Google
This is a digital copy of a book that was prcscrvod for gcncrations on library shclvcs bcforc it was carcfully scannod by Google as pari of a projcct
to make the world's books discoverablc online.
It has survived long enough for the Copyright to expire and the book to enter the public domain. A public domain book is one that was never subject
to Copyright or whose legal Copyright term has expired. Whether a book is in the public domain may vary country to country. Public domain books
are our gateways to the past, representing a wealth of history, cultuie and knowledge that's often difficult to discover.
Marks, notations and other maiginalia present in the original volume will appear in this flle - a reminder of this book's long journcy from the
publisher to a library and finally to you.
Usage guidelines
Google is proud to partner with libraries to digitize public domain materials and make them widely accessible. Public domain books belong to the
public and we are merely their custodians. Nevertheless, this work is expensive, so in order to keep providing this resource, we have taken Steps to
prcvcnt abuse by commcrcial parties, including placing technical restrictions on automatcd qucrying.
We also ask that you:
+ Make non-commercial use ofthefiles We designed Google Book Search for use by individuals, and we request that you use these files for
personal, non-commercial purposes.
+ Refrain from automated querying Do not send aulomated queries of any sort to Google's System: If you are conducting research on machinc
translation, optical character recognition or other areas where access to a laige amount of text is helpful, please contact us. We encouragc the
use of public domain materials for these purposes and may be able to help.
+ Maintain attributionTht GoogX'S "watermark" you see on each flle is essential for informingpcoplcabout this projcct andhclping them lind
additional materials through Google Book Search. Please do not remove it.
+ Keep it legal Whatever your use, remember that you are lesponsible for ensuring that what you are doing is legal. Do not assume that just
because we believe a book is in the public domain for users in the United States, that the work is also in the public domain for users in other
countries. Whether a book is still in Copyright varies from country to country, and we can'l offer guidance on whether any speciflc use of
any speciflc book is allowed. Please do not assume that a book's appearance in Google Book Search mcans it can bc used in any manner
anywhere in the world. Copyright infringement liabili^ can be quite severe.
Äbout Google Book Search
Google's mission is to organizc the world's Information and to make it univcrsally accessible and uscful. Google Book Search hclps rcadcrs
discover the world's books while hclping authors and publishers reach new audiences. You can search through the füll icxi of ihis book on the web
at |http : //books . google . com/|
Google
IJber dieses Buch
Dies ist ein digitales Exemplar eines Buches, das seit Generationen in den Realen der Bibliotheken aufbewahrt wurde, bevor es von Google im
Rahmen eines Projekts, mit dem die Bücher dieser Welt online verfugbar gemacht werden sollen, sorgfältig gescannt wurde.
Das Buch hat das Urheberrecht überdauert und kann nun öffentlich zugänglich gemacht werden. Ein öffentlich zugängliches Buch ist ein Buch,
das niemals Urheberrechten unterlag oder bei dem die Schutzfrist des Urheberrechts abgelaufen ist. Ob ein Buch öffentlich zugänglich ist, kann
von Land zu Land unterschiedlich sein. Öffentlich zugängliche Bücher sind unser Tor zur Vergangenheit und stellen ein geschichtliches, kulturelles
und wissenschaftliches Vermögen dar, das häufig nur schwierig zu entdecken ist.
Gebrauchsspuren, Anmerkungen und andere Randbemerkungen, die im Originalband enthalten sind, finden sich auch in dieser Datei - eine Erin-
nerung an die lange Reise, die das Buch vom Verleger zu einer Bibliothek und weiter zu Ihnen hinter sich gebracht hat.
Nu tzungsrichtlinien
Google ist stolz, mit Bibliotheken in partnerschaftlicher Zusammenarbeit öffentlich zugängliches Material zu digitalisieren und einer breiten Masse
zugänglich zu machen. Öffentlich zugängliche Bücher gehören der Öffentlichkeit, und wir sind nur ihre Hüter. Nie htsdesto trotz ist diese
Arbeit kostspielig. Um diese Ressource weiterhin zur Verfügung stellen zu können, haben wir Schritte unternommen, um den Missbrauch durch
kommerzielle Parteien zu veihindem. Dazu gehören technische Einschränkungen für automatisierte Abfragen.
Wir bitten Sie um Einhaltung folgender Richtlinien:
+ Nutzung der Dateien zu nichtkommerziellen Zwecken Wir haben Google Buchsuche für Endanwender konzipiert und möchten, dass Sie diese
Dateien nur für persönliche, nichtkommerzielle Zwecke verwenden.
+ Keine automatisierten Abfragen Senden Sie keine automatisierten Abfragen irgendwelcher Art an das Google-System. Wenn Sie Recherchen
über maschinelle Übersetzung, optische Zeichenerkennung oder andere Bereiche durchführen, in denen der Zugang zu Text in großen Mengen
nützlich ist, wenden Sie sich bitte an uns. Wir fördern die Nutzung des öffentlich zugänglichen Materials für diese Zwecke und können Ihnen
unter Umständen helfen.
+ Beibehaltung von Google-MarkenelementenDas "Wasserzeichen" von Google, das Sie in jeder Datei finden, ist wichtig zur Information über
dieses Projekt und hilft den Anwendern weiteres Material über Google Buchsuche zu finden. Bitte entfernen Sie das Wasserzeichen nicht.
+ Bewegen Sie sich innerhalb der Legalität Unabhängig von Ihrem Verwendungszweck müssen Sie sich Ihrer Verantwortung bewusst sein,
sicherzustellen, dass Ihre Nutzung legal ist. Gehen Sie nicht davon aus, dass ein Buch, das nach unserem Dafürhalten für Nutzer in den USA
öffentlich zugänglich ist, auch fiir Nutzer in anderen Ländern öffentlich zugänglich ist. Ob ein Buch noch dem Urheberrecht unterliegt, ist
von Land zu Land verschieden. Wir können keine Beratung leisten, ob eine bestimmte Nutzung eines bestimmten Buches gesetzlich zulässig
ist. Gehen Sie nicht davon aus, dass das Erscheinen eines Buchs in Google Buchsuche bedeutet, dass es in jeder Form und überall auf der
Welt verwendet werden kann. Eine Urheberrechtsverletzung kann schwerwiegende Folgen haben.
Über Google Buchsuche
Das Ziel von Google besteht darin, die weltweiten Informationen zu organisieren und allgemein nutzbar und zugänglich zu machen. Google
Buchsuche hilft Lesern dabei, die Bücher dieser We lt zu entdecken, und unterstützt Au toren und Verleger dabei, neue Zielgruppcn zu erreichen.
Den gesamten Buchtext können Sie im Internet unter |http: //books . google .corül durchsuchen.
:^o<io-iiS"
SatöatB CnllcBC lilitatj
STEPHEN SALISBURY,
OF WORCESTER, MASS.
II 23,6^. it^ii.
f
CICERO,
SEIN LEBEN UND SEINE SCHRIFTEN.
Von
^€h^ 6, 06^ FRIEDRICH ALY.
Aöyiog dvi^Q, (5 Ttat, Aöyiog nal (piXönaxQis
Augustua bei Plufc. vit. Cic. 49.
MIT EINEM TITELBILD.
"^BERLIN 1891.
R. GAERTNERS VERLAGSBUCHHANDLUNG
HERMANN HEYFELDKR.
SW. Schönebergerstrafse 26.
DC V 0. \\^
-■ ,'/i^-"- ■ ''■
^J-^
^
V
\
( DFf. 11 's''i1 )
Meinem väterlichen Freunde
Herrn D. theol. August Skerl,
Pastor an S. Katharinen und
Mitglied der Herzoglichen Oberschulkommission zu Braunschweig,
in Liebe und Treue.
-*••-
Vorrede.
Der Oedanke, Ciceros Leben einem weiteren Kreise von
Freunden des klassischen Altertums zu erzählen, ist mir aus
meiner langjährigen Lehrthätigkeit am Kandidatenkonvikt
des Klosters U. L. Frauen zu Magdeburg erwachsen. In
dieser Absicht bin ich bestärkt durch die vielfache Wahr-
nehmung, dafs in dem nunmehr hoffentlich zum Abschlufs
gebrachten Kampfe um das Gymnasium keinem von den
alten Schriftstellern gröfseres Unrecht gethan ist, als dem
einst so hoch gepriesenen Redner. Ich habe nach gewissen-
hafter Prüfung die Überzeugung gewonnen, dafs der Cicero
Drumanns ein Zerrbild, dafs der gröfste Stilist Roms keine
„gefallene Gröfse" ist. Nachdem ich meine Anschauung
den Fachgenossen in einer Abhandlung der Zeitschrift flir
Gymnasialwesen (1888 No. 12, S. 721 ff.) dargelegt habe,
versuche ich jetzt ein Lebensbild des merkwürdigen Mannes
zu zeichnen, sine ira et studio. Ein solcher Versuch scheint
um so mehr angebracht zu sein, als die vielberufene Schul-
konferenz die Aufgabe der klassischen Bildung mit Fug und
Recht als Einführung in das Verständnis der alten Schrift-
steller bezeichnet hat.
Meine Erzählung entbehrt des Schmucks gelehrter An-
merkungen. Ein derartiger Ballast würde die Lektüre un-
nötig erschweren; der Fachmann ist auch ohne Hinweise
VI
imstande, die geschichtliche Auffassung nachzuprüfen. Ich
habe Ciceros Leben aus seinen Schriften heraus erzählt, oft,
wo es anging, mit seinen eigenen Worten. Als Berater
standen mir in erster Linie die Darstellungen von Abeken,
Boissier, Brückner, Drumann, Schanz, Suringar und Teuflfel
zur Seite; von Einzelschriften nenne ich den trefflichen Vor-
trag von 0. E. Schmidt über Brutus (Görlitzer Philologen-
versammlung S. 165 ff.).
Ich Würde mich hinreichend belohnt fühlen, wenn dies
Buch ein wenig dazu beitrüge, die centrale Stellung der
lateinischen Studien im Lehrplan zu stützen. Das Latein
mufs und wird das Rückgrat unserer Gymnasien bleiben
und Cicero der Mittelpunkt der lateinischen Lektüre.
Magdeburg, Ostern 1891.
Der Verfasser.
Inhaltsverzeichnis.
Seite
Kapitel 1. Heimat und Familie 1 — 8
„ 2. Lehrjahre 8 — 14
„ 3. Erstes Auftreten, Wanderjahre 15--23
„ 4. Anfänge der politischen Thätigkeit 23 — 27
„ 5. Der Prozefs des Verres 28 — 38
6. Ädüit8.t und Prätur 38—45
^ 7. Das Konsulat 46—62
8. Die Verbannung 62—72
9. Die Rückkehr 72—84
, 10. Anfänge wissenschaftlicher Thätigkeit .... 84 — 97
„ 11. Das Prokonsulat 98—105
„ 12. Der Bürgerkrieg 105—112
, 13. Wiederaufnahme wissenschaftlicher Thätigkeit 112 — 123
„ 14. Philosophische Studien 123 — 144
n 15. Der letzte Kampf gegen die Monarchie . . . 145 — 155
„ 16. Kurzer Triumph und jäher Tod 155—167
„ 17. Sein Privatleben 167—175
„ 18. Übersicht seiner Schriften 175 — 180
„ 19. Spätere Beurteilung 180—189
, 20. Sein Wert als Mensch und Schriftsteller . . . 189—194
^
i2O<i0-llS'
SatiiatB ffiolIeBE liStatj
TUE GIFT OF
STEPHEN SALISnURY,
OF WORCESTER, MASS.
1 1 '£>e^ l'i'^l I-
f
— 4 —
„In der schönsten und grofsartigsten Umgebung von
Strom und Wald und Fels und Gebirg, die das harte und
kräftige Qeschlecht volskischer Bauern nährten, bildete sich
der Knabe unter frühen Hoffiiungen spät-dauernder Grölse;
und wenn der Mann, in seinem zweiten Yaterlande, der
patria civitatis, von Staatsgeschäften ermüdet, sich nach länd-
licher Ruhe sehnte, dann, auch glänzendere, reichere Villen
verlassend, wandte er sich oft und gern und mit treuer Liebe
dem eigentlichen Yaterlande (patria naturae) zu, und mit
freudigem Stolze und tiefer Rührung zeigte er dem Freunde
die Wiege seiner Kindheit — incunabula Ciceronis."
Aber die tote Natur ist es nicht allein, die bestimmend
auf den werdenden Menschen einwirkt — wir stammen nicht
djtö ÖQvös ot)d' dTtö JtäTQrjs — , sondern vor allem die
lebendige Menschenwelt, die Familie, die Eltern.
Giceros Familie zählte nicht zu den Geschlechtern der
Nobilität, da keines ihrer Mitglieder vor dem Redner ein
höheres Staatsamt bekleidet hatte, das Anspruch auf einen
Sitz im Senate und die damit verbundenen Ehren verliehen
hätte. Die Cicerones waren von alters her Bürger der Land-
stadt Arpinum und gehörten nach ihrem Yermögensstande
zum ordo equester, d. h» zur Klasse der Höchstbesteuerten.
Sie waren Landwirte. Die Deutung des Namens ist nicht
sicher. Cicero ist allerdings von cicer, Kichererbse, herzu-
leiten; ob aber die Bezeichnung von einer Vorliebe für diese
Frucht oder von einem Anwuchs an der Nase hergenommen
sei, läfst sich heute nicht mehr feststellen. Die hierauf be-
züglichen Nachrichten der Alten sind mit Vorsicht aufzu-
nehmen, da sie nur zu häufig beliebigen Stadtklatsch kritiklos
hinnahmen.
Die uns bekannten Mitglieder der Familie mag neben-
stehendes Schema zusammenstellen.
— 5
M. Tullius Cicero— Gratidia
I
Helvia— M. Tullius Cicero L. Tullius Cicero
M. Tullius Cicero Q. Tullius Cicero-Pomponia L. Tullius Cicero
— 1. Terentia ^ ''
— 2. Publilia Q- Tullius Cicero
1.
Tullia M. Tullius Cicero
— 1. Piso
— 2. Crassipes
— 3. Dolabella
S.
Lentulus
Der gleichnamige Grofsvater des Redners besafs ein be-
scheidenes Landhaus, welches sein Enkel mit dem sabinischen
Gute des berühmten Si^ers über Pyrrhus, M'. Curius Den-
tatus, vergleicht. Er war ein Mann von altem Schrot und
Korn, der neumodischen Bildung wie jeder politischen Neue-
rung abhold. Es ist uns von ihm der Ausspruch überliefert,
die Römer glichen den syrischen Sklaven; je mehr einer das
Griechische verstehe, desto nichtswürdiger sei er. Als nun
gar sein Schwager M. Gratidius im Jahre 115 ein neues
Gesetz für Abstimmungen, eine lex tabellaria, in dem Muni-
cipium Arpinum vorschlug, leistete der wackere Bürger hart-
näckigen Widerstand und erwarb sich damit den Beifall des
Konsuls M. Amilius Scaurus, den die Nobilität als ein Muster
konservativer Staatsgesinnung zu preisen pflegte. Einen
solchen Verbündeten wünschte sich Scaurus für die stürmi-
schen Verhandlungen in Rom, die sich, wie der Enkel be-
merkt, zu jenem arpinatischen Konflikt verhielten, wie das
ägäische Meer zu einer Schöpfkelle. Er sah den Enkel noch
heranwachsen.
Der Vater, ein kränklicher, den Wissenschaften eifrig er-
gebener Mann, erweiterte und verschönte das ererbte Land-
haus; er erfreute sich eines ansehnlichen Wohlstandes, den
er aber wohl schwerlich, wie erzählt wird, einer Walkmühle
am Fibrenus verdankte. Ganz besondere Sorgfalt verwandte
— 6 —
er auf die Erziehung seiner beiden Söhne , welche er vor
allem durch Hinweis auf die glänzenden Charaktere altrömi-
scher Geschichte zu begeisterten Patrioten zu erziehen be-
strebt war. Er wollte beide der höheren Beamtung zuführen,
wie ja oft sorgsame Väter ihren Söhnen zu verschaffen sich
bemühen, was ihnen selbst versagt geblieben ist. Zu diesem
Zwecke scheute der Vater kein Opfer und siedelte sogar nach
Bom über, wo er in der vornehmen Gegend der Carmen ein
Haus erstand, das sich nachmals auf Quintus vererbte. Er
hatte die Freude, seine väterlichen Wünsche in reichem
Mafse erfüllt zu sehen; kurze Zeit bevor der Sohn das Ziel
seines Strebens, das Konsulat, erreichte, starb der Vater.
Die Mutter Helvia tritt mehr zurück, wie es der rö-
mischen Sitte entsprach, welche den höchsten Ruhm einer
Hausfrau in der ebenso beredten wie kurzen Grabschrift
ausprägte: Sie blieb zu Hause und spann. Dafs sie eine
tüchtige Vorsteherin des Haushalts gewesen ist, beweist eine
Anekdote, die uns Quintus berichtet: Die Mutter habe auch
die leeren Weinkrüge versiegelt, damit die Sklaven nicht
die gefüllten mit diesen auf Kosten der Herrschaft ver-
tauschten. Sie stammte aus einem angesehenen Geschlechte.
Ihre Schwester heiratete den Rechtsgelehrten C. Aculeo,
dessen Söhne zu den Jugendgespielen und Schulkameraden
des Redners gehörten.
Der jüngere Bruder des Redners, Quintus, wird uns
noch öfter beschäftigen. Er ist allgemein bekannt durch
seine Beteiligung an der Unterwerfung Galliens als Legat
Cäsars, der in ihm eine Geisel für die friedfertige Haltung
seines Bruders sah. Indessen hat er nicht verabsäumt, das
tapfere und besonnene Verhalten seines Unterfeldherm bei
Gelegenheit des furchtbaren Eburonenaufstandes im Jahre 54
dankbar zu rühmen. Auch als Schriftsteller hat er sich auf
poetischem Gebiete versucht; wir haben von ihm eine Reihe
von Briefen, darunter eine längere, für den Bruder bestinunte
Abhandlung „über die Bewerbung ums Konsulates Als Mensch
— 7 —
hatte er gro&e Schwächen, vor allem einen sich leicht tiber-
stürzenden Jähzorn. Doch war sein Verhältnis zum Bruder
mit einer Ausnahme ein gutes. Verheiratet war er mit Pom-
ponia, der Schwester des Atticus, ein Ehebündnis, das aller-
dings in Bezug auf Verträglichkeit viel zu wünschen übrig
liefs. Dieser Ehe entstammte ein Sohn, der den Namen des
Vaters trug; er zeichnete sich weder durch Vorzüge des
Herzens noch des Geistes aus.
Von dem Oheim Lucius wissen wir nur, dafs er im
Jahre 103 mit M. Antonius gegen die Seeräuber zog und
bei diesem Anlafs längere Zeit in Athen Rhetoren und
Philosophen hörte. Cicero erwähnt einmal eine Unterhaltung,
die er in früher Jugendzeit mit dem Oheim über den ge-
nannten Redner geführt habe. Bekannter ist der Sohn des-
selben Namens, ein liebenswürdiger, bescheidener Mensch,
der seinen Vetter nicht nur auf die Universität begleitete,
sondern auch auf jener gefahrlichen Reise nach Sicilien, wo
es sich um die Aufdeckung der Schandthaten des Verres
handelte. Er erhielt einen ehrenvollen Anteil an dem Ruhme
des Redners, insofern auch er von den Syrakusanern zum
Gastfreund der Gemeinde ernannt wurde. Seinen frühzeitigen
Tod beklagt Cicero aufrichtig wie den eines wirklichen
Bruders.
Dies ist der Boden, auf dem unser Held heranwuchs
Aber Heimat und Familie erklären nicht zur Genüge das
Geheinmis der menschlichen Persönlichkeit. Wir überkonunen
von den Eltern Leben und Erziehung, von der Heimat Sitte
und Gewohnheit, aber unsere unsterbliche Seele ist uns von
Gott geschenkt und dadurch in jedem Einzelmenschen das
Wunder eines selbständigen Organismus erschaffen. Daher ist
es grundverkehrt, aus äufseren Einflüssen allein das Wesen
eines Menschen zu konstruieren, wie das heutzutage in
falscher Übertragung naturwissenschaftlicher Beobachtungen
auf geistiges Gebiet zu geschehen pflegt. Wohl ist es von
grofser Wichtigkeit zu wissen, in welchen Boden das Samen-
— 8 —
kom gesenkt ist; aber im Reiche des Qeistes haben wir es
mit einem Eome zu thun Ton ursprünglicher Kraft und
gottgewollter Bestinmiung.
Kapitel 2.
Lehrjahre*
Aus der Kindheit des Redners wissen wir so gut wie
nichts. Aus der Fülle von Vermutungen, die sich uns
bietet, dürfen wir nur das Eine als ausgemacht ansehen,
dafs schon die Phantasie des Knaben sich berauschte an der
Siegeslaufbahn des gewaltigen Landsmannes, der Teutonen
und Cimbem zu Boden warf und sechsmal hintereinander
die höchste Ehrenstelle im Staate bekleidete. Mit Vorliebe
gedenkt Cicero später des ihm in politischer Hinsicht durch-
aus nicht sympathischen Marius und berichtet mit Behagen
das Schmeichelwort des Pompejus, Rom schulde dem Muni-
cipium Arpinum Dank, weil aus ihm zwei seiner Erretter
hervorgegangen seien.
Besser sind wir über die in Rom betriebenen Studien
Ciceros unterrichtet. Für diese Zeit ist nicht nur der
brennende Lerneifer des Knaben und heranwachsenden Jüng-
lings, sondern auch die Trefflichkeit seiner Leistungen bezeugt.
Wenn er selbst einmal als Vorbedingung eines gedeihlichen
Fortschritts in litteris die strenge Forderung erhebt: „Alle
Vergnügungen sind auszuschlie&en, aufzugeben die Neigung
zu Zerstreuungen, das Spiel, der Scherz, das Gelage, ja, fast
die zwanglose Unterhaltung mit den Angehörigen^^ so ist
er selbst, wenn einer, dieser Forderung in Thaten nach-
gekommen. Daher wird von ihm gerühmt, dafs er alle
Mitschüler weit hinter sich gelassen, dafs die Väter herbei-
kamen, um den aufgeweckten und lernbegierigen Knaben
zu schauen, während ihm die Söhne willig den Ehrenplatz
— 9 —
überliefsen. So galt für ilin schon damals der homerisclie
Vers, den er später so gern im Munde geführt hat:
Atkv ccQLifTSvsLV xofl vtcsLqoxov ififisvat aXkaov.
Die Jugendbildung Giceros umfalste nach dem Brauche
seiner Zeit Grammatik einschliefslich der Litteratur, besonders
der griechischen Sprache, Übersetzungen und poetische Ver-
suche, dann Rhetorik, später Philosophie und Einfuhrung in
die Rechtsgelehrsamkeit. Der Hauptberater seines sorgsamen
Vaters und dadurch der Leiter Ton Ciceros Studien war der
berühmte Redner L. Licinius Grassus, dem der dankbare
Schüler in der Schrift „vom Redner" und im „Brutus" ein
ehrendes Denkmal gesetzt hat. Den Lehrer Ciceros in der
Grammatik kennen wir nicht, wohl aber einige seiner Mit-
schüler: aufser seinem Bruder Quintus die Söhne seines
Oheims Aculeo, den jüngeren Lucius Cicero, T. Pomponius,
L. Tubero u. a. Den Gang des Unterrichts, der uns nicht
einmal andeutend überliefert ist, mag die Mitteilung des
allerdings jüngeren Horaz erläutern. Dieser erlernte von
dem wegen seiner Schlagfertigkeit (plagosus) übel berufenen
Orbilius seine Muttersprache aus der urältesten Poesie der
Römer, der in Satumiem verfefsten Odyssee des Livius
Andronicus, einer höchst mangelhaften Nachbildung Homers.
Besser war der griechische Unterricht bestellt, in dem das
Original der Ilias selbst zu Grunde gelegt wurde. Dafs
Cicero auf der Schule eine gründliche Kenntnis namentlich
der altlateinischen Poesie sich erworben hat, zeigen seine
Werke, die zahlreiche Citate aus den alten Dichtern auf-
weisen, besonders aus den Tragikern. Hatte er doch das
Glück, noch den würdigen L. Accius, den letzten Nachfahren
des Ennius, persönlich zu kennen! Auf diese Studien scheint
auch der griechische „Dichter" (richtiger Improvisator) A. Li-
cinius Archias, den Cicero nachmals verteidigt hat, von Ein-
flufs gewesen zu sein; in welchem Grade, läfst sich heute
nicht mehr feststellen. Cicero nennt ihn, vielleicht etwas
— 10 —
überschwenglich, den ersten, der ihn auf diese Bahn ge-
wiesen habe.
Was den Unterricht in der Beredsamkeit betraf, so
bevorzugte Crassus griechische Lehrer, in der wohl be-
gründeten Meinung, dais durch griechische Übungen der
Geist besser genährt werde. Daher hörte Cicero den L. Plotius,
welcher zuerst die Rhetorik in lateinischer Sprache behandelte,
trotz der Zahl seiner Schüler keineswegs. Aufser dem Unter-
richt griechischer Rhetoren, über den nicht« weiter berichtet
wird, erfreute sich Cicero der persönlichen Belehrung seines
Gönners Crassus und seines nicht minder berühmten Neben-
buhlers M. Antonius, zu dem ihm die Empfehlung seines
Oheims Lucius Zutritt verschaffte. Beide hörte er, wie auch
andere hervorragende Redner, anfangs daheim, später auf
dem Forum. Aber auch sonst that sich Cicero lemb^erig
um und verschmähte es nicht, von den seiner Zeit berühmten
Schauspielern Roscius und Äsopus zu lernen, insbesondere
die Begleitung der Rede mit würdigen und zweckent-
sprechenden Gebärden. Denn die Schlagfertigkeit und Sicher-
heit in jeder Art öffentlicher Beredsamkeit war das einzige
Mittel, durch das sich ein junger, begabter, aber ahnenloser
Mann den Eingang in die staatsmännische Laufbahn er-
kämpfen konnte. Der Weg zu den kurulischen Sesseln
fährte über die Rednertribüne des Forum.
In diese Zeit fallen auch die ersten poetischen Versuche
Ciceros, welche, an und für sich wertlos, nur als Vorübungen
des künftigen Redners, nur als Proben für seine Fähigkeit
im Beherrschen der Sprache anzusehen sind. Als ältester
Versuch wird ein Pontius Glaucus in Tetrametem genannt.
Von diesem wie von anderen Gedichten kennen wir nur die
Namen, die nicht einmal alle verständlich sind. Dagegen
besitzen wir einige Verse aus dem Epos Marius, welches
unzweifelhaft als eine unreife Schülerarbeit anzusprechen ist.
An einer Stelle seiner Schrift „von den Gesetzen" verwahrt
sich Cicero gegen die Annahme, als ob die von ihm be-
— 11 —
sungene Eiche des Marius geschichtliclie Wahrheit sei.
Wichtiger als diese Versifikationen sind die Übersetzungen
aus dem Griechischen gewesen, denen Cicero überhaupt eine
grofse Bedeutung flir die Ausbildung des lateinischen Stiles
beimifst. So übersetzte er des Aratus Phänomena und Prog-
nostica, wovon eine beträchtliche Anzahl Hexameter erhalten
ist; fem er Stellen aus Homer und Euripides, Xenophons
Okonomikus, später mit Vorliebe Prosaiker, besonders De-
mosthenes und Aschines, auch Plato.
In seine Knabenzeit fallen endlich noch die Anfange
philosophischer Studien. Es waren die damals mafsgebenden
Schulen der Epikureer und Stoiker, deren Lehren an das
Ohr des Knaben sich drängten. Der Unterricht des Epikureers
Phädrus woUte anfangs ihm wie seinem Freunde T. Pomponius
nicht übel gefallen. Bald aber wandte sich Cicero, ohne die
Achtung flir den Uebenswürdigen Lehrer einzubüfsen, der
strengeren Lehre der Stoa zu, die in der virtus das summum
bonum zu finden glaubte, während Epikur die Toluptas,
aUerdings nicht in grobsinnUcher Auffassung, als erstrebens-
wertes Ziel hinstellte. Zu dem Stoiker Diodotus hatte Cicero
ein engeres, gemütUches Verhältnis; dieser lebte lange Jahre,
zumal nach seiner Erblindung, in Ciceros Hause, wo er auch
sein Leben beschlossen hat, nicht ohne im Testamente seines
Schülers und Wohlthäters zu gedenken. Die ernsthaften
Studien dieser Gattung fallen erst in eine spätere Zeit, wie
auch die Beschäftigung mit der Rechtswissenschaft. Jeden-
falls ist die Behauptung unbegründet, dafs Cicero mit Kennt-
nissen überfällt, dafs er in einem „pädagogischen Treibhause^^
herangewachsen sei. Was er lernte und studierte, war genau
dasselbe, was die übrige Jugend der höheren Stände trieb.
Vergleicht man das Mafs seiner Kenntnisse vollends mit dem,
was heutzutage von einem Jüngling ohne Schaden für seine
Gesundheit erfordert wird, so war es yerhaltnismäfsig wenig.
Ciceros Studien unterbrachen, ohne sie zu beendigen,
zwei Ereignisse in zwei aufeinander folgenden Jahren. Im
— 12 —
Jahre 90, also im sechzehnten Lebensjahre, legte er die
toga virilis, das schmucklose, weifse Kleid des römischen
Bürgers, an, ein Ereignis, das sich etwa mit unserer Konfir-
mation deckt. Gleichzeitig führte ihn der Vater dem als
Rechtsgelehrten berühmten Augur Mucius Scäyola zu, da-
mit er in die Anfangsgründe des Bechtsstudiums eingeweiht
werde. Auch zeigte er sich als Erwachsener auf dem Forum,
um den Gerichts- und Staatsreden bedeutender Männer zu
lauschen. Aber noch eine zweite Unterbrechung sollte seine
weitere Ausbildung erfahren. Es war wiederum eine schwere
Zeit über Rom gekommen, die Zeit des marsischen oder
Bundesgenossenkrieges. Die Italiker, schwer gekränkt durch
ungerechte Vorenthaltung des vollen Bürgerrechtes, hatten
sich wie ein Mann erhoben und brachten Rom in grofse
Not. Im Jahre 89 hat auch Cicero, 17 Jahre alt, nachdem
er ein Jahr lang sich in den Waffen geübt, dem Vaterlande
Kriegsdienste geleistet. Aus dieser Zeit wissen wir nur, dals
er Augen- und Ohrenzeuge einer Unterredung gewesen ist,
welche zwischen seinem Oberfeldherm Cn. Pompejus Strabo,
dem Vater des bekannten Pompejus, und dem Führer der
feindlichen Marser stattgefunden hat. Eine andere Stelle
zeigt uns Cicero im Lager des Sulla vor Nola. Auch er-
wähnt er seinen Schulgenossen Tubero als Kriegskameraden.
Alle anderen Schlufsfolgerungen sind eitel Hirngespinste,
so der schon hier gegen ihn erhobene Vorwurf der Feigheit.
Allerdings war Cicero kein Soldat aus Passion und, wie
Livius richtig betont, zu nichts weniger geeignet als zur
Kriegsfährung. Aber eine Pflichtverletzung in militärischer
Hinsicht ist ihm weder bei seiner ersten Beteiligung am
Kriegshandwerk noch späterhin nachgewiesen worden.
Aus dem Felde zurückgekehrt, nahm Cicero die unter-
brochenen Studien mit Eifer auf; er trieb Rhetorik, Juris-
prudenz, Philosophie. Er bewunderte auf dem Forum au&er
kleineren Gröfsen die stürmische Beredsamkeit des Volks-
tribunen P. Sulpicius Rufus, der nur zu rasch ein Opfer
— 13 —
seiner Leidenschaften wurde. In der Rechtskunde schlofs er
sich nach dem Tode des Augur Scävola an den gleich-
namigen Pontifex maximus an, einen Mann von reichem
Wissen, milder Freundlichkeit und echter Vaterlandsliebe.
Eine besondere Förderung erfuhr Ciceros Geistesleben durch
den in Rom zeitweilig sich aufhaltenden Philosophen Philo.
Aus Larissa gebürtig, aber zu Athen ansässig, war er vor
den Wirren des mithridatischen Krieges geflohen; durch ihn
wurde Cicero mit der philosophischen Richtung vertraut
gemacht, die auf seine ganze Thätigkeit von unberechen-
barem Einflufs gewesen ist; er bekennt es offen, dafs er als
Redner in der Schule der Akademie, nicht in der der Rhetorik
vorgebildet sei. Die neuere Akademie, als deren Stifter
Gameades anzusehen ist (bekannt aus der Philospphen-
gesandtschaft des Winters 156/55), wandte dem philosophi-
schen Dogmatismus gänzlich den Rücken und begnügte sich,
indem sie das Auffinden der Wahrheit preisgab, mit dem
Wahrscheinlichen. Ihre Methode bestand darin, jegliche Be-
hauptung nach beiden Seiten, für und wider, zu erörtern.
Wie brauchbar gerade dieser Grundsatz für den Redner war,
braucht nicht ausgeführt zu werden.
Freilich war die Zeit des ersten und blutigsten Bürger-
kriegs der Pflege der Beredsamkeit wie der anderen schönen
Wissenschaften nicht günstig. Auf die Greuelthaten des
Jahres 87 folgte eine dreijährige Pause, in der wenigstens
das Talent des Q. Hortensius als hellleuchtendes Gestirn am
Firmament der Gerichtshöfe aufging. Für diese Zeit bezeugt
Cicero — und wir glauben ihm unbedingt — das ununter-
brochene Studium aller in Frage kommenden Wissenschaften.
Mit dem Hausfreund Diodotus trieb er Dialektik (Logik) Tag
für Tag, mit den Altersgenossen M. Piso und Cn. Pompejus
Redeübungen über freigewählte Themata in lateinischer, öfter
in griechischer Sprache, damit sie von griechischen Lehrern
verbessert werden könnten; es sind dies die nachmals mit
Recht in Verruf gekommenen Deklamationen, von denen uns
— 14 —
der ältere Seneca in seinen Controversien und Suasorien
Beispiele überliefert hat. Der wieder auflebende Bürgerkrieg
brachte zwar mit neuen Mordthaten der Beredsamkeit neue
Verluste; aber die Wiederbefestigung der staatlichen Gewalten
durch Sullas Gesetzgebung sicherte den Rednern wieder eine
willige Aufaahme und ein unparteiisches Urteü. In dieser
Zeit wagte sich Cicero an private und öffentliche Prozesse,
nicht, wie er sagt, um auf dem Forum zu lernen, sondern
um wohl vorbereitet, soweit an ihm lag, auf den Kampfylatz
zu treten.
Bevor jedoch von seinem ersten öffentlichen Auftreten
erzählt wird, ist es angebracht, noch einer Jugendarbeit
Ciceros zu gedenken, in der er sich gerade auf dem Felde
versuchte, wo es ihm später vergönnt war, seine vollendetsten
Werke reifen zu sehen, der beiden Bücher „über die rhetorische
Invention" (Topik), d. h. über die Kunst, die wichtigsten Be-
weismittel aufzufinden. Die übrigens nicht vollendete, un-
bedeutende Schrift, welche den Jahren 86 oder 84 entstammen
mag, erweist sich auch dadurch als Schülerarbeit, dafs sie
an nicht wenigen Stellen mit ihrer Vorlage, der trefflichen,
an C. Herennius gerichteten Rhetorik in vier Büchern, fast
wörtlich übereinstimmt; letztere wird jetzt meist einem
Cornificius zugeschrieben.
So haben wir Cicero von der bergumkränzten Heimat
bis an die Schwelle des öffentlichen Lebens begleitet, die er
mit sechsundzwanzig Jahren, vielleicht noch eher, hoffiiungs-
sicher überschritt. Von seinen Lehrjahren darf das horazische
Wort gelten:
Multa tulit fecitque puer: sudavit et alsit!
- 15 —
Kapitel 3.
Erstes Auftreten^ Wanderjahre.
Die ersten Gerichtsreden des jungen Anwalts sind nicht
auf uns gekommen. Die erste der erhaltenen entstammt
dem Jahre 81, die Rede für P. Quinctius; sie betriflft eine
Civilsache, daher res privata; die zweite, viel wichtigere aus
dem Jahre 80 verteidigt den S. Roscius aus Ameria (im
Unterschiede von dem Schauspieler) in einem Kriminalprozefs,
daher res publica.
Zunächst verdient es hervorgehoben zu werden, dafs
Cicero in Verteidigungsreden zuerst an die Öffentlichkeit
trat, dals er überhaupt nur einmal eine Anklagerede vor
Gericht (gegen Verres) gehalten hat; seine Catüinarien und
Philippiken sind politischen Charakters. Es ist dies kein
Zufall, zumal gerade andere grofse Redner Roms, wie Crassus,
Antonius, Sulpicius, durch Anklagen vornehmer Männer ihren
Rednerruf begründet haben. Wohl aber ist es verkehrt, aus
diesem Grundsatz, wie so ziemlich aus allem, was Cicero
gethan und was er nicht gethan hat, einen Vorwurf zu
schmieden, nämlich den der listigen Berechnung. Es kann
ihm ein wahrhaft humanes Wohlwollen, welches gerade dem
Anwalt, dem patronus causarum, eine unentbehrliche Vor-
bedingung gedeihlicher Wirksamkeit ist, gegenüber hülfs-
bedürftigen Klienten nicht abgesprochen werden. Dafs aber
eine solche advokatorische Thätigkeit zugleich die beste
Empfehlung für die staatliche Laufbahn war, lag in der
Natur des öffentlichen Lebens zu Rom. Cicero that nichts
Pflichtwidriges, wenn er die ihm verliehenen und durch viel-
seitige Übungen schön gepflegten Geisteskräfte vor Gericht
bethätigte, um sich allmählich dadurch den ihm als ahnen-
losem Emporkömmling so schwierigen Zugang zu den höheren
— 16 —
Staatsämtem zu erleichtern. Anders steht es um die Frage,
ob Cicero seiner ganzen Veranlagung nach klug that, sich
dem staatlichen Leben, zumal in so bedrängten Zeiten, ganz
zu widmen. Es sollte sich nur zu bald herausstellen, dafs
seine Begabung auf einem ganz andern Felde lag, als er
selbst vermutete. Doch haben wir es vorerst mit den An-
fängen seiner öffentlichen Thätigkeit zu thun.
Die Rede für P. Quinctius behandelt eine überaus ver-
wickelte Vermögensklage, welche ein allgemeineres Interesse
nicht beansprucht. Der Redner bekennt, obgleich er schon
in anderen Prozessen thätig gewesen sei, seine Unzulänglich-
keit, zumal er einen Gegner, wie den grofsen Hortensius,
vor sich habe. Auf die Güterverkäufe der Proskribierten
unter der Diktatur Sullas wird ohne Scheu hingewiesen.
Nachdem die trockene Sache mit reichlichem Aufwand
juristischen Scharfsinns zu Ende geführt ist, wendet sich
Cicero zum Schlufs in der Weise, welche uns noch oft
entgegentreten wird, an das Herz des Richters und sucht
auf alle Fälle seinem Gefühl zu entreifsen, was er etwa
seiner Einsicht nicht hat abpressen können. Man hat dies
Verfahren dem Redner zum Verbrechen angerechnet, und
doch wird auch heute vor allen Gerichten der Welt nicht
anders verfahren. Auch heute erwartet man nicht von der
Rede des Verteidigers die objektive, ungeschminkte Wahrheit,
sowenig als von der Rede des öffentlichen Anklägers. Auch
heute ist es die Ehrenpflicht jedes Verteidigers, alle Momente
hervorzusuchen, welche nur einigermalsen zur Entlastung
seines Klienten beitragen können, alle Handlungen in solchem
Lichte zu sehen, wie es den Interessen des Angeklagten
frommen dürfte. Was heute nicht als Unrecht angesehen
wird, darf auch wohl dem Anwalt Cicero als gestattet zu-
gebilligt werden, so das Recht, an das Mitgefühl zu appellieren.
Wer Ciceros Schlufsreden als unwahr und daher unsittlich
verdammt, hat niemals einer bedeutenderen Schwurgerichts-
sitzung beigewohnt, wo bekanntlich sowohl der Verteidiger
— 17 —
als auch der Ankläger recht oft zu dergleichen erlaubten
Kunstmitteln ihre Zuflucht nehmen.
Ein wirklich höheres Interesse beansprucht dagegen die
bedeutende Rede für den S. Roscius. Bevor Cicero diese
hielt, genofs er noch einige Monate den Unterricht des in
Rom als Abgesandter der Rhodier anwesenden Rhetors Molo.
Vielleicht verdankte jener einen Teil seiner gesteigerten
Leistungsfähigkeit diesen Übungen. Wie dem aber auch
sei, jedenfalls trat der erst sechsundzwanzigj ährige Jüngling
durch diese Rede mit Fug und Recht in die erste Reihe
der römischen Gerichtsredner.
Die Verhältnisse seines Klienten waren ebenso verzweifelt,
wie die Lage seines Anwalts mifslich. Allerdings hatte die
regelmäfsige Thätigkeit der Gerichte wieder begonnen. Nach
einem Schreckensregiment sondergleichen hatte der allmäch-
tige Sulla dem Senatorenstande die Besetzung der Gerichts-
höfe, die ihm einst C. Gracchus genommen hatte, wieder-
gegeben. Es war die erste Verhandlung in einem Mord-
prozefs vor dem Prätor Fannius, in der Cicero auftrat. Aber
es war keine leichte Aufgabe, die der jugendliche Anfönger
übernommen hatte. Nicht als ob der Beklagte, der vierzig-
jährige Landwirt S. Roscius, wirklich ein todeswürdiger Ver-
brecher, ein unmenschliöher Vatermörder gewesen wäre. Seine
Unschuld lag sonnenklar zu Tage. Aber der Einflufs und die
Bosheit seiner Feinde verkehrte alles, was für ihn sprach, in
das Gegenteil. Zwar war der Ankläger, C. Erucius, ein
nichtiger, jämmerlicher Geselle; aber die Verwandten des An-
geschuldigten, die beiden Roscier, und vor allem ihr mäch-
tiger Gönner Chrysogonus, der Günstling und Freigelassene
Sullas, stellten eine wahrhaft erdrückende Macht dar, so dafs
sich kein namhafter Anwalt des Unglücklichen anzunehmen
wagte, in der Befürchtung, es möchte der unberechenbare
Gewaltherrscher den Angreifer des Chrysogonus seine schwere
Hand fühlen lassen; war doch in Rom das Andenken an die
schrecklichen Achtungen ein nur allzu frisches. Nur eine
Aly, Cicero. 2
— 18 —
vornehme Frau aus dem Geschlecht der Meteller und der junge
Messalla traten schützend fiir den von aller Welt Verlassenen
ein; auf ihre Veranlassung übernahm Cicero die Verteidigung.
Er beginnt seine Rede (exordium und propositio) mit
aller Vorsicht, aber auch mit männlicher Festigkeit. Wenn
er auch seine Jugend als Entschuldigungsgrund für die
Kühnheit seines Wagnisses anführt, so stellt er doch von
vornherein fest, dafs der wahre Feind des S. Roscius niemand
anders sei, als der mächtigste Mann der damaligen Bürger-
schaft, L. Cornelius Chrysogonus. Deutlich wird auf die vor
kurzem abgeschlossene Periode der politischen Morde hin-
gewiesen und daraus die Verpflichtung für die senatorischen
Geschworenen und den Vorsitzenden Prätor abgeleitet, ein
gerechtes Urteil zu finden. Es folgt die Erzählung des
Thatbestandes (narratio), schlicht und glaubwürdig. Der
alte Roscius, ein angesehener, wohlhabender Mann, ist nach
Abschlufs der Proskriptionen zu Rom meuchlerisch getötet.
Diese Mordthat wird in auffalliger Weise auf Veranlassung
des T. Roscius Magnus dem T. Roscius Capito nach Ameria
und nach vier Tagen dem Chrysogonus nach Volaterrä ge-
meldet. Sofort trägt man den Namen des Ermordeten, der
doch zur Partei der Nobilität sich zählte, nachträglich in
die Ächtungslisten ein und bringt seine dreizehn Güter
unter den Hanmier, von denen drei an Capito, die übrigen
für einen Spottpreis an Chrysogonus und seinen Agenten
Magnus fallen, natürlich ohne Wissen Sullas, der trotz seines
Glückes doch nicht alles wissen kann. Auf die Kunde von
der Vergewaltigung des Sextus schicken die biederen Ein-
wohner von Ameria eine Gesandtschaft an Sulla, die aber,
von dem ihr beigesellten Capito betrogen, unverrichteter
Sache heimkehrt. Sextus flieht nach Rom in das Haus der
edlen Cäcilia. Aber noch ist das Mafs seiner Leiden nicht
voll; seine Feinde, ihres Raubes nicht sicher, beschliefsen
ihn durch eine frivole Anklage auf Vatermord aus dem
Wege zu räumen.
— 19 — '
Die eigentliche Beweisführung (argumentatio) betont
drei Gesichtspunkte, die Haltlosigkeit der Anklage, die
Verruchtheit der Feinde, die Übermacht des spiritus rector,
des Chiysogonus. Der Gegenbeweis aus dem Vorleben des
Beklagten (probabile ex vita) wird mühelos geführt, wobei
ein ansprechender Exkurs über die Vorzüge des Landlebens
geschickt eingeflochten wird. Eine zweite Abschweifung
hat es mit den gewerbsmäfsigen Anklägern zu thun, bei
welcher Gelegenheit der Redner das unangemessene Verhalten
des Erucius während der Gerichtssitzung in höchst ergötz-
licher Weise geifselt. Sodann verbreitet er sich wieder
extra causam über die Gräfslichkeit des Vatermordes über-
haupt und unterläfst nicht durch Belege aus Dichtern sowie
eingestreute Geschichtchen die Auftnerksamkeit der Hörer
wachzuhalten. Es folgt nun der Beiweis aus den that-
sächlichen Verhältnissen (probabile ex causa). In schlagender
Weise legt er die Unmöglichkeit des angeblichen Verbrechens
dar, indem er die Leichtfertigkeit des Anklägers wie die
Unredlichkeit seiner Hintermänner an den Pranger stellt;
haben sich diese doch sogar geweigert, die Sklaven des
Sextus trotz seiner Bitte zur peinlichen Befragung, d. h. zur
Folter, herauszugeben.
Nachdem so die Anklage in nichts aufgelöst ist, kehrt
Cicero den Spiefs um und geht zunächst den beiden Rosciern
zu Leibe nach dem bewährten Satze, dafs der das Verbrechen
begangen, dem es Nutzen gebracht hat. Er führt den Beweis
ex vita wie ex causa, dafs Magnus den Mord hat vollbringen
lassen. Insbesondere belastet ihn sein Verhalten nach dem
Morde (die consecutio), wie seinen Spiefsgesellen Capito die
jcaQajcQäoßeia, um mit Demosthenes zu sprechen, die Untreue
gegen seine Mitgesandten im Lager Sullas; hierbei ein Exkurs
über die Wichtigkeit des Verhältnisses von Mandant und
Mandatar, von Auftraggeber und Beauftragten. Nachdem er
so die dii minorum gentium zerschmettert hat, kommt er
nach dem Gesetz der Steigerung zu der interessantesten
— 20 —
Persönlichkeit, dem Goldsohn (nomen aureum) Chrysogonus,
den er mit überlegener Bosheit abschildert. Wenn er um
auch von dem Verbrechen des Mordes freispricht, so weifs
er doch seine Eitelkeit, seine Anmafsung, seine Habgier
gebührend zu züchtigen. Selbstverständlich trennt er ihn
von seinem Herrn und Meister Sulla, den er mit gröfster
Hochachtung, aber nicht ohne feine Ironie begütigt, wenn
er das Glückskind mit dem höchsten und besten Jupiter ver-
gleicht, der auch oft durch der Elemente Gewalt Schaden an-
richtet ohne göttliche Absicht. Der Anstifter und „Architekt"
der Anklage ist und bleibt Chrysogonus, gegen dessen Uber-
griiFe er die neugefestigte Nobilität in die Schranken ruft;
er bekennt sich zu dieser Partei, verlangt aber von ihr, dafs
sie sich ihrer siegreichen Stellung würdig erzeige.
Der Schlufs (pej*oratio) wendet sich, wie immer, an die
Herzen. Zunächst beschwört er Chrysogonus im Namen
seines Klienten, dafs er sich mit seinen Gütern begnügen
und auf sein Leben verzichten möge. Dann aber redet er
in nachdrücklichster Weise auf das Ehr- und Gerechtigkeits-
gefühl der Richter ein und verlangt von ihnen Schutz gegen
die Grausamkeit, mannhaftes Eintreten für die Menschlichkeit,
eine Bitte, der das Gericht durch die Freisprechung des Be-
klagten nachkam.
Der Eindruck der Rede war nachhaltig; sie empfahl
ihren Verfasser in dem Grade, dafs kein Prozefs seiner Ver-
teidigung nicht würdig erschien. Auch später hat sich Cicero
auf diese Rede mit Recht etwas zu gut gethan, wenngleich
er nicht blind war gegen den jugendlichen Überschwang,
der namentlich in den Exkursen sich Luft macht; es sei
die Leistung eines Jünglings gewesen, meint er, der weniger
wegen seiner Reife, als wegen der erweckten Hoflftiung belobt
wurde. Ein wahrhaft bescheidenes Urteil! Der unbefangene
Leser wird die Rosciana nicht ohne lebhafte Anteilnahme
und aufrichtige Bewunderung lesen. Wenn man behauptet
hat, das Wagnis sei gar nicht so grofs gewesen, so ist dies
— 21 —
eine haltlose Vermutung. Es war nicht vorherzusehen, wie
Sulla die Verwegenheit des jungen Anwalts aufnehmen
würde. Der Angriff auf seinen Günstling war ein Beweis
männlichen Mutes, das Verhalten dem Diktator gegenüber
eine Probe weltmännischer Klugheit und feinen Taktes.
Aus der Rede spricht ein offener, gerader Sinn, ein leb-
haftes Gefühl für die Not des Beklagten, für die Ruchlosig-
keit der Ankläger. Auch die Sprache verdient Lob, wenn sie
auch nicht an die reiferen Erzeugnisse Ciceros hinanreicht.
Dafs Cicero unmittelbar nach der Rede auf Reisen ge-
gangen sei, um Sullas Zorn nicht zu reizen, wie Plutarch
erzählt, ist nicht wahrscheinlich, weil er zuvor noch einige
andere Reden gehalten hat, von denen uns nur weniges
bekannt ist. Erwähnenswert ist die für das VTeib aus
Arretium gehaltene . Rede, weil Cicero auch hier, wenigstens
mittelbar, gegen Einrichtungen der suUanischen Restaurations-
herrschaft Partei ergriff. Der junge Redner nahm seine poli-
tische Stellung zwischen den Parteien: während er sich der
durch SuUas Energie geschaffenen Ordnung freute, mifsbiUigte
er zugleich die Härte ihrer Durchführung, die willkürlichen
Eingriffe in die persönlichen Rechtsverhältnisse. Er näherte
sich dadurch der Volkspartei (den populäres). Nicht minder
gewann er sich dadurch die Sympathieen weiterer Kreise,
ein Umstand, der für den angehenden Staatsmann von Be-
deutung war. Aber vorläufig entfernte er sich von Rom;
über die Gründe hat er sich selbst deutlich ausgesprochen.
Er war damals überaus schlank und schwächlich, sein
Hals lang und mager, so dafs eine Gefahr flir sein Leben zu
befurchten stand, wenn nachhaltige Arbeit und vor allem
fortdauernde Anstrengung der Lunge hinzukam. Dies beun-
ruhigte seine Angehörigen und Freunde um so mehr, als er
stets die Stimme auf das höchste anstrengte und keine
Schonung kannte. So reiste er auf den Rat seiner Freunde
und Arzte, nachdem er zwei Jahre mit Auszeichnung auf
dem Markt thätig gewesen, im Jahre 79 nach dem Orient
— 22 —
ab, um sein rednerisches Ungestüm zu mildem und dadurch
seine Gesundheit zu festigen. Zuerst ging er nach Athen,
wo er sechs Monate in Gemeinschaft mit seinem Bruder
Quintus, T. Pomponius u. a. sich philosophischer Studien
beflifs. Er hörte besonders den beredten Antiochus von
Askalon, der sich nur noch dem Namen nach zur neueren
Akademie rechnete, während er in Wahrheit von dem Skepti-
cismus des Carneades zum Dogmatismus der Stoa überge-
gangen war. Indessen betrachtete ja Cicero die Philosophie
immer nur als Mittel zum Zweck, als Vorübung für seine
Lieblingswissenschaffc oder richtiger Lieblingskunst, die Bered--
samkeit. Weniger gefielen ihm die Epikureer Phädrus und
Zeno, von denen jener schon in Rom sein Lehrer gewesen
war. Als daher Atticus an diesen Philosophen Gefallen fand,
gab es häufige Wortgefechte zwischen den Jünglingen, welche
aber die aufkeimende Herzensfreundschaffc nicht störten. Es
bedarf kaum der Erwähnung, dafs diese athenische Studien-
zeit durch die Erinnerung an die grofse Vergangenheit
Athens verklärt wurde. Piatos Garten wurde pietätvoll auf-
gesucht, der Hafen Phaleron, wo Demosthenes einst die
Wogen übertönt hatte, und das Grab des Perikles; überall
waren sich die jungen Männer bewufst, auf geschichtlichem
Boden zu wandeln. Auch rhetorische XJbungen werden er-
wähnt bei dem Syrer Demetrius; galt doch Athen noch
immer als die Hochschule der Beredsamkeit. Endlich scheint
Cicero mit Atticus in die Mysterien von Eleusis eingeweiht
zu sein.
Von Athen ging es im Jahre 78 nach Kleinasien, das
Cicero durchwandert zu haben behauptet, ganz seinen Fach-
studien hingegeben. Die Nachricht Plutarchs, dafs die Kunde
von Sullas Tode Cicero erst recht zur Steigerung seiner
rednerischen Leistungsföhigkeit angetrieben habe, verdient
keinen Glauben. Wer Athen besuchte, pflegte auch Asien
zu berühren. Da er sich nun schon durch Ruhe, aber auch
durch körperliche Übungen gekräftigt hatte, konnte er seine
— 23 —
Übungen wieder aufnehmen. Hier war besonders der Aufent-
halt in Rhodus für ihn wichtig. Cicero unterscheidet später
drei genera dicendi, das genus Asiaticum oder amplum,
welches durch Glanz und Fülle der Darstellung besticht, das
genus Atticum oder tenue, das durch Knappheit und Anmut
gewinnt, und das genus medium^ dem er sich in Rhodus
unter Leitung des ans schon bekannten Rhetors Molo ergab.
Zwar gedenkt er auch anderer Lehrer, des Menippus von
Stratonike, des Dionysius von Magnesia u. a. Aber er fand
selbst, dafs die Vortragsweise dieser Männer ihm nicht das
gewährte, was er suchte, Mafs und Reife. Ein volles Ge-
ntigen fand er erst bei Molo, der sich von dem Schwulst
und Prunk der asiatischen Redner fernhielt. Dieser übte
strenge Kritik an seinem in jugendlicher Ausgelassenheit sich
ergehenden Schüler, mäfsigte das übertriebene Pathos, be-
schnitt die Auswüchse und dämmte den überschäumenden
Strom in e'm geregeltes Bett. Dort lernte er auch Posidonius
aus Apamea kennen, der ihn mit den Lehren der Stoa* bekannt
machte; er scheint ihm persönlich nahe gestanden zu haben.
Nach zweijähriger Abwesenheit kehrt Cicero im Jahre 77
in die Heimat zurück, nicht nur besser geschult, sondern fast
völlig verändert. Seine Gesundheit hatte sich gekräftigt, seine
Haltung war ruhiger, seine Ausdrucksweise gemäfsigter ge-
worden. So war er wohl vorbereitet, in die politische Arena
einzutreten. Trotz der gewonnenen griechischen Bildung blieb
er im Herzen der praktische Römer, der nur ein Ziel seines
Ehrgeizes kannte, die Rutenbündel des Konsuls.
Kapitel 4.
Anfinge der politischen Thätigkeit.
Nach Sullas Tode regte sich wiederum die schwer ge-
troffene Volkspartei; neue Männer kamen auf, welche in
den nächsten Jahren die Blicke auf sich ziehen sollten. Im
— 24 —
politischen Leben trat Q. Pompejus Magnus, wenn auch
ohne ein ordentliches Staatsamt bekleidet zu haben, in die
erste Reihe, neben ihm der reiche Crassus, während Cäsars
Zeit noch nicht gekommen war. In den Gerichten glänzte
des feurigen und prunkenden Q. Hortensius' Beredsamkeit,
neben dem Cotta die zweite Rolle spielte. Im ganzen waren
die Zeitläufte einem aufstrebenden Talente nicht ungünstig.
