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WALTER FRIEDLAENDER/ CLAUDE LORRAIN
WALTER FRIEDLAENDER
CLAUDE LORRAIN
1921
VERLEGT BEI PAUL CASSIRER IN BERLIN
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JAN 1 2 1S67
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Alle Rechte vorbehalten
Copyright 1921 by Paul Cassirer in Berlin
PORTRAT DES CLAUDE LORRAIN
(NACH SANDRART)
I N HALT
Seite
Vorwort IX
Die Landschaftsdarstellung vor Claude Lorrain .... 1
Das Leben Claude Lorrains 21
Gemalde 35
Radierungen 115
Chronologisches Verzeichnis der Radierungen 153
Arbeitsweise und Zeichnungen 157
Claude und Poussin. Nachwirkung 213
Anhang 223
Literatur 231
Anmerkungen 235
Verzeichnis der Orts* und Personennamen 249
Verzeichnis der Abbildungen 253
VORWORT
M
einer Darstellung der Kunst Nicolas Poussins aus dem Jahr 1914 lasse
ich nun eine Studie seines lyrischen Gegenspiels: Claude Lorrains folgen.
Die Aufgabe war leichter und zugleich schwerer. Leichter, weil die philo*
logische Akribie, die mir die quellenkritische Forschung bei der Sicherung
des Poussinschen Werkes auferlegte, hier nicht in gleichem Sinne von mir ge*
fordert wurde. Gibt ja doch das von Claude selbst angelegte Musterbuch
seiner Gemalde, das sogenannte » Liber Veritatis«, eine ganz unschatzbare Kon*
trolle fiir die iiberwaltigende Mehrzahl seiner Werke. Nur die Friihzeit bleibt
bei Claude, — wie iibrigens auch bei Poussin — , in ziemlichem Dunkel. Auch
wurde eine Vollstandigkeit, die ich bei Poussin wenigstens innerhalb des
quellenmafiig belegten Materials zu erreichen versuchte, hier keineswegs an*
gestrebt. Die bei aller inneren Mannigfaltigkeit doch groBe Einformigkeit des
malerischen Werkes, die haufigen Variationen und Repliken liefien eine Auf*
zahlung samtlicher Gemalde Claudes nicht als unbedingt wiinschenswert er*
scheinen. Auch verboten die Zeitereignisse von selbst eine derartig lander*
umspannende Bemuhung. Leider wurden von den gleichen ungiinstigen Urn*
standen auch die Zeichnungen Claudes betroffen, die — als herrlichstes Material
— eine kritische Sichtuhg gar sehr verdient hatten. Dagegen habe ich versucht,
die Chronologic der Radierungen, die noch durchaus im Argen lag, auf eine
neue und, wie ich hoffe, solide Basis zu stellen.
Schwerer wurde die Aufgabe in gewissem Sinne eben durch die relative
Einformigkeit des Claudeschen Schaffens, das sich ausschliefilich auf das Land*
schaftliche beschrankt und auch darin nicht allzuviele thematische Variationen
XI
zulafit. Dadurch entsteht gegenuber Poussins Reichtum an Problemen eine
ziemliche Problemarmut. Die Linie der Entwicklung lauft mehr im Stillen,
fast unterirdisch vom Begrenzten zum Freien, vom Einzel^Melodischen zur
beherrschten, weitgespannten Harmonik. Man mufi ihr leise nachgehen, sie
aufspiiren und abtasten, um die Schonheit ihrer Kurve zu empfinden. Alles
Streitbar*Gegensatzliche, alles Oratorische, alles Dogmatische, was Poussin -
ahnlich wie Marees — zum Fuhrer einer bestimmten Richtung gemacht hat,
fehlt bei Claude ganzlich. Er ist daher auch in neuester Zeit gegenuber dem
mannlich starkeren, vielseitig begabteren Poussin, der von der jungen anti*
impressionistischen Richtung auf den Schild gehoben wurde, mehr im Schatten,
im Hintergrund geblieben. Es ist bezeichnend, dafi Claude in Deutschland,
das ihn fruher so zartlich liebte und dem er — ebenso wie England — durch
seinen Lyrismus und seinen Subjektivismus in der Behandlung des Lichts
stets na'her stand als dem vielfach rationalistischen Frankreich, bisher keinen
Biographen gefunden hat. Uberhaupt gibt es keinen Versuch iiber das Klinst*
lerische in ihm — eine fleifiige Materialsammlung einer Englanderin aus dem
Beginn der achtziger Jahre ist immer noch das Wesentliche, was iiber ihn
geschrieben ist.
Er reizte nicht zu Erorterungen, nur zur Anschauung. Wer jemals im
Printroom des Britischen Museums die Uberraschung seiner wunderbaren
Zeichnungen erlebt hat, der wird begreifen, dafi bei ihm die Schonheit, sein
reines und naives Kunstlertum jenseits des Problematischen steht. Um die
ganze Pracht dieser warm* und tieftonigen Bilder#Lavierungen wiederzugeben,
bediirfte es gleichformatiger Faksimiles. Die Abbildungen, die ich hier geben
kann, konnen und wollen zum grb'fieren Teil nichts anderes sein, als An#
deutungen. DaB ich sie in dieser Fiille bringen kann, und zwar zu einem
betrachtlichen Teil direkt nach den bisher unveroffentlichten Originalen des
Berliner Kupferstichkabinetts, dafiir bin ich dem Verlage, der keinem meiner
Wiinsche sich versagt hat, zu aufrichtigem Dank verpflichtet. Fur die Erlaubnis
XII
zur Reproduktion, sowie zu weitgehender Benutzung der Sammlung, fur Ent#
gegenkommen in jeder Art danke ich den Herren vom Berliner Kupferstich*
kabinett auf das Warmste. Auch den Direktionen der Museen von Frank*
furt a. M. und Koln habe ich fur Aufnahmen von noch nicht veroffentlichten
Gemalden Claudes zu danken. Schliefilich sage ich fur Beihilfe bei Durch*
sicht und Abschrift des Manuskriptes Dr.L. Zimmermann, cand.phil. E.Simon
und Ch. Grosser meinen herzlichsten Dank.
Freiburg i. B., Mai 1921
WALTER FRIEDLAENDER
XIII
DIE LANDSCHAFTSDARSTELLUNG
VOR CLAUDE LORRAIN
Um Landschaft, also Natur im engeren Sinn, kunstlerisch#optisch zu ge*
stalten, bedurfte es eines sehr entwickelten Kunstgefiihls. Jede andere
Darstellung war (noch weit iiber das Mittelalter hinaus) zweckgebunden: reli#
gios, historisch, didaktisch. Neben dem kiinstlerischen war noch ein aufier*
kiinstlerischer Sinn vorhanden; er bildete sogar die aufiere Bedingung des
Ganzen, die in dem Auftrag wurzelte. Die Landschaft ist aber als solche ganz
und gar gelost von jedem zweckbewufiten Nebensinn. Sie ist an und fiirsich
nicht mit Heiligem verbunden, gibt kein Geschehnis, will nicht allegorisch be*
lehren. In ihr spiegeln sich die kiinstlerischen Gefuhle rein wieder. Erst als
diese kiinstlerische Selbstsucht sich frei entfalten durfte, wagte sich die feine
geistige Bliite der Landschaftsmalerei hervor. Es waren Zeiten, in denen die
Kunst den kultma'Bigen Zusammenhang mit dem Leben der Nation (der
vielleicht Starke und Hohepunkt) gelockert hatte, dafur selbstbewufiter auf
breitem Strome dahinfuhr. Zeiten, in denen die Kunstler*Individualitat sich
ungehemmter ausleben durfte, weil die Personlichkeit des Kiinstlers aus der
Verbindung mit Handwerk und Zunft herausgehoben und hoher geachtet
wurde. Da erst gewann der Kiinstler die Freiheit, seinen Stimmungen und
Neigungen unbekummert nachzugeben. Fur das Altertum war es bis zu einem
gewissen Grade die Periode des Hellenismus und des romischen Kaiserreichs,
fur die neue,re Zeit das gelockerte und individualisierte Barockzeitalter: das
XVII. Jahrhundert. Erst damals wurde Landschaft in ihren verschiedenen und
1
nuancierten Formen und Auffassungen recht eigentlich zum Objekt kiinst-
lerischer Formen #Gestaltung.
Damit 1st freilich nicht gesagt, daft erst in diesen Zeiten der Spatreife
der Natursinn erwachte, vorher kaum oder nur verstreut vorhanden war.
Schon bei Homer setzt sich Liebe und Anschauung der Natur literarisch*
kunstlerisch um. Ebenso im friihen Mittelalter etwa bei Augustinus, sparer
bei den Minnesangern und vor allem bei Walther von der Vogelweide. Es
bleibt jedoch meist beim Allegorisch-Symbolischen oder beim Einzelanschau*
lichen. Die Weite, das Individualistische und doch Allumfassende fehlen noch.
In der Divina Commedia steigt dies Gefuhl zum erstenmal mit uberraschen*
der Gewalt empor; alle Seiten der Natur werden einbezogen: die atmospharischen
Erscheinungen, das Glitzern der Meeresoberflache und vor alien — etwas ganz
Unerhortes — das Licht: »e vidi lume in forma di riviera fulvido di fulgore
intra due rive.« »Ich sah das Licht als einen Flufl von Strahlen glanzwogend
zwischen zweien Ufern stehen.« Hier geht Dante allem voraus, was Malerei
auch noch Jahrhunderte nach ihm schuf. Dem entgegen steht das mehr
sentimentalische Naturempfinden Petrarcas, das an Hellenistisches anschliefit,
aber es in spezifisch modern Empfindsam#Subjektives umsetzt. Bekanntlich
ist er der erste Europaer, der eine Bergbesteigung unternimmt. Noch weit
intimer aber kommt (Mitte des XV. Jahrhunderts) Naturbegeisterung in den
Kommentarien des Aeneas Sylvius Piccolomini zum Ausdruck, des Papstes
Pius II., der die wundervolle mittelitalienische Landschaft, vor allem den
Monte Amiata, so anschaulich und entziickt beschreibt, wie irgend ein
Moderner. Wachsendes Naturgefuhl gewinnt so immer mehr an literarischer
Formung.
Zu einer der Dichtung entsprechenden malerischen Gestaltung der Land*
schaft kommt es im Verlauf dieser ganzen Entwicklung nicht. Nach den
erhaltenen, qualitativ ja nicht uberaus bedeutenden Resten der hellenistisch*
romischen Malerei zu urteilen, halt auch da die optische Formung etwa mit
dem intimen Landschaftsgefiihl eines Horaz nicht gleichen Schritt. Die esqui*
linischen Odyssee#Landschaften kommen zwar an einen gewissen heroischen
Idealstil nahe heran, bleiben aber doch im Einzelnen stecken. Es sind stilisierte
Versatzstiicke, Kulissen fur die Aktion der allerdings wenig betonten Figuren.
Das Landschaftliche bleibt trotz des Horizontes am Meer innenraumlich, formal
in erstarrten Felsformen aufgehend (deren Farbwerte freilich impressionistisch
abgestuft sind). Auch die Landschaftchen auf den pompejanischen Wand*
bildern sind Dekorations#Spielereien, die nicht als eine Einheit empfunden
sind. Naturlich kann es bei weitem bessere Originale gegeben haben, von
denen wir nichts wissen. Noch entschiedener bleibt aber im Zeitalter Dantes
und Petrarcas, als der »dolce stile nuovo« sich bildet, die malerische Behand*
lung der Natur hinter dem sprachlich Geformten zuriick. Im Trecento kann
iiberhaupt nicht davon die Rede sein, auch im Quattrocento finden wir zu dem
Natur *Enthusiasmus von Aeneas Sylvius auch nicht annahernd eine optische
Parallele. In Italien iiberhaupt nicht: erst gegen Ende des Jahrhunderts gibt
es entschiedene Ansatze zu einem starkeren Naturempfinden in der Malerei,
wie in den Hmtergriinden umbrischer oder venezianischer Bilder oder(etwas
sparer) den romantischen Mythologien eines Piero di Cosimo. Bedeutend
friiher riihrt es sich in den Niederlanden. Das nordische Naturgefiihl, sub#
jektiver, intimer, wohl auch lyrischer, als das starker pathetisch und episch
bewegte der Romanen, tritt von nun an mafigebend in Erscheinung. Es
beeinflufit auch die Kunst Italiens, mufi sich freilich auch romanischer Zucht
und Stilisiertheit beugen. Die Entdecker und Verkiinder der besonderen Schon*
heit und Grofie romischer Landschaft sind von Bril, Elsheimer, Poussin und
Claude bis auf Koch und Corot fast durchweg Nordlander.
In dem Kreis der Briider van Eyck ist dieses Garen, dieser neue Trieb am
deutlichsten zu spiiren. In den Hintergriinden des Center Altars, noch starker
in Bildern, wie der Rollin* Madonna, ist der Landschaft mehr Platz gegeben
als je zuvor. Sie ist nicht mehr zu dekorativem Zweck formal umgestaltet,
sondern als Daseinsraum optisch empfunden. In den Kalenderbildern der
Livres d'heures kommt dies Element noch starker zum Ausdruck. Trotz der
Uberraschung, die sie etwa durch die ganz locker hingesetzten Strandszenen
gewahren, bleiben sie doch nur sporadische Erscheinungen. Ein starkes land*
schaftliches Empfinden ist vorhanden, aber noch kein Wille, die Landschaft
anders zu geben, wie als Vedute, als Illustration — nicht um ihrer selbst willen.
Nur ganz ausnahmsweise wird Vorder* und Hintergrund als Einheit gesehen
unter einem Gesichtswinkel, mit einem Augenpuhkt. In der grofien Tafel*
malerei des XV. Jahrhunderts kann von einer Landschaftsmalerei im engeren
Sinne, in der das Figiirliche nur Staffage wird, nicht gesprochen werden.
Weder in den siidlichen noch in den nordlichen Niederlanden — trotz der
Empfindungsfahigkeit eines Dirk Bouts oder des so lyrisch gestimmtenGeertgen
tot Sint Jans. Dazu fehlte es noch an der Freiheit des rein subjektiven Ge*
staltens. Nahe heran kommt freilich Conrat Witz in seinem bekannten Fisch*
zugbild in Genf. Die Seelandschaft (merkwiirdig: gerade das Wasser verlockt
sehr friih zu einer gelostenDarstellung) istnaturgesehen und doch breit stilisiert.
Aber die Figuren spielen noch immer eine zu grofie Rolle, um von reiner Land*
schaftsmalerei reden zu konnen. Die verbliiffend freien und vorausgreifenden
Landschaftszeichnungen und Aquarelle Diirers bleiben Studien. So sind die
ersten reinen Landschaftsbilder die Altdorfers. Bei ihm ist die Landschaft reiner
Selbstzweck, lyrischer ErguB, selbst die Staffage kann, wie auf dem Miinchener
Bildchen, ganz fehlen. Alles ist voller Wunder, aber das Wunder geht ganz
im Intimen, Innerlichen vor sich: der heil. Georg ist wie verzaubert in einem
Marchenwald, der aus unzahligen Asten und Zweiglein, auf denen iiberall
kleine Lichter sitzen, zusammengewachsen ist. Der Horizont ist vielfach noch
hoch, der eigentliche Augenpunkt nicht stets beobachtet, aber die Hintergriinde
sind schon voller Licht, der Himmel voll atmospharischer Erscheinungen.
Neben Altdorfers wenn auch aus Kleinstem zusammengesetzter Einheit*
lichkeit sind die Landschaften seines niederlandischen Zeitgenossen Patinir
noch Aufreihung von nicht ganz verbundenen Schichten. Sie tragen daher
trotz des hohen Reizes, den sie ausiiben, noch beinahe einen gewissen karto*
graphischen Charakter. Nicht das Intime ist dargestellt, sondern vielgestaltige
Formen derNatur: Baume, Wasser mit Buchten, Hugel und Stadte, seltsame
Felsen und weiter Blick. Wildromantischer wird es bei Hendrik met de Bles, der
die Felsformationen noch weiter steigert und hauft, das Terrain wilder bewegt,
die Luft mit Vogelscharen fiillt. Gerade seine Bilder (unter seinem Beinamen
Civetta) waren in Italien sehr beliebt. Umgekehrt sind ihm italienische
Kunstformen nicht fremd geblieben, wie aus manchen Einzelheiten hervorgeht.
Auch die blauzackigen Hintergriinde Lionardos spielen wohl mit in diese
Richtung hinein.
In Deutschland ist die Bliite der Landschaftsmalerei im XVI. Jahrhundert
nur kurz, in den Niederlanden bricht die Tradition nicht mehr ab. Von
dem wachsenden Romanismus in den Niederlanden wird seltsamerweise die
Landschaftsdarstellung nur wenig beriihrt. Mitten in dem Zeitalter des sogen.
»Manierismus«, in dem die Figur so entschieden im Brennpunkt des In#
teresses steht, wachst dort der landschaftliche Trieb unbekummert und eigen-
artig weiter. Ober diese ganze Richtung in den siidlichen Niederlanden
nach der grofien, dekorativ zusammengefafiten Landschaft Pieter Brueghels
gibt es Einzeluntersuchungen und kiirzere Abschnitte in Handbiichern, aber
noch keine genauere iibersichtliche Durcharbeitung. Die intimen Zusammen*
hange sind noch wenig bekannt: die Linien, die zu den herrlichen Rubens*
Landschaften fiihren, die anderen, die fur die Entwicklung der hollandischen
Landschaft im XVII. Jahrhundert wichtig sind, und schliefilich die, welche
nach Siiden leiten und sich mit der romischen Ideallandschaft verbinden.
Der wichtigste unter den Landschaftskiinstlern dieser Epoche ist neben Jan
Brueghel (dem sogen. Sammetbrueghel) Gillis van Coninxloo. Die breiten
und saftigen Waldinterieurs seiner spateren Zeit sind von besonderer Schonheit
und Bedeutung. Wichtiger aber sind noch die Landschaften seiner mittleren
!
•
CONINXLOO: LANDSCHAFT MIT PARISURTEIL
Periode (etwa der achtziger Jahre des XVI. Jahrhunderts), in denen nur noch
Rudimente seiner friiheren Ankniipfung an die getiirmte Phantasielandschaft
zu erkennen sind. Der Augenpunkt ist tiefer gelegt, und es offnet sich der
Blick in weite, hell beleuchtete Feme. Grofie gut gezeichnete Baummassen
bilden Kulissen an einer oder der anderen Seite, und ganz vorn gibt ein Rasen*
stuck mit durchgefiihrten Blumen, Grasern und kleinen Tieren ein Sprung*
brett ab — alles Motive und Hilfsmittel, die auch noch Claude Lorrain ver*
wendete. Elsheimer, » Adam von Frankfurt«, der das in der Donauschule so
lebendige Gefuhl des Deutschen fur Landschaft erbte, hangt mit der Franken*
thaler Schule und ihrem Fiihrer Coninxloo direkt oder indirekt zusammen.
Ebenso der Antwerpener Paul Bril, vielseitiger, wenn auch nicht so begabt wie
Elsheimer, und durch sein langeres Leben wirkungsreicher. Mit ihnen miindet
die Richtung in die tektonisch* formal gehobene Kunst der Italiener, in den
groBen Strom des beginnenden, noch strengen Barockstils.
In dem Italien des XVI. Jahrhunderts verlauft die Entwicklung der Land*
schaftsmalerei durchaus anders und bei weitem nicht so selbstverstandlich, wie
6
bei den Niederlandern. Die Landschaft wird in Italien — von Ausnahmen
abgesehen — noch kein selbstandiges Gebilde. Als sie spa'ter, besonders zu
dekorativen Zwecken geradezu Mode wird, ist man genotigt, Auslander zu
Hilfe zu nehmen. Doch fehlt es den Italienern jener Zeit durchaus nicht so
sehr an Natursinn, wie mitunter gemeint wird. Nur ist er nicht von der gleichen
intimen Art, wie der nordischer Menschen. Beweis dafiir sind die literarischen
Erzeugnisse, die um diese Zeit in Italien unvergleichlich viel reicher quellen,
als im Norden. Sie ziehen auch die Naturbetrachtung sehr stark in ihren
Rahmen — wozu die Vorliebe fur die Antike und ihre Nachahmung etwas
beitragt. Gleich am Beginn des Jahrhunderts ist Ariost ein leuchtendes Bei*
spiel dafur. Er schildert zur Liebe lockende Waldeseinsamkeit, er beobachtet,
wie die Meereswogen sich iiberstiirzen und heranwalzen. Freilich sind es
noch meist Vergleiche, haben also noch einen Nebensinn. Bei Tasso ist Natur
dagegen unmittelbar um ihrer selbst willen da. Er beschreibt einen roman*
tischen Garten in einer prachtigen Landschaft so gliihend, so lebendig, dafi
Alexander von Humboldt Erinnerungen an die Landschaft von Sorrent darin
zu erkennen glaubte. Wichtiger aber als die Stanzen seines befreiten Jeru*
salems ist fur das landschaftliche Gefiihl Tassos »Aminta« (1572 erschienen),
diese landliche Idylle (favola boschareccia). Ein Hirtengedicht, an Theokrit
und Longus geschult, aber doch in seiner eigentiimlichen Schonheit charak*
teristisch fur das sentimentalisch*schwarmerische Naturempfinden jener Zeit.
»Aminta« steht nicht vereinzelt. Es gibt viele Vorganger, und im letzten Drittel
des Jahrhunderts wird die Idylle ausgesprochen Mode — man zahlt iiber
dreifiig Schaferspiele. Der Gipfel ist der » Pastor Fido« des Guarini, der in
ganz Europa triumphiert. Die Idylle mit ihrem besonderen, bewegten, lyrisch*
musikalischen Naturempfinden ist ein notwendiges Widerspiel zum Pathos
und zu der steifen »Grandezza« des eigentlichen Barocks.
Um so merkwiirdiger ist es, dafi auf optisch*malerischem Gebiet sich nun
nicht auch ein solches Sender* und Seitengebiet auftut, wie in der literarischen
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Idylle. Dem Beispiel des Nordens folgt man in Italian nur zogernd. Das
landschaftliche Element wird noch immer mehr oder minder in den Hinter*
grund verbannt oder mufi sich einem grofien dekorativen Ganzen unterordnen.
Und doch zeigen gerade die Hintergriinde von Fresken wie Tafelbildern, dafi
auch im Gebiete des Optischen von einem Mangel an subjektiver Stimmungs*
auffassung, von einem Fehlen des Naturgefuhls bei den Italienern nicht so
leichthin gesprochen werden darf. Das gilt besonders von den Venezianern.
Das pastoral *idyllenhafte Element kommt — mit stark musikalischem Akzent
- bei Giorgione ganz iiberraschend lebendig zum Durchbruch. Das bekannte
Giovanelli*Bild »Der Sturm« mit seinem aufgewiihlten Himmel und der un#
ruhigen Luft kann fast als Landschaft gelten — wenn auch die beiden anek*
dotischen Figuren noch nicht ganz hineinbezogen erscheinen. Auffassung wie
Aufbau sind von einer gleichzeitigen deutschen (oder auch niederlandischen)
Landschaft fundamental verschieden. Die Stimmung ist marchenhaft, wie auf
einem Bilde Altdorfers, aber in einem anderen Stil. Das deutsche Bild ist
aus naturgesehenen Einzelheiten, wie zufallig, zusammengesetzt — darin gerade
liegt einTeil seines Reizes. Bei Giorgione ist in straffer architektonischer Form
alles Detail unterdriickt, alleEinzelform wird ins Grofle.Typische gehoben. Das
Ganze wird zu einer Einheit zusammengefafit, die voll verborgener bewegter
Kraft steckt und nicht nur schwankend stimmungshaft begriindet ist. So ist eine
ArtBegebnisbuhneimVordergrund geschaffen; durch die seitlichenTrager des
Mittelgrundes sieht man in den beleuchteten aufgeregten Grund. Die Carraccis
haben diese Elemente aufgenommen und der groBen idealen oder heroischen
Landschaftsmalerei des XVII. Jahrhunderts ubermittelt. Freilich ein Bild, wo
die Landschaft so stark betont ist wie bei dem »Sturm«, bleibt auch bei
Giorgione noch Ausnahme. Auf dem schonen bukolischen Gebilde, dem
(ihm zugeschriebenen) »Konzert« im Louvre, iiberwiegen die Figuren, aber,
wie sie mit der Landschaft verbunden sind, ist fur alle Nachfahren der Rich*
tung vorbildlich gelost. Das gilt fur Verteilung und Abwagung der Massen
untereinander, aber ebenso auch fur das Eintauchen der kleinen Hintergrund*
figiirchen in Licht und Schatten. Der Mensch wird dadurch zum Teil der
Natur, ihr untrennbar verbunden. Tizian steigert diese malerische Auffassung
in das Heroische; auf Gemalden wie »Petrus Marty r«, wo der ganze Wald
in Bewegung gerat, in das Dramatische. In dem ganzen Kreise Tizians und
Campagnolas, des eifrigen Dolmetschers der Landschaftsbestrebungen Tizians,
in Venedig selbst wie auf der Terra ferma, ist die Vorliebe fur Landschaft
aufierordentlich stark. Pietro Aretino schwarmt von Sonnenuntergangen, und
Cristofano Sorte schreibt in seinen »Osservazioni« iiber Beleuchtungseffekte
bei Landschaften. Aber trotz Schiavone, Savoldo, Bassano und vielen anderen
landschaftlich sehr begabten Malern kommt es nicht zu einer geschlossenen,
fur sich bestehenden Reihe von Landschaftsgemalden.
Dasselbe gilt auch weiter nach Siiden fur das ferraresisch#modenesische
Gebiet. Und doch hatte hier ein im engeren Sinne malerisches Genie wie
Correggio die Landschaft mit der Fiille seines Lichts durchtrankt, mit der
Weichheit seiner Formen umgossen, ein vergeistigtes, feinstes Gefiihl fur
das lichtvoll Farbige in Baum, Wiese und Luft gezeigt. Auch hier kommt es
nicht zu einer Landschaftsmalerei — auch die Dossis, trotz ihres Talentes
dafiir, bleiben im Dekorativen. Je weiter nach Siiden, desto mehr entfernen
wir uns vom Landschaftlichen. Im florentinisch^romischen Kunstkreis ist
das Interesse so sehr durch korperliche Probleme eingenommen, dafi das
Landschaftliche nur als eine Art Spielerei erscheinen kann, nicht als ernsthafte
Kunst. So hat sicher Michelangelo dariiber gedacht. Bei seiner Gefolgschaft,
den florentinischen und romischen Manieristen Vasari, Bronzino, Rosso usw.
steht das Problem der Fiillung der Flache durch Korpervolumen so stark im
Vordergrund, dafi fur die Landschaftsbildung nur geringer Raum bleibt. Bei
Raffael und seiner Richtung ist das nicht in gleichem Mafie der Fall. Bei
der klassischen Gruppierung der Figuren im Raum kann auch das landschaft*
liche Element eine, wenn auch nicht grofie, Rolle spielen. Es nimmt teil an
dem klassischen Aufbau, der Gliederung und Abwagung der Teile unter*
einander. Zwar kommt es nicht zu einer selbstandigen Gestaltung der
Landschaft; doch wirkt die »klassische« tektonische Fiihrung, die alles Zu*
fallige ausschliefit, auf die Komposition des grofien Landschaftsstils des
XVII.Jahrhunderts. Giulio Romano, der unmittelbare und gefeierte Raffael*
Schiiler, beriicksichtigt iibrigens das Landschaftliche in seinen Gemalden und
Fresken sehr stark; auch in den Loggien tritt sein Einflufi (neben anderen)
in dieser Beziehung hervor.
Wenn auch nicht als Tafelbilder, so werden von nun an in immer steigen*
dem Mafie Landschaften in dekorativem Zusammenhang verwendet. Peruzzi
malt schon im zweiten Jahrzehnt des Cinquecento in der Farnesina eine illusio*
nistischeWandgliederung: zwischen Sa'ulen sieht man iiber eine Brushing hin*
weg auf hohe Baume und die Dacher einer Stadt. Solche Illusionsdekorationen
landschaftlichen Inhalts — die wohl in engem Zusammenhang mit Biihnen*
bildern stehen — malt im Prinzip ganz ahnlich an hundert Jahre spa'ter noch
Agostino Tassi, und Claude Lorrain als Gehilfe arbeitet daran mit. Kleine
Landschaften in Kartuschen und Grotesken werden als Wand* und Decken*
dekoration immer mehr Mode (zumTeil in Anlehnung an die Antike). In
sehr vielen Palasten Toskanas und Roms finden sich diese »Paesetti«, unter
anderen in den Prachtsalen des Vatikans, wie dem »Sala ducale«. Leicht
und spielerisch sind sie kiinstlerisch meist nicht sehr bedeutend. Auch fur
diese braucht man aber nordische Spezialisten. Paul Bril wird am Ende des
Jahrhunderts zunachst in diesem Sinne beschaftigt. Aus all dem heben sich
in entschiedener Vorwegnahme spaterer Tendenzen die beiden Kirchenland*
schaften in S. Silvestro hervor, Werke des ebenso ratselhaften wie zu seiner
Zeit beruhmten Polidoro da Caravaggio. Alle Requisiten der spateren Zeit
sind hier schon vorhanden: der vegetative Vordergrundstreifen, die Fels*
kulisse mit dem grofien Baum. Die Schichtung geht in die Grunde hinein
mit antiken Tempeln, aufgeturmten Berg* und Felsmassen, mit angeschmiegten
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ANNIBALE CARRACCI, MARIAE HIMMELFAHRT. ROM, PAL. DORIA
Dorfern, Wasserfallen und Baumen. Alles malerisch durch Hell und Dunkel
ineinandergefiigt. Doch setzen die Schichten noch etwas primitiv vonein*
ander ab, die Komposition bekommt dadurch noch etwas Gehauftes und
Unfreies; auch die kleinen Staffagefigurchen tragen den Stil der Zeit. Sonst
waren diese beiden Landschaftsgemalde von Werken viel spaterer Zeit nicht
zu unterscheiden. Und doch sind sie schon vor 1527 entstanden. !)
Aber so interessant diese ersten italienischen Landschaften heroischen
Stils auch sind, sie bleiben zunachst ohne Nachwirkung. Der entschiedene
Umschwung kommt erst mit dem Auftreten der Carracci, speziell Annibales.
Sie sind die Reformatoren gegeniiber den Wucherungen des Manierismus und
fiihren nach allgemeiner Ansicht auch ihrer Zeitgenossen die Kunst wieder
zur Genesung. So sind sie auch die ersten, die die Landschaft in Italien
wieder zur Hohe bringen. Das Figiirliche spielt darin freilich noch immer
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eine gewisse Rolle, wie iiberhaupt in der ganzen sogen. »historischen« Land*
schaft; denn diese soil dem Wortlaut nach Ausdruck einer »storia« sein, d. h.
einer Erzahlung historischen oder religiosen Charakters. Besonders Annibale
in seiner spateren Zeit, um die Wende des Jahrhunderts, gibt reife Beispiele
dieses komponierten Landschaftsstils. Die Elemente sind aus der venezianischen
Kunst Giorgiones undTizians genommen, aber das Gerust ist architektonischer,
energischer in der Zeichnung zusammengefaBt: der Einflufi der klassisch*
romischen Schule. Die Landschaftslunetten in der Galeria Doria zeigen den
ausgesprochenen idealen Landschaftsstil. Auf der » Himmelfa hrt Maria «2) ist
der Vordergrund der Begebnisbiihne vorbehalten. Seitlich dem Mittelgrund*
zu erheben sich Biische und hell gegen dunkel gesetzte Baume. Als andere
Seitenkulisse korrespondieren damit antike Grabmaler (statt der spa'ter iiblichen
Tempelgebaude). Dazwischen 6'ffnet sich im Halbkreis, von beleuchteten
Hiigeln flankiert, eine Meeresbucht, die an dem nicht zu hohen Horizont
in hellen Himmel ubergeht. Ebenso bestimmt, klar wurzelnd, taktisch fest
gelegt sind auch andere Landschaften aus der Spatzeit Annibales, und so ist
ihr Einflufi nicht gering.
Noch na'her an den heroischen Landschaftsstil kommt der Carracci*
Schiiler Domenichino heran. Seine Landschaftsfresken mit dem Apollomythus
sind 1608 entstanden. Sie sind relief mafiig zusammengefafit, Schicht um
Schicht aufgebaut aus Baumen und Baumgruppen (mit den seit Tizian be#
liebten gekreuzten Stammen), Hugel und Wasser, Felspyramide und Baum*
kulissen, vom figuralen Vordergrund bis zu der klar gezeichneten Feme — alles
in grofien bedeutenden Linien. Sie waren so beriihmt, dafi sie noch 1647,
also in der Hochbliite des grofien Landschaftsstils Poussins und auch Claudes
von Dominique Barriere in einer Serie von Radierungen herausgegeben wur*
den — einem Stecher, der einer der intimsten Freunde Claude Lorrains war.
Von Carracci und noch mehr von Domenichino stammt die grofie Landschafts-
kunst des Nicolaus Poussin.
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In diese hone und grofi gesehene Auffassung der Landschaft, die von
der nordischen schon durch ihre stilisierte Bewufitheit so stark abweicht, ge#
raten nun auch die Nordlander, die nach Rom, diesem Zusammenflufi geistiger
und kiinstlerischer Stromungen, gegen Ende des XVI. und Anfang des XVII.
Jahrhunderts gepilgert kamen. Aber sie behalten noch genug von dem Ihrigen
iibrig. Nachdem sie die Schulung romisch#klassischer Stilzucht durchgemacht
haben, behaupten sie schon durch ihre groBere Hingabe an die Natur und
deren Formen triumphierend ihren Platz. Schliefilich wachsen sie auf romischem
Boden selbst iiber alle Italiener hinaus. Von den Friiheren ist der Wichtigste
Paul Bril, der Ende der siebziger Jahre als ganz jungerMann zu seinem bereits
in Rom tatigen Bruder Matthaus kam. Zunachst arbeitet er — wie erwahnt —
noch in der Art des friihen Coninxloo, ineinandergedrangt, gehauft mit hohen
Burgen, Briicken, phantastischer Flufilandschaft. Auch die landschaftliche
Kunst Girolamo Muzianos, eines Brescianers, der in Rom etwas friiher durch
seine Anachoretenlandschaften grofie Bewunderung erregt hatte, mag nicht
ohne Einflufi auf Bril gewesen sein. Brils Fresken in S. Cecilia zeigen noch
den phantastisch nordischen Zug: Baume, Gestrauch, Schluchten und Fels
ins Romantische, Urwaldartige versetzt. Dann aber iibt immer mehr der
tektonische Aufbau der Carracci = Landschaften sichtlich Einflufi auf seine
Kunst. Seine nordische Vorliebe fur das Einzelne, sein Reichtum an Einfallen
verbindet sich nun mit grofierer Klarheit und Ubersichtlichkeit, wie besonders
aus seinen Fresken im Palazzo Rospigliosi hervorgeht, die durchaus schon im
Sinn der klassischen Landschaft wirken. Agostino Tassi ist sein Schiiler. Von
seinem Wirken, das im Einzelnen noch nicht geniigend geklart ist, wird noch
die Rede sein. Auf Bildern, wie z. B. einem Landschaftsfresko, ebenfalls in
dem genannten Palazzo, allerdings aus spaterer Zeit, sehen wir die gleichen
Tendenzen der ausgeglichenen klassischen Landschaft, nur weniger individuell.
Claude Lorrain war jahrelang in der Lehre bei Tassi. Er ist also »Enkelschiiler«
von Paul Bril, dessen klassischen Stil er in seiner Entwicklung miterlebt hat.
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Mit Bril steht ein anderer Maler in engem kiinstlerischen und person*
lichen Zusammenhang. Das ist Adam Elsheimer, der urn 1600 in Rom war
und 1610 schon gestorben ist. Wie viel er, der bei weitem Jungere, Bril zu
verdanken hat, wie weit seine viel feinere und (trotz des Miniaturformats)
monumentalere Kunst auf die spatere stilisierte Art Brils gewirkt hat, ist noch
nicht geklart. Ein intimes Naturempfinden zeichnet ihn als Erben Altdorfers;
die Frankenthaler Schule hat ihn nicht unberuhrt gelassen. Die grofle
Gliederung, das Abstufen der Flachen, den tiefer liegenden Augenpunkt ge*
winnt er aus der klassischen italienischen Schule, noch mehr aber aus der
venezianischen, wie der romischen. Die Weichheit des Konturs, das Farbige
in Licht und Schatten kommt wohl aus dieser Quelle. Aber auch bei dem
ausgesprochenen Hell *Dunkel# Maler Caravaggio lernt er. Das alles ver*
bindet er in seiner sehr kultivierten und reizvollen Kunst zu einer struktiven,
oft auch atmospharischen Einheit und Harmonic. Claude Lorrain verdankt
seinen Bildchen und Zeichnungen, die ja in dem kiinstlerischen Kreise der
Brils und Tassis lagen, sehr viel.
Aus diesen Komponenten: aus dem klassischen Stil und der idealen Auf*
fassung der Landschaft der Carracci und ihrer Schule, sowie aus der Einzel*
beobachtung von Form und Beleuchtung der nordischen Meister erwachst
die wundervolle Kunst Claude Lorrains. Er fiigt ein Neues hinzu: die Be*
freiung des Lichts.
16
ADAM ELSHEIMER, LANDSCHAFT. FLORENZ, UFFIZIEN
DAS LEBEN CLAUDE LORRAINS
Claude Gellee 1st im Jahre 1600 in Chamagne bei Mirecourt geboren, einem
kleinen Dorf, das zur Diozese Toul und zum Herzogtum Lothringen
gehorte. Daher kam sein Beiname in der Fremde »le Lorrain«, und unter
diesem Namen, Claude Lorrain, erlangte er seinen Weltruhm. Er war nichts
weniger als in einem Schlosse geboren, wie altere Autoren behaupten. Dafi
sein Geburtsort mitunter auch Chateau Chamagne genannt wird nach einem
nahe beiliegenden Tempelritterschlofl, besagt nichts. Im Gegenteil, seine Eltern
Jean Gellee und Anne Padose waren allem Anschein nach arme Leute mit einer
zahlreichen Familie. Von den fiinf Sohnen war Claude der dritte.
