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Full text of "Claude Lorrain"

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WALTER  FRIEDLAENDER/ CLAUDE  LORRAIN 


WALTER  FRIEDLAENDER 


CLAUDE  LORRAIN 


1921 


VERLEGT  BEI    PAUL   CASSIRER   IN    BERLIN 


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JAN  1 2  1S67 

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Alle  Rechte  vorbehalten 
Copyright  1921  by  Paul  Cassirer  in  Berlin 


PORTRAT  DES  CLAUDE  LORRAIN 

(NACH  SANDRART) 


I  N  HALT 

Seite 

Vorwort IX 

Die  Landschaftsdarstellung  vor  Claude  Lorrain      ....  1 

Das  Leben  Claude  Lorrains 21 

Gemalde 35 

Radierungen 115 

Chronologisches  Verzeichnis  der  Radierungen 153 

Arbeitsweise  und  Zeichnungen 157 

Claude  und  Poussin.     Nachwirkung 213 

Anhang 223 

Literatur 231 

Anmerkungen 235 

Verzeichnis  der  Orts*  und  Personennamen 249 

Verzeichnis  der  Abbildungen 253 


VORWORT 


M 


einer  Darstellung  der  Kunst  Nicolas  Poussins  aus  dem  Jahr  1914  lasse 
ich  nun  eine  Studie  seines  lyrischen  Gegenspiels:  Claude  Lorrains  folgen. 

Die  Aufgabe  war  leichter  und  zugleich  schwerer.  Leichter,  weil  die  philo* 
logische  Akribie,  die  mir  die  quellenkritische  Forschung  bei  der  Sicherung 
des  Poussinschen  Werkes  auferlegte,  hier  nicht  in  gleichem  Sinne  von  mir  ge* 
fordert  wurde.  Gibt  ja  doch  das  von  Claude  selbst  angelegte  Musterbuch 
seiner  Gemalde,  das  sogenannte  »  Liber  Veritatis«,  eine  ganz  unschatzbare  Kon* 
trolle  fiir  die  iiberwaltigende  Mehrzahl  seiner  Werke.  Nur  die  Friihzeit  bleibt 
bei  Claude,  —  wie  iibrigens  auch  bei  Poussin  — ,  in  ziemlichem  Dunkel.  Auch 
wurde  eine  Vollstandigkeit,  die  ich  bei  Poussin  wenigstens  innerhalb  des 
quellenmafiig  belegten  Materials  zu  erreichen  versuchte,  hier  keineswegs  an* 
gestrebt.  Die  bei  aller  inneren  Mannigfaltigkeit  doch  groBe  Einformigkeit  des 
malerischen  Werkes,  die  haufigen  Variationen  und  Repliken  liefien  eine  Auf* 
zahlung  samtlicher  Gemalde  Claudes  nicht  als  unbedingt  wiinschenswert  er* 
scheinen.  Auch  verboten  die  Zeitereignisse  von  selbst  eine  derartig  lander* 
umspannende  Bemuhung.  Leider  wurden  von  den  gleichen  ungiinstigen  Urn* 
standen  auch  die  Zeichnungen  Claudes  betroffen,  die  —  als  herrlichstes  Material 
—  eine  kritische  Sichtuhg  gar  sehr  verdient  hatten.  Dagegen  habe  ich  versucht, 
die  Chronologic  der  Radierungen,  die  noch  durchaus  im  Argen  lag,  auf  eine 
neue  und,  wie  ich  hoffe,  solide  Basis  zu  stellen. 

Schwerer  wurde  die  Aufgabe  in  gewissem  Sinne  eben  durch  die  relative 
Einformigkeit  des  Claudeschen  Schaffens,  das  sich  ausschliefilich  auf  das  Land* 
schaftliche  beschrankt  und  auch  darin  nicht  allzuviele  thematische  Variationen 

XI 


zulafit.  Dadurch  entsteht  gegenuber  Poussins  Reichtum  an  Problemen  eine 
ziemliche  Problemarmut.  Die  Linie  der  Entwicklung  lauft  mehr  im  Stillen, 
fast  unterirdisch  vom  Begrenzten  zum  Freien,  vom  Einzel^Melodischen  zur 
beherrschten,  weitgespannten  Harmonik.  Man  mufi  ihr  leise  nachgehen,  sie 
aufspiiren  und  abtasten,  um  die  Schonheit  ihrer  Kurve  zu  empfinden.  Alles 
Streitbar*Gegensatzliche,  alles  Oratorische,  alles  Dogmatische,  was  Poussin  - 
ahnlich  wie  Marees  —  zum  Fuhrer  einer  bestimmten  Richtung  gemacht  hat, 
fehlt  bei  Claude  ganzlich.  Er  ist  daher  auch  in  neuester  Zeit  gegenuber  dem 
mannlich  starkeren,  vielseitig  begabteren  Poussin,  der  von  der  jungen  anti* 
impressionistischen  Richtung  auf  den  Schild  gehoben  wurde,  mehr  im  Schatten, 
im  Hintergrund  geblieben.  Es  ist  bezeichnend,  dafi  Claude  in  Deutschland, 
das  ihn  fruher  so  zartlich  liebte  und  dem  er  —  ebenso  wie  England  —  durch 
seinen  Lyrismus  und  seinen  Subjektivismus  in  der  Behandlung  des  Lichts 
stets  na'her  stand  als  dem  vielfach  rationalistischen  Frankreich,  bisher  keinen 
Biographen  gefunden  hat.  Uberhaupt  gibt  es  keinen  Versuch  iiber  das  Klinst* 
lerische  in  ihm  —  eine  fleifiige  Materialsammlung  einer  Englanderin  aus  dem 
Beginn  der  achtziger  Jahre  ist  immer  noch  das  Wesentliche,  was  iiber  ihn 
geschrieben  ist. 

Er  reizte  nicht  zu  Erorterungen,  nur  zur  Anschauung.  Wer  jemals  im 
Printroom  des  Britischen  Museums  die  Uberraschung  seiner  wunderbaren 
Zeichnungen  erlebt  hat,  der  wird  begreifen,  dafi  bei  ihm  die  Schonheit,  sein 
reines  und  naives  Kunstlertum  jenseits  des  Problematischen  steht.  Um  die 
ganze  Pracht  dieser  warm*  und  tieftonigen  Bilder#Lavierungen  wiederzugeben, 
bediirfte  es  gleichformatiger  Faksimiles.  Die  Abbildungen,  die  ich  hier  geben 
kann,  konnen  und  wollen  zum  grb'fieren  Teil  nichts  anderes  sein,  als  An# 
deutungen.  DaB  ich  sie  in  dieser  Fiille  bringen  kann,  und  zwar  zu  einem 
betrachtlichen  Teil  direkt  nach  den  bisher  unveroffentlichten  Originalen  des 
Berliner  Kupferstichkabinetts,  dafiir  bin  ich  dem  Verlage,  der  keinem  meiner 
Wiinsche  sich  versagt  hat,  zu  aufrichtigem  Dank  verpflichtet.  Fur  die  Erlaubnis 

XII 


zur  Reproduktion,  sowie  zu  weitgehender  Benutzung  der  Sammlung,  fur  Ent# 
gegenkommen  in  jeder  Art  danke  ich  den  Herren  vom  Berliner  Kupferstich* 
kabinett  auf  das  Warmste.  Auch  den  Direktionen  der  Museen  von  Frank* 
furt  a.  M.  und  Koln  habe  ich  fur  Aufnahmen  von  noch  nicht  veroffentlichten 
Gemalden  Claudes  zu  danken.  Schliefilich  sage  ich  fur  Beihilfe  bei  Durch* 
sicht  und  Abschrift  des  Manuskriptes  Dr.L. Zimmermann,  cand.phil. E.Simon 
und  Ch.  Grosser  meinen  herzlichsten  Dank. 


Freiburg  i.  B.,  Mai  1921 

WALTER  FRIEDLAENDER 


XIII 


DIE  LANDSCHAFTSDARSTELLUNG 
VOR  CLAUDE  LORRAIN 


Um  Landschaft,  also  Natur  im  engeren  Sinn,  kunstlerisch#optisch  zu  ge* 
stalten,  bedurfte  es  eines  sehr  entwickelten  Kunstgefiihls.  Jede  andere 
Darstellung  war  (noch  weit  iiber  das  Mittelalter  hinaus)  zweckgebunden:  reli# 
gios,  historisch,  didaktisch.  Neben  dem  kiinstlerischen  war  noch  ein  aufier* 
kiinstlerischer  Sinn  vorhanden;  er  bildete  sogar  die  aufiere  Bedingung  des 
Ganzen,  die  in  dem  Auftrag  wurzelte.  Die  Landschaft  ist  aber  als  solche  ganz 
und  gar  gelost  von  jedem  zweckbewufiten  Nebensinn.  Sie  ist  an  und  fiirsich 
nicht  mit  Heiligem  verbunden,  gibt  kein  Geschehnis,  will  nicht  allegorisch  be* 
lehren.  In  ihr  spiegeln  sich  die  kiinstlerischen  Gefuhle  rein  wieder.  Erst  als 
diese  kiinstlerische  Selbstsucht  sich  frei  entfalten  durfte,  wagte  sich  die  feine 
geistige  Bliite  der  Landschaftsmalerei  hervor.  Es  waren  Zeiten,  in  denen  die 
Kunst  den  kultma'Bigen  Zusammenhang  mit  dem  Leben  der  Nation  (der 
vielleicht  Starke  und  Hohepunkt)  gelockert  hatte,  dafur  selbstbewufiter  auf 
breitem  Strome  dahinfuhr.  Zeiten,  in  denen  die  Kunstler*Individualitat  sich 
ungehemmter  ausleben  durfte,  weil  die  Personlichkeit  des  Kiinstlers  aus  der 
Verbindung  mit  Handwerk  und  Zunft  herausgehoben  und  hoher  geachtet 
wurde.  Da  erst  gewann  der  Kiinstler  die  Freiheit,  seinen  Stimmungen  und 
Neigungen  unbekummert  nachzugeben.  Fur  das  Altertum  war  es  bis  zu  einem 
gewissen  Grade  die  Periode  des  Hellenismus  und  des  romischen  Kaiserreichs, 
fur  die  neue,re  Zeit  das  gelockerte  und  individualisierte  Barockzeitalter:  das 
XVII.  Jahrhundert.  Erst  damals  wurde  Landschaft  in  ihren  verschiedenen  und 

1 


nuancierten  Formen  und  Auffassungen  recht  eigentlich  zum  Objekt  kiinst- 
lerischer  Formen  #Gestaltung. 

Damit  1st  freilich  nicht  gesagt,  daft  erst  in  diesen  Zeiten  der  Spatreife 
der  Natursinn  erwachte,  vorher  kaum  oder  nur  verstreut  vorhanden  war. 
Schon  bei  Homer  setzt  sich  Liebe  und  Anschauung  der  Natur  literarisch* 
kunstlerisch  um.  Ebenso  im  friihen  Mittelalter  etwa  bei  Augustinus,  sparer 
bei  den  Minnesangern  und  vor  allem  bei  Walther  von  der  Vogelweide.  Es 
bleibt  jedoch  meist  beim  Allegorisch-Symbolischen  oder  beim  Einzelanschau* 
lichen.  Die  Weite,  das  Individualistische  und  doch  Allumfassende  fehlen  noch. 
In  der  Divina  Commedia  steigt  dies  Gefuhl  zum  erstenmal  mit  uberraschen* 
der  Gewalt  empor;  alle  Seiten  der  Natur  werden  einbezogen:  die  atmospharischen 
Erscheinungen,  das  Glitzern  der  Meeresoberflache  und  vor  alien  —  etwas  ganz 
Unerhortes  —  das  Licht:  »e  vidi  lume  in  forma  di  riviera  fulvido  di  fulgore 
intra  due  rive.«  »Ich  sah  das  Licht  als  einen  Flufl  von  Strahlen  glanzwogend 
zwischen  zweien  Ufern  stehen.«  Hier  geht  Dante  allem  voraus,  was  Malerei 
auch  noch  Jahrhunderte  nach  ihm  schuf.  Dem  entgegen  steht  das  mehr 
sentimentalische  Naturempfinden  Petrarcas,  das  an  Hellenistisches  anschliefit, 
aber  es  in  spezifisch  modern  Empfindsam#Subjektives  umsetzt.  Bekanntlich 
ist  er  der  erste  Europaer,  der  eine  Bergbesteigung  unternimmt.  Noch  weit 
intimer  aber  kommt  (Mitte  des  XV.  Jahrhunderts)  Naturbegeisterung  in  den 
Kommentarien  des  Aeneas  Sylvius  Piccolomini  zum  Ausdruck,  des  Papstes 
Pius  II.,  der  die  wundervolle  mittelitalienische  Landschaft,  vor  allem  den 
Monte  Amiata,  so  anschaulich  und  entziickt  beschreibt,  wie  irgend  ein 
Moderner.  Wachsendes  Naturgefuhl  gewinnt  so  immer  mehr  an  literarischer 
Formung. 

Zu  einer  der  Dichtung  entsprechenden  malerischen  Gestaltung  der  Land* 
schaft  kommt  es  im  Verlauf  dieser  ganzen  Entwicklung  nicht.  Nach  den 
erhaltenen,  qualitativ  ja  nicht  uberaus  bedeutenden  Resten  der  hellenistisch* 
romischen  Malerei  zu  urteilen,  halt  auch  da  die  optische  Formung  etwa  mit 


dem  intimen  Landschaftsgefiihl  eines  Horaz  nicht  gleichen  Schritt.  Die  esqui* 
linischen  Odyssee#Landschaften  kommen  zwar  an  einen  gewissen  heroischen 
Idealstil  nahe  heran,  bleiben  aber  doch  im  Einzelnen  stecken.  Es  sind  stilisierte 
Versatzstiicke,  Kulissen  fur  die  Aktion  der  allerdings  wenig  betonten  Figuren. 
Das  Landschaftliche  bleibt  trotz  des  Horizontes  am  Meer  innenraumlich,  formal 
in  erstarrten  Felsformen  aufgehend  (deren  Farbwerte  freilich  impressionistisch 
abgestuft  sind).  Auch  die  Landschaftchen  auf  den  pompejanischen  Wand* 
bildern  sind  Dekorations#Spielereien,  die  nicht  als  eine  Einheit  empfunden 
sind.  Naturlich  kann  es  bei  weitem  bessere  Originale  gegeben  haben,  von 
denen  wir  nichts  wissen.  Noch  entschiedener  bleibt  aber  im  Zeitalter  Dantes 
und  Petrarcas,  als  der  »dolce  stile  nuovo«  sich  bildet,  die  malerische  Behand* 
lung  der  Natur  hinter  dem  sprachlich  Geformten  zuriick.  Im  Trecento  kann 
iiberhaupt  nicht  davon  die  Rede  sein,  auch  im  Quattrocento  finden  wir  zu  dem 
Natur  *Enthusiasmus  von  Aeneas  Sylvius  auch  nicht  annahernd  eine  optische 
Parallele.  In  Italien  iiberhaupt  nicht:  erst  gegen  Ende  des  Jahrhunderts  gibt 
es  entschiedene  Ansatze  zu  einem  starkeren  Naturempfinden  in  der  Malerei, 
wie  in  den  Hmtergriinden  umbrischer  oder  venezianischer  Bilder  oder(etwas 
sparer)  den  romantischen  Mythologien  eines  Piero  di  Cosimo.  Bedeutend 
friiher  riihrt  es  sich  in  den  Niederlanden.  Das  nordische  Naturgefiihl,  sub# 
jektiver,  intimer,  wohl  auch  lyrischer,  als  das  starker  pathetisch  und  episch 
bewegte  der  Romanen,  tritt  von  nun  an  mafigebend  in  Erscheinung.  Es 
beeinflufit  auch  die  Kunst  Italiens,  mufi  sich  freilich  auch  romanischer  Zucht 
und  Stilisiertheit  beugen.  Die  Entdecker  und  Verkiinder  der  besonderen  Schon* 
heit  und  Grofie  romischer  Landschaft  sind  von  Bril,  Elsheimer,  Poussin  und 
Claude  bis  auf  Koch  und  Corot  fast  durchweg  Nordlander. 

In  dem  Kreis  der  Briider  van  Eyck  ist  dieses  Garen,  dieser  neue  Trieb  am 
deutlichsten  zu  spiiren.  In  den  Hintergriinden  des  Center  Altars,  noch  starker 
in  Bildern,  wie  der  Rollin*  Madonna,  ist  der  Landschaft  mehr  Platz  gegeben 
als  je  zuvor.  Sie  ist  nicht  mehr  zu  dekorativem  Zweck  formal  umgestaltet, 


sondern  als  Daseinsraum  optisch  empfunden.  In  den  Kalenderbildern  der 
Livres  d'heures  kommt  dies  Element  noch  starker  zum  Ausdruck.  Trotz  der 
Uberraschung,  die  sie  etwa  durch  die  ganz  locker  hingesetzten  Strandszenen 
gewahren,  bleiben  sie  doch  nur  sporadische  Erscheinungen.  Ein  starkes  land* 
schaftliches  Empfinden  ist  vorhanden,  aber  noch  kein  Wille,  die  Landschaft 
anders  zu  geben,  wie  als  Vedute,  als  Illustration  —  nicht  um  ihrer  selbst  willen. 
Nur  ganz  ausnahmsweise  wird  Vorder*  und  Hintergrund  als  Einheit  gesehen 
unter  einem  Gesichtswinkel,  mit  einem  Augenpuhkt.  In  der  grofien  Tafel* 
malerei  des  XV.  Jahrhunderts  kann  von  einer  Landschaftsmalerei  im  engeren 
Sinne,  in  der  das  Figiirliche  nur  Staffage  wird,  nicht  gesprochen  werden. 
Weder  in  den  siidlichen  noch  in  den  nordlichen  Niederlanden  —  trotz  der 
Empfindungsfahigkeit  eines  Dirk  Bouts  oder  des  so  lyrisch  gestimmtenGeertgen 
tot  Sint  Jans.  Dazu  fehlte  es  noch  an  der  Freiheit  des  rein  subjektiven  Ge* 
staltens.  Nahe  heran  kommt  freilich  Conrat  Witz  in  seinem  bekannten  Fisch* 
zugbild  in  Genf.  Die  Seelandschaft  (merkwiirdig:  gerade  das  Wasser  verlockt 
sehr  friih  zu  einer  gelostenDarstellung)  istnaturgesehen  und  doch  breit  stilisiert. 
Aber  die  Figuren  spielen  noch  immer  eine  zu  grofie  Rolle,  um  von  reiner  Land* 
schaftsmalerei  reden  zu  konnen.  Die  verbliiffend  freien  und  vorausgreifenden 
Landschaftszeichnungen  und  Aquarelle  Diirers  bleiben  Studien.  So  sind  die 
ersten  reinen  Landschaftsbilder  die  Altdorfers.  Bei  ihm  ist  die  Landschaft  reiner 
Selbstzweck,  lyrischer  ErguB,  selbst  die  Staffage  kann,  wie  auf  dem  Miinchener 
Bildchen,  ganz  fehlen.  Alles  ist  voller  Wunder,  aber  das  Wunder  geht  ganz 
im  Intimen,  Innerlichen  vor  sich:  der  heil.  Georg  ist  wie  verzaubert  in  einem 
Marchenwald,  der  aus  unzahligen  Asten  und  Zweiglein,  auf  denen  iiberall 
kleine  Lichter  sitzen,  zusammengewachsen  ist.  Der  Horizont  ist  vielfach  noch 
hoch,  der  eigentliche  Augenpunkt  nicht  stets  beobachtet,  aber  die  Hintergriinde 
sind  schon  voller  Licht,  der  Himmel  voll  atmospharischer  Erscheinungen. 
Neben  Altdorfers  wenn  auch  aus  Kleinstem  zusammengesetzter  Einheit* 
lichkeit  sind  die  Landschaften  seines  niederlandischen  Zeitgenossen  Patinir 


noch  Aufreihung  von  nicht  ganz  verbundenen  Schichten.  Sie  tragen  daher 
trotz  des  hohen  Reizes,  den  sie  ausiiben,  noch  beinahe  einen  gewissen  karto* 
graphischen  Charakter.  Nicht  das  Intime  ist  dargestellt,  sondern  vielgestaltige 
Formen  derNatur:  Baume,  Wasser  mit  Buchten,  Hugel  und  Stadte,  seltsame 
Felsen  und  weiter  Blick.  Wildromantischer  wird  es  bei  Hendrik  met  de  Bles,  der 
die  Felsformationen  noch  weiter  steigert  und  hauft,  das  Terrain  wilder  bewegt, 
die  Luft  mit  Vogelscharen  fiillt.  Gerade  seine  Bilder  (unter  seinem  Beinamen 
Civetta)  waren  in  Italien  sehr  beliebt.  Umgekehrt  sind  ihm  italienische 
Kunstformen  nicht  fremd  geblieben,  wie  aus  manchen  Einzelheiten  hervorgeht. 
Auch  die  blauzackigen  Hintergriinde  Lionardos  spielen  wohl  mit  in  diese 
Richtung  hinein. 

In  Deutschland  ist  die  Bliite  der  Landschaftsmalerei  im  XVI.  Jahrhundert 
nur  kurz,  in  den  Niederlanden  bricht  die  Tradition  nicht  mehr  ab.  Von 
dem  wachsenden  Romanismus  in  den  Niederlanden  wird  seltsamerweise  die 
Landschaftsdarstellung  nur  wenig  beriihrt.  Mitten  in  dem  Zeitalter  des  sogen. 
»Manierismus«,  in  dem  die  Figur  so  entschieden  im  Brennpunkt  des  In# 
teresses  steht,  wachst  dort  der  landschaftliche  Trieb  unbekummert  und  eigen- 
artig  weiter.  Ober  diese  ganze  Richtung  in  den  siidlichen  Niederlanden 
nach  der  grofien,  dekorativ  zusammengefafiten  Landschaft  Pieter  Brueghels 
gibt  es  Einzeluntersuchungen  und  kiirzere  Abschnitte  in  Handbiichern,  aber 
noch  keine  genauere  iibersichtliche  Durcharbeitung.  Die  intimen  Zusammen* 
hange  sind  noch  wenig  bekannt:  die  Linien,  die  zu  den  herrlichen  Rubens* 
Landschaften  fiihren,  die  anderen,  die  fur  die  Entwicklung  der  hollandischen 
Landschaft  im  XVII.  Jahrhundert  wichtig  sind,  und  schliefilich  die,  welche 
nach  Siiden  leiten  und  sich  mit  der  romischen  Ideallandschaft  verbinden. 
Der  wichtigste  unter  den  Landschaftskiinstlern  dieser  Epoche  ist  neben  Jan 
Brueghel  (dem  sogen.  Sammetbrueghel)  Gillis  van  Coninxloo.  Die  breiten 
und  saftigen  Waldinterieurs  seiner  spateren  Zeit  sind  von  besonderer  Schonheit 
und  Bedeutung.  Wichtiger  aber  sind  noch  die  Landschaften  seiner  mittleren 


! 


• 


CONINXLOO:  LANDSCHAFT  MIT  PARISURTEIL 


Periode  (etwa  der  achtziger  Jahre  des  XVI.  Jahrhunderts),  in  denen  nur  noch 
Rudimente  seiner  friiheren  Ankniipfung  an  die  getiirmte  Phantasielandschaft 
zu  erkennen  sind.  Der  Augenpunkt  ist  tiefer  gelegt,  und  es  offnet  sich  der 
Blick  in  weite,  hell  beleuchtete  Feme.  Grofie  gut  gezeichnete  Baummassen 
bilden  Kulissen  an  einer  oder  der  anderen  Seite,  und  ganz  vorn  gibt  ein  Rasen* 
stuck  mit  durchgefiihrten  Blumen,  Grasern  und  kleinen  Tieren  ein  Sprung* 
brett  ab  —  alles  Motive  und  Hilfsmittel,  die  auch  noch  Claude  Lorrain  ver* 
wendete.  Elsheimer,  » Adam  von  Frankfurt«,  der  das  in  der  Donauschule  so 
lebendige  Gefuhl  des  Deutschen  fur  Landschaft  erbte,  hangt  mit  der  Franken* 
thaler  Schule  und  ihrem  Fiihrer  Coninxloo  direkt  oder  indirekt  zusammen. 
Ebenso  der  Antwerpener  Paul  Bril,  vielseitiger,  wenn  auch  nicht  so  begabt  wie 
Elsheimer,  und  durch  sein  langeres  Leben  wirkungsreicher.  Mit  ihnen  miindet 
die  Richtung  in  die  tektonisch*  formal  gehobene  Kunst  der  Italiener,  in  den 
groBen  Strom  des  beginnenden,  noch  strengen  Barockstils. 

In  dem  Italien  des  XVI.  Jahrhunderts  verlauft  die  Entwicklung  der  Land* 
schaftsmalerei  durchaus  anders  und  bei  weitem  nicht  so  selbstverstandlich,  wie 

6 


bei  den  Niederlandern.  Die  Landschaft  wird  in  Italien  —  von  Ausnahmen 
abgesehen  —  noch  kein  selbstandiges  Gebilde.  Als  sie  spa'ter,  besonders  zu 
dekorativen  Zwecken  geradezu  Mode  wird,  ist  man  genotigt,  Auslander  zu 
Hilfe  zu  nehmen.  Doch  fehlt  es  den  Italienern  jener  Zeit  durchaus  nicht  so 
sehr  an  Natursinn,  wie  mitunter  gemeint  wird.  Nur  ist  er  nicht  von  der  gleichen 
intimen  Art,  wie  der  nordischer  Menschen.  Beweis  dafiir  sind  die  literarischen 
Erzeugnisse,  die  um  diese  Zeit  in  Italien  unvergleichlich  viel  reicher  quellen, 
als  im  Norden.  Sie  ziehen  auch  die  Naturbetrachtung  sehr  stark  in  ihren 
Rahmen  —  wozu  die  Vorliebe  fur  die  Antike  und  ihre  Nachahmung  etwas 
beitragt.  Gleich  am  Beginn  des  Jahrhunderts  ist  Ariost  ein  leuchtendes  Bei* 
spiel  dafur.  Er  schildert  zur  Liebe  lockende  Waldeseinsamkeit,  er  beobachtet, 
wie  die  Meereswogen  sich  iiberstiirzen  und  heranwalzen.  Freilich  sind  es 
noch  meist  Vergleiche,  haben  also  noch  einen  Nebensinn.  Bei  Tasso  ist  Natur 
dagegen  unmittelbar  um  ihrer  selbst  willen  da.  Er  beschreibt  einen  roman* 
tischen  Garten  in  einer  prachtigen  Landschaft  so  gliihend,  so  lebendig,  dafi 
Alexander  von  Humboldt  Erinnerungen  an  die  Landschaft  von  Sorrent  darin 
zu  erkennen  glaubte.  Wichtiger  aber  als  die  Stanzen  seines  befreiten  Jeru* 
salems  ist  fur  das  landschaftliche  Gefiihl  Tassos  »Aminta«  (1572  erschienen), 
diese  landliche  Idylle  (favola  boschareccia).  Ein  Hirtengedicht,  an  Theokrit 
und  Longus  geschult,  aber  doch  in  seiner  eigentiimlichen  Schonheit  charak* 
teristisch  fur  das  sentimentalisch*schwarmerische  Naturempfinden  jener  Zeit. 
»Aminta«  steht  nicht  vereinzelt.  Es  gibt  viele  Vorganger,  und  im  letzten  Drittel 
des  Jahrhunderts  wird  die  Idylle  ausgesprochen  Mode  —  man  zahlt  iiber 
dreifiig  Schaferspiele.  Der  Gipfel  ist  der  » Pastor  Fido«  des  Guarini,  der  in 
ganz  Europa  triumphiert.  Die  Idylle  mit  ihrem  besonderen,  bewegten,  lyrisch* 
musikalischen  Naturempfinden  ist  ein  notwendiges  Widerspiel  zum  Pathos 
und  zu  der  steifen  »Grandezza«  des  eigentlichen  Barocks. 

Um  so  merkwiirdiger  ist  es,  dafi  auf  optisch*malerischem  Gebiet  sich  nun 
nicht  auch  ein  solches  Sender*  und  Seitengebiet  auftut,  wie  in  der  literarischen 

7 


Idylle.    Dem  Beispiel  des  Nordens  folgt  man  in  Italian  nur  zogernd.    Das 
landschaftliche  Element  wird  noch  immer  mehr  oder  minder  in  den  Hinter* 
grund  verbannt  oder  mufi  sich  einem  grofien  dekorativen  Ganzen  unterordnen. 
Und  doch  zeigen  gerade  die  Hintergriinde  von  Fresken  wie  Tafelbildern,  dafi 
auch  im  Gebiete  des  Optischen  von  einem  Mangel  an  subjektiver  Stimmungs* 
auffassung,  von  einem  Fehlen  des  Naturgefuhls  bei  den  Italienern  nicht  so 
leichthin  gesprochen  werden  darf.    Das  gilt  besonders  von  den  Venezianern. 
Das  pastoral  *idyllenhafte  Element  kommt  —  mit  stark  musikalischem  Akzent 
-  bei  Giorgione  ganz  iiberraschend  lebendig  zum  Durchbruch.   Das  bekannte 
Giovanelli*Bild  »Der  Sturm«  mit  seinem  aufgewiihlten  Himmel  und  der  un# 
ruhigen  Luft  kann  fast  als  Landschaft  gelten  —  wenn  auch  die  beiden  anek* 
dotischen  Figuren  noch  nicht  ganz  hineinbezogen  erscheinen.  Auffassung  wie 
Aufbau  sind  von  einer  gleichzeitigen  deutschen  (oder  auch  niederlandischen) 
Landschaft  fundamental  verschieden.   Die  Stimmung  ist  marchenhaft,  wie  auf 
einem  Bilde  Altdorfers,  aber  in  einem  anderen  Stil.    Das  deutsche  Bild  ist 
aus  naturgesehenen  Einzelheiten,  wie  zufallig,  zusammengesetzt  —  darin  gerade 
liegt  einTeil  seines  Reizes.   Bei  Giorgione  ist  in  straffer  architektonischer  Form 
alles  Detail  unterdriickt,  alleEinzelform  wird  ins  Grofle.Typische  gehoben.  Das 
Ganze  wird  zu  einer  Einheit  zusammengefafit,  die  voll  verborgener  bewegter 
Kraft  steckt  und  nicht  nur  schwankend  stimmungshaft  begriindet  ist.    So  ist  eine 
ArtBegebnisbuhneimVordergrund  geschaffen;  durch  die  seitlichenTrager  des 
Mittelgrundes  sieht  man  in  den  beleuchteten  aufgeregten  Grund.   Die  Carraccis 
haben  diese  Elemente  aufgenommen  und  der  groBen  idealen  oder  heroischen 
Landschaftsmalerei  des  XVII.  Jahrhunderts  ubermittelt.    Freilich  ein  Bild,  wo 
die  Landschaft  so  stark  betont  ist  wie  bei   dem  »Sturm«,  bleibt  auch  bei 
Giorgione  noch  Ausnahme.    Auf  dem  schonen   bukolischen  Gebilde,   dem 
(ihm  zugeschriebenen)  »Konzert«  im  Louvre,  iiberwiegen  die  Figuren,  aber, 
wie  sie  mit  der  Landschaft  verbunden  sind,  ist  fur  alle  Nachfahren  der  Rich* 
tung  vorbildlich  gelost.    Das  gilt  fur  Verteilung  und  Abwagung  der  Massen 


untereinander,  aber  ebenso  auch  fur  das  Eintauchen  der  kleinen  Hintergrund* 
figiirchen  in  Licht  und  Schatten.  Der  Mensch  wird  dadurch  zum  Teil  der 
Natur,  ihr  untrennbar  verbunden.  Tizian  steigert  diese  malerische  Auffassung 
in  das  Heroische;  auf  Gemalden  wie  »Petrus  Marty r«,  wo  der  ganze  Wald 
in  Bewegung  gerat,  in  das  Dramatische.  In  dem  ganzen  Kreise  Tizians  und 
Campagnolas,  des  eifrigen  Dolmetschers  der  Landschaftsbestrebungen  Tizians, 
in  Venedig  selbst  wie  auf  der  Terra  ferma,  ist  die  Vorliebe  fur  Landschaft 
aufierordentlich  stark.  Pietro  Aretino  schwarmt  von  Sonnenuntergangen,  und 
Cristofano  Sorte  schreibt  in  seinen  »Osservazioni«  iiber  Beleuchtungseffekte 
bei  Landschaften.  Aber  trotz  Schiavone,  Savoldo,  Bassano  und  vielen  anderen 
landschaftlich  sehr  begabten  Malern  kommt  es  nicht  zu  einer  geschlossenen, 
fur  sich  bestehenden  Reihe  von  Landschaftsgemalden. 

Dasselbe  gilt  auch  weiter  nach  Siiden  fur  das  ferraresisch#modenesische 
Gebiet.  Und  doch  hatte  hier  ein  im  engeren  Sinne  malerisches  Genie  wie 
Correggio  die  Landschaft  mit  der  Fiille  seines  Lichts  durchtrankt,  mit  der 
Weichheit  seiner  Formen  umgossen,  ein  vergeistigtes,  feinstes  Gefiihl  fur 
das  lichtvoll  Farbige  in  Baum,  Wiese  und  Luft  gezeigt.  Auch  hier  kommt  es 
nicht  zu  einer  Landschaftsmalerei  —  auch  die  Dossis,  trotz  ihres  Talentes 
dafiir,  bleiben  im  Dekorativen.  Je  weiter  nach  Siiden,  desto  mehr  entfernen 
wir  uns  vom  Landschaftlichen.  Im  florentinisch^romischen  Kunstkreis  ist 
das  Interesse  so  sehr  durch  korperliche  Probleme  eingenommen,  dafi  das 
Landschaftliche  nur  als  eine  Art  Spielerei  erscheinen  kann,  nicht  als  ernsthafte 
Kunst.  So  hat  sicher  Michelangelo  dariiber  gedacht.  Bei  seiner  Gefolgschaft, 
den  florentinischen  und  romischen  Manieristen  Vasari,  Bronzino,  Rosso  usw. 
steht  das  Problem  der  Fiillung  der  Flache  durch  Korpervolumen  so  stark  im 
Vordergrund,  dafi  fur  die  Landschaftsbildung  nur  geringer  Raum  bleibt.  Bei 
Raffael  und  seiner  Richtung  ist  das  nicht  in  gleichem  Mafie  der  Fall.  Bei 
der  klassischen  Gruppierung  der  Figuren  im  Raum  kann  auch  das  landschaft* 
liche  Element  eine,  wenn  auch  nicht  grofie,  Rolle  spielen.  Es  nimmt  teil  an 


dem  klassischen  Aufbau,  der  Gliederung  und  Abwagung  der  Teile  unter* 
einander.  Zwar  kommt  es  nicht  zu  einer  selbstandigen  Gestaltung  der 
Landschaft;  doch  wirkt  die  »klassische«  tektonische  Fiihrung,  die  alles  Zu* 
fallige  ausschliefit,  auf  die  Komposition  des  grofien  Landschaftsstils  des 
XVII.Jahrhunderts.  Giulio  Romano,  der  unmittelbare  und  gefeierte  Raffael* 
Schiiler,  beriicksichtigt  iibrigens  das  Landschaftliche  in  seinen  Gemalden  und 
Fresken  sehr  stark;  auch  in  den  Loggien  tritt  sein  Einflufi  (neben  anderen) 
in  dieser  Beziehung  hervor. 

Wenn  auch  nicht  als  Tafelbilder,  so  werden  von  nun  an  in  immer  steigen* 
dem  Mafie  Landschaften  in  dekorativem  Zusammenhang  verwendet.  Peruzzi 
malt  schon  im  zweiten  Jahrzehnt  des  Cinquecento  in  der  Farnesina  eine  illusio* 
nistischeWandgliederung:  zwischen  Sa'ulen  sieht  man  iiber  eine  Brushing  hin* 
weg  auf  hohe  Baume  und  die  Dacher  einer  Stadt.  Solche  Illusionsdekorationen 
landschaftlichen  Inhalts  —  die  wohl  in  engem  Zusammenhang  mit  Biihnen* 
bildern  stehen  —  malt  im  Prinzip  ganz  ahnlich  an  hundert  Jahre  spa'ter  noch 
Agostino  Tassi,  und  Claude  Lorrain  als  Gehilfe  arbeitet  daran  mit.  Kleine 
Landschaften  in  Kartuschen  und  Grotesken  werden  als  Wand*  und  Decken* 
dekoration  immer  mehr  Mode  (zumTeil  in  Anlehnung  an  die  Antike).  In 
sehr  vielen  Palasten  Toskanas  und  Roms  finden  sich  diese  »Paesetti«,  unter 
anderen  in  den  Prachtsalen  des  Vatikans,  wie  dem  »Sala  ducale«.  Leicht 
und  spielerisch  sind  sie  kiinstlerisch  meist  nicht  sehr  bedeutend.  Auch  fur 
diese  braucht  man  aber  nordische  Spezialisten.  Paul  Bril  wird  am  Ende  des 
Jahrhunderts  zunachst  in  diesem  Sinne  beschaftigt.  Aus  all  dem  heben  sich 
in  entschiedener  Vorwegnahme  spaterer  Tendenzen  die  beiden  Kirchenland* 
schaften  in  S.  Silvestro  hervor,  Werke  des  ebenso  ratselhaften  wie  zu  seiner 
Zeit  beruhmten  Polidoro  da  Caravaggio.  Alle  Requisiten  der  spateren  Zeit 
sind  hier  schon  vorhanden:  der  vegetative  Vordergrundstreifen,  die  Fels* 
kulisse  mit  dem  grofien  Baum.  Die  Schichtung  geht  in  die  Grunde  hinein 
mit  antiken  Tempeln,  aufgeturmten  Berg*  und  Felsmassen,  mit  angeschmiegten 
10 


ANNIBALE  CARRACCI,  MARIAE  HIMMELFAHRT.  ROM,  PAL.  DORIA 


Dorfern,  Wasserfallen  und  Baumen.  Alles  malerisch  durch  Hell  und  Dunkel 
ineinandergefiigt.  Doch  setzen  die  Schichten  noch  etwas  primitiv  vonein* 
ander  ab,  die  Komposition  bekommt  dadurch  noch  etwas  Gehauftes  und 
Unfreies;  auch  die  kleinen  Staffagefigurchen  tragen  den  Stil  der  Zeit.  Sonst 
waren  diese  beiden  Landschaftsgemalde  von  Werken  viel  spaterer  Zeit  nicht 
zu  unterscheiden.  Und  doch  sind  sie  schon  vor  1527  entstanden. !) 

Aber  so  interessant  diese  ersten  italienischen  Landschaften  heroischen 
Stils  auch  sind,  sie  bleiben  zunachst  ohne  Nachwirkung.  Der  entschiedene 
Umschwung  kommt  erst  mit  dem  Auftreten  der  Carracci,  speziell  Annibales. 
Sie  sind  die  Reformatoren  gegeniiber  den  Wucherungen  des  Manierismus  und 
fiihren  nach  allgemeiner  Ansicht  auch  ihrer  Zeitgenossen  die  Kunst  wieder 
zur  Genesung.  So  sind  sie  auch  die  ersten,  die  die  Landschaft  in  Italien 
wieder  zur  Hohe  bringen.  Das  Figiirliche  spielt  darin  freilich  noch  immer 

11 


eine  gewisse  Rolle,  wie  iiberhaupt  in  der  ganzen  sogen.  »historischen«  Land* 
schaft;  denn  diese  soil  dem  Wortlaut  nach  Ausdruck  einer  »storia«  sein,  d.  h. 
einer  Erzahlung  historischen  oder  religiosen  Charakters.  Besonders  Annibale 
in  seiner  spateren  Zeit,  um  die  Wende  des  Jahrhunderts,  gibt  reife  Beispiele 
dieses  komponierten  Landschaftsstils.  Die  Elemente  sind  aus  der  venezianischen 
Kunst  Giorgiones  undTizians  genommen,  aber  das  Gerust  ist  architektonischer, 
energischer  in  der  Zeichnung  zusammengefaBt:  der  Einflufi  der  klassisch* 
romischen  Schule.  Die  Landschaftslunetten  in  der  Galeria  Doria  zeigen  den 
ausgesprochenen  idealen  Landschaftsstil.  Auf  der  » Himmelfa hrt  Maria «2)  ist 
der  Vordergrund  der  Begebnisbiihne  vorbehalten.  Seitlich  dem  Mittelgrund* 
zu  erheben  sich  Biische  und  hell  gegen  dunkel  gesetzte  Baume.  Als  andere 
Seitenkulisse  korrespondieren  damit  antike  Grabmaler  (statt  der  spa'ter  iiblichen 
Tempelgebaude).  Dazwischen  6'ffnet  sich  im  Halbkreis,  von  beleuchteten 
Hiigeln  flankiert,  eine  Meeresbucht,  die  an  dem  nicht  zu  hohen  Horizont 
in  hellen  Himmel  ubergeht.  Ebenso  bestimmt,  klar  wurzelnd,  taktisch  fest 
gelegt  sind  auch  andere  Landschaften  aus  der  Spatzeit  Annibales,  und  so  ist 
ihr  Einflufi  nicht  gering. 

Noch  na'her  an  den  heroischen  Landschaftsstil  kommt  der  Carracci* 
Schiiler  Domenichino  heran.  Seine  Landschaftsfresken  mit  dem  Apollomythus 
sind  1608  entstanden.  Sie  sind  relief mafiig  zusammengefafit,  Schicht  um 
Schicht  aufgebaut  aus  Baumen  und  Baumgruppen  (mit  den  seit  Tizian  be# 
liebten  gekreuzten  Stammen),  Hugel  und  Wasser,  Felspyramide  und  Baum* 
kulissen,  vom  figuralen  Vordergrund  bis  zu  der  klar  gezeichneten  Feme  —  alles 
in  grofien  bedeutenden  Linien.  Sie  waren  so  beriihmt,  dafi  sie  noch  1647, 
also  in  der  Hochbliite  des  grofien  Landschaftsstils  Poussins  und  auch  Claudes 
von  Dominique  Barriere  in  einer  Serie  von  Radierungen  herausgegeben  wur* 
den  —  einem  Stecher,  der  einer  der  intimsten  Freunde  Claude  Lorrains  war. 
Von  Carracci  und  noch  mehr  von  Domenichino  stammt  die  grofie  Landschafts- 
kunst  des  Nicolaus  Poussin. 

12 


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In  diese  hone  und  grofi  gesehene  Auffassung  der  Landschaft,  die  von 
der  nordischen  schon  durch  ihre  stilisierte  Bewufitheit  so  stark  abweicht,  ge# 
raten  nun  auch  die  Nordlander,  die  nach  Rom,  diesem  Zusammenflufi  geistiger 
und  kiinstlerischer  Stromungen,  gegen  Ende  des  XVI.  und  Anfang  des  XVII. 
Jahrhunderts  gepilgert  kamen.  Aber  sie  behalten  noch  genug  von  dem  Ihrigen 
iibrig.  Nachdem  sie  die  Schulung  romisch#klassischer  Stilzucht  durchgemacht 
haben,  behaupten  sie  schon  durch  ihre  groBere  Hingabe  an  die  Natur  und 
deren  Formen  triumphierend  ihren  Platz.  Schliefilich  wachsen  sie  auf  romischem 
Boden  selbst  iiber  alle  Italiener  hinaus.  Von  den  Friiheren  ist  der  Wichtigste 
Paul  Bril,  der  Ende  der  siebziger  Jahre  als  ganz  jungerMann  zu  seinem  bereits 
in  Rom  tatigen  Bruder  Matthaus  kam.  Zunachst  arbeitet  er  —  wie  erwahnt  — 
noch  in  der  Art  des  friihen  Coninxloo,  ineinandergedrangt,  gehauft  mit  hohen 
Burgen,  Briicken,  phantastischer  Flufilandschaft.  Auch  die  landschaftliche 
Kunst  Girolamo  Muzianos,  eines  Brescianers,  der  in  Rom  etwas  friiher  durch 
seine  Anachoretenlandschaften  grofie  Bewunderung  erregt  hatte,  mag  nicht 
ohne  Einflufi  auf  Bril  gewesen  sein.  Brils  Fresken  in  S.  Cecilia  zeigen  noch 
den  phantastisch  nordischen  Zug:  Baume,  Gestrauch,  Schluchten  und  Fels 
ins  Romantische,  Urwaldartige  versetzt.  Dann  aber  iibt  immer  mehr  der 
tektonische  Aufbau  der  Carracci  =  Landschaften  sichtlich  Einflufi  auf  seine 
Kunst.  Seine  nordische  Vorliebe  fur  das  Einzelne,  sein  Reichtum  an  Einfallen 
verbindet  sich  nun  mit  grofierer  Klarheit  und  Ubersichtlichkeit,  wie  besonders 
aus  seinen  Fresken  im  Palazzo  Rospigliosi  hervorgeht,  die  durchaus  schon  im 
Sinn  der  klassischen  Landschaft  wirken.  Agostino  Tassi  ist  sein  Schiiler.  Von 
seinem  Wirken,  das  im  Einzelnen  noch  nicht  geniigend  geklart  ist,  wird  noch 
die  Rede  sein.  Auf  Bildern,  wie  z.  B.  einem  Landschaftsfresko,  ebenfalls  in 
dem  genannten  Palazzo,  allerdings  aus  spaterer  Zeit,  sehen  wir  die  gleichen 
Tendenzen  der  ausgeglichenen  klassischen  Landschaft,  nur  weniger  individuell. 
Claude  Lorrain  war  jahrelang  in  der  Lehre  bei  Tassi.  Er  ist  also  »Enkelschiiler« 
von  Paul  Bril,  dessen  klassischen  Stil  er  in  seiner  Entwicklung  miterlebt  hat. 

15 


Mit  Bril  steht  ein  anderer  Maler  in  engem  kiinstlerischen  und  person* 
lichen  Zusammenhang.  Das  ist  Adam  Elsheimer,  der  urn  1600  in  Rom  war 
und  1610  schon  gestorben  ist.  Wie  viel  er,  der  bei  weitem  Jungere,  Bril  zu 
verdanken  hat,  wie  weit  seine  viel  feinere  und  (trotz  des  Miniaturformats) 
monumentalere  Kunst  auf  die  spatere  stilisierte  Art  Brils  gewirkt  hat,  ist  noch 
nicht  geklart.  Ein  intimes  Naturempfinden  zeichnet  ihn  als  Erben  Altdorfers; 
die  Frankenthaler  Schule  hat  ihn  nicht  unberuhrt  gelassen.  Die  grofle 
Gliederung,  das  Abstufen  der  Flachen,  den  tiefer  liegenden  Augenpunkt  ge* 
winnt  er  aus  der  klassischen  italienischen  Schule,  noch  mehr  aber  aus  der 
venezianischen,  wie  der  romischen.  Die  Weichheit  des  Konturs,  das  Farbige 
in  Licht  und  Schatten  kommt  wohl  aus  dieser  Quelle.  Aber  auch  bei  dem 
ausgesprochenen  Hell *Dunkel# Maler  Caravaggio  lernt  er.  Das  alles  ver* 
bindet  er  in  seiner  sehr  kultivierten  und  reizvollen  Kunst  zu  einer  struktiven, 
oft  auch  atmospharischen  Einheit  und  Harmonic.  Claude  Lorrain  verdankt 
seinen  Bildchen  und  Zeichnungen,  die  ja  in  dem  kiinstlerischen  Kreise  der 
Brils  und  Tassis  lagen,  sehr  viel. 

Aus  diesen  Komponenten:  aus  dem  klassischen  Stil  und  der  idealen  Auf* 
fassung  der  Landschaft  der  Carracci  und  ihrer  Schule,  sowie  aus  der  Einzel* 
beobachtung  von  Form  und  Beleuchtung  der  nordischen  Meister  erwachst 
die  wundervolle  Kunst  Claude  Lorrains.  Er  fiigt  ein  Neues  hinzu:  die  Be* 
freiung  des  Lichts. 


16 


ADAM  ELSHEIMER,  LANDSCHAFT.  FLORENZ,  UFFIZIEN 


DAS  LEBEN  CLAUDE  LORRAINS 


Claude  Gellee  1st  im  Jahre  1600  in  Chamagne  bei  Mirecourt  geboren,  einem 
kleinen  Dorf,  das  zur  Diozese  Toul  und  zum  Herzogtum  Lothringen 
gehorte.  Daher  kam  sein  Beiname  in  der  Fremde  »le  Lorrain«,  und  unter 
diesem  Namen,  Claude  Lorrain,  erlangte  er  seinen  Weltruhm.  Er  war  nichts 
weniger  als  in  einem  Schlosse  geboren,  wie  altere  Autoren  behaupten.  Dafi 
sein  Geburtsort  mitunter  auch  Chateau  Chamagne  genannt  wird  nach  einem 
nahe  beiliegenden  Tempelritterschlofl,  besagt  nichts.  Im  Gegenteil,  seine  Eltern 
Jean  Gellee  und  Anne  Padose  waren  allem  Anschein  nach  arme  Leute  mit  einer 
zahlreichen  Familie.  Von  den  fiinf  Sohnen  war  Claude  der  dritte. 

