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Full text of "Dante Alighieri's lyrische gedichte"

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Dante Alighiero 
lyriſche Gedichte. 


Grfter Theil, 


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Dante Alighiert’s 
lyriſche Gedichte. 


Überfegt und erklärt 
von 
Karl Rudwig KRaunegießer 
und 


‚ Karl Witte. 
Zweite, vermehrte und verbefferte Auflage. 


Erster Theil: 
Tert. 


e 1 


Leipzig: 
EU Brodhaus, 





1842. 





Sr. Moiettät 


dem Könige von Preußen 


Friedrich Wilhelm IV. 





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È 


Borrede, 


Fari 16 Sabre find verftrichen, feit wir zuerft eine 
deutfche Ueberfegung von Dante'8 Iyrifchen Gedichten 
mit beigefegtem Original und von einem Commentar 
begleitet erfcheinen ließen. Das Sntereffe an diefen 
Gedichten, dad und zu diefer Arbeit leitete, und das 
wir bei den Leſern vorausfegten, ift nothwendig ein 
doppelteö: einmal das unmittelbare für diefe Poefien 
an ſichz *) zweitens dad durch ihre nähere oder ent: 


*) Ueber den poetifchen Werth der Eleineren Gedichte Dante's 
find die Staliener felbft der verfchiedenften Meinung. Bermuthe 
lich das ditefte, auf uns gefommene Urtheil ift das bes Giov. 
Villani IX. 136: Quando fü in esilio fece da venti can- 
zoni morali e d’amore molto eccellenti. — Der alte Leo: 
narbo Bruni Aretino fagt von ihnen: „Le canzoni sue 
sono perfette, limate, leggiadre, e piene d’alte sentenze, e 
tutte hanno generdsi cominciamenti, siccome quella canz. 
che comincia: Amor che muovi ecc., dov è comparazione 
filosofica e sottile intra gli effetti del sole e gli effetti 
more, — e l’altra, che comincia Tre donne ecc, e l’altra, 
che comincia: Donne, ch’ avete. E così in molte altre 





\ VII 


ferntere Beziehung auf die göttliche Komödie (dad tief- 
finnigfte Gedicht der neueren Literatur) bedingte. Wenn 
wir nun nicht anftehen Tönnen, dad zweite von biefen 
Intereffen ald das uͤberwiegende zu betrachten, fo muͤſ⸗ 


canzoni è sottile e limato e scientifico. — I sonetti non 
sono di tanta virtù. — Galvini (bei Fraticelli Poesie 
minori p. XXVI.) crlärte das I5te Sonett ber Vita nuova 
für das befte unter den mehrern Millionen Sonetten, bie ben 
italieniſchen Parnaf in einen Sumpf zu verwandeln brohen. 
Muratori (Della perfetta poesia ital. Venezia 1795. 8. 
T. I. lib. 1. p.'17.) fagt von Dante: ,, Troppo è famosa la 
sua, come chiamasi, Divina commedia; ma io per me non 
ho minore stima delle sue liriche poesie; anzi porto opi- 
nione, che in questi risplenda qualche virtù, che non appar 
sì sovente nel maggior poema. E ne’ sonetti e nelle can- 
zoni sue si scuopre un’ aria di felicissimo poeta; veggionsi 
quivi molte gemme ecc. — Intanto mi sia lecito, di dire, 
che si è fatto in certa maniera torto al merito di Dante, 
avendo finora tanti spositori solamente rivolto il loro stu- 
dio ad illustrar la Divina commedia, senza punto darsi cura 
de’ componimenti lirici. Sarebbono essi tuttavia privi di 
comento, se il medesimo Dante non ne avesse comentati al- 
cuni sì nel Convito amoroso, come nella Vita nuova, E 
pure, non meno della Commedia sua, meritano queste altre 
opere d’ esser adornate con nobili e dotte osservazioni, tan- 
tochè potrebbe qualche valentuomo in illastrandole conse- 
guir non poca gloria frai letterati.“ Dagegen verſichert un 
der pebantifhe Salviati Degli avvertimenti della lingua 
sopra il Decamerone, Nap, 1712. 4. I. p. 88, 89, daß Dan: 
tes kleinere Gedichte ſaͤmmtlich in viel ſchlechterem Italieniſch 
geſchrieben feien, als bie göttliche Komödie, baf aber unter ihnen 
wieber bie fpäteren größeren Zabel verdienten, als bie der Vita 
muova, ober berfelben Zeit angehörenben. Ergoͤtzlich ift es babei, 





IX 


fen wir auch erfennen, wie die Theilnahme für unfere 
Arbeit größtentheild von dem Eifer und der Grind: 
lichkeit des Studiums abhängig ift, welches Deutſch⸗ 
land der göttlichen Komödie zumendet. Died vorauds 
gefchiet, dürfen wir die Aufpicien, unter denen jett 
die zweite Ausgabe erfcheint, um Vieles günftigere nens 
nen, al8 fie e8 bei der erften waren. Damals batte 
das göttliche Gedicht erft eine befchränkte Anzahl von 
Freunden gefunden, und noch viel Wenigern war ein 
richtiges Verftinbnif deffelben aufgegangen. Wie viel 
Iebhafter jest das Intereffe geworben ift, ergeben ſchon 
die fünf neuen Ueberfegungen, die, neben drei wieder 
holten Ausgaben der beiden ditern, feitbem gebrudt find. 
Aber auch größere Einficht Teitet jegt das Studium der 


nadigulefen, aus was für feltfamen Gründen jener Schulmeiſter 
den angeblichen Abfall herleitet. 

