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Full text of "Cicero: Sein Leben und seine Schriften"

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:^o<io-iiS" 




SatöatB CnllcBC lilitatj 

STEPHEN SALISBURY, 
OF WORCESTER, MASS. 



II 23,6^. it^ii. 



f 







CICERO, 



SEIN LEBEN UND SEINE SCHRIFTEN. 



Von 



^€h^ 6, 06^ FRIEDRICH ALY. 



Aöyiog dvi^Q, (5 Ttat, Aöyiog nal (piXönaxQis 

Augustua bei Plufc. vit. Cic. 49. 



MIT EINEM TITELBILD. 



"^BERLIN 1891. 
R. GAERTNERS VERLAGSBUCHHANDLUNG 

HERMANN HEYFELDKR. 
SW. Schönebergerstrafse 26. 



DC V 0. \\^ 



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^ 






V 



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( DFf. 11 's''i1 ) 



Meinem väterlichen Freunde 



Herrn D. theol. August Skerl, 

Pastor an S. Katharinen und 
Mitglied der Herzoglichen Oberschulkommission zu Braunschweig, 



in Liebe und Treue. 



-*••- 



Vorrede. 



Der Oedanke, Ciceros Leben einem weiteren Kreise von 
Freunden des klassischen Altertums zu erzählen, ist mir aus 
meiner langjährigen Lehrthätigkeit am Kandidatenkonvikt 
des Klosters U. L. Frauen zu Magdeburg erwachsen. In 
dieser Absicht bin ich bestärkt durch die vielfache Wahr- 
nehmung, dafs in dem nunmehr hoffentlich zum Abschlufs 
gebrachten Kampfe um das Gymnasium keinem von den 
alten Schriftstellern gröfseres Unrecht gethan ist, als dem 
einst so hoch gepriesenen Redner. Ich habe nach gewissen- 
hafter Prüfung die Überzeugung gewonnen, dafs der Cicero 
Drumanns ein Zerrbild, dafs der gröfste Stilist Roms keine 
„gefallene Gröfse" ist. Nachdem ich meine Anschauung 
den Fachgenossen in einer Abhandlung der Zeitschrift flir 
Gymnasialwesen (1888 No. 12, S. 721 ff.) dargelegt habe, 
versuche ich jetzt ein Lebensbild des merkwürdigen Mannes 
zu zeichnen, sine ira et studio. Ein solcher Versuch scheint 
um so mehr angebracht zu sein, als die vielberufene Schul- 
konferenz die Aufgabe der klassischen Bildung mit Fug und 
Recht als Einführung in das Verständnis der alten Schrift- 
steller bezeichnet hat. 

Meine Erzählung entbehrt des Schmucks gelehrter An- 
merkungen. Ein derartiger Ballast würde die Lektüre un- 
nötig erschweren; der Fachmann ist auch ohne Hinweise 



VI 

imstande, die geschichtliche Auffassung nachzuprüfen. Ich 
habe Ciceros Leben aus seinen Schriften heraus erzählt, oft, 
wo es anging, mit seinen eigenen Worten. Als Berater 
standen mir in erster Linie die Darstellungen von Abeken, 
Boissier, Brückner, Drumann, Schanz, Suringar und Teuflfel 
zur Seite; von Einzelschriften nenne ich den trefflichen Vor- 
trag von 0. E. Schmidt über Brutus (Görlitzer Philologen- 
versammlung S. 165 ff.). 

Ich Würde mich hinreichend belohnt fühlen, wenn dies 
Buch ein wenig dazu beitrüge, die centrale Stellung der 
lateinischen Studien im Lehrplan zu stützen. Das Latein 
mufs und wird das Rückgrat unserer Gymnasien bleiben 
und Cicero der Mittelpunkt der lateinischen Lektüre. 

Magdeburg, Ostern 1891. 



Der Verfasser. 






Inhaltsverzeichnis. 



Seite 

Kapitel 1. Heimat und Familie 1 — 8 

„ 2. Lehrjahre 8 — 14 

„ 3. Erstes Auftreten, Wanderjahre 15--23 

„ 4. Anfänge der politischen Thätigkeit 23 — 27 

„ 5. Der Prozefs des Verres 28 — 38 

6. Ädüit8.t und Prätur 38—45 

^ 7. Das Konsulat 46—62 

8. Die Verbannung 62—72 

9. Die Rückkehr 72—84 

, 10. Anfänge wissenschaftlicher Thätigkeit .... 84 — 97 

„ 11. Das Prokonsulat 98—105 

„ 12. Der Bürgerkrieg 105—112 

, 13. Wiederaufnahme wissenschaftlicher Thätigkeit 112 — 123 

„ 14. Philosophische Studien 123 — 144 

n 15. Der letzte Kampf gegen die Monarchie . . . 145 — 155 

„ 16. Kurzer Triumph und jäher Tod 155—167 

„ 17. Sein Privatleben 167—175 

„ 18. Übersicht seiner Schriften 175 — 180 

„ 19. Spätere Beurteilung 180—189 

, 20. Sein Wert als Mensch und Schriftsteller . . . 189—194 



^ 



i2O<i0-llS' 




SatiiatB ffiolIeBE liStatj 

TUE GIFT OF 

STEPHEN SALISnURY, 
OF WORCESTER, MASS. 



1 1 '£>e^ l'i'^l I- 



f 



— 4 — 

„In der schönsten und grofsartigsten Umgebung von 
Strom und Wald und Fels und Gebirg, die das harte und 
kräftige Qeschlecht volskischer Bauern nährten, bildete sich 
der Knabe unter frühen Hoffiiungen spät-dauernder Grölse; 
und wenn der Mann, in seinem zweiten Yaterlande, der 
patria civitatis, von Staatsgeschäften ermüdet, sich nach länd- 
licher Ruhe sehnte, dann, auch glänzendere, reichere Villen 
verlassend, wandte er sich oft und gern und mit treuer Liebe 
dem eigentlichen Yaterlande (patria naturae) zu, und mit 
freudigem Stolze und tiefer Rührung zeigte er dem Freunde 
die Wiege seiner Kindheit — incunabula Ciceronis." 

Aber die tote Natur ist es nicht allein, die bestimmend 
auf den werdenden Menschen einwirkt — wir stammen nicht 
djtö ÖQvös ot)d' dTtö JtäTQrjs — , sondern vor allem die 
lebendige Menschenwelt, die Familie, die Eltern. 

Giceros Familie zählte nicht zu den Geschlechtern der 
Nobilität, da keines ihrer Mitglieder vor dem Redner ein 
höheres Staatsamt bekleidet hatte, das Anspruch auf einen 
Sitz im Senate und die damit verbundenen Ehren verliehen 
hätte. Die Cicerones waren von alters her Bürger der Land- 
stadt Arpinum und gehörten nach ihrem Yermögensstande 
zum ordo equester, d. h» zur Klasse der Höchstbesteuerten. 
Sie waren Landwirte. Die Deutung des Namens ist nicht 
sicher. Cicero ist allerdings von cicer, Kichererbse, herzu- 
leiten; ob aber die Bezeichnung von einer Vorliebe für diese 
Frucht oder von einem Anwuchs an der Nase hergenommen 
sei, läfst sich heute nicht mehr feststellen. Die hierauf be- 
züglichen Nachrichten der Alten sind mit Vorsicht aufzu- 
nehmen, da sie nur zu häufig beliebigen Stadtklatsch kritiklos 
hinnahmen. 

Die uns bekannten Mitglieder der Familie mag neben- 
stehendes Schema zusammenstellen. 



— 5 



M. Tullius Cicero— Gratidia 

I 



Helvia— M. Tullius Cicero L. Tullius Cicero 



M. Tullius Cicero Q. Tullius Cicero-Pomponia L. Tullius Cicero 

— 1. Terentia ^ '' 

— 2. Publilia Q- Tullius Cicero 
1. 



Tullia M. Tullius Cicero 

— 1. Piso 

— 2. Crassipes 

— 3. Dolabella 
S. 

Lentulus 

Der gleichnamige Grofsvater des Redners besafs ein be- 
scheidenes Landhaus, welches sein Enkel mit dem sabinischen 
Gute des berühmten Si^ers über Pyrrhus, M'. Curius Den- 
tatus, vergleicht. Er war ein Mann von altem Schrot und 
Korn, der neumodischen Bildung wie jeder politischen Neue- 
rung abhold. Es ist uns von ihm der Ausspruch überliefert, 
die Römer glichen den syrischen Sklaven; je mehr einer das 
Griechische verstehe, desto nichtswürdiger sei er. Als nun 
gar sein Schwager M. Gratidius im Jahre 115 ein neues 
Gesetz für Abstimmungen, eine lex tabellaria, in dem Muni- 
cipium Arpinum vorschlug, leistete der wackere Bürger hart- 
näckigen Widerstand und erwarb sich damit den Beifall des 
Konsuls M. Amilius Scaurus, den die Nobilität als ein Muster 
konservativer Staatsgesinnung zu preisen pflegte. Einen 
solchen Verbündeten wünschte sich Scaurus für die stürmi- 
schen Verhandlungen in Rom, die sich, wie der Enkel be- 
merkt, zu jenem arpinatischen Konflikt verhielten, wie das 
ägäische Meer zu einer Schöpfkelle. Er sah den Enkel noch 
heranwachsen. 

Der Vater, ein kränklicher, den Wissenschaften eifrig er- 
gebener Mann, erweiterte und verschönte das ererbte Land- 
haus; er erfreute sich eines ansehnlichen Wohlstandes, den 
er aber wohl schwerlich, wie erzählt wird, einer Walkmühle 
am Fibrenus verdankte. Ganz besondere Sorgfalt verwandte 



— 6 — 

er auf die Erziehung seiner beiden Söhne , welche er vor 
allem durch Hinweis auf die glänzenden Charaktere altrömi- 
scher Geschichte zu begeisterten Patrioten zu erziehen be- 
strebt war. Er wollte beide der höheren Beamtung zuführen, 
wie ja oft sorgsame Väter ihren Söhnen zu verschaffen sich 
bemühen, was ihnen selbst versagt geblieben ist. Zu diesem 
Zwecke scheute der Vater kein Opfer und siedelte sogar nach 
Bom über, wo er in der vornehmen Gegend der Carmen ein 
Haus erstand, das sich nachmals auf Quintus vererbte. Er 
hatte die Freude, seine väterlichen Wünsche in reichem 
Mafse erfüllt zu sehen; kurze Zeit bevor der Sohn das Ziel 
seines Strebens, das Konsulat, erreichte, starb der Vater. 

Die Mutter Helvia tritt mehr zurück, wie es der rö- 
mischen Sitte entsprach, welche den höchsten Ruhm einer 
Hausfrau in der ebenso beredten wie kurzen Grabschrift 
ausprägte: Sie blieb zu Hause und spann. Dafs sie eine 
tüchtige Vorsteherin des Haushalts gewesen ist, beweist eine 
Anekdote, die uns Quintus berichtet: Die Mutter habe auch 
die leeren Weinkrüge versiegelt, damit die Sklaven nicht 
die gefüllten mit diesen auf Kosten der Herrschaft ver- 
tauschten. Sie stammte aus einem angesehenen Geschlechte. 
Ihre Schwester heiratete den Rechtsgelehrten C. Aculeo, 
dessen Söhne zu den Jugendgespielen und Schulkameraden 
des Redners gehörten. 

Der jüngere Bruder des Redners, Quintus, wird uns 
noch öfter beschäftigen. Er ist allgemein bekannt durch 
seine Beteiligung an der Unterwerfung Galliens als Legat 
Cäsars, der in ihm eine Geisel für die friedfertige Haltung 
seines Bruders sah. Indessen hat er nicht verabsäumt, das 
tapfere und besonnene Verhalten seines Unterfeldherm bei 
Gelegenheit des furchtbaren Eburonenaufstandes im Jahre 54 
dankbar zu rühmen. Auch als Schriftsteller hat er sich auf 
poetischem Gebiete versucht; wir haben von ihm eine Reihe 
von Briefen, darunter eine längere, für den Bruder bestinunte 
Abhandlung „über die Bewerbung ums Konsulates Als Mensch 



— 7 — 

hatte er gro&e Schwächen, vor allem einen sich leicht tiber- 
stürzenden Jähzorn. Doch war sein Verhältnis zum Bruder 
mit einer Ausnahme ein gutes. Verheiratet war er mit Pom- 
ponia, der Schwester des Atticus, ein Ehebündnis, das aller- 
dings in Bezug auf Verträglichkeit viel zu wünschen übrig 
liefs. Dieser Ehe entstammte ein Sohn, der den Namen des 
Vaters trug; er zeichnete sich weder durch Vorzüge des 
Herzens noch des Geistes aus. 

Von dem Oheim Lucius wissen wir nur, dafs er im 
Jahre 103 mit M. Antonius gegen die Seeräuber zog und 
bei diesem Anlafs längere Zeit in Athen Rhetoren und 
Philosophen hörte. Cicero erwähnt einmal eine Unterhaltung, 
die er in früher Jugendzeit mit dem Oheim über den ge- 
nannten Redner geführt habe. Bekannter ist der Sohn des- 
selben Namens, ein liebenswürdiger, bescheidener Mensch, 
der seinen Vetter nicht nur auf die Universität begleitete, 
sondern auch auf jener gefahrlichen Reise nach Sicilien, wo 
es sich um die Aufdeckung der Schandthaten des Verres 
handelte. Er erhielt einen ehrenvollen Anteil an dem Ruhme 
des Redners, insofern auch er von den Syrakusanern zum 
Gastfreund der Gemeinde ernannt wurde. Seinen frühzeitigen 
Tod beklagt Cicero aufrichtig wie den eines wirklichen 
Bruders. 

Dies ist der Boden, auf dem unser Held heranwuchs 
Aber Heimat und Familie erklären nicht zur Genüge das 
Geheinmis der menschlichen Persönlichkeit. Wir überkonunen 
von den Eltern Leben und Erziehung, von der Heimat Sitte 
und Gewohnheit, aber unsere unsterbliche Seele ist uns von 
Gott geschenkt und dadurch in jedem Einzelmenschen das 
Wunder eines selbständigen Organismus erschaffen. Daher ist 
es grundverkehrt, aus äufseren Einflüssen allein das Wesen 
eines Menschen zu konstruieren, wie das heutzutage in 
falscher Übertragung naturwissenschaftlicher Beobachtungen 
auf geistiges Gebiet zu geschehen pflegt. Wohl ist es von 
grofser Wichtigkeit zu wissen, in welchen Boden das Samen- 



— 8 — 

kom gesenkt ist; aber im Reiche des Qeistes haben wir es 
mit einem Eome zu thun Ton ursprünglicher Kraft und 
gottgewollter Bestinmiung. 



Kapitel 2. 



Lehrjahre* 

Aus der Kindheit des Redners wissen wir so gut wie 
nichts. Aus der Fülle von Vermutungen, die sich uns 
bietet, dürfen wir nur das Eine als ausgemacht ansehen, 
dafs schon die Phantasie des Knaben sich berauschte an der 
Siegeslaufbahn des gewaltigen Landsmannes, der Teutonen 
und Cimbem zu Boden warf und sechsmal hintereinander 
die höchste Ehrenstelle im Staate bekleidete. Mit Vorliebe 
gedenkt Cicero später des ihm in politischer Hinsicht durch- 
aus nicht sympathischen Marius und berichtet mit Behagen 
das Schmeichelwort des Pompejus, Rom schulde dem Muni- 
cipium Arpinum Dank, weil aus ihm zwei seiner Erretter 
hervorgegangen seien. 

Besser sind wir über die in Rom betriebenen Studien 
Ciceros unterrichtet. Für diese Zeit ist nicht nur der 
brennende Lerneifer des Knaben und heranwachsenden Jüng- 
lings, sondern auch die Trefflichkeit seiner Leistungen bezeugt. 
Wenn er selbst einmal als Vorbedingung eines gedeihlichen 
Fortschritts in litteris die strenge Forderung erhebt: „Alle 
Vergnügungen sind auszuschlie&en, aufzugeben die Neigung 
zu Zerstreuungen, das Spiel, der Scherz, das Gelage, ja, fast 
die zwanglose Unterhaltung mit den Angehörigen^^ so ist 
er selbst, wenn einer, dieser Forderung in Thaten nach- 
gekommen. Daher wird von ihm gerühmt, dafs er alle 
Mitschüler weit hinter sich gelassen, dafs die Väter herbei- 
kamen, um den aufgeweckten und lernbegierigen Knaben 
zu schauen, während ihm die Söhne willig den Ehrenplatz 



— 9 — 

überliefsen. So galt für ilin schon damals der homerisclie 
Vers, den er später so gern im Munde geführt hat: 

Atkv ccQLifTSvsLV xofl vtcsLqoxov ififisvat aXkaov. 

Die Jugendbildung Giceros umfalste nach dem Brauche 
seiner Zeit Grammatik einschliefslich der Litteratur, besonders 
der griechischen Sprache, Übersetzungen und poetische Ver- 
suche, dann Rhetorik, später Philosophie und Einfuhrung in 
die Rechtsgelehrsamkeit. Der Hauptberater seines sorgsamen 
Vaters und dadurch der Leiter Ton Ciceros Studien war der 
berühmte Redner L. Licinius Grassus, dem der dankbare 
Schüler in der Schrift „vom Redner" und im „Brutus" ein 
ehrendes Denkmal gesetzt hat. Den Lehrer Ciceros in der 
Grammatik kennen wir nicht, wohl aber einige seiner Mit- 
schüler: aufser seinem Bruder Quintus die Söhne seines 
Oheims Aculeo, den jüngeren Lucius Cicero, T. Pomponius, 
L. Tubero u. a. Den Gang des Unterrichts, der uns nicht 
einmal andeutend überliefert ist, mag die Mitteilung des 
allerdings jüngeren Horaz erläutern. Dieser erlernte von 
dem wegen seiner Schlagfertigkeit (plagosus) übel berufenen 
Orbilius seine Muttersprache aus der urältesten Poesie der 
Römer, der in Satumiem verfefsten Odyssee des Livius 
Andronicus, einer höchst mangelhaften Nachbildung Homers. 
Besser war der griechische Unterricht bestellt, in dem das 
Original der Ilias selbst zu Grunde gelegt wurde. Dafs 
Cicero auf der Schule eine gründliche Kenntnis namentlich 
der altlateinischen Poesie sich erworben hat, zeigen seine 
Werke, die zahlreiche Citate aus den alten Dichtern auf- 
weisen, besonders aus den Tragikern. Hatte er doch das 
Glück, noch den würdigen L. Accius, den letzten Nachfahren 
des Ennius, persönlich zu kennen! Auf diese Studien scheint 
auch der griechische „Dichter" (richtiger Improvisator) A. Li- 
cinius Archias, den Cicero nachmals verteidigt hat, von Ein- 
flufs gewesen zu sein; in welchem Grade, läfst sich heute 
nicht mehr feststellen. Cicero nennt ihn, vielleicht etwas 



— 10 — 

überschwenglich, den ersten, der ihn auf diese Bahn ge- 
wiesen habe. 

Was den Unterricht in der Beredsamkeit betraf, so 
bevorzugte Crassus griechische Lehrer, in der wohl be- 
gründeten Meinung, dais durch griechische Übungen der 
Geist besser genährt werde. Daher hörte Cicero den L. Plotius, 
welcher zuerst die Rhetorik in lateinischer Sprache behandelte, 
trotz der Zahl seiner Schüler keineswegs. Aufser dem Unter- 
richt griechischer Rhetoren, über den nicht« weiter berichtet 
wird, erfreute sich Cicero der persönlichen Belehrung seines 
Gönners Crassus und seines nicht minder berühmten Neben- 
buhlers M. Antonius, zu dem ihm die Empfehlung seines 
Oheims Lucius Zutritt verschaffte. Beide hörte er, wie auch 
andere hervorragende Redner, anfangs daheim, später auf 
dem Forum. Aber auch sonst that sich Cicero lemb^erig 
um und verschmähte es nicht, von den seiner Zeit berühmten 
Schauspielern Roscius und Äsopus zu lernen, insbesondere 
die Begleitung der Rede mit würdigen und zweckent- 
sprechenden Gebärden. Denn die Schlagfertigkeit und Sicher- 
heit in jeder Art öffentlicher Beredsamkeit war das einzige 
Mittel, durch das sich ein junger, begabter, aber ahnenloser 
Mann den Eingang in die staatsmännische Laufbahn er- 
kämpfen konnte. Der Weg zu den kurulischen Sesseln 
fährte über die Rednertribüne des Forum. 

In diese Zeit fallen auch die ersten poetischen Versuche 
Ciceros, welche, an und für sich wertlos, nur als Vorübungen 
des künftigen Redners, nur als Proben für seine Fähigkeit 
im Beherrschen der Sprache anzusehen sind. Als ältester 
Versuch wird ein Pontius Glaucus in Tetrametem genannt. 
Von diesem wie von anderen Gedichten kennen wir nur die 
Namen, die nicht einmal alle verständlich sind. Dagegen 
besitzen wir einige Verse aus dem Epos Marius, welches 
unzweifelhaft als eine unreife Schülerarbeit anzusprechen ist. 
An einer Stelle seiner Schrift „von den Gesetzen" verwahrt 
sich Cicero gegen die Annahme, als ob die von ihm be- 



— 11 — 

sungene Eiche des Marius geschichtliclie Wahrheit sei. 
Wichtiger als diese Versifikationen sind die Übersetzungen 
aus dem Griechischen gewesen, denen Cicero überhaupt eine 
grofse Bedeutung flir die Ausbildung des lateinischen Stiles 
beimifst. So übersetzte er des Aratus Phänomena und Prog- 
nostica, wovon eine beträchtliche Anzahl Hexameter erhalten 
ist; fem er Stellen aus Homer und Euripides, Xenophons 
Okonomikus, später mit Vorliebe Prosaiker, besonders De- 
mosthenes und Aschines, auch Plato. 

In seine Knabenzeit fallen endlich noch die Anfange 
philosophischer Studien. Es waren die damals mafsgebenden 
Schulen der Epikureer und Stoiker, deren Lehren an das 
Ohr des Knaben sich drängten. Der Unterricht des Epikureers 
Phädrus woUte anfangs ihm wie seinem Freunde T. Pomponius 
nicht übel gefallen. Bald aber wandte sich Cicero, ohne die 
Achtung flir den Uebenswürdigen Lehrer einzubüfsen, der 
strengeren Lehre der Stoa zu, die in der virtus das summum 
bonum zu finden glaubte, während Epikur die Toluptas, 
aUerdings nicht in grobsinnUcher Auffassung, als erstrebens- 
wertes Ziel hinstellte. Zu dem Stoiker Diodotus hatte Cicero 
ein engeres, gemütUches Verhältnis; dieser lebte lange Jahre, 
zumal nach seiner Erblindung, in Ciceros Hause, wo er auch 
sein Leben beschlossen hat, nicht ohne im Testamente seines 
Schülers und Wohlthäters zu gedenken. Die ernsthaften 
Studien dieser Gattung fallen erst in eine spätere Zeit, wie 
auch die Beschäftigung mit der Rechtswissenschaft. Jeden- 
falls ist die Behauptung unbegründet, dafs Cicero mit Kennt- 
nissen überfällt, dafs er in einem „pädagogischen Treibhause^^ 
herangewachsen sei. Was er lernte und studierte, war genau 
dasselbe, was die übrige Jugend der höheren Stände trieb. 
Vergleicht man das Mafs seiner Kenntnisse vollends mit dem, 
was heutzutage von einem Jüngling ohne Schaden für seine 
Gesundheit erfordert wird, so war es yerhaltnismäfsig wenig. 

Ciceros Studien unterbrachen, ohne sie zu beendigen, 
zwei Ereignisse in zwei aufeinander folgenden Jahren. Im 



— 12 — 

Jahre 90, also im sechzehnten Lebensjahre, legte er die 
toga virilis, das schmucklose, weifse Kleid des römischen 
Bürgers, an, ein Ereignis, das sich etwa mit unserer Konfir- 
mation deckt. Gleichzeitig führte ihn der Vater dem als 
Rechtsgelehrten berühmten Augur Mucius Scäyola zu, da- 
mit er in die Anfangsgründe des Bechtsstudiums eingeweiht 
werde. Auch zeigte er sich als Erwachsener auf dem Forum, 
um den Gerichts- und Staatsreden bedeutender Männer zu 
lauschen. Aber noch eine zweite Unterbrechung sollte seine 
weitere Ausbildung erfahren. Es war wiederum eine schwere 
Zeit über Rom gekommen, die Zeit des marsischen oder 
Bundesgenossenkrieges. Die Italiker, schwer gekränkt durch 
ungerechte Vorenthaltung des vollen Bürgerrechtes, hatten 
sich wie ein Mann erhoben und brachten Rom in grofse 
Not. Im Jahre 89 hat auch Cicero, 17 Jahre alt, nachdem 
er ein Jahr lang sich in den Waffen geübt, dem Vaterlande 
Kriegsdienste geleistet. Aus dieser Zeit wissen wir nur, dals 
er Augen- und Ohrenzeuge einer Unterredung gewesen ist, 
welche zwischen seinem Oberfeldherm Cn. Pompejus Strabo, 
dem Vater des bekannten Pompejus, und dem Führer der 
feindlichen Marser stattgefunden hat. Eine andere Stelle 
zeigt uns Cicero im Lager des Sulla vor Nola. Auch er- 
wähnt er seinen Schulgenossen Tubero als Kriegskameraden. 
Alle anderen Schlufsfolgerungen sind eitel Hirngespinste, 
so der schon hier gegen ihn erhobene Vorwurf der Feigheit. 
Allerdings war Cicero kein Soldat aus Passion und, wie 
Livius richtig betont, zu nichts weniger geeignet als zur 
Kriegsfährung. Aber eine Pflichtverletzung in militärischer 
Hinsicht ist ihm weder bei seiner ersten Beteiligung am 
Kriegshandwerk noch späterhin nachgewiesen worden. 

Aus dem Felde zurückgekehrt, nahm Cicero die unter- 
brochenen Studien mit Eifer auf; er trieb Rhetorik, Juris- 
prudenz, Philosophie. Er bewunderte auf dem Forum au&er 
kleineren Gröfsen die stürmische Beredsamkeit des Volks- 
tribunen P. Sulpicius Rufus, der nur zu rasch ein Opfer 



— 13 — 

seiner Leidenschaften wurde. In der Rechtskunde schlofs er 
sich nach dem Tode des Augur Scävola an den gleich- 
namigen Pontifex maximus an, einen Mann von reichem 
Wissen, milder Freundlichkeit und echter Vaterlandsliebe. 
Eine besondere Förderung erfuhr Ciceros Geistesleben durch 
den in Rom zeitweilig sich aufhaltenden Philosophen Philo. 
Aus Larissa gebürtig, aber zu Athen ansässig, war er vor 
den Wirren des mithridatischen Krieges geflohen; durch ihn 
wurde Cicero mit der philosophischen Richtung vertraut 
gemacht, die auf seine ganze Thätigkeit von unberechen- 
barem Einflufs gewesen ist; er bekennt es offen, dafs er als 
Redner in der Schule der Akademie, nicht in der der Rhetorik 
vorgebildet sei. Die neuere Akademie, als deren Stifter 
Gameades anzusehen ist (bekannt aus der Philospphen- 
gesandtschaft des Winters 156/55), wandte dem philosophi- 
schen Dogmatismus gänzlich den Rücken und begnügte sich, 
indem sie das Auffinden der Wahrheit preisgab, mit dem 
Wahrscheinlichen. Ihre Methode bestand darin, jegliche Be- 
hauptung nach beiden Seiten, für und wider, zu erörtern. 
Wie brauchbar gerade dieser Grundsatz für den Redner war, 
braucht nicht ausgeführt zu werden. 

Freilich war die Zeit des ersten und blutigsten Bürger- 
kriegs der Pflege der Beredsamkeit wie der anderen schönen 
Wissenschaften nicht günstig. Auf die Greuelthaten des 
Jahres 87 folgte eine dreijährige Pause, in der wenigstens 
das Talent des Q. Hortensius als hellleuchtendes Gestirn am 
Firmament der Gerichtshöfe aufging. Für diese Zeit bezeugt 
Cicero — und wir glauben ihm unbedingt — das ununter- 
brochene Studium aller in Frage kommenden Wissenschaften. 
Mit dem Hausfreund Diodotus trieb er Dialektik (Logik) Tag 
für Tag, mit den Altersgenossen M. Piso und Cn. Pompejus 
Redeübungen über freigewählte Themata in lateinischer, öfter 
in griechischer Sprache, damit sie von griechischen Lehrern 
verbessert werden könnten; es sind dies die nachmals mit 
Recht in Verruf gekommenen Deklamationen, von denen uns 



— 14 — 

der ältere Seneca in seinen Controversien und Suasorien 
Beispiele überliefert hat. Der wieder auflebende Bürgerkrieg 
brachte zwar mit neuen Mordthaten der Beredsamkeit neue 
Verluste; aber die Wiederbefestigung der staatlichen Gewalten 
durch Sullas Gesetzgebung sicherte den Rednern wieder eine 
willige Aufaahme und ein unparteiisches Urteü. In dieser 
Zeit wagte sich Cicero an private und öffentliche Prozesse, 
nicht, wie er sagt, um auf dem Forum zu lernen, sondern 
um wohl vorbereitet, soweit an ihm lag, auf den Kampfylatz 
zu treten. 

Bevor jedoch von seinem ersten öffentlichen Auftreten 
erzählt wird, ist es angebracht, noch einer Jugendarbeit 
Ciceros zu gedenken, in der er sich gerade auf dem Felde 
versuchte, wo es ihm später vergönnt war, seine vollendetsten 
Werke reifen zu sehen, der beiden Bücher „über die rhetorische 
Invention" (Topik), d. h. über die Kunst, die wichtigsten Be- 
weismittel aufzufinden. Die übrigens nicht vollendete, un- 
bedeutende Schrift, welche den Jahren 86 oder 84 entstammen 
mag, erweist sich auch dadurch als Schülerarbeit, dafs sie 
an nicht wenigen Stellen mit ihrer Vorlage, der trefflichen, 
an C. Herennius gerichteten Rhetorik in vier Büchern, fast 
wörtlich übereinstimmt; letztere wird jetzt meist einem 
Cornificius zugeschrieben. 

So haben wir Cicero von der bergumkränzten Heimat 
bis an die Schwelle des öffentlichen Lebens begleitet, die er 
mit sechsundzwanzig Jahren, vielleicht noch eher, hoffiiungs- 
sicher überschritt. Von seinen Lehrjahren darf das horazische 
Wort gelten: 

Multa tulit fecitque puer: sudavit et alsit! 



- 15 — 



Kapitel 3. 



Erstes Auftreten^ Wanderjahre. 

Die ersten Gerichtsreden des jungen Anwalts sind nicht 
auf uns gekommen. Die erste der erhaltenen entstammt 
dem Jahre 81, die Rede für P. Quinctius; sie betriflft eine 
Civilsache, daher res privata; die zweite, viel wichtigere aus 
dem Jahre 80 verteidigt den S. Roscius aus Ameria (im 
Unterschiede von dem Schauspieler) in einem Kriminalprozefs, 
daher res publica. 

Zunächst verdient es hervorgehoben zu werden, dafs 
Cicero in Verteidigungsreden zuerst an die Öffentlichkeit 
trat, dals er überhaupt nur einmal eine Anklagerede vor 
Gericht (gegen Verres) gehalten hat; seine Catüinarien und 
Philippiken sind politischen Charakters. Es ist dies kein 
Zufall, zumal gerade andere grofse Redner Roms, wie Crassus, 
Antonius, Sulpicius, durch Anklagen vornehmer Männer ihren 
Rednerruf begründet haben. Wohl aber ist es verkehrt, aus 
diesem Grundsatz, wie so ziemlich aus allem, was Cicero 
gethan und was er nicht gethan hat, einen Vorwurf zu 
schmieden, nämlich den der listigen Berechnung. Es kann 
ihm ein wahrhaft humanes Wohlwollen, welches gerade dem 
Anwalt, dem patronus causarum, eine unentbehrliche Vor- 
bedingung gedeihlicher Wirksamkeit ist, gegenüber hülfs- 
bedürftigen Klienten nicht abgesprochen werden. Dafs aber 
eine solche advokatorische Thätigkeit zugleich die beste 
Empfehlung für die staatliche Laufbahn war, lag in der 
Natur des öffentlichen Lebens zu Rom. Cicero that nichts 
Pflichtwidriges, wenn er die ihm verliehenen und durch viel- 
seitige Übungen schön gepflegten Geisteskräfte vor Gericht 
bethätigte, um sich allmählich dadurch den ihm als ahnen- 
losem Emporkömmling so schwierigen Zugang zu den höheren 



— 16 — 

Staatsämtem zu erleichtern. Anders steht es um die Frage, 
ob Cicero seiner ganzen Veranlagung nach klug that, sich 
dem staatlichen Leben, zumal in so bedrängten Zeiten, ganz 
zu widmen. Es sollte sich nur zu bald herausstellen, dafs 
seine Begabung auf einem ganz andern Felde lag, als er 
selbst vermutete. Doch haben wir es vorerst mit den An- 
fängen seiner öffentlichen Thätigkeit zu thun. 

Die Rede für P. Quinctius behandelt eine überaus ver- 
wickelte Vermögensklage, welche ein allgemeineres Interesse 
nicht beansprucht. Der Redner bekennt, obgleich er schon 
in anderen Prozessen thätig gewesen sei, seine Unzulänglich- 
keit, zumal er einen Gegner, wie den grofsen Hortensius, 
vor sich habe. Auf die Güterverkäufe der Proskribierten 
unter der Diktatur Sullas wird ohne Scheu hingewiesen. 
Nachdem die trockene Sache mit reichlichem Aufwand 
juristischen Scharfsinns zu Ende geführt ist, wendet sich 
Cicero zum Schlufs in der Weise, welche uns noch oft 
entgegentreten wird, an das Herz des Richters und sucht 
auf alle Fälle seinem Gefühl zu entreifsen, was er etwa 
seiner Einsicht nicht hat abpressen können. Man hat dies 
Verfahren dem Redner zum Verbrechen angerechnet, und 
doch wird auch heute vor allen Gerichten der Welt nicht 
anders verfahren. Auch heute erwartet man nicht von der 
Rede des Verteidigers die objektive, ungeschminkte Wahrheit, 
sowenig als von der Rede des öffentlichen Anklägers. Auch 
heute ist es die Ehrenpflicht jedes Verteidigers, alle Momente 
hervorzusuchen, welche nur einigermalsen zur Entlastung 
seines Klienten beitragen können, alle Handlungen in solchem 
Lichte zu sehen, wie es den Interessen des Angeklagten 
frommen dürfte. Was heute nicht als Unrecht angesehen 
wird, darf auch wohl dem Anwalt Cicero als gestattet zu- 
gebilligt werden, so das Recht, an das Mitgefühl zu appellieren. 
Wer Ciceros Schlufsreden als unwahr und daher unsittlich 
verdammt, hat niemals einer bedeutenderen Schwurgerichts- 
sitzung beigewohnt, wo bekanntlich sowohl der Verteidiger 



— 17 — 

als auch der Ankläger recht oft zu dergleichen erlaubten 
Kunstmitteln ihre Zuflucht nehmen. 

Ein wirklich höheres Interesse beansprucht dagegen die 
bedeutende Rede für den S. Roscius. Bevor Cicero diese 
hielt, genofs er noch einige Monate den Unterricht des in 
Rom als Abgesandter der Rhodier anwesenden Rhetors Molo. 
Vielleicht verdankte jener einen Teil seiner gesteigerten 
Leistungsfähigkeit diesen Übungen. Wie dem aber auch 
sei, jedenfalls trat der erst sechsundzwanzigj ährige Jüngling 
durch diese Rede mit Fug und Recht in die erste Reihe 
der römischen Gerichtsredner. 

Die Verhältnisse seines Klienten waren ebenso verzweifelt, 
wie die Lage seines Anwalts mifslich. Allerdings hatte die 
regelmäfsige Thätigkeit der Gerichte wieder begonnen. Nach 
einem Schreckensregiment sondergleichen hatte der allmäch- 
tige Sulla dem Senatorenstande die Besetzung der Gerichts- 
höfe, die ihm einst C. Gracchus genommen hatte, wieder- 
gegeben. Es war die erste Verhandlung in einem Mord- 
prozefs vor dem Prätor Fannius, in der Cicero auftrat. Aber 
es war keine leichte Aufgabe, die der jugendliche Anfönger 
übernommen hatte. Nicht als ob der Beklagte, der vierzig- 
jährige Landwirt S. Roscius, wirklich ein todeswürdiger Ver- 
brecher, ein unmenschliöher Vatermörder gewesen wäre. Seine 
Unschuld lag sonnenklar zu Tage. Aber der Einflufs und die 
Bosheit seiner Feinde verkehrte alles, was für ihn sprach, in 
das Gegenteil. Zwar war der Ankläger, C. Erucius, ein 
nichtiger, jämmerlicher Geselle; aber die Verwandten des An- 
geschuldigten, die beiden Roscier, und vor allem ihr mäch- 
tiger Gönner Chrysogonus, der Günstling und Freigelassene 
Sullas, stellten eine wahrhaft erdrückende Macht dar, so dafs 
sich kein namhafter Anwalt des Unglücklichen anzunehmen 
wagte, in der Befürchtung, es möchte der unberechenbare 
Gewaltherrscher den Angreifer des Chrysogonus seine schwere 
Hand fühlen lassen; war doch in Rom das Andenken an die 
schrecklichen Achtungen ein nur allzu frisches. Nur eine 

Aly, Cicero. 2 



— 18 — 

vornehme Frau aus dem Geschlecht der Meteller und der junge 
Messalla traten schützend fiir den von aller Welt Verlassenen 
ein; auf ihre Veranlassung übernahm Cicero die Verteidigung. 
Er beginnt seine Rede (exordium und propositio) mit 
aller Vorsicht, aber auch mit männlicher Festigkeit. Wenn 
er auch seine Jugend als Entschuldigungsgrund für die 
Kühnheit seines Wagnisses anführt, so stellt er doch von 
vornherein fest, dafs der wahre Feind des S. Roscius niemand 
anders sei, als der mächtigste Mann der damaligen Bürger- 
schaft, L. Cornelius Chrysogonus. Deutlich wird auf die vor 
kurzem abgeschlossene Periode der politischen Morde hin- 
gewiesen und daraus die Verpflichtung für die senatorischen 
Geschworenen und den Vorsitzenden Prätor abgeleitet, ein 
gerechtes Urteil zu finden. Es folgt die Erzählung des 
Thatbestandes (narratio), schlicht und glaubwürdig. Der 
alte Roscius, ein angesehener, wohlhabender Mann, ist nach 
Abschlufs der Proskriptionen zu Rom meuchlerisch getötet. 
Diese Mordthat wird in auffalliger Weise auf Veranlassung 
des T. Roscius Magnus dem T. Roscius Capito nach Ameria 
und nach vier Tagen dem Chrysogonus nach Volaterrä ge- 
meldet. Sofort trägt man den Namen des Ermordeten, der 
doch zur Partei der Nobilität sich zählte, nachträglich in 
die Ächtungslisten ein und bringt seine dreizehn Güter 
unter den Hanmier, von denen drei an Capito, die übrigen 
für einen Spottpreis an Chrysogonus und seinen Agenten 
Magnus fallen, natürlich ohne Wissen Sullas, der trotz seines 
Glückes doch nicht alles wissen kann. Auf die Kunde von 
der Vergewaltigung des Sextus schicken die biederen Ein- 
wohner von Ameria eine Gesandtschaft an Sulla, die aber, 
von dem ihr beigesellten Capito betrogen, unverrichteter 
Sache heimkehrt. Sextus flieht nach Rom in das Haus der 
edlen Cäcilia. Aber noch ist das Mafs seiner Leiden nicht 
voll; seine Feinde, ihres Raubes nicht sicher, beschliefsen 
ihn durch eine frivole Anklage auf Vatermord aus dem 
Wege zu räumen. 



— 19 — ' 

Die eigentliche Beweisführung (argumentatio) betont 
drei Gesichtspunkte, die Haltlosigkeit der Anklage, die 
Verruchtheit der Feinde, die Übermacht des spiritus rector, 
des Chiysogonus. Der Gegenbeweis aus dem Vorleben des 
Beklagten (probabile ex vita) wird mühelos geführt, wobei 
ein ansprechender Exkurs über die Vorzüge des Landlebens 
geschickt eingeflochten wird. Eine zweite Abschweifung 
hat es mit den gewerbsmäfsigen Anklägern zu thun, bei 
welcher Gelegenheit der Redner das unangemessene Verhalten 
des Erucius während der Gerichtssitzung in höchst ergötz- 
licher Weise geifselt. Sodann verbreitet er sich wieder 
extra causam über die Gräfslichkeit des Vatermordes über- 
haupt und unterläfst nicht durch Belege aus Dichtern sowie 
eingestreute Geschichtchen die Auftnerksamkeit der Hörer 
wachzuhalten. Es folgt nun der Beiweis aus den that- 
sächlichen Verhältnissen (probabile ex causa). In schlagender 
Weise legt er die Unmöglichkeit des angeblichen Verbrechens 
dar, indem er die Leichtfertigkeit des Anklägers wie die 
Unredlichkeit seiner Hintermänner an den Pranger stellt; 
haben sich diese doch sogar geweigert, die Sklaven des 
Sextus trotz seiner Bitte zur peinlichen Befragung, d. h. zur 
Folter, herauszugeben. 

Nachdem so die Anklage in nichts aufgelöst ist, kehrt 
Cicero den Spiefs um und geht zunächst den beiden Rosciern 
zu Leibe nach dem bewährten Satze, dafs der das Verbrechen 
begangen, dem es Nutzen gebracht hat. Er führt den Beweis 
ex vita wie ex causa, dafs Magnus den Mord hat vollbringen 
lassen. Insbesondere belastet ihn sein Verhalten nach dem 
Morde (die consecutio), wie seinen Spiefsgesellen Capito die 
jcaQajcQäoßeia, um mit Demosthenes zu sprechen, die Untreue 
gegen seine Mitgesandten im Lager Sullas; hierbei ein Exkurs 
über die Wichtigkeit des Verhältnisses von Mandant und 
Mandatar, von Auftraggeber und Beauftragten. Nachdem er 
so die dii minorum gentium zerschmettert hat, kommt er 
nach dem Gesetz der Steigerung zu der interessantesten 



— 20 — 

Persönlichkeit, dem Goldsohn (nomen aureum) Chrysogonus, 
den er mit überlegener Bosheit abschildert. Wenn er um 
auch von dem Verbrechen des Mordes freispricht, so weifs 
er doch seine Eitelkeit, seine Anmafsung, seine Habgier 
gebührend zu züchtigen. Selbstverständlich trennt er ihn 
von seinem Herrn und Meister Sulla, den er mit gröfster 
Hochachtung, aber nicht ohne feine Ironie begütigt, wenn 
er das Glückskind mit dem höchsten und besten Jupiter ver- 
gleicht, der auch oft durch der Elemente Gewalt Schaden an- 
richtet ohne göttliche Absicht. Der Anstifter und „Architekt" 
der Anklage ist und bleibt Chrysogonus, gegen dessen Uber- 
griiFe er die neugefestigte Nobilität in die Schranken ruft; 
er bekennt sich zu dieser Partei, verlangt aber von ihr, dafs 
sie sich ihrer siegreichen Stellung würdig erzeige. 

Der Schlufs (pej*oratio) wendet sich, wie immer, an die 
Herzen. Zunächst beschwört er Chrysogonus im Namen 
seines Klienten, dafs er sich mit seinen Gütern begnügen 
und auf sein Leben verzichten möge. Dann aber redet er 
in nachdrücklichster Weise auf das Ehr- und Gerechtigkeits- 
gefühl der Richter ein und verlangt von ihnen Schutz gegen 
die Grausamkeit, mannhaftes Eintreten für die Menschlichkeit, 
eine Bitte, der das Gericht durch die Freisprechung des Be- 
klagten nachkam. 

Der Eindruck der Rede war nachhaltig; sie empfahl 
ihren Verfasser in dem Grade, dafs kein Prozefs seiner Ver- 
teidigung nicht würdig erschien. Auch später hat sich Cicero 
auf diese Rede mit Recht etwas zu gut gethan, wenngleich 
er nicht blind war gegen den jugendlichen Überschwang, 
der namentlich in den Exkursen sich Luft macht; es sei 
die Leistung eines Jünglings gewesen, meint er, der weniger 
wegen seiner Reife, als wegen der erweckten Hoflftiung belobt 
wurde. Ein wahrhaft bescheidenes Urteil! Der unbefangene 
Leser wird die Rosciana nicht ohne lebhafte Anteilnahme 
und aufrichtige Bewunderung lesen. Wenn man behauptet 
hat, das Wagnis sei gar nicht so grofs gewesen, so ist dies 



— 21 — 

eine haltlose Vermutung. Es war nicht vorherzusehen, wie 
Sulla die Verwegenheit des jungen Anwalts aufnehmen 
würde. Der Angriff auf seinen Günstling war ein Beweis 
männlichen Mutes, das Verhalten dem Diktator gegenüber 
eine Probe weltmännischer Klugheit und feinen Taktes. 
Aus der Rede spricht ein offener, gerader Sinn, ein leb- 
haftes Gefühl für die Not des Beklagten, für die Ruchlosig- 
keit der Ankläger. Auch die Sprache verdient Lob, wenn sie 
auch nicht an die reiferen Erzeugnisse Ciceros hinanreicht. 

Dafs Cicero unmittelbar nach der Rede auf Reisen ge- 
gangen sei, um Sullas Zorn nicht zu reizen, wie Plutarch 
erzählt, ist nicht wahrscheinlich, weil er zuvor noch einige 
andere Reden gehalten hat, von denen uns nur weniges 
bekannt ist. Erwähnenswert ist die für das VTeib aus 
Arretium gehaltene . Rede, weil Cicero auch hier, wenigstens 
mittelbar, gegen Einrichtungen der suUanischen Restaurations- 
herrschaft Partei ergriff. Der junge Redner nahm seine poli- 
tische Stellung zwischen den Parteien: während er sich der 
durch SuUas Energie geschaffenen Ordnung freute, mifsbiUigte 
er zugleich die Härte ihrer Durchführung, die willkürlichen 
Eingriffe in die persönlichen Rechtsverhältnisse. Er näherte 
sich dadurch der Volkspartei (den populäres). Nicht minder 
gewann er sich dadurch die Sympathieen weiterer Kreise, 
ein Umstand, der für den angehenden Staatsmann von Be- 
deutung war. Aber vorläufig entfernte er sich von Rom; 
über die Gründe hat er sich selbst deutlich ausgesprochen. 

Er war damals überaus schlank und schwächlich, sein 
Hals lang und mager, so dafs eine Gefahr flir sein Leben zu 
befurchten stand, wenn nachhaltige Arbeit und vor allem 
fortdauernde Anstrengung der Lunge hinzukam. Dies beun- 
ruhigte seine Angehörigen und Freunde um so mehr, als er 
stets die Stimme auf das höchste anstrengte und keine 
Schonung kannte. So reiste er auf den Rat seiner Freunde 
und Arzte, nachdem er zwei Jahre mit Auszeichnung auf 
dem Markt thätig gewesen, im Jahre 79 nach dem Orient 



— 22 — 

ab, um sein rednerisches Ungestüm zu mildem und dadurch 
seine Gesundheit zu festigen. Zuerst ging er nach Athen, 
wo er sechs Monate in Gemeinschaft mit seinem Bruder 
Quintus, T. Pomponius u. a. sich philosophischer Studien 
beflifs. Er hörte besonders den beredten Antiochus von 
Askalon, der sich nur noch dem Namen nach zur neueren 
Akademie rechnete, während er in Wahrheit von dem Skepti- 
cismus des Carneades zum Dogmatismus der Stoa überge- 
gangen war. Indessen betrachtete ja Cicero die Philosophie 
immer nur als Mittel zum Zweck, als Vorübung für seine 
Lieblingswissenschaffc oder richtiger Lieblingskunst, die Bered-- 
samkeit. Weniger gefielen ihm die Epikureer Phädrus und 
Zeno, von denen jener schon in Rom sein Lehrer gewesen 
war. Als daher Atticus an diesen Philosophen Gefallen fand, 
gab es häufige Wortgefechte zwischen den Jünglingen, welche 
aber die aufkeimende Herzensfreundschaffc nicht störten. Es 
bedarf kaum der Erwähnung, dafs diese athenische Studien- 
zeit durch die Erinnerung an die grofse Vergangenheit 
Athens verklärt wurde. Piatos Garten wurde pietätvoll auf- 
gesucht, der Hafen Phaleron, wo Demosthenes einst die 
Wogen übertönt hatte, und das Grab des Perikles; überall 
waren sich die jungen Männer bewufst, auf geschichtlichem 
Boden zu wandeln. Auch rhetorische XJbungen werden er- 
wähnt bei dem Syrer Demetrius; galt doch Athen noch 
immer als die Hochschule der Beredsamkeit. Endlich scheint 
Cicero mit Atticus in die Mysterien von Eleusis eingeweiht 
zu sein. 

Von Athen ging es im Jahre 78 nach Kleinasien, das 
Cicero durchwandert zu haben behauptet, ganz seinen Fach- 
studien hingegeben. Die Nachricht Plutarchs, dafs die Kunde 
von Sullas Tode Cicero erst recht zur Steigerung seiner 
rednerischen Leistungsföhigkeit angetrieben habe, verdient 
keinen Glauben. Wer Athen besuchte, pflegte auch Asien 
zu berühren. Da er sich nun schon durch Ruhe, aber auch 
durch körperliche Übungen gekräftigt hatte, konnte er seine 



— 23 — 

Übungen wieder aufnehmen. Hier war besonders der Aufent- 
halt in Rhodus für ihn wichtig. Cicero unterscheidet später 
drei genera dicendi, das genus Asiaticum oder amplum, 
welches durch Glanz und Fülle der Darstellung besticht, das 
genus Atticum oder tenue, das durch Knappheit und Anmut 
gewinnt, und das genus medium^ dem er sich in Rhodus 
unter Leitung des ans schon bekannten Rhetors Molo ergab. 
Zwar gedenkt er auch anderer Lehrer, des Menippus von 
Stratonike, des Dionysius von Magnesia u. a. Aber er fand 
selbst, dafs die Vortragsweise dieser Männer ihm nicht das 
gewährte, was er suchte, Mafs und Reife. Ein volles Ge- 
ntigen fand er erst bei Molo, der sich von dem Schwulst 
und Prunk der asiatischen Redner fernhielt. Dieser übte 
strenge Kritik an seinem in jugendlicher Ausgelassenheit sich 
ergehenden Schüler, mäfsigte das übertriebene Pathos, be- 
schnitt die Auswüchse und dämmte den überschäumenden 
Strom in e'm geregeltes Bett. Dort lernte er auch Posidonius 
aus Apamea kennen, der ihn mit den Lehren der Stoa* bekannt 
machte; er scheint ihm persönlich nahe gestanden zu haben. 
Nach zweijähriger Abwesenheit kehrt Cicero im Jahre 77 
in die Heimat zurück, nicht nur besser geschult, sondern fast 
völlig verändert. Seine Gesundheit hatte sich gekräftigt, seine 
Haltung war ruhiger, seine Ausdrucksweise gemäfsigter ge- 
worden. So war er wohl vorbereitet, in die politische Arena 
einzutreten. Trotz der gewonnenen griechischen Bildung blieb 
er im Herzen der praktische Römer, der nur ein Ziel seines 
Ehrgeizes kannte, die Rutenbündel des Konsuls. 



Kapitel 4. 

Anfinge der politischen Thätigkeit. 

Nach Sullas Tode regte sich wiederum die schwer ge- 
troffene Volkspartei; neue Männer kamen auf, welche in 
den nächsten Jahren die Blicke auf sich ziehen sollten. Im 



— 24 — 

politischen Leben trat Q. Pompejus Magnus, wenn auch 
ohne ein ordentliches Staatsamt bekleidet zu haben, in die 
erste Reihe, neben ihm der reiche Crassus, während Cäsars 
Zeit noch nicht gekommen war. In den Gerichten glänzte 
des feurigen und prunkenden Q. Hortensius' Beredsamkeit, 
neben dem Cotta die zweite Rolle spielte. Im ganzen waren 
die Zeitläufte einem aufstrebenden Talente nicht ungünstig. 

In die Zeit nach seiner Rückkehr fällt vermutlich — 
es läfst sich nicht genau ermitteln — die Vennahlung 
Ciceros mit Terentia, eine Verbindung, die lange Jahre eine 
glückliche genannt werden kann, wenn wir auch bei Beur- 
teilung der ehelichen Verhältnisse in Rom niemals den MaTs- 
stab christlich -germanischer Innerlichkeit anlegen dürfen. 
Cicero fuhr in der vor Jahren so hoffnungsreich begonnenen 
Thätigkeit eines Anwalts fort; er spricht von vornehmen 
Prozessen, wobei er niemals das Vorbild seines grofsen 
Nebenbuhlers Hortensius aus den Augen verlor, mit dem 
er über kurz oder lang den entscheidenden Wettkampf 
wagen sollte und wollte. In das Jahr 76 gehört vermutlich 
die uns erhaltene Rede für den Schauspieler Roscius, dem 
er befreundet war. Es handelte sich in diesem Prozefs um 
einen Schadenersatz, der einen Sklaven betraf, welcher, dem 
Roscius zur Ausbildung übergeben, von einem gewissen 
Flavius erschlagen war. Kläger war der Herr des Sklaven, 
Fannius. Der Ausgang des Prozesses ist unbekannt. In 
demselben Jahre wurde Cicero sein nachmaliges Lieblings- 
kind, Tullia, geboren. 

In demselben Jahre, im neunundzwanzigsten seines 
Lebens, bewarb sich Cicero, wie es die lex Villia annalis 
(daher suo anno) vorschrieb, um die erste höhere Beamtung, 
die Quästur. Er wurde gewählt und mit den Geschäften des 
westlichen Siciliens betraut; Lilybäum war sein Aufenthalts- 
ort, sein Proprätor höchst wahrscheinlich der wackere S. Pedu- 
cäus. Die Quästoren, deren Sicilien zwei zählte, hatten etwa 
den Geschäftskreis eines heutigen Militärintendanten. Sie 



- '25 - 

hatten den Soldaten den Sold zu zahlen und auch für den 
Proprätor oder Prokonsul die nötigen Gelder anzuweisen. 
Dazu kam für die in Sicilien stationierten Quästoren die 
Aufsicht über die regelmäfsigen Getreidelieferungen, welche 
die reiche Kornkammer Roms nach der Hauptstadt, teils 
umsonst, teils gegen Entschädigung, abführen mufste, ein 
Geschäft, bei dem eine Übervorteilung der Provinzialen 
leider Regel geworden war. Mit gröfstem Ernst und 
strengstem Pflichtgefühl übernahm Cicero sein erstes Staats- 
amt und führte es in «iner Weise, die nur Anerkennung 
verdient. Als wenn die Augen aller auf ihn gerichtet und 
er gewisserma&en auf einer Schaubühne den Blicken preis- 
gegeben sei, amtierte der eifrige Quästor. Ebensolches Lob 
war auch seinen Unterbeamten, den Sekretären (scribae). 
L. Mamilius und L. Sergius, zu zollen, die sich durch 
Uneigennützigkeit auszeichneten, ein Lob, das uns sehr 
geringfügig dünkt, das aber weder in Athen noch in Rom 
gering geschätzt wurde; man erinnere sich der übertriebenen 
Lobpreisung des „gerechten" Aristides. Diesem Verhalten 
entsprach der Dank der Sikuler, der sich bald darauf in der 
Übertragung eines wichtigen Prozesses bethätigte. Aber 
auch jüngere Römer hatte er sich zu Dank verpflichtet, 
indem er ihre Interessen dem Statthalter gegenüber vertrat. 
Nachdem er sich in einer feierlichen Rede zu Lilybäum von 
den Sikulern verabschiedet hatte, bereiste er auch den öst- 
lichen Teil der Insel, wobei es ihm durch einen glücklichen 
Zufall gelang, zu Syrakus das mit Kugel und Cylinder 
geschmückte Grabmal des berühmten Mathematikers und 
Ingenieurs Archimedes aufzufinden. Im Jahre 74 kehrte 
er zurück. 

Bei dieser Gelegenheit sollte er eine Erfahrung machen, 
die er sich für sein ganzes Leben gemerkt hat. Er selbst 
berichtet in launigster Weise, wie sein mächtig erstarktes 
Selbstgefühl gleich bei seiner Landung gedämpft wurde. 
Als er nämlich in dem kampanischen, schon von den 



— 26 — 

Phöniziern erbauten Badeort Puteoli gelandet war, begegnete 
er einem vornehmen Römer seiner Bekanntschaft. Wer be- 
schreibt das Entsetzen des Quästors a. D,, als der gute 
Freund ihn fragte, wann er Rom verlassen habe! Aber es 
sollte noch schlimmer kommen. Kaum hatte Cicero gekränkt 
erwidert, dafs er aus der Provinz heimkehre, so äufserte der 
andere harmlos: Ganz recht, aus Afrika. Als der Ärmste 
nun voll Arger ausrief: Nein, aus Sicilien! da bemerkte 
vollends ein Dritter, der zufaUig die Unterhaltung angehört 
hatte: Wie? Weifst du nicht, dafs dieser in Syrakus Quästor 
gewesen ist? Da war alles aus. Cicero machte gute Miene 
zum bösen Spiel und stellte sich, als ob auch er zu den 
Badegästen gehöre. Aber eine Lehre zog er sich aus diesem 
empfindlichen Denkzettel. Da er so gemerkt hatte, dafs das 
römische Volk zwar scharfe Augen, aber stumpfe Ohren 
habe, so hütete er sich in Zukunft, ihm aus den Augen, 
aus dem Sinn zu kommen. Er hat niemals wieder freiwiUig 
Rom und seine nächste Umgebung verlassen, hat Stadt und 
Markt gehütet und niemals jemand von seiner Thürschwelle 
ferngehalten. Er nahm sich den Grundsatz des alten Cato an: 
Hervorragende Männer müfsten nicht weniger über ihre Mufse, 
als über ihre Thätigkeit Rechenschaft ablegen. Drei Ziele 
steckte er sich flir die Zukunft; er wollte sich der Ehre, 
die er erstrebte, würdig machen; dann wollte er für würdig 
erachtet werden; erst an dritter Stelle stand ihm die Ehre 
selbst, die andern Ein und Alles zu sein pflegte. 