Zwei Quellenschriften haben wir fur das Leben Claudes, eine deutsche
(Sandrart) und eine italienische (Baldinucci). Sie geben uns Aufklarung iiber
sein in derjugend an Wechselfallen reiches, sparer immer stiller dahinfliefien*
des Leben. Der Deutsche, Joachim von Sandrart auf Stockau, ist von den
beiden Biographen der interessantere, weil weitaus personlichere. Er ist ein
paar Jahre j linger als Claude, ein sehr betriebsamer Maler aus der Schule des
Honthorst in Utrecht und als Kupferstecher Schiiler von Aegidius Sadeler in
Prag. Sein Hauptverdienst besteht aber nicht in seinen unzahligen Malereien
und Stichen, sondern in seiner literarischen Tatigkeit: in dem Riesenkompen*
dium der »Ceutfd?en 2lca6emte 6er c&len Bau=, Btl6= un6 ZnafyIerey = Kunfte«,
von der der erste Band 1675 zu Niirnberg erschien. Der zweite Teil dieses
iiberaus umfangreichen Foliobandes handelt »r»on 6er alt* un6 neuberufymten
(EcjYPrtfrf?2"; <3rted]ifcfyen, 2ldmtfrf)en, 3^a^^nU<i?en) £)ocfy= un6 Itte6erteutfd)en
Bait' BtI6= un5 21ta^IereY Kiinftlere Sob un6 £eben«. Hier sind die Nach*
21
richten Sandrarts iiber die Kunstwerke und Kiinstler, die er auf seinen
langen und ausgedehnten Reisen mit eigenen Augen gesehen und kennen
gelernt hat, natiirlich bei weitem die wichtigsten. Er war nach einem langeren
Aufenthalt in England Jahre hindurch (bis etwa 1636) in Italien, das er von
Norden bis Siiden bereist hat. So kam er mit alien bedeutenden Kimstlern des
Landes und auch der zahlreichen Fremdenkolonie in Beriihrung. Davon erzahlt
er ein wenig eitel und ruhmredig, mitunter aber auch recht impulsiv und leben*
dig. Besonders gilt das von seinen romischen Jahren um 1630 herum. Sie wurzeln
am starksten in seiner Erinnerung, bedeuten mehr fur ihn als alles andere.
Hier sind es zwei Manner, mit denen er durch seine kiinstlerische Tatigkeit
in enge Verbindung tritt, die den tiefsten Eindruck auf ihn gemacht haben,
beide aus der franzosischen Kolonie: Poussin und Claude. Der etwas kiihle
und zuriickhaltende Poussin hat sich dem derben und bombastischen Deutschen
wohl kaum sehr intim angeschlossen, mit dem naiveren Claude verband aber
Sandrart eine enge Freundschaft und Arbeitsgemeinschaft. In einem Nachtrag
zu seinem Werke, seinem eigenen Lebenslauf, la'fit er dariiber (von seinen
» 6ienftergebenen Dettern un6 XHsdpeln«) berichten: »llntcr fcinen bdftcn un6 per*
trauteften ^reun&cn / ir>aer aucfy daubing (Stilt ein Cotfyringer / unb unldngft an=
gefommener €anbfd?aft = 2Tfar;Ier: tr>elcfyer mit unferm 1). Don Sanbrart nacfy Cir>oli
fpa^irt/audj in f>nn$ 3uftintans (Sartcn/an ftat 6es tr>etd)nens / grof e Bdumc/
£an6frfjaften un6 IPafferfdlle / nadj 6eni Ccben gemafylt: ir>orinn fie 6urd) foldje
Ubung foir»eit geftiegen / 6af fie 6ie ^uf ftapfen 6er Itatur aufs genauefte erretdjt.
IDie 6ann (£lau6ius nad^mal bei 6em Can6fd?aftsma^Ien geblieben / un6 man /
nacfy aller erfaijren "Kunftltebenien 2(usfage/ it>entg femes gleidjen fin6et. ^err t>on
San6rart I)at etltdje feiner foftlidjen Stucfe sufammengefauft: 6te er in feinem Kunft-
(Eabtnet als einen fon6erbaren 5dja^/5U je6es genetgten ^tebl^abers Contento t?cr«
roafyret aufbel?alt.« Daraus und aus andren Stellen — er nennt ihn auch: »metnen
nddjften Had^bar un6 l)ausgenof 511 Hom« -- geht hervor, dafi Sandrart zu
Claude, als dieser etwa dreifiig bis fiinfunddreifiig Jahre alt war, in nachster
22
Beziehung stand. Man kann daher seinen Worten mehr trauen, als es friiher
geschehen ist. Das gilt besonders fur das allerdings nicht sehr ausfiihrliche
biographische Material iiber Claudes Jugendjahre, das er sicherlich aus Claudes
eigenem Munde hatte, wie auch fur die reicheren artistischen Bemerkungen
und Beobachtungen iiber Claudes Arbeitsweise, bei denen er aus eigener Er#
fahrung schopft. Auch stammt von ihm das einzige Portrat, das wir von Claude
haben, das sich in seinem bauerlichen, wildenTypus seltsam abhebt gegen dasda*
neben abgebildete Bildnis Poussins in seiner weltmannischen, strengen Eleganz.
Der andere Biograph Claudes ist der Florentiner Filippo Baldinucci
(1624—96), dessen Kiinstlerbiographien 1684 erschienen (ein nachgelassener
Band, der das Leben Claudes enthalt, 1728). Er ist nicht selbst Kiinstler,
vielmehr einer der ersten Laien, die iiber Kunst schreiben, Kunstkenner, man
konnte sagen Museumsbeamter, da er die grofie Zeichnungssammlung des
Grofiherzogs unter sich hat. 1681 geht er nach Rom, um der Konigin
Christine von Schweden fur den Auftrag einer Biographic Berninis zu danken.
Da erst scheint er den iiber achtzigjahrigen Claude kurz vor seinem Tode kennen
gelernt zu haben. Allzuviel exakte Kenntnisse, besonders von den Jugendjahren
Claudes, wird er wohl von dem Greis kaum erlangt haben, wenn er auch in
seinen Handen das kostbare Buch, das »Libro d'Invenzioni ovvero Libro di
Verita« — jenes beriihmte Zeichnungs*Inventar von Claudes Gemalden — ge=
sehen hat. Dafiir erhalt er Nachrichten von der Familie Claudes, besonders
von seinem Grofineffen Giuseppe, den er einen »sehr sittsamen Jiingling«
nennt, der »zur Zeit sich dem Studium der Theologie in Rom widmet«. So
kann er mit einer Menge von Einzelheiten aufwarten, aber sein Bericht hat
bei weitem nicht die Erlebnisfrische der Erzahlung Sandrarts. Auch ist er
— was schlimmer — wohl nach dem Wunsch der Familie zurechtgestutzt
worden; denn er unterdriickt (gegeniiber Sandrart) alles, was der herauf*
gekommenen Familie irgendwie peinlich sein konnte, unter anderm die
karglichen Anfange Claudes.
23
Unmittelbare Quellen, die Claudes Leben beleuchten konnten, haben sich
sonst nicht erhalten, vor allem keine Briefe, wie sie in Poussins Korrespondenz
so reichlich und aufklarend vorliegen — Claude war sicher ein mehr als mafliger
Briefschreiber. Auch von Urkunden ist nur wenig erhalten: eine Aussage
seines Lehrers Tassi, ein paar Wohnungsangaben, ein paar Daten iiber seine
Mitgliedschaft an der Academia di S. Lucca und schliefllich sein ausfuhrliches
Testament. Da auch sonstige zeitgenossische Berichte iiber ihn fehlen - er
gab wohl seiner ganzen einfachen und zuriickgezogenen Lebensweise nach
keinen Anlaft dazu — , so sind wir auf die beiden Biographien angewiesen,
von denen, wie gesagt, Sandrart als Augenzeuge und Kunstkamerad den
unmittelbarsten Eindruck fur die friihe Zeit vermittelt. Was sparer in zahl*
reichen Schriften von Pascoli, d'Argenville, Mariette, Lanzi usw. iiber Claude
an Biographischem geschrieben ist, geht auf die beiden Quellenschriften
zuriick oder ergeht sich in phantastischer Anekdote.
Claude Gellee blieb bis zu seinem zwolften Jahre in seiner Heimat, »tn
6ic Scfyreib'Scfyul geftellt fyat er 6artn roenig uu6 fdjier niorjts 5Ugenommen«
- das bezeugt in spateren Jahren seine sehr unbeholfene Handschrift auf
seinen Zeichnungen und Dokumenten in einer unmoglichen Mischung von
Franzosisch und Italienisch, das er anscheinend nie richtig beherrscht hat. 3)
Deshalb gaben ihn seine Eltern zu einem »Pastetenbecker«, und nachdem er
in diesem Beruf etwas erfahren, zog der junge Claude »mtt rneleu an6rcn
6ei'gleid?en feirten £an6sleiiten nad] Honi ivetlen 6a(elbft tinnterbar in 6te etlid?
fjun6ert lotl^ringifd^e Ixodj un6 Paftetenbccfcr fiu6«. Dies diirfte ebenfalls
seine Richtigkeit haben, wenn es auch den Verwandten spa'ter nicht vor*
nehm genug erschien. Auch Poussin heiratete in die Familie eines fran*
zosischen Zuckerbackers und Kochs namens Dughet, dessen Sohn der be*
kannte Landschafter war. Daneben kann Claude aber sehr wohl auch vor
Rom sich ein wenig zeichnerisch ausgebildet haben. Als er nach dem Tode
seiner Eltern etwa 1612 sein Dorf verliefi, wandte er sich erst nach Friburgo
24
in Alsacia (was nichts anderes sein kann als Freiburg im Breisgau), wo sein
alterer Bruder Johann angeblich ein tiichtiger Holzschneider »intagliatore in
legno« war (jedoch geben die Stadtarchive dariiber keinen Aufschlufi). Er
soil da Arabesken und Blattwerk gezeichnet haben — ungefahr ein Jahr lang.
Dann erst ware er, also etwa mit vierzehn Jahren, in Begleitung eines ver#
wandten Spitzenhandlers in Rom eingetroffen -- der »italidmfcfyen Spracfye
un6 aller Complementer! unerfafyren«. Zunachst findet er keine Beschaftigung.
Dann nimmt sich ein sehr merkwiirdiger Kiinstler seiner an: Agostino Tassi,
iiber dessen Lebensfiihrung der im allgemeinen zuverlassige Kunstschriftsteller
Passeri viel Interessantes, aber auch allerlei skandalosen Klatsch berichtet.
Tassi ist 1566 in Perugia geboren, malt ohne besonderen Unterricht Gebaude
und Landschaften wesentlich wohl dekorativer Art. (Nach anderen Berichten
war er jedoch eine Zeitlang Schiiler Paul Brils.) Als junger Mann kommt
er nach Florenz, veriibt da irgendeine Missetat und wird zur Galeere ver#
dammt. Doch hat er es nicht allzu schlimm, denn er darf malen und zeichnen.
Vielleicht gewinnt er da seine Vorliebe fur Marinebilder: Hafen, Fischziige,
Galeeren und Fregatten, sowie Sturme werden von nun an seine Spezialitat.
Sparer dekoriert er in Livorno Hausfassaden, vielfach auch mit solchen
»accidenti marinereschi«, mit kleinen Figiirchen. Im ersten Jahrzehnt des
neuen Jahrhunderts kommt er nach Rom. Im Palazzo Lancellotti malt er illu*
sionistische Dekorationen, u. a. offene Loggien mit Durch* und Ausblicken
auf das Meer, wiederum mit Fischziigen und derlei. Auch in anderen Palasten,
z. B. im Quirinal, hat er ahnliche Auftrage — fur das Figurale auf diesen Ge#
maiden zieht er bekannte Maler wie Guercino, Lanfranco, Gentileschi heran.
Er verdient viel, lebt aber auch auf sehr grofiem Fufie, recht parvenuma'Big
und hat allerlei bose Weibergeschichten -- wird auch deshalb einmal zum
tormento della corda verurteilt. In seinem Hause halt er Jiinglinge, die fur
ihn malen, freilich auch, wie Passeri zugibt, viel bei ihm lernen, die er aber
nach dem gleichen Autor nicht bezahlt und sie durch iible Frauen umgarnen
25
lafit, urn sie festzuhalten. Ein spaterer Papst sagte von ihm: »AlleMalerhaben
mich irgendwie enttauscht, nur Tassi nicht - denn von ihm wufite ich von vorn*
herein, daB er ein Schurke war.« In ein solches Haus kommt der junge Claude,
was ihm aber augenscheinlich nichts geschadet hat: »nal?me ifyn ein geiftreidjer/
5roar po&agrtfcfyer / 6orf) roegen feines Iiiftigen Rumors beliebtcr Zltaler / genannt
2lgoftin £afo 511 fid?/ weldjer mei 2JrcJjitecturen / ^riefcn imb an&ers in 6er (EarMnal
^tmer / su ^trrafyten oberfyalb 6er Cape^ereycn / aud? pcrfpcctioc un6 anfceres madden /
6erntfyalben unb an6eren (Sefd^aften toe^en audj 511111 oftern ausrciten / un6 an unter*
fc^ie6Itd?cn ©rten ftdj auffyalten inufte. Da 6ann in6cffcn (£Iau6c <Silli itjm 6tc
Kud)en un6 6as ganse f^ausiucfcn fel?r urilltg rerfal?/ alles fauberte / 6ic ^arbcn sum
ITtaljIen rtebe / palet un6 Penfel pu^te«. Claude war also zunachst eine Art
Faktotum bei Tassi, was nicht ausschliefit, dafi er eine ganze Menge Technisches
bei ihm gelernt hat. Gerade seine Doppelstellung als Kuchenbacker und Mal#
gehilfe zeigt, dafi er noch sehr Jung gewesen sein mufi, wahrend Baldinucci, der
die Backerei und Dienerstellung in usum delphini ganz unterdriickt und Tassi
»degnissimo« und »stimatissimo« nennt, ihn erst betrachtlich spater bei Tassi ein*
treten la'Bt. Um 1619 fmden wir Claude jedenfalls schon urkundlich als Gehilfen
Tassis als Claudio di Lorena neben anderen Franzosen und Auslandern erwahnt
(in einer KriminalprozeBaussage Tassis). Es handelt sich um die Ausmalung
eines Kasinos in Baganja, einem herrlich gelegenen kleinen Flecken bei Viterbo.
Hier hatte Tassi mit seinen Gehilfen an zweieinhalb Jahre zu tun. Leider sind
diese Fresken heute so gut wie ganz zerstort. Schon Passeri klagt iiber ihre
Beschadigung durch Feuchtigkeit. 4) Er spricht hier von allerlei Illusions*
malereien: fingierten Gesimsen mit Vasen und Blumen, an den Wanden Bildern
mit gemalten Vorhangen und Schniiren, was nicht gerade geschmackvoll klingt.
Aber interessant ist wieder der Inhalt: Meerdarstellung, Hafen, Schiffswerften,
Fischziige; denn der junge Claude hat daran mitgeholfen, und es sind wesentlich
dieselben Vorwiirfe, die er besonders in seiner friihen Periode fur seine eigenen
Gemalde verwendet und durch die er einen Teil seines Ruhmes erlangt.
26
Es wird noch von einem anderen Lehrer Claudes berichtet, iiber den wir
freilich noch viel weniger orientiert sind. Sandrart spricht nicht von ihm, also
wird er wohl nicht von so grofler Wichtigkeit fur Claude gewesen sein, sonst
hatte dieser seinem Gefahrten gegeniiber wohl mehr von ihm erzahlt. Aber
Baldinucci erwahnt (und diirfte das wohl kaum aus den Fingern gesogen
haben) einen zweijahrigen Aufenthalt Claudes in Neapel, wo Claude bei
einem sehr bertihmten Veduten* und Perspektivmaler Goffredo sich in Lehre
gab und da allerlei in Architektur, Perspektive und auch im Landschafts*
malen, »nel colorir paesi« gelernt hatte. Wer dieser Maler Gottfried ist, wissen
wir nicht.5)
Sehr grofi ist der Erfolg und Verdienst in diesen ersten Jahren nicht, soviel
scheint aus allem hervorzugehen. Vielleicht deshalb sieht Claude sich genotigt,
im Friihling 1625 Italien zu verlassen und in seine Heimat zuriickzukehren. Er
geht iiber Loreto und Venedig zunachst nach Deutschland, nach Ba'yern.
Diesen Umweg iiber den Brenner wahlt er wohl, weil in Miinchen einVer*
wandter von ihm wohnt, der iibrigens auch Koch beim Kurfiirsten war und
ebenfalls Claude hiefi. 6> Er begibt sich von da nach seiner lothringischen
Heimat und findet in der Hauptstadt Nancy Beschaftigung beim Hofmaler
Claude Deruet. Dieser nimmt ihn zunachst als Gehilfen fur Figurenmalerei,
das scheint aber doch nicht recht in der Linie Claudes zu liegen, denn nach
etwa einem Jahr wird er zu Arbeiten verwendet, die rein dekorativer Natur
sind: zu Architekturmalereien an der Decke der (jetzt zerstorten) Karmeliter*
kirche zu Nancy — die Figuren behalt sich Deruet selbst vor. Diese Arbeit,
die er beiTassi wohl bis zum Oberdrufi kennen gelernt hat, kann den jungen
Kiinstler nicht befriedigen. Dazu kommt noch der Sturz eines Genossen
vom Geriist, durch den Claude erschreckt wird (wie Baldinucci erzahlt).
Schliefilich regt sich wohl auch die Sehnsucht nach dem gelobten Lande
Italien, nach Rom, der so viele nordische Kiinstler anheimf alien. Jenes »wie
wird mich nach der Sonne frieren« Diirers. So kehrt Claude der Heimat
27
den Rucken - nunmehr endgultig. Er kommt niemals wieder nach Frankreich
zuriick, auch nicht fiir kurze Zeit, sondern wird einer jener nordischen Kiinstler,
die sich nicht mehr vom romischen Himmel trennen konnen, ja noch mehr,
er wird - neben Poussin -- der eigentliche Entdecker romischer Luft und
romischer Landschaft.
Diesmal nimmt Claude den direkten Weg iiber Lyon und Marseille. Es
scheint ihm auf dieser Reise, die er von Marseille aus gemeinsam mit dem
jungen Charles Errard, dem zukiinftigen Leiter der franzosischen Akademie
in Rom, macht, recht tibel ergangen zu sein. Geldnot, Fieber und Stiirme
— eine Erinnerung daran ist vielleicht seine Radierung von 1630 »Der Sturm«
— suchten ihn heim. 7) Er wird froh gewesen sein, als das Schiff endlich zu
der 6'den Quarantanestation von Civitavecchia gelangte. Eine Zeichnung des
Hafens gibt von dem Aufenthalt noch Zeugnis. Am Tage des heil. Lukas,
des Matrons der Kunstler und insbesonders der romischen Akademie San
Lucca 8), Oktober 1627 betritt er wieder romischen Boden. Drei Jahre vorher
ist Poussin zu dauerndem Aufenthalt dort eingetroffen.
Damit sind Claude Lorrains Wanderjahre abgeschlossen. Es folgt eine
Spanne Zeit angespannter und muhseliger Arbeit, die noch keinen aufieren
Erfolg bringt. Aber bald ringt er sich durch, seine Werke werden immer ge#
suchter, Ruhm und, bis zu einem gewissen Grade, auch Reichtum werden ihm
zuteil. Sein Leben fliefit von nun an in ungewohnlich ruhigen Bahnen dahin
bis in sein hohes Alter. Kein Ereignis von irgendwelcher Bedeutung wird ge*
meldet, das diese Ruhe unterbricht. Die Stille und der Frieden, die vielen seiner
Werke jenen beneidenswerten und unnachahmlichen Schimmer des Gliickes
und tiefer Befriedigung geben, scheinen auch den Gang seines inneren Lebens
durchdrungen und erleuchtet zu haben. Er war keine griiblerische, keine
differenzierte Natur, die sich mit Problemen qualte, die aufierhalb des rein
Optischen lagen; kein Biichermensch, wenn er sich vielleicht auch einmal die
Metamorphosen des Ovid in der Obersetzung des Anguillara vornahm, um
28
sich daraus Motive und Anregung zu holen fur die lyrische Verlebendigung
seiner Landschaften Diesem homo illiteratus war sicherlich auch die Antike
ein Buch mit sieben Siegeln, wenigstens in dem antiquarischen und huma*
nistischen Sinn, wie sie viele seiner romischen Kollegen verstanden. Die
antiken Trummerstatten studierte er freilich auch. Aber er trieb damit keine
antiquarische Gelehrsamkeit, sondern benutzte sie fur die Architekturen seiner
Bilder in malerischem Sinne mit einem elegisch sentimentalischen Beigeschmack.
Alle antikisch zugestutzte doktrinare Kunsttheorie lag ihm fern. So kommt
es, dafi ihn, den Einfachen, keine glanzende Schiilerschar umgibt, die auf des
Meisters Worte hort — Schiiler im eigentlichen Sinne scheint er iiberhaupt nur
wenige gehabt zu haben, wenn auch viele von ihm lernten. Da er auch fur die
kunsttheoretisch beflissenen Literaten unergiebig war, so sind kaum Anekdoten
von ihm berichtet. » (£r bliebe unr>erfyeuratet un& lief e einen feiner XMtern 511 fid?
fomnten/ 6er ifym fein gai^es i)aus neben 6em baren (5>el6 gubernterte/ and? ^arben
un6 Penfel fd?afte/6amtt er gerufyiglid? nur feinen Stu6ien abroarten fonte/ tr>oburd?
beefcen Cfyetlen nad? IPunfd) geMcnt ift/6ann alfo lebet er rufyig un6 o^ne Sorge/
fein Detter aber 6er gutcn l^off nung / 6af er ein (£rb alles 6effen/tt>as fein Detter
t)at/iDer6en foll/un6 uerbleibet alfo btss nod) 6iefe fleine Hepubltc in guter ^n--
• telligenjcc. Anderes weifi auch Sandrart, der Freund seiner ersten romischen
Jahre, der so viel iiber seine kiinstlerische Methode auszusagen hat, nicht zu
berichten. Auch Baldinucci weifi aus der Familientradition dem kaum etwas
hinzuzufiigen. »Dtefer fo uberaus tucfytige Kiinftler ir>ar ein ^reun6 guter Sttten.
Hie beflecfte er fetnen pinfel mit las^iren o6er trgen6ir>ie un5iemlid7en Darftellungen.
XDenn er aus 6er ^abeltoelt 6erlei (Seffalten 6ai'5ufteIIen I^atte, fo t?er5ecfte er es fo
gut trne moglidj. (£r mar je&ermanns ^reun6 un6 r;ielt mit alien ^rie6en. 3a> er ^ef
fein eigenes 3n^reffe» fetnen nod] fo oeutltd^en Dorteil lieber beifeite, um nur Mefem
feinem XDunfd^e $u geniitgen«.9) Er war aufs weitherzigste freigebig mit seinern
kiinstlerischen Rat, besonders in technischen Dingen, und gab seine Erfah*
rungen, z. B. in der Perspektive, in der er besonders bewandert war, gern preis.
29
Aber wohl nur in seinen jiingeren Jahren hat er regeren Verkehr gehabt. Da*
mals, zu Sandrarts Zeiten machte er noch Kunstausfliige in Gesellschaft von
Poussin und dem drolligen Harlemer Maler Pieter van Laer, bekannter unter
dem Spottnamen Bamboccio, der bis 1639 in Rom war und allerlei Genre*
szenen malte. »£in an&er 2HaI ftn6 roir, Pouftn, €Iau6i £orenes un6 id}/€an&=
fd?aften nad? 6em £eben 511 mafylen ooer 511 5eid)nen/auf CrtDoli geritten« erzahlt
Sandrart im Leben des Bamboccio. Auch mit dem bertihmten vlamischen
Bildhauer Duquesnoy hat er damals (alles wohl durch die Vermittlung von
Sandrart) verkehrt, zu welcher Gesellschaft auch Poussin hier und da stiefi.
»3n feincr erften <geit fyielte er (poufftn) grofe Kun6fd}aft mit uns ^remoen /
fame aud? 6a oft / man er unifte / 6af ^tancesco Duquesnoy, Bilofyaucr / (£lau6t
Coraines un6 id] beyfammen maren / als Me tmr im (Sebrand) fatten / unfev X>or#
neljmen etnanoer 311 communicieren «. (Sandrart, Leben von N. Poussin.) Aber
trotz so vieler Beriihrungspunkte scheint er mit diesem grofiten Landsmann
und Kunstgenossen Poussin nicht intimer verkehrt zu haben, denn in den
Briefen Poussins wird sein Name nie erwahnt. Und dabei wohnten sie, wenn
auch nicht Haus an Haus, wie es die Fabel will, doch ganz nahe beieinander,
in der gleichen Strafie. Da lebte Claude so, wie es Sandrart schildert, in
unermudlicher Arbeit, die ihm durch die zustromenden Auftrage reichlichen'
Gewinn brachte, im »Schofie seiner Families Wenn er auch nie verheiratet
war, so hatte er doch eine Familie: sein Verwandter Jean Gellee, der sein
Hausverwalter war, lebte bei ihm; naher aber stand Claude die kleine Agnes
Gellee, die 1653 geboren die Frucht einer spaten Liebe gewesen zu sein scheint,
und die er mit der ganzen Zartlichkeit seines Temperamentes als Adoptiv*
tochter behutete. Das geht aus dem ausfuhrlichen Testament hervor, das von
dem fur die Kunstlerforschung in Rom so ungemein verdienstlichen Archivar
Bertolotti an das Licht gezogen ist. Claude faGte es ab, als er im Jahre 1663
schwer erkrankte. Mit geradezu riihrender Sorgfalt ist da alles bis auf die
Einzelheiten bedacht, bis auf das Bett, in dem er schlaft, und den Betthimmel.
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Fur niemand ist reichlicher gesorgt, wird bis auf die kiinftige Heirat hiri vor*
gesehen als fiir den Liebling Claudes, fiir die kleine Agnes. Ihr hinterlafit er
auch seinen groBten Schatz — freilich nur als eine Art Fideikommifi — seinen
Oeuvrekatalog in Zeichnungen: das »Liber Veritatis«. In dem hohen Alter von
zweiundachtzig Jahren, zwar durch Gicht, die schon friih einsetzte, behindert,
aber doch bis zuletzt fahig zu arbeiten, im November 1682 endet das fried*
liche und gliickliche, bescheidene und doch so bedeutende und gliickspendende
Leben Claude Gellees. Er wurde auf seinen Wunsch in S. Trinita dei Monti auf
dem Pincio, von dem man iiber Rom hinwegschaut, begraben. Franzosische
Truppen zerstorten 1798 seinen Grabstein. Thiers liefi dann 1840 seine Gebeine
nach der franzosischen Nationalkirche S. Luigi dei Francesi, wo auch Poussin
ruht, uberfiihren.
31
GEMALDE
1627 war Claude nach Rom zurikkgekehrt. Sandrart wurde bald darauf
sein Gefahrte; wir haben seine Berichte iiber diese friihen romischen Jahre.
Trotzdem bleibt iiber Claudes kiinstlerische Tatigkeit in dieser Zeit noch vieles
im Unklaren. Conner standen ihm zunachst noch nicht zur Seite, er war auf
gut Cluck nach Rom zuriickgekehrt. So muBte er da anfangen, wo er auf#
gehort hatte: bei der dekorativen Malerei, die ihm in Nancy so verhafit
geworden war. Seiner Liebhaberei, der reinen Landschaftsmalerei in intimeren
Dimensionen, als sie die Wandflachen boten, konnte er sich noch nicht oder
noch nicht ganz iiberlassen. Die Lichtmalerei, zu der ihn sein Genius trieb,
ist letzten Endes doch nur mit der geschmeidigen Materie der Olfarbe zu
erreichen. Die Fresken, die Claude damals in romischen Palasten zu malen
hatte, waren vermutlich unmittelbare Fortsetzung dessen, was er bei seinem
Lehrer Tassi gelernt hatte. Baldinucci erwahnt sie nur fluchtig, also spielten
sie in dem Gedachtnis des alten Meisters oder seiner Familie keine grofie
Rolle mehr. Es ware sicher sehr interessant, wenn wir uns eine Vorstellung
davon machen konnten, ob und wie Claude den Landschaftsstil Brils und
Tassis personlich umgesetzt hat. Leider sind aber diese Fresken nicht mehr
vorhanden. Sie befanden sich in dem Palazzo Crescenzi am Pantheon, im
Palazzo Muti bei Santi Apostoli und in einem kleinen Haus an der Trinita dei
Monti, .das ebenfalls den Muti gehorte. 10) Immerhin handelt es sich nur um
Landschaften, so dafi Claude doch in dem Gebiet bleibt, das er nicht mehr
verlassen wird. Sandrart gibt eine enthusiastische Schilderung der Muti*
Fresken, die sich in einem grofien Saale befanden: »mer fyofye Zltauern; auf
35
6en erften Ceil malte er ein Stuff eines Palafts/ 6er fid? an cincm grofen tt)al6
en6igte/mo er allerley Baume in Cebensgrofe fyerrlidj gebil6et/ je6en Baum nacfj
eigener 2trt an Stammen/ Slattern/ Colorit/ fo erfanntlid? / als ob fte raufcfyeten
un6 pom XDtn6e betregt rmir6en/aud) mit ringsfyerumgemacfyfenem £aubu?erf un6
tfrautern/aus 6em <5run6 ge5ieret/6af fidj Mefer grofen Baume ©riin6e erft in
6as an6ere Stuc! perlieren / unter melc^en aud? 6ie dontanansa J^inaus bis 511111
^orisont, wk auf 6em anfceren Stucf / t?ollig aufetnan6er corrcfponbieren. 2tuf 6as
an5ere Stu^ fartigte er eine gro£e offene £an6fcrjaft rcid? pon Bergen / H)affer=
fallen, fletnen Baumtcerf/ ®eftrauf / lirautern/ rei5en6en Ceutl?en/ BiI6ern un6
Cijieren/ 6ie fid? 5U 6er 6ritten Seiten einfled)ten / in tpeld^er etlidje Berge an einem
5ee=port/mit allerley Sdjiffseug/ aud? rtele in einem offenen miI6en 2ITcer
6ie H)tn6e beunrufyigte Scfjiffe. <Segen 6er r>icr6ten Seiten ftn& ausgetjolte ^
®rotten/mtt perfallencn Hutnen/Stucfen von ©ebau6en/ Statuen/ aUerley
menten 11116 miI6e On1 eve/ a lies 6ermafen meifter^aft gearbettet/ 6af In'erinn allein
6er Perniinftige urtl^eilen fann / 6af unfer (EIau6i (Silli 6as allerlpdjfte £ob in
£an6fcfyafts-'21Ial)len erljalten«. All dieses: das Waldinnere, wie die Ruinen
und Felsenlandschaften, noch mehr aber die Seelandschaft mit dem aufge*
regten Meer erinnert an die Fresken Brils im Palazzo Rospigliosi. Es sind
die damals noch iiblichen phantastisch*aufgeregten Themen, die wohl aus der
niederlandischen Kunst des vergangenen Jahrhunderts stammen. An die
idyllische in sich befriedigte Art der spateren Claudeschen Gemalde konnte
man nur bei der Hiigellandschaft mit kleinem Baumwerk und Gestrauch
denken — die freilich auch schon bei seinen unmittelbaren Vorgangern Bril
undTassi vorhanden war.
Daneben aber malte er »€an6fdjaften mit <£>ebau6en, fleine Bil6d?en auf
£einman6 o6er Jjols, 6ie er« — wie Sandrart schreibt — »rt»eil fte siemlicfy fd^Ied^t
6efto tDolfeiler perfaufte«. Wie diese ausgesehen und ob sie inhaltlich in der Art
der Fresken gewesen, lafit sich nicht feststellen. Die uns bekannten erhaltenen
Gemalde der — relativen — Friihzeit sind zunachst nicht datiert. Doch lassen
36
sich einige ungefahr zeitlich festlegen. 1636 erschien neben mehreren andern Ra#
dierungen auch eine » Ansicht des Forum Romanum «. Nun hat Claude mehrfach
Radierungen auf Grund seiner Gemalde angefertigt. Auch hier 1st anzunehmen,
dafl das mit der Radierung iibereinstimmende Louvre#Bild des Forums vorher,
also in der ersten Halfte der dreifiiger Jahre entstanden ist. n) Der Besteller
ist der Gesandte Frankreichs in Rom, Herr von Bethune, der seit 1627 wieder
in Rom weilte, — ein fast offizieller Auftrag, der zeigt, das Claude in hohen
Kreisen seines Vaterlandes kein Unbekannter geblieben war. Da Bethune die
sehr wichtigen politischen Verhandlungen mit dem Papst und Venedig 1629
zu einem Abschlufi brachte und, wie es scheint, sich bald darauf in das Private
leben nach Frankreich zuriickzog, so mufi sein Auftrag fur Claude in diese
Zeit fallen. Also auch das stiitzt die Annahme, daB das »/7orum« sowie das
dazu gehorige Pendant »Hafen bei Sonnenuntergang« in die friihe Zeit ge=
horen. 12) Schlecht erhalten, vielfach iibermalt, sind es doch feine und
charakteristische Stiicke. Campo vaccino (Kuhlager) wurde das Forum, das
damals noch unausgegraben und daher hoher im Niveau war, nach den
Kuhherden genannt, die aus der Campagna kamen und dort lagerten, und so
heiflt es auch bei Claude. Das kleine Bild ist ein wahrer »ricordo di Roma«,
aber nicht so sehr fur die Kenner und Antiquare, mehr fur die Empfinder,
denen die Schonheit Roms iiber Ruinen^Sentimentalitat hinaus in jenem
unnennbaren Duft besteht, den romische Luft iiber grofie Formen breitet.
Dieser Grofie, die jedoch ohne Starrheit, weil sie durch das Licht gebrochen ist,
geht Claude in seinen Werken nach. Man fiihlt seine noch tastenden Versuche
in dieser Richtung auch in diesem Bilde vom Forum, jenem romischsten aller
Pla'tze Roms, den so iiberaus viele Maler, die nach Rom kamen, gezeichnet
oder gemalt haben. Claude ist wohl einer der ersten, der dies malerische
Element, das den friihen Corot so reizte, zum Ausdruck bringt — vielleicht
inAnlehnung an Bril (der das Forum Sandrart zufolge radiert hat) und
seine Schule. 13) Dabei ist die topographische Situation nicht allzu sehr
37
CAMPO VACCINO (FORUM) (VOR 1636) LOUVRE, PARIS
vernachlassigt. Der Blick geht von dem teilweise noch in der Erde steckenden
Septimius#Severus*Bogen iiber das Forum hin nach dem Colosseum. Der
Triumphbogen und die schraggestellten Saulen des Saturn #Tempels dienen
als Seiten*Kulissen, zwischen denen sich die von Menschen und Tieren belebte
Flache offnet. Sie sind vom Rande iiberschnitten — jede archaologische Voll*
standigkeit ist damit vermieden. Um die Monotonie der schlanken Saulen
in ihrer Vertikalen zu unterbrechen, ist ein duftiger Baum schrag dahinter
gestellt — ein lebendiger Ton, der weich sich anschmiegend aus den Ruinen
in den klaren Himmel wachst. Hinter dieser Vordergrundbiihne mit den
Genrefiguren im Halbschatten geht tiber die Nuancen des Mittelfeldes
38
SEEHAFEN (VOR 1636). PARIS, LOUVRE
hinweg, ein wenig verhiillt, das friihe Licht, lagert sich auf den hellen Ge#
bauden, hiallt sie in eine zarte erstrebenswerte Feme und verliert sich gesteigert
in der klaren, nur wenig gefarbten Luft. Die Figuren sind — sicher nach
Claudes Anordnung — vermutlich von Jan Miel, einem Bamboccio = Schuler,
in Callotscher Manier gemalt. Sie treten auf der Radierung noch mehr hervor.
Auf dem Gemalde stort das Genremafiige und Anekdotische nicht so sehr
das innere Leuchten des Gesamten.
Das Pendant zu diesem Bilde ist die »Ansicht eines Hafens bei Sonnen*
aufgang« (eine solche Zusammenstellung: eine Landschaft und eine Marine
wurde haufig von Claude gefordert). Der Aufbau ist fast der gleiche wie
39
auf dem Campo vaccine = Bild, nur steht hier an Stelle des Triumphbogens
eine grofie Fregatte, die an den Masten die franzosische Flagge zeigt. Sie
wird ebenfalls von dem Bildrande uberschnitten, so dafi nur der vordere Teil
zu sehen ist. Ihr korrespondiert schrag gestellt wie die Tempelsaulen des
Forums ein schmaler, hoher, triumphbogenartiger Portikus mit Attika, die
oben mit Gras bewachsen ist. 14) Noch weiter schrag in das Bild hineinge*
baut eine Ansicht des Capitols mit dem zuriickliegenden Senatorenpalast und
dem seitlichen Konservatorenpalast. Die eine Seite (die damals noch nicht
zugebaut war) bleibt offen zu einer halbrunden Briistung nach dem mit
Schiffen bedeckten Meer. Zwischen diesen Kulissen entwickelt sich wie beim
Forum das Licht. Durch scharfe Strahlen wird die Vorderschicht, der Strand
hervorgehoben. Er ist ein wenig zu reichlich mit Genrefiguren besetzt -
schon das niederlandische Kostiim mancher Figuren verrat auch hier die
Hand Jan Miels.15) Ein dunklerer Wasserstreifen folgt zwischen Schiff und
Bogen. Dann erstrahlt silbernes Morgenlicht, gleitet an den Gebaudewanden
dahin, glitzertauf demWasser und steigert sich zu vollster Pracht am Horizont.
