf seinem Wege bis ins
vierte Jahrhundert, wo die Reihe erlischt; als letzte Stücke führt er auf: Poggio imperiale Dütschke
n. 94. EA n. 296 und Uffizi Dütschke n. 209. Amelung n. 97. EA n. 356, zwei „ganz wüste
Figuren*. Dann sagt er: „Was an Kunst nun noch kam, war nicht mehr antik, etwas ganz anderes,
kraftloser, kleinlicher, kümmerlicher, weil keine selbständige Erfindungskraft da war, kein frisches
Formgefühl. An den frühchristlichen Sarkophagreliefs tauchen noch Erinnerungen aus der antiken
Formenwelt auf." Das letzte sagt zu wenig; denn in den altchristlichen Sarkophagen leben wir
noch ganz in der antiken Formenwelt. Das Erste aber sagt zu viel; denn das Spätere ist keines-
wegs etwas ganz anderes. Wenn keine selbständige Erfindungskraft da war, so konnte auch nicht
ein neues, anderes entstehen; das Kraftlose, Kleinliche, Kümmerliche ist bloß Niedergang, nicht
Neugeburt. Auch die niedergehende Spätantike ist Antike, ihr letztes Verglimmen.
Italien (außer Ravenna). 187
Um nun die christlichen Sarkophage des vierten Jahrhunderts, insbesondere der
konstantinischen und nachkonstantinischen Zeit, erkennen zu können, müssen wir uns
nach geeigneten Kriterien umsehen. Vielleicht empfiehlt es sich, die Sarkophage
klassenweise vorzunehmen, zunächst also die geriefelten. Unsere erste Frage geht
wieder nach Porträts der Verstorbenen und ihrer Angehörigen. Die Männer sind im
allgemeinen bartlos und lassen das Haar kurzgeschnitten in die Stirn fallen, sie tragen
die kontabulierte Toga, einer die Chlamys der Offiziere. Der Ehesarkophag des
Aurelius Theodorus und der Varia Octaviana, aus Villa Ludovisi, von dem man an-
nimmt, daß er christlich sei, eröffne die Reihe. Theodorus trägt die kontabulierte Toga,
in die Stirn gekämmtes Haar, dazu noch einen kurzen Bart, sie den Scheitelzopf; der
Vollhaarige neben ihm beweist nichts (Lat. M n. 26. Strzygowski, Orient 50 Abb. 18).
Der veroneser Riefelsarg G 363, 1 zeigt in der Muschel die Büsten einer Mutter mit
ihrem Sohn, sie trägt den Scheitelzopf, die Ohren frei. Lat. n. 108 G 359, 2: in der
Muschel eine Frau mit Scheitelzopf, aber die Ohren wieder bedeckt. Riano G 364, 1:
im Clipeus ein Ehepaar, sie mit Scheitelzopf, die Ohren bedeckt. Lat. n. 228 G 363, 2:
im Clipeus ein Ehepaar, er trägt die Chlamys, sie ein Band ums Haar, vielleicht ein
Häubchen darunter, im Nacken hängt eine Haarschlinge heraus wie beim Scheitelzopf;
am Deckel die Inschrift des Faustinus mit den Konsuln des Jahres 353 zwischen je
zwei Paaren heranschwimmender Delphine. Aber es sieht aus, als ob die Inschrift
in Rasur stände, mithin sekundär wäre. Endlich am Sarkophag von Pesaro G 377, 2
sind vier anbetende Frauen in ganzer Figur dargestellt, im Mittelfeld ein junges
Mädchen, dem eine zu ihrer Rechten stehende Matrone die Hand um den Nacken
legt, in den Endfeldern je eine Jungfrau; alle vier haben den Zopf um das Haar gelegt.
Alle die hier genannten Sarkophage dürften konstantinisch sein; dazu stimmt auch der
Stil der an ihnen vorkommenden Szenen.
Wir lassen nun die gesäulten Sarkophage folgen und was sich anschließt, die
mit Baumgängen und die mit Hintergrundarchitekturen.
Der Säulensarkophag von Salona, mit Hadestür, trägt einen Deckel mit darauf-
gelagertem Ehepaar; leider sind die Köpfe abgeschlagen, so daß uns die Frage, ob
der Deckel überhaupt zugehörig ist, hier nicht interessiert. Die in ziemlicher Anzahl
dargestellten Männer haben kurzen Bart. Der Sarkophag stand in der Memoria des
Anastasius aus etwa 312; als einer der ersten dort aufgestellt wird er vermutungsweise
in die zwanziger Jahre datiert, der erwähnten Barte wegen möchte ich möglichst nahe
an 312 herangehen.1)
Außerdem haben wir bartlose Männer beizubringen, womit für die betreffenden
Sarkophage Entstehung in konstantinischer oder nachkonstantinischer Zeit wahrschein-
lich wird; das gilt aber nicht bloß für die mit Bildern der Verstorbenen geschmückten
Sarkophage selbst, sondern sie ziehen auch die Särge von gleicher Art und gleichem
Stil nach sich. Lat. n. 159 G 397, 9 stellt ein Ehepaar im Typus von Susanna und
Jojakim dar (man dürfte hier sagen, an der Stelle von Susanna und Jojakim). Es ist
einer von den Säulensarkophagen, die abwechselnd Giebel und Bögen, auch wohl Ge-
bälkstücke, auf die Kapitelle setzen. Damit erhalten wir Ursache, den Rest ähnlicher
Sarkophage, soweit sie nämlich nicht früheren Zeiten zuzuteilen waren, daraufhin an-
zusehen, ob sie nicht spätantik sind. Da fallen allerdings diese und jene Momente in
*) Salona: G 299. Rom. Quartalschr. 1891, 266 Taf. 3. 4.
188 Zur Stilkritik und Chronologie der christlichen Sarkophage.
die Augen, die für verhältnismäßig späteren Ursprung sprechen, wenn sie für jetzt
auch nicht durchschlagend sind; z. B. zu kleine Nebenfiguren in den Jesusszenen, das
Auftreten jenes vollhaarigen, orientalisch anmutenden Kopftypus, die Darstellung des
Gottes in ganzer Figur, die Einstellung des Logos an die Stelle des Gottes, neue
Petrusszenen usf. am Sarkophag von Fermo u. a. — Dahin gehören ferner Sarkophage
mit der Maiestas domini, dem thronenden jugendlichen Christus, wie der in Perugia;
Lat. n. 106mitdemnimbierten jugendlichen Christus, der die hohe Crux gemmata wie ein
Zepter führt, auf dem Berg stehend zwischen zwei kleinen Apostelfürsten und zwei
Palmbäumen; der Sarkophag in der Peterskirche mit demselben Christus, nur ohne
Nimbus, und dem Ehepaar an der Rückseite; Lat. n. 171, der den erhöhten Christus
durch sein Monogramm ersetzt [Abb. 35]. Wenn Konstantin vor der Entscheidungs-
schlacht das Christusmonogramm seinen Soldaten auf den Schild setzte, so muß es
vorher schon vorhanden gewesen sein, wie wir es denn auf der Kuppel einer Rotunde
an Lat. n. 174 sahen; aber wie es nun an n. 171 hingestellt ist, umkränzt, wie ein
Feldzeichen, hoch auf dem Kreuz, dürfte es zu einem Triumphzeichen der durch
Konstantin siegreichen Kirche geworden sein. So erhalten vielleicht auch die Soldaten
unter dem Kreuz, die der Erklärung Raum zu Zweifeln ließen, noch einen bedeutsamen
Nebensinn. Natürlich sind sie den Evangelien entnommen, hier nun aber ist's vielleicht
die Wache des auferstandenen und verklärten Christus invictus; wo der eine Soldat
schläft, könnte man zögern, aber an dem Sarkophag in Palermo G 349, 4 stehen beide
aufrecht. — Dies Monogramm kommt auch an Sarkophagen mit Baumgängen vor. Die
Gattung ist als Typus natürlich jünger als ihr Vorbild , der Säulensarkophag mit
Arkaden; nur wissen wir nicht, um wieviel, von der Datierung der einzelnen Exemplare
gar nicht zu reden. Das pariser G 319, 1 macht einen besseren Eindruck; aber die
Szenen, oder wenigstens ihre Ausprägungen, sind nicht der frühchristlichen Kunst ent-
lehnt, wie wir sie in den Malereien kennen lernten, sondern der Sarkophagkunst eigen.
Lat. n. 164 G 350, 2 nun bringt zentral das konstantinische Monogramm auf dem
Kreuz. Auch die Skulptur ist konstantinisch, hier wie an Lat. n. 171, die flachen
Figuren sind wie ausgesägt und rings unterschnitten, die Baumkronen wie durch-
brochene Arbeit [Abb. 34]. Dem vierten Jahrhundert gehören auch die Deckel mit
Laubengängen G 370, 1. 402, 9.1)
Die Säulensarkophage sind mit den bereits aufgeführten noch nicht erschöpft.
Die Schmalseite eines solchen, das berliner Christusrelief aus Konstantinopel, nach
Strzygowski aus Kleinasien stammend und von ihm dem vierten Jahrhundert zugewiesen,
der Zeit unmittelbar vor Theodosius, sei hier genannt; es wurde in der Tektonik be-
sprochen: in einem Tabernakel der jugendliche Christus mit Kreuznimbus, zwischen
zwei Aposteln, die das Haar in die Stirn gekämmt tragen. Die Gestalten sind
flächig [Abb. 25].2)
Sodann noch einige Säulensarkophage mit dem bärtigen Christus auf dem Berg.
Lat. n. 151 G 335, 3 zeigt ihn zwischen zwei kleinen Apostelfürsten, die Figuren sind
*) Fermo: G 310, 2. Lat. n. 155 G 315, 2. Lat. n. 138 G 317, 1. Civitä Castellana: G 319, 3.
Leyden G 319, 4. Lat. n. 132 G 320, 1. — Perugia: G 321, 4. Lat. n. 106: G 331, 2. Peters-
kirche: G 325. Lat. n. 171: G 350, 1. — Lat. n. 164: G 350, 2. — Über christliche Siegeszeichen
vgl. Strzygowski, Kleinasien 137.
•) Christusrelief: Strzygowski, Orient oder Rom 40 Taf. 2. Ainalow hatte es dem fünften
Jahrhundert vindiziert.
Italien (außer Ravenna). 189
flach uud schräg unterschritten [Abb. 33], das Exemplar in den vatikanischen Grotten
G 335, 4 zwischen einem Offizier und seiner Frau, beide in der typischen kleinen
Gestalt; ein anderes ebenda G 330, 5, zwischen einem Lamm Gottes mit kleinem
Kreuz auf dem Kopf und einem unten ruhenden Schaf, Sinnbild eines Seligen (unter
zwei Giebeln hängen lyraförmige Ampeln).
Der Offizier mit seiner Frau erscheint an den Sarkophagen der Zeit öfter, man
kann fast sagen typisch. Es sind meist stattliche Stücke, Spätlinge der vierseitig
skulpierten griechischen Klasse; sie sind als Denkmäler des offiziellen Christentums zu
betrachten, des militärischen und höfischen. Ob im Einzelfall der Chlamysträger als
hoher Offizier oder als hoher Staatsbeamter anzusehen ist, lasse ich dahingestellt. Es
handelt sich um Sarkophage mit Toren im Hintergrund und meist dem bärtigen
Christus auf dem Berg im Vordergrund. Das veroneser Exemplar G 333 mit vier
Toren (dazwischen noch zwei Architravjochen und einem zentralen Arkadenjoch) um-
gibt die Bergszene mit Jesusszenen; ein Offizier ist auch dabei, aber es ist der (vielleicht
doch mit Beziehung auf den Verstorbenen gewählte) Hauptmann von Kapernaum.
Das Hauptstück bildet der vatikanische Sarkophag im Louvre G 324 mit dem Christus
vor gesäulter Exedra zwischen zweimal drei Toren (sie setzen sich an den Schmal-
seiten fort und greifen in die Rückseite ein); beiderseits des Bergs der Offizier und
seine Frau, in kleiner Gestalt, sowie an der rechten Schmalseite eine Gruppe von vier
Männern, darunter einer in Chlamys, also wohl unser Offizier noch einmal, allerdings
in etwas längerer, wohl nicht der kriegsmässigen Tunika (die drei andern tragen die
Talaris, einer ist noch bärtig) [Abb. 31]. Nah verwandt, aber jünger scheint das
Exemplar in Mailand G 328. 329, 1; beide Langseiten bringen den Christus auf dem
Berg, die eine den bartlosen sitzend, die andere den bärtigen stehend; jedesmal kniet
der Offizier mit seiner Frau am Berg in kleiner Gestalt; zwischen ihnen jedesmal das
Lamm Gottes, das eine Mal zwischen zwölf Schafen, die aus Toren kommen; an der
rechten Schmalseite wiederholt sich die Gruppe der vier Männer, nur sind jetzt alle
vier bartlos, und die Tunika des Offiziers hat hier beinahe die Länge des Talars er-
reicht; am Deckel sieht man im Clipeus dasselbe Ehepaar noch einmal in Büsten, den
einen Giebel füllt das konstantinische Monogramm im Kranz, nun zwischen A und Q.
Der Sarkophag des Catervius zu Tolentino G 303. 304, 1 entfernt sich weiter vom
Schema; die Tore sieht man nur noch an den Schmalseiten, die früher für sie typischen
Szenen, Elias' Himmelfahrt und Moses' Gesetzesempfang, Opferverhinderung und Vier-
männergruppe, sind ersetzt durch Kindheitsmythen, die Magier vor Herodes und vor
dem Christkind; ein großes Medaillon an der einen Langseite gibt unter einer kranz-
haltenden Hand die Büsten des Ehepaars, ihn mit glattem Kinn und in bürgerlicher
Tracht mit kontabulierter Toga A, sie mit Scheitelzopf und wieder bedeckten Ohren
(vgl. die Riefelsärge G 359, 2 und 364, 1, sowie die Adorantin mit Halsschmuck im
Laubengang G 370, 1); an den Akroterien der anderen Seite Eheleute, er noch mit
kurzem Bart, sie auch mit Halsschmuck; im einen Giebel steht das konstantinische
Monogramm im Kranz zwischen zwei Tauben im andern das Kreuzmonogramm zwischen
zwei Schafen, in den oberen Zwickeln am großen Medaillon das sechsstrahl ige Mono-
gramm zwischen A und Q. — Endlich der Sarkophag inMantua G 320, 2 — 4. 321, 1. 2
hat Monogramm im einen Giebel, Ehepaar mit Kind an der einen Schmalseite, eine
Anbetende zwischen zwei Bärtigen im Talar, der eine trägt die Chlamys, das bleibt
zu erklären.
190 Zur Stilkritik und Chronologie der christlichen Sarkophage.
Die Gruppe des pariser Sarkophags mit seinen nächsten Verwandten bedarf noch
genauerer Untersuchung daraufhin, wie ihr Hochrelief sich zum flächigen am Kon-
stantinsbogen usf. verhält, stilistisch und zeitlich.
Als im Typus jünger muß die Zeichnungsweise der Tore gelten, welche die Zinnen
unorganisch unmittelbar auf die Torbogen setzt. Das Hauptexemplar so ausgestalteter
Sarkophage befindet sich in den vatikanischen Grotten (G 327, 2 — 4); das Schema des
pariser Stückes zugrunde legend ersetzt es an der Front die Tore durch Weinstöcke
und wiederholt am Sockel das vom mailander Sarkophag uns bekannte Motiv, das
Lamm Gottes zwischen zwölf Schafen, die aus zwei Toren kommen. An den Schmal-
seiten sind die Tore nun fast völlig zu einem fortlaufenden Bogengang verschmolzen,
ähnlich den Aquaedukten der Campagna; von den vier Männern ist der am Rande
ausgefallen, die Köpfe stehen, wie der des Abraham (auch des Moses und des Elias
drüben), in je einem Bogenrund. Der Sarg des Gorgonius zu Ancona, G 326. 327, 1,
setzt an der linken Schmalseite die Zinnen zum Teil noch auf die wagrechte Ab-
deckung des Torbaues, sonst auf die Archivolte; an derselben Schmalseite bringt er,
zwischen Gesetzesempfang und Opfer Verhinderung, zwei Männer, einen Offizier und
einen Bürgerlichen, an der rechten die Magier vor Herodes; an der Langseite mit der
Inschrift den Offizier und seine Frau am Berge knieend, an der andern ein Ehepaar
in ganzer Gestalt, ihn in bürgerlicher Tracht. Die Figuren, besonders die Apostel,
sind in der späteren Weise in mehr gelockerter Reihe angeordnet. — Wie eine Reminis-
zenz an den Christus auf den Berg zwischen den Aposteln und dem Lamm Gottes
zwischen den Schafen als Sockelbild sieht der Deckel G 304, 2 aus: der Gute Hirt,
nimbiert, zwischen den zwölf Aposteln und zwölf Schafen ; an den Enden Hirtenszenen.
Spät dürften auch die zwei andern Deckel auf der Tafel G 304 sein, Fig. 3: ein
Bärtiger sitzt unter Ölbäumen zwischen Schafböcken zu seiner Rechten und Ziegen-
böcken zu seiner Linken (man beachte die spiralig eingerollten Palmettenblätter der
Akroterien), und Fig. 2: beiderseits des Titulus bewillkommnet in dem durch gereihte
Palmbäume markierten himmlischen Paradies je ein Bartloser die mit Kränzen in den
Mäulern herankommenden Schafe.
Wenn der Künstler um den Christus den Halbkreis der Zwölf gruppierte , so
gewann er damit ein einheitliches, die ganze Sarkophagfront füllendes Bild, dergleichen
an den heidnischen Sarkophagen mit mythischen Darstellungen die Regel gewesen,
gelegentlich auch in historischen, aus dem Leben des Verstorbenen gegriffenen, wenn
auch mit freier Phantasie nachgeschaffenen Szenen gelungen war, wie der Barbaren-
schlacht des Museo Ludovisi. Der künstlerische Trieb zu einheitlicher Zusammenfassung,
wie er z. B. auch an den Sarkophagen mit Pilatus, mit der Fußwaschung, mit Petrus-
szenen treibt, scheint auch an Lat. n. 125 G 314, 5 zu spüren. Auch er gibt ja eine
Reihe voneinander unabhängiger Szenen, deren Abfolge nicht etwa der Erzählung der
Evangelien sich anschließt; denn die Heilung des Gichtbrüchigen hat man dem Einzug
in Jerusalem vorgeschoben. Dennoch scheint im Relief eine einheitliche Bewegung
rechtshin zu strömen, etwa als ob dem Künstler Jesus' letzter Zug nach Jerusalem vor-
schwebte; links vor einem Tor, aus dem die Leute gekommen zu sein scheinen, heilt
Jesus wie im Vorbeigehen die Blinden, weiterhin die Blutflüssige, rechts spricht er zu
Zachaeus im Baum und reitet in das Tor von Jerusalem ein, dessen Bewohner ihm
mit Zweigen und Girlanden entgegenkommen. An beiden Toren stehen die Zinnen
unmittelbar auf der Archivolte, an das Tor links aber reihen sich die von früher be-
Italien (außer Ravenna). 191
kannten Hintergrundsarchitekturen, Säulen unter Gebälkstück, Giebel, Bogen; wenn sie
etwas bedeuten, so meinen sie wohl weniger die Vorhallen des Teiches Bethesda, als
den Tempel, in dem Jesus anbetet [Abb. 32].
Tore im Hintergrund besitzt auch die soweit einzige wirklich einheitliche Kom-
position eines dramatischen Vorgangs in der altchristlichen Sarkophagskulptur, die
Darstellung des Durchzugs der Israeliten durch das Rote Meer (Lat. 111 G 309, 3).
Aus den Toren links ist der Pharao auf seinem Streitwagen gekommen mit Reitern
und Fußvolk; er hat das Meer erreicht, mit dessen Wellen bereits Krieger und Rosse
der Ägypter kämpfen, die geretteten Israeliten befinden sich auf dem jenseitigen Ufer,
im Begriffe weiter zu ziehen; außer der Feuersäule bemerkt man im Hintergrund drei
Tore, das mittelste mit vollen Fruchtkörben in den Zwickeln [Abb. 23]. — Angesichts
der stürzenden Rosse und Reiter erinnert sich de Waal der Unfälle im römischen
Zirkus, wie sie an heidnischen und vereinzelt auch an christlichen Sarkophagen ge-
schildert werden. In den Motiven besteht gewiß einige Verwandtschaft; noch näher
aber liegt die Vergleichung mit der Schlacht bei Ponte Molle am Konstantinsbogen
[Abb. 22]. Die Übereinstimmung im Motiv, in der Komposition und in Einzelheiten
ist zu groß um zufällig sein zu können. Das Motiv: der Untergang der Krieger im
Fluß (das Rote Meer ist flussartig gedacht, sonst wäre der Durchzug nicht vorstellbar).
Die Komposition: links die Vordringenden um die ragende Gestalt des Führers ge-
schart (Konstantin und der Pharao nehmen dieselbe Stelle ein), im schräg eingezeichneten
Fluß die mit den Wellen kämpfenden Krieger und Rosse, rechts einige Personen auf
dem Ufer, in der Schlacht sind es Tubabläser, im christlichen Bild die geretteten
Israeliten, in ihrer Mitte Mirjam mit dem Tympanon. Einzelheiten: ich mache auf den
vornüber Stürzenden aufmerksam, der sich in beiden Bildern übereinstimmend findet.
Wenn es sich darum handelte, als ein Sinnbild der Erlösung aus dem Tod ins ewige
Leben die Rettung der Israeliten durch den Untergang ihrer Feinde zu schildern, so
lag dem Künstler, wenigstens wenn er in Rom arbeitete, sofern der Konstantinbogen
schon stand, nichts näher, als sich von dem Fries inspirieren zu lassen. Es kann sogar
sein, daß der Sieg Konstantins, der den Christen sich so vorteilhaft erwies, überhaupt
erst ihre Gedanken auf die biblische Erzählung lenkte, als auf ein Prototyp des Siegs
beim Pons Milvius; wie Alexanders des Großen Sieg über die Perser und deren Sturz
es gewesen sein wird, der den Maler der berühmten Dariusvase inspirierte. Der Sieg
Konstantins erfolgte vor den Toren Roms, sein Triumphbogen erhob sich in Rom; so
wird in diesem Falle auch das christliche Bild allerdings in Rom entstanden sein. Die
beiden Reliefs, die Konstantinschlacht und der Durchzug durchs Rote Meer verknüpfen
an diesem Punkte heidnische und christliche Antike; und das dritte Relief, der
Todessprung des Marcus Curtius, mit jenen beiden innig verwandt, schließt den Ring
[Abb. 24].1)
*) de Waal, Sarkoph. d. Bassus 82. — Zu Durchzug und Konstantinschlacht schrieb Fr.
X. Kraus, Gesch. d. ehr. Kunst I 146 etwas verschieden: „ Nicht unwahrscheinlich ist mir übrigens,
daß sich, namentlich in Gallien, welches das in Rom fast ganz beiseite gelegte Sujet bevorzugte,
der Gedanke an Konstantins Sieg am Ponte Molle mit dem Durchgang durchs Rote Meer verband.
Der Kaiser selbst erinnert nach dem Sieg über Licinius an seinen Zug über das Meer von
Britannien her, und christliche Schriftsteller vergleichen den Untergang des Maxentius mit dem
des Pharao usw." Auch wenn die Komposition in Rom entstanden war, konnte sie in Gallien
auf besonders fruchtbaren Boden fallen.
192 Zur Stilkritik und Chronologie der christlichen Sarkophage.
Der verschollene oder zugrunde gegangene Sarkophag, den Garrucci Taf. 308, 5
nach Bottari gibt, setzte die Zinnen unmittelbar auf die Archivolte (der Zeichner hat
das mißverstanden), war also später; ebenso das Exemplar von Spalato G 309, 4.
Die Zinnen auf wagrechter Abdeckung werden wir, bis auf bessere Belehrung,
der konstantinischen Zeit zuschreiben müssen, dagegen die unmittelbar auf die Archi-
volte gesetzten Zinnen — und alles was stilgeschichtlich damit zusammengeht — den
folgenden Zeiten. Deren genauere Datierung muß ich der künftigen Forschung überlassen.
Bevor wir weitergehen, sei das Martyrium des Achilleus eingeschaltet, dessen
Darstellung an der Säule in der Basilika Petronillae; wir haben gesehen, daß der be-
scheidene Bildhauer das Schema der Enthauptung des Paulus befolgte.1)
Von den Sarkophagen mit dichtgereihten Szenen nehmen wir die zweizonigen
vorweg, weil diese in Clipeus oder Muschel Porträts der Verstorbenen zu bieten pflegen.
Die Männer tragen die kontabulierte Toga. Neben der jetzt modisch gewordenen
Bartlosigkeit fanden wir am Konstantinbogen im Fries der Largitio immer noch Barte,
kurzgeschnitten. Lat. n. 175 G 367, 1: ein Ehepaar, er bärtig mit Bohrungen in Haar
und Bart, weder mit Ficker ins fünfte, noch mit Biegl in die Schlußphase der west-
römischen Sarkophage zu setzen, sondern wegen der Toga A noch ins vierte Jahr-
hundert. Die hohen Schädel ohne Tiefe könnten an die Söhne Konstantins erinnern,
wie sie auf ihren Münzbildern erscheinen; aber der Porträtkopf weist auf die Frühzeit
des Jahrhunderts, es wäre denn, daß man in dem Verstorbenen einen Verehrer des
Julianus Apostata erkennen wollte; dessen Kopf sieht freilich trotz der Bärtigkeit
anders aus. Die Gattin scheint Haube oder Mütze zu tragen. — An Lat. n. 178
G 367, 3 sind die Porträtköpfe mit den meisten Vordergrundsköpfen ergänzt, aber die
Toga zeigt die Tracht A; die modernen Christusköpfe nehmen sich in der antiken
Umgebung recht befremdlich aus. — Lat. n. 184 G 364, 2 nähert sich der Largitio,
in der gedrungenen Proportion der Männer, in den Köpfen, in der flächigen und rings
unterschnittenen Skulptur der Figuren; die Intervalle zwischen den Figuren sind ähn-
lich [Abb. 38]. — Der Sarkophag der Adelfia zu Syrakus G 365, 1 zeigt in der
Muschel das Ehepaar, ihn rasiert in Toga A, sie mit Zopf ums Haar, die Figuren in
den Szenen erinnern an die Friese des Konstantinbogens. — Der große Sarkophag
von der Confessio Sankt Pauls, Lat. n. 104, G 365, 2, ist unfertig, besonders die
Porträts sind nur angelegt; er, in Toga C (mittleres fünftes Jahrhundert) scheint einen
kurzen Bart zu tragen, sie nicht ein Barett, sondern ein breites Band um das Haar.
Die Figuren sind noch plastisch gerundet, aber die Frontalität nimmt zu; der Christus-
kopf, etwa in der Zuweisung, steht dem letzthin besprochenen Adonis, auch dem Hippo-
lytos, recht nahe; man beachte auch die Kleinheit der Schwester des Lazarus und der
Trinkenden; ingleichen die Fortbildung der christlichen Kunstmythologie in Schöpfung
und Zuweisung [Abb. 37].
Von den einzonigen Sarkophagen mit dichtgedrängten Figuren gehört ohne
Zweifel die Mehrzahl dem vierten Jahrhundert, viele wohl erst dem fünften. Zunächst
drei Beispiele Lat. n. 191 G 312, 1 (nebst den Schmalseiten Lat. n. 187. 192, bei
Ficker Taf. 2) stellt in die Mitte die symmetrische Gruppe der Speisensegnung, rechts
Sündenfall und (statt der schematisch verwandten Schöpfung des Weibes) Toten-
erweckung, links drei Erlösungstypen. Man bemerkt die durchgeführte Frontalität der
*) Achilleus: Bull, crist. 1875, 8 Taf. 4. Kraus, Gesch. d. ehr. Kunst T 198 Fig. 166 und
anderwärts.
Italien (außer Ravenna). 193
Figuren, noch nicht der Köpfe [Abb. 39]. — Lat. n. 193 G 372, 3 stellt die Ver-
storbene in die Mitte, an die Enden Lazarus und Opfer Kains und Abels. Der Wunder-
täter blickt in keiner seiner vier Szenen auf seine Arbeit (bei der Erweckung des
Lazarus steht er abgewandt, frontal, mit Augenaufschlag, beim Gichtbrüchigen wendet
er sein Gesicht der Verstorbenen zu), wieviel schöner ist das bei der Blindenheilung
Lat. n. 55. Die Figuren sind flach; um alles unterzubringen ist der ebenfalls flache
Christus der Zuweisung schräg eingestellt. Bereits hängen die Füße wie in Aufsicht.
Die Falten sind mit dem Meißel gemacht, wie geschnitten [Abb. 40]. — Lat. n. 135
G 318, 1 — 3 (die Köpfe links sind ergänzt). Die Falten sind hier Bohrerarbeit, harte
Rillen. Die hängenden Füße treten auf die der Nachbarn [Abb. 41].
Drei weitere Sarkophage können Anspruch darauf machen, in der Geschichte der
stadtrömischen Sarkophagskulptur die Schlußphase zu repräsentieren, einerseits für den
Schwund des Plastischen, andrerseits für die Entwicklung des Flächigen, wie man das
nun auffassen und schätzen mag. Lat. n. 116 G 376, 4 stellt eine Anbetende in die
Mitte (ihre Arme und Hände sind ergänzt, anscheinend unter dem Bemühen, den Stil
zu wahren). „Derbe Arbeit vom Ende des vierten Jahrhunderts", urteilt Ficker.
Derbe, man möchte sagen herb bäuerliche Gesichter, der Orantin, des Abraham und
anderer [Abb. 42]. — Wenn am vorigen Stück schon mehr Grund zwischen den Figuren
sichtbar wird, so treten diese an einem Sarkophag aus San Callisto schon soweit aus-
einander, daß alle fast oder ganz frei im Felde stehn. Die nächste Folge dieser offenen
Anordnung ist, daß viel weniger Figuren Platz finden, als bei der geschlossenen, im
vorliegenden Falle nur dreimal drei Figuren, links Daniel zwischen zwei Männern,
zentral ein Anbetender zwischen zwei Seligen, rechts Wasserverwandlung und Erweckung
des Lazarus, wobei die Mumie im Mausoleum mit der Schwester am Boden als dritte
Figur zählt [Abb. 43]. — Endlich Lat. n. 219 G 369, 1, eine Arbeit, die nur so hin-
gehauen ist. Zentral eine Anbetende vor Parapetasma, dessen Aufhängebäusche in
ihrer schematischen Bildung den Händen der Orantin ähnlich geworden sind. Die
Darstellung des Auges fällt ins Primitive zurück. Äußerste Unbeholfenheit verrät das
Gewand des Jüngers hinter dem Hahn. Doch bemerken wir, daß die Köpfe hinsichtlich
der Frontalität im allgemeinen den Körpern noch nicht gefolgt sind [Abb. 44].1)
Noch manches Stück ließe sich in diesen Zusammenhang einreihen. Ich nenne
den mailänder Sarkophag G 315, 5 mit dem bärtigen Christus zwischen zwei Aposteln,
der vom Berg, hier auf ebenen Boden gestellt, links die Magier den Stern erblickend
und die Anbetung der Hirten, rechts die Frauen vor dem Grabe und der ungläubige
Thomas, alles in lockerer Anordnung, dabei noch lange nicht so rüde gearbeitet wie
die drei letztgenannten Stücke.
Die zuletzt erwähnten Sarkophage legen den Gedanken nahe, daß es sich bei
ihnen vielleicht doch nicht um führende Arbeiten handle, sondern um geringere Markt-
ware. Es fehlen aber nicht ganz die Anzeichen dafür, daß auch jetzt noch Arbeiten
besserer Qualität entstanden. In Rom gibt es zwei altchristliche Marmorsarkophage,
die allen andern gegenüber eine Sonderstellung einnehmen; bei weitgehender Ver-
schiedenheit haben sie doch viel Verwandtes. Sie sind vierseitig skulpiert, sonach der
griechischen Klasse zuzurechnen. Mich wundert, daß diese zwei Stücke in den neueren
*) San Callisto: de Rossi, Roma sott. III 446 Taf. 41. Simelli n. 113; Barbier n. 8 (fünftes
Jahrhundert). Grousset n. 182. 183. G 368, 2.
Sybel, Christliche Antike II. 13
194 Zur Stilkritik und Chronologie der christlichen Sarkophage.
Verhandlungen so gar keine Rolle gespielt haben, obwohl ihre Bedeutung gerade
Forschern von den Richtungen der Riegl und der Strzygowski sich aufdrängen muß.
Der in der Prätextatkatakombe gefundene Sarkophag Lat. M n. 183A (F n. 181)
G 302, 2 — 5 ist eigen komponiert. Das reich entfaltete Weinlesemotiv bedeckt die
ganze Front; dahinein sind drei Gute Hirten gestellt, als Statuen gedacht, daher auf
Basen gebracht. Im Zusammenhang mit den Eckkaryatiden heidnischer Sarkophage
lernten wir Eckbasen kennen, die aber im Grunde nichts als Verkröpfungen des
Sarkophagsockels waren, unsere drei Basen dagegen sind oberhalb des Sockels in das
Reliefbild selbst eingestellt. Ob es Reminiszenzen der von Konstantin in seiner neuen
Hauptstadt aufgestellten Gutehirtstatuen sind, ist eine besondere Frage, deren sichere
Beantwortung natürlich grundlegend wäre für die Datierung des Sarkophags. Die drei
Hirten sollen den Eindruck von Statuen machen, das Relief ist recht hoch, die Figuren
lösen sich vom Grund, Arme und Beine auch materiell. Viel Relief haben die Figuren
z. B. auch von Lat. n. 104, aber unsere Hirten sind flacher gearbeitet, die Lösung
vom Grund erhalten sie durch Unterschneiden der Ränder. Ähnlich die vier alten
Weinstöcke mit Laub und Trauben, sowie die darin spielenden Putten, alles löst sich
vom Grund durch Unterarbeiten, der Grund selbst liegt in einer tieferen Ebene parallel
zur Bildebene. Nun ist alles Geformte, Hirten, Putten, Weinstöcke, gleichmäßig über
den Grund verteilt, so daß es wie ein naturalistisch durchgebildetes Gitterwerk aus-
sieht, das sich hell vom dunklen Grund abhebt. Den Übergang des ursprünglichen
Hoch- und Vollreliefs, wie es z. B. am Bassussarkophag oder an Lat. n. 174 vorliegt,
in das Flachrelief mit Unterschneidung der Ränder, lernten wir bereits kennen; die so
unterarbeitete Weinlaube hat ihre Vorläufer schon in der Jonaslaube an Lat. n. 119
und am Sarkophag von Maria Antiqua. Das Besondere an unserem Relief aber besteht
in der vom Grunde gelösten Ebene, in welcher die gleichmäßig und dicht verstreuten
Formen sich halten. Ein schlagendes Analogon aus früherer Zeit bietet jener Pilaster
mit Weingerank im Museo profano des Lateran, von Wickhoff um 200 angesetzt, was
Riegl für etwas zu früh hält. Die fünflappigen Weinblätter mit den als Doppellinien
eingezeichneten Blattrippen kommen ähnlich am Sarkophag vor, auch die symmetrisch
sich gabelnden Helikes; das Randornament ist gebohrt [Abb. 45].1)
Lehrreich ist die Vergleichung unseres Sarkophags mit dem des Bassus, ins-
besondere laden die fast identisch verzierten Schmalseiten zum Vergleich ein. Angesichts
dessen könnte man denken, beide Sarkophage müßten aus derselben Hand hervor-
gegangen sein. Bei genauerem Zusehen wird man bedeutsamer Unterschiede inne.
An unserem Sarkophag rechts unten der Frühling als Horenerot neben den Eroten
der drei andern Jahreszeiten; darüber der Sommer im Bild der Weizenernte, nur
daß die Olivenernte mit hineinspielt; links oben die Weinlese, unten die Olivenernte
mit Ochsenkarren. Man sieht, daß hier keine Originalkomposition vorliegt, sondern
etwas durcheinanderlaufende Reminiszenzen. Fast schlimmer sieht es mit dem Bassus-
sarkophag aus, mit seinen sechs Horeneroten und seiner Verwandlung der Olivenernte
in eine zweite Weinlese. Beide Sarkophage, das wissen wir schon, arbeiten nach gleich-
artigen älteren Vorlagen. Und der Sarkophag aus Prätextat ist der jüngere. Die
Weinrebe links oben zeichnet er schematischer, verwandelt sie mit ihren Helikes in
») Pilaster: Benndorf -Schöne n. 320. Wickhoff, Wiener Genesis 38 Fig. 11. Riegl, Spät-
röm. Kunstind. 71.
Italien (außer Ravenna). 195
eine Art Wellenranke; bezeichnend sind auch die symmetrisch eingerollten Helikes,
wie sie ähnlich an der Sarkophagfront vorkommen, nicht am Bassussarg. Auch die
Eroten, in der ganzen Anlage gleichartig, sind doch verschieden; die Stirn der vati-
kanischen ist hoch und frei, den lateranischen fällt das Haar in die Stirn. Das Ge-
gitter an der Rückseite haben wir als Parkgitter verstehen gelernt, somit als Andeutung
des Paradiesgartens. Auch die andern, in der Tektonik aufgeführten Gitter an Sarko-
phagen gehören der Spätzeit.
Der ebenfalls vierseitig skulpierte Sarkophag von San Lorenzo stand früher hinter
dem Chor der Kirche, jetzt steht er in der Vorhalle gegen die Wand gerückt. Daß
die gegen die Kirchenwand gerückte Seite die Front sei, schloß Garrucci aus ihrer
reicheren Verzierung des Untersatzes. Man sollte den eigenartigen Sarkophag — Zoega
erwähnte ihn als das vielleicht letzte große Relief vor der Renaissance — frei auf-
stellen, in gutem Schutz und gutem Licht; auch bedarf er einer kritischen Nachprüfung
auf Beschädigungen und Ergänzungen. Es ist ein Sarkophag des Klinentypus (leider
fehlt der Deckel), an den vier Ecken sind die Bettpfosten dargestellt; sie stehen auf
anscheinend verkröpftem, also Bathra bildendem und reichverziertem Sockel. Die Er-
klärer haben zu Zeiten geschwankt, ob der Sarkophag heidnisch oder mittelalterlich
sei; inzwischen dürfte sich das Urteil allgemein dahin festgestellt haben, daß er der
christlichen Spätantike zugehöre. Die Wandflächen zwischen den vier Pfosten füllen
Weinleseszenen. Starke Weinstöcke verbreiten ihre Reben in den Raum, zwischen den
selteneren Blättern prangen Riesentrauben; Pfauen und Tauben spielen dazwischen,
Putten lesen die Trauben und treiben allerlei Kurzweil [Abb. 46]. Vor diesem Relief
wird man nicht bloß sagen, alle Formen liegen in einer Ebene, sondern sie liegen in
der Fläche, das ist Flachverzierung. Dabei läßt sich die Arbeit nicht durchbrochen
nennen. Wohl ist der Grund stellenweis ausgehoben, besonders entlang den Asten,
aber nicht sonderlich tief und ohne Unterschneidung der Konturen; so entsteht kein
Tiefendunkel. An vielen Stellen aber drängen sich die Formen so dicht, daß gar kein
Grund sichtbar wird. Es ist aber auch nicht die Art der ravennatischen Sarkophage
mit Weinstöcken; dort stehen Reben, Blätter und Trauben, Pfauen und was sonst vor-
kommt, frei in reichlichem Grund.1)
An den ravennatischen Sarkophagen werden wir ein Zurücktreten des Figürlichen
gegenüber einer beschränkten Auswahl von Symbolen aufkommen sehen. In ähnlichem
Sinne, wenn auch in andrer Ausbildung, wäre hier der Sarkophag von Tusculum zu
nennen, G 386, 4, ein Riefelsarg: im Mittelfeld das konstantinische Monogramm in
Kranz, aber ganz schematisiert, auch nicht auf dem Kreuz, sondern über einem Marmor-
thron, das Feld eingerahmt von zwei Säulen mit glattem Schaft, unter verkröpftem
Epistyl; zwei ebensolche Endsäulen, an jedem Schaft ist ein kleines Kreuz eingemeißelt.
Hier sind die Riefeln noch sorgfältig ausgearbeitet; anderwärts sieht man sie auf
ein rohes Schema reduziert, auch die Riefelfelder nicht mehr symmetrisch angeordnet,
dazu auch die Spiralsäulen gleich roh behandelt: G 362, 3 mit der Witwe Latobia
und ihrem Sohn im Mittelfeld; G 386, 2 mit Lamm Gottes unter Taube im Mittel-
feld, Bärtigem und Matrone in den Endfeldern.
Wir schließen noch einige späte Sarkophage an, auch sie ohne ihre genauere
chronologische Bestimmung zu versuchen. G 300, 2 in Osimo, mit geriefelten Eck-
») Bottari III 19. Zoega, Bassirilievi I 129. Garrucci 306, 1—4.
13*
196 Zur Stilkritik und Chronologie der christlichen Sarkophage.
pfeilern; zentral steht ein Hirt rechtshin auf seinen Stab gestützt inmitten seiner
Herde (gutes altes Motiv, hier aber doch wohl den johanneischen guten Hirten vor-
stellend); beiderseits steigt aus einer Vase eine Weinrebe, die in kreisförmigen Win-
dungen sich im Bildfeld ausbreitet. — G 393, 1 — 3 in Fusignano: glatte Eckpfeiler
tragen ein jonisches Epistyl; darauf sitzt der dachförmige Deckel mit Schuppen in
Form spitzer Pflanzenblätter, in den Akroterien gelockerte Halbpalmetten mit eingerollten
Blattspitzen. Im Hauptfeld des Kastens radförmiges Monogramm auf Akanthwurzel-
blatt (vgl. den auf einer Akanthuspflanze ruhenden Schild der sog. Athena Hephaisteia,
Österr. Jahreshefte 1898 Taf. 3. Heibig, Führer I Fig. 6. 7 zu n. 67) zwischen zwei
Schafen und zwei Palmbäumen. Die linke Schmalseite füllt ein Anthemion: Akanth-
wurzelblatt, daraus gehen zwei symmetrische Weinreben hervor, auf denen zwei Tauben
sitzen, zentral das Kreuz; an der rechten Schmalseite ein Wassergefäß — zwischen
zwei Pfauen und zwei Palmbäumen; in beiden Giebeln Kreuzmonogramm zwischen
zwei Pfauen. — G 887, 6 in S. Lorenzo zu Mailand: Eckpfeilersarkophag mit ge-
schupptem dachförmigem Deckel, an den Wänden Tabernakel mit spiral geriefelten
Säulen; an der Front ein breiteres unter klassischem Giebel zwischen zwei schmäleren
unter Bögen; an der Schmalseite wieder eins unter Giebel. In den drei letztgenannten
Tabernakeln je ein Kreuzmonogramm, diejenigen an der Front unter herabschießender
Taube (aus der Jesustaufe), das an der Schmalseite zwischen zwei Schafen (zwei Selige
um den Herrn). Als Füllung des Haupttabernakels ist in ein überhöhtes Viereck eine
Vase eingezeichnet, aus der symmetrisch zwei Reben aufsteigen, sie bilden regelmäßige
kreisförmige Verschlingungen; in die zwei oberen Eckschlingen sind eigenartige Kreuz-
monogramme gesetzt (siehe Garrucci), in die zwei darunter Tauben; vgl. die Ver-
schlingungen an dem noch späteren Epitaph des Bischofs Vitalianus, zu Osimo, G. 393, 9
und die ähnlichen Ornamente in der Sophienkirche. — G 387, 1 aus Concordia: Taber-
nakelsarg unter dachförmigem Deckel; alle Tabernakel tragen Bögen; an der Front
Tabula ansata zwischen zwei Tabernakeln, an der linken Schmalseite ein breitgeöffnetes,
an der rechten zwei schmälere. Als Füllung an der Front je ein kleines sog. Ordens-
kreuz, in dem breitoffenen eine Schale, an der anderen Schmalseite eine Schüssel mit
drei Fischen und eine Kanne (Schale und Kanne von heidnischen Sakralmonumenten
übernommen). Am Akroter die gelockerte Halbpalmette; in den Giebeln Schale mit
Griff, und Monogramm auf den Nimbus gelegt. Alles in schwachem Relief nur eben
angedeutet. — Auch an den zuletzt aufgeführten Sarkophagen finden sich weitgehende
Analogien zu den ravennatischen, die eben auch spät sind; wir müssen es andern
Archäologen überlassen, diesen Beziehungen weiter nachzugehen. Sarkophage wie der
mailänder sind vielleicht einfach ravennatische, durch Handel verbreitet.
Ravenna.
Die Stilgeschichte der ravennatischen Sarkophage ist noch nicht geschrieben;
doch wurden neuerdings mehrere Anläufe genommen, ein weiterer mag hier folgen.
Wir sind noch nicht am Ziel, aber es wird immer ein Schritt getan.
Zunächst ist ein Stück vorwegzunehmen, weil es ältere Art aufweist, als die
übrigen; es steht den vorbesprochenen Sarkophagen des dritten Jahrhunderts nahe.
Vor Parapetasma, dessen Aufhängungsbäusche noch ganz gut gearbeitet sind, sitzt
Ravenna. 197
linkshin auf einer Art Sella curulis ein langhaarig Bärtiger, deutlich Porträt; ein
Schriftenbündel steht bei ihm, er liest in einem weitaufgerollten Volumen (mitsamt der
Linken großenteils ausgebrochen); vor ihm steht, ihn aufmerksam anblickend, eine Frau
im Musentyp, das Kinn in der aufgestützten Hand (den Pfeiler verdeckt der breit-
fallende Mantelzipfel und das Schriftenbündel), den linken Fuß übergeschlagen. Links
zwischen zwei Ölbäumen eine Matrone, mit der Rechten adorierend, zwischen ihrem
bartlosen Sohn (im bloßen Mantel, die Rechte sprechend, in der Linken die Rolle)
und einem kleinen Mädchen, das ein Schmuckkästchen trägt. Rechts von der Mittel-
szene der Gute Hirt, jugendlich lockig, in Exomis, zwischen zwei Schafen, ein drittes
säuft aus einer Quelle, auf der Felsstufe darüber ruht ein viertes, hinter dem Felsrand
wird ein Baum sichtbar und der jugendlich lockige Hirt in Exomis mit dem kurzen
Krummstab. An der rechten Schmalseite zieht ein Angler, den Fuß aufgestützt, einen
Fisch aus dem Wasser, an der Linken fährt ein Erot im Schiff, sich umwendend.
G 371, 2—4.
Alle übrigen ravennatischen Sarkophage bilden eine geschlossene Masse. Den
ersten Versuch einer chronologischen Klassifikation unternahm Ch. Bayet (Recherches
1879 113), den ersten Versuch ihrer stilkritischen Analyse aber verdanken wir Aloys
Riegl. Viele dieser Särge tragen Grabschriften ravennatischer Erzbischöfe, deren
Lebenszeit bekannt ist. Riegl lehnt die da vorliegenden Daten ab, weil es sich immer
wieder um zweite Benutzung älterer Särge handle. Damit wird die Forschung ganz
auf den Weg der Stilkritik gewiesen (die Bischofsnamen dienen nach wie vor zur
Benennung der Stücke). Dem vierten Jahrhundert vindizierte Riegl die Sarkophage
mit menschlichen Figuren, an deren Spitze er den Typus der Arkaden- oder Konchen-
särge mit Giebeldach stellte; der des Liberius G 348 könnte der Zeit unmittelbar
vor Konstantin gehören. Eine zweite Gattung derer mit menschlichen Figuren begnügt
sich mit Eckpilastern oder Ecksäulen, der Deckel ist gewölbt (Pignatta, Rinaldus,
Isaak G 344. 345. 311); später sind Barbatianus und Exuperantius (G 336. 337),
Nachzügler mag es noch im fünften Jahrhundert gegeben haben. Als Typus jünger
sei die Art ohne menschliche Figuren, bloß mit Architekturformen und Symbolen, wie
der Sarkophag des Theodoros G 391, 3 und die im Mausoleum der Galla Placidia.1)
Sodann hat Karl Goldmann die Sarkophage zu gruppieren und in seinen Gruppen,
allerdings nur an einer sehr kleinen Auswahl, eine in sich abgeschlossen verlaufende
Entwicklung nachzuweisen versucht. Auch Goldmanns erste Gruppe umfaßt die wenig
zahlreichen Konchensärge mit Satteldachdeckel (Liberius' II, gestorben 351; G 347,
vielleicht Liberius' III, gestorben 370). Die zweite, geringere Gruppe (Rinaldus, Bar-
batianus, Exuperantius) bildet den Übergang, in Zwischengliedern, zu einer dritten,
besseren Gruppe (dei Pignatta, Isaak), die er den Inschriften folgend dem siebenten
Jahrhundert beläßt. Die nur mit Architekturformen und Symbolen verzierten Särge
sind ihm Denkmäler des siebenten bis neunten Jahrhunderts.2)
Die Gruppenbildungen Goldmanns erkennt Oskar Wulff im wesentlichen als
zutreffend an, kommt aber zu einer sehr verschiedenen kunstgeschichtlichen Anschauung
von dem Verhältnis der Gruppen zueinander. Die Denkmäler der zweiten Gruppe
sind ihm nicht Übergangsformen von der ersten zur dritten, sondern Mischformen aus
*) Riegl, Spätrömische Kunstindustrie 99.
8) Goldmann, Die ravennatischen Sarkophage (zur Kunstgesch. d. Auslandes, Heft 47) 1906.
19g Zur Stilkritik und Chronologie der christlichen Sarkophage.
diesen beiden, mithin später entstanden. Unmittelbar auf die Arkadensarkophage mit
dachförmigem Deckel folgten die Eckpilastersärge mit Wölbdeckel. Der letzteren
tektonische Form behauptete sich, auch ihre Kompositionsweise; dagegen Gestalten-
bildung, Kopftypen, Gewandbehandlung erfuhren eine Umbildung im Sinne der ersten
Gattung. Die Sarkophage ohne menschliche • Figuren gingen den Mischformen als
gleichartig zur Seite; diejenigen im Mausoleum der Galla Placidia sind nicht lange
nach Vollendung des Baues zur Aufstellung gekommen. Die spätesten ravennatischen
Sarkophage haben Motive und figürliche Typen des um sich greifenden langobardischen
Ornaments aufgenommen. Im Gegensatz zu Goldmann geht Wulff auch auf die
Ursprungsfragen ein. Während Strzygowski die gesamte Kunst von Ravenna aus
Syrien ableitet, nimmt Wulff die Sarkophage der ersten Gattung davon aus, er ver-
mutet den Ursprung des Typus im nordwestlichen Kleinasien.1)
Für jetzt nur auf die Chronologie gerichtet, als auf die dringendste Aufgabe,
stellen wir die Ursprungsfragen auch hier zurück. Als Anfänger auf diesem Gebiet
bescheiden wir uns zu beobachten.
Die ravennatischen Sarkophage gehören zu der alle vier Seiten skulpierenden
griechischen Klasse mit profiliertem und ornamentiertem Sockel und Sims. Da sie im
großen und ganzen später sind als die stadtrömischen, so könnte man erwarten, sie
würden auf der in den Friesen des Konstantinbogens und in zahlreichen jüngeren
römischen Sarkophagen so entschieden beschrittenen Bahn der Gestaltenformung weiter-
gehen, nämlich in der flächigen Bildung mit schräg unterschnittenen Rändern; daß es
nicht geschieht, überrascht und will erklärt sein. Die Arbeit ist als Regel nicht Hoch-
relief mit rundgearbeiteten Säulen und mehr oder weniger vom Grund sich lösenden
Figuren, sondern Basrelief mit mäßiger Erhebung, die Säulen sind nur Halbsäulen;
daher scheint es zu kommen, daß die Bildhauer nie auch nur in Versuchung kamen,
die Gestalten flächig mit schräg unterschnittenen Rändern zu bilden.
Wulff unterscheidet zwei Typen ravennatischer Steinsärge, den Arkadensarkophag
mit dachtörmigem und den Eckpilastersarkophag mit rundgewölbtem Deckel. Der
klassische Archäologe wird Bedenken tragen, diese Unterscheidung ohne Randglosse
hinzunehmen. Daß der zweite Typus in reiner Form erst später auftritt als in Misch-
form, mag auf Zufall beruhen. Richtig werden Säulen- und Eckpfeilersärge unter-
schieden, ingleichen Satteldach- und Wölbdeckel; aber beide Kastentypen können die
eine wie die andere Deckelform wählen, das ältere Satteldach oder die jüngere Tonnen-
form. Von diesen Erwägungen unabhängig besteht die Ursprungsfrage, wann und
woher die Bildhauer der ravennatischen Sarkophage den Wölbdeckel übernahmen.
Der älteste unserer Steinsärge ist G 348, 2, ein Säulensarkophag, welcher die
Grabschrift des Erzbischof Liberius trägt, der 351 starb. Der Deckel des Sarges fehlt.
Der Sockel ist nicht der reichste der in Ravenna erhaltenen; er besitzt nur einen mit
Blättergirlande verzierten Wulst zwischen zwei Plättchen. Die den Kasten umgebenden
spiralkannelierten Säulen mit korinthischen Kapitellen bilden an den Langseiten je
fünf, an den Schmalseiten je drei Nischen unter Rundbögen; die Halbkuppel der Nische
ist mit einer Muschel ausgekleidet. Die Zwickel füllt ein nicht recht klares Blatt-
ornament. Von heidnischen und christlichen Säulensarkophagen war oben die Rede;
auch die ravennatischen sind einzureihen in die künftig zu schreibende Geschichte der
x) Wulff, Eepertorium für Kunstwissenschaft 1908, 281.
Bavenna. 199
antiken Sarkophage, insbesondere der Säulensarkophage. Hier machen wir nur darauf
aufmerksam, daß die Muschel auch an den besprochenen stadtrömischen und sonst
italischen Sarkophagen vorkam (G 322, 2. 331, 2. 319. 325. 328 [Abb. 18]), mit dem
Unterschied jedoch, daß dort das Muschelschloß oben sitzt, an den ravennatischen da-
gegen unten. Soweit es sich um die zwei Reihen Sarkophage handelt, können wir für
jetzt nur die erstere Art für die frühere, die letztere für die spätere halten. In jeder
Nische ist eine Figur so angeordnet, daß der Kopf das Schloß der Muschel deckt,
mitten in der Muschel steht. In der Mittelnische jeder Langseite thront, etwas schräg
gestellt, ein jugendlicher Christus, mit der Rechten einen Gegenstand reichend, der
beidemal abgebrochen ist; man vermutet für die eine Seite eine Schrift, die er dem
mit verhüllt vorgestreckten Händen nahenden kahlstirnigen Paulus übergebe, bei der
andern Langseite denkt man den Schlüssel für Petrus. In den übrigen Nischen stehen
die andern zehn Apostel, nicht individualisiert. — Ein etwas jüngerer Säulensarkophäg,
G 347, 2, hat statt eines gegliederten Sockels nur eine als Stylobat dienende Platte,
an den Kapitellen sind die Helikes durch ein Schilfblatt ersetzt, auch das aus der
heidnischen Sarkophagkunst übernommene Akanthusmotiv in den zwei mittleren Zwickeln
ist ersetzt durch das in diesem Falle spezifisch christliche Rebenmotiv: Traube unter
großem Weinblatt, beiderseits Helikes in Pfropfenzieherform. Über den Arkaden-
scheiteln folgt ein lesbisches Kyma mit hängendem Blattkranz. Das Exemplar hat
seinen Deckel bewahrt; die Dachschrägen sind als mit großen Marmorziegeln belegt
gedacht, vor den Deckziegeln sitzen Löwenköpfe; im einen Giebel steht ein lateinisches
Kreuz mit Schwalbenschwanzköpfen, im andern ein achtarmiges Monogramm (Kreuz
und X) in Kranz, beides zwischen Tauben; die am zweiten Giebel picken am Kranz.
Die Figuren in den Nischen sind denen am vorigen Exemplar gleichartig; nur trägt
der Christus hier kurzes Haar, wie in der frühchristlichen Kunst, er scheint dem Paulus
eine Schrift zu reichen (die Rückseite ist unbearbeitet); die andern Apostel haben zum
Teil ihre Plätze gewechselt [Abb. 47]. — Der Liberiussarg scheint, wie gesagt, etwas
älter als G 347; Riegl und Goldmann hielten den zweiten für Kopie des ersten, Wulff
glaubt beide einem gemeinsamen Original nachgebildet, dessen Elemente nun aus den
zwei Nachbildungen zusammenzusuchen wären. Die Arbeit ist so gut, daß Riegl den
Liberiussarg in den Anfang des vierten Jahrhunderts setzen wollte; Goldmann bleibt
beim Todesjahr des Bischofs stehen (351).1)
Ich lasse einen Sarkophag mit Eckpfeilern folgen, den großen im Museum G 332;
sein Deckel fehlt leider. In die Riefeln der Pilaster sind unten Stäbe gelegt; auf den
korinthischen Kapitellen liegt ein jonisches Epistyl. An der Front steht der bärtige
langlockige Christus, mit Nimbus und darin eingezeichnetem Monogramm, auf dem
Berg, wie üblich die Rechte offen gehoben, den Kopf etwas zum anbetenden Paulus
gewendet, in der Linken die offen hängende Rolle, welche der heraneilende Petrus mit
verhüllten Händen empfängt. Es folgt jederseits ein naturalistisch dargestellter Palm-
baum, hinter dem links der Verstorbene steht (in der ravennatischen Skulptur nur
hier), ein Offizier, rechts seine Frau, beide anbetend, er geneigten Hauptes [Abb. 48].
An den Schmalseiten links Daniel in der typischen Barbarentracht, und zwar mit ge-
schlitztem Rock, zwischen den zwei symmetrisch sitzenden Löwen, rechts Jesus, das
J) Liberius: G 348. Riegl Fig. 27. Goetz, Ravenna 1901 Abb. 76. Goldmann 1. 19Taf. 1.
Ricci n. 320—322. — G 347: Riegl Fig. 28. Goetz Abb. 74. 75. Goldmann 2. 19 Taf. 2, 2.
Ricci n. 323—324.
200 Zur Stilkritik und Chronologie der christlichen Sarkophage.
Haar in die Stirn, mit Nimbus und eingezeichnetem Monogramm zwischen A und £2,
mit vorgestreckter Rechten den Lazarus erweckend. Die Mumie steht frontal, nur
das Gesicht Jesus halb zugewandt, in dem auf zwei Säulchen unter Rundbogen redu-
zierten Mausoleum; zur Höhe des Unterbaues führen links Stufen hinauf, das Ganze
ein Kompromiß zwischen lateraler und frontaler Richtung. Hinter Jesus ein Laub-
baum, Stamm und Wipfel plastisch, das Laub durchbrochen, auslaufende Zweige liegen
ganz flach auf dem Grund, ein letzter Nachklang der hellenistischen Landschaftskunst,
wie sie aus den wiener Brunnenreliefs, einerlei welcher Zeit, am bekanntesten ist.1)
Eine Vermischung heterogener Elemente bringt bereits der Sarg des Petrus
Peccans. Der rund gewölbte Deckel ist rings von einem glatten Randstreifen umzogen,
das Innere füllen Schuppen, die vom First nach beiden Seiten hin abfallen. Der
Kasten hat zwar das einheitliche Feld des Eckpfeilertyp, aber die Spiralsäulen, und
auf die Kapitelle gelegt einen Balken mit dem hängenden Blattkranz, beides wie G 347.
In viel freiem Feld (man möchte in diesem Falle glauben, es sei durch den Ausfall
der Arkaden bedingt) thront der jugendliche und immer noch kurzhaarige Christus,
ein wenig in der erregten Haltung des Nervasitzbildes, Gesicht und Rechte dem von
links mit verhüllten Händen herbeieilenden Paulus zugewandt; dazu drei anbetende
Apostel. An den Schmalseiten je zwei in Halbprofil in verhüllten Händen ihre Kränze
des Lebens bringende Selige, im einen Bogenfeld ein Schaf, am Bogen läuft eine
flache Wellenranke (sie erinnert an die am Giebel des berliner Christusreliefs), im
andern Bogenfeld eine Blumenvase zwischen zwei Tauben, am Bogen eine schematische
Blättergirlande.2)
Am Sarkophag des Rinaldus sind die Blätter am Deckel spitz und haben eine
Mittelrippe, in deutlich pflanzlicher Auffassung; das Motiv wird vom Blattkranz des
Architravs herübergenommen sein. Der architektonische Rahmen des Kastens ist der-
selbe wie am vorigen Stück; doch scheint das unsre jünger. Der jugendliche Christus,
wieder langlockig, mit Nimbus und eingezeichnetem Monogramm, thront auf dem Berg,
streng frontal, auf der Linken das aufgeschlagene Buch der Buchreligion, die offne
Rechte dem von links heraneilenden Paulus zugestreckt; in symmetrisch entsprechender
Haltung kommt von der andern Seite Petrus mit geschultertem Kreuz; beide Apostel
bringen auf verhüllten Händen ihre Kränze des Lebens als Weihgeschenk dar. Hinter
jedem Apostel ein Palmbaum, nun zum Schema geworden. Am Himmel schweben
beiderseits des Nimbus Wolken [Abb. 49]. An der linken Schmalseite das Monogramm,
mit eingeschriebenem A und 2, in Kranz, umgeben von zwei Wellenranken, auf deren
Spitzen Vögel sitzen, im Bogenfeld das sechsarmige Monogramm IX in Kranz; an der
rechten Schmalseite steigen aus einer Vase zwei schon schematische symmetrische Wein-
ranken, an deren Trauben Vögel picken, im Bogenfeld steht etwas erhöht das Kreuz-
monogramm, zwischen zwei Schafen. Die Säulen der Schmalseiten sind schlanker als
die der Front.8)
Bereits beginnen die Schuppen vom Deckel zu verschwinden; auf der glatten
Fläche finden große Kreuze oder Monogramme breites Feld. Der Sarg des Exarchen
l) G 332, 2—4. Goetz Abb. 81—83. Goldm. 10. 42. Ricci n. 53. 54. — Über Holzsärge
mit gewölbtem Deckel vgl. Watzinger, Griech. Holzsarkophage 1905, 4. 41.
») G 349, 1—3. Goldm. 4. 27 Taf. 3, 3. Ricci n. 434.
») Rinaldus: G 345, 1—3. Goldm. 7. 34 Taf. 5, 5. Ricci n. 195. 196.
Bavenna. 201
Isaak setzt auf jede Abwölbung ein großes Kreuz; auch die Bogenfelder sind glatt,
in dem rechten steht ein solches auf der Bosse. Der Kasten bewahrt die architektonische
Umrahmung wie die Särge des Petrus Peccans und des Rinaldus sie hatten. An der
Vorderseite sieht man die Weisen aus dem Morgenlande im typischen Eilschritt in
großen Schalen ihre Gaben bringen; das Christkind, mit monogrammiertem Nimbus,
streckt verlangend die Händchen danach aus, es sitzt auf dem Schoß der Mutter, die
nonchalant die Beine übereinander schlägt (ihr Sitz hat große Ähnlichkeit mit der
Sella castrensis); in der oberen Ecke steht der Stern. An der linken Schmalseite die
Erweckung des Lazarus, an der rechten Daniel zwischen den Löwen, beides nach unserem
ersten Sarkophag des ersten Typus G 332; nur fehlt in der ersten Szene der Baum,
und die Mumie erstreckt ihre Frontalität nun auch auf das Gesicht; dafür blicken
die Löwen zu Daniel auf. Die Rückseite zeigt ein großes Monogramm einem Nimbus
eingezeichnet, auf ebensolchem Untersatz mit vorhängender Nase, wie er im rechten
Bogenfeld des Rinaldussargs das Kreuz trug; von beiden Seiten kommt ein Pfau,
hinter dem ein Palmbaum steht, Pfau und Baum sind gleich groß. Die Sinnbilder
meinen Selige im himmlischen Paradiesgarten im Angesichte des Herrn. — Das Front-
bild hat diesmal volleres Relief, die vorderen Arme und Beine sind vom Grund ge-
löst, daher großenteils abgebrochen; deshalb möchte ich den Sarkophag nicht später
ansetzen.1)
Die im Mausoleum der Galla Placidia vorfindlichen Sarkophage schreibt eine
hinsichtlich der Zuteilung schwankende Tradition den Nachkommen des Theodosius zu.
Wir reihen hier den meist auf Honorius zurückgeführten Sarg ein; das Mausoleum
wurde in den vierziger Jahren vollendet, der Sarkophag könnte somit um 450 ent-
standen sein. Er ist höher, seine Gestalt gedrungener, darin ähnlich den Porphyrsärgen.
Der gewölbte Deckel ist wieder geschuppt, wenn auch in etwas anderer Art, auch
hängen zwischen den untersten Schuppen Blattspitzen herab, als ob auch die Schuppen
als Blätter gedacht wären, wie es beim Rinaldussarg der Fall war; die untere Rand-
leiste trägt ein Flechtband, auf den der Wölbung folgenden Querrändern läuft ein
Eierstab. Die Eckpilaster tragen einen schlichten Balken; darunter, zwischen die
Kapitelle, ist das jonische Epistyl gesetzt. Im Feld der Frontseite stehen keine
menschlichen Figuren, sondern drei Tabernakel, das mittlere unter steilerem Giebel
(Rosetten sind in die Zwickelräume gesetzt), die äußeren unter Muschelbogen; die sechs
Säulen sind spiralkanneliert. Die Konchen mit Spiralsäulen entlehnte der Bildhauer
dem ersten Sarkophagtyp; aber das Blattwerk der Kapitelle ist an den Säulen wie an
den Pilastern nicht mehr plastisch, sondern flach ausgeschnitten. Im Mittelnaisk steht
auf dem Berg der vier Ströme das Lamm Gottes, dahinter ein hohes Kreuz mit zwei
pickenden Tauben auf den Querarmen; in jedem Nebennaisk noch ein hohes Kreuz
[Abb. 50]. An jeder Schmalseite ein großes Wasserbecken, an der linken Seite zwei
nippende Tauben auf dem Rand. Das Flechtband des Deckels läuft auch an den
Schmalseiten herum; im linken Bogenfeld ist es in einem Cancellum statt des Netz-
werks wiederholt, in etwas größerem Maßstab, die Augen mit kleinen Vierblättern ge-
füllt, in zweimal zwei liegenden Strängen; auf dem mittleren Pfosten der Schranke sitzt
ein kleines Kreuzmonogramm, mit A und J2, in einem Doppelkreis, dem Rudiment des
») Isaak: G 311. Götz Abb. 84 die Schmalseiten. Goldm. 12. 45 Taf. 7, 9. 8, 9. Ricci
n. 50—52.
202 Zur Stilkritik und Chronologie der christlichen Sarkophage.
ursprünglichen Kranzes, wie die Bandenden beweisen. Im rechten Bogenfeld ein Palm-
baum zwischen zwei Schafen.1)
Von ähnlich hoher, gedrungener Gestalt, in den Einzelformen schlanker, im ganzen
jünger ist ein Tabernakelsarkophag in S. Apollinare in Classe. Das versenkte Feld des
Deckels ist leer, die Querrahmen sind glatt, die Längsrahmen tragen das Gurtgeflecht.
In den Bogenfeldern: links das Monogramm in Kranz zwischen zwei Tauben, rechts
eine Vase, aus der zwei symmetrische Reben mit spiralig eingerollten Astchen wachsen,
zwischen zwei Pfauen. Die Riefeln der Pilaster haben unten Stäbe eingelegt. Das
jonische Epistyl, das wir am Honoriussarg zwischen die Kapitelle gesetzt sahen, ist nun
folgerichtig ausgeschieden, dafür wurden die jetzt vier, daher schmäleren Tabernakel
höher gefuhrt. Alle vier haben die Muschel im Bogen; die zwei äußeren besitzen
Spiralsäulen mit plastischen Kapitellen (wie auch die der Eckpilaster plastisch sind),
die zwei inneren dagegen geriefte Pilaster mit flachgeschnittenen Akanthuskapitellen.
In jenen steht je ein Palmbaum, in diesen je ein schlankes Kreuzmonogramm. In den
drei Zwickelräumen stehen auf Fußleisten Tauben, die aber fast wie Raben aussehen
[Abb. 51]. An den Schmalseiten begegnet ein neues, der Barockarchitektur des dritten
Jahrhunderts entlehntes Motiv: Konsolen an den Eckpfeilern, seitlich ihnen angearbeitet,
sie tragen einen Flachbogen; darunter steht an der rechten Schmalseite auf dem Vier-
stromberg das Lamm Gottes mit monogrammiertem Nimbus, an der linken Schmalseite
eine Vase, in die aus einer darüber angebrachten Muschel Wasser strömt; beider-
seits auf dünnen Pfeilern stehende Vögel strecken durstig die Schnäbel nach dem
Wasser aus.2)
Die hoch und gedrungen gebauten Sarkophage blieben doch Ausnahmen; auf die
Dauer behauptete sich die niedriglange Form. Und es siegte der Pfeiler über die
Säule, wohl weil er flach ist. Ein andrer Sarkophag in Apollinare in Classe G 346, 2 — 4
veranschaulicht die neue Phase. Der Architrav trägt wieder einmal den hängenden
Blattkranz, der nun auch als Längssaum des Deckels auftritt, scheinbar steigend, die
Spitze nach oben; aber er ist als Rahmen des in Aufsicht zu betrachtenden Feldes
zu nehmen, wie die Bogenfelder bestätigen, die er rings umläuft. Im Deckelfeld stehen
auf jeder Seite drei große achtarmige Monogramme, in den Bogenfeldern je ein Kreuz
in der Symmetrieachse zweier Ranken, auf denen zwei Tauben sitzen, oben zwei
Rosetten. Der Archäologe erinnert sich der reichentwickelten klassischen Anthemien,
in Skulptur und in Malerei, dies z. B. an unteritalischen Vasen, aus deren Herzstücken
Köpfe und ganze Figuren sich erheben. Am Kasten der streng frontal thronende
Christus mit dem aufgeschlagenen Buch zwischen den herbeieilenden Apostelfursten ;
diesmal reicht er dem Paulus eine Schriftrolle, Petrus hat den Schlüssel; dazu zwei
anbetende und zwei ihre Lebenskränze darbringende Apostel. Was am Sarg des Petrus
Peccans auf Haupt- und Nebenseiten verteilt war, finden wir hier an der Front zu-
sammengerückt, um den obendrein längeren Raum besser zu füllen. Die übrigen
Apostel stehen an den Schmalseiten zu dreien, frontal, nur die Gesichter sind ver-
schieden gestellt. An der Rückseite sehen wir das Kreuz auf dem Nimbus zwischen
zwei Pfauen mit detaillierten Schwanzfedern, hinter ihnen entsenden zwei Weinstöcke
') G 356: Götz Abo. 88. Goldm. 13. 57 weist den Sarg dem siebenten Jahrhundert zu,
wegen des P, Wulff dagegen der Zeit gleich nach Vollendung des Mausoleums. Ricci n. 62. 63.
2) Ricci n. 246.
Ravenna. 203
in großen Kreislinien sich bewegende Reben; die Blätter sind ausgezackt, die Helikes
pfropfenzieh erförmig. *)
Hier erst möchte ich den Sarkophag der Pignati folgen lassen [Abb. 52 die
Rückseite]. Der Deckel trägt an den Seiten ein großes Kreuz mit Schwalbenschwanz-
köpfen ; der antike Schmuck der Eckakroterien (die hier ausnahmsweise an gewölbtem
Deckel auftreten) ist nur an der Rückseite erhalten, es sind unverstandene Halb-
palmetten mit eingerollten Blattspitzen. Der Kasten hat wieder einmal einen profilierten
Sockel; die Eckpilaster, mit plastischen Kapitellen, tragen wieder das jonische Epistyl.
An der Vorderseite thront Christus, unter dessen Füßen sich Löwe und Schlange
krümmen (Psalm 91, 13), zwischen zwei wie er frontal gestellten Aposteln und den
zwei Palmbäumen. An der einen Schmalseite die Verkündigung: zu der sitzend
spinnenden matronalen Maria kommt der Engel, jetzt geflügelt; an der andern Schmal-
seite die Begegnung der Elisabeth und der Maria, im Hintergrund zwei Pinien, wie
sie in den Attisreliefs vorkommen. Die Rückseite zeigt ein Wassergefäß, aus dem zwei
Hirsche trinken. — Ein Sarkophag im Museum, mit profiliertem Sockel und Sims
aber ungeriefelten Eckpilastern, bringt das Monogramm in Kranz zwischen zwei Schafen
und zwei Palmbäumen. — Apollinare in Classe. Ecksäulen, mit glatten Schäften; die
Girlande, die einst den Sockel zierte, jetzt am Epistyl; dazu wieder der gewölbte
Deckel mit Kreuzmonogramm, an Ketten hängen A und Q zwischen zwei Pfauen.
Am Kasten dasselbe Monogramm zwischen zwei Schafen, hinter denen Palmbäume
stehen. An der einen Schmalseite ein umblickendes Schaf, hinter dem ein mit
Gemmen verziertes Kreuzmonogramm steht, eine Taube fliegt herzu, einen kleinen
Kranz im Schnabel; im Bogenfeld, über der zu einem Löwenkopf ausgearbeiteten Bosse,
eine Vase, aus der zwei Weinreben steigen. An der andern Schmalseite das Kreuz-
monogramm zwischen zwei Pfauen auf dem Vierstromberg, zwischen den Strömen
schießt eine Blume auf; oben das gemmierte Kreuzmonogramm zwischen zwei Tauben.
Die Schafe sind modelliert, aber die Wollzotteln als Schuppen gezeichnet.2)
Ein Spätling der Sarkophaggattung mit spiralkannelierten Ecksäulen, der Sarg
des Exuperantius, hat seinen Deckel eingebüßt. Die Vorderseite bringt den nimbierten
Christus mit Rolle, zwischen Paulus mit Buch und Petrus mit Kreuz, alle drei streng
frontal, die Gebärden wie von Automaten, der Christus redend, die Apostel anbetend;
Paulus ist kahl und bärtig, Christus und Petrus bartlos, das Haar in die Stirn. Beider-
seits ein Palmbaum, dessen Stamm sich jetzt nach oben verjüngt, statt nach unten.
An der linken Schmalseite das Anthemion mit zentralem Kreuz, an der rechten das
Monogramm mit eingezeichnetem A und Q im Nimbus und im Kranz. In technischer
Beziehung ist zu bemerken, daß zur Herstellung der Monogramme die Bildhauer von
jetzt an sich begnügen, sie in einen Kreis einzuzeichnen und den Grund innerhalb des
Kreises auszuheben.3)
Noch ein Spätling, und zwar des Arkadensarkophags, ist der Sarg des Barbatianus.
Am Deckel auf jeder Seite das Monogramm im Nimbus und im Kranz, zwischen zwei
großen Kreuzen; an der Vorderseite ist alles reicher, in den Winkeln des Monogramms
*) G 346, 2—4. Götz Abb. 77. 78. Goldm. 4. 30 Taf. 5, 4 a die Rückseite. Ricci n. 250.
251. 644.
^deiPignatta: G 344. Götz, Abb. 90 die Rückseite. Goldm. 10. 44 Taf. 4, 8. Ricci
n. 339—341. Museum n. 514. Goldm. 11. Ricci n. 348. — Apollinare: G 389, 2—4.
3) Exuperantius: G 336, 1—3. Götz Abb. 80. Goldm. 37 Taf. 2, 6.
204 Zur Stilkritik und Chronologie der christlichen Sarkophage.
wechselt das A und Q mit Rosetten, der Kranz ist von Blumen gewunden (hinten nur
von Blättern), die Kreuze sind reich mit Edelsteinen besetzt. Diesmal umzieht eine
Wellenranke den Deckel; dieselbe schließt auch die Architektur des Kastens ab (an
der Front und an der linken Schmalseite ist ein kleines Kreuz zentral hineingesetzt).
Die viel dünneren Säulen haben glatte Schäfte, die Ecksäulen sind in Säulenbündel
aufgelöst, die erst im Oberteil des Kapitells sich wieder vereinigen. Die Muscheln
über den Nischen schweben in der Luft, die Bögen fehlen. In den Zwickeln zwei
Vasen, zwei Ranken, zwei Tauben, alles wie mittelalterliche Metallarbeit anmutend.
In den Nischen die drei frontalen Gestalten des Exuperantiussarges fast unverändert
wiederholt, in den Endnischen je eine große Blumen vase [Abb. 53]. In den vier
Nischen der Schmalseite jedesmal das bekannte Symbol des Monogramms (hier IX im
Nimbus) auf dem Kreuz, nun aber zwischen zwei Kandelabern mit brennender Kerze.
In den Bogenfeldern, hier eine Vase zwischen Ranken, dort das nimbierte Monogramm
in Kranz zwischen zwei Pfauen. Die Bosse darunter ist zu einem Dickhäuter aus-
gebildet; einige sehen darin ein Nilpferd als Bild des Teufels, andere ein Nashorn als
Bild des Christus. An der Rückseite das Monogramm IX in Nimbus zwischen zwei
großen Schafen.1)
Der Sarg des Theodorus erweist sich im tektonischen Schema als Nachbild des
Sarkophags Apollinare in Classe G 346. An beiden Seiten des Deckels hat der Bild-
hauer das Monogramm mit eingezeichneten A und Q angebracht, zwischen zwei Kreuz-
monogrammen mit anhängenden A und ß, alle drei Monogramme in dicken Kränzen
(aber ohne Ei!). Diese Monogramme hat er in der gelegentlich des Exuperantiussargs
beschriebenen Technik hergestellt. Dagegen am Kasten hat er ein Monogramm mit
A und 2 in flachem Relief auf die ebenfalls erhabene Nimbusscheibe gelegt; im übrigen
wiederholt er hier die Komposition von G 346, nur sind ein paar Kleintiere nebst
zwei Rosetten hinzugefügt [Abb. 54]. Die Rückseite ist ähnlich verziert, mit noch
mehr Abwechslung in den Tieren. An den Schmalseiten je eine Vase, in die ein
Kreuz eintaucht, von oben schwebt eine Taube darauf herab, also die aus der Jordan-
taufe, eingerahmt von zwei Blumenranken, in deren jeder eine Taube sitzt. In den
Bogenfeldern das Anthemion mit zentralem Kreuz und zwei Tauben, auch dies nach
G 346 kopiert; nur ist hinzugekommen, daß auf den Bossen Löwenköpfe sitzen.2)
Man kann nicht sagen, die Bildhauer hätten nach der Schablone gearbeitet; im
Gegenteil, aus ihrem kleinen Kapital wußten sie immer neue Spielformen heraus-
zuschlagen. Der Giebelsarkophag kommt noch einmal wieder in Mode, mit Steilgiebel,
und zwar in Verbindung mit einem viel älteren Motiv, dem Urmotiv, der Holzkiste.
Der Sarg des Bartholomäus verbindet den satteldachförmigen ziegelgedeckten Deckel
mit Formen der Tischlerarbeit am Kasten, Rahmen und Füllung. In die Akroterien
sind weibliche Porträts gesetzt; am Kasten ist eine die ganze Höhe der Front ein-
nehmende Tabula ansata angedeutet, die von zwei Eroten in langen Kleidchen und
Mantel gehalten wird. An einer Schmalseite steht das Kreuzmonogramm mit an-
hängendem A und Q (der Stern belebt den linken oberen Winkel) auf dem Berg
*) Barbatianus: G 336, 4. 337, 1—3. Götz, Abb. 79. Riegl, Spätröm. Kunstind. 103 nennt
die Art des Reliefs schon mittelalterlich, setzt das Stück aber doch noch ins vierte Jahrhundert.
Goldm. 9. 38 Taf. 7, 7. Ricci n. 192. 193.
2) Theodorus: C 391, 3. Goldm. 5. 55 Taf. 6, 10. Ricci n. 252. 253. 638.
Ravenua. 205
zwischen zwei aufblickenden Schafen, hinter denen Bäumchen stehen — alles in flacher
Arbeit wie ausgeschnitten. — Eine Sarkophagfront in S. Giovanni Battista zeigt die
Weisen aus dem Morgenland, wie sie dem Christkind ihre Gaben bringen; die Mutter,
im Korbstuhl sitzend, hält er vor sich hin. — Einer der Sarkophage im Mausoleum der
Galla Placidia zeigt an der Vorderseite das Lamm Gottes mit monogrammiertem Nimbus
auf dem Vierstromberg zwischen zwei Schafen und zwei zierlich gearbeiteten Palmbäumen
[Abb. 55]; an der einen Schmalseite eine Vase mit Wassersprudel, daran zwei Tauben nippen,
zwischen zwei ähnlichen Palmbäumen. In die Akroterien der Front sind Monogramme
gesetzt, in die Steilgiebel eine Vase mit Sprudel und ein Monogramm mit A und Q.1)
Aber unter den als Giebeldach gebildeten Deckel schiebt sich von neuem der
Kasten mit Eckpilastern. Ein Stück im Museum bringt das Monogramm mit an-
hängendem A und Q in Kranz, zwischen zwei Schafen, über denen je eine große
Rosette steht. An den Schmalseiten wieder der Bogen auf zwei Konsolen, darunter
dasselbe Monogramm auf den Nimbus gelegt; eben dies Symbol wird im Steilgiebel
klein wiederholt, im Kranz, zwischen zwei Tauben. — Noch ein hoher kurzer Sarko-
phag, im Museum. Ziegelgedecktes Satteldach; in den Akroterien nach einer Blume
in Aufsicht umblickende Pfauen. Am Kasten Tabula ansät a zwischen zwei schlanken
Kreuzen. An den Schmalseiten der Bogen auf Konsolen, darunter das Kreuz, mit
anhängendem A und J0, auf dem nun in einen Stufenbau umgearbeiteten Berg, an dem
zwei Ströme schematisch noch eben angedeutet sind. Im Steilgiebel Kreuz zwischen
zwei Schafen.2)
Künstlerische Erschöpfung offenbart sich an dem Sarkophag von S. Apollinare
in Classe G 390, 2 — 4, offenbart sich um so handgreiflicher, als der Bildhauer noch
einen Versuch wagt, den glänzenden Arkadensarkophag zu erneuern und zwar mit
gewölbtem und geschupptem Deckel. An der Front hat er die mittlere der herkömm-
lichen fünf Konchen auf zweieinhalbfache Breite erweitert, unter zwei Muschelbögen
und einem breiteren Wandstück dazwischen; die inneren Bogenanfänger ruhen auf einer
halben Kapitelldeckplatte, das Wandstück auf einem Stückchen Eierstab. In das Wand-
stück wurde das Monogramm in Kranz gesetzt. Die Zwickel sind mit Blumen aus-
gefüllt, die in ihrer ganzen Anlage atavistisch an die altägyptischen und kretisch-
mykenischen Zwickelblumen der damals beliebten Spiralnetze erinnern; sie wiederholen
sich an der linken Schmalseite, während die rechte Palmwedel vorzieht. Merkwürdig
sind die korinthischen Kapitelle, angelegt in der längst üblichen plastischen Form mit
ungezackten Rändern, Schilfblättern und dergleichen ähnlich; aber man hat ihnen flache
ausgezackte Blätter aufgelegt. Den Unterrand des Deckels säumt das kindlich aus-
geführte Schema des Eierstabs; „Pfeilspitzen" sind nur an der rechten Schmalseite
zustande gekommen, die Spitzen weisen wieder nach dem Bogenfeld. Die zwei Bögen
selbst tragen Girlanden in flachem Relief. Zur Füllung dient im breiteren Mittelfeld
die Vase mit Wassersprudel, an dem zwei Pfauen nippen, auf gegliederten Bathren
stehend; in den nächsten Nischen hohe Kreuze, in den letzten Palmbäume, an den
Schmalseiten wieder Kreuze. Im rechten Bogenfeld eine Muschel, im linken das
^Bartholomäus: G 387, 8 die Schmalseite. Götz, Abb. 87 die Frontseite. Goldm. 3.