Von der Folgezeit bekennt Cicero selbst, dafs er sich 
der erlangten Reife imd Vollkommenheit bewufst gewesen 
sei. Fünf Jahre habe er sich bis zu dem grofsen Prozefs 
des Verres mit wichtigen Rechtshändeln abgegeben. Wir 
haben aus dieser Zeit nur dürftige Trümmer einer Ver- 
teidigimgsrede für M. Tullius, welche ohne besonderes Interesse 
ist. Dagegen besitzen wir aus Ciceros Feder eine Schilderung 
seiner Redeweise, die gerade hier am Platze sein dürfte. 



— 27 — 

Er hörte nicht auf, seine Fähigkeit durch Übungen, 
besonders durch schriftliche, zu steigern. So kam es, dafs 
er nicht nur durch Eifer und Fleifs, sondern auch durch 
seine ausgesuchte und keineswegs gewöhnliche Redegabe die 
Hörer bestrickte, zumal diese den Reiz der Neuheit fiir sich 
hatte. Niemand hatte so gründlich den Wissenschaften ob- 
gelegen, der Quelle wahrhafter Beredsamkeit; niemand hatte 
so eifrig das bürgerliche Recht studiert; niemand beherrschte 
so die vaterländische Geschichte, dafs er stets aus der Unter- 
welt die beweiskräftigsten Zeugen aufrufen konnte; niemand 
verstand es besser, die durch trockene Schlüsse ermüdeten 
Richter zu erfrischen und ihre Heiterkeit zu erregen; niemand 
fiihrte geschickter den Besondem FaQ auf den allgemeinen 
Gesichtspunkt zurück; niemand wufste besser zur rechten 
Zeit abzuschweifen und das Gefühlsleben der Hörer nach 
jeder Seite hin zu beeinflussen; niemand hatte gröfsere 
Gewalt über die Willenskraft des UrteilsfaUers als Cicero — 
Lobsprüche, die wahrlich nicht unverdient sind, die aber zum 
erstenmal uns einen Einblick gewähren in die beklagens; 
werten Schwächen des grofsen Redners, in seine unbegrenzte 
und oft geschmacklose Eitelkeit und Selbstverherrlichung. 
Indessen gehört dies, wie auch die vorher erwähnte Stelle, in 
eine spätere Zeit. In seinen jüngeren Jahren fehlte in dem 
Ruhmeskranze Giceros auch die Bescheidenheit noch nicht. 

Im Jahre 70, im sechsunddreifsigsten seines Lebens, 
bewarb sich Cicero, den gesetzlichen Vorschriften gemäfs, 
um die kurulische Adilität. In demselben Jahre übertrugen 
ihm die dankbaren Sikuler ihre Vertretung gegenüber ihrem 
ehemaligen Statthalter C. Verres, ein Ereignis, das Ciceros 
Ruhm für alle Zeiten begründet hat. 



— 28 — 

Kapitel 5. 

Der Prozefs des Verres. 

Solange die Empfänglichkeit für die Macht der mensch- 
lichen Rede, solange der Sinn für den Schutz der Schwächeren 
gegen den Stärkeren nicht ausgestorben ist, wird man die 
Verrinen bewundern, die zu den hervorragendsten Leistungen 
auf oratorischem Felde zählen. Sie legen nicht nur Zeugnis 
ab für die hohe Vollendung der Form, die Cicero mit eisernem 
Fleifse sich angeeignet hatte, sie setzen auch seine Pflicht- 
treue, seinen Mut, sein Taktgefühl in das hellste Licht. Sie 
gewähren zugleich einen Einblick in die verschiedensten 
Gebiete altrömischen Lebens. Die Schäden der römischen 
Staatsverwaltung, die Zustände in den Provinzen, die Mannig- 
faltigkeit der Götterverehrung, der Reichtum an herrlichen 
Kunstschätzen, Personen aller Stände in treffender Charakte- 
ristik, diese und andere Gesichtspunkte verleihen den Verrinen 
jenen unvergänglichen Wert, der nur durch die Fülle stilisti- 
scher Vorzüge jeder Art aufgewogen wird. Es giebt kein 
genus dicendi, das nicht in den Verrinen mustergültig ver- 
treten wäre; es giebt keinen Ton in dem umfangreichen 
Register menschlicher Stimmungen, der nicht angeschlagen 
würde. 

Der Grundfehler der römischen Staatsverwaltung, ins- 
besondere der in den Provinzen, bestand in dem Mangel 
einer einheitlichen Oberleitung, welche, über alle Stände 
und Parteien erhaben. Recht und Gerechtigkeit wahrte, die 
Unterdrückung des Schwächeren durch den Starken ver- 
hinderte und den Eigennutz unschädlich machte. Eine solche 
Einrichtung besteht nur in der Monarchie. Daher finden wir 
in allen Freistaaten des Altertums wie der Neuaeit eine fast 
unverständliche Klage über Habgier und Willkür der Beamten, 
über Selbstsucht der Herrschenden, Hülflosigkeit der Unter- 



— 29 — 

thanen. Nur in den Zeiten, in welchen die gesamte Bürger- 
schaft auf Grund einer traditionellen Rechtlichkeit oder in- 
folge begeisternder Kriege eine höhere Stufe der Sittlichkeit 
erklommen hat, gewährt eine aristokratische oder demokra- 
tische Regierung die Bürgschaft der ausgleichenden Gerechtig- 
keit. Solcher Zeiten hat sich Rom länger als andere Staaten, 
dank dem ausgezeichneten Gemeinsinn seiner Bürger, erfreut. 
Seit dem Ausgleich der Stände (366) bis zur Beendigung des 
2. punischen Krieges (201) genofs Rom unter dem weisen 
und selbstlosen Regimente des Senats eine gerechte Regierung. 
Das änderte sich, als mit den Schätzen die Genüsse und 
Laster des Ostens nach Rom strömten, als Rom die natür- 
lichen Grenzen Italiens überschritt und den Kampf um die 
Herrschaft des Mittelmeerbeckens aufnahm. Die Provinzen 
haben Rom verdorben, die Mitglieder des Amtsadek sowohl, 
aus dem die Statthalter genommen wurden, als auch die 
Angehörigen des Ritterstandes, die durch pachtweise Über- 
nahme der Staatsgefälle die schlimmsten Blutsauger der 
Provinzialen geworden sind. Es gilt hier das Wort Ovids: 
Ferro nocentius aurum! Nachdem Rom die Italiker ohne 

4 

Steuerbelastung seiner klugen und mafsvollen Herrschaft 
unterworfen hatte, beging es den folgenschweren Fehler, die 
Zölle und Abgaben, die einst die heimischen Despoten fest- 
gesetzt hatten, für sich in Anspruch zu nehmen und ihre Er- 
hebung an Kapitalistengesellschaften zu verpachten. Gleich- 
zeitig sandte man Statthalter mit unumschränkter Macht- 
vollkommenheit in bürgerlichen und militärischen Dingen 
auf je ein Jahr, aber ohne Festsetzung bestimmter Einkünfte 
oder billiger Entschädigung in die unglücklichen Länder, die 
nun, von zwei Seiten angepackt, bis auf den letzten Tropfen 
ausgeprefst wurden. Der schlinmiste Übelstand war der jähr- 
liche Wechsel der Beamten; mit jedem neuen Statthalter kam 
ein neuer Blutegel, der sich in zwölf Monaten so sättigen 
mu&te, dafs er nicht nur seine Schulden bezahlen, sondern 
auch seine Richter bestechen und ein Erkleckliches erübrigen 



«i 



<»' 



— 30 — 

tonnte. Hier schuf erst die Monarchie der Cäsaren Wandel. 
Es ist das unsterbliche, von dem republikanischen Tacitus gar 
nicht gewürdigte Verdienst der Kaiser seit Augustus, dafs 
eine unseren BegrijBFen entsprechende Provinzialverwaltung 
durch besoldete und kontrollierte, auf längere Zeit angestellte 
Beamten eintrat. 

Der Schlimmen schlimmster war ohne Zweifel C. Verres. 
Wenn auch sein Lebensbild uns nur durch seinen Ankläger 
überUefert ist, so Hegt doch nicht der geringste Grund vor, 
an der objektiven Wahrheit der auf jenen gehäuften An- 
klagen zu zweifeln. Sein eigenes Verhalten, das Verstummen 
der Verteidiger, die Einstimmigkeit der Überlieferung sind 
vollgültige Beweise. Er war ein Schandbube in des Wortes 
wahrster Bedeutung ohne irgend eine gute oder löbliche 
Eigenschaft; nicht einmal im Schlechten war er grofs. 

Einer wenig bekannten Familie entstammt, wurde er 
nach einer in Ausschweifungen hingebrachten Jugend im 
Jahre 82 Quästor des marianischen Konsuls Carbo, verliefs 
bei Ausbruch des Bürgerkrieges seinen Feldherm in schmäh- 
licher Weise und ging zu der Partei der Optimaten über, 
um die Kriegskasse zu unterschlagen. Er wurde deshalb 
später zur Rechenschaft gezogen, wenn auch ohne Erfolg. 
Darauf begleitete er den Proprätor Cn. Dolabella nach 
Griechenland und Asien und verweilte ebendaselbst zwei 
Jahre. Hier bekundete er bereits alle die lasterhaften Nei- 
gungen, welche seinen Namen für immer gebrandmarkt 
haben. Allerdings war sein Vorgesetzter um kein Haar 
besser — ein par nobile fratrum — , und es ist sogar nicht 
unwahrscheinlich, dafs Cicero eine Anzahl Vergehen, die 
eigentlich dem Dolabella aufs Kerbholz geschrieben werden 
müfsten, seinem Vertreter und Quästor auf Rechnung gesetzt 
hat. Erpressung, Diebstahl, Raub, Gewaltthat, Unzucht, alle 
Verbrechen aufser dem Selbstmorde werden in durchaus 
glaubwürdiger Weise dem Verres vorgehalten. Es widert 
uns an, Einzelheiten zu bringen; nur auf Lampsakus mag 



— 31 — 

hingewiesen werden, wo Verres durch sein schmähliches Ver- 
halten die ruhige Bürgerschaft in vollen Aufruhr versetzte. 
Nach diesen Vorübungen kehrte der Schändliche nach Rom 
zurück, unl seine Laufbahn fortzusetzen. Eine Anklage auf 
Erpressung wufste er dadurch abzuwenden, dafs er gegen 
seinen Gönner Dolabella Zeugnis ablegte. Dann erwarb er 
sich, dank der angesammelten Reichtümer, die Prätur, die 
er in unerhörter Weise zu seinem Vorteile ausnutzte. Durch 
das Los zum praetor urbanus bestellt, hielt er Recht und 
Gerechtigkeit feil, wobei ihm seine Buhlerin Chelidon treff- 
liche Dienste leistete. Namentlich dienten Erbschaftssachen 
zu seiner Bereicherung, doch verschmähte er auch andere 
Gelegenheiten nicht, einen Gewinn einzustreichen. Aber alles 
dies war nur ein Vorspiel zu dem Schandregiment, das er 
darauf in Sicilien ausübte, imd zwar drei Jahre hindurch, 
da die derzeitigen Wirren des Sklaven- und Fechterkrieges 
eine Verlängerung des Amts über das sonst übliche Jahr 
hinaus wünschenswert erscheinen liefsen. Hier erwies sich 
eine Bestimmung des römischen Staatsrechts: Accusare non 
licet magistratum Romanum, welche die Straffheit der Ver- 
waltimg gewährleisten sollte, als höchst verderblich; denn 
hülflos waren die unglücklichen Sikuler drei Jahre hindurch 
allen Lüsten und Begierden ihres obersten* Beamten preis- 
gegeben. Von dieser Prätur entrollt uns Cicero ein Bild, 
das zu den traurigsten Überlieferungen des Altertums zählt, 
wenn es auch nicht ohne Parallelen dasteht in der Geschichte 
der Menschheit; man denke an die Sünden Wirtschaft eines 
Ludwig XV. und an das Mifsregiment der ostindischen Kom- 
pagnie, um zu schweigen von der Jämmerlichkeit so manches 
deutschen Kleinstaats aus früheren Zeiten. Wir werden auf 
dieses Triennium noch einmal zurückkommen. 

Kaum war Verres heimgekehrt, so erschienen Gesandt- 
schaften der Sikuler in Rom, um die Anklage auf Erpressung 
zu erheben gemäfs jener lex Cornelia de repetundis, durch 
welche Sulla, nicht als der erste, den Krebsschaden der 



— 32 — 

römischen Provinzialverwaltung hatte ausrotten wollen. Zu 
ihrem Vertreter erwählten die Sikuler nicht ein Mitglied 
der alten Geschlechter, sondern den sechsunddreifsigjährigen, 
ahnenlosen, aber vielgerühmten Cicero, dessen vortreffliche 
Haltung als Quästor ihnen noch fi'isch in der Erinnerung 
war; nur die Gemeinden von Syrakus und vor allem Messana 
hielten sich zurück und schickten sogar Entlastungszeugen 
nach Rom. Cicero ging freudig auf das Gesuch seiner 
sicilischen Freunde ein, sicherlich nicht nur weil er gern 
für das gebeugte Recht in die Schranken trat, sondern auch 
weil sich ihm hier die Gelegenheit bot, wie nie zuvor, mit 
einem Schlage seinen rednerischen Ruf für immer zu sichern 
und seine politische Zukunft vorzubereiten. Man hat ihm 
auch hieraus einen Vorwurf gemacht, als ob nicht far alle 
aufwärtsstrebenden Männer dasselbe Gesetz gelte, die ehrlich 
erworbene Tüchtigkeit zu Ehren zu bringen und das eigene 
Licht nicht unter den Scheffel zu stellen. Aber eine par- 
teiische Geschichtsauffassung wird stets, wo sie die Thaten 
nicht leugnen kann, wenigstens die Motive der Thaten zu 
entstellen versuchen. Wir halten uns an die offenkundigen 
Thatsachen. 

Der bevorstehende Kampf war für Cicero nicht leicht, 
aber auch nicht aussichtslos und darum nicht undankbar. 
Zwar hatte Verres eine beträchtliche Anzahl vornehmer 
Optimaten als advocati, gewissermafsen als Eideshelfer, auf 
seiner Seite, die in dem Prozefs ihres Standesgenossen ihre 
eigene Zukunft bedroht sahen, und der erste Redner Roms, 
Q. Hortensius, übernahm selbst äIs designierter Konsul die 
Abwehr des designierten Ädilen. Aber das Unrecht schrie 
zum Himmel und konnte auch durch die glänzendste Bered- 
samkeit kaum gerettet werden. Dazu kam ein Zweites. Der 
Gerichtshof, welcher aus zwölf Senatoren unter dem Vorsitz 
des Prätors M.' Acilius Glabrio bestand, hatte alle Ursache, 
einen gerechten Spruch zu föllen. Die demokratische Reaktion, 
welche seit Sullas Tod dem Übermut der herrschenden Opti- 



— 33 — 

matenpartei zu steuern suchte, stand dicht vor ihrem Triumph. 
Schon war durch die lex tribunicia des Pompejus den Volka- 
tribunen ein TeU ihrer Rechte wieder verliehen, schon drohte 
dem Senate ein zweiter, schwererer Schlag, der Verlust der i 
Richterstellen, da seine Judikatur in weitesten Kreisen Un- 
willen und Empörung erregt hatte. In diesem kritischen 
Momente nahm Cicero, der bereits vor zehn Jahren in der 
Rosciana gegen die Nobilität mittelbar Partei ergriffen hatte, 
offen seine Stellung in den Reihen der Opposition, die sich 
um Pompejus scharte. An mehr als einer Stelle rügt er 
nachdrücklich das Milsregiraent der Nobilität, die Selbstsucht 
der hochgeborenen Richter. So war die allgemeine Lage 
dem homo novus nicht ungünstig. An seiner Aufidchtigkeit 
zu zweifeln haben wir keinen Grund. 

Der Prozels begann mit allerlei Winkelzügen der Gegner. 
Plötzlich meldete sich der ehemalige Quästor des Verres, 
Q. Cäcilius Niger, mit dem Verlangen (postulatio), dafs ihm 
als einem Sikuler die Anklage des Verres überlassen werde. 
Es war dies natürlich nur ein Scheinangriff, dazu bestimmt, 
den gefährlicheren Gegner unschädlich zu machen; denn die 
Anklage des Cäcilius würde, wenn sie zustande gekommen 
wäre, sich in nichts aufgelöst haben. Für einen solchen 
Fall schrieben die Gesetze eine Voruntersuchung (divinatio) 
vor, in der zu ermitteln war, wem die Priorität der Anklage 
gebühre. Bei dieser Gelegenheit hielt Cicero die erste seiner 
verrinischen Reden, die divinatio in Q. Caecilium, in der er 
zunächst darlegt, wie er selbst zu der Ehre gekommen sei, 
die Sikuler zu vertreten. Sodann führt er treffend aus, wie 
derjenige Anwalt beschaffen sein müsse, den die gekränkte 
Partei sich am ehesten wünsche, und wie derjenige aussehen 
müsse, den der Beklagte sich am wenigsten aussuchen werde. 
Er weist deutlich darauf hin, dafs Cäcilius an den Räubereien 
des Verres nicht unbeteiligt sei. Schon jetzt hielt Cicero 
den Richtern die Bedeutsamkeit ihrer Entscheidung für den 
Bestand der senatorischen Gerichte vor. Die Richter ent- 

Aly, Cicero. 3 



— 34 — 

schieden zu Ciceros Gunsten, yermutlich im Monat Mai. 
Nun überreichte Cicero die Klageschrift, worin er das Streit^ 
Objekt etwas reichlich auf 40 Millionen Sestertien (etwa 
7 Millionen Mark) abschätzte und demzufolge nach der 
gesetzlichen Vorschrift die Strafe auf 100 Millionen (17^/2 
Millionen Mark). Zugleich erbat er eine Frist von 110 Tagen, 
um an Ort und Stelle Beweise zu sanmieln, Urkunden und 
Zeugen herbeizuschaffen. Aber ein neues Hindernis wurde 
ihm entgegengestellt. Ein vorgeschobener Ankläger meldete 
eine Anklage auf Erpressungen des Yerres in Griechenland 
an und wollte mit 108 Tagen sich begnügen. Da galt es, 
sich zu eilen. In Gesellschaft seines Vetters Lucius durch- 
streifte Cicero die ganze Insel, nicht ohne allerlei Schwierig- 
keiten, die ihm der damalige Prätor Metellus bereitete, imd 
kehrte nach fünfzig Tagen im Besitz eines unerme&Uchen 
Materials nach Born zurück. 

Am 5. August kam es zur ersten Verhandlung (actio), 
nachdem vorschriftsmäfsig seitens des Angeklagten wie des 
Anklägers eine Anzahl Geschworener abgelehnt war. In- 
zwischen war die Sachlage derartig geklärt, dafs Verres und 
seine Freunde nur noch auf eine Verschleppung des Prozesses 
ihre Hoffnung setzten. Die Verhandlungen drohten infolge 
der zahllosen Zeugen und nicht minder. zahlreichen Urkunden 
sich in die Länge zu ziehen. War nun auch die erste actio 
glücklich beendet, so durfte doch nach der Prozefsordnung 
nicht sofort der Spruch gefunden werden, sondern es wurde 
dem Angeklagten auf den drittnächsten Gerichtstag ein 
zweiter Termin festgesetzt (comperendinatio), in dem die 
Verhandlungen wieder aufgenommen und zu Ende geführt 
wurden. Nun fiel in die zweite Hälfte des Jahres eine 
groise Anzahl religiöser Feste, welche sämtlich Gerichts- 
ferien mit sich führten. Da war es denn bei einiger 
Geschicklichkeit des Verteidigers und Willfährigkeit des 
Vorsitzenden Prätors nicht immöglich, die Verhandlungen 
bis in das nächste Jahr zu verschleppen, in welchem nicht 



— 35 — 

nur Hortensius Konsul und ein Metellus Prätor waren, 
sondern auch der Gerichtshof acht neue Mitglieder erhalten 
mufste, alles Momente, die für Cicero und seine Partei so 
ungünstig wie möglich waren. Cicero war in einer üblen 
Lage; er muiste sich entschliefsen, entweder auf eine glsmzende 
Bethätigung seiner Kunst und damit auf einen oratorischen 
Triumph oder auf die glückliche Durchbringung des Prozesses 
zu verzichten. In diesem Dilemma wählte er als Mann Yon 
Ehre und Pflichtgefühl das erstere. Er leitete die Verhand- 
lungen mit einer kurzen Übersicht, der actio prior, ein, in 
der er die. Ränke der Gegner an den Pranger stellte^ und 
legte dann durch Abhörung der Zeugen, Verlesung der 
Urkunden, Mitteilung der Briefe das ganze Beweismaterial 
ohne rednerische Zuthat den Richtern vor, ein Vorgang, der 
neun Tage beanspruchte. Der Eindruck war überwältigend. 
Nachdem Hortensius anfangs einige Einreden versucht hatte, 
verstunmite er mehr und mehr, besonders als ihm Cicero 
unerbittlich die Geschenke vorrechnete, die er von Verres 
empfangen hatte. Sein rednerischer Ruf war damit verloren. 
Noch schlimmer erging es Verres, der, ohne die zweite Ver- 
handlung abzuwarten, in die Verbannung ging, wie es nach 
römischem Gesetz einem jeden Beklagten vor der Verurteilung 
frei stand. Sein Vermögen wurde mit Beschlag belegt, um 
daraus die Geschädigten einigermaßen zu befriedigen. Cicero 
forderte nach angestellter Untersuchung 40 MilUonen. 

Indessen war damit der Prozefs des Verres, wenigstens 
litterarisch, nicht beendet. Wenn auch Cicero zur rechten 
Zeit sich zu beschränken verstanden hatte, so gelüstete es 
ihn dennoch, das gewaltige Material auch künstlerisch zu 
verarbeiten und dadurch der Nachwelt ein Denkmal seines 
Fleiises und seines Scharfsinns, zugleich aber auch seines 
schriffcstdlerischen Talentes zu hinterlassen. Es sind dies 
die berühmten fünf Reden der actio secunda. Cicero nimmt 
an, dafs Verres sich noch nicht ergeben hat, und führt den 
Kjunpf mit allen Mitteln wirklich zu Ende. 



— se- 
in der ersten Rede, die von den späteren Erklärern 
nicbt zutreffend de praetura urbana betitelt ist, legt er 
nach einer langem Einleitung, welche über den Prozefs im 
allgemeinen imterrichtet, das Vorleben des Angeklagten dar, 
die Quästur unter Garbo, die Legatenstelle in Asien, die 
städtische Prätur. Im zweiten Buche handelt er von der 
Rechtsprechung auf Sicilien, welche Provinz er in beredter 
Weise als nutrix plebis Romanae feiert. Wie in der Haupt- 
stadt, so hat auch in der Provinz Verres das Recht schmählich 
gebeugt, zu seinem Vorteil, zum Nachteil zahlreicher Ein- 
wohner jeglichen Standes, wobei eine dem Führer ent- 
sprechende Schar von Hdfershelfem aus der dem praetor 
zur Seite stehenden cohors praetoria ihren eigenen Beutel 
nicht zu füllen vergafs. Dabei hatte Verres den fast un- 
glaublichen Wunsch befriedigt, sich von den gemifshandelten 
Sikulern durch BUdsäulen und Feste geehrt zu sehen, Ein- 
richtungen, die allerdings die Dauer seines Aufenthalts nicht 
überlebten. Er benachteiligte übrigens nicht nur Unter- 
thanen, sondern auch römische Kaufleute und Zollpächter. 
In der dritten Rede de frumento wird uns erzählt, wie er 
die überkommene Vorschrift der Getreidelieferungen für seine 
Kasse mifsbrauchte. Durch seine Diebsgenossen plünderte er 
das damals so reiche Land gründlich aus, ohne dafs ein be- 
trächtlicher Teil, wie es doch sein sollte, nach Rom gelangte. 
Der unverfönglichste Zeuge war sicherlich sein Nachfolger, 
der ihm nachmals freundlich gesinnte L. Metellus, welcher 
nach seinem Amtsantritt den Konsuln den völligen Verfall 
der Insel meldete. Die Landleute hatten überhaupt auf- 
gehört, den Acker zu bestellen, der doch ihnen nichts ein- 
brachte. Nicht einmal die Karthager und später die auf- 
ständischen Sklaven haben Sicilien so verwüstet. Das vierte 
Buch de signis behandelt den Raub der Kunstgegenstände, 
für die Verres zwar kein Verständnis, aber wohl eine fast 
aberwitzige Gier zur Schau trug. Es ist dies Buch für uns 
neben dem fünften das interessanteste; enthalt es doch eine 



— 37 — 

Fülle der Nachrichten über viele uns leider verloren ge- 
gangene Eunstschätze der Alten. Auch erkennen wir daraus 
das feine Verständnis, welches Cicero der griechischen Kunst 
entgegenbrachte. Kein Kunstwerk ist in ganz Sicilien ge- 
wesen, das Verres nicht geraubt oder doch zu rauben versucht 
hat, nicht nur Bildsaulen, wie der Cupido des Praxiteles, der 
Apollo des Myron, die hochheiligen Göttinnen von Enna, 
und Gemälde, sondern auch Gegenstände des Kunstgewerbes, 
Schalen, Becher, Ringe und Teppiche. Im fünften Buche 
macht sich der Bedner selbst den Einwand (deprecatio), dafs 
Verres durch miUtärische Leistungen und Vorzüge gut ge- 
macht, was er durch Habsucht gefrevelt habe; die Über- 
schrift de supplicüs palst daher gar nicht. Aber auch diese 
Möglichkeit der Verteidigung wird benommen. Weder im 
Sklaven- noch im Seeräuberkriege hat Verres etwas Nennens- 
wertes geleistet. Im Gegenteil hat er Schmach und Schande 
über Rom dadurch gebracht, dafs nach der Besiegung der 
unzureichend gerüsteten Flotte die Seeräuber in den Hafen 
von Syrakus eingelaufen sind, was Verres damit rächte, dals 
er die unschuldigen Kapitäne hinrichten liefs. Daran reiht 
Cicero eine Anzahl von Gewalt- und Mordthaten, die sich 
Verres gegen römische Bürger herausgenommen hat; darunter 
die berühmte Erzählung von dem Unglücklichen, der för die 
schändlichen Schläge seiner Peiniger nur das stolze Wort 
hatte: Givis Romanus sum! Zum Lohn fär diesen Bürgerstolz 
ward er an das Kxeuz geschlagen. Nun ist das Mals des 
Unheils erschöpft. In flammender Entrüstung wendet sich 
der Redner durch die Schlu&rede an die Richter und bittet 
um gerechten Spruch; er schliefst mit einem ergreifenden 
Gebet an die beleidigten Götter. 

Die kurze Andeutung des Inhalts wird genügen, die 
Bedeutung der Verrinen für die Beurteilung Ciceros und 
seiner Zeit klarzustellen. Jener erscheint durchweg im besten 
Lichte sowohl seinem Charakter, wie seiner Geisteskraft nach. 
Denn auch die Form entspricht dem Inhalt. Selbst der müs- 



— 38 — 

günstigste Beurteiler mufs zugestehen, dafs der Leser trotz 
des ausgedehnten XTmfangs nie ermattet; so trefflich hat es 
der Redner verstanden, Pathos und Ethos zu verteilen, Ernst 
und Scherz zu mischen, Zorn und Mitleid zu erregen. Unsere 
Phantasie wird nicht weniger beschäftigt wie unser sittliches 
Gef&hl, während unsere Denkkraft die Kunst des Redners 
aufmerksam verfolgt. Cicero hat sich mit diesen Reden ein 
Denkmal gesetzt, dauernder als Erz. 

Bald nach dem Prozesse wurde die Besetzung der 
Gerichtshöfe durch die lex Aurelia judiciaria zwischen Sena- 
toren, Rittern und Ärartribunen, d. h. den Vorstehern der 
Stadtbezirke ak Vertretern der ignobiles, verteilt. Die Macht 
der Nobilität war gebrochen. Verres starb in der Ver- 
bannung, als ein Opfer seiner Kimstliebhaberei von Antonius 
geächtet, bald nach seinem siegreichen Gegner. 



Kapitel 6. 

AdUität und Prätnr. 

Im Jahre 69 verwaltete Cicero die kurulische Adilität, 
welche ihm einstimmig und vor aUen Mitbewerbern über- 
tragen war. Die beiden Adilen hatten von Haus aus nur 
die Polizeigewalt in der Hauptstadt auszuüben und ins- 
besondere die Aufsicht über die öffentlichen Heiligtümer zu 
führen. Dieses Hauptgeschäft war indessen müsbräuchlich 
durch eine Fülle von Ehrenpflichten überwuchert, welche 
ein wichtiges Mittel in der erfolgreichen Bewerbimg um 
höhere Amter darstellten. Man erwartete von den Ädilen, 
dafs sie die Gelegenheit benutzten, durch prächtige und 
daher höchst kostspielige Ausstattung gewisser öffentlichen 
Spiele dem souveränen Volke ihren Dank abzustatten. Cicero 
war hierdurch in eine mifsliche Lage versetzt; denn wenn 
er auch durch die ansehnliche Mitgifb seiner Gattin Terentia 
wie durch Ehrengeschenke seiner Klienten in den Besitz 



— 39 — 

eines genügenden Yennögens gesetzt war, so fehlte es ihm 
doch durchaus an reichlichen Mitteln. Dennoch zog er sich 
mit Anstand aus der Klemme. Drei Feste half er durch 
Freigebigkeit verschönem: das Fest der Ceres, des über imd 
der Libera im April, die Floralien im Anfang Mai und die 
den höchsten Gottheiten des römischen Volkes, dem Jupiter, 
der Juno und der Minerva, geheiligten Spiele^ die sogenannten 
ludi Bomani im September. Eine erwünschte Zubulse ge- 
währte ihm eine Getreidesendung der dankbaren Sikuler, 
welche er nach der üblen Sitte seiner Zeit an das „panem 
et circenses" schon damals verlangende Volk verteilte. Mit 
diesem Amte trat er in den Kreis des Amtsadels ein; denn 
die Ädilität gewährte einen geachteten Sitz im Senat (vor 
den quaestorii), den breiten Purpurstreifen, den kurulischen 
Sessel und das jus imaginum, d. L das Becht, die Wachs- 
masken der Vorfahren im Atrium aufzubewahren und bei 
den Leichenbegängnissen zur Schau tragen zn lassen. 

In diese Zeit fallen zwei der uns erhaltenen Gerichts- 
reden, für M. Fontejus und für A. Gäcina. Von diesen 
betrifft die erstere eine Anklage wegen Erpressungen, erhoben 
von Bewohnern des transalpinischen Gttlliens, dessen süd- 
Ucher TeU unter dem Namen der provincia Bomana schon 
damals den Bömem gehörte. Man hat es Cicero zum Ver- 
brechen angerechnet, dafs er den Fontejus verteidigt, den 
Verres angeklagt hat; man will sogar daraus schliefsen, dafs 
es ihm niemals um die Sache zu thun gewesen sei. Nun 
liegt durchaus kein Anlafs vor, uns für den fast unbekannten 
Fontejus in die Schanze zu schlagen. Mag er immerhin 
nach bekannten Mustern bei Stralsenbauten und Zöllen seinen 
Beutel emsiger gefüllt haben als den des Staates, so liegt 
es doch auf der Hand^ dafs ein Vergleich zwischen Fontejus 
und Verres mehr als frivol genannt werden muis. Sein 
früheres Leben, sowie seine Verdienste um das seiner Zeit 
in Spanien fechtende Heer billigten ihm eine andere Auf- 
nahme zu, als dem Verres das Sündenleben in Griechenland 



— 40 — 

und Asien. Die Zeugnisse der Bürgerschaften von Narbo 
und Massilia stehen zweifellos hoher, als die Yon Messana 
und Syrakus. Wenn gar im Jahre darauf ein M.' Fontejus, 
wie man jetzt in einem Briefe Giceros liest, ein Haus in 
Neapel kaufte, so ist es doch wohl nicht zweifellos, dafs 
dies der beklagte M. Fontejus gewesen sei Dem sei indes, 
wie ihm wolle, es lag und liegt noch heute im Berufe des 
Anwalts die Verpflichtung, die Sache seines Klienten nach 
Möglichkeit zu vertreten. Die objektive Wahrheit festzu- 
stellen, ist Sache des Richters. Cicero gegenüber stehen gar 
manche und leider sogar hervorragende Geschichtsschreiber 
neuerer Zeit auf dem Standpunkte nicht des unparteiischen 
Richters, sondern des einseitigen Anklägers. 

Die Rede fOr Gäcina ist voll juristischer Formalien imd 
daher hier ohne Bedeutung; sie behandelt das Besitzrecht 
auf ein Grundstück, welches die verstorbene Gkkttin Gäcinas 
durch einen gewissen Abutius gekauft hatte. Der Prozefs 
wurde vor einem durch den Prätor eingesetzten Schieds- 
gericht, den recuperatores, geführt und fiel günstig für 
Ciceros Klienten aus. Andere Reden, die nur in Trümmern 
vorHegen, dürfen hier ganz übergangen werden. Dagegen 
ist hervorzuheben, dafs in das Jahr 68 der Anfang des uns 
in 16 Büchern erhaltenen Briefwechsels mit Atticus fallt, 
der allerdings erst vom Jahre 62 ab reichlicher fliefst. 
Diese Korrespondenz, wie die andere grolse Sammlung (ad 
familiäres in gleichfalls 16 Büchern vom Jahre 65 ab) sind 
von hervorragender Bedeutung für die Zeitgeschichte, wie 
für Giceros Leben selbst. Indessen sind sie nicht ohne 
Vorsicht zu benutzen, wenn sie nicht ein falschem Bild 
ergeben sollen. 

Die politische Laufbahn beschritt Cicero auch femer 
mit glänzendem Erfolge. Wie bei den zuvor bekleideten 
Ämtern wurde er im Jahre 67 einstimmig und an erster 
Stelle zum Prätor gewählt; ja, als die Wahl infolge ver- 
schiedener Umtriebe wiederholt werden mufste, wurde er 



— 41 — 

aucli das zweite und dritte Mal auf dieselbe Weise aus- 
gezeichnet. Er erloste die quaestio de repetundis, d. h. den 
Vorsitz in der für Erpressungen niedergesetzten Abteilung. 
Von seiner amtlichen Thätigkeit ist der Prozefs des C. Licinius 
Macer bekannt, der nach seiner Verurteilung durch Selbst- 
mord endete. Die Unterstellung, dafs Cicero auch hierdurch 
nur die Gunst der Menge habe erringen wollen, widerspricht 
wenigstens seiner eigenen Versicherung, dafs er dem Licinius 
ein gerechter Richter gewesen sei. 

Das wichtigste Ereignis seiner Prätur ist die Pompejana, 
die Staatsrede für den Gesetzesvorschlag des Volkstribunen 
Manilius, der, nachdem durch die lex Gabinia dem Pompejus 
der unumschränkte Oberbefehl im Seeräuberkriege tibertragen 
war, ihm auch das Kommando für den mithridatischen Krieg 
mit umfassenden Befugnissen yerschaffen wollte. Es ist das 
erste Mal, dafs sich der nun vierzigjährige Anwalt und der- 
zeitige Richter in einer wirklich politischen Rede versuchte; 
er glaubte seine Zeit gekonmien. Hören wir zuerst den 
Gedankengang der Rede. 

Mit wohlberechneter Bescheidenheit hebt er im Ein- 
gang hervor, dafs er erst nach mehrfachen Auszeichnungen 
durch die Volksgunst es gewagt habe, öffentlich in politischen 
Dingen vor dem Volke zu reden. Er freue sich über die 
ihm jetzt gebotene Gelegenheit, gerade dem Ritterstande, 
der ihm besonders nahe stehe, dienen zu können. Scharf 
und klar wird die Rede disponiert und dann zuerst von der 
Art des Krieges gesprochen. Die Vergehungen des Mithri- 
dates gegen die Hoheit des römischen Volkes, die Erfolg- 
losigkeit der früheren, wenn auch glänzenden Feldzüge, die 
Bedeutung der asiatischen Einkünfte für Volk und Staat 
werden erörtert. Sodann legt der Redner die Gröfse des 
Krieges dar, indem er einen kurzen Abrifs der kriegerischen 
Ereignisse liefert; die Verdienste des Lucullus werden aner- 
kannt. Der Kern der Ausführung liegt in dem Nachweis, 
dafs der zu erwählende Feldherr Kriegserfahrung, Ehren- 



— 42 — 

haftigkeit, Ansehen nnd Glück bewiesen haben müsse, Eigen- 
schaften, die alle in Pompejus vereinigt seien. Seine Erfolge 
werden kräftig, aber nicht unwahr abgeschildert, insbesondere 
die beispiellos rasche und glückliche Beendigung des See- 
räuberkrieges, den er in 49 Tagen zu Ende geführt hatte. 
Seine allgemein menschlichen Tugenden, Gerechtigkeit und 
Enthaltsamkeit, werden im Gegensatz zur Habgier anderer, 
nicht genannter Feldherren gepriesen. Sein Ansehen auch 
beim Feinde, sein unerhörtes Glück werden in Erinnerung 
gebracht. Es folgt die Widerlegung (confutatio) der gegne- 
rischen Ansichten des Catulus und Hortensius, von denen 
dieser eine poHtische Gefahr in der Erhebung des einen 
Mannes erblickte, während jener die Beobachtung der über- 
kommenen Einrichtungen imd Gewohnheiten festgehalten 
wissen wollte. Beide Einwürfe werden durch Hinweis auf 
zahlreiche Präcedenzfalle geschickt widerlegt, insbesondere 
durch Erinnerung an den jüngeren Scipio und Marius. Hierbei 
wird noch einmal der Erpressungen anderer Feldherren ge- 
dacht, aber ohne Nennung von Namen. Zum Schlufs wird 
auf die Abstimmung hervorragender Senatoren hingewiesen 
und endlich der Antragsteller Manilius feierlich ermahnt, bei 
seinem guten Vorhaben auszuharren. Der Bedner schliefst 
mit einer feurigen Beteuerung seiner Vaterlandsliebe imd 
XJneigennützigkeit. 

In formeller Hinsicht, das ist unbestritten, bezeichnet 
die Pompejana den Höhepunkt der ciceronianischen Kirnst. 
Es giebt kaum ein Kunstmittel, wenigstens des mittleren 
Genres, für das diese Rede nicht zahlreiche Muster darböte. 
Um so mehr wird die Berechtigung ihres Inhalts angezweifelt, 
die politische Haltung des Redners getadelt. Wir sehen zum 
erstenmal den Politiker Cicero vor ims imd sind nunmehr 
genötigt, auch unserseits Stellung zu nehmen. Vergegen- 
wärtigen wir uns die politische Lage jener Zeiten. 

Die Nobilität, die Partei des Senatsregiments, war noch 
einmal dank Sullas eiserner Faust an die Regierung ge- 



— 43 — 

kommen. Sie hatte sich der ihr gestellten Aufgabe unföhig 
gezeigt. Seit der Bosciana sehen wir Cicero sich der demo- 
kratischen Opposition nahem, so dals er mit den Yerrinen 
offen der Nobilität Fehde ansagt. Es ist der Unwille des auf- 
strebenden Talents über die Engherzigkeit der herrschenden 
Clique, es ist aber auch .die Empörung des sittenreineren 
Provinzialen über die Feilheit des Senatorenregiments. Pom- 
pejus war es, der durch die lex tribunicia wie durch die 
lex Aurelia judiciaria der Nobilität den Abschied gab. Durch 
die Übernahme des Oberbefehls im Seeräuber- wie nachmals 
im mithridatischen Kriege nahm der glückliche Feldherr 
seine Stellung nicht nur über den Häuptern der Nobüität, 
sondern auch über denen der Yolkspartei. Diese, eine 
Schöpfung der genialen, aber gesetzlosen Gracchen und 
daher weit verschieden von der alten plebs, war nicht 
minder im Niedergange begriffen, als ihre so tödHch be- 
feindete Gegnerin. JlebrgeUn, um die poUtischen 
Rechte des nicht bevorrechteten, dritten Standes, der igno- 
biles, zur Aufbesserung der sozialen Lage auszunutzen, hatte 
sie in den wüsten Orgien der marianischen Revolution ihre 
beste Kraft eingebüfst. Der zügellose Haufen der haupt- 
städtischen Menge konnte nur durch geistig und sittHch 
hervorragende Führer dem Wohle des Staates dienstbar ge- 
macht werden; er war aber auch die Beute jedes Abenteurers 
und Umstürzlers. So stellen sich die Regungen der demo- 
kratischen Partei im Grunde nur als Schiebungen zu Gunsten 
dieses oder jenes Parteifahrers dar. Im Vordergrund stand 
zur Zeit* Q. Pompejus Magnus, der glänzende Feldherr, der 
Spender billigen Brotes, der Wiederhersteller des Friedens, 
der mit den Eigenschaften eines tüchtigen Korpsführers 
brennenden Ehrgeiz, aber auch politisches Unvermögen ver- 
einigte. In zweiter Linie hielten sich der fürchterliche 
Gatilina, der Führer der Anarchisten, die in einem all- 
gemeinen Umsturz wenigstens ihre GlückseUgkeit zu finden 
hofften, und der geniale Cäsar, der mit überlegener Klugheit 



— 44 — 

seine nicht blols auf eigene Gröfse, sondern auch auf des 
Staates Wohl abzielenden Pläne vorbereitete. Die Monarchie 
lag in der Lufb, der Freistaat war im Prinzip aufgegeben 
und nur von warmherzigen Idealisten, wie Cato und Cicero, 
als möglich und wirklich angesehen. 

In diesen poUtischen Hexensabbat trat mit vierzig 
Jahren Cicero, der beliebte Anwalt, der glänzende Redner, 
der aufrichtige Patriot, der empf ängUche, weichherzige Mann, 
der aber darum nicht in dies Getriebe pafste, das nur eiserne 
Charaktere verlangte. In seiner politischen Stellung hatte er 
inzwischen eine kleine Schwenkung gemacht, nachdem er 
selbst in die Reihen der Nobilität getreten war. Doch ist 
es verkehrt, daraus eine Fahnenflucht, einen Übergang von 
den Populären zu den Optimaten zu konstruieren. Auch 
jetzt ist er den Führern des Senats gegenüber recht kühl; 
seine Neigung gehört dem Stande, dem er selbst entstammte, 
wie er im Eingang der Pompejana deutlich erklärt. Wir 
können diese Haltung nicht tadeln; denn der ordo equester, 
der bei dem mälsigen Census (zum mindesten 400000 Sestertien 
= 70000 M.) auch den Mittelstand in sich schlols, 'isählte, 
zumal in den Landstädten Italiens, höchst achtbare Mitglieder, 
unter denen gar manche Elemente sich fanden, aus welchen 
die erschlaffte NobiKtät sich wohl hätte erneuern können. 
Es war Ciceros politisches Glaubensbekenntnis, dals in dem 
Zusammenschlufs dieses Standes der wohlhabenden Bürger 
mit den regierenden Familien die beste Garantie gegen die 
Gewaltsamkeiten demokratischer Parteiführer liege. Wir 
werden im nächsten Kapitel wiederholt darauf hinweisen, 
dafs Cicero hier eine Ordnungspartei zu schaffen hoffte, 
welche eine wirkliche Stütze der bestehenden Staatsverfassung 
zu werden versprach. 

FreiUch war Cicero in einem schweren Irrtum befangen, 
als er in dem Gesetzvorschlag des Manilius ein staats- 
erhaltendes Moment erblickte. Indem dem Pompejus eine 
unerhörte Militärgewalt übertragen wurde, ward ihm die 



— 45 — 

Gelegenheit geboten, sich in den Besitz der Alleinherrschaft 
zu setzen. Theoretisch war Cicero im unrecht, praktisch 
nicht. Abgesehen davon, dafs Pompejus das in ihn gesetzte 
Vertrauen rechtfertigte und die Angelegenheiten des Ostens 
in durchaus angemessener Weise ordnete, war er nicht der 
Mann, der den Mut hatte, nach einer Krone zu greifen. 
Auch auf dem Gipfel der Macht beugte er sich vor dem 
Senatsregiment. Die Gefahr kam für Roms vermeintUche 
Freiheit nicht von Osten, sondern von Westen. Es ist 
darum kaum angebracht, die Pompejana mit so ungeheuren 
Vorwürfen zu überhäufen, wie es gemeinhin geschieht. Das 
wird zuzugeben sein, dals Cicero so wenig Staatsmann, wie 
Soldat war, dals er die Grenzen seiner Begabung verkannte. 

In das Jahr seiner Prätur fallt auch die umfangreiche 
Bede für A. Cluentius in einem Giftmordprozesse, in einer 
so widerwärtigen, aus einer Kette scheufeUcher Verbrechen 
bestehenden Sache, dafs man sich nicht genug dai*über 
wundem kann, warum Cicero sie übernommen hatte. Der 
inhalt ist ohne Belang. Von der för den bereits genannten 
Tribunen Manüius gehaltenen Bede ist nichts erhalten. Es 
wird berichtet, dals Cicero ihm gegenüber nicht unparteiisch 
geblieben sei. 

Nach Ablauf der Prätur wies er die ihm zustehende 
Übernahme einer Provinz auf Grund der früher gemachten 
Erfahrungen zurück, da er dem Volke nicht aus den Augen 
verschwinden wollte. Er gab sich wieder ganz seiner anwalt- 
lichen Thätigkeit hin; doch sind von den uns genannten 
vier Beden nur Bruchstücke überliefert, deren Inhalt minder 
wichtig erscheint. Im Jahre 65 wurde ihm ein Sohn ge- 
boren; ein Jahr darauf starb hochbetagt sein Vater. Diese 
Jahre waren hauptsächlich durch seine und seiner Freunde 
Anstrengungen ausgefüllt, ihm die höchste Ehrenstelle im 
Staatsleben, das Konsulat, zu gewinnen. Es war för ihn ein 
Unglück, dafs ihm dies so heüs ersehnte Glück zu teil wurde. 



— 46 — 



Kapitel 7. 



Das Konsulat. 

Über die Bewerbung Giceros um das Konsulat hat uns 
sein Bruder Quintus ein Sendschreiben hinterlassen, in dem 
er sehr gründüch und vorsichtig die Momente abwägt, die 
fiir und gegen den Bewerber sprechen; hierauf gründet er 
eine Reihe von Ratschlägen, welche uns einen interessanten 
Einblick in die Wahlbew^ung der damaligen Zeit verstattet. 
Von den sechs Nebenbuhlern waren nur zwei zu furchten, 
C. Antonius, der verschuldete, nichtsnutzige Sohn des grolsen 
Redners, und L. Sergius Gatilina, das Haupt der anarchistischen 
Partei, der Günstling der mehr im Hintergrund wirkenden 
Führer der Volkspartei, M. Licinius Crassus und C. Julius 
Cäsar. Bei der sehr geteilten Stimmung der Wähler, von 
denen nur der wohlhabende Mittelstand seinem Standes- 
genossen Cicero von vornherein günstig war, wollte Quintus 
alle erlaubten Mittel der Wahlagitation verwendet wissen; 
nur der Weg der Bestechung, der allerdings am häufigsten 
betreten wurde, sollte gänzlich ausgeschlossen . bleiben, wie 
denn auch dieser Vorwurf niemals erhoben ist. Zunächst 
mufsten die Freunde im weitesten Sinne* bearbeitet werden, 
und zwar nicht nur durch die erwiesenen Gefälligkeiten 
mittelst gerichtlichen Beistandes, sondern vor allem durch 
die Aussicht auf derartigen Schutz und freundliches Entgegen- 
kommen überhaupt. Die in Rom übliche B^rüfsimg am 
frühen Morgen (salutatio), die Heimführung vom Markte 
(deducere), die ständige Gefolgschaft (assectatio) sind dabei 
wohl zu beachten. Aber auch weitere Kreise müssen inter- 
essiert werden durch Anrede, Schmeichelworte, Freundlichkeit 
und sonstige Mittelchen, das Wohlwollen des grofsen Haufens 
zu gewinnen (prensatio). Der Senat mufs den Bewerber für 



- 47 — 

einen Schützer seines Ansehens, der Mittelstand fiir einen 
Verteidiger der öffentlichen Ordnung, das Volk für den 
opferbereiten Retter bedrängter Angeklagter erachten. Excelle 
dicendo! ruft Quintus dem Bruder zu. 

Es ist unzweifelhaft, dafs Cicero dem Bruder schon aus 
eigenem Antriebe folgte. Seit dem Jahre 65 sehen wir ihn 
in fieberischer Thätigkeit dem eingebildeten Glücke nach- 
streben. Man mag über die sehr äufserliche Art des Stimmen- 
fangs lächeln; ist es heute denn gar so viel anders geworden, 
wenn die grofse, urteilslose Menge aufgerufen wird, den Mann 
ihres Vertrauens zu wählen? Dennoch wäre Cicero kaum in 
so glänzender Weise an das Ziel gelangt, wenn ihm nicht 
die politische Lage zu statten gekommen wäre; als gemein- 
samer Kandidat der Ordnungspartei trug er trotz der geringen 
Liebe, die der Amtsadel für ihn hegte, über den Umsturz- 
mann den Sieg davon. 

Catilina ist eine Erscheinung, wie sie nur auf dem 
Boden eines sinkenden Staatswesens erwachsen kann. Sein 
Charakter ist uns von Sallust, der selbst der Volkspartei 
anhing, durchaus glaubwürdig geschildert, so dafs auch in 
unseren Tagen eine der beliebten „Rettungen" nicht versucht 
ist. Aus vornehmer Familie entsprossen, vereinigte der geniale 
Wüstling leibliche und geistige Vorzüge mit einem in Grund 
und Boden verdorbenen Charakter. In jeglichier Nichtswürdig- 
keit einem Verres gewachsen, übertraf er diesen durch die 
Spannkraft, die keine Ausschweifung lähmen konnte. Seine 
Sporen verdiente er sich bei den Schlächtereien der sullani- 
sehen Achtungen; Raub, Mord und Unzucht waren ihm 
geläufig. Aber die kraftvolle Natur des Mannes konnte 
sich in den Ausschreitungen gewöhnlicher Art nicht ge- 
nügen, sie plante etwas Neues, Unerhörtes. Mit wahrhaft 
dämonischer Gewalt sammelt Catilina die Hefe des vor- 
nehmen Pöbels um sich; auf jegliche Art verstand er es, 
die Unverdorbenen zu verderben, die Verdorbenen immer 
tiefer in den Schlamm zu ziehen. Mitglieder der ersten 



— 48 — 

Familien, Männer wie Frauen, hingen ihm an. Was er 
eigentlich im Sinne hatte, wissen wir nicht, vielleicht wulste 
er es selbst nicht. Nur die negative Seite seiner Bestrebungen 
war ihm klar, Umsturz der bestehenden Staatsverfassung. 
Wir wissen von zwei Verschwörungen. Die erste aus dem 
Jahre 66/65 sollte mit der Ermordung der ihr Amt über- 
nehmenden Konsuln beginnen; sie scheiterte, wdl die Ver- 
schworenen sich nicht rechtzeitig eingefunden hatten. Damit 
waren die Pläne Catilinas durchaus nicht vereitelt, sondern 
nur vertagt. In ebendenselben Wochen, in denen er sich 
um das Konsulat bewarb, um von oben herab den grolisen 
Umsturz rascher durchsetzen zu können, drangen die ersten 
Gerüchte über die dunkeln Absichten des gefürchteten Mannes 
dank der Schwatzhaftigkeit eines jüngeren Mitverschworenen 
in weitere Kreise und trieben die vornehmen Wähler nebst 
ihrem Anhang dem homo novus Cicero zu. 

Um so auffallender ist es, dals nicht nur Grassus und 
Cäsar ohne Bedenken die Pläne des Gatilina forderten und 
ihn bei den stets drohenden Anklagen in Schutz nahmen, 
sondern dafs auch Cicero eine Zeit lang daran dachte, CatiUna 
wegen seiner in Afrika verübten Erpressungen, allerdings noch 
im Jahre 65, zu verteidigen; er hoffe, schreibt er an Atticus, 
dadurch einei;i ihm mehr verbundenen Mitbewerber zu ge- 
winnen; wo nicht, werde er sich trösten. Die Rede ist nicht 
gehalten. Trotzdem wirft schon der Entschlufs Ciceros auf 
seinen Charakter tiefen Schatten; er läfst sich nur durch 
folgende Erwägungen, wenn nicht entschuldigen, so doch 
erklären. Cicero kann, als er die Vertretung Catilinas über- 
nehmen wollte, unmöglich die hochverräterischen Pläne des 
Mannes gekannt haben; er sah in ihm nur ein Mitglied der 
einflufsreichen Nobilität, das sich von dem Gewohnheitslaster- 
seiner Kaste, der Habgier, nicht frei gehalten hatte. Er 
wurde je länger, je weniger bedenklich in der Übernahme 
von Prozessen, wie das bei hervorragenden Sachwaltern zu- 
weilen geschieht. Hier kam nun gar eine Aussicht auf 



— 49 — 

Förderung seines lieblingswunsches in Betracht; er unterlag. 
Vielleicht ist der Gedanke ihm nur ganz flüchtig gekommen; 
denn in dem Sendschreiben seines Bruders, das demselben 
Jahre entstammt, findet sich ein höchst abfalliges Urteil 
über Catilina und seinen Prozefs. Ebendahin scheint auch 
eine Bemerkung in der für Cälius gehaltenen Rede zu ge- 
hören, in der Cicero gesteht, dafs er Catilina anfangs 
günstiger beurteilt habe, weil er ihn nicht gekannt hätte. 
Nach alledem können wir Cicero mildernde Umstände zu- 
billigen. 

Übrigens war sein Verhältnis zu Catilina gar bald ein 
feindUches geworden. Als der Senat in Bücksicht auf die 
derzeitigen Wahlmntriebe ein strengeres Gesetz gegen Amts- 
erschleichung (de ambitu) beriet, erklärte der Volkstribun 
Q. Mucius Orestinus öffentlich, dafs Cicero des Konsulats 
unwürdig sei. Diese Herausforderung veranlafste ihn zu 
einer im Senate gehaltenen Rede (in toga Candida contra 
C. Antonium et L. Catilinam competitores), in der er seinen 
Mitwerbem offen den Krieg ansagte und namentlich Catilinas 
Privatleben geifselte; auch seiner Gönner Cäsar und Crassus 
wird gedacht. Der treffliche Erklärer (Scholiast) Asconius 
hat uns in seinem Konunentar Bruchstücke der Rede er- 
halten. Selbstverständlich antworteten die Gegner und verab- 
säumten nicht, die bescheidene Herkunft des „inquilinus" 
Cicero durchzuhecheln. Am Wahltage wurde dieser ein- 
stimmig zum Konsul gewählt, neben ihm 0. Antonius. Nach 
dem sempronischen Gesetze fand die Auswahl der Provinzen 
für die Konsuln vor der Wahl statt; zwischen diesen ent- 
schied das Los. So fiel Cicero Macedonien, Antonius das 
cisalpinische Gallien zu. Aber jener hatte, wie wir bereits 
wissen, eine begründete Abneigung gegen die Abwesenheit 
von Rom; er trat seine reiche und gefahrlose Provinz um 
so lieber an Antonius ab, als er hoffen durfte, dadurch den 
verschuldeten Kollegen aus den Schlingen seines bisherigen 
Freundes Catilina zu befreien. Diese Berechnung erwies 

Aly, Cicero. 4 



— 50 — 

sich als richtig. Aber einer Anklage ist Cicero auch bei 
diesem Schritt nicht entgangen. Es finden sich in einigen 
seiner Briefe geheimnisvolle Hinweise auf eine Persönlichkeit, 
die er Teukris nennt; diese hat gewisse Verbindlichkeiten 
gegen Cicero übernommen, die nach mancherlei Ränken im 
Februar 61 erledigt werden. Daneben finden sich Stellen, 
in welchen des Prokonsuls Antonius gedacht wird, der das 
schändliche Gerücht aussprenge, er müsse deshalb so viel 
Geld aus Macedonien herausschlagen, weil er Cicero ein gut 
Teil abzugeben habe. Teukris und Antonius sollen identisch 
sein, eine Vermutung, die allerdings nicht unwahrscheinlich 
erscheint. Immerhin war dies Abkommen, wenn es wirklich 
getroffen ist, nach der damaligen Sitte weder ungewöhnlich 
noch unerlaubt. Die Provinzialstatthalter hatten, auch wenn 
sie streng auf dem Wege des Rechtes blieben, eine beträcht- 
liche Einnahme aus allerlei Lieferungen und Geschenken der 
Provinzialen zu erwarten, und es ist nicht undenkbar, dafs 
Cicero, der in nicht glänzenden Verhältnissen lebte, auf 
einen Teil dieser berechtigten Einnahme nicht verzichten zu 
müssen glaubte. Das patriotische Opfer war allerdings unter 
dieser Voraussetzung ein mäfsiges zu nennen. 

Der neue Konsul hatte gleich bei Übernahme seines 
Amtes, am 1. Januar 63, eine wichtige Aufgabe zu erfüllen 
und damit seinen politischen Standpunkt zu kennzeichnen. 
Man hat hier eine Fahnenflucht Ciceros, einen Übergang 
von der demokratischen zur Senatspartei feststellen wollen, 
eine Annahme, die schon nach den bisherigen Ausführungen 
nicht stichhaltig sein kann. Cicero ist niemals ein ge- 
schworener Anhänger der Volkspartei gewesen, wie er über- 
haupt kein Politiker von Beruf und Neigung war. Er ist 
allerdings aufwärts gestiegen im Kampfe gegen die Aus- 
wüchse des Senatsregimentes, wie sie sich namentlich in 
C. Verres zur Schau stellten. Aber von der planvollen Be- 
folgung eines Parteiprogramms ist bei Cicero ebensowenig 
etwas zu spüren, wie bei einem seiner hervorragenden Zeit- 



— 51 — 

genossen. Die durch die Verderbtheit der Regierenden wie 
der Regierten herbeigeführte Zersetzung der politischen Ver- 
hältnisse hatte eine Politik der Selbstsucht begründet, der 
Pompejus, Cäsar, Catilina in gleicher Weise huldigten, wie 
die Führer der Senatspartei. Dabei läfst sich gerade Cicero 
nicht als jeglicher „Einsicht, Ansicht und Absicht" bar hin- 
stellen. Schon in der Pompejana hat er eine Art von 
Programm angedeutet, wenn er den wohlhabenden Mittel- 
stand, den ordo equester, dem er selbst entstammte, mit 
dem Amtsadel versöhnen und so ein Bollwerk der Ordnung 
gegenüber den heranstürmenden Wogen der demagogischen 
Anarchie schaffen wollte. Es war natürlich, dafs die welt- 
erschüttemden Pläne Catilinas den leitenden Staatsmann noch 
mehr nach rechte drängten. Vorläufig erfolgte der Ansturm 
von einer anderen Seite in Form eines Ackergesetzes, welches 
der Volkstribun P. Servilius Rullus beantragte. 