Sicher bietet nur bie Commedia ben vollen Ausbrud von 
Dante mächtiger Indivibualität. Die lyriſchen Gedichte tragen 
im Weſentlichen ben Typus des italienifchen Minnegefange8 zu 
Dante's Beit (Bergl. Karl Witte, „Der Minnegefang in 
Italien”, in Reumont’s Italia, 1838, S. 108—36, befon- 
ders ©. 132, 133). Die beften Gedichte eines Guibo Gui: 
nicelli oder Guido Gavalcanti fireifen unmittelbar an bie 
unfers Dichters an, und nur die erlefene Reinheit der Sprache, 
der big zur Unverftänblichkeit gebrungene Gedankenreichthum une 
terfcheibet die legtern von jenen. Die Objectivirung ber Liebe 
an ſich, bie Abftraction von dem conereten Gegenftande ber Liebe 
iſt Hier zu einer Spige getrieben, über welche hinaus bie Fro⸗ 
frigleit eines Petrarca oder Bembo liegen wuͤrde, waͤhrend aus 
diefen Liedern immer noch bie friſche Unmittelbarkeit des wah⸗ 
zen Gefüpts fpeicht. 


** 


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görtlichen Komödie; denn immer beutlicher wird er: 
fannt, daß ihr wahres Verſtaͤndniß, ihre vichtige Würs 
digung nur bei der Theologie und Philofophie der Beit: 
genoffen gefunden werben fann, und immer Mater bie 
Aufgabe erfaßt, die Stufe der Entwidelung des Geis 
fle8 zu bezeichnen, welche in Dante ihren Ausdrud ges 
fumben bat. 

Das tiefere Verſtaͤndniß des unſterblichen Gebichs 
te8 bat notwendig dahin führen müffen, baffelbe in 
feinem Zufammenhange mit den übrigen, namentlich 
den poetifchen, Werken des Dichters aufzufaffen. Wie 
tief biefer Bufammenbang fei, wie die göttliche Komödie 
mit dem zwiefachen Cyklus, in den die gegemudetigen 
Gedichte zerfallen, eine große Trilogie bilden, iſt in den 
Anmerkungen nachgewiefen, und mit mehr oder weni- 
ger Einficht ift e8 auch von den neuern Erklaͤrern an: 
erkannt worden. Dod hat die legte Zeit auch felb- 
fländige, lobenswerthe Veftrebungen, in dad Verftänd- 
ni diefer Igrifchen Gedichte einzubringen, gebracht: fo 
namentlich bie reimlofe, aber mufterbaft treue und vors 
zuͤgliche Sprach» und Sachkunde bewährende Ueber: 
fegung des berühmten Geologen Charles Lyell 
(London, 1835); ferner die fleißigen, wenn auch 
bei dem Leichteren nicht ohne Breite verweilenden, grò: 
Bere Schwierigkeiten, aber oft überfpringenden Anmer: 
tungen von Fraticelli (Firenze, 1834); endlich für 
die zur Vita nuova gehörenden Gedichte, die lebte 
Arbeit de leider zu früh verftorbenen Karl Foͤrſter 
(Leipzig, 1841). 

Daß wir biefe neuen Hülfsmittel forgfam benugt 


xI 


baben, bebarf faum einer Erwähnung. Aud entfem: 
ter Liegende8, wie die Lettera di Pietro Vitali 
al Sign. Ab. Mich. Colombo int. ad alc. emen- 
daz. che sono da fare nelle rime di Dante ecc. 
Parma, 1820; ferner die im Ganzen unbebeutenden 
Anmerfungen von Buttura, Paris, 1823; bie Os- 
servazioni sulla Poesia dei trovatori, von Giov. 
Galvani (Modena, 1829); Vinc. Nannucei, 
Manuale della letteratura del primo secolo della 
lingua italiana (Firenze, 1837 — 39); Cesare 
Balbo, Vita di Dante (Torino, 1839); Artaud 
de Montor, Histoire de Dante Alighieri (Pa- 
ris, 1841) und manches Andere ift, befonder8 in den 
Anmerkungen, nad Möglichkeit berückſichtigt. Die er: 
giebigfte Quelle ift uns indeß das ſtets wiederholte 
Studium unfere8 Driginal8 unter fortwährender Ver: 
gleihung der Übrigen Schriften des Dichters gewefen, 
und wir dürfen mit Zuverfiht fagen, daß Feine Beile 
unferer Nachbildung ohne forgfame und mehrfache Pri: 
fung wieder abgedrudt if. So find denn verhaͤltniß⸗ 
mäßig viele diefer Gedichte jebt ganz oder theilweife in 
neuen Weberfegungen gegeben (Vita nuova. Son. 5, 
Son. 7. Quart. 1 und 2, Son. 12. Son. 17. Quart. 
1, 2, Son. 24. — Canzone 3. Strophe 1. Ganz. 7, 
Ganz. 13, Ganz. 14. Str. 1, 2. Ganz. 17. — Val: 
late 9, — Sonett 4, 7, 12, 15, 16, 18, 21, 23, 30. 
Antw. zu Son. 31, 34 und die drei Epigramme). Wie 
vielfache Veränderungen, und hoffentlich Verbefferungen, 
aber auch” im Uebrigen aufgenommen find, wird bie 
flüchtigfie Vergleichung lehren. 


XII 


‚Hierbei bat indef ein, in gewiffer Beziehung un: 
guͤnſtiges, Verhaͤltniß obgewaltet. In den Fabren 1825 
unb 1826, in denen die erfte Ausgabe bearbeitet ward, 
lebte ber bamal8 allein auf dem Titel genannte Her: 
auögeber mit den zwei Freunden, die an der Arbeit 
Theil nahmen, an einem Orte, und feine Zeile ward 
ohne gemeinfame Beſprechung niedergefchrichen. Die 
jegigen zwei Herauögeber wohnen nunmehr 50 Meilen 
von einander entfernt, unb den dritten Genoffen un: 
ferer damaligen Arbeit feffelt fein Amt an der entfern- 
teften Weftgrenze der Monarchie. So war benn eine 
Berfplitterung ber früher gemeinfamen Thätigkeit un: 
vermeidlich, und felbft die Principien, nach denen die 
Theilung erfolgt ift, taben ſich mehr durch die Anfor: 
derungen der Umfiinde, ald auf Grund ausdrüdlicher 
Uebereinkunft gebildet. Der Eine von und ift auch in diefer 
neuen Bearbeitung Urheber dergrofien Mehrzahl der Ueber- 
feßungen (mehr al8 zwei Drittel, weniger al8 drei Viertel) 
geblieben*), und fo mußte dad Manufeript zuerft aus 
deffen Händen hervorgehen. Der Zweite hatte außer 
feinen eigenen Ueberfegungen, bie vielfach erforderliche 
Berichtigung des Originalterte8 und die neue Bearbei— 
tung feines Commentar8 übernommen; ferner mußte 
ibm, ald bem Drudorte nahe Wohnenden, die Rebis 
fion der Drudbogen zufallen. Diefe dreifache, ibm ob: 
liegende Thätigkeit führte nothwendig zu vielfachen nad: 


*) Aus biefem Grunbe find bie Weberfegungen ber andern 
Mitarbeiter, nicht aber bie Seinigen, im Texte und in bem Re: 
gifter mit ciner Ramenschiffre verfehen. 