In die Zeit nach seiner Rückkehr fällt vermutlich —
es läfst sich nicht genau ermitteln — die Vennahlung
Ciceros mit Terentia, eine Verbindung, die lange Jahre eine
glückliche genannt werden kann, wenn wir auch bei Beur-
teilung der ehelichen Verhältnisse in Rom niemals den MaTs-
stab christlich -germanischer Innerlichkeit anlegen dürfen.
Cicero fuhr in der vor Jahren so hoffnungsreich begonnenen
Thätigkeit eines Anwalts fort; er spricht von vornehmen
Prozessen, wobei er niemals das Vorbild seines grofsen
Nebenbuhlers Hortensius aus den Augen verlor, mit dem
er über kurz oder lang den entscheidenden Wettkampf
wagen sollte und wollte. In das Jahr 76 gehört vermutlich
die uns erhaltene Rede für den Schauspieler Roscius, dem
er befreundet war. Es handelte sich in diesem Prozefs um
einen Schadenersatz, der einen Sklaven betraf, welcher, dem
Roscius zur Ausbildung übergeben, von einem gewissen
Flavius erschlagen war. Kläger war der Herr des Sklaven,
Fannius. Der Ausgang des Prozesses ist unbekannt. In
demselben Jahre wurde Cicero sein nachmaliges Lieblings-
kind, Tullia, geboren.
In demselben Jahre, im neunundzwanzigsten seines
Lebens, bewarb sich Cicero, wie es die lex Villia annalis
(daher suo anno) vorschrieb, um die erste höhere Beamtung,
die Quästur. Er wurde gewählt und mit den Geschäften des
westlichen Siciliens betraut; Lilybäum war sein Aufenthalts-
ort, sein Proprätor höchst wahrscheinlich der wackere S. Pedu-
cäus. Die Quästoren, deren Sicilien zwei zählte, hatten etwa
den Geschäftskreis eines heutigen Militärintendanten. Sie
- '25 -
hatten den Soldaten den Sold zu zahlen und auch für den
Proprätor oder Prokonsul die nötigen Gelder anzuweisen.
Dazu kam für die in Sicilien stationierten Quästoren die
Aufsicht über die regelmäfsigen Getreidelieferungen, welche
die reiche Kornkammer Roms nach der Hauptstadt, teils
umsonst, teils gegen Entschädigung, abführen mufste, ein
Geschäft, bei dem eine Übervorteilung der Provinzialen
leider Regel geworden war. Mit gröfstem Ernst und
strengstem Pflichtgefühl übernahm Cicero sein erstes Staats-
amt und führte es in «iner Weise, die nur Anerkennung
verdient. Als wenn die Augen aller auf ihn gerichtet und
er gewisserma&en auf einer Schaubühne den Blicken preis-
gegeben sei, amtierte der eifrige Quästor. Ebensolches Lob
war auch seinen Unterbeamten, den Sekretären (scribae).
L. Mamilius und L. Sergius, zu zollen, die sich durch
Uneigennützigkeit auszeichneten, ein Lob, das uns sehr
geringfügig dünkt, das aber weder in Athen noch in Rom
gering geschätzt wurde; man erinnere sich der übertriebenen
Lobpreisung des „gerechten" Aristides. Diesem Verhalten
entsprach der Dank der Sikuler, der sich bald darauf in der
Übertragung eines wichtigen Prozesses bethätigte. Aber
auch jüngere Römer hatte er sich zu Dank verpflichtet,
indem er ihre Interessen dem Statthalter gegenüber vertrat.
Nachdem er sich in einer feierlichen Rede zu Lilybäum von
den Sikulern verabschiedet hatte, bereiste er auch den öst-
lichen Teil der Insel, wobei es ihm durch einen glücklichen
Zufall gelang, zu Syrakus das mit Kugel und Cylinder
geschmückte Grabmal des berühmten Mathematikers und
Ingenieurs Archimedes aufzufinden. Im Jahre 74 kehrte
er zurück.
Bei dieser Gelegenheit sollte er eine Erfahrung machen,
die er sich für sein ganzes Leben gemerkt hat. Er selbst
berichtet in launigster Weise, wie sein mächtig erstarktes
Selbstgefühl gleich bei seiner Landung gedämpft wurde.
Als er nämlich in dem kampanischen, schon von den
— 26 —
Phöniziern erbauten Badeort Puteoli gelandet war, begegnete
er einem vornehmen Römer seiner Bekanntschaft. Wer be-
schreibt das Entsetzen des Quästors a. D,, als der gute
Freund ihn fragte, wann er Rom verlassen habe! Aber es
sollte noch schlimmer kommen. Kaum hatte Cicero gekränkt
erwidert, dafs er aus der Provinz heimkehre, so äufserte der
andere harmlos: Ganz recht, aus Afrika. Als der Ärmste
nun voll Arger ausrief: Nein, aus Sicilien! da bemerkte
vollends ein Dritter, der zufaUig die Unterhaltung angehört
hatte: Wie? Weifst du nicht, dafs dieser in Syrakus Quästor
gewesen ist? Da war alles aus. Cicero machte gute Miene
zum bösen Spiel und stellte sich, als ob auch er zu den
Badegästen gehöre. Aber eine Lehre zog er sich aus diesem
empfindlichen Denkzettel. Da er so gemerkt hatte, dafs das
römische Volk zwar scharfe Augen, aber stumpfe Ohren
habe, so hütete er sich in Zukunft, ihm aus den Augen,
aus dem Sinn zu kommen. Er hat niemals wieder freiwiUig
Rom und seine nächste Umgebung verlassen, hat Stadt und
Markt gehütet und niemals jemand von seiner Thürschwelle
ferngehalten. Er nahm sich den Grundsatz des alten Cato an:
Hervorragende Männer müfsten nicht weniger über ihre Mufse,
als über ihre Thätigkeit Rechenschaft ablegen. Drei Ziele
steckte er sich flir die Zukunft; er wollte sich der Ehre,
die er erstrebte, würdig machen; dann wollte er für würdig
erachtet werden; erst an dritter Stelle stand ihm die Ehre
selbst, die andern Ein und Alles zu sein pflegte.
Von der Folgezeit bekennt Cicero selbst, dafs er sich
der erlangten Reife imd Vollkommenheit bewufst gewesen
sei. Fünf Jahre habe er sich bis zu dem grofsen Prozefs
des Verres mit wichtigen Rechtshändeln abgegeben. Wir
haben aus dieser Zeit nur dürftige Trümmer einer Ver-
teidigimgsrede für M. Tullius, welche ohne besonderes Interesse
ist. Dagegen besitzen wir aus Ciceros Feder eine Schilderung
seiner Redeweise, die gerade hier am Platze sein dürfte.
— 27 —
Er hörte nicht auf, seine Fähigkeit durch Übungen,
besonders durch schriftliche, zu steigern. So kam es, dafs
er nicht nur durch Eifer und Fleifs, sondern auch durch
seine ausgesuchte und keineswegs gewöhnliche Redegabe die
Hörer bestrickte, zumal diese den Reiz der Neuheit fiir sich
hatte. Niemand hatte so gründlich den Wissenschaften ob-
gelegen, der Quelle wahrhafter Beredsamkeit; niemand hatte
so eifrig das bürgerliche Recht studiert; niemand beherrschte
so die vaterländische Geschichte, dafs er stets aus der Unter-
welt die beweiskräftigsten Zeugen aufrufen konnte; niemand
verstand es besser, die durch trockene Schlüsse ermüdeten
Richter zu erfrischen und ihre Heiterkeit zu erregen; niemand
fiihrte geschickter den Besondem FaQ auf den allgemeinen
Gesichtspunkt zurück; niemand wufste besser zur rechten
Zeit abzuschweifen und das Gefühlsleben der Hörer nach
jeder Seite hin zu beeinflussen; niemand hatte gröfsere
Gewalt über die Willenskraft des UrteilsfaUers als Cicero —
Lobsprüche, die wahrlich nicht unverdient sind, die aber zum
erstenmal uns einen Einblick gewähren in die beklagens;
werten Schwächen des grofsen Redners, in seine unbegrenzte
und oft geschmacklose Eitelkeit und Selbstverherrlichung.
Indessen gehört dies, wie auch die vorher erwähnte Stelle, in
eine spätere Zeit. In seinen jüngeren Jahren fehlte in dem
Ruhmeskranze Giceros auch die Bescheidenheit noch nicht.
Im Jahre 70, im sechsunddreifsigsten seines Lebens,
bewarb sich Cicero, den gesetzlichen Vorschriften gemäfs,
um die kurulische Adilität. In demselben Jahre übertrugen
ihm die dankbaren Sikuler ihre Vertretung gegenüber ihrem
ehemaligen Statthalter C. Verres, ein Ereignis, das Ciceros
Ruhm für alle Zeiten begründet hat.
— 28 —
Kapitel 5.
Der Prozefs des Verres.
Solange die Empfänglichkeit für die Macht der mensch-
lichen Rede, solange der Sinn für den Schutz der Schwächeren
gegen den Stärkeren nicht ausgestorben ist, wird man die
Verrinen bewundern, die zu den hervorragendsten Leistungen
auf oratorischem Felde zählen. Sie legen nicht nur Zeugnis
ab für die hohe Vollendung der Form, die Cicero mit eisernem
Fleifse sich angeeignet hatte, sie setzen auch seine Pflicht-
treue, seinen Mut, sein Taktgefühl in das hellste Licht. Sie
gewähren zugleich einen Einblick in die verschiedensten
Gebiete altrömischen Lebens. Die Schäden der römischen
Staatsverwaltung, die Zustände in den Provinzen, die Mannig-
faltigkeit der Götterverehrung, der Reichtum an herrlichen
Kunstschätzen, Personen aller Stände in treffender Charakte-
ristik, diese und andere Gesichtspunkte verleihen den Verrinen
jenen unvergänglichen Wert, der nur durch die Fülle stilisti-
scher Vorzüge jeder Art aufgewogen wird. Es giebt kein
genus dicendi, das nicht in den Verrinen mustergültig ver-
treten wäre; es giebt keinen Ton in dem umfangreichen
Register menschlicher Stimmungen, der nicht angeschlagen
würde.
Der Grundfehler der römischen Staatsverwaltung, ins-
besondere der in den Provinzen, bestand in dem Mangel
einer einheitlichen Oberleitung, welche, über alle Stände
und Parteien erhaben. Recht und Gerechtigkeit wahrte, die
Unterdrückung des Schwächeren durch den Starken ver-
hinderte und den Eigennutz unschädlich machte. Eine solche
Einrichtung besteht nur in der Monarchie. Daher finden wir
in allen Freistaaten des Altertums wie der Neuaeit eine fast
unverständliche Klage über Habgier und Willkür der Beamten,
über Selbstsucht der Herrschenden, Hülflosigkeit der Unter-
— 29 —
thanen. Nur in den Zeiten, in welchen die gesamte Bürger-
schaft auf Grund einer traditionellen Rechtlichkeit oder in-
folge begeisternder Kriege eine höhere Stufe der Sittlichkeit
erklommen hat, gewährt eine aristokratische oder demokra-
tische Regierung die Bürgschaft der ausgleichenden Gerechtig-
keit. Solcher Zeiten hat sich Rom länger als andere Staaten,
dank dem ausgezeichneten Gemeinsinn seiner Bürger, erfreut.
Seit dem Ausgleich der Stände (366) bis zur Beendigung des
2. punischen Krieges (201) genofs Rom unter dem weisen
und selbstlosen Regimente des Senats eine gerechte Regierung.
Das änderte sich, als mit den Schätzen die Genüsse und
Laster des Ostens nach Rom strömten, als Rom die natür-
lichen Grenzen Italiens überschritt und den Kampf um die
Herrschaft des Mittelmeerbeckens aufnahm. Die Provinzen
haben Rom verdorben, die Mitglieder des Amtsadek sowohl,
aus dem die Statthalter genommen wurden, als auch die
Angehörigen des Ritterstandes, die durch pachtweise Über-
nahme der Staatsgefälle die schlimmsten Blutsauger der
Provinzialen geworden sind. Es gilt hier das Wort Ovids:
Ferro nocentius aurum! Nachdem Rom die Italiker ohne
4
Steuerbelastung seiner klugen und mafsvollen Herrschaft
unterworfen hatte, beging es den folgenschweren Fehler, die
Zölle und Abgaben, die einst die heimischen Despoten fest-
gesetzt hatten, für sich in Anspruch zu nehmen und ihre Er-
hebung an Kapitalistengesellschaften zu verpachten. Gleich-
zeitig sandte man Statthalter mit unumschränkter Macht-
vollkommenheit in bürgerlichen und militärischen Dingen
auf je ein Jahr, aber ohne Festsetzung bestimmter Einkünfte
oder billiger Entschädigung in die unglücklichen Länder, die
nun, von zwei Seiten angepackt, bis auf den letzten Tropfen
ausgeprefst wurden. Der schlinmiste Übelstand war der jähr-
liche Wechsel der Beamten; mit jedem neuen Statthalter kam
ein neuer Blutegel, der sich in zwölf Monaten so sättigen
mu&te, dafs er nicht nur seine Schulden bezahlen, sondern
auch seine Richter bestechen und ein Erkleckliches erübrigen
«i
<»'
— 30 —
tonnte. Hier schuf erst die Monarchie der Cäsaren Wandel.
Es ist das unsterbliche, von dem republikanischen Tacitus gar
nicht gewürdigte Verdienst der Kaiser seit Augustus, dafs
eine unseren BegrijBFen entsprechende Provinzialverwaltung
durch besoldete und kontrollierte, auf längere Zeit angestellte
Beamten eintrat.
Der Schlimmen schlimmster war ohne Zweifel C. Verres.
Wenn auch sein Lebensbild uns nur durch seinen Ankläger
überUefert ist, so Hegt doch nicht der geringste Grund vor,
an der objektiven Wahrheit der auf jenen gehäuften An-
klagen zu zweifeln. Sein eigenes Verhalten, das Verstummen
der Verteidiger, die Einstimmigkeit der Überlieferung sind
vollgültige Beweise. Er war ein Schandbube in des Wortes
wahrster Bedeutung ohne irgend eine gute oder löbliche
Eigenschaft; nicht einmal im Schlechten war er grofs.
Einer wenig bekannten Familie entstammt, wurde er
nach einer in Ausschweifungen hingebrachten Jugend im
Jahre 82 Quästor des marianischen Konsuls Carbo, verliefs
bei Ausbruch des Bürgerkrieges seinen Feldherm in schmäh-
licher Weise und ging zu der Partei der Optimaten über,
um die Kriegskasse zu unterschlagen. Er wurde deshalb
später zur Rechenschaft gezogen, wenn auch ohne Erfolg.
Darauf begleitete er den Proprätor Cn. Dolabella nach
Griechenland und Asien und verweilte ebendaselbst zwei
Jahre. Hier bekundete er bereits alle die lasterhaften Nei-
gungen, welche seinen Namen für immer gebrandmarkt
haben. Allerdings war sein Vorgesetzter um kein Haar
besser — ein par nobile fratrum — , und es ist sogar nicht
unwahrscheinlich, dafs Cicero eine Anzahl Vergehen, die
eigentlich dem Dolabella aufs Kerbholz geschrieben werden
müfsten, seinem Vertreter und Quästor auf Rechnung gesetzt
hat. Erpressung, Diebstahl, Raub, Gewaltthat, Unzucht, alle
Verbrechen aufser dem Selbstmorde werden in durchaus
glaubwürdiger Weise dem Verres vorgehalten. Es widert
uns an, Einzelheiten zu bringen; nur auf Lampsakus mag
— 31 —
hingewiesen werden, wo Verres durch sein schmähliches Ver-
halten die ruhige Bürgerschaft in vollen Aufruhr versetzte.
Nach diesen Vorübungen kehrte der Schändliche nach Rom
zurück, unl seine Laufbahn fortzusetzen. Eine Anklage auf
Erpressung wufste er dadurch abzuwenden, dafs er gegen
seinen Gönner Dolabella Zeugnis ablegte. Dann erwarb er
sich, dank der angesammelten Reichtümer, die Prätur, die
er in unerhörter Weise zu seinem Vorteile ausnutzte. Durch
das Los zum praetor urbanus bestellt, hielt er Recht und
Gerechtigkeit feil, wobei ihm seine Buhlerin Chelidon treff-
liche Dienste leistete. Namentlich dienten Erbschaftssachen
zu seiner Bereicherung, doch verschmähte er auch andere
Gelegenheiten nicht, einen Gewinn einzustreichen. Aber alles
dies war nur ein Vorspiel zu dem Schandregiment, das er
darauf in Sicilien ausübte, imd zwar drei Jahre hindurch,
da die derzeitigen Wirren des Sklaven- und Fechterkrieges
eine Verlängerung des Amts über das sonst übliche Jahr
hinaus wünschenswert erscheinen liefsen. Hier erwies sich
eine Bestimmung des römischen Staatsrechts: Accusare non
licet magistratum Romanum, welche die Straffheit der Ver-
waltimg gewährleisten sollte, als höchst verderblich; denn
hülflos waren die unglücklichen Sikuler drei Jahre hindurch
allen Lüsten und Begierden ihres obersten* Beamten preis-
gegeben. Von dieser Prätur entrollt uns Cicero ein Bild,
das zu den traurigsten Überlieferungen des Altertums zählt,
wenn es auch nicht ohne Parallelen dasteht in der Geschichte
der Menschheit; man denke an die Sünden Wirtschaft eines
Ludwig XV. und an das Mifsregiment der ostindischen Kom-
pagnie, um zu schweigen von der Jämmerlichkeit so manches
deutschen Kleinstaats aus früheren Zeiten. Wir werden auf
dieses Triennium noch einmal zurückkommen.
Kaum war Verres heimgekehrt, so erschienen Gesandt-
schaften der Sikuler in Rom, um die Anklage auf Erpressung
zu erheben gemäfs jener lex Cornelia de repetundis, durch
welche Sulla, nicht als der erste, den Krebsschaden der
— 32 —
römischen Provinzialverwaltung hatte ausrotten wollen. Zu
ihrem Vertreter erwählten die Sikuler nicht ein Mitglied
der alten Geschlechter, sondern den sechsunddreifsigjährigen,
ahnenlosen, aber vielgerühmten Cicero, dessen vortreffliche
Haltung als Quästor ihnen noch fi'isch in der Erinnerung
war; nur die Gemeinden von Syrakus und vor allem Messana
hielten sich zurück und schickten sogar Entlastungszeugen
nach Rom. Cicero ging freudig auf das Gesuch seiner
sicilischen Freunde ein, sicherlich nicht nur weil er gern
für das gebeugte Recht in die Schranken trat, sondern auch
weil sich ihm hier die Gelegenheit bot, wie nie zuvor, mit
einem Schlage seinen rednerischen Ruf für immer zu sichern
und seine politische Zukunft vorzubereiten. Man hat ihm
auch hieraus einen Vorwurf gemacht, als ob nicht far alle
aufwärtsstrebenden Männer dasselbe Gesetz gelte, die ehrlich
erworbene Tüchtigkeit zu Ehren zu bringen und das eigene
Licht nicht unter den Scheffel zu stellen. Aber eine par-
teiische Geschichtsauffassung wird stets, wo sie die Thaten
nicht leugnen kann, wenigstens die Motive der Thaten zu
entstellen versuchen. Wir halten uns an die offenkundigen
Thatsachen.
Der bevorstehende Kampf war für Cicero nicht leicht,
aber auch nicht aussichtslos und darum nicht undankbar.
Zwar hatte Verres eine beträchtliche Anzahl vornehmer
Optimaten als advocati, gewissermafsen als Eideshelfer, auf
seiner Seite, die in dem Prozefs ihres Standesgenossen ihre
eigene Zukunft bedroht sahen, und der erste Redner Roms,
Q. Hortensius, übernahm selbst äIs designierter Konsul die
Abwehr des designierten Ädilen. Aber das Unrecht schrie
zum Himmel und konnte auch durch die glänzendste Bered-
samkeit kaum gerettet werden. Dazu kam ein Zweites. Der
Gerichtshof, welcher aus zwölf Senatoren unter dem Vorsitz
des Prätors M.' Acilius Glabrio bestand, hatte alle Ursache,
einen gerechten Spruch zu föllen. Die demokratische Reaktion,
welche seit Sullas Tod dem Übermut der herrschenden Opti-
— 33 —
matenpartei zu steuern suchte, stand dicht vor ihrem Triumph.
Schon war durch die lex tribunicia des Pompejus den Volka-
tribunen ein TeU ihrer Rechte wieder verliehen, schon drohte
dem Senate ein zweiter, schwererer Schlag, der Verlust der i
Richterstellen, da seine Judikatur in weitesten Kreisen Un-
willen und Empörung erregt hatte. In diesem kritischen
Momente nahm Cicero, der bereits vor zehn Jahren in der
Rosciana gegen die Nobilität mittelbar Partei ergriffen hatte,
offen seine Stellung in den Reihen der Opposition, die sich
um Pompejus scharte. An mehr als einer Stelle rügt er
nachdrücklich das Milsregiraent der Nobilität, die Selbstsucht
der hochgeborenen Richter. So war die allgemeine Lage
dem homo novus nicht ungünstig. An seiner Aufidchtigkeit
zu zweifeln haben wir keinen Grund.
Der Prozels begann mit allerlei Winkelzügen der Gegner.
Plötzlich meldete sich der ehemalige Quästor des Verres,
Q. Cäcilius Niger, mit dem Verlangen (postulatio), dafs ihm
als einem Sikuler die Anklage des Verres überlassen werde.
Es war dies natürlich nur ein Scheinangriff, dazu bestimmt,
den gefährlicheren Gegner unschädlich zu machen; denn die
Anklage des Cäcilius würde, wenn sie zustande gekommen
wäre, sich in nichts aufgelöst haben. Für einen solchen
Fall schrieben die Gesetze eine Voruntersuchung (divinatio)
vor, in der zu ermitteln war, wem die Priorität der Anklage
gebühre. Bei dieser Gelegenheit hielt Cicero die erste seiner
verrinischen Reden, die divinatio in Q. Caecilium, in der er
zunächst darlegt, wie er selbst zu der Ehre gekommen sei,
die Sikuler zu vertreten. Sodann führt er treffend aus, wie
derjenige Anwalt beschaffen sein müsse, den die gekränkte
Partei sich am ehesten wünsche, und wie derjenige aussehen
müsse, den der Beklagte sich am wenigsten aussuchen werde.
Er weist deutlich darauf hin, dafs Cäcilius an den Räubereien
des Verres nicht unbeteiligt sei. Schon jetzt hielt Cicero
den Richtern die Bedeutsamkeit ihrer Entscheidung für den
Bestand der senatorischen Gerichte vor. Die Richter ent-
Aly, Cicero. 3
— 34 —
schieden zu Ciceros Gunsten, yermutlich im Monat Mai.
Nun überreichte Cicero die Klageschrift, worin er das Streit^
Objekt etwas reichlich auf 40 Millionen Sestertien (etwa
7 Millionen Mark) abschätzte und demzufolge nach der
gesetzlichen Vorschrift die Strafe auf 100 Millionen (17^/2
Millionen Mark). Zugleich erbat er eine Frist von 110 Tagen,
um an Ort und Stelle Beweise zu sanmieln, Urkunden und
Zeugen herbeizuschaffen. Aber ein neues Hindernis wurde
ihm entgegengestellt. Ein vorgeschobener Ankläger meldete
eine Anklage auf Erpressungen des Yerres in Griechenland
an und wollte mit 108 Tagen sich begnügen. Da galt es,
sich zu eilen. In Gesellschaft seines Vetters Lucius durch-
streifte Cicero die ganze Insel, nicht ohne allerlei Schwierig-
keiten, die ihm der damalige Prätor Metellus bereitete, imd
kehrte nach fünfzig Tagen im Besitz eines unerme&Uchen
Materials nach Born zurück.
Am 5. August kam es zur ersten Verhandlung (actio),
nachdem vorschriftsmäfsig seitens des Angeklagten wie des
Anklägers eine Anzahl Geschworener abgelehnt war. In-
zwischen war die Sachlage derartig geklärt, dafs Verres und
seine Freunde nur noch auf eine Verschleppung des Prozesses
ihre Hoffnung setzten. Die Verhandlungen drohten infolge
der zahllosen Zeugen und nicht minder. zahlreichen Urkunden
sich in die Länge zu ziehen. War nun auch die erste actio
glücklich beendet, so durfte doch nach der Prozefsordnung
nicht sofort der Spruch gefunden werden, sondern es wurde
dem Angeklagten auf den drittnächsten Gerichtstag ein
zweiter Termin festgesetzt (comperendinatio), in dem die
Verhandlungen wieder aufgenommen und zu Ende geführt
wurden. Nun fiel in die zweite Hälfte des Jahres eine
groise Anzahl religiöser Feste, welche sämtlich Gerichts-
ferien mit sich führten. Da war es denn bei einiger
Geschicklichkeit des Verteidigers und Willfährigkeit des
Vorsitzenden Prätors nicht immöglich, die Verhandlungen
bis in das nächste Jahr zu verschleppen, in welchem nicht
— 35 —
nur Hortensius Konsul und ein Metellus Prätor waren,
sondern auch der Gerichtshof acht neue Mitglieder erhalten
mufste, alles Momente, die für Cicero und seine Partei so
ungünstig wie möglich waren. Cicero war in einer üblen
Lage; er muiste sich entschliefsen, entweder auf eine glsmzende
Bethätigung seiner Kunst und damit auf einen oratorischen
Triumph oder auf die glückliche Durchbringung des Prozesses
zu verzichten. In diesem Dilemma wählte er als Mann Yon
Ehre und Pflichtgefühl das erstere. Er leitete die Verhand-
lungen mit einer kurzen Übersicht, der actio prior, ein, in
der er die. Ränke der Gegner an den Pranger stellte^ und
legte dann durch Abhörung der Zeugen, Verlesung der
Urkunden, Mitteilung der Briefe das ganze Beweismaterial
ohne rednerische Zuthat den Richtern vor, ein Vorgang, der
neun Tage beanspruchte. Der Eindruck war überwältigend.
Nachdem Hortensius anfangs einige Einreden versucht hatte,
verstunmite er mehr und mehr, besonders als ihm Cicero
unerbittlich die Geschenke vorrechnete, die er von Verres
empfangen hatte. Sein rednerischer Ruf war damit verloren.
Noch schlimmer erging es Verres, der, ohne die zweite Ver-
handlung abzuwarten, in die Verbannung ging, wie es nach
römischem Gesetz einem jeden Beklagten vor der Verurteilung
frei stand. Sein Vermögen wurde mit Beschlag belegt, um
daraus die Geschädigten einigermaßen zu befriedigen. Cicero
forderte nach angestellter Untersuchung 40 MilUonen.
Indessen war damit der Prozefs des Verres, wenigstens
litterarisch, nicht beendet. Wenn auch Cicero zur rechten
Zeit sich zu beschränken verstanden hatte, so gelüstete es
ihn dennoch, das gewaltige Material auch künstlerisch zu
verarbeiten und dadurch der Nachwelt ein Denkmal seines
Fleiises und seines Scharfsinns, zugleich aber auch seines
schriffcstdlerischen Talentes zu hinterlassen. Es sind dies
die berühmten fünf Reden der actio secunda. Cicero nimmt
an, dafs Verres sich noch nicht ergeben hat, und führt den
Kjunpf mit allen Mitteln wirklich zu Ende.
— se-
in der ersten Rede, die von den späteren Erklärern
nicbt zutreffend de praetura urbana betitelt ist, legt er
nach einer langem Einleitung, welche über den Prozefs im
allgemeinen imterrichtet, das Vorleben des Angeklagten dar,
die Quästur unter Garbo, die Legatenstelle in Asien, die
städtische Prätur. Im zweiten Buche handelt er von der
Rechtsprechung auf Sicilien, welche Provinz er in beredter
Weise als nutrix plebis Romanae feiert. Wie in der Haupt-
stadt, so hat auch in der Provinz Verres das Recht schmählich
gebeugt, zu seinem Vorteil, zum Nachteil zahlreicher Ein-
wohner jeglichen Standes, wobei eine dem Führer ent-
sprechende Schar von Hdfershelfem aus der dem praetor
zur Seite stehenden cohors praetoria ihren eigenen Beutel
nicht zu füllen vergafs. Dabei hatte Verres den fast un-
glaublichen Wunsch befriedigt, sich von den gemifshandelten
Sikulern durch BUdsäulen und Feste geehrt zu sehen, Ein-
richtungen, die allerdings die Dauer seines Aufenthalts nicht
überlebten. Er benachteiligte übrigens nicht nur Unter-
thanen, sondern auch römische Kaufleute und Zollpächter.
In der dritten Rede de frumento wird uns erzählt, wie er
die überkommene Vorschrift der Getreidelieferungen für seine
Kasse mifsbrauchte. Durch seine Diebsgenossen plünderte er
das damals so reiche Land gründlich aus, ohne dafs ein be-
trächtlicher Teil, wie es doch sein sollte, nach Rom gelangte.
Der unverfönglichste Zeuge war sicherlich sein Nachfolger,
der ihm nachmals freundlich gesinnte L. Metellus, welcher
nach seinem Amtsantritt den Konsuln den völligen Verfall
der Insel meldete. Die Landleute hatten überhaupt auf-
gehört, den Acker zu bestellen, der doch ihnen nichts ein-
brachte. Nicht einmal die Karthager und später die auf-
ständischen Sklaven haben Sicilien so verwüstet. Das vierte
Buch de signis behandelt den Raub der Kunstgegenstände,
für die Verres zwar kein Verständnis, aber wohl eine fast
aberwitzige Gier zur Schau trug. Es ist dies Buch für uns
neben dem fünften das interessanteste; enthalt es doch eine
— 37 —
Fülle der Nachrichten über viele uns leider verloren ge-
gangene Eunstschätze der Alten. Auch erkennen wir daraus
das feine Verständnis, welches Cicero der griechischen Kunst
entgegenbrachte. Kein Kunstwerk ist in ganz Sicilien ge-
wesen, das Verres nicht geraubt oder doch zu rauben versucht
hat, nicht nur Bildsaulen, wie der Cupido des Praxiteles, der
Apollo des Myron, die hochheiligen Göttinnen von Enna,
und Gemälde, sondern auch Gegenstände des Kunstgewerbes,
Schalen, Becher, Ringe und Teppiche. Im fünften Buche
macht sich der Bedner selbst den Einwand (deprecatio), dafs
Verres durch miUtärische Leistungen und Vorzüge gut ge-
macht, was er durch Habsucht gefrevelt habe; die Über-
schrift de supplicüs palst daher gar nicht. Aber auch diese
Möglichkeit der Verteidigung wird benommen. Weder im
Sklaven- noch im Seeräuberkriege hat Verres etwas Nennens-
wertes geleistet. Im Gegenteil hat er Schmach und Schande
über Rom dadurch gebracht, dafs nach der Besiegung der
unzureichend gerüsteten Flotte die Seeräuber in den Hafen
von Syrakus eingelaufen sind, was Verres damit rächte, dals
er die unschuldigen Kapitäne hinrichten liefs. Daran reiht
Cicero eine Anzahl von Gewalt- und Mordthaten, die sich
Verres gegen römische Bürger herausgenommen hat; darunter
die berühmte Erzählung von dem Unglücklichen, der för die
schändlichen Schläge seiner Peiniger nur das stolze Wort
hatte: Givis Romanus sum! Zum Lohn fär diesen Bürgerstolz
ward er an das Kxeuz geschlagen. Nun ist das Mals des
Unheils erschöpft. In flammender Entrüstung wendet sich
der Redner durch die Schlu&rede an die Richter und bittet
um gerechten Spruch; er schliefst mit einem ergreifenden
Gebet an die beleidigten Götter.
Die kurze Andeutung des Inhalts wird genügen, die
Bedeutung der Verrinen für die Beurteilung Ciceros und
seiner Zeit klarzustellen. Jener erscheint durchweg im besten
Lichte sowohl seinem Charakter, wie seiner Geisteskraft nach.
Denn auch die Form entspricht dem Inhalt. Selbst der müs-
— 38 —
günstigste Beurteiler mufs zugestehen, dafs der Leser trotz
des ausgedehnten XTmfangs nie ermattet; so trefflich hat es
der Redner verstanden, Pathos und Ethos zu verteilen, Ernst
und Scherz zu mischen, Zorn und Mitleid zu erregen. Unsere
Phantasie wird nicht weniger beschäftigt wie unser sittliches
Gef&hl, während unsere Denkkraft die Kunst des Redners
aufmerksam verfolgt. Cicero hat sich mit diesen Reden ein
Denkmal gesetzt, dauernder als Erz.
Bald nach dem Prozesse wurde die Besetzung der
Gerichtshöfe durch die lex Aurelia judiciaria zwischen Sena-
toren, Rittern und Ärartribunen, d. h. den Vorstehern der
Stadtbezirke ak Vertretern der ignobiles, verteilt. Die Macht
der Nobilität war gebrochen. Verres starb in der Ver-
bannung, als ein Opfer seiner Kimstliebhaberei von Antonius
geächtet, bald nach seinem siegreichen Gegner.
Kapitel 6.
AdUität und Prätnr.
Im Jahre 69 verwaltete Cicero die kurulische Adilität,
welche ihm einstimmig und vor aUen Mitbewerbern über-
tragen war. Die beiden Adilen hatten von Haus aus nur
die Polizeigewalt in der Hauptstadt auszuüben und ins-
besondere die Aufsicht über die öffentlichen Heiligtümer zu
führen. Dieses Hauptgeschäft war indessen müsbräuchlich
durch eine Fülle von Ehrenpflichten überwuchert, welche
ein wichtiges Mittel in der erfolgreichen Bewerbimg um
höhere Amter darstellten. Man erwartete von den Ädilen,
dafs sie die Gelegenheit benutzten, durch prächtige und
daher höchst kostspielige Ausstattung gewisser öffentlichen
Spiele dem souveränen Volke ihren Dank abzustatten. Cicero
war hierdurch in eine mifsliche Lage versetzt; denn wenn
er auch durch die ansehnliche Mitgifb seiner Gattin Terentia
wie durch Ehrengeschenke seiner Klienten in den Besitz
— 39 —
eines genügenden Yennögens gesetzt war, so fehlte es ihm
doch durchaus an reichlichen Mitteln. Dennoch zog er sich
mit Anstand aus der Klemme. Drei Feste half er durch
Freigebigkeit verschönem: das Fest der Ceres, des über imd
der Libera im April, die Floralien im Anfang Mai und die
den höchsten Gottheiten des römischen Volkes, dem Jupiter,
der Juno und der Minerva, geheiligten Spiele^ die sogenannten
ludi Bomani im September. Eine erwünschte Zubulse ge-
währte ihm eine Getreidesendung der dankbaren Sikuler,
welche er nach der üblen Sitte seiner Zeit an das „panem
et circenses" schon damals verlangende Volk verteilte. Mit
diesem Amte trat er in den Kreis des Amtsadels ein; denn
die Ädilität gewährte einen geachteten Sitz im Senat (vor
den quaestorii), den breiten Purpurstreifen, den kurulischen
Sessel und das jus imaginum, d. L das Becht, die Wachs-
masken der Vorfahren im Atrium aufzubewahren und bei
den Leichenbegängnissen zur Schau tragen zn lassen.
In diese Zeit fallen zwei der uns erhaltenen Gerichts-
reden, für M. Fontejus und für A. Gäcina. Von diesen
betrifft die erstere eine Anklage wegen Erpressungen, erhoben
von Bewohnern des transalpinischen Gttlliens, dessen süd-
Ucher TeU unter dem Namen der provincia Bomana schon
damals den Bömem gehörte. Man hat es Cicero zum Ver-
brechen angerechnet, dafs er den Fontejus verteidigt, den
Verres angeklagt hat; man will sogar daraus schliefsen, dafs
es ihm niemals um die Sache zu thun gewesen sei. Nun
liegt durchaus kein Anlafs vor, uns für den fast unbekannten
Fontejus in die Schanze zu schlagen. Mag er immerhin
nach bekannten Mustern bei Stralsenbauten und Zöllen seinen
Beutel emsiger gefüllt haben als den des Staates, so liegt
es doch auf der Hand^ dafs ein Vergleich zwischen Fontejus
und Verres mehr als frivol genannt werden muis. Sein
früheres Leben, sowie seine Verdienste um das seiner Zeit
in Spanien fechtende Heer billigten ihm eine andere Auf-
nahme zu, als dem Verres das Sündenleben in Griechenland
— 40 —
und Asien. Die Zeugnisse der Bürgerschaften von Narbo
und Massilia stehen zweifellos hoher, als die Yon Messana
und Syrakus. Wenn gar im Jahre darauf ein M.' Fontejus,
wie man jetzt in einem Briefe Giceros liest, ein Haus in
Neapel kaufte, so ist es doch wohl nicht zweifellos, dafs
dies der beklagte M. Fontejus gewesen sei Dem sei indes,
wie ihm wolle, es lag und liegt noch heute im Berufe des
Anwalts die Verpflichtung, die Sache seines Klienten nach
Möglichkeit zu vertreten. Die objektive Wahrheit festzu-
stellen, ist Sache des Richters. Cicero gegenüber stehen gar
manche und leider sogar hervorragende Geschichtsschreiber
neuerer Zeit auf dem Standpunkte nicht des unparteiischen
Richters, sondern des einseitigen Anklägers.
Die Rede fOr Gäcina ist voll juristischer Formalien imd
daher hier ohne Bedeutung; sie behandelt das Besitzrecht
auf ein Grundstück, welches die verstorbene Gkkttin Gäcinas
durch einen gewissen Abutius gekauft hatte. Der Prozefs
wurde vor einem durch den Prätor eingesetzten Schieds-
gericht, den recuperatores, geführt und fiel günstig für
Ciceros Klienten aus. Andere Reden, die nur in Trümmern
vorHegen, dürfen hier ganz übergangen werden. Dagegen
ist hervorzuheben, dafs in das Jahr 68 der Anfang des uns
in 16 Büchern erhaltenen Briefwechsels mit Atticus fallt,
der allerdings erst vom Jahre 62 ab reichlicher fliefst.
Diese Korrespondenz, wie die andere grolse Sammlung (ad
familiäres in gleichfalls 16 Büchern vom Jahre 65 ab) sind
von hervorragender Bedeutung für die Zeitgeschichte, wie
für Giceros Leben selbst. Indessen sind sie nicht ohne
Vorsicht zu benutzen, wenn sie nicht ein falschem Bild
ergeben sollen.
Die politische Laufbahn beschritt Cicero auch femer
mit glänzendem Erfolge. Wie bei den zuvor bekleideten
Ämtern wurde er im Jahre 67 einstimmig und an erster
Stelle zum Prätor gewählt; ja, als die Wahl infolge ver-
schiedener Umtriebe wiederholt werden mufste, wurde er
— 41 —
aucli das zweite und dritte Mal auf dieselbe Weise aus-
gezeichnet. Er erloste die quaestio de repetundis, d. h. den
Vorsitz in der für Erpressungen niedergesetzten Abteilung.
Von seiner amtlichen Thätigkeit ist der Prozefs des C. Licinius
Macer bekannt, der nach seiner Verurteilung durch Selbst-
mord endete. Die Unterstellung, dafs Cicero auch hierdurch
nur die Gunst der Menge habe erringen wollen, widerspricht
wenigstens seiner eigenen Versicherung, dafs er dem Licinius
ein gerechter Richter gewesen sei.
Das wichtigste Ereignis seiner Prätur ist die Pompejana,
die Staatsrede für den Gesetzesvorschlag des Volkstribunen
Manilius, der, nachdem durch die lex Gabinia dem Pompejus
der unumschränkte Oberbefehl im Seeräuberkriege tibertragen
war, ihm auch das Kommando für den mithridatischen Krieg
mit umfassenden Befugnissen yerschaffen wollte. Es ist das
erste Mal, dafs sich der nun vierzigjährige Anwalt und der-
zeitige Richter in einer wirklich politischen Rede versuchte;
er glaubte seine Zeit gekonmien. Hören wir zuerst den
Gedankengang der Rede.
Mit wohlberechneter Bescheidenheit hebt er im Ein-
gang hervor, dafs er erst nach mehrfachen Auszeichnungen
durch die Volksgunst es gewagt habe, öffentlich in politischen
Dingen vor dem Volke zu reden. Er freue sich über die
ihm jetzt gebotene Gelegenheit, gerade dem Ritterstande,
der ihm besonders nahe stehe, dienen zu können. Scharf
und klar wird die Rede disponiert und dann zuerst von der
Art des Krieges gesprochen. Die Vergehungen des Mithri-
dates gegen die Hoheit des römischen Volkes, die Erfolg-
losigkeit der früheren, wenn auch glänzenden Feldzüge, die
Bedeutung der asiatischen Einkünfte für Volk und Staat
werden erörtert. Sodann legt der Redner die Gröfse des
Krieges dar, indem er einen kurzen Abrifs der kriegerischen
Ereignisse liefert; die Verdienste des Lucullus werden aner-
kannt. Der Kern der Ausführung liegt in dem Nachweis,
dafs der zu erwählende Feldherr Kriegserfahrung, Ehren-
— 42 —
haftigkeit, Ansehen nnd Glück bewiesen haben müsse, Eigen-
schaften, die alle in Pompejus vereinigt seien. Seine Erfolge
werden kräftig, aber nicht unwahr abgeschildert, insbesondere
die beispiellos rasche und glückliche Beendigung des See-
räuberkrieges, den er in 49 Tagen zu Ende geführt hatte.
Seine allgemein menschlichen Tugenden, Gerechtigkeit und
Enthaltsamkeit, werden im Gegensatz zur Habgier anderer,
nicht genannter Feldherren gepriesen. Sein Ansehen auch
beim Feinde, sein unerhörtes Glück werden in Erinnerung
gebracht. Es folgt die Widerlegung (confutatio) der gegne-
rischen Ansichten des Catulus und Hortensius, von denen
dieser eine poHtische Gefahr in der Erhebung des einen
Mannes erblickte, während jener die Beobachtung der über-
kommenen Einrichtungen imd Gewohnheiten festgehalten
wissen wollte. Beide Einwürfe werden durch Hinweis auf
zahlreiche Präcedenzfalle geschickt widerlegt, insbesondere
durch Erinnerung an den jüngeren Scipio und Marius. Hierbei
wird noch einmal der Erpressungen anderer Feldherren ge-
dacht, aber ohne Nennung von Namen. Zum Schlufs wird
auf die Abstimmung hervorragender Senatoren hingewiesen
und endlich der Antragsteller Manilius feierlich ermahnt, bei
seinem guten Vorhaben auszuharren. Der Bedner schliefst
mit einer feurigen Beteuerung seiner Vaterlandsliebe imd
XJneigennützigkeit.
In formeller Hinsicht, das ist unbestritten, bezeichnet
die Pompejana den Höhepunkt der ciceronianischen Kirnst.
Es giebt kaum ein Kunstmittel, wenigstens des mittleren
Genres, für das diese Rede nicht zahlreiche Muster darböte.
Um so mehr wird die Berechtigung ihres Inhalts angezweifelt,
die politische Haltung des Redners getadelt. Wir sehen zum
erstenmal den Politiker Cicero vor ims imd sind nunmehr
genötigt, auch unserseits Stellung zu nehmen. Vergegen-
wärtigen wir uns die politische Lage jener Zeiten.
Die Nobilität, die Partei des Senatsregiments, war noch
einmal dank Sullas eiserner Faust an die Regierung ge-
— 43 —
kommen. Sie hatte sich der ihr gestellten Aufgabe unföhig
gezeigt. Seit der Bosciana sehen wir Cicero sich der demo-
kratischen Opposition nahem, so dals er mit den Yerrinen
offen der Nobilität Fehde ansagt. Es ist der Unwille des auf-
strebenden Talents über die Engherzigkeit der herrschenden
Clique, es ist aber auch .die Empörung des sittenreineren
Provinzialen über die Feilheit des Senatorenregiments. Pom-
pejus war es, der durch die lex tribunicia wie durch die
lex Aurelia judiciaria der Nobilität den Abschied gab. Durch
die Übernahme des Oberbefehls im Seeräuber- wie nachmals
im mithridatischen Kriege nahm der glückliche Feldherr
seine Stellung nicht nur über den Häuptern der Nobüität,
sondern auch über denen der Yolkspartei. Diese, eine
Schöpfung der genialen, aber gesetzlosen Gracchen und
daher weit verschieden von der alten plebs, war nicht
minder im Niedergange begriffen, als ihre so tödHch be-
feindete Gegnerin. JlebrgeUn, um die poUtischen
Rechte des nicht bevorrechteten, dritten Standes, der igno-
biles, zur Aufbesserung der sozialen Lage auszunutzen, hatte
sie in den wüsten Orgien der marianischen Revolution ihre
beste Kraft eingebüfst. Der zügellose Haufen der haupt-
städtischen Menge konnte nur durch geistig und sittHch
hervorragende Führer dem Wohle des Staates dienstbar ge-
macht werden; er war aber auch die Beute jedes Abenteurers
und Umstürzlers. So stellen sich die Regungen der demo-
kratischen Partei im Grunde nur als Schiebungen zu Gunsten
dieses oder jenes Parteifahrers dar. Im Vordergrund stand
zur Zeit* Q. Pompejus Magnus, der glänzende Feldherr, der
Spender billigen Brotes, der Wiederhersteller des Friedens,
der mit den Eigenschaften eines tüchtigen Korpsführers
brennenden Ehrgeiz, aber auch politisches Unvermögen ver-
einigte. In zweiter Linie hielten sich der fürchterliche
Gatilina, der Führer der Anarchisten, die in einem all-
gemeinen Umsturz wenigstens ihre GlückseUgkeit zu finden
hofften, und der geniale Cäsar, der mit überlegener Klugheit
— 44 —
seine nicht blols auf eigene Gröfse, sondern auch auf des
Staates Wohl abzielenden Pläne vorbereitete. Die Monarchie
lag in der Lufb, der Freistaat war im Prinzip aufgegeben
und nur von warmherzigen Idealisten, wie Cato und Cicero,
als möglich und wirklich angesehen.
In diesen poUtischen Hexensabbat trat mit vierzig
Jahren Cicero, der beliebte Anwalt, der glänzende Redner,
der aufrichtige Patriot, der empf ängUche, weichherzige Mann,
der aber darum nicht in dies Getriebe pafste, das nur eiserne
Charaktere verlangte. In seiner politischen Stellung hatte er
inzwischen eine kleine Schwenkung gemacht, nachdem er
selbst in die Reihen der Nobilität getreten war. Doch ist
es verkehrt, daraus eine Fahnenflucht, einen Übergang von
den Populären zu den Optimaten zu konstruieren. Auch
jetzt ist er den Führern des Senats gegenüber recht kühl;
seine Neigung gehört dem Stande, dem er selbst entstammte,
wie er im Eingang der Pompejana deutlich erklärt. Wir
können diese Haltung nicht tadeln; denn der ordo equester,
der bei dem mälsigen Census (zum mindesten 400000 Sestertien
= 70000 M.) auch den Mittelstand in sich schlols, 'isählte,
zumal in den Landstädten Italiens, höchst achtbare Mitglieder,
unter denen gar manche Elemente sich fanden, aus welchen
die erschlaffte NobiKtät sich wohl hätte erneuern können.
Es war Ciceros politisches Glaubensbekenntnis, dals in dem
Zusammenschlufs dieses Standes der wohlhabenden Bürger
mit den regierenden Familien die beste Garantie gegen die
Gewaltsamkeiten demokratischer Parteiführer liege. Wir
werden im nächsten Kapitel wiederholt darauf hinweisen,
dafs Cicero hier eine Ordnungspartei zu schaffen hoffte,
welche eine wirkliche Stütze der bestehenden Staatsverfassung
zu werden versprach.
FreiUch war Cicero in einem schweren Irrtum befangen,
als er in dem Gesetzvorschlag des Manilius ein staats-
erhaltendes Moment erblickte. Indem dem Pompejus eine
unerhörte Militärgewalt übertragen wurde, ward ihm die
— 45 —
Gelegenheit geboten, sich in den Besitz der Alleinherrschaft
zu setzen. Theoretisch war Cicero im unrecht, praktisch
nicht. Abgesehen davon, dafs Pompejus das in ihn gesetzte
Vertrauen rechtfertigte und die Angelegenheiten des Ostens
in durchaus angemessener Weise ordnete, war er nicht der
Mann, der den Mut hatte, nach einer Krone zu greifen.
Auch auf dem Gipfel der Macht beugte er sich vor dem
Senatsregiment. Die Gefahr kam für Roms vermeintUche
Freiheit nicht von Osten, sondern von Westen. Es ist
darum kaum angebracht, die Pompejana mit so ungeheuren
Vorwürfen zu überhäufen, wie es gemeinhin geschieht. Das
wird zuzugeben sein, dals Cicero so wenig Staatsmann, wie
Soldat war, dals er die Grenzen seiner Begabung verkannte.
In das Jahr seiner Prätur fallt auch die umfangreiche
Bede für A. Cluentius in einem Giftmordprozesse, in einer
so widerwärtigen, aus einer Kette scheufeUcher Verbrechen
bestehenden Sache, dafs man sich nicht genug dai*über
wundem kann, warum Cicero sie übernommen hatte. Der
inhalt ist ohne Belang. Von der för den bereits genannten
Tribunen Manüius gehaltenen Bede ist nichts erhalten. Es
wird berichtet, dals Cicero ihm gegenüber nicht unparteiisch
geblieben sei.
Nach Ablauf der Prätur wies er die ihm zustehende
Übernahme einer Provinz auf Grund der früher gemachten
Erfahrungen zurück, da er dem Volke nicht aus den Augen
verschwinden wollte. Er gab sich wieder ganz seiner anwalt-
lichen Thätigkeit hin; doch sind von den uns genannten
vier Beden nur Bruchstücke überliefert, deren Inhalt minder
wichtig erscheint. Im Jahre 65 wurde ihm ein Sohn ge-
boren; ein Jahr darauf starb hochbetagt sein Vater. Diese
Jahre waren hauptsächlich durch seine und seiner Freunde
Anstrengungen ausgefüllt, ihm die höchste Ehrenstelle im
Staatsleben, das Konsulat, zu gewinnen. Es war för ihn ein
Unglück, dafs ihm dies so heüs ersehnte Glück zu teil wurde.
— 46 —
Kapitel 7.
Das Konsulat.
Über die Bewerbung Giceros um das Konsulat hat uns
sein Bruder Quintus ein Sendschreiben hinterlassen, in dem
er sehr gründüch und vorsichtig die Momente abwägt, die
fiir und gegen den Bewerber sprechen; hierauf gründet er
eine Reihe von Ratschlägen, welche uns einen interessanten
Einblick in die Wahlbew^ung der damaligen Zeit verstattet.
Von den sechs Nebenbuhlern waren nur zwei zu furchten,
C. Antonius, der verschuldete, nichtsnutzige Sohn des grolsen
Redners, und L. Sergius Gatilina, das Haupt der anarchistischen
Partei, der Günstling der mehr im Hintergrund wirkenden
Führer der Volkspartei, M. Licinius Crassus und C. Julius
Cäsar. Bei der sehr geteilten Stimmung der Wähler, von
denen nur der wohlhabende Mittelstand seinem Standes-
genossen Cicero von vornherein günstig war, wollte Quintus
alle erlaubten Mittel der Wahlagitation verwendet wissen;
nur der Weg der Bestechung, der allerdings am häufigsten
betreten wurde, sollte gänzlich ausgeschlossen . bleiben, wie
denn auch dieser Vorwurf niemals erhoben ist. Zunächst
mufsten die Freunde im weitesten Sinne* bearbeitet werden,
und zwar nicht nur durch die erwiesenen Gefälligkeiten
mittelst gerichtlichen Beistandes, sondern vor allem durch
die Aussicht auf derartigen Schutz und freundliches Entgegen-
kommen überhaupt. Die in Rom übliche B^rüfsimg am
frühen Morgen (salutatio), die Heimführung vom Markte
(deducere), die ständige Gefolgschaft (assectatio) sind dabei
wohl zu beachten. Aber auch weitere Kreise müssen inter-
essiert werden durch Anrede, Schmeichelworte, Freundlichkeit
und sonstige Mittelchen, das Wohlwollen des grofsen Haufens
zu gewinnen (prensatio). Der Senat mufs den Bewerber für
- 47 —
einen Schützer seines Ansehens, der Mittelstand fiir einen
Verteidiger der öffentlichen Ordnung, das Volk für den
opferbereiten Retter bedrängter Angeklagter erachten. Excelle
dicendo! ruft Quintus dem Bruder zu.
Es ist unzweifelhaft, dafs Cicero dem Bruder schon aus
eigenem Antriebe folgte. Seit dem Jahre 65 sehen wir ihn
in fieberischer Thätigkeit dem eingebildeten Glücke nach-
streben. Man mag über die sehr äufserliche Art des Stimmen-
fangs lächeln; ist es heute denn gar so viel anders geworden,
wenn die grofse, urteilslose Menge aufgerufen wird, den Mann
ihres Vertrauens zu wählen? Dennoch wäre Cicero kaum in
so glänzender Weise an das Ziel gelangt, wenn ihm nicht
die politische Lage zu statten gekommen wäre; als gemein-
samer Kandidat der Ordnungspartei trug er trotz der geringen
Liebe, die der Amtsadel für ihn hegte, über den Umsturz-
mann den Sieg davon.
Catilina ist eine Erscheinung, wie sie nur auf dem
Boden eines sinkenden Staatswesens erwachsen kann. Sein
Charakter ist uns von Sallust, der selbst der Volkspartei
anhing, durchaus glaubwürdig geschildert, so dafs auch in
unseren Tagen eine der beliebten „Rettungen" nicht versucht
ist. Aus vornehmer Familie entsprossen, vereinigte der geniale
Wüstling leibliche und geistige Vorzüge mit einem in Grund
und Boden verdorbenen Charakter. In jeglichier Nichtswürdig-
keit einem Verres gewachsen, übertraf er diesen durch die
Spannkraft, die keine Ausschweifung lähmen konnte. Seine
Sporen verdiente er sich bei den Schlächtereien der sullani-
sehen Achtungen; Raub, Mord und Unzucht waren ihm
geläufig. Aber die kraftvolle Natur des Mannes konnte
sich in den Ausschreitungen gewöhnlicher Art nicht ge-
nügen, sie plante etwas Neues, Unerhörtes. Mit wahrhaft
dämonischer Gewalt sammelt Catilina die Hefe des vor-
nehmen Pöbels um sich; auf jegliche Art verstand er es,
die Unverdorbenen zu verderben, die Verdorbenen immer
tiefer in den Schlamm zu ziehen. Mitglieder der ersten
— 48 —
Familien, Männer wie Frauen, hingen ihm an. Was er
eigentlich im Sinne hatte, wissen wir nicht, vielleicht wulste
er es selbst nicht. Nur die negative Seite seiner Bestrebungen
war ihm klar, Umsturz der bestehenden Staatsverfassung.
Wir wissen von zwei Verschwörungen. Die erste aus dem
Jahre 66/65 sollte mit der Ermordung der ihr Amt über-
nehmenden Konsuln beginnen; sie scheiterte, wdl die Ver-
schworenen sich nicht rechtzeitig eingefunden hatten. Damit
waren die Pläne Catilinas durchaus nicht vereitelt, sondern
nur vertagt. In ebendenselben Wochen, in denen er sich
um das Konsulat bewarb, um von oben herab den grolisen
Umsturz rascher durchsetzen zu können, drangen die ersten
Gerüchte über die dunkeln Absichten des gefürchteten Mannes
dank der Schwatzhaftigkeit eines jüngeren Mitverschworenen
in weitere Kreise und trieben die vornehmen Wähler nebst
ihrem Anhang dem homo novus Cicero zu.
Um so auffallender ist es, dals nicht nur Grassus und
Cäsar ohne Bedenken die Pläne des Gatilina forderten und
ihn bei den stets drohenden Anklagen in Schutz nahmen,
sondern dafs auch Cicero eine Zeit lang daran dachte, CatiUna
wegen seiner in Afrika verübten Erpressungen, allerdings noch
im Jahre 65, zu verteidigen; er hoffe, schreibt er an Atticus,
dadurch einei;i ihm mehr verbundenen Mitbewerber zu ge-
winnen; wo nicht, werde er sich trösten. Die Rede ist nicht
gehalten. Trotzdem wirft schon der Entschlufs Ciceros auf
seinen Charakter tiefen Schatten; er läfst sich nur durch
folgende Erwägungen, wenn nicht entschuldigen, so doch
erklären. Cicero kann, als er die Vertretung Catilinas über-
nehmen wollte, unmöglich die hochverräterischen Pläne des
Mannes gekannt haben; er sah in ihm nur ein Mitglied der
einflufsreichen Nobilität, das sich von dem Gewohnheitslaster-
seiner Kaste, der Habgier, nicht frei gehalten hatte. Er
wurde je länger, je weniger bedenklich in der Übernahme
von Prozessen, wie das bei hervorragenden Sachwaltern zu-
weilen geschieht. Hier kam nun gar eine Aussicht auf
— 49 —
Förderung seines lieblingswunsches in Betracht; er unterlag.