Die Einbringung einer lex agraria bedeutete für Rom 
stets den Anbruch unruhiger Zeiten. Zwar wird kein Urteils- 
fähiger leugnen, daJfe eine Verpflanzung des verarmten und 
verlotterten Stadtvolks, der faex Romuli, wie es Cicero treffend 
nennt, in auskömmlich dotierte Bauernhöfe eine überaus wohl- 
thätige Mafsregel gewesen wäre. Aber die Ausführung stiefs 
jedesmal auf zahllose Schwierigkeiten, verletzte berechtigte 
Interessen und gefährdete durch die unerlälsliche Machtvoll- 
kommenheit der einzusetzenden Kommission den Bestand des 
Freistaates. Alles Mafs überschritten die Vorschläge des 
Rullus, der einem von 17 ausgelosten Tribus erwählten 
Zehnerausschufs nicht nur in feierlichster Weise militärische 
Gewalt (Imperium), sondern auch die Befugnis zuerkannt 
wissen wollten, zu verkaufen und zu kaufen, was ihm gut 
schien, und dadurch die Finanzen des Staates heillos zu 
verwirren. Am Neujahrstag ergriff der Konsul Cicero im 
Senate das Wort gegen den Antrag; weit bedeutender ist 
die Rede, die er nach wenigen Tagen vor dem Volke hielt. 
Er benutzte die Gelegenheit, für die überaus glänzende Wahl 



— 52 — 

seinen Dank abzustatten nnd der Nobilität noch einmal 
allerlei Anzüglichkeiten zu sagen; er versprach, als Yolks- 
tümlicher Konsul für Frieden, Freiheit und Ruhe sorgen 
zu wollen mit deutlichem Hinweis auf die im Dunkeln 
schleichenden Umsturzbewegungen. Dann wandte er sich 
gegen das Ackergesetz nicht als solches, sondern in Rück- 
sicht auf seine ziel- und mafslosen Bestimmungen. Er be- 
mängelte mit Recht die dem Herkommen widersprechende 
Wahl der Decemvim, sowie ihre allumfassende und für den 
Antragsteller zurecht geschnittene Kompetenz. Da zu diesem 
Zweck sogar die wesenlos gewordenen Curiatcomitien wieder 
in Thätigkeit treten sollen, so hat Cicero nicht ganz unrecht, 
wenn er von der Königsgewalt dieser Decemvim spricht. 
Die in Aussicht genommenen Verkäufe von Staatsländereien 
werden durchgesprochen, nicht minder die Ankäufe und 
Ackeranweisungen. Hierbei widerfährt es dem Redner, dafs 
er dem demagogischen Tribunen mit gleicher Münze zahlt, 
wenn er das aufgestachelte Volk auf seinen vermeintlichen 
Wohlthäter hetzt; es sollte sich lieber, wie bisher, der 
hauptstädtischen Genüsse erfreuen, als in irgend eine Einöde 
auswandern. Übrigens werde nicht einmal allen der Vorteil 
der Güterkäufe zu gute kommen, sondern den Frechsten, die 
in Campanien zur Verwendung für künftige Unruhen an- 
gesiedelt werden würden. 

Aufser dieser längeren Rede besitzen wir noch eine 
kurze Ansprache an das Volk, welche den 40. Paragraph 
des Antrages, betreffend die aus der suUanischen Zeit 
stammenden Besitztitel, behandelt, während eine vierte, 
gleichfalls kurze Rede verloren gegangen ist. Durch diese 
Reden wurde das Ackergesetz, zumal von tribunicischer 
Seite Einspruch erhoben ward, zu Falle gebracht, ein 
Ergebnis, das nur Übelwollen bemängeln kann; der Antrag 
verdiente kein besseres Los. 

In dem Briefe, in dem Cicero seine 10 konsularischen 
Reden aufzählt, steht an dritter Stelle die „über Otho" 



— 53 — 

gehaltene. Plutarch berichtet uns hiervon als von einem 
glänzenden Beweise für die Macht der menschlichen Rede. 
Bereits vor drei Jahren hatte die lex Roscia des damaligen 
Prätors L. Roscius Otho, deren auch Horaz gedenkt, dem 
ordo equester einen vom Volke gesonderten Sitz im Theater 
hinter den Bänken der Senatoren eingeräumt, ohne Wider- 
spruch zu finden. Wenn daher jetzt erst eine Demonstration 
des Volkes gegen Otho im Theater stattfand, so lag offenbar 
eine Anstiftung derer zu Grunde, die es liebten, die Geister 
zu erhitzen, um desto besser im Trüben zu fischen. Der 
Konsul Cicero soll das erregte Volk aufs Marsfeld in den 
Tempel der Kriegsgöttin Bellona entboten und daselbst 
durch eine Ansprache vollständig beruhigt haben. 

Aber auch Gerichtsreden hat Cicero wahrend seines 
Konsulats gehalten; wir besitzen noch die Rede fdr den 
Hochverräter C. Rabirius (zu unterscheiden von einem gleich- 
namigen Postumus). Auch diese Sache war politischen Ur- 
sprungs. Nach 36 Jahren wurde der bejahrte Senator Rabirius 
von dem Volkstribunen Labienus der Ermordung des Auf- 
rührers L. Satuminus angeklagt; es war wiederum ein Vor- 
stofs der Volkspartei gegen den Senat. Mit Hortensius trat 
Cicero für den Beklagten ein, indem er vor den Centuriat- 
comitien die Rechtmäfsigkeit jener Blutthat nachzuweisen 
versuchte. Er machte indes mit seiner Rede, die an allerlei 
juristischen Schwierigkeiten überreich ist, so wenig Eindruck, 
dafs er zu einem wunderlich altmodischen Mittel griff. Auf 
sein Geheifs zog der Prätor Metellus die auf dem Janiculus 
aufgesteckte Fahne ein, ein Zeichen, durch welches vor 
alters dem Kleinstaat das Herannahen feindlicher Scharen 
angekündigt wurde. 

Ebendenselben Zwecken diente die Rede fiir C. Piso, 
deren Cicero übrigens kaum gedenkt; auch hier sollte die 
Senatspartei, nicht der einzelne durch die Anklage getroffen 
werden. Es ist nicht unwahrscheinlich, dafs Cäsar der Mittel- 
punkt war, von dem aus die Stölse auf das herrschende 



— 54 — 

Senatsregiment geführt wurden. Immer mehr verwuchs der 
Konsul mit seinen neuen Standesgenossen, teils durch die 
Gewalt der Umstände, teils durch eigene Denkungsart ge- 
trieben. Er sollte gar bald, und zwar wiederum auf Cäsars 
Veranlassung, Gelegenheit haben, seine staatserhaltende Festig- 
keit durch eine neue Probe zu erhärten. Es handelte sich um 
einen Antrag, die bürgerlichen Ehren und politischen Rechte, 
die Sullas Verordnungen den Söhnen der Geächteten ge- 
nommen hatten, wiederherzustellen. Wir wissen von der 
bezOglichen Rede Ciceros wenig; er sprach sich gegen den 
Antrag aus, weil durch den Eintritt der Genannten in die 
Beamtung die ärgsten Erschütterungen heraufbeschworen 
würden, und drang mit seiner Ansicht durck Seine Rede 
soll nach einem Zeugnis des älteren Plinius so hinreifsend 
gewesen sein, dafs die Antragsteller selbst beschämt zurück- 
getreten seien. 

In einer sechsten Rede verzichtete Cicero auf die ihin 
zugefallene Proyinz Gallien, nachdem er schon vorher Mace- 
donien seinem Amtsgenossen abgetreten hatte. Von seiner 
sonstigen Thätigkeit wird namentlich berichtet, dafs sie sich 
auf eine Verschärfung der Strafbestimmungen für Wahl- 
umtriebe bezogen habe. Diese lex de ambitu, welche in 
erster Linie auf Catilina, dann aber auch auf Cäsar gemünzt 
war, setzte 10 Jahre Verbannung für den Verurteilten fest. 
Die übrigen vier Reden sind die berühmten Catilinarien, 
über deren Anlafs im Zusammenhang mit den Zeitverhält- 
nissen berichtet werden mufs. 

Seit Monaten lastete auf der Hauptstadt, wie dn Alp, 
das drohende Gespenst der anarchistischen Verschwöruijg. 
Nachdem zu wiederholten Malen Catilinas Anschläge durch 
äufsere Hindemisse vereitelt waren, setzte dieser seine ganze 
Hoffiiung auf die Konsularcomitien des Jahres 63. Eine 
Reihe von vorbereitenden Ma&r^eln war bereits getroffen; 
insbesondere sammelte ein erprobter Kriegsmann C. ManHus 
aus den Veteranen Sullas und allerlei verzweifeltem Gesindel 



— 55 - 

im Norden Etruriens ein Heer. Am Wahltag selbst, der 
infolge der hauptstädtischen Unruhen vom Juli bis in den 
Oktober verschoben war, sollte der Hauptschlag fallen. Aber 
der persönlich bedrohte Konsul Cicero, dem die ganze Last 
der Regierungsgeschäfte oblag, war gewarnt und dement- 
sprechend vorbereitet. Bereits zu Anfang seines Konsulats 
scheint eine gewisse Fulvia das ihr von Q. Curius, einem 
vornehmen, aber verkommenen Manne, ausgeplauderte Ge- 
heimnis der Verschwörung an Cicero verraten zu haben. 
Mit grofsem Eifer und anerkennenswertem Geschick ver- 
folgte dieser von nun an die Pläne der Verschwörer. Er 
liefs sich regelmäfsig von seiner Spionin berichten und traf 
die zweckentsprechenden Sicherheitsmafsregek. Man hat ihm 
vorgeworfen, dafs er erst so spät eingegriffen und namentlich 
Catilinas Festnahme verabsäumt habe. Es ist darauf zu er- 
widern, dafs die Verschwörung zu viele Kreise bereits in 
Mitleidenschaft gezogen hatte, wie es denn nicht hinlänglich 
widerlegt ist, dafs sogar Männer wie Crassus und Cäsar um 
jene Pläne gewufst haben. Da es sich um so vornehme 
Männer handelte, war äufserste Vorsicht geboten. Nur offen- 
kundige Beweise konnten einen vernichtenden Schlag recht- 
fertigen. Der thatsächliche Verlauf hat Ciceros Verfahren 
glänzend gerechtfertigt. Erst durch Catilinas Abreise wurden 
die wirklichen Teilnehmer von den geheimen Gönnern ge- 
schieden; erst durch die Festsetzung seiner Genossen ward 
der Schaden gründlich beseitigt. 

Am 20. Oktober 63, also noch vor der Wahl, erstattete 
der Konsul Cicero zum erstenmal in Catilinas Gegenwart dem 
Senat Bericht über die zu seiner Kenntnis gekommenen Um- 
triebe, ohne seine Quellen zu nennen. Demzufolge erkannte 
der Senat am nächsten Tage den KonsuM, Prätoren und 
übrigen Beamten in gewohnter Weise die Vollmacht zu, 
Vorkehrungen für die Sicherheit des Staates zu treffen. 
Am 28. desselben Monats fand die Wahl statt, die mit 
einer vollständigen Niederlage Catilinas endigte. Nicht nur 



— 56 — 

mifslang die geplante Ermordung des Konsuls dank seiner 
zahlreichen, gut bewaffiieten Gefolgschaft, sondern es wurden 
auch zwei Männer der Senatspartei, D. Junius Silanus und 
L. Licinius Murena, zu Konsuln gewählt. Alles dies stachelte 
Catilina zu noch schärferem Vorgehen an. Schon hatte sein 
Lieutenant Manlius die Fahne des Aufruhrs oiBFen erhoben 
und forderte durch eine ziemlich unschuldig klingende Pro- 
klamation zum Anschlufs auf. Die Zeit drängte, da die 
Rückkehr des siegreichen Pompejus aus Asien nahe bevor- 
stand. Nun glaubte auch Catilina seine Zeit gekonmien. 
Bevor er zu seinem Heere abging, versammelte er in der 
Nacht vom 6. zum 7. November die Häupter seiner Genossen 
im Hause des M. Porcius Läca; unter heftigen Scheltreden 
auf ihre Feigheit legte er die günstige Lage der Verhältnisse 
dar und forderte vor seiner Abreise wenigstens die Ermordung 
des ihm so unbequemen Cicero. Wirklich erboten sich zwei 
angesehene Männer zu dieser Schandthat. Aber Cicero war 
wiederum gewarnt und gerüstet. Als die Mörder des Morgens 
zurBegrüfsung erschienen, wurden sie von zahlreichen Wachen 
zurückgewiesen. Darauf berief der Konsul den Senat in den 
Tempel des Jupiter Stator, nachdem schon vorher auf seinen 
Antrag militärische Vorbereitungen gegen den um Fäsulä 
sich ausbreitenden Aufstand getroffen waren. Als dennoch 
Catilina nicht Anstand nahm, in der Senatssitzung zu er- 
scheinen, brach Cicero los und bewies in seiner ersten Biede, 
dafs er von allen seinen Plänen volle und genaue Kenntnis 
habe. Auch seiner früheren Anschläge gedachte er. Die 
Rede gipfelte in dem Rat, er möchte Rom so schnell als 
möglich verlassen, damit sich die Schlechten von den Guten 
schieden; so nur könne die Wurzel und der Samen des 
Unheils ausgerottet werden. Die Rede hatte den gewünschten 
Erfolg. Nachdem Catilina einige wilde Drohungen aus- 
gestofsen hatte, stürzte er aus der Sitzung, von allen ge- 
mieden, auch scheinbar von seinen geheimen Gönnern, und 
verliefs noch an demselben Tage die Stadt. Am 9. November 



— 57 — 

teilte der Konsul das erfreuliche Ereignis in seiner zweiten 
Rede dem Volke mit, indem er sein Verfahren rechtfertigte. 
Zugleich beruhigte er die geängstete Bürgerschaft mit dem 
Hinweis auf die getrolBFenen Mafsregeln und warnte nach- 
drücklich die in der Stadt zurückgebliebenen Verschworenen 
vor weiteren Unternehmungen; am liebsten hätte er sie 
ihrem Herrn und Meister nachgesandt. Aber diese Freude 
sollte ihm nicht zu teil werden. Um so bewundernswerter 
ist die Seelenruhe, mit der Cicero in der Zwischenzeit den 
designierten Konsul Murena gegen die Anklage auf Wahl- 
umtriebe verteidigte; wir kommen auf diese Rede später 
zurück. 

Inzwischen gingen die Verschworenen ungeschreckt ihren 
unheimlichen Weg, aber ohne die Klugheit ihres abwesenden 
Führers. Die Leitung hatten der vornehme Wüstling P. Cor- 
nelius Lentulus Sura, der sich als einem dritten Comelier die 
Herrschaft in Rom prophezeien liefs, der verwegene C. Cor- 
nelius Cethegus, der träge L. Cassius Longinus und andere 
dii minorum gentium. Man einigte sich über einen Operations- 
plan, der am 19. Dezember nachts ausgeführt werden sollte: 
der eine sollte die Stadt an allen Ecken in Brand stecken, 
der andere Cicero ermorden, die Haussöhne sollten ihre Väter 
töten; unter solchen Brand- und Mordthaten würde man sich 
leicht durchschlagen und mit Catilinas anrlickenden Scharen 
vereinigen. Da gab ein unbedachter Anschlag des Lentulus 
die Verschworenen in die Hand des pflichteifrigen Konsuls. 
Durch einen gewissen Umbrenus verhandelt man mit den 
Gesandten der gallischen Völkerschaft der AUobrogen, welche 
damals gerade in Rom weilten, um eine Steuererleichterung 
nachzusuchen. Die unentschlossenen Fremden vertrauten sich 
ihrem Patrone Q. Fabius Sanga an, und dieser hatte nichts 
Eiligeres zu thun, als dem Konsul Meldung zu machen. 
Nun galt es, die Schlinge zu legen. Auf Ciceros Anstiften 
forderten die Gesandten von den Häuptern der Verschwörung 
eine schriftliche Zusicherung ihrer Verheifsungen. Mit un- 



— 58 — 

glaublicher Arglosigkeit gingen Lentulus und Cethegus, sowie 
Statilius und öabinius in die Falle. Die Allobrogen erhielten 
zugleich den Auftrag, auf ihrer Rückreise unter Führung 
eines T. Volturcius Catilina in Fäsulä aufzusuchen. Von 
allem unterrichtet, traf Cicero seine Anstalten mit Umsicht 
und Klugheit. Die Prätoren L. Flaccus " und C. Pomptinus 
überfielen an der mulvischen Brücke in der Nacht vom 
2. zum 3. Dezember die Gallier und setzten sie fest. Darauf 
beschied Cicero die Häupter der Verschwörung zu sich und 
nahm sie gefangen. Das Verhör fand vor dem sofort be- 
rufenen Senate statt, vor den Lentulus, Cethegus, Statilius, 
Gabinius und Cäparius gestellt wurden. Nachdem dem Vol- 
turcius als Angeber und den Allobrogen Straflosigkeit zu- 
gesichert war, hielt es nicht schwer, die Beklagten mit 
Hülfe ihrer eigenen Handschrift zu überführen. Der Senat 
beschlofs ihre Festhaltung, nachdem Lentulus die Prätur 
niedergelegt hatte, und verordnete auch die Verhaftung von 
vier anderen flüchtig gewordenen Führern. Am Abend des- 
selben Tages verkündigte Cicero in seiner dritten Rede die 
Ereignisse des Tages und erweckte dadurch hellen Jubel: 
„Dafs der Staat, ihr Römer, und euer aller Leben, eure 
Güter, Vermögen, Frauen und Kinder und dieser Sitz des 
berühmtesten Reiches, die so beglückte, schöne Hauptstadt 
heute, dank der Liebe der Götter zu euch, dank meinen 
Mühen, Plänen und Gefahren, der Flamme und dem Schwerte 
und fast dem Rachen des Geschicks entrissen und so erhalten 
sind, das seht ihr." Cicero feierte an diesem Abend einen 
schönen, wohlverdienten Triumph. Aber die schwerste Ent- 
scheidung stand noch bevor, die Bestrafung der fünf Hoch- 
verräter. Da Gerüchte über bevorstehende Erhebungen sich 
verbreiteten, traf Cicero die umfassendsten Malsregeln und 
berief am 5. Dezember den Senat, um das Urteil zu finden, 
in den wohl geschützten Tempel der Eintracht. Es war 
nicht eben leicht, aus der Fülle der Schwierigkeiten einen 
Ausweg zu finden. Auf der einen Seite lag die Gefahr 



— 59 — 

nahe, dafs ein Aufstand der unzufriedenen Volkselemente die 
Gefangenen befreien und alles mit Mord und Brand erfüllen 
würde, auf der anderen Seite stand es dem Senate nicht zu, 
ein Todesurteil über einen römischen Bürger zu fällen, was 
nur in Centuriatcomitien geschehen durfte. Der zuerst um 
seine Meinung befragte zukünftige Konsul stimmte für den 
Tod und ebenso eine Reihe von Senatoren, bis Cäsar in 
einer Rede, deren Gedankengang Sallust aufbewahrt hat, 
vor der Ungesetzlichkeit des Urteils warnte und ewige Haft 
nebst Einziehung des Vermögens beantragte. Bald dai'auf 
ergriff der Konsul Cicero das Wort, um in seiner vierten 
Rede die stutzig gewordenen Senatoren zu ermutigen und 
seine Bereitwilligkeit zur Ausführung jedes Beschlusses zu 
versichern. Der Redner verkannte nicht die Gefahren, welche 
in dem Bruch mit dem Herkommen lagen, er glaubte sie 
aber mit der Notlage des Staates entschuldigen zu können. 
Es ist nicht unwahrscheinlich, dafs diese Rede nicht so 
umfangreich gehalten ist, wie sie uns heute vorliegt. Den 
Ausschlag gab erst M. Porcius Cato, der mit solcher Kraft 
und Entschiedenheit die sofortige Ahndung verlangte, dafs 
der Senat ihm freudig zustimmte, während die wachhabenden 
Bürger Cäsar mit ihren Schwertern bedrohten. Noch an dem- 
selben Tage wurde das Urteil vollzogen. Der Konsul führte 
Lentulus mit starker Bedeckung, andere die übrigen Ver- 
schwörer über den Markt nach dem Tullianum, wo die 
Verurteilten von den mit der Ausfuhrung der Hinrichtungen 
betrauten Dreimännern empfangen und dem Henker zur Er- 
drosselung übergeben wurden. Nach Vollzug der Exekution 
rief der Konsul der harrenden Menge mit lauter Stimme zu: 
Sie haben gelebt! Ein unermeMicher Jubel bemächtigte sich 
des Volkes, das nun erst sich gänzlich von der drohenden 
Gefahr befreit sah. Im Triumph wurde der Konsul nadi 
Hause geleitet, während ihn Cato durch den Titel „Vater 
des Vateriandes" ehrte. Damit war für Rom die Sache 
abgethan. Catilina erlag im nächsten Jahre mit seinen 



— 60 — 

Scharen der anrückenden Übermacht bei Pistoria nach 
tapferem Kampfe. 

Die Nonen des Dezembers spielen in Ciceros Lebens- 
geschichte eine grofse Rolle. Während er selbst an diesem 
Tage den Gipfel seines Ruhms erklommen zu haben glaubte, 
erwuchsen ihm gerade hieraus die schwersten Gefahren, die 
traurigsten Stunden. Es war sein Unglück, dafs er durch 
die Gunst der Umstände in dem Wahne bestärkt wurde, 
zum Staatsmann berufen zu sein, während doch seine wahre 
Bedeutung, sein dauernder Ruhm auf einem ganz andern 
Felde lag. Immerhin hat er sich durch die umsichtige Ent- 
deckung und thatkräftige Niederwerfung der Verschwörung 
ein unleugbar grofses Verdienst um den Staat erworben, 
und es ist unbillig, ihm diesen Ruhm verkleinem zu woUen. 
Man hält sich mit Vorliebe an die gesetzwidrige Hinrichtung 
der Catiünarier. Aber wie liegt doch die Sache? Verdient 
hatten jene verlotterten Hochverräter den Tod ohne allen 
Zweifel, und nur offenbare Böswilligkeit kann die „Erwürgten" 
bedauern. Eine andere Frage war es, ob es die Not gebot, 
das Gesetz zeitweilig aulser Kraft zu setzen. Wir wissen 
aus der neuesten Geschichte, dafs eine formelle Rechts- 
verletzung das gröfste Verdienst sein kann, das sich ein 
grofser Staatsmann um die öffentliche Wohlfahrt erwirbt. 
Leider war Cicero nicht der Mann, das unter seiner Leitung 
unternommene Wagnis kühn zu vertreten. Was die Nach- 
welt einem Cäsar verzeiht, das hält sie einem Cicero nicht 
zu gute, zumal letzterer sich der Nonen des Dezember öfter 
berühmte, als es der gute Geschmack und der Anstand 
erlaubten. 

Wir haben noch nachträglich der für Murena gehaltenen 
Verteidigungsrede zu gedenken, die in ihrem heiteren Humor 
scharf absticht gegen die pathetischen Ausführungen der 
gleichzeitigen Catilinarien. Dem Beklagten standen drei 
hervorragende Anwälte zur Seite. Nachdem Q. Hortensius 
und M. Crassus die Einzelheiten der Anklage widerlegt 



— 61 — 

hatten, ergrilBF nach seiner Gewohnheit zum Schlufs Cicero 
das Wort, um die moralische Autorität der hochangesehenen 
Kläger, des Rechtsgelehrten S. Sulpicius Rufus und des un- 
beugsamen Stoikers Cato, abzuschwächen, während zwei andere 
Ankläger nicht in Betracht kamen. Er begann mit einer 
Erklärung, warum gerade er die Verteidigung übernommen, 
obgleich er doch das Gesetz gegen Wahlumtriebe zustande 
gebracht habe. Dann erörtert er zuerst die gegen das Vor- 
leben Murenas gerichteten Vorwürfe, wobei er mit über- 
legenem Humor eine ergötzliche Parallele zieht zwischen 
dem bescheidenen Stubenleben des stockgelehrten Juristen 
Sulpicius und dem frischen, fröhlichen Soldatenleben Murenas; 
er versagt es sich nicht, die Silbenstecherei und das Formel- 
wesen der Juristen zum Gaudium der Hörer durchzuhecheln. 
Darauf beweist er, warum Murena dem Sulpicius bei der 
Wahl den Rang abgelaufen habe. Endlich wendet er sich 
zur eigentlichen Klage, wobei eine Reihe von Ausfuhrungen 
uns vorenthalten ist. Der Rest beschäftigt sich in ebenso 
gutmütig spottender Weise mit der hochachtbaren Person 
Catos, wie vorhin mit der Weisheit des Sulpicius. „Es war 
einmal ein höchst geistreicher Mann, Namens Zeno, dessen 
Nachbeter Stoiker genannt werden. Ihre Lehren sind un- 
gefähr folgende" — und nun werden jene bekannten 7taQäöo§a 
citiert, die allerdings in dieser Zusammenhangslosigkeit auf 
die Lachmuskeln der Hörer einen unwiderstehlichen Eindruck 
machen mufsten. Endlich kommen die einzelnen Punkte an 
die Reihe, die gemietete Gefolgschaft, die Frühstücksmahle 
und was sonst den Wahlpöbel anlockte und noch heute an- 
lockt. OiBFenbar war Murena nicht unbeteiligt an derartigen 
Wahlmanövem. Aber andere waren es auch nicht, und vor 
allem sein Kollege Silanus, der nur deshalb verschont wurde, 
weil er Catos Verwandter war. Es hat sicherlich schlimmere 
Amtsbewerber gegeben. Zum Schlufs erhob sich der Redner 
zu vollem Ernst und forderte unter Benutzung des üblichen 
Rührapparats aus politischen Gründen die Freisprechung des 



— 62 -- 

Angeklagten. Die Richter kamen aus ebendiesem Grunde 
seinem Verlangen nach. Es ist sehr billig, sub specie aetemi, 
d. h. von einem erhabenen Sittlichkeitsstandpunkt aus, diese 
Verteidigungsrede zu verdammen; ein billiger Menschenkenner 
wird die Zeit Verhältnisse berücksichtigen und sich der liebens- 
würdigen und interessanten Leistung eines Mannes freuen, der 
gerade damals täglich und stündlich von den schwersten 
Gefahren für Leib und Leben bedroht war. 

Das Amtsjahr nahte seinem Ende. Es sind uns noch 
allerlei Andeutungen über wichtigere Amtshandlungen des 
Konsuls Cicero überkommen; doch genügen diese kaum, um 
ein deutliches Bild zu entwerfen. Der letzte Tag zeigte 
deutlich, welchen Gefahren Cicero entgegenging. Als er nach 
altem Brauche sich in einer Rede vom Volke verabschieden 
wollte, verhinderte ihn der als Günstling des Pompejus be- 
kannte Volkstribun Q. Metellus Nepos am Reden, da er 
ohne Verhör Bürger getötet habe; nur den Eid erlaubte er 
ihm. Da schwur Cicero mit lauter Stimme, dafs er den 
Staat und die Stadt gerettet habe, und alles Volk jauchzte 
ihm Beifall und begleitete ihn in grofser Anzahl nach Hause. 
Zwar hatte Cicero nichts ohne Zustimmung des Senats und 
Billigung des Volkes gethan, er hatte die Eintracht der 
Stände gefördert, wo er nur konnte; aber dennoch sollte 
ihm die traurige Erfahrung nicht erspart bleiben, dafs in 
eisernen Zeiten nur die zähe Thatkraft des echten Staats- 
manns obsiegt, nicht die wohlmeinende Vaterlandsliebe des 
feingebildeten Redners. 



Kapitel 8. 



Die Yerbannnng. 

Das Jahr 62 begann so trübe, wie das verflossene ge- 
endet hatte. Der Geschäftsflihrer des abwesenden Pompejus, 



— 63 — 

der Volkstribun Metellus Nepos, unteriiefs es nicht, bei jeder 
Gelegenheit im Senate und vor dem Volke den Unterdrücker 
der catilinarischen Verschwörung anzugreifen. Ihm entgegnete 
Cicero nicht minder heftig, besonders in der uns nicht er- 
haltenen Metellina. Gerade der Widerspruch, die ungerechte 
Herabsetzung seines thatsächlichen Verdienstes verklärte ihm 
immer mehr die jüngste Vergangenheit, so dals er sich 
schliefslich in einen wahren Fanatismus der Selbstverherr- 
lichung hineinredete und hineinschrieb. Er richtete ein aus- 
führliches Sendschreiben an Pompejus, dem er als einem 
zweiten Scipio sich selbst als einen zweiten Lälius empfahl, 
erhielt aber nur eine kühle, abweisende Antwort. Je mehr 
ihm so das verdiente Lob vorenthalten wurde, um so eifriger 
warf er sich als den Herold seiner eigenen Thaten auf und 
verkündigte in lateinischer und griechischer Sprache, in 
gebundener und ungebundener Rede die Ereignisse seines 
Konsulats. Kein Feind verstand seinen Ruhm so schwer 
zu schädigen, wie er sich selbst durch dieses grenzen- 
lose Selbstlob geschadet hat. Glücklicherweise sind nur 
wenige Bruchstücke dieser Panegyrici auf uns gekommen; 
doch verraten auch diese, dafs Cicero so wenig Dichter, wie 
Staatsmann war. Und doch wäre es unbillig, wegen dieser 
Schwäche, die kein Verständiger leugnen wird, über ihn 
den Stab zu brechen. Der vom Glück namenlos begünstigte 
und weit über die Grenzen seiner Begabung hinausgehobene 
Mann konnte es nicht fassen, dafs es nicht immer so blieb. 
Da er fühlte, dafs es mit ihm in politischer Hinsicht wieder 
bergab gehe, klammerte er sich, in thörichter Verkennung 
seiner wahren Bedeutung, an das, wie er meinte, schönste 
Jahr seines Lebens und vergoldete sich die trübe .Gegenwart 
mit dem künstlich erhöhten Glanz der Vergangenheit. Alles 
verstehen heifst viel vergeben. 

Während Curie und Forum von dem Getöse der Redner, 
aber auch von dem Waffenklirren bewafl&ieter Banden wider- 
hallten, nahm Cicero die niemals gänzlich unterbrochene 



— 64 — 

Gerichtsthätigkeit wieder auf. Wie auf alle inneren Unruhen, 
so folgte auf die catilinarische Verschwörung eine Reihe 
von politischen Prozessen, in denen strebsame Anfönger als 
Ankläger ihre Sporen zu verdienen suchten» Cicero sah 
sich veranlafst, im Bunde mit seinem alten Nebenbuhler 
Hortensius dem ihm befreundeten P. Cornelius Sulla seinen 
Beistand zu leihen, wie es scheint, weil er sich von jenem 
die Summe Geldes leihen wollte, deren er zum Ankauf eines 
Hauses auf dem Palatinus bedurfte. Diese Bereitwilligkeit 
würde Cicero schwer kompromittieren, wenn Sulla wirklich 
ein Mitglied der Verschwörung gewesen wäre. Indessen 
darf diese Annahme auf Grund der Angaben Sallusts als 
haltlos zurückgewiesen werden; war auch Sulla dem Unter- 
nehmen Catilinas nicht gänzlich fremd, wie etwa auch 
Crassus und Cäsar hierfür anzusprechen sind, so kann er 
doch unmöglich als ein wirklicher Verschwörer bezeichnet 
werden. Die Verteidigungsrede bezeugt die hohe Kunst des 
Verfassers. Nachdem Hortensius die angebliche Beteiligung 
an der ersten Verschwörung zurückgewiesen hatte, erörterte 
Cicero das Verhältnis seines Klienten zur zweiten Unter- 
nehmung Catilinas. Er beginnt mit einer Entschuldigung 
und Erklärung seines Entschlusses, Sulla zu verteidigen, 
indem er darauf hinweist, dafs er andere Gesuche, wie das 
des Autronius, abgewiesen habe. Er verteidigt sich geschickt 
und würdevoll gegen die heftigen Angriffe seines Gegners, 
des jungen Torquatus, der ihm seine fast königliche Gewalt 
über die Gemüter der Richter vorgeworfen hatte. Bei dieser 
Gelegenheit erzählt er die Entdeckung der Verschwörung. 
Nun folgt abweichend von dem Brauch die Widerlegung 
der einzelnen Klagepunkte. Geschickt verwendet Cicero den 
Aufenthalt Sullas in Neapel als Alibi-Beweis; er ist im 
entscheidenden Augenblick gar nicht in Rom gewesen. Das 
Zeugnis der Allobrogen wird verdächtigt, die Anwerbung 
von Fechtern und andere belastenden Momente, werden, wie 
es scheint, hinreichend erklärt. An zweiter Stelle folgt erst 



— 65 — 

der Beweis aus dem Vorleben, das der Redner deshalb ans 
Ende gestellt hat, weil es sich vorteilhaft gegen das wüste 
Treiben des Lentulus und seiner Genossen abhob. In der 
Schlufsrede appelliert der Redner wie gewöhnlich an das 
Gefühl der Richter unter Hinweis auf den kleinen Sohn 
des Beklagten und f&hrt dabei auch seine Auktorität ge- 
bührend ins Feld. - Sulla wurde freigesprochen. Die Wahrheit 
fordert festzustellen, dafs sich Cicero später bei der Nachricht 
von dem Tode seines einstigen Klienten sehr ungünstig 
über seine Habgier äufserte, die er bei Versteigerungen 
eingezogener Güter zu befriedigen gepflegt habe. 

In dasselbe Jahr Mit die kleine, aber höchst interessante 
Verteidigungsrede fiir den Dichter A. Licinius Archias, der 
wegen Erschleichung des Bürgerrechts vor dem Prätor 
Q. Cicero sich rechtfertigen mufete. Der Verteidiger be- 
schäftigt sich in der mit Unrecht angezweifelten Rede weniger 
mit der Streitfrage selbst, die übrigens nicht unschwer fest- 
zustellen war, als mit dem Lobe der schönen Künste im 
allgemeinen und der Dichtkunst im besondem. Nicht ohne 
innere Teilnahme lesen wir noch heute die klangvollen, 
ewig wahren Worte von dem unvergänglichen Wert höherer 
Geistesbildung. „Diese Studien nähren die Jugend, erfreuen 
das Alter, verschönen das Glück, trösten im Unglück, er- 
götzen daheim, behindern nicht draufsen, übernachten mit 
uns, gehen in die Feme, aufs Land.^^ Etwas Jugendliches, 
Frisches li^ in der Rede, besonders dort, wo sie fast naiv 
den angeborenen Ehi^eiz eingesteht. Ist auch diese Rücksicht 
auf den Nachruhm vom Standpunkt einer höheren Sittlichkeit 
aus nicht das allein mafsgebende Motiv zum ehrenhaften 
Handeln, so ist es doch ohne Zweifel ein berechtigter Faktor 
im Seelenleben des Menschen, zumal in dem des Jünglings; 
denn bekanntlich schrieben, wie Cicero witzig bemerkt, die 
Philosophen, welche über die Verachtung des Ruhmes Schriften 
verfalsten, vorsichtigerweise ihre Namen auf die betreflPenden 
Bücher. 

Aly, Cicero. 5 



— 66 — 

In den Ausgang des Jahres 62 fiel ein Ereignis, das 
von den schwer^egendsten Polgen flir Cicero gew^n ist. 
Am Feste der Bona Dea, welches nach altem Brauch aus- 
schliefslich von Frauen im Hause des Pontifex maximus 
C. Cäsar gefeiert wurde, ward zur Nachtzeit einer der 
schlimmsten Wüstlinge Roms, der designierte Quästor P. Glodius 
Pulcher, ertappt, der, wie man sagte, ein ehebrecherisches 
Verhältnis zur Gattin Cäsars unterhielt. Dieser Skandal er- 
regte, da der Ertappte noch schlimmere Sünden auf dem 
Kerbholz hatte, das grölste Aufsehen. Nicht nur sandte 
Cäsar seiner Frau den Scheidebrief, sondern auch der Senat 
nahm sich der Sache an und beschlofs, nachdem die Pontifices 
den Gottesfrevel festgestellt hatten, eine gerichtliche Unter- 
suchung. 

Zu Anfang des Jahres 61 kehrte Cn. Pompejus nach 
fast sechsjähriger Abwesenheit aus Asien zurück, mit einer 
derartigen Fülle von Macht ausgerüstet, dafs es ihm möglich 
gewesen wäre, nach der Krone zu greifen. Dem ehrgeizigen 
Manne fehlte zwar nicht der sehnsüchtige Wunsch, wohl 
aber die Kraft des Entschlusses. In Brundisium entliefs er 
sein sieggewohntes Heer, um in Rom nach dem Herkommen 
die Bewilligung eines Triumphes nachzusuchen, zugleich aber 
auch die Belohnung seiner Soldaten und die Bestätigung der 
von ihm in Asien getroffenen Anordnungen. Nur zu bald 
sollte er merken, dals er die Macht aus den Händen gegeben 
hatte. Während Cicero vergeblich zu vermitteln trachtete, 
trat die Mehrheit des Senats unter Führung des mit Pom- 
pejus verfeindeten Lucullus und des unbeugsamen Cato dem 
einst so mächtigen Manne energisch entgegen. Die stürmi- 
schen Verhandlungen jener Tage hat uns Cicero in überaus 
lebendiger und witziger Darstellung durch seine an Atticus 
gerichteten Briefe berichtet. Zunächst ging die Untersuchung 
gegen Clodius ihren Gang. Allerdings wurde es durchgesetzt, 
dafs er vor ein Gericht gestellt wurde, und hier legte Cicero 
das folgenschwere Zeugnis ab, durch welches die Ausrede 



— 67 — 

des Beklagten, dafs er an dem betreffenden Tage in Interamna 
gewesen sei, widerlegt wurde. Aber der Ausgang des Pro- 
zesses war doch dank der von M. Grassus gespendeten Summen 
und anderer Mittelchen ein unerwarteter; Clodius wurde mit 
31 gegen 25 Stimmen freigesprochen. Nun setzte sich der 
Kampf im Senate fort, in dem Cicero, ein unbesieglicher 
Beherrscher des Wortwitzes, Sieger blieb, um bald darauf 
schwer zu bü&en, wie denn überhaupt die scharfe Zunge 
ihrem Herrn oft mehr Herzeleid bereitete, als seinen Feinden. 
Inzwischen trübte sich der politische Himmel. Während die 
demokratische Partei unter Cäsar und Crassus immer mehr 
erstarkte und in Clodius ein wenig ehrenhaftes, aber brauch- 
bares Werkzeug gewann, drohte die, von Cicero mit so vieler 
Mühe zusammengebrachte Koalition der Nobilität und des 
Ritterstandes auseinanderzufallen. Das Vorgehen des Senats 
gegen die Bestechlichkeit der Richter, die XJnnachgiebigkeit 
der Beamten gegen die Pächter der asiatischen Staatsgefälle 
gaben den ersten Anlafs. Cicero hatte alle Hände voll zu 
thun, um alles zum Guten zu kehren; schon verspürte er 
die Abnahme seines politischen Ansehens. IJm so gröfser 
war die Gefahr, die ihm drohte. Der aufs höchste erbitterte 
Clodius betrieb seine Adoption durch eine plebejische Familie, 
damit er sich um das Volkstribunat bewerben könne, eine 
Stellung, in der er dann mit seinem tödlich gehafsten Gegner 
abrechnen zu können hoffte. Nur einen schwachen Trost 
gewährte es, dafs bei der Auswahl einiger nach Gallien zu 
entsendenden Kommissare der Senat Cicero und Pompejus als 
unentbehrliche Pfander des Staatswohls reklamierte. Gerade 
die Freundschaft mit letzterem brachte Cicero in eine mifs- 
liche Lage, da zwischen jenem und dem Senate ein heftiger 
Zwist über die Befriedigung der Veteranen durch Acker- 
anweisungen entbrannte. Der alte Gegensatz Ciceros zu den 
Optimaten, den Fischteichbesitzern, wie er sie mit deutlichem 
Hinweis auf Lucullus und Hortensius spöttisch nennt, brach 

jetzt wieder hervor und vereinsamte ihn gerade in der Zeit, 

5* 



— 68 — 

in welcher er am ehesten einen Freund hätte brauchen 
können, zumal Atticus in Athen, Bruder Quintus als Pro- 
prätor in Kleinasien war. Denn auf Pompejus war kein 
Verlals. Hülflos und dabei ehrgeizig, wie er war, sah er 
sich gezwungen, eine kräftigere Stütze zu wählen, als Cicero 
ihm bieten konnte, wenn er die so unbedacht preisgegebene 
Stellung wieder erlangen wollte. Nun sah Cäsar seine Zeit ge- 
kommen. Aus Spanien zurückgekehrt, verzichtete er leichten 
Herzens auf den ihm zukommenden Triumph, um die Be- 
werbung fdr das Konsulat anmelden zu können. Zuvor 
schlofs er mit Pompejus und dem als Vermittler nützlichen 
Crassus jenes schwerwiegende Bündnis, welches der gelehrte 
M. Terentius Varro als das dreiköpfige Tier geifselte, wahrend 
es die Geschichte das erste Triumvirat nennt. Ohne sich 
um formelle Schwierigkeiten zu kümmern, die sein Kollege 
M. Bibulus erhob, brachte der Konsul Cäsar im Jahre 59 
das Ackergesetz durch, welches die Veteranen des Pompejus 
in Campanien ansiedelte, gewann durch einen Erlals der 
Steuerpacht die Bitter, setzte die Bestätigung der in Asien 
getroffenen Anordnungen durch und liefs sich selbst die 
Provinz Gallien mit drei, später mit vier Legionen auf fünf 
Jahre zusprechen. Die Verbindung mit Pompejus wurde 
durch seine Verheiratung mit Cäsars Tochter enger geknüpft, 
wahrend dieser die Tochter des designierten Konsuls Piso 
heiratete. Auch der andere Konsul Gabinius war für die 
Gewaltherrscher gewonnen, während der zum Volkstribun 
erwählte Clodius ihnen mit Hülfe seiner bewaffiieten Banden 
die Herrschaft auf den Gassen und in den Volksversammlungen 
Roms sicherte. 

Während dieser Vorgänge führte Cicero ein unruhiges 
Leben zwischen Furcht und Hoffiiung. Anfangs zog er sich 
auf seine Güter zurück, weilte zu Antium an der Küste oder 
auf seinem Formianum; als er auch hier dem Gerede der 
Hauptstadt und dem Geschwätz langweiliger Nachbarn nicht 
entgehen konnte, flüchtete er sich nach seiner Heimat Arpinum, 



— 69 — 

um im Verkehr mit den Seinen und in wissenschaftlichen 
Studien Trost und Zerstreuung zu finden. Aber auch dies 
Mittel schlug fehl. Die geographischen Bücher, welche ihm 
Atticus sandte, reizten ihn nicht. Endlich kehrte er nach 
Rom zurück, beschränkte sich aber auf die gerichtliche 
Thätigkeit, wahrend er sich vom Senate fernhielt. Zeit- 
weilig gab er sich auch mit allerlei Beisegedanken ab; er 
wollte Ägypten besuchen oder eine sogenannte libera legatio 
auf sich nehmen. Zu einer solchen ehrenvollen Ruhestellung 
bot ihm Cäsar wiederholt Gelegenheit, da es ihm ersichtlich 
darauf ankam, gerade diesen Gegner zu schonen. Aber die 
durch den Bankier Cornelius Baibus geführten Unterhand- 
lungen fährten nicht zum Ziel. Immer wieder erwachte in 
Cicero mit der Erinnerung an die Thaten seines Konsulats 
das Gefühl der Beschämung über seine Zurücksetzung und 
damit der Entschlufs, auf dem verlorenen Posten auszu- 
halten. In diesem Zustande unbehagUcher Selbstpeinigung 
wuchs sein Zorn gegenüber seinem ehemaligen Freunde 
Pompejus, den er in seinem Briefwechsel mit aUen mög- 
lichen Schmeichelnamen belegt. Er hatte es auch nicht 
besser verdient; denn mit seiner Hülfe war Clodius zu der 
Stellung gelangt, in der er dem im Wortgefecht über- 
legenen Gegner mit Thaten vergelten konnte, bei welcher 
Gelegenheit auch die übelberüchtigte Clodia, die Schwester 
des Tribunen, zugleich die Lesbia des Dichters Catullus, 
ihre Dienste leistete. 

Im Jahre 59 verteidigte Cicero seinen einstigen Kollegen 
im Konsulat, C. Antonius, wiewohl ohne Erfolg; femer den 
Proprätor L. Valerius Flaccus, der einst die Allobrogen 
gefangen genommen hatte. Dieser war nach Verwaltung 
der Provinz Asien wegen Erpressungen angeklagt. Wiederum 
trat Cicero nach Hortensius in der Schlufsrede auf, die uns 
zum grofseren Teil erhalten ist. Der Redner legt es vor 
allem darauf an, die Glaubwürdigkeit der Belastungszeugen 
abzuschwächen. Es seien kleinasiatische Griechen, Carier 



— 70 ,— 

und Lydier, eine Nation, die überall als unzuverlässig und 
leichtsinnig gelte. Die Psephismata, welche der Ankläger 
beibringe, seien in höchster Übereilung abgefafst; sie ver- 
dienten nicht, als Zeugnisse angesehen zu werden. Dann 
werden die einzelnen Anklagepunkte durchgegangen; sie 
werden als nicht ausreichend begründet dargestellt, sowohl 
was die Urkunden, als auch was die Zeugen betriffl;. Auf 
die Einzelheiten einzugehen, gewährt kein Interesse. Im 
Gtegensatz hierzu werden hochachtbare Entlastungszeugen 
vorgeführt. Unter den Anklagen befindet sich auch der 
Vorwurf, dafs Flaccus die Goldausfuhr nach Jerusalem, d. h. 
zu ÖUDsten der Tempelkasse, verboten habe. Wir erhalten 
dabei die interessante Mitteilung, dafs die jüdische Gemeinde 
in Rom höchst ansehnlich, einträchtig und einfluTsreich war, 
selbst in den Volksversammlungen. Cicero will leise sprechen, 
damit ihn nur die Richter hören; er fürchtet, dafs sonst. die 
Judenschaft gegen ihn aufgewiegelt werde. Auch die Be- 
schwerden römischer Bürger werden zurückgewiesen. Im 
Schlufsteil erhebt sich der Redner zu vollstem Pathos, 
indem er die Schatten Catilinas und Lentulus' herauf- 
beschwört. Möge immerhin C. Antonius mit einigem Rechte 
verurteilt sein; Flaccus solle nicht als unschuldiges Opfer 
dargebracht werden. Er erinnert die Richter an die Nacht, 
in welcher der Beklagte die Allobrogen verhaftete, an die 
Nonen des Dezember und seine Verdienste. Auch wird die 
Rührscene mit dem weinenden Sohne uns nicht erspart. 
Flaccus wurde freigesprochen; ob mit Recht, können wir 
nicht entscheiden. Die Notiz eines späteren Schriftstellers, 
der höchst schuldige Mann öei nur durch Ciceros Witze der 
verdienten Strafe entrissen, ist für jeden Verständigen wertlos. 
Gar manche Angriffe der Gegner Ciceros waren, wie uns die 
Rede des Fufius Calenus bei Dio Cassius zeigt, so giftig, 
dafs sie geradezu thöricht genannt werden müssen. Eine 
unbefangene Forschung wird sich hier, wie bei so manchen 
Punkten, mit einem „non liquet" begnügen müssen. 



— 71 — 

So nahte das Unglücksjahr 58 unter Unheil verkündenden 
Zeichen, während Cicero sich durch erträumte Hoffnungen 
über die nahe Gefahr fortzutäuschen suchte. Bevor Cäsar 
sein gallisches Kommando übernahm, muTste er sich in Rom 
den Rücken decken und wenigstens die unbequemsten Führer 
der Senatspartei, Cato und Cicero, unschädlich machen. Er 
hätte den letzteren gern geschont, es war aber nicht mögUch 
gewesen, P. Clodius übernahm mit wilder Freude das Schergen- 
amt. Er begann mit einigen Gesetzvorschlägen, welche seine 
Popularität erhöhen und seine weiteren Pläne fordern sollten. 
Ein Getreidegesetz erliefs dem Volke auch die geringe Zahlung 
des vom Staate gelieferten Korns; ein anderes stellte die auf- 
gehobenen politischen Klubs (collegia) wieder her; andere 
Gesetze betrafen die Auspicien, die censorische Machtvoll- 
konunenheit, die Überweisung der Provinzen an die Konsuln. 
Erst nach diesen Vorbereitungen holte er aus zum todlichen 
Schlage und beantragte, dafs, wer einen römischen Bürger 
ohne richterUches Urteü getötet hätte, mit Verbannung 
bestraft würde. Ciceros Name war zwar nicht genannt, 
stand aber zwischen den Zeilen deutlich zu lesen. Niemand 
Wulste besser, was ihm bevorstand, als der Betroffene selbst. 
Ohne den geringsten Widerstand zu versuchen, legte er 
nach römischer Sitte das Trauerkleid des Beklagten an und 
zeigte sich öffentlich vor dem Volke als ein Hülfeflehender; 
er wurde aber durch die Banden des Clodius gezwungen, 
die Öffentlichkeit zu meiden. Immerhin zeigte es sich, dafs 
Cicero sich grofser Beliebtheit erfreute. Der Ritterstand 
legte mit ihm Trauerkleidung an und beschickte Konsuln 
und Senat durch Abgesandte; insbesondere traten Hortensius 
und C. Curio für ihn ein. Aber die voreingenommenen 
Konsuln hintertrieben alle Veranstaltungen und untersagten 
dem Senate die Anlegung der Trauergewänder, welche der 
Volkstribun Ninnius beantragt hatte. Da auch Pompejus 
sich verschlossen zeigte, verzweifelte Cicero an der Rettung 
und verliefe Ende März in zahlreicher Begleitung zur Nacht- 



— 72 — 

zeit die Stadt. Er begab sich zuerst in die Gegend von 
Vibo an der lukanisclien Küste, wo er bei einem gewissen 
Sica Quartier nahm, in der Absicht, von dort nach Sicilien 
zu reisen. Da erreichten ihn neue Hiobsposten. Nach seiner 
Entfernung hatte Clodius Ciceros Verbannung auf eine Ent- 
fernung von 400 Milien und die Beschlagnahme seines Eigen- 
tums durchgesetzt; sein Stadthaus war zerstört und der 
„Freiheit^^ geweiht, seine Landhäuser eingeäschert. Zugleich 
brachte Clodius ein Gesetz durch, nach dem Cato mit der 
gajiz ungerechtfertigten Einziehmig des Königreichs Cypem 
beauftragt und so miter ehrenvollem Vorwande aus Rom 
entfernt wurde. Es bedarf hier nicht des Beweises, dafe 
auch die. gegen Cicero gerichteten Gesetze jedes materiellen 
und formellen Bi6Chtsgrundes entbehrten. Dieser änderte seinen 
Reiseplan und ging über Thurii und Tarent nach Brundisium^ 
von wo er am 18. Mai des berichtigen Kalenders nach 
Dyrrhachium in See ging. Auch in Griechenland war es 
schwer, dem armen Verbannten eine sichere Stätte zu be- 
reiten. Von Epirus und Athen, wohin ihn Atticus einlud, 
schreckten ihn die dort ansässigen Überbleibsel der cati- 
linarischen Bande ab. Er entschlofs sich nach Thessalonica zu 
gehen, wo er an dem Quästoi:^ Cn. Plancius sechs Monate 
hindurch einen liebenswürdigen Wirt fand. Seinen Bruder, 
der soeben aus Asien zurückkehrte, trieb er nach Rom, da 
er keinen andern Gedanken hatte, als den seiner baldigen 
Zurückberufung. 



Kapitel 9. 



Die Rückkehr. 

Es ist für uns nicht leicht, eine lebendige Vorstellung 
von dem Seelenzustande zu gewinnen, in den Cicero durch 
seine gewaltsame und u^rechtmä(sige Vertreibung versetzt 



— 73 — 

war. In unserer Zeit, wo die Schranken der Nationalität 
durch Sitte und Verkehr fast aufgehoben sind und die 
Beeinträchtigung Fremder als Akt der rohesten Barbarei 
erscheint, wo der Erdkreis mit einer grofsen Zahl von 
Centren der Kultur bedeckt ist, will es uns wunderbar 
erscheinen, dafs die Strafe der Verbannung so hart em- 
pfunden wurde. Wir müssen schon an die gewaltsame Ver- 
pflanzung eines europäischen Orofsstädters von feinster Bildung 
und höchster Lebensstellung in die Einöde eines sibirischen 
Städtchens denken, wenn wir den Schmerz eines Cicero, eines 
Ovid würdigen wollen. Allerdings sind beide weniger wider- 
standsföhig gewesen, als ihre Bewunderer wünschen möchten. 
Niemand wird Cicero von dem Vorwurf schwächlicher Weich- 
herzigkeit freisprechen können, wie aus den an seine Familie 
und an Atticus gerichteten Briefen erhellt. Trotzdem 
wäre es ungerecht zu leugnen, dafs der erlittene Schlag 
ebenso hart als unverdient war. War er schuldig, so war 
es auch die Mehrheit des Senats, die ihm zugestimmt, und 
das Volk, das ihm zugejauchzt hatte. Er verdiente es nicht, 
der durch jahrelange, treue Arbeit erworbenen Stellung, seiner 
Güter und Sammlungen auf räuberische Weise beraubt zu 
werden. Aber noch Schlinmoieres stand ihm bevor. Sobald 
er Italien verlassen hatte, schwebte er in Gefahr, den Resten 
der Catilinarier in die Hände zu fallen, welche, über Achaja 
zerstreut, ihm den Tod geschworen hatten. Wahrlich, es 
war ein tiefer, schwerer Fall, wohl geeignet, auch eine feste 
Natur zu erschüttern, geschweige denn einen so empfang- 
liehen, allen Eindrücken so zugänglichen Charakter, wie es 
der Ciceros war! So ist es fast erklärlich, wenn auch nicht 
entschuldbar, dafs seine Briefe von Thränen überschwemmt, 
mit Klagen erftillt sind. Ein grausames Geschick hat diese 
Zeugen seiner Erniedrigung ebenso treu aufbewahrt, wie 
die Bel^e seiner politischen Glanzzeit. 

Während Cicero zu Thessalonica in Thränen schwamm, 
wie er in seiner südländischen Lebhaftigkeit wenigstens ver- 



— 74 — 

sicherte, nahmen die Angelegenheiten in Rom eine für ihn 
durchaus günstige Wendung. Nach Cäsars Abreise hatte 
sich Pompejus, wie zu erwarten stand, unfähig gezeigt, die 
aufgebotenen Geister zu bannen, insbesondere Clodius, der 
sich so sehr als Herrn der Strafsen fühlte, dals er sogar 
dem grofsmächtigen Triumvirn zu imponieren meinte. Als 
Gegengewicht gedachte Pompejus die Zurückberufung Ciceros 
durchzusetzen und veranlafste daher schon im Juni einen 
Senatsbeschlufs, der allerdings durch den Einspruch eines 
Volkstribunen aufgehoben wurde. Inzwischen wurde der 
Strafsenlärm in Rom immer ärger; ja, man. beschuldigte 
Clodius geradezu eines Mordanschlags auf Pompejus. Im 
November traten acht Tribunen mit einem Gesetzesvorschlag 
auf, der Ciceros Rückkehr herbeiführen sollte. Vor allem 
war es der designierte Konsul P. Lentulus Spinther, der 
sich des Verbannten mit allem Eifer annahm. Während 
Cicero von Thessalonica nach Dyrrhachium zurückkehrte, 
um der Heimat näher zu sein, und die weiteren Reisepläne 
aufgab, erklärte Lentulus bei der Übernahme des Konsulats 
im Januar 57, dafs er von weltlichen Dingen nichts eher 
betreiben werde, als die Zurückberufung Ciceros. Auch 
andere angesehene Männer legten sich ins Mittel. Aber der 
Widerstand zweier Tribunen und vor allem die Brutalitäten 
der Banden des Clodius schoben die Entscheidung hinaus, 
bis endlich der Senat beschlofs, es sollten alle Bürger, 
welchen das Staatswohl am Herzen liege, aus ganz Italien 
nach Rom zusanmienkommen. Noch eine Anzahl weiterer 
Senatsbeschlüsse ist uns überliefert, die sämtlich für Cicero 
günstig ausfielen. Aber erst im August konnte Lentulus, 
nachdem er den Widerstand seines Kollegen Metellus über- 
wunden hatte, in den Centuriatcomitien die Zurückberufung 
Ciceros durchsetzen, die einstimmig beschlossen wurde. Hier- 
bei wurde Clodius mit gleicher Münze bezahlt; seinen Leuten 
traten andere bewaflfhete Banden entgegen, unter deren Führern 
sich der Volkstribun T. Annius Milo hervorthat. 