Ricci n. 325, 26. — S. Giovanni Battista: Götz, Abb. 85, aber die Heiligen drei Könige sind
sie noch immer nicht, sondern immer noch die persischen Magier. — Galla Placidia: G 355.
Götz, Abb. 89. Goldm. 13. 57 Taf. 8, 11. Kicci n. 64. 65.
*) Mit Schafen: Ricci n. 344. — Mit Tabula: Ricci n. 342.
206 Zur Stilkritik und Chronologie der christlichen Sarkophage.
Monogramm in Kranz zwischen zwei Tauben. — Dann aber ein noch schlimmerer
Abfall; die Figuren, unbeholfen gezeichnet, werden nur ganz flach ausgeschnitten. G391, 2
gibt den Eckpilastersarg ganz schematisch wieder. Am Kasten sieht man das radartige
achtarmige Monogramm zwischen zwei Schafen, deren jedes ein Kreuz trägt, wie wir
den Petrus es tragen sahen; die Symbolgruppe würde demnach auf den Christus
zwischen Paulus (der zur Wahrung der Symmetrie auch das Kreuz bekommen hätte)
und Petrus zu deuten sein. Am Deckel eine Vase zwischen zwei Pfauen. — Kurz
verzeichnen wir die Reihe der Särge G 392 mit den Inschriften der Erzbischöfe Felix,
Johann VIII, Gratiosus, gestorben gegen 705, 784, 788; die Inschriften bewegen sich
alle in derselben Formel: j* Hie tumulus clausuni servat corpus domini Felicis sanetissimi ac
ter beatissimi archiepiscopi. Alle drei Sarkophage führen am Deckelsaum das Flecht-
band, Felix noch leidlich, die beiden andern etwa in der Barbarisierung der älter-
italischen Ornamentik. Felix legt über die ganze Länge des Deckels ein riesiges Kreuz,
in die Winkel je ein Kreuzmonogramm mit anhängendem A und 2 in Kranz; die
Kastenfront rahmt links eine Säule mit glattem Schaft, rechts ein geriefelter Pfeiler;
im Feld drei Tabernakel; im mittleren unter Giebel dasselbe Kreuzmonogramm, in
den seitlichen, unter Bögen, hängen Kronleuchter; in den mittleren Intervallen je ein
Kreuz über einem fast pferdartigen Schaf, in den äußeren je ein Kandelaber mit
brennender Kerze. — Die beiden anderen Sarkophage kehren zum Tischlerwerkmotiv
zurück, Johannes gibt das innere Rahmenprofil noch gut, Gratiosus markiert es bloß.
In der Füllung stehen drei versenkte Kreuze; in den Zwischenräumen liest man die
Inschrift. Gratiosus legt wieder das große Kreuz langhin auf den Deckel und füllt
die Räume mit ein paar kleineren Kreuzen; alle diese Kreuze haben Schwalbenschwanz-
köpfe, die Spitzen der Schwalbenschwänze sind aber eingerollt [Abb. 56].1)
Zu guter Letzt wird das Feld zwischen den Eckpfeilern eines Sarkophags mit ge-
wölbtem Deckel auch noch mit dem Tischlerrahmen umschlossen. Die Eckpilaster selbst
erhalten in hellenistischer Art eine verzierte Füllung, die steigende Ranke ist natürlich
spätestantik gezeichnet und gemeißelt, das Kapitell erinnert an spätmykenische und
altkyprische Abschleifungen. Im Feld Kreuz in gemmiertem Kranz zwischen zwei
Schafen und zwei kaum erkennbaren Palmbäumen. Am Deckel drei sechsarmige
Monogramme (IX) in Kranz. Goetz, Abb. 91. — Von einem andern Sarkophag liegen
mir nur die Photographien der Schmalseiten vor. Das Arkadenmotiv in neuer Stilisie-
rung, die Bögen hufeisenförmig, Säulenschäfte und Bögen gefüllt mit je einer Reihe
dicker Punkte; eine S förmige Ranke füllt die Nische, in jedem Rund bilden vier vom
Stengel sich ablösende Blätter die Form einer Turbinenschraube. Alles in flacher und
roher Ausführung. Ricci n. 258. — Endlich das Flechtband in seiner Vorherrschaft,
und zwar in der barbarisierten Ausführung wie wir es an den Särgen der Erzbischöfe
Johannes und Gratiosus sahen. Die oblonge Inschrift des Gregorius und der Maria,
im erzbischöflichen Palast, umrahmen vier voneinander unabhängige Flechtbänder, an
jeder Seite eines; jederseits eins von den letzterwähnten Kreuzen. Ricci 228. — Ein
x) G 390, 2-4. Götz, Abb. 86. Goldm. 6. Ricci n. 254. 255. 639. — Zwickelblumen : v. Sybel,
Kritik des ägyptischen Ornaments 1883, 9 Taf. 1; Weltgesch.2 58 Abb. des Plafonds von Orcho-
menos und Taf. 1 Plafond in Theben. — G 391, 2: Goldm. 6. — G 392, 1 Felix: Götz, Abb. 92.
Goldm. 7. Ricci n. 259. — G 392, 2 Johannes: Goldm. 6. — G 392, 3 Gratiosus: Goldm. 5.
Ricci 249.
Gallien. 207
ganzer Sarg umgibt die Vorderfläche (daran eine sekundäre Inschrift von 1570) mit
doppelsträhnigem Flechtband, an der linken Schmalseite ist es sogar dreisträhnig, im
Feld steht ein Kreuz. Ricci n. 346.
Ich habe versucht, eine Anzahl der in Photographien vorliegenden, also kontrollier-
baren ravennatischen Sarkophage chronologisch zu ordnen , freilich nur mittels der
Stilkritik in relativer Chronologie. Auch dies bleibe offene Frage, wieweit die hier
aufgestellte Reihe über das sechste Jahrhundert herabreiche in das Mittelalter.
Gallien.
Unter Gallien ist die Gallia transalpina der Kaiserzeit verstanden; von den
Provinzen kommen, nach ihrer Einteilung zu Ende des vierten Jahrhunderts, folgende
in Betracht: Narbonensis secunda und prima, Viennensis; Novempopulana, Aquitanica
prima und secunda; Lugdunensis prima und quarta, Maxima Sequanorum; Belgica
prima und secunda.1)
Edmond Le Blant hat die altchristlichen Sarkophage dieses Gebietes veröffentlicht,
zuerst die von Arles, dann die des übrigen Galliens. Die erste Publikation gibt die
Sarkophage nach Zeichnungen wieder, die zweite photomechanisch.2)
Ähnlich wie bei den ravennatischen Sarkophagen ist auch bei den gallischen ein
Stück vorwegzunehmen, das beste und um ein Jahrhundert ältere als alle übrigen.
Der berühmte Sarkophag von La Gayolle, mit sekundärer, also hier nicht zu be-
rücksichtigender Grabschrift, gehört zur Klasse der griechischen mit profiliertem Sockel
und Sims; der Sockel trägt eine Wellenranke. Verziert ist nur die Vorderseite, be-
schädigt manches, besonders an den Köpfen, herausgebrochen ein Stück in der Mitte.
Vier Hintergrundbäume (auf jedem ein Vogel) trennen fünf Räume, in welche die
Figuren verteilt sind. In der Mitte sitzt rechtshin auf geschweiftem Stuhl ein Mann,
anscheinend im bloßen Mantel (Oberfigur ausgebrochen), vor ihm steht in Vorder-
ansicht ein Knabe in seinen Mantel geschlagen; zwischen beiden befindet sich der Rest
eines unerkennbaren Gerätes. Links folgt eine Anbetende in Orantentypus zwischen
Schafen; eins kommt hinter ihr hervor, drei andere lagern auf einem Hügel unter dem
letzten Baum; an den Hügel ist ein Anker gelehnt. Zuletzt ein bärtiger Angler in
Exomis, der einen Fisch aus dem Wasser zieht, in der Linken trägt er den Fischkorb;
im Feld oben Büste des Sonnengottes in Chlamys und mit Strahlen. Rechts ein bärtiger
Guter Hirt in Exomis, neben ihm ein Schaf; er wendet sich einem Bärtigen zu, der
in bloßem Mantel auf Fels linkshin sitzt, mit einer Art Zepter im aufgelehnten linken
Arm, die Rechte grüßend oder anbetend dem Hirten zugestreckt. In dem zentral
Sitzenden darf ohne weiteres der Verstorbene erkannt werden, mit seinem Knaben,
*) Provinzen: Marquardt, Komische Staatsverwaltung 2I 1881, 282.
2) Le Blant, Fltude sur les sarcophages chre"tiens antiques de la ville d' Arles, dessins de
M. Pierre Fritel (in der Collection de documents ingdits sur Phistoire de France publik par les
soins du ministre de l'instruction publique, troisieme serie, arche"ologie) Paris 1878. Derselbe, Les
sarcophages chretiens de la Gaule (in derselben Sammlung) 1886. Ich zitiere die beiden Werke
mit den Schlagworten Arles und Gaule, die Sarkophage außerhalb von Arles aber nach Provinz,
Nummer und Tafel, zutreffenden Falles unter Beifügung von Garruccis Tafelnummer. — Prost,
Rev. arch. 1887, I 329. II 51. 195.
208 Zur Stilkritik und Chronologie der christlichen Sarkophage
in der Anbetenden eine Angehörige; auch der rechts Sitzende, vielleicht künstlerisch
geschaffen unter Anlehnung an heidnische Götter- oder Königsdarstellungen, ist doch
ein Angehöriger, wegen der offenkundigen Beziehung zwischen ihm und dem Guten
Hirten. Geist und Komposition des Reliefs hat bei mehreren Eigenheiten doch viel
Verwandtschaft mit unseren ältesten stadtrömischen Sarkophagen, wie denen von der
Via Salaria und Maria Antiqua. Le Blant setzt den unseren an das Ende des zweiten
Jahrhunderts. Die Frisur des Frauenkopfs scheint auf das frühere dritte zu weisen;
leider ist er zu verwittert, um mit Sicherheit erkennen zu lassen, ob die Ohren
bedeckt sind oder frei [Abb. 8].1)
An der Mittelmeerküste und das Rhonetal hinauf gab es schon um die Mitte
des zweiten Jahrhunderts kleine, vorwiegend griechische christliche Gemeinden, zuerst
in den größeren Städten. Die Christianisierung der römischen Bevölkerung muß sich
wesentlich im dritten Jahrhundert vollzogen haben, um 450 war sie vollendete Tat-
sache. Die Mission bei den Kelten ging langsamer voran, noch im dritten Jahrhundert
hatte sie nur bescheidene Erfolge aufzuweisen, so in den westlichen Gebieten, so in
den Belgicae; zum Ziele gelangte sie erst erheblich später als die Christianisierung der
römischen Bevölkerung des Landes. — Die christlichen Inschriften beginnen in Gallien
erst mit dem vierten Jahrhundert.8)
Der Sarkophag von La Gayolle, vielleicht importiert, vielleicht in Südostgallien
selbst entstanden, bedeutet für die dortige christliche Antike die eine Schwalbe, die
noch keinen Sommer macht. Erst nach langer Pause, im vierten Jahrhundert, gleich-
zeitig mit den christlichen Inschriften, erscheint die Masse der christlichen gallischen
Sarkophage. Sie werden in der Hauptsache auch diesem Jahrhundert angehören;
welche Arten und wieviele Stücke dem fünften, ist vorläufig schwer zu sagen. Daher
werden wir diese in sich geschlossene Masse ähnlich behandeln, wie die nahverwandte
der stadtrömischen und italischen desselben vierten Jahrhunderts, nach ihren tektonischen
Typen geordnet; innerhalb jedes Typus aber werden wir versuchen, in relativer Chro-
nologie Früheres und Späteres zu unterscheiden. Es ist wichtig zu bemerken, daß die
Masse dieser Steinsärge so gleichartig erscheint, daß die Exemplare sämtlich aus einem
und demselben räumlich beschränkten Bezirk stammen müssen, nämlich aus dem Süden,
der Provence. Von dort wurden sie der Nachfrage entsprechend exportiert, das Rhone-
tal hinauf und peripherisch ins Weite, doch nicht allzu weit. Lokale Entstehung läßt
sich eigentlich nur für den Trierer Sarg mit der Arche Noahs wahrscheinlich machen.
In alle dem hat Le Blant wohl richtig gesehen. — Die enge Verwandtschaft der
gallischen Sarkophage mit den italischen erlaubt uns, ausgesprochen oder stillschweigend,
auf das über die italischen Gesagte Bezug zu nehmen; vor allem auf den grundlegend
bedeutsamen Satz, den für die gallischen schon Le Blant und Prost aussprachen, daß
die christlichen Sarkophage sich als Fortsetzung der heidnischen geben. Wichtigere
Eigenheiten der gallischen, besonders in der Typik der Figuren, werden wir hervorheben.
Die Deckel besitzen jene gelegentlich der italischen Sarkophage besprochene
Form einer Deckplatte mit auf deren Vorderkante aufsitzendem Fries.
Geriefelte Sarkophage. Clipeus mit männlicher Büste; im linken Endfeld
*) La Gayolle: Narb. II n. 215 Taf. 59 = Arles Taf. 34 G 370, 2.
2) A. Harnack, Mission und Ausbreitung des Christentums *II 1906 222. — Inschriften:
Le Blant, Inscriptions chrötiennes de la Gaule.
Gallien. 209
unbärtiger Guter Hirt in Exomis, im rechten Hirt in Exomis mit Pedum, beide leb-
haft schreitend. Lugd. I n. 5 Taf. 1, 2—4. — Clipeus mit weiblicher Büste, darunter
Tabula ansata (in dieser Anordnung nicht in Rom); links Anbetende, rechts Guter
Hirt, beide auf Basis. Arles n. 21 Taf. 16. — Clipeus mit männlicher Büste in kon-
tabulierter Toga, darunter Jonas ruhend; links Quellwunder, rechts Gesetzesempfang.
Vienn. n. 53 Taf. 14, 2 G 357, 2. — Es folgen Sarkophage mit ganzen Gestalten im
Mittelfeld. Anbetende; links und rechts vor Parapetasma ein Seliger mit der Rechten
nach der Mitte grüßend. Arles n. 30 Taf. 12, 4. — Jugendlich langlockiger Christus
nimbiert mit offenem Buch; links und rechts ein Seliger mit Rolle; diese Endfiguren
sind stets der Mittelfigur zugewandt. Am Deckel Tabula von zwei Eroten gehalten,
links Melkszene, rechts Hirt mit Herde; ein Eckkopf, das Haar in die Stirn und
bartlos, wie die Eckköpfe an den gallischen Sarkophagen immer. Arles n. 25 Taf. 19.
— Jugendlicher Christus bewillkommnet bartlosen Anbetenden; links Petrus, rechts
Paulus, beide mit der Rechten adorierend. Narb. II n. 211 Taf. 53, 1 G 368, 3. —
Jugendlicher Christus steht rechtshin vor einem Tor ein hohes Kreuz haltend, den
linken Fuß auf einem Stein; die Verstorbene in kleiner Proportion kniet vor ihm;
links und rechts ein Seliger mit der Rechten adorierend. Vienn. n. 40 Taf. 8, 3
G 331, 1. Die Gruppierung des Mittelbildes, Christus und ein Verstorbener, kommt
in Rom nicht ebenso vor, wie an den zwei letztgenannten Sarkophagen. — Jugend-
licher Christus mit Rolle zwischen zwei Bäumen; an den Enden je ein geriefelter
Pilaster. Arles n. 14 Taf. 11, 1. — Bärtiger Christus thront zwischen Paulus, dem er
die Rolle reicht, und Petrus; keine Endfelder. Vienn. n. 67 alte Zeichnung nach
dem verlorenen Original. — Sodann Fünffeldersärge mit geteilten Feldern. Oben
Anbetung eines Hirten vor der Krippe, mit Maria, Ochs und Esel, unten die Magier
wie sie den Stern sehen; links Gesetzesempfang, rechts Opferverhinderung, beides auf
Basis. Arles n. 28 Taf. 21. — Oben Anbetung des Hirten vor der Krippe mit Ochs
und Esel, unten die Magier den Stern erblickend; links oben Elias bei seiner Himmel-
fahrt den Mantel hinter sich werfend, unten Elisa den Mantel auffangend, sodann mit
ihm den Jordan schlagend (rechtes Endfeld fehlt). Die Teilung der Mantelübergabe
in zwei Szenen und die Jordanszene sind gallische Eigenheiten. Arles n. 24 Taf. 18, 1. —
Oben Judaskuß, unten wahrscheinlich die Schlüsselübergabe (nur ein Kopf erhalten);
links oben die Samariterin mit Jesus am Ziehbrunnen, unten die Kananäerin und Jesus
mit Zacchäus redend (rechtes Endfeld fehlt). Arles n. 23 Taf. 18, 2. — Die linke
Hälfte mit der Zentralfigur (Christus?) fehlt; im rechten Endfeld ein Seliger mit der
Rechten anbetend, statt der Riefeln ein zweigeschossiges Bild, ländliche Szenen, in
Rahmen mit Wellenranke; ein geriefelter Pilaster zwischen dem Rahmen und dem
Endfeld. Narb. In. 177 Taf. 44, 2. — Noch ein ganz spätes Stück. Schöpfung,
vielmehr Segnung Adams, der auf kleinem Bema steht; im linken Endfeld (am Rand
Spiralsäule) Heilung des Blinden? im rechten Heilung des Gichtbrüchigen? statt der
Riefelfelder ländliche Szenen in zwei Geschossen. An der einen Schmalseite Daniel
zwischen den Löwen, in einem Mäntelchen, das aussieht wie Nachklang der Exomis;
in der andern ländliche Szenen in zwei Geschossen. Aquit. II n. 95 Taf. 23.
Säulensarkophage. Das früheste Exemplar vielleicht noch aus dem dritten
Jahrhundert ist Arles n. 31 Taf. 23. 24 G 361, 2. Die Vorderseite sieht ganz aus
wie heidnisch: in den zwei Mittelnischen je eine Matrone mit ihrem Sohn, der links
als Offizier und rasiert, rechts in bürgerlicher Tracht und bärtig erscheint (weil die
Sybel, Christliche Antike II. 14
210 Zur Stilkritik und Chronologie der christlichen Sarkophage.
Matrone den Ehrenplatz einnimmt, kann nicht ein Ehepaar gemeint sein). Es sind in
beiden Nischen dieselben Personen; wegen der stärkeren Verhüllung der Matrone
könnte man in der zweiten Gruppe den früheren Tod der Mutter und die Wieder-
vereinigung beider im Jenseits angedeutet finden. In den zwei äußeren Nischen steht
je ein Dioskur mit seinem Pferd; der links ist bartlos, der rechts bärtig, entsprechend
ihren Nachbarn in den Mittelnischen; sie sind demnach mit Le Blant nach heidnischem
Brauch als idealisierende Darstellungen des Verstorbenen aufzufassen. In den Zwickeln
ein leiser Anklang christlicher Vorstellungen: dreimal ein Anbetender mit Rolle in der
Linken, zweimal eine Taube, die an einem Fruchtkorb pickt [Abb. 17]. Die Schmalseiten
geben volle Gewißheit über den christlichen Stand des Verstorbenen: links Segnung der in
Schüsseln dargereichten Speisen, rechts der sitzend Lesende, vor dem ein Soldat steht.
Alle übrigen Exemplare gehören sicher dem vierten Jahrhundert an, einige dem
fünften. Ein zweigeschossiger ist vorhanden, Arles n. 32 Taf. 25. 26. Er hat ab-
wechselnd Giebel und Bögen, im Untergeschoß steht in der Mitte ein Bogen, im Ober-
geschoß ein Giebel. In den Eckzwickeln an Fruchtkörben pickende Vögel, in den mittle-
ren Kränze. Das Untergeschoß zeigt in der Mitte eine Anbetende; links einen Seligen
oder Apostel mit Begleiter, Jesus redend, das Quell wunder; rechts die Kananäerin, noch
einmal Jesus redend, den Weinzauber; das Obergeschoß in der Mitte Jesus redend, zu
seinen Füßen steht der Hahn, es folgt je ein Apostel, Le Blant erklärt den rechts
für Petrus; ferner links ein Apostel mit Begleiter, zuletzt die Segnung der Brote, die
Fischschüssel steht des engen Raumes wegen auf einem Pfeilerchen; rechts noch die
Blindenheilung und Daniel den Drachen tötend. An den Schmalseiten links oben das
Opfer Kains und Abels, und Jesus, in der Linken einen Stab, mit der Rechten nach
dem Wipfel eines Ölbaums zeigend (gemeint ist das Verdorren des Feigenbaums Mk. 11,
13. 14; das Motiv fehlt an den italischen Reliefs); unten die drei Jünglinge die Ver-
ehrung des Bildes weigernd. Rechts oben die Huldigung der Magier, hinter der Mutter
steht ein Mann in Exomis, der Tracht nach eher ein Hirt, dem Platze nach eher
Joseph, der ja auch im Arbeitskleid dargestellt werden konnte; unten der Einzug in
Jerusalem. Die Falten wie die Bohrgänge eines Holzwurms. — Verwandter Art sind
ein paar eingeschossige Säulensärge. Arles n. 19 Taf. 13: Jesus steht sprechend, mit
offner Rolle in der Linken, bei ihm ein Begleiter, jederseits drei Apostel. In den
Zwickeln Adler Kränze tragend; das Motiv ist von Zeus- Jupiter auf den Kaiser und
nun auf den Christus übertragen, vgl. auch Gaule 159 an einem Altar von La Gayolle
Adler Kranz tragend über dem Monogramm. Der Sarkophagdeckel ist fremd [Abb. 29]. —
Lugd. I n. 6 Taf. 2, 2 — 3 hat Muscheln in den Bögen, das Schloß oben. Vom zentralen
Christus sind nur die auf einen Schemel gesetzten Füße erhalten; er saß zwischen
sechsmal zwei stehenden Aposteln, unter denen auch ein Vollhaariger ist. — Andere
Sarkophage haben mehr Meißelarbeit am Falten werk, die ersten mögen früher sein
als die eben aufgeführten. Arles n. 3 Taf. 2, 1 hat breite Nischen unter Flachbögen,
ähnlich wie der Dioskurensarg, in den Zwickeln Marinemotive; erhalten sind nicht ganz
anderthalb Nischen mit dreifigurigen Gruppen, vollständig die Schlüsselübergabe. —
Narb. II n. 206 Taf. 52, 1 G 379, 2 Matrone anbetend zwischen zwei Seligen; links
Lazarus und Opfer Verhinderung, rechts Blutflüssige verbunden mit Blindenheilung,
Gesetzesempfang. — Vienn. n. 35 Taf. 7, 1 G 319 Hahnszene; links Gichtbrüchiger,
Daniel den Drachen tötend, Jüngling zu Nain; rechts Blindenheilung, zwei Soldaten
in Mütze vor dem unter einem Baum lesend Sitzenden. — Narb. In. 128 Taf. 28, 2
Gallien. 211
Monogramm in Kranz von Adlerschnabel gehalten, auf Kreuz, unter dem zwei Soldaten;
links Kreuztragen und Faßwaschen, rechts Jesus' Vorführung und Händewaschen. —
Narb. II n. 212 Taf. 54 G 352, 2 — 4 die zwei Mittelsäulen umrankt; Monogramm
auf Kreuz, darunter zwei Soldaten; links Kreuztragen und Paulus' Enthauptung, rechte
Jesus' Vorführung und Händewaschen. Linke Schmalseite: zwei behelmte Soldaten
vor einem in einem Tor Sitzenden und Sprechenden; rechts Judaskuß. — Narb. I n 171
Taf. 42, 3 rechtes Ende eines Sarkophags: Jesus' Vorführung und Händewaschen. —
Narb. I n. 130 Taf. 30, 3 linkes Ende: Hahnszene, Blindenheilung, zwei Apostel an-
betend. — Narb. I n. 188 Taf. 47, 1. 2 G 402, 7. Die drei mittleren Nischen sind
großenteils abgemeißelt, in der Mitte unten scheint der Cälus dargestellt; das würde
auf einen darüber thronenden jugendlichen Christus schließen lassen, in den Nachbar-
nischen dürften Paul und Peter gestanden haben. In den Endnischen links Kana und
Hahnszene, rechts Blindenheilung und Nain. Schmalseite (nur eine ist sichtbar): Jesus,
hier sitzend (so nicht in Italien) und die Samariterin am Ziehbrunnen.
Einige Spätlinge wird man geneigt sein, dem fünften Jahrhundert zuzuschreiben;
eine begründete Bestimmung läßt sich noch nicht geben. Lugd. IV n. 11 Taf. 2, 4;
Architektur und Zwickelverzierung in der herkömmlichen Weise, nur sind die Säulen-
schäfte bereits glatt und die Figuren überschlank; Monogramm in Kranz auf Kreuz,
darunter zwei stehende Soldaten, zwischen sechsmal zwei Aposteln. — Danach tritt
eine wesentliche Vereinfachung der Architekturformen ein. Narb. I n. 189 Taf. 43, 2
hat zwar noch einmal Spiralsäulen, aber die Schilfblattkapitelle, wie wir sie in Ravenna
fanden, schlichtprofilierte Bögen und andersartige Zwickelpflanzen; in den Nischen den
jugendlichen Christus zwischen sechs Aposteln. Die Falten sind nur hakenförmig ein-
gezeichnet. — Vienn. n. 52 Taf. 12, 4 G 332, 1 ordnet die acht Nischen in ungleicher
Breite an, die zwei mittelsten, ohnehin am breitesten sind zu einem breiten Raum
vereinigt, wie wir ähnliches auch in Ravenna fanden; nach den Enden zu werden die
Nischen immer schmäler. Die Säulen haben glatte Schäfte und sind schlecht gezeichnet,
nicht einmal senkrecht; zwischen den Bögen Zwickelblumen von der ebenfalls ge-
legentlich der ravennatischen Sarkophage besprochenen Art. In der Doppelnische
steht der bärtige Christus nimbiert und die Rechte ausstreckend auf dem Vierstrom-
berg zwischen dem anbetenden Paulus und dem die Rolle auffangenden Petrus mit
dem Kreuz; beiderseits die übrigen Apostel. Am Deckel Tabula mit eingezogenen
Längskanten von zwei Eroten gehalten, darüber Monogramm zwischen zwei Delphinen^
die ganze Gruppe zwischen zwei Bäumen; links das Lamm Gottes (zwischen zwei
Palmbäumen) auf dem Vierstromberg, an dem zwei Hirsche saufen, ganz links noch
ein Baum; rechts ein Seliger den im Monogramm dargestellten Herrn adorierend, sodann
das Wunder von Kana, und die Kundschafter die große Traube an einer Stange
tragend (dies Motiv nicht in Italien). — Endlich Narb. II n. 203 Taf. 51, 1 G 335, 1
hat umgekehrt gedrungene Architektur und ebensolche Gestalten: in der Mitte thront
der jugendliche Christus, sodann steht links Paulus, rechts Petrus, in den Endnischen
je eine adorierende Matrone.
Wir schalten zunächst einige Pfeilersärge ein. Arles n. 12 Taf. 10 bringt
eine besonders reiche Architektur, sieben Konchen getrennt durch geriefelte Stirn-
pfeiler; das Halbrund der Nische ist sorgfältig angedeutet, ihre Wand als Quaderbau
behandelt. In der Mitte steht der jugendliche Christus, die Rechte gehoben, zwischen
den zwei Jüngern mit Brotkorb und Fischschüssel, zwei Aposteln, und in den End-
14*
212 Zur Stilkritik und Chronologie der christlichen Sarkophage.
nischen Abraham mit Messer, Altar und Widder, Daniel mit Altar und Drache, beide
adorierend [Abb. 26]. — Vienn. n. 54 Taf. 16, 2 G 368, 1 ein schwacher Nachklang
solcher Architektur: schlichte Pilaster zwischen den Nischen, die im oberen Rund eine
vorhängende Nase haben, ein Rudiment des Muschelschlosses. In der Mitte steht ein
jugendlicher Adorant in ungegürteter Talaris und Pänula, zwischen Paulus und Petrus,
die ihn mit der Rechten begrüßen; in der linken Endnische eine Familie rechtshin,
der bartlose Vater trägt ein Kind auf den Händen, zu seiner Rechten geht seine Frau;
rechts ein mit der Rechten Anbetender oder Bewillkommnender. — Vienn. n. 59
Taf. 11, 1 G 342, 1 eine andre Abschwächung des Motivs im Sinne der Tischler-
arbeit: die Mittelnische unter flachem Bogen auf korinthischen Pfeilern ruhend, deren
Schaft Rahmen und Füllung zeigt; die übrigen Nischen haben wagerechten Abschluß,
die Pfeiler sind so aufgelöst, daß ihre Rahmen vom Boden aufsteigen und auch die
Nische oben schließen, in der Füllung läuft eine Wellenranke hinauf. In der Mittel-
nische thront der jugendliche Christus nimbiert, jederseits stehen drei Apostel. — Arles
n. 33 Taf. 27. Vier geriefelte Pfeiler reichen bis an den schließenden Balken, drei
rundbogige Nischen zwischen sich offen lassend. In der Mitte thront der bärtige und
langlockige Christus, den linken Fuß auf den Schemel gestellt, den rechten am Boden,
die Rechte sprechend, in der Linken die offene Rolle; links adoriert Paulus tief sich
bückend, rechts Petrus mit dem Kreuz, das die späte Kreuzmonogrammform hat, wie
das kleine Kreuzmonogramm über dem Haupte des Christus.
Auch Gebälkstücke treten zwischen die Bögen. Arles n. 11 Taf. 9, wieder
sehr reich, die Mittelsäulen umrankt, die folgenden senkrecht geriefelt mit eingelegten
Stäben, die letzten spiralgeriefelt. In der Exedra mit sich zurückziehendem Gebälk
steht der bärtige Christus auf dem von Schafen umstandenen Vierstromberg, die Rechte
ausgebreitet, aus der Linken hängt die Rolle, deren Ende der das Kreuz tragende
Petrus im Mantel auffängt, links adoriert Paulus; hinter jedem Apostel ein adorierender
Begleiter, hinter dem Christus vier Palmbäume, ein fünfter mit dem Phönix hinter
Paulus; in der linken Endnische das Fuß waschen, in der rechten das Händewaschen. —
Aus einem späteren Exemplar stammt das Bruchstück Narb. II n. 207 Taf. 52, 2,
der bärtige Christus vor der Exedra, ein Schaf zur Seite, zwischen Aposteln; alle
Säulen sind in der gewöhnlichen Art spiral geriefelt. — Gebälkstück wechselnd mit
Bögen, auf Pfeilern ruhend, darunter die Erweckung der Tabitha durch Petrus: Arles
n. 4 Taf. 2, 2. — Der jugendliche Christus sitzt zwischen zwei Seligen, vor Exedra
auf Berg, an dem Offizier und Frau kniet; in den Nischen links eine Steinigung, sowie
Paulus und Christus (beide Szenen nicht in Italien); rechts Jesus' Vorführung und das
Händewaschen. Vienn. n. 57 Taf. 14, 1 G 346, 1.
AlsHintergrundsarchitektur wird eine lange Halle eingeführt, mit verkröpftem
Gebälk und mit Marmorziegeln gedeckt, endigend in zwei Pavillons mit Giebeln; davor
sitzt der bärtige Christus mit offenem Buch, worin steht Dominus legem dat, zwischen
den zwölf ebenfalls sitzenden Aposteln; sie halten Rollen und Bücher, in viere sind die
Namen der Evangelisten geschrieben Matthäus, Marcus, Lucanus, Johannes; wie schon
längst Paulus den Zwölfen zugerechnet wurde, ohne einer von ihnen gewesen zu sein,
so finden wir hier die Evangelisten als Mitglieder des Zwölferkollegs. An den Enden
je zwei Verstorbene, links zwei Männer, rechts ihre Frauen, jedesmal die vordere
Figur sich vor dem Christus verbeugend. Von den Männern trägt anscheinend der
Stehende die Pänula, der sich verbeugende die Chlamys; es handelt sich also nur um
Gallien. 213
eine Modifikation der Gruppe des Offiziers und seiner Frau, die wir so oft zu Füßen
des auf dem Berg stehenden Christus sich verneigen oder knien sahen. Arles n. 6
Taf. 4 G 343, 3 [Abb. 30]. Zu diesem Kasten gehört der Deckel Vienn.n. 46 Taf. 10, 1 :
Tabula (mit Inschrift des Concordius sacerdos) zwischen zwölf Unbärtigen, die teils
nach der Tabula hin grüßen, teils mit Schriftrollen beschäftigt sind; an jedem Ende
ein Lesepult, von einem großen Löwenbein getragen. — Eine ähnliche Anordnung an
Seq. n. 18 Taf. 4, 2 G 343, 2, aber ohne Dach und ohne die Pavillons, womit auch
die Verstorbenen weggefallen sind; ferner fehlen die Inschriften, es bleibt also bei
den zwölf Aposteln. Der dritte links wendet sich um, der dritte rechts trägt volles
Haar, beides in beiden Exemplaren. — Etwas anders an Vienn. n. 56 Taf. 13 G 343, 1.
Hier ist's der jugendliche Christus, der auf dem Berg sitzt; davor steht das Lamm;
im Hintergrund Arkaden. An der Schmalseite Transennamuster. Giebelförmiger Deckel
mit großen unbärtigen Eckköpfen. — Der stadtrömische Sarkophag Lat. n. 125
G 314, 5 findet in Gallien mehrere Parallelen. Das Bruchstück Vienn. n. 23 Taf. 5, 4
zeigt die Heilungsszene vor den Hallen mit dem wogenden Wasser darunter; das voll-
ständigere Stück Aquit. I n. 76 Taf. 17, 1 gibt Blindenheilung, Blutflüssige, Bethesda
und ein Stück der Zacchäusszene, hier aber alles unter gleichmäßig fortlaufenden Ar-
kaden, die Bethesdaszene in sich auch zweigeschossig; vgl. Le Blant, Gaule 63. Ficker,
Lateran 72.1)
Das Motiv der Tore, abweichend von Lat. n. 125 an Aquit. I n. 76 nicht ver-
wendet, findet sich doch auch in Gallien, insbesondere als Hintergrund des Apostel-
kollegs um den Christus, teils gereiht mit zentraler Exedra, teils nur an den beiden
Enden. Narb. II n. 205 Taf. 51, 2 G 331, 3. Lugd. I n. 1 gereiht. Vienn. n. 36
Taf. 7, 2 nur Endtore. Narb. II n. 214 Taf. 51, 2 G 334, 3 nur ein Tor hinter Petrus,
entsprechend dem Palmbaum mit Hahn (Phönix) hinter Paulus, statt der übrigen
Apostel links Hahnszene und Gesetzesempfang, rechts Schlüsselübergabe und Opfer-
verhinderung. — Es kommt auch Wechsel von Toren mit Gebälkjochen vor, z. B. an
dem Bruchstück Vienn. n. 43 Taf. 8, 4, das Le Blant auf die Geschichte des Ana-
nias bezieht.
Auch an Baumgängen fehlt es nicht. Der bestgearbeitete wird Narb. I n. 187
Taf. 45, 2 G 402, 2 sein, ein Bruchstück mit jugendlichem Christus, dem die zwei
Apostelfiirsten sich verneigend ihre Kränze darbringen. — Allzuschlank sind Bäume
und Gestalten Arles n. 7 Taf. 9: anbetende Matrone zwischen zwei Seligen, links Brot-
vermehrung und Segnung der Fische, Kananäerin, Jüngling zu Nain; rechts Wasser-
verwandlung, Blindenheilung, Heilung des sitzenden Gichtbrüchigen [Abb. 27]. — Um-
gekehrt sind die Gestalten dürftig Vienn. n. 58 Taf. 11, 3 G 352, 1. — Der jugend-
liche Christus zwischen sechs Aposteln uuter Bäumen, die sich nicht berühren, weil
die Köpfe der Figuren zwischen den Wipfeln stehen; auf dem Baum links vom Christus
der Hahn, wonach der folgende Apostel Petrus ist. Narb. I n. 175 Taf. 44 G 318, 5. —
Drei Tore, davon zwei (genauer ein Doppeltor) mit Zinnen, sodann Ölbäume; vor den
x) Concordius: Wilpert, Eöm. Quartalschr. 1906, 8, 5 macht darauf aufmerksam, daß laut
der Inschrift der Verstorbene von Mutter und Bruder bestattet wurde ; daher müßten die Ehegatten
an den Enden des Sarkophags nicht für den Fall, sondern auf Vorrat gearbeitet sein. Doch könnte
der Verstorbene Witwer gewesen sein. Aber wie ist's mit der Chlamys? Und ist die Inschrift
sicher nicht sekundär?
214 Zur Stilkritik und Chronologie der christlichen Sarkophage.
Toren, die Köpfe konzentrisch zu den Torbögen, der Engel dem schlafenden Joseph
im Traum erscheinend, und die Vermählung Josephs (in Exomis) mit Maria; unter den
Bäumen der jugendliche Christus mit Aposteln Aquit I n. 91 Taf. 17, 4. — Einzelne
Bäume im Hintergrund der Szenen Arles Taf. 1. — Palmen im Hintergrund noch
Vienn. n. 49 Abb. G 341, 4 und Vienn. n. 50 Abb. G 386, 3.
Sarkophage mit gedrängten Szenen ohne Trennung. Ein paar zweizonige
mit Porträts. Arles n. 8 Taf. 6 in Muschel Ehepaar bis zum Oberschenkel, er mit
kontabulierter Toga, bartlos, Haar in Stirn, sie mit Zopf ums Haar. Links oben Gesetz-
empfang, Blindenheilung, Bedrängung, Kain und Abels Opfer; rechts Opferverhinderung,
Speisensegnung, Leseszene mit den zwei Soldaten. Unter der Muschel Jonasszenen;
links Daniel den Drachen tötend, Weinwunder, anbetende Matrone zwischen zwei
Paradiesesbäumen nebst einem Seligen; rechts Sündenfall mit Garbe, Daniel zwischen
den Löwen. — Arles n. 10 Taf. 8: in Clipeus Büsten eines Ehepaars, er in Toga
contabulata, sie mit Zopf ums Haar und Perlenschnur um den Hals; links Opferver-
hinderung, und die zwei Ältesten aus der Susannageschichte vor Daniel geführt; rechts
Susanna unter zwei Bäumen stehend und lesend (ähnlich wie Crispina an ihrem Sarkophag
im Lateran), hinter den Bäumen lauern die Ältesten; zuletzt das Händewaschen. Unter
der Muschel und rechts der Untergang der Ägypter im Roten Meer und die Rettung
der Israeliten; links Daniel zwischen den Löwen, sowie die drei Jünglinge vor Nebu-
kadnezar. — Arles n. 35 Taf. 29, zweizonig ohne Porträts; unter den sehr beschädigten
Darstellungen ist besonders bemerkenswert die Himmelfahrt, dargestellt als ein Berg-
steigen; eine Hand aus Wolken kam Jesus dabei zu Hilfe (das Motiv nicht an italischen
Sarkophagen).
Aus der großen Zahl einzoniger Sarkophage mit gedrängten Figuren möchte
ich einen hervorheben als Verwandten von Lat. n. 55 G 358, 3, ich meine Aquit. I
n. 83 Taf. 18 G 381, 1 — 3. Eine anbetende Matrone steht zwischen zwei Seligen,
der zur Linken hat kahle Stirn. Links folgt die Heilung des Blinden und das Quell-
wunder; die zwei Soldaten trinken nicht, sondern stehen hinter Moses, der vordere
legt die Hand an dessen Arm. Rechts die Blutflüssige, und die Erweckung des Lazarus;
eine Matrone steht bei Jesus vor dem Grab, eine kniende Schwester des Lazarus ist
nicht dabei; Jesus selbst steht in halber Rückansicht vor dem Monument. An der
rechten Schmalseite Jesus und die Samariterin (mit Kopfband oder Haube) am Zieh-
brunnen, an der linken der Einzug in Jerusalem, ein Jude breitet seinen Mantel aus;
im Hintergrund ein andrer auf einem Baum, Le Blant meint ein beliebiger Zuschauer,
vielleicht ist's aber doch Zacchäus, in ungenauer Anordnung [Abb. 15]. — Novempop.
n. 120 Taf. 26 G 301, 3 — 5 hat einen Deckel mit Medusenköpfen an den Enden;
links von der Tabula der Gichtbrüchige, der den Kopf durch das Gurtgeflecht der
Kline steckt, und die Opfer Verhinderung, Abraham ist jugendlich, im kurzen Chiton
wie der Gichtbrüchige; rechts speit das Ketos den Jonas aus, und Tobias holt die
Leber aus dem Fisch. Am Kasten in der Mitte der unbärtige Gute Hirt zwischen
einer Frau, die ein vor ihr stehendes kleineres Mädchen mit beiden Händen umfaßt
(sog. praesentatio oder commendatio), und einer Matrone zu seiner Linken; linkshin
folgt ein Knabe in längerer Tunika und darübergeworfener Dalmatika, mit ausgebreiteten
Händen zum Hirten hinblickend, hinter ihm zwei Paradiesesbäume; zu seinen Füßen
ruhen zwei aus dem Bild blickende Löwen, es ist ein Angehöriger jener Familie im
Typus des Daniel, also nicht ein bekleideter Daniel. Alle diese Figuren stehen frontal.
Gallien. 215
Links am Ende folgt noch die Erweckung des Lazarus; vor dem Eingang scheint auf
einem Pfeiler ein Pyramidion zu stehen. Rechts Sündenfall, dann Taufszene nach Le
Blant, Schöpfung Adams nach Garrucci; am Ende ein mit Wellenranke verzierter und
mit Schilfblattkapitell gekrönter Pilaster. Die Figuren der Front sind plastisch ge-
arbeitet, die der Schmalseiten, zwei Jonasszenen, nur flach ausgeschnitten. — Der Unter-
gang der Ägypter im Roten Meer und die Rettung der Israeliten findet sich in Gallien
öfter dargestellt als in Rom. Wenn, wie zu vermuten steht, die Wahl des Motivs
durch Konstantins Sieg am Pons Milvius veranlaßt wurde und die Komposition von
dem Schlachtbild am Konstantinsbogen abhängig ist, so braucht das häufigere Vor-
kommen des Gegenstandes an gallischen Sarkophagen doch nicht zu befremden; es ist
ganz begreiflich, daß man dort das neue Bild lebhaft aufnahm. Dieser ganz eigen-
artige Sonderfall hat natürlich keine Bedeutung für die Frage, in welchem Lande die
altchristliche Skulptur sich ausgebildet habe. Le Blant hat in seinen beiden Werken
verschiedene Exemplare abgebildet; dazu kommen Garruccis Tafeln. Ich bemerke hier
nichts weiter, als daß an Arles n. 36 Taf. 31. 32 (in Aix) G 308, 2 — 4 die Zinnen
der Tore unmittelbar auf dem Bogen sitzen (ebenso am Exemplar von Spalato G 309, 4
und dem verlorenen römischen G 308, 5); diese Exemplare scheinen demnach jünger
zu sein. Das von Arles zieht die Darstellung auf die rechte Schmalseite hinüber, wo
sich der Wachtelfang und das Quell wunder anschließen, während an der linken der
Auszug dargestellt ist, unter Benutzung des Typus Gesetzesempfang (der Auszug findet
sich nicht an italischen Sarkophagen).1)
Umkränztes Monogramm auf Kreuz, darunter zwei Soldaten als Wache, zwischen
den Zwölf; jeder Apostelkopf steht zwischen zwei Sternen und unter einer kranz-
haltenden Hand. Am Deckel Tabula von zwei Viktorien gehalten, beiderseits Clipeus,
von Eroten gehalten, darin die Büsten rechts des Ehemanns, links der Ehefrau, sie
anscheinend mit Zopf ums Haar; bartlose Endköpfe. An der rechten Schmalseite das
Quellwunder, der eine Soldat hält eine Phiale. An der linken Schmalseite Jesus' Taufe;
er ist kleingebildet und nackt; der Täufer, mit vollem Haar und Bart, trägt ein Fell,
die Taube kommt schräg von oben; hinter dem wie im Quellwunder aus einem oben
angedeuteten Fels herabschießenden Wasser steht ein Unbärtiger, die Rolle zwischen
den zwei Händen. Arles n. 20 Taf. 14. 15. Später ist Narb. II n. 204 Taf. 50G 351.
Hier mag das trierer Lokalerzeugnis Platz finden Belg. I n. 12 Taf. 3, 1 G 308, 1.
Im breiteren Mittelfeld die Familie des Noah nebst allerlei Tieren in der Arche (arca)
linkshin; vor der Arche sitzt der Rabe, von links oben kommt die Taube mit dem
Zweig geflogen. In den Endfeldern je ein nackter Putto auf umgestürztem Korb
sitzend und eine Girlande flechtend. Die übrigen einzölligen Sarkophage, und zwar
mit gedrängten Szenen, sind später, zum Teil recht spät. Typisch bleibt die Orans
in der Mitte. Arles n. 13 Taf. 11, 2 steht sie zwischen zwei Bäumen beim Guten
Hirten, Arles n. 9 Taf. 7 vor Parapetasma zwischen zwei Seligen, Narb. I n. 126
Taf. 29, 1 G 378, 4 zwischen zwei Paradiesesbäumen und zwei Seligen, Narb. In. 176
Taf. 45, 1 G 378, 2 zwischen zwei Seligen, ebenso Vienn. n. 44 Taf. 9, 3 und
Aquit. I n. 88 Taf. 20, 1 G 380, 2, sowie Arles n. 5 Taf. 3. — Noch einige Be-
sonderheiten. Arles n. 29 Taf. 22 steht die Orans zwischen zwei Palmbäumen. —
Novempop. n. 115 Taf. 25, 1 — 3 ist die Gruppe der Orans zwischen zwei Seligen ersetzt
*) Rotea Meer: Narb. I n. 129 Taf. 30, 1. Narb. I n. 141 Taf. 31, 1. Garr. 309, 1. 2.
Ferner die im Text erwähnten. Vgl. Le Blant, Arlea 50
216 Zur Stilkritik und Chronologie der christlichen Sarkophage.
durch die Speisensegnung; die Orans hat man nach links verschoben. Am linken Ende
Lazarus ; das Mausoleum ist eine Aedicula mit Grabbüste (die Mumie fehlt). Am rechten
Ende Isaak; der Widder steht auf einem schematisch gezeichneten Fels. Das Ganze
ist eins der häßlichsten Erzeugnisse der niedergehenden Antike. — Novempop. n. 121
Taf. 25, 1 — 3, ganz ähnlich komponiert, ersetzt nur die Orans durch Heilung des
Blinden und des Gichtbrüchigen; auch der Widder steht in einer gesäulten Aedicula,
auf den flachen Dächern beider Baulichkeiten ruht eine männliche Gestalt. — Die zwei
letztgenannten Sarkophage haben beide an den Schmalseiten den Sündenfall und den
Daniel in der Löwengrube, auch in ähnlicher Komposition; nur sind an n. 121 dem
Daniel im Hintergrund zwei Gestalten beigefügt, deren eine einen Stab hält; Daniel
wendet Gesicht und Rechte dahin, die Linke ist gesenkt. — An dem ganz späten
Sarkophag Narb. I n. 154 Taf. 40, 2 sieht man in der Mitte wieder die Speisen-
segnung, links daneben die Orans zwischen zwei Seligen.
Eigene Wege geht Arles n. 22 Taf. 17 G 316, 3. Links das Ouellwunder,
rechts die Erweckung der Tochter des Jairus und anderes; dazwischen sitzt der
jugendliche Christus, die Füße auf einem Schemel, in der Linken das halb abgerollte
Volumen ; sechs Männer umgeben ihn , vorn liegen zwei am Boden , mit den
Händen auf den Schemel gestützt, dann drängen sich zwei vorgebeugt heran,
vor das Gesicht ein Tuch haltend, als ob sie weinten, im Hintergrund stehen
zwei, wie üblich beim thronenden jugendlichen Christus. Garrucci sieht in den drei
Männerpaaren drei Stufen' der kirchlichen Pönitenz dargestellt, die damit freilich un-
wahrscheinlich genug in den Himmel verlegt wäre; Le Blant wollte Hinterbliebene
erkennen, wo doch die Szene wie gesagt im Himmel ist. Es wird sich um weitere
Ausbildung des Motivs der dort zu Füßen des Herrn dargestellten Verstorbenen handeln;
meist war es ein Offizier mit seiner Frau, hier sind es Männer in bürgerlicher Tracht.
Nur das Weinen brächte einen neuen und fremden Ton in die Szene, wie in die ganze
Katakombenkunst; aber sie verhüllen nur ihr Antlitz vor dem Glänze des Herrn.1)
Der nach oben sich erweiternde Sarg. In seiner oberen Erweiterung nähert
er sich wieder der nach oben sich verbreiternden Wanne. Ursprünglich, so schien es
uns oben in der Tektonik, rundete sie ihre zwei Enden ab, dann nahm sie senkrechte
Wände an und verschmolz schließlich mit der länglich viereckigen Kiste. Nun aber
griff man — wie das zuging, wissen wir noch nicht — auf die obere Erweiterung
zurück, behielt aber die vierkantige Gestalt mit länglich vierkantigem Grundriß; der
Deckel wurde entsprechend geformt, nach den vier Seiten schräg abfallend (doch findet
sich daneben auch das Satteldach und die flache Deckplatte mit auf der Vorderkante
aufsitzendem Fries). Form verwandt ist das Silberkästchen aus Rom, das uns unten
beschäftigen wird; es ist älter als die fraglichen Sarkophage. Ich weiß nicht, ob
derartige Behälter mit Erweiterung nach oben vor der Kaiserzeit überhaupt angetroffen
werden; vielleicht ist diese Gestaltung als ein jüngerer Geschmack anzusehen, der
zuerst an den Wannen, dann an dem Silberkasten, zuletzt an den südwestgallischen
Sarkophagen sich geltend machte.
Die Zeit dieser Sarkophagklasse läßt sich noch nicht sicher bestimmen. Wegen
des vorkommenden offenen Rho setzt Le Blant ein Exemplar um 600, ein anderes
*) Verhüllen des Antlitzes: V. Schultze, Archäologie 252. David Kaufmann, Monats-
schrift f. d. Wiss. d. Judentums XL 183 läßt als Beleg nicht Exodus 3, 6, sondern bloß Kön. I
19, 13 gelten.
Gallien. 217
datiert er in das siebente Jahrhundert (Gaule n. 118. 81). Trifft diese Ansetzung das
Richtige, so überschreitet die ganze Klasse die von uns angenommene untere Grenze
des Altertums; doch wollen wir sie nicht übergehen, das sie das letzte Ausklingen der
Antike recht anschaulich macht. Ohnehin lassen sich die Zeiträume nicht so scharf
abgrenzen, am wenigsten nach unten hin. — Ihre Heimat war Südwestgallien, ein Mittel-
punkt der Erzeugung die westliche Narbonensis prima, die Stadt Tolosa (Toulouse).
Doch kommen dergleichen auch in Novempopulania vor und in Aquitanien — Burdigala
(Bordeaux) ist ein ergiebiger Fundplatz — versprengt sogar in der Lugdunensis quarta.
Le Blant hat mit Recht auf die örtliche Scheidung dieser südwestlichen Gruppe von
der südöstlichen Nachdruck gelegt; nur darf sie nicht dahin mißverstanden werden,
als ob diese eigenartige südwestliche Art neben der den stadtrömischen Sarkophagen
so verwandten südöstlichen bestanden hätte. Das ist durchaus nicht der Fall, sondern
es handelt sich vor allem um einen zeitlichen Unterschied; unsere späte Gruppe steht
der älteren provencalischen Sarkophagkunst nicht etwa als etwas Selbständiges gegen-
über, sondern es ist lediglich eine weitere Entwicklungsphase immer derselben helle-
nistischen Skulptur in Gallien, und zwar die letzte. Nur hat sich in der Spätzeit der
Fabrikationsbrennpunkt aus dem unteren Rhonetal nach Westen verschoben , nach
Toulouse und Bordeaux. Die Ursache dieser Verschiebung bleibt zu suchen; sie wird
in politischen, kirchenpolitischen, kulturhistorischen Umständen zu finden sein. Ihre
Erkenntnis wird auch die Lösung der Zeitfrage fördern.
Da es sich um ein äußerstes Grenzgebiet handelt, so beschränken wir uns darauf,
die Klasse in Gruppen zu gliedern und dabei Späteres von Früherem zu unterscheiden.
Im allgemeinen kann von den spätgallischen dasselbe gesagt werden wie von den
ravennatischen, daß anfangs das Figürliche überwiegt, später das Ornamentale. Aber
in Toulouse so wenig wie in Ravenna läßt sich hierauf eine Zweiteilung gründen; die
beiden Elemente, Figuren und Ornamente, laufen durcheinander, die Stilkritik wird
sich nach noch andern Kriterien umtun müssen.
Die uns bekannte architektonische Ausgestaltung mit Spiralsäulen behauptet sich
auch an unserer Klasse (alle Beispiele finden sich in Le Blants zweitem Werk, es
genügt, Nummer und Tafel anzuführen). N. 142 Taf. 31, 2 zeigt die langgestreckte
Säulenhalle unter geradem Gebälk, davor der Christus und die Apostel sitzen. N. 149
Taf. 37 hat am Kasten neun Nischen unter Steilgiebel, in den Nischen den Christus
und acht Apostel stehend, n. 147 Taf. 41 nur sieben, daher breitere Nischen. In den
Zwickeln dieser zwei Sarkophage stehen Vasen, aus denen Reben wachsen, genau be-
sehen nur Helikes, die sich einrollen; der Stilcharakter dieser Anthemien hat Verwandt-
schaft mit denen zwischen den Rundbogen Taf. 43, 2.
Dann erscheint eine Kombination von Formen der Tischlerarbeit mit der Säulen-
architektur, die Nischen werden eingerahmt; an einem Sarkophag mit senkrechten
Wänden, n. 156 Taf. 42, 1 G 340, 3, schließen die Nischen teils im Halbrund, das
schmäler als die Nische aus dem oberen Rahmen sich hinaufbiegt, teils mit geschweiftem
Giebel; in den Zwickeln stehen Sförmige Ornamente und ihre Spiegelbilder. Es ist
eine Wandlung in der Spätantike, die im modernen Spätbarock Analogien hat. —
Aquit. I n. 89 Taf. 22, 1 G 339, 5 besitzt neun in dieser Art gebildete Nischen; in
den Zwickeln wechseln die S förmigen Ornamente mit Rosetten. N. 173 Taf. 43, 1:
neun Nischen unter Steilgiebeln; die Säulen zwischen den Nischen sind geschwunden,
beibehalten nur die Endsäulen. — Verkümmerte Nachzügler der Art schließen die
218 Zur Stilkritik und Chronologie der christlichen Sarkophage.
Nischen wagrecht und gestalten sie von verschiedener Breite. N. 183 Taf. 39, 1 G 373
hat ein schnurartiges Rudiment der Zwischensäulen bewahrt, an den Enden aber
geriefelte Pilaster. In den Nischen stehen überall Figuren, meist der Christus mit
Aposteln.
An ravennatische Verzierungsweise könnte allenfalls n. 151 Taf. 38, 1 G 387, 9
erinnern. Von der Architektur sind nur Ecksäulen übrig geblieben. Die Front ist in
drei von Flechtband umrahmte Felder zerlegt; im Mittelfeld vor Bäumen eine Eber-
jagd zwischen zwei größeren Dioskuren mit Pferden; in den Nebenfeldern symmetrisch
sich ausbreitende Weinanthemien. Flache, aber sauber detaillierte Arbeit. Am Deckel
das Christusmonogramm in Kranz von schwebenden Eroten gehalten, im Feld Wein-
ranken [Abb. 57].
Weiterhin sehen wir ein neues Motiv eintreten in den gerafften Vorhängen
(Portieren). Am Säulensarkophag Aquit. I n. 81 Taf. 19 G 338, 1 in allen sieben
Nischen angebracht sieht ihr Innenkontur fast wie ein Nachklang der Giebelkontur
aus. — N. 193 Taf. 48 ist etwas reicher gebildet; fünf Felder durch dünne Spiral-
säulen getrennt, jedes für sich eingerahmt mit umlaufender Wellenranke, vier in Giebel-
form schließend, das größere mittlere wagrecht; darin hängen wieder zwei geknotete
Vorhänge, ebenso an der einen Schmalseite beim Daniel in der Löwengrube. — Am
Deckel n. 155 Taf. 40, 1 mit sieben annähernd quadratischen Feldern, in deren durch-
laufenden Rahmen Wellenranken laufen, hängen im breiteren Mittelfeld zwei geknotete
Vorhänge an Ringen. — N. 145 Taf. 32, 1. 2 zeigt eine Weiterbildung des Fünffelder-
schemas mit wagrecht geteilten Zwischenfeldern, nämlich drei schmale Felder mit
stehenden Figuren unter Vorhängen zwischen vier wagrecht geteilten breiteren Feldern
mit Weinstöcken; dazu Endpilaster.
Noch eine Verwandtschaft mit Ravenna, der geschuppte Deckel. N. 145 Taf. 32, 1:
auf der Frontseite in ausgespartem Feld das Monogramm mit A und Q auf dem Nimbus,
zwischen zwei symmetrischen Weinstöcken. — Lugd. IV G 387, 4 bringt im aus-
gesparten Feld eine Vase, aus der ein symmetrisches Anthemion wächst, zwischen in
Kreisbewegungen sich schwingenden Ranken ein senkrecht aufschießender Stengel mit
gegenständigen großen Blättern; am Kasten zwischen Ecksäulen drei Felder, darin
zentral das Monogramm, beiderseits eine Rosette in der Mandorla symmetrisch ge-
schwungener Riefeln. — Lugd. IV n. 10 Taf. 4, 1 ähnlich verziertes Deckelfeld; am
Kasten das Monogramm auf dem Nimbus, von Wellenranke umzogen, zwischen fast
augustisch elegant über die Fläche versponnenen Weinanthemien. — Der Deckel
Vienn. n. 27 Taf. 6, 1 zeigt geometrische Muster, an Plattenmosaik der Pavimente
erinnernd, falls nicht unter Einfluß der Plattenmuster aus den Schuppen der Deckel
entwickelt. Im Mittelfeld ein nackter Guter Hirt barbarischen Stils, vielleicht, meint
Le Blant, einem heidnischen Kriophor nachgebildet.
Die senkrecht aufschießende Pflanze mit kräftigem Schaft, großen gezackten
gegenständigen Blättern, die in Seitenansicht als Halbblätter gezeichnet sind, und mit
krönender Blume (sie wird aus dem Akanthusornament entwickelt sein) wurde auch
als selbständige Felderfüllung verwendet. Am Deckel n. 143 Taf. 34 sind fünf Felder
abgeteilt; als Füllung dient im Mittelfeld Daniel zwischen den Löwen unter Vorhängen,
in den Endfeldern je ein Weinstock, in den Zwischenfeldern die in Rede stehende
Pflanze. Am Kasten wieder fünf Felder getrennt durch Säulen zwischen Rahmleisten;
im Mittelfeld drei Figuren, in den Endfeldern je eine, jedesmal unter Vorhängen; in
Spanien. 219
den Zwischenfeldern je vier Personen vor zwei übergiebelten Nischen, in den Zwickeln
jene Helikes aus Vasen. Alle Figuren frontal, die Köpfe nur zum Teil. — N. 125
Taf. 28, 1 zeigt am Kasten sieben durch geriefelte Pfeiler mit Schilfblattkapitellen
getrennte Felder; in der Mitte und an den Enden je eine Figur unter Vorhang,
beiderseits des Mittelfeldes unsere Pflanze, hier mit etwas unorganisch ausschlagenden
Wurzelblättern, in den zwei übrigen Feldern aus Vasen aufsteigende symmetrisch sich
verschlingende Ranken, die den Schematismus ähnlicher an der Platte des Vitellianus
G 393, 9 vorausahnen lassen. Am Deckel das Monogramm zwischen Ranken. —
Ähnlich eingeteilt ist der Sarkophag n. 147 Taf. 36, 1 G 388, 3. Die Mittelfigur
wird durch das Monogramm ersetzt, jede Endfigur durch eine unserer Pflanzen; eine
solche trat auch am Deckel an die Stelle des Monogramms.
Die umgebenden Ranken desselben Deckels tragen herzförmige Blätter, noch ein
Motiv mehr. Es kehrt wieder an n. 180/186 Taf. 46, 1 [Abb. 59], an Aquit. II
n. 104 Taf. 33, 1 G 388, 5 [Abb. 58], endlich an G 388; der Sarkophag füllt einzelne
Felder nun gar mit einer Art Korbgeflecht.
Spanien.
Die spanischen Sarkophage sind noch nicht genügend publiziert, um ihren Stil
scharf beurteilen zu können. Einige teilt Garrucci mit, über andere hat Joh. Ficker
berichtet.1)
Im allgemeinen stimmen die spanischen Sarkophage mit den italischen überein.
Es gibt einige Fünffeldersärge. G 377, 4 Gerona und 378, 1 Barcellona befolgen das-
selbe Schema: zentral eine Anbetende zwischen zwei Seligen (im zweiten Exemplar
Peter und Paul), im linken Endfeld die Bedrängung, im rechten Blindenheilung; die
zwei Riefelfelder haben profilierten, aber glatten Sockel und Sims. — Ein Nischen-
sarkophag ist der von Murcia G 341, 3. Geriefelte Pfeiler tragen profilierte und
ornamentierte Flachbögen, unter dem der breiteren Mittelnische hängt ein Muschel-
schloß vor; in den Zwickeln wechseln Kränze mit Fruchtkörben. In der Mitte
der jugendliche Christus mit offenem Buch, die Rechte spricht, zwischen zweimal zwei
adorierenden Aposteln; rechts folgt Jesus' Taufe mit bärtigem Täufer in Exomis, der
kleine nackte Jesus steht im Wasser, hinten ein Felsquell wie im Quell wunder, die
Täube schießt schräg herab; zuletzt die Opfer Verhinderung. Links Blindenheilung und
Quell wunder.
Die Masse der spanischen Särge, soweit man bisher von Masse reden darf, haben
dichtgedrängte Szenen ohne tektonische Trennung. Ein dreiseitig skulpierter tritt
hervor, G 381, 4 — 6 in Saragossa; er hat ein Motiv der einst so reichen griechischen
Klasse bewahrt, nämlich Eckkaryatiden; es sind nackte Jünglinge, welche als Atlanten
die Simsplatte mit den Händen stützen. Vorn in der Mitte steht eine Anbetende, die
Hand von oben ergreift sie am rechten Arm; sie steht zwischen zwei Seligen, der
Kopf des zweiten ist unkenntlich. Weiter links eine zweite Gruppe einer Adorantin
zwischen zwei Seligen und Jesus mit der Kananäerin; rechts Blindenheilung und Wein-
zauber. An Sockel- und Simsplatte sind Monogramme eingegraben, über Jesus mit
») Joh. Ficker im Bull, crist. 1888—89, 87; Rom. Mitteil. 1889, 77.
220 Zur Stilkritik und Chronologie der christlichen Sarkophage.
der Kananäerin und in der Blindenheilung; ferner eine Anzahl Namen, in der Mitte
FLORIA zwischen PETRVS und PAVLVS ; über und unter anderen Figuren Namen
von Männern und Frauen, je nach dem Geschlecht der Figuren, über der zweiten
Adorantin steht INCRATTV (^Eyngdteia, sie wird in der Kapelle, die den Sarg birgt,
als Heilige verehrt), unter der Kananäerin MARTA, über dem Mann bei Encratia
ARON usf., alles Namen der Verstorbenen und ihrer Angehörigen, die dadurch in den
Typen der betreffenden biblischen Personen dargestellt erscheinen. An der linken
Schmalseite die Zuweisung, nebst einem Bärtigen mit der Überschrift ISAC, an der
rechten der Sündenfall mit Garbe und Lamm. — Eine Ausnahmestellung behauptet
der Sarkophag von Gerona G 377, 3. Am rechten Ende steht eine Matrone mit
Dalniatika über der Tunika, auf der Linken ein Schmuckkästchen, mit der Rechten
adorierend, vor einem zwischen zwei Paradiesbäumen ausgespannten Parapetasma; jeder-
seits ein ihr zugewandter Seliger. Linkshin folgen Szenen, die Garrucci aus der Ge-
schichte der Susanna erklärt. Ein marmorgedecktes Haus mit schmälerer Vorhalle,
mit aufgenommenen Vorhängen zwischen den Säulen, und drei Fenstern im Giebel;
davor steht Susanna, eine Cista (oder einen Blumenkorb?) neben sich, zwischen den
Ältesten, deren einer sie am Arm faßt; rechts eine kleine Dienerin mit Kanne und
Schale, links ein kleiner Diener mit Rolle. Es folgt Susanna vor dem Richterstuhl
der zwei Altesten stehend, im Hintergrund viel Volk. Sodann ein Zeuge wider
Susanna, zum Schwur legt er die Hand auf ihr Haupt. Weiterhin werden die zwei
Altesten von einem Manne mit bloßem Schwert abgeführt, vor Daniel (der am
zerstörten linken Ende des Sarkophags dargestellt war). — Die übrigen Sarkophage
brauchen wir nicht im einzelnen zu schildern. Eine Adorantin oder einen Adoranten
stellen in die Mitte, zwischen zwei Selige, die bisweilen als Petrus und Paulus erkenn-
bar sind, G 374, 3 Gerona (an vorletzter Stelle das uns in der vorliegenden Gestalt
neue Bild des Christus, der auf Löwe und Schlange tritt), 379, 3 Saragossa, 376, 3 und
369, 4 Lagos. — Szenen stellen in die Mitte G 313, 1 Gerona die Speisensegnung,
314, 6 Astorga das Quell wunder (Moses hat kahle Stirn), 318, 1 Gerona die Hahnszene.
Nordafrika.
Auch die in Algier und Tunis gefundenen Sarkophage harren noch der Ver-
öffentlichung; sie wird um so länger auf sich warten lassen, als die Reihe der Funde
noch nicht abgeschlossen sein kann.1)
Wir begnügen uns, einige nordafrikanische Sarkophage aufzuführen, die in Ab-
bildungen vorliegen. Der erste Blick lehrt, daß auch sie nur einen Arm des großen
Stromes antiker Sarkophagkunst hellenistischen Gepräges bilden, welche für die Völker
der Mittelmeerländer arbeitete, und die ohne Unterbrechung für sie fortarbeitete, als
deren immer antikes Phantasieleben zu seinem letzten Leitstern den Christus nahm.
Zuerst sei einer Wanne gedacht, mit senkrechten Wänden, vorn symmetrisch ge-
riefelt; vor der Mitte steht der Gute Hirt in Exomis zwischen zwei Schafen, an den
Rundungen wirft je ein Löwe mit Leibgurt einen Bock nieder. Aus Tipasa, Gsell,
*) Ein kurzes Verzeichnis von sechzehn Sarkophagen aus Algier, sechsunddreißig solchen
aus Tunis gab H6ron de Villefosse im Bull. arch. du comite" des traveaux hist. 1898 p. CLIX— CLX.
Nordafrika. 221
M£langes ecole franc. Rome 1894, 443 Taf. 8. Leclercq, Dictionn. d'arch. ehr. I 735
Fig. 165. — Sodann ein Säulensarkophag aus Dellis, die Nischen abwechselnd unter
Giebeln und Flachbögen, in den Zwickeln Kränze. Zentral der jugendliche Christus,
in der Linken das halb aufgerollte Volumen, die Rechte geöffnet, thronend über dem
Caelus; vorn stehen zwei kleine Selige oder Apostel, im Hintergrund zwei Palmbäume.
In den Nebennischen links die Kananäerin, der Weinzauber und die Tötung des
Drachen zu Babylon, rechts Brotvermehrung, Blindenheilung und Hahnszene. Am
Deckel Tabula ansata zwischen je drei im Meer schwimmenden Delphinen. Garrucci
321, 3. Kraus, Gesch. d. ehr. Kunst I 250 Fig. 200. — Der Christus (sein Kopf ist
ausgebrochen) ganz in den Mantel geschlagen, die Rechte vor der Brust, die Linke im
Schooß, sitzt zwischen den stehenden vier Jahreszeiten, die als Jünglinge in Chlamys,
ohne Flügel, gebildet sind: der Frühling mag einen Blütenzweig gehalten haben, in
der Linken hält er eine Schale, der Sommer führt Sichel und Garbe, der Herbst trägt
eine Traube, nach der eine Eidechse kriecht, der Winter, den Kopf in die Kapuze
gesteckt, schultert eine Hacke und trägt ein Paar Enten. Am rechten Ende das
Quellwunder; das Bild am linken Ende ist abgehauen. Aus Tipasa, Gsell, Melanges
ecole franc, 1894, 445 Taf. 9.
Spätere geringere Arbeiten sind folgende. Ein Deckel aus Scherschel mit leerem
Clipeus gehalten von zwei Eroten. Links die Huldigung der Magier; sie fuhren ihre
Kamele mit, der vorderste zeigt nach dem Stern über dem Christuskind; Maria sitzt
im Korbstuhl, Joseph steht hinter ihm und legt die Hand an die Lehne. Rechts die
drei Jünglinge im glühenden Ofen, ein Heizer bringt ein Scheit Holz. Waille, Rev.
arch. 1890, 214 Abb. d'Audollent, M&anges <5cole franc. 1890, 406 Abb. — Ein paar
Sarkophage, deren Säulen glatte Schäfte haben. Aus Lambaesa, Garr. 300, 3: Zwischen
den zwei Endsäulen Vierblatt in Kranz, Vase, Büste des Guten Hirten mit Armen,
die Linke hält die Schafspfoten, die Rechte trägt den Melkeimer. — Aus Philippeville,
Garr. 300, 4. Delamarre, Exploration Algerie, Archäologie Taf. 156: Zentral der Gute
Hirt zwischen zwei Schafen in gesäultem Tabernakel unter Flachbogen, in den Zwickeln
je eine Rosette. Jederseits eine Fruchtvase, bei der links steht VANDIA, bei der
rechts PROCVLA, auf der Vase HES (wird erklärt für Hie Est Sita). — Aus Guelma,
Delamarre Taf. 179, 15: aus einer Vase steigen zwei symmetrische Ranken; beiderseits
Teile eines Cancellums von gekreuzten Stäben mit Knöpfen auf den Kreuzungspunkten,
eingestreut sind Rauten und eine größere Rosette — ein Nachklang des Parkgitters als
eines Elementes der Paradiesesbilder. — Ein Deckel aus Collo, G 385, 5: in der Mitte
die Verstorbene, eine Matrone, die (abgebrochenen) Hände abwärts gestreckt (Garrucci
meint adorierend), zwischen zwei Paradiesesbäumen und zwei Guten Hirten, deren einer
mit der Matrone zwischen den zwei Ölbäumen steht, der andere außerhalb; beide
tragen das Schaf vor der Brust, der eine mit beiden Händen, der andere trägt in der
Rechten den Melkeimer; am Boden drei Schafe; rechts folgen drei Palmbäume, zwischen
denen zwei Figuren stehen; die eine in der Talaris hält eine Vase in der Linken, die
Rechte ist abgebrochen, Garrucci denkt an Habakuk; denn zuletzt steht Daniel in
Tunika zwischen den zwei Löwen. Im größeren Endfeld links speit das Meertier den
Jonas aus, der danach unter der Laube ruht. Die Bäume sind kindlich schematisch
gezeichnet, die Tiere, besonders die Löwen, zu klein, die Figuren stehen fast ganz
frontal. — Aus Tebessa, Duprat, Recueil Socie'te' arch. prov. Constantine XIV 1870
Taf. 9. de Rossi, Bull, crist. 1887, 124. Gsell, Melauges e*cole franc. 1901, 211, 2:
222 Zur Stilkritik und Chronologie der christlichen Sarkophage.
Roma thront im Amazonenkleid und Helm, sie hält, wie auf Münzen christlicher Kaiser-
zeit einen Globus mit daraufstehendem Monogramm, so hier den Becher der Dank-
sagung. Rechts eine Frau mit Rolle, links ein Anbetender. Jede Figur steht zwischen
zwei brennenden Fackeln. Man hat das interessante Denkmal in die Zeit um 400
datiert. Gsell und Leclercq (Dict. 734) sehen in der Anbringung der Roma ein Be-
kenntnis der Zugehörigkeit der Katholiken von Theveste zur römischen Kirche. Das
wäre hübsch, die römische Kirche in Gestalt der Roma. De Rossi hatte dem Relief
allerdings auch besondere Bedeutung beigelegt, aber teils in religiöser teils in politischer
Beziehung.1)
Fr. X. Kraus, Gesch. d. ehr. Kunst I 249 führt unter den afrikanischen Sarko-
phagen solche auf, deren Deckel mit Mosaiken geschmückt sei, darstellend die Ver-
storbenen inmitten von Blumen, Vögeln, Kerzen, also im Paradies. Das sind aber
nicht Sarkophagdeckel, sondern Grabplatten. Bei Besprechung der Mosaiken werden
wir darauf zurückkommen.
Ein nichtsepulkrales, leider sehr mitgenommenes Relief, immer noch gute Arbeit,
sei zum Schluß hier erwähnt, aus der Basilika von Damus-el-Karita. In reichem
Blattwerkrahmen zeigt es eine halblinkshin etwas erhöht sitzende Mutter, Maria, mit
dem Kind auf dem Schoß; hinter dem Stuhl Reste einer männlichen Gestalt, welche
die flache Rechte hebt; weiter links solche eines geflügelten Engels, der sich rechtshin,
zum Christuskind, zu bewegen scheint. Man hat an eine Verkündigung gedacht, aber
das ist unvereinbar mit dem Vorhandensein des Kindes; oder an die Huldigung der
Magier. De Rossi schreibt die Skulptur noch der besseren „römischen" oder „latei-
nischen" Periode zu, nicht der späteren „italobyzantinischen" oder „ravennatischen".
Mit anderen Worten , die Skulptur gehört der früheren Periode an , die durch die
Masse der stadtrömischen, provencalischen, spanischen und nordafrikanischen Sarko-
phage vertreten wird, noch nicht der späteren, wie sie in den ravennatischen und
südwestgallischen vorliegt.2)
Ägypten. Syrien.
In Ägypten fehlt es nicht an Denkmälern altchristlicher Kunst, wenn sie auch mit
denen Italiens den Wettbewerb nicht bestehen können. Die Masse des zugänglichen
Materials findet sich in Kairo, anderes und zum Teil Wertvolleres in den europäischen
Sammlungen.3)
In den letzten Jahrzehnten wurde über die koptischen Stelen viel verhandelt; sie
*) Roma: vgl. Röscher, Ausführl. Lexikon d. griech. und rom. Mythol. IV 153 Münze des
Nepotian (351) mit sitzender Roma, auf der Rechten Globus mit Monogramm. Der Typus kehrt
wieder, von Nepotian bis unter Olybrius.
") de Rossi, Bull, crist. 1884/85, 49 Taf. 1. 2; in der Ergänzung ist der Engel falsch ge-
zeichnet, besonders das linke Knie geradezu verfälscht. Heron de "Villefosse, Bull. arch. comite'
trav. hist. 1886, 220 Taf. 12. Delattre, La Basilique de Damous-el-karita 1892, 11.
8) Catalogue general des antiquite's egyptiennes du Musee du Caire, XIII Edgar, Greek
sculpture 1903; XII Strzygowski, Koptische Kunst 1904; Crum, Coptic monuments 1902, zu
haben bei Hiersemann, Leipzig. Vgl. Strzygowski, Rom. Quartalschr. 1898, 1 Ägyptische Kunst.
Derselbe Bull, de la soc. archeol. d'Alexandrie V Hellenistische und koptische Kunst in Alexandria
1902, zu haben bei Harrassowitz, Leipzig.
Ägypten. Syrien. 223
bilden die Masse des Materials. Gay et fand sie von der hellenistisch-römischen Weise
ganz abweichend, Ebers glaubte eine neue, nationalägyptische Kunst zu erkennen.
Anders urteilten Riegl, Schultze, Kraus; unter der kritischen Lupe blieb von
Nationalägyptischem nicht viel mehr übrig als das Minimum, das man erwarten durfte,
an Stelle des Kreuzmonogramms das Henkelkreuz als das altägyptische Zeichen des
Lebens. Crums Publikation (ohne Vorwort, ohne Einleitung, ohne Kommentar, sogar
ohne Beschreibung der Bildwerke, ein bloßes Inventar, aber mit wertvollen Abbil-
dungen) stellte das Urteil auf eine breitere und festere Basis. Strzygowski gab
dem Begriff des Koptischen eine neue Begrenzung; während noch Maspero das Koptische
auf das Ägyptische unter dem Zeichen des Christentums beschränkte, ließ er diese
Schranke fallen; ihm ist „koptisch" alles, sei es heidnisch oder christlich, was in der
Kaiserzeit ägyptische Künstler in ägyptischer Technik wie er meint, doch in helle-
nistischer Typik gestalteten.1)
Kunstgeschichtlich ist es ohne Zweifel richtig, dem Christentum die epoche-
machende Bedeutung abzuerkennen, die ihm bisher fälschlich beigelegt wurde. Dann
verlangt man aber nach einem anderen Kriterium, mittelst dessen sich die „koptische"
von der späthellenistischen Kunst in Ägypten unterscheiden läßt. Ägyptische Typen,
auch die in Ägypten beliebte Technik des relief dans le creux hat die hellenistische
Skulptur des Landes stets aufgenommen; und ob die Bildhauer der bei Edgar ver-
öffentlichten Stücke von Geburt Griechen oder Ägypter waren, letztere dann griechischer
Schulung, das kann man den Arbeiten kaum ansehen. Auf der andern Seite läßt sich
nicht sagen, an den „koptischen" Sachen seien griechische Hände unbeteiligt (von
Spezifischägyptischem sind sie aber reiner als Edgars griechische); die Griechen im
Lande sind demselben künstlerischen Niedergang verfallen wie die Ägypter. Kurz,
einstweilen handelt sich's nur um einen Unterschied der Zeiten.
Wenn früher von koptischer Kunst die Rede war, so dachte man an die Zeiten
etwa vom fünften bis zum achten Jahrhundert, Riegl an das siebente und achte;
Strzygowski rechnet anders, im Zusammenhang seiner anderen Definition. Er schiebt
die Anfänge bis in das dritte Jahrhundert zurück, die Blüte würde in das vierte und
fünfte Jahrhundert fallen. Freilich fehlt es durchaus an datierten Stücken aus dem
vierten bis sechsten Jahrhundert; es bleibt nur der Weg der Stilkritik offen, die
natürlich, solange sie auf sich selbst angewiesen ist, höchstens zu einer relativen
Chronologie gelangt. Strzygowski versucht, die von ihm beschriebenen Stücke hypo-
thetisch auf Jahrhunderte genau zu bestimmen; er sagt selbst, „die Zeitansätze, die ich
gebe, haben oft reinen Gefühlswert und sollen lediglich mehr als Steine des Anstoßes
Anregungen geben". Hieraus ergibt sich, was vor allem not tut, nämlich eine ein-
dringende und erschöpfende Stilanalyse der einschlagenden Denkmäler aus der ptolemä-
ischen und der Kaiserzeit. Die Stilvergleichung wird dann weiter helfen, vor allem
bieten Ravenna und Toulouse bereitliegendes Material. Es wäre zu wünschen, daß
klassische Archäologen die Arbeit übernähmen, welche gewohnt sind, die Geschichte
nicht rückwärts zu sehen, sondern von den Wurzeln ausgehend vorwärts zu verfolgen;
*) Gayet, Mem. miss. arch^ol. franc. Caire III Mon. coptes mus. Boulaq, Paris 1889. Ebers,
Sinnbildliches. Die koptische Kunst 1892. Riegl, Byz. Zeitschr. 1893, 114; Eranos Vindob. 1893,
191. Spätröm. Kunst 115. V. Schultze, Archäologie 262. Kraus, Gesch. d. ehr. Kunst I 254.
Marucchi, Rom. Quartalschr. 1896, 380. Strzygowsky, Koptische Kunst, Einleitung; Jahrb. d.
preuB. Kunstsamml. 1894, 362.
224 Zur Stilkritik und Chronologie der christlichen Sarkophage.
ihre Aufgabe ist nicht die geschichtliche Erklärung des Mittelalters, sondern die Er-
kenntnis der Ausgänge des Altertums und nichts weiter. Bei der Arbeit müßten sie
sich zur Pflicht machen, streng bei der Stilkritik in chronologischer Absicht zu bleiben
und sich jeden Seitensprung auf das Gebiet der Fernwirkungen in der Kunstentwicklung
zu versagen, etwa sich aufdrängende Hypothesen dieser Richtung aber höchstens am
letzten Ende mitzuteilen.
Um einige Anschauung von den christlichen koptischen Stelen zu geben, haben
wir vier derselben als Abb. 60 — 63 dem Bilderanhang eingereiht, nämlich Crum n. 8687.
8656. 8557. 8591.
Syrien hat noch weniger hergegeben als Ägypten. In Antiochien sah Richter
ein Relief mit Adam und Eva, Kraus vermutete darin ein Sarkophagfragment. Doch
wurden bisher in Syrien keine christlichen Sarkophage mit Reliefschmuck gefunden,
nur späte bildlose Särge mit satteldachförmigem Deckel; ferner Senkgräber, deren
Deckplatten ebenfalls in Gestalt von Giebeldächern mit Eckakroterien zugehauen sind.