Zwei  Quellenschriften  haben  wir  fur  das  Leben  Claudes,  eine  deutsche 
(Sandrart)  und  eine  italienische  (Baldinucci).  Sie  geben  uns  Aufklarung  iiber 
sein  in  derjugend  an  Wechselfallen  reiches,  sparer  immer  stiller  dahinfliefien* 
des  Leben.  Der  Deutsche,  Joachim  von  Sandrart  auf  Stockau,  ist  von  den 
beiden  Biographen  der  interessantere,  weil  weitaus  personlichere.  Er  ist  ein 
paar  Jahre  j linger  als  Claude,  ein  sehr  betriebsamer  Maler  aus  der  Schule  des 
Honthorst  in  Utrecht  und  als  Kupferstecher  Schiiler  von  Aegidius  Sadeler  in 
Prag.  Sein  Hauptverdienst  besteht  aber  nicht  in  seinen  unzahligen  Malereien 
und  Stichen,  sondern  in  seiner  literarischen  Tatigkeit:  in  dem  Riesenkompen* 
dium  der  »Ceutfd?en  2lca6emte  6er  c&len  Bau=,  Btl6=  un6  ZnafyIerey  =  Kunfte«, 
von  der  der  erste  Band  1675  zu  Niirnberg  erschien.  Der  zweite  Teil  dieses 
iiberaus  umfangreichen  Foliobandes  handelt  »r»on  6er  alt*  un6  neuberufymten 
(EcjYPrtfrf?2";  <3rted]ifcfyen,  2ldmtfrf)en,  3^a^^nU<i?en)  £)ocfy=  un6  Itte6erteutfd)en 
Bait'  BtI6=  un5  21ta^IereY  Kiinftlere  Sob  un6  £eben«.  Hier  sind  die  Nach* 

21 


richten  Sandrarts  iiber  die  Kunstwerke  und  Kiinstler,  die  er  auf  seinen 
langen  und  ausgedehnten  Reisen  mit  eigenen  Augen  gesehen  und  kennen 
gelernt  hat,  natiirlich  bei  weitem  die  wichtigsten.  Er  war  nach  einem  langeren 
Aufenthalt  in  England  Jahre  hindurch  (bis  etwa  1636)  in  Italien,  das  er  von 
Norden  bis  Siiden  bereist  hat.  So  kam  er  mit  alien  bedeutenden  Kimstlern  des 
Landes  und  auch  der  zahlreichen  Fremdenkolonie  in  Beriihrung.  Davon  erzahlt 
er  ein  wenig  eitel  und  ruhmredig,  mitunter  aber  auch  recht  impulsiv  und  leben* 
dig.  Besonders  gilt  das  von  seinen  romischen  Jahren  um  1630  herum.  Sie  wurzeln 
am  starksten  in  seiner  Erinnerung,  bedeuten  mehr  fur  ihn  als  alles  andere. 
Hier  sind  es  zwei  Manner,  mit  denen  er  durch  seine  kiinstlerische  Tatigkeit 
in  enge  Verbindung  tritt,  die  den  tiefsten  Eindruck  auf  ihn  gemacht  haben, 
beide  aus  der  franzosischen  Kolonie:  Poussin  und  Claude.  Der  etwas  kiihle 
und  zuriickhaltende  Poussin  hat  sich  dem  derben  und  bombastischen  Deutschen 
wohl  kaum  sehr  intim  angeschlossen,  mit  dem  naiveren  Claude  verband  aber 
Sandrart  eine  enge  Freundschaft  und  Arbeitsgemeinschaft.  In  einem  Nachtrag 
zu  seinem  Werke,  seinem  eigenen  Lebenslauf,  la'fit  er  dariiber  (von  seinen 
»  6ienftergebenen  Dettern  un6  XHsdpeln«)  berichten:  »llntcr  fcinen  bdftcn  un6  per* 
trauteften  ^reun&cn  /  ir>aer  aucfy  daubing  (Stilt  ein  Cotfyringer  /  unb  unldngft  an= 
gefommener  €anbfd?aft  =  2Tfar;Ier:  tr>elcfyer  mit  unferm  1).  Don  Sanbrart  nacfy  Cir>oli 
fpa^irt/audj  in  f>nn$  3uftintans  (Sartcn/an  ftat  6es  tr>etd)nens  /  grof  e  Bdumc/ 
£an6frfjaften  un6  IPafferfdlle  /  nadj  6eni  Ccben  gemafylt:  ir>orinn  fie  6urd)  foldje 
Ubung  foir»eit  geftiegen  /  6af  fie  6ie  ^uf  ftapfen  6er  Itatur  aufs  genauefte  erretdjt. 
IDie  6ann  (£lau6ius  nad^mal  bei  6em  Can6fd?aftsma^Ien  geblieben  /  un6  man  / 
nacfy  aller  erfaijren  "Kunftltebenien  2(usfage/  it>entg  femes  gleidjen  fin6et.  ^err  t>on 
San6rart  I)at  etltdje  feiner  foftlidjen  Stucfe  sufammengefauft:  6te  er  in  feinem  Kunft- 
(Eabtnet  als  einen  fon6erbaren  5dja^/5U  je6es  genetgten  ^tebl^abers  Contento  t?cr« 
roafyret  aufbel?alt.«  Daraus  und  aus  andren  Stellen  —  er  nennt  ihn  auch:  »metnen 
nddjften  Had^bar  un6  l)ausgenof  511  Hom«  --  geht  hervor,  dafi  Sandrart  zu 
Claude,  als  dieser  etwa  dreifiig  bis  fiinfunddreifiig  Jahre  alt  war,  in  nachster 

22 


Beziehung  stand.  Man  kann  daher  seinen  Worten  mehr  trauen,  als  es  friiher 
geschehen  ist.  Das  gilt  besonders  fur  das  allerdings  nicht  sehr  ausfiihrliche 
biographische  Material  iiber  Claudes  Jugendjahre,  das  er  sicherlich  aus  Claudes 
eigenem  Munde  hatte,  wie  auch  fur  die  reicheren  artistischen  Bemerkungen 
und  Beobachtungen  iiber  Claudes  Arbeitsweise,  bei  denen  er  aus  eigener  Er# 
fahrung  schopft.  Auch  stammt  von  ihm  das  einzige  Portrat,  das  wir  von  Claude 
haben,  das  sich  in  seinem  bauerlichen,  wildenTypus  seltsam  abhebt  gegen  dasda* 
neben  abgebildete  Bildnis  Poussins  in  seiner  weltmannischen,  strengen  Eleganz. 
Der  andere  Biograph  Claudes  ist  der  Florentiner  Filippo  Baldinucci 
(1624—96),  dessen  Kiinstlerbiographien  1684  erschienen  (ein  nachgelassener 
Band,  der  das  Leben  Claudes  enthalt,  1728).  Er  ist  nicht  selbst  Kiinstler, 
vielmehr  einer  der  ersten  Laien,  die  iiber  Kunst  schreiben,  Kunstkenner,  man 
konnte  sagen  Museumsbeamter,  da  er  die  grofie  Zeichnungssammlung  des 
Grofiherzogs  unter  sich  hat.  1681  geht  er  nach  Rom,  um  der  Konigin 
Christine  von  Schweden  fur  den  Auftrag  einer  Biographic  Berninis  zu  danken. 
Da  erst  scheint  er  den  iiber  achtzigjahrigen  Claude  kurz  vor  seinem  Tode  kennen 
gelernt  zu  haben.  Allzuviel  exakte  Kenntnisse,  besonders  von  den Jugendjahren 
Claudes,  wird  er  wohl  von  dem  Greis  kaum  erlangt  haben,  wenn  er  auch  in 
seinen  Handen  das  kostbare  Buch,  das  »Libro  d'Invenzioni  ovvero  Libro  di 
Verita«  —  jenes  beriihmte  Zeichnungs*Inventar  von  Claudes  Gemalden  —  ge= 
sehen  hat.  Dafiir  erhalt  er  Nachrichten  von  der  Familie  Claudes,  besonders 
von  seinem  Grofineffen  Giuseppe,  den  er  einen  »sehr  sittsamen  Jiingling« 
nennt,  der  »zur  Zeit  sich  dem  Studium  der  Theologie  in  Rom  widmet«.  So 
kann  er  mit  einer  Menge  von  Einzelheiten  aufwarten,  aber  sein  Bericht  hat 
bei  weitem  nicht  die  Erlebnisfrische  der  Erzahlung  Sandrarts.  Auch  ist  er 
—  was  schlimmer  —  wohl  nach  dem  Wunsch  der  Familie  zurechtgestutzt 
worden;  denn  er  unterdriickt  (gegeniiber  Sandrart)  alles,  was  der  herauf* 
gekommenen  Familie  irgendwie  peinlich  sein  konnte,  unter  anderm  die 
karglichen  Anfange  Claudes. 

23 


Unmittelbare  Quellen,  die  Claudes  Leben  beleuchten  konnten,  haben  sich 
sonst  nicht  erhalten,  vor  allem  keine  Briefe,  wie  sie  in  Poussins  Korrespondenz 
so  reichlich  und  aufklarend  vorliegen  —  Claude  war  sicher  ein  mehr  als  mafliger 
Briefschreiber.  Auch  von  Urkunden  ist  nur  wenig  erhalten:  eine  Aussage 
seines  Lehrers  Tassi,  ein  paar  Wohnungsangaben,  ein  paar  Daten  iiber  seine 
Mitgliedschaft  an  der  Academia  di  S.  Lucca  und  schliefllich  sein  ausfuhrliches 
Testament.  Da  auch  sonstige  zeitgenossische  Berichte  iiber  ihn  fehlen  -  er 
gab  wohl  seiner  ganzen  einfachen  und  zuriickgezogenen  Lebensweise  nach 
keinen  Anlaft  dazu  — ,  so  sind  wir  auf  die  beiden  Biographien  angewiesen, 
von  denen,  wie  gesagt,  Sandrart  als  Augenzeuge  und  Kunstkamerad  den 
unmittelbarsten  Eindruck  fur  die  friihe  Zeit  vermittelt.  Was  sparer  in  zahl* 
reichen  Schriften  von  Pascoli,  d'Argenville,  Mariette,  Lanzi  usw.  iiber  Claude 
an  Biographischem  geschrieben  ist,  geht  auf  die  beiden  Quellenschriften 
zuriick  oder  ergeht  sich  in  phantastischer  Anekdote. 

Claude  Gellee  blieb  bis  zu  seinem  zwolften  Jahre  in  seiner  Heimat,  »tn 
6ic  Scfyreib'Scfyul  geftellt  fyat  er  6artn  roenig  uu6  fdjier  niorjts  5Ugenommen« 
-  das  bezeugt  in  spateren  Jahren  seine  sehr  unbeholfene  Handschrift  auf 
seinen  Zeichnungen  und  Dokumenten  in  einer  unmoglichen  Mischung  von 
Franzosisch  und  Italienisch,  das  er  anscheinend  nie  richtig  beherrscht  hat.  3) 
Deshalb  gaben  ihn  seine  Eltern  zu  einem  »Pastetenbecker«,  und  nachdem  er 
in  diesem  Beruf  etwas  erfahren,  zog  der  junge  Claude  »mtt  rneleu  an6rcn 
6ei'gleid?en  feirten  £an6sleiiten  nad]  Honi  ivetlen  6a(elbft  tinnterbar  in  6te  etlid? 
fjun6ert  lotl^ringifd^e  Ixodj  un6  Paftetenbccfcr  fiu6«.  Dies  diirfte  ebenfalls 
seine  Richtigkeit  haben,  wenn  es  auch  den  Verwandten  spa'ter  nicht  vor* 
nehm  genug  erschien.  Auch  Poussin  heiratete  in  die  Familie  eines  fran* 
zosischen  Zuckerbackers  und  Kochs  namens  Dughet,  dessen  Sohn  der  be* 
kannte  Landschafter  war.  Daneben  kann  Claude  aber  sehr  wohl  auch  vor 
Rom  sich  ein  wenig  zeichnerisch  ausgebildet  haben.  Als  er  nach  dem  Tode 
seiner  Eltern  etwa  1612  sein  Dorf  verliefi,  wandte  er  sich  erst  nach  Friburgo 

24 


in  Alsacia  (was  nichts  anderes  sein  kann  als  Freiburg  im  Breisgau),  wo  sein 
alterer  Bruder  Johann  angeblich  ein  tiichtiger  Holzschneider  »intagliatore  in 
legno«  war  (jedoch  geben  die  Stadtarchive  dariiber  keinen  Aufschlufi).  Er 
soil  da  Arabesken  und  Blattwerk  gezeichnet  haben  —  ungefahr  ein  Jahr  lang. 
Dann  erst  ware  er,  also  etwa  mit  vierzehn  Jahren,  in  Begleitung  eines  ver# 
wandten  Spitzenhandlers  in  Rom  eingetroffen  --  der  »italidmfcfyen  Spracfye 
un6  aller  Complementer!  unerfafyren«.  Zunachst  findet  er  keine  Beschaftigung. 
Dann  nimmt  sich  ein  sehr  merkwiirdiger  Kiinstler  seiner  an:  Agostino Tassi, 
iiber  dessen  Lebensfiihrung  der  im  allgemeinen  zuverlassige  Kunstschriftsteller 
Passeri  viel  Interessantes,  aber  auch  allerlei  skandalosen  Klatsch  berichtet. 
Tassi  ist  1566  in  Perugia  geboren,  malt  ohne  besonderen  Unterricht  Gebaude 
und  Landschaften  wesentlich  wohl  dekorativer  Art.  (Nach  anderen  Berichten 
war  er  jedoch  eine  Zeitlang  Schiiler  Paul  Brils.)  Als  junger  Mann  kommt 
er  nach  Florenz,  veriibt  da  irgendeine  Missetat  und  wird  zur  Galeere  ver# 
dammt.  Doch  hat  er  es  nicht  allzu  schlimm,  denn  er  darf  malen  und  zeichnen. 
Vielleicht  gewinnt  er  da  seine  Vorliebe  fur  Marinebilder:  Hafen,  Fischziige, 
Galeeren  und  Fregatten,  sowie  Sturme  werden  von  nun  an  seine  Spezialitat. 
Sparer  dekoriert  er  in  Livorno  Hausfassaden,  vielfach  auch  mit  solchen 
»accidenti  marinereschi«,  mit  kleinen  Figiirchen.  Im  ersten  Jahrzehnt  des 
neuen  Jahrhunderts  kommt  er  nach  Rom.  Im  Palazzo  Lancellotti  malt  er  illu* 
sionistische  Dekorationen,  u.  a.  offene  Loggien  mit  Durch*  und  Ausblicken 
auf  das  Meer,  wiederum  mit  Fischziigen  und  derlei.  Auch  in  anderen  Palasten, 
z.  B.  im  Quirinal,  hat  er  ahnliche  Auftrage  —  fur  das  Figurale  auf  diesen  Ge# 
maiden  zieht  er  bekannte  Maler  wie  Guercino,  Lanfranco,  Gentileschi  heran. 
Er  verdient  viel,  lebt  aber  auch  auf  sehr  grofiem  Fufie,  recht  parvenuma'Big 
und  hat  allerlei  bose  Weibergeschichten  --  wird  auch  deshalb  einmal  zum 
tormento  della  corda  verurteilt.  In  seinem  Hause  halt  er  Jiinglinge,  die  fur 
ihn  malen,  freilich  auch,  wie  Passeri  zugibt,  viel  bei  ihm  lernen,  die  er  aber 
nach  dem  gleichen  Autor  nicht  bezahlt  und  sie  durch  iible  Frauen  umgarnen 

25 


lafit,  urn  sie  festzuhalten.  Ein  spaterer  Papst  sagte  von  ihm:  »AlleMalerhaben 
mich  irgendwie  enttauscht,  nur  Tassi  nicht  -  denn  von  ihm  wufite  ich  von  vorn* 
herein,  daB  er  ein  Schurke  war.«  In  ein  solches  Haus  kommt  der  junge  Claude, 
was  ihm  aber  augenscheinlich  nichts  geschadet  hat:  »nal?me  ifyn  ein  geiftreidjer/ 
5roar  po&agrtfcfyer  /  6orf)  roegen  feines  Iiiftigen  Rumors  beliebtcr  Zltaler  /  genannt 
2lgoftin  £afo  511  fid?/  weldjer  mei  2JrcJjitecturen /  ^riefcn  imb  an&ers  in  6er  (EarMnal 
^tmer /  su  ^trrafyten  oberfyalb  6er  Cape^ereycn  /  aud?  pcrfpcctioc  un6  anfceres  madden  / 
6erntfyalben  unb  an6eren  (Sefd^aften  toe^en  audj  511111  oftern  ausrciten  /  un6  an  unter* 
fc^ie6Itd?cn  ©rten  ftdj  auffyalten  inufte.  Da  6ann  in6cffcn  (£Iau6c  <Silli  itjm  6tc 
Kud)en  un6  6as  ganse  f^ausiucfcn  fel?r  urilltg  rerfal?/  alles  fauberte  /  6ic  ^arbcn  sum 
ITtaljIen  rtebe  /  palet  un6  Penfel  pu^te«.  Claude  war  also  zunachst  eine  Art 
Faktotum  bei  Tassi,  was  nicht  ausschliefit,  dafi  er  eine  ganze  Menge  Technisches 
bei  ihm  gelernt  hat.  Gerade  seine  Doppelstellung  als  Kuchenbacker  und  Mal# 
gehilfe  zeigt,  dafi  er  noch  sehr  Jung  gewesen  sein  mufi,  wahrend  Baldinucci,  der 
die  Backerei  und  Dienerstellung  in  usum  delphini  ganz  unterdriickt  und  Tassi 
»degnissimo«  und  »stimatissimo«  nennt,  ihn  erst  betrachtlich  spater  bei  Tassi  ein* 
treten  la'Bt.  Um  1619  fmden  wir  Claude  jedenfalls  schon  urkundlich  als  Gehilfen 
Tassis  als  Claudio  di  Lorena  neben  anderen  Franzosen  und  Auslandern  erwahnt 
(in  einer  KriminalprozeBaussage  Tassis).  Es  handelt  sich  um  die  Ausmalung 
eines  Kasinos  in  Baganja,  einem  herrlich  gelegenen  kleinen  Flecken  bei  Viterbo. 
Hier  hatte  Tassi  mit  seinen  Gehilfen  an  zweieinhalb  Jahre  zu  tun.  Leider  sind 
diese  Fresken  heute  so  gut  wie  ganz  zerstort.  Schon  Passeri  klagt  iiber  ihre 
Beschadigung  durch  Feuchtigkeit. 4)  Er  spricht  hier  von  allerlei  Illusions* 
malereien:  fingierten  Gesimsen  mit  Vasen  und  Blumen,  an  den  Wanden  Bildern 
mit  gemalten  Vorhangen  und  Schniiren,  was  nicht  gerade  geschmackvoll  klingt. 
Aber  interessant  ist  wieder  der  Inhalt:  Meerdarstellung,  Hafen,  Schiffswerften, 
Fischziige;  denn  der  junge  Claude  hat  daran  mitgeholfen,  und  es  sind  wesentlich 
dieselben  Vorwiirfe,  die  er  besonders  in  seiner  friihen  Periode  fur  seine  eigenen 
Gemalde  verwendet  und  durch  die  er  einen  Teil  seines  Ruhmes  erlangt. 

26 


Es  wird  noch  von  einem  anderen  Lehrer  Claudes  berichtet,  iiber  den  wir 
freilich  noch  viel  weniger  orientiert  sind.  Sandrart  spricht  nicht  von  ihm,  also 
wird  er  wohl  nicht  von  so  grofler  Wichtigkeit  fur  Claude  gewesen  sein,  sonst 
hatte  dieser  seinem  Gefahrten  gegeniiber  wohl  mehr  von  ihm  erzahlt.  Aber 
Baldinucci  erwahnt  (und  diirfte  das  wohl  kaum  aus  den  Fingern  gesogen 
haben)  einen  zweijahrigen  Aufenthalt  Claudes  in  Neapel,  wo  Claude  bei 
einem  sehr  bertihmten  Veduten*  und  Perspektivmaler  Goffredo  sich  in  Lehre 
gab  und  da  allerlei  in  Architektur,  Perspektive  und  auch  im  Landschafts* 
malen,  »nel  colorir  paesi«  gelernt  hatte.  Wer  dieser  Maler  Gottfried  ist,  wissen 
wir  nicht.5) 

Sehr  grofi  ist  der  Erfolg  und  Verdienst  in  diesen  ersten  Jahren  nicht,  soviel 
scheint  aus  allem  hervorzugehen.  Vielleicht  deshalb  sieht  Claude  sich  genotigt, 
im  Friihling  1625  Italien  zu  verlassen  und  in  seine  Heimat  zuriickzukehren.  Er 
geht  iiber  Loreto  und  Venedig  zunachst  nach  Deutschland,  nach  Ba'yern. 
Diesen  Umweg  iiber  den  Brenner  wahlt  er  wohl,  weil  in  Miinchen  einVer* 
wandter  von  ihm  wohnt,  der  iibrigens  auch  Koch  beim  Kurfiirsten  war  und 
ebenfalls  Claude  hiefi.  6>  Er  begibt  sich  von  da  nach  seiner  lothringischen 
Heimat  und  findet  in  der  Hauptstadt  Nancy  Beschaftigung  beim  Hofmaler 
Claude  Deruet.  Dieser  nimmt  ihn  zunachst  als  Gehilfen  fur  Figurenmalerei, 
das  scheint  aber  doch  nicht  recht  in  der  Linie  Claudes  zu  liegen,  denn  nach 
etwa  einem  Jahr  wird  er  zu  Arbeiten  verwendet,  die  rein  dekorativer  Natur 
sind:  zu  Architekturmalereien  an  der  Decke  der  (jetzt  zerstorten)  Karmeliter* 
kirche  zu  Nancy  —  die  Figuren  behalt  sich  Deruet  selbst  vor.  Diese  Arbeit, 
die  er  beiTassi  wohl  bis  zum  Oberdrufi  kennen  gelernt  hat,  kann  den  jungen 
Kiinstler  nicht  befriedigen.  Dazu  kommt  noch  der  Sturz  eines  Genossen 
vom  Geriist,  durch  den  Claude  erschreckt  wird  (wie  Baldinucci  erzahlt). 
Schliefilich  regt  sich  wohl  auch  die  Sehnsucht  nach  dem  gelobten  Lande 
Italien,  nach  Rom,  der  so  viele  nordische  Kiinstler  anheimf alien.  Jenes  »wie 
wird  mich  nach  der  Sonne  frieren«  Diirers.  So  kehrt  Claude  der  Heimat 

27 


den  Rucken  -  nunmehr  endgultig.  Er  kommt  niemals  wieder  nach  Frankreich 
zuriick,  auch  nicht  fiir  kurze  Zeit,  sondern  wird  einer  jener  nordischen  Kiinstler, 
die  sich  nicht  mehr  vom  romischen  Himmel  trennen  konnen,  ja  noch  mehr, 
er  wird  -  neben  Poussin  --  der  eigentliche  Entdecker  romischer  Luft  und 
romischer  Landschaft. 

Diesmal  nimmt  Claude  den  direkten  Weg  iiber  Lyon  und  Marseille.  Es 
scheint  ihm  auf  dieser  Reise,  die  er  von  Marseille  aus  gemeinsam  mit  dem 
jungen  Charles  Errard,  dem  zukiinftigen  Leiter  der  franzosischen  Akademie 
in  Rom,  macht,  recht  tibel  ergangen  zu  sein.  Geldnot,  Fieber  und  Stiirme 

—  eine  Erinnerung  daran  ist  vielleicht  seine  Radierung  von  1630  »Der  Sturm« 

—  suchten  ihn  heim. 7)    Er  wird  froh  gewesen  sein,  als  das  Schiff  endlich  zu 
der  6'den  Quarantanestation  von  Civitavecchia  gelangte.    Eine  Zeichnung  des 
Hafens  gibt  von  dem  Aufenthalt  noch  Zeugnis.    Am  Tage  des  heil.  Lukas, 
des  Matrons   der   Kunstler   und   insbesonders   der  romischen  Akademie  San 
Lucca 8),  Oktober  1627  betritt  er  wieder  romischen  Boden.    Drei  Jahre  vorher 
ist  Poussin  zu  dauerndem  Aufenthalt  dort  eingetroffen. 

Damit  sind  Claude  Lorrains  Wanderjahre  abgeschlossen.  Es  folgt  eine 
Spanne  Zeit  angespannter  und  muhseliger  Arbeit,  die  noch  keinen  aufieren 
Erfolg  bringt.  Aber  bald  ringt  er  sich  durch,  seine  Werke  werden  immer  ge# 
suchter,  Ruhm  und,  bis  zu  einem  gewissen  Grade,  auch  Reichtum  werden  ihm 
zuteil.  Sein  Leben  fliefit  von  nun  an  in  ungewohnlich  ruhigen  Bahnen  dahin 
bis  in  sein  hohes  Alter.  Kein  Ereignis  von  irgendwelcher  Bedeutung  wird  ge* 
meldet,  das  diese  Ruhe  unterbricht.  Die  Stille  und  der  Frieden,  die  vielen  seiner 
Werke  jenen  beneidenswerten  und  unnachahmlichen  Schimmer  des  Gliickes 
und  tiefer  Befriedigung  geben,  scheinen  auch  den  Gang  seines  inneren  Lebens 
durchdrungen  und  erleuchtet  zu  haben.  Er  war  keine  griiblerische,  keine 
differenzierte  Natur,  die  sich  mit  Problemen  qualte,  die  aufierhalb  des  rein 
Optischen  lagen;  kein  Biichermensch,  wenn  er  sich  vielleicht  auch  einmal  die 
Metamorphosen  des  Ovid  in  der  Obersetzung  des  Anguillara  vornahm,  um 

28 


sich  daraus  Motive  und  Anregung  zu  holen  fur  die  lyrische  Verlebendigung 
seiner  Landschaften  Diesem  homo  illiteratus  war  sicherlich  auch  die  Antike 
ein  Buch  mit  sieben  Siegeln,  wenigstens  in  dem  antiquarischen  und  huma* 
nistischen  Sinn,  wie  sie  viele  seiner  romischen  Kollegen  verstanden.  Die 
antiken  Trummerstatten  studierte  er  freilich  auch.  Aber  er  trieb  damit  keine 
antiquarische  Gelehrsamkeit,  sondern  benutzte  sie  fur  die  Architekturen  seiner 
Bilder  in  malerischem  Sinne  mit  einem  elegisch  sentimentalischen  Beigeschmack. 
Alle  antikisch  zugestutzte  doktrinare  Kunsttheorie  lag  ihm  fern.  So  kommt 
es,  dafi  ihn,  den  Einfachen,  keine  glanzende  Schiilerschar  umgibt,  die  auf  des 
Meisters  Worte  hort  —  Schiiler  im  eigentlichen  Sinne  scheint  er  iiberhaupt  nur 
wenige  gehabt  zu  haben,  wenn  auch  viele  von  ihm  lernten.  Da  er  auch  fur  die 
kunsttheoretisch  beflissenen  Literaten  unergiebig  war,  so  sind  kaum  Anekdoten 
von  ihm  berichtet.  » (£r  bliebe  unr>erfyeuratet  un&  lief  e  einen  feiner  XMtern  511  fid? 
fomnten/  6er  ifym  fein  gai^es  i)aus  neben  6em  baren  (5>el6  gubernterte/  and?  ^arben 
un6  Penfel  fd?afte/6amtt  er  gerufyiglid?  nur  feinen  Stu6ien  abroarten  fonte/  tr>oburd? 
beefcen  Cfyetlen  nad?  IPunfd)  geMcnt  ift/6ann  alfo  lebet  er  rufyig  un6  o^ne  Sorge/ 
fein  Detter  aber  6er  gutcn  l^off nung  /  6af  er  ein  (£rb  alles  6effen/tt>as  fein  Detter 
t)at/iDer6en  foll/un6  uerbleibet  alfo  btss  nod)  6iefe  fleine  Hepubltc  in  guter  ^n-- 
•  telligenjcc.  Anderes  weifi  auch  Sandrart,  der  Freund  seiner  ersten  romischen 
Jahre,  der  so  viel  iiber  seine  kiinstlerische  Methode  auszusagen  hat,  nicht  zu 
berichten.  Auch  Baldinucci  weifi  aus  der  Familientradition  dem  kaum  etwas 
hinzuzufiigen.  »Dtefer  fo  uberaus  tucfytige  Kiinftler  ir>ar  ein  ^reun6  guter  Sttten. 
Hie  beflecfte  er  fetnen  pinfel  mit  las^iren  o6er  trgen6ir>ie  un5iemlid7en  Darftellungen. 
XDenn  er  aus  6er  ^abeltoelt  6erlei  (Seffalten  6ai'5ufteIIen  I^atte,  fo  t?er5ecfte  er  es  fo 
gut  trne  moglidj.  (£r  mar  je&ermanns  ^reun6  un6  r;ielt  mit  alien  ^rie6en.  3a>  er  ^ef 
fein  eigenes  3n^reffe»  fetnen  nod]  fo  oeutltd^en  Dorteil  lieber  beifeite,  um  nur  Mefem 
feinem  XDunfd^e  $u  geniitgen«.9)  Er  war  aufs  weitherzigste  freigebig  mit  seinern 
kiinstlerischen  Rat,  besonders  in  technischen  Dingen,  und  gab  seine  Erfah* 
rungen,  z.  B.  in  der  Perspektive,  in  der  er  besonders  bewandert  war,  gern  preis. 

29 


Aber  wohl  nur  in  seinen  jiingeren  Jahren  hat  er  regeren  Verkehr  gehabt.  Da* 
mals,  zu  Sandrarts  Zeiten  machte  er  noch  Kunstausfliige  in  Gesellschaft  von 
Poussin  und  dem  drolligen  Harlemer  Maler  Pieter  van  Laer,  bekannter  unter 
dem  Spottnamen  Bamboccio,  der  bis  1639  in  Rom  war  und  allerlei  Genre* 
szenen  malte.  »£in  an&er  2HaI  ftn6  roir,  Pouftn,  €Iau6i  £orenes  un6  id}/€an&= 
fd?aften  nad?  6em  £eben  511  mafylen  ooer  511  5eid)nen/auf  CrtDoli  geritten«  erzahlt 
Sandrart  im  Leben  des  Bamboccio.  Auch  mit  dem  bertihmten  vlamischen 
Bildhauer  Duquesnoy  hat  er  damals  (alles  wohl  durch  die  Vermittlung  von 
Sandrart)  verkehrt,  zu  welcher  Gesellschaft  auch  Poussin  hier  und  da  stiefi. 
»3n  feincr  erften  <geit  fyielte  er  (poufftn)  grofe  Kun6fd}aft  mit  uns  ^remoen  / 
fame  aud?  6a  oft  /  man  er  unifte  /  6af  ^tancesco  Duquesnoy,  Bilofyaucr  /  (£lau6t 
Coraines  un6  id]  beyfammen  maren  /  als  Me  tmr  im  (Sebrand)  fatten  /  unfev  X>or# 
neljmen  etnanoer  311  communicieren «.  (Sandrart,  Leben  von  N.  Poussin.)  Aber 
trotz  so  vieler  Beriihrungspunkte  scheint  er  mit  diesem  grofiten  Landsmann 
und  Kunstgenossen  Poussin  nicht  intimer  verkehrt  zu  haben,  denn  in  den 
Briefen  Poussins  wird  sein  Name  nie  erwahnt.  Und  dabei  wohnten  sie,  wenn 
auch  nicht  Haus  an  Haus,  wie  es  die  Fabel  will,  doch  ganz  nahe  beieinander, 
in  der  gleichen  Strafie.  Da  lebte  Claude  so,  wie  es  Sandrart  schildert,  in 
unermudlicher  Arbeit,  die  ihm  durch  die  zustromenden  Auftrage  reichlichen' 
Gewinn  brachte,  im  »Schofie  seiner  Families  Wenn  er  auch  nie  verheiratet 
war,  so  hatte  er  doch  eine  Familie:  sein  Verwandter  Jean  Gellee,  der  sein 
Hausverwalter  war,  lebte  bei  ihm;  naher  aber  stand  Claude  die  kleine  Agnes 
Gellee,  die  1653  geboren  die  Frucht  einer  spaten  Liebe  gewesen  zu  sein  scheint, 
und  die  er  mit  der  ganzen  Zartlichkeit  seines  Temperamentes  als  Adoptiv* 
tochter  behutete.  Das  geht  aus  dem  ausfuhrlichen  Testament  hervor,  das  von 
dem  fur  die  Kunstlerforschung  in  Rom  so  ungemein  verdienstlichen  Archivar 
Bertolotti  an  das  Licht  gezogen  ist.  Claude  faGte  es  ab,  als  er  im  Jahre  1663 
schwer  erkrankte.  Mit  geradezu  riihrender  Sorgfalt  ist  da  alles  bis  auf  die 
Einzelheiten  bedacht,  bis  auf  das  Bett,  in  dem  er  schlaft,  und  den  Betthimmel. 

30 


Fur  niemand  ist  reichlicher  gesorgt,  wird  bis  auf  die  kiinftige  Heirat  hiri  vor* 
gesehen  als  fiir  den  Liebling  Claudes,  fiir  die  kleine  Agnes.  Ihr  hinterlafit  er 
auch  seinen  groBten  Schatz  —  freilich  nur  als  eine  Art  Fideikommifi  —  seinen 
Oeuvrekatalog  in  Zeichnungen:  das  »Liber  Veritatis«.  In  dem  hohen  Alter  von 
zweiundachtzig  Jahren,  zwar  durch  Gicht,  die  schon  friih  einsetzte,  behindert, 
aber  doch  bis  zuletzt  fahig  zu  arbeiten,  im  November  1682  endet  das  fried* 
liche  und  gliickliche,  bescheidene  und  doch  so  bedeutende  und  gliickspendende 
Leben  Claude  Gellees.  Er  wurde  auf  seinen  Wunsch  in  S.  Trinita  dei  Monti  auf 
dem  Pincio,  von  dem  man  iiber  Rom  hinwegschaut,  begraben.  Franzosische 
Truppen  zerstorten  1798  seinen  Grabstein.  Thiers  liefi  dann  1840  seine  Gebeine 
nach  der  franzosischen  Nationalkirche  S.  Luigi  dei  Francesi,  wo  auch  Poussin 
ruht,  uberfiihren. 


31 


GEMALDE 


1627  war  Claude  nach  Rom  zurikkgekehrt.  Sandrart  wurde  bald  darauf 
sein  Gefahrte;  wir  haben  seine  Berichte  iiber  diese  friihen  romischen  Jahre. 
Trotzdem  bleibt  iiber  Claudes  kiinstlerische  Tatigkeit  in  dieser  Zeit  noch  vieles 
im  Unklaren.  Conner  standen  ihm  zunachst  noch  nicht  zur  Seite,  er  war  auf 
gut  Cluck  nach  Rom  zuriickgekehrt.  So  muBte  er  da  anfangen,  wo  er  auf# 
gehort  hatte:  bei  der  dekorativen  Malerei,  die  ihm  in  Nancy  so  verhafit 
geworden  war.  Seiner  Liebhaberei,  der  reinen  Landschaftsmalerei  in  intimeren 
Dimensionen,  als  sie  die  Wandflachen  boten,  konnte  er  sich  noch  nicht  oder 
noch  nicht  ganz  iiberlassen.  Die  Lichtmalerei,  zu  der  ihn  sein  Genius  trieb, 
ist  letzten  Endes  doch  nur  mit  der  geschmeidigen  Materie  der  Olfarbe  zu 
erreichen.  Die  Fresken,  die  Claude  damals  in  romischen  Palasten  zu  malen 
hatte,  waren  vermutlich  unmittelbare  Fortsetzung  dessen,  was  er  bei  seinem 
Lehrer  Tassi  gelernt  hatte.  Baldinucci  erwahnt  sie  nur  fluchtig,  also  spielten 
sie  in  dem  Gedachtnis  des  alten  Meisters  oder  seiner  Familie  keine  grofie 
Rolle  mehr.  Es  ware  sicher  sehr  interessant,  wenn  wir  uns  eine  Vorstellung 
davon  machen  konnten,  ob  und  wie  Claude  den  Landschaftsstil  Brils  und 
Tassis  personlich  umgesetzt  hat.  Leider  sind  aber  diese  Fresken  nicht  mehr 
vorhanden.  Sie  befanden  sich  in  dem  Palazzo  Crescenzi  am  Pantheon,  im 
Palazzo  Muti  bei  Santi  Apostoli  und  in  einem  kleinen  Haus  an  der  Trinita  dei 
Monti, .das  ebenfalls  den  Muti  gehorte. 10)  Immerhin  handelt  es  sich  nur  um 
Landschaften,  so  dafi  Claude  doch  in  dem  Gebiet  bleibt,  das  er  nicht  mehr 
verlassen  wird.  Sandrart  gibt  eine  enthusiastische  Schilderung  der  Muti* 
Fresken,  die  sich  in  einem  grofien  Saale  befanden:  »mer  fyofye  Zltauern;  auf 

35 


6en  erften  Ceil  malte  er  ein  Stuff  eines  Palafts/  6er  fid?  an  cincm  grofen  tt)al6 
en6igte/mo  er  allerley  Baume  in  Cebensgrofe  fyerrlidj  gebil6et/ je6en  Baum  nacfj 
eigener  2trt  an  Stammen/ Slattern/  Colorit/  fo  erfanntlid?  /  als  ob  fte  raufcfyeten 
un6  pom  XDtn6e  betregt  rmir6en/aud)  mit  ringsfyerumgemacfyfenem  £aubu?erf  un6 
tfrautern/aus  6em  <5run6  ge5ieret/6af  fidj  Mefer  grofen  Baume  ©riin6e  erft  in 
6as  an6ere  Stuc!  perlieren  /  unter  melc^en  aud?  6ie  dontanansa  J^inaus  bis  511111 
^orisont,  wk  auf  6em  anfceren  Stucf  /  t?ollig  aufetnan6er  corrcfponbieren.  2tuf  6as 
an5ere  Stu^  fartigte  er  eine  gro£e  offene  £an6fcrjaft  rcid?  pon  Bergen  /  H)affer= 
fallen,  fletnen  Baumtcerf/  ®eftrauf  /  lirautern/  rei5en6en  Ceutl?en/ BiI6ern  un6 
Cijieren/  6ie  fid?  5U  6er  6ritten  Seiten  einfled)ten  /  in  tpeld^er  etlidje  Berge  an  einem 
5ee=port/mit  allerley  Sdjiffseug/  aud?  rtele  in  einem  offenen  miI6en  2ITcer 
6ie  H)tn6e  beunrufyigte  Scfjiffe.  <Segen  6er  r>icr6ten  Seiten  ftn&  ausgetjolte  ^ 
®rotten/mtt  perfallencn  Hutnen/Stucfen  von  ©ebau6en/  Statuen/  aUerley 
menten  11116  miI6e  On1  eve/  a  lies  6ermafen  meifter^aft  gearbettet/ 6af  In'erinn  allein 
6er  Perniinftige  urtl^eilen  fann  /  6af  unfer  (EIau6i  (Silli  6as  allerlpdjfte  £ob  in 
£an6fcfyafts-'21Ial)len  erljalten«.  All  dieses:  das  Waldinnere,  wie  die  Ruinen 
und  Felsenlandschaften,  noch  mehr  aber  die  Seelandschaft  mit  dem  aufge* 
regten  Meer  erinnert  an  die  Fresken  Brils  im  Palazzo  Rospigliosi.  Es  sind 
die  damals  noch  iiblichen  phantastisch*aufgeregten  Themen,  die  wohl  aus  der 
niederlandischen  Kunst  des  vergangenen  Jahrhunderts  stammen.  An  die 
idyllische  in  sich  befriedigte  Art  der  spateren  Claudeschen  Gemalde  konnte 
man  nur  bei  der  Hiigellandschaft  mit  kleinem  Baumwerk  und  Gestrauch 
denken  —  die  freilich  auch  schon  bei  seinen  unmittelbaren  Vorgangern  Bril 
undTassi  vorhanden  war. 

Daneben  aber  malte  er  »€an6fdjaften  mit  <£>ebau6en,  fleine  Bil6d?en  auf 
£einman6  o6er  Jjols,  6ie  er«  —  wie  Sandrart  schreibt  —  »rt»eil  fte  siemlicfy  fd^Ied^t 
6efto  tDolfeiler  perfaufte«.  Wie  diese  ausgesehen  und  ob  sie  inhaltlich  in  der  Art 
der  Fresken  gewesen,  lafit  sich  nicht  feststellen.  Die  uns  bekannten  erhaltenen 
Gemalde  der  —  relativen  —  Friihzeit  sind  zunachst  nicht  datiert.  Doch  lassen 

36 


sich  einige  ungefahr  zeitlich  festlegen.  1636  erschien  neben  mehreren  andern  Ra# 
dierungen  auch  eine  »  Ansicht  des  Forum  Romanum «.  Nun  hat  Claude  mehrfach 
Radierungen  auf  Grund  seiner  Gemalde  angefertigt.  Auch  hier  1st  anzunehmen, 
dafl  das  mit  der  Radierung  iibereinstimmende  Louvre#Bild  des  Forums  vorher, 
also  in  der  ersten  Halfte  der  dreifiiger  Jahre  entstanden  ist. n)  Der  Besteller 
ist  der  Gesandte  Frankreichs  in  Rom,  Herr  von  Bethune,  der  seit  1627  wieder 
in  Rom  weilte,  —  ein  fast  offizieller  Auftrag,  der  zeigt,  das  Claude  in  hohen 
Kreisen  seines  Vaterlandes  kein  Unbekannter  geblieben  war.  Da  Bethune  die 
sehr  wichtigen  politischen  Verhandlungen  mit  dem  Papst  und  Venedig  1629 
zu  einem  Abschlufi  brachte  und,  wie  es  scheint,  sich  bald  darauf  in  das  Private 
leben  nach  Frankreich  zuriickzog,  so  mufi  sein  Auftrag  fur  Claude  in  diese 
Zeit  fallen.  Also  auch  das  stiitzt  die  Annahme,  daB  das  »/7orum«  sowie  das 
dazu  gehorige  Pendant  »Hafen  bei  Sonnenuntergang«  in  die  friihe  Zeit  ge= 
horen. 12)  Schlecht  erhalten,  vielfach  iibermalt,  sind  es  doch  feine  und 
charakteristische  Stiicke.  Campo  vaccino  (Kuhlager)  wurde  das  Forum,  das 
damals  noch  unausgegraben  und  daher  hoher  im  Niveau  war,  nach  den 
Kuhherden  genannt,  die  aus  der  Campagna  kamen  und  dort  lagerten,  und  so 
heiflt  es  auch  bei  Claude.  Das  kleine  Bild  ist  ein  wahrer  »ricordo  di  Roma«, 
aber  nicht  so  sehr  fur  die  Kenner  und  Antiquare,  mehr  fur  die  Empfinder, 
denen  die  Schonheit  Roms  iiber  Ruinen^Sentimentalitat  hinaus  in  jenem 
unnennbaren  Duft  besteht,  den  romische  Luft  iiber  grofie  Formen  breitet. 
Dieser  Grofie,  die  jedoch  ohne  Starrheit,  weil  sie  durch  das  Licht  gebrochen  ist, 
geht  Claude  in  seinen  Werken  nach.  Man  fiihlt  seine  noch  tastenden  Versuche 
in  dieser  Richtung  auch  in  diesem  Bilde  vom  Forum,  jenem  romischsten  aller 
Pla'tze  Roms,  den  so  iiberaus  viele  Maler,  die  nach  Rom  kamen,  gezeichnet 
oder  gemalt  haben.  Claude  ist  wohl  einer  der  ersten,  der  dies  malerische 
Element,  das  den  friihen  Corot  so  reizte,  zum  Ausdruck  bringt  —  vielleicht 
inAnlehnung  an  Bril  (der  das  Forum  Sandrart  zufolge  radiert  hat)  und 
seine  Schule.  13)  Dabei  ist  die  topographische  Situation  nicht  allzu  sehr 

37 


CAMPO  VACCINO  (FORUM)  (VOR  1636)   LOUVRE,  PARIS 


vernachlassigt.  Der  Blick  geht  von  dem  teilweise  noch  in  der  Erde  steckenden 
Septimius#Severus*Bogen  iiber  das  Forum  hin  nach  dem  Colosseum.  Der 
Triumphbogen  und  die  schraggestellten  Saulen  des  Saturn  #Tempels  dienen 
als  Seiten*Kulissen,  zwischen  denen  sich  die  von  Menschen  und  Tieren  belebte 
Flache  offnet.  Sie  sind  vom  Rande  iiberschnitten  —  jede  archaologische  Voll* 
standigkeit  ist  damit  vermieden.  Um  die  Monotonie  der  schlanken  Saulen 
in  ihrer  Vertikalen  zu  unterbrechen,  ist  ein  duftiger  Baum  schrag  dahinter 
gestellt  —  ein  lebendiger  Ton,  der  weich  sich  anschmiegend  aus  den  Ruinen 
in  den  klaren  Himmel  wachst.  Hinter  dieser  Vordergrundbiihne  mit  den 
Genrefiguren  im  Halbschatten  geht  tiber  die  Nuancen  des  Mittelfeldes 

38 


SEEHAFEN  (VOR  1636).  PARIS,  LOUVRE 


hinweg,  ein  wenig  verhiillt,  das  friihe  Licht,  lagert  sich  auf  den  hellen  Ge# 
bauden,  hiallt  sie  in  eine  zarte  erstrebenswerte  Feme  und  verliert  sich  gesteigert 
in  der  klaren,  nur  wenig  gefarbten  Luft.  Die  Figuren  sind  —  sicher  nach 
Claudes  Anordnung  —  vermutlich  von  Jan  Miel,  einem  Bamboccio  =  Schuler, 
in  Callotscher  Manier  gemalt.  Sie  treten  auf  der  Radierung  noch  mehr  hervor. 
Auf  dem  Gemalde  stort  das  Genremafiige  und  Anekdotische  nicht  so  sehr 
das  innere  Leuchten  des  Gesamten. 