XII 


träglichen Vebenfen, benen freilich am angemeffenften 
durch gemeinfame Erwägung Genüge gefchehen wäre. 
Verſuche, diefe legtere durch Correfpondenz zu bewir⸗ 
ten, wurben allerdings gemacht; nicht felten hatten ſich 
aber vor dem Eintreffen der Antwort neue Scrupel 
gefunden, und das nothwendige Fortfchreiten der Ar: 
beit machte ein einfeitiges Eingreifen oft unvermeidlich. 
Sollten mithin bei ſolchen nachträglichen Aenderungen 
Irrthuͤmer eingeſchlichen fein, fo fält die Schuld da: 
von beren Urheber, wie biefer im Vorau8 einräumt, 
allein zur Lafl. Herr von Lüdemann hat auch 
jest feine Theilnahme unferm Unternehmen nicht ent: 
zogen; leiber aber geftattete die weite Entfernung feis 
nes Wohnorted fo wenig ein Verftändigen über das 
Einzelne, daß wir auch unter den Gorrecturen, die er 
uns zu feinen frühern Ueberfegungen gefällig mitge⸗ 
theilt hat, nur von einer dußerft Heinen Zahl haben 
Vortheil ziehen Finnen. 

Eine wefentliche Verſchiedenheit diefer Ausgabe von 
der erften befteht darin, daß der italienifche Tert jebt 
nicht, wie früher, ber Ueberfegung gegenüber geftellt ift. 
Es ift diefe Veränderung erft, al8 unfere Arbeit, nas 
mentlich auch der.Commentar, ſchon weit vorgeſchrit⸗ 
ten war, auf den Wunſch des Herrn Verleger8, der 
eine befondere Ausgabe des Driginald, mit einem ita: 
lieniſchen Auszuge der Anmerkungen, der gegenwärtigen 
Schrift alsbald folgen laſſen will, befcbloffen worden. 
Dadurch if der doppelte Uebelftand unvermeidlich ges 
worden, daß eines XTheild der Commentar Manches 
enthält, das zur Rechtfertigung des italienifchen Textes 


XIV 


noͤthig war, bei der Erläuterung der bloßen Ueberfegung 
aber hätte entbehrt werden koͤnnen, und daß andern 
Theils dem beutjchen Terte mitunter die Begründung 
fehlen wird, welche bas berichtigte Original ihm ge: 
währt haben wuͤrde. i 

Was für diefe Berichtigung gefchehen fei, fam 
erft die italienische Ausgabe im Sufammenbange erge 
ben. Drei Handſchriften der St. Marcus Bibliothek 
in Benebig (63, 191 und eine neuacquirirte), ſowie die 
eigene des einen Heraudgeber8, die früher der Familie 
Somaja gehörte, find durchgängig verglichen. Aus 
ßerdem an ſchwierigeren Stellen'mebre dem March. Tris 
vulzio und florentiner Bibliotheken gehörende Manu: 
fcripte. Die Benutzung des bereits von Andern gefammel: 
ten Material8 verftebt fi von felbft. Schon hier aber 
fobien e8 winfchenswerth, daß von den in Handſchrif⸗ 
ten Dante beigelegten Gedichten, welche der obener⸗ 
wähnte eine Heraudgeber in verfchiedenen italienifchen 
Bibliotheken aufgefunden hat, mindeften8 Einiges mit: 
getheitt werde. Sn biefer Beziehung ift zuerft die in 
der florentiner Antologia, September 1826. Nr. 69. 
p- 41 sq. herausgegebene Canzone auf den Tod Heinz 
rich's VII, al8 18te Canzone, anftatt derjenigen aufges 
nommen, bie in der erften Ausgabe diefen Play ein: 
nahm, aber wol richtiger dem Cino von Piftoja bei: 
gelegt wird. Ferner find die Sonette AL—4T dem 
Anzeigeblatte der Wiener Jahrbücher, Bd. XLII (2te8 
Quartal 1828) entlehnt, wo fie aus einer Ambrofiani: 
ſchen Handfehrift zuerft heraudgegeben wurden. Dage: 
gen find die übrigen in jenem Manuferipte gleichfalls 





XV 


unferm Dichter zugefchriebenen Sonette verfchmäht wor: 
den, weil bie dort angefteliten Unterfuchungen diefe Un: 
gabe al8 entſchieden irrig ergeben haben. 

Im Originale no ungedrudt find die Ballaten 
10 und 11 und die Sonette 48—51 u.53—55. Aller 
dings ift der Vorrath noch unedirter, in alten Handſchrif⸗ 
ten Dante beigelegter Gedichte, über den wir hätten vers 
fügen koͤnnen, um Vieles größer; es mußten aber von 
diefer Sammlung nicht nur Gedichte allzuzweifelhaf: 
ter Echtheit, fondern auch diejenigen audgefchloffen wer 
den, bie in ben bisher verglichenen Manuferipten alle 
aufebr entftellt find, um ohne Anftof verftanden zu 
werben. In der italienifchen Ausgabe wird ed an: 
gemeffen fein, dad Vebeutendfte diefer Art zu künftie 
ger Deutung und Berichtigung mitzutheilen. Aus den 
angegebenen Gründen haben auch die Gedichte, von 
denen in dem gedachten Auffage ber Anthologie Frag: 
mente gegeben wurben, hier nicht Plag finden Firmen. 