In Mudjeleia füllt die Grabschrift die ganze Front des Sarkophags, einmal hat man
ein Kreuz hineingesetzt, ein sogenanntes Ordenskreuz. Ein Zierfries in Dana zeigt die
Vase zwischen zwei Pfauen, wie wir sie an den gleich spätantiken Sarkophagen von
Ravenna sahen.1)
Im Vorstehenden versuchte ich einer stilkritischen Analyse und Würdigung der
christlichen Antike auf dem Gebiete der Marmorskulptur die Wege zu ebnen. Möchten
nun recht viele klassische Archäologen, vor allem die Arbeiter an den „Antiken Sarko-
phagreliefs" und wer sonst in der Kunst der Kaiserzeit Erfahrungen sammelte oder
zu sammeln gewillt wäre, Hand anlegen und wetteifernd zur Lösung des chronologischen
Problems beitragen.
Wenn wir in der Chronologie und Synchronistik der altchristlichen Sarkophage
erst einmal auf festem Boden stehen, dann wird es Zeit sein, der andern Frage näher
zu treten, von wo die Typen und von wo die Stile ausgingen. Früher galt es der
Forschung, die ja mit den Denkmälern überwiegend in römischkatholischen Händen
lag, als ausgemacht, daß Rom die Wiege der christlichen Kunst gewesen sei. Inzwischen
trat der Osten mehr und mehr in den Bereich der Forschung, und so hat sich denn
die Frage auch an ihn gewandt, ob und in wieweit er Heimat der Typen und Stile
gewesen sei. Dabei faßte man vorwiegend Alexandrien ins Auge; dessen Anteil grenzten
die verschiedenen Gelehrten in verschiedener Weise ab. Nachdem die Kraus und
Wickhoff vom Schauplatz abgetreten sind, ist es wesentlich Strzygowski, der die Her-
kunft aus dem Osten verficht, und zwar aus dem hellenistischen. In ihm unterscheidet
er zwei Kreise, den westkleinasiatischen, in dem sich das Griechische rein erhielt, und
den südöstlichen, syroägyptischen, der vom semitisch und persisch Orientalischen stark
durchsetzt erscheint Aus dem Osten, nicht aus Rom, stamme die christliche Kunst
der drei ersten Jahrhunderte; von dort verbreitete sie sich nach Westen, nach Rom
"■) Adam und Eva: J. P. Eichter, Mosaiken von Eavenna 131, 1. Kraus, Gesch. d. ehr.
Kunst I 233. — Senkgräber zu Sergila und Dana: de Vogüe*, Archit. civile et relig. de la Syrie
centrale Taf. 78. 86. V. Schultze, Archäologie 153 Fig. 46. Kaufmann, Handbuch 135 Fig. 24. —
Mudjeleia: de Vogüe* Taf. 78. — Dana: ebenda Taf. 45.
Ägypten. Syrien. 225
wie nach Südfrankreich, nach der Provence, auf dem alten Schiffahrtswege von Klein-
asien nach Massilia. In Rom könne diese einheitlich hellenistische Kunst nicht zu Hause
sein, weil schon damals auch Rom orientalisch durchsetzt gewesen sei. Von Syrien
aber sei Ravenna abhängig gewesen, seine Kunst sei nicht hellenistisch, sondern syrisch
(Kleinasien ein Neuland Seite 1. 194).
Neuestens geht Strzygowski noch einen Schritt weiter. Während er früher lehrte,
die christliche Kunst stamme in Rom und in Gallien aus derselben Wurzel, der klein-
asiatischen, läßt er jetzt Rom sogar von Gallien abhängig sein. „Die Entwicklung
geht nicht von Rom nach Gallien, sondern umgekehrt. Das seiner Kultur nach
griechische Gallien empfängt direkt zur See von seinem Mutterlande Kleinasien, es
gibt mehr an Rom ab, als es von diesem empfängt." Noch eine zweite Modifikation
seiner früheren Aufstellungen beachten wir, sie betrifft Ravenna: die ravennatische
Kunst ist doch nicht ausschließlich syrisch, sondern die ravennatischen Säulensärge
sind als späte Ableger des kleinasiatischen Hellenismus zu betrachten (in Schiele's
„Religion" I 383).
Meines Wissens hielt die antike Schiffahrt sich an die Küsten; die nach Massilia
bestimmten kleinasiatischen Schiffe machten an der Tibermündung Station. Und sie
sollten ihre Kunstfracht an Rom vorbei nach Gallien gebracht haben, um dann Kopien
oder Derivate davon als Rückfracht nach der Reichshauptstadt zu bringen? Oder
sollte der gallische Einstrom nach Rom etwa von Vienne über Alpen und Apennin
gegangen sein? Hätte sich's um original-gallische Typen gehandelt, so konnten sie
allenfalls über Luna (Carrara) nach Rom kommen, wohlverstanden zu Schiff.1) Aber
Kleinasiatisches? Die Hypothese ist sehr kompliziert, und der Sarkophag von La Gayolle
kann sie nicht stützen. Ich denke, die chronologische und synchronistische Basis, auf
der alle unsere Forschung sich zu bewegen haben wird, stellt jedenfalls dies sicher,
daß die Kunst Kleinasiens, Italiens (mit Einschluß also der ravennatischen Säulen-
sarkophage, das sagt ganz viel), Südostgalliens und Nordafrikas die Art eines früheren,
dagegen die syrische und koptische, die spätestravennatische und die südwestgallische
Kunst die Art eines späteren Zeitraums ist; die beiden Arten laufen nicht rivalisierend
parallel, sondern folgen aufeinander, die erstere wesentlich als Stil der früheren und
mittleren Kaiserzeit, die letztere als Stil der Spätantike vorzüglich in ihrem Ausgang.
Bildwerke aus besonderen Materialien.
Es handelt sich um die Skulpturen in Porphyr, sowie in Elfenbein und in Holz,
endlich um die im technischen Sinne plastischen Arbeiten in Metall und in gebranntem Ton.
Porphyr.
Die Hartsteine verlangen eine andere Bearbeitungs weise, und durch ihre Farbe
sowie durch die Politur erhalten sie ein anderes Aussehen, als der Marmor (nur mit
weißem Marmor hatten wir zu tun; die hier und da, wie beim trierer Noahsarkophag
*) Luna: H. Nissen, Italische Landeskunde II 1902, 286.
Sybel, Christliche Antike II. 15
226 Bildwerke aus besonderen Materialien.
verwendeten lokalen Gesteine sind auch weich). Die Arbeiten in Hartstein haben
naturgemäß durchweg als Prunkstücke zu gelten.
Im Bereich der christlichen Skulptur tritt eine Klasse von Arbeiten in Porphyr
bedeutsam hervor, die Hauptgruppe bilden wieder Sarkophage. Seit langem berühmt
sind die zwei in der Sala a croce greca des Vatikan. Sie gelten als die Särge von
Konstantia und Helena, Töchtern des großen Konstantin. Sie haben gedrungene Ver-
hältnisse; an jedem der beiden zeigen beide Langseiten dieselbe Darstellung, ebenso
sind die Schmalseiten jedesmal bis auf Kleinigkeiten identisch. An den Langseiten
des Konstantiasargs windet sich eine riesige Wellenranke drei Ringe bildend, die
traditionelle Akanthusranke des schweren Typus, hier infolge des widerstrebenden
Materials von ungelöster wulstiger Gestalt; doch ist sie als Weinranke gemeint, daher
entsendet sie hauptsächlich in die oberen Räume Helikes, annähernd so schematisch
gezeichnet wie am Sarkophag mit den drei in die Weinlese gestellten Guten Hirten
Lat. M n. 183 A (F n. 181). Auch am Konstantiasarkophage geht eine Weinlese vor
sich, in die drei Ringe der Wellenranke sind vier Eroten verteilt. Unterhalb noch
ein Pfau, ein Schaf, und noch ein Erot, der mit beiden Händen eine Girlande vor
sich hält. An den Schmalseiten je eine Kelter unter Weinlaube; drei sich fassende
frontal gestellte Eroten stampfen die hochgehäuften Trauben, aus einem Löwenmaul
fließt der Saft in das mittlere von drei Gefäßen. Die Laube wird von zwei Reb-
stöcken gebildet, sie entfalten sich im Sinne schematischer Wellenranken. Die mächtige
Deckplatte des Sarkophags ist in ihrer oberen Hälfte nach den vier Seiten abgeschrägt,
doch bleibt von der oberen Fläche ein kleineres Oblongum. Am Senkrechten der
Deckplatte hängen Girlanden, an jeder Seite in der Mitte hochgenommen und von einem
herausschauenden menschlichen Kopf getragen. Der Sarkophag ist als christlich zu
bezeichnen. — Der Helenasarg, aus dem Mausoleum an Via Labicana (Tor Pignattara)
bedurfte starker Ergänzungen, deren Umfang Amelungs Skulpturen des vat. Museums III
wohl genau mitteilen wird. Auch hier wiederholen sich an den gegenüberliegenden
Seiten dieselben Darstellungen, in diesem Falle Triumphalbilder; die Sieger sind als
sprengende Reiter gegeben, die besiegten Barbaren schreiten oder knien gefesselt. Der
Sarkophag wurde ursprünglich wohl für einen christlichen Kaiser gearbeitet, der figürliche
Schmuck aber ist nichts weniger als christlich.1)
Strzygowski hat darauf aufmerksam gemacht, daß das Fragment eines mit dem
Konstantiasarkophag nahezu identischen Exemplars sich in Konstantinopel befindet.
Da die übrigen dort teils vollständig teils fragmentarisch erhaltenen Porphyrsärge des
figürlichen Schmuckes entbehren, so glaubt Strzygowski in dem fraglichen Exemplar
einen Rest des Sargs von Kaiser Konstantin dem Großen erblicken zu dürfen; Porphyr-
särge bargen einst in der Apostelkirche die Reste Konstantins und anderer Kaiser des
vierten Jahrhunderts. — Ferner aber zieht derselbe Forscher einen in Alexandrien
gefundenen und im dortigen griechisch-römischen Museum befindlichen Sarkophagdeckel
heran, der wiederum eine fast identische Wiederholung vom Deckel des Konstantia-
sarkophags darstellt. Ein Unterschied ist vorhanden: am römischen Exemplar hängt
an jeder Seite eine lange, in ihrer Mitte gehobene Girlande; dagegen am alexandrinischen
J) Die beiden Sarkophage: Heibig, Führer I n. 322. 326. — Zu Eiegl's Zurückdatierung des
Sargs ins zweite Jahrhundert vgl. Strzygowski, Orient 80, 4.
Porphyr. 227
hat man je zwei kürzere Girlanden, deren Blätter auch derber gearbeitet sind, über
dem menschlichen Kopf zusammengebunden.1)
Der Porphyr stammt aus Ägypten; sollte nicht, fragt nun Strzygowski, das in
Alexandria gefundene Exemplar in Ägypten gearbeitet sein? und wird es dann nicht
wahrscheinlich, daß auch die beiden andern Sarkophage, der konstantinopeler und der
römische, in Ägypten hergestellt und fertig exportiert worden sind? Vor die Fund-
tatsachen gestellt wird jeder Archäologe sich dieselben Fragen vorlegen. Der für einen
solchen Sarg bestimmte Rohblock wurde selbstverständlich im Steinbruch fertig aus-
gehöhlt, um seine Riesenlast für den Transport zu erleichtern; aus demselben Grunde
wurde er auch außen mindestens soweit abgearbeitet, daß nur gerade die für die Ver-
zierungen nötige Masse stehen blieb. Nun aber hatte sich am Steinbruch schon vor
Jahrtausenden die rechte Technik zur Bearbeitung des Hartsteins herausgebildet, und
über allen Wandel, auch manche Ungunst der Zeiten hatte sich die Handwerksüber-
lieferung bis in die Kaiserzeit gerettet. Nur langsam fand Rom Geschmack an Skulp-
turen in solchem Stein, und nur einzelne Prachtstücke ließ man aus ihm herstellen.
War es da nicht am einfachsten und zweckmäßigsten, die Sachen von der einzig ge-
schulten Arbeiterschaft am Steinbruch gleich fertig machen zu lassen? Geschieht das-
selbe doch heutzutage sogar mit Marmor werken. In Berlin, oder sonstwo an einer
unserer Kunststätten, wirds nicht etwa gehauen, sondern modelliert, das Modeil geht
nach Carrara und wird von Carraresen in Marmor übertragen, dem erfindenden „Bild-
hauer" liegt nur die letzte Retouche ob. Freilich, seit Adolf Hildebrands Problem der
Form ist's Mode geworden, mit dem Rohblock zu kokettieren, nur ein Kopf und etwa
eine Schulter oder Hüfte taucht eben auf, als ob der Bildhauer, nun als ein echter,
in michelangeleskem Furor seinen Einfall so herausgehauen hätte; ein Atelierscherz, der
nun bald genügend zu Tode geritten sein dürfte. Ob aber der Furor immer echt ist? ob
nicht doch der Carrarese behilflich war? Wer bürgt uns nun dafür, daß nicht auch
die römischen und neurömischen Kaiser die von ihren Hofbildhauern modellierten
„Typen" in die Porphyrbrüche sandten und dort danach die ägyptischen Scalpellini
arbeiten ließen? Zwar ist mir nicht eingefallen, für irgend ein Rom gegen den Orient
zu streiten (einstweilen lehne ich jede Einmischung ab; erst müßte der Prozeß richtig
instruiert sein), aber ich muß der Wahrheit die Ehre geben, die Herstellung jener
Porphyrsärge im ägyptischen Steinbruch mag Tatsache sein. Doch hat das mit der
kunstgeschichtlichen Frage nichts zu schaffen.2)
Etwas anderes ist es, wenn Strzygowski in den Formen Orientalismen erkennt.
Den Knoten, mit dem am alexandrinischen Deckel die Girlanden über den Köpfen
verknüpft sind, findet er in Syrien und Kleinasien wieder; figürliche Typen am Helena-
sarkophag vergleicht er mit solchen an einer berliner Holzskulptur aus Ägypten. Das
J) Konstantinopel und Alexandria: Strzygowski, Orient 75 Abb. 36. 37.
*) Wer der Frage der antiken Hartsteinbildwerke näher treten wollte, müßte sie umfassend
studieren. Wir besitzen bekanntlich ausgezeichnete Kopien klassischer Bronzestatuen in solchem
Material; bevorzugt wurden Gesteine in grünlichgrauer und schwarzer Farbe, weil diese in Ver-
bindung mit der Politur die Wirkung patinierter Bronze gut wiedergab, v. Sybel, Böm. Mitteil.
1891, 242 unten. Furtwängler, Meisterwerke 421. — Besonders zu beachten wäre die Verwendung
auch des härtesten Gesteins, des Basaltes. Instruktive Veranschaulichung der Härtegrade ver-
schiedener Steinarten gewährt jetzt das münchener Deutsche Museum Abt. II.
15*
228 Bildwerke aua besonderen Materialien.
sind aber Stilvergleichungen und Fragen nach den örtlichen Ursprüngen, deren Erörterung
vertagt bleiben muß bis wir sonst festen Boden unter den Füßen haben.
Skulpturen christlicher Zeit und aus Auftrag christlicher Kaiser geschaffen, wenn
auch nicht spezifisch christlichen Inhalts sind die mehrfach erhaltenen Porphyrsäulen
mit angearbeiteten Konsolen, auf denen ebenfalls angearbeitete militärische
Gestalten stehen. Diese Militärs, Offiziere gewiß hohen Ranges, in Panzer und
Chlamys, tragen jene Militärmütze, die uns, früher irrig als Judenbarett erklärt, in den
Szenen „Quellwunder" und „Moses' Bedrängung " begegnete. Je zwei solcher Gestalten
stehen auf einer Konsole nebeneinander, zugleich sich umfassend. Zwei solcher Gruppen
größeren Formates, mit geringen Resten ihrer Säulenschafte, befinden sich in Venedig
an der Markuskirche; zwei ganze Säulen in kleineren Verhältnissen, mit den an-
gearbeiteten Gruppen, stehen in der vatikanischen Bibliothek. Es mögen Arbeiten
vielleicht noch des vierten Jahrhunderts sein.1)
Endlich sei noch die des Kopfes beraubte Porphyrstatue eines Thronenden im
Museum von Kairo (hoch 3,08 m) erwähnt, in der Strzygowski zuerst den Christus
und ein Werk frühestens des fünften Jahrhunderts vermutete; im Katalog läßt er
dahingestellt, ob es ein Kaiser oder ein Christus sei (ein Christus togatus?) und denkt
an das vierte Jahrhundert.2)
Weil die Porphyrarbeiten sich in stilistischer Beziehung mit den Marmorsachen
nicht unmittelbar vergleichen lassen, so verzichten wir auf ihre bildliche Wiedergabe.
Elfenbein und Knochen.
Daß Elfenbein seit den frühesten Zeiten in Ägypten und Vorderasien künstlerisch
verarbeitet wurde, durfte man von vornherein voraussetzen und wird durch die Aus-
grabungen bestätigt. Auch die ältere Steinzeit Südeuropas bildete primitive Gestalten
aus den Stoßzähnen des einheimischen Elefanten. In der Kultur- und Kunstgeschichte
der klassischen Völker spielte das wertvolle Material eine wichtige, zum Teil führende
Rolle, von der kretisch-mykenischen Zeit bis in die römische Kaiserzeit. Schon die
kretisch-mykenischen Elfenbeinarbeiten sind nicht Import aus Ägypten oder Vorderasien,
sondern Schöpfungen der ägäischen Kunst. Unzählige Geräte, wie musikalische In-
strumente, Gestell- und Kastenmöbel, wurden im Altertum aus Elfenbein gefertigt oder
mit Elfenbeinschnitz werk verziert. Auch arbeitete man Figuren daraus, von den
kleinsten Statuetten bis zu den großen Goldelfenbeinstatuen der perikleischen, hadria-
nischen, konstantinischen Zeit. Aus alle dem geht hervor, daß das afrikanische Material
von jeher roh verhandelt und von den Kulturländern in Ost und West selbständig
verarbeitet wurde (das indische erst in zweiter Linie). An allen Hauptsitzen des
Reichtums und der Luxuskunst, also auch in den Residenzen, wird man sich auf die
Bearbeitung des Elfenbeins verstanden haben, an allen solchen Orten wird es Elfenbein-
schnitzer gegeben haben. Aus dem afrikanischen Material darf man nicht ohne weiteres
1) Strzygowski in den Beiträgen zur alten Geschichte II 1902, 105. Danach Wittig, Campo
santo 118 Abb. 45.
2) Strzygowski, Rom. Quartalschr. 1898, 4 Fig. 1; Koptische Kunst 1904, 3 n. 7256 Abb. 1
Tafel 1.
Elfenbein und Knochen. 229
auf ägyptische Arbeit schließen. Möglich, daß in der Spätantike die Elfenbeinarbeit
sich auf einzelne Brennpunkte zurückzog, das muß aber bewiesen werden.
Geweihe und Knochen wurden überall verarbeitet, gewiß schon vor und un-
abhängig von der Elfenbeineinfuhr; nachdem aber die Elfenbeinschnitzereien ins Leben
getreten waren, dienten Knochen als Surrogat.
Eine umfassende Publikation „Kunstwerke aus Elfenbein" bereitete Ernst aus'm
Weerth vor; in Kraus' Realenzyklopädie I, 1882, 401 kündigte er das Erscheinen des
ersten Bandes an, der die sämtlichen bis dahin bekannten Pyxiden bringen sollte; was
daraus geworden ist, weiß ich nicht. Neuerdings begann Hans Graeven, unterstützt
vom deutschen Archäologischen Institut und von der Göttinger Gesellschaft der Wissen-
schaften, das Material länderweise zu photographieren und der Forschung zugänglich
zu machen, in der Art der münchener „Einzelaufnahmen" griechischer Skulptur; aus
seinen Bemerkungen gegen den oben Seite 41 erwähnten Plan eines Corpus monumen-
torum christianorum zu schließen scheint die Ausarbeitung eines Korpus der Elfenbein-
werke nicht in seinen Gedanken gelegen zu haben. Wohl war eine Ausgabe der
Diptychen geplant; aber sowohl sie wie das so nützliche, nur in zu kleinem Maßstab
ausgeführte Unternehmen der serienweisen Einzelveröffentlichung hat sein zu früher Tod
unterbrochen *)
Diptychen. Unter den uns erhaltenen Elfenbeinarbeiten der christlichen Kaiserzeit
nehmen die Diptychen die erste Stelle ein, welche die Konsuln und andere höhere
Beamte bei ihrem Amtsantritt an den Kaiser und an ihre Freunde, Private bei
wichtigen Familienfesten verschenkten. Theodosius verbot 384 den übrigen Beamten
außer den consules ordinarii Elfenbeindiptychen zu verschenken; doch pflegen Luxus-
gesetze nicht viel zu erreichen.8)
Kein Hauch christlichen Geistes beseelt diese Denkmäler offizieller Eitelkeit, diese
Selbstdarstellungen höchster Prunkbeamten in goldstrotzender Pupuruniform, dar-
gestellt im Glanzpunkt ihres ephemeren Daseins, da sie im Zirkus das Zeichen zum
1) Blümner Technologie und Terminologie der Gewerbe und Künste II 1875, 360. Mar-
quardt-Mau, Privatleben der Römer II2 1886, 741. Westwood, A descriptive catalogue of the
fictile ivories in the South-Kensington-Museum with an account of the Continental collections of
classical and mediaeval ivories, London 1876 mit Tafeln. Garrucci, Storia VI 1880 Taf. 414 ff. 437 ff.
Kraus' Kealencyclopaedie I 1882 399 Übersicht der Gattungen und Schulen (aus'm Weerth);
402 Statistik der altchristlichen Elfenbeinskulpturen, museographisch (Kraus). Dobbert im
Repertor. 1885, 162 Zur Geschichte der Elfenbeinskulptur. Molinier, Histoire g6n6rale des arts
applique*s ä l'industrie, du V. a la fin du XVIII siecle, I Jvoires, Paris 1896 mit Tafeln (chrono-
logisch geordnet). Stuhlfauth, Altchristliche Elfenbeinplastik 1896 mit 5 Tafeln (er konstruiert
Schulen; S. 198 eine nach ihnen geordnete Zusammenstellung der Denkmäler). Hans Graeven,
Antike Schnitzereien aus Elfenbein und Knochen, Serie I, Rom 1902; frühchristliche und mittel-
alterliche Elfenbeinwerke in photogr. Nachbildung, Serie I (England) Rom 1889. II (Italien) Rom
1900; Bonner Jahrbücher CV 148, 6. Venturi, Storia delF arte italiana I 1901 456 Fig. 273 ff.
Schultze, Archäologie 267. Kaufmann, Handbuch 516. Leclercq, Manuel 327.
2) Marquardt-Mau, Rom. Privatleben II a 803. 562. Kubier und Wünsch in Pauly-Wissowa's
Realenzykl. IV 1135 und V Art. Diptychon. Bloch in Daremberg-Saglio's Dict. I 271 Art. Dipty-
chon. — Hauptwerke: Gori, Thesaurus vet. Diptychorum consularium et ecclesiasticorum, 4 Bde.
1759. Wilhelm Meyer aus Speyer, Bayer. Akad., philos.-philol. Klasse XV 1881, 1. He>on de
Villefosse, Gaz. arch. 1884, 117. Von Meyer wurde Graeven zum Studium der Diptychen an-
geregt. Die reichhaltigste Übersicht des Materials, mit Abbildungen, immer noch bei Molinier
(s. vorige Anm.).
230 Bildwerke aus besonderen Materialien.
Beginn der Wagenrennen, der blutigen Tier- und Gladiatorenkämpfe, der Athleten-
spiele gaben. Höchstens das konstantinische Monogramm auf der Kriegsfahne eines
Kaisers, das Kreuzchen etwa auf einem Zepter, schließlich auch ein eingeschobenes
Christusmedaillon verrät, daß Cultores Christi vor uns stehen. Trotzdem sind die
Diptychen so wertvolle Zeugen der christlichen Spätantike wie die gleichzeitigen Elfen-
beinarbeiten kirchlichen Gepräges. Beide Klassen gingen aus denselben Werkstätten
hervor; und wie sehr sie nach Inhalt und Form eins sind, beweist schon die Tatsache,
daß eine wenig spätere Zeit so einen Konsul mit ein paar Messerschnitten in einen
König David oder einen h. Gregorius verwandeln konnte. Da bestätigt sich wieder
einmal, wie unwissenschaftlich es ist, die Erzeugnisse einer und derselben Kunst, hier
der Antike, nach den in ihnen zur Erscheinung gebrachten religiösen Ideen gesondert
zu behandeln, die christlichen losgerissen von ihren Geschwistern, den heidnischen, ge-
schichtlich verstehen zu wollen. Wäre es unsere Aufgabe, die Kunstgeschichte der
altchristlichen Elfenbeinwerke zu schreiben, so müßten wir sie im Zusammenhang der
gesamten Elfenbeinschnitzerei der Kaiserzeit bearbeiten. Hier freilich soll ja nur
den klassischen Archäologen das Material an die Hand gegeben werden; daher be-
schränken wir uns darauf, von den Elfenbeinwerken mit heidnischen Motiven bloß die
Diptychen heranzuziehen, als die einzigen datierten Denkmäler der Elfenbeinskulptur.
Für die Stilkritik und Chronologie der gleichzeitigen Kunst von grundlegender
Bedeutung sind die mit Namensinschrift des Konsuls versehenen und dadurch datierten
Diptychen. Die erhaltenen Exemplare laufen von 406 — 540 n. Chr.; im folgenden
Jahre hob Justinian das Konsulat auf.1)
Der Name des Gebers steht bei einigen Exemplaren aus der früheren Zeit im
Genetiv (Felicia), sonst im Nominativ; ferner schrieb man anfangs nur einen Namen,
mit der Zeit immer mehrere, der an letzter Stelle stehende ist der Kalendername, nach
dem das Jahr genannt wurde. Auf unserem ältesten datierten Exemplar tritt zu dem
Namen ein Prädikat (Probus famulus; laut Inschrift war das Diptychon für den Kaiser
bestimmt). Es folgen noch, meist auf der zweiten Tafel, die Titel (Vir clarissimus,
Vir inlustris, Patricius, Ex consule usf.). Ist der Konsul in ganzer Figur dargestellt, so
steht die Inschrift über ihm in einem Streifen, der sich zur Tabula ansata ausbildet,
nur ausnahmsweise unten. Einige Tafeln ohne Figuren bringen die Inschrift in einem
zentralen Medaillon. — Die Tafeln haben Hochformat, die ältesten und einzelne spätere
schließen oben giebelförmig; die übrigen schließen wagrecht, setzen aber gern im Relief
einen Giebel über den Konsul. Die Ränder der Tafeln sind manchmal verziert, be-
sonders an früheren Stücken. Beide Tafeln tragen in der Regel fast dieselben Dar-
stellungen, das Bild des Kaisers (wenn das Diptychon für ihn bestimmt war), sonst
das des Konsuls als des Gebers, aber auf den zwei zusammengehörenden Tafeln in
etwas verschiedener Haltung und mit verschiedenen Attributen. — Der Konsul steht
(Felix) oder sitzt (Asturius) in einem geschlossenen Raum; diesen Typus bezieht man
auf die Empfänge bei seinem Amtsantritt. Seit Valentinian III (424 — 455) entwickelte
sich ein eigener Typus, der Konsul in dem für ihn hochwichtigen Augenblick, wo er
im Zirkus eine Art Taschentuch (die Mappa) hebt, um das Zeichen zum Beginn der
Spiele zu geben; dabei konnte er stehen (vgl. die zwei Marmorstatuen im Konser-
*) Aus der Zeit nach 541 stammt vielleicht ein kleines Diptychon, s. Graeven, Jahrb. d.
preuß. Kunstsamml. 1898, 86.
Elfenbein und Knochen. 231
vatorenpalast zu Rom, Heibig, Führer I n. 583. 584) oder sitzen. Statt die Mappa
zu heben legt er, wenn er sitzt, die Hand mit der Mappa wohl auch auf den Schoß
oder hält sie vor flie Brust. Das Nähere über die öfter angedeuteten, vom Konsul
verteilten Geschenke, über die in den Sockelbildern mehrfach dargestellten Zirkusspiele,
über die oben angebrachten Medaillons mit Kaiserbildern, über Sessel und Zepter
des Konsuls findet man bei Wilhelm Meyer.
Nur einige Worte über die Tracht des Konsuls. Abgesehen von den Schuhen
trägt er als eine Art Unterkleid eine lunica talaris mit langen engen Ärmeln; darüber
die kürzere Tunika mit weitem Halsausschnitt und halblangen weiten Ärmeln; endlich
als Oberkleid die Toga und zwar kontabuliert (gefaltet, so etwa wie man ein langes
Tischtuch zunächst in der Länge mehrmals zusammenfaltet, so daß es an der Ober-
fläche einen langen Streifen bildet). Mit andern wendet Meyer auf diese Staatstracht
den überlieferten Namen Trabea an. Ihm schien das gefaltete Gewand, unter der
rechten Achsel irgendwie befestigt, von da über Brust und linke Schulter, um den
Rücken und wieder unter der rechten Achsel nach vorn zu laufen, vom Rücken an
sich wieder entfaltend und dann ganz entfaltet vor dem Leib vorbei über den linken
Unterarm zu fallen (dies öfter beim griechischen Himation, lat. Pallium). Unter der
letztbeschriebenen vorderen Togapartie pflegt aber noch ein längerer Streifen bis über
den Saum der kürzeren Tunika herabzufallen, von der linken Schulter, seit dem Anfang
des sechsten Jahrhunderts von der rechten. Da nun in der Largitio am Konstantin-
bogen, wo die ganze Tracht zuerst erscheint, ebenfalls in anderen Darstellungen, ein
entsprechender Streif auch im Rücken herabhängt [Abb. 21], so schloß Meyer, es handle
sich um einen besonderen Streifen, der über die eine Schulter geworfen vorn und hinten
lang herabhänge, unter dem vorbeschriebenen „Umwurf". Zweierlei erregt Bedenken,
einmal die Befestigung des Umwurfs unter der rechten Achsel, sodann die ganze Zer-
legung der Tracht in „Streifen" und „Umwurf", da doch das Ganze nichts ist als die
Toga picta. Wilpert faßt beides zusammen, indem er den von der linken Schulter
nach vorn fallenden Streifen im Rücken sich mit dem Meyerschen Anfang unter der
rechten Achsel verbinden läßt. Hierbei aber bleibt der im Rücken herabfallende
Streifen unberücksichtigt und unerklärt, desgleichen die jüngere Trag weise des Streifens
über die rechte Schulter. Graeven, der sich Meyer anschloß, unterschied noch vier
Nuancen der Tracht im vierten und fünften Jahrhundert. A) Die vorbeschriebene
Weise: Beamtendiptychon des Probianus, vermutlich Ende des vierten Jahrhunderts
[Abb. 64]. B) An der rechten Seite ist der Umwurf himationartig drapiert, so daß
er den rechten Arm bis zum Handgelenk umschließt: nicht datiertes Konsulardiptychon
mit der Inschrift Lampadiorum; umgearbeitetes Konsulardiptychon in Prag; beide ver-
mutlich aus dem Anfang des fünften Jahrhunderts. C) Das Rückenteil umschließt die
rechte Schulter: die datierten Konsulardiptychen 428 Felix und 449 Asturius [Abb. 67].
D) Der Umwurf begann auf der Brust, wurde erst über die rechte Schulter gelegt
und dann unter der rechten Achsel durchgeführt, von wo ab seine Anordnung dieselbe
war wie auf der Probianustaf el : datiertes Konsulardiptychon 487 Boethius [Abb. 70];
das undatierte der Barbarinischen Bibliothek und das früher auf 530, von Graeven
auf 480 angesetzte des Basilius. E) Als man um 506 anfing, den langen Streifen über
die rechte Schulter zu legen, kehrte man zur Tracht des Umwurfs zurück, wie sie das
Diptychon des Probianus zeigt; so Anastasius 517 [Abb. 71]. Neuere Untersuchungen
halten die Einheit der ganzen Tracht fest, indem sie voraussetzen, daß die sehr lange
232 Bildwerke aus besonderen Materialien.
Toga an beiden Enden kontabuliert wurde, in der Mitte aber offen blieb: der un-
gefaltete mittlere Teil gab den um die Körpermitte drapierten „Umwurf" ab, die beiden
gefalteten Enden hingen als die „Streifen" vorn und im Rücken herab. Ganz klar
gestellt ist der vielgewundene Gang des purpurgesäumten Goldmantels noch nicht.1)
Wir lassen zunächst ein Verzeichnis der zweifellos datierten Konsulardiptychen folgen.
406 Probus (Konsul zu Rom). In Aosta. Garrucci, Storia VI Taf. 449, 3. Meyer
n. 1. Molinier n. 2 Taf. 2. [Abb. 66]. — Giebelformiger Abschluß, verzierter Rahmen.
Unter pfeilergetragenem verziertem Rundbogen steht Kaiser Honorius nimbiert,
gepanzert, in a) mit Victoria auf Kugel und Labarum, in b) mit Stab und Schild,
in a) etwas halbrechts, in b) ebenso halblinks.
428 Felix (Rom), a) in Paris, Bibl. nat. b) verschollen. Beide Tafeln bei Gori I
131 Taf. 2 (nach Mabillon). a) Meyer n. 2. Mol. n. 3 Abb. Venturi I Fig. 334
[Abb. 67]. — Giebelformiger Abschluß, verzierter Rand, a) In geöffneter Portiere
steht Felix frontal, in der Linken das Zepter, die Rechte vor der Brust, b) Felix
steht in Chlamys, in der Rechten das Volumen.
449 Asturius (Rom), a) verschollen b) in Darmstadt. Gori I 58 Taf. 3. Meyer
n. 3. Mol. n. 4. — a) ähnlich b) Vor vier Säulen, unter Giebel zwischen Halban-
themien, sitzt Asturius auf der Sella curulis, zwischen zwei Dienern in Tunika und
Chlamys, der eine hält die Fasces, der andere ein Gefäß. Hinten das Gestell mit
den Kaiserbildern.
487 Boethius (Rom). In Brescia. Meyer n. 5. Mol. n. 5 Abb. Venturi I Fig. 336
[Abb. 70]. — Verzierter Rahmen, a) Vor pfeilergetragenem Giebel, darin Mono-
gramm in Kranz, steht Boethius gering halbrechts, in der Linken das Zepter, die
Rechte mit der Mappa hängt herab, b) Er thront gering halblinks mit Zepter
und gehobener Mappa.
488 Sividius (Rom), a) in Paris, Bibl. nat. b) verschollen. Meyer n. 6. Mol. n. 6
Abb. — a) gleich b) Inschrift in zentralem eingerahmtem Medaillon, nach oben
und unten Anthemien, in den vier Ecken Fünfblattrosetten in wirbelndem Blätter-
kranz.
506 Areobindus (Konstantinopel). In Zürich. Meyer n. 7. Mol. n. 7. — a) Areo-
bindus thronend hebt die Mappa, unten Zuschauer im Zirkus, in der Arena Löwen-
kämpfe, b) ebenso, in der Arena Bärenkämpfe. Die fortschreitende Überladung
mit Beiwerk schränkt die Figur des Konsuls auf immer kleineres Maß ein.
506 Areobindus (Kpel). In Petersburg. Meyer n. 8. Mol. n. 8. — a) wie vor,
unten Bärenkämpfe, b) fehlt.
506 Areobindus (Kpel). In Besancon. Meyer n. 9. Mol. n. 9 Abb. — a) wie vor,
unter den Ecken des Sitzbrettes Löwenköpfe mit Ringen im Maul; unten Gladia-
torenkämpfe, b) fehlt.
506 Areobindus (Kpel). a) fehlt b) früher in Dijon, jetzt in Paris, Cluny. Meyer
n. 10. Mol. n. 10. — b) wie vor, unten Tierkämpfe.
506 Areobindus (Kpel). In Lucca. Meyer n. 11. Mol. n. 11. Venturi I Fig. 337. —
a) gleich b) Monogramm des Areobindus unter kleinem Kreuz, zwischen zwei ge-
*) Näheres über die kontabulierte toga picta (trdbea) bei v. Premerstein im Jahrb. d. kunst-
hist. Sammlung des Allerh. Kaiserhauses, Wien 1903 (gelegentlich der Anicia Juliana im wiener
Dioskorides-Kodex).
Elfenbein und Knochen. 233
kreuzten Füllhörnern, aus jedem steigt eine Efeuranke; oben die Inschrift auf
Tabula ansata.
506 Areobindus (Kpel). In Mailand, Trivulzi. Gori II Taf. 18. Meyer n. 12.
Graeven, Rom. Mitteil. 1892, 205. Molinier n. 12. — a) gleich b) Büste des Areo-
bindus in Ring, ober- und unterhalb ein Monogramm des Konsuls in griechischer
Schreibung; alles innerhalb einer großen Raute, deren Seiten pflanzlich aus-
gebildet sind.
506 Areobindus (Kpel). In Paris, Louvre (nur eine Tafel erhalten). HeYon de Ville-
fosse, Gaz. archeol. 1884, 117. Graeven, Rom. Mitteil. 1892, 205. Mol. n. 13
Taf. 3. — Wie die vorige Tafel; flache Arbeit, wie ausgestochen. Auf der Rück-
seite der Tafel, von breitem verziertem Rahmen umgeben, in sieben Zonen das
irdische Paradies mit dem Sündenfall und Kentauren, Sirenen, Panen, tierköpfigen
Menschen, Greif, Einhorn, Löwen und andern Tieren; Molinier erklärt die Arbeit
für antik und wenig später als 506, Villefosse, ebenso Graeven, für Renaissance
des fünfzehnten Jahrhunderts.
513 Clementinus (Kpel). In Liverpool. Meyer n. 13. Mol. n. 15. Venturi I
Fig. 338. — a) fast gleich b) Clementinus thront mit Zepter, die Rechte mit Mappa
auf dem Schoß, die Füße auf zweistufigem Schemel; hinter ihm Roma und Kon-
stantinopolis; im Hintergrund Bogen zwischen zwei Pfeilern, vor dem Bogen
Medaillon mit eigenartigem Monogramm des Konsuls. Über der Tabula ansata
Kreuz zwischen den Medaillonbrustbildern des Kaisers und der Kaiserin. Unten
zwei Diener in Tunika, volle Geldsäcke entleerend, andere Geschenke liegen am
Boden.
515 Anthemius (Kpel). Früher in Limoges, jetzt verschollen. Villefosse 120. Graeven,
Rom. Mitteil. 1892, 204. Mol. n. 16. — Ähnlich 517 Anastasius: der Konsul thront,
über dem Giebel drei Medaillons, das mittlere zwischen Flügelgestalten. — Frag-
ment Janze" (Unterteil einer Tafel). Meyer n. 17. Graeven a. a. O. Mol. n. 20.
Venturi I Fig. 348. Ahnlich 517 Anastasius, daher meist diesem zugeschrieben,
von Graeven für 515 Anthemius Mol. n. 16 in Anspruch genommen.
517 Anastasius (Kpel). In Paris, Bibl. nat. Meyer n. 14. Mol. n. 17 Abb. [Abb. 71].
— a) fast gleich b) Anastasius thront, in der Linken das Zepter, die rechte hebt
die Mappa; Victorien stehen auf den Enden des Sitzbrettes, an diesen je ein Brust-
bild, die Löwenköpfe krönen je ein Pfeilerchen, der Schemel ist flach, Sella und
Schemel stehen auf quadratischer Platte innerhalb jener Pfeilerchen. Der Kopf des
Konsuls steht vor einer Muschel in Steilgiebel auf Pfeilern; als Eckakroterien
kubische Basen, darauf Brustbilder in Medaillons, als Firstakroter Kaisermedaillon
zwischen zwei Genien. Unten an a) Halbkreis des Zirkus, in den Zwickeln Zu-
schauer, in der Arena Bärenkämpfe, an b) zwei Friese, im oberen werden Pferde
geführt, drei Gruppen unten werden verschieden erklärt. Der Eierstab des Giebel-
rahmens ganz flach, nur die Umrisse eingeschnitten.
517 Anastasius (Kpel). a) in Berlin, b) in London, South Kensington. Meyer n. 15.
Mol. n. 18. Venturi I Fig. 347. — Ahnlich wie das vorige.
517 Anastasius (Kpel). In Verona. Meyer n. 16. Mol. n. 19. Venturi I Fig. 346. —
a) fehlt, b) ähnlich wie das vorige.
518 Magnus (Kpel). a) Früher in Leyden, jetzt in Paris, Bibl. nat. b) fehlt. Meyer
n. 18. Mol. n. 21 Abb. — Magnus thront; der Thron ist höher aufgebaut, die
234 Bildwerke aus besonderen Materialien.
Füße des Konsuls stehen auf hoher Doppelstufe. Hinten Roma und Konstantino-
polis. Oben hängt eine Blätterkrone zwischen zwei Girlanden. Unten entleeren
zwei Männer Geldsäcke. Geringe flache Arbeit.
521 Justinianus (Kpel). In Mailand, Trivulzi. Meyer n. 23. Mol. n. 26 Abb. —
a) gleich b) Inschrift in zentralem Medaillon mit verziertem Rahmen; in den vier
Ecken Löwenköpfchen in Blätterkranz, dessen Blätterspitzen nicht wirbelnd in der-
selben Richtung sich umbiegen, sondern abwechselnd rechtshin und linkshin.
521 Justinianus (Kpel). In Le Puy. Villefosse n. 21. Mol. n. 27. — a) gleich
b) ähnlich dem vorigen Diptychon.
521 Justinianus (Kpel). Aus Autun, in Paris, Bibl. nat. Meyer n. 24. Mol. n. 28
Abb. — a) wie vor, b) fehlt.
525 Philoxenus (Kpel). In Paris, Bibl. nat. Meyer n. 26. Mol. n. 29 Abb. —
a) gleich b) drei runde Medaillons untereinander, umrahmt von Bändern mit
medianer Perlschnur; die Bänder sind an den Berührungspunkten miteinander
verschlungen. In den Medaillons die Büste des Konsuls, die lateinische Inschrift,
die Büste seiner Gattin? Eine vierzeilige griechische Inschrift in Reliefschnitt ist
über die Tafel verteilt.
525 Philoxenus (Kpel). In Mailand, Trivulzi. Meyer n. 27. Graeven, Rom. Mitteil.
1892, 206 Abb. Mol. n. 30 Abb. — a) gleich b) lateinische Inschrift in zentralem
umrahmtem Achteck, das einer großen Raute eingeschrieben ist. Griechische In-
schrift verteilt in vier kleine Medaillons in den Ecken.
525 Philoxenus (Kpel). In Liverpool. Aus Knochen. Meyer n. 28. Graeven, Rom.
Mitteil. 1892, 208. Mol. n. 31. — a) fehlt, b) gleich dem vorigen Diptychon, doch
kleiner. Die Echtheit wird von einigen bezweifelt.
525 Philoxenus (Kpel). In Paris, Bibl. nat. Meyer n. 46. Graeven, Rom. Mitteil.
1892, 209. Mol. n. 32 Abb. Venturi I Fig. 345. — Wie die vorigen. Während
der naturalisierte Rautenrahmen des Areobindus (Mol. n. 13) an vier Stellen ge-
stielte Blätter nach außen sendet, ist hier je ein großes Blatt in die Rautenspitze
gesetzt, das mit einem gegabelten Stil aus den diesmal nicht naturalisierten Schenkeln
der Rautenspitze kommt.
530 Orestes (Rom). In London, South Kensington. Gori II Taf. 17. Meyer n. 29.
Molinier n. 34. Haseloff, Jahrb. d. preuß. Kunstsamml. 1903, 55. — a) ähnlich,
b) Orestes thront, hinter ihm stehen Roma und Konstantinopolis, unten entleeren
zwei Männer Geldsäcke in Gefäße (vgl. 513 Clementinus und 518 Magnus).
539 Apion (Kpel). In Oviedo. Meyer n. 30. Mol. n. 35. — a) gleich, b) Brustbild
Apions in Medaillon.
540 Justinus (Kpel). In Berlin. Meyer n. 31 Taf. 1, 2. Mol. n. 36. — a) ähnlich
b) Halbfigur des Konsuls in Medaillon; nach oben und unten Ranken. Oben in
Medaillons Brustbilder, Christus zwischen Justinian und Theodora, unten zwei
Männer, die Geldsäcke entleeren.
Wir lassen nun die nicht datierten Konsulardiptychen folgen, das sind solche
denen der Name des Konsuls fehlt; doch läßt er sich durch Vergleichung mit wachsender
Sicherheit ermitteln. Ihnen reihen wir solche ein, die den Konsulnamen zwar an sich
tragen, die aber aus verschiedenen Jahren stammen können; auch hier müssen Typen-
vergleichung und Stilkritik entscheiden. Da es darauf ankommt, das Material nach
Elfenbein und Knochen. 235
dem Stand der Frage vorzulegen, so folge ich den Datierungen Graevens, soweit er
solche bekannt gegeben hat.
„Lampadiorum* . In Brescia. Meyer n. 42. Graeven, Rom. Mitteil. 1892, 216; Götting
gelehrte Anzeigen 1897, 352. Molinier n. 33 Abb. — Der Konsul mit Zepter und
Mappa zwischen zwei anderen Beamten in seiner Loge; im Hintergrund tragen
vier Säulen einen verzierten Architrav, der über den mittleren Säulen und dem
Konsul einen Bogen bildet. Die Loge nimmt nicht die Hälfte des Diptychons ein.
Unten der Hippodrom, schräg gezeichnet, mit vier fahrenden Rennwagen. — Früher
auf 530 Lampadius bezogen, von Graeven zuerst in den Anfang des fünften
Jahrhunderts, dann gegen 350 datiert, letzteres im Widerspruch mit seinen Be-
obachtungen über die Tracht und ohne Begründung.
In Halberstadt, Meyer n. 4. Mol. n. 38. Hermes, Dom zu Halberstadt 1896, 126.
127 Abb. Graeven, Gott. gel. Anz. 1897, 58. [Abb. 68]. — a) ähnlich b) im Mittel-
feld steht der Konsul, einmal in Toga, einmal in Chlamys, zwischen zwei anderen
Beamten; oben sitzen vier Personen nebeneinander, ein jugendlicher Kaiser, dem
Konstantinopolis die Hand auf die Schulter legt, und zu seiner Rechten, also ge-
ringeren Ranges, ein älterer, neben diesem Roma; unten kriegsgefangene Barbaren.
— Meyer bezog das Diptychon auf Fl. Aetius, als den Konsul von 454 (nach Seeck
bei Pauly-Wissowa I 701, 57 und 703, 10 war er Konsul 432, 437, 446, ein
andrer Aetius war 454 Konsul), Graeven setzte es in das erste Viertel des fünften
Jahrhunderts.
„Basilius" (Kpel). a) in Florenz, Uffizien, b) in Mailand, Brera. Gori II 134. 136
Taf. 20. 21. Meyer n. 32. Graeven, Rom. Mitteil. 1892, 210, 1 (für die von anderen
bestrittene Zusammengehörigkeit der beiden Tafeln). 215. Mol. n. 37. Yenturi I
Fig. 349. — a) Basilius steht, bei ihm Roma; unten ein Adorierender und noch
ein Mann, daneben der Hippodrom mit vier laufenden Rennwagen, b) unten ab-
gebrochen, erhalten das Oberteil eines Adlers mit ausgebreiteten Flügeln, darüber
sitzende Victoria, die ein ovales Medaillon hält, dessen Brustbild dem Basilius
gleicht. — Früher dem Konsul des Namens von 541 zugeschrieben, von Graeven
dem von 480; es sei so unerfreulich wie 487 Boethius.
In Rom, Barberini. Meyer n. 33 Taf. 1. Graeven, Rom. Mitteil. 1892, 215. Molinier
n. 41. Venturi I Fig. 344. — a) fehlt, b) Brustbild des Konsuls in Früchtekranz,
in den vier Ecken je eine Rosette, oben Inschrift in einer Art Tabula ansata. —
Graeven setzt es in die achtziger Jahre des fünften Jahrhunderts, Molinier in
das sechste.
506 Areobindus (Kpel)? Früher in Novara, jetzt in Bologna. Meyer n. 35. Mol.
n. 14. — a) gleich b) wie 506 Areobindus im Louvre, Mol. n. 13 (Brustbild des
Konsuls in großem Medaillon, dies innerhalb pflanzlich naturalisierter Raute); statt
der zwei Monogramme Rosetten.
In Liverpool. Aus Kamelsknochen. Meyer n. 36. Mol. n. 43. — Brustbild des Konsuls
in Medaillon, oben und unten Rosette zwischen Zweigen. Rohe flache Arbeit wie
506 Areobindus Louvre.
In Bourges. Meyer n. 38. Molinier n. 39 Abb. Graeven, Gott. gel. Anz. 1897, 353. —
a) ähnlich b) vor einem Bogen, dessen wagerechte Fortsetzungen auf Pfeilern ruhen
(in den Zwickeln je ein Adler) thront der Konsul zwischen zwei Dienern; in der
236 Bildwerke aua besonderen Materialien.
unteren Hälfte Gladiator in Tierkampf. — Meyer schlägt vor, es dem Franken-
könig Chlodwig zuzuschreiben, welchen Kaiser Anastasius 508 zum Konsul er-
nannte; gegen Molinier ist Graeven dafür.
In London, teils in South Kensington, teils im Brit. Mus. Meyer n. 34. Mol. n. 42. —
Die stark abgescheuerte Tafel enthielt unter einem Bogen mit Adlern in den
Zwickeln (vgl. Bourges) einen thronenden Konsul. Auf der Rückseite sekundäre
Passionsszenen.
518 Magnus (Kpel)? In Liverpool. Knochen. Meyer n. 19. Mol. n. 22. — Ähnlich
518 Magnus: Konsul thront, hinter ihm Roma und Konstantinopolis. Oben hängt
zwischen Girlanden eine Blätterkrone; unten entleeren zwei Männer Geldsäcke.
Die Inschrift auf der Leiste oben wurde im Mittelalter ersetzt durch die Worte
Pio praesule Baldrico iubente.
518 Magnus (Kpel)? In Petersburg. Knochen. Meyer n. 20. Mol. n. 23. — Ähnlich
518 Magnus. Inschriftleiste leer. Zwischen ihr und den Girlanden steht in Relief-
schnitt: f Arabonü deo vota.
518 Magnus (Kpel)? In Paris, Bibl. nat. Meyer n. 21. Mol. n. 24. Venturi I
Fig. 342. — Ähnlich 518 Magnus, aber die Inschriftleiste oben und das Sockelbild
unten fehlen.
Hiernächst folgen die ins Kirchliche umgearbeiteten Konsulardiptychen.
In Prag. Graeven, Rom. Mitteil. 1892, 213. Mol. n. 45. — Der sitzende unbärtige
Konsul wurde im Mittelalter umgearbeitet in einen bärtigen Petrus, die Bogen-
architektur in eine zweitürmige Kirche, wobei man den Bogen zwischen den Türmen
stehen ließ. — Das Konsulardiptychon setzt Graeven in die zwei ersten Jahr-
zehnte des fünften Jahrhunderts, etwa gleichzeitig den Diptychen 406 Probus und
Lampadiorum.
518 Magnus (Kpel)? In Mailand, Brera. Meyer n. 22. Graeven, Rom. Mitteil. 1892^
213. Mol. n. 25. Venturi I Fig. 343. — Ähnlich 518 Magnus, aber der Konsul
wurde später umgearbeitet in einen Paulus.
In Monza. Gori II 218 Taf. 6. Meyer n. 37. Graeven, Rom. Mitteil. 1892, 218; Gott,
gel. Anz. 1897, 77. 1. Mol. n. 44 Abb. Venturi I Fig. 390. — Verzierter Rahmen.
a) thronender Konsul hebt die Mappa; der Thron und sein hoher Schemel stehen
auf einer wie freischwebend gezeichneten Fußplatte; im Hintergrund tragen zwei
auf dem unteren Rahmen stehende, daher überhohe Pfeiler einen Bogen; in den
Zwickeln je ein Adler auf Basis; im Bogenrund eine freischwebende kleine Muschel.
b) der die Mappa hebende Konsul steht auf hohem zweistufigem Bema zwischen
den Pfeilern. Der stehende Konsul trägt die geistliche Tonsur; am Gebälk über
ihm steht Sanctus Gregorius, an dem über dem thronenden steht David rex. Auf
den Bögen steht je ein Kreuz. Die meisten Flächen bedeckt flachgeschnittenes
mittelalterliches Ornament. Pulszky, Meyer, Bloch, Venturi erklären das Werk
für mittelalterliche Nachahmung eines Konsulardiptychons, Gori, Graeven und
Molinier erkennen ein echtes Konsulardiptichon, das später umgearbeitet wurde,
nach Graeven von langobardischen Künstlern. Der Konsul trägt die Toga im
Schema C wie 428 Felix und 449 Asturius, dazu paßt auch der Rahmen. Aber
der Bogen mit den Adlern wiederholt den Typus des Diptychons von Bourges,
Elfenbein und Knochen. 237
die Anordnung von Thron und Bema ist der von 517 Anastasius und 518 Magnus
verwandt.
Sodann die Beamtendiptychen; darunter werden Diptychen verstanden, welche
von Beamten verschenkt wurden, die nicht Konsuln waren.1)
Rufus Probianus (vicarius urbis Romae). In Berlin. Meyer n. 44 Taf. 2. Graeven,
Rom. Mitteil. 1892, 215; Gott. gel. Anz. 1897, 75. Mol. n. 50 Taf. 4 [Abb. 64]. —
Giebelförmiger Abschluß; verzierter Rahmen, ein besonderer um das Sockelbild,
obwohl seine Szene mit der oberen im selben Räume spielt, a) In einer perspek-
tivisch gezeichneten Pfeilerhalle mit Velenverschluß sitzt Probianus in nicht ge-
stickter toga contabulata auf zweistufigem Bema (das in verkehrter Perspektive ge-
zeichnet ist, vgl. Oskar Wulff, Kunstwiss. Beitr. für Schmarsow 1907, 1 und Fried-
länder, Repertor. 1908, 273), die Linke auf ein geschlossenes Buch gestützt, die
Rechte sprechend gehoben. Links steht die Kaisertafel, vorn zu beiden Seiten
je ein Ofnzial in Tunika und Paenula, der in einen Codex schreibt. Im Sockel-
bild stehen zwei Togati, die Blick und Hand zum Vikar heben. Zwischen ihnen
steht auf niedrigem Dreifuß das Amtstintenfaß mit Schreibrohr darin (zum Amts-
tintenfaß vgl. Graeven, Gott. gel. Anz. 352, 5, auch den Dreifuß in Pilatus' Hände-
waschung [Abb. 35]). b) wie vor, doch tragen alle Beteiligte die Chlamys, der
Vikar trägt in eine offene Rolle die ihm zuteil werdende Begrüßung Probleme
floreas ein. — Das Diptychon gehört zu den besten, Graeven setzt es in die Glanz-
zeit dieser Kunst zu Ende des vierten und eingangs des fünften Jahrhunderts.
In Wien. Gori II 182 Taf. 3. Meyer n. 54. Mol. n. 53. R. v. Schneider, Album 1895
Taf. 49. Strzygowski, Bull. Soc. arch. d'Alexandrie V 1902, 48 Abb. 34. 35. —
Die Tafeln schließen giebelförmig. a) unter gegiebeltem Naisk steht Roma, b) ebenso
Konstantinopolis, (Strzygowski: Alexandria). Rings Eierstab.
In Novara. Gori II 200 Taf. 4. Meyer n. 48. Mol. n. 54. Venturi I Fig. 331. a) ähn-
lich b) Mann in Chlamys steht auf Schwelle eines flachüberkuppelten Baues. Auf
den Innenseiten sekundäre Bischofslisten.
In Liverpool. Meyer n. 41. Mol. n. 51. Venturi I Fig. 335. — Verzierter Rahmen.
Oben in Loge drei Beamte in Toga contabulata, der rechts hält die Mappa, der
mittlere eine Schale. Die zwei unteren Drittel der Tafel nimmt der Zirkus ein:
Kampf mit Elentieren.
In Petersburg. Mol. n. 52. — Rings Perlstab, a) ähnlich b) Tierkämpfe.
fEine Klasse Diptychen stammt nicht von Beamten, sondern von Privaten her.
sie mögen bei irgend welchen Anlässen privater Natur verschenkt worden sein. Die
meisten entnehmen ihre Motive dem Typenschatz der klassisch-griechischen Kunst, wenn
auch vielleicht in deren hellenistischen Ausläufern.2)
In Paris, Cluny (a) und in London, South Kensington (b). Meyer n. 53. Mol. n. 58.
Venturi I Fig. 354. 355. — Im Rähmchen das Palmettenband wie am Beamten-
diptychon des Probianus. Über a) steht Nicomachorum, über b) Symmachorum.
a) eine Frau steht rechtshin und hält zwei brennende Fackeln schräg abwärts,
*) Beamtendiptychen: Meyer 34. Molinier 7.
2) Diptychen von Privaten: Meyer 41. Molinier 11.
238 Bildwerke aus besonderen Materialien.
vielleicht indem sie die eine an der andern entzündet; dahinter brennender runder
Altar unter Pinie, daran zwei Kymbala hängen, b) Eine Frau steht linkshin, in
der Linken eine Dose, aus der sie Räucherwerk entnimmt, um es in die Flamme
des schräg ins Bild gestellten viereckigen Altars zu werfen; dahinter Knabe mit
Kanne und Schale, und Laubbaum. — Das Diptychon bezieht sich auf eine Heirat
zwischen Mitgliedern der zwei genannten Familien; solche fanden nach Seeck
zwischen 392 und 394, sowie 401 statt (Mon. Germ, hist., auct. antiquiss. VI
pag. LIX); Haseloff zieht den ersteren Fall vor, weil damals ein Sohn des Virius
Flavianus Nicomachus heiratete, der den heidnischen Kult für kurze Zeit neu-
belebte (Jahrb. d. preuß. Kunstsamml. 1903, 55).
In Monza. Gori I Taf. 7. Meyer n. 47. Jullian, M£l. d'archeol. de Pe'cole fr. de
Ron I 5. Mol. n. 1 Tat. 1. Graeven, Gott. gel. Anz. 1897, 354. — a) Bärtiger
steht frontal auf rechtem Standfuß in Tunika, um die ein Schwert gegürtet ist,
und Chlamys, die Linke liegt auf dem abgesetzten Schild, die Rechte stützt sich
auf die Lanze. In einem Medaillon auf dem geschuppten Schild die Brustbilder
seines Sohnes und seiner Gattin; dieselben Bilder sind in die Ornamentfelder der
Tunika und der Chlamys gesetzt. Im Hintergrund ein trapezförmiger Giebel,
getragen von zwei Säulen mit verkröpf tem Gebälk; dahinter erheben sich noch
zwei Spiralsäulen, b) vor ebensolcher Architektur steht die Gattin und der Sohn,
letzterer in Chlamys. — Jullian und Molinier erkennen in den drei Personen den
Stilicho mit seiner Gattin Serena und seinem Sohn Eucherius. Graeven sprach
sich hiergegen aus.
In Brescia. Meyer n. 57. Mol. n. 59 Abb. Venturi I Fig. 356. — Die Architektur
sonst im Typ des Diptychons von Bourges, nur schließt die Tafel mit dem Bogen
ab, so daß die Adler entfallen. Zwischen den Spiralsäulen steht je ein mythisches
Paar, a) erklärt als Hippolytos und Phaedra, b) als Virbius und Diana oder
Endymion und Selene.
In Liverpool. Meyer n. 55. Wieseler, Denkmäler II Taf. 61. Mol. n. 61. Bau-
meister, Denkmäler 1 139. Graeven, Gott. gel. Anz. 1897, 351. Venturi I Fig. 357. —
a) Asklepios, b) Hygieia. — Graeven setzt die Arbeit in das vierte Jahrhundert.
In Monza. Meyer n. 51. Mol. n. 63 Abb. Venturi I Fig. 358. — Im Hintergrund
antike Barockarchitektur, unter anderem Muschel unter Bogen; davor in a) Muse
eine Kithara spielend, in b) ein sitzender Kahlkopf mit Rolle, am Boden offene
Rolle und Diptychon.
In Sens. Meyer n. 56. Mol. n. 64 Abb. — Gravierte Pflanzenbordüre, a) Sonnen-
aufgang, b) Mondaufgang, mit Bacchus als Sol, Diana als Luna.
In Rom. Bull. mun. 1874, 101. Meyer n. 45. Mol. 11, 2. — Bildlos, doch mit In-
schrift Gallieni Goncessi VC.1)
Bei einigen Tafeln kann man zweifeln, wie man sie rubrizieren solle. So bei der
„Apotheose des Romulus", wie eine Tafel genannt wird, die, früher in Florenz, jetzt
x) Die Tafel in Triest (Pervanoglou, Archäol. Zeit. VIII 1876 Taf. 12 Mol. n. 60), im
oberen Feld sich umarmende Dioskuren, im unteren Europa den Stier küssend, sowie das Dipty-
chon im Louvre (Meyer n. 52. Mol. n. 63), auf jeder Tafel in drei Feldern ebensoviele Schrift-
steller, jeder von einer Muse begleitet, hat Graeven, Gott. gel. Anz. 1897, 350 aus der Eeihe der
Diptychen ausgeschieden.
Elfenbein und Knochen. 239
in London im Brit. Mus. ist, Meyer n. 40. Molinier n. 40 Abb. Graeven, Gott. gel.
Anz. 1897, 351. 355. Venturi I Fig. 359. — Rings Perlstab. Apotheose eines Kaisers :
auf einem von vier Elefanten gezogenen Wagen sitzt unter einem tempelformigen
Baldachin der Verstorbene; gleichzeitig fährt er in kleinerer Gestalt, nackt, auf einem
Viergespann empor von dem im Mittelgrund errichteten verhängten Scheiterhaufen,
von dem auch zwei Adler auffliegen; oben wird er, bekleidet, von zwei mit Kopf- und
Schulterflügeln versehenen nackten Genien, der rechts ist bärtig (also Schlaf und Tod?)
zu den Göttern und Göttinnen getragen; den Himmel bezeichnet ein Stück Tierkreis
und der Kopf des Sol. — Graeven setzt die Tafel in den Anfang des vierten Jahr-
hunderts, der bärtige Kaiserkopf müsse sich deuten lassen.
In Bologna. Meyer n. 49. Mol. n. 55. Venturi I Fig. 391. Stuhlfauth Taf. 3, 1.
Graeven, Frühchristi. Elfenb. II n. 1. — Giebelförmiger Abschluß. Rings Eier-
stab nach guter Zeichnung. Auf einer in verkehrter Perspektive gezeichneter
Basis steht ein Bärtiger rechtshin, in Sandalen, Chiton und Himation, mit Rolle,
den Kopf vorgeneigt. Oben Clipeus mit frontaler Büste.
Aus Trier, in Berlin. Meyer n. 43. Mol. n. 56. — Unter Giebel Muse, dabei Erot
mit Palme und mit Büste auf Basis.
In Wien. Meyer n. 50. Mol. n. 57, 1. Rob. v. Schneider, Album, Wien 1895
Taf. 50. Venturi I Fig. 340. Graeven, Gott. gel. Anzeigen 1897, 355; Arch.
Jahrb. 1898, 84. — Das Konchamotiv ist zu einer Art Kuppelbau entwickelt, in
den Zwickeln je ein Adler; Architektur reich, am Kuppelkranz und den Kapitell-
deckplatten Perlstab. In der geöffneten Portiere thront frontal eine Fürstin in
reichem Kopfschmuck, doppeltem Kleid und perlenumsäumter Chlamys mit großem
Einsatz, auf der Linken den Globus mit Kreuz, die Rechte wie spendend ge-
öffnet.
In Florenz, Bargello. Meyer n. 50. Mol. n. 57, 1 Taf. 5, 3. Venturi I Fig. 341.
[Abb. 72]. Aus derselben Werkstätte und von derselben Hand wie das vorige
Stück, aber von einem andern Diptychon. — Die Adlerschnäbel halten eine Gir-
lande, an den Kapitellen fehlt der Perlstab. Die Fürstin steht mit Zepter und
Globus. — Graeven erklärt die Fürstin für Amalasvintha, Regentin für Atha-
narich 526—534; das Diptychon (er betrachtet, wie alle Gelehrten vor Schneider,
die zwei Tafeln für zusammengehörig) sei bald nach 526 gemacht vor dem Kon-
sulardiptychon des Orestes 530, jedenfalls sei es besser, oder vielleicht Gabe des
Orestes an die Königin.
Diptychen fanden auch im christlichen Kultus Verwendung. In solchen führte
man Verzeichnisse von Personen, verstorbener und lebender, deren man Anlaß hatte
beim Gottesdienst zu gedenken; ihre Namen wurden bei der Messe verlesen. Es konnten
Wohltäter der betreffenden Kirche sein, oder ihre Bischöfe, und ähnliches mehr; in
erhaltenen Exemplaren finden sich z. B. Bischofslisten eingetragen, auch wohl Abschnitte
des Rituals. Zunächst werden gewöhnliche Diptychen genügt haben, wie sie jedermann
in Gebrauch hatte. Doch zeigen auch Elfenbeindiptychen von Konsuln und andern
Beamten derlei Eintragungen ; ansprechend ist vermutet worden, diese kostbaren Diptychen
habe der antretende Beamte gelegentlich auch an Bischöfe geschenkt, die sie dann ihrer
Kirche ließen. Sie konnten übrigens auch aus den Händen anderer Empfänger oder
240 Bildwerke aus besonderen Materialien.
ihrer Erben durch Schenkung, Vermächtnis oder Kauf zum selben Ziele gelangen.
Nun aber trugen, wie wir sahen, die Konsular- und Beamtendiptychen, erst recht die
privaten, mehr oder minder heidnischen Bilderschmuck zur Schau; so ist es begreiflich,
daß man mit der Zeit dazu überging, für den kirchlichen Gebrauch eigene Diptychen
herstellen zu lassen mit Bildern christlichen Inhalts, wie man eben das Christen-
tum damals verstand. Für die ganze Anordnung und die Ornamentik legte der Künstler
zunächst natürlich die „profanen" Diptychen zugrunde, die benötigten Figuren und
Sinnbilder fand er in der bereits bestehenden christlichen Skulptur und Malerei. Viktor
Schultze hat angemerkt, daß die kirchlichen Diptychen in den Einzelfiguren sich denen
der Konsuln anschließen, in den Szenen mehr denen der Privaten; doch gilt das nicht
allgemein. Wir geben zunächst ein paar Tafeln mit Einzelfiguren, dann solche mit
Szenen.1)
In Rouen. Linas, Gaz. archeol. 1886, 25 Taf. 4. Mol. 53 Abb. Graeven, Gott. gel.
Anz. 1897, 71. — Dient als Einband einer Bischofsliste, war ursprünglich vielleicht
ein Diptychon mit solcher Liste. Rings Eierstab. Auf Pfeilern Steilgiebel, darin
Muschel, auf den Giebelschrägen (statt der Adler) je eine umblickende Taube.
In a) steht Paulus rechtshin; sein Schema im Sarkophagrelief Lat. n. 174 [Abb. 19].
der Typus in Sarc. Gaule Taf. 11, 1. 12, 4 (G 342. 332, 1). In b) steht Petrus
etwas halblinks; sein Typ in Sarc. Gaule Taf. 11, 1 im zweiten Feld von rechts.
Die Apostel sind nimbiert. — Die Anordnung der Tafeln ist den Konsulardipty-
chen entlehnt, die Typik der Apostel der Sarkophagskulptur. Graeven setzt das
Diptychon um 400 an.
In London, Brit. Mus. Garr. 457, 1. Mol. 60 Taf. 5, 1. Venturi I Fig. 396. Strzy-
gowski, Journ. hell. 1907, 117 [Abb. 69]. — Oben auf Täfelchen steht f Jä%ov
rcaqovTa xal (.tad-cov rfv ahiav (die Ergänzung stand auf der andern Tafel). Zwei
Säulen tragen einen verzierten Bogen, darin steht eine Muschel und vor ihr, in
Kranz, ein Kreuz auf Kugel; in den Bogenzwickeln Rosetten in Akanthuswerk.
Aus der Koncha führen sechs zu niedrige Stufen herab, die vorn von zwei Pilasterchen
wie von Wangen eingefaßt sind (Treppen und Pilasterchen sind aus Motiven der
Konsulardiptychen entwickelt, vgl. den Sanctus Gregorius und 518 Magnus). Auf
der Treppe steht ein geflügelter Engel (jeder Fuß bedeckt gleich drei Stufen) in
Poderes und Himation, das die rechte Schulter umschließt (vgl. die Toga picta
Schema C des füuften Jahrhunderts); die Linke stützt sich auf einen Stab, die
Rechte trägt den Globus mit dem Kreuz.
Früher bei Denon, zuletzt bei Carrand, jetzt in Florenz, Bargello. G. 451, 3. 452, 3.
Mol. 57 Abb. und Taf. 5, 2. Venturi I Fig. 385. Graeven, Gott. gel. Anz. 1897,
67. — a) Adam im irdischen Paradies sitzt zwischen Bäumen und vielerlei Tieren,
b) Paulus auf Malta (Ap. Gesch. 28) in drei Szenen übereinander; in der Mittel-
szene lehnt sich seine Figur an den Typus im Diptychon von Rouen. — Graeven
setzt das Diptychon in das vierte Jahrhundert.
In Mailand, Trivulzi. G 449, 2. Mol. 63 Taf. 6. Graeven, Gott. gel. Anz. 1897, 69, 2.
72 [Abb. 65]. — Eingeteilt in zwei Felder, jedes eingerahmt von verziertem les-
bischem Kyma, nur ist am oberen Feld der untere Rahmen wie öfter glatt ge-
lassen. In eigentümlicher Weise geht dieselbe Darstellung durch beide Felder.
*) V. Schultze, Archäologie 273.
Elfenbein und Knochen. 241
Unten sitzt der ungeflügelte nimbierte Engel auf einem Stein vor der. halboffnen
Tür des Christusgrabes, vor ihm lebhaft erregt die zwei Frauen; das Grab er-
scheint als ein Quaderbau mit zwei Lichtschlitzen und Flügeltür mit Jesusszenen in
den Füllungen, umrahmt von breitem Palmetten- und Lotusband. Oben erhebt sich
ein tambourförmiger Aufsatz des Mausoleums (Graeven 73, 3 vergleicht die Moles
Hadriani und die Mausoleen bei Canina, Edifizi di Roma IV Taf. 284 = Bau-
meister, Denkm. I Taf. 11) mit Rundbogenfenstern und Zeltdach mit krönender
Pigna; Efeu rankt daran herauf. Wie von einer furchtbaren Erscheinung erschreckt
sind zwei Wächter mit Militärmützen (vgl. die Moses-Petrusbilder der Sarkophage)
in die Knie gestürzt, und zwar anscheinend auf der Plattform des kubischen
Unterbaues. Oben über Wolken die geflügelten Symbole des Lukas und Matthäus.
Graeven setzt die Tafel um 400 an. — Man vergleiche damit die früher in Bam-
berg, jetzt in München befindliche Tafel G 459, 4. Stuhlfauth, Engel 138 Abb-
Molinier 65. Graeven, Gott. gel. Anz. 1897, 69, 2 (Ende des vierten Jahrhunderts).
Das Grab besteht hier klar aus kubischem Unterbau mit aufsitzendem Tambour,
der hier sichtbar überkuppelt ist; am Unterbau, größer als er, stehen zwei Wächter,
mit Kopf und Armen darauf ruhend; hinten ein Baum, vorn links sitzt der un-
geflügelte Engel, von rechts kommen drei Frauen. Über ihnen „der Berg" mit
der Himmelfahrt des Christus, dargestellt als ein Hinansteigen, die Hand aus
Wolken ergreift die des Steigenden; am Abhang zwei wie betäubt hinstürzende
Jünger, in der Auffassung verwandt den Wächtern der Tafel Trivulzi.
In Mailand, Dom. G 450. Graeven, Gott gel. Anz. 1897, 75. 77. — Rings ein ver-
ziertes Silberrähmchen; im Elfenbein läuft rings eine Reihe aufrechter Blätter. Je
vier Passionsszenen, a) Fuß waschen; Hände waschen des Pilatus (hier ist das
Waschen in einer Schüssel wirklich dargestellt) und Abführen des Christus; Judas'
Ende; die Wächter um das Grab (Rotunde mit Tambour), b) Der Engel und die
zwei Frauen am Grab; der Auferstandene und die zwei Frauen im Garten; der
Auferstandene auf dem Berg und die Elf; der ungläubige Thomas. — Nach Graeven
aus dem fünften Jahrhundert.
In Berlin n. 2. 3. G 451, 1. 2. Beschr. d. ehr. Elfenbeinwerke Berlin 1902 Taf. 2.
Graeven, Jahrb. d. preuß. Kunstsamml. 1898, 83. Venturi I Fig. 383. 384. —
Unten ein C, das als Rest vom Monogramm des Bischof Maximian von Ravenna
erklärt wird, a) Vor Koncha (in den Zwickeln Sol und Luna) sitzt auf einer Art
Sella curulis der langbärtig, langhaarige Christus, die Linke auf das Buch gestützt,
die Rechte „griechisch segnend" (Daumen und vierter Finger berühren sich); hinter
ihm Petrus und Paulus, b) vor gleichem Bau und auf gleichem Stuhl thront (den
Kaiserinnen der Konsul ardiptychen nachgeschaffen) Maria mit dem Kind auf dem
Schoß, beide frontal; hinter ihnen zwei Engel, der eine mit umkreuztem Globus
(vgl. Stuhlfauth, Die Engel 205). — Maximian lebte um 550.
In Tongern (a), (b) früher bei Spitzer, jetzt in Brüssel. Mol. 54 Abb. Graeven, Bonner
Jahrb. 1900, 152. Rings Weinranke mit Trauben. Vor Koncha steht frontal in
a) der langbärtige Paulus, griechisch segnend, in b) der kurzbärtige Petrus, beide
mit weitoffnen Augen. — Um 550.
In England, früher bei Bateman, jetzt bei Clean. (Aus S. Maximin bei Trier, nicht
aus Luxemburg). G 452, 1. 2. Mol. 78, 1. Graeven, Bonner Jahrb. 1900, 153 f. —
a) ähnlich b) vor drei Säulen zwei Evangelisten; in Kopfbildern a) Heilung des
Sybel, Christliche Antike II. 16
242 Bildwerke aus besonderen Materialien.
Gichtbrüchigen, b) Jesus und die Samariterin; jedesmal trägt Jesus ein langes
Kreuz. — Um 550.
In Rom, Stroganoff. Venturi I Fig. 393. Graeven, Frühchr. Elfenb. II n. 66 (sechstes
Jahrhundert). — Zwei Pfeiler tragen eine muschelförmige Kuppel. Der auf niedrigen
Stufen stehende Petrus faßt mit der Rechten ein hohes Kreuz an, das auf dem Vier-
stromberg steht (abgeleitet vom Christus auf dem Vierstromberg mit hohem Kreuz,
das Paulus anfaßt; der Typus begegnete uns an Sarkophagen).
In Cremona. G 453, 2. 3. Mol. 78, 2. Unter Koncha steht in a) der heilige Akakios,
in b) der heilige Theodoros, jeder in Chlamys und als Orans. Die Muschel schwebt
klein unter dem Bogen. Über diesen Brustbilder, in a) der Christus zwischen zwei
Heiligen, in b) Maria zwischen zwei Engeln. Rings spätes Blattornament. — Wird
ins siebente bis achte Jahrhundert gesetzt.
Diptychen mit fünfteiligen Tafeln. Aus den erhaltenen Inschriften geht
hervor, daß sie anfangs Geschenke des Konsuls an Kaiser oder Kaiserin waren,
daher auch ihr Typus aus den einfachen Konsulartafeln entwickelt ist. Die fünf
Teile sind (mit ihren mutmaßlichen Darstellungen): ein Mittelstück mit dem Kaiser
oder der Kaiserin, stehend oder thronend; zwei Seitenstücke mit dem huldigenden
Konsul, vielleicht einmal in Toga, einmal in Chlamys ; ein Kopfstück mit zwei schwebenden
Viktorien [vgl. Abb. 1], die einen Clipeus halten mit dem Brustbild des Kaisers oder
der Kaiserin, in den oberen Ecken Sol und Luna als Büsten; endlich ein Sockelstück
mit gefesselten oder tributbringenden Barbaren. Natürlich banden sich die Künstler
bei den fünfteiligen Tafeln ebenso wenig an ein feststehendes Schema wie bei den
einfachen.1)
In Paris, Louvre (früher in Rom, Bibl. Barberini). Gori II 168 Taf. 1. Meyer n. 58.
Mol. 10. Strzygowski in Materialien z. Archäol. Rußlands 1892 Taf. 4; Helle-
nistische und koptische Kunst in Alexandrien 21 Abb. 17; Kleinasien 137. 183.
Graeven, Gott. gel. Anz. 1897, 55; Archäol. Jahrb. 1900,211. Venturi I Fig. 360.
Strong, Roman Sculpture Taf. 105. [Abb. 75]. — Mittelstück: Kaiser zu Pferd
stößt die Lanze nach unten, links flehender Barbar, rechts unten Gaea, oben bringt
auf umkreuzter Weltkugel schwebende Viktorie dem Kaiser den Kranz. Linkes
Seitenstück: Krieger halbrechtshin bringt dem Kaiser eine kleine Viktorie auf
Plinthe. Rechtes Seitenstück fehlt. Kopfstück: im Clipeus Brustbild des griechisch
segnenden Christus mit Stabkreuz, um ihn Sonne, Mond und Stern (Sol und Luna
fehlen). Sockelstück: Barbaren bringen Tribut. Abwechselnd auf Konstantius,
auf Justinian, auf Konstantin bezogen wurde das Werk von Graeven dem vierten
Jahrhundert zugeschrieben; ich vermag ihm und Strzygowski hierin nicht zu folgen.
In München. Nur das rechte Seitenstück (die im jetzigen Einband links anschließende
Tafel — vgl. Strzygowski, Bull. Soc. arch. d'Alexandrie V 1902, 8 Abb. 2 —
konnte nicht wohl das Gegenstück bilden). Meyer n. 61 Taf. 3. — Rings auf-
rechte Blätter. Der Konsul in gestickter Toga bringt halblinkshin (dem Kaiser
*) Meyer 49. Strzygowski, Byzantin. Denkm. I Das Etschmiadzin-Evangeliar 1891, 28. Moli-
nier 38 (auch 73) n. 46—49. Viktor Schultze, Archäologie 273. Graeven, Gott. gel. Anz. 1897, 352 .
Oskar Wulff, Deutsche Lit.-Zeitung 1906, 1468.
Elfenbein und Knochen. 243
im verlorenen Mittelstück) auf einem Gewandteil eine Rolle? Hinter ihm ein
Protektor (kaiserlicher Leibwächter) mit Speer und Schild.
In Bologna. Nur das linke Seitenstück, oben gekürzt. G 448, 9. Graeven, Gott. gel.
Anz. 1897, 60. Rahmen mit fast nur graviertem spätem Blattornament. Konsul
fast genau frontal, in Chlamys mit sehr großem Einsatz; hinter seinem Kopf Rest
vom Schilde des Protektors (vgl. das vorige Stück). Früher hielt man den Schild
für einen Kreuznimbus und den Mann in Chlamys für den heiligen Ovinius
Gallicanus.
In Mailand, Trivulzi. Nur Kopf und Sockelstück der zweiten Tafel. Meyer n. 59
Taf. 1. 2. Mol. n. 46. 47. — Kopfstück: die Viktorien halten einen Kranz, darin
Brustbild der Konstantinopolis; statt Sol und Luna zwei Rosetten; die untere Rand-
leiste trägt, als Tabula ansata gestaltet, die Worte -f- ac triumphatori -\- perpetuo
semper augusto. Sockelstück: Barbaren bringen Tribut, dazu die Titel des Konsuls.
In Basel. Nur das Kopfstück, de Rossi. Bull, crist. 1878 Taf. 1, 3. Meyer n. 60
Mol. n. 48. — Wie das vorige Kopfstück, mit der Inschrift perpetuae semper -f-
augustae.
Das Diptychon mit fünfteiligen Tafeln ging ebenso in kirchliche Verwendung
über, wie das mit einfachen. Wurden solche eigens hergestellt, so trat an die Stelle
des Kaisers der Christus, in enger Anlehnung an die Typik der stehenden und thronenden
Kaiser, an die Stelle der Kaiserin Maria mit dem Kind; die in den Seitenstücken
huldigenden Konsuln oder Krieger wurden ersetzt durch analoge Engel, das Tribut-
bringen der Barbaren im Sockelbild durch das Gabenbringen der ja auch barbarischen
Magier; das Kopfstück endlich wird unverändert übernommen, die Siegesgöttinnen
heißen nun Engel (in der christlichen Kunst dienen sie besonders zur Verkörperung
der Sieghaftigkeit des Christus), das Christusbild mit kreuzgekröntem Zepter sahen wir
schon im barberinischen Exemplar an die Stelle des Kaisermedaillons treten.
Im Vatikan (aus Lorch). Gori III Taf. 4. G 457, 2. — Unter dem Rundbogen
steht auf Löwe und Drache (zu den Seiten noch Schlange und ein unkenntliches
Tier) der jugendlich langlockige Christus, frontal, mit Buch. In jedem Seitenstück
naht sich gebückt ein geflügelter nimbierter Engel mit Stab und Rolle; in den
Zwickeln über dem Christus je ein kleiner Baum (kommt auch an Sarkophagen
vor), in den andern je eine Rosette. Im Clipeus des Kopfstücks ausgeschweiftes
gleicharmiges Kreuz auf Strahlensonne, die schwebenden Engel sind nimbiert, statt
Sol und Luna je eine Rosette. Im Sockelstück die Magier, links vor Herodes,
rechts vor dem Christkind (mit Kreuznimbus) auf dem Schoß der nimbierten
Mutter; im Hintergrund Architekturen.
Weiter entfernen sich die für kirchlichen Bedarf arbeitenden Elfenbeinschnitzer
vom Schema der Konsulardiptychen, wenn sie die Seitenstücke in Felder zerlegen,
deren jedes ungefähr quadratisch ist und einen eigenen verzierten Rahmen besitzt; ein
ebensolcher umgibt auch die übrigen drei Teile, so daß die Anordnung des Ganzen
sich einer Tür mit Rahmen und Füllungen nähert. Eine erste Gruppe solcher
fünfteiliger Diptychen scheint noch im vierten Jahrhundert ihren Ursprung gehabt
zu haben.