Vielleicht ist der Gedanke ihm nur ganz flüchtig gekommen;
denn in dem Sendschreiben seines Bruders, das demselben
Jahre entstammt, findet sich ein höchst abfalliges Urteil
über Catilina und seinen Prozefs. Ebendahin scheint auch
eine Bemerkung in der für Cälius gehaltenen Rede zu ge-
hören, in der Cicero gesteht, dafs er Catilina anfangs
günstiger beurteilt habe, weil er ihn nicht gekannt hätte.
Nach alledem können wir Cicero mildernde Umstände zu-
billigen.
Übrigens war sein Verhältnis zu Catilina gar bald ein
feindUches geworden. Als der Senat in Bücksicht auf die
derzeitigen Wahlmntriebe ein strengeres Gesetz gegen Amts-
erschleichung (de ambitu) beriet, erklärte der Volkstribun
Q. Mucius Orestinus öffentlich, dafs Cicero des Konsulats
unwürdig sei. Diese Herausforderung veranlafste ihn zu
einer im Senate gehaltenen Rede (in toga Candida contra
C. Antonium et L. Catilinam competitores), in der er seinen
Mitwerbem offen den Krieg ansagte und namentlich Catilinas
Privatleben geifselte; auch seiner Gönner Cäsar und Crassus
wird gedacht. Der treffliche Erklärer (Scholiast) Asconius
hat uns in seinem Konunentar Bruchstücke der Rede er-
halten. Selbstverständlich antworteten die Gegner und verab-
säumten nicht, die bescheidene Herkunft des „inquilinus"
Cicero durchzuhecheln. Am Wahltage wurde dieser ein-
stimmig zum Konsul gewählt, neben ihm 0. Antonius. Nach
dem sempronischen Gesetze fand die Auswahl der Provinzen
für die Konsuln vor der Wahl statt; zwischen diesen ent-
schied das Los. So fiel Cicero Macedonien, Antonius das
cisalpinische Gallien zu. Aber jener hatte, wie wir bereits
wissen, eine begründete Abneigung gegen die Abwesenheit
von Rom; er trat seine reiche und gefahrlose Provinz um
so lieber an Antonius ab, als er hoffen durfte, dadurch den
verschuldeten Kollegen aus den Schlingen seines bisherigen
Freundes Catilina zu befreien. Diese Berechnung erwies
Aly, Cicero. 4
— 50 —
sich als richtig. Aber einer Anklage ist Cicero auch bei
diesem Schritt nicht entgangen. Es finden sich in einigen
seiner Briefe geheimnisvolle Hinweise auf eine Persönlichkeit,
die er Teukris nennt; diese hat gewisse Verbindlichkeiten
gegen Cicero übernommen, die nach mancherlei Ränken im
Februar 61 erledigt werden. Daneben finden sich Stellen,
in welchen des Prokonsuls Antonius gedacht wird, der das
schändliche Gerücht aussprenge, er müsse deshalb so viel
Geld aus Macedonien herausschlagen, weil er Cicero ein gut
Teil abzugeben habe. Teukris und Antonius sollen identisch
sein, eine Vermutung, die allerdings nicht unwahrscheinlich
erscheint. Immerhin war dies Abkommen, wenn es wirklich
getroffen ist, nach der damaligen Sitte weder ungewöhnlich
noch unerlaubt. Die Provinzialstatthalter hatten, auch wenn
sie streng auf dem Wege des Rechtes blieben, eine beträcht-
liche Einnahme aus allerlei Lieferungen und Geschenken der
Provinzialen zu erwarten, und es ist nicht undenkbar, dafs
Cicero, der in nicht glänzenden Verhältnissen lebte, auf
einen Teil dieser berechtigten Einnahme nicht verzichten zu
müssen glaubte. Das patriotische Opfer war allerdings unter
dieser Voraussetzung ein mäfsiges zu nennen.
Der neue Konsul hatte gleich bei Übernahme seines
Amtes, am 1. Januar 63, eine wichtige Aufgabe zu erfüllen
und damit seinen politischen Standpunkt zu kennzeichnen.
Man hat hier eine Fahnenflucht Ciceros, einen Übergang
von der demokratischen zur Senatspartei feststellen wollen,
eine Annahme, die schon nach den bisherigen Ausführungen
nicht stichhaltig sein kann. Cicero ist niemals ein ge-
schworener Anhänger der Volkspartei gewesen, wie er über-
haupt kein Politiker von Beruf und Neigung war. Er ist
allerdings aufwärts gestiegen im Kampfe gegen die Aus-
wüchse des Senatsregimentes, wie sie sich namentlich in
C. Verres zur Schau stellten. Aber von der planvollen Be-
folgung eines Parteiprogramms ist bei Cicero ebensowenig
etwas zu spüren, wie bei einem seiner hervorragenden Zeit-
— 51 —
genossen. Die durch die Verderbtheit der Regierenden wie
der Regierten herbeigeführte Zersetzung der politischen Ver-
hältnisse hatte eine Politik der Selbstsucht begründet, der
Pompejus, Cäsar, Catilina in gleicher Weise huldigten, wie
die Führer der Senatspartei. Dabei läfst sich gerade Cicero
nicht als jeglicher „Einsicht, Ansicht und Absicht" bar hin-
stellen. Schon in der Pompejana hat er eine Art von
Programm angedeutet, wenn er den wohlhabenden Mittel-
stand, den ordo equester, dem er selbst entstammte, mit
dem Amtsadel versöhnen und so ein Bollwerk der Ordnung
gegenüber den heranstürmenden Wogen der demagogischen
Anarchie schaffen wollte. Es war natürlich, dafs die welt-
erschüttemden Pläne Catilinas den leitenden Staatsmann noch
mehr nach rechte drängten. Vorläufig erfolgte der Ansturm
von einer anderen Seite in Form eines Ackergesetzes, welches
der Volkstribun P. Servilius Rullus beantragte.
Die Einbringung einer lex agraria bedeutete für Rom
stets den Anbruch unruhiger Zeiten. Zwar wird kein Urteils-
fähiger leugnen, daJfe eine Verpflanzung des verarmten und
verlotterten Stadtvolks, der faex Romuli, wie es Cicero treffend
nennt, in auskömmlich dotierte Bauernhöfe eine überaus wohl-
thätige Mafsregel gewesen wäre. Aber die Ausführung stiefs
jedesmal auf zahllose Schwierigkeiten, verletzte berechtigte
Interessen und gefährdete durch die unerlälsliche Machtvoll-
kommenheit der einzusetzenden Kommission den Bestand des
Freistaates. Alles Mafs überschritten die Vorschläge des
Rullus, der einem von 17 ausgelosten Tribus erwählten
Zehnerausschufs nicht nur in feierlichster Weise militärische
Gewalt (Imperium), sondern auch die Befugnis zuerkannt
wissen wollten, zu verkaufen und zu kaufen, was ihm gut
schien, und dadurch die Finanzen des Staates heillos zu
verwirren. Am Neujahrstag ergriff der Konsul Cicero im
Senate das Wort gegen den Antrag; weit bedeutender ist
die Rede, die er nach wenigen Tagen vor dem Volke hielt.
Er benutzte die Gelegenheit, für die überaus glänzende Wahl
— 52 —
seinen Dank abzustatten nnd der Nobilität noch einmal
allerlei Anzüglichkeiten zu sagen; er versprach, als Yolks-
tümlicher Konsul für Frieden, Freiheit und Ruhe sorgen
zu wollen mit deutlichem Hinweis auf die im Dunkeln
schleichenden Umsturzbewegungen. Dann wandte er sich
gegen das Ackergesetz nicht als solches, sondern in Rück-
sicht auf seine ziel- und mafslosen Bestimmungen. Er be-
mängelte mit Recht die dem Herkommen widersprechende
Wahl der Decemvim, sowie ihre allumfassende und für den
Antragsteller zurecht geschnittene Kompetenz. Da zu diesem
Zweck sogar die wesenlos gewordenen Curiatcomitien wieder
in Thätigkeit treten sollen, so hat Cicero nicht ganz unrecht,
wenn er von der Königsgewalt dieser Decemvim spricht.
Die in Aussicht genommenen Verkäufe von Staatsländereien
werden durchgesprochen, nicht minder die Ankäufe und
Ackeranweisungen. Hierbei widerfährt es dem Redner, dafs
er dem demagogischen Tribunen mit gleicher Münze zahlt,
wenn er das aufgestachelte Volk auf seinen vermeintlichen
Wohlthäter hetzt; es sollte sich lieber, wie bisher, der
hauptstädtischen Genüsse erfreuen, als in irgend eine Einöde
auswandern. Übrigens werde nicht einmal allen der Vorteil
der Güterkäufe zu gute kommen, sondern den Frechsten, die
in Campanien zur Verwendung für künftige Unruhen an-
gesiedelt werden würden.
Aufser dieser längeren Rede besitzen wir noch eine
kurze Ansprache an das Volk, welche den 40. Paragraph
des Antrages, betreffend die aus der suUanischen Zeit
stammenden Besitztitel, behandelt, während eine vierte,
gleichfalls kurze Rede verloren gegangen ist. Durch diese
Reden wurde das Ackergesetz, zumal von tribunicischer
Seite Einspruch erhoben ward, zu Falle gebracht, ein
Ergebnis, das nur Übelwollen bemängeln kann; der Antrag
verdiente kein besseres Los.
In dem Briefe, in dem Cicero seine 10 konsularischen
Reden aufzählt, steht an dritter Stelle die „über Otho"
— 53 —
gehaltene. Plutarch berichtet uns hiervon als von einem
glänzenden Beweise für die Macht der menschlichen Rede.
Bereits vor drei Jahren hatte die lex Roscia des damaligen
Prätors L. Roscius Otho, deren auch Horaz gedenkt, dem
ordo equester einen vom Volke gesonderten Sitz im Theater
hinter den Bänken der Senatoren eingeräumt, ohne Wider-
spruch zu finden. Wenn daher jetzt erst eine Demonstration
des Volkes gegen Otho im Theater stattfand, so lag offenbar
eine Anstiftung derer zu Grunde, die es liebten, die Geister
zu erhitzen, um desto besser im Trüben zu fischen. Der
Konsul Cicero soll das erregte Volk aufs Marsfeld in den
Tempel der Kriegsgöttin Bellona entboten und daselbst
durch eine Ansprache vollständig beruhigt haben.
Aber auch Gerichtsreden hat Cicero wahrend seines
Konsulats gehalten; wir besitzen noch die Rede fdr den
Hochverräter C. Rabirius (zu unterscheiden von einem gleich-
namigen Postumus). Auch diese Sache war politischen Ur-
sprungs. Nach 36 Jahren wurde der bejahrte Senator Rabirius
von dem Volkstribunen Labienus der Ermordung des Auf-
rührers L. Satuminus angeklagt; es war wiederum ein Vor-
stofs der Volkspartei gegen den Senat. Mit Hortensius trat
Cicero für den Beklagten ein, indem er vor den Centuriat-
comitien die Rechtmäfsigkeit jener Blutthat nachzuweisen
versuchte. Er machte indes mit seiner Rede, die an allerlei
juristischen Schwierigkeiten überreich ist, so wenig Eindruck,
dafs er zu einem wunderlich altmodischen Mittel griff. Auf
sein Geheifs zog der Prätor Metellus die auf dem Janiculus
aufgesteckte Fahne ein, ein Zeichen, durch welches vor
alters dem Kleinstaat das Herannahen feindlicher Scharen
angekündigt wurde.
Ebendenselben Zwecken diente die Rede fiir C. Piso,
deren Cicero übrigens kaum gedenkt; auch hier sollte die
Senatspartei, nicht der einzelne durch die Anklage getroffen
werden. Es ist nicht unwahrscheinlich, dafs Cäsar der Mittel-
punkt war, von dem aus die Stölse auf das herrschende
— 54 —
Senatsregiment geführt wurden. Immer mehr verwuchs der
Konsul mit seinen neuen Standesgenossen, teils durch die
Gewalt der Umstände, teils durch eigene Denkungsart ge-
trieben. Er sollte gar bald, und zwar wiederum auf Cäsars
Veranlassung, Gelegenheit haben, seine staatserhaltende Festig-
keit durch eine neue Probe zu erhärten. Es handelte sich um
einen Antrag, die bürgerlichen Ehren und politischen Rechte,
die Sullas Verordnungen den Söhnen der Geächteten ge-
nommen hatten, wiederherzustellen. Wir wissen von der
bezOglichen Rede Ciceros wenig; er sprach sich gegen den
Antrag aus, weil durch den Eintritt der Genannten in die
Beamtung die ärgsten Erschütterungen heraufbeschworen
würden, und drang mit seiner Ansicht durck Seine Rede
soll nach einem Zeugnis des älteren Plinius so hinreifsend
gewesen sein, dafs die Antragsteller selbst beschämt zurück-
getreten seien.
In einer sechsten Rede verzichtete Cicero auf die ihin
zugefallene Proyinz Gallien, nachdem er schon vorher Mace-
donien seinem Amtsgenossen abgetreten hatte. Von seiner
sonstigen Thätigkeit wird namentlich berichtet, dafs sie sich
auf eine Verschärfung der Strafbestimmungen für Wahl-
umtriebe bezogen habe. Diese lex de ambitu, welche in
erster Linie auf Catilina, dann aber auch auf Cäsar gemünzt
war, setzte 10 Jahre Verbannung für den Verurteilten fest.
Die übrigen vier Reden sind die berühmten Catilinarien,
über deren Anlafs im Zusammenhang mit den Zeitverhält-
nissen berichtet werden mufs.
Seit Monaten lastete auf der Hauptstadt, wie dn Alp,
das drohende Gespenst der anarchistischen Verschwöruijg.
Nachdem zu wiederholten Malen Catilinas Anschläge durch
äufsere Hindemisse vereitelt waren, setzte dieser seine ganze
Hoffiiung auf die Konsularcomitien des Jahres 63. Eine
Reihe von vorbereitenden Ma&r^eln war bereits getroffen;
insbesondere sammelte ein erprobter Kriegsmann C. ManHus
aus den Veteranen Sullas und allerlei verzweifeltem Gesindel
— 55 -
im Norden Etruriens ein Heer. Am Wahltag selbst, der
infolge der hauptstädtischen Unruhen vom Juli bis in den
Oktober verschoben war, sollte der Hauptschlag fallen. Aber
der persönlich bedrohte Konsul Cicero, dem die ganze Last
der Regierungsgeschäfte oblag, war gewarnt und dement-
sprechend vorbereitet. Bereits zu Anfang seines Konsulats
scheint eine gewisse Fulvia das ihr von Q. Curius, einem
vornehmen, aber verkommenen Manne, ausgeplauderte Ge-
heimnis der Verschwörung an Cicero verraten zu haben.
Mit grofsem Eifer und anerkennenswertem Geschick ver-
folgte dieser von nun an die Pläne der Verschwörer. Er
liefs sich regelmäfsig von seiner Spionin berichten und traf
die zweckentsprechenden Sicherheitsmafsregek. Man hat ihm
vorgeworfen, dafs er erst so spät eingegriffen und namentlich
Catilinas Festnahme verabsäumt habe. Es ist darauf zu er-
widern, dafs die Verschwörung zu viele Kreise bereits in
Mitleidenschaft gezogen hatte, wie es denn nicht hinlänglich
widerlegt ist, dafs sogar Männer wie Crassus und Cäsar um
jene Pläne gewufst haben. Da es sich um so vornehme
Männer handelte, war äufserste Vorsicht geboten. Nur offen-
kundige Beweise konnten einen vernichtenden Schlag recht-
fertigen. Der thatsächliche Verlauf hat Ciceros Verfahren
glänzend gerechtfertigt. Erst durch Catilinas Abreise wurden
die wirklichen Teilnehmer von den geheimen Gönnern ge-
schieden; erst durch die Festsetzung seiner Genossen ward
der Schaden gründlich beseitigt.
Am 20. Oktober 63, also noch vor der Wahl, erstattete
der Konsul Cicero zum erstenmal in Catilinas Gegenwart dem
Senat Bericht über die zu seiner Kenntnis gekommenen Um-
triebe, ohne seine Quellen zu nennen. Demzufolge erkannte
der Senat am nächsten Tage den KonsuM, Prätoren und
übrigen Beamten in gewohnter Weise die Vollmacht zu,
Vorkehrungen für die Sicherheit des Staates zu treffen.
Am 28. desselben Monats fand die Wahl statt, die mit
einer vollständigen Niederlage Catilinas endigte. Nicht nur
— 56 —
mifslang die geplante Ermordung des Konsuls dank seiner
zahlreichen, gut bewaffiieten Gefolgschaft, sondern es wurden
auch zwei Männer der Senatspartei, D. Junius Silanus und
L. Licinius Murena, zu Konsuln gewählt. Alles dies stachelte
Catilina zu noch schärferem Vorgehen an. Schon hatte sein
Lieutenant Manlius die Fahne des Aufruhrs oiBFen erhoben
und forderte durch eine ziemlich unschuldig klingende Pro-
klamation zum Anschlufs auf. Die Zeit drängte, da die
Rückkehr des siegreichen Pompejus aus Asien nahe bevor-
stand. Nun glaubte auch Catilina seine Zeit gekonmien.
Bevor er zu seinem Heere abging, versammelte er in der
Nacht vom 6. zum 7. November die Häupter seiner Genossen
im Hause des M. Porcius Läca; unter heftigen Scheltreden
auf ihre Feigheit legte er die günstige Lage der Verhältnisse
dar und forderte vor seiner Abreise wenigstens die Ermordung
des ihm so unbequemen Cicero. Wirklich erboten sich zwei
angesehene Männer zu dieser Schandthat. Aber Cicero war
wiederum gewarnt und gerüstet. Als die Mörder des Morgens
zurBegrüfsung erschienen, wurden sie von zahlreichen Wachen
zurückgewiesen. Darauf berief der Konsul den Senat in den
Tempel des Jupiter Stator, nachdem schon vorher auf seinen
Antrag militärische Vorbereitungen gegen den um Fäsulä
sich ausbreitenden Aufstand getroffen waren. Als dennoch
Catilina nicht Anstand nahm, in der Senatssitzung zu er-
scheinen, brach Cicero los und bewies in seiner ersten Biede,
dafs er von allen seinen Plänen volle und genaue Kenntnis
habe. Auch seiner früheren Anschläge gedachte er. Die
Rede gipfelte in dem Rat, er möchte Rom so schnell als
möglich verlassen, damit sich die Schlechten von den Guten
schieden; so nur könne die Wurzel und der Samen des
Unheils ausgerottet werden. Die Rede hatte den gewünschten
Erfolg. Nachdem Catilina einige wilde Drohungen aus-
gestofsen hatte, stürzte er aus der Sitzung, von allen ge-
mieden, auch scheinbar von seinen geheimen Gönnern, und
verliefs noch an demselben Tage die Stadt. Am 9. November
— 57 —
teilte der Konsul das erfreuliche Ereignis in seiner zweiten
Rede dem Volke mit, indem er sein Verfahren rechtfertigte.
Zugleich beruhigte er die geängstete Bürgerschaft mit dem
Hinweis auf die getrolBFenen Mafsregeln und warnte nach-
drücklich die in der Stadt zurückgebliebenen Verschworenen
vor weiteren Unternehmungen; am liebsten hätte er sie
ihrem Herrn und Meister nachgesandt. Aber diese Freude
sollte ihm nicht zu teil werden. Um so bewundernswerter
ist die Seelenruhe, mit der Cicero in der Zwischenzeit den
designierten Konsul Murena gegen die Anklage auf Wahl-
umtriebe verteidigte; wir kommen auf diese Rede später
zurück.
Inzwischen gingen die Verschworenen ungeschreckt ihren
unheimlichen Weg, aber ohne die Klugheit ihres abwesenden
Führers. Die Leitung hatten der vornehme Wüstling P. Cor-
nelius Lentulus Sura, der sich als einem dritten Comelier die
Herrschaft in Rom prophezeien liefs, der verwegene C. Cor-
nelius Cethegus, der träge L. Cassius Longinus und andere
dii minorum gentium. Man einigte sich über einen Operations-
plan, der am 19. Dezember nachts ausgeführt werden sollte:
der eine sollte die Stadt an allen Ecken in Brand stecken,
der andere Cicero ermorden, die Haussöhne sollten ihre Väter
töten; unter solchen Brand- und Mordthaten würde man sich
leicht durchschlagen und mit Catilinas anrlickenden Scharen
vereinigen. Da gab ein unbedachter Anschlag des Lentulus
die Verschworenen in die Hand des pflichteifrigen Konsuls.
Durch einen gewissen Umbrenus verhandelt man mit den
Gesandten der gallischen Völkerschaft der AUobrogen, welche
damals gerade in Rom weilten, um eine Steuererleichterung
nachzusuchen. Die unentschlossenen Fremden vertrauten sich
ihrem Patrone Q. Fabius Sanga an, und dieser hatte nichts
Eiligeres zu thun, als dem Konsul Meldung zu machen.
Nun galt es, die Schlinge zu legen. Auf Ciceros Anstiften
forderten die Gesandten von den Häuptern der Verschwörung
eine schriftliche Zusicherung ihrer Verheifsungen. Mit un-
— 58 —
glaublicher Arglosigkeit gingen Lentulus und Cethegus, sowie
Statilius und öabinius in die Falle. Die Allobrogen erhielten
zugleich den Auftrag, auf ihrer Rückreise unter Führung
eines T. Volturcius Catilina in Fäsulä aufzusuchen. Von
allem unterrichtet, traf Cicero seine Anstalten mit Umsicht
und Klugheit. Die Prätoren L. Flaccus " und C. Pomptinus
überfielen an der mulvischen Brücke in der Nacht vom
2. zum 3. Dezember die Gallier und setzten sie fest. Darauf
beschied Cicero die Häupter der Verschwörung zu sich und
nahm sie gefangen. Das Verhör fand vor dem sofort be-
rufenen Senate statt, vor den Lentulus, Cethegus, Statilius,
Gabinius und Cäparius gestellt wurden. Nachdem dem Vol-
turcius als Angeber und den Allobrogen Straflosigkeit zu-
gesichert war, hielt es nicht schwer, die Beklagten mit
Hülfe ihrer eigenen Handschrift zu überführen. Der Senat
beschlofs ihre Festhaltung, nachdem Lentulus die Prätur
niedergelegt hatte, und verordnete auch die Verhaftung von
vier anderen flüchtig gewordenen Führern. Am Abend des-
selben Tages verkündigte Cicero in seiner dritten Rede die
Ereignisse des Tages und erweckte dadurch hellen Jubel:
„Dafs der Staat, ihr Römer, und euer aller Leben, eure
Güter, Vermögen, Frauen und Kinder und dieser Sitz des
berühmtesten Reiches, die so beglückte, schöne Hauptstadt
heute, dank der Liebe der Götter zu euch, dank meinen
Mühen, Plänen und Gefahren, der Flamme und dem Schwerte
und fast dem Rachen des Geschicks entrissen und so erhalten
sind, das seht ihr." Cicero feierte an diesem Abend einen
schönen, wohlverdienten Triumph. Aber die schwerste Ent-
scheidung stand noch bevor, die Bestrafung der fünf Hoch-
verräter. Da Gerüchte über bevorstehende Erhebungen sich
verbreiteten, traf Cicero die umfassendsten Malsregeln und
berief am 5. Dezember den Senat, um das Urteil zu finden,
in den wohl geschützten Tempel der Eintracht. Es war
nicht eben leicht, aus der Fülle der Schwierigkeiten einen
Ausweg zu finden. Auf der einen Seite lag die Gefahr
— 59 —
nahe, dafs ein Aufstand der unzufriedenen Volkselemente die
Gefangenen befreien und alles mit Mord und Brand erfüllen
würde, auf der anderen Seite stand es dem Senate nicht zu,
ein Todesurteil über einen römischen Bürger zu fällen, was
nur in Centuriatcomitien geschehen durfte. Der zuerst um
seine Meinung befragte zukünftige Konsul stimmte für den
Tod und ebenso eine Reihe von Senatoren, bis Cäsar in
einer Rede, deren Gedankengang Sallust aufbewahrt hat,
vor der Ungesetzlichkeit des Urteils warnte und ewige Haft
nebst Einziehung des Vermögens beantragte. Bald dai'auf
ergriff der Konsul Cicero das Wort, um in seiner vierten
Rede die stutzig gewordenen Senatoren zu ermutigen und
seine Bereitwilligkeit zur Ausführung jedes Beschlusses zu
versichern. Der Redner verkannte nicht die Gefahren, welche
in dem Bruch mit dem Herkommen lagen, er glaubte sie
aber mit der Notlage des Staates entschuldigen zu können.
Es ist nicht unwahrscheinlich, dafs diese Rede nicht so
umfangreich gehalten ist, wie sie uns heute vorliegt. Den
Ausschlag gab erst M. Porcius Cato, der mit solcher Kraft
und Entschiedenheit die sofortige Ahndung verlangte, dafs
der Senat ihm freudig zustimmte, während die wachhabenden
Bürger Cäsar mit ihren Schwertern bedrohten. Noch an dem-
selben Tage wurde das Urteil vollzogen. Der Konsul führte
Lentulus mit starker Bedeckung, andere die übrigen Ver-
schwörer über den Markt nach dem Tullianum, wo die
Verurteilten von den mit der Ausfuhrung der Hinrichtungen
betrauten Dreimännern empfangen und dem Henker zur Er-
drosselung übergeben wurden. Nach Vollzug der Exekution
rief der Konsul der harrenden Menge mit lauter Stimme zu:
Sie haben gelebt! Ein unermeMicher Jubel bemächtigte sich
des Volkes, das nun erst sich gänzlich von der drohenden
Gefahr befreit sah. Im Triumph wurde der Konsul nadi
Hause geleitet, während ihn Cato durch den Titel „Vater
des Vateriandes" ehrte. Damit war für Rom die Sache
abgethan. Catilina erlag im nächsten Jahre mit seinen
— 60 —
Scharen der anrückenden Übermacht bei Pistoria nach
tapferem Kampfe.
Die Nonen des Dezembers spielen in Ciceros Lebens-
geschichte eine grofse Rolle. Während er selbst an diesem
Tage den Gipfel seines Ruhms erklommen zu haben glaubte,
erwuchsen ihm gerade hieraus die schwersten Gefahren, die
traurigsten Stunden. Es war sein Unglück, dafs er durch
die Gunst der Umstände in dem Wahne bestärkt wurde,
zum Staatsmann berufen zu sein, während doch seine wahre
Bedeutung, sein dauernder Ruhm auf einem ganz andern
Felde lag. Immerhin hat er sich durch die umsichtige Ent-
deckung und thatkräftige Niederwerfung der Verschwörung
ein unleugbar grofses Verdienst um den Staat erworben,
und es ist unbillig, ihm diesen Ruhm verkleinem zu woUen.
Man hält sich mit Vorliebe an die gesetzwidrige Hinrichtung
der Catiünarier. Aber wie liegt doch die Sache? Verdient
hatten jene verlotterten Hochverräter den Tod ohne allen
Zweifel, und nur offenbare Böswilligkeit kann die „Erwürgten"
bedauern. Eine andere Frage war es, ob es die Not gebot,
das Gesetz zeitweilig aulser Kraft zu setzen. Wir wissen
aus der neuesten Geschichte, dafs eine formelle Rechts-
verletzung das gröfste Verdienst sein kann, das sich ein
grofser Staatsmann um die öffentliche Wohlfahrt erwirbt.
Leider war Cicero nicht der Mann, das unter seiner Leitung
unternommene Wagnis kühn zu vertreten. Was die Nach-
welt einem Cäsar verzeiht, das hält sie einem Cicero nicht
zu gute, zumal letzterer sich der Nonen des Dezember öfter
berühmte, als es der gute Geschmack und der Anstand
erlaubten.
Wir haben noch nachträglich der für Murena gehaltenen
Verteidigungsrede zu gedenken, die in ihrem heiteren Humor
scharf absticht gegen die pathetischen Ausführungen der
gleichzeitigen Catilinarien. Dem Beklagten standen drei
hervorragende Anwälte zur Seite. Nachdem Q. Hortensius
und M. Crassus die Einzelheiten der Anklage widerlegt
— 61 —
hatten, ergrilBF nach seiner Gewohnheit zum Schlufs Cicero
das Wort, um die moralische Autorität der hochangesehenen
Kläger, des Rechtsgelehrten S. Sulpicius Rufus und des un-
beugsamen Stoikers Cato, abzuschwächen, während zwei andere
Ankläger nicht in Betracht kamen. Er begann mit einer
Erklärung, warum gerade er die Verteidigung übernommen,
obgleich er doch das Gesetz gegen Wahlumtriebe zustande
gebracht habe. Dann erörtert er zuerst die gegen das Vor-
leben Murenas gerichteten Vorwürfe, wobei er mit über-
legenem Humor eine ergötzliche Parallele zieht zwischen
dem bescheidenen Stubenleben des stockgelehrten Juristen
Sulpicius und dem frischen, fröhlichen Soldatenleben Murenas;
er versagt es sich nicht, die Silbenstecherei und das Formel-
wesen der Juristen zum Gaudium der Hörer durchzuhecheln.
Darauf beweist er, warum Murena dem Sulpicius bei der
Wahl den Rang abgelaufen habe. Endlich wendet er sich
zur eigentlichen Klage, wobei eine Reihe von Ausfuhrungen
uns vorenthalten ist. Der Rest beschäftigt sich in ebenso
gutmütig spottender Weise mit der hochachtbaren Person
Catos, wie vorhin mit der Weisheit des Sulpicius. „Es war
einmal ein höchst geistreicher Mann, Namens Zeno, dessen
Nachbeter Stoiker genannt werden. Ihre Lehren sind un-
gefähr folgende" — und nun werden jene bekannten 7taQäöo§a
citiert, die allerdings in dieser Zusammenhangslosigkeit auf
die Lachmuskeln der Hörer einen unwiderstehlichen Eindruck
machen mufsten. Endlich kommen die einzelnen Punkte an
die Reihe, die gemietete Gefolgschaft, die Frühstücksmahle
und was sonst den Wahlpöbel anlockte und noch heute an-
lockt. OiBFenbar war Murena nicht unbeteiligt an derartigen
Wahlmanövem. Aber andere waren es auch nicht, und vor
allem sein Kollege Silanus, der nur deshalb verschont wurde,
weil er Catos Verwandter war. Es hat sicherlich schlimmere
Amtsbewerber gegeben. Zum Schlufs erhob sich der Redner
zu vollem Ernst und forderte unter Benutzung des üblichen
Rührapparats aus politischen Gründen die Freisprechung des
— 62 --
Angeklagten. Die Richter kamen aus ebendiesem Grunde
seinem Verlangen nach. Es ist sehr billig, sub specie aetemi,
d. h. von einem erhabenen Sittlichkeitsstandpunkt aus, diese
Verteidigungsrede zu verdammen; ein billiger Menschenkenner
wird die Zeit Verhältnisse berücksichtigen und sich der liebens-
würdigen und interessanten Leistung eines Mannes freuen, der
gerade damals täglich und stündlich von den schwersten
Gefahren für Leib und Leben bedroht war.
Das Amtsjahr nahte seinem Ende. Es sind uns noch
allerlei Andeutungen über wichtigere Amtshandlungen des
Konsuls Cicero überkommen; doch genügen diese kaum, um
ein deutliches Bild zu entwerfen. Der letzte Tag zeigte
deutlich, welchen Gefahren Cicero entgegenging. Als er nach
altem Brauche sich in einer Rede vom Volke verabschieden
wollte, verhinderte ihn der als Günstling des Pompejus be-
kannte Volkstribun Q. Metellus Nepos am Reden, da er
ohne Verhör Bürger getötet habe; nur den Eid erlaubte er
ihm. Da schwur Cicero mit lauter Stimme, dafs er den
Staat und die Stadt gerettet habe, und alles Volk jauchzte
ihm Beifall und begleitete ihn in grofser Anzahl nach Hause.
Zwar hatte Cicero nichts ohne Zustimmung des Senats und
Billigung des Volkes gethan, er hatte die Eintracht der
Stände gefördert, wo er nur konnte; aber dennoch sollte
ihm die traurige Erfahrung nicht erspart bleiben, dafs in
eisernen Zeiten nur die zähe Thatkraft des echten Staats-
manns obsiegt, nicht die wohlmeinende Vaterlandsliebe des
feingebildeten Redners.
Kapitel 8.
Die Yerbannnng.
Das Jahr 62 begann so trübe, wie das verflossene ge-
endet hatte. Der Geschäftsflihrer des abwesenden Pompejus,
— 63 —
der Volkstribun Metellus Nepos, unteriiefs es nicht, bei jeder
Gelegenheit im Senate und vor dem Volke den Unterdrücker
der catilinarischen Verschwörung anzugreifen. Ihm entgegnete
Cicero nicht minder heftig, besonders in der uns nicht er-
haltenen Metellina. Gerade der Widerspruch, die ungerechte
Herabsetzung seines thatsächlichen Verdienstes verklärte ihm
immer mehr die jüngste Vergangenheit, so dals er sich
schliefslich in einen wahren Fanatismus der Selbstverherr-
lichung hineinredete und hineinschrieb. Er richtete ein aus-
führliches Sendschreiben an Pompejus, dem er als einem
zweiten Scipio sich selbst als einen zweiten Lälius empfahl,
erhielt aber nur eine kühle, abweisende Antwort. Je mehr
ihm so das verdiente Lob vorenthalten wurde, um so eifriger
warf er sich als den Herold seiner eigenen Thaten auf und
verkündigte in lateinischer und griechischer Sprache, in
gebundener und ungebundener Rede die Ereignisse seines
Konsulats. Kein Feind verstand seinen Ruhm so schwer
zu schädigen, wie er sich selbst durch dieses grenzen-
lose Selbstlob geschadet hat. Glücklicherweise sind nur
wenige Bruchstücke dieser Panegyrici auf uns gekommen;
doch verraten auch diese, dafs Cicero so wenig Dichter, wie
Staatsmann war. Und doch wäre es unbillig, wegen dieser
Schwäche, die kein Verständiger leugnen wird, über ihn
den Stab zu brechen. Der vom Glück namenlos begünstigte
und weit über die Grenzen seiner Begabung hinausgehobene
Mann konnte es nicht fassen, dafs es nicht immer so blieb.
Da er fühlte, dafs es mit ihm in politischer Hinsicht wieder
bergab gehe, klammerte er sich, in thörichter Verkennung
seiner wahren Bedeutung, an das, wie er meinte, schönste
Jahr seines Lebens und vergoldete sich die trübe .Gegenwart
mit dem künstlich erhöhten Glanz der Vergangenheit. Alles
verstehen heifst viel vergeben.
Während Curie und Forum von dem Getöse der Redner,
aber auch von dem Waffenklirren bewafl&ieter Banden wider-
hallten, nahm Cicero die niemals gänzlich unterbrochene
— 64 —
Gerichtsthätigkeit wieder auf. Wie auf alle inneren Unruhen,
so folgte auf die catilinarische Verschwörung eine Reihe
von politischen Prozessen, in denen strebsame Anfönger als
Ankläger ihre Sporen zu verdienen suchten» Cicero sah
sich veranlafst, im Bunde mit seinem alten Nebenbuhler
Hortensius dem ihm befreundeten P. Cornelius Sulla seinen
Beistand zu leihen, wie es scheint, weil er sich von jenem
die Summe Geldes leihen wollte, deren er zum Ankauf eines
Hauses auf dem Palatinus bedurfte. Diese Bereitwilligkeit
würde Cicero schwer kompromittieren, wenn Sulla wirklich
ein Mitglied der Verschwörung gewesen wäre. Indessen
darf diese Annahme auf Grund der Angaben Sallusts als
haltlos zurückgewiesen werden; war auch Sulla dem Unter-
nehmen Catilinas nicht gänzlich fremd, wie etwa auch
Crassus und Cäsar hierfür anzusprechen sind, so kann er
doch unmöglich als ein wirklicher Verschwörer bezeichnet
werden. Die Verteidigungsrede bezeugt die hohe Kunst des
Verfassers. Nachdem Hortensius die angebliche Beteiligung
an der ersten Verschwörung zurückgewiesen hatte, erörterte
Cicero das Verhältnis seines Klienten zur zweiten Unter-
nehmung Catilinas. Er beginnt mit einer Entschuldigung
und Erklärung seines Entschlusses, Sulla zu verteidigen,
indem er darauf hinweist, dafs er andere Gesuche, wie das
des Autronius, abgewiesen habe. Er verteidigt sich geschickt
und würdevoll gegen die heftigen Angriffe seines Gegners,
des jungen Torquatus, der ihm seine fast königliche Gewalt
über die Gemüter der Richter vorgeworfen hatte. Bei dieser
Gelegenheit erzählt er die Entdeckung der Verschwörung.
Nun folgt abweichend von dem Brauch die Widerlegung
der einzelnen Klagepunkte. Geschickt verwendet Cicero den
Aufenthalt Sullas in Neapel als Alibi-Beweis; er ist im
entscheidenden Augenblick gar nicht in Rom gewesen. Das
Zeugnis der Allobrogen wird verdächtigt, die Anwerbung
von Fechtern und andere belastenden Momente, werden, wie
es scheint, hinreichend erklärt. An zweiter Stelle folgt erst
— 65 —
der Beweis aus dem Vorleben, das der Redner deshalb ans
Ende gestellt hat, weil es sich vorteilhaft gegen das wüste
Treiben des Lentulus und seiner Genossen abhob. In der
Schlufsrede appelliert der Redner wie gewöhnlich an das
Gefühl der Richter unter Hinweis auf den kleinen Sohn
des Beklagten und f&hrt dabei auch seine Auktorität ge-
bührend ins Feld. - Sulla wurde freigesprochen. Die Wahrheit
fordert festzustellen, dafs sich Cicero später bei der Nachricht
von dem Tode seines einstigen Klienten sehr ungünstig
über seine Habgier äufserte, die er bei Versteigerungen
eingezogener Güter zu befriedigen gepflegt habe.
In dasselbe Jahr Mit die kleine, aber höchst interessante
Verteidigungsrede fiir den Dichter A. Licinius Archias, der
wegen Erschleichung des Bürgerrechts vor dem Prätor
Q. Cicero sich rechtfertigen mufete. Der Verteidiger be-
schäftigt sich in der mit Unrecht angezweifelten Rede weniger
mit der Streitfrage selbst, die übrigens nicht unschwer fest-
zustellen war, als mit dem Lobe der schönen Künste im
allgemeinen und der Dichtkunst im besondem. Nicht ohne
innere Teilnahme lesen wir noch heute die klangvollen,
ewig wahren Worte von dem unvergänglichen Wert höherer
Geistesbildung. „Diese Studien nähren die Jugend, erfreuen
das Alter, verschönen das Glück, trösten im Unglück, er-
götzen daheim, behindern nicht draufsen, übernachten mit
uns, gehen in die Feme, aufs Land.^^ Etwas Jugendliches,
Frisches li^ in der Rede, besonders dort, wo sie fast naiv
den angeborenen Ehi^eiz eingesteht. Ist auch diese Rücksicht
auf den Nachruhm vom Standpunkt einer höheren Sittlichkeit
aus nicht das allein mafsgebende Motiv zum ehrenhaften
Handeln, so ist es doch ohne Zweifel ein berechtigter Faktor
im Seelenleben des Menschen, zumal in dem des Jünglings;
denn bekanntlich schrieben, wie Cicero witzig bemerkt, die
Philosophen, welche über die Verachtung des Ruhmes Schriften
verfalsten, vorsichtigerweise ihre Namen auf die betreflPenden
Bücher.
Aly, Cicero. 5
— 66 —
In den Ausgang des Jahres 62 fiel ein Ereignis, das
von den schwer^egendsten Polgen flir Cicero gew^n ist.
Am Feste der Bona Dea, welches nach altem Brauch aus-
schliefslich von Frauen im Hause des Pontifex maximus
C. Cäsar gefeiert wurde, ward zur Nachtzeit einer der
schlimmsten Wüstlinge Roms, der designierte Quästor P. Glodius
Pulcher, ertappt, der, wie man sagte, ein ehebrecherisches
Verhältnis zur Gattin Cäsars unterhielt. Dieser Skandal er-
regte, da der Ertappte noch schlimmere Sünden auf dem
Kerbholz hatte, das grölste Aufsehen. Nicht nur sandte
Cäsar seiner Frau den Scheidebrief, sondern auch der Senat
nahm sich der Sache an und beschlofs, nachdem die Pontifices
den Gottesfrevel festgestellt hatten, eine gerichtliche Unter-
suchung.
Zu Anfang des Jahres 61 kehrte Cn. Pompejus nach
fast sechsjähriger Abwesenheit aus Asien zurück, mit einer
derartigen Fülle von Macht ausgerüstet, dafs es ihm möglich
gewesen wäre, nach der Krone zu greifen. Dem ehrgeizigen
Manne fehlte zwar nicht der sehnsüchtige Wunsch, wohl
aber die Kraft des Entschlusses. In Brundisium entliefs er
sein sieggewohntes Heer, um in Rom nach dem Herkommen
die Bewilligung eines Triumphes nachzusuchen, zugleich aber
auch die Belohnung seiner Soldaten und die Bestätigung der
von ihm in Asien getroffenen Anordnungen. Nur zu bald
sollte er merken, dals er die Macht aus den Händen gegeben
hatte. Während Cicero vergeblich zu vermitteln trachtete,
trat die Mehrheit des Senats unter Führung des mit Pom-
pejus verfeindeten Lucullus und des unbeugsamen Cato dem
einst so mächtigen Manne energisch entgegen. Die stürmi-
schen Verhandlungen jener Tage hat uns Cicero in überaus
lebendiger und witziger Darstellung durch seine an Atticus
gerichteten Briefe berichtet. Zunächst ging die Untersuchung
gegen Clodius ihren Gang. Allerdings wurde es durchgesetzt,
dafs er vor ein Gericht gestellt wurde, und hier legte Cicero
das folgenschwere Zeugnis ab, durch welches die Ausrede
— 67 —
des Beklagten, dafs er an dem betreffenden Tage in Interamna
gewesen sei, widerlegt wurde. Aber der Ausgang des Pro-
zesses war doch dank der von M. Grassus gespendeten Summen
und anderer Mittelchen ein unerwarteter; Clodius wurde mit
31 gegen 25 Stimmen freigesprochen. Nun setzte sich der
Kampf im Senate fort, in dem Cicero, ein unbesieglicher
Beherrscher des Wortwitzes, Sieger blieb, um bald darauf
schwer zu bü&en, wie denn überhaupt die scharfe Zunge
ihrem Herrn oft mehr Herzeleid bereitete, als seinen Feinden.
Inzwischen trübte sich der politische Himmel. Während die
demokratische Partei unter Cäsar und Crassus immer mehr
erstarkte und in Clodius ein wenig ehrenhaftes, aber brauch-
bares Werkzeug gewann, drohte die, von Cicero mit so vieler
Mühe zusammengebrachte Koalition der Nobilität und des
Ritterstandes auseinanderzufallen. Das Vorgehen des Senats
gegen die Bestechlichkeit der Richter, die XJnnachgiebigkeit
der Beamten gegen die Pächter der asiatischen Staatsgefälle
gaben den ersten Anlafs. Cicero hatte alle Hände voll zu
thun, um alles zum Guten zu kehren; schon verspürte er
die Abnahme seines politischen Ansehens. IJm so gröfser
war die Gefahr, die ihm drohte. Der aufs höchste erbitterte
Clodius betrieb seine Adoption durch eine plebejische Familie,
damit er sich um das Volkstribunat bewerben könne, eine
Stellung, in der er dann mit seinem tödlich gehafsten Gegner
abrechnen zu können hoffte. Nur einen schwachen Trost
gewährte es, dafs bei der Auswahl einiger nach Gallien zu
entsendenden Kommissare der Senat Cicero und Pompejus als
unentbehrliche Pfander des Staatswohls reklamierte. Gerade
die Freundschaft mit letzterem brachte Cicero in eine mifs-
liche Lage, da zwischen jenem und dem Senate ein heftiger
Zwist über die Befriedigung der Veteranen durch Acker-
anweisungen entbrannte. Der alte Gegensatz Ciceros zu den
Optimaten, den Fischteichbesitzern, wie er sie mit deutlichem
Hinweis auf Lucullus und Hortensius spöttisch nennt, brach
jetzt wieder hervor und vereinsamte ihn gerade in der Zeit,
5*
— 68 —
in welcher er am ehesten einen Freund hätte brauchen
können, zumal Atticus in Athen, Bruder Quintus als Pro-
prätor in Kleinasien war. Denn auf Pompejus war kein
Verlals. Hülflos und dabei ehrgeizig, wie er war, sah er
sich gezwungen, eine kräftigere Stütze zu wählen, als Cicero
ihm bieten konnte, wenn er die so unbedacht preisgegebene
Stellung wieder erlangen wollte. Nun sah Cäsar seine Zeit ge-
kommen. Aus Spanien zurückgekehrt, verzichtete er leichten
Herzens auf den ihm zukommenden Triumph, um die Be-
werbung fdr das Konsulat anmelden zu können. Zuvor
schlofs er mit Pompejus und dem als Vermittler nützlichen
Crassus jenes schwerwiegende Bündnis, welches der gelehrte
M. Terentius Varro als das dreiköpfige Tier geifselte, wahrend
es die Geschichte das erste Triumvirat nennt. Ohne sich
um formelle Schwierigkeiten zu kümmern, die sein Kollege
M. Bibulus erhob, brachte der Konsul Cäsar im Jahre 59
das Ackergesetz durch, welches die Veteranen des Pompejus
in Campanien ansiedelte, gewann durch einen Erlals der
Steuerpacht die Bitter, setzte die Bestätigung der in Asien
getroffenen Anordnungen durch und liefs sich selbst die
Provinz Gallien mit drei, später mit vier Legionen auf fünf
Jahre zusprechen. Die Verbindung mit Pompejus wurde
durch seine Verheiratung mit Cäsars Tochter enger geknüpft,
wahrend dieser die Tochter des designierten Konsuls Piso
heiratete. Auch der andere Konsul Gabinius war für die
Gewaltherrscher gewonnen, während der zum Volkstribun
erwählte Clodius ihnen mit Hülfe seiner bewaffiieten Banden
die Herrschaft auf den Gassen und in den Volksversammlungen
Roms sicherte.
Während dieser Vorgänge führte Cicero ein unruhiges
Leben zwischen Furcht und Hoffiiung. Anfangs zog er sich
auf seine Güter zurück, weilte zu Antium an der Küste oder
auf seinem Formianum; als er auch hier dem Gerede der
Hauptstadt und dem Geschwätz langweiliger Nachbarn nicht
entgehen konnte, flüchtete er sich nach seiner Heimat Arpinum,
— 69 —
um im Verkehr mit den Seinen und in wissenschaftlichen
Studien Trost und Zerstreuung zu finden. Aber auch dies
Mittel schlug fehl. Die geographischen Bücher, welche ihm
Atticus sandte, reizten ihn nicht. Endlich kehrte er nach
Rom zurück, beschränkte sich aber auf die gerichtliche
Thätigkeit, wahrend er sich vom Senate fernhielt. Zeit-
weilig gab er sich auch mit allerlei Beisegedanken ab; er
wollte Ägypten besuchen oder eine sogenannte libera legatio
auf sich nehmen. Zu einer solchen ehrenvollen Ruhestellung
bot ihm Cäsar wiederholt Gelegenheit, da es ihm ersichtlich
darauf ankam, gerade diesen Gegner zu schonen. Aber die
durch den Bankier Cornelius Baibus geführten Unterhand-
lungen fährten nicht zum Ziel. Immer wieder erwachte in
Cicero mit der Erinnerung an die Thaten seines Konsulats
das Gefühl der Beschämung über seine Zurücksetzung und
damit der Entschlufs, auf dem verlorenen Posten auszu-
halten. In diesem Zustande unbehagUcher Selbstpeinigung
wuchs sein Zorn gegenüber seinem ehemaligen Freunde
Pompejus, den er in seinem Briefwechsel mit aUen mög-
lichen Schmeichelnamen belegt. Er hatte es auch nicht
besser verdient; denn mit seiner Hülfe war Clodius zu der
Stellung gelangt, in der er dem im Wortgefecht über-
legenen Gegner mit Thaten vergelten konnte, bei welcher
Gelegenheit auch die übelberüchtigte Clodia, die Schwester
des Tribunen, zugleich die Lesbia des Dichters Catullus,
ihre Dienste leistete.
Im Jahre 59 verteidigte Cicero seinen einstigen Kollegen
im Konsulat, C. Antonius, wiewohl ohne Erfolg; femer den
Proprätor L. Valerius Flaccus, der einst die Allobrogen
gefangen genommen hatte. Dieser war nach Verwaltung
der Provinz Asien wegen Erpressungen angeklagt. Wiederum
trat Cicero nach Hortensius in der Schlufsrede auf, die uns
zum grofseren Teil erhalten ist. Der Redner legt es vor
allem darauf an, die Glaubwürdigkeit der Belastungszeugen
abzuschwächen. Es seien kleinasiatische Griechen, Carier
— 70 ,—
und Lydier, eine Nation, die überall als unzuverlässig und
leichtsinnig gelte. Die Psephismata, welche der Ankläger
beibringe, seien in höchster Übereilung abgefafst; sie ver-
dienten nicht, als Zeugnisse angesehen zu werden. Dann
werden die einzelnen Anklagepunkte durchgegangen; sie
werden als nicht ausreichend begründet dargestellt, sowohl
was die Urkunden, als auch was die Zeugen betriffl;. Auf
die Einzelheiten einzugehen, gewährt kein Interesse. Im
Gtegensatz hierzu werden hochachtbare Entlastungszeugen
vorgeführt. Unter den Anklagen befindet sich auch der
Vorwurf, dafs Flaccus die Goldausfuhr nach Jerusalem, d. h.
zu ÖUDsten der Tempelkasse, verboten habe. Wir erhalten
dabei die interessante Mitteilung, dafs die jüdische Gemeinde
in Rom höchst ansehnlich, einträchtig und einfluTsreich war,
selbst in den Volksversammlungen. Cicero will leise sprechen,
damit ihn nur die Richter hören; er fürchtet, dafs sonst. die
Judenschaft gegen ihn aufgewiegelt werde. Auch die Be-
schwerden römischer Bürger werden zurückgewiesen. Im
Schlufsteil erhebt sich der Redner zu vollstem Pathos,
indem er die Schatten Catilinas und Lentulus' herauf-
beschwört. Möge immerhin C. Antonius mit einigem Rechte
verurteilt sein; Flaccus solle nicht als unschuldiges Opfer
dargebracht werden. Er erinnert die Richter an die Nacht,
in welcher der Beklagte die Allobrogen verhaftete, an die
Nonen des Dezember und seine Verdienste. Auch wird die
Rührscene mit dem weinenden Sohne uns nicht erspart.
Flaccus wurde freigesprochen; ob mit Recht, können wir
nicht entscheiden. Die Notiz eines späteren Schriftstellers,
der höchst schuldige Mann öei nur durch Ciceros Witze der
verdienten Strafe entrissen, ist für jeden Verständigen wertlos.
Gar manche Angriffe der Gegner Ciceros waren, wie uns die
Rede des Fufius Calenus bei Dio Cassius zeigt, so giftig,
dafs sie geradezu thöricht genannt werden müssen. Eine
unbefangene Forschung wird sich hier, wie bei so manchen
Punkten, mit einem „non liquet" begnügen müssen.
— 71 —
So nahte das Unglücksjahr 58 unter Unheil verkündenden
Zeichen, während Cicero sich durch erträumte Hoffnungen
über die nahe Gefahr fortzutäuschen suchte. Bevor Cäsar
sein gallisches Kommando übernahm, muTste er sich in Rom
den Rücken decken und wenigstens die unbequemsten Führer
der Senatspartei, Cato und Cicero, unschädlich machen. Er
hätte den letzteren gern geschont, es war aber nicht mögUch
gewesen, P. Clodius übernahm mit wilder Freude das Schergen-
amt. Er begann mit einigen Gesetzvorschlägen, welche seine
Popularität erhöhen und seine weiteren Pläne fordern sollten.
Ein Getreidegesetz erliefs dem Volke auch die geringe Zahlung
des vom Staate gelieferten Korns; ein anderes stellte die auf-
gehobenen politischen Klubs (collegia) wieder her; andere
Gesetze betrafen die Auspicien, die censorische Machtvoll-
konunenheit, die Überweisung der Provinzen an die Konsuln.
Erst nach diesen Vorbereitungen holte er aus zum todlichen
Schlage und beantragte, dafs, wer einen römischen Bürger
ohne richterUches Urteü getötet hätte, mit Verbannung
bestraft würde. Ciceros Name war zwar nicht genannt,
stand aber zwischen den Zeilen deutlich zu lesen. Niemand
Wulste besser, was ihm bevorstand, als der Betroffene selbst.
Ohne den geringsten Widerstand zu versuchen, legte er
nach römischer Sitte das Trauerkleid des Beklagten an und
zeigte sich öffentlich vor dem Volke als ein Hülfeflehender;
er wurde aber durch die Banden des Clodius gezwungen,
die Öffentlichkeit zu meiden. Immerhin zeigte es sich, dafs
Cicero sich grofser Beliebtheit erfreute. Der Ritterstand
legte mit ihm Trauerkleidung an und beschickte Konsuln
und Senat durch Abgesandte; insbesondere traten Hortensius
und C. Curio für ihn ein. Aber die voreingenommenen
Konsuln hintertrieben alle Veranstaltungen und untersagten
dem Senate die Anlegung der Trauergewänder, welche der
Volkstribun Ninnius beantragt hatte. Da auch Pompejus
sich verschlossen zeigte, verzweifelte Cicero an der Rettung
und verliefe Ende März in zahlreicher Begleitung zur Nacht-
— 72 —
zeit die Stadt. Er begab sich zuerst in die Gegend von
Vibo an der lukanisclien Küste, wo er bei einem gewissen
Sica Quartier nahm, in der Absicht, von dort nach Sicilien
zu reisen. Da erreichten ihn neue Hiobsposten. Nach seiner
Entfernung hatte Clodius Ciceros Verbannung auf eine Ent-
fernung von 400 Milien und die Beschlagnahme seines Eigen-
tums durchgesetzt; sein Stadthaus war zerstört und der
„Freiheit^^ geweiht, seine Landhäuser eingeäschert. Zugleich
brachte Clodius ein Gesetz durch, nach dem Cato mit der
gajiz ungerechtfertigten Einziehmig des Königreichs Cypem
beauftragt und so miter ehrenvollem Vorwande aus Rom
entfernt wurde. Es bedarf hier nicht des Beweises, dafe
auch die. gegen Cicero gerichteten Gesetze jedes materiellen
und formellen Bi6Chtsgrundes entbehrten. Dieser änderte seinen
Reiseplan und ging über Thurii und Tarent nach Brundisium^
von wo er am 18. Mai des berichtigen Kalenders nach
Dyrrhachium in See ging. Auch in Griechenland war es
schwer, dem armen Verbannten eine sichere Stätte zu be-
reiten. Von Epirus und Athen, wohin ihn Atticus einlud,
schreckten ihn die dort ansässigen Überbleibsel der cati-
linarischen Bande ab. Er entschlofs sich nach Thessalonica zu
gehen, wo er an dem Quästoi:^ Cn. Plancius sechs Monate
hindurch einen liebenswürdigen Wirt fand. Seinen Bruder,
der soeben aus Asien zurückkehrte, trieb er nach Rom, da
er keinen andern Gedanken hatte, als den seiner baldigen
Zurückberufung.
Kapitel 9.
Die Rückkehr.
Es ist für uns nicht leicht, eine lebendige Vorstellung
von dem Seelenzustande zu gewinnen, in den Cicero durch
seine gewaltsame und u^rechtmä(sige Vertreibung versetzt
— 73 —
war. In unserer Zeit, wo die Schranken der Nationalität
durch Sitte und Verkehr fast aufgehoben sind und die
Beeinträchtigung Fremder als Akt der rohesten Barbarei
erscheint, wo der Erdkreis mit einer grofsen Zahl von
Centren der Kultur bedeckt ist, will es uns wunderbar
erscheinen, dafs die Strafe der Verbannung so hart em-
pfunden wurde. Wir müssen schon an die gewaltsame Ver-
pflanzung eines europäischen Orofsstädters von feinster Bildung
und höchster Lebensstellung in die Einöde eines sibirischen
Städtchens denken, wenn wir den Schmerz eines Cicero, eines
Ovid würdigen wollen. Allerdings sind beide weniger wider-
standsföhig gewesen, als ihre Bewunderer wünschen möchten.
