Skip to main content

Full text of "Chubut: Im Sattel durch Kordillere und Pampa Mittel-patagoniens, Argentinien"

See other formats


Google 



This is a digital copy of a book that was prcscrvod for gcncrations on library shclvcs bcforc it was carcfully scannod by Google as pari of a projcct 

to make the world's books discoverablc online. 

It has survived long enough for the Copyright to expire and the book to enter the public domain. A public domain book is one that was never subject 

to Copyright or whose legal Copyright term has expired. Whether a book is in the public domain may vary country to country. Public domain books 

are our gateways to the past, representing a wealth of history, cultuie and knowledge that's often difficult to discover. 

Marks, notations and other maiginalia present in the original volume will appear in this flle - a reminder of this book's long journcy from the 

publisher to a library and finally to you. 

Usage guidelines 

Google is proud to partner with libraries to digitize public domain materials and make them widely accessible. Public domain books belong to the 
public and we are merely their custodians. Nevertheless, this work is expensive, so in order to keep providing this resource, we have taken Steps to 
prcvcnt abuse by commercial parties, including placing lechnical restrictions on automated querying. 
We also ask that you: 

+ Make non-commercial use ofthefiles We designed Google Book Search for use by individuals, and we request that you use these files for 
personal, non-commercial purposes. 

+ Refrain fivm automated querying Do not send automated queries of any sort to Google's System: If you are conducting research on machinc 
translation, optical character recognition or other areas where access to a laige amount of text is helpful, please contact us. We encouragc the 
use of public domain materials for these purposes and may be able to help. 

+ Maintain attributionTht GoogXt "watermark" you see on each flle is essential for informingpcoplcabout this projcct and hclping them lind 
additional materials through Google Book Search. Please do not remove it. 

+ Keep it legal Whatever your use, remember that you are lesponsible for ensuring that what you are doing is legal. Do not assume that just 
because we believe a book is in the public domain for users in the United States, that the work is also in the public domain for users in other 
countries. Whether a book is still in Copyright varies from country to country, and we can'l offer guidance on whether any speciflc use of 
any speciflc book is allowed. Please do not assume that a book's appearance in Google Book Search mcans it can bc used in any manner 
anywhere in the world. Copyright infringement liabili^ can be quite severe. 

Äbout Google Book Search 

Google's mission is to organizc the world's Information and to make it univcrsally accessible and uscful. Google Book Search hclps rcadcrs 
discover the world's books while hclping authors and publishers rcach ncw audicnccs. You can search through the füll icxi of ihis book on the web 

at |http: //books. google .com/l 



Google 



IJber dieses Buch 

Dies ist ein digitales Exemplar eines Buches, das seit Generationen in den Realen der Bibliotheken aufbewahrt wurde, bevor es von Google im 
Rahmen eines Projekts, mit dem die Bücher dieser Welt online verfugbar gemacht werden sollen, sorgfältig gescannt wurde. 
Das Buch hat das Uiheberrecht überdauert und kann nun öffentlich zugänglich gemacht werden. Ein öffentlich zugängliches Buch ist ein Buch, 
das niemals Urheberrechten unterlag oder bei dem die Schutzfrist des Urheberrechts abgelaufen ist. Ob ein Buch öffentlich zugänglich ist, kann 
von Land zu Land unterschiedlich sein. Öffentlich zugängliche Bücher sind unser Tor zur Vergangenheit und stellen ein geschichtliches, kulturelles 
und wissenschaftliches Vermögen dar, das häufig nur schwierig zu entdecken ist. 

Gebrauchsspuren, Anmerkungen und andere Randbemerkungen, die im Originalband enthalten sind, finden sich auch in dieser Datei - eine Erin- 
nerung an die lange Reise, die das Buch vom Verleger zu einer Bibliothek und weiter zu Ihnen hinter sich gebracht hat. 

Nu tzungsrichtlinien 

Google ist stolz, mit Bibliotheken in Partnerschaft lieber Zusammenarbeit öffentlich zugängliches Material zu digitalisieren und einer breiten Masse 
zugänglich zu machen. Öffentlich zugängliche Bücher gehören der Öffentlichkeit, und wir sind nur ihre Hüter. Nie htsdesto trotz ist diese 
Arbeit kostspielig. Um diese Ressource weiterhin zur Verfügung stellen zu können, haben wir Schritte unternommen, um den Missbrauch durch 
kommerzielle Parteien zu veihindem. Dazu gehören technische Einschränkungen für automatisierte Abfragen. 
Wir bitten Sie um Einhaltung folgender Richtlinien: 

+ Nutzung der Dateien zu nichtkommerziellen Zwecken Wir haben Google Buchsuche Tür Endanwender konzipiert und möchten, dass Sie diese 
Dateien nur für persönliche, nichtkommerzielle Zwecke verwenden. 

+ Keine automatisierten Abfragen Senden Sie keine automatisierten Abfragen irgendwelcher Art an das Google-System. Wenn Sie Recherchen 
über maschinelle Übersetzung, optische Zeichenerkennung oder andere Bereiche durchführen, in denen der Zugang zu Text in großen Mengen 
nützlich ist, wenden Sie sich bitte an uns. Wir fördern die Nutzung des öffentlich zugänglichen Materials fürdieseZwecke und können Ihnen 
unter Umständen helfen. 

+ Beibehaltung von Google-MarkenelementenDas "Wasserzeichen" von Google, das Sie in jeder Datei finden, ist wichtig zur Information über 
dieses Projekt und hilft den Anwendern weiteres Material über Google Buchsuche zu finden. Bitte entfernen Sie das Wasserzeichen nicht. 

+ Bewegen Sie sich innerhalb der Legalität Unabhängig von Ihrem Verwendungszweck müssen Sie sich Ihrer Verantwortung bewusst sein, 
sicherzustellen, dass Ihre Nutzung legal ist. Gehen Sie nicht davon aus, dass ein Buch, das nach unserem Dafürhalten für Nutzer in den USA 
öffentlich zugänglich ist, auch für Nutzer in anderen Ländern öffentlich zugänglich ist. Ob ein Buch noch dem Urheberrecht unterliegt, ist 
von Land zu Land verschieden. Wir können keine Beratung leisten, ob eine bestimmte Nutzung eines bestimmten Buches gesetzlich zulässig 
ist. Gehen Sie nicht davon aus, dass das Erscheinen eines Buchs in Google Buchsuche bedeutet, dass es in jeder Form und überall auf der 
Welt verwendet werden kann. Eine Urheberrechtsverletzung kann schwerwiegende Folgen haben. 

Über Google Buchsuche 

Das Ziel von Google besteht darin, die weltweiten Informationen zu organisieren und allgemein nutzbar und zugänglich zu machen. Google 
Buchsuche hilft Lesern dabei, die Bücher dieser We lt zu entdecken, und unterstützt Au toren und Verleger dabei, neue Zielgruppcn zu erreichen. 
Den gesamten Buchtext können Sie im Internet unter |http: //books . google .coiril durchsuchen. 



1 


^Kl' "^I^H 


1 




3A 6 3 0^.3 

HARVARD COLLEGE LIBRARY 
1 SOUTH AMERICAN COLLECTEON 

THE GIFT OF ARCHIBALD CABY COOLIDGE, '87 
AND CLAttENCE LEONARD HAV, '08 
IN REMEMBRANfE OF THE PAN-AMERICAN SCIENTIFIC CONCBESS , 
SANTIACO DE CHILE DECEMDER MDCCCCVill 





e 



CHUBUT 



Im Sattel durch Kordillere und Pampa Mittel -Rata- 

goniens (Argentinien) 



von 



Dr. W. Vallentin 



Mit 47 Illustrationen 
nach photographischen Original-Aufnahmen 





© 



BERLIN 

Verlag von Hermann Paetel 

1906 



5/l6iiri3 



t'T ^ 






<r.tM 



T 



Alle Rechte vorbehalten 



Inhaltsverzeichnis. 



Seite 

Vorwort 1 

I. Auf dem Wege nach Norquinco. Allgemeines über das 

Territorium Chubut 3 

II. Die Indianerkolonie Cushämen 13 

III. Am Mait6n. Ritt ins Bolsontal 24 

IV. Zum Lago Mercedes . 36 

V. Vom Lago Mercedes nach Cholila. Mariläo. Am Rio Percey 43 

VI. Die Kolonie «16de Octubre« 55 

VII. Rio Corrintos. Im Teckatal 67 

VIII. Putrachoique. Quanacos 73 

IX. Im Tal des Gennoa. Kolonie »General San Martin« ... 82 

X. Die Tehuelchenindianer 91 

XI. Von der Kolonie »General San Martin« zum Picotal in den 

Kordilleren 97 

XII. Das Kordillerental am Picofluß, Friedland 106 

XIII. Von Saihu^ue bis Choiquenilahue 130 

XIV. Am Rio Senguerr und Rio Mayo 142 

. XV. Kolonie Sarmiento 157 

XVI. Der Lago Colhuapi. Rada Tilly. Kolonie Escalante ... 166 
XVII. Am Chico entlang. Das Heidegrab. Camarones und seine 

Pamparegion 176 

XVIII. Schneesturm. Das Teufelstal. Von der Laguna Margarita 

zum Chubutfluß 184 

XIX. Die Ansiedlungen der Galenser am Chubutfluß. Boden- 
verhältnisse und Klima 195 

XX. Die wirtschaftlichen Verhältnisse im unteren Chubuttal. 

Stromregulierung. Eisenbahn 204 

XXI. Puerto Madryn. Handel und Verkehr. Trelew. Rawson . . 213 

XXII. Schlußbetrachtung . 222 



Vorwort. 



Von der großen Menge des deutschen Volkes wird Argen- 
tinien leider immer noch summarisch betrachtet und behandelt, 
trotz der gewaltigen Ausdehnung des Landes, trotz der da- 
durch bedingten Verschiedenartigkeit des Klimas, der Boden- 
verhältnisse, der Vegetation, nach denen sich Lebensverhält- 
nisse und Wirtschaftsbetriebe doch in erster Linie gestalten. 
Im allgemeinen entspringt das der Unkenntnis der dortigen 
Verhältnisse, und diese Unkenntnis hat es zuwege gebracht, 
daß unter anderem der ganze Süden Argentiniens, also Pata- 
gonien, stets kurzerhand als wertlos und unwichtig abgetan 
worden ist und als ein Schreckbild der Unwirtlichkeit be- 
urteilt wird. Es ist noch gar nicht so lange her, daß man bei 
einer Gelegenheit das Territorium Chubut, also nur einen 
kleinen Teil Patagoniens, der aber in seiner Ausdehnung etwa 
der Hälfte des Deutschen Reiches gleichkommt, halb spöttisch, 
halb verächtlich, einer sachlichen Besprechung durchaus für 
unwert befunden hat. 

Und warum ? 

Weil die wenigsten wußten, was Chubut ist, was es in 
wirtschaftspolitischer Hinsicht bedeutet; weil es allgemein für 
die meisten noch eine terra incognita ist. 

Das alles bewog mich, auf meiner 2i/2Jährigen Forschungs- 

Vallentin: Chubut 1 



— 2 — 

reise im Innern Südamerikas gerade dem Süden Argentiniens 
mehr Beachtung zu schenken, als es bisher geschehen ist; nicht 
nur die äußerst fruchtbaren Kordillerentäler Chubuts zu besuchen, 
sondern auch durch eine Durchquerung des Landes von einem 
Ozean bis zum anderen die Steppen- und Pamparegion kennen 
zu lernen. Ich wollte selbst sehen und dann selbst 
urteilen! 

Die Ergebnisse dieser Expedition habe ich im vorliegenden 
Buche zusammengestellt, das natürlich etwas Vollkommenes 
noch nicht bieten kann. Es soll auch nur in großen Zügen 
einen Überblick über die dortigen Verhältnisse geben und zu- 
nächst dazu beitragen, die herrschenden Vorurteile und ver- 
kehrten Meinungen zu beseitigen. Vielleicht gelingt es mir 
dann, durch diese meine Anregung zur weiteren Erschließung 
Chubuts beizutragen, eines Landes, das in wirtschaftspolitischer 
Beziehung gerade für das deutsche Volk von großer Bedeu- 
tung ist. Angehörige anderer Nationen haben diesen Wert 
schon längst erkannt und sind eifrig an der Arbeit, durch An- 
lage von Kapitalien, durch Handel, Verkehr, Industrie, durch 
Bahnbau und Besiedelung, Viehzucht, Ackerbau usw. dort in 
allen Zweigen des Erwerbslebens festen Fuß zu fassen. Wenn 
ich daher das deutsche Volk auf die Wichtigkeit Chubuts hin- 
weise, genüge ich nur einer Pflicht gegen mein deutsches 
Vaterland. 

Pr. Friedland, W.-Pr., November 1905. 

Dr. W. Vallentin, 
Kapitän. 



I. 
Auf dem Wege nach Norquinco. 

Eine felsige, öde Gegend auf beiden Ufern des Fetatomen ! 
Kahl, kein Baum, kein Strauch; dafür aber desto mehr Sand 
und scharfkantiges Geröll auf dem Wege, der im Tal des 
Flusses mit oft wunderlichen Krümmungen nach Süden führt. 
Steinbedeckte Hügel verlaufen in tiefe Schluchten, in denen 
herabgeschleuderte Felsentrümmer inmitten spärlichen Büschel- 
grases ihre Ruhestätte gefunden haben. Ein kalter Wind bläst 
über die gelbbraune Landschaft, über die dürre, trockene Vege- 
tation. Staubwolken wirbeln zum Himmel auf und lassen das 
Tagesgestirn in bleichem Lichte erstrahlen. Mühsam reiten 
wir weiter in den heulenden Sturm hinein, der uns Sandmassen 
und feine, scharfe Steinchen ins Gesicht schleudert, als ob er 
uns am Vorwärtskommen hindern wolle. Bergauf und bergab 
geht es. Die Pferde atmen schwer, die Lasttiere keuchen. 

„Hier sind wir im Territorium Chubut", ruft mir mein 
Führer zu, ein Chilene, namens Arregada. Dann drückt er 
seinen alten Filzhut mit kräftigem Ruck fester in die Stirn, ver- 
steckt Mund und Nase wieder in das um die Schulter ge- 
worfene Ende seines Ponchos und knallt mit der Peitsche. 
Wir klettern einen Hang hinauf; loses Geröll stürzt hinter den 
Hufen der Pferde in die Tiefe ; dann geht's im Trabe über eine 
steinige Hochfläche, die etwa 950 m über dem Meeresspiegel 



liegt, und bald darauf senkt sich der Pfad langsam einer 
breiten Talebene zu, in der weidende Viehherden sichtbar 
werden. 

Auch hier unten ist der Boden nicht besonders. Sand und 
wieder Sand, Steinmassen, Kies und Schutt. Grobes Gras 
wechselt ab mit niedrigen, verkrüppelten Dornbüschen, und aus 
dem eintönigen, gelb-grau gefärbten Gelände heben sich nur 




Auf dem Wege nach Norquinco. 

die leuchtenden hellgrünen Flecke der „Lefia de Piedra" ab, 
einer Moosart, deren Wurzel ähnlich wie die der Mandjoka 
eßbar ist. Eine mächtige Biegung nach Osten um den Fuß 
eines weit vorgeschobenen Bergrückens herum bringt uns in 
die Nähe einer menschlichen Behausung. 

„Norquinco!" brüllt mein Führer mit Aufbietung aller 
seiner Lungenkräfte durch den brausenden Sturmwind hindurch. 
Schneller traben die Maultiere im gleichmäßigen Tempo weiter; 



5 — 



die Pferde spitzen die Ohren; sie wittern Ruhe und Futter. In 
einer halben Stunde, etwa gegen 3 Uhr nachmittags, halten 
wir vor einem kleinen Häuschen; es ist das Kommissariat von 
Norquinco und gleichzeitig das Bureau des Friedensrichters. 
Nicht weit davon befindet sich ein Geschäftshaus, ein Kauf- 
laden verbunden mit einer Boliche, die hier den Namen einer 
Heideschenke nicht mit Unrecht verdienen würde. Denn rings 
herum im weiten Umkreis erstreckt sich kahles, gelblich-braun 
gefärbtes Heideland, das im Osten von blauschimmernden 
Bergketten umschlossen ist und nach Westen zu in einzelne 
Höhenzüge mit tief eingeschnittenen Tälern übergeht. Auf- 
gesetzte Kuppen aus vulkanischem Gestein bilden die Ab- 
grenzung gegen den Horizont. 

Das ist Norquinco am gleichnamigen Flusse. Der Name 
ist indianischen Ursprungs und bedeutet: „Wasser, das gerade- 
aus fließt." 

Vor der Tür der Schenke stehen drei braunhäutige Indianer 
und beäugen mich, während ich absteige, mit neugierigen 
Blicken. Vertrauenerweckende Gestalten sind es gerade nicht. 

„Wo ist der Polizeikommissar?" 

Verständnislos glotzen mich die drei Menschen aus ihren 
schwarzen Augen an, murmeln etwas, das ich nicht verstehe, 
und drücken sich scheu und langsam um die Hausecke herum. 

Von einem Gaucho, der eben schwerfällig, sporenklirrend 
aus der Tür tritt, erhalte ich nähere Auskunft und bald bin 
ich mit den beiden Vertretern der Regierung in diesem De- 
partement bekannt: Don Elias Libelli, Polizeikommissar, und 
Don Severiano Britto, Friedensrichter. Der liebenswürdigen 
Einladung dieser Herren zu einem stärkenden Imbiß folgend, 
erteilte ich nur zu gern den Auftrag zum Absatteln. Denn 
auch meine Pferde waren durch den langen, anstrengenden 
Ritt, bei dem sie stets gegen den heftigen Wind anzukämpfen 
hatten, ermüdet und bedurften dringend der Ruhe. 



— 6 — 

Ich wurde zu einem niedrigen, langgestreckten Seiten- 
gebäude geführt, das, aus Erdziegeln, Adobe, errichtet, nur 
mit einer Tür versehen ist. Fenster fehlen. Über eine hohe 
Bordschwelle gelange ich in den einzigen halbdunklen Raum. 
Der Fußboden besteht aus der festgestampften gewachsenen 
Erde; auf schwarzgeräuchertem Qebälk ruht die dunkelbraune 
Dacheindeckung aus Schilf und Zinkblech. Die rauhen, krum- 
men, teilweis abgebröckelten Wände tragen die Einwirkung 
von Rauch und Staub in hohem Grade an sich. In einer 
dunkel gähnenden Ecke befindet sich die Feuerstelle mit der 
dem Dach zustrebenden Auslaßöffnung für den Rauch. In 
den Winkeln liegen Sättel, Zaumzeug, Decken und Ponchos, 
während an den Wänden Lassos, Riemen und Peitschen hängen. 
Ein langer, grob zusammengefügter Holztisch und zwei ebenso 
lange, roh gezimmerte Bänke bilden das Mobiliar dieses Raumes. 

Nach einigen Minuten erscheint eine schwarzhaarige In- 
dianerin und bringt den Begrüßungstrunk, den „Mate amargo", 
den Tee aus Paraguay, ohne den die Leute unglücklich wären. 
Er ist das Volksgetränk hierzulande. 

Zur Erläuterung will ich hinzufügen, daß Mate oder Yerba- 
mate ein Qetränk ist, das aus den Blättern und feineren Zweigen 
des Teebaumes (Hex paraguensis) gewonnen wird. Die ge- 
trockneten Blätter werden, ähnlich wie die Teeblätter, in eine 
kleine Kürbisschale getan; dann wird heißes Wasser auf- 
gegossen und dieses mittels einer Silberröhre, Bombilla, durch 
die Matefüllung hindurchgesogen. Der Geschmack ist etwas 
herb, rauchig, aber angenehm und vor allen Dingen erfrischend, 
namentlich auf Märschen, Ritten und bei sonstigen körperlichen 
Anstrengungen. Weniger angenehm finde ich die Landessitte, 
die da erheischt, bei Besuchen, Einladungen und dergleichen 
aus ein und derselben Bombilla den Mate zu trinken oder viel- 
mehr zu saugen. Ein dankendes Ablehnen würde einer Be- 
leidigung gleichkommen, und doch ist mir oft eine Gänsehaut 
über den Rücken gelaufen, wenn ich die Bombilla anstatt aus 



— 7 — 

frischroten, schwellenden Mädchenlippen aus dem zahnlosen, 
tabaktriefenden Munde eines bärtigen Mannes empfing. 

Der erste Austausch von Fragen und Antworten über das 
Woher und Wohin, verbunden mit den üblichen Höflichkeits- 
phrasen nach spanischer Manier, war vorüber. 

„Wir sind von Ihrer Ankunft bereits seit Wochen unter- 
richtet", meinte der Friedensrichter. /„Die Gouverneure der 
benachbarten Territorien Neuquen und Rio Negro haben tele- 
graphiert, daß Sie unterwegs sind, und dann hat auch der Herr 
Minister des Innern . . ." 

„Caramba!" — — Ich tastete nach meiner Brusttasche. 
„Da hätte ich ja beinahe vergessen! Ich habe ja selbst ein 
Empfehlungsschreiben vom Minister bei mir." Schleunigst holte 
ich den Brief hervor und übergab ihn den beiden Herren zum 
Lesen. Andächtig wurde er durchstudiert; die strengen Mienen 
nahmen einen feierlichen stolzen Ausdruck an; dann folgte 
„allgemeines Nicken des Kopfes", und mit Verbeugungen und 
unter einem Schwall von Worten und Beteuerungen, daß „man" 
zu meiner Verfügung stände, händigte man mir das Schriftstück 
wieder aus. Der Bann war gebrochen. 



Allgemeines über das Territorium Chubut. 

Das Territorium Chubut ist ein Teil von Patagonien. In 
der Indianersprache bedeutet Patagonien ungefähr so viel wie 
„Hügel" oder „Hügelland", im Gegensätze zur „Pampa", der 
„ebenen Fläche". Dieses Hügelland beginnt auf dem rechten, 
also südlichen Ufer des Rio Negro und erstreckt sich nach 
Süden bis zur Magelhaensstraße. In neuerer Zeit erst wurde 
der gewaltige patagonische Landkomplex des argentinischen 
Festlandes aus administrativen Gründen in drei Nationalterri- 
torien geteilt, und zwar Rio Negro, Chubut und Santa Cruz. 

Chubut, früher auch Chupat genannt nach dem gleich- 



— 8 — 

namigen Fluß — Chubut bedeutet in der Eingeborenensprache : 
„Strom mit vielen Krümmungen" oder „gewundener Strom" — 
bildet den mittleren Teil und liegt zwischen dem 42^ und 46^ 
südlicher Breite. Im Osten reicht es bis zum Atlantischen 
Ozean, im Westen bis zur chilenischen Grenze (Gesetz vom 
16. Oktober 1884). Es besitzt eine Flächenausdehnung von 
242 039 Quadratkilometer, ist also fast so groß wie die Hälfte 
des Deutschen Reiches. Dagegen ist die Einwohnerzahl noch 
sehr gering. Sie beziffert sich schätzungsweise auf 11 bis 12 000 
Köpfe. Im Jahre 1903 waren es nur 8755; nach der Zählung 
von 1901 nur 4536 und von 1895 sogar nur 3748. Indessen 
sind diese Angaben unsicher. Eine genaue Zählung ist zurzeit 
ausgeschlossen, da ungefähr 40 bis 50 Prozent der Bevölkerung 
noch Nomaden sind, d. h. keine festen Wohnsitze haben, son- 
dern mit ihren Viehherden, namentlich Schafen, herumziehen, 
um neue Weideplätze zu suchen. Fest angesiedelt sind in der 
Hauptsache nur die Bewohner der Küstenzone und der ein- 
zelnen Kolonien im Innern bzws am Fuß der Kordilleren. 

Der äußeren Gestaltung der Oberfläche nach wird der 
größte Teil des Chubutterritoriums von ausgedehnten vege- 
tationsarmen Ebenen, Pampas, und Hochplateaus eingenommen, 
die von einigen kleinen 5—600 m hohen Berg- und Hügelreihen 
umklammert und hier und da von einzelnen, aufgesetzten Kuppen 
gekrönt sind. 

Diese sogenannte Pamparegion, die, terrassenförmig an- 
steigend, von verschiedenen Flüssen mit tief eingenagtem Bett 
durchschnitten wird, reicht vom Atlantischen Ozean bis zum 
Fuß der Vorkordilleren. Hier reckt sich das stark hügelige 
Gelände schon bis zur mittleren Höhe von mehr als 1200 m 
empor und bildet mit seinem Wasserreichtum, den eingeschlos- 
senen breiten Talebenen, den meist unbewaldeten tischartigen 
Hochflächen, denen ein kräftiger Pflanzenwuchs im allgemeinen 
fehlt, den Übergang zu der eigentlichen, die Höhe von 2000 m 
überschreitenden Gebirgsregion der Kordillerenkette. Geradezu 



— 9 — 

verschwenderisch hat die Natur über diese letztere ihre Gaben 
ausgestreut, während sie das ganze übrige Gebiet bis zur Ost- 
küste hin eigentlich recht kärglich damit bedacht zu haben 
scheint. 

Aus diesem Umstände ist es herzuleiten, daß Chubut so 
lange zu den am wenigsten bekannten Landesteilen Argentiniens 
gehört hat. Die ganze Küstenzone in ihrer eintönigen Öde 




Kordilleren im iiordweslliehen Chubut. 

und Dürre sowie die Bodenbeschaffenheit und die khmatischen 
Verhältnisse des Landes weiter westwärts hatten etwas Ab- 
schreckende- an sich, so daß ein günstiges Urteil ausgeschlossen 
war. Leider aber wurde solch absprechendes Urteil auf das 
ganze Territorium übertragen, auch auf den westlichen Teil, 
ohne ihn je gesehen zu haben. Selbst der große Darwin hat 
hierin gefehlt. Er hat seinerzeit nur den östlichen Küstensaum 
durchforscht und spricht ein Verdammungsurteil über ganz Chu- 



— 10 — 

but aus, dessen natürliche Fruchtbarkeit und schlummernden 
Reichtum im Kordillerengebiet er weder gesehen noch ge- 
ahnt hat. 

So ist es denn gekommen, daß Chubut bis heute noch zum 
allergrößten Teil Wildnis, eine terra incognita geblieben ist 
und seine Besiedelung so langsam vor sich gehen konnte. 

In den herrlichen, tief eingeschnittenen Tälern der Kor- 
dilleren findet sich eine natürliche Fruchtbarkeit des Bodens 
vor, die ihresgleichen sucht. Durch viele Bergseen, durch 
Quellen von Qebirgsbächen und Flüssen ist ein Wasserreich- 
tum geschaffen, der sonst auf den Pampas und Mesetas gänzlich 
fehlt. Ein wunderbarer Hochwald liefert Nutz- und Brenn- 
holz in Hülle und Fülle; die gewaltigen Talsohlen, die Ab- 
hänge, der humusreiche Waldboden bieten vorzügliche Weide- 
ländereien. Und dahinter am Horizont baut sich in massigen 
und doch edlen Formen das Gebirge mit seinen schneebedeckten 
Gipfeln und blauschimmernden Gletschern auf, markig in seiner 
Kraft, umwallt und umflutet vom zarten Zauberschleier einer 
Schönheit, die aus Dunst und Dämmer, aus Licht und Atmo- 
sphäre zusammengewebt ist. Zwei ganz verschiedene Welten 
scheinen hier am Fuße der Anden aufeinanderzustoßen. 

Dem geologischen Aufbau nach liegt die Annahme nicht 
zu fern, daß ganz Patagonien sowie Feuerland die Reste eines 
in Urzeiten untergegangenen Kontinents sind, der im Kampf der 
tobenden Elemente auf einer Seite in den Fluten des Weltmeeres 
allmählich versinkend, auf der anderen durch Riesengewalten 
emporgerissen, aus Feuerschlünden und Wasserwogen mit 
starrer Majestät sich erhebend, eine große Mannigfaltigkeit 
in seiner Zusammensetzung zeigt. 

Tertiärsedimente, insbesondere Sandstein und Mergel, Ton- 
schichten und Konglomerate bilden den größten Teil des Chubut- 
bodens von der Ostküste bis in die andine Zone hinein. Be- 
deckt sind diese tertiären Bildungen von steinigen Lagen aus 
glazialem Geröll, von Schutt- und Trümmermassen früherer 



— 12 — 

Berge, von Dünen und Sandbänken. Mit elementarer Gewalt 
haben vulkanische Gesteine an verschiedenen Stellen, und zwar 
nach Westen zu stetig an Häufigkeit und Ausdehnung zu- 
nehmend, die Schichten durchbrochen, ragen als mächtige Basalt- 
felsen, als Kegel oder wuchtige Bergmassen daraus hervor 
oder überlagern sie als vulkanische Konglomerate, in denen 
Andesit sowie Porphyre und Zersetzungsprodukte anderen, 
an Quarz und Feldspat reichen Eruptivgesteins vorhanden sind. 

Weiter nach Westen erscheinen unter dem Tertiär schiefe- 
rige Kreideschichten; nach dem Gebirge zu treten Tonschiefer 
und quarzitischer Sandstein in grobkörnigem wie auch in ganz 
feinem, außerordentlich dichtem Zustande hervor, und an diese 
schließt sich dann das Urgestein mit seinen gewaltigen Granit- 
massen an. 

Das Klima Chubuts allgemein zu behandeln, halte 
ich für verfehlt, da es bei der Ausdehnung des Landes und der 
völlig verschiedenartigen Formation, Bodenbeschaffenheit und 
Vegetation keineswegs auch nur annähernd einheitlich sich ge- 
staltet. Nur das eine möge gesagt sein, daß die klimatischen 
Verhältnisse überall äußerst gesunde sind. So wurden z. B. 
1903 im ganzen Territorium 347 Geburten = 39,6 pro Tausend 
der Bevölkerung gezählt, dagegen Sterbefälle nur 93 = 10,6 pro 
Tausend; das ergibt einen Überschuß der Geburten über die 
Sterbefälle von 29,0 pro Tausend. 

Das Klima ist ungefähr dem in Mitteleuropa ähnlich. 



II. 
Die Indianerkolonie Cushämen. 

Etwa 30 km südöstlich von Norquinco liegt die Indianer- 
kolonie Cushämen, durchströmt vom Norquincofluß und einem 
Seitenarm desselben, dem Arroyo Cushämen d. h. „Felsen- 
wasser", „Bach, der über Steine fließt". Hier wohnen auf 
einem Flächenraum von 60 Leguas, = 1500 Quadratkilometer, 
etwa 1000 Indianer vom Stamme der Araukaner und zur Fa- 
milie der Mapuche gehörig unter ihrem Häuptling (Cacique) 
Njankuchi Nahuelquir. 

Mapuche heißt : „das Volk von weither" (che = Volk, Stamm). 
Tatsächlich ist ja auch dies Volk aus den Gebirgsgegenden 
nördlich vom See Nahuel Huapi gekommen. Auf seinen Jagd- 
und Wanderzügen nach Süden, dem Vordringen der Kultur 
immer mehr weichend, ist es hier, der Not gehorchend, nicht 
dem eigenen Triebe, seßhaft geworden und beschäftigt sich 
jetzt in der Hauptsache mit Viehzucht. 

Welche Änderung im Laufe von drei bis vier Jahrzehnten 
mit einem ganzen Volksstamm! Welch ungeheurer Wechsel 
hinsichtlich seiner Sitten und Gebräuche, seiner Lebensweise 
und ganzen Lebensauffassung! 

So sind hier z. B. die beweglichen Zelte, Toldos genannt, * 
schon ganz verschwunden. Feste Häuser aus Holz oder Adobe 
(ungebrannte Erdziegel) mit Dächern aus Schilf oder Zinkblech 



— 14 — 

bilden heute die Wohnungen. Anstatt der früheren Fell- 
bekleidung des halbnackten Körpers tragen die Männer jetzt 
Jacken und Beinkleider nach europäischem Muster. Das far- 
bige Stirnband, das einst das straffe, tief schwarze Haar zu- 
sammenhielt, hat dem Filzhut Platz gemacht, und vielfach ist 
an Stelle der alten „Bota de potro" der moderne hohe Leder- 
stiefel getreten. Nur die Chiripa, das um die Hüften getragene 
Unterkleid, aus einem Poncho oder Stück Tuch bestehend, 
hat sich aus vergangenen Zeiten her noch allgemein im Ge- 
brauch erhalten. Wie bei den früheren Geschlechtern, so gilt 
die Chiripa auch bei dem heutigen als unerläßliches Kleidungs- 
stück. 

„Bota de potro" heißt „Stiefel vom Pferde". Diese eigen- 
artige Fußbekleidung wird aus der Haut der Hinterbeine des 
Pferdes hergestellt, und zwar derart, daß man sie vom Knie 
über das Sprunggelenk bis zur Fessel — wenn möglich in 
einem Stück — herunterzieht. Der untere Teil bis zur Fessel 
herab, der vorn mit Lederstreifen geschlossen wird, dient als 
eigentliche Bekleidung des Fußes, während der übrige Teil 
gleichsam als Stiefelschaft den Unterschenkel des Mannes be- 
decken soll. Durch mehrtägiges Tragen nimmt dieser Natur- 
stiefel die Gestalt des Fußes an, wird dann vorn an den Zehen 
säuberlich zusammengenäht und am Schaft mit farbigen Bän- 
dern oder Lederriemen, die zum Befestigen dienen, versehen. 
Häufig sind noch silberne Schnallen, Ringe usw. zur Verzierung 
angebracht. 

Auch die alten, nach Vätersitte angefertigten Sporen sind 
noch anzutreffen. Sie bestehen aus zwei 10—15 cm langen 
Stäbchen harten Holzes, die durch eine Querverbindung aus 
starkem Leder oder Holz zusammengehalten werden. An dem 
einen Ende der nahezu parallel laufenden Stäbe befindet sich 
je eine scharfe Spitze aus Eisen oder Knochen, während die 
anderen Enden mit Lederriemen versehen sind, zum Befestigen 
am Fuß bzw. am Stiefel. 



15 



Frauen und Mädchen haben hier fast durchgehends euro- 
päische Kleidertracht angenommen, und nur ganz selten ist noch 
das weite, mantelartige Kleidungsstück im Gebrauch, das durch 
große Silbernadeln mit Platten und Ketten vorn am Halse und 
durch einen breiten, reich verzierten Gürtel oberhalb der Hüften 
zusammengehalten wird. Nur bei älteren Frauen habe ich es 
hier in Cushämen gesehen, während ich es weiter im Süden 
bei den Tehuelchen sowohl wie bei Pampaindianern noch all- 
gemein verbreitet vorfand. Daß das weibliche Geschlecht sich 
mit allerhand Schmucksachen behängt, wie z. B. Halsbändern, 
silbernen Kettchen und Ringen, mit mächtigen Ohrgeschmeiden 
von scheibenförmiger, dreieckiger oder viereckiger Gestalt, mit 
Glasperlen und sonstigem Tand, braucht wohl nicht erst be- 
sonders erwähnt zu werden. Weib bleibt eben Weib; ob in 
Europa oder in Afrika oder Amerika, ob im Salon oder im 
Urwald — das ändert an der Evanatur nichts. 

Hübsche Frauen oder Mädchen indessen habe ich beim 
Mapuchevolk nur wenig oder gar nicht gesehen. Auch die 
Männer können mit nur wenigen Ausnahmen nicht zu einem 
schönen Menschenschlage gerechnet werden. Sie sind zwar 
von kräftigem Körperbau, und starke, muskulöse Figuren trifft 
man im allgemeinen bei diesen wie auch anderen Araukaner- 
stämmen an, die einst wegen ihrer kriegerischen Eigenschaften 
bekannt und gefürchtet waren. Die Erzählungen aber von der 
Stärke und riesenhaften Größe jenes Araukanergeschlechts sind 
übertrieben und gehören ins Reich der Fabel. Auf die Tehu- 
elcheindianer würden derartige Beschreibungen eher passen. 
Unter den Mapuche sowohl wie auch unter den verwandten 
Manzaneros, die ebenfalls zum Araukanerstamm gehören, gibt 
es nur wenige Männer, die an Körperlänge das Maß von 
1,70 m überschreiten. Die meisten sind von mittlerer Statur. 

Die Gesamtzahl der Indianer nimmt seit Jahren leider stän- 
dig ab. Die Zivilisation ist eben unbarmherzig blutig, und die 
Kultur zerstampft kalt und rücksichtslos alles, was sich auf 



16 



ihrer Bahn hindernd oder auch nur gleichgültig zeigt. Sie 
hat gar eigene Waffen, diese Weltbeglückerin! Mit gleißen- 
der Heuchelmiene träufelt sie das Qift verheerender Krankheiten 
dem vor Gesundheit strotzenden Volkskörper ein, oder sie be- 
glückt den ehrlichen, guten Volkscharakter mit den furchtbaren 
demoralisierenden Wirkungen des Alkohols. Stämme und 
Völker sind und werden auf diese Weise zugrunde gerichtet. 
Das muß man sagen, es liegt System in dieser Heuchelei, 
System in dieser Lüge von den sog. höchsten Errungenschaften 
der Menschheit, die da Weihrauch streut und wie toll Beifall 
klatscht, wenn sich ein Stück solcher menschlichen Tragi- 
komödie abspielt. Und das scheint in Südamerika der Fall 
zu sein. 

Eine ganze Rasse, mit ihren Stämmen und Familien hat 
seit Jahrzehnten bereits im dumpfen Gleichmut den langsamen 
und düsteren Todesmarsch in das ungeheure Massengrab der 
Völker angetreten. Nicht mehr lange — und schaurig und 
hohl hallt die Totenklage des letzten Indianers über die weite 
Pampa und bricht sich im tausendfach gellenden Echo an den 
starren, tränenfeuchten Felswänden der Kordilleren. Und 
stummtraurig, mit gramdurchfurchtem Antlitz schauen die 
ewigen Bergriesen in ihren Schneemänteln und blaufunkelnden 
Eiskappen herab auf den „Letzten seines Stammes", und aus 
finsteren, blaudunklen Klüften heult zornig der Sturmwind her- 
vor, der Herold des Todes, der urgewaltige Sturm, der dahin- 
fährt über jede Kreatur. Wie ein bleiches Gespenst aber, hohl- 
äugig, mit schwarzen, unheilschwangeren Fittichen umschwebt 
das Schicksal die ächzende Erde. 

Es war ein herrlicher Morgen, als wir von Norquinco nach 
Cushämen ritten. Über ein mächtiges, mit Büschelgras und 
Steingeröll bedecktes Hochplateau ging es, aus dessen erstarrten 
Wellen und Wogen wüste, kahle Granitmassen, wildzerrissene 
Basaltkegel und zerfetzte Felsklötze herausklettern. Fern im 
Westen türmt sich wie ein Riesenwall im bläulich hingehauchten 



— 17 — 

Nebeldunst das Massiv der Kordilleren auf, und in der klaren 
Atmosphäre leuchtet weithin durch das Strahlengeflimmer der 
Morgensonne hindurch der weiße, blendende Firnschnee. Die 
absolute Höhe dieser Meseta, der tischförmigen Hochebene, 
wechselt zwischen 950 und 1000 m. Es ist eine grasige 
Steinpampa, zerrissen von jähen Schluchten und steilen Hängen, 
die schließlich alle in ein breites, tief eingeschnittenes Tal aus- 
münden, offenbar das Bett eines früheren Stromes. Aus den 
Seen der Anden hat dieser einst seine Wassermengen geschöpft 
und in brausenden, schäumenden Fluten hinabgewälzt in die 
Ebene zum offenen Meere hin. Aber während die Wasser sich 
mit unersättlicher Qier immer tiefer durch Steine und Felsen 
hindurch in den geduldigen Boden hineinnagten, erhob sich 
schüttelnd in stolzer Kraft das Urgebirge. Viele Quellen ver- 
siegten, und nur einige Rinnsale und trockene Cafions zeugen 
heute von der gigantischen Größe verrauschter Jahrhunderte. 

Stellenweis wird das aus quarzitischem Sandstein, Qranit 
und Porphyrstücken, Diabas usw. bestehende grobe Qeröll 
feiner und bedeckt dann als Sand und Kies weite Strecken. 
Unter diesen sandigen Lagen aber, die im allgemeinen nicht 
sehr stark sind, befindet sich eine Humusschicht, oft von mehr 
als 0,5 m Dicke, so daß es den Boden bei richtiger Bearbeitung 
und Benutzung an natürlicher Fruchtbarkeit nicht fehlen würde. 

Früher soll diese ganze Gegend gut bewaldet gewesen 
sein, namentlich in den Tälern, Schluchten und an den Ab- 
hängen. Indessen haben die dahinschießenden Wasserfluten 
Bäume und Sträucher entwurzelt und mit sich fortgerissen in 
das wirbelnde Wellengrab. Was diesem Wüten widerstand, 
fiel dann nach und nach der zerstörenden Menschenhand an- 
heim. Indianer waren es, die auf ihren Jagden durch ange- 
zündete Feuer — um das Wild zusammenzutreiben — den 
Baumwuchs vernichtet haben. Heute ist die Gegend, durch 
die wir kamen, völlig baumlos ; selbst die niedrigen Dornbüsche, 
wie Calafäte (Berberis buxifolia) und Chacäi, treten nur spär- 

Vallentin: Chubut 2 



— 18 — 

lieh auf. Hier und da findet man noch mächtige Wurzeln, 
riesige Stümpfe als die letzten Reste jenes Waldbestandes. 

Einen abschüssigen Hang ritten wir nach etwa einstün- 
digem Trabe hinunter und gelangten in eine sich weit dehnende, 
mit gutem Weidegras bewachsene Ebene, durch die der Nor- 
quincobach mit dem Cushämen nach Südosten zum Chubut- 
fluß sich hinzieht. Ungefähr 850 m liegt die frischgrüne Tal- 
sohle über dem Meeresspiegel. Dort, wo sich die hohen 
Seitenwände dieses breiten Tales für einen Augenblick näher 
zusammenschieben, um später kilometerweit voneinander ab- 
zurücken und einer großen, sich spreizenden Ebene Platz zu 
machen, wohnt Nahuelquir, der Mapuchehäuptling. 

In Begleitung des Polizeikommissars und des Friedens- 
richters besuchte ich ihn inmitten seines Volkes; er im dunklen 
Anzug mit steifem Filzhut, in schwarzen Kniestiefeln mit silber- 
nen Sporen und Sporenketten ; die Leute, von denen die meisten 
hoch zu Roß gekommen waren, in einfacher Jacke, in Chiripa 
und Potrostiefeln, den Lasso am Sattel, die sicher treffenden 
Bolas (Schleuder) um die Hüften, das lange Messer im Oürtel 
und die nie fehlende schwere Rebenka (Reitpeitsche) in der 
Hand. Wilde, verwitterte Gestalten waren es, mit blitzenden 
Augen und langem, pechschwarzem Kopfhaar, das in wirren 
Strähnen über Stirn und Nacken fällt. 

Njankuchi Nahuelquir ist verheiratet mit einer Frau aus 
dem Tehuelchenstamm, namens Tanahuen, mit ihrem Christen- 
namen Manuela genannt. Sie ist eine gutmütige, dabei aber 
gescheite und energische Ehefrau und hat ihrem Herrn Gemahl 
gegenüber manchmal einen schweren Stand. Denn dieser selbst, 
im allgemeinen gut und freundlich, soll wie eine Bestie rasen, 
wenn er sich etwas intim mit der Rumflasche beschäftigt hat. 
Ich lernte ihn als einen ruhigen, verständigen Mann kennen, 
von gesunder Intelligenz und vernünftigen Anschauungen. Nur 
einige Male kam bei ihm der bitter empfundene Schmerz über 
die verloren gegangenen Zeiten zum Ausbruch. 



— 19 — 

„Das ist nun alles vorbei!" sagte er schwer seufzend. 
Dabei schaute er düster auf den Boden, stampfte mit dem 
Fuße, daß die Sporen klirrten, und blickte dann sinnend durch 
die offenstehende Tür hinaus ins Freie, wo sein ältester Sohn, 




Indianer vom Mapuche-Stamm. 



ein hübscher, löjähriger Junge, eben mit dem Aufsatteln eines 
Pferdes beschäftigt war. 

„Ja, das ist nun alles vorbei !" wiederholte er im gedämpf- 
ten Ton. 

Es schien so etwas wie Gewitterschwüle in der Luft zu 

2* 



— 20 — 

■ 

liegen. Denn plötzlich sprang er auf, dehnte seinen mächtigen 
Brustkasten und befahl seiner Frau, etwas zum Trinken be- 
sorgen zu lassen. 

Fast alle Mapucheindianer in Cushämen sind Christen, 
aber nur — äußerlich. Sie selbst nennen sich zwar so und 
haben sich — vielleicht willenlos — taufen lassen und ebenso 
ihre Kinder. Indessen gelten ihnen die alten ererbten religiösen 
Gebräuche bedeutend mehr, als die Satzungen jenes Christen- 
gottes, durch dessen Lehre und diensteifrige Diener ein Stamm 
nach dem anderen dem Untergang geweiht wurde. 

„Blaßgesichter, Räuberbanden, 

Feierliche Priestereide 

Schwuren Indianerhetze 

Am Altar des Christengottes." 
Daß die Eingeborenen einem solchen System nach all den 
bitteren Erfahrungen mit Mißtrauen und Haß begegnen mußten, 
ist mehr wie selbstverständlich, und das erklärt vieles. So kommt 
es denn, daß die Indianer hier heute noch zu gewissen Zeiten 
das sog. Camarücofest feiern zu Ehren ihrer Gottheiten, des 
„Großen guten Geistes" bzw. zur Versöhnung des „Bösen 
Geistes" Gualichu, dem bei dieser Gelegenheit ein Opfer ge- 
bracht wird. Jedes dritte Jahr findet diese Feierlichkeit im 
großen Maßstabe statt, außerdem gewöhnlich zweimal im Jahre, 
immer aber bei Vollmond. 

Das Opfer besteht in einem weißen Pferde, gewöhnlich 
einer jungen Stute, die von vier jungen Leuten ohne Lasso, nur 
mit den Händen eingefangen und zu Boden geworfen werden 
muß. Unter mancherlei Zeremonien, Zauberformeln und dgl. 
erscheint dann der Zauberer, der Medizinmann. Mit einem 
äußerst scharf geschliffenen Messer bringt er dem Opfertier 
einen Stich in die Brust bei, greift mit der rechten Hand tief 
in die Öffnung der Wunde hinein und reißt mit einem geschick- 
ten Ruck das Herz heraus. Dieses lebende, zuckende und 
noch rauchende Herz hebt er dann hoch empor und zeigt es 



— 21 — 

dem in atemloser Spannung wartenden Volk, das nun in Jubel- 
rufe und Freudenschreie ausbricht. Unter ganz bestimmten 
Beschwörungsformeln wird das Herz hierauf in Bast, Blätter 
und Häute gehüllt, so fest wie möglich mit Lederriemen um- 
wickelt und unter Gesang und Geschrei der Menge an einem 
einsamen, weit abgelegenen Ort, gewöhnlich einem Hügel oder 
Berggipfel, vergraben. Auf diesen feierlichen Akt der Zere- 
monie folgen dann Gesang und Tanz, verbunden mit Schmause- 
reien und Trinkgelagen. 

Mit ähnlichen Festlichkeiten und religiösen Gebräuchen 
wird bei den jungen Mädchen der Eintritt der Mannbarkeit 
gefeiert, die im Durchbohren der Ohrläppchen äußerlich kennt- 
lich gemacht wird. Drei Tage vorher wird das junge Mädchen 
in einem besonderen Zelt untergebracht und ohne Essen und 
Trinken unter strenger Aufsicht gehalten. Darauf erfolgt die 
eigentliche Zeremonie unter Beschwörungsformeln bei Sang 
und Tanz. Von diesem Augenblick an sind die Mädchen heirats- 
fähig bzw. zum Ehestande wählbar. 

Auch hinsichtlich des letzteren sind allein die im Stamm 
herrschenden Gebräuche geltend und maßgebend, während die 
christliche Zeremonie oder die kirchliche Trauung meistens 
nur als leere äußere Formsache betrachtet wird. 

Cushämen besitzt auch eine Regierungsschule. Unter der 
Leitung eines Spaniers, des tüchtigen Don Vincente Herrero 
und seiner kleinen Frau werden hier 53 Schüler und 7 Schüle- 
rinnen in die Elementarwissenschaft des Lesens und Schrei- 
bens, Rechnens usw. eingeweiht. Meist sind es Indianerkinder 
aus der Kolonie; indessen nehmen auch Kinder von Weißen 
aus der Nachbarschaft am gemeinschaftlichen Unterricht teil. 
Geradezu erstaunlich ist es, die natürliche Intelligenz, die leichte 
und schnelle Auffassungsgabe dieser kleinen braunhäutigen und 
dunkeläugigen Bengels zu sehen. Fast alle kommen zur Schule, 
ohne ein Wort Spanisch zu verstehen, und in kaum einem Jahre 
sprechen sie es fließend. Mir wurden Schreibhefte vorgelegt 



— 22 — 

aus den ersten Wochen bzw. Monaten des Schulbesuchs. Ge- 
radezu ein schreckliches Tintengekleckse, als ob Hexen auf Besen- 
stilen über das geduldige Papier dahingefahren wären! Dann 
sah ich Hefte derselben Schüler nach zwei und dreimonatigem 
Schulbesuch. Der Fortschritt war nicht zu verkennen. Un- 
gleich größer aber war die Entwicklung in den folgenden 
Monaten. Da habe ich gestaunt über das, was diese „halb- 
wilden" Indianerkinder zu leisten imstande sind, diese Spröß- 
linge einer Rasse, die man stets geneigt ist, als minderwertig zu 
betrachten und zu behandeln. Auch der Anschauungsunterricht 
ist hier, dank der Geschicklichkeit des Lehrers, gut ausgebildet. 
Gefreut habe ich mich über die herrschende Disziplin, sowohl im 
Schulzimmer wie draußen im Freien. Leibesübungen und 
fleißiges Turnen werden nicht vernachlässigt. Auf dem freien 
Platze vor dem kleinen Schulgebäude befinden sich die Turn- 
geräte, Kletterstangen, Reck und Barren, ganz wie bei uns 
daheim. 

Ein natürliches Hindernis für den regelmäßigen Schulbesuch 
bilden allerdings die großen Entfernungen und die Witterungs- 
verhältnisse. Knäblein und Mägdelein aber sind hierzulande 
mit Pferden vertraut, kommen sozusagen mit dem Sattel auf 
die Welt, und so wird denn bei einigermaßen gutem Willen 
der Eltern auch diese Schwierigkeit leicht überwunden. Hier 
geht man nicht, sondern man reitet zur Schule, häufig zwei 
Männlein oder zwei Weiblein auf einem Sitz. 

Das Klima dieser Gegend um Norquinco und Cushämen 
herum ist gemäßigt. Die Durchschnittstemperatur des Jahres 
1904 betrug 10,09^ C., und zwar zeigte Monat 

Januar eine mittlere Temperatur von 19,87^ Celsius 

Februar „ „ „ „ 16,62^ 

März fehlt 

April „ 

Mai „ „ „ „ 7,62« „ 

Juni „ „ „ „ 5,25" 



23 — 



Juli eine 


mittlere Temperatur 


von 2,74' Celsius 


August 


tt tt 


;; 4,06« 


September „ 


n ft 


,; 6,85« 


Oktober „ 


ff ff 


„ 8,68« „ 


November „ 


ff ff 


„ 12,25« 


Dezember „ 


ff ff 


„ 16,97« 



;; 



fi 



ft 



Die Durchschnittsmaxima fielen in die Monate 

Dezember mit 30,0° Celsius 
Januar „ 35,0° „ 

Februar „ 32,0° „ 

w^ährend die Durchschnittsminima in den Monaten 

Mai mit — 6,8° Celsius 
Juni „ -8,1« 
Juli „ -10,6« 

August „ — 7,5« 

zu verzeichnen waren. 

Im allgemeinen ist trockenes Klima vorherrschend. Die 
regenreichste Zeit ist wohl im April, Mai, Juni und Juli. In- 
dessen erreichen die niedergehenden Regenmengen keine er- 
hebliche Höhe. Sie betrugen in den genannten Monaten nur 

38.0 mm (April) 

57.1 „ (Mai) 

79.2 „ Guni) 
86,9 „ Ouli) 

Schon im folgenden Monat August sank die Regenhöhe 
auf 4,6 mm herab, und die Monate November und Dezember 
1904 sowie Januar und Februar 1905 waren völlig trocken. 



III. 
Am Maiten. Ritt ins Bolsontal. 

Wie aus großen, verträumten Augen schaute der junge Tag 
hinter den dunstigen Bergen hervor, und über den zarten 
Nebelflor, unter dem die erwachende Erde sich zu regen schien, 
goß die Morgensonne einen Hauch von Gold. 

„ Vorvi^ärts, Arregada, vorwärts ; wir wollen die Morgenkühle 
benutzen. Zur Mittagszeit wird es heiß werden." 

„Jawohl, Patron", bestätigte mein Führer. Dann wirft er 
seinen dampfenden Zigarettenstummel fort, schwingt die Re- 
benka, und in scharfem Trabe fegt unsere kleine Tropilla, be- 
stehend aus zwölf Pferden und drei Maultieren, über die Pampa 
dahin, nach Westen zu, dort, wo sich das Andengebirge zum 
Himmel auftürmt. Bergauf und bergab steigen wir. Zer- 
klüftet und zerrissen ist die Landschaft. Steil aufstrebende Fels- 
wände scheinen den Weg zu versperren, weichen dann aber 
plötzlich wie in jäher Flucht nach rechts und links auseinander, 
zu Hügelreihen und Bergzügen sich gruppierend, die erst am 
Horizont im blauen Äther verschwinden. Die Pampa liegt hier 
durchschnittlich 1000 m über dem Meeresspiegel, während die 
aufgesetzten Kuppen und Bergmassen stellenweis 1500 und 
1600 m erreichen. Die Vegetation ist noch schwach, besteht 
meistens aus Coiron, sowie anderen der Steppenregion an- 
gehörigen Qrassorten und wird nur selten von niedrigem Ge- 
sträuch unterbrochen. 



25 



Allmählich senkt sich der Weg in eine Schlucht hinab, die, 
von Wasser und Wind ausgewaschen, in das trockene Bett eines 
früheren Baches übergeht. Gewaltige Felsklötze bedecken den 
Boden zu beiden Seiten, und Höhlenbildungen in dem zutage 
tretenden Gestein sind häufig, namentlich im nördlichen Teil 
hoch oben. „Puerta suelo" hei6t dies von der Natur ge- 
bildete Tor. Es führt in ein prachtvolles, weitgedehntes Tal 




Zwischen Mait^n und Valle 



hinab, das durchzogen wird von mehreren Bächen und be- 
standen ist mit saftig-grünem Graswuchs wie mit einem dichten 
Rasenteppich. Wohlgenährte Rinderherden unter der Aufsicht 
von berittenen Hirten suchen dort ihr Futter. 