Dies die beiden einzigen Bilder, die aus der romischen Friihzeit, Anfang
der dreifiiger Jahre, gesichert sind. Claude ist schon ein Dreiftigjahriger, also
ein immerhin reifer Kiinstler. Es ist die gleiche Erscheinung, wie bei Poussin,
von dem wir auch kein sicheres Werk vorseinem drei* oder vierunddreifiigsten
Jahre kennen. Die erste Datierung eines Gemaldes ist 1639. Vorher liegt eine
ziemlich ergiebige Radierperiode urn 1636. Aber Claude mufi auch Bilder in
dieser Zeit gemalt haben, die genannten Freskogemalde werden ihn kaum bis
iiber 1630 oder 31 beschaftigt haben. Er mufi auch wegen dieser Bilder einen
gewissen Ruf genossen haben, das bezeugt einmal der halboffizielle Bethune*
Auftrag, dann aber auch eine Anekdote, die allerdings erst aus einem etwas
spateren Berichte stammt. Sebastian Bourdon kam als ganz junger Mensch,
nachdem er den Pinsel mit der Muskete und diese wieder mit dem Pinsel ver*
tauscht hatte, 1634 nach Rom. Dort verdiente er seinen Lebensunterhalt —
40
durch Falschungen: Nachahmungen heriihmter Meister. Claude zeigte ihm
eine grofie angefangene Landschaft, und Bourdon hatte nichts Eiligeres zu
tun, als sie glatt zu imitieren und auszustellen. Claude geriet dariiber in groBen
Zorn, dem aber der geschickte Bourdon, der schliefilich Rom doch zwangs*
weise verlassen mufite, entwischte. Also gehorte Claude schon 1634 zu den
Malern, die es sich lohnte nachzuahmen. Auch Sandrart, der ja schon 1635
Rom verlaflt, berichtet, dafi Claude allmahlich »r>ermittels grofer 21rbettfamfeit
un6 continuirlicfyer Hadjfet^ung alfo fyod? in 6er Zcatiirlid?feit geftiegen / 6af feine
€an6fdjaften r»on 6enen Siebfyabern allentfyalben gefud?t / fleif ig erfaufft / un6 an
unterfd}ie6Iicr/e (Drte fyin rerfanM/ and? gleid? trie fie anfangltcfy fer/r fd7led}t un6
gering geadjtet / alfo ftn6 fie fjernadj tr>ert un6 tpofyl fiir Ijun6ert / ja mefyr @ol6=
(Evonen rerfauft tcor6en / fo6af er 6erfelben / unangefefyen er ftets fleif ig gearbeitet /
nidjt genug madjen fonnen«. Er scheint anfangs nur in kleinem Format ge*
arbeitet zu haben — auch die Bethune^Bilder sind ja relativ klein. Sandrart
tauschte mit ihm Bilder aus, » feine fleineren gegen meine groferen €an6fdjaften/
unter an6eren ijat er mir iiberlaffen eine 2TTorgenftun6 / 6artnnen etgentlid7 5U er-
fennen / tme 6ie Sonne etmas 5tr>ey Stun6 iiber 6em £)ori5ont auffteigenb 6ie neb=
lidjte €uft t>ertreibet / un6 6er Cf^au iiber 6em IDaffer fd)tr>eben6 / in 6er H)al)i---
f}ett fid) pcnmm6erlid? r/inein perlieret / 6tc Sonne fpielet nad? Proportion iiber 6ie
(Brun6e therein / 6af ift faft irafyrfyaft 6em £eben gleid) / ©raf / (Beftrdu|| un6 Baume
beleud)tet / un6 alles in naturlid^eni Cidjt un6 Sd?atten faint 6er Heflerion perfect
5eiget, alfo gleidjfam 6ie 6iftans eines je6en nad) Proportion absunteffen/ un6 correft,
tt»ie in 6em £eben felbft 5U for6ern ift / ir>ef?fyalben aud) nid]t o^ne Urfacfy £)err 2t6rian
Pan 511 2Imfter6am bey meiner ^Ibreif mir fi\nf^un6ert (SuI6en fiir 6iefe 6rey Spannen
lange £an6fd?aft besa^Iet I?at«. Also eine Landschaft, die schon alle Requisiten und
vor allem die luminaristischen Bestrebungen Claudes aufweist: die Vegetation,
die beleuchteten Baume am siidlichenMeergestade oder an einem seeartigenFlufi
und die Morgensonne, wie sie die nebliche Atmosphare durchdringt (wie auf
einem Hafenbilde des Louvre »Effet de soleil voile par une brume«).
41
LANDSCHAFTMITDER PSYCHE. ROM, COLL.PALLAVICINI
In relativ friihe Zeit mochte ich ein Bild rechnen, das fiir den Kardinal
Rospigliosi gefertigt 1st, in dessen Palast auch Bril und Tassi arbeiteten ( jetzt
Coll. Pallavicini, Rom). Doch darf man es nicht als reine Naturstudie nehmen,
denn wie die Zeichnung des Liber veritatis zeigt, ist das jetzt erhaltene Bild
nur ein Bruchstiick. 16) An den Wald schlofi sich rechts noch ein weiter
Ausblick an, so daft ein iiberlegt komponiertes und ausgewogenes Ganzes
entsteht. Das Waldinnere hat noch ganzlich den Charakter von Claudes
42
C/1
H
wundervollen friihen Baum* und Laubstudien behalten. Auch hier zeigt
die Beherrschung der Lichtbehandlung bis zu den kleinen Tempelchen des
Hintergrundes und die besonders fein empfundene Art, wie die Flote blasende
arkadische Gestalt und die kleine Herde sich dem Ganzen einfiigen, den schon
reifen Kiinstler. 17)
Claude war wohl in manchen der friihen Gemalde noch etwas befangen
in der Tradition der unmittelbar vorangegangenen Meister: Bril, Tassi, auch
Elsheimer. In den Bethune*Bildern des Louvre kommt er jedoch trotz des
etwas Schematischen und noch Starren zu eigenem Stil, dem des Lichtes. Der
Eindruck des Niederlandischen, den diese Bilder auf manche Betrachter ge*
macht haben, ist zum grofien Teil auf die Figuren zuriickzufiihren, die genre*
mafiig und noch nicht mit dem Landschaftlichen verbunden sind. Wo er
auch darin frei waltet, wie in den Radierungen von 1636, zumal in dem
y>Bouvier«, ist auch dieser Rest verschwunden.
Gegen Ende des Jahrzehnts wird Claude ein neuer offizieller Auftrag zu*
teil. Aber diesmal sind die Masten seiner Fregatte nicht mit franzosischen
Wimpeln geschmiickt. Von der hochsten Stelle seines romischen Adoptiv*
vaterlandes bekommt er den Auftrag gleich fur vier Gemalde. Kardinal
Bentivoglio, der viel Beziehungen zu Frankreich unterhielt und dort papstlicher
Nuntius war, hatte ihn empfohlen und dem Papst einige Gemalde Claudes
gezeigt, von denen der kunstliebende Barberini sehr begeistert war. Von den
vier Bildern, die der Papst daraufhin bei Claude bestellte, ist das eine Paar
in den Louvre gekommen — wiederum Landschaft und Marine. Im Besitz der
Familie Barberini befindet sich davon noch eine »Ansichtvon Castel Gandolfo«.
Die dazu gehorige Marine ist verschollen. Die Louvre* Bilder sind grofieren
Formates 18) — vermutlich waren sie vom Papst als Geschenk fur den fran*
zosischen Konig bestimmt. Claude wollte und sollte hier mehr aus sich heraus
gehen. Das zeigt sich auch in der freieren Komposition. Freilich nicht so
sehr bei dem »5eeAa/en«,19) der iiberdies durch Restauration recht verdorben
45
LANDLICHES FEST (1639). PARIS, LOUVRE
ist. Der Aufbau ist wesentlich der gleiche, die Figuren sind im Verhaltnis
kleiner, treten daher weniger hervor, sind aber auch noch sehr »bambocciohaft«,
genremafiig behandelt (z. B. zwei sich Priigelnde ganz vorn). Das Licht
stromt von der im Dunst schwimmenden Sonne durch eine enge Gasse bis zu
den leichten lichtbetonten Wellen des Vordergrundes. Durch diese starker
zentrale Anlage wird das Auge zu festerem tektonischen Zusammenfassen und
Empfinden des Lichtes als hauptkiinstlerischen Elementes unmittelbar ge*
zwungen. Das »Landliche Fest« zeigt die Bildbiihne durch eine Mittelbaum*
gruppe mit dtinnen, teilweise schragen und sich kreuzenden Stammen in zwei
ungleiche Teile aufgeteilt. Ahnlich liebt es auch Poussin auf seinen Kom*
positionen der dreifiiger Jahre. Das vertikal Starre der Seitenkulissen wird
dadurch gelockert und belebt. So entstehen dioramenartige Durchblicke auf
46
ANSICHT VON CASTEL GANDOLFO (1639). ROM, PAL. BARBERINI
die lichterfiillte Feme. Eine grofie Romerbriicke trennt den Hauptteil ab, der
schmalere Durchstich la'fit den Blick auf hochgelegenes Dorf und Hugel frei.
Die Figuren sind noch immer genremafiig, doch gut in die Landschaft hinein*
gesetzt. Der Charakter ist der eines Singspieles. Vornehme kommen von
der Jagd und nehmen an dem bauerlichen Vergniigen teil. Einem improvi*
siertenTanz, einem » saltarello « des einen Paares schauen die anderen stehend
und sitzend zu. Die Ahnlichkeit mit den Figuren der Bethune#Bilder ist
grofi, so dafi wiederum auf die Mithilfe Jan Miels geschlossen werden darf.20)
Die »Ansicht von Castel Gandolfo«2l\ Rom, Pal. Barberini, ist in gewissem
Sinne eine »Portratbestellung« Papst Urban VIII. Denn sie zeigt — allerdings
47
KOSTENLANDSCHAFT (1642). BERLIN, K.FR. MUSEUM
nur im Hintergrund — den fiir ihn von Maderna erbauten Sommerpalast iiber
dem steilen Abhang des Albanersees. Also diesmal eine fast topographisch
genaue Wiedergabe — freilich nicht in dem Sinn, dafi auf Details Wert gelegt
ware. Hauptsache bleibt doch der sehr liebevoll behandelte Vordergrund mit
dem Strauchwerk, den schonen Baumen gegen die blaue Luft und den musi*
zierenden Landleuten. Mit ihm schlieBt sich hellgelockert fast zu einem Kreise
der Krater des Sees zusammen mit Schlofi und Dorf und der ganz lichten
atmospharischen Weite.
Einer ahnlichen Teilung wie auf dem landlichen Fest begegnet man auch
auf der wenige Jahre sparer entstandenen »Kiistenlandschaft«22) im Kaiser*
Friedrich* Museum in Berlin. Auch hier teilt die schone weiche Baumgruppe
mit gekreuzten Stammen das Bild in zwei ungleiche Teile. Auch trifft man
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den kahlen, diesmal lebendiger gedrehten Baumstamm mit weifiem Zelt hart
am Bildrand. Ihm entspricht die lichte Saulenhalle einer Tempelruine etwas
welter zuriick an der anderen Seite. Das noch etwas Starre des Barberini*
bildes ist gelockert, das Terrain des Vordergrundes durch die ansteigende
Bogentreppe interessanter gemacht. Die Figurenzahl, die auf den friiheren
Bildern storen konnte, ist sehr herabgemindert. Sie ist wesentlich auf eine
Gruppe beschrankt, die nun nicht mehr den niederlandisch^derben Charakter
tragt, sondern im Einklang mit der duftigen Stimmung sich anmutig, idyllisch=
arkadischgebardet: ein Schafer, der die Flote blast, und eine sitzende Schaferin.
Figuren und Landschaft sind so im Einklang. Auch die Farben der Kleider,
die bekannte Trias: Rot, Blau und (Gold*) Gelb sind gedampft, stechen,
wie fast immer bei Claude, nicht heraus. Durch den schmalen Durchblick
sieht man auf Castell und Berg, der breite Ausblick geht iiber graugrune
Biische hinweg auf das Meer und die sonnenbeglanzte Feme.
In den dreifiiger und vierziger Jahren warenMarinen immer mehr Claudes
Spezialitat geworden, fur die er reichlich Bestellungen empfangt. Es sind, wie
dies auch aus den Zeichnungen des Liber Veritatis hervorgeht, eigentlich nur
Varianten derselben Motive: Schiffsvorderteile und Kirchenfassade mit vor*
gebautem Portikus als Riickschiebkulissen, Riesenpalast weiter zuriick und
Hafeneinfahrt mit Leuchtturm, Volksmenge mehr oder minder genremafiig
am Strande, Boote und einstromendes Licht. So in Florenz, so in London 23)
(beide Bilder um 1644). — Unter diesen Marinen gibt es einige beriihmte
Pracht* und Hauptstiicke, wie die » Einschiffang der heiligen Ursula«u) von
1646. Es ist wiederum die iibliche Komposition Claudes: die schmale Ein*
fahrt auf der einen Seite von Prachtgebauden (darunter ein Portikus im
Halbrund an S. Pietro Montorio erinnernd) besetzt, auf der anderen von den
Vorderteilen der Fregatten. Durch diese Gasse stromt iiber die hohen Masten
51
EINSCHIFFUNG DER KONIGIN VON SABA (1648). LONDON, NAT. GALL.
eines einfahrenden Schiffes hinweg das Licht aus dem verschleierten Himmel,
spiegelt sich auf den kleinenWellchen, beleuchtetdieBoote und die paar Hafen*
arbeiter am Ufer vorn. Die Hauptaktion ist ganz an die Seite gedrangt — auch
diesmal nur in kleinen Staffagefigiirchen. Aber es ist doch, zum ersten Male,
eine groBe feierlicheHandlung,zu der diePrachtentfaltung der Architektur paftt.
Die Frauen, die die Heilige umgeben, kommen in langem Zuge aus dem Tempel
die Stufen herunter zu den Booten, die sie fortfiihren sollen. Bei Poussin wiirde
eine solche Szene stets im Vordergrund stehen. irgendwie dramatisch zugespitzt.
Hier wirken die Figiirchen nur als farbige Flecke, ordnen sich dem Gesamten -
Architektur, Wasser, Licht — unter, geben nur noch den letzten Akzent der
Feierlichkeit. Trotz dieses grofien Charakters liegt doch iiber dem Ganzen soviel
52
HAFEN (1643). WINDSOR
Frische und Liebenswiirdigkeit, dafi auch das architektonisch Gebundene nicht
mehr starr und steif erscheint, und die Zeremonie ein fast heiteres Begebnis
wird. Die Figuren haben nicht mehr niederlandischen Typus — nicht Jan
Miel, sondern Filippo Lauri ist hier wohl helfend eingesprungen.
Diese zeremonios^feierlichen Hafenbilder konnte Claude kaum oft genug
wiederholen.25) Auf den Inhalt kommt es durchaus nicht an, ohne Unterschrift
ware er oft schwer zu erraten. Es soil nur ein bedeutendes Ereignis vor sich
gehen, das mit der grofien architektonischen Linie und dem Strahlen des
Lichtes zusammenklingt. Ein beruhmtes Prachtstiick ist das fur den Herzog
von Bouillon gefertigte: »Die Einschiffung der Konigin vonSaba«.26) Einefeier?
liche Geste ist durch die machtig ragende korinthische Saulen* und Pilaster
53
ordnung geschaffen, die das Bild auf der einen Seite bis oben hin einrahmt.
Das Starre daran wird durch den Bug und das schrage Takelwerk der Galeere
dicht dahinter gemildert. Auf der anderen Seite entspricht dem Aufbau ein
Palazzo mit vorkragendem Portikus und Freitreppe. Durch Mole und Turm*
briicke wird der Hafen nach hinten zu fast gesperrt. Boote und Personen des
Vordergrundes sind sparsam, aber kompositionell sehr iiberlegt verteilt. Sie
lenken den Blick auf die Hauptaktion, die aber wiederum ganz unscheinbar
seitlich vor sich geht: die Einschiffung der Konigin, die mit ihren Frauen die
Treppe hinabsteigt. Ein weicher schemer Baum ragt hinter dem Palazzo, nimmt
den Vertikalen durch seine Rundung ihre Harte. Die Luft ist voll von Dunst
und Morgenwolken. Das Meer schimmert bis zum scharf gezogenen Hori*
zont, der in etwa zwei Fiinftel der Bildhohe gezogen ist, wie ha'ufig bei
Claude (schon Baldinucci hat dies bemerkt). Die Sonne steht schon ziemlich
hoch iiber dem Horizont, und ihre Strahlen fallen den Dunst durchbrechend,
aufleuchtend wie in einer Furche, auf die Wogenkamme. Alles ist bestimmt
hingesetzt; das Wasser mit den hellen, ziemlich pastosen Lichtern ist frisch
bewegt, ungemein malerisch bis in die Halbtone hinein niianciert. Der licht*
durchdrungene Luftton lagert iiber allem.
Freier, weil ohne historisches oder zeremonielles Beiwerk, ist der Hafen
von 164:3 in Windsor. 27) Der Portikus des Bethune*Bildes hat sich gewisser*
mafien verdoppelt, so dafi zwei dieser schmalen und hohen Tore als Wachter
schrag von der Seite her in das Bild hineinragen. Dafiir ist die Gebaudeflucht,
die sonst etwas monoton die ganze Seite bis tief in den Grund hinein aus*
fiillte, hier in zwei vom Wasser umspiilte, ganz duftig gemalte Rundtiirme
aufgelost. Zwischen ihnen ahnt man nur noch die Feme mit Stadt und Berg.
Dadurch ist viel mehr Spielraum fur Luft und Licht gewonnen. Die Zahl der
Vordergrundfiguren ist auf eine Hauptgruppe vermindert — ballentragende
Manner. Auch das Wasser ist von uberfliissigen Schiffen und Booten geraumt.
Das Anekdotische fallt fort; die Seeluft kann frei iiber die gekrauselten und
54
HAFEN IM NEBEL (1646). PARIS, LOUVRE
von der untergehenden Sonne gefarbten Wellen streichen. — Noch mehr auf
»Stimmung« gestellt ist der 1646 datierte, ganz erstaunliche »Hafen im Dunst«
im Louvre. 28) Die Sonne steht hinter einer Dunstwand, durchleuchtet aber den
feinen Nebel und durchdringt alles mit ihrem verschleierten Licht. Auch die
Architekturen scheinen dadurch gelockerter, geloster. Eine atmospharische
Studie fast im Geiste der Impressionisten — natiirlich nicht so weitgehend wie
etwa bei Monet und vor allem noch nicht in ihrer zerteilenden Farbtechnik. —
Das Gleiche gilt auch von der wundervollen Petersburger » Marine beiSonnen-
aufgang«. Das Thema ist auch hier dasselbe: wie die Sonne den Morgendunst
durchbricht, sich im bewegten Meer spiegelt und wie alles dadurch aufgelost,
locker, flimmernd wird. 29)
* *
#
55
Neben diesen Hafenbildern, deren Stil immer grofier wird, und deren
Tendenzeri immer luminaristischer, gehen Landschaften einher. Sie sind freilich
auch in Luft und Licht getaucht, locken aber nicht ganz so zu fast meteoro*
logischen Beobachtungen, wie die Wasserflache mit den ewig wechselnden
Erscheinungen der Wellen, des dariiberlagernden Dunstes, des weiten Him*
mels und der Luftspiegelungen. Dafiir entwickelt sich der besondere Reiz
idyllisch arkadischen Charakters, der siidlichen Vegetation, des gegliederten
bewegten »Erdlebens«, der Bache und stillen Wasserflachen bis weit hinein
in die blauen Fernen mit dem leuchtenden, so wundervoll durchsichtigen
Himmel jener gesegneten Gegenden. Wie bei den Marinen wird jetzt auch
die Staffage aus dem Genrehaften ins Marchenhaft*Mythologische gehoben.
»Cephalus und Prokris«, »Narciss und Echo« TO) heifien jetzt die Titel der
Landschaften um 1645. Die Vegetation erscheint in solchem Traumland
iippiger zu sprieBen, aus dichtem Buschwerk ruft die sehnsiichtige Nymphe,
Narcifi kniet am klaren Gewasser und bewundert sein schemes Antlitz.
Oder in der Art der Schlummernden auf dem herrlichen Prado*Bacchanal
Tizians (das Poussin so liebte) ruht eine nackte Schone auf einem Grashiigel,
und iiber sonnenbeglanzte Biische und Baume hinweg geht der Blick in die
lichtatmende Feme.
Einen solchen Charakter tragt die besonders schone » Landschaft mit der
Flucht nach Aegypten« in Dresden. 31) Mit absichtlicher Vernachlassigung ist
hier die biblische Szene, die ja an sich zur Idylle einladet, ganz in den seit*
lichen Hintergrund verwiesen, so dafi die winzigen Figiirchen nur als braune,
rote, blaue Flecke aus dem Waldesschatten schimmern. Dafiir ruht das Auge
wohlig befriedigt auf dem Pastorale ganz vorn, das ebenso gut eine Mythologie
darstellen konnte. Ein paar glatte falbe, weifi und braune, kurzhornige Kinder,
ein Hirt in rotlichem antiken Chiton, der zu einer in blauem Gewande da*
sitzenden Schaferin redet, und ein paar Schritte entfernt eine in schoner Pose
knieende, wasserschopfende Frau. Um diese in einem Oval zusammengefafite
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Idyllengruppe entwickelt sich im Einklang mit ihr, in breitenWellen flieBend,
die Landschaft. Grime und gelbe Graser, Krauter und Blumen sprieBen am
vorderen Rand weich und hell hingesetzt. Braune Schatten durchqueren sanft
den griinen Rasen. Aus milden Obergangen heraus steigt seitlich, die ganze
Hohe ausfiillend, eine ungeheure Waldarchitektur empor. Sie setzt sich zu#
sammen aus dunklen Baumen, deren Stamme und Aste sich iiberschneiden.
Schatten spendend und kiihlend offnen sie sich unten zu einer Gasse, aus der
die heilige Familie hervorleuchtet. Nach der offenen Luft hin losen sich mehr
und mehr die schweren Laubmassen. Helles Griin, breitgefiedert, schimmert
gegen dunkleren Laubkomplex und zeichnet sich ab gegen den gelblichen
Himmel. Nach unten zu runden sich Biische, die Steile des Baumes mildernd;
scharf, bestimmt, mit kleinen Menschen* und Tierfigiirchen besetzt, zieht sich
von da aus der steile und gewellte Flufirand nach der unteren Ecke des Ge*
maldes. Eine fast diagonale Teilung. Jenseits dieses Grenzraines ofrnet sich
der Blick in eine bewegte und das Auge sehnsiichtig dahinziehende FluBland*
schaft mit blauem Wasser, weifien Stromschnellen, blaulichen Kaskaden und
Boschungen, auf denen Biische griinen. Magere Baumchen, deren Gerten*
stammchen sich verschranken, unterbrechen die weite Dehnung, ohne das Auge
aufzuhalten. In parallelen Schichten geht es weit und weiter hinein in den
lasierten Grund, wo sich ganz weit zuriick eine Wunderstadt erhebt, und in
zartem und doch stolzem Kontur ein wie ein Segel geblahter Berg. Uberall
erstrahlt warm der Himmel, dessen Gelb weiter oben in Blau iibergeht und
in dem weiBe Wolkchen schwimmen. Die Verbindung bedeutender Formen,
in sich beruhigt und zusammengefaBt, mit abgestufter, geloster, sich verlierender
Feme, voll von Licht, gibt die Ruhe, die doch nicht frei ist von Sehnsucht,
ein Gliick, das in sich befriedigt, aber nie wunschlos ist.
Eine andere »Ruhe auf der Flucht«. befindet sich in der Galleria Doria
zu Rom. 32) Die Legende ist hier viel mehr gegenstandlich in den Mittelpunkt
geriickt und zwar in einer sehr anmutigen Form. Ein Engel kniet vor der
59
RUHE AUF DER FLUCHT. ROM, PAL. DORIA
Madonna und reicht dem Kinde Blumen oder Friichte aus einem Korb.
Joseph macht sich mit dem Esel zu tun. Vergleicht man das ungemein klare
und heitere Bild mit dem Dresdener, so wird man fmden, dafi es noch nicht
die GroBe und den Reichtum dieses Gemaldes hat. Trotz des seitlichen Aus*
blickes in feucht#dunstig erhellte Flufiferne mit Briicke und Berg bleibt das
Ganze doch noch ein wenig innenraumlich begrenzt und erinnert an das
Pallavicini^Bild, noch mehr an seine Erganzung (s. oben S. 42 f.), so dafi man
versucht ist, das Bild relativ friih anzusetzen. Dagegen spricht die Meister*
schaft in der Behandlung der Laubbaume und der Palmen. Dann aber auch
die nicht unwahrscheinliche Behauptung des Katalogs der Galleria Doria,
60
MERKUR STIEHLT DIE KINDER DES ADMET (UM 1647). ROM, GALL. DORIA
LANDSCHAFT MIT FLUSS. LONDON, HERZOG V. WESTMINSTER
dafi samtliche Bestellungen des Fiirsten Camillo Pamphilj an Claude zwischen
1646 und 1648 gefallen sind.
Dazu wiirde dann auch das reizende Bildchen bei Doria* Pamphilj ge=
horen: » Merkur stiehlt die Rinder des Admet«. Auch dies hat noch etwas Be*
grenztes, ist obendrein durch Hochformat und durch seine Kleinheit (fiir diese
Zeit) auffallig. Aber es ist wiederum ganz vortrefflich in der Komposition
auch der Figuren (wohl von Lauri) in Verbindung mit den ganz locker ge*
malten Baumen. Ebenso in den starken Lasuren, die jenseits des ruhig blauen
Wassers die Feme kennzeichnen und verschwimmen lassen, und auch in der
klaren Luft, die von leicht Orange zu Blau (mit weifien Wolken) aufsteigt.
So daB der Tradition hier noch mehr Glaube zu schenken ist. 33)
63
DIE MUHLE (KURZ VOR 1648). ROM, GALL. DORIA
Das Jahr 1648 ist fur die Geschichte der Landschaftsmalerei nicht un*
wichtig, denn von hier ab datieren die ersten reinen Landschaften von
Nikolaus Poussin. Sein ernster, heroischer, tektonisch zusammengefafiter
Landschaftsstil ist auf Claudes Arbeiten sicher nicht ohne Einflufi geblieben, die
von nun an auch einen mehr ins Grofie aufgebauten Charakter bekommen.
Claude malte damals fur einen deutschen Fiirsten M) die schone » Abend'
landschaft«, die sich jetzt bei dem Herzog von Westminster in London
befindet. Das Pendant dazu fur den gleichen Besteller ist 1648 datiert. So
diirfte auch jenes Bild aus der gleichen Zeit sein, obgleich es nicht so frei
und reich ist wie das Dresdener. Aber es eroffnet die Reihe jener groflen
64
DIE MOHLE (1648). LONDON, NAT. GALL.
Flufibilder, in denen man geradeaus iiber die weite Wasserflache dahin bis
zu dem — haufig mit einer Briicke abgeschlossenen — Grunde sieht. Dahin
gehort auch das fast beriihmteste Gemalde Claudes, »Die Muhle«. 35) Das
Bild fur den Fiirsten Pamphilj gemalt, befindet sich noch heute im Besitz der
FamilieDoria*Pamphilj. Es erregte solchenBeifall, dafi der Herzog von Bouillon
sich eine Replik bestellte, die sich, 1648 datiert, in der National *Galerie zu
London befindet. Der Unterschied zwischen beiden Bildern ist sachlich un*
bedeutend (das Obergewand der Tanzerin ist in der Replik aus einem weifien
in ein rotes verwandelt worden). Doch ist das Londoner Bild noch heller,
festlich strahlender. Auch der Himmel ist klarer, die Baume sind lockerer.
65
Das Original diirfte wohl kaum langere Zeit vor der Wiederholung entstanden
sein. Auch gesellt sich der allgemeine Charakter durchaus zu der eben er*
wahnten Westminster #Landschaft und in manchem auch zu dem Dresdener
Bild. Nur erweitert sich der Flufi hier zum breiten Strom, ja fast zum See.
Er liegt zu Fiifien in spiegelnder Flache da. Seine Linien, regelmafiig und
wenig unterbrochen, klar zusammengefafit, vermitteln eine heiter festliche
Stimmung. Dazu pafit auch das hohereThema mit den hier wieder ziemlich zahl*
reichen Figuren. Auf das Londoner Bild hat Claude ausdriicklich geschrieben:
» Manage d'lsac avec Rebeca«. Dargestellt ist eine Hochzeitsgesellschaft, die sich
im Kreis um ein Tarantella tanzendes Paar versammelt und ihm zusieht. Also
eine ahnliche Szene wie auf dem »Dorffest« von 1639. Nur sind die Figuren hier
reicher antikisch gekleidet und anmutiger (vermutlich wiederum von Lauri).
Die Gesellschaft ist auf einem Plateau versammelt, lagert auf dem mattgrunen,
von braunen Schattenstufen durchzogenen Rasen. Ihre roten und blauen Ge*
wander geben einen freudigen Akzent. Blumen und Blatter sind auch hier
wieder stillebenartig ausgefiihrt. Dazu kommt noch ein Stilleben anderer
Art: metallene Gefafle fur die Speisenden auf den Rasen gestellt (natiirlich
nicht von der Hand Claudes ausgefiahrt). Seitlich ragt wieder die Riesen*
baumkulisse mit ihren charakteristischen olivgriinen und rostbraunen Tonen,
die sich am Rande saftgriin gegen die Luft absetzen. In einem einzigen Aufragen
sich nach oben sanft neigend und verbreiternd, nimmt sie die ganze Hohe des
Bildes ein. Ihr Schatten fa'llt iiber die gewellte Flache des Bodens, von Sonnen*
strahlen unterbrochen. Auch die Festgesellschaft taucht darin ein und fiillt die
ganze eine Halfte der Biihne mit ihrem bunten und freudigen Leben. Jenseits
eines tief eingerissenen, diagonal gefuhrten Grabens, den Rinder beleben und
eine Briicke iiberspannt, ziehen blinkende Gepanzerte die Strafie entlang.
Es sind ganz kleine Figurchen (wohl das Reisigengefolge Isaks), und sie tauchen
ahnlich entfernt in den Schatten des Waldchens ein, wie die heilige Familie
in Dresden. Hier bleibt der Hintergrund relativ geschlossen, doch leuchtet
66
zwischen den Baumen ferner, heller Fels durch. Am Rande des Gebiisches,
neben einem Rundtempelchen und einem Sarazenenturm liegt das kleine Ge*
ba'ude, das dem Bilde den Namen gegeben: die Miihle mit dem Rad, scharf
durch Beleuchtung hervorgehoben, hart am Wasser der buschbewachsenen
Bucht. Hier beginnt nun die durchsichtige Helle und Freudigkeit der Luft
und des Wassers, die das heitere Leben auf der Uferhohe begleitet. Der
breite, sanftblaue Wasserspiegel wird, in der Sonne glanzend, von lang sich
hinziehender, weifier Kaskade unterbrochen, um sich in einer neuen noch
duftigeren Flache in weitem Bogen nach der Feme zu verlieren. In ihrem
Dammer taucht eine Briicke auf und an den schimmernden Ufern eine Stadt.
Flach gelagerte Berge bilden den Abschlufi. Das Blau des Himmels gewinnt,
nach oben hin sich intensiver farbend, immer mehr Kraft. Das Dresdener
Bild ist in seinen mannigfachen Abstufungen kiinstlerisch vielleicht noch hoher
einzuschatzen. Die grofie reine Linie, der ganz klare Aufbau und die von
dem Frohsinn des Lichtes durchstromte Atmosphare haben dem Doria* Bilde
die Herzen der Menschen gewonnen.
Die Galleria Doria, die an Landschaften Claudes (und auch Dughets)
so reich ist, besitzt ein anderes Gemalde, das an Schonheit und Klarheit des
Ausdrucks mit der » Miihle « wetteifern kann. Es ist ebenfalls fur den »principe
Pamfile« bestimmt gewesen und zeigt die gleichen MaBe. Moglich, dafi es
ein Pendant zur »Miihle« bildete — es brauchte ja nicht unbedingt eine Marine
zu sein, die von jetzt ab iiberhaupt nicht mehr so haufig auftritt. Es ist die
»Landschaft mit dem Apollotempel zu Z)e/os«. 36) Machtiger als je steigt hier
die aus weichen Biischen sich jah erhebende Baumgruppe mit wohlig breit
gedehnter Krone auf in vielgestaltiger Silhouette, durchbrochen von den warmen
gelben Tonen des durchschimmernden Himmels. Sie beherrscht zentral gestellt
den Mittelgrund, dadurch das ganze Gemalde und teilt es in zwei Durchblicks*
halften. Von der seitlichen Baumkulisse der »Miihle« ist nur noch ein schmaler
Streifen geblieben, der sich interessant zackig am Bildrand hinschiebt. Im
67
APOLLOTEMPEL. ROM, GALL. DORIA
Schatten dieser knorrigen Baumelagert, farbigbetont, wiederum dieGesellschaft.
Nur tragt sie diesmal zu ernsterem Zweck Opfergefafie bei sich. Der Blick
folgt ihren Gesten schra'g hinan, die breite Strafie und Briicke entlang, auf
der Opferziige zu dem Prachtbau, dem Tempel Apollos, wallen. Er erscheint
im Durchblick zwischen Mittelbaumgruppe und einer Palastecke: ein phan*
tastischer Zentralbau mit hohem Tambour, flacher Kuppel und vorgelegtem
Portikus. Wie etwas Unwirkliches, Zauberisches steht er gegen den wolkigen
Himmel. Wieder offnet sich auf der anderen Seite iiber Biische, Baume,
Gebaude hinweg der Ausblick auf die von der Sonne verklarte Landschaft.
Uberall breitet sich silbern und fein das Licht, iiberall leuchtet es: auf den
68
DAVID UND SAMUEL (1647). PARIS, LOUVRE
Bergen, dem blinkenden Wasser des Flusses, in dem blauen Himmel, aber es
durchdringt auch die Schatten, die kunstreich abgewogen gegen die Licht*
strome stehen und mit ihnen in einer gliicklichen Harmonic wechseln. -
Nicht unverwandt damit, aber nicht auf der gleichen kiinstlerischen Hohe steht
das Louvre #Gemalde » David und Samuel^, 37) das ein Jahr friiher, 1647, ent*
standen ist. Die Gruppe der Frauen unter dem Baum erinnert an das Delos*
Bild. Es ist eines der Zeremonienbilder, die Claude um diese Zeit liebt oder
die von ihm verlangt werden. Die Architektur spielt hier eine fast grofiere
Rolle als die Landschaft: die schone offene Halle, in der die Kronung Davids
vor sich geht.
69
DIE FURT. PARIS, LOUVRE
Ebenfalls mil der Jahreszahl 1648 bezeichnet ist das schone (leider etwas
verdorbene) Bild des Louvre »Die Furl*.*® Wieder sieht man in gerader
Richtung in das Gewasser eines breiten Fluftes und iiber weites Land hinweg
in das aufleuchtende Meer, da wo an der Flufimiindung der Turm des kleinen
Hafens Marinella sich erhebt. Das Ufer desVordergrundes saumt die bekannte
prachtige Baumgruppe, unter der hier zwei junge Frauen mit einem Jiingling
plaudern. Von den Hirten angetrieben zieht zu dem anderen, mit Gebiisch,
diinnen Baumen,Tempelruinenbesetzten Ufer eine Rinderherde, die vorsichtig
ihren Weg durch das seichte Wasser sucht. Abendbeleuchtung hiillt das
Ganze in den warmen Ton der Dammerung. (Dies bukolische Thema der
70
DIE FURT BEI ABENDSTIMMUNG. MADRID, PRADO
»Furt« hat Claude oft beschaftigt bis in seine spate Zeit hinein. Relativ friih
diirfte die Landschaft mit den vier das Wasser durchwatenden Kiihen , den
kauernden Hirten und den Tempelruinen im Prado sein. 39) Erst danach ist
dann die nur in der Gesamtanlage aber nicht in den Details verwandte Radierung
»Le bouvier« von 1636 gemacht.)
Claudes Ruhmsteigtimmerhoher. NichtnurromischePralaten.franzosische
hochgestellte Amateure, deutsche Prinzen bewerben sich um seine Gunst. Audi
der Konig von Spanien bestellt — vielleicht durch Vermittlung von Velasquez,
der Ende der vierziger Jahre in Rom eintraf, um Kunstwerke fur Philipp IV.
zu erwerben — eine ganze Serie von Gemalden bei Claude. ^ Die Sujets be*
handeln zwei Heiligengeschichten: die y> Einschiffung der heil. Paula in Ostia«,
»Beerdigung der heil. Sabina in den Triimmern Roms«, sowie zwei alttestamen*
tarisciie: »Auffindung Mosis« und »Tobias mit dem Engel«. Die Vorgange
71
spielen hier wiederum kerne groBe Rolle, wenn sie auch bei einem so offiziellen
Auftrag nicht so ganz zuriickgedrangt werden konnten. Die Hauptsache bleibt
das Landschaftliche oder Architektonische gesehen durch das Atmospharische:
die schmale, lichtdurchstromte Wassergasse von Prachtgebauden gerahmt, die
romischen Ruinen mit dem Colosseum, hinter denen der Dunst lagert, die
Baumgruppe und der sich windende Flufi mit dem Durchblick auf weite,
lasierte Feme. Berge und Horizon! sind im Licht aufgelost, dariiber die auf*
steigende Bla'ue des Himmels. Die Figuren (z. B. der Engel auf dem Tobias*
Bild) tragen den Charakter derer auf der »Miihle«, konnen also auch von
Lauri sein. 41)
Aus dem Rahmen seiner sonstigen Gemalde fallen zwei Bildchen inhalt*
lich und formal heraus, die fur den jungen Henri Louis de Lomenie, Herzog
von Brienne, gemacht sind. Er ist unter den Amateuren besonders bemerkens*
wert, weil er zuerst einen Katalog seiner Sammlung »de pinacotheca sua«
1662 herausgab, worin auch die beiden Bilder erwahnt werden. Sie sind
» Claude in Roma 1651 « gezeichnet, sonst wiirden sie wohl noch starker be*
zweifelt worden sein, zumal sie im Liber Veritatis nicht erwahnt und, was un#
gewohnlich, auf Kupfer gemalt sind. Die Bildchen sind iiberdies noch von
einer fast miniaturhaften Ausfiihrung; auch das ist fur die Epoche etwas
Herausfallendes. Aber es ist eine so starke luminaristische Tendenz in der
Luft und den leuchtenden sich in den Himmel losenden Fernen, sowie eine
solche Architektur in der Gliederung, dafi Landschaft und Komposition
sicher Claude zuzusprechen sind. Die Figuren sind (ein wenig in Callots
Manier) vermutlich von Jacques Courtois gemalt. Seltsam fur Claude ist
freilich die Stoffart: es sind historische Szenen, Ruhmestaten des Konigs
Ludwig XIII., die y>Belagerung von Rochelle« und die »Forcierung des Pas
de Suez«. Der Vater des jungen Herzogs von Lomenie war an beiden Aktionen
beteiligt. So geht die Stoffwahl, wie auch sonst alles Abweichende von Claudes
ublicher Art wohl auf Wunsch und Bestellung des Sohnes zuruck.