Niemand wird Cicero von dem Vorwurf schwächlicher Weich-
herzigkeit freisprechen können, wie aus den an seine Familie
und an Atticus gerichteten Briefen erhellt. Trotzdem
wäre es ungerecht zu leugnen, dafs der erlittene Schlag
ebenso hart als unverdient war. War er schuldig, so war
es auch die Mehrheit des Senats, die ihm zugestimmt, und
das Volk, das ihm zugejauchzt hatte. Er verdiente es nicht,
der durch jahrelange, treue Arbeit erworbenen Stellung, seiner
Güter und Sammlungen auf räuberische Weise beraubt zu
werden. Aber noch Schlinmoieres stand ihm bevor. Sobald
er Italien verlassen hatte, schwebte er in Gefahr, den Resten
der Catilinarier in die Hände zu fallen, welche, über Achaja
zerstreut, ihm den Tod geschworen hatten. Wahrlich, es
war ein tiefer, schwerer Fall, wohl geeignet, auch eine feste
Natur zu erschüttern, geschweige denn einen so empfang-
liehen, allen Eindrücken so zugänglichen Charakter, wie es
der Ciceros war! So ist es fast erklärlich, wenn auch nicht
entschuldbar, dafs seine Briefe von Thränen überschwemmt,
mit Klagen erftillt sind. Ein grausames Geschick hat diese
Zeugen seiner Erniedrigung ebenso treu aufbewahrt, wie
die Bel^e seiner politischen Glanzzeit.
Während Cicero zu Thessalonica in Thränen schwamm,
wie er in seiner südländischen Lebhaftigkeit wenigstens ver-
— 74 —
sicherte, nahmen die Angelegenheiten in Rom eine für ihn
durchaus günstige Wendung. Nach Cäsars Abreise hatte
sich Pompejus, wie zu erwarten stand, unfähig gezeigt, die
aufgebotenen Geister zu bannen, insbesondere Clodius, der
sich so sehr als Herrn der Strafsen fühlte, dals er sogar
dem grofsmächtigen Triumvirn zu imponieren meinte. Als
Gegengewicht gedachte Pompejus die Zurückberufung Ciceros
durchzusetzen und veranlafste daher schon im Juni einen
Senatsbeschlufs, der allerdings durch den Einspruch eines
Volkstribunen aufgehoben wurde. Inzwischen wurde der
Strafsenlärm in Rom immer ärger; ja, man. beschuldigte
Clodius geradezu eines Mordanschlags auf Pompejus. Im
November traten acht Tribunen mit einem Gesetzesvorschlag
auf, der Ciceros Rückkehr herbeiführen sollte. Vor allem
war es der designierte Konsul P. Lentulus Spinther, der
sich des Verbannten mit allem Eifer annahm. Während
Cicero von Thessalonica nach Dyrrhachium zurückkehrte,
um der Heimat näher zu sein, und die weiteren Reisepläne
aufgab, erklärte Lentulus bei der Übernahme des Konsulats
im Januar 57, dafs er von weltlichen Dingen nichts eher
betreiben werde, als die Zurückberufung Ciceros. Auch
andere angesehene Männer legten sich ins Mittel. Aber der
Widerstand zweier Tribunen und vor allem die Brutalitäten
der Banden des Clodius schoben die Entscheidung hinaus,
bis endlich der Senat beschlofs, es sollten alle Bürger,
welchen das Staatswohl am Herzen liege, aus ganz Italien
nach Rom zusanmienkommen. Noch eine Anzahl weiterer
Senatsbeschlüsse ist uns überliefert, die sämtlich für Cicero
günstig ausfielen. Aber erst im August konnte Lentulus,
nachdem er den Widerstand seines Kollegen Metellus über-
wunden hatte, in den Centuriatcomitien die Zurückberufung
Ciceros durchsetzen, die einstimmig beschlossen wurde. Hier-
bei wurde Clodius mit gleicher Münze bezahlt; seinen Leuten
traten andere bewaflfhete Banden entgegen, unter deren Führern
sich der Volkstribun T. Annius Milo hervorthat.
— 75 —
Die Rückkehr Giceros gestaltete sich zu einem wahren
Triumphzug. Am 11. August, dem Geburtstage seiner Tullia,
landete er in Brundisium und hatte das Glück, dieses sein
Lieblingskind hier anzutreffen. Gleichzeitig erhielt er von
seinem Bruder die Nachricht, dals er durch einstimmigen
Volksbeschlufs und unter allgemeiner Beteiligung der Bürger-
schaft zurückgerufen sei. Von den Brundisinem ehrenvoll
angenommen, erfreute er sich auch auf seiner weiteren
Reise bis Rom der herzlichsten Begrüfsung aller Volks-
klassen. Als er am 8. September nach einer Abwesenheit
von sechzehn Monaten durch die porta Gapena einzog,
waren alle Tempelstufen von einer dichtgescharten Menge
besetzt, die ihn jubelnd empfing; auf dem Markt wie auf
dem Eapitol, wo er den Göttern dankte, wurden ihm Beweise
der Anhänglichkeit und Verehrung zu teiL Es ist nicht zu
viel behauptet, wenn von seiner Rückkehr gesagt ist, dafs
er auf den Schultern Italiens nach Rom zurückgebracht sei;
alle Schriftsteller stimmen darin überein. Das war ja nun
allerdings ein linderndes Pflaster flir die tiefe Wunde, welche
die Heftigkeit der Feinde und die Lauheit der Freunde dem
Selbstgefühl Giceros geschlagen hatte, und er verfehlte nicht,
diese Thatsache in den nächsten Reden vor aller Welt fest-
zustellen. Aber trotzdem fehlte noch viel daran, dafs eine
volle restitutio in integrum eingetreten wäre. Seine materielle
Existenz stand nach wie vor in Frage; in Trümmern lagen
Giceros prächtige Häuser, und es kostete noch viele An-
strengungen, ehe er aus diesem Wirrwarr einen leidlichen
Wohlstand sich zurückerobert hatte. Dafs dies nur langsam
vor sich ging, war Glodius zu erwirken eifrig beflissen,
während die alten Freunde nicht immer die wünschenswerte
Energie bethätigten. Zugleich fühlte der Zurückgerufene
sehr peinlich die Verpflichtung, sich den nur mühsam be-
gütigten Machthabern angenehm zu machen. Es war eine
traurige Zeit, durch die sich Gicero hindurchschlagen raulste;
zum erstenmal regte sich in ihm das dunkle Gefühl, dafs er
— 76 —
nicht berufen sei, auf politischem Gebiete dauernde Lorbeeren
zu erringen. Ein neuer Lebensabschnitt begann für ihn, in
dem er, halb widerwillig, die Werke schrieb, durch die er
sich um sein Volk wie um die Nachwelt wohl verdient
gemacht hat. Verfolgen wir zunächst sein politisches Ver-
halten in den nächsten Jahren.
Am Tage nach seiner Rückkehr ergriif er im Senate
zu einer Dankesrede das Wort. In überschwenglicher Weise
dankt er den Senatoren, insbesondere den Männern, welche
sich persönlich in seinem Interesse hervorgethan hatten,
auch dem, wie er rühmt, ersten Manne aller Völker, aller
Geschlechter, aller Zeiten, Cn. Pompejus, der ihn doch
seiner Zeit schmählich in Stich gelassen hatte. Man merkt
es der Rede auch an, dafs sie nur da aus vollem Herzen
kommt, wo es gut, den Todfeinden Gabinius, Piso, Clodius
heimzuzahlen, was sie verdient haben. In ähnUchen Wen-
dungen bewegt sich die bald darauf an das Volk gerichtete
Rede. Wie die Gesundheit erst von den aus schwerer
Krankheit Erstandenen, nicht von den Gesunden gewürdigt
werde, so habe er mehr durch das Entbehren, als durch
den Genufs die Reize der Heimat kennen gelernt; wir
wollen es ihm gern glauben. Auch der Vergleich mit
seinem Landsmann Marius ist nicht übel. Hier läfst er sich
endlich deutlicher über seine heimlichen Gegner aus, als er
es im Senate gewagt hatte. Bald sollte er zu neuen Reden
Stoff und Veranlassung finden. Als unmittelbar darauf eine
Teuerung in Rom ausbrach — die Weltstadt konsumierte
unendlich viel und produzierte unendlich wenig — , da ver-
stand es der unermüdliche Glodius, auch hieraus für seine
Zwecke iCapital zu schlagen. Von ihm und seinen Spiefs-
gesellen aufgehetzt, stürmte der Pöbel zum Senat mit dem
unsinnigen Geschrei, dafs Cicero diese Teuerung verschuldet
habe. Der Senat beriet über etwaige Abhülfe. Da bean-
tragte Cicero, um den ersten Beweis seiner guten Gesinnung
zu erbringen, dafs dem Pompejus die Sorge flir die Ver-
— '77 —
pflegung der Hauptstadt (cura annonae) auf fünf Jahre mit
aufserordentlichen Machtbefugnissen übertragen werde. Senat
und Volk stinunten zu, wenn auch die aristokratische Partei
unter Führung des Favonius ohnmächtig knirschte. Die erste
der ihm bewiUigten fünfzehn LegatensteDen übertrug der zum
zweitenmal an die Spitze des Staates gestellte, fast allmächtige
Feldherr dankbar seinem Fürsprecher und billigte ihm, aller-
dings nur dem Namen nach, die RoUe eines SteUvertreters
zu, ohne dafs Cicero über diese leeren Ehren übermäfsige
Freude empfunden hätte. Ihn bedrückten schwere häusUche
Sorgen; nicht nur hatte sich das Verhältnis zu seiner Gattin
merklich gelockert, wir wissen nicht aus welchem Grunde,
sondern es drängte auch die Frage bezüglich der Wieder-
herstellung seines Hauses der Entscheidung zu; diese fiel
für ihn günstig aus. Nachdem nämlich Clodius die Ver-
bannung Giceros durchgesetzt, hatte er mit nicht geringerer
Wut den materiellen Ruin seines tödlich geha&ten Feindes
betrieben. Sein in bevorzugter Lage erbautes Haus war ein-
gerissen, die leere Stätte zum Teü der „Freiheit" geweiht,
deren Bildnis an Ort und Stelle aufgerichtet war. Es wurde
also die Wiederherstellung des Hauses durch religiöse Be-
denken einstweilen verhindert, ein Punkt, in dem die Römer
Ton jeher schwierig waren. Der Senat verwies die Sache
an die Pontifices, die in allen religiösen Dingen die Ober-
aufsicht führten. Vor ihnen hielt Cicero die dritte seiner
vier Reden nach seiner Rückkehr „über sein Haus", in der er
nicht unschwer einen glänzenden Sieg davontrug. Er benutzte
die Gelegenheit, mit Clodius gründlich abzurechnen, und hat
ihm alles Leid, was ihm jener angethan, reichlich vergolten.
Wenn dessen Charakter mit Fug und Recht neben Verres
und Catilina am Pranger steht, so ist auch dies ein Beleg
für die Macht der menschlichen Rede, die über rohe Gewalt
zuletzt doch den Sieg davon trägt. Er erzählt zuerst die
Vorgänge bei Anlafs der Teuerung und rechtfertigt die
Wahl des Pompejus; dann erörtert er die staatsrechtliche
• — . 78 —
Seite der Streitfrage, die allerdings zu zahlreichen Einwänden
die Handhabe bot. Die Adoption des Clodius ist erschlichen,
also sein Volkstribunat ungültig; das Verbannungsdekret
widerspricht dem Zwölftäfelgesetz, ist also gar kein Gesetz;
der Beschlufs wie seine Ausführung sind nur auf gewalt-
thätigem Wege zustande gekommen, eigentlich ist Cicero
gar nicht verbannt; die angebliche Weihung schliefst sogar
ein schweres Unrecht gegen den Cimbemsieger Catulus mit
ein, dessen Halle gleichfalls niedergerissen ist Das religiöse
Moment wird nur vorübergehend erörtert, weil es eigentlich
etwas Geheimnisvolles ist. Aber soviel erhellt, dals auch
hier aUe rechtlichen Vorbedingungen schmähUch verabsäumt
sind. In ergötzlichster Weise wird Clodius' Gottesfrevel
gegen die Bona Dea, wie sein lasterhafter Lebenswandel
durchgehechelt. Die Rede schliefst mit einem feierlichen
Anruf der drei Hauptgottheiten des Kapitols, des Jupiter,
. der Juno und der Minerva, sowie der Hausgöttin Vesta.
Die Pontifices beschlossen einstimmig, dafs ein religiöses
Bedenken nicht vorliege, da ein Volksbeschlufs überhaupt
nicht stattgefunden habe. Trotzdem gab Clodius seinen
Widerstand nicht auf; durch eine dreistündige Rede suchte
er den Senat zu ermüden und stiftete einen Volkstribunen
zum Einspruch an. Aber dieser wurde zurückgezogen. Cicero
erhielt den Bauplatz, sowie eine nicht reichlich bemessene
Entschädigung von 2 Millionen Sesterzen (350000 M.). Sein
gleichfalls zerstörtes Tusculanum wurde auf 500000, sein
Formianum auf 250000 Sesterzen abgeschätzt und ihm da-
nach vergütet. Cicero war damit nicht zufrieden; er meinte,
man wolle nicht, dals ihm die Flügel wieder wüchsen, die
man ihm einmal beschnitten habe. Da war es sein getreuer
Atticus, der, wie gewöhnlich, in die Bresche sprang und ihm
für den Bau die nötigen Summen vorstreckte, auch seine
Sammlungen, Kunstwerke und Bücher wieder vervollständigen
half. Aber der innere Friede war noch immer nicht her-
gestellt. Der Stralsenheld Clodius suchte die Bauhandwerker
- 79 -
mit gewaflfheter Hand zu vertreiben und zwang Cicero
gelegentlich selbst, sich vor den Steinen und Knütteln
seiner Banden durch Flucht zu sichern, Zustände, die fast
an die Herrlichkeit amerikanischer Republiken erinnern. Es
stand in Pompejus nicht der richtige Mann an der Spitze
dieses in Verwesung begriffenen Staatswesens. Um so eifriger
schlofs sich Cicero an den in Gallien koumiandierenden Cäsar
an; auf seinen Antrag wurde dem siegreichen Feldherm ein
Dankfest von fünfzehn Tagen bewilligt, eine Ehre, die in
dieser Ausdehnung noch niemals erwiesen war.
Das Jahr 56 bot Cicero eine reiche Fülle von Anlässen,
seine Redegabe zu bethätigen. Auch die Reden dieses Jahres
standen in mehr oder minder innigem Zusammenhang mit
dent, Ereignissen der Vorjahre; die Gerichtsverhandlungen
wurden von politischen Rücksichten durchweg beeinflufst.
Zunächst benutzte Cicero eine passende Gelegenheit, sich
seinem Gönner Lentulus Spinther, dem damaligen Prokonsul
von Cilicien, dankbar zu erweisen, indem er ihm die Zurück-
führung des Königs Ptokmäus Auletes nach Ägypten und
damit Ruhm und Beute verschaffen wollte. Seine nur in
Trümmern erhaltene Rede „über den alexandrinischen König"
hatte nicht den gewünschten Erfolg, da Pompejus aus Eifer-
sucht die Sache hintertrieb. Um so mehr erreichte Cicero in
seiner Verteidigungsrede für den Volkstribunen P. Sestius,
der ihm redlich mit Wort imd That beigestanden und nun
von dem rachsüchtigen Clodius wegen verübter Gewaltthat,
sowie wegen Amtserschleichung angeklagt war. Cicero hielt
wie gewöhnlich nach anderen Verteidigern die Schluferede,
die eine meisterhafte Leistung genannt werden mufs. Da
die Vorredner, insbesondere Hortensius, bereits die Einzel-
heiten der Anklage widerlegt hatten, soweit sie zu wider-
legen waren — denn dafs Sestius und Milo nach Clodius'
Vorgang bewaffiaete Banden geworben hatten, war stadt-
bekannt — , so setzte sich Cicero die Aufgabe, das Gesamt-
leben des Angeklagten in das günstigste Licht zu stellen
— So-
und bei dieser Gelegenheit seine eigene Person vorteilhaft
zu beleuchten. Es giebt die Sestiana daher einen ausführlichen
Bericht über die auf Ciceros Geschick bezüglichen Ereignisse
der Vorjahre. Zunächst werden Herkunft und Familienleben des
Sestius gerühmt, sodann die während seiner Quästur geleisteten
Dienste, als er im geheimen Auftrage Ciceros deji unzuver-
lässigen G. Antonius beaufsichtigte und beeinflufste. Dann
geht der Redner bei dem Tribunat des Beklagten auf eine
Darlegung der damaligen Zeitverhältnisse ein; die Gabinius
und Piso erhalten ihr gebührendes Teil, der ganze Jammer
der clodianischen Umtriebe wird unter sorgsamer Schonung
der Machthaber geschildert. Natürlich ist es sein Bestreben,
die Berechtigung seiner damaligen Handlungsweise zu er-
härten; er beteuert, dafs er nur, um dem Yaterljgpide
schUmmere Unruhen zu ersparen, gewichen sei, ohne zu
verhehlen, dafs in künftigen Zeiten ein kräftiger Widerstand
von ihm an Stelle schwächlichen Nachgebens bevorzugt
werden würde. Die Strafsenherrschaft des Bösewichts wird
gezeichnet, dann aber die Umkehr, durch Pompejus und
auch durch Sestius hervorgerufen. Bei den nun entstehenden
Wirren ist letzterer bis auf den Tod verwundet, obgleich
er ohne Wafifen gewesen. Die folgenden Scenen, in denen
Sestius ohne Zweifel aktiv hervorgetreten war, werden be-
schönigt, die Anwerbung Bewaflheter mit der Forderung des
Staatswohls gerechtfertigt, Sestius und Milo als Retter ge-
priesen. Nun folgt eine zweite Abschweifung, die ein verächt-
licher Seitenhieb des Anklägers auf die Optimatenpartei ver-
anlafst. In pomphafter Weise feiert Cicero das Wesen und
die Ziele der staatserhaltenden Partei im Gegensatz zu den
Umtrieben der den Trieben der Menge schmeichelnden Popu-
lären. Gestützt auf die Deutung des Namens, spricht er den
Optimaten, als deren Genossen er sich offen bekennt, alles
Gute und Schöne zu. Der ältere Scaurus und Opimius sind
die Ideale seiner konservativen Staatsgesinnung. Es war
nicht zu verwundem, dafs die heftigen Angriffe der Volks-
— 81 —
partei, welche die Sache Catilinas zur ihrigen gemacht hatte,
ihn in das andere Lager hinüberdrängten. Im Senate sah er
das einzige Bollwerk gegen die Herrschaftsgelüste der Macht-
haber und ihrer Trabanten. Der Redner stellt die den Opti-
maten erwiesene Gunst der Menge bei Gelegenheit von Ver-
sammlungen, Wahlen und Spielen fest; wir bekommen dadurch
einen interessanten Einblick in die politische Bedeutung der
Schauspiele, die allerdings vor allem der Opposition zu gute
kam. Die Rede schliefst mit einem begeisterten Appell an
die Jugend, sich an den grofsen Vorbildern der athenischen
und vaterländischen Geschichte aufzurichten und demjenigen
Staate zu dienen, aus dem die Würde und die Seelengröfse
stammten; als ein auf derartige Ziele gerichteter Bürger wird
Sestius unter den üblichen Thränen den Richtern empfohlen.
Er wurde freigesprochen.
Ein Gegenstück zu dieser Rede ist die Interpellation
(interrogatio) des Zeugen P. Vatinius, die in den Prozefs
des Sestius gehört. Um das Zeugnis dieses dem Cäsar er-
gebenen Mannes abzuschwächen, überhäuft ihn Cicero, ver*
mutlich während des Verhörs, mit einer Reihe von Fragen,
die allerdings sehr geeignet sind, uns ein übles Bild dieses
ehemaligen Volkstribunen zu zeichnen. Doch ist der Redner
so vorsichtig, den Trabanten von seinem Herrn und Meister
sorgfältig zu scheiden. Die Rede ist ohne Interesse für uns.
Auch die übrigen Reden dieses Jahres dienten dem
doppelten Zweck, die persönlichen Gegner zu demütigen,
die Machthaber zu versöhnen. Indem . es sich Cicero vor-
behielt, seinen Todfeind Clodius auch ferner zu verfolgen,
machte er seinen Frieden mit den Triumvim und verzichtete
auf jede wenigstens öffentliche Opposition. Er bereitete
damit seinen Übergang von der politischen zur gelehrten
Thätigkeit vor. Unter die erste Kategorie fallen die Reden
„über die Antworten der Opferschauer" und „för Cälius",
unter die zweite die „über die Konsularprovinzen" und „für
Baibus".
Aly, Cicero. 6
— 82 -
Die Rede „über die Antworten der Opferschauer" zählt
Cicero selbst zu den vier Reden, die er nach seiner Rück-
kehr (post reditum) gehalten hat. Es handelte sich um
neue, unwürdige Ränke des Clodius. Dieser hatte, ermutigt
durch die erneute Festigung des Triumvirates, auf Grund
einiger Wunderzeichen gewisse Gutachten von Opferschauem
eingeholt, die er gegen Cicero und seinen auf geheiligtem
Boden angefangenen Hausbau auslegte. Dieser verteidigte
sich im Senate mit leichter Mühe, indem er sich auf das
einstimmige Gutachten der Pontifices berief, welche in ver-
sammeltem Senat den Hausbau ausdrücklich verstattet hatten.
Wie er hier von der Verteidigung zum Angriff überging, so
that er es auch in der Verteidigungsrede für M. Cälius, der
wegen eines Vergiftungsversuchs gegen Clodia, die berüchtigte
Schwester des Clodius, angeklagt war. Ist auch diese Rede
ohne tieferen Wert, so gewährt sie doch einen interessanten
Einblick in die Sittengeschichte Roms und zeigt uns Cicero
von der Seite eines boshaften Spötters. Die Anklage selbst
war so aus der Luft gegriffen, dafs sie leicht zu widerlegen
war. Wichtiger ist die Staatsrede über die Konsularpro-
vinzen, in der er einerseits seinem Hafs gegen die Konsuln
des Jahres 58 genug that, während er anderseits Cäsars
Gunst sich zu bewahren suchte; die Rede darf als Gegen-
stück zur Pompejana betrachtet werden. Im ersten Teil
wendet sich der Redner gegen seine Feinde, die derzeitigen
Statthalter Macedoniens und Syriens, L. Piso und A. Gabinius,
und schildert den traurigen Zustand der Provinzen, die Be-
drückung der Unterthanen, den Verfall des Heeres, die Beein-
trächtigung der Steuerpächter. Er beantragt die Abberufung
beider. Hingegen erklärt er sich gegen eine Ersetzung
C. Cäsars in Gallien durch einen Nachfolger. Offen giebt
er zu, dafs er seinen Frieden mit dem mächtigen Feldherm
gemacht hat, allerdings, wie er meint, um des Staatsinteresses
wiUen, ein offenbar sehr fadenscheiniger Grund. Er beruft
sich auf das, was er in letzter Zeit für Cäsar gethan; nicht
— 83 —
nur hat er das funfzehntägige Dankfest befürwortet, sondern
hat auch um die Übernahme des Soldes auf die Staatskasse
und die Gewährung von zehn Legaten sich bemüht. Auch
jetzt tritt er ftir Cäsar ein; um des Staates willen steht dieser
auf einem wenig beneidenswerten, aber wichtigen Posten;
während man früher sich begnügt habe, die Gallier nicht
ohne die Hilfe der Alpen abzuwehren, seien jetzt nach
unerhörten Siegen die gallischeu Lander ganz unterworfen.
Dieser Sieg müsse vervoUständigt, die Unterwerfung gründHch
durchgeführt werden. Auch das Interesse des Senates fordere
das Eintreten f&r Cäsar. Den Schluls bildet eine Übersicht
über die gegenseitigen Beziehungen, wobei alle Aufinerksam-
keiten des grofsen Gegners gewissenhaft gebucht sind. Und
nun beginnt jenes eigentümliche Verhältnis zu Cäsar, das,
nur durch den Bürgerkrieg (49 — 46) unterbrochen, bis zu
seinem Tode währte, nicht ohne geheime Anfeindungen
seitens Ciceros, aber oft auch unter Anerkennung der Gröfse
und Liebenswürdigkeit, welche Cäsar auszeichneten, während
dieser die wahren Vorzüge des gro&en Büdners aufrichtig
schätzte und ihm mehr als einmal Zeugnisse seiner Hoch-
achtung gab. Ebendahin gehört endlich die Verteidigungs-
rede für L. Cornelius Baibus, einen dem Pompejus wie dem Cäsar
befreundeten Bankier, welcher der Erschleichung des Bürger-
rechts angeklagt war, wie einst der Dichter Archias. Da es
gerade Pompejus gewesen war, der den Gaditaner mit der
civitas Bomana beschenkt hatte, so war es für Cicero eine
ebenso leichte, als dankbare Aufgabe, durch zahlreiche Bei-
spiele aus der Geschichte die Bechtmäfsigkeit der Verleihung
zu erhärten und sich dadurch Pompejus, der vor ihm ge-
sprochen hatte, wie Cäsar zu verpflichten.
So war Cicero zwar wieder in seine äufsere Stellung
gewissermafsen eingesetzt, aber es fehlte doch viel daran,
dafe seine Stimme im Senate dieselbe Wirkung ausübte, wie
vor seiner Verbannung. Durch seine Erlebnisse gewarnt,
hatte er mit der Unterwerfung unter den Willen der
— 84 —
Triumvim auf die Rolle eines selbständigen Politikers ver-
zichtet; er fühlte sich durch seine Anwaltsthätigkeit nicht
befriedigt, er suchte und fand auch zeitweilig einen Ersatz
in wissenschaftlicher Schriftstellerei.
Kapitel 10.
Aufauge wissenschaftlicher Thätigkeit.
Die Ereignisse des folgenden Winters 56/55 trugen nur
dazu bei, Cicero vom politischen Leben auch weiter fernzu-
halten. Im Winterquartier Cäsars zu Lucca war bereits im
April 56 der Dreibund formlich erneuert: Ppmpejus. und
Grassus bedangen sich das Konsulat für das nächste Jahr
aus, ersterer femer die Verwaltung der spanischen Provinzen
nebst den dort stehenden Legionen, letzterer die Provinz
.Syrien mit der Anwartschaft auf einen Partherkrieg; Cäsar
selbst erhielt die Zusicherung, dais ihm die gallischen Länder
auf zehn statt auf fünf Jahre belassen würden. Die Oppo-
sition war dadurch zum Schweigen gebracht; sie mufste
sich darauf beschränken, in ihren Zirkeln zu schmähen und
zu schmollen. Zum erstenmal fafste Cicero den höchst zeit-
gemäfsen Entschlufs, durch gelehrte Schriftstellerei die un-
freiwillige Mufse zu kürzen. Wäre er doch seinem Plane
treu geblieben! Wir verdanken dieser ersten Periode sdbaer
eigentlichen litterarischen Thätigkeit sein schönes Werk „vom
Redner", sowie die Schriften „vom Staat" und „von den Ge-
setzen". Nebenher lief seine gerichtliche Praxis, die nameut-
lich im Jahre 54 eine namhafte Ausdehnung gewann.
Die drei Bücher „vom Redner", das wichtigste rhetorische
Werk aus Ciceros Feder und eins seiner Hauptwerke über-
haupt, knüpft an die sehr unvollkonmiene Jugendschrift an,
der wir seiner Zeit gedacht haben. Der Verfasser fingiert
— 85 —
eine Aufforderung seines Bruders, dem er das Werk gewidmet
hat; er beklagt, dafs es ihm nicht vergönnt sei, gleich den
Vorfahren unter günstigen politischen Verhältnissen eine
ehrenvolle Mufse zu geniefsen. Gleichwohl will er seine
freie Zeit der Kunst widmen, in der so wenige es bisher
zur Vollkonunenheit gebracht haben. Sowohl bei den Griechen
als auch bei den Römern. Nach seiner Ansicht ist es eben
die höchste Leistung, die ein Sterblicher voUbringen kann,
da sie aufser anderen Anforderungen an Geist und Leib
eine ebenso umfassende, wie gründliche Bildung voraussetzt.
Der Redner, wie er sein soll, fallt ihm mit dem Ideal des
gebildeten Mannes zusammen. Die eigentliche Auseinander-
setzung ist in die Form eines Dialogs gekleidet, die der
Verfasser meisterhaft handhabt. Er nunmt an, dafs im
Jahre 91 kurz vor dem Ausbruch des bösen Bundesgenossen-
krieges die beiden gröfsten Redner der ersten Blütezeit (vor
Hortensius- Cicero) L. Crassus und M. Antonius mit dem
greisen Juristen, dem Augur Q. Scävola, und den damals
noch in jugendlichem Alter stehenden P. Sulpicius und
G. Cotta auf dem Landgute des Crassus zusammengetroffen
sind. Nach der „Sitte des Aristoteles" wird die Unter-
haltung geführt. Die Hauptrolle spielt Crassus, in dem
Cicero seine eigene Auffassung verkörpert; er fafst die
Aufgabe des Redners als eine hohe und wahrhaft ideale.
Aber er führt nicht allein das Wort. Der Verfasser versteht
es, auch die gegenteilige Auffassung der routinierten Prak-
tiker durch Scävola, später durch Antonius zur Geltung zu
bringen. Beide führen die hochgestimmten Anforderungen
des Crassus auf ein bescheideneres Mafs zurück; sie sorgen
daf&r, dafe die lebhafte Debatte nicht den Boden der That-
sfrtdien unter den Fülsen verliert. Das erste Buch be-
schäftigt sich mit der theoretischen Grundlegung, mit der
Frage nach dem wissenschaftlichen Charakter der Redekunst,
mit den Vorbereitungen des angehenden Redners. t)ie An-
forderungen des Crassus sind nicht gering: angeborene Be-
— 86 —
gabung, begeisterte Hingabe, unausgesetzte Schreibübungen,
vor aUem Übersetzungen aus dem Griechischen, Kenntnis
des Rechts, der Geschichte, der Altertümer, der Philosophie.
Der glänzenden Schlulsrede des ihm durchaus sympathischen
Crassus lä&t Cicero sehr fein die nüchtern verständige Ent-
gegnung des Antonius folgen, die manche Überschwenglich-
keit mäfsigt, sich aber nicht über das Niveau des Durch-
schnittspraktikers erhebt. Inmierhin wird z. B. der Mifsbrauch
philosophischer Bildung in ergötzlicher Weise dargestellt.
J)ie Unterhaltung des zweiten Tages, an welcher der alte
Scävola nicht teilnimmt, wohl aber die neu hinzutretenden
Q. Catulus und C. Cäsar Strabo, befafst sich mit der eigent-
lichen Technik nach den fünf Gesichtspunkten der inventio,
collocatio, memoria, elocutio und actio. Vorausgeschickt ist
eine Einleitung, wie sie Cicero liebte; sie erinnert den
Adressaten an die gemeinsam betriebenen Studien, als sie
noch zu Füisen der grofsen Redner gesessen, die mit einander
vergHchen werden; der Zweck der Schrift wird noch einmal
scharf betont. Von derartigen Einleitungen hatte Cicero
einen ganzen Vorrat, aus dem er bei seinen wissenschaft-
lichen Werken sich diese oder jene herausgriff, um damit
je ein Buch zu zieren. Man hat ohne Grund ihm dies
verdacht. An und für sich betrachtet, sind diese Einleitungen
stets interessant, oft geistvoll und immer durch stilistische
Abrundung ausgezeichnet. Es wird doch auch einem Hause
nicht zum Vorwurfe gereichen, wenn es sich einer schön
gearbeiteten und geschmackvoll verzierten Thüre erfreut.
Der erste Teil, die Lehre von der Auffindung des . Stoffes
(Topik), ist dem Antonius in den Mund gelegt. Er protestiert
im Eingang nachdrücklich gegen die griechischen Techniker,
welche ihre hohlen Formen mit luftigen Theoremen erfüllen^
er will nur auf Grund der Erfahrung Regeln aufstellen.
Sodann wird das Gebiet der Untersuchung abgegrenzt, so
dafs nach Ausscheidung der Geschichtsschreibung, der Philo-
sophie, der politischen Rede eigentlich nur die Gerichtsrede
— 87 —
übrig bleibt. Hier bedarf es vorwiegend der praktischen
Gesichtspunkte. Wenn der junge Gerichtsredner, genügend
beföhigt und hinreichend vorgebildet, sich über den je-
weiligen Kechtsfall gründlich unterrichtet hat, dann ist es
Zeit, den Stoff zu sichten und den Beweis zu finden. Der
Vortragende verbreitet sich hier über die Aufgabe, die
Rechtsfrage festzustellen und die Hauptfundstätten der Be-
weise {rÖTtoi) auszubeuten. Aber der Redner hat nicht nur
die Aufgabe, zu beweisen; er soll auch die Hörer gewinnen
und sie in eine seinen Plänen günstige Stimmung ver-
setzen. Hier ergreift Cäsar das Wort, um gemäfs seiner
eigentümlichen Anlage sich ausführlich über die Bedeutung
von Witz und Humor für den Redner zu verbreiten und
zahlreiche Belege beizubringen. Es folgt an zweiter Stelle
die Lehre von der Anordnung mit einer Charakteristik der
einzelnen Teile (exordium, narratio u. s. w.); daran schliefst
sich ein Anhang über die politische Rede. Den Schlufs
bildet der vom Gedächtnis handelnde Abschnitt, der natur-
gemäfs etwas knapp ausfallt. Das dritte Buch läfst die
Unterredimg am Nachmittage desselben Tages fortsetzen.
Voraus geht eine treffliche Einleitung, die uns die letzten
Lebenstage des von Cicero so hochverehrten Crassus schildert;
mit Grausen erinnert der Verfasser sich und den Leser an
die bald darauf hereinbrechende Ära der Bürgerkriege, denen
die Personen des Dialogs meist zum Opfer fielen. Mit Weh-
mut gedenkt er dabei im Hinblick auf seine eigenen Schick-
sale der Mahnung des Bruders, dem Streite der Parteien fern-
zubleiben; aber er hat darüber nicht mehr die Entscheidung.
Die Kosten der Unterhaltung trägt nunmehr vorwiegend
Crassus, der die Lehre von der sprachlichen Darstellung vor-
trägt. Der Stil soll richtig, deutlich, angemessen, vor allem
aber auch schön sein. Nach einer Abschweifung über das
Verhältnis der Beredsamkeit zur Philosophie wird das „omate
dicere" ausführlich behandelt. Ausdrücklich warnt er davor,
die Schönheit der Form auf Kosten der Gediegenheit des
— 88 —
Inhalts zu heben; der Schmuck der Rede müsse im richtigen
Verhältnis zum Werte des Inhalts stehen, wie sich dies am
ehesten durch Pflege einer allgemeinen BUdung erzielen
lasse; der doctus orator ist das Ideal des gebildeten Mannes.
Nun folgt die Lehre ron den Redefiguren, die auf einzelne
Worte, und solche, die auf Sätze sich beziehen. Die Be-
deutung der Wortstellung, des Rhythmus und der Perioden-
bildung — die eigentliche Domäne ciceronianischer Bered-
samkeit — tvird dargelegt. Gerade hier bringt der Verfasser
die Ergebnisse eigenen Nachdenkens zu Markte; es war für
ihn ein Axiom, dafs auch die kunstmäfsige Prosa rhythmisch
dahinströmen müsse. Den Beschlufs bildet die Lehre rom
Vortrage: Gesten, Ausdruck und Betonung werden be-
sprochen. Mit einem Hinweis auf das aufgehende Gestirn
des Hortensius schliefst das Werk.
Die Schrift „vom Redner" gehört zu den Hauptwerken
Ciceros nach Inhalt und Form; sie hat nicht nur historischen,
sondern auch dauernden Wert und verdient gerade in unsern
Tagen die aufmerksamste Beachtung. Abgesehen von dem
Preise einer allgemeinen, auf das Höchste und Edelste ge-
richteten Bildung empfiehlt sich jenes Werk durch den Hin-
weis auf eine kunstmäfsige, Form und Inhalt harmonisch
ausgleichende Beredsamkeit. Keine Kunst liegt heutzutage
so schwer darnieder, wie die Kunst der Rede. Mag man in
der Kirche oder in der Schule, im Parlament oder vor
Gericht, im engeren oder weiteren Kreise sich umhören, die
Kunst, seine Gedanken in fliefsender, gebildeter Sprache vor- ^
zutragen, ist überaus selten, weit seltener, als die Kunst,
gefaUig zu schreiben. Es ist hier nicht unsere Aufgabe, die
Gründe dieses Mangels aufzusuchen; je mehr wir uns von
den Griechen und Römern und damit von dem Prinzip der
Schönheit entfernen, desto mehr nähern wir uns dem ameri-
kanisch-englischen „Zeit ist Geld" und damit der unholden
Nüchternheit des Utilitarismus. Ein Studium der rhetorischen
Schriften Ciceros wird den Sinn für die Schönheit mensch-
— 89 —
lieber Rede neu erwecken und vielleicht den Grund legen
für die Lehre von der deutschen Beredsamkeit.
Aber die genannte Schrift hat noch andere Vorzüge.
Aufser dem fein durchgearbeiteten Stil, in dem der Verfasser
das Muster giebt für seine Regeln, enthält die Schrift eine
überreiche Fülle historischer, litterarischer, philosophischer
Mitteilungen, die, in immer anregende Form der Darstellung
gekleidet, unsere Einsicht in das Wesen des Altertums,
unsere Kenntnisse und Anschauungen wie kaum ein zweites
Werk der alten Litteratur bereichern. Cicero hat sich mit diesem
Werke, das durchaus als Originalleistung anzusehen ist, ein
Ehrendenkmal gesetzt. Ist dies etwa der Grund, warum
seine Kritiker gerade diese Schrift nur flüchtig berühren?
Im folgenden Jahre begann Cicero die Schrift „vom
Staate", die wir hier sofort anschliefsen nebst dem noch
etwas jüngeren Werke „von den Gesetzen", Schriften, die
schon im Titel an Plato {noXirela und vdjuoi) erinnern.
Aber auch dem Inhalt nach zeigt sich hier Cicero als
Schtiler des grofsen Philosophen. Leider sind beide Werke
nur in trümmerhaftem Zustand auf uns gekommen, zum
Teil nur mühsam aus zweimal beschriebenen Handschriften
entziffert. In der ersteren Schrift erörtert Cicero die vielfach
von griechischen Philosophen angezweifelte Verpflichtung,
am politischen Leben teilzunehmen. Kach dieser Einleitung
föhrt er uns auf Gnmd einer ihm in Smyma zu teü ge-
wordenen Unterredung mit dem trefflichen P. Rutilius Rufus,
einem zweiten Aristides, die sympathische Person des jüngeren
Africanus im Gespräch mit seinen Freunden und Schülern
vor das geistige Auge; Q. Tubero, L. Furius Philus und
C. Lälius, femer Mummius, Fannius und Scävola werden
genannt; endlich Manilius. Nach einer ungezwungenen Ein-
führung, in der astronomische Fragen in Verbindung mit
poUtischen Ereignissen behandelt werden, beginnt Scipio
eiüe theoretische Grundlegung der Staatswissenschaft mit
einigen Begriffsbestimmungen; er unterscheidet drei typische
i
— 90 —
Gestaltungen des staatlichen Lebens, die Monarchie, die
Aristokratie und die Demokratie, die er nach ihren Vorzügen
und Auswüchsen charakterisiert mit sichtlicher Vorliebe für
die zweite Gattung. Interessant und geschichtlich richtig ist
die Herleitung des Despotismus (Tyrannis) aus der Pöbel-
herrschaft. Sein Ideal ist, den Forderungen des Aristoteles
entsprechend, eine Mischung aus allen drei Faktoren. Im
zweiten Buche giebt Cicero, abweichend von Plato, die
Geschichte der römischen Staatsverfassung als des konkreten
Beispiels, an dem er seine Theorie entwickeln will; der
römische Staat ist nicht durch einen, sondern durch viele
geschaffen, nicht in einem Menschenalter, sondern in Jahr-
hunderten; darum eignet er sich besser zur Grundlage, als
der Idealstaat des platonischen Sokrates. Seine. Auffassung
von der Entwicklung des römischen Staates ist nicht ein-
wandfrei; unkritisch, wie er ist, steckt er tief in dem von
findigen Griechen und gläubigen Römern gesponnenen Sagen-
gewebe, wenn er auch das Märchenhafte der Entstehungs-
geschichte ahnt. Dennoch läuft manche treffende Bemerkung
unter, so über die Lage der Stadt Rom. Die römischen
Könige mit allen ihren sagenhaften Thaten und Einrichtungen
ziehen an uns vorüber; die Curiat- wie die Genturiatverfassung
kennen wir ihrem Kerne nach besser, als die Römer selbst,
seit B. G. Niebuhr, der Vater der modernen Geschichts-
forschung, zuerst das Licht der Kritik in diese Finsternis
getragen hat. Es folgt die Abschaffung des Königtums, die
Begründung des Freistaates. In dem Ständekampf ninunt
Cicero die Partei des Senats. Aber gerade hier läfst uns
die vatikanische Handschrift in Stich. Noch schlimmer steht
es um die folgenden vier Bücher. Nur aus dürftigen Über-
resten, meistens Citaten der Kirchenväter, können wir eine
Vorstellung von detn ursprünglichen Inhalt gewinnen. Im
dritten Buche wird die Frage für und wider erörtert, ob
die Gerechtigkeit für die Staatsverwaltung nützlich und not-
wendig sei. Das vierte Buch handelt von der sittlichen Er-
— 91 —
Ziehung der Bürger, das ftinfbe zeiclmet das Ideal eines
Staatsmanns. Glücklicherweise ist uns aus dem sechsten
Buch, von dem die Handschrift nichts bietet, durch die
Auslegung des Grammatikers Macrobius der bedeutungsvolle
Schlufs erhalten, der das Schönste bietet, was Cicero über
ein philosophisches Thema geschrieben hat. Zwar hat er
auch hier dem Plato nachgeahmt; aber während dieser am
Schlufs seiner Politie von einem wunderbar ins Leben zurück-
gekehrten PamphyHer Er erzählt, för den wir unmöglich ein
wärmeres Interesse fühlen können, hat Cicero die plato-
nischen Grundgedanken von der dem s^erechten Staatsmann
bevorstehenden Belohnung im Jenseits in eine wahrhaft
poetische Form gekleidet. Es ist der jüngere Scipio, der
einen Traum erzählt, den er einst in Afrika geträumt. Dort
habe ihn sein grofser Vorgänger, der Sieger von Zama,
sowie sein leiblicher Vater, der Sieger von Pydna, über die
wahre Bestimmung des Menschen aufgeklärt. Der Leib ein
Kerker der Seele, die Unsterblichkeit der Lohn des Ehren-
mannes, diese tiefsinnigen Ahnungen der ewigen Wahrheit
werden von Cicero mit hinreifsender Beredsamkeit und ehr-
lieber Überzeugung entwickelt. Wunderbar einfach und
gerade darum doppelt wirkungsvoll endigt das Werk,
dessen Schlufs allein schon hinreichen würde, um die bis
in unsere Tage wiederholte Behauptung zu entkräften, dafs
Cicero „eine gefallene Grö&e" sei. Wer das geschrieben,
hat sich damit in die erste Reihe der Vorkämpfer des
Idealismus gestellt. Und wenn er auch nicht immer seiner
Überzeugung im Leben treu geblieben ist, wenn er auch
zeitlichen Ruhm oft höher geschätzt hat, als die Aussicht
auf Unsterblichkeit, so ist ihm dafür der Entschuldigungs-
grund der menschlichen Hinfälligkeit ebensowenig zu ver-
sagen, wie einem anderen Staubgeborenen.
Dem „Staat" folgten nach zwei Jahren die „Gesetze",
die wir hier passend einreihen. Von diesem vielleicht nicht
vollendeten Werke sind uns drei Bücher erhalten, auch diese
1
— 92 —
nicM ohne Lücken. Mafsgebend sind auch hier griechische
Quellen; die Form ist die dialogische, und zwar sind es die
Brüder Cicero und Ätticus, die in der alten Heimat am
Fibrenus plaudern; wir haben der landschaftlichen Schilde-
rungen wie der pietätvollen Erinnerungen bereits gedacht.
Das erste Buch giebt wieder die theoretische Vorunter-
suchung. Unter zahlreichen Anführungen aus griechischen
Philosophen aller Schulen wird der Satz begründet, dafs
Recht und Gesetz nicht willkürliche Einrichtungen seien,
sondern aus der Natur stanunten, von der Gottheit ein-
gesetzt, im Wesen des Menschen begründet; dabei wird die
Frage nach dem höchsten Gut erörtert. Das zweite Buch
bringt nach der beregten anmutigen Einleitung eine Samm-
lung sakraler Gesetze in altertümlichem Latein nebst Er-
läuterungen. Im dritten Buch wird das Beamtenrecht unter
Zusammenstellung der betreflfenden Gesetze erläutert. Äuöh
hier ist die Gesetzessprache der Vorzeit beibehalten. Der
Standpunkt ist der eines hartgesottenen Optimaten, der in
der Einsetzung des Tribunats eine Gabe zweifelhafter Güte
erblickt. Anspielungen auf eigene Erlebnisse fehlen nicht;
doch gewährt ein Eingehen ins einzelne hier kein Litereöse.
Wieviel Bücher aufserdem fertig gestellt sind, wissen wir
nicht; ein fünftes wird wenigstens citiert.
Eine andere Gattung von Schriftstellerei, die historische,
ist von Cicero in diesem Zeitabschnitt zwar angebaut, aber
so gut wie ganz verloren gegangen ; wir dürfen wohl sagen,
zu seinem Glück. In dem Bestreben, den Schimpf der Ver-
gangenheit abzuwaschen, liefs er sich hinreifsen, seine Ver-
bannung und Rückkehr in Prosa und Versen zu erzählen;
es ist selbstverständlich, dafe er es an Selbstlob nicht hat
fehlen lassen. Dem Lichte darf eben der Schatten nicht
fehlen ; es ist aber verkehrt, nur auf den Schatten zu schauen.
Neben dieser umfangreichen und mühevollen Thätigkeit
auf litterarischem Gebiet ging die Arbeit des patronus cau-
sarum ohne Unterbrechung einher; auch im Senate zeigt sich
— 93 —
Cicero dann und wann, wenn es galt, seinen Feinden zu
schaden und seinen Gönnern zu dienen. Wir zäMen im
folgenden die Reden aus den Jahren 55 bis 52 auf bis zur
Miloniana; der Inhalt hat nur zum Teil noch Interesse fiir uns.
Voran steht, um von anderen, die wir nur dem Titel
nach kennen, zu schweigen, die Schmährede gegen L. Piso,
ein an Massivität der Injurien kaum zu überbietendes Schrift-
stück, das uns zum gröfsem Teil erhalten ist. Nur die süd-
ländische Lebhaftigkeit kann einen derartig leidenschaftlichen
Ergufs erklären, wenn auch nicht rechtfertigen; die Rede ent-
halt ein förmliches Lexikon von Schmähworten. Im Jahre 54
verteidigte Cicero, um sich den Machthabem geföllig zu
zeigen, seine alten Feinde Vatinius und Gabinius, Reden, die
nicht mehr erhalten sind; es war vielleicht die tiefste De-
mütigung, die ihm auferlegt wurde. Bruchstücke sind uns
durch den vortrefflichen SchoUasten Asconius von der für
M. Amilius Scaurus gehaltenen Verteidigungsrede erhalten;
sie betraf die Verwaltung Sardiniens durch den Beklagten,
der sich dort böse Gewaltthaten erlaubt haben soll. Dafs
in dem Prozefe fünf Verteidiger aufser Cicero auftraten,
spricht nicht gerade für das gute Gewissen des vornehmen
Mannes; immerhin wurde er freigesprochen. Bedeutender ist
die Verteidigungsrede für den designierten Ädilen Cn. Plancius,
der seiner Zeit sich des verbannten Cicero mit grofser Treue
imd Hingebung in Thessalonica angenommen hatte. Aus der
Rede klingt der Ton herzlichster Dankbarkeit heraus; Cicero
hat dieser edlen Tugend auch in Worten ein herrliches
Denkmal gesetzt: „Wer ist", sagt er, „von uns wahrhaft
gebildet, dem nicht seine Erzieher, seine Lehrer, dem nicht
der stumme Ort selbst, wo er erzogen und unterrichtet ist,
in dankbarer Erinnerung vor dem geistigen Auge schwebt?
Die Dankbarkeit ist die Mutter aller übrigen Tugenden.
Was ist Pietät anders als dankbare Gesinnung gegen die
Eltern? Wer ist ein guter Bürger, im Kriege oder im
Frieden, der nicht der Wohlthaten des Vaterlandes gedenkt?
— 94 -
Wer ist heilig, wer fromm, der nicht den unsterblichen
Göttern den schuldigen Dank abstattet in gerechter Ver-
ehrung und mit dankbarem Gemüte?" Herrliche Worte,
die nicht nur schön klingen, sondern auch aus dem Herzen
des Redners konunen. Aber auch sonst hat die Rede des
Interessanten gar viel. Zwar hat die Sache keine besondere
Bedeutung. Die jugendlichen Ankläger Juventius Laterensis
und L. Cassius verklagten Plancius, weil er sich auf unrecht-
mäfsige Weise mit Hilfe von verbotenen Verbindungen (soda-
licia) die Adilität erschlichen habe; es war offenbar ein Rache-
akt, um Laterensis för seine Wahlniederlage zu entschädigen.
Um so auffallender ist es, dafs die Ankläger gegen Cicero
selbst ihre Waffen richten und nicht blofs sein politisches
Verhalten, sondern auch seine Redeweise scharf angreifen;
die kläglichen Schlufsreden, die Frucht der rhodischen Studien,
werden ergötzlich persifliert. Auf der andern Seite verdient
es Anerkennung, mit welcher Ruhe und Sicherheit Cicero
den erbosten Gegnern erwidert; ohne besondere Erhitzung
führt er sie der Reihe nach ab und erweist glänzend seine
Überlegenheit, eine Ruhe, die vorteilhaft von der Schimpf-
rede gegen Piso absticht. Er beginnt mit einer Freund-
schaftsversicherung gegenüber dem Hauptankläger und er-
örtert sodann das Vorleben des Beklagten, aus dem er
genügend Erklärungsgründe für den Ausfall der Wahl ab-
zuleiten weifs; seine eigene Empfehlung gesteht er offen
ein. Bezüglich der einzelnen Anklagepunkte, die gewift
vielfach der Wahrheit entsprachen, weifs er sich dadurch
zu decken, dafs er von dem Ankläger konkrete Fälle, strikte
Beweise verlangt, wie sie allerdings bei solchen Vergehungen
immer schwer zu beschaffen waren. Weiterhin kommt er
mehrfach auf eigene Erlebnisse zu sprechen, so auf seine
Erfahrungen nach der sicüischen Quästur, vor allem auf die
Ereignisse der jüngsten Vergangenheit, Verbannung und
Rückkehr. Er bekennt offen, dafs er nunmehr eine Front-
veränderung in politischen Dingen vollzogen habe; nicht
— 95 —
immer seien dieselben Anschauungen von denselben ver-
teidigt, sondern wie es die Lage des Staates, der Wandel
der Zeiten, die Rücksicht auf die Eintracht verlangt habe.
Zum Schlufs läfst er höchst pathetisch den Beklagten sich
erheben und empfiehlt ihn unter allseitigem Thränenerguls,
wenn man den Worten trauen soll, dem Wohlwollen der
Richter.
Mit dem Prozefs des Gabinius, der auf Pompejus' Befehl
den König Ptolemäus nach Alexandrien zurückgeführt hatte,
hängt die Rede für C. Rabirius Postumus zusammen, den
Adoptivsohn jenes von Cicero früher verteidigten Rabirius.
Der Beklagte, ein Bankier, hatte dem nach Rom entflohenen
Ptolemäus Geld vorgestreckt und war dann mit Gabinius
nach Ägypten gekommen, um den Profit einzustreichen. Das
scheint er als königlicher Beamter so gründlich besorgt zu
haben, dafs Cicero keinen leichten Stand bei seiner Verteidi-
gung hatte. Doch ist die Rede minder wichtig.
Am Schluls dieser Reihe von Verteidigungsreden, die
leicht wenigstens durch Titel und Namen hätten vermehrt
werden können, steht die Miloniana, das vollgültige Zeugnis
der ciceronianischen Redekimst. Allerdings ist diese Rede
nur geschrieben, nicht gesprochen. Die jahrelangen Unruhen
in den Strafsen der Hauptstadt hatten endlich eine Reaktion
hervorgerufen. Nachdem die Comitien wiederholt fruchtlos
verlaufen waren, ernannte der zeitweiKge Interrex Pompejus
zum alleinigen Konsul (consnl sine collega), d. h. zum all-
mächtigen Diktator. Dieser besann sich nicht lange und
erliefe eine Reihe von Gesetzen, welche die Beschleunigung
der Gerichtsverhandlungen bewirkten. Da ereignete es sich,
dafs der grofse Strafsenheld Clodius auf der Landstrafse von
seinem Herzensfeinde T. Annius Milo bei einer der gewöhn-
lichen Balgereien erstochen wurde. Es war stadtbekannt,
dais Pompejus dem sich damals um das Konsulat bewerbenden
Milo nicht günstig gesinnt, dafe also seine Verurteilung
vorauszusehen war. Trotzdem liefe sich Cicero nicht abhalten,
— 96 —
in dankbarer Erinnerung an die geleistete Unterstützung ihn
zu verteidigen. Als er aber am Gerichtstage erschien, er-
blickte er den Markt umstellt von den BewaflEneten des Pom-
pejus, der selbst, von einem grofsen Gefolge umgeben, vor
dem Schatzhause sieh niedergelassen hatte. Dieser unge-
wohnte Anblick, die Erinnerung an die schUmmen Zeiten der
Vergangenheit, das Zischen der Anhänger des Ermordeten,
alles dies verwirrte den Redner, so daJfe er nur stockend
sprach. Der Beklagte kam der Verurteilung durch Selbst-
verbannung zuvor. Ihm zum Tröste schrieb Cicero die Rede
nieder, die wir als sein Meisterwerk noch heute besitzen.
»
In vorsichtigster Weise beginnt der Redner, indem er
auf die ungewöhnliche Anwesenheit der Soldaten, wie auf
die dem Beklagten ungünstige Stimmung hinweist. Er schickt
daher, ehe er zur Sache kommt, drei Abschnitte vorauf, in
denen er gewissermafsen sich freies Feld erobern wül. Er
erweist, dafs Banditen getötet werden dürfen, dafs der Senat
nicht gegen Milo Partei ergriffen, dafs Pompejus eine un-
parteiische Haltung bisher bewiesen habe (exordium). Dann
folgt nach einer Zusammenfassung die Feststellung des Themas
(propositio): Wer hat dem andern einen Hinterhalt gelegt?
In der meisterhaften Erzählung des Thatbestandes (narratio)
weifs der Redner uns bereits trotz aller scheinbaren Schlicht-
heit für Milo zu gewinnen. Das Thema (rö KQivö/uevov)
wird noch einmal scharf betont. Nun folgt die Beweis-
führung (argumentatio) in mehreren Abschnitten. Zuerst
wird die Wahrscheinlichkeit aus der Sachlage nachgewiesen
(probabile ex causa) , indem die Verhältnisse des Milo mit
denen des Clodius verglichen werden; ersterer hat gar kein
Interesse am Morde gehabt. Dann kommt der Beweis aus
dem Vorleben beider (probabile ex vita); wiederum fallt der
Vergleich für Clodius ungünstig aus. An dritter Stelle ist
der Indicienbeweis angebracht, der Beweis aus äusseren Kenn-
zeichen und Anhaltspunkten (signa und argumenta), und zwar
wird die Zeit, der Ort und die Gelegenheit der Reihe nach
— 97 —
durchgesprochen; hierauf eine Abschweifung über die pein-
liche Befragung der Sklaven, welche in sehr verdächtiger
Weise erfolgt ist. Nunmehr wird das Verhalten des Beklagten
nach der That erörtert (consecutio), woran sich ein Exkurs
über den Gemeinplatz (locus communis) von der Unzuver-
lässigkeit der Gerüchte reiht. Soweit der erste Teil, die
eigentliche Verteidigung. Der zweite Teil bewegt sich extra
causam, um das Gewicht der Entlastung noch durch zwei
Momente zu erhöhen. Auf der einen Seite bittet Cicero die
Richter, den Beklagten aus Rücksicht auf seine früheren
Verdienste freizugeben (deprecatio) , auf der anderen Seite
stellt er noch einmal alle Vergehungen des Ermordeten zu-
sammen, um die Berechtigung des Totschlages zu erhärten.
Der Schlufs ist sehr umfangreich; alle Register menschlicher
Empfindungen werden gezogen, wenn auch der Beklagte
selbst als unerschüttert dargestellt wird.
Dem vortrefflich disponierten Inhalt, dem anerkennens-
werten Geschick entspricht die Vollendung der Form. Cicero
hat hier den Beweis flir seine Meisterschaft in der Be-
herrschung der Sprache erbracht. Mag man es auch be-
dauern, dafs er seine Kirnst oft minder Würdigen zur Ver-
fügung gestellt hat, mag man in seinen Reden das sittliche
Pathos eines Demosthenes vermissen, so wird man ihm doch
den Ruhm seiner Meisterschaft nicht abdingen dürfen. Wie
keiner vor und nach ihm, hat er den Geist seiner Mutter-
sprache erfafst und sie zu der Vollendung geführt, dafs sie
jahrhundertelang die Weltherrschaft behauptete. Selbst ein
Cäsar bekannte, dafs der Schöpfer und Erfinder dieses Sprach-
reichtums sich wohl um den Namen und die Ehre des rö-
mischen Volkes verdient gemacht habe.