Der größte Teil dieses etwa 650 m hoch gelegenen Tal- 
landes gehört einer englischen Gesellschaft, der „Compania de 
Tierras Sud-Argentina", die hier Ländereien in einer Ausdeh- 
nung von mehr als 2000 Quadratkilometern besitzt und nur Vieh- 



~ 26 — 

zucht im Großen betreibt. Ungefähr 45 000 Rinder sind ihr 
Eigentum. Ursprünglich wurde dieses gute Land mit bester 
Weide in Form einer Konzession behufs Kolonisierung jener 
Gesellschaft übergeben. Indessen, wie das so gewöhnlich geht, 
haperte es mit der Besiedelung. Es war dies, wie man be- 
hauptet, auch gar nicht die Absicht jener Engländer, die sofort 
damit begonnen hatten, Vieh in Masse dort hinzubringen. Als 
die Regierung später drängte, den Verpflichtungen nachzukom- 
men und außer dem Vieh auch endlich Menschen jenen frucht- 
baren Ebenen zuzuführen, erklärte die Gesellschaft kurz, daß 
das Land für Kolonisierungszwecke völlig ungeeignet sei. Auf 
irgend eine Weise wußte sie es dann dahin zu bringen, daß 
ihr für einen recht geringen Preis der Besitztitel zugestanden 
wurde, und — ein neuer Latifundienbesitz war geschaffen. 
Wo Tausende von Menschen ihr Heim sich hätten gründen 
und auf eigener Scholle ihren Unterhalt hätten finden können, 
stehen heute nur einige Ranchos und armselige Hütten, in 
denen die notwendigsten Aufseher, Knechte und Viehhirten 
ihre Lohnarbeit verrichten. 

Während im Norquincotal Schafzucht vorherrscht und an- 
geblich etwa 1500 bis 2000 Schafe pro Legua = 25 Quadrat- 
kilometer gehalten werden können, ist man weiter im Westen 
mehr zur Rindviehzucht übergegangen, was indessen nicht aus- 
schließt, daß auch die Schafhaltung bei dem vorzüglichen Futter 
gute Resultate liefert. 

Nach vierstündigem Ritt ungefähr gelangten wir in das Tal 
des Chubutflusses, an dessen Ufer wir unsere Reittiere etwas 
verschnaufen ließen. Es war 10 Uhr vormittags. Mein Ther- 
mometer zeigte 100 C. Auf 42« 3' südlicher Breite ermittelte 
ich nach meinen Barometermessungen dicht am Wasserspiegel 
eine Höhenlage von 628,5 m über dem Meere. Das Bett des 
Flusses wechselt sehr in seiner Breite. Dort, wo ich mit Pfer- 
den und Maultieren durchgeritten bin, mißt es ca. 60 m und 
besteht aus durchweg steinigem Grund, der als grobes Geröll 



27 



zu beiden Seiten gewaltige Flächen bedeckt, derart, daß die 
Ufer in einer Gesamtausdehnung von 5 — 600 m oft den Eindruck 
eines öden, trostlosen Stein- und Trümmerfeldes hervorrufen. 
Unmittelbar hieran aber schließt sich ohne jeden Übergang 
das fruchtbare Gras- und Wiesenland, das seinerseits wiederum 
von Bergzügen begrenzt wird. Letztere, im allgemeinen von 
Norden nach Süden verlaufend, erheben sich zu einer Höhe 
von 1000 bis 1100 m. Weiter im Süden, etwa 30 km von hier 
entfernt, erreichen einige Kuppen dieser natürlichen Talbegren- 
zung sogar 1560 m. 

Fast genau auf dem 42. Grad südlicher Breite mündet in den 
Chubut ein Nebenfluß, der Malten, dessen Quellgebiet sich in 
der weiter westlich gelegenen, mehr als 2100 m hohen Berg- 
region befindet. Diesem rauschenden Gebirgsbach entgegen 
führte mich der Pfad in ein prächtiges Tal und dann hinauf in 
eine düstere, enge Felsenlandschaft. Wildzerklüftet und zer- 
fetzt starren die Gesteinmassen und Felshaufen hinab auf den 
einsamen Wanderer dort unten am glitzernden Wasser. Tiefes 
Schweigen herrscht ringsumher in dieser Öde und ein fast un- 
heimliches Gefühl legt sich beklemmend auf die Brust. Aber 
eine leichte Dämmerung hat sich zwischen Himmel und Erde 
ausgebreitet, und hinter Zacken und Spitzen und Kuppen 
schieben sich drohende Wolken langsam hervor und hüllen Berg 
und Tal in dunkle Schatten. Wie grauenerregende Gespenster 
in wallenden Schleiern ziehen die Regennebel durch die Schluch- 
ten. Und da bricht es los ; ein Regensturm der tollsten Art rast 
mit ganzer Kraft über das Land dahin und peitscht uns schwere 
Tropfen ins Gesicht. Er peitscht die Leiber der armen Tiere, 
die geduldig die Köpfe senken und die triefenden Ohren hängen 
lassen. 

„Vorwärts, vorwärts, Arregada!" Unter verschiedenen 
„Carambas" und „Donnerwettern" kämpfen wir mühsam gegen 
den Sturmwind an. Irgendwo werden wir ja eine Hütte oder 
sonst einen Unterschlupf antreffen ; je eher, desto besser. Diese 



— 28 — 

verdammten Bogen und Krümmungen des Pfades ! Sie hemmen 
das Weiterkommen. Hochauf spritzt der Schlamm unter den 
Hufen der Pferde, und von oben gießt es herab zum Gott- \ 

erbarmen. Roß und Reiter haben sich in dem ekelhaften 
Schmutzwetter bis zur Unkenntlichkeit verändert! Und voran 
streben wir abwechselnd im Galopp und Trab. Und da, horch! 
— Hundegebell ; Menschen müssen also in der Nähe sein. Aber 
Dunst und Nebel und der strömende Regen lassen keine Fern- 
sicht zu. Nach und nach löst sich aus dem Grau der Land- 
schaft eine dunkle Masse los ; die undeutlichen Umrisse nehmen 
bestimmtere Formen an und wir können ein Häuschen mit 
kleinem Seitenbau erkennen. 

In kurzer Zeit hat sich unsere Tropilla auf einem freien 
Platz versammelt; ruhig warten die durchnäßten und kot- 
bespritzten Tiere auf ihre Entlassung und schauen teilnahmlos, 
wie mit stiller Verachtung auf die fünf schmutzigen Köter un- 
definierbarer Rasse, die da mit wütendem Gebell herumspringen. 
Da öffnet sich auch schon die Haustür. Ein bärtiges Gesicht 
kommt zum Vorschein, beschattet von einem zerknitterten Filz- 
hut. Und hinter dem Manne reckt sich neugierig ein dunkler 
Frauenkopf hervor und weiter unten tauchen zwei ängstlich 
dreinschauende Kindergesichter auf. 

„Buenos dias, seiior, entre!" 

Wir schütteln uns die Hände, und ich trete ein in den kleinen 
Raum, der als Wohnzimmer und gleichzeitig als Küche dient. 
Auf dem Lehmboden knistert behaglich ein Feuer. Und wäh- 
rend der Mann mir den durchnäßten Poncho und triefenden 
Hut abnimmt, hat die Frau eilfertig einen Holzklotz ans Feuer 
gerückt und lädt mich zum Sitzen ein. Der unausbleibliche 
Mate macht die Runde, und bald prasselt am Bratspieß das 
Hinterviertel eines Hammels, ein Asado, dessen Vollendung 
wir schwatzend und den aromatischen bitteren Paraguaytee 
schlürfend sehnsüchtig abwarten. Draußen aber regt der Sturm 
brausend seine Schwingen und rüttelt und wühlt in den Wolken, 



— 29 — 

daß sie vor Schmerz Tränen weinen, die schwer zur Erde 
niederfallen. Und während Mutter Erde sich mit dunklem 
Trauerflor umgibt, wandelt langsam die schweigende Nacht 
durch das Tal. 

Mein freundlicher Gastwirt war ein Baske, Don Anacleto 
Salaverry, der mit seiner Familie sich hier seit einigen Jahren 
niedergelassen hat. Er treibt etwas Viehzucht und erwirbt 
seinen täglichen Unterhalt aus der natürlichen Fruchtbarkeit 
des Bodens ohne große Mühe. 

Für Viehzucht eignet sich diese ganze Gegend außer- 
ordentlich. In den Tälern und an den Hängen gedeihen außer 
Coiron die saftigen Mallingräser ; auch liefert die mit kleinen 
Ähren versehene Cebadilla ein nahrhaftes Futter. In den 
Schluchten haben sich niedrige Dornbüsche eingenistet; der 
Chacäistrauch klettert zwischen dem Felsgestein bis zum höch- 
sten Kamm hinauf. Wenn nun auch die Vegetation nicht gerade 
als kräftig bezeichnet werden kann, so merkt man doch schon 
überall den allmählichen Übergang zu der fruchtbareren und 
schöneren Gebirgsregion. 

Daß der Maitenbach und der Chubutfluß, der Norquinco, 
die Bäche des Tals von „Puerto suelo" und die kleineren Zu- 
flüsse aus dem Gebirge Gold mit sich führen, daß im Gebirge 
selbst Kupferfunde gemacht worden sind, möchte ich noch 
nebenbei erwähnen. In den Abhängen des Maitentales werden 
augenblicklich zwei kleine Goldminen von Nordamerikanern 
bearbeitet. Auf einer anderen Stelle, zwischen Norquinco und 
Maiten, hat ein Spanier nur versuchsweise mit Erfolg Gold ge- 
waschen und allein im vorigen Jahre 6 kg davon verkauft. 
Ich selbst habe das edle Metall in dieser Gegend gesehen. 
Es waren Goldplättchen von verschiedener Form, die oft die 
Größe eines Fingernagels erreichten. 

Taufrisch in Klarheit und Kühle war der Morgen ange- 
brochen. Die Sonne lächelte auf die Welt hernieder, als gäbe 
es keine Erdennot und keinen Erdenjammer. 



— 30 ~ 

Und höher und höher stiegen wir ins Gebirge hinein, dem 
Labyrinth der Kordillerenkette zu, und immer grotesker wird 
die Landschaft mit ihren zusammengeballten Felsklumpen und 
senkrechten Steinwänden. Mächtige Granitmassen treten zu- 
tage, aufgetürmte Basaltklötze ragen trotzig aus regellosem 
Geröll hervor und heben sich wie dunkle Silhouetten von dem 
lichtdurchstrahlten Himmel ab. Wir winden uns aus dem Tal 
einen Hang hinauf; nur schmal ist der Pfad und gerade nicht 
bequem für unsere Reit- und Lasttiere. Jetzt starrt uns auf 
der rechten Seite eine hohe glatte Felswand entgegen, während 
links ein Abgrund schroff zu der im Sonnenglanz schimmernden 
Talebene hinstürzt, die sich dort unten weit nach Nordwesten 
ausdehnt. Gleichsam auf einem gewaltigen Treppenabsatz 
stehen wir hier. Wie von selbst hält mein Roß, und ich schaue 
hinab in die weite, blaue Ferne, und über mir rauscht es und 
braust es. Zypressenbäume sind es, die sich gegenseitig etwas 
zuraunen und ihre dunklen Wipfel ehrfurchtsvoll beugen vor 
etwas Geheimnisvollem, Unsichtbarem, und mit grünen Fingern 
zu winken scheinen, als ob sie mich bitten wolltien: „Komm 
her und sieh!" Ein heimliches Weh scheint die Luft zu durch- 
zittem und über die herrliche Ebene dort zu meinen Füßen 
hinzueilen bis zu den fernen Bergreihen. Mein Blick fällt auf 
die mächtige Steilwand zu meiner Rechten und da — alle 
Wetter! was ist das! Da sind ja Zeichen und Figuren in 
roter Farbe angebracht; Schriftzeichen der alten Indianer aus 
längst vergangenen Zeiten, meist Eh-eiecke, einfache und dop- 
pelte, die mit der Spitze zusammenstoßen, Vierecke mit kreis- 
förmigen Figuren, geschlängelte Linien und Zickzackstreifen, 
alles in roter Farbe, die, Regen und Sonnenschein, Wind und 
Wetter trotzend, Jahrhunderte überdauert hat. E^er Felsen ist 
inzwischen verwittert; das zeigt ein Sprung, der mitten durch 
einzelne jener Zeichen hindurchgeht. Die Menschen, die einst 
auf jene Weise von ihrem Dasein Kunde gaben, sind vom 
Erdboden verschwunden; das Schicksal hat mit ihnen ohne Er- 



— 31 — 

barmen gewürfelt. Nur diese einfachen Figuren sind geblieben 
und geben in ihrer stummen Sprache Nachricht von dem Unter- 
gang eines ganzen Geschlechts. Ein mächtiger Indianerhäupt- 
ling vom Tehuelchenstamm hat hier vor mehr als 100 Jahren 
seine letzte Ruhestätte gefunden. Glanz, Macht und Reich- 
tum — sie sind verrauscht, verschollen. Ein unsagbarer Hauch 
von Melancholie schwebt über der menschenverlassenen groß- 
artigen Einsamkeit, und die dunklen Zypressen hoch über mir 
auf der jähen Felswand rauschen lauter, und der Wind singt 
leise sein trauriges Lied von Menschenglück und Menschenweh. 

Von hier an tritt in der immer kräftiger werdenden Vege- 
tation die Zypresse nicht nur häufiger auf, sondern wird auch 
größer und stärker, je weiter man nach Westen gelangt. Ebenso 
entwickelt sich der übrige Pflanzenwuchs mehr und mehr. Na- 
mentlich ist das in dem tief eingeschnittenen Tal des Quem- 
quemtreuflusses der Fall, das wir jetzt durchreiten müssen. 

Langsam klettern wir die steilen Hänge auf der anderen 
Seite hinan; der Weg biegt nach Norden und führt auf eine 
gewaltige, mit Steinen und Geröll besäte Hochebene, die, 1300 
Meter über dem Meeresspiegel liegend, von düsteren Basalt- 
felsen und emporgequollenen Lavamassen umklammert wird. 
Zacken und Zinnen und ausgebuchtete Kämme, Spitzen und 
Kuppen von mehr als 2000 m Höhe krönen den Cordon Ser- 
rucho, der, von Nord nach Süd verlaufend, die östliche Grenze 
dieser Fläche bildet, während im Westen die Ausläufer des 
2255 m hohen Cerro Piltriquitrön sich vorlagern. Terrassen- 
förmig fallen die beiden Bergrücken zur breiten Talsohle ab, 
die sich dort, wo der Bach Repollos in den Quemquemtreu ein- 
mündet, beträchtlich erweitert. Gewaltige Geröllmassen sind 
nahe dieser Stelle angehäuft; riesige Felsklötze liegen mitten 
im Wasser, und abgestürzte Steintrümmer bedecken den Boden 
zu beiden Seiten der brausenden und zischenden Gebirgsbäche. 
Die fortgerissenen bzw. abgewaschenen Talwände bestehen 
hauptsächlich aus Sandmassen, durchzogen von sedimentären 



— 32 — 

Schichten aus sandigem Lehm und Ton, in die stellenweis 
Steingeröll und Felsklumpen von abgerundeter Gestalt ein- 
gebettet sind. Insbesondere auf der linken Seite an den Aus- 
läufern des Cerro Piltriquifrön kommt diese Zusammensetzung 
deutlich zum Vorschein und zwar dort, wo der Quemquemtr^u 
nach Aufnahme des Repollosbaches mit Riesengewalt sich durch 




Bolsonlal 



die Berge Bahn gebrochen und ein breites Durchgangstor mit 
fast senkrechten Wänden geschaffen hat. 

Nachdem wir das steinige Bett des Flusses durchritten 
haben, müssen unsere keuchenden Tiere noch einmal steile Ab- 
hänge hinaufklettern. Nur mühsam kommen wir in den Sand- 
und Schuttmassen vorwärts. Noch einmal gelangen wir auf eine 
Höhe von 1052 m; dann wendet der Pfad jäh nach Süden, 
und vor uns tief unten liegt das herrliche Bolsonfal, das sog. 
„Valle nuevo". Es ist ein Längstal, von Norden nach Süden 



^ 33 ~ 

ziehend, das sich vom Rio Foyel in einer Länge von 35 — 40 km 
fast bis zum Lago Puelo und Epuyen erstreckt. Glatt wie ein 
Tisch liegt diese fruchtbare Ebene, die vor langen Zeiten einst 
das Bett eines Sees gewesen sein mag, mitten im Gebirge nur 
305 m über dem Meeresspiegel, während sie ringsherum von 
mehr als 2000 m hohen Bergen umsäumt ist 

Wildkühne Formen hat hier die Natur geschaffen. Golden 
leuchtet die Sonne auf das herrlich erhabene Bild herab, auf 
die frischgrüne, saftige Grasfläche, auf die himmelstürmenden 
Höhenzüge, deren gewaltige Basalt- und Granitmassen stolz 
auf das grobe Sand- und Steingeröll herniederblicken. Aus 
leichtem Nebeldunst glänzen hoch oben weiße Schneefelder, 
und stumm und starr in ihrer majestätischen Pracht grüßen 
von fern die Eisriesen. Wie dunkle Flecke zeichnen sich von 
der Grasebene einzelne Baumgruppen ab, und schattenartig 
ziehen sich Büsche und Bäume am Fuß des Gebirges herum 
in die Schluchten hinein und höher hinauf bis zu den zerklüf- 
teten Kämmen und Gipfeln. 

Der Maitenbaum (Maytenus magellanica) ist hier sehr häu- 
fig und erreicht eine außerordentliche Größe. Seine Blätter 
dienen dem Vieh als Futter, und daher kommt denn auch das 
eigentümliche Aussehen des Baumes. In einer Höhe nämlich 
von 1,5 bis 2 m über dem Erdboden erscheint häufig die untere 
Fläche der Laubkrone wie glatt abgeschnitten und letztere 
baut sich darüber wie eine Halbkugel auf. Das Vieh ist es 
gewesen, das bis zu einer gewissen erreichbaren Höhe die 
Blätter und äünnen Zweige abgefressen hat. Nirresträucher 
(Nothofagus antarctica) oft bis zu 4 m hoch, Calafäte (Ber- 
beris buxifolia) und Chacäi sind in großer Zahl vertreten. 
Die Zypresse sowie einige Buchenarten, darunter Coihus (Notho- 
fagus dombeyi), entfalten sich hier in ihrer ganzen Größe und 
Schönheit. Der Graswuchs ist kräftig, die weichen nahrhaften 
Mallingräser und die unter dem Namen „pasto tierno" bekann- 
ten feinen Rasengräser bedecken weite Strecken des Talbodens. 

Vallentin: Chubut 3 



— 34 ^ 

Auch das „cardo negro", mit weißen Blüten, das von Pferden 
und Rindern gern gefressen wird, wächst hier in Mengen. 

Bewohnt wird das Bolsontal von 8 — 9 FamiHen mit zu- 
sammen etwa 60 Köpfen. Fast alle sind Chilenen. Die Leute 
treiben Viehzucht und etwas Ackerbau!. Alles natürlich nur im 
kleinen Maßstabe. Die Zahl der dort gehaltenen Rinder, Schafe 
und Pferde ist vorläufig noch gering, und der Ackerbau be- 
schränkt sich nur auf Weizen für den Hausbedarf. Indessen 
verspricht jene Gegend auf Grund des vorzüglichen Klimas, 
der natürlichen Fruchtbarkeit des Bodens, des vorhandenen 
Holzreichtums und der günstigen Wasserverhältnisse einst ein 
Zentrjum des prosperierenden wirtschaftlichen Lebens zu wer- 
den. Durchaus nicht zu vergessen ist hierbei die vorteilhafte 
Lage, die es ermöglicht, sowohl zum Tal des Rio Manso im 
Norden, wie auch zum Tal des Puelo im Süden in kurzer Zeit 
zu gelangen und auf diese Art eine relativ leichte Verbindung 
mit Chile herzustellen. 

Was hier bei etwas Arbeit, Fleiß und Umsicht geleistet 
werden kann, hat ein Deutsch-Chilene, Don Jorge Hube, be- 
wiesen. Don Jorge, wie er kurz genannt wird, hat sich mit 
seiner zahlreichen Familie in dieser wunderbaren Alpengegend 
vor sechs Jahren niedergelassen. In Haus und Wirtschaft 
walten dort deutscher Geist, deutsche Sauberkeit und Ordnung. 
An das gefällige, aus Brettern und Bohlen erbaute kleine Wohn- 
gebäude, dessen Giebeldach aus grünem Laubwerk idyllisch 
hervorschaut, schließt sich eine Mühle mit Wasserbetrieb. Rau- 
schend und schäumend stürzt ein Gebirgsbach aus dunkler Kluft 
herab und setzt eine Turbine in Bewegung, die nicht nur für 
die Einrichtung zum Mehlmahlen, sondern auch für eine Ma- 
schine zum Reinigen von Getreide die treibende Kraft abgibt. 
Etwas weiter entfernt hiervon steht ein großer Schuppen mit 
Strohdach zur Aufnahme von Weizen und anderen Landwirt- 
schaftserzeugnissen. Der hier angebaute Weizen gedeiht vor- 
trefflich. Von einem Sack Aussaat ergibt die Ernte ungefähr 



— 35 ^ 

15 — 16 Sack. Und ebenso wie Weizen geben alle Sorten von 
Gemüsen und Früchten gute Resultate. In dem großen Garten, 
der hinter dem Hause an die Berghalde sich anlehnt, habe ich 
dies gesehen. Da ranken sich zunächst 500 Hopfenpflanzen 
auf großer Fläche. empor, die bis jetzt hinsichtlich der Erträge 
alle Erwartungen übertroffen haben. Da wachsen Äpfel und 
Birnen, Pfirsiche und Kirschen; verschiedene Arten von Nuß- 
bäumen sind vorhanden. Da trifft man alle europäischen Ge- 
müsesorten an, Bohnen, Kohl, Erbsen, Mohrrüben, Tomaten, 
ferner Kartoffeln, Kürbisse usw. 

„Es ist hier alles möglich", sagte mir der alte Don Jorge; 
„natürlich ohne Arbeit ist es nichts, und die meisten scheitern 
daran, daß sie glauben, man könne ohne Fleiß und Mühe, 
ohne Ausdauer hier zu etwas kommen. Die Natur gibt eben 
nichts umsonst. Aber alles kann hier wachsen und gedeihen. 
Was uns fehlt, ist nur eine gute Verbindung, bessere Ver- 
kehrsgelegenheit. Das, was ich jetzt an Vieh, Getreide, Ge- 
müse und Früchten besitze, könnte ich dann verzehnfachen 
und verhundertfachen, weil mir dann der Absatz möglich ge- 
macht ist und ich für den Verkauf auf dem Absatzmarkt wirk- 
lich produzieren kann." 



IV. 

Zum Lago Mercedes. 

Am nächsten Morgen befand ich mich auf dem Ritt nach 
Süden, nach dem sog. „Hoyo^^, d. h. Grube, Loch. Es ist 
dies das südHche Ende des Valle nuevo, das hier eine kessel- 
artige Vertiefung auf nur 232 m Meereshöhe bildet. Der 
Boden des mächtigen Talkessels ist sumpfig, wird vom Rio 
Epuyen durchflössen und von fast senkrecht aufsteigenden 
rissigen Gebirgswänden umgeben, deren wilde Schluchten und 
Kämme guten Baumwuchs tragen. Die Ränder der unteren 
Berglehnen dieses Tales sind bewohnt. Chilenen haben sich 
hier niedergelassen und treiben Ackerbau und Viehzucht. Hin- 
sichtlich des ersteren wird nur Weizen angebaut, der von einem 
Sack Aussaat ungefähr 15 — 17 Sack Ernte ergibt. Der schwärz- 
liche, tiefgründige Boden ist ausgezeichnet. Wenn einerseits 
seine niedrige Lage ihn als Weideland für Viehzucht in erster 
Linie geeignet macht, so birgt dies andererseits den großen 
Nachteil in sich, daß er größtenteils aus Sumpfländereien be- 
steht, die schwer passierbar sind. Im Winter, wenn die Regen- 
güsse herniederströmen und die Gebirgsbäche herabrauschen, 
befindet sich dieses ganze herrliche und fruchtbare Tal monate- 
lang unter Wasser; jeder Verkehr ist dann gehemmt. In der 
Winterszeit fällt auch Schnee, oft bis zu 20 cm hoch, bleibt 
indessen nur 3—4 Tage liegen, da das Klima im allgemeinen 
milde und warm ist. Aber auch im Sommer sind, wie sich 
denken läßt, die Verkehrsverhältnisse innerhalb dieses von der 



— 37 — 

Natur so reichlich ausgestatteten Stückchens Erde gerade nicht 
die besten, und die vorhandenen Sümpfe und Moorstrecken 
werden dem ahnungslosen Reiter oftmals zum Verderben. Ich 
habe das leider selbst am eigenen Leibe erfahren müssen, trotz- 
dem ich mir der Sicherheit halber noch einen wegekundigen 
Führer, der dort im „Hoyo" wohnte und genau Bescheid wußte, 
gemietet hatte. Nur sehr vorsichtig und langsam konnten 
wir uns damals mit unserer Tropilla vorwärtsbewegen. Die 
aus dichtem Gras und verfilztem Wurzelwerk bestehende Moor- 
decke bog sich bedenklich unter dem Gewicht von Roß und 
Reiter. Bald brach ein Pferd, bald ein Maultier durch und 
blieb im Sumpf stecken. Und dann bei jedem Schritt das Un- 
gewisse, Trügerische mit der stillen Frage : Wird dieser weiche, 
zitternde Boden, dieses Blendwerk des Teufels auch halten? 
O ja, er hielt noch an dieser Stelle und schon an jener, viel- 
leicht nur einen Schritt rechts oder links davon lauerte die 
bodenlose Tiefe unter grünen Gräsern und Blättern heimtückisch 
auf ihr Opfer. Das war kein fröhliches Reiten mehr. Man 
hatte das Gefühl, als ob jeden Augenblick etwas Unheimliches 
einem in den Nacken springen wolle, und als wir nach etwa 
zweistündigem Ritt auf Kreuz- und Querpfaden gleichsam in 
Schlangenlinien, die fast in sich selber zurückliefen, auf der an- 
deren Seite wieder festen Grund unter den Füßen fühlten, 
kam mir das sonst so wunderbare Tal plötzlich wie ein bös- 
artiger, grauenhafter Hexenkessel vor. Selbst unsere Tiere 
schienen guter Laune zu werden. Mein Grauschimmel hob 
den Kopf und wieherte, und wie auf ein verabredetes Zeichen 
antwortete der Rotfuchs vorn in der Tropilla und blähte die 
Nüstern, legte die Ohren an, schaute links und rechts und 
trabte dann nach einigen lustigen Sprüngen mit erhobenem 
Schweif den steinigen Abhang in die Höhe. Ihm folgte die 
ganze Tropilla, scheinbar froh, heiler Haut, nur mit nassen, 
schmutzigen Beinen und Bäuchen dem heimtückischen Moor- 
land entronnen zu sein! Hoch oben im Bergland aber, etwa 



— 38 — 

685 m über dem Meeresspiegel, am Rande einer saftig-grünen 
Waldebene, machten wir kurze Rast. Freier und frischer wehte 
hier die Luft. Ich rauchte behaglich meine kurze Pfeife; 
der Chilene Arregada drehte sich eine Zigarette, und die Tiere 
weideten gemächlich im fetten Grase. 

Glänzend und klar war die Sonne hochgestiegen. Vor 
mir tief unten lag der Talkessel, bedeckt mit einem grauen 
Nebelschleier, so daß er aussah wie ein Gebirgssee. Ein 
Windstoß fegte über die Hochfläche die Schlucht hinab, und 
wie ein Schauer rann es durch die Wipfel der Bäume und über 
die zitternden Grashalme; und unten auf dem unheimlichen 
Zaubersee wallte und wogte es, und bläulich weiße Wasser- 
nebel stiegen aus dem Tale auf und zerteilten sich in feine 
Dunstschleier, die im lichtdurchfluteten Äther zu nichts zer- 
flatterten. 

Über Steinpampas und Grasflächen bin ich dann geritten, 
über hohe Felsen und Klippen hinab in jähe Schluchten. Durch 
prächtigen Hochwald führte der Pfad hinunter zum breiten 
Tal des Epuyenflusses, der seine Fluten wie im Übermut über 
Steine und Felsen springen läßt und dann die lärmenden und 
tosenden zum Lago Puelo hinabschickt. Die Krümmungen 
und Biegungen dieses lustigen Gebirgswassers sind derartig, 
daß wir innerhalb einer Stunde sein Bett fünfmal passieren 
mußten. Auf dem Ostufer schieben sich die Bergmassen zu 
einem 2095 m hohen Gebirgsstock zusammen, während auf 
dem westlichen Ufer der Cerro Pirque mit 1870 m sich aus 
dem wirren Knäuel von Kuppen und Rücken und Kämmen 
emporhebt. Steil geht es hinauf, um jenen vorgenannten Stock 
herum, direkt nach Osten, dann wieder mehr und mehr süd- 
wärts über einen Sattel hinab in das liebliche Tal des Lago 
Mercedes, der, früher Filiquitreu genannt, 618 m über dem 
Meeresspiegel gelegen ist. 

Von weitem schon blitzen seine Silberwellen durch das 
Dunkelgrün der Zypressenwaldungen hindurch. Unten aber 



an seinen Ufern unter den schattigen Bäumen an senkrechter 
Felswand weht ein Hauch von feierlicher Stiüe; leise, ganz 
leise rauschen dazu die Wasser des Sees ihr betörendes Zauber- 
lied, zart schwingend in eigenartigen Rhythmen. Und drüben, am 
anderen Ufer steht eine einsame Hütte; durch die Tür glänzt 
ein Feuerschein, und aus dem Dache kräuselt sich ein leichter 
Rauch hinauf zur beginnenden Dämmerung. 




Am Lago Mercedes. 

In stummer Bewunderung blicke ich von einer Anhöhe hin- 
ab auf dieses prachtvolle Bild der Ruhe und des Friedens dort 
vor mir. Allmählich zerrinnt das Tageslicht, und 
„Schwarze Schatten sinken 
Hinab, bis sie 

Vom kühlen Wasser trinken." 
Ein Junge von 12—13 Jahren, mit einem mächtigen alten 
Filzhut auf dem Kopf und Riesensporen an den nach Luft 






vhri^rr^ß^nd^n V»<*f<*!n, k/'/mmt herlvn anrf ^uckt mich aeu- 

huf-n^^ n^f<hf'^, \f:f.ot/* 

Wfr wohnl hier?*^ 
t>^r t^Umf ftnt^orlf^ etwa^, 30% dem ich so was ähnliches 
w»^: ,/vfMil/'' ^Kl^'f iU'f'^U'vMfrn entnehme. 

„M;», h;f, w^hrvhfinlich ein Ix-utscher/* denke ich. 

^J^iwohl, Äf'nor, aber er ist krank/' 

„Nrt, denn vamo<i!'' 

N;i('h wrni^rn Minuten begrüßte ich den kranken Besitzer 
in «i^jnf^m BHt, 

Ir M rin l^cutHch« Chilene namens Schultheiß und ver- 
hvUiiivi mit einer Chilenin. Vor ungefähr fünf Jahren ist 
er hrfiiher^e/ogen, hat erst weiter oben nordöstlich vom See 
Aich ftleder^ela.H.Hen und dann vor nicht langer Zeit am Gestade 
<lec» I/i^o Mercedes selbst seine Hütte gebaut. Hier sei es 
nielll so windig wie dort oben, erzählte er mir; auch sei die 
MriMif«»l(litl^un^ des Viehs hier unten nicht so schwierig wie 
dort. Selfi Hesit/ erstrecke sich ungefähr auf 1 Legua = 25 
(^lutdiatkliottieter Land. Angefangen habe er mit nichts, rein 
y«i' iilehls. Jel/.t besitze er schon mehr als 600 Stück Rinder, 
ttllllerdefti viele Schafe, Ziegen und mehr als hundert Schweine. 

„Ich witrde mir schon alles gut und ordentlich eingerichtet 
hrthen,** so fuhr er fort, „aber ich habe noch nicht meinen 
He^ll/tltel von der argentinischen Regierung erhalten können 
(nul NvelU daher nicht, ob ich hier bleiben darf. Das ist eben 
daM \i\'{)lW l'lend für uns Ansiedler, dieses beständige Warten 
auf liloilij^jun^ unserer Angelegenheiten, dies ewige Schweben 
in Un^owiUheit/* 

Wir plauilertcn lange an jenem Abend. In einem becher- 
aMi^en Hleeh^efaH befandoi\ sich Stücke von Hammelfett und 
da» aus ra^le eine Art IX>cht hervor, fingerdick, zusammen- 



— 41 — 

gedreht aus irgendwelchen Lappen und mit geschmolzenem 
Fett durchtränkt. Diese primitive, auf einer alten Kiste stehende 
„Lampe", die ich übrigens in jenen abgelegenen Gegenden 
überall angetroffen habe, verbreitete ein trübes, flackerndes 
Licht in dem kleinen Schlafraum. Sättel und Zaumzeug, Lassos 
und Stricke und Riemen liegen in einer Ecke oder hängen 
an den kahlen, niedrigen Wänden. Mitten in dem zweiten, 
größeren Raum der Hütte, der als Küche, Wohn- und Eß- 
zimmer dient, knistert ein Feuer am Boden. 

Der freundliche Gastwirt liegt im Bett und ich sitze lang- 
gestiefelt und gespornt auf einem mit Schaffellen bedeckten 
alten Sattel und mir gegenüber nahe der „Lampe" hat sich die 
Frau des Hauses auf einem Schemel niedergelassen. Pechschwarz 
ist ihr Haar und dunkelbraun sind ihre Augen. Die Gesichts- 
züge tragen noch heute den unverkennbaren Stempel einstiger 
Schönheit. Die Frau spinnt — spinnt mit der einfachen Spindel 
die weiche Schafwolle zu feinen Fäden, von denen sie später 
Strümpfe und Jacken strickt für ihren Mann und ihren kleinen 
Jungen. Denn im Winter sei es kalt und da müsse man sich 
warm anziehen, namentlich wenn die wilden Stürme von den 
vereisten Kordilleren über das Land daherbrausen. Und dann 
erzählte sie von ihren Schafen und Ziegenherden, und wie 
jedes Tier sie kenne und auf ihren Zuruf angelaufen käme. 
Und wie schönes Gemüse sie hier bauen könnten und daß sie 
letzthin sogar in ihrem Garten Kümmel geerntet haben. Und 
daß der Weizen hier sehr gut gedeihe. Nur sei die Entfernung 
nach der Mühle in Bolson so groß und der Weg sei so schwierig. 
Insbesondere im Winter sei das sehr beschwerlich. 

Und inzwischen brachte der kleine Junge mit den Riesen- 
sporen dienstfertig vom Feuer her den Mate, und immer wieder 
erfolgte ein neuer Aufguß. Unermüdlich hüpften die gelb- 
rötlichen Lichter vom flackernden Feuer an den Wänden ent- 
lang, spielend, sich haschend wie in ausgelassener Freude über 
das stille, zufriedene Glück in ärmlicher Hütte hier weit, weit 



— 42 — 

fort vom großen Weltengetriebe. Wir schwatzten und er- 
zählten und plauderten, ohne zu wissen, daß es inzwischen 
schon recht spät geworden war. Ich entbot darauf meinen 
Wirtsleuten eine „gute Nacht", ging in den Küchenraum und 
streckte mich neben dem Feuer auf mein Lager, d. h. ich 
wickelte mich in meinen Poncho, legte mich auf ein Schaffell, 
das auf der Erde ausgebreitet war und schob den Sattel unter 
den Kopf. Allmählich verglimmte das Feuer; knisternd unter 
etlichen Funken zersprang ein Ast, und dann wurde es dunkel 
und still. Nur draußen rauschte es unablässig in den Wipfeln 
der Buchen und Zypressen; zuweilen drang von fern her das 
dumpfe Brummen eines Rindes zu mir herüber. Durch die 
halboffene Holztür, durch Löcher im Dach und in den Lehm- 
wänden schimmerte es hell, und mondlichtbeflutet, märchenblau 
verdämmerte die Nacht. 



V. 

Vom Lago Mercedes nach Cholila. 
Mariläo. Am Rio Percey. 

Südlich vom Lago Mercedes nimmt die Gegend immer 
mehr gebirgigen Charakter an. Eine sattelartige Vertiefung 
führt über mehrere Erhebungen an zerrissenen Felswänden 
vorbei. 

Granit und quarzitischer Sandstein treten hier vielfach zutage, 
und zwischen hellschimmernden Steinblöcken und grobem Ge- 
röll erheben sich dunkelgrüne Waldflecke, bestehend aus Zy- 
pressen und Coihuebäumen. In dunstig blauer Weite leuchtet 
der zackige Kamm des Gebirgsrückens mit seinen schneebedeck- 
ten Spitzen und Kuppen. Und über der herrlichen, freien, 
lichten Landschaft liegt eine erhabene Ruhe, die nichts hören, 
nichts merken läßt von den rasenden Pulsschlägen des großen 
Lebens, die den Gedanken sorgsam zurückdrängt, daß Kultur 
und Zivilisation den Menschen zur intelligentesten, aber auch 
zur grausamsten Bestie gemacht haben. — 

Mitten in dieser wunderbaren Alpenwelt wohnt ein Indianer 
namens Mariläo. An einem Bache, der in den Epuyen mündet, 
in ca. 320 m Meereshöhe, hat er seine einfache Hütte auf- 
geschlagen und führt hier das idyllische Leben eines Vieh- 
züchters und Ackerbauern. Als ich dort unerwartet wie eine 



— 44 — 

Bombe einfiel, traf ich die ganze Familie, Urahne, Groß- 
mutter, Mutter und Kind im wahren Sinne des Wortes, 
bei der Arbeit. Es wurde Weizen gereinigt. Auf einem 
eingezäunten Platz mit festgestampfter Erde befand sich 
ein hoher Haufen jener goldgelben Kömer. Zwei Männer 
nahmen abwechselnd davon mit großen Schaufeln ein gewisses 
Quantum heraus und warfen es hoch in die Luft. Der Wind 
blies dann die leichtere Spreu hinweg, während die schwereren 
Körner zu Boden fielen. Hier saßen die Weiber und Kinder 
und kehrten den so gereinigten Weizen zu einem andern Haufen 
zusammen. Mit Interesse betrachtete ich eine Zeitlang die 
Arbeit und Menschen ; dann hatte mich eines der braunen Kinder 
erblickt, kroch schreiend hinter eine große, üppig gebaute Frau, 
die ein rotes Tuch fest um den Kopf geschlungen hatte, um ihr 
schwarzes Haar vor Staub und Spreu zu schützen, und schaute 
ängstlich zu mir herüber. Das dunkle Gesicht der Mutter 
wandte sich zu mir. Zwei große, blitzende Augen sahen mich 
fragend, fast vorwurfsvoll an; dann ging ein Flüstern durch die 
kleine Versammlung; scheue Blicke flogen zu mir. Die Arbeit 
wurde wie mit einem Schlage abgebrochen. Die Kleinen 
drückten sich hinter die Großen und diese drehten mir den 
Rücken zu, ließen mich also verachtungsvoll ihre Rücksicht 
genießen, die nun keineswegs danach angetan war, mir etwas 
des Interessanten zu bieten. 

Ich war zerknirscht. Da erschien wie ein rettender Engel 
das Familienoberhaupt Mariläo, begrüßte mich freundlich und 
lud mich zu einer kurzen Rast in seine bescheidene Hütte ein. 
Dort saßen wir auf Fellen und Decken und selbstgefertigten 
Ponchos am nie verglimmenden Feuer, dessen Rauch mir die 
Augen beizte, daß sie tränten, mir den Atem raubte, daß ich 
fortgesetzt husten mußte. Denn Schornsteine gibt es da nicht. 
Rauch und Qualm suchen sich ihren Weg nach Belieben durch 
das Dach oder eine zufällig vorhandene Öffnung der Seiten- 
wände oder bleiben auch gern im Innern der Hütte, wenn Wind 



4Ö 



und Witterungsverhältnisse einen Abzug nach draußen nicht 
gestatten. Bald erschien die Frau des Hauses, eben jene mit 
dem roten Kopftuch, unter dem zwei rabenschwarze, lange 
Flechten über die Schultern herabfielen. Das bräunliche Oe- 





''' '4^^^l 




^ 




r 



Indianermädchen. Tochter von Mariläo. 



sieht konnte schön genannt werden; Mund und Kinn waren 
wohigeformt, und die leicht gebogene Nase äuBerst fein ge- 
schnitten. In den Ohren hing Silbergeschmeide von auffallen- 
der Größe und in Gestalt viereckiger Platten; das faltenreiche, 
weite Gewand war am Halse mit silbernen Ketten und Spangen 



— 46 — 

zusammengehalten. Was meine Aufmerksamkeit am meisten 
fesselte, das waren die tadellos weißen Zähne hinter den 
frischen Lippen und die außergewöhnlich kleinen, in der Tat 
schön gebildeten Hände. Stolz, erhobenen Hauptes trat dies 
dunkle Weib herein; ein forschender Blick aus ihren großen, 
schwarzen Augen musterte mich von oben bis unten, dann 
senkten sich die schwarzen Wimpern und ein leise gesprochenes 
„Buenos dias" tönte zu mir herüber. Darauf reichte sie mir 
den Mate, nickte ihrem Manne zu und verließ schweigsam in 
stolzer Haltung den Raum. 

Mariläo ließ es sich nicht nehmen, mich, der ich des 
Weges unkundig war, trotz meines Führers, bis nach Cholila 
zu begleiten. Dies war mein nächstes Reiseziel. Es gäbe da 
schwierige Stellen und Sümpfe, die sehr gefährlich seien, und 
er könne daher nicht dulden, daß ich allein reite; er wolle mit- 
kommen — so ungefähr setzte er mir seine Beweggründe aus- 
einander. Na, in Gottes Namen! mir konnte das Anerbieten 
ja nur angenehm sein. 

So stiegen wir denn in den Sattel und schlängelten uns 
am linken Ufer des vorerwähnten Baches einen ziemlich steilen 
Bergabhang hinauf, bis wir nach vielen und scharfen Windun- 
gen zu einem mächtigen Hochplateau gelangten, das 700 bis 
730 m über dem Meeresspiegel gelegen ist. Der hochstämmige 
Baumwuchs verschwindet allmählich; nur niedriges Gestrüpp 
zieht sich am Fuß und an den Hängen der Bergzüge hin, die 
eine gewaltige, mit hohem Gras bestandene Pampa einschließen. 
Der größte Teil — und zwar der beste — dieses außerordent- 
lich fruchtbaren Weidelandes gehört, wie das ja so im all- 
gemeinen Gebrauch ist. Nordamerikanern und Engländern. Von 
Deutschen, wie gebräuchlich, keine Spur! Mehr als 16 Leguas, 
also ungefähr 400 Quadratkilometer befinden sich in Händen 
einer englischen Gesellschaft, die hier Rindviehzucht betreibt 
und eine große „Estanzia" besitzen soll. Die Herren leben 
in London und verzehren dort gemächlich ihr Einkommen aus 



— 47 — 

jener sog. „großen Estanzia", die in Wirklichkeit aus zwei er- 
bärmlichen Hütten besteht und von ganzen drei Personen 
(Knecht, Aufseher) bewohnt wird. 

Im Trab und Galopp fegen wir mit unserer Tropilla über 
die grüne Ebene dahin. Üppiges Gras überall, soweit das Auge 
reicht; hier und da einige Rinder; zur Abwechslung dann wieder 
ein einzelner, moosbedeckter Granitblock, hinter dem ein dicht 
belaubter Strauch hervorgesprossen ist. Einige Geier kreisen 
in der klaren Luft; vielleicht liegt dort unter ihnen ein ver- 
endetes Kalb. Sonst aber alles leer, unbewohnt. Vergebens 
spähe ich nach einem menschlichen Lebewesen auf diesen weiten 
Gefilden, die so sonnig und so farbenprächtig zu dem flimmern- 
den Himmel hinaufzuträumen scheinen. Fünf Stunden waren 
wir geritten. Wir haben noch ein breites, sumpfiges Tiefland 
zu passieren und halten dann vor dem Hause des Polizeikommi- 
sars Bonanseo, das hart am Rande des lieblichen Cholilatales 
auf einer terrassenförmigen Abplattung der jenseitigen Berg- 
lehne, ca. 580 m über dem Meeresspiegel liegend, erbaut ist. 

Was ich schon früher von Bolson bzw. dem „Valle nuevo" 
sagte, gilt auch für Cholila. Auch hier sind die natürlichen Vor- 
bedingungen vorhanden, die in nicht langer Zeit auf diesem 
fruchtbaren Boden die Erstehung eines wirtschaftlichen Zen- 
trums begünstigen werden. Außer Viehzucht wird der Anbau 
von Weizen mit Erfolg betrieben. Einer der wenigen Be- 
wohner, ein Österreicher namens Zeltmann, hat auch mit Hafer 
vorzügliche Resultate erzielt, und die Gemüsezucht in allen 
ihren Arten ist allgemein, natürlich auch nur in dem Maße, 
wie es der eigene Hausbedarf erfordert. Auch hier besteht die 
Bevölkerung aus Chilenen; nur drei Familien machen eine Aus- 
nahme, zwei argentinische und die des obengenannten Öster- 
reichers. Die einzelnen Wohnungen, die durchweg den Ein- 
druck hübscher Bauernhöfe machen, liegen weit auseinander, 
meistens am Rande des Talbodens, dort wo er an den felsigen 
Fuß des Gebirges stößt und in leichten Wellungen oder Fal- 



— 48 — 

tungen sich nach aufwärts krümmt. Denn weiter unten, wo 
der Cholilafluß mit seinen Bächen nach Südwesten zum Lago 
Rivadavia strömt, ist das Land sumpfig und zum größten Teil, 
insbesondere im Winter, unpassierbar. Man könnte es dort 
mit einer großen, sumpfigen Wiese vergleichen, die mit ihren 
saftigen Gräsern, namentlich dem sog. „pasto de maliin" und 
den verschiedenen Schilfarten zur Viehzucht wie geschaffen 
erscheint. Während man sich bisher um die Verwertung des 
Wiesengrases herzlich wenig kümmerte und die Natur schalten 
und walten ließ, wie es dem lieben Herrgott gefiel, hat man 
jetzt damit begonnen, das hohe, kräftige und saftige Mallingras 
zu schneiden und als Heu für die Wintermonate in großen 
Schuppen aufzubewahren. Denn wie es scheint, sind die Monate 
Mai, Juni, Juli, August und teilweise September sehr regenreich 
und auch verhältnismäßig kalt. Im vorigen Jahr (1904) z. B. 
betrug der Regenfall 



im Mai 


90,0 


mm 


„ Juni 


182,5 


;; 


„ Juli 


223,1 


tr 


„ August 


79,4 


}t 


„ September 113,7 


}i 


Die Durchschnittstemperatur der einzelnen Monate ergab für 


Januar 1904 


20,21 « Celsius 


Februar 


16,28« 


tt 


März 


12,74« 


f) 


April 


9,86« 


• 

tt 


Mai 


7,04« 


tt 


Juni 


5,40« 


tt 


Juli 


2,63« 


tt 


August 


4,22« 


tt 


September 


6,23« 


tt 


Oktober 


8,30« 


tt 


November 


11,66« 


tt 


Dezember 


15,39« 


tt 



— 49 — 

Dabei wurde ein Maximum gemessen von: 

29,9° Celsius im Dezember 
34,8° „ „ Januar 
32,6° „ „ Februar 
und ein Minimum von: 

— 6,9° Celsius im Mai 
-7,0° „ „ Juni 

-11,5° „ „ Juli 

— 5,6° „ „ August 

Während meiner Anwesenheit in Cholila, also im Monat 
März 1905, betrug die mittlere Monatstemperatur 13,64^ C. mit 
einem Maximum von 28,3 und einem Minimum von — 6,0^ C. 
Die Regenhöhe war in demselben Monat, d. h. März, 49,0 mm. 
Aus allem wird ersichtlich, daß hier ein völlig europäisches 
Klima herrscht, nicht mit erschlaffender Hitze, sondern mit einer 
mäßig warmen und erträglichen Sommertemperatur und einem 
Winter von gesunder, erfrischender Kälte. Auch sonst erinnert 
das ganze Aussehen dieser Gegend an ein schönes Hochtal 
der Alpen. 

Als ich am nächsten Tage hoch oben auf dem ersten 
Absatz des östlichen Grenzgebirges stand, etwa 775 m über 
dem Meeresspiegel, erschloß sich meinem Blick die herr- 
lichste Alpenlandschaft in all ihrer Schönheit. Vor mir 
glänzten und glitzerten aus bläulicher Niederung, teilweise ver- 
steckt hinter vorgedrängten Hügeln und Bergreihen, die Spiegel 
der Laguna Mosquitos und des Lago Lezana, und weiter nach 
Westen öffnete sich zwischen aufgetürmten Felsenbergen das 
breite Tal zu einer grandiosen Fernsicht auf den Lago Cholila. 
Wie ein kurzer, schmaler Silberstreifen erscheint er in dem 
feinen, duftigen Nebeldunst, der sich wie ein zarter Zauber- 
schleier auf das 530 m hoch liegende Gebirgstal gebreitet 
hat; und ringsherum haben sich die gewaltigen Schnee- und 
Eisriesen gruppiert, wie die schweigsamen ernsten Hüter eines 
verborgenen Kleinods. Von den drei weißen Zacken des 2600 

Vallentin: Chubut 4 



50 



Meter hohen Tres Picos flimmert es herab, und in tausenden 
von Lichtpunkten strahlt es hernieder auf diese zitternde, reine 
Atmosphäre, mit der die Natur die Werke der Ewigkeit um- 
geben hat. 

Hinter mir aber steigt in jähen Absätzen ein Gebirge empor; 
die Lelejkette, deren einzelne Kuppen sich bis zu 2100 m in die 
Höhe recken, und die an ihrer schroffen Ostseite das Quell- 



_4 


^ 




felj:'-- 


^ 


f 



Im ChoHlafa!. 

gebiet der vielen Zuflüsse des Chubutstromes birgt. In einem 
Bogen von Nordosten nach Südwesten zieht sich das wild zer- 
rissene Gebirge bis zum Cerro Rivadavia am gleichnamigen 
See, nachdem es drei fast parallel miteinander laufende Höhen- 
züge abgezweigt und nach Süden entsandt hat. Große Längs- 
täler sind hierdurch gebildet, und hauptsächlich in diesen liegt 
die Kolonie „16de Octubre". 



— 61 — 

Einen schwindelnden Berghang keuchten unsere Tiere hinan, 
ehe wir einen zweiten Absatz auf der Westseite der Lelejkette 
erreichten. Die Flächenbildungen bei diesem terrassenförmigen 
Aufbau des Gebirges sind gewaltig. Überall auf jenen pampa- 
ähnlichen Ebenen sprießen die Coiröngräser zwischen dem 
gelbbraunen Steingeröll hervor; Nirre (Nothofagus antarctica) 
und dornige Calafätebüsche (Berberis buxifolia), Michäi- 
sträucher mit langen Dornen und schlehenartigen, schwarzblauen 
Früchten kriechen in Schluchten und Senkungen hinein und ver- 
lieren sich höher hinauf im Hochwald. Wie einzelne vorge- 
schobene Posten erscheinen die Waldflecke bei etwa 800 m 
über dem Meeresspiegel. Der Nirrestrauch zeigt hier schon 
kräftigeren und höheren Wuchs, und bald wölbt sich über mir 
ein grünes Laubdach, und ich reite zwischen hochstämmigen 
Bäumen dahin. Hauptsächlich sind es Buchenarten, die hier 
wachsen, namentlich sog. Lingue (Nothofagus pumilio), die eine 
Höhe von 20 — 30 m erreichen. 

Schwieriger wird der Pfad, und höher und immer höher 
steigen wir ; die Maultiere vorn, denn sie sind die geschicktesten 
Pfadfinder namentlich im Qebirgsterrain, dann die Pferde, eins 
hinter dem anderen, vorsichtig tastend an gähnenden Abgründen 
vorbei; darauf folgt mein Chilene Arregada und zuletzt ich. 
Polternd stürzt ein Felsstück in die Tiefe, das sich unter den 
Hufen eines Tieres gelöst hat. Erschreckt spitzt letzteres die 
Ohren, schielt aufmerksam zur Seite, schlägt dann wie be- 
ruhigt mit dem Schweif seine Flanken und keucht langsam 
weiter. Der Boden ist hier streckenweise mit grobkörnigem, 
gelbem Sand bedeckt, während weiter oben an den Gipfeln 
sandiges Gestein von greller, rötlichgelber Farbe zutage tritt. 
Schichten von schiefrigem Ton und Lehm sind darin enthalten, 
gemischt mit Konglomeraten, in denen sich eingebettete Quar- 
zite und Granitstücke vorfinden. 

Wir haben hier eine Höhe von 1105 m erklommen. Eine 
schmale, jochartige Vertiefung führt zwischen zwei Kuppen hin- 



.t^-'^ 



— 52 — 

durch. Eine Zeitlang geht es abwärts über eine baumlose 
Sandfläche, dann aber durch Gestrüpp in den Hochwald hinein 
und einen fast kegelförmigen Berg hinauf, der mit Steilabfällen 
versehen ist. Tief unten in dunkelblauer Kluft schimmern ge- 
spensterhaft bleiche Baumstämme und Steinblöcke, und jen- 
seits an den Hängen sind abgestorbene Waldungen wie in 
grauweißen Flächen hingebreitet. Des Feuers Macht hat hier 
gewütet. Aus duftigen, grünen Wäldern hat es zerstörend 
ein ödes, trauriges Totenfeld geschaffen, auf dem tausend und 
tausende von halbverkohlten Baumstämmen und Ästen wie 
weiße Riesengerippe in der Sonne bleichen. 

Nach etwa dreistündigem Ritt haben wir endlich den höch-^ 
sten Kamm erreicht. Unter schattigem Laubdach wird eine 
kurze Rast gemacht. Ich messe hier um 12 Uhr mittags eine 
Temperatur von 25® C. und berechne nach dem Barometer 
eine Höhe von 1225,0 m über dem Meeresspiegel. 

Mit viefer Mühe und Not hatten wir endlich unsere Tiere,, 
die sich heute besonders widerwillig zeigten, eingefangen, die 
Pferde gesattelt und die Maultiere bepackt, und senkten uns 
jetzt langsam auf stark gewundenem Pfade — wenn man über- 
haupt von einem solchen sprechen kann — auf der Südostseite 
des Gebirgs hinab. In südlicher Richtung ritten wir, bis wir 
zum Quellgebiet des Rio Percey gelangten. Das Gelände ist 
hier sehr gebrochen; bergauf und bergab geht es im buch- 
stäblichen Sinne des Wortes; jetzt in enger Schlucht tief unten 
am felsigen Flußbett, dann hoch hinauf über jäh abstürzende 
Steinwände an kahlen Bergflanken vorbei. Hier starren nackte 
Felsenmauern trostlos ins Weite; dort kauern in Ritzen und 
Spalten ängstlich niedrige Dornbüsche; und unten, eingeengt 
durch Klippen und Trümmermassen, lärmt und tost das Ge- 
birgswasser, und sein Brausen klingt herauf zu mir wie das 
dumpfe Stimmengewirr eines zornigen unterirdischen Geister* 
heeres. 