— 75 — 

Die Rückkehr Giceros gestaltete sich zu einem wahren 
Triumphzug. Am 11. August, dem Geburtstage seiner Tullia, 
landete er in Brundisium und hatte das Glück, dieses sein 
Lieblingskind hier anzutreffen. Gleichzeitig erhielt er von 
seinem Bruder die Nachricht, dals er durch einstimmigen 
Volksbeschlufs und unter allgemeiner Beteiligung der Bürger- 
schaft zurückgerufen sei. Von den Brundisinem ehrenvoll 
angenommen, erfreute er sich auch auf seiner weiteren 
Reise bis Rom der herzlichsten Begrüfsung aller Volks- 
klassen. Als er am 8. September nach einer Abwesenheit 
von sechzehn Monaten durch die porta Gapena einzog, 
waren alle Tempelstufen von einer dichtgescharten Menge 
besetzt, die ihn jubelnd empfing; auf dem Markt wie auf 
dem Eapitol, wo er den Göttern dankte, wurden ihm Beweise 
der Anhänglichkeit und Verehrung zu teiL Es ist nicht zu 
viel behauptet, wenn von seiner Rückkehr gesagt ist, dafs 
er auf den Schultern Italiens nach Rom zurückgebracht sei; 
alle Schriftsteller stimmen darin überein. Das war ja nun 
allerdings ein linderndes Pflaster flir die tiefe Wunde, welche 
die Heftigkeit der Feinde und die Lauheit der Freunde dem 
Selbstgefühl Giceros geschlagen hatte, und er verfehlte nicht, 
diese Thatsache in den nächsten Reden vor aller Welt fest- 
zustellen. Aber trotzdem fehlte noch viel daran, dafs eine 
volle restitutio in integrum eingetreten wäre. Seine materielle 
Existenz stand nach wie vor in Frage; in Trümmern lagen 
Giceros prächtige Häuser, und es kostete noch viele An- 
strengungen, ehe er aus diesem Wirrwarr einen leidlichen 
Wohlstand sich zurückerobert hatte. Dafs dies nur langsam 
vor sich ging, war Glodius zu erwirken eifrig beflissen, 
während die alten Freunde nicht immer die wünschenswerte 
Energie bethätigten. Zugleich fühlte der Zurückgerufene 
sehr peinlich die Verpflichtung, sich den nur mühsam be- 
gütigten Machthabern angenehm zu machen. Es war eine 
traurige Zeit, durch die sich Gicero hindurchschlagen raulste; 
zum erstenmal regte sich in ihm das dunkle Gefühl, dafs er 



— 76 — 

nicht berufen sei, auf politischem Gebiete dauernde Lorbeeren 
zu erringen. Ein neuer Lebensabschnitt begann für ihn, in 
dem er, halb widerwillig, die Werke schrieb, durch die er 
sich um sein Volk wie um die Nachwelt wohl verdient 
gemacht hat. Verfolgen wir zunächst sein politisches Ver- 
halten in den nächsten Jahren. 

Am Tage nach seiner Rückkehr ergriif er im Senate 
zu einer Dankesrede das Wort. In überschwenglicher Weise 
dankt er den Senatoren, insbesondere den Männern, welche 
sich persönlich in seinem Interesse hervorgethan hatten, 
auch dem, wie er rühmt, ersten Manne aller Völker, aller 
Geschlechter, aller Zeiten, Cn. Pompejus, der ihn doch 
seiner Zeit schmählich in Stich gelassen hatte. Man merkt 
es der Rede auch an, dafs sie nur da aus vollem Herzen 
kommt, wo es gut, den Todfeinden Gabinius, Piso, Clodius 
heimzuzahlen, was sie verdient haben. In ähnUchen Wen- 
dungen bewegt sich die bald darauf an das Volk gerichtete 
Rede. Wie die Gesundheit erst von den aus schwerer 
Krankheit Erstandenen, nicht von den Gesunden gewürdigt 
werde, so habe er mehr durch das Entbehren, als durch 
den Genufs die Reize der Heimat kennen gelernt; wir 
wollen es ihm gern glauben. Auch der Vergleich mit 
seinem Landsmann Marius ist nicht übel. Hier läfst er sich 
endlich deutlicher über seine heimlichen Gegner aus, als er 
es im Senate gewagt hatte. Bald sollte er zu neuen Reden 
Stoff und Veranlassung finden. Als unmittelbar darauf eine 
Teuerung in Rom ausbrach — die Weltstadt konsumierte 
unendlich viel und produzierte unendlich wenig — , da ver- 
stand es der unermüdliche Glodius, auch hieraus für seine 
Zwecke iCapital zu schlagen. Von ihm und seinen Spiefs- 
gesellen aufgehetzt, stürmte der Pöbel zum Senat mit dem 
unsinnigen Geschrei, dafs Cicero diese Teuerung verschuldet 
habe. Der Senat beriet über etwaige Abhülfe. Da bean- 
tragte Cicero, um den ersten Beweis seiner guten Gesinnung 
zu erbringen, dafs dem Pompejus die Sorge flir die Ver- 



— '77 — 

pflegung der Hauptstadt (cura annonae) auf fünf Jahre mit 
aufserordentlichen Machtbefugnissen übertragen werde. Senat 
und Volk stinunten zu, wenn auch die aristokratische Partei 
unter Führung des Favonius ohnmächtig knirschte. Die erste 
der ihm bewiUigten fünfzehn LegatensteDen übertrug der zum 
zweitenmal an die Spitze des Staates gestellte, fast allmächtige 
Feldherr dankbar seinem Fürsprecher und billigte ihm, aller- 
dings nur dem Namen nach, die RoUe eines SteUvertreters 
zu, ohne dafs Cicero über diese leeren Ehren übermäfsige 
Freude empfunden hätte. Ihn bedrückten schwere häusUche 
Sorgen; nicht nur hatte sich das Verhältnis zu seiner Gattin 
merklich gelockert, wir wissen nicht aus welchem Grunde, 
sondern es drängte auch die Frage bezüglich der Wieder- 
herstellung seines Hauses der Entscheidung zu; diese fiel 
für ihn günstig aus. Nachdem nämlich Clodius die Ver- 
bannung Giceros durchgesetzt, hatte er mit nicht geringerer 
Wut den materiellen Ruin seines tödlich geha&ten Feindes 
betrieben. Sein in bevorzugter Lage erbautes Haus war ein- 
gerissen, die leere Stätte zum Teü der „Freiheit" geweiht, 
deren Bildnis an Ort und Stelle aufgerichtet war. Es wurde 
also die Wiederherstellung des Hauses durch religiöse Be- 
denken einstweilen verhindert, ein Punkt, in dem die Römer 
Ton jeher schwierig waren. Der Senat verwies die Sache 
an die Pontifices, die in allen religiösen Dingen die Ober- 
aufsicht führten. Vor ihnen hielt Cicero die dritte seiner 
vier Reden nach seiner Rückkehr „über sein Haus", in der er 
nicht unschwer einen glänzenden Sieg davontrug. Er benutzte 
die Gelegenheit, mit Clodius gründlich abzurechnen, und hat 
ihm alles Leid, was ihm jener angethan, reichlich vergolten. 
Wenn dessen Charakter mit Fug und Recht neben Verres 
und Catilina am Pranger steht, so ist auch dies ein Beleg 
für die Macht der menschlichen Rede, die über rohe Gewalt 
zuletzt doch den Sieg davon trägt. Er erzählt zuerst die 
Vorgänge bei Anlafs der Teuerung und rechtfertigt die 
Wahl des Pompejus; dann erörtert er die staatsrechtliche 



• — . 78 — 

Seite der Streitfrage, die allerdings zu zahlreichen Einwänden 
die Handhabe bot. Die Adoption des Clodius ist erschlichen, 
also sein Volkstribunat ungültig; das Verbannungsdekret 
widerspricht dem Zwölftäfelgesetz, ist also gar kein Gesetz; 
der Beschlufs wie seine Ausführung sind nur auf gewalt- 
thätigem Wege zustande gekommen, eigentlich ist Cicero 
gar nicht verbannt; die angebliche Weihung schliefst sogar 
ein schweres Unrecht gegen den Cimbemsieger Catulus mit 
ein, dessen Halle gleichfalls niedergerissen ist Das religiöse 
Moment wird nur vorübergehend erörtert, weil es eigentlich 
etwas Geheimnisvolles ist. Aber soviel erhellt, dals auch 
hier aUe rechtlichen Vorbedingungen schmähUch verabsäumt 
sind. In ergötzlichster Weise wird Clodius' Gottesfrevel 
gegen die Bona Dea, wie sein lasterhafter Lebenswandel 
durchgehechelt. Die Rede schliefst mit einem feierlichen 
Anruf der drei Hauptgottheiten des Kapitols, des Jupiter, 
. der Juno und der Minerva, sowie der Hausgöttin Vesta. 

Die Pontifices beschlossen einstimmig, dafs ein religiöses 
Bedenken nicht vorliege, da ein Volksbeschlufs überhaupt 
nicht stattgefunden habe. Trotzdem gab Clodius seinen 
Widerstand nicht auf; durch eine dreistündige Rede suchte 
er den Senat zu ermüden und stiftete einen Volkstribunen 
zum Einspruch an. Aber dieser wurde zurückgezogen. Cicero 
erhielt den Bauplatz, sowie eine nicht reichlich bemessene 
Entschädigung von 2 Millionen Sesterzen (350000 M.). Sein 
gleichfalls zerstörtes Tusculanum wurde auf 500000, sein 
Formianum auf 250000 Sesterzen abgeschätzt und ihm da- 
nach vergütet. Cicero war damit nicht zufrieden; er meinte, 
man wolle nicht, dals ihm die Flügel wieder wüchsen, die 
man ihm einmal beschnitten habe. Da war es sein getreuer 
Atticus, der, wie gewöhnlich, in die Bresche sprang und ihm 
für den Bau die nötigen Summen vorstreckte, auch seine 
Sammlungen, Kunstwerke und Bücher wieder vervollständigen 
half. Aber der innere Friede war noch immer nicht her- 
gestellt. Der Stralsenheld Clodius suchte die Bauhandwerker 



- 79 - 

mit gewaflfheter Hand zu vertreiben und zwang Cicero 
gelegentlich selbst, sich vor den Steinen und Knütteln 
seiner Banden durch Flucht zu sichern, Zustände, die fast 
an die Herrlichkeit amerikanischer Republiken erinnern. Es 
stand in Pompejus nicht der richtige Mann an der Spitze 
dieses in Verwesung begriffenen Staatswesens. Um so eifriger 
schlofs sich Cicero an den in Gallien koumiandierenden Cäsar 
an; auf seinen Antrag wurde dem siegreichen Feldherm ein 
Dankfest von fünfzehn Tagen bewilligt, eine Ehre, die in 
dieser Ausdehnung noch niemals erwiesen war. 

Das Jahr 56 bot Cicero eine reiche Fülle von Anlässen, 
seine Redegabe zu bethätigen. Auch die Reden dieses Jahres 
standen in mehr oder minder innigem Zusammenhang mit 
dent, Ereignissen der Vorjahre; die Gerichtsverhandlungen 
wurden von politischen Rücksichten durchweg beeinflufst. 
Zunächst benutzte Cicero eine passende Gelegenheit, sich 
seinem Gönner Lentulus Spinther, dem damaligen Prokonsul 
von Cilicien, dankbar zu erweisen, indem er ihm die Zurück- 
führung des Königs Ptokmäus Auletes nach Ägypten und 
damit Ruhm und Beute verschaffen wollte. Seine nur in 
Trümmern erhaltene Rede „über den alexandrinischen König" 
hatte nicht den gewünschten Erfolg, da Pompejus aus Eifer- 
sucht die Sache hintertrieb. Um so mehr erreichte Cicero in 
seiner Verteidigungsrede für den Volkstribunen P. Sestius, 
der ihm redlich mit Wort imd That beigestanden und nun 
von dem rachsüchtigen Clodius wegen verübter Gewaltthat, 
sowie wegen Amtserschleichung angeklagt war. Cicero hielt 
wie gewöhnlich nach anderen Verteidigern die Schluferede, 
die eine meisterhafte Leistung genannt werden mufs. Da 
die Vorredner, insbesondere Hortensius, bereits die Einzel- 
heiten der Anklage widerlegt hatten, soweit sie zu wider- 
legen waren — denn dafs Sestius und Milo nach Clodius' 
Vorgang bewaffiaete Banden geworben hatten, war stadt- 
bekannt — , so setzte sich Cicero die Aufgabe, das Gesamt- 
leben des Angeklagten in das günstigste Licht zu stellen 



— So- 
und bei dieser Gelegenheit seine eigene Person vorteilhaft 
zu beleuchten. Es giebt die Sestiana daher einen ausführlichen 
Bericht über die auf Ciceros Geschick bezüglichen Ereignisse 
der Vorjahre. Zunächst werden Herkunft und Familienleben des 
Sestius gerühmt, sodann die während seiner Quästur geleisteten 
Dienste, als er im geheimen Auftrage Ciceros deji unzuver- 
lässigen G. Antonius beaufsichtigte und beeinflufste. Dann 
geht der Redner bei dem Tribunat des Beklagten auf eine 
Darlegung der damaligen Zeitverhältnisse ein; die Gabinius 
und Piso erhalten ihr gebührendes Teil, der ganze Jammer 
der clodianischen Umtriebe wird unter sorgsamer Schonung 
der Machthaber geschildert. Natürlich ist es sein Bestreben, 
die Berechtigung seiner damaligen Handlungsweise zu er- 
härten; er beteuert, dafs er nur, um dem Yaterljgpide 
schUmmere Unruhen zu ersparen, gewichen sei, ohne zu 
verhehlen, dafs in künftigen Zeiten ein kräftiger Widerstand 
von ihm an Stelle schwächlichen Nachgebens bevorzugt 
werden würde. Die Strafsenherrschaft des Bösewichts wird 
gezeichnet, dann aber die Umkehr, durch Pompejus und 
auch durch Sestius hervorgerufen. Bei den nun entstehenden 
Wirren ist letzterer bis auf den Tod verwundet, obgleich 
er ohne Wafifen gewesen. Die folgenden Scenen, in denen 
Sestius ohne Zweifel aktiv hervorgetreten war, werden be- 
schönigt, die Anwerbung Bewaflheter mit der Forderung des 
Staatswohls gerechtfertigt, Sestius und Milo als Retter ge- 
priesen. Nun folgt eine zweite Abschweifung, die ein verächt- 
licher Seitenhieb des Anklägers auf die Optimatenpartei ver- 
anlafst. In pomphafter Weise feiert Cicero das Wesen und 
die Ziele der staatserhaltenden Partei im Gegensatz zu den 
Umtrieben der den Trieben der Menge schmeichelnden Popu- 
lären. Gestützt auf die Deutung des Namens, spricht er den 
Optimaten, als deren Genossen er sich offen bekennt, alles 
Gute und Schöne zu. Der ältere Scaurus und Opimius sind 
die Ideale seiner konservativen Staatsgesinnung. Es war 
nicht zu verwundem, dafs die heftigen Angriffe der Volks- 



— 81 — 

partei, welche die Sache Catilinas zur ihrigen gemacht hatte, 
ihn in das andere Lager hinüberdrängten. Im Senate sah er 
das einzige Bollwerk gegen die Herrschaftsgelüste der Macht- 
haber und ihrer Trabanten. Der Redner stellt die den Opti- 
maten erwiesene Gunst der Menge bei Gelegenheit von Ver- 
sammlungen, Wahlen und Spielen fest; wir bekommen dadurch 
einen interessanten Einblick in die politische Bedeutung der 
Schauspiele, die allerdings vor allem der Opposition zu gute 
kam. Die Rede schliefst mit einem begeisterten Appell an 
die Jugend, sich an den grofsen Vorbildern der athenischen 
und vaterländischen Geschichte aufzurichten und demjenigen 
Staate zu dienen, aus dem die Würde und die Seelengröfse 
stammten; als ein auf derartige Ziele gerichteter Bürger wird 
Sestius unter den üblichen Thränen den Richtern empfohlen. 
Er wurde freigesprochen. 

Ein Gegenstück zu dieser Rede ist die Interpellation 
(interrogatio) des Zeugen P. Vatinius, die in den Prozefs 
des Sestius gehört. Um das Zeugnis dieses dem Cäsar er- 
gebenen Mannes abzuschwächen, überhäuft ihn Cicero, ver* 
mutlich während des Verhörs, mit einer Reihe von Fragen, 
die allerdings sehr geeignet sind, uns ein übles Bild dieses 
ehemaligen Volkstribunen zu zeichnen. Doch ist der Redner 
so vorsichtig, den Trabanten von seinem Herrn und Meister 
sorgfältig zu scheiden. Die Rede ist ohne Interesse für uns. 

Auch die übrigen Reden dieses Jahres dienten dem 
doppelten Zweck, die persönlichen Gegner zu demütigen, 
die Machthaber zu versöhnen. Indem . es sich Cicero vor- 
behielt, seinen Todfeind Clodius auch ferner zu verfolgen, 
machte er seinen Frieden mit den Triumvim und verzichtete 
auf jede wenigstens öffentliche Opposition. Er bereitete 
damit seinen Übergang von der politischen zur gelehrten 
Thätigkeit vor. Unter die erste Kategorie fallen die Reden 
„über die Antworten der Opferschauer" und „för Cälius", 
unter die zweite die „über die Konsularprovinzen" und „für 
Baibus". 

Aly, Cicero. 6 



— 82 - 

Die Rede „über die Antworten der Opferschauer" zählt 
Cicero selbst zu den vier Reden, die er nach seiner Rück- 
kehr (post reditum) gehalten hat. Es handelte sich um 
neue, unwürdige Ränke des Clodius. Dieser hatte, ermutigt 
durch die erneute Festigung des Triumvirates, auf Grund 
einiger Wunderzeichen gewisse Gutachten von Opferschauem 
eingeholt, die er gegen Cicero und seinen auf geheiligtem 
Boden angefangenen Hausbau auslegte. Dieser verteidigte 
sich im Senate mit leichter Mühe, indem er sich auf das 
einstimmige Gutachten der Pontifices berief, welche in ver- 
sammeltem Senat den Hausbau ausdrücklich verstattet hatten. 
Wie er hier von der Verteidigung zum Angriff überging, so 
that er es auch in der Verteidigungsrede für M. Cälius, der 
wegen eines Vergiftungsversuchs gegen Clodia, die berüchtigte 
Schwester des Clodius, angeklagt war. Ist auch diese Rede 
ohne tieferen Wert, so gewährt sie doch einen interessanten 
Einblick in die Sittengeschichte Roms und zeigt uns Cicero 
von der Seite eines boshaften Spötters. Die Anklage selbst 
war so aus der Luft gegriffen, dafs sie leicht zu widerlegen 
war. Wichtiger ist die Staatsrede über die Konsularpro- 
vinzen, in der er einerseits seinem Hafs gegen die Konsuln 
des Jahres 58 genug that, während er anderseits Cäsars 
Gunst sich zu bewahren suchte; die Rede darf als Gegen- 
stück zur Pompejana betrachtet werden. Im ersten Teil 
wendet sich der Redner gegen seine Feinde, die derzeitigen 
Statthalter Macedoniens und Syriens, L. Piso und A. Gabinius, 
und schildert den traurigen Zustand der Provinzen, die Be- 
drückung der Unterthanen, den Verfall des Heeres, die Beein- 
trächtigung der Steuerpächter. Er beantragt die Abberufung 
beider. Hingegen erklärt er sich gegen eine Ersetzung 
C. Cäsars in Gallien durch einen Nachfolger. Offen giebt 
er zu, dafs er seinen Frieden mit dem mächtigen Feldherm 
gemacht hat, allerdings, wie er meint, um des Staatsinteresses 
wiUen, ein offenbar sehr fadenscheiniger Grund. Er beruft 
sich auf das, was er in letzter Zeit für Cäsar gethan; nicht 



— 83 — 

nur hat er das funfzehntägige Dankfest befürwortet, sondern 
hat auch um die Übernahme des Soldes auf die Staatskasse 
und die Gewährung von zehn Legaten sich bemüht. Auch 
jetzt tritt er ftir Cäsar ein; um des Staates willen steht dieser 
auf einem wenig beneidenswerten, aber wichtigen Posten; 
während man früher sich begnügt habe, die Gallier nicht 
ohne die Hilfe der Alpen abzuwehren, seien jetzt nach 
unerhörten Siegen die gallischeu Lander ganz unterworfen. 
Dieser Sieg müsse vervoUständigt, die Unterwerfung gründHch 
durchgeführt werden. Auch das Interesse des Senates fordere 
das Eintreten f&r Cäsar. Den Schluls bildet eine Übersicht 
über die gegenseitigen Beziehungen, wobei alle Aufinerksam- 
keiten des grofsen Gegners gewissenhaft gebucht sind. Und 
nun beginnt jenes eigentümliche Verhältnis zu Cäsar, das, 
nur durch den Bürgerkrieg (49 — 46) unterbrochen, bis zu 
seinem Tode währte, nicht ohne geheime Anfeindungen 
seitens Ciceros, aber oft auch unter Anerkennung der Gröfse 
und Liebenswürdigkeit, welche Cäsar auszeichneten, während 
dieser die wahren Vorzüge des gro&en Büdners aufrichtig 
schätzte und ihm mehr als einmal Zeugnisse seiner Hoch- 
achtung gab. Ebendahin gehört endlich die Verteidigungs- 
rede für L. Cornelius Baibus, einen dem Pompejus wie dem Cäsar 
befreundeten Bankier, welcher der Erschleichung des Bürger- 
rechts angeklagt war, wie einst der Dichter Archias. Da es 
gerade Pompejus gewesen war, der den Gaditaner mit der 
civitas Bomana beschenkt hatte, so war es für Cicero eine 
ebenso leichte, als dankbare Aufgabe, durch zahlreiche Bei- 
spiele aus der Geschichte die Bechtmäfsigkeit der Verleihung 
zu erhärten und sich dadurch Pompejus, der vor ihm ge- 
sprochen hatte, wie Cäsar zu verpflichten. 

So war Cicero zwar wieder in seine äufsere Stellung 
gewissermafsen eingesetzt, aber es fehlte doch viel daran, 
dafe seine Stimme im Senate dieselbe Wirkung ausübte, wie 
vor seiner Verbannung. Durch seine Erlebnisse gewarnt, 
hatte er mit der Unterwerfung unter den Willen der 



— 84 — 

Triumvim auf die Rolle eines selbständigen Politikers ver- 
zichtet; er fühlte sich durch seine Anwaltsthätigkeit nicht 
befriedigt, er suchte und fand auch zeitweilig einen Ersatz 
in wissenschaftlicher Schriftstellerei. 



Kapitel 10. 



Aufauge wissenschaftlicher Thätigkeit. 

Die Ereignisse des folgenden Winters 56/55 trugen nur 
dazu bei, Cicero vom politischen Leben auch weiter fernzu- 
halten. Im Winterquartier Cäsars zu Lucca war bereits im 
April 56 der Dreibund formlich erneuert: Ppmpejus. und 
Grassus bedangen sich das Konsulat für das nächste Jahr 
aus, ersterer femer die Verwaltung der spanischen Provinzen 
nebst den dort stehenden Legionen, letzterer die Provinz 
.Syrien mit der Anwartschaft auf einen Partherkrieg; Cäsar 
selbst erhielt die Zusicherung, dais ihm die gallischen Länder 
auf zehn statt auf fünf Jahre belassen würden. Die Oppo- 
sition war dadurch zum Schweigen gebracht; sie mufste 
sich darauf beschränken, in ihren Zirkeln zu schmähen und 
zu schmollen. Zum erstenmal fafste Cicero den höchst zeit- 
gemäfsen Entschlufs, durch gelehrte Schriftstellerei die un- 
freiwillige Mufse zu kürzen. Wäre er doch seinem Plane 
treu geblieben! Wir verdanken dieser ersten Periode sdbaer 
eigentlichen litterarischen Thätigkeit sein schönes Werk „vom 
Redner", sowie die Schriften „vom Staat" und „von den Ge- 
setzen". Nebenher lief seine gerichtliche Praxis, die nameut- 
lich im Jahre 54 eine namhafte Ausdehnung gewann. 

Die drei Bücher „vom Redner", das wichtigste rhetorische 
Werk aus Ciceros Feder und eins seiner Hauptwerke über- 
haupt, knüpft an die sehr unvollkonmiene Jugendschrift an, 
der wir seiner Zeit gedacht haben. Der Verfasser fingiert 



— 85 — 

eine Aufforderung seines Bruders, dem er das Werk gewidmet 
hat; er beklagt, dafs es ihm nicht vergönnt sei, gleich den 
Vorfahren unter günstigen politischen Verhältnissen eine 
ehrenvolle Mufse zu geniefsen. Gleichwohl will er seine 
freie Zeit der Kunst widmen, in der so wenige es bisher 
zur Vollkonunenheit gebracht haben. Sowohl bei den Griechen 
als auch bei den Römern. Nach seiner Ansicht ist es eben 
die höchste Leistung, die ein Sterblicher voUbringen kann, 
da sie aufser anderen Anforderungen an Geist und Leib 
eine ebenso umfassende, wie gründliche Bildung voraussetzt. 
Der Redner, wie er sein soll, fallt ihm mit dem Ideal des 
gebildeten Mannes zusammen. Die eigentliche Auseinander- 
setzung ist in die Form eines Dialogs gekleidet, die der 
Verfasser meisterhaft handhabt. Er nunmt an, dafs im 
Jahre 91 kurz vor dem Ausbruch des bösen Bundesgenossen- 
krieges die beiden gröfsten Redner der ersten Blütezeit (vor 
Hortensius- Cicero) L. Crassus und M. Antonius mit dem 
greisen Juristen, dem Augur Q. Scävola, und den damals 
noch in jugendlichem Alter stehenden P. Sulpicius und 
G. Cotta auf dem Landgute des Crassus zusammengetroffen 
sind. Nach der „Sitte des Aristoteles" wird die Unter- 
haltung geführt. Die Hauptrolle spielt Crassus, in dem 
Cicero seine eigene Auffassung verkörpert; er fafst die 
Aufgabe des Redners als eine hohe und wahrhaft ideale. 
Aber er führt nicht allein das Wort. Der Verfasser versteht 
es, auch die gegenteilige Auffassung der routinierten Prak- 
tiker durch Scävola, später durch Antonius zur Geltung zu 
bringen. Beide führen die hochgestimmten Anforderungen 
des Crassus auf ein bescheideneres Mafs zurück; sie sorgen 
daf&r, dafe die lebhafte Debatte nicht den Boden der That- 
sfrtdien unter den Fülsen verliert. Das erste Buch be- 
schäftigt sich mit der theoretischen Grundlegung, mit der 
Frage nach dem wissenschaftlichen Charakter der Redekunst, 
mit den Vorbereitungen des angehenden Redners. t)ie An- 
forderungen des Crassus sind nicht gering: angeborene Be- 



— 86 — 

gabung, begeisterte Hingabe, unausgesetzte Schreibübungen, 
vor aUem Übersetzungen aus dem Griechischen, Kenntnis 
des Rechts, der Geschichte, der Altertümer, der Philosophie. 
Der glänzenden Schlulsrede des ihm durchaus sympathischen 
Crassus lä&t Cicero sehr fein die nüchtern verständige Ent- 
gegnung des Antonius folgen, die manche Überschwenglich- 
keit mäfsigt, sich aber nicht über das Niveau des Durch- 
schnittspraktikers erhebt. Inmierhin wird z. B. der Mifsbrauch 
philosophischer Bildung in ergötzlicher Weise dargestellt. 
J)ie Unterhaltung des zweiten Tages, an welcher der alte 
Scävola nicht teilnimmt, wohl aber die neu hinzutretenden 
Q. Catulus und C. Cäsar Strabo, befafst sich mit der eigent- 
lichen Technik nach den fünf Gesichtspunkten der inventio, 
collocatio, memoria, elocutio und actio. Vorausgeschickt ist 
eine Einleitung, wie sie Cicero liebte; sie erinnert den 
Adressaten an die gemeinsam betriebenen Studien, als sie 
noch zu Füisen der grofsen Redner gesessen, die mit einander 
vergHchen werden; der Zweck der Schrift wird noch einmal 
scharf betont. Von derartigen Einleitungen hatte Cicero 
einen ganzen Vorrat, aus dem er bei seinen wissenschaft- 
lichen Werken sich diese oder jene herausgriff, um damit 
je ein Buch zu zieren. Man hat ohne Grund ihm dies 
verdacht. An und für sich betrachtet, sind diese Einleitungen 
stets interessant, oft geistvoll und immer durch stilistische 
Abrundung ausgezeichnet. Es wird doch auch einem Hause 
nicht zum Vorwurfe gereichen, wenn es sich einer schön 
gearbeiteten und geschmackvoll verzierten Thüre erfreut. 
Der erste Teil, die Lehre von der Auffindung des . Stoffes 
(Topik), ist dem Antonius in den Mund gelegt. Er protestiert 
im Eingang nachdrücklich gegen die griechischen Techniker, 
welche ihre hohlen Formen mit luftigen Theoremen erfüllen^ 
er will nur auf Grund der Erfahrung Regeln aufstellen. 
Sodann wird das Gebiet der Untersuchung abgegrenzt, so 
dafs nach Ausscheidung der Geschichtsschreibung, der Philo- 
sophie, der politischen Rede eigentlich nur die Gerichtsrede 



— 87 — 

übrig bleibt. Hier bedarf es vorwiegend der praktischen 
Gesichtspunkte. Wenn der junge Gerichtsredner, genügend 
beföhigt und hinreichend vorgebildet, sich über den je- 
weiligen Kechtsfall gründlich unterrichtet hat, dann ist es 
Zeit, den Stoff zu sichten und den Beweis zu finden. Der 
Vortragende verbreitet sich hier über die Aufgabe, die 
Rechtsfrage festzustellen und die Hauptfundstätten der Be- 
weise {rÖTtoi) auszubeuten. Aber der Redner hat nicht nur 
die Aufgabe, zu beweisen; er soll auch die Hörer gewinnen 
und sie in eine seinen Plänen günstige Stimmung ver- 
setzen. Hier ergreift Cäsar das Wort, um gemäfs seiner 
eigentümlichen Anlage sich ausführlich über die Bedeutung 
von Witz und Humor für den Redner zu verbreiten und 
zahlreiche Belege beizubringen. Es folgt an zweiter Stelle 
die Lehre von der Anordnung mit einer Charakteristik der 
einzelnen Teile (exordium, narratio u. s. w.); daran schliefst 
sich ein Anhang über die politische Rede. Den Schlufs 
bildet der vom Gedächtnis handelnde Abschnitt, der natur- 
gemäfs etwas knapp ausfallt. Das dritte Buch läfst die 
Unterredimg am Nachmittage desselben Tages fortsetzen. 
Voraus geht eine treffliche Einleitung, die uns die letzten 
Lebenstage des von Cicero so hochverehrten Crassus schildert; 
mit Grausen erinnert der Verfasser sich und den Leser an 
die bald darauf hereinbrechende Ära der Bürgerkriege, denen 
die Personen des Dialogs meist zum Opfer fielen. Mit Weh- 
mut gedenkt er dabei im Hinblick auf seine eigenen Schick- 
sale der Mahnung des Bruders, dem Streite der Parteien fern- 
zubleiben; aber er hat darüber nicht mehr die Entscheidung. 
Die Kosten der Unterhaltung trägt nunmehr vorwiegend 
Crassus, der die Lehre von der sprachlichen Darstellung vor- 
trägt. Der Stil soll richtig, deutlich, angemessen, vor allem 
aber auch schön sein. Nach einer Abschweifung über das 
Verhältnis der Beredsamkeit zur Philosophie wird das „omate 
dicere" ausführlich behandelt. Ausdrücklich warnt er davor, 
die Schönheit der Form auf Kosten der Gediegenheit des 



— 88 — 

Inhalts zu heben; der Schmuck der Rede müsse im richtigen 
Verhältnis zum Werte des Inhalts stehen, wie sich dies am 
ehesten durch Pflege einer allgemeinen BUdung erzielen 
lasse; der doctus orator ist das Ideal des gebildeten Mannes. 
Nun folgt die Lehre ron den Redefiguren, die auf einzelne 
Worte, und solche, die auf Sätze sich beziehen. Die Be- 
deutung der Wortstellung, des Rhythmus und der Perioden- 
bildung — die eigentliche Domäne ciceronianischer Bered- 
samkeit — tvird dargelegt. Gerade hier bringt der Verfasser 
die Ergebnisse eigenen Nachdenkens zu Markte; es war für 
ihn ein Axiom, dafs auch die kunstmäfsige Prosa rhythmisch 
dahinströmen müsse. Den Beschlufs bildet die Lehre rom 
Vortrage: Gesten, Ausdruck und Betonung werden be- 
sprochen. Mit einem Hinweis auf das aufgehende Gestirn 
des Hortensius schliefst das Werk. 

Die Schrift „vom Redner" gehört zu den Hauptwerken 
Ciceros nach Inhalt und Form; sie hat nicht nur historischen, 
sondern auch dauernden Wert und verdient gerade in unsern 
Tagen die aufmerksamste Beachtung. Abgesehen von dem 
Preise einer allgemeinen, auf das Höchste und Edelste ge- 
richteten Bildung empfiehlt sich jenes Werk durch den Hin- 
weis auf eine kunstmäfsige, Form und Inhalt harmonisch 
ausgleichende Beredsamkeit. Keine Kunst liegt heutzutage 
so schwer darnieder, wie die Kunst der Rede. Mag man in 
der Kirche oder in der Schule, im Parlament oder vor 
Gericht, im engeren oder weiteren Kreise sich umhören, die 
Kunst, seine Gedanken in fliefsender, gebildeter Sprache vor- ^ 
zutragen, ist überaus selten, weit seltener, als die Kunst, 
gefaUig zu schreiben. Es ist hier nicht unsere Aufgabe, die 
Gründe dieses Mangels aufzusuchen; je mehr wir uns von 
den Griechen und Römern und damit von dem Prinzip der 
Schönheit entfernen, desto mehr nähern wir uns dem ameri- 
kanisch-englischen „Zeit ist Geld" und damit der unholden 
Nüchternheit des Utilitarismus. Ein Studium der rhetorischen 
Schriften Ciceros wird den Sinn für die Schönheit mensch- 



— 89 — 

lieber Rede neu erwecken und vielleicht den Grund legen 
für die Lehre von der deutschen Beredsamkeit. 

Aber die genannte Schrift hat noch andere Vorzüge. 
Aufser dem fein durchgearbeiteten Stil, in dem der Verfasser 
das Muster giebt für seine Regeln, enthält die Schrift eine 
überreiche Fülle historischer, litterarischer, philosophischer 
Mitteilungen, die, in immer anregende Form der Darstellung 
gekleidet, unsere Einsicht in das Wesen des Altertums, 
unsere Kenntnisse und Anschauungen wie kaum ein zweites 
Werk der alten Litteratur bereichern. Cicero hat sich mit diesem 
Werke, das durchaus als Originalleistung anzusehen ist, ein 
Ehrendenkmal gesetzt. Ist dies etwa der Grund, warum 
seine Kritiker gerade diese Schrift nur flüchtig berühren? 

Im folgenden Jahre begann Cicero die Schrift „vom 
Staate", die wir hier sofort anschliefsen nebst dem noch 
etwas jüngeren Werke „von den Gesetzen", Schriften, die 
schon im Titel an Plato {noXirela und vdjuoi) erinnern. 
Aber auch dem Inhalt nach zeigt sich hier Cicero als 
Schtiler des grofsen Philosophen. Leider sind beide Werke 
nur in trümmerhaftem Zustand auf uns gekommen, zum 
Teil nur mühsam aus zweimal beschriebenen Handschriften 
entziffert. In der ersteren Schrift erörtert Cicero die vielfach 
von griechischen Philosophen angezweifelte Verpflichtung, 
am politischen Leben teilzunehmen. Kach dieser Einleitung 
föhrt er uns auf Gnmd einer ihm in Smyma zu teü ge- 
wordenen Unterredung mit dem trefflichen P. Rutilius Rufus, 
einem zweiten Aristides, die sympathische Person des jüngeren 
Africanus im Gespräch mit seinen Freunden und Schülern 
vor das geistige Auge; Q. Tubero, L. Furius Philus und 
C. Lälius, femer Mummius, Fannius und Scävola werden 
genannt; endlich Manilius. Nach einer ungezwungenen Ein- 
führung, in der astronomische Fragen in Verbindung mit 
poUtischen Ereignissen behandelt werden, beginnt Scipio 
eiüe theoretische Grundlegung der Staatswissenschaft mit 
einigen Begriffsbestimmungen; er unterscheidet drei typische 



i 



— 90 — 

Gestaltungen des staatlichen Lebens, die Monarchie, die 
Aristokratie und die Demokratie, die er nach ihren Vorzügen 
und Auswüchsen charakterisiert mit sichtlicher Vorliebe für 
die zweite Gattung. Interessant und geschichtlich richtig ist 
die Herleitung des Despotismus (Tyrannis) aus der Pöbel- 
herrschaft. Sein Ideal ist, den Forderungen des Aristoteles 
entsprechend, eine Mischung aus allen drei Faktoren. Im 
zweiten Buche giebt Cicero, abweichend von Plato, die 
Geschichte der römischen Staatsverfassung als des konkreten 
Beispiels, an dem er seine Theorie entwickeln will; der 
römische Staat ist nicht durch einen, sondern durch viele 
geschaffen, nicht in einem Menschenalter, sondern in Jahr- 
hunderten; darum eignet er sich besser zur Grundlage, als 
der Idealstaat des platonischen Sokrates. Seine. Auffassung 
von der Entwicklung des römischen Staates ist nicht ein- 
wandfrei; unkritisch, wie er ist, steckt er tief in dem von 
findigen Griechen und gläubigen Römern gesponnenen Sagen- 
gewebe, wenn er auch das Märchenhafte der Entstehungs- 
geschichte ahnt. Dennoch läuft manche treffende Bemerkung 
unter, so über die Lage der Stadt Rom. Die römischen 
Könige mit allen ihren sagenhaften Thaten und Einrichtungen 
ziehen an uns vorüber; die Curiat- wie die Genturiatverfassung 
kennen wir ihrem Kerne nach besser, als die Römer selbst, 
seit B. G. Niebuhr, der Vater der modernen Geschichts- 
forschung, zuerst das Licht der Kritik in diese Finsternis 
getragen hat. Es folgt die Abschaffung des Königtums, die 
Begründung des Freistaates. In dem Ständekampf ninunt 
Cicero die Partei des Senats. Aber gerade hier läfst uns 
die vatikanische Handschrift in Stich. Noch schlimmer steht 
es um die folgenden vier Bücher. Nur aus dürftigen Über- 
resten, meistens Citaten der Kirchenväter, können wir eine 
Vorstellung von detn ursprünglichen Inhalt gewinnen. Im 
dritten Buche wird die Frage für und wider erörtert, ob 
die Gerechtigkeit für die Staatsverwaltung nützlich und not- 
wendig sei. Das vierte Buch handelt von der sittlichen Er- 



— 91 — 

Ziehung der Bürger, das ftinfbe zeiclmet das Ideal eines 
Staatsmanns. Glücklicherweise ist uns aus dem sechsten 
Buch, von dem die Handschrift nichts bietet, durch die 
Auslegung des Grammatikers Macrobius der bedeutungsvolle 
Schlufs erhalten, der das Schönste bietet, was Cicero über 
ein philosophisches Thema geschrieben hat. Zwar hat er 
auch hier dem Plato nachgeahmt; aber während dieser am 
Schlufs seiner Politie von einem wunderbar ins Leben zurück- 
gekehrten PamphyHer Er erzählt, för den wir unmöglich ein 
wärmeres Interesse fühlen können, hat Cicero die plato- 
nischen Grundgedanken von der dem s^erechten Staatsmann 
bevorstehenden Belohnung im Jenseits in eine wahrhaft 
poetische Form gekleidet. Es ist der jüngere Scipio, der 
einen Traum erzählt, den er einst in Afrika geträumt. Dort 
habe ihn sein grofser Vorgänger, der Sieger von Zama, 
sowie sein leiblicher Vater, der Sieger von Pydna, über die 
wahre Bestimmung des Menschen aufgeklärt. Der Leib ein 
Kerker der Seele, die Unsterblichkeit der Lohn des Ehren- 
mannes, diese tiefsinnigen Ahnungen der ewigen Wahrheit 
werden von Cicero mit hinreifsender Beredsamkeit und ehr- 
lieber Überzeugung entwickelt. Wunderbar einfach und 
gerade darum doppelt wirkungsvoll endigt das Werk, 
dessen Schlufs allein schon hinreichen würde, um die bis 
in unsere Tage wiederholte Behauptung zu entkräften, dafs 
Cicero „eine gefallene Grö&e" sei. Wer das geschrieben, 
hat sich damit in die erste Reihe der Vorkämpfer des 
Idealismus gestellt. Und wenn er auch nicht immer seiner 
Überzeugung im Leben treu geblieben ist, wenn er auch 
zeitlichen Ruhm oft höher geschätzt hat, als die Aussicht 
auf Unsterblichkeit, so ist ihm dafür der Entschuldigungs- 
grund der menschlichen Hinfälligkeit ebensowenig zu ver- 
sagen, wie einem anderen Staubgeborenen. 

Dem „Staat" folgten nach zwei Jahren die „Gesetze", 
die wir hier passend einreihen. Von diesem vielleicht nicht 
vollendeten Werke sind uns drei Bücher erhalten, auch diese 



1 



— 92 — 

nicM ohne Lücken. Mafsgebend sind auch hier griechische 
Quellen; die Form ist die dialogische, und zwar sind es die 
Brüder Cicero und Ätticus, die in der alten Heimat am 
Fibrenus plaudern; wir haben der landschaftlichen Schilde- 
rungen wie der pietätvollen Erinnerungen bereits gedacht. 
Das erste Buch giebt wieder die theoretische Vorunter- 
suchung. Unter zahlreichen Anführungen aus griechischen 
Philosophen aller Schulen wird der Satz begründet, dafs 
Recht und Gesetz nicht willkürliche Einrichtungen seien, 
sondern aus der Natur stanunten, von der Gottheit ein- 
gesetzt, im Wesen des Menschen begründet; dabei wird die 
Frage nach dem höchsten Gut erörtert. Das zweite Buch 
bringt nach der beregten anmutigen Einleitung eine Samm- 
lung sakraler Gesetze in altertümlichem Latein nebst Er- 
läuterungen. Im dritten Buch wird das Beamtenrecht unter 
Zusammenstellung der betreflfenden Gesetze erläutert. Äuöh 
hier ist die Gesetzessprache der Vorzeit beibehalten. Der 
Standpunkt ist der eines hartgesottenen Optimaten, der in 
der Einsetzung des Tribunats eine Gabe zweifelhafter Güte 
erblickt. Anspielungen auf eigene Erlebnisse fehlen nicht; 
doch gewährt ein Eingehen ins einzelne hier kein Litereöse. 
Wieviel Bücher aufserdem fertig gestellt sind, wissen wir 
nicht; ein fünftes wird wenigstens citiert. 

Eine andere Gattung von Schriftstellerei, die historische, 
ist von Cicero in diesem Zeitabschnitt zwar angebaut, aber 
so gut wie ganz verloren gegangen ; wir dürfen wohl sagen, 
zu seinem Glück. In dem Bestreben, den Schimpf der Ver- 
gangenheit abzuwaschen, liefs er sich hinreifsen, seine Ver- 
bannung und Rückkehr in Prosa und Versen zu erzählen; 
es ist selbstverständlich, dafe er es an Selbstlob nicht hat 
fehlen lassen. Dem Lichte darf eben der Schatten nicht 
fehlen ; es ist aber verkehrt, nur auf den Schatten zu schauen. 

Neben dieser umfangreichen und mühevollen Thätigkeit 
auf litterarischem Gebiet ging die Arbeit des patronus cau- 
sarum ohne Unterbrechung einher; auch im Senate zeigt sich 



— 93 — 

Cicero dann und wann, wenn es galt, seinen Feinden zu 
schaden und seinen Gönnern zu dienen. Wir zäMen im 
folgenden die Reden aus den Jahren 55 bis 52 auf bis zur 
Miloniana; der Inhalt hat nur zum Teil noch Interesse fiir uns. 
Voran steht, um von anderen, die wir nur dem Titel 
nach kennen, zu schweigen, die Schmährede gegen L. Piso, 
ein an Massivität der Injurien kaum zu überbietendes Schrift- 
stück, das uns zum gröfsem Teil erhalten ist. Nur die süd- 
ländische Lebhaftigkeit kann einen derartig leidenschaftlichen 
Ergufs erklären, wenn auch nicht rechtfertigen; die Rede ent- 
halt ein förmliches Lexikon von Schmähworten. Im Jahre 54 
verteidigte Cicero, um sich den Machthabem geföllig zu 
zeigen, seine alten Feinde Vatinius und Gabinius, Reden, die 
nicht mehr erhalten sind; es war vielleicht die tiefste De- 
mütigung, die ihm auferlegt wurde. Bruchstücke sind uns 
durch den vortrefflichen SchoUasten Asconius von der für 
M. Amilius Scaurus gehaltenen Verteidigungsrede erhalten; 
sie betraf die Verwaltung Sardiniens durch den Beklagten, 
der sich dort böse Gewaltthaten erlaubt haben soll. Dafs 
in dem Prozefe fünf Verteidiger aufser Cicero auftraten, 
spricht nicht gerade für das gute Gewissen des vornehmen 
Mannes; immerhin wurde er freigesprochen. Bedeutender ist 
die Verteidigungsrede für den designierten Ädilen Cn. Plancius, 
der seiner Zeit sich des verbannten Cicero mit grofser Treue 
imd Hingebung in Thessalonica angenommen hatte. Aus der 
Rede klingt der Ton herzlichster Dankbarkeit heraus; Cicero 
hat dieser edlen Tugend auch in Worten ein herrliches 
Denkmal gesetzt: „Wer ist", sagt er, „von uns wahrhaft 
gebildet, dem nicht seine Erzieher, seine Lehrer, dem nicht 
der stumme Ort selbst, wo er erzogen und unterrichtet ist, 
in dankbarer Erinnerung vor dem geistigen Auge schwebt? 
Die Dankbarkeit ist die Mutter aller übrigen Tugenden. 
Was ist Pietät anders als dankbare Gesinnung gegen die 
Eltern? Wer ist ein guter Bürger, im Kriege oder im 
Frieden, der nicht der Wohlthaten des Vaterlandes gedenkt? 



— 94 - 

Wer ist heilig, wer fromm, der nicht den unsterblichen 
Göttern den schuldigen Dank abstattet in gerechter Ver- 
ehrung und mit dankbarem Gemüte?" Herrliche Worte, 
die nicht nur schön klingen, sondern auch aus dem Herzen 
des Redners konunen. Aber auch sonst hat die Rede des 
Interessanten gar viel. Zwar hat die Sache keine besondere 
Bedeutung. Die jugendlichen Ankläger Juventius Laterensis 
und L. Cassius verklagten Plancius, weil er sich auf unrecht- 
mäfsige Weise mit Hilfe von verbotenen Verbindungen (soda- 
licia) die Adilität erschlichen habe; es war offenbar ein Rache- 
akt, um Laterensis för seine Wahlniederlage zu entschädigen. 
Um so auffallender ist es, dafs die Ankläger gegen Cicero 
selbst ihre Waffen richten und nicht blofs sein politisches 
Verhalten, sondern auch seine Redeweise scharf angreifen; 
die kläglichen Schlufsreden, die Frucht der rhodischen Studien, 
werden ergötzlich persifliert. Auf der andern Seite verdient 
es Anerkennung, mit welcher Ruhe und Sicherheit Cicero 
den erbosten Gegnern erwidert; ohne besondere Erhitzung 
führt er sie der Reihe nach ab und erweist glänzend seine 
Überlegenheit, eine Ruhe, die vorteilhaft von der Schimpf- 
rede gegen Piso absticht. Er beginnt mit einer Freund- 
schaftsversicherung gegenüber dem Hauptankläger und er- 
örtert sodann das Vorleben des Beklagten, aus dem er 
genügend Erklärungsgründe für den Ausfall der Wahl ab- 
zuleiten weifs; seine eigene Empfehlung gesteht er offen 
ein. Bezüglich der einzelnen Anklagepunkte, die gewift 
vielfach der Wahrheit entsprachen, weifs er sich dadurch 
zu decken, dafs er von dem Ankläger konkrete Fälle, strikte 
Beweise verlangt, wie sie allerdings bei solchen Vergehungen 
immer schwer zu beschaffen waren. Weiterhin kommt er 
mehrfach auf eigene Erlebnisse zu sprechen, so auf seine 
Erfahrungen nach der sicüischen Quästur, vor allem auf die 
Ereignisse der jüngsten Vergangenheit, Verbannung und 
Rückkehr. Er bekennt offen, dafs er nunmehr eine Front- 
veränderung in politischen Dingen vollzogen habe; nicht 



— 95 — 

immer seien dieselben Anschauungen von denselben ver- 
teidigt, sondern wie es die Lage des Staates, der Wandel 
der Zeiten, die Rücksicht auf die Eintracht verlangt habe. 
Zum Schlufs läfst er höchst pathetisch den Beklagten sich 
erheben und empfiehlt ihn unter allseitigem Thränenerguls, 
wenn man den Worten trauen soll, dem Wohlwollen der 
Richter. 

Mit dem Prozefs des Gabinius, der auf Pompejus' Befehl 
den König Ptolemäus nach Alexandrien zurückgeführt hatte, 
hängt die Rede für C. Rabirius Postumus zusammen, den 
Adoptivsohn jenes von Cicero früher verteidigten Rabirius. 
Der Beklagte, ein Bankier, hatte dem nach Rom entflohenen 
Ptolemäus Geld vorgestreckt und war dann mit Gabinius 
nach Ägypten gekommen, um den Profit einzustreichen. Das 
scheint er als königlicher Beamter so gründlich besorgt zu 
haben, dafs Cicero keinen leichten Stand bei seiner Verteidi- 
gung hatte. Doch ist die Rede minder wichtig. 

Am Schluls dieser Reihe von Verteidigungsreden, die 
leicht wenigstens durch Titel und Namen hätten vermehrt 
werden können, steht die Miloniana, das vollgültige Zeugnis 
der ciceronianischen Redekimst. Allerdings ist diese Rede 
nur geschrieben, nicht gesprochen. Die jahrelangen Unruhen 
in den Strafsen der Hauptstadt hatten endlich eine Reaktion 
hervorgerufen. Nachdem die Comitien wiederholt fruchtlos 
verlaufen waren, ernannte der zeitweiKge Interrex Pompejus 
zum alleinigen Konsul (consnl sine collega), d. h. zum all- 
mächtigen Diktator. Dieser besann sich nicht lange und 
erliefe eine Reihe von Gesetzen, welche die Beschleunigung 
der Gerichtsverhandlungen bewirkten. Da ereignete es sich, 
dafs der grofse Strafsenheld Clodius auf der Landstrafse von 
seinem Herzensfeinde T. Annius Milo bei einer der gewöhn- 
lichen Balgereien erstochen wurde. Es war stadtbekannt, 
dais Pompejus dem sich damals um das Konsulat bewerbenden 
Milo nicht günstig gesinnt, dafe also seine Verurteilung 
vorauszusehen war. Trotzdem liefe sich Cicero nicht abhalten, 



— 96 — 

in dankbarer Erinnerung an die geleistete Unterstützung ihn 
zu verteidigen. Als er aber am Gerichtstage erschien, er- 
blickte er den Markt umstellt von den BewaflEneten des Pom- 
pejus, der selbst, von einem grofsen Gefolge umgeben, vor 
dem Schatzhause sieh niedergelassen hatte. Dieser unge- 
wohnte Anblick, die Erinnerung an die schUmmen Zeiten der 
Vergangenheit, das Zischen der Anhänger des Ermordeten, 
alles dies verwirrte den Redner, so daJfe er nur stockend 
sprach. Der Beklagte kam der Verurteilung durch Selbst- 
verbannung zuvor. Ihm zum Tröste schrieb Cicero die Rede 

nieder, die wir als sein Meisterwerk noch heute besitzen. 

» 

In vorsichtigster Weise beginnt der Redner, indem er 
auf die ungewöhnliche Anwesenheit der Soldaten, wie auf 
die dem Beklagten ungünstige Stimmung hinweist. Er schickt 
daher, ehe er zur Sache kommt, drei Abschnitte vorauf, in 
denen er gewissermafsen sich freies Feld erobern wül. Er 
erweist, dafs Banditen getötet werden dürfen, dafs der Senat 
nicht gegen Milo Partei ergriffen, dafs Pompejus eine un- 
parteiische Haltung bisher bewiesen habe (exordium). Dann 
folgt nach einer Zusammenfassung die Feststellung des Themas 
(propositio): Wer hat dem andern einen Hinterhalt gelegt? 
In der meisterhaften Erzählung des Thatbestandes (narratio) 
weifs der Redner uns bereits trotz aller scheinbaren Schlicht- 
heit für Milo zu gewinnen. Das Thema (rö KQivö/uevov) 
wird noch einmal scharf betont. Nun folgt die Beweis- 
führung (argumentatio) in mehreren Abschnitten. Zuerst 
wird die Wahrscheinlichkeit aus der Sachlage nachgewiesen 
(probabile ex causa) , indem die Verhältnisse des Milo mit 
denen des Clodius verglichen werden; ersterer hat gar kein 
Interesse am Morde gehabt. Dann kommt der Beweis aus 
dem Vorleben beider (probabile ex vita); wiederum fallt der 
Vergleich für Clodius ungünstig aus. An dritter Stelle ist 
der Indicienbeweis angebracht, der Beweis aus äusseren Kenn- 
zeichen und Anhaltspunkten (signa und argumenta), und zwar 
wird die Zeit, der Ort und die Gelegenheit der Reihe nach 



— 97 — 

durchgesprochen; hierauf eine Abschweifung über die pein- 
liche Befragung der Sklaven, welche in sehr verdächtiger 
Weise erfolgt ist. Nunmehr wird das Verhalten des Beklagten 
nach der That erörtert (consecutio), woran sich ein Exkurs 
über den Gemeinplatz (locus communis) von der Unzuver- 
lässigkeit der Gerüchte reiht. Soweit der erste Teil, die 
eigentliche Verteidigung. Der zweite Teil bewegt sich extra 
causam, um das Gewicht der Entlastung noch durch zwei 
Momente zu erhöhen. Auf der einen Seite bittet Cicero die 
Richter, den Beklagten aus Rücksicht auf seine früheren 
Verdienste freizugeben (deprecatio) , auf der anderen Seite 
stellt er noch einmal alle Vergehungen des Ermordeten zu- 
sammen, um die Berechtigung des Totschlages zu erhärten. 
Der Schlufs ist sehr umfangreich; alle Register menschlicher 
Empfindungen werden gezogen, wenn auch der Beklagte 
selbst als unerschüttert dargestellt wird. 

Dem vortrefflich disponierten Inhalt, dem anerkennens- 
werten Geschick entspricht die Vollendung der Form. Cicero 
hat hier den Beweis flir seine Meisterschaft in der Be- 
herrschung der Sprache erbracht. Mag man es auch be- 
dauern, dafs er seine Kirnst oft minder Würdigen zur Ver- 
fügung gestellt hat, mag man in seinen Reden das sittliche 
Pathos eines Demosthenes vermissen, so wird man ihm doch 
den Ruhm seiner Meisterschaft nicht abdingen dürfen. Wie 
keiner vor und nach ihm, hat er den Geist seiner Mutter- 
sprache erfafst und sie zu der Vollendung geführt, dafs sie 
jahrhundertelang die Weltherrschaft behauptete. Selbst ein 
Cäsar bekannte, dafs der Schöpfer und Erfinder dieses Sprach- 
reichtums sich wohl um den Namen und die Ehre des rö- 
mischen Volkes verdient gemacht habe. 



Aly, Cicero. 



— 98 — 



Kapitel 11. 



Das Prokonsulat. 

Immer mehr bewölkte sich der politische Himmel; 
immer deutlicher gab Pompejus seine Absicht zu erkennen, 
dafs er mit Cäsar brechen und sich dem Senate in die Arme 
werfen wollte. Zwar gab er die Alleinherrschaft zum zweiten- 
mal aus der Hand, als er, der consul sine coUega, sich seinen 
Schwiegervater Metellus Scipio zum Amtsgenossen nahm. 
Aber die Mafsregeln, welche er im Senate durchsetzte, zielten 
darauf ab, Cäsar den Boden abzugraben; ein seltsamer Zu- 
fall wollte es, dafs gerade Cicero durch eine dieser Mafsregeln 
empfindlich getroffen wurde. 

In Lucca war es seiner Zeit ausgemacht, dafs Cäsar nach 
Ablaufseiner zehnjährigen Statthalterschaft in Gallien das Kon- 
sulat bekleiden sollte; ohne Amt durfte der außerordentliche 
Mann nicht nach Rom zurückkehren, wenn er sich nicht 
seinen erbittertsten Feinden wehrlos ausliefern wollte. Im Hin- 
blick hierauf liefs Pompejus einen Senatsbeschlufs erneuern, 
wonach Prätoren und Konsuln erst fünf Jahre nach Ablauf 
ihres Amtsjahrs um eine Provinz losen durften. Da zur Zeit 
es selbstverständlich an Statthaltern gebrach, so griff man 
auf die älteren Konsulare und Prätorier zurück, u. a. auf 
Cicero, der durch das Los mit der Verwaltung der Provinz 
Cilicien, einschliefslich des Oberbefehls über ein Heer von 
12 — 15000 Mann, auf ein Jahr betraut wurde. Nichts 
konnte ihm weniger erwünscht sein, zumal die Gefahr eines 
Partherkrieges nicht ausgeschlossen war. Einen geringen 
Trost gewährte es ihm, dais er vorläufig der Notwendigkeit 
entrückt war, zwischen Pompejus und Cäsar zu wählen. 