Aly, Cicero.
— 98 —
Kapitel 11.
Das Prokonsulat.
Immer mehr bewölkte sich der politische Himmel;
immer deutlicher gab Pompejus seine Absicht zu erkennen,
dafs er mit Cäsar brechen und sich dem Senate in die Arme
werfen wollte. Zwar gab er die Alleinherrschaft zum zweiten-
mal aus der Hand, als er, der consul sine coUega, sich seinen
Schwiegervater Metellus Scipio zum Amtsgenossen nahm.
Aber die Mafsregeln, welche er im Senate durchsetzte, zielten
darauf ab, Cäsar den Boden abzugraben; ein seltsamer Zu-
fall wollte es, dafs gerade Cicero durch eine dieser Mafsregeln
empfindlich getroffen wurde.
In Lucca war es seiner Zeit ausgemacht, dafs Cäsar nach
Ablaufseiner zehnjährigen Statthalterschaft in Gallien das Kon-
sulat bekleiden sollte; ohne Amt durfte der außerordentliche
Mann nicht nach Rom zurückkehren, wenn er sich nicht
seinen erbittertsten Feinden wehrlos ausliefern wollte. Im Hin-
blick hierauf liefs Pompejus einen Senatsbeschlufs erneuern,
wonach Prätoren und Konsuln erst fünf Jahre nach Ablauf
ihres Amtsjahrs um eine Provinz losen durften. Da zur Zeit
es selbstverständlich an Statthaltern gebrach, so griff man
auf die älteren Konsulare und Prätorier zurück, u. a. auf
Cicero, der durch das Los mit der Verwaltung der Provinz
Cilicien, einschliefslich des Oberbefehls über ein Heer von
12 — 15000 Mann, auf ein Jahr betraut wurde. Nichts
konnte ihm weniger erwünscht sein, zumal die Gefahr eines
Partherkrieges nicht ausgeschlossen war. Einen geringen
Trost gewährte es ihm, dais er vorläufig der Notwendigkeit
entrückt war, zwischen Pompejus und Cäsar zu wählen.
Im April 51 brach Cicero in Gesellschaft seines Sohnes,
Bruders und Neffen von Rom auf, nachdem er C. Pomptinius,
M. Annejus und L. Tullius als Legaten, L. Mescinius (vielleicht
— 99 —
auch Cn. Volusius) als Quästor sich zugesellt hatte. Nach-
dem er unterwegs sich mit Pompejus gründlich ausge-
sprochen, schiflfte er sich in Brundisium ein und gelangte
über Actium nach Athen, wo ihm ein Zufall ermöglichte,
das Haus Epikurs seinen Anhängern zu erhalten. Er landete
Ende Juni in Ephesus, wo er sich einer freundlichen Auf-
nahme erfreute. Die Verhältnisse seiner Provinz lagen nicht
eben einfach. Bald erfuhr er, dafs sein Vorgänger Appius
Claudius arg gehaust hatte; auch jetzt machte er ihm
allerlei Schwierigkeiten. Das Heer war unvollständig, dazu
durch einen Aufruhr erregt; dabei ein Einfall der Parther
nicht unwahrscheinlich. Unter diesen Umständen griff Cicero
mit Einsicht und Thatkraft ein. Wenn er sich auch in seiner
Stellung recht unglücklich fahlte, wie wir namentlich aus
seinem Briefwechsel mit M. Cälius, seinem hauptstädtischen
Berichterstatter, ersehen, so erfüllte er doch seine Pflichten
gewissenhaft mit einziger Ausnahme seines übereilten Fort-
gangs. Wir sind über dieses Jahr seines Lebens durch
einen ausgedehnten Briefwechsel gut unterrichtet.
Cicero bereiste zimächst seinen Verwaltungsbezirk, zu
dem aufser Cilicien drei Diöcesen (Lycaonien, Phrygien,
Pisidien) und die Insel Cypem gehorten. Er hielt sich
mehrere Tage in Laodicea, Apamea, Synnada und Philo-
melium auf, um die von seinem Vorgänger nach übler
Tradition den Provinzialen aufgebürdeten Lasten einiger-
mafsen zu erleichtem. Inzwischen liefs er durch Annejus
die f&nf aufständischen Kohorten mit d^m (3ttos seines Heeres
vereinigen und auf der Hochfläche von Iconium ein befestigtes
Lager au&chlagen. Nachdem er das Heer gemustert hatte,
erhielt er von dem tributären König von Commagene, sowie
von einem Araberscheik die Schreckensnachricht, dafs die
Parther wirklich in Syrien eingefallen seien und vor Antiochia
stünden. Er verzichtete daher auf den Einmarsch in Cilicien
und bezog an der Grenze von Cappadocien nicht weit vom
Taurus ein Beobachtungslager bei Cybistra. Hier sagte der
— 100 —
zuverlässige König Galatiens, Dejotarus, Hülfe zu. Zugleich
sclilichtete Cicero einen gefahrlichen Streit, der zwischen
dem Könige von Cappadocien, Ariobarzanes, und dem mäch-
tigen Priester der Bellona, Archelaus, entbrannt war, zu
gunsten des ersteren. Endlich traf die Nachricht von einem
glücklichen Reitergefecht und dem darauf erfolgten Abzüge
der Parther ein. Cicero sah nun von weiteren Rüstungen
ab und marschierte nach Tarsus, von wo er eine Ex-
pedition gegen die unruhigen Stämme des Aiuanus unter-
nahm. Durch eine Kriegslist glückte es ihm, den Feind zu
überfallen. Drei kleine Städte wurden, zum Teil nach hart-
näckiger Gegenwehr, mit stürmender Hand genommen, das
Lager an der durch Alexander den Grofsen berühmt ge-
wordenen Stelle aufgeschlagen. Während Bibulus, der Statt-
halter Syriens, sich in ähnlichen Kriegszügen eine Schlappe
holte, griff Cicero mit Glück die freien Cilicier in ihrer
Hauptstadt Pindenissus an. Das Bergnest wurde nach allen
Regeln der Kriegskunst 56 Tage lang berannt, dann erstürmt
und zerstört. Es war gerade (nach dem unberichtigten Ka-
lender) der Tag der Saturnalien: der Soldat gewann Beute,
der Feldherr den Titel Imperator, auf den er nicht wenig
stolz war. Dann ward das Heer — es war November —
in die Winterquartiere gelegt, Quintus mit dem Kommando
in Cilicien beauftragt, während der Statthalter nach Laodicea
ging, um seinen anderweitigen Pflichten zu genügen.
Seine winterliche Thätigkeit war fast schwieriger und
undankbarer, als die Sommerkampagne. Galt es doch, die
verschiedensten Interessen zu berücksichtigen, die sich nur
zu oft widersprachen. Cicero selbst unterschied sich, wie
wir bereits in Sicilien beobachtet, zu seinem Vorteil von
den üblen Gepflogenheiten seiner Amts- und Standesgenossen;
er befreite gern die Asiaten und Griechen von ungerechten
Steuern imd widergesetzlichen Zinsen. Aber gleichzeitig
wünschte er sich die Freundschaft der römischen Gro&en,
des Appius, des M. Brutus u. a., zu erhalten; es viriderstand
— 101 —
ihm, seine alten Gönner, die Zollpächter, vor den Kopf zu
stofsen. Und doch waren es gerade diese, die im Verein
mit den heimischen Kapitalisten den XJnterthanen Roms den
letzten Tropfen abprefsten. Ein düsteres Gemälde malt uns
Cicero in seinen Briefen an Atticus vor Augen, aus dem
eine Scene besonders unsere Aufmerksamkeit fesselt. Zwei
dunkle Ehrenmänner, M. Scaptius und P. Matinius, „Freunde"
des hochgeborenen, jungen M. Brutus, beschwerten sich dar-
über, dafs die Reiterschwadronen, welche der frühere Statt-
halter Appius nach Cypem zu ihren Gunsten beordert hatte,
auf Ciceros Befehl abzogen, und dies mit Fug und R^cht.
Denn in unerhörter Weise hatten jene Erzwucherer mit
dem ihnen anvertrauten Kommando Mifsbrauch getrieben; die
Reiter hatten auf ihre Veranlassung den unglücklichen Rat
von Salamis so lange im Rathaus eingeschlossen gehalten,
bis einige der Senatoren den Hungertod starben. Cicero
berichtet ausführlich über die schamlose Ausbeutung der
Insulaner. Aber wer beschreibt sein Entsetzen, als er er-
föhrt, dafs jene Blutsauger nichts anderes seien, als Bevoll-
mächtigte des Brutus! Dieser hoflhungsvolle Schüler der
Stoa hatte wohlweislich dem Cicero wie dem Atticus — der
übrigens die Einwohner von Sicyon nicht viel besser, be-
handelte — seine Geschäftskniffe verschwiegen. In ehrlicher
Entrüstung ergeht sich Cicero über diese herbe Enttäuschung,
dafs ein junger Mann, den er so hoch geschätzt hatte, sein
Geld zu 45 Prozent auslieh. Er konnte eine Einigung nicht
herbeiführen und überliefs die Entscheidung seinem Nach-
folger.
Auch in einem anderen Fall lernte er die Habsucht
des Brutus kennen, als er die Angelegenheiten Cappa-
dociens ordnete; König Ariobarzanes war jenem tief ver-
schuldet. Es glückte Cicero, eine allmähliche Abzahlung
der Schuld zu veranlassen. Weniger zuvorkommend war er
in einem anderen Falle, in dem er eine unrechtmäfsige Be-
drückung der Unterthanen beförchtete. Sein junger* Freund
— 102 —
Gälias hatte ihn um eine Sendung Panther gebeten, welche
er f&r Tierhetzen in Rom verwenden wollte. Der Prokonsul
wuTste sich dieser lästigen Forderung zu entziehen. Auch
andere Zumutungen wies er zurück. Besondere Not machte
ihm sein Amtsvorgänger, der ihm bei der Übernahme der
Verwaltung alle nur erdenkbaren Schwierigkeiten bereitet
hatte. Es war nicht zu verwundem, dafs Cicero die drücken-
den Mafsregeln des Appius, die sich namentlich auf Gesandt-
schafben und Ehrenbezeugungen erstreckten, kurzerhand auf-
hob. Später ist eine Aussöhnung zustande gekommen.
Ganz besonders liefs es sich Cicero angelegen sein, durch
sein Vorbild den XJnterbeamten wie den Provinzialen das
Muster eines gerechten und anspruchslosen Statthalters vor
Augen zu stellen. Er versichert — und wir haben keinen
Anlafs zu zweifeln — , daJfe er selbst auf die ihm zustehenden
Naturallieferungen abgesehen vom Nötigsten verzichtet habe.
Seinem Beispiele folgten die Seinigen. Trotzdem brachte er
rechtmäfsig erworbene Ersparnisse von 2200000 Sesterzen
aus der Provinz heim. Man kann daraus entnehmen, welche
Summen die Statthalter vom Durchschnittsschlage erpreisten.
Im Anfang des Jahres 50 wurde ihm in Anerkennung
seiner Kriegsthaten ein Dankfest (supplicatio) zuerkannt,
trotz der Einrede Catos, der sich auch durch einen ver-
traulichen Brief Ciceros nicht umstinunen liefs. Wimderlich
erscheint uns die Eitelkeit des letzteren, der an den unschwer
erworbenen Imperator -Titel sich anklanunerte, jahrelang die
Rutenbündel seiner Amtsdiener mit Lorbeeren schmückte und
sehnlichst nach der Ehre eines Triumphes verlangte. Wunder-
lich und doch verständlich, wenn wir uns den Zusammenhang
der Dinge vergegenwärtigen. Nach einem Erfolge sonder-
gleichen war Cicero, nicht ohne seine Schuld, in das tiefste
Elend gestürzt. Nur mit gänzlicher Demütigung hatte er
eine leidliche restitutio in integrum durchgesetzt und durch
fortwährende Dienstleistungen behauptet. Nun war es ihm
durch einen glücklichen Zufall vergönnt, wider Erwarten
— 103 —
eine politische Stellung selbständig mit Glück auszufüllen.
Wieder berückte ihn die Hofl&iung, dafs er doch zum Staats-
mann berufen sei. War es da nicht verzeihlich, dafs er sich
eine vollständige Genugthuung durch die schon oft für ge-
ringere Verdienste bewilligte Ehre des Triumphes bereiten
wollte? Er machte aus den Motiven seines Ehrgeizes nicht
das mindeste Hehl.
Mit noch weniger Berechtigung werden seine Kriegsfiihrung
wie seine Verwaltung bekrittelt. Wir sind über die poli-
tischen Verhältnisse Ciliciens zu jener Zeit wenig imterrichtet.
Soviel steht jedoch fest för jeden, der sich ein unbefangenes
Urteil bewahrt hat, dafs der Statthalter von Cilicien bei
der Nähe der Parther die freien Stämme des Amanus nicht
unbeachtet lassen durfte. Wenn man Cicero einen Vorwurf
machen will, so ist es eher der, dafs die Unterwerfung nicht
eine gründlichere war, dafs die wichtigen Pässe nicht durch
Befestigungen und Besatzungen geschlossen wurden. Auch
seine Verwaltung verdient es nicht, durch Bemängelung der
Motive herabgesetzt zu werden. Er that seine Pflicht ehr-
lich und nach besten Kräften.
Im Winter bereiste er seine Provinz, um Recht zu
sprechen. Er ging in die Diöcesen, nachdem er nach Cypern
einen Stellvertreter geschickt hatte; namentlich hielt er sich
in Laodicea auf. Im Frühjahr kehrte er wieder nach Cilicien
zurück. Schon seit geraumer Zeit beschäftigte ihn nur der
eine Gedanke, dafs er rechtzeitig abgelöst würde. In allen
den zahlreichen Briefen, die er damals an hervorragende
Persönlichkeiten schrieb, kehrt stets als Leitmotiv die Bitte
wieder, man möge ihm sein Kommando nicht verlängern,
wie das bei dem drohenden Partherkriege nicht unmöglich
war. Es ist dies der einzige Punkt, wo Cicero sich nicht
ganz richtig benommen hat. Obgleich trübe Nachrichten
eintrafen, ein Krieg in Syrien, RaubeinßQle in Cilicien ge-
meldet wurden, so legte er dennoch sofort nach Ablauf
seines Amtsjahrs sein Kommando nieder, beauftragte den
— 104 —
neuen Qnästor, C. Cälius Galdus, den er durchaus nicht für
geeignet hielt, mit seiner Vertretung, deponierte seine Rech-
nungen und Akten in Laodicea und Apamea und trat schleu-
nigst die Heimreise an. Und doch läfst sich für diese Eile
ein Grund anföhren, der sie erklärt und entschuldigt. Was
hatte denn Cicero auf jenen Posten getrieben, für den er
ganz und gar nicht pafste? Ein Kampfgesetz des Pompejus,
das, auf Cäsar gemünzt, zunächst einen Unschuldigen traf.
Das Kommando in Cilicien war nächst der syrischen Statt-
halterschaft zur Zeit der wichtigste, aber auch der gefahr-
lichste Posten, den die Regierung zu besetzen hatte. Man
hat Mühe, sich eine Vorstellung von dem Unverstand zu
machen, der eine derartige Wahl dem Zufall des Loses
anheimstellte. So kam es, dafs die heikelste Aufgabe, die
einen erfahrenen FeldheiTn und erprobten Staatsmann ver-
langte, dem ganz unkriegerischen Redner übertragen wurde.
Der Unsinn des Senatsregiments sprach sich damit selbst
das Urteil. Nun zog sich Cicero mit allen Ehren, allerdings
durch das Glück stark begünstigt, aus der Klemme. Was
Wunder, dafs ihm der Boden unter deji Füfsen brannte, dafs
er von seinem Rechte, die Provinz nach Jahresfrist zu ver-
lassen, unverzüglich Gebrauch machte! Und wenn er auch
einen minderwertigen Quästor zurückliefs, so ist doch da-
durch ein erheblicher Nachteil für das Staatswohl nicht
herbeigeführt worden. Jedenfalls kann Cicero allein nicht
für die Thorheit der Jahreskonmiandos verantwortlich ge-
macht werden.
Er ging über Rhodus, wo er den Tod seines einstigen
Nebenbuhlers Hortensius erfahr, nach Ephesus, von dort
nach Athen, das ihn längere Zeit fesselte. Auf der Heim-
reise mufste er zu seinem Kummer seinen Sekretär und
Freund, den Freigelassenen Tiro, auf einige Zeit krank
zurücklassen. Es erfüllt uns mit Teilnahme zu lesen, wie
oft und wie herzlich er sich nach dem Befinden seines ehe-
maligen Sklaven erkundigt. Ein solches Freundschaftsband,
— 105 —
wie hier zwischen dem Herrn und dem Diener bestand,
dürfte in dem harten Römertum kaum seinesgleichen finden.
Über Actium kehrte er heim und landete in Brundisium,
wo er den inzwischen erfolgten Bruch der Gewaltherrscher
vernahm. Auch in seiner Familie war während seiner Ab-
wesenheit eine namhafte Veränderung vor sich gegangen.
Auf Betreiben der Terentia, die den Gatten in Brundisium
erwartete, hatte sich TuUia, die bereits zweimal verheiratet
gewesen war, mit Dolabella, dem Parteigänger Cäsars, einem
Lebemanne von wenig vorteilhaftem Rufe, verlobt. Die Ab-
wesenheit von anderthalb Jahren hatte für Cicero die Ent-
scheidung vertagt, aber nicht aufgehoben. Jetzt galt es, in
dem entscheidenden Kampf Partei zu ergreifen für Pompejus
oder für Cäsar.
Kapitel 12.
Der Bürgerkrieg.
Es ist die traurigste Periode in Ciceros Leben, in die
wir nunmehr eintreten, noch trauriger, als die Zeit seiner
Verbannung. Hatte er damals noch durch sein unverschul-
detes Leiden einen Anspruch auf unser Mitgefühl erworben,
so war es ihm jetzt nicht einmal möglich, in Wahrheit zu
leiden. Unfähig, sich mit ganzer Seele einem der beiden
Parteihäupter anzuschliefsen, schwankte er haltlos von diesem
zu jenem, von jenem zu diesem, bis ihm die Grofsmut Cäsars
die Rückkehr zu den unzeitig verlassenen Studien verstattete.
Trotzdem ist es ganz falsch, auf Grund dieser Thatsache
seine Vaterlandsliebe anzuzweifeln und seinen Charakter
herabzusetzen. Die Lage der politischen Verhältnisse war
so verworren, dafs ein aufrichtiger Anhänger der libera res-
publica, d. h. des Senatsregiments, sich keiner der beiden
Parteien anschliefsen durfte. Zu einer vermittelnden Stellung-
V
— 106 —
nähme aber, die beiden Prätendenten der Monarchie Einhalt
gebot, fehlte es Cicero wie seinen Freunden an Macht und
Entschlossenheit.
Die Parteinamen der Optimaten und Populären waren
immer mehr verblafst; ein irgendwie ernsthaftes Programm
gab es überhaupt nicht. Die Populären, d. h. das gallische
Heer, das niedere Volk und die grofse Anzahl ehr- und hab-
süchtiger Streber, hatten ihre Sache auf Cäsar gestellt; von
ihm erwarteten sie allein die Befriedigung ihrer meist nie-
drigen Wünsche. Allerdings verkannten sie ihren Herrn und
Meister gründlich. Dieser grofse Mann, der als Staatsmann,
Feldherr und Schriftsteller um eines Hauptes Länge seine
Zeitgenossen überragte, hatte seit Jahren sein Ziel fest im
Auge behalten. Ihm war es nicht allein um seine Macht,
sondern zugleich um des Staates Wohl zu thun, das er nur
durch Einführung der Monarchie glaubte sicherstellen zu
können. Ihn verkannt zu haben, ist Ciceros erster und ein-
ziger Fehler, der seiner staatsmännischen Einsicht ein übles,
seiner Vaterlandsliebe ein ehrendes Zeugnis ausstellt. Er
glaubte an den Fortbestand des Staates, wie ihn nachmals
Livius in seinem Glänze geschildert hat; mit der starren Ein-
seitigkeit konservativer Staatsgesinnung wollte er Einrich-
tungen auch femer stützen und erhalten, die seit Jahrzehnten
zum Untergange verurteilt waren. Weit richtiger urteilte
er über Pompejus und seine nunmehrigen Verbündeten, die
Führer der selbstsüchtigen Nobilität, die nichts gelernt und
nichts vergessen hatte. Seit seiner Jugend vom Qltick ver-
wöhnt und, wie Cicero, über sein Verdienst hinaus gepriesen,
hatte Pompejus zweimal die Krone aus der Hand gegeben,
weil es ihm an der Fähigkeit gebrach, die den echten Staats-
mann auszeichnet, an dem festen Willen. Müstrauisch und
eifersüchtig, hatte er sich von der Nobilität zum Bruch
mit Cäsar treiben lassen, ohne zu bedenken, dafs seine neuen
Verbündeten nach einem Siege seine bittersten Feinde werden
würden. Und dabei hatte er nicht einmal seine militärischen
— 107 —
Pflichten gewissenhaft erjRillt; schlecht gerüstet und fast ratlos
stand er zu Anfang des Bürgerkrieges da. Seiner würdig
zeigte sich die Nobilität, die entartete Nachkommenschaft
staatskluger Väter. Wenn wir von Cato absehen, dem per-
sönliche Ehrenhaftigkeit und ehriiche Überzeugungstreue
nicht abzusprechen sind, so finden wir wenig zu rühmen.
Ungemessener Hochmut und jämmerlicher Kleinmut, Hab-
sucht und Grausamkeit schändeten die Vertreter der Partei,
welche die Freiheit des Staates zu verteidigen vorgab. Dafs
Cicero sich in dieser Gesellschaft, die er so scharf durch-
schaute, nicht heimisch fühlte, darf ihm nicht zum Vorwurf
gemacht werden. Aber die Geschichte liebt die Männer der
Thaten, und seien die Thaten auch noch so verkehrt. Der
Selbstmord Catos wird auf oberflächliche Beurteüer weit
bestechender einwirken, als die Entsagung, mit der sich Cicero
dem Monarchen unterwarf.
Wir verfolgen nunmehr die Wanderungen und Wande-
lungen des Redners, die er in fünf Büchern der Briefe an
Atticus uns selbst berichtet hat.
Nachdem durch das wunderbare diplomatische Geschick
Cäsars Pompejus und der Senat formell ins ofltenbare Unrecht
gesetzt waren, brach der Bürgerkrieg zu Anfang des Jahres
49 aus (im November 50 nach dem berichtigten Kalender).
Wie ein Blitzstrahl traf Cicero wie die ganze Senatspartei
die Kunde von dem Anmarsch der sieggewohnten gallischen
Truppen. Im ersten Schreck wurde die Hauptstadt preis-
gegeben, die Betreibung der Rüstungen anbefohlen, obwohl
der gewissermafsen den Belagerungszustand verhängende
Senatsbeschluls (Videant consules, ne quid respubKca detri-
menti capiat!) bereits vor geraumer Zeit erlassen war. Ver-
gebens riet Cicero zur Nachgiebigkeit, zu Verhandlungen.
Auch er erhielt eine militärische Aufgabe, die Aushebung in
Campanien und die Verteidigung von Capua und der See-
küste. In höchster Aufregung holte er Tag für Tag den
Rat seines Atticus darüber ein, wie er sich zu verhalten habe,
— 108 —
wenn Pompejus Italien verlasse. Inzwischen erfahren wir
von dem Vordringen Cäsars; der einzige Lichtblick für die
Senatspartei ist der in seiner Bedeutung überschätzte Über-
tritt des Labienus. Von Capua ging Cicero in seiner Un-
ruhe nach Cales; Frau und Tochter liefs er auf sein For-
mianum kommen. Da trafen Briefe ein, welche für Cäsar um
Ciceros Freundschaft und Unterstützung baten. Es ist hoch-
interessant zu beobachten, wie oft und wie dringlich der
grofse Revolutionär, der das ganze Staatsgebäude leichten
Herzens über den Haufen warf, den von ihm hochgeschätzten
Redner umschmeichelte. Während Pompejus durch kurze,
herrische, oft grobe Billets ihn an seine Pflicht mahnt, wirbt
Cäsar in feiner und liebenswürdiger Weise um seine Gunst.
Noch schwankte Cicero; wird der Feind ein Pisistratus oder
ein Phalaris sein? Der Krieg zog sich nach dem Süden;
die Entscheidung war vor der Thür. In einem längeren
Briefe legt Cicero dem Freund das Dilemma vor, in dem er
sich befindet: dort der Monarch, freundlich und milde, aber
unzuverlässig und zuletzt doch immer ein Tyrann; hier nichts
von Weisheit und Tapferkeit, zahllose Sünden auf dem Kerb-
holz und erst neuerdings schwere Fehler, vor allem die un-
verständige Flucht. Was thun? Schon ist die Strafse nach
Apulien nicht mehr sicher. Beispiele aus der vaterländischen
und griechischen Geschichte geben für beide Entschlüsse Vor-
bilder. Und nun giebt Pompejus auch den in Corfinium
belagerten Domitius auf und geht nach Brundisium! Sicherer
ist das Bleiben, ehrenhafter die Überfahrt. In Cäsars Auf-
trag schreibt Calius und bittet um Ciceros Beihilfe zur
Anknüpfung von Friedensunterhandlungen. Wie klang das
ganz anders, als die hochmütigen und drohenden Winke der
Pompejaner! Dazukam ein lästiges Augenleiden, die Gefährdung
der Reise. Cicero entschlofs sich zu bleiben, während Pompejus
sich nach Griechenland einschiffte. In verbindlichster Weise
dankte ihm der Sieger, er bittet um seine Anwesenheit in Rom,
da er seines Rates bedürfe. Ebenso die Cäsarianer. Aber nun
— 109 —
war es sein Unglück, dafs er auf halbem Wege stehen blieb.
Er flüchtete sich auf seine Güter und zermarterte sich mit
Selbstvorwürfen, ob es nicht doch richtiger gewesen wäre,
zu fliehen. Allerhand Befürchtungen wurden laut. Aber vor-
läufig überwog die Abneigung gegen die Ächtungsgelüste
der Optimaten. Der „Imperator" Cicero antwortete dem Im-
perator Cäsar höflich, aber ausweichend. Auf einem der
Landhäuser fand die Unterredung statt, die gleichfalls er-
gebnislos blieb. Es ist ohne Zweifel dem Cicero als Bethäti-
gung männlichen Mutes anzurechnen, dafs er dem allmäch-
tigen, gefürchteten Sieger eine rund ablehnende Antwort
gab; er wollte nicht nach Rom kommen, um nicht an den
Thaten des Umsturzes teilzunehmen. Verstimmt schlofs Cäsar
die Unterredung mit den bedenklichen Worten: Wenn er
nicht Ciceros Rat erhalte, so werde er sich an andere wenden
und zu allen möglichen Entschlüssen greifen. Das war viel-
deutig und bestärkte Cicero in seiner Abneigung gegen die
Gesetzlosigkeit. Er feierte inzwischen in der Heimat ein
Familienfest, die Verleihung des Bürgerkleides an seinen
heranreifenden Sohn Marcus. Schon regte sich in ihm der
Wunsch, zu den alten Freunden zurückzukehren. Er wechselte
mehrfach seinen Aufenthalt, mied aber Rom. Inzwischen
reiste Cäsar nach Spanien, um dort das Heer des Feindes
zu schlagen; der Ausfall dieses Waffenganges sollte auch für
Cicero entscheiden, so wollte es seine Tochter. Aber er
folgte nicht und entschlofe sich zur Unzeit, sobald ungünstige
Nachrichten anlangten, da bekanntlich Cäsar bei Uerda durch
Mangel an Proviant in grofse Not geriet. Vergebens warnte
der Stellvertreter des Diktators, M. Antonius, vergebens jener
selbst, vergebens der alte Vertraute M. Cälius. Cicero dachte
bald an Malta, bald an Sicilien; seine Abreise wurde teils
durch die Geburt eines Enkels, teils durch Windstille ver-
zögert. Endlich stach er mit seinem Sohne in See und stiefs
in Dyrrhachium zu Pompejus' Heer. Hier erwartete ihn ein
nichts weniger als freundlicher Empfang, da er nach Ansicht
— 110 —
der Heifsspome zu spät sich für die gute Sache entschieden
habe. Indessen sind wir über die folgenden Monate nur
wenig unterrichtet; die Briefe fliefsen erst nach der Schlacht
bei Pharsalus reichlicher. Es ist wahrscheinlich, dafs Cicero
keinen Einflufs auf die Kriegsoperationen hatte. Um so
tiefer schmerzten ihn die trüben Nachrichten aus der Heimat.
Die soeben genesene Tullia wurde von ihrem unwürdigen
Gatten Dolabella übel behandelt, weil der Vater die ausbe-
dungene Mitgift nicht bezahlt hatte. In seiner Not wandte
sich Cicero an den bewährten Freund und Bankier, der ihn
schon so oft gerettet. Er wies die Summe an, die er seiner
Zeit aus Cilicien erhalten und in Eleinasien zinsbringend
angelegt; aber ein Teil davon war bereits dem Pompejus
zu Kriegszwecken übergeben. Endlich ward die Mitgift be-
zahlt, aber die Klagen über Geldverlegenheiten dauerten fort.
Nun fiel die Entscheidung. Cicero hatte den Marsch
nach Thessalien eines Unwohlseins halber nicht mitgemacht,
er erfuhr durch Labienus die Unglücksnachricht. Man ver-
sammelte sich in Corcyra, wo der gewissenhafte Cato den
an Rang höherstehenden Cicero um Übernahme des Kom-
mandos ersuchte. Aber dieser lehnte sich entschlossen gegen
eine Fortsetzung des Krieges auf; die Verlegung des Kriegs-
schauplatzes nach Afrika, die Anrufung barbarischer Völker-
schaften war ihm zuwider. Auch die Drohungen des Cn.
Pompejus, die an Gewalthätigkeit streiften, konnten ihn
nicht irre machen. Er kehrte nach Italien zurück. Aber
wohin? Nach einer vorläufigen Verfügung Cäsars ward den
ehemaligen Pompejanern der Aufenthalt in Italien verboten.
Nur mit Mühe wurde von dem unerbittlichen Antonius er-
reicht, dafs er in Brundisium, einer ungesunden, unbehag-
lichen Stadt, sich aufhalten durfte. Hier hat er von 48 bis
46 die traurigsten Tage seines leidvollen Lebens verbracht.
Pompejus' Untergang beklagte er einfach und herzlich.
Cäsars Entschlüsse waren ihm ganz unbekannt; er mufste,
nachdem er ihm so sehr entgegen gewesen war, das Schlimmste
— 111 —
erwarten. Dazu kam ein böses Zerwürfiiis mit seinem Bruder
und Neflfen. Über den Grund des Zwistes ist uns nichts
Sicheres überliefert. Wahrscheinlich versuchte Quintus nebst
seinem Sohne die Schuld des Abfalls auf den Bruder abzu-
wälzen und sich dadurch die Gnade Cäsars zu erkaufen. In
Paträ vereinigten sich Vater und Sohn, um ihre Reise zum
Sieger nach Alexandria anzutreten. Mehr als einmal erhielt
Marcus Nachricht von Wutausbriichen seiner nächsten Ver-
wandten, wie denn der ältere Quintus durch seinen Jähzorn
schon lange berüchtigt war. Während dessen safs der Be-
klagenswerte thaten- und ratlos in Brundisium, umgeben von
seinen Liktoren, die noch immer — so hoflhungsstark war
seine Eitelkeit — die lorbeerumwundenen Rutenbündel des
auf den Triumph harrenden Imperator zur Schau trugen.
Er haderte mit sich, mit den Seinen, mit den Pompejanem,
mit den Cäsarianem, mit der ganzen Welt; in den Busen
seines Atticus schüttete er seine Klagen aus. Bis zu dem
Grade verstieg sich der Schmerz des leicht erregbaren Süd-
länders, dafs er seine Geburt wie die seines Bruders ver-
wünschte. Er wandte sich an bekannte Männer, die für ihn
bei Cäsar Fürbitte einlegten. Schon vor Pharsalus hatte
sein Schwiegersohn Dolabella, halb im Auftrage Cäsars, ihn
noch einmal hinüberzuziehen versucht und ihm wenigstens
strenge Neutralität angeraten. Jetzt wandte Cicero sich an
C. Cassius, der in Alexandria sich vor dem Sieger gebeugt
hatte. Endlich wurde Cäsars Rückkehr wahrscheinlicher;
Cicero schwankte, ob er ihm entgegenreisen oder seinen Sohn
entgegenschicken sollte. Seine Besorgnis war gänzlich un-
begründet. Cäsar verzieh ihm nicht nur, sondern zeichnete
ihn bei seiner Landung in Brundisium durch Umarmung und
vertrauliches Gespräch vor anderen aus.
Cicero kehrte auf seine Güter zurück, um sich neuen
Sorgen hinzugeben. Kaum hatte er sich mit dem Bruder
ausgesöhnt, so kam der schon lange angesponnene Zwist mit
seiner Gattin zum Ausbruch. Wie es aus den Briefen her-
— 112 —
vorzugehen scheint, waren es leidige Geldfragen, welche die
Ehe nach so vielen Jahren trennten. Terentia war nicht frei
von Habsucht und bestrebte sich mit Hilfe ihres Freigelassenen
Philotimus ihr Privatvermögen auf Kosten des Gatten zu
mehren. Er schickte der Gattin den Scheidebrief; doch
waren damit die Unterhandlungen über die Auseinander-
setzung der Vermögen nicht erledigt, wie wir aus dem Brief-
wechsel entnehmen; Atticus spielte den Vermittler. Noch
auffälliger berührt uns die Nachricht, dafs Cicero bald dar-
auf zu einer zweiten Ehe sich entschlols und die viel jüngere
Publilia heimführte, wie es scheint, um seine zerrütteten
Finanzen durch das Geld seiner reichen Frau aufzubessern.
Die Ehe hatte keinen langen Bestand. Cicero löste sie auf,
angeblich weil Publilia über den im Jahre 45 erfolgten Tod
ihrer Stieftochter Tullia eine gewisse eifersüchtige Freude
nicht unterdrückt hatte.
Kapitel 13.
Wiederaufnahme wissenschaftlicher Thätigkeit. *
Wiederum sah sich Cicero durch üble Erfahrungen ge-
nötigt, wie einst vor zehn Jahren, so jetzt durch aufmerk-
sames Entgegenkommen und vorsichtiges Auftreten die
Gunst des Machthabers sich zu erhalten. Er fügte sich in
die Zeitumstände bald mit mehr, bald mit weniger Humor.
Selbstverständlich zeigt er sich wieder im Senate, um die
Anordnungen des Herrschers gutzuheifsen, und pflegte den
Verkehr mit seinen Anhängern. Es entwickelte sich sogar
hieraus ein reger Verkehr, der eines gewissen Reizes nicht
entbehrte. Aufser dem Bankier Baibus und dem trefflichen
Matius waren es der junge Rechtsgelehrte Trebatius, der Freund
und Fortsetzer Cäsars A. Hirtius, ferner Pansa und andere,
die bei dem berühmten Redner vorsprachen, um sich in der
— 113 —
Redekunst von ihm unterrichten zu lassen. Zum Danke da-
för luden sie den würdigen Lehrer zu opulenten Diners ein,
deren Vorzüge Cicero in seiner Mafsigkeit kaum schätzen
konnte. Wie umfangreich der Freundeskreis war, der ihn
umgab, zeigte sich so recht bei dem härtesten Schlage, der
ihn betrofiFen hat, bei dem Tode seiner innig geliebten
Tochter, die, von ihrem Gbtten geschieden, an den Folgen
der Entbindung starb. Von allen Seiten kamen die Trost-
briefe, unter denen der des berühmten Bechtsgelehrten Ser-
vius Sulpicius durch erhabene Gesinnung und zart^ Freund-
schaft hervorragt. Auch Cäsar schrieb aus HispaUs, wie er
es denn nie an Aufinerksamkeit gegen seinen berühmtesten
Zeitgenossen fehlen liefs. Er stattete ihm später einen inter-
essanten Besuch ab mit seinem ganzen Stabe, wovon uns
der Bericht übermittelt ist. Cicero war lange untröstlich;
er fand eine Beruhigung in dem Plane, mit Atticus* Hilfe
ein prächtiges Denkmal der Verstorbenen zu errii^hten, und in
wissenschaftlichen Studien. Fast gewaltsam muMe er wieder
auf das Feld seiner eigentlichen Begabung gewiesen werden.
Zugleich unterhielt er einen aui^ebreiteten Briefwechsel^
nicht nur mit Atticus, sondern auch mit vielen Männern,
die er teils tröstete über die Not der Zeit, teils durch
Empfehlungsschreiben in ihren Geschäften zu fördern sich
bemühte.
Wir gedenken zunächst der nicht mehr erhaltenen Lob-
Schrift auf Cato, welche in engstem Zusammenhange mit
den Zeitereignissen steht; die Kühnheit ihres Verfassers
wurde dadurch belohnt, da& Cäsar ihn einer Widerl^ung
würdigte. Nunmehr fassen wir die folgenden Schriften der-
artig zusammen, dals wir zuerst der drei vor dem Monarchen
gehaltenen B>eden, dann der rhetorischen Schriften, endlich
der philosophischen Studien gedenken, wenn auch die Zeit-
folge der Anordnung nicht genau entspricht.
Im Jahre 46 sprach Cicero für M. Marcellus und Liga-
rius, 45 für den König Dejotarus. Die erste Rede, die übrigens
Aly, Cicero. 8
— 114 —
mehrfach fbr unecht erklärt wird, soll dem Danke des
Senates für die Bückberufmig des Marcellus, eines eiMgen
Optimaten, Ausdruck geben. Wie wir aus Briefen wissen,
war der starre Sinn des stolzen Mannes der Grund fClr die
Verzögerung der Bückkehr; er wollte nicht um Gnade bitten.
Endlich entschlols er sich auf Wunsch seiner Verwandten
und Freunde zu dieser Demütigung und erhielt Verzeihung.
Diesen Anlafs benutzte Cicero, um sein Schweigen zu brechen
und durch eine S^iatsrede dem Mächtigen sich gefftgig zu
zeigen. Die überlieferte Bede befriedigt den Leser weder
der Form noch dem Inhsdt nach, und es ist sehr verstand-
Hch, warum ihre Echtheit angezweifelt, nicht minder, warum
ihre Echtheit behauptet ist. Hören wir den Gedankengang.
In überschwenglicher Weise preist Cicero die Milde Cäsars,
welche nur von seinen Grolsthaten erreicht werde. Keine
Kunst der Bede oder der Schrift könne, diese würdig feiern.
Aber am höchsten anzuschlagen sei die Begnadigung des
Marcellus, für die selbst die Wände der Kurie danken mülsten.
Jener sei, wie so viele, wie der B«dner selbst, durch ein be-
klagenswertes Geschick in den Bürgerkrieg getrieben; aber
Cäsar habe eigentlich den Frieden gewollt, er habe den Sieg
mafsvoll gebraucht, während die Gegenpartei nach Bache
gedürstet hätte. Möge er im Verzeihen nicht ermüden. Nur
Eines betrübe die Herzen aller Patrioten, dafs er zu wenig für
sein Leben besorgt sei, da doch von ihm aller Heil abhänge.
Seine Aufgabe sei noch nicht gelöst Nach glücklich errungenem
Siege komme es ihm zu, den Staat durch weise Gesetze und
Einrichtungen zu ordnen, damit die Nachwelt ihn gebührend
preise. Darum möge er für sein Heil sorgen; der Senat
werde ihn mit den Körpern seiner MitgKeder decken.
Die Bede entbehrt jener sorgfältigen Anordnung, die
sonst den Verfasser auszeichnet; sie stimmt zum Teil mit
den Gedanken der Briefe überein, die an Marcellus ge-
richtet sind, kann also nach diesen von einem Schulredner
komponiert sein. Dafür spricht der Inhalt, der in seiner
— 115 —
mafslosen Schmeichelei sich aufiFallig von dem würdigen Ton
der fiir Ligarius bald darauf gehaltenen Rede unterscheidet.
Ist sie echt, so hat sich Cicero niemals so vergessen; die
Stelle über die Bereitwilligkeit der Senatoren, Cäsars Leben
zu schützen, klingt wie blutiger Hohn: denn aus eben diesem
Kreise stammten die Meuchelmorder.
Einen ganz andern Eindruck macht auf uns die Ligariana,
von der selbst der schlimmste Feind ihres Urhebers geurteilt
hat: „Nur ein Cicero konnte unter so peinlichen Verhältnissen
die Würde und Freimütigkeit des Republikaners mit der
Feinheit und Zurückhaltung des Hofmanns vereinigen." Die
Rede ist vor Cäsar gehalten, der als dictator reipublicae
constituendae die Befugnisse eines Oberrichters beanspruchte.
Der Ankläger war Q. Tubero, ein Sohn von Ciceros Vetter,
dem Jugendfreunde, Studiengenossen und Kriegskameraden,
L. Alius Tubero, der aus persönlicher Rachsucht dem in der
Verbannung lebenden Q. Ligarius das Verderben bereiten
wollte. Cicero beginnt mit dem Eingeständnis der Schuld
seines Klienten; er ist in Afrika gewesen, d. h. er hat bei
Thapsus gegen Cäsar gefochten. Aber er fügt hinzu, dafs
der Ankläger in derselben oder einer entsprechenden Lage
sich befanden habe; er hat bei Pharsalus für Pompejus
gekämpft. Ligarius' Schuld wird dadurch gemildert, dafs er
schon vor Ausbruch des Krieges in Afrika gewesen ist.
Aber nicht blols Ligarius, sondern sein Verteidiger selbst
hat Cäsar g^enüber gestanden und ist doch begnadigt,
ja sogar vom Sieger hochgeehrt. Mit dieser Milde kon-
trastiert sehr übel die Grausamkeit des Anklägers, der
das Blut seines Feindes will, ein wahrhaft inhumanes
Unternehmen. Und doch hat der Beklagte kein Ver-
brechen begangen, sondern einen Lrtum; es war kein
Krieg, sondern eine- Trennung; auch die scharfsinnigsten
Leute erkannten nicht sofort, auf wessen Seite das Recht
sei. Dies haben die Götter durch den Si^ bewiesen.
Und haben nicht beide Tubero dasselbe Vergehen be-
8*
— 116 —
gangen? Ja, sie sind schuldiger, weil sie, von Ligarius an
der Landung in Afrika verhindert, hartnäckig ihre Reise za
Pompejus fortsetzten. Durch die B^nadigung wird sich
Cäsar auch die sabinischen Landsleute des Beklagten, seine
drei Brt\der, seine Anverwandten, das ganze Volk ver-
pJBiichten; er pflegt ja nichts zu vergessen als Beleidigungen.
Durch nichts nähert sich der Mensch mehr den Göttern als
dadurch, dafs er anderen Rettung bringt — ein herrlicher,
wahrhaft christlicher Ausspruch!
Cäsar b^nadigte seinen Feind, sehr mit Unrecht; denn
auch er zählte nachmals zu seinen Mordern. Marcellus hat
von seiner Begnadigung keinen Vorteil gezogen; auf der
Heimreise wurde er von einem Privatfeinde in Athen er-
mordet.
Erst im Jahre 45 hielt Cicero die dritte der „cäsaria-
nischen" Reden, die für den König Dejotarus, der ihn einst-
mals so treu in Cilicien unterstützt hatte. Er war von
seinem Enkel Castor und einem Arzte Philippus angeklagt,
einen Gifkmordversuch auf Cäsar verübt und ihm auch sonst
Feindseligkeit bewiesen zu haben. Das vorgegebene Ver-
brechen war unzweifelhaft nicht geplant, während die aU-
gemeinere Anklage berechtigt schien. Zu Grunde lagen häfs-
liehe Zerwürfnisse im königlichen Hause, die nach orienta-
lischer Art mit Mord und Verrat beglichen wurden; der
König ist unsers Mitgefühls ebensowenig würdig, als sein
sauberer Enkel. Aber darum kann man es Cicero doch
nicht verdenken, dafs er flir seinen alten Bundesgenossen
eintrat. Die Verhandlung fand wieder vor Cäsar statt, dies-
mal aber nicht auf dem Markte, sondern im Hause, ein
Umstand, dem der Redner eine gewisse Befangenheit zu-
schreibt, die er nicht bemeistem könne. Es wird zunächst
das Vorleben des Königs erörtert, sein Verdienst gehörig
gepriesen, seine Teilnahme am Bürgerkrieg entschuldigt.'
Nun folgt die Widerlegung der Anklage, die durchweg un-
wahrscheinlich erscheint. Zwei geringfügige äufsere Umstände
— 117 —
sollen die Ausführung des schändlichen Verbrechens allein
verhindert haben. Ist es geplant gewesen, so ist es jeden-
faUs mit wenig Umsicht und Überlegung durchgeführt. Aber
auch der andere Teil der Anklage ist hinfallig. Dejotarus hat
nachmals sogar den Legaten Gasars mit Geld und Truppen
unterstützt. Die Behauptung, jener habe aus Freude über
eine angebliche Niederlage seines Feindes sich berauscht
und getanzt, widerspricht der nüchternen und würdigen
Lebensführung des Greises. Zum Schlufs versucht der Redner
Bogar Cäsar mit dem König auszoflöhnen; er möge auf das
hohe Ansehen des königlichen Namens Bücksicht nehmen
und nach seiner Gewohnheit Gnade walten lassen.
Die Rede hatte nicht den gewünschten Erfolg. Cäsar
versparte sich die Entscheidung auf seine Orient&hrt, auf
der er mit den Parthem abrechnen wollte. Die Dolche
seiner Mörder befreiten. Dejotarus von aller Gefahr.
Inzwischen hatte Cicero bereits seine wissenschaftlichen
Studien, die er von 55 bis 52 so eifrig und so erfolgreich
betrieben, wieder au%enommen und in ihnen einen teUweisen
Ersatz für die schmerzHch vermilste Thätigkeit m der Kurie
und auf dem Markte gefanden. Nach zwei Seiten hin dehnte
er seine Lektüre und seine Schriftstellerei aus: er pflegte sein
Lieblingsfach, die Rhetorik, für die er in den Büchern „vom
Redner^^ eine feste Grundlage gelegt hatte, und bestrebte
sich fernerhin die philosophischen Schriften der Griechen, so-
weit sie seinem Verständnis erreichbar waren, seinen Lands-
leuten zugänglich zu machen, wie er dies bereits in den
Büchern „vom Staat^^ und „von den Gesetzen^^ gethan hatte.
Wir stellen zunächst, ohne die Chronologie zu berück-
sichtigen, die übrigen rhetorischen Schriften hier zusammen.
Im Jahre 46, noch vor der Schlacht bei Thapsus,
schrieb Cicero den „Brutus, von den berühmten Rednem^S
eine Geschichte der römischen Beredsamkeit. Der Doppel-
titel entspricht einem Brauche, den der hochgelehrte M. Te-
rentius Yarro in die Litteratur eingeführt hatte. Wir haben
— 118 —
bereits M. Brutus als einen jüngeren Freund Ciceros, der
seinen wissenscliafklichen Sinn hochschätzte, sowie als hart-
herzigen Wucherer kennen gelernt; hier erscheint er als ein
lernbegieriger Jünger der Beredsamkeit. Die Darstellung ist
den (uns nicht erhaltenen) Dialogen des Aristoteles nach-
gebUdet. Nach einer Einleitung, in welcher der Verfasser, im
AnschluTs an den im Jahre 50 erfolgten Tod des Hortensius,
seine bitteren Klagen über die politische Lage im allgemeinen
und die Verdrängung der Redekunst im besondem nicht ohne
Freimut ergiefst, werden uns Brutus und Atticus im Gespräch
mit dem Verfasser vorgeführt, das gar bald mit dem Hin-
weise auf die chronologischen Arbeiten des Atticus zu dem
Thema der Schrift übergeleitet wird; man wiU vor allem
der leidigen Politik vergessen. Zunächst giebt Cicero in
gedrängter Kürze, aber mit treflflichen Bemerkungen eine
Geschichte der griechischen Beredsamkeit, an die sich nach
einer chronologischen Abschweifung die Übersicht der hervor-
ragenden Theoretiker schliefst. Nun folgt die Vorgeschichte
der romischen Redekunst. Es werden viele Namen aufgeführt,
die nur lose mit dem Thema zusammenhängen, die aber in
ihrer stattlichen Fülle dem Patriotismus eine gewisse Genug-
thuung verschaffen sollen. Als erster der archaischen Periode
wird Cato gerühmt, dem aber Cicero, wiederum aus Patrio-
tismus, mehr Vorzüge zubilligt, als er eigentlich verantworten
kann. Er trägt indessen dafür Sorge, dafs seine ab und zu
optimistische Auffassung durch Atticus eingeschränkt wird^
während Brutus das Gespräch durch wifsbegierige Fragen
geschickt fortleitet. Überhaupt kann die Kunst in der Dar-
stellung dieses trockenen Stoffes nicht genug gerühmt werden.
In unendlicher Abwechselung werden die endlosen Reihen
der Redner uns vorgeföhrt; eingehende Charakteristik, knappe
Aufzählung, kleinere Episoden, gröfsere Exkurse, alle Kunst-
mittel verwendet der Meister des Stils, um uns nicht ermüden
zu lassen. Maler und Dichter, Staatsmänner und Feldherren
werden vergleichsweise herangezogen, und doch ist das Gkmze
— 119 —
gut geordnet und stets übersichtlich. Der Verfasser nimmt
zwei Blütezeiten ein, die erste durch Crassus und Antonius,
die zweite durch Hortensius und ihn charakterisiert, beide
mit gröfseren und kleineren Gruppen als Vorgängern, Ver-
mittlem, Nachfolgern. Nachdem er den Ej*eis des Scipio,
die Gracchen und zahlreiche Persönlichkeiten zweiten und
dritten Banges, gemustert hat, nicht ohne unterhaltende
Anekdoten einzustreuen, stellt er in den uns aus der Haupt-
schrift „vom Redner^^ bekannten L. Crassus und M. Antonius
die Vertreter einer ersten Blütezeit hin. Beide werden ge-
schickt kontrastiert: während letzterer als der gewandte,
aber allem Überschwang abholde Praktiker erscheint, sieht
der Verfasser in ersterem das Ideal eines Redners, der nicht
nur über alle Eunstmittel einer aui^ebildeten Technik, sondern
vor allem über eine reiche und gründliche Bildung gebietet.
Seine Redeweise wird an Beispielen eingehend erläutert. Nun
folgt wieder eine lange Reihe minderwertiger Redner, Phi-
lippus und Cäsar Strabo heben sich schärfer ab. Ein längerer
Exkurs über den Unterschied zwischen Kenner und Laien
gewährt dem Leser angenehme Abwechselung. Die zweite
Blütezeit setzt ein mit dem Zeitalter des Cotta und Sulpicius,
die eingehend gewürdigt werden. Den Gipfel der Vollendung
erreicht die Redekunst in Hortensius. Vor seiner Charak-
teristik wird eine Anzahl von Staatsmännern, unter denen
sich jedoch kein Lebender befindet, in geradezu bewunde-
rungswürdiger Individualisierung geschüdert. Nur bei zwei
MäSern wird eine Ausnahme glachi, insofern die noch
lebenden M. Marcellus (derselbe, für den Cicero gesprochen)
und C. Julius Cäsar auf Brutus' Bitte gewürdigt werden,
und zwar jener von Cicero, dieser von Atticus. Diese Cha-
rakteristik des Schriftstellers und Redners Cäsar ist ein
wahres Meisterstück feinster Urbanität, frei von unwürdiger
Schmeichelei und reich an treffenden Bemerkungen; das
Urteil über seine Kommentare gilt noch heute als klas-
sisch: „sie sind schmucklos, schlicht und doch anmutig.^^
— 120 —
Aach die grammatischen Versuche des wmiderbar vielseitigen
Mannes werden einsichtig und taktvoll besprochen. Hoch
interessant ist die Polemik gegen die Neuattiker, die unter
Licinius Galvus' Führung das genus tenue ab das einzig
richtige priesen; um so interessanter, als der Adressat der
Schrift selbst auf selten der Neuerer stand. In überzeugender
und doch schonender Weise führt Cicero seine Gegner ab,
indem er sie auf die Einseitigkeit ihrer Bestrebungen und
die Wunderlichkeit ihrer archaisierenden Diktion hinweist.
Endlich kommt er zur Darstellung von Hortensius* redne-
rischer Entwickelung. Aber in diese Charakteristik verflicht
nun der Yerfeisser die Erzählung seines eigenen Bildungs-
ganges. So unmerklich ist der Übergang, dals wir anfangs
kaum merken, wie anstatt des Hortensius ein anderer ak
Vollender der romischen Beredsamkeit hingestellt wird, und
ist es ihm zu verdenken, dais er sich dem Hortensius an die
Seite stellte? Die Darstellung seiner Studien- und Wander-
jahre, seines allmählichen Emporkommens bis zum Jahre 66
entbehrt nicht des Stempels der Wahrheit. Bedenklicher ist
allerdings die Verherrlichung seiner ausgereiften Kedekünst,
wobei die so oft beklagte Eitelkeit des Mannes unangenehm
hervortritt. Dafs er dann den Hortensius im Wettbewerb
um die Volksgunst überwunden hat, entspricht den That-
sachen.
Das Werk schlieist mit einer ermunternden Anrede an
Brutus, auf dem ehrenvoll betretenen Wege rüstig fortzu-
schreiten. Zwar sind die Zeiten trübe, aber trotzdem möge
der junge Freund nicht ermüden und sich über den Schwärm
der Durchschnittsredner emporschwingen.
Soweit der „Brutus", in dem Cicero eine durchaus selb-
ständige Leistung von wissenschaftlichem Werte seiner Nation
geschenkt hat. Jedoch hielt er damit seine rhetorischen
Studien nicht für abgeschlossen. Wie er im Verkehr mit
jüngeren Freunden, dessen wir vorher gedacht haben, seine
Anschauungen durch Lehre und Beispiel späteren Geschlechtem
— 121 —
zu überliefern suchte, so war er unablässig bemüht, das
von ihm mit so viel Mühe und Eifer aufgebaute System
gegen kecke Angriffe zu yerteidigen. Wieder waren es diS
'ÖTteßamfubraroi, gegen die er im „Redner" zu Felde zog.
Auch diese Schrift ist dem der neuen Richtung zuneigenden
Brutus, der inzwischen die Verwaltmig des cisalpinischen
Galliens übemonunen hatte, gewidmet; auch sie entstanmit
dem Jahre 46. Der „Redner^^ z^chnet das Ideal, das seinem
Verfasser vorschwebte, doch beschrankt er sich auf nähere
Ausföhrung derjenigen Teile der Redekunst, die in den
früheren Schriften nur flüchtig gestreift; waren; die Lehre
vom Stil, insbesondere das Kapitel vom Rhythmus und von
den rednerischen Figuren ist es, das Cicero abhandelt.
Nach einer Einleitimg, die eine Bitte des Brutus als
äufsere Veranhwsung der Schrift nennt, formuUert der Ver-
fasser das Thema seiner Schrift. Sodann erörtert er über-
sichtlich die uns bereits bekannten drei Stilgattungen, deren
Vorzüge er abwägt unter Verurteilung des einseitigen Atti-
cismus. Die Aufgabe wird durch Ausscheidung der Prunk-
rede (des yävog imÖ€iKtiKÖv\ zu der er auch die Geschichts-
schreibung rechnet, wesentlich beschränkt. Sehr kurz wird
Yon den fünf Hauptteilen der Beredsamkeit die Auffindung
oder Topik abgemacht, die bereits früher erledigt ist; des-
gleichen die Anordnung. Die eigentliche Aufgabe der Schrift
beschrankt sich nach dem Wie? zu fragen. Unter Über-
gehung des Gedächtnisses, das gleichfalls in den Büchern
„vom Redner" besprochen ist, wird der Vortrag kurz be-
handelt. Nun beginnt die Abhandlung mit der Unter-
scheidung des Redners vom PhUosophen, Historiker und
Dichter. Das besondere Merkmal des beredten Mannes ist
die strenge Beachtung des Geziemenden (decorum). Die drei
Stilgattungen haben alle ihre Bedeutung, jede darf und mufs
zur rechten Zeit angewandt werden; dies wird reichlich mit
Beispielen bel^. Das Muster eines solchen allen Lagen
gewachsenen Redners ist bei den Griechen Demosthenes, bei
-^ 122 —
den Römern Cicero. Vor allem bedarf ein solcher einer
gediegenen Bildmig; Philosophie, Rechtswissenschaft, Ge-
schichte müssen ihm vertraut sein. Nun die formale Be-
handlung; er mufs die Eunstmittel beherrschen und ihre
Auswahl nach dem jedesmaligen Fall klug bemessen. Vor
allem darf er nicht auf den Redeschmuck verzichten, er
mufs die Wort- und Satzfiguren kennen und anwenden,
er mufs die Sätze kunstvoll zu Perioden erweitem — hier-
bei rechtfertigt er seine eigene, vielfach bespöttelte Lehr-
thätigkeit — ; die Stellung der Wörter, der Bau der Perioden,
die Verwendung des Rhythmus sind wichtige Aufgaben. Hier
wird der Verfasser immer ausführlicher; denn er kommt auf
das Gebiet zu sprechen, wo er nach dem Vorgang der
Griechen selbstschöpferisch aufgetreten ist. Eine stattliche
Anzahl von Beispielen erläutert seine Ausführungen. Mit
ganz besonderem Interesse folgen wir der Lehre vom Rhyth-
mus, für den aUerdings unsere stumpferen Ohren weniger
empfönglich sind, als die feinfühligen Alten. Ursprung, Grund,
Wesen und Gebrauch des Rhythmus werden bis in alle Einzel-
heiten hinein erörtert. Für das Verständnis seiner Reden ist
die Würdigung dieser Feinheiten, deren sich übrigens auch
ein Demosthenes bediente, unbedingt erforderlich. Mit einem
Preise der rhythmisch geordneten Rede und einer Aufforde-
rung an Brutus, sich selbst ein Urteil zu bilden, schliefst
das schöne Werk, das sich ebenbürtig den beiden andern
Schriften anreiht.