72
FLUSSLANDSCHAFT MIT TOBIAS. MADRID, PRADO
BELAGERUNG VON LA ROCHELLE (1651). PARIS, LOUVRE
Diese miihsame Kleinarbeit ist aber nur eine Ausnahme. Das Wesent*
liche dieser Zeit sind die grofien Prachtlandschaften, von denen eine ganze
Reihe im Grosvenor* House zu London im Besitz des Herzogs von West*
minster ist. Die Stimmungslandschaft, durch den Dunst der Dammerung
begiinstigt, vermischt sich mit dem ein wenig sentimentalen Gefiihl, das die
Pracht der romischen Ruinen in ihrem Verfall erzeugt. So entsteht eine ganz
charakteristische, etwas melancholische Stimmung, die von den heiteren Bildern,
wie der »Miihle«, wesentlich absticht. Dahin gehort auch die » Morgenland-
schaft mit dem Constantinsbogen« vom Jahre 1651. Wieder eine Flufiland*
schaft mit Rinderherden, die durch die Furt waten; eine grofie weich gemalte
Baumkulisse und zartere Gebiische und Baumchen rahmen dasWasser von
beideh Seiten. Dahinter tauchen der Triumphbogen und das Colosseum auf
75
FLUSSLANDSCHAFTMITDEM KONSTANTINSBOGEN (1651).
LONDON, HERZOG V.WESTMINSTER
- wie Zeugen der Verganglichkeit. Die ganz vorn sitzenden, empfindsamen
Beschauer scheinen das nachzufiihlen. Es 1st die Poussinsche Stimmung:
»et in Arcadia ego«.42) Eine Vorstufe fiir Bilder, wie den »Verfall des romischen
Reiches« ein Jahrzehnt spater.
Wiederum »grofies Theater* -- wenigstens thematisch -- ist die »An-
betung des goldenen Kalbes« von 1653 bei Westminster. 43) Die Grofie des
Bildes mit dem ungewb'hnlichen Langformat entspricht der fiir Claude sich
auffallend vordrangenden Aktion. Freilich ist auch hier nichts von irgend*
welchem dramatischen Effekt zu spiiren — es bleibt beim landlich festlichen
Idyll: Tanzende in anmutigem Reigen um eine Saule mit dem Idol in herr*
lichster Gegend. Die Szene spielt auf einem Plateau, von dem aus man zwischen
den begrenzenden Baumgruppen in das weite Flufital schaut, ahnlich wie bei
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BERGPREDIGT (1556). LONDON, HERZOG VON WESTMINSTER
der »Miihle«. Auch das Amphoren^Stilleben in der Ecke erinnert an dieses
Bild. Moses mil den Gesetzestafeln, der eigentliche dramatische Trager der
Handlung, ist wieder in unscheinbarem Figiirchen ganz an die Seite in den
Schatten des grofien Busches verbannt. Trotzdem ist es nicht unmoglich,
dafi Poussin bei dem Gemalde irgendwie Pate gestanden hat. Nur ist seine
monumentale Dramatik von Claude ins Sanfte, Heitere, Festliche umgebogen.
Aber die scharf und unruhig, »zornig« beleuchteten Felsen des seitlichen Hinter*
grundes erinnern an ahnlich verteiltes Licht bei Felsbildungen auf Poussins
Landschaften, etwa dem Polyphem. — Ahnliche Dimensionen hat eine andere,
noch originellere Komposition in derselben Sammlung, »Die Bergpredigt«.^
Es ist eines der wenigen Bilder, in denen Claude von seiner Gewohnheit,
Seitenkulissen und einen oder zwei Durchblicke zu geben, abgeht. Hier ragt
in der Mitte des Bildes ein ungefiiger Monolith empor, durch Mauerwerk
79
RAUB DER EUROPA (1655, REPLIK 1667). LONDON, BUCKINGHAM.PALAST
gestiitzt, mit Biischen und Baumen, die hoch in die Luft ragen, bewachsen.
Erne gewundene Treppe fuhrt zu dern Plateau. Dort hoch oben scharen sich
die Jiinger um den predigenden Heiland. Am Fufi des Berges, durch schmale
Einsenkungen getrennt, ist die andachtige Menge versammelt: Hirten mit ihren
Herden. Sie schauen andachtig empor. Zu beiden Seiten des Felsturms geht
der Blick ungehemmt in das duftige Tal mit weiten Seen, Bergen und dariiber
klarem Himmel. Auch hier ist die steile Felsbildung Poussins vielleicht nicht
ohne EinfluB gewesen.
* *
*
Aber solche Grofiaktions--Bilder geben doch nicht den wahren, heidnisch*
naturanbetenden und mit der Natur verschwisterten Claude. Ganz frei fiihlt
80
er sich erst bei phantastisch#marchenhaften Szenen, und hier erst entfaltet sich
die Klarheit und Reinheit seines naiv#hellenischen Gefuhls zu hochster Schon*
heit. Die vEntfiihrung Europas«45) ist ein ihm ganz verwandterVorwurf. Da
gait es Meer und Landschaft eine Schonheit zu verleihen, die ins Heroische,
Antik> Gottliche reicht, wiirdig des erotischen, idyllischen und doch dariiber
hinausgehobenen Motivs. Frei, wundervoll musikalisch fliefit die Komposition.
Von der Seitenkulisse ist nur noch ein Rudiment, ein knorriger, schra'ger
Stamm einer Steineiche mit eigenwillig gezackter Laubkrone geblieben. Sanft
gezeichnet zieht sich von da aus im Bogen die Strandlinie, eine Bucht bildend
— von den Wellen des blauen Meeres umspiilt. Eine edle, ganz locker ge*
malte Baumgruppe, langsam aus niedrigem Gebiisch erwachsend, beherrscht
den Mittelgrund. Sie steht auf einer Landzunge, die sich durch Schiffe und
Turm noch weiter in die immer heller und durchsichtiger werdende Unend*
lichkeit des Wassers und des Lichtes verlangt. Auf dem schmalen durch
Baumschatten und Licht gegliederten Strandstreifen sitzen, vollkommen
in die Landschaft hineingewachsen, die Gespielinnen der Prinzessin unter
dem Baum. Glatte Kiihe schnobern umher. Auf dem weifien Stier sitzt
zierlich und angstlich zugleich Europa. Licht, Luft, Stromung des Wassers
-und Ziehen der Wolken, Biische und Baume und die feinen Berge verbinden
sich mit dem Figuralen zu einem Landschaftsgedicht vollkommen in Strophen*
bau und Rhythmus.
Sehr verwandt mit dieser reinen Schopfung ist das zweite Gemalde, dessen
sich die Dresdener Galerie riihmen darf, die » Kustenlandschaft mit Akis und
Galathea«,^ das 1657 datiert ist. Es ist wiederum ein mythologisches Thema
aus den Ovidischen Metamorphosen, das Marchen von dem Schafer Akis,
seiner Geliebten Galathea und dem einaugigen Polyphem. Noch herrscht
tiefster Frieden; noch schmettert der eiferstichtige Kyklop nicht den Felsen
auf Akis, den Galathea in ihren Armen halt. Er liegt noch im Schatten auf
dem Felsenabhang — seine Herde um ihn — und blast zartlich die Flote.
81
AKIS UNO GALATHEA (1657). DRESDEN
*
Ein grofies Segel zeltartig iiber ein paar diirre Stamme gebreitet deckt die
Liebenden vor seinem Blick. Wie auf der »Entfiihrung« bildet das kosende
Paar den optischen Mittelpunkt: in weifiem leichten Gewande kniet das blonde
Madchen auf seinem Tuch, und der Schafer, Blumen im Haar, neigt sich zartlich
zu ihm. Ein Blau, ein Rot, ein Gelb — die beliebte Trias -- spring! stark
hervor; rotlich schimmert das hegende Zelt hinter dem anmutigen Paar. Zu
ihren Fiifien spielt ein Amor mit zwei Tauben — ein Rokoko#Motiv.47) Vom
lauen Wasser leicht umspiilt griint und spriefit auf diesem einsamen Kiisten*
vorsprung reiche Vegetation : Krauter und Blumen. Baume ragen an der Seite
auf und stehen mit ihren gekreuzten Stammen, dem breitgefiederten, dunkel*
82
und hellgriinen Laub scharf gegen das helle Blau des Meeres und der noch
helleren Luft. Zwischen den Stammen tauchen, anmutig gelagert, die Nereiden
auf, und es blinkt der goldene Muschelwagen Galatheas. Fjordahnlich biegt
sich die Bucht, schra'g in die Mitte des Bildes hineinfiihrend. Ihr entsteigt
steil und doch lieblich Felsgestein, von Luft und olivgriinem Busch und Baum
weich gelockert: das Vorgebirge mit kronendem gelbgehellten Mauerwerk und
Turm. Vielgestaltig steht es da mit seinen rotbraunen Laubkomplexen und
blaulichen Wasserf alien , mit abstiirzendem Felsenhang, iiber den griin und
gelb die Baumchen blicken, mit dem rasenbestandenen Plateau, auf dem
Polyphem und seine Herde lagert: verlockend#phantastisch und doch reiner
Form voll in vollkommener Abstufung gegen die Feme — sie aufsaugend
und sich in sie losend. Alles aber beherrscht das Meer, noch weich und sanft
und durchsichtig mit dem grunblauen Wasser, auf dem iiberall die weifien
Lichter der leichten Wellenkamme spielen. Weich ist der Horizont gezogen,
an dem feme Stadt, Kastell und Berge mit einem winzigen weifien Segel davor
auftauchen. Dann beginnt die unzertrennliche Genossin des Meeres, die Luft,
von Claude so unnachahmlich beherrscht, von hellem lichten Ocker bis zu dem
anmutigen Blau des Zeniths niianciert. Sich immer mehr verdichtende, geballt
braunrote Wolken stehen weifiumra'ndert darin. Aber das Himmelsblau do*
miniert doch und dann das Gelb, da wo die Sonne iiber dem Horizont durch*
bricht, alles warm uberstrahlend und belebend. Nichts bleibt einzeln, alles
vereinigt sich zu einer Schopfung, die iiber das Anmutige der Form und dem
Erquickenden der Tone hinaus zu einer reinen idealen Schonheit fiihrt.
Nur in Italien konnte Claude zu solcher Grofie und Reinheit der Anschau*
ung kommen. Nicht durch seine Lehrer, nicht durch dieCarraccis, sonderndurch
die Natur selbst. Waren doch in seiner Nahe Stellen von gleicher Einfachheit
der Linie und Phantastik der Stimmung und ebenso umweht von dem Duft
heidnischslegendarischer Erinnerung. Am Rande der pontinischen Sumpfe er#
hebt sich iiber dem Meer steil ansteigend busch* und blumenbesetzt bis zur
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Hohe das Kap der Kirke, dieses menschenentlegene, mythenhafte Vorgebirge.
Jedem Wanderer, der die Terracina^Strafle nach Neapel zog, war der Berg in
seiner Linie bekannt. Aber erst Claude verstand, diesen Zauber kunstlerisch
zu entdecken und gestaltend festzuhalten.
In diesen Jahren um 1660 ist Claude anscheinend besonders an der
Arbeit. Es entstehen eine Menge Landschaftsbilder, die zum grofien Teil aber
nurnochaus den Zeichnungen des Liber Veritatis bekannt sind. Fur den Prinzen
Chigi schuf damals Claude ein schones Bild »Sinon vor Priamus«. 48) Noch
bekannter ist der »Verfall des romischen Reiches« bei Westminster, 49) 1661 fur
Lebrun gefertigt. Es ist die Variante eines friiheren Gemaldes, das sich jetzt
in Longford Castle befindet. Doch sind die Unterschiede besonders in der
Figurenverteilung ziemlich bedeutend. Das Westminsterbild ist jedenfalls
schon sehr meisterlich, Altersstufe, vor allem in der freien Komposition. Der
schmale Uferstreifen ist nur sparsam besetzt: Schafe und ein paar weidende
Kinder, die sich wundervoll gegen den Wasserspiegel abheben, und ganz an
der Seite, auf einem Baumstamm sitzend, zwei Hirtenmadchen — alles in leisem
Schleier, wie vertraumt. Die grofie Baumkomposition zur Seite ist aufge*
lockert, und der Triumphbogen mit den zarten Baumchen davor ist so duftig
und zart behandelt, dafi alles Schematische der Versatzstiicke, alles Absicht*
liche verschwindet (was nicht stets bei Claude der Fall ist). So wirkt auch
jenseits des hellschimmernden Wassers die Ruinenstadt nicht mehr als Vedute,
denn sie ist nur noch Ahnung, Dammer, im Licht zerfliefiende Vision. Der
elegische Ton, der iiber dem Ganzen schwebt, mag die Benennung veranlafit
haben. Vielleicht ist sie erst in spateren Zeiten hinzugefiigt, aber dieser leise
traurige Hauch entspricht der lyrischen Stimmung des spaten Claudes und
auch der Zeit. Bei Poussin driickt sich diese Stimmung (wie bei der Land*
schaft mit dem Constantins*Bogen erwahnt) scharfer, epigrammatischer aus.
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In der Sammlung von Longford Castle ist ein Pendant zu dem»Ker/a//«
vorhanden, eine Marine mit Aeneas, die »Geburt des romischen Reiches«
genannt wird. 50) So hat man in der Sammlung des Herzogs von Westminster
ein Bild »Bliite des romischen Reiches« genannt, obgleich es formal weder
ein Pendant zu der Replik des »Verfalls« ist, noch iiberhaupt etwas mit dem
romischen Reich zu tun hat. Das ziemlich kleine Bild stellt einen landlichen
Tanz dar und ist von Claude auch gestochen worden. Es ist eine ahnliche
Szene wie auf dem »Dorffest« des Louvre, nur sehr viel einfacher gehalten.
Die Figuren, die Zuschauer mit dem Dudelsackpfeifer, an der Seite im Schatten
des Baumes sitzend und stehend, wie das tanzende Paar mit der ruhigen Be*
gleiterin, stimmen mit denen des Dorffestes sehr iiberein, stehen aber vielleicht
etwas besser in der Landschaft, sind auch im Verhaltnis zu ihr grofier. Auch
die Landschaft selbst ist ins Weitere, Grofiere gewachsen. Nichts ist mehr
einzeln, alles stromt zusammen; vom weichen Laub des groBen Baumes senkt
sich der Hugel in sanfter Kurve nach unten. Da erst offnet sich der Blick in
die dammernde Weite. Der Charakter des Bildes ist freilich nicht so feierlich,
grofi und breit angelegt, wie der anderen Bilder der Spatzeit. 51)
Den typischen Zug der Altersbilder, jener melancholisch^elegischen »senti#
ments«, zeigt dagegen ein ungewohnlich schones Bild im Kolner Museum:
»Amor rettet Psyche«.52) Charakteristisch fur die Spatzeit ist auch — bei
grofigesehenem Aufbau des Organismus — das Auflockern des Pinselstrichs,
das Erweichen der Einzelform. Die Anlage ist ahnlich wie auf dem » Verfall
des romischen Reiches«. Nur ragt hier noch eine zarte Baumgruppe in der
Mitte gegen den lichten Himmel und la'fit die phantastische Ruinenstadt
schimmernd zwischenBiischen und Baumen im Durchblick auftauchen.wahrend
durch breitere Offnung hindurch die fernen Wasser weithin glanzen. Ein
klarer Flufi fliefit hinter gras# und blumenbewachsenen Uferstreifen und windet
sich, von dichtem hohen Wald seitlich beschattet, um eine Boschung, auf der
unter ragendem Eels auf griiner Matte Waldgotter ihre Schafe weiden. Inmitten
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DER MITTAG MIT RUHE AUF DER FLUCHT (1661). PETERSBURG, EREMITAGE
des Wassers in blauem Gewande sieht man die liebeskranke Psyche, die in den
Wassern vor ihren Qualen eine letzte Zuflucht gesucht hat, die Arme erhoben,
von dem kleinen Amor gefiihrt und errettet. So wird auch hier die Land*
schaft mythologisiert, bekommt einen Sinn; das feine zarte Pathos der Handlung
gibt den groB zusammengefaBten Formen der Natur erst das innere Leben und
erzeugt jene ganz besonders innige und dabei doch bedeutende Stimmung,
die unnachahmlich gerade die spaten Schopfungen Claudes durchzieht.
Von besonderer Beriahmtheit und durch relativ moderne Stiche in Deutsch*
land so verbreitet, daB sie fast Hausgut jeder besseren Familie im vorigen
Jahrhundert wurden, sind die »Vier Tageszeiten«. Sie bildeten einen Schatz
der Kasseler Galerie, kamen dann durch Napoleon I. nach Malmaison und
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DER ABEND MIT TOBIAS (1663). PETERSBURG, EREMITAGE
von da durch Alexander I. nach Petersburg, wo sie sich noch heute in der
Eremitage befinden.53) Ihre Entstehung erstreckt sich iiber eine lange Reihe
vonjahren: von 1661 (»Mittag«) iiber 1663 (y>Abend«) und 1667 (»M>rgen«)
bis 1672 (»Nacht<<). Auch hier ist eine Parallele mit Nikolaus Poussin an*
zumerken, der in der gleichen Periode die wundervollen vier Jahreszeiten des
Louvre (vollendet 1664) malte. Hier wie da ist dem Zeitgeschmack folgend
eine biblische Staffage gewahlt, die bei Poussin stets eine bestimmte, drama*
tische Note erhalt — so ist als Sinnbild des »Winters« die Sintflut gewahlt.
Bei Claude bleibt die Staffage auch hier nur Stimmungsbeigabe. Jakob und
Rahel auf dem »Morgen« konnen auch beliebige Hirten mit ihrer Herde sein.
Die Gruppe der Ruhe auf der Flucht auf dem »Mittag« ist wieder ganz
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DER MORGEN MIT JACOB UNO RAHEL (1667). PETERSBURG, EREMITAGE
unscheinbar in einer Ecke zusammengekauert. Auf dem »Abend« ist Tobias
mit dem Engel durch scharfere Beleuchtung etwas mehr hervorgehoben.
Die »Nacht« gibt eine lebhaftere Szene: Jakob ringt mit dem Engel. »Ich
lasse nicht, du segnetest mich denn.« Wesentlich sind es atmospharische
Stimmungen, aber auch hier nicht im impressionistischen Sinne, dafi etwa ein
Licht* oder Luftmoment herausgegriffen, studiert und in seine Bestandteile
zerlegt wiirde. Das architektonische Geriist bleibt immer, wenn auch ver#
schieden gestaltet. Es wechselt nur die Beleuchtung. Hochstens bei der
»Nacht« konnte man von einem etwas weitergehenden Versuch sprechen.
Hier geht die Dammerung so weit in den Vordergrund, dafi Straucher und
Baume in ein geheimnisvolles Fluktuieren geraten. Das Mondlicht erhellt
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DIE NACHT MIT JACOB UNO DEM ENGEL (1672). PETERSBURG, EREMITAGE
den wolkigen Himmel, gegen den Stamme und Kronen und der Ruinenberg
schattenhaft sich absetzen, Der »Morgen« zeigt jene unvergleichliche silberne
Klarheit, die Claude wie kein anderer hervorbringen konnte. Das Auge wird
immer starker in die lichten Tiefen des Grundes mit Land, Wasser und Wolken
gelockt. Es ist wohl die schonste Komposition dieser Serie, reicher an Ve#
getation, als sonst, mit einer bedeutenden Mittelgruppe edelgeformter Baume.
Keine oder fast keine Seitenkulissen sind mehr notig, so abgewogen und be#
ruhigt ist der Mittelgrund. Der »Mittag« ist eine schone Flufilandschaft, im
Aufbau an die Berliner Landschaft erinnernd, aber einfacher und grofier in
Linien undWeite. Der »Abend« gibt endlich traumerisches Dammern, das
Tobias #Marchen am stillenFlufi und ein reiches Auf und Ab des bewachsenen
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Terrains bis zum Meer und Horizont. Die ganzen Bilder durchzieht wiederum
dasselbe elegische Gefuhl wie auf dern »Verfall des R6merreiches« und den
ahnlichen Gemalden. So fehlen auch nirgends die Tempelruinen mit ihren
Saulen und ihrem zerstb'rten und bewachsenen Gebalk. Sie stehen als Zeugen
einer geschwundenen Zeit da und breiten den Schleier der Verganglichkeit
iiber die stille Schb'nheit der Gefilde.
Von der schweren Krankheit Anfang 1663, damals, als Claude sein Testa*
ment machte, hat er sich anscheinend schnell wieder erholt. Denn seine
Arbeitskraft ist noch immer sehr groft, wenn auch vielfach alte Motive wieder
hervorgeholt werden.54) 1664 entsteht eins seiner schonsten Bilder, es ist die
Landschaft mit der Psyche, bekannt unter dem Namen »Das verzauberte
Schlqfi«.55) Wiederum eines jener ungewohnlich breiten Formate, wie sie
Claude bei besonderer Gelegenheit hier und da anwandte. Die Kulissen*
Komposition tritt etwas starker hervor, wenn auch auf der einen Seite ganz
aufgelockert. Vor den weichen Buschen sitzt als einzige Figur verlassen Psyche.
Sonst ist alles einsam — nur ein paar Ziegen weiden und ein Hirsch kommt
langsam heran. Mitten aus dem bewegten Meer mit dem hellen Streifen
am Horizont steigt steil, fast nordisch die Burg des Eros empor, gegen
das helle Licht sich abhebend. Ein Marchenbild wie das der »Entfiihrung
Europas«, nur wie die meisten Gemalde des alten Meisters ernster, melancho*
lisch # stimmungshafter.
Aus dieser spaten Zeit sind auch die beiden Bilder mit der y>Geschichle
der Hagar«, die die Miinchener Pinakothek ihr eigen nennt.56) Es sind grofie
bedeutende Bilder in Claudes ausgesprochenem Spatstil. Sie sind architek*
tonisch geschlossen, aber ebenfalls nicht mehr gleichmafiig kulissenartig er*
starrt, sondern naturlich bewegt. Das antik*tempelartige Haus auf »Hagars
VertrelbungK mit dem hohen Saulenportikus daneben konnte auch fruher
begegnen. Ebenso die Art, wie es ein wenig schrag in das Bild fiihrt und wie
die Starre der Saulen durch den lockeren vorragenden Baum gebrochen wird.
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Nur wird das Gebaude hier durch die Handlung motiviert: durch die Gruppe
der Hagar mit dem kleinen Ismael und dem Patriarchen, der sie mit bezeich*
nender Geste in die Verbannung schickt. Es ist ein wild zerrissenes Land, in
das er die Ungliickliche stofit. Claude konnte seiner ganzen Liebe fur Ei>
hohungen, Senkungen, Uberschneidungen, fur das, was eine Erdoberflache
durch die verschiedenartige Brechung des Lichtes interessant macht, nachgehen.
Vorn die kahle unfreundliche Plattform vor dem Haus mit jener trocknen,
rissigen Erde, wie sie die Sommerhitze besonders in der nordlichen Campagna
entstehen lafit. Da begegnen auch diese unvermutet einschneidenden, un*
regelmafiigen, tiefen Graben, die sich zur Regenzeit mit flutendem Wasser
fiillen. Hier ist diese »fossa« mit Biischen gefiillt, die sich weiterhin zu
grofierer Hohe erheben, zu Baumen, zu einem Waldchen, das schon ganz
duftig entfernt erscheint, aber doch nicht so, wie der lasierte Berg, der in der
steilen, edlen Form, wie sie Poussin und Claude liebten, die Seite abschliefit.
Durch diese Erhohung ist ein Gegengewicht gegen die Hausergruppe der
anderen Seite gegeben. Aber durch das ungemein Feine der Abstufungen
der Schichten ist alles Starre genommen. Jenseits des Walles, der den Graben
horizontal abschliefit, geht der Blick in die unbegrenzte Flufilandschaft.
Dariiber der rotlich gelbe Abendhimmel mit grauen Wolken. Noch freier
ist die »Errettung Ismaels«. Von einer steilen Felswand ganz zur Seite ist
nur noch ein schmaler Streifen vorhanden, auch die so beliebten schlanken
Baumchen dicht dabei mit den gekreuzten Stammen entwachsen hier ganz
selbstverstandlich dem leicht gehohten Boden. Vor dieser dunkel beschatteten
Erdwelle tritt die Lichterscheinung des Engels zu der knienden Hagar und
dem verschmachtenden Knaben. Der ganze Rest des breiten Bildes ist aufier*
ordentlich interessant durch Licht und Farbe abgestuft, ein auf# und ab#
wogendes Terrain. Ober lichte Streifen hinweg verliert es sich in das glanzende
Meer. Wie ein breiter bewegter Flufi stromt es dahin, eingebettet zwischen
den Dunkelheiten des Vordergrundes und der lichten, hohen Felsformation
101
HAGAR UND ISMAEL (1668). MONCHEN. PINAKOTHEK
zur Seite mit dem seltsam durchbrochenen, ockergelben Mauerwerk, das sich
welter zuriick in den klaren Himmel hebt.
* *
*
Der fast Siebzigjahrige hat immer noch Kraft genug, trotz der Gicht,
die ihn plagte (wie den alten Renoir), mitunter Werke von iiberraschend
grofiem Stilgefiihl zu schaffen. Wie bei alien wirklich bedeutenden und inner*
lichen Kunstlern, wirken diese Alterswerke durchgeistigter, reiner, voller. Bei
Poussin trifft das zu, wie bei Claude. Wenn auch bei ihm infolge der Ahn*
lichkeit der Themen ein ausgesprochener Altersstil sich nicht in voller Scharfe
abhebt, so ist er doch vorhanden und deutlich in der weiten und freieren
Anlage und Komposition und in der breiteren Behandlung des Tones er*
102
EGER1A (1669) NEAPEL, MUSEUM
kennbar. Eines der reinsten und schonsten Werke entstammt dieser Spatzeit:
» Egeria von den Nymphen umgeben«.57^ Es ist ein Bild von sehr grofien
Dimensionen, wie haufig in der spateren Zeit Claudes. Mit unnachahm*
licher Meisterschaft sind die Niiancen der olivgriinen, rostbraunen und saft*
griinen Tone des Waldes gegeben bis zu den weich zerfliefienden des in un#
endliche Baummassen gelockerten Grundes. Herrliche Ba'ume mit breit
behandeltem Laub und Pinien mit schmalgefiederten Nadelbiischen erheben
sich gegen den morgenklaren Himmel, die Luft ist wie perlend von Frische
undTau. Auf demWaldboden stehen, knien und sitzen Nymphen mit ihren
Hunden. Andere gehen am Rande des tiefer liegenden Waldsees. Dort baut
103
KLASSISCHE LANDSCHAFT (1673). LONDON, NAT. GALL.
sich ein feierlicher Tempel mit Portikus auf und ein kleines Rundtempelchen,
wie es Claude so liebte; ragend iiber schimmernden Baumkronen erheben sich
weich mit ihnen zusammengemalte Burgruinen und weiterhin blaue Berge.
Vergleicht man die »Muhle«, mit der das Bild durch den Blick von oben nach
unten auf zentrale Wasserflache Ahnlichkeit hat, so sieht man, wie viel reifer,
vollerklingend, strahlender dieses spate Werk ist. Freilich ist es auch eins der
reifsten Erzeugnisse dieser Epoche.58)
Daneben begegnen, was nicht tiberraschen kann, auch Versagungen : eine
ins Klassizistische umgesetzte Variation des » Apollotempels« in der Galleria
Doria ist die sogenannte »Klassische Landschaft«™) in der National Gallery
in London. Hier ist alles merkwiirdig diinner, abstrakter geworden; die
AENEAS AUF DER HIRSCHJAGD (1672). BROSSEL
gewaltige Mittelgruppe ist zu zwei diinnen Baumchen mit magerer Krone zu*
sammengeschrumpft. Der Tempel ist deutlicher geworden, hat aber seine
Phantastik verloren. Das Bild sticht seltsam ab gegen die Fiille der anderen
jener Spatzeit, ist aber durch das Liber Veritatis gesichert und 1673 datiert. Die
Figuren sollen nach einer Aufschrift Aeneas und Anchises darstellen. Dagegen
hat die Briisseler »Jagd des Aeneas«60\ die ein Jahr friiher entstanden ist, den
gleichen grofien Stil wie die Miinchener Bilder, besonders die »Errettung der
Hagar«. Das gilt besonders fur die ungemein reiche Behandlung der Erd*
formen, der Aufwiihlung und Lebendigmachung des Terrains.
Bei den beiden Gemalden, die der Kurfurst von Bayern durch seinen Rat
Franz Mayer von Regensburg bei Claude bestellte (jetztMiinchen, Pinakothek),
reichte augenscheinlich weder bei der Landschaft von 1670, noch bei dem Pen*
105
SEEHAFEN (1674). MUNCHEN, PINAKOTHEK
dant der Marine von 1674 Kraft und Lust des alten Claude zu neuen Kompo*
sitionen. Beides sindVariationen oder Repliken alterThemata.61) Die » Marine*.
reicht in der Beherrschung des Stofflich*Gelosten, von Licht Durchdrungenen
an das Original in der Eremitage wohl kaum heran. Doch ist das Wasser noch
immer glanzend gemalt in seinem gedampften Blau mit hellen und dunkleren
Tonen und weifien Reflexen. Virtues ist das Krauseln derWellen und das
Glanzen der Oberflache, die nach dem Horizont zu gelblich wird als Reflex
des blafigelben Himmels mit der verdeckten Sonne. Das Gelb geht nach oben
langsam in Blaugrau iiber bis zu den weifiumranderten grauenWolken. Berg
und Turm des Mittelgrundes sind fast impressionistisch rotlich und violett
getupft. Nur der Triumphbogen ist in seinem Graugelb etwas Pappkulisse
geblieben. Dagegen ist der Vordergrund sehr breit und farbig behandelt —
106
FLUSSLANDSCHAFT (1676). MONCHEN, PINAKOTHEK
sowohl der schmale Strand, wie auch die Figuren. Die Architektur ist auf dem
Eremitage * Bild viel lockerer, verwitterter. Vielleicht ist auf der Miinchener
Replik mindestens der Portikus in seiner fatalen Glatte nicht eigenhandig.
Dagegen ist die y>Flufilandschaft mit Sonnenuntergang« dem Pradobild an
Fiille des Tons erheblich iiberlegen. Besonders die grofie, dunkelgriine Baum#
kulisse ist ungemein schon abgestuft mit rostbraunen Tupfen und durch*
schimmerndem Licht, das das Ganze organised lebendig macht. Leider ist der
Vordergrund mit den braunen, weifien und falben Kiihen sehr nachgedunkelt.
Schon wiederum ist die Gruppe der musizierenden Frauen, die dasThema des
floteblasenden Hirten auf dep Radierung (an die das Bild iiberhaupt sehr stark
anklingt) noch steigert — schon durch das stark Farbige, Blau und Gelb.
107
JACOB UNO LABAN (1676). GALERIE DULW1CH
Wundervolles, weiches Blau zeigt das Wasser mit hellen Streifen. Blaulich
leuchtet der lasierte Hintergrund, und dariiber spannt sich ockergelber Himmel,
der, von grauen Wolken unterbrochen, ins Blaue steigt.
Durch denselben Regensburger Rat Franz Mayer ist noch ein Gemalde fiir
den Kurfiirsten von Bayern bei Claude bestellt worden. Im Herbst 1676 ist
es fertig geworden. Als Staffage hat es » Jakob und Laban mit semen Tochtern «.62)
Darin wie in der ganzen Anordnung erinnert es an den » Morgan « mit Jakob
und Rahel in der Eremitage. Merkwiirdigerweise befindet sich das Bild nicht
im Besitz der bayrischen Sammlungen, sondern in der Galerie zu Dulwich.
Die Groflartigkeit und Klarheit der Anlage tritt noch immer hervor. Die
Seiten sind frei, in der Mitte wa'chst eine Baumgruppe in die durchsichtige
108
NOLI ME TANGERE (1681). FRANKFURT A. M., STAEDEL
Luft. Motivisch bietet das Bild freilich nichts Neues. Man kann auch von
einen Sechsundsiebzigjahrigen nicht mehr eine sprudelnde Fiille neuer Einfalle
erwarten. Hat er doch noch an der Schwelle des Greisenalters ein Kunstwerk,
wie die Egeria geschaffen, das an Klarheit schwer zu iiberbieten war, und er
findet zuletzt noch den Ausdruck einer religiosen Vertiefung, die ihm bisher
fremd war.
Noch hauften sich aber die Bestellungen. Der Cardinal Spada verlangt
eine ganze Serie, u. a. einen Parnafi. Es sind nicht immer nur Repliken, sondern
auch teilweise neue Motive oder langst nicht mehr behandelte, wie der »Tempel
des Castor und Pollux «. 63) Das letzte Bild, das Claude geschaffen, ist etwas
Besonderes. Es ist »Christus als Gartner und Magdalena« vom Jahre 1681
(Stadelsches Institut Frankfurt a. M.)« 64) Der elegische Charakter des »Verfalls
des romischen Reiches « ist hier aus dem Sentimental#Antikischen in das Religiose
gewendet. Es ist der Stimmungsausklang des iiber Achtzigjahrigen. Ein grofier
109
feierlicher Hauch liegt tiber dem Bilde, das wiederum in einem ungewohnlich
breiten Format gehalten 1st. Ich wiifite kein Bild Claudes sonst, das etwas so
Schmerzliches, Melancholisch*Getragenes hatte. Dazu tragt auch der helle,
aber schwere, olivgrtinliche Ton bei, der das Ganze beherrscht. Auch die
alten Motive, die Versatzstiicke : das Walddickicht auf aufsteigendem Hugel
links und der runde steile Hugel von Golgatha sind irgendwie gesteigert
worden, verinnerlicht. Das schlanke gerade Baumchen davor zerteilt nicht mehr
den Hintergrund — die dammerige Stadt und die blauen Berge — in Durch*
blicke; es steht mehr zur Seite geriickt, nur noch fiillend und die Horizontalen
unterbrechend. In diesem gedampften Licht stehen die Figuren: Christus als
Gartner und die kniende Magdalena; vor der dunklen Boschung leuchtet
der blaue Mantel Christi. Ein Zaun (anstatt des Grabens von friiher) trennt
diese Vorderschicht ab. Da wo er im Bogen umknickt, stehen mattfarbig zwei
Frauen. Vor dem Grabeingang, der in den Hugel von Golgatha gemauert ist,
sitzt feierlich der wachende Engel. Es ist wohl moglich, dafi hier, wie vielleicht
auf manchen dieser Spatbilder, die Figuren von Claude selbst ohne Unter*
stiitzung gemalt worden sind (in den Farben sind sie etwas verdorben). Ganz
erstaunlich ist es aber, dafi Claude in seinem hochsten Alter, dem Tode nahe
noch ein so grofies Werk, wie dieses »Noli me tangere« schaffen konnte, dafi
er es noch fertig brachte, solch organische Baume, solches Laub zu malen. Und
wie breit, wie saftig ist es gemalt, wie von einem Courbet hingesetzt. Es ist
dieselbe geloste Technik, die Claude auch bei seinen spa'ten Zeichnungen
iibte. Der Greis kann nicht mehr die Straffheit der Komposition, die Klar#
heit der Linie, die Reinheit der Form bewaltigen, aber er fiillt seine Visionen
mit dem Vibrieren des inneren Lebens.
Man hort ha'ufig, dafi das malerische Werk Claudes einformig sei und
keine rechte Entwicklung gehabt habe. Man mag den ersten Vorwurf, was die
110
Motivwahl anbelangt, zugeben, der zweite ist nur sehr bedingt richtig. Freilich,
es ist kerne Entwicklung, die sehr stiirmisch verlauft, zwischen Spat* und
Friihbildern ist nicht ein solcher Unterschied, wie bei einem Frans Hals. Der
Auftrag wird im Laufe der Jahre pastoser. Die Farben werden noch mehr
verbunden, schwerer, gesattigter; man empfindet sie immer weniger als Eigen*
werte gegeniiber der harmonischen Zusammenstirnmung des Ganzen. Die di*
rekten atmospharischen Probleme: Dunst und Nebel von der Sonne durch*
brochen — treten mehr und mehr zuriick, wie iiberhaupt die Marine* und
Hafenbilder. Alles Genremafiige der Jugend, alles Zufallige wird ausgeschieden,
alles was noch unmittelbar und unverarbeitet mit dem Naturerlebnis zu*
sammenhangt. Dafiir erfolgt nun ein energisches tektonisches Zusammen*
fassen, ein klareres Aufbauen der Landschaftsformen; beruhmte Werke, wie
die Miihle und der Apollotempel, sind Beispiele fiir diesen kraftigeren Stil
(der, wie erwahnt, mit manchen Tendenzen Nic. Poussins zusammengeht).
Das befahigt ihn auch zu den grofien Pracht* und Zeremonienstucken der
vierziger und der ersten Ha'lfte der fiinfziger Jahre. (Bergpredigt, Goldenes
Kalb.) Aber auch diese horen allmahlich auf. Das mythologische Marchen -
Akis und Galathea, Raub der Europa — verzaubert die Landschaft und fuhrt
zu den herrlichsten Schopfungen Claudes. Immer einfacher, gehaltener, grofi*
artiger gebaut wird die landschaftliche Komposition, das Schema immer weniger
fuhlbar, ein grofies Leuchten breitet sich iiber das Bild. Die Tageszeiten der
Eremitage der sechziger Jahre sind ein solcher Hohepunkt, in dem das elegisch*
melancholische Empfinden des alternden Claudes zum reinsten Ausdruck
kommt. Diese getragene Stimmung durchzieht das Alterswerk des Kiinstlers
bis zu dem seltsamen, ganz verinnerlichten Frankfurter Gemalde des Achtzig*
jahrigen. Aus dem Naturerlebnis, aus dem Kampfe um das Erfassen des
Lichts und seiner Erscheinung heraus gestaltet sich immer fiihlbarer das Streben
nach dem grofien Zusammenhang der Natur mit dem Beseelten, dem Gott*
lichen, das sich in der Kunst offenbart.