Die Vegetation wird allmählich schwächer. Zuweilen noch 



— 53 — 

erscheinen die Abhänge wie mit einem dichtgewebten Teppich 
bedeckt, prangend in den verschiedensten Farben, vom tiefen 
Dunkelgrün mit allen Abstufungen bis zum hellsten Qelb; da- 
zwischen rostbraune Flecke, rote Streifen und Flächen mit 
weißen Punkten; und aus dieser natürlichen Farbenharmonie 
schaut grünes Moosgestein hindurch auf rötlichgelbem Sand- 
grunde. Dann aber nehmen die hellen sandigen Stellen mehr 
und mehr an Ausdehnung zu, und bald wird die ganze Gegend 
öde, kahl. Wie frisch aufgeschüttete Qräber ohne jeden 
Schmuck, so reihen sich jetzt langgestreckte nackte Hügel an- 
einander und türmen sich hintereinander auf, unheimlich drohend 
in ihrem kalkigen weißlichgrauen Totenkleid. Eine unsagbare 
Schwermut liegt auf dieser wildzerklüfteten, aufgewühlten Ein- 
öde; alles Leben scheint erstorben und jeder Laut verhallt 
wie Traumesflüstern. Ein hoher Steilabfall gebietet plötzlich 
Halt. Der Höhenzug endet hier in einem plateauartigen Vor- 
sprung mit fast senkrechten Wänden, an deren Fuß der Rio 
Percey vorbeieilt und überschäumend vor Freude sich mit einem 
wilden, von Osten kommenden Gebirgsbach vereinigt. 

Es ist gegen 6 Uhr abends. Wir machen Halt und satteln 
ab. Bald loht ein Feuer zum Abendhimmel auf; im kleinen 
Kessel brodelt das kochende Wasser für den Mate; am Spieß 
brät prasselnd ein Stück Hammelfleisch. Uns mundet das 
frugale Mahl nach dem heutigen Ritt vortrefflich. Das lange 
Dolchmesser, das einzige Eßinstrument, dessen man sich hier 
bedient, wird am Reitstiefel abgewischt und in den Gürtel ge- 
steckt; verschiedene Mates werden geschlürft, wobei geschwatzt 
und geraucht wird, und dann sehen wir noch einmal nach den 
Tieren, die in einer Seitenschlucht ihr spärliches Futter suchen. 
Wir begeben uns zur Ruhe. Neben dem Feuer hat Arregada 
mein Nachtlager aufgeschlagen. Der Sattel dient als Kopf- 
kissen; Satteldecke und ein Schaffell sind die Unterlage, um 
nicht direkt mit der Erde in Berührung zu kommen. In meinen 
Poncho gewickelt, lege ich mich auf dies pompöse Ruhebett und 



54 



strecke und recke behaglich meine müden Glieder. Auf der 
anderen Seite des verglimmenden Feuers liegt der Chilene be- 
reits im tiefen Schlaf. Oben aber am Himmelszelt jagen phan- 
tastische Wolkengebilde dahin; in den Schluchten heult der 
Wind, und von unten aus den dunkel gähnenden Wassern rauscht 
und braust es herauf in die schauerliche Einsamkeit, und lang- 
sam und sacht „durch baumlos öde Weiten leisen Fußes geht 
die Nacht". 



VI. 

Die Kolonie „16 de Octubre". 

Und wieder waren wir einen Tag lang geritten über kahle 
Hochplateaus und Graspampas, durch Moorstrecken und stein- 
bedeckte Bergtäler, vorbei an Teichen und Seen, die belebt 
sind von hunderten von Wasservögeln, Reihern, Wildenten 
und Gänsen. Und links und rechts haben sich die Gebirgsriesen 
mit ihren mächtigen Leibern hingelagert und schauen finsteren 
Antlitzes hinauf zum blauen Äther. Und da hinten, weit im 
Westen, erheben •die Kordilleren stolz ihre eisgekrönten Häupter 
mit dem weißwallenden Schneehaar und Greisenbart. Lang? 
sam steigen wir hinab ins Tal des Esguel, der, nach Vereini- 
gung mit dem Rio Percey nach Süden fließend, in den Rio 
Corrintos mündet. Letzterer strömt als Rio Fetaleufü auf chile- 
nischer Seite nach einer scharfen Windung nach Nordwest in 
den Yelchosee und aus diesem in den Stillen Ozean. Fruchtbar 
und grasreich sind die Niederungen sowohl auf der Word-, wie 
auf der Südseite des Corrintos bzw. Fetaleufü; zerrissen und 
zerfetzt die Gebirgsmassen, die in der Hauptsache von Nord nach 
Süd verlaufen und nach Bildung einer Anzahl kleiner Quertäler 
sich bis zum Carrenleufu oder Corcovädo hinabschieben, wo 
sie, entsprechend dem gebogenen Lauf des Flusses, nach Süd- 
west und Südost auseinanderweichen. 

Die höchsten Erhebungen auf diesen Höhenzügen sind der 
Cerro Nahuelpän mit 2145 m über dem Meeresspiegel, der 
Langleyberg mit 1930 m und ihm gegenüber in westlicher Rieh- 



— 56 — 

tung der Cerro Situacion und Asuncion mit ca, 1800 m; fer- 
ner weiter südlich der Cerro Conico mit 2260 m und Cerro 
Greda mit 2000 m. 

Die zwischen den Bergzügen liegenden Täler sind be- 
siedelt, und schon am Esguelbache befinden wir uns in dem 
Gebiet der Kolonie mit dem merkwürdigen Namen „16 de 
Octubre", Ihre Flächenausdehnung belauft sich auf ca. 50 Le- 




Ara Fetaleufii. 



guas, d. h. 1250 Quadratkilometer. Bei der Vermessung der 
einzelnen Lose, die je eine Legua = 25 Quadratkilometer be- 
tragen, ist möglichst der Terraingestaltung Rechnung getragen 
worden; man hat hier von dem Unkenntnis und Faulheit ver- 
ratenden System Abstand genommen, das nur einfach Quadrate 
und Linien auf dem Papier ziehen will, wie das kürzlich noch 
bei anderer Gelegenheit ein Herr allen Ernstes in seiner Bureau- 
kratenweisheit als einfachste und praktischste Methode durch- 



— 57 — 

geführt wissen wollte. In der Kolonie „16 de Octubre" sind 
somit nur die wirklich brauchbaren Ländereien, also die frucht- 
baren Täler, mit Ausschluß der kahlen steinigen Höhen und 
Kuppen, für die Besiedelung herangezogen. 

Der Boden besteht im allgemeinen aus schwärzlicher 
Humuserde, die auf Schichten von Sand und sandigem, tonhal- 
tigem Lehm aufgelagert ist. Vielfach liegt auf dem Humus eine 
Decke von Geröll, bestehend aus quarzitischem Sandstein, zer- 
setztem Feldspat und den Verwitterungsprodukten verschiedener 
Eruptivgesteine. Porphyrmassen treten vielfach zutage. Stellen- 
weise findet sich auch Lavaasche vor, die indessen, nach ein- 
gezogener Erkundigung, erst seit 11 bis 12 Jahren beobachtet 
worden ist. Vor 12 Jahren fand in Chile der Ausbruch des 
Calbucovulkans statt, der in der Luftlinie nur etwa 200 km 
von hier in nordwestlicher Richtung entfernt ist, und da dürfte 
es wahrscheinlich sein, daß die Nordwestwinde jene Lava hier- 
her geführt haben. 

Infolge der günstigen Bodenbeschaffenheit ist diese Kolonie 
nicht nur für Viehzucht, sondern auch für Ackerbau geeignet. 
Bei den mangelhaften Verkehrsverhältnissen und den fehlenden 
Kommunikationsmitteln — die Entfernung bis nach Rawson 
an der Ostküste beträgt 650 km — herrscht natürlich Vieh- 
zucht vor; Ackerwirtschaft beschränkt sich fast allein auf den 
Anbau von Weizen für den eigenen Bedarf. Das gleiche gilt 
von der Gemüsezucht. 

Früchte, Äpfel, Pfirsiche u. a. gedeihen gut; indessen be- 
schäftigen sich die Leute mit derartigen Kulturen aus oben 
genanntem Grunde wenig oder gar nicht. 

Vor Jahren hatten Indianer vom Tehuelchenstamm, die 
mit den Ansiedelungen an der Küste und an der Mündung des 
Chubutflusses Tauschhandel trieben, von dem schönen Lande im 
Innern am Fuß der Kordilleren, von seinem gesunden Klima 
und dem fruchtbaren Boden erzählt. Der damalige Gouverneur 
des Territoriums Chubut, Don L. J. Fontana, beschloß, eine 



— 58 — 

Forschungsexpedition nach jenen noch völlig unbekannten Ge- 
genden zu entsenden. Am 13. Oktober 1885 brach er selbst 
ins Innere auf mit 30 Mann, darunter drei Deutsche, sonst 
meistenteils Galenseransiedler von der Küstengegend, mit 260 
Pferden, mit Proviant und Gerätschaften. Nach dreimonatiger 
Reise erreichte er das Gebirge und kam in ein weitgedehntes 
Längstal, das er „Valle 16 de Octubre" benannte. Im Sep- 
tember des darauffolgenden Jahres genehmigte die National- 
regierung den Antrag des Gouverneurs, in jenem fruchtbaren 
Gebiet eine Ackerbau- und Viehzuchtkolonie zu gründen und 
dort 50 Familien anzusiedeln. Damit war der Anfang, der 
heutigen Ansiedelung geschaffen. 

Schon im Jahre 1895 wurden dort ungefähr 150 Bewohner 
gezählt, von denen 104 Galenser, also Engländer waren. Heute 
beträgt die Einwohnerzahl etwa 45 bis 50 Familien mit mehr 
als 300 Köpfen. Der vorhandene Viehbestand setzt sich zu- 
sammen aus: 

46 265 Schafen, 

28 000 Rindern 
und 7 964 Pferden, 
während der Wert der Gebäude, Ackerbaugeräte usw. auf nahe- 
zu 250 000 Mark zu veranschlagen ist. 

Die Wohnungsverhältnisse sind im allgemeinen als gut 
zu bezeichnen. Da gibt es keine elenden Hütten und ärmlichen 
Unterschlupfe mehr ohne Fenster, ohne Ofen und ohne jede 
andere Bequemlichkeit. Das sind hier durchweg solid kon- 
struierte Bauernhäuser, in denen die von jenseits des Kanals 
mitgebrachte englische Gemütlichkeit, gepaart mit ländlicher 
Einfachheit, ihr Heim aufgeschlagen hat. Hier zum ersten- 
mal wieder auf meinen Reisen im Innern Argentiniens bzw, 
Patagoniens sah ich, daß die Häuser Schornsteine besitzen. Hier 
zum erstenmal bemerkte ich, daß Vorkehrungen gegen die 
kalte Jahreszeit getroffen waren, daß die Wohnräume Heiz- 
vorrichtungen in Gestalt mächtiger Kamine besaßen, deren 



— 59 — 

knisterndes Feuer im Winter eine behagliche Wärme verbreitet. 
Himmel, was habe ich da sonst oft gesehen und leider darunter 
ausstehen müssen, namentlich später in den Wintermonaten, 
wenn ich in den sogenannten Wohnungen eines Argentiners 
oder Chilenen auf feuchtem Erdboden bei zerrissenem Dach 
und durchlöcherten, halbzerfallenen Lehm wänden, am arm- 
seligen Feuer mitten im einzigen Raum hockend, meinen halb 




Im Tal „16 de Odubre' 



erfrorenen Körper wärmen wollte! Und während meine 
Vorderfront halbwegs warm wurde, blieb der Rücken eisig 
kalt. Dann mußte ich mich umdrehen, um nun auch der 
werten Rückseite etwas Wärme zukommen zu lassen. Und so 
dauerte das fort, und dabei pfiff der kalte Wind durch alle 
Fugen und Löcher des „Gebäudes", und wenn es regnete, leckte 
das Naß vom Dach herab oder drang unterhalb der Wände 
herein und bildete kleine Pfützen und Lachen, die sich nur 



— 60 — 

zu bald in schlammigen Brei verwandelten. Nichts, rein gar 
nichts von dem, was ein Heim angenehm machen könnte. Dieser 
Sinn scheint der südamerikanischen Bevölkerung im allgemeinen 
zu fehlen; ich habe das sowohl hier in Argentinien, wie auch 
in Brasilien und Paraguay beobachtet. Vielleicht liegt diese auf- 
fallende Erscheinung in den Eigentümlichkeiten der romanischen 
Rasse begründet. Bei Angehörigen der germanischen Rasse, 
wie z. B. bei den Bewohnern Südafrikas, den Buren, Hollän- 
dern, Engländern und Deutschen, habe ich eine solche ge- 
ringe Sorgfalt für die Einrichtung des eigenen Heims niemals 
oder doch nur selten angetroffen. Bei den galensischen Kolo- 
nisten von „16 de Octubre" war es dasselbe; sie haben hier 
treu den alten Sitten und ungeachtet der verschiedengearteten 
Umgebung ihr altes „home, sweet home" importiert und nach 
aller Möglichkeit beibehalten. 

Die Wohnungen sind meistens aus Stein gebaut, indessen 
gibt es auch Gebäude aus Holz, aus Bohlen und Brettern, 
und, wenn man vom Norden in das Gebiet der Kolonie hinein- 
reitet, trifft man rechts am Wege auch einige Blockhäuser 
von recht gefälligem Aussehen. Gedielte Fußböden, Fenster 
mit Glasscheiben, Kamine und Schornsteine bilden das unter- 
scheidende Merkmal gegenüber den Wohnungen anderer Nieder- 
lassungen im Innern Chubuts. Viel tragen ja auch die hier 
schon geregelten Besitzverhältnisse dazu bei, mehr und mehr 
auf die Verbesserung der häuslichen Einrichtungen das Augen- 
merk zu richten und vom Unentbehrlichen, Allernotwendigsten 
zum Angenehmen und Gefälligen überzugehen. Zum Schönen 
bleibt dabei noch immer ein gewaltiger Schritt. Dort aber, wo 
diese Besitzverhältnisse aus irgendwelchen Gründen noch un- 
sicher sind, oder die Leute nomadisierend umherziehen, genügt 
den Bedürfnissen die primitivste Hütte, die ohne große Kosten 
und Arbeit schnell errichtet und ohne Verlust und Schaden 
ebenso leicht verlassen werden kann. 

Das Klima der Kolonie „16 de Octubre" ist gemäßigt. 



— 61 — 

Die mittlere Jahrestemperatur für 1Q04 z. B. betrug 10,6 ^ C. 
und stellte sich für die einzelnen Monate wie folgt: 



Januar 


19,14« 


Celsius 


Februar 


16,48« 


ft 


März 


13,29« 


n 


April 


11,1P 


i; 


Mai 


8,31« 


tf 


Juni 


5,61« 


tt 


Juli 


3,21« 


n 


August 


5,08« 


n 


September 


6,79« 


it 


Oktober 


9,29« 


tf 


November 


11,66« 


ff 


Dezember 


17,08« 


ff 



Die wärmsten Monate waren: 

Dezember mit 30,0« Celsiu» 
Januar „ 36,7 
Februar „ 31,4* 
März „ 25,6' 





;; 



ff 

,0 

ff 



Die niedrigste Temperatur zeigten die Monate : 

Juni mit — 5,1° Celsius 
Juli „ -10,6« „ 
und August „ — 4,9' 



lO 

ff 



Im Jahre 1902 wurde im Juli sogar eine Minimaltempe- 
ratur von — 13,50 C. und im August eine solche von — 12,8 ^ 
Celsius gemessen. 

Die jährlichen Durchschnittsregenmengen für 1904 betrugen 
50,1 mm. Die regenreichsten Monate waren: 

Mai mit 88,4 mm 
Juni „ 137,8 ,; 
Juli „ 175,9 V 

während Januar und Februar die regenärmsten zu sein scheinen. 



62 



In der Zeitperiode von 1S97 bis inkl. 1905 zeigte der 
Monat Januar in den Jahren 1897, 1901, 1902, 1903 und 1905 
sogar vollständige Trockenheit. Februar tat das gleiche 1903 
und 1905 dagegen der Monat Dezember im Jahre 1900, 1901 
und 1902 

Die Höhenlage des großen Längstales wechselt von 400 
bis 600 m über dem Meeresspiegel, 




Umgebung des Tales „16de Oelubre" 



In letzter Zeit haben sich die Ansiedler mehr und mehr 
der Viehzucht zugewandt, so daß der Ackerbau, der sich ja 
ohnehin eines geringen Umfangs erfreute, sehr zurückgegangen 
ist. Schuld daran sind die schlechten Verkehrs Verhältnisse und 
der dadurch bedingte Mangel an Absatzgelegenheit. Außerdem 
aber haben die Heuschrecken das ihrige dazu beigetragen. Vor 
5 Jahren traten nämlich in der Kolonie Heuschrecken auf, 
und zwar die ohne Flügel, die sog. „voetgangers" Süd- 



— 63 — 

afrikas. Anstatt sofort diese Tiere zu vertilgen, was damals 
ein leichtes gewesen wäre, legte man der Sache keine Bedeutung 
bei, betete fleißig zum lieben Herrgott, damit er Unheil ab- 
wenden möge, und lebte sorglos weiter. So haben sich denn 
im Laufe der Zeit diese ewig hungrigen, gefräßigen Geradflügler 
ins Ungemessene vermehren können und sind heut tatsächlich zu 
einer Plage geworden, aber auch nur einzig und allein in diesem 
Teil des Chubutterritoriums. Unter solchen Umständen ist es 
erklärlich, daß augenblicklich nur noch ein Besitzer, der wegen 
seiner Gastfreiheit bekannte Don Martin Underwood sich neben 
Viehzucht auch etwas mehr mit Ackerbau beschäftigt und fast 
allein soviel Weizen anbaut, wie alle übrigen Ansiedler zu- 
sammen. 

Im Gegensatz zu den vorerwähnten Mängeln und Schwierig- 
keiten in betreff der Landwirtschaft und des Absatzes ihrer 
Produkte wird die Viehzucht begünstigt durch die Lage der 
Kolonie nahe der chilenischen Grenze, insofern als Chile das 
natürliche Absatzgebiet für Vieh bildet und der Transport des 
letzteren dorthin sich verhältnismäßig einfach bewerkstelligen 
läßt. Solange — und das gilt nicht nur von der Kolonie „16 de 
Octubre", sondern allgemein von allen Ansiedelungen am Fuße 
des Kordillerengebirges und seiner fruchtbaren Täler — solange 
der Bevölkerung im Innern der Zutritt zur Ostküste nicht er- 
leichtert wird, muß sie in Handel und Verkehr nach dem an- 
grenzenden Nachbar Chile inklinieren. Es ist dies eine Frage 
von wirtschaftlich-politischer Wichtigkeit, der man hierzulande 
wohl etwas mehr Bedeutung zumessen sollte, als es heute der 
Fall ist. Je länger mit einer Verbindung, gleichviel, ob Eisen- 
bahn oder sonst etwas, nach der argentinischen Ostküste ge- 
zögert wird, desto größer muß sich die Abhängigkeit vom chile- 
nischen Kapital gestalten, die schließlich mehr oder weniger 
eine gewisse Tributpflicht im Gefolge haben wird. 

Mister Underwood hatte in seiner Liebenswürdigkeit noch 
am Abend meiner Ankunft einen Boten zum Friedensrichter 



— 64 — 

und zum stellvertretenden Polizeikommissar gesandt, um diese 
beiden Herren von meiner Anwesenheit in Kenntnis zu setzen. 
Am folgenden Morgen erschienen in aller Frühe die Gestrengen 
in Begleitung zweier Soldaten. Ich hörte gerade einem be- 
lehrenden Vortrag meines Gastfreundes über Viehzucht und 
Heuschrecken aufmerksam zu, als sich in meiner Nähe die zwei 
Polizeisoldaten aufpflanzten und mich scharf beäugten. Zu 
gleicher Zeit flüsterten Kommissar und Friedensrichter einige 
Worte mit Mister Underwood, wobei sie geheimnisvolle Seiten- 
blicke nach mir warfen. Ich verstand so etwas wie „gringo, 
Fremder" und dgl., konnte mir aber den ganzen Zusammenhang 
nicht recht erklären, bis Underwood in ein so unbändiges Ge- 
lächter ausbrach, daß er sich den Bauch halten mußte. Die 
beiden anderen Herren lächelten auch, indessen etwas sauer- 
süß verlegen, als ob sie auf einer CHimmheit ertappt seien. 

„Hören Sie, Doktor, Sie sollten soeben festgenommen wer- 
den," lachte mir Underwood zu, während ihm die Heiterkeits- 
tränen über die Backen liefen ; er strich sich seinen roten Schnurr- 
bart und guckte schalkhaft einmal zu mir, dann zu den anderen 
hinüber. „Sie sollten arretiert werden — von diesen beiden 
Herren. — Ich werde sie sogleich mit Ihnen bekannt machen — 
dann geht es vielleicht besser. So — und nun kommen Sie; 
das ist einen Trunk Whisky wert. Kommen Sie herein," rief 
er lachend. 

Und die gestrengen Herren des Gesetzes mit ihren noch 
strengeren Amtsmienen lachten ebenfalls, und ich lachte auch, 
trotzdem ich immer noch nicht wußte, um was es sich eigent- 
lich handelt. Allmählich erst wurde ich von dem komischen 
Zusammenhang der Dinge unterrichtet. Gestern Abend war 
der bewußte Bote zum Kommissar geritten und hatte gemeldet, 
daß soeben bei Underwood ein Fremder angekommen sei. Da 
habe sich denn ungefähr folgendes Gespräch entsponnen: 

„Der Mann ist ein Gringo und streift überall im Lande um- 
her, schon seit einem Jahre." 



— 65 — 

„Hast du ihn gesehen?" 

„Ja!" 

„Wie sieht er aus? Verdächtig?" 

„Jawohl, wie ein Landstreicher und Gaucho. Er hat ein 
ganz braunes Gesicht und blonden Schnurrbart, er trägt eine 
Brille, jedenfalls um nicht erkannt zu werden. Dann trägt er 
einen großen, grauen Hut und hat ganz lange Reitstiefel, wie 
es scheint, aus rohem Hirschleder," 

„Sieht er bös aus?" 

„Ja, Herr, wild und grimmig. Und einen Revolver hat er 
umgeschnallt unter seinem Rock. Das habe ich selbst gesehen. 
Als ich ihn so beobachtete, muß er das wohl bemerkt haben. 
Denn da hat er mich mit einem Male scharf angeschaut, von 
oben bis unten, aber auch so, daß es mir heiß über den Rücken 
gelaufen ist; und da hab ich's mit der Angst bekommen und 
habe mich sacht fortgeschlichen. Ja, noch eins, der Mann hat 
auch sofort, als er vom Pferde gestiegen ist, seine Uhr aus der 
Tasche gezogen und dann in ein kleines Buch etwas hinein- 
geschrieben. Dabei hat er sich nach allen Richtungen hin ge- 
dreht und nach den Bergen hinaufgeguckt." 

„So, so! Also gefährlich! Hm, hm! Da müssen wir 
doch sehr vorsichtig sein, sehr vorsichtig. Warte! Sag doch 
dem Gonzalez, daß er sofort ein Pferd satteln soll. Wir wollen 
zusammen zum Friedensrichter hinüberreiten." 

Nach einigen Minuten galoppierten Polizeikommissar und 
Bote querfeldein zum Haus des Friedensrichters. 

Dort wurde wichtiger Kriegsrat gehalten und beschlossen, 
in Anbetracht der gefährlichen, sehr verdächtigen Person, die 
sich momentan bei Don Martin Underwood aufhielt, alle nur 
möglichen Vorsichtsmaßregeln zu treffen. Denn so ein Kerl, 
der seit Jahren ziel- und zwecklos im Lande herumstreift und 
Revolver und Gott weiß was noch bei sich führt, sei zu allem 
fähig; den müsse man unschädlich machen. Mindestens zwei 
Polizeisoldaten, in voller Ausrüstung, mit Säbel und Karabiner 

Vallentin: Chubut 5 



^ 66 — 

müßten morgen dorthin geschickt werden und, da die Sache 
sehr wichtig sei, — denn sonst hätte Freund Underwood doch 
nicht den Eilboten gesandt, — wollten beide, Friedensrichter 
und Kommissar als Vertreter der Regierungsgewalt und als 
pflichtgetreue Hüter von Gesetz und Ordnung persönlich die 
Verhaftung vornehmen. 

Und so erschien denn am frühen Morgen die bewaffnete 
Macht, gerüstet, diensteifrig, um mich, den Landstreicher und 
verdächtigen Gaucho, zu arretieren, infolge der durch den Boten 
verkehrt ausgerichteten Bestellung. Das lustige Mißverständ- 
nis wurde natürlich bald gelöst. Noch lange plauderten wir. 
Draußen standen die Pferde gesattelt, und die Tropilla war be- 
reit zum Aufbruch. 

„Adios, cabelleros, hasta la vista!" 

Wir schüttelten uns die Hände, und ich trabte von dannen 
nach Osten zu, das Tal des Corrintosflusses hinauf. 



VII. 

Rio Corrintos. Im Teckatal. 

über sein steiniges Bett braust der Rio Corrintos durch 
eine Felsenlandschaft dahin, die durch ihre groteske, wilde 
Schönheit das Auge des Wanderers fesselt. Insbesondere dort, 
wo die wirbelnden Wassermassen sich ins Gestein des Gebirgs- 
zuges hineingenagt und allmählich ein gewaltiges Durchgangs- 
tor geschaffen haben, sind malerische Szenerien häufig. Durch 
die Öffnung in den zerklüfteten Felsmassen schweift der Blick 
weit hinaus über die grüne Talebene, in der die einzelnen 
Bauernhöfe, umgeben von dunkelschattigen Sträuchern und 
Bäumen, scharf umrissen sich abheben ; weit hinten am Horizont, 
wo ein zarter Schleier die Fernsicht gleichsam abschließt, ragt 
wie ein tief dunkelblauer Riesenwall das Schneegebirge. Die Be- 
leuchtung dieses herrlichen Naturbildes ist eigenartig grell, die 
Farbengebung intensiv, markig und feucht wie die einer Alpen- 
landschaft nach kräftigem Gewitterregen. Segantini mit seinen 
hellen, weißen Wolken auf tiefblauem Himmelsgrund kam mir 
unwillkürlich ins Gedächtnis. 

Etwa zwei Stunden ostwärts, dort, wo Senor Humphreys 

sich seit vielen Jahren niedergelassen hat und auf ca. 4 Leguas 

(= 100 Quadratkilometer) Land mit 4000 Rindern und 2000 

Schafen Viehzucht betreibt, befindet sich ein zweiter Durchbruch 

des Corrintos, ein zweites, sehr enges Tor, kaum 15 m breit 

mit senkrecht aufstrebenden, fast überhängenden Felswänden. 

Schuttmassen, Geröll und abgestürzte Steintrümmer füllen das 

Flußbett an. Die Ufer sind nahezu vegetationslos, nur hier 

5* 



und da schwanken im Winde einige Halme des langen Büschel- 
grases, und niedriges Domgesträuch stredct schüchtern, hilflos 
seine dürren Zweige hinter einem Felskiotz hervor. 

Schistartige Gebilde treten hier zutage; in der Hauptsache 




Durchbruch des Rio Corrintos. 



aber herrschen Konglomerate vor, die granitarttges Gestein, 
Quarzit usw. in sich schließen. Felsstücke von der Größe einer 
Faust bis zu 1 m Durchmesser sind da eingebettet und haben 
dort, wo sie vom Wasser ausgewaschen worden sind, mächtige, 
hohlenartige Löcher zurückgelassen, so daß das ganze stellen- 



— 69 — 

weise einem verhärteten Riesenschwamm mit großen Poren 
ähnelt. Diese Geröll- und Kieselablagerungen sind charakte- 
ristisch für beinahe sämtliche Flußläufe des umliegenden Ge- 
bietes. Aus dem Tal des Corrintos, das an dieser Stelle ca. 550 
Meter über dem Meeresspiegel liegt, stiegen wir langsam zu 
einem großen, mit Steinen und spärlichem Graswuchs bedeckten 
Plateau hinauf. Um IO1/2 Uhr vormittags zeigte hier oben 
mein Thermometer 20 ^ C, und die Barometermessung ergab 
eine Höhenlage von 841 m. Unfreundlich ist der Anblick 
dieser von tiefen, schluchtenartigen Senkungen durchfurchten 
Pampa, die, erstarrten Meeres wogen gleich, sich bis ins Un- 
endliche hinzuziehen scheint. In einsamer Majestät ragt im 
Osten der 1420 m hohe Cerro Tecka in die stahlblaue Luft 
hinein. Eine silberglänzende Lagune ruht träumend zu seinen 
Füßen und lauscht der schmeichlerischen Weise, die der Wind 
leise im hohen Schilfrohr singt. Über einen nackten Sattel 
winden wir uns hinüber und nun steigen wir, vorbei am Cerro 
Caquel, langsam hinab ins grüne Tal des Teckaflusses, eines 
von Süden nach Norden und dann Nordosten laufenden Neben- 
flusses des Chubut. 

Die Gegensätze berühren sich; so trocken und unfruchtbar 
es oben aussah, so frisch, farbenprächtig und lieblich ist der 
Anblick des Geländes hier unten. Zu beiden Seiten des Flusses 
zieht sich eine herrliche Grasebene hin, abgegrenzt von zer- 
rissenen Bergzügen, die stellenweis bis auf 1000 m aneinander- 
rücken, dann aber mehr und mehr nach Norden zu ausein- 
anderlaufen, dabei oft Strecken von 6 — 7 km Breite zwischen 
sich lassend, und sich zu einer weiten Femsicht öffnen. Ein 
großer Teil dieser Talsohle, die mit fettem Weidegras be- 
wachsen ist, zeigt sumpfigen Grund. Oftmals reicht letzterer 
hart an die Steilwand des Berghanges heran, so daß nur ein 
ganz schmaler Pfad für den Reiter übrigbleibt. Baumwuchs 
fehlt gänzlich, abgesehen von dem wenigen Etorngestrüpp, das 
die Natur mitleidig auf die Abhänge hingestreut hat. 



70 



An den Ufern setzt sich der Boden hauptsächlich aus Ton- 
schichten zusammen, zwischen denen Sandablagerungen von 
dunkler, ins Bräunliche oder Blaue spielender Färbung vorkom- 
men. Kalkhaltige Konglomerate treten in den unteren Lagen 
mehrfach zutage. An der Stelle, wo der Arroyo Cuche in den 
Tecka mündet, und weiter westwärts, nach dem wild zer- 
klüfteten Quellgebiet des ersteren zu, enthält der Boden Kalk- 
spat. Dort sowohl, wie auch auf dem rechten Ufer des Tecka 
sind Eisenkies und Kupferkies reichlich vertreten. 

Die Bäche dieser Gegend sind goldhaltig. Aber nicht 
nur Waschgold ist vorhanden. Ungefähr 10 km mehr west- 
wärts z. B. kommt das Edelmetall in staubförmigem Zustand 
fein zerteilt im quarzitischen Gestein vor. Man hat es dort 
dadurch gewonnen, daß man jenes Gestein zerkleinerte und 
dann in kleineren Gefässen oder Öfen einer hochgradigen Hitze 
aussetzte. Das Metall wurde hierdurch einem Schmelzungs- 
prozeß unterworfen und in flüssigem Zustande ausgeschieden. 

Vor Jahren haben hier einige Galenser zuerst Gold ent- 
deckt; unter größter Verschwiegenheit bearbeiteten sie in primi- 
tivster Art die Fundstätte. Indessen blieben die günstigen 
Resultate aus ; das Betriebskapital war zu gering, und die Leute 
waren schließlich froh, das betreffende Land an eine englische 
Gesellschaft für einen Spottpreis verkaufen zu können, um 
wenigstens etwas von dem hineingesteckten Gelde zu retten. 
Heute bearbeitet die genannte Gesellschaft jene Goldmine, aber 
auch nur in geringem Umfange, da, wie ich hörte, es vorläufig 
noch an Betriebskapital mangeln soll. Wie es mit dem Erz- 
reichtum steht, bzw. ob sich eine rationelle Bearbeitung über- 
haupt lohnen wird, konnte ich leider nicht in Erfahrung bringen. 
Über solche Dinge pflegt man ja im allgemeinen nicht zu 
sprechen aus Angst vor Konkurrenz. 

Ackerbau wird in dieser Gegend gar nicht getrieben; die 
wenigen Menschen, die sich im Flußtal niedergelassen haben, 
— es sind nur drei kleine Haushaltungen — beschäftigen sich 



— 72 — 

ausschließlich mit Viehzucht, und zwar vorwiegend mit Rindvieh- 
haltung. Schafzucht wird weniger betrieben. 

Auf einer Legua = 25 Quadratkilometer sollen ungefähr 
1500 Rinder gehalten werden. Indessen läßt sich das sehr 
schwer bestimmen, sowohl hier, wie auch sonst in anderen 
Gebieten des Inneren vom Territorium Chubut, da die Lände- 
reien keineswegs abgegrenzt bzw. mit Drahtzäunen umschlossen 
sind und das Vieh daher, außer auf dem eigentlichen Besitz, 
auch auf fremdem, unbesetztem Terrain sein Futter suchen kann. 
Irgendwelche statistischen Angaben dieser Art sind daher mit 
Vorsicht aufzunehmen. 

Die graue Theorie ist eben anders als die Praxis. Fast 
alle Viehzüchter, Besitzer oder sog. „alten Kampleute" des 
Binnengebiets haben mich lächelnd über diesen dunklen Punkt 
einer papiernen Weisheit aufgeklärt. 

„Wenn einstmals mehr Menschen hier wohnen werden, 
dann wird so etwas erst möglich sein," sagte mir ein alter 
Argentiner. „Und wenn wir dann durch eine Bahn die Mate- 
rialien, wie Draht, Klammern usw. leicht hierher transportieren 
können, dann werden wir auch unser Land einzäunen. Vor- 
läufig ist das nicht nötig. Und zu was auch? Ich weiß ja 
gar nicht mal, wo meine Grenzen eigentlich sind, und der dort 
drüben" — er zeigte nach einer kleinen Hütte auf dem jen- 
seitigen Ufer — „weiß gar nicht, ob ihm der Boden überhaupt 
gehört. Aber wenn es ihm nicht mehr paßt, treibt er seine 
Rinder und Schafe nach einem anderen Weideplatz, der ihm 
ebensowenig gehört, und schlägt dort seinen Räncho auf. Zu 
was also einzäunen ? Zu was die unnützen Kosten und Mühen ? 
Herrenloses Land ist's, und geschädigt wird ja niemand." 



VIII. 

Putrachoique. Guanacos. 

« 

Inzwischen waren einige Veränderungen in meiner nächsten 
Umgebung eingetreten. Eines meiner Pferde hatte ich schon 
vor einigen Tagen bei einem Hirten zurücklassen müssen, da 
es wegen Krankheit und Schwäche nicht mehr marschfähig 
war. Als wir gestern über eine Felsenhöhe stiegen, weil das 
Passieren des Sumpf lands wegen eines Steilabfalls unmöglich 
wurde, stürzte im losen Geröll ein anderes Pferd, ein Rappe, 
rollte dabei in die Tiefe und brach ein Bein. Ich mußte das 
arme Tier mit einem Revolverschuß töten, um seinen Qualen 
ein Ende zu machen. Außerdem war mein Führer Arregada, 
dessen Landeskenntnis sich nur bis zur Kolonie „16 de Octubre" 
erstreckte, zu seinem Rancho an den Gestaden des Nahuel 
Huapi zurückgekehrt, in die Arme seiner braunen Gattin, so 
daß ich mir einen anderen „Vaqueano" hatte anwerben müssen. 
Nach einigem Suchen hatte ich auch einen solchen gefunden, 
und zwar in der Person des Don Benito, eines braunhäutigen 
Menschen, dem man die Abstammung von einer Mischrasse 
sofort ansehen konnte, dem aber angeblich alle Wege und 
Stege im Lande bekannt waren. Leider schrumpfte diese letz- 
tere Eigenschaft bzw. Wissenschaft, als sie sich praktisch be- 
tätigen sollte, auf ein recht geringes Maß zusammen, und ich 
hatte meine liebe Not. 

Der Morgen graute; wie ein geheimnisvolles Raunen und 
Flüstern zog es über die taunasse Grasebene am Teckaflusse, 



— 74 — 

und bläuliche, zart hingehauchte Nebelschleier stiegen aus den 
Wassern und dämpften leise die Farbenfrische der Natur, die in 
dem goldigen Lichtgeflimmer des Tagesgestirns prangte wie 
ein verschämtes, rosig- wonniges Mägdelein. Zwischen hohem 
Schilf und dunkelbraunem Röhricht glitzerten hell die Fluß- 
wellen, und im grasigen Sumpfland blinkten ruhig die Wasser- 
spiegel der Bäche und Teiche und Lagunen. Und überall 
auf Schilfstengeln und Grashalmen glänzte und strahlte es 
von unzähligen Tautröpfchen, wie wenn eine Wasserfee in 
übermütiger Laune Millionen von Diamanten und Juwelen dar- 
über ausgestreut hätte. Hunderte, ja Tausende von braunen 
Wildenten wärmten sich auf der glitzernden Fläche im Strahl 
der Morgensonne. Tausende von Wildgänsen, hier Mutarde 
genannt, mit schwarzbraunen Flügeln, weißer Brust und weißem 
Halse, hatten sich am sumpfigen Rande einer langgestreckten 
Lagune niedergelassen oder glitten lautlos zwischen breitblätte- 
rigen Wasserpflanzen dahin; Schwärme von Kibitzen flatterten 
schreiend von einer morastigen Pfütze empor. Und dazwischen 
stelzten langbeinige Reiher, graue und weiße, und Flamingos 
im zart rosafarbenen Federkleid. In den Lüften aber kreisten 
Geier und Habicht, scharf äugend langsam bis zur Felsenwand 
ziehend, um dann plötzlich auf eine ahnungslose Beute hinab- 
zustoßen. Ein Gegluckse und Gepiepse, ein Gackern und Ge- 
schnatter und Quacken und Flöten erfüllte die neblig kühle 
Morgenluft auf diesen Wassern und verkündete das Erwachen 
des jungen Tages aus traumhaftem Nachtschlummer zu neuem 
Regen und Weben, den Beginn des unerschöpflichen, warm pul- 
sierenden Lebens. O, du herrliche Gottesnatur! Wie schön, 
wie frei, hier draußen, fern von allem Getriebe der lärmenden, 
streitenden und trügerischen Welt! 

In einer kleinen Talschlucht auf dem linken Ufer des Tecka 
hatten wir am Abend vorher unser einfaches Lager aufgeschlagen 
und unter freiem Himmel auf Sattel, Decke und Poncho geruht 
wie in Abrahams Schoß. Feierlich in ernster Pracht hatten die 



-:- 75 — 

Sterne droben herniedergeleuchtet auf unser langsam verglühen- 
des Feuer, das jetzt in der dunstigen Morgenkühle bereits 
seit dem Frührot wieder lustig knisterte und flackerte. Dann 
wurde schnell der unvermeidliche Mate geschlürft, etwas Hart- 
brot dazu heruntergekaut und eiligst gesattelt und gepackt. 
Eine Viertelstunde später trabte unsere Tropilla wohlgemut 
zwischen Moorland und Berghängen nach Süden. Mit Behagen 
sog ich die herrliche, würzige Morgenluft ein und erfreute 
mich im stillen an dem prächtigen Landschaftsbild, das sich 
meinen Blicken darl^ot. Zwei Stunden ungefähr waren wir 
geritten. Da kamen wir vor einen hübschen Bauernhof. Das 
Haus sah nicht übel aus, sogar ein kleiner Garten war vorhan- 
den. Kaum waren wir bemerkt, so trat ein hochgewachsener, 
schwarzbärtiger Mann heraus, nur bekleidet mit weißem Hemd 
und Hose und bewaffnet mit einem — Kamm. Mir kam dies 
schon etwas merkwürdig vor, doch legte ich weiter keinen 
Wert darauf, da ich annahm, der Mann, der sich als Spanier aus- 
gab, sei eben bei seiner Toilette gestört worden. Höflich, 
fast aufdringlich wurde ich gebeten, abzusteigen und ins Haus 
zu treten. Ich gab nach. In dem großen, mit mächtigem 
Herde versehenen Raum saßen zwei andere männliche Per- 
sonen ; der eine, jüngere, mit freundlichem Gesicht und offenem 
Blick, der andere, ältere, mit wüsten, verwitterten Zügen, wirrem 
Haar und zerzaustem, unordentlichem Bart. Ich mußte mich 
neben das Herdfeuer setzen, der Spanier, der Besitzer dieses 
Gehöfts, nahm auf einem Schemel Schräg gegenüber Platz und, 
wie gewöhnlich, machte der Mat6 die Runde. Da, heiliger 
Himmel, — ich sah entsetzt nach der Uhr, es war erst acht — 
da holte der Spanier eine mächtige Geneverflasche neben 
seinem Sitz hervor und bot sie mir mit zitternden Händen an. 
Und dann sah ich, wie nach jedem Schluck Paraguaytee dieses 
würdige Menschenexemplar immer einen tiefen Schluck aus 
der dickbäuchigen Flasche tat, und wie sein Blick immer un- 
stäter wurde und sein gefurchtes Antlitz einen mehr und mehr 



— 76 — 

bestialischen Ausdruck annahm. Der Mann muß einst schön 
gewesen sein; heute bot er das Bild einer arg verwüsteten 
Ruine. 

Er sei schon 30 Jahre im Lande, erzählte er mir, und 
dabei drehte und wand er seine Hände, als ob er irgend 
etwas vor den Augen greifen wollte. Auch in Paraguay sei 
er gewesen. „Jawohl, das können Sie mir gewiß glauben," 
schloß er seinen umständlichen Bericht. Und wieder griff er 
zur Flasche und drückte sie inbrünstig an seine vibrierende 
Lippe. 

„Kennen Sie Paraguay?" 

„Gewiß," antwortete ich, „ich bin dort 5 Monate gewesen. 
Von da aus dem Innern bin ich hierher nach Argentinien ge- 
kommen." Und harmlos fragte ich, wann er in jenem schönen 
Lande gewesen sei. 

Ein Wutblitz schoß aus den dunklen Augen zu mir herüber, 
dann trank er stumm den Mate und griff zur Flasche. 

„Ist mir alles einerlei. 
Mit Verlaub ich bin so frei." 

Der eine kräftige Zug schien dem Menschen nicht zu ge- 
nügen; er schaute mich an, griff wieder zur geliebten, dick- 
bauchigen, und — gluck — gluck — gluck — rollte das Feuer- 
wasser fast ohne Aufhören hinunter. 

Ich saß und staunte. Mir wurde die Situation peinlich. 
Plötzlich fuhr er mich an: „Sie glauben wohl nicht, daß ich 
Paraguay kenne." 

„Aber warum denn nicht! Sicherlich, sonst würden Sie 
mir so etwas doch nicht erzählen." 

„Ja, Sie können und müssen es glauben." Seine Stimme 
wurde erregter. „Ich bin kein Lügner! Caramba, Diablo!" 
brüllt er mit einem Male und gebärdet sich wie ein Rasender. 
„Aber die Leute, die so etwas nicht glauben, sind Lügner und 
Schurken. Und Sie, Sie, Sefior, Caramba . . ." Heiser klang 
seine Stimme. Ich wußte nicht, was ich denken sollte. 



— 77 — 

Plötzlich sprang der Kerl auf. Einen fürchterlichen Fluch 
und ein ekles Schimpfwort zwischen den Zähnen hervorstoßend^ 
hatte er sein langes Dolchmesser aus dem Gürtel gerissen 
und stürzte sich wie ein Tier auf mich. Blitzschnell aber warf 
sich ihm der junge Mensch entgegen, packte Arm und Hand- 
gelenk des Wütenden und drückte ihn mit Hilfe des anderen 
Hausgenossen auf einen Schemel nieder. 

„Donnerwetter," dachte ich, „da wird man erst höflich her- 
eingenötigt und hinterher kommt man kaum mit heiler Haut 
wieder hinaus. Das hätte ja schön werden können!" 

Ja, der Suff ist ein Laster und kein schönes! Und da saft 
nun dieser Mensch, der mich in einem Anfall von Delirium 
oder sonst dergleichen morden wollte, zusammengeknickt auf 
einem Stuhl und weinte und winselte wie ein kleines Kind. 

„Loco ! Er ist verrückt geworden," meinten die beiden an- 
deren. Und als ob nichts geschehen wäre, setzten sie sich 
ans Feuer und schlürften ruhig ihren Mate. Mir allerdings 
wollte es nach dem häßlichen Auftritte nicht mehr so recht 
schmecken. Ich verabschiedete mich und verließ die ungast- 
liche Stätte. In die erquickende Wärme des fröhlichen Morgens 
war ein herber, alles erstarrender Reif gefallen ! 

Aus dem Tal des Teckaflusses kletterten wir am Rande 
einer zerklüfteten Schlucht, eines sog. Caiiadons, entlang, der 
mit Schutt und Qeröllmassen ausgefüllt war, hinauf zu einer 
weiten Pampa. Hier oben, in einer Höhe von 900 bis 915 m 
über dem Meeresspiegel, traten sofort die Gegensätze im 
Pflanzenwuchs hervor. Anstatt der saftigen Grasmatten im 
tiefen Flußtal gab es auf der leicht gewellten Hochfläche nur 
spärliches Büschelgras zwischen den Steinen und Felsklippen; 
anstatt des wohltuenden grünen Kolorits dort unten im feuchten 
Grunde herrschte hier oben das trockene, dürre Gelbbraun 
vor und verlieh dem nach Südwesten verlaufenden Plateau das 
Aussehen einer eintönigen Sandwüste. Die Sonne brannte heiß 
hernieder, und nirgends fand sich ein Schatten, nirgends ein 



78 



Tropfen Wasser, um Mann und Roß zu laben. We schweiß- 
bedeckten Pferde und Maultiere ließen die Köpfe hängen, auch 
Benito schaute ziemlich mißmutig drein. Aber was half's ! Wir 
mußten dieses öde QeröUfeld in südöstlicher Richtung durch- 




Tehuetchen- Indianerin bei Putrachoique. 

<]ueren, um in eine anständigere Gegend zu gelangen. Es war 
nachmittags gegen 3 Uhr, als wir am Östlichen Abhänge der 
Hochpampa hielten und zu unseren Füßen eine langgezogene 
Ebene erblickten, an deren anderer Seife ein Höhenzug stufen- 
arfig sich aufbaut. Auf dem wildzerrissenen, von jähen Klüften 



— 79 — 

und Schluchten zerschnittenen Massiv erheben sich drohende 
Gipfel und Kuppen, die über hohe Hänge herab in die dunkle 
Tiefe starren. Über alle hinweg ragt düster der 1700 m hohe 
Cerro Putrachoique, während ein Fluß gleichen Namens (Arroyo 
Putrachoique) unten in der Ebene seine Wellen durch grüne 
Wiesen und Qrasflächen nach Süden entsendet. Soeben 
schicken wir uns an, von der Pampa in bessere Gefilde hinab- 
zusteigen ; da ruft leise Benito und deutet erregt auf einen Fels- 
vorsprung zu unserer Linken. Ich schaue aufmerksam hin und 
entdecke nicht ohne Mühe eine Menge Tiere, die sich dort 
scheinbar sorglos tummeln. Es sind Guanacos. 

„Darf ich eins holen?" 

„Wenn das Pferd es noch aushält, meinetwegen. Ich werde 
hier bleiben." 

Eine kurze Rast für meine angestrengten Tiere war mir 
gerade recht. Benito hatte sich meinen Karabiner erbeten und 
galoppierte nun in großem Bogen über die Pampa dahin, bis 
er meinen Blicken entschwand. Pferde und Maultiere standen 
in einer Erdsenkung, die den Beginn einer nach Osten verlaufen- 
den Schlucht bildete, und waren bereits emsig mit Grasen be- 
schäftigt; ich setzte mich auf einen Stein, zog die Pfeife hervor 
und rauchte, im stillen auf das Jagdglück meines „Vaqueanos" 
neugierig wartend. 

Das Guanaco (Auchenia huanaco H. Sm.) kommt in Pata- 
gonien zahlreich vor. Halb Schaf, halb Kamel, scheu und 
flink wie ein Reh, lebt es meistens herdenweise, selten einzeln 
auf der Pampafläche und in den Waldgebirgen. Sein gelblich- 
rotes, wolliges und äußerst weiches Fell wird von den Ein- 
geborenen zu Kleidungsstücken, Mänteln, Decken usw. ver- 
arbeitet, oft mit bewundernswerter Geschicklichkeit in der sym- 
metrischen Anordnung der Figurenbildung. Zusammengenähte 
Felle dienen zur Herstellung der großen Zelte, Toldos genannt. 
Aus den Sehnen wird starker Zwirn gemacht. Das Fleisch des 
Tieres ist schmackhaft, ähnlich dem Hammelfleisch, und lieferte 



— 80 — 

einst den Indianern einen wichtigen Bestandteil ihrer Nahrung, 
wie denn überhaupt das Guanaco für die Eingeborenen in jeder 
Hinsicht ein nützliches, ja fast unentbehrliches Jagdtier gewesen 
ist. Heute freilich hat sich das schon bedeutend geändert. 

Die großen Quanacoherden, oft zu mehreren Hunderten, 
sind seltener geworden. Die modernen Feuerwaffen haben da 
bedenklich aufgeräumt. Und auch die Indianerstämme, die 
einst unter mächtigen Häuptlingen als freie Herren diese un- 
ermeßlichen Jagdgründe durchstreiften, führen heute, dem 
modernen Ausrottungssystem erliegend, ein elendes Dasein. 
Verkommen, verdorben, zurückweichend vor der brutalen Hab- 
gier der Weißen, sind sie dem Aussterben nahe. 

Eine geraume Zeit verging mit Warten. Da hallen kurz 
hintereinander zwei Schüsse durch die stille Einöde. Die 
Pferde spitzen die Ohren, blicken sich verwundert an und — 
grasen ruhig weiter. Ein leichtes Getrappel schlägt an mein 
Ohr. In mächtigen Sätzen klimmen die Guanacos schräg den 
Abhang hinauf und sausen am Rande der Pampa entlang. Es 
mögen etwa 40 — 50 Tiere sein. Jetzt haben sie mich geäugt. 
Ein schriller Pfeifenton, der in ein helles Gewieher übergeht, 
ertönt; ein einzelnes Tier, ich vermute ein Männchen, bleibt 
stehen und wendet den Kopf zu mir. Dann nochmals ein 
gellendes Wiehern, wie ein zweites Warnungssignal; und die 
ganze Herde fegt mit vorgestreckten langen Hälsen pfeil- 
geschwind in großem Bogen über die Pampa, bis ihre roten 
Leiber wie kleine Punkte in der Ferne verschwinden. 

Bald tauchte auch Don Benito auf. Am Sattel seines 
schweißtriefenden Gaules hingen zwei frische Guanacokeulen. 
die wir uns am Abend trefflich munden ließen. In der Nähe 
eines Indianertoidos im grasreichen Tal des Arroyo Putra- 
choique hatten wir Halt gemacht, um dort die Nacht zu ver- 
bringen. Es war eine Indianerfamilie vom Stamm der Arau- 
kaner, die sich hier niedergelassen hatte und hier seßhaft wer- 
den wollte, wenn, wie der Mann sich ganz richtig ausdrückte,. 



— 81 — 

man sie nicht wieder verjagen würde. Die Leute hatten 
durchweg hübsche Gesichtszüge und machten auf mich durch 
ihr gemessenes Benehmen einen vorteilhaften Eindruck. Später, 
als ich mit ihnen am Feuer saß, rauchend und Mate schlürfend, 
erfuhr ich, daß sie einst zum Stamm des mächtigen Häupt- 
lings Saihueque gehört hätten und aus dem Norden von der 
chilenischen Grenze, dort, wo die wilden Apfelbäume wachsen, 
erst bis zum Maitenflusse und dann im Laufe der Jahre all- 
mählich weiter bis hierher in dieses Tal gezogen seien. Freund- 
lich wurde ich aufgefordert, in dem geräumigen Zelt, das aus 
Guanacofellen bestand, und in dem es recht sauber aussah, die 
Nacht zu verbringen. Ich lehnte indessen dankend ab und 
zog es vor, draußen unter freiem Himmel zu schlafen. Juckende 
Erinnerungen an fürchterlich ruhelose Nächte und das peinvolle 
Schreckbild jener kleinen braunen Springtierchen, so man Floh 
zu nennen pflegt, bewogen mich, so zu handeln. 



Vallentin: Chubut 



IX. 

Im Tal des Gennoa. 
Kolonie „General San Martin." 

Fast genau auf dem 44. Grad südlicher Breite vereinigt sich 
der Putrachoique mit dem von Süden kommenden Cherquefluß 
und beide strömen nun als Gennoa durch ein breites, frucht- 
bares Tal nach Südosten in den Rio Senguerr. In jenem vor- 
genannten weitgedehnten Flußtal Hegt die Nationalkolonie 
„General San Martin". 

Der Name „Gennoa" kommt vom indianischen Wort 
„Genn" her, das bedeutet „Messer". Oer Fluß nämlich tritt oft 
so nahe an die steile Bergwand heran, daß nur ein enger 
Pfad, schmal wie ein Messerrücken, übrigbleibt. Nach einer 
anderen Version, die mir von einem hier ansässigen Indianer 
überliefert wurde, soll vor vielen Jahren in jener Ebene am Fuß 
eines einsamen Felsens eine schauerliche Bluttat geschehen 
sein. Ein Häuptlingssohn ist hier von seinem eigenen Bruder 
bei finsterer Nacht überfallen und mit einem Messer ermordet 
worden. 

Das Wort „Cherque" ist in der Eingeborenensprache die 
Bezeichnung für einen kleinen Dornbusch mit rotblauen Beeren, 
der im Quellgebiet des betreffenden Baches in großen Mengen 
vorkommt. 