Im April 51 brach Cicero in Gesellschaft seines Sohnes, 
Bruders und Neffen von Rom auf, nachdem er C. Pomptinius, 
M. Annejus und L. Tullius als Legaten, L. Mescinius (vielleicht 



— 99 — 

auch Cn. Volusius) als Quästor sich zugesellt hatte. Nach- 
dem er unterwegs sich mit Pompejus gründlich ausge- 
sprochen, schiflfte er sich in Brundisium ein und gelangte 
über Actium nach Athen, wo ihm ein Zufall ermöglichte, 
das Haus Epikurs seinen Anhängern zu erhalten. Er landete 
Ende Juni in Ephesus, wo er sich einer freundlichen Auf- 
nahme erfreute. Die Verhältnisse seiner Provinz lagen nicht 
eben einfach. Bald erfuhr er, dafs sein Vorgänger Appius 
Claudius arg gehaust hatte; auch jetzt machte er ihm 
allerlei Schwierigkeiten. Das Heer war unvollständig, dazu 
durch einen Aufruhr erregt; dabei ein Einfall der Parther 
nicht unwahrscheinlich. Unter diesen Umständen griff Cicero 
mit Einsicht und Thatkraft ein. Wenn er sich auch in seiner 
Stellung recht unglücklich fahlte, wie wir namentlich aus 
seinem Briefwechsel mit M. Cälius, seinem hauptstädtischen 
Berichterstatter, ersehen, so erfüllte er doch seine Pflichten 
gewissenhaft mit einziger Ausnahme seines übereilten Fort- 
gangs. Wir sind über dieses Jahr seines Lebens durch 
einen ausgedehnten Briefwechsel gut unterrichtet. 

Cicero bereiste zimächst seinen Verwaltungsbezirk, zu 
dem aufser Cilicien drei Diöcesen (Lycaonien, Phrygien, 
Pisidien) und die Insel Cypem gehorten. Er hielt sich 
mehrere Tage in Laodicea, Apamea, Synnada und Philo- 
melium auf, um die von seinem Vorgänger nach übler 
Tradition den Provinzialen aufgebürdeten Lasten einiger- 
mafsen zu erleichtem. Inzwischen liefs er durch Annejus 
die f&nf aufständischen Kohorten mit d^m (3ttos seines Heeres 
vereinigen und auf der Hochfläche von Iconium ein befestigtes 
Lager au&chlagen. Nachdem er das Heer gemustert hatte, 
erhielt er von dem tributären König von Commagene, sowie 
von einem Araberscheik die Schreckensnachricht, dafs die 
Parther wirklich in Syrien eingefallen seien und vor Antiochia 
stünden. Er verzichtete daher auf den Einmarsch in Cilicien 
und bezog an der Grenze von Cappadocien nicht weit vom 
Taurus ein Beobachtungslager bei Cybistra. Hier sagte der 



— 100 — 

zuverlässige König Galatiens, Dejotarus, Hülfe zu. Zugleich 
sclilichtete Cicero einen gefahrlichen Streit, der zwischen 
dem Könige von Cappadocien, Ariobarzanes, und dem mäch- 
tigen Priester der Bellona, Archelaus, entbrannt war, zu 
gunsten des ersteren. Endlich traf die Nachricht von einem 
glücklichen Reitergefecht und dem darauf erfolgten Abzüge 
der Parther ein. Cicero sah nun von weiteren Rüstungen 
ab und marschierte nach Tarsus, von wo er eine Ex- 
pedition gegen die unruhigen Stämme des Aiuanus unter- 
nahm. Durch eine Kriegslist glückte es ihm, den Feind zu 
überfallen. Drei kleine Städte wurden, zum Teil nach hart- 
näckiger Gegenwehr, mit stürmender Hand genommen, das 
Lager an der durch Alexander den Grofsen berühmt ge- 
wordenen Stelle aufgeschlagen. Während Bibulus, der Statt- 
halter Syriens, sich in ähnlichen Kriegszügen eine Schlappe 
holte, griff Cicero mit Glück die freien Cilicier in ihrer 
Hauptstadt Pindenissus an. Das Bergnest wurde nach allen 
Regeln der Kriegskunst 56 Tage lang berannt, dann erstürmt 
und zerstört. Es war gerade (nach dem unberichtigten Ka- 
lender) der Tag der Saturnalien: der Soldat gewann Beute, 
der Feldherr den Titel Imperator, auf den er nicht wenig 
stolz war. Dann ward das Heer — es war November — 
in die Winterquartiere gelegt, Quintus mit dem Kommando 
in Cilicien beauftragt, während der Statthalter nach Laodicea 
ging, um seinen anderweitigen Pflichten zu genügen. 

Seine winterliche Thätigkeit war fast schwieriger und 
undankbarer, als die Sommerkampagne. Galt es doch, die 
verschiedensten Interessen zu berücksichtigen, die sich nur 
zu oft widersprachen. Cicero selbst unterschied sich, wie 
wir bereits in Sicilien beobachtet, zu seinem Vorteil von 
den üblen Gepflogenheiten seiner Amts- und Standesgenossen; 
er befreite gern die Asiaten und Griechen von ungerechten 
Steuern imd widergesetzlichen Zinsen. Aber gleichzeitig 
wünschte er sich die Freundschaft der römischen Gro&en, 
des Appius, des M. Brutus u. a., zu erhalten; es viriderstand 



— 101 — 

ihm, seine alten Gönner, die Zollpächter, vor den Kopf zu 
stofsen. Und doch waren es gerade diese, die im Verein 
mit den heimischen Kapitalisten den XJnterthanen Roms den 
letzten Tropfen abprefsten. Ein düsteres Gemälde malt uns 
Cicero in seinen Briefen an Atticus vor Augen, aus dem 
eine Scene besonders unsere Aufmerksamkeit fesselt. Zwei 
dunkle Ehrenmänner, M. Scaptius und P. Matinius, „Freunde" 
des hochgeborenen, jungen M. Brutus, beschwerten sich dar- 
über, dafs die Reiterschwadronen, welche der frühere Statt- 
halter Appius nach Cypem zu ihren Gunsten beordert hatte, 
auf Ciceros Befehl abzogen, und dies mit Fug und R^cht. 
Denn in unerhörter Weise hatten jene Erzwucherer mit 
dem ihnen anvertrauten Kommando Mifsbrauch getrieben; die 
Reiter hatten auf ihre Veranlassung den unglücklichen Rat 
von Salamis so lange im Rathaus eingeschlossen gehalten, 
bis einige der Senatoren den Hungertod starben. Cicero 
berichtet ausführlich über die schamlose Ausbeutung der 
Insulaner. Aber wer beschreibt sein Entsetzen, als er er- 
föhrt, dafs jene Blutsauger nichts anderes seien, als Bevoll- 
mächtigte des Brutus! Dieser hoflhungsvolle Schüler der 
Stoa hatte wohlweislich dem Cicero wie dem Atticus — der 
übrigens die Einwohner von Sicyon nicht viel besser, be- 
handelte — seine Geschäftskniffe verschwiegen. In ehrlicher 
Entrüstung ergeht sich Cicero über diese herbe Enttäuschung, 
dafs ein junger Mann, den er so hoch geschätzt hatte, sein 
Geld zu 45 Prozent auslieh. Er konnte eine Einigung nicht 
herbeiführen und überliefs die Entscheidung seinem Nach- 
folger. 

Auch in einem anderen Fall lernte er die Habsucht 
des Brutus kennen, als er die Angelegenheiten Cappa- 
dociens ordnete; König Ariobarzanes war jenem tief ver- 
schuldet. Es glückte Cicero, eine allmähliche Abzahlung 
der Schuld zu veranlassen. Weniger zuvorkommend war er 
in einem anderen Falle, in dem er eine unrechtmäfsige Be- 
drückung der Unterthanen beförchtete. Sein junger* Freund 



— 102 — 

Gälias hatte ihn um eine Sendung Panther gebeten, welche 
er f&r Tierhetzen in Rom verwenden wollte. Der Prokonsul 
wuTste sich dieser lästigen Forderung zu entziehen. Auch 
andere Zumutungen wies er zurück. Besondere Not machte 
ihm sein Amtsvorgänger, der ihm bei der Übernahme der 
Verwaltung alle nur erdenkbaren Schwierigkeiten bereitet 
hatte. Es war nicht zu verwundem, dafs Cicero die drücken- 
den Mafsregeln des Appius, die sich namentlich auf Gesandt- 
schafben und Ehrenbezeugungen erstreckten, kurzerhand auf- 
hob. Später ist eine Aussöhnung zustande gekommen. 

Ganz besonders liefs es sich Cicero angelegen sein, durch 
sein Vorbild den XJnterbeamten wie den Provinzialen das 
Muster eines gerechten und anspruchslosen Statthalters vor 
Augen zu stellen. Er versichert — und wir haben keinen 
Anlafs zu zweifeln — , daJfe er selbst auf die ihm zustehenden 
Naturallieferungen abgesehen vom Nötigsten verzichtet habe. 
Seinem Beispiele folgten die Seinigen. Trotzdem brachte er 
rechtmäfsig erworbene Ersparnisse von 2200000 Sesterzen 
aus der Provinz heim. Man kann daraus entnehmen, welche 
Summen die Statthalter vom Durchschnittsschlage erpreisten. 

Im Anfang des Jahres 50 wurde ihm in Anerkennung 
seiner Kriegsthaten ein Dankfest (supplicatio) zuerkannt, 
trotz der Einrede Catos, der sich auch durch einen ver- 
traulichen Brief Ciceros nicht umstinunen liefs. Wimderlich 
erscheint uns die Eitelkeit des letzteren, der an den unschwer 
erworbenen Imperator -Titel sich anklanunerte, jahrelang die 
Rutenbündel seiner Amtsdiener mit Lorbeeren schmückte und 
sehnlichst nach der Ehre eines Triumphes verlangte. Wunder- 
lich und doch verständlich, wenn wir uns den Zusammenhang 
der Dinge vergegenwärtigen. Nach einem Erfolge sonder- 
gleichen war Cicero, nicht ohne seine Schuld, in das tiefste 
Elend gestürzt. Nur mit gänzlicher Demütigung hatte er 
eine leidliche restitutio in integrum durchgesetzt und durch 
fortwährende Dienstleistungen behauptet. Nun war es ihm 
durch einen glücklichen Zufall vergönnt, wider Erwarten 



— 103 — 

eine politische Stellung selbständig mit Glück auszufüllen. 
Wieder berückte ihn die Hofl&iung, dafs er doch zum Staats- 
mann berufen sei. War es da nicht verzeihlich, dafs er sich 
eine vollständige Genugthuung durch die schon oft für ge- 
ringere Verdienste bewilligte Ehre des Triumphes bereiten 
wollte? Er machte aus den Motiven seines Ehrgeizes nicht 
das mindeste Hehl. 

Mit noch weniger Berechtigung werden seine Kriegsfiihrung 
wie seine Verwaltung bekrittelt. Wir sind über die poli- 
tischen Verhältnisse Ciliciens zu jener Zeit wenig imterrichtet. 
Soviel steht jedoch fest för jeden, der sich ein unbefangenes 
Urteil bewahrt hat, dafs der Statthalter von Cilicien bei 
der Nähe der Parther die freien Stämme des Amanus nicht 
unbeachtet lassen durfte. Wenn man Cicero einen Vorwurf 
machen will, so ist es eher der, dafs die Unterwerfung nicht 
eine gründlichere war, dafs die wichtigen Pässe nicht durch 
Befestigungen und Besatzungen geschlossen wurden. Auch 
seine Verwaltung verdient es nicht, durch Bemängelung der 
Motive herabgesetzt zu werden. Er that seine Pflicht ehr- 
lich und nach besten Kräften. 

Im Winter bereiste er seine Provinz, um Recht zu 
sprechen. Er ging in die Diöcesen, nachdem er nach Cypern 
einen Stellvertreter geschickt hatte; namentlich hielt er sich 
in Laodicea auf. Im Frühjahr kehrte er wieder nach Cilicien 
zurück. Schon seit geraumer Zeit beschäftigte ihn nur der 
eine Gedanke, dafs er rechtzeitig abgelöst würde. In allen 
den zahlreichen Briefen, die er damals an hervorragende 
Persönlichkeiten schrieb, kehrt stets als Leitmotiv die Bitte 
wieder, man möge ihm sein Kommando nicht verlängern, 
wie das bei dem drohenden Partherkriege nicht unmöglich 
war. Es ist dies der einzige Punkt, wo Cicero sich nicht 
ganz richtig benommen hat. Obgleich trübe Nachrichten 
eintrafen, ein Krieg in Syrien, RaubeinßQle in Cilicien ge- 
meldet wurden, so legte er dennoch sofort nach Ablauf 
seines Amtsjahrs sein Kommando nieder, beauftragte den 



— 104 — 

neuen Qnästor, C. Cälius Galdus, den er durchaus nicht für 
geeignet hielt, mit seiner Vertretung, deponierte seine Rech- 
nungen und Akten in Laodicea und Apamea und trat schleu- 
nigst die Heimreise an. Und doch läfst sich für diese Eile 
ein Grund anföhren, der sie erklärt und entschuldigt. Was 
hatte denn Cicero auf jenen Posten getrieben, für den er 
ganz und gar nicht pafste? Ein Kampfgesetz des Pompejus, 
das, auf Cäsar gemünzt, zunächst einen Unschuldigen traf. 
Das Kommando in Cilicien war nächst der syrischen Statt- 
halterschaft zur Zeit der wichtigste, aber auch der gefahr- 
lichste Posten, den die Regierung zu besetzen hatte. Man 
hat Mühe, sich eine Vorstellung von dem Unverstand zu 
machen, der eine derartige Wahl dem Zufall des Loses 
anheimstellte. So kam es, dafs die heikelste Aufgabe, die 
einen erfahrenen FeldheiTn und erprobten Staatsmann ver- 
langte, dem ganz unkriegerischen Redner übertragen wurde. 
Der Unsinn des Senatsregiments sprach sich damit selbst 
das Urteil. Nun zog sich Cicero mit allen Ehren, allerdings 
durch das Glück stark begünstigt, aus der Klemme. Was 
Wunder, dafs ihm der Boden unter deji Füfsen brannte, dafs 
er von seinem Rechte, die Provinz nach Jahresfrist zu ver- 
lassen, unverzüglich Gebrauch machte! Und wenn er auch 
einen minderwertigen Quästor zurückliefs, so ist doch da- 
durch ein erheblicher Nachteil für das Staatswohl nicht 
herbeigeführt worden. Jedenfalls kann Cicero allein nicht 
für die Thorheit der Jahreskonmiandos verantwortlich ge- 
macht werden. 

Er ging über Rhodus, wo er den Tod seines einstigen 
Nebenbuhlers Hortensius erfahr, nach Ephesus, von dort 
nach Athen, das ihn längere Zeit fesselte. Auf der Heim- 
reise mufste er zu seinem Kummer seinen Sekretär und 
Freund, den Freigelassenen Tiro, auf einige Zeit krank 
zurücklassen. Es erfüllt uns mit Teilnahme zu lesen, wie 
oft und wie herzlich er sich nach dem Befinden seines ehe- 
maligen Sklaven erkundigt. Ein solches Freundschaftsband, 



— 105 — 

wie hier zwischen dem Herrn und dem Diener bestand, 
dürfte in dem harten Römertum kaum seinesgleichen finden. 
Über Actium kehrte er heim und landete in Brundisium, 
wo er den inzwischen erfolgten Bruch der Gewaltherrscher 
vernahm. Auch in seiner Familie war während seiner Ab- 
wesenheit eine namhafte Veränderung vor sich gegangen. 
Auf Betreiben der Terentia, die den Gatten in Brundisium 
erwartete, hatte sich TuUia, die bereits zweimal verheiratet 
gewesen war, mit Dolabella, dem Parteigänger Cäsars, einem 
Lebemanne von wenig vorteilhaftem Rufe, verlobt. Die Ab- 
wesenheit von anderthalb Jahren hatte für Cicero die Ent- 
scheidung vertagt, aber nicht aufgehoben. Jetzt galt es, in 
dem entscheidenden Kampf Partei zu ergreifen für Pompejus 
oder für Cäsar. 



Kapitel 12. 



Der Bürgerkrieg. 

Es ist die traurigste Periode in Ciceros Leben, in die 
wir nunmehr eintreten, noch trauriger, als die Zeit seiner 
Verbannung. Hatte er damals noch durch sein unverschul- 
detes Leiden einen Anspruch auf unser Mitgefühl erworben, 
so war es ihm jetzt nicht einmal möglich, in Wahrheit zu 
leiden. Unfähig, sich mit ganzer Seele einem der beiden 
Parteihäupter anzuschliefsen, schwankte er haltlos von diesem 
zu jenem, von jenem zu diesem, bis ihm die Grofsmut Cäsars 
die Rückkehr zu den unzeitig verlassenen Studien verstattete. 
Trotzdem ist es ganz falsch, auf Grund dieser Thatsache 
seine Vaterlandsliebe anzuzweifeln und seinen Charakter 
herabzusetzen. Die Lage der politischen Verhältnisse war 
so verworren, dafs ein aufrichtiger Anhänger der libera res- 
publica, d. h. des Senatsregiments, sich keiner der beiden 
Parteien anschliefsen durfte. Zu einer vermittelnden Stellung- 



V 



— 106 — 

nähme aber, die beiden Prätendenten der Monarchie Einhalt 
gebot, fehlte es Cicero wie seinen Freunden an Macht und 
Entschlossenheit. 

Die Parteinamen der Optimaten und Populären waren 
immer mehr verblafst; ein irgendwie ernsthaftes Programm 
gab es überhaupt nicht. Die Populären, d. h. das gallische 
Heer, das niedere Volk und die grofse Anzahl ehr- und hab- 
süchtiger Streber, hatten ihre Sache auf Cäsar gestellt; von 
ihm erwarteten sie allein die Befriedigung ihrer meist nie- 
drigen Wünsche. Allerdings verkannten sie ihren Herrn und 
Meister gründlich. Dieser grofse Mann, der als Staatsmann, 
Feldherr und Schriftsteller um eines Hauptes Länge seine 
Zeitgenossen überragte, hatte seit Jahren sein Ziel fest im 
Auge behalten. Ihm war es nicht allein um seine Macht, 
sondern zugleich um des Staates Wohl zu thun, das er nur 
durch Einführung der Monarchie glaubte sicherstellen zu 
können. Ihn verkannt zu haben, ist Ciceros erster und ein- 
ziger Fehler, der seiner staatsmännischen Einsicht ein übles, 
seiner Vaterlandsliebe ein ehrendes Zeugnis ausstellt. Er 
glaubte an den Fortbestand des Staates, wie ihn nachmals 
Livius in seinem Glänze geschildert hat; mit der starren Ein- 
seitigkeit konservativer Staatsgesinnung wollte er Einrich- 
tungen auch femer stützen und erhalten, die seit Jahrzehnten 
zum Untergange verurteilt waren. Weit richtiger urteilte 
er über Pompejus und seine nunmehrigen Verbündeten, die 
Führer der selbstsüchtigen Nobilität, die nichts gelernt und 
nichts vergessen hatte. Seit seiner Jugend vom Qltick ver- 
wöhnt und, wie Cicero, über sein Verdienst hinaus gepriesen, 
hatte Pompejus zweimal die Krone aus der Hand gegeben, 
weil es ihm an der Fähigkeit gebrach, die den echten Staats- 
mann auszeichnet, an dem festen Willen. Müstrauisch und 
eifersüchtig, hatte er sich von der Nobilität zum Bruch 
mit Cäsar treiben lassen, ohne zu bedenken, dafs seine neuen 
Verbündeten nach einem Siege seine bittersten Feinde werden 
würden. Und dabei hatte er nicht einmal seine militärischen 



— 107 — 

Pflichten gewissenhaft erjRillt; schlecht gerüstet und fast ratlos 
stand er zu Anfang des Bürgerkrieges da. Seiner würdig 
zeigte sich die Nobilität, die entartete Nachkommenschaft 
staatskluger Väter. Wenn wir von Cato absehen, dem per- 
sönliche Ehrenhaftigkeit und ehriiche Überzeugungstreue 
nicht abzusprechen sind, so finden wir wenig zu rühmen. 
Ungemessener Hochmut und jämmerlicher Kleinmut, Hab- 
sucht und Grausamkeit schändeten die Vertreter der Partei, 
welche die Freiheit des Staates zu verteidigen vorgab. Dafs 
Cicero sich in dieser Gesellschaft, die er so scharf durch- 
schaute, nicht heimisch fühlte, darf ihm nicht zum Vorwurf 
gemacht werden. Aber die Geschichte liebt die Männer der 
Thaten, und seien die Thaten auch noch so verkehrt. Der 
Selbstmord Catos wird auf oberflächliche Beurteüer weit 
bestechender einwirken, als die Entsagung, mit der sich Cicero 
dem Monarchen unterwarf. 

Wir verfolgen nunmehr die Wanderungen und Wande- 
lungen des Redners, die er in fünf Büchern der Briefe an 
Atticus uns selbst berichtet hat. 

Nachdem durch das wunderbare diplomatische Geschick 
Cäsars Pompejus und der Senat formell ins ofltenbare Unrecht 
gesetzt waren, brach der Bürgerkrieg zu Anfang des Jahres 
49 aus (im November 50 nach dem berichtigten Kalender). 
Wie ein Blitzstrahl traf Cicero wie die ganze Senatspartei 
die Kunde von dem Anmarsch der sieggewohnten gallischen 
Truppen. Im ersten Schreck wurde die Hauptstadt preis- 
gegeben, die Betreibung der Rüstungen anbefohlen, obwohl 
der gewissermafsen den Belagerungszustand verhängende 
Senatsbeschluls (Videant consules, ne quid respubKca detri- 
menti capiat!) bereits vor geraumer Zeit erlassen war. Ver- 
gebens riet Cicero zur Nachgiebigkeit, zu Verhandlungen. 
Auch er erhielt eine militärische Aufgabe, die Aushebung in 
Campanien und die Verteidigung von Capua und der See- 
küste. In höchster Aufregung holte er Tag für Tag den 
Rat seines Atticus darüber ein, wie er sich zu verhalten habe, 



— 108 — 

wenn Pompejus Italien verlasse. Inzwischen erfahren wir 
von dem Vordringen Cäsars; der einzige Lichtblick für die 
Senatspartei ist der in seiner Bedeutung überschätzte Über- 
tritt des Labienus. Von Capua ging Cicero in seiner Un- 
ruhe nach Cales; Frau und Tochter liefs er auf sein For- 
mianum kommen. Da trafen Briefe ein, welche für Cäsar um 
Ciceros Freundschaft und Unterstützung baten. Es ist hoch- 
interessant zu beobachten, wie oft und wie dringlich der 
grofse Revolutionär, der das ganze Staatsgebäude leichten 
Herzens über den Haufen warf, den von ihm hochgeschätzten 
Redner umschmeichelte. Während Pompejus durch kurze, 
herrische, oft grobe Billets ihn an seine Pflicht mahnt, wirbt 
Cäsar in feiner und liebenswürdiger Weise um seine Gunst. 
Noch schwankte Cicero; wird der Feind ein Pisistratus oder 
ein Phalaris sein? Der Krieg zog sich nach dem Süden; 
die Entscheidung war vor der Thür. In einem längeren 
Briefe legt Cicero dem Freund das Dilemma vor, in dem er 
sich befindet: dort der Monarch, freundlich und milde, aber 
unzuverlässig und zuletzt doch immer ein Tyrann; hier nichts 
von Weisheit und Tapferkeit, zahllose Sünden auf dem Kerb- 
holz und erst neuerdings schwere Fehler, vor allem die un- 
verständige Flucht. Was thun? Schon ist die Strafse nach 
Apulien nicht mehr sicher. Beispiele aus der vaterländischen 
und griechischen Geschichte geben für beide Entschlüsse Vor- 
bilder. Und nun giebt Pompejus auch den in Corfinium 
belagerten Domitius auf und geht nach Brundisium! Sicherer 
ist das Bleiben, ehrenhafter die Überfahrt. In Cäsars Auf- 
trag schreibt Calius und bittet um Ciceros Beihilfe zur 
Anknüpfung von Friedensunterhandlungen. Wie klang das 
ganz anders, als die hochmütigen und drohenden Winke der 
Pompejaner! Dazukam ein lästiges Augenleiden, die Gefährdung 
der Reise. Cicero entschlofs sich zu bleiben, während Pompejus 
sich nach Griechenland einschiffte. In verbindlichster Weise 
dankte ihm der Sieger, er bittet um seine Anwesenheit in Rom, 
da er seines Rates bedürfe. Ebenso die Cäsarianer. Aber nun 



— 109 — 

war es sein Unglück, dafs er auf halbem Wege stehen blieb. 
Er flüchtete sich auf seine Güter und zermarterte sich mit 
Selbstvorwürfen, ob es nicht doch richtiger gewesen wäre, 
zu fliehen. Allerhand Befürchtungen wurden laut. Aber vor- 
läufig überwog die Abneigung gegen die Ächtungsgelüste 
der Optimaten. Der „Imperator" Cicero antwortete dem Im- 
perator Cäsar höflich, aber ausweichend. Auf einem der 
Landhäuser fand die Unterredung statt, die gleichfalls er- 
gebnislos blieb. Es ist ohne Zweifel dem Cicero als Bethäti- 
gung männlichen Mutes anzurechnen, dafs er dem allmäch- 
tigen, gefürchteten Sieger eine rund ablehnende Antwort 
gab; er wollte nicht nach Rom kommen, um nicht an den 
Thaten des Umsturzes teilzunehmen. Verstimmt schlofs Cäsar 
die Unterredung mit den bedenklichen Worten: Wenn er 
nicht Ciceros Rat erhalte, so werde er sich an andere wenden 
und zu allen möglichen Entschlüssen greifen. Das war viel- 
deutig und bestärkte Cicero in seiner Abneigung gegen die 
Gesetzlosigkeit. Er feierte inzwischen in der Heimat ein 
Familienfest, die Verleihung des Bürgerkleides an seinen 
heranreifenden Sohn Marcus. Schon regte sich in ihm der 
Wunsch, zu den alten Freunden zurückzukehren. Er wechselte 
mehrfach seinen Aufenthalt, mied aber Rom. Inzwischen 
reiste Cäsar nach Spanien, um dort das Heer des Feindes 
zu schlagen; der Ausfall dieses Waffenganges sollte auch für 
Cicero entscheiden, so wollte es seine Tochter. Aber er 
folgte nicht und entschlofe sich zur Unzeit, sobald ungünstige 
Nachrichten anlangten, da bekanntlich Cäsar bei Uerda durch 
Mangel an Proviant in grofse Not geriet. Vergebens warnte 
der Stellvertreter des Diktators, M. Antonius, vergebens jener 
selbst, vergebens der alte Vertraute M. Cälius. Cicero dachte 
bald an Malta, bald an Sicilien; seine Abreise wurde teils 
durch die Geburt eines Enkels, teils durch Windstille ver- 
zögert. Endlich stach er mit seinem Sohne in See und stiefs 
in Dyrrhachium zu Pompejus' Heer. Hier erwartete ihn ein 
nichts weniger als freundlicher Empfang, da er nach Ansicht 



— 110 — 

der Heifsspome zu spät sich für die gute Sache entschieden 
habe. Indessen sind wir über die folgenden Monate nur 
wenig unterrichtet; die Briefe fliefsen erst nach der Schlacht 
bei Pharsalus reichlicher. Es ist wahrscheinlich, dafs Cicero 
keinen Einflufs auf die Kriegsoperationen hatte. Um so 
tiefer schmerzten ihn die trüben Nachrichten aus der Heimat. 
Die soeben genesene Tullia wurde von ihrem unwürdigen 
Gatten Dolabella übel behandelt, weil der Vater die ausbe- 
dungene Mitgift nicht bezahlt hatte. In seiner Not wandte 
sich Cicero an den bewährten Freund und Bankier, der ihn 
schon so oft gerettet. Er wies die Summe an, die er seiner 
Zeit aus Cilicien erhalten und in Eleinasien zinsbringend 
angelegt; aber ein Teil davon war bereits dem Pompejus 
zu Kriegszwecken übergeben. Endlich ward die Mitgift be- 
zahlt, aber die Klagen über Geldverlegenheiten dauerten fort. 
Nun fiel die Entscheidung. Cicero hatte den Marsch 
nach Thessalien eines Unwohlseins halber nicht mitgemacht, 
er erfuhr durch Labienus die Unglücksnachricht. Man ver- 
sammelte sich in Corcyra, wo der gewissenhafte Cato den 
an Rang höherstehenden Cicero um Übernahme des Kom- 
mandos ersuchte. Aber dieser lehnte sich entschlossen gegen 
eine Fortsetzung des Krieges auf; die Verlegung des Kriegs- 
schauplatzes nach Afrika, die Anrufung barbarischer Völker- 
schaften war ihm zuwider. Auch die Drohungen des Cn. 
Pompejus, die an Gewalthätigkeit streiften, konnten ihn 
nicht irre machen. Er kehrte nach Italien zurück. Aber 
wohin? Nach einer vorläufigen Verfügung Cäsars ward den 
ehemaligen Pompejanern der Aufenthalt in Italien verboten. 
Nur mit Mühe wurde von dem unerbittlichen Antonius er- 
reicht, dafs er in Brundisium, einer ungesunden, unbehag- 
lichen Stadt, sich aufhalten durfte. Hier hat er von 48 bis 
46 die traurigsten Tage seines leidvollen Lebens verbracht. 
Pompejus' Untergang beklagte er einfach und herzlich. 
Cäsars Entschlüsse waren ihm ganz unbekannt; er mufste, 
nachdem er ihm so sehr entgegen gewesen war, das Schlimmste 



— 111 — 

erwarten. Dazu kam ein böses Zerwürfiiis mit seinem Bruder 
und Neflfen. Über den Grund des Zwistes ist uns nichts 
Sicheres überliefert. Wahrscheinlich versuchte Quintus nebst 
seinem Sohne die Schuld des Abfalls auf den Bruder abzu- 
wälzen und sich dadurch die Gnade Cäsars zu erkaufen. In 
Paträ vereinigten sich Vater und Sohn, um ihre Reise zum 
Sieger nach Alexandria anzutreten. Mehr als einmal erhielt 
Marcus Nachricht von Wutausbriichen seiner nächsten Ver- 
wandten, wie denn der ältere Quintus durch seinen Jähzorn 
schon lange berüchtigt war. Während dessen safs der Be- 
klagenswerte thaten- und ratlos in Brundisium, umgeben von 
seinen Liktoren, die noch immer — so hoflhungsstark war 
seine Eitelkeit — die lorbeerumwundenen Rutenbündel des 
auf den Triumph harrenden Imperator zur Schau trugen. 
Er haderte mit sich, mit den Seinen, mit den Pompejanem, 
mit den Cäsarianem, mit der ganzen Welt; in den Busen 
seines Atticus schüttete er seine Klagen aus. Bis zu dem 
Grade verstieg sich der Schmerz des leicht erregbaren Süd- 
länders, dafs er seine Geburt wie die seines Bruders ver- 
wünschte. Er wandte sich an bekannte Männer, die für ihn 
bei Cäsar Fürbitte einlegten. Schon vor Pharsalus hatte 
sein Schwiegersohn Dolabella, halb im Auftrage Cäsars, ihn 
noch einmal hinüberzuziehen versucht und ihm wenigstens 
strenge Neutralität angeraten. Jetzt wandte Cicero sich an 
C. Cassius, der in Alexandria sich vor dem Sieger gebeugt 
hatte. Endlich wurde Cäsars Rückkehr wahrscheinlicher; 
Cicero schwankte, ob er ihm entgegenreisen oder seinen Sohn 
entgegenschicken sollte. Seine Besorgnis war gänzlich un- 
begründet. Cäsar verzieh ihm nicht nur, sondern zeichnete 
ihn bei seiner Landung in Brundisium durch Umarmung und 
vertrauliches Gespräch vor anderen aus. 

Cicero kehrte auf seine Güter zurück, um sich neuen 
Sorgen hinzugeben. Kaum hatte er sich mit dem Bruder 
ausgesöhnt, so kam der schon lange angesponnene Zwist mit 
seiner Gattin zum Ausbruch. Wie es aus den Briefen her- 



— 112 — 

vorzugehen scheint, waren es leidige Geldfragen, welche die 
Ehe nach so vielen Jahren trennten. Terentia war nicht frei 
von Habsucht und bestrebte sich mit Hilfe ihres Freigelassenen 
Philotimus ihr Privatvermögen auf Kosten des Gatten zu 
mehren. Er schickte der Gattin den Scheidebrief; doch 
waren damit die Unterhandlungen über die Auseinander- 
setzung der Vermögen nicht erledigt, wie wir aus dem Brief- 
wechsel entnehmen; Atticus spielte den Vermittler. Noch 
auffälliger berührt uns die Nachricht, dafs Cicero bald dar- 
auf zu einer zweiten Ehe sich entschlols und die viel jüngere 
Publilia heimführte, wie es scheint, um seine zerrütteten 
Finanzen durch das Geld seiner reichen Frau aufzubessern. 
Die Ehe hatte keinen langen Bestand. Cicero löste sie auf, 
angeblich weil Publilia über den im Jahre 45 erfolgten Tod 
ihrer Stieftochter Tullia eine gewisse eifersüchtige Freude 
nicht unterdrückt hatte. 



Kapitel 13. 



Wiederaufnahme wissenschaftlicher Thätigkeit. * 

Wiederum sah sich Cicero durch üble Erfahrungen ge- 
nötigt, wie einst vor zehn Jahren, so jetzt durch aufmerk- 
sames Entgegenkommen und vorsichtiges Auftreten die 
Gunst des Machthabers sich zu erhalten. Er fügte sich in 
die Zeitumstände bald mit mehr, bald mit weniger Humor. 
Selbstverständlich zeigt er sich wieder im Senate, um die 
Anordnungen des Herrschers gutzuheifsen, und pflegte den 
Verkehr mit seinen Anhängern. Es entwickelte sich sogar 
hieraus ein reger Verkehr, der eines gewissen Reizes nicht 
entbehrte. Aufser dem Bankier Baibus und dem trefflichen 
Matius waren es der junge Rechtsgelehrte Trebatius, der Freund 
und Fortsetzer Cäsars A. Hirtius, ferner Pansa und andere, 
die bei dem berühmten Redner vorsprachen, um sich in der 



— 113 — 

Redekunst von ihm unterrichten zu lassen. Zum Danke da- 
för luden sie den würdigen Lehrer zu opulenten Diners ein, 
deren Vorzüge Cicero in seiner Mafsigkeit kaum schätzen 
konnte. Wie umfangreich der Freundeskreis war, der ihn 
umgab, zeigte sich so recht bei dem härtesten Schlage, der 
ihn betrofiFen hat, bei dem Tode seiner innig geliebten 
Tochter, die, von ihrem Gbtten geschieden, an den Folgen 
der Entbindung starb. Von allen Seiten kamen die Trost- 
briefe, unter denen der des berühmten Bechtsgelehrten Ser- 
vius Sulpicius durch erhabene Gesinnung und zart^ Freund- 
schaft hervorragt. Auch Cäsar schrieb aus HispaUs, wie er 
es denn nie an Aufinerksamkeit gegen seinen berühmtesten 
Zeitgenossen fehlen liefs. Er stattete ihm später einen inter- 
essanten Besuch ab mit seinem ganzen Stabe, wovon uns 
der Bericht übermittelt ist. Cicero war lange untröstlich; 
er fand eine Beruhigung in dem Plane, mit Atticus* Hilfe 
ein prächtiges Denkmal der Verstorbenen zu errii^hten, und in 
wissenschaftlichen Studien. Fast gewaltsam muMe er wieder 
auf das Feld seiner eigentlichen Begabung gewiesen werden. 
Zugleich unterhielt er einen aui^ebreiteten Briefwechsel^ 
nicht nur mit Atticus, sondern auch mit vielen Männern, 
die er teils tröstete über die Not der Zeit, teils durch 
Empfehlungsschreiben in ihren Geschäften zu fördern sich 
bemühte. 

Wir gedenken zunächst der nicht mehr erhaltenen Lob- 
Schrift auf Cato, welche in engstem Zusammenhange mit 
den Zeitereignissen steht; die Kühnheit ihres Verfassers 
wurde dadurch belohnt, da& Cäsar ihn einer Widerl^ung 
würdigte. Nunmehr fassen wir die folgenden Schriften der- 
artig zusammen, dals wir zuerst der drei vor dem Monarchen 
gehaltenen B>eden, dann der rhetorischen Schriften, endlich 
der philosophischen Studien gedenken, wenn auch die Zeit- 
folge der Anordnung nicht genau entspricht. 

Im Jahre 46 sprach Cicero für M. Marcellus und Liga- 
rius, 45 für den König Dejotarus. Die erste Rede, die übrigens 

Aly, Cicero. 8 



— 114 — 

mehrfach fbr unecht erklärt wird, soll dem Danke des 
Senates für die Bückberufmig des Marcellus, eines eiMgen 
Optimaten, Ausdruck geben. Wie wir aus Briefen wissen, 
war der starre Sinn des stolzen Mannes der Grund fClr die 
Verzögerung der Bückkehr; er wollte nicht um Gnade bitten. 
Endlich entschlols er sich auf Wunsch seiner Verwandten 
und Freunde zu dieser Demütigung und erhielt Verzeihung. 
Diesen Anlafs benutzte Cicero, um sein Schweigen zu brechen 
und durch eine S^iatsrede dem Mächtigen sich gefftgig zu 
zeigen. Die überlieferte Bede befriedigt den Leser weder 
der Form noch dem Inhsdt nach, und es ist sehr verstand- 
Hch, warum ihre Echtheit angezweifelt, nicht minder, warum 
ihre Echtheit behauptet ist. Hören wir den Gedankengang. 
In überschwenglicher Weise preist Cicero die Milde Cäsars, 
welche nur von seinen Grolsthaten erreicht werde. Keine 
Kunst der Bede oder der Schrift könne, diese würdig feiern. 
Aber am höchsten anzuschlagen sei die Begnadigung des 
Marcellus, für die selbst die Wände der Kurie danken mülsten. 
Jener sei, wie so viele, wie der B«dner selbst, durch ein be- 
klagenswertes Geschick in den Bürgerkrieg getrieben; aber 
Cäsar habe eigentlich den Frieden gewollt, er habe den Sieg 
mafsvoll gebraucht, während die Gegenpartei nach Bache 
gedürstet hätte. Möge er im Verzeihen nicht ermüden. Nur 
Eines betrübe die Herzen aller Patrioten, dafs er zu wenig für 
sein Leben besorgt sei, da doch von ihm aller Heil abhänge. 
Seine Aufgabe sei noch nicht gelöst Nach glücklich errungenem 
Siege komme es ihm zu, den Staat durch weise Gesetze und 
Einrichtungen zu ordnen, damit die Nachwelt ihn gebührend 
preise. Darum möge er für sein Heil sorgen; der Senat 
werde ihn mit den Körpern seiner MitgKeder decken. 

Die Bede entbehrt jener sorgfältigen Anordnung, die 
sonst den Verfasser auszeichnet; sie stimmt zum Teil mit 
den Gedanken der Briefe überein, die an Marcellus ge- 
richtet sind, kann also nach diesen von einem Schulredner 
komponiert sein. Dafür spricht der Inhalt, der in seiner 



— 115 — 

mafslosen Schmeichelei sich aufiFallig von dem würdigen Ton 
der fiir Ligarius bald darauf gehaltenen Rede unterscheidet. 
Ist sie echt, so hat sich Cicero niemals so vergessen; die 
Stelle über die Bereitwilligkeit der Senatoren, Cäsars Leben 
zu schützen, klingt wie blutiger Hohn: denn aus eben diesem 
Kreise stammten die Meuchelmorder. 

Einen ganz andern Eindruck macht auf uns die Ligariana, 
von der selbst der schlimmste Feind ihres Urhebers geurteilt 
hat: „Nur ein Cicero konnte unter so peinlichen Verhältnissen 
die Würde und Freimütigkeit des Republikaners mit der 
Feinheit und Zurückhaltung des Hofmanns vereinigen." Die 
Rede ist vor Cäsar gehalten, der als dictator reipublicae 
constituendae die Befugnisse eines Oberrichters beanspruchte. 
Der Ankläger war Q. Tubero, ein Sohn von Ciceros Vetter, 
dem Jugendfreunde, Studiengenossen und Kriegskameraden, 
L. Alius Tubero, der aus persönlicher Rachsucht dem in der 
Verbannung lebenden Q. Ligarius das Verderben bereiten 
wollte. Cicero beginnt mit dem Eingeständnis der Schuld 
seines Klienten; er ist in Afrika gewesen, d. h. er hat bei 
Thapsus gegen Cäsar gefochten. Aber er fügt hinzu, dafs 
der Ankläger in derselben oder einer entsprechenden Lage 
sich befanden habe; er hat bei Pharsalus für Pompejus 
gekämpft. Ligarius' Schuld wird dadurch gemildert, dafs er 
schon vor Ausbruch des Krieges in Afrika gewesen ist. 
Aber nicht blols Ligarius, sondern sein Verteidiger selbst 
hat Cäsar g^enüber gestanden und ist doch begnadigt, 
ja sogar vom Sieger hochgeehrt. Mit dieser Milde kon- 
trastiert sehr übel die Grausamkeit des Anklägers, der 
das Blut seines Feindes will, ein wahrhaft inhumanes 
Unternehmen. Und doch hat der Beklagte kein Ver- 
brechen begangen, sondern einen Lrtum; es war kein 
Krieg, sondern eine- Trennung; auch die scharfsinnigsten 
Leute erkannten nicht sofort, auf wessen Seite das Recht 
sei. Dies haben die Götter durch den Si^ bewiesen. 

Und haben nicht beide Tubero dasselbe Vergehen be- 

8* 



— 116 — 

gangen? Ja, sie sind schuldiger, weil sie, von Ligarius an 
der Landung in Afrika verhindert, hartnäckig ihre Reise za 
Pompejus fortsetzten. Durch die B^nadigung wird sich 
Cäsar auch die sabinischen Landsleute des Beklagten, seine 
drei Brt\der, seine Anverwandten, das ganze Volk ver- 
pJBiichten; er pflegt ja nichts zu vergessen als Beleidigungen. 
Durch nichts nähert sich der Mensch mehr den Göttern als 
dadurch, dafs er anderen Rettung bringt — ein herrlicher, 
wahrhaft christlicher Ausspruch! 

Cäsar b^nadigte seinen Feind, sehr mit Unrecht; denn 
auch er zählte nachmals zu seinen Mordern. Marcellus hat 
von seiner Begnadigung keinen Vorteil gezogen; auf der 
Heimreise wurde er von einem Privatfeinde in Athen er- 
mordet. 

Erst im Jahre 45 hielt Cicero die dritte der „cäsaria- 
nischen" Reden, die für den König Dejotarus, der ihn einst- 
mals so treu in Cilicien unterstützt hatte. Er war von 
seinem Enkel Castor und einem Arzte Philippus angeklagt, 
einen Gifkmordversuch auf Cäsar verübt und ihm auch sonst 
Feindseligkeit bewiesen zu haben. Das vorgegebene Ver- 
brechen war unzweifelhaft nicht geplant, während die aU- 
gemeinere Anklage berechtigt schien. Zu Grunde lagen häfs- 
liehe Zerwürfnisse im königlichen Hause, die nach orienta- 
lischer Art mit Mord und Verrat beglichen wurden; der 
König ist unsers Mitgefühls ebensowenig würdig, als sein 
sauberer Enkel. Aber darum kann man es Cicero doch 
nicht verdenken, dafs er flir seinen alten Bundesgenossen 
eintrat. Die Verhandlung fand wieder vor Cäsar statt, dies- 
mal aber nicht auf dem Markte, sondern im Hause, ein 
Umstand, dem der Redner eine gewisse Befangenheit zu- 
schreibt, die er nicht bemeistem könne. Es wird zunächst 
das Vorleben des Königs erörtert, sein Verdienst gehörig 
gepriesen, seine Teilnahme am Bürgerkrieg entschuldigt.' 
Nun folgt die Widerlegung der Anklage, die durchweg un- 
wahrscheinlich erscheint. Zwei geringfügige äufsere Umstände 



— 117 — 

sollen die Ausführung des schändlichen Verbrechens allein 
verhindert haben. Ist es geplant gewesen, so ist es jeden- 
faUs mit wenig Umsicht und Überlegung durchgeführt. Aber 
auch der andere Teil der Anklage ist hinfallig. Dejotarus hat 
nachmals sogar den Legaten Gasars mit Geld und Truppen 
unterstützt. Die Behauptung, jener habe aus Freude über 
eine angebliche Niederlage seines Feindes sich berauscht 
und getanzt, widerspricht der nüchternen und würdigen 
Lebensführung des Greises. Zum Schlufs versucht der Redner 
Bogar Cäsar mit dem König auszoflöhnen; er möge auf das 
hohe Ansehen des königlichen Namens Bücksicht nehmen 
und nach seiner Gewohnheit Gnade walten lassen. 

Die Rede hatte nicht den gewünschten Erfolg. Cäsar 
versparte sich die Entscheidung auf seine Orient&hrt, auf 
der er mit den Parthem abrechnen wollte. Die Dolche 
seiner Mörder befreiten. Dejotarus von aller Gefahr. 

Inzwischen hatte Cicero bereits seine wissenschaftlichen 
Studien, die er von 55 bis 52 so eifrig und so erfolgreich 
betrieben, wieder au%enommen und in ihnen einen teUweisen 
Ersatz für die schmerzHch vermilste Thätigkeit m der Kurie 
und auf dem Markte gefanden. Nach zwei Seiten hin dehnte 
er seine Lektüre und seine Schriftstellerei aus: er pflegte sein 
Lieblingsfach, die Rhetorik, für die er in den Büchern „vom 
Redner^^ eine feste Grundlage gelegt hatte, und bestrebte 
sich fernerhin die philosophischen Schriften der Griechen, so- 
weit sie seinem Verständnis erreichbar waren, seinen Lands- 
leuten zugänglich zu machen, wie er dies bereits in den 
Büchern „vom Staat^^ und „von den Gesetzen^^ gethan hatte. 
Wir stellen zunächst, ohne die Chronologie zu berück- 
sichtigen, die übrigen rhetorischen Schriften hier zusammen. 

Im Jahre 46, noch vor der Schlacht bei Thapsus, 
schrieb Cicero den „Brutus, von den berühmten Rednem^S 
eine Geschichte der römischen Beredsamkeit. Der Doppel- 
titel entspricht einem Brauche, den der hochgelehrte M. Te- 
rentius Yarro in die Litteratur eingeführt hatte. Wir haben 



— 118 — 

bereits M. Brutus als einen jüngeren Freund Ciceros, der 
seinen wissenscliafklichen Sinn hochschätzte, sowie als hart- 
herzigen Wucherer kennen gelernt; hier erscheint er als ein 
lernbegieriger Jünger der Beredsamkeit. Die Darstellung ist 
den (uns nicht erhaltenen) Dialogen des Aristoteles nach- 
gebUdet. Nach einer Einleitung, in welcher der Verfasser, im 
AnschluTs an den im Jahre 50 erfolgten Tod des Hortensius, 
seine bitteren Klagen über die politische Lage im allgemeinen 
und die Verdrängung der Redekunst im besondem nicht ohne 
Freimut ergiefst, werden uns Brutus und Atticus im Gespräch 
mit dem Verfasser vorgeführt, das gar bald mit dem Hin- 
weise auf die chronologischen Arbeiten des Atticus zu dem 
Thema der Schrift übergeleitet wird; man wiU vor allem 
der leidigen Politik vergessen. Zunächst giebt Cicero in 
gedrängter Kürze, aber mit treflflichen Bemerkungen eine 
Geschichte der griechischen Beredsamkeit, an die sich nach 
einer chronologischen Abschweifung die Übersicht der hervor- 
ragenden Theoretiker schliefst. Nun folgt die Vorgeschichte 
der romischen Redekunst. Es werden viele Namen aufgeführt, 
die nur lose mit dem Thema zusammenhängen, die aber in 
ihrer stattlichen Fülle dem Patriotismus eine gewisse Genug- 
thuung verschaffen sollen. Als erster der archaischen Periode 
wird Cato gerühmt, dem aber Cicero, wiederum aus Patrio- 
tismus, mehr Vorzüge zubilligt, als er eigentlich verantworten 
kann. Er trägt indessen dafür Sorge, dafs seine ab und zu 
optimistische Auffassung durch Atticus eingeschränkt wird^ 
während Brutus das Gespräch durch wifsbegierige Fragen 
geschickt fortleitet. Überhaupt kann die Kunst in der Dar- 
stellung dieses trockenen Stoffes nicht genug gerühmt werden. 
In unendlicher Abwechselung werden die endlosen Reihen 
der Redner uns vorgeföhrt; eingehende Charakteristik, knappe 
Aufzählung, kleinere Episoden, gröfsere Exkurse, alle Kunst- 
mittel verwendet der Meister des Stils, um uns nicht ermüden 
zu lassen. Maler und Dichter, Staatsmänner und Feldherren 
werden vergleichsweise herangezogen, und doch ist das Gkmze 



— 119 — 

gut geordnet und stets übersichtlich. Der Verfasser nimmt 
zwei Blütezeiten ein, die erste durch Crassus und Antonius, 
die zweite durch Hortensius und ihn charakterisiert, beide 
mit gröfseren und kleineren Gruppen als Vorgängern, Ver- 
mittlem, Nachfolgern. Nachdem er den Ej*eis des Scipio, 
die Gracchen und zahlreiche Persönlichkeiten zweiten und 
dritten Banges, gemustert hat, nicht ohne unterhaltende 
Anekdoten einzustreuen, stellt er in den uns aus der Haupt- 
schrift „vom Redner^^ bekannten L. Crassus und M. Antonius 
die Vertreter einer ersten Blütezeit hin. Beide werden ge- 
schickt kontrastiert: während letzterer als der gewandte, 
aber allem Überschwang abholde Praktiker erscheint, sieht 
der Verfasser in ersterem das Ideal eines Redners, der nicht 
nur über alle Eunstmittel einer aui^ebildeten Technik, sondern 
vor allem über eine reiche und gründliche Bildung gebietet. 
Seine Redeweise wird an Beispielen eingehend erläutert. Nun 
folgt wieder eine lange Reihe minderwertiger Redner, Phi- 
lippus und Cäsar Strabo heben sich schärfer ab. Ein längerer 
Exkurs über den Unterschied zwischen Kenner und Laien 
gewährt dem Leser angenehme Abwechselung. Die zweite 
Blütezeit setzt ein mit dem Zeitalter des Cotta und Sulpicius, 
die eingehend gewürdigt werden. Den Gipfel der Vollendung 
erreicht die Redekunst in Hortensius. Vor seiner Charak- 
teristik wird eine Anzahl von Staatsmännern, unter denen 
sich jedoch kein Lebender befindet, in geradezu bewunde- 
rungswürdiger Individualisierung geschüdert. Nur bei zwei 
MäSern wird eine Ausnahme glachi, insofern die noch 
lebenden M. Marcellus (derselbe, für den Cicero gesprochen) 
und C. Julius Cäsar auf Brutus' Bitte gewürdigt werden, 
und zwar jener von Cicero, dieser von Atticus. Diese Cha- 
rakteristik des Schriftstellers und Redners Cäsar ist ein 
wahres Meisterstück feinster Urbanität, frei von unwürdiger 
Schmeichelei und reich an treffenden Bemerkungen; das 
Urteil über seine Kommentare gilt noch heute als klas- 
sisch: „sie sind schmucklos, schlicht und doch anmutig.^^ 



— 120 — 

Aach die grammatischen Versuche des wmiderbar vielseitigen 
Mannes werden einsichtig und taktvoll besprochen. Hoch 
interessant ist die Polemik gegen die Neuattiker, die unter 
Licinius Galvus' Führung das genus tenue ab das einzig 
richtige priesen; um so interessanter, als der Adressat der 
Schrift selbst auf selten der Neuerer stand. In überzeugender 
und doch schonender Weise führt Cicero seine Gegner ab, 
indem er sie auf die Einseitigkeit ihrer Bestrebungen und 
die Wunderlichkeit ihrer archaisierenden Diktion hinweist. 
Endlich kommt er zur Darstellung von Hortensius* redne- 
rischer Entwickelung. Aber in diese Charakteristik verflicht 
nun der Yerfeisser die Erzählung seines eigenen Bildungs- 
ganges. So unmerklich ist der Übergang, dals wir anfangs 
kaum merken, wie anstatt des Hortensius ein anderer ak 
Vollender der romischen Beredsamkeit hingestellt wird, und 
ist es ihm zu verdenken, dais er sich dem Hortensius an die 
Seite stellte? Die Darstellung seiner Studien- und Wander- 
jahre, seines allmählichen Emporkommens bis zum Jahre 66 
entbehrt nicht des Stempels der Wahrheit. Bedenklicher ist 
allerdings die Verherrlichung seiner ausgereiften Kedekünst, 
wobei die so oft beklagte Eitelkeit des Mannes unangenehm 
hervortritt. Dafs er dann den Hortensius im Wettbewerb 
um die Volksgunst überwunden hat, entspricht den That- 
sachen. 

Das Werk schlieist mit einer ermunternden Anrede an 
Brutus, auf dem ehrenvoll betretenen Wege rüstig fortzu- 
schreiten. Zwar sind die Zeiten trübe, aber trotzdem möge 
der junge Freund nicht ermüden und sich über den Schwärm 
der Durchschnittsredner emporschwingen. 

Soweit der „Brutus", in dem Cicero eine durchaus selb- 
ständige Leistung von wissenschaftlichem Werte seiner Nation 
geschenkt hat. Jedoch hielt er damit seine rhetorischen 
Studien nicht für abgeschlossen. Wie er im Verkehr mit 
jüngeren Freunden, dessen wir vorher gedacht haben, seine 
Anschauungen durch Lehre und Beispiel späteren Geschlechtem 



— 121 — 

zu überliefern suchte, so war er unablässig bemüht, das 
von ihm mit so viel Mühe und Eifer aufgebaute System 
gegen kecke Angriffe zu yerteidigen. Wieder waren es diS 
'ÖTteßamfubraroi, gegen die er im „Redner" zu Felde zog. 
Auch diese Schrift ist dem der neuen Richtung zuneigenden 
Brutus, der inzwischen die Verwaltmig des cisalpinischen 
Galliens übemonunen hatte, gewidmet; auch sie entstanmit 
dem Jahre 46. Der „Redner^^ z^chnet das Ideal, das seinem 
Verfasser vorschwebte, doch beschrankt er sich auf nähere 
Ausföhrung derjenigen Teile der Redekunst, die in den 
früheren Schriften nur flüchtig gestreift; waren; die Lehre 
vom Stil, insbesondere das Kapitel vom Rhythmus und von 
den rednerischen Figuren ist es, das Cicero abhandelt. 

Nach einer Einleitimg, die eine Bitte des Brutus als 
äufsere Veranhwsung der Schrift nennt, formuUert der Ver- 
fasser das Thema seiner Schrift. Sodann erörtert er über- 
sichtlich die uns bereits bekannten drei Stilgattungen, deren 
Vorzüge er abwägt unter Verurteilung des einseitigen Atti- 
cismus. Die Aufgabe wird durch Ausscheidung der Prunk- 
rede (des yävog imÖ€iKtiKÖv\ zu der er auch die Geschichts- 
schreibung rechnet, wesentlich beschränkt. Sehr kurz wird 
Yon den fünf Hauptteilen der Beredsamkeit die Auffindung 
oder Topik abgemacht, die bereits früher erledigt ist; des- 
gleichen die Anordnung. Die eigentliche Aufgabe der Schrift 
beschrankt sich nach dem Wie? zu fragen. Unter Über- 
gehung des Gedächtnisses, das gleichfalls in den Büchern 
„vom Redner" besprochen ist, wird der Vortrag kurz be- 
handelt. Nun beginnt die Abhandlung mit der Unter- 
scheidung des Redners vom PhUosophen, Historiker und 
Dichter. Das besondere Merkmal des beredten Mannes ist 
die strenge Beachtung des Geziemenden (decorum). Die drei 
Stilgattungen haben alle ihre Bedeutung, jede darf und mufs 
zur rechten Zeit angewandt werden; dies wird reichlich mit 
Beispielen bel^. Das Muster eines solchen allen Lagen 
gewachsenen Redners ist bei den Griechen Demosthenes, bei 



-^ 122 — 

den Römern Cicero. Vor allem bedarf ein solcher einer 
gediegenen Bildmig; Philosophie, Rechtswissenschaft, Ge- 
schichte müssen ihm vertraut sein. Nun die formale Be- 
handlung; er mufs die Eunstmittel beherrschen und ihre 
Auswahl nach dem jedesmaligen Fall klug bemessen. Vor 
allem darf er nicht auf den Redeschmuck verzichten, er 
mufs die Wort- und Satzfiguren kennen und anwenden, 
er mufs die Sätze kunstvoll zu Perioden erweitem — hier- 
bei rechtfertigt er seine eigene, vielfach bespöttelte Lehr- 
thätigkeit — ; die Stellung der Wörter, der Bau der Perioden, 
die Verwendung des Rhythmus sind wichtige Aufgaben. Hier 
wird der Verfasser immer ausführlicher; denn er kommt auf 
das Gebiet zu sprechen, wo er nach dem Vorgang der 
Griechen selbstschöpferisch aufgetreten ist. Eine stattliche 
Anzahl von Beispielen erläutert seine Ausführungen. Mit 
ganz besonderem Interesse folgen wir der Lehre vom Rhyth- 
mus, für den aUerdings unsere stumpferen Ohren weniger 
empfönglich sind, als die feinfühligen Alten. Ursprung, Grund, 
Wesen und Gebrauch des Rhythmus werden bis in alle Einzel- 
heiten hinein erörtert. Für das Verständnis seiner Reden ist 
die Würdigung dieser Feinheiten, deren sich übrigens auch 
ein Demosthenes bediente, unbedingt erforderlich. Mit einem 
Preise der rhythmisch geordneten Rede und einer Aufforde- 
rung an Brutus, sich selbst ein Urteil zu bilden, schliefst 
das schöne Werk, das sich ebenbürtig den beiden andern 
Schriften anreiht. 

Vermutlich in dieselbe Zeit, wenn auch nicht nachweis- 
bar, fallt das kleine Schriftchen „über den besten Redestil*^ 
das die Einleitung zu den von Cicero übersetzten Reden des 
Demosthenes und Aschines für und wider Ktesiphon (vom 
Kranze) gebildet hat. Die Übersetzung, mit der Cicero zu 
den Übungen seiner Jugend zurückkehrte, ist leider verloren 
gegangen. Die Schrift beschäftigt sich wieder mit den 
Attikem imd wiederholt die These, dafe nicht Thucydides 
und Lysias, sondern Demosthenes und Äschines Vorbilder 



— 123 — 

des echten Atticismus seien. Darauf folgt eine Einleitung 
zu den genannten Reden. 