In Mailand, Dom. G 454. 455. Venturi I Fig. 388. 389. Strzygowski, Kleinasien 198
16*
244 Bildwerke aus besonderen Materialien.
Abb. 144. — Das Mittelstück bewahrt die Architektur der einfachen Konsular-
diptychen, zwei Pfeiler, die hier einen Architrav mit Sims tragen; b) behielt auch
die geöffnete Portiere. An Stelle des Christus bringt a) das Lamm Gottes in
einem Früchtekranz aus Ähren, Wein und Obst, und Oliven, b) eine Crux gemmata
auf dem Vierstromberg, Lamm und Kreuz von Silber mit eingelegten Smalten und
Steinen. In den Seitenstücken folgen sich von oben nach unten, in a) links: Ver-
kündigung an Quelle (Protev. Jac. 11), Magier den Stern erblickend, Jesus' Taufe;
rechts: einer Frau in Modetracht weist ein Engel einen Stern über einem Tempel,
Jesus vor einem Schriftgelehrten, Einzug in Jerusalem, in b) links: Heilung der
Blinden, Gichtbrüchiger (trägt die Kline verkehrt), Lazarus; rechts: dem auf
gestirntem Globus sitzenden Herrn bringen zwei Selige ihre Kränze dar, ein Ge-
lage von vier Personen mit Brot und Fisch, drei Personen vor dem auf gestirntem
Globus sitzenden nimbierten Herrn. Kopfstück a) das Christkind in der Krippe
mit Joseph und Maria zwischen den umkränzten Symbolen des Matthäus und
Lukas, b) Magier vor Christkind zwischen den Symbolen des Markus und Johannes.
Sockelstücke: a) Kindermord, b) Weinzauber, jedes Bild zwischen zwei bärtigen
Brustbildern in Kranz.
In Berlin (aus Amiens). Rechtes Seitenstück. Haseloff, Jahrb. der preuß. Kunst-
samml. 1903, 47 mit Tafel. Strzygowski, Kleinasien 198. — Eierstab umschließt
die Felder, Perlstab läuft unter den zwei oberen Feldern und lief um die ganze
Tafel. Im Mittelstück wird der Christus irgendwie dargestellt gewesen sein, im
linken Seitenstück der Anfang der Kindheitsgeschichte; das erhaltene rechte bringt
Kindermord, Taufe, Weinzauber. — Der Thron des Herodes ist schlicht wie der
im Kindermord des mailänder Diptychons und wie derjenige Konstantins in der
Largitio an seinem Bogen [Abb. 21]. Haseloff setzt die Arbeit in das ausgehende
vierte Jahrhundert.
Es wird Sache des Korpus der Elfenbeinarbeiten sein, die ursprüngliche Be-
stimmung der vielfach einzeln oder gepaart vorkommenden Tafeln zu ermitteln, ob es
sich um einfache Diptychen oder Tafeln von solchen handelt, oder um Stücke von
fünfteiligen Diptychen, oder welche tektonische Aufgabe sie erfüllen sollten, z. B. die
zwei dreiteiligen Tafeln in der Kathedrale von Palermo, Venturi I Fig. 382.
Eine zweite Gruppe kirchlicher fünfteiliger Diptychen ist jünger als die vor-
besprochene, hält sich aber enger an die großen Konsulardiptychen. Die Seitenstücke
sind in nur zwei Felder zerlegt. Der Christus und die Engel tragen häufig das
Stabkreuz (kommt schon im pariser fünfteiligen Diptychon vor).
In Ravenna (aus Murano). a) Gori III Taf. 8. G 456. Venturi I Fig. 394. Wulff,
Deutsche Lit. Zeit. 1906, 1468. b) Graeven, frühchristl. Elfenb. II n. 64. Strzy-
gowski, Bull. Soc. arch. d'Alexandrie V 1902, 87 Abb. 63—66. [Abb. 73]. —
a) Der jugendliche Christus thront, zwischen den stehenden Apostelfürsten, unter
einer von zwei Spiralsäulen getragenen muschelförmigen Kuppel; in den Zwickeln
Kreuze. In einer Predelle die Jünglinge in Flammen. In den Seitenstücken links
Blindenheilung und Dämonischer, rechts Lazarus und Gichtbrüchiger Typ II;
Jesus überall mit Stabkreuz. Im Kopfstück Kreuz in Kranz, gehalten von den
zwei schwebenden Engeln; an den Enden je ein stehender Engel mit Stabkreuz
und umkreuzter Kugel. Im Sockelstück Jonas aus dem Schiff geworfen, sodann
Elfenbein und Knochen. 245
unter der Laube (aber auf dem Ketos ruhend). Zu beachten ist die Zahnleiste
über der Predelle, die Ranke über den Seitenbildchen, die Punktreihe über den
oberen derselben, die fast mittelalterlich gezeichnete Randleiste der ganzen Tafel,
b) Nur in Teilen erhalten: das Mittelstück mit der unter der muscheltörmigen
Kuppel thronenden Maria mit dem Kind, Engel und Magiern, in der Predelle die
Geburt mit Salome, bei Crawford; die zwei linken Seitenfelder mit Verkündigung
an Anna und Heimsuchung, bei Botkin; das Sockelstück mit Verkündigung, Fluch -
wasser, Flucht nach Ägypten, bei Stroganoff. — In das sechste oder siebente
Jahrhundert gesetzt.
Eine weiter entartete jüngere Reihe der zweiten Gruppe scheint späteren Ursprungs.
Zur Typenkritik und Typengeschichte vergleiche man die nächstgenannte Veröffent-
lichung.
In Etschmiadzin. Strzygowski, Byz. Denkm. I Das Etschmiadzin-Evangeliar 1892,
Tafel 1. — a) Im Mittelstücke thront der jugendliche Christus, die Linke auf das
Buch gestützt. In den Seitenstücken Szenen aus Jesus' Leben. Links Heilung
des Wassersüchtigen, Luk. 14, 2, und eine unerklärte Heilung, rechts Gichtbrüchiger
und die Dämonischen, Mt. 8, 28. Kopfstück: „Ordenskreuz" in gemmiertem dickem
Kranz, die Bandenden sind schematisch eingerollt, die umblickenden Engel halten
den Kranz noch mit beiden Händen; in den oberen Ecken Sol und Luna. Sockel-
stück: Einzug in Jerusalem (Jesus sitzt seitwärts auf dem Tier, im Tor steht die
Stadtgöttin), b) Maria thront, das Kind auf dem Schoß, hinter ihr zwei Engel
mit Stäben. In den Seitenstücken Szenen aus Marias Leben. Links: Verkündi-
gung und Fluch wasser (Protevang. Jac. 16. Hist. de nativ. Mar. 12), rechts unten
Ritt nach Bethlehem, oben Jesus' Geburt. Kopfstück wie a); Sockelstück: Hul-
digung der Magier (der erste bärtig). Ornamente: schuppenartige Blätter an den
Säulen bzw. Stäben um das Mittelstück, Zahnleiste und hölzerner Perlstab über
den Nebenbildern. — Strzygowski erklärte das Diptychon für etwas älter als den
Stuhl des Maximian (um 550), setzt es demnach in die erste Hälfte des Jahrhunderts.
In Paris, Bibl. nat. n. 9384. G 458, 1. 2. [Abb. 76]. — a) Mittelstück: Der thronende
Christus ist langbärtig, hat den Kreuznimbus und trägt das Buch auf der Hand;
hinter ihm Paulus und Petrus. Links Blindenheilung und Gichtbrüchiger, rechts
Kananäerin und Dämonischer. Im Kopfstück tragen die Engel auf gemusterten
und gefranzten Tüchern Bücher. Im Sockelstück Samariterin und Lazarus,
b) Mittelstück: das Kind trägt ein Kreuzzepter. In den Seitenstücken: links Ver-
kündigung und Heimsuchung, rechts Fluchwasser und Ritt nach Bethlehem. Das
Kopfstück wie in a), nur haben die Engel die Beinstellung gewechselt. Im Sockel-
bild Einzug in Jerusalem.
Zu dieser Reihe gehört auch ein in Kasan erworbenes Seitenstück mit völlig geo-
metrisiertem Randornament (Strzygowski, Byz. Denkm. I 43 Abb.).
Es bleibt übrig zu bemerken, daß die großen Diptychen sich meist als Einband-
decken von kirchlichen Büchern erhalten haben; wie diese Einbände vorliegen, sind
sie im Mittelalter hergestellt. Man hat gefragt, ob die fünfteiligen Tafeln nicht von
Haus aus, schon im Altertum, zu Einbänden bestimmt gewesen seien. Als Einbände
in einem allgemeinen Sinne lassen sich alle Elfenbeindiptychen betrachten, insofern sie
246 Bildwerke aus besonderen Materialien.
die Außenseiten und Schutzdeckel von Schreibflächen darstellen. Ob sie aber schon
ursprünglich als Bucheinbände im engeren Sinne des Wortes entstanden sind, so daß
also die Konsuln dem Kaiser nicht bloß ein kostbares Diptychon, sondern eine kostbar
eingebundene Handschrift geschenkt hätten, das ist eine Frage, die ohne genaueste
technische Untersuchung der Tafeln sich kaum beantworten läßt.
Kästchen mit Elfenbein ausgelegt oder beschlagen, oder auch ganz aus Elfen-
bein, waren von alters her in Gebrauch. Sie dienten dem häuslichen Gebrauch, in der
Hauptsache wohl zur Aufbewahrung von Kleinod. Da sie nicht aus einem Stück ge-
arbeitet sein konnten, sondern aus Täfelchen zusammengesetzt werden mußten, so standen
sie immer in Gefahr, auseinanderzufallen oder auch auseinandergenommen und anders
verwendet zu werden. Aus dem späteren Altertum sind uns mehrere Kästchen mit
Reliefs christlichen Inhalts bewahrt worden. Ob sie für kirchlichen oder privaten Ge-
brauch bestimmt waren, steht in Frage. Das Exemplar in Brescia (seit langem sind
die Tafeln auseinandergenommen und in Kreuzform wieder zusammengesetzt) gilt, wie
die gebräuchliche Bezeichnung „Lipsanothek" verrät, als Reliquienbehälter; Viktor
Schultze aber erklärt es für eine Privatschatulle1).
In London, Brit. Mus. G 446, 1—8. Mol. 64. Kraus, Gesch. I, Fig. 390—392. 137.
Graeven, Gott. gel. Anz. 1897, 75. Venturi I, Fig. 397—400. — Vier Täf eichen:
a) Pilatus' Händewaschen, Kreuztragung, Petrus' Verleugnung, b) Judas Ischarioths
Ende, der Gekreuzigte mit Titulus Rex Jud, zwischen Johannes und Maria links
und einem Soldaten rechts, c) Christusgrab als gesäultes Mausoleum mit ge-
fenstertem Tambour, die mit ringhaltenden Löwenmäulern und Reliefs verzierte
Flügeltür steht halboffen; vorn sind zwei Wächter im Sitzen eingeschlafen, hinten
sitzen zwei Matronen (zum Typus vgl. Furtwängler, Sammlung Saburoff zu Taf.
15 — 17). d) Christus jugendlich und nimbiert, die Linke offen ausgestreckt, steht
auf dem Berg, zwischen Paulus und Petrus und noch zwei Aposteln. — Die
Soldaten bei Kreuztragung, Kreuzigung und dem Grab tragen Militärmütze. Etwas
kurze schwere Gestalten, übrigens noch guter Stil, entsprechend den Akanthleisten
G 446, 5 — 8. Graeven setzt das Kästchen in den Ausgang des vierten Jahrhunderts.
In Brescia (sog. Lipsanothek). G 441 — 445. Stuhlfauth 39. Graeven, Gott. gel.
Anz. 1897, 68; Frühchr. Elfenb. II n. 11—15. Venturi I, Fig. 273—277. Ein
Schema der Disposition bei Stuhlfauth, Elfenbeinplastik 41. — Vier Seiten eines
länglichen Kästchens, nebst dem Deckel. Jede Seite ist in vier Zonen zerlegt, in
der obersten reihen sich rings um den Kasten fünfzehn Medaillons mit Männer-
köpfen, vorn in der Mitte der jugendliche Christus zwischen Petrus und Paulus.
Von den drei übrigen Zonen gibt die mittlere das Hauptfeld ab, überwiegend mit
Christusszenen; niedrige Kopf- und Sockelstreifen enthalten alttestamentliche Bilder.
— Vorderseite (G 441): Die weitgeöffnete Rolle in Händen steht der jugendliche
Christus zwischen sechs sitzenden Aposteln in überwölbter Halle, deren Schildbogen
an Thermen erinnert; die Halle flankieren zwei Türme unter Satteldach, der Ein-
gang zwischen Säulen und mit den zurückgeschlungenen Portieren erinnert an die
Diptychenarchitektur, nur daß er viel breiter ist. Links eine Gruppe im Typus
der Heilung der Blutflüssigen, von einigen auf das „Berühre mich nicht" Joh. 20, 17
bezogen; rechts Jesus in seiner gewöhnlichen Erscheinung, aber als der gute Hirt
*) Schultze, Archäologie 278.
Elfenbein und Knochen. 247
(im Tor des Schaf hofs stehend) tritt er dem anspringenden Wolf entgegen, während
der Mietling flieht. Kopfleiste: Jonas ausgeworfen und wieder ausgespieen. Sockel:
Susanna im Garten und vor Daniel, Daniel zwischen den Löwen. — Linke Schmal-
seite (G 442): Erweckung der Jairustochter. Kopfstreifen: links David und Goliath,
rechts der Prophet aus Juda wider Jerobeams Altar rufend, derselbe tot (als
Mumie) am Boden liegend, dabei Esel und Löwe (Kön. I 13, 2. 24). Sockel:
Tanz und Gelage der Israeliten vor dem goldenen Kalb. — Rechte Schmalseite
(G 443): Blindenheiluug und Lazarus. Kopf streif: Sieben Männer in Flammen;
links Moses auf dem Horeb, rechts auf dem Sinai. Sockel: Jakob und Rahel; er
ringt mit Gott; sein Traum. — Rückseite (G 444): Verklärung; Sapphira (mit
Scheitelzopf) vor Petrus, Ananias' Leiche wird hinausgetragen (hebt aber die Hand).
Kopfstreifen: Jonas unter der Laube, links Susanna im Garten, Daniel und der
Drache. Sockel: Findung des Moses; er tötet den Ägypter; ein Gelage, wird er-
klärt aus Mos. II 16. — ■ Die zwei Deckelfriese: a) Jesus in Gethsemane; Ge-
fangennahme; Petrus' Verleugnung (die Magd trägt den Scheitelzopf); b) Jesus
vor Kaiphas und vor Pilatus; dazu eine schmale Leiste mit Draperien und Tauben.
Es bleiben noch die Sinnbilder zu Seiten der Hauptfelder, einige deutlich aus dem
bekannten christlichen Typenschatz entnommen, andere ohne Gewaltsamkeit nicht
zu deuten: der Fisch (wie beim Fischhändler am Nagel hängend), der Hahn auf
einem Pfeiler, Judas Ischarioth erhängt, der Baum, der Turm, die Tür, der Kande-
laber, die Wage. — Das Kästchen setzt Graeven in das ausgehende vierte Jahr-
hundert.
In London, South Kensington (aus Werden). G 447, 1 — 3. Stuhlfauth, Elfenbein-
plastik 71. — Zwei Langseiten und eine Schmalseite; jedes Täfelchen umgibt ein
Blätterkyma. a) Verkündigung an der Quelle; Josephs Traum; Heimsuchung (?);
Frau und weisender Engel vor Tempel, b) Magier (ohne Mützen) den Stern er-
blickend; Krippe; Magier ihre Gaben bringend, c) Pharisäer und der Täufer
(nach Mt. 3, 7. 10); Taufe. — Die Typik ist nächstverwandt der fünfteiligen
Mailänder Tafel; aber Jesus hat in der Taufe den Kreuznimbus, und in a) ist
zwischen die zwei Szenen rechts eine Kirche mit zwei runden Türmen eingeschaltet.
In London, Brit. Mus. G 446, 9 — 11. — Drei Täf eichen gleicher Größe, in ähn-
lichem Rahmen wie vor. a) Quell wunder, die Trinkenden tragen Chlamys und
Militärmütze, b) Petrus erweckt die Tabitha. c) Paulus sitzt lesend, Thekla hört
zu, über einem Stadttor mit rundem Turm mit halbem Leibe sichtbar; Paulus
gesteinigt.
Von den Bischofstühlen waren einige ganz oder teilweise mit Elfenbein belegt.
Der zuerst bei Ennodius (um 500) erwähnte Tragstuhl des Petrus, des problematischen
ersten Bischofs von Rom, hat uns hier nicht zu beschäftigen, seine Elfenbeineinlagen
sind heidnisch, Heraklestaten.1)
Dagegen ist von hervorragender Wichtigkeit der Stuhl des Bischof Maximian von
Ravenna (546 — 556) in der Domsakristei daselbst. Sein Holzgerüst verschwindet unter
dem Elfenbein. An den Flächen der Eckpfosten steigen mit Tieren belebte Wein-
J) Cathedra Petri: de Rossi, Bull, crist. 1867, 33. Kaufmann, Handbuch 522. Venturi I
Fig. 381.
248 Bildwerke aus besonderen Materialien.
ranken aus Vasen empor, ebenso an den Sprossen der Rücklehne. An der Vorderseite
des Sitzes läuft unten ein hoher Fries mit symmetrisch sich auseinanderlegenden, aus
zentraler Vase wachsenden Weinranken mit Löwen, Hirschen und Kleintieren; ein ent-
sprechender Fries oben, mit Pfauen, Hirschen, Rindern, zeigt in der Mitte statt der
Vase das Monogramm des Bischofs. Ähnliche, nur kürzere Leisten decken die Quer-
riegel zwischen den Sprossen der Rücklehne, die oben und unten von bandumwundenen
dicken Lorbeergewinden abgeschlossen wird. Die Füllung der Vorderwand zerfällt in
drei schlicht eingerahmte Tafeln in Hochformat, getrennt durch zwei schmälere Tafeln
ohne Rahmen; diese fünf Felder sind als Konchen ausgebildet, deren jede eine Figur
umschließt, die mittelste den Täufer, die vier übrigen die Evangelisten. Die vierund-
zwanzig Felder der Rücklehne waren mit neutestamentlichen Szenen ausgefüllt (nur
dreizehn sind erhalten), die vorn mit solchen aus der Kindheit des Christus, die hinten
mit Christustaten. Die Seiten des Throns schmücken je fünf alttestamentliche Szenen,
aus der Geschichte Josephs; sie sind übereinander angebracht, immer zwei größere
wechselnd mit drei kleineren.
Die Konchen mit dem Täufer und den Evangelisten erinnern sofort an die
Diptychen; ihre Gruppierung zu fünfen aber will Strzygowski, ebenso wie die An-
ordnung der Tabernakelsarkophage, von der Scenae frons ableiten. Bemerkenswert ist
das Auftreten längerer Zyklen alt- und neutestamentlicher Geschichten an Rücklehne
und Seiten wänden. Aus der Kindheitsgeschichte erhielten sich: Verkündigung, Fluch-
wasser, Ritt nach Bethlehem, Geburt, Anbetung des Christkindes durch die Magier
(letztere müßten auf einer besonderen Tafel dargestellt gewesen sein); somit war die
Kindheitsgeschichte entwickelt im Sinne der apokryphen Marienleben. Zur Typik heben
wir einiges hervor; den Täufer mit langem Haar und Bart, in Talar und Pelzkragen;
die zwei Evangelisten links als Derivate der Typen des Paulus und Petrus; die ge-
flügelten Engel, deren zwei bei der Taufe Gewänder bereit halten; das Stabkreuz in
Jesus' Hand in den Szenen der Rückseite. Die Tafeln der Rücklehne sind geringer
gearbeitet als die der Vorderseite, noch geringer die der Nebenseiten. Das ganze
Kunstwerk führt Strzygowski auf Antiochia zurück. [Abb. 74]. — Der einzige Rest
eines ähnlichen Bischofsstuhls, Relief in Querformat mit Abraham und seinem Knechte,
befindet sich im Provinzialmuseum zu Trier.1)
Dem früher in Grado aufbewahrten sogenannten Stuhl des Markus, des legendären
Bischofs von Alexandrien, schreibt Graeven eine Reihe Elfenbeintafeln zu, die sich zu-
meist in Mailand, zum Teil in London befinden; von den im ganzen acht Tafeln
scheint eine sekundär. Gegenständlich interessant sind die Szenen aus der Legende
des Markus (beiläufig bemerkt, die Libyer tragen bis zur Taufe barbarische, nachher
römische Tracht, woraus hervorzugehen scheint, daß die Annahme des Christentums
und der klassischen Kultur tür die Barbaren zusammenfiel). Auffallend sind dicht-
gedrängte Hintergrundsbauten. 2)
*) Maximiansthron: G 414—419. Schultze, Archäologie 281 Fig. 88. Stuhlfauth, Elfen-
beinplastik 86. Kraus, Geschichte I 504. Kaufmann, Handbuch 523. Leclercq, Manuel II 352.
Molinier 67 Abb. und Taf. 7. Graeven, Frühchr. Elfenb. II n. 41. 62—63; Bonner Jahrb. 1900,
159. 162. Strzygowski, Journ. hell. stud. 1907, 115 ff.. — Relief in Trier: Graeven, Bonner
Jahrb. 1909, 154 Taf. 19, 1.
2) Mailand: Graeven, Rom. Quartalschr. 1899 Taf. 8. 9; Frühchristi. Elfenb. II n. 42—48
(kurz vor 610). Strzygowski, Orient 34. 74 Abb. 32. Venturi, Storia II Fig. 451—457. Leclercq,
in Cabrols Dict. I 1124, 7 Fig. 274. 275.
Elfenbein und Knochen. 249
Mit den Markusreliefs vergleicht Strzygowski eine Arbeit des Louvre, aus der
natürlichen Rundung eines Elefantenzahns geschnitten; vorn thront frontal ein Mann
im Paulustyp, in Poderes und Himation, mit großem Buch, umgeben von fünfund-
dreißig Männern in Talar und gestickter, von der linken Hand aufgenommener Chlamys;
im Hintergrund, über den Köpfen, eine Stadtmauer mit Tor, Türmen und abgetreppten
Zinnen; dahinter ragen Häuser hervor. Aus vielen Erkerfenstern, der Türme und der
Häuser, schauen Menschen. Schlumberger erklärte die Szene als eine Predigt des
Paulus; Strzygowski erkennt den Markus von Alexandrien mit seinen fünfunddreißig
Nachfolgern; die Zeit des letzten, des Bischofs Anastasius, 607 — 609, ergäbe die Ent-
stehungszeit des Werkes. Ohne der späten Ansetzung widersprechen zu wollen möchte
ich doch mit Schlumberger an der Darstellung eines Vorgangs festhalten; es braucht
aber nicht gerade eine Predigt zu sein.1)
Anderes übergehend beschließe ich die Aufzählung der Elfenbeintafeln mit der
vielbesprochenen im Domschatz zu Trier. In Querformat schildert sie die Einbringung
von Reliquien. Rechts steht vor einer Basilika, auf deren Dächern Leute klettern,
eine Fürstin, im linken Arm ein Kreuz tragend (wie wir Jesus und Petrus es tragen
sahen); grüßend streckt sie die rechte Hand aus, dem sich nahenden Zuge entgegen.
Voran schreitet der Kaiser mit Gefolge, alle in Chlamys, die vordersten mit brennen-
den Kerzen. Dann kommt der Wagen, auf dem zwei Bärtige sitzen, das Reliquiar auf
dem Schoß, in Toga, den Längsstreifen über die linke Schulter gelegt; danach wäre
das Relief vor 506 zu datieren, wenn nicht etwas ganz Neues hinzukäme, nämlich die
Führung des Bruststreifens im Bogen von Schulter zu Schulter. Die zwei Männer
werden als Bischöfe erklärt. Im Hintergrund links ein gesäulter Bau unter großem
Rundbogen, darin ein unbärtiger Christus, Brustbild mit Kreuznimbus in Medaillon.
Rechtshin entwickelt sich ein langer, mit Menschen besetzter Bau; im Erdgeschoß
Pfeilerhalle, darauf eine Logenreihe (die Leute darin schwingen Räuchergefäße), zu
oberst noch zwei Reihen Menschen, sei es hintereinander stehend oder auf Sitzstufen
untergebracht. — Wir wiederholen weder alle Deutungen, die schon versucht wurden,
noch die Datierungen; sie gehen vom fünften bis zum elften Jahrhundert. Ich hebe
nur einen Umstand hervor, der mir wichtig erscheint, die genaue Übereinstimmung
der Fürstin in Haar- und Kleidertracht mit Graevens Amalasvintha im Diptychon von
Wien und Florenz und den analogen Kaiserinnenbildern.2)
Von den Elfenbeinschnitzereien bleibt noch die wichtige Klasse der Pyxiden. Es
sind Büchsen oder Dosen, Abschnitte vom hohlen Teil des Elefantenzahns; ein Boden
wird eingesetzt, ein Deckel aufgelegt. Die Büchse {-rtv^ig) erscheint früh; leicht ließ
sie sich aus einem Stück Rundholz oder Elfenbein herrichten. In Vasenmalereien und
in Grabreliefs der klassischen Griechen sieht man dergleichen in den Händen der
Frauen; zahlreiche Exemplare in Terrakotta fanden sich in den Gräbern, sie ahmen
die Formen der auf der Drehbank hergestellten hölzernen Büchsen genau nach. Die
tönernen Pyxiden tragen die übliche griechische Firnismalerei, oft in zierlichster Aus-
führung, die elfenbeinernen dagegen sind rings geschnitzt. Elfenbeinpyxiden mit heid-
J) Louvre: Schlumberger, Mon. Piot I 1894, 165 Taf. 23. Strzygowski, Orient 72 Abb. 30.
Leclercq bei Cabrol, Dict. I 1122 Fig. 273.
*) Trier: Ausm Weerth, Kunstdenkm. d. Rheinlande I Taf. 58. Westwood 64 n. 148 Abb.
Kraus, Gesch. I 502 Fig. 384. Palustre, Tresor de Treves 1 Taf. 1. Molinier 74 Abb. Strzygowski,
Orient 85 Abb. 38. Stuhlfauth, Elfenbeinplastik 168. Graeven, Gott. gel. Anz. 1901, 84, 4.
250 Bildwerke aus besonderen Materialien.
nischen Darstellungen haben sich in ziemlicher Zahl erhalten, doch fehlt eine Gesamt-
ausgabe. Einzelne besitzen an einer Seite unten einen halbkreisförmigen Ausschnitt
mit Verschlußklappe; während sonst die Pyxiden als Schmuckbehälter galten, erklärte
Graeven die mit Klappe für Weihrauchgefäße. Die christlichen, das will sagen die
mit christlichen Bildern verzierten Pyxiden gelten allgemein als Behälter der Hostien;
nur Schultze glaubte sie für profanen Hausgebrauch bestimmt.1)
Der Bilderkreis der Pyxiden ist nicht allzugroß, viel Fläche bieten sie ja nicht;
er ruht auf dem aus der frühchristlichen Zeit überkommenen und im Lauf der Jahr-
hunderte bereits weiter entwickelten Gut; einiges über die Katakombenmalereien und
die Sarkophage hinausgehende bestätigt den ohnehin handgreiflich späten Ursprung,
wie es sich auch mit den späteren Elfenbeintafeln berührt. Von alttestamentlichen
Typen begegnet Daniel zwischen den zwei Löwen, er in einer Art Barbarentracht,
dazu Habakuk vom Engel getragen; die drei Jünglinge in den Flammen, die vom
Boden und vom Himmel lodern; dieselben vor Nebukadnezar, der aber die umkreuzte
Weltkugel der römischen Kaiser trägt, das Kaiserbild fehlt; Jonas aus dem Schiff ge-
worfen, derselbe unter der Laube, eigentümlicherweise jedoch auf dem Ketos ruhend;
die Opferung Isaaks mit eigen hochgebautem Altar; Moses unbärtig aus der Gottes-
hand das Gesetz empfangend, das hier mit einem Kreuz bezeichnet, somit dem Christen-
tum vindiziert ist. Ein neu auftretender Typus, Szene vor dem Tempel, wurde von
einigen auf Melchisedek, von andern auf Aaron und den Bock für Asasel Mos. III
16, 5 — 10. 20 — 22 gedeutet. Auch finden sich wieder einzelne Szenen aus der Ge-
schichte Josephs, der Verkauf an die Ismaeliten Mos. I 37, 28, sein Mahl eb. 43,
31 — 34, der Becher im Sack Benjamins eb. 44. Neutestamentliche Szenen. Heilung
des Blinden und des Gichtbrüchigen (an ihm werden zwei Typen unterschieden,
je nachdem er die Längsrahmen oder die hinteren Beine des Bettes auf die Schultern
nimmt). Neu ist die Heilung des Lahmeu und des Dämonischen, was beides auch
an fünfteiligen Diptychen vorkommt. Sodann die Erweckung des Lazarus (das Grab
einmal als Kuppelbau gestaltet, ähnlich dem Tambour auf dem Christusgrab) und der
Jairustochter. Die Samariterin am Ziehbrunnen, in einem Falle sitzt Jesus. Die
Speisensegnung mit ebenfalls sitzendem Jesus, neu hinzugefügt aber sind Jünger,
die nach beiden Seiten hin die Speisen zur Verteilung forttragen. Aus der Kindheits-
geschichte kehren mehrere Szenen wieder, auch ein paar Motive aus den Apokryphen
sind eingemischt: die Verkündigung, Maria spinnt; das Fluchwasser, Maria hält
die Schale; der Ritt nach Bethlehem; die Krippe mit Maria und Joseph (auch mit
Salome, Protev. Jac. 20), dazu die Hirten; an einer Pyxis erblicken die Hirten statt
der Magier den Stern; die Magier ihre Gaben bringend (einmal alle drei bärtig, ein
andermal einer). Die Frauen am Grabe. Der thronende Christus zwischen
Paulus und Petrus, die übrigen Apostel stehen umher. An den meisten Pyxiden tragen
Jesus und die Engel ein Stabkreuz, gelegentlich verrichtet Jesus seine Wunder statt
mit dem Zauberstab mit dem Stabkreuz. Die Engel sind geflügelt.
Eine kritische Aufstellung der erhaltenen Pyxiden, in der Art der grundlegenden
Wilhelm Meyers für die Diptychen, fehlt noch, so daß schon in dieser Beziehung alle
l) Pyxiden heidnisch: Westwood 271. Graeven, Antike Schnitzereien I 1903 n. 1 — 2,
15—19 (mit Klappe). 20—21. Derselbe, Archäol. Jahrb. 1901, 126. — Christlich: Garrucci, Storia
VI 56. 61, 3. Schultze Archäologie 275. Vöge, Beschreibung d. Bildw. d. ehr. Epochen, Elfen-
beinbildwerke, Berlin 1900 zu n. 1.
Elfenbein und Knochen. 251
Arbeit an ihnen des sicheren Bodens ermangelt. Das nachstehende Verzeichnis will
nur den mit dem Gegenstand noch nicht vertrauten Gelehrten das Material an die
Hand geben. Soweit der noch unentwickelte Stand der Forschung es erlaubt, ist es
chronologisch geordnet, das heißt, einzelne als verhältnismäßig früh sich gebende Stücke
sind vorangestellt, andere anscheinend späte mehr ans Ende; über die Entstehungszeit
der übrigen soll damit nichts gesagt sein.
Berlin n. 1 Beschr. der christl. Elfenbein werke 1902 Taf. 1 (früher n. 427 Taf. 63 der
„Beschreibung"). G 4-40, 1. Westwood 272 n. 767 Taf. 22. Stuhlfauth, Elfenbein-
plastik Taf. 1, 1. Molinier 55. Strzygowski, Bull. Soc. arch. d'Alexandrie V 1902,
10 Abb. 4 (drittes oder viertes Jahrh.). Venturi I Fig. 395 (Spiegelbild!). Graeven,
Gott. gel. Anz. 1897, 41 (viertes Jahrhundert). [Abb. 77]. — Der jugendliche
Christus thront vor rundbogigem Tabernakel, zwischen den individualisierten Apostel-
fürsten, die übrigen Apostel stehen umher. Hinten Isaak (als Putto), der Altar
steht auf vierzehn Stufen, außer der Gotteshand noch ein Engel.
Bologna. Stuhlfauth 30 Fig. 3 Taf. 1, 2. — Blinder, Lazarus, Gichtbrüchiger, Isaaks
Opferung, Taubstummer. Die Isaakszene ist der berliner ähnlich, aber die bolog-
neser Pyxis ist geringere Arbeit und wohl später.
Paris, bei Wasilewski. G 440, 2. — a) Gesetzesempfang mit unbärtigem Moses, auf
dem Gesetz ein Kreuz; dazu drei erregte Israeliten, b) Der Sühnbock für Asasel.
London, Brit. Museum (aus Rom, früher bei Nesbitt). G 440, 3. Westwood 274
n. 771, a. Stuhlfauth 92. Graeven, Frühchr. Elfb. I n. 14 — 17. — Menas vor dem
Richter, der Beistehende hält eine Schrift, auf dem Tisch ein Tintenfaß. Der
nimbierte Menas als Orans unter Tabernakel (mit Halbanthemien über den Pfosten,
beiderseits des Bogens, wie am Tabernakel der berliner Pyxis), jederseits ein
kauerndes Kamel und Adoranten, rechts Männer, links Frauen.
Werden. G 438. 1. Ausm Weerth, Denkm. Rheinlande Taf. 29, 6. Westwood 474.
Molinier 56. Stuhlfauth 79, 2. — Krippe mit Maria und Joseph, adorierender Hirt;
Hirten erblicken den Stern, ein Hirt in Strohhütte (sog. Simson).
Keele Hall bei Walter Sneyd. (Aus Aachen, nicht aus Sens, Stuhlfauth 63, 5). G 439, 4.
Westwood 274 n. 771. — Unter dem Schloß Draperie. Dämonischer (Jesus mit
Stabkreuz) und fünf Apostel (einer „segnet griechisch"), dazu das Grab.
Berlin n. 4 Beschr. 1902 Taf. 3 (früher n. 430). G 439, 5. Westwood 273 n. 768.
Stuhlfauth 91. — Josephs Verkauf an die Ismaeliten.
Petersburg, Ermitage (früher bei Wasilewski). G 439, 6. Westwood 402. Stuhl-
fauth 91. — a) Josephs Mahl, b) Der Becher wird in Benjamins Sack gefunden.
Hannover; bei Hahn (aus Westfalen). G 437, 1. Hahn, Fünf Elfenbeingefäße Taf. 1, 1.
Westwood 402. — Unter dem Schloß ein Kreuz vor X, in Kranz. Drei Jünglinge
in Flammen, dazu Engel mit Stabkreuz; dieselben vor Nebukadnezar (mit Welt-
kugel).
Berlin n. 6 Beschr. 1902 Taf. 3 (aus Minden). G 437, 4. — Oval. Unter dem Schloß
Kreuz vor X (Kreuzmonogramm), in Kranz. Verkündigung. Ritt nach Bethlehem.
Krippe, mit Salome, und Engel mit Stabkreuz.
Pesaro. G 439, 1. Venturi I Fig. 402. 403. — Unter dem Schloß Kreuz in Kranz.
Erweckung der Jairustochter, Heilung des Blinden (Jesus mit Stabkreuz).
London, Brit, Museum (früher bei Garthe). Stuhlfauth 189 Fig. 8. Graeven, Frühchr.
252 Bildwerke aus besonderen Materialien.
Elfenb. I n. 18 — 21. — Unter dem Schloß Kreuz zwischen zwei Schwänen. Daniel
zwischen den Löwen unter einer Pfeilerhalle mit Muschelkuppel (ähnlich der
über dem thronenden Christus G 456, fünfteiliges Diptychon aus Murano); links
Habakuk vom Engel gebracht. Rechts Figur mit Stab, jenseits des Schlosses
Figur, Engel, Schaf (Graeven: Engel weist auf Lamm Gottes. Vielmehr: Ver-
kündigung an Hirten?).
Livorno (aus Karthago), de Rossi, Bull, crist. 1891, 47 Taf. 4. 5. Graeven, Gott,
gel. Anz. 1897, 76, 1. — Unter dem Schloß Adler. Speisensegnung, Jesus sitzt,
jederseits tragen Jünger Speisen zur Verteilung fort. Flüchtige Arbeit.
Wien, Münz- und Antikenkabinet. v. Sacken, Österr. Centralcomm. Mitteil. 1876, 52
m. Taf. Rohault de Fleury, La messe V Taf. 373. Schmid, Geburt Christi 39,
Kat. n. 57. Stuhlfauth 126. — Unter dem Schloß Adler. Magier bringen Gaben,
Maria mit Kind frontal. Krippe mit Maria (links) und Salome (ähnlich Berlin
n. 6 aus Minden).
Kertsch, bei Novikow. Ainalow, Kais. ruß. archäol. Ges. Petersb. V Taf. 1. Stuhl-
fauth 93 Fig. 6. — Verkündigung mit schwebendem Engel (unter ihm Kreuz in
Kranz). Fluchwasser.
Paris, bei Lavoulte-Chilhac. Rohault, La messe V Taf. 366 f. Stuhlfauth 108. —
Samariterin am Ziehbrunnen, Jesus sitzt. Heilung des Lahmen.
Paris (aus Rouen). G 438, 2. Molinier 56 Abb. Stuhlfauth 79, 3. —Unter dem Schloß
eine Area mit vierseitig abgeschrägtem Deckel. Krippe ohne Maria und Joseph,
mit Hirten. Drei bärtige Magier bringen Gaben, bei Mutter und Kind un-
bärtiger Joseph.
Vatikan (aus Mailand). G 438, 3. Westwood 273 n. 770. — Auf der quadratischen
Fläche für daß Schloß Christusmonogramm in Rahmen, darunter Area, wie vor.
Blinder, Gichtbrüchiger Typ II, Lazarus (Jesus zweimal mit Stabkreuz).
Paris, Cluny n. 1033. G 438, 4. [Abb. 78]. — Unter dem Schloß Kreuz. Samariterin,
Blinder, Gichtbrüchiger Typ I, Lazarus (Jesus einmal mit Stabkreuz).
Paris, Cluny. G 438, 5. — Unter dem Schloß der vorgebückte Dämonische. Sama-
riterin, Blinder, Gichtbrüchiger Typ II, Lazarus, Dämonischer.
Darmstadt. Stuhlfauth 118 Fig. 7. Nöhring, Kunstschätze Darmstadts Blatt 18b. —
Unter dem Schloß der vorgebückte Dämonische. Gichtbrüchiger Typ II (Jesus
mit Kreuznimbus), Lazarus (das Grab als Rotunde unter Kuppel), Dämonischer.
Florenz, Bargello (aus Luxemburg). G 437, 5. Venturi I Fig. 401. Stuhlfauth 79, 4.
Graeven, Frühchristi. Elfenb. II n. 20. 21 (fünftes bis sechstes Jahrhundert). —
Unter dem Schloß ein Schaf. Magier (der erste bärtig) bringen Gaben (das Christ-
kind hält Stabkreuz); Verkündigung an die Hirten.
Sitten. Rohault, La messe V Taf. 371. Stuhlfauth 132. — Frauen am Grabe, Engel
sitzt mit Kreuzstab; beiderseits ein Evangelist? Beiderseits des Schlosses ruhende
Wächter.
Wien, bei Figdor. Strzygowski, Rom. Quartalschr. 1898, 37 Fig. 6 Taf. 12.
Rom, Thermenmuseum (aus Nocera). Venturi I Fig. 406. — Fragment: Opferung Isaaks.
Paris, bei Wasilewski (früher in Mailand, dann bei Gherardesca). G 437, 2. West-
wood 273 n. 769. — Jonas aus dem Schiff geworfen, viel Fische im Wasser, auch
unter dem herzförmigen Schloß, ein Engel mit Stabkreuz schwebt heran; ein Engel
schreitet zu dem unter der Laube auf dem Ketos ruhenden Jonas.
Elfenbein und Knochen 253
Hannover, bei Hahn (aus Bayern). G 437, 3. Hahn Taf. 11, 5. — Komposition wie
zuvor, Ausführung mißverstanden.
Berlin n. 5 Beschr. 1902 Taf. 3 (aus Straßburg). — Fragment: Lazarus? Jesus mit
Nimbus, zwei bärtige Apostel.
Bonn (aus Bayern). G 439, 2. Hahn Taf. 3, 4. — Unter dem Schloß Area oder Käfig.
Lazarus (Jesus hält Stabkreuz), links sieben bärtige Apostel.
Paris (aus Bar-sur-Aube). G 439, 3. du Sommerard, Les arts au moyen age Taf. 11. —
Blindenheilung (Jesus mit Stabkreuz), fünf bärtige Apostel.
Paris, Cluny n. 1034. — Blinder (Jesus mit Stabkreuz), fünf bärtige Apostel. Die
vier letztgenannten Pyxiden stehen sich nahe.
Fassen wir zusammen, was an Daten und Indizien zur chronologischen Bestimmung
der Elfenbeinwerke vorkam; von den hypothetischen Ansetzungen machen wir dabei
nur ganz zurückhaltend Gebrauch.
Aus dem Anfang des vierten Jahrhunderts stammt nach Graeven das lon-
doner Privatdiptychon mit Apotheose eines Kaisers (sog. Apotheose des Romulus) Mol.
n. 40 Abb. Venturi 1 Fig. 359. — Wir bemerkten, daß unter Konstantin die kon-
tabulierte Toga (Trabea) zuerst auftritt, am Konstantinsbogen [Abb. 21]. — In das
vierte Jahrhundert setzt Graeven das private Diptychon in Liverpool mit Asklepios
und Hygieia Wieseler, Denkm. II Taf. 61. Baumeister, Denkm. 1 139. Venturi I Fig. 357.
Das kirchliche Diptychon im Bargello mit Adam im Paradies und den Paulusszenen
G 451, 3. 452, 3. Die berliner Pyxis mit zwischen den Aposteln thronendem jugend-
lichem Christus und dem Isaakopfer G 440, 1 [Abb. 77]; letztere Szene kehrt ähnlich
an der übrigens späteren bologneser Pyxis wieder, Stuhlfauth 30 Fig. 3.
Im ausgehenden vierten Jahrhundert erreichte nach Graeven die (römische)
Elfenbeinskulptur und in ihr die altchristliche Kunst ihren Höhepunkt. Das Beamten-
diptychon des Probianus in Berlin Mol. n. 50 Taf. 4 mit Giebelabschluß, verziertem
Rahmen, Raumtiefe [Abb. 64]. Das Privatdiptychon Nicomachorum-Symmachorum,
nach Haseloff eher aus 392/394 als aus 401. Das rechte Seitenstück eines fünfteiligen
Diptychons in Berlin Haseloff, Jahrb. d. pr. Kunstsamnil. 1903, 47 Abb. mit Kinder-
mord, Taufe, Kana. Das Fragment in Nevers Haseloff 51 Abb. Das fünfteilige mai-
länder Diptychon G 454. 455 und das verwandte werdener Kästchen in London
G 447, 1—3. Das Diptychon Trivulzi mit den Frauen am Grabe G 449, 2 [Abb. 65]
und das münchener aus Bamberg mit derselben Szene und der Himmelfahrt G 459, 4.
Die Lipsanothek in Brescia G 441 — 445. Die vier Kastenreliefs mit Passionsszenen
G 446, 1 — 4, und die drei mit Petrus- und Paulusszenen, G 446, 9 — 11, beide Reihen
in London. — Einige Diptychen seien hier angeschlossen, die vielleicht doch nicht
ganz so alt sind. Ein Beamtendiptychon in Wien mit Roma und Konstantinopolis
oder Alexandria, die Tafeln mit giebelförmigem Abschluß, die Figuren unter gegiebelten
Tabernakeln, Gori II 182 Taf. 3. R. v. Schneider, Album Taf. 49. Das Privat-
diptychon in Monza, vermeintlich mit Stilicho und Familie, Gori I Taf. 7. Molinier
n. 1 Taf. 1, mit trapezförmigem Tabernakelschluß. Das kirchliche Diptychon von
.Rouen mit Paulus und Petrus in bekannten Typen, die Tabernakel mit Steilgiebel,
darin frei schwebende kleine Muschel, in den Zwickeln Tauben (statt der an Profan-
diptychen beliebten Adler) Molinier 53 Abb.
254 Bildwerke aus besonderen Materialien.
Fünftes Jahrhundert, Anfang. Toga Tracht B (der Umwurf umschließt
den rechten Arm). Konsulardiptychon 496 Probus, in Aosta, G 449, 3 [Abb. 66].
Nichtdatiertes „Lampadiorum" in Brescia, Molinier n. 33 Abb. Der Konsul in einen
Petrus umgearbeitet, Diptychon in Prag. Gehört hierhin das rechte Seitenstück eines
fünfteiligen Kaiserdiptychons in München, Meyer n. 61 Taf. 3?
424 — 455 Valentinian III. Zu seiner Zeit kommt der Typus des die Mappa
hebenden Konsuls auf. Toga Tracht C (der Umwurf umschließt die rechte Schulter).
Nicht datiertes Konsulardiptychon in Halberstadt [Abb. 68]. 428 Felix, in Paris, Moli-
nier 3 Abb. Venturi I Fig. 334 [Abb. 67]. 449 Asturius, in Darmstadt, Gori I Taf. 3.
Das Konsulardiptychon in Monza Molinier n. 44 Abb., dessen Figuren in einen König
David und einen heiligen Gregor umgearbeitet sind, gibt dem Konsul die Tracht C,
doch finden sich im Architektonischen Anklänge an Diptychen aus dem anfangenden
sechsten Jahrhundert; im Rundbogen des Tabernakels freischwebende kleine Muschel. —
Ist es bloßer Zufall, daß auch die Schulter des Engels auf dem londoner Diptychon
G 457, 1 [Abb. 69] der Mantel umschließt? — Das kirchliche Diptychon im mailänder
Dom G 450 mit Szenen aus den Evangelien setzt Graeven in das fünfte Jahrhundert.
Wie sich die Rückwärtsbewegung zur frontalen Darstellung vollzog, bleibt noch zu er-
mitteln, somit auch die genauere Zeitbestimmung des fünfteiligen Konsulardiptychons
mit zentralem Kaiser, davon nur das linke Seitenstück mit fast genau frontalem Konsul
in Chlamys, hinter ihm der Schild des leider abgesägten Protektors, in Bologna be-
wahrt wird, G 448, 9; man vergleiche die Figur mit den zum Anfang des fünften
Jahrhunderts erwähnten münchener Seitenstück, um den Abstand zu ermessen. Reicht
der hier vorausgesetzte Zeitabstand überhaupt aus, um die Verschiedenheit des Stils
zu erklären?
In den letzten Jahrzehnten des fünften Jahrhunderts erscheint die Tracht D
der Toga. Graeven zieht hierhin die Konsulardiptychen des Basilius Venturi I Fig. 349,
das er auf 480 datiert; des Boethius 487 Venturi Fig. 336 [Abb. 70], und das der
Bibliothek Barberini bei Meyer Taf. 1, 1. Venturi I Fig. 344. In diese Zeit gehört
noch das rein ornamental behandelte Diptychon 488 Sividius, Molinier n. 6 Abb.
Sechstes Jahrhundert Anfang. Für diese Epoche liegt eine Reihe von
Konsulardiptychen vor. Die Toga kehrt zur ursprünglichen Anordnung zurück, nur
wird der „Streifen" über die rechte Schulter gelegt. 506 Areobindus, Molinier n. 9
Abb.; n. 13 Taf. 3; Venturi I Fig. 337; Gori II Taf. 18. — Das Diptychon von
Bourges, Mol. n. 39 Abb., von Meyer und Graeven dem Frankenkönig Chlodwig,
Konsul 508, zugeschrieben. — 513 Clementinus, Venturi I Fig. 338. — 515 Anthe-
mius. — 517 Anastasius, Mol. n. 17 Abb.; Venturi I Fig. 347. 346 [Abb. 71]. —
518 Magnus, Mol. n. 21 Abb.; Venturi I Fig. 342. 343. — 521 Justinianus, Mol. n. 26
Abb., n. 28 Abb. — 525 Philoxenus, Mol. n. 29 Abb., n. 30 Abb. — Die noch nicht
datierten christlichen Pyxiden werden sich mit der Zeit auf die verschiedenen Epochen
zwischen Konstantin und Justinian verteilen lassen.
Die Zeit des Kaisers Justinian 527 — 565. Die im fünften Jahrhundert rapid
gesunkene Kunst des Elfenbeinschnitzens hebt sich wieder in der Zeit Justinians, sagt
Graeven in den Gott. gel. Anz. 1897, 75. Derselbe erklärt die Fürstin auf den
Diptychontafeln in Wien und Florenz (Mol. n. 57, Taf. 5, 3. Venturi I, Fig. 340.
341. [Abb. 72]) für Amalasvintha, das Diptychon müßte bald nach 526 entstanden sein.
Der aus der herkömmlichen Koncha entwickelte Kuppelbau kehrt etwas modifiziert
Elfenbein und Knochen. 255
auf dem Beamtendiptychon in Novara wieder, Venturi I, Fig. 331. In anderer Rich-
tung ist die Barockarchitektur im Hintergrund der Muse und des kahlköpfigen Dichters
entwickelt, auf dem Privatdiptychon zu Monza Mol. n. 63 Abb. Venturi I, Fig. 358;
da sind auch die um die Säulen geschlungenen Vorhänge wie bei Amalasvintha. Hier
möchte ich fragweise das Trierer Relief mit der Einbringung von Reliquien durch zwei
Bischöfe stellen; die genaue Übereinstimmung der Haar- und Kleidertracht der das
Kreuz tragenden Kaiserin vor der Basilika mit Graevens Amalasvintha scheint einst-
weilen das greifbarste Kriterium zur Zeitbestimmung des vielbesprochenen Werkes
(Mol. 74 Abb. Kraus, Gesch. I 502, Fig. 384). Würde die Tracht der „Bischöfe"
dazu stimmen? — Es folgen die letzten Konsulardiptychen. 530 Orestes, Gori II 104
Taf. 17. — 539 Apion. — 540 Justinus, Meyer Taf. 1, 2. Man vergleiche 488
Sividius Mol. n. 6 Abb., um den Abfall zu ermessen; dabei beachte man, daß die
Halbpalmetten des Sividius bereits die Tendenz verraten, welche bei denen des Justinus
zur Reife gekommen ist.
Von kirchlichen Elfenbeinarbeiten wird frühestens an dieser Stelle die zweite
Gruppe der fünfteiligen Diptychen einzureihen sein, aber höchstens die ältere Serie,
vertreten durch das Exemplar aus Murano, in Ravenna, G 456 [Abb. 73]. Der im
Sockelstück unter der Laube so sonderbar auf dem Ketos ruhende Jonas kehrt ebenso
an der Pyxis Wasilewski G 437, 2 wieder, und in der geringeren Wiederholung bei
Hahn G 437, 3. Die in Anlehnung an wirkliche Kuppeln aus der Koncha entwickelte,
muschelförmige Kuppel (man wird sich erinnern, daß am ravennatischen Sarkophag
des Barbatianus die Muscheln den sie ursprünglich umschließenden Bogen bereits ab-
geworfen hatten [Abb. 53]) findet sich in etwas abweichender Behandlung auch an der
Tafel Stroganoff Venturi I Fig. 393. Graeven, Frühchristi. Elfenb. II n. 66 (Petrus
mit Schlüssel faßt das hohe Kreuz auf dem Vierstromberg); ferner, und zwar genau
in der muraneser Gestaltung, nur auf Pfeilern statt auf Säulen ruhend, über Daniel
zwischen den Löwen, an der Pyxis Garthe (jetzt in London), Stuhlfauth 189 Fig. 8. —
Hier etwa möchte sich die Pyxis Cluny n. 1033 G438, 4 [Abb. 78] einreihen lassen;
nah verwandt ist die Schnitzerei des Elfenbeinkammes von Antinoe, veröffentlicht von
Strzygowski in der Rom. Quartalschrift 1898, 9 Taf. 1: a) Reiter in Chlamys, orans,
in Kranz, den zwei bewegt schreitende Viktorien oder Engel halten, b) Lazarus (Jesus
mit Stabkreuz) und Blindenheilung.
Danach käme der Thron des Bischof Maximian von Ravenna (546 — 556)
G 414 — 419. Mol. 67 Abb. und Taf. 7. [Abb. 74]. Dazu gesellt sich der Rest eines
gleichartigen Thrones in Trier, Bonner Jahrb. 1900 Taf. 19, 1, das Diptychon mit Paulus
und Petrus, teils in Tongern, teils in Brüssel, Mol. 54 Abb., sowie dasjenige aus
S. Maximin bei Trier, in England (früher bei Bateman, jetzt bei Clean) G 452, 1. 2,
mit je zwei Evangelisten und je einer Jesusszene oben statt des Muschelbogens.
Die jüngere Reihe der zweiten Gruppe fünfteiliger kirchlicher Diptychen kann
ich bis auf bessere Belehrung dem Maximiansthron nicht voranstellen. Erst aber will
das einst barberinische, jetzt pariser fünfteilige Diptychon hier eingeordnet sein; man
erinnert sich, es zeigt zentral den Kaiser auf bäumendem Pferd mit rechtsgestelltem
Kopf, im Sockelstück tributbringende Barbaren, im Kopfstück das Brustbild des griechisch
segnenden unbärtigen Christus mit kreuzbekröntem Zepter (Stabkreuz), Gori II 168
Taf. 1. Venturi I Fig. 360. Strong, Roman sculpture Taf. 105. [Abb. 75]. Die noch
umblickenden, schwebenden Siegesgöttinnen oder Siegesengel, die verzierten rahmenden
256 Bildwerke aua besonderen Materialien.
Stäbe um die hohen Tafeln, die Zähnchen über dem Soldaten, alles kehrt wieder in
dem führenden Vertreter der jüngeren kirchlichen Diptychen zu Etschmiadzin, Byz.
Denkm. I Taf. 1. Die eingerollten Bandenden unter dem Christusmedaillon beweisen,
daß das Vorbild des Kaiserdiptychons im Kopfstück einen ähnlichen Kranz enthielt
wie die Deckel des Evangeliars. Den tributbringenden weithosigen bärtigen Ägyptern
dort entsprechen die gabenbringenden weithosigen bärtigen Magier hier; die Sieges-
göttin mit Tropaeon zwischen Ägyptern und Indern dort kehrt wieder in dem die Magier
begleitenden Engel hier. Nur ist die Arbeit für den Kaiser sorgfältiger, die für die
Kirche allzuflott. — Noch später ist Paris, Bibl. nat. n. 9384 G 458, 1. 2. Dazu das
Seitenstück aus Kasan, in Moskau, Byz. Denkm. I 43 Abb. — Nebenher gehen mehrere
Arbeiten von Interesse. Das berliner Diptychon n. 2. 3 (G 451 1. 2. Venturi I Fig. 383.
384) mit dem bärtigen Christus und dem Christkind auf dem Schoß der Mutter. Wenn
Smirnov das C am unteren Rande mit Recht als den Rest eines ursprünglich vorhandenen
Maximiansmonogrammes ansieht, so hat der Bischof das Diptychon zu anderer Zeit und
aus anderer Werkstatt bezogen, als den Thron. — Ferner die Tafel in Paris, Cluny,
Giraudon n. 276, mit langbärtigem Paulus vor geschlossenem gemustertem Vorhang der
Koncha. — Eine Anzahl Pyxiden schließt sich an. Verhältnismäßig früh scheint die
bei Wasilewski G 440, 2 mit Gesetzesempfang; das Gesetz ist mit einem Kreuz be-
zeichnet wie das Buch des Christus an den Diptychen zu Etschmiadzin und Paris
G 458, 1 und das des Paulus an der Tafel zu Cluny. Damit läßt sich vielleicht die
Pyxis in Pesaro vergleichen G 439, 1. Der Heilung des Blinden assistieren zwei bärtige
Apostel mit Büchern; die Zahl solcher assistierender bärtiger Apostel mit Büchern
steigt in den letzten vier Pyxiden unseres Verzeichnisses bis zu fünfen. Diese vier
Büchsen sind später als die bei Wasilewski und in Pesaro, sie gehören in die Gefolg-
schaft des Diptychons der Bibliotheque nationale und des Paulus von Cluny, sind aber
bis zur Rohheit flüchtig geschnitten: Berlin n. 5. Bonn G 439, 2. Paris G 439, 3.
Paris, Cluny n. 1034.
Auf der Schwelle zum Mittelalter stehen die Tafeln, welche Graeven auf
den als Markusthron verehrten Stuhl zu Grado zurückführt (Rom. Quartalschr. 1899
Taf. 8. 9; Frühchr. Elfenb. II n. 42 — 48); sie seien kurz vor 610 entstanden. Daneben
bliebe die sog. Predigt des Paulus zu nennen, die Strzygowski anfangs auf Markus
und seine fünfunddreißig Nachfolger deutete, Strzygowski, Orient 72 Abb. 30; Bull.
Soc. arch. d'Alexandrie 1902, 79. — In das Mittelalter selbst führt uns die immer
noch im Geleise der Konsulardiptychen fahrende Doppeltafel in Cremona G 453, 2. 3
mit den heiligen Akakios und Theodoros.
Sobald die Elfenbeinarbeiten in sich chronologisch geordnet sind, soweit die in
ihnen oflenliegenden Kriterien es erlauben, und die Sarkophage ebenso, wird es förder-
lich sein, beide Reihen miteinander zu vergleichen, die Elfenbeinsachen insbesondere
mit den spätantiken Sarkophagen, den ravennatischen, gallischen usf.
Zum Schlüsse sei noch kurz auf die Versuche hingewiesen, den einzelnen Elfen-
beinarbeiten ihre Heimat nachzuweisen. Stuhlfauth blieb bei Italien (Rom, Mailand
und Ravenna, Monza und Byzanz). Strzygowski verlegte, mit anderen, den Schwerpunkt
nach dem Osten, insbesondere nach Syrien und Ägypten. Graeven stand dieser Richtung
keineswegs ablehnend gegenüber, meinte aber, erst wenn das ganze Material, mitein-
geschlossen die spätantiken Reliefs heidnischen Inhalts, gesichtet und geordnet sei,
Holz. 257
würden wir eine festere Grundlage besitzen, auf der sich die Geschichte der altchrist-
lichen Elfenbeinskulptur aufbauen ließe.1)
Holz.
Die geschnitzte Tür von San Ambrogio zu Mailand hat Goldschmidt einer
eingehenden Prüfung unterzogen, die zum Ergebnis gelangt, das Werk sei nicht mittel-
alterlich, aus dem neunten oder elften Jahrhundert, wie man früher meinte, sondern
antik, und rühre vom ursprünglichen Bau der Basilika her, welchen Bischof Ambrosius 379
begann und 386 weihte; die Türe würde aus dem Ende der Bauzeit stammen. Beim
Neubau der Kirche um 1100 würde die Tür wieder verwendet worden sein, an der
alten Stelle; damals hätte man die Ringe haltenden Löwenmäuler durch neue ersetzt.
Später stand die Tür als eine Reliquie des H. Ambrosius in Ehren; die frommen Be-
sucher lösten sich Splitter vom Bildwerk und nahmen sie als köstliche Kleinodien mit.
Diese langsame Zerstörung war 1750 soweit gediehen, daß eine gründliche Herstellung
nötig schien. Die am stärksten beschädigten unteren Bildfelder wurden durch neue
ersetzt (die Reste der unteren Großfelder werden im Archiv der Kirche aufbewahrt),
die nicht ebenso stark verletzten übrigen stellte man her, so gut man es damals ver-
mochte. Von den Ornamentrahmen der Füllungen wurden große Teile neu gearbeitet,
ebenso das Hauptrahmensystem.
Die Tür besteht aus zwei Flügeln, ein jeder enthält zwei hohe Felder zwischen
drei niedrigen; die hohen Felder sind in zwei Zonen zerlegt, so daß im ganzen vierzehn
Bilder zu schaffen waren. In den modernen Sockelfeldern sind, vielleicht in Anlehnung
an das Ursprüngliche, je zwei Drachen sich gegenübergestellt; in den Kopffeldern
halten je zwei umblickende Viktorien oder Engel einen Kranz mit dem Monogramm,
das Zeichen des triumphierenden Christus. Die andern zehn Bilder erzählen Momente
aus der Geschichte Davids, wie er als Hirt den Löwen und den Bären besiegt; wie er,
der jüngste unter den Söhnen Isais, von Samuel gesalbt wird; wie er durch sein Harfen-
spiel den König Saul vom bösen Geist befreit; und wie er den Goliath erschlägt.
David war der Lieblingsheld des Ambrosius. In der altchristlichen Kunst kommt er
auch sonst vor, allerdings verhältnismäßig selten, nur mit der Schleuder, und gegen-
über Goliath, häufiger erst in den mittelalterlichen Psalterillustrationen. Die Figuren
sind überwiegend frontal gestellt; gern werden im Hintergrund Architekturen ange-
*) Stuhlfauth, Altchristliche Elfenbeinplaatik 1896, seine Ergebnisse S. 198—203. Strzy-
gowski, Rom. Quartalschr. 1898, 1; Orient oder Born 1901 Der ägyptische Kunstkreis, 85 Die
Elfenbeintafel des Domes zu Trier. Derselbe, Bull. Soc. arch. d'Alexandrie V 1902 Hellenistische
und koptische Kunst in Alexandria. Ainaloff, Hellenistische Grundlagen der byzantinischen
Kunst 1900 (vgl. ßepertorium 1903, 44). Graeven, Gott. gel. Anz. 1897, 50 über Stuhlfauths
Schulen; Bonner Jahrb. 1900, 161. Wulff Deutsche Lit. Zeitung 1906, 1468 macht recht fühlbar
auf wie unsicherem Boden diese ganze Forschung noch steht. »Aus alledem," sagt Wulff, ergibt
sich der Schluß: die fünfteiligen Diptychen gehören mindestens verschiedenen Schulen an (oder
bestehen nur zeitliche Unterschiede?), — aber zwischen ihnen existieren Zusammenhänge oder
Beziehungen usf." Man beachte auch den Satz bei Strzygowski, Bull. d'Alexandrie 1902, 77:
„Nach dieser Zeit gab es auch in Ägypten, scheint es, wieder nur eine Kunst, jenes Chaos von
griechischen, einheimischen und syrisch-orientalischen Elementen, das man damals überall findet* usf..
Wäre es nicht ratsam, erst das Allgemeine festzustellen, das man .überall findet", und zwar fest-
zustellen in seinem geschichtlichen Verlauf, um dann das Besondere um so sicherer zu fassen?
Sybel, Christliche Antike II. 17
258 Bildwerke aus besonderen Materialien.
bracht (was man versucht sein könnte, für eine zweitürmige Kirche zu halten, beim
harfenierenden David, ist großenteils moderne Ergänzung, nur der Turm zunächst Saul
ist alt). — Die hohen Felder umrahmen Perlstab, unterschnittenes naturalistisches Wein-
laub mit darin spielenden Vögeln, ein zweiter Perlstab und eine intermittierende Wellen-
ranke gefüllt mit stilisiertem Blatt- und Blüten werk; die niedrigen Felder begnügen
sich mit einem Perlstab und der Wellenranke.1)
Die Holztüre der Kirche Santa Sabina auf dem Aventin zu Rom, wie die
vorige aus hartem Zypressenholz, hat wulstiges Rahmenmerk, Weinreben in durch-
brochener Arbeit; aus Abstand betrachtet fällt die Wirkung des regelmäßigen Wechsels
glatter, also hellerer Blätter und gegliederter, also dunklerer Trauben auf. Jede Füllung
umschließt noch ein flachgeschnittenes Ornamentband. Zum Gebrauch ist die Tür in
zwei breite Flügel zerlegt, künstlerisch aber in vier schmale Bahnen; in jeder wechseln
drei hohe mit vier niedrigen Feldern, so daß viermal sieben, gleich achtundzwanzig
Felder gezählt werden. Die Bilder von sechs niedrigen und vier hohen Feldern aus
dem unteren Teil der Türe fehlen; erhalten sind acht hohe, zehn niedrige Bildfelder.
Bei einer Reparatur scheinen sie so gründlich in Unordnung geraten, daß ihre ur-
sprüngliche Anordnung, vollends bei dem Verlust so vieler Stücke, nicht mehr ermittelt
werden kann. Es sind aber mehr Szenen, als Bildfelder; denn verschiedene hohe Felder
enthalten zwei bis vier Szenen.
Die Motive entnahm der Künstler teils dem alt-, teils dem neutestamentlichen
Kreis; der Christus ist in den Szenen aus der Passion, als Auferstandener und in den
Himmel Erhobener langlockig bärtig, sonst unbärtig. Von den acht großen Feldern
enthält die Hälfte alt-, die andere Hälfte neutestamentliche Szenen; in den kleinen
findet sich eine alttestamentliche neben neun neutestamentlichen. — Erhalten sind aus
dem alten Testament verschiedene Mosesszenen, Elias' Himmelfahrt und Habakuk auf
dem Felde; aus dem neuen Testament Zacharias vor dem Tempel, Magier vor dem
Christkind, Weinzauber, Brotwunder, Blindenheilung(?), Verklärung, Christus vor Kaiphas,
Hahnszene, Pilatus' Händewaschen und Kreuztragen, Kreuzigung, Frauen am Grabe,
der Auferstandene erscheint den Frauen, ebenfalls den Männern, Himmelfahrt und
Triumph des Christus.
Über das Alter der Tür gehen die Ansichten weit auseinander. Die Frage wird
noch dadurch kompliziert, daß man in den vielen und vielerlei Reliefs verschiedene
Hände zu erkennen glaubt und zwar Hände aus verschiedenen Jahrhunderten; über
die Zuteilung der Felder an die verschiedenen Hände aber kann man sich auch nicht
einigen. So schwankt die Datierung zwischen dem fünften Jahrhundert als der Ent-
stehungszeit der Kirche und allen folgenden Jahrhunderten bis zum dreizehnten. Die
neuere Forschung neigt im ganzen dahin, die Arbeit der Tür, wenigstens der als ur-
sprünglich angenommenen Felder, in das fünfte Jahrhundert zu setzen oder doch wenig
später. Ohne auf das einzelne der Stilkritik eingehen zu wollen stelle ich nur fest,
daß die Typik zwar durchaus an die Tradition anknüpft, aber in mancher Beziehung
Neues bringt. Außerdem möchte ich nur eine Kleinigkeit hervorheben, den ringförmig
*) Adolf Goldschmidt, Die Kirchentür des Heiligen Ambrosius in Mailand, ein Denkmal
frühchristlicher Skulptur, mit 6 Tafeln, Straßburg 1902. Zweifelnd äußert sich Jos. Sauer, Köm.
Quartalschr. 1902, 72.
Gemmen. 259
über Brust und Schultern gelegten Streifen (einmal mit herabhängender Verlängerung),
den zwei der grüßenden Männer auf der Zachariastafel VI anhaben, freilich anscheinend
über Chlamys; es sieht aus wie eine Weiterbildung der gelegentlich der Diptychen be-
sprochenen kontabulierten Toga (Trabea), eine Weiterbildung, die in derselben Halb-
kreisform die zwei „Bischöfe" auf dem Wagen der Trierer Tafel tragen.
Neben der Diskussion über die Ursprungszeit geht natürlich, unermüdlich und
unerschöpflich, der alte Streit, ob römisch, ob byzantinisch oder nun ostgriechisch,
syrisch. Man streitet vergebens, solange die Chronologie der Denkmäler nicht fest-
steht und damit der Verlauf der altchristlichen Kunst als Ganzes.1)
Reste von Türen im Sinaikloster und im Museum zu Kairo datiert Strzygowski
versuchsweise ins fünfte bis achte Jahrhundert.2)
Eine Holzschnitzerei aus Ägypten, im Kaiser Friedrich-Museum, hat Strzy-
gowski als eine Arbeit des vierten Jahrhunderts veröffentlicht; die figurenreiche Dar-
stellung mit viel architektonischer Szenerie deutet er auf die „Vertreibung der Barbaren
von der Feste des Glaubens". Als verwandte Arbeiten, sie aus dem Gebiete der
Elfenbeinskulptur, reiht er, in reichlichem Abstand, das trierer Relief mit der Reliquien-
einbringung und die pariser sog. Predigt des Paulus an.8)
Skulpierte Bauhölzer aus Bawit, in Kairo und in Berlin, tragen teils orna-
mentalen teils figürlichen Schmuck. Einige stellen bärtige Gestalten in Konchen dar,
einer hält in der Linken das deutlich mit Kreuz bezeichnete Buch; sie erinnern an die
bärtigen Gestalten der Elfenbeinskulptur des sechsten Jahrhunderts, werden aber von
Strzygowski versuchsweise in das fünfte datiert. Andere, in Berlin, zeigen schwebende,
ein Rund tragende „Engel", den Daniel zwischen den Löwen, in Barbarentracht wie
wir es an der Gartheschen Pyxis in London sahen, usf.4)
Gemmen.
Die Gemmen bilden eine Spezialität, die nur von solchen Gelehrten beurteilt
werden kann, welche größere Bestände derselben dauernd unter Händen haben. Auf
solcher vertrauter Bekanntschaft, in Verbindung mit ausgebreiteter Denkmälerkenntnis
J) Holztür von S. Sabina: Kondakoff, Eev. arch. XXXIII 1877, 361 Taf. 11. Garrucci,
Storia VI 178 Taf. 499. 500. Strzygowski, Jahrb. pr. Kunstsamml. 1893, 75. Grisar, Rom. Quartal-
schrift 1894, 4 Taf. 1. Kraus, Gesch. I 494 Fig. 381. Stuhlfauth, Elfenbeinplastik 1896, 26. 203.
Holtzinger, Altchr. u. byz. Baukunst8 1899, 45 Fig. 39. Wiegand, Altchristi. Hauptportal an d.
Kirche der heiligen Sabina auf dem aventin. Hügel zu Rom, mit 21 Phototypien, Trier 1900.
Vehturi, Storia I 476 Fig. 308—325. Ainaloff, Hellenistische Grundlagen 121 (Repert. 1903, 47).
Kaufmann, Handb. 518. Leclerq, Manuel II 633. — Es ist zu bedauern, daß Grisar eine andere
Bezifferung der Felder eingeführt hat als Garrucci.
8) Strzygowski, Koptische Kunst 1904, 126 zu n. 8782 ff.
s) Strzygowski, Orient oder Rom 65 Taf. 3. Dazu Wulff in den Kunstwiss. Beitr. für
Schmarsow 1907, 16. Kaufmann, Handbuch 522, 1 bezweifelte trotz des Labarum den christlichen
Ursprung.
4) Strzygowski, Koptische Kunst 117 n. 8775—8781. Führer durch das Kaiser Friedrich-
Museum8 1905, 30. — Daniel in Barbarentracht zwischen den Löwen auch an der Gemme bei
Furtwängler, Antike Gemmen Taf. 57, 1.
17*
260
Plastik.
und geschultem Stilgefühl, beruht Furtwänglers Gemmenwerk. Darin sind einige christ-
liche Stücke abgebildet, aber des Näheren ist dort nicht auf die Materie eingegangen.
Unter diesen Umständen müssen wir uns begnügen, die Hoffnung auszusprechen, daß
ein gemmenkundiger Archäologe sich dem Gegenstand widmen und die altchristlichen
Gemmen auf Echtheit, Ursprungszeit und Typik im Zusammenhang untersuchen werde.1)
Plastik.
Das Wort Plastik wird konventionell meist im weiteren Sinne gebraucht (so auch
von uns oben S. 33. 35) für alle Art erhabener Arbeit, in Relief und Rund werk. Im
engeren und technischen Sinn bezeichnet es die Arbeit in bildsamen Stoffen, wie Ton
oder Wachs, dann aber auch die in Metall, weil auch dies ein bildsamer, duktiler Stoff
ist; das Metall läßt sich hämmern und treiben, ziehen, schmelzen und in Formen
gießen. Dabei erlaubt es aber auch den Angriff mit scharfen Instrumenten, Gravieren,
Ziselieren, Schneiden, Meißeln.
Metall.
Lange Zeit galt das große Sitzbild des Petrus in der Peterskirche als antik und
zwar als ein Werk aus dem fünften Jahrhundert. Zuerst bestritt Didron den antiken
Ursprung, ihm folgte neuerdings Wickhoff; beide setzten die Figur in das dreizehnte
Jahrhundert. Während Kraus und Kaufmann zustimmten, suchen Grisar und Wittig
die Statue der christlichen Antike zu erhalten. Das Urteil wird erschwert durch den
Mangel an spätantikem Vergleichsmaterial; Neues bringt Petersen, der Grisar zu-
stimmt. — Eine berliner Kleinbronze, Bärtiger in Poderes und Himation, der in
der Linken ein Kreuzmonogramm hält (in der Größe des in den Bildwerken von Petrus
und von Simon von Kyrene getragenen Kreuzes) und linkshin blickend die Rechte
sprechend hebt, wird auf Petrus gedeutet, unter Widerspruch V. Schultze's. Die Statuette
wird in das Ende des vierten Jahrhunderts gesetzt, Nik. Müller hält sie für den Rest
einer Bronzelampe. Der Typus der Figur, nur mit schlichtem Kreuz, kehrt in einem
Relief aus Sinope wieder.
Den Henkel einer Bronzekanne, in Gestalt des Paulus, auf einem Weinblatt
stehend, den Kopf vor einer Muschel, aus dem sechsten Jahrhundert, gibt Garrucci
467, 1 gleich neben der Petrusstatuette; auch in der ungenügenden graphischen Wieder-
gabe fällt der Stilunterschied auf. Bronzelampen, auf die wir nicht eingehen, findet
man bei Garrucci auf den Tafeln 468 — 472.2)
*) Gemmen: Max Bauer, Edelsteinkunde, mit 20 Tafeln, 1896. Blümner, Terminologie und
Technologie III 227. Furtwängler, Antike Gemmen, Gesch. d. Steinschneidekunst im Altertum
1900 III 360. 363 Taf. 50, 55. 67, 1—7. — de Bossi, Spicileg. Solesm. IV 577. Kraus, BE II 786.
Garrucci VI Taf. 477—479. Kaufmann, Handb. 592. Leclercq, Manuel II 361.
a) Großbronze: Didron, Ann. archeol. 1863, 29. Wickhoff, Zeitschr. für bild. Kunst 1890,
Metall. 261
Von Arbeit in Silber liegen wertvolle Proben aus der Spätantike vor. Eine Keine
von Schalen ist bekannt unter der konventionellen Bezeichnung Silberschilde. Ihre
hohle Innenseite trägt Bildwerk (der Archäologe erinnert sich derart angeordneter
Silberschalen aus der hellenistischen und frühkaiserlichen Zeit); dem Zweck und Geiste
nach den Kaiser-, Konsular- und Beamtendiptychen verwandt schließen sie sich auch
ihrer Typik mehrmals eng an. Die älteren Stücke geben das Bild in Relief, die aus
dem sechsten Jahrhundert nur in Gravierung; teilweise Vergoldung tritt hinzu. Wie
jene Diptychen so sind auch die Silberschilde datiert oder annähernd genau datierbar.
Schale des Valentinian I (364 — 375), in Genf. Relief: der nimbierte Kaiser, ge-
panzert, steht mit Labarum und Weltkugel zwischen sechs Protektoren. Im Seg-
ment Schild, Schwert und Helm. Umschrift: Largitio D N Valentiniani Augusti.
CJL XII 5697,5.
Schale des Theodosius vom Jahr 388, in Madrid. Relief: in den Interkolumnien
eines viersäuligen Baues mit Giebel, in dem zwei heranschwebende Eroten auf
Tüchern Blumen bringen, thront, er unter Rundbogen, der Kaiser zwischen seinen
zwei Söhnen; letztere tragen die umkreuzte Weltkugel, der links hält ein Zepter,
der rechts hebt drei Finger der Rechten (ohne die Chlamys wäre er völlig ein
Christus); alle drei sind nimbiert und in Chlamys; der Kaiser übergibt einem
kleiner gezeichneten Beamten Befehle; jederseits zwei Protektoren. Im Segment
lagert Terra zwischen Ähren, mit Füllhorn, umspielt von drei Putten. Umschrift:
D N Theodosius perpet. Aug. ob dient felicissimum X. CJL II 483. Mat^riaux
Taf. 5.
Schale des Konsul Aspar vom Jahr 434, in Florenz, Uffizi. Relief: der Konsul in
sog. Trabea thront die Mappa hebend, neben ihm steht sein Sohn, dabei Roma
und Konstantinopolis (so Meyer und Strzygowski; nach Amelung Karthago). Oben
zwei Medaillons mit den Porträts des Ardabur und Plinta. Im Segment Blätter,
Schilde und Tafel. Umschrift: f Fl. Ardabur Aspar vir inlustris com. et mag.
militum et consul Ordinarius. CJL XI 3637. Meyer, Bayr. Akad. Abh., philos.-
philol. Classe XV 1881, 6. Amelung, Führer 265 u. 259. Über Aspar und seine
Verwandten vgl. Seeck bei Pauly-Wissowa II 606.
Schale aus Perugia, zusammengefunden mit Goldmünzen Justins und Justinians, ver-
schollen. Gravierung: Reiter in römischer Rüstung, ohne Helm, sprengt nach
rechts, stößt mit der Lanze nach einem gebückt fliehenden Feind, die Linke hält
das Schwert; hinter ihm ein Baum. Umschrift: f de donis dei et domni Petri utere
felix cum gaudio. CJL XI 2088. de Rossi, Bull, crist. 1873, 152 (denkt sich die
Schale als Geschenk des Papstes Vigilius an Belisar für die Befreiung Roms von
den Gothen 537).
109. Kraus, Gesch. I 231 Fig. 186. Kaufmann, Handb. 509. Frey, Deutsche Lit. Zeit. 1896,
1044 denkt an das achte Jahrhundert. Grisar, Anal. Rom. I 627; Civilta catt. 1898, 461. Wittig,
Campo santo 103. Petersen, Rom. Mitteil. 1900, 172, 1. — Statuette: Beschr. d. Bildw. ehr.
Epoche Berlin 1888 n. 1. G 467, 3. Kraus, Gesch. I 232 Fig. 188. Schultze, Katak. 184. Leclercq,
Manuel II 259 Fig. 227. Müller, Rom. Quart. 1900, 218. — Sinope: Strzygowski, Kleinasien
197 Fig. 141.
262 Plastik.
Schale, wahrscheinlich des Justinian, aus Kertsch. Gravierung: der nimbierte Kaiser
in gegürtetem Leibrock auf rechtshin sprengendem Pferd, unter dem ein Schild
liegt, in der Rechten die Lanze; vor ihm hebt die Siegesgöttin einen Kranz, die
Linke hält einen Palmzweig; hinter ihm ein Protektor, dessen Schild das Christus-
monogramm (mit etwas offenem P trägt). Materiaux Tal l.1)
Ein Silberkästchen aus Rom, nach unten sich verengernd, der Deckel wie ein
nach den vier Seiten schrägabfallendes Dach; also formverwandt den späten südwest-
gallischen Sarkophagen, war wohl ein Hochzeitsgeschenk. Es trägt heidnische Dar-
stellungen (Brustbilder des Brautpaars in einem von Eroten gehaltenen Kranz; Toilette
der Venus, die in einer Muschel sitzt; ein Teil ihres Gefolges, Nereide auf einem See-
drachen, an der Rückseite, usf.), aber eine christliche Inschrift Secunde et Proiecta
vivatis in Chrifsto, das übrige fehlt. — Ein zweites Silberkästchen in S. Nazario zu
Mailand setzt Riegl in die Zeit Diokletians, Graeven in die konstantinische, de Mely
zwischen 370 und 406. — Eine ovale Silberschachtel aus Numidien, im Vatikan,
zeigt auf dem Deckel einen Seligen zwischen zwei auf Kandelabern brennenden Kerzen;
er steht auf dem Vierstromberg und hält einen Kranz in den Händen, eine Hand aus
Wolken hält einen zweiten Kranz über ihn. An der Kastenwand einerseits das Christus-
monogramm auf dem Vierstromberg, Hirsch und Hindin trinken knieend, diese Gruppe
zwischen zwei Palmbäumen; andrerseits das Lamm Gottes, über dessen Rücken ein
Kreuz steht, zwischen acht Schafen aus Jerusalem und Bethlehem. Die Seligen zwischen
brennenden Kerzen sind spät nordafrikanisches Motiv, die Kerzen kommen auch an
spätravennatischen Sarkophagen vor.8)
Eimer von Blei aus Tunis, für christlichen Kultgebrauch bestimmt; aber die
verwendeten Bildstempel sind aus dem Vorrat der Werkstatt genommen, wie sie zur
Hand waren, heidnische neben christlichen. Ein Spruchband bringt die Worte Jes. 12, 3
* Avrhqoare vdtüQ fier' stxpQOOvvrjg. Rein heidnisch ist die Nereide auf einem Seebock
reitend, der trunkene Silen auf dem Esel, ein Bestiarius mit Siegeskranz, der Löwe
einen Stier zerfleischend; der Hirsch von einem Hund verfolgt und der anspringende
Bär stammen wohl auch aus der Arena. Die Stadtgöttin von Karthago, streng ge-
nommen heidnisch, sahen wir wie Roma, Konstantinopolis, Alexandria, an den Denkmälern
der christlichen Kaiserzeit eingebürgert. Der Palmbaum ist durch Wahl christlich ge-
worden, ebenso das an der Vase nippende Pfauenpaar. Die Siegesgöttin kann als
Engel aufgefaßt werden. Originale christliche Schöpfungen sind nur der Gute Hirt
und der Berg mit Kreuz und Hirschen. Die umlaufende Weinranke ist auch über-
nommen; in der Anordnung, Blatt und Traube wechselnd, erinnert sie an die Tür von
S. Sabina.3)
*) Strzygowski hat bei Veröffentlichung der Schale aus Kertsch die Denkmäler zuletzt zu-
sammengestellt und besprochen, Materiaux pour servir a Parchöologie de la Russie Nr. 8 1892.
Zustimmend Graeven, Gott. gel. Anz. 1897, 58.
*) Born: d'Agincourt, Hist. de l'art, Sculpture Taf. 9, 1 — 5. Schultze, Archäologie 278. —
Mailand: Graeven, Zeitschr. für bild. Kunst 1899, 1. Weis-Liebersdorf, Christus- und Apostel-
bilder 92. Wittig, Campo santo 102. de Mely, Ac. inscr. CE 1900, 52. — Vatikan: de Eossi,
Bull, crist. 1887, 118 Taf. 8—9; Capsella argentea africana 1889. Kraus, Gesch. I 527. — Noch
ein Silberkästchen bei Grisar, Die röm. Kapelle Sancta Sanctorum und ihr Schatz 1908.
3) de Eossi, Bull, crist. 1867, 77. G 428, 1. 2. Schultze, Archäologie 277.