Das  Pendant  zu  diesem  Bilde  ist  die  »Ansicht  eines  Hafens  bei  Sonnen* 
aufgang«  (eine  solche  Zusammenstellung:  eine  Landschaft  und  eine  Marine 
wurde  haufig  von  Claude  gefordert).  Der  Aufbau  ist  fast  der  gleiche  wie 

39 


auf  dem  Campo  vaccine  =  Bild,  nur  steht  hier  an  Stelle  des  Triumphbogens 
eine  grofie  Fregatte,  die  an  den  Masten  die  franzosische  Flagge  zeigt.  Sie 
wird  ebenfalls  von  dem  Bildrande  uberschnitten,  so  dafi  nur  der  vordere  Teil 
zu  sehen  ist.  Ihr  korrespondiert  schrag  gestellt  wie  die  Tempelsaulen  des 
Forums  ein  schmaler,  hoher,  triumphbogenartiger  Portikus  mit  Attika,  die 
oben  mit  Gras  bewachsen  ist. 14)  Noch  weiter  schrag  in  das  Bild  hineinge* 
baut  eine  Ansicht  des  Capitols  mit  dem  zuriickliegenden  Senatorenpalast  und 
dem  seitlichen  Konservatorenpalast.  Die  eine  Seite  (die  damals  noch  nicht 
zugebaut  war)  bleibt  offen  zu  einer  halbrunden  Briistung  nach  dem  mit 
Schiffen  bedeckten  Meer.  Zwischen  diesen  Kulissen  entwickelt  sich  wie  beim 
Forum  das  Licht.  Durch  scharfe  Strahlen  wird  die  Vorderschicht,  der  Strand 
hervorgehoben.  Er  ist  ein  wenig  zu  reichlich  mit  Genrefiguren  besetzt  - 
schon  das  niederlandische  Kostiim  mancher  Figuren  verrat  auch  hier  die 
Hand  Jan  Miels.15)  Ein  dunklerer  Wasserstreifen  folgt  zwischen  Schiff  und 
Bogen.  Dann  erstrahlt  silbernes  Morgenlicht,  gleitet  an  den  Gebaudewanden 
dahin,  glitzertauf  demWasser  und  steigert  sich  zu  vollster  Pracht  am  Horizont. 
Dies  die  beiden  einzigen  Bilder,  die  aus  der  romischen  Friihzeit,  Anfang 
der  dreifiiger  Jahre,  gesichert  sind.  Claude  ist  schon  ein  Dreiftigjahriger,  also 
ein  immerhin  reifer  Kiinstler.  Es  ist  die  gleiche  Erscheinung,  wie  bei  Poussin, 
von  dem  wir  auch  kein  sicheres  Werk  vorseinem  drei*  oder  vierunddreifiigsten 
Jahre  kennen.  Die  erste  Datierung  eines  Gemaldes  ist  1639.  Vorher  liegt  eine 
ziemlich  ergiebige  Radierperiode  urn  1636.  Aber  Claude  mufi  auch  Bilder  in 
dieser  Zeit  gemalt  haben,  die  genannten  Freskogemalde  werden  ihn  kaum  bis 
iiber  1630  oder  31  beschaftigt  haben.  Er  mufi  auch  wegen  dieser  Bilder  einen 
gewissen  Ruf  genossen  haben,  das  bezeugt  einmal  der  halboffizielle  Bethune* 
Auftrag,  dann  aber  auch  eine  Anekdote,  die  allerdings  erst  aus  einem  etwas 
spateren  Berichte  stammt.  Sebastian  Bourdon  kam  als  ganz  junger  Mensch, 
nachdem  er  den  Pinsel  mit  der  Muskete  und  diese  wieder  mit  dem  Pinsel  ver* 
tauscht  hatte,  1634  nach  Rom.  Dort  verdiente  er  seinen  Lebensunterhalt  — 
40 


durch  Falschungen:  Nachahmungen  heriihmter  Meister.  Claude  zeigte  ihm 
eine  grofie  angefangene  Landschaft,  und  Bourdon  hatte  nichts  Eiligeres  zu 
tun,  als  sie  glatt  zu  imitieren  und  auszustellen.  Claude  geriet  dariiber  in  groBen 
Zorn,  dem  aber  der  geschickte  Bourdon,  der  schliefilich  Rom  doch  zwangs* 
weise  verlassen  mufite,  entwischte.  Also  gehorte  Claude  schon  1634  zu  den 
Malern,  die  es  sich  lohnte  nachzuahmen.  Auch  Sandrart,  der  ja  schon  1635 
Rom  verlaflt,  berichtet,  dafi  Claude  allmahlich  »r>ermittels  grofer  21rbettfamfeit 
un6  continuirlicfyer  Hadjfet^ung  alfo  fyod?  in  6er  Zcatiirlid?feit  geftiegen  /  6af  feine 
€an6fdjaften  r»on  6enen  Siebfyabern  allentfyalben  gefud?t  /  fleif ig  erfaufft  /  un6  an 
unterfd}ie6Iicr/e  (Drte  fyin  rerfanM/  and?  gleid?  trie  fie  anfangltcfy  fer/r  fd7led}t  un6 
gering  geadjtet  /  alfo  ftn6  fie  fjernadj  tr>ert  un6  tpofyl  fiir  Ijun6ert  /  ja  mefyr  @ol6= 
(Evonen  rerfauft  tcor6en  /  fo6af  er  6erfelben  /  unangefefyen  er  ftets  fleif  ig  gearbeitet  / 
nidjt  genug  madjen  fonnen«.  Er  scheint  anfangs  nur  in  kleinem  Format  ge* 
arbeitet  zu  haben  —  auch  die  Bethune^Bilder  sind  ja  relativ  klein.  Sandrart 
tauschte  mit  ihm  Bilder  aus,  » feine  fleineren  gegen  meine  groferen  €an6fdjaften/ 
unter  an6eren  ijat  er  mir  iiberlaffen  eine  2TTorgenftun6  /  6artnnen  etgentlid7  5U  er- 
fennen  /  tme  6ie  Sonne  etmas  5tr>ey  Stun6  iiber  6em  £)ori5ont  auffteigenb  6ie  neb= 
lidjte  €uft  t>ertreibet  /  un6  6er  Cf^au  iiber  6em  IDaffer  fd)tr>eben6  /  in  6er  H)al)i--- 
f}ett  fid)  pcnmm6erlid?  r/inein  perlieret  /  6tc  Sonne  fpielet  nad?  Proportion  iiber  6ie 
(Brun6e  therein  /  6af  ift  faft  irafyrfyaft  6em  £eben  gleid)  /  ©raf  /  (Beftrdu||  un6  Baume 
beleud)tet  /  un6  alles  in  naturlid^eni  Cidjt  un6  Sd?atten  faint  6er  Heflerion  perfect 
5eiget,  alfo  gleidjfam  6ie  6iftans  eines  je6en  nad)  Proportion  absunteffen/  un6  correft, 
tt»ie  in  6em  £eben  felbft  5U  for6ern  ift  /  ir>ef?fyalben  aud)  nid]t  o^ne  Urfacfy  £)err  2t6rian 
Pan  511  2Imfter6am  bey  meiner  ^Ibreif  mir  fi\nf^un6ert  (SuI6en  fiir  6iefe  6rey  Spannen 
lange  £an6fd?aft  besa^Iet  I?at«.  Also  eine  Landschaft,  die  schon  alle  Requisiten  und 
vor  allem  die  luminaristischen  Bestrebungen  Claudes  aufweist:  die  Vegetation, 
die  beleuchteten  Baume  am  siidlichenMeergestade  oder  an  einem  seeartigenFlufi 
und  die  Morgensonne,  wie  sie  die  nebliche  Atmosphare  durchdringt  (wie  auf 
einem  Hafenbilde  des  Louvre  »Effet  de  soleil  voile  par  une  brume«). 

41 


LANDSCHAFTMITDER PSYCHE.  ROM,  COLL.PALLAVICINI 

In  relativ  friihe  Zeit  mochte  ich  ein  Bild  rechnen,  das  fiir  den  Kardinal 
Rospigliosi  gefertigt  1st,  in  dessen  Palast  auch  Bril  und  Tassi  arbeiteten  ( jetzt 
Coll.  Pallavicini,  Rom).  Doch  darf  man  es  nicht  als  reine  Naturstudie  nehmen, 
denn  wie  die  Zeichnung  des  Liber  veritatis  zeigt,  ist  das  jetzt  erhaltene  Bild 
nur  ein  Bruchstiick. 16)  An  den  Wald  schlofi  sich  rechts  noch  ein  weiter 
Ausblick  an,  so  daft  ein  iiberlegt  komponiertes  und  ausgewogenes  Ganzes 
entsteht.  Das  Waldinnere  hat  noch  ganzlich  den  Charakter  von  Claudes 

42 


C/1 

H 


wundervollen  friihen  Baum*  und  Laubstudien  behalten.  Auch  hier  zeigt 
die  Beherrschung  der  Lichtbehandlung  bis  zu  den  kleinen  Tempelchen  des 
Hintergrundes  und  die  besonders  fein  empfundene  Art,  wie  die  Flote  blasende 
arkadische  Gestalt  und  die  kleine  Herde  sich  dem  Ganzen  einfiigen,  den  schon 
reifen  Kiinstler. 17) 

Claude  war  wohl  in  manchen  der  friihen  Gemalde  noch  etwas  befangen 
in  der  Tradition  der  unmittelbar  vorangegangenen  Meister:  Bril,  Tassi,  auch 
Elsheimer.  In  den  Bethune*Bildern  des  Louvre  kommt  er  jedoch  trotz  des 
etwas  Schematischen  und  noch  Starren  zu  eigenem  Stil,  dem  des  Lichtes.  Der 
Eindruck  des  Niederlandischen,  den  diese  Bilder  auf  manche  Betrachter  ge* 
macht  haben,  ist  zum  grofien  Teil  auf  die  Figuren  zuriickzufiihren,  die  genre* 
mafiig  und  noch  nicht  mit  dem  Landschaftlichen  verbunden  sind.  Wo  er 
auch  darin  frei  waltet,  wie  in  den  Radierungen  von  1636,  zumal  in  dem 
y>Bouvier«,  ist  auch  dieser  Rest  verschwunden. 

Gegen  Ende  des  Jahrzehnts  wird  Claude  ein  neuer  offizieller  Auftrag  zu* 
teil.  Aber  diesmal  sind  die  Masten  seiner  Fregatte  nicht  mit  franzosischen 
Wimpeln  geschmiickt.  Von  der  hochsten  Stelle  seines  romischen  Adoptiv* 
vaterlandes  bekommt  er  den  Auftrag  gleich  fur  vier  Gemalde.  Kardinal 
Bentivoglio,  der  viel  Beziehungen  zu  Frankreich  unterhielt  und  dort  papstlicher 
Nuntius  war,  hatte  ihn  empfohlen  und  dem  Papst  einige  Gemalde  Claudes 
gezeigt,  von  denen  der  kunstliebende  Barberini  sehr  begeistert  war.  Von  den 
vier  Bildern,  die  der  Papst  daraufhin  bei  Claude  bestellte,  ist  das  eine  Paar 
in  den  Louvre  gekommen  —  wiederum  Landschaft  und  Marine.  Im  Besitz  der 
Familie  Barberini  befindet  sich  davon  noch  eine  »Ansichtvon  Castel  Gandolfo«. 
Die  dazu  gehorige  Marine  ist  verschollen.  Die  Louvre* Bilder  sind  grofieren 
Formates  18)  —  vermutlich  waren  sie  vom  Papst  als  Geschenk  fur  den  fran* 
zosischen  Konig  bestimmt.  Claude  wollte  und  sollte  hier  mehr  aus  sich  heraus 
gehen.  Das  zeigt  sich  auch  in  der  freieren  Komposition.  Freilich  nicht  so 
sehr  bei  dem  »5eeAa/en«,19)  der  iiberdies  durch  Restauration  recht  verdorben 

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LANDLICHES  FEST  (1639).    PARIS,  LOUVRE 

ist.  Der  Aufbau  ist  wesentlich  der  gleiche,  die  Figuren  sind  im  Verhaltnis 
kleiner,  treten  daher  weniger  hervor,  sind  aber  auch  noch  sehr  »bambocciohaft«, 
genremafiig  behandelt  (z.  B.  zwei  sich  Priigelnde  ganz  vorn).  Das  Licht 
stromt  von  der  im  Dunst  schwimmenden  Sonne  durch  eine  enge  Gasse  bis  zu 
den  leichten  lichtbetonten  Wellen  des  Vordergrundes.  Durch  diese  starker 
zentrale  Anlage  wird  das  Auge  zu  festerem  tektonischen  Zusammenfassen  und 
Empfinden  des  Lichtes  als  hauptkiinstlerischen  Elementes  unmittelbar  ge* 
zwungen.  Das  »Landliche  Fest«  zeigt  die  Bildbiihne  durch  eine  Mittelbaum* 
gruppe  mit  dtinnen,  teilweise  schragen  und  sich  kreuzenden  Stammen  in  zwei 
ungleiche  Teile  aufgeteilt.  Ahnlich  liebt  es  auch  Poussin  auf  seinen  Kom* 
positionen  der  dreifiiger  Jahre.  Das  vertikal  Starre  der  Seitenkulissen  wird 
dadurch  gelockert  und  belebt.  So  entstehen  dioramenartige  Durchblicke  auf 

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ANSICHT  VON  CASTEL  GANDOLFO  (1639).    ROM,  PAL.  BARBERINI 

die  lichterfiillte  Feme.  Eine  grofie  Romerbriicke  trennt  den  Hauptteil  ab,  der 
schmalere  Durchstich  la'fit  den  Blick  auf  hochgelegenes  Dorf  und  Hugel  frei. 
Die  Figuren  sind  noch  immer  genremafiig,  doch  gut  in  die  Landschaft  hinein* 
gesetzt.  Der  Charakter  ist  der  eines  Singspieles.  Vornehme  kommen  von 
der  Jagd  und  nehmen  an  dem  bauerlichen  Vergniigen  teil.  Einem  improvi* 
siertenTanz,  einem  » saltarello «  des  einen  Paares  schauen  die  anderen  stehend 
und  sitzend  zu.  Die  Ahnlichkeit  mit  den  Figuren  der  Bethune#Bilder  ist 
grofi,  so  dafi  wiederum  auf  die  Mithilfe  Jan  Miels  geschlossen  werden  darf.20) 
Die  »Ansicht  von  Castel Gandolfo«2l\  Rom,  Pal.  Barberini,  ist  in  gewissem 
Sinne  eine  »Portratbestellung«  Papst  Urban  VIII.  Denn  sie  zeigt  —  allerdings 

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KOSTENLANDSCHAFT  (1642).    BERLIN,  K.FR. MUSEUM 

nur  im  Hintergrund  —  den  fiir  ihn  von  Maderna  erbauten  Sommerpalast  iiber 
dem  steilen  Abhang  des  Albanersees.  Also  diesmal  eine  fast  topographisch 
genaue  Wiedergabe  —  freilich  nicht  in  dem  Sinn,  dafi  auf  Details  Wert  gelegt 
ware.  Hauptsache  bleibt  doch  der  sehr  liebevoll  behandelte  Vordergrund  mit 
dem  Strauchwerk,  den  schonen  Baumen  gegen  die  blaue  Luft  und  den  musi* 
zierenden  Landleuten.  Mit  ihm  schlieBt  sich  hellgelockert  fast  zu  einem  Kreise 
der  Krater  des  Sees  zusammen  mit  Schlofi  und  Dorf  und  der  ganz  lichten 
atmospharischen  Weite. 

Einer  ahnlichen  Teilung  wie  auf  dem  landlichen  Fest  begegnet  man  auch 
auf  der  wenige  Jahre  sparer  entstandenen  »Kiistenlandschaft«22)  im  Kaiser* 
Friedrich* Museum  in  Berlin.  Auch  hier  teilt  die  schone  weiche  Baumgruppe 
mit  gekreuzten  Stammen  das  Bild  in  zwei  ungleiche  Teile.  Auch  trifft  man 

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den  kahlen,  diesmal  lebendiger  gedrehten  Baumstamm  mit  weifiem  Zelt  hart 
am  Bildrand.  Ihm  entspricht  die  lichte  Saulenhalle  einer  Tempelruine  etwas 
welter  zuriick  an  der  anderen  Seite.  Das  noch  etwas  Starre  des  Barberini* 
bildes  ist  gelockert,  das  Terrain  des  Vordergrundes  durch  die  ansteigende 
Bogentreppe  interessanter  gemacht.  Die  Figurenzahl,  die  auf  den  friiheren 
Bildern  storen  konnte,  ist  sehr  herabgemindert.  Sie  ist  wesentlich  auf  eine 
Gruppe  beschrankt,  die  nun  nicht  mehr  den  niederlandisch^derben  Charakter 
tragt,  sondern  im  Einklang  mit  der  duftigen  Stimmung  sich  anmutig,  idyllisch= 
arkadischgebardet:  ein  Schafer,  der  die  Flote  blast,  und  eine  sitzende  Schaferin. 
Figuren  und  Landschaft  sind  so  im  Einklang.  Auch  die  Farben  der  Kleider, 
die  bekannte  Trias:  Rot,  Blau  und  (Gold*)  Gelb  sind  gedampft,  stechen, 
wie  fast  immer  bei  Claude,  nicht  heraus.  Durch  den  schmalen  Durchblick 
sieht  man  auf  Castell  und  Berg,  der  breite  Ausblick  geht  iiber  graugrune 
Biische  hinweg  auf  das  Meer  und  die  sonnenbeglanzte  Feme. 


In  den  dreifiiger  und  vierziger  Jahren  warenMarinen  immer  mehr  Claudes 
Spezialitat  geworden,  fur  die  er  reichlich  Bestellungen  empfangt.  Es  sind,  wie 
dies  auch  aus  den  Zeichnungen  des  Liber  Veritatis  hervorgeht,  eigentlich  nur 
Varianten  derselben  Motive:  Schiffsvorderteile  und  Kirchenfassade  mit  vor* 
gebautem  Portikus  als  Riickschiebkulissen,  Riesenpalast  weiter  zuriick  und 
Hafeneinfahrt  mit  Leuchtturm,  Volksmenge  mehr  oder  minder  genremafiig 
am  Strande,  Boote  und  einstromendes  Licht.  So  in  Florenz,  so  in  London 23) 
(beide  Bilder  um  1644).  —  Unter  diesen  Marinen  gibt  es  einige  beriihmte 
Pracht*  und  Hauptstiicke,  wie  die  » Einschiffang  der  heiligen  Ursula«u)  von 
1646.  Es  ist  wiederum  die  iibliche  Komposition  Claudes:  die  schmale  Ein* 
fahrt  auf  der  einen  Seite  von  Prachtgebauden  (darunter  ein  Portikus  im 
Halbrund  an  S.  Pietro  Montorio  erinnernd)  besetzt,  auf  der  anderen  von  den 
Vorderteilen  der  Fregatten.  Durch  diese  Gasse  stromt  iiber  die  hohen  Masten 

51 


EINSCHIFFUNG  DER  KONIGIN  VON  SABA  (1648).  LONDON,  NAT.  GALL. 

eines  einfahrenden  Schiffes  hinweg  das  Licht  aus  dem  verschleierten  Himmel, 
spiegelt  sich  auf  den  kleinenWellchen,  beleuchtetdieBoote  und  die  paar  Hafen* 
arbeiter  am  Ufer  vorn.  Die  Hauptaktion  ist  ganz  an  die  Seite  gedrangt  —  auch 
diesmal  nur  in  kleinen  Staffagefigiirchen.  Aber  es  ist  doch,  zum  ersten  Male, 
eine  groBe  feierlicheHandlung,zu  der  diePrachtentfaltung  der  Architektur  paftt. 
Die  Frauen,  die  die  Heilige  umgeben,  kommen  in  langem  Zuge  aus  dem  Tempel 
die  Stufen  herunter  zu  den  Booten,  die  sie  fortfiihren  sollen.  Bei  Poussin  wiirde 
eine  solche  Szene  stets  im  Vordergrund  stehen.  irgendwie  dramatisch  zugespitzt. 
Hier  wirken  die  Figiirchen  nur  als  farbige  Flecke,  ordnen  sich  dem  Gesamten  - 
Architektur,  Wasser,  Licht  —  unter,  geben  nur  noch  den  letzten  Akzent  der 
Feierlichkeit.  Trotz  dieses  grofien  Charakters  liegt  doch  iiber  dem  Ganzen  soviel 

52 


HAFEN  (1643).  WINDSOR 

Frische  und  Liebenswiirdigkeit,  dafi  auch  das  architektonisch  Gebundene  nicht 
mehr  starr  und  steif  erscheint,  und  die  Zeremonie  ein  fast  heiteres  Begebnis 
wird.  Die  Figuren  haben  nicht  mehr  niederlandischen  Typus  —  nicht  Jan 
Miel,  sondern  Filippo  Lauri  ist  hier  wohl  helfend  eingesprungen. 

Diese  zeremonios^feierlichen  Hafenbilder  konnte  Claude  kaum  oft  genug 
wiederholen.25)  Auf  den  Inhalt  kommt  es  durchaus  nicht  an,  ohne  Unterschrift 
ware  er  oft  schwer  zu  erraten.  Es  soil  nur  ein  bedeutendes  Ereignis  vor  sich 
gehen,  das  mit  der  grofien  architektonischen  Linie  und  dem  Strahlen  des 
Lichtes  zusammenklingt.  Ein  beruhmtes  Prachtstiick  ist  das  fur  den  Herzog 
von  Bouillon  gefertigte:  »Die  Einschiffung  der  Konigin  vonSaba«.26)  Einefeier? 
liche  Geste  ist  durch  die  machtig  ragende  korinthische  Saulen*  und  Pilaster 

53 


ordnung  geschaffen,  die  das  Bild  auf  der  einen  Seite  bis  oben  hin  einrahmt. 
Das  Starre  daran  wird  durch  den  Bug  und  das  schrage  Takelwerk  der  Galeere 
dicht  dahinter  gemildert.  Auf  der  anderen  Seite  entspricht  dem  Aufbau  ein 
Palazzo  mit  vorkragendem  Portikus  und  Freitreppe.  Durch  Mole  und  Turm* 
briicke  wird  der  Hafen  nach  hinten  zu  fast  gesperrt.  Boote  und  Personen  des 
Vordergrundes  sind  sparsam,  aber  kompositionell  sehr  iiberlegt  verteilt.  Sie 
lenken  den  Blick  auf  die  Hauptaktion,  die  aber  wiederum  ganz  unscheinbar 
seitlich  vor  sich  geht:  die  Einschiffung  der  Konigin,  die  mit  ihren  Frauen  die 
Treppe  hinabsteigt.  Ein  weicher  schemer  Baum  ragt  hinter  dem  Palazzo,  nimmt 
den  Vertikalen  durch  seine  Rundung  ihre  Harte.  Die  Luft  ist  voll  von  Dunst 
und  Morgenwolken.  Das  Meer  schimmert  bis  zum  scharf  gezogenen  Hori* 
zont,  der  in  etwa  zwei  Fiinftel  der  Bildhohe  gezogen  ist,  wie  ha'ufig  bei 
Claude  (schon  Baldinucci  hat  dies  bemerkt).  Die  Sonne  steht  schon  ziemlich 
hoch  iiber  dem  Horizont,  und  ihre  Strahlen  fallen  den  Dunst  durchbrechend, 
aufleuchtend  wie  in  einer  Furche,  auf  die  Wogenkamme.  Alles  ist  bestimmt 
hingesetzt;  das  Wasser  mit  den  hellen,  ziemlich  pastosen  Lichtern  ist  frisch 
bewegt,  ungemein  malerisch  bis  in  die  Halbtone  hinein  niianciert.  Der  licht* 
durchdrungene  Luftton  lagert  iiber  allem. 

Freier,  weil  ohne  historisches  oder  zeremonielles  Beiwerk,  ist  der  Hafen 
von  164:3  in  Windsor. 27)  Der  Portikus  des  Bethune*Bildes  hat  sich  gewisser* 
mafien  verdoppelt,  so  dafi  zwei  dieser  schmalen  und  hohen  Tore  als  Wachter 
schrag  von  der  Seite  her  in  das  Bild  hineinragen.  Dafiir  ist  die  Gebaudeflucht, 
die  sonst  etwas  monoton  die  ganze  Seite  bis  tief  in  den  Grund  hinein  aus* 
fiillte,  hier  in  zwei  vom  Wasser  umspiilte,  ganz  duftig  gemalte  Rundtiirme 
aufgelost.  Zwischen  ihnen  ahnt  man  nur  noch  die  Feme  mit  Stadt  und  Berg. 
Dadurch  ist  viel  mehr  Spielraum  fur  Luft  und  Licht  gewonnen.  Die  Zahl  der 
Vordergrundfiguren  ist  auf  eine  Hauptgruppe  vermindert  —  ballentragende 
Manner.  Auch  das  Wasser  ist  von  uberfliissigen  Schiffen  und  Booten  geraumt. 
Das  Anekdotische  fallt  fort;  die  Seeluft  kann  frei  iiber  die  gekrauselten  und 

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HAFEN  IM  NEBEL  (1646).  PARIS,  LOUVRE 

von  der  untergehenden  Sonne  gefarbten  Wellen  streichen.  —  Noch  mehr  auf 
»Stimmung«  gestellt  ist  der  1646  datierte,  ganz  erstaunliche  »Hafen  im  Dunst« 
im  Louvre. 28)  Die  Sonne  steht  hinter  einer  Dunstwand,  durchleuchtet  aber  den 
feinen  Nebel  und  durchdringt  alles  mit  ihrem  verschleierten  Licht.  Auch  die 
Architekturen  scheinen  dadurch  gelockerter,  geloster.  Eine  atmospharische 
Studie  fast  im  Geiste  der  Impressionisten  —  natiirlich  nicht  so  weitgehend  wie 
etwa  bei  Monet  und  vor  allem  noch  nicht  in  ihrer  zerteilenden  Farbtechnik.  — 
Das  Gleiche  gilt  auch  von  der  wundervollen  Petersburger  » Marine  beiSonnen- 
aufgang«.  Das  Thema  ist  auch  hier  dasselbe:  wie  die  Sonne  den  Morgendunst 
durchbricht,  sich  im  bewegten  Meer  spiegelt  und  wie  alles  dadurch  aufgelost, 

locker,  flimmernd  wird. 29) 

*  * 

# 

55 


Neben  diesen  Hafenbildern,  deren  Stil  immer  grofier  wird,  und  deren 
Tendenzeri  immer  luminaristischer,  gehen  Landschaften  einher.  Sie  sind  freilich 
auch  in  Luft  und  Licht  getaucht,  locken  aber  nicht  ganz  so  zu  fast  meteoro* 
logischen  Beobachtungen,  wie  die  Wasserflache  mit  den  ewig  wechselnden 
Erscheinungen  der  Wellen,  des  dariiberlagernden  Dunstes,  des  weiten  Him* 
mels  und  der  Luftspiegelungen.  Dafiir  entwickelt  sich  der  besondere  Reiz 
idyllisch  arkadischen  Charakters,  der  siidlichen  Vegetation,  des  gegliederten 
bewegten  »Erdlebens«,  der  Bache  und  stillen  Wasserflachen  bis  weit  hinein 
in  die  blauen  Fernen  mit  dem  leuchtenden,  so  wundervoll  durchsichtigen 
Himmel  jener  gesegneten  Gegenden.  Wie  bei  den  Marinen  wird  jetzt  auch 
die  Staffage  aus  dem  Genrehaften  ins  Marchenhaft*Mythologische  gehoben. 
»Cephalus  und  Prokris«,  »Narciss  und  Echo«  TO)  heifien  jetzt  die  Titel  der 
Landschaften  um  1645.  Die  Vegetation  erscheint  in  solchem  Traumland 
iippiger  zu  sprieBen,  aus  dichtem  Buschwerk  ruft  die  sehnsiichtige  Nymphe, 
Narcifi  kniet  am  klaren  Gewasser  und  bewundert  sein  schemes  Antlitz. 
Oder  in  der  Art  der  Schlummernden  auf  dem  herrlichen  Prado*Bacchanal 
Tizians  (das  Poussin  so  liebte)  ruht  eine  nackte  Schone  auf  einem  Grashiigel, 
und  iiber  sonnenbeglanzte  Biische  und  Baume  hinweg  geht  der  Blick  in  die 
lichtatmende  Feme. 

Einen  solchen  Charakter  tragt  die  besonders  schone  » Landschaft  mit  der 
Flucht  nach  Aegypten«  in  Dresden. 31)  Mit  absichtlicher  Vernachlassigung  ist 
hier  die  biblische  Szene,  die  ja  an  sich  zur  Idylle  einladet,  ganz  in  den  seit* 
lichen  Hintergrund  verwiesen,  so  dafi  die  winzigen  Figiirchen  nur  als  braune, 
rote,  blaue  Flecke  aus  dem  Waldesschatten  schimmern.  Dafiir  ruht  das  Auge 
wohlig  befriedigt  auf  dem  Pastorale  ganz  vorn,  das  ebenso  gut  eine  Mythologie 
darstellen  konnte.  Ein  paar  glatte  falbe,  weifi  und  braune,  kurzhornige  Kinder, 
ein  Hirt  in  rotlichem  antiken  Chiton,  der  zu  einer  in  blauem  Gewande  da* 
sitzenden  Schaferin  redet,  und  ein  paar  Schritte  entfernt  eine  in  schoner  Pose 
knieende,  wasserschopfende  Frau.  Um  diese  in  einem  Oval  zusammengefafite 

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Idyllengruppe  entwickelt  sich  im  Einklang  mit  ihr,  in  breitenWellen  flieBend, 
die  Landschaft.  Grime  und  gelbe  Graser,  Krauter  und  Blumen  sprieBen  am 
vorderen  Rand  weich  und  hell  hingesetzt.  Braune  Schatten  durchqueren  sanft 
den  griinen  Rasen.  Aus  milden  Obergangen  heraus  steigt  seitlich,  die  ganze 
Hohe  ausfiillend,  eine  ungeheure  Waldarchitektur  empor.  Sie  setzt  sich  zu# 
sammen  aus  dunklen  Baumen,  deren  Stamme  und  Aste  sich  iiberschneiden. 
Schatten  spendend  und  kiihlend  offnen  sie  sich  unten  zu  einer  Gasse,  aus  der 
die  heilige  Familie  hervorleuchtet.  Nach  der  offenen  Luft  hin  losen  sich  mehr 
und  mehr  die  schweren  Laubmassen.  Helles  Griin,  breitgefiedert,  schimmert 
gegen  dunkleren  Laubkomplex  und  zeichnet  sich  ab  gegen  den  gelblichen 
Himmel.  Nach  unten  zu  runden  sich  Biische,  die  Steile  des  Baumes  mildernd; 
scharf,  bestimmt,  mit  kleinen  Menschen*  und  Tierfigiirchen  besetzt,  zieht  sich 
von  da  aus  der  steile  und  gewellte  Flufirand  nach  der  unteren  Ecke  des  Ge* 
maldes.  Eine  fast  diagonale  Teilung.  Jenseits  dieses  Grenzraines  ofrnet  sich 
der  Blick  in  eine  bewegte  und  das  Auge  sehnsiichtig  dahinziehende  FluBland* 
schaft  mit  blauem  Wasser,  weifien  Stromschnellen,  blaulichen  Kaskaden  und 
Boschungen,  auf  denen  Biische  griinen.  Magere  Baumchen,  deren  Gerten* 
stammchen  sich  verschranken,  unterbrechen  die  weite  Dehnung,  ohne  das  Auge 
aufzuhalten.  In  parallelen  Schichten  geht  es  weit  und  weiter  hinein  in  den 
lasierten  Grund,  wo  sich  ganz  weit  zuriick  eine  Wunderstadt  erhebt,  und  in 
zartem  und  doch  stolzem  Kontur  ein  wie  ein  Segel  geblahter  Berg.  Uberall 
erstrahlt  warm  der  Himmel,  dessen  Gelb  weiter  oben  in  Blau  iibergeht  und 
in  dem  weiBe  Wolkchen  schwimmen.  Die  Verbindung  bedeutender  Formen, 
in  sich  beruhigt  und  zusammengefaBt,  mit  abgestufter,  geloster,  sich  verlierender 
Feme,  voll  von  Licht,  gibt  die  Ruhe,  die  doch  nicht  frei  ist  von  Sehnsucht, 
ein  Gliick,  das  in  sich  befriedigt,  aber  nie  wunschlos  ist. 

Eine  andere  »Ruhe  auf  der  Flucht«.  befindet  sich  in  der  Galleria  Doria 
zu  Rom. 32)  Die  Legende  ist  hier  viel  mehr  gegenstandlich  in  den  Mittelpunkt 
geriickt  und  zwar  in  einer  sehr  anmutigen  Form.  Ein  Engel  kniet  vor  der 

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RUHE  AUF  DER  FLUCHT.   ROM,  PAL.  DORIA 

Madonna  und  reicht  dem  Kinde  Blumen  oder  Friichte  aus  einem  Korb. 
Joseph  macht  sich  mit  dem  Esel  zu  tun.  Vergleicht  man  das  ungemein  klare 
und  heitere  Bild  mit  dem  Dresdener,  so  wird  man  fmden,  dafi  es  noch  nicht 
die  GroBe  und  den  Reichtum  dieses  Gemaldes  hat.  Trotz  des  seitlichen  Aus* 
blickes  in  feucht#dunstig  erhellte  Flufiferne  mit  Briicke  und  Berg  bleibt  das 
Ganze  doch  noch  ein  wenig  innenraumlich  begrenzt  und  erinnert  an  das 
Pallavicini^Bild,  noch  mehr  an  seine  Erganzung  (s.  oben  S.  42  f.),  so  dafi  man 
versucht  ist,  das  Bild  relativ  friih  anzusetzen.  Dagegen  spricht  die  Meister* 
schaft  in  der  Behandlung  der  Laubbaume  und  der  Palmen.  Dann  aber  auch 
die  nicht  unwahrscheinliche  Behauptung  des  Katalogs  der  Galleria  Doria, 

60 


MERKUR  STIEHLT  DIE  KINDER  DES  ADMET  (UM  1647).  ROM,  GALL.  DORIA 


LANDSCHAFT  MIT  FLUSS.    LONDON,  HERZOG  V.  WESTMINSTER 

dafi  samtliche  Bestellungen  des  Fiirsten  Camillo  Pamphilj  an  Claude  zwischen 
1646  und  1648  gefallen  sind. 

Dazu  wiirde  dann  auch  das  reizende  Bildchen  bei  Doria*  Pamphilj  ge= 
horen:  »  Merkur  stiehlt  die  Rinder  des  Admet«.  Auch  dies  hat  noch  etwas  Be* 
grenztes,  ist  obendrein  durch  Hochformat  und  durch  seine  Kleinheit  (fiir  diese 
Zeit)  auffallig.  Aber  es  ist  wiederum  ganz  vortrefflich  in  der  Komposition 
auch  der  Figuren  (wohl  von  Lauri)  in  Verbindung  mit  den  ganz  locker  ge* 
malten  Baumen.  Ebenso  in  den  starken  Lasuren,  die  jenseits  des  ruhig  blauen 
Wassers  die  Feme  kennzeichnen  und  verschwimmen  lassen,  und  auch  in  der 
klaren  Luft,  die  von  leicht  Orange  zu  Blau  (mit  weifien  Wolken)  aufsteigt. 
So  daB  der  Tradition  hier  noch  mehr  Glaube  zu  schenken  ist.  33) 


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DIE  MUHLE  (KURZ  VOR  1648).   ROM,  GALL.  DORIA 


Das  Jahr  1648  ist  fur  die  Geschichte  der  Landschaftsmalerei  nicht  un* 
wichtig,  denn  von  hier  ab  datieren  die  ersten  reinen  Landschaften  von 
Nikolaus  Poussin.  Sein  ernster,  heroischer,  tektonisch  zusammengefafiter 
Landschaftsstil  ist  auf  Claudes  Arbeiten  sicher  nicht  ohne  Einflufi  geblieben,  die 
von  nun  an  auch  einen  mehr  ins  Grofie  aufgebauten  Charakter  bekommen. 
Claude  malte  damals  fur  einen  deutschen  Fiirsten  M)  die  schone  » Abend' 
landschaft«,  die  sich  jetzt  bei  dem  Herzog  von  Westminster  in  London 
befindet.  Das  Pendant  dazu  fur  den  gleichen  Besteller  ist  1648  datiert.  So 
diirfte  auch  jenes  Bild  aus  der  gleichen  Zeit  sein,  obgleich  es  nicht  so  frei 
und  reich  ist  wie  das  Dresdener.  Aber  es  eroffnet  die  Reihe  jener  groflen 

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DIE  MOHLE  (1648).   LONDON,  NAT.  GALL. 


Flufibilder,  in  denen  man  geradeaus  iiber  die  weite  Wasserflache  dahin  bis 
zu  dem  —  haufig  mit  einer  Briicke  abgeschlossenen  —  Grunde  sieht.  Dahin 
gehort  auch  das  fast  beriihmteste  Gemalde  Claudes,  »Die  Muhle«. 35)  Das 
Bild  fur  den  Fiirsten  Pamphilj  gemalt,  befindet  sich  noch  heute  im  Besitz  der 
FamilieDoria*Pamphilj.  Es  erregte  solchenBeifall,  dafi  der  Herzog  von  Bouillon 
sich  eine  Replik  bestellte,  die  sich,  1648  datiert,  in  der  National *Galerie  zu 
London  befindet.  Der  Unterschied  zwischen  beiden  Bildern  ist  sachlich  un* 
bedeutend  (das  Obergewand  der  Tanzerin  ist  in  der  Replik  aus  einem  weifien 
in  ein  rotes  verwandelt  worden).  Doch  ist  das  Londoner  Bild  noch  heller, 
festlich  strahlender.  Auch  der  Himmel  ist  klarer,  die  Baume  sind  lockerer. 

65 


Das  Original  diirfte  wohl  kaum  langere  Zeit  vor  der  Wiederholung  entstanden 
sein.  Auch  gesellt  sich  der  allgemeine  Charakter  durchaus  zu  der  eben  er* 
wahnten  Westminster #Landschaft  und  in  manchem  auch  zu  dem  Dresdener 
Bild.  Nur  erweitert  sich  der  Flufi  hier  zum  breiten  Strom,  ja  fast  zum  See. 
Er  liegt  zu  Fiifien  in  spiegelnder  Flache  da.  Seine  Linien,  regelmafiig  und 
wenig  unterbrochen,  klar  zusammengefafit,  vermitteln  eine  heiter  festliche 
Stimmung.  Dazu  pafit  auch  das  hohereThema  mit  den  hier  wieder  ziemlich  zahl* 
reichen  Figuren.  Auf  das  Londoner  Bild  hat  Claude  ausdriicklich  geschrieben: 
» Manage  d'lsac  avec  Rebeca«.  Dargestellt  ist  eine  Hochzeitsgesellschaft,  die  sich 
im  Kreis  um  ein  Tarantella  tanzendes  Paar  versammelt  und  ihm  zusieht.  Also 
eine  ahnliche  Szene  wie  auf  dem  »Dorffest«  von  1639.  Nur  sind  die  Figuren  hier 
reicher  antikisch  gekleidet  und  anmutiger  (vermutlich  wiederum  von  Lauri). 
Die  Gesellschaft  ist  auf  einem  Plateau  versammelt,  lagert  auf  dem  mattgrunen, 
von  braunen  Schattenstufen  durchzogenen  Rasen.  Ihre  roten  und  blauen  Ge* 
wander  geben  einen  freudigen  Akzent.  Blumen  und  Blatter  sind  auch  hier 
wieder  stillebenartig  ausgefiihrt.  Dazu  kommt  noch  ein  Stilleben  anderer 
Art:  metallene  Gefafle  fur  die  Speisenden  auf  den  Rasen  gestellt  (natiirlich 
nicht  von  der  Hand  Claudes  ausgefiahrt).  Seitlich  ragt  wieder  die  Riesen* 
baumkulisse  mit  ihren  charakteristischen  olivgriinen  und  rostbraunen  Tonen, 
die  sich  am  Rande  saftgriin  gegen  die  Luft  absetzen.  In  einem  einzigen  Aufragen 
sich  nach  oben  sanft  neigend  und  verbreiternd,  nimmt  sie  die  ganze  Hohe  des 
Bildes  ein.  Ihr  Schatten  fa'llt  iiber  die  gewellte  Flache  des  Bodens,  von  Sonnen* 
strahlen  unterbrochen.  Auch  die  Festgesellschaft  taucht  darin  ein  und  fiillt  die 
ganze  eine  Halfte  der  Biihne  mit  ihrem  bunten  und  freudigen  Leben.  Jenseits 
eines  tief  eingerissenen,  diagonal  gefuhrten  Grabens,  den  Rinder  beleben  und 
eine  Briicke  iiberspannt,  ziehen  blinkende  Gepanzerte  die  Strafie  entlang. 
Es  sind  ganz  kleine  Figurchen  (wohl  das  Reisigengefolge  Isaks),  und  sie  tauchen 
ahnlich  entfernt  in  den  Schatten  des  Waldchens  ein,  wie  die  heilige  Familie 
in  Dresden.  Hier  bleibt  der  Hintergrund  relativ  geschlossen,  doch  leuchtet 
66 


zwischen  den  Baumen  ferner,  heller  Fels  durch.  Am  Rande  des  Gebiisches, 
neben  einem  Rundtempelchen  und  einem  Sarazenenturm  liegt  das  kleine  Ge* 
ba'ude,  das  dem  Bilde  den  Namen  gegeben:  die  Miihle  mit  dem  Rad,  scharf 
durch  Beleuchtung  hervorgehoben,  hart  am  Wasser  der  buschbewachsenen 
Bucht.  Hier  beginnt  nun  die  durchsichtige  Helle  und  Freudigkeit  der  Luft 
und  des  Wassers,  die  das  heitere  Leben  auf  der  Uferhohe  begleitet.  Der 
breite,  sanftblaue  Wasserspiegel  wird,  in  der  Sonne  glanzend,  von  lang  sich 
hinziehender,  weifier  Kaskade  unterbrochen,  um  sich  in  einer  neuen  noch 
duftigeren  Flache  in  weitem  Bogen  nach  der  Feme  zu  verlieren.  In  ihrem 
Dammer  taucht  eine  Briicke  auf  und  an  den  schimmernden  Ufern  eine  Stadt. 
Flach  gelagerte  Berge  bilden  den  Abschlufi.  Das  Blau  des  Himmels  gewinnt, 
nach  oben  hin  sich  intensiver  farbend,  immer  mehr  Kraft.  Das  Dresdener 
Bild  ist  in  seinen  mannigfachen  Abstufungen  kiinstlerisch  vielleicht  noch  hoher 
einzuschatzen.  Die  grofie  reine  Linie,  der  ganz  klare  Aufbau  und  die  von 
dem  Frohsinn  des  Lichtes  durchstromte  Atmosphare  haben  dem  Doria*  Bilde 
die  Herzen  der  Menschen  gewonnen. 

Die  Galleria  Doria,  die  an  Landschaften  Claudes  (und  auch  Dughets) 
so  reich  ist,  besitzt  ein  anderes  Gemalde,  das  an  Schonheit  und  Klarheit  des 
Ausdrucks  mit  der  »  Miihle  «  wetteifern  kann.  Es  ist  ebenfalls  fur  den  »principe 
Pamfile«  bestimmt  gewesen  und  zeigt  die  gleichen  MaBe.  Moglich,  dafi  es 
ein  Pendant  zur  »Miihle«  bildete  —  es  brauchte  ja  nicht  unbedingt  eine  Marine 
zu  sein,  die  von  jetzt  ab  iiberhaupt  nicht  mehr  so  haufig  auftritt.  Es  ist  die 
»Landschaft  mit  dem  Apollotempel  zu  Z)e/os«. 36)  Machtiger  als  je  steigt  hier 
die  aus  weichen  Biischen  sich  jah  erhebende  Baumgruppe  mit  wohlig  breit 
gedehnter  Krone  auf  in  vielgestaltiger  Silhouette,  durchbrochen  von  den  warmen 
gelben  Tonen  des  durchschimmernden  Himmels.  Sie  beherrscht  zentral  gestellt 
den  Mittelgrund,  dadurch  das  ganze  Gemalde  und  teilt  es  in  zwei  Durchblicks* 
halften.  Von  der  seitlichen  Baumkulisse  der  »Miihle«  ist  nur  noch  ein  schmaler 
Streifen  geblieben,  der  sich  interessant  zackig  am  Bildrand  hinschiebt.  Im 

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APOLLOTEMPEL.   ROM,  GALL.  DORIA 

Schatten  dieser  knorrigen  Baumelagert,  farbigbetont,  wiederum  dieGesellschaft. 
Nur  tragt  sie  diesmal  zu  ernsterem  Zweck  Opfergefafie  bei  sich.  Der  Blick 
folgt  ihren  Gesten  schra'g  hinan,  die  breite  Strafie  und  Briicke  entlang,  auf 
der  Opferziige  zu  dem  Prachtbau,  dem  Tempel  Apollos,  wallen.  Er  erscheint 
im  Durchblick  zwischen  Mittelbaumgruppe  und  einer  Palastecke:  ein  phan* 
tastischer  Zentralbau  mit  hohem  Tambour,  flacher  Kuppel  und  vorgelegtem 
Portikus.  Wie  etwas  Unwirkliches,  Zauberisches  steht  er  gegen  den  wolkigen 
Himmel.  Wieder  offnet  sich  auf  der  anderen  Seite  iiber  Biische,  Baume, 
Gebaude  hinweg  der  Ausblick  auf  die  von  der  Sonne  verklarte  Landschaft. 
Uberall  breitet  sich  silbern  und  fein  das  Licht,  iiberall  leuchtet  es:  auf  den 

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DAVID  UND  SAMUEL  (1647).   PARIS,  LOUVRE 

Bergen,  dem  blinkenden  Wasser  des  Flusses,  in  dem  blauen  Himmel,  aber  es 
durchdringt  auch  die  Schatten,  die  kunstreich  abgewogen  gegen  die  Licht* 
strome  stehen  und  mit  ihnen  in  einer  gliicklichen  Harmonic  wechseln.  - 
Nicht  unverwandt  damit,  aber  nicht  auf  der  gleichen  kiinstlerischen  Hohe  steht 
das  Louvre  #Gemalde  » David  und  Samuel^, 37)  das  ein  Jahr  friiher,  1647,  ent* 
standen  ist.  Die  Gruppe  der  Frauen  unter  dem  Baum  erinnert  an  das  Delos* 
Bild.  Es  ist  eines  der  Zeremonienbilder,  die  Claude  um  diese  Zeit  liebt  oder 
die  von  ihm  verlangt  werden.  Die  Architektur  spielt  hier  eine  fast  grofiere 
Rolle  als  die  Landschaft:  die  schone  offene  Halle,  in  der  die  Kronung  Davids 
vor  sich  geht. 

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DIE  FURT.   PARIS,  LOUVRE 

Ebenfalls  mil  der  Jahreszahl  1648  bezeichnet  ist  das  schone  (leider  etwas 
verdorbene)  Bild  des  Louvre  »Die  Furl*.*®  Wieder  sieht  man  in  gerader 
Richtung  in  das  Gewasser  eines  breiten  Fluftes  und  iiber  weites  Land  hinweg 
in  das  aufleuchtende  Meer,  da  wo  an  der  Flufimiindung  der  Turm  des  kleinen 
Hafens  Marinella  sich  erhebt.  Das  Ufer  desVordergrundes  saumt  die  bekannte 
prachtige  Baumgruppe,  unter  der  hier  zwei  junge  Frauen  mit  einem  Jiingling 
plaudern.  Von  den  Hirten  angetrieben  zieht  zu  dem  anderen,  mit  Gebiisch, 
diinnen  Baumen,Tempelruinenbesetzten  Ufer  eine  Rinderherde,  die  vorsichtig 
ihren  Weg  durch  das  seichte  Wasser  sucht.  Abendbeleuchtung  hiillt  das 
Ganze  in  den  warmen  Ton  der  Dammerung.  (Dies  bukolische  Thema  der 

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DIE  FURT  BEI  ABENDSTIMMUNG.    MADRID,  PRADO 

»Furt«  hat  Claude  oft  beschaftigt  bis  in  seine  spate  Zeit  hinein.  Relativ  friih 
diirfte  die  Landschaft  mit  den  vier  das  Wasser  durchwatenden  Kiihen ,  den 
kauernden  Hirten  und  den  Tempelruinen  im  Prado  sein. 39)  Erst  danach  ist 
dann  die  nur  in  der  Gesamtanlage  aber  nicht  in  den  Details  verwandte  Radierung 
»Le  bouvier«  von  1636  gemacht.) 

Claudes  Ruhmsteigtimmerhoher.  NichtnurromischePralaten.franzosische 
hochgestellte  Amateure,  deutsche  Prinzen  bewerben  sich  um  seine  Gunst.  Audi 
der  Konig  von  Spanien  bestellt  —  vielleicht  durch  Vermittlung  von  Velasquez, 
der  Ende  der  vierziger  Jahre  in  Rom  eintraf,  um  Kunstwerke  fur  Philipp  IV. 
zu  erwerben  —  eine  ganze  Serie  von  Gemalden  bei  Claude.  ^  Die  Sujets  be* 
handeln  zwei  Heiligengeschichten:  die  y> Einschiffung  der  heil.  Paula  in  Ostia«, 
»Beerdigung  der  heil.  Sabina  in  den  Triimmern  Roms«,  sowie  zwei  alttestamen* 
tarisciie:  »Auffindung  Mosis«  und  »Tobias  mit  dem  Engel«.  Die  Vorgange 

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spielen  hier  wiederum  kerne  groBe  Rolle,  wenn  sie  auch  bei  einem  so  offiziellen 
Auftrag  nicht  so  ganz  zuriickgedrangt  werden  konnten.  Die  Hauptsache  bleibt 
das  Landschaftliche  oder  Architektonische  gesehen  durch  das  Atmospharische: 
die  schmale,  lichtdurchstromte  Wassergasse  von  Prachtgebauden  gerahmt,  die 
romischen  Ruinen  mit  dem  Colosseum,  hinter  denen  der  Dunst  lagert,  die 
Baumgruppe  und  der  sich  windende  Flufi  mit  dem  Durchblick  auf  weite, 
lasierte  Feme.  Berge  und  Horizon!  sind  im  Licht  aufgelost,  dariiber  die  auf* 
steigende  Bla'ue  des  Himmels.  Die  Figuren  (z.  B.  der  Engel  auf  dem  Tobias* 
Bild)  tragen  den  Charakter  derer  auf  der  »Miihle«,  konnen  also  auch  von 
Lauri  sein. 41) 

Aus  dem  Rahmen  seiner  sonstigen  Gemalde  fallen  zwei  Bildchen  inhalt* 
lich  und  formal  heraus,  die  fur  den  jungen  Henri  Louis  de  Lomenie,  Herzog 
von  Brienne,  gemacht  sind.  Er  ist  unter  den  Amateuren  besonders  bemerkens* 
wert,   weil  er  zuerst  einen  Katalog  seiner  Sammlung  »de  pinacotheca  sua« 
1662  herausgab,  worin   auch   die   beiden  Bilder  erwahnt  werden.    Sie   sind 
» Claude  in  Roma  1651 «  gezeichnet,  sonst  wiirden  sie  wohl  noch  starker  be* 
zweifelt  worden  sein,  zumal  sie  im  Liber  Veritatis  nicht  erwahnt  und,  was  un# 
gewohnlich,  auf  Kupfer  gemalt  sind.    Die  Bildchen  sind  iiberdies  noch  von 
einer  fast  miniaturhaften  Ausfiihrung;   auch   das   ist  fur  die  Epoche   etwas 
Herausfallendes.    Aber  es  ist  eine  so  starke  luminaristische  Tendenz  in  der 
Luft  und  den  leuchtenden  sich  in  den  Himmel  losenden  Fernen,  sowie  eine 
solche  Architektur  in    der  Gliederung,   dafi   Landschaft    und   Komposition 
sicher  Claude  zuzusprechen  sind.    Die  Figuren   sind  (ein  wenig  in  Callots 
Manier)  vermutlich   von  Jacques  Courtois   gemalt.    Seltsam   fur  Claude   ist 
freilich  die   Stoffart:   es    sind   historische   Szenen,    Ruhmestaten   des    Konigs 
Ludwig  XIII.,  die  y>Belagerung  von  Rochelle«  und  die   »Forcierung  des  Pas 
de  Suez«.   Der  Vater  des  jungen  Herzogs  von  Lomenie  war  an  beiden  Aktionen 
beteiligt.  So  geht  die  Stoffwahl,  wie  auch  sonst  alles  Abweichende  von  Claudes 
ublicher  Art  wohl  auf  Wunsch  und  Bestellung  des  Sohnes  zuruck. 
72 


FLUSSLANDSCHAFT  MIT  TOBIAS.   MADRID,  PRADO 


BELAGERUNG  VON  LA  ROCHELLE  (1651).   PARIS,  LOUVRE 


Diese  miihsame  Kleinarbeit  ist  aber  nur  eine  Ausnahme.  Das  Wesent* 
liche  dieser  Zeit  sind  die  grofien  Prachtlandschaften,  von  denen  eine  ganze 
Reihe  im  Grosvenor*  House  zu  London  im  Besitz  des  Herzogs  von  West* 
minster  ist.  Die  Stimmungslandschaft,  durch  den  Dunst  der  Dammerung 
begiinstigt,  vermischt  sich  mit  dem  ein  wenig  sentimentalen  Gefiihl,  das  die 
Pracht  der  romischen  Ruinen  in  ihrem  Verfall  erzeugt.  So  entsteht  eine  ganz 
charakteristische,  etwas  melancholische  Stimmung,  die  von  den  heiteren  Bildern, 
wie  der  »Miihle«,  wesentlich  absticht.  Dahin  gehort  auch  die  » Morgenland- 
schaft  mit  dem  Constantinsbogen«  vom  Jahre  1651.  Wieder  eine  Flufiland* 
schaft  mit  Rinderherden,  die  durch  die  Furt  waten;  eine  grofie  weich  gemalte 
Baumkulisse  und  zartere  Gebiische  und  Baumchen  rahmen  dasWasser  von 
beideh  Seiten.  Dahinter  tauchen  der  Triumphbogen  und  das  Colosseum  auf 

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FLUSSLANDSCHAFTMITDEM  KONSTANTINSBOGEN  (1651). 
LONDON,  HERZOG V.WESTMINSTER 

-  wie  Zeugen  der  Verganglichkeit.  Die  ganz  vorn  sitzenden,  empfindsamen 
Beschauer  scheinen  das  nachzufiihlen.  Es  1st  die  Poussinsche  Stimmung: 
»et  in  Arcadia  ego«.42)  Eine  Vorstufe  fiir  Bilder,  wie  den  »Verfall  des  romischen 
Reiches«  ein  Jahrzehnt  spater. 