Vermutlich in dieselbe Zeit, wenn auch nicht nachweis-
bar, fallt das kleine Schriftchen „über den besten Redestil*^
das die Einleitung zu den von Cicero übersetzten Reden des
Demosthenes und Aschines für und wider Ktesiphon (vom
Kranze) gebildet hat. Die Übersetzung, mit der Cicero zu
den Übungen seiner Jugend zurückkehrte, ist leider verloren
gegangen. Die Schrift beschäftigt sich wieder mit den
Attikem imd wiederholt die These, dafe nicht Thucydides
und Lysias, sondern Demosthenes und Äschines Vorbilder
— 123 —
des echten Atticismus seien. Darauf folgt eine Einleitung
zu den genannten Reden.
Wir schliefsen hier die beiden übrigen Schriften zur
Rhetorik an, wenn sie auch aus späterer Zeit stammen. Im
Herbst 44 schrieb Cicero auf dem Schiff, im Begriff, nach
Griechenland zu entweichen, seine „Topik" an den schon
lange ihm vertrauten Rechtsgelehrten Trebatius, der uns
übrigens auch aus einer Satire des Horaz bekannt ist. Im
Anschlufs an Aristoteles giebt Cicero aus dem Gedächtnis
eine kurze Übersicht über die wichtigsten Gesichtspunkte
dieses Teils der Rhetorik, der ihn ja schon in seiner Jugend-
schrift beschäftigt hatte. Die Lehren von der Partition und
Division, Definition und Klassifikation haben noch heute ihre
Geltung. Indessen hat die Schrift, da sie ausschlieMich tech-
nischen Inhalts ist, etwas Trockenes und daher keine all-
gemeinere Bedeutung. Ebenso steht es mit der aus un-
bekannter Zeit stanmienden Schrift „über die rednerische
Einteilung*', in der Cicero mittels eines zwischen ihm und
seinem Sohne fingierten Dialogs einen Überblick über die
eigentliche Technik der Redekunst giebt; in Frage und
Antwort wird das Gebiet durchmustert.
Es sind demnach sieben Schriften, darunter drei Haupt-
werke, in denen Cicero die Kunst, in der er Meister der
Praxis war, theoretisch begründete. Er hat sich dadurch
allein schon einen Namen in der Geschichte der Wissen-
schaften erworben.
Kapitel 14.
Philosophisclie Studien.
Die unfreiwillige Mulse, in die sich Cicero durch Cäsars
Alleinherrschaft versetzt sah, veranlafste ihn, nach dem Ab-
schluls seiner rhetorischen Schriften im „Redner'^ zu den'
philosophischen Studien zurückzukehren, die er von Jugend
— 124 —
auf gepflegt, niemals ganz unterbrochen und durch seine
beiden politischen Schriften auch Utterarisch bereits be*
thätigt hatte. Dieser Tefl seiner schriftsteUerischen Wirk-
samkeit steht ganz besonders in üblem Rufe. Wahrend seine
Richter über die rhetorischen Schriften, denen sich nichts
Übles nachsi^en lafst, mit beredtem Schweigen hinweggehen,
sehen sie in der „philosophischen Bibliothek^S ^^^ ^^ angeb-
Uch in verdrieisUcher EUe „zusammenschrieVS nichts als
wertlose Stilübungen — sehr mit Unrecht. Allerdings hat
Cicero mit dem bedauerlichen Eifer, mit dem er sich selbst
am meisten zu schaden wulste, seine philosophischen Schriften
in einer wirklich verdriefslichen Anwandlung „Abschriften^^
genannt. Aber schlagt nicht aller geschichtlichen Wahr-
heit ins Gesicht, wer derartige Ausflüsse einer Augenblicks-
stimmung für bare Münze nimmt? Ist der Fall nicht denk-
bar, dafs man einen Angeklagten gegen seine eigenen Aus-
sagen in Schutz nehmen mufs? Dies ist hier der Fall.
Cicero hat sich durch seine phüosophische Schrift»teUerei
ein namhaftes Verdienst um seine Nation in sachlicher wie
sprachlicher Hinsicht erworben. Er hat den Römern die
Werke der griechischen Philosophen durch seine Bearbeitung
zugänglich gemacht und ihren engen Gesichtskreis dadurch
erweitert; er hat die lateinische Sprache befähigt, wissen-
schaftliche Gedankengänge klar und angemessen darzustellen;
er hat hierdurch die Weltherrschaft des herrlichen Idioms
angebahnt.
Allerdings war Cicero wenig für philosophische Speku-
lation beföhigt. Mehr rasch und witzig als scharf und tief,
hat er die Wissenschaft selbst nicht gefordert. Die hervor-
ragenden Vertreter der griechischen Philosophie, Plato und
Aristoteles, hat er nur zum Teil kennen gelernt und oft
nicht verstanden, so gern er auch ihre Schriften anfuhrt«
Zwar hat er u. a. Piatos Timäus übersetzt, von dem erheb-
liche Bruchstücke erhalten sind; aber weit mehr zogen ihn
die späteren Schulen an, die seinem Verständnis erreichbar
— 125 —
waren. Auch unter diesen hat er niemals einer bestimmten
Richtung sich ganz ergeben. Konsequent nur in dem
Widerwillen gegen die Lehre Epikurs, schwankte er zwischen
der Strenge der Stoa, die der gravitas des Römers sympa-
thisch war, und dem Skepticismus der neueren Akademie,
die durch ihre Bevorzugung der freien Diskussion den
Redner anzog; er war Eklektiker. Darum schlofs er sich
mit Vorliebe an solche Schulhäupter an,^ die, wie Antiochus
von Askalon, die Starrheit der Systeme zu erweichen und
sie zu höherer Einheit zu verschmelzen strebten. Aber er
imifalste überhaupt nur einen Teil der philosophischen
Wissenschaft, denjenigen, der mit dem praktischen Leben
sich irgendwie vereinigen liefs. Physik und Dialektik haben
ihn nur vorübergehend beschäftigt; es war die Ethik, die
Sittenlehre, und die damit zusammenhängende Religions-
philosophie, die ihn mit dauerndem Interesse erfüllten. Wie
wir sehen, hatte er sich schon mit der Politik, der Lehre
vom Staate, beschäftigt. Auch in der Ethik hat er nichts
Neues zu Tage gefördert, aber er hat auch nicht, wie man'
mit Unrecht meint, nur mechanisch übersetzt und kompi-
liert. In freier Bearbeitung der ihm zugänglichen Schriften
der Griechen hat er zwar manches mifsverstanden, manches
durcheinander geworfen; er hat aber auch durch die An-
wendung der griechischen Lehren auf römische Verhältnisse
manch neues Licht auf die so oft erörterten Fragen ge-
worfen, hat manch treffendes Urteil gefallt, viel passende
Beispiele aus Geschichte und litteratnr gesanmielt. Er
machte die Philosophie in Rom heimisch und erschlofs seinen
Landsleuten einen reichen Schatz der Anregung und Be-
lehrung; der Nachwelt hat er einen ansehnlichen Teil der
nacharistotelischen Philosophie mittelbar aufbewahrt. Eine
unbefangene Analyse seiner philosophischen Schriften wird
den Beweis erbringen.
Als Vorläufer seiner hierauf bezüglichen Bestrebungen
diente das Schriftchen „Paradoxen der Stoiker^^, welches im
— 126 —
Jahre 46 bald nach dem JBrutus^^ entstand, und demadbeai
Freunde gewidmet ist, wie jenes Werk. Im Anschlnfa an
die yielbewunderte Tugendstrenge des jüngeren dato, in dem
der Verfasser das Ideal eines Stoikers sieht, will er zur
eigenen Übung einige jener auffallenden Sätze entwickehi,
welche die Stoiker selbst „Paradoxen^^ nannten. Wir hab^i
es also in diesem Schriftchen mit einer Redeübung zu thun,
die einige verwendbare Gemeinplätze (loci communes) be-
weist und mit Beispielen belegt. £s wird zuerst der Satz
erhärtet, dals nur das (sittlich) Schöne gut sei; der Meinung
des Volkes wird die Auffassung eines Bias gegenübergestellt.
Die römische Geschichte liefert die Muster, Romulus und
Numa, Mucius und Codes, Fabricius und viele andere. Femer:
die Lust ist nur der Tiere würdig. Zum Glück ist allein
die Tugend erforderlich; so haben Begulus und Marius ge-
dacht; Tod und Verbannung können den Weisen nicht
schrecken. Der dritte Satz, dals alle Fehler wie alle Tugen-
den gleich seien, wird nach der Weise der Stoa in knappen
Schlüssen als richtig erwiesen. ISchon das Überschreiten der
Linie, welche Kecht und Unrecht trennt, stellt die Schuld
fest. Weniger verständlich erscheint der folgende Punkt:
dals jeder Unweise rase. Es ist vermutlich die Schuld der
Überlieferung, dals nur ein Teil des Satzes erörtert wird.
Das Beispiel nimmt er aus den eigenen Erlebnissen; seine
Verbannimg ist keine Verbannung gewesen; sein Feind
Clodius ist in höherem Sinne als Verbannter anzusehen.
Am ansprechendsten ist die fönfte These, dafs nur der Weise
frei, der Unweise ein Knecht sei, entwickelt. Die Begierde
ist die Herrin, die den Menschen zum Sklaven herabwürdigt.
Ahnlich der letzte Satz, dafs nur der Weise reich sei. Wer
erwirbt, begehrt; wer begehrt, ist nicht reich, mag er auch
noch so viel erwerben, sondern in Wahrheit arm. „Nicht
begehrlich sein, ist Gold, nicht kauflustig sein, ist Einnahme ;
zufrieden sein mit dem Seinigen, ist der grölste und sicherste
Reichtum." Denn der Begehrende hat nie genug — An-
— 127 —
sichten, wie sie bekanntlich auch Horaz in seinen Episteln
so gern entwickelt. Schon hier zeigt Cicero seine Kunst,
philosophische Lehrsätze zu ansprechenden Sentenzen aus-
zumünzen. Indessen legt er selbst auf dies Schriftchen
keinen Wert.
Die ernsthaften Studien begannen erst im Jahre 45 nach
dem Tode seiner Tullia, der ihn zu der uns verloren ge-
gangenen Schrift „Tröstung oder das Buch von der Minde-
rung des Kummers" veranla&te. Weit erheblichere Bruch-
stücke sind uns durch Grammatiker und Kirchenväter erhalten
von seinem „Hortensius", in dem er das Studium der Philo-
sophie gegen die vorgebUchen Angriffe des Redners Horten-
sius verteidigte. Augustinus hat mit sichtlichem Beifall eine
Beihe seiner Ansichten angeführt. Anderthalb Bücher sind
uns von seinem „Academica" erhalten, beide aus einer ver-
schiedenen Bearbeitung des Themas. Nachdem nämlich das
Werk bereits abgeschlossen war, nahm er es noch einmal
vor, weil er, auf Anraten seines Atticus, dem grofsen Ge-
lehrten M. Terentius Varro durch eine Widmung eine Auf-
merksamkeit erzeigen wollte. Von der ersten Ausgabe ist
das zweite Buch „Lucullus", von der zweiten der Anfang des
ersten erhalten; von dem übrigen haben wir nur spärliche
Reste. Beide Schriften betreffen die wichtige Frage nach
der Möglichkeit eines sicheren Erkennens.
Der „Lucullus" beginnt mit einer Verherrlichung dieses
Staatsmannes, der nicht nur ein tüchtiger Feldherr, sondern
auch ein Freund der Wissenschaften gewesen ist. Mit seinem
Vorgang rechtfertigt der Verfasser seine eigenen Bestrebungen,
die von manchem seiner Zeitgenossen als minderwertig an-
gesehen wurden. Insbesondere verteidigt er seinen A^hlufs
an die Schule der neuen Akademie, deren Vorzug er gerade
in der allseitigen Erörterung der aufgeworfenen Fragen er-
blickt. Hierüber ist einst auf einem Landgute des Horten-
sius bei Bauli gesprochen worden; die Teünehmer der Unter-
haltung sind aufser dem Wirte Gatulus, Lucullus und der
— 128 —
Verfasser. Das Wort ergreift LacoUas, um, in engem An-
schlufs an die Lehren seines Freundes Antiochns, die neuere
Akademie zu bekämpfen. Nach einer geschichtlichen Ein-
leitung vergleicht er die kühnen Reformatoren der Philo-
sophie, Arcesilas und Gameades, mit aufrührerischen Bürgern,
die den alten Besitzstand der Wissenschaft durch unb^ründete
Einwürfe gefährden. Er entschuldigt sich beiläufig w^^
der Neuprägung philosophischer Ausdrücke, die er den
Griechen nachbilde. Zunächst bestreitet er die behauptete
Unzuverlässigkeit der Sinneswahmehmungen, welcher der
gesunde Menschenverstand offenbar widerspreche. Aber auch
auf dem sittlichen Gebiete liege es zu Tage, dais viele
Dinge voll erfalst und verstanden werden konnten; wenn man
nicht den Begriff des höchsten Gutes feststellen könne, so
gebe es keine Weisheit, kein Streben nach dem Vollkom-
menen mehr. Wahres und Falsches müsse man unterscheiden
können, da sonst das ganze sittliche Leben Grund und Boden
verliere. Die Angriffe der Akademiker kämen auf leere
Spitzfindigkeiten hinaus, so z. B. die Bezugnahme auf
Träume, mit der sie die Gefährlichkeit unbeschränkter Zu-
stimmung beweisen wollten, oder die berüchtigten Trug-
schlüsse. Er bittet schliefslich Cicero, von dieser Schule ab-
zulassen, die das Wahre mit dem Falschen vermenge. Darauf
fuhrt dieser die Verteidigung der Akademiker, indem er aus
zahlreichen Widersprüchen in der Natur und Geisteswelt die
Notwendigkeit herleitet, sein Urteil zurückzuhalten, ¥de es
die ino/ili des Cameades verlangt. Er stützt sich auf die
sokratische Ironie als höchste Autorität. Indessen sind die
Beweise recht fadenscheiniir , woran er übrigens weniger
der Hinweis auf das vor den Augen der Gesellschaft flutende
Meer, das bei dem Wehen des Westes purpurn erglänzt,
dann wieder blaugrün schimmert, während es doch am
Morgen grau, zu Zeiten weifslich erscheint. Gar fruchtbar
ist natürlich die Geschichte der philosophischen Systeme für
— 129 —
dtrartige Polemik. Weil Thaies dM Waner, Anaxianuidet
dae Unbegrenate, Anaximette» die Luft, andere anderes ab
Uretoff aageteheii haben, so mnüi natörlich die Sntschddimg
der Frage überhaupt unmöglich sein. So stellt er dem
Atomistiker Demokrit die stoische Ldbire vom Äther ent*
gegen. Auch in der Ethik wideiepreehen sieh die Philo^
Bophen; der eine AAt dieses, der andere jenes ak h5eh6tei^
Out an. Darum läist sieh nichts Gewisses^ sondern nüt etirM
Wahreehcinliches feststellen; eine weise Zurückhaltut^ ist
das Beste. Endlidi trennt man sieh mit Aem Y erspredhen ein^
Fortsetsung des Gksprachs.
Das andere Buch beginnt mit einem Zittammentreffen
des Cicero, Atfcicus und Yarro auf einem Oute des gro&en
Gelehrten. Der YerfEuwer wundert sich darüber, dab Yimo
nicht auch der Philosophie sich gewidmet habe. Dieser V<M>-
teidigt sich mit der Begründung, dafs man dergleiehen besser
in giiechisdiien Sohrifben nachlese. Den Einwand Iftfst ihm
aber Gioero nicht gelten; mit einer Lobpreisung seiner ander««
weitigen Yerdienste um die vaterländische litterähir vet*
bindet er eine Wiederholung seiner Bitte. Nun kommt
ihm Yarro mit dar Oegenfrage^ warum er die alte Akademie
aufgegeben und sich der neueren sugewendet habe. Auf did
Bitte des Gastes entwidcelt Yarro dann nach Antioehus das
Yerhältnis der Philosophenschulen seit Sokrates su mnafidef;
wie sein der synkretistisehen Yermischung der Systeme tu«'
neigender Lehrer sieht er in der peripatetisehen Bc^ule des
Aristoteles nur eine Abart der Akadnnie. £s wird dies f&r
alle drei Gebiete au bewmsen versucht. Yon hier ist nun
wieder Zeno, der Begründer der stoischen Sdkule, ausge«
gangen. Nun setzt Cicero ein und rmht an die Yorhergehenden
Aroasilaa, den Ahnherr der neuen Akademie, der imgeblieh
auf die sokratische Ironie snrückgriff und behauptete, dafii
man nichts wissen könne. An diseer Stelle bricht die Ülnnv
lieferung A.
Soviel, omeht man sehon ans diesin Trftmmena, dafii
Aly, Cicero. 9
— 130 —
Cicero nichts weniger als ein spekulativer Kopf war. Die
Erkenntnis, dafs ein philosophisches System aus einem Grund-*
gedanken, aus einer einheitlichen Welt- und Lebensanschauung
erwachsen müsse, ist ihm nie gekommen. Er sieht immer
üwr Einzelheiten. Soweit sie ihn interessieren, schenkt er
ihnen Auftnerksamkeit und zieht bald diesen, bald jenen
Philosophen zu Bäte. Auch hier schöpfte er stets aus se^
kundären Quellen, die er nicht einmal richtig verstand. Wir
wierden daher Einheit, Vollständigkeit und Folgerichtigkeit in
seinen philosophischen Schriften vergeblich suchen, wohl aber
manch treffenden Gedanken, manche anr^enden Einzelheiten.
Wahrscheinlich nach den akademischen Gesprächen hat
er eins seiner Hauptwerke, die fünf Bücher „über das höchste
Gnt und Über' geschrieben, über das er viel mit Atticus
verhandelt hat; der Freund mulste ihm die Hilfsmittel be-
sorgen, das Abschreiben und Veröffentlichen, wie schon so
oft, übernehmen, wodurch er fast die Bolle eines Verlegers
überk^in. Im ersten Buche rechtfertigt der Verfasser, wie
schon öfter, dem Adressaten M. Brutus gegenüber seine
philosophischen Studien; wie die griechischen Dichter, so
verdienten es auch die Philosophen, nachgebildet zu werden;
er aber habe wohl Anspruch darauf, seine Mu&e nach seinem
Geschmack ausfällen zu dürfen, nachdem er seine volle
Schuldigkeit im öffentlichen Leben gethan habe. Er beginnt
die Bearbeitung dieser Hauptfrage der Ethik nach dem
höchsten Gut mit einer Darstellung der epikureischen Lehre^
welche er dem L. Torquatüs in ^ den Mund legt, mit dem er
unter Anwesenheit des G. Triarius im Jahre 50 diese Frage
verhandelt haben will. Nachdem Cicero die Atomenlehre
Demokrits, sowie das System Epikurs im ganzen verurteilt
hat, reizt er den Epikureer zur ausführlichen Entgegnung.
Dieser giebt zunächst eine Definition der Lust, unter der
natürlich nicht eine Befriedigung grober Sinnlichkeit, sondern
eher eine Art von Schmerzlosigkeit zu verstehen sei. Es
folgt der Beweis aus zahlreichen Thatsachen der Erfahrungs-
— 131 —
weit. Dann wird das Wesen der Lust eingebend gewürdigt.
Dals recht verstandene Lust nicht nur ein Gut, sondern das
höchste Gut sei, wird wieder aus Thatsachen bewiesen. Auch
die Tugenden vertragen sich vortrefflich mit der Lust, jene
wollen diese nur erzeugen, so die Weisheit, die Mäisigung,
die Tapferkeit, die Gerechtigkeit. Die Entstehung der Lust
wird geschildert; in letzter Instanz entspringen die geistigen
Freuden und Schmerzen aus denen des Leibes. Aber Lust
und Tugend sind keine Gegensätze, sondern nahezu identisch;
man kann nicht angenehm leben, wenn man nicht weise,
tugendhaft und gerecht lebt. Das Ideal eines Weisen wird
verherrKcht, besonders die Vertreibung abergläubischer Wahn-
Vorstellungen. Auch die Freundschaft findet ihren Platz im
System, wenngleich sie durch den Nutzen .bestimmt wird. Ein
ruhiges, gleichmäßiges Leben (draßagla) ist das erstrebens-
werte Ziel. Dagegen wendet sich nun Cicero im zweiten Buch
mit der ganzen Würde eines thatkräfbigen Römers, dem das
thatenlose Hindämmern des Griechen ein Greuel ist. Nach einer
kurzenDebatte ergreift der Verfasser das Wort zu längerer
Aussprache. Er wirft dem Epikur vor allem logische Unklar-
heit vor; bald spreche er von der Lust als einem in Wahr-
heit sinnUchen Vergnügen, bald von emer blolsen Schmerz-
losigkeit. Das Lebewesen suche überhaupt von Haus aus
nicht die Lust, sondern die Erhaltung des Lebens. Der Lust
stellt er die Tugend gegenüber; auf sie sei die ganze Natur
des Menschen angelegt, sie falle aber mit der Lust in keiner
Weise zusammen. Mit sittlicher Entrüstung zieht er die
praktischen Eonsequenzen einer so laxen Moral und weist
auf die erhabenen Persönlichkeiten der Geschichte hin. Auch
die Freundschaft könne nicht auf Lust begründet werden.
Übrigens habe Epikur durch sein Leben selbst seine Lehren
Lügen gestraft. Die Thatsache iles Schmerzes allein werfe
sein ganzes System über den Haufen. Die Rede schliefst mit
einer Berufung auf die hohen und edlen Gefahle in der
menschlichen Brust. In dem dritten Buche entschuldigt der
— 182 —
yer£u98er die Freilieit, die er eiah. in der Übertragong
griechischer Schalausdrücke hal>e nehinen müsfieo, und f&krt
dann deu jüngerea Cato im Geiprfioh mit ihm selfart afe
Verteidiger der stoiachm Lehre ein. Der önmdfaieb des
Menschen ist Selbsterhaltung; in diesem ersteu Stieben mlieii
die An&nge der Künste und Wissenschaften. Die Dinge
haben nun nach ihrem Verhältnis smr Natur einen ver-
schiedenen Wert; daher ist es zweite Pflicht, das Natur*
gemälse auszuwähl^i und das Gegenteilige zurückzuweisaü.
Erst wenn dieses konsequent geschieht, tritt das Gute in
die Erscheinung. In der Übereinstimmung mit der Nator
besteht das höchste und einzige GuL Es giebt nur Gates
und Schlechtes, daher sind alle Weisen immer glticklich.
Dies wird durch streng logische Schlösse erhärtet. Diese
Lehre unterscheidet sich wesentlich von der Auffiwsung der
Peripatetiker, die noch einen Zuwachs von äuiseren Gutem
zulassen. Diese werden von der Stoa, wenn sie auch eigent-
lich ohne Belang sind, als schätzenswerte, nicht schätzbare
und gleichgültige unterschieden. Die Pflicht zahlt weder
zu dem Guten noch zum Schlechten, sie besteht in der Aus-
wahl und in der Zurückweisung. Dazu gehört auch der
Selbstmord. Die Natur schreibt uns eine Gemeinschaft und
daher auch ein gegenseitiges Wohlwollen, sowie Beteiligung
am Staatsleben vor. Die Freundschaft wie die Einzeltugenden
werden um ihrer selbst willen erworben. Den Schlufs büdet
die Verherrlichung des Weisen« Gegen diese HypeibelA
wendet sich der Verfeisser angreifend im vierten Buche. Zu-
nächst versucht er im allgemeinen nachzuweisen, dals Zeno
sehr Unrecht gethan habe, von den Lehren der Peripatetiker
und Akademiker abzuweichen. Dann folgt eine Widerlq^g
im einzehien. Ist die Selbsterhaltung das leitende Primüp
des Menschen, so muls der Dualismus von Leib und Seele
notwendig berücksichtigt werden; das vernachlässigen die
Stoiker in ihrem überirdischen Spiritualismus. Sie sind in-
konsequent, wenn sie die Tugend als das allein höchste
— 183 —
Gut hinsieUen und iburüber die ersten Triebe des MensckeBL
ganz Tergeflsen. Ihre ScIllaMdIgenmgen bemhen auf unbe-
wies^ien Yorawsseiizaagen und leiden an ^itzfindigkeit. Ihre
mmderaomen Aiospriiche klingen zwar präditig, sind aber
gehaltlos. Der Ghnmdirrtam ihrer Lehre bemhi auf dem
Wider^roch zwei« Behauptungen. Sie wollea nur die
Tugraid ab hSehstes Gut leethalten und gehen doch davon
aua, dais die ersten Triebe des Beg^rens aus der Natur
entq^ringeo. Am meisten zu tadeln ist ihre dunkle und
spitzfindige Ausdrucksweise. Der gesunde Menschenverstand
widerspricht unstreitig den hochmütigen Anforderung^ der
Sioa. Das Üa&e Budi beginnt mit einer anmutigen Er-
umerang an die athenische Stadienzeit, Die beiden Brüder
wandeln mit dem Yettear Lucius, dem gemeinsamen Bus^-
freunde und M. Piso naidmiittagB in den durc^ Piatos Namen
geheiligten Gängen des Akademos; Brinnerangen an die
gro&e Yergangenhdt werden heraufbeschworen. Es handelt
sich um den Studienplan des Lucius, der zwischen Eameades
und Antiochus hm und her sehwankt Da ergr^ft Piso das
Wort und sucht ihn fftr die alte Akademie zu gewinnen, zu
der er audi die Peripatetiker recdmet. Die Lehren dieser
Sdiulen über das h^hste Gut werden nun vorgetragen. In
erster Linie kommt Aristoteles in Betracht, in zwater
Theophrasi Nach Eameades vtretäm die sedlis überhaupt
möglidien Auffassungen angefahrt, von denen je zwd sich
vereinigen kssen. So halt^i es auch die Akademiker und
Peripatetiker, die der Tugend die ersten Naturtoiebe bei*
geseUen. Sie geben gleichliils von der Selbetethritnng aus
und sehen in dem naturgemafeen Leben das höchste Gut,
aber ne berücksichtigen im Gegensatze zur Stoa die leiUidh«
Natur des Mensdhien und bestimmen das höchste Gut genauer
als Gesundheit des Leibes und vemunfhnl^i^es Denken. Die
Ank^e zeigt sich sdion im Einde, ne mufs ^titwickelt und
Aar YoUkommenheit nahq^bradbtt werden. Gesundheit und
Kräftigung ist das erste Zid, dann Lembegier und Thätig«
— 134 —
keitsdrang; denn wir sind zum Handeln geboren, Tugend
ist handeln. Von den Tugenden ragt die Gerechtigkeit her-
vor, doch hängen sie überhaupt eng zusammen. Auch sorgen
wir nicht nur für uns, sondern auch fOr Freunde, Eltern und
Kinder. Tugend und leibliche Güter stellen das höchste Gut
dar, aber die Tugend hat den Vorrang. Auch hiergegen tritt
der Verfasser angreifend auf^ wie es die Weise der neuem
Akademiker war, indem er die Lehre der Stoa verteidigt.
Das giebt Piso Anlafs zu einem zweiten, zusammenfassenden
Vortrage. Damit ist die Diskussion erschöpft.
Dasselbe Gebiet der praktischen Philosophie behandeln
die fünf Bücher „Tuskulanische Unterhaltungen^, wiederum
dem Brutus gewidmet, im Jahre 45 begonnen und zu An-
fang 44 beendet. Auch hier findet die Darstellung gesprächs-
weise statt; während er aber bisher „nach aristotelischer
Sitte^^ die streitige Frage durch fortlaufende Rede f&r und
wider beleuchtet hatte, versucht er es jetzt mit der sokra-
tischen Methode, durch Frage und Antwort die Gedanken-
entwickelung zu fördern. Indessen ist er hier weniger
glücklich gewesen, insofern er immer wieder zu längeren
Vorträgen sich verleiten lä&t. Der Inhalt ist noch populärer
als in den vorigen Schriften. Die Frage nach dem glück-
lichen Leben wird dahin beantwortet, dals unser wahres
Glück nur durch Unterordnung unserer Leidenschaften unter
die Vernunft erzielt werden könne; Tod, Schmerz, Kunmier
und andere Aufregungen müssen beherrscht werden, die
Tugend allein genügt zur Begründung des wahren Glücks.
Das erste Buch beginnt wieder mit einer Verteidigung seiner
Studien unter dem Gesichtspunkt des Patriotismus; die Römer
müssen auch auf diesem Felde wie auf allen anderen die
Griechen übertreffen. Die bisher veröffentlichten Schriften
taugen nichts. Darum macht Verfasser die auf seinem Land-
gute bei Tusculum gepflogenen Unterhaltungen auch anderen
zugänglich. Namen der Spredier werden nicht genannt. Der
jüngere stellt zuerst die Behauptung auf, dals der Tod ein
— 135 —
Übel sei Dies widerlegt der Verfasser unter einer zwei-
fekchen Voraussetzung: sowohl für den Fall einer Unsterb-
lichkeit der Seele, die hauptsächlich mit platonischen Bew^s-
gründen erMrtet wird, als auch f&r den Fall einer absoluten
Vergänglichkeit, wie sie der Stoiker Panätius behauptet hatte.
Dabei spottet er der vielfach irrigen Anschauungen, wie sie
über das Leben nach dem Tode bei einzelnen und ganzen
Völkern verbreitet sind. Durchzogen ist das Ganze wie auch
die folgenden Bücher durch eine groise Anzahl von Beispielen,
die Verfasser höchst ansprechend einzuflechten und vorzutragen
versteht. Dadurch gewinnt die Schrift, wenn sie auch an
Wissenschafklichkeit verliert, an besonderem Reiz; es eignet
sich gerade das erste nebst dem fünften Buch, wenn irgend
eine propädeutische Schrift, für die Jugendlektüre. Der
Schluls erhebt sich, allerdings im Anschluls an Plato, zur
Erhabenheit christlicher Religionsanschauungen. Der Leib
ein Kerker der Seele, der Tod eine Befreiung, die Unsterb-
lichkeit ein Hafen und eine Zuflucht! Wenn wir diese herr-
lichen Gedanken auch dem „Phädon^' entlehnt wissen, so
verringert dies doch nicht Ciceros Verdienst. Er hat als
erster diese Auflfa^ung des grö&ten griechischen Denkers
seinen nüchternen Landsleuten nahegebracht, er hat sie in
geschmackvolle Form gekleidet und seine Muttersprache da-
durch wesentUch bereichert, ja eine neue Gattung römischer
Litteratur begründet.
Im zweiten Buch verteidigt er noch einmal die Philo-
sophie gegen die Angriffe des Banausentums. Dann wider-
legt er die Behauptung, dais der Schmerz das höchste Übel
sei. -Nach zahlreichen Gitaten aus den Tragikern, die er
selbst übersetzt, wendet er sich ebenso gegen die Weichlich-
keit der Dichter wie gegen die Starrheit der Stoiker; Epikur
wird, wie überall bei Cicero, wegen seiner Inkonsequenz
verspottet. Der Mann soll den Schmerz geduldig ertragen;
denn von vir leitet sich virtus ab. Die höchst lesenswerte
Einleitung des dritten Buches weist auf die hygieinische Be-
— 1S6 —
diuiang der Plülosopliie hin, welche die knuikeii Seden
aUein au heuen Terstebt. Hier handelt es ach zimädhafc
um dea Kumneri dem der Weise nicht imtesüegt. Nicht
diu^h weichliche Selbsteriimeraiig «n genossene Lost, sondeni
dwrdli yemünftige Erwägoi^ mnJs der Kammer ttherwimdem
werden; diee^ entbehrt des zur^ohenden Ghnmdes, wie ja
i^uob edle Manneor Übel ertragen haben, ohne den Gleichmut
der Seele su Terlieren. Zahlreiche Diohterdtate werden em*
geflochten. Auch die Pflichten der Tröstung werden er&rtert.
Das Ti^rte Bueh beginnt mit einem Rückblick auf die ur<^
alten Beziehungen zwischen Griechenland und Born, wosu
aiich philosophische Anregung gehört, wie die Eranhlung
TQU Pythagoras beweist. Erörtert wird die Frage, ob der
Weise überhaupt durch Aufregung der Seele beunruhigt
werden könne. Natürlich wird die Frage vemeiBt. Wed^
Kummer noch Freude, weder Furcht noch Wollust können
dßn Weisen überwältigen, wenn er nur der Stinmie der
Yemunfl fo^i. Es wird eine gro&e Anaahl Yon Erregungen
einzeln durchgesprochen. Yar allem wird der Zorn mit
seinen schfidlichen Folgen getadelt, auch die Weichlichkeit
der I^yriker gerügt. Die positive Ergänzung zu den vorigen
Büchern bietet das fünfte und letote Buch, das ganz be*
sonders an interessanten Episoden reich ist. Der Yerfssser
betont die Schwierigkeit der von ihm angenommenen Forden
rung, er gedenkt der Schwäche des menschliohen Geschlechts,
in die er die seinige einbegreifb. Aber dadunsh wird das
Prinzip nicht erschüttert, für dess«i Wahrheit der verstorbene
dato ein so leuchtendes Muster gewesesx ist. Zur Philosophie
nimmt auch der Yerfasser seine Zuflucht in diesen betrübenden
Zeiten; ihr widmet er einen b^eisterten Hymnus. Dann
folgt eine Abhandlung über den Namen der Philosophie.
Es wird des Pythagoras, vor allem aber des Sokrates gedaeht,
d^ suerst die Philosophie vom Himmel herabrief (d. h. von
metiqphysisehen Spekulationen) und sie in den Städten an-i
siedelte und ihr die Ethik als eigentliches Arbdtsfeld anwies.
— 137 —
Dm kfciste Th€ma besagt, dafs die Tagend aüein an glück-
liches Leben begründe. Der Beweis wird wcdlger durch
dialektiiche Brörterong, als durch eine Fülle Ton Beii^ielen
erbrachi Der Tyrann Dionfsins L gilt Ydet ak Typus des
unglücklichen Reichen, wie er in der Geschichte ron Damokles
80 treffend gezeichnet ist. Auch eines persönlichen Erlebnisses
gedenkt der gut ftofgdegte Erzähler, sein^ Auffindung isB
Arehimedee-Ghrabes in Sjraki»» Dann werden die Funda-
mentallehren der wichtigsten Schulen gemustert, Epikur wird
mit gewöhnlicher Yeropottung abgethud. Ehre und €^ld sind
zu veralten, ja sogar die Verbannung. Der Verfasser yer*
steigt sich zu idealen Höhrai eines sittlichen Rigorismus, dem
er selbst niemab im LeboQ gdiuldigfc hat. Sdbst Kindheit
imd Taubheit sind keine Übel. Die Scäirift schliefet mit
der Absicht, die Bücher dem Brutus zu widmen; iem Ver*
fasser haben sie ihr^n Di«ast als lindemde Besehwichtiger
des Schmerzes und der N5te des Lebens gelastet.
Gerade diese Tuskulanen sind für ihren Ver&sser cha-
rakteristisch. Ohne in die Tiefe zu dringen oder die Fäden
der Spekulation weiterzuq^innen, giebt er einen leidlich
klaren Überblick über die L^r^ der Chriech^ und über*
trägt sie auf römische Verhffltnisse. Durch zahlreiche Oitate,
Erzählux^fen, Abschweifungen ist für Würze der trockenen
Auseinandersetzungen gesorgt.
Wir schU^Ma hier die drei religionsphilosophischen
Schriften »i, ron denen die direi Bücher „vom Wesen d^
GK^tter^^ noch vor Gäsars Ermordung beendet sind. Auch
diese Sidinft ^- die sechste der Zahl nach — beginnt mit
^em WidmungsBchreiben an M. Brutus, in dem der Ver-
fasser wieder einmal seine philosophisches Studi^i recht-
fertigt und seine Voiüebe für die das Urteil schärfende,
neuere Akademie betont. Die Unterredung im Hause Gottas,
an der au&er Gicero G. V^ejus und Q. Lucilius Baibus tal-
nehmen, mnfs zwischen den Jahr«i 78 — 75 stattgefunden
haben^ Es giebt VeOejus zunächst einige sdiarfe Ausfälle
— 138 —
auf die stoische Lehre zum Besten, um dann eine kurze, an-
geblich kritische, thatsächlich aber unkritische Musterung
über die theologischen Systeme von 27 bedeutenderen Philo-
sophen abzuhalten* Dann folgt die Darstellung der epi-
kureischen Lehre im Anschlufs an die Atomistik Demokrits.
Es giebt Götter, die einer ungetrübten Glückseligkeit sich
erfreuen, aber sie kümmern sich nicht um die Erdendinge;
daher ist der Glaube an das Schicksal eitel Gespenster-
seherei. Ihm entgegnet Gotta, der vor allem die Lehre von
den unteilbaren Teilchen und dem leeren Räume durch-
hechelt; dann wird die „gleichsam körperliche^^ G^talt der
Götter, ihre vermeintliche Menschenähnlichkeit und Glück-
seligkeit erörtert, allerdings nicht ohne Verdrehungen, welche
den Gegner gewaltsam ins Unrecht setzen. Zum Schlufs wird
nicht ohne guten Grund behauptet, dafs in Wahrheit Epikur
nicht an Götter geglaubt, sondern nur der Durchschnitts-
meinuDg ein leeres Zugeständnis gemacht habe. Die neuer-
dings in Herculanum aufgefundenen Bruchstücke des Epi-
kureers Philodemus geben uns vielfach erwünschten Au&chlufs
über die Quellen und die Arbeitsweise Ciceros. Das zweite,
besonders durch seinen Gehalt hervorragende Buch enthält
den Vortrag des Baibus über die Theologie der Stoa. Es
wird das Dasein der Götter bewiesen aus vorwiegend teleo-
logischen Gründen, sodann ihre Beschaffenheit erörtert, wobei
sich der Stoiker nicht zu einer rein geistigen Auffassung
erheben kann; die Regierung der Welt durch göttliche
Vorsehung wird dargel^t, endlich die besondere Fürsorge
der Götter für die Menschen erläutert. Das Buch ist reich
an schönen und wahrhaft christlichen Gedanken. „Die beste
und reinste, heiligste und frömmste Götterverehrung besteht
darin, dafs wir sie mit reinem und unverdorbenem Herzen
und Worte anbeten." „Wer dies (die Atomenlehre) fftr
möglich hält, der könnte auch meinen, dafs, wenn zahllose
Formen der Buchstaben aus Gold oder einem anderen Stoffe
irgendwohin geworfen sind, durch Ausschüttung auf die
— 139 —
Erde die Annalen des Ennius in richtiger Reihenfolge zu-
stande gebracht werden/^ ,^s hat keinen grofsen Mann
ohne einen göttlichen Anhauch gegeben/' Zahlreiche Bei-
spiele, Gitate aus Dichtem, Etymologieen verleihen gerade
diesem Buche einen besonderen Reiz. Dem Stoiker erwidert
im dritten Buch wiederum Gotta, und zwar gleichfalls nach
vier Gesichtspunkten; doch ist ein beträchtlicher Teil ver-
loren gegangen. Nach seiner Gewohnheit fuhrt Gicero,
während er Epikur und Demokrit als römischer Staats-
bürger vom Gesichtspunkt der gravitas aus bekämpft, gegen
Zeno und Eleanthes die Gründe des gesunden Menschen-
verstandes ins Feld; der Wechsel der Natur wesen wird gegen
die Unsterblichkeit, der Volksglaube gegen di^ rationalisti-
schen Erklärungsversuche, die menschliche Unvemunfb gegen
die göttliche Weltregierung ausgespielt. Es sind ohne Zweifel
vielfach Scheingründe, die aber noch heute ihre Wirkung
nicht verfehlen und ofb von solchen für bare Münze an-
genommen werden, die Ciceros Beweisföhrung nicht genug
herabsetzen können. Ohne Zweifel gehört das zweite Buch
dieses Werkes zu den denkwürdigsten Überbleibseln vor-
christlicher Gotteslehre und ist unserer pietätvollen Bewunde-
rung wert. Kein Römer hat vor Gicero diese reinere Aus-
prägung des Gottesbegriffs seinen Landsleuten übermittelt;
er hat sich damit auch in der Geschichte der Religions-
philosophie einen Ehrenplatz gesichert.
Nach Gäsars Ermordung beendete er die beiden Bücher
,)über die Weissagung^', ein Stoff, der ihm als Mitglied des
Augurenkollegiums (seit dem Jahre 53) nahe lag. Auch hier
enthält er sich eines bestimmt entscheidenden Urteils und be-
gnügt sich, nach der Methode der neueren Akademie die Frage
fär und wider zu erörtern. Das erste Buch beginnt mit
einer geschichtlichen Übersicht der Völker und der Philo-
sophen, die auf Weissagung Wert gelegt haben. Dann
ninunt der Bruder Quintus das Wort für die Sache und
sucht die jBxistenz derartiger Thatsachen durch eine bunte
— 140 —
Fülle Ton Gitaten und Anekdoten zu erweisen. Besonder»
interessieren uns die Anf&hrungen aus den eigenen Gediditen
des Bruders, sowoM aus den Ptognostika des Aratns, ab
auch aus dem zweit^i Buche ,,über mein Konsulat^ und
dem Epos Marius. Ausländer und Römer, Diditer und
Philosoi^en sind in dieser Hinsicht einig. Die Darstellung
ist überaus anmutig und läfst durch fortwahrenden Wechsel,
nicht ermüden. Weniger Lob verdient die Anordnung der
GManken. Auf alte und neue, ja sogar auf neueste Be*
schichte wird zurückgegriffen, auch auf CSusars Tod. Das
zweite Buch giebt einen Überblick über die philosophisehe
Schriffcstellerei des Verfassers und deutet seine Absidit an,
auch die übrigen Fächer zu behandeln, wenngleich die PolitSr
wiederum seine Arbeitskraft beansprucht. Nun folgt di&
Entgegnung, die allerdings vollständig verneinend ausfSQt.
Mit einer Unbefangenheit, die bei einem Augur fast vier-
blüfft, analysiert er die hübschen Erzählungen des gläuMgen
Bruders unbarmherzig und vernichtet mit d^n Aba^^uben
auch allen poetischen Glanz und Schimmer. Die natürlidte
und wissenschaftliche Weissagung, die Wundenseichen imd
Orakel, Lose und Traume werden ohne Gnade in das Gebiet
der Fabel verwiesen; wenn es ein Fatum giebt, so ist die
Weissagung unnütz; denn die Dinge müss^i ja doch so und
nicht anders geschehen. Zum Schlufs beteuert der Verfasser,
dafs er nur den Aberglauben, nicht die Religion s^bst habe
ausrotten wollen.
Von der dritten dieser Schriften „über das Schicksal'^
sind nur Bruchstücke übrig, weldie die Gleichartigkeit der
angewandten Methode deutlich erkennen lassen. Die üntav
redenden sind A. Hirtius und der Yer&sser.
In diese Zeit fallen femer die beiden populSr gehritenen
Abhandlungen «Cato** und «Lälius'^, wahrend die hierher ge^
hörigen Schriften „vom Buhme'^ und „von den Tugendeft*
verloren gegangen sind. Überaus liebenswürdig zeigt sich der
YerfiEUBser in der ersteren Sdirift „Gato der ältere^ vom Greism^
— 141 —
alter^^ Ohne da(s d^ Iden dee März gedacht wird, iat es
doch klar zwischen den Zeilen zu lesen, in wie gehobener
Stimmung sich der YerfEwser befindet Nach dem Tode des
AUeinherrschers atmet er gewissennabea au^ wie von einem
schweren Alp befreit, und stellt s^en Landdeuten in dem
alten Gato den Typus eines Römers ¥om alten Schlage vor
Augen, ein Muster konserrativer Staatsgesinnung, direnwert
und welter£fthr€ii, ein Freund des gesunden Likndldl>en8, em
Peind aller Neuerung. Nur die griechische Bildung, die er
hier bekennt, ist ein fremder Zug in dem sonst nicht übel
gezeichneten, wenn auch idealisierten Portrfit des wackeren
Mannes. Die Einleitung legt Zeugnis ab von der ubtot«
minderten Zuneigung zum Freunde der Jugend; ihm und
sich will der zweiundsechzigjährige Verfasser die Aussicht
«uf das kcmunaode Alter v^sch&nen. Das Wort fährt Cato,
dem der jüngere Scipio und l£lius zuhören. Er beginnt mit
«inigen Beispielen eines jug^idfrischen Greisenalters. Dana
erfolgt die Feststellung des Themas. Das Alter wird aus
yier Gründen getadelt, weil es von den Geschäften abzieht,
den Körper schwächt, der Vergnügungen beraubt und dem
Tode benachbart isi Diese Vorwürfe werden durch eine
Fülle thatsächlicher Gegenbeweise auf Grund einer verstau*
digen Lebensanschauung glänzend widerlegt. Unter der
Voraussetzung einer mäfsig verlebten Jugend wird dem Alter
das ihm zustehende Gebiet berataider und wissenschaftlicher
Thätigkeit zugewiesen, der Vorzug der Jugend auf das
richtige Mab herabgesetzt, die Pflege einer edlen Geselligkeit
empfohlen, vor allem die Beschäftigung mit der Landwirt*
Schaft als Ersatz für andere Genüsse zugebilligt. Dieser
Abschnitt nimmt den ümfiEUig ^es Exkurses an. In wür-
digster Weise wird die Todesfurcht als thörichtes Vororte
Abgewiesen und der fröhlichen Ho&ung afof Unsterblichkeii
(im A»i«^l?1'^^« an Xeooophon) ein herzlicher Ausdruck geliehen«
Ein unverbildeter Geschmack wird dieses 8<duriftchen nicht
ohne v^ge Befriedigung lesen. Hier hatte der Verfasser
— 142 —
einen Stoff gefanden, dem er durchaus gerecht zu werden
yerstand.
Dasselbe Lob läfst sich der anderen Monographie ^I^
lius, von der Freundschaft^^ spenden, die nur um einen Grad
wissenschaftlicher gehalten ist, da sie das Wesen der Freund-*
Schaft philosophisch zu bestimmen sucht. Die Einleitung er-
innert Freimd Atticus an die hoffiiungsvoUe Jugendzeit, als
Cicero noch beim Augur, später beim Pontifex Scavola sich
juristischer Studien beflils, während jener den Yolkstribunen
Sulpicius hörte. Eben dieser Augur hat einst nach dem Tode
des jüngeren Scipio ein Gespräch mit seinem Sehwi^ervater
Lalius und seinem Schwager G. Fannius über die Freund-
schafk gehabt. Auf die Aufforderung der beiden Jünglinge
hin weiht LäHus zunächst seinem jüngst abgeschiedenen
Freunde einen herrUchen Nachruf; sein Schmerz ist durch die
Hofi&iung auf Unsterblichkeit und durch die Erinnerung an
die zusammen verlebte Zeit verklärt. Dann legt er zuerst
im allgemeinen, darauf in zusammenhängender Rede seine
Auffassung der Freundschaft dar. Diese entspringt aus herz-
licher Zuneigung zu dem geliebten Gegenstand, ohne einen
positiven Nutzen selbstsüchtig zu suchen. Hochschätzung
und Verehrung begründen sie, Gewohnheit vermehrt das
Wohlwollen. Mancherlei Gefahren bedrohen den Bestand
der Freundschaft, weshalb gewisse Vorschriften zu beachten
sind. Die Freundschaft hat ihre Gh*enzen, da sie den Boden
der Sittlichkeit nicht verlassen darf; auch um des Freundes
willen darf man nicht sündigen. Hing^en müssen wir in
allem, was gut ist, mit dem Freunde fühlen und uns weder
durch die Gefühllosigkeit der Stoiker, noch durch die Selbst-
sucht der Epikureer beirren lassen. Bei Abschluüs freund-
schaftlicher Beziehungen ist der Charakter des neuen Freundes
zu prüfen, dem alten aber die Treue zu bewahren und nicht
dieser jenem aufzuopfern. Gemeinsamkeit der Interessen und
Neigungen ist wünschenswert. Zuweilen erscheint es sogar
als Pflicht, alte Beziehungen abzubrechen, um grölseren
— 143 —
Schaden zu vermeiden, falls beim Freund neue Fehler her-
vorbrechen. Der Gleiche taugt eher zum Freunde, als der
Ungleiche. Am wenigsten aber ist der Schmeichler geeignet,
vor dem wir uns, wie vor dem Schmarotzer der Komödie,
hüten sollen. Die Grundlage aller echten Freundschaft ist
die Tugend; ohne sie hat jene keine Dauer.
Die letzte philosophische Schrift, die drei Bücher „von
den Pflichten", richtete Cicero im November 44 an seinen
Sohn Marcus, der seit Jahresfrist in Athen studierte und vor
allem Eratippus hörte. Er hat sich vorzugsweise an einen
Gewährsmann, den Stoiker Panätius, angeschlossen. Nach-
dem er in der Einleitung des ersten Buches dem Sohn freund-
lich ernste Mahnungen unter Hinweis auf sein Vorbild zu-
gerufen hat, schickt er eine (uns leider nur unyollständig
überlieferte) Begrifbbestimmung vorauf und teilt dann den
Stoff in fünf Abschnitte. Zuerst handelt er vom Sittlich-
Guten und von dem etwaigen Konflikt der Pflichten. Das
Wesen des Guten wird erörtert, die Tugenden der Weisheit,
Gerechtigkeit, Tapferkeit und MäTsigung durchgesprochen.
Die Darstellung hat etwas Trockenes, da sie des wechselnden
Beizes der Beispiele und Gitate entbehrt; auch scheint sie
höchst eilig hingeworfen zu sein. AufSUig ist die scharfe
Beurteilung des verstorbenen Cäsar, der mehr als einmal als
Typus des Eigennutzes dienen mufs. Recht ansprechend ist
die Ableitung der staatlichen Gemeinschaft aus dem Familien-
leben. In vielen Fallen können wirken Werturteilen des
Verfassers beipflichten, in manchen weniger; so wenn er den
Kleinhandel und das Handwerk als minderwertig verurteilt,
während er den Grofshandel und vor allem die Landwirt-
schaft feiert. Es kann auch nicht ausbleiben, dals der Yer-
&8ser sittliche Normen auüstellt, denen er selbst nicht immer
nachgelebt hat, Widersprüche, die natürlich sehr leicht gegen
ihn ausgebeutet werden können und gehörig Ausgebeutet
sind. Als ob ein Sittenlehrer — mit Ausnahme Jesu Christi
— sein Leben mit seinen Vorschriften je habe in Einklang
— 144 —
bringea können! Erfreulich ist die Beurteilung des Wuidben.
Im zweiten Buch betont er wieder, daüi nur die Mnlbe ihn
der Philosophie zugewendet; er habe nicht nichts thuft
können. Sodann wird das Nützliche abgehandalt, das er
joicht vom Sittlich-Outen getrennt wissen will. Er bespricht
namentlich die Gesichtspunkte, die für dta mensohUcheti
Verkehr mafsgebend sind, das Wohlwollen, den Buhxn, die
Freigebigkeit. Unter den mannigfachen Urteilen Terdient
die La Übereinstimmung mit Panätius gewoimene Erkenntnis
beachtet zu werden, dals es nur des Richters Pflicht sei,
das Wahre zu finden, die des Verteidigers, das Walus
scheinliohe, ein Argument, das für die Geriehtsreden des
Verfassers als stichhaltig und berechtigt angezogen werden
darf. Das dritte Buch endlich, das des Verfassers Mu£m mit
der des jüngeren Scipio vergleicht, untersoheidet sieh sehr
wesentlich im Tone von den andern Büchern. Nachdem am
Schlufs des zweiten Buches ganz kurz, fast dürftig der aus
dem Nützlichen entspringenden Konflikte gedacht ist, werden
nunmehr die zwischen dem Sittlich -Guten und dem Nüti«
liehen entstehenden Differenzen erörtert und durchweg zu
Gunsten des ersteren Prinzips entschieden, nicht aber durch
rein abstrakte Gedankenreihen, sondern durch eine Fülle von
Beispielen, die Cicero mit gewohnter Meisterschaft enihlt
und verknüpfk. Man fühlt es, dals er hier wieder fissten
Boden unter seinen Fülsen hat. Aus einem griecUschen
Philosophen wird eine förmliche Kasuiitik von Konflikten
abgeschrieben. Das Werk schlielst mit der Bitte, die diei
Bücher als Gaste fireundlich aufisunehmen; der Vater w&rs
gern selbst gekommen, aber das Vaterland habe ihn zurück*
gerufen.
Er war zurückgekehrt, um noch einmal für kurze Zeit
an das Steuer des Staates zu treten und nach einem schöiMn
Erfolge den schöneren Tod für die von ihm als gerecht er-
kannte Sache zu sterben.
— L45 —
Kapitel 15.
Der letzte Kampf g^en die Monarchie.
Am 15. März des Jahres 44 erlag der grolste Staats*
mann Roms und einer der grölsten Manner der Weltge-
schichte, G. Julius Cäsar, während einer Senatssitzung den
Dolchen einer Verschwörung, welche aus Beamten und
Offizieren des Monarchen bestand und in M. Junius Brutus
und G. Gassius Longinus ihre Leiter sah. Den einen erschien
die Ermordung Gäsars als die schändlichste, den anderen als
die schönste That; so urteilt in kühler TTnparteiKchkeit der
aristokratische Geschichtsschreiber des kaiserlichen Roms,
Tacitus. In unseren Tagen lautet das geschichtliche Urteil
bestinmiter, oder sollte es doch lauten, wenn nicht partei-
süchtige Engherzigkeit und poUtische Unreife den BUck
noch immer trübten. Gäsars Ermordung stellt sich uns nicht
nur als ein feiger, schändlicher Meuchelmord dar, begangen
yon selbstsüchtigen Strebern, die im Trüben zu fischen ge-
dachten, sondern yor aUem als ein ungeheurer poHtischer
Frevel. Immer mehr zerreüst das yon Kunst und Dichtung
gesponnene Sagengewebe und lälst xms yor allem den Führer
der „Tyrannenmörder^, den uns als hartherzigen Wucherer
bereits bekannten . M, Brutus, in seiner unter dem Philo*
sophenmantel schlau verdeckten Selbstsucht und Erbärmlich-
keit sehen; denn die anderen, einen Gassius, Trebonius,
D. Brutus und wie sie alle heüsen, hat kein Einsichtiger
je für etwas Besseres gehalten, als für unzufriedene, ehr-
geizige Durchschnittsmenschen. Aber ihr Führer, von dessen
erlogenem Glänze ein Strahl auch auf ihre unwürdigen
Häupter gefaUen ist, hat sich ihrer überall und stets würdig
gezeigt. Der Sohn einer sittenlosen Frau, der nachmaligen
Geliebten Gäsars, hat er es stets verstanden, sein eigenstes
Aly, Cicero. 10
— 146 —
Interesse unter der Maske eines Biedermannes wahrzunehmen.