Terrakotta. 263
Auf einige Bleisärge, in Italien, Südfrankreich und Syrien zum Vorschein ge-
kommen, sei nur hingewiesen. Sie werden in das dritte und vierte Jahrhundert ge-
setzt. An dem von Kraus nach de Rossi wiederholten Exemplar aus Saida ist die
umlaufende Weinranke mit nippenden Vögelchen ganz ansprechend; aber das wieder-
kehrende Christusmonogramm mit umgeschriebenem IXSlC, auf dem Deckel unter
Tabernakel, und die Felderteilungen in Eautenform mit eingesetzten Rosetten (was an
einige Konsulardiptychen erinnert) machen gerade nicht den Eindruck sehr frühen
Ursprungs.1)
Summarisch erledigen wir auch die Münzen, die Enkolpien, und die Me-
daillen.2)
Terrakotta.
Altchristliche Lampen aus Terrakotta kommen in allen Ländern von Gallien
bis Syrien fortgesetzt zahlreich zutage; das meiste Material lieferte Rom, neuerdings
Karthago, auch Ägypten. Die Lampen dienten im Hause, in der Kirche, in den
Katakomben; das Altertum hat einen reichen Gebrauch von Lampen gemacht. Wenig
Kunst wurde an die tönernen Lampen verschwendet. Immerhin bilden die christlichen
eine erwünschte Ergänzung der nicht minder zahlreich erhaltenen heidnischen, als Ver-
treter der Gattung aus der Zeit der Spätantike; eine scharfe Scheidelinie zwischen
heidnischen und christlichen Lampen läßt sich ebensowenig ziehen wie etwa zwischen
heidnischen und christlichen Sarkophagen, oder Diptychen. Es fehlt nicht an Stil-
kriterien, nützliche Arbeit aber kann nur bei zusammenfassender Behandlung des ganzen
Materials, des heidnischen und des christlichen, geleistet werden. Toutain hat ein
Korpus der christlichen Lampen in Aussicht gestellt.3)
Ampullen. Tönerne Krüglein dienten den Pilgern, um aus den an den heiligen
Stätten brennenden Lampen Ol als wertvolle Reliquie mitzunehmen. Am weitesten
verbreitet finden sich die Menaskrüglein, eigens für den Zweck gefertigte, flachrunde
kleine Ampullen mit dem Bilde des Heiligen Menas von Alexandrien. Ein Märtyrer
aus der diokletianischen Verfolgung wird er dargestellt als Orant zwischen zwei
kauernden Kamelen. Viel Kunstgeschichte steckt nicht darin.4)
») Renan, Mission en Ph<5nicie 427 Taf. 60. de Rossi, Bull, crist. 1866, 76; 1873, 77 Taf. 4. 5
Kraus, Gesch. I 236 Fig. 191.
l) Münzen: Kraus Realenzykl. II 432; Gesch. I 490. Schultze in Herzog-Haucks Real-
enzykl.3 1901, 768. Kaufmann, Handb. 597. Leclercq, Manuel II 575. — Enkolpien: de Waal
bei Kraus, Realenzykl. II 419. Strzygowski, Byz. Denkm. I 99 Taf. 7. Kaufmann, Handb. 594. —
Medaillen: de Rossi, Bull, crist. 1869, 33 Taf. Heuser bei Kraus, Realenzykl. II 384. Marucchi,
Rom. Quartalschr. 1887, 320. Kraus, Gesch. I 491.
*) Lampen: Toutain in Daremberg-Saglios Dictionn. III 323 Art. Lucernae. Schultze,
Katakomben 206; Studien 280; Archäologie 292. de Waal in Kraus' Realenzykl. II 267. Kraus,
Gesch. I 485. Kaufmann, Handb. 568. Leclercq, Manuel II 509. — Älteste christliche scheinen die
mit dem Stempel ANN! SER[apiodori? Dressel, Bull, crist. 1895, 165. Über die karthagischen
Lampen vgl. Delattre, Lampes chrötiennes de Carthage, in der Rev. de l'art chröt. 1890 — 1893.
a) Ampullen: Garrucci VI 52 Taf. 435, 4. Schultze, Archäologie 300 Abb. 95. Kaufmann,
Handbuch 580 Fig. 217. Leclercq, Manuel II 527. Wilpert bei de Waal, Rom. Quartalschr. 1906,
86 Abb.
264 Plastik.
Wir haben einen weiten Weg zurückgelegt, von den Sarkophagen der Antoninen-
zeit nicht bloß zu den Menaskrüglein, sondern bis zu den späten Diptychen und Pyxiden,
den ravennatischen und südgallischen Sarkophagen, den koptischen Stelen. Obendrein
mußten wir uns im echternacher Rhythmus bewegen, bei jeder Denkmälerklasse wieder
von vorne anfangen, um uns von neuem demselben Ziele zu nähern, dem Ausgang der
Antike. Zu einer alle Zweige zusammenfassenden, einheitlich fortschreitenden Erzählung
war es noch nicht an der Zeit. Und ein paar kräftige Aste, darunter seiner Bedeutung
nach der stärkste, stehen noch zurück, Architektur und Malerei.
Architektur
und
Malerei.
Architektur und Malerei.
Die Denkmäler der altchristlichen Architektur und Malerei, der letzteren soweit
sie im folgenden besprochen wird, treten später auf, als — im ganzen genommen —
die Skulpturen. Daher behandeln wir sie nach diesen. Da der Bestand an Original-
denkmälern bei ihnen viel geringer ist, als bei den Skulpturen, so wird dieser Abschnitt
gegen den die Plastik betreffenden an Umfang erheblich zurückstehen, trotzdem wir
Architektur und Malerei unter einem Titel vereinigen, wie sie denn auch kunstgeschicht-
lich eng miteinander verknüpft waren.
Architektur.
Wir betrachten die altchristlichen Kirchengebäude unter dem Gesichtspunkte der
christlichen Antike. In periodologischer Beziehung unterscheiden wir die früheren
Entwicklungsstufen, der ersten drei Jahrhunderte, von den reifen Schöpfungen der
Spätantike, seit Konstantin und bis Justinian. Übrigens wurde das Thema schon so
vielfach behandelt, daß die Absicht dieser Einführung nicht darauf gehen kann, neues
zu sagen, als vielmehr nach bestem Vermögen das Richtige. Dies vorausgeschickt
muß nun aber doch ausgesprochen werden, daß die Geschichte der altchristlichen Bau-
kunst noch niemand geschrieben hat, denn noch niemand hat die Geschichte der Bau-
kunst des Altertums geschrieben, insbesondere auch nicht, sagen wir lieber rund heraus
am wenigsten, die der Kaiserzeit. Denn die Kunsthistoriker suchen wohl, sehr mit
Recht, die Wurzeln der ihnen anbefohlenen Kunst des Mittelalters und der Neuzeit in
der Antike, speziell auch in der Spätantike, aber sie gehen fehl, wenn sie meinen, eine
Geschichte der altchristlichen Kunst geschrieben zu haben, wo es doch nur eine mehr
oder weniger fragwürdige Einleitung zur Kunstgeschichte des Mittelalters wurde. Nur
als Schlußkapitel, als Endergebnis der Kunstgeschichte des Altertums kann die Spät-
antike richtig verstanden und geschildert werden; das gilt für alle Kunstzweige, auch
für die Baukunst. Vor einigen zwanzig Jahren suchte meine Weltgeschichte den
weiten Weg abzustecken, von Tello und von Karnak bis zum Pantheon und zur
Sophienkirche. Seitdem ist noch nicht viel am Ausbau geschehen, abgesehen von
einzelnen, durch den Zufall der Funde veranlaßten Vorarbeiten. Zieht man die popu-
larisierenden Darstellungen ab, überhaupt die nicht von den Verfassern, sondern von
unternehmenden Verlegern, im modernen literarischen Großbetrieb mit durchgeführter
Arbeitsteilung, gezeugten Bücher, worunter auch die für Praktiker geschriebenen zu
gehören pflegen, dann noch die dogmatisch abhängigen, was bleibt dann übrig? Mit
268 Architektur und Malerei.
das Beste steckt in den für den oberflächlichen Augenblicksbedarf erfundenen alpha-
betisch gruppierenden Enzyklopädien. Wer wird das Buch von antiker Baukunst
schreiben, so erschöpfend gründlich auf Raum- und Körperbildung, auf Konstruktion
und künstlerische Durchbildung eingehend wie geistig, geschichtlich durchdringend?
Es müßte mindestens ein philologisch geschulter Architekt sein, wenn nicht doch besser
ein architektonisch geschulter Archäologe.1)
Der Gemeindesaal.
Jesus hatte, wie Sokrates, ohne örtliche Bindung gewirkt, überall wo Menschen
Anknüpfung boten. Beide wirkten durch ihre in sich sonnenklare und sonnenwarme
Persönlichkeit. Sokrates, der Frager, der Dialektiker, suchte die Jünglinge und die
Männer in ihrer Palästra auf, die Künstler in ihrer Werkstätte, eine Schule gründete
erst Piaton, die Akademie. Jesus, der Antworter aus Intuition, ging als Wanderlehrer
von Ort zu Ort, überall wo er sich gerade befand gab er Antwort und lehrte, am See,
in der Wüste, auf der Straße, in diesem und jenem Haus, am Sabbat in der Synagoge.
Es scheint, man lud ihn mit seinen nächsten Jüngern gern zu Tisch, zum abendlichen
Mahle. Jesus, der nicht etwa aus der Gemeinschaft der Israeliten austrat, um eine
neue Religion zu stiften, blieb bei den religiösen Gebräuchen seines Volkes; so wanderte
er mit den Jüngern nach Jerusalem, um dort das Passahlamm zu essen und im Tempel
zu beten und zu lehren, nicht im Tempel selbst, sondern in seinen Höfen und Hallen.
Er hat weder Lehr- noch Kultusräume für sich und die Seinen geschaffen; er, in dem
ein so mächtiges Gemeinschaftsgefühl lebte, hat eine Gemeinde nicht gegründet — er
meinte es unendlich freier, weiter, größer; er hat kein Gemeindehaus gebaut, noch
weniger eine Kirche.
Die apostolische Zeit (dreißiger bis sechziger Jahre). Erst nach der Kreuzigung
und nachdem die Jünger sich wieder gesammelt hatten, kam es zu Gemeindebildungen,
zuerst in Jerusalem. Solange die Trennung vom Judentum nicht vollzogen war, standen
den Christen die Höfe und Hallen des Tempels immer noch offen und dienten
ihnen als täglicher Versammlungsort; eine Halle Salomons wird besonders genannt.
Ebenso standen ihnen überall die Synagogen noch offen, auch in der durch das ganze
römische Reich verbreiteten jüdischen Diaspora; sie waren für die missionierenden
Apostel die gegebene Anknüpfung, erst recht, wenn unabhängig von ihnen das Christen-
tum in ihr schon Wurzel gefaßt hatte. Die Art ihres Vorgehens kennen wir verbürgt
nur von Paulus, aus seinen echten Briefen; dazu treten als zweitbeste Quelle gewisse
Teile der Apostelgeschichte.2)
Diese öffentlichen Versammlungsräume der Juden aber genügten nicht; die
„Heiligen" (Christen) brauchten Räume, wo man unter sich war. Das gab es zunächst
nur in Privathäusern, in Wohnräumen, die vom Eigentümer oder Mieter zur Ver-
*) v. Sybel, Weltgesch. 1888, 441. U903, 444. Hauck in Herzog-Haucks Eealenzyklopädie 3
X 1901, 774. Dehio und Bezold, Kirchl. Baukunst des Abendlandes I 1884. Holtzinger, Alt-
christliche Architektur in systematischer Darstellung 1889. Derselbe, Altchristliche und byzan-
tinische Baukunst a1899. Fr. X. Kraus, Gesch d. ehr. Kunst I 1896 257. Und so weiter.
■) Versammlung, Lehre und Gebet im „Heiligtum* : Lk. 24, 53. Ap. 2, 46. 5, 21. 42. Halle
Salomons: 3, 11. 5, 12. Synagogen: Ap. 9, 20.
Der Gemeindesaal. 269
fügung gestellt wurden. Ähnliches schildert Piatons Protagoras, einen Philosophen-
kongreß; Kallias hatte sein stattliches Haus den fremden Philosophen und den mit
ihnen verhandelnden Athenern geöffnet. So nun erzählt die Wirquelle der Apostel-
geschichte 21, 18: Paulus kam nach Jerusalem und ging zu Jakobus; bei demselben
fanden sich alle „Presbyteroi" der jerusalemer Gemeinde ein. Jakobus stammte selbst
nicht aus Jerusalem; also hatte sein Gastfreund ihm einen Versammlungsraum zur
Verfügung gestellt. Oder in Philippi. Da ist's die Purpurhändlerin Lydia, die sich
mit ihrem ganzen Hause taufen läßt und den Paulus bittet, mit seinen Begleitern in
ihrem Hause einzukehren; dort finden sich denn auch die „Brüder" ein, die kleine
Gemeinde, die sich am Orte bildete (Ap. 16, 15 — 40). Also Versammlungen in Privat-
häusern; einmal waren es Apostel und Alteste, die zu einer Verhandlung in engerem
Kreise zusammentreten, das andere Mal eine ganze kleine Gemeinde. Es könnte noch
mehreres angeführt werden, vor allem aus den Briefen, wie Rom. 16, 5. Kor. 16, 19
die Gemeinde im Haus von Aquila und Prisca. Kol. 4, 15 die im Haus der Nympha,
Philemon 2 die im Hause des Adressaten (rfj xcct* olxov oov IxxA^a/p).
Die Epigonen (das zweite Geschlecht; einzelne Apostel mögen da noch am
Leben gewesen sein, das kann aber die Periodenteilung nicht beeinflussen). Wir nehmen
die Anfänge des zweiten Jahrhunderts hinzu. — Es stand damals noch fest und wurde
gerade jetzt nachdrücklich ausgesprochen, daß es für Christen keinen Tempelkult gibt.
Die Apostelgeschichte könnte die prophetischen Stellen gegen den salomonischen Tempel
nicht anfuhren, wie sie es tut (7, 47 — 49), wenn damals die Christenheit an Tempel-
kult gedacht hätte. Wohl wird vom Tempel gesprochen, aber es ist nur Redefigur.
Paulus hatte gesagt: Ihr seid ein Tempel Gottes (Kor. I 3, 16. II 6, 16). Im Jo-
hannesevangelium 2, 19 wird das Wort vom Tempel, den Jesus abbrechen und in drei
Tagen wieder aufbauen wollte, auf seinen Körper bezogen. Der Hebräerbrief operiert
zwar mit dem Begriff Hohepriester, aber er schildert den Christus als den wahren
Hohenpriester, der nicht wie der jüdische in Tempel von Menschenhänden gemacht
geht, sondern in den wahren Tempel, in den Himmel selbst (9, 24 f.). Die Off. Joh.
spricht es aus, daß in dem neuen Jerusalem, der heiligen Stadt, kein Tempel sein werde
(yaov ovy. siöov iv ccvt?] 21,22); denn der Herr ist selbst der Tempel, und das Lamm.
Der vorher in den apokalyptischen Bildern oft genannte Tempel im Himmel steht
damit natürlich nicht in Widerspruch. Aus dem Bilde Off. 3, 12 „den Sieger werde
ich zu einer Säule im Tempel meines Gottes machen, und er wird nicht mehr aus ihm
hinausgehen" wird niemand schließen wollen, es habe damals schon gesäulte Kirchen
gegeben. Es scheint noch immer bei Privaträumen sein Bewenden gehabt zu haben.
Was für Räume waren es nun, in denen die Zusammenkünfte stattfanden? Ge-
wöhnliche kleine Zimmer können es kaum gewesen sein, oder man hätte mehrere zu-
sammennehmen müssen. Da indessen Reden an die Versammelten gehalten, gemein-
schaftlich Hymnen gesungen wurden u. ä. m., so wurde ein einheitlicher Raum verlangt.
Die erste Gemeinde in Jerusalem soll etwa 120 Köpfe gezählt haben (Ap. 1, 15), das
erforderte schon einen kleinen Saal.
Des Näheren aber heißt es, man habe sich im Obergeschoß versammelt; so
hatte die erste Gemeinde ihr ständiges Versammlungszimmer im Obergeschoß eines
Hauses (Ap. 1, 13 ävsßrjoav elg to vtteqioov ov rtoav xarafievortEs). Wiederum in
Troas; da war man im dritten Stock versammelt, Paulus hielt eine Rede, so lang, daß
der Jüngling Eutychos darüber einschlief; er saß am offenen Fenster und stürzte, ein
270 Architektur und Malerei.
christlicher Elpenor, hinab auf die Straße (Ap. 20, 7 — 9). All das setzt Verhältnisse
der Großstadt voraus, große mehrstöckige Miethäuser, rechte Mietkasernen (Zinshäuser).
In dieser Art waren die antiken Großstädte gebaut, ebenso wie die modernen, so
Jerusalem, so Antiochia, Ephesus, ebenso Alexandria Troas. Und so auch Rom. Ein
römischer Geschichtschreiber erzählt einen merkwürdigen Vorfall, der sich in Rom zu-
trug; am Rindermarkt geriet ein Ochse in ein Haus, stieg die Treppen hinauf bis in
den dritten Stock und stürzte durchs Fenster hinunter auf den Platz; das war 218
vor Chr. Schon damals also besaß Rom mehrstöckige Häuser; später wurden sie bis
sechsstöckig gebaut. Ein amtlicher Stadtplan des kaiserlichen Roms hat sich bis heute
erhalten, wenn auch nur in Bruchstücken; auf Marmortafeln eingegraben bedeckte er
eine große Wand. Da sieht man denn auch die Grundrisse vieler Miethäuser ein-
getragen, sie füllen oft ganze Straßenvierecke. Selbstverständlich ist nur das Erdgeschoß
gezeichnet; an den Straßen reihen sich viele schmale Räume, die aber tief in das Haus
hineingehen, lauter Werkstätten und Verkaufsbuden, vielleicht mit einer Kammer im
Fond. Die Grundrisse der Obergeschosse konnten nicht eingetragen werden; oben gab
es natürlich auch breitere Räume und ganze Säle. Man darf nun nicht übersehen,
daß die Apostel, als die scharfblickenden Realpolitiker, wie sie etwa im Römer- oder
Galaterbrief erscheinen, mit dem ersten Eintreten in die universale Richtung, in die
Heidenmission, sich von vornherein auf die Großstädte warfen; gewannen sie diese, so
fiel das übrige Land dem Christentum mit der Zeit von selbst zu. Gerade der Römer-
brief ist das beredteste Zeugnis dafür, wie sie wetteifernd sofort die Reichshauptstadt
ins Auge faßten, da hier die Entscheidung über die Zukunft des Christentums lag.
Für die Großstädte aber, und vor anderen für Rom, wird nachgewiesen und berechnet,
daß dort das alte Einfamilienhaus in der Kaiserzeit der Mietskaserne Platz gemacht
habe, wo dann zunächst nur jene Obergeschosse zur Verfugung standen, die Hyperoa,
von denen oben die Rede war.1)
Auf die Dauer befriedigten die Säle im Obergeschoß die Raumbedürfnisse der
christlichen Gemeinden nicht; die Versammlungen fanden zweckmäßiger zu ebener Erde
statt. Brauchbare Räume im Erdgeschoß aber gab es nicht in den Mietkasernen, nur
im Einfamilienhaus; denn dies hatte seine Haupträume zu ebener Erde.
Über das orientalische Haus der frühchristlichen Zeit sind wir zu wenig unter-
richtet, um dabei verweilen zu dürfen. Nur hat man das jüdische Haus der auguste-
ischen Zeit aus den Erwähnungen in der Mischnah zu rekonstruieren gesucht; da aber
Denkmäler nicht zu Gebote stehen, so bleibt die Rekonstruktion ein ähnlich ver-
schwimmendes Schema wie etwa Salomons Palast. Aus dem Nebel tritt uns ein Vor-
hof einigermaßen erkennbar entgegen, mit Tor nach der Straße und Torwächterhäus-
chen; dann das Haus mit Vorhalle und Flur; um ein Triklinium gruppieren sich die
Zimmer des Vorhauses; dahinter folgt ein Peristyl mit den anliegenden inneren Ge-
mächern, im Fond eine Exedra; gern stellte man noch eine Stube auf das flache Dach.
*) Es wird darauf aufmerksam gemacht, daß bei den Juden im Zeitalter der Mischna (gleich-
zeitig den Anfängen des Christentums) wichtige Beschlüsse öfter in Obergemächern gefaßt
wurden. Levy' Talmudwörterbuch Art. vnsQwov. David Kaufmann, Monatsschrift f. d. Judentum
XL 382. — Eindermarkt: Liv. XXI 62. v. Sybel, Weltgesch. «322, 2. — Stadtplan, im Kon-
servatorenpalast: Jordan, Forma Urbis Romae, Berlin 1874. Richter, Topographie von Rom 21901, 3.
— Mietkasernen, Konrad Lange, Haus und Halle 1885, 262. Hülsen, Rom. Mitteil. 1892, 281.
Der Gemeindesaal. 271
Das Ganze erinnert an den Plan des gleich zu besprechenden pompejanischen Hauses,
nur daß das jüdische ein geschlossenes Dach, mithin offene Bebauung voraussetzt.1)
Greifbarer ist das Einfamilienhaus in Griechenland und Italien. Auf Delos
haben die französischen Ausgrabungen einen Teil der hellenistischen Stadt des zweiten
vorchristlichen Jahrhunderts freigelegt. Das delische Haus, in wesentlichen Zügen
gleichartig dem athenischen des fünften und vierten Jahrhunderts, wie es aus Lysias,
Piaton, Xenophon wiedergewonnen wird, doch auch verwandt dem pompejanischen,
besitzt ein Peristyl mit Alae, davor liegt ein Vestibül, dahinter ein Saal; das Hypaithron
ist als flaches Bassin ausgebildet, darunter liegt die Zisterne zum Sammeln der Dach-
wasser [Abb. 79].2)
Das reichste Material bietet Pompeji. Auf die Vorgeschichte, das Bauernhaus
und seine Umwandlung in das Stadthaus, auf den Übergang von der offenen Bebauung
(mit Ambitus zwischen den Häusern) und der geschlossenen, brauchen wir hier nicht
einzugehen; uns geht nur die städtische Bauweise an, wie sie in Pompeji in vielen
Spielarten vorliegt. Ein Vestibül führt in das Atrium, um welches sich die Räume
des eigentlichen Hauses gruppieren, die cubicida an den Längswänden, das tablinum und
dessen Nebenräume im Fond. Wegen der geschlossenen Bebauung mußten die Dach-
traufen nach innen verlegt werden, die Dachschrägen fallen von den Außenmauern
nach innen ab, einen weiten Trichter bildend, der das Regenwasser durch das zentrale
compluvium in das im Fußboden darunter vorgesehene impluvium leitet. Über dem
Atrium ruht das Dach auf ein paar starken Querbalken, ursprünglich freischwebend;
nach Einführung des Säulenbaues in das Wohnhaus aber wurden sie oft von vier oder
mehr um das Impluvium gestellten Säulen getragen; je weiter das Impluvium und
je mehr Säulen, desto mehr näherte sich die Anlage dem Schema des Peristyls
[Abb. 80].8)
Wir fragen hier weder nach der Entwicklungsgeschichte des antiken Hauses noch
nach dem was aus ihm vielleicht entstehen konnte, sondern lediglich nach denjenigen
Räumen, die sich zu Versammlungen christlicher Gemeinden eigneten. Man hat alles
Denkbare vorgeschlagen, darunter aber auch mehreres Unmögliche.
Das Atrium eignete sich nicht zum christlichen Versammlungsraum wegen des
Impluviums; wenn ein großer Teil des Raumes, und zwar gerade in seiner Mitte, von
einem Wasserbassin eingenommen wird, so können da keine Versammlungen abgehalten
werden. Wohl könnte man im Atrium Verhandlungen führen, immer nur zwischen
wenigen Personen, derart wie sie Piaton im Protagoras schildert, wo die Philosophen,
soweit sie sich nicht in Zimmern befinden, in den Säulengängen des Peristyls auf- und
abgehen; aber eine Versammlung, die eine Ansprache hören oder sonst irgend etwas
Gemeinsames vornehmen will, dergleichen die Christen zusammenführte, wird nicht
einen so zerstückten Raum wählen. Auch die Überdachung des Compluviums mit
einer Art Laterne würde nichts nützen; denn das Impluvium, das Bassin also, müßte
x) Rosenzweig, Das Wohnhaus in der Mischnah, Berlin 1907, 58.
•) Paris, Bull. hell. 1884, 473 Taf. 20. 21. Couve, ebenda 1895, 460 Taf. 3—8. Wiegand und
Schrader, Priene 1904, 285 lehren, einen früheren Typus (Hof, Prostas, Oecus) und einen jüngeren
mit Peristyl zu unterscheiden.
s) Nissen, Pompe janische Studien 1877, 593. Mau bei Pauly-Wissowa, Art. Atrium, Com-
pluvium, Impluvium. Derselbe, Pompeji 1900 228. — Zum korinthischen Atrium und seinem Ver-
hältnis zum Peristyl des griechischen Hauses vgl. auch v. Duhn, Pompeji 1906, 5. Kapitel.
272 Architektur und Malerei.
bleiben, um die Dachwasser aufzunehmen. Höchstens könnte eine kleinere Haus-
gemeinde im Tablinum und dem unmittelbar vorliegenden Quergang des Atriums,
zwischen den Alae, Platz finden.1)
Das Peristyl, sei es des jüdischen oder des delischen oder des pompejanischen
Hauses, eignete sich nicht, weil es kein überdachter Saal war, sondern ein von Säulen-
gängen umgebener Hof oder Garten (entsprechend den mittelalterlichen Kreuzgängen).
Wohl aber eignete sich jeder größere Saal im Hause, einerlei ob er in die
Breite ging, wie die in Delos oder wie der in der Casa del Fauno, den das Alexander-
mosaik schmückte, oder ob in die Tiefe, wie es beim Oecus hinter dem Peristyl die
Regel war, dem Prunkraum des Hauses. Ganz im Fond gelegen, fern vom Haustor
(nur eine Hinterpforte war bei der Hand), mit dem Peristyl vor sich, gegen das er
sich weit öffnete, war er wie geschaffen für solche Gemeinden. Die nötigen Geräte
ließen sich nach Bedarf leicht hineinstellen. Der vorliegende Säulengang bot genügen-
den Raum für die noch nicht, oder zeitweise nicht, zum Vollgenuß Zugelaßnen, sowie
für Fremde. Das Bassin im Viridarium reichte aus, um die Neueintretenden zu tauchen.
Die wohlhabendsten Bürger von Pompeji waren arme Leute gegen die Großen
und Reichen in Rom. Die besaßen fürstliche Paläste, aus dem nämlichen Plan ent-
wickelt, den wir in Pompeji kennen lernten, aber gesteigert zu gewaltigem Umfang,
und luxuriös ausgestattet. Einzelne der pompejanischen Säle suchen mit wesentlich
bescheideneren Mitteln dieser Pracht nahe zu kommen, wie die „korinthischen" in den
Häusern des Labyrinths und des Meleager mit ihren an den drei Wandseiten dekorativ
umlaufenden Säulenreihen. Vitruv nämlich beschreibt den korinthischen Saal als
gesäult; die Säulen konnten auf dem Fußboden stehen oder auf einem umlaufenden
Podium (im Haus des Meleager stehen sie einzeln auf Postamenten), die Decke war
gewölbt und kassettiert. Der kyzikenische Saal, in Italien weniger eingebürgert
als die anderen Typen, umfaßte zwei Triklinien; er wurde nach Norden gelegt und
zwar so, daß man durch tiefstehende offene Fenster in beiden Langseiten ins Grüne
sah. Der ägyptische Saal war eine dreischiffige Säulenbasilika mit überhöhtem
Mittelschiff und Fenstern zwischen den oberen Säulen. Auch von diesen reichsten
Saalformen konnte jede den Christen dienen; es kam nur darauf an, den Eigentümer
der christlichen Sache zu gewinnen.2)
Der Typus des Oratoriums in Form eines einfachen Saales blieb natürlich neben
allen allmählich aufkommenden reicheren Gestaltungen in Gebrauch. Bei einer römischen
Ausgrabung fand sich ein Mosaikboden in Größe eines ansehnlichen Zimmers; in zwei
Drittel der Hauptachse war ein Viereck angebracht, darin stand ein Kreuz, umgeben
von einem Streifen mit vielen Fischen; in den Ecken und in der Mitte der vorderen
Schmalseite stiegen aus Kantharen Weinranken, die sich über den Boden verbreiteten.
Gatti setzt das Mosaik ins dritte Jahrhundert.3)
Zwecke der Zusammenkünfte waren Verhandlungen und Ansprachen, Gebet und
Hymnengesang, sowie das abendliche Gemeinschaftsmahl. Abgelehnt wurden solche
heidnische Formen des Gottesdienstes, wie Tempelkult und Opfer. Noch im dritten
*) Leclerq bei Cabrol, Dictionn. d'archeol. chr6t. II (1907) 532 denkt sich die Erbauung im
Atrium, das Abendmahl im Triklinium.
*) Casa del laberinto und C. di Meleagro: K. Lange, Haus u. Halle Taf. 6, 1—3. — Oeeus
corintbius, cyzicenus, aegyptius (basilica): Vitruv VI 3, 8—9. 5, 2. Lange 140. 245.
3) Oratorium: Gatti, Bull. com. 1901, 86 Abb.
Die Saalkirche. 273
Jahrhundert rühmten sich die Christen, im Gegensatz zu den Heiden, weder Tempel
noch Altäre zu haben, Delubra et aras non habemus.1)
Die Saalkirche.
Aber alle Räume in Privathäusern, selbst in Palästen, waren doch nur ein Not-
behelf. Die Zunahme der Gemeinden, an Zahl und an Umfang, machte die Errichtung
eigener Gemeindesäle zur Notwendigkeit. Diese konnten dann auch für die Zwecke
der Zusammenkünfte eigens angeordnet und bleibend eingerichtet werden. Maßgebend
wurde dabei eine neue Entwicklung des Ritus.
In der mittleren Kaiserzeit (die wir von den Antoninen bis an Konstantin rechnen)
durchlebte das Christentum eine Krisis, aus der es gründlich verändert hervorging.
Es war eine zweite fundamentale Wandlung. Die erste hatte sich als Folge der
Kreuzigung vollzogen; da war die Religion, welche Jesus lebte und lehrte, zurück-
getreten hinter dem Kultus des Christus als des Erlösers in die ewige Seligkeit. Dem
Kultus stand Jesus, ähnlich den Propheten, zwar nicht geradezu feindlich gegenüber,
aber die an ihrer Ausübung und an ihr selbst geübte Kritik hätte folgerichtig zu
seiner Verneinung führen müssen. Statt dessen geschah das Widerspruchsvolle, die
Religion der Liebe wurde selbst Kultusreligion; ihr Kultus gilt nicht allein der Sache,
sondern der Person. Die nun eintretende zweite, nicht minder fundamentale Wandlung
war eine Folge des Universalismus, der Heidenmission.
Nicht ungestraft war das palästinensische Christentum in die weitere hellenistische
Welt und in deren Kultur hinausgegangen. Aus dem Heidentum, aus dem Hellenis-
mus waren die meisten Christen gekommen. Sie nahmen vieles ihnen Gewohnte mit
hinüber, sowohl Anschauungen wie Gebräuche. Es folgte eine lang dauernde und tief
greifende Auseinandersetzung zwischen Christentum und Heidentum. Deren Endergebnis
war ein hellenistisches Christentum, die letzte Gestalt der antiken, man darf sagen der
griechischen Religion, die vom römischen Weltreich und ihrer hellenistischen Weltkultur
geforderte und ihnen adäquate Weltreligion.
Zur Religion der Liebe und zum Kultus des Christus kam ein Drittes, ein eigen-
artiger Opfer- und Altardienst. Durch die Einführung der Opferidee wurden die
Gemeindebeamten zu Priestern (leosig, sacerdotes); und da es sich um einen mystischen
Kult handelte, so erhielten sie eine mystische Gewalt über die Seelen. Mit dem in
dieser Richtung bestimmten Begriff des Opferpriesters war zugleich der Gegensatz ge-
*) Minucius Felix, Üctavius 10, 2 fragt der Heide: (Christiani) cur nullas aras habent, templa
nulla, nulla nota simulacra? Der Christ antwortet 32, 1 — 3: Putatis autem nos occultare quod colimus,
si delubra et aras non habemus? quod enim simulacrum deo fingam, cum si rede existimes, sit dei
homo ipse simulacrum? Templum quod si exstruam, cum totus hie mundus eius opere fabricatus tum
capere non possit? et cum homo latius matieam, intra unam aediculam vim tantae maiestatis includam?
nonne melius in nostra dedicandus est mente? in nostro immo est consecrandus pectore? hostias et victimas
deo off er am, quas in usum meum protulit, ut reiciam ei suum munus? ingratum est, cum sit litabilis
hostia bonus animus et pura mens et sincera conscientia. igitur qui innocentiam colit, deo supplicat, qui
iustitiam, deo libat, qui fraudibus abstinet, propitiat deum, qui hominem periculo subripit, opimam vic-
timam caedit, haec nostra sacrificia, haec dei sacra sunt: sie apud nos religiosior est ille qui iustior.
Über die Entstehungszeit des Dialogs vgl. Harnack, Chronol. d. altchr. Lit. II 1904, 324. — Ähn-
lich Tertullian: altarem non habemus.
Sybol, Christliche Antike II. 18
274
Architektur und Malerei.
geben von Priesterstand und Laienstand, der Gegensatz eines Standes besonders
Erwählter, des Klerus, als einer geistlichen Aristokratie gegenüber dem Volke, den
Laien. Mit anderen Worten, es entstand die katholische Kirche. Und mit ihr,
für den katholischen Opferritus, das katholische Gotteshaus. Aus diesem Gedanken-
gang erwuchsen die Typen des altchristlichen Kirchenbaues. Und in diesem Sinne
darf man sagen, es sind nur katholische Kirchen gebaut worden.1)
Der Gemeindesaal (IxxA^ff/a ), der Betsaal (evxrroiov, Oratorium) wurde jetzt zum
Haus Gottes (olxog d-eov, domus dei), etwas später, im Verlauf des dritten Jahrhunderts,
zum Haus des Herrn (xvqiccxov, „Kirche"; dominicum). Und so wurde er zum Tempel.
Der Tempel ist das irdische Haus des Gottes, von Menschenhänden errichtet, eine enge
Wohnung für den Unendlichen. Von da an hatten auch die Christen, wie die Heiden,
sowohl Tempel als Altäre. Nach Abschluß dieser Entwicklung nennt Eusebius die
Kirchen typisch Tempel.
Nun konnten sich die Gemeinden wirklich nicht mehr mit jenen zufällig zur Ver-
fügung gestellten Privatsälen begnügen; sondern der zu dominierender Stellung empor-
gekommene Kultus verlangte für seinen Ritus, vorzüglich für den mystischen Opfer-
ritus, ein eigens errichtetes, genau auf den Zweck zugeschnittenes, ihm allein dienendes
Haus, eine Kirche. Und so beginnt hier der christliche Kirchenbau.
Bald gab es überall solche eigens errichtete Kirchen, die ausschließlich dem christ-
lichen Ritus dienten. Im dritten Jahrhundert soll man in Rom allein schon über
vierzig gezählt haben.2)
Anfangs werden reiche Privatleute sie auf ihre Kosten erbaut haben, wohl auch
auf ihren eigenen Grundstücken. In schwierigen Zeiten mochte als Eigentümer dem
Staate gegenüber der Stifter gelten; das Grundstück blieb im Grundbuch auf den
Namen des Stifters eingetragen, mit dem Kirchengebäude darauf. Tatsächlich aber
waren auch solche ihrer Gemeinde überwiesen. Daß es vor Konstantin außer den
Versammlungssälen in Privatbesitz auch dergleichen in Gemeindebesitz gab, bestätigt
das „Toleranzedikt von 313". Die Rechtsverhältnisse aber hatten keinen Einfluß
auf die Bauform; sie war ausschließlich bedingt durch den Zweck, den Kultus. Damit
erhielten die Gebäude ein eigentümliches Gepräge, das sie schon von weitem als christ-
liche Kirchen erkennen ließ.3)
Wie waren nun die ersten Kirchen gestaltet? Erhalten blieb keine, wir sind aui
den Weg der Hypothese verwiesen. Als die Aufgabe an die Baumeister herantrat,
x) Katholische Kirche: vgl. Jakob Burckhardt, Griech. Kulturgeschichte I 83 Die Kirche
als antike Polis, als die Universalpolis, religiösen Charakters, wie die Poleis alle religiösen Charakter
besessen hatten.
2) Quadraginta et quod excurrit basilicas. Opt. Mil. de schism. Donat. II 4.
3) Kraus, Gesch. I 262. 271 bestreitet, daß vor Konstantin Kirchen eigens errichtet worden
seien, weil das Christentum seit Trajan eine religio illicita war. Wenn er aber S. 272 meint, die
von Euseb. hist. eccl. VIII, 1 erwähnten Kirchen der vordiokletianischen Zeit könne man unter
der Annahme verstehen, daß sie vor dem Gesetz nur als Privatgebäude galten, so gibt er damit
alles zu. Denn für die Baugeschichte kommt es nicht auf die Bechtsform an, sondern auf die
Tatsache, daß gebaut wurde, und auf die Bauform. Eusebius sagt, die Christen hätten svpelag dvä
näaag rag nöleiq ix &£[iellu)v ixxX^alag gebaut. Wenn Eusebius de mart. Palaest. 13 sagt, wg xal
ol'xovg sig ixxlrjolctg del(iao9ai, so heißt das nicht „Wohngebäude zu Kirchen verwenden", sondern
„Säle zu bauen mit der Bestimmung, als Kirchen zu dienen". — Lact, de mort. persec. 12 in alto
constituta ex palatio videbatur.
Die Saalkirche. 275
Kirchen zu bauen, da konnten sie keinen Augenblick in Verlegenheit sein. Die heid-
nische Baukunst, der Griechen, hatte so vieles geschaffen, nicht bloß für die Bedürf-
nisse ihrer Heimat, sondern auch in weitgehender Weise für die anderer Völker, ins-
besondere der Römer, sie hatten ihre gewohnten Schemata so oft und so vielseitig im
Sinne neuer Zwecke ausgestalten müssen, daß für jedes auftretende Baubedürfnis im
voraus gesorgt war, man brauchte nur aus dem aufgespeicherten Schatz zu schöpfen.
Zu allem Überfluß blieb jedes Planschema duktil, und konnte den Besonderheiten des
Einzelfalles leicht angepaßt werden.
Verlangt wurde, wie von Anfang an der Fall gewesen war, ein geräumiger Saal.
Länglich viereckig war die Eegel gewesen, bei den Oeci wie bei den Tempeln, in die
Tiefe gehend, mit dem Eingang in der schmalen Front. Verlangt wurde zweitens ein
gesonderter Platz für den Klerus, ein Presbyterium. Jede Gemeinde hatte ihren Vor-
stand und Lehrer, ihren Presbyter oder Bischof; wuchs sie so an, daß ein Gemeinde-
saal nicht reichte, so wurden in angemessener Zahl Parochialkirchen gebaut (so die
tituli in Rom). Der Platz des Presbyters oder Bischofs war der Gemeinde gegenüber,
vor der hinteren Schmal wand. Wie in der Schule, auch in der antiken, der Lehrer
unmittelbar vor den Schülern sitzt, so mußte auch Presbyter und Bischof der Gemeinde
unmittelbar gegenübersitzen, um auf seine Hörer wirken zu können; der Abendmahls-
tisch muß soweit beweglich gewesen sein, damit er nicht störend zwischen Sprecher
und Hörern stehe. Erst nachdem der Tisch den Charakter eines Opferaltars an-
genommen hatte, konnte die Entwicklung des Ritus dahin fuhren, dem Tisch oder
Altar eine feste Stelle zu geben, dem Bischof aber eine wechselnde. Diese Entwicklung
wird sich bereits in unserem Zeitraum vollzogen haben.
Den Anforderungen entsprach sehr gut ein Bautypus, der vielfach angewendet
auch die nötige Flüssigkeit besaß, sich allen Einzelfällen anzupassen: ein in die Tiefe
gehender Saal mit dem Eingang in der schmalen Front und Ausbau im Fond. Der
Ausbau konnte einen Suggestus enthalten, oder er mochte sich im ganzen über den
Fußboden des Saals erheben, um wenige oder um mehrere Stufen; er selbst konnte
rechteckig oder halbrund sein; das waren untergeordnete Modifikationen, die je nach
Bedarf eintraten, das Ganze blieb im Rahmen des Typus. Er kommt monumental vor,
Hauptbeispiele finden sich in Pompeji, wo drei solcher Gebäude nebeneinander an
der Südseite des Forums stehen. Das mittlere und architektonisch am reichsten aus-
gestattete, mit Wandsäulen, hat im Fond einen hohen Suggestus vor rechteckiger ge-
säulter Bildnische, die beiden andern aber ein hinausgebautes Halbrund, das eine mit
umlaufender hoher Bank, wie man annimmt zum Aufstellen von Statuen. Die drei
Gebäude gelten als Amtsräume städtischer Behörden, andere erklären sie als Zunft-
häuser [Abb. 81]. Wir haben hier keinen Anlaß, auf die Frage einzugehen, welche
Bestimmung die drei pompejianischen Gebäude hatten; auch die andere Frage lassen
wir unerörtert, als zwecklos, ob die Christen bei ihrem Kirchenbau heidnische Amts-
oder Kollegienhäuser zum Vorbild genommen haben oder nicht. Die uns angehende
Frage liegt lediglich auf dem Gebiete der Kunst und der Kunstformen, und zwar im
Rahmen der Antike. Die Sache liegt genau wie bei den figürlichen Typen. Wir
sagten dort, der Kopf des Guten Hirten und der zweite, jugendlich lockige Christustyp,
sind nicht abgeleitet vom Apollon, oder vom Dionysos, oder vom Eubuleus, usf., sondern
alle diese Köpfe sind Anwendungen, Ausprägungen des einen zugrunde liegenden Typus
Jugendlich lockiger Kopf, der Gute Hirt aber und der Christus sind nur neue Speziell
18*
276 Architektur und Malerei.
immer derselben Gattung, eben des jugendlichen Typus. Der Künstler, in diesem
Falle der Menschenbildner (den Götterbildner mit eingeschlossen) bewahrt in seiner
Vorstellung eine Anzahl schematischer Kopftypen, den allgemeinen Typ Mensch, die
besondern Typen Mann, Weib, Jüngling usf. Der Bildhauer, der ein Porträt zu schaffen
sich anschickt, z. B. eines Jünglings, baut seinen schematischen Jünglingskopf auf; dann
genügen einige Drucker, um das Schema dem Naturvorbild entsprechend zu indivi-
dualisieren. So steht es auch mit dem Architekten. In seiner Vorstellung bewahrt er
einen Schatz schematischer Raumformen; tritt eine Aufgabe an ihn heran, so wählt
er den zutreffenden Raumtypus und paßt ihn den Besonderheiten des Falles an. Als
nun die Aufgabe, einschiffige Kirchen zu entwerfen, zuerst an einen Baumeister heran-
trat, da griff er nicht zur Nachahmung heidnischer Kurien oder heidnischer Scholen,
sondern er wendete den für den Zweck geeigneten Raumtypus an; so reihte er den
bereits vorliegenden Ausprägungen desselben, mögen sie Magistraten, Kollegien oder
wem immer gedient haben, noch eine weitere an. Das blieb natürlich immer innerhalb
der Antike. Für den Klerus paßte weniger ein hoher Suggestus als eine vielleicht nur
einstufige Erhöhung; sehr dienlich war ihm die Apsis, mit der Stufe zusammen gab
sie seinem Auftreten Autorität.1)
Antike Abbildungen wahrscheinlich christlicher Gebäude (eines ist durch das auf
ihm angebrachte Christusmonogramm beglaubigt) gibt der Sarkophag Lat. n. 174
G 323, 5. 6 an seinen Schmalseiten. Der Sarkophag pflegt in das vierte Jahrhundert
datiert zu werden. Wegen des Christusmonogramms auf der Spitze eines Rundbaues
braucht man ihn nicht erst in konstantinische oder nachkonstantinische Zeit zu setzen.
Diejenigen dürften recht haben, welche das Monogramm bereits als vor Konstantin
gebräuchlich anerkennen; denn der Kaiser hätte es nicht auf die Schilder der Soldaten
setzen können, sei es in eigner abergläubischer Meinung oder um sich den soldatischen
Aberglauben zunutze zu machen, wenn es nicht als Zeichen des Christus bekannt ge-
wesen wäre. Daher kann sein Vorkommen am lateranischen Sarkophag uns nicht ab-
halten, ihn vor Konstantin zu setzen. Seine Architekturbilder haben wir an dieser
Stelle weder als Ganzes zu untersuchen noch in allen Einzelheiten; wir beschränken
uns auf die Betrachtung eines einzigen der dargestellten Gebäude, nämlich der ein-
schiffigen Kirche im Hintergrund des Quellwunders an der rechten Schmalseite; unter
den übrigen Gebäuden mögen noch mehr einschiffige Kirchen sein, doch ist bei keinem
die Darstellung so klar, daß wir sie verwerten möchten. Unsere Kirche also ist wie
alle anderen Gebäude Quaderbau mit dekorativ betontem Fugenschnitt. Der Bild-
hauer bringt mit der Seitenansicht von Apsis und Langhaus gleichzeitig auch die
Fassade zur Anschauung, dadurch daß er sie um einen rechten Winkel dreht, dem
Beschauer zu. Über der ganz offenen hohen Pforte (Torflügel sind nicht angegeben,
x) Pompeji: Nissen, Pompejanische Studien 306. Overbeck-Mau, Pompeji 41884, 139 Fig. 80.
Mau, Pompeji 1900, 110 Fig. 53. Konrad Lange, Haus und Halle 294. — Schola: Lange, Haus
und Halle 290. Mau, Rom. Mitteil. 1890, 278. Hülsen, eb. 289. Gatti, Bull. com. 1891, 161.
Schulten, Archäol. Anzeiger 1899, 72. 1902, 61. Maaß, Tagesgötter 1902, 97. — Es sei noch auf
die Curia der Stadt Rom, des Diokletian, hingewiesen (jetzt San Adriano), bei Hülsen, Köm.
Mitteil. 1905, 47 Fig. 9—12; sowie auf eine Schola oder Curia bei den Thermae Titianae et
Traianae bei Ricci, Bull. com. 1891, 196 mit Plan. Die von Friedrich Wilhelm IV. zur evan-
gelischen Kirche ausgebaute Backsteinruine in Trier, die dort sog. Basilika, wurde vor dem Aus-
bau leider nicht untersucht und aufgenommen.
Die Saalkirche. 277
die Portieren zurückgenommen) reihen sich drei Fenster, ein viertes durchbricht die
Wand des steilen Giebels, der das untere, wagerechte Gesims bewahrt. In der Wand
des Langhauses stehen zwei Rundbogenfenster. Die Apsis, schmäler und niedriger als
das Langhaus, wird ebenfalls durch Fenster erhellt, deren zwei sichtbar sind, und ist
anscheinend von einer Halbkuppel bedeckt. Apsiskuppel und Langhausdach sind mit
Dachpfannen antiken Systems eingedeckt [Abb. 83].
Von einschiffigen Kirchen ist wenig erhalten und das Wenige ist spät, gehört
frühestens dem vierten Jahrhundert an. Bei den Diokletiansthermen führte — de Rossi
zufolge — eine Straße zwischen einer offenen Bottega und einem Privathaus durch.
In christlicher Zeit, etwa um die Wende des vierten zum fünften Jahrhundert, wurde
das Stück Straße zwischen Bottega und Haus zu einem Oratorium oder einer kleinen
Hauskirche hergerichtet, mithin üherdacht und mit gewölbter Apsis versehen; in ihrer
Wand sind drei Nischen ausgespart, die aber nicht auf den Boden herabreichen. Die
Apsis wurde ausgemalt, in eine obere Zone stellte man Figuren, deren Bedeutung
nicht mehr festgestellt werden kann, in eine untere eine Marine, in bekannter helle-
nistischer Art fischreiches Gewässer belebt von bemannten Kähnen. Gleichzeitig wurde
auch die an das Schiff angeschlossene Bottega dekoriert. Die oberen Figuren können
Apostel oder sonstige christliche Gestalten gewesen sein, die Seeszene unten kann
christlich gemeint sein; dazu will de Rossi auf einem abgefallenen Stück Bewurf das
Christusmonogramm gefunden haben. — Eine großartige Villen- und Palastanlage
(vielleicht des Sex. Varius Marcellus und später seines Sohnes, des Kaisers Elagabal)
ist durch die Aureliansmauer in zwei Hälften zerschnitten; innerhalb der Stadt gehört
dazu der große Saal, aus welchem durch Zufugung einer Apsis die Kirche S. Croce
in Gerusalemme geschaffen ist.1)
Einschiffige Kirchen des vierten Jahrhunderts machte Truhelka bekannt, aus
Bosnien und der Herzegowina. Sie gehören nach ihm der antiken Kultur des
Landes im vierten Jahrhundert an, die 393 durch die Goten vernichtet wurde. Diese
Kirchen haben Apsiden, von denen nur einzelne außen polygon gestaltet sind. Sie
pflegen vorn in der Apsis einen Tischaltar zu besitzen (erhalten ist die Fußplatte mit
fünf Eintiefungen für die Stützen), außerdem in dem reichsten Exemplar eine um-
laufende Presbyterbank mit Stufen für den Bischofsstuhl, außerdem gleich vor der
Apsis an die Seite gerückt einen Ambo.2)
In das fünfte Jahrhundert datiert de Vogtie* die einschiffige Kirche zu Babuda.
— Einschiffige Kirchen fand Crowfoot in Kleinasien als verlassene Ruinen, Strzygowski
teilt sie mit. Dergleichen kommt in Lykaonien vor (Binbirkilisse) und in Kappadokien,
über dem Halys, die Ruine heißt Jedikapulu. Die Fassade blickt nach Westen, der
Eingang ist abweichend von der Regel in der langen Südseite. Die Apsis, von drei
Fenstern erhellt, hat außen polygonen, innen hufeisenförmigen Grundriß; die Form des
*) Oratorium: de Rossi, Bull, crist. 1876, 37, Taf. 6—7. — S. Croce: Lib. pontif. ed.
Mommsen I 61, 25: Eodem tempore fecit Constantinus Augusius basilicam in palatio Sossorianum,
tibi etiam de ligno sandae crucis domini nostri Jesu Christi posuit et in auro et gemmis inclusit, ubi
et nomen ecclesiae dedicavit, quae nominatur usque in hodiernum dient Hierusalem. Dehio u. Bezold,
Kirchl. Baukunst d. Abendlands I 83 Taf. 15, 12. Lanciani, Mon. Lincei 1890, 490 Taf. 2, 3.
Hülsen, Rom. Mitteil. 1892, 300. 1896, 124 Plan. 130. Stegensak, Rom. Quartalschr. 1900, 177. Eine
spätere Zeit baute das Querschiff und die zwei Säulenreihen hinein. Letzter Umbau 1743.
2) Truhelka, Rom. Quartalschr. 1895, 198 mit Grundrissen.
278 Architektur und Malerei.
Hufeisens beschreibt auch ihr Eingangsbogen. Die Kirche, in Quaderbau aufgeführt,
war überwölbt. Anhaltspunkte zur Datierung des Denkmals liegen nicht vor; wegen
der Hufeisenform des Bogens und der Apsis wird es nicht allzufrüh sein.1)
Die Basilika.
Kaiser Konstantin verschaffte dem Christentum die staatliche Anerkennung; damit
machte er Epoche in der Geschichte des Christentums. Es ist herkömmlich, die voraus-
liegenden Jahrhunderte als Zeit der „Verfolgung" zu charakterisieren, die nachfolgenden
als Zeit des „Friedens". Als ob das Christentum das harmlose Lamm gewesen wäre,
das nie ein Wässerlein trübte, das Heidentum aber der böse Wolf, der nur darauf
ausging das Lamm zu fressen. Der angreifende Teil war doch das Christentum, das
Heidentum handelte in Notwehr und in der harten Art, welche nach ihrem endlichen
Siege die Kirche von ihm übernahm; man muß von ihrem Kampf und erobernden
Vordringen reden, wie sie das Heidentum Schritt für Schritt zurückdrängte und den
Staat (gerade der antike Staat war religiös) durch Verweigerung des Kultus im Innersten
beunruhigte. Der Eroberungszug hat ihm viel Blut gekostet; aber die Märtyrer wollen
nicht beklagt, sondern beglückwünscht sein, sie fielen auf dem Schlachtfeld und gingen
ein zu den ewigen Freuden Walhallas.
Da war es Konstantin, der, in schwerem Bingen mit seinen Nebenbuhlern be-
griffen, mit dem Blick des Kaisers erkannte, daß im Christentum die stärkere Kraft
bereit stand; so machte er die Sache des Christentums zu der seinen, und so siegten
beide zusammen, der Kaiser und das Christentum. Es gewann den Sieg und hat ihn
verfolgt bis zur Vernichtung des Gegners. Aber er war teuer erkauft, immer neu
zollte es der geschichtlichen Notwendigkeit. Ihr zollte die „Religion der Liebe" mit
ihrer ganzen Theologie, mit ihrer Hoffnung (noch Paulus, so hoch er die Hoffnung
und den Glauben wertete, über beide stellte er die Liebe), mit dem Personen- und
dem Opferkult einschließlich des Priestertums (zugleich wurde die Liebe selbst zum
Ritus degradiert). Nun gar die letzte Ate, der Bund mit der politischen Macht. Von
seinem ersten Tage an hatte das Christentum auf persönlicher Autorität gestanden;
ihr schob sich bald genug die Autorität des Amtes unter mit seiner mystischen Ge-
walt über die Seelen; endlich verband sich die Kirche mit der politischen Macht. Der
Bund hat ihr große äußere Erfolge eingebracht, hat sie selbst aber vollends entseelt.
So vollendet sich denn ihr Schicksal. Die Liebe aber schaut aus nach reineren Händen,
denen sie ihre Sache anvertrauen könne.
Seinen und der Kirche Sieg zu verherrlichen und zu verewigen, ließ Konstantin
Triumphalbauten errichten, zweierlei Art, einerseits durch den Senat den herkömmlichen
Triumphbogen — er steht noch heute zu Rom unterhalb des Palatin, am Eingang zur
Stadt von der Via Appia her, andererseits im eignen Namen glänzende Triumphalkirchen
über den Gräbern der christlichen Heroen, voran des Christus, und sinnverwandte
Denkmalskirchen. Dazu erfolgte allgemein eine Neubelebung des Kirchenbaues, alte
Kirchen wurden hergestellt, vergrößert, neue erhoben sich vielerorts. Zuerst hören wir
*) de Vogüö, Syrie centrale Taf. 67. — Crowfoot bei Strzygowski, Kleinasien 28 Abb.
22 Grundriß.
Die Basilika. 279
von Ty rus, wo sich die hervorragendste Kirche des Landes Phönizien befand; bald nach dem
Sieg Konstantins über Maxentius stellte Bischof Paulinos sie glänzend her, dreischiffig, mit
Apsis und Narthex, Atrium und Brunnen, angebauten Kapellen, das Ganze in weitem
Peribolos mit stattlichem, nach Osten blickendem Torbau (Euseb. Kirchengesch. X 4, 1. 37 ff.).
Dann aber setzte Konstantins eigne Bautätigkeit ein, zuerst im Heiligen Lande;
der Bischof der Hauptstadt Cäsarea, Eusebius, berichtet darüber in seinem rhetorischen
Stil (Leben Konstantins HI 2 5 ff.). An der Spitze der konstantinischen Triumphal-
kirchen steht die über dem Christusgrab. Wie Eusebius selbst bezeugte, kannte
niemand das Grab, niemals hatte sich irgend jemand darum gekümmert, wider alles
Erwarten kam es zum Vorschein. Die Heiden, so berichtet Eusebius, hatten es zu-
geschüttet und hoch Erde darüber gehäuft, ein Paviment darauf gelegt und einen
Aphroditetempel obenauf gebaut. Konstantin ließ ihn abbrechen und den Boden auf-
graben, bis die Grabgrotte zum Vorschein kam. An was für Kennzeichen er das
„Denkmal der Unsterblichkeit" erkannte, darüber schweigt Eusebius. Der Kaiser ist
selbst nicht in Jerusalem gewesen; er muß es also „instinctu divinitatis" getan haben,
oder eher „ex suggestione episcopi". Kurz, der Kaiser fand das Heilige Grab, das er
brauchte. Den Bau gab er dem Bischof Makarios von Jerusalem in Auftrag, durch
einen Brief, den Eusebius mitteilt. Ein reichverzierter Torbau, die Propyläen des
Ganzen, trat heraus bis auf den vorliegenden Platz. Es folgt der peristyle Vorhof
(das Atrium). Drei Türen führten zunächst in eine Basilika, auf deren glänzende Aus-
stattung Konstantin ganz besonderen Wert legte. Ein zweites Atrium, von zwei-
geschossigen Säulenhallen umgeben, mit einem seitlichen Ausgang nach Süden, verband
die Basilika mit dem eigentlichen Heiligtum, dem Heiligen Grabe, das ein prächtiger
Säulenbau umschloß. Weil das Grab als Denkmal der Auferstehung verehrt wurde,
das will sagen der Unsterblichkeit, des Christus, und durch ihn der Christen, so heißt
das Heiligtum Auferstehungskirche, Anastasis. Und weil dem Christen alles auf
die Unsterblichkeit ankam, so war dem Kaiser der Bau gerade dieser Kirche die
wichtigste Angelegenheit (Euseb. Leb. Konst. III 25 — 40).
Auf dem Olberg erbaute, Eusebius zufolge, Konstantins Mutter Helena, die per-
sönlich den Orient bereiste und die heiligen Stätten verehrte, die Himmelfahrts-
kirche (Analepsis), in Bethlehem die Geburtskirche; der Kaiser aber stattete die
drei soweit genannten Kirchen mit den kostbarsten Weihgeschenken aus (Euseb. eb.
HI 41 — 43). In allen Eparchien des Landes ließ er neue Kirchen erstehen, stattlicher
als die früheren (eb. 47, 4). Auch gab er dem Bischof Makarios die Weisung, im
Haine Mamre eine Kirche zu bauen, weil es auch der Erlöser gewesen sei, der dem
Abraham im Haine Mamre erschien (nach Moses I 18, 1. Euseb. eb. HI 51 — 53).
Ferner errichtete er in Antiochien, „dem Haupte Syriens", ein Riesenoktogon in
weitem Peribolos (Euseb. eb. III 50), und unter anderem in Heliopolis in Phönizien
eine Kirche, wiederum an der Stelle eines Aphroditetempels (eb. III 58).
Endlich stattete Konstantin die Residenzen mit Kirchen aus. In Nikomedien,
seit Diokletian Residenz, errichtete er eine gewaltige Triumphalkirche „als Weihgeschenk
seinem Erlöser, zum Danke für den Sieg über seine Widersacher, die Gottesfeinde"
(eb. III 50). In seiner eignen Gründung, in Konstantinopel, erbaute er viele Basi-
liken und Märtyrerkirchen, in und außer der Stadt (eb. III 48 — 49). Besondere Auf-
merksamkeit verdient die Apostelkirche, so genannt weil Reliquien der Apostel
darin aufbewahrt wurden. Sie war zur Kaisergruft bestimmt, als erster wurde Kon-
280
Architektur und Malerei.
stantin in ihr beigesetzt (eb. IV 58 — 60. Sein Begräbnis IV 70). Erwähnt sei noch
die goldne Crux gemmata, die er im Hauptsaal des Palastes, in der Mitte des Lakunars,
anbringen ließ, als „Phylakterion der Kaiserresidenz", sagt Euscbius eb. III 49). Kon-
stantin lebte ganz in den heidnischen Vorstellungen, auch des heidnischen Aberglaubens;
daher die Triumphalmonumente, die Weihgeschenke, die Phylakterien.
Der Bischof von Cäsarea redet nur von Konstantins Bauten im Osten, um-
gekehrt das römische Pontifikalbuch nur von solchen im Westen. Zur Zeit des Bischofs
Silvester (314 — 336) errichtete der Kaiser folgende Basiliken, die er zugleich auch
reich ausstattete. In Rom die Basilika Constantiniana (die Lateransbasilika), dazu
das Baptisterium, in dem er selbst sich danach taufen ließ. Auf Ersuchen des
Bischofs die Peters- und die Paulsbasilika, eine jede über dem betreffenden Grabe.
Eine Basilika im Palatium Sessorianum, in der er auch eine Partikel vom heiligen
Kreuz niederlegte (Santa Croce in Gerusalemme). Auf Bitten seiner Tochter Constantia
eine Basilika der heiligen Märtyrerin Agnes und ein Baptisterium ebenda, in dem
seine Schwester und seine Tochter vom Bischof Silvester getauft wurden. Auf dem
Ager Veranus an der Via Tiburtina eine Basilika des seligen Laurentius. An der
Via Labicana am dritten Meilenstein, inter duos lauros, eine Basilika der seligen
Märtyrer, des Presbyter Marcellinus und des Exorcisten Petrus, und ein Mauso-
leum für seine Mutter, die Kaiserin Helena. Ferner auf Suggestion des Bischofs in
Ostia, beim Hafen der Stadt Rom, eine Basilika der seligen Apostel Petrus und
Paulus und des Täufers Johannes. In der Civitas Albanensis (Albano) eine
Basilika des Täufers Johannes. Eine Basilika in Capua, zu Ehren der Apostel,
unter dem Namen Basilica Constantiniana. Eine Basilika in Neapel. Im eigenen
Namen errichtete Bischof Silvester auf einem Grundstück des Presbyter Equitius, bei
den Thermen des Domitian (Titus), eine Pfarrkirche, den Titulus Equitii. In der-
selben Gegend noch eine Pfarrkirche unter seinem eigenen Namen, als Titulus Sil-
v es tri. Noch zur Zeit des Konstantin erbaute Bischof Marcus (336 — 337) zwei
Basiliken, eine an der Via Ardeatina, die andere in der Stadt.1)
Die beiden Quellen, auf deren Benutzung wir uns hier wohl beschränken dürfen,
sind nicht ganz einwandfreie Zeugen; doch werden die vorstehend ausgezogenen No-
tizen ein im ganzen der Wahrheit nahekommendes Bild von der kirchlichen Bautätig-
keit unter Konstantin geben.
An deren Spitze also stand die kultliche Schöpfung und künstlerische Fassung
des Christusgrabes in Jerusalem. Zunächst geht uns nur die Basilika vor dem
Grabbau an.
Indem Konstantin den Bau im übrigen unter die Aufsicht und Fürsorge des
Dracilianus, des Eparchen des Ostens für 326, stellt, erwähnt er in seinem Brief an
Makarios im einzelnen kurz die Mauern, die Säulen, die Decke; für letzte überläßt er
die Wahl ihrer Konstruktion dem Bischof, scheint aber seinerseits an eine kassettierte
Holzdecke zu denken. Man sieht, ihm schwebt vor allem ein großartiges Langhaus
vor, das geeignet wäre, Tausende von Menschen darin zusammenströmen zu lassen.
x) Mon. Germ. hist. Gesta pontificum Eomanorum I Libri pontificalis pars prior ed. Theod.
Mommsen 1898, XXXIV 9 Huius (Silvestri episcopi) temporibus fecit Constantinus Augustus basi-
licas istas, quas et ornavit: basilicam Constantinianam, ubi posuit ista dona — — . 13 Fontem
sanctum, ubi baptizatus est Augustus Constantinus . 16 Eodem tempore Augustus Constan-
tinus fecit ex rogatu Silvestri episcopi basilicam beato Fetro apostolo eqs.
Die Basilika. 281
Die Bauidee der Kirche nach Plan und Aufbau erst noch zu entwickeln, hatte der
Kaiser nicht nötig, das Wort Basilika gab das Programm. Da wußte Makarios, was
der Kaiser wollte, eine große Prachtbasilika, „würdig seines Ehrgeizes", wie Konstantin
an ihn über den Bau im Haine Mamre schreibt. Aber das Wort Basilika, was ist
damit gemeint, in was für „Basiliken" soll Makarios das Schema für den Neubau finden,
in den heidnischen Marktbasiliken oder in basilikalen Kirchen? Gab es schon vor
Konstantin basilikale Kirchen, mehrschiffig, mit Überhöhung des Mittelschiffs?1)
Der Name Basilika für christliches Kirchengebäude erscheint in der erhaltenen
Literatur zuerst in Konstantins Brief an den Bischof Makarios. Damit wird die An-
nahme nahegelegt, es sei eben Konstantin gewesen, der Namen und Typus der christ-
lichen Basilika einführte, und zwar indem er die Prachtbasilika vor dem Christusgrab
in Auftrag gab. Das wäre dann der Schöpfungsakt der christlichen Basilika gewesen.
Konstantin schärft dem Bischof ein, dafür Sorge zu tragen, daß nicht allein eine Basilika
entstehe, bedeutender als alle irgendwo bestehenden, sondern daß auch das Übrige so
ausfalle, daß die schönsten Bauwerke in jeder Stadt von dieser Schöpfung übertroffen
würden (10g od fiovov ßaoiXixrjv tüjv onta.vxayfiv ßeXriova äXXa xal rä Xoiitä rouxvra
yevio&ai, wg 7tävxa tä ecp* exdoTrjg xaXXiozsvovra TtoXecog vnb xov xrlo^iarog rovtov
vixäoöcu, Euseb. Leb. Konst. III 31). Das „Übrige" außer der Basilika, das ist die
Grabeskirche, das wiederholte Atrium und das Propylaion, soll an Pracht alles über-
treffen, was es in den Städten, also doch den damaligen Großstädten in Ost und West,
Schönes gab. Nun waren bis auf Konstantin die größten und schönsten Bau-
werke, von Antiochia bis Rom, heidnische; so scheint auch die neue Basilika alle
irgendwo bestehenden Basiliken ausstechen zu sollen, gerade die heidnischen Pracht-
basiliken wie die Ulpia. So hat Lange S. 324 die Stelle verstanden; vor Konstantin
habe es noch keine christlichen Basiliken gegeben, Konstantin verweise den Bischof
auf den Typus der Forumsbasilika als das zutreffende Muster für die Triumphalkirche.
Dagegen glauben Mau und Hauck gerade aus unserer Stelle schließen zu sollen, der
Kaiser setze bereits den christlichen Basilikatypus als bekannt voraus, es habe dem-
nach schon vor ihm Ausführungen gegeben. Die strittige Interpretation der Stelle sei
den Philologen zur Klarstellung empfohlen.
Die christliche Basilika, den reichsten Typus der Kirchengebäude, kennen wir
als drei- bis fünfschiffige Halle, bisweilen mit vorderem Querschiff; es kommt vor,
daß die Nebenschiffe Emporen haben; das Mittelschiff ist überhöht. Die Halle steht in
räumlicher Verbindung mit dem im Fond anschließenden Presbyterium, das in der
Regel als halbkreisförmige Apsis, seltener im Rechtecke geschlossen ist; als Erweiterung
des Presbyteriums schiebt sich gern zwischen Halle und Apsis, nach beiden weit ge-
öffnet, ein Querhaus von der Höhe des Mittelschiffs. Der Vorhof pflegt peristyl zu
sein, nicht leicht fehlt eine Vorhalle.2)
Das etwa ist das Schema der christlichen Basilika. Die erste Frage geht nach
ihrem Ursprung. Nun wird der Leser, wenn er mit der Basilikaliteratur vertraut ist,
*) Dracilianus: Seeck bei Pauly-Wissowa V 1633.
2) Außer auf die Handbücher der christlichen Archäologie und der altchristlichen Archi-
tektur ist noch auf Leclercq in Cabrols dictionnaire d'arche'ologie et de liturgie II 525 Art.
Basilique zu verweisen. [Unsere Abb. 87 — 89].
282 Architektur und Malerei.
erwarten und vielleicht befürchten, wieder einmal eine Abhandlung lesen zu müssen,
die zum so und so vielsten Male versucht, die christliche Basilika von diesem oder
jenem „antiken" — gemeint ist heidnischantiken — Bautypus „abzuleiten"; einen Ver-
such mithin, der von vornherein dem neuerdings öfter ausgesprochenen Verdikt ver-
fallen wäre, daß noch alle solche Ableitungsversuche mißlungen seien. Und wir wären
mitten in den so end- wie fruchtlosen Streit hineingeraten, von dessen Irrgängen wir
uns schon in verschiedenen Kapiteln dieses Buches fernzuhalten bemühten. Stellen
wir noch einmal die Frage richtig. Wir gehen aus vom antiken Charakter der alt-
christlichen Kunst. Der Satz vom antiken Charakter des Christentums, insbesondere
gerade desjenigen, welches in der Kunst sich ausspricht, und mit Einschluß dieser seiner
Kunst, ist dem klassischen Philologen und Archäologen nicht eine These, die erst noch
des Beweises bedürfte, sondern ein Gegebenes, das sich auf Schritt und Tritt bestätigt,
er ist für ihn ein Ausgangspunkt; und er wird ja auch, wenigstens in Worten, mehr
und mehr zugegeben. Mit Anerkennung dieses Satzes weicht die falsche Gegenüber-
stellung antiker und christlicher Kunst der richtigen heidnischer und christlicher Antike.
Und mit der Erkenntnis, daß die christliche Kunst nicht Tochter der Antike ist,
sondern selbst Antike, retten wir der christlichen Kunst die Fähigkeit zu selbständiger
Erfindung, immer im Rahmen der Antike und vermöge des noch vorhandenen Restes
antiker Schöpferkraft im Gebiete der Kunst. Der Begriff der christlichen Antike löst
auch das Basilikaproblem, vielmehr, erlöst uns von ihm.
Wir sahen, wie in der frühchristlichen Zeit die Gemeinden sich in Räumen von
Wohnhäusern versammelten, teils in Obergeschossen, meist wohl von Miethäusern, teils
zu ebener Erde in den mehr oder minder palastartigen Einfamilienhäusern. Wir be-
merkten, daß von den Räumen der letzteren sich das Atrium weniger eignete, wegen
des zentralen Impluviums; ferner, daß es einer Gemeinde nie auch nur in den Sinn
kommen konnte, sich im Peristyl zu versammeln, das ist im umsäulten Garten. Geeignete
Räume boten sich nur in den Sälen, den großen Triklinien und Oeci, wie sie haupt-
sächlich hinter dem Peristyl lagen, einerlei ob quer oder in die Tiefe gehend. Auch
das war gleichgültig, ob sie schlicht waren oder umsäult (die Säulen konnten auch
bloß an die Wand gemalt sein in der Weise von Mau's „zweitem Stil") oder gar einen
überhöhten Mittelraum besaßen. Aber aus keinem dieser Räume konnte sich die
Basilika entwickeln, auch schon deshalb nicht, weil das Wesentliche des vermeintlich
zu Entwickelnden längst anderweit vorhanden war, also nicht erst entwickelt zu werden
brauchte, nämlich der geforderte Raumbau.
Viele der Versuche, die christliche Basilika von dieser oder jener älteren Bau-
form abzuleiten — das muß hier kurz erwähnt werden, um der Aufgabe der Ein-
führung gerecht zu werden — leiden an dem Fehler mangelnder Raumanschauung.
Die Ableitung vom Atrium beruht auf einer verführerischen Ähnlichkeit des Grund-
rißschemas; die Raumfolge Atrium corinthium, breiterer Querraum mit Marmortisch,
Tablinum, schien der Raumfolge Langhaus, Querhaus mit Marmormensa, Apsis zu ent-
sprechen. Mangelnde Raumanschauung ließ das kirchliche Querhaus gegenüber dem
Querraum des Atriums nur mit seinem Plan, nicht mit seinem Aufbau und Raum-
gehalt in Rechnung stellen; daß aus dem Impluvium sich das Mittelschiff der Basilika
nicht entwickeln konnte, folgt aus dem früher Gesagten; und aus dem viereckigen
Tablinum konnten nicht halbrunde Apsiden werden. — Das Langhaus vom Peristyl
ableiten, hieße den Typ der Kirche aus dem Typ des Kreuzgangs entwickeln. Freilich
Die Basilika. 283
war die Meinung, der Garten wäre überbaut worden; dazu aber war das Peristyl zu
schwach, man hätte es abbrechen müssen, um auf dem nun freien Grundstücke eine
Kirche zu bauen; und hätte sie sich an den Grundriß des ehemaligen Peristyls ge-
halten, so wäre die Kirche statt länglich annähernd quadratisch ausgefallen. Wenn
der Oecus die Apsis abgegeben hätte, so wären die ältesten Apsiden wieder viereckig
geworden, statt halbrund; eine so scharfe Scheidung des Presbyteriums von der Ge-
meinde, wie sie hier durch das zwischenfallende Stück Säulenhalle bewirkt worden
wäre, hätte dem Mittelalter vorgegriffen. — Ich darf diese beiden Hypothesen nicht
verlassen, ohne zu erwähnen, daß sie zuletzt beide anerkennen, für die Ausführung
des Langhauses sei denn doch die Forumsbasilika Vorbild gewesen. Wozu dann die
ganze „Ableitung"?1)
Ein andrer methodischer Fehler ist es, seinen Ausgang nicht von der Hauptsache
zu nehmen, sondern von einem Nebenumstand. Man muß unterscheiden zwischen dem
kultisch und dem architektonisch Bedeutenden. Für den katholischen Opferdienst
war kultische Hauptsache das den Altar umschließende Presbyterium; ein für die Aus-
gestaltung allerdings maßgebender Punkt. Bauliche Hauptsache dagegen war das
Langhaus, die große mehrschiffige Halle. Das wirkliche Verhältnis zwischen diesen
beiden Raumteilen ließ z. B. die Atriumhypothese außer acht. Ähnlich J. P. Richter,
da er sich Querhaus und Apsis der Basilika als eine starke Vergrößerung des Arko-
sols und der Mittelapsis einer Cella cimiterialis erklärte (Die Cella trichoros werden wir
unten kennen lernen, es ist ein kleeblattformiges Oratorium für den Grabkultus. Aller-
dings pflegt der katholische Tischaltar auf einem Grabe zu stehen oder wenigstens
Reliquien unter oder in sich zu bergen). Mit der so entstandenen Apsis sei dann der
ins Große gesteigerte frühchristliche Gemeindesaal verbunden worden. Von dieser
Annahme nicht allzuweit ab liegt, was de Rossi und Kraus meinten; die christliche
Basilika sei im Zeitalter Konstantins durch das Zusammentreten zweier Faktoren ent-
standen; einmal der in einer oder drei Apsiden ausladenden Cella cimiterialis, und
zweitens der großen dreischiffigen Halle, sei es der forensen, sei es der Privatbasilika.
Ein wesentliches Motiv für diese Hypothese war die irrige Voraussetzung, es könne
vor Konstantin noch keine Stadtkirchen gegeben haben, nur Coemeterialoratorien;
daher müsse die konstantinische Basilika sich von letzteren herleiten. Alle drei Ab-
leitungen fassen die Sache am falschen Ende an.2)
Zunächst haben wir ein paar ganz abweichende Erklärungsversuche der Basilika
x) Zestermann, Die antiken und die christlichen Basiliken 1847 meinte, die heidnische
und die christliche Basilika seien unabhängig voneinander entstanden ; nur wegen einer zufälligen
Ähnlichkeit sei letztere auch Basilika genannt worden. Ihm widersprachen die Archäologen Ur-
lichs, Die Apsis der alten Basiliken 1847, Brunn im Kunstblatt 1848, 19 u. a. Kinkel, Gesch.
d. bild. Künste bei den ehr. Völkern 1845 sah in der Hausbasilika das Vorbild für kleinere Kirchen,
die großen führte er auf die Marktbasilika zurück. Ohne letztere Einschränkung schrieben für
die Ableitung von der Hausbasilika Meßmer, Ursprung, Entwicklung und Bedeutung der Basilika
1854; ZS für ehr. Archäol. II 1859, und Weingärtner, Ursprung und Entwicklung des ehr.
Kirchengebäudes 1858; vgl. Keber, Mitteil. d. k. k. Zentralkommission 1869; Crostarosa, Le
basiliche cristiane 1892. Die Ableitung vom Atrium lehrte D eh io, Münch. Sitz. 1882, 301 Genesis
der ehr. Basilika, vgl. Dehio-Bezold 69, Hauck, Realenzykl. X 775; die vom Peristyl V. Schultze
Christi. Kunstblatt 1882; Archäologie 37.
2) J. P. Eichter, Der Ursprung der abendländischen Kirchengebäude 1878. — De Rossi,
Koma sotterranea III 495. Kraus, Realenzykl. I 119; Gesch. I 269).
284 Architektur und Malerei.
einzuschalten, Ableitungen vom Mysterientempel, vom jüdischen Tempel, von der
Synagoge.
Der christliche Gottesdienst war zu einem mystischen Kultus ausgewachsen,
mindestens im Sinne, wenn nicht auch in Formen der heidnischen Mysterienkulte.
Daher sehr wohl die Auffassung sich bilden konnte, die heidnischen Mysterien-
tempel hätten dem christlichen Kirchenbau zum Vorbilde gedient. Man wird noch
hinzufügen dürfen, das mystisch gewordene Christentum werde gerade in den Kreisen
der Mysterienverehrer Anklang gefunden haben; es braucht nicht gleich ein ganzer
Mysterientempel zum Christentum übergegangen zu sein — das hätte noch nicht auf
den Kirchenbau im ganzen gewirkt, doch konnte der artverwandte Kultus in verwandten
Bauformen Ausdruck suchen. Kraus war geneigt, dem Mysterientempel wenigstens
im Osten eine gewisse Einwirkung auf den werdenden Kirchenbau zuzugestehen, weil
dort nicht so gewaltige Kaiserbauten wie in Rom die Geister präokkupierten. —
Lucian beschreibt den Mysterientempel der syrischen Göttin zu Hierapolis; er bestand
aus Vorhalle, Schiff und Thalamos; letzterer entspräche, als das Allerheiligste, dem
Presbyterium. Ruinen von Mysterientempeln sind mehrfach ausgegraben worden; bei
keinem hat sich die Abdeckung rekonstruieren lassen. Der von Samothrake besaß
keine Peristasis, doch eine Vorhalle, im Inneren dreischiffigen Hauptraum und ein-
gebaute erhöhte Apsis mit Opfergrube; hierüber, nach vorhandenen Standspuren zu
schließen, ein Tabernakel auf vier Säulen. Das böotische Kabirion, aus Alexanders
Zeit, bestand aus viersäuligem Pronaos, kleinerem Vorraum, großem Hauptraum und
einem Allerheiligsten mit Bild; die Opfergrube befand sich hinter dem Tempel. Dabei
sei bemerkt, daß griechische Tempel öfter Apsiden hatten, außer den genannten My-
sterientempeln, dem von Samothrake und dem Kabirion, auch der Tempel des Ptoi'on,
einer zu Thespiä und einer zu Lebadeia, diese drei ebenfalls in Böotien gelegen.
Ferner läßt sich das Bakcheion am Westabhang der Akropolis von Athen heranziehen
aus dem zweiten nachchristlichen Jahrhundert, ein dreischiffiger Saal mit noch un-
erklärten bauliehen Vorrichtungen für Kultuszwecke in und am Mittelschiff, und einem
viereckigen Ausbau als Apsis im Fond, mit Rundaltar. Auf Melos fand sich das „heilige
Haus" der „heiligen Mysten" des Bacchus, aus dem dritten Jahrhundert, mit sieben
nur schmückenden Säulen vor jeder Langwand und einer Statue des Hierophanten
Trophimos im Bacchustyp; im langen schmalen Mittelraum lagen Mosaiken, in fünf
Felder geteilt, im ersten entstiegen den vier Ecken Weinranken, zwischen denen Tiere
spielten, im zweiten sah man Fische im Wasser, inmitten einen Fischer, weiterhin geo-
metrisches Ornament. — Auch die Grottenheiligtümer des Mithraskultes hat man heran-
gezogen, in baulicher Beziehung aber bieten sie keine andere Analogie als die Längs-
richtung nach dem im Fond befindlichen Allerheiligsten hin.1)
Wiederholt hat man an den jüdischen Tempel als an das Vorbild der christ-
lichen Basilika gedacht. Angesichts der Tatsache, daß das Christentum aus dem Juden-
tum seinen ersten Ursprung nahm, scheint eine gewisse Abhängigkeit im Gebiete des
x) Ableitung der Basilika vom Mysterientempel: Springer, Grundzüge der Kunstgeschichte
122. Kraus, Gesch. I 269. 273. 277. — Samothrake: Conze-Hauser, Neue archäol. Unters, auf
Samothrake I Taf. 11. II 1880, 27 Fig. 6. Rubensohn, Mysterienheiligtümer 1892, 183. Kabirion:
Dörpfeld, Athen. Mitteil. 1888, 87 Taf. 2. Apsiden: Noack, Athen. Mitteil. 1894,424. Lebadeia:
Bull. corr. hell. 1897, 334 Taf. 9. Bakcheion: Athen. Mitteil. 1895, 176 Taf. 4. Melos: Bosan-
quet, Journ. hell. 1898, 60 Taf, 1—3.