Wiederum  »grofies  Theater*  --  wenigstens  thematisch  --  ist  die  »An- 
betung  des  goldenen  Kalbes«  von  1653  bei  Westminster. 43)  Die  Grofie  des 
Bildes  mit  dem  ungewb'hnlichen  Langformat  entspricht  der  fiir  Claude  sich 
auffallend  vordrangenden  Aktion.  Freilich  ist  auch  hier  nichts  von  irgend* 
welchem  dramatischen  Effekt  zu  spiiren  —  es  bleibt  beim  landlich  festlichen 
Idyll:  Tanzende  in  anmutigem  Reigen  um  eine  Saule  mit  dem  Idol  in  herr* 
lichster  Gegend.  Die  Szene  spielt  auf  einem  Plateau,  von  dem  aus  man  zwischen 
den  begrenzenden  Baumgruppen  in  das  weite  Flufital  schaut,  ahnlich  wie  bei 

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BERGPREDIGT  (1556).    LONDON,  HERZOG  VON  WESTMINSTER 

der  »Miihle«.  Auch  das  Amphoren^Stilleben  in  der  Ecke  erinnert  an  dieses 
Bild.  Moses  mil  den  Gesetzestafeln,  der  eigentliche  dramatische  Trager  der 
Handlung,  ist  wieder  in  unscheinbarem  Figiirchen  ganz  an  die  Seite  in  den 
Schatten  des  grofien  Busches  verbannt.  Trotzdem  ist  es  nicht  unmoglich, 
dafi  Poussin  bei  dem  Gemalde  irgendwie  Pate  gestanden  hat.  Nur  ist  seine 
monumentale  Dramatik  von  Claude  ins  Sanfte,  Heitere,  Festliche  umgebogen. 
Aber  die  scharf  und  unruhig,  »zornig«  beleuchteten  Felsen  des  seitlichen  Hinter* 
grundes  erinnern  an  ahnlich  verteiltes  Licht  bei  Felsbildungen  auf  Poussins 
Landschaften,  etwa  dem  Polyphem.  —  Ahnliche  Dimensionen  hat  eine  andere, 
noch  originellere  Komposition  in  derselben  Sammlung,  »Die  Bergpredigt«.^ 
Es  ist  eines  der  wenigen  Bilder,  in  denen  Claude  von  seiner  Gewohnheit, 
Seitenkulissen  und  einen  oder  zwei  Durchblicke  zu  geben,  abgeht.  Hier  ragt 
in  der  Mitte  des  Bildes  ein  ungefiiger  Monolith  empor,  durch  Mauerwerk 

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RAUB  DER  EUROPA  (1655,  REPLIK  1667).  LONDON,  BUCKINGHAM.PALAST 

gestiitzt,  mit  Biischen  und  Baumen,  die  hoch  in  die  Luft  ragen,  bewachsen. 
Erne  gewundene  Treppe  fuhrt  zu  dern  Plateau.  Dort  hoch  oben  scharen  sich 
die  Jiinger  um  den  predigenden  Heiland.  Am  Fufi  des  Berges,  durch  schmale 
Einsenkungen  getrennt,  ist  die  andachtige  Menge  versammelt:  Hirten  mit  ihren 
Herden.  Sie  schauen  andachtig  empor.  Zu  beiden  Seiten  des  Felsturms  geht 
der  Blick  ungehemmt  in  das  duftige  Tal  mit  weiten  Seen,  Bergen  und  dariiber 
klarem  Himmel.  Auch  hier  ist  die  steile  Felsbildung  Poussins  vielleicht  nicht 

ohne  EinfluB  gewesen. 

*  * 

* 

Aber  solche  Grofiaktions--Bilder  geben  doch  nicht  den  wahren,  heidnisch* 
naturanbetenden  und  mit  der  Natur  verschwisterten  Claude.    Ganz  frei  fiihlt 

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er  sich  erst  bei  phantastisch#marchenhaften  Szenen,  und  hier  erst  entfaltet  sich 
die  Klarheit  und  Reinheit  seines  naiv#hellenischen  Gefuhls  zu  hochster  Schon* 
heit.  Die  vEntfiihrung  Europas«45)  ist  ein  ihm  ganz  verwandterVorwurf.  Da 
gait  es  Meer  und  Landschaft  eine  Schonheit  zu  verleihen,  die  ins  Heroische, 
Antik>  Gottliche  reicht,  wiirdig  des  erotischen,  idyllischen  und  doch  dariiber 
hinausgehobenen  Motivs.  Frei,  wundervoll  musikalisch  fliefit  die  Komposition. 
Von  der  Seitenkulisse  ist  nur  noch  ein  Rudiment,  ein  knorriger,  schra'ger 
Stamm  einer  Steineiche  mit  eigenwillig  gezackter  Laubkrone  geblieben.  Sanft 
gezeichnet  zieht  sich  von  da  aus  im  Bogen  die  Strandlinie,  eine  Bucht  bildend 
—  von  den  Wellen  des  blauen  Meeres  umspiilt.  Eine  edle,  ganz  locker  ge* 
malte  Baumgruppe,  langsam  aus  niedrigem  Gebiisch  erwachsend,  beherrscht 
den  Mittelgrund.  Sie  steht  auf  einer  Landzunge,  die  sich  durch  Schiffe  und 
Turm  noch  weiter  in  die  immer  heller  und  durchsichtiger  werdende  Unend* 
lichkeit  des  Wassers  und  des  Lichtes  verlangt.  Auf  dem  schmalen  durch 
Baumschatten  und  Licht  gegliederten  Strandstreifen  sitzen,  vollkommen 
in  die  Landschaft  hineingewachsen,  die  Gespielinnen  der  Prinzessin  unter 
dem  Baum.  Glatte  Kiihe  schnobern  umher.  Auf  dem  weifien  Stier  sitzt 
zierlich  und  angstlich  zugleich  Europa.  Licht,  Luft,  Stromung  des  Wassers 
-und  Ziehen  der  Wolken,  Biische  und  Baume  und  die  feinen  Berge  verbinden 
sich  mit  dem  Figuralen  zu  einem  Landschaftsgedicht  vollkommen  in  Strophen* 
bau  und  Rhythmus. 

Sehr  verwandt  mit  dieser  reinen  Schopfung  ist  das  zweite  Gemalde,  dessen 
sich  die  Dresdener  Galerie  riihmen  darf,  die  » Kustenlandschaft  mit  Akis  und 
Galathea«,^  das  1657  datiert  ist.  Es  ist  wiederum  ein  mythologisches  Thema 
aus  den  Ovidischen  Metamorphosen,  das  Marchen  von  dem  Schafer  Akis, 
seiner  Geliebten  Galathea  und  dem  einaugigen  Polyphem.  Noch  herrscht 
tiefster  Frieden;  noch  schmettert  der  eiferstichtige  Kyklop  nicht  den  Felsen 
auf  Akis,  den  Galathea  in  ihren  Armen  halt.  Er  liegt  noch  im  Schatten  auf 
dem  Felsenabhang  —  seine  Herde  um  ihn  —  und  blast  zartlich  die  Flote. 

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AKIS  UNO  GALATHEA  (1657).    DRESDEN 

* 

Ein  grofies  Segel  zeltartig  iiber  ein  paar  diirre  Stamme  gebreitet  deckt  die 
Liebenden  vor  seinem  Blick.  Wie  auf  der  »Entfiihrung«  bildet  das  kosende 
Paar  den  optischen  Mittelpunkt:  in  weifiem  leichten  Gewande  kniet  das  blonde 
Madchen  auf  seinem  Tuch,  und  der  Schafer,  Blumen  im  Haar,  neigt  sich  zartlich 
zu  ihm.  Ein  Blau,  ein  Rot,  ein  Gelb  —  die  beliebte  Trias  --  spring!  stark 
hervor;  rotlich  schimmert  das  hegende  Zelt  hinter  dem  anmutigen  Paar.  Zu 
ihren  Fiifien  spielt  ein  Amor  mit  zwei  Tauben  —  ein  Rokoko#Motiv.47)  Vom 
lauen  Wasser  leicht  umspiilt  griint  und  spriefit  auf  diesem  einsamen  Kiisten* 
vorsprung  reiche  Vegetation :  Krauter  und  Blumen.  Baume  ragen  an  der  Seite 
auf  und  stehen  mit  ihren  gekreuzten  Stammen,  dem  breitgefiederten,  dunkel* 

82 


und  hellgriinen  Laub  scharf  gegen  das  helle  Blau  des  Meeres  und  der  noch 
helleren  Luft.  Zwischen  den  Stammen  tauchen,  anmutig  gelagert,  die  Nereiden 
auf,  und  es  blinkt  der  goldene  Muschelwagen  Galatheas.  Fjordahnlich  biegt 
sich  die  Bucht,  schra'g  in  die  Mitte  des  Bildes  hineinfiihrend.  Ihr  entsteigt 
steil  und  doch  lieblich  Felsgestein,  von  Luft  und  olivgriinem  Busch  und  Baum 
weich  gelockert:  das  Vorgebirge  mit  kronendem  gelbgehellten  Mauerwerk  und 
Turm.  Vielgestaltig  steht  es  da  mit  seinen  rotbraunen  Laubkomplexen  und 
blaulichen  Wasserf alien ,  mit  abstiirzendem  Felsenhang,  iiber  den  griin  und 
gelb  die  Baumchen  blicken,  mit  dem  rasenbestandenen  Plateau,  auf  dem 
Polyphem  und  seine  Herde  lagert:  verlockend#phantastisch  und  doch  reiner 
Form  voll  in  vollkommener  Abstufung  gegen  die  Feme  —  sie  aufsaugend 
und  sich  in  sie  losend.  Alles  aber  beherrscht  das  Meer,  noch  weich  und  sanft 
und  durchsichtig  mit  dem  grunblauen  Wasser,  auf  dem  iiberall  die  weifien 
Lichter  der  leichten  Wellenkamme  spielen.  Weich  ist  der  Horizont  gezogen, 
an  dem  feme  Stadt,  Kastell  und  Berge  mit  einem  winzigen  weifien  Segel  davor 
auftauchen.  Dann  beginnt  die  unzertrennliche  Genossin  des  Meeres,  die  Luft, 
von  Claude  so  unnachahmlich  beherrscht,  von  hellem  lichten  Ocker  bis  zu  dem 
anmutigen  Blau  des  Zeniths  niianciert.  Sich  immer  mehr  verdichtende,  geballt 
braunrote  Wolken  stehen  weifiumra'ndert  darin.  Aber  das  Himmelsblau  do* 
miniert  doch  und  dann  das  Gelb,  da  wo  die  Sonne  iiber  dem  Horizont  durch* 
bricht,  alles  warm  uberstrahlend  und  belebend.  Nichts  bleibt  einzeln,  alles 
vereinigt  sich  zu  einer  Schopfung,  die  iiber  das  Anmutige  der  Form  und  dem 
Erquickenden  der  Tone  hinaus  zu  einer  reinen  idealen  Schonheit  fiihrt. 

Nur  in  Italien  konnte  Claude  zu  solcher  Grofie  und  Reinheit  der  Anschau* 
ung  kommen.  Nicht  durch  seine  Lehrer,  nicht  durch  dieCarraccis,  sonderndurch 
die  Natur  selbst.  Waren  doch  in  seiner  Nahe  Stellen  von  gleicher  Einfachheit 
der  Linie  und  Phantastik  der  Stimmung  und  ebenso  umweht  von  dem  Duft 
heidnischslegendarischer  Erinnerung.  Am  Rande  der  pontinischen  Sumpfe  er# 
hebt  sich  iiber  dem  Meer  steil  ansteigend  busch*  und  blumenbesetzt  bis  zur 

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Hohe  das  Kap  der  Kirke,  dieses  menschenentlegene,  mythenhafte  Vorgebirge. 
Jedem  Wanderer,  der  die  Terracina^Strafle  nach  Neapel  zog,  war  der  Berg  in 
seiner  Linie  bekannt.  Aber  erst  Claude  verstand,  diesen  Zauber  kunstlerisch 
zu  entdecken  und  gestaltend  festzuhalten. 


In  diesen  Jahren  um  1660  ist  Claude  anscheinend  besonders  an  der 
Arbeit.  Es  entstehen  eine  Menge  Landschaftsbilder,  die  zum  grofien  Teil  aber 
nurnochaus  den  Zeichnungen  des  Liber  Veritatis  bekannt  sind.  Fur  den  Prinzen 
Chigi  schuf  damals  Claude  ein  schones  Bild  »Sinon  vor  Priamus«.  48)  Noch 
bekannter  ist  der  »Verfall  des  romischen  Reiches«  bei  Westminster,  49)  1661  fur 
Lebrun  gefertigt.  Es  ist  die  Variante  eines  friiheren  Gemaldes,  das  sich  jetzt 
in  Longford  Castle  befindet.  Doch  sind  die  Unterschiede  besonders  in  der 
Figurenverteilung  ziemlich  bedeutend.  Das  Westminsterbild  ist  jedenfalls 
schon  sehr  meisterlich,  Altersstufe,  vor  allem  in  der  freien  Komposition.  Der 
schmale  Uferstreifen  ist  nur  sparsam  besetzt:  Schafe  und  ein  paar  weidende 
Kinder,  die  sich  wundervoll  gegen  den  Wasserspiegel  abheben,  und  ganz  an 
der  Seite,  auf  einem  Baumstamm  sitzend,  zwei  Hirtenmadchen  —  alles  in  leisem 
Schleier,  wie  vertraumt.  Die  grofie  Baumkomposition  zur  Seite  ist  aufge* 
lockert,  und  der  Triumphbogen  mit  den  zarten  Baumchen  davor  ist  so  duftig 
und  zart  behandelt,  dafi  alles  Schematische  der  Versatzstiicke,  alles  Absicht* 
liche  verschwindet  (was  nicht  stets  bei  Claude  der  Fall  ist).  So  wirkt  auch 
jenseits  des  hellschimmernden  Wassers  die  Ruinenstadt  nicht  mehr  als  Vedute, 
denn  sie  ist  nur  noch  Ahnung,  Dammer,  im  Licht  zerfliefiende  Vision.  Der 
elegische  Ton,  der  iiber  dem  Ganzen  schwebt,  mag  die  Benennung  veranlafit 
haben.  Vielleicht  ist  sie  erst  in  spateren  Zeiten  hinzugefiigt,  aber  dieser  leise 
traurige  Hauch  entspricht  der  lyrischen  Stimmung  des  spaten  Claudes  und 
auch  der  Zeit.  Bei  Poussin  driickt  sich  diese  Stimmung  (wie  bei  der  Land* 
schaft  mit  dem  Constantins*Bogen  erwahnt)  scharfer,  epigrammatischer  aus. 

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In  der  Sammlung  von  Longford  Castle  ist  ein  Pendant  zu  dem»Ker/a//« 
vorhanden,  eine  Marine  mit  Aeneas,  die  »Geburt  des  romischen  Reiches« 
genannt  wird. 50)  So  hat  man  in  der  Sammlung  des  Herzogs  von  Westminster 
ein  Bild  »Bliite  des  romischen  Reiches«  genannt,  obgleich  es  formal  weder 
ein  Pendant  zu  der  Replik  des  »Verfalls«  ist,  noch  iiberhaupt  etwas  mit  dem 
romischen  Reich  zu  tun  hat.  Das  ziemlich  kleine  Bild  stellt  einen  landlichen 
Tanz  dar  und  ist  von  Claude  auch  gestochen  worden.  Es  ist  eine  ahnliche 
Szene  wie  auf  dem  »Dorffest«  des  Louvre,  nur  sehr  viel  einfacher  gehalten. 
Die  Figuren,  die  Zuschauer  mit  dem  Dudelsackpfeifer,  an  der  Seite  im  Schatten 
des  Baumes  sitzend  und  stehend,  wie  das  tanzende  Paar  mit  der  ruhigen  Be* 
gleiterin,  stimmen  mit  denen  des  Dorffestes  sehr  iiberein,  stehen  aber  vielleicht 
etwas  besser  in  der  Landschaft,  sind  auch  im  Verhaltnis  zu  ihr  grofier.  Auch 
die  Landschaft  selbst  ist  ins  Weitere,  Grofiere  gewachsen.  Nichts  ist  mehr 
einzeln,  alles  stromt  zusammen;  vom  weichen  Laub  des  groBen  Baumes  senkt 
sich  der  Hugel  in  sanfter  Kurve  nach  unten.  Da  erst  offnet  sich  der  Blick  in 
die  dammernde  Weite.  Der  Charakter  des  Bildes  ist  freilich  nicht  so  feierlich, 
grofi  und  breit  angelegt,  wie  der  anderen  Bilder  der  Spatzeit. 51) 

Den  typischen  Zug  der  Altersbilder,  jener  melancholisch^elegischen  »senti# 
ments«,  zeigt  dagegen  ein  ungewohnlich  schones  Bild  im  Kolner  Museum: 
»Amor  rettet  Psyche«.52)  Charakteristisch  fur  die  Spatzeit  ist  auch  —  bei 
grofigesehenem  Aufbau  des  Organismus  —  das  Auflockern  des  Pinselstrichs, 
das  Erweichen  der  Einzelform.  Die  Anlage  ist  ahnlich  wie  auf  dem  » Verfall 
des  romischen  Reiches«.  Nur  ragt  hier  noch  eine  zarte  Baumgruppe  in  der 
Mitte  gegen  den  lichten  Himmel  und  la'fit  die  phantastische  Ruinenstadt 
schimmernd  zwischenBiischen  und  Baumen  im  Durchblick  auftauchen.wahrend 
durch  breitere  Offnung  hindurch  die  fernen  Wasser  weithin  glanzen.  Ein 
klarer  Flufi  fliefit  hinter  gras#  und  blumenbewachsenen  Uferstreifen  und  windet 
sich,  von  dichtem  hohen  Wald  seitlich  beschattet,  um  eine  Boschung,  auf  der 
unter  ragendem  Eels  auf  griiner  Matte  Waldgotter  ihre  Schafe  weiden.  Inmitten 

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DER  MITTAG  MIT  RUHE  AUF  DER  FLUCHT  (1661).   PETERSBURG,  EREMITAGE 


des  Wassers  in  blauem  Gewande  sieht  man  die  liebeskranke  Psyche,  die  in  den 
Wassern  vor  ihren  Qualen  eine  letzte  Zuflucht  gesucht  hat,  die  Arme  erhoben, 
von  dem  kleinen  Amor  gefiihrt  und  errettet.  So  wird  auch  hier  die  Land* 
schaft  mythologisiert,  bekommt  einen  Sinn;  das  feine  zarte  Pathos  der  Handlung 
gibt  den  groB  zusammengefaBten  Formen  der  Natur  erst  das  innere  Leben  und 
erzeugt  jene  ganz  besonders  innige  und  dabei  doch  bedeutende  Stimmung, 
die  unnachahmlich  gerade  die  spaten  Schopfungen  Claudes  durchzieht. 

Von  besonderer  Beriahmtheit  und  durch  relativ  moderne  Stiche  in  Deutsch* 
land  so  verbreitet,  daB  sie  fast  Hausgut  jeder  besseren  Familie  im  vorigen 
Jahrhundert  wurden,  sind  die  »Vier  Tageszeiten«.  Sie  bildeten  einen  Schatz 
der  Kasseler  Galerie,  kamen  dann  durch  Napoleon  I.  nach  Malmaison  und 

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DER  ABEND  MIT  TOBIAS  (1663).  PETERSBURG,  EREMITAGE 


von  da  durch  Alexander  I.  nach  Petersburg,  wo  sie  sich  noch  heute  in  der 
Eremitage  befinden.53)  Ihre  Entstehung  erstreckt  sich  iiber  eine  lange  Reihe 
vonjahren:  von  1661  (»Mittag«)  iiber  1663  (y>Abend«)  und  1667  (»M>rgen«) 
bis  1672  (»Nacht<<).  Auch  hier  ist  eine  Parallele  mit  Nikolaus  Poussin  an* 
zumerken,  der  in  der  gleichen  Periode  die  wundervollen  vier  Jahreszeiten  des 
Louvre  (vollendet  1664)  malte.  Hier  wie  da  ist  dem  Zeitgeschmack  folgend 
eine  biblische  Staffage  gewahlt,  die  bei  Poussin  stets  eine  bestimmte,  drama* 
tische  Note  erhalt  —  so  ist  als  Sinnbild  des  »Winters«  die  Sintflut  gewahlt. 
Bei  Claude  bleibt  die  Staffage  auch  hier  nur  Stimmungsbeigabe.  Jakob  und 
Rahel  auf  dem  »Morgen«  konnen  auch  beliebige  Hirten  mit  ihrer  Herde  sein. 
Die  Gruppe  der  Ruhe  auf  der  Flucht  auf  dem  »Mittag«  ist  wieder  ganz 

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DER  MORGEN  MIT  JACOB  UNO  RAHEL  (1667).   PETERSBURG,  EREMITAGE 

unscheinbar  in  einer  Ecke  zusammengekauert.  Auf  dem  »Abend«  ist  Tobias 
mit  dem  Engel  durch  scharfere  Beleuchtung  etwas  mehr  hervorgehoben. 
Die  »Nacht«  gibt  eine  lebhaftere  Szene:  Jakob  ringt  mit  dem  Engel.  »Ich 
lasse  nicht,  du  segnetest  mich  denn.«  Wesentlich  sind  es  atmospharische 
Stimmungen,  aber  auch  hier  nicht  im  impressionistischen  Sinne,  dafi  etwa  ein 
Licht*  oder  Luftmoment  herausgegriffen,  studiert  und  in  seine  Bestandteile 
zerlegt  wiirde.  Das  architektonische  Geriist  bleibt  immer,  wenn  auch  ver# 
schieden  gestaltet.  Es  wechselt  nur  die  Beleuchtung.  Hochstens  bei  der 
»Nacht«  konnte  man  von  einem  etwas  weitergehenden  Versuch  sprechen. 
Hier  geht  die  Dammerung  so  weit  in  den  Vordergrund,  dafi  Straucher  und 
Baume  in  ein  geheimnisvolles  Fluktuieren  geraten.  Das  Mondlicht  erhellt 

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DIE  NACHT  MIT  JACOB  UNO  DEM  ENGEL  (1672).   PETERSBURG,  EREMITAGE 


den  wolkigen  Himmel,  gegen  den  Stamme  und  Kronen  und  der  Ruinenberg 
schattenhaft  sich  absetzen,  Der  »Morgen«  zeigt  jene  unvergleichliche  silberne 
Klarheit,  die  Claude  wie  kein  anderer  hervorbringen  konnte.  Das  Auge  wird 
immer  starker  in  die  lichten  Tiefen  des  Grundes  mit  Land,  Wasser  und  Wolken 
gelockt.  Es  ist  wohl  die  schonste  Komposition  dieser  Serie,  reicher  an  Ve# 
getation,  als  sonst,  mit  einer  bedeutenden  Mittelgruppe  edelgeformter  Baume. 
Keine  oder  fast  keine  Seitenkulissen  sind  mehr  notig,  so  abgewogen  und  be# 
ruhigt  ist  der  Mittelgrund.  Der  »Mittag«  ist  eine  schone  Flufilandschaft,  im 
Aufbau  an  die  Berliner  Landschaft  erinnernd,  aber  einfacher  und  grofier  in 
Linien  undWeite.  Der  »Abend«  gibt  endlich  traumerisches  Dammern,  das 
Tobias  #Marchen  am  stillenFlufi  und  ein  reiches  Auf  und  Ab  des  bewachsenen 

95 


Terrains  bis  zum  Meer  und  Horizont.  Die  ganzen  Bilder  durchzieht  wiederum 
dasselbe  elegische  Gefuhl  wie  auf  dern  »Verfall  des  R6merreiches«  und  den 
ahnlichen  Gemalden.  So  fehlen  auch  nirgends  die  Tempelruinen  mit  ihren 
Saulen  und  ihrem  zerstb'rten  und  bewachsenen  Gebalk.  Sie  stehen  als  Zeugen 
einer  geschwundenen  Zeit  da  und  breiten  den  Schleier  der  Verganglichkeit 
iiber  die  stille  Schb'nheit  der  Gefilde. 

Von  der  schweren  Krankheit  Anfang  1663,  damals,  als  Claude  sein  Testa* 
ment  machte,  hat  er  sich  anscheinend  schnell  wieder  erholt.  Denn  seine 
Arbeitskraft  ist  noch  immer  sehr  groft,  wenn  auch  vielfach  alte  Motive  wieder 
hervorgeholt  werden.54)  1664  entsteht  eins  seiner  schonsten  Bilder,  es  ist  die 
Landschaft  mit  der  Psyche,  bekannt  unter  dem  Namen  »Das  verzauberte 
Schlqfi«.55)  Wiederum  eines  jener  ungewohnlich  breiten  Formate,  wie  sie 
Claude  bei  besonderer  Gelegenheit  hier  und  da  anwandte.  Die  Kulissen* 
Komposition  tritt  etwas  starker  hervor,  wenn  auch  auf  der  einen  Seite  ganz 
aufgelockert.  Vor  den  weichen  Buschen  sitzt  als  einzige  Figur  verlassen  Psyche. 
Sonst  ist  alles  einsam  —  nur  ein  paar  Ziegen  weiden  und  ein  Hirsch  kommt 
langsam  heran.  Mitten  aus  dem  bewegten  Meer  mit  dem  hellen  Streifen 
am  Horizont  steigt  steil,  fast  nordisch  die  Burg  des  Eros  empor,  gegen 
das  helle  Licht  sich  abhebend.  Ein  Marchenbild  wie  das  der  »Entfiihrung 
Europas«,  nur  wie  die  meisten  Gemalde  des  alten  Meisters  ernster,  melancho* 
lisch  #  stimmungshafter. 

Aus  dieser  spaten  Zeit  sind  auch  die  beiden  Bilder  mit  der  y>Geschichle 
der  Hagar«,  die  die  Miinchener  Pinakothek  ihr  eigen  nennt.56)  Es  sind  grofie 
bedeutende  Bilder  in  Claudes  ausgesprochenem  Spatstil.  Sie  sind  architek* 
tonisch  geschlossen,  aber  ebenfalls  nicht  mehr  gleichmafiig  kulissenartig  er* 
starrt,  sondern  naturlich  bewegt.  Das  antik*tempelartige  Haus  auf  »Hagars 
VertrelbungK  mit  dem  hohen  Saulenportikus  daneben  konnte  auch  fruher 
begegnen.  Ebenso  die  Art,  wie  es  ein  wenig  schrag  in  das  Bild  fiihrt  und  wie 
die  Starre  der  Saulen  durch  den  lockeren  vorragenden  Baum  gebrochen  wird. 

96 


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Nur  wird  das  Gebaude  hier  durch  die  Handlung  motiviert:  durch  die  Gruppe 
der  Hagar  mit  dem  kleinen  Ismael  und  dem  Patriarchen,  der  sie  mit  bezeich* 
nender  Geste  in  die  Verbannung  schickt.  Es  ist  ein  wild  zerrissenes  Land,  in 
das  er  die  Ungliickliche  stofit.  Claude  konnte  seiner  ganzen  Liebe  fur  Ei> 
hohungen,  Senkungen,  Uberschneidungen,  fur  das,  was  eine  Erdoberflache 
durch  die  verschiedenartige  Brechung  des  Lichtes  interessant  macht,  nachgehen. 
Vorn  die  kahle  unfreundliche  Plattform  vor  dem  Haus  mit  jener  trocknen, 
rissigen  Erde,  wie  sie  die  Sommerhitze  besonders  in  der  nordlichen  Campagna 
entstehen  lafit.  Da  begegnen  auch  diese  unvermutet  einschneidenden,  un* 
regelmafiigen,  tiefen  Graben,  die  sich  zur  Regenzeit  mit  flutendem  Wasser 
fiillen.  Hier  ist  diese  »fossa«  mit  Biischen  gefiillt,  die  sich  weiterhin  zu 
grofierer  Hohe  erheben,  zu  Baumen,  zu  einem  Waldchen,  das  schon  ganz 
duftig  entfernt  erscheint,  aber  doch  nicht  so,  wie  der  lasierte  Berg,  der  in  der 
steilen,  edlen  Form,  wie  sie  Poussin  und  Claude  liebten,  die  Seite  abschliefit. 
Durch  diese  Erhohung  ist  ein  Gegengewicht  gegen  die  Hausergruppe  der 
anderen  Seite  gegeben.  Aber  durch  das  ungemein  Feine  der  Abstufungen 
der  Schichten  ist  alles  Starre  genommen.  Jenseits  des  Walles,  der  den  Graben 
horizontal  abschliefit,  geht  der  Blick  in  die  unbegrenzte  Flufilandschaft. 
Dariiber  der  rotlich  gelbe  Abendhimmel  mit  grauen  Wolken.  Noch  freier 
ist  die  »Errettung  Ismaels«.  Von  einer  steilen  Felswand  ganz  zur  Seite  ist 
nur  noch  ein  schmaler  Streifen  vorhanden,  auch  die  so  beliebten  schlanken 
Baumchen  dicht  dabei  mit  den  gekreuzten  Stammen  entwachsen  hier  ganz 
selbstverstandlich  dem  leicht  gehohten  Boden.  Vor  dieser  dunkel  beschatteten 
Erdwelle  tritt  die  Lichterscheinung  des  Engels  zu  der  knienden  Hagar  und 
dem  verschmachtenden  Knaben.  Der  ganze  Rest  des  breiten  Bildes  ist  aufier* 
ordentlich  interessant  durch  Licht  und  Farbe  abgestuft,  ein  auf#  und  ab# 
wogendes  Terrain.  Ober  lichte  Streifen  hinweg  verliert  es  sich  in  das  glanzende 
Meer.  Wie  ein  breiter  bewegter  Flufi  stromt  es  dahin,  eingebettet  zwischen 
den  Dunkelheiten  des  Vordergrundes  und  der  lichten,  hohen  Felsformation 

101 


HAGAR  UND  ISMAEL  (1668).   MONCHEN.  PINAKOTHEK 

zur  Seite  mit  dem  seltsam  durchbrochenen,  ockergelben  Mauerwerk,  das  sich 

welter  zuriick  in  den  klaren  Himmel  hebt. 

*  * 

* 

Der  fast  Siebzigjahrige  hat  immer  noch  Kraft  genug,  trotz  der  Gicht, 
die  ihn  plagte  (wie  den  alten  Renoir),  mitunter  Werke  von  iiberraschend 
grofiem  Stilgefiihl  zu  schaffen.  Wie  bei  alien  wirklich  bedeutenden  und  inner* 
lichen  Kunstlern,  wirken  diese  Alterswerke  durchgeistigter,  reiner,  voller.  Bei 
Poussin  trifft  das  zu,  wie  bei  Claude.  Wenn  auch  bei  ihm  infolge  der  Ahn* 
lichkeit  der  Themen  ein  ausgesprochener  Altersstil  sich  nicht  in  voller  Scharfe 
abhebt,  so  ist  er  doch  vorhanden  und  deutlich  in  der  weiten  und  freieren 
Anlage  und  Komposition  und  in  der  breiteren  Behandlung  des  Tones  er* 

102 


EGER1A  (1669)    NEAPEL,  MUSEUM 


kennbar.  Eines  der  reinsten  und  schonsten  Werke  entstammt  dieser  Spatzeit: 
» Egeria  von  den  Nymphen  umgeben«.57^  Es  ist  ein  Bild  von  sehr  grofien 
Dimensionen,  wie  haufig  in  der  spateren  Zeit  Claudes.  Mit  unnachahm* 
licher  Meisterschaft  sind  die  Niiancen  der  olivgriinen,  rostbraunen  und  saft* 
griinen  Tone  des  Waldes  gegeben  bis  zu  den  weich  zerfliefienden  des  in  un# 
endliche  Baummassen  gelockerten  Grundes.  Herrliche  Ba'ume  mit  breit 
behandeltem  Laub  und  Pinien  mit  schmalgefiederten  Nadelbiischen  erheben 
sich  gegen  den  morgenklaren  Himmel,  die  Luft  ist  wie  perlend  von  Frische 
undTau.  Auf  demWaldboden  stehen,  knien  und  sitzen  Nymphen  mit  ihren 
Hunden.  Andere  gehen  am  Rande  des  tiefer  liegenden  Waldsees.  Dort  baut 

103 


KLASSISCHE  LANDSCHAFT  (1673).   LONDON,  NAT.  GALL. 

sich  ein  feierlicher  Tempel  mit  Portikus  auf  und  ein  kleines  Rundtempelchen, 
wie  es  Claude  so  liebte;  ragend  iiber  schimmernden  Baumkronen  erheben  sich 
weich  mit  ihnen  zusammengemalte  Burgruinen  und  weiterhin  blaue  Berge. 
Vergleicht  man  die  »Muhle«,  mit  der  das  Bild  durch  den  Blick  von  oben  nach 
unten  auf  zentrale  Wasserflache  Ahnlichkeit  hat,  so  sieht  man,  wie  viel  reifer, 
vollerklingend,  strahlender  dieses  spate  Werk  ist.  Freilich  ist  es  auch  eins  der 
reifsten  Erzeugnisse  dieser  Epoche.58) 

Daneben  begegnen,  was  nicht  tiberraschen  kann,  auch  Versagungen :  eine 
ins  Klassizistische  umgesetzte  Variation  des  » Apollotempels«  in  der  Galleria 
Doria  ist  die  sogenannte  »Klassische  Landschaft«™)  in  der  National  Gallery 
in  London.  Hier  ist  alles  merkwiirdig  diinner,  abstrakter  geworden;  die 


AENEAS  AUF  DER  HIRSCHJAGD  (1672).    BROSSEL 

gewaltige  Mittelgruppe  ist  zu  zwei  diinnen  Baumchen  mit  magerer  Krone  zu* 
sammengeschrumpft.  Der  Tempel  ist  deutlicher  geworden,  hat  aber  seine 
Phantastik  verloren.  Das  Bild  sticht  seltsam  ab  gegen  die  Fiille  der  anderen 
jener  Spatzeit,  ist  aber  durch  das  Liber  Veritatis  gesichert  und  1673  datiert.  Die 
Figuren  sollen  nach  einer  Aufschrift  Aeneas  und  Anchises  darstellen.  Dagegen 
hat  die  Briisseler  »Jagd  des  Aeneas«60\  die  ein  Jahr  friiher  entstanden  ist,  den 
gleichen  grofien  Stil  wie  die  Miinchener  Bilder,  besonders  die  »Errettung  der 
Hagar«.  Das  gilt  besonders  fur  die  ungemein  reiche  Behandlung  der  Erd* 
formen,  der  Aufwiihlung  und  Lebendigmachung  des  Terrains. 

Bei  den  beiden  Gemalden,  die  der  Kurfurst  von  Bayern  durch  seinen  Rat 
Franz  Mayer  von  Regensburg  bei  Claude  bestellte  (jetztMiinchen,  Pinakothek), 
reichte  augenscheinlich  weder  bei  der  Landschaft  von  1670,  noch  bei  dem  Pen* 

105 


SEEHAFEN  (1674).    MUNCHEN,  PINAKOTHEK 

dant  der  Marine  von  1674  Kraft  und  Lust  des  alten  Claude  zu  neuen  Kompo* 
sitionen.  Beides  sindVariationen  oder  Repliken  alterThemata.61)  Die  »  Marine*. 
reicht  in  der  Beherrschung  des  Stofflich*Gelosten,  von  Licht  Durchdrungenen 
an  das  Original  in  der  Eremitage  wohl  kaum  heran.  Doch  ist  das  Wasser  noch 
immer  glanzend  gemalt  in  seinem  gedampften  Blau  mit  hellen  und  dunkleren 
Tonen  und  weifien  Reflexen.  Virtues  ist  das  Krauseln  derWellen  und  das 
Glanzen  der  Oberflache,  die  nach  dem  Horizont  zu  gelblich  wird  als  Reflex 
des  blafigelben  Himmels  mit  der  verdeckten  Sonne.  Das  Gelb  geht  nach  oben 
langsam  in  Blaugrau  iiber  bis  zu  den  weifiumranderten  grauenWolken.  Berg 
und  Turm  des  Mittelgrundes  sind  fast  impressionistisch  rotlich  und  violett 
getupft.  Nur  der  Triumphbogen  ist  in  seinem  Graugelb  etwas  Pappkulisse 
geblieben.  Dagegen  ist  der  Vordergrund  sehr  breit  und  farbig  behandelt  — 

106 


FLUSSLANDSCHAFT  (1676).    MONCHEN,  PINAKOTHEK 

sowohl  der  schmale  Strand,  wie  auch  die  Figuren.  Die  Architektur  ist  auf  dem 
Eremitage  *  Bild  viel  lockerer,  verwitterter.  Vielleicht  ist  auf  der  Miinchener 
Replik  mindestens  der  Portikus  in  seiner  fatalen  Glatte  nicht  eigenhandig. 
Dagegen  ist  die  y>Flufilandschaft  mit  Sonnenuntergang«  dem  Pradobild  an 
Fiille  des  Tons  erheblich  iiberlegen.  Besonders  die  grofie,  dunkelgriine  Baum# 
kulisse  ist  ungemein  schon  abgestuft  mit  rostbraunen  Tupfen  und  durch* 
schimmerndem  Licht,  das  das  Ganze  organised  lebendig  macht.  Leider  ist  der 
Vordergrund  mit  den  braunen,  weifien  und  falben  Kiihen  sehr  nachgedunkelt. 
Schon  wiederum  ist  die  Gruppe  der  musizierenden  Frauen,  die  dasThema  des 
floteblasenden  Hirten  auf  dep  Radierung  (an  die  das  Bild  iiberhaupt  sehr  stark 
anklingt)  noch  steigert  —  schon  durch  das  stark  Farbige,  Blau  und  Gelb. 

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JACOB  UNO  LABAN  (1676).    GALERIE  DULW1CH 

Wundervolles,  weiches  Blau  zeigt  das  Wasser  mit  hellen  Streifen.  Blaulich 
leuchtet  der  lasierte  Hintergrund,  und  dariiber  spannt  sich  ockergelber  Himmel, 
der,  von  grauen  Wolken  unterbrochen,  ins  Blaue  steigt. 

Durch  denselben  Regensburger  Rat  Franz  Mayer  ist  noch  ein  Gemalde  fiir 
den  Kurfiirsten  von  Bayern  bei  Claude  bestellt  worden.  Im  Herbst  1676  ist 
es  fertig  geworden.  Als  Staffage  hat  es  » Jakob  und  Laban  mit  semen  Tochtern  «.62) 
Darin  wie  in  der  ganzen  Anordnung  erinnert  es  an  den  » Morgan «  mit  Jakob 
und  Rahel  in  der  Eremitage.  Merkwiirdigerweise  befindet  sich  das  Bild  nicht 
im  Besitz  der  bayrischen  Sammlungen,  sondern  in  der  Galerie  zu  Dulwich. 
Die  Groflartigkeit  und  Klarheit  der  Anlage  tritt  noch  immer  hervor.  Die 
Seiten  sind  frei,  in  der  Mitte  wa'chst  eine  Baumgruppe  in  die  durchsichtige 

108 


NOLI  ME  TANGERE  (1681).   FRANKFURT  A.  M.,  STAEDEL 

Luft.  Motivisch  bietet  das  Bild  freilich  nichts  Neues.  Man  kann  auch  von 
einen  Sechsundsiebzigjahrigen  nicht  mehr  eine  sprudelnde  Fiille  neuer  Einfalle 
erwarten.  Hat  er  doch  noch  an  der  Schwelle  des  Greisenalters  ein  Kunstwerk, 
wie  die  Egeria  geschaffen,  das  an  Klarheit  schwer  zu  iiberbieten  war,  und  er 
findet  zuletzt  noch  den  Ausdruck  einer  religiosen  Vertiefung,  die  ihm  bisher 
fremd  war. 

Noch  hauften  sich  aber  die  Bestellungen.  Der  Cardinal  Spada  verlangt 
eine  ganze  Serie,  u.  a.  einen  Parnafi.  Es  sind  nicht  immer  nur  Repliken,  sondern 
auch  teilweise  neue  Motive  oder  langst  nicht  mehr  behandelte,  wie  der  »Tempel 
des  Castor  und  Pollux  «. 63)  Das  letzte  Bild,  das  Claude  geschaffen,  ist  etwas 
Besonderes.  Es  ist  »Christus  als  Gartner  und  Magdalena«  vom  Jahre  1681 
(Stadelsches  Institut  Frankfurt  a.  M.)« 64)  Der  elegische  Charakter  des  »Verfalls 
des  romischen  Reiches  « ist  hier  aus  dem  Sentimental#Antikischen  in  das  Religiose 
gewendet.  Es  ist  der  Stimmungsausklang  des  iiber  Achtzigjahrigen.  Ein  grofier 

109 


feierlicher  Hauch  liegt  tiber  dem  Bilde,  das  wiederum  in  einem  ungewohnlich 
breiten  Format  gehalten  1st.  Ich  wiifite  kein  Bild  Claudes  sonst,  das  etwas  so 
Schmerzliches,  Melancholisch*Getragenes  hatte.  Dazu  tragt  auch  der  helle, 
aber  schwere,  olivgrtinliche  Ton  bei,  der  das  Ganze  beherrscht.  Auch  die 
alten  Motive,  die  Versatzstiicke :  das  Walddickicht  auf  aufsteigendem  Hugel 
links  und  der  runde  steile  Hugel  von  Golgatha  sind  irgendwie  gesteigert 
worden,  verinnerlicht.  Das  schlanke  gerade  Baumchen  davor  zerteilt  nicht  mehr 
den  Hintergrund  —  die  dammerige  Stadt  und  die  blauen  Berge  —  in  Durch* 
blicke;  es  steht  mehr  zur  Seite  geriickt,  nur  noch  fiillend  und  die  Horizontalen 
unterbrechend.  In  diesem  gedampften  Licht  stehen  die  Figuren:  Christus  als 
Gartner  und  die  kniende  Magdalena;  vor  der  dunklen  Boschung  leuchtet 
der  blaue  Mantel  Christi.  Ein  Zaun  (anstatt  des  Grabens  von  friiher)  trennt 
diese  Vorderschicht  ab.  Da  wo  er  im  Bogen  umknickt,  stehen  mattfarbig  zwei 
Frauen.  Vor  dem  Grabeingang,  der  in  den  Hugel  von  Golgatha  gemauert  ist, 
sitzt  feierlich  der  wachende  Engel.  Es  ist  wohl  moglich,  dafi  hier,  wie  vielleicht 
auf  manchen  dieser  Spatbilder,  die  Figuren  von  Claude  selbst  ohne  Unter* 
stiitzung  gemalt  worden  sind  (in  den  Farben  sind  sie  etwas  verdorben).  Ganz 
erstaunlich  ist  es  aber,  dafi  Claude  in  seinem  hochsten  Alter,  dem  Tode  nahe 
noch  ein  so  grofies  Werk,  wie  dieses  »Noli  me  tangere«  schaffen  konnte,  dafi 
er  es  noch  fertig  brachte,  solch  organische  Baume,  solches  Laub  zu  malen.  Und 
wie  breit,  wie  saftig  ist  es  gemalt,  wie  von  einem  Courbet  hingesetzt.  Es  ist 
dieselbe  geloste  Technik,  die  Claude  auch  bei  seinen  spa'ten  Zeichnungen 
iibte.  Der  Greis  kann  nicht  mehr  die  Straffheit  der  Komposition,  die  Klar# 
heit  der  Linie,  die  Reinheit  der  Form  bewaltigen,  aber  er  fiillt  seine  Visionen 
mit  dem  Vibrieren  des  inneren  Lebens. 


Man  hort  ha'ufig,  dafi  das  malerische  Werk  Claudes  einformig  sei  und 
keine  rechte  Entwicklung  gehabt  habe.   Man  mag  den  ersten  Vorwurf,  was  die 

110 


Motivwahl  anbelangt,  zugeben,  der  zweite  ist  nur  sehr  bedingt  richtig.  Freilich, 
es  ist  kerne  Entwicklung,  die  sehr  stiirmisch  verlauft,  zwischen  Spat*  und 
Friihbildern  ist  nicht  ein  solcher  Unterschied,  wie  bei  einem  Frans  Hals.  Der 
Auftrag  wird  im  Laufe  der  Jahre  pastoser.  Die  Farben  werden  noch  mehr 
verbunden,  schwerer,  gesattigter;  man  empfindet  sie  immer  weniger  als  Eigen* 
werte  gegeniiber  der  harmonischen  Zusammenstirnmung  des  Ganzen.  Die  di* 
rekten  atmospharischen  Probleme:  Dunst  und  Nebel  von  der  Sonne  durch* 
brochen  —  treten  mehr  und  mehr  zuriick,  wie  iiberhaupt  die  Marine*  und 
Hafenbilder.  Alles  Genremafiige  der  Jugend,  alles  Zufallige  wird  ausgeschieden, 
alles  was  noch  unmittelbar  und  unverarbeitet  mit  dem  Naturerlebnis  zu* 
sammenhangt.  Dafiir  erfolgt  nun  ein  energisches  tektonisches  Zusammen* 
fassen,  ein  klareres  Aufbauen  der  Landschaftsformen;  beruhmte  Werke,  wie 
die  Miihle  und  der  Apollotempel,  sind  Beispiele  fiir  diesen  kraftigeren  Stil 
(der,  wie  erwahnt,  mit  manchen  Tendenzen  Nic.  Poussins  zusammengeht). 
Das  befahigt  ihn  auch  zu  den  grofien  Pracht*  und  Zeremonienstucken  der 
vierziger  und  der  ersten  Ha'lfte  der  fiinfziger  Jahre.  (Bergpredigt,  Goldenes 
Kalb.)  Aber  auch  diese  horen  allmahlich  auf.  Das  mythologische  Marchen  - 
Akis  und  Galathea,  Raub  der  Europa  —  verzaubert  die  Landschaft  und  fuhrt 
zu  den  herrlichsten  Schopfungen  Claudes.  Immer  einfacher,  gehaltener,  grofi* 
artiger  gebaut  wird  die  landschaftliche  Komposition,  das  Schema  immer  weniger 
fuhlbar,  ein  grofies  Leuchten  breitet  sich  iiber  das  Bild.  Die  Tageszeiten  der 
Eremitage  der  sechziger  Jahre  sind  ein  solcher  Hohepunkt,  in  dem  das  elegisch* 
melancholische  Empfinden  des  alternden  Claudes  zum  reinsten  Ausdruck 
kommt.  Diese  getragene  Stimmung  durchzieht  das  Alterswerk  des  Kiinstlers 
bis  zu  dem  seltsamen,  ganz  verinnerlichten  Frankfurter  Gemalde  des  Achtzig* 
jahrigen.  Aus  dem  Naturerlebnis,  aus  dem  Kampfe  um  das  Erfassen  des 
Lichts  und  seiner  Erscheinung  heraus  gestaltet  sich  immer  fiihlbarer  das  Streben 
nach  dem  grofien  Zusammenhang  der  Natur  mit  dem  Beseelten,  dem  Gott* 
lichen,  das  sich  in  der  Kunst  offenbart. 