Eine fernere Erweiterung bat die gegenwärtige 
Sammlung durch Aufnahme der Bußpfalme nebft dem 
‚Glauben und des poetifchen Briefwedfel8 mit 
Iohannes de Virgilio erhalten. Allerdings trifft 
fie beide Stüde die Bezeichnung „lyriſche Gedichte” 
nicht zu, und bie exffen find noch außerdem von fehr 
zweifelhafter Echtheit; e8 fehien aber um fo wuͤnſchens⸗ 
werther, ſaͤmmtliche Gedichte, die wir von Dante außer 
der göttlichen Komödie befigen, oder die ihm doch von 
zahlreichen Autoritäten zugeſchrieben werben, hier zu: 
fammengeftellt zu feben, al8 neuere Forſcher fich viel: 
fach gerade auf biefe, unferer erften Auögabe fehlenden 


XVI 


Arbeiten zur Unterftigung ihrer, durchaus nicht immer 
zu billigenden, Theorien berufen haben. Ueberdies ge⸗ 
währt der Briefwechfel mit dem bolognefer Dichter das 
lebbaftefte Intereffe, und die Bücher, in denen er bis: 
ber gebrudt war, find, wenigftens in Deutfchland, nicht 
gerade für Jeden zugänglich. 

Ueber die Art, wie eines der Hülfsmittel zur Ins 
terpretation biefer Gedichte zu benugen fei, hat der 
Verfaffer der Anmerkungen lange geſchwankt. Gewiß 
haben wenige Zeitgenoffen genauere Kunde von ber alt: 
italienifchen Lyrik, ala Gabriele Roffetti fie in den 
zwei Bänden feines Comento analitico über bie 
‚Hölle (London, 1826—27), und befonders in der Schrift: 
Sullo spirito antipapale dei classici antichi d’Ita- 
lia (London, 1832) bewährt bat. Auf die reiche Ma: 
terial, das ihm zu Gebote ſteht, geftüßt, bat er nun 
ein Eunftreiches Gebäude der feltfamften Deutungen von 
Dante'8 göttlicher Komödie, von deffen Fleinerm Ge 
dichten, ja ziemlich von der ganzen italienifchen und 
provengalifchen Literatur des Mittelalters aufgeführt. 
Diefe Deutungen lauten fo abenteuerlih, fo unverein: 
bar mit dem fonft bekannten Charakter jener Zeiten, 
daß man Mühe bat, fich zu einer ernften Prüfung zu 
entſchließen, und bie nadte Relation für genügend bal: 
ten möchte, über den befremblichen Einfall die unvers 
tilgbare Makel der Lächerlichkeit auszufchütten. Dem 
etwa forgfameren Blicke begegnen dann fofort Wider⸗ 
forüche, grobe Irrthuͤmer, ja Unreblichkeiten in Menge, 
und e8 fällt dufierft ſchwer, dem Urheber diefer Träume 
aufs Wort zu glauben, daß er fie für Wahrheit gehal⸗ 


XVII 


ten babe. — In diefem Sinne wurde ſchon im Fabre 
1829 (Blätter für literarifche Unterhaltung, Nr. 57 
und 58, S. 225—31) über ben Comento analitico 
berichtet, und der Tadel mit unmiderleglichen Belegen 
genügend unterftügt. — Gern würde ber Commentator 
der lyriſchen Gedichte fich jegt darauf beſchraͤnkt ha: 
ben, die Roffetti’fchen Interpretationen im Allgemeinen 
abzulehnen und auf Bericht und Widerlegung, wie er 
fie früher gegeben batte, zu verweiſen. Indeß hatten 
fi, unerwartet genug, gewichtige und ehrenwerthe 
Stimmen für Roffetti erklaͤrt: Lyell fcheint bei feis 
ner trefflichen Ueberfegung ganz vorzugsweife den Zweck 
gehabt zu haben, die Richtigkeit der neuen Lehre an 
Dante's Lieberfammiung zu bewähren, unb ein auds 
gezeichneter berliner Literat, deſſen Perſoͤnlichkeit und 
bürgerliche Stelung den Verdacht ausſchließt, daß 
Büchergelehrfamkeit den freien praftifchen Lebensblick 
gehemmt babe, hat der Verbreitung ber Roffetti’fchen 
Anfichten eigene Vorlefungen gewidmet, die zuerft im 
Berliner Freimithigen (Januar, 1835) und dann ald 
tigene8 Heft (Berlin, 1840) erfohienen find. Selbſt 
die Bedenklichen oder Mipbiligenden, wie Tommafeo, 
einige englifche Reviewer (Quarterly LXXIM. 1828. 
Jan., Edinburgh XC. 1832. July etc.) und %. W. 
von Schlegel, Revue des deux mondes, 1836. 
— Magazin für bie Literatur des Auslandes, 1836, 
Nr. 115—17) nehmen die Sache emftbafter, als fie 
& zu verbienen feheint. Die befte Widerlegung der 
Audgeburten diefed am Garbonarifieber Franken Gebir= 
ne ift, wie ſchon vor 13 Jahren in dem erwähnten 


XVII 


Aufſatze gefagt ward, eine, wenn auch nur Heine, An 
zahl Gedichte von Dante oder einem andern Dichter 
jener Zeit unentftelt und in ihrem wahren Zuſammen⸗ 
hange zu lefen und ſich babei Zeile fir Zeile zu fra: 
gen, ob Roſſetti's Interpretationsfoftem darauf ans 
wendbar fei? Zu dem Ende war ed nothwendig, ge 
voiffenhaft zu referiren, was für Erfärungen über jede 
einzelne Stelle unferer Gebichtfammlung fih in Rofs 
ſetti's verfchiedenen Schriften zerfireitt finden. Mit 
welchem Misbehagen dies häufig gefchehen ift, wird 
dem Lefer nicht entgehen. Die Grundlage biefer Be 
richte gewährten eigene, feit länger angelegte Ercerpte; 
doch find auch die Venweifungen, bie Lyell zu den 
Gedichten der Vita nuova und deg Convito gibt, oft 
mit Nuben verglichen worden. 