Das Tal des Gennoa, das oft eine Breite von mehr als 
6 — 7 km aufweist, ist zu beiden Seiten längs des Flusses von 



■ 




1 




1 


fl;,- 



— 84 — 

felsigen Höhen umschlossen. Meistens setzen sich diese aus 
sehr feinkörnigem Granit zusammen, von rötlicher Farbe, der 
dort, wo der Verwitterungsprozeß stark vorgeschritten ist, wie 
z. B. an einigen Stellen auf der linken Uferseite, ins Blau- 
schwärzliche übergeht. Porphyre und Basalte sind häufig, 
namentlich weiter im Süden, und eine Decke von grobem Stein- 
geröll liegt auf den Hängen. Die Talsohle hat wegen der 
angeschwemmten feinkörnigen Verwitterungsprodukte aus den 
höher gelegenen Berg- und Pamparegionen einen äußerst 
fruchtbaren Boden, der ein vorzügliches Weideland hergibt. 
Zwischen den saftigen Mallingräsem kommen strichweise die 
feinen Rasengräser, das sog. „pasto blanco" vor. Die gewöhn- 
lichen Grassorten, die man hierzulande unter dem Namen Coiron 
zusammenzufassen pflegt, gedeihen sehr gut, verlieren aber an 
Güte und werden spärlicher nach den Hängen und dem Höhen- 
rande zu, sowohl auf der linken wie auch auf der rechten 
Seite des Flusses. Infolge dieses, ihres kräftigen, üppigen 
Graswuchses ist die gewaltige Talebene für Viehzucht in hohem 
Maße geeignet. Zwar ist die Erde etwas salpeterhaltig, aber 
auch gerade nur soviel, um das Futter durch die geringen 
salzigen Bestandteile dem Vieh schmackhaft zu machen. Auch 
sonst ist der Boden nicht schlecht zu nennen. Weizen, Kar- 
toffeln, Gemüse und andere Kulturen ergeben keine ungün- 
stigen Resultate. Indessen muß hierbei mit einem Faktor ge- 
rechnet werden, und das ist die völlig ungeschützte Lage, die 
das ganze Gebiet den kalten und heftigen Westwinden preisgibt. 
Hierauf ist es auch zurückzuführen, daß in der Kolonie San 
Martin bisher fast jeder Baumwuchs fehlt. Etwas mag ja 
auch der Salpetergehalt des Bodens dazu beitragen. Immer- 
hin aber glaube ich, daß ein Grund wohl auch in einer gewissen 
Nachlässigkeit der Bewohner zu suchen sein dürfte, die sich 
bisher noch keine ernstliche Mühe mit Versuchen dieser Art 
gegeben haben. Die Viehzucht muß eben alles ersetzen. Und 
doch, trotz des prächtigen Futters, trotzdem der Rinder „breit- 



— 85 — 

gestirnte glatte Scharen" den augenscheinlichen Beweis von 
der Güte des Weidelandes gieben, existiert in der Kolonie auch 
nicht ein einziger Ansiedler, der die Milchergiebigkeit der 
Kühe für Butter- und Käsebereitung ausnutzt. Butter wird so- 
gar — man höre und staune — von Europa aus in Blech- 
büchsen importiert. 

Der Winter in dieser Gegend ist kalt. Regen und Schnee- 
fälle sind dann häufig, und das ganze Tal steht monatelang 
unter Wasser, ein Umstand, mit dem man allerdings mehr 
oder weniger in ganz Patagonien zu rechnen hat. Die Schnee- 
decke erreicht eine Dicke von 20—30 cm, bleibt aber nur 
wenige Tage liegen. Die eigentlich permanent wehenden Winde 
lassen in den Wintermonaten etwas nach, werden während 
des Sommers erheblich stärker und erreichen im Frühling, in 
den Monaten Oktober und November ihren Höhepunkt. 

Seit ungefähr 4 Jahren existiert die Kolonie General San 
Martin; seit 6 Jahren sitzen die ersten Ansiedler in jenem Tal. 
Der Flächeninhalt beträgt 50 Leguas, das sind 1250 Quadrat- 
kilometer; jedes Los ist 1/4 Legua groß, umfaßt also 625 ha. 
Die Nationalregierung hat das Land so vermessen lassen und 
an argentinische Bürger oder solche, die es werden wollen, 
vergeben, und zwar umsonst. Dafür müssen aber gewisse 
vom Gesetz vorgeschriebene Bedingungen erfüllt werden, unter 
denen obenan diejenige steht, argentinischer Bürger zu sein 
oder innerhalb zweier Jahre zu werden. E>er Ansiedler muß 
ferner diesen ihm zugewiesenen Grundbesitz persönlich be- 
arbeiten bzw. bewirtschaften und innerhalb einer Frist von 
zwei Jahren ein Haus mit den nötigen Nebengebäuden, wie 
Schuppen und dergleichen errichten; er muß mindestens 200 
Schafe oder für je 5 Schafe eine Kuh einführen, 40 Bäume 
gepflanzt und 5 ha Boden kultiviert haben. Nach 5 Jahren 
und nach Erfüllung dieser Bedingung wird der Ansiedler end- 
gültiger Eigentümer seines Landloses. Der definitive Besitz- 
titel wird ihm dann ausgehändigt. Indessen ist es jedem frei- 



— 86 — 

gestellt, bereits nach 2 Jahren durch Zahlung von 500 Pesos 
das Eigentumsrecht zu erwerben. 

Bis jetzt sind von den 200 Kolonielosen 89 besetzt. Die 
Bewohnerschaft besteht aus 89 Familien mit insgesamt 504 
Köpfen und setzt sich zusammen aus Argentinern, Spaniern, 
Italienern und Indianern. Auch zwei [>eutsche wohnen dort, 
Don H. Faesing und der kleine Maximo Reichelt. 

Die Wohnungen sind einfach, fast dürftig, aus Erdziegeln, 
Adobe, gebaut und ^it Zinkblech oder Schilf eingedeckt. Alles, 
auch die innere Einrichtung, ist sehr anspruchslos. Gedielte 
Fußböden sind selten ; es genügt die festgestampfte gewachsene 
Erde. Die meiste Sorgfalt ist wohl dem Raum zugewendet, 
der die Feuerstelle enthält, da er als Küche und Wohnzimmer 
den hauptsächlichsten und im Winter auch den angenehmsten 
Aufenthalt gewährt. Immerhin aber ist man hier schon über 
das Stadium des primitiven Ranchos (Hütte) längst hinaus. 

Daß die hauswirtschaftliche Entwicklung eine geringe ist, 
und das, was man ein gemütliches Heim nennt, fehlt, dürfte 
seine Begründung wohl in dem Mangel an Hausfrauen finden; 
denn die meisten Ansiedler in der Kolonie General San Martin 
sind nicht verheiratet. 

Bei dem Mangel an Holz wird die Wurzel der Lena de 
Piedra zur Feuerung benutzt. Die eng miteinander verfilzten 
kleinen Blätter und Wurzeln jener Pflanze bilden nämlich eine 
Art Torf, der sich vorzüglich zum Brennen eignet. 

Der Viehbestand betrug zur Zeit meiner Anwesenheit: 
6155 Stück Rindvieh, 
6 360 „ Pferde und 
38 750 „ Schafe. 

Die Viehhaltung pro Legua läßt sich schwer bestimmen, 
da auch hier an eine Umgrenzung oder Umzäunung des ein- 
zelnen Besitzes gar nicht gedacht wird. Illusorisch wird die 
Sache noch dadurch gemacht, daß die Überschwemmungen 
im Winter ganz andere Verhältnisse schaffen, da dann das Vieh 



— 87 — 

genötigt ist, aus dem Tal herauszugehen und an den Hängen 
oder oben auf der Pampafläche sein Futter zu suchen. So hält 
u. a. der Friedensrichter, Sefior Crespo, der bereits seit 14 
Jahren hier ansässig ist, auf 1 Legua (25 Quadratkilometer) 
etwa 4000 Schafe und 1000 Rinder, aber auch nur in den 
Sommermonaten. Während der Winterszeit ist diese Zahl natür- 
lich bedeutend geringer, kann indessen, wie mir Sefior Crespo 
selbst sagte, unmöglich auch nur annähernd angegeben werden. 
Innerhalb des Kolonialgebietes befinden sich 5 Geschäfts- 
häuser, in denen Bedarfsartikel aller Art käuflich zu haben sind, 
Kleider, Gerätschaften, Eßwaren, Getränke usw. Bei der 
großen Entfernung von der Ostküste und dem Fehlen ordent- 
licher Kommunikationsmittel ist das natürlich ein großer Vor- 
teil für die Ansiedler und — in Anbetracht der ziemlich ge- 
pfefferten Preise — für die Kaufleute selbst. Von letzteren 
haben bis jetzt alle reüssiert, auch wenn sie noch so klein, 
vielleicht mit einer ganz erbärmlichen Boliche angefangen 
haben. 

# 

Bei ruhiger Überlegung wird es nur zu klar, daß alles 
Geld, das aus dem Boden durch irgend eine Bewirtschaftungs- 
form herausgeholt worden ist, schließlich in diesen Kaufläden 
und Schnapsschenken hängen bleibt. Namentlich für die ein- 
geborene Bevölkerung, für die irgendwelche einschränkende 
Bestimmung hinsichtlich des Verkaufs von Spirituosen, wie es 
u. a. in Transvaal der Fall war, gar nicht existiert, ist es geradezu 
ein Verderben. 

Von Rawson, der Hauptstadt des Territoriums an der 
Ostküste, ist die Kolonie General San Martin ca. 110 Legua 
= 550 km entfernt. Ein breiter Wagenweg führt von dort den 
Chubutfluß entlang nach Westen bis zum sog. „Paso de los 
Indos". Eine Fähre bewerkstelligt hier den Übergang über 
den Strom, und der Weg zieht sich dann weiter nach Westen 
bis in das Koloniegebiet hinein. Eine andere Verbindung hat 
die Kolonie mit dem weiter südlich gelegenen Hafen Como- 



89 



doro Rivadavia, auch Rada Tilly genannt, in Gestalt eines 
Wagenweges, der in südöstlicher Richtung über die Kolonie 
Sarmiento geht, oder, weiter südlich davon dem Laufe des 
Senguerrflusses folgend, bis zur Grenze des Territoriums Santa 
Cruz läuft, und dann in östlicher Richtung über die sog. Pampa 
alta bis zu dem genannten Hafen führt. Diese Wege sind etwa 
90 bzw. 110 Legua, also ungefähr 450—550 km lang. San 
Martin liegt demnach von dem nordöstlichsten und südlichsten 
Hafenplatz, die beide gleichzeitig auch die wichtigsten des 
Territoriums Chubut darstellen, fast gleich weit entfernt. Zieht 
man femer die Lage in Betracht zu den bereits besiedelten Ge- 
bieten, wie z. B. zu der im Norden gelegenen Kolonie „16 de 
Octubre", Cushämen, Bolson usw., und auf der anderen 
Seite zu denen im Süden und Südosten, Sarmiento und 
Escalante, so wird es ersichtlich, daß die Kolonie San 
Martin sozusagen im Herzen Chubuts und im Zentrum der 
Binnenregion am und im Kordillerengebirge gelegen ist. Die 
bereits vorhandenen Verbindungswege nach allen Richtungen 
hin, die Gunst der Lage in der Nähe der chilenischen Grenze, 
die doch die Möglichkeit eines Verkehrsweges nach dem Stillen 
Ozean durch das Gebirge von selbst gibt, werden sicherlich 
dazu beitragen, bei zunehmender Bevölkerung und Herstellung 
moderner Kommunikationsmittel, wie z. B. einer Eisenbahn, 
gerade die Kolonie General San Martin zu einem 
Mittelpunkt des wirtschaftlichen Lebens zu 
machen. Alles aber — und das betone ich ausdrücklich — 
hängt in erster Linie von der Entwicklung der Verkehrsverhält- 
nisse ab. Bei den vorhandenen, äußerst günstigen natürlichen 
Grundbedingungen fehlen nur noch Bahn- und Wegebauten, 
um eine Erschließung des Landes zu bewirken. Mit einem 
Bahnbau, gleichviel zu welchem Hafen, wird das 
ganze Territorium wie mit einem Zauberschlage ein anderes 
Gesicht erhalten. Wer aber — und das ist sicherlich wahr — 
das Verkehrswesen in Händen hat, dem wird das 



— 90 — 

Land selbst gehören, ich meine nicht als Eigentums- oder 
Besitzobjekt, sondern in dem Sinne, daß mit der Er- 
schließung des Landes durch Bahn- und Wege- 
bauten ihm auch der gewaltige Reichtum desselben 
durch weitere Ausnutzung zur Verfügung steht. 

An das Telegraphennetz des Landes ist die Kolonie 
General San Martin bereits angeschlossen. Gerade während 
meiner Anwesenheit daselbst waren Ingenieure mit der Ein- 
richtung des Telegraphenamts imd mit den damit verbundenen 
Arbeiten beschäftigt, so daß nunmehr die Möglichkeit gegeben 
ist, nach allen Richtungen innerhalb der Argentinischen Repu- 
blik, wie auch nach anderen Ländern und überseeischen Kon- 
tinenten telegraphisch Nachrichten zu senden. 



X. 

Die Tehuelchenindianer. 

Auf dem Wege, der mich vom Putrachoique nach General 
San Martin in das grüne Tal des Oennoa führte, traf ich mehrere 
Indianertoidos (Zelte) an. Die Insassen gehörten zum Tehuel- 
chenstamm, der einstmals diese ganze Gegend bewohnt haben 
soll. Tehuelche bedeutet das Volk aus dem Süden, (che = Volk, 
Tehuel = Süden). Durchweg waren es große, das Mittelmaß 
erheblich überschreitende Gestalten von regelmäßigem und 
kräftigem Körperbau, oftmals wahre Hünenfiguren, die wie 
die letzten Repräsentanten eines kraftvollen Riesengeschlechts 
aus vergangenen Zeiten in unsere Tage hineinragen. Im Hause 
des Sefior Crespo lebt z. B. noch ein Tehuelchenweib namens 
Joqu6n, über deren Scheitel nahezu 100 Winter dahingerauscht 
sind. Und doch ist dieser Scheitel noch nicht gelichtet und 
zeigt auch noch nicht ein einziges weißes Härchen. Pech- 
schwarz wallt das Haar lang herab zu den Schultern, und in 
dem pergamentartigen, dunkelfarbigen Gesicht blitzen zwei 
Reihen tadelloser weißer Zähne, und die großen Augen fun- 
keln noch so lebhaft, als ob sie zu einer Frau in mittleren 
Jahren, aber nicht zu einer hundertjährigen Greisin gehörten. 
Und diese alte, rüstige Indianerin — das habe ich selbst ge- 
sehen — isf noch tätig. Sie versieht die Kinder und holt 
Holz zum Feuermachen und hilft in der Hauswirtschaft auf 
alle Art. Ihr Sohn, ein hochgewachsener, breitschultriger 
Mensch, ist ebenfalls dort beschäftigt. 



92 



„Und dieser Sohn," sagte mir Sefior Crespo, „sehen Sie 
ihn mal an! Der hat so ausgesehen schon damals, als ich vor 
etwa 30 Jahren hier gewesen bin. Damals war ich ein ganz 
junger Mensch, hatte noch nicht einmal einen Bart. Heute ist 




Tehuelchenweib aus dem Oennoatal. 



mein Bart grau und mein Kopfhaar ebenfalls, soweit es noch 
vorhanden ist. Und er — sehen Sie nur, da kommt er gerade — 
er hat noch immer seinen schwarzen Schnurrbart und auf dem 
Kopf sein blauschwarzes, starkes Haar. Ja, es sind merkwürdige 
Menschen, diese Indianer, ein ganz anderer Schlag, kraftvoll. 



— 93 — 

widerstandsfähig in jeder Hinsicht. Aber wissen Sie, ich glaube, 
das kommt auch von dem einfachen natürlichen Leben, das 
diese Leute geführt haben. Heute ist das freilich schon etwas 
anders geworden. >Xiie lange wird's dauern, dann sind sie 
alle dahin; und was hätte aus diesen starken Menschen, die 
in ihrer Brust ein gutes, ehrliches Qemüt bergen, gemacht 
werden können! Was für tüchtige Arbeiter, gerade hier in 
unserem Patagonien, wo es allerorts an Arbeitskräften 
mangelt!" 

Senor Crespo hielt inne und sah nachdenklich vor 
sich hin. 

„Und Sie können mir glauben, Doktor," fuhr er fort, „es 
sind tüchtige Arbeiter und treue und ehrliche Menschen, wenn 
sie richtig behandelt werden; aber daran fehlt es." 

Davon, daß die Indianer fleißig sind, habe ich mich ja 
wiederholt selbst überzeugen können, mindestens ebenso fleißig, 
wie der gewöhnliche weiße Ansiedler oder Viehzüchter des 
Landes, der im allgemeinen die Mutter Natur für alles sorgen 
und nach eigenem Gutdünken schalten und walten läßt. 

Auch bei den Toldos oder Ranchos, die ich auf meinem 
letzten Ritt angetroffen habe, konnte ich bemerken, daß fast 
jede Indianerfamilie ein Stückchen Weizenland unter Kultur 
hatte, und verschiedentlich habe ich in den Indianerzelten 
frischen, selbstzubereiteten Käse gegessen, den ich dort in den 
Häusern der Weißen nur selten vorgefunden habe. 

Mehr und mehr sind heute die Tehuelchen nach dem 
Süden gedrängt. Auch ihr Stamm ist nicht mehr ganz rein, da 
sie sich vielfach mit den Pampaindianern vermischt haben, die 
augenblicklich in dieser Gegend an Zahl bedeutend vorherrschen. 
Daher kommt es auch, daß die durchschnittliche Körpergröße 
der Tehuelchen etwas herabgemindert worden ist, sowohl beim 
Mann wie bei der Frau. Immerhin ist ihr Wuchs gut propor- 
tioniert, mit stark entwickelten Arm- und Brustmuskeln. Die 
Hautfarbe spielt ins Rötlichbraune ; trotzdem zeigen die Wangen 



94 



eine frischrote Farbe, was mir namentlich bei den Frauen und 
Mädchen aufgefallen ist. Die Nase hat meistens die fein- 
geschnittene Form einer Adlernase. Die lebhaften Augen sind 
dunkelbraun, und das dichte, straffe Kopfhaar, das noch ziem- 
lich lang bis in den Nacken hinein getragen wird, ist tief dunkel- 
schwarz. Bewundert habe ich stets die kleinen, wohlgeformten 
Hände und Füße sowohl beim männlichen wie aber insbesondere 
beim weiblichen Geschlecht. 

Die Kleidung ist ähnlich derjenigen der Mapuche in Cus- 
hämen. Nur herrscht das Althergebrachte vor. Schon hier, 
und dann weiter und weiter nach dem Süden zu, tritt das 
europäische Merkmal immer mehr zurück, und die überlieferten 
Stammessitten und Gebräuche überwiegen auch hinsichtlich der 
Kleidungsstücke. Die alte Chiripa, der Potrosstiefel, das Stirn- 
band, der Mantel aus Guanacofellen sind fast überall zu finden, 
während die Weiber sich .weniger in moderne Blusen und 
Taillen und Röcke eingezwängt haben, sondern das weite, 
hemdartige Gewand und das mantelartige, um die Schultern 
geschlungene Tuch vorziehen, das am Halse durch Spange 
und Kette und um die Hüfte mit einem Gürtel zusammen- 
gehalten wird. 

Vereinzelt leben hier die Eingeborenen in ihren Zelten und 
Hütten, die sie in weit abgelegenen Gegenden errichtet haben, 
oftmals hoch oben in rauhen, wild zerklüfteten Bergen oder in 
dem einsamen Tal eines brausenden Bergwassers. Versteckt, 
unsichtbar bleiben diese Niederlassungen dem Wanderer, und 
nur selten weist ihn eine hinter Felsen aufsteigende Rauchsäule 
auf den Gedanken hin, daß in jener öden, verlassenen und 
unwirtlichen Gegend Menschen hausen. 

Tolderias, d. h. ein aus mehreren Zelten bestehendes Zelt- 
lager, sind hier schon selten. Erst weiter im Süden sind sie 
anzutreffen, indessen bei weitem nicht mehr so zahlreich, wie 
es einst früher der Fall gewesen ist. Die Toldos haben nicht 
die kegelförmige Form der bekannten nordamerikanischen Wig- 



wams, sondern die Gestalt eines Vierecks mit flachem Dach. 
Drei Reihen Pfähle werden in gewissen Abständen, je nach der 
beabsichtigten Größe des Zeltes, in die Erde getrieben; die 
der ersten Reihe etwa 2,5 bis 3 m hoch, die der zweiten 
etwas niedriger und die der dritten, die gleichsam die Hinter- 
front bildet, ungefähr 1 m hoch. Über diese Pfähle wird eine 
mächtige Guanacodecke gespannt, die oft aus mehr als 50 




Ein Zelllager (Tolderia) von Indianern. 



Guanacofellen zusammengenäht und deren innere haarlose Seite 
zum Schutz gegen Wasser und Feuchtigkeit mit Ockerfarbe 
und Fett bestrichen ist. Mit starken Lederriemen wird die 
große Decke oben an den Pfählen und unten am Boden be- 
festigt. Die vordere Pfahlreihe trägt noch eine zweite Fell- 
decke, die nach vorn schräg herabgezogen und ebenfalls an 
kurzen Pfählen nahe dem Boden festgebunden wird. Hier be- 
findet sich auch der türenartige Eingang. Auf diese Weise is* 



— 96 — 

ein großer, oben dachartig bedeckter und von allen Seiten 
umschlossener Raum hergestellt, den man durch Decken und 
Felle, die an der mittleren Stangenreihe angebracht sind, ge- 
wöhnlich in zwei große Hälften einteilt. Die rückwärtig ge- 
legene enthält die einzelnen Schlafplätze, die wiederum durch 
Vorhänge und Decken voneinander abgetrennt sind und in 
denen ausgebreitete Häute, Ponchos, Felle, selbstgewebte 
Decken und dergleichen die Lagerstätten bezeichnen. Die 
Feuerstelle befindet sich im vorderen Räume. Er dient zum 
allgemeinen Aufenthalt, ist also sozusagen das Wohnzimmer 
der Familie und gleichzeitig die Küche. Das Innere des Zeltes 
ist sauber gehalten, wie denn auch im allgemeinen die Hütten, 
Ranchos oder kleinen Häuschen, die neuerdings von den In- 
dianern an Stelle der Zelte mehr und mehr benutzt werden, 
fast durchweg ein wohnliches Aussehen zeigen. Je weiter 
man nach dem Süden kommt, desto häufiger wird man auf Tol- 
dos stoßen, während im Norden das feste Wohnhaus, wie z. B. 
in Cushämen, immer mehr Terrain erobert hat. Mit anderen 
Worten: das bewegliche Zelt wird dort von der festgebauten 
Wohnung verdrängt; die Eingeborenenbevölkerung hat begon- 
nen, seßhaft zu werden und sich zu assimilieren, soweit es 
eben den spärlichen Resten der einst so mächtigen Stämme an- 
gesichts der Übermacht der Kultur als einer unerbittlichen Not- 
wendigkeit noch möglich ist. Das grauenhafte Fatum, dem 
die letzten ihres Stammes im natürlichen Selbsterhaltungstriebe 
zu entrinnen streben, es drängt sie doch dem Untergang ent- 
gegen, und das Leben dieser ganzen stolzen Rasse 

„Es gehet den einen 

Urewigen Weg, 

Es endet im Grabe.*' 



XI. 

Von der Kolonie „General San Martin" zum 

Picotal in den Kordilleren. 

Vom Gennoaflusse westwärts — so erzählt uns die Sage — 
liegt in einem prachtvollen Gebirgstal der Kordilleren inmitten 
herrlicher Wälder mit blauen Seen und rauschenden Bächen eine 
verzauberte Stadt, die „Ciudad Encantada". Hohe Mauern 
umgeben sie, imd ein einziges Tor führt über einen tiefen 
Graben hinein. Und in der Stadt gibt es schöne Häuser aus 
Stein mit silbernen Dächern und Marmorsäulen, und die Wände 
des Innern sind mit Gold und Silber getäfelt; Stühle und Tische 
und alle Gerätschaften sind von Silber. Und in dieser Stadt 
und über das ganze Land und alle Wälder und Flüsse und Seen 
herrscht ein ehrwürdiger Greis mit langem, weißem Bart und 
Haupthaar und großen, mild blickenden Augen; der sitzt auf 
einem goldenen Thron. Und alle Leute ehren und lieben ihn. 
Denn er ist ein guter und gerechter Mensch. Und sie bringen 
ihm von ihren fetten Rindern und Schafen und von den Er- 
trägen ihrer Äcker Geschenke als Zeichen ihrer Achtung. Und 
innerhalb der Stadt steht ein großer Turm mit einem tiefen Ge- 
wölbe, und in diesem unterirdischen Gewölbe liegen die herr- 
lichsten Schätze der Welt verborgen, Geschmeide und Kronen 
von Gold, Ringe, Ketten und Spangen von Gold und Silber, 
und viele Diamanten und Edelsteine, soviel, daß diejenigen, die 
zum erstenmal diese Herrlichkeiten zu schauen bekommen, drei 

Vallentin: Chubut 7 



— 98 — 

Tage lang nicht sehen können ; so sind ihnen die Augen von all 
dem Glanz, dem Blitzen und Funkeln der Schätze geblendet. 
Nur wenigen ist es bisher vergönnt gewesen, den Weg nach 
dieser geheimnisvollen Zauberstadt zu finden. Einige Wanderer, 
die sich im Gebirge verirrt hatten, haben sie zwar von weitem 
gesehen, aber beim Näherkommen hat es geschienen, als ob 
die ganze Stadt sich immer mehr entfernt habe, bis sie dann 
mit einem Male im Nebel verschwunden ist. Nur sehr wenig 
Jägern ist es geglückt, in das Innere hineinzukommen. Sie 
seien dann — so wird berichtet — durch eigentümliche Töne 
wie von fernem Gesang und Glockengeläut aufmerksam ge- 
macht worden; häufig hätten sie auch ein dumpfes Getöse, 
ein starkes Rollen und Krachen gehört und seien dann diesem 
Geräusche nachgegangen, bis sie mitten im tiefen Wald an einem 
dunkelblauen See plötzlich bebaute Felder und Äcker und 
Wiesen sowie grasende Viehherden gesehen hätten. Dann 
sei von einem kleinen, weißen Hause ein alter Mann gekom- 
men, hätte ihnen die Augen verbunden und sie auf sehr ge- 
wundenen Pfaden durch ein großes Tor in die reiche Stadt 
geführt, wo sie mit einemmal vor dem goldenen Thron eines 
ganz alten, weißbärtigen Greises, eines Herrschers, gestanden 
hätten. Sie seien dann später ebenso aus dem Ort heraus- 
geführt worden, hätten aber niemals mehr die Wege trotz aller 
Anstrengungen wiederfinden können. 

So die Überlieferung von einem unbekannten Volk oder 
von Menschen, die in jenen sagenhaften, noch unerforschten 
Gebirgsgegenden der Kordilleren leben sollten. 

Für die Bewohner der Ebene und der Küste muß ja die Phan- 
tasie angesichts der ungewohnten, total verschiedenen Natur der 
Kordillerenregion mit den ungeheuren Felsen und der Einsamkeit, 
den Wäldern und den schimmernden herrlichen Seen eine 
Vorstellung von etwas Großem und Gewaltigem, von etwas 
Unbekanntem, Geheimnisvollem, das man gern ergründen 
möchte, aber nicht ergründen kann, ohne Zweifel hervorrufen. 



— 99 — 

Auch heute noch gibt es viele Eingeborene, die, abergläubisch, 
wie sie nun mal sind, fest an das Vorhandensein jener ver- 
borgenen „Stadt am See" glauben. Auf was indes die Sage 
eigentlich zurückzuführen ist, habe ich nicht in Erfahrung 
bringen können. Jedenfalls weist sie auf die große, natürliche 
Fruchtbarkeit jener Gebirgsgegend hin und gibt dunkle Kunde 
davon, daß dort vor Zeiten schon Menschen in festen Ansiede- 
lungen gewohnt und Viehzucht und Ackerbau getrieben haben. 

Betrachtet man die Sache näher, so wird man finden, 
daß tatsächlich westlich vom Qennoatal das Gebirge außer 
anderen Senkungen, ein mächtiges, äußerst fruchtbares Quer- 
tal bildet mit Seen und Flüssen und Wäldern, das vom Pico- 
fluß durchströmt wird. Nördlich davon liegt der Lago General 
Paz und von diesem führt das Tal des Rio Corcovädo zum 
„Valle 16 de Octubre". Südlich vom Picotal erstreckt sich 
das fruchtbare Tal des Rio Frias, das im Süden durch einen 
Höhenzug von einer schönen Ebene, dem Tal des Lago Fontana, 
getrennt ist. Wo nun aber in diesen Gegenden, die ja alle 
westlich vom Gennoa liegen, die sagenhafte Zauberstadt ver- 
borgen sein soll, konnte mir niemand verraten. 

In der Kolonie General San Martin hatte ich mein Pferde- 
material, soweit es möglich war, aufgefrischt, hatte für Ergän- 
zung des Proviants gesorgt und einen des Landes kundigen 
Führer gemietet, einen Vollblutindianer namens Jose Gara- 
millo. Es war in den ersten Tagen des Monats April, als ich 
mit meiner Tropilla aufbrach, um nach Westen in die Kor- 
dilleren vorzudringen. Ein kalter Wind pfiff durch das breite 
Tal und jagte oben am Himmelszelte trübe Wolkenmassen 
hinter den Felsbergen hervor, wo die Halme des langen Grases 
sich in Demut beugten und das niedrige Dorngesträuch ängst- 
lich am Boden zusammenkauerte. Drohend, fast gespenster- 
haft ragte ein einzelner mächtiger Felsenklotz mitten aus der 
grünen Fläche zu den Wolken auf; fast senkrecht ohne jeden 
Übergang steigt sein dunkles Gestein aus dem Erdboden in 



— 100 — 

di€ Höhe wie der abgebrochene Sumpf einer Riesensäule, die 
finster an ein grauenhaftes Verbrechen gemahnt. — — 

Vor einer zerfallenen Hütte standen drei braune Indianer- 
kinder, halb nackt, mit verwirrten, schwarzen Haaren. Ängst- 
liche Blicke warfen sie zu uns und fingen an, laut zu schreien, 
indem sie sich eilends in das dunkle Innere der Behausung zu- 
rückzogen. Und dann trat ein altes Weib heraus; wie Perga- 
ment erschien ihr runzeliges Antlitz und in dem langen, ver- 
wilderten Haupthaar zauste der Wind und zerrte an ihrem 
weiten Gewand. Die Augen der Greisin waren halb ver- 
schleiert. Sie hob die Arme hoch und machte Zeichen in der 
Luft und sprach beständig vor sich hin. Darauf wandte sie 
sich nach den vier Himmelsrichtungen und rief laut einige un- 
verständliche Worte. Es sah unheimlich aus; dazu brauste 
der Wind aus den Schluchten und von oben herab. Und 
plötzlich drehte sich das Weib zu mir, heftete einen großen 
Blick aus ihren dunklen, jetzt weitgeöffneten Augen auf mich 
und brach, beide Arme hoch wie zu einer Beschwörung empor- 
haltend, in ein schauerliches Geheul aus. 

Mich gruselte, ich gab meinem Pferd die Sporen, um aus 
dem Bereich der Hexenmacht zu kommen. Mein Führer, Don 
Jose, indessen blickte stumm und gleichmütig vor sich hin. Auch 
nachher, als ich mit ihm über das soeben Geschehene sprach, 
blieb er wortkarg; nur als ich fragte, ob die alte Frau wohl 
vor mir, dem Fremden, Angst gehabt hätte, nickte er. 

„Si, Senor, sie hat sich gefürchtet, sehr gefürchtet!" 

Das war alles! 

Ein braunes Gemenge von Fels- und Steingeröll, vermischt 
mit grobem, kieseligem Sand, bedeckt das hügelige Terrain, 
das sich westlich vom Tal des Gennoa bis zum Lauf des 
Cherque hin erstreckt. Der Graswuchs ist hier nicht gerade 
sonderlich; nur stellenweise dort, wo in den tiefer gelegenen 
Teilen ein Bach sich langsam dahinschlängelt oder eine sumpfige 
Wasseransammlung entstanden ist, fällt die frischgrüne Fär- 



— 102 — 

bung schon von weitem ins Auge. Hier wächst fettes und saf- 
tiges Viehfutter. Einzelne Erhebungen auf dieser Ebene steigen 
bis zu 950 m und darüber an; im Südwesten erreicht der 
Cerro Cherque zwischen dem gleichnamigen Fluß und dem 
Arroyo Omckel sogar die Höhe von 1200 m über dem Meeres- 
spiegel. Bald nach Passieren des Cherquebaches biegt der 
Weg allmählich nach Südwesten und dann mit einem Male fast 
genau nach Süden um. Das Gelände erhebt sich zu einem 
langgestreckten Bergrücken mit schwachen Ansätzen zur 
Kuppenbildung und schickt zwei seitliche Höhenrücken nach 
Nordwesten und Südwesten, den ersten bis zum Lago General 
Paz, den letzteren bis zur Loma Baguales. Diese Rücken und 
Höhenzüge umgrenzen ein gewaltiges Tal, in dessen Mitte der 
Picofluß sein klares Wasser nach dem westlich gelegenen Kor- 
dillerengebirge sendet. Sie bilden gleichzeitig die Wasserscheide 
für den Pico und seine Nebenflüsse einerseits und für die nach 
Osten abfließenden Gewässer anderseits, die meistens Zuflüsse 
des Gennoa bzw. des Senguerrstromes sind. 

Die Sonne neigte sich zum Untergang, als wir auf dem 
. östlichen Hange jener Wasserscheide Halt machten. Die 
Gegend ist ziemlich kahl; nur vor uns zur linken Hand dehnt 
sich Sumpfland, bestanden mit hohem Schilf und Gras, und da- 
hinter glitzert es weiß von dem schwarzen Erdreich herauf. Es 
ist eine große Salpeterablagerung, ein sog. Salitral. 

Und hier sollten wir bleiben? Windschutz durch den Ab- 
hang des Bergrückens war vorhanden. Gras für die Tiere 
ebenfalls; auch einige verkrüppelte Sträucher und Wurzeln als 
Brennholz. Aber Wasser? 

„Ja, Don Jose, hier ist aber kein Wasser! Das dort drüben 
ist salpeterhaltig ; das werden unsere Tiere nicht trinken. Was 
nun? Es ist schon spät!" 

Mein Indianer blickte mich an, ohne ein Wort zu sagen. 
Dann nahm er von seinem Sattel einen Becher uild verschwand 



— 103 — 

damit im hohen Schilf. Nach nur wenigen Minuten war er 
wieder da. 

„Hier." Dabei reichte er mir den Becher zum Trinken. 

Ich kostete; das war ja klares Wasser ohne den bitter- 
salzigen Geschmack, den ich schon so oft hatte schmecken 
müssen, namentlich in Neuquen. Das hier war ja herrliches 
Süßwasser. 

Jedenfalls eine merkwürdige Erscheinung; dicht neben dem 
Salitral wohlschmeckendes Süßwasser, und zwar in einer kreis- 
förmigen, etwa 3 m im Durchmesser großen Lache, deren 
Rand ringsherum mit hohem, dichtem Schilf bewachsen war, 
so daß sie völlig versteckt dalag. Ich wollte näher zu dieser 
„Lagune" heran. 

Der Indianer hielt mich zurück. 

„Nicht, Herr, das ist gefährlich!" 

„Warum?" 

„Der Boden ringsherum ist sumpfig. Das Wasser aber 
ist keine Lagune, sondern ein tiefe§ Loch mit senkrechten Wän- 
den. Wer sich dort hinein verirrt, kommt selten wieder zum 
Vorschein." 

„Ist denn das ein Brunnen?" 

Don Jose zuckte die Achseln. 

„Ist dieses Loch von Menschen gegraben worden?" 

Mein Indianer hob wieder die Schultern und machte schwei- 
gend eine abwehrende Handbewegung. Dann drehte er sich 
kurz um und begann die Pferde und Maultiere abzusatteln. — 

Der Abend webte seine dunklen Schleier „nebeldurchwirkt 
und schattend", und still und ruhig aus den Äthertiefen leuch- 
teten die Sterne. Unser kleines Lagerfeuer flackerte unruhig. 
Geisterhaft huschten seine roten Lichter über die Grasbüschel, 
über die. auf bloßer Erde ausgebreiteten Sättel und Decken. 
In einen Poncho gehüllt und bedeckt mit dem sog. „Quillango", 



— 104 — 

einer Decke aus Guanacofellen, habe ich mich neben dem 
Feuer auf mein Lager gestreckt und träume in den Nachthimmel^ 
hinein^ bis mich der Schlaf übermannt 

Beim Erwachen am nächsten Morgen spüre ich et^'as 
Schweres auf « meinem Körper; ich hebe die Decke; da knistert 
es sacht; ich stecke meinen Kopf aus dem Quillango heraus 
und bemerke, daß um mich herum alles weiß ist. Decke, 
Felle, Erde, Gräser, Schilf, alles — dick bereift. Ein plötz- 
licher Frost war über Nacht hereingebrochen und hatte die 
Landschaft mit seinem eisigen Hauche gestreift. Um so besser 
mundete uns der heiße Mate. 

Und als dann der erste wärmende Sonnenstrahl über die 
Berge zitterte, strich ein leiser Schauer über die Talebene, wie 
ein Vorbote des erwachenden Tages, und ein weißer, goldig 
durchglühter Dunst wallte auf und nieder und zerteilte sich in 
feine Streifen, die im Sonnenlicht verschwanden. Wir saßen 
bereits im Sattel und trabten wohlgemut von dannen nach 
Westen zu. Hinauf ging es zu den steinigen, baumlosen Höhen 
westlich vom Salitral. Eine aufgescheuchte Herde Strauße lief 
quer vor uns über die Steinpampa und tauchte dann in einer 
Senkung hinter Busch und Gras unter. Es ist der patagonische 
Strauß (Rhea Darwinii), der hier in großen Mengen vorkommt. 

Was für die Eingeborenen das Guanaco unter den Vier- 
füßern, das bedeutet der Strauß unter den Vögeln; ein Jagd- 
tier von unschätzbarem Wert; früher natürlich mehr wie heute. 
Das Fleisch liefert den Indianern ein vorzügliches Nahrungs- 
mittel, die Eier bilden während einer gewissen Jahreszeit so- 
gar ihre Hauptnahrung. Aus den Sehnen der Beine werden 
Schnüre gefertigt für die Schleudern, die sog. Bola, eine der 
gefährlichsten Waffen in den Händen der Indianer; die Haut 
dient zur Herstellung von schlauchartigen Behältern für Fett 
und andere Sachen. Insbesondere wird die Haut des Halses 
ausschließlich als Beutel zur Aufbewahrung von Tabak benutzt. 
Die Federn sind ein beliebter Handelsartikel, und aus der ganzen 



— 105 — 

Haut mit Federn wurden dereinst Mäntel für eingeborene 
Frauen und Mädchen hergestellt. 

Der patagonische Strauß ist bedeutend kleiner als der in 
Afrika lebende, ist ihm aber in der Färbung des Gefieders ziem- 
lich ähnlich. Das Männchen unterscheidet sich vom Weibchen 
durch seine dunklere Farbe. Die Beine sind jaußerordentlich 
entwickelt. Ihnen verdankt dieser Rennvogel seine fabelhafte 
Schnelligkeit im Laufen, so daß es für Pferde und Windhunde 
unmöglich ist, ihn bei einer Verfolgung in gerader Linie ein- 
zuholen. Daher ergibt sich bei Straußenjagden die Notwendig- 
keit des Umkreisens auf weite Entfernungen hin, wobei Rauch 
und Flammen angezündeter Feuer zu Hilfe genommen werden, 
bis zum Einschließen und Zusammentreiben auf engem Raum. 



XII. 

Das Kordillerental am Picofluß, Friedland. 

Nach ungefähr einstündigem Ritt in herrlicher Morgenluft 
eröffnet sich mir von der Hochebene aus ein wundervolles 
Panorama. 

Vor mir liegt, bestrahlt vom Tagesgestirn, ein weitgedehntes 
Tal mit saftig-grünen Qrasmatten an den allmählich aufsteigen- 
den Seitenwänden, bedeckt mit niedrigem Buschwerk, das, erst 
inselartig eingestreut, dunkle Flecke im Rasenteppich bildet, 
dann weiter nach oben und nach Westen zu immer größere 
Dimensionen annimmt und schließlich zum herrlichen Hoch- 
wald wird. 

Der allmähliche Übergang findet ungefähr dort statt, wo das 
erst hügelige Gelände sich zu höheren Erhebungen, Rücken 
und Kämmen emporreckt und in die Felsenlandschaft der sich 
immer gewaltiger entfaltenden Kordillerenkette übergeht. Ku- 
lissenartig mit aufstrebenden Felswänden, mit wuchtig hinein- 
gelagerten Massen, mit kühnen Bergspitzen, Zacken, Gipfeln 
und Gletschern baut sich am Horizont das stolze Gebirge auf. 
In seinen Tälern und Abhängen, beschattet von dunklen, hoch- 
stämmigen Waldungen, auf seinen Höhen bedeckt von weiß- 
glänzendem Schnee und Eis, reckt es seine Häupter trotzig 
wild zum klaren Himmel auf, während es mit seinen riesigen 
Seitenarmen das taufrische Picotal zu umklammern versucht. 
Eine wunderbare Mannigfaltigkeit, Großartigkeit und Steige- 
rung der Eindrücke wird hier erzeugt, die im schroffen Gegen- 



— 107 — 

salz steht zu dem, was von der einförmigen Hochebene, der 
bäum- und vegetationsarmen Steppe, der Pampa und der öden 
Küstengegend Chubuts geboten wird. Ein Land des Friedens 
im Sinne des Wortes. 

Noch immer halte ich zu Pferde und schaue mit Bewun- 
derung in die Pracht und Herrlichkeit dieser majestätischen 
Gotteswelt hinein. 

Mein Indianer mahnt mich zum Aufbruch, und nun steigen 
wir allmählich die Talsenkung hinab, überschreiten mehrere 
Bäche und gelängen dann zur eigentlichen Talsohle, bei der 
Vereinigung des Temenäo- und Mulabaches, die als Rio Pico 
nach Westen fließen. Die Höhe der Ebene über dem Meeres- 
spiegel beträgt an dieser Stelle 525 m. Das Gelände liegt 
also bedeutend tiefer als die Kolonie General San Martin, 
ein Umstand, der in klimatischer Hinsicht für. diese Gegend 
von sehr günstigem Einfluß ist. Von der Wasserscheide, die 
annähernd mit dem 71. Grad westl. Länge (v. Gr.) zusammen- 
fällt, zwischen dem Rio Cherque und Rio Gennoa, senkt sich 
das Gelände in westlicher Richtung leicht bis zur Seenregion 
auf ca. 500 m über dem Meeresspiegel hinab und steigt dann 
mit mannigfachen Erhebungen und Talbildungen zu den bewal- 
deten, schneegekrönten Gipfeln der Kordilleren hinauf. Es 
ist ein mächtiges, fruchtbares Gebirgstal mit vielen Seitentälern, 
dessen Grenze im Norden vom Lago General Paz gebildet 
wird, im Westen und Südwesten von der Grenzlinie mit Chile, 
im Südosten, Osten und Nordosten von der natürlichen Wasser- 
scheide. 

Das gesamte Picogebiet liegt nur ca. 50 km von der 
Kolonie General San Martin entfernt auf dem 44. Grad 
südl. Breite. In der Form einer unregelmäßigen Mulde er- 
streckt es sich vom 71. Längengrad bis zur chilenischen Grenze 
und umfaßt einen Flächeninhalt von etwa 2250 Quadratkilo- 
metern, ist also ungefähr so groß wie das Herzogtum Anhalt. 

Im allgemeinen besteht der Boden des Picotales aus 



108 



einer schwärzlichen Humusschicht, die der Hauptsache nach 
Verwitteningsprodukte von Quarz, vermischt mit zersetztem 
Feldspat und Magneteisen, enthält und, oft 0,5 bis 1 m stark, 
auf sandigen Massen, vermengt mit tonhaltigen Bestandteilen, 
von 0,5 bis 0,7 m Mächtigkeit aufgelagert ist. Es folgt ein 
Sediment von gelblicher Färbung, das zusammengesetzt ist 
aus Quarzkörnern, Magneteisen und Feldspat. Während tonige 




Quellengebiel des Temenäo im Pico-Tal, Friedland. 



Beimengungen die Quarzkörner zu Klumpen zusammenballen, 
verleiht das vorhandene Eisenhydroxyd der nahezu 0,3 m starken 
Schicht das gelblichbraune Aussehen. Hierdurch bildet sie eine 
ziemlich scharfe Abgrenzung von der nun folgenden Sand- 
ablagerung, die, in ihrer Mächtigkeit von 0,2 bis 0,75 m wech- 
selnd, nach unten zu in feine, tonige Erden von weißlicher 
Farbe übergeht. Sie sind vermischt mit Quarzkörnchen und 
vielen organischen Substanzen, nehmen nach der Tiefe zu eine 



— 109 — 

grauschwärzliche Färbung an und zeigen feine Schichtenbildung. 
Quarzkörnchen und Feldspatreste, durch tonig-lehmige Bestand- 
teile zusammengehalten, sind in derselben vorhanden; Eisen- 
lösungen verursachen ihre verschiedenartige Farbe. 

Diesen Schichten, die in ihrer Gesamtheit 0,30 bis 0,50 m 
stark sind, folgen ähnliche Ablagerungen, aber von größerer 
Porosität. Unzählige feine Kanälchen nämlich, entstanden in- 
folge der Vermoderung von Pflanzenwurzeln, durchziehen die 
ganze Masse. Die Unterlage der letzteren besteht aus einem 
schwärzlichen, mit Geröll und kalkigen Gebilden versetzten 
Erdreich. 

An den Ufern des Rio Pico und Rio Temenäo tritt die 
vorerwähnte Zusammensetzung des Talbodens deutlich zutage. 
Sie bleibt auch sonst im wesentlichen die gleiche und ändert 
sich kaum weiter nach Westen zu, an den Seen oder weiter 
aufwärts nach Norden und Süden an den sanft geneigten Ab- 
hängen. An den Seen z. B., wo mächtige Porphyrmassen em- 
porragen, wo Granit und teilweise konglomeratischer grober 
Sandstein zutage treten, besteht der obere Boden hauptsäch- 
lich aus den Zersetzungsprodukten des an Quarz und Feldspat 
reichen Eruptivgesteines. 

Auf dem rechten Ufer des Pico und Temenäo, in Höhe 
von 6 — 700 m, kommen stellenweise dichter Quarzit und quar- 
zitischer Sandstein vor; im verwitterten Geröll finden sich Por- 
phyr und Diabas, letzterer oft in sehr zersetztem Zustande. 
Die von dort entnommene Erdprobe zeigt eine schwarze, äußerst 
lockere Humusschicht, 0,5 bis 1 m stark, die aus feinkörnigem 
Sand besteht, sehr reich an humösen Bestandteilen ist und viel 
Magneteisen enthält. 

Weiter aufwärts, etwa bei 800 m, wird dieser Sand grob- 
körniger. Er zeigt hier ebenfalls viel organische Bestandteile 
und Magneteisen. 

Unter den Zersetzungsprodukten der verschiedenartigen Ge- 
steine sind auch hier Granit und Porphyr vorherrschend. Das 



— 110 — 

grobe, steinige Geröll aber, das sich sonst einer Urbarmachung 
stets so hinderlich in den Weg stellt, fehlt hier fast gänzlich. 
Die gleiche oder doch ähnliche Zusammensetzung besitzt der 
Boden auf dem linken, südlichen Ufer des Picoflusses, wo in 
den Erhebungen und Hügelreihen quarzitischer Sandstein und 
sehr dichter Quarzit vertreten sind. 

Rechnet man zu den ausgedehnten Qrasflächen des eigent- 
lichen Tales und der langsam ansteigenden Abhänge den vor- 
handenen fruchtbaren und humusreichen Waldboden in den 
höher gelegenen Gebirgsregionen, wo große Täler in die ein- 
zelnen Bergzüge hinemgeschnitten sind, dann wird man eine 
Vorstellung von der natürlichen Fruchtbarkeit des Picogebietes 
erhalten. 

Von der Talsohle, die, wie schon erwähnt, nur etwa 525 m 
über dem Meeresspiegel liegt und im Durchschnitt 120 m tiefer 
gelegen ist als die benachbarte Kolonie General San Martin, 
steigt das Gelände nach Norden und Süden in Absätzen mit 
großen Flächenbildungen allmählich zu einer Höhe von 900 
bis 1100 m empor, erreicht in den beiden Grenzpunkten, dem 
Cerro Piedra im Norden 1140 m, in der Loma Baguales im 
Süden 1300 m, und schließt sich dann weiter nach Westen zu 
in Gestalt eines nach Osten offenen Bogens den Gebirgsmassen 
der Kordilleren an. Dort, nahe der Grenze am Lago General 
Paz, ragt weit sichtbar der 2062 m hohe Cerro Colorado in 
den blauen Himmel hinein. Südlich davon türmt sich u. a. 
der Cerro Cono mit 1785 m auf, und hinter ihm, hart auf der 
chilenischen Grenze, der 1890 m hohe Cerro Botella. Da- 
zwischen und hinter dem mächtigen Gebirgswall erscheinen 
andere Kuppen und Gipfel, gehüllt in ihre Schneemäntel und 
bedeckt mit bläulichen Eiskappen. Die Südwestecke gipfelt in 
den Schneemassen der mehr als 2000 m hohen Sierra Nevada, 
dem Pan de Azucar, dem Cerro Cacique Blanco, dem Magda- 
lenenberg. Schroffer werden dort nach Westen zu die Über- 
gänge. Schluchten und steil abfallende Felswände, moos- 



111 



bedeckte verwitterte Qranitblöcke, massige Bergrücken, 
zwischen denen fruchtbare, grüne Talebenen mit gutem Weide- 
gras liegen, brausende Qebirgsbäche und herrlicher Hochwald, 
dessen dunkles, frisches Orün im lebhaften Gegensatz zum 




Am Arroyo de Mula. 



blendenden Weiß der eis- und schneebedeckten Bergriesen 
steht, verleihen dem Ganzen ein wildromantisches Gepräge. 
Eine wunderbare Alpenwelt entfaltet sich hier in ihrer ganzen 
majestätischen Pracht. 

Durchströmt wird das Friedland genannte Pico- 



— 112 — 

gebiet vom schon erwähnten Temenäo, d. h. Tal des Chacäi, und 
Arroyo de Mula, dem Maultierbach, die, beide von der öst- 
lichen Wasserscheide kommend, sich etwa 20 km westlich vom 71. 
Längengrad vereinigen und nun als Picofluß weiter nach Westen 
fließen. Mit elementarer Gewalt hat letzterer das Massiv des 
Hochgebirges durchbrochen und strömt, in Höhe von nur 300 m 
auf chilenischen Boden übertretend, als Rio Figueroa in einen 
70 m über dem Meere liegenden See. Ein breiter Ausfluß des- 
selben, Rio Claro genannt, vereinigt sich mit dem aus dem Lago 
General Paz kommenden Palenafluß und mündet in Form einer 
mächtigen Wasserstraße bei der Kolonie Palena in den Stillen 
Ozean. 

CHe Südseite des vorerwähnten Sees liegt nur ca. 20 km 
vom Nordende des sog. Payaguapikanals entfernt, so daß auch 
hier eine Verbindung mit dem Stillen Ozean leicht zu er- 
möglichen ist. 

Von den zahlreichen Nebenflüssen sind die hauptsächlichsten 
der Arroyo Pampas auf der nördlichen und Arroyo Campamento 
auf der südlichen Seite. Die übrigen haben noch keine Namen. 

Die natürliche Bewässerung des ganzen Gebietes ist vor- 
züglich, und Wasserkräfte zur wirtschaftlichen Benutzung sind 
in Menge vorhanden, u. a. der prächtige Wasserfall, ungefähr 
1,5 km vom sog. „Campament" entfernt. Da fast ohne Aus- 
nahme alle Bäche und Zuflüsse aus dem Gebirge kommen, 
ist ihr Wasser rein und klar wie Kristall und von angenehmem, 
erfrischendem Geschmack. In der westlichen Hälfte, teilweis 
am Fuße des aufsteigenden Gebirges, befinden sich 5 Seen, 
2 davon auf der nördlichen, 3 auf der südlichen Seite des Pico- 
flusses. Auch diese Seen, die vorläufig nur mit Zahlen be- 
zeichnet sind, führen Süßwasser. I>er größte von ihnen, der 
8 — 9 km in seiner Längsrichtung messende Lago No. 1, besitzt 
keinen nennenswerten, sichtbaren Zufluß. Das Wasser kommt 
hauptsächlich von den Gletschern und Schneemassen des Hoch- 



— 113 — 

gebirges oder ist, wie vermutet wird, unterirdischen Ursprungs. 
Daß hier einst vulkanische Kräfte tätig waren, zeigt die For- 
mation der malerischen Seenumgebung, die wegen ihrer wilden 
Schönheit und grandiosen Naturpracht wohl zu den herrlichsten 
Teilen der Kordilleren gezählt werden kann. Wahrscheinlich 
hat Lago No. 2 mit dem See No. 2 einst vor vielen, vielen 
Jahren eine einzige, große Wasserfläche gebildet. Heute hängen 
beide nur noch durch eine Art Kanal zusammen, dessen Ufer 
stark versumpft sind. 

Auch dieser zweite See besitzt keinen Abfluß. Aus den am 
kieseligen Ufer vom Wasser hinterlassenen Marken geht her- 
vor, daß der Spiegel beider Seen bis zu 2 m steigen kann, wenn 
die Regenzeit ihr Naß herniedersendet oder die Frühlings- 
sonne die Schneemengen im Gebirge zum Schmelzen bringt. 
Ähnlich steht es mit den drei übrigen Seen, die mit ihren male- 
rischen Felspartien, den zerklüfteten Wänden und Steilstürzen 
inmitten der üppigen farbenfrischen Vegetation ein wahrhaft 
entzückendes Landschaftsbild abgeben. Es ist eine eigenartige, 
aus Klarheit und Lichtgeflimmer zusammengewebte Schönheit, 
ein Werk der Natur, das durchzittert wird vom Hauch des All- 
gewaltigen. 

Das Klima des Picogebiets ist — nach Maßgabe seiner 
Lage auf der südlichen Halbkugel — ungefähr das gleiche wie 
in Deutschland. Die Monate Dezember, Januar, Februar und 
März sind die besten und schönsten; sie bilden die Sommers- 
zeit, die über diese ganze Gegend verschwenderisch ihre reichen 
Gaben ausstreut. 

Mit allmählichem Übergang und mäßiger Kälte beginnt an- 
fangs Juni, oft schon Ende Mai der Winter. Regengüsse und 
Schneefälle sind dann häufig. Die Bäche schwellen an und 
verwandeln das Tal des Picoflusses in eine Anzahl von La- 
gunen. Die ganze Talsohle nämlich bildet ein Niederungsgebiet 
im wahren Sinne des Wortes, das, ebenso wie z. B. die Niede- 

Vallentin: Chubut 8 



114 



rangen zwischen Nogat und Weichsel, seine außerordentliche 
Fruchtbariteit zum größten Teil eben diesen Überschwemmun- 
gen zu verdanken hat. 