Ill 


RADIERUNGEN 


Wenn  Kunstler,  deren  Begabung  und  deren  Arbeit  rein  malerischer  Natur 
ist,  gelegentlich  zur  Radiernadel  greifen,  schaffensie  damithaufig  grofiere 
Kunstwerke,  als  die  mehr  oder  minder  berufsmafligen  Radierer.  Diese Amateure 
in  der  Technik,  aber  Meister  in  der  Kunst  mogen  wohl  mitunter  zu  stark 
atzen,  eine  Platte  verderben,  herumexperimentieren,  die  Nadel  nicht  mit  der 
notigen  Leichtigkeit  und  Geschicklichkeit  behandeln.  Doch  gerade  der  Mangel 
an  Gewandtheit  kann  diesen  ihren  Werken  etwas  besonders  Personliches  geben. 
Es  fallt  auf  sie  der  Abglanz  der  grofien  Kunst,  die  ihre  malerischen  Arbeiten 
beseelt.  Das  gilt  in  besonderem  Mafie  fur  Claude  Lorrain,  der  nur  sporadisch 
und  relativ  wenig  radiert  hat.  Ihm  ist  es  gelungen,  eine  ganze  Anzahl  von 
diesen  Versuchen  in  einer  ihm  fremden  Technik  zu  Kunstwerken  zu  erheben, 
die  das  zum  Ausdruck  bringen,  was  er  vor  allem  erstrebte:  die  poetische 
Verklarung  eines  Natureindrucks  durch  das  Licht.  So  stellen  sich  manche 
seiner  Radierungen  ebenbiirtig  neben  seine  schonsten  Gemalde,  wenn  sie 
auch  —  besonders  friiher  —  nicht  die  gleiche  Beachtung  gefunden  haben. 

Es  lafit  sich  nicht  nachweisen,  ist  aber  behauptet  worden,  dafl  Claude 
wahrend  seines  Aufenthalts  in  Nancy  1626  bei  Deruet  dessen  Freund  Jacques 
Callot  kennen  gelernt  hat,  der  damals  auf  der  Hohe  seiner  Leistungsfahigkeit 
stand.  Durch  ihn  soil  Claude  zum  Radieren  angeregt  worden  sein.  Im  wesent* 
lichen  ist  es  aber  nur  das  Figurliche,  dafi  auf  friihen  Blattern  Claudes  (wie 
dem  Forum  von  1636)  an  Callot  erinnern  kann:  so  die  kleinen  Landsknechts* 
gestalten  und  dergleichen.  Auch  bei  dem  Schattenkontrast  und  dem  Silhouetten* 
mafiigen,  sowie  bei  der  Wiedergabe  von  Lufteffekten  kann  man  hier  und  da 

115 


an  Callot  denken.  Sehr  eng  ist  die  Beziehung  jedenfalls  nicht  gewesen. 
Vermutlich  hat  aber  auch  ein  anderer  Kiinstler  Claude  zum  Radieren  angeregt; 
das  ist  Sandrart,  der  wahrend  seiner  romischen  Jahre  von  Claudes  Rikkkehr, 
also  Ende  der  zwanziger  Jahre,  bis  zu  seiner  eigenen  Abreise,  etwa  1636,  intim 
mit  ihm  verkehrt  hat,  wie  wir  ja  wissen.  Sandrart  hat  eine  grofie  graphische 
Tatigkeit  entwickelt,  freilich  mehr  handwerklicher  Art,  wie  die  Stichreproduk* 
tionen  von  Statuen  usw.  in  der  »Ceutfd?cn  2tfa6emte«  beweisen.65>  Vondiesem 
geschickten  Schuler  Sadelers  konnte  Claude  manches  lernen,  freilich  nicht 
viel  Kiinstlerisches.  Die  Hauptperiode  der  Radiertatigkeit  Claudes  fallt  in 
die  Zeit  seines  Verkehrs  mit  Sandrart.  Bald  nachdem  Sandrart  Rom  verlassen, 
erfolgt  auch  eine  langjahrige  Pause  oder  jedenfalls  ein  Nachlassen.  Erst  um 
1651  kommt  wieder  ein  neuer  Aufschwung.  Um  diese  Zeit  finden  wir  einen 
anderen  Radierer,  Dominique  Barriere,  in  sehr  nahem  Verhaltnis  zu  Claude, 
der  durch  seine  —  freilich  mehr  reproduktive  —  Tatigkeit  den  Meister  angeregt 
haben  kann,  ebenfalls  ohne  ihn  kiinstlerisch  oder  technisch  zu  beeinflussen. 
Mit  der  romisch^bolognesischen  Behandlung  der  Radierung,  wie  sie  die 
Carracci  und  ihre  Nachfolger  aufweisen,  haben  die  Radierungen  Claudes 
gar  nichts  zu  tun.  Paul  Bril  konnte  herangezogen  werden,  etwa  mit  einer 
Radierung  von  1590  mit  grofi  gefiederten  Ba'umen,  hohen  steilen  Felsen,  wo 
auch  der  Regen  in  der  Luft  mit  kreuzweisen  Strichen  wiederzugeben  versucht 
wird.  Aber  um  wieviel  atmospharischer  erscheint  Claude  auch  schon  in  dem 
friihen  Seesturm,  wieviel  delikater  sind  seine  Linien,  wieviel  aufgelockerter 
und  irregularer  seine  Schattierungen.  Noch  mehr  konnte  man  an  Elsheimer 
denken,  der  ja  kiinstlerisch  auch  in  der  Behandlung  des  Lichts  von  EinfluC 
auf  Claude  war.  Auf  der  Radierung  Elsheimers  mit  »Tobias  und  dem  Engel« 
begegnet  in  den  Korperformen  dieselbe  Art  von  Strichfuhrung  wie  auf  Claudes 
kleiner  Furt.66)  Sandrart  berichtet  von  mythologischenThemen:  »<£r  e£tc  audj 
etlidje  fleine  £an6fdjaf ten ,  tme  6te  ^el6gotter  un6  Icyvnpfycn  ntit  Cymbalen  tan5en, 
aucfy  6ie  Satyren  auffpielen  un6  an&cre  fcergleicfyen  Dcrniinftige  Selt3amfeiten.«  Das 

116 


sind  jedenfalls  Dinge,  die  inhaltlich  ganz  in  der  Linie  von  Claude  liegen. 
Audi  gibt  es  solche  Radierungen,  wie  die  »Tanzende  Nymphe«,  die  unter 
dem  Namen  Elsheimers  gehen  und  die  in  der  Lockerung  des  Striches,  in  den 
Abstufungen  nach  dem  Hintergrund  zu  in  der  Beleuchtung  mit  friihen 
Radierungen  Claudes,  etwa  dem  »Sturm«  (Behandlung  des  Baumes),  eine 
entschiedeneVerwandtschaft  haben.  Auch  an  manche  niederlandische  Kiinstler 
der  vorrembrandtischen  Generation,  wie  etwa  an  Moyses  Uytenbroek  (B.22) 
erinnert  die  Claudesche  Technik  in  der  Auflockerung  und  Lichtbehandlung. 
Im  Grunde  sind  aber  die  Claudeschen  Radierungen  Arbeiten  eines  AuBen* 
seiters.  Seine  kunstlerischen  Bediirfnisse  nach  Atmosphare  und  Licht  schufen 
ihm  seine  Technik.  » Ubrigens  ist  von  einem  so  grofien  Talent,  das  in  einer 
so  bedeutenden  Zeit  und  Umgebung  lebte,  kaum  zu  sagen,  von  wem  es 
gelernt.  Es  sieht  sich  um  und  eignet  sich  an,  wo  es  fur  seine  Intentionen 
Nahrung  fmdet.«67) 

Dafi  Claude  technisch  nicht  sehr  erfahren  war,  sieht  man  an  manchen 
Flatten,  die  durch  schlechte  Atzung  verdorben  sind  (von  diesen  sind  daher 
auch  gute  Abziige  selten).  So  der  »Landliche  Tanz«.  Dafiir  gent  er  aber  auch 
eigene  Wege  und  versucht  sich  in  neuen  Techniken,  die  iiber  das  zu  seiner 
Zeit  Obliche  hinausgreifen.  So  wendet  er  in  der  erwahnten  Platte  auch  das 
Schabeisen  an;  es  entsteht  also  eine  Mischtechnik,  wie  sie  erst  viel  sparer 
wieder  verwendet  wird.  Auch  in  dem  schonen  »Bouvier«  scheint  er  die  Platte 
mit  Bimstein  aufgerauht  und  die  Lichter  im  Hintergrund  ausgeschabt  zu  haben, 
um  die  Wirkung  des  Lichtes  zu  erhohen.  68) 

In  dem  altesten  Katalog  der  Radierungen  Claudes  bei  Abbe  de  Marolles 
1666  sind  45  Radierungen  Claudes  aufgezahlt,  wahrendSpatere69)  nur  28  nennen. 
Der  Hauptunterschied  erklart  sich  dadurch,  dafi  bei  den  letzteren  die  Serie  des 
»  Feuerwerks«  nicht  zugerechnet  wird.  Meaume  in  seiner  Neubearbeitung  von 
Robert #Dumesnil  Peintre#Graveur  Francois 70)  zahlt  44  Radierungen  auf  (nebst 
einer  zweifelhaften).  Davon  fallen  —  kiinstlerisch  gesehen  —  die  13  Nummern 

117 


R.D.  5 iv.  DER  STURM  (1630) 

der  »Feux  d'artifice«  als  unbedeutende  Gelegenheitsarbeiten,  sowie  ein  paar 
andere  kleine  nichtssagende  Griffelspielereien  fort,  so  dafi  als  wesentlicher 
Besitz  nur  27  iibrigbleiben.  Etwa  die  Halfte  davon  1st  nach  Claudes  eigenen 
Gemalden  radiert  oder  begegnet  auf  seinen  Kompositionen.  Alte  gute  Abziige 
von  seinen  Blattern  sind  selten. 7I)  Trotzdem  etwa  11  Radierungen  datiert  sind, 
ist  eine  chronologische  Anordnung  nicht  ganz  leicht. 72)  Auch  die  hier  ange* 
wandte  will  zunachst  nur  als  Versuch  gelten. 


Gleich  die  erste  datierte  Radierung  Claudes,  der  »Sturm«  von  1630 
(R.D. 5),  zeigt  viel  Personliches  inTechnik  und  Ausdruck.  Sie  ist  im  ganzen 
genommen  schon  so  reif,  dafi  es  wohl  kaum  der  erste  Versuch  ist,  den 

118 


Claude  gemacht  hat.  Andere  warden  ihm  vorausgegangen  sein,  die  er  nicht 
herausgegeben  hat.  Es  ist  dies  neben  dem  »Schiffbruch«,  (R.  D.  7)  das  einzige 
Mai,  wo  Claude,  ganz  entgegen  seiner  stillen  Art,  bewegte  Naturvorgange, 
aufgewiihltes  Wasser,  stiirmischen  Himmel  dargestellt  hat.  Das  Hohle  der 
Wellenkamme  ist  durch  konkave  kurze  Strichlagen,  zwischen  denen  die 
weiCen  Gischtkamme  ausgespart  sind,  energisch  und  pragnant  gegeben.  Seitlich 
erhebt  sich  bis  fast  zum  Rand  eine  gewaltige  Baummasse,  die  mit  ihrem 
unteren  Teil  —  seltsam  genug  —  in  die  Wogen  des  Meeres  beinahe  eintaucht. 
Man  konnte  auch  an  einen  buschbewachsenen  Felsen  denken,  an  den  die 
Schiffe  vom  Sturm  geworfen  werden.  Die  ganze  Masse  ist  wesentlich  aus 
kleinen  krausen  Strichen  und  Hakchen  zusammengesetzt,  dadurch  sehr  locker, 
bewegt,  lichtgesattigt  —  aber  nicht  klar  und  organisch  gezeichnet.  Fels  und 
Ruine  weiter  zuriick  sind  ganz  leicht  hingesetzt.  Der  Himmel  war  auf  dem 
ersten  Zustand  noch  dunkel  und  vermengte  sich  mit  dem  Wasser.  Sparer  ist 
er  aufgehellt  worden  und  deutlicher  geschieden.  Die  parallelen  Strichlagen 
erinnern  in  ihrer  GleichmaCigkeit  noch  sehr  an  Sticheltechnik.  Nach  dem 
Horizont  zu  horen  sie  auf.  Hier  liegt  jetzt  eine  grofie  Helligkeit.  Auch  die 
dunkleren  Strecken  des  Vorder*  und  Mittelgrundes  nehmen  an  ihr  teil  —  die 
Wellenkamme  und  der  schmale  Strandstreifen.  Scharf  setzt  sich  dagegen  die 
schwarze  Silhouette  mit  den  Ruderern  ab.  Gegeniiber  den  Bildern  der  gleichen 
Zeit  ist  die  Kompositionfreier;  die  eine  Seite  bleibt  often  ohne  jede»Kulisse«. 
Das  nachste  Datum  ist  um  vier  Jahre  sparer:  —  »Die  Furt«  (R.  D.  3) 
von  1634.  Das  kleine  Blatt  —  eines  der  kleinsten  ~  ist  sehr  eindrucksvoll, 
dabei  aber  doch  merkwiirdig  rauh  und  fast  unbeholfen,  skizzenhaft  in  der 
Art  einer  Federzeichnung.  Dargestellt  ist  eine  Genreszene,  eine  Hirtenidylle, 
aus  der  intimen  Wildnis  der  romischen  Landschaft,  der  »macchia«,  wie  die 
Italiener  das  wilde  Gestriipp  nennen,  das  sich  in  den  Niederungen  bei  Rom 
nach  den  Siimpfen  und  dem  Meer  zu  meilenweit  erstreckt.  Ein  Natur  *  Interieur, 
wenn  auch  das  Dickicht  hier  und  da  unterbrochen  ist  fiir  Fernblicke  auf 

119 


R.  D.  31.    FURT  (1634) 

Berge  und  Himmel.  Die  Naturstudien  Claudes  nach  der  luminaristischen  Seite 
hin  sind  hier  sichtlich  benutzt.  Trotzdem  hat  die  Komposition  als  solche 
etwas  Unnaturalistisches,  Nicht#Zufalliges.  Der  ganze  Zug  --  ein  typischer 
Campagnole,  mit  nackten  Beinen,  eine  hochgeschiirzte  Frau,  dazu  noch  eine 
Sitzende  und  ein  PaarTiere,  alle  im  oder  am  Wasser  —  ist  in  eine  strenge 
Reliefschicht  gestellt.  Die  Baume  —  breit,  locker  und  doch  geformt,  licht* 
durchdrungen  —  bilden  die  Riickwand.  Auch  die  Figuren  (etwas  an  die  Art 
Elsheimers  erinnernd,  nur  weniger  elegant)  haben  trotz  ihres  bauerlichen 
Charakters  etwas  Edles.  Die  mittlere  Bauerin  schreitet  stolz  wie  eine  Nymphe 
daher.  Der  niederlandische  Charakter,  der  hier  so  nahe  lag  und  der  sich 
auch  auf  den  Figuren  der  Gemalde  des  fruhen  Claudes  so  haufig  findet 
(wenn  auch  von  der  Hand  Jan  Miels),  fehlt  hier  vollig.  Das  gibt  dem 
Bildchen  etwas  besonders  Reizvolles.  Die  Szene  ist  naturbeobachtet,  aber 
doch  im  idealistischen  Sinne  »gehoben«. 

120 


R  D  41.  HERDE  AN  DER  TRANKE  (1635) 

Eng  dazu  gehorig,  aber  freier  und  weiter  in  der  Anordnung,  in  der  gleichen 
Federzeichnungsart,  doch  weniger  derb  ist  die  »Herde  an  der  Trdnke«  (R.  D.  4), 
1635  dadiert.  Hinter  schmalem  Streifen  mit  Aststumpf  und  Blattern  lauft 
breit  das  Wasser  eines  Flusses,  in  dem  Kiihe  und  Ziegen  trinken.  Ober 
das  hiiglige  Ufer  ragt  schrag  in  das  Bild  ein  Baum  mit  breiter  Krone  und 
offnet  sich  Berggelande.  Ein  Hirt  steht  am  Ufer  in  elegischer  Pose  auf  seinen 
Stab  gestiitzt.  Die  Striche  wirken  frisch  und  duftig,  sind  aber  feiner;  der 
skizzenhafte  Eindruck  bleibt  noch  bestehen,  ebenso  auch  der  Zusammenhang 
mit  unmittelbarem  Naturerlebnis.  Nur  ist  alles  (noch  mehr  wie  bei  dem 
vorigen)  in  eine  zarte,  hohere,  arkadische  Sphare  geriickt. 

So  darf  es  nicht  uberraschen,  dafi  aus  der  gleichen  Zeit  ein  Blatt 
stammt,  das  in  seiner  ganzen  Anlage,  seinem  Inhalt  und  Gefuhl  die  grofien 

121 


R.D.  22".  RAUB  EUROPAS  (1634) 


mythologischen  Landschaftskompositionen  der  spaten  Zeit  vorausnimmt.  So 
stark,  daft  ein  friiherer  Autor  geneigt  war,73)  das  Blatt  in  die  Mitte  der  funfziger 
Jahre  zu  setzen.  Dem  widerspricht  aber  das  ganz  deutliche  Datum  1634  und 
ebenso  die  Technik  des  Blattes.  Es  ist  die  » Entfiihrung  Europas «  (R.  D.  22). 
Zu  der  abgeklarten  Ruhe  der  spateren  Radierungen  wiarde  dieser  skizzenkafte 
Federzeichnungsstil  nicht  passen.  Zu  einer  spateren  Ansetzung  dem  Datum 
zum  Trotz  verlockt  die  Beziehung  zu  dem  1655  entstandenen  Gemalde  gleichen 
Inhalts  (s.  oben  S.  80).  Im  Grunde  ist  es  freilich  nur  das  Thema  und  eine 
gewisse  sich  daraus  erklarende  Verwandtschaft  im  Figiirlichen  und  in  den 
Grundziigen  der  kompositionellen  Anlage,  die  Radierung  und  Bild  ein* 
ander  nahern.  Denn  die  stilistischen  Unterschiede  entsprechen  den  zwanzig 

122 


R.  D.  26.  DIE  DREI  ZIEGEN 


Jahren,  die  dazwischen  liegen.  Wahrend  das  Gemalde  freien,  grofien  Raum 
offnet,  die  Figuren  sparsam  verteilt,  die  Szene  konzentriert,  ist  auf  der 
Radierung  noch  alles  innenraumlich  begrenzt,  zusammengedrangt.  Die  Neben* 
figuren  sind  starker  betont,  als  die  Hauptaktion.  Alles  steckt  voll  anekdotischer 
Kleinigkeiten ;  noch  fehlt  der  grofie  heroische  Zug  trotz  der  Tempelruinen 
an  der  Seite.  Dafur  spielt  aber  das  Flimmern  des  Lichtes,  das  durch  die 
skizzenhaft  lockere  Federstrich#Behandlung  sehr  gefordert  wird,  eine  viel 
grofiere  Rolle  als  auf  dem  Bild.  In  der  Art,  wie  die  Figuren  im  Halbkreis 
verteilt  durch  die  Gasse  des  Seitengrundes  bis  zu  der  Baumkulisse  an  der 
entgegengesetzten  Seite  sich  hinziehen,  bildet  das  sehr  frische  Blatt  eine  Vor* 
stufe  zu  dem  Hauptstiick  der  dreifiiger  Jahre,  dem  »Bouvier«. 

Dieselbe  Art  zeigen  ein  paar  undatierte  Radierungen,  die  Landschaften 
mit  Tieren  darstellen,  z.  B.  »Hlrt  und  Hirtin«  (R.  D.  25)  sehr  skizzenhaft,  z.  T. 
mit  kalter  Nadel  bearbeitet.  Ausgefiihrter  sind  R.  D.  26  und  27  »Die  Ziegen- 
herde«.  Es  sind  das  zwei  Flatten,  die  urspriinglich  zusammengehorten  und 
auseinandergeschnitten  wurden.  Den  Zusammenhang  zeigt  eine  Zeichnung 
in  den  Uffizien74)  (ein  vollstandiger  Abzug  von  der  unversehrten  Platte  im 
Brit.  Museum).  Im  Schatten  einer  grofien  Baumgruppe  ganz  zur  Seite  sitzt 
ein  Hirt  und  schaut  seinen  spielenden  und  kampfenden  Ziegen  zu.  Weiter 
nach  rechts  offnet  sich  der  Blick  ins  weite  Land,  das  bewegt  und  unruhig  im 
Lichte  flimmert  Die  Landschaftsbehandlung  erinnert  an  das  oben  erwahnte 
Friihbild  von  Claude  aus  dem  Palazzo  Rospigliosi  (Pallavicini)  (s.  Abb.  S.  42 
u.  43).  Auch  auf  dieser  geistreichen  Radierung  ist  die  Technik  ganz  breit  und 
skizzenhaft  wie  mit  der  Feder. 

In  der  malerischen  und  losen  Behandlung  steht  die  kleine  Radierung 
der  » Fluent  nach  Aegypten*  (R.D.I),  diesen  relativ  friihen  Blattern,  nicht 
allzufern,  trotzdem  sie  viel  zarter,  feiner  im  Strich,  auch  etwas  weniger  skizzen* 
haft  ist.  In  der  Art  des  Aufbaus  und  in  der  Baumbehandlung  mit  den  stark 
gerundeten  Formen,  auch  in  den  Figuren  erinnert  das  kleine  Blattchen  noch  an 

127 


R.  D.  1 1.  FLUCHT  NACH  EGYPTEN 


Elsheimer.  Obgleich  sehr  anmutig,  1st  die  Zeichnung  noch  etwas  flau,  die 
Lichtfiihrung  unbestimmt,  so  dafi  man  versucht  ist,  dieses  Blattchen  noch  vor 
die  erwahnte  Gruppe  zu  setzen.  Nahe  dazu  gehort  R.  D.  2,  »Die  Er- 
scheinung«  —  ein  Kniender,  dem  sich  ein  Engel  naht  — ,  ganz  flikhtig,  aber 
sehr  viel  duftiger,  leichter  behandelt  als  die  Blatter  der  breiten  Manier. 

Dieser  Gruppe  leichter,  freier  Radier*Einfalle  lauft  zeitlich  eine  andere 
Reihe  parallel,  die  einen  ganz  anderen  Charakter  tragt.  Ihr  gehoren  einige 
Blatter  an,  die  nicht  die  derbe  Federstrichfuhrung  zeigen,  auch  durchaus  nicht 
skizzenhaft  sind,  sondern  ausgefuhrter,  glatter,  aber  auch  unpersonlicher.  Trotz* 
dem  gehoren  sie  samtlich  stilistisch  in  die  gleiche  fruhe  Periode,  auch  sind  die 
meisten  von  ihnen  mit  Gemalden  der  Friihzeit  eng  verbunden.  Da  ist  »Der 
Zeichner«  (R.  D.  9),  so  benannt  nach  der  Figur  eines  Malers,  der  hart  an  der 
StraCe  sitzt.  Die  Zeichnung  ist  hart  und  trocken;  neben  der  Radiernadel 
scheint  auch  mit  dem  Griffel  gearbeitet  zu  sein.  Die  Komposition  stimmt  mit 

128 


R.D.16I.  AUFBRUCH  DER  HERDE 

einem  Gemalde  Claudes  iiberein,  das  seiner  ganzen  Anlage  nach,  wie  auch 
durch  die  anekdotische  Gestaltung  des  Figiirlichen,  in  friihe  Zeit  zu  setzen  ist.75) 
Auch  einige  andere  Radierungen  gehoren  in  diese  Reihe,  so  R.  D.  11,  »Hafen 
mit  Leuchtturm «,  der  trotz  des  Sujets,  das  zu  Experimenten  hatte  locken  konnen, 
keine  besonderen  atmospharischen  Reize  hat.  Den  vSchiffbruch*1®  muB  man 
ebenfalls  hierhin  rechnen.  Er  ist  dramatischer  bewegt  als  der  »Sturm«,  auch 
atmospharischer  mit  abwechselndem  Regen  und  Helligkeit  in  der  Luft.  Trotz* 
dem  bleibt  das  Blatt  etwas  trocken.  Ebenfalls  noch  etwas  trocken  und  klein* 
lich  in  der  Zeichnung  ist  der  »Aufbruch  der  Herde«  (R.  D.  16).  Auch  hier 
geht  die  Radierung  auf  ein  Bild  Claudes  zuriack.77)  Nur  ist  die  Baumkulisse 
am  Rand  auf  der  Radierung  fortgelassen  und  dafiir  ein  kleines  Gewachsstill* 
lebeh  in  die  Ecke  gesetzt.  Dadurch  ist  die  Komposition  freier  geworden.  Die 

129 


R.  D.  13".  HAFEN  MIT  GROSSEM  TURM 


Baumgruppe  in  der  Mitte  ist  etwas  steif,  auch  die  Laubbehandlung  scharfer, 
nicht  so  tupfig  und  locker,  wie  beim  » Sturm «.  Der  Himmel  ist  oben  mit 
Parallellinien  versehen,  die  wirksam  durch  feine  Diagonalstrichelchen  unter* 
brochen  werden.  Herde  und  Hirten,  darunter  eine  Frau  auf  einem  Esel,  stehen 
noch  etwas  hart  in  der  Silhouette.  Dafiir  ist  der  Hintergrund,  trotz  des  Mittel* 
baumes,  als  Ganzes  gesehen,  durchlaufend.  Er  ist  reich  an  zarten,  ganz  fein 
hingehauchten,  hell  im  Hellen  stehenden  Details,  die  freilich  noch  etwas  ge# 
sondert  zum  Vordergrund  stehen.  Das  zugehorige  Bild  aus  der  Friihperiode 
war  fur  Paris  bestellt.  Es  ist  nicht  unwahrscheinlich,  dafi  es  als  Pendant  fur 
eine  Marine78)  bestimmt  war,  ebenfalls  fur  Paris,  die  sich  heute  in  Grenoble 
befindet.  Dann  wiirde  die  danach  gearbeitete  Radierung  »  Ha  fen  mit  dem 
groflenTurm«  (R.  D.  13),  die  auch  die  gleiche Technik  zeigt,  in  dieselbe  Zeit 
gehoren  wie  der  »Aufbruch«.  Die  Details,  wie  etwa  bei  der  Fregatte,  sind  sehr 

no 


R.  D.  231.  FORUM  ROMANUM  (CAMPO  VACCINO)  (1636) 


sorgfaltig  ausgefuhrt,  aber  das  Licht  stromt  noch  nicht  in  dem  gleichen  Mafie 
wie  bei  einem  spateren  Seestiick:  dem  »Sonnenaufgang«. 

Alle  diese  ausgefiihrteren  und  gewissermafien  sachlicheren  Kompositionen 
gehen  demnach  neben  den  mehr  skizzenhaften  und  malerisch  aufgelockerten 
Radierungeh  nebenher  und  gehoren,  ebenso  wie  diese,  in  die  erste  Ha'lfte  der 
dreifiiger  Jahre.  Einen  gewissen  Abschlufi  dieser  Reihe  bildet  die  1636  da* 
tierte  Radierung  des  »Campo  Vaccino«  (Forum)  (R.  D.  33).  Sie  stimmt  mit 
dem  kleinen  Louvre*Bild  (s.  o.)  in  weitgehendem  Mafie  iiberein.79)  Die  Fi# 
guren  sind  etwas  gehauft  (im  Hintergrund  starker  als  auf  dem  Bild)  und 
durchaus  genrehaft.  Sie  erinnern  sehr  an  Callotsche  Gestalten.  Dazu  tragt 
bei,  dafi  das  Forum  als  Tummelplatz  fiir  die  Soldateska  genommen  ist,  die 

131 


R.  D.8"i.  HIRT  UND  RINDER  (1636) 

auf  ihm  mit  Hunden,  Stierhetzen  usw.  ihr  lautes  Wesen  treibt.  Das  Ganze 
ist  auf  hell  und  dunkel  gestimmt,  aber  durchaus  nicht  luminaristisch.  Zwar 
ist  der  Himmel  mit  dunklen  Wolken  gegen  den  Horizont  hin  aufgehellt,  aber 
auch  hier  leuchtet  es  nicht  iiber  das  ganze  Bild  hin,  iiber  Boden  und  Gebaude. 
Das  Licht  verteilt  sich,  zieht  in  Streifen,  aber  es  durchdringt  nicht  das  Ganze. 
Um  so  merkwiirdiger  ist  es,  dafi  aus  dem  gleichen  Jahre  1636  ein  wahres 
Wunderwerk  aufgeloster  lichtgetrankter  Technik  stammt:  der  viel  bewunderte 
»Rinderhirt«  (le  bouvier)  (R.  D.  8).  Es  ist  weder  so  skizzenhaft  und  derb 
wie  die  kleine  »Furt«  von  1634  und  die  Blatter,  die  sich  darum  gruppieren, 
noch  so  trocken  im  Strich  wie  die  letztgenannten  Radierungen.  Der  »Bouvier« 
geht  (wie  oben  S.  71  erwahnt)  mit  dem  Prado*Bild  ziemlich  nahe  zusammen. 
Aber  an  intimem  Reiz  ist  das  Bild  mit  der  von  Licht  und  Farbigkeit  fun* 
kelnden  Radierung  nicht  zu  vergleichen.  Alles  ist  innerlicher,  zusammenge* 
schlossener.  Nirgends  gibt  es  eine  tote  Stelle;  die  kahlen  Saulen  der  Temped 

132 


mine  auf  dem  Gemalde  sind  auf  der  Radierung  iiberwuchert  von  Asten  und 
Gerank,  das  sich  den  Felsvorsprung  herunterzieht.  Der  groCe  Baum  ist  reicher, 
gegliederter.  Der  Eingang  zum  Hof,  bei  dem  die  antiken  Elemente  einer  idyl* 
lischen  Behaglichkeit  Platz  gemacht  haben,  ist  ganz  von  Baumen  iibersponnen. 
Dahin  strebt  gemessenen  Schrittes  durch  die  Furt  watend  die  Rinderherde.  Die 
Waldgasse  zu  dem  lichtgefleckten  Haus,  der  Zug  der  Rinder  und  die  Ufer# 
boschung  bilden  eine  scheme  Kurve.  An  ihrem  Ende  oder  Anfang  sitzt  als 
notwendiger  Abschlufi  im  Schatten  der  von  Claude  so  geliebten  Baumruine 
ein  flotespielender  Hirt.  Weiter  geht  die  geschwungene  Linie  des  Flusses  zu 
dem  ganz  gelosten  Hintergrund,  der  weich  und  zart,  aber  doch  bestimmter 
Form  voll  im  Lichte  schwebt.  Oberall  stromt  dies  Licht,  das  sich  schon  neigt  — 
wenn  auch  nicht  zu  so  melancholischer  Dammerung  wie  auf  dem  Prado^Bild. 
Es  durchdringt  Aste  und  Laubmassen,  flimmert  auf  in  den  Grasern  und  dem 
Boden  des  Vordergrundes,  spiegelt  sich  imWasser  und  zerteilt  sich  in  den 
reinen  Liiften.  Das  ist  mit  einem  Empfinden  und  auch  mit  einer  Technik 
bewaltigt  —  fern  von  allem  Handwerksmafiigen  — ,  die  niemand  in  jener 
Periode  —  auch  Elsheimer  nicht  —  aufzuweisen  hatte.  Erst  das  XlX.Jahr* 
hundert  hat  versucht,  diese  Lichtprobleme  wieder  aufzunehmen. 

Ober  dasThema  »LandlicherTanz«,  das  Claude  unter  seinen  Gemalden 
besonders  in  seinem  bekannten  Louvre  #Bild  von  1639  behandelt  hat,  gibt  es 
drei  Radiervariationen.  Einmal  einen  »Tanz  am  Rand  eines  Wassers«  (R.  D.6), 
dann  einen  »Tanz  unter  Bd'umen«  (R.  D.  10)  und  schliefilich  einen  »Bauer- 
lichen  7anz«  (R.  D.  24).  Alle  drei  sind  nicht  datiert.  Immer  sind  es  zwei 
oder  dreiTanzende  in  der  Mitte,  dann  seitlich  die  Zuschauer  stehend  oder 
auf  einem  schrag  gelegten  Baumstamm  sitzend  —  unter  ihnen  ein  Dudelsack* 
pfeifer.  Nirgends  sind  es  soviel  Figuren,  wie  auf  dem  Louvre* Gemalde  von 
1639  (s.  oben  Abb.  S.  46).  Der  »Tanz  am  Wasser«  kommt  am  nachsten  an  den 
»Bouvier«,  d.  h.  an  die  Zeit  von  1636  heran.  Auch  hier  wird  der  Hintergrund 
in  ahnlicher  Weise  behandelt  mit  seinen  reichen,  liebevoll  ausgefiihrten,  aber 

133 


R.  D.  6  "I.    TANZ  AM  WASSER 


von  Licht  zersetzten  Formen.  Der  Vordergrund  nimmt  aber  an  dem  Licht 
und  der  Losung  nicht  in  gleichem  MaCe  Teil.  Er  setzt  sich  ziemlich  scharf 
vom  zweiten  Grunde  ab.  Ebenso  stehen  die  Figuren  der  Tanzenden  und  der 
Zuschauer  noch  etwas  silhouettenhaft  dunkel,  ahnlich  wie  auf  dem  »  Aufbruch« 
-  wahrend  sie  auf  dem  »Bouvier«  vielmehr  mit  dem  Ganzen  zusammengehen. 
Der  Unterschied  ist  freilich  nicht  so  grofi,  dafi  es  nicht  auch  an  der  Atzung 
liegen  konnte.  So  kann  man  das  Blatt  wohl  als  eine  unmittelbare  Vorstufe 
des  »Bouvier«  oder  auch  als  mit  ihm  zusammengehend  auffassen.  Dagegen 
ist  der  »Tanz  unter  Bdumen«  sehr  viel  freier.  Die  Figuren  sind  loser,  unge« 
zwungener,  die  Laubbehandlung  ist  ahnlich  frei  und  lichtdurchwachsen  wie 
beim  »Bouvier«.  Der  Vordergrund  ist  viel  mehr  in  das  Ganze  einbezogen, 
einheitlicher  im  Licht  —  fast  noch  iiber  den  »Bouvier«  hinaus.  Die  Verteilung 
der  Baumgruppen,  die  die  Komposition  bedingen,  kommt  ahnlich  auf  dem 

134 


R.  D.  10  ii.  TANZ  UNTER  BAUMEN 


Lou vre#  Bild  vor.  Die  Stellung  der  beiden  Tanzenden  ist  ebenfalls  auf  Bild 
und  Radierung  verwandt  —  mehr  als  bei  dem  vorigen;  endlich  ist  auch  der 
Dudelsackpfeifer  hier  wie  da  ganz  im  Vordergrund.80)  So  diirfte  diese  Ra* 
dierung  von  den  beiden  wohl  die  spatere  und  als  Seitenprodukt  zu  dem 
Bilde  also  um  1639  entstanden  sein.  —  Schwieriger  ist  der  »Ldndliche  Tanz« 
einzureihen.  Er  entspricht  einem  Bild  beim  Herzog  von  Westminster.81) 

Die  Serie  des  »Feuerwerks«  (feux  d'artifice)  (R.  D.  28—40)  ist  1637 
datiert.  Doch  ist  sie  nur  ein  Gelegenheitsauftrag  und  zahlt  kiinstlerisch  iiber* 
haupt  nicht  mit.  Es  sind  Darstellungen  einer  »girandola«,  die  zur  Feier  der 
Kronung  Ferdinands  III.  zum  deutschen  Kaiser  und  Konig  von  Rom  vom 
spanischen  Gesandten  gegeben  wurde.  Dieses  Feuerspiel  sollte  nun  mit  der 
Radiernadel  in  einer  Serie  verewigt  werden.  Ahnliche  Darstellungen  von  Ein# 

135 


ziigen  und  Dekorationen  bei  grofien  Feierlichkeiten  wurden  auch  sonst  be* 
deutenden  Kiinstlern  gegeben.  (So  hat  unter  anderen  auch  Guido  Reni  eine 
solche  Serie  gestochen  fur  den  Einzug  Clemens  VIII.  in  Bologna.)  Die  un* 
bedeutenden  und  recht  ungeschickten  Radierungen  geben  die  verschiedenen 
Phasen  des  Feuerwerks  wieder:  einen  von  Atlas  gestiitzten  Globus,  aus  dem 
Feuerstrahlen  brechen,  einen  Turm,  der  im  Feuer  zerfallt,  aus  dem  dann  die 
Statue  des  romischen  Konigs  herauswachst,  und  ahnliche  Spielereien  mehr. 
Der  architektonische  Hintergrund  ist  manchmal  locker,  wie  impressionistisch 

behandelt. 

*  * 

* 

Von  1637  bis  1651  begegnen  keine  datierten  Radierungen  mehr.  Dies  ist 
aber  kein  Grund,  wie  man  allgemein  getan  hat,  anzunehmen,  dafi  Claude  in 
diesen  14  Jahren  die  Radiernadel  iiberhaupt  ha'tte  ruhen  lassen.  Nur  hat  er 
sich  nicht  mehr  so  intensiv  damit  abgegeben,  weil  seine  malerischen  Aufgaben 
fast  alle  seine  Zeit  in  Anspruch  nahmen.  Vielleicht  lassen  sich  aber  doch  noch 
einige  undatierte  Radierungen  in  diese  Zeit  setzen,  die  sich  stilistisch  sonst 
nur  schwer  unterbringen  lassen. 

So  wird  die  » Holzbrucke«.  (R.  D.  14)  gewohnlich  ganz  friih  angesetzt. 
Man  konnte  auch  versucht  sein,  sie  zu  jener  Gruppe  zu  stellen,  die  ich  oben 
als  die  »trockene«  bezeichnet  habe,  die  neben  der  skizzenhaften,  Anfang  der 
dreiBiger  Jahre,  herlauft.  Doch  spricht  manches  dagegen.  Die  Baumkulissen 
sind  sehr  frei,  durchaus  nicht  schematisch  gestellt,  das  Waldchen  mit  dem 
Einblick  in  das  Waldinnere,  in  dem  sich  kleine  Figiirchen  zeigen,  erinnert  an 
die  Dresdener  »Flucht«  von  1647.  Die  Staffagefigurchen  sind  nicht  mehr 
genrehaft,  sondern  ganz  in  die  Landschaft  eingepafit.  Vor  allem  ist  es  die 
klar  und  scharf  gezeichnete  Feme  mit  dem  dunkel  schraffierten  Bergzug,  die 
ganz  im  Gegensatz  zu  den  aufgelosten  und  zarten  Hintergriinden  der 
friiheren  Radierungen  steht.  Hier  ist  der  Hintergrund  vielmehr  auf  einfache 
grofie  Linien  hin  behandelt  und  gibt  dem  Ganzen  einen  mehr  getragenen 

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R.  D.  14".  HOLZBRUCKE 


Charakter.  Die  Radierung  stimmt  mit  einem  Gemalde  uberein,82)  das  eines 
der  sieben  1st,  die  Claude  fur  den  Kardinal  Giorio  gefertigt  hat;  fur  diesen 
Pralaten  scheint Claude  nach  denDaten  der  Bilder  zu  urteilenMitte  der  vierziger 
Jahre  gearbeitet  zu  haben.  So  kommen  wir  auch  auf  diese  Weise  in  die  Nahe 
des  Dresdener  Bildes.  Auch  mit  andern  Bildern  der  vierziger  Jahre  in  ihrer 
neuen  Tektonik  beriihrt  sich  die  Radierung,  so  mit  der  »Miihle«.83) 

Ganz  anderer  Art  ist  ein  ganz  hervorragendes  Blatt,  der  »Sonnenaufgang« 
(R.  D.  15).  Es  ist  signiert,  aber  in  den  meisten  Zustanden  nichtdatiert.84)  Die 
Radierung  hat  engsteBeziehung  zu  dem  schonen  »Seestiick«  in  derEremitage. 85) 
Es  ist  nun  ausgeschlossen,  dafi  dies  ganz  geloste  Atmospharenbild  vor  1636 
entstanden  ist.  Das  miifite  man  aber  annehmen,  wenn  man  die  Radierung,  die 
zweifellos  nach  dem  Bild  geschaffen,  denn  sie  stimmt  sehr  mit  ihm  iiberein, 
um  1636  ansetzt,  wie  es  meist  geschieht.  Das  Bild  in  Petersburg  diirfte  nicht 

139 


vor  Ende  der  vierziger  Jahre  entstanden  sein.  Also  ist  auch  die  Radierung 
um  diese  Zeit  zu  setzen.  Alles  ist  hier  —  mehr  als  bei  irgend  einem  andern 
Blatt  —  auf  das  Licht  gestellt,  das  mit  einer  wahren  Gewalt,  fast  wie  bei 
Turner,  im  Hintergrund  explodiert.  Die  Figuren  des  Vordergrunds:  die 
Reisenden  mit  der  Laute,  der  Mann  im  Boot,  der  Triumphbogen,  das  Laub, 
die  Schiffe  —  alles  ist  von  Licht  durchdrungen  und  in  ihm  aufgelost.  Je  weiter 
nach  hinten,  desto  mehr  gewinnt  es  an  Glanz.  In  dem  zweiten  Zustand  hat 
Claude  versucht,  mit  Hilfe  der  kalten  Nadel  diese  Strahlen  noch  breiter,  leuch* 
tender  zu  machen,  wahrend  zuerst  aus  dem  wolkigen  Himmel  nur  einige 
wenige  brachen.  Jetzt  iiberstrahlen  sie  alles. 

Auch  R.  D.  12  »Die  Briganten«.  halte  ich  nicht  fur  relativ  friih.86)  Die 
ganze  Art  der  Behandlung  hat  etwas  Grofiartiges,  wie  es  sich  erst  bei  dem 
spaten  Claude  findet.  Ein  heroischer  Stil,  der  in  dem  Hintergrunde  nicht 
mehr  die  feine  Lichtbehandlung  von  friiher  zeigt,  sondern  grofie  Massen 
zusammennimmt  und  sie  aufgeregt,  diffus  beleuchtet  —  wie  mir  scheint,  nicht 
ohne  Einwirkung  des  Poussinschen  Landschaftstils.  Das  Thema  ist  hier  ein 
fur  den  so  sanften  Claude  ganz  ungewohnliches:  ein  rauberischer  Oberfall. 
Zwei  Manner  greifen  einen  dritten  an,  und  weiter  nach  hinten,  durch  zwei  sich 
kreuzende  Baumstamme  hindurchgesehen,  fiihrt  ein  dritter  eine  halbohn* 
machtige  Frau  fort.  Das  spielt  sich  in  einer  ganz  grofien  Landschaft  ab,  wie 
sie  Claude  sonst  kaum  geschaffen  hat.  Sie  pafit  zu  dem  Drama,  wie  auch 
die  Figuren  gut  in  ihr  stehen.87)  Der  Boden  ist  ganz  breit  behandelt  mit  aus* 
gefiihrten  lappigen  Pflanzen,  wie  sie  Claude  gern  verwendet.  Sta'mme  von 
Schlinggewachsen  umrankt  wachsen  wild  durcheinander,  iiberschneiden  sich 
und  geben  mit  dem  sich  neigenden  Palmbaum  eine  wilde,  romantische  Seiten* 
kulisse.  Dahinter  offnet  sich  ein  prachtvolles  Tal  von  fast  alpinem  Charakter. 
Dichte  Tannengruppen  stehen  weich  und  doch  duster  gegen  kahle  Berge, 
iiber  die  das  Licht  in  breiten  Flachen  hinwegzieht.  Bis  dann  die  reinen 
Konturen  der  Hiigel  nach  hinten  abschliefien.  Der  Himmel  mit  ein  paar 

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R.  D.  18".  HERDE  BEI  AUFZIEHENDEM  GEWITTER  (1651) 

Wolken  ist  mit  wenigen  Parallelstrichen  angedeutet.  In  diesem  Blatt  geht 
Claude  iiber  sich  selbst  hinaus.  Hier  ist  er  heroisch  und  kraftvoll  wie  nie 
sonst.  Es  muC  das  seine  reifste  Zeit  sein. 

Mit  den  funfziger  und  sechziger  Jahren  kommen  wir  zu  Claudes  elegisch* 
mythologischem  Stil.  Eine  grofie  Ruhe  und  Feierlichkeit  kommt  iiber  die  Land* 
schaft.  Licht  und  Schatten  werden  zu  groGeren  Komplexen  zusammengefaflt. 
Die  luminaristischen  Experimente,  das  Verschwinden  im  Licht,  das  Auflosen 
durch  die  Atmosphare  horen  auf  oder  werden  gemildert.  Die  helle  Form  wird 
scharf  und  klar  durchgezeichnet,  es  bleibt  aber  die  Lockerheit,  das  Porose 
des  Stoff lichen. 

Gleich  das  fruheste  Blatt  dieser  Epoche,  das  1651  gezeichnet  ist,  ist  eines 
der  bekanntesten:  »Herdebei  aufziehendem  Gewitter*  (R.  D.  18).  Fast  parallel 

143 


R.  D.  17  I.  MERKUR  SCHLAFERT  DEN  ARGOS  EIN  (1662) 

zu  dem  mit  breitem  Gewachsstreifen  versehenen  Bildrand  zieht  sich  iiber  das 
ganze  Bild  hinweg  in  leisem  Bogen  die  Herde  von  Hirten  getrieben.  Machtig 
steigen  seitlich  die  Saulen  einer  Tempelruine  auf.  Der  Blick  offnet  sich  weit 
auf  bewegtes  Terrain,  auf  Hiigel,  die  von  Ba'umen  umwachsen  sind,  und  die 
ein  Kastell  kront.  Weiter  zuriick  wechselt  Hell  und  Dunkel  bis  zu  den  scharf 
gezeichneten  Bergkuppen  des  Hintergrundes.  Am  Himmel  krause  Wolken; 
die  Parallelschraffuren  kreuzen  scharfe  Regenstriche.  Aber  der  Sturm  bleibt 
nur  am  Himmel,  die  Landschaft  scheint  kaum  davon  beriihrt.  Noch  atmet 
sie  ihr  sonniges  Leben  weiter.  Nur  eine  leise  Melancholic,  eine  Schwere 
zittert  iiber  dem  Ganzen. 

»Merkur,  der  Argos  einschldfert«  (R.  D.  17)  ist  1662  datiert  und  entspricht 
einem  1659  entstandenen  Gemalde. 88)  Das  Blatt  ist  matter,  unlebendiger  als  etwa 

144 


die  »Entfiihrung  Europas«,  das  Licht  spielt  nicht  mehr  dieselbe  Rolle  wie 
friiher.  Ein  gleichmafiiger  silberner  Schein  1st  iiber  alles  gebreitet:  iiber  den 
Vordergrund  mit  den  lagernden,  grasenden  Tieren  und  der  mythologischen 
Figurengruppe  an  den  Stufen  des  Tempels;  iiber  den  Mittelgrund,  der  als 
Terrain  ebenso  reich  bewegt  ist  wie  auf  den  Bildern  derselben  spaten  Zeit. 
Und  in  der  gleichen  Helligkeit  schliefien  Flufi  und  Berge  die  Landschaft  nach 
hinten  ab.  Eine  grofie,  aber  etwas  monotone  Ruhe  lagert  iiber  dem  Ganzen.  — 
Auch  R.  D.  20  » Apollo  und  die  Jahreszeiten«  tragt  ahnlichen  Charakter  — 
nur  sind  die  Abziige  meist  recht  matt,  und  durch  das  Betonen  des  Figiirlich* 
Allegorischen  wirkt  das  Blatt  etwas  unerfreulich. 