Ian Pol und 8. A. Korte, Blüten der Poefie 
aus Hellas und Italien (Effen, 1828), find uns un: 
zugänglich geblieben; doch wiffen wir durch gefällige 
Mittheilung, daß fie metrifche Ueberfegungen von fol: 
genden Gedichten enthalten: Vita nuova, Son. 1, 
ibid. Son. 5, ibid. Son. 6, ibid. Son. 11, ibid. 
Son. 23, Son. 12, Son. 26, Ball. 1. . 

An Recenfionen ber erſten Ausgabe find uns 
folgende bekannt geworden: Blätter für literariſche 
Unterhaltung, 1827, Nr. 104, 105; Literaturblatt 
zum Morgenblatt‘, 1827 (von Wilhelm Müller); 
Berliner Converfationgblatt, 1827, Nr. 45, 46 (von 
Stredfuß); Berliner Jahrbücher für wiffenfchaftliche 
Kritik, 1828, Nr. 5, 6. (von Adolph Wagner); 
Revue encyclopedique, 1828, Janvier, p. 145, 


XIX 


146. (von 2. Dh.); Hallifhe Allgemeine Literaturzeie 
tung, Ergänzungdblätter, 1829, Mai, Nr. 59. (von 
Blanc). Gern erkennen wir an, daß wir der Mehr: 
zahl derfelben, am meiften vielleicht der von Adolph 
Bagner, Belehrung verdanken, und daß wir fie wil- 
lig benußt haben, wird hoffentlich bie gegenwärtige Ur 
beit beweifen. 

Bu bem Werthvollſten, das bie Anmerkungen lie 
fern, gehört nad unferer Ueberzeugung dad dem Bri 
wechfel mit dem Marchefe Gian Giacomo Trivul: 
gio Entlehnte. Als Menfch ebenfo trefflicà, ald Freund 
ebenfo wohlwollend, wie ala Gelehrter über feine Lan: 
des: und Zeitgenoffen hervorragend, ward er am 29ften 
März 1831 viel zu früh der Wiſſenſchaft, feinen 
Freunden und ben Vielen, die an ihm ihre Stüge fan: 
den, entriffen. Wäre ihm ein längeres Leben befchie: 
den gemefen, fo wäre bie gegenwärtige Arbeit durch 
feinen Rath und feine Beihülfe eine um Vieled an: 
dere geworben; wir aber hätten bie Freude gehabt, 
ihm ein veifered Werk, ald das erfte war, darzubringen. 
— Sernere giitige Unterftibung hat und, wie gehöri: 
gen Ort8 erwähnt ift, Herr Prof. Diez gewährt; 
nicht ausdruͤcklich konnte aber der Velebrungen gedacht 
werden, bie ber Verfaffer des Commentar8 aus den 
minblicen Mittheilungen feiner Collegen Blanc, 
Erdmann, Tholud und Ulrici gefchöpft hat. 

Breslau und Halle, am Charfreitag 1842. 








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Regifter. 


(Die in ( ) eingefchloffenen Ziffern bedeuten den zweiten Theil.) 


L Canzonen. 


Brite 
Abi fals ris! per que traît avetz. (XVII) W.. . 100 (156) 
Alipoco giorno ed al gran cerchio d’ombra, (XX. 

— Seftine) W. . + e 2 + + « 118 (164) 
Amor, che muovi tua virtù dal cielo. (XII) . . 88 (125) 
Amor, che nella mente mi ragiona, (IL) . . . 53 ( 69) 
Amor, dacchè convien pur ch'io mi doglia. (X.) . 81 (116) 
Amor, tu vedi ben che questa donna. (VIIÌ.) 4. 75 (I 
Così nel mio parlar voglio esser aspro. (VII.) + 71 (100) 
Doglia mi reca nello core ardire. (XV). W. . . 100 (147) 
Donna pietosa e di novella etate. (V. n. II) . . 28) 
Donne, che avete intelletto d'Amore, (V. n.1) . 17 (21) 
E’ m'incresce di me sì malamente. (VÌ.) . . . . 67( 92) 
Gli occhi dolenti per pietà del core. (V.n. IV.) . 32 ( 32) 
Io non posso celar lo mio dolore. (XIX.) . . . 115 (163) 
To sento sì d’Amor la gran possanza, (V.) . . . 63 ( 85) 
Io son venuto al punto della rota. (IX.) L. » . 78 (111) 
La dispietata mente, che pur mira. (XL) L. . . 85 (120) 
Le dolci rime d’Amor, ch'io solfa. (IV.) . . . . 57( 75) 
Morte poich'io non trovo a cui mi doglia. (I). . 47 ( 

O Patria, degna di triumfal fama. (XVI.) W. . . 106 (153) 
Poscia ch’Amor del tutto m'ha lasciato, (XIIT.) PW. 91 (129) 
Poscia ch’ i’ ho perduta ogni speranza, (XVIII) 111 (159) 
Quantunque volte, lasso, mi rimembra. (V.n. V.) 36 ( 36) 
Si lungamente m'ha tenuto Amore. (V.n, III.) . 31 ( 32) 
Tre donne intorno al cor mi son venute, (XIV.) 96 (137) 
Voi, che’ntendendo il terzo ciel muovete. (IL) . 50 ( 63) 





XXI 


I. Ballaten. 


Seite 
Ballata, io vuo” che tu ritrovi Amore. (V. n. I). 11 ( 16) 
Deh nuvoletta, che ’n ombra d’Amore. (IV.) . . 127 (170) 
Donne, io non so di che mi preghi Amore, (a) 129 (172) 
Fresca rosa novella. (I.) W. - - - +. . 1 
In abito di saggia messaggiera, (X.) W. 
Io mi son pargoletta bella e nuova, (III.) . 
To non dimando, Amore. (V). 1 
Madonna, quel Signor, che voi portate. (VIII) W. 132 (173) 
Perchè ti vedi giovinetta e bella. (XI.) W. . . 135 
Per una ghirlandetta. (IX.) W. +++ 133 (174) 
Poichè saziar non posso gli occhj miei. (IT) . . 125 (168) 
Voi che sapete ragionar d'Amore. (VII). - . . 130 (179) 