Ill
RADIERUNGEN
Wenn Kunstler, deren Begabung und deren Arbeit rein malerischer Natur
ist, gelegentlich zur Radiernadel greifen, schaffensie damithaufig grofiere
Kunstwerke, als die mehr oder minder berufsmafligen Radierer. Diese Amateure
in der Technik, aber Meister in der Kunst mogen wohl mitunter zu stark
atzen, eine Platte verderben, herumexperimentieren, die Nadel nicht mit der
notigen Leichtigkeit und Geschicklichkeit behandeln. Doch gerade der Mangel
an Gewandtheit kann diesen ihren Werken etwas besonders Personliches geben.
Es fallt auf sie der Abglanz der grofien Kunst, die ihre malerischen Arbeiten
beseelt. Das gilt in besonderem Mafie fur Claude Lorrain, der nur sporadisch
und relativ wenig radiert hat. Ihm ist es gelungen, eine ganze Anzahl von
diesen Versuchen in einer ihm fremden Technik zu Kunstwerken zu erheben,
die das zum Ausdruck bringen, was er vor allem erstrebte: die poetische
Verklarung eines Natureindrucks durch das Licht. So stellen sich manche
seiner Radierungen ebenbiirtig neben seine schonsten Gemalde, wenn sie
auch — besonders friiher — nicht die gleiche Beachtung gefunden haben.
Es lafit sich nicht nachweisen, ist aber behauptet worden, dafl Claude
wahrend seines Aufenthalts in Nancy 1626 bei Deruet dessen Freund Jacques
Callot kennen gelernt hat, der damals auf der Hohe seiner Leistungsfahigkeit
stand. Durch ihn soil Claude zum Radieren angeregt worden sein. Im wesent*
lichen ist es aber nur das Figurliche, dafi auf friihen Blattern Claudes (wie
dem Forum von 1636) an Callot erinnern kann: so die kleinen Landsknechts*
gestalten und dergleichen. Auch bei dem Schattenkontrast und dem Silhouetten*
mafiigen, sowie bei der Wiedergabe von Lufteffekten kann man hier und da
115
an Callot denken. Sehr eng ist die Beziehung jedenfalls nicht gewesen.
Vermutlich hat aber auch ein anderer Kiinstler Claude zum Radieren angeregt;
das ist Sandrart, der wahrend seiner romischen Jahre von Claudes Rikkkehr,
also Ende der zwanziger Jahre, bis zu seiner eigenen Abreise, etwa 1636, intim
mit ihm verkehrt hat, wie wir ja wissen. Sandrart hat eine grofie graphische
Tatigkeit entwickelt, freilich mehr handwerklicher Art, wie die Stichreproduk*
tionen von Statuen usw. in der »Ceutfd?cn 2tfa6emte« beweisen.65> Vondiesem
geschickten Schuler Sadelers konnte Claude manches lernen, freilich nicht
viel Kiinstlerisches. Die Hauptperiode der Radiertatigkeit Claudes fallt in
die Zeit seines Verkehrs mit Sandrart. Bald nachdem Sandrart Rom verlassen,
erfolgt auch eine langjahrige Pause oder jedenfalls ein Nachlassen. Erst um
1651 kommt wieder ein neuer Aufschwung. Um diese Zeit finden wir einen
anderen Radierer, Dominique Barriere, in sehr nahem Verhaltnis zu Claude,
der durch seine — freilich mehr reproduktive — Tatigkeit den Meister angeregt
haben kann, ebenfalls ohne ihn kiinstlerisch oder technisch zu beeinflussen.
Mit der romisch^bolognesischen Behandlung der Radierung, wie sie die
Carracci und ihre Nachfolger aufweisen, haben die Radierungen Claudes
gar nichts zu tun. Paul Bril konnte herangezogen werden, etwa mit einer
Radierung von 1590 mit grofi gefiederten Ba'umen, hohen steilen Felsen, wo
auch der Regen in der Luft mit kreuzweisen Strichen wiederzugeben versucht
wird. Aber um wieviel atmospharischer erscheint Claude auch schon in dem
friihen Seesturm, wieviel delikater sind seine Linien, wieviel aufgelockerter
und irregularer seine Schattierungen. Noch mehr konnte man an Elsheimer
denken, der ja kiinstlerisch auch in der Behandlung des Lichts von EinfluC
auf Claude war. Auf der Radierung Elsheimers mit »Tobias und dem Engel«
begegnet in den Korperformen dieselbe Art von Strichfuhrung wie auf Claudes
kleiner Furt.66) Sandrart berichtet von mythologischenThemen: »<£r e£tc audj
etlidje fleine £an6fdjaf ten , tme 6te ^el6gotter un6 Icyvnpfycn ntit Cymbalen tan5en,
aucfy 6ie Satyren auffpielen un6 an&cre fcergleicfyen Dcrniinftige Selt3amfeiten.« Das
116
sind jedenfalls Dinge, die inhaltlich ganz in der Linie von Claude liegen.
Audi gibt es solche Radierungen, wie die »Tanzende Nymphe«, die unter
dem Namen Elsheimers gehen und die in der Lockerung des Striches, in den
Abstufungen nach dem Hintergrund zu in der Beleuchtung mit friihen
Radierungen Claudes, etwa dem »Sturm« (Behandlung des Baumes), eine
entschiedeneVerwandtschaft haben. Auch an manche niederlandische Kiinstler
der vorrembrandtischen Generation, wie etwa an Moyses Uytenbroek (B.22)
erinnert die Claudesche Technik in der Auflockerung und Lichtbehandlung.
Im Grunde sind aber die Claudeschen Radierungen Arbeiten eines AuBen*
seiters. Seine kunstlerischen Bediirfnisse nach Atmosphare und Licht schufen
ihm seine Technik. » Ubrigens ist von einem so grofien Talent, das in einer
so bedeutenden Zeit und Umgebung lebte, kaum zu sagen, von wem es
gelernt. Es sieht sich um und eignet sich an, wo es fur seine Intentionen
Nahrung fmdet.«67)
Dafi Claude technisch nicht sehr erfahren war, sieht man an manchen
Flatten, die durch schlechte Atzung verdorben sind (von diesen sind daher
auch gute Abziige selten). So der »Landliche Tanz«. Dafiir gent er aber auch
eigene Wege und versucht sich in neuen Techniken, die iiber das zu seiner
Zeit Obliche hinausgreifen. So wendet er in der erwahnten Platte auch das
Schabeisen an; es entsteht also eine Mischtechnik, wie sie erst viel sparer
wieder verwendet wird. Auch in dem schonen »Bouvier« scheint er die Platte
mit Bimstein aufgerauht und die Lichter im Hintergrund ausgeschabt zu haben,
um die Wirkung des Lichtes zu erhohen. 68)
In dem altesten Katalog der Radierungen Claudes bei Abbe de Marolles
1666 sind 45 Radierungen Claudes aufgezahlt, wahrendSpatere69) nur 28 nennen.
Der Hauptunterschied erklart sich dadurch, dafi bei den letzteren die Serie des
» Feuerwerks« nicht zugerechnet wird. Meaume in seiner Neubearbeitung von
Robert #Dumesnil Peintre#Graveur Francois 70) zahlt 44 Radierungen auf (nebst
einer zweifelhaften). Davon fallen — kiinstlerisch gesehen — die 13 Nummern
117
R.D. 5 iv. DER STURM (1630)
der »Feux d'artifice« als unbedeutende Gelegenheitsarbeiten, sowie ein paar
andere kleine nichtssagende Griffelspielereien fort, so dafi als wesentlicher
Besitz nur 27 iibrigbleiben. Etwa die Halfte davon 1st nach Claudes eigenen
Gemalden radiert oder begegnet auf seinen Kompositionen. Alte gute Abziige
von seinen Blattern sind selten. 7I) Trotzdem etwa 11 Radierungen datiert sind,
ist eine chronologische Anordnung nicht ganz leicht. 72) Auch die hier ange*
wandte will zunachst nur als Versuch gelten.
Gleich die erste datierte Radierung Claudes, der »Sturm« von 1630
(R.D. 5), zeigt viel Personliches inTechnik und Ausdruck. Sie ist im ganzen
genommen schon so reif, dafi es wohl kaum der erste Versuch ist, den
118
Claude gemacht hat. Andere warden ihm vorausgegangen sein, die er nicht
herausgegeben hat. Es ist dies neben dem »Schiffbruch«, (R. D. 7) das einzige
Mai, wo Claude, ganz entgegen seiner stillen Art, bewegte Naturvorgange,
aufgewiihltes Wasser, stiirmischen Himmel dargestellt hat. Das Hohle der
Wellenkamme ist durch konkave kurze Strichlagen, zwischen denen die
weiCen Gischtkamme ausgespart sind, energisch und pragnant gegeben. Seitlich
erhebt sich bis fast zum Rand eine gewaltige Baummasse, die mit ihrem
unteren Teil — seltsam genug — in die Wogen des Meeres beinahe eintaucht.
Man konnte auch an einen buschbewachsenen Felsen denken, an den die
Schiffe vom Sturm geworfen werden. Die ganze Masse ist wesentlich aus
kleinen krausen Strichen und Hakchen zusammengesetzt, dadurch sehr locker,
bewegt, lichtgesattigt — aber nicht klar und organisch gezeichnet. Fels und
Ruine weiter zuriick sind ganz leicht hingesetzt. Der Himmel war auf dem
ersten Zustand noch dunkel und vermengte sich mit dem Wasser. Sparer ist
er aufgehellt worden und deutlicher geschieden. Die parallelen Strichlagen
erinnern in ihrer GleichmaCigkeit noch sehr an Sticheltechnik. Nach dem
Horizont zu horen sie auf. Hier liegt jetzt eine grofie Helligkeit. Auch die
dunkleren Strecken des Vorder* und Mittelgrundes nehmen an ihr teil — die
Wellenkamme und der schmale Strandstreifen. Scharf setzt sich dagegen die
schwarze Silhouette mit den Ruderern ab. Gegeniiber den Bildern der gleichen
Zeit ist die Kompositionfreier; die eine Seite bleibt often ohne jede»Kulisse«.
Das nachste Datum ist um vier Jahre sparer: — »Die Furt« (R. D. 3)
von 1634. Das kleine Blatt — eines der kleinsten ~ ist sehr eindrucksvoll,
dabei aber doch merkwiirdig rauh und fast unbeholfen, skizzenhaft in der
Art einer Federzeichnung. Dargestellt ist eine Genreszene, eine Hirtenidylle,
aus der intimen Wildnis der romischen Landschaft, der »macchia«, wie die
Italiener das wilde Gestriipp nennen, das sich in den Niederungen bei Rom
nach den Siimpfen und dem Meer zu meilenweit erstreckt. Ein Natur * Interieur,
wenn auch das Dickicht hier und da unterbrochen ist fiir Fernblicke auf
119
R. D. 31. FURT (1634)
Berge und Himmel. Die Naturstudien Claudes nach der luminaristischen Seite
hin sind hier sichtlich benutzt. Trotzdem hat die Komposition als solche
etwas Unnaturalistisches, Nicht#Zufalliges. Der ganze Zug -- ein typischer
Campagnole, mit nackten Beinen, eine hochgeschiirzte Frau, dazu noch eine
Sitzende und ein PaarTiere, alle im oder am Wasser — ist in eine strenge
Reliefschicht gestellt. Die Baume — breit, locker und doch geformt, licht*
durchdrungen — bilden die Riickwand. Auch die Figuren (etwas an die Art
Elsheimers erinnernd, nur weniger elegant) haben trotz ihres bauerlichen
Charakters etwas Edles. Die mittlere Bauerin schreitet stolz wie eine Nymphe
daher. Der niederlandische Charakter, der hier so nahe lag und der sich
auch auf den Figuren der Gemalde des fruhen Claudes so haufig findet
(wenn auch von der Hand Jan Miels), fehlt hier vollig. Das gibt dem
Bildchen etwas besonders Reizvolles. Die Szene ist naturbeobachtet, aber
doch im idealistischen Sinne »gehoben«.
120
R D 41. HERDE AN DER TRANKE (1635)
Eng dazu gehorig, aber freier und weiter in der Anordnung, in der gleichen
Federzeichnungsart, doch weniger derb ist die »Herde an der Trdnke« (R. D. 4),
1635 dadiert. Hinter schmalem Streifen mit Aststumpf und Blattern lauft
breit das Wasser eines Flusses, in dem Kiihe und Ziegen trinken. Ober
das hiiglige Ufer ragt schrag in das Bild ein Baum mit breiter Krone und
offnet sich Berggelande. Ein Hirt steht am Ufer in elegischer Pose auf seinen
Stab gestiitzt. Die Striche wirken frisch und duftig, sind aber feiner; der
skizzenhafte Eindruck bleibt noch bestehen, ebenso auch der Zusammenhang
mit unmittelbarem Naturerlebnis. Nur ist alles (noch mehr wie bei dem
vorigen) in eine zarte, hohere, arkadische Sphare geriickt.
So darf es nicht uberraschen, dafi aus der gleichen Zeit ein Blatt
stammt, das in seiner ganzen Anlage, seinem Inhalt und Gefuhl die grofien
121
R.D. 22". RAUB EUROPAS (1634)
mythologischen Landschaftskompositionen der spaten Zeit vorausnimmt. So
stark, daft ein friiherer Autor geneigt war,73) das Blatt in die Mitte der funfziger
Jahre zu setzen. Dem widerspricht aber das ganz deutliche Datum 1634 und
ebenso die Technik des Blattes. Es ist die » Entfiihrung Europas « (R. D. 22).
Zu der abgeklarten Ruhe der spateren Radierungen wiarde dieser skizzenkafte
Federzeichnungsstil nicht passen. Zu einer spateren Ansetzung dem Datum
zum Trotz verlockt die Beziehung zu dem 1655 entstandenen Gemalde gleichen
Inhalts (s. oben S. 80). Im Grunde ist es freilich nur das Thema und eine
gewisse sich daraus erklarende Verwandtschaft im Figiirlichen und in den
Grundziigen der kompositionellen Anlage, die Radierung und Bild ein*
ander nahern. Denn die stilistischen Unterschiede entsprechen den zwanzig
122
R. D. 26. DIE DREI ZIEGEN
Jahren, die dazwischen liegen. Wahrend das Gemalde freien, grofien Raum
offnet, die Figuren sparsam verteilt, die Szene konzentriert, ist auf der
Radierung noch alles innenraumlich begrenzt, zusammengedrangt. Die Neben*
figuren sind starker betont, als die Hauptaktion. Alles steckt voll anekdotischer
Kleinigkeiten ; noch fehlt der grofie heroische Zug trotz der Tempelruinen
an der Seite. Dafur spielt aber das Flimmern des Lichtes, das durch die
skizzenhaft lockere Federstrich#Behandlung sehr gefordert wird, eine viel
grofiere Rolle als auf dem Bild. In der Art, wie die Figuren im Halbkreis
verteilt durch die Gasse des Seitengrundes bis zu der Baumkulisse an der
entgegengesetzten Seite sich hinziehen, bildet das sehr frische Blatt eine Vor*
stufe zu dem Hauptstiick der dreifiiger Jahre, dem »Bouvier«.
Dieselbe Art zeigen ein paar undatierte Radierungen, die Landschaften
mit Tieren darstellen, z. B. »Hlrt und Hirtin« (R. D. 25) sehr skizzenhaft, z. T.
mit kalter Nadel bearbeitet. Ausgefiihrter sind R. D. 26 und 27 »Die Ziegen-
herde«. Es sind das zwei Flatten, die urspriinglich zusammengehorten und
auseinandergeschnitten wurden. Den Zusammenhang zeigt eine Zeichnung
in den Uffizien74) (ein vollstandiger Abzug von der unversehrten Platte im
Brit. Museum). Im Schatten einer grofien Baumgruppe ganz zur Seite sitzt
ein Hirt und schaut seinen spielenden und kampfenden Ziegen zu. Weiter
nach rechts offnet sich der Blick ins weite Land, das bewegt und unruhig im
Lichte flimmert Die Landschaftsbehandlung erinnert an das oben erwahnte
Friihbild von Claude aus dem Palazzo Rospigliosi (Pallavicini) (s. Abb. S. 42
u. 43). Auch auf dieser geistreichen Radierung ist die Technik ganz breit und
skizzenhaft wie mit der Feder.
In der malerischen und losen Behandlung steht die kleine Radierung
der » Fluent nach Aegypten* (R.D.I), diesen relativ friihen Blattern, nicht
allzufern, trotzdem sie viel zarter, feiner im Strich, auch etwas weniger skizzen*
haft ist. In der Art des Aufbaus und in der Baumbehandlung mit den stark
gerundeten Formen, auch in den Figuren erinnert das kleine Blattchen noch an
127
R. D. 1 1. FLUCHT NACH EGYPTEN
Elsheimer. Obgleich sehr anmutig, 1st die Zeichnung noch etwas flau, die
Lichtfiihrung unbestimmt, so dafi man versucht ist, dieses Blattchen noch vor
die erwahnte Gruppe zu setzen. Nahe dazu gehort R. D. 2, »Die Er-
scheinung« — ein Kniender, dem sich ein Engel naht — , ganz flikhtig, aber
sehr viel duftiger, leichter behandelt als die Blatter der breiten Manier.
Dieser Gruppe leichter, freier Radier*Einfalle lauft zeitlich eine andere
Reihe parallel, die einen ganz anderen Charakter tragt. Ihr gehoren einige
Blatter an, die nicht die derbe Federstrichfuhrung zeigen, auch durchaus nicht
skizzenhaft sind, sondern ausgefuhrter, glatter, aber auch unpersonlicher. Trotz*
dem gehoren sie samtlich stilistisch in die gleiche fruhe Periode, auch sind die
meisten von ihnen mit Gemalden der Friihzeit eng verbunden. Da ist »Der
Zeichner« (R. D. 9), so benannt nach der Figur eines Malers, der hart an der
StraCe sitzt. Die Zeichnung ist hart und trocken; neben der Radiernadel
scheint auch mit dem Griffel gearbeitet zu sein. Die Komposition stimmt mit
128
R.D.16I. AUFBRUCH DER HERDE
einem Gemalde Claudes iiberein, das seiner ganzen Anlage nach, wie auch
durch die anekdotische Gestaltung des Figiirlichen, in friihe Zeit zu setzen ist.75)
Auch einige andere Radierungen gehoren in diese Reihe, so R. D. 11, »Hafen
mit Leuchtturm «, der trotz des Sujets, das zu Experimenten hatte locken konnen,
keine besonderen atmospharischen Reize hat. Den vSchiffbruch*1® muB man
ebenfalls hierhin rechnen. Er ist dramatischer bewegt als der »Sturm«, auch
atmospharischer mit abwechselndem Regen und Helligkeit in der Luft. Trotz*
dem bleibt das Blatt etwas trocken. Ebenfalls noch etwas trocken und klein*
lich in der Zeichnung ist der »Aufbruch der Herde« (R. D. 16). Auch hier
geht die Radierung auf ein Bild Claudes zuriack.77) Nur ist die Baumkulisse
am Rand auf der Radierung fortgelassen und dafiir ein kleines Gewachsstill*
lebeh in die Ecke gesetzt. Dadurch ist die Komposition freier geworden. Die
129
R. D. 13". HAFEN MIT GROSSEM TURM
Baumgruppe in der Mitte ist etwas steif, auch die Laubbehandlung scharfer,
nicht so tupfig und locker, wie beim » Sturm «. Der Himmel ist oben mit
Parallellinien versehen, die wirksam durch feine Diagonalstrichelchen unter*
brochen werden. Herde und Hirten, darunter eine Frau auf einem Esel, stehen
noch etwas hart in der Silhouette. Dafiir ist der Hintergrund, trotz des Mittel*
baumes, als Ganzes gesehen, durchlaufend. Er ist reich an zarten, ganz fein
hingehauchten, hell im Hellen stehenden Details, die freilich noch etwas ge#
sondert zum Vordergrund stehen. Das zugehorige Bild aus der Friihperiode
war fur Paris bestellt. Es ist nicht unwahrscheinlich, dafi es als Pendant fur
eine Marine78) bestimmt war, ebenfalls fur Paris, die sich heute in Grenoble
befindet. Dann wiirde die danach gearbeitete Radierung » Ha fen mit dem
groflenTurm« (R. D. 13), die auch die gleiche Technik zeigt, in dieselbe Zeit
gehoren wie der »Aufbruch«. Die Details, wie etwa bei der Fregatte, sind sehr
no
R. D. 231. FORUM ROMANUM (CAMPO VACCINO) (1636)
sorgfaltig ausgefuhrt, aber das Licht stromt noch nicht in dem gleichen Mafie
wie bei einem spateren Seestiick: dem »Sonnenaufgang«.
Alle diese ausgefiihrteren und gewissermafien sachlicheren Kompositionen
gehen demnach neben den mehr skizzenhaften und malerisch aufgelockerten
Radierungeh nebenher und gehoren, ebenso wie diese, in die erste Ha'lfte der
dreifiiger Jahre. Einen gewissen Abschlufi dieser Reihe bildet die 1636 da*
tierte Radierung des »Campo Vaccino« (Forum) (R. D. 33). Sie stimmt mit
dem kleinen Louvre*Bild (s. o.) in weitgehendem Mafie iiberein.79) Die Fi#
guren sind etwas gehauft (im Hintergrund starker als auf dem Bild) und
durchaus genrehaft. Sie erinnern sehr an Callotsche Gestalten. Dazu tragt
bei, dafi das Forum als Tummelplatz fiir die Soldateska genommen ist, die
131
R. D.8"i. HIRT UND RINDER (1636)
auf ihm mit Hunden, Stierhetzen usw. ihr lautes Wesen treibt. Das Ganze
ist auf hell und dunkel gestimmt, aber durchaus nicht luminaristisch. Zwar
ist der Himmel mit dunklen Wolken gegen den Horizont hin aufgehellt, aber
auch hier leuchtet es nicht iiber das ganze Bild hin, iiber Boden und Gebaude.
Das Licht verteilt sich, zieht in Streifen, aber es durchdringt nicht das Ganze.
Um so merkwiirdiger ist es, dafi aus dem gleichen Jahre 1636 ein wahres
Wunderwerk aufgeloster lichtgetrankter Technik stammt: der viel bewunderte
»Rinderhirt« (le bouvier) (R. D. 8). Es ist weder so skizzenhaft und derb
wie die kleine »Furt« von 1634 und die Blatter, die sich darum gruppieren,
noch so trocken im Strich wie die letztgenannten Radierungen. Der »Bouvier«
geht (wie oben S. 71 erwahnt) mit dem Prado*Bild ziemlich nahe zusammen.
Aber an intimem Reiz ist das Bild mit der von Licht und Farbigkeit fun*
kelnden Radierung nicht zu vergleichen. Alles ist innerlicher, zusammenge*
schlossener. Nirgends gibt es eine tote Stelle; die kahlen Saulen der Temped
132
mine auf dem Gemalde sind auf der Radierung iiberwuchert von Asten und
Gerank, das sich den Felsvorsprung herunterzieht. Der groCe Baum ist reicher,
gegliederter. Der Eingang zum Hof, bei dem die antiken Elemente einer idyl*
lischen Behaglichkeit Platz gemacht haben, ist ganz von Baumen iibersponnen.
Dahin strebt gemessenen Schrittes durch die Furt watend die Rinderherde. Die
Waldgasse zu dem lichtgefleckten Haus, der Zug der Rinder und die Ufer#
boschung bilden eine scheme Kurve. An ihrem Ende oder Anfang sitzt als
notwendiger Abschlufi im Schatten der von Claude so geliebten Baumruine
ein flotespielender Hirt. Weiter geht die geschwungene Linie des Flusses zu
dem ganz gelosten Hintergrund, der weich und zart, aber doch bestimmter
Form voll im Lichte schwebt. Oberall stromt dies Licht, das sich schon neigt —
wenn auch nicht zu so melancholischer Dammerung wie auf dem Prado^Bild.
Es durchdringt Aste und Laubmassen, flimmert auf in den Grasern und dem
Boden des Vordergrundes, spiegelt sich imWasser und zerteilt sich in den
reinen Liiften. Das ist mit einem Empfinden und auch mit einer Technik
bewaltigt — fern von allem Handwerksmafiigen — , die niemand in jener
Periode — auch Elsheimer nicht — aufzuweisen hatte. Erst das XlX.Jahr*
hundert hat versucht, diese Lichtprobleme wieder aufzunehmen.
Ober dasThema »LandlicherTanz«, das Claude unter seinen Gemalden
besonders in seinem bekannten Louvre #Bild von 1639 behandelt hat, gibt es
drei Radiervariationen. Einmal einen »Tanz am Rand eines Wassers« (R. D.6),
dann einen »Tanz unter Bd'umen« (R. D. 10) und schliefilich einen »Bauer-
lichen 7anz« (R. D. 24). Alle drei sind nicht datiert. Immer sind es zwei
oder dreiTanzende in der Mitte, dann seitlich die Zuschauer stehend oder
auf einem schrag gelegten Baumstamm sitzend — unter ihnen ein Dudelsack*
pfeifer. Nirgends sind es soviel Figuren, wie auf dem Louvre* Gemalde von
1639 (s. oben Abb. S. 46). Der »Tanz am Wasser« kommt am nachsten an den
»Bouvier«, d. h. an die Zeit von 1636 heran. Auch hier wird der Hintergrund
in ahnlicher Weise behandelt mit seinen reichen, liebevoll ausgefiihrten, aber
133
R. D. 6 "I. TANZ AM WASSER
von Licht zersetzten Formen. Der Vordergrund nimmt aber an dem Licht
und der Losung nicht in gleichem MaCe Teil. Er setzt sich ziemlich scharf
vom zweiten Grunde ab. Ebenso stehen die Figuren der Tanzenden und der
Zuschauer noch etwas silhouettenhaft dunkel, ahnlich wie auf dem » Aufbruch«
- wahrend sie auf dem »Bouvier« vielmehr mit dem Ganzen zusammengehen.
Der Unterschied ist freilich nicht so grofi, dafi es nicht auch an der Atzung
liegen konnte. So kann man das Blatt wohl als eine unmittelbare Vorstufe
des »Bouvier« oder auch als mit ihm zusammengehend auffassen. Dagegen
ist der »Tanz unter Bdumen« sehr viel freier. Die Figuren sind loser, unge«
zwungener, die Laubbehandlung ist ahnlich frei und lichtdurchwachsen wie
beim »Bouvier«. Der Vordergrund ist viel mehr in das Ganze einbezogen,
einheitlicher im Licht — fast noch iiber den »Bouvier« hinaus. Die Verteilung
der Baumgruppen, die die Komposition bedingen, kommt ahnlich auf dem
134
R. D. 10 ii. TANZ UNTER BAUMEN
Lou vre# Bild vor. Die Stellung der beiden Tanzenden ist ebenfalls auf Bild
und Radierung verwandt — mehr als bei dem vorigen; endlich ist auch der
Dudelsackpfeifer hier wie da ganz im Vordergrund.80) So diirfte diese Ra*
dierung von den beiden wohl die spatere und als Seitenprodukt zu dem
Bilde also um 1639 entstanden sein. — Schwieriger ist der »Ldndliche Tanz«
einzureihen. Er entspricht einem Bild beim Herzog von Westminster.81)
Die Serie des »Feuerwerks« (feux d'artifice) (R. D. 28—40) ist 1637
datiert. Doch ist sie nur ein Gelegenheitsauftrag und zahlt kiinstlerisch iiber*
haupt nicht mit. Es sind Darstellungen einer »girandola«, die zur Feier der
Kronung Ferdinands III. zum deutschen Kaiser und Konig von Rom vom
spanischen Gesandten gegeben wurde. Dieses Feuerspiel sollte nun mit der
Radiernadel in einer Serie verewigt werden. Ahnliche Darstellungen von Ein#
135
ziigen und Dekorationen bei grofien Feierlichkeiten wurden auch sonst be*
deutenden Kiinstlern gegeben. (So hat unter anderen auch Guido Reni eine
solche Serie gestochen fur den Einzug Clemens VIII. in Bologna.) Die un*
bedeutenden und recht ungeschickten Radierungen geben die verschiedenen
Phasen des Feuerwerks wieder: einen von Atlas gestiitzten Globus, aus dem
Feuerstrahlen brechen, einen Turm, der im Feuer zerfallt, aus dem dann die
Statue des romischen Konigs herauswachst, und ahnliche Spielereien mehr.
Der architektonische Hintergrund ist manchmal locker, wie impressionistisch
behandelt.
* *
*
Von 1637 bis 1651 begegnen keine datierten Radierungen mehr. Dies ist
aber kein Grund, wie man allgemein getan hat, anzunehmen, dafi Claude in
diesen 14 Jahren die Radiernadel iiberhaupt ha'tte ruhen lassen. Nur hat er
sich nicht mehr so intensiv damit abgegeben, weil seine malerischen Aufgaben
fast alle seine Zeit in Anspruch nahmen. Vielleicht lassen sich aber doch noch
einige undatierte Radierungen in diese Zeit setzen, die sich stilistisch sonst
nur schwer unterbringen lassen.
So wird die » Holzbrucke«. (R. D. 14) gewohnlich ganz friih angesetzt.
Man konnte auch versucht sein, sie zu jener Gruppe zu stellen, die ich oben
als die »trockene« bezeichnet habe, die neben der skizzenhaften, Anfang der
dreiBiger Jahre, herlauft. Doch spricht manches dagegen. Die Baumkulissen
sind sehr frei, durchaus nicht schematisch gestellt, das Waldchen mit dem
Einblick in das Waldinnere, in dem sich kleine Figiirchen zeigen, erinnert an
die Dresdener »Flucht« von 1647. Die Staffagefigurchen sind nicht mehr
genrehaft, sondern ganz in die Landschaft eingepafit. Vor allem ist es die
klar und scharf gezeichnete Feme mit dem dunkel schraffierten Bergzug, die
ganz im Gegensatz zu den aufgelosten und zarten Hintergriinden der
friiheren Radierungen steht. Hier ist der Hintergrund vielmehr auf einfache
grofie Linien hin behandelt und gibt dem Ganzen einen mehr getragenen
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R. D. 14". HOLZBRUCKE
Charakter. Die Radierung stimmt mit einem Gemalde uberein,82) das eines
der sieben 1st, die Claude fur den Kardinal Giorio gefertigt hat; fur diesen
Pralaten scheint Claude nach denDaten der Bilder zu urteilenMitte der vierziger
Jahre gearbeitet zu haben. So kommen wir auch auf diese Weise in die Nahe
des Dresdener Bildes. Auch mit andern Bildern der vierziger Jahre in ihrer
neuen Tektonik beriihrt sich die Radierung, so mit der »Miihle«.83)
Ganz anderer Art ist ein ganz hervorragendes Blatt, der »Sonnenaufgang«
(R. D. 15). Es ist signiert, aber in den meisten Zustanden nichtdatiert.84) Die
Radierung hat engsteBeziehung zu dem schonen »Seestiick« in derEremitage. 85)
Es ist nun ausgeschlossen, dafi dies ganz geloste Atmospharenbild vor 1636
entstanden ist. Das miifite man aber annehmen, wenn man die Radierung, die
zweifellos nach dem Bild geschaffen, denn sie stimmt sehr mit ihm iiberein,
um 1636 ansetzt, wie es meist geschieht. Das Bild in Petersburg diirfte nicht
139
vor Ende der vierziger Jahre entstanden sein. Also ist auch die Radierung
um diese Zeit zu setzen. Alles ist hier — mehr als bei irgend einem andern
Blatt — auf das Licht gestellt, das mit einer wahren Gewalt, fast wie bei
Turner, im Hintergrund explodiert. Die Figuren des Vordergrunds: die
Reisenden mit der Laute, der Mann im Boot, der Triumphbogen, das Laub,
die Schiffe — alles ist von Licht durchdrungen und in ihm aufgelost. Je weiter
nach hinten, desto mehr gewinnt es an Glanz. In dem zweiten Zustand hat
Claude versucht, mit Hilfe der kalten Nadel diese Strahlen noch breiter, leuch*
tender zu machen, wahrend zuerst aus dem wolkigen Himmel nur einige
wenige brachen. Jetzt iiberstrahlen sie alles.
Auch R. D. 12 »Die Briganten«. halte ich nicht fur relativ friih.86) Die
ganze Art der Behandlung hat etwas Grofiartiges, wie es sich erst bei dem
spaten Claude findet. Ein heroischer Stil, der in dem Hintergrunde nicht
mehr die feine Lichtbehandlung von friiher zeigt, sondern grofie Massen
zusammennimmt und sie aufgeregt, diffus beleuchtet — wie mir scheint, nicht
ohne Einwirkung des Poussinschen Landschaftstils. Das Thema ist hier ein
fur den so sanften Claude ganz ungewohnliches: ein rauberischer Oberfall.
Zwei Manner greifen einen dritten an, und weiter nach hinten, durch zwei sich
kreuzende Baumstamme hindurchgesehen, fiihrt ein dritter eine halbohn*
machtige Frau fort. Das spielt sich in einer ganz grofien Landschaft ab, wie
sie Claude sonst kaum geschaffen hat. Sie pafit zu dem Drama, wie auch
die Figuren gut in ihr stehen.87) Der Boden ist ganz breit behandelt mit aus*
gefiihrten lappigen Pflanzen, wie sie Claude gern verwendet. Sta'mme von
Schlinggewachsen umrankt wachsen wild durcheinander, iiberschneiden sich
und geben mit dem sich neigenden Palmbaum eine wilde, romantische Seiten*
kulisse. Dahinter offnet sich ein prachtvolles Tal von fast alpinem Charakter.
Dichte Tannengruppen stehen weich und doch duster gegen kahle Berge,
iiber die das Licht in breiten Flachen hinwegzieht. Bis dann die reinen
Konturen der Hiigel nach hinten abschliefien. Der Himmel mit ein paar
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R. D. 18". HERDE BEI AUFZIEHENDEM GEWITTER (1651)
Wolken ist mit wenigen Parallelstrichen angedeutet. In diesem Blatt geht
Claude iiber sich selbst hinaus. Hier ist er heroisch und kraftvoll wie nie
sonst. Es muC das seine reifste Zeit sein.
Mit den funfziger und sechziger Jahren kommen wir zu Claudes elegisch*
mythologischem Stil. Eine grofie Ruhe und Feierlichkeit kommt iiber die Land*
schaft. Licht und Schatten werden zu groGeren Komplexen zusammengefaflt.
Die luminaristischen Experimente, das Verschwinden im Licht, das Auflosen
durch die Atmosphare horen auf oder werden gemildert. Die helle Form wird
scharf und klar durchgezeichnet, es bleibt aber die Lockerheit, das Porose
des Stoff lichen.
Gleich das fruheste Blatt dieser Epoche, das 1651 gezeichnet ist, ist eines
der bekanntesten: »Herdebei aufziehendem Gewitter* (R. D. 18). Fast parallel
143
R. D. 17 I. MERKUR SCHLAFERT DEN ARGOS EIN (1662)
zu dem mit breitem Gewachsstreifen versehenen Bildrand zieht sich iiber das
ganze Bild hinweg in leisem Bogen die Herde von Hirten getrieben. Machtig
steigen seitlich die Saulen einer Tempelruine auf. Der Blick offnet sich weit
auf bewegtes Terrain, auf Hiigel, die von Ba'umen umwachsen sind, und die
ein Kastell kront. Weiter zuriick wechselt Hell und Dunkel bis zu den scharf
gezeichneten Bergkuppen des Hintergrundes. Am Himmel krause Wolken;
die Parallelschraffuren kreuzen scharfe Regenstriche. Aber der Sturm bleibt
nur am Himmel, die Landschaft scheint kaum davon beriihrt. Noch atmet
sie ihr sonniges Leben weiter. Nur eine leise Melancholic, eine Schwere
zittert iiber dem Ganzen.
»Merkur, der Argos einschldfert« (R. D. 17) ist 1662 datiert und entspricht
einem 1659 entstandenen Gemalde. 88) Das Blatt ist matter, unlebendiger als etwa
144
die »Entfiihrung Europas«, das Licht spielt nicht mehr dieselbe Rolle wie
friiher. Ein gleichmafiiger silberner Schein 1st iiber alles gebreitet: iiber den
Vordergrund mit den lagernden, grasenden Tieren und der mythologischen
Figurengruppe an den Stufen des Tempels; iiber den Mittelgrund, der als
Terrain ebenso reich bewegt ist wie auf den Bildern derselben spaten Zeit.
Und in der gleichen Helligkeit schliefien Flufi und Berge die Landschaft nach
hinten ab. Eine grofie, aber etwas monotone Ruhe lagert iiber dem Ganzen. —
Auch R. D. 20 » Apollo und die Jahreszeiten« tragt ahnlichen Charakter —
nur sind die Abziige meist recht matt, und durch das Betonen des Figiirlich*
Allegorischen wirkt das Blatt etwas unerfreulich.
1663 ist das letzte Datum. Es findet sich auf R. D. 19, dem » Ziegenhirt«.
einem besonders klaren, hellen, fur diesen Spatstil typischen Blatt. Unter
schoner zentraler Baumgruppe sitzt der Hirt in elegischer Haltung. Seitlich,
teilweise vom Rande iiberschnitten, lagert die Ziegenherde. Von diesem Hiigel,
von dem herab man weit hinein iiber Berge auf das Meer blickt, zieht sich
eine Bogenbriicke zu einem anderen Hiigel, dessen breiten Gipfel wiederum
Stadt und Kastell einnehmen. Vergleicht man damit ein friihes in der An#
lage sehr ahnliches Blatt, wie den«Aufbruch« (Abb. S. 129), so sieht man wie
steif und hart da noch die Baummassen behandelt sind, wie schwer und schwarz
Menschen* und Tiersilhouetten dort gegen die Luft stehen, wie nur die Feme
hell und zart behandelt ist gegen die Dunkelheiten vorn. Auf dem Spatwerk
sind Licht und Schatten viel gleichmafiiger verteilt, das Licht bleibt nicht nur
einseitiges Problem des Hintergrundes, es durchdringt auch die vorderen
Partien, so dafi auch der Vegetationsstreifen vorn, die Ziegenherde, vor allem
aber auch Aste und Laub der Baummasse viel gelockerter werden, zu gleicher
Zeit aber auch straffer, tektonischer gefiigt. Die Stadt des Hintergrundes
verschwimmt nicht mehr im Lichtnebel, sie nimmt teil am Aufbau des Ganzen,
das dadurch konzentrierter, einheitlicher wird — wenn auch vielleicht ein wenig
temperamentloser als die friiheren Radierungen.