Am Temenäo nehmen letztere geringeren Umfang an, 
immerhin aber so, daß dort, wie auch am Arroyo de Mula, 
einzelne sumpfige Stellen entstanden sind. Derartige Sümpfe 
kommen auch in der Nähe des Lago No. 1 und No. 3 vor, 




Am Lago Pico. 

ferner ca. 12 km in nördlicher Richtung von ersterem, am Pampa- 
fluß, vor Beginn des Hochwaldes. 

Im großen und ganzen will es mir aber scheinen, als ob 
mit diesen „Überschwemmungen" und „Sümpfen" etwas über- 
trieben wird. Denn ich habe viele Male Stellen, die mir als 
unzugänglich bezeichnet worden sind, trockenen Fußes passiert. 
Und dann: sobald hier Menschen wohnen, wird und kann man 
dem rohen Walten der Naturkräfte in geeigneter Weise ent- 



— 115 — 

gegentreten, um etwaigen Schaden zu vermeiden. Zu was 
gibt es denn Gräben und Abzugskanäle? 

Schon Ende August und im September, also bedeutend 
früher als in anderen bewohnten Teilen Chubuts, wie z. B. 
am Gennoa, in der Kolonie General San Martin, am Senguerr, 
in Choiquenilahue, in Sarmiento, beginnt das Wasser abzu- 
fließen; eine wärmere Temperatur setzt ein; in den Gletschern 
donnert es; die Tage werden länger, und aus Dunst und Dämmer, 
durchdrungen vom wärmenden Sonnenstrahl, erwacht taufrisch 
die neue Jahreszeit, der Frühling. Klarer wölbt sich dann der 
blaue Himmel, heller flimmert der Firnschnee hoch oben; es 
blinken die Gletscher der gewaltigen Eisriesen und unten, tief 
zwischen trotzigen Felsen im dunkelschattigen Bergwald 
blitzen und glitzern die Wasser der blauen Seen, rauschen und 
raunen geheimnisvoll die Gebirgsbäche ; ein Märchen, ein 
Säuseln und Flüstern vom großen Waldesschweigen. 

Das Klima des Picogebietes ist außerordentlich gesund. 
Die Luft ist rein und würzig, wahre Berg- und Waldluft. Krank- 
heiten unter Menschen und Vieh sind bisher unbekannt. Die 
Winde, die meistenteils von Westen und Nordwesten kommen 
und im Sommer stärker wehen als im Winter, werden in ihrer 
Heftigkeit hier nicht so empfunden wie z. B. in der Kolonie 
General San Martin oder sonst weiter im ungeschützten Osten 
des Chubutterritoriums, da die vorgelagerten Höhen und Ge- 
birgsmassen gleichsam einen Schutzwall bilden. Daher kommt 
es auch, daß die Temperatur sich hier etwas wärmer gestaltet 
als in den weiter östlich gelegenen, teilweise schon besiedelten 
Teilen Chubuts, u. a. im Tal des Gennoa, am Cherque, in 
der Kolonie Sarmiento. So ergaben meine täglichen Beob- 
achtungen mit einem vorher regulierten Thermometer, daß die 
Tagestemperaturen am Picogebiet um 2 — 3^ C. höher waren 
als diejenigen, die zu derselben Zeit das Telegraphenamt 
in Sarmiento gemessen hatte. Die großen Waldungen und 
schützenden Höhenzüge verursachen dies, indem sie die Wir- 

8* 



116 — 



kung der kalten West- und Nordwestwinde abschwächen der- 
art, daß der Winter im allgemeinen milder ist, als z. B. am Rio 
Frias oder auf der sog. Pampa Chubuts. 

Die von mir angestellten täglichen Beobachtungen um 8 Uhr 
morgens, 1 Uhr mittags und 6 Uhr nachmittags zeigten eine 
mittlere Tagestemperatur von: 

17,0" C. am 11. April 1905 

16,0» „ „ 12. „ „ 

15,6« „ „ 13. „ 

15,6« „ „ 14. „ „ 

16,0» „ „ 15. „ „ 

17,0« „ „ 16. „ 

14,6« „ „ 17. „ „ 

14,0» „ „ 18. „ 

10,0» „ „ 19. „ 

9,0« „ „ 20. „ 

10,3« „ „ 21. „ „ 

14,60 ^^ ^^ 23. ff 
13,00 „ „ 24. „ 
Hiernach stellt sich die durchschnittliche Tagestemperatur 
jener kurzen Periode auf 14,04^ C, während in Chubut an 
der Küste im Monat April eine mittlere Temperatur von 11,47<^ 
beobachtet wird. Die Durchschnittstemperatur in den drei 
Monaten März, April und Mai, also Herbstzeit, beträgt für 
das Territorium 12,38^, und zwar: 

7,970 ^^ 7 ujij. a ni gemessen 
18,72« „ 2 „ p.m. 
10,440 ^^ 9 ^^ p in. 

Erläuternd muß indessen bemerkt werden, daß im ganzen 
Süden der Argentinischen Republik in diesem Jahre der Winter 
außerordentlich früh eingesetzt hat, daß Kälte und Schneefall 
ganz ungewöhnlich früh gekommen sind. Selbstverständlich 
war dies auch im Picogebiet der Fall, so daß sich dort im all- 
gemeinen höhere Ziffern ergeben werden als die von mir an- 



>» 



;» 



117 



geführten, abgesehen davon, daß die bezüglichen Messungen 
sich nur auf einen kurzen Zeitraum von 14 Tagen beziehen und 
in einer nicht gerade günstigen Übergangsperiode gemacht 

worden sind. 

Das ganze Talgebiet ist ein äußerst fruchtbares 
Weideland. Auf dem lockeren, humusreichen Boden, der 
nur wenig Geröll und Steine zeigt, wachsen die verschieden- 




Im Kordillerental am Picoflufl, Friedland. 



artigsten Gräser. Die der Steppenregion angehörigen unter 
dem Namen Coirön bekannten Grassorten (Festuca gracillima, 
Festuca ovina usw.) sind überall vorhanden, sowohl in denNiede- 
rungen wie auf den Höhen. 

In den Niederungen, in den Tälern und im Seengebiet ge- 
deihen neben Mallin, niedrigem Schilf und binsenartigen Ge- 
wächsen die zarten Rasengräser, die unter dem Namen „pasto 
fino" und „pasto tlerno" bekannt sind. Ein feines, heiles 



— 118 — 

Gras, „pasto blanco" genannt, traf ich dort in großen 
Strecken, und zwar allein oder vermischt mit anderen Gräsern. 
Die fetten, weichen, äußerst nahrhaften Mallingräser, die oft 
ausgedehnte Flächen bedecken, standen stellenweise so hoch, 
daß unsere Pferde bis über den Sattelgurt darin verschwanden. 
Freilich wird ja wohl während der paar Wintermonate ein 
großer Teil dieser herrlichen Weiden unter Wasser gesetzt 
werden, ähnlich wie es in EXeutschland mit den Wiesen- und 
Weideländereien der Fall ist. Dafür stellt sich aber die Güte 
und Brauchbarkeit des Grases als nahrhaftes Viehfutter um so 
besser. Selbst auf den höher gelegenen Teilen ist sog. „pasto 
tierno" vorhanden, also kein trockenes Futter, und überall auf 
dem Waldboden sprießen die saftigen feinen Rasengräser (pasto 
fino) hervor. Das gleiche gilt von den vielen Seiten- und Quer- 
tälem. Hier wie in der Niederung und in der Seenregion 
kommt die schilfartige Cortadera vor. Junco und Junquillo, 
beide zur Juncusart gehörig, vielleicht Juncus actus und balti- 
cus, außerdem Cebadilla, Bromus unioloides H. B. K. wachsen 
dort, während an den Hängen und auf den pampaartigen 
Flächen Yerba negra, hier Neneo genannt, dessen Blüten den 
Schafen als Nahrungsmittel dienen, zwischen den Grasbüscheln 
des Coiron auftritt. 

Außer der tiefer gelegenen Zone bieten die oberen pampa- 
ähnlichen Strecken, die sich nahe der nördlichen und südlichen 
Grenzlinie nach Westen zur Waldregion der Kordilleren hin 
erstrecken, vorzügliches Weideland. Und das ist von un- 
berechenbarem Wert; denn hier finden Rinder, Schafe, Pferde 
ihre Nahrung, wenn sie in den Wintermonaten das Niederungs- 
gebiet verlassen und weiter oben ihr Futter suchen oder in den 
mit Wald und Busch bestandenen Partien vor den kalten Winden 
sich schützen wollen. In allen anderen schon besiedelten 
Teilen des Chubutterritoriums, wie z. B. am Gennoa, in Choique- 
nilahue, am Appeleg und Omckel, im Senguerrtal, am Rio 
Chico, in Sarmiento usw., ist dies nicht möglich, da jene 



— 119 — 

Höhen bzw. höher gelegenen Ebenen nur recht dürftigen Gras- 
wuchs und keinen Baum- oder Buschbestand aufweisen. 

Im allgemeinen ergibt sich aus der natürlichen Beschaffen- 
heit die Tatsache, daß das Picogebiet für Viehzucht äußerst 
geeignet ist. 

Das niedrige Buschwerk, das in den Seitentälern hinauf- 
kriecht, allmählich die Abhänge bedeckt und weiter oben auf 
den Pampaflächen sich bis zu den ersten Waldflecken des Ge- 
birges hinzieht, besteht meistens aus Chacäi und Nirre (Notho- 
fagus antarctica). Die hellbraunen kleinen Früchte von Nirre 
sind eßbar und haben einen brotteigartigen Geschmack. Ein 
anderer, niedriger Strauch, Chapel genannt, mit kleinen, ge- 
zähnten Blättern und weißrötlicher, fünfblätteriger Blüte, ist 
sehr verbreitet. Von den vielen Mimosenarten ist der Calafäte- 
strauch, Berberis buxifolia, und Michäi mit langen Dornen 
und schwarzblauen Früchten in Masse vertreten. An den Seen 
wächst der frischgrüne Maitenbaum (Maytenus magellanica) 
mit rundlich gewölbter Laubkrone, und der Lauro, der Lor- 
beerstrauch (Laurelia aromatica). Die Nirresträucher erreichen 
hier schon eine Höhe von 3 — 6 Metern, mischen sich weiter 
westlich, wie auch im Norden und Süden der Talsohle mit der 
sog. Lingue, einer Buchenart, und verschwinden dann im präch- 
tigen Hochwald. 

Außer in den Flußläufen und' geschützten Talsenkungen 
beginnt der niedrige Buschbestand bei etwa 700 m über dem 
Meeresspiegel auf der nördlichen, bei ca. 800 bis 850 m auf der 
südlichen Seite des Picoflusses. Der Hochwald nimmt seinen 
Anfang auf dem Nordufer schon in einer Höhe von etwas 
mehr als 900 m, dagegen auf dem Südufer erst bei ca. 950 m. 

Überhaupt ist, allgemein gesprochen, auf den Hängen und 
Flächen der Nord- und Westseite Wald- und Buschbestand 
größer als sonstwo im ganzen Gebiet, namentlich als auf der 
Südseite ; eine Folge des natürlichen, durch die Berge gebotenen 
Schutzes gegen die kalten West- und Nordwestwinde. 



— 120 — 

CHe in diesen Waldungen vorkommenden Bäume sind haupt- 
sächlich Buchenarten, Lingue (Nothofagus pumilio) und Coihue 
(Nothofagus dombeyi), letztere mehr im Oebirge selbst. Herr- 
liche Stämme, oft 20 — 30 m hoch, ragen in diesem Waldesdom 
säulenartig, schlank und gerade in die Höhe und stützen das 
weitverzweigte Blätterdach. An gutem Bau- und Nutzholz ist 
hier kein Mangel. 

Die schwankende Quila (Chusquea quila), ein bambus- 
artiges, hellblätteriges Rohr, mischt sich in das Unterholz; be- 
scheiden zeigt der Myrtenstrauch seine johannisbeerähnlichen, 
blau-violetten Früchte im Dunkelgrün des Blattlaubes, und 
Raräl, dessen Blätter als Medizin gegen Brustschmerzen und 
Rheumatismus gebraucht werden, schaut verstohlen hinter be- 
moosten Stämmen hervor. Noch ein anderer Strauch, Pillo- 
pillo genannt, tritt hier in Menge auf. Seine Rinde, getrocknet 
und zerkleinert, gilt bei den Eingeborenen als vorzügliches 
Heilmittel. Im übrigen wachsen sowohl hier oben im Waldes- 
schatten wie auch unten in der Niederung zwei Arten Salsa- 
parilla, eine groß- und eine kleinblätterige ; ferner Chaura, dessen 
rosafarbene Beeren eßbar sind, Apia (Apium graveoleus L.), 
eine Petersilien- oder Eppichart. CHe breitzackigen Blätter 
dieser Pflanze werden getrocknet, dann zu Pulver verrieben 
und geschnupft; sie gelten als Medizin bei Erkältungen gegen 
Hals- und Nasenleiden. An den Gestaden der Seen wächst die 
ebenfalls als Heilmittel benutzte Doradilla. Fuchsia magellanica 
ist dort vertreten. Die Wilde Erdbeere (Frutilla) kommt überall 
vor und bedeckt oft ausgedehnte Flächen, die fast einem wirk- 
lichen Erdbeerfelde vergleichbar sind. Auch gibt es hier die 
sog. Quinoa. Aus ihren mohnartigen Körnern machen die Ein- 
geborenen Mehl und mengen dies in den gewöhnlichen Brot- 
teig, oder sie verwenden sie zur Herstellung einer schmack- 
haften Suppe. Damit komme ich zu den eigentlichen Nutz- 
pflanzen, die im Haushalte der Menschen eine so große Rolle 
spielen. 



— 121 — 

Leinsamen (linaga) gedeiht im Picotal vorzüglich; eben- 
so Knoblauch, Zwiebel und jede Sorte von Kohl. Bei der 
Hütte eines Indianers sah ich Rüben und Erbsen. Für den 
Anbau von Weizen und Gerste sind Boden und Klima äußerst 
günstig. Von einem Korn Aussaat soll die letzte Ernte 60 
bis 80 Ähren ergeben haben, und auf einem kleinen Weizenfeld 
am Nordufer des Pico zählte ich selbst an drei beliebigen 
Stellen an einer Wurzel 63, 74 und 76 Halme mit Ähren. 
Auch im Stroh sind Weizen sowohl wie Gerste vorzüglich. Die 
Halme erreichen 1,20 bis 1,70 m, also etwa Mannshöhe. Zeit 
zum Säen ist April und Mai, außerdem zum zweitenmal Sep- 
tember. Die Ernte der ersten Aussaat fällt in die Monate 
Februar und März, die der zweiten etwas später, etwa auf Ende 
März und Anfang April. 

Wie diese Getreidesorten, so liefert auch die Kartoffel 
gute Erträge. Die Knollen erreichen Faustgröße, sind zart 
und mehlig und sehr wohlschmeckend. An einer Staude 10 
bis 20 Knollen zu finden, ist keine Seltenheit. 

Über das Gedeihen von Mais konnte ich nichts Genaues 
erfahren. Ein Chilene will zwar Versuche mit guten Resul- 
taten gemacht haben. Indessen habe ich mich nicht selbst da- 
von überzeugen können. Dagegen kann als sicher angenom- 
men werden, daß für den Anbau von Hopfen, der z. B. im 
Bolsontale gut gedeiht, sich hier ein geeignetes Feld bietet. 

Alles in allem genommen, ergibt sich die Tatsache, daß 
das Picogebiet alle natürlichen Grundbedingungen nicht allein 
für Viehzucht, sondern auch für Ackerbau in hohem Maße 
besitzt. 

Über die Tierwelt ist verhältnismäßig wenig zu sagen. 
Der Puma, der südamerikanische Löwe ohne Mähne (Felis con- 
color L.) wird noch angetroffen, und zwar in seinen bekannten 
drei Spielarten: die eine mit gelbem Fell, die zweite von 
silbergrauer Färbung und die dritte mit braunem Rücken und 
weißlich-gelbem Bauch. Dem Menschen gefährlich ist dieses 



12-2 



große Katzentier nun gerade nicht, wohl aber den Haustieren, 
den Schaf- und Rinderherden, unter denen es zeitweise große 
Verheerungen anrichten kann. Immerhin hält der Puma keinen 
Vergleich mit dem afrikanischen Wüstenkönig aus. 

Neben dem Löwen ist wohl der Fuchs (zorro) das am 
eifrigsten gejagte Raubtier. Auch vom südamerikanischen 
Meister Reineke gibt es zwei Sorten, eine graugelbe (zorro 




Bauernhof im Kordillerental, Friedland. 



blanco) und eine größere mit dunklerem rötlichen Fell (zorro 
Colorado), Culpeo genannt. Die Vertreter der letzteren werden 
als nicht ganz so harmlos betrachtet, da es vorgekommen ist, 
daß sie große Hunde angegriffen haben. 

Der Huemül, der patagonische Hirsch, lebt in den Wäldern 
der Anden und wird seines guten Felles und des eßbaren 
Fleisches wegen gejagt. 

Zahlreich ist das Guanaco (Auchenia huanaco H. Sm.) 



— 123 — 

vertreten. Erwähnenswert ist noch das Stinktier oder Skunk 
(mephitis), hier unter dem Namen Zorrino bekannt; ebenso 
Pichi, eine Art Erdratte, die sich durch Aufwühlen dies Bodens 
oft unangenehm bemerkbar macht. 

Unter den Vögeln nimmt der schnellfüßige Strauß (Rhea 
Darwinii) die erste Rolle ein. Auch an anderen Vogelarten 
ist das Gebiet nicht arm. Hoch oben in den Kordilleren zieht 
der Kondor seine Kreise, und unten an den Seen tummeln sich 
zahllose wilde Enten und Qänse. Die Hochlandsgans, Mu- 
tarde genannt, ist in großen Scharen vertreten. Der Buitre, 
eine Qeierart, sitzt äugend auf einsamer Felsenklippe. Graue 
Wildtauben flattern zu Hunderten aus dem Waldesschatten über 
die sonnbestrahlte Weidefläche. Der Specht, Carpintero, im 
schwarz-weiß-roten Federkleid und mit dem Zimmermanns- 
käppchen auf dem Kopf, hämmert und klopft hier an den 
Bäumen ebenso herum wie in EXeutschlands Forsten. 

Von den kleinen Vogelarten, die sich im Grase oder nied- 
rigen Gebüsch veAorgen halten oder im Dornbusch ihre kunst- 
gerechten Nester zusammenflechten, soll nur noch die Calän- 
dria erwähnt werden, die, etwas größer als ein Spatz, in ihrem 
unscheinbaren grauen Gefieder mit schwarz und weißen Flügel- 
spitzen kaum auffallen würde. Indessen macht sie sich 
durch ihre große Zutraulichkeit bemerkbar, kommt z. B. dicht 
ans Lagerfeuer heran, um einige Brocken Fleisch zu erhaschen, 
und — ist der einzige Singvogel im ganzen Territorium Chubut. 

Was die Haustiere betrifft, so haben die wenigen hier 
lebenden Indianer dieselben, die auch in Europa bzw. Deutsch- 
land gehalten werden, sowohl Vierfüßer : Pferde, Rinder, Schafe, 
Ziegen usw. wie auch Federvieh: Gänse, Enten, Hühner. 

In dem Picogebiet (Friedland) wohnen bis jetzt nur 
fünf Familien. Davon bestehen vier aus Indianern vom 
Manzanerostamm, die fünfte ist chilenischen Ursprungs. Die 
Leute sitzen dort, ohne Eigentümer von Grund und Boden zu 



— 124 — 

sein, fast als unbeschränkte Herren und leben von Viehzucht 
und Ackerbau. Der Chilene namens Orellano hat sich und 
seiner neun Köpfe zählenden Familie ein hübsches Häuschen 
gebaut, die Wände aus Adobe (Erdziegel), das Dach mit Stroh 
eingedeckt. Daneben steht ein kleinerer Holzbau, der als Küche 
benützt wird. Freilich ist ja die ganze Einrichtung primitiv, 
bedeutet aber doch in Anbetracht der vorhandenen Mittel und 
der dortigen Verhältnisse eine anerkennenswerte Leistung. In 
der Nähe des Flusses hat er einen Gemüsegarten angelegt 
mit Kohl, Erbsen, Rüben, Zwiebeln, Schwarzwurzeln u. dgl., 
während weiter oben ein Kartoffelfeld sich befindet, an das, 
abgegrenzt durch stehengebliebenen Buschbestand, ein präch- 
tiges Gersten- und Weizenfeld sich anschließt. Zu bedauern 
ist nur die rücksichtslose Vernichtung der Sträucher und nied- 
rigen Bäume auf weite Strecken hin durch Abbrennen. Zu 
dem Besitz dieses Chilenen gehören 120 Rinder und 30 Pferde, 
21 Gänse und viele Enten und Hühner. Orellano wohnt seit 
einem Jahre dort und ist nach seiner eigenen Mitteilung 
äußerst zufrieden. 

Ein Indianer, namens Amui Nahuel, d. h. „der Tiger flieht" 
(zu ergänzen: bei seinem Anblick) ist bereits seit sechs Jahren 
hier ansässig. Seine Familie zählt sechs Köpfe und wohnt in 
einem kleinen, aus Holz, Lehm und Strauchwerk erbauten, mit 
Strohdach versehenen Häuschen am linken Ufer des Arroyo 
Mula, ungefähr dort, wo ein südlicher Nebenarm einmündet. 
Auf der anderen, höher gelegenen Seite dieses Baches befindet 
sich ein großer Viehkral, aus Stämmen und Planken sauber 
hergerichtet. Am Ufer, zwischen Bäumen und Buschwerk, 
breitet sich ein Gemüsegarten aus, während an den sanft an- 
steigenden Talwänden ein Gersten- und Weizenfeld die dunkle 
Farbe des Geländes unterbrechen. Die Erträge dieser Kom- 
früchte sind reichlich, trotzdem die Bebauung des Bodens wie 
auch der ganze Wirtschaftsbetrieb recht primitiv sind. Ge- 
pflügt wird z. B. mit dem einfachen, hakenartigen Holzpflug 



125 



aus vergangenen Zeiten; anstatt des Mähens mit Sichel und 
Sense wird das Getreide mit dem Messer geschnitten; das 
„Dreschen" geschieht mit einem einfachen Stock usw. 

Wie mir Amui Nahuel erzählte, will er späterhin nur noch 
Gerste anbauen, da der Weizen im letzten Jahre durch Nacht- 
frost gelitten hat, die Gerste dagegen intakt geblieben ist. 

Ein Teil der Ernte wird nach der nächsten Kolonie General 




Niederlassung des Indianers Amui Nahuel in Friedland. 

San Martin und an die Ansiedler am Gennoafluß verkauft. Viel 
ist es ja nicht, und der ganze Ackerbau überhaupt beschränkt 
sich vorläufig auf den eigenen Hausbedarf, da Kommunikations- 
mittel noch fehlen und die Bevölkerungszahl des Chubutterri- 
toriums noch recht gering ist. 

In größerem Maße wird die Viehzucht betrieben. Amui 
Nahuel besitzt 200 Rinder, 1100 Schafe, (Criollo-Pamparasse) 



— 126 — 

und 50 Pferde. Alle Tiere sind der vorzüglichen Weide wegen 
in einem ausgezeichneten Zustand. 

Im allgemeinen muß ich hervorheben, daß ich bei diesen 
„Halbwilden", in dieser kleinen, einfachen Indianerhütte einen 
Fleiß, eine Ordnung und Sauberkeit angetroffen habe, die ihres- 
gleichen suchen dürften. 

Die Frauen hantieren mit der Spindel, weben aus der her- 
gestellten Schaf- oder Quanacowolle Decken, Qürtel, Ponchos, 
Bänder von erstaunlicher Feinheit und Kunstfertigkeit ; besorgen 
dabei den Haushalt, die Küche, bereiten aus der Milch wohl- 
schmeckende Butter und Käse und helfen außerdem den 
Männern bei der Arbeit im Viehkral oder auf dem Felde. Und 
das alles mit einer gewissen Ruhe und Heiterkeit, die angenehm 
berühren. 

Von diesem kleinen, hübschen Anwesen aus, das ca. 50 m 
höher liegt als der Picofluß, ist nach Nordwesten hin eine andere 
Niederlassung sichtbar. Sie gehört dem Indianer Gamarillo, 
der dort in einem tief eingeschnittenen, dichtbelaubten Seiten- 
tal seine einfache, anspruchslose Wohnung erbaut hat. Auch 
er nennt mehr als 1000 Schafe, 150 Rinder und 40 Pferde 
sein eigen. 

Weiter östlich sitzt ein Manzaneroindianer mit etwa 100 
Kühen und 1000 Schafen, und nahe der östlichen Grenze wohnt 
in seiner etwas baufälligen Hütte am Temenäo der alte Ramirez 
Kalfule (d. h. der Blaue), der T3rpus einer echten Rothaut mit 
kolbenförmiger Hakennase, etwas breiten Backenknochen und 
pechschwarzem Haupthaar. Er zählt in seinem hübschen, dicht- 
umzäunten Kral 400 fette Schafe und besitzt außerdem ca. 100 
Kühe und 15 Pferde. Wie alle anderen, so baut er auch Weizen, 
Gerste und die im Haushalt erforderlichen Gemüse. 

Von allen diesen Leuten, die seit Jahren dort ansässig sind, 
hörte ich nur eine Meinung, und zwar: „Die paar Wintermonate 
im Picogebiet sind unangenehm ; aber sonst gibt es wohl kaum 



— 127 — 

ein schöneres und besseres Weideland." Dabei muß man in Be- 
tracht ziehen, daß diese Menschen in steter Besorgnis, ihre 
Plätze verlassen zu müssen, nicht gerade die besten Auskünfte 
erteilen. 

Was den Verkehr betrifft, so erwähnte ich schon, daß 
Weizen, Gerste usw. nach der benachbarten Kolonie Qeneral 
San Martin zum Verkauf gebracht werden. Ein breiter Karren- 
weg führt aus der Mitte des Picogebiets direkt nach genannter 
Kolonie, während verschiedene Seitenpfade den Zugang zu den 
einzelnen kleinen Niederlassungen ermöglichen. In den ver- 
schiedenen Geschäftshäusern und „Bolichen" San Martins 
können allerhand Waren und Gebrauchsgegenstände, vom 
Hosenknopf bis zum Anzug und vom einfachen Nagel bis zur 
Holzsäge, erhandelt werden. Dort gibt es auch Salz, Reis, 
Kaffee, Tabak, Zucker, Decken, Ponchos usw.; alles indessen 
für gerade nicht billige Preise; denn der Transport von der 
Ostküste bis hierher dauert lange und kostet Geld. 

Bahnen existieren im ganzen Territorium Chubut bis jetzt 
mit Ausnahme der 70 Kilometer langen Strecke Puerto Madryn — 
Trelew leider noch nicht, und so wird denn jeder Transport 
auf dem Landwege mittels Karre oder Lasttier bewerkstelligt. 
Da die argentinische Regierung dieses herrliche Kordillerental, 
„Friedland" genannt, in einer Ausdehnung von ca. 2250 Quadrat- 
kilometern für die Besiedelung mit deutschen bzw. germanischen 
Elementen reserviert hat (Dekret vom 29. November 1904), ist 
auf Anregung des Verfassers und des rührigen Herrn Adalberto 
Schmied in Buenos Aires, Galle Bartolome Mitre 556, neuer- 
dings ein Automobildienst eingerichtet worden, und zwar von 
der Ostküste, Puerto Madryn resp. Trelew bis zum Siedelungs- 
gebiet Friedland am Picofluß. Es werden Personen- und Fracht- 
automobile in Dienst gestellt, die jene Strecke in ungefähr 
25 Fahrstunden zurücklegen. Auf diese Weise ist — bei dem 
Mangel einer Bahnverbindung — nicht nur Gelegenheit gegeben 
zum schnellen und bequemen Transport der Landesprodukte 



— 128 — 

ziini Absatzmarkt, sondern es ist auch ein Mittel geschaffen 
worden, das zur weiteren Erschließung des Landes erheblich 
beitragen wird. 

Alles in allem genommen unterUegt es gar keinem Zweifel, 
daß das in Rede stehende Gebiet am Picofluß in kolonisato- 
rischer Hinsicht von großer Wichtigkeit ist. Ganz besonders 
bietet sich gerade hier wegen des gesunden, völlig europäischen 
Klimas mit Sommer und Winter, wegen der großen Fruchtbarkeit 
des Bodens, der Schönheit der Natur ein Landkomplex dar, der, 
wie vielleicht kein zweiter, zur Besiedelung mit germanischen 
Elementen geeignet ist. 

Zunächst würde es sich um Viehzucht handeln, um Acker- 
bau nur, soweit der eigene Bedarf es notwendig macht. Später 
bei Besserung der Verkehrsverhältnisse und Zunahme der Be- 
völkerung käme Ackerbau in größerem Maßstabe in Betracht. 

EHe günstigen Wasserverhältnisse ermöglichen die Ein- 
richtung industrieller Anlagen, unter anderem solcher mit elek- 
trischem Betriebe, wie z. B. Sägemühlen zur Verwertung des 
vorhandenen Holzbestandes, Mahlmühlen für Getreide, ferner 
Milchereien und Käsereien, dann Gerbereien und dergleichen 
mehr. Der Bau einer Bahn indessen und zwar einer 
elektrischen, weil billige Wasserkräfte vorhanden sind, wäre 
das wichtigste, und erst mit einem solchen Verkehrsmittel, 
das die Ostküste mit den Kordillerentälern verbindet, wird die 
eigentliche Erschließung dieses so fruchtbaren Landes mit 
Riesenschritten vor sich gehen. Solange solche Bahn, deren 
Bau ja nicht mehr in zu weiter Ferne liegen kann, nicht exi- 
stiert, wird die Besiedelung weniger schnell prosperieren. 
Immerhin aber braucht dort niemand Not zu leiden, und einem 
jeden ist die Möglichkeit gegeben, anstatt durch irgendwelche 
Lohnarbeit abhängig sein Leben zu fristen, hier in einigen Jahren 
selbständig zu werden und seine eigene Scholle Land zu be- 
sitzen. 



— 129 — 

Das ist ja schließlich die erste und letzte Hoffnung der 
meisten Menschen, das Endziel aller Arbeit. 

Liegen nun auch die Grundbedingungen zur Erreichung 
eines solchen erstrebenswerten Zieles hier äußerst günstig, so 
soll man sich doch keinen zu großen Illusionen hingeben. 
Manche Schwierigkeiten sind zu überwinden, und wie in aller 
Welt, so sind Arbeit und Ausdauer auch hier erforderlich, 
namentlich in den ersten Jahren. Ohne Arbeit und Fleiß ist 
es eben nichts! 



Vallentin: Chubut 9 



XIII. 

Von Saihueque bis Choiquenilahue. 

An den Süden der Kolonie General San Martin angrenzend, 
liegt ein etwa 250 Quadratkilometer großes Gebiet, das von 
der Regierung als Besiedelungsland einigen Indianerfamilien 
überwiesen ist. Der Boden ist sehr salpeterhaltig, namentlich 
in den Niederungen des Gennoa und im südwestlichen Teil, 
der in den ausgedehnten Sümpfen des Shamen endigt, d. h. 
in der vielverzweigten, mit Lachen und Sumpfbildung ver- 
sehenen Fortsetzung des Arroyo Omckel, dessen schon bei 
anderer Gelegenheit Erwähnung getan wurde. Steinig und 
felsig ist die Gegend, so daß eigentlich nur die Schluchten 
und Talebenen guten Graswuchs besitzen. Granit und Basalt 
sind vorherrschend, namentlich in der Umgebung des „Piedra 
Sottel", des Sottelfelsens, der einst, von unterirdischer Gewalt 
emporgetrieben, mitten im Tal hervorquoll und zu mächtigen 
Klumpen und nackten Wänden erstarrte. 

Die wenigen Indianer, die hier sitzen, treiben ausschließ- 
lich Viehzucht. Sie sind teils Tehuelchen, teils Pampas; auch 
Manzaneros vom Araucanerstamm leben hier. Vielfach schon 
haben sie sich durch Ehen miteinander gemischt, so daß ein 
reiner Stamm nicht mehr existiert. Als Wohnung dient diesen 
Eingeborenen das Zelt, indessen erscheint mehr und mehr die 
festgebaute Hütte, das Haus aus ungebrannten Ziegeln (Adobe) 
mit Schilfdach. Das Erdreich ist übrigens hier sehr gut für 
Ziegelbereitung, d. h. zur Herstellung gebrannter roter Ziegel 
geeignet. Ich habe dieselbe auf dem Besitze des Herrn Niebuhr 



131 



(Firma Femandez, Bertinat & Niebuhr) gesehen und ebenso 
auch später am Senguerrfluß, wo ein Österreicher mir die Pro- 
dukte seiner ersten Versuche zeigte. 

In der breiten, grünen Talebene nördlich vom Sottelfelsen 




Indianerin von Saihueqtie. 



lebte und starb der große Saihueque, ein berühmter Indianer- 
häuptling, dessen Macht einst sprichwörtlich gewesen ist und 
der sich einer Ehrfurcht und eines Gehorsams sondergleichen 
erfreute. Über Tausende hatte er einst geboten. Sein Macht- 
bereich erstreckte sich weit nach Norden bis über Mendoza 



— 132 — 

hinaus. Ein großer Teil seiner Indianer besaß damals sdion 
feste Wohnsitze, und im Gegensatz zu den nomadisierenden 
Patagoniem haben jene Araucaner schon so etwas von einer 
Hatbzivilisation angenommen. Die Fruchtbarkeit der von ihnen 
später bewohnten Gebirgstäler veranlaßte sie zum Weizenbau 
und zur Viehhaltung. Aus den wild wachsenden Äpfeln jener 
Gegend machten sie einen starken Obstwein, den sie gegen 
irgendwelche Bedarfsartikel eintauschten. Ebenso ernteten sie 
die Früchte der sogenannten Araukaria, die „pinones'^ aus 
denen sie ein angenehmes, erfrischendes Getränk herzustellen 
verstanden. Der Reichtum des Häuptiings Saihueque war sehr 
groß. Außer seinen zahlreichen Schaf- und Rinderherden be- 
saß er viel Silberzeug usw., so daß eines seiner Zelte gleichsam 
als Schatzkammer benutzt wurde. 

Und heute ? — Der große, reiche Häuptling ist vor wenigen 
Jahren gestorben. Er selbst und seine Familie sind verarmt, 
ruiniert von seinen Söhnen und Töchtern, die der liebevollen 
Umarmung der europäischen Kultur willenlos erlagen und an 
Vergnügungssucht, Trunk und Spielwut zugrunde gingen. 

Abgelegen vom Hauptwege, in einer großen, plateau- 
förmigen Einsenkung zwischen zwei Felskuppen wohnt der 
alte Tehuelchenindianer Kintruai mit seiner Frau und zwei Töch- 
tern. Neben dem geräumigen Zelt aus Guanacofellen hat er 
sich ein kleines Haus von Erdziegeln gebaut, mit Holztüren 
und Fensteröffnungen, die mit hölzernen Läden verschließbar 
sind. Rein und sauber ist hier alles, die Wohnung, die Gerät- 
schaften, das Kochgeschirr, und auch die Leute selbst machen 
einen äußerst reinlichen Eindruck, sowohl das alte Ehepaar wie 
besonders die beiden Töchter mit den schwarzen, schlicht ge- 
scheitelten Haaren, die in langen Flechten über die Schultern 
fallen, den frischen, rotwangigen Gesichtern und der einfachen, 
aber peinlich sauber gehaltenen Kleidung. Kintruai besitzt 
30 Stück Rindvieh und etwa 1000 Schafe. Ob ihm dieser Vieh- 
bestand und sein Grundbesitz von ungefähr 625 ha Fläche auch 



133 



noch nach einigen Jahren gehören werden? Wie mir erzählt 
wurde, steckt der Mann trotz seiner Arbeitsamkeit und Nüchtern- 
heit jetzt schon in den Krallen der Spekulanten und Bolicheros, 
die gewissenlos die kleinste menschliche Schwäche ausbeuten, 
um ihrer Habsucht zu frönen. Langsam aber sicher und : „Tu ich 
es nicht, dann tut es ein anderer", das ist hier das System eines 
Geschäfts. Wie es einst dem Häuptling Saihueque ergangen 
ist, so wird es auch mit Kintruai enden, und ebenso werden 
sie alle enden, verdorben — gestorben. Ich finde — vielleicht 
ist es Einbildung — daß bei allen Indianern, insbesondere bei 
den älteren Leuten so etwas wie eine stumpfe Resignation zur 
Geltung kommt, eine stillschweigende Ergebung in das unver- 
meidliche Schicksal. Auch als ich dort bei Kintruai in seinem 
Zelt neben dem knisternden Feuer saß und den Mate schlürfte 
und die Pfeife rauchte, fiel mir dieses auf. Die Leute waren 
freundlich und gastfrei; wir erzählten und plauderten und lach- 
ten auch zuweilen, und ich freute mich, wenn ich in den dunklen, 
rotwangigen Gesichtern der Töchter die großen, schwarzen 
Augen und hinter den frischen Lippen die herrlich weißen 
Zähne sah. Und doch war es immer, als ob ein trüber Schatten 
zuweilen über alles dahinhuschte, als ob das graue Gespenst 
der Sorge mit unheimlich drohenden Blicken am Feuer kauerte 
und den Zeltgenossen schwere Seufzer erpreßte. Und wie 
hier, so war es mit wenigen Ausnahmen fast überall, wo ich 
mit Indianern zusammengekommen bin; überall diese traurige, 

aber stumme Klage gegen ein herbes Geschick. 

EHe nächsten Tage brachten schlechtes Wetter. Müde und 
sonnenarm trauerte der herbstliche Himmel, und trostlos blickten 
die grauen Wolken herab auf die Erde, deren Gräser und Blätter 
vor dem frostigen Atem des brausenden Windes sich ent- 
färbten. Der Wind, der Wind — hier ist er kein himmlisches 
Kind, vielmehr ein wilder, störrischer Geselle, der von dort 
herzukommen scheint, wo der liebe Gott und die lichten, schönen 
Englein nicht zu Hause sind. 



— 134 — 

Ich habe ihn manchmal zum Teufel gewünscht — ich 
meine natürlich den Wind — und auch heute, als ich mit 
meiner Tropilla über die „Pampa de Qennoa" ritt und zwischen 
diesem Fluß und dem Rio Appeleg nur langsam vorankam, 
äußerte ich jenen Wunsch in gerade nicht gewählten Aus- 
drücken wohl schon zum zehntenmal. Aber was halfs! Die 
Regenströme rauschten, und der Wind blies weiter und fuhr 
ungehindert auf seinen dunklen Schwingen über die kahle, öde 
Fläche. Kein Baum, kein Gehölz ist hier vorhanden, ihm 
auch nur den geringsten Widerstand zu bieten. Nur niedriges, 
ganz verkrüppeltes Dorngestrüpp duckt sich ängstlich zwischen 
Steinen und felsigen Qeröllmassen und kriecht zwischen 
mancherlei Unkraut wie eingeschüchtert am Boden dahin. Auch 
sonst sieht diese Gegend nicht sehr einladend aus. 

Weidegras ist nur von mittelmäßiger Beschaffenheit und in 
verhältnismäßig geringen Mengen vorhanden; der Boden ent- 
hält Salpeter, insbesondere auf den niedriger gelegenen Strecken. 
Indessen kann Trinkwasser durch Grabungen oder Bohrungen 
schon in unerheblicher Tiefe erlangt werden. Bei der Tele- 
graphenstation Nueva Lubeca z. B. gibt ein Brunnen bereits 
bei etwa 2,5 m Tiefe genügend Wasser. 

Westlich von hier, also auf dem rechten Ufer des Baches 
Omckel, erstreckt sich dieselbe einförmige Hochfläche bis zu 
den Kordilleren hin, wo sie, allmählich ansteigend, mit einzelnen 
Kuppen und Rücken bis zur Höhe von 1000 und 1100 m empor- 
klimmt und dann nach Westen zum Tal des Rio Frias wieder 
bis auf 740 m über dem Meeresspiegel abfällt. Auch auf 
dieser nackten Steinpampa zwischen Omckel und Appeleg ist 
der Graswuchs nur dürftig; Bäume fehlen gänzlich, und auf 
der von einem Deutschen angelegten Estanzia ist es nur mit 
vieler Mühe gelungen, in einer Reihe von Jahren einige schwäch- 
liche Baumexemplare zu züchten und am Leben zu erhalten. 
Daß man auf einem so beschaffenen Terrain, das außerhalb 
der Kordilleren liegt und daher nicht mehr die günstigen Eigen- 



136 



schatten und natürlichen Qrundbedingungen der fruchtbaren 
Gebirgstäler aufweist, bisher bloß Viehzucht zu betreiben ver- 
mochte, dürfte erklärlich sein. Dabei ist die Schafhaltung be- 
deutender als die Rindviehzucht. 

Nach Süden fällt die mit steinigem Geröll bedeckte Pampa 
in ziemlich steilen Hängen zum Appeleg ab und bildet dort ein 
breites Tal, dessen Sohle auf ca. 7 — 800 m Höhe über dem 
Meere liegt. Das ganze gleicht auf beiden Ufern, sowohl des 
Appeleg wie des Qennoa, einer gewaltigen, tischartigen 
Fläche, einer Meseta, in welche die Flüsse und Bäche ihr 
steilwandiges und breites Bett tief hineingeschnitten haben, ohne 
viel Variation, mit derselben Eintönigkeit, die von der öden 
Oberfläche der Meseta zur Schau getragen wird. Nach Osten zu 
werden kleine Erhebungen sichtbar mit Steilabfällen, die wie 
hohe, abgewaschene Flußufer aussehen; dahinter recken sich 
blaue Kegel auf, und langgestreckte, tafelartige Wälle schieben 
sich fem am Horizont zu einer hellschimmernden Dunstmauer 
zusammen. Alles aber ist kahl, und schon kommt ringsumher 
der flächenartige Charakter der Landschaft anstatt des gewellten 
Berg- und Hügellandes durchweg zum Ausdruck, namentlich 
nach Süden zu, wo die weite Ebene ohne Unterbrechung bis 
zum Horizont reicht. Der Boden ist salpeterhaltig, und das 
Weidegras wohl infolgedessen nicht das beste. Es soll sich 
hier auch mehr als Futter für Schafe, weniger für Kühe eignen. 

Der Sturm war mittlerweile zum wahren Orkan geworden, 
der wutschnaubend über die Hochebene dahinfegte. Er raubte 
uns den Atem und hinderte die armen Tiere am Vorwärts- 
kommen. Es war, als ob er sich uns mit Riesenarmen ent- 
gegenstemmte und, wenn dies nicht gelang, aus Zorn einen 
Regenschauer, vermengt mit scharfen Hagelkörnchen auf uns 
herniederprasseln ließ. Dann blieben wohl einige Pferde nach- 
denklich stehen und drehten ihm verächtlich ihre Hinterhälfte 
zu, und ein Maultier schüttelte unwillig den langgeohrten Kopf, 
tat einen energischen Sprung und raste davon. 



— 137 — 

Wir hatten unsere liebe Not, und selbst mein Indianer, 
dessen Ruhe und stoischen Gleichmut ich sonst bewunderte, 
spuckte ein paarmal kräftig aus und stieß zwischen den knir- 
schenden Zähnen einen fürchterlichen Fluch hervor. Wen er 
damit gemeint hat, weiß ich nicht, vielleicht seinen Gualichu, 
den bösen Geist. So kamen wir denn allmählich die steile 
Barranka hinunter zum Tal, wo der schneidende Wind nicht 
mehr in seiner ganzen Heftigkeit empfunden wurde. Hier — 
es waren ca. 35 — 40 km von der vorgenannten Telegraphen- 
station — erhebt sich zur linken Hand ein Felsklotz, auf dessen 
glatter Wand Figuren und Zeichen in braunroter Farbe an- 
gebracht sind. Wiederum ein stummer Zeuge, ein beredtes 
Denkmal aus längst vergangenen Zeiten von einem unter- 
gegangenen Volk. Bei dem schlechten Wetter ließen sich die 
einzelnen Schriftzeichen nicht gut erkennen. An einzelnen 
Stellen waren auch Felsstücke herausgebröckelt und Farbe da- 
mit verschwunden. Immerhin konnte ich bemerken, daß unter 
den Figuren die Dreieckform vorherrschte, ähnlich wie auf dem 
Grabstein zwischen Norquinco und Maiten. 

Noch immer heulte der Sturm und strömte der Regen. 
Der Boden war aufgeweicht. Jetzt mußten wir über einen 
hoch angeschwollenen Bach, dessen Wasser in beträchtlicher 
Breite hinabschoß; wie es schien, war die Furt gut. Zwei 
Pferde und ein Maultier hatten schon vorsichtig tastend das 
andere Ufer erreicht. Don Jose, mein Indianer, folgte, dann 
kamen die anderen Tiere und ich machte den Schluß. Gerade 
hatten wir die Mitte erreicht, da stolperte eines der Pferde, 
stieß dabei ein zweites zur Seite und dieses drängte das eben 
vorbeischreitende Lasttier nach rechts, das nun plötzlich bis 
zum Halse untersank und sich vergeblich anstrengte, wieder 
hochzukommen. Uns selbst reichte das Wasser bis über die 
Sattelgurte. Umsonst versuchten wir, durch Zuruf und 
Peitschenhiebe das arme Tier vorwärts zu bringen; es sank 
immer tiefer, und schließlich hielt es nur noch den Kopf über 



138 



Wasser. Von meinen Gepäckstücken Waren nur die oberen 
noch sichtbar. Ob sich im Wasser nun eine abschüssige, 
schlammige Stelle befunden hat, ob dort Schlinggewächse vor- 
handen gewesen sind, in denen sich die Beine des Tieres ver- 
wickelt haben mögen, oder ob es zwischen Steinen stecken ge- 
blieben ist: ich weiß es nicht. Jedenfalls blieben alle unsere 
Anstrengungen ohne Resultat; das arme Vieh saß fest im 
Wasser, und um uns herum toste der Sturm, und die Regen- 
tropfen klatschten rasselnd hernieder auf die dunkle Flut. 

Alle Wetter, und mein Qepäck, meine Bücher, meine Auf- 
zeichnungen und Skizzen, Films und Photographien! Alles 
vielleicht schon verdorben. Da kam mein Indianer auf einen 
Einfall. Er löste vom Sattel seinen Lasso und warf ihn mit 
Geschick um den Hals des erbarmungswürdigen Maultieres. 
Dann versuchten wir beide mit vereinten Kräften das Tier 
herauszuziehen. Es half nichts. Wieder fluchte Don Jose und 
guckte mich ärgerlich an. Darauf befestigte er ohne ein Wort 
zu verlieren schnell das andere Ende des Lassos am großen 
Sattelring seines Gauls, sprang auf den Rücken des Pferdes 
und trieb es mit Schenkeldruck und Peitschenhieb zum kräf- 
tigen Anziehen an. Erst nach mehreren Versuchen gab das 
Hindernis nach und das gerettete Maultier wurde ans Land 
gezerrt, aber — tot! mausetot! 

Der Indianer stand sprachlos daneben, tastete und klopfte 
an Kopf und Leib und Schwanz herum, aber das Tier blieb 
tot, und Don Jose sprach so etwas von „schade*' und „er- 
trunken", wobei er ein gar mitleidiges Gesicht aufsetzte, und 
dann murmelte er einige unverständliche Worte vor sich hin, 
vielleicht ein Stoßgebet für die entflohene Seele des armen 
Tieres, die er in die Jagdgründe seiner Väter zu befördern ge- 
holfen hatte. Auf alle Fälle machte er einen sehr geknickten 
Eindruck, wohl im bedrückenden Gefühl seiner Schuld und in 
Erwartung böser Dinge, die da kommen sollten. Aber es kam 
gar nichts. Ich war ja froh, daß ich mein Gepäck wieder 



— 139 — 

4 

hatte, und befahl dann, die ganze Last dem anderen Maultier 
aufzubürden. Das geschah, wenn auch bei dem miserablen 
Wetter mit allen nur erdenklichen Hindernissen. Durchnäßt 
von oben bis unten und bis auf die Haut im buchstäblichen 
Sinne trabten wir dann auf dem schlüpfrigen Wege weiter, und 
der braune Don Jose rief ein über das andere Mal „Caramba" ! 
und „Diablo"!; dabei spuckte er aus, weit über den Hals 
seines Tieres weg und schüttelte sein triefendes Haupt und 
schielte scheu zu mir herüber. Der frevelhafte Mord des guten 
Maultieres schien schwer auf ihm zu lasten. Ich saß „gedrückt" 
im nassen Sattel, denn meine Kleider und der Poncho waren 
von Wasser vollgesogen wie ein Schwamm und zogen mich 
mit ihrem Gewicht abwärts. Innerlich aber war ich froh, 
daß meine Notizen und Aufzeichnungen, Skizzen usw. gerettet 
waren und daß ich nur einige Gepäckstücke, die etwas Pro- 
viant und einige Kleidungsstücke enthielten, in den morastigen 
Fluten verloren hatte. Das war leicht zu verschmerzen. 

Drüben im Westen aber schaute ein neugieriger Sonnen- 
strahl hinter den schwarzen Wolkenmauern hervor und be- 
leuchtete für einen Augenblick die nasse, feuchte Ebene vor 
uns. Und da glitzerten hell die Wellen des Rio Appeleg und 
am jenseitigen Ufer — gottlob — da stand ja ein Gehöft. 
Zwar war es noch weit, aber es war doch da, und wenn es 
auch nur eine elende Hütte gewesen wäre ; wir brauchten dann 
die abscheuliche Nacht doch nicht wieder unter freiem Himmel 
auf durchweichtem Boden zuzubringen. Ich atmete erleichtert 
auf, vielleicht hörbar, denn Don Jose schaute mich fragend an, 
lächelte heute zum erstenmal und zeigte nach der Ansiedlung. 
Ich nickte zustimmend. 

Wir passierten den breiten, vom Sturm aufgewühlten 
Appeleg und erreichten diesmal ohne Unfall das andere Ufer. 

Nach einer Stunde etwa hielten wir vor der Tür des Hauses, 
wo mir der Besitzer, unter allen Ausrufen und Zeichen des 
Schreckens und der Verwunderung, schon entgegenkam, und 



— 140 



mich zum Eintreten nötigte. Wir trieften, und in meinen langen 
Reitstiefeln gluckste es verdächtig, und wo wir standen, bildeten 
sich Lachen und der festgestampfte Boden verwandelte sich 
dort in kurzer Zeit in einen schlammigen Brei. Das hinderte 
aber nicht, daß wir erst verschiedene ganz heiße Matäs in un- 
seren Leib hineinschlürften; erst dann, als wir den inneren 
JMenschen erwärmt hatten, stiegen wir aus unseren nassen, 




Botellos Besitz in Choiquenilahi 



beschmutzten Kleidern und schlüpften in trockenes Zeug, das 
der menschenfreundliche Wirt uns herbeibrachte. Es paßte zwar 
nicht ganz, und ich mag wohl wunderlich darin ausgesehen 
haben ; aber es wärmte. Und das war zunächst das wichtigste. 
Der Besitzer dieser Estanzia ist ein Argentiner aus der 
Provinz Corrientes, namens Botello, der älteste Ansiedler in 
dieser Gegend am Gennoa, Appeleg, und Sengu^rr, die den 
Namen „Choiquenilahue" führt, das heißt „der Straußenpaß". 



— 141 — 

Sefior Botello ist mit einer Vollblutindianerin aus dem Te- 
huelchenstamm verheiratet. Seine Besitzung hat eine Aus- 
dehnung von 4 Legua, d. h. 100 Quadratkilometer. Der Oras- 
wuchs ist im allgemeinen gut, und Viehzucht kann daher mit 
gutem Erfolg getrieben werden. Namentlich ist die Milch- 
ergiebigkeit der Kühe vorzüglich. Der Fettgehalt der Milch 
ist groß, und Butter- und Käsebereitung können infolgedessen 
gute Erträge abwerfen. Auf der gesamten Fläche hält Sefior 
Botello etwas mehr als 10000 Stück Vieh, d. h. Rinder und 
Schafe zusammen, indessen auch nur während des Sommers, 
also etwa 5 Monate lang. Im Winter setzen die Überschwem- 
mungen das Talgebiet unter Wasser, und die ganze Ebene 
gleicht dann einem mächtigen See. Die Tiere sind in jener 
Zeit genötigt, hinauf zur sog. Meseta zu gehen, zur weit- 
gedehnten Pampafläche, wo sie hinreichend Futter finden und 
in den niedrigen Dornbüschen einigermaßen Schutz suchen 
können. Denn die Stürme hausen hier mit gewaltiger Kraft. 
Ackerbau ist aus diesem Grunde bisher nicht möglich gewesen. 



XIV. 

Am Rio Senguerr und Rio Mayo. 

Von Choiquenilahue, das 490 m über dem Meeresspiegel 
liegt, erstreckt sich westwärts eine tischförmige Pampa zu 
beiden Seiten des Rio Senguerr, der, aus dem Lago Fontana 
in den Kordilleren kommend, von Westen nach Osten fließt, 
hier in der Nähe der Estanzia Botellos im rechten Winkel 
nach Süden abbiegt und in südöstlicher Richtung bis fast zum 
46. Grad südlicher Breite, zur Grenze vom Territorium Santa 
Cruz läuft. Oort macht er wieder eine rechtwinklige Biegung 
und strömt nach Nordosten zum Lago Musters. 

Der Boden jener Meseta ist zumeist sandig und von einer 
Decke aus Geröll und Steinen überlagert, auf der nur eine 
dürftige Vegetation zum Vorschein kommt. 

Die Steppengräser, hier allgemein Coiron genannt, gedeihen 
aber gut. Sie sind es, die während der Winterszeit dem Vieh 
als Futter dienen. In einzelnen Tälern gibt es besseren Boden, 
da sich dort die herabgeschwemmten Verwitterungsprodukte 
des Gesteins angesammelt und eine fruchtbare Humusschicht 
gebildet haben. 

Fließendes Wasser fehlt; dafür sind genügend Wasser- 
ansammlungen vorhanden, stehende Gewässer, die sog. Manan- 
tiales. Brunnenanlagen sind außerdem mit verhältnismäßig ge- 
ringer Mühe zu ermöglichen, so daß eine Bewässerung dieses 
Gebietes kaum auf Schwierigkeiten stoßen würde. 