II. Sonette. 


A ciascun’ alma presa e gentil core. (V. n I.) . 3 ( 11 
Ahi lasso, ch'io eredea trovar pietate. (XVIL) . 155 (185) 
Ahimè, ch'io veggio, ch'una donna viene. (XXX.) Il ‘ 
Amore e’l cor gentil sono una cosa. (V. n. X.) » 

Ben dico certo, che non è riparo. e 
Cavalcando Valtr’ier per un cammino, (V. 
Chi guarderà giammei senza paura, ( 
Ciò che m’incontra nella mente muore. (V. 8 > vin, 
Coll’ altre donne mia vista gabbate. (V. n. VII, 
Color d'amore e di pietà sembianti. (V. n. XX.) 
Com?’ più vi fiere Amor co’ suoi vincastri. (LIIT,) W. 
Dagli oochj belli di questa mia dama. (1) W. . 139 (175) 
Dagli och} della mia donna si muove. (XII) . 150 (183) 
Dal viso bel, che fa men chiaro ’l sole. — W. 189 (204) 
Da quella luce, che ’l suo corso gira. (ib) «+ 149 (182) 
Deh peregrini, che pensosi andate, (V.n. XXIV.) 43 ( 2) 
Deh ragioniamo un poco insieme, 25 ax) m 1108) 
Deh sappi pazientemente amare. (LIV.) W. 

Di donne io vidi una gentile schiera, Gi . 100 (180) 
Due donne in cima della mente mia, VI) 177 8 
E° non è legno di e) forti nocchi. av) ++. 153 (184) 
Era venuta nella mente mia. (V. n. X dit) 37 ( 36) 
Gentil pensiero, che parla di vui, (V. n. XXIl) 41 ( 39) 
Giovinetta gentil, poiché tu vede. (XXVIII.) E. @. 166 (1 3) 




















XXIU 


Seite 
Guido, vorrei che tu e Lappo ed io, (V.) . » - 143 (177) 
lo meledico il dì ch'io vidi imprima, (XVI) . . 154 (185) 
Io mi credea del tutto esser partito. (XXXII) . 171 (196) 
Io mi senti svegliar dentro del core, (V. n. XIV.) 28 ( 30) 
Io son sì vago della bella luce, (KIV.) W. . » 152 (184) 
L’amaro lagrimar, che voi faceste. (V. n. XXI) 40 ( 39) 
Lasso, per forza di molti sospiri. (V. n. XXIII) 42 ( 42) 
Lo fin piacer di quello adorno viso. (XXIL) Z. » 160 (191) 
Lo re, che merta i suoi servi a ristoro, (XLIV:) 185 (202) 
Madonne, deh vedeste voi l’altr ’ieri. (KXV.) . 163 (192) 
Messer Brunetto, questa pulzelletta. (XX.) ". . 158 (189) 








Nulla mi parrà mai più crudel cosa. LI.) W. 182 (200) 


Oltre la spera, che più larga gira. (V.n. XXV.) 44 ( 44) 
O Madre di virtute, luce eterna. (XXVIL) . . 165 (193) 
O'mè Commun, come conciarti veggio. (4XXVIII.) 179 (199) 
Onde venite voi così pensose. (III). . + . . » 141 (176) 
O pien d’affanni mondo, cieco e vile. (LI.) W. 192 (205) 
Ora che ’I mondo si adorna e veste, (XLII.) . 183 (201) 
O voi, che per la via d'Amor passate, (V.jn. IL) 7 ( 13) 
Parole mie, che per lo mondo siete, (IX.) &. . - 147 

Per quella via, che la bellezza corre. (VIII) L, 146 (180) 
Per villania di villana persona. (XLVII) . . . 188 
Piangete amanti, poichè piange Amore. (V.n. II) 8 ( 15) 
Poichè sguardando I cor feristeiritanto. (XLVI) W. 181 (203) 
Poich'io non trovo, chi meco ragioni RN W. 

Quando la notte abbraccia con fosch' ale. (XXVI.) 164 (192) 
Quanto si può, si dee senza disnore, (LV.). » - 196 
Questa donna, ch’andar mi fa pensoso. XXI.) » 158 (190) 
Savere e cortesia, ingegno ed arte, (XXXIV) . 175 (198) 
8e gli occhjmieisaettassero quadrella. (XXIX.) E.G, 167 (193) 
Se la Fortuna t'ha fatto Signore. (LII.) W. 
Se lagrime, dolor, pianti e martirj. (L.)_W. 
8e "l bello aspetto non mi fosse tolto (ALIII.) W. 
Se nel mio4ben ciascun fosse leale. (KXXIX.) W. 180 (200) 
Sei tu colui, ch’ hai trattato sovente. (V.n. XIII) 23 ( 28) 
Se vedi gli occhj miei di pianger vaghi. (XIX.) W. 157 (187) 













XXIV 
i Seite 
Sonetto, se Meuccio t'è mostrato. an: .... 18 ( 


202 
Tu che stampi lo colle ombroso e fresco. (X x) 173 (197) 
Tutti li miei pensier parlan d'Amore, (V. n. VI.) 13 € 18) 
Un di si venne a me Melanconia. (IV.) . 142 (um) 
Vedo perfettamente ogni salute. (V. n. XVI. 31) 
Venite a intender li map miei. (V. n. XVII) 3 35) 








. Epigramme, 
Erſtes, zweites, drittes Epigramm - + . +. + + 199 (206) 


V. Susopoatme und Glaube. 


Erſter Bußpfalm - * + 203 (208) 
3 - 205 Giù 


+ 208 
+ 212 @19) 
+ 215 









221 
++ 224 (212) 


VI. Briefwechsel mit Johannes de Virgilio. 


Johannes de Virgilio an Dante» 
Dante's erfte Elloge » + + + > + 
Antwortsefloge bed Johannes de Biegitio 
Dante" zweite Efloge - - + 





Gedichte 


aus der Vita nuova. 


Dante, Lyriſche Gedichte. L 1 


5 


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Digtize 


| Erſtes Sonett. 