145
R. D. 21 i. SCHAFER UNO SCHAFERIN
Verwandt mil dieser »Ziegenherde«t alle Zeichen der Spatzeit tragend,
1st die undatierte Radierung y>Schdfer und Schdferin«, R. D. 21. Fur die Arbeits*
weise des spaten Claudes interessant sind hier die verschiedenen Zustande
der Platte. Der erste ist noch ganz hell gehalten, nur wenige Tiefen sind in
den Vegetationsstreifen vorn, im Laubschatten und an ein paar anderen Stellen
betont. So ist das ganze Blatt fast ohne Kontraste, ganz aufgelockert im
Licht. Das schien dem Kiinstler wohl zu uniibersichtlich, zu unruhig. Er
brauchte, der Entwicklung seines spaten Stils entsprechend, klarere Fassung,
groBere Ruhe, abgewogenere Massen. So unterdriickte er im dritten Zustand
alles, was das Auge vom ruhigen Gleiten abziehen konnte, die allzuvielen
Einzelheiten: die ragende Stadt im Hintergrunde zwischen den Baumen, den
146
R. D. 21 1". SCHAFER UND SCHAFERIN
ausgefiihrten Ast vorn und Ahnliches. Die Baume schlofi er zu grofien klaren
Massen zusammen, betonte die Struktur des Bodens, indem er die Diagonale
des Grabens scharfer zog, und brachte durch Schatten und Licht kontrastreiche
und lebendige Gliederung hervor. So bekommt er aus dem im Licht zer*
fliefienden ersten Zustand heraus nun eine grofie Landschaftsstruktur mit
klar gesehenem Grund: Wasser, Briicke, Bergen. Die Ahnlichkeit mit der
»Herde bei Gewitter« mit ihrem ahnlichen Wechsel von Hell undDunkel und
der gleichen Art, den Zug der Herde zu fiihren, kommt bei dem dritten Zu*
stand deutlich heraus. Die Radierung ist reifer, als die entsprechende Zeichnung
L. V. 87, mit der sie in vielem, aber nicht in allem (besonders nicht im Hinter*
147
grunde) iibereinstimmt. Sie gehort zweifellos in die Spatperiode nach 1651,
wenn nicht erst in die sechziger Jahre.
Uberblickt man die Folge der Radierungen Claudes, so wird man wohl
eine Entwicklung sehen, aber keinen eindeutigen und einheitlichen Verlauf.
Vielleicht liegt das auch daran, daB fur Claude die Radiernadel kein gewohntes
Instrument war, sondern dafi er sich in verschiedener Art damit versuchte. So
stehen die trocknen und gewissenhaften Radierungen, die man in die erste
Halfte der dreifiiger Jahre setzen muG, dicht neben saftigen und breitstrichigen
Radierskizzen. Der »CampoVaccino« fallt in dasselbe Jahr, wie die reizvoll ge*
loste Komposition des »Bouvier«. Daran reihen sich die verschiedenen Tanz*
darstellungen, die sich vielleicht bis nach 1639 hinziehen, also in eine Periode,
in der sich keine Datierungen finden und die man daher als fur die Radierung
nicht existierend angesehen hat. Das Lichtexperiment, das in Claudes Bildern
und noch mehr in den Zeichnungen eine solche Rolle spielt, kommt in dem hen>
lichen »Sonnenaufgang« zum Durchbruch, den ich an das Ende dieser Periode
setze. Ebenso lege ich die im Poussinschen Sinne »heroische« Landschafts*
radierung, die »Briganten«, ungefahr dahin. Endlich kommt auch in der Ra*
dierung der elegisch#abgeklarte Hoch* und Spatstil zum Durchbruch, der
klar zusammengefaBte Formen sucht. Doch sind es nur wenige Blatter, von
denen die »Herde« einen besonders schonen Auftakt bildet. So ungeradlinig
geht die Entwicklung. Auch qualitativ sind Unterschiede zu spiiren. Bei
weitem nicht alle Blatter haben die Vollendung des »Bouvier«, des »Sonnen#
aufgangs«, der »Briganten« — teils sind sie zu skizzenhaft, teils zu ausgefiihrt,
auch technisch mitunter nicht ausreichend. Aber doch bietet fast eine jede
Radierung einen Reiz, gibt die Lyrik und das landschaftliche Empfinden
Claudes noch intimer fast wie seine Gemalde. Und ist fast ebenso farbig
und im Licht gedacht. Nur die Zeichnungen gehen noch daruber hinaus.
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CHRONOLOGISCHES
VERZEICHNIS DER RADIERUNGEN
1630—1635 a) skizzenhaft, federstrichartig:
R. D. 1 Flucht nach Aegypten (La fuite en Egypte).
R. D. 2 Erscheinung (L'apparition).
R. D. 25 Hirt und Hirtin (Le patre et la bergere).
R. D. 26, 27 Ziegenherde (Les trois chevres, les quatres
chevres).
R. D. 5 Sturm (La tempete), 1630 (datiert).
R. D. 3 Furt (Le passage du gue), 1634.
R. D. 22 Entfuhrung Europas (L'enlevement d'Europe),
1634, vgl. L. V. 136.
R. D. 4 Herde an der Tranke (Le troupeau a 1'abreu*
voir), 1635.
b) ausgefuhrt, trocken:
R. D. 9 Zeichner (Le dessinateur), L. V. 44.
R. D. 11 Hafen mit Leuchtturm (Le port de mer au fanal).
R. D. 7 Schiffbruch (Le naufrage), L. V. 33.
R. D. 16 Auf bruch der Herde (Le depart pour les champs),
L. V. 20.
R. D. 13 Hafen mit grofiem Turm (Le port de mer a la
grosse tour), L. V. 17.
1636 R. D. 23 Forum (Le Campo*Vaccino) 1636, L. V. 10.
R. D. 8 Rinderherde (Le bouvier), 1636.
Um 1636 R. D. 6 Tanz am Rande eines Wassers (La danse au bord
de 1'eau).
153
1637 R. D. 28-40 Feuerwerksserie (Feux d'artifice), 1637.
(1638—1651 Keine datierten Radierungen.)
Um 1639 R. D. 10 Tanz unter Ba'umen (La danse sous les arbres),
vgl. L. V. 13.
R. D. 24 Landlicher Tanz (La danse villageoise), vgl. Bild
beiWestminster(vielleichtauchspater, nach 1650).
Um 1645-1650 R. D. 14 Holzbrucke (Le pont de bois), L. V. 52.
R. D. 15 Sonnenaufgang (Le soleil levant), L. V. 5.
R. D. 12 Briganten (Scene de brigands), vgl. L. V. 3.
Spatzeit, nach 1650 R. D. 18 Herde bei aufziehendem Gewitter (Letroupeau
en marche par un temps orageux), 1651.
R. D. 21 Schafer und Schaferin (Berger et bergere con*
versant), vgl. L. V. 87.
R. D. 17. Merkur, der Argos einschlafert (Mercur et
Argos), 1662.
R. D. 20. Apollo und die Jahreszeiten (Le temps, Apollon
et les saisons), 1662, L. V. 150.
R. D. 19 Ziegenhirt (Le chevrier), 1663.
Aufierdem R. D. 41-44, nicht naher einzuordnende Kritzeleien.
154
ARBEITSWEISE UND ZEICHNUNGEN
Cage r»or Cags un6 bif in 6te Hadji im ^eI6e/ 6amit er 6te Cagtofyte / 6er Sonnen
Huf* un6 Hi&ergang/neben 6en2lben6«Stun6en red?t natiirlid? 311 bil&en/erlernete/
un6 n>ann er etns o6er 6as an6ere im ^eI6 n>ol betradjtet/ tempertert er alfobaI6 feme
^arben 6arnad? / Iteffe 6amit nad) fyms/un6 tr>an&te fte an fein Dorfyaben&es IDerf
mit r?tel grofcrer Icaturltdjfeit/als fcin an6erer ror ifyn getan.«
So berichtet uns Sandrart iiber Claude Lorrains Arbeitsmethode aus den
Zeiten Ende der zwanziger Jahre, als Claude nach dem mifiglikkten Versuch
in Nancy wieder in seiner geistigen Heimat Rom eingetroffen war. Er spe*
zialisierte sich damals und von da ab, da er in der figuralen Zeichenkunst » fetne
eintge IHanier nod? ^ierlidj!ett« annehmen konnte, auf das Anfertigen von kleinen
Landschaftsbildchen mit Architektur. Aber diese Kunst will er nun auch ver*
tiefen, »ergriinden«. Dazu begibt er sich in die Natur, sucht ihr »auf alle
IDeyjf bet5ufommen«. Die Zeichnungen Claudes — dieses vielleicht schonste
Ergebnis seiner Kunst — bestatigen oder erganzen Sandrarts Angaben. Tat*
sachlich macht das Wesentliche der Kunst Claudes das aus, worauf Sandrart
hinweist: die Beobachtung des wechselnden Lichtes, der Tageszeiten, der
Morgen* und Abenddammerung. Auf dieses farbige Lichterlebnis stimmt er
seine Palette — macht wohl ganz im Rohen eine Farbenskizze — , dann geht
er nach Haus und malt das Bild nach seinen noch frischen Erinnerungen.
Sandrart riihmt sich nun, er sei es gewesen, der Claude diesen unbequemen
Weg erleichtert hatte. Durch ihn ha'tte Claude direkt nach der Natur zu malen
gelernt. Claude sei viele Jahre hindurch »ta'gltd) in bas $db fytnaus un6 6en
tpeiten IPeg tmefcer Ijetm gelauffcn / Mf er mtdj en6Iid? 511 fTtDoIi, in 6en tDtI6en
^elfen bey 6em beriiljmten IDafferfall/mit 6ent Penfel in 6er £^an6 angetroffen/
un6 gefe^en/6af idi 6afelbft nadj 6em £eben mal?Ite/audj riele IDerfe nadj 6er
157
Hatur felbften un6 nirf?t aus 3magination un6 €inbtl6ung madjte/fo irmie 6er-
mafen rool gefallcn/6a£ er gletdje lDet£ ansunefymen fid] enMid) befliffen«. Auch
noch cine andere etwas versteckte Stelle bei Sandrart 1st wichtig und charakte*
ristisch: »als metn nadtfter Had?bar un6 fjausgenof 511 Horn / 6er berufymte €Iau6ius
(Stilt, fonft Coratnes genant/ tmmer mit ins $db roollte/um nadj 6em £eben su
5Ctd)nen/aber I^tersu von 6er Icatur gar nidjt begunftet roar / I?ingegen sum Had?,
ma^lcn cine fonfcerbare ^ai?tgfett l?atte/als I?aben tmr urfadj genommen (anftatt
6es <3etd?nens o6er Cufd?ens mit fdjmarser Kret&e un6 6em Penfel) in offenem ^eI6/
ju Ctrolt, ^rcsca6a, Subtaca unb an6erer 0rtcn / au* al 5. Benedetto bit Bergc /
6rotten/^l?aler un6 €tno6en/6ic abfd)cultd?e U^affcrfdUe 6er Cyber / 6en Cempel
6cr StbyUa un6 6ergletdjen mit ^arbc/auf gegri\n6t papier un6 Ciidjer poUig nad?
6em £eben aussumafylen. Diefes ift/mcincs 6afurt?altcns/ 6ie bcfte 117anier/6em
Derftan6e 6ic IParl^cit ctgentlid) cin5u6rucf en : roeil gleidjfam 6a6urd) Ceib un6 Seek
5itfammen gebradjt u?ir5. Jn ^cn (5^i^?nun9cn ™™b I?i"9^3cn aI5u w^ 5
gangen / 6a 6ic tual^re (Seftalt 6er 5ad?en nimmer me^r alfo pur eigentlidj
fommet.«
Der reife und grofie Claude Lorrain hat sicherlich nicht seine Gemalde
vor der Natur entworfen oder gar fertig gestellt. Aber in jener romischen
Friihzeit, von der Sandrart erzahlt, ist es schon moglich, dafi manche seiner
kleinformatigen Bilder vor der Natur entstanden sind. Das brauchte er iibrigens
nicht erst von Sandrart zu lernen. Auch sein Lehrer Tassi malte Civitavecchia
»dal naturale«, wie aus Rechnungen hervorgeht. Von Claude selbst berichten
die Biographen, dafi er die Villa Madama mit ihrem » Hain und anderen schonen
Veduten« nach der Natur gemalt ha'tte; ein Bild, das Clemens IX. gern fur
sich erwerben wollte, das aber der Kunstler — weil er es nur fur sich gemalt —
nicht hergab, vielmehr seinen Erben hinterliefi. So mogen solche kleinfor*
matigen Bilder, 89) wie die fur Bethune, aber auch andere, wie das Bildchen mit
der Ansicht von Castel Gandolfo fur Urban VIII., vor der Natur entstanden
sein — was iibrigens ein kompositionelles Umsetzen bis zu einem gewissen
158
Grade durchaus nicht ausschliefit. Die grofien Landschaften Claudes, be*
senders die nach 1640, sind jedoch sicherlich nicht vor der Natur entstanden —
es sind durchaus komponierte Ideallandschaften, die keinen Naturausschnitt,
sondern stets das Typische der Landschaft geben wollen. Sie sind auch tech*
nisch mit grofier Miihe und Sorgfalt gearbeitet, wie das nur im Atelier moglich
ist. Sandrart widerspricht sich selber, wenn er sagt: ȣwat tft es tr>afyr, 6af
er feine £an6fdjaften mit iiberaus grofer Znufyfamfeit/6urd? oft tmefcerfyoltes Hber»
mafylen/ Unterfudjen un6 iibergefyen 5U folcfyer Perfection bringet/fo 6af er oftmals
an enter Sad? ein o6er 5tr>ey tDodjen arbettet/ un6 gletcfytDofyl faft nicfyt 5eigen fan/
tr>as er getfyan fyat«. Also an ein »Prima«#Arbeiten, wie vor der Natur, ist
nicht zu denken.
Gerade ein solches Arbeiten im Atelier verlangt eine ganz genaue und in#
time Kenntnis, ein iiberragendes Beherrschen des Naturgegebenen. Nicht um
manieristische Phantasien war es einem Kiinstler wie Claude zu tun. Natur*
formen dienten ihm nicht nur als Unterlage fur kunstlerisch freie Stilisierung
und spielerische Obertreibung (wie etwa in den Esquilin* Landschaften oder bei
Bles). Er erstrebt ein normatives Erfassen in ideeller Steigerung alles organisch
Gewordenen: der Blumen, Baume und Biische, der Berge und Hiigel, der
Erd* und Meeresoberflache und der Wolken — das alles eingetaucht in den
Strom der wechselnden atmospharischen Erscheinungen. Sandrart blieb immer
Manierist, er suchte abzubilden: »gute ^elfen/ Stdmme/ Baume/ IDafferfalle/
<5ebau6en un6 Kuinen/6te grof un6 5itr Ztusfiillung r>on ^tftorien tauglidj tr»aren.«
Hingegen malte Claude »in fleinem format, was von 6em 5n?eyten ®run5 am
toetteften entlegen / nadj 6em £)ort5ont perlteren6 / gegen 6en £)immel auf/6artnn
er ein ZHetfter a?are.« So wird Claude seine Methode trotz Sandrart nicht auf
lange Zeit geandert haben.
Ein unermudlicher Wanderer — durchaus unitalienisch darin — zog er
durch die romischeCampagna mitihrerden nordischenFremden so ergreifenden,
grandiosen Unfruchtbarkeit. Er streifte durch die lieblichen Albaner* und
159
die rauheren Sabinerberge von Tivoli bis Subiaco, war aber vielleicht noch
mehr heimisch in den gestrtippbewachsenen Niederungen nach dem Meer zu,
den pontinischen Siimpfen und am Strande vom Kirke*Kap bis Civitavecchia.
Dort lebte er wohl mit den Hirten und ihren Herden: ein Halb wilder (auf
dem Sandrart=Portrat sieht er wenigstens so aus). Dort erfafite er von jeder
Konvention befreit unmittelbar das organische Wachstum, die geheimsten
Licht* und Luftreize jener grofien, fast mythologischen Natur, in der alles
belebt und der Mensch nicht wichtiger ist, als Baum oder Welle oder die
glatten, dumpfen Kinder, die durch die Furt hindurch schwerfallig nach ihrem
Stalle streben. Nur dafi mitunter der Klang einer Hirtenflote die Stille der
Einode durchbricht und damit doch ein neues schwarmerisches »sentimento«
erweckt. Das war Claudes kiinstlerische Heimat, und von diesem » studio
dal vero« geben seine wundervollen Zeichnungen unschatzbare Kunde.
Freilich strebte Claude urspriinglich nach scheinbar Hoherem. Den
Organismus » Mensch « zu bilden, war ihm versagt. Das ist seinen Kameraden,
fur die die Historic, die menschliche Figur fast ausschliefllich im Mittelpunkt
des Interesses steht, schon zeitig aufgegangen. »l?ic fann id? ntdjt unterlaffen 511
eiyfylcn / 6af / one glikffeltg Mefer fdjdnc <Sctft ift/6te Haturlicfyfeit 6cr €an6fd?aft
n?ol r>or5uftelicn/alfo unglitcffelig fey cr in illenfd)en un6 Cfyieren/ob fte fdjon nur
etnes ^albcn fingers Iang/un6 unangcfc^en cr fcfyt cjro^e ZTlu^e un6 Arbeit 6aran
a>cn6et/aud] utelc 3a^?rc 5U ^-om auf 6cn 2tca6cntioen nad? 6ent Cebcn un6 6enen
Statueii gc5etd}nct / ja grofcrn ^ld£ auf 6te BtI6cr/aIs Can6fd)aften geroen&et/
bleiben fie 6od) iniffalltg.ee Spa'ter hat Claude das vergebliche Bemiihen wohl
selbst eingesehen, denn er pflegte scherzhaft zu sagen, dafi er zwar seine
Landschaften verkaufe, die Figuren darauf aber umsonst gebe. So sind die
Figuren auf den meisten Bildern, besonders der spateren Zeit, von anderer
Hand. Baldinucci nennt Filippo Lauri, der um eine Generation jiinger als
Claude sich speziell auf die Verfertigung von Bildchen mit kleinen Figurchen
gelegt hat. Fiir die friiheren mehr genrehaften »Figurinen« wird Jan Miel
160
genannt, ein Altersgenosse Claudes. Auch Francesco Allegrini, ein noch
weniger bekannter Maler, scheint hier und da geholfen zu haben. Figuren*
zeichnungen von Claude sind nicht erhalten. Er diirfte auch auf ihre Auf*
bewahrung kaum Wert gelegt haben. Doch kommen auf seinen Land*
schaftsskizzen hier und da Figuren in grofierem Mafistabe vor: Hubertus,
Christophorus, Aeneas, die Musen u. a., die allerdings ziemlich holzern und
ungeschickt erscheinen. Seine kleinen Figiirchen dagegen, sowohl von Mensch
wie von Tier, sind sehr viel besser. Vor alien Dingen sind sie stets aufier*
ordentlich gut und mit einem sicheren Instinkt in den Zusammenhang gesetzt,
passen sich der Landschaft an und heben sie, indem sie sie beleben. So gibt
auf dem »Bouvier« die kleine Gestalt des lagernden flotenspielenden Hirten,
der so selbstverstandlich die kreisende Bewegung abschliefit, dem reizvollen
Gebilde den letzten, aber unentbehrlichen Akzent. Dasselbe gilt von den
»Briganten«. Je reifer derKiinstler wird, desto mehr vermeidet er die Haufung
der Figuren, die auf seinen ersten Kompositionen noch etwas genrehaft in
den Vordergrund treten;auch daszu stark Silhouettenhaftemachteiner weicheren
Einfiigung Platz. Die Figuren gehoren auch bei seinen Gemalden notwendig
zum Kunstwerk; zweifelsohne hat Claude immer genau angegeben, wo sie
ihren Platz in dem kiinstlerischen Gesamtbild einzunehmen hatten. Nur die
Ausfiihrung vertraute er Fremden an.
Merkwiirdig, dafi derselbe Mann, so ungeschickt im Zeichnen der mensch*
lichen Figur, gleichzeitig ein ausgezeichneter und anscheinend passionierter
Architekturzeichner war. Freilich war er da bei Tassi in einer sehr guten,
jedenfalls langjahrigen praktischen Schulung gewesen. »<£r madjtc beimin6erns=
u>erte perfpe? tben, « sagt Baldinucci von ihm, »fpe5tell run&e Compel un6 fyatte
6afur ein befon6ercs Calent, 5eicfynete Bafen un6 Kapttelle nadj beftimmter Hegel,
ntdjt nur fo nacfy 6em Ztugenmaf , mie es mele £an6fcf?after madden .« Niemand
hat friiher soviel Prachtgebaude angebracht, wie Claude es mit sichtlicher Lust
tut, besonders auf seinen Hafenbildern, aber auch sonst, wo irgend moglich.
161
Dadurch erhalten die Landschaften den grofien feierlichen Stil, der die meisten
von ihnen auszeichnet, freilich auch etwas steif und iiberladen wirken kann.
Es sind groBe, pompose Gebaude, in dem strengen Barockstil klassizistischen
Geprages — dem im engeren Sinne barocken, massenbewegten Stil Borrominis
stand Claude (wie auch Poussin) sicherlich ablehnend gegeniiber. Meist sind
es freientworfene Bauten, ofters aber auch Nachahmungen vorhandener Bau*
lichkeiten und vor alien Dingen romisch antiker Ruinen. Bild und Radierung
des Forums geben dafiir ein gutes Beispiel, das sich noch an Brilsche ahnliche
Veduten anlehnt. So haben sich auch noch sorgfaltige Zeichnungen Claudes
von romischen Ruinen, Wasserleitungen und Grabmalern, von Bastionen,
Briicken und anderen Bauten erhalten.
Claudes intimstes Erfassen der Natur, sein ganz gelostes Sichversenken
in ihre wunderbaren Erscheinungen ist aber niedergelegt in seinen reinen Land*
schaftszeichnungen. KeinWunder, daB sie schon friih gesammelt wurden. ^
Auf Grund des zuganglichen Materials lafit sich eine eigentliche Entwicklungs*
linie noch nicht fest begriinden.91) Auf das Technische allein aufzubauen, so
daB die einfachen Feder* oder Stiftzeichnungen durchaus friiher waren, als die
einer zusammengesetzten farbigenTechnik,92) scheint mir bedenklich und nur
soweit zuzugeben, als allerdings die kompliziert behandelten ^Compositions*
zeichnungen oft einer spa'ten Zeit, ja sogar dem spaten Alter angehoren.
Es gibt Einzelstudien von ihm: Graser, Malven, Biische, wie er solche
Vegetationen auch auf dem Streifen, den er seinen Gemalden gern vorsetzt,
aufzubauen liebt. Ganz einfach mit breiter Feder hingesetzt, mit der Naivitat
eines Henri Rousseau. Bei solchen Blattern konnte man des Ausspruches seines
erbittertsten Kritikers Ruskin gedenken: Claudes Zeichnungen sehen aus wie
die eines Kindes von zehn Jahren. Das Gehassige dieses Paradoxes mildert
sich, wenn man nur an das Naive, Gluckliche denkt, womit ein geniales Kind
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FELSEN UND BAUME. LONDON, BRIT. MUSEUM
seine Freude an der Erscheinung umsetzt: zufassend und fern von jeder Hand*
werksgeschicklichkeit. Aber diese gewissermafien kindlichen Zeichnungen
Claudes sind nur vereinzelt. Claudes Schonheit und Einzigkeit beruht auch
nicht so sehr im Erfassen der Einzelform des Gegebenen, Struktiven — viel#
leicht waren Landschafter viel geringerer Qualitat ihm darin iiberlegen. Auch
nicht in dem Verlebendigen der Form durch Bewegung, durch ein gewaltiges
Aufwiihlen, durch Herausreifien des innersten Lebensnervs, wie es die Starke
eines Rubens vermochte. Claudes friedliches und beruhigtes Temperament
sieht ebenfalls Bewegung in dem Naturgegebenen, aber eine zartere, die durch
Spiel des Lichtes iiber zusammengefafite Flache hinweg entsteht, durch un#
wagbares Flimmern der Luft, gegen die flackernde Silhouetten schwarzer
165
BAUM UND BERG. LONDON, BRIT. MUSEUM
Stamme und hingetupfter Zweige und Blatter sich abheben. In diesem Sinne
lebendig bewegt sind auch seine reinen Naturstudien, in denen das Gegen*
standliche noch zum Zweck der spateren Ausfiihrung betont sein mufi. Ein Fels
wird nicht isoliert gegeben, sondern im Zusammenhang mit Erde und Busch*
werk, mit Vegetation, die auf und um ihn spriefit, jungen Stammchen, die
durcheinander wirren, so dafi ein ganz intimes, in sich geschlossenes Interieur
entsteht. Nur die Konturen sind mit Kreide oder Feder umzogen, das ganze
innere Leben bewirken jene herrlichen Lavierungen mit Bister, wie sie in
diesen warmen und weichen Niiancen niemand meisterlicher handhabte als
Claude Lorrain. Sie vermitteln das Atmospharische, das iiber Stein und Busch
lagert, durch die Abtonung in Hell und Dunkel baut sich — rein im Malerischen
bleibend — die Form.
166
BAUMSILHOUETTEN. LONDON, BRIT. MUSEUM
Die meisten der Zeichnungen gehen nicht so ins Einzelne, sondern geben
reinste Impression. Diese rasch hingesetzten ganz unmittelbaren Skizzen geben,
durch keine Konvention gestort, den feinsten Ausdruck von Claudes sensibler
und seiner Zeit weit vorauseilender Naturempfindung. Der Bister — diese
Rufifarbe — wird in seinen Handen zu einem aufierordentlich tonreichen und
schmiegsamen Material, das die feinsten Stufungen lichterfiillter Berghange
wiedergibt, gegen die sich weich und doch bestimmt spitze Graser, sich win*
dende Baume, diinne Zweige mit leicht hingestreuten Blattern, silhouettierte
Gestalten abheben. Ebenso, noch reduzierter und stilisierter stehen sie auf
einem anderen Blatt gegen abgetonte Luft. Wiederum ganz anders, gar nicht
mehr auf Silhouettenwirkung, sind die nur mit dem Pinsel hingewischten
Stimmungslandschaften — ungemein suggestiv, flachig aufgebaut und doch
weich vertieft. Den unmittelbaren Eindruck geben sie durch das nur An#
deutende, so eilig Hingeworfene, dafi die kahlen Stamme wie Schlangen in die
Luft stehen, die Aste sich in Schnorkeln winden. Durch die sanfte Verteilung
167
SKIZZE VON BAUMEN, WIEN. LONDON, BRIT. MUSEUM
von Hell und Dunkel und durch den porosen Auftrag der Lavierung, die Helle
und zugleich auch Feuchte der Atmosphare in sich birgt, entsteht die »Stim#
mung«. Unvergleichlich kommt dieses Feucht*Weiche, ganz grofi und zu*
sammengefafit gesehen, in einer nachtlichen oder ganz fruh#morgendlichen
Tiberlandschaft zum Ausdruck. Der Biische » Schattenruh « spiegelt sich
schwarzvertieft in den reinen Fluten. Uber die ganz weite Ebene verteilt
tauchen die weichen, tiefdunklen Buschballen auf, einzeln oder zu Ketten ge*
schlossen. iiberall durchsetzt von Wasser oder feuchtem Boden, bis zuletzt
die klare Form der Berge den bedeutenden Abschlufi bildet. Ein anderes
Blatt ist nicht so dekorativ, aber ebenso von »Stimmung« erfiillt — ein wahres
»nocturno«. Naiv und zugleich voll geklarten Schauens. Ober die Halite
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NOCTURNO. LONDON, BRIT. MUSEUM
der Komposition ist ausgefiillt mit einer Riesenbaumwand, die nur mit ein
paar hastigen Federstrichen gegliedert ist. Ihr Leben erhalt sie wiederum durch
die helldunklen Bistertonungen, die weich ins Weiche sich fortsetzen bis in
die wolkige Luft, durch die Mondenlicht dringt, das Flufital erleuchtend.
Claude kam es darauf an, durch Verteilung von grofien Flachen, von
Licht und Schatten die Massen zu gliedern, auf diese Weise stets vom male*
risch belebten Innern, nie von der Linie aus aufzubauen: das zeigt die Anlage
der Zeichnung eines Hohlwegs. Hier ist, durch die Lavierung von Bister vor#
bereitet, das Allgemeine, so auch die Rundung des Weges, der zwischen zwei
hohen Lehmbanken lauft, gegeben; dann ist mit schwarzer Kreide hineinge*
arbeitet, um einzelne Gelenke zu betonen; energische Schraffuren riicken die
171
HOHLWEG. LONDON, BRIT. MUSEUM
hellbeleuchtete Vorderwange der Lehmbank nach vorn und erzeugen so Tiefe.
Dann wird weiter mit Bister laviert, die breiten, dunkel sich abhebenden
Flachen werden angegeben. So kommt ein ganz modern wirkender Land*
schaftsausdruck zustande. Diese weiten Flachen in ihren gegensatzlichen und
doch aufeinander gestimmten Stufungen konnen zu einer ganz erstaunlichen
Energie und Grofie sich steigern, wie man sie wohl einem Rembrandt, aber kaum
dem mitunter scheinbar leidenschaftslosen Claude zutrauen wiirde. Ohne jedes
»Repoussoir« breitet sich, nur vom Licht und zarten, zerrissenen Schatten auf#
gewiihlt, derBoden. Schwarz (aber differenziert) steigt steil eine Baumwand
seitlich auf, schrag und unruhig nach der Mitte abfallend, Straucher darauf
gegen den Himmel mit kreuzweisen Pinselhieben angedeutet; dagegen aber
erhebt sich das regelmafiige Viereck einer hellen lavierten Wand, eines Hauses
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STUDIE MIT TURMWAND. LONDON, BRIT. MUSEUM
oderTurms, nur ganz am Fufi von dunklerer Silhouette unterbrochen. Da#
zwischen Luft und unbestimmte Feme. Nie kommt in Bildern Claudes ein so
unmittelbarer Wirkungsgegensatz zwischen Ruhig und Bewegt, Geschlossen
und Offen zum Ausdruck wie auf einer solchen Zeichnung. Von diesen Be#
leuchtungsstudien, die freilich nicht immer von gleicher Kraft, gibt es sehr
viele: von weiten Flachen, oder von Baumen in der Landschaft oder mehr ge*
schlossen in parkahnlichen Lagen.
Dann haben wir eine Fiille von Blattern, die nicht intime Landschaft*
Interieurs, sondern groBere, weitere Ausschnitte geben. Darunter auch ganz
sachliche. So enthalt das Berliner Kabinett eine Vedute des Hafens von
Civitavecchia mit dem Leuchtturm (Claude hat es mit seiner unbeholfenen
175
SONNENBELEUCHTETE BAUME. LONDON, BRIT. MUSEUM
Schrift genau bezeichnet). Die kahlen Bastionen, Turm und Denkmal sind
mit der Feder ganz niichtern hingeschrieben, nur die Lavierungen der Luft
zeigen eine besonders feine Stimmung. Es ist sehr wohl moglich, dafi die
Zeichnung relativ friih entstanden ist, als Claude von Nancy iiber Marseille
nach Rom zuriickkehrte und, wie erwahnt, in Civitavecchia langweilige Qua*
rantane durchmachen mufite (es gibt noch mehrere derartige triste Skizzen
des Hafenortes). Interessant ist auch eine ebenfalls wesentlich sachlich#topo#
graphische Zeichnung aus der Campagna di Roma »veiie a 3 milles de roma«,
ein Blick von einem Hugel mit Biischen und kahlen Baumen herab auf den
gewundenen Lauf des Tibers mit dem fernen Sorakte am Horizont. Der feine
Federstrich spielt hier die Hauptrolle, da es mehr auf die Form als auf die
Beleuchtung ankam. Die Lavierung ist daher nur leicht (auf demselben Blatt
oben eine leichte Skizze des Berghintergrundes nur mit der Feder). Andere
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RIPA GRANDE. LONDON, BRIT. MUSEUM
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KONSTANTINSBOGEN. LONDON, BRIT. MUSEUM
Studien von bestimmbaren Lokalitaten sind ausgefiihrter, mit breiterem Feder*
strich und oft ebenfalls nur leichter Lavierung. ZumTeil sind es romische
Veduten, die freilich nicht immer genau der Wirklichkeit entsprechen miissen.
So ist der Konstantinsbogen zwar an sich ziemlich genau skizziert, aber die
landliche Umgebung mit den weidenden Schafen ist romantische Zutat. Der
Hafen Roms, die »ripa grande« mit dem scharfen dunklen Vordergrunds*
streifen und den fast pointillistisch getupften Hausern ist ganz bildmafiig aus#
geschnitten. Das Blatt diirfte der romischen Zeit um 1630 angehoren — schon
wegen des Callotschen Figurenstils. Dieser begegnet auch auf der Dresdener
Zeichnung des Platzes von S. Maria Maggiore, der von Menschen wimmelt.
Komposition, wie Figuren erinnern sehr an den »Campo vaccino« Claudes,
181
CAMPAGNA. WIEN, ALBERTINA
so dafi Anfang der dreifliger Jahre hierfiir in Frage kommen wiirde.93) Auch
die Zeichnung des Tiberufers mit der romischen Stadtmauer und dem Vesta*
Rundtempel als Kronung ist bildmafiig gedacht — worauf schon die strenge
Diagonale des Aufbaus hinweist. Ganz reif ausgeglichen, daher wohl in die
spatere Zeit Claudes zu setzen ist die schone, helle Zeichnung eines romischen
Palazzos (Palazzo Albani?) vom Garten aus gesehen -- auch hier springt
durch den schragen Eckeinschnitt des Kasinos im Vordergrund das Bildmafiige
stark ins Auge. Ein Sujet, das einen Impressionisten vom Schlage Triibners
gereizt hatte. -- Wieder mehr auf Wechsel und Vibrieren des Lichtes iiber
die Flachen hin gesehen, daher auch mehr mit dem Pinsel gearbeitet, aber
doch unmittelbaren Natureindruck noch festhaltend sind Zeichnungen wie
die Ansicht von Tivoli und das Albertina*Blatt mit den Ruinen eines grofien
Kastells und dem Blick hinab iiber die weite, sonnenbeglanzte Campagna*
Ebene — meisterlich in der Auflockerung der Materie und ihrer Durchdringung
182
S. MARIA MAGGIORE. DRESDEN, KUPFERSTICHKABINETT
TIBERUFER MIT VESTATEMPEL. WIEN, ALBERTINA
183
PALAZZO ALBANI. WIEN, ALBERTINA
184
TIVOLI. LONDON, BRIT. MUSEUM
HAUS IN BERGLANDSCHAFT. WIEN, ALBERTINA
durch das Licht. Noch packender — fast unheimlich — erscheint ein weifies
Haus mit breitem Turm, von konzentrischen Umwallungen beinahe einge*
schniirt, alles zentral beherrschend, aufsaugend. Nur eine schragstammige
Pinie strebt nach aufien; die stofflich gelockerten und doch in sich beruhigten
Flachen kahler Hiigel und Berge verharren neutral nach den Randern zu.
Die ganze Kraft kann sich, wie bei Cezanne, auf die eingebettete Mitte kon#
zentrieren.
Mitunter tritt bei solchen weiten Landschaftsskizzen auch das Figiirliche
mehr als gewohnlich hervor. Besonders eindrucksvoll auf einem Berliner Blatt
(aus der Coll. Richardson). Claude war sicherlich immer — er, der so viel
in wilder Natur lebte — ein Tierliebhaber und Tierbeobachter. Kiihe, Schaf*
herden, Ziegen finden sich von friih an bis in sein spatestes Alter auf Bildern
wie Radierungen. Selten hat er Tiere von solcher Monumentalitat dargestellt,
wie auf dieser Federzeichnung, die ihr Leben dem Hell und Dunkel verdankt,
185
BUCHT MIT TURM. LONDON, BRIT. MUSEUM
von auBerordentlich kraf tiger Bister *T6nung vermittelt. Die Gestalten der
pfliigenden Bauern erinnern an Claudes friihe Furt#Radierung. Die Weite der
Landschaft, deren flache Diinen in das Meer iibergehen, das stark Raumliche,
sowie die glanzende Modellierung der Pferde* und Ochsengespanne lassen auf
reifere Zeit schliefien. Das wundervolle Blatt — im Charakter beinahe nieder*
landisch — steht freilich ziemlich vereinzelt imWerke Claudes.
Mehr nach der Komposition hin, als die bisher besprochenen Landschafts*
studien, geht eine ganz fliichtige, aber deshalb nicht weniger bestrickende
Skizze einer Bucht mit Turm, die wieder ganz weich mit dem Pinsel aquarell*
artig hingesetzt ist, aber durch Umziehung wichtiger Konturen Akzente erhalt.
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LANDSCHAFTSKOMPOSITION. DRESDEN
LANDSCHAFTSKOMPOSITION. DRESDEN
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PELS UND LANDSCHAFT. WIEN, ALBERTINA
Nur allerfeinstes Gefiihl fiir Leicht und Schwer im Farbigen, wie im konstruk*
tiven Sinn konnte ein so impulsives, kleines Meisterwerk schaffen. Starker
konturiert, daher dekorativ wirkend sind zwei Zeichnungen im Dresdener
Kabinett: tief beschattete Baume, die sich im Wasser spiegeln, und ein Blick
iiber parallel hintereinandergelegte Hiigel* und Bergketten. Sicherlich nicht
mehr reine Naturstudien, sondern schon freiere Kompositionen. Auch ein
Albertina^Blatt mit einem Felsen an der Seite — hervorragend wiederum in
der Behandlung der Luft* und Wolkentone ~ ist zwar noch Beleuchtungs*
studie, hat aber in seiner traumhaften Existenz etwas durchaus Unrealistisches.
Noch deutlicher »ideale Komposition« ist eine ungemein reiche Zeichnung
in London. Die grofie Baumgruppe der Mitte, die Schafherde darunter auf
bewegtem Vordergrundsterrain, die kleine Buschkulisse, der entsprechende
Baum* und Felsenaufbau etwas weiter zuriick, auf der anderen Seite die beiden
Durchblicke iiber Briicke, Busch, Baum hinweg in die helle Feme: alles
190
KOMPOSITION FOR EIN BILD. LONDON, BRIT. MUSEUM
Motive, die auf Gemalden Claudes von seiner mittleren Zeit an begegnen.