Wir schliefsen hier die beiden übrigen Schriften zur 
Rhetorik an, wenn sie auch aus späterer Zeit stammen. Im 
Herbst 44 schrieb Cicero auf dem Schiff, im Begriff, nach 
Griechenland zu entweichen, seine „Topik" an den schon 
lange ihm vertrauten Rechtsgelehrten Trebatius, der uns 
übrigens auch aus einer Satire des Horaz bekannt ist. Im 
Anschlufs an Aristoteles giebt Cicero aus dem Gedächtnis 
eine kurze Übersicht über die wichtigsten Gesichtspunkte 
dieses Teils der Rhetorik, der ihn ja schon in seiner Jugend- 
schrift beschäftigt hatte. Die Lehren von der Partition und 
Division, Definition und Klassifikation haben noch heute ihre 
Geltung. Indessen hat die Schrift, da sie ausschlieMich tech- 
nischen Inhalts ist, etwas Trockenes und daher keine all- 
gemeinere Bedeutung. Ebenso steht es mit der aus un- 
bekannter Zeit stanmienden Schrift „über die rednerische 
Einteilung*', in der Cicero mittels eines zwischen ihm und 
seinem Sohne fingierten Dialogs einen Überblick über die 
eigentliche Technik der Redekunst giebt; in Frage und 
Antwort wird das Gebiet durchmustert. 

Es sind demnach sieben Schriften, darunter drei Haupt- 
werke, in denen Cicero die Kunst, in der er Meister der 
Praxis war, theoretisch begründete. Er hat sich dadurch 
allein schon einen Namen in der Geschichte der Wissen- 
schaften erworben. 



Kapitel 14. 



Philosophisclie Studien. 

Die unfreiwillige Mulse, in die sich Cicero durch Cäsars 
Alleinherrschaft versetzt sah, veranlafste ihn, nach dem Ab- 
schluls seiner rhetorischen Schriften im „Redner'^ zu den' 
philosophischen Studien zurückzukehren, die er von Jugend 



— 124 — 

auf gepflegt, niemals ganz unterbrochen und durch seine 
beiden politischen Schriften auch Utterarisch bereits be* 
thätigt hatte. Dieser Tefl seiner schriftsteUerischen Wirk- 
samkeit steht ganz besonders in üblem Rufe. Wahrend seine 
Richter über die rhetorischen Schriften, denen sich nichts 
Übles nachsi^en lafst, mit beredtem Schweigen hinweggehen, 
sehen sie in der „philosophischen Bibliothek^S ^^^ ^^ angeb- 
Uch in verdrieisUcher EUe „zusammenschrieVS nichts als 
wertlose Stilübungen — sehr mit Unrecht. Allerdings hat 
Cicero mit dem bedauerlichen Eifer, mit dem er sich selbst 
am meisten zu schaden wulste, seine philosophischen Schriften 
in einer wirklich verdriefslichen Anwandlung „Abschriften^^ 
genannt. Aber schlagt nicht aller geschichtlichen Wahr- 
heit ins Gesicht, wer derartige Ausflüsse einer Augenblicks- 
stimmung für bare Münze nimmt? Ist der Fall nicht denk- 
bar, dafs man einen Angeklagten gegen seine eigenen Aus- 
sagen in Schutz nehmen mufs? Dies ist hier der Fall. 
Cicero hat sich durch seine phüosophische Schrift»teUerei 
ein namhaftes Verdienst um seine Nation in sachlicher wie 
sprachlicher Hinsicht erworben. Er hat den Römern die 
Werke der griechischen Philosophen durch seine Bearbeitung 
zugänglich gemacht und ihren engen Gesichtskreis dadurch 
erweitert; er hat die lateinische Sprache befähigt, wissen- 
schaftliche Gedankengänge klar und angemessen darzustellen; 
er hat hierdurch die Weltherrschaft des herrlichen Idioms 
angebahnt. 

Allerdings war Cicero wenig für philosophische Speku- 
lation beföhigt. Mehr rasch und witzig als scharf und tief, 
hat er die Wissenschaft selbst nicht gefordert. Die hervor- 
ragenden Vertreter der griechischen Philosophie, Plato und 
Aristoteles, hat er nur zum Teil kennen gelernt und oft 
nicht verstanden, so gern er auch ihre Schriften anfuhrt« 
Zwar hat er u. a. Piatos Timäus übersetzt, von dem erheb- 
liche Bruchstücke erhalten sind; aber weit mehr zogen ihn 
die späteren Schulen an, die seinem Verständnis erreichbar 



— 125 — 

waren. Auch unter diesen hat er niemals einer bestimmten 
Richtung sich ganz ergeben. Konsequent nur in dem 
Widerwillen gegen die Lehre Epikurs, schwankte er zwischen 
der Strenge der Stoa, die der gravitas des Römers sympa- 
thisch war, und dem Skepticismus der neueren Akademie, 
die durch ihre Bevorzugung der freien Diskussion den 
Redner anzog; er war Eklektiker. Darum schlofs er sich 
mit Vorliebe an solche Schulhäupter an,^ die, wie Antiochus 
von Askalon, die Starrheit der Systeme zu erweichen und 
sie zu höherer Einheit zu verschmelzen strebten. Aber er 
imifalste überhaupt nur einen Teil der philosophischen 
Wissenschaft, denjenigen, der mit dem praktischen Leben 
sich irgendwie vereinigen liefs. Physik und Dialektik haben 
ihn nur vorübergehend beschäftigt; es war die Ethik, die 
Sittenlehre, und die damit zusammenhängende Religions- 
philosophie, die ihn mit dauerndem Interesse erfüllten. Wie 
wir sehen, hatte er sich schon mit der Politik, der Lehre 
vom Staate, beschäftigt. Auch in der Ethik hat er nichts 
Neues zu Tage gefördert, aber er hat auch nicht, wie man' 
mit Unrecht meint, nur mechanisch übersetzt und kompi- 
liert. In freier Bearbeitung der ihm zugänglichen Schriften 
der Griechen hat er zwar manches mifsverstanden, manches 
durcheinander geworfen; er hat aber auch durch die An- 
wendung der griechischen Lehren auf römische Verhältnisse 
manch neues Licht auf die so oft erörterten Fragen ge- 
worfen, hat manch treffendes Urteil gefallt, viel passende 
Beispiele aus Geschichte und litteratnr gesanmielt. Er 
machte die Philosophie in Rom heimisch und erschlofs seinen 
Landsleuten einen reichen Schatz der Anregung und Be- 
lehrung; der Nachwelt hat er einen ansehnlichen Teil der 
nacharistotelischen Philosophie mittelbar aufbewahrt. Eine 
unbefangene Analyse seiner philosophischen Schriften wird 
den Beweis erbringen. 

Als Vorläufer seiner hierauf bezüglichen Bestrebungen 
diente das Schriftchen „Paradoxen der Stoiker^^, welches im 



— 126 — 

Jahre 46 bald nach dem JBrutus^^ entstand, und demadbeai 
Freunde gewidmet ist, wie jenes Werk. Im Anschlnfa an 
die yielbewunderte Tugendstrenge des jüngeren dato, in dem 
der Verfasser das Ideal eines Stoikers sieht, will er zur 
eigenen Übung einige jener auffallenden Sätze entwickehi, 
welche die Stoiker selbst „Paradoxen^^ nannten. Wir hab^i 
es also in diesem Schriftchen mit einer Redeübung zu thun, 
die einige verwendbare Gemeinplätze (loci communes) be- 
weist und mit Beispielen belegt. £s wird zuerst der Satz 
erhärtet, dals nur das (sittlich) Schöne gut sei; der Meinung 
des Volkes wird die Auffassung eines Bias gegenübergestellt. 
Die römische Geschichte liefert die Muster, Romulus und 
Numa, Mucius und Codes, Fabricius und viele andere. Femer: 
die Lust ist nur der Tiere würdig. Zum Glück ist allein 
die Tugend erforderlich; so haben Begulus und Marius ge- 
dacht; Tod und Verbannung können den Weisen nicht 
schrecken. Der dritte Satz, dals alle Fehler wie alle Tugen- 
den gleich seien, wird nach der Weise der Stoa in knappen 
Schlüssen als richtig erwiesen. ISchon das Überschreiten der 
Linie, welche Kecht und Unrecht trennt, stellt die Schuld 
fest. Weniger verständlich erscheint der folgende Punkt: 
dals jeder Unweise rase. Es ist vermutlich die Schuld der 
Überlieferung, dals nur ein Teil des Satzes erörtert wird. 
Das Beispiel nimmt er aus den eigenen Erlebnissen; seine 
Verbannimg ist keine Verbannung gewesen; sein Feind 
Clodius ist in höherem Sinne als Verbannter anzusehen. 
Am ansprechendsten ist die fönfte These, dafs nur der Weise 
frei, der Unweise ein Knecht sei, entwickelt. Die Begierde 
ist die Herrin, die den Menschen zum Sklaven herabwürdigt. 
Ahnlich der letzte Satz, dafs nur der Weise reich sei. Wer 
erwirbt, begehrt; wer begehrt, ist nicht reich, mag er auch 
noch so viel erwerben, sondern in Wahrheit arm. „Nicht 
begehrlich sein, ist Gold, nicht kauflustig sein, ist Einnahme ; 
zufrieden sein mit dem Seinigen, ist der grölste und sicherste 
Reichtum." Denn der Begehrende hat nie genug — An- 



— 127 — 

sichten, wie sie bekanntlich auch Horaz in seinen Episteln 
so gern entwickelt. Schon hier zeigt Cicero seine Kunst, 
philosophische Lehrsätze zu ansprechenden Sentenzen aus- 
zumünzen. Indessen legt er selbst auf dies Schriftchen 
keinen Wert. 

Die ernsthaften Studien begannen erst im Jahre 45 nach 
dem Tode seiner Tullia, der ihn zu der uns verloren ge- 
gangenen Schrift „Tröstung oder das Buch von der Minde- 
rung des Kummers" veranla&te. Weit erheblichere Bruch- 
stücke sind uns durch Grammatiker und Kirchenväter erhalten 
von seinem „Hortensius", in dem er das Studium der Philo- 
sophie gegen die vorgebUchen Angriffe des Redners Horten- 
sius verteidigte. Augustinus hat mit sichtlichem Beifall eine 
Beihe seiner Ansichten angeführt. Anderthalb Bücher sind 
uns von seinem „Academica" erhalten, beide aus einer ver- 
schiedenen Bearbeitung des Themas. Nachdem nämlich das 
Werk bereits abgeschlossen war, nahm er es noch einmal 
vor, weil er, auf Anraten seines Atticus, dem grofsen Ge- 
lehrten M. Terentius Varro durch eine Widmung eine Auf- 
merksamkeit erzeigen wollte. Von der ersten Ausgabe ist 
das zweite Buch „Lucullus", von der zweiten der Anfang des 
ersten erhalten; von dem übrigen haben wir nur spärliche 
Reste. Beide Schriften betreffen die wichtige Frage nach 
der Möglichkeit eines sicheren Erkennens. 

Der „Lucullus" beginnt mit einer Verherrlichung dieses 
Staatsmannes, der nicht nur ein tüchtiger Feldherr, sondern 
auch ein Freund der Wissenschaften gewesen ist. Mit seinem 
Vorgang rechtfertigt der Verfasser seine eigenen Bestrebungen, 
die von manchem seiner Zeitgenossen als minderwertig an- 
gesehen wurden. Insbesondere verteidigt er seinen A^hlufs 
an die Schule der neuen Akademie, deren Vorzug er gerade 
in der allseitigen Erörterung der aufgeworfenen Fragen er- 
blickt. Hierüber ist einst auf einem Landgute des Horten- 
sius bei Bauli gesprochen worden; die Teünehmer der Unter- 
haltung sind aufser dem Wirte Gatulus, Lucullus und der 



— 128 — 

Verfasser. Das Wort ergreift LacoUas, um, in engem An- 
schlufs an die Lehren seines Freundes Antiochns, die neuere 
Akademie zu bekämpfen. Nach einer geschichtlichen Ein- 
leitung vergleicht er die kühnen Reformatoren der Philo- 
sophie, Arcesilas und Gameades, mit aufrührerischen Bürgern, 
die den alten Besitzstand der Wissenschaft durch unb^ründete 
Einwürfe gefährden. Er entschuldigt sich beiläufig w^^ 
der Neuprägung philosophischer Ausdrücke, die er den 
Griechen nachbilde. Zunächst bestreitet er die behauptete 
Unzuverlässigkeit der Sinneswahmehmungen, welcher der 
gesunde Menschenverstand offenbar widerspreche. Aber auch 
auf dem sittlichen Gebiete liege es zu Tage, dais viele 
Dinge voll erfalst und verstanden werden konnten; wenn man 
nicht den Begriff des höchsten Gutes feststellen könne, so 
gebe es keine Weisheit, kein Streben nach dem Vollkom- 
menen mehr. Wahres und Falsches müsse man unterscheiden 
können, da sonst das ganze sittliche Leben Grund und Boden 
verliere. Die Angriffe der Akademiker kämen auf leere 
Spitzfindigkeiten hinaus, so z. B. die Bezugnahme auf 
Träume, mit der sie die Gefährlichkeit unbeschränkter Zu- 
stimmung beweisen wollten, oder die berüchtigten Trug- 
schlüsse. Er bittet schliefslich Cicero, von dieser Schule ab- 
zulassen, die das Wahre mit dem Falschen vermenge. Darauf 
fuhrt dieser die Verteidigung der Akademiker, indem er aus 
zahlreichen Widersprüchen in der Natur und Geisteswelt die 
Notwendigkeit herleitet, sein Urteil zurückzuhalten, ¥de es 
die ino/ili des Cameades verlangt. Er stützt sich auf die 
sokratische Ironie als höchste Autorität. Indessen sind die 
Beweise recht fadenscheiniir , woran er übrigens weniger 

der Hinweis auf das vor den Augen der Gesellschaft flutende 
Meer, das bei dem Wehen des Westes purpurn erglänzt, 
dann wieder blaugrün schimmert, während es doch am 
Morgen grau, zu Zeiten weifslich erscheint. Gar fruchtbar 
ist natürlich die Geschichte der philosophischen Systeme für 



— 129 — 

dtrartige Polemik. Weil Thaies dM Waner, Anaxianuidet 
dae Unbegrenate, Anaximette» die Luft, andere anderes ab 
Uretoff aageteheii haben, so mnüi natörlich die Sntschddimg 
der Frage überhaupt unmöglich sein. So stellt er dem 
Atomistiker Demokrit die stoische Ldbire vom Äther ent* 
gegen. Auch in der Ethik wideiepreehen sieh die Philo^ 
Bophen; der eine AAt dieses, der andere jenes ak h5eh6tei^ 
Out an. Darum läist sieh nichts Gewisses^ sondern nüt etirM 
Wahreehcinliches feststellen; eine weise Zurückhaltut^ ist 
das Beste. Endlidi trennt man sieh mit Aem Y erspredhen ein^ 
Fortsetsung des Gksprachs. 

Das andere Buch beginnt mit einem Zittammentreffen 
des Cicero, Atfcicus und Yarro auf einem Oute des gro&en 
Gelehrten. Der YerfEuwer wundert sich darüber, dab Yimo 
nicht auch der Philosophie sich gewidmet habe. Dieser V<M>- 
teidigt sich mit der Begründung, dafs man dergleiehen besser 
in giiechisdiien Sohrifben nachlese. Den Einwand Iftfst ihm 
aber Gioero nicht gelten; mit einer Lobpreisung seiner ander«« 
weitigen Yerdienste um die vaterländische litterähir vet* 
bindet er eine Wiederholung seiner Bitte. Nun kommt 
ihm Yarro mit dar Oegenfrage^ warum er die alte Akademie 
aufgegeben und sich der neueren sugewendet habe. Auf did 
Bitte des Gastes entwidcelt Yarro dann nach Antioehus das 
Yerhältnis der Philosophenschulen seit Sokrates su mnafidef; 
wie sein der synkretistisehen Yermischung der Systeme tu«' 
neigender Lehrer sieht er in der peripatetisehen Bc^ule des 
Aristoteles nur eine Abart der Akadnnie. £s wird dies f&r 
alle drei Gebiete au bewmsen versucht. Yon hier ist nun 
wieder Zeno, der Begründer der stoischen Sdkule, ausge« 
gangen. Nun setzt Cicero ein und rmht an die Yorhergehenden 
Aroasilaa, den Ahnherr der neuen Akademie, der imgeblieh 
auf die sokratische Ironie snrückgriff und behauptete, dafii 
man nichts wissen könne. An diseer Stelle bricht die Ülnnv 
lieferung A. 

Soviel, omeht man sehon ans diesin Trftmmena, dafii 

Aly, Cicero. 9 



— 130 — 

Cicero nichts weniger als ein spekulativer Kopf war. Die 
Erkenntnis, dafs ein philosophisches System aus einem Grund-* 
gedanken, aus einer einheitlichen Welt- und Lebensanschauung 
erwachsen müsse, ist ihm nie gekommen. Er sieht immer 
üwr Einzelheiten. Soweit sie ihn interessieren, schenkt er 
ihnen Auftnerksamkeit und zieht bald diesen, bald jenen 
Philosophen zu Bäte. Auch hier schöpfte er stets aus se^ 
kundären Quellen, die er nicht einmal richtig verstand. Wir 
wierden daher Einheit, Vollständigkeit und Folgerichtigkeit in 
seinen philosophischen Schriften vergeblich suchen, wohl aber 
manch treffenden Gedanken, manche anr^enden Einzelheiten. 
Wahrscheinlich nach den akademischen Gesprächen hat 
er eins seiner Hauptwerke, die fünf Bücher „über das höchste 
Gnt und Über' geschrieben, über das er viel mit Atticus 
verhandelt hat; der Freund mulste ihm die Hilfsmittel be- 
sorgen, das Abschreiben und Veröffentlichen, wie schon so 
oft, übernehmen, wodurch er fast die Bolle eines Verlegers 
überk^in. Im ersten Buche rechtfertigt der Verfasser, wie 
schon öfter, dem Adressaten M. Brutus gegenüber seine 
philosophischen Studien; wie die griechischen Dichter, so 
verdienten es auch die Philosophen, nachgebildet zu werden; 
er aber habe wohl Anspruch darauf, seine Mu&e nach seinem 
Geschmack ausfällen zu dürfen, nachdem er seine volle 
Schuldigkeit im öffentlichen Leben gethan habe. Er beginnt 
die Bearbeitung dieser Hauptfrage der Ethik nach dem 
höchsten Gut mit einer Darstellung der epikureischen Lehre^ 
welche er dem L. Torquatüs in ^ den Mund legt, mit dem er 
unter Anwesenheit des G. Triarius im Jahre 50 diese Frage 
verhandelt haben will. Nachdem Cicero die Atomenlehre 
Demokrits, sowie das System Epikurs im ganzen verurteilt 
hat, reizt er den Epikureer zur ausführlichen Entgegnung. 
Dieser giebt zunächst eine Definition der Lust, unter der 
natürlich nicht eine Befriedigung grober Sinnlichkeit, sondern 
eher eine Art von Schmerzlosigkeit zu verstehen sei. Es 
folgt der Beweis aus zahlreichen Thatsachen der Erfahrungs- 



— 131 — 

weit. Dann wird das Wesen der Lust eingebend gewürdigt. 
Dals recht verstandene Lust nicht nur ein Gut, sondern das 
höchste Gut sei, wird wieder aus Thatsachen bewiesen. Auch 
die Tugenden vertragen sich vortrefflich mit der Lust, jene 
wollen diese nur erzeugen, so die Weisheit, die Mäisigung, 
die Tapferkeit, die Gerechtigkeit. Die Entstehung der Lust 
wird geschildert; in letzter Instanz entspringen die geistigen 
Freuden und Schmerzen aus denen des Leibes. Aber Lust 
und Tugend sind keine Gegensätze, sondern nahezu identisch; 
man kann nicht angenehm leben, wenn man nicht weise, 
tugendhaft und gerecht lebt. Das Ideal eines Weisen wird 
verherrKcht, besonders die Vertreibung abergläubischer Wahn- 
Vorstellungen. Auch die Freundschaft findet ihren Platz im 
System, wenngleich sie durch den Nutzen .bestimmt wird. Ein 
ruhiges, gleichmäßiges Leben (draßagla) ist das erstrebens- 
werte Ziel. Dagegen wendet sich nun Cicero im zweiten Buch 
mit der ganzen Würde eines thatkräfbigen Römers, dem das 
thatenlose Hindämmern des Griechen ein Greuel ist. Nach einer 
kurzenDebatte ergreift der Verfasser das Wort zu längerer 
Aussprache. Er wirft dem Epikur vor allem logische Unklar- 
heit vor; bald spreche er von der Lust als einem in Wahr- 
heit sinnUchen Vergnügen, bald von emer blolsen Schmerz- 
losigkeit. Das Lebewesen suche überhaupt von Haus aus 
nicht die Lust, sondern die Erhaltung des Lebens. Der Lust 
stellt er die Tugend gegenüber; auf sie sei die ganze Natur 
des Menschen angelegt, sie falle aber mit der Lust in keiner 
Weise zusammen. Mit sittlicher Entrüstung zieht er die 
praktischen Eonsequenzen einer so laxen Moral und weist 
auf die erhabenen Persönlichkeiten der Geschichte hin. Auch 
die Freundschaft könne nicht auf Lust begründet werden. 
Übrigens habe Epikur durch sein Leben selbst seine Lehren 
Lügen gestraft. Die Thatsache iles Schmerzes allein werfe 
sein ganzes System über den Haufen. Die Rede schliefst mit 
einer Berufung auf die hohen und edlen Gefahle in der 
menschlichen Brust. In dem dritten Buche entschuldigt der 



— 182 — 

yer£u98er die Freilieit, die er eiah. in der Übertragong 
griechischer Schalausdrücke hal>e nehinen müsfieo, und f&krt 
dann deu jüngerea Cato im Geiprfioh mit ihm selfart afe 
Verteidiger der stoiachm Lehre ein. Der önmdfaieb des 
Menschen ist Selbsterhaltung; in diesem ersteu Stieben mlieii 
die An&nge der Künste und Wissenschaften. Die Dinge 
haben nun nach ihrem Verhältnis smr Natur einen ver- 
schiedenen Wert; daher ist es zweite Pflicht, das Natur* 
gemälse auszuwähl^i und das Gegenteilige zurückzuweisaü. 
Erst wenn dieses konsequent geschieht, tritt das Gute in 
die Erscheinung. In der Übereinstimmung mit der Nator 
besteht das höchste und einzige GuL Es giebt nur Gates 
und Schlechtes, daher sind alle Weisen immer glticklich. 
Dies wird durch streng logische Schlösse erhärtet. Diese 
Lehre unterscheidet sich wesentlich von der Auffiwsung der 
Peripatetiker, die noch einen Zuwachs von äuiseren Gutem 
zulassen. Diese werden von der Stoa, wenn sie auch eigent- 
lich ohne Belang sind, als schätzenswerte, nicht schätzbare 
und gleichgültige unterschieden. Die Pflicht zahlt weder 
zu dem Guten noch zum Schlechten, sie besteht in der Aus- 
wahl und in der Zurückweisung. Dazu gehört auch der 
Selbstmord. Die Natur schreibt uns eine Gemeinschaft und 
daher auch ein gegenseitiges Wohlwollen, sowie Beteiligung 
am Staatsleben vor. Die Freundschaft wie die Einzeltugenden 
werden um ihrer selbst willen erworben. Den Schlufs büdet 
die Verherrlichung des Weisen« Gegen diese HypeibelA 
wendet sich der Verfeisser angreifend im vierten Buche. Zu- 
nächst versucht er im allgemeinen nachzuweisen, dals Zeno 
sehr Unrecht gethan habe, von den Lehren der Peripatetiker 
und Akademiker abzuweichen. Dann folgt eine Widerlq^g 
im einzehien. Ist die Selbsterhaltung das leitende Primüp 
des Menschen, so muls der Dualismus von Leib und Seele 
notwendig berücksichtigt werden; das vernachlässigen die 
Stoiker in ihrem überirdischen Spiritualismus. Sie sind in- 
konsequent, wenn sie die Tugend als das allein höchste 



— 183 — 

Gut hinsieUen und iburüber die ersten Triebe des MensckeBL 
ganz Tergeflsen. Ihre ScIllaMdIgenmgen bemhen auf unbe- 
wies^ien Yorawsseiizaagen und leiden an ^itzfindigkeit. Ihre 
mmderaomen Aiospriiche klingen zwar präditig, sind aber 
gehaltlos. Der Ghnmdirrtam ihrer Lehre bemhi auf dem 
Wider^roch zwei« Behauptungen. Sie wollea nur die 
Tugraid ab hSehstes Gut leethalten und gehen doch davon 
aua, dais die ersten Triebe des Beg^rens aus der Natur 
entq^ringeo. Am meisten zu tadeln ist ihre dunkle und 
spitzfindige Ausdrucksweise. Der gesunde Menschenverstand 
widerspricht unstreitig den hochmütigen Anforderung^ der 
Sioa. Das Üa&e Budi beginnt mit einer anmutigen Er- 
umerang an die athenische Stadienzeit, Die beiden Brüder 
wandeln mit dem Yettear Lucius, dem gemeinsamen Bus^- 
freunde und M. Piso naidmiittagB in den durc^ Piatos Namen 
geheiligten Gängen des Akademos; Brinnerangen an die 
gro&e Yergangenhdt werden heraufbeschworen. Es handelt 
sich um den Studienplan des Lucius, der zwischen Eameades 
und Antiochus hm und her sehwankt Da ergr^ft Piso das 
Wort und sucht ihn fftr die alte Akademie zu gewinnen, zu 
der er audi die Peripatetiker recdmet. Die Lehren dieser 
Sdiulen über das h^hste Gut werden nun vorgetragen. In 
erster Linie kommt Aristoteles in Betracht, in zwater 
Theophrasi Nach Eameades vtretäm die sedlis überhaupt 
möglidien Auffassungen angefahrt, von denen je zwd sich 
vereinigen kssen. So halt^i es auch die Akademiker und 
Peripatetiker, die der Tugend die ersten Naturtoiebe bei* 
geseUen. Sie geben gleichliils von der Selbetethritnng aus 
und sehen in dem naturgemafeen Leben das höchste Gut, 
aber ne berücksichtigen im Gegensatze zur Stoa die leiUidh« 
Natur des Mensdhien und bestimmen das höchste Gut genauer 
als Gesundheit des Leibes und vemunfhnl^i^es Denken. Die 
Ank^e zeigt sich sdion im Einde, ne mufs ^titwickelt und 
Aar YoUkommenheit nahq^bradbtt werden. Gesundheit und 
Kräftigung ist das erste Zid, dann Lembegier und Thätig« 



— 134 — 

keitsdrang; denn wir sind zum Handeln geboren, Tugend 
ist handeln. Von den Tugenden ragt die Gerechtigkeit her- 
vor, doch hängen sie überhaupt eng zusammen. Auch sorgen 
wir nicht nur für uns, sondern auch fOr Freunde, Eltern und 
Kinder. Tugend und leibliche Güter stellen das höchste Gut 
dar, aber die Tugend hat den Vorrang. Auch hiergegen tritt 
der Verfasser angreifend auf^ wie es die Weise der neuem 
Akademiker war, indem er die Lehre der Stoa verteidigt. 
Das giebt Piso Anlafs zu einem zweiten, zusammenfassenden 
Vortrage. Damit ist die Diskussion erschöpft. 

Dasselbe Gebiet der praktischen Philosophie behandeln 
die fünf Bücher „Tuskulanische Unterhaltungen^, wiederum 
dem Brutus gewidmet, im Jahre 45 begonnen und zu An- 
fang 44 beendet. Auch hier findet die Darstellung gesprächs- 
weise statt; während er aber bisher „nach aristotelischer 
Sitte^^ die streitige Frage durch fortlaufende Rede f&r und 
wider beleuchtet hatte, versucht er es jetzt mit der sokra- 
tischen Methode, durch Frage und Antwort die Gedanken- 
entwickelung zu fördern. Indessen ist er hier weniger 
glücklich gewesen, insofern er immer wieder zu längeren 
Vorträgen sich verleiten lä&t. Der Inhalt ist noch populärer 
als in den vorigen Schriften. Die Frage nach dem glück- 
lichen Leben wird dahin beantwortet, dals unser wahres 
Glück nur durch Unterordnung unserer Leidenschaften unter 
die Vernunft erzielt werden könne; Tod, Schmerz, Kunmier 
und andere Aufregungen müssen beherrscht werden, die 
Tugend allein genügt zur Begründung des wahren Glücks. 
Das erste Buch beginnt wieder mit einer Verteidigung seiner 
Studien unter dem Gesichtspunkt des Patriotismus; die Römer 
müssen auch auf diesem Felde wie auf allen anderen die 
Griechen übertreffen. Die bisher veröffentlichten Schriften 
taugen nichts. Darum macht Verfasser die auf seinem Land- 
gute bei Tusculum gepflogenen Unterhaltungen auch anderen 
zugänglich. Namen der Spredier werden nicht genannt. Der 
jüngere stellt zuerst die Behauptung auf, dals der Tod ein 



— 135 — 

Übel sei Dies widerlegt der Verfasser unter einer zwei- 
fekchen Voraussetzung: sowohl für den Fall einer Unsterb- 
lichkeit der Seele, die hauptsächlich mit platonischen Bew^s- 
gründen erMrtet wird, als auch f&r den Fall einer absoluten 
Vergänglichkeit, wie sie der Stoiker Panätius behauptet hatte. 
Dabei spottet er der vielfach irrigen Anschauungen, wie sie 
über das Leben nach dem Tode bei einzelnen und ganzen 
Völkern verbreitet sind. Durchzogen ist das Ganze wie auch 
die folgenden Bücher durch eine groise Anzahl von Beispielen, 
die Verfasser höchst ansprechend einzuflechten und vorzutragen 
versteht. Dadurch gewinnt die Schrift, wenn sie auch an 
Wissenschafklichkeit verliert, an besonderem Reiz; es eignet 
sich gerade das erste nebst dem fünften Buch, wenn irgend 
eine propädeutische Schrift, für die Jugendlektüre. Der 
Schluls erhebt sich, allerdings im Anschluls an Plato, zur 
Erhabenheit christlicher Religionsanschauungen. Der Leib 
ein Kerker der Seele, der Tod eine Befreiung, die Unsterb- 
lichkeit ein Hafen und eine Zuflucht! Wenn wir diese herr- 
lichen Gedanken auch dem „Phädon^' entlehnt wissen, so 
verringert dies doch nicht Ciceros Verdienst. Er hat als 
erster diese Auflfa^ung des grö&ten griechischen Denkers 
seinen nüchternen Landsleuten nahegebracht, er hat sie in 
geschmackvolle Form gekleidet und seine Muttersprache da- 
durch wesentUch bereichert, ja eine neue Gattung römischer 
Litteratur begründet. 

Im zweiten Buch verteidigt er noch einmal die Philo- 
sophie gegen die Angriffe des Banausentums. Dann wider- 
legt er die Behauptung, dais der Schmerz das höchste Übel 
sei. -Nach zahlreichen Gitaten aus den Tragikern, die er 
selbst übersetzt, wendet er sich ebenso gegen die Weichlich- 
keit der Dichter wie gegen die Starrheit der Stoiker; Epikur 
wird, wie überall bei Cicero, wegen seiner Inkonsequenz 
verspottet. Der Mann soll den Schmerz geduldig ertragen; 
denn von vir leitet sich virtus ab. Die höchst lesenswerte 
Einleitung des dritten Buches weist auf die hygieinische Be- 



— 1S6 — 

diuiang der Plülosopliie hin, welche die knuikeii Seden 
aUein au heuen Terstebt. Hier handelt es ach zimädhafc 
um dea Kumneri dem der Weise nicht imtesüegt. Nicht 
diu^h weichliche Selbsteriimeraiig «n genossene Lost, sondeni 
dwrdli yemünftige Erwägoi^ mnJs der Kammer ttherwimdem 
werden; diee^ entbehrt des zur^ohenden Ghnmdes, wie ja 
i^uob edle Manneor Übel ertragen haben, ohne den Gleichmut 
der Seele su Terlieren. Zahlreiche Diohterdtate werden em* 
geflochten. Auch die Pflichten der Tröstung werden er&rtert. 
Das Ti^rte Bueh beginnt mit einem Rückblick auf die ur<^ 
alten Beziehungen zwischen Griechenland und Born, wosu 
aiich philosophische Anregung gehört, wie die Eranhlung 
TQU Pythagoras beweist. Erörtert wird die Frage, ob der 
Weise überhaupt durch Aufregung der Seele beunruhigt 
werden könne. Natürlich wird die Frage vemeiBt. Wed^ 
Kummer noch Freude, weder Furcht noch Wollust können 
dßn Weisen überwältigen, wenn er nur der Stinmie der 
Yemunfl fo^i. Es wird eine gro&e Anaahl Yon Erregungen 
einzeln durchgesprochen. Yar allem wird der Zorn mit 
seinen schfidlichen Folgen getadelt, auch die Weichlichkeit 
der I^yriker gerügt. Die positive Ergänzung zu den vorigen 
Büchern bietet das fünfte und letote Buch, das ganz be* 
sonders an interessanten Episoden reich ist. Der Yerfssser 
betont die Schwierigkeit der von ihm angenommenen Forden 
rung, er gedenkt der Schwäche des menschliohen Geschlechts, 
in die er die seinige einbegreifb. Aber dadunsh wird das 
Prinzip nicht erschüttert, für dess«i Wahrheit der verstorbene 
dato ein so leuchtendes Muster gewesesx ist. Zur Philosophie 
nimmt auch der Yerfasser seine Zuflucht in diesen betrübenden 
Zeiten; ihr widmet er einen b^eisterten Hymnus. Dann 
folgt eine Abhandlung über den Namen der Philosophie. 
Es wird des Pythagoras, vor allem aber des Sokrates gedaeht, 
d^ suerst die Philosophie vom Himmel herabrief (d. h. von 
metiqphysisehen Spekulationen) und sie in den Städten an-i 
siedelte und ihr die Ethik als eigentliches Arbdtsfeld anwies. 



— 137 — 

Dm kfciste Th€ma besagt, dafs die Tagend aüein an glück- 
liches Leben begründe. Der Beweis wird wcdlger durch 
dialektiiche Brörterong, als durch eine Fülle Ton Beii^ielen 
erbrachi Der Tyrann Dionfsins L gilt Ydet ak Typus des 
unglücklichen Reichen, wie er in der Geschichte ron Damokles 
80 treffend gezeichnet ist. Auch eines persönlichen Erlebnisses 
gedenkt der gut ftofgdegte Erzähler, sein^ Auffindung isB 
Arehimedee-Ghrabes in Sjraki»» Dann werden die Funda- 
mentallehren der wichtigsten Schulen gemustert, Epikur wird 
mit gewöhnlicher Yeropottung abgethud. Ehre und €^ld sind 
zu veralten, ja sogar die Verbannung. Der Verfasser yer* 
steigt sich zu idealen Höhrai eines sittlichen Rigorismus, dem 
er selbst niemab im LeboQ gdiuldigfc hat. Sdbst Kindheit 
imd Taubheit sind keine Übel. Die Scäirift schliefet mit 
der Absicht, die Bücher dem Brutus zu widmen; iem Ver* 
fasser haben sie ihr^n Di«ast als lindemde Besehwichtiger 
des Schmerzes und der N5te des Lebens gelastet. 

Gerade diese Tuskulanen sind für ihren Ver&sser cha- 
rakteristisch. Ohne in die Tiefe zu dringen oder die Fäden 
der Spekulation weiterzuq^innen, giebt er einen leidlich 
klaren Überblick über die L^r^ der Chriech^ und über* 
trägt sie auf römische Verhffltnisse. Durch zahlreiche Oitate, 
Erzählux^fen, Abschweifungen ist für Würze der trockenen 
Auseinandersetzungen gesorgt. 

Wir schU^Ma hier die drei religionsphilosophischen 
Schriften »i, ron denen die direi Bücher „vom Wesen d^ 
GK^tter^^ noch vor Gäsars Ermordung beendet sind. Auch 
diese Sidinft ^- die sechste der Zahl nach — beginnt mit 
^em WidmungsBchreiben an M. Brutus, in dem der Ver- 
fasser wieder einmal seine philosophisches Studi^i recht- 
fertigt und seine Voiüebe für die das Urteil schärfende, 
neuere Akademie betont. Die Unterredung im Hause Gottas, 
an der au&er Gicero G. V^ejus und Q. Lucilius Baibus tal- 
nehmen, mnfs zwischen den Jahr«i 78 — 75 stattgefunden 
haben^ Es giebt VeOejus zunächst einige sdiarfe Ausfälle 



— 138 — 

auf die stoische Lehre zum Besten, um dann eine kurze, an- 
geblich kritische, thatsächlich aber unkritische Musterung 
über die theologischen Systeme von 27 bedeutenderen Philo- 
sophen abzuhalten* Dann folgt die Darstellung der epi- 
kureischen Lehre im Anschlufs an die Atomistik Demokrits. 
Es giebt Götter, die einer ungetrübten Glückseligkeit sich 
erfreuen, aber sie kümmern sich nicht um die Erdendinge; 
daher ist der Glaube an das Schicksal eitel Gespenster- 
seherei. Ihm entgegnet Gotta, der vor allem die Lehre von 
den unteilbaren Teilchen und dem leeren Räume durch- 
hechelt; dann wird die „gleichsam körperliche^^ G^talt der 
Götter, ihre vermeintliche Menschenähnlichkeit und Glück- 
seligkeit erörtert, allerdings nicht ohne Verdrehungen, welche 
den Gegner gewaltsam ins Unrecht setzen. Zum Schlufs wird 
nicht ohne guten Grund behauptet, dafs in Wahrheit Epikur 
nicht an Götter geglaubt, sondern nur der Durchschnitts- 
meinuDg ein leeres Zugeständnis gemacht habe. Die neuer- 
dings in Herculanum aufgefundenen Bruchstücke des Epi- 
kureers Philodemus geben uns vielfach erwünschten Au&chlufs 
über die Quellen und die Arbeitsweise Ciceros. Das zweite, 
besonders durch seinen Gehalt hervorragende Buch enthält 
den Vortrag des Baibus über die Theologie der Stoa. Es 
wird das Dasein der Götter bewiesen aus vorwiegend teleo- 
logischen Gründen, sodann ihre Beschaffenheit erörtert, wobei 
sich der Stoiker nicht zu einer rein geistigen Auffassung 
erheben kann; die Regierung der Welt durch göttliche 
Vorsehung wird dargel^t, endlich die besondere Fürsorge 
der Götter für die Menschen erläutert. Das Buch ist reich 
an schönen und wahrhaft christlichen Gedanken. „Die beste 
und reinste, heiligste und frömmste Götterverehrung besteht 
darin, dafs wir sie mit reinem und unverdorbenem Herzen 
und Worte anbeten." „Wer dies (die Atomenlehre) fftr 
möglich hält, der könnte auch meinen, dafs, wenn zahllose 
Formen der Buchstaben aus Gold oder einem anderen Stoffe 
irgendwohin geworfen sind, durch Ausschüttung auf die 



— 139 — 

Erde die Annalen des Ennius in richtiger Reihenfolge zu- 
stande gebracht werden/^ ,^s hat keinen grofsen Mann 
ohne einen göttlichen Anhauch gegeben/' Zahlreiche Bei- 
spiele, Gitate aus Dichtem, Etymologieen verleihen gerade 
diesem Buche einen besonderen Reiz. Dem Stoiker erwidert 
im dritten Buch wiederum Gotta, und zwar gleichfalls nach 
vier Gesichtspunkten; doch ist ein beträchtlicher Teil ver- 
loren gegangen. Nach seiner Gewohnheit fuhrt Gicero, 
während er Epikur und Demokrit als römischer Staats- 
bürger vom Gesichtspunkt der gravitas aus bekämpft, gegen 
Zeno und Eleanthes die Gründe des gesunden Menschen- 
verstandes ins Feld; der Wechsel der Natur wesen wird gegen 
die Unsterblichkeit, der Volksglaube gegen di^ rationalisti- 
schen Erklärungsversuche, die menschliche Unvemunfb gegen 
die göttliche Weltregierung ausgespielt. Es sind ohne Zweifel 
vielfach Scheingründe, die aber noch heute ihre Wirkung 
nicht verfehlen und ofb von solchen für bare Münze an- 
genommen werden, die Ciceros Beweisföhrung nicht genug 
herabsetzen können. Ohne Zweifel gehört das zweite Buch 
dieses Werkes zu den denkwürdigsten Überbleibseln vor- 
christlicher Gotteslehre und ist unserer pietätvollen Bewunde- 
rung wert. Kein Römer hat vor Gicero diese reinere Aus- 
prägung des Gottesbegriffs seinen Landsleuten übermittelt; 
er hat sich damit auch in der Geschichte der Religions- 
philosophie einen Ehrenplatz gesichert. 

Nach Gäsars Ermordung beendete er die beiden Bücher 
,)über die Weissagung^', ein Stoff, der ihm als Mitglied des 
Augurenkollegiums (seit dem Jahre 53) nahe lag. Auch hier 
enthält er sich eines bestimmt entscheidenden Urteils und be- 
gnügt sich, nach der Methode der neueren Akademie die Frage 
fär und wider zu erörtern. Das erste Buch beginnt mit 
einer geschichtlichen Übersicht der Völker und der Philo- 
sophen, die auf Weissagung Wert gelegt haben. Dann 
ninunt der Bruder Quintus das Wort für die Sache und 
sucht die jBxistenz derartiger Thatsachen durch eine bunte 



— 140 — 

Fülle Ton Gitaten und Anekdoten zu erweisen. Besonder» 
interessieren uns die Anf&hrungen aus den eigenen Gediditen 
des Bruders, sowoM aus den Ptognostika des Aratns, ab 
auch aus dem zweit^i Buche ,,über mein Konsulat^ und 
dem Epos Marius. Ausländer und Römer, Diditer und 
Philosoi^en sind in dieser Hinsicht einig. Die Darstellung 
ist überaus anmutig und läfst durch fortwahrenden Wechsel, 
nicht ermüden. Weniger Lob verdient die Anordnung der 
GManken. Auf alte und neue, ja sogar auf neueste Be* 
schichte wird zurückgegriffen, auch auf CSusars Tod. Das 
zweite Buch giebt einen Überblick über die philosophisehe 
Schriffcstellerei des Verfassers und deutet seine Absidit an, 
auch die übrigen Fächer zu behandeln, wenngleich die PolitSr 
wiederum seine Arbeitskraft beansprucht. Nun folgt di& 
Entgegnung, die allerdings vollständig verneinend ausfSQt. 
Mit einer Unbefangenheit, die bei einem Augur fast vier- 
blüfft, analysiert er die hübschen Erzählungen des gläuMgen 
Bruders unbarmherzig und vernichtet mit d^n Aba^^uben 
auch allen poetischen Glanz und Schimmer. Die natürlidte 
und wissenschaftliche Weissagung, die Wundenseichen imd 
Orakel, Lose und Traume werden ohne Gnade in das Gebiet 
der Fabel verwiesen; wenn es ein Fatum giebt, so ist die 
Weissagung unnütz; denn die Dinge müss^i ja doch so und 
nicht anders geschehen. Zum Schlufs beteuert der Verfasser, 
dafs er nur den Aberglauben, nicht die Religion s^bst habe 
ausrotten wollen. 

Von der dritten dieser Schriften „über das Schicksal'^ 
sind nur Bruchstücke übrig, weldie die Gleichartigkeit der 
angewandten Methode deutlich erkennen lassen. Die üntav 
redenden sind A. Hirtius und der Yer&sser. 

In diese Zeit fallen femer die beiden populSr gehritenen 
Abhandlungen «Cato** und «Lälius'^, wahrend die hierher ge^ 
hörigen Schriften „vom Buhme'^ und „von den Tugendeft* 
verloren gegangen sind. Überaus liebenswürdig zeigt sich der 
YerfiEUBser in der ersteren Sdirift „Gato der ältere^ vom Greism^ 



— 141 — 

alter^^ Ohne da(s d^ Iden dee März gedacht wird, iat es 
doch klar zwischen den Zeilen zu lesen, in wie gehobener 
Stimmung sich der YerfEwser befindet Nach dem Tode des 
AUeinherrschers atmet er gewissennabea au^ wie von einem 
schweren Alp befreit, und stellt s^en Landdeuten in dem 
alten Gato den Typus eines Römers ¥om alten Schlage vor 
Augen, ein Muster konserrativer Staatsgesinnung, direnwert 
und welter£fthr€ii, ein Freund des gesunden Likndldl>en8, em 
Peind aller Neuerung. Nur die griechische Bildung, die er 
hier bekennt, ist ein fremder Zug in dem sonst nicht übel 
gezeichneten, wenn auch idealisierten Portrfit des wackeren 
Mannes. Die Einleitung legt Zeugnis ab von der ubtot« 
minderten Zuneigung zum Freunde der Jugend; ihm und 
sich will der zweiundsechzigjährige Verfasser die Aussicht 
«uf das kcmunaode Alter v^sch&nen. Das Wort fährt Cato, 
dem der jüngere Scipio und l£lius zuhören. Er beginnt mit 
«inigen Beispielen eines jug^idfrischen Greisenalters. Dana 
erfolgt die Feststellung des Themas. Das Alter wird aus 
yier Gründen getadelt, weil es von den Geschäften abzieht, 
den Körper schwächt, der Vergnügungen beraubt und dem 
Tode benachbart isi Diese Vorwürfe werden durch eine 
Fülle thatsächlicher Gegenbeweise auf Grund einer verstau* 
digen Lebensanschauung glänzend widerlegt. Unter der 
Voraussetzung einer mäfsig verlebten Jugend wird dem Alter 
das ihm zustehende Gebiet berataider und wissenschaftlicher 
Thätigkeit zugewiesen, der Vorzug der Jugend auf das 
richtige Mab herabgesetzt, die Pflege einer edlen Geselligkeit 
empfohlen, vor allem die Beschäftigung mit der Landwirt* 
Schaft als Ersatz für andere Genüsse zugebilligt. Dieser 
Abschnitt nimmt den ümfiEUig ^es Exkurses an. In wür- 
digster Weise wird die Todesfurcht als thörichtes Vororte 
Abgewiesen und der fröhlichen Ho&ung afof Unsterblichkeii 
(im A»i«^l?1'^^« an Xeooophon) ein herzlicher Ausdruck geliehen« 
Ein unverbildeter Geschmack wird dieses 8<duriftchen nicht 
ohne v^ge Befriedigung lesen. Hier hatte der Verfasser 



— 142 — 

einen Stoff gefanden, dem er durchaus gerecht zu werden 
yerstand. 

Dasselbe Lob läfst sich der anderen Monographie ^I^ 
lius, von der Freundschaft^^ spenden, die nur um einen Grad 
wissenschaftlicher gehalten ist, da sie das Wesen der Freund-* 
Schaft philosophisch zu bestimmen sucht. Die Einleitung er- 
innert Freimd Atticus an die hoffiiungsvoUe Jugendzeit, als 
Cicero noch beim Augur, später beim Pontifex Scavola sich 
juristischer Studien beflils, während jener den Yolkstribunen 
Sulpicius hörte. Eben dieser Augur hat einst nach dem Tode 
des jüngeren Scipio ein Gespräch mit seinem Sehwi^ervater 
Lalius und seinem Schwager G. Fannius über die Freund- 
schafk gehabt. Auf die Aufforderung der beiden Jünglinge 
hin weiht LäHus zunächst seinem jüngst abgeschiedenen 
Freunde einen herrUchen Nachruf; sein Schmerz ist durch die 
Hofi&iung auf Unsterblichkeit und durch die Erinnerung an 
die zusammen verlebte Zeit verklärt. Dann legt er zuerst 
im allgemeinen, darauf in zusammenhängender Rede seine 
Auffassung der Freundschaft dar. Diese entspringt aus herz- 
licher Zuneigung zu dem geliebten Gegenstand, ohne einen 
positiven Nutzen selbstsüchtig zu suchen. Hochschätzung 
und Verehrung begründen sie, Gewohnheit vermehrt das 
Wohlwollen. Mancherlei Gefahren bedrohen den Bestand 
der Freundschaft, weshalb gewisse Vorschriften zu beachten 
sind. Die Freundschaft hat ihre Gh*enzen, da sie den Boden 
der Sittlichkeit nicht verlassen darf; auch um des Freundes 
willen darf man nicht sündigen. Hing^en müssen wir in 
allem, was gut ist, mit dem Freunde fühlen und uns weder 
durch die Gefühllosigkeit der Stoiker, noch durch die Selbst- 
sucht der Epikureer beirren lassen. Bei Abschluüs freund- 
schaftlicher Beziehungen ist der Charakter des neuen Freundes 
zu prüfen, dem alten aber die Treue zu bewahren und nicht 
dieser jenem aufzuopfern. Gemeinsamkeit der Interessen und 
Neigungen ist wünschenswert. Zuweilen erscheint es sogar 
als Pflicht, alte Beziehungen abzubrechen, um grölseren 



— 143 — 

Schaden zu vermeiden, falls beim Freund neue Fehler her- 
vorbrechen. Der Gleiche taugt eher zum Freunde, als der 
Ungleiche. Am wenigsten aber ist der Schmeichler geeignet, 
vor dem wir uns, wie vor dem Schmarotzer der Komödie, 
hüten sollen. Die Grundlage aller echten Freundschaft ist 
die Tugend; ohne sie hat jene keine Dauer. 

Die letzte philosophische Schrift, die drei Bücher „von 
den Pflichten", richtete Cicero im November 44 an seinen 
Sohn Marcus, der seit Jahresfrist in Athen studierte und vor 
allem Eratippus hörte. Er hat sich vorzugsweise an einen 
Gewährsmann, den Stoiker Panätius, angeschlossen. Nach- 
dem er in der Einleitung des ersten Buches dem Sohn freund- 
lich ernste Mahnungen unter Hinweis auf sein Vorbild zu- 
gerufen hat, schickt er eine (uns leider nur unyollständig 
überlieferte) Begrifbbestimmung vorauf und teilt dann den 
Stoff in fünf Abschnitte. Zuerst handelt er vom Sittlich- 
Guten und von dem etwaigen Konflikt der Pflichten. Das 
Wesen des Guten wird erörtert, die Tugenden der Weisheit, 
Gerechtigkeit, Tapferkeit und MäTsigung durchgesprochen. 
Die Darstellung hat etwas Trockenes, da sie des wechselnden 
Beizes der Beispiele und Gitate entbehrt; auch scheint sie 
höchst eilig hingeworfen zu sein. AufSUig ist die scharfe 
Beurteilung des verstorbenen Cäsar, der mehr als einmal als 
Typus des Eigennutzes dienen mufs. Recht ansprechend ist 
die Ableitung der staatlichen Gemeinschaft aus dem Familien- 
leben. In vielen Fallen können wirken Werturteilen des 
Verfassers beipflichten, in manchen weniger; so wenn er den 
Kleinhandel und das Handwerk als minderwertig verurteilt, 
während er den Grofshandel und vor allem die Landwirt- 
schaft feiert. Es kann auch nicht ausbleiben, dals der Yer- 
&8ser sittliche Normen auüstellt, denen er selbst nicht immer 
nachgelebt hat, Widersprüche, die natürlich sehr leicht gegen 
ihn ausgebeutet werden können und gehörig Ausgebeutet 
sind. Als ob ein Sittenlehrer — mit Ausnahme Jesu Christi 
— sein Leben mit seinen Vorschriften je habe in Einklang 



— 144 — 

bringea können! Erfreulich ist die Beurteilung des Wuidben. 
Im zweiten Buch betont er wieder, daüi nur die Mnlbe ihn 
der Philosophie zugewendet; er habe nicht nichts thuft 
können. Sodann wird das Nützliche abgehandalt, das er 
joicht vom Sittlich-Outen getrennt wissen will. Er bespricht 
namentlich die Gesichtspunkte, die für dta mensohUcheti 
Verkehr mafsgebend sind, das Wohlwollen, den Buhxn, die 
Freigebigkeit. Unter den mannigfachen Urteilen Terdient 
die La Übereinstimmung mit Panätius gewoimene Erkenntnis 
beachtet zu werden, dals es nur des Richters Pflicht sei, 
das Wahre zu finden, die des Verteidigers, das Walus 
scheinliohe, ein Argument, das für die Geriehtsreden des 
Verfassers als stichhaltig und berechtigt angezogen werden 
darf. Das dritte Buch endlich, das des Verfassers Mu£m mit 
der des jüngeren Scipio vergleicht, untersoheidet sieh sehr 
wesentlich im Tone von den andern Büchern. Nachdem am 
Schlufs des zweiten Buches ganz kurz, fast dürftig der aus 
dem Nützlichen entspringenden Konflikte gedacht ist, werden 
nunmehr die zwischen dem Sittlich -Guten und dem Nüti« 
liehen entstehenden Differenzen erörtert und durchweg zu 
Gunsten des ersteren Prinzips entschieden, nicht aber durch 
rein abstrakte Gedankenreihen, sondern durch eine Fülle von 
Beispielen, die Cicero mit gewohnter Meisterschaft enihlt 
und verknüpfk. Man fühlt es, dals er hier wieder fissten 
Boden unter seinen Fülsen hat. Aus einem griecUschen 
Philosophen wird eine förmliche Kasuiitik von Konflikten 
abgeschrieben. Das Werk schlielst mit der Bitte, die diei 
Bücher als Gaste fireundlich aufisunehmen; der Vater w&rs 
gern selbst gekommen, aber das Vaterland habe ihn zurück* 
gerufen. 

Er war zurückgekehrt, um noch einmal für kurze Zeit 
an das Steuer des Staates zu treten und nach einem schöiMn 
Erfolge den schöneren Tod für die von ihm als gerecht er- 
kannte Sache zu sterben. 



— L45 — 



Kapitel 15. 



Der letzte Kampf g^en die Monarchie. 

Am 15. März des Jahres 44 erlag der grolste Staats* 
mann Roms und einer der grölsten Manner der Weltge- 
schichte, G. Julius Cäsar, während einer Senatssitzung den 
Dolchen einer Verschwörung, welche aus Beamten und 
Offizieren des Monarchen bestand und in M. Junius Brutus 
und G. Gassius Longinus ihre Leiter sah. Den einen erschien 
die Ermordung Gäsars als die schändlichste, den anderen als 
die schönste That; so urteilt in kühler TTnparteiKchkeit der 
aristokratische Geschichtsschreiber des kaiserlichen Roms, 
Tacitus. In unseren Tagen lautet das geschichtliche Urteil 
bestinmiter, oder sollte es doch lauten, wenn nicht partei- 
süchtige Engherzigkeit und poUtische Unreife den BUck 
noch immer trübten. Gäsars Ermordung stellt sich uns nicht 
nur als ein feiger, schändlicher Meuchelmord dar, begangen 
yon selbstsüchtigen Strebern, die im Trüben zu fischen ge- 
dachten, sondern yor aUem als ein ungeheurer poHtischer 
Frevel. Immer mehr zerreüst das yon Kunst und Dichtung 
gesponnene Sagengewebe und lälst xms yor allem den Führer 
der „Tyrannenmörder^, den uns als hartherzigen Wucherer 
bereits bekannten . M, Brutus, in seiner unter dem Philo* 
sophenmantel schlau verdeckten Selbstsucht und Erbärmlich- 
keit sehen; denn die anderen, einen Gassius, Trebonius, 
D. Brutus und wie sie alle heüsen, hat kein Einsichtiger 
je für etwas Besseres gehalten, als für unzufriedene, ehr- 
geizige Durchschnittsmenschen. Aber ihr Führer, von dessen 
erlogenem Glänze ein Strahl auch auf ihre unwürdigen 
Häupter gefaUen ist, hat sich ihrer überall und stets würdig 
gezeigt. Der Sohn einer sittenlosen Frau, der nachmaligen 
Geliebten Gäsars, hat er es stets verstanden, sein eigenstes 

Aly, Cicero. 10 



— 146 — 

Interesse unter der Maske eines Biedermannes wahrzunehmen. 
Nachdem er im Orient mit Hilfe seines Schwi^ervaters 
Appius Claudius sich sdiandlich bereichert hatte, ging er 
zu Pompejus im letzten Augenblick, um ihn sofort nach 
seiner Niederlage schmählich zu yerlassen und seine Flucht 
zu verraten. Von C^sar um seiner Mutter willen freundlich 
angenommen, trag er kein Bedenken, trotz seiner rqiubli- 
kanisdien Neigmigen, Amter xmd Ehrenstellen vom BüerradMT 
entgegenzunehmen, ein Beweis, dab er seine B.^^ mit 
CSsars Einwilligung spielte. In seinem Auftrage knfipfte er 
den Verkehr mit dem einflnlireichen Bedner wieder an, dea 
Cioero einet entrüstet abgebrodien hatte, und tausdite diesem 
•o Yollkommen, da(s er Ton ihm f&r den Typus des aufrieh«- 
tigsten Republikaners gehalten wurde; sechs Sdiriften widmete 
ihm der bethörte Mann. Da kam der Umschlag. Der b^ 
rechnende Bohn seiner stolzen Mutter hatte auf nidite Ge- 
ringeres als die Nachfolge Oasars gerechnet und filhlte eieh 
grausam entt&uscht , als ihm dieser seinen Jungen ' 'SeSfOL 
C. Octayius vorzog. Nun gab sich Brutus in die Hfiiide des 
gemfitlosen Cassius, der es nicht verabsäumte, den Sduktten 
des alten Eönigsfeindes L. Brutus, wie schon Cioero gethan, 
heraufzubeschwören. Wie M. Brutus später Cüeero in den 
Krieg gegen Antonius getrieben und ihn schmachvoU in 
Stich gelassffli hat, wird seiner Zeit erzUilt werden. 