Nachdem er im Orient mit Hilfe seines Schwi^ervaters
Appius Claudius sich sdiandlich bereichert hatte, ging er
zu Pompejus im letzten Augenblick, um ihn sofort nach
seiner Niederlage schmählich zu yerlassen und seine Flucht
zu verraten. Von C^sar um seiner Mutter willen freundlich
angenommen, trag er kein Bedenken, trotz seiner rqiubli-
kanisdien Neigmigen, Amter xmd Ehrenstellen vom BüerradMT
entgegenzunehmen, ein Beweis, dab er seine B.^^ mit
CSsars Einwilligung spielte. In seinem Auftrage knfipfte er
den Verkehr mit dem einflnlireichen Bedner wieder an, dea
Cioero einet entrüstet abgebrodien hatte, und tausdite diesem
•o Yollkommen, da(s er Ton ihm f&r den Typus des aufrieh«-
tigsten Republikaners gehalten wurde; sechs Sdiriften widmete
ihm der bethörte Mann. Da kam der Umschlag. Der b^
rechnende Bohn seiner stolzen Mutter hatte auf nidite Ge-
ringeres als die Nachfolge Oasars gerechnet und filhlte eieh
grausam entt&uscht , als ihm dieser seinen Jungen ' 'SeSfOL
C. Octayius vorzog. Nun gab sich Brutus in die Hfiiide des
gemfitlosen Cassius, der es nicht verabsäumte, den Sduktten
des alten Eönigsfeindes L. Brutus, wie schon Cioero gethan,
heraufzubeschwören. Wie M. Brutus später Cüeero in den
Krieg gegen Antonius getrieben und ihn schmachvoU in
Stich gelassffli hat, wird seiner Zeit erzUilt werden.
Cicero irrte, insofern er eine Wiederheivtdlmng des
Freistaates flir möglich und ersprie&lich hielt; daher billigte
er mit Unrecht die Ermordung des Gewaltherrschers. Aber
weder hat er sdbet an der Schandthat teilg^ommen, noch
hat er durch selbstsüchtige Ho&ungen auf ein StQdc der
unendlichen Beute seine letzte politische Thätigkeit entdirt.
Er ist in diesem fürchterlichen Kampfe fast die einzige. Per*
sönlichkeit, deren sittliche Reinheit und aufrichtige Vater-
landsliebe unbefleckt geblieben ist. Ja, er hat sdbst durdk
entschlossenes Handeln und aufopfernde Kühnheit die Sftnden
der letzten Jahre uns vergessen lassen imd an cUe Zeiten er*
— 147 -^
iimeft, wo er «nem Chrysotronve, einem Verres^ <dnem
C«tilhL. ta^r entgegentoT^
Nadi ToUeogeoer That beoakoieii mth. die VerH^woreEieiii
ufiglaablich araÜos. Wahrend 4ie Senatoren, unter ilinen
Cäcero, bestürzt naeh Hause eillteii, da sie unmof^ch die
weiten^ Plmie ahnen kannten, atünuben die Moideer anf die
Strafsen, das Volk zwc FreibdLt aufrnfend. Yergiebens hatte
Brutus Cicero aingerufen und ihm 2ur Wiederfaamtellxtng dt»
FreUrtiaates GQftck gewünscht Da jimer keinie aesmetiswerte
Unterstützung £utd^ zog er es vor^ mit seinen Anliangem
das Sapitol zu besetzen. Nacbd^n so der erste Augenblick
yersaiunt war, wu&te der Konsul M. Antoniafi, der nun-
mehrige Führer dßr cäsarianiseben Partei, sich in der Oe*
wali zu bef«stigeii. Vergebens riet jetzt Gieero rat enei^ischeia
Vorgehen und erklärte «idi gegen die Anknüpfung von Ver-
handlungen. Am dritten Tage nach der That win*de in einer
Sfinatasiteung xwisdien beiden Parteien das Abkonoimen ge-
troffen, dals die Mörder zwar Straflosigkeit erhidten, dais
aber die Verfilguo^^i Oasars zu Recht bestehen, auch seine
Beerdigung erfolgen und sein Testament gültig sein sollte.
Diese Halbheit T^ardarb den V«?Bchwoxaaen alle Anssidiiien
auf Erfolg; sie waren nidbt dnmal in d«r Stadt, w-o es T<m
V49t^aaen wimmelte, ihres Lebens eicher. Antonius, der in-
zwischen DoIabeUa, {ScaroB ehemaligen Schwiegersohn, znm
Amtsgasoflsen annahm, wuMe durch eine wirkungsvolle
Letchenfeier und seine wohl berechnete Biede das Volk der-
artig zn entflanunen, dab es die JBauser der Versdiworeaen
in Brand steckte. Dann suchte er durch beschenke und
Verspredmngen die Legionen, die in ItaEoi standen, für sadi
zu gewinnen und besondem dundi wiükürlidie Ausdeutung
und JBrweitemng der „acta Oaesaris^^ seine Kasse zu f&llen,
wobei ihm seine Gattin Fulvia, die Witwe des P. Olodins,
eifiig half. Ein wideiUcher Schacher mit Ehrenstellen und
Vergünstigungen hub an. Für die Zukunft gedachte sich
Antonius nebst einer fetten Provinz ein 8chlag£ertiges Heer
10*
— 148 —
zu sichern. Da nun der verstorbene Cäsar bereits f&r das
folgende Jahr die Provinzen verteilt hatte, so lieis sich An-
tonius bald vom Senate, bald vom Volke zuerst Macedonien,
wo die för den Partherkrieg bestimmten Legionen standen,
dann das cisalpinische Gallien zuerkennen, das der Haupt-
stadt näher lag, während Dolabella Syrien beansprudite; so
waren zugleich die personlichen Interessen der für die Ver-
waltimg jener Länder bestimmten M. Brutus, D. Brutus
und C Cassius aufs schwerste beeinträchtigt. Überhaupt
f&hrten die Verschworenen eine klägliche Existenz. Die
Prätoren M. Brutus und G. Cassius wagten es nicht, sich in
Rom zu zeigen, so dafs der erstere sogar seine Spiele in
seiner Abwesenheit vor sich gehen liefs. Endlich wurden
sie durch ein von Antonius eingebrachtes Gesetz gänzlich
entfernt, durch das sie den Auftrag erhielten, Getreide in
Creta und Cyrene einzukaufen. Bevor M. Brutus nach dem
Osten abging, hatte er eine folgenschwere Unterredung mit
Cicero. Inzwischen war, um die Verwirrung vollständig zu
machen, der blutjunge Erbe und Adoptivsohn Cäsars, C. Oc-
tavius, nunmehr C. Julius Cäsar Octavianus, in Rom ange-
langt und von Antonius schnöde abgewiesen. Mit einer fQr
seine Jahre überraschenden Klugheit schloß sich der junge
Mann an Cicero an und wu&te durch Freigebigkeit und Be-
scheidenheit das Volk und die Veteranen zu gewinnen.
Wir sind über diese Zeiten durch drei Bücher Briefe,
die Cicero von seinen Landgütern aus an den in Rom
weilenden Atticus schrieb, gut unterrichtet. Er war bald
aus dem Taumel, in den ihn die vorgebliche Befreixmg des
Staates versetzt hatte, entnüchtert erwacht. Den Bösen sind
wir los, die Bösen sind geblieben; so konnte er nach seiner
AufPassung mit Recht sagen. Zwar war der König beseitigt,
das Königtum aber geblieben. Ja, in dem Grade erbitterte
ihn das eigenmächtige, räuberische Verfahren des Antonius,
der ganz unverhohlen den Staatsschatz im Tempel der Ops
bestahl, dafs er sich zu dem Geständnis herbeiUelb, unter
— 149 —
diesen umständen sei sogar die Herrschaft Cäsars als das
mindere Übel anzusehen. Bald preist, bald schilt er die
^Helden*, die ^ Tyrannenmörder*. Ruhelos eilt er von einem
Landgut aufs andere. Noch steht er mit Antonius in leid-
lichem Einvernehmen. Das Vorgehen Dolabellas gegen die
Vergötterung Cäsars auf offenem Markte erfüllte ihn mit
überschwenglicher Freude. In Antium nahm er an einer
geheimen Beratung der Verschworenen teil. Aufser Brutus
und Gassius war es hauptsächUch die herrschsüchtige ServiUa,
die das grofse Wort führte. Trotz mutiger Worte wurde
doch nur der Beschluls einer baldigen Abreise nach Asien
festgestellt. Auch Cicero dachte ernstlich daran, sich den
derzeitigen Wirren zu entziehen, wozu ihm die Ernennung
zum L^aten des Dolabella einen guten Vorwand bot. Er
hatte die verflossenen Monate eifrig mit philosophischen
Studien ausgefüllt; jetzt war er bei seiner letzten Schrift,
den an seinen Sohn gerichteten Büchern „von den Pflichten".
Eine Reise nach Athen, ein Besuch seines Marcus lag ihm
sehr nahe, zumal er an Bruder und Neffen zur Zeit wieder
wenig Freude hatte. Nach seiner Gewohnheit schwankte er
lange. Endlich ging er Anfang August zu Schiff. Er fuhr
über Vibo, wo er seinen alten Freund Sica besuchte, und
Rhegium, schweren Herzens seine ViUen und seinen Atticus
hinter sich lassend. Als er aber vom Vorgebirge Leucopetra
aus auf der Höhe von Syrakus angekommen war, wurde er
durch einen heftigen Südwind zurückgeworfen. Er landete
in Rhegium und erfuhr dort von Reisenden, dais die Dinge
in Rom nicht übel ständen; am 1. September würde eine
zahlreich besuchte Senatssitzung stattfinden, Brutus und
Gassius wünschten seine Anwesenheit. Dies genügte, um
den leicht beweglichen Mann umzustinmien, zumal auch
Freund Atticus zur Rückkehr riet. Am 17. August hatte
er in Velia die folgenreiche Unterredung mit M. Brutus,
der ihn inständig beschwor, der guten Sache nicht untreu
zu werden und die auf ihn gesetzten Hoffiiungen zu recht-
— 150 —
•
fertigen. Auf «einer Rückr^se empfing er Briefe von Oefea»
TÜGumSj der inzwisch^oi nicht mftfsig gewesen war und die
Veteranen Gampamens fOr sich gewonnen hatte. Cicero sah
klar diMi konuBModen Krieg Yoraus, aber er fOreht^ das
EnabeBalter und den eäearischen Kamen de» jungen Feld*
herm. Auch Antonin» rüstete. Da warf sich ieir Jünglmg
dem Senat in die Arme und klarte dadurdi die Parteistellnng
fib: den künftigen Kri^. Cicero traf seine Entscheidang.
Bei seiner Büeldcehr mu&te er sofort bemühen, da&
ihm die Lage der Dinge zu rosig geschildert war« &i dm
Senatssitzong am 1. September, in der Antonius ein regel-
mäfeiges Dankfest für den rergöttertai Cäisar beantzagtev
glänzte Cicero durch seine Abwesenheit und verdarb es
dadurch vollständig mit dem Machthaber^ dieser drohte sein
Haus niederreiisen zu kssen. Am folgenden Tage erschiea
Cicero im Senate, wo er jene Bede hielt, die wir jetzt als
die erste der philippischen Beden bezeichnen. Diese Be-
aeiehnimg, welche an den Kampf des Demosthenes gegen
Philipp von Macedonien erinnern soll, scheint, üUb dar
Briefwechsel mit Brutus echt ist, von ihrem Yer&sser selbst
erfanden zu sein. Die Bede beginnt mit einem BückbUck
auf die nächste Vergangenheit ^ der die Abreise mtd die
Rückkehr des Redners erklären und entschuldigen solL Er
geht bis auf die Senafcssitzung nach Casars Brmordimg
zurück und lobt die an&ngs so gesetzmäisige Haltoag de»
Konsuls Antonius, vor allem die Aufhebung dar Dictatur.
Aber er verschweigt auch nicht den plötzlichen Umschwung
seit dem 1. Juni^ wenn auch voriaufig die Machthaber no(^
siditlieh geschont werdai. Der 6ruad der Rüekk^r wird
genannt und dabei des abwesenden Brutus rühmend gedadit.
Die Rede soll, selbst wenn dem Redner etwas Menschliches
wideirföhrt, ein Zeugnis seiner unverändert patriotiaehen €te-
sinnung sein. Dann hStk er dem Antomus die brutale Äuise-
rung über sein Ausbleiben ernst, aber schonend vor; er
verabsäumt auch nicht nachtraglieh seine Meinung über die
— 151 —
mablose Yerlieirrlichaiig Cäsars ausznspfechen. £r gedezikt
lobend des L. Piso, des Schwiegerv^iters des Yerstorbeneu,
der es zuerst gewagt hatte, der WiUkür entgeg^azutreten.
Dann giebt er sein Votum übar die sehwebenden Fragen
mafsvoll und verständig ab. Die acta Caesarifi sollen auch
ianer gültig sein, selbst in der Voraussetzung einer weg-
gehenden Auslegung. Aber der Mibbraui^, der offenbar mit
ihnen getrieben ist, auch da, wo Cäsars dlgene Gesetze offene
bar widerepreehen, soll und mufs fortfallen; Cicero nennt da»
Gesetz gegen die Verlängerung der Kommandos, sowie das
Bichtergesetz, das von Antonius zu Gunstee der ihm ergebenen
SubaltemofSziere gröblich verletzt ist. Eb^iso stdott es mit
dem Gesetz, welches die Berufung ans Volk auf andere Ver-
gehen ausdehnt« Eine derartige Gesetzasmacherei sprengt
alle Bande, öffiiet der Willkür, die sieh an Einsprüche der
Tribunen und Auguren nicht kehrt, Thor und Thür. Daran
schliefst sich in fein vermitteltem Übergänge eine Ver-
mahnung beider Konsuln, nicht gdbässig, aber ernst und
würdig. Zuerst wendet sieh der Bedn^ an Dolabella, der
ihm einst so nahe stand, dum an Antonius; er erinnert
beide an frühere Thaten der Gesetzlichkeit, an mtzweideutige
Kundgebungen d^ Volksgunst ^ an die Folgen unm&Isiger
Herrschsucht; denn schnöder Habgier will er beide nicht
zeihai. Der Sdüuls ist kurz, fast aufEallend ein&d. und
schmucklos. JLch habe genug gelebt, was Alter und Buhm
betrifft; der etwaige Best mag nicht mir, sondern dem
Senate und dem Staate zu gute kommen.^
Diese Bede, gleidi trefflieh nach Form und Inhalt,
stdlt sich Ciceros besten Leistungen zur Seite. Ist dies der
Grund, weshalb sie von seinen scharfen Kritikern, die doch
jedeAu&erung seiner Schwäche mit kriminalistischerGewissen-
haftigkeit buchen, rasdi übergang^i wird? Sie beweist eine
tapfere Gesinnung, die manches Vergdiea früherer Tage ver-
g^rasen läfiBt. Fest imd doch malsvoU tritt er den Männern,
die ihre Macht ohne sitÜiehes Bedenken zu gebrauchen
— 152 --
pflegten, mit offenem Visier entgegen. Er beschritt damit
eine Bahn, die er bis zu seinem Tode nicht wieder yerliels,
obgleich er die Gefahr, der er sich aussetzte, wohl erkannte.
Die Folgen Heften nicht auf sich warten. Antonius
antwortete am 19. September, indem er wutentbrannt das
Leben und die Thaten seines bis dahin so mafsYollen Gegners
mit Gift und Geifer überschüttete. Dafs Cicero sich von
jener Sitzung fernhielt, war nur verständig; niemand ist ver-
pflichtet, sich ohne Grund und Zweck ans Messer zu liefern.
Er wuiste nun Bescheid und hielt sich verborgen, bis seine
Zeit gekonmien war. Als Antonius die Hauptstadt Ende
November verliefs, um D. Brutus aus dem cisalpinischen
Gallien zu vertreiben, veröffentlichte Cicero seine zweite
philippische Bede, die nicht gesprochen ist. Auf das äufserste
gereizt, vergalt er in südländischer Lebhaftigkeit mit all
dem Witz und all der Schärfe, die ihm zu Gebote stand,
dem Feinde.
Er stellt zu Anfang Antonius mit Catilina und Clodius
in eine Reihe, um damit die Behauptung zu begründen, dals
alle Feinde des Staates nach einer wunderbaren Fügung des
Geschickes zugleich seine persönlichen Gegner seien. Dann
verteidigt er sich mit Glück gegen die mafslosen, vielfach
ungerechten Vorwürfe des Feindes. Nicht er hat den Streit
begonnen, sondern jener; zum Beweise dienen die Briefe, die
Antonius sich nicht entblödet hat der Öffentlichkeit preiszu-
geben. Dann rechtfertigt er sein schnöde verurteiltes Kon-
sulat, in dem er allerdings des Antonius Verwandten Lentulus
hat hinrichten lassen. Dafs er den Clodius getötet, Pompejus
von Cäsar getrennt und dessen Ermordung veranlafst habe,
widerlegt er ohne Mühe. Nicht minder dankbar bietet sich
ihm der Stoff zur Anklage seines Anklägers. Indem er seine
Spuren von frühester Jugend auf verfolgt, entroUt er ein
fürchterliches Bild menschlicher Nichtswürdigkeit, das sicher-
lich hier und da zu dunkel gehalten ist, das aber zum
grö&eren Teil der Wahrheit entspricht. Des Antonius Un-
— 153 —
Sittlichkeit und Geldnot waren ja stadtbekannt. Aber wenn
er seine Thätigkeit ftir Gäsars Interessen abschildert, so
Aihrte die Gehässigkeit des politischen Gegners die Feder;
auf Thatsachen scheint nur die gerügte ünmäfsigkeit und
die nicht minder unersättliche Habgier zu beruhen. Geschickt
weifs er die zeitweise Entfremdung des Dictators und seines
Helfershelfers auszubeuten, wenngleich er auch hier zu weit
geht. Nun folgen die jüngsten Ereignisse, der Mifsbrauch
der Auguraldisziplin, das Anerbieten der Eönigskrone, dann
die Flucht nach dem Morde des Herrschers und die Doppel-
züngigkeit gegenüber den Verschworenen. Noch deutlicher
als in der ersten Rede wird die Ausplünderung des Staats-
schatzes, die Ausschlachtung der vielberufenen acta Caesaris
gerügt, ebenso die zahlreichen, allen Gesetzen hohnsprechen-
den Amtshandlungen. Der Schluis erhebt sich zu ernstlichen
Drohungen. Auch ihm wird ein Ausgang vor Augen gestellt,
wie ihn sein Vorgänger erlebt. Der Redner wünscht sich
selbst, auch auf die Gefahr seines Todes hin, dafs er die
Befreiung des römischen Volkes und die gerechte Vergeltung
erleben möge.
Ohne Zweifel gewährt die zweite Rede keine Befriedigung,
wenn wir auch dem Temperament des Italieners und dem Groll
des Gekränkten manches zu gute halten. Hätte Cicero sich
mit dieser Scheltrede begnügt, so würden wir mit Bedauern
Yon ihm scheiden. Er hat aber mehr gethan; er ist von
Worten zu Thaten übergegangen und hat an seinem Teile
zu verwirklichen gesucht, was er gedroht hatte. Schon
winkte der Sieg; da traten zum Teil unvorhergesehene Er-
eignisse ein, welche den Erfolg in eine Niederlage- ver-
wandelten und dem im Wortkampf siegreichen Redner die
bittere Vergeltung der That brachten.
Inzwischen war Antonius nach Brundisium geeUt, um
die aus Macedonien angekommenen Legionen in Empfang
zu nehmen. Er fand sie nichts weniger als willig und griff
zu den schärfsten Strafen, aber ohne Erfolg. Auch Octa-
— 154 —
Tuniiis war nickt müisig gewesen und hatte die in Miitd<*
italien angesiedelten Veteranen f&r sich gewonnen. Während
Antonios, nach Rom znrückgekdut, mit dem Senate Yer-
handelte, erfahr er, dab zwei der Legionen zu OctarianiiB
abgefallen seien. In höchster Bestürzung eüke er nach GblHeii,
nm sich mit den treu gebUebenen Trappen durch Nieder-
werfung des D. Brutus eine feste Operationsbasis zu schaifen.
Am 9. Dezember kehrte Cicero, der dem Zorne seines mm-
mehrigen Todfeindes durch wechselnden Aufenthalt auf seinoi
Villen entgangen war, nach Rom zurück, entschlossen, Aea
Kampf aufzunehmen, und bereit, den jungen Cäsar als Werk-
zeug der Freiheit zu yerwenden, trotz der schweren Be-
denken, die er sich nicht verhehlte. Am 20. dessdben Mcmats
sprach er wieder im Senate; es ist die dritte Philippica.
Endlich einmal, so beginnt er, ist der Senat wieder
dank der Thatkraft der Tribunen zusammengerufen. Der
ersehnte 1. Januar, der Amtsantritt der designierten Konsuln
Hirtius und Pansa ist nahe, aber schon jetzt muis gehandelt
werden. Der junge Cäsar hat ein zuveriässiges Heer geworben
und dadurch den Staat dauernd befreit; die abtrünnigen
Legionen verdienen Lob und Ehre. D. Brutus hält sich
wacker, unterstützt vom Patriotismus des diesseitigen GkdHens*
Und das ist alles gesetzmälsig geschehen; denn seit dem.
Hochverrat am Luperealienfest ist Antonius nicht als Konsul
zu betrachten. Seine gegen Octavianus geschleuderten Schmä-
hungen sind hinfallig, nicht minder, was er dem jungen Q. Cicero
nachsagt. Seine Thaten imd Erlasse sind gleicherweise kläg-
lich; kann er doch nicht einmal richtig sprechen und schreiben.
Jetzt erst ist die Freiheit wiedererobert; sie gilt es zu er-
halten. Darum mögen die neuen Konsuln baldigst dai Senat
berufen. Vorläufig beantragt der Redner, dais alle Provinzen
nach der von Cäsar getroffenen Bestimmung besetzt werden
sollen, während dem C. Cäsar und s^en Legionen der Dank
des Staates ausgesprochen wird. Den dahin gehenden Bescfalufe
des Senates teilte Cicero in der vierten philippischen Rede dem
— 155 —
zahlreich Tersammelteü Volke mit. Noch ist Anioiiitis nicht
ab Staatafednd aasdr&cklich aneikannt, ab^ die Thatsachen
bezenigeED es deutlich. Der FmheitiEA»mpf bc^nt.
Und der Krieg begann. Antonias schloß D. Brutn» in
Mntina ein, während Dokbdla nach dem Oiten ging, nm
sich Syriens XU verrichem.
Kapitel 16.
Kurzer TriuBaph und jäher Tod«
Die Bechtsfrage des dritten Bürgerkrieges entscheiden
zu wollen, ist ein mflfiiiges Unternehmen. Wenn aber be-
hauptet ist, dals Cica-o „feüe, meineidige Emporer und einen
Hochverrater in Helden** verwandelt habe, so riditet sich
^e derartige Übertreibung selbst. Antonius hatte mehr
als einmal Gesetz und Beeht mit Füfseii getreten und seine
Absicht, die Verfassung zu stürzen, wie Cicero treffend be-
merkt, laut bezeugt. Damit war allen, die an die Fortdauer
des Freistaates sich klammerten, der Krieg angesagt; es kam
darauf an, ihn entschlossen zu f&hren. Die „Helden** waren
fem im Orient, eifrig bestrebt, ihre Kassen zu füllen und
ihre Interessen zu wahren. Wenn der Krieg in Italien mit
Kachdruck und nicht ohne Erfolg geführt ist, so gebührt
das Hauptverdienst Cicero, der auf ein halbes Jahr noch
anmal die Zügel des Senatsregiments in seine Hand nahm;
die Zügd, ni^ das Schwert. Er war nicht Soldat, aber
ein Organisator des Krieges, der mit nimmer müdem Eifer
€tenerale und Heere für die von ihm als gerecht erkannte
Saehe warb. Zeugen sind die Briefe des 10. bis 12. Buches
an die Freunde und vor allemr die mit Unrecht als un-
echt bezweifelten Briefe an M. Brutus. Cicero erkannte
von vornherein die schwatze Seite des Unternehmens, die
— 156 —
UnznTerlaflfdgkeit Octaviaiis. Danun woUie er die letzte
EntBcheidimg durch die Statthalier der NachbarproTinzen
imd ihre Trappen herbeif&hren. Daher der lebhafte Brief-
wedisel nach allen Seiten. Deshalb schreibt er an Q. Gomi-
ficins in Afrika, an L Mnnacins Plancns im nördlich«], an
IL Lepidns im südlichen Gbdlien, an Asinins Pollio in Spanien.
Wenn diese sich alle oder in der Mehrheit fbr den Senat
erklarten, wenn endlich M. Bmtns das so lange gesammelte
Heer anf dem Landw^e nach Italien f&hrte, dann konnte noch
einmal die Sache des Freistaates, wenn auch fbr kurze Zeit,
triumphieren. Und einem Manne, der so Terschlnngene F^oi
eine geraume Zeit zu leiten wufste, spricht man j^Uche
JBinsicht, Ansicht und Absicht^ in politischen Dingen kurz
ab? Ein Mann, der M. Brutus fortwahrend zur That und
zum Kampf antreibt, soll ein kurzsichtiger Egoist, ein
Feigling gewesen sein? Die schlichte Erzählung der Thafe-
sachen wird den besten Gegenbeweis Uefem.
Am 1. Januar 43 hielt Cicero im Senate die f&nfte
PhiUppica, in der er die zögernde Mehrheit des Senats zu
thatkräftigem Handeln bestimmen wollte. Die geheimen
Anhanger des Antonius hatten trotz der bereits ergriffenen
Malsregeln die Absendung einer Gesandtschaft Yorgeschlagen.
Dagegen erklart sich der Redner mit Tollem Rechte. Er
führt die jüngst geschehenen Thaten des gewaltthatigoi
Mannes in greller Beleuchtung vor, er erinnert an die firüheren
Beschlüsse. Ein anderer Hannibal steht vor den Thoren.
Darum muTs der volle Ejiegszustand offen erklart, es muis
aber auch den Männern, welche so grolse Verdienste sich
bisher um den Staat erworben haben, der Dank des Senates
ausgesprochen werden. Vor allem dem tapfem Verteidiger
Galliens, D. Brutus; dann dem M. Lepidus, welcher den
S. Pompejus auf £riedlichem Wege für den Staat wieder ge-
wonnen hat, dem G. Cäsar, der zuerst die Waffen ergriffen
und seine Priyatfeindschaft dem Staatswohl aufgeopfert hat»
aber auch dem Stabsoffizier Egnatulejus und den tapfem
— 157 —
Veteranen, denen grolse Belohnungen zuzubilligen sind. Aber
Yor allem mufs schnell gehandelt werden.
Cicero drang nicht durch, wie er in seiner sechsten Rede
dem Volke beruhigend mitteüt: der Krieg ist abgeschoben,
nicht aufgehoben. Die Gesandtschaft wird voraussichtlich
erfolglos bleiben. Und das ist gut; denn mögen andere
Völker die Sklaverei ertragen können, dem römischen Volke
ist die Freiheit teuer. Ebenso spricht er sich in den bald
darauf folgenden Reden aus. In der siebenten plädiert er,
der Zögling des Friedens, wie er sich nennt, f&r den Krieg.
Der Friede ist schimpflich, gefahrlich, unmöglich. Er ist
schimpflich, da er den getroffenen Mafsregeln widerspricht;
schon ist der Konsul Hirtius mit Truppen auf den Kriegs-
schauplatz, obwohl schwer erkrankt, abgegangen. Lieber den
Tod erleiden, als die Schmach ! Aber der Friede bringt auch
Gefahr; die bisherigen Thaten des Antonius und seiner Spiels-
gesellen beweisen es. Ja, er ist ganz unmöglich. Wer kann
sich Yon den Bürgern und Führern fürderhin mit dem ge-
meinsamen Feinde vertragen? Überall ist Hals und Zwie-
tracht; das muls zum Bürgerkrieg führen. Darum muTs die
Bürgerschaft bereit sein zum entscheidenden Kampfe; die Frei-
heit steht auf dem Spiele. In keiner Rede ist Cicero seinem Vor-
bilde Demosthenes vielleicht naher gekommen, als in dieser so
kurzen, aber so inhaltreichen und wuchtigen Ansprache. War
auch das Senatsregiment auf die Dauer unhaltbar, so kann
man sich doch der Überzeugung nicht verschliefsen , dals
der athenische Redner gleichfalls für eine verlorene Sache
kämpfte, für ein Staatswesen, das zum Untergang reif war.
Und wie Demosthenes, so erörtert Cicero inuner dasselbe
Thema, Krieg um jeden Preis. In der achten Rede erwägt
er die Bedeutung der Begriffe bellum und tumultus; dieser
ist schlimmer als jener. Man scheut sich das Wort „Krieg^^
auszusprechen, obgleich Brutus, Cäsar, Hirtius mitten im
Kriege stehen; letzterer hat bereits sich eines Sieges zu rühmen.
Der Redner zahlt ihn als den ftinften Bürgerkrieg, der gegen
— 158 —
den schlimmsten Feind des allgoaein^a Wohles geffihrt wird.
Er wendet sich gegen die Einwürfe des Q. Fnfios Galenns,
eines Gasarianns. Ist der Staatskorper krank, so muls das
kranke Glied abgeschnitten werden. Die yersnchte Yer«-
mittelung ist, wie vorauszusehen, fehlgesehlagen , so dafa
Antonius sich nicht einmal in der Belagerung Mutinas hat
«t5ren lassen« Von den drei Gesandten ist der bedeutendste,
der Bechtsgelehrte Ser. Sulpicius, auf der Base gestorben;
die anderen, L. Piso und L. Philippus, haben sich nicht eedk^
blödet, die anmalsenden Vorschlage des Antonius entgegen«^
zunehmen und dem Senate zu überbringen. Er will nur das
Kommando im jensdtigen Gallien auf ftlnf Jahre! Damm
soll man das Heer des Antonius auffordern zum Afafidl^
seine Anhänger sollen für Gegner des Staates erklärt werden.
Audi die neunte Rede gedenkt der erfolglosen Gesaadlschaft,
indem sie dem in seiner Pflichterfüllung T^storbenen Sulpir
eins einen ehrenvollen Nachruf widmet und die Erriehtimg
eines ehernen Standbildes zu Fuls, sowie ein Begräbnis sia£
Staatskosten beantragt
In den späteren Verlauf des Bürgerkrieges Mit die
zehnte Philippica, die an einen vom Slonsul Pansa reriesenen
Bericht des M. Brutus anknüpft. Nach einem Angriff auf
die hämischen Bemerkungen des Galenus wird mitgeteilt, dab
Brutus Macedonien, myricum und Griechenland in seiner
Gewalt hat und daher in der Lage ist, Italien die hilfreiehie
Hand zu reichen, walirend G. Antonius sich in Apollonia
eingeschlossen sieht. Unter den sieg- oder doch erfolgreichen.
Feldherren wird auch Cicero der Sohn genannt, dem nek
eine Legion ergeben hat. Der Bedner schaut beruhigt in
die Zukunft; denn der Einwurf, daCs die Veteranen Casars
sich gegen Brutus erheben werden, ist nicht stichhaltig.
Überhaupt ist diese malslose Besorgnis vor den Yekeanjiat
nicht stark genug zu tadeln; der Tod ist einer solchen un*
würdigen Unterordnung vorzuzieh^i. Es ist romische Art,
den letzten Hauch dem Vaterlande zu weihen. Die Bede
— 159 —
Bcliliefst mit einem Antrag auf Ehrenbezeugungen fttr Brutus
und seine Offiziere.
Aueh die elfte Rede beechäftigt sich mit dem östlichen
Kriegssehauplatz, aber dieemal mit einem Mifs^rfolg der Se-
natspartei* Der GSaarianer Dolabella hatte G. Trebonius in
Smyma hinterlistig überfaUen und grausam hingemoidel;.
Diese Sdiandthat stellt der Bedner. warnend seinen Zuhörersji
als charakteristisch für die Kampfvreise ihr^ Gegner vor
Augen: Zugleich beantragt er, mit dem Eri^e gegen Doli^
bella nicht einen hervorragenden Privatmann (Servilius), die
Konsuln oder ftnitus, sondern G« Gassius zu betrauen, der
bereits in Syrien steht.. Eine recht gedrückte Stimmung
zeigt die zwölfte Bede. Wiederum haben die WortfCLhrer
der gemäfeigten Partei die Oberhand gewonnen, wieder ist
eine Oesandtschaft in Vorschlag gebracht, und, was geradezu
abenteuerlich genannt w^den muls, als ihr Führer ist bo»-
haßerwei« kein anderer als Cioero aelbat vorgeschlagen.
Mit vollem Recht weigert sich dieser, die Beise in die Löwea«-
höhle anzutreten; sehr gründlich, £ast umständlich setzt er
auseinander, dafe er auf keiner Strafee sicher sein würde, am
wenigsten im Ls^r seines bitteraten Feindes. Er fürchtet
zwar nicht den Tod, will sieh aber nicht nutz- und ruhmlos
opfern. Dassdbe Thrana behandelt die dreizehnte Philippioa,
in der er die Fried^isvorschläge des L^idus zurückweist.
Noch mimal werden die Thaten des Antonius vorgeführt, vor
allem aber ein Brief durchgehedielt, den jen^ an Hirtius und
CSsar geschriebea hat, um sie auf seine Seite zu ziehen. In
nicht gerade gewandter Form, aber nicht ohne berechnende
Bosheit sucht der Feind die Feldherren des Senats von ihrem
Herrn und Meister Gicero loszureüsen. Dieses Eingeständnis
ist von hoher Wichtigk^t; es bezeugt den Einfluis, welchen
der Redner auf den Gang der Dinge gewonnen hatte. Er
hatte nicht so ganz unrecht, wenn er von „seinen** Heeren und
„seinen* Feldherm sprach; wenigstens urteilte so der Scharf*
sinn des Hasses.
— 160 —
Endlich fiel die Entscheidung. Es kam zu einer Reihe
Yon blutigen Kämpfen um Mutina, über die uns ein Bericht
des Legaten Oalba an Cicero trefflich unterrichtet. Der
Konsul Pansa, der nun auch ins Feld gezogen war, griff
zuerst bei Forum Gallorum an und siegte, wurde aber auf
den Tod verwundet. Auch seine Mitfeldherren trugen einen
glänzenden Erfolg davon, so dafs Antonius die Belagerung
aufhob und eiligst längst des Meeres nach dem jenseitigen
Oallien flüchtete. Es war ein böser Zufall, dafs auch Hirtius
eine schwere Wunde erhielt. Aber ehe der Umschwung ein-
trat, hielt Cicero im Senate seine vierzehnte und letzte
PhUippica, durch die er endlich in letzter Stunde die feier-
liche Achtung des Antonius durchsetzte.
Zunächst warnt er vor übermäfsiger Freude; noch ist
es nicht Zeit, das Friedenskleid wieder anzulegen. Ein
Dankfest ist beantragt; der Redner will sogar fünfzig Tage
bewilligen und den siegreichen Feldherren den Titel „Impe-
rator '^ zuerkennen. Dann kommt er auf sich selbst zu sprechen,
wir dürfen wohl sagen: mit Recht. Im Triumph hat ihn
am Tage zuvor nach Bekanntwerden der Siegeskunde das
Volk aufs Kapitol und von da nach Hause geleitet. Es hat
damit bewiesen, d%fs es die albernen Gerüchte von Ciceros
tyrannischen Oelüsten nicht glaube. Allerdings hat er von
Anfang an den Krieg gegen Antonius geschürt und unab-
lässig für die Freiheit sich gemüht. Der Sieg ist grols und
schon, darum müssen auch die Belohnungen dem entsprechen.
Die Soldaten sollen Äcker und ihre toten Kameraden ein
Ehrendenkmal erhalten. Der Senat erklärte endlich Antonius
für einen Feind des Staates.
Dem glänzenden Siege sollte bald eine erkältende Ent-
nüchterung folgen. Beide Konsuln erlagen ihren Verwun-
dungen, so dafs Cäsar nunmehr der alleinige Feldherr des
Senatsheeres war. Nicht weniger schlimm war es, da&
zwischen ihm und D. Brutus die alte Feindschaft sofort
wieder hervorbrach. So war die mühsam errungene „Frei-
— 161 —
heit^^ schon wieder bedroht. Es kam alles darauf an, wie
sich die Statthalter der benachbarten Provinzen entscheiden
würden, ob für den Senat oder für Antonius. Damit hing
selbstyerständlich die Stellungnahme Gäsars eng zusammen.
Und hier war es nun wieder Cicero, der alles, was in seinen
Kräften stand, that, um dem Senate neue Stützen zu ge*
winnen. Unermüdlich und nicht ohne diplomatisches Geschick
bearbeitete er die Statthalter mit Briefen, um sie ftir die von
ihm als gut erkannte Sache einzunehmen, während die Häupter
der Verschwörung, die „Helden" M. Brutus und C. Cassius,
ihren selbstsüchtigen Interessen im fernen Osten nachgingen.
Wir betrachten der Reihe nach an der Hand der Briefe
Ciceros Verhältnis zu den mafsgebenden Persönlichkeiten.
Er verhandelt mit dem Prokonsul von Afrika, Comi*
ficius, den er über den Verlauf des Bürgerkrieges unter-
richtet, um ihn bei der Senatspartei festzuhalten. Nach dem
Tode der beiden Konsuln ist ihm zu Mute, wie einem Kranken,
der, halb genesen, rückfallig wird. Er zählt auf die afrika-
nischen Truppen und überhäuft den Statthalter mit Lob und
Anerkennung. Er wechselt Briefe mit C. Asinius Pollio, der
in Spanien kommandierte. Dieser versichert ihm, dafs er
allen Versuchen, die Monarchie zu errichten, mit seinen drei
Legionen entgegentreten werde. Ja, er erbittet sich vom
Senate den Befehl, nach Italien zu marschieren. Wemger
vertraulich ist Ciceros Briefwechsel mit Lepidus, dem Statt-
halter des südlichen Galliens; doch verspricht auch dieser
dem flüchtigen Antonius als Feind begegnen zu wollen. Ganz
besonders suchte Cicero auf L. Munatius Plauens einzuwirken,
der im nördKchen GaUien gebot. Ihn suchte er immer und
immer wieder zur Vemiditung der Überreste des feindlichen
Heeres anzutreiben. Und Plauens zeigte anfangs guten
Willen, seine fünf Legionen in den Dienst des Senates zu
stellen. Sehr empfanglich für die Schmeicheleien Ciceros,
setzte er sich wirklich am 27. April in Marsch und über-
schritt den Rhone, machte aber bald im Gebiete der AUo-
Aly, Cicero. 11
— 162 —
brogen Halt. Vergebens spornte Cicero: Wer Antonios unter-
drückt, beendet den Kri^; auch nicht ein Funke darf fort-
glimmen. Plauens ging zwar noch über die Isere, dem „Bäuber^^
entgegen. Als er aber hörte, dais sich Lepidus nach einem
erheuchelten Abfall seines Heeres mit Antonius vereinigt
habe, ging er vorsichtig wieder zurück und forderte Ver-
Stärkungen. Er schilt allerdings noch im Juli wacker auf
Octavianus, hat sich aber zu entschlossener That nicht auf-
raffen können. Unter diesen Marschallen Gäsars war kein
sonderlich achtbarer Mann.
Noch eifriger korrespondierte Cicero mit den Ver-
schworenen, so mit D. Brutus. Wir erfahren, wie übel
seine Lage trotz des glücklichen Entsatzes von Mutina war.
Er wollte zunächst Antonius verfolgen, litt aber Not an
Oeld und Truppen. Cicero sagte Geld zu, Truppen konnte
er nicht schicken, da die Veteranen sich weigerten, unter
Brutus zu dienen. Dadurch wurde Brutus verstimmt und
entmutigt. Vor allem fürchtete er seinen Verbündeten Cäsar
und suchte auch Cicero vor ihm zu warnen; jener habe ein
gefahrliches Witzwort seines Gönners in Erfahrung gebracht:
der junge Mann müsse gelobt, ausgezeichnet und dann
beseitigt werden; er (Octavianus) werde das zu verhüten
wissen. Daher getraut sich Brutus nicht die Alpen zu
überschreiten, wenn er nicht weifs, wie die Sachen in Rom
stehen. Natürlich will Cicero jenes Wort nicht gesagt haben.
Völlig niedergeschlagen zeigt sich Brutus durch den Verrat
des Lepidus; wenn nicht Truppen und Geld beschafft werden,
ist alles verloren.
Ein alter Bekannter war für Cicero C. Cassius; seit den
Iden des März ist jener ganz für ihn eingenommen und ver-
fehlt nicht, regelmäCsig an ihn auch nach Syrien zu schreiben.
Er hofft, dafe er nach Bewältigung Dolabellas mit s^em
Heere zurückkommen werde. Schon war der Krieg ent-
schieden, da ist er von neuem erstanden. Wenn Cassius und
M. Brutus kommen, wird sich alles zum Besten wendeuw
— 163 —
Cassius überhäoffc seinerseits Cicero mit den groiaten Lob-
Sprüchen; der Eonsular hat in ihm sogar den Konsul besiegt,
er ist der gröfete, teuerste Bürger. Aus derselben G^end
berichtet P. Lentulus, aus Athen Trebonius. Alle Fäden
laufen in Giceros Hand zusammen. Ob die Briefe an ihn
oder an die Behörden gerichtet sind, macht kaum einen
Unterschied.
Am wichtigsten ist natürlich der mit M. Brutus ge-
führte Briefwechsel, dessen zwei Bücher allerdings Ton einigen
für unecht gehalten werden; indessen liegen weder in sprach-
licher noch in sachlicher Hinsicht genügende Gründe für
diesen Zweifel vor. Das durchgehende Thema dieser Briefe
sind immer dringlichere Mahnungen Giceros, zur Rettung
herbeizueilen, inmier eitlere Entschuldigungen des Brutus;
dort Thatkraft und Leben, hier Entmutigung und Schlaff-
heit. Besonders aber zeigt sich Eifersucht und Neid bei
Brutus im Hinblick auf die Bevorzugung, deren sich Octa-
Yianus seitens Giceros erfreute. Aber dieser stand unter dem
Druck der Verhältnisse, er kannte die Gefahr sdir wohl, der
er sich und seine Sache aussetzte, er muMe aber die Leute
gebrauchen, die er hatte. Eben darum wünschte er so sehn-
lichst Brutus' Rückkehr, um an ihm einen Rückhalt gegen
etwaige Herrschaftsgelüste d^ Octavianus zu gewinnen; er
würde sich — darüber ist kein Zweifel — schlimmsten Falls
nicht gescheut haben, den unbequemen Bundesgenossen bei-
seite zu drangen. Die Briefe stammen meist aus der Zeit
nach den Entscheidungsschlachten. Das Verhältnis der so
uncrleichartiiren Freunde trübt sich ffar bald; Brutus weiis
immer an Ciceros Ma&nahmen etwl« ausz;setzen, Cicero
kann ach die Langmnt des Brutns nicht erklären. Als nun
gar Octavianns die Maske abwirft, wird der Hilferuf immer
ernster und rorwurferoUer; die Zusammenkunft in Yelia und
ihre schwerwiegenden Folgen werden gebührend betont. Ein-
mal entschliefet sich Cicero zu einem ausführlichen Rfickblick
auf die jüngste Vergangenheit. Die Unterlassungssünden, die
11*
— 164 —
Milde des Brutus wird schonend gerügt, die eigenen £nt-
schlielsungen, das ÜbermaXs im Loben wie im Strafen ge-
schickt gerechtfertigt. Brutus ist nur „gewichen"; denn
„fliehen" ziemt nicht dem stoischen Weisen. Dieser bleibt
die Antwort nicht schuldig, ohne uns zu überzeugen. Nur
Eins erhellt aus seinen Briefen, grenzenloser Hafs gegen
Octavianus, über den er sogar die Feindschaft des Antonius
vergifst. Letzterer Umstand gewinnt eine eigentümUche Be-
leuchtung durch einen Brief Ciceros, in dem die auffallende
Sendung des Püus erwähnt wird. Dieser überbringt ih
Brutus' Auftrag einen Brief des gefangenen „Prokonsuls"
G. Antonius und einen zweiten Yon Brutus selbst; in diesem
wird des M. Antonius so schonend gedacht, dafs man im
Senat auf den wunderlichen Ausweg geriet, das Schreiben
ftir gefälscht zu halten. Cicero zweifelt nicht einen Augen-
blick an seiner Echtheit, aber er geht darüber hinweg.
Noch hofft er; sie sind ja in der Hauptsache einig, nur in
der Taktik uneinig: Brutus will alles Mediich erledigen,
Cicero glaubt nur mit Blut und Eisen zum Ziel gelangen
zu können. Den Tempeln der Götter droht eine Schar
verlorenen Gesindels. Wird M. Brutus zur rechten Zeit
kommen ?
Er kam nicht. Anstatt im Juli mit seinem starken
Heere auf dem Landwege nach Italien zu eilen, wie Ehre
und Pflicht es geboten, anstatt seinem Bruder Decimus und
seinem Freunde Cicero Rettung zu bringen, zog er nach
Macedonien und von da nach Asien, wo er seiner uns be-
kannten Habgier fröhnte, worin es ihm allerdings Cassius
gleich that. Hatte er dabei einen festen Plan im Auge?
Es scheint, dafs er an ein Abkommen mit Antonius gedacht
hat, wonach ihm und Cassius der Osten, den Cäsarianem
der Westen des Weltreiches zugesprochen wurde. Dem sei
indes, wie ihm wolle, der Vorwurf, dals er Cicero in den
Krieg getrieben und schmählich verlassen hat, wird niemals
von ihm genommen werden.
— 165 —
Inzwischen war das Verderben über die Senatspartei
und ihren Führer Cicero hereingebrochen. Ein halbes Jahr
hatte dieser den Staat noch einmal regiert und sein Bestes
gethan für eine verlorene Sache. Am 29. Mai vereinigte
Lepidus sein Heer mit dem des Antonius; bald schlofs
sich Asinius Pollio, später auch Plauens an. D. Brutus,
der es freilich an Entschlossenheit fehlen liefs, ward er-
drückt und getötet. Nun bekannte auch Octavianus, der in
Oberitalien stehen geblieben war, Farbe. Man kann es ihm
kaum als Verbrechen anrechnen, dafs er sich auf seine Ab-
stanmiung besann und lieber zuvorkommen, als überrascht
werden wollte. Die Einsetzung einer Zehnmännerkommission,
zu der Cicero gehörte, und welche die siegreichen Soldaten
mit Ackeranweisungen belohnen sollte, erregte das Mifstrauen
der Veteranen. Eine mit Zustimmung ihres Feldherm in
Rom erschienene Abordnung von Offizieren und Soldaten
forderte im Juli mit soldatischer Derbheit für Octavianus
das Konsulat, was der erschreckte Senat bewilligen mufste.
Ein Einverständnis mit Antonius und seinen Verbündeten
ward gleichfalls angebahnt. Der Abschlufs dieses sogenannten
zweiten Triumvirats, bei dem Lepidus den ungefährHchen
Vermittler abgab, fand im September zu Bononia statt. Der
zwanzigjährige Octavianus und Q. Pedius traten das Kon-
sulat an.
Über die letzten Monate in Ciceros Leben sind wir
wenig unterrichtet. Der letzte Brief des Plauens an ihn
datiert vom 26. Juli 43, von ihm selbst haben wir noch
ein Schreiben an Brutus vom folgenden Tage. Seit dem
August desselben Jahres ist uns weder ein Brief noch ein
anderes gleichzeitiges Schriftstück erhalten. Die Berichte
der späteren Geschichtsschreiber sind mehr oder weniger im
Sinne der cäsarianischen Partei gehalten. Wie es scheint,
suchte Cicero bis zuletzt im Gegensatz zu Brutus und seinen
Freunden die Verbindung mit Octavianus zu erhalten. Ja,
es ist nicht unwahrscheinlich, dafs dieser mit Hilfe des
— 166 —
Redners das Konsulat zu erringen yersuchte. Die Logik
der Thatsachen war indessen mächtiger, als der gute Wille.
Seit dem Tage von Bononia war Cicero ein toter Mann,
wenn er sich nicht durch die Flucht rettete. Wir wollen es
gern glauben, dafs Octavianus nicht leichten Herzens seinen
bisherigen Gönner der Bachsucht des Antonius preisgab.
Besser sind wir über seinen Tod unterrichtet. Es bildete
diese Schreckensthat sogar ein Lieblingsthema f&r die Bhe-
torenschulen. In den Schulvorträgen wurde mit Vorliebe das
interessante Thema erörtert, ob Cicero seinen aus den Philip-
piken erwachsenen Ruhm dahingegeben hätte, wenn er da-
durch sein Leben hätte retten können. Derartige Dekla-
mationen sind uns noch heute in den Controversien des
älteren Seneca erhalten, welcher uns eine reiche Fülle von
Urteilen über das viel bewunderte Vorbild der späteren
Redner überliefert hat. Ohne Zweifel brachte Cicero die
angstvollen Wochen seit August auf seinen Gütern zu. Ln
Dezember nahte das Verderben. Er befand sich auf seinem
geliebten Tusculanum, das er nunmehr verliefs, um sich zu
Schiff nach Griechenland zu flüchten. Aber innere Unruhe
und die Unsicherheit, die schon so oft seine Entschlüsse
gelähmt hatte, liefsen ihn nicht auf dem eingeschlagenen
Wege beharren. Nachdem mehrmals die Richtung gewechselt
war, liefs er sich endlich bei Cajeta ans Land bringen, um,
wie er sagte, in dem so ofb geretteten Vaterlande zu sterben.
Er begab sich auf sein Formianum. In der Nacht vom 6. zum
7. Dezember weckten ihn seine Sklaven, die mit aufrichtiger
Liebe an dem gütigen Herrn hingen, und bestimmten ihn
zu erneuter Flucht in einer Sänfte. Bald trafen die Henker
unter Führung des Kriegstribunen Popilius Länas ein. Das
Versteck wurde verraten. Beim Nahen der Morder liefe
Cicero die Sänfte niedersetzen, bot seinen Nacken dar und
erlitt ruhig und gefafet den Tod. Sein mutvolles Verhalten
im letzten, bängsten Augenblick ist so sicher bezeugt, dafe
die allein abweichende Notiz des charakterlosen Asinius Pollio
— 167 —
nicht in Betracht kommt. Selbst ein scharfer Bichter sagt
von seinem Ende, dafs er nichts, weder Freude noch Leid,
wie ein Manu getragen habe aufser dem Tode. Kopf und
Hände wurden abgehauen und nach abscheulicher Miß-
handlung auf der Rednertribüne zur Schau gestellt. Er
hatte das dreiundsechzigste Jahr vollendet. Bruder und
Neffe fanden den nämlichen Tod, während der Sohn glück-
lich davon kam und später sogar als Konsul von Augustus*
Onaden Gelegenheit üahm, das Andenken des Vaters an. der
Bildsäule und dem Namen des Antonius zu rächen.
So hatte dem vielgeprüften Mann ein gütiges Geschick
am Schlufs eines an Glück und Enttäuschung überreichen
Lebens die Gabe gespendet, die uns viele seiner Schwächen
vergessen lälst: ein tapferes Sterben ftir seine Sache, fürs
Vaterland. —
Indessen ist unsere Erzählung damit noch nicht am
Schluis angelangt. Es erübrigt, auf seine Vermögens- und
Familienverhältnisse, sowie auf seine Schriften einen zu-
sammenfassenden Blick zu werfen, tun dann die Urteile der
Nachwelt zu prüfen und danach den Charakter des Menschen
und Schriftstellers unbefangen zu würdigen.
Kapitel 17.
Sein Privatleben.
Das Privatleben einer geschichtlichen Persönlichkeit,
seine Vermögens- und Familienverhältnisse gehören nur bis
zu einem gewissen Grade vor das Forum der Wissenschaft.
Es giebt keinen kläglicheren Standpunkt, als die bedienten-
hafte Klatschsucht des subalternen Suetonius, der aus un-
reinen Quellen allen möglichen Unrat schöpft, um danach
die Charakteristik eines Cäsar, eines Augustus zu vervoll-
— 168 —
standigen. Ein bekanntes Wort besagt, dafs niemand vor
seinem Kammerdiener grofs sei Die Geschichte hat es nur
mit den Thaten oder Absichten, in erster Linie mit der
Gesinnung eines Mannes zu thun. Das widerwärtige Herum-
stöbern in den Papierkörben, wie es neuerdings Mode ge-
worden ist, verrät nicht echte Wissenschaftlichkeit, sondern
armselige Neugier. Das Privatleben Ciceros gehört nur in-
sofern hierher, als es das Urteil über den Charakter des
Mannes bedingt. Die Geschichte fragt nicht nach diesem
Vergehen und jenem Fehler, wohl aber hat sie ein Becht
zu der Frage, ob die Gesinnung den ewigen Gesetzen der
Sittlichkeit entsprochen hat. Das ffdog eines bedeutenden
Mannes mufs, um mit Aristoteles zu sprechen, ^(QrjöTÖv sein.
Die Vermögensverhältnisse Ciceros spielen eine grofse
Rolle in seinem Briefwechsel mit Atticus. Einnahmen und
Ausgaben, Erwerbungen und Schulden werden fortwährend
berührt. Von Haus aus durfte sich Cicero einer mäfsigen
Wohlhabenheit rühmen. Er hatte von seinem Vater das
Familiengut in Arpinum und das Stadthaus in den Carinen
geerbt, während dem Bruder Quintus die Güter Arcanum
imd Laterium zugefallen waren. Einen Zuwachs erfahr sein
Vennögen durch die beträchtliche Mitgift der Terentia, sowie
durch eine Reihe von Erbschaften, durch Geschenke seiner
Klienten und der Provinzialen, die er ein Jahr lang beherrscht
hatte. Die Erbschaften hatten damals eine besondere Wichtig-
keit, da die Ehelosigkeit und besonders die Kinderlosigkeit zu
den Gepflogenheiten der höheren Gesellschaft zählten. Es war
geradezu ein harter Tadel, wenn man jemandem vorhielt,
dafs er von niemandem zum Erben eingesetzt sei. So be-
erbte Cicero seinen Lehrer Diodotus, der lange Jahre bei
ihm gelebt hatte, den reichen Bankier Cluvius und viele
andere. Für seine Verteidigungsreden durfte er nach einer
gesetzlichen Bestimmung keine Geldentschädigung annehmen;
jedoch war es allgemein üblich, dem Patron durch grofse
Geschenke die Dankbarkeit za bezeigen. So sandten ihm
— 169 —
die Sikuler, als er sie gegen Verres vertreten hatte, eine
Ladung Getreide. Eine ansehnliche Summe brachte er trotz
der peinlichsten Uneigennützigkeit aus Cilicien mit. Mit
seinen Schriften hat er nichts verdient. Der buchhändlerische
Vertrieb als Erwerbsmittel, entstammt erst einer späteren
Zeit. Weder Erpressung noch schnöder Wucher können
ihm vorgeworfen werden.
Hingegen kann er nicht ganz von dem Vorwurf der
Verschwendung freigesprochen werden. Obwohl er reichliche
Einnahmen hatte, so hielt er nicht gut Haus, gab Geld mit
vollen Händen aus und stürzte sich in Schulden. Glücklicher-
weise stand ihm sein Freund Atticus getreulich zur Seite.
Zu ihm nahm er sein'e Zuflucht, wenn die Wogen über ihm
zusammenzuschlagen drohten, und jener sprang mit Rat und
That in die Bresche. Eine unbeschreiblich grofse Eauf-
und Baulust beherrschte Cicero. Ein hauptstädtischer Palast,
acht umfangreiche Landhäuser, eine stattliche Anzahl von
Absteigequartieren, stellenweise auch einträgliche Miets-
häuser, dazu Sammlungen von Kunstwerken und Büchern,
Gymnasien und andere Luxusbauten verschlangen gewaltige
Summen, legten aber auch ein beredtes Zeugnis für den
Geschmack ihres Besitzers ab. Insbesondere seine Villen, die
Auglein Italiens, wie er sie nennt, lagen an bevorzugten
Punkten; an ihnen hing sein Herz.
Nachdem Cicero sein väterliches Haus in Rom dem
Bruder abgetreten hatte, kaufte er nach seinem Konsulate
mit geborgtem Gelde von M. Crassus ein stattliches Haus
auf dem Palatinus, wie es einem Mann von Stande geziemte.
Dies wurde später von Clodius niedergerissen, aber mit Hilfe
der vom Senate bewilligten Entschädigung wieder aufgebaut.
Von seinen Landgütern lag ihm das väterliche Erbe be-
sonders am Herzen. Hierhin zog er sich zur Sonunerzeit
zurück, um erquickende Kühlung zu geniefsen; hierhin flüchtete
er aber auch, wenn drohende Wolken am politischen Himmel
aufzogen, da es abseits vom Wege lag. Mit seinen Lands-
~ 170 —
leuten bUeb er gut Freund, wie er denn gerade hier seinem
Sohne die toga virilis verlieh. Sein Lieblingsaufenthalt aber
war sein Suburbanum, das bei Tusculum lag, in der Nahe
zahbreicher ViUen der angesehensten Männer. „Auf einem
Hügel, vielmehr an einem Berge belegen, gewährt es eine
unbegrenzte Aussicht; man sieht Rom liegen und weiter die
See, an der rechten Seite die Gebirge von Tivoli. Die Gegend
ist sehr angenehm, so recht für Landhäuser geeignet.'^ So
schildert uns Goethe das heutige Frascati. Es war von Rom
auf der latinischen Strafse leicht zu erreichen und erlag da-
her auch der Zerstörungswut des Clodius, ist indessen wieder
aufgebaut. Hier befand sich ein Palästra, hier Säulengänge,
Hermenbilder und andere Kunstwerke, auch eine Bibliothek.