Ein tief eingeschnittenes Tal mit hohen, steilen Seiten- 
wänden zieht sich zu beiden Seiten des Rio Senguerr hin, von 
seinem ersten Knie bei der Estanzia Botello südwärts bis zur 



143 



Einmündung des Rio Mayo. Stellenweis erreicht diese Ebene 
eine Breite von 6—7 km und ist mit saftigen Gräsern bestanden, 
die ein vorzügliches Viehfutter abgeben. Baumwuchs fehlt; 
selbst das dürftige Dorngestrüpp an den Abhängen verschwindet 
oben auf der Meseta, die flach, steinig und sandig einen öden, 
trostlosen Anblick gewährt. Weiter im Westen baut sich auf 
dieser ungeheuren Fläche eine zweite auf, und diese wieder 
wird überragt von einer dritten, die sich bis zu dem Fuße 
der Ausläufer der Anden erstreckt. Auf dem östlichen Ufer 
des Senguerr ist die Pampa anfangs leicht gewellt und geht 
dann mit schroffen Rändern und Kuppen in jenen Höhenzug 
über, der sich vom südlichen U-förmigen Bogen des Flusses 
zwischen diesem und dem Lago Musters nach Norden zieht 
und sich an einigen Stellen zur Höhe von 1200 und 1300 m 
und mehr erhebt. Die Talsohle des Senguerr liegt etwa 450 m 
über dem Meeresspiegel, während der obere Rand bzw. der 
Beginn der kahlen Steinpampa auf 550 — 600 m hoch gelegen 
ist. Die äußere Form dieser Meseta auf dem östlichen Ufer 
erinnert sehr an die sog. Kranzbildung in Südafrika. Die Ge- 
steinsmasse besteht hauptsächlich aus Basalt von schwarzer 
oder brauner Farbe. Dazwischen finden sich Basaltschlacken 
von hellbrauner bis gelblicher Färbung und kalkige Gebilde, 
Knollen von kohlensaurem Kalk, die sich wie weiße Flecke 
aus dem im allgemeinen dunklen Kolorit der wüsten Landschaft 
hervorheben. Auf den oben zutage tretenden Basaltfelsen 
lagert eine Schicht von grobem Geröll und Sand, dem Ver- 
witterungsprodukt von Porphyr- und Granitsteinen. 

Nur eine kümmerliche Vegetation kann in solcher un- 
fruchtbaren Öde gedeihen. Außer den spärlichen Coirön- 
gräsern wächst dort zwischen dem scharfkantigen harten Stein- 
geröll nur verkrüppeltes Dorngestrüpp. Hier und da steht 
verlassen eine kleine Sampastaude mit ihren graugrünen 
Blättern; auch Neneo ist anzutreffen neben niedrigen, trocken 
aussehenden Moosen und stacheligem Unkraut. 



— 1 45 - 

Das Talgebiet, durch das sich der Senguerr in tausend- 
fachen Krümmungen hinschlängelt, hier verschiedene Arme 
bildend, dort gewaltige Schneckenwindungen machend, so daß 
es oft aussieht, als wolle er in seinem eigenen Laufe um- 
kehren, ist bewohnt. Die Regierung hat hier das Land ver- 
messen und zu Losen von je einer viertel Legua = 625 ha ab- 
teilen lassen zwecks Besiedelung. Die Bedingungen sind die- 
selben wie in der Kolonie General San Martin. Meistens 
sind es Indianer, die sich hier niedergelassen haben, und zwar 
Tehuelchen unter dem Häuptling Canquel. Sie treiben aus- 
schließlich Viehzucht und wohnen teils in Zelten, teils in festen 
Hütten aus Adobe. Ich traf diese Eingeborenen gerade beim 
Einfangen der jungen Rinder zum Markieren. Vier oder fünf 
Leute zu Pferde jagen in gestrecktem Galopp wild hinter dem 
Tiere her; im geeigneten Augenblick saust der Lasso durch die 
Luft und legt sich als Schlinge dem Rind um Hals oder Hörner 
oder Beine. Brüllend vor Wut zerrt dieses daran und sucht zu 
entkommen, wobei nun das gelehrige Pferd, an dessen Sattel- 
ring der Lasso befestigt ist, die Füße vorwärts bzw. seitwärts 
stemmend, das Tier zum Stehen bringt. Mit Hilfe der anderen 
Leute wird es dann in die Nähe des Feuers gebracht, wo die 
Eisen mit der Marke des Eigentümers glühend gehalten werden ; 
dann wird es zu Boden geworfen, und jene Prozedur des 
„Stempeins" geht vor sich, der sich die gefangenen Engländer im 
Transvaalkriege einstmals ganz gegen ihren Willen unterzogen 
haben sollen. Da zu einem solchen „Familienfest" die 
nächsten Nachbarn und Freunde erscheinen, um hilfreich Hand 
zu leisten, brodelt an dem Feuer auch ein großer Wasserkessel 
für den Paraguaytee, und der Mate macht unzählige Male 
seine Runde. 

Wiederholt habe ich Gelegenheit gehabt, Indianer reiten 
zu sehen, nicht nur beim Einfangen und Lassieren von Vieh, 
sondern unter anderem auch beim Bändigen von Pferden usw., 
und stets mußte ich ihnen Bewunderung zollen ob ihrer großen 

Vallentin: Chubut 10 



— 146 — 

Geschicklichkeit und Kraftentfaltung bei Ausübung dieser Kunst. 
Es ist erstaunenswert, wie ein Volk, dem früher das Pferd ein 
unbekanntes Tier gewesen ist, sich im Laufe der Zeit zu einem 
vorzüglichen Reitervolk ausgebildet hat Auch hinsichtlich der 
Behandlung der Tiere habe ich beobachtet, daß der „wilde" 
Indianer im allgemeinen humaner ist, als der Weiße der roman- 
nischen Rasse, daß namentlich beim Zähmen der Pferde der 
„grausame" Indianer nicht mit jener schrecklichen Brutalität 
verfährt, die der romanische Argentiner anwendet, um dem 
Tiere ein für allemal die Willenskraft in rohester Weise zu 
brechen. Häufig schon am ersten Tage solcher Behandlung 
ist das Pferd tatsächlich gebrochen, ein willenloses, halbblödes 
Geschöpf, das nie mehr eine Zuneigung zu seinem Herrn und 
Reiter fassen wird. Diese ist ihm gründlich ausgetrieben worden, 
und nur die Abneigung und Furcht vor seinem Bändiger ist 
geblieben. 

Es war ungefähr gegen Mittag, als ich, an den Toldos jener 
Tehuelchen vorüberreitend, das wilde Jagen hinter einem Bullen 
und das Lassieren desselben beobachtete. Ich hielt für kurze 
Zeit, um das interessante Schauspiel besser betrachten zu 
können. Schnaubend und fauchend, mit blutunterlaufenen 
Augen und hochgehobenem Schwanz stürmte das gehetzte Tier 
auf der weiten Fläche vorwärts; hinter ihm im gestreckten 
Galopp drei braunhäutige Burschen, den Lasso hoch in der 
Luft schwingend. [>er Bulle hatte seinen Weg zu mir und 
meiner Tropilla genommen. Immer näher kam er, schon hörte 
ich das Keuchen und Brummen, und mein Pferd wurde un- 
ruhig. Da sauste es durch die Luft; ein Lasso senkte sich 
hernieder und legte sich um den Hals des Rindes, das nun 
verzweifelt zerrte und schüttelte und zog, in ohnmächtiger Wut 
den Boden zerstampfte und dabei ein klägliches Geheul aus- 
stieß. Wie in Erz gegossen saß der Reiter; sein Pferd parierte 
durch Gegenstemmen den Ruck am Lasso. Dann wurde mit 
Hilfe der übrigen zwei Indianer der eingefangene Bulle zum 



— 147 — 

Feuerplatz getrieben. Das sich wie rasend gebärdende Tier 
versuchte sich auf einen der Reiter zu stürzen, namentlich auf 
den, der es am Lasso gebunden hielt. Ich wartete und besah 
mir die Sache. Da trat ein alter, hochgewachsener Mann zu 
mir. Seine Kleidung bestand in einem mantelartigen Überwurf 
aus zusammengenähten Ouanacofellen, deren innere haarlose 
Seite Bemalung zeigte. Figuren und Linien, Quadrate und Drei- 
ecke waren dort in symmetrischer Anordnung zusammengefügt, 
derart, daß das ganze ein mosaikartiges Aussehen erhielt, und 
nicht etwa regellos; vielmehr bildeten die kleinen, etwa 1 qcm 
großen Figuren wieder größere, die ihrerseits die ganze Fläche, 
also etwa 2 m im Quadrat, in einer wunderbaren Symmetrie 
bedeckten. Die Farben waren hauptsächlich braun (wahrschein- 
lich gebrannte Ockererde), schwarz und weiß. Außer als 
Schmuck soll diese Bemalung auch als Schutzmittel gegen 
Nässe dienen, da die Farbe infolge ihrer Zusammensetzung 
die Eigenschaft besitzt, die unbehaarte Fellseite undurchlässig 
zu machen. Der alte Indianer bat mich, abzusteigen und in 
sein Zelt zu kommen. Ich willfahrte, da es ohnehin Mittags- 
zeit war und eine kleine Rast für Mensch und Tier ganz an- 
gebracht erschien. Bald saßen wir im geräumigen Toldo am 
Feuer. Der Mate kreiste, während am mächtigen Bratspieß 
ein Rippenstück von ansehnlichem Umfang geröstet wurde. 
Sorgfältig wendete und drehte ein Indianerweib den duftenden 
Braten, um ihn gleichmäßig der Einwirkung des Feuers aus- 
zusetzen. Prasselnd und zischend tropfte das Fett hinunter 
in die Flammen, die dann jedesmal erschreckt emporflackerten. 
Der Spieß mit dem braun gerösteten Rippenstück wurde jetzt 
vom Feuer genommen, mit Längs- und Querschnitten versehen 
und mit Salzwasser begossen, dann noch einmal nur für einen 
Moment ans Feuer gestellt, 2 — 3 mal gewendet, und — der 
„Asado" d. h. Spießbraten war fertig. Ohne weitere Zere- 
monien zog nun ein jeder sein langes, scharfes Dolchmesser 
aus dem Gürtel und schnitt sich ein beliebiges Stück vom 

10* 



Brattn ab, das er unter Zuhilfenahme der Finger und eben 
jenes Messers mit Appetit verspeiste. Ich tat natürlich dasselbe, 
und als ich fertig; war und mit einem herzlichen „gracias" 
mein Messer am Stiefelschaft abzog und dann in meinen Leder- 
;;urt steckte, fühlte ich doch ein wohliges Behagen in meinem 
Innern, und ich muß wohl schmunzelnd meinen Mund mit 
dem Taschentuch gewischt haben, denn die braunhäutigen Zelt- 




Tehuelchen- Indianer vor ihrem Zell, 

};(.'nössen freuten sich ebenfalls und grinsten und lachten und 
schienen befriedigt und vergnügt zu sein. Als dann eine Pfeife 
Tabak geraucht wurde und der Mate wieder in seine Rechte 

trat, fragte mich mein liebenswürdiger Wirt, ob es mir ge- 
schmeckt habe, ob ich vielleicht noch etwas wünsche. 

„Nein, ich danke, ich habe vollauf genug und das Fletsch 
war ja vorzüglich. Es hat mir selten so gut geschmeckt wie 
heute." 



— 149 — 

„Ei ja, das will ich glauben/' nickte die alte Rothaut, und 
dabei lächelte der Mann zufrieden vor sich hin. „Aber es 
hat sich gut getroffen. Mein Bruder ist hier zu Besuch und 
einige Nachbarn sind auch gekommen, um uns bei der Arbeit 
da draußen zu helfen. Da haben wir denn heute Morgen ein 
gutes Pferd geschlachtet; Herr, es war auch unser bestes 
Stutenfohlen, und das Fleisch war wirklich gut. Nicht wahr?" 

Ich wußte erst nicht, wie mir geschah. In meinem Leibe 
fing das verspeiste Pferdefleisch an, sich zu bewegen. In- 
dessen ich bezwang mich und antwortete recht lebhaft: 

„Si Senor, muy rico; es war wirklich vorzüglich." Dann 
eilte ich spornstreichs hinaus ins Freie . . . 

Ich habe später noch viele Male Pferdefleisch gegessen, 
sogar schon am folgenden Tage, ut^d habe mich daran gewöhnt. 
Offen muß ich bekennen: es schmeckt sehr gut, und unsere 
Abneigung davor ist nur etwas Überliefertes, Anerzogenes, 
Angewöhntes. Allerdings nehmen die Indianer zu ihrem Essen 
nicht alte, abgetriebene Klepper und kranke Gäule, sondern 
junge, völlig gesunde Tiere. Und darin liegt wohl der große 
Unterschied zwischen dem Verspeisen von Roßfleisch bei dem 
Indianer hier und bei den weißen Menschen im alten Europa. 

Etwa 60 km südlich von Choiquenilahue rücken die Tal- 
wände eng zusammen und bilden eine Art steilwandiges Tor 
von kaum 150 m Breite, dessen oberer Rand, aus völlig zer- 
setzten vulkanischen Gesteinen bestehend, ein wildzerborstenes 
Aussehen hat und unmittelbar in die mit Geröll und Sandstein- 
massen bedeckte pampaähnliche Hochebene übergeht. Der 
Boden ist hier stellenweis kalkhaltig; Gips kommt in faserigen 
Gebilden vielfach vor. Ebenso sind Salzablagerungen an meh- 
reren Plätzen zu finden, z. B. 30 km nordwestlich von hier, 
außerdem in einer Entfernung von 13 bis 15 km südwestlich 
von dem soeben erwähnten Tor. Das dort vorhandene Salz 
ist von guter Beschaffenheit, relativ feinkörnig und wird von 
den Leuten als Speisezusatz benutzt. 



— 150 — 

EJer Talboden selbst zeigt hauptsächlich sandige Bestand- 
teile, bis auf 1,8 m Tiefe. Unter dieser Sandschicht, die von 
tonhaltigen Sedimenten, vermengt mit Mergel und Kalk, durch- 
zogen ist, befindet sich ein ca. 0,5 m starkes Konglomerat, das 
Steine und rundliche Kiesel bis zur Faustgröße enthält. Nach 
unten folgen wieder ton- und lehmhaltige Sandablagerungen. 
' Die ganze Gegend macht im allgemeinen einen öden Ein- 
druck, der durch das Fehlen einer kräftigen Vegetation nur noch 
erhöht wird. 

Je weiter man nach Süden kommt, desto mehr treten 
an den Abhängen sandige Flächen hervor; das linke Ufer 
erscheint beinahe wie ein Riesenbau von Schanzen und Bastio- 
nen; so türmen sich dort Sand- und Lehmwände aufeinander. 
Hinauf und hinunter windet» sich der schmale Pfad, wenn über- 
haupt von einem solchen gesprochen werden kann. Denn 
nur zu häufig hört er völlig auf, und oftmals stand ich entweder 
eingeengt zwischen Wasser und steilragender Uferwand oder 
inmitten einer schauerlichen Schlucht, in der es aussah, als ob 
dämonische Gewalten im wütenden Kampf gegeneinander ge- 
tobt hätten. Noch einmal, etwa 17 km südlich von dem oben 
genannten Tor rücken die Ufer des Senguerr nahe zusammen 
und bilden eine zweite Verengung mit senkrechten Felswänden, 
die zumeist aus völlig verwitterten, vulkanischen Gesteins- 
massen bestehen. Die äußere Formation zeigt ausgesprochene 
Kranzbildung auf beiden Seiten des Stromes. Drohend wie 
halbverfallene Türme einer Ruine oder wie zerschossenes 
Schanzenmauerwerk, so ragt aus den Schutt- und Trümmer- 
massen das Felsgestein hervor, zerrissen, zerfetzt, hier wie 
auseinandergeschleudert von zorniger Hand, dort aufeinander- 
getürmt oder zusammengeworfen zu regellosen Haufen. Etwas 
Unheimliches liegt auf dieser Landschaft, und fast unheimlich 
tönt der Hufschlag unserer Reittiere in der menschenverlassenen 
Einsamkeit. 

„Da ist Rauch," bemerkt mein Begleiter. 



— 151 — 

„Out, also vorwärts!" 

In 15 Minuten etwa halten wir vor zwei Indianerzelten; es 
waren Tehuelchen, die sich in dieser gottverlassenen Wüstenei 
niedergelassen hatten. Neugierig laufen die Insassen zusammen, 
Männer, Weiber, Kinder, und mit erstaunten Blicken betrachten 
sie mich. 

„Wo geht hier der Weg zum Rio Mayo?" frage ich einen 
kräftigen, hünenhaft gebauten jungen Mann, der mir am 
nächsten steht. 

Er zuckt die Achseln und schüttelt mit dem Kopf. Mein 
Begleiter wiederholt die Frage und spricht mit dem Indianer 
in der Eingeborenensprache. Nach langem Hin und Her er- 

m 

fahre ich das Resultat: Hier gibt es keinen Weg mehr; unten 
ist unpassierbares Sumpfland und der Fluß, und sonst rings 
herum nur eine tief eingeschnittene Schlucht mit steil aufstreben- 
den Hängen. Wenn wir nicht vorziehen, umzukehren, müssen 
wir dort hinauf. E>er Indianer zeigte nach der betreffenden 
Höhe. 

Heiliger Himmel, also da hinauf!? Ich betrachtete mir die 
Sache da vor uns etwas und überlegte. Jedenfalls war das 
schwierige Vorwärts besser als das bequemere Zurück. 

„Also einen Pfad gibt es nicht," vergewisserte ich mich. 

„Nein, Herr!" 

„Nun, dann das Maultier nach vorn; es findet stets den 
besten Weg; darauf vorsichtig die Pferde hintereinander. 
Vämos!" 

Mein Führer trieb an und ich folgte. Donner, das war eine 
Kletterei. Noch heute überläuft mich ein leichter Rieselschauer, 
wenn ich daran zurückdenke. Und dazu diese Einöde in ihrer 
elenden Nacktheit, mit ihren gigantischen Lehmmauern und 
kalkigen Tonwänden, die von Höllengeistern zu Riesen- 
schanzen aufgetürmt und dann ins Fratzenhafte verzerrt zu sein 
scheinen. Alles ist hier Sediment, vom Flußufer bis hinauf 
zum letzten Rande, und die ganze Masse ist durchzogen von 



— 15-2 — 

horizontalen Ablagerungen aus festerem Material, so daß diese 
Naturmauern das Aussehen haben, als ob sie bei ihrem lanjr- 
samen Aufbau gewaltsame Unterbrechung oder überhastete 
Änderungen erduldet hätten, die in mehreren Absätzen zum Aus- 
druck kommen. Oftmals sind acht solcher Absätze aufein- 
ander geschichtet. Die sanft geneigte Ebene bis zum Fluß- 
ufer hin besteht aus lehmigem Kalk und Ton, ist an der Ober- 




Indianer vom Pampasti 



fläche trocken und hart, darunter aber naß und moderig. Nur' 
Dorngestrüpp, Calafäfe und Chapel fristen hier in greller Sonne 
ihr Dasein, die den Boden mit ihren Strahlen ausgedörrt hat, 
daß er geborsten und zerrissen ist. Lange Spalten ziehen sich 
von den Schluchten der Talwände hinab bis zum Flusse. Eine 
Menge von Lachen und Tümpeln, Ansammlungen von Regen- 
wasser, deren Umgebung meistens einen dunklen Morast bildet, 
zwingen den Reifer zur Vorsicht. Und nur behutsam schreitet 



— 1 58 — 

das Roß auf dieser das Auge blendenden, hart und fest er- 
scheinenden kahlen Fläche, die nur hin und wieder von dürftigem 
Gras und niedrigem Strauchwerk unterbrochen wird. Nahe am 
Flusse wächst hochhalmiges, grünes Schilf. Geröll und festes 
Gestein kommen hier wenig vor. Nirgends, weit und breit, so- 
weit das Auge reicht, ein Lebewesen. Keine menschliche Be- 
hausung, keine Hütte, nichts; eine unheimliche Stille, in der 
jeder Laut verhallt wie in Todesschweigen. Und immer wilder 
wird die Umgebung, immer öder, leerer. Geisterhaft bleich 
stieren die weißlichen Sandmassen den einsamen Wanderer an; 
gespenstisch heben sich die zerwühlten Klumpen und Haufen 
vom stahlblauen Himmel ab. Allmählich geht die helle, weiße 
Farbe der Uferwände ins Gelbe über; mehr und mehr treten 
braune und rötliche Flecken auf, und plötzlich — es war A\'> Uhr 
nachmittags — erscheint das ganze linke Ufer feuerrot. Alles 
ist dort in Rot getaucht, Übergossen wie mit Blut, durchglüht 
von Feuer, wie lodernde Flammen beim Weltenbrande. Und 
in den Wellen des Senguerr das gleiche Spiegelbild, glänzend, 
zitternd, wie eine riesenhafte Blutlache. Und hinter jenen in 
Feuersglut erstarrten Ruinen erheben sich farblos und blaß 
gleich weißen Leichenhügeln andere langgestreckte Bergrücken, 
flimmernd im Strahl der sinkenden Sonne. Fast atemlos blickte 
ich in diese schaurige und gewaltige Landschaft hinein, die aus 
dem flammenden Höllengrund zu stammen schien und mir 
vorkam wie eine Welt dämonischer Willkür und finsteren 
Trotzes, eine Welt des Aufruhrs wilder Elemente, denen erst 
ein allmächtiger Schöpfergedanke Rühe gebot. Und Ruhe, ja 
die Ruhe des Todes scheint seither in diesem großen Höllental 
zu herrschen, aus dem der Modergeruch einer längst verwesten 
Vergangenheit aufsteigt; alles Leben verschüttet, verschollen, 
wie wenn ein steinernes Entsetzen sich der Natur beim An- 
blick von etwas Schrecklichem bemächtigt hätte. 

Weiter flußabwärts kommen diese roten Schichten auch 
auf dem rechten Ufer vor; sie fallen im allgemeinen nach Süd- 



— 154 -^ 

Westen ein. Immer aber sind sie durchsetzt von helleren, 
weißlichgrauen, oft ins gelbliche spielenden Sedimenten, wäh- 
rend sie ganz oben von einer dunkelbraunen Decke überlagert 
werden, die spärliches Büschelgras und Gestrüpp hervor- 
sprießen läßt. 

Schier endlos dehnte sich diese tote Gegend mit den baum- 
losen Wänden, endlos und gleichförmig und dabei ermüdend, 
abspannend, geradezu marternd, als wenn tausend unsichtbare 
Spukgestalten hier ihr Unwesen trieben. Phantastische Wolken 
zogen am Himmel vorüber. Ihre dunklen Schatten huschten 
über das Wasser, an den Hängen entlang, bis sie in die Schluch- 
ten hineinkrochen, um weiter oben nahe am Steilrand in fratzen- 
haftem Teufelstanz vorbeizugleiten und dann zu ver- 
schwinden. 

Und immer weiter ritten wir, still und stumm ob des Ge- 
schauten ; und immer noch wollten diese vegetationslosen Schan- 
zen und Mauern kein Ende nehmen. Eine Biegung folgte der 
anderen. Das Tagesgestim war bereits hinter den Höhen ver- 
sunken. Da scheint das Gelände mit einem Male im Süden von 
einem vorgeschobenen Bergzug wie von einem Querriegel ver- 
schlossen; gurgelnde Töne, vermischt mit einem gleichmäßigen 
Rauschen dringen von dort zu mir herüber. Nach kurzer Zeit 
stoßen wir auf eine halbinselartige Anhäufung von Felsklötzen 
und Steinklumpen. Es ist die Stelle, wo der von Westen nach 
Osten fließende Rio Mayo in den Senguerr einmündet. Nun 
ging es das nördliche Ufer des Mayo auh^'ärts, soweit es noch 
möglich war, Mittlen^'eile war es dunkel geworden. Tiefer 
sank das Grau der Dämmerung, und von den finsteren Berg- 
hängen kamen die Schatten der Nacht und lagerten sich auf 
die einsame Niederung. Hier ruhten die schwarzen Berg- 
massen wie schlafende Ungeheuer mit ausgestreckten Leibern 
und gesenkten Köpfen. Geisterhaft, drohend reckten einige 
Büsche ihre verkrüppelten Zweige in den Nachthimmel hinein, 
cessen Horizont in gelber Glut zu leuchten schien. Eine dichte 



— 155 — 

Finsternis war hereingebrochen und brütete über dem Tal. Weg 
und Steg waren nicht vorhanden. Wir mußten Halt machen und 
hier die Nacht verbringen. 

Nahe dem Ufer des Rio Mayo, nur etwa 20 m von ihm 
entfernt, hatten wir das Lagerfeuer angezündet aus dürrem 
Wurzelwerk, Orasbüscheln und einigen trockenen Dornzweigen. 
Viel war ja nicht nötig, nur etwas, um heißes Wasser für den 
Mate bereiten zu können. Denn der leere Magen verlangte 
nach einem mühsamen Ritte wie dem heutigen irgend eine 
Stärkung. Mein Führer und ich schlürften unseren Paraguay- 
tee, das einzige, was wir bei uns führten; abseits weideten die 
Tiere. In weiter Runde herrschte eine schweigende, er- 
schreckende Einsamkeit, die wie ein Alpdruck auf der Natur 
zu lasten schien und erst das Unheimliche verlor, als am Firma- 
ment die blinkenden Sterne emporstiegen und das bleiche Licht 
der Mondsichel auf den schwarzen Nachtflor herniederfloß. 
Da zog es wie ein bläulicher Dämmerschein über die schlum- 
mernde Erde, über die blitzenden Wellen des Flusses, über 
Qräser, über Sträucher und über die spukhaften Gestalten der 
schlafenden Ungetüme an den Schluchten der Bergzüge. 

Unser Feuer war erloschen; von den verglimmenden 
Aschenresten kräuselte langsam ein weißlicher Rauchstreifen 
nach oben. Ich hatte mich in meinen Poncho gewickelt und 
auf mein „Prachtbett" neben einem Strauch, der mir gegen 
den kühlen Nachtwind Schutz geben sollte, ausgestreckt. Eine 
Decke hatte ich mir über den Kopf gezogen und war ein- 
geschlafen. Noch hörte ich das leise Rauschen des Flusses; 
noch weilte ich in Gedanken bei unseren Pferden, die in der 
Niederung da unten grasten, und ich glaubte deutlich das takt- 
mäßig knirschende Geräusch beim Zerkauen des Futters zu 
vernehmen. Und da hob plötzlich mein treuer Schecke, den 
ich für gewöhnlich ritt, den Kopf und blähte seine rosaweißen 
Nüstern, als lausche er auf irgend etwas Außerordentliches, und 
ein Getrappel von unruhigen Pferdehufen drang zu mir herüber. 



— 156 — 

Ich weiß nicht, schlief ich oder träumte ich im Halbschlaf. 
Mir war es mit einem Male, als ob mein Reitpferd an meinem 
Lager stände und mich beschnupperte und dann ganz sachte, 
vorsichtig tastend über mich hinwegschritt. Ich weiß nur noch, 
daß ich den rechten Arm schützend vor mein Gesicht legte 
und aufmerksam horchte. Und jetzt — ich war völlig erwacht 
— höre ich deutlich ein Geräusch in meiner Nähe, ein leises 
Brummen und Knurren. Mit einem Ruck schnelle ich empor 
und mein Blick trifft auf ein Etwas, das mir vor Entsetzen 
das Blut in den Adern erstarren macht. Zu meinen Füßen 
steht ein mächtiges, katzenartiges Tier, das mich mit funkeln- 
den Augen anstiert und seinen langen Schweif schlangenartig 
hin und her bewegt. Es ist ein Löwe, ein Puma. Was ich in 
diesem Augenblick gedacht habe, ist mir nicht bewußt; nur 
erinnere ich mich, daß mich das Bewußtsein einer augenblick- 
lichen Wehrlosigkeit überkam und daß der Gedanke an meinen 
Revolver, der ja neben meinem Sattel liegen mußte, mir wie ein 
Blitz durch das Gehirn zuckte. Ich konnte mich nicht rühren. 
Wir schauten uns gegenseitig an, das Biest und ich, der eine 
jedenfalls nicht minder erschrocken wie der andere. Ob sich 
uns beiden auch die Haare vor Entsetzen gesträubt haben, 
vermag ich nicht anzugeben, vielleicht dem Puma mehr als 
mir. Denn ich hörte nur ein dumpfes Knurren und Fauchen — 
und mit einem gewaltigen Sprung setzte das Katzenvieh über 
das Gestrüpp und war im hohen Grase verschwunden. Ich 
werde diese Nacht nie vergessen. Am nächsten Morgen zeigte 
mir mein Führer die Spuren, und wir fanden im Dornbusch, 
neben dem ich geschlafen hatte, einige hängen gebliebene gelb- 
braune Haarflocken des Raubtieres. Unsere Pferde aber waren 
auseinander geraten; es kostete viel Mühe, die geängstigten 
Tiere wieder zusammenzutreiben und einzufangen. 



XV. 

Kolonie Sarmiento. 

An diesem Tage zogen wir auf dem rechten Ufer des Rio 
Mayo eine ziemliche Strecke hinauf, bis wir eine geeignete 
Furt fanden, wo wir den Übergang bewerkstelligten. Die 
Szenerie ist hier etwa die gleiche wie am Senguerr. Dieselben 
hochragenden Steilwände aus Sand- und Tonmassen und oben 
die weitgedehnte, tischförmige Pampa ; dieselben tiefeingeschnit- 
tenen Schluchten, Canadons genannt, die sich oft 15 km und 
weiter hineinziehen; dieselbe Vegetation in der Niederung, 
saftige Mallin- und Coiröngräser und Schilf in der Nähe der 
Ufer und oben zwischen Sand und Geröll spärlicher Oraswuchs, 
der mit Unkraut vermischt ist. 

in und bei einem solchen „Cafiadon'' traf ich große Vieh- 
herden auf gutem Weideland. Im allgemeinen ist die Gegend 
baumlos; der lehm- und tonhaltige Boden zeigt viel Salpeter- 
ausscheidungen, und Sumpfbildungen sind sehr häufig. 

Nach einem scharfen Ritt in südöstlicher Richtung über 
die Pampa, die auch hier in Öde und Einsamkeit glänzt, und 
deren Höhe über dem Meeresspiegel durchschnittlich 350 m 
beträgt, gelangten wir durch eine tiefe Einsenkung wieder zum 
Südufer des Senguerr. Endlos erscheinen hier die Uferwände, 
unzählig die Biegungen des Flusses, die in ihrer ewigen Wieder- 
holung einen fast zur Verzweiflung treiben können. Denn kaum 
hofft man, einigermaßen einen Abschluß erreicht zu haben. 



— 158 — 

und wenn es auch nur zu dem Zwecke wäre, für einen Moment 
aus diesem Labyrinth herauszukommen, oder um sich durch 
einen Überblick zu orientieren, dann türmen sich sofort neue 
Wälle auf, neue Querriegel verschließen die Femsicht, und das, 
was wie ein sich öffnendes Tor aussah, ist weiter nichts wie eine 
vorgeschobene Wand, hinter welcher der Fluß einen neuen 
großen Bogen macht. 

Endlich, etwa gegen 5 Uhr nachmittags, kamen wir in die 
Nähe der südlichsten Flußbiegung, ungefähr 4 km von der 
Grenze des Territoriums Santa Cruz entfernt. 

Das Niederungsgebiet dieser Gegend eignet sich als vor- 
zügliches Weideland für Viehzucht. Im Winter ist es, wie 
überall in Patagonien, den Überschwemmungen stark aus- 
gesetzt, so daß die Tiere dann oben auf der Pampa ihr Futter 
suchen müssen. Der Rand und die eingeschnittenen Talebenen 
dieses Plateaus sind völlig kahl. Nur Steinmassen, wildes 
Geröll und grobkörniger Sand bedecken die weitgedehnte Fläche. 
Erst 3 — 4 km vom Rande entfernt zeigt sich Gras, sogen, 
„pasto fuerte", das im Wmter dem Vieh als Nahrung dient. 
Die dort vorkommenden Gräser gehören fast ausschließlich 
den Coirönarten an. 

Der Salpetergehalt des Bodens soll hier recht günstig auf 
die Ernährung der Schafe einwirken, soll u. a. den Fettansatz 
befördern und Krankheit verhindern. 

Auch Wasseransammlungen, Manantiales, sind vorhanden, 
so daß eine Bewässerung möglich gemacht werden kann. Wegen 
der herrschenden starken Winde fehlt Baumwuchs hier oben 
ganz, ebenso unten ün Tal, wo indessen Kartoffeln, Zwiebeln 
und andere Gemüsesorten gut gedeihen. 

Drei, allerdings recht weit voneinander gelegene, Ansiede- 
lungen befinden sich an der südlichen Krümmung des Stromes. 
Unter anderen hat sich ein Chilene, namens Thomas Torres, 
da niedergelassen, der Viehzucht treibt und auf 3 Leguas Land 
ungefähr 3000 Schafe, 400 Rinder und 150 Pferde hält. 



-^ 159 — 

Dort, wo der Senguerr in rechtem Winkel sich nach Nord- 
osten wendet, fallen die lehmijg^en und tonigen Sediment- 
schichten des Geländes im allgemeinen nach Südosten ein, und 
zwar auf dem rechten Ufer unter einem Winkel von 20 bis 
25 Orad, während auf dem linken Ufer durch Verwerfung 
und Zusammenschieben eine regellose Lagerung verursacht 
worden ist Dort trifft man die gelbbraune Ablagerung an, 
aufgerichtet bis zu 45 Orad, darunter auch die Schichten von 
jener feuerroten Färbung, die ich auf demselben Ufer des Sen- 
guerr nördlich von der Einmündung des Rio Mayo gesehen habe. 

Weiter nordwärts herrschten in der Formation die gelblich- 
grauen Mergelbildungen vor, in denen Oranitsteine von ab- 
gerundeter Form eingebettet sind. Das Tal ist stellenweise 
3 — 4 km breit und besitzt vorzügliche Weide. Der Fluß selbst 
bildet verschiedene Arme; Sümpfe, Lachen und Tümpel sind 
häufig. In dem hohen Schilfgras der Ufer tummeln sich 
Tausende von Wildenten und Oänsen. Und jetzt fliegt zwit- 
schernd, halb schnatternd und pfeifend ein Schwärm von 
Codornis vögeln über die baumlose Fläche. Sie ähneln unserem 
Rebhuhn in Farbe und Gestalt und gelten als Verkünder 
schlechten Wetters. 

„Sie kommen aus den Kordilleren, Herr,'* erzählte mein 
Begleiter; „dort ist jetzt sicherlich Unwetter, viel Regen und 
vielleicht schon Schnee und dann fürchten sie den Donner in 
den Eisbergen. Das kommt von dem Geist, der in einer unter- 
irdischen Höhle mitten im Gebirge wohnt und zornig an den 
Felsen rüttelt. Dann kracht und donnert es ringsum, und Feuer 
und Eis und Felsen stürzen von oben herunter und zerstören 
alle Bäume und Felder, Tiere und Menschen; ja" — fügte er 
hinzu — „das ist dann eine sehr böse Zeit." 

Allmählich treten die Berge auf beiden Seiten des Senguerr 
mehr zurück; auf dem rechten Ufer erscheint weithin sichtbar 
noch einmal die feuerrote Erdmasse, gleichsam als Fortsetzung 
der gleichartigen Ablagerung auf dem linken Ufer, die dem- 



gemäß in der Hauptsache von Nordwesten nach Südosten zu 
streichen scheint. Die Canadonbildung mit fürchterlichen Steil- 
wänden und von gewaltiger Längenausdehnung häuft sich. 
Dann schieben sich die Berge, einen großen Bogen bildend, 




Indianerfrauen aus dem Sfldweslen Chubuts. 



weit auseinander und lassen eine Ebene frei, die wohl 10— ]2kni 
in der Breite messen dürfte. NamentMch östhch vom Flußlauf 
ist dieses nur von einzelnen Terrainwellen durchzogene Niede- 
rungsgebiet charakteristisch ausgebildet. Weidegras, Maliin- 
und die Steppengräser gedeihen hier in guter Qualität; dagegen 



161 



mangelt es an Bäumen, und auch die niedrigen Dornsträucher 
sind nur spärlich vertreten. Die mächtige Talebene zieht sich 
auf dem rechten Ufer des Senguerr entlang, erreicht stellen- 
weise eine Breite von mehr als 30 km und erstreckt sich zu 
den beiden großen Seen Lago Musters und Lago Colhuapi. Sie 
bildet im großen und ganzen die Grundfläche der Kolonie S a r - 
m i e n t o , die seit ca. 4 Jahren existiert. Die ersten Ansiedler 
M^ohnen hier schon seit 1897, und heute beläuft sich die Zahl 
der Bewohner schon auf ca. 500 Köpfe. Meistens sind es 
Argehtiner und Italiener. Indessen haben sich dort auch einige 
Galenser und Angehörige anderer Nationen niedergelassen. Die 
Gesamtausdehnung der Kolonie beträgt 50 Leguas, d. h. 1250 
Quadratkilometer. Behufs Besiedelung ist diese Fläche ver- 
messen und in Lose zu ca. 625 ha. = 1/4 Legua eingeteilt, die 
unter gleichen Bedingungen, wie sie für die Kolonie General San 
Martin gültig sind, vergeben werden. Etwa 120 Lose sind bisher 
besetzt. Die Beschaffenheit des Bodens ist sehr verschiedenartig. 
Schwarze, tiefgründige Erde wechselt ab mit steinigen, ton- 
haltigen Strecken; dazwischen dehnen sich sandige Flächen 
und dünenartige Erhebungen. Auf ungefähr 1 m Tiefe kommen 
Geröllmassen, kalkige Gebilde und Kieselschichten zum Vor- 
schein. Die Wasserverhältnisse sind relativ gut; die vorhan- 
denen Brunnen geben ein vortreffliches Trinkwasser bereits in 
einer Tiefe von 1 bis 1,5 m. 

Hinsichtlich des Klimas ist Sarmiento zu den Gebieten 
zu zählen, die unter den heftigen Winden zu leiden haben, ähn- 
lich wie Norquinco und General San Martin, ja wie eigent- 
lich das ganze Territorium und ganz Patagonien, soweit es 
nicht in oder nahe bei der Kordillerenzone gelegen ist. Bäume 
können daher nicht gut gedeihen ; Versuche, die man mit Weiden 
angestellt hat, haben keine günstigen Resultate ergeben. Die 
jungen Bäumchen kamen bis zur Höhe von 1 m, dann knickte 
sie der Sturm. Die mittlere Jahrestemperatur für 1904 betrug 
11,70 C, und zwar für den Monat: 

Vallentin: Chubut 11 



1()2 



Januar 1904 22,16" C 

Februar w 18,68" » 

März n 15,16« « 

April ,; 12,08" u 

Mai „ 7,25^ ,, 

Juni u 5,9P „ 

Juli u 1,30" rf 

August ,f 5,67" ,; 

September „ 8,68" „ 

Oktober „ 11,47" „ 

November ,; 13,31" « 

Dezember „ 18,42" „ 

Die wärmste Zeit fiel in die Monate Dezember, Januar, 
Februar und März, mit einer Maximaltemperatur von 32,2, 
37,0, 35,5 bzw. 31, 0^ C, während Mai, Juni und Juli mit einer 
Minimaltemperatur von — 5,0 bzw. — 9,0 bzw. — 6,0 ^ C. den käl- 
testen Zeitabschnitt darstellen. Die durchschnittliche Regenmenge 
betrug für das Jahr 1904 nur 19,9 mm, so daß sich durch diesen 
geringen Regenfall der Übergang von den vegetationsreichen 
Gebirgstälern im Westen zur trockenen, kahlen Pampa im Osten, 
bereits bemerkbar macht. Überschwemmungen stellen sich jedes 
Jahr während der Wintermonate ein; namentlich haben die am 
Flusse und in der Nähe des Sees Colhuapi gelegenen Teile der 
Kolonie sehr darunter zu leiden. Jeder Verkehr ist dann unter- 
bunden, und die einzelnen Häuser oder Wohnungen, die meist 
auf kleinen Qeländeerhöhungen gebaut sind, befinden sich 
rings von Wasser umgeben. 

Die Vegetation ist im allgemeinen spärlich; fettes, saftiges 
Weidegras kommt nur streckenweise vor, dafür aber wächst 
überall das Büschelgras, „pasto fuerte", und dazwischen allerlei 
Unkraut und Dorngestrüpp. Ein Strauch, „Mata laguna*' ge- 
nannt, tritt in Menge auf. Er sieht äußerlich trocken und dürr 
aus und besitzt an seinen knorrigen, dicken Zweigen, die in 
langen Dornen auslaufen, winzige Blätter. Seines inneren 



163 



Feuchtigkeitsgehaltes wegen wird er von den Eingeborenen 
sehr geschätzt, die durch Kauen aus seinen holzigen Bestand- 
teilen eine süßlich schmeckende Flüssigkeit herausbringen. Auch 
der Calafätestrauch, die Beberitze und die Sampa sind hier 
vorhanden. 

Mit Ackerbau hat man bis jetzt wenig erzielt, trotzdem 
Weizen an einzelnen Stellen vorzüglich gedeiht und ebenso 
einige Gemüsearten, wie Bohnen, Kartoffeln usw., gute Erträge 
geliefert haben. Indessen steckt die sogenannte Chacrawirt- 
schaft hier noch sehr in ihren Anfängen, ja fehlt gänzlich, trotz- 
dem der Boden bei richtiger Behandlung und Bearbeitung, 
namentlich bei sachgemäßer Bewässerung, sicherlich dazu ge- 
eignet ist. Aber bis jet^t hat es noch niemand so recht ver- 
sucht, weil es eben etwas mehr Arbeit und Umsicht erfordert, 
und Arbeit — nun, die ist hier wenig beliebt, wird darum auch 
wenig geübt, und da ist es denn viel besser, den lieben Herr- 
gott für alles sorgen zu lassen, ohne selbst viel Mühe aufzu- 
wenden. Die Ansiedler von Sarmiento beschäftigen sich aus- 
schließlich mit Viehzucht, in der Hauptsache Schafzucht. Zur 
Zeit meiner Anwesenheit in der Kolonie betrug der Gesamt- 
viehbestand : 

ca. 75000 Schafe 

„ 10000 Rinder und 

„ 10000 Pferde. 

Viele der Bewohner haben nur Schafhaltung, wie z. B. die 
beiden fleißigen Brüder Guerrero, die auf 1 Legua 2000 Schafe 
besitzen ; wenige dagegen treiben Rindviehzucht allein, und zwar 
ohne irgend welches System hinsichtlich der Verbesserung der 
Rasse. Sie züchten — von einigen Fällen abgesehen — nur 
das eingeborene Rind der sog. Criollorasse. 

Was die Schafzucht anbetrifft, so eignet sich nicht nur für 
Sarmiento, sondern für das ganze Territorium Chubut das 
Rambouilletschaf mit der seidenartigen, aber kurzen und feinen 
Wolle am besten. Insbesondere fällt bei ihm ein Umstand 

11* 



1G4 



schwer ins Gewicht. Die Tiere bleiben in der Herde, laufen 
nicht einzeln fort, wie z. B. die Lincolnschafe und ersparen dem 
Besitzer auf diese Weise nicht nur eine Menge Arbeit, sondern 
auch die kostspielige Drahteinzäunung der Ländereien. Aus 




Pampa-Indianer von Senguerr, 

diesem Urunde hat man denn auch die Rambouilietzucht überall, 
wo CS angängiji war, bevorzugt, trotzdem das Lincolnschaf die 
lanjic, weiche Wolle liefert und für das Klima besser paßt, im 
Norden und bei den Indianern in dem südwestlichen Teile 
Chuhuts kommt noch das Pampacriolloschaf mit grober Wolle 



— 165 — 

vor. Indessen lohnt sich diese Zucht wenig, da bei der stets 
fortschreitenden Verbesserung in der Schafzucht die Wolle der 
Criollorasse die Konkurrenz der besseren Sorten nicht mehr 
ertragen kann. 

Die Wohnungsverhältnisse sind hier die nämlichen wie in 
der Kolonie General San Martin: einfach, ja dürftig und bar 
jeder Annehmlichkeit. Im Gegensatz aber zu soeben genannter 
Kolonie besitzt Sarmiento einen Zentralpunkt, ein „Pueblo", 
etwa vergleichbar einem Marktplatz, um den sich jetzt schon 
das Post- und Telegraphenamt, die Wohnung und das Bureau 
des Polizeichefs und das des Friedensrichters, einige Geschäfts- 
häuser und dergleichen gruppieren, und wo demnächst auch 
das Schulgebäude errichtet werden soll. So hat die Sache 
Hand und Fuß, während in San Martin eine systemlose De- 
zentralisation trotz des abgemessenen Marktfleckens eingerissen 
ist, was natürlich bei den großen Entfernungen und den oft 
schwer passierbaren Wegen in amtlicher und geschäftlicher 
Hinsicht nur nachteilig auf die Gesamtentwicklung der Kolonie 
wirken muß. 



XVI. 

Der Lago Colhuapi. Rada Tilly. 
Kolonie Escalante. 

Während auf der linken Seite des Senguerrflusses das Ge- 
lände unmittelbar zu einem kräftig entwickelten Mittelgebirge 
ansteigt, unter dessen Kuppen der Cerro Bernardo sich am 
höchsten emporreckt; während die Ufer des 270 m über dem 
Meeresspiegel liegenden Lago Musters von steilragenden Basalt- 
felsen und Steinwänden umklammert werden, trägt das Land 
zwischen Senguerr und dem Lago Colhuapi vollkommen den 
Charakter der Ebene an sich. Der nackte, lehmige Boden ist 
aufgerissen, oben hart, unter dieser dünnen Decke aber feucht 
und schlammig. Öde, eintönig erscheint das Ganze, das von 
einigen kahlen Bergen und Sandhügeln im Osten umgeben ist. 
In ihrer Mitte türmen sich die ruinenhaften Formen des Cerro 
Negro auf, zerrissen, zerbrochen, düsteren Blickes in diese 
armselige Landschaft hineinstarrend. Weiter im Nordosten ragt 
der blaue Cerro Onetto in den klaren Himmel hinein, und da- 
hinter am Lago Colhuapi reihen sich turmartige Spitzen, ab- 
gebrochene Kegel, Tafelberge in kleiner Form, aneinander, bis 
sie im feinen, bläulichen Dunst des Horizonts untertauchen. 
Sonst ist alles Sumpf und Morast rings herum, Sumpfland, das 
von Wildenten und Gänsen und Scharen von Reihern belebt wird. 

Der See Colhuapi, der in seiner Längsrichtung etwa 50, 
und in seiner Breite mehr als 20 km mißt, soll in früheren Zeiten 
ganz trocken gewesen sein. Auch heute noch ist er sehr flach 



1G7 



im Gegensatz zu seinem westlichen Nachbar, dem Lago Musters. 
Alte Indianer haben dem schon erwähnten Senor Botello be- 
richtet, daß vor mehr als hundert Jahren jener Colhuapisee 
gar nicht existiert habe. Der Name ist indianischen Ursprungs 
und bedeutet „Land — oder Insel — des Storches'*. Das 
könnte darauf hinweisen, daß damals jener Landkomplex schon 
Sumpf gewesen ist, also vielleicht im Begriffe stand, eine 
Lagune zu werden. 

Die Sage erzählt, daß an dieser Stelle einst eine große 
Schlacht zwischen Tehuelchenstämmen und einem anderen 
mächtigen Indianervolk geschlagen worden sei. Die Tehuel- 
chen vernichteten den Feind vollständig und schonten weder 
Weib noch Kind, so daß nur wenige entkamen, die die Trauer- 
botschaft an einen zurückgebliebenen Haufen kranker Männer 
und Frauen überbringen konnten. Letztere stimmten nun ein 
schauriges Totenlied an, und das Klagegeheul wurde vom Winde 
hinübergetragen zu den Tehuelchen, die in der Nähe des 
Schlachtfeldes die Nacht verbrachten. Diese, zu Tode ermattet 
von dem Kampf, halb siegestrunken, erhitzt und berauscht 
vom Geruch des dampfenden Blutes, wähnten plötzlich die 
Stimmen der erschlagenen Feinde zu hören und glaubten, daß 
die Toten lebendig würden, um die Niederlage zu rächen. Die 
Tehuelchen aber hatten auch viele Verluste zu beklagen und 
waren ihrer Ansicht nach jetzt an Zahl erheblich unterlegen. 
Daher beschlossen sie, den Platz zu verlassen und sofort weiter- 
zuziehen. Alle Beute ließen sie in der Eile zurück. Bei Tages- 
anbruch kam nun das Häuflein der übriggebliebenen Männer, 
Frauien und Kinder, und wieder erhob sich ein schreckliches 
Jammern und Schreien beim Anblick der Toten; der ganze 
Stamm lag dort erschlagen; Väter, Männer und Söhne. Weit- 
hin erschallte die Totenklage. Darauf wollte man die Leichen 
begraben. Aber es waren ihrer so viele, daß es für die Übrig- 
gebliebenen unmöglich war, zumal da fast alle in der Wut des 
Kampfes, im Ringen Mann gegen Mann, sich mit dem Gegner 



— 168 — 

zusammengekrallt und ineinander verbissen hatten, so daß un- 
lösbare Knäuel und Haufen von Menschenleibern den Boden 
bedeckten. Da wurde der Entschluß gefaßt, aus dem Lago 
Musfers Wasser in dieses tiefgelegene Totenfeld zu leiten. Und 
so gruben denn die Reste des besiegten Stammes von der tiefsten 
Stelle des Kampfplatzes bis dorthin, wo der Senguerr in den 
Musters einmundet, eine lange Wasserrinne, und als sie nahe 




Am Lago Colhuapi. 

am Ziel waren, durchbrachen die Wellen des Flusses das letzte 
Hindernis und rauschten wild hinab in das niedrige Land und 
überfluteten die Leichen und die Waffen und die Beutestücke. 
Und als alles vom Wasser bedeckt war, zog die kleine Schar 
der Überlebenden wieder zurück nach dem Süden, wo sie einen 
neuen Stamm gründeten. So die Sage von der Entstehung des 
Colhuapi-Sees. 

Tatsache ist, daß dieser See von Zeit zu Zeit an großer 



— 169 — 

Trockenheit leidet und daß dann das zurücktretende Wasiser 
einen sehr beträchtlichen Teil seines Bodens bloßlegt. Dort hat 
man denn auch, wie z. B. das letzte Mal im Jahre 1893, eine 
ungeheure Menge von Waffen, wie Speere, Pfeile, Bogen, 
Bolas, Messer u. dgl., menschliche Knochen und Schädel, so- 
wie Gerätschaften und Werkzeuge aller Art gefunden, so daß 
es wirklich den Anschein gewinnt, als ob an dieser Stelle einst- 
mals ein ganzes Volk seinen Untergang gefunden habe. 

Andererseits aber kann auch mit Sicherheit angenommen 
werden, daß der See früher im Südosten bedeutend weiter ge- 
reicht hat, etwa 15 km weit. Das sieht man an den fast senk- 
recht abgewaschenen Wänden des dortigen Höhenzuges mit 
den zutage tretenden Sedimenten von Sand, Lehm und Ton. 
Durch diesen früheren, jetzt ausgetrockneten Teil des Lago 
Colhuapi fließt gleichsam als eine Entwässerung des Sees bzw. 
als eine Fortsetzung des Senguerr der Rio Chico zunächst nach 
Osten, im teilweise trockenen Bette, dann nach* Nordosten, 
bis er ungefähr 15 km vom 44. Orad südl. Breite in den Chubut- 
fluß einmündet. 

In Sarmiento war ich gezwungen, mich nach einem neuen 
Führer umzusehen, da die Wissenschaft meines bisherigen 
braunen Begleiters hier zu Ende ging und er selbst heimkehren 
wollte. Aber wie das gewöhnlich zu gehen pflegt, das, was 
man notwendig braucht, ist selten oder gar nicht vorhanden. 
Das passierte auch mir in diesem Falle. Trotz aller meiner 
Bemühungen gelang es mir nicht, eine geeignete Person auf- 
zutreiben. Der einzige Mann, der angeblich Bescheid wußte, 
war vom Polizeikommissar für einen Transport nach Rawson, 
der in den nächsten Tagen abgehen sollte, gemietet. Und so 
blieb mir denn, um nicht übermäßig Zeit zu verlieren, nichts 
anderes übrig, als mich diesem Kranken- und Gefangenen- 
transport anzuschließen. Angenehm war es mir nicht. Aber 
was half's. Der Bien' muß! 

Am Senguerr, südwestlich von der Kolonie Sarmiento, lebte 



— 170 ~ 

auf seiner Estanzia ein Argentiner mit seiner schönen Frau 
glücklich und zufrieden. Ein Jahr etwa waren sie verheiratet. 
Da kam das erste Kind, ein Knäblein, und mit ihm das Un- 
glück. Im Kindbettfieber wurde die Frau wahnsinnig, und in 
einem unbewachten Augenblick eilte sie mit dem 8 Tage alten 
Knäblein hinaus und warf es in den Fluß. Wegen dieses in 
Geistesumnachtung begangenen Kindsmords sollte die körper- 
lich und geistig kranke Frau vor die Behörde nach der Haupt- 
stadt Rawson gebracht werden, sowohl vor den Richter wie 
vor den Arzt, bzw. in ein Hospital. Ihr Mann und ihr Bruder 
begleiteten sie, und der für diesen Transport gemietete wege- 
und landeskundige Führer fungierte gleichzeitig als Polizei- 
beamter. Notgedrungen mußte ich mich, wie oben gesagt, 
da kein anderer „Vaqueano** aufzutreiben war, mit meiner 
Tropilla und einem neuen Diener, der mir seine Dienste an- 
geboten hatte, dieser Karawane anschließen. 

Die Cordonisvögel hatten recht behalten. Schlechtes Wetter 
war eingetreten. Schwerfällige Wolkenmassen jagten am grauen 
Himmel dahin, und der Sturm heulte Tag und Nacht. Dann 
kam der Regen, mit seinen trüben, schwermutsvollen Tränen 
die Erde netzend. Der Boden war durchnäßt; feuchte Nebel 
lagerten sich auf den Niederungen und hüllten alles in ein 
bleiernes Grau, und schließlich verschwanden Himmel und 
Wolken und See. Nur Nebel, unendlicher, regloser Nebel, wie 
ein Gespenst der Melancholie in triefenden Gewändern, glitt 
schwerfällig über das Gefilde. 

Eines Morgens endlich erschien wehleidig und verschämt 
lächelnd Frau Sonne und bewog uns zum Aufbruch. Wir alle 
beritten, die Kranke, auf einem Feldbett liegend, in einem vier- 
räderigen, von vier Pferden gezogenen Wagen, so verließen 
wir nach mehrtägigem Warten die Kolonie Sarmiento, um einen 
Weg zu gewinnen, der sich am Ufer des Rio Chico entlang 
zieht und mannigfache Vorteile gewähren sollte: Wasser, Gras, 
Holz und Schutz gegen die kalten Winde. Denn die Jahres- 



— 171 — 

zeit war bereits vorgerückt; wir befanden uns im Monat Mai, 
also im Beginn des Winters, und da war Vorsicht sehr am 
Platze in Anbetracht der sehr wahrscheinlichen Möglichkeiten, 
als da sind: Frost, Schnee, Regen, Überschwemmungen und 
andere freudige Genüsse hierzulande. 