Cicero irrte, insofern er eine Wiederheivtdlmng des 
Freistaates flir möglich und ersprie&lich hielt; daher billigte 
er mit Unrecht die Ermordung des Gewaltherrschers. Aber 
weder hat er sdbet an der Schandthat teilg^ommen, noch 
hat er durch selbstsüchtige Ho&ungen auf ein StQdc der 
unendlichen Beute seine letzte politische Thätigkeit entdirt. 
Er ist in diesem fürchterlichen Kampfe fast die einzige. Per* 
sönlichkeit, deren sittliche Reinheit und aufrichtige Vater- 
landsliebe unbefleckt geblieben ist. Ja, er hat sdbst durdk 
entschlossenes Handeln und aufopfernde Kühnheit die Sftnden 
der letzten Jahre uns vergessen lassen imd an cUe Zeiten er* 



— 147 -^ 

iimeft, wo er «nem Chrysotronve, einem Verres^ <dnem 
C«tilhL. ta^r entgegentoT^ 

Nadi ToUeogeoer That beoakoieii mth. die VerH^woreEieiii 
ufiglaablich araÜos. Wahrend 4ie Senatoren, unter ilinen 
Cäcero, bestürzt naeh Hause eillteii, da sie unmof^ch die 
weiten^ Plmie ahnen kannten, atünuben die Moideer anf die 
Strafsen, das Volk zwc FreibdLt aufrnfend. Yergiebens hatte 
Brutus Cicero aingerufen und ihm 2ur Wiederfaamtellxtng dt» 
FreUrtiaates GQftck gewünscht Da jimer keinie aesmetiswerte 
Unterstützung £utd^ zog er es vor^ mit seinen Anliangem 
das Sapitol zu besetzen. Nacbd^n so der erste Augenblick 
yersaiunt war, wu&te der Konsul M. Antoniafi, der nun- 
mehrige Führer dßr cäsarianiseben Partei, sich in der Oe* 
wali zu bef«stigeii. Vergebens riet jetzt Gieero rat enei^ischeia 
Vorgehen und erklärte «idi gegen die Anknüpfung von Ver- 
handlungen. Am dritten Tage nach der That win*de in einer 
Sfinatasiteung xwisdien beiden Parteien das Abkonoimen ge- 
troffen, dals die Mörder zwar Straflosigkeit erhidten, dais 
aber die Verfilguo^^i Oasars zu Recht bestehen, auch seine 
Beerdigung erfolgen und sein Testament gültig sein sollte. 
Diese Halbheit T^ardarb den V«?Bchwoxaaen alle Anssidiiien 
auf Erfolg; sie waren nidbt dnmal in d«r Stadt, w-o es T<m 
V49t^aaen wimmelte, ihres Lebens eicher. Antonius, der in- 
zwischen DoIabeUa, {ScaroB ehemaligen Schwiegersohn, znm 
Amtsgasoflsen annahm, wuMe durch eine wirkungsvolle 
Letchenfeier und seine wohl berechnete Biede das Volk der- 
artig zn entflanunen, dab es die JBauser der Versdiworeaen 
in Brand steckte. Dann suchte er durch beschenke und 
Verspredmngen die Legionen, die in ItaEoi standen, für sadi 
zu gewinnen und besondem dundi wiükürlidie Ausdeutung 
und JBrweitemng der „acta Oaesaris^^ seine Kasse zu f&llen, 
wobei ihm seine Gattin Fulvia, die Witwe des P. Olodins, 
eifiig half. Ein wideiUcher Schacher mit Ehrenstellen und 
Vergünstigungen hub an. Für die Zukunft gedachte sich 
Antonius nebst einer fetten Provinz ein 8chlag£ertiges Heer 

10* 



— 148 — 

zu sichern. Da nun der verstorbene Cäsar bereits f&r das 
folgende Jahr die Provinzen verteilt hatte, so lieis sich An- 
tonius bald vom Senate, bald vom Volke zuerst Macedonien, 
wo die för den Partherkrieg bestimmten Legionen standen, 
dann das cisalpinische Gallien zuerkennen, das der Haupt- 
stadt näher lag, während Dolabella Syrien beansprudite; so 
waren zugleich die personlichen Interessen der für die Ver- 
waltimg jener Länder bestimmten M. Brutus, D. Brutus 
und C Cassius aufs schwerste beeinträchtigt. Überhaupt 
f&hrten die Verschworenen eine klägliche Existenz. Die 
Prätoren M. Brutus und G. Cassius wagten es nicht, sich in 
Rom zu zeigen, so dafs der erstere sogar seine Spiele in 
seiner Abwesenheit vor sich gehen liefs. Endlich wurden 
sie durch ein von Antonius eingebrachtes Gesetz gänzlich 
entfernt, durch das sie den Auftrag erhielten, Getreide in 
Creta und Cyrene einzukaufen. Bevor M. Brutus nach dem 
Osten abging, hatte er eine folgenschwere Unterredung mit 
Cicero. Inzwischen war, um die Verwirrung vollständig zu 
machen, der blutjunge Erbe und Adoptivsohn Cäsars, C. Oc- 
tavius, nunmehr C. Julius Cäsar Octavianus, in Rom ange- 
langt und von Antonius schnöde abgewiesen. Mit einer fQr 
seine Jahre überraschenden Klugheit schloß sich der junge 
Mann an Cicero an und wu&te durch Freigebigkeit und Be- 
scheidenheit das Volk und die Veteranen zu gewinnen. 

Wir sind über diese Zeiten durch drei Bücher Briefe, 
die Cicero von seinen Landgütern aus an den in Rom 
weilenden Atticus schrieb, gut unterrichtet. Er war bald 
aus dem Taumel, in den ihn die vorgebliche Befreixmg des 
Staates versetzt hatte, entnüchtert erwacht. Den Bösen sind 
wir los, die Bösen sind geblieben; so konnte er nach seiner 
AufPassung mit Recht sagen. Zwar war der König beseitigt, 
das Königtum aber geblieben. Ja, in dem Grade erbitterte 
ihn das eigenmächtige, räuberische Verfahren des Antonius, 
der ganz unverhohlen den Staatsschatz im Tempel der Ops 
bestahl, dafs er sich zu dem Geständnis herbeiUelb, unter 



— 149 — 

diesen umständen sei sogar die Herrschaft Cäsars als das 
mindere Übel anzusehen. Bald preist, bald schilt er die 
^Helden*, die ^ Tyrannenmörder*. Ruhelos eilt er von einem 
Landgut aufs andere. Noch steht er mit Antonius in leid- 
lichem Einvernehmen. Das Vorgehen Dolabellas gegen die 
Vergötterung Cäsars auf offenem Markte erfüllte ihn mit 
überschwenglicher Freude. In Antium nahm er an einer 
geheimen Beratung der Verschworenen teil. Aufser Brutus 
und Gassius war es hauptsächUch die herrschsüchtige ServiUa, 
die das grofse Wort führte. Trotz mutiger Worte wurde 
doch nur der Beschluls einer baldigen Abreise nach Asien 
festgestellt. Auch Cicero dachte ernstlich daran, sich den 
derzeitigen Wirren zu entziehen, wozu ihm die Ernennung 
zum L^aten des Dolabella einen guten Vorwand bot. Er 
hatte die verflossenen Monate eifrig mit philosophischen 
Studien ausgefüllt; jetzt war er bei seiner letzten Schrift, 
den an seinen Sohn gerichteten Büchern „von den Pflichten". 
Eine Reise nach Athen, ein Besuch seines Marcus lag ihm 
sehr nahe, zumal er an Bruder und Neffen zur Zeit wieder 
wenig Freude hatte. Nach seiner Gewohnheit schwankte er 
lange. Endlich ging er Anfang August zu Schiff. Er fuhr 
über Vibo, wo er seinen alten Freund Sica besuchte, und 
Rhegium, schweren Herzens seine ViUen und seinen Atticus 
hinter sich lassend. Als er aber vom Vorgebirge Leucopetra 
aus auf der Höhe von Syrakus angekommen war, wurde er 
durch einen heftigen Südwind zurückgeworfen. Er landete 
in Rhegium und erfuhr dort von Reisenden, dais die Dinge 
in Rom nicht übel ständen; am 1. September würde eine 
zahlreich besuchte Senatssitzung stattfinden, Brutus und 
Gassius wünschten seine Anwesenheit. Dies genügte, um 
den leicht beweglichen Mann umzustinmien, zumal auch 
Freund Atticus zur Rückkehr riet. Am 17. August hatte 
er in Velia die folgenreiche Unterredung mit M. Brutus, 
der ihn inständig beschwor, der guten Sache nicht untreu 
zu werden und die auf ihn gesetzten Hoffiiungen zu recht- 



— 150 — 

• 

fertigen. Auf «einer Rückr^se empfing er Briefe von Oefea» 
TÜGumSj der inzwisch^oi nicht mftfsig gewesen war und die 
Veteranen Gampamens fOr sich gewonnen hatte. Cicero sah 
klar diMi konuBModen Krieg Yoraus, aber er fOreht^ das 
EnabeBalter und den eäearischen Kamen de» jungen Feld* 
herm. Auch Antonin» rüstete. Da warf sich ieir Jünglmg 
dem Senat in die Arme und klarte dadurdi die Parteistellnng 
fib: den künftigen Kri^. Cicero traf seine Entscheidang. 

Bei seiner Büeldcehr mu&te er sofort bemühen, da& 
ihm die Lage der Dinge zu rosig geschildert war« &i dm 
Senatssitzong am 1. September, in der Antonius ein regel- 
mäfeiges Dankfest für den rergöttertai Cäisar beantzagtev 
glänzte Cicero durch seine Abwesenheit und verdarb es 
dadurch vollständig mit dem Machthaber^ dieser drohte sein 
Haus niederreiisen zu kssen. Am folgenden Tage erschiea 
Cicero im Senate, wo er jene Bede hielt, die wir jetzt als 
die erste der philippischen Beden bezeichnen. Diese Be- 
aeiehnimg, welche an den Kampf des Demosthenes gegen 
Philipp von Macedonien erinnern soll, scheint, üUb dar 
Briefwechsel mit Brutus echt ist, von ihrem Yer&sser selbst 
erfanden zu sein. Die Bede beginnt mit einem BückbUck 
auf die nächste Vergangenheit ^ der die Abreise mtd die 
Rückkehr des Redners erklären und entschuldigen solL Er 
geht bis auf die Senafcssitzung nach Casars Brmordimg 
zurück und lobt die an&ngs so gesetzmäisige Haltoag de» 
Konsuls Antonius, vor allem die Aufhebung dar Dictatur. 
Aber er verschweigt auch nicht den plötzlichen Umschwung 
seit dem 1. Juni^ wenn auch voriaufig die Machthaber no(^ 
siditlieh geschont werdai. Der 6ruad der Rüekk^r wird 
genannt und dabei des abwesenden Brutus rühmend gedadit. 
Die Rede soll, selbst wenn dem Redner etwas Menschliches 
wideirföhrt, ein Zeugnis seiner unverändert patriotiaehen €te- 
sinnung sein. Dann hStk er dem Antomus die brutale Äuise- 
rung über sein Ausbleiben ernst, aber schonend vor; er 
verabsäumt auch nicht nachtraglieh seine Meinung über die 



— 151 — 

mablose Yerlieirrlichaiig Cäsars ausznspfechen. £r gedezikt 
lobend des L. Piso, des Schwiegerv^iters des Yerstorbeneu, 
der es zuerst gewagt hatte, der WiUkür entgeg^azutreten. 
Dann giebt er sein Votum übar die sehwebenden Fragen 
mafsvoll und verständig ab. Die acta Caesarifi sollen auch 
ianer gültig sein, selbst in der Voraussetzung einer weg- 
gehenden Auslegung. Aber der Mibbraui^, der offenbar mit 
ihnen getrieben ist, auch da, wo Cäsars dlgene Gesetze offene 
bar widerepreehen, soll und mufs fortfallen; Cicero nennt da» 
Gesetz gegen die Verlängerung der Kommandos, sowie das 
Bichtergesetz, das von Antonius zu Gunstee der ihm ergebenen 
SubaltemofSziere gröblich verletzt ist. Eb^iso stdott es mit 
dem Gesetz, welches die Berufung ans Volk auf andere Ver- 
gehen ausdehnt« Eine derartige Gesetzasmacherei sprengt 
alle Bande, öffiiet der Willkür, die sieh an Einsprüche der 
Tribunen und Auguren nicht kehrt, Thor und Thür. Daran 
schliefst sich in fein vermitteltem Übergänge eine Ver- 
mahnung beider Konsuln, nicht gdbässig, aber ernst und 
würdig. Zuerst wendet sieh der Bedn^ an Dolabella, der 
ihm einst so nahe stand, dum an Antonius; er erinnert 
beide an frühere Thaten der Gesetzlichkeit, an mtzweideutige 
Kundgebungen d^ Volksgunst ^ an die Folgen unm&Isiger 
Herrschsucht; denn schnöder Habgier will er beide nicht 
zeihai. Der Sdüuls ist kurz, fast aufEallend ein&d. und 
schmucklos. JLch habe genug gelebt, was Alter und Buhm 
betrifft; der etwaige Best mag nicht mir, sondern dem 
Senate und dem Staate zu gute kommen.^ 

Diese Bede, gleidi trefflieh nach Form und Inhalt, 
stdlt sich Ciceros besten Leistungen zur Seite. Ist dies der 
Grund, weshalb sie von seinen scharfen Kritikern, die doch 
jedeAu&erung seiner Schwäche mit kriminalistischerGewissen- 
haftigkeit buchen, rasdi übergang^i wird? Sie beweist eine 
tapfere Gesinnung, die manches Vergdiea früherer Tage ver- 
g^rasen läfiBt. Fest imd doch malsvoU tritt er den Männern, 
die ihre Macht ohne sitÜiehes Bedenken zu gebrauchen 



— 152 -- 

pflegten, mit offenem Visier entgegen. Er beschritt damit 
eine Bahn, die er bis zu seinem Tode nicht wieder yerliels, 
obgleich er die Gefahr, der er sich aussetzte, wohl erkannte. 

Die Folgen Heften nicht auf sich warten. Antonius 
antwortete am 19. September, indem er wutentbrannt das 
Leben und die Thaten seines bis dahin so mafsYollen Gegners 
mit Gift und Geifer überschüttete. Dafs Cicero sich von 
jener Sitzung fernhielt, war nur verständig; niemand ist ver- 
pflichtet, sich ohne Grund und Zweck ans Messer zu liefern. 
Er wuiste nun Bescheid und hielt sich verborgen, bis seine 
Zeit gekonmien war. Als Antonius die Hauptstadt Ende 
November verliefs, um D. Brutus aus dem cisalpinischen 
Gallien zu vertreiben, veröffentlichte Cicero seine zweite 
philippische Bede, die nicht gesprochen ist. Auf das äufserste 
gereizt, vergalt er in südländischer Lebhaftigkeit mit all 
dem Witz und all der Schärfe, die ihm zu Gebote stand, 
dem Feinde. 

Er stellt zu Anfang Antonius mit Catilina und Clodius 
in eine Reihe, um damit die Behauptung zu begründen, dals 
alle Feinde des Staates nach einer wunderbaren Fügung des 
Geschickes zugleich seine persönlichen Gegner seien. Dann 
verteidigt er sich mit Glück gegen die mafslosen, vielfach 
ungerechten Vorwürfe des Feindes. Nicht er hat den Streit 
begonnen, sondern jener; zum Beweise dienen die Briefe, die 
Antonius sich nicht entblödet hat der Öffentlichkeit preiszu- 
geben. Dann rechtfertigt er sein schnöde verurteiltes Kon- 
sulat, in dem er allerdings des Antonius Verwandten Lentulus 
hat hinrichten lassen. Dafs er den Clodius getötet, Pompejus 
von Cäsar getrennt und dessen Ermordung veranlafst habe, 
widerlegt er ohne Mühe. Nicht minder dankbar bietet sich 
ihm der Stoff zur Anklage seines Anklägers. Indem er seine 
Spuren von frühester Jugend auf verfolgt, entroUt er ein 
fürchterliches Bild menschlicher Nichtswürdigkeit, das sicher- 
lich hier und da zu dunkel gehalten ist, das aber zum 
grö&eren Teil der Wahrheit entspricht. Des Antonius Un- 



— 153 — 

Sittlichkeit und Geldnot waren ja stadtbekannt. Aber wenn 
er seine Thätigkeit ftir Gäsars Interessen abschildert, so 
Aihrte die Gehässigkeit des politischen Gegners die Feder; 
auf Thatsachen scheint nur die gerügte ünmäfsigkeit und 
die nicht minder unersättliche Habgier zu beruhen. Geschickt 
weifs er die zeitweise Entfremdung des Dictators und seines 
Helfershelfers auszubeuten, wenngleich er auch hier zu weit 
geht. Nun folgen die jüngsten Ereignisse, der Mifsbrauch 
der Auguraldisziplin, das Anerbieten der Eönigskrone, dann 
die Flucht nach dem Morde des Herrschers und die Doppel- 
züngigkeit gegenüber den Verschworenen. Noch deutlicher 
als in der ersten Rede wird die Ausplünderung des Staats- 
schatzes, die Ausschlachtung der vielberufenen acta Caesaris 
gerügt, ebenso die zahlreichen, allen Gesetzen hohnsprechen- 
den Amtshandlungen. Der Schluis erhebt sich zu ernstlichen 
Drohungen. Auch ihm wird ein Ausgang vor Augen gestellt, 
wie ihn sein Vorgänger erlebt. Der Redner wünscht sich 
selbst, auch auf die Gefahr seines Todes hin, dafs er die 
Befreiung des römischen Volkes und die gerechte Vergeltung 
erleben möge. 

Ohne Zweifel gewährt die zweite Rede keine Befriedigung, 
wenn wir auch dem Temperament des Italieners und dem Groll 
des Gekränkten manches zu gute halten. Hätte Cicero sich 
mit dieser Scheltrede begnügt, so würden wir mit Bedauern 
Yon ihm scheiden. Er hat aber mehr gethan; er ist von 
Worten zu Thaten übergegangen und hat an seinem Teile 
zu verwirklichen gesucht, was er gedroht hatte. Schon 
winkte der Sieg; da traten zum Teil unvorhergesehene Er- 
eignisse ein, welche den Erfolg in eine Niederlage- ver- 
wandelten und dem im Wortkampf siegreichen Redner die 
bittere Vergeltung der That brachten. 

Inzwischen war Antonius nach Brundisium geeUt, um 
die aus Macedonien angekommenen Legionen in Empfang 
zu nehmen. Er fand sie nichts weniger als willig und griff 
zu den schärfsten Strafen, aber ohne Erfolg. Auch Octa- 



— 154 — 

Tuniiis war nickt müisig gewesen und hatte die in Miitd<* 
italien angesiedelten Veteranen f&r sich gewonnen. Während 
Antonios, nach Rom znrückgekdut, mit dem Senate Yer- 
handelte, erfahr er, dab zwei der Legionen zu OctarianiiB 
abgefallen seien. In höchster Bestürzung eüke er nach GblHeii, 
nm sich mit den treu gebUebenen Trappen durch Nieder- 
werfung des D. Brutus eine feste Operationsbasis zu schaifen. 
Am 9. Dezember kehrte Cicero, der dem Zorne seines mm- 
mehrigen Todfeindes durch wechselnden Aufenthalt auf seinoi 
Villen entgangen war, nach Rom zurück, entschlossen, Aea 
Kampf aufzunehmen, und bereit, den jungen Cäsar als Werk- 
zeug der Freiheit zu yerwenden, trotz der schweren Be- 
denken, die er sich nicht verhehlte. Am 20. dessdben Mcmats 
sprach er wieder im Senate; es ist die dritte Philippica. 

Endlich einmal, so beginnt er, ist der Senat wieder 
dank der Thatkraft der Tribunen zusammengerufen. Der 
ersehnte 1. Januar, der Amtsantritt der designierten Konsuln 
Hirtius und Pansa ist nahe, aber schon jetzt muis gehandelt 
werden. Der junge Cäsar hat ein zuveriässiges Heer geworben 
und dadurch den Staat dauernd befreit; die abtrünnigen 
Legionen verdienen Lob und Ehre. D. Brutus hält sich 
wacker, unterstützt vom Patriotismus des diesseitigen GkdHens* 
Und das ist alles gesetzmälsig geschehen; denn seit dem. 
Hochverrat am Luperealienfest ist Antonius nicht als Konsul 
zu betrachten. Seine gegen Octavianus geschleuderten Schmä- 
hungen sind hinfallig, nicht minder, was er dem jungen Q. Cicero 
nachsagt. Seine Thaten imd Erlasse sind gleicherweise kläg- 
lich; kann er doch nicht einmal richtig sprechen und schreiben. 
Jetzt erst ist die Freiheit wiedererobert; sie gilt es zu er- 
halten. Darum mögen die neuen Konsuln baldigst dai Senat 
berufen. Vorläufig beantragt der Redner, dais alle Provinzen 
nach der von Cäsar getroffenen Bestimmung besetzt werden 
sollen, während dem C. Cäsar und s^en Legionen der Dank 
des Staates ausgesprochen wird. Den dahin gehenden Bescfalufe 
des Senates teilte Cicero in der vierten philippischen Rede dem 



— 155 — 

zahlreich Tersammelteü Volke mit. Noch ist Anioiiitis nicht 
ab Staatafednd aasdr&cklich aneikannt, ab^ die Thatsachen 
bezenigeED es deutlich. Der FmheitiEA»mpf bc^nt. 

Und der Krieg begann. Antonias schloß D. Brutn» in 
Mntina ein, während Dokbdla nach dem Oiten ging, nm 
sich Syriens XU verrichem. 



Kapitel 16. 



Kurzer TriuBaph und jäher Tod« 

Die Bechtsfrage des dritten Bürgerkrieges entscheiden 
zu wollen, ist ein mflfiiiges Unternehmen. Wenn aber be- 
hauptet ist, dals Cica-o „feüe, meineidige Emporer und einen 
Hochverrater in Helden** verwandelt habe, so riditet sich 
^e derartige Übertreibung selbst. Antonius hatte mehr 
als einmal Gesetz und Beeht mit Füfseii getreten und seine 
Absicht, die Verfassung zu stürzen, wie Cicero treffend be- 
merkt, laut bezeugt. Damit war allen, die an die Fortdauer 
des Freistaates sich klammerten, der Krieg angesagt; es kam 
darauf an, ihn entschlossen zu f&hren. Die „Helden** waren 
fem im Orient, eifrig bestrebt, ihre Kassen zu füllen und 
ihre Interessen zu wahren. Wenn der Krieg in Italien mit 
Kachdruck und nicht ohne Erfolg geführt ist, so gebührt 
das Hauptverdienst Cicero, der auf ein halbes Jahr noch 
anmal die Zügel des Senatsregiments in seine Hand nahm; 
die Zügd, ni^ das Schwert. Er war nicht Soldat, aber 
ein Organisator des Krieges, der mit nimmer müdem Eifer 
€tenerale und Heere für die von ihm als gerecht erkannte 
Saehe warb. Zeugen sind die Briefe des 10. bis 12. Buches 
an die Freunde und vor allemr die mit Unrecht als un- 
echt bezweifelten Briefe an M. Brutus. Cicero erkannte 
von vornherein die schwatze Seite des Unternehmens, die 



— 156 — 

UnznTerlaflfdgkeit Octaviaiis. Danun woUie er die letzte 
EntBcheidimg durch die Statthalier der NachbarproTinzen 
imd ihre Trappen herbeif&hren. Daher der lebhafte Brief- 
wedisel nach allen Seiten. Deshalb schreibt er an Q. Gomi- 
ficins in Afrika, an L Mnnacins Plancns im nördlich«], an 
IL Lepidns im südlichen Gbdlien, an Asinins Pollio in Spanien. 
Wenn diese sich alle oder in der Mehrheit fbr den Senat 
erklarten, wenn endlich M. Bmtns das so lange gesammelte 
Heer anf dem Landw^e nach Italien f&hrte, dann konnte noch 
einmal die Sache des Freistaates, wenn auch fbr kurze Zeit, 
triumphieren. Und einem Manne, der so Terschlnngene F^oi 
eine geraume Zeit zu leiten wufste, spricht man j^Uche 
JBinsicht, Ansicht und Absicht^ in politischen Dingen kurz 
ab? Ein Mann, der M. Brutus fortwahrend zur That und 
zum Kampf antreibt, soll ein kurzsichtiger Egoist, ein 
Feigling gewesen sein? Die schlichte Erzählung der Thafe- 
sachen wird den besten Gegenbeweis Uefem. 

Am 1. Januar 43 hielt Cicero im Senate die f&nfte 
PhiUppica, in der er die zögernde Mehrheit des Senats zu 
thatkräftigem Handeln bestimmen wollte. Die geheimen 
Anhanger des Antonius hatten trotz der bereits ergriffenen 
Malsregeln die Absendung einer Gesandtschaft Yorgeschlagen. 
Dagegen erklart sich der Redner mit Tollem Rechte. Er 
führt die jüngst geschehenen Thaten des gewaltthatigoi 
Mannes in greller Beleuchtung vor, er erinnert an die firüheren 
Beschlüsse. Ein anderer Hannibal steht vor den Thoren. 
Darum muTs der volle Ejiegszustand offen erklart, es muis 
aber auch den Männern, welche so grolse Verdienste sich 
bisher um den Staat erworben haben, der Dank des Senates 
ausgesprochen werden. Vor allem dem tapfem Verteidiger 
Galliens, D. Brutus; dann dem M. Lepidus, welcher den 
S. Pompejus auf £riedlichem Wege für den Staat wieder ge- 
wonnen hat, dem G. Cäsar, der zuerst die Waffen ergriffen 
und seine Priyatfeindschaft dem Staatswohl aufgeopfert hat» 
aber auch dem Stabsoffizier Egnatulejus und den tapfem 



— 157 — 

Veteranen, denen grolse Belohnungen zuzubilligen sind. Aber 
Yor allem mufs schnell gehandelt werden. 

Cicero drang nicht durch, wie er in seiner sechsten Rede 
dem Volke beruhigend mitteüt: der Krieg ist abgeschoben, 
nicht aufgehoben. Die Gesandtschaft wird voraussichtlich 
erfolglos bleiben. Und das ist gut; denn mögen andere 
Völker die Sklaverei ertragen können, dem römischen Volke 
ist die Freiheit teuer. Ebenso spricht er sich in den bald 
darauf folgenden Reden aus. In der siebenten plädiert er, 
der Zögling des Friedens, wie er sich nennt, f&r den Krieg. 
Der Friede ist schimpflich, gefahrlich, unmöglich. Er ist 
schimpflich, da er den getroffenen Mafsregeln widerspricht; 
schon ist der Konsul Hirtius mit Truppen auf den Kriegs- 
schauplatz, obwohl schwer erkrankt, abgegangen. Lieber den 
Tod erleiden, als die Schmach ! Aber der Friede bringt auch 
Gefahr; die bisherigen Thaten des Antonius und seiner Spiels- 
gesellen beweisen es. Ja, er ist ganz unmöglich. Wer kann 
sich Yon den Bürgern und Führern fürderhin mit dem ge- 
meinsamen Feinde vertragen? Überall ist Hals und Zwie- 
tracht; das muls zum Bürgerkrieg führen. Darum muTs die 
Bürgerschaft bereit sein zum entscheidenden Kampfe; die Frei- 
heit steht auf dem Spiele. In keiner Rede ist Cicero seinem Vor- 
bilde Demosthenes vielleicht naher gekommen, als in dieser so 
kurzen, aber so inhaltreichen und wuchtigen Ansprache. War 
auch das Senatsregiment auf die Dauer unhaltbar, so kann 
man sich doch der Überzeugung nicht verschliefsen , dals 
der athenische Redner gleichfalls für eine verlorene Sache 
kämpfte, für ein Staatswesen, das zum Untergang reif war. 

Und wie Demosthenes, so erörtert Cicero inuner dasselbe 
Thema, Krieg um jeden Preis. In der achten Rede erwägt 
er die Bedeutung der Begriffe bellum und tumultus; dieser 
ist schlimmer als jener. Man scheut sich das Wort „Krieg^^ 
auszusprechen, obgleich Brutus, Cäsar, Hirtius mitten im 
Kriege stehen; letzterer hat bereits sich eines Sieges zu rühmen. 
Der Redner zahlt ihn als den ftinften Bürgerkrieg, der gegen 



— 158 — 

den schlimmsten Feind des allgoaein^a Wohles geffihrt wird. 
Er wendet sich gegen die Einwürfe des Q. Fnfios Galenns, 
eines Gasarianns. Ist der Staatskorper krank, so muls das 
kranke Glied abgeschnitten werden. Die yersnchte Yer«- 
mittelung ist, wie vorauszusehen, fehlgesehlagen , so dafa 
Antonius sich nicht einmal in der Belagerung Mutinas hat 
«t5ren lassen« Von den drei Gesandten ist der bedeutendste, 
der Bechtsgelehrte Ser. Sulpicius, auf der Base gestorben; 
die anderen, L. Piso und L. Philippus, haben sich nicht eedk^ 
blödet, die anmalsenden Vorschlage des Antonius entgegen«^ 
zunehmen und dem Senate zu überbringen. Er will nur das 
Kommando im jensdtigen Gallien auf ftlnf Jahre! Damm 
soll man das Heer des Antonius auffordern zum Afafidl^ 
seine Anhänger sollen für Gegner des Staates erklärt werden. 
Audi die neunte Rede gedenkt der erfolglosen Gesaadlschaft, 
indem sie dem in seiner Pflichterfüllung T^storbenen Sulpir 
eins einen ehrenvollen Nachruf widmet und die Erriehtimg 
eines ehernen Standbildes zu Fuls, sowie ein Begräbnis sia£ 
Staatskosten beantragt 

In den späteren Verlauf des Bürgerkrieges Mit die 
zehnte Philippica, die an einen vom Slonsul Pansa reriesenen 
Bericht des M. Brutus anknüpft. Nach einem Angriff auf 
die hämischen Bemerkungen des Galenus wird mitgeteilt, dab 
Brutus Macedonien, myricum und Griechenland in seiner 
Gewalt hat und daher in der Lage ist, Italien die hilfreiehie 
Hand zu reichen, walirend G. Antonius sich in Apollonia 
eingeschlossen sieht. Unter den sieg- oder doch erfolgreichen. 
Feldherren wird auch Cicero der Sohn genannt, dem nek 
eine Legion ergeben hat. Der Bedner schaut beruhigt in 
die Zukunft; denn der Einwurf, daCs die Veteranen Casars 
sich gegen Brutus erheben werden, ist nicht stichhaltig. 
Überhaupt ist diese malslose Besorgnis vor den Yekeanjiat 
nicht stark genug zu tadeln; der Tod ist einer solchen un* 
würdigen Unterordnung vorzuzieh^i. Es ist romische Art, 
den letzten Hauch dem Vaterlande zu weihen. Die Bede 



— 159 — 

Bcliliefst mit einem Antrag auf Ehrenbezeugungen fttr Brutus 
und seine Offiziere. 

Aueh die elfte Rede beechäftigt sich mit dem östlichen 
Kriegssehauplatz, aber dieemal mit einem Mifs^rfolg der Se- 
natspartei* Der GSaarianer Dolabella hatte G. Trebonius in 
Smyma hinterlistig überfaUen und grausam hingemoidel;. 
Diese Sdiandthat stellt der Bedner. warnend seinen Zuhörersji 
als charakteristisch für die Kampfvreise ihr^ Gegner vor 
Augen: Zugleich beantragt er, mit dem Eri^e gegen Doli^ 
bella nicht einen hervorragenden Privatmann (Servilius), die 
Konsuln oder ftnitus, sondern G« Gassius zu betrauen, der 
bereits in Syrien steht.. Eine recht gedrückte Stimmung 
zeigt die zwölfte Bede. Wiederum haben die WortfCLhrer 
der gemäfeigten Partei die Oberhand gewonnen, wieder ist 
eine Oesandtschaft in Vorschlag gebracht, und, was geradezu 
abenteuerlich genannt w^den muls, als ihr Führer ist bo»- 
haßerwei« kein anderer als Cioero aelbat vorgeschlagen. 
Mit vollem Recht weigert sich dieser, die Beise in die Löwea«- 
höhle anzutreten; sehr gründlich, £ast umständlich setzt er 
auseinander, dafe er auf keiner Strafee sicher sein würde, am 
wenigsten im Ls^r seines bitteraten Feindes. Er fürchtet 
zwar nicht den Tod, will sieh aber nicht nutz- und ruhmlos 
opfern. Dassdbe Thrana behandelt die dreizehnte Philippioa, 
in der er die Fried^isvorschläge des L^idus zurückweist. 
Noch mimal werden die Thaten des Antonius vorgeführt, vor 
allem aber ein Brief durchgehedielt, den jen^ an Hirtius und 
CSsar geschriebea hat, um sie auf seine Seite zu ziehen. In 
nicht gerade gewandter Form, aber nicht ohne berechnende 
Bosheit sucht der Feind die Feldherren des Senats von ihrem 
Herrn und Meister Gicero loszureüsen. Dieses Eingeständnis 
ist von hoher Wichtigk^t; es bezeugt den Einfluis, welchen 
der Redner auf den Gang der Dinge gewonnen hatte. Er 
hatte nicht so ganz unrecht, wenn er von „seinen** Heeren und 
„seinen* Feldherm sprach; wenigstens urteilte so der Scharf* 
sinn des Hasses. 



— 160 — 

Endlich fiel die Entscheidung. Es kam zu einer Reihe 
Yon blutigen Kämpfen um Mutina, über die uns ein Bericht 
des Legaten Oalba an Cicero trefflich unterrichtet. Der 
Konsul Pansa, der nun auch ins Feld gezogen war, griff 
zuerst bei Forum Gallorum an und siegte, wurde aber auf 
den Tod verwundet. Auch seine Mitfeldherren trugen einen 
glänzenden Erfolg davon, so dafs Antonius die Belagerung 
aufhob und eiligst längst des Meeres nach dem jenseitigen 
Oallien flüchtete. Es war ein böser Zufall, dafs auch Hirtius 
eine schwere Wunde erhielt. Aber ehe der Umschwung ein- 
trat, hielt Cicero im Senate seine vierzehnte und letzte 
PhUippica, durch die er endlich in letzter Stunde die feier- 
liche Achtung des Antonius durchsetzte. 

Zunächst warnt er vor übermäfsiger Freude; noch ist 
es nicht Zeit, das Friedenskleid wieder anzulegen. Ein 
Dankfest ist beantragt; der Redner will sogar fünfzig Tage 
bewilligen und den siegreichen Feldherren den Titel „Impe- 
rator '^ zuerkennen. Dann kommt er auf sich selbst zu sprechen, 
wir dürfen wohl sagen: mit Recht. Im Triumph hat ihn 
am Tage zuvor nach Bekanntwerden der Siegeskunde das 
Volk aufs Kapitol und von da nach Hause geleitet. Es hat 
damit bewiesen, d%fs es die albernen Gerüchte von Ciceros 
tyrannischen Oelüsten nicht glaube. Allerdings hat er von 
Anfang an den Krieg gegen Antonius geschürt und unab- 
lässig für die Freiheit sich gemüht. Der Sieg ist grols und 
schon, darum müssen auch die Belohnungen dem entsprechen. 
Die Soldaten sollen Äcker und ihre toten Kameraden ein 
Ehrendenkmal erhalten. Der Senat erklärte endlich Antonius 
für einen Feind des Staates. 

Dem glänzenden Siege sollte bald eine erkältende Ent- 
nüchterung folgen. Beide Konsuln erlagen ihren Verwun- 
dungen, so dafs Cäsar nunmehr der alleinige Feldherr des 
Senatsheeres war. Nicht weniger schlimm war es, da& 
zwischen ihm und D. Brutus die alte Feindschaft sofort 
wieder hervorbrach. So war die mühsam errungene „Frei- 



— 161 — 

heit^^ schon wieder bedroht. Es kam alles darauf an, wie 
sich die Statthalter der benachbarten Provinzen entscheiden 
würden, ob für den Senat oder für Antonius. Damit hing 
selbstyerständlich die Stellungnahme Gäsars eng zusammen. 
Und hier war es nun wieder Cicero, der alles, was in seinen 
Kräften stand, that, um dem Senate neue Stützen zu ge* 
winnen. Unermüdlich und nicht ohne diplomatisches Geschick 
bearbeitete er die Statthalter mit Briefen, um sie ftir die von 
ihm als gut erkannte Sache einzunehmen, während die Häupter 
der Verschwörung, die „Helden" M. Brutus und C. Cassius, 
ihren selbstsüchtigen Interessen im fernen Osten nachgingen. 
Wir betrachten der Reihe nach an der Hand der Briefe 
Ciceros Verhältnis zu den mafsgebenden Persönlichkeiten. 

Er verhandelt mit dem Prokonsul von Afrika, Comi* 
ficius, den er über den Verlauf des Bürgerkrieges unter- 
richtet, um ihn bei der Senatspartei festzuhalten. Nach dem 
Tode der beiden Konsuln ist ihm zu Mute, wie einem Kranken, 
der, halb genesen, rückfallig wird. Er zählt auf die afrika- 
nischen Truppen und überhäuft den Statthalter mit Lob und 
Anerkennung. Er wechselt Briefe mit C. Asinius Pollio, der 
in Spanien kommandierte. Dieser versichert ihm, dafs er 
allen Versuchen, die Monarchie zu errichten, mit seinen drei 
Legionen entgegentreten werde. Ja, er erbittet sich vom 
Senate den Befehl, nach Italien zu marschieren. Wemger 
vertraulich ist Ciceros Briefwechsel mit Lepidus, dem Statt- 
halter des südlichen Galliens; doch verspricht auch dieser 
dem flüchtigen Antonius als Feind begegnen zu wollen. Ganz 
besonders suchte Cicero auf L. Munatius Plauens einzuwirken, 
der im nördKchen GaUien gebot. Ihn suchte er immer und 
immer wieder zur Vemiditung der Überreste des feindlichen 
Heeres anzutreiben. Und Plauens zeigte anfangs guten 
Willen, seine fünf Legionen in den Dienst des Senates zu 
stellen. Sehr empfanglich für die Schmeicheleien Ciceros, 
setzte er sich wirklich am 27. April in Marsch und über- 
schritt den Rhone, machte aber bald im Gebiete der AUo- 

Aly, Cicero. 11 



— 162 — 

brogen Halt. Vergebens spornte Cicero: Wer Antonios unter- 
drückt, beendet den Kri^; auch nicht ein Funke darf fort- 
glimmen. Plauens ging zwar noch über die Isere, dem „Bäuber^^ 
entgegen. Als er aber hörte, dais sich Lepidus nach einem 
erheuchelten Abfall seines Heeres mit Antonius vereinigt 
habe, ging er vorsichtig wieder zurück und forderte Ver- 
Stärkungen. Er schilt allerdings noch im Juli wacker auf 
Octavianus, hat sich aber zu entschlossener That nicht auf- 
raffen können. Unter diesen Marschallen Gäsars war kein 
sonderlich achtbarer Mann. 

Noch eifriger korrespondierte Cicero mit den Ver- 
schworenen, so mit D. Brutus. Wir erfahren, wie übel 
seine Lage trotz des glücklichen Entsatzes von Mutina war. 
Er wollte zunächst Antonius verfolgen, litt aber Not an 
Oeld und Truppen. Cicero sagte Geld zu, Truppen konnte 
er nicht schicken, da die Veteranen sich weigerten, unter 
Brutus zu dienen. Dadurch wurde Brutus verstimmt und 
entmutigt. Vor allem fürchtete er seinen Verbündeten Cäsar 
und suchte auch Cicero vor ihm zu warnen; jener habe ein 
gefahrliches Witzwort seines Gönners in Erfahrung gebracht: 
der junge Mann müsse gelobt, ausgezeichnet und dann 
beseitigt werden; er (Octavianus) werde das zu verhüten 
wissen. Daher getraut sich Brutus nicht die Alpen zu 
überschreiten, wenn er nicht weifs, wie die Sachen in Rom 
stehen. Natürlich will Cicero jenes Wort nicht gesagt haben. 
Völlig niedergeschlagen zeigt sich Brutus durch den Verrat 
des Lepidus; wenn nicht Truppen und Geld beschafft werden, 
ist alles verloren. 

Ein alter Bekannter war für Cicero C. Cassius; seit den 
Iden des März ist jener ganz für ihn eingenommen und ver- 
fehlt nicht, regelmäCsig an ihn auch nach Syrien zu schreiben. 
Er hofft, dafe er nach Bewältigung Dolabellas mit s^em 
Heere zurückkommen werde. Schon war der Krieg ent- 
schieden, da ist er von neuem erstanden. Wenn Cassius und 
M. Brutus kommen, wird sich alles zum Besten wendeuw 



— 163 — 

Cassius überhäoffc seinerseits Cicero mit den groiaten Lob- 
Sprüchen; der Eonsular hat in ihm sogar den Konsul besiegt, 
er ist der gröfete, teuerste Bürger. Aus derselben G^end 
berichtet P. Lentulus, aus Athen Trebonius. Alle Fäden 
laufen in Giceros Hand zusammen. Ob die Briefe an ihn 
oder an die Behörden gerichtet sind, macht kaum einen 
Unterschied. 

Am wichtigsten ist natürlich der mit M. Brutus ge- 
führte Briefwechsel, dessen zwei Bücher allerdings Ton einigen 
für unecht gehalten werden; indessen liegen weder in sprach- 
licher noch in sachlicher Hinsicht genügende Gründe für 
diesen Zweifel vor. Das durchgehende Thema dieser Briefe 
sind immer dringlichere Mahnungen Giceros, zur Rettung 
herbeizueilen, inmier eitlere Entschuldigungen des Brutus; 
dort Thatkraft und Leben, hier Entmutigung und Schlaff- 
heit. Besonders aber zeigt sich Eifersucht und Neid bei 
Brutus im Hinblick auf die Bevorzugung, deren sich Octa- 
Yianus seitens Giceros erfreute. Aber dieser stand unter dem 
Druck der Verhältnisse, er kannte die Gefahr sdir wohl, der 
er sich und seine Sache aussetzte, er muMe aber die Leute 
gebrauchen, die er hatte. Eben darum wünschte er so sehn- 
lichst Brutus' Rückkehr, um an ihm einen Rückhalt gegen 
etwaige Herrschaftsgelüste d^ Octavianus zu gewinnen; er 
würde sich — darüber ist kein Zweifel — schlimmsten Falls 
nicht gescheut haben, den unbequemen Bundesgenossen bei- 
seite zu drangen. Die Briefe stammen meist aus der Zeit 
nach den Entscheidungsschlachten. Das Verhältnis der so 
uncrleichartiiren Freunde trübt sich ffar bald; Brutus weiis 
immer an Ciceros Ma&nahmen etwl« ausz;setzen, Cicero 
kann ach die Langmnt des Brutns nicht erklären. Als nun 
gar Octavianns die Maske abwirft, wird der Hilferuf immer 
ernster und rorwurferoUer; die Zusammenkunft in Yelia und 
ihre schwerwiegenden Folgen werden gebührend betont. Ein- 
mal entschliefet sich Cicero zu einem ausführlichen Rfickblick 
auf die jüngste Vergangenheit. Die Unterlassungssünden, die 

11* 



— 164 — 

Milde des Brutus wird schonend gerügt, die eigenen £nt- 
schlielsungen, das ÜbermaXs im Loben wie im Strafen ge- 
schickt gerechtfertigt. Brutus ist nur „gewichen"; denn 
„fliehen" ziemt nicht dem stoischen Weisen. Dieser bleibt 
die Antwort nicht schuldig, ohne uns zu überzeugen. Nur 
Eins erhellt aus seinen Briefen, grenzenloser Hafs gegen 
Octavianus, über den er sogar die Feindschaft des Antonius 
vergifst. Letzterer Umstand gewinnt eine eigentümUche Be- 
leuchtung durch einen Brief Ciceros, in dem die auffallende 
Sendung des Püus erwähnt wird. Dieser überbringt ih 
Brutus' Auftrag einen Brief des gefangenen „Prokonsuls" 
G. Antonius und einen zweiten Yon Brutus selbst; in diesem 
wird des M. Antonius so schonend gedacht, dafs man im 
Senat auf den wunderlichen Ausweg geriet, das Schreiben 
ftir gefälscht zu halten. Cicero zweifelt nicht einen Augen- 
blick an seiner Echtheit, aber er geht darüber hinweg. 
Noch hofft er; sie sind ja in der Hauptsache einig, nur in 
der Taktik uneinig: Brutus will alles Mediich erledigen, 
Cicero glaubt nur mit Blut und Eisen zum Ziel gelangen 
zu können. Den Tempeln der Götter droht eine Schar 
verlorenen Gesindels. Wird M. Brutus zur rechten Zeit 
kommen ? 

Er kam nicht. Anstatt im Juli mit seinem starken 
Heere auf dem Landwege nach Italien zu eilen, wie Ehre 
und Pflicht es geboten, anstatt seinem Bruder Decimus und 
seinem Freunde Cicero Rettung zu bringen, zog er nach 
Macedonien und von da nach Asien, wo er seiner uns be- 
kannten Habgier fröhnte, worin es ihm allerdings Cassius 
gleich that. Hatte er dabei einen festen Plan im Auge? 
Es scheint, dafs er an ein Abkommen mit Antonius gedacht 
hat, wonach ihm und Cassius der Osten, den Cäsarianem 
der Westen des Weltreiches zugesprochen wurde. Dem sei 
indes, wie ihm wolle, der Vorwurf, dals er Cicero in den 
Krieg getrieben und schmählich verlassen hat, wird niemals 
von ihm genommen werden. 



— 165 — 

Inzwischen war das Verderben über die Senatspartei 
und ihren Führer Cicero hereingebrochen. Ein halbes Jahr 
hatte dieser den Staat noch einmal regiert und sein Bestes 
gethan für eine verlorene Sache. Am 29. Mai vereinigte 
Lepidus sein Heer mit dem des Antonius; bald schlofs 
sich Asinius Pollio, später auch Plauens an. D. Brutus, 
der es freilich an Entschlossenheit fehlen liefs, ward er- 
drückt und getötet. Nun bekannte auch Octavianus, der in 
Oberitalien stehen geblieben war, Farbe. Man kann es ihm 
kaum als Verbrechen anrechnen, dafs er sich auf seine Ab- 
stanmiung besann und lieber zuvorkommen, als überrascht 
werden wollte. Die Einsetzung einer Zehnmännerkommission, 
zu der Cicero gehörte, und welche die siegreichen Soldaten 
mit Ackeranweisungen belohnen sollte, erregte das Mifstrauen 
der Veteranen. Eine mit Zustimmung ihres Feldherm in 
Rom erschienene Abordnung von Offizieren und Soldaten 
forderte im Juli mit soldatischer Derbheit für Octavianus 
das Konsulat, was der erschreckte Senat bewilligen mufste. 
Ein Einverständnis mit Antonius und seinen Verbündeten 
ward gleichfalls angebahnt. Der Abschlufs dieses sogenannten 
zweiten Triumvirats, bei dem Lepidus den ungefährHchen 
Vermittler abgab, fand im September zu Bononia statt. Der 
zwanzigjährige Octavianus und Q. Pedius traten das Kon- 
sulat an. 

Über die letzten Monate in Ciceros Leben sind wir 
wenig unterrichtet. Der letzte Brief des Plauens an ihn 
datiert vom 26. Juli 43, von ihm selbst haben wir noch 
ein Schreiben an Brutus vom folgenden Tage. Seit dem 
August desselben Jahres ist uns weder ein Brief noch ein 
anderes gleichzeitiges Schriftstück erhalten. Die Berichte 
der späteren Geschichtsschreiber sind mehr oder weniger im 
Sinne der cäsarianischen Partei gehalten. Wie es scheint, 
suchte Cicero bis zuletzt im Gegensatz zu Brutus und seinen 
Freunden die Verbindung mit Octavianus zu erhalten. Ja, 
es ist nicht unwahrscheinlich, dafs dieser mit Hilfe des 



— 166 — 

Redners das Konsulat zu erringen yersuchte. Die Logik 
der Thatsachen war indessen mächtiger, als der gute Wille. 
Seit dem Tage von Bononia war Cicero ein toter Mann, 
wenn er sich nicht durch die Flucht rettete. Wir wollen es 
gern glauben, dafs Octavianus nicht leichten Herzens seinen 
bisherigen Gönner der Bachsucht des Antonius preisgab. 

Besser sind wir über seinen Tod unterrichtet. Es bildete 
diese Schreckensthat sogar ein Lieblingsthema f&r die Bhe- 
torenschulen. In den Schulvorträgen wurde mit Vorliebe das 
interessante Thema erörtert, ob Cicero seinen aus den Philip- 
piken erwachsenen Ruhm dahingegeben hätte, wenn er da- 
durch sein Leben hätte retten können. Derartige Dekla- 
mationen sind uns noch heute in den Controversien des 
älteren Seneca erhalten, welcher uns eine reiche Fülle von 
Urteilen über das viel bewunderte Vorbild der späteren 
Redner überliefert hat. Ohne Zweifel brachte Cicero die 
angstvollen Wochen seit August auf seinen Gütern zu. Ln 
Dezember nahte das Verderben. Er befand sich auf seinem 
geliebten Tusculanum, das er nunmehr verliefs, um sich zu 
Schiff nach Griechenland zu flüchten. Aber innere Unruhe 
und die Unsicherheit, die schon so oft seine Entschlüsse 
gelähmt hatte, liefsen ihn nicht auf dem eingeschlagenen 
Wege beharren. Nachdem mehrmals die Richtung gewechselt 
war, liefs er sich endlich bei Cajeta ans Land bringen, um, 
wie er sagte, in dem so ofb geretteten Vaterlande zu sterben. 
Er begab sich auf sein Formianum. In der Nacht vom 6. zum 
7. Dezember weckten ihn seine Sklaven, die mit aufrichtiger 
Liebe an dem gütigen Herrn hingen, und bestimmten ihn 
zu erneuter Flucht in einer Sänfte. Bald trafen die Henker 
unter Führung des Kriegstribunen Popilius Länas ein. Das 
Versteck wurde verraten. Beim Nahen der Morder liefe 
Cicero die Sänfte niedersetzen, bot seinen Nacken dar und 
erlitt ruhig und gefafet den Tod. Sein mutvolles Verhalten 
im letzten, bängsten Augenblick ist so sicher bezeugt, dafe 
die allein abweichende Notiz des charakterlosen Asinius Pollio 



— 167 — 

nicht in Betracht kommt. Selbst ein scharfer Bichter sagt 
von seinem Ende, dafs er nichts, weder Freude noch Leid, 
wie ein Manu getragen habe aufser dem Tode. Kopf und 
Hände wurden abgehauen und nach abscheulicher Miß- 
handlung auf der Rednertribüne zur Schau gestellt. Er 
hatte das dreiundsechzigste Jahr vollendet. Bruder und 
Neffe fanden den nämlichen Tod, während der Sohn glück- 
lich davon kam und später sogar als Konsul von Augustus* 
Onaden Gelegenheit üahm, das Andenken des Vaters an. der 
Bildsäule und dem Namen des Antonius zu rächen. 

So hatte dem vielgeprüften Mann ein gütiges Geschick 
am Schlufs eines an Glück und Enttäuschung überreichen 
Lebens die Gabe gespendet, die uns viele seiner Schwächen 
vergessen lälst: ein tapferes Sterben ftir seine Sache, fürs 
Vaterland. — 

Indessen ist unsere Erzählung damit noch nicht am 
Schluis angelangt. Es erübrigt, auf seine Vermögens- und 
Familienverhältnisse, sowie auf seine Schriften einen zu- 
sammenfassenden Blick zu werfen, tun dann die Urteile der 
Nachwelt zu prüfen und danach den Charakter des Menschen 
und Schriftstellers unbefangen zu würdigen. 



Kapitel 17. 



Sein Privatleben. 

Das Privatleben einer geschichtlichen Persönlichkeit, 
seine Vermögens- und Familienverhältnisse gehören nur bis 
zu einem gewissen Grade vor das Forum der Wissenschaft. 
Es giebt keinen kläglicheren Standpunkt, als die bedienten- 
hafte Klatschsucht des subalternen Suetonius, der aus un- 
reinen Quellen allen möglichen Unrat schöpft, um danach 
die Charakteristik eines Cäsar, eines Augustus zu vervoll- 



— 168 — 

standigen. Ein bekanntes Wort besagt, dafs niemand vor 
seinem Kammerdiener grofs sei Die Geschichte hat es nur 
mit den Thaten oder Absichten, in erster Linie mit der 
Gesinnung eines Mannes zu thun. Das widerwärtige Herum- 
stöbern in den Papierkörben, wie es neuerdings Mode ge- 
worden ist, verrät nicht echte Wissenschaftlichkeit, sondern 
armselige Neugier. Das Privatleben Ciceros gehört nur in- 
sofern hierher, als es das Urteil über den Charakter des 
Mannes bedingt. Die Geschichte fragt nicht nach diesem 
Vergehen und jenem Fehler, wohl aber hat sie ein Becht 
zu der Frage, ob die Gesinnung den ewigen Gesetzen der 
Sittlichkeit entsprochen hat. Das ffdog eines bedeutenden 
Mannes mufs, um mit Aristoteles zu sprechen, ^(QrjöTÖv sein. 
Die Vermögensverhältnisse Ciceros spielen eine grofse 
Rolle in seinem Briefwechsel mit Atticus. Einnahmen und 
Ausgaben, Erwerbungen und Schulden werden fortwährend 
berührt. Von Haus aus durfte sich Cicero einer mäfsigen 
Wohlhabenheit rühmen. Er hatte von seinem Vater das 
Familiengut in Arpinum und das Stadthaus in den Carinen 
geerbt, während dem Bruder Quintus die Güter Arcanum 
imd Laterium zugefallen waren. Einen Zuwachs erfahr sein 
Vennögen durch die beträchtliche Mitgift der Terentia, sowie 
durch eine Reihe von Erbschaften, durch Geschenke seiner 
Klienten und der Provinzialen, die er ein Jahr lang beherrscht 
hatte. Die Erbschaften hatten damals eine besondere Wichtig- 
keit, da die Ehelosigkeit und besonders die Kinderlosigkeit zu 
den Gepflogenheiten der höheren Gesellschaft zählten. Es war 
geradezu ein harter Tadel, wenn man jemandem vorhielt, 
dafs er von niemandem zum Erben eingesetzt sei. So be- 
erbte Cicero seinen Lehrer Diodotus, der lange Jahre bei 
ihm gelebt hatte, den reichen Bankier Cluvius und viele 
andere. Für seine Verteidigungsreden durfte er nach einer 
gesetzlichen Bestimmung keine Geldentschädigung annehmen; 
jedoch war es allgemein üblich, dem Patron durch grofse 
Geschenke die Dankbarkeit za bezeigen. So sandten ihm 



— 169 — 

die Sikuler, als er sie gegen Verres vertreten hatte, eine 
Ladung Getreide. Eine ansehnliche Summe brachte er trotz 
der peinlichsten Uneigennützigkeit aus Cilicien mit. Mit 
seinen Schriften hat er nichts verdient. Der buchhändlerische 
Vertrieb als Erwerbsmittel, entstammt erst einer späteren 
Zeit. Weder Erpressung noch schnöder Wucher können 
ihm vorgeworfen werden. 

Hingegen kann er nicht ganz von dem Vorwurf der 
Verschwendung freigesprochen werden. Obwohl er reichliche 
Einnahmen hatte, so hielt er nicht gut Haus, gab Geld mit 
vollen Händen aus und stürzte sich in Schulden. Glücklicher- 
weise stand ihm sein Freund Atticus getreulich zur Seite. 
Zu ihm nahm er sein'e Zuflucht, wenn die Wogen über ihm 
zusammenzuschlagen drohten, und jener sprang mit Rat und 
That in die Bresche. Eine unbeschreiblich grofse Eauf- 
und Baulust beherrschte Cicero. Ein hauptstädtischer Palast, 
acht umfangreiche Landhäuser, eine stattliche Anzahl von 
Absteigequartieren, stellenweise auch einträgliche Miets- 
häuser, dazu Sammlungen von Kunstwerken und Büchern, 
Gymnasien und andere Luxusbauten verschlangen gewaltige 
Summen, legten aber auch ein beredtes Zeugnis für den 
Geschmack ihres Besitzers ab. Insbesondere seine Villen, die 
Auglein Italiens, wie er sie nennt, lagen an bevorzugten 
Punkten; an ihnen hing sein Herz. 