So stofien wir auf unmittelbare Vorbereitung fur ein Bild (ob ausgefiihrt oder
nicht). Es fehlen nur noch die menschliche Staffage, die Architekturen und
die Farben, die durch kunstvoll abgetonte Lavierungen freilich ersetzt .werden.
Das beliebte Thema der Furt oder Tranke, das Claude in Bildern und Ra*
dierungen so oft behandelt, begegnet, sie vorbereitend, auch in den Zeichnungen.
Fine Albertina^Studie kommt in der Verteilung von Licht und Schatten, in
der Art wie der sitzende Hirt sich vom Wasser abhebt, in der Zeichnung des
seitlichen Baumes sehr nahe an die »Furt« im Prado (Abb.S.71) heran. Die Ge#
samtkomposition ist dieselbe, nur sind die Baume des anderen Ufers noch
nicht zu der einheitlichen Baummasse zusammengeschlossen (deshalb wohl
naturnaher), und von den Tempelsaulen ist noch keine Spur. An das sehr ver#
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FURT. PARIS, ECOLE DES BEAUX ARTS
BROCKE. W1EN, ALBERTINA
192
TRANKE. WIEN, ALBERTINA
wandte Motiv der Radierungen (des »Bouvier«), kommt eine andere Zeichnung
heran, auf dem gerade diese andere Uferseite und der Zugang zu dem in
Ba'umen versteckten Hof betont ist. Es ist wohl eine ziemlich naheVorbe*
reitung zu dem radierten Blatte, ermangelt aber freilich noch der Abgewogen*
heit der fertigen Komposition. Das menschlich belebende und erregende
Moment des Flotenspielers steht noch aus, doch sind die landschaftlichen
Elemente schon iiber Naturausschnitt hinaus mit einander verbunden. Kom*
poniert in diesem Sinne ist auch eine Albertina* Zeichnung (fast ganz Feder),
auf der die Briicke, die zu dem Motiv gehort, mehr im Vordergrund steht.
Hier fehlt auch nicht der kleine blattbewachsene Sprungbrettstreifen vorn, den
Claude so gern benutzt, die Seitenkulissen des Mittelgrundes usw. Aber
193
alle pomposen und akademischen Beigaben sind auf diesen Blattern noch nicht
vorhanden, was ihrer Anmut keinen Abbruch tut.
In die gleiche Kategorie gehort auch die scheme Berliner Zeichnung mit
Herde und Hirten, Briicke im Mittelgrund und gewundenem Hohlweg zur
getiirmten Stadt. Nur ist die Technik hier komplizierter, erst sind fliichtig
die Konturen (wohl mitTusche) mit der Feder gezogen, dann ist mit hellem
Bister laviert, dem fiir die goldgelben Tonungen etwas lichter Ocker beige*
mischt ist. SchlieBlich sind die Lichter mit DeckweiC gehoht. Dadurch wird
eine reiche, farbig niiancierte Wirkung erzielt. Da die Komposition schon
bis ins Einzelne hinein genau wie auf einem Bilde abgewogen, ein entsprechen*
des Gemalde aber nicht bekannt ist, so ist es leicht moglich, dafl solche
durchgefuhrten Zeichnungen nicht alsVorlagen dienten, sondern als Kunst*
werk fiir sich geschaffen wurden. Andere Zeichnungen sind noch starker ins
Farbige hinein behandelt, so dafi auf einer ebenfalls in Berlin beflndlichen
Zeichnung (wiederum »Viehtrdnke mitBrucke«) eine ausgesprochene Gouache*
wirkung entsteht. Hier ist Deckweifl in Wasserflache und Luft, in der ragenden
Baumkrone und auch sonst reichlich verwendet worden. Auch mit Rotel ist
stark hineingearbeitet, vor allem im Vordergrund an dem Tiimpel, den das Vieh
durchschreitet, und auch in der Luft. Diese Zutaten spielen eine fast grofiere
Rolle als die schwarzkreidige Unterzeichnung, sowie die Bisterlavierung; die
Gegensatze zwischen dem warm beleuchteten Vordergrund und den hellen
Tonen der sonnenbegla'nzten Flufitalferne kommen dadurch noch starker
heraus.
Inhaltlich dariiber hinaus gehen die zeichnerischen Kompositionen mit
mythologischer oder religioser Staffage. Eine der friihesten diirfte die Berliner
Zeichnung sein (Feder mit Bister laviert) : » Auf einem Waldzueg wird ein Heiliger
uberfallen«. Das Blatt wird durch einen Segmentbogen nach oben hin ab#
geschlossen. Es diirfte wohl ein Entwurf zu einem Fresko sein, ahnlich den
Lunetten von Bril im Palazzo Rospigliosi, in dem ja auch Claudes Lehrer
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TURMBAU ZU BABEL. LONDON, BRIT. MUSEUM
Tassi beschaftigt war. Auch an eine Kirchenlandschaft in der Art der Carracci
und Gehilfen bei Doria konnte man denken. Die Zeichnung ist noch etwas
unlebendig, die Behandlung des Bisters noch nicht so niianciert und iiberlegen
wie sparer. (Ob die Figuren eigenhandig, steht dahin.) Aus sehr viel reiferer
Zeit hingegen ist eine Komposition in London, in der sich Claudes Architektur*
Phantasie entladet: »Der Turmbau von Babel«. In dem gesamten Aufbau er#
innert das Blatt sehr an ein Gemalde Claudes : »Esther und Ahasver«.94) Der
Vordergrund wird durch eine Treppe mit Balustrade, die zu einem Tempel
fiihrt, abgeschlossen. Eine vornehme Gesellschaft ist da versammelt. Mehr
nach dem Grund zu tiirmt sich, hier wie da, ein ungeheures Schlofi auf,
ein Komplex von Gebauden mit monumentalem Portikus (Vorbild wohl
der Vatikan). In der Ebene weiter hinten ragt der Kegel des Babelturms.
199
Eine Komposition, wie sie der Phantasie eines flamischen Kiinstlers, der noch
von Brueghel oder Bles herkommt - auch die vielen Vogel erinnern daran — ,
eher entsprossen sein konnte, als der eines romanischen oder romanisierten.
Mythologische Szenen spielen in der Phantasie des alten Meisters eine
sehr grofte Rolle. Wir kennen eine ganze Reihe davon, die zum Teil mit den
ausgefuhrten Gemalden iibereinstimmen. Claude, der in seinem Alter nicht
mehr in seine geliebte Campagna konnte. hat wohl in der Stille seines Studio
dabei verweilt, derartige Landschaften mit betonter Staffage zu entwerfen -
vielfach mit Benutzung friiherer Motive — und besonders liebevoll als farbige
Zeichnung auszufuhren. Es sind das also ebenfalls Blatter, die nicht, oder
nicht nur als Vorbereitung dienten, sondern fur sich betrachtet werden wollten,
mit denen Claude auch hier und da Freunden und Gonnern ein Geschenk
machte. Diese Spatwerke des Meisters wurden von den Kunstschriftstellern
der vergangenen Generation sehr iiber die Achsel angesehen, als »senil« oder
sogar lacherlich gestempelt. Das ha'ngt zusammen mit der Nichtachtung oder
Geringschatzung, die jene Zeit iiberhaupt fur Alterswerke hatte. Mogen
auch bei vielen dieser Zeichnungen grofte Schwachen festzustellen sein, es
gibt andere, die malerisch und in der Grofie der Auffassung zum Schonsten
gehb'ren, was Claude geschaffen hat. Aus diesen spa'ten Jahren stammt auch
die »Enlfiihrung Europas« aus der Berliner Sammlung. Claude hat sich
mit dem Thema vielfach abgegeben, mit der friihen Radierung hat die Zeich*
nung nichts zu tun, dafiir um so mehr mit dem um 1655 entstandenen Ge#
malde. Doch ware es moglich, dafi sie vor oder gleichzeitig mit der Replik
von 1667 entstanden ist. (Abb. S. 80.) Fur eine Studie ist die Zeichnung farbig
zu kompliziert, zu »vollendet«. Rotel und starkes Deckweifl spielen auch
hier eine Rolle neben dem Bister und dessen Behandlung mit Feder und Pinsel.
Die Komposition ist fast die gleiche wie auf dem Bild, doch ist dieses noch
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weitraumiger und einsamer, mehr von Staffage geraumt — so dafi vielleicht
doch die Zeichhung ein wenig vor dem Gemalde entstanden sein konnte.
Noch schoner ist das ebenso stark farbig gehaltene Blatt, 1677 signiert (Berlin,
Kupf.^Kab.), das »Merkur und Argos« (oder Apollo) darstellt und mit einem
Bilde von 167895) figurlich in enger Beziehung steht, aber im Landschaft*
lichen doch sehr davon abweicht. Das Deckweifi ist hier viel sparsamer be*
handelt, dafiir ist dem Bister viel Rotel beigemengt, der iiberall auch ganz
zart in der Luft, deren Wolken mit feinen Federstrichen markiert sind, durch*
dringt. Die Behandlung der Oberflache ist ganz locker, teilweise in Tupfen
hingesetzt. Lichtexperimente spielen, wie ja durchwegs in dem spaten Werk
des Meisters, auch hier keine Rolle mehr. Dafiir ist das Ganze in einen
besonderen Duft gehiillt, in farbigem Licht gelost, von lyrischer Warme
durchstromt.
Den ganz abgeklarten, grofiartig weiten Stil der spatesten Zeit, in der die
Form in heroischer Gestaltung Recht gewinnt gegeniiber dem Licht, zeigt die
1680 datierte Zeichnung des achtzigjahrigen Meisters, die zwei Jahre vor
seinem Tode entstanden, aber an Kraft des Gefiihls und der Bildung, an
Freiheit und Grofiraumigkeit noch iiber das nahverwandte Gemalde »Taufe
des Eunuchen«^ weit hinausgeht. Wie auf Claudes letztem Gemalde, dem
»Noli me tangere«., ist nichts Kulisse, keine Absichtlichkeit, keine Konstruktion
stort mehr. Weit und breit offnet sich die Landschaft in klarem Mittagslicht,
zart und fein stehen schattenspendend ein paar wohlgegliederte Baumgruppen
darin. Der phantastische Wagen des Kammerers, mit stolzen Rossen davor,
harrt an ihrem Fufie, und auf der hellen, breiten Strafie spazieren in eifriger
Unterhaltung die beiden biblischen Figuren, Philippus und der taufbegierige
Mohr. Das Schonste ist aber wiederum der Blick in die breit gedehnte, auf#
gewiihlte Campagnalandschaft bis zu den feinen, edlen Konturen der Berge
und den zarten Haufenwolken der Luft. Das ist die Landschaft, die in ihrer
einsamen Grofie dem greisen Kiinstler unverganglich ins Herz geschrieben
205
stand, deren »Idee« er bis zu'seinem Tode in sich trug und die er in eine
hohere, unvergangliche Wirklichkeit noch immer umzusetzen verstand.
In Claudes Zeichnungen konnen wir die gleiche kiinstlerische Entwicklung
sehen, wie iiberall in seinem Werk — auch wenn wir sie noch nicht im Ein#
zelnen in eine zeitlich genau bestimmte Folge bringen konnen. Aus dem
kiinstlerischen Spiel mit dem Naturgegebenen, aus dem Eindruckshaft* Expert
mentellen arbeitet er sich zu einem grofl geschlossenen, elegisch klangvollen
Stil hindurch, wie in seinen Gemalden, wie in seinen Radierungen. Nur dafi
die Seele des Kiinstlers, hier wo er sich unbelauschter wahnen konnte, von
friih auf zu einer noch reineren Melodik kommt, die ganz unmittelbar beriihrt
und bezaubert.
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CLAUDE UNO POUSSIN
NACHWIRKUNG
Jahrzehntelang lebten der klar umrissene, zielbewufite Normanne Nicolas
Poussin und der zartere, weiblichere Lothringer Claude Lorrain in Rom
nebeneinander — nicht befreundet, aber doch dem gleichen kiinstlerischen
Kreise angehorend. Beide inmitten der Wirrungen des vollen Barocks und doch
abseits von ihnen, beide Idealisten, als solche im Kern verwandt und doch so
verschieden in Art und Wirkung. Man kann nicht des einen Namen aus*
sprechen, ohne des anderen zu gedenken. Klarheit und Methode: diese Eigen*
schaften, auf die die franzosische Nation so stolz ist, in Poussins Wirken und
Streben sind sie verkorpert, wie in dem seiner Geistesverwandten Descartes
oder Corneille. Dem Theoretiker Poussin gait der Verstand mehr, als der In*
stinkt. In seinen literarischen Erzeugnissen kommt das klar zum Ausdruck,
auch seine Werke stehen unter diesem Bann. Freilich war Poussin ein viel
zu grofier Kiinstler, um diesen Rationalismus, der bei seinen Nachfolgern oft
genug zum oden Schema, zur Akademie fiihrte, nicht zu iiberwinden — min*
destens in seinen besten Werken. Dazu war die, wenn auch verhaltene Glut
seines Temperaments viel zu starkx sein Schonheitsgefuhl zu entwickelt. Sein
dramatisches, sein heroisches Gefiihl wurde durch die »raison« nur gedampft,
in die richtige Barm geleitet. Das gilt vor allem auch von seinen herrlichen
Landschaften.97) Erst als ein Mann von mehr als funfzig Jahren kommt er zu
seinen ersten reinen Landschaftsschopfungen. Bis dahin hatte ihn der Mensch
und dessen korperliche und geistige Bewegung, die Zuspitzung auf den Kon*
flikt vollig in Anspruch genommen. Claude hingegen war seiner ganzen Be*
213
gabung nach von Anbeginn Landschafter. Der Mensch mit seinem Pathos
interessierte ihn nur so weit, als er das Leitmotiv fiir die Melodic der Land*
schaft verkiindet. 1st in seinen friiheren Bildern dieser Zusammenhang noch
etwas lose, staffagehaft, so wird in seinen spateren, reineren Existenzbildern
der Mensch enger an die Natur gerikkt, mit ihr verschwistert; er durchdringt
sie mit seinem Geiste, wenn er auch nie ganz in sie versinkt. In Poussins
friihen Bildern war das Landschaftliche fast ganz zuriickgetreten, spa'ter seit
Mitte der dreifiiger Jahre nahm es jedoch immer mehr Raum auf den Hinter*
griinden seiner Gemalde ein, sichtlich mit immer wachsendem Interesse ge*
pflegt. Dadurch konnte Poussin um 1648 gleich mit ganz reifen Landschafts*
schopfungen (wie dem » Diogenes « im Louvre, dem »Polyphem« u. a.) hervor*
treten. Der so glanzende Erfolg, der seinem Nachbarn und Landsmann in
Rom, Claude Lorrain, seit mehr als zehn Jahren zu teil geworden war, mag
auch den Ehrgeiz von Poussin auf diesem Gebiet wachgerufen und somit den
— wenn auch nur aufieren — Anlafi gegeben haben. Aber beider Landschaften
bleiben doch charakteristisch voneinander verschieden. Das geht weit iiber
die »Handschrift« hinaus. Ein Landschaftsgemalde Claudes kann nie mit
einem Poussin verwechselt werden. Bei einer Zeichnung, bei einer ausge*
sprochenen Naturskizze impressionistischer Art konnte das schon eher moglich
sein. Denn die Bistertechnik ist beiden gemeinsam, wenn sie auch bei Poussin
fast nie zu diesem Reichtum und zu dieser Farbigkeit des Tons kommt, worin
Claude unbestrittenerMeister ist. Auch Poussin studiert mit Vorliebelichtdurch*
setzte Buschinterieurs, Baumstamme von Epheu umrankt, Triumphbogen in
weiter Campagna. Aber auch in diesen Zeichnungsskizzen zeigt sich meist
das verschiedene Temperament. Mit viel grofierer dramatischerWucht verteilt
Poussin die Flachen, das Hell und Dunkel, zerreiftt die Wolken; Adonis liegt
tot am Boden, der Eber, der ihn getotet, galoppiert fort — alles stromt in einer
Bewegung. Auch bei seinen ausgefiihrten Landschaftsbildern ist dies dra*
matische Element stets irgendwie vorhanden, wenn auch gedampfter. Das ganze
214
innere Wesen der Landschaft 1st darauf eingestellt und wechselt je nachdem
ein Diogenes, Orpheus und Eurydike, Boas und Ruth das Motiv geben
— immer freilich in den Grenzen des Erhabenen. So wird Poussin der Be*
griinder dessen, was wir heute »heroische Landschaft* nennen. Davon ist
Claude Lorrain weit entfernt. Wohl kommt er oft zu einem feierlich gehobenen
Stil; das Heroisch#Erhabene jedoch, soweit es sich auf das Dramatisch*Be#
wegte griindet, auf das Pathos, dem der Mensch als tragisches Objekt unter*
liegt, ist seiner stillen Seele fern. Er ist nicht Epiker (mit dramatischem Ein*
schlag), wie der grofie Poussin auch in seinen Landschaften, sondern in seinem
wesentlichen Kern Lyriker.
Vielleicht empfindet man Claudes Leidenschaft fur Architektur, die er
auf so vielen seiner Bilder anbringt, demgegeniiber als etwas Fremdes. Doch
war das ein Zugestandnis an den Zeitstil, an das romische Barock, das durch
und durch auf das Architektonische eingestellt ist. Durch die Anbringung
dieser Prachtgebaude wurden die Landschaften in eine vornehmere Sphare
versetzt. Das entsprach durchaus einer Forderung des Barocks, besonders
dieser strengeren Richtung, die alles Naturalistisch*Gemeine auf dasTiefste
verachtete und bekampfte. Claude war einer solchen Stromung gegeniiber sicher
nicht widerstandsfahig, sie imponierte ihm, und er gab ihr nicht ungern nach.
Aber seine Grundstimmung bleibt doch immer die sehnsiichtig*lyrische,
und damit hangt auch zusammen, daft seine Grenzen nicht sehr weit gezogen
sind. Obwohl Poussins Landschaftsschopfungen an Zahl sehr viel geringer sind
als die des Spezialisten Claude, so ist er doch der Reichere. Es sind nur wenige
Melodieen, die Claude beherrscht, freilich sind ihre vielen Modulationen
und Variationen oft genug von einer hinreifienden Schonheit des Tones.
Claude befreit sich auch nur schwer und relativ selten von bestimmten schema*
tischen Anordnungen, die er tiberkommen oder neu gebildet hat: die Seiten*
kulissen oderZentralkomposition mit Durchblicken. Auch hier ist der»Theore*
tiker« Poussin merkwiirdig viel freier, unstarrer. Was Claude aber von friih
215
auf ihm gegeniiber auszeichnet, ist seine Behandlung des Lichts und, damit
im Zusammenhang, der Feme. Fiir Poussin ist das Licht (wie auch die Farbe)
wesentlich dynamischer Faktor. Es vermittelt die Kraft der Bewegung, steigert
die Starke des Ausdrucks, akzentuiert den seelischen Konflikt. Es lagert scharf,
unruhig, zerissen auf den Felsen, Hiigeln, Gebauden und Stadten des meist
ziemlich nahen Hintergrundes, stiirzt sich heftig auf die Figuren der vorderen
Aktionsschicht und versetzt sie mitunter in eine grelle Rampenbeleuchtung
(so etwa auf der Landschaft mit Orpheus und Eurydike). Es entsteht dadurch
trotz der Feme ein geschlossener Nahraum, eine Art Buhnenwirkung. Ganz
anders bei Claude. Fiir ihn ist das Licht eine himmlische Strahlung, die be*
lebend und begliickend aus unbekannten Fernen kommt. Es durchdringt den
Dunst der Morgenwolken, es strahlt silbern vom blauen Himmel, es glitzert
auf den Wassern, es dringt in das Blattwerk der Ba'ume; es mildert das allzu
Bestimmte, macht die Marten weich und locker, es verbindet sich mit der
Farbe, umgibt sie mit Luft, nimmt ihr das Materielle. Claude wufite »6cr
tf arben fyarte 2lrt 311 bredjen«, sagt Sandrart von ihm. Das Licht ist die Schopferin
des Seins und der Freude am Sein. Ihm gelten daher seine Studien und
Skizzen, seine atmospharischen Versuche auf den Bildern und Radierungen
der friiheren Zeit. In spateren Jahren mag die Poussinsche Art der Licht*
verteilung auf Teilen der Claudeschen Landschaften hier und da auftauchen,
ebenso wie auch seine strengere Tektonik die Linienfiihrung Claudes straffer,
zusammengefafiter gemacht hat • Landschaften wie der Polyphem oder
» Diogenes « sind sicher nicht ganz ohne Einflufi auf Claude geblieben. Aber
das Wesentliche bleibt doch das heitere Leuchten iiber dem Ganzen, die
strahlende Ruhe, die das Licht uber die Gefilde breitet. Das Licht, das im
Unendlichen wohnt, schafft den Raum — einen unendlichen Raum im Gegen*
satz zu dem Poussinschen begrenzten und auf das menschlische Schicksal
eingestellten Raum. Dies Irrationale, das Unbegrenzte trennt die Kunst Claude
Lorrains von der rationalen franzosischen Kunst und nahert sie dem mehr
216
subjektiven, germanischen Kunstempfinden. Ihm stand Claude von vorn*
herein naher durch seine Beziehung zu dem Bril#Elsheimer*Kreis.
Dieser optische Subjektivismus, der aber doch in das feste, taktisch*
gebundene Geriist romanischen Formgefiihls eingespannt ist, hat Claude bei
den germanischen Volkern so beliebt gemacht. Bei seinen franzosischen Lands*
leuten gewann er bei weitem nicht dieselbe Geltung wie Nicolas Poussin,
der Heros der franzosischen Malerei. So war auch seine unmittelbare Nach#
folge in Frankreich nicht bedeutend. Dughet und Millet gingen in den Spuren
Poussins. Erst viel spater hat ein franzosischer Landschafter, allerdings der
grofite unter ihnen, Claude in Italien wieder entdeckt: das ist Corot mit
seinen silbernen Hellen. Auch in Italien hat Claude keine direkten Anhanger
gefunden. Wichtiger ist dagegen sein Einflufi auf die italianisierenden
Hollander: Hermann Swanevelt und Jan Both (den Sandrart unter den Nach*
ahmern Claudes nennt) und viele andere. Ein wenig plump und breit, anek*
dotisch und vedutenmafiig kommen sie vielfach doch zu ansprechenden und
farbig reizvollen Bildern italienischer Landschaften und Szenen. Aber von
der reinen Linie Claudes, von seiner sehnsuchtigen Feme, von seinem silbernen
Licht ist ihnen nur noch ein schwacher Abglanz geblieben. Eine grofie Per*
sonlichkeit entwachst ihrem Kreise nicht. Im XVIII. Jahrhundert fand Claude
die grofite Anerkennung in England. Kein anderes Volk hat so begeistert
Claudes Bilder und Zeichnungen gesammelt wie die Englander. Earlom und
andere Stecher vervielfaltigten Claudes Liber Veritatis und seine Zeichnungen.
Der treffliche Landschafter Richard Wilson steht unter seinem Einflufi. Weit
mehr aber und bewufiter William Turner in der ersten Halfte des vorigen
Jahrhunderts. Sein grofites Ideal war, Claudes Kunst zu erreichen, ihn womog*
lich zu iibertreffen. Nach seinem testamentarisch ausgesprochenen Wunsche
hangen zwei grofie Landschaf tsgemalde von ihm unmittelbar neben den Claude
217
Lorrains der National Gallery. Es sind ubertriebene Claudes, ins Farbige
gesteigert, das Licht strahlt nicht mehr vom hellen Himmel, es explodiert.
Ruskin bewunderte Turner iiber alles und setzte Claude in seinen » Modern
Painters « herab. Aber die reine Kunst Claudes triumphiert zuletzt doch iiber
die etwas grellen Lichtphantasien des englischen Malers.
Die heroische Landschaft in Deutschland von Koch bis Rottmann ist
von Claude nicht so stark beeinflufit, wie man denkenkonnte.98) Fiirsiewaren
Poussin und seine Nachahmer, vor alien der jungere Poussin (Caspar Dughet)
die maflgebenden Vorbilder. Goethe, der Claude besonders liebte, empfiehlt
seine Werke dem Maler Preller »zu besonderem Studium«, denn er sieht
voraus, daft auch dieser sich seinem Temperament gemafi mehr zu Poussin
neigen wiirde, zum »Ernsten, Grofiartigen auch Wilden«, nicht zum »Heitern,
Anmutigen, Lieblichen«. Von Claude sagt Goethe zu Eckermann: » Da sehen
sie einmal einen vollkommenen Menschen, der schb'n gedacht und empfunden
hat und in dessen Gemiit eineWelt lag, wie man sie nicht leicht irgendwo
drauBen antrifft .... Die Bilder haben die hochste Wahrheit, aber keine Spur
von Wirklichkeit. Claude Lorrain kannte die realeWelt bis ins kleinste Detail
auswendig und er gebrauchte sie als Mittel, um die Welt seiner schonen Seele
auszudriicken.« In den spateren Jahrzehnten des XIX. Jahrhunderts haben
wohl nur wenige so warm fur Claude empfunden. Das Zeitalter des Im*
pressionismus, das Poussin nicht oder nur ungeniagend verstand, hatte auch
fur Claude, dessen Lichtstudien und lockere Zeichnungen ihm eigentlich
hatten zusagen miissen, nur wenig Beachtung. Nur die »Siidlichen« Jakob
Burckhardt, C. F. Meyer, Friedrich Nietzsche verehrten und liebten ihn. Fur
Nietzsche, dem sonst bildende Kunst so fern stand, war Claude Lorrain der
vollkommene Vertreter des »Siidgliicks« von Norden her gesehen. Er war
fur ihn »Musik«, in ihm entschleierte sich das »Bukolische« der Alten, das
»Heroisch#Idyllische«. Ein schemer Tag in Turin in seiner »unbandigen Voll*
kommenheit und Sonnenfiille« ist ihm »ein Claude Lorrain*. Fur ihn und
218
fur viele wurde Claude der Ausdruck des Verlangens nach dem reinen und
vollkommenen Schonen, wie es der Suden geben kann. Unsere Zeit, die
Poussin wieder auf den Thron, der ihm gebiihrt, gehoben hat, wird auch die
Schonheit Claudes wieder empfinden und in ihr die Sehnsucht nach einem
weitentfernten und unstillbaren Gliick.
219
ANHANG
DAS , LIBER VERITATIS'. »Die Sammlung fuhrt den Titel , Liber
Veritatis', sie konnte ebenso gut , Liber
naturae et artis' heifien, denn es findet
sich hier die Natur und Kunst auf der
hochstenStufe und im schonsten Bunde.«
(Goethe)
In dem Testament Claude Lorrains von 1663 begegnet folgender Passus:
»Item declare che il libro del disegni che lascio alia detta Agnese esser
quello di 137 (157?) disegni di quadri fatti per servitii di diversi Principi gli
lascio sua vita durante e dopo che recaschi alii miei heredi.« Also Claude
hinterlafit als besonderen Schatz seiner Vorzugserbin, seiner Tochter oder
Adoptivtochter Agnes ein Buch mit Zeichnungen von Bildern und zwar —
was die Bedeutung hervorhebt — als eine Art Fideikommifi, denn sie darf es
nicht veraufiern, es mufl in der Familie bleiben. Das ist das beriihmte » Liber
Veritatis«, das » Libro d'Invenzioni ovvero libro di Verita«, iiber dessen Ent*
stehung Baldinucci berichtet: »in 6er ^eit als <£lau6e 6ie erften Bil6er fiir 6en
"Konig con Spanien arbeitete (bas tr>ar €n6e 6cr rner^iger 3afyre)> fy^te er faum
angefangen, ifnten eta>as ^orm 511 geben, als ron einigen neiMfcfyen un6 getr»inn«
fiidjttgen (5efellcn ifym 6ie €rfin6ung 6erfelben gefto^Ien n>ur6e, tr>ie aud? fetne IlTanicr
nadjgeafymt. Dann tt>ur6en 6ie Kopien in Horn als (Driginale aus Clauses ptnfel
Derfauft, n?o6urd? 6er IHetfter 6isfre6ittert tDitr6e un6 6ie Kaufer betrogen. Der
arme Clause in fciner Unfcfyulfc rr>ufte nicr/t, tme er ftdj por 6en melen Ceuten
fdjii^en follte, 6ie in fein Htelter famen. 2(lle Cage u>ur6en t^m BtI6er 5iigetragen,
6af er fie als von feiner f}an6 gemalt anerfenne. So entfdjlof er ftdj, ein Bud?
5ufammen5ufteUen, 6as idj mit r>ielem Dergnugen un6 grof er Bert)un6erung far;, als
er ts mtr in feinem ^aufe in Horn 5etgte. 3n ^Mem Budje begann er, 6te Kompojttton
223
(invenzione) r>on alien XDerfen, 6ie er fyerausgab, 5U fopieren. 3e6e, aud? 6te geringfte
(ginscl^eit 6es betreffenoen Btloes gab er mil mafyrfyaft meifterltdjem Strid? irne&er, fugte
aud? oen tlamen 6es (gmpfdngers tyn$u, t»enn id) nidjt irre, aud? 6as ^onorar. Diefem
Bud? gab er oen teamen Bud? oer Kompofttionen (invenzioni) o6er Bud? 6er
fyeit. Don 6er ^eit an, n>enn i^nt BiI6er »on feiner ^an6 o6er ntdjt von feiner
gebrad?t n?ur6cn, seigte er, o^ne uicl IPorte 511 madden, 6as Bud? un6 fagte: »
gebe fein IDerf fyeraus, bas id) nid)i nadi polltger Pollen6ung in 6iefem Bud)e
mit eigener fyanb fopiere. 3C^ ?(5nnt 3^?r fe^cr Hidjter fein; n?enn ein
beftc^t, fel?t fyier nad?, ob 3l?r (Eucr BiI6 crfennt.« Denn, n?enn audj einer Me
pofition geftol)Ien fyatte, fo fonnte cr 6od? ntd?t t^aarflein 6as (Einselne treffen, 6ie
Perfdjie6en^ett n?ar6 je6em offenbar, un5 fo fain 6er 5d}tDin6eI Reruns «. D'Argen*
ville berichtet in seinem Vie des peintres 1762, dafi er das Buch in den Ha'nden
von Claudes Nichte in Rom gesehen hatte, also jedenfalls noch bei den Erben,
die es angeblich nicht einmal Ludwig XIV. verkauften; spater aber sah er es -
vielleicht war die Linie ausgestorben — bei einem Juwelier in Paris. Um 1770
kam es in die Hande des Duke of Devonshire und blieb als kostbares Gut
bis heut in dessen Schlofi in Chatsworth. Schon bald darauf wurden die
zweihundert Zeichnungen, die den Band bilden, von Richard Earlom in
Mezzotinta#Manier gestochen und in zwei Banden bei Boydell in London
herausgegeben. (Ein dritter Band enhalt noch Zeichnungen Claudes aus ver*
schiedenen Sammlungen, die mit dem L. V. nichts zu tun haben.) Wenn auch
diese Stiche, die ziemlich schnell gemacht wurden, nicht als mustergultige
Wiedergabe betrachtet werden konnen, so geben sie doch einen Oberblick
iiber das Gesamtwerk und haben nicht wenig dazu beigetragen, den Ruhm
der Claudeschen Schopfungen zu verbreiten. 1815 erschien eine Auswahl
davon von Caracciolo.
Ob der Bericht Baldinuccis iiber den Ursprung der Sammlung richtig
ist, kann Zweifeln begegnen, in dem Buch selbst findet sich nicht der Name
Liber Veritatis, auch nicht im Testament, er ist augenscheinlich eine Erfindung
224
Baldinuccis oder der Erben, die damit den Wert noch erhohen wollten. Es
gibt zweifellose und auch signierte Werke Claudes, die sich im Liber Veritatis
nicht vorfinden — allerdings nicht viele und keine Hauptstiicke — , so der
scheme »Hafen« in Windsor von 1643. An solchenWerken ware das Buch zu
einem falschen Zeugen geworden. Auch konnte es vor direkten Falschungen
doch wohl schwer schiitzen, denn die Zeichnungen gehen nicht so peinlich ins
Einzelne, wie es Baldinucci behauptet. Sie geben nur den allgemeinen Aufrifi
im Grofien und bringen haufig sogar — was wichtig — kleinere oder grofiere
Varianten. So ist es also sehr wohl moglich, dafi den Anstofi zu der Samm*
lung die Freude des Kiinstlers an seinen Sachen bildete, dafi er eine Erinnerung
daran behalten wollte, ehe er sie weggab (wie man heute derartige Bilder
photographiert). Das hatte zugleich auch praktischen Nutzen, denn Claude
wiederholte sich in spaterer Zeit oft und hatte dadurch die Motive seiner
alteren Bilder bequem zur Hand. Dafi diese Sammlung gleichzeitig zu einer
Art Priifstein fur Falschungen wurde (mit Einschrankungen), kam wohl erst
in zweiter Linie und bildete sich erst allmahlich heraus.
Eine andere .Frage ist, sind die 200 Zeichnungen des L. V. Vor# oder
Nachzeichnungen nach den fertigen Gemalden? Baldinucci nimmt sie fur
das letztere, und der Ausdruck Claudes selbst im Testament »disegni di quadri
fatti per Principi« spricht eher dafiir als dagegen. Dafi sie keine
Naturstudien sind (wie man auch behauptet hat), liegt auf der Hand. Man
braucht nur die zahlreichen herrlichen Naturskizzen Claudes daneben zu
halten, um zu sehen, dafi es sich durchweg um invenzioni (wie Baldinucci
schreibt), d. h. um Kompositionen handelt. Mrs. Pattisson will einen Mittelweg
einschlagen. Nach ihr sind die Zeichnungen Vorstufen fur Gemalde, BikU
ideen (pensees oder pance, wie Claude selbst schreibt), also etwas, das zwischen
Naturstudie und Bild steht. Das Hauptargument fur die Pensees #Theorie
bilden die kleineren oder grofieren Abweichungen der Zeichnungen vom Bilde,
die ofters begegnen. Doch konnen sich diese auch aus irgendeiner Nachlassig*
225
keit erklaren, besonders, wenn man annehmen darf , dafi hier und da eine solche
Zeichnung aus dem Geda'chtnis, auch wenn das Bild nicht mehr zugegen war,
entstanden 1st. Moglich ware es schliefilich auch, dafi mitunter ein paar solcher
fertigen Vorbereitungs * Studien, wenn sie zufallig vorhanden waren, spa'ter ein*
gereiht wurden. Aber im allgemeinen handelt es sich um Nachzeichnungen.
Die Sammlung ist Mitte der vierziger Jahre des XVII. Jahrhunderts be*
gonnen, wie Baldinucci berichtet; tatsa'chlich ist auch die erste Datierung 1647.
Doch finden sich auch Zeichnungen nach friiheren Bildern darunter, so schon
die fur Bethune bestimmten Louvre *Bilder vom Anfang der dreifiiger Jahre.
Man muft also annehmen, da6 Claude auch schon friiher, ehe ef an eine
systematische Sammlung seiner Gemalde^Zeichnungen dachte, einzelne hervor*
ragende Stiicke fiir sich aufnahm und beschriftete und sie spa'ter dann ein#
reihte. Denn gerade die Zeichnungen fiir die Bethune *Bilder, das »Forum«
und die » Marine «, stimmen in den meisten Details (nicht in alien) und vor
alien Dingen in der niederlandischen Auffassung der Figuren so mit den
Gemalden iiberein, dafi sie nicht gut erst viele Jahre spa'ter gezeichnet sein
konnen. Dasselbe gilt fiir das »Castel Gandolfo« fiir Urban.VIII. und andere.
(Dagegen konnte man bei dem »Dorffest« von 1639 zweifelhaft sein, weil da
die Abweichungen grofier und die Figuren freier behandelt sind.) Bis 1663
waren 157 Zeichnungen dieser Art gesammelt, wie aus der zitierten Stelle
des Testaments hervorgeht, die besta'tigt wird durch eine Bemerkung Claudes
auf der Ruckseite der Zeichnung L. V. 158: »Au dy 26 febrare 1663 a questo
mio libro si ritrovano cento e cinquanta sette disegni die mano mio«. (Danach
ist die angegebene Zahl des Testamentes 137 augenscheinlich fiir 157 verlesen,
- nicht 177, wie Pattisson Seite 204.) 1675 glaubte Claude wohl — vielleicht
bei einer Erkrankung — die Sammlung abgeschlossen zu haben: »J'ay fini ce
present livre jourdhuy 25 du mois de mars 1675 Roma« (L. V. 185). Aber
auf einer Zeichnung von 1677 findet sich auf der Ruckseite noch die Ein#
tragung: »Ce present livre au partien a moy que je faict durant ma vie Claudio
226
Gillee dit le Lorane A Roma ce 23 Avril 1680. « Die Zeichnung mit dieser
Notiz ist die erste des Liber Veritatis, wahrend sie eigentlich ans Ende gehort.
Claude hatte die Blatter vermutlich chronologisch gelegt, spater bei einer
Umordnung oder bei neuem Einbinden sind sie in eine falsche Reihenfolge
geraten, so dafi die heutigen Nummern 1—200 nicht mehr genau mit der
urspriinglich chronologischen Folge ubereinstimmen. Doch ist immerhin die
Ordnung wenigstens noch so weit gewahrt, dafi — mit Ausnahme der ersten
Blatter, die ausgesprochen spat sind — die niedern Nummern auch relativ
fruhen, die hohen relativ spaten Bildern entsprechen. Aber eine eigent*
liche Aufeinanderfolge findet sich nur sporadisch, ja auch Pendants sind oft
ganz auseinander gerissen. So gibt die Sammlung fur die Chronologic
nur einen ungefahren und mit Vorsicht zu benutzenden Anhalt. Bilderpreise
sind nie notiert (Baldinucci irrt darin). Fur die Namen der Kaufer stehen
manchmal nur Stadtenamen: »quadro faict pour Paris — pour Amstedama —
per Roma «. Meist ist der Name aber angegeben in der oft sehr unvollkommenen
Orthographic Claudes: »Claudio fecit in V. R. (Urbe Roma) faict pour Sigr
Monsre Ruspiose Roma (der bekannte Cardinal Rospigliosi, spater Papst
Clemens IX.) oder: »pour sa Sainte de papa Urbano — per il re di Spagna
— per il Em° Sig. Cardinal Giorio — oder Barberino — Tablaux faict pour
monsieur Passar (Passart, der auch als Poussin^Sammler eine Rolle spielt) —
pour monseigneur de Monpiglier (Montpellier) und so noch fur viele
italienische, franzosische, aber auch niederlandische, englische und deutsche
Liebhaber. Auch kulturhistorisch fur die Geschichte der Sammlungen und
Amateure ist das L. V. ein hochst wichtiges Dokument.