AU eble Herzen, die von Lieb’ entglommen, 
Vor deren Blick erfcheinet dies Gebicht, 
| Sid zu erbitten Antwort und Bericht, 
Haß ich in Amor, ihrem Herrn, willkommen. 
| Des Bogens Drittel hatte ſchon erflommen 
| Die Beit, in der erglängt der Sterne Licht, 
Pisglid von Amor fab ich cin Geficht, 
Boran zu denken noch mid) macht beflommen. 
Froh fhien er mir, mein Herz in feiner Hand, 
Und die Gebieterin von ihm getragen, 
Schlafend im Arm, gehuͤllt in ein Gewand. 
& weckte Sie; das Herz dann, das entbrannt, 
Gab er zur Speife der Demüthigzagen; 
Und alsbald fah ich, wie er weinend ſchwand. 


1* 





Guido Cavalcanti an Pante Alighieri. 


Antwort. 


Dein Auge hat das Hehrefte vernommen, 
Das Bell und Lieblichfte, geb’ ich Bericht, 
Wenn die erfchien der Herrſcher im Geficht, 
Der aller Ehren Herrſchaft überfommen. 
Dort, wo Sein Leid, bat Wohnung er genommen, 
Und hält in einer frommen Bruſt Gericht, 
Die er bei Schlaf und Schlummer füß umflicht, 
Und ihr das Herz raubt, eh’ fie wahrgenommen. 
Er raubte dir das Herz, ald er erkannt, 
Daf deinen Tod die Herrin anbefohlen, 
Und gab Ihr diefe Herz, das Furcht ummwand. 
As du bemerkteft, daß er trauernd ſchwand, 
Da floh der Schlummer auf beſchwingten Sohlen, 
Weit ist fein Gegentheil ihn uͤberwand. 





Meister Cino von Pistoja an Dante Alighieri. 


Antwort. 


Naturgemaͤß gibt gern wer Lieb' entglommen 
Von feinem Herzen feiner Frau Bericht; 
Hiervon durch gegenwärtiges Geſicht 

* Sf Deutung bie durch Amor zugefommen: 

Sofern dein flammend Herz zu fi genommen ' 
Die Herrin mit bemüthigem Geficht, 

Sie, die verfchleiert lang” im Schlaf dem Licht 
Ihr Auge ſchloß, von keiner Noth beflommen. 
Froh ſchien dir Amor, weil er vor bie fland, 
Dir gebend, was dem Herzen ſchuf Bebagen, 
Indem in Eins er zween Herzen band; 
Und als die Liebesfchmerzen er erfannt, 
Die der Gebieterin er gab zu tragen, 
Da weine’ er, fie bebauernd, als er ſchwand. 


Pante von Mojano an Pante Alighieri. 


Antwort. 


Worüber du in Frage mid genommen, 
Geb’ ich bemerfend kuͤrzlich dir Bericht, 
Mein Freund, weil Dunkel dic umgibt flatt Licht, 
Und laffe gern zu die die Wahrheit fommen. 
So fei gefündet denn zu deinem Frommen, 
Wenn deinem Geift nicht Muth und Kraft gebricht, 
Du mögeft wafchen Hals dir und Geficht, 
Den Dunft zu fheuchen, der did) übernommen, 
Und der dich reden heißt dergleichen Tand; 
Und bift mit boͤſer Krankheit du gefchlagen, 
So miff, e8 leidet, glaub’ ich, dein Verftand. 
So hab’ ich meine Meinung dir bekannt, 
Und nimmer hab’ ich Andres drauf zu fagen, 
Bis ich dem Arzt dein Waffer zugefandt. 


Zweites Sonett. 


Die ihr auf Amore Pilgerpfaden feib, 
D Schaut mit Achtfamkeit, 
Ob's etwas Härtres gibt, ald ich muß leiden? 
I bitte nur, daß ihe Gehe mir leiht; 
Und dann gebt mir Beſcheid, 
Db id nicht Haus und Schläffel aller Leiden. 
Mir gab trog eigener Werthloſigkeit 
Aus reiner Mildigkeit 
Amor ein Leben voll von füßen Freuden. 
ft Höre ich Hinter mic zu jener Beit: 
„Gott, welche Würbigkeit 
Mocht' ihm das Herz mit folcher Anmuth kleiden?“ 
O wie ber frohe Muth mir nun entwich, 
Sonft aus dem Schag der Liebe mid) befeelend! 
Drum bin id arm und elend, 
Und felbft zu ſprechen ſcheut die Lippe ſich 
Drum zeig’ ich, jene mir zum Mufter wählend, 
Die ihre Noth aus Scham verbergen, mid 
Zwar heiter dufertid), 
Jedoch im Herzen meinend und mich quätend. 


Drittes Sonett. 


Meint, Liebende, denn Amor weint, und höret, 
Warum fein Untlig Thränen reich bethaun. 
Amor vernimmt den Weheruf von Fraun, 
Ihr ſchwimmend Aug’, die bittrer Gram verzehret. 

Sat doc; verruchter Tod anigt verbeeret 
Ein edles Herz mit feinem Werk voll Graun, 

* Vernichtend, was lobwuͤrdig nur zu ſchaun, 
An einer Frau, bie nie genug man ehret. 

Vernehmt, 1008 Amor that zu ihrem Preife: 
Ich fab ihn laut und unverbolen Elagen 
Beim tobten Bilde, das fo Hold und ſchoͤn. 

Dann hob er oft den Blid zu Himmels Höhn, 
Wohin Ihr Geift ſchon war emporgetragen, 
Die hier gebluͤht in lieblichheitrer Weiſe. 


BViertes Sonett, 


BVerruchter Tod, dem Mitleid nie darf nahn, 


Des Schmerzes alter Ahr, 
Du Urtheilsſpruch, ſchwer und nicht zu entfliehen, 


Du haft dem wehen Herzen Stoff geliehen; 
Drum mill id) mid) bemühen 
Bu ſchmaͤhen did auf trüber Lebensbahn. 
Und daß du nie magft ein’ge Hulb empfahn, 
Sei von mir fund gethan, 
Wie Trug und Lug und Frevel dich durchgluͤhen; 
Nicht weil die Welt verfennt dein arg Bemühen, _ 
Nein, denen, die noch ziehen 
Auf Amors Pfad, zur Warnung vor dem Wahn. 
Du haft die Anmuth diefer Welt entriffen 
Und mas allein ben Frauen Preis verleiht: 


In holder Jugendzeit 
Die Tugend und den Liebreiz fol’n wir miffen. 