Die Basilika. 285
Kultus und des Kirchenbaues von vornherein naheliegend. Man darf aber nicht ver-
gessen, daß schon zur Apostelzeit die Christengemeinden vom Tempel sich lösten, und
wenigstens die frühchristlichen Gemeindeversammlungen recht wenig Ähnlichkeit mit
Tempelkult hatten. Danach freilich entwickelte sich bei den Christen selbst ein neuer
Tempeldienst, doch erst lange nach der Zerstörung des Tempels von Jerusalem und
dem Erlöschen seines Kultus. Der christliche Opferkult konnte gar nicht aus dem
jüdischen Opferkult hervorwachsen. Ob er nachgehends bei den biblischen Kultus-
vorschriften Anleihen gemacht habe, ist eine andre Frage, die mit dem Ursprungs-
problem der Basilika nichts zu tun hat. Tatsächlich hat die Basilika mit dem Tempel
so gut wie nichts gemein. Freilich sehen wir den salomonischen Bau immer noch
bloß wie durch einen Nebel, und den letzten Tempel auch nicht in schärferen Um-
rissen. Nur eine Art Schema können wir uns entwerfen, das in manchen Punkten
unsicher genug bleibt. Der Tempel steht frei in weitem Peristyl; vor seiner Front
erheben sich, darin ähnlich den Obeliskenpaaren vor den ägyptischen Tempeln, zwei
Malsäulen; eine Vorhalle, vielleicht zwischen zwei Türmen, führt in den allerdings in
die Tiefe gehenden, aber nur einschiffigen Hauptraum; dahinter folgt, durch eine "Wand
geschieden, nur durch eine Tür zugänglich, das Allerheiligste; um drei Seiten des
Hauses reihen sich in mehreren Stockwerken Kammern, die zu dem Hauptraum in
keiner Beziehung stehen. Da ist ziemlich alles anders als in der Basilika; aus den
Kammern z. B. konnten niemals Seitenschiffe werden. Man muß nicht die Linien der
Planschemata vergleichen, sondern die dreidimensionalen Räume.1)
Endlich die Synagoge. Damit steht es ja anders als mit dem Tempel. Die
Synagogen standen anfangs den Christen offen, sicher den Judenchristen, natürlich nur
zum Wort, nicht zu irgend welchem Ritus; und es liegen Anzeichen dafür vor, daß
gerade in der jüdischen Diaspora, auch unabhängig von der Tätigkeit der Apostel die
christlichen Ideen sich verbreiteten. Wenn es wahr ist, daß die christliche Gemeinde
aus der Synagoge hervorging, sollte nicht auch der christliche Kirchenbau von da
seinen Ausgang genommen haben? Etwas anders meint Strzygowski, es sei nicht un-
möglich, daß die von der heidnischen Antike zu Versammlungsräumen verwendete
Raumform der Basilika den Christen durch die Tatsache empfohlen wurde, daß Christus,
Paulus und die übrigen Apostel gern in der Synagoge predigten. „Wir wissen erst durch
die Nachforschungen der deutschen Orientgesellschaft, daß die Synagogen, entsprechend
der Basilika, Säle waren, in denen zwei Säulenreihen in der Richtung des Eintretenden
ein breiteres Mittelschiff bildeten. Die Apsis zwar fehlt der Synagoge; sie zeigt an
der Schlußwand ebenfalls Säulen. Es wird daher der christliche Kult selbst gewesen
sein, der allmählich aus der Synagoge die richtige Basilika mit dem Abschluß für den
jetzt ins Innere gelegten Altar und die Priester gestaltete. Wieweit dabei der Sitz
des Richters in der Apsis der heidnischen Basilika und in Syrien antike Fahnenheilig-
tümer vorbildlich wirkten, ist noch nicht klar gestellt." Also, aus der Synagoge die
christliche Basilika, nur vielleicht unter Einwirkung des Richtersitzes in der Apsis der
heidnischen Basilika auf die Einführung einer Apsis mit Bischofsstuhl in die christliche.
Es sei vorläufig nur bemerkt, daß für die Synagoge ein bestimmtes Schema nicht vor-
geschrieben war, auch nicht etwa gewohnheitsmäßig eingehalten wurde. Wir kennen
*) Ableitung vom Tempel: Kreuser, Christlicher Kirchenbau 1851; Wiederum der Kirchen-
bau 1868. Puchstein, Archäol. Jahrbuch 1892, 12.
286 Architektur und Malerei.
schon jetzt sehr verschiedene Typen: den ungesäulten oblongen Saal mit kleiner halb-
runder Nische in der einen Langwand (Hamman-Lif bei Karthago); den in die Tiefe
gehenden Saal mit drei Eingängen, unter Umständen mit Vorhalle, im Innern mit fünf
gleich breiten, wohl auch gleich hohen Schiffen (Palästina); den von der deutschen
Orientgesellschaft gefundenen Typ mit einem Mittelraum, welchen drei Säulenreihen
im Hufeisen umgeben (mithin in der Raumgliederung ähnlich der Cella des Parthenon).
Die auf Grund einer ungenügenden Beschreibung versuchte Rekonstruktion der großen
Synagoge von Alexandria, mit breitem Mittel- und zweimal zwei schmäleren Neben-
schiffen kann nicht mitzählen.1)
Die früher geltende Annahme, die christliche Basilika sei der heidnischen nach-
gebildet, hatte Zestermann als eine Erniedrigung der Christen empfunden; demgegen-
über glaubte er ihre unabhängige Entstehung, aus eigner Erfindungskraft, nachweisen
zu sollen. Doch wohl von ähnlichen Empfindungen geleitet hat neuerdings Witting
Gedanken über Wesen und Entstehung der christlichen Basilika geäußert, die er dahin
zusammenfaßt, daß bei ihr „von einer schmarotzerhaften Nachahmung der Antike nicht
die Rede sein kann, daß vielmehr die altchristliche Basilika, selbst bereits höheres
Glied einer innerchristlichen Entwicklung, primitive Werte enthält, die originell sind
und neue Entwicklungsbahnen einleiten." Also, die christliche Basilika ist hervor-
gegangen aus einer „innerchristlichen Entwicklung". Diese Entwicklung des Kirchen-
gebäudes aber, sagt Witting, war bedingt durch diejenige des Ritus, und zwar des
Hauptritus, der Eucharistie. Witting unterscheidet drei Phasen. Zuerst hatte die
Gemeinde selbst Zutritt zum Altar, legte selbst ihre Gaben auf den Altar nieder; der
Priester segnete sie und teilte sie wieder aus. Diesem Brauch entsprach der un-
gegliederte Betsaal. Auf der zweiten Stufe schiebt sich der Diakon zwischen Gemeinde
und Altar, sie tritt nicht mehr selbst an den Altar heran. Für diese Phase unterstellt
Witting eine dreischiffige Kirche ohne Überhöhung des Mittelschiffs (die sog. Hallen-
kirche). Auf /der dritten Stufe wird der Ritus für die Gemeinde nur noch ein Schauakt,
den die Priesterschaft vor ihren Augen vollzieht; daher die stärkere Betonung des auf
den Schauakt hin gerichteten Mittelschiffs durch dessen Überhöhung, wie sie der Ritus
in der Basilika sich geschaffen habe.
Die Begründung der Bauform im Zweck des Baues, bei der Kirche im Ritus,
wäre als ein gesunder und fruchtbarer Gedanke zu bezeichnen, wenn er nicht zu der
unhaltbaren Stufenfolge geführt hätte. Ob Witting die Geschichte des Ritus richtig
skizziert hat, insbesondere nach seiner Wirkung auf den Kirchenbau, soll nicht unter-
sucht werden, auch nicht die behauptete innere Beziehung zwischen seinen drei Stufen
des Ritus und den ihnen gegenübergestellten Bautypen. Nur das Eine sei erinnert,
daß die Hallenkirche wohl vorgekommen sein mag, aber eine solche Rolle in der Ent-
wicklungsgeschichte des Kirchenbaues nicht gespielt hat.2)
Zuletzt ziehen wir die heidnische Basilika in Betracht, wir fragen, ob die
christliche in einem geschichtlichen Verhältnis zur heidnischen Basilika gestanden haben
könne, und in was für einem.
Um methodisch richtig vorzugehen, suchen wir von der Hauptsache auszugehen.
*) Das früher Zusammengebrachte bei Leclercq, Manuel I 340 Fig. 104 — 106. Strzygowski
in Schiele's Religion I 1908, 381.
2) Felix Witting, Die Anfänge christlicher Architektur 1902. — Die Ästhetik der Schmarsow-
schule lasse ich, als Archäologe, beiseite.
Die Basilika. 287
An der christlichen Basilika, deren genetisches Verständnis wir suchen, dominiert in
baulicher Beziehung die Halle mit ihrer mittleren Überhöhung. Das ist nun ein Typus,
die basilikale Überhöhung, der gegebenen Falles überall und zu jeder Zeit von
selbst entsteht: um in das Innere eines größeren überdeckten Raumes Licht und Luft
zu bringen, hebt man den mittleren Teil des Daches, je nachdem mit Einschluß der
etwa untergezogenen Decke. In einfachster, oft auch nur ephemerer Ausführung ge-
schieht das heute noch bei Schuppen, Festhallen, Zirkusbuden; in soliderer Ausführung
auf Dauer berechnet, geschah es noch unlängst bei Bahnhofshallen, geschieht es immerzu
bei Markthallen, bei Fabriken (auch das Shetdach gehört zum Typus, ist nur eine
vereinfachende Modifikation desselben).
Wirklich monumentale Ausführung wirkt natürlich in weitere Kreise. Sie begegnet
zuerst in Ägypten; dort wurde sie von der Forschung zeitig festgestellt, immerhin
konnte es geschehen, daß dieser und jener Gelehrte sich ein solches Hypostyl mit
durchgehender Decke dachte. Mir wurde alles klar, als ich 1877 die großen und
scharfen Bonfilsschen Photographien ägyptischer Ruinen in die Hände bekam. Im
Granittempel bei Giseh liegt das Prinzip noch nicht einmal in embryonalem Zustand
vor; der flachgedeckte dreischiffige Pfeilersaal wird durch Luken erhellt, die in das
äußere Auflager der Decke, in die Aufsicht der Außenwände, kellerlochartig ein-
schneiden. Schon entwickelt findet sich das basilikale Prinzip in den großen Tempeln
des neuen Reiches, an den höheren Mittelräumen der Hypostyle. Im Ramesseum
wurden auf die Architrave der den Mittelraum von den Seitenschiffen trennenden
Kolonnaden Steinwürfel gesetzt, als Stützen der mittleren Decke; durch deren Zwischen-
räume gelangt Luft und Licht in das Mittelschiff. Den Gipfel der Entwicklung be-
zeichnet das große Hypostyl von Karnak; es setzt hohe Steingatter als Lichtgaden an
jene Stelle. So erweist sich dies Riesenhypostyl als die älteste und gewaltigste aller
Basiliken; sie ist nicht drei- oder fünf-, sondern siebzehnschiffig, der überhöhte Mittel-
raum ist für sich allein dreischiffig, die Kelchkapitellsäulen des Mittelganges sind
21 Meter hoch. Daß auch ein breiterer Quergang vorgesehen ist (sei es für Zwecke
des Ritus oder nur zu leichterer Orientierung), ändert nichts am Charakter des Ganzen.
Die dichte Säulenstellung ist lediglich konstruktiv bedingt, durch das Maß der steinernen
Deckplatten. Ein Allerheiligstes fehlt keineswegs. Bei den ägyptischen Tempeln führt
der Prozessionsweg auf der Hauptachse durch Pylon, Vorhof, Vorhalle und Hypostyl
gerades Weges zum viel kleineren Adyton, wie das bei solchen Tempeln vor Augen
liegt, die aus einem Guß gebaut und nicht weiter angetastet wurden. Das ist anders
bei den Haupttempeln, wie dem zu Karnak; an ihm haben die Geschlechter nicht bloß
von Jahrhunderten, sondern von Jahrtausenden geschaffen, teilweis auch zerstörend,
vorzüglich aber durch immer neues Vorschieben von Pylonen die Planentfaltung und
die Autorität der Anlage steigernd. In dem weiten Zwischenhof zweier solcher vor-
geschobener Pylonen hineingestellt vermittelt auch unser großes Hypostyl den Zugang
zu dem älteren, daher weiter zurück liegenden Allerheiligsten [Abb. 84. 85].1)
*) Hypostyl von Karnak mit durchgehender Decke gedacht: Dümichen, Gesch. des alten
Ägyptens (in Onckens Allg. Gesch. in Einzeldarstellungen I) 1887, 88. — Granittempel: v. Sybel,
Weltgesch. 1888, 28; 225 Abb. — Ramesseum: Perrot et Chipiez, Hist. de l'art. dans Fantiquite" I
F^gypte 383 Fig. 219. — Karnak, Hypostyl: Plan bei Perrot-Chipiez I 364 Fig. 212 und Taf. 5
Querschnitt. Mittelgang und Seitenansicht in m. Weltgesch. 1888, 50 Fig. 35. 36; 238 Abb. 39 Abb.
— Situationsplan des Tempels von Karnak mit farbiger Unterscheidung der Bauperioden (in
einzelnen Punkten seitdem berichtigt) bei Dümichen zu Seite 90.
288 Architektur und Malerei.
Gleichzeitig mit dem neuen Reich der Ägypter erlebte die ägäische Kultur
ihre Hochblüte in Kreta und Hellas; in den dortigen Palästen fand man Anzeichen,
die auf basilikale Erleuchtung einzelner Räume, zum Teil von Haupträumen, schließen
ließen. Aber die Forschung steht noch zu sehr in den Anfängen, als daß man ihre
doch erst vorläufigen Ergebnisse schon verwerten könnte.1)
Das ägyptische Hypostyl auf der einen, die christliche Basilika auf der anderen
Seite, das sind die starken Brückenköpfe, zwischen denen die ganze Entwicklungs-
geschichte der klassischen Basilika eingespannt ist; die Pfeiler dieser durch die
Jahrtausende gespannten Brücke, die etwaigen Basiliken der Orientalen und die der
klassischen Griechen, haben die oft hochgehenden Wogen des Zeitenstroms fortgerissen,
nur vom letzten Pfeiler am diesseitigen Ufer, der römischen Basilika, ragen noch
Trümmer empor.
Konrad Lange fand den Mut, Hand anzulegen, um die untergegangenen Brücken-
pfeiler wieder aufzusuchen und aufzurichten, um die weitklaffende Lücke zwischen der
altägyptischen und der christlichen Basilika wieder zu schließen. Seine Rekonstruk-
tionen haben viel Kritik erfahren, vielleicht nicht ohne Grund; aber es bleibt sein
Verdienst, das Problem auf der von der Geschichte und ihren Denkmälern vor-
geschriebenen breiten Basis aufgerollt zu haben.2)
Es ist noch keine klassischgriechische Basilika ausgegraben worden, im Osten auch
keine hellenistische, weder in Hellas noch in Kleinasien, Syrien oder Ägypten. Das
dort zugrundegegangene wiederzugewinnen, ist Sache der Zukunft, das liegt im Schoß
der Götter, im Schoß der Mutter Erde. Nur im Westen gibt es Ruinen von helle-
nistischen Basiliken und zwar römischer Zeit.8)
Die hellenistischen Basiliken waren nicht etwa, wie hier und da irrig gesagt
wurde, überdachte Marktplätze, sondern Erweiterungen, Annexe der Märkte, dazu be-
stimmt, gewisse Teile des Marktverkehrs dem Forum abzunehmen und unter Dach zu
bringen. Es waren also Markthallen, wie sie auch heutzutage in Großstädten ent-
stehen, selbst in mäßig großen Städten, in der ganzen Welt. Unsere Markthallen
dienen hauptsächlich dem Verkauf von Gemüse und Obst, Fischen, Geflügel, auch von
Kleinkram. Man könnte noch die Schrannen für den Getreidehandel nennen, die
Börsen für den Geldverkehr, zuguterletzt ist vergleichsweise die Glaspassage {impasse,
galleria) herangezogen worden. Zu all dergleichen Zwecken dienten im Altertum die
Basiliken, und obendrein noch zu Gerichtssitzungen. Man möchte erwarten, daß die
Religiosität des heidnischen Altertums in allen Basiliken sich irgendwie Genüge getan
haben werde. — Wir heben nur einige gesicherte Beispiele heraus. Vor allem die
Basilika von Pompeji. Zunächst den früher erwähnten drei Amtsstuben gelegen stößt
sie mit der schmalen Front an den gerade dortherum peristylen Markt, der ihr zum
Vorplatz dient, wie er auch den Peribolos des ihn beherrschenden Jupitertempels
bildet. Im Plane weist sie einen Vorraum auf {Chalcidicum), im Innern einen in die
Tiefe gehenden, vierseitig umsäulten Mittelraum; doch folgt an den Schmalseiten statt
x) Vgl. u. a. Dörpfeld in Schliemanns Tiryns 1886, 246. Arthur Evans, Annual Brit. school
Athens IX 1902, 147.
8) K. Lange, Haus und Halle 1885.
•) Eine gute Übersicht bei Mau in Pauly-Wissowa's Realenzykl. III 83 Art. Basilica. —
Altmann, Italische Rundbauten 1906, 91 läßt das basilikale System an Rundbauten aus Griechen-
land nach Italien kommen.
Die Basilika. 289
einer Abschlußwand je eine zweite Säulenreihe, an den Längsseiten sind solche nur
angedeutet, durch Halbsäulen an den Wänden. Damit wird der Mittelraum ideell von
einem zwiefachen Säulengang umzogen und im Querschnitt, wieder nur ideell, fünf-
schiffig. In einer hinten anschließenden Raumzugabe, nicht apsisformig, aber apsis-
artig, erhebt sich das Tribunal. Der Oberbau ist zerstört; nach Mau's Rekonstruktion
war der Mittelraum zwar überhöht, in Wahrung des Prinzips der basilikalen Licht-
zufuhr, aber die Decke des Umgangs wurde so hoch gehoben, daß die Lichtgaden in
der nun verkümmerten Oberwand nicht mehr Raum fanden, sondern in die Außen-
wand verlegt werden mußten. Kurz, unser erstes Denkmal einer hellenistischen Basilika
repräsentiert durch einen neckischen, aber erst recht lehrreichen Zufall nicht den
Haupttypus, sondern die Spielart, wie sie später in Südfrankreich, auch dort als hand-
greifliches Rudiment des Haupttypus, und weiterhin im Norden als sog. Hallenkirche
wiederkehrt [Abb. 86 Plan der Basilika von Pompeji]. — Die pompejanische Basilika
stammt aus dem zweiten Jahrhundert v. Chr. Um dieselbe Zeit, im Jahr 184, führte
Cato die Markthalle in Rom ein; doch ist uns seine Basilica Porcia des Näheren eben-
sowenig bekannt, wie die in der letzten republikanischen Zeit sich rasch folgenden
weiteren Basilikabauten Roms. Erst mit der Kaiserzeit beginnen für uns die Denk-
mäler. Die in Ruinen vorliegenden stadtrömischen Basiliken liegen alle mit einer Lang-
seite an ihrem Forum. Die Basilica Julia, eine nach den drei Hauptseiten hin offne
Pfeilerbasilika, besaß zwei zweigeschossige überwölbte Umgänge um den langen, später
ebenfalls überwölbten Mittelraum, der so groß war, daß vier Kammern des Centum-
viralgerichts darin gleichzeitig nebeneinander tagen konnten; der Marktverkehr war
auf die Umgänge beschränkt. Die gegenüber gelegene Basilica Aemilia befindet sich
noch im Stadium der Ausgrabung; auch sie hatte ihren umsäulten Mittelraum; doch
scheinen die äußeren Teile, insbesondere die nach dem Forum gelegenen, wieder eigen
gestaltet gewesen zu sein. — Hier sei die von Vitruv gebaute Basilika zu Fan um ein-
geschaltet. Nach seiner Beschreibung lag auch sie mit einer Langseite am Forum,
dem Jupitertempel gegenüber; der Mittelraum war überhöht, ringsherum lief ein zwei-
geschossiger Umgang, nur in der Mitte der hinteren Langseite unterbrochen, um den
Blick aus der Mittelhalle auf den Pronaos des dort eingebauten Augustustempels frei-
zuhalten; in dessen Podiumfront schnitt ein flaches Hemizyklium als Tribunal für das
Handelsgericht ein. Unmittelbar hinter ihm werden Treppen von beiden Seiten zu-
nächst zu einem Podest geführt haben, von dem dann eine dritte Stufenflucht direkt
auf den Pronaos hinführte; auf dem Podest mag der Altar gestanden haben, über dem
Fond des Hemizykliums. — Sodann Trajans Basilica Ulpia, die Schöpfung des Apollodor
von Damaskus. Im Inneren lief ein doppelter Umgang (ob zweigeschossig, wissen wir
nicht) um den gewiß überhöhten Mittelraum; die Schmalseiten öffneten sich mit je
sechs Säulen gegen große gesäulte Exedren mit Naisk im Fond. — Endlich die von
Maxentius errichtete, von Konstantin geweihte Basilica Constantiniana, die erste ein-
heitlich überwölbte Basilika, eine baugeschichtliche Tat. In der Weise der Zentralsäle
in den großen Thermen (des Caracalla und des Diokletian) wurde das überhöhte Mittel-
schiff mit drei großen Kreuzgewölben überspannt, die zwei Seitenschiffe überdeckten je
drei parallelliegende Tonnen; die konstruktiv unvermeidliche Zerlegung der Nebenschiffe
in je drei Parallelräume wurde durch breite Verbindungstüren gemildert. Auf Quer-
schiffe verzichtete man, sie wären auch kaum unterzubringen gewesen; dafür erhielt
man im Mittelschiff mit der im Fond sich öffnenden Apsis einen großgedachten ein-
Sybel, Christliche Antike II. 19
290 Architektur und Malerei.
heitlichen Raum. Konstantin oder wer es war verlegte den Haupteingang in die süd-
liche Langseite an der Sacra Via und durchbrach die nördlich gegenüberliegende Außen-
wand, um eine neue Apsis als Tribunal einzubauen; in der alten Westapsis erhielt eine
Statue des Konstantin Aufstellung.1)
Man sieht, wie flüssig das Schema der Basilika sich den besonderen Anforderungen
jedes Einzelfalles anpaßte. Ein solcher Einzelfall, eine neue Spielart der antiken Basilika,
selbst wieder mannigfacher Modifikationen fähig, ist auch die christliche. Dabei fällt
die Tatsache, daß ihre meisten Eigentümlichkeiten einzeln schon in dieser oder jener
heidnischen Basilika sich nachweisen lassen, durchaus nicht ins Gewicht; dergleichen
Beobachtungen wird man in der Typengeschichte werten; aber wenn auch jene Nach-
weisungen nicht geliefert werden könnten, so würde der antike Charakter der christ-
lichen Basilika darum nicht weniger feststehen. Wohl haben die Baumeister der ersten
christlichen Basiliken die heidnischen Verwirklichungen des Typus in ihrer ganzen
Mannigfaltigkeit gekannt und verwertet. Darum möchte ich sie aber nicht mit
Holtzinger Eklektiker nennen; denn ihr Werk stückten sie nicht aus Brocken von
diesen oder jenen heidnischen Basiliken zusammen, sondern sie schufen eine neue Spezies
der antiken Basilika, aus der Eigenart des neuen Einzelfalles heraus.2)
Verlangt wurde ein Raum von Bedeutung, der Menschen fassen konnte und auf
den katholischen Kultus zugeschnitten war. Die Architekten hatten kaum eine Wahl,
sie waren auf den Typus der Basilika angewiesen. Zwar versammelte auch manche
heidnische Panegyris große Menschenmengen, auch am Altar, der aber soweit nicht im
Tempel stand, sondern im Freien. Der Tempel war eben nur Wohnung des Gottes,
Gotteshaus, nicht Versammlungsraum; wo von Versammlungen in Tempeln die Rede
ist, da wird weniger an die Cella, als an die oft genug vertiette und als selbständiger
Raum architektonisch gekennzeichnete Vorhalle zu denken sein. Die meisten Tempel
waren für den katholischen Zweck schon zu klein; aber auch die größten stellten einen
für ihn unverwendbaren Typus dar. Zwar hätte sich die Verlegung des Altardienstes
in das Innere machen lassen, Analoges war schon in den vorerwähnten Mysterientempeln
geschehen (den Aufbau und die Verwendungsweise des großen eleusinischen Mysterien-
hauses kennen wir noch nicht); aber abgesehen von solchen Bedenken, wie z. B. der
einseitigen Beleuchtung nur durch die Tür, wird man gerade im Anfang schon grund-
sätzlich vermieden haben, den christlichen Tempel im Typus des heidnischen zu bauen.
In diesem Stadium des Kirchenbaues wird man auch den verschiedenen Typen der
Synagogen lieber aus dem Wege gegangen sein.
Für Menschenansammlungen unter Dach war die großräumige Basilika die zu-
*) Pomp ei: Mau's Rekonstruktion mit Quer- und Längsschnitt Rom. Mitteil. 1888, 40.
Über die andern Basiliken vgl. desselben Artikel Basilika bei Pauly-Wissowa , über die stadt-
römischen noch Richters Topographie der Stadt Rom, Hülsens Forum Romanum usf. — Zu
Michaelis' hallenförmigen Basiliken (MeUanges Perrot 1903, 239), die hier nur insofern in Betracht
kommen, als es gilt den Umfang des Begriffs Basilika zu bestimmen, vgl. Studniczka, Deutsche
Lit. Zeit. 1906, 2626.
") Holtzinger, Altchristi, und byzant. Baukunst 1899, 25. Dieser und jener Lösungs-
versuch des Problems kommt dem Richtigen nahe es fehlt nur der Begriff der „christlichen An-
tike", der allein Hilfe bringt in der immer noch nicht überwundenen Hilflosigkeit.
Die Basilika. 291
treffende Bauform, und dem katholischen Kultus Heß sie sich bei ihrer weitgehenden
Schmiegsamkeit leicht anpassen. Zum Folgenden gehören unsere Abb. 87 — 89.1)
Die Basilika hat im christlichen wie im heidnischen Bau entschiedene Längs-
entwicklung, sie ist ein gestreckt viereckiges Gebäude mit überhöhtem Mittelraum; aber
die Verschiedenheit der Zwecke, durch welche hier und dort die Menge zusammen-
geführt wird, bedingt gewisse Abweichungen in der Ausbildung. Die heidnische Basilika
diente vorzugsweise als Anhang des Marktes einen Teil des Marktverkehrs aufzunehmen;
demgemäß bewegten sich voneinander unabhängige Gruppen in den Räumen. Das dem
Gericht vorbehaltene Tribunal erhielt wohl eine ausgezeichnete bauliche Stelle, aber
praktisch beherrschte es nicht den ganzen Raum. Dagegen die christliche Gemeinde
hatte einen einzigen und gemeinsamen Zweck; sie füllte daher den Raum als eine große
einheitliche Versammlung mit allen gemeinsamer Richtung. Daher kommt es, daß die
Längsachse unbedingt als Hauptrichtung festgehalten, der Eingang in die vordere, das
Blickziel vor die hintere Schmalseite gelegt wurde.
Der Gemeinde gegenüber war der den Priestern vorbehaltene Raum, das Pres-
byterium, auf erhöhter Stelle unterzubringen; ihnen diente eine im Halbkreis der Apsis
umlaufende Bank, der gegebene Platz für den Bischofsstuhl war im Fond der Apsis.
Eintretenden Falles wurde der Raum des anschließenden Querschiffs zum Presbyterium
hinzugenommen; der Tischaltar, sonst am vorderen Rande der Apsis aufgestellt, wurde
dann bis an den des Querschiffs vorgeschoben.
Im Einzelnen sei zur Systematik der Basilika noch folgendes bemerkt.*)
Die Kirche stand entweder frei inmitten eines Hofes oder sie hatte nur einen
Vorplatz, der aber auch als umfriedeter Vorhof behandelt sein konnte. Das Hoftor
wurde, wenigstens bei bedeutenderen Anlagen, zu größeren Propyläen entwickelt.
Das Heiligtum inmitten eines weiten Peribolos anzulegen, war vorderasiatischer
und griechischer Brauch. In Syrien haben sich dergleichen Anlagen erkennen lassen,
auch der Tempel von Jerusalem gehört dahin. Die griechischen Peripteraltempel setzten
immer einen Peribolos voraus, weil sie sich nach allen vier Seiten hin öffneten; dasselbe
gilt für die hellenisierenden Tempel im Westen (z. B. Jupiter und Apollo in Pompeji).
Diese Anordnung befolgten vorzugsweise die östlichen Kirchen; gerade im Osten be-
fanden sich einige der glänzendsten Tempel der Art.
Einen Vorplatz hatte von Haus aus jeder Bau; als geschlossener Vorhof wurde
er bei den ägyptischen Tempeln ausgebildet, ebenfalls beim Megaron von Tiryns. Mangel
an Raum mag bei manchem städtischen Bau die Wahl dieser Anordnung herbeigeführt
haben, bei Tempeln und Basiliken; lagen letztere an Märkten, so bildeten diese auch
ihren Vorhof. Bei den christlichen Basiliken hieß er Atrium (ai'&Qiov); man kann
fragen, ob das lateinische Wort nur für das ähnlich klingende griechische eingetreten
sei, oder ob wirklich das Atrium diese Entwicklung durchgemacht habe, vom Haus,
durch das Vorhaus, zum Vorhof. Das Atrium war peristyl; der Innenraum erhielt ein
Paviment von Marmorplatten, in der Mitte stand ein Brunnen, Cantharus (auch (pidXrj).
Ursprünglich der große zweihenkelige Trinkbecher des Dionysos bedeutete Kantharos
später die Brunnenschale. Die in den kirchlichen Atrien wurden bei reicherer Anlage
J) Vgl. m. Weltg. 1888, 450; 2452. Was ich von der zwecklich bedingten Richtung gesagt
habe, möchte ich weder nach Witting noch nach R. Kautzsch, Bildende Kunst und Jenseits 1905,
43. 64 („Weg zu Gott") modifizieren.
2) Mehr bei Holtzinger, Die altchristliche Architektur in systematischer Darstellung 1889.
19*
292 Architektur und Malerei.
mit einem säulengetragenen Baldachin überdacht. Der Brunnen diente als Waschbecken
für die Kirchenbesucher, zum Waschen von Gesicht, Händen und Füßen vor dem
Eintritt in die Kirche. Der Brauch hat sich im Islam erhalten, der in mancher Be-
ziehung die griechische Kultur besser bewahrte als die christliche Welt; alle Moscheen
haben den Vorhof mit dem Brunnen, der zu den Gebetsstunden von den Gläubigen
fleißig benutzt wird. Wo der Vorhof ganz fehlte, kam der Brunnen in die Vorhalle
zu stehen; im Mittelalter rückte er, als Weih Wasserbecken (auch eine antike Sache) in
das Innere der Kirche.1)
Die hintere Querhalle des Tetrastoon konnte zugleich als Vorhalle der Kirche
dienen (öfter ist das übrige Atrium zerstört worden und bloß die hintere Halle, eben
als Vorhalle erhalten geblieben), konnte auch als solche besonders hervorgehoben werden.
Damit aber war gegeben, daß die Vorhalle nicht in den Körper des Hauses auf-
genommen, sondern wie das Chalcidicum der Marktbasiliken (Pompeji, Constantiniana)
als nur eingeschossiger Bau der sie überragenden Kirchenfassade vorgelegt wurde.
Statt all dieser Anlagen, Propylon, Vorhof und Vorhalle, haben einzelne Kirchen nur
ein viersäuliges Tabernakel vor der Tür (S. Prassede u. S. demente in Rom). — Vorder-
asiatische Kirchen, in Kleinasien und Syrien, befolgen eine verschiedene Anordnung.
Die Vorhalle hat nur die Breite etwa des mittleren Drittels der Kirchenfront, die Reste
bleiben geschlossen, die Halle flankierend; ein Nachklang des althittitischen (hinter-
kleinasiatisch-nordsyrischen) Palasttypus, der von den assyrischen und persischen Königen
übernommen (in Assyrien als Kiosk im Park und nicht erheblich geändert, in Persien
als Hauptpalastform in der Richtung auf reicheren Säulenbau entwickelt) auch nach
Zentralsyrien überging. Die kleinasiatische Kirchen vorhall e (Birbinkilisse I) öffnet
sich nach außen nicht in der hittitischen Weise mit zwei Säulen, sondern mit einem
Mittelpfeiler (in dieser Zweiteilung des Eingangs an die Paläste des minoischen Kreta
erinnernd); die zwei Durchgänge schließen mit Rundbögen. Der ganze Vorbau ist
zweigeschossig, von der Höhe des Hauses, mit Fenster über dem Eingang. — In
Zentralsyrien findet sich der hier ungeteilte Eingang von einem großen Rundbogen
überspannt; der Vorbau bleibt in seinem Mittelteil eingeschossig, während die zwei
Eckkuben sich nun turmartig annähernd zur Hauptschiffhöhe erheben, mit Giebeldächern
gedeckt. Die Decke der Vorhalle, zwischen den von da an sich dreiseitig frei erheben-
den Türmen, wird als Terrasse mit Brustwehr oder auch als gesäulte Veranda aus-
gebildet (jenes in Kalb-Luseh, dies in Turmanin). Die Eckkuben haben in den hitti-
tischen Ruinen von Sendschirli wohl ein torturmartiges Aussehen; da aber der weder
dort noch in Assyrien und Persien vorliegende obere Abschluß wohl durchgehend wag-
recht war, so scheint die freiturmähnliche Hochführung an den syrischen Kirchen dort
einheimisch gewesen zu sein.8)
Zwei viereckige Türme, mit Giebeldächern, erheben sich hinter einer einschiffig
gezeichneten Kirche mit Ecksäulen in einem Felde der Holztüren von S. Sabina, welches
anlehnend an die Typik der Elfenbeindiptycha die Akklamation eines Kaisers in Chlamys
durch Männer teils in Toga, teils in Paenula darstellt; leider ist der Typus der Kirche
*) Antike Weih wasserautomaten beschreibt Heron von Alexandria, sie gaben einen Guß
Wasser gegen Einwurf eines Fünfdrachmenstückes (etwa eines Talers), v. Wilamowitz-Möllendorff,
Griechisches Lesebuch, Textband 261 mit Abb.
*) Hittitisch, assyrisch, persisch, syrisch: Puchstein, Archäol. Jahrb. 1892. — Klein-
asiatische Kirchen: Strzygowski, Kleinasien. — Syrische Kirchen: de Vogüe", Syrie centrale.
Die Basilika. 293
ebenso schwer verständlich wie das Verhältnis der Türme zu ihr (Garr. VI Taf. 500 VI).
An der Lipsanothek zu Brescia steht der Christus zwischen den Aposteln in einem
thermensaalähnlichen Raum; der zwischen zwei Säulen sich weit öffnende Eingang wird
flankiert von zwei viereckigen, von Giebeldächern bekrönten Türmen (G 441). — Die
viereckigen Türme stadtrömischer Kirchen, auch von solchen antiken Ursprungs, sind
im Hochbau nicht antik; wieweit vielleicht im Unterbau bleibt nachzuprüfen. — Zwei
hohe Rundtürme stehen beiderseits der Frontseite einer wiederum einschiffig gezeich-
neten Kirche an der Elfenbeinpyxis von Werden (G 447, 1) und zweier Basiliken in
den Mosaiken des Triumphbogens von Maria Maggiore. — Ein freistehender Rundturm
neben der Front von S. Apollinare nuovo zu Ravenna; einer neben der Apsis von
S. Apollinare in classe (m. Weltgesch. 8463 Abb.).1)
Das Langhaus ist eine antike Basilika, wir sagten eine neue Spielart des alten
Bautypus; meist hatte es drei, seltener fünf Schiffe. Die Längserstreckung der Basilika
wurde eher noch gesteigert. Die Besonderheit der christlichen Basilika, bedingt durch
den katholischen Ritus, besteht in der Richtung, auf der Längsachse, nach dem
Presbyterium hin. Dieser Richtung zulieb hat man allgemein die hintere Querhalle
unterdrückt, genau wie Vitruv bei seiner Basilika zu Fanum die Mittelsäulen der hinteren
Halle unterdrückte, ne inpediant aspectus pronai aedis Augusti. Es hatte nicht bloß
ästhetischen, sondern auch kultischen Wert, vom Mittelschiff aus in der Marktbasilika
die Kaiserkapelle, in der Kirche den Altar sehen zu können. — Die vordere Quer-
halle war nicht ebenso störend; im Osten behielt man sie bei, um die dort beliebten,
für die Frauen bestimmten Emporen im Hufeisen herum führen zu können. Die nur
zum Anhören der Ansprachen Zugelassenen fanden in dieser Halle geeignetere Auf-
stellung als in dem bloß durch Türen mit der Kirche verbundenen Narthex. — Die
im Westen vorherrschende Unterdrückung beider Querhallen fand sich schon in
heidnischen Basiliken, im flavischen Palast und in der Constantiniana.
Als Stützen dienten, wie in der Marktbasilika, in der Regel Säulen. Pfeiler-
basiliken gab es am römischen Forum (Julia, Amilia), unter den christlichen Kirchen
fast nur im Osten (Zentralkleinasien und Armenien, Syrien und Ägypten; die Zeiten
dieser Kirchen bleiben zu ermitteln).2)
Die ältere Weise, die Säulen durch wagrechte Architrave (Epistyle) zu ver-
binden, lag im Kampf mit der neueren, die Interkolumnien mit Bögen zu überspannen.
Als frühesten Beleg dieses Motivs nennt Altmann den Säulensarkophag Torlonia,
Robert III I Taf. 34 — 37, den er in den Anfang des dritten Jahrhunderts datiert; er
gehört aber, wie wir aus der Kopftracht der Verstorbenen schließen zu müssen glaubten,
in die Zeit nach 238, immerhin jedoch noch vor Diokletian, an dessen Bauten Rob.
v. Scheider das Motiv zuerst auftreten ließ.3)
Die Obermauern über den das Mittelschiff begrenzenden Säulenreihen erhielten
*) Türme: hierzu wäre der antike Turmbau in weiteren Grenzen heranzuziehen; vgl. z. B.
Herrn. Thiersch, Pharos 1909, 99 (viereckige), 174 (runde Türme).
*) Honorius ersetzte die Pfeiler der Ämilia durch Granitsäulen (Hülsen, Rom. Mitteil. 1905,
58); daß die Pfeiler im Erneuerungsbau durch Säulen ersetzt wurden, erfuhr auch die Felixbasilica
zu Nola.
8) Altmann, Architektur und Ornamentik 56. Zu Spalato vgl. Bruno Schulz im Archäol.
Jahrb. 1909, 50.
294 Architektur und Malerei.
als Lichtgaden rundbogige Fenster, ursprünglich eins über jedem Interkolumnium,
mit transparenten und gelochten dünnen Marmorplatten geschlossen.
Mehrschiffige Kirchen ohne Mittelschiffüberhöhung scheinen im allgemeinen
in der christlichen Antike nicht üblich gewesen zu sein. Kraus, Gesch. I 288 fuhrt
als einzige Beispiele die syrischen Kirchen von Schakka und Tafcha an; die Decke
ihrer Emporen liegt im Niveau der Mittelschiffdecke. Man erinnert sich, daß Mau die
Basilika von Pompeji mit hochgeführten Nebenschiffen — ohne Emporen — rekon-
struierte.1)
Decke und Dach der christlichen Basilika waren von Holz. Regelmäßig lag
eine flache Decke unter dem Satteldach; wo jetzt sich offne Dachstühle finden, da sind
sie späteren Ursprungs. Die flache Decke war in herkömmlicher Weise kassettiert.
Das ganze System der Flachdecke und des Satteldaches darüber entsprach dem bau-
lichen Herkommen, die Architekten hatten keinen Anlaß, davon abzuweichen und die
Kirchen einzuwölben.
Von der Einführung des Gewölbes in die Baukunst werden wir noch zu reden
haben; hier genügt zu sagen, daß seine Anwendung in der heidnischen Architektur
sich auf einzelne Baugattungen beschränkt hatte, die erste Stelle nahmen die Thermen
ein; gewölbte Tempel gab es nur vereinzelt, von den forensischen Basiliken wurde erst
die des Maxentius als Wölbbau geschaffen. Als nun Konstantin den Bischof von
Jerusalem mit der Errichtung der umfassenden Triumphalanlage am Christusgrab be-
auftragte, da stellte er ihm anheim, ob er die Decke der Basilika als kassettierte Holz-
decke oder in anderer Ausführung herstellen wolle, im ersteren Falle könne Vergoldung
hinzutreten. Mit der „anderen" Ausführungs weise (Werkweise, iqyaola) kann der
Kaiser doch nur das Wölben gemeint haben. Der Bischof hat, so will mir scheinen,
wie die Dinge lagen, verständlich und verständig entschieden. — Gegenüber der all-
gemein angenommenen Regel bedeuten Strzygowskis kleinasiatische Wölbkirchen eine
Ausnahme, die wohl örtlich bedingt war; ob auch, oder eher, zeitlich, das bedarf noch
der Nachprüfung. Ortlich bedingt sind die syrischen Steindecken.2)
Der basilikalen Halle als dem Versammlungsraum der Laien sich anschließend,
aber mit entgegengesetzter Richtung, insofern gegenüber, war der den Priestern vor-
behaltene Raum auf erhöhter Stelle anzubringen, das Presbyterium. Als Hauptform
desselben lernten wir bereits bei Besprechung des einschiffigen Kirchentypus (der Saal-
kirche) die mit Halbkuppel überwölbte Apsis kennen, die halbkreisförmig aus der
hinteren Schmalseite des Saales, bei der Basilika nun aber des Mittelschiffs, sich hinaus-
baut. Den Priestern diente eine im Halbkreis der Apsis herumlaufende Bank, der
gegebene Platz für den Bischofsstuhl war im Fond. Der Tischaltar fand seine Auf-
stellung am vorderen Rande der Apsis, unmittelbar vor dem Laienraum. — Wir er-
x) Syrien: de Vogü£, Syrie centrale pl. 15. 16 Schakka, 17 Tafcha.
a) Brief Konstantins: Euseb. Leben Konstantins III 32 ttjv dh ztjg ßaoiXixtjq xafiüpav
nozsQov XaxwvctQiav ij 61 evsQag xivbq hgyctaiaq y£veo&at ooi Soxsi, napa aov yvmvai ßovXofiai. El yccQ
XaxcovctQia (jlbXXoi elvai, öwr/ceTcct xal XQvaäi xaXXa>7tio9qvai. Fast meint man aus diesem letzteren
Satz einen Wunsch des Kaisers herauszuhören. Dann hätte der Bischof nur fein gehört; und die
Wahl des Holzdaches wäre nicht, wie man wohl meinen zu müssen glaubte, aus Armut oder bau-
technischem Unvermögen, auch nicht aus der oben angedeuteten Verständigkeit hervorgegangen,
sondern aus dem kaiserlichen Verlangen nach goldstrotzendem Prunk seiner Triumphalkirche. —
Strzygowski, Kleinasien, ein Neuland der Kunstgeschichte 1903.
Die Basilika. 295
innern uns des reichlichen Gebrauchs, den die Antike von der ßauform der Apsis
machte, auch die Marktbasilika; die Ulpia hatte an jedem Ende eine halbkreisförmige
Exedra, die Constantiniana eine Apsis zuerst am Westende des Mittelschiffs, gegenüber
dem östlichen Eingang, nachher in der Nordseite, gegenüber dem in die Südseite
verlegten Eingang. Kultische Analogien zum christlichen Allerheiligsten bilden, bei
allen Verschiedenheiten im Einzelnen, die Adyta der heidnischen Tempel, der ägyp-
tischen, auch des jüdischen, der griechischen und italischen, soweit sie dergleichen be-
saßen; eine Analogie bildet auch die Kaiserkapelle mit ihrem Altar, wie sie Vitruv dem
Fond seiner Basilika eingebaut hatte.
Die Außenseite der Apsis finden wir im Osten gern polygon gestaltet. — Die
heidnische Apsis (Schola) war ursprünglich, auch wenn irgend einem geschlossenen
Raum angefügt, allgemein nicht von Fenstern durchbrochen. Es liegt nahe anzunehmen,
daß auch die Kirchen sie zuerst in dieser Form verwendeten. Bald aber wurde die
gefensterte Apsis Regel; man bringt die Änderung wohl mit der Orientierung in Zu-
sammenhang.
Die Ausbildung des Altardienstes und die Entwicklung des Klerikalsystems hatte
Erweiterungen des Presbyteriums im Gefolge. Das konnte auf verschiedene Weise
geschehen. Entweder durch Ausnutzen der Winkel beiderseits der Apsis; das ergab
zwei Nebenräume, die nach außen geschlossen sich nach den Nebenschiffen öffneten
(Pastophorien, Sekretarien). Der eine, in seiner Front weit offenstehende, mit einem
Tisch ausgestattete, diente zur Entgegennahme der von den Gemeindegliedern mit-
gebrachten Abendmahlselemente Brot und Wein (Prothesis); der andere zur Auf-
bewahrung der Kultusgeräte und Kultusgewänder, mithin als Sakristei (Raum der
Diakone, Diakonikon). Dergleichen Nebenräume hatte es auch in heidnischen Kult-
lokalen gegeben, z. B. in dem der athenischen Jobakchen. Bei solcher Anordnung
trat die Apsis außen nicht mehr hervor, das Gebäude stellte sich rein als rechteckiges
Oblongum dar (Beispiele hauptsächlich in Syrien und Nordafrika).
Die andre Weise, das Presbyterium zu erweitern, bestand im Vorlegen eines
Querhauses (besonders in Kleinasien und Rom). Tatsächlich an der Stelle des hinteren
Querschiffs der Marktbasilika befindlich war es ein ganz andersartiger Baukörper; das
Querschiff war zum Querhaus ausgebaut worden, um den unbehinderten Durchblick aus
dem Mittelschiff in das Presbyterium und bis in die Apsis zu gewähren. Es war nun
nicht eine von Säulen abgegrenzte Halle, sondern ein Haus zwischen vier Wänden,
mochten diese auch an gewissen Stellen sich sogar weit öffnen, nach der Apsis und
den Schiffen. Es hatte auch nicht bloß die niedrige Höhenabmessung eines Quer-
schiffs, vielmehr die volle Höhe des Mittelschiffs. So konnte es auch Fenster nicht
nur in den Endseiten, sondern auch über den Nebenschiffen erhalten. Ursprünglich
auf die Breite der Basilika beschränkt schob es seine Enden später weiter hinaus. Die
Kreuzform des Grundrisses der Kirche kam erst seit dem Ausgang des Altertums zur
Entwicklung. — Der Tischaltar wurde nun vom Rande der Apsis bis an den Rand
des Querhauses vorgeschoben. Der gewaltige Rundbogen, wenig enger als das Mittelschiff
und auf zwei den Wandpfeilern vorgesetzten Säulen ruhend, mit dem sich das Querhaus
gegen das Mittelschiff öffnet {arcus maior), pflegt Triumphbogen genannt zu werden
{arcus triumphalis). Der Name, erst in der Karolingerzeit nachweisbar, wird abgeleitet
von dem großen Triumphkreuz, das wenigstens später auf dem wagrecht eingespannten
Balken oberhalb des Altars zu stehen pflegte; eher möchte man glauben, der Name
296 Architektur und Malerei.
stamme von der konstantinischen Inschrift am Triumphbogen der Peterskirche quod
duce te mundus surrexit in astra triumphans. Die Inschrift konnte Anlaß geben, den
Rundbogen über dem Altar und dem Aspekt des Presbyteriums mit einem altrömischen
Triumphbogen zu vergleichen. Auch darüber besteht Unsicherheit, ob der Name
eigentlich der Öffnung des Querhauses oder der Apsis zukommt.1)
Gegen den Laienraum, das Langhaus, wurde das Presbyterium nicht bloß durch
die Erhebung seines Fußbodens um eine oder mehrere Stufen abgegrenzt, sondern auch
durch Schranken (öixtvcc, ÖQvqxxxTa, xiyxXideg, cancelli) in den gelegentlich der Sar-
kophagrückseiten erwähnten Ausführungen in Holz, Metall oder Marmor. Monumentale
Schranken aus Marmor sind aus der christlichen Antike nur bruchstückweis erhalten.
Den Laien war das Passieren der Schranken und das Betreten des Presbyteriums im
allgemeinen untersagt.
Thron und Altar in der christlichen Basilika bedürfen noch einiger Worte.
Der Thron des Bischofs (Kathedra, Stuhl) ist in einigen Kirchen erhalten, ein
Marmorsessel. Seine Gesamtform (nicht die künstlerische Ausbildung) kommt dem
Korbstuhl am nächsten, den wir in der Skulptur als Sitz der Maria und des Gottes
bei der Schöpfung Evas fanden [Abb. 37]; in ebensolchen Korbstühlen sitzen Lehrer
und Schüler im trierer Schulrelief. Vielleicht saß auch der Lehrer der Gemeinde, der
Bischof, ursprünglich auf solch einem Korbstuhl. Die literarische Überlieferung weiß
von hölzernen Bischofsstühlen; dergleichen, mit Elfenbeinplatten bekleidet, begegneten
uns in der Elfenbeinskulptur (Holtzinger bemerkt, daß der Maximiliansthron zu Ra-
venna, weil auf der Rückseite verziert, nicht für Aufstellung im Fond der Apsis be-
rechnet sein könne, sondern für freien Stand unmittelbar vor der Gemeinde). Die
monumentalen Marmorsessel dürften kaum vor Konstantin aufgekommen sein. Sie sind
von der Art, wie sie im heidnischen Altertum zur dauernden Aufstellung im Freien
gebräuchlich waren; wir kennen sie als Sitze der in Theatern die Ehre der Proedrie
genießenden (vgl. die Protokathedrie Mk. 12, 39). Eine ganze Reihe solcher Marmor-
sessel steht noch heute vorn an im großen Theater des Dionysos zu Athen, bestimmt
für Priester athenischer Heiligtümer, die Namen stehen an den Sesseln eingegraben;
den Mittelplatz nimmt der besonders reich skulpierte Sessel des Dionysospriesters ein,
gleichsam des Hausherrn, vielmehr seines sterblichen Stellvertreters. Bescheidener ist
die im Theater zu Oropos gefundene Anlage. Die Verzierung aller etwas älteren
christlichen Exemplare läßt erkennen, daß sie aus heidnischen Werkstätten stammten,
ähnlich wie die „neutralen" Sarkophage; jüngere Exemplare tragen den späteren Stil
an sich. Gelegentlich finden sich als Bischofsstühle sellae perforatae benutzt, die man,
wohl irrig, als Badestühle zu erklären pflegt.
Für die zu den Seiten des Bischofs sich reihenden Presbyter liefen an der Apsis
Bänke herum (Subsellien), ursprünglich von Holz, monumental von Marmor. Numerische
Zunahme des Klerus führte zu amphitheatralischer Anordnung mehrerer Bankreihen
übereinander. Dergleichen Anlagen erhielten sich, meist wohl aus reichlich später Zeit,
auf der Insel Paros, in Torcello, in Grado.2)
x) Zum Triumphbogen vgl. noch Strzygowski, Jahrb. d. preuß. Kunstsamml. 1904, 253.
2) Der sog. Stuhl Petri in der Peterskirche, von Holz und mit Elfenbein belegt, daher bereits
oben erwähnt, gehört als Tragsessel überhaupt nicht in die Eeihe der hier in Eede stehenden
Bischofsstühle mit festem Standorte in der Apsis.
Die Basilika. 297
Solange der Abendmahlstisch beweglich war, wurde er nur zur eucharistischen
Feier aufgestellt, konnte also bei Ansprachen nicht im Wege stehen. Nachdem aber
der Tischaltar mit allem seinem Drum und Dran seinen festen Platz gefunden hatte,
zwischen Bischof und Laien, vollends nachdem der Altar bis an den Vorderrand des
Querhauses vorgeschoben war, konnte der Bischof von seinem Stuhl im Fond der Apsis
unmöglich mehr wirksam zur Gemeinde sprechen, es wurde nötig, ihm für solche Zwecke
einen besseren Platz zu schaffen, unmittelbar vor ihr, also an den Schranken, den
cancelli. Hier fand der Ambo Aufstellung, außerhalb des Presbyteriums, der Predigt-
stuhl, aus dem sich die „Kanzel" entwickeln sollte.
Der Altar.1) Am Altar bewährt sich der Begriff der christlichen Antike vollends
durchschlagend. Wir haben hier nicht die Entwicklung zu schildern, welche das
messianische Freudenmahl, dann Gemeinschafts- und Gedächtnismahl durchlief, um zu-
letzt zu einem Opfer und Opfermahl zu werden, in welchem der gekreuzigte Messias
Jesus von Nazaret, der Gottessohn, endlich der Mensch gewordene Gott, dem zürnen-
den Gott als Sühnopfer dargebracht, täglich vom Priester auf dem Altar neu geopfert,
und sein Fleisch und Blut im anschließenden Opfermahl an dem Tisch, nun zugleich
Altar, gegessen und getrunken wurde, um den Teilnehmern die ewige Seligkeit zu ge-
währen, alles nur spiritualiter. Daß es indessen doch ernst gemeint war mit dem
Opfer und dem Opfermahl, mit dem Fleisch und dem Blut, das beweist eine lange
Reihe von Zeugnissen, angefangen von den legendarischen Einsetzungsworten und dem
allerdings „harten Wort" des Johannisevangeliums, bis zur blutenden Hostie in der
Messe von Bolsena, der Gründungslegende des Fronleichnamfestes. Uns aber kommt
es darauf an zu wissen, welche bauliche Form das christliche Opfer und Opfermahl
sich geschaffen hat. In welcher Weise das ursprüngliche Freuden-, Gemeinschafts-
und Gedächtnismahl eigentlich abgehalten wurde, ist noch völlig dunkel; nach dem
Wortlaut der Texte sollte man meinen, es sei in Form richtiger Gelage, wenn nicht
am Boden, so doch auf Klinen geschehen, wobei dann der Tisch je nachdem gar keine
oder doch nur eine nebensächliche Rolle gespielt hätte. In kleineren Kreisen wäre
das wohl denkbar, vielleicht auch monumental erweislich, aber bei ganzen Gemeinden
ist's eine schwer realisierbare Vorstellung. Wie dem auch sei, sehr früh tritt der Tisch
in den Vordergrund, der Tisch des Herrn. Ein hölzerner Speisetisch, ein Möbel,
wirklich mobil, nach Bedarf aufgestellt und wieder beiseite gesetzt, wie es heute in der
Kirche Calvins geschieht.2)
*) Altar: Holtzinger, Altchristliche Archit. in syst. Darst. 1889. Wieland, Mensa und
Confessio I Der Altar der vorkonstantinischen Kirche (Veröffentlichungen aus dem kirchen-
historischen Seminar München II 11) 1906 schildert die Entwicklung vom Tisch des abendlichen
Gemeinschaftamahles zum Opferaltar auf dem Heiligengrab. Derselbe, Die Schrift Mensa und
Confessio u. P. Dorsch S. J. (eb. III 4) 1908. Dazu de Waal, Rom. Quartalschr. 1906, 153. Har-
nack, Theol. Lit. Zeit. 1906, 627. Funk, Tüb. Quartalschr. 1907, 466. H. Holtzmann, Deutsche
Lit. Zeit. 1909, 209. — Raible, Der Tabernakel einst und jetzt; eine historische und liturgische
Darstellung der Andacht zur aufbewahrten Eucharistie, Freiburg i. Br. 1908. — Nik. Müller, Prot.
Realenzykl. 8I 391. Leclercq in Cabrols Dictionnaire I 3151 Art. Auriol. (Autels d') und 3155 Art.
Autel. Gressmann, Drews und Bürkner in Schiele's Religion I 371 Art. Altar. — Rohault de
Fleury, La messe, 6tudes archeologiques aur ses monuments I 1883.
2) Gelag am Boden: Band I 181 „Das Mahl der Seligen".
298 Architektur und Malerei.
Nun kam es auf, in ein früheres Moment im Verlauf des Mahlritus, vor der
Verteilung der Speise und des Tranks, die Meinung zu legen, daß da die Opferung
des Christus bei jeder Messe neu geschehe. Da das ganze Ritual immer an dem einen
Tisch vollzogen wurde, so nahm der Tisch des Herrn, auf dem jetzt der Herr selbst
dem Herrn selbst als Opfer dargebracht wurde, den Charakter eines Opferaltars
an. Und der neu eingeführte, vielmehr auf einem Umweg wieder eingeführte antike
Opferaltar behielt grundsätzlich und langehin tatsächlich die Tischgestalt; er mußte sie
behalten, weil dem neuen Opfer das alte Gemeinschaftsmahl, nun als Opfermahl ver-
standen, sich unmittelbar anschloß.
Wenn in der hostia oblata der Christus verehrt wurde, so war damit der Gott,
als den man ihn nun glaubte, leibhaft in das Kirchengebäude gezogen, das Gemeinde-
haus zum Wohnhaus des Gottes geworden, zum Tempel. Und das Presbyterium zum
Allerheiligsten i^Ayiov, ayiov äyiwv, sanctuarium) , dem Laien untersagt (advrov, äßarov),
alles nach antikem Kultgebrauch. Zum Allerheiligsten wurde das Presbyterium nicht
durch den Altar, sondern durch den Gott auf dem Altar. Wohl thront er im Himmel,
oder wie die Reliefs es darstellten, über dem Himmel. Es ist aber die Art des antiken
Gottes, im Himmel und in seinem Tempel zu sein. Wurde nun der Gott auf dem
Altar in seinem Tempel verehrt, so durften die Christen sich den Heiden gegenüber
nicht mehr rühmen, sie hätten weder Altäre noch Tempel. Von da an sprechen sie
offen von ihren Tempeln und ihren Altären.
Die Tischform des christlichen Opferaltars bleibt im Rahmen der antiken Kult-
gebräuche. Der Tisch (zgarte^a, mensa) eignete sich mehr dazu, unblutige Darbringungen
(Opfer) aufzunehmen, wie Baum- und Feldfrüchte, Brot, Honig. Wo immer man den
Geist oder Gott gegenwärtig wähnte, da legte man ihm Speise nieder, an der Erde, auf
einem Fels, einem Erdhaufen, einem aus Steinen geschichteten Altar, oder auf einem
Tisch, also dem Speisetisch für den Gott. Unter Dach konnte er von Holz sein, schlicht
oder kostbar, sei es von edlerem Material oder in künstlerischer Durchbildung; monu-
mentaleres Material war Stein, natürlich waren die im Freien aufgestellten Tischaltäre
von Stein. Der Brauch, solche Tische aufzustellen, ging durch alle Zeiten und Völker,
man findet ihn bei Ägyptern und Vorderasiaten (es sei nur der „Tisch der Schaubrote"
erwähnt), in den griechischen Ländern schon zur mykenischen oder Heroenzeit, z. B. auf
Kreta. In den klassischen Zeiten war die Cella des griechischen Tempels speziell für
den Tisch bestimmt, die älteren sizilischen Tempel besaßen ein besonderes Adyton für
den Gott, für sein Bild. Reste von sakralen Tischen fanden sich vielerorts: in Athen
im Lenaion und im Amynaion, in Aulon (in Attika), in Eleusis, Epidauros, Lykosura usf.
Ein Relief aus Megara zeigt den Tisch vor einem Achelooskopf. Für unseren Zweck
genügen die angeführten Beispiele. Ich füge noch eine Münze des Licinius hinzu, die
einen Tischaltar zeigt; er steht auf einer Stufe zwischen Schild und Helm, quer liegt
die Lanze, auf dem Altar selbst sitzt eine Eule. Also kein Speisetisch.1)
Auf die verschiedenen Anlässe, aus welchen einem Gott ein Speisetisch hergerichtet
werden konnte, haben wir nicht einzugehen; an die den Göttern gegebenen Mahle, die
*) Sizilien: Koldewey-Puchstein, Griech. Tempel in Unteritalien u. Sizilien 1899, 193. —
Steintische. Ath. Mitteil. 1895, 167 Lenaion, 1896, 289 Amyneion, 1880, 116 Aulon, 1899, 243 Eleusis,
1898, 1 Epidauros. Lykosura: 'E<p. ccqx- 1896, 107. Megara: Furtwängler, Sammlung Saburoff
Taf. 27. Licinius: Cohen, MeU imp. «VII 204 153. — Vgl. noch Reisch bei Pauly-Wissowa I
1640 Art. Altar, 1676 über Tischaltäre, II 338 Art. Ära. v. Prott, Ath. Mitteil. 1898, 219.
Die Basilika. 299
Theoxenien und Lectisternien, braucht nur erinnert zu werden. Aber von einer Klasse
Steintische ist noch zu reden, die einen sakralen Charakter nicht zur Schau tragen, die
künstlerisch durchgebildeten pompejanischen Marmortische; sie stehen imCavaedium
an ausgezeichneter Stelle, hinter dem Impluvium, im Querschiff zwischen den Alae, vor
dem Tablinum. Ihre Bestimmung liegt nicht zu tage. Sehr einleuchtend dachte sich
Nissen, an dieser Stelle habe einst der Herd des Hauses sich befunden; als dann eigene
Küchen eingerichtet wurden, habe man den alten Herd mit einer Marmorplatte bedeckt
und schließlich durch einen Marmortisch ersetzt. Die Kostbarkeit der Exemplare
widerrät, an Benutzung für häusliche Zwecke zu denken; könnte der Marmortisch
nicht, als Vertreter des heiligen Herdes, zum Tisch für die Hausgötter bestimmt sein,
die doch ihren Anteil vom häuslichen Mahle erhielten? Die auf und bei ihm offenbar
bleibend hingestellten Bronzevasen würden nicht dagegen sprechen. Diese Marmortische
nun schienen die Hypothese zu unterstützen, das Atrium sei der Keim der christlichen
Basilika gewesen; die Tische seien unmittelbar in den kirchlichen Gebrauch über-
gegangen, der christliche Altar sei Abkömmling des Atriumtisches. Die Hypothese ist
weder, wie wir wissen, mit dem baulichen Charakter des Atriums vereinbar noch ist
sie es mit der Entwicklungsgeschichte des christlichen Ritus; richtig aber ist, daß die
Marmortische, wie wir sie in Pompeji sehen und wie sie in Varros Jugendzeit in vielen
Häusern aufgestellt wurden, zu christlichen Tischaltären sehr wohl verwendet werden
konnten, auch ihrem von uns vermuteten Sinne nach.1)
Eigentümlich christlich scheint die Verwendung des Opfertischs für das blutige
— mental blutige — Christusopfer zu sein. Doch ist zu bemerken, daß einerseits analoge
Verwendung des Tisches, für blutige Opfer, auch im heidnischen Kult vorkam; anderer-
seits war sie im christlichen Kult ebendadurch erleichtert, daß es sich — nicht mental,
aber real — doch um ein unblutiges Opfer handelte (ausgenommen die blutende
Hostie von Bolsena, die aber dem Mittelalter angehört und dessen Kulminationspunkt
an ihrem Teile deutlich zeichnet). Übrigens verlangt der Satz von der christlichen
Antike ja nicht, daß mit den christlichen identische Erscheinungen im heidnischen
Altertum nachgewiesen werden, sondern nur, daß das Christliche sich als antiken
Geistes und antiker Art erweise, was bei dem gesamten Opferkultus unbedingt der
Fall ist.2)
Der Tischaltar erhielt nun aber, außer zum Opfer und zur Kommunion, noch
eine dritte Beziehung, nämlich zum christlichen Heroenkult. Das war vorbereitet
durch den Brauch, an den Gräbern, insbesondere der Märtyrer, das ist der christlichen
Heroen, die Eucharistie zu feiern; seinen Ursprung aber nahm es in den konstantinischen
Triumphalkirchen. Die erste ließ der Kaiser in Jerusalem über dem Grottengrab er-
richten, das hinfort als Christusgrab gelten sollte; Jesus war der erste und Hauptheros
der Christen, der wahre Protomartyr. Dann folgten, wie es heißt, in Rom die Coemeterial-
basiliken über den Gräbern der Petrus, Paulus usf. In allen Fällen gab das Grab den
festen Punkt für den Plan des Baues ab; oft unter Zerstörung der Umgebung, der
umliegenden Christengräber, wurde die Gruft freigelegt, das Grab des Märtyrers
oder Bekenners, Confessors, daher die Gruft Confessio heißt. Auf das Grab
*) H. Nissen, Pompejanische Studien 420. 641.
*) Blutige Opfer auf Tischen: Keisch bei Pauly-Wißowa I 1676. Pfuhl, Ath. Mitteil.
1903, 336.
300 Architektur und Malerei.
kam der Altar zu stehen, innerhalb des Presbyteriums; damit war die Grenze zwischen
Presbyterium und Laienhaus gegeben, die architektonische Ausgestaltung ergab sich
wie von selbst.
Die ursprüngliche Anordnung von Grab und Altar in Jerusalem ist nicht genauer
bekannt. In Rom liebte man, das Niveau des Laienhauses, oder wenigstens den un-
mittelbaren, dann durch eine Doppeltreppe zu erreichenden Vorplatz der Gruft, dem
Fußboden der Gruft gleichzulegen, so daß es möglich war, durch Öffnungen in der
Vorderwand der Krypta hineinzusehen und den dort Ruhenden anzusprechen, auch
mit der Hand hineinzugreifen. So glaubte man die dem Toten eignende göttliche
Kraft auf sich wirken lassen zu können, auch Tücher (brandea), in die Gruft gelegt,
würden diese divina virlus in sich aufnehmen und überallhin mitbringen. In anderen
Kirchen, so in Sankt Peter, war die Öffnung in der Decke der tiefliegenden Gruft.
Die Öffnung in der Vorderwand hieß Fenestella confessionis, die in der Decke der Gruft
Cataracta.1')
In der weiteren Entwicklung der Kombination von Grab und Altar lassen sich
allerlei Spielarten unterscheiden. Man hob das Grab bis unmittelbar unter die Tisch-
platte, so daß es zwischen den vier Tischpfosten stand. Der Typus der Confessio mit
Fenestella wurde wohl noch beibehalten, aber nur in starker Verkleinerung; so in San
Alessandro. Oder man gab dem Steinkörper unter der Tischplatte Form und Front
einer römischen Grabara mit Hadestür (vermutlich verwendete man hierzu anfangs
heidnische Grabaren, mit den nötigen Anpassungen): die Hadestür wurde zur Fenestella,
sie pflegt unter einer Koncha zu stehen, diese zwischen zwei kandierten Pilastern; wir
kennen das Schema von den Tabernakelsarkophagen, stilverwandt sind besonders die
ravennatischen [Abb. 50. 51], die koptischen Stelen reihen sich an als letzte Ausläufer
[Abb. 60— 6 3].2)
Dann wurde der Sarkophag des Märtyrers unter die Mensa gestellt; hieraus ging
der sarkophagförmige Altar hervor, der auf die Dauer sich als Haupttypus durch-
setzte; dabei konnte die Tischidee immer noch festgehalten werden, indem man an den
vier Kanten die Tischpfosten markierte. Eine Analogie zu diesem Vorgang fand sich
im athenischen Asklepieion, Darstellung eines Steinaltars mit Andeutung der Beine
eines Bronzetisches an den vier Kanten. Ahnliche Übertragungen von Bronze- oder
Holzmöbeln, Gestellmöbeln, in Steinarbeit beobachtet man zahlreich im ganzen Alter-
tum, in Ägypten wie in Altchaldäa und in Assyrien, in Griechenland und in Italien zu
allen Zeiten. — Nachdem in Rom der wieder einmal in die Art der Primitivkultur
zurückfallende Brauch aufgekommen war, die sterblichen Reste eines Märtyrers zu zer-
stückeln und an verschiedene Kirchen zu verteilen, genügte eine Vertiefung in der
Tischplatte, um in einer Kapsel die Partikel aufzunehmen. Denn die Kombination von
Grab und Altar war inzwischen ein so dominierender Gedanke geworden, daß auch
die Stadtkirchen, die doch nicht über Gräbern errichtet waren, die Verbindung von
Christus- und Märtyrerkultus glaubten mitmachen zu müssen. Schließlich weihte man
keine Kirche mehr, ohne eine Märtyrerpartikel in ihrem Altar niederzulegen; konnte
man einer solchen nicht habhaft werden, so begnügte man sich auch mit einer durch
») de Waal, Köm. Quartalschr. 1900, 57.
2) Altmann, Eöm. Grabaltäre 1905 Fig. 43. 114. 138. — Hadestür: oben Seite 52. — Auch
wurden heidnische Cippen und Aren direkt als christliche Altäre geweiht.
Die Basilika. 301
Berührung eines Märtyrergrabes kraftbegabten Brandea. Die Nachfrage nach Märtyrer-
stücken war um so größer geworden, als man, ebenfalls unter den Auspizien Roms, die
Regel preisgab, in jeder Kirche nur einen Altar aufzustellen, um eine beliebige Zahl
derselben in den Nebenschiffen weihen zu können. Die griechische Kirche hat sich
davon freigehalten, sowohl von der Zerstückelung der Märtyrerleiber wie von der Er-
richtung mehrerer Altäre in einer Kirche.1)
Altäre auf Gräber gestellt kannte das heidnische Altertum in verschiedener
Weise. Die dem Verstorbenen nicht bei der Beerdigung beigegebenen, sondern im
wiederkehrenden Kultus gebrachten Gaben konnten einfach auf den Erdhügel nieder-
gelegt werden, oder, war ein Grabmal errichtet, auf dessen Stufe; attische Lekythen
zeigen das oft. Auf Brandgräbern von Thera standen Opfertische. Später, übrigens
Älteres wiederaufnehmend, legte man auch bloß das Wesentliche, die Platte, als TQaTte^a
oder mensa auf das Grab; dieser Typus, mit einer Marmorvase darauf, wurde ein
herrschender Grabmaltypus in Athen, nach dem Gräberedikt des Demetrios Phalereus.
Der sepulkrale Gebrauch des Opfertisches bestätigt sich in seiner Darstellung vor der
Grabestür am Sarkophag aus Konia. Im selben Gedanken formten sich die Grabmäler
selbst zu Grabaltären.*)
Zugrunde liegt die primitive Vorstellung, daß der Tote lebe, daß er Speise und
Trank bedürfe und Anteil begehre an allen Annehmlichkeiten des Lebens auf der Erde.
Daher die Beigaben bei der Beerdigung und die Darbringungen im Totenkult, vor
allem Geschirr mit Speise und Trank. Man meißelte Näpfe in die Grabmalstufe für
die Opferspeise, man hob Opfergruben am Grabe aus, man führte Röhren von der
Erdoberfläche senkrecht ins Grab, direkt auf den Mund der Leiche, um Trankspenden,
sogar Speisen, wenigstens Früchte, dem Toten zuzuführen. Zu gleichem Behufe bohrte
man Löcher durch den Deckel des Sarkophags, oder durch die Trinkschale in der Hand
des auf dem Deckel gelagerten steinernen Toten. Ein solches Loch, zu welchem Zwecke
nun? fand sich auch in der Deckplatte eines christlichen Arkosols. Selbst die Fenestella
am Körper des Altars, wie in San Alessandro, hat wenigstens eine, sicher nur durch
den Zufall der Überlieferung bisher einzige Analogie in dem Türchen am altarformigen
Bathron des amyklaeischen Apollon, das als Grab des Hyakinthos galt; das eherne
Türchen war an der linken Seite angebracht; an den Hyakinthien, vor dem Opfer für
den Gott, wurde dadurch dem Heros sein Totenopfer in das Grab gegeben. Altäre
mit Türen kommen auch auf Kaisermünzen vor, übrigens nicht bloß nach der Konse-
kration, sondern auch zu Lebzeiten des Kaisers. Die Türen an den Grabaltären und
Sarkophagen, die sog. Hadestüren, begegneten uns wiederholt; auch sie deuten auf den
Verkehr zwischen Unter- und Oberwelt, in etwas andrer Weise. Wenn römische Grab-
kammern der Kaiserzeit über der Tür Schlitze aufweisen, wie die Gruft des Schweine-
metzgers sie besaß, so sind die Schlitze, an Stelle der Lichtöffnung über dem Türsturz
stehend, tektonisch genommen auch Fenestellae, aber nicht zum Verkehr, sondern zum
Lüften. Eigentümlich verwendeten die altägyptischen Bildhauer die Lichtöffnung über
den von ihnen gemeißelten Hadestüren; während unten an der Tür und an ihren Pfosten
*) Asklepieion: Ath. Mitteil. 1877 Taf. 16.
2) Thera: Dragendorff in Hiller von Gärtringens Thera II 1903, 18. 35. — Platte: Watzinger,
Studien zur unteritalischen Vasenmalerei 1899. — Konia: Strzygowski, Byz. Denkm. III pag. XII
Abb. 1. — Grabaltäre: Altmann, Römische Grabaltäre 1905.
302
Architektur und Malerei.
der Verstorbene dargestellt ist wie mit der Außenwelt verkehrend, sieht man ihn durch
die Lichtöffnung drinnen beim Schmause sitzen.1)
Neben aller Aufklärung pflegt sich der Aberglauben lange zu erhalten, gar nicht
davon zu *eden, daß er zu Zeiten wieder Oberwasser bekommt. Die Hinterbliebenen
kamen natürlich bald dahinter (die alten Ägypter wußten es längst), daß der Tote die
ihm hingesetzten Speisen und Getränke nicht wirklich verzehre, daß auch ein plastisches
oder ein gemaltes Abbild davon ihm denselben Dienst tue, ja schon die bloße Für-
bitte, für ihn vor seinem Grabe gesprochen: Tausend in Gänsen, Tausend in Bier!
Man darf sich nicht darüber täuschen, die auf dem Grabe eines Christen ge-
feierte Eucharistie war auch ihm ein Lebensmittel, als solches gedacht, ein Mittel für
das ewige Leben, was man da Leben hieß. Mag auch die Gemeinschaft in Christus
die Spitze der christlichen Meinung gewesen sein, so blieb doch das Mahl Mahl,
Speise blieb Speise, Wein blieb Trank, auch für den Märtyrer, wenn auch so wenig
materialiter wie bei den alten Ägyptern. Auch die übrigen Christen waren, wie die
Katakomben uns lehrten, ihres unmittelbaren Eingangs in den Himmel durch ihren
Erlöser, den Erlöser vom Tod, gewiß; aber man unterließ nicht ein Übriges zu tun,
der ewigen Gemeinschaft mit ihm sich auch durch die Eucharistie bei Lebzeiten zu
versichern, und nach dem Tode, wenn es ging, durch eine Totenmesse sich die Ver-
sicherung erneuern zu lassen, wenn nicht auf dem Grab, so doch am Grab oder viel-
leicht in einer der Friedhofskapellen, dergleichen auf den römischen Coemeterien mehr-
fach errichtet waren.
Wieder anders als über dem Märtyrergrab mußte die Meinung der Eucharistie
am Altar über dem Christusgrab in Jerusalem sein. Da wurde auf dem Altar eben
derselbe geopfert, genossen und angebetet, dessen Grab man unter dem Altar ver-
ehrte, freilich, ohne daß seine Gebeine darin ruhten. Hier also wurden ein und der-
selben Kultperson zugleich göttliche und heroische Ehren erwiesen, unten, am Keno-
taph, heroische, oben, am Altar, göttliche (dabei bleibe ununtersucht, wie weit der
langsam verlaufene Prozeß der Apotheose zu Konstantins Zeit schon gediehen war).
Ein solcher zwiefacher Charakter derselben Kultperson war dem antiken Kultus ganz
geläufig; nur besteht bei den Einzelfällen gewöhnlich eine Kontroverse darüber, ob
der Heros eine Hypostase des Gottes oder ob er umgekehrt vergottet worden sei.
Der Doppelcharakter drückt sich öfter auch in einer Kultverbindung des Gottes und
des Heros aus; es sei nur beispielsweise an Erechtheus-Poseidon erinnert.
Das braucht kaum erst gesagt zu werden, daß die Öffnungen in der Front oder
der Deckplatte des Märtyrergrabes, die Fenestellae und Cataractae, wenigstens tekto-
nisch nächstverwandt sind außer jenen Schlitzen auch den Opfergruben, Röhren und
Löchern für die Libationen ins Grab; nur ihre Verwendung hat sich etwas verschoben,
sie dienen nicht mehr zum Nutzen des Toten, ihn zu nähren, sondern des Lebenden,
von der Kraft des Toten zu zehren.
l) Näpfe in der Grabmalstufe: Gsell, Mus. et coli, de l'Algerie X Taf. 3. Schulten, Arch.
Anz. 1903, 103. Auch schon in Athen. — Opfergruben: Pfuhl, Ath. Mitteil. 1903. — Eöhre:
Petersen, Anz. 1903, 90. Hülsen, Köm. Mitteil. 1905, 99. — Sarkophagdeckel: Eobert III I 62
Abb. 40. Trinkschale: Altmann, Archit. 101, 3. — Arcosol: Orsi, Rom. Quartelschr. 1894, 157
Abb. Führer-Schultze, Altchr. Grabstätten Siziliens 1907, 16 Abb. — Hyakinthos: Pausanias 3,
19, 3. — Kaisermünzen: Hülsen, Rom Mitteil. 1905, 41, 1. — Grabfassade: Hülsen, Anz. 1889,
102 (Abb.). 156, 1.
Die Basilika. 303
Das Grab unter dem Altar konnte übrigens sehr verschieden aufgefaßt werden.
Der Bischof Ambrosius bereitete sich sein eigenes Grab unter dem Altar der von ihm
errichteten Kirche, offenbar um einst täglich an der Communio und dem aus ihr zu
erhoffenden Segen teil zu haben; freilich wurde er genötigt, darauf zu verzichten und
an seiner Statt Märtyrer einzugraben. Wenn es ferner richtig ist, was gesagt wird,
das christliche Volk habe darauf gedrungen, daß in allen Kirchen Märtyrerreliquien
niedergelegt würden, wonach alle Kirchen wenigstens in der Idee auf Gräbern standen,
so drängt sich die Frage auf, ob nicht noch ein besonderer Volksaberglaube im Spiele
gewesen sei, der unheimliche Wahn nämlich, unter jeden Bau müsse, damit er be-
stehe, ein Lebendes, selbstverständlich tot. Das ist der Grund des unter „Wilden"
wie auch im Altertum verbreiteten Inauguralopfers bei Haus- und Tempelgründungen.
Tätsächlich gehört das Heiligengrab unter dem Altar, oder nach den Umständen das
Niederlegen von Märtyrerpartikeln, zur Inauguration des christlichen Tempels. Doch
ist der Sinn modifiziert: heidnisch gilt es, mittels des Inauguralopfers den durch den
Bau gestörten Genius loci zu versöhnen; in der christlichen Basilika dagegen, wo die
Märtyrerleiche an die Stelle des Inauguralopfers getreten und der Märtyrer selbst der
Genius loci ist, da gilt es, mittels der Communio ihn zu stärken und seine Kraft sich
zu sichern.1)
Den Aufbau der Altaranlage vollendete das Ciborium, das ist ein Baldachin
auf vier im Quadrat aufgestellten Säulen, aus Holz, bei reichster Ausführung mit
Metallüberzug, oder Stein; er überdeckte den Altarplatz. Baldachine über Altären
hat es im Altertum verschiedentlich gegeben, nachweisbar im Ägypten des Neuen
Reiches wie der Ptolemäerzeit, ebenfalls in Italien. Daneben gab es Baldachine über
Gräbern (Tegurien), anscheinend waren sie noch seltener als die über Altären. Das
Ciborium aber überschattete beides in einem, Grab und Altar.2)
Wegen ihres architektonischen Charakters seien die sechs Marmorsäulen er-
wähnt, welche Konstantin in einer Reihe vor der Confessio der Petrusbasilika auf-
stellen ließ (Gregor III. fügte noch weitere sechs hinzu). Sie haben gewundene
Schäfte, von Reben umrankt, darin Eroten spielen. Reste sind erhalten, ein Schaft
steht arg vergittert bei der Pietä des Michelangelo. „Gewundene Säulen" gab es in
der ältesten Kunst Griechenlands und wieder in der Zeit des Hellenismus. Man muß
aber mehrere Arten unterscheiden. In der kretisch-mykenischen Kunst und in der
früharchaischen Kunst Athens hatte man Säulen mit spiralig den geraden Schaft um-
ziehenden Wülsten, ähnlich der aus drei Schlangenleibern gewundenen Schlangensäule,
jetzt in Konstantinopel. Die hellenistischen Säulen, miteingeschlossen die der christ-
lichen Sarkophage, haben spiralig umlaufende Kannelüren [Abb. 17. 18. 29 und öfter].
Bei den von Konstantin in der Petrusbasilika aufgestellten Säulen dagegen windet sich
der Schaft selbst spiralig, pfropfenzieherartig. Hiermit nun verbindet sich das andere
Motiv der den Schaft umrankenden Reben. Akanthusumrankte Säulen trugen den
Baldachin über Alexanders Leichenwagen. Säulenstücke, derart umrankt, finden sich
in Pompeji, augusteischer Zeit; in der Darstellung eines Tempels vom Hateriergrab,
x) Inauguralopfer: Pinza, Bull. com. 1898, 178 mit Literatur.
•) Baldachine über Altären: Koch, Rom. Mitteil. 1907, 381. — Bei den Baldachinen über
Gräbern wird man auch die christlichen Baldachingräber in den Katakomben von Sizilien und
Malta in Betracht ziehen müssen; vgl. Führer-Schultze, Altchr. Grabstätten Siziliens 262 Abb. 98.
304
Architektur und Malerei.
flavischer Zeit; in Fiesole, unter den Resten des römischen Theaters; am christlichen
Sarkophag Lat. n. 174 [Abb. 19]. Eine spiralig kannelierte Säule mit Rebzweig-
bändern, darin Eroten, steht im Konservatorenpalast, im oberen Gang, unter dem
Grabmal des Schusters. Daneben sei auch auf rebenumrankte Baumstämme hin-
gewiesen, wie an der Dionysosstatue aus Eleusis; ein spiralig gewundener Baumstamm,
von allerlei Gezweig umrankt, befindet sich im Museo Ludovisi (n. 30). — Konstantin
soll die sechs rebenumrankten Säulen aus Griechenland nach Rom haben schaffen
lassen; später heißt es, sie stammten vom Tempel zu Jerusalem, daher Raphael in den
Arazzi sie zur Darstellung des Tempels benutzte. Andere verwendeten sie auch für
sonstige Architekturbilder, z. B. Raflaele dal Colle in der Schenkung Roms, Gerard
Douffel im Besuch Nikolaus' V. am Grab des H. Franz, Rubens im Bilde des Thomas
Arundel und seiner Gemahlin. Auch sind die oft verschrienen gewundenen Säulen
an Berninis Tabernakel über der Confessio in S. Peter von Konstantins Säulen in-
spiriert. *)
Ein in mancher Hinsicht interessantes Kapitel wäre die übrige Ausstattung der
Kirche, vorzüglich des Grabaltars, mit kostbaren Verkleidungen und mit Geräten, in
den Prunkbasiliken von Silber und Gold nebst Edelsteinen, mit Vorhängen, Teppichen
und Tüchern, vielfach auch von großem Werte, und mit manchem andern. Einiges Material
bei St. Beißel, Bilder aus der Geschichte der altchristlichen Kunst und Liturgie in
Italien 1899, 221 Das Mobiliar der römischen Basiliken und dessen Verzierung in
edlen Metallen; 260 Ausschmückung der altchristlichen Basiliken mit Webereien und
Stickereien.
Die Orientierung. Ein Bau, dessen Front- und Eingangsseite (was nicht
immer tatsächlich, aber was normal zusammenfällt) gegen Osten blickt (orientem spectat),
ist im buchstäblichen Sinne „orientiert". Die griechischen Tempel waren in der Regel
in diesem Sinne orientiert, blickten nach Osten, z. B. der Parthenon. Allerdings
kommen Ausnahmen verschiedener Art vor, sei es, daß der Eingang nicht genau nach
dem Ostpunkt sieht, sondern mehr oder weniger seitlich abweicht, nach Nord- oder
Südost; oder daß der Eingang nach irgend einer anderen Himmelsrichtung blickt. In
manchen Fällen scheint die Erklärung aus der Lage im Gelände sich zu empfehlen,
oder aus dem Plane der Stadt, der Anordnung der Straßen und Plätze; obwohl Be-
stimmungsgründe dieser Art nicht immer zwingend sind. Und es bleibt doch die Tat-
sache bestehen, daß die meisten Tempel im ganzen übereinstimmend nach Osten
blicken, auch dann, wenn der Zugangsweg von Westen herkommt, wie beim Parthenon.