Die übrigen Güter lagen an der Westküste Italiens; es waren
in der Richtung von Norden nach Süden die Besitzungen
bei Antium, Astura, Formiä, Cumä, Puteoli und Pompeji.
Bestritten ist das erste dieser sechs Güter, obwohl wir einen
Brief ex Antiati besitzen; jedenfalls besafs er dort ein Haus.
Das zweite Gut lag auf einer Insel, welche der Flufe Astura
bildet. Hier fand er die gewünschte Einsamkeit, wenn ihn
seine Studien ausschliefslich in Anspruch nahmen. Eine be-
vorzugte Besitzung war das Formianum, das auch nach dem
benachbarten Cajeta benannt wurde, doch war es dem Be-
sitzer hier zu geräuschvoll. Die übrigen drei Güter lagen
an dem herrlichen Golf von Neapel an uralten Kulturstätten;
war doch Puteoli eine Gründung der Phönizier, Cumä die
älteste Kolonie der Griechen in Italien. Auf dem Puteola-
num hat Cicero einmal Cäsar nebst seinem Stabe bewirtet.
Das Cumanum galt als unruhiger Aufenthalt. Neben dem
Pompejanum wird noch ein Gut bei Neapel genannt, das aber
mit jenem identisch zu sein scheint. Aufser diesen acht
Landgütern besafs Cicero durch seine Gattin Terentia mehrere
Mietshäuser (insulae) in Rom, die reichlichen Ertrag ab-
warfen. Femer erwarb er sich in Latium mehrere Häuser,
um bei einer Übersiedlung von einem Gute aufs andere ein
— 171 —
bequemes Absteigequartier zu finden; man nannte dergleichen
deversoria, so in Anagnia, Atina, Frosino, Lanuyium, Solo-
nium und Sinuessa. Kurz, es war ein ansehnlicher Besitz,
über den Cicero TerfÜgte. Auch standen ihm nicht selten
Barmittel zur Verfügung; so legte er über zwei Millionen
Sesterzen nach seiner Rückkehr aus Cüicien gewinnbringend
an. Aber weit häufiger befand er sich in Geldnot. Er
borgte an andere ohne genügende Sicherheit, so an Pompejus
vor Ausbruch des Bürgerkrieges, oder er borgte von anderen,
ohne rechtzeitig zurückzahlen zu können, so auch einmal
von Cäsar. Ein böses Kreuz war für ihn die Mitgift seiner
Tochter, die infolge ihrer mehrfachen Verheiratung öfter
seine Kasse in Anspruch nahm. Bei seiner Gattin fand
er leider nicht die nötige Unterstützung. Im Gegenteil
scheint diese, seit die Gefahr einer Ehescheidung bevorstand,
gehörig auf ihren Haufen gescharrt zu haben, besonders mit
Hilfe ihres verschlagenen Geschäftsführers Philotimus. Auch
nach der Scheidung erhebt sie fortwährend Forderungen auf
rückzuzahlende Summen, die Atticus für Cicero leisten mu&.
In einer solchen Geldklemme soll Cicero sogar seine zweite
Gattin Publilia, eine reiche Dame, heimgeführt haben; doch
war diese Ehe nicht von Bestand.
Hieraus erhellt, dafs Cicero zwar ein sorgloser Haus-
vater, aber auch ein Ehrenmann in allen Geld- und Ver-
mögensfragen gewesen ist. Der Vorwurf der Habgier, der
so manchen grofsen Mann schändet, trifft ihn nicht. Und
auch sein Familienleben war rein, wenn auch nicht von der
Innigkeit, wie sie die christliche Eheführung kennt.
Von Liebesverhältnissen und ähnlichen Dingen ist uns
nichts Glaubwürdiges überliefert. Die wenigen Beschuldi-
gimgen, die von erbitterten Feinden erhoben werden, sind
so abgeschma<^kt, dafs sie keine Erwähnung verdienen. Selbst
seine Gegner müssen zugestehen, dafs er mäfsig und keusch
war wie wenige. In dieser Hinsicht ragt er wm Hauptes-
länge über seine Zeitgenossen hervor. Nach seiner griechischen
— 172 —
Reise hat er sich mit Terentia vermählt und mit ihr dreifsig
Jahre friedlich verlebt. Bei der untergeordneten Stellung,
welche die Frau im Altertum einnahm, hören wir wenig von
Ciceros Gattin. Sie gebar ihm zwei Kinder, eine Tochter
und einen Sohn. Ihre Frömmigkeit und Gewissenhaftigkeit
werden mehrfach von ihrem Gatten gerühmt. Erst bei Ge-
legenheit der Verbannung tritt sie mehr hervor; sie blieb in
Rom und war mehrfach Verfolgungen und Kränkungen um
ihres Gatten willen ausgesetzt. Wir besitzen einige thränen-
reiche Briefe, die Cicero ihr aus der Verbannimg schrieb;
aus ihnen spricht Zärtlichkeit. Nach der Rückkehr beginnt
der eheliche Frieden zu schwinden. Wir finden Andeutungen,
die bereits auf ein Zerwürfius schliefsen lassen. Unverträg-
lichkeit und Habgier scheinen die Fehler Terentias gewesen
zu sein. Zum Ausbruch kam der Gegensatz erst zehn Jahre
später. Nachdem er mehrfach dem Atticus seine Not ge-
klagt hatte, wurde er in seinen Briefen an Terentia immer
kälter; endlich erfolgte nach dem Bürgerkriege die Schei-
dung. Die geschiedene Frau hat sich angeblich wieder ver-
heiratet und ist hoch zu Jahren gekommen.
Von der zweiten Gattin Publilia ist bereits das Nötige
erzählt. Vermählung und Scheidung folgten so rasch auf-
einander, wie es leider in Rom hergebracht war.
Eine wichtigere Rolle spielt Tullia, das Lieblingskind
ihres Vaters. Geboren etwa im Jahre 77, wurde sie überaus
früh mit C. Calpumius Piso Frugi verlobt; sie verlor den
unbedeutenden, aber wackeren Mann während der Verbannung
des Vaters. Ihr zweiter Gatte, Furius Crassipes, ein vor-
nehmer, begüterter Mann, ist uns wenig bekannt; er liefs
sich von seiner Frau aus unbekannten Gründen scheiden. Ein
böser Mifsgriff war die Verlobung mit dem wüsten, adels-
stolzen P. Cornelius DolabeUa, welche während des Pro-
konsulats in Cilicien abgeschlossen wurde. Cicero hatte
viele Mühe, dem habsüchtigen Schwiegersohne den Mund zu
stopfen. Die Ehe war überaus unglücklich, der Gatte be-
— 173 —
handelte seine Frau unwürdig und liefs sie sogar Not leiden.
Endlich wurde sie geschieden; sie starb 45 an der Folge einer
Entbindung. Ihr Sohn Lentulus hat sie nicht lange überlebt.
An dieser Tochter hing Cicero mit zärtlichster Liebe. Kein
gröfseres Glück, als dafs gerade sie ihm bei seiner Bückkehr
aus der Verbannung an ihrem Geburtstage in Brundisium
entgegenkam! Ihr Verlust beugte ihn tief. Bekannt sind
die berühmten Trostschreiben, die sich auf diesen Trauerfall
beziehen. Er setzte der Tochter auf einem seiner Güter ein
prächtiges Denkmal.
Weniger nahe stand ihm sein Sohn Marcus, wenn er
sich auch seiner Erziehung gewissenhaft annahm. Geboren
im Jahre 65, folgte er dem Vater ins Feldlager nach Cilicien.
Beim Ausbruch des Bürgerkrieges schlofs er sich sogleich
dem Pompejus an imd that Kriegsdienste bei der Reiterei;
er focht bei Pharsalus. Dann kehrte er heim. Im Jahre 45
entsandte ihn der Vater auf die Universität nach Athen, wo
er namentlich den Akademiker Kratippus hörte. Über seinen
flotten, verschwenderischen Lebenswandel wird mehrfach in
Briefen geklagt. Atticus erhielt öfter den Auftrag, die
nötigen Zahlungen zu leisten. Der Vater wandte ihm auch
aus der Feme seine liebevolle Aufmerksamkeit zu. Wie er
bereits früher die Schrift „über die rhetorische TeUung" für
ihn verfaM hatte, so widmete er ihm jetzt seine letzte philo-
sophische Schrift „von den Pflichten". Er beabsichtigte so-
gar ihn zu besuchen, um sich dadurch selbst den politischen
Wirren zu entziehen. Es kam anders. Brutus erschien in
Athen und rief die studierende Jugend zum Kampfe auf.
Auch der junge Cicero folgte ihm und zeichnete sich mehr-
fach als ßeiterführer aus; eine feindliche Legion trat zu
ihm über. Er nahm an der Schlacht bei Philippi teil und
floh dann zu S. Pompejus nach Sicilien, wo er wiederum
Kriegsdienste that. Endlich machte er seinen Frieden mit
Octavian, der ihn gern begnadigte, da er seine Ungefahrlich-
keit erkannte. Er machte sich sogar ein Vergnügen daraus,
— 174 --
ihn mit Ehren zu überhäufen; so machte er ihn zum Augur,
zum Konsul, zum Statthalter von Asi^n. Aber von dem
Wesen des Vaters war nichts in dem Sohne. Die Trunk-
sucht, der er schon in Athen gefröhnt hatte, richtete ihn je
länger, je mehr zu Grunde. Wir hören von Ausbrüchen
roher Gewaltsamkeit. Mit ihm starb die Familie des Red-
ners aus.
Vom Bruder und Neflfen haben wir bereits gesprochen.
Es ist noch ein Wort von Ciceros Verhältnis zu seinen
Sklaven und Freigelassenen zu sagen. Wenn man auch die
Einrichtung der Sklaverei grundsätzlich verurteilen muls, so
ist doch zu bedenken, dafs in den meisten, uns bekannten
Fällen die Behandlung der Sklaven in Rom erträglich war.
Sie gehörten zur Familie, zum Hause; insbesondere hatten
die im Hause geborenen Sklaven eine freiere Stellung, die
später oft in wirkliche Freiheit überging. Die Freigelassenen
vollends standen zu ihrem Schutzherm in wahrhaft ver-
traulichem Verhältnis. Alles dies gilt namentlich von Cicero,
der seinen Sklaven ein milder Herr, seinen Freigelassenen ein
väterlicher Freund war. Es werden uns in den Briefen
mehrere Namen genannt. Wichtig für die Geldgeschäfte
waren Philotimus und Eros, der erstere allerdings von Cicero
meist beargwöhnt. Eine ganz eigenartige Stellung nahm
M. Tullius Tiro ein, der, nach seiner Freilassung, von allen
Angehörigen der Familie verehrt und geliebt wurde. Wir
besitzen ein Buch von Briefen, die an ihn gerichtet sind.
Als er auf der Rückreise aus Cilicien krank in Paträ zu-
rückblieb, erkundigte sich Cicero mit rührender Zärtlichkeit
nach seinem Befinden und versäumte nichts, um dem treuen
Diener das Leben zu erleichtem. Auch Quintus, Marcus,
Atticus schrieben an ihn und schenkten ihm ihr Vertrauen.
Er vergalt es mit treuer Anhänglichkeit. Seinem Herrn
hat er als Sekretär und wissenschaftlicher Berater gute
Dienste geleistet. Nach seinem Tode erzählte er sein Leben,
sanmielte Witzworte aus seinem Munde und gab manche
— 17B —
seiner Schriften heraus; ob er die uns erhaltenen Brie&amm-
lungen geordnet hat, ist ungewiTs. Jedenfalls stammen von
ihm die notae Tironianae, Abkürzungen, welche ein rasches
Schreiben ermöglichen sollten, also eine Art von Steno-
graphie.
Im häuslichen Leben zeigt sich uns Cicero von der acht-
barsten Seite.
Es dürfte hier der Ort sein, über sein Aufseres einiges
zusammenzustellen. Cicero war schlank und mager; in seiner
Jugend war er in dem Grade der Schwindsucht verdächtig,
dafs er auf Rat seiner Freunde und Arzte die rednerische
Laufbahn unterbrach und auf Reisen ging. Gekräftigt kehrte
er heim. Durch ein mäfsiges Leben hat er seine Gesundheit
auch femer trotz grofser Anstrengungen gut erhalten. Er
fand weder an Schwelgerei noch an anderen Ausschweifungen
Gefallen. So ist er denn nie ernstlich krank gewesen; vor-
übergehendes Unwohlsein hat er durch strenge Diät zu heben
gewufst. Ln Alter litt er an Krampfadern, die er sorgfaltig
verbarg. Seine Erscheinung war würdevoll und angenehm.
Aus zwei Büsten, die uns überliefert sind, kann man wohl
eine Vorstellung seiner Gesichtszüge gewinnen. Breit und
gedankenreich wölbt sich die Stirn. Das Antlitz verrät
Lebendigkeit und Beweglichkeit; den Mund umspielt ein
ironisches Lächeln. Seine Ebuidschrift wird zuletzt als un-
deutlich getadelt; seine Kleidung und Haltung zeigten
Sorgfalt und Anstand.
Kapitel 18.
Übersicht seiner Schriften«
Wenn auch seiner Schriftstellerei bereits im einzelnen
gedacht ist, so empfiehlt sich doch an dieser Stelle eine
Übersicht über seine Gesamtleistung. Die grofse Masse seiner
— 176 —
Schriften gUedert sich am besten in Reden, rhetorische,
philosophische Schriften, Briefe; von den übrigen Werken
sind nur Bruchstücke übrig.
Die B>eden sind als seine wichtigste Leistung anzu-
sprechen. Wir besitzen deren noch 57, während von 20
Bruchstücke, von 30 etwa die Titel uns bekannt sind; dazu
kommen die Lobreden auf Cäsar, Cato XJticensis und Porcia.
Die Reden zerfallen in gerichtliche und politische; erstere
betreffen Civü- und Kriminalsachen. SelbstverständHch haben
nicht alle Reden für uns dasselbe Interesse. Am wenigsten
ziehen die in Yermögensklagen gehaltenen (Givilsachen) unsere
Aufmerksamkeit auf sich. Dahin gehören: pro Quintio, pro
Roscio Comoedo, pro M. Tullio, pro A. Gaecina. Wichtiger
sind die Kriminab-eden; die hervorragenden sind im Druck
gekennzeichnet: pro S. Roscio, divinatio in Gaecilium, in
Verrem (besonders die vierte und fünfte), pro Fonteio,
pro Gluentio, pro Rabirio perduellionis reo, pro L. Murena,
pro Sulla, pro Archia, pro Flacco, pro Sestio, in Vati-
nium, pro Gaelio, pro Balbo, pro Plancio, pro Rabirio Pos-
tumo, pro T. Milone, pro Marcello (?), pro Ligario, pro
rege Dejotaro. Am wichtigsten sind die politischen Reden:
de imperio Cn. Pompei, de lege agraria, in Gatilinam
(besonders die ersten drei), post reditum, de provinciis con-
sularibus, in Pisonem, Philip picae (besonders die erste
und siebente). Als Gerichtsredner trat Cicero nur einmal
anklagend auf, öfter dagegen in seinen Staatsreden. Die
ersten Reden verraten noch das Übermafs des jugendlichen
Feuers; nach seiner Studienreise zeigt er sich reifer und
mafsvoller. Einige Reden sind als unecht angefochten, allenfalls
begründet die pro Marcello. Eine Würdigung des Redners wird
später erfolgen. Hier sei noch auf den vorzüglichen Erklärer
einiger Reden (Scholiasten) Q. Asconius Pedianus hingewiesen.
Den Reden schlielsen sich eng die rhetorischen Schriften
an; denn Cicero wollte nicht nur praktisch als Vorbild,
sondern auch theoretisch als Lehrer die Beredsamkeit fordern.
i
— 177 —
Wir haben sieben rhetorische Schriften von sehr ungleichem
Umfang und Wert. Unbedeutend ist die Jugendschrift de in-
ventione, 2 Bücher, welche aus der Rhetorik ad Herennium
geschöpft sind. Das Hauptwerk sind die 3 Bücher deoratore,
in denen das Gb.nze der Rhetorik dialogisch nach den wich-
tigsten Gesichtspunkten erörtert wird. Ergänzt wurde dies
auch durch saubere Ausführung hervorragende Werk in
dem Brutus de claris oratoribus, einer Geschichte der
römischen Beredsamkeit, und dem Orätor, der Darstellung
des Idealredners. Wissenschaftlich steht der Brutus am
höchsten, da Cicero hier ein noch unbeackertes Feld be-
arbeitet hat. Weniger bedeutsam sind die kleinen Schriften
de optimo genere oratorum, de partitione oratoria, ad C.
Trebatium Topica; die letzte Schrift ist nur flüchtig hin-
geworfen.
Die rhetorische Schriftstellerei führte den Verfasser un-
merklich zu philosophischen Studien. Er bearbeitete zuerst
die Politik in den sechs Büchern de republica und ebensoviel
de legibus, von denen uns etwa die Hälfte überliefert ist,
darunter das treffliche Somnium Scipionis. Die übrigen
Schriften stammen aus späterer Zeit. Ein Vorläufer sind die
Paradoxa, sowie die verlorene Consolatio. Verloren ist auch
zum gröfseren Teil der Hortensius, der sozusagen das Pro-
gramm seiner philosophischen Schriftstellerei darstellte. Diese
betrifft vor allem die Ethik und die Religionsphilosophie.
Die letztere ist in den drei Schriften de natura deorum
3 Bücher, de divinatione 2 Bücher und de fato abgehandelt.
Die Erkenntnistheorie behandeln die Academica in doppelter
Bearbeitung, wovon im ganzen 2 Bücher erhalten sind. Die
Ethik betreffen die übrigen Werke, vor allem das grund-
legende de finibus bonorum et malorum 5 Bücher, Tuscu-
lanae disputationes 5 Bücher, de officiis 3 Bücher; mehr
populär gehalten sind Gato maior de senectute und Laelius
de amicitia. Verloren sind die Einzelschriften de gloria, de
virtutibus, de auguriis. Dazu kommen die Übersetzungen
Aly, Cicero. 12
— 178 —
Timaeus und Protagoras nach Plato, Oecononucus nach
Xenophon. Es sind im ganzen 20 Schriften, von denen 13
ganz oder teilweis uns vorliegen.
An Briefen sind uns 4 Sammlungen überliefert, zunächst
die ad Familiäres 16 Bücher, dann ad Atticum 16 Bücher,
ad Quintum fratrem 3 Bücher (dazu de petitione consulatus),
ad Brutum 2 Bücher, welche mit Unrecht angezweifelt sind,
während die epistola ad Octavianum entschieden unecht ist.
Es sind im ganzen 864 Stücke, darunter 90 an Cicero ge-
richtete; sie sind zwischen den Jahren 68 und 43 geschrieben.
Die Generalkorrespondenz (ad Fam., auch früher ad Diverses
genannt) umfafst die Jahre 65 bis 43 und ist nach den Em-
pfängern, wenn auch nicht sorgfältig, geordnet; von wem,
ist unsicher. Buch 1 ad Lentulum, 2 ad G. Gurionem et
ceteros, 3 ad Appiura Claudium, 4 ad Ser. Sulpicium, 5 ad
Q. Metellum, 6 ad A. Torquatum, 7 ad M. Marium. Das
8. Buch enthält die Briefe des Gälius an Gicero nach Gilicien,
9 ad M. Terentium Varronem. Das 10. bis 12. Buch bezieht
sich auf die Ereignisse nach Gäsars Ermordung. Buch 13
enthält eine grolse Anzahl von Empfehlungsschreiben Giceros,
14 Familienbriefe (ad Terentiam), 15 einige amtliche Berichte
ad senatum. Da endlich das 16. Buch ausschlieMich Briefe
an Tiro enthalt, so hat man angenommen, dafs dieser der
Herausgeber sei. Die Wichtigkeit dieser Schriftstücke springt
in die Augen; leider sind sie oft kritiklos ausgenutzt worden«
Unter den Briefschreibem sind die ersten Männer Roms:
Gäsar und die Seinen, Pompejus, Gato, Sulpicius und viele
andere. Minder wichtig sind die Briefe an den Bruder aus
den Jahren 60 — 54. Hingegen übertreflfen die Briefe an
Atticus die Generalkorrespondenz noch an Bedeutung; in
den Jahren 68 bis 43 hat Gicero alles, was sein Herz be-
drückte, dem treuen Freimde anvertraut. Jede flüchtige
Regung, jeder Verdacht, jede vorübergehende Stimmung ist
hier niedergelegt und dadurch der böswilligen Hyperkritik
preisgegeben. Nicht minder wichtig sind die Briefe an
— 179 —
M. Bmtus aus den Jahren 44 und 43; sie gewähren einen
deutlichen Einblick in das enge Herz dieses Egoisten. Andere
Briefsammlungen, die vielfach citiert werden, sind verloren
gegangen. Aber auch so ist unser Besitz ein reicher. Alle
Arten der Briefgattung sind darunter vertreten.
Die übrigen Schriften Ciceros können kurz erledigt
werden; ihr Verlust ist kaum zu beklagen. Wir hören von
einem juristischen Werke de jure civili in artem redigendo,
noch öfter von historischen Versuchen, insbesondere mehr-
fachen Memoiren; auch geographische Schriften werden ge-
nannt. Namentlich war es sein Konsulat, später seine Ver-
bannung, die er darzustellen unternahm. Wir hören von
einem i)n6iivr\iia rfjg 'öjtarelag, bei dem er die Kunstmittel
nicht gespart habe. Auch dvänöora, eine geheime Darstellung
seiner politischen Ansichten, hat er verfafst. Endlich wird
eine Chorographia Ciceronis citiert.
Noch weniger hat Cicero als Dichter geleistet, wie wir
nach den Bruchstücken urteilen können. Seine Gedichte sind
meist historisch-poUtischen Inhalts, ihre Tendenz die Ver-
herrlichung der eigenen Person. So feierte er in drei Büchern
sein Konsulat, mu&te sich aber mehrfach gegen boshafte An-
griffe auf seine dichterischen Leistungen verteidigen, so in
der Scheltrede gegen Piso. Die von ihm selbst citierten
Stellen bezeugen eine nüchterne Versifikation. Femer wird
ein Gedicht de temporibus meis, gleichfalls in drei Büchern,
erwähnt, das mit dem vorigen nicht identisch zu sein
scheint. Ein anderes Epos war seinem Landsmann Marius
gewidmet. Andere Versuche, insbesondere Übersetzungen,
fallen in seine Jugendzeit und haben einen rein schul-
mä&igen Charakter.
Es ist jeine Gesamtleistung von gewaltigem Umfang,
welche auf uns gekonm^ien ist. Die Erhaltung des bei
weitem gröfseren Teils beweist die Bedeutung, welche Cicero
für die römische wie für die Weltlitteratur gewonnen hat.
Bevor wir daran gehen, den Schriftsteller zu würdigen,
12*
— 180 —
werfen wir einen Blick auf die Urteile der Nachwelt, wie
sie uns in grober Fülle Torlieg^L Zum Sehlois wird die
Frage nach Ciceros Bedeatnng Beantwortung finden.
Kapitel 19.
Spätere Benrt^iluiis.
Wenn von einer historischen Persönlichkeit, so gut
von Cicero das Dichterwort:
Von der Parteien Gunst nnd Hals verwirrt,
Schwankt sein Charakterbild in der Greschichte.
Die Neigung Ciceros zu beifsendem Spott la&t es
natürlich erscheinen, dals schon zu seinen Lebzeiten, viel
häufiger aber nach seinem Tode scharfer Tadel und giftige
Verleumdung ihn trafen. Wir können aus der zweiten
PhiUppica entnehmen, wie derb Antonius ihm zugesetzt
hatte. Ein Nachhall dieser Polemik ist uns in der um&ng-
reichen Rede des Cäsarianers Fufius Calenus erhalten, die
Dio Cassius überliefert hat. Indes überwiegt hier die offen-
bare Verlogenheit des persönlichen Hasses in dem Grade,
dafe es der Mühe nicht lohnt, auf diese abscheulichen An-
schuldigungen einzugehen; wurde doch sogar sein Verhältnis
zu Tullia imd Tiro in widerwärtiger Weise verdächtigt! Die
Angriffe auf den Menschen und auf den SchriftsteUer gingen
Hand in Hand. Dahin gehört die Ubungsrede, welche unter
dem Namen des Geschichtsschreibers Sallustius überliefert ist.
Später war es besonders C. Asinius Gallus, der Sohn Pollios,
der alle erdenkbaren Vorwürfe auf das Andenken Ciceros
schleuderte. Ein anderer Gegner, Largius Licinus, den Gellius
mit Entrüstung citiert, erhielt sogar den Beinamen der
Cicero -Geifsel.
Die Stätten, wo die mannigfachsten XJi'teile über den
Redner gefallt wurden, waren vornehmlich die Rhetoren-
— 181 —
schulen. Es war natürlich, dafs der tonangebende Sprach-
und Redemeister immer und immer wieder das Thema zu
den Deklamationen oder Schulreden abgeben mufste. Wir
haben durch einen glücklichen Zufall in den Suasorien und
Controversien döB älteren Seneca eine beträchtliche Anzahl
von Themen, Dispositionen und Reden, welche sich imi
Ciceros Person drehen. „Cicero überlegt, ob er beim Antonius
abbitten solle." „Cicero überlegt, ob er seine Schriften ver-
brennen solle, wenn ihm Antonius für diesen Fall Straf-
losigkeit zusichere." Sein schmählicher Tod wurde zahllose
Male erörtert, die Gräfslichkeit des Verbrechens noch dadurch
erhöht, dafs man in seinem Mörder einen ehemaligen EQienten
des Ermordeten sehen wollte. Hierdurch ist uns eine Anzahl
beachtenswerter Urteile übermittelt worden.
Der Historiker T. livius widmet ihm diese Grabschrift:
„63 Jahre hat er gelebt, so dafs sein Tod abgesehen von
der Gewaltsamkeit nicht unzeitig erscheinen kann. Seine
Begabung war glücklich in ihren Leistungen und in ihren
Erfolgen; nach langem und dauerndem Glücksstand von
schweren Schlägen getroffen, von Verbannimg, Niederlage
seiner Partei und dem traurig herben Tode seiner Tochter,
ertrug er nichts Widerwärtiges mit männlicher Fassung
aufser dem Tode, der für einen unbefangenen Beurteiler
weniger empörend erscheint, weil er von einem siegreichen
Feinde nichts Grausameres erdulden sollte, als was er, sieg-
reich, ihm zugefügt haben würde. Wenn man jedoch seine
Fehler und Vorzüge abwägt, so war er ein grofser und
merkwürdiger Mann, für dessen Lob es der Beredsamkeit
eines Cicero bedürfen möchte."
Das Urteil des republikanischen Cremutius Cordus will
Seneca als seiner und des Cicero unwürdig übergehen. Hin-
gegen berichtet er das des Historikers Aufidius Bassus: „So
starb M. Cicero, ein Mann geboren zum Heil des Staates,
der, lange verteidigt und geleitet, erst im Greisenalter seinen
Händen entglitt, nicht durch seine Schuld geschädigt,
— 182 —
sondern weil nichts anderes zu seinem Heile ihm gefiel, als
wenn er, der Staat, von Antonius befreit wäre. Er hat
63 Jahre so gelebt, dafs er immer einen andern angriff
oder selbst angegriffen wurde, und er sah nichts seltener,
als einen Tag, an dem keinem an seinem Tode etwas ge-
legen gewesen wäre."
Am bedeutsamsten ist das Urteil des Asinius Pollio,
der ja mit Cicero selbst in politischen Beziehungen gestanden
hatte. Er hatte zwar allein ungünstig über seinen Tod be-
richtet, stellte ihm aber dennoch folgendes rühmliches
Zeugnis aus: „Es ist überflüssig, die Begabung und den
Eifer dieses Mannes zu preisen, dessen so viele und so
grolse Werke in alle Zeit leben werden. Natur imd Glück
sind ihm in gleicher Weise zu Diensten gewesen, da sein
Antlitz schön bis ins Grreisenalter und seine Gesundheit fest
blieb, während ihm zugleich ein dauernder Friede beschert
war, dessen Künste er beherrschte. Denn da die Gerichte
nach der Strenge der Altvorderen abgehalten wurden, kam
eine sehr grolse Menge Angeklagter zu Tage, die er, seinem
Schutze anvertraut, rettete. Dann das glückliche Los, das
Konsulat zu erhalten und grofse Dienste zu leisten, dank
dem Rate der Götter und dem eigenen Eifer: o dafs er doch
gemälsigter das Glück und tapferer das Unglück hätte tragen
können! Denn so oft beides ihm zu teil geworden war, hielt
er es für unabänderlich. Daraus sind ihm die schwersten
Angriffe des Hasses erwachsen, und um so gröfser war die
Zuversicht für seine Feinde, ihn anzugreifen; denn mit
gröfserem Mute suchte er Feindschaften auf, als er sie be-
kämpfte. Aber weil keinem Sterblichen vollkommene Tugend
zu teil geworden ist, so mufs man danach den Menschen
beurteilen, wo der gröfsere Teil seines Lebens und seiner
Begabung zu Tage getreten ist. Und ich würde nicht
einmal seinen Ausgang für kläglich halten, wenn er nicht
selbst den Tod flir jammervoll erachtet hätte."
Cornelius Severus feiert Cicero gar in Versen. Das ab-
— 183 —
geschlagene und auf der Rednertribüne aufgesteckte Haupt
preist ihm die bittersten Klagen aus. Ein Tag hat hin-
fortgenommen die Zierde der Zeit, und die Beredsamkeit
Latiums ist verstummt. Der Schutz und die Rettung der
Angeklagten, das Haupt des Vaterlandes, der Richter des
Senats, des Marktes, der Gesetze und Sitte, die Stimme des
Staates ist verstummt.
Eine ganze Wolke von Zeugen läfst sich aufserhalb der
Rhetorschulen zu Ciceros Gunsten aufführen. An ihrer Spitze
steht der grofse Cäsar, der bekannte, dafs Cic^o als erster
Kunstredner sich wohl um den Namen und die Ehre des
römischen Volkes verdient gemacht habe. Nicht minder
günstig urteilte sein Neffe und Erbe, der nachmalige Cäsar
Augustus, einst Ciceros Bundesgenosse, dann sein Feind.
Plutarch erzählt in Ciceros Lebensbeschreibung, dafs der Kaiser
einst einen seiner Enkel bei der Lektüre eines Buches über-
raschte, das dieser schleunig verbarg. Es war, wie Augustus
entdeckte, eine Schrift Ciceros. Er reichte dem Knaben das
Buch zurück mit den Worten: Ein beredter Mann, liebes
Kind, beredt und ein Patriot! Der Kaiser Claudius schrieb
sogar eine Verteidigungsschrift für Cicero gegen Asinius
Oallus.
Der Historiker Vellejus Paterculus bezeugt, dafs Cicero
lebt und leben wird durch das Gedächtnis der Jahrhunderte.
Der Rhetor Seneca beteuert: „Was auch immer die rö-
mische Beredsamkeit besitzt, das sie dem anmafsenden
Griechenland entgegensetzen oder vorziehen dürfte, das ist
in Ciceros Zeit emporgeblüht; seit jener Zeit ist der
VerfaU eingetreten. •* Ähnlich urteilt Tacitus in seinem
.Dialog von den Rednem% wenn er auch nicht bUnd ist
gegen die Schwächen des ciceronianischen Stils; Cicero hat
zuerst eine Kunstrede geschaffen. Viel weiter gehen in ihrer
Begeisterung die beiden Plinins und Quintilian.
Li seiner Naturgeschichte widmet der ältere Plinius dem
Gegenstand seiner Verehrung folgenden Hymnus: „Aber wie
— 184 —
soll ich dich verschweigen, o M. Tullius, oder mit welcher
Auszeichnung dich würdig preisen? Mit welcher anders ab
mit dem ehrenvollen Zeugnis des Gesamtvolkes, indem ich
aus deinem ganzen Leben nur die Thaten deines Konsulats
heraushebe? Als du das Ackergesetz widerrietest, d. h. die
Nahrung des Volkes, verzichteten die Tribus; als du ftir Roscius,
den Schöpfer des Theatergesetzes, eintratest, verzieh man und
ertrug mit Gleichmut die Scheidung der Sitze; als du batest,
schämten sich die Söhne der Geächteten, um Ehrenstellen zu
bitten; vor deinem Geist floh Catilina, du hast M. Antonius
geächtet. Sei mir gegrüfst, der du zuerst Vater des Vater-
landes genannt bist, der du zuerst im Bürgerkleide den
Triumph und Lorbeer der Beredsamkeit davongetragen hast,
du Vater der lateinischen Litteratur und, wie der Diktator
Cäsar, einst dein Feind, über dich geschrieben hat, erhaben
über den Lorbeer aller Triumphe, insofern es höher steht, den
römischen Geist ausgebreitet zu haben, als die römische
Herrschaft."
Nicht minder begeistert äufsert sich der treffliche Rhetor
QuintUian an mehreren Stellen seiner Institutio oratoria,
und zwar im zehnten Buche: er belobt beifallig den Rat,
den Livius in einem Briefe seinem Sohne gegeben habe; er
müsse Demosthenes und Cicero lesen, danach, je ähnlicher
ein jeder dem Demosthenes und Cicero seL Und an einer
anderen Stelle: „Mir scheint M. Tullius, da er sich ganz zur
Nachahmung der Griechen gewandt hatte, die Kraft des De-
mosthenes, die Fülle Piatos, die Anmut des Isokrates erreicht
zu haben. Aber er hat nicht nur das, was in jedem das
Beste war, wiedergegeben, sondern die meisten oder richtiger
alle Vorzüge aus sich erzeugt, dank dem üppigen Reichtum
seiner Begabung. Denn nicht Regenwasser sammelt er, wie
Pindar sagt, sondern er schöpft aus dem lebendigen Strome,
geboren durch ein Geschenk der Vorsehung, damit in ihm die
Beredsamkeit ihre Kraft erprobte. Wer kann sorgfaltiger
belehren, kräftiger erregen? Wem wohnte jemals eine so
— 185 —
grofee Anmut inne? So dafs er selbst das, was er erzwingt,
durch Bitten zu erlangen scheint; wahrend er den Richter
Seitwärts fuhrt , scheint jener dennoch nicht fortgezogen zu
werden, sondern zu folgen. In allem, was er. sagt, ist ein
so grofses Ansehen, dafs man sich scheut anderer Ansicht zu
sein, und er nicht den Eifer eines Anwalts, sondern die
Glaubwürdigkeit eines Zeugen oder Richters fiir sich zu haben
scheint, während doch alles, was jemand kaum durch die
emsigste Sorgfalt erreichen könnte, mühelos dahinströmt und
jener Stil, der nie schöner gehört ist, dennoch eine glück-
liche Leichtigkeit verrät. Deshalb wurde von seinen Zeit-
genossen nicht mit Unrecht gesagt, er sei ein König der
Gerichte; bei den Nachkommen aber hat er das erreicht,
dafs Cicero nicht für den Namen eines Menschen, sondern
für den der Beredsamkeit gehalten wird. Ihn lafst uns ins
Auge fassen, er sei uns als Vorbild gesetzt; der möge wissen,
dafs er Fortschritte gemacht hat, dem Cicero sehr gefallt!"
Denselben Anschauungen huldigte der jüngere Plinius, der
in seinen Briefen bekennt, dafs er diesem Vorbilde nacheifre.
So urteüten die Römer der goldenen und silbernen
Latinität über ihren berühmten Landsmann, wahrlich be-
achtenswerte, einwandfreie Zeugen! Es ist hier nicht der
Ort, die weiteren Zeugnisse aus dem späteren Altertum zu-
sammenzutragen , aus denen die eifrige Beschäftigung mit
Ciceros Schriften erhellt. Die Gelehrten, hervorragende und
minderwertige, haben bis in das sechste Jahrhundert hinein,
bis auf Boethius, der Erklärung seiner Werke die gröfste
Auftnerksamkeit gewidmet. Und diese Wertschätzung dauerte
das ganze Mittelalter hindurch, wenn auch die genaue Kenntnis
seiner Schriften allmähUch abnahm, die zum TeU sogar gänz-
lich in Vergessenheit gerieten. Mit dem Wiedererwachen
der klassischen Studien trat auch Ciceros Name wieder in
den Vordergrund. Die Wiederauffindung der rhetorischen
Schriften wie der Briefe ist das unsterbKche Verdienst des
Dichters Petrarca, während andere Humanisten eine Anzahl
— 186 —
der Reden entdeckten. Unter den Schriftstellem des klassischen
Altertums nahm Cicero sogar eine hervorragende Stellung
ein; sahen es doch die Humanisten Italiens wie Deutschlands
als eine ihrer wichtigsten Aufgaben an, wie Cicero zu
schreiben, an ihrer Spitze der erste Stilist der neulateinischen
Litteratur, Laurentius Valla. Es ist bekannt, dafs dieses
Streben zu seltsamen Auswüchsen führte. Ohne eine lebens-
kräftige Litteratur zu schaffen, verabsäumten die fanatischen
Verehrer des Ciceronianismus über der Form den Inhalt,
über der Nachbildung den Geist. So wurde der Boden be-
reitet für jene Gegenströmung, die dem Andenken Ciceros
so gefahrlich geworden ist. Die rückhaltlose, unkritische
Bewunderung fand später ihren typischen Ausdruck in dem
englischen Historiker Middleton.
Aber alles, was in früheren Zeiten an kritischer Prüfung
verabsäumt ist, hat in überreichem Mafse Drumann nach-
geholt, der in seiner Geschichte Roms auf beinah 1000 Seiten
den Menschen und den Schriftsteller Cicero als einen Aus-
bund aller Jämmerlichkeit dargestellt und diese seine Auffas-
sung mit zahllosen Citaten seiner eigenen Schriften scheinbar
bewiesen hat. Dies ungeheure Werk deutschen Gelehrten-
fleifses hat lange das öffentliche Urteil bestochen; hatte es
doch den Schein der Gründlichkeit und Unparteilichkeit für
sich! Es war aber nur der Schein. Wie schon bald nach
seinem Erscheinen richtig beobachtet und neuerdings wieder
bemerkt ist, beruht der Grundfehler der, Darstellung Dru-
manns in der parteiischen Gruppierung der Citate, insbe-
sondere in der unwissenschaftlichen Ausnutzung des Brief-
wechsels. Der Fehler ist in erster Linie ein methodischer,
in zweiter ein sittlicher.
Privatbriefe, die durch einen Zufall der Nachwelt er-
halten werden, können nun und nimmer als geschichtliche
Dokumente angesehen werden. „Menschen, wie Cicero, welche
von der Lebhaftigkeit ihrer Eindrücke fortgerissen werden,
sprechen; und sie handeln sehr unrecht. Das Wort oder
— 187 —
die Feder geben diesen flüchtigen Gedanken gröfsere Kraft
und Dauer. Es waren nur Blitze; man präcisiert, man läfst
sie erkennen, indem man sie niederschreibt; sie nehmen eine
Klarheit, ein Relief, eine Wichtigkeit an, die sie in Wirk-
lichkeit nicht hatten. Die Schwächen eines Augenblicks, der
lächerliche Argwohn, der aus einer verletzten Eigenliebe
entspringt, die kurze Heftigkeit, die sich bei ruhiger XJber-
legung sofort legt, die Ungerechtigkeiten, die der Unwille
herbeiführt, die Anfechtungen von Ehrgeiz, welche die Vernunft
augenbHcklich mifsbilligt, hat man dieselben einem Freunde
anvertraut, dann sind sie bleibend. Ein eifriger Kommen-
tator studiert später diese zu auftichtigen Mitteilungen, und
er benutzt sie dann, um von dem Unvorsichtigen., der sie
gemacht hat, ein Bild zu entwerfen, das die Nachwelt in
Schrecken setzt. — Man mufs ihn gegen sich selbst ver-
teidigen." So Boissier.
Viel schlimmer ist der andere Fehler. Wenn man auf-
merksam die Thatsachen der Geschichte mit der Auffassung
Drumanns vergleicht, so erkennt man bald, dafs ihm bei
aller Gelehrsamkeit und bei allem Schar&inn die erste und
wichtigste Eigenschaft gebricht, deren der Mann der strengen
Wissenschaft nicht entraten kann, wenn er nicht zum Pam-
phletisten, zum Tagesschreiber herabsinken will, die Wahr-
heitsliebe. Drumann sucht mit Absicht alles hervor, was
unsere Sympathie flir Cicero herabsetzen kann. Er schiebt
seine verdienstvollen Thaten und Werke in den Hintergrund;
kann er sie nicht übergehen, so verdächtigt er die Motive
seiner Handlungen. Er greift geradezu Gegengründe aus der
Luft, um z. B. zu beweisen,' dafs die Rede für Roscius kein
Beweis persönlichen Mutes gewesen; er sieht in dem Angriff
auf Verres nur einen Akt der Selbstsucht; er nimmt heuch-
lerisch für die Catilinarier Partei; er gönnt Cicero nicht das
Verdienst, den Krieg gegen Antonius entfacht zu haben.
Cicero ist unbestechlich; es wäre ja „stirnlos" gewesen, zu
stehlen. Nicht einmal den Tod hat er mutvoll erlitten; der
— 188 —
einzige abweichende Bericht Pollios wird natürlich von Dru-
mann bevorzugt. Darum mufs die Rede für Marcellus echt,
der Briefwechsel mit Brutus unecht sein. Kurz, Drumann
ist von vornherein mit einer vorgefalsten Meinung an seine
Arbeit herangetreten. Wie er dann das Kunststück mit
„perfiden Citaten" fertig gebracht hat, das wird jedem in die
Augen springen, der ein gesundes Urteil sich bewahrt hat.
Gerade unsere Zeit' kennt mehrfach Oeschichtsklitterungen
der Art, welche unter dem Schein wissenschaftlicher Objek-
tivität der Wahrheit ins Gesicht schlagen. Drumanns Riesen-
werk ist nur eine Sanunlung von Material, die Schritt für
Schritt die Kritik herausfordert. Stellenweise hat ihm selbst
das Gewissen geschlagen; in der allgemeinen Charakteristik
widerspricht er, namentlich zu Anfang, mehrfach seiner zuvor
geäufserten Auffassung.
Drumanns Werk hat unendlichen Schaden angerichtet,
obwohl es durch die treffenden Ausführungen von Abeken
und Brückner gründlich widerlegt ist. Aber weit schlinuner
als jene Leistung einer irregeführten Gelehrsamkeit wirkte
jene pointiert witzige, boshafte Charakteristik, welche Momm-
sens Römische Geschichte entstellt. Es ist schmerzlich, einem
der gröfsten Gelehrten, den unsere Nation als Philologen,
Juristen und Geschichtsforscher verehrt, den Vorwurf un-
wissenschaftlicher Gereiztheit nicht ersparen zu können. Aber
wie Mommsen auch sonst gemütlos die sittKchen Kräfte des
Volkslebens verkennt, so hat er hier in der Wertschätzung
eines bedeutenden, im Grunde Kebenswerten Menschen sich
arg versündigt; er vergifst sich sogar in dem Grade, dals er
selbst Ciceros unleugbare Herrschaft über die Sprache mit
einer häfslichen Phrase abmacht. Die ungesunde Pikanterie
der Darstellung hat dieser Auffassung, wenigstens aufserhalb
der fachmännischen Kreise, bereitwillige Aufnahme verschafft.
Mit um so mehr Freude ist die Thatsache anzuerkennen,
dafs die neueren Beurteiler eine verständige Vermittelung
zwischen der Begeisterung und der Hyperkritik zustande
— 189 —
gebracht haben, so Bernhardy, Teuflfel und vor allem Boissier.
Aber ganz ist die Einwirkung Drumann-Mommsens auf die
Litteraturgeschichte noch heute nicht verschwunden; nennt
doch selbst Schanz in seiner neuerdings erschienenen Ge-
schichte der römischen Litteratur Cicero „eine gefallene
Gröfse"! Mit wie grolsem Unrecht, wird das letzte Kapitel
zeigen.
Kapitel 20.
Sein Wert als Menseh und Sehriftsteller.
Cicero war durch glänzende Vorzüge des Geistes und
Herzens ausgezeichnet. Sittliche Reinheit bewahrte er sein
Leben lang; keusch und mäfsig wie er waren nur wenige
von den hervorragenden Männern des Altertums. Er hielt
sich frei von jener unlauteren Habgier, die seine Zeitgenosse
befleckte. In seinem Privatleben that er seine Pflicht, wi
nur einer. Er war ein treuer, wenn auch nicht zärtliche
Gatte, ein sorgsamer Vater, ein aufrichtiger Freund, eii
guter Bruder, ein milder Herr; strauchelte er einmal, so
war es. nur vorübergehend, überaus anerkennenswert ist\
seine Lembegier. Wie er schon ab Knabe der erste unter!
seinen Genossen war, so durfte er auch im Alter das Wort j
Solons auf sich anwenden, dafs er lernend altere. Unermüd- (
lieh war er in der Aufoahme neuen Bildungsstoffes, uner-
müdlich auch in der V^erarbeitung und Wiedergabe des An-
geeigneten. Gerade diese Aufiiahmefähigkeit, die Receptivität/
ist das besondere Merkmal seiner Begabung, wie es auch die
Ursache seiner sittlichen Schwäche wurde. Den Werken der
Griechen aufrichtig ergeben, kannte er nichts Schöneres, als
das römische Geistesleben mit den Elementen griechischer \
Bildung zu durchsetzen und so ein neues, bei aller Nach-
bildung nationales Produkt zu schaffen. Denn er liebte sein
— 190 —
Vaterland von ganzem Herzen. Seine gesamte Schrifbstellerei
ist von der Nationalitätsidee durchdrungen; die römische
Litteratur der griechischen ebenb&rtig an die Seite zu setzen,
war sein heifsester Wunsch. Wenn er die Interessen des
Vaterlandes mit denen seiner Partei oder gar mit seinem
eigenen Wohle identificierte, so unterlag er darin der ge-
meinsamen Bedingtheit aller Erdensöhne; jeder Politiker er-
achtet seine Auffassung der Dinge für die richtige. Aber
das war gerade das Unglück seines Lebens, dafs er dem
Staatsleben sich zuwandte. Seine rastlose Thätigkeit beruhte
auf einem glühenden Ehrgeiz, seine Receptivität aber ge-
fährdete von vornherein seine politische Laufbahn. Wie er
in der Schule der erste gewesen war, so wollte er es auch
im Staate sein. Sein böser Stern fugte es, dafs seine Be-
mühungen von unerwartetem, glänzendem Erfolge gekrönt
wurden. Zu allen höheren Ämtern wurde er, dank seiner
Tüchtigkeit und Liebenswürdigkeit, im vorgeschriebenen Jahre
und einstimmig gewählt; alle Umstände vereinigten sich, um
ihm auch das Konsulat auf diese Weise zufallen zu lassen.
Als er nun gar auf der Höhe seines politischen Einflusses
das Glück oder richtiger das Unglück hatte, durch die Ent-
larvung der catilinarischen Verschwörung seinem Vaterlande
einen namhaften Dienst zu leisten, da war es um seine Ruhe
geschehen ; er glaubte nun fest an seine staatsmännische Be-
gabung, zu der es ihm doch an wesentlichen Erfordernissen
fehlte. Gerade seine Haupttugend, die Receptivität, wurde
für ihn verhängnisvoll. Allen äufseren Eindrücken zugänglich,
entbehrte er der Energie und Folgerichtigkeit, deren der
Staatsmann nicht entraten kann. Himmelhoch jauchzend im
Glück, zum Tode betrübt im Unglück, schwankte er zwischen
Hoffhxmg und Furcht seit seinem Konsulat, so dafs die Folge-
zeit für ihn nur eine Kette von Leiden und Enttäuschungen
bildete. Nach seinem Sturze liefs er nur zu sehr die Fassung
vermissen, welche so schön den Mann ziert. Zurückgerufen
konnte er sich trotz aller Demütigungen nicht in die ihm
— 191 —
durch seine Begabung zugewiesene Aufgabe schicken. An-
statt, wie er zeitweilig versuchte, sich auf die Bethätigung
seiner unvergleichlichen Geistesgaben zu beschränken, be-
schwor er immer wieder den Schatten des Catilina, um sich
an der Erinnerung der einstigen Herrlichkeit zu berauschen.
Die mafslose Selbstverherrlichung findet ihre Erklärung in
dem Bedtirfiiis, sich flir die ausgestandene Angst zu ent-
schädigen. Als Prokonsul that er seine Schuldigkeit, wie
als Konsul; er überragte bei weitem die Durchschnittsbeamten
des sinkenden Gemeinwesens. Aber der Ausbruch des Bürger-
krieges versetzte ihn in vollkommene Ratlosigkeit. Anstatt
seine Entscheidung zu treffen, näherte er sich erst dem Cäsar,
um gerade zur unrechten Zeit zum Pompejüs überzugehen.
KleinmOtig erwartete er die Rückkehr des Siegers und nalim
zum zweitenmale die Pflicht des Gehorsams auf sich. Nun
schien es, als ob er sich auf sein besseres Ich besänne; un-
aufhaltsam entquoll eine stattliche Anzahl von Schriften
seiner nimmer müden Feder. Aber gleichzeitig hallten seine
Briefe von dem Schmerze um die entschwundene Freiheit
und den verlorenen Einflufs wieder; es war zu süfs gewesen,
am Steuer des Staates zu sitzen. Da war es nun eine letzte
Gunst des gütigen Geschickes, dafs dem alternden Mann noch
einmal dieser Wunsch erfüllt wurde. Nachdem er wieder
einige Zeit schwankend und haltlos verbracht hatte, raffte
er sich zum letzten, schwersten WaflFengange auf. Er unter-
lag, aber er unterlag mit Ehren. War die Freiheit, die er
meinte, auch ein wesenloser Schemen, so hat er doch ehrlich
für die von ihm als recht erkannte Sache gestritten, ohne
sie durch Selbstsucht oder Wankelmut zu schänden. Er war
noch einmal der Führer des Senats, die Seele des Freistaates.
So ist ihm auch an der Schwelle des Greisenalters ein
tapferes Sterben zu teil geworden; der Mann des Friedens
starb gefafst und mutvoll.
So der Mensch Cicero, der unserer Verehrung und Teil-
nahme durchaus würdig erscheint. Wie tritt uns der Schrift-
— 192 —
steller entgegen? Ein Mann, der so gewaltigen Einflufs auf
das Geistesleben nicht nur seines Volkes, sondern der ge-
bildeten Menschheit überhaupt geübt hat, kann nicht ein
„Pfuscher", eine „Journalistennatur im schlechtesten Sinne
des Wortes" gewesen sein. Die Weltgeschichte ist das Welt-
gericht; wer seine Spuren so nachhaltig in die Bahnen der
Kulturentwickelung eingegraben hat, mufs ein hervorragender
Mensch gewesen sein. Es genügt auch nicht, die Gewalt der
Sprache geheimnisvoll zur Erklärung dieses Einflusses her-
beizuziehen. Durch freie Persönlichkeiten wirkt der Genius
der Geschichte wie der Sprache Grofses, nicht durch „un-
würdige Gefafse".
Cicero war in erster Jjinie ein Sprachmeister, wie es
nur wenige gegeben hat. Schon einmal hatte das lateinische
Idiom durch Q. Ennius eine nachhaltige Förderung erfahren.
Mit poetischer Kraft trat dieser dem Verfall der Endsilben,
dem Schwund der weichen Konsonanten entgegen; durch den
daktylischen Hexameter gab er der Sprache Bestinmitheit
und Flufs. Nächst Ennius hat niemand so viel für die
Sprache Roms gethan, wie Cicero. Mit feinem Sprachgefühl
ausgestattet, durch gründliche Studien und umfassende Lektüre
vorgebildet, hat Cicero die nicht überreiche Sprache auf
eine Stufe der Durchbildung erhoben, die weder vor noch
nach ihm wieder erreicht ist. Die Wahl des Ausdrucks und
die Stellung der Worte sind die Kunstmittel gewesen, mit
denen er so Grofses geleistet hat. Indem er mit niemals
fehlgreifendem Instinkt das Veraltete und Sprachwidrige aus-
schied, reinigte er den Wortschatz; indem er Wohllaut und
Gleichmafs als Normen aufstellte, schuf er die Wortstellung.
Den Satzbau nach griechischem Vorbild dem Rhythmus unter-
stellt zu haben, ist sein eigenstes Verdienst. Dafs er dabei
auch der übrigen Kunstmittel, der Tropen und Figuren, Herr
war, ist bekannt. Trotzdem hat er das Grundgesetz des
Latein, die Würde, niemals aufser acht gelassen. Huldigte
er in seinen Jugendreden dem Prunk des asiatischen Stils,
- 193 —
so hat er sich bald eines Besseren besonnen und ist der
rhodischen Schule treu geblieben.
Nach vier Seiten hin hat er seine Herrschaft über die
Sprache bekundet; er war Redner, Rhetor, Philosoph und
Feuilletonist.
Allerdings sind seine Reden denen des Demosthenes, mit
denen sie so oft verglichen werden, nicht gleichwertig; er
war weder Staatsmann noch Enthusiast wie der grofse
Athener, dem es doch niemand verdacht hat, dafs er für ein
so verrottetes Gemeinwesen in die Schranken trat, wie es der
athenische Staat war. Aber trotzdem enthalten die Reden
Ciceros des Schönen und Wahren genug. Die vorzügliche
Disposition, die ansprechende Darstellung, die bestechende
Beweisführung und der oft hinreifsende Schlufs sichern ihnen
einen hervorragenden Platz in der Geschichte der Beredsam-
keit. Sind auch die behandelten Stoflfe zuweilen minder-
wertig, so verstatten sie doch stets einen hochinteressanten
EinbKck in einen geschichtlichen Zeitabschnitt, der durch
die Verquickimg griechischer und römischer Bildungselemente
die lateinische ProsaKtteratur erst geschaffen hat. Sie sind
nicht minder reich an rein menschlichem Inhalt ; der Kampf
für die Unschuld gegen die XJbermacht, wie ihn uns die
Rosciana schildert, die Entlarvung der Niedertracht, welche
die Verrinen darstellen, die Niederwerfung eines Catilina,
Clodius und Antonius, sie alle tragen ethische Momente in
sich, die der Charakterbildung des Lesers zu gute kommen
müssen. Und Cicero war zugleich Theoretiker; seine rheto-
rischen Schriften, zum mindesten der Brutus, stellen vielleicht
das gröfste Verdienst dar, das er sich um die Wissenschaft
erworben hat. Sie gewähren zugleich eine reiche Belehrung
und Anregung auf den verschiedensten Gebieten der Alter-
tumskunde. Weniger bedeutend sind ohne Zweifel die philo-
sophischen Schriften. Wenn man aber bedenkt, dafs Cicero
der erste war, der so schwierige Fragen in römischer Sprache
behandelte, so wird man Billigkeit walten lassen. Es ist
Aly, Cicero. 13
— 194 —
eine Frivolität sondergleichen, wenn man von „Schreibereien"
spricht. Einer der angesehensten Philosophen der Neuzeit,
Herbart, rühmt an Cicero: „Die skeptische Sinnesart, die feste
und tiefe Überzeugung, womit er der Gültigkeit der mora-
lischen Ideeen huldigte, seine lautere Achtung für die Philo-
sophie in ihrem ganzen Umfange als eins der vorzüglichsten
Bildungsmittel des Menschen, ja der Nationen, welches an die
romische Sprache zu knüpfen ihm eine Angelegenheit ist, die
er seinen übrigen Sorgen um den Staat zur Seite stellt". Und,
last not least, die Briefe, jene geistvollen, anmutigen Plaude-
reien, in denen in Wahrheit die „Gh*azie um die Rednerlippe
spielt"! Sie kann auch der schärfste Widersacher nicht ganz
verwerfen^ sie spiegeln uns jene urbanitas wieder, die dem
so viel belobten esprit der Frau von Sevigne und ihrer Zeit-
genossen kein Haar breit nachgiebt. Man muls diese Briefe
nur verstehen, wie sie zu verstehen sind, als die rückhalt-
losen Ergüsse eines warmherzigen, leicht empfänglichen,
immer aber geistreichen und liebenswerten Mannes, nicht
als die Geständnisse eines reuigen Sünders.
Cicero ist keine „gefallene Gröfse", weder als Mensch
noch als Schriftsteller. Die unbefangene Kritik mufs sich
vor splitterrichtender Gehässigkeit ebenso hüten, wie vor
blinder Überschätzung. Ein reichbegabter Meister des Worts,
der durch Glück und Unglück aus seinem Kreise ins politische
Leben verschlagen ward, ist Cicero jenes Lobes wert, das ihm
der Geschichtsschreiber Vellejus gespendet hat:
Er lebt und wird leben durch aller Zeiten Gedächtnis!
Druck von Th. Hofmann in Gera.
<fYT r-r:.
*- • a
•i *
1