1663  ist  das  letzte  Datum.  Es  findet  sich  auf  R.  D.  19,  dem  » Ziegenhirt«. 
einem  besonders  klaren,  hellen,  fur  diesen  Spatstil  typischen  Blatt.  Unter 
schoner  zentraler  Baumgruppe  sitzt  der  Hirt  in  elegischer  Haltung.  Seitlich, 
teilweise  vom  Rande  iiberschnitten,  lagert  die  Ziegenherde.  Von  diesem  Hiigel, 
von  dem  herab  man  weit  hinein  iiber  Berge  auf  das  Meer  blickt,  zieht  sich 
eine  Bogenbriicke  zu  einem  anderen  Hiigel,  dessen  breiten  Gipfel  wiederum 
Stadt  und  Kastell  einnehmen.  Vergleicht  man  damit  ein  friihes  in  der  An# 
lage  sehr  ahnliches  Blatt,  wie  den«Aufbruch«  (Abb.  S.  129),  so  sieht  man  wie 
steif  und  hart  da  noch  die  Baummassen  behandelt  sind,  wie  schwer  und  schwarz 
Menschen*  und  Tiersilhouetten  dort  gegen  die  Luft  stehen,  wie  nur  die  Feme 
hell  und  zart  behandelt  ist  gegen  die  Dunkelheiten  vorn.  Auf  dem  Spatwerk 
sind  Licht  und  Schatten  viel  gleichmafiiger  verteilt,  das  Licht  bleibt  nicht  nur 
einseitiges  Problem  des  Hintergrundes,  es  durchdringt  auch  die  vorderen 
Partien,  so  dafi  auch  der  Vegetationsstreifen  vorn,  die  Ziegenherde,  vor  allem 
aber  auch  Aste  und  Laub  der  Baummasse  viel  gelockerter  werden,  zu  gleicher 
Zeit  aber  auch  straffer,  tektonischer  gefiigt.  Die  Stadt  des  Hintergrundes 
verschwimmt  nicht  mehr  im  Lichtnebel,  sie  nimmt  teil  am  Aufbau  des  Ganzen, 
das  dadurch  konzentrierter,  einheitlicher  wird  —  wenn  auch  vielleicht  ein  wenig 
temperamentloser  als  die  friiheren  Radierungen. 

145 


R.  D.  21  i.  SCHAFER  UNO  SCHAFERIN 


Verwandt  mil  dieser  »Ziegenherde«t  alle  Zeichen  der  Spatzeit  tragend, 
1st  die  undatierte  Radierung  y>Schdfer  und Schdferin«,  R.  D.  21.  Fur  die  Arbeits* 
weise  des  spaten  Claudes  interessant  sind  hier  die  verschiedenen  Zustande 
der  Platte.  Der  erste  ist  noch  ganz  hell  gehalten,  nur  wenige  Tiefen  sind  in 
den  Vegetationsstreifen  vorn,  im  Laubschatten  und  an  ein  paar  anderen  Stellen 
betont.  So  ist  das  ganze  Blatt  fast  ohne  Kontraste,  ganz  aufgelockert  im 
Licht.  Das  schien  dem  Kiinstler  wohl  zu  uniibersichtlich,  zu  unruhig.  Er 
brauchte,  der  Entwicklung  seines  spaten  Stils  entsprechend,  klarere  Fassung, 
groBere  Ruhe,  abgewogenere  Massen.  So  unterdriickte  er  im  dritten  Zustand 
alles,  was  das  Auge  vom  ruhigen  Gleiten  abziehen  konnte,  die  allzuvielen 
Einzelheiten:  die  ragende  Stadt  im  Hintergrunde  zwischen  den  Baumen,  den 

146 


R.  D.  21 1".  SCHAFER  UND  SCHAFERIN 


ausgefiihrten  Ast  vorn  und  Ahnliches.  Die  Baume  schlofi  er  zu  grofien  klaren 
Massen  zusammen,  betonte  die  Struktur  des  Bodens,  indem  er  die  Diagonale 
des  Grabens  scharfer  zog,  und  brachte  durch  Schatten  und  Licht  kontrastreiche 
und  lebendige  Gliederung  hervor.  So  bekommt  er  aus  dem  im  Licht  zer* 
fliefienden  ersten  Zustand  heraus  nun  eine  grofie  Landschaftsstruktur  mit 
klar  gesehenem  Grund:  Wasser,  Briicke,  Bergen.  Die  Ahnlichkeit  mit  der 
»Herde  bei  Gewitter«  mit  ihrem  ahnlichen  Wechsel  von  Hell  undDunkel  und 
der  gleichen  Art,  den  Zug  der  Herde  zu  fiihren,  kommt  bei  dem  dritten  Zu* 
stand  deutlich  heraus.  Die  Radierung  ist  reifer,  als  die  entsprechende  Zeichnung 
L.  V.  87,  mit  der  sie  in  vielem,  aber  nicht  in  allem  (besonders  nicht  im  Hinter* 

147 


grunde)  iibereinstimmt.    Sie  gehort  zweifellos  in  die  Spatperiode  nach  1651, 
wenn  nicht  erst  in  die  sechziger  Jahre. 


Uberblickt  man  die  Folge  der  Radierungen  Claudes,  so  wird  man  wohl 
eine  Entwicklung  sehen,  aber  keinen  eindeutigen  und  einheitlichen  Verlauf. 
Vielleicht  liegt  das  auch  daran,  daB  fur  Claude  die  Radiernadel  kein  gewohntes 
Instrument  war,  sondern  dafi  er  sich  in  verschiedener  Art  damit  versuchte.  So 
stehen  die  trocknen  und  gewissenhaften  Radierungen,  die  man  in  die  erste 
Halfte  der  dreifiiger  Jahre  setzen  muG,  dicht  neben  saftigen  und  breitstrichigen 
Radierskizzen.  Der  »CampoVaccino«  fallt  in  dasselbe  Jahr,  wie  die  reizvoll  ge* 
loste  Komposition  des  »Bouvier«.  Daran  reihen  sich  die  verschiedenen  Tanz* 
darstellungen,  die  sich  vielleicht  bis  nach  1639  hinziehen,  also  in  eine  Periode, 
in  der  sich  keine  Datierungen  finden  und  die  man  daher  als  fur  die  Radierung 
nicht  existierend  angesehen  hat.  Das  Lichtexperiment,  das  in  Claudes  Bildern 
und  noch  mehr  in  den  Zeichnungen  eine  solche  Rolle  spielt,  kommt  in  dem  hen> 
lichen  »Sonnenaufgang«  zum  Durchbruch,  den  ich  an  das  Ende  dieser  Periode 
setze.  Ebenso  lege  ich  die  im  Poussinschen  Sinne  »heroische«  Landschafts* 
radierung,  die  »Briganten«,  ungefahr  dahin.  Endlich  kommt  auch  in  der  Ra* 
dierung  der  elegisch#abgeklarte  Hoch*  und  Spatstil  zum  Durchbruch,  der 
klar  zusammengefaBte  Formen  sucht.  Doch  sind  es  nur  wenige  Blatter,  von 
denen  die  »Herde«  einen  besonders  schonen  Auftakt  bildet.  So  ungeradlinig 
geht  die  Entwicklung.  Auch  qualitativ  sind  Unterschiede  zu  spiiren.  Bei 
weitem  nicht  alle  Blatter  haben  die  Vollendung  des  »Bouvier«,  des  »Sonnen# 
aufgangs«,  der  »Briganten«  —  teils  sind  sie  zu  skizzenhaft,  teils  zu  ausgefiihrt, 
auch  technisch  mitunter  nicht  ausreichend.  Aber  doch  bietet  fast  eine  jede 
Radierung  einen  Reiz,  gibt  die  Lyrik  und  das  landschaftliche  Empfinden 
Claudes  noch  intimer  fast  wie  seine  Gemalde.  Und  ist  fast  ebenso  farbig 
und  im  Licht  gedacht.  Nur  die  Zeichnungen  gehen  noch  daruber  hinaus. 

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CHRONOLOGISCHES 
VERZEICHNIS  DER  RADIERUNGEN 


1630—1635  a)  skizzenhaft,  federstrichartig: 

R.  D.  1     Flucht  nach  Aegypten  (La  fuite  en  Egypte). 

R.  D.  2    Erscheinung  (L'apparition). 

R.  D.  25  Hirt  und  Hirtin  (Le  patre  et  la  bergere). 

R.  D.  26,  27  Ziegenherde  (Les  trois  chevres,  les  quatres 

chevres). 

R.  D.  5    Sturm  (La  tempete),  1630  (datiert). 
R.  D.  3    Furt  (Le  passage  du  gue),  1634. 
R.  D.  22  Entfuhrung  Europas  (L'enlevement  d'Europe), 

1634,  vgl.  L.  V.  136. 
R.  D.  4    Herde  an  der  Tranke  (Le  troupeau  a  1'abreu* 

voir),  1635. 
b)  ausgefuhrt,  trocken: 

R.  D.  9    Zeichner  (Le  dessinateur),  L.  V.  44. 

R.  D.  11  Hafen  mit  Leuchtturm  (Le  port  de  mer  au  fanal). 

R.  D.  7    Schiffbruch  (Le  naufrage),  L.  V.  33. 

R.  D.  16  Auf  bruch  der  Herde  (Le  depart  pour  les  champs), 

L.  V.  20. 
R.  D.  13  Hafen  mit  grofiem  Turm  (Le  port  de  mer  a  la 

grosse  tour),  L.  V.  17. 
1636        R.  D.  23  Forum  (Le  Campo*Vaccino)  1636,  L.  V.  10. 

R.  D.  8    Rinderherde  (Le  bouvier),  1636. 
Um  1636        R.  D.  6    Tanz  am  Rande  eines  Wassers  (La  danse  au  bord 

de  1'eau). 

153 


1637        R.  D.  28-40  Feuerwerksserie  (Feux  d'artifice),  1637. 
(1638—1651        Keine  datierten  Radierungen.) 

Um  1639        R.  D.  10  Tanz  unter  Ba'umen  (La  danse  sous  les  arbres), 

vgl.  L.  V.  13. 

R.  D.  24  Landlicher  Tanz  (La  danse  villageoise),  vgl.  Bild 
beiWestminster(vielleichtauchspater,  nach  1650). 
Um  1645-1650        R.  D.  14  Holzbrucke  (Le  pont  de  bois),  L.  V.  52. 
R.  D.  15  Sonnenaufgang  (Le  soleil  levant),  L.  V.  5. 
R.  D.  12  Briganten  (Scene  de  brigands),  vgl.  L.  V.  3. 
Spatzeit,  nach  1650    R.  D.  18  Herde  bei  aufziehendem  Gewitter  (Letroupeau 

en  marche  par  un  temps  orageux),  1651. 
R.  D.  21  Schafer  und  Schaferin  (Berger  et  bergere   con* 

versant),  vgl.  L.  V.  87. 
R.  D.  17.  Merkur,    der  Argos  einschlafert   (Mercur  et 

Argos),  1662. 
R.  D.  20.  Apollo  und  die  Jahreszeiten  (Le  temps,  Apollon 

et  les  saisons),  1662,  L.  V.  150. 
R.  D.  19  Ziegenhirt  (Le  chevrier),  1663. 
Aufierdem        R.  D.  41-44,  nicht  naher  einzuordnende  Kritzeleien. 


154 


ARBEITSWEISE  UND  ZEICHNUNGEN 


Cage  r»or  Cags  un6  bif  in  6te  Hadji  im  ^eI6e/  6amit  er  6te  Cagtofyte  /  6er  Sonnen 
Huf*  un6  Hi&ergang/neben  6en2lben6«Stun6en  red?t  natiirlid?  311  bil&en/erlernete/ 
un6  n>ann  er  etns  o6er  6as  an6ere  im  ^eI6  n>ol  betradjtet/  tempertert  er  alfobaI6  feme 
^arben  6arnad?  /  Iteffe  6amit  nad)  fyms/un6  tr>an&te  fte  an  fein  Dorfyaben&es  IDerf 
mit  r?tel  grofcrer  Icaturltdjfeit/als  fcin  an6erer  ror  ifyn  getan.« 

So  berichtet  uns  Sandrart  iiber  Claude  Lorrains  Arbeitsmethode  aus  den 
Zeiten  Ende  der  zwanziger  Jahre,  als  Claude  nach  dem  mifiglikkten  Versuch 
in  Nancy  wieder  in  seiner  geistigen  Heimat  Rom  eingetroffen  war.  Er  spe* 
zialisierte  sich  damals  und  von  da  ab,  da  er  in  der  figuralen  Zeichenkunst  » fetne 
eintge  IHanier  nod?  ^ierlidj!ett«  annehmen  konnte,  auf  das  Anfertigen  von  kleinen 
Landschaftsbildchen  mit  Architektur.  Aber  diese  Kunst  will  er  nun  auch  ver* 
tiefen,  »ergriinden«.  Dazu  begibt  er  sich  in  die  Natur,  sucht  ihr  »auf  alle 
IDeyjf  bet5ufommen«.  Die  Zeichnungen  Claudes  —  dieses  vielleicht  schonste 
Ergebnis  seiner  Kunst  —  bestatigen  oder  erganzen  Sandrarts  Angaben.  Tat* 
sachlich  macht  das  Wesentliche  der  Kunst  Claudes  das  aus,  worauf  Sandrart 
hinweist:  die  Beobachtung  des  wechselnden  Lichtes,  der  Tageszeiten,  der 
Morgen*  und  Abenddammerung.  Auf  dieses  farbige  Lichterlebnis  stimmt  er 
seine  Palette  —  macht  wohl  ganz  im  Rohen  eine  Farbenskizze  — ,  dann  geht 
er  nach  Haus  und  malt  das  Bild  nach  seinen  noch  frischen  Erinnerungen. 
Sandrart  riihmt  sich  nun,  er  sei  es  gewesen,  der  Claude  diesen  unbequemen 
Weg  erleichtert  hatte.  Durch  ihn  ha'tte  Claude  direkt  nach  der  Natur  zu  malen 
gelernt.  Claude  sei  viele  Jahre  hindurch  »ta'gltd)  in  bas  $db  fytnaus  un6  6en 
tpeiten  IPeg  tmefcer  Ijetm  gelauffcn  /  Mf  er  mtdj  en6Iid?  511  fTtDoIi,  in  6en  tDtI6en 
^elfen  bey  6em  beriiljmten  IDafferfall/mit  6ent  Penfel  in  6er  £^an6  angetroffen/ 
un6  gefe^en/6af  idi  6afelbft  nadj  6em  £eben  mal?Ite/audj  riele  IDerfe  nadj  6er 

157 


Hatur  felbften  un6  nirf?t  aus  3magination  un6  €inbtl6ung  madjte/fo  irmie  6er- 
mafen  rool  gefallcn/6a£  er  gletdje  lDet£  ansunefymen  fid]  enMid)  befliffen«.  Auch 
noch  cine  andere  etwas  versteckte  Stelle  bei  Sandrart  1st  wichtig  und  charakte* 
ristisch:  »als  metn  nadtfter  Had?bar  un6  fjausgenof  511  Horn  /  6er  berufymte  €Iau6ius 
(Stilt,  fonft  Coratnes  genant/  tmmer  mit  ins  $db  roollte/um  nadj  6em  £eben  su 
5Ctd)nen/aber  I^tersu  von  6er  Icatur  gar  nidjt  begunftet  roar  /  I?ingegen  sum  Had?, 
ma^lcn  cine  fonfcerbare  ^ai?tgfett  l?atte/als  I?aben  tmr  urfadj  genommen  (anftatt 
6es  <3etd?nens  o6er  Cufd?ens  mit  fdjmarser  Kret&e  un6  6em  Penfel)  in  offenem  ^eI6/ 
ju  Ctrolt,  ^rcsca6a,  Subtaca  unb  an6erer  0rtcn  /  au*  al  5.  Benedetto  bit  Bergc  / 
6rotten/^l?aler  un6  €tno6en/6ic  abfd)cultd?e  U^affcrfdUe  6er  Cyber /  6en  Cempel 
6cr  StbyUa  un6  6ergletdjen  mit  ^arbc/auf  gegri\n6t  papier  un6  Ciidjer  poUig  nad? 
6em  £eben  aussumafylen.  Diefes  ift/mcincs  6afurt?altcns/ 6ie  bcfte  117anier/6em 
Derftan6e  6ic  IParl^cit  ctgentlid)  cin5u6rucf en :  roeil  gleidjfam  6a6urd)  Ceib  un6  Seek 
5itfammen  gebradjt  u?ir5.  Jn  ^cn  (5^i^?nun9cn  ™™b  I?i"9^3cn  aI5u  w^  5 
gangen  /  6a  6ic  tual^re  (Seftalt  6er  5ad?en  nimmer  me^r  alfo  pur  eigentlidj 
fommet.« 

Der  reife  und  grofie  Claude  Lorrain  hat  sicherlich  nicht  seine  Gemalde 
vor  der  Natur  entworfen  oder  gar  fertig  gestellt.  Aber  in  jener  romischen 
Friihzeit,  von  der  Sandrart  erzahlt,  ist  es  schon  moglich,  dafi  manche  seiner 
kleinformatigen  Bilder  vor  der  Natur  entstanden  sind.  Das  brauchte  er  iibrigens 
nicht  erst  von  Sandrart  zu  lernen.  Auch  sein  Lehrer  Tassi  malte  Civitavecchia 
»dal  naturale«,  wie  aus  Rechnungen  hervorgeht.  Von  Claude  selbst  berichten 
die  Biographen,  dafi  er  die  Villa  Madama  mit  ihrem  »  Hain  und  anderen  schonen 
Veduten«  nach  der  Natur  gemalt  ha'tte;  ein  Bild,  das  Clemens  IX.  gern  fur 
sich  erwerben  wollte,  das  aber  der  Kunstler  —  weil  er  es  nur  fur  sich  gemalt  — 
nicht  hergab,  vielmehr  seinen  Erben  hinterliefi.  So  mogen  solche  kleinfor* 
matigen  Bilder, 89)  wie  die  fur  Bethune,  aber  auch  andere,  wie  das  Bildchen  mit 
der  Ansicht  von  Castel  Gandolfo  fur  Urban  VIII.,  vor  der  Natur  entstanden 
sein  —  was  iibrigens  ein  kompositionelles  Umsetzen  bis  zu  einem  gewissen 

158 


Grade  durchaus  nicht  ausschliefit.  Die  grofien  Landschaften  Claudes,  be* 
senders  die  nach  1640,  sind  jedoch  sicherlich  nicht  vor  der  Natur  entstanden  — 
es  sind  durchaus  komponierte  Ideallandschaften,  die  keinen  Naturausschnitt, 
sondern  stets  das  Typische  der  Landschaft  geben  wollen.  Sie  sind  auch  tech* 
nisch  mit  grofier  Miihe  und  Sorgfalt  gearbeitet,  wie  das  nur  im  Atelier  moglich 
ist.  Sandrart  widerspricht  sich  selber,  wenn  er  sagt:  ȣwat  tft  es  tr>afyr,  6af 
er  feine  £an6fdjaften  mit  iiberaus  grofer  Znufyfamfeit/6urd?  oft  tmefcerfyoltes  Hber» 
mafylen/  Unterfudjen  un6  iibergefyen  5U  folcfyer  Perfection  bringet/fo  6af  er  oftmals 
an  enter  Sad?  ein  o6er  5tr>ey  tDodjen  arbettet/  un6  gletcfytDofyl  faft  nicfyt  5eigen  fan/ 
tr>as  er  getfyan  fyat«.  Also  an  ein  »Prima«#Arbeiten,  wie  vor  der  Natur,  ist 
nicht  zu  denken. 

Gerade  ein  solches  Arbeiten  im  Atelier  verlangt  eine  ganz  genaue  und  in# 
time  Kenntnis,  ein  iiberragendes  Beherrschen  des  Naturgegebenen.  Nicht  um 
manieristische  Phantasien  war  es  einem  Kiinstler  wie  Claude  zu  tun.  Natur* 
formen  dienten  ihm  nicht  nur  als  Unterlage  fur  kunstlerisch  freie  Stilisierung 
und  spielerische  Obertreibung  (wie  etwa  in  den  Esquilin* Landschaften  oder  bei 
Bles).  Er  erstrebt  ein  normatives  Erfassen  in  ideeller  Steigerung  alles  organisch 
Gewordenen:  der  Blumen,  Baume  und  Biische,  der  Berge  und  Hiigel,  der 
Erd*  und  Meeresoberflache  und  der  Wolken  —  das  alles  eingetaucht  in  den 
Strom  der  wechselnden  atmospharischen  Erscheinungen.  Sandrart  blieb  immer 
Manierist,  er  suchte  abzubilden:  »gute  ^elfen/  Stdmme/  Baume/  IDafferfalle/ 
<5ebau6en  un6  Kuinen/6te  grof  un6  5itr  Ztusfiillung  r>on  ^tftorien  tauglidj  tr»aren.« 
Hingegen  malte  Claude  »in  fleinem  format,  was  von  6em  5n?eyten  ®run5  am 
toetteften  entlegen  /  nadj  6em  £)ort5ont  perlteren6  /  gegen  6en  £)immel  auf/6artnn 
er  ein  ZHetfter  a?are.«  So  wird  Claude  seine  Methode  trotz  Sandrart  nicht  auf 
lange  Zeit  geandert  haben. 

Ein  unermudlicher  Wanderer  —  durchaus  unitalienisch  darin  —  zog  er 
durch  die  romischeCampagna  mitihrerden  nordischenFremden  so  ergreifenden, 
grandiosen  Unfruchtbarkeit.  Er  streifte  durch  die  lieblichen  Albaner*  und 

159 


die  rauheren  Sabinerberge  von  Tivoli  bis  Subiaco,  war  aber  vielleicht  noch 
mehr  heimisch  in  den  gestrtippbewachsenen  Niederungen  nach  dem  Meer  zu, 
den  pontinischen  Siimpfen  und  am  Strande  vom  Kirke*Kap  bis  Civitavecchia. 
Dort  lebte  er  wohl  mit  den  Hirten  und  ihren  Herden:  ein  Halb wilder  (auf 
dem  Sandrart=Portrat  sieht  er  wenigstens  so  aus).  Dort  erfafite  er  von  jeder 
Konvention  befreit  unmittelbar  das  organische  Wachstum,  die  geheimsten 
Licht*  und  Luftreize  jener  grofien,  fast  mythologischen  Natur,  in  der  alles 
belebt  und  der  Mensch  nicht  wichtiger  ist,  als  Baum  oder  Welle  oder  die 
glatten,  dumpfen  Kinder,  die  durch  die  Furt  hindurch  schwerfallig  nach  ihrem 
Stalle  streben.  Nur  dafi  mitunter  der  Klang  einer  Hirtenflote  die  Stille  der 
Einode  durchbricht  und  damit  doch  ein  neues  schwarmerisches  »sentimento« 
erweckt.  Das  war  Claudes  kiinstlerische  Heimat,  und  von  diesem  » studio 
dal  vero«  geben  seine  wundervollen  Zeichnungen  unschatzbare  Kunde. 

Freilich  strebte  Claude  urspriinglich  nach  scheinbar  Hoherem.  Den 
Organismus  » Mensch «  zu  bilden,  war  ihm  versagt.  Das  ist  seinen  Kameraden, 
fur  die  die  Historic,  die  menschliche  Figur  fast  ausschliefllich  im  Mittelpunkt 
des  Interesses  steht,  schon  zeitig  aufgegangen.  »l?ic  fann  id?  ntdjt  unterlaffen  511 
eiyfylcn  /  6af  /  one  glikffeltg  Mefer  fdjdnc  <Sctft  ift/6te  Haturlicfyfeit  6cr  €an6fd?aft 
n?ol  r>or5uftelicn/alfo  unglitcffelig  fey  cr  in  illenfd)en  un6  Cfyieren/ob  fte  fdjon  nur 
etnes  ^albcn  fingers  Iang/un6  unangcfc^en  cr  fcfyt  cjro^e  ZTlu^e  un6  Arbeit  6aran 
a>cn6et/aud]  utelc  3a^?rc  5U  ^-om  auf  6cn  2tca6cntioen  nad?  6ent  Cebcn  un6  6enen 
Statueii  gc5etd}nct  /  ja  grofcrn  ^ld£  auf  6te  BtI6cr/aIs  Can6fd)aften  geroen&et/ 
bleiben  fie  6od)  iniffalltg.ee  Spa'ter  hat  Claude  das  vergebliche  Bemiihen  wohl 
selbst  eingesehen,  denn  er  pflegte  scherzhaft  zu  sagen,  dafi  er  zwar  seine 
Landschaften  verkaufe,  die  Figuren  darauf  aber  umsonst  gebe.  So  sind  die 
Figuren  auf  den  meisten  Bildern,  besonders  der  spateren  Zeit,  von  anderer 
Hand.  Baldinucci  nennt  Filippo  Lauri,  der  um  eine  Generation  jiinger  als 
Claude  sich  speziell  auf  die  Verfertigung  von  Bildchen  mit  kleinen  Figurchen 
gelegt  hat.  Fiir  die  friiheren  mehr  genrehaften  »Figurinen«  wird  Jan  Miel 

160 


genannt,  ein  Altersgenosse  Claudes.  Auch  Francesco  Allegrini,  ein  noch 
weniger  bekannter  Maler,  scheint  hier  und  da  geholfen  zu  haben.  Figuren* 
zeichnungen  von  Claude  sind  nicht  erhalten.  Er  diirfte  auch  auf  ihre  Auf* 
bewahrung  kaum  Wert  gelegt  haben.  Doch  kommen  auf  seinen  Land* 
schaftsskizzen  hier  und  da  Figuren  in  grofierem  Mafistabe  vor:  Hubertus, 
Christophorus,  Aeneas,  die  Musen  u.  a.,  die  allerdings  ziemlich  holzern  und 
ungeschickt  erscheinen.  Seine  kleinen  Figiirchen  dagegen,  sowohl  von  Mensch 
wie  von  Tier,  sind  sehr  viel  besser.  Vor  alien  Dingen  sind  sie  stets  aufier* 
ordentlich  gut  und  mit  einem  sicheren  Instinkt  in  den  Zusammenhang  gesetzt, 
passen  sich  der  Landschaft  an  und  heben  sie,  indem  sie  sie  beleben.  So  gibt 
auf  dem  »Bouvier«  die  kleine  Gestalt  des  lagernden  flotenspielenden  Hirten, 
der  so  selbstverstandlich  die  kreisende  Bewegung  abschliefit,  dem  reizvollen 
Gebilde  den  letzten,  aber  unentbehrlichen  Akzent.  Dasselbe  gilt  von  den 
»Briganten«.  Je  reifer  derKiinstler  wird,  desto  mehr  vermeidet  er  die  Haufung 
der  Figuren,  die  auf  seinen  ersten  Kompositionen  noch  etwas  genrehaft  in 
den  Vordergrund  treten;auch  daszu  stark  Silhouettenhaftemachteiner  weicheren 
Einfiigung  Platz.  Die  Figuren  gehoren  auch  bei  seinen  Gemalden  notwendig 
zum  Kunstwerk;  zweifelsohne  hat  Claude  immer  genau  angegeben,  wo  sie 
ihren  Platz  in  dem  kiinstlerischen  Gesamtbild  einzunehmen  hatten.  Nur  die 
Ausfiihrung  vertraute  er  Fremden  an. 

Merkwiirdig,  dafi  derselbe  Mann,  so  ungeschickt  im  Zeichnen  der  mensch* 
lichen  Figur,  gleichzeitig  ein  ausgezeichneter  und  anscheinend  passionierter 
Architekturzeichner  war.  Freilich  war  er  da  bei  Tassi  in  einer  sehr  guten, 
jedenfalls  langjahrigen  praktischen  Schulung  gewesen.  »<£r  madjtc  beimin6erns= 
u>erte  perfpe? tben, «  sagt  Baldinucci  von  ihm,  »fpe5tell  run&e  Compel  un6  fyatte 
6afur  ein  befon6ercs  Calent,  5eicfynete  Bafen  un6  Kapttelle  nadj  beftimmter  Hegel, 
ntdjt  nur  fo  nacfy  6em  Ztugenmaf ,  mie  es  mele  £an6fcf?after  madden .«  Niemand 
hat  friiher  soviel  Prachtgebaude  angebracht,  wie  Claude  es  mit  sichtlicher  Lust 
tut,  besonders  auf  seinen  Hafenbildern,  aber  auch  sonst,  wo  irgend  moglich. 

161 


Dadurch  erhalten  die  Landschaften  den  grofien  feierlichen  Stil,  der  die  meisten 
von  ihnen  auszeichnet,  freilich  auch  etwas  steif  und  iiberladen  wirken  kann. 
Es  sind  groBe,  pompose  Gebaude,  in  dem  strengen  Barockstil  klassizistischen 
Geprages  —  dem  im  engeren  Sinne  barocken,  massenbewegten  Stil  Borrominis 
stand  Claude  (wie  auch  Poussin)  sicherlich  ablehnend  gegeniiber.  Meist  sind 
es  freientworfene  Bauten,  ofters  aber  auch  Nachahmungen  vorhandener  Bau* 
lichkeiten  und  vor  alien  Dingen  romisch  antiker  Ruinen.  Bild  und  Radierung 
des  Forums  geben  dafiir  ein  gutes  Beispiel,  das  sich  noch  an  Brilsche  ahnliche 
Veduten  anlehnt.  So  haben  sich  auch  noch  sorgfaltige  Zeichnungen  Claudes 
von  romischen  Ruinen,  Wasserleitungen  und  Grabmalern,  von  Bastionen, 
Briicken  und  anderen  Bauten  erhalten. 


Claudes  intimstes  Erfassen  der  Natur,  sein  ganz  gelostes  Sichversenken 
in  ihre  wunderbaren  Erscheinungen  ist  aber  niedergelegt  in  seinen  reinen  Land* 
schaftszeichnungen.  KeinWunder,  daB  sie  schon  friih  gesammelt  wurden.  ^ 
Auf  Grund  des  zuganglichen  Materials  lafit  sich  eine  eigentliche  Entwicklungs* 
linie  noch  nicht  fest  begriinden.91)  Auf  das  Technische  allein  aufzubauen,  so 
daB  die  einfachen  Feder*  oder  Stiftzeichnungen  durchaus  friiher  waren,  als  die 
einer  zusammengesetzten  farbigenTechnik,92)  scheint  mir  bedenklich  und  nur 
soweit  zuzugeben,  als  allerdings  die  kompliziert  behandelten  ^Compositions* 
zeichnungen  oft  einer  spa'ten  Zeit,  ja  sogar  dem  spaten  Alter  angehoren. 

Es  gibt  Einzelstudien  von  ihm:  Graser,  Malven,  Biische,  wie  er  solche 
Vegetationen  auch  auf  dem  Streifen,  den  er  seinen  Gemalden  gern  vorsetzt, 
aufzubauen  liebt.  Ganz  einfach  mit  breiter  Feder  hingesetzt,  mit  der  Naivitat 
eines  Henri  Rousseau.  Bei  solchen  Blattern  konnte  man  des  Ausspruches  seines 
erbittertsten  Kritikers  Ruskin  gedenken:  Claudes  Zeichnungen  sehen  aus  wie 
die  eines  Kindes  von  zehn  Jahren.  Das  Gehassige  dieses  Paradoxes  mildert 
sich,  wenn  man  nur  an  das  Naive,  Gluckliche  denkt,  womit  ein  geniales  Kind 

162 


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FELSEN  UND  BAUME.  LONDON,  BRIT.  MUSEUM 


seine  Freude  an  der  Erscheinung  umsetzt:  zufassend  und  fern  von  jeder  Hand* 
werksgeschicklichkeit.  Aber  diese  gewissermafien  kindlichen  Zeichnungen 
Claudes  sind  nur  vereinzelt.  Claudes  Schonheit  und  Einzigkeit  beruht  auch 
nicht  so  sehr  im  Erfassen  der  Einzelform  des  Gegebenen,  Struktiven  —  viel# 
leicht  waren  Landschafter  viel  geringerer  Qualitat  ihm  darin  iiberlegen.  Auch 
nicht  in  dem  Verlebendigen  der  Form  durch  Bewegung,  durch  ein  gewaltiges 
Aufwiihlen,  durch  Herausreifien  des  innersten  Lebensnervs,  wie  es  die  Starke 
eines  Rubens  vermochte.  Claudes  friedliches  und  beruhigtes  Temperament 
sieht  ebenfalls  Bewegung  in  dem  Naturgegebenen,  aber  eine  zartere,  die  durch 
Spiel  des  Lichtes  iiber  zusammengefafite  Flache  hinweg  entsteht,  durch  un# 
wagbares  Flimmern  der  Luft,  gegen  die  flackernde  Silhouetten  schwarzer 

165 


BAUM  UND  BERG.   LONDON,  BRIT.  MUSEUM 


Stamme  und  hingetupfter  Zweige  und  Blatter  sich  abheben.  In  diesem  Sinne 
lebendig  bewegt  sind  auch  seine  reinen  Naturstudien,  in  denen  das  Gegen* 
standliche  noch  zum  Zweck  der  spateren  Ausfiihrung  betont  sein  mufi.  Ein  Fels 
wird  nicht  isoliert  gegeben,  sondern  im  Zusammenhang  mit  Erde  und  Busch* 
werk,  mit  Vegetation,  die  auf  und  um  ihn  spriefit,  jungen  Stammchen,  die 
durcheinander  wirren,  so  dafi  ein  ganz  intimes,  in  sich  geschlossenes  Interieur 
entsteht.  Nur  die  Konturen  sind  mit  Kreide  oder  Feder  umzogen,  das  ganze 
innere  Leben  bewirken  jene  herrlichen  Lavierungen  mit  Bister,  wie  sie  in 
diesen  warmen  und  weichen  Niiancen  niemand  meisterlicher  handhabte  als 
Claude  Lorrain.  Sie  vermitteln  das  Atmospharische,  das  iiber  Stein  und  Busch 
lagert,  durch  die  Abtonung  in  Hell  und  Dunkel  baut  sich  —  rein  im  Malerischen 
bleibend  —  die  Form. 

166 


BAUMSILHOUETTEN.  LONDON,  BRIT.  MUSEUM 


Die  meisten  der  Zeichnungen  gehen  nicht  so  ins  Einzelne,  sondern  geben 
reinste  Impression.  Diese  rasch  hingesetzten  ganz  unmittelbaren  Skizzen  geben, 
durch  keine  Konvention  gestort,  den  feinsten  Ausdruck  von  Claudes  sensibler 
und  seiner  Zeit  weit  vorauseilender  Naturempfindung.  Der  Bister  —  diese 
Rufifarbe  —  wird  in  seinen  Handen  zu  einem  aufierordentlich  tonreichen  und 
schmiegsamen  Material,  das  die  feinsten  Stufungen  lichterfiillter  Berghange 
wiedergibt,  gegen  die  sich  weich  und  doch  bestimmt  spitze  Graser,  sich  win* 
dende  Baume,  diinne  Zweige  mit  leicht  hingestreuten  Blattern,  silhouettierte 
Gestalten  abheben.  Ebenso,  noch  reduzierter  und  stilisierter  stehen  sie  auf 
einem  anderen  Blatt  gegen  abgetonte  Luft.  Wiederum  ganz  anders,  gar  nicht 
mehr  auf  Silhouettenwirkung,  sind  die  nur  mit  dem  Pinsel  hingewischten 
Stimmungslandschaften  —  ungemein  suggestiv,  flachig  aufgebaut  und  doch 
weich  vertieft.  Den  unmittelbaren  Eindruck  geben  sie  durch  das  nur  An# 
deutende,  so  eilig  Hingeworfene,  dafi  die  kahlen  Stamme  wie  Schlangen  in  die 
Luft  stehen,  die  Aste  sich  in  Schnorkeln  winden.  Durch  die  sanfte  Verteilung 

167 


SKIZZE  VON  BAUMEN,  WIEN.   LONDON,  BRIT.  MUSEUM 

von  Hell  und  Dunkel  und  durch  den  porosen  Auftrag  der  Lavierung,  die  Helle 
und  zugleich  auch  Feuchte  der  Atmosphare  in  sich  birgt,  entsteht  die  »Stim# 
mung«.  Unvergleichlich  kommt  dieses  Feucht*Weiche,  ganz  grofi  und  zu* 
sammengefafit  gesehen,  in  einer  nachtlichen  oder  ganz  fruh#morgendlichen 
Tiberlandschaft  zum  Ausdruck.  Der  Biische  »  Schattenruh «  spiegelt  sich 
schwarzvertieft  in  den  reinen  Fluten.  Uber  die  ganz  weite  Ebene  verteilt 
tauchen  die  weichen,  tiefdunklen  Buschballen  auf,  einzeln  oder  zu  Ketten  ge* 
schlossen.  iiberall  durchsetzt  von  Wasser  oder  feuchtem  Boden,  bis  zuletzt 
die  klare  Form  der  Berge  den  bedeutenden  Abschlufi  bildet.  Ein  anderes 
Blatt  ist  nicht  so  dekorativ,  aber  ebenso  von  »Stimmung«  erfiillt  —  ein  wahres 
»nocturno«.  Naiv  und  zugleich  voll  geklarten  Schauens.  Ober  die  Halite 

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NOCTURNO.  LONDON,  BRIT.  MUSEUM 

der  Komposition  ist  ausgefiillt  mit  einer  Riesenbaumwand,  die  nur  mit  ein 
paar  hastigen  Federstrichen  gegliedert  ist.  Ihr  Leben  erhalt  sie  wiederum  durch 
die  helldunklen  Bistertonungen,  die  weich  ins  Weiche  sich  fortsetzen  bis  in 
die  wolkige  Luft,  durch  die  Mondenlicht  dringt,  das  Flufital  erleuchtend. 
Claude  kam  es  darauf  an,  durch  Verteilung  von  grofien  Flachen,  von 
Licht  und  Schatten  die  Massen  zu  gliedern,  auf  diese  Weise  stets  vom  male* 
risch  belebten  Innern,  nie  von  der  Linie  aus  aufzubauen:  das  zeigt  die  Anlage 
der  Zeichnung  eines  Hohlwegs.  Hier  ist,  durch  die  Lavierung  von  Bister  vor# 
bereitet,  das  Allgemeine,  so  auch  die  Rundung  des  Weges,  der  zwischen  zwei 
hohen  Lehmbanken  lauft,  gegeben;  dann  ist  mit  schwarzer  Kreide  hineinge* 
arbeitet,  um  einzelne  Gelenke  zu  betonen;  energische  Schraffuren  riicken  die 

171 


HOHLWEG.    LONDON,  BRIT.  MUSEUM 


hellbeleuchtete  Vorderwange  der  Lehmbank  nach  vorn  und  erzeugen  so  Tiefe. 
Dann  wird  weiter  mit  Bister  laviert,  die  breiten,  dunkel  sich  abhebenden 
Flachen  werden  angegeben.  So  kommt  ein  ganz  modern  wirkender  Land* 
schaftsausdruck  zustande.  Diese  weiten  Flachen  in  ihren  gegensatzlichen  und 
doch  aufeinander  gestimmten  Stufungen  konnen  zu  einer  ganz  erstaunlichen 
Energie  und  Grofie  sich  steigern,  wie  man  sie  wohl  einem  Rembrandt,  aber  kaum 
dem  mitunter  scheinbar  leidenschaftslosen  Claude  zutrauen  wiirde.  Ohne  jedes 
»Repoussoir«  breitet  sich,  nur  vom  Licht  und  zarten,  zerrissenen  Schatten  auf# 
gewiihlt,  derBoden.  Schwarz  (aber  differenziert)  steigt  steil  eine  Baumwand 
seitlich  auf,  schrag  und  unruhig  nach  der  Mitte  abfallend,  Straucher  darauf 
gegen  den  Himmel  mit  kreuzweisen  Pinselhieben  angedeutet;  dagegen  aber 
erhebt  sich  das  regelmafiige  Viereck  einer  hellen  lavierten  Wand,  eines  Hauses 

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STUDIE  MIT  TURMWAND.   LONDON,  BRIT.  MUSEUM 

oderTurms,  nur  ganz  am  Fufi  von  dunklerer  Silhouette  unterbrochen.  Da# 
zwischen  Luft  und  unbestimmte  Feme.  Nie  kommt  in  Bildern  Claudes  ein  so 
unmittelbarer  Wirkungsgegensatz  zwischen  Ruhig  und  Bewegt,  Geschlossen 
und  Offen  zum  Ausdruck  wie  auf  einer  solchen  Zeichnung.  Von  diesen  Be# 
leuchtungsstudien,  die  freilich  nicht  immer  von  gleicher  Kraft,  gibt  es  sehr 
viele:  von  weiten  Flachen,  oder  von  Baumen  in  der  Landschaft  oder  mehr  ge* 
schlossen  in  parkahnlichen  Lagen. 

Dann  haben  wir  eine  Fiille  von  Blattern,  die  nicht  intime  Landschaft* 
Interieurs,  sondern  groBere,  weitere  Ausschnitte  geben.  Darunter  auch  ganz 
sachliche.  So  enthalt  das  Berliner  Kabinett  eine  Vedute  des  Hafens  von 
Civitavecchia  mit  dem  Leuchtturm  (Claude  hat  es  mit  seiner  unbeholfenen 

175 


SONNENBELEUCHTETE  BAUME.    LONDON,  BRIT.  MUSEUM 

Schrift  genau  bezeichnet).  Die  kahlen  Bastionen,  Turm  und  Denkmal  sind 
mit  der  Feder  ganz  niichtern  hingeschrieben,  nur  die  Lavierungen  der  Luft 
zeigen  eine  besonders  feine  Stimmung.  Es  ist  sehr  wohl  moglich,  dafi  die 
Zeichnung  relativ  friih  entstanden  ist,  als  Claude  von  Nancy  iiber  Marseille 
nach  Rom  zuriickkehrte  und,  wie  erwahnt,  in  Civitavecchia  langweilige  Qua* 
rantane  durchmachen  mufite  (es  gibt  noch  mehrere  derartige  triste  Skizzen 
des  Hafenortes).  Interessant  ist  auch  eine  ebenfalls  wesentlich  sachlich#topo# 
graphische  Zeichnung  aus  der  Campagna  di  Roma  »veiie  a  3  milles  de  roma«, 
ein  Blick  von  einem  Hugel  mit  Biischen  und  kahlen  Baumen  herab  auf  den 
gewundenen  Lauf  des  Tibers  mit  dem  fernen  Sorakte  am  Horizont.  Der  feine 
Federstrich  spielt  hier  die  Hauptrolle,  da  es  mehr  auf  die  Form  als  auf  die 
Beleuchtung  ankam.  Die  Lavierung  ist  daher  nur  leicht  (auf  demselben  Blatt 
oben  eine  leichte  Skizze  des  Berghintergrundes  nur  mit  der  Feder).  Andere 

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RIPA  GRANDE.  LONDON,  BRIT.  MUSEUM 


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KONSTANTINSBOGEN.    LONDON,  BRIT.  MUSEUM 


Studien  von  bestimmbaren  Lokalitaten  sind  ausgefiihrter,  mit  breiterem  Feder* 
strich  und  oft  ebenfalls  nur  leichter  Lavierung.  ZumTeil  sind  es  romische 
Veduten,  die  freilich  nicht  immer  genau  der  Wirklichkeit  entsprechen  miissen. 
So  ist  der  Konstantinsbogen  zwar  an  sich  ziemlich  genau  skizziert,  aber  die 
landliche  Umgebung  mit  den  weidenden  Schafen  ist  romantische  Zutat.  Der 
Hafen  Roms,  die  »ripa  grande«  mit  dem  scharfen  dunklen  Vordergrunds* 
streifen  und  den  fast  pointillistisch  getupften  Hausern  ist  ganz  bildmafiig  aus# 
geschnitten.  Das  Blatt  diirfte  der  romischen  Zeit  um  1630  angehoren  —  schon 
wegen  des  Callotschen  Figurenstils.  Dieser  begegnet  auch  auf  der  Dresdener 
Zeichnung  des  Platzes  von  S.  Maria  Maggiore,  der  von  Menschen  wimmelt. 
Komposition,  wie  Figuren  erinnern  sehr  an  den  »Campo  vaccino«  Claudes, 

181 


CAMPAGNA.  WIEN,  ALBERTINA 


so  dafi  Anfang  der  dreifliger  Jahre  hierfiir  in  Frage  kommen  wiirde.93)  Auch 
die  Zeichnung  des  Tiberufers  mit  der  romischen  Stadtmauer  und  dem  Vesta* 
Rundtempel  als  Kronung  ist  bildmafiig  gedacht  —  worauf  schon  die  strenge 
Diagonale  des  Aufbaus  hinweist.  Ganz  reif  ausgeglichen,  daher  wohl  in  die 
spatere  Zeit  Claudes  zu  setzen  ist  die  schone,  helle  Zeichnung  eines  romischen 
Palazzos  (Palazzo  Albani?)  vom  Garten  aus  gesehen  --  auch  hier  springt 
durch  den  schragen  Eckeinschnitt  des  Kasinos  im  Vordergrund  das  Bildmafiige 
stark  ins  Auge.  Ein  Sujet,  das  einen  Impressionisten  vom  Schlage  Triibners 
gereizt  hatte.  --  Wieder  mehr  auf  Wechsel  und  Vibrieren  des  Lichtes  iiber 
die  Flachen  hin  gesehen,  daher  auch  mehr  mit  dem  Pinsel  gearbeitet,  aber 
doch  unmittelbaren  Natureindruck  noch  festhaltend  sind  Zeichnungen  wie 
die  Ansicht  von  Tivoli  und  das  Albertina*Blatt  mit  den  Ruinen  eines  grofien 
Kastells  und  dem  Blick  hinab  iiber  die  weite,  sonnenbeglanzte  Campagna* 
Ebene  —  meisterlich  in  der  Auflockerung  der  Materie  und  ihrer  Durchdringung 

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S.  MARIA  MAGGIORE.    DRESDEN,  KUPFERSTICHKABINETT 


TIBERUFER  MIT  VESTATEMPEL.  WIEN,  ALBERTINA 


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PALAZZO  ALBANI.  WIEN,  ALBERTINA 


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TIVOLI.    LONDON,  BRIT.  MUSEUM 


HAUS  IN  BERGLANDSCHAFT.  WIEN,  ALBERTINA 

durch  das  Licht.  Noch  packender  —  fast  unheimlich  —  erscheint  ein  weifies 
Haus  mit  breitem  Turm,  von  konzentrischen  Umwallungen  beinahe  einge* 
schniirt,  alles  zentral  beherrschend,  aufsaugend.  Nur  eine  schragstammige 
Pinie  strebt  nach  aufien;  die  stofflich  gelockerten  und  doch  in  sich  beruhigten 
Flachen  kahler  Hiigel  und  Berge  verharren  neutral  nach  den  Randern  zu. 
Die  ganze  Kraft  kann  sich,  wie  bei  Cezanne,  auf  die  eingebettete  Mitte  kon# 
zentrieren. 

Mitunter  tritt  bei  solchen  weiten  Landschaftsskizzen  auch  das  Figiirliche 
mehr  als  gewohnlich  hervor.  Besonders  eindrucksvoll  auf  einem  Berliner  Blatt 
(aus  der  Coll.  Richardson).  Claude  war  sicherlich  immer  —  er,  der  so  viel 
in  wilder  Natur  lebte  —  ein  Tierliebhaber  und  Tierbeobachter.  Kiihe,  Schaf* 
herden,  Ziegen  finden  sich  von  friih  an  bis  in  sein  spatestes  Alter  auf  Bildern 
wie  Radierungen.  Selten  hat  er  Tiere  von  solcher  Monumentalitat  dargestellt, 
wie  auf  dieser  Federzeichnung,  die  ihr  Leben  dem  Hell  und  Dunkel  verdankt, 

185 


BUCHT  MIT  TURM.   LONDON,  BRIT.  MUSEUM 

von  auBerordentlich  kraf tiger  Bister  *T6nung  vermittelt.  Die  Gestalten  der 
pfliigenden  Bauern  erinnern  an  Claudes  friihe  Furt#Radierung.  Die  Weite  der 
Landschaft,  deren  flache  Diinen  in  das  Meer  iibergehen,  das  stark  Raumliche, 
sowie  die  glanzende  Modellierung  der  Pferde*  und  Ochsengespanne  lassen  auf 
reifere  Zeit  schliefien.  Das  wundervolle  Blatt  —  im  Charakter  beinahe  nieder* 
landisch  —  steht  freilich  ziemlich  vereinzelt  imWerke  Claudes. 


Mehr  nach  der  Komposition  hin,  als  die  bisher  besprochenen  Landschafts* 
studien,  geht  eine  ganz  fliichtige,  aber  deshalb  nicht  weniger  bestrickende 
Skizze  einer  Bucht  mit  Turm,  die  wieder  ganz  weich  mit  dem  Pinsel  aquarell* 
artig  hingesetzt  ist,  aber  durch  Umziehung  wichtiger  Konturen  Akzente  erhalt. 