Da scheint doch eine Absicht zugrunde zu liegen.
Nissen hat versucht, die von der Ostung abweichenden Axenlegungen aus dem
Grundgesetz der Orientierung (das Wort nun im weiteren Sinne genommen, der Rich-
tung einerlei wohin) zu erklären. Er nimmt an, daß die Axenlegung nicht nach den
konventionell feststehenden Himmelsrichtungen erfolgt sei, sondern nach dem in Wirk-
lichkeit wechselnden Sonnenaufgangspunkt, der im Sommer mehr nordöstlich, im Winter
mehr südöstlich fällt; der erste, den Bauplatz schneidende Strahl der am Gründungs-
*) Mykene: Beiger, Anz. 1895, 15 Abb. — Athen: Beiger, a. a. O. Wiegand, Porosarchi-
tektur 172, 1 Abb. — Römisch: Altmann, Grabaltäre 142. — Pompeji: Mau, Rom. Mitteil.
1896, 41. v. Sybel, Weltgesch. 2395. — Eleusis: Ath. Instit. Photogr. El. 60. — Douffel:
Klassischer Bilderschatz n. 1485. — Rubens: Knackfuß, Rubens Abb. 63.
Die Basilika. 305
tag aufgellenden Sonne gab die Hauptaxe des Tempels an, bei jeder Wiederkehr des
Gründungstags traf er das im Hause stehende Bild. Andere Tempel seien analog
nach dem Aufgang von Sternen gerichtet, solcher Sterne, welche zum Gott des Tempels
in Beziehnng standen. Da der Christus, das Licht der Welt, als neue Sonne gedacht,
daher auch sein Geburtstag in die Zeit der Wintersonnenwende, das ist des wieder
zunehmenden Lichtes, und auf den Geburtstag des Sol invictus, sowie der Auf-
erstehungstag auf den Sonntag gelegt wurden, so kommt für seine Tempel nur der
Sonnenaufgang in Betracht.
Darum schreiben die sog. apostolischen Konstitutionen (aus dem vierten Jahr-
hundert) vor, daß der christliche Tempel nach Osten gerichtet werde. Der Priester,
von seinem Stuhl in der Apsis aufstehend und an den Altar herantretend, blickte über
Altar und Gemeinde hinweg durch die offene Tür nach Osten, zum Gebet drehte sich
die Gemeinde um, ebenfalls nach der Tür hin, den Rücken gegen den Altar. Wenn
in den letzten Jahrzehnten des vierten Jahrhunderts Gregor von Nyssa schreibt:
„Wenn wir uns nach Osten wenden, so geschieht es nicht, um dort Gott zu suchen,
der überall ist, sondern weil der Orient unser erstes Vaterland ist; er war unsere
Wohnung, als wir im Paradiese lebten", so ergibt sich die von ihm bekämpfte Mei-
nung als die ältere, die von ihm vertretene als eine zunächst subjektive, mag sie auch
in weiteren Kreisen Beifall gefunden haben. Wie subjektiv die Meinungen der Kirchen-
lehrer eigentlich waren, bestätigt sich in der Erscheinung, daß mittelalterliche Kirchen-
schriftsteller noch eine dritte Meinung aufstellten, der Christus habe am Kreuze nach
Westen geblickt, sei aber nach Osten zum Himmel gefahren und werde von dort zum
Gericht wiederkommen. Die Urheber dieser dritten Meinung, Honorius von Autun,
Innocenz III , Durandus und Thomas von Aquino, sind damit im Grunde zur ersten
Meinung zurückgekehrt, daß der angebetete Gott im Osten zu suchen sei.
Die Basiliken des vierten Jahrhunderts hatten den Eingang von Osten, in Jeru-
salem wie in Rom, S. Peter, S. Paul, S. Laurentius, S. Johann im Lateran usf. Im
fünften Jahrhundert begann man den Eingang nach Westen zu legen, die Richtung
beim Gebet aber nach Osten zu behalten; damit wird das Anbringen von Fenstern in
der nun auf der Ostseite liegenden, ursprünglich geschlossenen Apsis wand zusammen-
hängen. Nicht alle Kirchen folgten der neuen Regel, eine strenge Durchführung des
jeweils geltenden Grundsatzes scheint zu keiner Zeit stattgefunden zu haben. Ob dies
nun auf Zufälligkeiten wiederum des Geländes oder des Stadtplanes beruht oder doch
auf einer Gesetzmäßigkeit, das kann hier nicht untersucht werden; Nissen denkt an
Axenleguug nach den Natalitien der Märtyrer, denen die Kirchen geweiht waren.1)
*) Orientierung: Heinrich Nissen, Das Templum 1869; Über Tempelorientierung I — V
(Rhein. Museum, N. F. XXVIII. XXIX. XL. XLII); Orientation, Studien zur Geschichte der
Religion I 1906. — Kraus, Geschichte I 281. Leclercq in Cabrols Dictionn. II 505. Strzygowski,
Kleinasien 217 nennt Ostung die Aufstellung des Altars im Ostende der Kirche. Diese Stellung
der Apsis am Ostende gilt als spezifisch griechisch-orientalisch; so auch Strzygowski, Kleinasien
183 f. Derselbe legt mit Mommert die Apsis der Auferstehungsbasilika in das Mittelschiff, ihren
Rücken gegen den doch im Osten gelegenen Haupteingang (Orient oder Rom 140 Abb. 51).
Eusebius' Beschreibung der Anastasisanlage geht von dem im Fond gelegenen Kern des Ganzen
aus, dem Grabe, um von da aus, das Westatrium, die Basilika und das Ostatrium durchschreitend,
den östlichen Haupteingang zu gewinnen. In diesem der Intention des Architekten zuwiderlaufenden
Gange seiner Ekphrasis liegt ihre Undeutlichkeit; man wird den Bauplan besser verstehen, wenn
man die Beschreibung rückwärts liest.
Sybel, Christliche Antike II. 20
306 Architektur und Malerei.
Wir treiben hier nicht „praktische Theologie", es ist nicht unsere Sache, Regeln
aufzustellen für den heutigen Kirchenbau. Doch wird das Verständnis der geschicht-
lichen Erscheinungen gefordert durch vergleichende Blicke auf die Bedürfnisse und
die Gewohnheiten der Gegenwart; überall wirken Theorie und Praxis mit Vorteil auf-
einander. Nun, den katholischen Kultus dürfen wir übergehen, er hat sich auf der
noch im Altertum, seit dem dritten Jahrhundert, beschrittenen Bahn lediglich weiter-
entfaltet. Anders der evangelische Gottesdienst, der in seinem Bestreben, über den
Katholizismus zurückzugreifen auf ein früheres und reineres Christentum, in der
Frage des Kirchenbaues sich vor ein heikles Problem gestellt sieht, zu dessen Lösung
schon die verschiedensten Anläufe genommen wurden, ohne daß ein befriedigendes Er-
gebnis erzielt wäre. Wir beschränken uns auf die freilich grundlegende Frage, ob die
altchristliche Basilika, ob auch nur die „Saalkirche" dem evangelischen Bedürfnis ent-
spreche. Wir müssen die Frage durchaus verneinen. Eine Gemeindeversammlung,
der es vor allem um das gesprochene Wort geht und um das Hören des Wortes,
kann eine mehrschiffige Halle nicht gebrauchen. Eine Gemeinde, die keinen Priester-
stand kennt, keinen Gegensatz zwischen Klerus und Laien, kann das Presbyterium
nicht gebrauchen, weder Querhaus nooh Apsis. Eine Gemeinde endlich , die den
Opferkult wie den Märtyrerkult verwirft, kann weder den Altar gebrauchen noch das
Märtyrergrab darunter. Nur der bewegliche Holztisch wird von der Gemeinde als
Speisetisch angesehen werden. Allerdings, wer S. Pierre oder die Aja Sophia betritt,
wird im ersten Augenblick den gewohnten Steinaltar vermissen, und in der Sophien-
kirche wird ihm die gegen die ferne Kaaba gerichtete Gebetsnische, ein Fetischdienst
in körperloser Kultusform, keinen Ersatz bieten. Aber wenn er alles bedenkend
zurückkehrt, so wird ihm die Sophia wie S. Pierre sympathisch werden, gerade in
ihrer Beschränkung auf Gebet, das ist Sammlung, und Lehre. Der Gegensatz des
evangelischen Bedürfnisses zu der katholischen Idee wird dazu dienen, das richtige
geschichtliche Verständnis der Basilika zu gewinnen. Und der historisch Geschulte
wird imstande sein, sich in den Katholizismus des vierten Jahrhunderts einzufühlen
wie in den Paganismus der perikleischen Zeit, und er wird imstande sein, den Tempel-
bau dieser wie jener Epoche nach ihrem kunstgeschichtlichen und ästhetischen Werte
zu würdigen.1)
Wölbkirchen.
In Lehm und lufttrockenen Ziegeln, so sagten wir in der Einleitung, wölbten
die Ägypter, mehr noch die Mesopotamier, seit alters; mit Keilsteinen wölbte man in
Griechenland (man sollte sagen in den Griechenländern) und Italien, wir wissen nicht
*) Eine rheinische Gemeinde, die für ihr neues Gotteshaus den Basilikatypus als vermeintlich
frühchristliche Kirchenform wählte, glaubte auch darin frühchristlich zu sein, daß sie statt des
üblichen massiven sarkophagförmigen Altars einen Tischaltar aufstellte; sie, wie viele andere Ge-
meinden, merkte nicht, daß der steinerne Tischaltar, auch ohne das Märtyrergrab, Opferaltar
bleibt. Dieselbe Gemeinde sah mit Recht davon ab, was andere taten, ihre Presbyter in die Apsis
zu setzen; da sie nun aber mit der Apsis nichts anzufangen wußte, so verfiel sie auf den Ausweg,
im Anschluß an die antiken Presbyterbänke amphitheatralisch ansteigende Sitzbänke in der Apsis
anzuordnen für ihren gemischten Kirchenchor, sie machte also den Sängerchor zum Blick- und
Brennpunkt des Hauses, sie machte die Kirche zum Konzertsaal, dies gewiß unabsichtlich.
Wölbkirchen. 307
genau wie lange schon, die Denkmäler beginnen in der hellenistischen Zeit. Das groß-
räumige Backsteingewölbe mögen die Griechen in Ägypten erdacht haben, vielleicht
noch eher in Syrien (Seleukeia, Antiocheia), irgendwann in der Periode des Hellenis-
mus: der griechische Geist befruchtete den altorientalischen Brauch. In der römischen
Zeit kam das Gußwerk hinzu. Herkömmliche Gewölbtypen waren Tonne und Kreuz-
gewölbe, Halbkuppel und Kuppel.1)
Die Einführung des Gewölbes in die klassische Architektur geschah, den Denk-
mälern zu glauben, zunächst mehr seinem praktischen als seinem ästhetischen Werte
zulieb. Um von Kanälen, Tunnels, Brücken, Unterbauten abzusehen und beim Raum-
bau zu bleiben, so finden wir das Gewölbe vor allem in Nymphaeen und Thermen, in
diesen bis zu großartigsten Raumgebilden gesteigert, sowie in Grüften, in jenen wegen
der das Holz widerratenden Feuchtigkeit, in diesen, weil dem Grabbau von jeher eine
Tendenz auf höchste Monumentalität innewohnt. Als erster großräumiger sakraler
Wölbbau der heidnischen Antike (von kleineren Vorläufern nicht zu reden) tritt uns
das Pantheon entgegen, als letzter heidnischer Wölbbau überhaupt der große Wurf
der Maxentiusbasilika , beide unter deutlicher Abhängigkeit vom Thermenbau. Aber
erst im Tempel- und Basilikenbau kam die Monumentalität des Gewölbes in ihrer
ästhetischen Bedeutung, unabhängig von irgendwelchen praktischen Bedingtheiten, rein
heraus; es waren erste Schritte auf neuer Bahn.
Apsidale Memorien. Oberirdische Begräbnisanlagen gab es jederzeit und
überall, wie für Heiden so für Christen; die Länder ohne Katakomben waren ganz
auf subdiale Bestattung angewiesen. An den Gräbern errichtete man Cippen; Reichere
ließen sich und ihre Angehörigen in Mausoleen bestatten, wie sie nicht nur aus der
Kaiserzeit zahlreich erhalten sind. Familien, die zum Christentum übertraten, werden
fortgefahren haben, ihre Erbbegräbnisse zu benutzen; auch verehrte Märtyrer mag man
in solchen beigesetzt haben.2)
Für die oberirdische Gruft ist cella (memoriae) inschriftlich belegter Ausdruck,
in heidnischem und christlichem Gebrauch; man beachte, daß cella (penaria, vinaria u.
ähnl.) eine Kammer bedeutet, einerlei, ob holzgedeckt oder gewölbt, ein schlichtes
Viereck oder gegliedert. Märtyrerkapellen heißen griechisch kurz „Martyrien"; mit
der Übertragung des antiken Polytheismus auf die Kirche, wie sie in der Entwick-
lung des Märtyrer- und Heiligenkultus sich vollzog, entstanden ungezählte Märtyrer-
kapellen, in verschiedenen Formen. Uns gehen zunächst nur die apsidalen Memo-
rien an.3)
Die schlichte Nische unter Halbkuppel (schola) kommt an der Gräberstraße von
*) Einleitung S. 16. — Backsteingewölbe osthellenistisch : Adler, Das Pantheon 1871,
16. v. Sybel, Weltgesch. 2324. — Wie der Orient so begannen auch Griechenland, Italien und
der Norden mit Rundhütten, die auf einer gewissen Entwicklungsstufe mit Lehm oder Kalk ge-
dichtet wurden; doch hat sich in den genannten Ländern, anders als im Orient, daraus kein Ge-
wölbebau entwickelt; nur die in falschem Gewölbe ausgeführten Kuppelgräber der griechischen
Heroenzeit werden damit in Zusammenhang stehen.
2) Die Annahme gilt für Petrus, der unter dem Mons Vaticanus im Zirkus des Gaius und
Nero hingerichtet und an der vorbeiführenden Via Cornelia bestattet worden sein soll. Die Stätte,
über der im vierten Jahrhundert die Basilika errichtet wurde, ist als Petrusgrab ziemlich so un-
bezeugt wie das Christusgrab in Jerusalem.
3) Cella: de ßossi, Bull, crist. 1863, 94; 1864, 28. — Martyrien: Strzygowski, Orient 96;
Kleinasien 172.
20*
308 Architektur und Malerei-
Pompeji vor; sie umfängt eine dem Rund ihrer Wand sich einschmiegende Bank, wie
eine solche auch ohne Nische auf einem andern Grab gleich vor dem Tor steht. In
Termessus findet sich eine Anzahl ebenfalls heidnischer Grabkapellen aus dem zweiten
und dritten Jahrhundert, meist gesäulte Naisken von verschiedenem Grundriß; der
olxog im Heroon der Perikleia, in ummauertem Peribolos stehend, besitzt viersäuliges
Prostoon und Apsis. — Reicher ist der kleeblattförmige Grundriß; an drei
Seiten eines* (vielleicht überkuppelten) Quadrates legt sich je eine Apsis, die vierte
Seite bleibt offen. Die Kleeblattform findet sich zuerst in der Villa des Hadrian zu
Tivoli, dann noch großräumiger in den Kaiserpalästen des vierten Jahrhunderts, so in
Trier, andererseits im Zentralbau von Mschatta, mit zentraler Kuppel, als Abschluß
der dreischiffigen Halle. Christlicherseits wurden auf mehreren römischen Coemeterien
cettae trichorae errichtet (tQixcoQog ist, was drei Plätze hat, hier wohl Platz für drei
Gräber). Man glaubt sie im dritten Jahrhundert gebaut, vor der dioklezianischen
Verfolgung; damals mehr oder weniger zerstört scheinen sie im vierten Jahrhundert
wieder aufgebaut worden zu sein. Eine solche Memorie über der Kaliistkatakombe
erhielt einen oblongen Vorbau, um die vermehrten Teilnehmer am Märtyrerkult zu
fassen; es ist die sog. Basilica Sancti Sixti. Die Memorie in der Nähe führt den
Namen S. Soteris. Dann bleibt noch S. Symphorosa an der Via Tiburtina zu nennen,
mit kleinem Vorhaus; aber es wurde nachgehends eine Basilika dahintergebaut,
Rücken gegen Rücken, und aus der einen Apsis in die andere durchgebrochen, damit
man aus der Basilika in die Grabkapelle blicken könne. Einen triapsidalen Grund-
riß, doch mehr kreuzförmig (die Mittelapsis ist in die Länge gezogen) besitzt die doch
wohl spätere Grabkapelle IX neben der Kirche VI zu Binbirkilisse in Kleinasien, die
Vierung unter Kuppel. Die Kleeblattform für Presbyterien findet sich zuerst in Beth-
lehem, dann in ägyptischen Klosterkirchen.1)
Gewölbte Basiliken. An den Basiliken war die Apsis regelmäßig gewölbt,
sie stand da wie immer unter Halbkuppel. Vom Langhaus wurden gelegentlich die
Nebenschiffe allein überwölbt, in andern Fällen alle drei Schiffe. Es kann befremden,
daß man in Syrien, dem holzarmen Lande, dessen heidnische Bauten der Kaiserzeit
mit Steinplatten gedeckt sind, den Kirchen Holzdächer gab. Ganz gewölbte Kirchen
finden sich typisch nur im innern Kleinasien, die Schiffe unter Tonnen, mit Zuhilfe-
nahme von Gurtbögen. Der Unterschied der kleinasiatischen Kirchen gegenüber den
syrischen wird darauf beruhen, daß diese im ganzen früher, jene später entstanden
sind. Gewölbte Nebenschiffe kommen in Ägypten und Numidien vor. Von Kirchen
in Italien käme Roccella di Squillace bei Rossano in Calabrien in Frage, wenn Strzy-
gowski sie mit Recht ungeachtet ihres schon ganz romanischen Charakters der Spät-
antike vindiziert; sie hat nur ein Schiff unter Holzdecke, aber das weit herausspringende
*■) Termessus: Herberdey und Wilberg, Jahreshefte 1900, 17. — Sixtus: Marchi, Archit.
Taf. 45 f. de Eossi, Roma sott. II 5. III 468. Soteris: de Eossi, eb. III 16. 471. Zu beiden Cellen
eb. Taf. 42—43. — Symphorosa: de Eossi, Bull, crist. 1878, 79. Kraus, Gesch. I 262. — Bin-
birkilisse: Strzygowski, Kleinasien 26 Abb. 20. 21. — Bethlehem: man streitet darüber, ob das
kleeblattförmige Presbyterium dem konstantinischen Bau angehöre oder einer späteren Erneuerung
verdankt werde. — Klosterkirchen: Strzygowski, Kleinasien 137. 186. — Nach meinem Sprach-
gebrauch (oben S. 26) ist die Kleeblattform keinenfalls orientalisch, vielleicht östlich (darüber weiß
bis heute noch niemand etwas Gewisses), jedenfalls ist sie hellenistisch.
Wölbkirchen. 309
Transept steht unter drei Kreuzgewölben, daran schließen sich drei ebenfalls gewölbte
Chorkapellen.1)
Rundkirchen. Die geringsten Schwierigkeiten beim Einwölben macht die
Kuppel auf einem Rundbau von gleichem Durchmesser, weil Ring auf Ring schließend
sitzt. Nur sind Strebepfeiler nötig, als Widerstand gegen den Seitenschub des Ge-
wölbes, welcher den Mauerzylinder zu sprengen und damit die Kuppel selbst zum
Einsturz zu bringen droht. Da die Konstruktion in den Anfängen ihrer Entwicklung
mit größerem Aufwand zu arbeiten pflegt, als auf ihrer Höhe, so wird in unserem
Falle der Anfang der gewesen sein, daß man den Mauerring in seinem ganzen Um-
kreis zum Widerstand verwendete, das heißt, man gab ihm doppelte bis dreifache
Stärke; dabei kam die Kuppel auf den Innenrand der Mauer zu stehen. — Es war
ein Fortschritt, als man einsah, die Verstrebung brauche nur auf eine beschränkte
Anzahl Punkte zu wirken, zwischen diesen Punkten genüge die Wand von einfacher
Stärke, ja sie könne hier sogar durchbrochen werden. Soweit Denkmäler Anschauung
gewähren, hat der hellenistische Kuppelbau mit solcher Verstrebung durch die ver-
stärkte Mauerdicke begonnen, mit Einbrechungen in die Wand von innen her, also
nach innen geöffneten Nischen, wie sie für die Gewölbebauten der römischen Zeit
geradezu charakteristisch sind. Die Frigidarien der pompejanischen Thermen, innen
überkuppelte Rotunden mit vier Nischen, sind außen rechteckig ummauert; die „Strebe-
pfeiler" stecken in der mächtigen Mauer, beiderseits der Nischen, in den Ecken des
umfassenden Quadrates. Bei genügender Wandstärke darf die Außenwand der Innen-
wand konzentrisch, die ganze Wand ringförmig gebildet sein. Acht Nischen, von
denen eine den Eingang abgibt, ist die Regel. So bei „Tor de schiavi" an der Via
Praenestina und an der „Madonna della tosse". bei Tivoli. Christliche Rotunden dieser
Art waren das Mausoleum der Helena (Torre pignattara) und die zwei Mausoleen süd-
lich vom Presbyterium der alten Peterskirche, S. Petronilla und S. Andreas [Abb. 88
die zwei Rotunden links vom Querhaus]. Auch S. Georg zu Thessalonich gehört
hierhin.2)
Was von Anfang an latent vorhanden war, das tritt in der weiteren Entwick-
lung zutage: zwei konzentrische Mauerringe, auf dem inneren ruht die Kuppel, der
äußere umfängt die radial stehenden Strebepfeiler. Das ist der Fall des Pantheon:
acht Paar Strebepfeiler stehen radial zwischen den zwei Mauerringen, zwischen den
Strebepfeilerpaaren liegen acht Nischen, die sich durch den inneren, die Kuppel
tragenden Ring mit Rundbögen öffnen; die unter die Bögen gestellten Säulen sind
konstruktiv bedeutungslos. Während aber am Pantheon der äußere Mauerring ge-
schlossen bleibt, abgesehen vom Eingang, öffnen sich bei der Rotunde der Caracalla-
thermen die acht Nischen auch nach außen; das Strebesystem bleibt dasselbe. (Das
Pantheon auch in m. Weltgesch. 2390.)
Hier müssen wir eine redaktionelle Bemerkung einschalten. Es ist nicht ganz
leicht, eine der komplizierten Sachlage genügende und doch einfache Gliederung des
*) Kleinasien: Strzygowski, Kleinasien 1903. — Squillace: ebenda 220 Abb. 154—156.
159—162.
2) Petronilla und Andreas: Dehio-Bezold Taf. 18. Rohault de Fleury, Bull, crist. 1896, 41.
de Waal, Rom. Quartalschr. 1902, 58. — Vgl. den Bau bei Cohen, Me"d. imp. «VII 183, 6 und
184, 10: Quaderbau unter Kuppel, einmal mit Blendarkaden.
310 Architektur und Malerei.
Stoffes zu finden. Wegen der zuletzt entscheidenden Bedeutung des Wolbens haben
wir die noch zu besprechenden Bauten unter dem Titel Wölbkirchen zusammengefaßt,
während andere vielleicht das Kubrum Zentralkirchen vorgezogen hätten. Mit letzterem
kommt man am Ende nicht aus, mit ersterem am Anfang; wir sind nun genötigt, auch
die nicht oder wenigstens nicht sicher gewölbten Rundkirchen hier aufzunehmen, zum
Teil wenigstens kultgeschichtlich hochbedeutende Schöpfungen, die eben hierdurch
aber auch baugeschichtlich nachwirkten.
Zunächst einen heidnischen Vorläufer von kleineren Verhältnissen, eigentlich —
falls nicht doch überdacht — nur ein kreisrundes Peristyl, dessen zwölf Säulen eben-
so vielen Halbsäulen an der Ringwand entsprachen; die Halbsäulen wiederholten sich
außen herum (Suardi Taf. 47, Verwandtes auf andern Tafeln; Dehio u. Bezold
Taf. 7, 2). — Hierhin gehört nun auch das einst hochbedeutende Heiligtum zu Gaza,
das Marneion. Nach der Beschreibung aus der Feder des Markos, des Diakons
unter Bischof Porphyrios, der den Tempel 400 zerstörte, hatte die Rotunde gesäulten
Umgang in zwei Geschossen; der Innenraum war so eingerichtet, daß Opferrauch,
Weihrauch- und anderer Dunst nach oben abziehen konnte (eins vero medium erat
ad emittendo8 vapores constitutum). Was dann mit dem auf den Innenraum bezüglichen
Beiwort septentrionale gemeint sei, weiß man nicht, klar aber scheint extensum in alium,
der Mittelbau erhob sich über die Empore, als Zeltdach oder Kuppel, sei es
mit Zenitöffnung oder als Tambour. — Sodann die vorangedeuteten christlichen
Bauten, obenan die Heiliggrabkirche zu Jerusalem; 326 gegründet hat sie bei der
persischen Eroberung der Stadt 614 sehr gelitten, wurde jedoch bald wieder her-
gestellt. Trotz vieler Wandlungen, die über die Gesamtanlage noch hingingen, glaubt
man die konstantinische Anlage der Grabrotunde in den Hauptzügen erkennen zu
können, unter Verwertung der von Adamnanus aufgezeichneten Beschreibung Arculphs.
In Verbindung mit der dazugehörigen Grundrißskizze läßt sie erkennen, daß der Rundbau
einen (bei den Terrain Verhältnissen problematischen) äußeren und einen inneren, ver-
mutlich zweigeschossigen Säulenkranz besaß; die drei Nischen des inneren Umgangs
scheinen nicht in der Wandstärke zu liegen, sondern sich in die Peristasis hinaus-
zubauen. Die Gestaltung des Daches ist ebenso fraglich wie beim Marneion; bei diesen
Denkmalskirchen neigt man zur Annahme einer Zenitöffnung. Das Grab selbst wäre
nach Arculphs Skizze von einem runden Naisk umschlossen gewesen (Dehio-Bezold 36.
Strzygowski, Orient 138 Abb. 53). Die Elfenbeintafeln zeichnen das Christusgrab
anders, als viereckigen Bau, der einen Tambour trägt; das londoner Kästchen, die
Tafel Trivulzi und das mailänder Diptychon geben dem Tambour Rundbogenfenster
und ein ziegelgedecktes Zeltdach, die münchner Tafel ringsherumgestellte Halbsäulen
(Blendarkaden) und Kuppel (Garr. 446, 3. 449, 2 [Abb. 65]. 450, 2. 459, 4). Mit
Unger erkennt Stuhlfaut die kubische Form als die konstantinische Gestalt des Unter-
baues an. Die Zeugniskraft jener Schnitz werke, besonders der drei erstgenannten,
würde nicht unerheblich verstärkt, wenn sich die Hypothese bestätigen sollte, daß die
altchristlichen Elfenbeinskulpturen überwiegend östlichen Ursprunges seien. — Die
Himmelfahrtskirche. Man nahm an, der Christus müsse vom höchsten Punkte des
Berges gen Himmel gefahren sein; so wurde auch über diesem Punkte eine Denkmals-
kirche errichtet, nach Arculph wieder als Rundbau mit gesäulten, überwölbten und
überdachten Umgängen, der Binnenraum hypaethral; er enthielt den Fels mit Jesus'
Fußspuren und an der Ostseite einen Altar unter Ciborium. Der Himmelfahrtskirche
Wölbkirchen. 31 1
ähnlich war die Kirche zu Nikaia, in welcher 325 das Konzil getagt haben soll. —
Die Marienkirche im Tale Josaphat wird als zweigeschossig beschrieben, die Unter-
kirche unter Steindecke, die obere hypaethral mit vier Altären. — Von stadtrömischen
Kirchen ist S. Stefano rotondo anzureihen: zwei konzentrische Säulenkränze inner-
halb einer viermal unterbrochenen Ringmauer, so daß eine Art Kreuzform entstand;
die umlaufenden Hallen unter niedrigerem Dach, der Innenraum unter hohem Tam-
bour. Nach einigen Gelehrten eine heidnische Gründung, Zentrum eines großen Vik-
tualienmarktes, nach andern vom Ursprung an christlich und zwar als Nachahmung
palästinensischer Denkmalskirchen errichtet; geweiht wurde der Bau von Bischof Sim-
plicius (468— 482).1)
Ein erhaltener Rundbau unter Kuppel, konstantinischer Zeit, ist S. Costanza,
das Mausoleum der Konstantia bei S. Agnese vor Rom, aber ein Gewölbebau, der einen
neuen, wennschon aus Vorausgegangenem entwickelten Typus vertritt. Die Kuppel,
hier im Zenit geschlossen und auf eine Laterne gesetzt, steht wieder auf dem inneren
von zwei konzentrischen Ringen; neu ist, daß dieser innere Zylinder nicht bloß in eine
Anzahl von Nischen sich öffnet, sondern ganz sich auflöst in einen Kranz radial ge-
stellter, durch Bögen verbundener Säulenpaare; ein sie kuppelndes Gebälkstück trägt
als Kämpfer die Bögen. Zwischen Säulenkranz und Außenmauer läuft ein Umgang
unter Tonne; letztere stemmt sich gegen den Fuß der Laterne, zum festen Widerhalt
wenn nicht der Kuppel selbst, so doch der so leicht auf Säulen gesetzten Rotunde.
Die Außenwand selbst ist so stark, daß Nischen hineingelegt werden konnten, wie wir
es bei den Mauern der schlichten Kuppelrotunden sahen. Eine Peristasis umschließt
den Bau [Abb. 90]. — Dasselbe Schema der auf den Säulenkranz gestellten Kuppel
befolgt das ein zentrales Wasserbecken umschließende Baptisterium von Nocera. Der
Kuppelbau ist gedrückter, ängstlicher; die Peristasis fehlt.2)
Zentralbau oder Langbau? Ein Thermensaal in Rundform mit Bassin in der
Mitte ist reiner Zentralbau, ebenso das im selben Typus angelegte Baptisterium. Reiner
Zentralbau ist auch ein rundes Mausoleum mit in die Wandnischen gestellten Sarko-
phagen. Höchstens daß der doch unentbehrliche Eingang die Geschlossenheit des
Zentralbaues unterbricht; man müßte denn — was aber nur bei Thermenrotunden,
Baptisterien und Mausoleen mit zentralem Sarg angängig wäre — alle Wandnischen
nach außen öffnen, so daß ebensoviele Eingänge entständen, welche die Hauptradien
zu Richtungsaxen machen würden, Richtungsaxen, die sämtlich nach dem Mittelpunkte
des Gebäudes hinliefen.
Das war Bramantes Gedanke bei seinem berühmten Entwurf für die Peterskirche.
Er dachte sie als vollkommenen Zentralbau, das Petrusgrab umschließend, über dem
sich die Kuppel wölben sollte, und mit vier nach außen geöffneten Apsiden, durch
welche die Ströme der Pilger aus den vier Enden der Erde einziehen würden. Das
Evangelium läßt die sternkundigen Magier den Stern aus Israel anerkennen, und das
Mittelalter machte sie zu Repräsentanten und Königen der drei damals bekannten Erd-
teile Asien, Europa, Afrika, die nach Bethlehem kommen, dem neugeborenen Herrn
der Welt zu huldigen; wie aber dem Jahwe der Christus, so schob sich zuletzt dem
*) Marneion: Dehio-Bezold 36. Strzygowski, Kleinasien 101. Vgl. Marci diaconi vita
Porphyrii, episcopi Gazensis, edid. Soc. philol. Bonn, sodales. — Stuhlfaut, Elfenbeinplastik 61;
Engel 139. — Stefano rotondo: Lanciani, Mon. ant. Lincei 1890, 506 Taf. 2. Kraus, Gesch. I 353.
9) S. Costanza und Nocera: Dehio-Bezold 34 Taf. 8.
312 Architektur und Malerei.
Christus der Apostelfürst unter, vor ihm und seinen Nachfolgern sollen die Völker
der Erde niederknieen. Wahrlich ein großartiger Ausdruck der römischen Weltherr-
schaftsidee in seiner christlichen Umbildung. So verführerisch der Baugedanke sich
gab, der vatikanische Imperator konnte ihn doch nicht gebrauchen. Wohl sprach er
den Imperialismus aus und zwar in vollendet schöner Form. Aber es fehlte das
Wesentliche, der Grundstein des katholischen Imperiums, der Altar. Der Opferpriester,
welcher den durch seinen Tod und Auferstehung die Menschen aus dem Tod ins
ewige Leben erlösenden Menschen, Gottessohn und Gott täglich neu opfert, hält die
Seelen der Menschen, die das alles für wahr halten, und in ihnen die Menschenwelt
in seiner Hand. Darum geschah es, daß Raphael, als er in den Stanzen des Vatikans
die Größe und Gewalt des Papsttums verherrlichte, im Hauptgemälde der zuerst in
Angriff genommenen Camera della segnatura, wo in erster Schaffenslust der Maler und
seine Berater aus dem Vollen schöpften und nach dem Höchsten griffen, den Altar in die
Mitte stellte und die Hostie auf ihm in den Augenpunkt des ganzen Bildes, rings die
Kirchenväter gruppierend, nicht als die E-ufer im Streit der christlichen Metaphysiker,
die sie wirklich gewesen waren (das spricht aus der populären Bezeichnung Disputa),
sondern als die einmütigen Zeugen, als die sie nun gelten mußten.
Der Altar durfte in der Peterskirche nicht fehlen. Es hätte auch nicht aus-
gereicht, ihn auf die Confessio zu stellen, auch ihn in den Mittelpunkt des Gebäudes.
Denn der Altar hat notwendig einseitige Richtung, die ihm gegeben ist durch die
Richtung des zelebrierenden Priesters; dieselbe Richtung muß auch das Kirchengebäude
haben. Im katholischen Kultus ist der Altar nicht ein Gerät, das man hierhin stellt
oder dorthin, sondern er dominiert, bestimmt den Bau. Deshalb mußte Bramantes
Zentralbau sich gefallen lassen, daß man die drei westlichen Apsiden schloß, später
auch die östliche zum Langhaus ausbaute.
An diesem klassischen Beispiel wird anschaulich, wie wenig der katholische
Kultus sich mit dem Zentralbau verträgt, wie unwiderstehlich er den Langbau fordert.
Nun aber hat es Anlässe gegeben, doch das Zentralsystem für Kultusgebäude nicht
bloß zuzulassen, sondern absichtlich zu wählen; jedenfalls besitzt es einen eigentüm-
lichen ästhetischen Reiz. Das ging dann nicht ohne Kompromisse ab, das Zentral-
system mußte dem Kultus und seinem Bedürfnis nach einseitiger Richtung Einräumungen
machen. Der Tür gegenüber mußte das Altarhaus Platz finden. Hatte doch ähnlich
schon das Pantheon, diese frühere Glanzleistung des Zentralbaues, Richtung erhalten
in der mit dem Eingang und der Hauptapsis festgelegten Axe. Mochte der christliche
Zentralbau auch reicher entwickelt werden, so drängten ihn doch immer neue Kon-
zessionen nach der basilikalen Idee hin. Das Ende war, daß man eine echte Basilika
entwarf, aber nach den Methoden des Zentralbaues ausführte.
Oktogone. Gegenüber dem Rundbau besitzt das Polygon größere Mannigfaltig-
keit; auch entfällt an der Nischenfront der beim Rundbau auftretende Widerspruch
zwischen der grundsätzlich, wenn auch nicht ausnahmslos, geradlinigen Architektur und
der Wandkurve. Je vielseitiger das Polygon, desto mehr nähert es sich dem Rundbau,
desto verschwommener wird seine Gestalt, desto leichter aber bewerkstelligt sich der
Übergang in den Kreis einer daraufgesetzten Kuppel. Die Schwierigkeit läßt sich
freilich umgehen, wenn man auch die Kuppel polygon gestaltet (sog. Klostergewölbe).
Klassisches Beispiel eines Zehnecks ist die sog. Minerva Medica zu Rom; sie löst die
Probleme glänzend. Jede Seite öffnet sich in eine Apsis oder Exedra unter Halb-
Wölbkirchen. 313
kuppel, wodurch die Seiten des Polygons vertieft und schärfer gegeneinander abgesetzt
werden. Die Minerva Medica bildet zugleich ein Übergangsglied zu der mit der Zeit
zur Herrschaft gelangenden leichteren Bauart; während früher der Sicherheit wegen
die Wände ringsum so stark gemacht wurden, daß die Nischen in ihnen Raum fanden,
werden letztere nun an die dünneren Wände nur angelehnt, den Seitenschub des Ge-
wölbes aber nehmen einzelne rings verteilte Wandverstärkungen auf, Strebepfeiler, der-
gleichen latent, aber viel mächtiger, schon am Pantheon in den als Hohlkörper errichteten
Pfeilern zwischen den Nischen vorliegen.
Nicht das Zehneck, sondern das Achteck wurde Regel, eben wegen seiner klaren
Einfachheit. Das Oktogon ist nicht altorientalische Tradition, sondern hellenistischen
Ursprungs. Es fehlt nicht an Denkmälern aus der früheren und mittleren Kaiserzeit.
Konstantin aber errichtete 381 zuAntiocheia eine bedeutende Kirche in Achteckfornij
innerhalb eines Peribolos. Zweigeschossige Hallen, mit anderen Worten säulengetragene
Emporen umgaben den Mittelraum; ob dieser mit Zeltdach auf Tambour oder mit
Kuppel, etwa mit Fenstern im Ansteigenden, gedeckt war, verschweigt die Beschreibung
ebenso wie das Genauere der Säulenverteilung und wie den Grund, weshalb Konstantin
für die Kirche die Zentralform wählte. — Nicht lange nachher erbaute Gregor von
Diocaesarea (gestorben 374) in Kleinasien ein ähnliches Oktogon mit Emporen, als
Quaderbau mit Marmorbasen und -kapitellen. — Ruinen späterer kleinerer Oktogone,
ohne Emporen, hat Strzygowski zusammengestellt. — Das Abendland bietet das Bapti-
sterium des Lateran, im vierten und fünften Jahrhundert errichtet, mit zentralem
Bassin; die gesäulte Vorhalle besitzt Apsiden an den Schmalseiten.1)
Eine Bereicherung von höchstem ästhetischem, malerischem Wert bietet das An-
lehnen nach außen geöffneter Exedren, wie wir es an der Minerva Medica fanden.
Wir heben zunächst zwei eigenartig reizvolle Gebäude heraus, deren jedes seinen eigenen
Weg geht. San Lorenzo zu Mailand, ein Zentralbau mit Emporen, scheint aus
einem Profanbau in die Kirche verwandelt (antik sind nur die lange durch weiten Ab-
stand von der Kirche getrennte, aber zugehörige Vorhalle und die drei dem Hauptbau
angeschlossenen Kapellen; der Hauptbau selbst wurde nach Einsturz der Kuppel im
sechzehnten Jahrhundert neugebaut unter Benutzung der antiken Fundamente). Übrigens
kann man schwanken, ob der Plan vom Oktogon oder vom Quadrat ausging. Gewiß
verrät der Baugedanke die freie Kühnheit der hellenistischen Baukunst [Abb. 91]. —
Während San Lorenzo auf das vierte Jahrhundert zurückgeht, gehört San Vitale zu
Ravenna dem sechsten (526 begonnen). Ein Zentralbau, beruhend auf dem Schema
des konstantinischen Oktogons zu Antiochia, aber reicher entwickelt, durch Einführung
des Motivs der offenen Exedra. Das innere Achteck, gebildet von acht Säulen unter
Bögen, trägt die Kuppel, kleine herausgebaute Nischen vermitteln den Übergang zu
ihr, acht Fenster in deren Ansteigendem führen das nötige Licht zu. Die acht an-
gelehnten Exedren treten in den Umgang. Der soweit zentrale Bau sollte indessen
*) Minerva Medica: Dehio und Bezold, Kirchl. Baukunst des Abendlandes Taf. 4. 5. —
Oktogon, Ursprung: Strzygowski, Kleinasien 101. 185. — Antiocheia: Euseb. V. Const. III 50.
Unger bei Ersch-Gruber, Enzykl. LXXXIV 336. Strzygowski, Orient 138; Kleinasien 95. 185. —
Gregor: Strzygowski, Kleinasien 93. — Kleinere Oktogone: Strzygowski, Kleinasien 90 Abb.
64 — 67. — Lateranbaptisterium: Dehio und Bezold I 33 Taf. 7. 26, 7. Über Baptisterien,
insbesondere das lateranische, vgl. de VVaal, Gauckler, Zettinger in der Rom. Quartalschr. 1902,
58. 81. 326.
314 Architektur und Malerei.
dem Altarkultus dienen; daher mußte der Tür gegenüber Exedra und Empore einem
Presbyterium Platz machen. Wenn in den Gewölben des Umgangs mehr Gewölb-
verschneidungen vorkommen als an früheren Bauten, so braucht dies noch nicht gleich
auf dem Gegensatz des Byzantinischen zum Römischen zu beruhen, vielleicht liegt es
lediglich an der fortgeschritteneren Stufe der Planbildung und der Gewölbetechnik
[Abb. 92].1)
Anderweit finden wir das Achteck von einem Viereck umschrieben; die vier
Ecken werden von Nischen eingenommen, die sich in den Diagonalen dem Oktogon
anlegen. In den ravennatischen Baptisterien will man Thermensäle erkennen, die zu
Taufhäusern gemacht wären. Das Baptisterium der Orthodoxen (San Giovanni
in fönte) hat zwar keine Emporen, doch eine entsprechende Scheinarchitektur: acht
Säulen, in die Ecken des Oktogons gestellt, tragen Blendbögen, die sich in einem
zweiten, niedrigeren Geschoß mit entwickelteren Arkaden wiederholen. Die acht großen
Zwickel runden etwas sich vorneigend das Oktogon zum Kreis. — Das Baptisterium
der Arianer (S. Maria in Cosmedin) vereinfacht die Bauidee noch mehr, indem es
auf die Säulenarchitektur ganz verzichtet. — Das Oktogon in Rechteck mit innerem
achteckigen Pfeilerkranz und mit vier Ecknischen, welche die Nebenräume in gewisser
Weise zu Nebenschiffen ergänzen, ferner mit Querhaus und Apsis, weist S. Georg zu
Esra in Zentralsyrien auf, aus dem Anfang des sechsten Jahrhunderts.2)
S. Sergius und Bacchus in Konstantinopel (die „kleine Sophienkirche", kütschük
aja Sophia, gegründet 527) verbindet mit der Idee des dem Oktogon umschriebenen
Vierecks das Motiv der Exedren: ihrer vier treten, den Mittelraum selbst zum Viereck
ergänzend, in den Umgang. Die unteren Säulen tragen gerades Gebälk, die oberen
dagegen Bögen. Die vier Ecknischen, obschon im Verhältnis zum ganzen Haus kleiner
als in Esra, dienen doch auch hier dazu, die beiden Umgangshälften zu Nebenschiffen
zu stempeln. Ein breit vorgelegter Narthex und ein in den hinteren Quergang ein-
gebautes Presbyterium nebst hinausgebauter Apsis vollenden die basilikale Umprägung des
Zentralbaues. Fenster im Ansteigenden der Melonenkuppel führen das Licht zu [Abb. 93].3)
Die Kuppelbasilika. Hier handelt sich's nicht um einen Zentralbau, der dem
Altardienst zulieb Längsrichtung wie einer Basilika annimmt, sondern um eine echte
Basilika, die nur in der Uberwölbung Methoden des Zentralbaues befolgt. Das klassische
Beispiel ist die Palastkirche zu Konstantinopel, die der Heiligen Weisheit gewidmete
Hagia Sophia. Konstantin hatte sie als typische Basilika errichtet, 532 brannte sie
ab. Justinian ließ sie neubauen, als Kuppelbasilika, durch die von ihm dazu berufenen
Architekten Isidoros von Milet und Anthemios von Tralleis; 537 war der Bau vollendet.
558 brachte ein Erdbeben die Kuppel zum Einsturz, ein gleichnamiger Neffe des Isidoros
stellte sie her; sie steht noch heute. Die justinianische Sophienkirche ist wie gesagt
eine Basilika, dreischiffig, mit der vom Kultus verlangten Richtung in der Hauptaxe.
x) San Lorenzo: Dehio u. Bezold Taf. 14. Holtzinger, Altchr. u. byz. Baukunst 1899, 88.
Strzygowski, Kleinasien 211. — San Vitale: Dehio u. Bezold I 27 Taf. 4. 5. Quitt u. Schenkl,
Byz. Denkm. III 73. 111.
•) Orthodoxen: Dehio u. Bezold I 25. 125 Tf. 37. Kraus I 355. Holtzinger, Altchr. u.
byz. Baukunst 78. — Arianer: Dehio u. Bezold I 24 Taf. 1, 7. Bicci, Mon. Eav. 1890. — Esra:
de Vogü<«, Syrie centrale Taf. 21. Dehio u. Bezold I 35 Taf. 8, 5. Holtzinger, Altchr. u. byz.
Baukunst 140. Strzygowski, Kleinasien 76, 96.
8) Dehio u. Bezold, Tafel 4, 5—6.
Wölbkirchen. 315
"Wenn sie sich nicht so lang erstreckt, wie sonst die Basiliken, so teilt sie diese Ab-
weichung von der Regel mit der Maxentiusbasilika; hier wie dort liegt es an der
Überwölbung. Aber diese ist eine andre. Maxentius hatte in der Art der älteren
Bauweise die Nebenschiffe mit je drei querliegenden Tonnen gedeckt, das überhöhte
Mittelschiff mit drei Kreuzgewölben; Justinian fand die Wölbtechnik auf einer fort-
geschritteneren Stufe und wählte demgemäß die Kuppel auf quadratem Raum. Nun
hätten die Architekten bei der Deckeneinteilung des Maxentius stehen bleiben und
drei gleichgroße quadratische Kompartimente des Mittelschiffs mit ebensoviel unter sich
gleichgroßen Kuppeln decken können. Sie zogen vor — und den großen Gedanken
hat der Kaiser gewürdigt — die Decke, und entsprechend den ganzen Aufbau, nach
den Methoden des Zentralsystems zu gestalten, demnach dem Mittelkompartiment domi-
nierende Stellung zu geben; durch die Fenster im Ansteigenden der alles über-
ragenden Kuppel und dazu durch die Fenster in den zwei seitlichen Schildwänden des
Zentralkubus strömt reichliches Licht in das ganze Mittelschiff. Das konstruktive
Problem betraf die Überführung aus dem Quadrat in den Kreis der Kuppel. Leicht
war es gewesen, bei Polygonen und bei kleineren Quadraten in den Kreis überzugehen;
das Riesenquadrat verlangte einen besonderen Aufwand, vier aus den Ecken heraus
gewölbte gewaltige Pendentifs, mit anderen Worten eine abgestumpfte Hängekuppel
als Trägerin der Hauptkuppel. Im Räume der zwei Endkompartimente erheben sich
große Exedren unter Halbkuppel, vom Durchmesser der Hauptkuppel, angelehnt an
die zwei offenen Schildbögen des Zentralkubus; der Hauptkuppel untergeordnet reichen
sie mit den Scheiteln gerade nur an ihren Fuß, ihren Schub auffangend. Jeder dieser
zwei großen Exedren aber lehnen sich zwei kleinere an, um das Mittelschiff zum Werte
des verlangten oblongen Raumes zu ergänzen; sie öffnen sich mit je zwei Säulen gegen
die Nebenschiffe, wie auch das Zentralquadrat durch zweigeschossige Säulenreihen (die
Kirche hat umlaufende, nur durch die Apsis unterbrochene Emporen) von den Neben-
schiffen getrennt wird. War das Pantheon eine zu statischer Möglichkeit ausgebaute
Kugel; waren die großen Thermen und das Mittelschiff der Maxentiusbasilika nach
Art antiker Säle höher als breit; noch höher, die Konchen des minderen und des
höheren Grades überragend, erhebt sich der Kuppelraum der Sophia. Ein Wunder in
Konstruktion, Raumbildung und malerischer Perspektive, in Tönung und Stimmung,
der glänzende Schlußakkord der antiken Baukunst, nicht eben christlichen, aber kaiser-
lichen Geistes. [Abb. 94.] x)
*) Gegen die Regel korrekter Konstruktion sind die vier Eckstrebepfeiler, um den basilikalen
Grundriß nicht zu stören, in die Queraxen der Basilika gestellt statt in die Radien der Kuppel;
aber sie sind so mächtig, daß sie genügen, auch den sie treffenden radialen Schub auszuhalten. —
v. Sybel, Weltgesch. 1888, 462 Fig. 362—364; 2467. Dehio u. Bezold I 29 Taf. 6, 1. Holtzinger,
Altchr. u. byz. Archit. 1899, 150 Abb. Derselbe, Die Sophienkirche (Borrmann u. Grauls Bau-
kunst Heft 10). Strzygowski, Kleinasien 133. Antoniadu, *Ex<p(>aoiq t% lAyiaq 2o<piaq, Leipzig
1905. Bury, Journ. hell. 1897, 92. — Auf die Ausstattung gehe ich nicht ein, doch 8. z. B. Preger
bei Graeven, Bonner Jahrb. CV 148, 7 über die Elfenbeintüren. — Strzygowski hat in seinem
„Kleinasien ein Neuland der Kunstgeschichte" eine ganze Reihe von „Kuppelbasiliken" zusammen-
gestellt, deren Ruinen sich iu Kleinasien und Nordsyrien finden. Die meisten fallen aus dem
zeitlichen Rahmen dieses Buches, einzelne werden noch in die Spätantike gesetzt (Kodscha-kalessi
im Taurus von Strzygowski ins vierte, von Wulff und Headlam ins fünfte Jahrhundert, die Sophia
zu Salonik vor Justinian, Kasr ibn Wardan in Nordsyrien in die Spätzeit Justinians; vgl. Holtzinger,
Altchr. u. byz. Archit. 1899, 154 C). Alle diese Kirchen erfordern eingehende sachverständige Nach-
prüfung, ehe sie zum Aufbau der Kunstgeschichte verwendet werden dürfen.
316 Architektur und Malerei.
Die „ Kreuzkuppel kirche" steht der Kuppelbasilika sehr nahe; Hauptunter-
schied ist, daß auch die seitlichen Schildbögen des Zentral Vierecks offen bleiben, wo-
durch dann ein zentrales Raumkreuz entsteht. Das Schema liegt schon im Prätorium
von Musmije in Syrien vor, aus der Antoninenzeit. Strzygowski hat christliche Beispiele
zusammengestellt; auch an diesem Material ist noch manches problematisch, und der
entwickelte Typ scheint eher später als Justinian.1)
Die kreuzförmige Kirche (oTavQoeidrjg rvjtog). Konstantin errichtete in Kon-
stantinopel die Kaisergruft unter dem Namen der Apostelkirche. Der innerhalb
eines Peristyls stehende Bau hatte eine kassettierte Holzdecke, das Dach war mit ver-
goldetem Kupfer überzogen. Als Altarraum diente das Zentralviereck, wo auch der
Sarg Konstantins stand, zwischen den zweimal sechs Särgen der Apostel (Reliquien
waren nur von einzelnen vorhanden; solche des Timotheos wurden 356 unter dem
Tischaltar beigesetzt). Ob dem Bauplan das griechische oder das lateinische Kreuz
zugrunde gelegt war, steht dahin. Justinian und Theodora bauten die Kirche neu, sie
wurde 550 geweiht. Die Kreuzarme erhielten Emporen, ihre Mittelräume Kuppeln
ohne Fenster, der Zentralraum aber eine ebensogroße, jedoch mit Fenstern versehene,
also wohl gehobene Kuppel. Die am Ostende angebaute Konche umschloß die Särge
des Kaiserpaares. — Eine Nachbildung war die gleichnamige Kirche zu Mailand,
erbaut 382 von Bischof Ambrosius, 396 dem H. Nazarius geweiht, 1075 auf dem alten
Plan neugebaut. — Auch Ravenna bekam eine kreuzförmige Kirche, vielleicht der
mailänder nachgebildet; mit ihr in Zusammenhang stand die noch erhaltene Grab-
kapelle der Galla Placidia (S. Nazario e Celso, um 450 gebaut) in ähnlichem Typus
mit Hängekuppel. — Die Felsenkirche von Ajasin in Phrygien, nach Reber aus dem
sechsten Jahrhundert, nach Strzygowski älter, auch außen aus dem Felsen gelöst, be-
sitzt eine zentrale Kuppel auf vier Säulen, die vier Kreuzarme stehen unter Tonne.3)
Ein reicher entwickelter Grundriß entsteht durch Eintragen eines Oktogons in
das Kreuz. Hauptbeispiel, doch nur durch Beschreibung bekannt, ist das Martyrion
des Gregor von Nyssa, erbaut um 380 in einem Peristyl von vierzig Säulen. Die
Kuppel ruhte auf acht ins Achteck gestellten Säulen; den Seiten schlössen sich Exedren
an, die an den Diagonalseiten waren halbrund, die an den Axialseiten viereckig. Letztere,
ziemlich tiefe Ausbauten, gaben der Kirche äußerlich das kreuzförmige Aussehen, im
Inneren dominiert das Oktogon. — Verwandt war die Kirche von Wiranschehr in
Nordmesopotamien, die Strzygowski ins vierte, Puchstein ins sechste Jahrhundert setzt.
Ein Pfeileroktogon, aber breiter als tief, mit querovalem zweistöckigem Umgang und
viereckigen Anbauten in den Hauptaxen, drei kleinere dienten als Eingänge, der östliche
war länger und dreischiffig mit quadratem Presbyterium und halbrunder Apsis. —
Noch ein kreuzdurchsetztes Oktogon ist die Kirche VIII zu Binbirkilisse in Lykaonien,
aber apart. Die vier Tetragone, das eine zur polygonen Apsis ausgebildet, die drei
andern als Eingänge dienend, sitzen nicht an vier Seiten, sondern an vier Ecken des
*) Strzygowski, Kleinasien 132. 186.
9) Apostelkirche: Unger u. Richter, Quellen z. byz. Kunstgesch. 101. Dehio u. Bezold I
44 versteht die kreuzförmige Kirche als Quadratraum mit anschließenden eckigen Nischen. Strzy-
gowski, Orient 11; Kleinasien 75. 186 leitet sie von der unterirdischen Gruft mit in den Haupt-
axen anschließenden Grabkammern ab. — Galla Placidia: Dehio u. Bezold I 45 Taf 12, 4. 5.
Holtzinger, Altchr. u. byz. Archit. 1899, 81.
Zur Formenlehre der spätantiken Architektur. 317
Oktogons, in die zwischenliegenden Ecken sind Fenster gebrochen. Die Kuppel hing
über den Fenstern des zweiten Geschosses in einem Tambour.1)
Das Grabmal des Theodorich (gest. 526) bei Ravenna, sich anlehnend an her-
kömmliche Mausoleumstypen, umschließt in dem außen mit Nischen versehenen acht-
eckigen Untergeschoß einen kreuzförmigen Gruftraum, in dessen Armen Sarkophage
Platz finden konnten. Das Obergeschoß ist eine Rotunde mit umlaufenden Blendarkaden,
Pfeiler im Wechsel mit gekuppelten Säulen. Das sogenannte Zangenornament unter
dem Hauptgesims wird der Archäologe wohl immer als barbarisiertes Kymation deuten.
Die flache Kuppel ist nicht gemauert, sondern aus einem einzigen, aus Istrien be-
schafften Steinblock gemeißelt; Ornament und Megalithismus sind bezeichnend für
den germanischen Bauherrn.2)
Zur Formenlehre der spätantiken Architektur.
Wir stellen hier einige Einzelpunkte zusammen, die in der Literatur Beachtung
gefunden haben.
Die Säule. In der Kaiserzeit trat eine Neigung auf, die Schäfte monolith zu
bilden; sie mag ihren Ursprung in der Vorliebe für Hartsteine haben, wie Granit,
Porphyr und dergleichen. Was in dieser Richtung die Architekten der heidnischen
Zeit begonnen hatten, vollendeten die der christlichen. — Die monolithen Säulenschäfte
pflegten glatt zu sein. Daneben waren noch Bildungsweisen des hellenistischen Barock
beliebt. Dahin gehört die an den Sarkophagen bevorzugte Spiralsäule, mit spiralig
den Schaft umziehenden Kannelüren. Wenn die Spiralsäule bereits in der kretisch-
mykenischen Heroenkunst beobachtet wird, so bestätigt sich darin nur die Tatsache,
daß die erste Blütezeit der Kunst im zweiten Jahrtausend gipfelte und, besonders
greifbar in der spätmykenischen Kunst, analoge Endergebnisse zeitigte, wie eben auch
die Endzeit des klassischen Altertums. — Gesteigertes Barockempfinden offenbaren die
am Petruskenotaph aufgestellten gewundenen Säulen. Das Umranken des Schaftes
mit Pflanzen, vorzüglich mit Weinlaub, fanden wir zuerst in Pompeji, dann am Haterier-
grab, an christlichen Sarkophagen und an den eben erwähnten gewundenen Säulen. —
Kantige Pfeiler als Stützen zu verwenden war die Urweise des Steinbaues. Ihre
Umgestaltung in die Art der runden Holzsäule ließ die Pfeilerform in der entwickelten
altorientalischen wie in der klassischgriechischen Baukunst zurücktreten, doch nie ganz
verschwinden. Im Späthellenismus trat der Pfeilerbau allmählich wieder hervor, in der
Spätantike (von Konstantin bis Justinian) finden sich bereits Hallenbauten der Art, nun
also an christlichen Kirchen (Pfeilerbasiliken). Daneben kommt auch der Wechsel
von Pfeilern und Säulen vor (Stützen Wechsel). Das klassische Motiv des Pfeilers
mit angearbeiteter Halbsäule erscheint im Kirchenbau erst sehr spät.8)
Die Arkaden. Die Säule als Stütze des Bogens, statt des Pfeilers, war auf-
*) Nyssa: Bruno Keil bei Strzygowski, Kleinasien 74. — Wiranschehr: Humann u. Puch-
stein, Keisen in Kleinasien 406. Strzygowski, Kleinasien 96. — Binbirkilisse: Strzygowski
(nach Crowfoot), Kleinasien 23. 71. 161. Strzygowski meint, der Bau könne ebensogut aus dem
vierten Jahrhundert stammen wie aus dem fünften oder sechsten.
2) Dehio-Bezold I 25 Taf. 3, 9. 10. Holtzinger, Altchr. u. byz. Baukunst 1899, 81. Abb.
97—100.
aj Monolithe Säulen: Strzygowski, Kleinasien 53 f. und öfter. — Zu den Spiralsäulen
318 Architektur und Malerei.
gekommen t in Zusammenhang mit dem zunehmenden Gewölbebau. Das mußte not-
wendig kommen, unter der mittleren Kaiserzeit begann es, in der Spätantike setzte es
sich durch, daher in Ravenna und in Konstantinopel die klassischen Muster sich finden,
in der reichsten Verwendung. — In der ganzen Antike herrscht der Rundbogen; an
den christlichen Sarkophagen freilich wird er meist zum Flachbogen; zuletzt aber, in
der spätesten Antike, taucht der Hufeisenbogen auf, schon an einem heidnischen
Sarkophag, dem der Musen in Villa Mattei, später erscheint er in der wirklichen
Baukunst. x)
Die Kapitelle. In der Kaiserzeit herrschte das korinthische Kapitell, gern
nahm es die Spielform des sog. Kompositkapitells an. Das ging nun alles in die
Spätantike über und erfuhr hier eine gewisse unbeholfene Behandlung. Innerhalb der
Spätantike aber werden wieder neue Entwicklungsphasen bemerkt. Schon unter Theo-
dosius I. sich vorbereitend, unter Theodosius IL vollendet, erscheint eine veränderte
Behandlungsweise der Akanthusblätter ; ich verglich sie mit ausgezwicktem Leder,
Strzygowski nennt sie fettzackig, dabei werden die Rippen durch gereihte Bohrlöcher
markiert. Das theodosianische Kapitell behauptete sich das fünfte Jahrhundert hin-
durch und bis in Justinians Zeit. Klassische Beispiele liefert Ravenna aus Theodorichs
und Justinians Epoche (Herkulesbasilika und Apollinare in Classe); es findet sich in
verschiedenen Unterarten weit verbreitet, auch zu Rom, Bruchstücke liegen in Maria
Antiqua. Eine spätantike Bildungs weise des Akanthus ist der mit umgewehten
Blättern.2)
Der Kämpfer. Der Bogen wurde ursprünglich auf Pfeiler von gleicher Stärke
gesetzt, Wandpfeiler oder freistehende. Nicht von dem Kämpfergesims dieser Pfeiler
ist hier die Rede, sondern von dem im Bogenbau auf Säulen verwendeten Kämpfer.
Genetisch ist er zu erklären als ein Stück des dreiteiligen Gebälks (bestehend aus
Architräv, Fries und breit ausladendem Gesims), das Profil ringsherum durchgeführt,
all das aber in Verkümmerung. Als in den großen Thermensälen, und danach in der
Basilika des Maxentius, jene drei Kreuzgewölbe auf acht Riesensäulen gesetzt wurden,
da legte man bereits einen Gebälkausschnitt zwischen Kapitell und Bogenanfang; es ist
ein verkröpf tes Gebälk, genauer der Gebälkkropf über der Säule. In S. Costanza
steht die Kuppel auf einem Kranz radialgestellter Doppelsäulen; um jedes Säulenpaar
zu verkoppeln, legte man ein Gebälkstück mit ringsumlaufendem Profil über ihre
Kapitelle hin. Das Säulenpaar, ebenso das aufgelegte Gebälkstück, entsprach der
Dicke der Bögen und der Bogen wand. Aber man wagte auch, solche Bögen auf
Einzelsäulen zu setzen; meist behielt man das Zwischenstück, auch zum Ausgleich der
verschiedenen Stärken der Säule und der getragenen Wand. Die dreigliedrige Gestaltung
an Sarkophagen: Staehlin, Eöm. Mitteil. 1906, 368. — Zum Pfeilerbau einiges bei Kraus,
Gesch. I 288. — Pfeiler mit Halbsäule: Strzygowski, Kleinasien 179.
r) Mattei: Eiegl, Spätröm. Kunstindustrie 78 Fig. 16. — Hufeisenbogen: Strzygowski,
Kleinasien 29. 180.
2) Kapitelle: v. Sybel, Weltgesch. 1888, 466 Fig. 365; 2471 Abb.; oben S. 58 (lies Acanthus
spinosä). Strzygowski, Eöm. Quartalschr. 1890, 3 Taf. 1; Archäol. Jahrb. 1893, 9. 27; 1894, 1;
Byz. Denkm. II 208; Bull. corr. 1895, 517. Laurent, Bull. hell. 1899, 206 ff. Kraus Gesch. I 548.
— Umgewehte Blätter: Strzygowsky, Byz. Denkm. II 209. — Die jonischen Kapitelle in
San Lorenzo fuori zu Eom sind nach Herrn. Thiersch, Eöm. Mitteil. 1908, 153 mittelalterlich, aus
dem dreizehnten Jahrhundert.
Zur Formenlehre der spätantiken Architektur. 319
des Kämpfers aber war bedeutungslos geworden, daher verkümmerte sie, wie sich
nachweisen läßt, bis zu dem abgestumpften und gestürzten Pyramidion des spätantiken
Kämpfers [Abb. 95]. Der als besonderes Glied auf das Kapitell gesetzte Kämpfer
herrschte im fünften Jahrhundert; im sechsten wurde diese Kombination abgelöst durch
eine aus Kapitell und Kämpfer zusammengeschmolzene Form, das Kämpferkapitell,
welches beide Funktionen zugleich ausübt, die des Kapitells und die des Kämpfers;
nach Strzygowski erschien es zuerst in der Konstantinopeler Zisterne Bin bir direk
(528, vor der Sophia von 532). J)
Noch ein Wort zum durchbrochenen Flachornament, von dem bereits in
der Einleitung S. 21 und 30 die Rede war. Es erscheint an ravennatischen Kapitellen
in S. Vitale, des sechsten Jahrhunderts, von zweierlei Form. Das Faltenkapitell
mit seinem durchbrochenen Flachornament sieht aus wie eine in Falten gelegte ä jour
gearbeitete Stickerei. Diese Falten aber geben genau das Schema des korinthischen
Kapitells wieder; man verfolge nur das Aufsteigen der Hanken vom Kapitellboden zur
echt korinthisch umzeichneten Deckplatte. Weiter entfernt sich das Trichter-
kapitell von der Gestalt des korinthischen; aber in seiner Verzierung spürt man noch
Nachklänge der Akanthusornamentik, am besten erkennt man es an den Eckblättern.
— Während an diesen Kapitellen das durchbrochene und unterhöhlte Ornament dem
Kern des Kapitells aufliegt, so daß es sich hell von dem dunklen Grund, dem
„Tiefendunkel" abhebt, bieten die marmornen Presbyteriumschranken ein wirklich
ä jour gearbeitetes Muster [Abb. 96]. — Daß diese Art Meißelarbeit nicht autochthon
orientalisch ist, sondern spätest hellenistisch, höchstens osthellenistisch, darüber haben
wir uns oben genügend ausgesprochen.'2)
Wer einmal das Ornament der Kaiserzeit erschöpfend und kritisch aufarbeitet,
der wird manches aufklären; unter anderem wird er aus stadtrömischen Denkmälern
den Nachweis liefern, daß der aus länglichen Blättern zusammengesetzte Zickzack ein
verkümmertes hellenistisches Pflanzenornament ist.
In der Baugeschichte der Kaiserzeit, von Cäsar bis Justinian, spielt eine grund-
legende Rolle das Material und die Technik. Die Wahl des Materials ist zunächst
örtlich bedingt; da aber wertvollere Materialien, wie Marmor oder Granit, verschifft
wurden, so lassen sich in ihrer Verwendung auch entwicklungsgeschichtliche Indizien
finden. Entscheidender ist die Technik; mit den Jahrhunderten kann sich der Zu-
schnitt der Mauerelemente ändern, ebenso die Art des Verbandes und die Verwendung
des Mörtels. Dergleichen kann ja unter Umständen örtlich variieren, ohne doch
eigentlich örtlich bedingt zu sein. Man wird immer gut tun, vorkommende Unter-
schiede in erster Linie zeitlich zu verstehen, z. B. wenn an stadtrömischen Denk-
mälern die Mörtelschicht höchstens so dick sich fände wie der Ziegel, an östlichen aber
dicker. 8)
x) Kämpfer: v. Sybel, Weltgesch. 1888, 430; 2436, die Abbildungen S. 465. 471 oben;
Kämpferkapitell Weltgesch. «473 Abb. Ferner De Rosai, Bull, crist. 1880, 153. Laurent, Bull. hell.
1899, 214. Kraus, Gesch. I 290. Strzygowski, Wasserbehälter Konstantinopels (Byz. Denkm. II)
208. 215; Byz. Zeitschr. 1892, 69; Bull. hell. 1895, 517; Kleinasien 180. Bruno Schulz, Archäol.
Jahrb. 1909, 51.
*) Falten- und Trichterkapitell: v. Sybel, Weltgesch. 1888, 467 Abb. 367. 366; 2471 Abb.
Schranken: ebenda, Schlußstück.
3) Auf die Handbücher der alten Architektur brauchen die klassischen Archäologen nicht
320 Architektur und Malerei.
Geographische Übersicht der Kirchengebäude.
Nachdem wir die Haupttypen der altchristlichen Baukunst vorgeführt haben,
wobei notwendig entwicklungsgeschichtliche Gesichtspunkte sich geltend machen
mußten, so bleibt uns übrig, auf die räumliche Verteilung der Denkmäler die Auf-
merksamkeit zu lenken. Sie ist in mehrfacher Beziehung wichtig. Einmal geht die
Denkmälerforschung naturgemäß länderweis vor, sie, die das monumentale Material zum
Aufbau der Kunstgeschichte liefert; außerdem aber — der Punkt wurde schon be-
rührt — kommen bei aller Einheitlichkeit der Gesamtantike, auch der gesamten
christlichen Antike, doch immer in jedem Land Besonderheiten zur Beobachtung. Nur
muß man sich hüten, nicht zeitliche Unterschiede für örtliche zu nehmen.
Da es sich bei jeder Kunsttopographie um eine rein systematische Übersicht
handelt, so ist es gleichgültig, in welcher Reihenfolge man die Länder auffuhrt.
Kaufmanns Handbuch reiht sie alphabetisch, Holtzingers Altchristliche und byzan-
tinische Baukunst 1899 ordnet sie geographisch (Abendland, Osten und Nordafrika).
Die Sarkophage verfolgten wir um das Mittelmeer linksherum, den Kirchen wollen wir
rechtsherum nachgehen und zwar von Hellas beginnend. Es handelt sich aber auch
für uns nicht um eine erschöpfende Kunsttopographie, sondern immer nur um Ein-
führung; ferner nicht um den Bestand an Kirchen im Altertum, sondern bloß um die
erhaltenen Reste.
Die Balkanhalbinsel. Griechenland hat nur wenig zu bieten; diese Kirchen
werden dem fünften Jahrhundert zugeschrieben. Zu Athen ein Kirchlein am Lyka-
bettos, dreischiffig mit Apsis, die entlehnten Säulen, mit theodosianischem Kapitell, auf
Bathren gestellt, Schranken zwischen den Säulen. — Der Parthenon wurde noch vor
Justinian umgebaut in eine Basilika zu Ehren der heiligen Weisheit (später der Theotokos
geweiht), der Eingang wurde nach Westen verlegt, in die östliche Vorhalle die Apsis ge-
baut, auch der Innenbau geändert. Erechtheion und Theseion erfuhren ähnliches. —
Die Basilika zu Olympia, in das „Atelier des Phidias" eingebaut, 1551 durch Erdbeben
zerstört, dann erneuert, hat wenig tiefen Vorhof, gesäulte Vorhalle in der Kirchenbreite;
die drei Schiffe scheiden die Säulen tragende Mäuerchen; eine Treppe führt zum Presby-
terium, das noch keine Ikonostasis besitzt, nur Marmorschranken und in deren Mitte
eine Tür (Rundbogen auf zwei Säulen). Die Apsis umschließt eine Priesterbank. —
Auch im Apollotempel zu Delphi richtete man eine Basilika her; erhalten sind nur
Reste von Kapitellen u. dergl. — Saloniki: Die Rotunde S. Georg, die dreischiffige
Eski Dschuma, die fünfschiffige Demetrioskirche, soviel von alledem auf die Gründungs-
zeit zurückgeht. — Die Kapellen und Saalkirchen in Bosnien und Herzegowina,
erst hingewiesen zu werden. Von Nutzen ist, außer Choisy, L'art de bätir chez les Eomains
1873 und L'art de bätir chez les Byzantins 1883, nur Durm, Baukunst der Etrusker und Römer
2 1905. Aber auch Durms Werk leidet von der unhistorischen Gewohnheit, vor dem Siege des
Christentums Halt zu machen. Als ob in der Wahl der Überwölbungsweise die Maxentiusbasilika
von der heidnischen, die Sophienbasilika von der christlichen Beligion irgendwie bedingt wäre.
Man sollte endlich die den Tatbestand nicht treffende Einteilung in griechische, römische, alt-
christliche und byzantinische Baukunst aufgeben und die gesamte Baukunst der alten Griechen
und Römer, einschließlich der christlichen und der Frühbyzantiner, in ein einheitliches, daun
natürlich mehrbändiges Werk zusammenfassen. Denn es hat nur Eine Antike gegeben.
Geographische Übersicht der Kirchengebäude. 321
aus dem vierten Jahrhundert, die vollständigeren mit Apsis und Priesterbank, Tisch-
altar und Ambo. — Endlich Konstantinopel. Hier bleibt die Johanneskirche des
Studios von 463 nachzutragen, Sergius und Bacchus und die Sophienkirche wurden
oben besprochen.1)
Kleinasien. Harnacks „Mission und Ausbreitung des Christentums" legte die
hervorragende Bedeutung der Halbinsel in der Entwicklung unserer Weltreligion klar,
und Strzygowski hat auf ihre und ihrer Denkmäler kunstgeschichtliche Bedeutung in
seinem „Kleinasien ein Neuland der Kunstgeschichte" nachdrücklich hingewiesen. Die
rege internationale archäologische Forschung erstreckt sich nicht zum wenigsten auch
auf Kleinasien. Die allen klassischen Archäologen wohlbekannten, auf das Klassisch-
antike gerichteten Expeditionen zeitigen, wie in Olympia und Delphi, so auch in Klein-
asien immer auch Ergebnisse für die spätantike Kunst im Dienste der Weltreligion.
Nur beispielshalber sei Pergamon genannt, von den Kirchenruinen geht wenigstens
die der Agora auf das vierte Jahrhundert zurück. Oder Priene; von dem drei-
schiffigen Ausbau eines Hauses mit eckiger Apsis, dem dritten Jahrhundert zu-
geschrieben, weiß man angesichts eines Reliefs mit siebenarmigem Leuchter und dem
Mangel christlicher Symbole freilich nicht, ob eine Hausbasilika oder eine Synagoge
vorliegt; gesichert aber ist eine dreischiffige Basilika mit geschlossenem Narthex, ent-
lehnten Säulen, Marmorschranken, sargformigem Altar, Apsis mit umlaufendem Ge-
bänk, wohl des sechsten Jahrhunderts. Andere Expeditionen gingen von vornherein
auf die Suche nach christlichen Denkmälern. Aufnahmen solcher, von Crowfoot und
von Smirnov, hat Strzygowski in seinem erwähnten Buche herausgegeben und kom-
mentiert; dort findet man das bisher für die Baugeschichte Kleinasiens in der Spät-
antike und darüber hinaus zusammengebrachte Material unter den weittragenden Ge-
sichtspunkten des Verfassers gruppiert. Das oben S. 31 Bemerkte zu ergänzen sei
hier noch anerkannt, daß seine Untersuchungen in erster Linie auf die scharfe Er-
fassung des an jeder landschaftlichen Bautengruppe Eigentümlichen geht. Hoffentlich
weiß die Stilkritik, welche in der Bearbeitung der klassisch griechischen Kunst ihre
Methode so außerordentlich geschärft hat, auch dem je späteren desto difficileren
Gegenstande gegenüber dessen chronologischer Bestimmung sich zu versichern. Es
würde dies insbesondere für die Wölbbauten im Innern Kleinasiens von Wert sein, mit
ihren zur Spitzbogenform neigenden Tonnen, ihren Hufeisenbogen und hufeisenförmigen
Apsiden, mit ihren hittitischen Vorhallen zwischen turmartigen Eckkörpern.2)
1) Athen: Leclercq in Cabrols Dict. I 3048. — Lykabettos: Strzygowski, Rom. Quartal-
schrift 1890, 3 Taf. 1. — Parthenon: Michaelis, Parthenon 1871, 45. Judeich, Stadt Athen 101.
— Olympia: Ergebnisse II 93 Taf. 68—70. Strzygowski, a. a. O. 7 Taf. 2. — Delphi: Laurent,
Bull. hell. 1899, 206. — Saloniki: Laurent, eb. 250. — Bosnien: Truhelka, Rom. Quartalschr.
1895, 198. — Konstantinopel: Salzenberg, Altchristi. Baudenkm. Cpels vom 5. bis 12. Jahrh.
1854. Pulgher, Les anciennes eglises byz. de Cple 1878. Leclercq in Cabrols Dict. II 1416 Sophien-
kirche, 1443 Sergius und Bacchus.
2) Kleinasien: Texier, Description de l'Asie mineure 1839. Texier and Popplewell Pullan,
Byzantine architecture 1843—64. Petersen und v. Luschan, Reisen in Lykien, Wien 1889. Humann
und Puchstein, Reisen in Kleinasien und Nordsyrien 1890. Headlam, Ecclesiastical sites in Isauria
(Journ. hell, suppl. I 1892). Lanckoronski, Städte Pamphyliens u. Pisidiens, Wien 1892. Die Be-
richte und Publikationen der großen Ausgrabungen. Strzygowski, Kleinasien ein Neuland der
Kunstgeschichte 1903. Einiges Altchristliche auch bei Hans Rott, Kleinasiatische Denkmäler (Joh.
Fickers Studien über christl. Denkm. V— VI) 1908.
Sybel, Christliche Antike II. 21
322
Architektur und Malerei.
Syrien. An dem in der Kaiserzeit dort blühenden Leben nahm auch das innere
Land teil, bis im siebenten Jahrhundert die Bewohner vor dem andringenden Islam
flüchteten; ihre Häuser und Kirchen stehen noch heute, soweit sie nicht dem natür-
lichen Vergehen zollen. Man hat zwei Bezirke zu unterscheiden. Der Hauran,
östlich von Damaskus, ist die einzige Landschaft außerhalb Ägyptens, die den Hau-
steinbau mit Flachdecken folgerichtig durchgeführt hat. Nebeneinandergelegte Stein-
platten bilden die Decke; um die kurzen Tafeln zu stützen, mußten die Pfeiler ähnlich
eng gestellt werden, wie in den ägyptischen Tempeln die Säulen. Rundbögen ver-
spannen die Pfeiler längs und quer. Die früheren Steinbauten des Hauran gehören
der heidnischen Zeit an, die späteren der christlichen, so die Basiliken zu Kanawat
und Suweda. Der andere Bezirk, zwischen dem Orontes und Aleppo, dessen
Ruinen aus der christlichen Spätantike stammen, verwandte Bauholz, nur für das Dach
(Emporen waren nicht üblich). Bei den syrischen flachgedeckten Kirchen treffen wir,
wie bei den kleinasiatischen Wölbkirchen , die hittitische Vorhalle zwischen zwei
Türmen, die in Syrien, mehrstöckig hochgeführt, ein paarmal bis zu ihrem Giebeldach
sich erhielten. Typisch ist die Anordnung der Apsis zwischen Prothesis und Dia-
konikon, seltener wurde sie für sich hinausgebaut. In architektonischer Beziehung
herrscht die Arkade vor. Die Säulen dienen auch, um an der Oberwand auf Kon-
solen gestellt die Deckbalken tragen zu helfen; zweigeschossig disponiert umstehen
Halbsäulen die Außenseite der Apsis. Reich, im spätantiken Geschmack, ist auch das
Ornament, die Gesamtwirkung bisweilen glücklich. Als Glanzleistung des Stiles darf
einerseits die großentworfene Denkmalskirche zu Ehren des Simeon Stylites bezeichnet
werden (Kalat-Siman), andererseits die Basilika von Kalb-Luseh und besonders die
von Turmanin. — In Palästina ist wenig Altchristliches erhalten, in Jerusalem der
von Strzygowski nachgewiesene Rest der Grabeskirche Konstantins (der Südwand des
Westatriums), zu Bethlehem die konstantinische Geburtskirche, bei der nur das Alter
des kleeblattförmigen Presbyteriums strittig bleibt.1)
Ägypten. Von der wetteifernden Forschungsarbeit der Nationen fällt nur ver-
hältnismäßig wenig für die Spätantike ab. Ein paar Hauptpunkte hebe ich hervor,
die Basiliken des roten und des weißen Klosters bei Sohag in Oberägypten, und die
neueste Errungenschaft, die Auffindung des Menasheiligtums in der Mareotiswüste
durch die Frankfurter Expedition unter C. M. Kaufmann. Hierüber liegen nur die
ersten Berichte vor; die Publikation muß abgewartet werden, wie denn die Verarbei-
tung des ganzen ägyptischen Materials noch in den Anfängen steht. Von kunst-
geschichtlichen Hypothesen sei nur Strzygowskis Herleitung der Kleeblattform des
Chors aus Ägypten erwähnt.2)
^Syrien: de Vogü£, La Syrie centrale, architecture civile et religieuse 1865. Anderes
bei Strzygowski, Kleinasien, und in seinen neueren Schriften. Gemäß seiner Lage zwischen
Ägypten, Mesopotamien und Persien, Siidkleinasien, spielt Syrien eine hervorragend wichtige Rolle
in der Orienthypothese; es ist das fast wichtigere Element in der „syroägyptischen Ecke"; be-
sondere Aufmerksamkeit schenkt Strzygowski, mit Recht, der Hauptstadt Antiochia, den spärlichen
Resten spätantiker antiochenischer Kunst spürt er emsig nach (s. Beitr. z. a. Gesch. II 1902, 105.
Oriens Christ. II 421). Butler, Publ. Princeton Univ., Exped. Syria II Architecture. — Palästina:
Zeitschrift der deutschen morgenländischen Gesellschaft. Zeitschrift des deutschen Palästina-
vereins. Palestine exploration fund. Palestine exploration society, u. a. m.
a) Älter Bekanntes z. B. bei Kraus, Gesch. I 339. Ferner Butler, Ancient coptic churches
Geographische Übersicht der Kirchengebäude. 323
Nordafrika. Die Bedeutung Nordafrikas für das Christentum hat nach andern,
und schärfer als frühere, Theodor Mommsen betont. „In der Entwicklung des Christen-
tums spielt Afrika geradezu die erste Rolle; wenn dasselbe in Syrien entstanden ist, so
ist es in und durch Afrika Weltreligion geworden." Mommsen hat die Überführung
des Christentums aus dem griechischen in das lateinische Medium im Sinne, woran die
Afrikaner so wesentlich beteiligt waren. Die Bedeutung der Tatsache ins rechte Licht
zu setzen stellt er sie in die Entwicklungsreihe, deren neuere Glieder auf Luthers
Spuren die Bibelmissionen darstellen. Sehr richtig. Nur ist dabei die weltgeschicht-
liche Rolle des griechischen Christentums als dem Leser bekannt und gegenwärtig
vorausgesetzt. Wie die griechischen „Septuaginta" den Israelitismus zu einer Welt-
religion gemacht haben, so eroberte das griechisch redende und schreibende Christen-
tum Kleinasien und, zwar nicht Italien, aber die hellenistische Welthauptstadt, Rom.
Das griechische Christentum tat den ersten Schritt zur Weltreligion, das lateinische
den zweiten. Mommsen hebt noch hervor, daß die werdende Kirche in Afrika die
eifrigsten Bekenner, die begabtesten Vertreter fand, für den literarischen Glaubens-
kampf weitaus die meisten und tüchtigsten Streiter. Und das Christentum, fügen wir
hinzu, nahm einen Guß afrikanischen Blutes in seine Adern auf.