Drei Tage lang waren wir bereits bei dem denkbar schlech- 
testen Wetter auf völlig durchweichten Pfaden einhergezogen, 
als wir den Chicofluß erreichten, der in einem tief eingeschnit- 
tenen Tal zwischen Steilwänden dahinfließt. Letztere bestehen 
vorwiegend aus Sandmassen, gelblich-weißen Lehm- und Ton- 
schichten, die von roten und bläulichen Ablagerungen durch- 
zogen sind. Zwischen diesen langgestreckten Wänden sind 
durch Auswaschen oder Fortschwemmen einzelne Hügel von 
kegelförmiger, oft auch von halbkugelförmiger Gestalt stehen 
geblieben, welche die gleiche Zusammensetzung in der Schich- 
tung aufweisen. Völlig verwitterter Sandstein tritt zuweilen 
zutage, und herabgestürzte große Blöcke aus zersetzter, sandiger 
Oesteinsmasse bedecken die Talsohle. Die Breite der letzteren 
ist sehr verschieden; bald eng, so daß kaum ein Wagen 
zwischen Wasser und Abhang passieren kann, bald bis zu 3 km 
sich weitend. Jedenfalls wurde mir nur zu klar, daß diese 
schmale Niederung bei dem üblichen Regenwetter in der 
Winterszeit für Transporte usw. völlig unbrauchbar ist. Die 
Vegetation im allgemeinen und der Graswuchs im besonderen 
sind spärlich. Nur nahe den Ufern, wo Sumpf und Moor be- 
ginnen, steht hohes Schilf und Röhricht, während am Fuße und 
in den Schluchten der Abhänge neben Dornsträuchern auch 
Kakteen, von der Form einer stacheligen Wurst, und einige 
Distelarten gedeihen. Sonst ist alles Sand und scharfkantiges 
Geröll. Das linke Ufer erhebt sich ebenfalls jäh und steil, ist 
indessen bedeutend mehr zerrissen und zerklüftet, und an Stelle 
der weichen, lehmigen Tonschichten erscheinen dort harte, nackte 
Felsen, zackige Gesteinsmassen, aus denen wild, wie ein wüster 
Trümmerhaufen der Cerro chorreado sich aufreckt. 



— 172 — 

Bis nahe zur Küste des Atlantischen Ozeans erstreckt sich 
so die steinige Pampa hoch und flach, kahl, ohne Holz, ohne 
Wasser. Nur in Pfützen und Lachen ist angesammeltes Regen- 
wasser vorhanden. Im Winter fällt dort viel Schnee, der 1 bis 
1,5 m hoch monatelang liegen bleibt und jeden Verkehr un- 
möglich macht. Stellenweise erreicht diese Pampa eine Höhe 
von durchschnittlich 700 m über dem Meeresspiegel, so z. B. 
bei der Telegraphenstation Holdich 780 m, bei Canadon Castillo 
in der Nähe der Grenze von Santa Cruz 690 m. Von der 
Küste aus ziehen sich talähnliche Einschnitte tief in die Hoch- 
fläche hinein, die mit Orasweiden und Busch bedeckt sind und 
Quellen bzw. fließendes Wasser besitzen. Hier sind die für 
die Schafzucht geeigneten Plätze, an denen die Tiere haupt- 
sächlich Schutz vor den heftigen Winden und gutes Futter 
finden können. 

Der wichtigste Ort an der Küste, der als Hafen für das 
Hinterland in Betracht kommt, ist R a d a T i 1 1 y oder C o m o - 
doro Rivadavia. Eigentlich nur eine offene Reede ohne 
jede Verbesserung, nur im Zustand der Natur, bildet es den 
natürlichen Ausgangspunkt für den Import- und Exporthandel 
mit den besiedelten Gegenden des Landes westwärts bis zu 
den Kordilleren. Irgendwelche Bauten, wie unter anderem Lan- 
dungsbrücken, Molen und dergleichen, um die vorhandenen 
Schwierigkeiten zu beseitigen, die sich heut schon beim stets 
wachsenden Verkehr von Waren und Personen ergeben, würden 
aber gerade für Rivadavia sehr erhebliche Kosten verursachen, 
mehr z. B. als für die anderen beiden Häfen Camarones und 
Puerto Madryn. So leidet, um nur eins anzuführen, Como- 
doro Rivadavia an beständigem Wassermangel ; Wasser ist dort 
oft ein wahrer Luxusartikel, der mit klingender Münze bezahlt 
werden muß. Die bisher angestellten Bohrversuche sind ohne 
jedes Resultat geblieben, und man ist heute allgemein zur Ansicht 
gelangt, daß es rentabler sein würde, das Wasser 15 km weit her- 
zubringen, als jene recht kostspieligen Bohrungen fortzusetzen. 





HMHK'yi 




üw^4 




.^Pfl^J 




afi'',; 


MjH 




1 


n 


^^^^1 


i 


fl 




11 


pHI 




1' 


' '■ '■ >J 




rL 


» v' 


^^I^Kc 


'■'' ' 








« 


^1 


m 



174 



Trotz dieser Ungunst und trotz anderer natürlicher Hinder- 
nisse hat sich Comodoro Rivadavia in wenigen Jahren gut 
entwickelt. Es exportierte im verflossenen Jahre an Landes- 
produkten 413 800 kg, an verschiedenen anderen Waren etwa 
84 500 kg, und hatte in derselben Zeit eine Einfuhr von 2 100 000 
Kilogramm zu verzeichnen. 

Nördlich von diesem Hafenplatz liegt die neue Kolonie 
Escalante. In einer Flächenausdehnung von ca. 60 Leguas 
= 1500 Quadratkilometer erstreckt sie sich von der Küste des 
Atlantischen Ozeans bis beinahe zum Rio Chico, der ungefähr 
in jener Gegend seinen Bogen nach Nordosten macht. Das 
Land ist für Schafzucht geeignet. Unter außerordentlich gün- 
stigen Bedingungen hat die Regierung diesen Komplex für die 
Besiedelung mit Buren aus Südafrika reserviert, die sich dann 
auch hier niedergelassen haben, allerdings in verhältnismäßig 
geringer Zahl. Auch Deutsche und Holländer haben dort ihr 
neues Heim aufgeschlagen. Wie mir einige Buren selbst mit- 
teilten, sind die Leute mit ihrem Lose recht zufrieden. Jede 
Familie hat von der Regierung eine viertel Legua = 650 ha um- 
sonst bekommen, mit der Maßgabe, 34 Legua für eine ganz 
geringe Summe bei Teilzahlungen käuflich zu erwerben und so 
den Besitz auf eine Legua = 25 Quadratkilometer abzurunden. 
Wenn auch der Boden dieser Kolonie streckenweise gerade 
nicht zur besten Sorte gehört, wie z. B. in der Nähe des Rio 
Chico, wo er unfruchtbar, kahl und steinig ist und wo lehmiger 
Untergrund mit Felsblöcken und grobem Geröll abwechselt, 
so wird solcher Nachteil doch bedeutend aufgewogen durch 
die günstige Lage am Meer, die einen direkten Handel und 
Verkehr ohne die immensen Kosten für den Landtransport er- 
möglicht. 



XVII. 

Am Chico entlang. Das Heidegrab. 
Camarones und seine Pamparegion. 

Der Weg auf dem rechten Ufer des Rio Chico ist herzlich 
schlecht und kaum für Pferde, geschweige denn für Wagen 
leicht zu passieren. Steinblöcke und Felsen liegen oft wie 
eine Sperre mitten im Fahrweg; Senkungen, tiefe Löcher, ja 
schluchtenartige Vertiefungen, die unter Wasser stehen, bilden 
ein anderes Hindernis; an Brücken und sonstige Übergänge 
ist gar nicht zu denken; kurz, jede Nachhilfe von Menschen- 
hand scheint hier, wo nur rohe Kräfte sinnlos walten, ver- 
schmäht worden zu sein. Dazu der Regen, der tagelang her- 
niederströmte und die Erde in einen breiigen Schlamm ver- 
wandelte. Unter solchen Umständen ist es erklärlich, daß wir 
nur langsam vorwärts kamen. 

Der Fluß selbst zeigt nördlich von Escalante kleine Insel- 
bildungen, ist aber sonst durchweg von Ufer zu Ufer mit hohem 
Schilf bewachsen. Sanft gewellte Hügelreihen ziehen sich auf 
beiden Seiten hin, so daß an dieser Stelle der wilde, öde Cha- 
rakter der Landschaft etwas gemildert ist. Indessen auch nur 
wenig. Denn die Vegetation zeigt sich schwach entwickelt. 
Gras wächst nur spärlich auf dem mageren Boden; dafür um 
so mehr Sampa und Berberitze. Auch der „Mata laguna" ge- 
nannte Strauch und Algarobe mit der blutegelartig braunen 
Frucht, ähnlich dem Johannisbrot, kommen vielfach vor. Belebt 



177 



ist der Fluß von einer Menge Wasservögel, von wilden Enten 
und Gänsen. Der wilde Schwan mit schneeweißem Gefieder 
und schwarzem Halse schaukelt sich majestätisch auf der 
glitzernden Flut. Auf den Berghöhen grasen Guanacoherden ; 
eine auf dem lehmigen Boden frisch abgedrückte Löwenspur 
führt aus dem dichten, hohen Schilf heraus nach jener Anhöhe 
hin. Strauße sind in dieser Gegend ebenfalls vorhanden. 

Der heutige Vormittag war ausnahmsweise trocken ge- 
blieben; wir hatten unterwegs drei Gürteltiere erlegt, in ihrem 
eigenen Panzer am Lagerfeuer gebraten und mit Appetit ver- 
zehrt. Nach kurzer Rast zogen wir weiter. Aber da brach 
es los. Der Regen goß in Strömen und es stürmte heftig, 
und wieder waren wir völlig durchnäßt, wie vorher fast jeden 
Tag. Man kam wenigstens nicht aus der Gewohnheit. Auf 
dem durchgeweichten Wege stapften schwerfällig die Pferde, 
stieß und schüttelte der Wagen, und in ihm, zugedeckt mit 
einer Zeltleinwand, wimmerte und schrie, heulte und lachte 
das arme, wahnsinnige Weib. Schwer und feucht hingen die 
dichten Wolken vom Himmel herab. Der Abend kam, und 
mit ihm senkte sich der Nachtflor auf die durchtränkte Erde. 

An einer geeigneten Stelle machten wir Halt. Der Nacht- 
wind verstärkte sich und rauschte naß und kühl mit heulendem 
Ungestüm über das Flußtal. Kaum konnten wir das kleine 
Lagerfeuer unterhalten, um das wir durchnäßt bis auf die 
Knochen, triefend und fröstelnd herumkauerten. Der Boden 
ringsherum war zu einem Morast geworden; eine trockene 
Stelle gab es nicht, und der einzige trockene Platz in der ganzen 
Umgebung war in der Tat mein Sattel, den ich auf einen 
Stein gelegt hatte und als Sitzgelegenheit benutzte. An 
Schlafen war natürlich nicht zu denken. Stumpfsinnig schweig- 
sam rauchten wir die Pfeife, gaben sorgfältig Obacht auf das 
Feuer und erwarteten sehnsüchtig den Morgen. Es war wahr- 
haftig eine fürchterliche Nacht, von der sich allerdings der 
kommende Tag kaum merkbar unterschied. Denn auch er 

Vallentin: Chubut 12 



178 



brachte Regen und Sturm. Ich hatte mit meinem Thermometer 
am Morgen um 7 Uhr —6" C, gemessen; am Mittag +12'>. 
Nachmittags schien sich das Wetter zu bessern, und später am 
Abend um 6 Uhr zeigte das Thermometer wieder + 16* Wärme. 
Wir befanden uns ungefähr in der Höhe des Puerto Malaspina. 
Die Landschaft zeigt dieselbe Eintönigkeit wie vorher. Die 
Bergzüge treten mehr und mehr zurück und werden niedriger. 




Am Rio Chi 



Die Flußufer verflachen sich zusehends, und das ganze Gelände 
nimmt allmählich den Charakter einer von leichten Terrainfalten 
durchzogenen Ebene an, die hauptsächlich aus Sand und Sumpf- 
land besteht. Erst in gewisser Entfernung vom Flußbett tritt 

Steingeröll in großen Mengen auf. 

Blutigrot versank die Sonne hinter blauen Bergreihen. 
Sternenklar wölbte sich seit langer Zeit zum erstenmal wieder 
ein reiner Himmel über die unermeßliche Pampa. Unter dem 



— 179 ~ 

Wagen lag, gebettet auf weichen Decken und gegen Wind und 
Wetter geschützt durch vorhangartig aufgehängte Zelttücher, 
die kranke Frau, im Fieberwahnsinn winselnd und lachend. Oben 
flimmerten die Sterne, und unten in der Niederung schlichen die 
Herbstnebel wie ' grauenerregende Gespenster in weißem 
Leichenflor um uns herum. In den Klippen von weither bellte 
ein Fuchs; eine Eule schrie im benachbarten I>orngestrüpp. 
Und dann wehte der Nachtwind herbsteskalt durch die Grabes- 
stille und streifte mit seinem frostigen Atem die Erde. Während 
der Nacht senkte sich ein Rauhreif hernieder. Die Pampa 
schimmerte weiß und hauchte eine eisige Luft aus, in der alles 
Leben zu erstarren schien. Und auf dem Krankenlager dort 
unter dem Wagen wurde es stiller; auch dort war ein blühen- 
des Leben dem Erlöschen nahe. Nicht lange dauerte es mehr; 
der Tod schritt an uns vorüber; erbarmungsvoll und mit- 
leidig erlöste er das unglückselige Weib von allem Leid 
und Elend. 

Ein herrlicher Sonntagsmorgen schaute darauf ins Land 
hinein, taufrisch und hell und klar. Die Sonne lächelte her- 
nieder auf die weite Fläche und die rötlichblauen, dunstigen 
Höhenzüge in der Ferne. Und doch erschien alles so traurig, so 
düster. Grollend wälzte der Rio Chico seine gelblichgraue Flut 
durch die Ebene ; grollend über Menschengeschick und Menschen- 
elend. Im säuselnden Schilf schrien die Wildschwäne, und ein 
Schwärm wilder Gänse rauschte lärmend durch die Luft. Dann 
war alles ruhig, und nur ein sachtes, fernes Brausen ertönte, wie 
wenn ein heimliches Weh über ein Totenfeld dahinzittert. — 
Um zwei Uhr nachmittags haben wir das Grab geschaufelt; 
dort auf weiter, weltvergessener Heide, umgeben von öder 
Wildnis, haben wir sie begraben, schön, eine echt germanische 
Erscheinung, und jung, kaum neunzehn Jahre alt. Ein ein- 
faches Holzkreuz bezeichnet die letzte Ruhestätte. Dort habe 
ich Männer weinen gesehen, im stummen Schmerz, Männer, 
rauh und hart, und doch so weich! 

12* 



— 180 — 

„Denn über eines Menschenglückes Grab 

„Spricht keiner Zukunft Schöpfungsmund das „Werde". 

Schweigsam zogen wir am folgenden Morgen weiter, nach- 
dem der Wagen mit den überflüssigen Gepäckstücken abseits 
in eine Senkung gebracht worden war, da wir seiner nicht mehr 
bedurften. 

Nördlich vom 45. Breitengrad, ungefähr in Höhe von 
Camarones, treten in der Geländeformation braunes Granit- 
gestein und Basaltmassen zutage, oft wie willkürlich aufgesetzte 
Felsenklötze von phantastischen Formen, vielfach mit Höhlen- 
bildungen versehen. Zu der bisherigen Vegetation gesellen 
sich in der Talebene bzw. am Ufer des Chico Weidenbäume,- 
allerdings von etwas dürftigem und schwächlichem Aussehen. 
Fast alle stehen geneigt und nach einer Seite gebogen von 
den heftig wehenden Stürmen. Auch ein anderer Strauch, 
„Jume" genannt, wächst hier. Er trägt kleine, rundliche Blätter 
von graugrüner Farbe, die einen Saft von salzigem Geschmack 
enthalten und deswegen vom Vieh, namentlich von Pferden, 
gern gefressen werden. 

, Das soeben erwähnte Camarones ist der natürliche 
Hafenplatz für dieses große Hinterland, das mit seinen aus- 
gedehnten, tief eingeschnittenen, gras- und wasserreichen Cana- 
dones für Viehzucht, namentlich Schafzucht in hohem Grade 
geeignet ist. Wie Commodoro Rivadavia, so befindet sich 
auch der Hafen von Camarones völlig in seinem natürlichen 
Zustand; auch er besitzt noch keine künstlichen Anlagen, um 
die einzig von der Natur gebotenen Vorteile besser ausnutzen 
zu können. Die leidige Wasserfrage spielt hier ebenfalls eine 
große Rolle. Die ausgedehnte Pamparegion westlich dieser 
Küste, etwa zwischen dem 47. und 45. Grad südl. Breite ge- 
legen und bis zum Rio Chico, teilweise sogar darüber hinaus- 
reichend, gehört zu den vielversprechenden Gegenden des 
Territoriums. Dort befinden sich die großen Schafzüchtereien, 
die Riesenestanzien von 1000 und mehr Quadratkilometer 



— 181 — 

Größe, die ihren Besitzern, meistens kapitalkräftigen Eng- 
ländern oder englischen Gesellschaften, im Laufe der Zeit ein 
Vermögen abgeworfen haben. Die „Lochiel Sheep Farming 
Company" z. B. hält dort auf 41 Leguas = 1025 Quadratkilo- 
meter ca. 90000 Schafe, 3000 Rinder und 6000 Pferde. Auch 
einige Deutsche haben sich, in rechtzeitiger Erkenntnis der 
Sachlage, dort niedergelassen und treiben Schafzucht im großen, 
unter anderen die Herren Fischer, Schelkly und Tschudi. Wo 
früher eine öde Wüstenei sich ausdehnte, auf der jedes Leben 
erstorben schien, herrscht heute reges Treiben. Schöne Häuser, 
nach europäischem Geschmack erbaut und mit allem heimischen 
Komfort ausgestattet, sind erstanden; hübsche Gartenanlagen 
unterbrechen wohltuend die Eintönigkeit der Landschaft; 
draußen im Kamp bei den Viehherden tummeln sich geschäftig 
Hirten und Arbeiter. Das ganze Land hat durch die Rentabilität 
der Viehzucht, insbesondere durch die äußerst günstigen Re- 
sultate, die man hier mit der Schafzucht erzielt hat, ein anderes 
Gepräge erhalten. 

Ein schwer ins Gewicht fallender Faktor zugunsten der 
Schafzucht ist das gesunde, trockene Klima. Krankheiten der 
Tiere, wie z. B. Klauenseuche, Wurmkrankheiten und dergl. 
sind infolgedessen unbekannt; nur die Krätze tritt auf, soll aber 
bei einiger Sorgfalt leicht zu vertreiben sein. Außer den vor- 
genannten fruchtbaren Talschluchten, Canadones, ist das übrige 
Land dieser Region eine öde Meseta, eine tischförmige Hoch- 
ebene mit unfruchtbarem, steinbesätem, fast vegetationslosem 
Kiesboden, nach welchem man ein Urteil über das ganze Land 
Chubut ebensowenig fällen darf, wie nach dem traurigen, arm- 
seligen Küstenstreifen am Atlantischen Ozean. Wild und zer- 
rissen sieht diese Meseta am Rio Chico aus, wo, etwa in Höhe 
von Cabo Raso, Felsen und Felsentrümmer die sandige Lehm- 
resp. Tonformation mehr und mehr verdrängen. 

Einige Schafhirten haben sich dort in den Talsenkungen 
niedergelassen. Das Land ist zwar nicht ihr Eigentum; aber 



— 183 ~ 

das schadet nichts. Die meisten der Viehzüchter Chubuts sind 
eben noch Nomaden und kümmern sich herzlich wenig darum, 
ob das Land, auf dem sie ihr Dasein fristen, Privateigentum ist 
oder der Regierung gehört. Und werden ihnen Schwierigkeiten 
gemacht, oder werden sie vertrieben, nun, dann ziehen sie 
eben weiter mit ihrer Schafherde und hinterlassen dem recht- 
mäßigen Eigentümer die Reste eines Ranchos und einige Lappen, 
Knochen und alte Felle zum Andenken. Bald ist ein neuer 
Weideplatz gefunden, und so geht es fort, bis sich die Schafe 
nach ein paar Jahren bis auf einige Tausende vermehrt haben, 
und die Leute instand gesetzt sind, nun etwas Miete resp. 
Pacht oder auch Kaufgeld zu zahlen. Dann hat damit das 
nomadenhafte Dasein ein Ende; der herumziehende Viehzüchter 
bzw. Schafhirt, der in der menschenleeren Einöde, abgeschlossen 
von der Außenwelt, preisgegeben den Unbilden der rauhen, 
kalten Witterung, die schwersten Entbehrungen ertragen hat, 
der aber gleichzeitig, zwar ohne seine Absicht, zum wahren 
Pionier des Landes geworden ist, er macht sich endlich seßhaft. 
Auch hier am Chico saß so ein Mann auf seinem „un- 
rechtmäßigen" Eigentum. Mein Gott, wer kommt mal dorthin 
in jene Einöde! Wer will nachweisen, daß hier oder da die 
Grenze von dem Nachbarbesitz läuft? Wer kann dort die Ver- 
hältnisse kontrollieren! Der Himmel ist hoch und der Zar ist 
weit! In Gottes Namen soll man die Leute dort ruhig sitzen 
lassen. Sie sind besser als gar keine, und jeder von ihnen 
trägt doch immer etwas, und wenn es auch nur ein kleines 
Scherflein ist, zur Erschließung des gesamten Territoriums bei. 



XVIII. 

Schneesturm. Das Teufelstal. 
Von der Laguna Margarita zum Chubutfluß. 

Ein undurchsichtiger Nebel lag eines Morgens auf der 
Meseta und griff mit seinen grauen Fingern tief hinab in die 
Felsschluchten; und im Tal des Rio Chico brodelte und 
wallte es, und weißliche Schwaden quollen hinauf zur feuchten 
Luft. Die einzelnen Wasserlachen zeigten eine dünne Eis- 
kruste, und die Erde schien vom Frühreif gebleicht, während das 
schattenhafte Grau der Steilwände den Horizont begrenzte. 

Und da erklärte unser landes- und wegekundiger „Vaque- 
ano", er wisse hier nicht mehr Bescheid. Schon vorher hatte 
er zu wiederholtenmalen bewiesen, daß er in jeder Hinsicht 
unwissend war und dabei sehr von einem Übel geplagt wurde^ 
so man gemeinhin mit Faulheit zu bezeichnen pflegt. Selbst- 
verständlich gesellte sich zu diesen beiden netten Eigenschaften : 
dumm und faul, noch die dritte: gefräßig, um das Maß voll zu 
machen. Jedenfalls war Don Elisario — so hieß der Edle — 
für mich ein großer Reinfall, und hinsichtlich meines Dieners, 
den ich auf seine Bitte eigentlich nur aus Gutmütigkeit mit- 
genommen hatte, .war es das gleiche. Selten habe ich zwei so 
faule und schmutzige Kerle gesehen. Ich weiß nicht, wie sich 
in dieser verlassenen, einsamen Gegend die Dinge gestaltet 
hätten, wenn nicht Mann und Bruder der unterwegs verstor- 



~ 185 — 

benen Frau, ein gewisser Herr Truog und Eylenstein, da- 
gewesen wären. Namentlich der junge L. Eylenstein bewährte 
sich als ein erfahrener und geschickter Kampmann, als Reiter 
und Treiber, als Jäger und Koch, als Handwerker und Arbeiter, 
kurz in jeder Beziehung. Daß die Sache schließlich nicht 
tragisch geendet hat, verdanke ich diesen beiden. 

Denn unser Proviant war so ziemlich zu Ende. Brot, 
Gemüse oder überhaupt Mehlspeise waren uns bereits seit 
Wochen unbekannte Genüsse. Unsere Nahrung bestand nur 
aus Fleisch, entweder am Spieß gebraten oder gekocht; dazu 
tranken wir nur den Paraguaytee. Der Alkoholika, wie Wein, 
Kognak und dergleichen hatten wir uns schon längst völlig 
entwöhnt. Und unser Tabak ging auch zur Neige. Bei dieser 
Gelegenheit habe ich den Wert des Paraguaytees, des Mate, 
kennen gelernt, und ich darf wohl behaupten, daß ohne diesen 
Mate, den man sonst achselzuckend zu belächeln pflegt, dessen 
Genuß aber fördernd auf die Verdauung, belebend auf den 
ganzen Organismus wirkt, ohne die Nerven anzugreifen, das 
harte Leben im Kamp mit all seinen Strapazen bei ausschließ- 
licher Fleischnahrung gar nicht zu ertragen sein würde. 

Um nicht unnütz Zeit zu verlieren, brachen wir dann ohne 
jene beiden Faulenzer auf, die indessen, als sie sahen, daß ich 
Ernst machte, wie zwei unartige, bestrafte Hunde von selbst 
folgten. Vier Stunden etwa waren wir geritten. Nichts wie 
eine große, schweigende Einsamkeit und die weißlichgraue 
Nebelwand um uns herum. Und da löst sich mit einemmal 
die Winterdämmerung in ein Gemisch von Hagel und Schnee- 
flocken auf, und zusammen mit kleinen Eiskörnchen rieselt in 
schrägen Streifen ein feiner Regen hernieder. Bald ist alles 
ein wirbelndes, tanzendes Geflocke. Lautlos senkt sich die 
unendliche Schneemasse herab auf die Erde, auf Felsen und 
Gräser und Sträucher. Still und rein, wie in einem wunder- 
baren Märchenland liegt vor mir die gewaltige Natur. Weg 
und Steg, soweit sie überhaupt vorhanden, waren nun ver- 



— 186 ~ 

schneit; schwierige Stellen des Geländes, wie Sümpfe, Löcher 
usw. hatten sich unsichtbar gemacht. Was tun? Wohin jetzt? 
Absatteln? Halt machen? Vielleicht bleibt die Schneedecke 
nicht lange liegen, und dann haben wir wieder freien Blick zur 
Orientierung ! 

Wir blieben dort, wo wir gerade waren, am Eingang einer 
großen Talschlucht, die sich in die höher gelegene, von Granit 
und Basalt durchbrochene Stein- und Kiespampa hineinzieht. 
Mit Mühe wurde ein Feuer angezündet; fröstelnd standen wir 
da herum und warteten auf das heiße Wasser, um den Mate 
zu bereiten, mit dem wir unseren Körper erwärmen wollten. 

Und um uns herum rieselt es lautlos, unaufhörlich; ein 
dichter, weißflockiger Schleier scheint hoch oben in der Luft 
zu hängen, wie von unsichtbaren Geisterhänden endlos herab- 
gezogen und sich unbarmherzig senkend auf alle Gegenstände 
der leise atmenden Natur hier unten. Und höher und höher 
wächst die Schneedecke. An ein Weiterziehen ist unter solchen 
Verhältnissen gar nicht zu denken. Wie wird das über Nacht 
werden ? 

Um uns einigermaßen zu schützen, werfen wir ausgerissene 
oder abgehauene Ek)mbüsche und Sträucher aller Art zusammen 
und bauen uns darin einen Unterschlupf. Was von unseren 
Decken und Ponchos und sonstigem Gepäck da noch Platz 
hat, wird schleunigst darin untergebracht. Und kaum sind 
wir mit dieser Arbeit fertig, da saust es unheimlich über uns; 
ein starker Windstoß fegt pfeifend durch die Schlucht; dann 
noch einer. Und nun beginnt ein Sausen und Brausen in der 
Luft, erst ein unbestimmtes Hin und Her, so daß die fallenden 
Schneemassen wie zerrissene Leinenfetzen umherflattern, darauf 
ein Treiben und Jagen in einer Richtung. In ein dickes Grau- 
gelb ist alles gehüllt, und darin stürmt vorwärts, zu weißen 
Wolken zusammengeballt, das wilde Heer der Flocken, getragen 
von den urgewaltigen Schwingen des Sturmwindes, dem 
„heulenden Boten des Unterganges". Ein wütender Orkan mit 



— 187 — 

all seinen Schrecken fegte über das Land und schien alles Leben 
unter Schneemassen begraben zu wollen. 

Erst gegen Abend ließ dieser schreckliche Schneesturm 
nach, und wir hatten Zeit, am* angefachten Feuer unseren 
durchnäßten und halb erstarrten Leichnam zu erwärmen. Um 
10 Uhr nachts begann es ruhiger zu werden, und anstatt des 
furchtbaren Sturmgeheuls vernahmen wir jetzt nichts als das 
sachte Rauschen des wehenden Schnees. Nach schlaflos ver- 
brachter Nacht in dem dürftigen Obdach aus I>orngestrüpp 
konnten wir erst gegen 1 1 Uhr vormittags unseren Weg weiter 
fortsetzen. Im Laufe des Tages aber schmolz die Schnee- 
decke unter den Strahlen der Sonne allmählich hinweg, und nur 
unsere nassen, schmutzigen Kleider und Gepäckstücke, sowie die 
traurig dreinschauenden Pferde erinnerten an das schauderhafte 
Unwetter. Indessen war doch ein Umschlag in der Witterung 
eingetreten. Am Tage vorher zeigte mein Thermometer schon 
um 12 Uhr mittags nur +5^ C. Heute früh etwa um 7 Uhr 
stand die Quecksilbersäule bereits auf 3^ unter dem Gefrier- 
punkt; ein klarer Frost hatte seinen Einzug gehalten. 

Je weiter nordwärts, desto zerklüfteter wird die Gegend, 
desto felsiger gestalten sich die Ufer des Chicoflusses. Rot- 
braune Granitmassen starren hier dem Wanderer entgegen; 
in bizarren Formen ragen Felssäulen jäh zum Himmel. 

Und überall in den einzelnen Blöcken, in den steil empor- 
strebenden zerrissenen Wänden gähnen schwarze Höhlen und 
Löcher. Mehr als 1 50 m senken wir uns nun auf gewundenem, 
beschwerlichem Pfade hinab in das Tal, das, eng und sumpfig, 
zu beiden Seiten von diesen nackten Felsmassen abgeschlossen 
ist. Man empfindet hier unten den lähmenden Druck der 
schreckhaften Einöde; eine ungebundene Wildheit scheint da 
ehemals geherrscht zu haben, bevor die tobenden Elemente 
zur Ruhe kamen und die feuerglühenden Massen langsam zu 
gespenstischen Figuren erstarrten. Während oben auf der 
Pampa nur einiges Gras kümmerlich im Kiesgeröll sein Dasein 



188 



fristet, gedeihen Coirön und Mailin unten am Fluß besser. 
Immerhin aber ist die gesamte Vegetation dürftig. Außer 
Dornbüschen und schwächlichen Weidenbäumen, die vom Winde 
krummgebogen sind, außer • Jume und Schilf am Uferrand, 
bietet der Pflanzenwuchs wenig, fast gar nichts, wie denn 
überhaupt das ganze den Eindruck einer schauerlichen Wild- 
nis macht. Hier haust in unzugänglichen Felsklüften der Löwe 
(Puma), und oben zwischen Steinklippen und Felszacken nisten 
Geier und Adler. Sonst erscheint die Gegend wie erstorben. 
Ein beängstigendes Gefühl beschleicht langsam die Seele beim 
Anblick dieses „Teufelstales". 

Und als wir uns dort abends auf einer mächtigen Stein- 
platte zwischen Wasser und Steilwand am Feuer gelagert hatten 
und die rötlichen Flammen gespenstisch über Grashalme, Büsche 
und Blöcke huschten, zum Wasser hüpften und dann zu den 
Felsriesen hinübersprangen, da war es mir, als ob die mäch- 
tigen rotbraunen Granitmassen, all die Klötze und Säulen und 
Wände Leben bekamen und sich regten und reckten und 
streckten, und als ob aus den Tausenden von Höhlen und 
Löchern eine tückische Schar von Spuk- und Höllengeistern 
herniederglotzte. Fürwahr, es war ein Teufelstal. Und als 
später im Zwielicht blasser Mondesstrahlen die Wellen des 
Chico hinunterrauschten und die ganze phantastische Felsland- 
schaft mit ihren düsteren aufstrebenden Wänden, mit all ihren 
Spitzen und Türmen zauberhaft vom Mondesglanz umflossen 
zu ruhen schien, da hatte man das Empfinden, als ob nach 
einem finsteren Höllenwege eine lichte Landschaft sich geöffnet 
hätte, durch die lautlos und stumm die Geister der Ab- 
geschiedenen dahinsch webten. 

In der Nacht war starker Frost gekommen. Das Wasser 
des Flusses hatte sich mit einer ca. 1 cm starken Eisschicht be- 
deckt, und am Morgen des 19. Mai zeigte mein Thermometer 
— 70 Celsius. 

Ein Vordringen hier im engen Tal war wegen des sump- 



189 



figen Bodens nicht ratsam. Wir mußten daher hinauf z 
wobei wir uns mehr und mehr vom Flusse entfernten. 

Durch enge Schluchten kletterten wir über Steintrümmer 
und Felsenklöfze höher und höher, bis sich endhch eine weite, 




Indianisches Ehepaar. 



traurige Heide vor unserem Blick auftat. Der geologische Auf- 
bau des Landes hier wurde bei diesem Aufstieg deutlich sicht- 
bar. Auf dem Qranifgestein ist die mächtige Pampaschicht 
aufgelagert, hier und da durchbrochen von Basalt. Eine sehr 
zersetzte, kalkhaltige Oesteinsmasse, eine Art Tuff, von weiß- 



— 190 — 

lichgrauer Färbung und in einer Mächtigkeit von 10 — 20 Metern 
bildet den Übergang zu den gelblichen Mergelschichten, auf 
denen sandige Ton- und Lehmablagerungen von verschiedener 
Stärke ruhen. Eine Decke von Sand- und Kiesgeröll bildet die 
Oberfläche, die nur einen schwach entwickelten Pflanzenwuchs 
zu ernähren imstande ist. Gras gibt es hier fast gar nicht, 
dagegen viel Unkraut und niedriges, verkümmertes Gesträuch. 
Tiefe Talschluchten, die bekannten Caiiadones, sind in diese 
talförmige Hochebene eingeschnitten und ziehen sich weit in 
das Massiv hinein. Schier bis ins Ungemessene wähnt man 
von hier oben zu schauen; in weiter Ferne schimmert weiß die 
schneebedeckte Pampa des Südostens, ungefähr in der Richtung 
nach Cabo Raso zu, die indessen nicht mehr so gut ist, als die 
mehr südlich gelegene „Pampa alta", die sog. „hohe Pampa". 
Erstere besitzt mehr Steine und grobes Geröll anstatt des Sandes 
der letzteren, weniger und minderwertiges Gras, dafür aber mehr 
Unkraut und Gestrüpp. Dagegen ist die „Pampa alta" wegen 
ihrer höheren Lage etwas kälter und im allgemeinen auf ihrer 
ungeschützten Hochfläche — nicht in den fruchtbaren Cafia- 
dones — den Wirkungen der stürmischen Winde mehr aus- 
gesetzt. 

Und schon dort oben, wo wir uns jetzt befanden, war es 
empfindlich kalt. Eines Abends, ehe ich mich unter sternen- 
klarem Himmel neben dem Lagerfeuer auf mein „Prunkbett" 
streckte, bestehend aus Sattel und Decken, die einfach auf 
bloßer Erde ausgebreitet waren, und mich in Poncho und Quil- 
lango eingewickelt hatte, zeigte mein Thermometer — 8^ C, 
und am nächsten Morgen um 7 Uhr, als ich halb steif mich 
vom Lager erhob, hatten wir eine Kälte von — 12^0. Das 
war am 22. Mai 1905. 

Am 23. erreichten wir die „Laguna Margarita", etwa 25 km 
nordöstlich von der Stelle entfernt, wo der Rio Chico in den 
Chubutfluß einmündet. Hoch poetisch klingt der Name und 
doch — ach, wie prosaisch war hier das Leben! Nach einigen 



— 191 — 

trockenen, klaren Tagen hatte wieder das übliche Hundewetter 
eingesetzt mit Regen und Wind. „Hops, heisa, bei Regen 
und Wind,'* wie der selige Fallstaff singt. „Denn der Regen, 
der regnet jeglichen Tag.'' Und dann ruft er seine braune 
Hanne: „Lösch' mir der Kehle Brand, Trinken ist keine Schand!" 

Hier aber an der „Laguna Margarita'* war weder eine 
braune, dralle Hanne, noch ein blondgezopftes Margaretchen 
oder eine dunkeläugige, schwarzhaarige Margarita. Nur wilde 
Rinder, Baguales genannt, trieben sich in den mit Dornbüschen 
bewachsenen Talmulden umher; eine ganze Herde von etwa 
50 Stück, meist von weißer Farbe. Unser Magen knurrte, 
die Satteltaschen waren leer; also was tun? Es glückte uns, 
trotz des häßlichen, trüben Wetters, trotz des Regens, einen 
jungen Stier zu erlegen. Wir hatten damit frisches Fleisch für 
die nächsten Tage, das uns auch ohne Brot und ohne Gemüse 
und sonstige Zutaten vortrefflich mundete. Die Verdauung be- 
sorgte dann schon die bekannte Yerba mate, von der wir noch 
Gott sei Dank zur Genüge besaßen. 

Von der Laguna nordostwärts breitet sich ein sehr zerschnit- 
tenes Terrain aus. Mächtige Lehm- und Sandflächen wechseln 
ab mit Hügel- und Bergrücken und Kegeln, die in ihrer Zu- 
sammensetzung die verschiedenartigsten tonhaltigen Schichten 
erkennen lassen. Meistenteils ist die Reihenfolge derart, daß zu 
Oberst eine dunkelbraune Schicht gelagert ist, welcher nach 
unten zu gelbe und weiße folgen. Diese gehen wieder in ein 
dunkelbraunes bis schwarzes Sediment über, das sich weiter 
unten mit roten, rotbraunen, rosa und oft feuerfarbenen Erd- 
massen mischt. Auch blauer Ton, mit all seinen Abstufungen 
nach gelb und grün tritt zutage. Wie breite, bunte Bänder ziehen 
sich diese Schichten an den Hängen und Wänden entlang, 
so daß der Landschaft durch die Farbenunterschiede ein eigen- 
artiges Gepräge aufgedrückt wird. Aber sie ist öde, kahl, diese 
Landschaft. Kein Baum, kein Gras; nur ab und zu ein Jarilla- 
strauch, hier und da „Mata sebo" und niedrige Dornen. Sonst 



— 193 — 

alles Sand, Lehm, Ton. In trockenen Zeiten gleicht diese ganze 
Gegend einer fürchterlichen Wüste. Dann glüht der nackte 
Erdboden in der Sonnenhitze und reißt auf und spaltet sich. Die 
Luft flimmert, und feiner, von Winden aufgewirbelter Staub 
dringt überall hinein und belästigt Roß und Reiter. Heute 
allerdings war das Gegenteil der Fall. Durch den andauernden 
Regen war der lehmige Erdboden aufgeweicht und bildete 
eine schlammige Masse. Kleine Bäche und Rinnsale waren zu 
brausenden Strömen angeschwollen; aus winzigen Wasser- 
ansammlungen waren große Seen geworden. Nur langsam 
kamen wir voran, da unsere Pferde buchstäblich knietief in 
diesem Riesenmorast waten mußten. 

Allmählich senkten wir uns von der Hochfläche hinab in 
ein breites Tal, das von einem Strom durchflössen wird. Es 
ist der Chubutifluß. Sumpfiger, teils sandiger Boden herrscht 
hier vor. Die anfangs zutage tretenden Felsen und Gesteins- 
massen, zum größten Teil brauner Granit, werden seltener, 
und bald sieht man ringsherum nur noch welliges Gelände, 
niedrige, langgestreckte Hügelreihen, die sich durch eine merk- 
würdige Vegetationsarmut auszeichnen. Dagegen entrollt sich 
in der tiefen, oft 10 — 15 km breiten Talebene ein angeneh- 
meres Bild. Der Weg wird endlich tatsächlich zu einem Weg, 
und zu seinen beiden Seiten tauchen im dunklen Kolorit der 
Landschaft helle, saubere Wohnungen auf, freundliche Bauern- 
häuschen, umgeben von grünen Baumgruppen, von Pappeln 
und Weiden. Glatte Rinderherden weiden im saftigen Grase, und 
— das ist die Hauptsache — es erscheinen endlich menschliche 
Lebewesen. Männer mit rötlichblondem Haar und Bart; Frauen 
und Mädchen von schlanker Gestalt, vielfach hoch aufgeschossen 
und formlos dürr, sind im Garten vor dem Hause oder auf 
dem Felde beschäftigt. Dort kommt uns eine ältere „Dame" 
auf einem einspännigen Wägelchen entgegen, und da reitet 
auf mächtigem Ackergaul quer übers Feld ein kleiner, flachs- 
haariger Bengel und schaut uns neugierig an. Wir befinden 

Vallcntin: Chubut ^^ 



— UM — 

un% ;aini H*:i('mn der Oalenser AnsiedeiUn^ am Chubutfluß, die, 
Jkdt I^>5 bestehend, heute schon drei Ortschaften aufweist, 
und /war Oaiman, Trelew und Rawson. Letztere, nahe der 
<^Mtk liste ^clej;(en, ist gleichzeitig Hauptstadt des Territoriums 
und Sitz des Cjouverneurs \'on Chubut 

Mit diesen Oalenserkolonien nahm einst die eigentliche 
ßcsiedelung des Chubutterritoriums ihren Anfang. 



XIX. 

Die Ansiedlungen der Galenser am Chubutfluß. 
Bodenverhältnisse und Klima. 

Bereits 1862 hatte eine englische Auswanderungsgesellschaft 
zwei Agenten nach Patagonien gesandt, um dort Ländereien 
zu besichtigen bzw. auszusuchen. Die beiden Beauftragten 
fanden geeignete Landstriche im Tal des Chubut und nördlich 
davon am Golfo Nuevo, worauf die argentinische Regierung, 
infolge des an sie ergangenen Gesuchs, sich bereit erklärte, 
jeder Einwandererfamilie ein Stück Land von 25 Quadratcuadras 
=^ etwa 250 ha als Geschenk zu überweisen. Am 28. Juli 
1865 trafen die ersten Leute mit einem Schiff aus Liverpool 
in der Mündung des Chubutflusses ein. Es waren Auswan- 
derer aus Wales, 153 an der Zahl, Walenser oder Galenser 
genannt, blutarm, ohne Lebensmittel und Gerätschaften, Men- 
schen, denen es an allem mangelte, und bei denen sich denn 
auch sehr bald das Unausbleibliche einstellte: großes Elend 
und bitterste Not, das, was in fremden, unbekannten Gegenden 
bei ungenügender Vorbereitung meistens eintreten muß. Zwar 
half die argentinische Regierung wo und wie sie nur konnte. 
Immerhin aber gilt es heute für sehr wahrscheinlich, daß die 
armen Ansiedler — verhungert wären, wenn nicht die Te- 
huelchenindianer gewesen wären, die in jener Zeit im Gegen- 
satz zu heute noch zahlreich das Land bevölkerten. Mit diesen 
traten sie in Verbindung, fingen an, Tauschhandel zu treiben, 

13* 



— 196 — 

konnten sich Lebensmittel und dergleichen beschaffen und sich 
auf diese Weise über eine traurige Zeitperiode hinweghelfen. 

Indessen schon nach wenigen Jahren mußten die neuen 
Kolonisten einsehen, daß hier Ackerbau ohne Bewässerung 
ein Unding sei; denn die Ernten waren infolge von Regen- 
mangel und eintretender Dürre gleich Null, so daß die Un- 
glücklichen abermals in Verzweiflung gerieten. Da fingen sie 
an, Gräben vom Fluß aus zu ziehen und das Wasser auf das 
Ackerland zu leiten; Kanäle wurden gegraben, Bodenhinder- 
nisse zu diesem Zweck beseitigt. Auf diese Weise kamen die 
Leute von selbst nach und nach zu einem regulären Bewässe- 
rungssystem. Die Erfolge konnten nun nicht mehr ausbleiben. 
Der ausgesäte Weizen gedieh vortrefflich, und schon die erste 
Ernte übertraf alle Erwartungen. Als dann später die Ver- 
bindung mit der Außenwelt sich besser gestaltete und einer der 
Ansiedler seinen Weizen nach Buenos Aires zum Verkauf 
sandte, war alle Welt überrascht. Chubutweizen war plötz- 
lich ein gesuchter Artikel geworden und erzielte auf dem Markt 
hohe Preise. Im Jahre 1874 und 1875 erfuhr die Kolonie 
einen Zuwachs aus der alten Heimat; ungefähr 200 Galenser 
Familien waren eingetroffen und ließen sich in dem Chubuttal 
nieder. 

Bemerkenswert ist bei diesen einfachen Männern von 
Wales das feste Zusammenhalten und ihr Organisationstalent. 
Da die Kolonie ganz auf sich selbst angewiesen war, ander- 
seits aber das Zusammenleben verschiedener Familien immer 
eine gewisse Ordnung erfordert, um die wirtschaftliche und ge- 
sellschaftliche Entwicklung nicht zu hindern, organisierten die 
Galenser aus freien Stücken eine Art Selbstregierung, deren Be- 
stimmungen sie sich freiwillig unterwarfen. Sie schufen einen 
Gemeinderat, bestehend aus 12 Mitgliedern, die in freier Ab- 
stimmung gewählt wurden und die wieder ihren eigenen Präsi- 
denten wählten. Aufgabe dieses Rates war, die gemeinsamen 
Angelegenheiten zu regeln und Streitigkeiten zu schlichten. 



— 197 — 

Später wurde noch ein besonderer Richter ernannt. Diesem 
gegenüber bildete der Qemeinderat eine Art höherer Instanz, 
insofern, als die Urteile des Richters dem Rat zur endgültigen 
Entscheidung vorgelegt werden konnten. 

Im Jahre 1875 schenkte die argentinische Regierung einem 
jeden der Ansiedler außer den ursprünglichen Landlosen noch 
je 100 ha und stellte dieselbe Fläche umsonst allen zur Ver- 
fügung, die bis zum Jahre 1885 sich dort niederlassen würden. 

So entwickelte sich denn die sog. Chubutkolonie recht 
gut. Anfangs der achtziger Jahre zählte sie schon mehr als 
1000 Köpfe. 

Aber mit der Verbesserung der eigenen Sachlage kam auch 
die Unzufriedenheit. Trotzdem die Qalenser auf keinen Fall 
als Engländer gelten wollen, trotzdem sie krampfhaft nur ihre 
eigene keltische Sprache reden und englisch nicht verstehen 
mögen, kam man im Laufe der Zeit doch geheimen Um- 
trieben auf die Spur, die gegen die argentinische Regierung 
gerichtet waren und vielleicht von politischer Bedeutung hätten 
werden können. Es entpuppte sich das „perfide Albion" wieder 
in seiner ganzen Größe und Niedertracht. Man erfuhr, daß 
diese frommen Qalenser bereits in Verbindung mit einfluß- 
reichen Personen in England standen und daß die Absicht vor- 
lag, hier in Chubut eine eigene Regierung unter englischem 
Protektorat zu errichten. Was aber ein englisches Protektorat 
bedeutet, das weiß alle Welt; Afrikas Boden ist nur deswegen 
mit Blut und Tränen gedüngt worden. 

Mittlerweile hatte die argentinische Regierung zum großen 
Leidwesen der Qalenser einen Kommissar als Vertreter und 
höchsten Verwaltungsbeamten in Chubut eingesetzt, und da 
ließ denn die Explosion nicht mehr lange auf sich warten. Aus 
irgend einem Anlaß kam es zur offenen Empörung. Die argen- 
tinische Flagge wurde vom Mast gerissen und in den Schmutz 
getreten; bewaffnet zogen die Qalenser zum Kommissariats- 
gebäude. Dem besonnenen und energischen Auftreten des 



— 198 — 

Kommissars gelang es, Ruhe zu schaffen. Dieser, ein Senor 
Finoquetto, hatte zwei der Rädelsführer verhaften lassen, einen 
gewissen Jones und Berwyn, und als die fanatische Menge 
gewaltsam die Befreiung der beiden Gefangenen verlangte, 
trat er selbst vor die Aufrührer hin. 

„Ich habe keine Truppen, keine bewaffnete Macht, sonst 
würde ich euch samt und sonders zum Teufel jagen. Aber 
seht her, dort weht unsere Nationalflagge; der Weg zu ihr 
geht über meinen Leichnam. Ja, schaut nur, dort weht sie, das 
Sinnbild unseres Vaterlandes!" 

Die Leute guckten erstaunt. Richtig, da war die argen- 
tinische Flagge inzwischen gehißt worden und flatterte lustig 
im Winde und schien spöttisch und hämisch herabzuwinken. 

Eingeschüchtert, stumm schaut einer den andern an. Dar- 
auf ließen sie die Köpfe hängen und schlichen beschämt einer 
nach dem andern davon. 

So endete die Revolutionskomödie der Oalenser in Chubut. 

Seit jener Zeit herrscht Frieden im Staate. Aber heute 
noch fühlen sich die Oalenser und sogar die in Chubut ge- 
borenen nicht als Söhne des argentinischen Landes ; heute noch 
verabscheuen sie die spanische Sprache, und wenige gibt es, 
die wirklich spanisch reden können. Und selbst wenn sie vor- 
geben, daß sie die Engländer bitter hassen, daß sie englisch 
nicht verstehen, sondern nur ihr welsches Idiom sprechen kön- 
nen, so fühlen sie sich doch, im Grunde genommen, heute noch 
immer als die „british subjects", britische Untertanen, die schon 
so manches politische oder private Ärgernis verursacht haben. 
Sie werden und können auch heute noch nicht mit den Beamten 
der argentinischen Regierung sympathisieren und bereiten allen 
— vom Gouverneur herab bis zum letzten Polizisten — die er- 
denklichsten Schwierigkeiten; denn mit geheimem Ingrimm 
denken sie daran zurück, daß es ihnen einst unmöglich gemacht 
worden ist, „ihre eigene patriarchalische Regierung weiter fort- 
zusetzen, bis zur Gründung einer gekrönten Dynastie." 



199 



Ich habe Gelegenheit gehabt, die beiden Hauptführer von 
damals zu sehen; der eine, Mr. Jofies, ein kleines, dürres Männ- 
chen, der zukünftige „König von Chubut", wie er spottweise 
genannt wird; der andere, Mr. Berwyn, den ich persönlich 
kennen lernte, ein schwatzhafter, alter Mann von widerlicher 
Freundlichkeit, die an Kriecherei und Heuchelei erinnert. Die 
Gerüchte erzählen heule noch vieles aus jener Zeit, viele possier- 




Bewohner der Pampa. 



liehe Dinge, manche heiteren Episoden, vom geschnitzten Präsi- 
dentenstuhl und reichverzierten Königsthron und dergleichen 
mehr, von Handlungen, die ans Lächerliche streifen, die aber 
von jenen Männern mit vollem Ernst vollzogen worden sind, 
weil sie, die aus den untersten Volksschichten stammten, arm, 
ohne Hab und Out hier ankamen, zu Besitz gelangt waren 
und Erfolge erzielt hatten, die ihnen zu Kopfe stiegen. Sie be- 
trachteten sich infolgedessen bei ihrem systematischen Ab- 



— 200 — 

schließen und bei ihrer Unkenntnis der Außenwelt hier auf 
dem kleinen Fleckchen Erde als große Männer, als Helden, 
kluge Leute. Dazu kam der religiöse Fanatismus, in dem die 
Oalenser schon damals befangen waren und der sie wähnen 
machte, gleichsam als auserwähltes Volk eine gewisse Mission 
erfüllen zu müssen. 

Ein gewisser Sektiererwahn besteht noch jetzt; einfache 
Frömmigkeit ist damit zur Bigotterie geworden. Indessen ist 
es hier nicht am Platz, darüber zu rechten. Jeder Mensch muß 
eben nach eigener Fasson selig werden und hat das „Wie" 
mit sich selbst ganz allein abzumachen. Das eine nur ist sicher, 
daß heute in wirtschaftlicher Beziehung im Chubuttal vieles 
besser sein könnte, wenn die „frommen" Oalenser sich mehr 
auf sich selbst als auf den lieben Herrgott verlassen hätten. 
Aber auch sonst hätte die einzelne Persönlichkeit sich mehr 
entfalten können, wenn im Laufe der Jahre durch ein über- 
triebenes Abschließen von der Außenwelt, durch ein ängst- 
liches Fernhalten von allem Fremden nicht so etwas wie Inzucht 
mit ihren üblen Folgen entstanden wäre. Ich habe wiederholt 
die Empfindung gehabt, daß jene Einwirkungen gerade beim 
jüngeren Geschlecht bereits ziemlich stark zutage treten. 

Indessen, mag dem nun sein, wie ihm wolle, bei allen 
Fehlern und Untugenden kann diesen galensischen Ansiedlern 
niemals das Verdienst abgesprochen werden, trotz aller Wider- 
wärtigkeiten hier im Tal des Chubutflusses durch Ausdauer und 
festes Zusammenhalten aus dem Nichts heraus etwas geschaffen 
zu haben. Und das verdient alle Anerkennung! 

Von Rawson, das im September 1865, gleich nach dem 
Eintreffen der ersten Oalenser als künftiger Stadtplatz be- 
zeichnet und nach dem damaligen argentinischen Minister be- 
nannt wurde, schritt die Besiedelung zu beiden Seiten des 
Chubutflusses mit Zunahme der Kopfzahl langsam talaufwärts 
vor, bis dann nach und nach zwei andere Stadtplätze oder 
Zentren der Kolonie geschaffen wurden: Trelew und Qaiman. 



— 201 — 

Der Name Trelew ist galensisch und bedeutet: Ort des Luis; 
ungefähr also Ludwigsort, nach jenem schon genannten Luis 
(Lewis) Jones. Qaiman dagegen kommt aus der Tehuelchen- 
sprache; es heißt etwa soviel wie „Steinspitze". Der Boden 
des ganzen großen Chubuttales, das als Siedelungsgebiet sich 
mehr als 75 km von der östlichen Meeresküste nach Westen 
hin erstreckt, besteht zumeist aus lehmiger, kalk- und tonhaltiger, 
mit Sand vermischter Erde von grauweißlichem, stellenweise 
sogar ganz weißem Aussehen. Sie ist hauptsächlich aus den 
abgeschwemmten, feinzersetzten Toscamassen der Ufer- 
umgebung zusammengesetzt. Diese Tosca tritt überall an den 
Ufern in großer Mächtigkeit zutage, in Steilwänden und Schich- 
ten von oft mehr als 30 m Stärke, die vielfach Gips als Faser- 
und Knollengips enthalten. 