Durchblattert man die Sammlung in der Bibliothek des Schlosses Chats*
worth beim Herzog von Devonshire, so ist man etwas enttauscht — besonders
wenn man die herrlichen Handzeichnungen Claudes im British Museum
vorher gesehen hat. Die Zeichnungen des L. V. sind mit Feder und Bister
behandelt und laviert, aber die Lavierungen haben nie den Reichtum der
227
Nuancen, der die Claudeschen Zeichnungen so ungemein farbig vertieft. Schon
das spricht dafiir, dafi es keine Zeichnungen rein kiinstlerischer Art sind,
sondern meist nur zweckentsprechende Nachzeichnungen. Wie Mrs. Pattisson
festgestellt hat, sind sie von Earlom, der die Zeichnungen, um sie zu repro*
ducieren, lange Zeit in Handen hatte, ziemlich gewissenlos behandelt worden.
Sie sind retuschiert, um die Kontraste zu verstarken, und besonders ist die
Hohung mit Weifi (das wohl verblaflt war) in roher Weise von Earlom nach#
behandelt worden, auch sonst sind eigenmachtige Veranderungen festzu*
stellen. Trotzdem aber hat die Sammlung einen unschatzbaren Wert, selbst
in den flauen, aber geschickten Mezzotinta#Wiedergaben Earloms. Man sieht
den reichen Schatz der »invenzioni«, darunter auch die grofie Anzahl der
verlorenen oder verschollenen Bilder, vor sich ausgebreitet; die ganz reine,
zarte, nie kleine Phantasie Claudes offenbart sich in ihrer unendlich variierten
Melodic.
228
LITERATUR
ZU ABSCHNITT I.
Eine wirklich umfasssende Geschichte der Landschaftsmalerei 1st nicht
vorhanden. Von einschlagiger Literatur hebe ich hervor: Joseph Gramm, Die
ideale Landschaft, Freiburg 1912. (Reicht allerdings nicht bis in die neuere
Zeit. Der Abbildungsband, auf den ich hier verweise, enthalt sehr viel
Material.) R. Oldenbourg, Die flamische Malerei des XVII. Jahrhunderts,
Berlin 1918. Plietzsch, Die Frankenthaler Maler, Strafiburg 1910. Mayer,
Die Briider Mathaus und Paul Bril, Leipzig 1910. Zu Elsheimer s. den Artikel
von Weizsacker in Thieme* Beckers Kiinstlerlexikon. Fur das Allgemeine s.
Jakob Burckhardt, Kultur der Renaissance in Italien, A. Biese, Die Entwicklung
des Naturgefuhls, 1892.
ZU ABSCHNITT II U. F.
Fur die Bibliographic sowohl der Quellen, wie der spateren Schriften
iiber Claude Lorrain verweise ich auf meinen Artikel: » Claude Gellee« in
Thieme* Beckers Kiinstlerlexikon. Das Hauptwerk iiber Claude ist Mrs. Marc
Pattissons Claude Lorrain, Sa vie et ses ceuvres, Paris 1884. Es enthalt aufler*
ordentlich fleiflig zusammengebrachtes Material (meist, aber nicht immer zu*
verlassig), das aber sehr uniibersichtlich und unmethodisch geordnet ist.
231
ANMERKUNGEN
Anm. 1) Abbildungen s. des Verfassers Nicolas Poussin, Miinchen 1914.
Anm. 2 ) Von Tietze Albani zugeschrieben. Auch dieser Caracci # Schiiler mufi
in diesem Zusammenhange erwahnt warden. Er war ja schon friih Gehilfe
Annibales auch im Landschaftlichen und pflegte diesen Kunstzweig in
seinen bekannten Putto#Bildern ganz besonders. Durch seine mytho*
logischen Landschaften ( z. B. » Entfiihrung Europas « in den Uffizien), durch
seine Bemiihung um Durchsichtigkeit der Atmosphare beriihrt er sich in
vielem mit dem Streben Claudes. Leider ist die Chronologic seiner Bilder
so ungewifi, dafi man noch keinerlei Schliisse auf etwaige Beeinflussung
ziehen darf.
Anm. 3) Selbst seinen Namen Gellee konnte Claude nicht immer richtig
schreiben, wie seine Briider es tun, sondern er schrieb bald so, bald Gillet
oder Gillier oder ahnlich.
Anm. 4) Auch von anderen Dekorationen Tassis ist nur noch ein geringer
Teil vorhanden. Die erhaltenen Fresken (Quirinal, Rospigliosi) sind
meist schwer zuganglich. So konnen wir uns von dem Wesen dieses
Malers, bis zu einer naheren Untersuchung, mehr durch den literarischen
Bericht Passeris, als durch eigene Anschauung ein Bild machen. Die
Tafelbilder in verschiedenen Galerien, die auf Tassis Namen gehen
(z. B. Uffizien, Slg. Cook, Richmond), sind nicht geniigend gesichert und
bieten daher keine Grundlage zu weiterer Forschung.
Anm. 5) Er wird mit einem Kolner Maler Wals oder Wales zusammenge*
bracht, iiber den Soprani in seinem Leben der Genueser Maler berichtet.
Danach ha'tte Wals in Genua, meist aber in Neapel gearbeitet, 'Stiche
. koloriert und kleine runde Landschaften gemalt. Baldinucci lafit Claude
235
bald nach seiner Ankunft in Rom nach Neapel gehen. Grund ware das
Aufhoren der Geldsendungen gewesen, die Claude aus seiner Heimat
erhielt, infolge der »crudelissime guerre delle Svezzesi« (wegender grau*
samen Kriegszuge der Schweden). Aber der dreifiigjahrige Krieg beginnt
erst 1618, damals aber war Claude sicherlich schon in Diensten Tassis.
Moglich ist es eher, dafl Claude erst sparer, in den beiden letzten Jahren
vor seinem Verlassen Italiens bei Wals in Neapel arbeitete. Mit dem
Tode Pauls V., seines Gonners, (1621) verliert auchTassi seine Stellung
und seine grofien Einkiinfte. Claude diirfte einige Zeit nachher aus
seinen Diensten geschieden sein.
Anm. 6) Daraus ist eine Verwechselung entstanden, wonach unser Claude
eine Villa in oder bei Miinchen besessen hatte. Siehe dariiber Regnet in
Dohmes Kunst und Kiinstler.
Anm. 7) All das wird von spateren Biographen noch weiter anekdotisch*
romantisch ausgeschmiickt.
Anm. 8) In deren Listen Claude sich spatestens seit 1634 finder.
Anm. 9) Als Beispiel erzahlt Baldinucci, wie Claude von Giov. Dom. Desiderii,
einem Rb'mer niedriger Herkunft, ausgenutzt wurde. Er hielt ihn in
seinem Hause quasi als Diener, um Farben zu reiben, Pinsel zu waschen
usw. — iiber zwanzig Jahre, von 1634 bis 1655. Claude hatte den jungen
Mann auf verschiedenen Instrumenten musikalisch ausbilden lassen, hatte
ihn aber auch das Malerhandwerk mit grofiem Eifer gelehrt. Die Romer
lasterten nun, Claude liefie seine Bilder durch diesen Desiderii malen.
Dies stieg ihm derartig zu Kopf, dafi er, der bisher von Claude »mehr
wie ein Sohn denn als Diener oder Schiiler gehalten wurde «, von ihm
ging und Claude mit einem Prozefi drohte. Er verlangte nichts weniger
als die Bezahlung fiar die zweiundzwanzig Jahre, die er in Claudes Haus
zugebracht hatte. Claude aber, um alle Aufregung zu vermeiden, ging
zur Bank von S. Spirito, wo er sein recht betrachtliches Vermogen, das er
236
dutch seine rastlose Arbeit und Sparsamkeit erworben, aufbewahrt hatte.
Ohne jeden Abzug liefi er ihm die Summe ausbezahlen, die er verlangte.
Diese harmlose, aber fur den sanften Claude charakteristische Anekdote
ist die einzige, mit der Baldinucci aufwarten kann.
Anm. 10) Der Palast ist 1644 umgebaut, vielleicht sind die Fresken damals
zugrunde gegangen.
Anm. 11) Auch im L. V. (siehe Anhang) tragt es eine friihe Nummer, 10.
Anm. 12) In den Louvre kamen die Bilder erst ziemlich spat, unter dem ersten
Kaiserreich. Sie sind kleinformatig (56:72), wahrend Claudes spatere
Werke fast durchgehend bedeutend groBer sind.
Anm. 13) Vgl. das interessante Bild von Nieulandt von 1612 des Campo
Vaccino in der Wiener Gemalde^Galerie (Depot). Das Forum ist hier
von der anderen Seite gesehen, die Denkmaler ziemlich willkiirlich und
die Volksmenge sehr gehauft.
Anm. 14) Er erinnert etwas an jene Brunnen*Kastelle, wie sie in Rom unter
Sixtus V. und Paul V. entstanden sind.
Anm. 15) Der iibrigens mehrfach Malern, u. a. auch Andreas Sacchi mit solchem
Genrebeiwerk — »bambocciate« nannte man es — half.
Anm. 16) L. V. 15 vgl. Ozzola L'Arte XI S.293f.
Anm. 17) Ganz neuerdings ist versucht worden (von Gerstenberg: Claude
Lorrain und die Typen der idealen Landschaftsmalerei, 1919), eine Gruppe
solcher relativen Friihbilder zusammenzustellen. Ich will hier nur ganz
kurz darauf eingehen, Zwei Landschaften des Prado: eine Furt und eine
Ziegenherde, zeigen stilistische Verwandtschaften mit einer Landschaft in
Richmond, die den Namen Tassis tragt (mit welchem Recht steht bei un#
serer geringen Kenntnis Tassis nicht fest!). Beide Landschaften sind im
L. V. nicht verzeichnet. Die Bilder werden im Prado Claude genannt
und sind meines Wissens bisher nicht bezweifelt. Aber es ist auf zweierlei
hinzuweisen: einmal gehen beide Bilder weit iiber den kleinen Mafistab
237
der Fruhbilder hinaus; ferner sind von den zehn Bildern, die der Prado
von Claude besitzt (nach altem spanischem Bericht hat Claude acht
Bilder fur den Konig von Spanien gemacht), gerade diese Pendants erst
spa'ter — unter Philipp V. — in spanischen Besitz gekommen. Gersten*
berg weist darauf bin, daft die Kunst Boths von solchen Bildern ausgeht —
doch ist die Ahnlichkeit mit diesem spaten Gefolgsmann Claudes vielleicht
gerade negativ zu werten. Man kann bei den vielenNachahmungen Claudes
nicht vorsichtig genug sein. Jedenfalls bieten diese beiden Prado*Bilder
keine so sichere Stiitze fur die Kenntnis der friihen Periode Claudes
wie die Bethune* Bilder.
Etwas anders steht es mit den ebenfalls wenig beachteten Pendants
in Ovalformat des Louvre (228—229). Wiederum Marine und Landschaft.
Sie haben das winzige Format, wie es Sandrart von den Friihbildern
erwahnt (33:42). Format, Bildung der Baume, Lichtbehandlung erinnern
an Elsheimer. Die beiden Ovalbildchen, die ebenfalls nicht im L. V. ver*
zeichnet, sind iibrigens auch einmal (von Waagen) bezweifelt worden.
Zu den Friihbildern mochte ich auch den Anachoreten in Madrid
rechnen. Er zeigt liebevolle Detailmalerei in Baum* und Strauchwerk,
erinnert in der Art der Komposition der seitlichen Kulisse mit dem Hei*
ligen noch an Brils Eremitenbilder in S. Cecilia. Ahnlich steht es viel*
leicht mit dem anderen verwandten Prado *Bild, der »Versuchung des
H. Antonius«t das im L. V. 32 belegt ist. Auch hier ist der geschlossene
Nahraum noch das Entscheidende.
Anm. 18) Beide Bilder sind signiert und datiert: Claudio inv. Romae 1639.
Anm. 19) L. V. 14.
Anm. 20) Auf der dazugehorigen Zeichnung des L. V. 13 sind die Figuren
leichter, besonders der Tanzer. Das tanzende Paar begegnet ahnlich auch
auf Radierungen. (S. u.) Anzunehmen ist, dafi Claude auf dem Gemalde
die Figuren angegeben, aber nicht selbst ausgefuhrt hat.
238
Anm. 21) L. V. 35, wiederum ganz kleines Format.
Anm. 22) L. V. 64. Hier 1st die Schaferidylle mythologisch gewendet :
Merkur reicht der Aglaure einen Dolch. Das Bild ist signiert und 1642
datiert.
Anm. 23) L.V. 28 und L.V. 43.
Anm. 24) Kurz nach dem Tode Urbans VIII. entstanden und erst auf Um#
wegen in die Hande der in Ungnade gefallenen Barberini#Nepoten ge#
kommen. Jetzt National Gallery, London; L.V.54. Das Pendant zu diesem
Bilde ist eine Landschaft mit dem heil. Georg, jetzt Petersburg, Eremitage,
L. V. 73. Gestochen von Barriere.
Anm. 25) Ein religioses Thema ahnlich der »Ursula« behandelt das Prado*
Bild von 1648: »Die Heil, Paula verldfit Ostla«, L. V. 49. Historisch*
antikisch ist das Louvre * Bild: »Kleopatras Landung inTarsus«, L.V. 63.
Antik*legendarisch ein anderes Thema » Odysseus bringt Chryseis ihrem
Vater zuruck«, von 1648, L.V. 80, Louvre.
Anm. 26) L.V. 114. 1648 signiert und datiert. Das Bild gehort der National
Gallery in London und bildet da das Pendant zu der beruhmten »Muhle«,
die ebenfalls fur den Herzog, aber als Replik, geschaffen wurde.
Anm. 27) Nicht im L. V. — etwas verwandt, besonders figural ist L. V. 17, das
auch von Claude radiert ist, R. D. 13.
Anm. 28) L.V. 96.
Anm. 29) Das Gemalde, das L. V. 5 entspricht, ist nach Pattisson (S. 208) etwa
1649 entstanden, in diesem Jahr wurde der Besteller zum Bischof von Mans
kreiert. Von Claude radiert: R. D. 15. Ober die Replik von 1674 in
Miinchen, vgl. unten Anm. 61.
Anm. 30) L. V. 91 und L. V. 77.
Anm. 31) L.V. 110.
Anm. 32) Undatiert und auch im L.V. nicht auffindbar. Die Madonnen*
gruppe findet sich ahnlich auf der Zeichnung L. V. 38.
239
Anm. 33) Umsomehr, als das Bild im L. V. 92 ausdriicklich bezeichnet ist als
bestimmt »pur le prince Pamfille«.
Anm. 34) »Verdumisne« schreibt Claude den Namen, ihn bis zur Unkennt*
lichkeit entstellend. Konnte es Waldenstein sein, franzosiert und ver*
stummelt? L.V. 124.
Anm. 35 ) »Quadro faict por il excellentm<> Sigr principe Panfik heifit es L.V. 113.
Nur die Replik in London ist datiert und signiert: Claudio Gil I. N. V.
Romae 1646. Auch existiert eine Zeichnung zu dem Bilde von 1647.
Anm. 36) L.V. 119.
Anm. 37) L. V. 69.
Anm. 38) L. V. 117. Das Bild bildet das Pendant zu der Marine: » Odysseus
und Chryseis«.
Anm. 39) Die mit L. V. 85 bis in Details iibereinstimmt. Abwandlungen
desselben Themas finden sich haufig im L.V. (81-83, 102, 103, 107, 109)
sowie in den Sammlungen von Longford* Castle, Windsor, Budapest.
Anm. 40) Abgesehen von der »Versuchung des heil. Antonius« (L. V 32),
die vielleicht friiher liegt — entweder schon friiher bestellt oder als alteres
Stuck mitgenommen — , sind es noch vier Gemalde (L. V. 47—50). Sie
sind alle ziemlich grofien Umfangs und samtlich in dem fur Claude unge*
wohnlichen Hochformat. Alle fiinf Bilder sind ausdriicklich von Claude
gezeichnet mit: » Quadro faict per il re di Spagna«.
Anm. 41) Zwischen 1649 und 1651 haben wir in den Datierungen eine Liicke.
Bouyer, Claude Lorrain S.63, erklart sie damit, dafi Claude damals in
einem Liebesroman verwickelt gewesen ware, dessen Frucht seine geliebte
Agnes »la sua zitella cresciuta ed allevata in casa sua« gewesen sei. Aber
Agnes ist erst 1653 geboren. Sovieljahre diirfte den iiber Fiinf zigjahrigen
wohl kaum eine Liebesangelegenheit in Anspruch genommen haben. Be*
quemer lassen sich die spanischen Auftrage in diese Zeit einschieben. Nach
Baldinucci hatte Claude acht Gemalde fiir Philipp IV. zu machen. Darunter
240
— aufter den fiinf genannten und im L. V. verzeichneten — auch eine
Magdalena. Hierfiir existiert eine Zeichnung in der Albertina, die 1648
datiert ist. Dies wiirde die Einschiebung der spanischen Bilder in diese
Zeit noch unterstiitzen. Stilistisch spricht auch nichts dagegen — eine
gewisse Engraumigkeit lafit sich durch das Format erklaren; ein Bild
wie der »Ostia-Hafen« geht mit den Zeremonienstiicken der vierziger
Jahre eng zusammen. Es ist wohl auch erst Ende des vierten Jahr*
zehnts des XVII. Jahrhunderts, dafl Claudes Ruhm auf der Hohe stand.
Dies wird durch den Auftrag Philipps IV. noch besonders unterstrichen.
Anm. 42) Auf der Zeichnung L. V. 115 ist von dieser Stimmung noch nichts
zu spiiren. Anstelle der sentimentalen Gruppe ist die Figur eines Malers
auf einem Baumstumpf sitzend angebracht.
Anm. 43) L.V. 129.
Anm. 44) L.V. 138 von 1656.
Anm. 45) L.V. 136. Die prachtvolle Landschaft im Buckingham Palais ist
jedoch nur eine spate, wenn auch eigenhandige Replik von 1667. Das
Original befindet sich, ebenso wie das zugehorige Pendant (L.V. 137)
in der Sammlung Yussupoff. Beide Bilder sind gemalt, als der Kardinal
Chigi als Papst Alexander VII. 1655 sein kunstlerisch so bedeutendes
Pontifikat begann.
Anm. 46) L. V. 141. Als Pendant gehorte dazu das Bild mit den arkadischen
Ta'nzen und der Verwandlung der Hirten von Paglia, L. V. 142. Jetzt
London, Bridgewater* House.
Anm. 47) Auch ist es wohl erst spater, im XVIII. Jahrhundert, als das Bild
in der Sammlung de Noce war, (angeblich von Boulogne) zugefiigt
worden (vgl. Michel, Revue de deux mondes, 1884).
Anm. 48) L.V 145. London, Nat. Gall.
Anm. 49) L. V. 153. Die Variante L. V. 82 war anscheinend auch fur Lebrun
bestimmt.
241
Anm. 50) L. V. 122.
Anm. 51) Da das Bild nicht im L. V., so mufi man bei Zuschreibung und
Einreihung vorsichtig sein. Die Komposition ist verbiirgt durch den
Stich R. D. 24; das auffallend kleine Format, das meist nur in der Friihzeit
begegnet, gibt zu denken. Eventuell konnte es auch Replik oder erst nach
dem Stich von anderer Hand geschaffen sein? Vgl. Anm. 81.
Anm. 52) L. V. 67 fur den Connetable Colonna 1666 (friiher F. Perkins, jetzt
Koln, Wallraf * Richartz * Museum).
Anm. 53) Urspriinglichwarensie, wieausdenNotizendesL.V.hervorgeht(154,
160, 169, 181), fur Antwerpen bestimmt und zwar fur den Bischof von Ypern.
Anm. 54) Ein »Merkur und Battus«, L.V. 159, entsteht 1663, dem »Mittag«
ziemlich verwandt in der Anlage, jetzt Chatsworth. Ein Jahr darauf »Moses
vor dem brennenden Busch« L.V. 161, im Bridgewater* House.
Anm. 55) L. V. 162, jetzt in London, Lady Wantage, friiher Lord Overstone.
Anm. 56) Sie sind 1668 datiert und waren nach L.V. 173 und 174 fiir den Grafen
Waldestain bestimmt, der nach Baldinucci bei Claude vier Bilder bestellte,
darunter zwei fiir den Kaiser. Vielleicht sind es diese beiden, die auf
Umwegen iiber die Herzoge von Pfalz = Zweibriicken nach Bayern kamen.
Anm. 57) L.V. 175, 1669 fiir Colonna gefertigt, heute in Neapel.
Anm. 58) Hierin gehort auch das Gemalde »Templum Veneris«, L.V. 178,
von 1672, ebenfalls fiir den Connetable Colonna, das dann zu den Ros*
pigliosi kam und sich noch vor einigen Jahren in den Ra'umen dieses
Palastes in der Coll. Pallavicini befand.
Anm. 59) L.V. 179.
Anm. 60) L.V. 180.
Anm. 61) Die »Landschaft mit Sonnenuntergang«, L.V. 176, ist eine Variante
von L.V. 185 (Prado) und der Bouvier*Radierung von 1636. Die Marine
ist eine ziemlich nahe Replik von L. V. 5, ein Gemalde, das sich jetzt in
der Eremitage befindet (s. Anm. 29).
242
Anm.62) L.V. 188.
Anm.63) L.V. 1.
Anm. 64) Im L. V. ist es unter Nummer 194 verzeichnet mit der Jahreszahl
1681, also ein Jahr vor Claudes Tod. »Quadro facto per 1' Eminmo et
Revermo Sigr il Sig. Cardinell Spada.« Das Gemalde im Stadelschen In*
stitut Frankfurt ist signiert: Claud. I,V. F. Romae 1681 oder 1680. Eine
Skizze dazu beim Herzog von Devonshire schon 1675 datiert.
Anm. 65) Hier findet sich auch im dritten Teil des ersten Buches am Schlufi
des Kapitels iiber »£an6fdjafts*in:afylen« ein Nachstich von Claudes
Forum = Radierung — ohne Namensnennung. Die Vordergrundfiguren
sind verandert. Ein Maler sitzt vor seiner Staffelei und arbeitet — vielleicht
soil es Claude sein — und Leute sehen ihm zu.
Anm. 66) Doch steht es nicht fest, wieviel von den wenigen Elsheimer zu#
gesprochenen Radierungen auch wirklich von ihm sind.
Anm. 67) Goethe iiber Claude Lorrain.
Anm. 68) S. Pattisson, S. 162.
Anm. 69) D'Argenville, Basan u. a.
Anm. 70) Band XI, Paris, 1871.
Anm. 71) Gute Wiedergaben bei Amand = Durand, Les eaux#fortes de Cl. L.,
Paris, o.J.
Anm. 72) »Ce n'est qu'au prix d'un certain effort que Ton parvient a retablir
1'ordre chronologique, si singulierement trouble « schreibt Mrs. Pattisson
(S. 165). S. 306 gibt sie eine Liste der Radierungen in zeitlicher Folge, die
mir aber sehr wenig fundiert erscheint.
Anm. 73) Pattisson S. 180, die das Datum 1634 am liebsten in 1654 verandern
mochte.
Anm. 74) Es ist jedoch nicht ausgeschlossen, dafi die Zeichnung erst nach
der Radierung gemacht ist.
Anm. 75) Nur noch in der Zeichnung des L.V. 44 erhalten.
243
Anm. 76) Der L. V. 33 entspricht.
Anm.77) L.V.20.
Anm. 78) L.V. 17.
Anm. 79) In gewissen Details wie der hangenden Ranke zwischen den Sa'ulen
geht die Radierung mehr mit dem Louvre #Bild zusammen, als mit der zu#
gehorigen Zeichnung L.V. 10. Andererseits fehlt auf Radierung wie
Zeichnung der querliegende Saulenstumpf ganz vorn, der sich nur auf dem
Bilde befindet. Fur die Radierung ist demnach wohl Bild wie Zeichnung
benutzt worden.
Anm. 80) Deutlicher noch auf der Zeichnung des L.V. 13.
Anm. 81) Die Figurengruppierung der drei Tanzenden, des Spielers und der
Zuschauerstimmen mitR. D. 10 ziemlich iiberein, die kampfenden Ziegen
mit R. D. 6. Der lose Strich, die Skizzenhaftigkeit konnen die Vermutung
nahe legen, das Blatt in die Nahe der »Entfuhrung Europas« zu bringen.
Dann ware es von den drei Tanzradierungen das friiheste. Doch setzt
manes gewohnlich spat an, um 1651, woftir ja auch das Westminster* Bild
sprache, das allerdings noch eine Untersuchung vor dem Original ver*
langte (vgl. Anm. 51 ). Claude hat an dem Blatt viel herumgearbeitet;
ich kenne nur ganz schwache Abziige, mufi daher die Frage noch in
Schwebe lassen.
Anm. 82) Nach Smith bei Lord Ashburton, L.V. 52.
Anm. 83) Nicht verschweigen mochte ich, dafl das anonyme Blatt ganz friiher
einmal - von v. Lepel, einem Dresdener Sammler — (Oeuvre de Claude
Gele, Dresde 1806) bezweifelt worden ist. Vermutlich kannte er nicht
den Zusammenhang mit L. V. 52. Manche technische Unklarheiten des
Blattes mogen ihn dazu verleitet haben.
Anm. 84) Doch findet sich die Jahreszahl 1634, aber nur an der Seite am Rand
und nur im fiinften Zustand, ist auch im nachsten wieder verschwunden,
so dafi es sich wohl kaum um eine originale Eintragung handelt.
244
Anm. 85) L.V. 5. Die spate Replik in Miinchen s. o. S. 104, iiber Datierung
s. Anm. 29.
Anm. 86) Mrs. Pattisson setzte das Blatt urn 1636. Mit L.V. 34 hat es nichts
zu tun, dagegen aber etwas mit L. V. 3, wo dieselben Figuren begegnen,
allerdings in einer ganz anderen Landschaft. Die ersten Zeichnungen
des L.V. sind samtlich aus spater Zeit, so Nr. 3, wie auch aus dem Stil
hervorgeht. Das gilt auch fur die Radierung.
Anm. 87) (nur vielleicht ein wenig zu stark geatzt).
Anm. 88) L.V. 150.
Anm. 89 ) Auch das von der Villa Madama war nur mezza testa = ca. 50cm hoch.
Anm. 90) Die herrlichste von alien Sammlungen Claudescher Zeichnungen ist
die des British Museum in London (fast 300 der schonsten Zeichnungen,
Ende des XVIII. Jahrhunderts fur die betrachtliche Summe von 40000 Frs.
en bloc gekauft. Sie geht sicherlich auf eine zeitgenossische Kollektion
zuriick, da sie gar keine Sammlerzeichen hat und in einer Hand gewesen
sein mufi. Damit kann keine andere offentliche oder private Sammlung
konkurrieren, weder die Albertina (mit etwa 45, darunter sehr schonen
Blattern), noch der Louvre oder sonstige Sammlungen. An vielen Orten,
in Berlin, Dresden, Florenz, Harlem, Petersburg usw., z. T. noch wenig
bekannt und nie systematisch untersucht, ruhen eine Fiille von schonen
Blattern. Von Privatsammlungen war neben Windsor und Chatsworth
besonders die Sammlung von Heseltine beriihmt, die auch in einem be*
sonderen Bandchen herausgegeben ist. Auch stecherisch sind Claudes
Zeichnungen vielfach reproduziert worden; so hat Richard Earlom seinen
zwei Ba'nden mit Stichen nach dem L.V einen dritten hinzugefiigt, der
Zeichnungen Claudes aus englischem Privatbesitz enthalt, besonders viele
aus Chatsworth und aus dem Besitz von Payne Knight, der damals fast
die ganze heutige Brit. Mus. Kollektion in Ha'nden hatte.
Anm. 91) Die Zeichnungen sind selten signiert, noch seltener datiert. Eine
245
auch nur annahernde Chronologic zu geben, ist heute noch unmoglich,
solange die Fulle des Materials noch nicht systematisch untersucht ist. Es
ware das eine lohnende und schone Aufgabe — ebenso wie fur die Zeich*
nimgen Nikolaus Poussins — , die uns vielleicht auch die Genesis der Bilder
und Radierungen in ein neuesLicht riicken wiirde. Die Verhaltnisse machen
ein solches Unternehmen, das allein durch die Schonheit und Qualitat des
Materials reizen wiirde, fiir uns Deutsche leider vorlaufig unmoglich.
Anm. 92) So Pattison a. a. O. S. 143.
Anm. 93) Vorausgesetzt, dafi die Zeichnung wirklich von Claude stammt —
die Signatur Claudio Lorenese ist wohl von fremder Hand. Claude
signierte: Claudio Gillee oder Claude dit le Lorrain.
Anm. 94) Nur aus L. V. 146 bekannt. Danach 1662 fiir den Bischof von
Montpellier angefertigt.
Anm. 95) L.V. 192.
Anm. 96) 1672 entstanden. L.V. 191.
Anm. 97) Abbildungen in den neueren Poussinwerken von Magne, Grautoff
und Friedlaender.
Anm. 98) Zwar ist Koch in manchen seiner Werke motivisch sehr abhangig
von Claude, wie in der schonen »Tiberlandschaft« von 1818 in Basel
von dessen »Muhle«. Aber es ist ein Claude, der durch die Brille Poussin*
scher »Tektonik« gesehen ist, nicht der luminaristische Lyriker. Vgl.
W. Stein, Die Erneuerung der heroischen Landschaft nach 1800, Straft*
burg 1917, Anm. 82. (Der dort konstruierte Zusammenhang der Claude*
schen »Tageszeiten« mit den Poussinschen »Jahreszeiten« des Louvre ist
aber nicht moglich - letztere sind erst 1664 vollendet, Claudes »Mittag«
und » Abend « aber schon 1661 bzw. 1663. Claude kann also in diesem
Falle nicht Poussin »nachgefuhlt« haben.)
246
VERZEICHNIS DER
ORTS- UND PERSONENNAMEN
Seite
Seite
Albani 235 Eyck 3
Allegrini 161 Freiburg i. Brsg 25
Altdorfer 4 Qellee, Agnes 30, 223
Bagnaja 26 Anne 21
Baldinucci 21 Claude, Leben . . 21 ff.
Bamboccio 30
Barriere 13 239 Erwahnte Gemalde, nach Orten
Bethune '. '. '. '. '. '. '. 37,' 158 geordnet:
Bentivoglio 45 Belgien, Briissel 103
Bles 5, 200 Deutschland, Berlin .... 48
Both 217 Dresden ... 56, 81, 136
Bourdon 40 Frankfurta.M. . . 107,243
Bril . . 3, 6, 10, 15, 16, 25, 194 Koln 89, 242
Brueghel, Jan 5 Miinchen . . . 96, 103
Pieter 5 England, Chatsworth .... 244
Callot 115, 131, 179 Dulwich 106
Campagnola 9 London, Nat. Gal. . 51, 53,
Caravaggio, Polidoro da . . 10 65, 102, 188, 239
Carracci 11 Bridgewater . .241, 242
Chamagne 21 Buckingham Pal. . . 81
Chigi 86 Westminster . 64, 65, 75,
Civitavecchia 28 76, 79, 84, 89, 244
Clemens IX 158,227 England, Longford Castle . .86,89,
Coninxloo ....... 5, 15 189, 240
Corot 3,37,217 Wantage, Lady . 96,242
Correggio 9 Windsor ... 54, 240
Cosimo, Piero di 3 Frankreich, Grenoble ....
Deruet 27, 115 Paris, Louvre . 37, 46, 55
Desiderii 236 63, 69, 70, 131, 135, 238
Domenichino .12 Italien, Florenz, Uffizien ... 51
Dossi 9 Neapel, Museum . . . 101
Dughet 217 Rom, Pal. Barberini . 45, 47
Diirer 4 Pal. Crescenzi ... 35
Duquesnoy 30 Pal.Doria. 59,61,65,67
Earlom . .194,217,224,228,245 Pal.Muti 35
Elsheimer . . . 3, 6, 16, 116, 217 Pal.Rospigliosi*Pallavicini
Errard 28 42, 127, 242
249
Seite
Rufiland, Petersburg, Eremitage 55,
93, 104, 139, 239, 242
Coll. Yussopoff . . 241
Spanien, Madrid, Prado 71, 90, 191,
238, 239, 242
Ungarn, Budapest 240
Zeichnungen:
Berlin, K. K 163 f.
Chatsworth Liber Veritatis . . 31,
217, 223ff.
Dresden, Museum . . . 179, 187
Florenz, Uff 127
London, Brit. Mus. . . 165 f., 245
Parts, Ecole des Beaux arts . 192
Paris, Louvre 194
Wien, Albertina . . 180, 241, 245
Gellee, Jean 21, 30
Giorgione 8
Gottfried, s. Wals 27
Honthorst 21
Koch 218, 246
Laer, Pieter van, s. Bamboccio
Lebrun 86
Livorno 25
Lauri 53, 160
Michelangelo 9
Miel 39, 40, 122, 160
Miinchen 27
Muziano 15
Nancy 27, 115
Seite
Nieulandt 237
Panfili 52, 240
Patinir 4
Peruzzi 10
Philipp IV. 71, 240
Philipp V. 238
Poussin, N. . . 3, 12, 18, 30, 34,
76, 162, 213
Preller 218
Raffael 9
Reni 136
Rom 15
Romano, Giulio 10
Rospigliosi .... 42, 191, 227
Rottmann 218
Rubens 5
Ruskin 162
Sacchi 237
Sadeler 21
Sandrart 21, 116
Spada 107
Swanevelt 217
Tassi 10, 15, 25, 158, 161, 235, 237
Tizian 8, 56
Turner 217
Urban VIII. 38, 47, 158, 187, 227
Uytenbroek 117
Velasquez 71
Wa[e]ls 235
Waldenstain 242
Wilson 217
Witz . 4
250
VERZEICHNIS DER
ABBILDUNGEN
Seite
GEMALDE
Portrat des Claude Lorrain V
Coninxloo, Landschaft mit Parisurteil 6
Annibale Carracci, Mariae Himmelfahrt 11
Paul Bril, Waldlandschaft mit Tobias und dem Engel 13
Adam Elsheimer, Landschaft 17
CampoVaccino 38
Seehafen 39
Landschaft mit der Psyche 42
Aus liber veritatis 43
Landliches Fest 46
Ansicht von Castel Gandolfo 47
Kiistenlandschaft 48
Einschiffung der heiligen Ursula (1646) 49
Einschiffung der Konigin von Saba 52
Hafen 53
Hafen im Nebel 55
Landschaft mit der Flucht nach Agypten 57
Ruhe auf der Flucht 60
Merkur stiehlt die Kinder des Admet 61
Landschaft mit Flufi 63
Die Miihle 64
Die Miihle 65
Apollotempel 68
David und Samuel 69
Die Furt : 70
Die Furt bei Abendstimmung 71
Flufilandschaft mit Tobias 73
Belagerung von La Rochelle 75
Flufilandschaft mit dem Konstantinsbogen 76
Anbetung des Goldenen Kalbes 77
253
Seite
Bergpredigt -79
Raub der Europa 80
Akis und Galathea 82
Verfall des romischen Reiches 85
Landlicher Tanz 87
Der Mittag 90
Amor rettet Psyche 91
Der Abend mit Tobias 93
Der Morgen mit Jacob und Rahel 94
Die Nacht mit Jacob und dem Engel 95
Das verzauberte Schloft (Landschaft mit der Psyche) 97
Hagars Verstofiung 99
Hagar und Ismael 102
Egeria 103
Klassische Landschaft 104
Aeneas auf der Hirschjagd 105
Seehafen 106
Fluftlandschaft 107
Jacob und Laban 108
Noli me tangere 109
RADIERUNGEN
Der Sturm H§
Furt 120
Herde an derTranke 121
Raub Europas 122
Die drei Ziegen 123
Landschaft mit Ziegen 125
Flucht nach Agypten 12g
Aufbruch der Herde 129
Hafen mit grofiem Turm 130
254
Seite
Forum Romanum 131
Hirt und Kinder 132
Tanz amWasser 134
Tanz untSr Baumen 135
Hafen bei Sonnenaufgang 137
Holzbrucke 139
Die drei Briganten 141
Herde bei aufziehendem Gewitter 143
Merkur schlafert den Argos ein 144
Schafer und Schaferin (l.Zustand) 146
Schafer und Schaferin (3. Zustand) 147
Der Ziegenhirt 149
ZEICHNUNGEN
Naturstudie 163
Felsen und Ba'ume 165
Baum und Berg 166
Baumsilhouetten 167
Skizze von Baumen 168
Tiber bei Rom 169
Nocturne 171
Hohlweg 172
Hafen und Leuchtturm von Civita Vecchia 173
Studie mitTurmwand 175
Sonnenbeleuchtete Ba'ume 176
Campagna romana mit Tiber 177
Ripa grande 179
Konstantinsbogen 181
Campagna 182
S. Maria Maggiore 183
Tiberufer mit Vestatempel 183
255
Seite
Palazzo Albani 184
Tivoli 184
Haus in Berglandschaft 185
Bucht mitTurm 186
Pfliigende Gespanne am Meer 187
Landschaftskomposition 189
Landschaftskomposition .189
Fels und Landschaft 190
Komposition fiir ein Bild 191
Furt 192
BrUcke 192
Tranke 193
Landschaft mit Briicke 195
Landschaft mit Furt und Briicke 197
Turmbau zu Babel 199
Fresko*Entwurf. Uberfall auf einen Heiligen 201
Entfiihrung Europas 203
Merkur und Argos 207
Philipp und der Eunuch 209
Buchdruckerei A. Wohlfeld, Magdeburg
256
ND Friediaender, Walter F
553 Claude Lorrain
G3F7
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