Im Gefolge der französischen Neukolonisation Nordafrikas wurde eine Fülle von
Denkmälern der Wissenschaft erschlossen, auch eine Fülle afrikanischer Kirchen; freilich
liegen sie noch nicht, sicher noch nicht alle, in genügenden Veröffentlichungen vor.
Immerhin läßt sich schon jetzt erkennen, daß auch in Nordafrika der bauliche Hauptteil
der christlichen Basiliken konstant ist, nämlich das dreischiffige Langhaus mit seiner
Richtung nach dem Altar; vereinzelt kommen fünf Schiffe vor, was es mit den sieben
oder neun zu Tipasa und bei der auch sonst eigenen Damus-el-Karita zu Karthago für
eine Bewandtnis hat, bleibt in Frage. Wie im griechischen Osten gibt es auch hier
gelegentlich Scheidewände zwischen den Schiffen, desgleichen Pfeiler, auch solche mit
angearbeiteten Halbsäulen, u. a. m. Schwankender sind die An- und Einbauten. Vor
der Kirche findet sich bald ein Atrium, bald ein Narthex, auch wohl eine hittitische
Vorhalle. Die Apsis ist ein- oder ausgebaut, sie hat Prothesis und Diakonikon zu
ihren Seiten, doch nicht regelmäßig. Seit dem fünften Jahrhundert wird die Bestattung
in der Kirche häufig, für das Grab des 475 verstorbenen Bischof Reparatus von Orleans-
ville wurde in die Basilika eine westliche Apsis eingebaut.1)
Die West- und Nordländer Europas dürfen wir übergehen und sofort mit Italien
unsere Umschau beschließen. Es handelt sich um Rom, Mailand und Ravenna. Kon-
of Egypt 1885. de Bock, Matenaux pour servir a Farcheologie de l'Egypte chrötien, Petersburg
1901 (Deir-el-Abiad und Deir-el-Achmar; El-Bagauat); vgl. Leipoldt, Schenute von Atripe 1903.
Strzygowski, Kleinasien 1903, 118; Koptische Kunst 1904, XVII f.; Byz. Denkm. III p. XVII. —
Menasheiligtum: Kaufmann, Ausgrabung der Menasheiligtümer, Erster bis Dritter Bericht,
Cairo 1906 —8 = La döcouverte des sanctuaires de Menas dans le desert de Mareotis, trad. par
A. Hartmann, Alexandrie 1908. Beide Ausgaben mit Abb.; vgl. Köm. Quartalschr. 1906, 82. 169.
189. 1907, 7. Byz. Zeitschr. XVI 724 und sonst.
x) Nordafrika: Gsell, in den Melanges d'archeol. et d'hist. 1891 und weiterhin. Derselbe,
Kech. archeol. en Algene 1893; Les mon. antiques de l'Algerie 1901. Saladin, in den Archiv, d.
miss. scient. 1887. 1892. Diehl, L'Afrique byzantine 1897. Franz Wieland, Ein Ausflug ins alt-
christliche Afrika 1900. Dazu A. Schulten, Deutsche Lit. Zeit. 1900, 1649. Kraus, Gesch. I 274.
337. Leclercq in Cabrols Dict. I 658.
21*
824
Malerei.
stantin errichtete die glänzendsten seiner Prunkbauten im Mutterlande der von ihm
erwählten Religion, in Palästina; immerhin sah auch Rom Bedeutendes erstehen. Im
weiteren Verlauf der Spätantike hat es nicht mehr die politische Rolle gespielt wie
vorher; dementsprechend vollzog sich die letzte große Entwicklung der antiken Bau-
kunst nicht in Rom, sondern in der neuen Reichshauptstadt, in Konstantinopel. Was
aber die Spätantike zu Rom überhaupt schuf, das ist entweder ganz zerstört wie die
Peterskirche, oder mehr oder minder eingreifenden Erneuerungs- und Umbauten unter-
worfen worden, so daß man gegenüber jeder der Stiftung nach antiken Kirche Anlaß
hat zur kritischen Frage. Eine in bautechnischer und baukünstlerischer, in archäo-
logischer und kultgeschichtlicher Beziehung gleich sachverständige kritische Bearbeitung
oder gar wissenschaftliche Rekonstruktion der in der Antike entstandenen Kirchen fehlt
noch, soviel auch im Einzelnen getan sein mag, zum Beispiel für die Peterskirche.
Auch die „Topographie der Stadt Rom im Altertum" müßte ausgedehnt werden
auf die Spätantike, auf die Bautätigkeit von Konstantin bis Justinian. Mag man's
in einem zweiten Bande unter dem Titel Roma christiana für sich behandeln, wenn
es nur überhaupt gemacht wird, im Sinne der klassischen Philologie und Archäologie.
— In Mailand interessieren hauptsächlich S. Ambrogio und S. Lorenzo; bei beiden
geht die nächste Frage dahin, inwieweit sie auf das vierte Jahrhundert zurückgeführt
werden dürfen. — Die Kirchen von Ravenna haben sich im ganzen besser erhalten;
neuerlich ist man daran, besonders San Vitale auf seine Baugeschichte gründlicher zu
untersuchen. — Die kunstgeschichtlichen Fragen, ob die stadtrömische Kunst original
sei, ob von Syrien oder von Gallien beeinflußt, ob die ravennatische Kunst byzantinisch
oder antiochenisch oder zum Teil auch kleinasiatisch sei, alle solche Fragen mögen aus
Anlaß aufstoßender Indizien gestellt werden, aber sie sind noch nicht spruchreif. Erst
müßten wir bestimmter wissen, wie die kleinasiatische, die antiochenische, die byzan-
tinische Kunst aussah, wodurch sich eine jede unterschied von der gemeinantiken
Kunst, alles dies unter Berücksichtigung der Zeiten.1)
Malerei.
Wir bringen hier die Wandmalerei außerhalb der Katakomben, das Mosaik, die
Goldgläser, die Miniatur, alles in kürzester Fassung, nur um den Lesern die Fäden in
die Hand zu geben.
*) Eom: Ciampini, de sacris aedificiis a Constantino Magno constructis 1693. Bunsen,
Guttensohn und Knapp, Die Basiliken des christl. Roms 1843. Hübsch, Die altchristl. Kirchen
nach den Baudenkmalen etc. 1862. Mothes, Baukunst des Mittelalters in Italien 1884. Dehio u.
Bezold, Kirchl. Baukunst d. Abendlandes I 1884. Armellini, Chiese di Borna 1887. Holtzinger,
Altchr. Basiliken in Eom u. Ravenna 1898. Marucchi, l£l£ments d'arche'ol. chr^t. III Basiliques et
öglises de Rome, Paris 1902. — Ravenna: v. Quast, Die altchristl. Bauwerke von Ravenna 1842.
Rahn, Ravenna 1869. C. Ricci, Ravenna 81900.
Wandmalerei. 325
Wandmalerei.
Im ersten Bande wurden die Malereien der Katakomben besprochen, die im
Ganzen ältesten und zugleich zahlreichsten, die römischen; mit herangezogen wurde
einiges wenige, mit das Beste, aus den neapolitanischen. Anderes blieb zurück, was
hier nachgetragen werden soll. Die neapler Plafonds hatte ich als Beispiele der
Deckenkomposition verwertet und von den Einzelbildern den „Sündenfall" als das
älteste Exemplar des Typus. Die im Scheitel des Plafonds schwebende „Siegesgöttin
mit Palmzweig" deutet hier natürlich auf den Sieg über den Tod; der „Säemann" ist
leider schon als Typus problematisch, die „den Turm bauenden Jungfrauen" aber sind's
ihrer Bedeutung nach. Mag nun der Bau einer Gemeinde oder dem Glauben gelten,
wenn der letzte Gemeindezweck auf die Erlösung aus dem Tod geht und der ganze
Christusglaube ebendahin zielt, so erklärt sich auch dies Bild aus den christlichen
Jenseitsgedanken.1)
Von den sizilischen Katakomben, den bedeutendsten nach den römischen, er-
schien inzwischen die abschließende Verarbeitung, nach Führers zu frühem Tode voll-
endet und herausgegeben von Schultze. Ihre merkwürdigen Gräbertypen, wie die
Baldachingräber, seien den klassischen Archäologen hiermit zur Beachtung empfohlen,
auch die hier zu findenden neuen Momente zur Geschichte des Katakombenbaues (für
die römischen Katakomben wird sie, wie ich bereits im ersten Bande bemerkte, nur
klarzustellen sein, wenn erst jede Katakombe für sich auf ihren allmählichen Ausbau
und ihre gleichzeitig fortschreitende künstlerische Ausstattung untersucht sein wird;
dabei wird auch der Sinn der Malerei besser heraustreten, als aus Wilperts Vereini-
gung aller). In den sizilischen Katakomben blieb von den einst vorhandenen Malereien
nur ein Bruchteil erhalten, alles aus dem vierten Jahrhundert. Die Fülle der blühen-
den Pflanzen, in der Hauptsache wohl Rosen, der Girlanden, dazu auch Weinranken
kommen, von Vögeln belebt, dann die typisch wiederkehrenden Tauben und Pfauen,
letztere besonders gern und besonders farbig gemalt, die Palmzweige als Bilder des
Siegs über den Tod, und die Palmbäume als die spätantiken Paradiesesbäume, unter
Girlanden stehend die Oranten, zwischen Pfau und Taube, oder beim guten Hirten,
dazu die Bettungen aus dem Tod, Jonas, Daniel zwischen den Löwen, Lazarus (dessen
Mausoleum hier das Kreuzeszeichen trägt), der erst jugendlich, dann bärtig lockige
Christus zwischen Paulus und Petrus, eine knieend adorierende Verstorbene begrüßend
oder einer anderen in den Himmel eintretenden den Kranz des Lebens aufsetzend, so-
wie noch andere, zum Teil noch nicht ganz aufgeklärte Szenen im himmlischen Para-
dies, all das vergegenwärtigt, wie Schultze richtig interpretiert, „die blühenden Gefilde
der Seligen, in denen man sich die Toten vorstellte." Ebendrum aber scheint mir die
Resurrectio mortuorum ferner zu liegen.2)
Eine Gruft zu Alexandria besteht in einem oblongen Vorraum für den Toten-
kult, mit Apsis in der einen Schmalseite; gegenüber öffnet sich ein Gang mit Schieb-
gräbern; wegen dieser den Christen ungewohnten Grabform vermutete Schultze, die
*) Neapel: V. Schultze, Die Katakomben von San Gennaro dei Poveri in Neapel, 1877.
2) Jos. Führer u. V. Schultze, Die alten Grabstätten Siziliens (Arch. Jahrb., Ergänzungs-
heft VII) 1907, 282.
326
Malerei.
Gruft sei ursprünglich von einer hellenistisch jüdischen Familie angelegt. In der einen
Langseite des Vorraums münden Zugänge, an die andere schließt sich eine Grab-
kammer mit drei Sargnischen. In der Apsis läuft eine Bank herum und über ihr in
halber Höhe ein gemalter Fries mit Beischriften; die Malerei ist stark mitgenommen
und scheint stellenweise übermalt. Die Szene ist im Freien. Der in der Mitte
thronende Christus, mit Kreuznimbus, segnet die von „Petros" und „Andreas" ge-
brachten Speisen (Brote und Fische); die vollen Brotkörbe stehen zu seinen Seiten.
Das Thronen des die Speisen segnenden Christus fanden wir auch an einem Sarkophag.
Jederseits folgt nach einem die Szenen trennenden Baume noch ein Flügelbild, je ein
Gelage im Grünen, wieder abgeschlossen durch einen Baum. Über dem rechts steht
rag etkoyiag xov Xqiorov io&iovreg, „die Danksagungen des Christus Essende": die
„Danksagungen" sind die Speisen, über die der Christus den Dank sprach. Im linken
Flügelbild stand noch eine nimbierte Gestalt beim Gelage, nach der Beischrift Jesus;
über dem Gelage liest man dyla Maq{t)a (?) und über noch einer Figur itaidia, wo-
runter man „Dienerschaft" versteht; das Ganze wird auf die Hochzeit zu Kana ge-
deutet. Leider ist das für den Kanatypus Charakteristische nicht zu erkennen, die
Gruppe der Weinkrüge zu Füßen des Christus. Der Fries knüpft an die Speisung
der Tausende an, gemeint aber ist das himmlische Mahl. Mit Recht warnt Schultze
vor zu früher Datierung des Bildes; spät sind vollends die übrigen in der Katakombe
gemalten Gestalten.1)
Nun also die Wandmalerei außerhalb der Katakomben. Solche hat es
im christlichen Altertum mehr gegeben, als die wenigen Reste vermuten lassen. In
der schriftlichen Überlieferung kommt gelegentlich die Rede darauf; es sind Ge-
schichten aus dem alten und neuen Testament, und Martyrien. Wir verzeichnen kurz
das Erhaltene. Zu Rom im Hause der Märtyrer Johannes und Paulus, deren Tod
in die Zeit des Julianus Apostata gesetzt wird, finden sich zum Teil noch rein heid-
nische Malereien, Girlanden von Jünglingen getragen und ähnliches mehr; die Christen
ließen es stehen, als neutrale Dekoration. Dann finden sich Oranten und dergleichen
mehr. Eine christliche Hauskunst, verschieden von der Grabkunst, hat sich nicht ge-
funden. Wohl aber Malerei im Dienste des Märtyrerkultes, das Martyrium von Cris-
pus, Crispinianus und Benedicta, die alle drei zugleich, knieend und mit verbundenen
Augen, enthauptet werden. Die Darstellung geht einen Schritt weiter als die der
Martyrien des Petrus und des Paulus an den Sarkophagen, oder des Achilleus an der
Säule in S. Petronilla; es bleibt aber immer im selben Ideenkreis, vom Erlöser und
von seinen Gehilfen und Getreuen. Seitdem das Christentum seinen Endzweck in die
jenseitige Seligkeit setzte, ordnete sich alles unter diese eine Idee, der neutestament-
liche Motivenschatz ohne weiteres, der alttestamentliche aber nicht minder; denn der
interessierte die Christen ja nur, insofern er Symbole und Prototype zu den christ-
lichen Typen abgab.2)
*) Wescher und de Rossi, Bull crist. 1865, 57 m. Taf. 1872, 26. Schultze, Katakomben 282.
Kraus, Gesch. I 56 Fig. 17. Leclercq in Cabrols Dict. I 1127 Fig. 279. J. P. Richter in der
Expedition Ernst Sieglin I 1908 Kap. V konnte ich nicht mehr benutzen.
9) Johann und Paul:P. Germano di S. Stanislao, Rom. Quartalschr. 1888; American. Journ.
Archaeol. 1890. 1892. Hülsen, Rom. Mitteil. 1891, 107. — Von den Fresken in S. Maria Antiqua wird
die unterste Schicht in die Zeit der Spätantike gesetzt; Joseph Wilpert gibt die Malereien heraus.
Mosaik. 327
Darum muß auch die letzte noch übrige Bildergruppe sich unter dieselbe Idee
fügen, die in der Nekropole El-Bagauat in der großen Oase, nördlich von El-Kargeh.
Von den an zweihundert Grabkapellen aus ungebrannten Ziegeln, die im Grundriß
viereckig auf Pendentifs eine Kuppel tragen, haben einzelne ihre Malereien mehr oder
weniger gut erhalten. Eine ist mit biblischen Szenen geschmückt, alten und neuen
Testamentes; Weinranken füllen die Wölbung, unterhalb geht die Verfolgung der aus-
ziehenden Israeliten herum. Unter den übrigen Szenen fällt der Zug der klugen
Jungfrauen auf. Eine andere Kapelle zeigt in der Kuppel rings verteilt zehn Figuren,
teils auch Gruppen, die Namen sind beigeschrieben: der Tür gegenüber Daniel in der
Löwengrube, zu beiden Seiten folgen weibliche Personifikationen, Friede, Gebet und
Gerechtigkeit (EiQijvrj, Ev^q, dLY.moGvvx]), die beiden ersteren als Oranten, die Ge-
rechtigkeit mit Mauerkrone, Füllhorn und Wage, mithin aus bekannter Typik ent-
wickelt. Außerdem Isaaks Rettung vom Opfertod, mit Sarah, Adam und Eva, Thekla
und Paulus in lebhaftem Gespräch sich gegenübersitzend, sie mit Diptychon, endlich
Maria, Noah, Jakob. In einer dritten Kapelle ist der Tür gegenüber ein Thronender
gemalt, dem ein Zug Männer zu huldigen scheint, nach einigen der Verstorbene, nach
andern der Christus. Die Anordnung der Kuppelmalerei, soweit sie sich der Archi-
tektur anschließt, ebenso die Komposition der Hauptgestalten, verrät Zusammenhang
mit der höheren Kunst; aber die Ausführung ist zum Teil von einer Kindlichkeit, zu
der man Analogieen so leicht nicht findet, man fühlt sich bisweilen an altkyprisches
Gepinsel erinnert. In gegenständlicher Beziehung will beachtet sein, daß die Arche
Noahs nicht mehr ein Kasten ist, sondern ein antikes Schiff, sogar mit recht niedrigem
Bord. Alles weist auf späte Entstehung. Die in so mancher Beziehung eigenen
Malereien ordnen sich natürlich auch dem Kreis der christlichen Jenseitsgedanken
unter; wer das bezweifeln sollte, der übersehe nicht, daß es tatsächlich Grabmalereien
sind. Übrigens vermag ich meine Verwunderung darüber nicht zu unterdrücken, daß
gerade katholische Gelehrte solche Zweifel äußern.1)
Mosaik.
In der Einleitung S. 16 stellten wir fest, die Kunst des Mosaizierens sei viel-
leicht durch altorientalische Techniken vorbereitet und angeregt, so aber, wie sie in
der „Alexanderschlacht" und andern Meisterwerken vorliegt, sei sie eine griechische
Erfindung hellenistischer Zeit. Im Fußboden entstanden ging das Mosaik später auf
Decken und Wände über, wegen seiner Widerstandsfähigkeit gegen Feuchtigkeit
empfahl es sich besonders iür Nymphaeen und Thermen. Die prächtigen Mosaikbrunnen
in Pompeji, Nischen unter Halbkuppeln (Konchen) sind dafür unsere ältesten Belege.
Dann findet sich Mosaik in der Villa Hadrians zu Tivoli, an Tonnen und Halb-
kuppeln. Aus den Thermen aber überkamen es die christlichen Baptisterien. Halb-
*) Die Nekropole von Bagauat wurde schon von früheren Besuchern der großen Oase be-
merkt und beschrieben, aber publiziert erst bei Wl. de Bock, Matöriaux pour servir a l'archöologie
de l'^gypte chr^tienne 1901. Danach Leclercq in Cabrols Dict. II 31 Fig. 1186—1189. 1191; das
Theklabild eb. I 2577 Fig. 850, Noah 2714 Fig. 906. 907. — Über verlorene Wandmalereien, ins-
besondere zyklische, vgl. Kraus Gesch. I 383.
328
Malerei.
kuppeln waren auch die Apsiden der Basiliken; von der Apsis aus verbreitete sich das
Mosaik auf die übrigen Flächen, die Triumphbogen und die Wände.1)
Die stadtrömischen Mosaiken, die bis dahin fast nur in Umrißzeichnungen
veröffentlicht waren, hat de Rossi in einem großen Werk neu herausgegeben; die
sorgfältig gearbeiteten farbigen Steindrucke vermitteln soweit eine Anschauung der
Denkmäler. Aber es sind so viele Jahrhunderte über die altchristlichen Mosaiken
hingegangen, so viele Beschädigungen und Wiederherstellungen, daß der Betrachter
und Bearbeiter überall Gefahr läuft, irregeführt zu werden, wenn ihm nicht eine
kritische Ausgabe zur Seite steht. De Rossis Tafeln lassen diesen Tatbestand nicht
erkennen; in einzelnen Textbildern hat er durch Schraffieren der ergänzten Teile da-
von eine Vorstellung zu geben gesucht (so für S. Pudenziana). Was not tut, wäre
eine kritische Prüfung und Neuedition aller Mosaiken; einen Anfang solcher Kritik
hat Joseph Wilpert in S. Maria Maggiore gemacht. Bei der wissenschaftlichen Wieder-
gewinnung des Ursprünglichen sind auch in diesem Falle, wie bei den Sarkophagen,
alte Beschreibungen und Zeichnungen zu benutzen. Selbst ganz zugrundegegangene
Mosaiken können mit solchen Hilfsmitteln wenigstens im Schema wiedergewonnen
werden. — Unsere drei Farbtafeln geben Proben, nach de Rossi. Das Apsismosaik
von S. Pudenziana, das der klassischen Kunst noch am nächsten steht, zeigt, wie die
christliche Malerei in das Mosaik überging; hier ist noch Naturgefühl und Lebens-
gefühl, die Gestalten und Architekturen heben sich von einem wolkigen Himmel ab;
das aufgesetzte Gold dient zur Hervorhebung und wirkt idealisierend: der thronende
Christus wirkt in seinem Kreise, wie der Zeus des Phidias in dem der Heiden wirkte
[Taf. 1]. Das andere Apsismosaik, aus der Vorhalle des lateranischen Baptisteriums,
ebenfalls im älteren Stil bleibend, gibt in sattblauem Grunde grüne Ranken, auch sie
mit Gold gehöht [Taf. 2]. Die dritte Tafel dagegen zeigt die spätere Weise, die Dar-
stellung sich von einem idealen Goldgrund abheben zu lassen; es ist der Triumph-
bogen von S. Paolo fuori. Wer die dritte Tafel mit der ersten vergleicht, wird zu-
gleich den Fortgang in der Erstarrung bemerken, in der ganzen Anordnung wie in
der Zeichnung [Taf. 3].2)
In den Katakomben fanden sich nur vereinzelte Mosaiken; dagegen bilden solche
den Hauptschmuck der Kirchengebäude. Ein kritisches Verzeichnis der römischen
Mosaiken aufzustellen ist noch nicht an der Zeit; wir müssen uns begnügen, einiges
Wichtigere zu nennen, tunlichst in zeitlicher Folge. S. Costanza, Baptisterium und
Mausoleum zugleich, entstanden in den fünfziger Jahren des vierten Jahrhunderts.
Das Kuppelmosaik, 1620 zerstört, liegt in älteren Abbildungen vor; in offenbarem An-
klang an die Bestimmung der Rotunde lief rings ein von allerlei Getier und angelnden
») Mosaik: v. Sybel, Weltgesch. 1888, 320; 2329. 378. 409. Gauckler in Daremberg-Saglios
Dict. III 2 Musivum opus (auch separat: La mosaique antique 1904). — Winnefeld, Villa Hadrians
51 zu Taf. 3 D Kanopus. — Christliche Mosaiken: Garrucci, Storia IV. Kraus, EE II 419;
Gesch. I 399. Schultze, Archäologie 197. Kaufmann, Handbuch 449. Leclerq, Manuel II 193.
Beißel, Bilder aus d. Gesch. d. altchr. Kunst u. Liturgie 1899, 118. Zimmermann, Giotto I 1899.
Jacoby, Das geograph. Mosaik von Madaba 1905, 8 Verzeichnis syrischer Mosaiken.
a) Stadtrömische Mosaiken: Ciampini, Vetera monimenta 1690. 1699. a1747. de Bossi,
Musaici cristiani 1872—1900. E. Müntz, La mosaique chrötienne pendant les premiers siecles
(Mem. Soc. antiq. France 1891—92). Über verlorene Mosaiken: Derselbe, American Journal
Archaeology 1900.
Mosaik. 329
Putten belebtes Gewässer herum, eingefaßt vom Ufer mit figürlichen Szenen; Fels-
klippen im Wasser trugen eine Art Kandelaber oder Säulen, aus Akanthus und
menschlichen Gestalten aufgebaut, aus ihnen erwuchs das Ranken werk der Gewölb-
kuppe. In dies Rahmenwerk waren alt- und neutestamentliche Szenen gestellt. Er-
halten sind die Mosaiken des Umgangs, abwechselnd Weinlese und Teppichmuster. —
S. Pudenziana, Apsismosaik aus den neunziger Jahren des vierten Jahrhunderts,
leider rings beschnitten. Der thronende Christus» inmitten der Zwölf, hinter denen
zwei Frauen, wohl S. Pudentiana und S. Praxedis, ihre Lebenskränze darbringen, im
himmlischen Jerusalem. Hinter dem Christus ragt eine hohe goldne Crux gemmata,
auf dem Berg stehend, in den Himmel (vielleicht nach dem Vorbild der auf Golgatha
errichteten), in dem die Evangelistentiere schweben; von oben reichte die Hand
Gottes herein. Unten senkte sich die Taube nach dem Lamm Gottes zwischen den
zwölf Schafen [Taf. 1]. — S. Rufina e Seconda, ursprünglich die eine Endexedra
der Vorhalle des lateranischen Baptisteriums; das Mosaik, goldgehöhte Ranken auf
blauem Grund, stammt aus dem fünften Jahrhundert [Taf. 2]. — S. Sab i na auf dem
Aventin. An der Eingangs wand die zwei Personifikationen, Ecclesia ex circumcisione
und Ecclesia ex gentibus (von Bischof Coelestin 422 — 432). — S. Maria Maggiore.
Über den Säulen des Mittelschiffs alttestamentliche Szenen, links aus der Patriarchen-
geschichte von Abraham bis Jakob, rechts aus dem Zug der Israeliten nach Kanaan
unter Moses und Josua; nach der gewöhnlichen Meinung aus dem fünften Jahrhundert,
von der neueren Kritik dem vierten zugeschrieben. Am Triumphbogen, mit Beziehung
auf die 431 vom Konzil zu Ephesos verkündete Prädizierung der Maria als Gottes-
gebärerin durch Sixtus IV geschaffen: im Scheitel der Götterthron des Christus in
Nimbus, zwischen den Apostelfürsten und den Evangelistentieren, in den Zwickeln
Szenen aus der Kindheitsgeschichte, zum Teil aus Apokryphen; u. a. sitzt der Christus-
knabe bei der Huldigung der Magier nicht auf dem Schoß der Mutter, sondern auf
einer Art Bisellium. die Mutter sitzt zur Seite, hinter ihm stehen vier geflügelte Engel
als Protektoren; im Zwickel rechts wird der Christusknabe in Ägypten als neuer Gott
begrüßt. Das Apsismosaik, Krönung der Maria, rührt von Torriti her (1295), die
Predelle mit neutraler Darstellung hält Wickhoff für Nachbildung eines Originals des
vierten Jahrhunderts. — S. Agata dei Goti (in Subura), Apsismosaik aus etwa 460,
zerstört, in Zeichnung erhalten. Der Christus thront auf blauer Sphaira zwischen den
Zwölfen; es ist immer noch Leben und Bewegung in der Komposition. — S. Paolo
fuori, der Triumphbogen (von Leo dem Großen 440 — 460 und Galla Placidia; die
Komposition ist bewahrt, doch besteht alles nur in Reparaturen). Im Scheitel ge-
waltiges Medaillon des bärtigen Christus, in Strahlen, zwischen den Evangelisten-
tieren; in den Zwickeln die vierundzwanzig Ältesten und die Apostelfürsten [Taf. 3].
— S. Cosma e Damiano, Triumphbogen (Schöpfung Felix' IV. 526 — 530). Das
Lamm mit dem Buch ruht vor dem Kreuz auf dem Altar, zwischen sieben Leuchtern,
vier Engeln und den Evangelistensymbolen; darunter wieder die vierundzwanzig
Ältesten, die ihre Lebenskronen darbringen. Apsis: die Hand aus Wolken hält einen
Kranz über dem auf Wolken stehenden (das Mosaik hat Blaugrund) kolossalen Christus
in langem Haar und Bart. Tiefer stehen die zwei Apostelfürsten, auch sie in weißem
Gewand; sie führen die zwei Titularheiligen der Kirche beim Christus ein. Dabei
steht hüben noch ein Heiliger, drüben Bischof Felix mit dem Kirchenmodell, beider-
seits ein Palmbaum, auf dem einen sitzt der Phönix. Die Komposition ist streng
330 Malerei.
symmetrisch, alle Gestalten stehen frontal. In der Predelle das Lamm zwischen den
zwölf Schafen, die aus Jerusalem und Bethlehem kommen.1)
Der Christus zwischen den Apostelfürsten oder den Zwölfen, öfter auch im
himmlischen Jerusalem, das waren feststehende Typen auch in der späteren Sarkophag-
skulptur; die Übereinstimmung zwischen Skulptur und Mosaik geht so weit, daß die
Frage aufgeworfen werden konnte, ob nicht jene von diesem abhängig sei. Wir
mußten die Frage vorläufig offen lassen; aber so viel ist klar, daß den Christus-
szenen dieser Art unmöglich diesseitige Bedeutung beigelegt werden kann, auch nicht
in der Skulptur; die in den Mosaiken hinzutretenden apokalyptischen Elemente schließen
vollends jeden Zweifel aus.
Man muß die Mosaiken in den Basiliken selbst sehen , in den Basiliken , deren
geistigen Schwerpunkt der Altar bezeichnet mit der Hostie. Die alttestamentlichen
Szenen über den Säulen des Mittelschiffs, wde in S. Maria Maggiore, haben nur vor-
bereitende Bedeutung, die Geschicke Israels im alten Bund haben da nur Sinn als
Prototype der Erlösung im neuen. Der Triumphbogen aber kündet schon das Reich
an, das sich durch den Altar erschließt, das Reich im Himmel. Dieses selbst aber
schaut in der Apsis hinter dem Altar, deren Wölbung das Himmelsgewölbe selbst vor
Augen führt, sei es im Blau des natürlichen Himmels oder im Goldton des ewigen
Lichtes. Da nun thront der Herr des Himmels und der Erlöser, im himmlischen
Jerusalem, über dem Halbkreis seiner Apostel, oder er sitzt auf der Himmelskugel
selbst, oder endlich er steht im paradiesischen Palmenhain in erhabener Größe, mit
großer Gebärde, nicht lehrend, sondern (es ist die Geberde der Largitio) einladend,
gewährend, eine Lichtgestalt wie in der Verklärung, begleitet von zwei anderen lichten
Gestalten, die freilich nicht mehr Moses und Elias sind, sondern die Apostelfürsten,
und sie führen, ein uraltes religiöses Motiv erneuernd, zwei Verstorbene zum Christus
in den Himmel ein. Das ist das Endziel des christlichen Kultus und ist der einzige
Inhalt der christlichen Kunst auch im Kultusgebäude.
*) Götterthrone kommen öfter vor, in Eeliefs, meist mit den Attributen des Gottes: auf
dem Thron des Zeus sitzt ein Putto mit dem Blitz, Graeven, Mon. Piot 1899, 170 Taf. 15; Putten
bringen Dreizack und Muschel zum verhängten Thron des Poseidon, in S. Vitale zu Eavenna,
Alinari n. 10250; Bogen, Köcher und Schlange liegen auf dem Thron des Apollo, Sammlung Lans-
downe, Mon. V 1851 Taf. 28; wieder bringen Putten Sichel und Zepter zum Thron des Kronos,
Clarac 218, 156 (auch in Venedig, Valentinelli, Marmi scolpiti 124). Vgl. auch die vielen Throne
in der Pompe Ptolemaios' II bei Athenaeus V 202a, auf denen Binden, Kränze, Hörner lagen;
offenbar waren sie bestimmten Personen geweiht, Göttern oder vergötterten Verstorbenen wie
Ptolemaios Soter. Der leere Thron auf dem Globus des farnesischen Atlas gilt als Thron des
Zeus oder als der Caesaris thronos Plin II 178 (Thiele, Antike Himmelsbilder 1898, 41. Boll,
Münch. Akad. Sitz. 1899, 77. Heiberg, DLZ 1900, 418). Zur Anbringung der Attribute ohne den
Gott vgl. die römische Sitte, die Exuvien der Götter oder göttergleich geehrter Personen in der
Pompa vom Capitol zum Circus maximus zu fahren, Marquardt-Wissowa, Rom. Staatsverwaltung III
509. Staehlin, Rom. Mitteil. 1906, 377 betr. die Thensa Capitolina. Doch haben wir auf das Ge-
samtproblem der Götterthrone hier nicht einzugehen, auch nicht auf die Frage, ob Reichel, Vor-
hellenische Göttervorstellungen 1897 den Begriff Götterthrone zu weit ausgedehnt habe (vgl. z. B.
Budde, Theol. Stud. u. Krit. 1906, 489 War die Lade Jahves ein Thron?). — Das Hauptattribut des
Christusthrones ist das Kreuz, in S. Maria Maggiore und sonst. Der byzantinische Ausdruck für
ihn ist Etimasie (svoi/xaala xov öqovov nach Ps. 89, 15, Swete II 331). Siehe Kraus, RE I 432.
Zimmermann, Giotto I 5, 1. 13, 1.
Mosaik. 331
Einen reichen Schatz altchristlicher Mosaiken besitzt Ravenna.1)
Das Baptisterium der Orthodoxen (425, S. Giovanni in fönte) zeigt in den
unteren Zwickeln Selige zwischen prächtigen Goldranken, in dem uns schon bekannten
schönen satten Blaugrund. Das Kuppelmosaik scheint etwas späteren Ursprungs. Am
Fuß der Kuppel zieht sich eine Art Metopenfries herum; in dessen durch Säulen ge-
gliederten Feldern wechseln vier Christusthrone mit vier Altären, auf denen die
Evangelien aufgeschlagen liegen. Darüber folgt eine breitere Zone mit den Zwölfen
und im Scheitelbild die Jesustaufe im Jordan. Man weiß, durch die Taufe ist der
Christ heilig und somit eigentlich schon selig. — Sodann das Mausoleum der Galla
Placidia (um 450, später erhielt es den Titel S. Nazario e Celso). Es führt den
sattblauen Grund ganz durch, schmückt die Bogenlaibungen mit schweren Frucht-
girlanden, andere Flächen mit Ranken. Im Figürlichen ist das ansprechendste die
Lünette mit dem in Landschaft inmitten seiner Herde sitzenden guten Hirten; das
Gemälde trifft den empfindsamen Ton des vierten Evangeliums. — Aus Theodorichs
Zeit stammt das Baptisterium der Arianer (S. Maria in Cosmedin); erhalten blieb
das Kuppelmosaik, in der Anlage dem orthodoxen folgend: im Zenit die Jordantaufe,
rings die zwölf Apostel, hier aber nicht mehr durch Akanthuskandelaber, sondern
durch Palmbäume voneinander getrennt; zwischen die zwei vordersten ist einer der
früheren vier Christusthrone gestellt. — Die Basilika S. Martinus in coelo aureo
(später S. Apollinare nuovo). Nur die Mosaiken der Langwände erhielten sich. Unter
der Decke, über den Fenstern reihen sich neutestamentliche Szenen, links Wunder des
unbärtigen Jesus, noch in der schlichten Art der Katakomben und Sarkophage, rechts
figurenreiche Szenen aus der Passion (doch ohne die Kreuzigung) mit bärtigem Jesus.
Zwischen den Fenstern einzelne Selige, sie wie jene Szenen aus Theodorichs Zeit. An
dem Hauptfries über dem Architrav scheinen verschiedene Zeiten gearbeitet zu haben.
Jetzt sieht man zwei lange Züge, rechts einen Zug seliger Männer, ausgehend vom
Palatium und mündend vor dem thronenden bärtigen Christus, links einen Zug seliger
Frauen, ausziehend von Classis und unter Führung der Magier anlangend vor dem
Christkind auf dem Schoß der Mutter; die zwei Throne sind umstellt von je vier ge-
flügelten Engeln. Nur die beiden Enden der Friese gelten als ursprünglich (aus
Theodorichs Zeit), doch sind auch sie alteriert; die Seligen, unter Palmbäumen, fallen
stark gegen alles Frühere ab, sie scheinen in der Spätzeit Justinians von Bischof
Agnellus interpoliert; die Königsköpfe der Magier sind mittelalterliche Fälschung. —
S. Vitale, erbaut in der letzten Ostgotenzeit, erhielt seinen Mosaikschmuck erst unter
der byzantinischen Herrschaft; erhalten ist nur der des Presbyteriums. An der
Laibung des Triumphbogens stehen übereinander Medaillons mit Apostelbildern. Die
Schildwände des Altarhauses füllen auf den Opferdienst bezügliche Bilder, Bewirtung
der drei Engel durch Abraham und Opferung Isaaks, die Opfer Abels und Melchi-
sedeks; an der Decke schwebt das Lamm in Medaillon, getragen von vier Engeln.
Die Seitenwände der Apsis nehmen realistische Darstellungen ein (natürlich im starren
Frontalstil des sechsten Jahrhunderts), der Einzug des Kaisers Justinian in die Kirche,
*) Ravenna: Eicci, Ravenna s1900. Richter, Mosaiken von Ravenna 1878. Richter and
Taylor, Golden age of Christian art 1890. Redin, Mosaiken der ravennatischen Kirchen 1896
(russisch, vgl. Strzygowski, DLZ 1898, 129). Kurth, Die Mosaiken der christlichen Aera, I Die
Wandmosaiken von Ravenna 1902.
332 Malerei.
unter Vortritt des Klerus, gegenüber der Einzug der Kaiserin Theodora; Kaiser
und Kaiserin bringen der Kirche kostbare Geschenke, goldene Vasen. An der Apsis-
wölbung aber der jugendliche Christus auf der Kugel thronend, zwischen zwei Engeln,
einem Heiligen und dem Bischof Ecclesius mit dem Kirchenmodell. — Endlich
S. Apollinare in Classe. Erhalten sind nur die Mosaiken des Presbyteriums: rechts
drei prototypische Opfer in einem Rahmen, Melchisedek zwischen Abel und Abraham;
das Bild links, eine Zeremonie in der Art des kaiserlichen Einzugs in S. Vitale, kam
erst im siebenten Jahrhundert hinzu. In der Apsis zwischen den Fenstern fünf ver-
storbene Bischöfe von Ravenna, an der Wölbung der verklärte Christus, vertreten
durch das Kreuz im Sternenhimmel, verbunden mit Elementen der mythischen Vor-
wegnahme der Verklärung, auf Tabor, nämlich den aus Wolken hervortretenden
Halbfiguren des Moses und Elias und dreien Schafen als Vertretern der drei be-
teiligten Jünger, Petrus, Johannes und Jakobus. An Sarkophagen waren zum Christus
zwischen den Aposteln in verschiedener Weise die Verstorbenen hinzugefügt, an einem
gallischen Sarkophag an den Enden, an römischen in kleiner Gestalt zu Füßen des
Christus; wenn an deren Stelle in den späteren Mosaiken (Cosmas u. Damian, S. Vi-
tale, Apollinare in Classe) Titularheilige der Kirche, Stifter und Donatoren treten, so
ändert das selbstverständlich nichts an der jenseitigen Idee des Kultus, des Hauses,
der Bilder.
Ein Wort zur Technik sei nachgetragen. Das Fußbodenmosaik, in dem die
ganze Technik entstand, setzte sich aus Würfelchen von farbigen Steinen zusammen.
Das Aussuchen von Gesteinen in den verlangten Farbtönen machte viel Umstände;
mancher Ton war nur schwer oder gar nicht zu beschaffen. Da half das farbige
Glas; mit blauen, grünen und gelben Tönen hatte der Glasschmelz angefangen, mit der
Zeit lernte man ihm jede gewünschte Farbe zu geben. So begreift man, daß die
Mosaizisten mehr und mehr nach den Glasstiften griffen. Das fing schon in der
frühen Kaiserzeit an, wohl im Zusammenhang mit dem Übergang des Mosaiks auf
Wände und Gewölbe; das altchristliche Wand- und Gewölbemosaik war durchaus
Glasmosaik. Auf diesem Wege ließ sich auch Gold verarbeiten. In der Kaiserzeit
liebte man den Glanz; je mehr das feinere Kunstempfinden schwand, desto höher
schätzte man die starke Wirkung. Die Goldstifte bestanden aus Glas, dem ein kleines
Goldblatt aufgelegt wurde; ein durchsichtiger Glasüberfang schützte das Gold.
Diese Technik hängt mit einer andern zusammen, deren Erzeugnisse eine be-
sondere Klasse der altchristlichen Kunstdenkmäler ausmachen, die Goldgläser. Es
sind eher kleine Glasscheiben, die als Böden von Schalen dienten, bisweilen auch von
Bechern. Man belegte sie mit Goldblatt, in das mit der Nadel Zeichnungen eingeritzt
oder ausgeschabt wurden. Ein Glasüberfang diente zum Schutz. Die meisten dieser
Schalenböden fanden sich in den Katakomben , sie waren beim Verschließen der
Gräber in den noch feuchten Mörtel eingedrückt worden; einige wurden außerhalb der
Katakomben gefunden, in weitem Zerstreuungskreise bis in das Rheinland. De Rossi
glaubte sie nur im vierten Jahrhundert entstanden, neuere Untersuchungen verteilen sie
in die reichlich drei Jahrhunderte vom Ende des zweiten bis in das sechste Jahr-
hundert; die Masse bleibt der zweiten Hälfte des vierten. Mit heidnischen Dar-
stellungen feinerer Zeichnung beginnend gehen sie immer entschiedener zu christlichen
Miniatur. 333
im Verfallstil über. Die Bilder haben mehr antiquarischen als Kunstwert; für die
Kunstgeschichte, vorzüglich die Typengeschichte, können sie in dem Maße — wenn
auch immer nur bescheiden — fruchtbar werden, als ihre exakte Datierung gelingt.1)
Miniatur.
Die Illustration von Handschriften wurde zuerst im alten Ägypten geübt.
Hauptbeleg ist das in älteren und jüngeren Rezensionen vorliegende Totenbuch; es
war eminent praktisch gemeint, als ein Vademekum für den Verstorbenen im Jenseits.
Daneben kommen die Tierfabeln in Betracht, der neunzehnten Dynastie zugeschrieben,
die humoristischen, vielleicht auch satirischen Darstellungen wie Katzenundrattenkrieg,
Verkehrte Welt. Alle altägyptischen Illustrationen sind mit dem Schreibrohr auf
Papyrus gezeichnet, nur weniges wurde mit Farbe angegeben.
Wie früh die Griechen ihre Handschriften zu illustrieren anfingen, wissen wir
nicht, einstweilen kommen wir höchstens in die hellenistische Zeit zurück. Die helle-
nistische Kunst wurde dann im Gesamtgebiet der hellenistischen Kultur auch für die
Buchillustration maßgebend, die somit im Ganzen einheitlich war, vielleicht lokal ab-
getönt. Daß Griechen den hellenistischen Juden ihre Bibel illustrierten, vor der
christlichen Zeit, ist freilich nur Hypothese; zur Voraussetzung hat sie eine zweite
Hypothese, daß nämlich die hellenistischen Juden das mosaische Bilderverbot nicht in
allgemein bilderfeindlichem Sinne verstanden. Diese zwei Hypothesen angenommen
wagt man die dritte, die alttestamentlichen Bilder der Christen, wie sie zuerst in den
Katakombenmalereien monumental auftreten, seien von jenen hellenistisch jüdischen
Bibelillustrationen abgeleitet. Da nun aber schon die frühesten Katakombengemälde,
wie der Noah oder der Daniel in der „Flaviergalerie" des Coemeterium Domitillae,
nicht Historien, sondern Symbole des christlichen Vertrauens sind, so bedarf es noch
der vierten Hypothese, bereits die hellenistisch jüdischen Bibelillustrationen seien nicht
Historien gewesen, sondern ebenfalls Symbole. Es liegt auf der Hand, daß ein Noah-
bild im Sinne einer Historie komponiert ganz anders aussehen würde, als der symbo-
lische Noahtyp der Katakomben.
Die erhaltenen illustrierten Handschriften heidnischen oder doch profanen oder
neutralen Inhalts stammen frühestens aus der Kaiserzeit , meist erst aus dem Mittel-
alter; man glaubt aber, daß ihre Bilder überwiegend auf ältere Vorlagen zurückgehen.
Die äußere Form der Handschriften war wie bekannt ursprünglich die Rolle (Volumen),
später das Buch (der Codex), das Material früher Papyrus (Charta), dann Pergament
(Membrana). Die Illustrationen wurden nicht als Buchschmuck, sondern lediglich zu
sachlicher Veranschaulichung des im Texte Gesagten ihres Ortes eingeschaltet, ohne
Initialen oder Randornamentik; außer den eigentlichen Erläuterungsbildern zum Texte
gab es höchstens Autorenbilder und Widmungsblätter.
Vor allem wurden solche Werke illustriert, welche die Veranschaulichung des
Textes am nötigsten hatten, Werke zur Geometrie und Mechanik, Astronomie, Feld-
*) Goldgläser: Buonarroti, Osservazioni sopra alcuni frammenti di vasi antichi di vetro
1716. Garrucci, Vetri ornati di figure in oro 1864; Storia III. Vopel, Die altchristlichen Gold-
gläser (Joh. Fickers Archäol. Stud. V) 1899. Kisa, Das Glas im Altertum III Kap. 10.
334 Malerei.
messerkunst, Medizin und Botanik, Chirurgie. Doch wurden auch Dichter illustriert,
wie Homer, Terenz, Vergil, ferner die äsopischen Fabeln, auch Romane. Dabei kennen
wir nur zufällig Erhaltenes; den ganzen Reichtum an Illustrationen, dessen sich die
alte Literatur erfreute, vermögen wir nicht zu übersehen.1)
Obschon die vorerwähnten Handschriften alle unter der Herrschaft des Christen-
tums entstanden, so pflegt man doch eine besondere Klasse christlicher illustrierter
Handschriften zu konstituieren.2)
An ihre Spitze wird der Chronograph von 354 gestellt; das künstlerische
Verdienst, sicher am Titelblatt, gehört demselben Griechen Furius Dionysius Filo-
calus, der dem römischen Bischof Damasus die Vorzeichnung zu den von ihm in den
Krypten der Katakomben angebrachten Epitaphien lieferte. An Bildern erhielten sich
(in Kopien zweiter Hand): die Hauptstädte Rom, Alexandria, Konstantinopel und Trier,
eine auf den Schild schreibende Viktoria, die Natales Caesarum und fünf Planeten-
bilder, alles in architektonischen Rahmen, die Monatsbilder, endlich die Bilder der
Konsuln des Jahres, Constantius II Aug. und Constantius Gallus Caes. Ihre sorgfältig
wiedergegebene Tracht scheint die Trabea B zu sein, die Graeven um 400 ansetzte,
während man ihm zufolge für 354 eher die Tracht A erwarten sollte; dieser Punkt
bedarf noch der Aufklärung. Daß die Bilder der Handschrift, insbesondere die zwei
Fürstenbilder, bei allem durch die verschiedene Technik bedingten Auseinandergehen
viel Verwandtschaft mit den Konsulardiptychen besitzen, hat man längst bemerkt. —
Wir lassen den Papyrus GolenischefP folgen, dessen Inhalt Strzygowski als eine
alexandrinische Weltchronik aus dem früheren fünften Jahrhundert bestimmt,
endigend mit der Zerstörung des Serapeions 392 und dem Tode seines Zerstörers, des
Patriarchen Theophilos, 412; die Abschrift soll nicht viel jünger sein. — Kosmas
Indikopleustes war ein weitgereister Kaufmann, der sich in ein Kloster des Sinai
zurückzog und um 547 eine „Christliche Topographie" schrieb, mit dem besonderen
Zweck, eine christliche physikalische Geographie in Kurs zu bringen, wie er es ver-
stand; wieweit die vorliegenden Handschriften die ursprüngliche Gestalt wiedergeben,
ist fraglich. — Der Physiologus, ein in phantastischen Auslegungen sich ergehendes
Tier- und Pflanzenbuch, liegt nur in mittelalterlichen Rezensionen vor; doch wird an-
genommen, daß am letzten Ende Altchristliches zugrunde liege.8)
*) Illustrierte Handschriften: Wattenbach, Schriftwesen s1896, 350. Thiele, de anti-
quorum libris pictis 1897. Bethe, Deutsche Literaturzeitung 1906, 187. de Vries, Codices graeci et
latini photogr. depicti. Kondakoff, Hist. de l'art byzantin I 1886, 65. Sittl, Archäologie der
Kunst 1895 780. — Zur Astronomie: Notices et extraits des manuscrits XVIII, 2 1864.
Thiele, Antike Himmelsbilder 1898. Boll, Münch. Akad. Sitz. 1899. Medizin und Botanik:
Swarzenski, Jahrb. d. pr. Kunstsamml. 1902, 46. Diez, Byz. Denkm. III 1903, 3 Der wiener
Dioskurides. v. Premerstein, Jahrb. d. Kunstsamml. des Ah. Kaiserhauses 1903, 105 Taf. 21. —
Homer: Mai, Iliadis fragmenta antiquiss. cum picturis 1819. Wickhoff, Wiener Genesis 1895,
95 Taf. E. — Terenz: Leo, Ehein. Mus. 1883, 345. Dieterich, Pulcinella 1897, 209. Bethe,
Archäol. Jahrb. 1903, 93. Graef, Archäol. Anzeiger 1904, 77. — Vergil: Wickhoff, Wiener Genesis
95 Taf. DE. Traube, Strena Heibig. 1900, 307. — Aesop: Thiele bei de Vries, suppl. III,
Leiden 1905.
2) Christliche Miniaturen: Garrucci, Storia III. Kondakoff, Hist. de l'art. byzantin.
Schultze, Archäologie 186. Kraus, Gesch. I 447. Kaufmann, Handbuch 474. Leclercq, Manuel II
599. Beißel, Vatikanische Miniaturen 1893. Stuhlfauth, Engel.
3) Chronograph: Strzygowski, Calenderbilder des Chronographen vom Jahre 354 (Archäol.
Miniatur. 335
Als kirchlichen Charakters darf man die illustrierten Bücher des alten und des
neuen Testamentes bezeichnen. Wir wissen bereits, daß sie sich, als im christlichen
Kultus gebraucht, ganz in den Dienst dieses Kultus stellten. Aus dem Psalter, ganz
wie aus den Propheten, hörten die Christen nur den Schrei nach der Erlösung, sie
natürlich nicht nach der Erlösung ins irdische, sondern ins himmlische Jerusalem. Die
Erzählungen des alten Testaments hatten für sie keine andere Bedeutung als die von
Prototypen der christlichen Erlösung ins himmlische Paradies; eben diese war für sie
der erste und letzte Inhalt der Evangelien und Epistel.
Der Psalter war von Anfang an in den Händen der Christen, mag auch ver-
hältnismäßig früh mit Bildern ausgestattet worden sein. Bessere Handschriften lassen
vermuten, daß ihre Bilder von Originalen der christlichen Antike abstammen, so der
David, der Jesaias des Paris, gr. 139. Der Utrechter Psalter wird der karolingischen
Renaissance verdankt. Ein serbischer Psalter des fünfzehnten Jahrhunderts mag im
letzten Grunde auf die Spätantike zurückgehen und darin seine eigentümliche kunst-
geschichtliche Bedeutung besitzen, aber er gehört zu dem Letzten, was der klassische
Archäologe zu berücksichtigen hat.1)
Die geschichtlichen Bücher des alten Testaments bilden die zweite Haupt-
gruppe der kirchlichen illustrierten Handschriften. Eine Sonderstellung nimmt die
vatikanische Josuarolle ein, das einzige Volumen unter den illustrierten Handschriften.
Verwandt den die kaiserlichen Triumphalsäulen in Spiralen umziehenden Friesen schildert
es in kontinuierender Darstellung die Geschichte Josuas. Die Komposition wird auf
ältere Vorbilder, etwa des sechsten Jahrhunderts, zurückgeführt. — Alle andern Hand-
schriften dieser Klasse sind Codices. Die quedlinburger Bruchstücke der Itala, in
Berlin, setzt man in das vierte Jahrhundert. Die wiener Genesis wird bald in das
vierte, bald in das sechste Jahrhundert gesetzt, die Cottonbibel in London, mit
lateinischem Text, ins fünfte oder sechste. Der Ashburnham-Pentateuch hat eben-
falls lateinischen Text, ist daher wie die Cottonbibel im Abendland angefertigt, läßt
aber trotzdem die wiederkehrende Frage offen, aus welchem antiken Kunstkreise seine
Vorbilder stammten.2)
Endlich die illustrierten Evangeliare. Dazu gehören auch die Synopsen der
Parallelstellen, die sog. Kanon es des Eusebius; zwei sehr schöne Blätter derart besitzt
das British Museum (Add. 5111). Die ältesten Fragmente eines Evangeliars, des
sechsten Jahrhunderts, aus Sinope, erwarb die Bibliotheque nationale zu Paris. Dem
sechsten Jahrhundert wird der Codex Rossanensis zugeschrieben, von andrer Seite
freilich erst dem achten oder neunten. Das Original des armenischen Evangeliars zu
Jahrb., Ergänzungsh. I) 1888. — Weltchronik: Ad. Bauer u. Jos. Strzygowski, Eine alexandri-
nische Weltchronik (Wien. Akad. Denkschr. LI) 1905. Frick, Byz. Zeitschr. XVI 632. — Kosmas:
Mc Crindle, Christian topogr. of Cosmas, London 1897. — Physiologus: Strzygowski, Bilderkreis
des griechischen Physiologus (Byz. Archiv II) 1899.
x) Serbisch: Strzygowski, Die Miniaturen des serbischen Psalters der K. Hof- u. Staats-
bibliothek in München (Wien. Akad. Denkschr. LH) 1906. Frick, Byz. Zeitschr. XVI 644.
2) Itala: V. Schultze, Die quedlinburger Itala-Miniaturen der K. Bibliothek zu Berlin, Frag-
mente der ältesten christlichen Buchmalerei 1898. — Genesis: Hartel u. Wickhoff, Die Wiener
Genesis 1895. Poppelreuter, Kritik der wiener Genesis, zugleich ein Beitrag z. Gesch. d. Unter-
gangs der alten Kunst. — Ashburnham: 0. v. Gebhardt, The miniatures of the Ashburnham-
Pentateuch, London 1883. Strzygowski, Orient oder Rom 32.
336 Malerei.
Etschmiadzin setzt Strzygowski in die erste Hälfte des sechsten Jahrhunderts, die
vorliegende Kopie rührt aus dem Jahre 989 her. Das syrische Evangeliar der Lauren-
tiana wurde 586 von Rabulas ausgemalt.1)
Schon die vorstehende knapp gehaltene Übersicht läßt erkennen, daß einige der
illustrierten Handschriften datiert sind, daß die Chronologie der anderen aber um so
weniger sicher steht. Dazu kommt die Komplikation, daß wir, auf die Erkenntnis der
christlichen Antike gerichtet, uns in den meisten Fällen nicht für die Bilder der vor-
liegenden Handschriften selbst interessieren, sondern für ihre, bisweilen weit zurück-
liegenden Originale. Dabei bleibt nicht bloß die Ursprungszeit der letzteren fraglich,
sondern auch die Art der Überlieferung von Original zu Kopie. Die bisherige For-
schung hat sich selbstverständlich immer auch um die Chronologie der von ihr jeweils
untersuchten Handschriften bemüht, ebenfalls um die Erschließung der Originale ihrer
Bilder, ihr Hauptinteresse, ihr eigentlich treibendes Interesse aber blieb der anderen
Frage zugewandt, aus welchem Kunstkreise die vorliegenden Bilder oder ihre Originale
stammten. Um diese Frage dreht sich seit langem die wissenschaftliche Erörterung
auch der Miniaturen, ob sie römisch seien oder byzantinisch, neuerdings aber, unter
Strzygowskis Führung, ob nicht vielmehr kleinasiatisch, alexandrinisch oder syrisch,
wenn nicht vielleicht oberägyptisch oder sinaitisch.
Ohne Zweifel muß das Ziel der Forschung dahin gehen, festzustellen, wie sich
die künstlerische Tätigkeit einer jeden Epoche auf die überhaupt in Frage kommenden
Kunststätten verteilte, wie groß zu einer gegebenen Zeit der Anteil einer jeden war
und in welcher Richtung sie Neues förderte oder auf die andern wirkte, und wie der
Schwerpunkt des Kunstschaffens sich von Epoche zu Epoche verschob. Aber auch
für die Miniaturen gilt, wie für die übrigen Kunstzweige, daß alle solche Forschung
nur auf der Grundlage einer gesicherten Chronologie — und zwar der sämtlichen
antiken Miniaturen, der profanen wie der kirchlichen — zu Ergebnissen gelangen
kann, auf die Verlaß ist.
Es wird nötig sein, die gesamte Kunstgeschichte der alten Kaiserzeit, von Cäsar
bis Justinian, von Grund aus ganz neu aufzubauen, in ruhiger, erschöpfender und
exakter Arbeit. Architektur, Skulptur und Malerei umfassend, ganz besondere Sorgfalt
aber der Geschichte des Ornamentes zuwendend. Es wird Sache der klassischen
Archäologen sein, die große, aber fruchtbringende Arbeit in die Hand zu nehmen.
Mit der frühen Kaiserzeit beginnend (von dem unerläßlichen Zurückgreifen auf die
vorkaiserliche Kunst nicht zu reden) werden sie durch die Zeiträume vordringen bis
ans Ende. Dann wird auch den ihres Wertes gewiß nicht ermangelnden Beobachtungen
und Hypothesen der Kunsthistoriker ihr Recht werden. Und es wird erst dann sich
darüber reden lassen, welcher Kunstart die führende Rolle zukam, ob z. B. der Miniatur
gegenüber den anderen darstellenden Techniken, insbesondere der Fresko- und der
Mosaikmalerei; das Verhältnis konnte zu verschiedenen Zeiten auch ein verschiedenes
x) Evangeliare: Beißel, Gesch. d. Evangelienbücher i. d. ersten Hälfte d. Mittelalters 1906. —
Sinope: Omont, Notices et extraits des manuscrits XXXVI 1901, 699. Mon. Piot VII, 1900, 175
Taf. 16 — 19. Leclercq gibt zu Cabrols Dict. I 3332 eine Farbtafel mit der Heilung der Blinden.
— Bossanensis: v. Gebhardt u. Harnack, Evangeliorum cod. graec. purp. Bossanensis 1880. Hase-
loff, Die Miniaturen der griech. Evangelienhandscbrift. in Bossano 1898. Funk, Kirchengesch.
Abh. I 1897. Strzygowski, Kleinasien 200; Byz. Zeitschr. 1902, 668. — Etschmiadzin: Strzy-
gowski, Das Etschmiadzin-Evangeliar (Byz. Denkm. I) 1891.
Miniatur. 337
sein. Für jetzt lassen sich über diese Fragen wieder nur Hypothesen aufstellen, Er-
kenntnisse werden wir später gewinnen.
Mancher Leser dieses Buches wird zum Schlüsse eine Typik der christlichen
Antike erwartet haben. Vermißten einige sie doch schon im ersten Band, obwohl
dort nur von den Katakombenmalereien die Rede war; da skizzierten wir die Typik
ihrer Szenen und Gestalten, wie wir in diesem zweiten Bande die der Sarkophagbilder
entwarfen. Eine zusammenfassende Typik der altchristlichen Bilder aus allen Kunst-
zweigen zu schreiben würde vielleicht der und jener christliche Archäologe oder Kunst-
historiker schon heute bereit sein; der klassische Archäologe kann sich das noch nicht
erlauben. Erst muß der solide Aufbau der Kunstgeschichte der Kaiserzeit weiter ge-
fördert, muß die Chronologie der christlichen Denkmäler gesichert sein. Die bisher
versuchten Ansetzungen der Ursprungszeiten und Ursprungsorte haben im besten Falle
den Wert wissenschaftlicher Hypothesen, noch nicht denjenigen von Erkenntnissen.
Helfen kann da nur die Akribie der klassischen Philologen und Archäologen. Fasse
jeder zu, wo es ihm liegt. Er wird Arbeit finden.
Sybel, Christliche Anüke II.
22
Register.
Ägypten 222 293 308
322
Afrika, Nord- 220 295
323
Ajasin 316
Alexandria 17 325
Altmann 43 170 175
176 177
Ancona 45 65 92 116
124 138 139 156 190
Antiocheia 313
Aosta 232
Arezzo 47
Arles 207
Armenien 293
Athen 37 55 106 320
Erechtheion 320
Parthenon 320
Theaeion 320
aus'm Weerth 229
Babuda 277
Barett s. Mütze
Basel 243
Bassus 44 58 60 61 98
109 115 139 143 146
151 162 178 194
Baumstark 152
Bayet 197
Benndorf 84
Berlin 55 57 154 188
233 234 237 239 241
244 251 253 259 260
Besancon 232
Bethlehem 308
Binbirkilisse 277 308
316
Birt 79 87 92 152
Bisellinm 152
Bologna 235 239 243
251
Bonn 253
Bosnien 277 320
Bottari 40
Bourges 235
Bresciall5152 232 235
238 246
Brüssel 241
Brunn, H. 283
Campli 49 127
Chlamys (Sagum) 189
Civita Castellana 60
135 142 146 149 188
Concordia 53 160 196
Cremona 242
Crostarosa 283
Crowfoot 277 321
Crum 223
Curtiusrelief 191
Dalmatien 37
Darmstadt 232 252
Dehio 283
Delphi 320
Durchbrochenes Orna-
ment 319
Ebers 2 223
El-Bagauat 327
England 241
Esra, S. Georg 314
Etimasie 330
Etschmiadzin 245 336
Euelpiste 167
Euhodus 172
Fermo 60 126 129 148
188
Ficker, Joh. 38 122
127 128 132 146 148
153 159 166 192 219
Flachornament 319
Flächenverzierung 13
16 30
Flechtband 3 5 44 201
206 218
Flechterei 73
Florenz 235 239 240
252 261
Frick 152
Frontansicht 106
Führer, Jos. 325
Fusignano 196
Gallien 207
Garucci 37 40 122 127
128 146 148 152 153
161 175 216
Gayet 223
Genf 261
Goldgläser 332
Goldmann 197
Goldschmidt 257
Gori 229
Graeven 123 144 167
229 231 248
Grousset 38 146
Grotten, s. Peterskirche
Gunkel 136
Halberstadt 235
Hannover 251 253
Hauck 283
Hekler 84 169 186
Hellenismus 15
He*ron de Villefosse
220 229
Herzegowina 277 320
Hippolytos, Bischof 93
Holtzinger 290
Hülsen 114 185
Jedikapulu 277
Jensen, Peter 9
Jerusalem, Grabkirche
279 310 322
Johannesevangelium
100 140 142 144 1241
Jüdische Kunst 109
Kämpfer 318
Kairo 222 228 259
Kapitell, Korinthisch 15
53 318
theodosianisch58 318
Kaufmann, C. M. 42 322
Kautzsch, E. 291
Kawerau 12
Keele Hall 251
Kertsch 252 262
Kinkel 283
Kleinasien 23 36 55
292 295 308 321
Koncha 52 55 56 59 60
61 199 204 205 210
223 Abb. 60 63 233
236 238 239 240 241
242 244 248
Konstantin 278
Konstantinsbogen 182
191 215
Konstantinopel 36 226
Apostelkirche 279
316
Sergius und Bacchus
314
Sophienkirche 196
314
Studios' Johannes-
kirche 321
Kopenhagen 114 174
Kopftyp vollhaarig 160
Koptische Kunst 222
Kraus , Franz Xaver
24 137 191 223 283
284
Kreuser 285
Kunsthistoriker 18
Register.
339
Iia Gayolle 207
Lange, Konrad 288
Le Blant 207 216
Leiden 59 61 71 132
142 149 188
Le Puy 234
Liverpool 233 234 235
236 237 288
Livia Primitiva 166 173
Livorno 252
London 233 234 236
237 240 246, 247 251
Lucca 232
Madrid 261
Mailand 45 74 117 124
138 146 147 152 156
189 193 196 233 234
236 240 241 243 257
262
S. Lorenzo 313
Mantua 45 64 111 138
189
Marchi 37
Martyrium des Achil-
leus 147 192
Marucchi 38 161 167
Matthaei 94
Mau 62
Menas Heiligtum 322
Meßmer 283
Meyer aus Speier 229
Mitius 114
Molinier 229
Monogramm 188 276
Monza 236 238
Mosaik 16 222 272 327
München 242
Mütze 120 142 241
Muschel in Architektur
s. Koncha
Neapel 325
Nissen, Heinr. 304
Nocera 311
Novara 237
Numidien 309
Nyssa 316
Offizier 156 189 213
Olympia 320
Ornament 1 49 336
Osimo 52 104 136 195
196
Oviedo 234
Palermo 146 188
Paris 45 47 64 70 72 86
103 116 124 133 135
142 156 174 188 189
190 232 233 234 236
288 242 245 251 252
253 255
Pergamon 321
Persische Kunst 13
Perugia 60 75 91 151
188
Pesaro 85 187 251
Petersburg 232 236
237 251
Petersen 260
Petrus, Marmorsitzbild
93, Bronzen 260
Phoenix 155
Pisa 44 47 49 61 84
103 119 174 177
Porphyrsärge 226
Porto Torres 100 106
Prag 236
Priene 321
Prost 207
Puchstein 9 285
Ravenna 196 244 247
255
Apollinare in Classe
332
Apollinare nuovo
331
Galla Placidia Mau-
soleum 316 331
S. Giovanni in Fönte
314 331
S. Maria in Cosme-
din 314 331
Theodorich, Mauso-
leum 317
S. Vitale 313 331
Reber 283
Relief flächig, rings
unterschnitten 184
194 198 258
Renaissance, antike
186
Riano 49 187
Richter, J. P. 283
Riegl 19 144 167 176
180 192 194 197 223
Robert 170
Roccella di Squillace
308
Römische Kunst 17 22
37
Rom 17 21 262 277
S. Agata dei Goti 829
S. Agnese 135
S. Andreas u. S. Pe-
tronilla 309
Campo santo 39 49
50 73 81 83 86
103 111 114 119
130143 146156180
S. demente 292
Coem. Callisti 1 39
52 74 83 86 91 124
130 133 166 174
177 193
Sakramentskapelle
A8 80
S. Sixtus 308
S. Soteris 308
Coem. Domitillae 39
Bas. Petronillae 39
47 49 52 91
Coem. Priscillae 39
52
S. Cosma e Damiano
329
S. Costanza 311 328
Flcole francaise 49
Esquilin 52
S. Giovanni e Paolo
326
Institut, Archäol. 140
Kircherianum 39 133
153
Lateran , Baptiste-
rium 313
S. Lorenzo 44 75 133
195
Marcellustheater 48
S. Maria Antiqua 47
86 91 96 99 101
114 138 173
S. Maria Maggiore
328 329
S. Maria del Priorato
47
Mausoleum der He-
lena 309
Pal. Barberini 235
Conservatori 48 69
70 102 174 Corsetti
92 Farnese 48 Ron-
danini 91 104 114
176
S. Paolo fuori 329
Peterskirche 39 45 49
59 72 82 86 99 188
268 Grotten 89 45
61 68 72 87 124 141
146 149 156 157 190
S. Pietro in vincoli
149
Porta S. Lorenzo 61
S. Prassede 292
S. Pudentiana 146
157 329
S. Rufina e Seconda
329
S. Sabina 258 329
S. Stefano rotondo
311
Stroganoff 242
S. Symphorosa 308
Thermenmuseum 53
139 252
Vatikan 133 135 142
146 226 228 243 252
262
Villa Albani 61 Car-
pegna 61 Doria
Pamfili 81 114 119
Ludovisi 53 57 81
160 187 Medici 174
Rossano 335
de Rossi 100 104 106
138 161 163 166 222
283 328
Rouen 240
Salerno 103
Salona 44 52 53 75 93
187 192
Saloniki 37. H. Dimi-
trios320.EskiDschu-
ma 320. H. Georgios
309 320
Sarkophage 36 römisch
70
Sarkophagreliefa, heid-
nisch antike 38 41
Saturninus u. Musa 85
Schlumberger 249
Schmarsow 286
Schmid 136 137 138
Schultze, Viktor 39 94
107 122 127 128 139
162 223 250 283 325
Sella castrensis 201 cu-
rulis 92 112 115 126
141 150 152 197
Sens 238
Sevilla 106
Sinai 259
22*
340
Kegister.
Sitten 252
Sizilien 325
Smirnov 321
Sohag 322
Spanien 219
Sparta 37 106
Springer 284
Stroganoff 157
Strong 169
Strzygowski 26 31 55
62 84 101 109 123
152 160 168 194 198
222 224 226 228 248
249 285 305 321
Stuhlfauth 229 310
Syrakus 69 112 122 124
126 192
Syrien 292 293 295 308
322
Tarsos 114
Tektonik 12
Thiersch, Herrn. 4 32
84 108 113 131
Throne, Christus- 329
331. Götter- 330
Tiefendunkel 30 194319
Toga contabulata (pic-
ta) 78 91 184 187
189 192 209 214 231
249 253 254 259
Tolentino 45 64 74 81
103 136 138 145 189
Tongern 241
Trabea s. Toga
Trier 215 248 249 255
Triest 238
Tunis 262
Tusculum 61 145 195
Unger 310
Urlichs 283
Velletri 124 125 128
133 175
Venedig 228
Verhülltes Antlitz 216
Hände 152
Verona 44 64 111 126
133 135 152 155 187
233
de Waal 39 40 92 116
122 123 129 144 152
159 162 166 179 191
Weingärtner 283
Weis - Liebersdorf 104
158 159 168
Wendland 129 136
Werden 251
Wernicke 136
Wickhoff 21 194
Wien 237 239 252
Wilpert 91 135 144 150
163 167 213 231 328
Wiranschehr 316
Wittig 39 43 61 92
114 123 125 127 135
138 141 142 149 159
161 168 185
Witting 286 291
Wölben 294 306 Back-
steingewölbe 16 307
Wulff 197
Zestermann 283
Zürich 232
Lateran, Museo cristiano.
Marucchi, Guida
1898.
n. 1 83
26 49 82 132 187
37 74 81 99
70 A 49 52 71 81
72 96
74 74
77 50 83 99
78 74
152 A 95 139
169 A 65 146
169 B 146
181 46 67 85 91 103
167 173
183 A 44 70 72 99 103
194
216 59 154
Fickee, Altchrist-
liche Bildwerke
1890.
n. 1 59 154
9 49 83 103
11 74 96
18 71 74 81
29 103
30 99
34 85
35 92
39 96
40 86 115
41 96
47 67
53 112
54 96
55 69 81 92 110 121
124 130 132 134 142
143 149 167 168 177
60 96
62 96
63 102
65 96
66 67 81 102 103 104
72 49 52 69 71 81
81 96
83 74 96
88 50 83 99 103
99 83
103 104
104 69 81 96 110 121
126 127 129 130 132
134 135 136 142 161
166 167 168 192
106 60 67 144 147
155 168 188
108 49 69 81 102 121
130 187
109 103
110 60 99
111 64 118 191
112 130
113 96 154
114 113
115 67 129
116 85129131142193
117,1 95
117,4 95
118 102 103
119 92 96 100 101
102 113 120 123 130
150 166 167 174 194
120 96
121 129 136
122 49 135
123.3 151
123.4 103
124 84 110 136 152
125 65 68 132 133
140 190
126 74 81 96 136
127 85 130 132 134
128 819199102104177
132 188
134 112 113
135 70 110 112 113
116 121 122 128 129
132 135 193
136 96 111 126 134
137 110 116 136
138 60 142 188
139 102
141 102
143 102
144 49 86 103 104
145 67
146 125 130 132 134
147 81
148 86 121 130 133
134 135 137
149 67 70 117
150 74 81 85 96 99
102 104
151 58 67 141 144
148 152 155 188
152 60 70 74 96 112
115 116 123 124 126
133 134
Register.
341
153 49
154 50 81 96 125 142
155 60 132 134 135
142 154 188
156 100 106
157 66 74 115 134
158 100
159 113 115 187
160 85 132 135
161 70 74 81 86 99
112 122 125 130 134
135
162 110 130 140 147
153
163 49 84 86 103 104
164 115 127 146 147
168 188
165 74 95
166 130132134135142
167 86
168 67
171 60' 99 144 145 146
188
172 91 95
173 121 132 135 154
174 44 58 7172 92 116
120 133 142 144 150
151 157 168 181 183
276 304
175 69 81 92 110 121
124 130 132 133 134
142 150 192
176 113 124 125 136
177 102 104 154
178 69 81 110 115 118
121 126 132 133 134
135 168 192
179 66 85 111 131 133
134 135
180 83121129132134
140
181 44 70 72 99 103
194 226
182 81 84 112 113
183 83 123 131 137
143 148
184 81 86 99 110 121
124130132134135192
186 126 129 130 132
135 140
187 110 192
189 81 84 HO 121 124
126 131 132 133 134
135 140 142
190 67 84 110 121 134
137
191 52 125 128 129 132
133 134 192
192 112 192
193 83126127 130132
135 193
194 67 84 157
195 60 111 131 133
198 70 117
199 138
202 65
203 81 99
204 138
205 112
206 112
209 74 102
210 81
212 81 110 134 136
140
214 49 81 99
215 102
219 85 135 142 193
222 132
223 93
224 52 71 72 103
225 96
227 122
228 61 74 81 96 99
102 187
230 81
233 96
234 96 110
235 49
236 86 113
239 96
240 102
241 74 96
242 71
247 96
N. G. Elwert'sche Verlagsbuchhandlung, Marburg in Hessen.
Im Jahre 1906 erschien:
Christliche Antike.
Einführung in die altchristliche Kunst
von
Ludwig von Sybel.
Erster Band.
Einleitendes. — Katakomben.
Mit 4 Farbtafeln und 55 Textbildern.
Preis: broschiert M. 7.—, gebunden in Ganzleinen M. 8.50.
Christliche Antike — damit ist gesagt, daß die altchristliche Kunst nicht etwa als etwas völlig
Neues im Gegensatz zur Antike entstand; auch kann sie nicht, als wäre sie von ihr abgeleitet, deren
Tochter heißen; sondern sie war antike Kunst selbst, ein integrierendes Glied derselben, deren letzte
Entwicklungsstufe. In der altchristlichen Kunst, wie diese nun beschaffen sein mochte, vollendete die
Antike ihre Bahn, genau so wie die Religionsgeschichte des Altertums in das Christentum als ihr ge-
schichtlich notwendiges Endergebnis auslief. Diese Einsicht, der Altertumswissenschaft mit Einschluß
der klassischen Archäologie eigentlich selbstverständlich, hätte längst zu der Folgerung führen müssen,
die altchristliche Kunst nicht wie herkömmlich als Einleitung zur mittelalterlichen und neueren Kunst
zu behandeln, sondern als Schlußkapitel der Kunstgeschichte des Altertums, ohne welches diese als
Torso ohne Kopf umgeht. Es galt mithin, sie als Ganzes in den Aufgabenkreis der klassischen
Archäologie hereinzunehmen. In diesem Sinne hatte sie der Verfasser bereits in seinem „Grundriß"
eingeordnet (Weltgeschichte der Kunst im Altertum, 2. Aufl. 1903), um das dort Skizzierte nun in der
»Christlichen Antike" auszuführen. Der erste Band ist den Katakomben gewidmet, vorzüglich ihren
Malereien, welche greifbar, für manche vielleicht überraschend, das eine vor Augen stellen, was, bei
aller Kompliziertheit der christlichen Idee als der Universalreligion, den Christen der römischen Kaiser-
zeit ihr Christentum schließlich bedeutete. Weil das Christentum nun aber nicht bloß religions-
geschichtliches Objekt, sondern lebende Religion, daher ihre Erforschung fortdauernd der Trübung
durch konfessionelle und andere Weltanschauungsvorurteile ausgesetzt ist, so sucht der Verfasser in
einer ersten Einleitung über „Glauben und Forschen" für diese seine Arbeit wie für das ganze geistige
Sein auf längst gegründeten Fundamenten eine dem Streit der „Weltanschauungen" entrückte Position
zu gewinnen.
Als Leser denken wir uns außer Theologen vor allem die klassischen Philologen und
Archäologen, von den Religions- und den Kunsthistorikern nicht zu reden. Bei dem wieder zunehmenden
Interesse für die allgemeinen und tiefergreifenden Fragen aber hofft das Buch auch weiteren Kreisen
der Gebildeten etwas -zu bieten; es ist flüssig geschrieben, der gelehrte Apparat wurde in die Fuß-
noten verwiesen.
Brouze aus dem Neinisee. Rom, Therinenniuseuiu.
Abbildungen.
7. Rom, Palazzo dei Conservatori.
8. Rom, Cimitero di San Callisto.
9. Rom, Palazzo Rondanini.
• I • I H
10. Bischof Hippolytos (Oberfigur und Kopf ergänzt). Rom, Lateran n. 223.
Amor und Psyche
11. Rom, Cimitero di San Callisto.
Guter Hirt
mlwvt
Guter Hirt
12. Rom, Lateran n. 128.
13. Rom, Campo santo dei Tedeschi.
Lazarus Hahnszene
Abraham
Pilatus
Quellwunder
Daniel Leseszene Blinder
14. Rom, aus S. Paul. Lateran n. 55.
Speisensegnung
Quellwunder Blinder
Orante
lö. Clermont.
Blutflüssige
16. Rom, Palazzo Corsetti.
17. Arles.
Abraham
Pilatus
Iliob Sündcnfall Einzug Daniel Paulus
18. Rom, Grotten der Peterskirche. Sarkophag mit Grahschrift des Junins Bassus.
Abraham
Paulus Maiestas Petrus
19. Rom, Lateran n. 174.
Pilatus
20. Rom, Forum. Heidnische Säulenbasis.
21. Rom, am Konstantiubogen. Der Kaiser spendend.
Meergott Konstantin
22. Rom, am Konstantinbogen. Untergang des Maxentius im Tiber.
Pharao Moses Mirjam
23. Rom, Lateran n. 111. Untergang der Ägypter im Roten Meer.
24. Rom, Palazzo dei Conservatori. Todessprung des Curtius.
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25. Aus Konstantinopel, in Berlin, Kaiser-Friedrichsmuseum.
Christus
26. Arles.
Nain Kananäerin
Brotwunder Orante Woinwunder
27. Arles.
Blinder Gichtbrüchiger
Abraham Moses
Blinder Hahnszene Blutflüssige
28. Rom, Lateran n. 152.
Brotwunder Quellwunder
Christus
29. Arles.
Christus
30. Arles.
^KiS^^^
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Christus
31. Aus Rom, in Paris.
Blinde
BlutfliUsige Bethesda Zachaeus Einzug
32. Koni, Lateran n. 125.
Schöpfung
Zuweisung
Weinwunder
Speisensegnung Lazarus
Magier Blinder Daniel Hahuszenen Bedrängung Quellwunder
37. Rom, aus S. Paul. Lateran n. 104 (Mittleres fünftes Jahrhundert).
Speisenseguung Hahnszene Moses
Abraham
Blinder Lazarus
m~*£(m J- * * — ' -JP 1
Orante Bedrängung Horeneroten Daniel Weinwunder Gichtbrüchiger Quellwunder
38. Rom, Lateran n. 184 (Viertes Jahrhundert).
Abraham Blinder Gichtbrüchige Speisensegnung Kananäerin Sündenfall Totenerweckung
39. ltom, Lateran n. 191.
Abel Kiiin
Zuweisung Verstorbene Gichtbrüchiger Blinder Weinwunder Lazarus
40. Rom, Lateran n. 193.
Sündenfall Weinwunder Blinder Totenerweckung Uahnszene Gichtbrüchiger Isaak Moses
41. Koni, Lateran n. 135.
Jairus' Tochter
Hahnszene Orante Totenerweckung BedräDgung Abraham
42. Rom, Lateran n. 116.
Noah
Daniel
»'■»nOMto.a.11 >■■-»■
Orans Weinwunder
43. Rom, Cimitero. di San Callisto.
Hahnszene
Orans
44. Rom, Lateran n. 219.
Weinwunder
Quellwunder
45. Rom, Lateran. Marucchi n. 183 A (Ficker n. 181.
46. Rom, San Lorenzo fuori.
47. Ravenna, San Francesco.
48. Ravenna, Museum.
49. llavenna, Dom. Mit Inschrift des Kinaldus.
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50. Kavenna, Mausoleum der tuilla Placidia.
51. Ravenna, Apollinare in Classe.
52. Ravenna. Rückseite des Sargs der Pignatta.
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53. Ravenna, Dom. Mit Inschrift des Barbatianus.
54. Itavcnna, Apollinare in (Masse. Mit Inschrift lies Theodorus.
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55. Ilaveuna, Mausoleum der Galla Placidia.
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56. Ravenna, Apollinare in Classe. Inschrift des Gratiosus.
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57. Toulouse.
58. Bordeaux.
59. Narbonne.
60. Koptische Stele Crum n. 8687.
61. Koptische Stele Crum n. 8656.
C2. Koptische Stele Crum n. 8557.
63. Koptische Stele Crum n. 8591.
64. Diptychontafel des Probianus. Berlin.
65. Diptychontafel. Mailand.
66. Diptychontafel des Probus, Konsul 40G. Aosta.
67. Diptychontafel des Felix, Konsul 428. Paris.
68. Anonymes Konsulardiptychon. Halberstadt.
69. Kirchliche Diptychontafel. London.
70. Diptychoutafel des Roethius, Konsul 487.
Brescia.
71. Diptychontafel des Anastasius, Konsul 517.
Paris.
72. Diptychontafel, zugeschrieben der Amalasvintha. Florenz.
73. Fünfteilige Diptychontafel aus Mnrano. Kavenna.
74. Elfenbeinthron des Bischof Maximian von ßavenna.
75. Fünfteilige Diptychontafel, früher Barberini, jetzt Paris.
7C. Fünfteilige Diptychontafel. Paris, Bibl. nat. n. 9384.
77. Elfenbeinpyxis. Berlin.
78. Elfenbeinpyxis. Paris.
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79. Delos. Haus der Theaterstraße.
80. Pompeji. Haus des Pansa.
81. Pompeji. Drei Amtshäuser.
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82. Rom. Sarkophag Lat. n. 174, linke Schmalseite.
83. Kom. Sarkophag Lat. n. 174, rechte Schmalseite.
84. Hypostyl voa Karnak. Seitenansicht mit den Lichtgraden der mittleren Überhöhung.
Tribunal
85. Karnak, Chonsutempel.
Grundriss.
86. Pompeji, Basilika. Grundriss.
87. Rom, S. Paul. Querschüitt des Laughauses, Westausicht des (Querhauses, (lloltzinger.)
Rom, S. Peter. Grundriss. (Holtzinger.)
89. Rom, S. Aguese. Inneres. (Holtzinger.)
90. Rom, S. Costanza. Iuneres, aus dem Umgang gesehen.
91. Mailand, S. Lorenzo. Grundriss.
(Holtzinger.)
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92. Ravenna, S. Vitale. (Dehio
94. Konstantinopel. II. Sophia.
(Essenwein.)
93. Konstantinopel, Sergius und Bacchus.
(Dehio.)
95. Ravenna. Kompositkapitell mit Kämpfer.
96. Ravenna. Schranke mit durchbrochenem Flachornament.
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