Nachdem Cicero sein väterliches Haus in Rom dem 
Bruder abgetreten hatte, kaufte er nach seinem Konsulate 
mit geborgtem Gelde von M. Crassus ein stattliches Haus 
auf dem Palatinus, wie es einem Mann von Stande geziemte. 
Dies wurde später von Clodius niedergerissen, aber mit Hilfe 
der vom Senate bewilligten Entschädigung wieder aufgebaut. 
Von seinen Landgütern lag ihm das väterliche Erbe be- 
sonders am Herzen. Hierhin zog er sich zur Sonunerzeit 
zurück, um erquickende Kühlung zu geniefsen; hierhin flüchtete 
er aber auch, wenn drohende Wolken am politischen Himmel 
aufzogen, da es abseits vom Wege lag. Mit seinen Lands- 



~ 170 — 

leuten bUeb er gut Freund, wie er denn gerade hier seinem 
Sohne die toga virilis verlieh. Sein Lieblingsaufenthalt aber 
war sein Suburbanum, das bei Tusculum lag, in der Nahe 
zahbreicher ViUen der angesehensten Männer. „Auf einem 
Hügel, vielmehr an einem Berge belegen, gewährt es eine 
unbegrenzte Aussicht; man sieht Rom liegen und weiter die 
See, an der rechten Seite die Gebirge von Tivoli. Die Gegend 
ist sehr angenehm, so recht für Landhäuser geeignet.'^ So 
schildert uns Goethe das heutige Frascati. Es war von Rom 
auf der latinischen Strafse leicht zu erreichen und erlag da- 
her auch der Zerstörungswut des Clodius, ist indessen wieder 
aufgebaut. Hier befand sich ein Palästra, hier Säulengänge, 
Hermenbilder und andere Kunstwerke, auch eine Bibliothek. 
Die übrigen Güter lagen an der Westküste Italiens; es waren 
in der Richtung von Norden nach Süden die Besitzungen 
bei Antium, Astura, Formiä, Cumä, Puteoli und Pompeji. 
Bestritten ist das erste dieser sechs Güter, obwohl wir einen 
Brief ex Antiati besitzen; jedenfalls besafs er dort ein Haus. 
Das zweite Gut lag auf einer Insel, welche der Flufe Astura 
bildet. Hier fand er die gewünschte Einsamkeit, wenn ihn 
seine Studien ausschliefslich in Anspruch nahmen. Eine be- 
vorzugte Besitzung war das Formianum, das auch nach dem 
benachbarten Cajeta benannt wurde, doch war es dem Be- 
sitzer hier zu geräuschvoll. Die übrigen drei Güter lagen 
an dem herrlichen Golf von Neapel an uralten Kulturstätten; 
war doch Puteoli eine Gründung der Phönizier, Cumä die 
älteste Kolonie der Griechen in Italien. Auf dem Puteola- 
num hat Cicero einmal Cäsar nebst seinem Stabe bewirtet. 
Das Cumanum galt als unruhiger Aufenthalt. Neben dem 
Pompejanum wird noch ein Gut bei Neapel genannt, das aber 
mit jenem identisch zu sein scheint. Aufser diesen acht 
Landgütern besafs Cicero durch seine Gattin Terentia mehrere 
Mietshäuser (insulae) in Rom, die reichlichen Ertrag ab- 
warfen. Femer erwarb er sich in Latium mehrere Häuser, 
um bei einer Übersiedlung von einem Gute aufs andere ein 



— 171 — 

bequemes Absteigequartier zu finden; man nannte dergleichen 
deversoria, so in Anagnia, Atina, Frosino, Lanuyium, Solo- 
nium und Sinuessa. Kurz, es war ein ansehnlicher Besitz, 
über den Cicero TerfÜgte. Auch standen ihm nicht selten 
Barmittel zur Verfügung; so legte er über zwei Millionen 
Sesterzen nach seiner Rückkehr aus Cüicien gewinnbringend 
an. Aber weit häufiger befand er sich in Geldnot. Er 
borgte an andere ohne genügende Sicherheit, so an Pompejus 
vor Ausbruch des Bürgerkrieges, oder er borgte von anderen, 
ohne rechtzeitig zurückzahlen zu können, so auch einmal 
von Cäsar. Ein böses Kreuz war für ihn die Mitgift seiner 
Tochter, die infolge ihrer mehrfachen Verheiratung öfter 
seine Kasse in Anspruch nahm. Bei seiner Gattin fand 
er leider nicht die nötige Unterstützung. Im Gegenteil 
scheint diese, seit die Gefahr einer Ehescheidung bevorstand, 
gehörig auf ihren Haufen gescharrt zu haben, besonders mit 
Hilfe ihres verschlagenen Geschäftsführers Philotimus. Auch 
nach der Scheidung erhebt sie fortwährend Forderungen auf 
rückzuzahlende Summen, die Atticus für Cicero leisten mu&. 
In einer solchen Geldklemme soll Cicero sogar seine zweite 
Gattin Publilia, eine reiche Dame, heimgeführt haben; doch 
war diese Ehe nicht von Bestand. 

Hieraus erhellt, dafs Cicero zwar ein sorgloser Haus- 
vater, aber auch ein Ehrenmann in allen Geld- und Ver- 
mögensfragen gewesen ist. Der Vorwurf der Habgier, der 
so manchen grofsen Mann schändet, trifft ihn nicht. Und 
auch sein Familienleben war rein, wenn auch nicht von der 
Innigkeit, wie sie die christliche Eheführung kennt. 

Von Liebesverhältnissen und ähnlichen Dingen ist uns 
nichts Glaubwürdiges überliefert. Die wenigen Beschuldi- 
gimgen, die von erbitterten Feinden erhoben werden, sind 
so abgeschma<^kt, dafs sie keine Erwähnung verdienen. Selbst 
seine Gegner müssen zugestehen, dafs er mäfsig und keusch 
war wie wenige. In dieser Hinsicht ragt er wm Hauptes- 
länge über seine Zeitgenossen hervor. Nach seiner griechischen 



— 172 — 

Reise hat er sich mit Terentia vermählt und mit ihr dreifsig 
Jahre friedlich verlebt. Bei der untergeordneten Stellung, 
welche die Frau im Altertum einnahm, hören wir wenig von 
Ciceros Gattin. Sie gebar ihm zwei Kinder, eine Tochter 
und einen Sohn. Ihre Frömmigkeit und Gewissenhaftigkeit 
werden mehrfach von ihrem Gatten gerühmt. Erst bei Ge- 
legenheit der Verbannung tritt sie mehr hervor; sie blieb in 
Rom und war mehrfach Verfolgungen und Kränkungen um 
ihres Gatten willen ausgesetzt. Wir besitzen einige thränen- 
reiche Briefe, die Cicero ihr aus der Verbannimg schrieb; 
aus ihnen spricht Zärtlichkeit. Nach der Rückkehr beginnt 
der eheliche Frieden zu schwinden. Wir finden Andeutungen, 
die bereits auf ein Zerwürfius schliefsen lassen. Unverträg- 
lichkeit und Habgier scheinen die Fehler Terentias gewesen 
zu sein. Zum Ausbruch kam der Gegensatz erst zehn Jahre 
später. Nachdem er mehrfach dem Atticus seine Not ge- 
klagt hatte, wurde er in seinen Briefen an Terentia immer 
kälter; endlich erfolgte nach dem Bürgerkriege die Schei- 
dung. Die geschiedene Frau hat sich angeblich wieder ver- 
heiratet und ist hoch zu Jahren gekommen. 

Von der zweiten Gattin Publilia ist bereits das Nötige 
erzählt. Vermählung und Scheidung folgten so rasch auf- 
einander, wie es leider in Rom hergebracht war. 

Eine wichtigere Rolle spielt Tullia, das Lieblingskind 
ihres Vaters. Geboren etwa im Jahre 77, wurde sie überaus 
früh mit C. Calpumius Piso Frugi verlobt; sie verlor den 
unbedeutenden, aber wackeren Mann während der Verbannung 
des Vaters. Ihr zweiter Gatte, Furius Crassipes, ein vor- 
nehmer, begüterter Mann, ist uns wenig bekannt; er liefs 
sich von seiner Frau aus unbekannten Gründen scheiden. Ein 
böser Mifsgriff war die Verlobung mit dem wüsten, adels- 
stolzen P. Cornelius DolabeUa, welche während des Pro- 
konsulats in Cilicien abgeschlossen wurde. Cicero hatte 
viele Mühe, dem habsüchtigen Schwiegersohne den Mund zu 
stopfen. Die Ehe war überaus unglücklich, der Gatte be- 



— 173 — 

handelte seine Frau unwürdig und liefs sie sogar Not leiden. 
Endlich wurde sie geschieden; sie starb 45 an der Folge einer 
Entbindung. Ihr Sohn Lentulus hat sie nicht lange überlebt. 
An dieser Tochter hing Cicero mit zärtlichster Liebe. Kein 
gröfseres Glück, als dafs gerade sie ihm bei seiner Bückkehr 
aus der Verbannung an ihrem Geburtstage in Brundisium 
entgegenkam! Ihr Verlust beugte ihn tief. Bekannt sind 
die berühmten Trostschreiben, die sich auf diesen Trauerfall 
beziehen. Er setzte der Tochter auf einem seiner Güter ein 
prächtiges Denkmal. 

Weniger nahe stand ihm sein Sohn Marcus, wenn er 
sich auch seiner Erziehung gewissenhaft annahm. Geboren 
im Jahre 65, folgte er dem Vater ins Feldlager nach Cilicien. 
Beim Ausbruch des Bürgerkrieges schlofs er sich sogleich 
dem Pompejus an imd that Kriegsdienste bei der Reiterei; 
er focht bei Pharsalus. Dann kehrte er heim. Im Jahre 45 
entsandte ihn der Vater auf die Universität nach Athen, wo 
er namentlich den Akademiker Kratippus hörte. Über seinen 
flotten, verschwenderischen Lebenswandel wird mehrfach in 
Briefen geklagt. Atticus erhielt öfter den Auftrag, die 
nötigen Zahlungen zu leisten. Der Vater wandte ihm auch 
aus der Feme seine liebevolle Aufmerksamkeit zu. Wie er 
bereits früher die Schrift „über die rhetorische TeUung" für 
ihn verfaM hatte, so widmete er ihm jetzt seine letzte philo- 
sophische Schrift „von den Pflichten". Er beabsichtigte so- 
gar ihn zu besuchen, um sich dadurch selbst den politischen 
Wirren zu entziehen. Es kam anders. Brutus erschien in 
Athen und rief die studierende Jugend zum Kampfe auf. 
Auch der junge Cicero folgte ihm und zeichnete sich mehr- 
fach als ßeiterführer aus; eine feindliche Legion trat zu 
ihm über. Er nahm an der Schlacht bei Philippi teil und 
floh dann zu S. Pompejus nach Sicilien, wo er wiederum 
Kriegsdienste that. Endlich machte er seinen Frieden mit 
Octavian, der ihn gern begnadigte, da er seine Ungefahrlich- 
keit erkannte. Er machte sich sogar ein Vergnügen daraus, 



— 174 -- 

ihn mit Ehren zu überhäufen; so machte er ihn zum Augur, 
zum Konsul, zum Statthalter von Asi^n. Aber von dem 
Wesen des Vaters war nichts in dem Sohne. Die Trunk- 
sucht, der er schon in Athen gefröhnt hatte, richtete ihn je 
länger, je mehr zu Grunde. Wir hören von Ausbrüchen 
roher Gewaltsamkeit. Mit ihm starb die Familie des Red- 
ners aus. 

Vom Bruder und Neflfen haben wir bereits gesprochen. 
Es ist noch ein Wort von Ciceros Verhältnis zu seinen 
Sklaven und Freigelassenen zu sagen. Wenn man auch die 
Einrichtung der Sklaverei grundsätzlich verurteilen muls, so 
ist doch zu bedenken, dafs in den meisten, uns bekannten 
Fällen die Behandlung der Sklaven in Rom erträglich war. 
Sie gehörten zur Familie, zum Hause; insbesondere hatten 
die im Hause geborenen Sklaven eine freiere Stellung, die 
später oft in wirkliche Freiheit überging. Die Freigelassenen 
vollends standen zu ihrem Schutzherm in wahrhaft ver- 
traulichem Verhältnis. Alles dies gilt namentlich von Cicero, 
der seinen Sklaven ein milder Herr, seinen Freigelassenen ein 
väterlicher Freund war. Es werden uns in den Briefen 
mehrere Namen genannt. Wichtig für die Geldgeschäfte 
waren Philotimus und Eros, der erstere allerdings von Cicero 
meist beargwöhnt. Eine ganz eigenartige Stellung nahm 
M. Tullius Tiro ein, der, nach seiner Freilassung, von allen 
Angehörigen der Familie verehrt und geliebt wurde. Wir 
besitzen ein Buch von Briefen, die an ihn gerichtet sind. 
Als er auf der Rückreise aus Cilicien krank in Paträ zu- 
rückblieb, erkundigte sich Cicero mit rührender Zärtlichkeit 
nach seinem Befinden und versäumte nichts, um dem treuen 
Diener das Leben zu erleichtem. Auch Quintus, Marcus, 
Atticus schrieben an ihn und schenkten ihm ihr Vertrauen. 
Er vergalt es mit treuer Anhänglichkeit. Seinem Herrn 
hat er als Sekretär und wissenschaftlicher Berater gute 
Dienste geleistet. Nach seinem Tode erzählte er sein Leben, 
sanmielte Witzworte aus seinem Munde und gab manche 



— 17B — 

seiner Schriften heraus; ob er die uns erhaltenen Brie&amm- 
lungen geordnet hat, ist ungewiTs. Jedenfalls stammen von 
ihm die notae Tironianae, Abkürzungen, welche ein rasches 
Schreiben ermöglichen sollten, also eine Art von Steno- 
graphie. 

Im häuslichen Leben zeigt sich uns Cicero von der acht- 
barsten Seite. 

Es dürfte hier der Ort sein, über sein Aufseres einiges 
zusammenzustellen. Cicero war schlank und mager; in seiner 
Jugend war er in dem Grade der Schwindsucht verdächtig, 
dafs er auf Rat seiner Freunde und Arzte die rednerische 
Laufbahn unterbrach und auf Reisen ging. Gekräftigt kehrte 
er heim. Durch ein mäfsiges Leben hat er seine Gesundheit 
auch femer trotz grofser Anstrengungen gut erhalten. Er 
fand weder an Schwelgerei noch an anderen Ausschweifungen 
Gefallen. So ist er denn nie ernstlich krank gewesen; vor- 
übergehendes Unwohlsein hat er durch strenge Diät zu heben 
gewufst. Ln Alter litt er an Krampfadern, die er sorgfaltig 
verbarg. Seine Erscheinung war würdevoll und angenehm. 
Aus zwei Büsten, die uns überliefert sind, kann man wohl 
eine Vorstellung seiner Gesichtszüge gewinnen. Breit und 
gedankenreich wölbt sich die Stirn. Das Antlitz verrät 
Lebendigkeit und Beweglichkeit; den Mund umspielt ein 
ironisches Lächeln. Seine Ebuidschrift wird zuletzt als un- 
deutlich getadelt; seine Kleidung und Haltung zeigten 
Sorgfalt und Anstand. 



Kapitel 18. 



Übersicht seiner Schriften« 

Wenn auch seiner Schriftstellerei bereits im einzelnen 
gedacht ist, so empfiehlt sich doch an dieser Stelle eine 
Übersicht über seine Gesamtleistung. Die grofse Masse seiner 



— 176 — 

Schriften gUedert sich am besten in Reden, rhetorische, 
philosophische Schriften, Briefe; von den übrigen Werken 
sind nur Bruchstücke übrig. 

Die B>eden sind als seine wichtigste Leistung anzu- 
sprechen. Wir besitzen deren noch 57, während von 20 
Bruchstücke, von 30 etwa die Titel uns bekannt sind; dazu 
kommen die Lobreden auf Cäsar, Cato XJticensis und Porcia. 
Die Reden zerfallen in gerichtliche und politische; erstere 
betreffen Civü- und Kriminalsachen. SelbstverständHch haben 
nicht alle Reden für uns dasselbe Interesse. Am wenigsten 
ziehen die in Yermögensklagen gehaltenen (Givilsachen) unsere 
Aufmerksamkeit auf sich. Dahin gehören: pro Quintio, pro 
Roscio Comoedo, pro M. Tullio, pro A. Gaecina. Wichtiger 
sind die Kriminab-eden; die hervorragenden sind im Druck 
gekennzeichnet: pro S. Roscio, divinatio in Gaecilium, in 
Verrem (besonders die vierte und fünfte), pro Fonteio, 
pro Gluentio, pro Rabirio perduellionis reo, pro L. Murena, 
pro Sulla, pro Archia, pro Flacco, pro Sestio, in Vati- 
nium, pro Gaelio, pro Balbo, pro Plancio, pro Rabirio Pos- 
tumo, pro T. Milone, pro Marcello (?), pro Ligario, pro 
rege Dejotaro. Am wichtigsten sind die politischen Reden: 
de imperio Cn. Pompei, de lege agraria, in Gatilinam 
(besonders die ersten drei), post reditum, de provinciis con- 
sularibus, in Pisonem, Philip picae (besonders die erste 
und siebente). Als Gerichtsredner trat Cicero nur einmal 
anklagend auf, öfter dagegen in seinen Staatsreden. Die 
ersten Reden verraten noch das Übermafs des jugendlichen 
Feuers; nach seiner Studienreise zeigt er sich reifer und 
mafsvoller. Einige Reden sind als unecht angefochten, allenfalls 
begründet die pro Marcello. Eine Würdigung des Redners wird 
später erfolgen. Hier sei noch auf den vorzüglichen Erklärer 
einiger Reden (Scholiasten) Q. Asconius Pedianus hingewiesen. 

Den Reden schlielsen sich eng die rhetorischen Schriften 
an; denn Cicero wollte nicht nur praktisch als Vorbild, 
sondern auch theoretisch als Lehrer die Beredsamkeit fordern. 



i 



— 177 — 

Wir haben sieben rhetorische Schriften von sehr ungleichem 
Umfang und Wert. Unbedeutend ist die Jugendschrift de in- 
ventione, 2 Bücher, welche aus der Rhetorik ad Herennium 
geschöpft sind. Das Hauptwerk sind die 3 Bücher deoratore, 
in denen das Gb.nze der Rhetorik dialogisch nach den wich- 
tigsten Gesichtspunkten erörtert wird. Ergänzt wurde dies 
auch durch saubere Ausführung hervorragende Werk in 
dem Brutus de claris oratoribus, einer Geschichte der 
römischen Beredsamkeit, und dem Orätor, der Darstellung 
des Idealredners. Wissenschaftlich steht der Brutus am 
höchsten, da Cicero hier ein noch unbeackertes Feld be- 
arbeitet hat. Weniger bedeutsam sind die kleinen Schriften 
de optimo genere oratorum, de partitione oratoria, ad C. 
Trebatium Topica; die letzte Schrift ist nur flüchtig hin- 
geworfen. 

Die rhetorische Schriftstellerei führte den Verfasser un- 
merklich zu philosophischen Studien. Er bearbeitete zuerst 
die Politik in den sechs Büchern de republica und ebensoviel 
de legibus, von denen uns etwa die Hälfte überliefert ist, 
darunter das treffliche Somnium Scipionis. Die übrigen 
Schriften stammen aus späterer Zeit. Ein Vorläufer sind die 
Paradoxa, sowie die verlorene Consolatio. Verloren ist auch 
zum gröfseren Teil der Hortensius, der sozusagen das Pro- 
gramm seiner philosophischen Schriftstellerei darstellte. Diese 
betrifft vor allem die Ethik und die Religionsphilosophie. 
Die letztere ist in den drei Schriften de natura deorum 
3 Bücher, de divinatione 2 Bücher und de fato abgehandelt. 
Die Erkenntnistheorie behandeln die Academica in doppelter 
Bearbeitung, wovon im ganzen 2 Bücher erhalten sind. Die 
Ethik betreffen die übrigen Werke, vor allem das grund- 
legende de finibus bonorum et malorum 5 Bücher, Tuscu- 
lanae disputationes 5 Bücher, de officiis 3 Bücher; mehr 
populär gehalten sind Gato maior de senectute und Laelius 
de amicitia. Verloren sind die Einzelschriften de gloria, de 
virtutibus, de auguriis. Dazu kommen die Übersetzungen 

Aly, Cicero. 12 



— 178 — 

Timaeus und Protagoras nach Plato, Oecononucus nach 
Xenophon. Es sind im ganzen 20 Schriften, von denen 13 
ganz oder teilweis uns vorliegen. 

An Briefen sind uns 4 Sammlungen überliefert, zunächst 
die ad Familiäres 16 Bücher, dann ad Atticum 16 Bücher, 
ad Quintum fratrem 3 Bücher (dazu de petitione consulatus), 
ad Brutum 2 Bücher, welche mit Unrecht angezweifelt sind, 
während die epistola ad Octavianum entschieden unecht ist. 
Es sind im ganzen 864 Stücke, darunter 90 an Cicero ge- 
richtete; sie sind zwischen den Jahren 68 und 43 geschrieben. 
Die Generalkorrespondenz (ad Fam., auch früher ad Diverses 
genannt) umfafst die Jahre 65 bis 43 und ist nach den Em- 
pfängern, wenn auch nicht sorgfältig, geordnet; von wem, 
ist unsicher. Buch 1 ad Lentulum, 2 ad G. Gurionem et 
ceteros, 3 ad Appiura Claudium, 4 ad Ser. Sulpicium, 5 ad 
Q. Metellum, 6 ad A. Torquatum, 7 ad M. Marium. Das 
8. Buch enthält die Briefe des Gälius an Gicero nach Gilicien, 
9 ad M. Terentium Varronem. Das 10. bis 12. Buch bezieht 
sich auf die Ereignisse nach Gäsars Ermordung. Buch 13 
enthält eine grolse Anzahl von Empfehlungsschreiben Giceros, 
14 Familienbriefe (ad Terentiam), 15 einige amtliche Berichte 
ad senatum. Da endlich das 16. Buch ausschlieMich Briefe 
an Tiro enthalt, so hat man angenommen, dafs dieser der 
Herausgeber sei. Die Wichtigkeit dieser Schriftstücke springt 
in die Augen; leider sind sie oft kritiklos ausgenutzt worden« 
Unter den Briefschreibem sind die ersten Männer Roms: 
Gäsar und die Seinen, Pompejus, Gato, Sulpicius und viele 
andere. Minder wichtig sind die Briefe an den Bruder aus 
den Jahren 60 — 54. Hingegen übertreflfen die Briefe an 
Atticus die Generalkorrespondenz noch an Bedeutung; in 
den Jahren 68 bis 43 hat Gicero alles, was sein Herz be- 
drückte, dem treuen Freimde anvertraut. Jede flüchtige 
Regung, jeder Verdacht, jede vorübergehende Stimmung ist 
hier niedergelegt und dadurch der böswilligen Hyperkritik 
preisgegeben. Nicht minder wichtig sind die Briefe an 



— 179 — 

M. Bmtus aus den Jahren 44 und 43; sie gewähren einen 
deutlichen Einblick in das enge Herz dieses Egoisten. Andere 
Briefsammlungen, die vielfach citiert werden, sind verloren 
gegangen. Aber auch so ist unser Besitz ein reicher. Alle 
Arten der Briefgattung sind darunter vertreten. 

Die übrigen Schriften Ciceros können kurz erledigt 
werden; ihr Verlust ist kaum zu beklagen. Wir hören von 
einem juristischen Werke de jure civili in artem redigendo, 
noch öfter von historischen Versuchen, insbesondere mehr- 
fachen Memoiren; auch geographische Schriften werden ge- 
nannt. Namentlich war es sein Konsulat, später seine Ver- 
bannung, die er darzustellen unternahm. Wir hören von 
einem i)n6iivr\iia rfjg 'öjtarelag, bei dem er die Kunstmittel 
nicht gespart habe. Auch dvänöora, eine geheime Darstellung 
seiner politischen Ansichten, hat er verfafst. Endlich wird 
eine Chorographia Ciceronis citiert. 

Noch weniger hat Cicero als Dichter geleistet, wie wir 
nach den Bruchstücken urteilen können. Seine Gedichte sind 
meist historisch-poUtischen Inhalts, ihre Tendenz die Ver- 
herrlichung der eigenen Person. So feierte er in drei Büchern 
sein Konsulat, mu&te sich aber mehrfach gegen boshafte An- 
griffe auf seine dichterischen Leistungen verteidigen, so in 
der Scheltrede gegen Piso. Die von ihm selbst citierten 
Stellen bezeugen eine nüchterne Versifikation. Femer wird 
ein Gedicht de temporibus meis, gleichfalls in drei Büchern, 
erwähnt, das mit dem vorigen nicht identisch zu sein 
scheint. Ein anderes Epos war seinem Landsmann Marius 
gewidmet. Andere Versuche, insbesondere Übersetzungen, 
fallen in seine Jugendzeit und haben einen rein schul- 
mä&igen Charakter. 

Es ist jeine Gesamtleistung von gewaltigem Umfang, 

welche auf uns gekonm^ien ist. Die Erhaltung des bei 

weitem gröfseren Teils beweist die Bedeutung, welche Cicero 

für die römische wie für die Weltlitteratur gewonnen hat. 

Bevor wir daran gehen, den Schriftsteller zu würdigen, 

12* 



— 180 — 

werfen wir einen Blick auf die Urteile der Nachwelt, wie 
sie uns in grober Fülle Torlieg^L Zum Sehlois wird die 
Frage nach Ciceros Bedeatnng Beantwortung finden. 



Kapitel 19. 



Spätere Benrt^iluiis. 

Wenn von einer historischen Persönlichkeit, so gut 
von Cicero das Dichterwort: 

Von der Parteien Gunst nnd Hals verwirrt, 
Schwankt sein Charakterbild in der Greschichte. 

Die Neigung Ciceros zu beifsendem Spott la&t es 
natürlich erscheinen, dals schon zu seinen Lebzeiten, viel 
häufiger aber nach seinem Tode scharfer Tadel und giftige 
Verleumdung ihn trafen. Wir können aus der zweiten 
PhiUppica entnehmen, wie derb Antonius ihm zugesetzt 
hatte. Ein Nachhall dieser Polemik ist uns in der um&ng- 
reichen Rede des Cäsarianers Fufius Calenus erhalten, die 
Dio Cassius überliefert hat. Indes überwiegt hier die offen- 
bare Verlogenheit des persönlichen Hasses in dem Grade, 
dafe es der Mühe nicht lohnt, auf diese abscheulichen An- 
schuldigungen einzugehen; wurde doch sogar sein Verhältnis 
zu Tullia imd Tiro in widerwärtiger Weise verdächtigt! Die 
Angriffe auf den Menschen und auf den SchriftsteUer gingen 
Hand in Hand. Dahin gehört die Ubungsrede, welche unter 
dem Namen des Geschichtsschreibers Sallustius überliefert ist. 
Später war es besonders C. Asinius Gallus, der Sohn Pollios, 
der alle erdenkbaren Vorwürfe auf das Andenken Ciceros 
schleuderte. Ein anderer Gegner, Largius Licinus, den Gellius 
mit Entrüstung citiert, erhielt sogar den Beinamen der 
Cicero -Geifsel. 

Die Stätten, wo die mannigfachsten XJi'teile über den 
Redner gefallt wurden, waren vornehmlich die Rhetoren- 



— 181 — 

schulen. Es war natürlich, dafs der tonangebende Sprach- 
und Redemeister immer und immer wieder das Thema zu 
den Deklamationen oder Schulreden abgeben mufste. Wir 
haben durch einen glücklichen Zufall in den Suasorien und 
Controversien döB älteren Seneca eine beträchtliche Anzahl 
von Themen, Dispositionen und Reden, welche sich imi 
Ciceros Person drehen. „Cicero überlegt, ob er beim Antonius 
abbitten solle." „Cicero überlegt, ob er seine Schriften ver- 
brennen solle, wenn ihm Antonius für diesen Fall Straf- 
losigkeit zusichere." Sein schmählicher Tod wurde zahllose 
Male erörtert, die Gräfslichkeit des Verbrechens noch dadurch 
erhöht, dafs man in seinem Mörder einen ehemaligen EQienten 
des Ermordeten sehen wollte. Hierdurch ist uns eine Anzahl 
beachtenswerter Urteile übermittelt worden. 

Der Historiker T. livius widmet ihm diese Grabschrift: 
„63 Jahre hat er gelebt, so dafs sein Tod abgesehen von 
der Gewaltsamkeit nicht unzeitig erscheinen kann. Seine 
Begabung war glücklich in ihren Leistungen und in ihren 
Erfolgen; nach langem und dauerndem Glücksstand von 
schweren Schlägen getroffen, von Verbannimg, Niederlage 
seiner Partei und dem traurig herben Tode seiner Tochter, 
ertrug er nichts Widerwärtiges mit männlicher Fassung 
aufser dem Tode, der für einen unbefangenen Beurteiler 
weniger empörend erscheint, weil er von einem siegreichen 
Feinde nichts Grausameres erdulden sollte, als was er, sieg- 
reich, ihm zugefügt haben würde. Wenn man jedoch seine 
Fehler und Vorzüge abwägt, so war er ein grofser und 
merkwürdiger Mann, für dessen Lob es der Beredsamkeit 
eines Cicero bedürfen möchte." 

Das Urteil des republikanischen Cremutius Cordus will 
Seneca als seiner und des Cicero unwürdig übergehen. Hin- 
gegen berichtet er das des Historikers Aufidius Bassus: „So 
starb M. Cicero, ein Mann geboren zum Heil des Staates, 
der, lange verteidigt und geleitet, erst im Greisenalter seinen 
Händen entglitt, nicht durch seine Schuld geschädigt, 



— 182 — 

sondern weil nichts anderes zu seinem Heile ihm gefiel, als 
wenn er, der Staat, von Antonius befreit wäre. Er hat 
63 Jahre so gelebt, dafs er immer einen andern angriff 
oder selbst angegriffen wurde, und er sah nichts seltener, 
als einen Tag, an dem keinem an seinem Tode etwas ge- 
legen gewesen wäre." 

Am bedeutsamsten ist das Urteil des Asinius Pollio, 
der ja mit Cicero selbst in politischen Beziehungen gestanden 
hatte. Er hatte zwar allein ungünstig über seinen Tod be- 
richtet, stellte ihm aber dennoch folgendes rühmliches 
Zeugnis aus: „Es ist überflüssig, die Begabung und den 
Eifer dieses Mannes zu preisen, dessen so viele und so 
grolse Werke in alle Zeit leben werden. Natur imd Glück 
sind ihm in gleicher Weise zu Diensten gewesen, da sein 
Antlitz schön bis ins Grreisenalter und seine Gesundheit fest 
blieb, während ihm zugleich ein dauernder Friede beschert 
war, dessen Künste er beherrschte. Denn da die Gerichte 
nach der Strenge der Altvorderen abgehalten wurden, kam 
eine sehr grolse Menge Angeklagter zu Tage, die er, seinem 
Schutze anvertraut, rettete. Dann das glückliche Los, das 
Konsulat zu erhalten und grofse Dienste zu leisten, dank 
dem Rate der Götter und dem eigenen Eifer: o dafs er doch 
gemälsigter das Glück und tapferer das Unglück hätte tragen 
können! Denn so oft beides ihm zu teil geworden war, hielt 
er es für unabänderlich. Daraus sind ihm die schwersten 
Angriffe des Hasses erwachsen, und um so gröfser war die 
Zuversicht für seine Feinde, ihn anzugreifen; denn mit 
gröfserem Mute suchte er Feindschaften auf, als er sie be- 
kämpfte. Aber weil keinem Sterblichen vollkommene Tugend 
zu teil geworden ist, so mufs man danach den Menschen 
beurteilen, wo der gröfsere Teil seines Lebens und seiner 
Begabung zu Tage getreten ist. Und ich würde nicht 
einmal seinen Ausgang für kläglich halten, wenn er nicht 
selbst den Tod flir jammervoll erachtet hätte." 

Cornelius Severus feiert Cicero gar in Versen. Das ab- 



— 183 — 

geschlagene und auf der Rednertribüne aufgesteckte Haupt 
preist ihm die bittersten Klagen aus. Ein Tag hat hin- 
fortgenommen die Zierde der Zeit, und die Beredsamkeit 
Latiums ist verstummt. Der Schutz und die Rettung der 
Angeklagten, das Haupt des Vaterlandes, der Richter des 
Senats, des Marktes, der Gesetze und Sitte, die Stimme des 
Staates ist verstummt. 

Eine ganze Wolke von Zeugen läfst sich aufserhalb der 
Rhetorschulen zu Ciceros Gunsten aufführen. An ihrer Spitze 
steht der grofse Cäsar, der bekannte, dafs Cic^o als erster 
Kunstredner sich wohl um den Namen und die Ehre des 
römischen Volkes verdient gemacht habe. Nicht minder 
günstig urteilte sein Neffe und Erbe, der nachmalige Cäsar 
Augustus, einst Ciceros Bundesgenosse, dann sein Feind. 
Plutarch erzählt in Ciceros Lebensbeschreibung, dafs der Kaiser 
einst einen seiner Enkel bei der Lektüre eines Buches über- 
raschte, das dieser schleunig verbarg. Es war, wie Augustus 
entdeckte, eine Schrift Ciceros. Er reichte dem Knaben das 
Buch zurück mit den Worten: Ein beredter Mann, liebes 
Kind, beredt und ein Patriot! Der Kaiser Claudius schrieb 
sogar eine Verteidigungsschrift für Cicero gegen Asinius 
Oallus. 

Der Historiker Vellejus Paterculus bezeugt, dafs Cicero 
lebt und leben wird durch das Gedächtnis der Jahrhunderte. 
Der Rhetor Seneca beteuert: „Was auch immer die rö- 
mische Beredsamkeit besitzt, das sie dem anmafsenden 
Griechenland entgegensetzen oder vorziehen dürfte, das ist 
in Ciceros Zeit emporgeblüht; seit jener Zeit ist der 
VerfaU eingetreten. •* Ähnlich urteilt Tacitus in seinem 
.Dialog von den Rednem% wenn er auch nicht bUnd ist 
gegen die Schwächen des ciceronianischen Stils; Cicero hat 
zuerst eine Kunstrede geschaffen. Viel weiter gehen in ihrer 
Begeisterung die beiden Plinins und Quintilian. 

Li seiner Naturgeschichte widmet der ältere Plinius dem 
Gegenstand seiner Verehrung folgenden Hymnus: „Aber wie 



— 184 — 

soll ich dich verschweigen, o M. Tullius, oder mit welcher 
Auszeichnung dich würdig preisen? Mit welcher anders ab 
mit dem ehrenvollen Zeugnis des Gesamtvolkes, indem ich 
aus deinem ganzen Leben nur die Thaten deines Konsulats 
heraushebe? Als du das Ackergesetz widerrietest, d. h. die 
Nahrung des Volkes, verzichteten die Tribus; als du ftir Roscius, 
den Schöpfer des Theatergesetzes, eintratest, verzieh man und 
ertrug mit Gleichmut die Scheidung der Sitze; als du batest, 
schämten sich die Söhne der Geächteten, um Ehrenstellen zu 
bitten; vor deinem Geist floh Catilina, du hast M. Antonius 
geächtet. Sei mir gegrüfst, der du zuerst Vater des Vater- 
landes genannt bist, der du zuerst im Bürgerkleide den 
Triumph und Lorbeer der Beredsamkeit davongetragen hast, 
du Vater der lateinischen Litteratur und, wie der Diktator 
Cäsar, einst dein Feind, über dich geschrieben hat, erhaben 
über den Lorbeer aller Triumphe, insofern es höher steht, den 
römischen Geist ausgebreitet zu haben, als die römische 
Herrschaft." 

Nicht minder begeistert äufsert sich der treffliche Rhetor 
QuintUian an mehreren Stellen seiner Institutio oratoria, 
und zwar im zehnten Buche: er belobt beifallig den Rat, 
den Livius in einem Briefe seinem Sohne gegeben habe; er 
müsse Demosthenes und Cicero lesen, danach, je ähnlicher 
ein jeder dem Demosthenes und Cicero seL Und an einer 
anderen Stelle: „Mir scheint M. Tullius, da er sich ganz zur 
Nachahmung der Griechen gewandt hatte, die Kraft des De- 
mosthenes, die Fülle Piatos, die Anmut des Isokrates erreicht 
zu haben. Aber er hat nicht nur das, was in jedem das 
Beste war, wiedergegeben, sondern die meisten oder richtiger 
alle Vorzüge aus sich erzeugt, dank dem üppigen Reichtum 
seiner Begabung. Denn nicht Regenwasser sammelt er, wie 
Pindar sagt, sondern er schöpft aus dem lebendigen Strome, 
geboren durch ein Geschenk der Vorsehung, damit in ihm die 
Beredsamkeit ihre Kraft erprobte. Wer kann sorgfaltiger 
belehren, kräftiger erregen? Wem wohnte jemals eine so 



— 185 — 

grofee Anmut inne? So dafs er selbst das, was er erzwingt, 
durch Bitten zu erlangen scheint; wahrend er den Richter 
Seitwärts fuhrt , scheint jener dennoch nicht fortgezogen zu 
werden, sondern zu folgen. In allem, was er. sagt, ist ein 
so grofses Ansehen, dafs man sich scheut anderer Ansicht zu 
sein, und er nicht den Eifer eines Anwalts, sondern die 
Glaubwürdigkeit eines Zeugen oder Richters fiir sich zu haben 
scheint, während doch alles, was jemand kaum durch die 
emsigste Sorgfalt erreichen könnte, mühelos dahinströmt und 
jener Stil, der nie schöner gehört ist, dennoch eine glück- 
liche Leichtigkeit verrät. Deshalb wurde von seinen Zeit- 
genossen nicht mit Unrecht gesagt, er sei ein König der 
Gerichte; bei den Nachkommen aber hat er das erreicht, 
dafs Cicero nicht für den Namen eines Menschen, sondern 
für den der Beredsamkeit gehalten wird. Ihn lafst uns ins 
Auge fassen, er sei uns als Vorbild gesetzt; der möge wissen, 
dafs er Fortschritte gemacht hat, dem Cicero sehr gefallt!" 
Denselben Anschauungen huldigte der jüngere Plinius, der 
in seinen Briefen bekennt, dafs er diesem Vorbilde nacheifre. 
So urteüten die Römer der goldenen und silbernen 
Latinität über ihren berühmten Landsmann, wahrlich be- 
achtenswerte, einwandfreie Zeugen! Es ist hier nicht der 
Ort, die weiteren Zeugnisse aus dem späteren Altertum zu- 
sammenzutragen , aus denen die eifrige Beschäftigung mit 
Ciceros Schriften erhellt. Die Gelehrten, hervorragende und 
minderwertige, haben bis in das sechste Jahrhundert hinein, 
bis auf Boethius, der Erklärung seiner Werke die gröfste 
Auftnerksamkeit gewidmet. Und diese Wertschätzung dauerte 
das ganze Mittelalter hindurch, wenn auch die genaue Kenntnis 
seiner Schriften allmähUch abnahm, die zum TeU sogar gänz- 
lich in Vergessenheit gerieten. Mit dem Wiedererwachen 
der klassischen Studien trat auch Ciceros Name wieder in 
den Vordergrund. Die Wiederauffindung der rhetorischen 
Schriften wie der Briefe ist das unsterbKche Verdienst des 
Dichters Petrarca, während andere Humanisten eine Anzahl 



— 186 — 

der Reden entdeckten. Unter den Schriftstellem des klassischen 
Altertums nahm Cicero sogar eine hervorragende Stellung 
ein; sahen es doch die Humanisten Italiens wie Deutschlands 
als eine ihrer wichtigsten Aufgaben an, wie Cicero zu 
schreiben, an ihrer Spitze der erste Stilist der neulateinischen 
Litteratur, Laurentius Valla. Es ist bekannt, dafs dieses 
Streben zu seltsamen Auswüchsen führte. Ohne eine lebens- 
kräftige Litteratur zu schaffen, verabsäumten die fanatischen 
Verehrer des Ciceronianismus über der Form den Inhalt, 
über der Nachbildung den Geist. So wurde der Boden be- 
reitet für jene Gegenströmung, die dem Andenken Ciceros 
so gefahrlich geworden ist. Die rückhaltlose, unkritische 
Bewunderung fand später ihren typischen Ausdruck in dem 
englischen Historiker Middleton. 

Aber alles, was in früheren Zeiten an kritischer Prüfung 
verabsäumt ist, hat in überreichem Mafse Drumann nach- 
geholt, der in seiner Geschichte Roms auf beinah 1000 Seiten 
den Menschen und den Schriftsteller Cicero als einen Aus- 
bund aller Jämmerlichkeit dargestellt und diese seine Auffas- 
sung mit zahllosen Citaten seiner eigenen Schriften scheinbar 
bewiesen hat. Dies ungeheure Werk deutschen Gelehrten- 
fleifses hat lange das öffentliche Urteil bestochen; hatte es 
doch den Schein der Gründlichkeit und Unparteilichkeit für 
sich! Es war aber nur der Schein. Wie schon bald nach 
seinem Erscheinen richtig beobachtet und neuerdings wieder 
bemerkt ist, beruht der Grundfehler der, Darstellung Dru- 
manns in der parteiischen Gruppierung der Citate, insbe- 
sondere in der unwissenschaftlichen Ausnutzung des Brief- 
wechsels. Der Fehler ist in erster Linie ein methodischer, 
in zweiter ein sittlicher. 

Privatbriefe, die durch einen Zufall der Nachwelt er- 
halten werden, können nun und nimmer als geschichtliche 
Dokumente angesehen werden. „Menschen, wie Cicero, welche 
von der Lebhaftigkeit ihrer Eindrücke fortgerissen werden, 
sprechen; und sie handeln sehr unrecht. Das Wort oder 



— 187 — 

die Feder geben diesen flüchtigen Gedanken gröfsere Kraft 
und Dauer. Es waren nur Blitze; man präcisiert, man läfst 
sie erkennen, indem man sie niederschreibt; sie nehmen eine 
Klarheit, ein Relief, eine Wichtigkeit an, die sie in Wirk- 
lichkeit nicht hatten. Die Schwächen eines Augenblicks, der 
lächerliche Argwohn, der aus einer verletzten Eigenliebe 
entspringt, die kurze Heftigkeit, die sich bei ruhiger XJber- 
legung sofort legt, die Ungerechtigkeiten, die der Unwille 
herbeiführt, die Anfechtungen von Ehrgeiz, welche die Vernunft 
augenbHcklich mifsbilligt, hat man dieselben einem Freunde 
anvertraut, dann sind sie bleibend. Ein eifriger Kommen- 
tator studiert später diese zu auftichtigen Mitteilungen, und 
er benutzt sie dann, um von dem Unvorsichtigen., der sie 
gemacht hat, ein Bild zu entwerfen, das die Nachwelt in 
Schrecken setzt. — Man mufs ihn gegen sich selbst ver- 
teidigen." So Boissier. 

Viel schlimmer ist der andere Fehler. Wenn man auf- 
merksam die Thatsachen der Geschichte mit der Auffassung 
Drumanns vergleicht, so erkennt man bald, dafs ihm bei 
aller Gelehrsamkeit und bei allem Schar&inn die erste und 
wichtigste Eigenschaft gebricht, deren der Mann der strengen 
Wissenschaft nicht entraten kann, wenn er nicht zum Pam- 
phletisten, zum Tagesschreiber herabsinken will, die Wahr- 
heitsliebe. Drumann sucht mit Absicht alles hervor, was 
unsere Sympathie flir Cicero herabsetzen kann. Er schiebt 
seine verdienstvollen Thaten und Werke in den Hintergrund; 
kann er sie nicht übergehen, so verdächtigt er die Motive 
seiner Handlungen. Er greift geradezu Gegengründe aus der 
Luft, um z. B. zu beweisen,' dafs die Rede für Roscius kein 
Beweis persönlichen Mutes gewesen; er sieht in dem Angriff 
auf Verres nur einen Akt der Selbstsucht; er nimmt heuch- 
lerisch für die Catilinarier Partei; er gönnt Cicero nicht das 
Verdienst, den Krieg gegen Antonius entfacht zu haben. 
Cicero ist unbestechlich; es wäre ja „stirnlos" gewesen, zu 
stehlen. Nicht einmal den Tod hat er mutvoll erlitten; der 



— 188 — 

einzige abweichende Bericht Pollios wird natürlich von Dru- 
mann bevorzugt. Darum mufs die Rede für Marcellus echt, 
der Briefwechsel mit Brutus unecht sein. Kurz, Drumann 
ist von vornherein mit einer vorgefalsten Meinung an seine 
Arbeit herangetreten. Wie er dann das Kunststück mit 
„perfiden Citaten" fertig gebracht hat, das wird jedem in die 
Augen springen, der ein gesundes Urteil sich bewahrt hat. 
Gerade unsere Zeit' kennt mehrfach Oeschichtsklitterungen 
der Art, welche unter dem Schein wissenschaftlicher Objek- 
tivität der Wahrheit ins Gesicht schlagen. Drumanns Riesen- 
werk ist nur eine Sanunlung von Material, die Schritt für 
Schritt die Kritik herausfordert. Stellenweise hat ihm selbst 
das Gewissen geschlagen; in der allgemeinen Charakteristik 
widerspricht er, namentlich zu Anfang, mehrfach seiner zuvor 
geäufserten Auffassung. 

Drumanns Werk hat unendlichen Schaden angerichtet, 
obwohl es durch die treffenden Ausführungen von Abeken 
und Brückner gründlich widerlegt ist. Aber weit schlinuner 
als jene Leistung einer irregeführten Gelehrsamkeit wirkte 
jene pointiert witzige, boshafte Charakteristik, welche Momm- 
sens Römische Geschichte entstellt. Es ist schmerzlich, einem 
der gröfsten Gelehrten, den unsere Nation als Philologen, 
Juristen und Geschichtsforscher verehrt, den Vorwurf un- 
wissenschaftlicher Gereiztheit nicht ersparen zu können. Aber 
wie Mommsen auch sonst gemütlos die sittKchen Kräfte des 
Volkslebens verkennt, so hat er hier in der Wertschätzung 
eines bedeutenden, im Grunde Kebenswerten Menschen sich 
arg versündigt; er vergifst sich sogar in dem Grade, dals er 
selbst Ciceros unleugbare Herrschaft über die Sprache mit 
einer häfslichen Phrase abmacht. Die ungesunde Pikanterie 
der Darstellung hat dieser Auffassung, wenigstens aufserhalb 
der fachmännischen Kreise, bereitwillige Aufnahme verschafft. 
Mit um so mehr Freude ist die Thatsache anzuerkennen, 
dafs die neueren Beurteiler eine verständige Vermittelung 
zwischen der Begeisterung und der Hyperkritik zustande 



— 189 — 

gebracht haben, so Bernhardy, Teuflfel und vor allem Boissier. 
Aber ganz ist die Einwirkung Drumann-Mommsens auf die 
Litteraturgeschichte noch heute nicht verschwunden; nennt 
doch selbst Schanz in seiner neuerdings erschienenen Ge- 
schichte der römischen Litteratur Cicero „eine gefallene 
Gröfse"! Mit wie grolsem Unrecht, wird das letzte Kapitel 
zeigen. 



Kapitel 20. 



Sein Wert als Menseh und Sehriftsteller. 

Cicero war durch glänzende Vorzüge des Geistes und 
Herzens ausgezeichnet. Sittliche Reinheit bewahrte er sein 
Leben lang; keusch und mäfsig wie er waren nur wenige 
von den hervorragenden Männern des Altertums. Er hielt 
sich frei von jener unlauteren Habgier, die seine Zeitgenosse 
befleckte. In seinem Privatleben that er seine Pflicht, wi 
nur einer. Er war ein treuer, wenn auch nicht zärtliche 
Gatte, ein sorgsamer Vater, ein aufrichtiger Freund, eii 
guter Bruder, ein milder Herr; strauchelte er einmal, so 
war es. nur vorübergehend, überaus anerkennenswert ist\ 
seine Lembegier. Wie er schon ab Knabe der erste unter! 
seinen Genossen war, so durfte er auch im Alter das Wort j 
Solons auf sich anwenden, dafs er lernend altere. Unermüd- ( 
lieh war er in der Aufoahme neuen Bildungsstoffes, uner- 
müdlich auch in der V^erarbeitung und Wiedergabe des An- 
geeigneten. Gerade diese Aufiiahmefähigkeit, die Receptivität/ 
ist das besondere Merkmal seiner Begabung, wie es auch die 
Ursache seiner sittlichen Schwäche wurde. Den Werken der 
Griechen aufrichtig ergeben, kannte er nichts Schöneres, als 
das römische Geistesleben mit den Elementen griechischer \ 
Bildung zu durchsetzen und so ein neues, bei aller Nach- 
bildung nationales Produkt zu schaffen. Denn er liebte sein 






— 190 — 

Vaterland von ganzem Herzen. Seine gesamte Schrifbstellerei 
ist von der Nationalitätsidee durchdrungen; die römische 
Litteratur der griechischen ebenb&rtig an die Seite zu setzen, 
war sein heifsester Wunsch. Wenn er die Interessen des 
Vaterlandes mit denen seiner Partei oder gar mit seinem 
eigenen Wohle identificierte, so unterlag er darin der ge- 
meinsamen Bedingtheit aller Erdensöhne; jeder Politiker er- 
achtet seine Auffassung der Dinge für die richtige. Aber 
das war gerade das Unglück seines Lebens, dafs er dem 
Staatsleben sich zuwandte. Seine rastlose Thätigkeit beruhte 
auf einem glühenden Ehrgeiz, seine Receptivität aber ge- 
fährdete von vornherein seine politische Laufbahn. Wie er 
in der Schule der erste gewesen war, so wollte er es auch 
im Staate sein. Sein böser Stern fugte es, dafs seine Be- 
mühungen von unerwartetem, glänzendem Erfolge gekrönt 
wurden. Zu allen höheren Ämtern wurde er, dank seiner 
Tüchtigkeit und Liebenswürdigkeit, im vorgeschriebenen Jahre 
und einstimmig gewählt; alle Umstände vereinigten sich, um 
ihm auch das Konsulat auf diese Weise zufallen zu lassen. 
Als er nun gar auf der Höhe seines politischen Einflusses 
das Glück oder richtiger das Unglück hatte, durch die Ent- 
larvung der catilinarischen Verschwörung seinem Vaterlande 
einen namhaften Dienst zu leisten, da war es um seine Ruhe 
geschehen ; er glaubte nun fest an seine staatsmännische Be- 
gabung, zu der es ihm doch an wesentlichen Erfordernissen 
fehlte. Gerade seine Haupttugend, die Receptivität, wurde 
für ihn verhängnisvoll. Allen äufseren Eindrücken zugänglich, 
entbehrte er der Energie und Folgerichtigkeit, deren der 
Staatsmann nicht entraten kann. Himmelhoch jauchzend im 
Glück, zum Tode betrübt im Unglück, schwankte er zwischen 
Hoffhxmg und Furcht seit seinem Konsulat, so dafs die Folge- 
zeit für ihn nur eine Kette von Leiden und Enttäuschungen 
bildete. Nach seinem Sturze liefs er nur zu sehr die Fassung 
vermissen, welche so schön den Mann ziert. Zurückgerufen 
konnte er sich trotz aller Demütigungen nicht in die ihm 



— 191 — 

durch seine Begabung zugewiesene Aufgabe schicken. An- 
statt, wie er zeitweilig versuchte, sich auf die Bethätigung 
seiner unvergleichlichen Geistesgaben zu beschränken, be- 
schwor er immer wieder den Schatten des Catilina, um sich 
an der Erinnerung der einstigen Herrlichkeit zu berauschen. 
Die mafslose Selbstverherrlichung findet ihre Erklärung in 
dem Bedtirfiiis, sich flir die ausgestandene Angst zu ent- 
schädigen. Als Prokonsul that er seine Schuldigkeit, wie 
als Konsul; er überragte bei weitem die Durchschnittsbeamten 
des sinkenden Gemeinwesens. Aber der Ausbruch des Bürger- 
krieges versetzte ihn in vollkommene Ratlosigkeit. Anstatt 
seine Entscheidung zu treffen, näherte er sich erst dem Cäsar, 
um gerade zur unrechten Zeit zum Pompejüs überzugehen. 
KleinmOtig erwartete er die Rückkehr des Siegers und nalim 
zum zweitenmale die Pflicht des Gehorsams auf sich. Nun 
schien es, als ob er sich auf sein besseres Ich besänne; un- 
aufhaltsam entquoll eine stattliche Anzahl von Schriften 
seiner nimmer müden Feder. Aber gleichzeitig hallten seine 
Briefe von dem Schmerze um die entschwundene Freiheit 
und den verlorenen Einflufs wieder; es war zu süfs gewesen, 
am Steuer des Staates zu sitzen. Da war es nun eine letzte 
Gunst des gütigen Geschickes, dafs dem alternden Mann noch 
einmal dieser Wunsch erfüllt wurde. Nachdem er wieder 
einige Zeit schwankend und haltlos verbracht hatte, raffte 
er sich zum letzten, schwersten WaflFengange auf. Er unter- 
lag, aber er unterlag mit Ehren. War die Freiheit, die er 
meinte, auch ein wesenloser Schemen, so hat er doch ehrlich 
für die von ihm als recht erkannte Sache gestritten, ohne 
sie durch Selbstsucht oder Wankelmut zu schänden. Er war 
noch einmal der Führer des Senats, die Seele des Freistaates. 
So ist ihm auch an der Schwelle des Greisenalters ein 
tapferes Sterben zu teil geworden; der Mann des Friedens 
starb gefafst und mutvoll. 

So der Mensch Cicero, der unserer Verehrung und Teil- 
nahme durchaus würdig erscheint. Wie tritt uns der Schrift- 



— 192 — 

steller entgegen? Ein Mann, der so gewaltigen Einflufs auf 
das Geistesleben nicht nur seines Volkes, sondern der ge- 
bildeten Menschheit überhaupt geübt hat, kann nicht ein 
„Pfuscher", eine „Journalistennatur im schlechtesten Sinne 
des Wortes" gewesen sein. Die Weltgeschichte ist das Welt- 
gericht; wer seine Spuren so nachhaltig in die Bahnen der 
Kulturentwickelung eingegraben hat, mufs ein hervorragender 
Mensch gewesen sein. Es genügt auch nicht, die Gewalt der 
Sprache geheimnisvoll zur Erklärung dieses Einflusses her- 
beizuziehen. Durch freie Persönlichkeiten wirkt der Genius 
der Geschichte wie der Sprache Grofses, nicht durch „un- 
würdige Gefafse". 

Cicero war in erster Jjinie ein Sprachmeister, wie es 
nur wenige gegeben hat. Schon einmal hatte das lateinische 
Idiom durch Q. Ennius eine nachhaltige Förderung erfahren. 
Mit poetischer Kraft trat dieser dem Verfall der Endsilben, 
dem Schwund der weichen Konsonanten entgegen; durch den 
daktylischen Hexameter gab er der Sprache Bestinmitheit 
und Flufs. Nächst Ennius hat niemand so viel für die 
Sprache Roms gethan, wie Cicero. Mit feinem Sprachgefühl 
ausgestattet, durch gründliche Studien und umfassende Lektüre 
vorgebildet, hat Cicero die nicht überreiche Sprache auf 
eine Stufe der Durchbildung erhoben, die weder vor noch 
nach ihm wieder erreicht ist. Die Wahl des Ausdrucks und 
die Stellung der Worte sind die Kunstmittel gewesen, mit 
denen er so Grofses geleistet hat. Indem er mit niemals 
fehlgreifendem Instinkt das Veraltete und Sprachwidrige aus- 
schied, reinigte er den Wortschatz; indem er Wohllaut und 
Gleichmafs als Normen aufstellte, schuf er die Wortstellung. 
Den Satzbau nach griechischem Vorbild dem Rhythmus unter- 
stellt zu haben, ist sein eigenstes Verdienst. Dafs er dabei 
auch der übrigen Kunstmittel, der Tropen und Figuren, Herr 
war, ist bekannt. Trotzdem hat er das Grundgesetz des 
Latein, die Würde, niemals aufser acht gelassen. Huldigte 
er in seinen Jugendreden dem Prunk des asiatischen Stils, 



- 193 — 

so hat er sich bald eines Besseren besonnen und ist der 
rhodischen Schule treu geblieben. 

Nach vier Seiten hin hat er seine Herrschaft über die 
Sprache bekundet; er war Redner, Rhetor, Philosoph und 
Feuilletonist. 

Allerdings sind seine Reden denen des Demosthenes, mit 
denen sie so oft verglichen werden, nicht gleichwertig; er 
war weder Staatsmann noch Enthusiast wie der grofse 
Athener, dem es doch niemand verdacht hat, dafs er für ein 
so verrottetes Gemeinwesen in die Schranken trat, wie es der 
athenische Staat war. Aber trotzdem enthalten die Reden 
Ciceros des Schönen und Wahren genug. Die vorzügliche 
Disposition, die ansprechende Darstellung, die bestechende 
Beweisführung und der oft hinreifsende Schlufs sichern ihnen 
einen hervorragenden Platz in der Geschichte der Beredsam- 
keit. Sind auch die behandelten Stoflfe zuweilen minder- 
wertig, so verstatten sie doch stets einen hochinteressanten 
EinbKck in einen geschichtlichen Zeitabschnitt, der durch 
die Verquickimg griechischer und römischer Bildungselemente 
die lateinische ProsaKtteratur erst geschaffen hat. Sie sind 
nicht minder reich an rein menschlichem Inhalt ; der Kampf 
für die Unschuld gegen die XJbermacht, wie ihn uns die 
Rosciana schildert, die Entlarvung der Niedertracht, welche 
die Verrinen darstellen, die Niederwerfung eines Catilina, 
Clodius und Antonius, sie alle tragen ethische Momente in 
sich, die der Charakterbildung des Lesers zu gute kommen 
müssen. Und Cicero war zugleich Theoretiker; seine rheto- 
rischen Schriften, zum mindesten der Brutus, stellen vielleicht 
das gröfste Verdienst dar, das er sich um die Wissenschaft 
erworben hat. Sie gewähren zugleich eine reiche Belehrung 
und Anregung auf den verschiedensten Gebieten der Alter- 
tumskunde. Weniger bedeutend sind ohne Zweifel die philo- 
sophischen Schriften. Wenn man aber bedenkt, dafs Cicero 
der erste war, der so schwierige Fragen in römischer Sprache 
behandelte, so wird man Billigkeit walten lassen. Es ist 

Aly, Cicero. 13 



— 194 — 

eine Frivolität sondergleichen, wenn man von „Schreibereien" 
spricht. Einer der angesehensten Philosophen der Neuzeit, 
Herbart, rühmt an Cicero: „Die skeptische Sinnesart, die feste 
und tiefe Überzeugung, womit er der Gültigkeit der mora- 
lischen Ideeen huldigte, seine lautere Achtung für die Philo- 
sophie in ihrem ganzen Umfange als eins der vorzüglichsten 
Bildungsmittel des Menschen, ja der Nationen, welches an die 
romische Sprache zu knüpfen ihm eine Angelegenheit ist, die 
er seinen übrigen Sorgen um den Staat zur Seite stellt". Und, 
last not least, die Briefe, jene geistvollen, anmutigen Plaude- 
reien, in denen in Wahrheit die „Gh*azie um die Rednerlippe 
spielt"! Sie kann auch der schärfste Widersacher nicht ganz 
verwerfen^ sie spiegeln uns jene urbanitas wieder, die dem 
so viel belobten esprit der Frau von Sevigne und ihrer Zeit- 
genossen kein Haar breit nachgiebt. Man muls diese Briefe 
nur verstehen, wie sie zu verstehen sind, als die rückhalt- 
losen Ergüsse eines warmherzigen, leicht empfänglichen, 
immer aber geistreichen und liebenswerten Mannes, nicht 
als die Geständnisse eines reuigen Sünders. 

Cicero ist keine „gefallene Gröfse", weder als Mensch 
noch als Schriftsteller. Die unbefangene Kritik mufs sich 
vor splitterrichtender Gehässigkeit ebenso hüten, wie vor 
blinder Überschätzung. Ein reichbegabter Meister des Worts, 
der durch Glück und Unglück aus seinem Kreise ins politische 
Leben verschlagen ward, ist Cicero jenes Lobes wert, das ihm 
der Geschichtsschreiber Vellejus gespendet hat: 

Er lebt und wird leben durch aller Zeiten Gedächtnis! 



Druck von Th. Hofmann in Gera. 



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