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LANDSCHAFTSKOMPOSITION.    DRESDEN 


LANDSCHAFTSKOMPOSITION.   DRESDEN 


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PELS  UND  LANDSCHAFT.  WIEN,  ALBERTINA 


Nur  allerfeinstes  Gefiihl  fiir  Leicht  und  Schwer  im  Farbigen,  wie  im  konstruk* 
tiven  Sinn  konnte  ein  so  impulsives,  kleines  Meisterwerk  schaffen.  Starker 
konturiert,  daher  dekorativ  wirkend  sind  zwei  Zeichnungen  im  Dresdener 
Kabinett:  tief  beschattete  Baume,  die  sich  im  Wasser  spiegeln,  und  ein  Blick 
iiber  parallel  hintereinandergelegte  Hiigel*  und  Bergketten.  Sicherlich  nicht 
mehr  reine  Naturstudien,  sondern  schon  freiere  Kompositionen.  Auch  ein 
Albertina^Blatt  mit  einem  Felsen  an  der  Seite  —  hervorragend  wiederum  in 
der  Behandlung  der  Luft*  und  Wolkentone  ~  ist  zwar  noch  Beleuchtungs* 
studie,  hat  aber  in  seiner  traumhaften  Existenz  etwas  durchaus  Unrealistisches. 
Noch  deutlicher  »ideale  Komposition«  ist  eine  ungemein  reiche  Zeichnung 
in  London.  Die  grofie  Baumgruppe  der  Mitte,  die  Schafherde  darunter  auf 
bewegtem  Vordergrundsterrain,  die  kleine  Buschkulisse,  der  entsprechende 
Baum*  und  Felsenaufbau  etwas  weiter  zuriick,  auf  der  anderen  Seite  die  beiden 
Durchblicke  iiber  Briicke,  Busch,  Baum  hinweg  in  die  helle  Feme:  alles 

190 


KOMPOSITION  FOR  EIN  BILD.  LONDON,  BRIT.  MUSEUM 


Motive,  die  auf  Gemalden  Claudes  von  seiner  mittleren  Zeit  an  begegnen. 
So  stofien  wir  auf  unmittelbare  Vorbereitung  fur  ein  Bild  (ob  ausgefiihrt  oder 
nicht).  Es  fehlen  nur  noch  die  menschliche  Staffage,  die  Architekturen  und 
die  Farben,  die  durch  kunstvoll  abgetonte  Lavierungen  freilich  ersetzt  .werden. 
Das  beliebte  Thema  der  Furt  oder  Tranke,  das  Claude  in  Bildern  und  Ra* 
dierungen  so  oft  behandelt,  begegnet,  sie  vorbereitend,  auch  in  den  Zeichnungen. 
Fine  Albertina^Studie  kommt  in  der  Verteilung  von  Licht  und  Schatten,  in 
der  Art  wie  der  sitzende  Hirt  sich  vom  Wasser  abhebt,  in  der  Zeichnung  des 
seitlichen  Baumes  sehr  nahe  an  die  »Furt«  im  Prado  (Abb.S.71)  heran.  Die  Ge# 
samtkomposition  ist  dieselbe,  nur  sind  die  Baume  des  anderen  Ufers  noch 
nicht  zu  der  einheitlichen  Baummasse  zusammengeschlossen  (deshalb  wohl 
naturnaher),  und  von  den  Tempelsaulen  ist  noch  keine  Spur.  An  das  sehr  ver# 

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FURT.   PARIS,  ECOLE  DES  BEAUX  ARTS 


BROCKE.  W1EN,  ALBERTINA 


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TRANKE.  WIEN,  ALBERTINA 


wandte  Motiv  der  Radierungen  (des  »Bouvier«),  kommt  eine  andere  Zeichnung 
heran,  auf  dem  gerade  diese  andere  Uferseite  und  der  Zugang  zu  dem  in 
Ba'umen  versteckten  Hof  betont  ist.  Es  ist  wohl  eine  ziemlich  naheVorbe* 
reitung  zu  dem  radierten  Blatte,  ermangelt  aber  freilich  noch  der  Abgewogen* 
heit  der  fertigen  Komposition.  Das  menschlich  belebende  und  erregende 
Moment  des  Flotenspielers  steht  noch  aus,  doch  sind  die  landschaftlichen 
Elemente  schon  iiber  Naturausschnitt  hinaus  mit  einander  verbunden.  Kom* 
poniert  in  diesem  Sinne  ist  auch  eine  Albertina* Zeichnung  (fast  ganz  Feder), 
auf  der  die  Briicke,  die  zu  dem  Motiv  gehort,  mehr  im  Vordergrund  steht. 
Hier  fehlt  auch  nicht  der  kleine  blattbewachsene  Sprungbrettstreifen  vorn,  den 
Claude  so  gern  benutzt,  die  Seitenkulissen  des  Mittelgrundes  usw.  Aber 

193 


alle  pomposen  und  akademischen  Beigaben  sind  auf  diesen  Blattern  noch  nicht 
vorhanden,  was  ihrer  Anmut  keinen  Abbruch  tut. 

In  die  gleiche  Kategorie  gehort  auch  die  scheme  Berliner  Zeichnung  mit 
Herde  und  Hirten,  Briicke  im  Mittelgrund  und  gewundenem  Hohlweg  zur 
getiirmten  Stadt.  Nur  ist  die  Technik  hier  komplizierter,  erst  sind  fliichtig 
die  Konturen  (wohl  mitTusche)  mit  der  Feder  gezogen,  dann  ist  mit  hellem 
Bister  laviert,  dem  fiir  die  goldgelben  Tonungen  etwas  lichter  Ocker  beige* 
mischt  ist.  SchlieBlich  sind  die  Lichter  mit  DeckweiC  gehoht.  Dadurch  wird 
eine  reiche,  farbig  niiancierte  Wirkung  erzielt.  Da  die  Komposition  schon 
bis  ins  Einzelne  hinein  genau  wie  auf  einem  Bilde  abgewogen,  ein  entsprechen* 
des  Gemalde  aber  nicht  bekannt  ist,  so  ist  es  leicht  moglich,  dafl  solche 
durchgefuhrten  Zeichnungen  nicht  alsVorlagen  dienten,  sondern  als  Kunst* 
werk  fiir  sich  geschaffen  wurden.  Andere  Zeichnungen  sind  noch  starker  ins 
Farbige  hinein  behandelt,  so  dafi  auf  einer  ebenfalls  in  Berlin  beflndlichen 
Zeichnung (wiederum  »Viehtrdnke  mitBrucke«)  eine  ausgesprochene  Gouache* 
wirkung  entsteht.  Hier  ist  Deckweifl  in  Wasserflache  und  Luft,  in  der  ragenden 
Baumkrone  und  auch  sonst  reichlich  verwendet  worden.  Auch  mit  Rotel  ist 
stark  hineingearbeitet,  vor  allem  im  Vordergrund  an  dem  Tiimpel,  den  das  Vieh 
durchschreitet,  und  auch  in  der  Luft.  Diese  Zutaten  spielen  eine  fast  grofiere 
Rolle  als  die  schwarzkreidige  Unterzeichnung,  sowie  die  Bisterlavierung;  die 
Gegensatze  zwischen  dem  warm  beleuchteten  Vordergrund  und  den  hellen 
Tonen  der  sonnenbegla'nzten  Flufitalferne  kommen  dadurch  noch  starker 
heraus. 

Inhaltlich  dariiber  hinaus  gehen  die  zeichnerischen  Kompositionen  mit 
mythologischer  oder  religioser  Staffage.  Eine  der  friihesten  diirfte  die  Berliner 
Zeichnung  sein  (Feder  mit  Bister  laviert) :  »  Auf  einem  Waldzueg  wird  ein  Heiliger 
uberfallen«.  Das  Blatt  wird  durch  einen  Segmentbogen  nach  oben  hin  ab# 
geschlossen.  Es  diirfte  wohl  ein  Entwurf  zu  einem  Fresko  sein,  ahnlich  den 
Lunetten  von  Bril  im  Palazzo  Rospigliosi,  in  dem  ja  auch  Claudes  Lehrer 

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TURMBAU  ZU  BABEL.  LONDON,  BRIT.  MUSEUM 


Tassi  beschaftigt  war.  Auch  an  eine  Kirchenlandschaft  in  der  Art  der  Carracci 
und  Gehilfen  bei  Doria  konnte  man  denken.  Die  Zeichnung  ist  noch  etwas 
unlebendig,  die  Behandlung  des  Bisters  noch  nicht  so  niianciert  und  iiberlegen 
wie  sparer.  (Ob  die  Figuren  eigenhandig,  steht  dahin.)  Aus  sehr  viel  reiferer 
Zeit  hingegen  ist  eine  Komposition  in  London,  in  der  sich  Claudes  Architektur* 
Phantasie  entladet:  »Der  Turmbau  von  Babel«.  In  dem  gesamten  Aufbau  er# 
innert  das  Blatt  sehr  an  ein  Gemalde  Claudes :  »Esther  und  Ahasver«.94)  Der 
Vordergrund  wird  durch  eine  Treppe  mit  Balustrade,  die  zu  einem  Tempel 
fiihrt,  abgeschlossen.  Eine  vornehme  Gesellschaft  ist  da  versammelt.  Mehr 
nach  dem  Grund  zu  tiirmt  sich,  hier  wie  da,  ein  ungeheures  Schlofi  auf, 
ein  Komplex  von  Gebauden  mit  monumentalem  Portikus  (Vorbild  wohl 
der  Vatikan).  In  der  Ebene  weiter  hinten  ragt  der  Kegel  des  Babelturms. 

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Eine  Komposition,  wie  sie  der  Phantasie  eines  flamischen  Kiinstlers,  der  noch 
von  Brueghel  oder  Bles  herkommt  -  auch  die  vielen  Vogel  erinnern  daran  — , 
eher  entsprossen  sein  konnte,  als  der  eines  romanischen  oder  romanisierten. 


Mythologische  Szenen  spielen  in  der  Phantasie  des  alten  Meisters  eine 
sehr  grofte  Rolle.  Wir  kennen  eine  ganze  Reihe  davon,  die  zum  Teil  mit  den 
ausgefuhrten  Gemalden  iibereinstimmen.  Claude,  der  in  seinem  Alter  nicht 
mehr  in  seine  geliebte  Campagna  konnte.  hat  wohl  in  der  Stille  seines  Studio 
dabei  verweilt,  derartige  Landschaften  mit  betonter  Staffage  zu  entwerfen  - 
vielfach  mit  Benutzung  friiherer  Motive  —  und  besonders  liebevoll  als  farbige 
Zeichnung  auszufuhren.  Es  sind  das  also  ebenfalls  Blatter,  die  nicht,  oder 
nicht  nur  als  Vorbereitung  dienten,  sondern  fur  sich  betrachtet  werden  wollten, 
mit  denen  Claude  auch  hier  und  da  Freunden  und  Gonnern  ein  Geschenk 
machte.  Diese  Spatwerke  des  Meisters  wurden  von  den  Kunstschriftstellern 
der  vergangenen  Generation  sehr  iiber  die  Achsel  angesehen,  als  »senil«  oder 
sogar  lacherlich  gestempelt.  Das  ha'ngt  zusammen  mit  der  Nichtachtung  oder 
Geringschatzung,  die  jene  Zeit  iiberhaupt  fur  Alterswerke  hatte.  Mogen 
auch  bei  vielen  dieser  Zeichnungen  grofte  Schwachen  festzustellen  sein,  es 
gibt  andere,  die  malerisch  und  in  der  Grofie  der  Auffassung  zum  Schonsten 
gehb'ren,  was  Claude  geschaffen  hat.  Aus  diesen  spa'ten  Jahren  stammt  auch 
die  »Enlfiihrung  Europas«  aus  der  Berliner  Sammlung.  Claude  hat  sich 
mit  dem  Thema  vielfach  abgegeben,  mit  der  friihen  Radierung  hat  die  Zeich* 
nung  nichts  zu  tun,  dafiir  um  so  mehr  mit  dem  um  1655  entstandenen  Ge# 
malde.  Doch  ware  es  moglich,  dafi  sie  vor  oder  gleichzeitig  mit  der  Replik 
von  1667  entstanden  ist.  (Abb.  S.  80.)  Fur  eine  Studie  ist  die  Zeichnung  farbig 
zu  kompliziert,  zu  »vollendet«.  Rotel  und  starkes  Deckweifl  spielen  auch 
hier  eine  Rolle  neben  dem  Bister  und  dessen  Behandlung  mit  Feder  und  Pinsel. 
Die  Komposition  ist  fast  die  gleiche  wie  auf  dem  Bild,  doch  ist  dieses  noch 

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weitraumiger  und  einsamer,  mehr  von  Staffage  geraumt  —  so  dafi  vielleicht 
doch  die  Zeichhung  ein  wenig  vor  dem  Gemalde  entstanden  sein  konnte. 
Noch  schoner  ist  das  ebenso  stark  farbig  gehaltene  Blatt,  1677  signiert  (Berlin, 
Kupf.^Kab.),  das  »Merkur  und  Argos«  (oder  Apollo)  darstellt  und  mit  einem 
Bilde  von  167895)  figurlich  in  enger  Beziehung  steht,  aber  im  Landschaft* 
lichen  doch  sehr  davon  abweicht.  Das  Deckweifi  ist  hier  viel  sparsamer  be* 
handelt,  dafiir  ist  dem  Bister  viel  Rotel  beigemengt,  der  iiberall  auch  ganz 
zart  in  der  Luft,  deren  Wolken  mit  feinen  Federstrichen  markiert  sind,  durch* 
dringt.  Die  Behandlung  der  Oberflache  ist  ganz  locker,  teilweise  in  Tupfen 
hingesetzt.  Lichtexperimente  spielen,  wie  ja  durchwegs  in  dem  spaten  Werk 
des  Meisters,  auch  hier  keine  Rolle  mehr.  Dafiir  ist  das  Ganze  in  einen 
besonderen  Duft  gehiillt,  in  farbigem  Licht  gelost,  von  lyrischer  Warme 
durchstromt. 

Den  ganz  abgeklarten,  grofiartig  weiten  Stil  der  spatesten  Zeit,  in  der  die 
Form  in  heroischer  Gestaltung  Recht  gewinnt  gegeniiber  dem  Licht,  zeigt  die 
1680  datierte  Zeichnung  des  achtzigjahrigen  Meisters,  die  zwei  Jahre  vor 
seinem  Tode  entstanden,  aber  an  Kraft  des  Gefiihls  und  der  Bildung,  an 
Freiheit  und  Grofiraumigkeit  noch  iiber  das  nahverwandte  Gemalde  »Taufe 
des  Eunuchen«^  weit  hinausgeht.  Wie  auf  Claudes  letztem  Gemalde,  dem 
»Noli  me  tangere«.,  ist  nichts  Kulisse,  keine  Absichtlichkeit,  keine  Konstruktion 
stort  mehr.  Weit  und  breit  offnet  sich  die  Landschaft  in  klarem  Mittagslicht, 
zart  und  fein  stehen  schattenspendend  ein  paar  wohlgegliederte  Baumgruppen 
darin.  Der  phantastische  Wagen  des  Kammerers,  mit  stolzen  Rossen  davor, 
harrt  an  ihrem  Fufie,  und  auf  der  hellen,  breiten  Strafie  spazieren  in  eifriger 
Unterhaltung  die  beiden  biblischen  Figuren,  Philippus  und  der  taufbegierige 
Mohr.  Das  Schonste  ist  aber  wiederum  der  Blick  in  die  breit  gedehnte,  auf# 
gewiihlte  Campagnalandschaft  bis  zu  den  feinen,  edlen  Konturen  der  Berge 
und  den  zarten  Haufenwolken  der  Luft.  Das  ist  die  Landschaft,  die  in  ihrer 
einsamen  Grofie  dem  greisen  Kiinstler  unverganglich  ins  Herz  geschrieben 

205 


stand,  deren  »Idee«  er  bis  zu'seinem  Tode  in  sich  trug  und  die  er  in  eine 
hohere,  unvergangliche  Wirklichkeit  noch  immer  umzusetzen  verstand. 

In  Claudes  Zeichnungen  konnen  wir  die  gleiche  kiinstlerische  Entwicklung 
sehen,  wie  iiberall  in  seinem  Werk  —  auch  wenn  wir  sie  noch  nicht  im  Ein# 
zelnen  in  eine  zeitlich  genau  bestimmte  Folge  bringen  konnen.  Aus  dem 
kiinstlerischen  Spiel  mit  dem  Naturgegebenen,  aus  dem  Eindruckshaft*  Expert 
mentellen  arbeitet  er  sich  zu  einem  grofl  geschlossenen,  elegisch  klangvollen 
Stil  hindurch,  wie  in  seinen  Gemalden,  wie  in  seinen  Radierungen.  Nur  dafi 
die  Seele  des  Kiinstlers,  hier  wo  er  sich  unbelauschter  wahnen  konnte,  von 
friih  auf  zu  einer  noch  reineren  Melodik  kommt,  die  ganz  unmittelbar  beriihrt 
und  bezaubert. 


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CLAUDE  UNO  POUSSIN 
NACHWIRKUNG 


Jahrzehntelang  lebten  der  klar  umrissene,  zielbewufite  Normanne  Nicolas 
Poussin  und  der  zartere,  weiblichere  Lothringer  Claude  Lorrain  in  Rom 
nebeneinander  —  nicht  befreundet,  aber  doch  dem  gleichen  kiinstlerischen 
Kreise  angehorend.  Beide  inmitten  der  Wirrungen  des  vollen  Barocks  und  doch 
abseits  von  ihnen,  beide  Idealisten,  als  solche  im  Kern  verwandt  und  doch  so 
verschieden  in  Art  und  Wirkung.  Man  kann  nicht  des  einen  Namen  aus* 
sprechen,  ohne  des  anderen  zu  gedenken.  Klarheit  und  Methode:  diese  Eigen* 
schaften,  auf  die  die  franzosische  Nation  so  stolz  ist,  in  Poussins  Wirken  und 
Streben  sind  sie  verkorpert,  wie  in  dem  seiner  Geistesverwandten  Descartes 
oder  Corneille.  Dem  Theoretiker  Poussin  gait  der  Verstand  mehr,  als  der  In* 
stinkt.  In  seinen  literarischen  Erzeugnissen  kommt  das  klar  zum  Ausdruck, 
auch  seine  Werke  stehen  unter  diesem  Bann.  Freilich  war  Poussin  ein  viel 
zu  grofier  Kiinstler,  um  diesen  Rationalismus,  der  bei  seinen  Nachfolgern  oft 
genug  zum  oden  Schema,  zur  Akademie  fiihrte,  nicht  zu  iiberwinden  —  min* 
destens  in  seinen  besten  Werken.  Dazu  war  die,  wenn  auch  verhaltene  Glut 
seines  Temperaments  viel  zu  starkx  sein  Schonheitsgefuhl  zu  entwickelt.  Sein 
dramatisches,  sein  heroisches  Gefiihl  wurde  durch  die  »raison«  nur  gedampft, 
in  die  richtige  Barm  geleitet.  Das  gilt  vor  allem  auch  von  seinen  herrlichen 
Landschaften.97)  Erst  als  ein  Mann  von  mehr  als  funfzig  Jahren  kommt  er  zu 
seinen  ersten  reinen  Landschaftsschopfungen.  Bis  dahin  hatte  ihn  der  Mensch 
und  dessen  korperliche  und  geistige  Bewegung,  die  Zuspitzung  auf  den  Kon* 
flikt  vollig  in  Anspruch  genommen.  Claude  hingegen  war  seiner  ganzen  Be* 

213 


gabung  nach  von  Anbeginn  Landschafter.  Der  Mensch  mit  seinem  Pathos 
interessierte  ihn  nur  so  weit,  als  er  das  Leitmotiv  fiir  die  Melodic  der  Land* 
schaft  verkiindet.  1st  in  seinen  friiheren  Bildern  dieser  Zusammenhang  noch 
etwas  lose,  staffagehaft,  so  wird  in  seinen  spateren,  reineren  Existenzbildern 
der  Mensch  enger  an  die  Natur  gerikkt,  mit  ihr  verschwistert;  er  durchdringt 
sie  mit  seinem  Geiste,  wenn  er  auch  nie  ganz  in  sie  versinkt.  In  Poussins 
friihen  Bildern  war  das  Landschaftliche  fast  ganz  zuriickgetreten,  spa'ter  seit 
Mitte  der  dreifiiger  Jahre  nahm  es  jedoch  immer  mehr  Raum  auf  den  Hinter* 
griinden  seiner  Gemalde  ein,  sichtlich  mit  immer  wachsendem  Interesse  ge* 
pflegt.  Dadurch  konnte  Poussin  um  1648  gleich  mit  ganz  reifen  Landschafts* 
schopfungen  (wie  dem  » Diogenes  « im  Louvre,  dem  »Polyphem«  u.  a.)  hervor* 
treten.  Der  so  glanzende  Erfolg,  der  seinem  Nachbarn  und  Landsmann  in 
Rom,  Claude  Lorrain,  seit  mehr  als  zehn  Jahren  zu  teil  geworden  war,  mag 
auch  den  Ehrgeiz  von  Poussin  auf  diesem  Gebiet  wachgerufen  und  somit  den 
—  wenn  auch  nur  aufieren  —  Anlafi  gegeben  haben.  Aber  beider  Landschaften 
bleiben  doch  charakteristisch  voneinander  verschieden.  Das  geht  weit  iiber 
die  »Handschrift«  hinaus.  Ein  Landschaftsgemalde  Claudes  kann  nie  mit 
einem  Poussin  verwechselt  werden.  Bei  einer  Zeichnung,  bei  einer  ausge* 
sprochenen  Naturskizze  impressionistischer  Art  konnte  das  schon  eher  moglich 
sein.  Denn  die  Bistertechnik  ist  beiden  gemeinsam,  wenn  sie  auch  bei  Poussin 
fast  nie  zu  diesem  Reichtum  und  zu  dieser  Farbigkeit  des  Tons  kommt,  worin 
Claude  unbestrittenerMeister  ist.  Auch  Poussin  studiert  mit  Vorliebelichtdurch* 
setzte  Buschinterieurs,  Baumstamme  von  Epheu  umrankt,  Triumphbogen  in 
weiter  Campagna.  Aber  auch  in  diesen  Zeichnungsskizzen  zeigt  sich  meist 
das  verschiedene  Temperament.  Mit  viel  grofierer  dramatischerWucht  verteilt 
Poussin  die  Flachen,  das  Hell  und  Dunkel,  zerreiftt  die  Wolken;  Adonis  liegt 
tot  am  Boden,  der  Eber,  der  ihn  getotet,  galoppiert  fort  —  alles  stromt  in  einer 
Bewegung.  Auch  bei  seinen  ausgefiihrten  Landschaftsbildern  ist  dies  dra* 
matische  Element  stets  irgendwie  vorhanden,  wenn  auch  gedampfter.  Das  ganze 

214 


innere  Wesen  der  Landschaft  1st  darauf  eingestellt  und  wechselt  je  nachdem 
ein  Diogenes,  Orpheus  und  Eurydike,  Boas  und  Ruth  das  Motiv  geben 
—  immer  freilich  in  den  Grenzen  des  Erhabenen.  So  wird  Poussin  der  Be* 
griinder  dessen,  was  wir  heute  »heroische  Landschaft*  nennen.  Davon  ist 
Claude  Lorrain  weit  entfernt.  Wohl  kommt  er  oft  zu  einem  feierlich  gehobenen 
Stil;  das  Heroisch#Erhabene  jedoch,  soweit  es  sich  auf  das  Dramatisch*Be# 
wegte  griindet,  auf  das  Pathos,  dem  der  Mensch  als  tragisches  Objekt  unter* 
liegt,  ist  seiner  stillen  Seele  fern.  Er  ist  nicht  Epiker  (mit  dramatischem  Ein* 
schlag),  wie  der  grofie  Poussin  auch  in  seinen  Landschaften,  sondern  in  seinem 
wesentlichen  Kern  Lyriker. 

Vielleicht  empfindet  man  Claudes  Leidenschaft  fur  Architektur,  die  er 
auf  so  vielen  seiner  Bilder  anbringt,  demgegeniiber  als  etwas  Fremdes.  Doch 
war  das  ein  Zugestandnis  an  den  Zeitstil,  an  das  romische  Barock,  das  durch 
und  durch  auf  das  Architektonische  eingestellt  ist.  Durch  die  Anbringung 
dieser  Prachtgebaude  wurden  die  Landschaften  in  eine  vornehmere  Sphare 
versetzt.  Das  entsprach  durchaus  einer  Forderung  des  Barocks,  besonders 
dieser  strengeren  Richtung,  die  alles  Naturalistisch*Gemeine  auf  dasTiefste 
verachtete  und  bekampfte.  Claude  war  einer  solchen  Stromung  gegeniiber  sicher 
nicht  widerstandsfahig,  sie  imponierte  ihm,  und  er  gab  ihr  nicht  ungern  nach. 

Aber  seine  Grundstimmung  bleibt  doch  immer  die  sehnsiichtig*lyrische, 
und  damit  hangt  auch  zusammen,  daft  seine  Grenzen  nicht  sehr  weit  gezogen 
sind.  Obwohl  Poussins  Landschaftsschopfungen  an  Zahl  sehr  viel  geringer  sind 
als  die  des  Spezialisten  Claude,  so  ist  er  doch  der  Reichere.  Es  sind  nur  wenige 
Melodieen,  die  Claude  beherrscht,  freilich  sind  ihre  vielen  Modulationen 
und  Variationen  oft  genug  von  einer  hinreifienden  Schonheit  des  Tones. 
Claude  befreit  sich  auch  nur  schwer  und  relativ  selten  von  bestimmten  schema* 
tischen  Anordnungen,  die  er  tiberkommen  oder  neu  gebildet  hat:  die  Seiten* 
kulissen  oderZentralkomposition  mit  Durchblicken.  Auch  hier  ist  der»Theore* 
tiker«  Poussin  merkwiirdig  viel  freier,  unstarrer.  Was  Claude  aber  von  friih 

215 


auf  ihm  gegeniiber  auszeichnet,  ist  seine  Behandlung  des  Lichts  und,  damit 
im  Zusammenhang,  der  Feme.  Fiir  Poussin  ist  das  Licht  (wie  auch  die  Farbe) 
wesentlich  dynamischer  Faktor.  Es  vermittelt  die  Kraft  der  Bewegung,  steigert 
die  Starke  des  Ausdrucks,  akzentuiert  den  seelischen  Konflikt.  Es  lagert  scharf, 
unruhig,  zerissen  auf  den  Felsen,  Hiigeln,  Gebauden  und  Stadten  des  meist 
ziemlich  nahen  Hintergrundes,  stiirzt  sich  heftig  auf  die  Figuren  der  vorderen 
Aktionsschicht  und  versetzt  sie  mitunter  in  eine  grelle  Rampenbeleuchtung 
(so  etwa  auf  der  Landschaft  mit  Orpheus  und  Eurydike).  Es  entsteht  dadurch 
trotz  der  Feme  ein  geschlossener  Nahraum,  eine  Art  Buhnenwirkung.  Ganz 
anders  bei  Claude.  Fiir  ihn  ist  das  Licht  eine  himmlische  Strahlung,  die  be* 
lebend  und  begliickend  aus  unbekannten  Fernen  kommt.  Es  durchdringt  den 
Dunst  der  Morgenwolken,  es  strahlt  silbern  vom  blauen  Himmel,  es  glitzert 
auf  den  Wassern,  es  dringt  in  das  Blattwerk  der  Ba'ume;  es  mildert  das  allzu 
Bestimmte,  macht  die  Marten  weich  und  locker,  es  verbindet  sich  mit  der 
Farbe,  umgibt  sie  mit  Luft,  nimmt  ihr  das  Materielle.  Claude  wufite  »6cr 
tf  arben  fyarte  2lrt  311  bredjen«,  sagt  Sandrart  von  ihm.  Das  Licht  ist  die  Schopferin 
des  Seins  und  der  Freude  am  Sein.  Ihm  gelten  daher  seine  Studien  und 
Skizzen,  seine  atmospharischen  Versuche  auf  den  Bildern  und  Radierungen 
der  friiheren  Zeit.  In  spateren  Jahren  mag  die  Poussinsche  Art  der  Licht* 
verteilung  auf  Teilen  der  Claudeschen  Landschaften  hier  und  da  auftauchen, 
ebenso  wie  auch  seine  strengere  Tektonik  die  Linienfiihrung  Claudes  straffer, 
zusammengefafiter  gemacht  hat  •  Landschaften  wie  der  Polyphem  oder 
» Diogenes «  sind  sicher  nicht  ganz  ohne  Einflufi  auf  Claude  geblieben.  Aber 
das  Wesentliche  bleibt  doch  das  heitere  Leuchten  iiber  dem  Ganzen,  die 
strahlende  Ruhe,  die  das  Licht  uber  die  Gefilde  breitet.  Das  Licht,  das  im 
Unendlichen  wohnt,  schafft  den  Raum  —  einen  unendlichen  Raum  im  Gegen* 
satz  zu  dem  Poussinschen  begrenzten  und  auf  das  menschlische  Schicksal 
eingestellten  Raum.  Dies  Irrationale,  das  Unbegrenzte  trennt  die  Kunst  Claude 
Lorrains  von  der  rationalen  franzosischen  Kunst  und  nahert  sie  dem  mehr 

216 


subjektiven,  germanischen  Kunstempfinden.    Ihm  stand  Claude  von   vorn* 
herein  naher  durch  seine  Beziehung  zu  dem  Bril#Elsheimer*Kreis. 


Dieser  optische  Subjektivismus,  der  aber  doch  in  das  feste,  taktisch* 
gebundene  Geriist  romanischen  Formgefiihls  eingespannt  ist,  hat  Claude  bei 
den  germanischen  Volkern  so  beliebt  gemacht.  Bei  seinen  franzosischen  Lands* 
leuten  gewann  er  bei  weitem  nicht  dieselbe  Geltung  wie  Nicolas  Poussin, 
der  Heros  der  franzosischen  Malerei.  So  war  auch  seine  unmittelbare  Nach# 
folge  in  Frankreich  nicht  bedeutend.  Dughet  und  Millet  gingen  in  den  Spuren 
Poussins.  Erst  viel  spater  hat  ein  franzosischer  Landschafter,  allerdings  der 
grofite  unter  ihnen,  Claude  in  Italien  wieder  entdeckt:  das  ist  Corot  mit 
seinen  silbernen  Hellen.  Auch  in  Italien  hat  Claude  keine  direkten  Anhanger 
gefunden.  Wichtiger  ist  dagegen  sein  Einflufi  auf  die  italianisierenden 
Hollander:  Hermann  Swanevelt  und  Jan  Both  (den  Sandrart  unter  den  Nach* 
ahmern  Claudes  nennt)  und  viele  andere.  Ein  wenig  plump  und  breit,  anek* 
dotisch  und  vedutenmafiig  kommen  sie  vielfach  doch  zu  ansprechenden  und 
farbig  reizvollen  Bildern  italienischer  Landschaften  und  Szenen.  Aber  von 
der  reinen  Linie  Claudes,  von  seiner  sehnsuchtigen  Feme,  von  seinem  silbernen 
Licht  ist  ihnen  nur  noch  ein  schwacher  Abglanz  geblieben.  Eine  grofie  Per* 
sonlichkeit  entwachst  ihrem  Kreise  nicht.  Im  XVIII.  Jahrhundert  fand  Claude 
die  grofite  Anerkennung  in  England.  Kein  anderes  Volk  hat  so  begeistert 
Claudes  Bilder  und  Zeichnungen  gesammelt  wie  die  Englander.  Earlom  und 
andere  Stecher  vervielfaltigten  Claudes  Liber  Veritatis  und  seine  Zeichnungen. 
Der  treffliche  Landschafter  Richard  Wilson  steht  unter  seinem  Einflufi.  Weit 
mehr  aber  und  bewufiter  William  Turner  in  der  ersten  Halfte  des  vorigen 
Jahrhunderts.  Sein  grofites  Ideal  war,  Claudes  Kunst  zu  erreichen,  ihn  womog* 
lich  zu  iibertreffen.  Nach  seinem  testamentarisch  ausgesprochenen  Wunsche 
hangen  zwei  grofie  Landschaf  tsgemalde  von  ihm  unmittelbar  neben  den  Claude 

217 


Lorrains  der  National  Gallery.  Es  sind  ubertriebene  Claudes,  ins  Farbige 
gesteigert,  das  Licht  strahlt  nicht  mehr  vom  hellen  Himmel,  es  explodiert. 
Ruskin  bewunderte  Turner  iiber  alles  und  setzte  Claude  in  seinen  » Modern 
Painters «  herab.  Aber  die  reine  Kunst  Claudes  triumphiert  zuletzt  doch  iiber 
die  etwas  grellen  Lichtphantasien  des  englischen  Malers. 

Die  heroische  Landschaft  in  Deutschland  von  Koch  bis  Rottmann  ist 
von  Claude  nicht  so  stark  beeinflufit,  wie  man  denkenkonnte.98)  Fiirsiewaren 
Poussin  und  seine  Nachahmer,  vor  alien  der  jungere  Poussin  (Caspar  Dughet) 
die  maflgebenden  Vorbilder.  Goethe,  der  Claude  besonders  liebte,  empfiehlt 
seine  Werke  dem  Maler  Preller  »zu  besonderem  Studium«,  denn  er  sieht 
voraus,  daft  auch  dieser  sich  seinem  Temperament  gemafi  mehr  zu  Poussin 
neigen  wiirde,  zum  »Ernsten,  Grofiartigen  auch  Wilden«,  nicht  zum  »Heitern, 
Anmutigen,  Lieblichen«.  Von  Claude  sagt  Goethe  zu  Eckermann:  »  Da  sehen 
sie  einmal  einen  vollkommenen  Menschen,  der  schb'n  gedacht  und  empfunden 
hat  und  in  dessen  Gemiit  eineWelt  lag,  wie  man  sie  nicht  leicht  irgendwo 
drauBen  antrifft  ....  Die  Bilder  haben  die  hochste  Wahrheit,  aber  keine  Spur 
von  Wirklichkeit.  Claude  Lorrain  kannte  die  realeWelt  bis  ins  kleinste  Detail 
auswendig  und  er  gebrauchte  sie  als  Mittel,  um  die  Welt  seiner  schonen  Seele 
auszudriicken.«  In  den  spateren  Jahrzehnten  des  XIX.  Jahrhunderts  haben 
wohl  nur  wenige  so  warm  fur  Claude  empfunden.  Das  Zeitalter  des  Im* 
pressionismus,  das  Poussin  nicht  oder  nur  ungeniagend  verstand,  hatte  auch 
fur  Claude,  dessen  Lichtstudien  und  lockere  Zeichnungen  ihm  eigentlich 
hatten  zusagen  miissen,  nur  wenig  Beachtung.  Nur  die  »Siidlichen«  Jakob 
Burckhardt,  C.  F.  Meyer,  Friedrich  Nietzsche  verehrten  und  liebten  ihn.  Fur 
Nietzsche,  dem  sonst  bildende  Kunst  so  fern  stand,  war  Claude  Lorrain  der 
vollkommene  Vertreter  des  »Siidgliicks«  von  Norden  her  gesehen.  Er  war 
fur  ihn  »Musik«,  in  ihm  entschleierte  sich  das  »Bukolische«  der  Alten,  das 
»Heroisch#Idyllische«.  Ein  schemer  Tag  in  Turin  in  seiner  »unbandigen  Voll* 
kommenheit  und  Sonnenfiille«  ist  ihm  »ein  Claude  Lorrain*.  Fur  ihn  und 

218 


fur  viele  wurde  Claude  der  Ausdruck  des  Verlangens  nach  dem  reinen  und 
vollkommenen  Schonen,  wie  es  der  Suden  geben  kann.  Unsere  Zeit,  die 
Poussin  wieder  auf  den  Thron,  der  ihm  gebiihrt,  gehoben  hat,  wird  auch  die 
Schonheit  Claudes  wieder  empfinden  und  in  ihr  die  Sehnsucht  nach  einem 
weitentfernten  und  unstillbaren  Gliick. 


219 


ANHANG 


DAS  , LIBER  VERITATIS'.    »Die  Sammlung  fuhrt  den  Titel  , Liber 

Veritatis',  sie  konnte  ebenso  gut , Liber 
naturae  et  artis'  heifien,  denn  es  findet 
sich  hier  die  Natur  und  Kunst  auf  der 
hochstenStufe  und  im  schonsten  Bunde.« 

(Goethe) 

In  dem  Testament  Claude  Lorrains  von  1663  begegnet  folgender  Passus: 
»Item  declare  che  il  libro  del  disegni  che  lascio  alia  detta  Agnese  esser 
quello  di  137  (157?)  disegni  di  quadri  fatti  per  servitii  di  diversi  Principi  gli 
lascio  sua  vita  durante  e  dopo  che  recaschi  alii  miei  heredi.«  Also  Claude 
hinterlafit  als  besonderen  Schatz  seiner  Vorzugserbin,  seiner  Tochter  oder 
Adoptivtochter  Agnes  ein  Buch  mit  Zeichnungen  von  Bildern  und  zwar  — 
was  die  Bedeutung  hervorhebt  —  als  eine  Art  Fideikommifi,  denn  sie  darf  es 
nicht  veraufiern,  es  mufl  in  der  Familie  bleiben.  Das  ist  das  beriihmte  » Liber 
Veritatis«,  das  » Libro  d'Invenzioni  ovvero  libro  di  Verita«,  iiber  dessen  Ent* 
stehung  Baldinucci  berichtet:  »in  6er  ^eit  als  <£lau6e  6ie  erften  Bil6er  fiir  6en 
"Konig  con  Spanien  arbeitete  (bas  tr>ar  €n6e  6cr  rner^iger  3afyre)>  fy^te  er  faum 
angefangen,  ifnten  eta>as  ^orm  511  geben,  als  ron  einigen  neiMfcfyen  un6  getr»inn« 
fiidjttgen  (5efellcn  ifym  6ie  €rfin6ung  6erfelben  gefto^Ien  n>ur6e,  tr>ie  aud?  fetne  IlTanicr 
nadjgeafymt.  Dann  tt>ur6en  6ie  Kopien  in  Horn  als  (Driginale  aus  Clauses  ptnfel 
Derfauft,  n?o6urd?  6er  IHetfter  6isfre6ittert  tDitr6e  un6  6ie  Kaufer  betrogen.  Der 
arme  Clause  in  fciner  Unfcfyulfc  rr>ufte  nicr/t,  tme  er  ftdj  por  6en  melen  Ceuten 
fdjii^en  follte,  6ie  in  fein  Htelter  famen.  2(lle  Cage  u>ur6en  t^m  BtI6er  5iigetragen, 
6af  er  fie  als  von  feiner  f}an6  gemalt  anerfenne.  So  entfdjlof  er  ftdj,  ein  Bud? 
5ufammen5ufteUen,  6as  idj  mit  r>ielem  Dergnugen  un6  grof  er  Bert)un6erung  far;,  als 
er  ts  mtr  in  feinem  ^aufe  in  Horn  5etgte.  3n  ^Mem  Budje  begann  er,  6te  Kompojttton 

223 


(invenzione)  r>on  alien  XDerfen,  6ie  er  fyerausgab,  5U  fopieren.  3e6e,  aud?  6te  geringfte 
(ginscl^eit  6es  betreffenoen  Btloes  gab  er  mil  mafyrfyaft  meifterltdjem  Strid?  irne&er,  fugte 
aud?  oen  tlamen  6es  (gmpfdngers  tyn$u,  t»enn  id)  nidjt  irre,  aud?  6as  ^onorar.  Diefem 
Bud?  gab  er  oen  teamen  Bud?  oer  Kompofttionen  (invenzioni)  o6er  Bud?  6er 
fyeit.  Don  6er  ^eit  an,  n>enn  i^nt  BiI6er  »on  feiner  ^an6  o6er  ntdjt  von  feiner 
gebrad?t  n?ur6cn,  seigte  er,  o^ne  uicl  IPorte  511  madden,  6as  Bud?  un6  fagte:  » 
gebe  fein  IDerf  fyeraus,  bas  id)  nid)i  nadi  polltger  Pollen6ung  in  6iefem  Bud)e 
mit  eigener  fyanb  fopiere.  3C^  ?(5nnt  3^?r  fe^cr  Hidjter  fein;  n?enn  ein 
beftc^t,  fel?t  fyier  nad?,  ob  3l?r  (Eucr  BiI6  crfennt.«  Denn,  n?enn  audj  einer  Me 
pofition  geftol)Ien  fyatte,  fo  fonnte  cr  6od?  ntd?t  t^aarflein  6as  (Einselne  treffen,  6ie 
Perfdjie6en^ett  n?ar6  je6em  offenbar,  un5  fo  fain  6er  5d}tDin6eI  Reruns «.  D'Argen* 
ville  berichtet  in  seinem  Vie  des  peintres  1762,  dafi  er  das  Buch  in  den  Ha'nden 
von  Claudes  Nichte  in  Rom  gesehen  hatte,  also  jedenfalls  noch  bei  den  Erben, 
die  es  angeblich  nicht  einmal  Ludwig  XIV.  verkauften;  spater  aber  sah  er  es  - 
vielleicht  war  die  Linie  ausgestorben  —  bei  einem  Juwelier  in  Paris.  Um  1770 
kam  es  in  die  Hande  des  Duke  of  Devonshire  und  blieb  als  kostbares  Gut 
bis  heut  in  dessen  Schlofi  in  Chatsworth.  Schon  bald  darauf  wurden  die 
zweihundert  Zeichnungen,  die  den  Band  bilden,  von  Richard  Earlom  in 
Mezzotinta#Manier  gestochen  und  in  zwei  Banden  bei  Boydell  in  London 
herausgegeben.  (Ein  dritter  Band  enhalt  noch  Zeichnungen  Claudes  aus  ver* 
schiedenen  Sammlungen,  die  mit  dem  L.  V.  nichts  zu  tun  haben.)  Wenn  auch 
diese  Stiche,  die  ziemlich  schnell  gemacht  wurden,  nicht  als  mustergultige 
Wiedergabe  betrachtet  werden  konnen,  so  geben  sie  doch  einen  Oberblick 
iiber  das  Gesamtwerk  und  haben  nicht  wenig  dazu  beigetragen,  den  Ruhm 
der  Claudeschen  Schopfungen  zu  verbreiten.  1815  erschien  eine  Auswahl 
davon  von  Caracciolo. 

Ob  der  Bericht  Baldinuccis  iiber  den  Ursprung  der  Sammlung  richtig 
ist,  kann  Zweifeln  begegnen,  in  dem  Buch  selbst  findet  sich  nicht  der  Name 
Liber  Veritatis,  auch  nicht  im  Testament,  er  ist  augenscheinlich  eine  Erfindung 

224 


Baldinuccis  oder  der  Erben,  die  damit  den  Wert  noch  erhohen  wollten.  Es 
gibt  zweifellose  und  auch  signierte  Werke  Claudes,  die  sich  im  Liber  Veritatis 
nicht  vorfinden  —  allerdings  nicht  viele  und  keine  Hauptstiicke  — ,  so  der 
scheme  »Hafen«  in  Windsor  von  1643.  An  solchenWerken  ware  das  Buch  zu 
einem  falschen  Zeugen  geworden.  Auch  konnte  es  vor  direkten  Falschungen 
doch  wohl  schwer  schiitzen,  denn  die  Zeichnungen  gehen  nicht  so  peinlich  ins 
Einzelne,  wie  es  Baldinucci  behauptet.  Sie  geben  nur  den  allgemeinen  Aufrifi 
im  Grofien  und  bringen  haufig  sogar  —  was  wichtig  —  kleinere  oder  grofiere 
Varianten.  So  ist  es  also  sehr  wohl  moglich,  dafi  den  Anstofi  zu  der  Samm* 
lung  die  Freude  des  Kiinstlers  an  seinen  Sachen  bildete,  dafi  er  eine  Erinnerung 
daran  behalten  wollte,  ehe  er  sie  weggab  (wie  man  heute  derartige  Bilder 
photographiert).  Das  hatte  zugleich  auch  praktischen  Nutzen,  denn  Claude 
wiederholte  sich  in  spaterer  Zeit  oft  und  hatte  dadurch  die  Motive  seiner 
alteren  Bilder  bequem  zur  Hand.  Dafi  diese  Sammlung  gleichzeitig  zu  einer 
Art  Priifstein  fur  Falschungen  wurde  (mit  Einschrankungen),  kam  wohl  erst 
in  zweiter  Linie  und  bildete  sich  erst  allmahlich  heraus. 

Eine  andere  .Frage  ist,  sind  die  200  Zeichnungen  des  L.  V.  Vor#  oder 
Nachzeichnungen  nach  den  fertigen  Gemalden?  Baldinucci  nimmt  sie  fur 
das  letztere,  und  der  Ausdruck  Claudes  selbst  im  Testament  »disegni  di  quadri 

fatti  per Principi«  spricht  eher  dafiir  als  dagegen.    Dafi  sie  keine 

Naturstudien  sind  (wie  man  auch  behauptet  hat),  liegt  auf  der  Hand.  Man 
braucht  nur  die  zahlreichen  herrlichen  Naturskizzen  Claudes  daneben  zu 
halten,  um  zu  sehen,  dafi  es  sich  durchweg  um  invenzioni  (wie  Baldinucci 
schreibt),  d.  h.  um  Kompositionen  handelt.  Mrs.  Pattisson  will  einen  Mittelweg 
einschlagen.  Nach  ihr  sind  die  Zeichnungen  Vorstufen  fur  Gemalde,  BikU 
ideen  (pensees  oder  pance,  wie  Claude  selbst  schreibt),  also  etwas,  das  zwischen 
Naturstudie  und  Bild  steht.  Das  Hauptargument  fur  die  Pensees  #Theorie 
bilden  die  kleineren  oder  grofieren  Abweichungen  der  Zeichnungen  vom  Bilde, 
die  ofters  begegnen.  Doch  konnen  sich  diese  auch  aus  irgendeiner  Nachlassig* 

225 


keit  erklaren,  besonders,  wenn  man  annehmen  darf ,  dafi  hier  und  da  eine  solche 
Zeichnung  aus  dem  Geda'chtnis,  auch  wenn  das  Bild  nicht  mehr  zugegen  war, 
entstanden  1st.  Moglich  ware  es  schliefilich  auch,  dafi  mitunter  ein  paar  solcher 
fertigen  Vorbereitungs  *  Studien,  wenn  sie  zufallig  vorhanden  waren,  spa'ter  ein* 
gereiht  wurden.  Aber  im  allgemeinen  handelt  es  sich  um  Nachzeichnungen. 
Die  Sammlung  ist  Mitte  der  vierziger  Jahre  des  XVII.  Jahrhunderts  be* 
gonnen,  wie  Baldinucci  berichtet;  tatsa'chlich  ist  auch  die  erste  Datierung  1647. 
Doch  finden  sich  auch  Zeichnungen  nach  friiheren  Bildern  darunter,  so  schon 
die  fur  Bethune  bestimmten  Louvre  *Bilder  vom  Anfang  der  dreifiiger  Jahre. 
Man  muft  also  annehmen,  da6  Claude  auch  schon  friiher,  ehe  ef  an  eine 
systematische  Sammlung  seiner  Gemalde^Zeichnungen  dachte,  einzelne  hervor* 
ragende  Stiicke  fiir  sich  aufnahm  und  beschriftete  und  sie  spa'ter  dann  ein# 
reihte.  Denn  gerade  die  Zeichnungen  fiir  die  Bethune  *Bilder,  das  »Forum« 
und  die  » Marine «,  stimmen  in  den  meisten  Details  (nicht  in  alien)  und  vor 
alien  Dingen  in  der  niederlandischen  Auffassung  der  Figuren  so  mit  den 
Gemalden  iiberein,  dafi  sie  nicht  gut  erst  viele  Jahre  spa'ter  gezeichnet  sein 
konnen.  Dasselbe  gilt  fiir  das  »Castel  Gandolfo«  fiir  Urban.VIII.  und  andere. 
(Dagegen  konnte  man  bei  dem  »Dorffest«  von  1639  zweifelhaft  sein,  weil  da 
die  Abweichungen  grofier  und  die  Figuren  freier  behandelt  sind.)  Bis  1663 
waren  157  Zeichnungen  dieser  Art  gesammelt,  wie  aus  der  zitierten  Stelle 
des  Testaments  hervorgeht,  die  besta'tigt  wird  durch  eine  Bemerkung  Claudes 
auf  der  Ruckseite  der  Zeichnung  L.  V.  158:  »Au  dy  26  febrare  1663  a  questo 
mio  libro  si  ritrovano  cento  e  cinquanta  sette  disegni  die  mano  mio«.  (Danach 
ist  die  angegebene  Zahl  des  Testamentes  137  augenscheinlich  fiir  157  verlesen, 
-  nicht  177,  wie  Pattisson  Seite  204.)  1675  glaubte  Claude  wohl  —  vielleicht 
bei  einer  Erkrankung  —  die  Sammlung  abgeschlossen  zu  haben:  »J'ay  fini  ce 
present  livre  jourdhuy  25  du  mois  de  mars  1675  Roma«  (L.  V.  185).  Aber 
auf  einer  Zeichnung  von  1677  findet  sich  auf  der  Ruckseite  noch  die  Ein# 
tragung:  »Ce  present  livre  au  partien  a  moy  que  je  faict  durant  ma  vie  Claudio 

226 


Gillee  dit  le  Lorane  A  Roma  ce  23  Avril  1680. «  Die  Zeichnung  mit  dieser 
Notiz  ist  die  erste  des  Liber  Veritatis,  wahrend  sie  eigentlich  ans  Ende  gehort. 
Claude  hatte  die  Blatter  vermutlich  chronologisch  gelegt,  spater  bei  einer 
Umordnung  oder  bei  neuem  Einbinden  sind  sie  in  eine  falsche  Reihenfolge 
geraten,  so  dafi  die  heutigen  Nummern  1—200  nicht  mehr  genau  mit  der 
urspriinglich  chronologischen  Folge  ubereinstimmen.  Doch  ist  immerhin  die 
Ordnung  wenigstens  noch  so  weit  gewahrt,  dafi  —  mit  Ausnahme  der  ersten 
Blatter,  die  ausgesprochen  spat  sind  —  die  niedern  Nummern  auch  relativ 
fruhen,  die  hohen  relativ  spaten  Bildern  entsprechen.  Aber  eine  eigent* 
liche  Aufeinanderfolge  findet  sich  nur  sporadisch,  ja  auch  Pendants  sind  oft 
ganz  auseinander  gerissen.  So  gibt  die  Sammlung  fur  die  Chronologic 
nur  einen  ungefahren  und  mit  Vorsicht  zu  benutzenden  Anhalt.  Bilderpreise 
sind  nie  notiert  (Baldinucci  irrt  darin).  Fur  die  Namen  der  Kaufer  stehen 
manchmal  nur  Stadtenamen:  »quadro  faict  pour  Paris  —  pour  Amstedama  — 
per  Roma  «.  Meist  ist  der  Name  aber  angegeben  in  der  oft  sehr  unvollkommenen 
Orthographic  Claudes:  »Claudio  fecit  in  V.  R.  (Urbe  Roma)  faict  pour  Sigr 
Monsre  Ruspiose  Roma  (der  bekannte  Cardinal  Rospigliosi,  spater  Papst 
Clemens  IX.)  oder:  »pour  sa  Sainte  de  papa  Urbano  —  per  il  re  di  Spagna 
—  per  il  Em°  Sig.  Cardinal  Giorio  —  oder  Barberino  —  Tablaux  faict  pour 
monsieur  Passar  (Passart,  der  auch  als  Poussin^Sammler  eine  Rolle  spielt)  — 
pour  monseigneur  de  Monpiglier  (Montpellier)  und  so  noch  fur  viele 
italienische,  franzosische,  aber  auch  niederlandische,  englische  und  deutsche 
Liebhaber.  Auch  kulturhistorisch  fur  die  Geschichte  der  Sammlungen  und 
Amateure  ist  das  L.  V.  ein  hochst  wichtiges  Dokument. 