Im trockenen Zustande ist dieser Boden ziemlich hart und 
für Wasser undurchlässig. Erst bei erfolgter Bearbeitung und 
Auflockerung kann Wasser durchdringen, so daß nun eine 
wunderbare Fruchtbarkeit der bewässerten Erde zum Vorschein 
kommt. Insbesondere gedeiht Weizen hier vortrefflich. 

Ähnlichen Boden habe ich vielfach an den Ufern des Rio 
Chico getroffen, namentlich dort, wo das Tal nicht zu eng ist 
und wenig Felsen- oder Gesteinsmassen auftreten; ferner am 
See Colhuapi und in der Kolonie Sarmiento. Aber, wie gesagt, 
ohne Bewässerung ist er beinahe wertlos. Bei rationeller Be- 
wässerung dagegen würden z. B. in Sarmiento von jedem 
Kolonielose, also 625 ha, durchschnittlich 50—100 ha für Acker- 
bau resp. für Weizen und Alfalfa ausgenutzt werden können. 
Mehr oder weniger der gleiche Boden kommt außerdem strecken- 
weise vor an den Ufern des Rio Senguerr. Er ist vorhanden 
am Gennoa, also in der Kolonie General San Martin, und 
schließlich in der Kolonie „16 de Octubre". In letzterer wird 
ja auch tatsächlich Weizen mit gutem Erfolg angebaut. Für 
alle diese im Innern Chubuts gelegenen Teile aber fällt der 
Umstand schwer ins Gewicht, daß sie vorläufig für Acker- 



202 



bau kaum in Betracht gezogen werden können, da ihre Ver- 
bindung mit dem Absatzmarkt noch zu schwierig ist. Ein 
Bahnbau, gleichviel welcher, bedingt hier eigentlich alles. Ohne 
Eisenbahn oder sonstige Verkehrseinrichtungen nach der Küste 
hin bleibt das Innere Chubuts für den allgemeinen Handel und 
Wandel gleichsam noch verschlossen. Wer aber die Bahn hat 
- - und das kann nicht genug wiederholt werden — , der hat 
auch die natürlichen Reichtümer des Landes für sich. 

Das Klima im unteren Chubuttal ist gemäßigt und für den 
Europäer gut erträglich. Die in Rawson an der Küste (65 ^ 5 ' 
westl. Länge und 43^17' südl. Breite) angestellten Beob- 
achtungen haben ein recht günstiges Resultat geliefert. Die 
dort gemessene mittlere Temperatur, berechnet aus dem Durch- 
schnitt der Jahre 1880—88 und 1898—1900, betrug für: 

Januar 21,04« C. 

Februar 20,11° „ 

März 17,48° . 

April 12,28° „ 

Mai 8,74° . 

Juni 5,25° . 

Juli 6,10° „ 

August 6,90° ,; 

September 10,58o » 

Oktober 14,13° „ 

November 17,12° „ 

Dezember 19,46° „ 

so daß sich für d e n O r t — nicht für das ganze Territorium 
Chubut, wie es meistens fälschlich aus Unkenntnis der Verhält- 
nisse geschieht — eine durchschnittliche Mitteltemperatur von 
13,260 C. ergibt. 

Die Maximaltemperaturen innerhalb jenes Zeitabschnitts 
fielen auf die Monate: 

November 38,0° C. 

Dezember 36,2° „ 



203 — 



n 



» 



c. 



n 



II 



II 



Januar 39,0° C. 

Februar 38,0° 

März 35,0° 

während die Minima auf die Monate: 

Mai mit — 6,0° 

Juni V — 9,0° 

Juli ,; —10,2° 

August „ — 9,0° 

trafen. 

Der Durchschnitt der höchsten Temperatur der vorgenann- 
ten Jahre belief sich auf 39 ^ C, der niedrigsten auf — 10,2^ C. 

Die mittlere Regenmenge im Durchschnitt der Jahre 1880 
bis 1888 und 1896 bis 1900 betrug im: 

Januar 12,6 mm 

Februar 15,6 

März 27,9 

April 14,7 

Mai 25,0 

Juni 33,8 

Juli 11,7 

August 28,1 

September 18,1 

Oktober 9,9 

November 21,2 

Dezember 21,5 



XX. 

Die wirtschaftlichen Verhältnisse im unteren 
Chubuttale. Stromregulierung. Eisenbahn. 

Die Bewohner des Chubuttales beschäftigen sich mit Vieh- 
zucht und Ackerbau. Früher war die Weizenkultur die Haupt- 
sache. In den letzten Jahren, namentlich seit den großen 
Überschwemmungen von 1900 und 1901 ist man mehr und 
mehr zur Alfalfa (Luzerne) übergegangen, und während früher 
die Ausfuhr von Weizen nach Buenos Aires und Bahia Bianca 
stets im Steigen begriffen war, derart, daß die kleine Bahn von 
Trelew nach dem Haf^n Madryn den Verkehr kaum zu be- 
wältigen vermochte, hat in den beiden letzten Jahren die Aus- 
fuhr erheblich abgenommen. Die Produktion hat die Neigung, 
sich auf das Territorium bzw. das Ansiedlungsgebiet selbst zu 
beschränken, zumal bereits eine Mühle errichtet worden ist, 
in der das Korn zu Mehl umgearbeitet werden kann. 

So besaß z. B. vor fünf Jahren eine große Strecke der Tal- 
ebene auf dem südlichen Ufer des Chubutflusses eine stattliche 
Anzahl von kleinen Bauernhöfen, auf denen ausschließlich 
Weizenbau getrieben wurde. Da kamen die Überschwemmun- 
gen und zerstörten alles. Heute sitzen da nur wenige An- 
siedler, die sich aber nur mit Viehzucht und Alfaifakultur be- 
fassen. Letztere rentiert sich besser. Wasser, dessen diese 
Pflanze ja vor allen Dingen bedarf, ist genügend vorhanden; 
dann aber ist Alfalfa nicht so empfindlich gegen eintretende 
Überschwemmungen, gegen Winde und Frost wie Weizen. 
Die Ausfuhrstatistik gibt von dieser Wendung der Dinge einiger" 



— 205 — 

maßen ein Bild, das, wenn auch nicht ganz zutreffend, so 
doch ungefähr die Sachlage erkennen läßt. Hiernach betrug 
die Ausfuhr 

von Weizen 1894 4678 Tonnen 

von Alfalfa-Samen 1894 nur 17 „ 

dagegen wurden 1904 über Puerto Madryn 

an Weizen nur 355 „ 

an Alfalfa-Samen aber 101 „ 

und an getrocknetem Futter, also Alfalfa allein . . . 890 „ 
verschifft. 

Durch die schon vorher erwähnten Bewässerungsanlagen, 
die nur der gemeinsamen Arbeit der Qalenser ihre Entstehung 
verdanken, ist das Kulturland des Chubuttales bedeutend er- 
weitert worden. Drei große Hauptkanäle durchziehen heute 
das Niederungsgebiet. Davon haben zwei je 40, einer etwa 
80 km Länge und 5 m Breite. Die Kolonisten gründeten zu 
diesem Zwecke drei Gesellschaften, welche den Bau seinerzeit 
zu übernehmen und weiterzuführen hatten. Außer den Haupt- 
kanälen sind überall größere und kleinere Seitengräben, Stau- 
anlagen und dergleichen angelegt, so daß die Äcker, die durch 
niedrige Erdwälle in Abteilungen eingeteilt sind, durch eben 
jene Leitungsgräben bewässert werden können, und zwar der- 
art, daß das Wasser von einem Abteil je nach Bedarf in das 
nächste abfließen kann. 

An Baumarten gedeihen im Chubuttal hauptsächlich Weiden 
und Pappeln. Das haben einzelne Versuche zur Genüge be- 
wiesen. Leider wird gerade auf die Anpflanzung von Bäumen 
von den dortigen Bewohnern viel zu wenig Wert gelegt, trotz- 
dem bereits jetzt die Holzfrage anfängt, etwas kritisch zu 
werden. Von immer weiter her müssen aus der Umgebung 
jetzt schon die niedrigen Sträucher und Wurzeln des Gebüsches 
geholt werden, um das notwendigste Brennmaterial zu be- 
schaffen, das infolgedessen natürlich immer teurer wird. Vor 
einem Jahre noch kostete eine Karre voll, etwa 7 — 800 kg, 



— 2rjG — 

5 Pesos (ca. 10 Mark); heute ist der Preis für dieselbe Menge, 
aber von schlechterer Qualität, schon auf 8 — 10 Pesos (ca. 16 
bis 20 Maiic) gestiegen. Kohlen zur Feuerung sind schwer zj 
bekommen, und dabei denkt kein Mensch an Anpflanzen von 
Pappeln, Weiden oder anderen Baumsorten, die in diesem 
Klima gut gedeihen würden, wie z. B. Eschen, Tamarisken 
und Akazien. In wenigen Jahren könnten einige 100 Bäume, 
deren Anpflanzung und Pflege ja nur geringe Mühe verur- 
sachen würden, auf jeder Besitzung ein Vermögen repräsen- 
tieren. Das Holz, eben weil es in diesem baumlosen Lande 
notwendig ist, würde sicherlich guten Absatz finden und preis- 
wert verkauft werden. Dann aber würde auch, abgesehen von 
der Verschönerung der Landschaft, eine allmähliche Verbesse- 
rung von Klima und Boden, dazu ein natürlicher Schutz gegen 
die starken Westwinde, die einigen Kulturen und Pflanzungen 
in Gärten und Gemüseanlagen großen Abbruch tun, herbei- 
geführt werden. 

Eine andere Frage, die für die wirtschaftliche Entwicklung 
der ganzen Kolonie, namentlich aber für die an der Flußmün- 
dung gelegene Hauptstadt Rawson außerordentliche Bedeutung 
erhält, ist die S t r o m r e g u 1 i e r u n g. Wenn während der 
Winterszeit die großen Regengüsse kommen, schwellen Flüsse 
und Bäche in Patagonien beträchtlich an, treten über die Ufer 
und wälzen ihre Wassermassen hinunter zum Meer. So ist 
es auch mit dem Rio Chubut und seinem Nebenfluß, dem Rio 
Chico, bestellt. Das ganze untere Talgebiet des Chubutflusses 
ist dann unter Wasser gesetzt; der Verkehr ist unterbunden, 
und der Schaden, den diese Überschwemmungen anrichten, 
ist sehr erheblich. Andrerseits führen während der heißen 
Sommermonate diese Flüsse wenig Wasser mit sich, ja trocknen 
sogar gänzlich aus, wie u. a. der Rio Chico. Dann ist natür- 
lich ebenfalls der Verkehr erschwert, namentlich der Schiffs- 
verkehr sehr unregelmäßig oder häufig ganz lahm gelegt. Eine 
rationelle Abhilfe gegen solche Mißstände ist bis jetzt noch 



^^^«HH 


^^■H 


W^' 


tlMn 




^-?'^\.^^ ^^^H 




jHJyfl 


* 

i 


BBI 


3 


Ip'. J 


•■ 




^^fl 




--^I^^^H 




^^^^B[ -'Zsi' !=^^^S 




^El -' 




HH 




HHK =s£J£ai»iia£! 



— 208 — 

nicht geschaffen worden, und so stießen denn die Kolonien 
beim Transport ihrer Landesprodukte auf große Schwierig- 
keiten. Dazu kam, daß trotz vielfacher Anregungen seitens 
der Gouverneure und der Bevölkerung die notwendige Schiff- 
barmachung der Chubutmündung immer wieder hinaus- 
geschoben und damit der natürliche Verkehrsweg von den An- 
siedelungen nach Rawson bzw. der Küste nicht zugänglich ge- 
macht wurde. 

Man predigte tauben Ohren; in Buenos Aires schien man 
kein Verständnis für diese so wichtige Angelegenheit zu haben. 
Heute noch ist eine Schiffahrt auf dem Chubutstrom innerhalb 
des Siedelungsgebietes so gut wie gar nicht vorhanden. Für 
Rawson, dem Regierungssitz, rächte sich diese Unterlassungs- 
sünde sehr; für Trelew, dem Zentrum der galensischen Be- 
völkerung, trug sie Früchte. Denn nur bewogen durch die Miß- 
stände in der Schiffahrt und durch die damit zusammen- 
hängenden wirtschaftlichen Schädigungen und Verluste nahmen 
die Kolonisten das Anerbieten einer englischen Gesellschaft an, 
eine Schmalspurbahn von Trelew nach dem Golfo Nuevo, und 
zwar nach Puerto Madryn zu bauen. Dank den gemeinsamen 
Bestrebungen der Galenser wurde der englischen Bahngesell- 
schaft von der argentinischen Regierung längs der Eisenbahn- 
linie je 5 km Land überwiesen, und schon am 1. Juni 1889 
konnte die Eröffnung des Betriebes der neuen Bahn, die 70 km 
lang ist, stattfinden. Nun war den Ansiedlern die Möglichkeit 
gegeben, ihre Produkte, namentlich Weizen, ohne Zeitverlust 
zum Absatzmarkt zu liefern, und die früheren, durch oft monate- 
lange Verzögerungen entstandenen Verluste zu vermeiden. Da- 
mit aber ging der ohnehin geringe Schiffsverkehr völlig zurück, 
und Rawson, die Residenz des Territoriums, die älteste Nieder- 
lassung der Chubutkolonie, wurde mehr und mehr isoliert, 
sein Aufschwung, der unfehlbar schnell gekommen wäre, war 
und ist hierdurch für absehbare Zeiten gehemmt. Die so her- 
vorgerufene Rivalität zwischen Trelew, das nun natürlich das 



— 209 — 

Hinterland, Oaiman usw. beherrscht, und Rawson spitzte sich 
noch mehr zu infolge der Verschiedenartigkeit der Bevölkerungs- 
elemente: dort, in Trelew und Qaiman überwiegend die rein 
galensische Bewohnerschaft mit all ihren Eigenarten; hier in 
Rawson dagegen, der Sitz der argentinischen Territorial- 
behörden, mit argentinischen, italienischen und spanischen Be- 
wohnern und nur sehr wenigen Galensern. Wie zwei eifer- 
süchtige, feindliche Schwestern stehen sich heute die beiden Ort- 
schaften gegenüber. Man darf allerdings nicht vergessen, daß 
es sich hier um eine ernste Existenzfrage handelt, die von 
vornherein vermieden worden wäre, wenn der Verkehr, wie 
es, eigentlich natürlich war, durch Stromregulierung, durch 
Dammbauten und irgendwelche Hafenanlagen nach Rawson 
geleitet resp. wenn der Schiffahrt auf dem Chubut die ent- 
sprechende Aufmerksamkeit rechtzeitig geschenkt worden wäre. 
Wird in dieser Hinsicht nichts getan, bleibt also alles beim 
alten, dann wird die Residenz Rawson weiter ihr problema- 
tisches Dasein fristen; wird die Schiffahrt an der Chubutmün- 
dung auf irgendwelche Weise gefördert, so bedeutet das den 
Ruin der Bahn, die auch jetzt schon künstlicher Stützen be- 
darf, und den Rückgang Trelews. In Anbetracht der schon 
aufgewendeten Kosten ist das eine Übel ebenso schlimm, wie 
das andere. Erst nrit der Steigerung des Verkehrs, das will 
sagen, mit der Vermehrung der Bevölkerung und Zunahme 
der Kolonisierung, der Kultivierung des Bodens und Steigerung 
der Produktion, erst dann, wenn hierdurch die Bahntarife mit 
den Schiffsfrachten leichter konkurrieren können, werden sich 
diese Gegensätze von selbst ausgleichen. Um das zu erreichen, 
müßten jedoch zunächst bedeutend größere Strecken als bisher 
von den wasserarmen Kamps zu beiden Seiten des Chubutflusses 
durch Bewässerung für Ackerbau und Viehzucht geeignet ge- 
macht werden. Andrerseits müßten die durch Überschwem- 
mung verursachten Schädigungen vermindert oder ganz ver- 
mieden werden. Das alles aber ist nur möglich durch Kon- 

Vallentin: Chubut 14 



-No/;^rt <v-,4, ♦•^^z* iV*- 2r/> irm /^n -t«- '^s-kisre -irnferüt- 
ir,^<^^ /AU/^ I ,w.'^"'V^ A;>r1*^ -li.ia he%^erittiu^^-Ttihl:^ sein 

M>^j^;/f '/>/', >vM li.vl ^J^^ Ii^^fT %^hr nahe — lieöen sxh 
V/|/h^ l>'^/;f-;s'f»»oif^- fin"! St;>ii'Ar<*'riC<!: unhcWu^ax in Verbindung^ 
tfftfti//'ff fftri (Um H'4U f'm^f fUkXr wehen bahn von Raw5on in 
v<// :^H^/ ff* f U}f Ufurt'tC uu'//'iffhr ö^n Chubutfluß entlang bis 
/Mf yoiotfff' htftf'f}§i >ffn M^ritn und weiter bis in die Kordil- 
Ut^'ftUiU't httuuif wo Wfi'^^crkfHhi: ja In Menj^e vorhanden 
^}tui thfti Ufftiftitn W/i«j«irrf;ill<% wie z, B. jener im Picoial, nur 
Ol V> k^M w^'^fli/fi von der Kolonie (icntrsA San Martin, zur 
iii'f^U'Wuhif *'li'klri«»rhi'r Kraft vorzüf(lich verwandt werden, 
uU'UU/^'\i\if tiUvr nuvU au anderen Betrieben und industriellen 
Aiil/i)/f'n Ui'iiui/MU^i iUuivh. Denn jferade dort weist die natür- 
Ihlic Mi't9< liMffcnlirli ikn Moden» nicht nur auf rentable Vieh- 
/(mIH Hill Ackrib^ni hin, deren Produkte in Anlagen mit elek- 
llhdii'ltt hrlilrh vriMrheltet werden könnten, wie z. B. Käse- 
Mliii, Mllclu'irlrn, (hM'berelen usw., sondern der vorhandene 
lli'iillrho lliK'hwnId ntit Meinem Imtticnsen Holzreichtum bietet 
ilh« nMindtuMlin^iHtuon für ntnunlKfachc wirtschaftliche Betriebe 
iuuUmoi ah, wlo #. H. Hol/sii^aMnÜhlen, Werkstätten zur Be- 
rti lulliiuy von Nu(/IW^I/orn, Tivschlercicn und dergleichen. (Siehe 

Nriiv nurr.) 

lono hrthu Ulli cloktrlschcm Botriobc würde zudem billiger 
«*» \\\ rtU \'\\\\> ^vw^^hnllcho I iscnbnhn, da schon Unterbau, 
Sl\i\M\OH <\^\v, wvui^or stArk /u sein br»iuchten. Da sie bereits 
bwh \loM\^>< l .nut duivhlÄuft und die Verbindung mit dem 
lnuhtb,^^xton «<hI NVhonstxMi ToU do^ l^hubuttorritoriums her- 
xh )h, xU wou U\vU sohhimmcrudc Reichtümer dann mit einem 
S^'a^^' ^vhx^bou wüu^on, o^-sohoint ihre Rentabilität so gut \iie 



211 



Daß eine solche große und wichtige Verkehrslinie, die, 
auf elektrischen Kräften basierend, gleichzeitig die Stromregu- 
lierung besorgt und in der wirtschaftlich fruchtbarsten und 
reichsten Zone des L^tndes an und in den Kordilleren die in- 




Wasserfall in den Vor kordil leren. 



dustrielle Ausnutzung von Viehzucht, Ackerbau und Waldwirt- 
schaft auf billigste Weise ermöglicht, die nicht nur den raschen 
Absatz der mannigfachsten Produkte aus den einzelnen Wirt- 
schaftsbefrieben in den Gebirgstälern zur Küste hin vermittelt, 
sondern auch den Personenverkehr nach jenen wunderbaren. 



— 212 — 

gesunden Regionen der Kordilleren, zu deren schönsten un- 
zweifelhaft das Tal am Picofluß gezählt werden kann, ungemein 
steigert, die Besiedelung und damit die ganze Erschließung des 
Landes fördert; daß, sage ich, eine solche wichtige Verkehrs- 
linie einst gebaut werden wird, davon bin ich heute schon fest 
überzeugt. Ob es aber Deutsche sein werden, die sich nicht 
bloß das Verdienst um diese wirtschaftliche Erschließung des 
Landes, sondern auch vor allen Dingen den absolut sicheren 
materiellen Verdienst in klingender Münze erwerben wollen, 
das möchte ich heute nach allem, was ich bisher erfahren habe, 
fast bezweifeln. Von Herzen wünsche ich nur, daß ich mich 
hierin, und ganz besonders in diesem Falle, gründlich täusche, 
zugunsten meines deutschen Vaterlandes. 

Die 70 km lange Schmalspurbahn von Trelew bis Puerto 
Madryn, wenn sie auch faktisch nur eine jener Sekundärbahnen 
ist, über deren „Dienstbetrieb, Exaktheit und Schnelligkeit" 
die „Fliegenden Blätter" so ergötzliche Abhandlungen in Wort 
und Bild zu bringen pflegen, hat hier nun doch das Monopol 
gleichsam gepachtet. Einmal ist sie in englischen Händen, 
zweitens fehlt jede Konkurrenz, folglich macht die englische 
Leitung, was sie lustig ist, und übt denn auch dementsprechend 
einen willkürlichen Terrorismus aus,' zur eigenen Bequemlich- 
keit, zu eigenem Nutz und Frommen ohne jede Rücksicht auf 
Passagiere und Waren. 

Andererseits aber auch da — alle Achtung! 

Die Bahn ist das Projekt englischen Wagemutes und Zu- 
sammenhaltens, sowie englischer Beharrlichkeit auf wirtschaft- 
lichem Gebiet. Drei unschätzbare Eigenschaften, die unseren 
lieben Deutschen leider nur zu häufig fehlen, wenn es sich um 
die Erfüllung großer nationalwirtschaftlicher Aufgaben handelt i 



XXL 

Puerto Madryn. Handel und Verkehr. 

Trelew. Rawson. 

über eine öde Steppe, ein dürres Heideland mit spärlichem 
Oraswuchs führt die Bahn hinunter nach Madryn. Keine Halte- 
station auf der ganzen Strecke, kein grüner Baumwuchs in der 
Einöde, kein menschliches Wesen in der ganzen Umgebung. 
Nur trostloser Sand, lehmfarbige Lachen, nackte Flächen, EKinen 
usw. bis zur Meeresküste. Und Puerto Madryn! Daß Qott 
erbarm! Einige Wellblechhütten, Kneipen und Schuppen am 
kahlen Strande; das ist alles. 

Die Wasserverhältnisse von Madryn sind sehr schlecht. 
Trinkwasser wird ca. 80 km weit aus der Gegend von Trelew 
dort hingebracht. Es ist hier ähnlich wie in Camarones und 
Comodoro Rivadavia. Wie diese beiden Häfen, so befindet 
sich auch der von Madryn eigentlich noch im Naturzustande. 
Die wenigen Verbesserungen, die dort gemacht worden sind, 

I 

genügen bei weitem nicht, und die vorhandene Landungsbrücke 
ist völlig unzureichend für den bestehenden Verkehr. Vor allen 
Dingen aber mangelt es an einer guten Organisation nicht nur 
hinsichtlich der Bahnverbindung, sondern auch des Schiffsver- 
kehrs an der Küste. Da liegt noch vieles, sehr vieles im argen. 
Es wäre wünschenswert, daß gerade die deutschen Dampfer- 
linien beizeiten bessernd eingreifen würden, um anderen zuvor- 
zukommen, da, wie es ganz natürlich ist, die galensisch-eng- 
lische Bevölkerung mehr und mehr mit dem Bestreben her- 



— 214 — 

vortritt, deutsche Schiffe zu boykottieren und dafür englische, 
wie z. B. die der „Pacific Line" zu bevorzugen. Bei solcher 
einseitigen Begünstigung kann selbstredend die englische Bahn- 
gesellschaft infolge ihrer eigenartigen Monopolstellung ein ge- 
wichtiges Wort mitreden. Bei Beurteilung der ganzen Sach- 
lage indessen darf vor allem der Umstand nicht vergessen 
werden, daß Puerto Madryn für die Handelsinteressen des 
halben Territoriums in Betracht kommt, und zwar von der 
Küste des Atlantischen Ozeans bis zum Corcovado und Pico- 
gebiet in den Kordilleren, vom Rio Senguerr und Lago Fontana 
bis hinauf nach Norquinco; also gerade für den fruchtbarsten, 
schönsten Teile in ganz Chubut. Jeder Export von dort und 
jeder Import dorthin wird am leichtesten und bequemsten über 
Madryn geleitet werden können. Daß aber die Produktions- 
fähigkeit und die wirtschaftliche Entwicklung gerade jener Kor- 
dillerengegend unerwartete Dimensionen annehmen werden, 
steht außer allem Zweifel. Die Natur hat eben in jeder Hin- 
sicht alle Vorbedingungen hierfür geschaffen. Ich habe darauf 
im Vorstehenden bereits wiederholt hingewiesen. 

Welche Änderungen das Wirtschaftsleben des Hinterlandes 
von Puerto Madryn in den letzten Jahren erfahren hat, geht 
einigermaßen aus den Angaben der Ausfuhrstatistik hervor. So 
wurde z. B. im Jahre 18Q4 über genannten Hafen exportiert: 

Weizen rund 4678,2 Tonnen 

Alfalfasamen „ 17,0 „ 

Wolle ,, 23,0 

Schaffelle „ 3,8 

Straußenfedern ... ,, 12,9 „ 

Roßhaare „ 10,4 „ 

außerdem : 

Gerste 169,6 Tonnen 

Rindshäute 711 Stück 

Quillangos 1872 „ 

Verschiedene Felle u. Häute 910 „ 






— 215 — 

Dagegen stellte sich 10 Jahre später, also 1904, die Aus- 
fuhr wie folgt: 

Weizen 355 Tonnen 

Alfalfasamen 101 

Wolle 751 

Schaffelle 82 

Federn 3 

Roßhaare 11 

außerdem : 

Gerste Tonnen 

Rindshäute 32 „ 

Quillangos 7 „ 

Verschiedenes 114 „ 

Hinzugekommen ist ein neuer Artikel der Landwirtschaft, 
nämlich „pasto secco", getrocknetes Futter, also in der Haupt- 
sache Alfalfa. Davon allein wurden 1904 mehr als 890 Tonnen 
exportiert ; ein Beweis für den schon vorher erwähnten Umschlag 
im Ackerbaubetrieb, den Übergang vom Weizenbau zur Al- 
falfakultur im Chubuttal. Denn vor zehn Jahren hat an eine 
Ausfuhr von Alfalfa noch niemand gedacht. 

Die Mengen und Arten der über Puerto Madryn ein- 
geführten Waren im Jahre 1904 waren folgende: 

Mais 28 Tonnen 

Kartoffeln 76 

Mehl 135 

Steinkohle 204 

Petroleum 54 „ 

Salz 10 

Holz 351 

Kalk 24 

Fahrzeuge 71 „ 

Draht 60 

Zement 14 



;; 



Verschiedenes 2950 „ 



— 216 — 

Außerdem wurden über den Hafen von Rawson im 
gleichen Jahre noch 

300 Tonnen Wolle und ca. 

80 „ Rindshäute und Schaffelle 
ausgeführt. 

Wenn man nun in Rechnung zieht, daß auch noch die 
anderen Häfen, wie z. B. Camarones und Comodoro Riva- 
davia (Rada Tilly), Cabo Raso, Santa Elena usw. in den 
letzten Jahren ebenfalls relativ hohe Exportziffern aufzuweisen 
haben, dann wird man sich hieraus ganz allein ungefähr eine 
Vorstellung von der steigenden Produktivität des Landes 
machen können, eines Landes, das heute noch zum größten 
Teil Wildnis ist, bei dem die Besiedelung des Innern vor kaum 
einem Jahrzehnt begonnen hat. 

Von der kleinen Ortschaft G a i m a n , die übrigens mit 
ihren Ziegel- und Steinhäusern einen recht freundlichen Eindruck 
macht, führt der breite, etwa 20 km lange Weg am Ufer 
des Chubutflusses entlang nach T r e 1 e w. 

Auch hier in Trelew sind in der Mehrzahl Steinhäuser vor- 
handen. Das vorzügliche Baumaterial kommt aus einem Stein- 
bruch, der etwa 8 km von der Stadt entfernt liegt. Die Straßen, 
die alle rechtwinklig zueinander laufen, sind breit, ungepflastert 
und nur zum geringsten Teil mit Bürgersteigen versehen. Bei 
trodcenem Wetter genügen sie dem Verkehr in ausgiebiger 
Weise, aber wehe, wenn der Himmel mal seine Schleusen 
öffnet! Dann stehen Straßen und Plätze tatsächlich unter 
Wasser und das bisher feste Erdreich löst sich auf in Schlamm 
und Morast, der ein Passieren zu Fuß fast unmöglich macht 
Irgendwekhe Vegetation fehlt Oberhaupt macht Trelew trotz 
seiner sauberen Wohnungen, trotz des Bahnhofsgebäudes, der 
Kapelle und der freundlichen „Commissaria'' und des Schul- 
hauses im allgemeinen einen kahlen Eindruck, namentlich im 
Winter, Man friert, wenn man es ansieht Zudem entbehren 
fast alle Häuser der Heizx^orrichtungen und, wenn letztere 



— 217 — 

vorhanden sind, fehlt es am nötigen Brennmaterial. Da sieht 
man denn die Leute mit dicken Tüchern und Mänteln und 
Ponchos, mit Pelzmütze und Handschuhen und rotgefrorenen 
Nasen in den kalten Zimmern hocken. Frierend und stampfend 
und händereibend kriechen dann die Menschen umher; in 
Mantel, Poncho, Mütze werden sogar die einzelnen Mahlzeiten 
eingenommen. 

Gast- und Geschäftshäuser, kleinere und größere Kram- 
läden bilden den Hauptbestandteil der Gebäude. Das größte 
kaufmännische Unternehmen ist die „Compania Mercantil Chu- 
but", eine Art Konsumverein, verbunden mit einer landwirt- 
schaftlichen Genossenschaft. Man muß staunen, wenn man be- 
denkt, daß die Galenser aus nichts heraus diese bedeutenden 
gemeinnützigen Unternehmen geschaffen haben, allein durch 
ihr festes Zusammenhalten, ihr Organisationstalent und das 
Streben nach demselben gemeinsamen Ziele hin. Fast sämt- 
liche Galenser des ganzen Chubuttales gehören dieser Ge- 
nossenschaft an, die auch den Verkauf von Weizen und son- 
stigen Landesprodukten übernimmt und durch Vertrauensmänner 
in Buenos Aires, Bahia Bianca usw. besorgen läßt. Den An- 
siedlern sind dadurch nicht nur viele Unkosten, sondern auch 
ein gewisses Risiko erspart, das entstehen müßte, wenn ein 
jeder auf eigene Hand verkaufen würde. 

Andererseits liefert dieser Konsumverein den Bewohnern 
Waren jeder Art für nicht zu hohe Preise. Che Leitung ist in 
guten Händen, und so ist es natürlich, daß die Gesellschaft 
immer mehr festen Fuß faßt und ihre Bilanzen, die sich in 
Hunderttausenden bewegen, stets sehr günstig abschließen. 
Unsere deutschen Landsleute daheim wie draußen könnten sich 
an dieser zielbewußten Einigkeit in fremden Landen ein Bei- 
spiel nehmen. 

Die überwiegende Mehrzahl der Bewohner von Trelew 
besteht aus Galensern, der Rest setzt sich zusammen aus Ar- 



219 



gentinern, Italienern und Spaniern. Auch drei deutsche Fa- 
milien sind dort ansässig, die, obgleich sie seinerzeit mit wenigen 
oder gar keinen Mitteln ankamen, in wenigen Jahren ein kleines 
Vermögen erwarben und eine gesicherte Existenz gegründet 
haben. Trelew und das ganze Land streben mächtig empor, 
und gerade dort gilt noch das alte Sprichwort: „Handwerk 
hat einen goldenen Boden." Dasselbe gilt auch für das ganze 
Territorium Chubut, wo bei der Zunahme der landwirtschaft- 
lichen Bevölkerung die Nachfrage nach Arbeitern und Hand- 
werkern mehr und mehr in den Vordergrund tritt. Namentlich 
solche, deren Tätigkeit in den Beruf des Landwirtes, des Vieh- 
züchters und Ackerbauers hineingreift, wie z. B. Schmiede, 
Wagenbauer, Zimmerer u. dgl. finden dort Gelegenheit, nicht 
nur mit guten Erfolgen ihr Handwerk auszuüben, sondern 
gleichzeitig ihre eigene Scholle Land zu erwerben und dort als 
freier Bauer ein gesundes Leben zu führen. 

Etwa 18 km von Trelew östlich liegt das schon mehrfach ge- 
nannte Rawson, die Hauptstadt des Territoriums Chubut. Im 
Gegensatz zu den beiden anderen Ortschaften ist Rawson zu 
beiden Seiten des Chubutflusses gelegen, über den eine statt- 
liche Brücke führt. Mit wenigen Ausnahmen sind die ein- 
fachen, niedrigen Häuser alle aus Stein, teils Ziegeln, teils Feld- 
stein aufgebaut. Geschmackvoll und sauber nimmt sich das 
Regierungsgebäude in seiner villenartigen Konstruktion aus, 
während die verhältnismäßig • große Kirche in ihrem hellen 
Anstrich die Aufmerksamkeit des Wanderers schon von fern 
fesselt. Brüder vom Salesianerorden halten dort Gottesdienst 
und leiten daneben eine Erziehungsanstalt für Mädchen und 
Knaben. Die Galenser Bevölkerung tritt hier in Rawson gegen- 
über den Bewohnern anderer Nationalität, wie Argentinern, 
Spaniern, Italienern, sehr zurück. Deutschland ist hier nur in 
einer einzigen Person vertreten. 

Die Umgebung der Stadt erscheint kahl und unfreundlich, 
weil Baumwuchs und sonstige Vegetation fehlen und die 



— 220 — 

sandige, kiesbedeckte Ebene in ihrer Nacktheit unverhüllt 
hervortreten lassen. 

Der gegenwärtige Gouverneur von Chubut ist Herr 
Dr. Julio Lezana, ein Mann von umfassendem Wissen, der 
seinen Beruf sefir ernst nimmt und es sich tatsächlich um das 
Wohl und Wehe seines Territoriums angelegen sein läßt. Wie 
gewöhnlich bereitet auch ihm nur die Oalenser Bevölkerung 
Schwierigkeiten. 

Als ich dem Gouverneur meine Aufwartung machte, fand 
ich dort sehr liebenswürdige Aufnahme und überhaupt ein Ent- 
gegenkommen, wie ich es selten angetroffen habe. Und das 
alles in natürlich-menschlicher Weise, ungezwungen, ohne jede 
steife Form und übertünchte Höflichkeit, die u. a. in gewissen 
Kreisen von Buenos Aires Mode geworden ist und absichtlich 
hervorgekehrt wird, vielleicht um innere Hohlheit zu verbergen. 
Einer Einladung des Gouverneurs folgend, unternahm ich an 
einem der nächsten Tage zusammen mit ihm, seinem Privat- 
sekretär, Dr. Maciel, und dem Polizeichef, Sefior Fougiere, 
einen Spazierritt nach dem Meeresstrand zur Mündung des 
Chubutflusses, die ca. 5 km von Rawson entfernt liegt. Nach 
langer Zeit sah ich da wieder den rauschenden Ozean, der 
unaufhörlich seine blaugrünen Wogen schäumend über den 
sandigen Strand rollt. In den Dünen liegen angeschwemmte 
Muscheln und Schwämme. Eine kleine Art der Pinguingänse 
kommt hier vor. Auch Seehunde sind an der ganzen Küste 
in zwei verschiedenen Gattungen zahlreich vertreten. Die Jagd 
auf diese Tiere ist von der Regierung verboten, die indessen 
besondere Erlaubnis dazu in Form einer Konzession unter 
bestimmten Bedingungen erteilt hat. 

Zwei Tage weilte ich in Rawson. Dann mußte ich zurück 
nach Trelew. Der schon seit sechs Wochen ersehnte Dampfer 
sollte endlich eintreffen, mit dem ich die Rückreise nach Buenos 
Aires antreten wollte. Sage und schreibe sechs Wochen und 
länger warteten in Trelew mehr als 100 Passagiere auf das 



— 221 — 

Dampfschiff und verzehrten in den teuren Gasthäusern und Wirt- 
schaften ihre Gelder. Daß hier der Schiffsverkehr in bezug 
sowohl auf Beförderung von Personen als auch Frachten einer 
dringenden Remedur bedarf, liegt, wie ich es schon an anderer 
Stelle angedeutet habe, außer allem Zweifel. 

Endlich hatte auch für mich die achttägige Warterei auf- 
gehört ; die Stunde der Erlösung schlug. Aus überfülltem Gast- 
haus siedelte ich über zu dem noch mehr überfüllten Dampfer 
in Puerto Madryn. Und dann ging's hinaus in die wild 
rauschende See nach Norden zu. 

Adieu, Chubut! Adieu, ihr herrlichen Kordilleren! 



XXII. 

Schlußbetrachtung. 

Von meiner Forschungs- und Studienreise durch Süd- 
amerika, die zwei und ein halbes Jahr in Anspruch nahm, ver- 
wendete ich allein 18 Monate auf die Argentinische Republik. Ich 
habe während dieser Zeit das Innere des Landes kreuz und 
quer bereist von Ost nach West, von Nord nach Süd. Ich 
habe dabei die wirtschaftspolitische Bedeutung Argentiniens, 
das bei einer Ausdehnung von 2 952 551 Quadratkilometer nur 
5,5 Millionen Einwohner besitzt, kennen gelernt und gesehen, 
welchen immensen Aufschwung alle Zweige des Erwerbs- 
lebens, Viehzucht, Ackerbau, Handel, Verkehr, Industrie, Ge- 
werbe usw. in den letzten Jahren genommen haben. 

Alles regt sich hier gewaltig und erprobt die jugendlichen 
Kräfte im Wettkampf mit dem alten Europa auf allen Feldern 
des wirtschaftlichen Gebiets. Man muß selbst hier gewesen 
sein und es selbst gesehen haben, um sich dann ein einiger- 
maßen richtiges Urteil zu bilden. Dann aber fallen auch wie 
mit einem Schlage viele Vorurteile und Anschauungen, die bis 
dahin die Gemüter daheim befangen hielten, fort. Man ver- 
gißt nur zu leicht die räumliche Trennung, die mächtigen Aus- 
dehnungen, die oft riesigen Entfernungen im Vergleich zu 
imserem so kleinen — Deutschland. 

Gewiß bleibt ja in der inneren Entwicklung und Festigung 
Argentiniens noch manches zu wünschen übrig. Aber der 
Staat, wie alle südamerikanischen Republiken, ist noch jung. 



— 223 — 

Trotzdem ist nicht abzuleugnen, daß das Land in den letzten 
Jahren gewaltige Fortschritte gemacht hat und daß gerade 
hier für deutsche Arbeit, für deutsche Unternehmungen und 
für deutsche Kapitalien sich ein ergiebiges Feld der Betätigung 
bietet. Es bleibt geradezu unverständlich, daß bei den zu- 
tage tretenden Chancen von deutscher Seite so wenig getan 
worden ist. Unsere wirtschaftliche Zukunft liegt „auf dem* 
Wasser", d. h. über See, und da vor allem in Süd- 
amerika. 

Es wäre daher wirklich wünschenswert, wenn sich in Er- 
kenntnis dieser Tatsache endlich mal deutsches Kapital herbei- 
ließe, sich an industriellen oder agrikultureilen Unternehmungen 
auf argentinischem Boden in größerem Umfange zu beteiligen. 

Bahnbauten, Straßenanlagen, industrielle Unternehmungen, 
die sich die Verwertung der natürlichen Bodenprodukte zur Auf- 
gabe gestellt haben, Ackerbau, Viehzucht, insbesondere aber 
die Kolonisierung, die, sobald sie mit deutschen Ele- 
menten angefangen wird, dem Argentiner vorwiegend sym- 
pathisch ist — sie alle bieten Gelegenheit genug, unseren Ex- 
port zu vergrößern und damit unserem Handel, unserem Ge- 
w^erbe, unserer Industrie, kurz unserem ganzen, jetzt etwas 
eingezwängten und kleinlichen Wirtschaftsleben einen mäch- 
tigen Aufschwung zu geben. Wer nicht wagt, nicht gewinnt! 
Indessen bleibt es doch immer eine recht merkwürdige Tatsache, 
daß wir daheim vor lauter Bedenken und Angstmeierei nie der- 
artige Schritte unternehmen — wenigstens nicht beizeiten; und 
wenn wir mal wirklich zur Ausführung einer großen, wirtschafts- 
politischen Tat geneigt sind, uns durch John und Jonathan und 
weiß der Himmel noch durch wen davon abschrecken lassen. 
Und dabei — das ist das eigenartigste von allem — blühen 
gerade die Unternehmungen jener „wohlmeinenden", warnen- 
den Leute, der Engländer und Nordamerikaner, aufs allerbeste 
und werfen jährlich Gewinne und Dividenden ab, die daheim 
in den wenigsten Fällen erzielt werden würden. Der kleine, 



— 224 — 

bescheidene Michel aber — er „gläubete" und bedankt sich viel- 
mals für die guten Ratschläge und zieht sich seine Zipfelmütze 
zurecht und geht heim und — wurstelt pflichtgetreu weiter. 
Wann wird das anders werden? Es ist ein allbekanntes Fak- 
tum, das eigentlich kaum mehr hervorgehoben zu werden 
braucht, daß in Argentinien bisher alle, fast ausschließlich mit 
fremden, insbesondere englischen Kapitalien ausgeführten Unter- 
nehmungen äußerst günstige Resultate erzielt haben. So zahlte 
z. B. die „River Plate Fresh Meat Company**, die mit einem 
Kapital von ca. 5 Millionen Mark arbeitet, im Jahre 1896/97 
noch keine Dividenden, 1897/98 bereits 6o/o, von 1898/1900 
aber 7 o/o. Im folgenden Jahr konnte sie 10 o/o Dividende und 
außerdem einen Bonus von 2o/o und 1901/02 wieder lOo/o Divi- 
dende mit einem Bonus von 4 o/o geben. 

Die „South American Land Co. Ltd.**; die mit einem Kapi- 
tal von 2,5 Millionen Mark arbeitet und mehr als 100 Quadrat- 
meilen Land besitzt, hat in den letzten Jahren durchschnittlich 
5— 6 o/o Dividenden zahlen können. Eine andere, die „Mort- 
gage Company of the River Plate**, gab während der letzten 
fünf Jahre eine Dividende von 10 o/o jährlich und verzeichnet z. B. 
1902 einen Reingewinn von mehr als 1 Million Mark. Die 
„United River Plate Telephone Company**, die 1895/96 noch 
mit 4 o/o Dividende abschloß, hatte diese im Zeitraum 1899/1902 
auf 7 o/o erhöht. 

Es würde zu weit führen, aus der großen Menge derartiger 
Unternehmungen noch mehr Beispiele zu erwähnen. Ein Hin- 
weis auf die Rentabilität der Gesellschaften, die sich mit dem 
Bau und Betrieb von elektrischen Bahnen und Straßenbahnen 
befassen, dürfte genügen, und was die großen Eisenbahn- 
gesellschaften in Argentinien anbetrifft, so sind sie heute bereits 
derart gediehen und erstarkt, daß sie quasi ein Monopol inner- 
halb des Staates ausüben. Alle diese Eisenbahnen sind in 
englischen Händen, mit Ausnahme einer einzigen, die fran- 
zösisch ist. Deutsches Kapital war für derartige Anlagen 



— 225 — 

leider nicht zu haben, und zwar bei den günstigsten Angeboten, 
unter letzteren z. B. Befreiung von allen Munizipal- und Pro- 
vinzialabgaben auf 25, 30 und noch mehr Jahre, zollfreie Einfuhr 
des gesamten Materials und noch andere Vergünstigungen. Da 
ja alles Material, ich möchte sagen, bis auf den kleinsten Nagel, 
aus England selbst bezogen worden ist und noch bezogen wird, 
kann man sich ungefähr eine Vorstellung von den Summen 
machen, die jährlich ins britische Heimatland fließen und der 
englischen Industrie zugute kommen, Summen, die im Sinne 
des Wortes aus dem Lande Argentinien herausgeholt werden. 
Das nennt man mit Recht: Förderung des Exports, Arbeiten im 
nationalen Sinne! 

Was im allgemeinen Argentiniens Handel mit Deutschland 
betrifft, so möchte ich nur kurz erwähnen, daß dieser sein 
Gesamthandel im Jahre 1897 ca. 145 Millionen Mark betrug, 
dagegen 1904 bis auf mehr als 439 Millionen gestiegen ist. 
Die Gesamteinfuhr Argentiniens nach Deutschland bezifferte 
sich 1897 auf 109,3 Millionen Mark, erreichte 1901 schon 200,8 
und 1904 sogar 336,5 Millionen Mark. Das Deutsche Reich 
dagegen lieferte nach Argentinien im Jahre 1897 Waren im 
Werte von nur 35,8 Millionen Mark. Diese Summe erhöhte sich 
1901 auf 54,2 Millionen und hat sich im Jahre 1904 fast ver- 
dreifacht; sie betrug nämlich 102,7 Millionen Mark. Das sind 
Zahlen, die eine beredte Sprache führen. 

Auch im Territorium Chubut, das, wie schon erwähnt, heute 
auf einem Flächenraum von 242 039 Quadratkilometer — also 
fast die Hälfte vom Deutschen Reich — kaum 11 000 Bewohner 
zählt, macht sich in letzter Zeit eine große wirtschaftliche 
Bewegung bemerkbar. 

Von der genannten Oberfläche sind zwar nur 32,10 Quadrat- 
kilometer — nach der Statistik von 1903 — bebaut, und zwar 
in der Hauptsache 

16,5 Quadratkilometer mit Weizen, 
12,0 „ „ Alfalfa, 

Vallentin: Chubut 15 



— 226 — 

der Rest mit anderen Kulturen wie Kartoffeln usw.; also wirk- 
lich ein ganz verschwindender Bruchteil. Trotzdem steigen 
jetzt schon die Landpreise gewaltig, und englisches sowie 
chilenisches Kapital entwickeln eine erstaunliche Rührigkeit. 
Im Norden des Territoriums z. B. kauft eine chilenische Ge- 
sellschaft große Strecken Landes auf. Eine Legua (25 Quadrat- 
kilometer), die vor drei Jahren Pesos 3000— 4000= ca. 6— 8000 M. 
gegolten hat, ist jetzt mit Pesos 16—18000 = 32—36000 M. be- 
zahlt worden. In Sarmiento, wo kein Baum, kein Strauch 
wächst und nur Schafzucht getrieben wird, verkaufen die Leute 
ihr Kolonielos von 625 ha (= 1/4 Legua) nicht mehr unter 5000 
Pesos = ca. 10000 M. In der Kolonie General San Martin 
wird die Legua schon auf 12—15 000 Pesos = 24— 30 000 M. be- 
wertet, und das dort, wo man nur Schafzucht betreiben kann 
und wo die heftigen Winde irgendwelche Anpflanzungen noch 
nicht ermöglicht haben. Im Süden der Chubutkordilleren, im 
Tal des Rio Frias, arbeitet eifrig eine anglo-chilenische Kom- 
pagnie; eine englische Gesellschaft ist am Lago Fontana tätig. 
Noch weiter im Süden, am Rio Aisen, wohlverstanden immer 
noch im Territorium Chubut, ist seit längerer Zeit eine andere 
Kapitalistengruppe mit Landerwerb, Kolonisierung, Wegebau 
usw. beschäftigt. Eine englische Landkompagnie im Norden des 
Territoriums, östlich der Kordilleren nach der Ebene zu, hat 
weite Strecken Landes in ihren Besitz gebracht. Und so geht 
es weiter. Ich greife diese wenigen Beispiele nur aus der 
großen Menge heraus. Der Wert des Bodens und die Bedeutung 
des Landes werden mehr und mehr erkannt, und wo man hin- 
kommt, immer dasselbe Bild: der Engländer und Nordameri- 
kaner, stets zielbewußt, wagemutig voran ; der Deutsche zagend 
hinterdrein, zaudernd so lange, bis es zu spät ist! Oder steht 
er mal im Vordergrunde, dann ist er allein und arbeitet infolge- 
dessen meistens für andere, für unsere Konkurrenten auf wirt- 
schaftlichem Gebiet. Wenn man so im Sattel das Land durch- 
quert, wie ich es getan habe, hat man Gelegenheit genug ge- 



— 227 — 

habt, das zu sehen. Nur zu häufig habe ich auf meine Fragen : 
„Wem gehört dieser prächtige Kamp?" „Wer ist Besitzer jenes 
fruchtbaren Landes?" „Wer ist Eigentümer jener großen Vieh- 
herden?" die Antwort erhalten: „Ein Engländer!" oder „Eine 




'.m Quellengebiet des Rio Frias. 



englische Gesellschaft!" Das muß man lassen, diese eng- 
lischen Leute betätigen sich wirklich im Sinne des Wortes. 

Nur zu wahrscheinlich ist es, daß auch das gesamte Ver- 
kehrswesen demnächst in ihre Hände übergeht, und damit ge- 
hört ihnen das Land selbst, d. h. mit der Erschließung des 



— 228 — 

Landes durch Bahn- und Wegebauten haben sie auch die ge- 
waltigen Reichtümer desselben zu ihrer Verfügung und Aus- 
nutzung. 

Teilnahmlos, ja mehr wie gleichgültig stehen die maß- 
gebenden deutschen Kreise, die Kapitalisten, die Presse, die 
Kolonialgesellschaften, diesem Werdegang gegenüber. Im alt- 
gewohnten, kleinen Maßstabe wursteln sie weiter, anstatt auf 
kolonisatorischem Gebiet gerade an den geeigneten Stellen 
Südamerikas sich reichlichen und unbedingt höheren Gewinn 
zu holen. Da wird es höchste Zeit, Wandlung zu schaffen und 
endlich mal von der grauen Theorie zur wirklichen Praxis über- 
zugehen. Worte, Reden und flaue Resolutionen 
haben wenig Wert. Taten, nur Taten allein führen 
zum Ziel! 




Im gleichen Verlage erschienen ferner: 

Die Geschichte der 

Südafrilcanischen 

Republil^ Transvaal. 

Auf Grund authentischer Quellen 
unter Benutzung amtlichen Materials und aus eigener Anschauung 

dargestellt von 

Dr. Wilh. Vallentin 

Kapitftn (Pretoria). 

= In 3 Banden. — 

Mit 200 Illustrationen, nach Originalphotograph ien, Gemälden und 

Skizzen von Dr. W. Vallentin. 

I. BAND: 

Transvaal. Das Land und seine Urbevölkerung. 

II. BAND: 

Die Buren und ihre Geschichte. 

III. BAND: 

Kultur- und Wirtschaftsgeschichte von Transvaal. Die politischen 

Verwickelungen der letzten Jahre. 

Berlin 1902. 

PREIS: Drei Bände brosch. Mk. 12.—, gebunden in einem Leinenband Mk. 14.— 
Jeder broschierte Band wird auch einzeln zu Mk. 4.— abgegeben. 

Die Ursachen des Krieges zwischen 
England und den Jurenrepubliken. 

Die politischen Verwickelungen in der Zeit vom Jameson-Einfall bis zum 

Ausbruch des Krieges, unter Benutzung amtlichen, von dem Staatssekretär der 

Südafrikanischen Republik F. W. Rcitz zur Verfügung gestellten Materials 

von 

Dr. Wilh. Vallentin, Kapitän (Pretoria) 

Berlin 1902. Mit io Porträts. Preis Mk. 1.50 



ßt)|lat)d at)d die J^ai^et). 

Von Dr. Wilh. Vallentin 
Berlin 1899. Kapitän (Pretoria). Preis 1 Mark. 

I Ivlvr^ A rl Iv I t IN • Kapitän Dr. W. Vallentin. 

Von Genua nach Singapore. - Kaiser Wilhelms- Land. - Eine Fahrt nach 
dem Huon-Golf. — Von Neu- Guinea nach Singapore. — Auf dem Segelschiff 

nach Mauritius. 

Mit 24 lllnstrationen nach Originalskizzen des Verfassers. 

Berlin 1902. Preis 2 Mark 



Vom gleichen Verfasser erschien ferner und ist durch 
alle Buchhandlungen zu beziehen: 

WESTPREUSSEN. 

Ein Beitrag zur Geschichte der Entwickelung des allgemeinen Wohlstandes in 

dieser Provinz und ihren einzelnen Teilen. 

Von Dr. W. Vallentin. 

Tübingen 1893. 

Diese wissenschaftliche Abhandlung bildet Band IV von Prof. Fr. J. Neumanns 
»Beiträgen zur Geschichte der Bevölkerung in Deutschland." 

^cv 0tircnKrlc9« 

Von 

Dr. Wilh. Vallentin 

Kapitän (Pretoria). 
Mit Benutzung amtlichen Materials. 75 zum Teil farbige Kunstbeilagen 

und 370 Textillustrationen. 

Zu beziehen in 32 Lieferungen k 50 Pfg. oder in 2 Bänden in Prachteinband 

zum Preise von je Mk. 12.50, zusammen Mk. 25.— 




Außerdem sind von demselben Verfasser erschienen und durch 
alle Buchhandlungen zu beziehen: 

Hunnen in Südafrika. 

Betrachtungen über englische Politik und Kriegsführung 

von Kapitän Dr. W. Vallentin. 

Berlin 1902. Drittes Tausend. Preis Mark 1.50. 

ei!)e |£rie|5ei«kbf)i55e 
bei det) Jlai^ei) 

Erinnerungen und Skizzen aus dem südafrikanischen Kriege 1899/1900. 

Von Dr. Wilh. Vallentin, Kapitän (Pretoria). 

Mit ja Ulustrationen. 

Berlin 1900. Preis brosch. 3 Mark, geb. 4 Mark. 

Die Buren und ihre Heimat 

Von Dr. Wilh. Vallentin, Kapitän (Pretoria). 
Berlin 1900. Mit 32 lllustratioiien. Preis 3 Mark. 

inenwesen und Goldindustrie 

in Transvaal, ^ von Dr. Wllh. Vallentln. 

Berlin 1900. Mit 17 Illustrationen. Preis 1 Mark. 

Der Freiheitskampf der Buren 

^^^^ Die Schlacht am Majuba Hill. ^^^^ 

Von 

Berlin 1899. ^'- ^"•'- ^«"*"*'" P«is 1 Mark. 

Kapitän (Pretoria.) 




Deutsche Buch- und Kunstdruckerei, Zossen -Berlin SW. 11. 



This book should be retiirned to 
the Library on or before the last date 
stamped below. 

A fine of five cents a day is incurred 
by retaining it beyond the specified 
time. 

Please return promptly.