Durchblattert  man  die  Sammlung  in  der  Bibliothek  des  Schlosses  Chats* 
worth  beim  Herzog  von  Devonshire,  so  ist  man  etwas  enttauscht  —  besonders 
wenn  man  die  herrlichen  Handzeichnungen  Claudes  im  British  Museum 
vorher  gesehen  hat.  Die  Zeichnungen  des  L.  V.  sind  mit  Feder  und  Bister 
behandelt  und  laviert,  aber  die  Lavierungen  haben  nie  den  Reichtum  der 

227 


Nuancen,  der  die  Claudeschen  Zeichnungen  so  ungemein  farbig  vertieft.  Schon 
das  spricht  dafiir,  dafi  es  keine  Zeichnungen  rein  kiinstlerischer  Art  sind, 
sondern  meist  nur  zweckentsprechende  Nachzeichnungen.  Wie  Mrs.  Pattisson 
festgestellt  hat,  sind  sie  von  Earlom,  der  die  Zeichnungen,  um  sie  zu  repro* 
ducieren,  lange  Zeit  in  Handen  hatte,  ziemlich  gewissenlos  behandelt  worden. 
Sie  sind  retuschiert,  um  die  Kontraste  zu  verstarken,  und  besonders  ist  die 
Hohung  mit  Weifi  (das  wohl  verblaflt  war)  in  roher  Weise  von  Earlom  nach# 
behandelt  worden,  auch  sonst  sind  eigenmachtige  Veranderungen  festzu* 
stellen.  Trotzdem  aber  hat  die  Sammlung  einen  unschatzbaren  Wert,  selbst 
in  den  flauen,  aber  geschickten  Mezzotinta#Wiedergaben  Earloms.  Man  sieht 
den  reichen  Schatz  der  »invenzioni«,  darunter  auch  die  grofie  Anzahl  der 
verlorenen  oder  verschollenen  Bilder,  vor  sich  ausgebreitet;  die  ganz  reine, 
zarte,  nie  kleine  Phantasie  Claudes  offenbart  sich  in  ihrer  unendlich  variierten 
Melodic. 


228 


LITERATUR 


ZU  ABSCHNITT  I. 

Eine  wirklich  umfasssende  Geschichte  der  Landschaftsmalerei  1st  nicht 
vorhanden.  Von  einschlagiger  Literatur  hebe  ich  hervor:  Joseph  Gramm,  Die 
ideale  Landschaft,  Freiburg  1912.  (Reicht  allerdings  nicht  bis  in  die  neuere 
Zeit.  Der  Abbildungsband,  auf  den  ich  hier  verweise,  enthalt  sehr  viel 
Material.)  R.  Oldenbourg,  Die  flamische  Malerei  des  XVII.  Jahrhunderts, 
Berlin  1918.  Plietzsch,  Die  Frankenthaler  Maler,  Strafiburg  1910.  Mayer, 
Die  Briider  Mathaus  und  Paul  Bril,  Leipzig  1910.  Zu  Elsheimer  s.  den  Artikel 
von  Weizsacker  in  Thieme*  Beckers  Kiinstlerlexikon.  Fur  das  Allgemeine  s. 
Jakob  Burckhardt,  Kultur  der  Renaissance  in  Italien,  A.  Biese,  Die  Entwicklung 
des  Naturgefuhls,  1892. 


ZU  ABSCHNITT  II  U.  F. 

Fur  die  Bibliographic  sowohl  der  Quellen,  wie  der  spateren  Schriften 
iiber  Claude  Lorrain  verweise  ich  auf  meinen  Artikel:  » Claude  Gellee«  in 
Thieme*  Beckers  Kiinstlerlexikon.  Das  Hauptwerk  iiber  Claude  ist  Mrs.  Marc 
Pattissons  Claude  Lorrain,  Sa  vie  et  ses  ceuvres,  Paris  1884.  Es  enthalt  aufler* 
ordentlich  fleiflig  zusammengebrachtes  Material  (meist,  aber  nicht  immer  zu* 
verlassig),  das  aber  sehr  uniibersichtlich  und  unmethodisch  geordnet  ist. 


231 


ANMERKUNGEN 


Anm.  1)   Abbildungen  s.  des  Verfassers  Nicolas  Poussin,  Miinchen  1914. 

Anm.  2  )  Von  Tietze  Albani  zugeschrieben.  Auch  dieser  Caracci  #  Schiiler  mufi 
in  diesem  Zusammenhange  erwahnt  warden.  Er  war  ja  schon  friih  Gehilfe 
Annibales  auch  im  Landschaftlichen  und  pflegte  diesen  Kunstzweig  in 
seinen  bekannten  Putto#Bildern  ganz  besonders.  Durch  seine  mytho* 
logischen  Landschaften  (  z.  B. »  Entfiihrung  Europas  « in  den  Uffizien),  durch 
seine  Bemiihung  um  Durchsichtigkeit  der  Atmosphare  beriihrt  er  sich  in 
vielem  mit  dem  Streben  Claudes.  Leider  ist  die  Chronologic  seiner  Bilder 
so  ungewifi,  dafi  man  noch  keinerlei  Schliisse  auf  etwaige  Beeinflussung 
ziehen  darf. 

Anm.  3)  Selbst  seinen  Namen  Gellee  konnte  Claude  nicht  immer  richtig 
schreiben,  wie  seine  Briider  es  tun,  sondern  er  schrieb  bald  so,  bald  Gillet 
oder  Gillier  oder  ahnlich. 

Anm.  4)  Auch  von  anderen  Dekorationen  Tassis  ist  nur  noch  ein  geringer 
Teil  vorhanden.  Die  erhaltenen  Fresken  (Quirinal,  Rospigliosi)  sind 
meist  schwer  zuganglich.  So  konnen  wir  uns  von  dem  Wesen  dieses 
Malers,  bis  zu  einer  naheren  Untersuchung,  mehr  durch  den  literarischen 
Bericht  Passeris,  als  durch  eigene  Anschauung  ein  Bild  machen.  Die 
Tafelbilder  in  verschiedenen  Galerien,  die  auf  Tassis  Namen  gehen 
(z.  B.  Uffizien,  Slg.  Cook,  Richmond),  sind  nicht  geniigend  gesichert  und 
bieten  daher  keine  Grundlage  zu  weiterer  Forschung. 

Anm.  5)    Er  wird  mit  einem  Kolner  Maler  Wals  oder  Wales  zusammenge* 

bracht,  iiber  den  Soprani  in  seinem  Leben  der  Genueser  Maler  berichtet. 

Danach  ha'tte  Wals  in  Genua,  meist  aber  in  Neapel  gearbeitet,  'Stiche 

.    koloriert  und  kleine  runde  Landschaften  gemalt.    Baldinucci  lafit  Claude 

235 


bald  nach  seiner  Ankunft  in  Rom  nach  Neapel  gehen.  Grund  ware  das 
Aufhoren  der  Geldsendungen  gewesen,  die  Claude  aus  seiner  Heimat 
erhielt,  infolge  der  »crudelissime  guerre  delle  Svezzesi«  (wegender  grau* 
samen  Kriegszuge  der  Schweden).  Aber  der  dreifiigjahrige  Krieg  beginnt 
erst  1618,  damals  aber  war  Claude  sicherlich  schon  in  Diensten  Tassis. 
Moglich  ist  es  eher,  dafl  Claude  erst  sparer,  in  den  beiden  letzten  Jahren 
vor  seinem  Verlassen  Italiens  bei  Wals  in  Neapel  arbeitete.  Mit  dem 
Tode  Pauls  V.,  seines  Gonners,  (1621)  verliert  auchTassi  seine  Stellung 
und  seine  grofien  Einkiinfte.  Claude  diirfte  einige  Zeit  nachher  aus 
seinen  Diensten  geschieden  sein. 

Anm.  6)  Daraus  ist  eine  Verwechselung  entstanden,  wonach  unser  Claude 
eine  Villa  in  oder  bei  Miinchen  besessen  hatte.  Siehe  dariiber  Regnet  in 
Dohmes  Kunst  und  Kiinstler. 

Anm.  7)  All  das  wird  von  spateren  Biographen  noch  weiter  anekdotisch* 
romantisch  ausgeschmiickt. 

Anm.  8)    In  deren  Listen  Claude  sich  spatestens  seit  1634  finder. 

Anm.  9)  Als  Beispiel  erzahlt  Baldinucci,  wie  Claude  von  Giov.  Dom.  Desiderii, 
einem  Rb'mer  niedriger  Herkunft,  ausgenutzt  wurde.  Er  hielt  ihn  in 
seinem  Hause  quasi  als  Diener,  um  Farben  zu  reiben,  Pinsel  zu  waschen 
usw.  —  iiber  zwanzig  Jahre,  von  1634  bis  1655.  Claude  hatte  den  jungen 
Mann  auf  verschiedenen  Instrumenten  musikalisch  ausbilden  lassen,  hatte 
ihn  aber  auch  das  Malerhandwerk  mit  grofiem  Eifer  gelehrt.  Die  Romer 
lasterten  nun,  Claude  liefie  seine  Bilder  durch  diesen  Desiderii  malen. 
Dies  stieg  ihm  derartig  zu  Kopf,  dafi  er,  der  bisher  von  Claude  »mehr 
wie  ein  Sohn  denn  als  Diener  oder  Schiiler  gehalten  wurde «,  von  ihm 
ging  und  Claude  mit  einem  Prozefi  drohte.  Er  verlangte  nichts  weniger 
als  die  Bezahlung  fiar  die  zweiundzwanzig  Jahre,  die  er  in  Claudes  Haus 
zugebracht  hatte.  Claude  aber,  um  alle  Aufregung  zu  vermeiden,  ging 
zur  Bank  von  S.  Spirito,  wo  er  sein  recht  betrachtliches  Vermogen,  das  er 

236 


dutch  seine  rastlose  Arbeit  und  Sparsamkeit  erworben,  aufbewahrt  hatte. 
Ohne  jeden  Abzug  liefi  er  ihm  die  Summe  ausbezahlen,  die  er  verlangte. 
Diese  harmlose,  aber  fur  den  sanften  Claude  charakteristische  Anekdote 
ist  die  einzige,  mit  der  Baldinucci  aufwarten  kann. 

Anm.  10)  Der  Palast  ist  1644  umgebaut,  vielleicht  sind  die  Fresken  damals 
zugrunde  gegangen. 

Anm.  11)    Auch  im  L.  V.  (siehe  Anhang)  tragt  es  eine  friihe  Nummer,  10. 

Anm.  12)  In  den  Louvre  kamen  die  Bilder  erst  ziemlich  spat,  unter  dem  ersten 
Kaiserreich.  Sie  sind  kleinformatig  (56:72),  wahrend  Claudes  spatere 
Werke  fast  durchgehend  bedeutend  groBer  sind. 

Anm.  13)  Vgl.  das  interessante  Bild  von  Nieulandt  von  1612  des  Campo 
Vaccino  in  der  Wiener  Gemalde^Galerie  (Depot).  Das  Forum  ist  hier 
von  der  anderen  Seite  gesehen,  die  Denkmaler  ziemlich  willkiirlich  und 
die  Volksmenge  sehr  gehauft. 

Anm.  14)  Er  erinnert  etwas  an  jene  Brunnen*Kastelle,  wie  sie  in  Rom  unter 
Sixtus  V.  und  Paul  V.  entstanden  sind. 

Anm.  15)  Der  iibrigens  mehrfach  Malern,  u. a. auch  Andreas Sacchi  mit solchem 
Genrebeiwerk  —  »bambocciate«  nannte  man  es  —  half. 

Anm.  16)    L.  V.  15  vgl.  Ozzola  L'Arte  XI  S.293f. 

Anm.  17)  Ganz  neuerdings  ist  versucht  worden  (von  Gerstenberg:  Claude 
Lorrain  und  die  Typen  der  idealen  Landschaftsmalerei,  1919),  eine  Gruppe 
solcher  relativen  Friihbilder  zusammenzustellen.  Ich  will  hier  nur  ganz 
kurz  darauf  eingehen,  Zwei  Landschaften  des  Prado:  eine  Furt  und  eine 
Ziegenherde,  zeigen  stilistische  Verwandtschaften  mit  einer  Landschaft  in 
Richmond,  die  den  Namen  Tassis  tragt  (mit  welchem  Recht  steht  bei  un# 
serer  geringen  Kenntnis  Tassis  nicht  fest!).  Beide  Landschaften  sind  im 
L.  V.  nicht  verzeichnet.  Die  Bilder  werden  im  Prado  Claude  genannt 
und  sind  meines  Wissens  bisher  nicht  bezweifelt.  Aber  es  ist  auf  zweierlei 
hinzuweisen:  einmal  gehen  beide  Bilder  weit  iiber  den  kleinen  Mafistab 

237 


der  Fruhbilder  hinaus;  ferner  sind  von  den  zehn  Bildern,  die  der  Prado 
von  Claude  besitzt  (nach  altem  spanischem  Bericht  hat  Claude  acht 
Bilder  fur  den  Konig  von  Spanien  gemacht),  gerade  diese  Pendants  erst 
spa'ter  —  unter  Philipp  V.  —  in  spanischen  Besitz  gekommen.  Gersten* 
berg  weist  darauf  bin,  daft  die  Kunst  Boths  von  solchen  Bildern  ausgeht  — 
doch  ist  die  Ahnlichkeit  mit  diesem  spaten  Gefolgsmann  Claudes  vielleicht 
gerade  negativ  zu  werten.  Man  kann  bei  den  vielenNachahmungen  Claudes 
nicht  vorsichtig  genug  sein.  Jedenfalls  bieten  diese  beiden  Prado*Bilder 
keine  so  sichere  Stiitze  fur  die  Kenntnis  der  friihen  Periode  Claudes 
wie  die  Bethune*  Bilder. 

Etwas  anders  steht  es  mit  den  ebenfalls  wenig  beachteten  Pendants 
in  Ovalformat  des  Louvre  (228—229).  Wiederum  Marine  und  Landschaft. 
Sie  haben  das  winzige  Format,  wie  es  Sandrart  von  den  Friihbildern 
erwahnt  (33:42).  Format,  Bildung  der  Baume,  Lichtbehandlung  erinnern 
an  Elsheimer.  Die  beiden  Ovalbildchen,  die  ebenfalls  nicht  im  L.  V.  ver* 
zeichnet,  sind  iibrigens  auch  einmal  (von  Waagen)  bezweifelt  worden. 
Zu  den  Friihbildern  mochte  ich  auch  den  Anachoreten  in  Madrid 
rechnen.  Er  zeigt  liebevolle  Detailmalerei  in  Baum*  und  Strauchwerk, 
erinnert  in  der  Art  der  Komposition  der  seitlichen  Kulisse  mit  dem  Hei* 
ligen  noch  an  Brils  Eremitenbilder  in  S.  Cecilia.  Ahnlich  steht  es  viel* 
leicht  mit  dem  anderen  verwandten  Prado  *Bild,  der  »Versuchung  des 
H.  Antonius«t  das  im  L.  V.  32  belegt  ist.  Auch  hier  ist  der  geschlossene 
Nahraum  noch  das  Entscheidende. 

Anm.  18)    Beide  Bilder  sind  signiert  und  datiert:  Claudio  inv.  Romae  1639. 

Anm.  19)  L.  V.  14. 

Anm.  20)  Auf  der  dazugehorigen  Zeichnung  des  L.  V.  13  sind  die  Figuren 
leichter,  besonders  der  Tanzer.  Das  tanzende  Paar  begegnet  ahnlich  auch 
auf  Radierungen.  (S.  u.)  Anzunehmen  ist,  dafi  Claude  auf  dem  Gemalde 
die  Figuren  angegeben,  aber  nicht  selbst  ausgefuhrt  hat. 

238 


Anm.  21)   L.  V.  35,  wiederum  ganz  kleines  Format. 

Anm.  22)   L.  V.  64.      Hier   1st    die    Schaferidylle    mythologisch    gewendet : 

Merkur  reicht  der  Aglaure  einen  Dolch.   Das  Bild  ist  signiert  und  1642 

datiert. 

Anm.  23)  L.V.  28  und  L.V.  43. 
Anm.  24)   Kurz  nach  dem  Tode  Urbans  VIII.  entstanden  und  erst  auf  Um# 

wegen  in  die  Hande  der  in  Ungnade  gefallenen  Barberini#Nepoten  ge# 

kommen.  Jetzt  National  Gallery,  London;  L.V.54.  Das  Pendant  zu  diesem 

Bilde  ist  eine  Landschaft  mit  dem  heil.  Georg,  jetzt  Petersburg,  Eremitage, 

L.  V.  73.    Gestochen  von  Barriere. 
Anm.  25)   Ein  religioses  Thema  ahnlich  der  »Ursula«  behandelt  das  Prado* 

Bild  von  1648:    »Die  Heil,  Paula  verldfit  Ostla«,  L.  V.  49.    Historisch* 

antikisch  ist  das  Louvre  *  Bild:  »Kleopatras  Landung  inTarsus«,  L.V.  63. 

Antik*legendarisch  ein  anderes  Thema  »  Odysseus  bringt  Chryseis  ihrem 

Vater  zuruck«,  von  1648,  L.V.  80,  Louvre. 
Anm.  26)   L.V.  114.  1648  signiert  und  datiert.    Das  Bild  gehort  der  National 

Gallery  in  London  und  bildet  da  das  Pendant  zu  der  beruhmten  »Muhle«, 

die  ebenfalls  fur  den  Herzog,  aber  als  Replik,  geschaffen  wurde. 
Anm.  27)   Nicht  im  L.  V.  —  etwas  verwandt,  besonders  figural  ist  L.  V.  17,  das 

auch  von  Claude  radiert  ist,  R.  D.  13. 
Anm.  28)  L.V.  96. 
Anm.  29)   Das  Gemalde,  das  L.  V.  5  entspricht,  ist  nach  Pattisson  (S.  208)  etwa 

1649  entstanden,  in  diesem  Jahr  wurde  der  Besteller  zum  Bischof  von  Mans 

kreiert.    Von  Claude  radiert:  R.  D.  15.    Ober  die  Replik  von  1674  in 

Miinchen,  vgl.  unten  Anm.  61. 
Anm.  30)  L.  V.  91  und  L.  V.  77. 
Anm. 31)  L.V.  110. 
Anm.  32)   Undatiert  und  auch  im  L.V.  nicht  auffindbar.     Die  Madonnen* 

gruppe  findet  sich  ahnlich  auf  der  Zeichnung  L.  V.  38. 

239 


Anm.  33)  Umsomehr,  als  das  Bild  im  L.  V.  92  ausdriicklich  bezeichnet  ist  als 
bestimmt  »pur  le  prince  Pamfille«. 

Anm.  34)  »Verdumisne«  schreibt  Claude  den  Namen,  ihn  bis  zur  Unkennt* 
lichkeit  entstellend.  Konnte  es  Waldenstein  sein,  franzosiert  und  ver* 
stummelt?  L.V.  124. 

Anm.  35  )  »Quadro  faict  por  il  excellentm<>  Sigr  principe  Panfik  heifit  es  L.V.  113. 
Nur  die  Replik  in  London  ist  datiert  und  signiert:  Claudio  Gil  I.  N. V. 
Romae  1646.  Auch  existiert  eine  Zeichnung  zu  dem  Bilde  von  1647. 

Anm.  36)    L.V.  119. 

Anm.  37)    L.  V.  69. 

Anm.  38)  L.  V.  117.  Das  Bild  bildet  das  Pendant  zu  der  Marine:  » Odysseus 
und  Chryseis«. 

Anm.  39)  Die  mit  L.  V.  85  bis  in  Details  iibereinstimmt.  Abwandlungen 
desselben  Themas  finden  sich  haufig  im  L.V.  (81-83,  102,  103,  107,  109) 
sowie  in  den  Sammlungen  von  Longford* Castle,  Windsor,  Budapest. 

Anm.  40)  Abgesehen  von  der  »Versuchung  des  heil.  Antonius«  (L.  V  32), 
die  vielleicht  friiher  liegt  —  entweder  schon  friiher  bestellt  oder  als  alteres 
Stuck  mitgenommen  — ,  sind  es  noch  vier  Gemalde  (L.  V.  47—50).  Sie 
sind  alle  ziemlich  grofien  Umfangs  und  samtlich  in  dem  fur  Claude  unge* 
wohnlichen  Hochformat.  Alle  fiinf  Bilder  sind  ausdriicklich  von  Claude 
gezeichnet  mit:  »  Quadro  faict  per  il  re  di  Spagna«. 

Anm.  41)  Zwischen  1649  und  1651  haben  wir  in  den  Datierungen  eine  Liicke. 
Bouyer,  Claude  Lorrain  S.63,  erklart  sie  damit,  dafi  Claude  damals  in 
einem  Liebesroman  verwickelt  gewesen  ware,  dessen  Frucht  seine  geliebte 
Agnes  »la  sua  zitella  cresciuta  ed  allevata  in  casa  sua«  gewesen  sei.  Aber 
Agnes  ist  erst  1653  geboren.  Sovieljahre  diirfte  den  iiber  Fiinf zigjahrigen 
wohl  kaum  eine  Liebesangelegenheit  in  Anspruch  genommen  haben.  Be* 
quemer  lassen  sich  die  spanischen  Auftrage  in  diese  Zeit  einschieben.  Nach 
Baldinucci  hatte  Claude  acht  Gemalde  fiir  Philipp  IV.  zu  machen.  Darunter 

240 


—  aufter  den  fiinf  genannten  und  im  L.  V.  verzeichneten  —  auch  eine 
Magdalena.  Hierfiir  existiert  eine  Zeichnung  in  der  Albertina,  die  1648 
datiert  ist.  Dies  wiirde  die  Einschiebung  der  spanischen  Bilder  in  diese 
Zeit  noch  unterstiitzen.  Stilistisch  spricht  auch  nichts  dagegen  —  eine 
gewisse  Engraumigkeit  lafit  sich  durch  das  Format  erklaren;  ein  Bild 
wie  der  »Ostia-Hafen«  geht  mit  den  Zeremonienstiicken  der  vierziger 
Jahre  eng  zusammen.  Es  ist  wohl  auch  erst  Ende  des  vierten  Jahr* 
zehnts  des  XVII.  Jahrhunderts,  dafl  Claudes  Ruhm  auf  der  Hohe  stand. 
Dies  wird  durch  den  Auftrag  Philipps  IV.  noch  besonders  unterstrichen. 

Anm.  42)  Auf  der  Zeichnung  L.  V.  115  ist  von  dieser  Stimmung  noch  nichts 
zu  spiiren.  Anstelle  der  sentimentalen  Gruppe  ist  die  Figur  eines  Malers 
auf  einem  Baumstumpf  sitzend  angebracht. 

Anm.  43)  L.V.  129. 

Anm.  44)   L.V.  138  von  1656. 

Anm. 45)  L.V.  136.  Die  prachtvolle  Landschaft  im  Buckingham  Palais  ist 
jedoch  nur  eine  spate,  wenn  auch  eigenhandige  Replik  von  1667.  Das 
Original  befindet  sich,  ebenso  wie  das  zugehorige  Pendant  (L.V.  137) 
in  der  Sammlung  Yussupoff.  Beide  Bilder  sind  gemalt,  als  der  Kardinal 
Chigi  als  Papst  Alexander  VII.  1655  sein  kunstlerisch  so  bedeutendes 
Pontifikat  begann. 

Anm.  46)  L.  V.  141.  Als  Pendant  gehorte  dazu  das  Bild  mit  den  arkadischen 
Ta'nzen  und  der  Verwandlung  der  Hirten  von  Paglia,  L.  V.  142.  Jetzt 
London,  Bridgewater*  House. 

Anm.  47)  Auch  ist  es  wohl  erst  spater,  im  XVIII.  Jahrhundert,  als  das  Bild 
in  der  Sammlung  de  Noce  war,  (angeblich  von  Boulogne)  zugefiigt 
worden  (vgl.  Michel,  Revue  de  deux  mondes,  1884). 

Anm.  48)   L.V  145.   London,  Nat.  Gall. 

Anm.  49)  L.  V.  153.  Die  Variante  L.  V.  82  war  anscheinend  auch  fur  Lebrun 
bestimmt. 

241 


Anm.  50)  L.  V.  122. 

Anm.  51)  Da  das  Bild  nicht  im  L.  V.,  so  mufi  man  bei  Zuschreibung  und 
Einreihung  vorsichtig  sein.  Die  Komposition  ist  verbiirgt  durch  den 
Stich  R.  D.  24;  das  auffallend  kleine  Format,  das  meist  nur  in  der  Friihzeit 
begegnet,  gibt  zu  denken.  Eventuell  konnte  es  auch  Replik  oder  erst  nach 
dem  Stich  von  anderer  Hand  geschaffen  sein?  Vgl.  Anm.  81. 

Anm.  52)  L.  V.  67  fur  den  Connetable  Colonna  1666  (friiher  F.  Perkins,  jetzt 
Koln,  Wallraf  *  Richartz  *  Museum). 

Anm.  53)  Urspriinglichwarensie,  wieausdenNotizendesL.V.hervorgeht(154, 
160, 169,  181),  fur  Antwerpen  bestimmt  und  zwar  fur  den  Bischof  von  Ypern. 

Anm.  54)  Ein  »Merkur  und  Battus«,  L.V.  159,  entsteht  1663,  dem  »Mittag« 
ziemlich  verwandt  in  der  Anlage,  jetzt  Chatsworth.  Ein  Jahr  darauf  »Moses 
vor  dem  brennenden  Busch«  L.V.  161,  im  Bridgewater*  House. 

Anm.  55)   L.  V.  162,  jetzt  in  London,  Lady  Wantage,  friiher  Lord  Overstone. 

Anm.  56)  Sie  sind  1668  datiert  und  waren  nach  L.V.  173  und  174  fiir  den  Grafen 
Waldestain  bestimmt,  der  nach  Baldinucci  bei  Claude  vier  Bilder  bestellte, 
darunter  zwei  fiir  den  Kaiser.  Vielleicht  sind  es  diese  beiden,  die  auf 
Umwegen  iiber  die  Herzoge  von  Pfalz  =  Zweibriicken  nach  Bayern  kamen. 

Anm.  57)    L.V.  175,  1669  fiir  Colonna  gefertigt,  heute  in  Neapel. 

Anm.  58)  Hierin  gehort  auch  das  Gemalde  »Templum  Veneris«,  L.V.  178, 
von  1672,  ebenfalls  fiir  den  Connetable  Colonna,  das  dann  zu  den  Ros* 
pigliosi  kam  und  sich  noch  vor  einigen  Jahren  in  den  Ra'umen  dieses 
Palastes  in  der  Coll.  Pallavicini  befand. 

Anm.  59)    L.V.  179. 

Anm.  60)    L.V.  180. 

Anm.  61)  Die  »Landschaft  mit  Sonnenuntergang«,  L.V.  176,  ist  eine  Variante 
von  L.V.  185  (Prado)  und  der  Bouvier*Radierung  von  1636.  Die  Marine 
ist  eine  ziemlich  nahe  Replik  von  L.  V.  5,  ein  Gemalde,  das  sich  jetzt  in 
der  Eremitage  befindet  (s.  Anm.  29). 

242 


Anm.62)    L.V.  188. 

Anm.63)    L.V.  1. 

Anm.  64)  Im  L.  V.  ist  es  unter  Nummer  194  verzeichnet  mit  der  Jahreszahl 
1681,  also  ein  Jahr  vor  Claudes  Tod.  »Quadro  facto  per  1' Eminmo  et 
Revermo  Sigr  il  Sig.  Cardinell  Spada.«  Das  Gemalde  im  Stadelschen  In* 
stitut  Frankfurt  ist  signiert:  Claud.  I,V.  F.  Romae  1681  oder  1680.  Eine 
Skizze  dazu  beim  Herzog  von  Devonshire  schon  1675  datiert. 

Anm.  65)  Hier  findet  sich  auch  im  dritten  Teil  des  ersten  Buches  am  Schlufi 
des  Kapitels  iiber  »£an6fdjafts*in:afylen«  ein  Nachstich  von  Claudes 
Forum  =  Radierung  —  ohne  Namensnennung.  Die  Vordergrundfiguren 
sind  verandert.  Ein  Maler  sitzt  vor  seiner  Staffelei  und  arbeitet  —  vielleicht 
soil  es  Claude  sein  —  und  Leute  sehen  ihm  zu. 

Anm.  66)  Doch  steht  es  nicht  fest,  wieviel  von  den  wenigen  Elsheimer  zu# 
gesprochenen  Radierungen  auch  wirklich  von  ihm  sind. 

Anm.  67)    Goethe  iiber  Claude  Lorrain. 

Anm.  68)    S.  Pattisson,  S.  162. 

Anm.  69)    D'Argenville,  Basan  u.  a. 

Anm.  70)    Band  XI,  Paris,  1871. 

Anm.  71)  Gute  Wiedergaben  bei  Amand  =  Durand,  Les  eaux#fortes  de  Cl.  L., 
Paris,  o.J. 

Anm.  72)  »Ce  n'est  qu'au  prix  d'un  certain  effort  que  Ton  parvient  a  retablir 
1'ordre  chronologique,  si  singulierement  trouble «  schreibt  Mrs.  Pattisson 
(S.  165).  S.  306  gibt  sie  eine  Liste  der  Radierungen  in  zeitlicher  Folge,  die 
mir  aber  sehr  wenig  fundiert  erscheint. 

Anm.  73)  Pattisson  S.  180,  die  das  Datum  1634  am  liebsten  in  1654  verandern 
mochte. 

Anm.  74)  Es  ist  jedoch  nicht  ausgeschlossen,  dafi  die  Zeichnung  erst  nach 
der  Radierung  gemacht  ist. 

Anm.  75)    Nur  noch  in  der  Zeichnung  des  L.V.  44  erhalten. 

243 


Anm.  76)    Der  L.  V.  33  entspricht. 

Anm.77)    L.V.20. 

Anm.  78)    L.V.  17. 

Anm.  79)  In  gewissen  Details  wie  der  hangenden  Ranke  zwischen  den  Sa'ulen 
geht  die  Radierung  mehr  mit  dem  Louvre #Bild  zusammen,  als  mit  der  zu# 
gehorigen  Zeichnung  L.V.  10.  Andererseits  fehlt  auf  Radierung  wie 
Zeichnung  der  querliegende  Saulenstumpf  ganz  vorn,  der  sich  nur  auf  dem 
Bilde  befindet.  Fur  die  Radierung  ist  demnach  wohl  Bild  wie  Zeichnung 
benutzt  worden. 

Anm.  80)    Deutlicher  noch  auf  der  Zeichnung  des  L.V.  13. 

Anm.  81)  Die  Figurengruppierung  der  drei  Tanzenden,  des  Spielers  und  der 
Zuschauerstimmen  mitR.  D.  10  ziemlich  iiberein,  die  kampfenden  Ziegen 
mit  R.  D.  6.  Der  lose  Strich,  die  Skizzenhaftigkeit  konnen  die  Vermutung 
nahe  legen,  das  Blatt  in  die  Nahe  der  »Entfuhrung  Europas«  zu  bringen. 
Dann  ware  es  von  den  drei  Tanzradierungen  das  friiheste.  Doch  setzt 
manes  gewohnlich  spat  an,  um  1651,  woftir  ja  auch  das  Westminster*  Bild 
sprache,  das  allerdings  noch  eine  Untersuchung  vor  dem  Original  ver* 
langte  (vgl.  Anm.  51 ).  Claude  hat  an  dem  Blatt  viel  herumgearbeitet; 
ich  kenne  nur  ganz  schwache  Abziige,  mufi  daher  die  Frage  noch  in 
Schwebe  lassen. 

Anm.  82)    Nach  Smith  bei  Lord  Ashburton,  L.V.  52. 

Anm.  83)  Nicht  verschweigen  mochte  ich,  dafl  das  anonyme  Blatt  ganz  friiher 
einmal  -  von  v.  Lepel,  einem  Dresdener  Sammler  —  (Oeuvre  de  Claude 
Gele,  Dresde  1806)  bezweifelt  worden  ist.  Vermutlich  kannte  er  nicht 
den  Zusammenhang  mit  L.  V.  52.  Manche  technische  Unklarheiten  des 
Blattes  mogen  ihn  dazu  verleitet  haben. 

Anm.  84)  Doch  findet  sich  die  Jahreszahl  1634,  aber  nur  an  der  Seite  am  Rand 
und  nur  im  fiinften  Zustand,  ist  auch  im  nachsten  wieder  verschwunden, 
so  dafi  es  sich  wohl  kaum  um  eine  originale  Eintragung  handelt. 

244 


Anm.  85)  L.V.  5.  Die  spate  Replik  in  Miinchen  s.  o.  S.  104,  iiber  Datierung 
s.  Anm.  29. 

Anm.  86)  Mrs.  Pattisson  setzte  das  Blatt  urn  1636.  Mit  L.V.  34  hat  es  nichts 
zu  tun,  dagegen  aber  etwas  mit  L.  V.  3,  wo  dieselben  Figuren  begegnen, 
allerdings  in  einer  ganz  anderen  Landschaft.  Die  ersten  Zeichnungen 
des  L.V.  sind  samtlich  aus  spater  Zeit,  so  Nr.  3,  wie  auch  aus  dem  Stil 
hervorgeht.  Das  gilt  auch  fur  die  Radierung. 

Anm.  87)    (nur  vielleicht  ein  wenig  zu  stark  geatzt). 

Anm.  88)    L.V.  150. 

Anm.  89  )    Auch  das  von  der  Villa  Madama  war  nur  mezza  testa  =  ca.  50cm  hoch. 

Anm.  90)  Die  herrlichste  von  alien  Sammlungen  Claudescher  Zeichnungen  ist 
die  des  British  Museum  in  London  (fast  300  der  schonsten  Zeichnungen, 
Ende  des  XVIII.  Jahrhunderts  fur  die  betrachtliche  Summe  von  40000  Frs. 
en  bloc  gekauft.  Sie  geht  sicherlich  auf  eine  zeitgenossische  Kollektion 
zuriick,  da  sie  gar  keine  Sammlerzeichen  hat  und  in  einer  Hand  gewesen 
sein  mufi.  Damit  kann  keine  andere  offentliche  oder  private  Sammlung 
konkurrieren,  weder  die  Albertina  (mit  etwa  45,  darunter  sehr  schonen 
Blattern),  noch  der  Louvre  oder  sonstige  Sammlungen.  An  vielen  Orten, 
in  Berlin,  Dresden,  Florenz,  Harlem,  Petersburg  usw.,  z.  T.  noch  wenig 
bekannt  und  nie  systematisch  untersucht,  ruhen  eine  Fiille  von  schonen 
Blattern.  Von  Privatsammlungen  war  neben  Windsor  und  Chatsworth 
besonders  die  Sammlung  von  Heseltine  beriihmt,  die  auch  in  einem  be* 
sonderen  Bandchen  herausgegeben  ist.  Auch  stecherisch  sind  Claudes 
Zeichnungen  vielfach  reproduziert  worden;  so  hat  Richard  Earlom  seinen 
zwei  Ba'nden  mit  Stichen  nach  dem  L.V  einen  dritten  hinzugefiigt,  der 
Zeichnungen  Claudes  aus  englischem  Privatbesitz  enthalt,  besonders  viele 
aus  Chatsworth  und  aus  dem  Besitz  von  Payne  Knight,  der  damals  fast 
die  ganze  heutige  Brit.  Mus.  Kollektion  in  Ha'nden  hatte. 

Anm.  91)    Die  Zeichnungen  sind  selten  signiert,  noch  seltener  datiert.    Eine 

245 


auch  nur  annahernde  Chronologic  zu  geben,  ist  heute  noch  unmoglich, 
solange  die  Fulle  des  Materials  noch  nicht  systematisch  untersucht  ist.  Es 
ware  das  eine  lohnende  und  schone  Aufgabe  —  ebenso  wie  fur  die  Zeich* 
nimgen  Nikolaus  Poussins  — ,  die  uns  vielleicht  auch  die  Genesis  der  Bilder 
und  Radierungen  in  ein  neuesLicht  riicken  wiirde.  Die  Verhaltnisse  machen 
ein  solches  Unternehmen,  das  allein  durch  die  Schonheit  und  Qualitat  des 
Materials  reizen  wiirde,  fiir  uns  Deutsche  leider  vorlaufig  unmoglich. 

Anm.  92)    So  Pattison  a.  a.  O.  S.  143. 

Anm.  93)  Vorausgesetzt,  dafi  die  Zeichnung  wirklich  von  Claude  stammt  — 
die  Signatur  Claudio  Lorenese  ist  wohl  von  fremder  Hand.  Claude 
signierte:  Claudio  Gillee  oder  Claude  dit  le  Lorrain. 

Anm.  94)  Nur  aus  L.  V.  146  bekannt.  Danach  1662  fiir  den  Bischof  von 
Montpellier  angefertigt. 

Anm.  95)   L.V.  192. 

Anm.  96)    1672  entstanden.    L.V.  191. 

Anm.  97)  Abbildungen  in  den  neueren  Poussinwerken  von  Magne,  Grautoff 
und  Friedlaender. 

Anm.  98)  Zwar  ist  Koch  in  manchen  seiner  Werke  motivisch  sehr  abhangig 
von  Claude,  wie  in  der  schonen  »Tiberlandschaft«  von  1818  in  Basel 
von  dessen  »Muhle«.  Aber  es  ist  ein  Claude,  der  durch  die  Brille  Poussin* 
scher  »Tektonik«  gesehen  ist,  nicht  der  luminaristische  Lyriker.  Vgl. 
W.  Stein,  Die  Erneuerung  der  heroischen  Landschaft  nach  1800,  Straft* 
burg  1917,  Anm.  82.  (Der  dort  konstruierte  Zusammenhang  der  Claude* 
schen  »Tageszeiten«  mit  den  Poussinschen  »Jahreszeiten«  des  Louvre  ist 
aber  nicht  moglich  -  letztere  sind  erst  1664  vollendet,  Claudes  »Mittag« 
und  » Abend «  aber  schon  1661  bzw.  1663.  Claude  kann  also  in  diesem 
Falle  nicht  Poussin  »nachgefuhlt«  haben.) 


246 


VERZEICHNIS  DER 
ORTS-  UND  PERSONENNAMEN 


Seite 


Seite 


Albani 235          Eyck 3 

Allegrini 161          Freiburg  i.  Brsg 25 

Altdorfer 4          Qellee,  Agnes 30,  223 

Bagnaja 26  Anne 21 

Baldinucci 21  Claude,  Leben      .     .      21  ff. 

Bamboccio 30 

Barriere                                     13   239  Erwahnte  Gemalde,  nach  Orten 

Bethune  '.     '.     '.     '.     '.     '.    '.     37,'  158  geordnet: 

Bentivoglio 45          Belgien,  Briissel 103 

Bles 5,  200  Deutschland,  Berlin     ....     48 

Both 217  Dresden  ...    56,  81,  136 

Bourdon 40  Frankfurta.M. .     .    107,243 

Bril     .    .     3,  6,  10,  15,  16,  25,  194  Koln 89,  242 

Brueghel,  Jan 5  Miinchen      .     .     .     96,  103 

Pieter 5  England,  Chatsworth   ....  244 

Callot 115,  131,  179  Dulwich 106 

Campagnola 9  London,  Nat.  Gal.    .  51,  53, 

Caravaggio,  Polidoro  da       .     .     10  65,  102,  188,  239 

Carracci 11  Bridgewater  .     .241,  242 

Chamagne 21  Buckingham  Pal.  .     .     81 

Chigi 86  Westminster .    64,  65,  75, 

Civitavecchia 28  76,  79,  84,  89,  244 

Clemens  IX 158,227  England,  Longford  Castle  .     .86,89, 

Coninxloo  .......     5,  15  189,  240 

Corot 3,37,217  Wantage,  Lady     .      96,242 

Correggio 9  Windsor      ...      54,  240 

Cosimo,  Piero  di 3  Frankreich,  Grenoble  .... 

Deruet 27,  115  Paris,  Louvre   .      37,  46,  55 

Desiderii 236  63,  69,  70,  131,  135,  238 

Domenichino .12  Italien,  Florenz,  Uffizien  ...     51 

Dossi 9  Neapel,  Museum .     .     .  101 

Dughet 217  Rom,  Pal.  Barberini  .  45,  47 

Diirer 4  Pal.  Crescenzi    ...     35 

Duquesnoy 30  Pal.Doria.   59,61,65,67 

Earlom    .    .194,217,224,228,245  Pal.Muti 35 

Elsheimer    .     .     .  3,  6,  16,  116,  217  Pal.Rospigliosi*Pallavicini 

Errard 28  42,  127,  242 

249 


Seite 

Rufiland,  Petersburg,  Eremitage  55, 

93,  104,  139,  239,  242 

Coll.  Yussopoff     .     .  241 

Spanien,  Madrid,  Prado  71,  90,  191, 

238,  239,  242 

Ungarn,  Budapest 240 

Zeichnungen: 

Berlin,  K.  K 163  f. 

Chatsworth  Liber  Veritatis  .     .     31, 

217,  223ff. 
Dresden,  Museum   .     .     .    179,  187 

Florenz,  Uff 127 

London,  Brit.  Mus.   .     .      165  f.,  245 
Parts,  Ecole  des  Beaux  arts       .  192 

Paris,  Louvre 194 

Wien,  Albertina  .     .     180,  241,  245 

Gellee,  Jean 21,  30 

Giorgione 8 

Gottfried,  s.  Wals 27 

Honthorst 21 

Koch 218,  246 

Laer,  Pieter  van,  s.  Bamboccio 

Lebrun 86 

Livorno 25 

Lauri 53,  160 

Michelangelo 9 

Miel 39,  40,  122,  160 

Miinchen 27 

Muziano 15 

Nancy 27,  115 


Seite 


Nieulandt 237 

Panfili 52,  240 

Patinir 4 

Peruzzi 10 

Philipp  IV. 71,  240 

Philipp  V. 238 

Poussin,  N.     .    .   3,  12,  18,  30,  34, 

76,  162,  213 

Preller 218 

Raffael 9 

Reni 136 

Rom 15 

Romano,  Giulio 10 

Rospigliosi      ....  42,  191,  227 

Rottmann 218 

Rubens   5 

Ruskin 162 

Sacchi 237 

Sadeler 21 

Sandrart 21,  116 

Spada 107 

Swanevelt 217 

Tassi   10,  15,  25,  158,  161,  235,  237 

Tizian 8,  56 

Turner 217 

Urban  VIII.      38,  47,  158,  187,  227 

Uytenbroek 117 

Velasquez 71 

Wa[e]ls 235 

Waldenstain 242 

Wilson 217 

Witz  .  4 


250 


VERZEICHNIS  DER 
ABBILDUNGEN 


Seite 

GEMALDE 

Portrat  des  Claude  Lorrain V 

Coninxloo,  Landschaft  mit  Parisurteil 6 

Annibale  Carracci,  Mariae  Himmelfahrt 11 

Paul  Bril,  Waldlandschaft  mit  Tobias  und  dem  Engel 13 

Adam  Elsheimer,  Landschaft 17 

CampoVaccino 38 

Seehafen 39 

Landschaft  mit  der  Psyche 42 

Aus  liber  veritatis 43 

Landliches  Fest 46 

Ansicht  von  Castel  Gandolfo 47 

Kiistenlandschaft 48 

Einschiffung  der  heiligen  Ursula  (1646) 49 

Einschiffung  der  Konigin  von  Saba 52 

Hafen 53 

Hafen  im  Nebel 55 

Landschaft  mit  der  Flucht  nach  Agypten 57 

Ruhe  auf  der  Flucht 60 

Merkur  stiehlt  die  Kinder  des  Admet 61 

Landschaft  mit  Flufi 63 

Die  Miihle 64 

Die  Miihle 65 

Apollotempel 68 

David  und  Samuel 69 

Die  Furt : 70 

Die  Furt  bei  Abendstimmung 71 

Flufilandschaft  mit  Tobias 73 

Belagerung  von  La  Rochelle 75 

Flufilandschaft  mit  dem  Konstantinsbogen 76 

Anbetung  des  Goldenen  Kalbes 77 

253 


Seite 

Bergpredigt -79 

Raub  der  Europa 80 

Akis  und  Galathea 82 

Verfall  des  romischen  Reiches 85 

Landlicher  Tanz 87 

Der  Mittag 90 

Amor  rettet  Psyche 91 

Der  Abend  mit  Tobias 93 

Der  Morgen  mit  Jacob  und  Rahel 94 

Die  Nacht  mit  Jacob  und  dem  Engel 95 

Das  verzauberte  Schloft  (Landschaft  mit  der  Psyche) 97 

Hagars  Verstofiung 99 

Hagar  und  Ismael 102 

Egeria 103 

Klassische  Landschaft 104 

Aeneas  auf  der  Hirschjagd 105 

Seehafen 106 

Fluftlandschaft 107 

Jacob  und  Laban 108 

Noli  me  tangere 109 

RADIERUNGEN 

Der  Sturm H§ 

Furt 120 

Herde  an  derTranke 121 

Raub  Europas 122 

Die  drei  Ziegen 123 

Landschaft  mit  Ziegen 125 

Flucht  nach  Agypten 12g 

Aufbruch  der  Herde 129 

Hafen  mit  grofiem  Turm 130 

254 


Seite 

Forum  Romanum 131 

Hirt  und  Kinder 132 

Tanz  amWasser 134 

Tanz  untSr  Baumen 135 

Hafen  bei  Sonnenaufgang 137 

Holzbrucke 139 

Die  drei  Briganten 141 

Herde  bei  aufziehendem  Gewitter 143 

Merkur  schlafert  den  Argos  ein 144 

Schafer  und  Schaferin  (l.Zustand) 146 

Schafer  und  Schaferin  (3.  Zustand) 147 

Der  Ziegenhirt 149 

ZEICHNUNGEN 

Naturstudie 163 

Felsen  und  Ba'ume 165 

Baum  und  Berg 166 

Baumsilhouetten 167 

Skizze  von  Baumen 168 

Tiber  bei  Rom 169 

Nocturne 171 

Hohlweg 172 

Hafen  und  Leuchtturm  von  Civita  Vecchia 173 

Studie  mitTurmwand 175 

Sonnenbeleuchtete  Ba'ume 176 

Campagna  romana  mit  Tiber 177 

Ripa  grande 179 

Konstantinsbogen 181 

Campagna 182 

S.  Maria  Maggiore 183 

Tiberufer  mit  Vestatempel 183 

255 


Seite 

Palazzo  Albani 184 

Tivoli 184 

Haus  in  Berglandschaft 185 

Bucht  mitTurm 186 

Pfliigende  Gespanne  am  Meer 187 

Landschaftskomposition 189 

Landschaftskomposition .189 

Fels  und  Landschaft 190 

Komposition  fiir  ein  Bild 191 

Furt 192 

BrUcke 192 

Tranke 193 

Landschaft  mit  Briicke 195 

Landschaft  mit  Furt  und  Briicke 197 

Turmbau  zu  Babel 199 

Fresko*Entwurf.     Uberfall  auf  einen  Heiligen 201 

Entfiihrung  Europas 203 

Merkur  und  Argos 207 

Philipp  und  der  Eunuch 209 


Buchdruckerei  A.  Wohlfeld,  Magdeburg 

256 


ND  Friediaender,  Walter  F 

553  Claude  Lorrain 

G3F7 


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