Ver Jene fei, wollt es nicht anders willen, 
As durch den Ausdrud ihrer Wefenheit. 


Ber fern der Seligleit, 
Wird ewig Ihrer auch entbehren müffen. 


1** 


Erſtes Sonett. 


Ar edle Herzen, die von Lieb’ entglommen, 
Vor deren Blick erſcheinet dies Gedicht, 
Sid zu erbitten Antwort und Bericht, 
Heiß’ ic) in Amor, ihrem Her, willkommen. 
Des Bogens Drittel hatte ſchon erflommen 
Die Beit, in der erglänzt der Sterne Licht, 
Ploͤtlich von Amor fab id cin Geficht, 
Woran zu denken nod) mid macht beflommen. 
Froh ſchien er mir, mein Herz in feiner Hand, 
Und die Gebieterin von ihm getragen, 
Schlafend im Arm, gehuͤllt in ein Gewand. 
Er weckte Sie; das Herz dann, das entbrannt, 
Gab er zur Speife der Demüthigzagen; 
Und alsbald fab ich, wie er tveinend ſchwand. 


1* 


Guido Cavalcanti an Pante Alighieri. 


Antwort. 


Dein Auge hat das Hehrefte vernommen, 
Das Beft und Liehlichfte, geb’ ich Bericht, 
Wenn die erfchien der Herrfcher im Geficht, 
Der aller Ehren Herrſchaft uͤberkommen. 
Dort, wo fein Leid, hat Wohnung er genommen, 
Und hätt in einer frommen Bruft Gericht, 
Die er bei Schlaf und Schlummer ſuͤß umflicht, 
Und ihr das Herz raubt, eh’ fie8 wahrgenommen. 
Er raubte dir das Herz, ale er erkannt, 
Daf deinen Tod die Herrin anbefohlen, 
Und gab Ihr diefes Herz, das Furcht ummwand. 
As du bemerkteft, daß er trauernd ſchwand, 
Da floh der Schlummer auf befchteingten Sohlen, 
Weit igt fein Gegentheil ihn uͤberwand. 


Meister Cino von Pistoja an Dante Alighieri. 


Antwort. 


Raturgemäg gibt gern wer Lich’ entglommen 
Von feinem Herzen feiner Frau Bericht; 
Hiervon durch gegenwärtiges Geficht 
Sf Deutung die durch Amor zugefommen: 

Sofern bein flammend Herz zu fi genommen ' 
Die Herrin mit demuͤthigem Geſicht, 

Sie, die verfebleiert lang” im Schlaf dem Licht 
Ihr Auge fehloß, von Feiner Noth beflommen. 

Froh ſchien dir Amor, weil er vor bir fland, 
Dir gebend, was dem Herzen ſchuf Bebagen, 
Indem in Eins er zween Herzen band; 

Und als die Liebeöfhmerzen er erkannt, 

Die der Gebieterin er gab zu tragen, 
Da weint’ er, fie bebauernd, alè er ſchwand. 


Pante von Majano an Pante Alighieri. 


Antwort. 


Worüber du in Trage mid) genommen, 
Geb’ id) bemerkend kuͤrzlich dir Bericht, 
Mein Freund, weil Dunkel dich umgibt ftatt Licht, 
Und laffe gern zu die die Wahrheit fommen. 
So fei gefünbet denn zu deinem Frommen, 
Wenn deinem Geift nicht Muth und Kraft gebricht, 
Du mögeft waschen Hals die und Geficht, 
Den Dunft zu fcheuchen, der did) übernommen, 
Und der did) reden heißt dergleichen Tand; 
Und bift mit böfer Krankheit du gefchlagen, 
So miff, es leidet, glaub’ ich, bein Verftand. 
So hab’ ich meine Meinung dir bekannt, 
Und nimmer hab’ ich Andres drauf zu fagen, 
Bis id) dem Arzt dein Waſſer zugefandt. 


Zweites Sonett. 


Die ihr auf Amor Pilgerpfaden feb, 

O ſchaut mit Achtfamkeit, 

Ob's etwas Härtres gibt, als ich muß leiden? 

Sd) bitte nur, daß ihr Gehör mir leiht; 

Und dann gebt mir Befcheid, 

Ob id nicht Haus und Schlüffel aller Leiden. 
Mir gab trog eigener Werthloſigkeit 

Aus reiner Mildigkeit 

Amor ein Leben voll von füßen Freuden. 

Oft Höre ich Hinter mir zu jener Belt: 

„Bott, welche Würbigkeit 

Mode ihm das Herz mit folder Anmuth Heiden?“ 
O wie der frohe Muth mir nun entwid, 

Sonft aus dem Schag der Liebe mich befeelend! 

Drum bin id arm und elend, 

Und felbft zu fprechen ſcheut die Lippe fi 
Drum zeig’ ich, jene mir zum Mufter rodblend, 

Die ihre Noth aus Scham verbergen, mic) 

Bar heiter Außerlich, 

Jedoch im Herzen weinend und mid) quälend. 


Drittes Sonett, 


Wein, Liebende, denn Amor weint, und höret, 
Warum fein Antlig Thränen reich bethaun. 
Amor vernimmt den Weheruf von Fraun, 
Ihr ſchwimmend Aug’, die bittrer Gram verzehret. 

Hat doch verruchter Tod anigt verheeret 
Ein edles Herz mit feinem Werk voll Graun, 

* Vernichtend, mas lobwuͤrdig nur zu fehaun, 
An einer Frau, die nie genug man ehret. 

Bernehmt, was Amor that zu ihrem Preife: 
Sd) fab ihn faut und unverholen klagen 
Beim tobten Bilde, das fo hold und fchön. 

Dann hob er oft ben Blid zu Himmels Höhn, 
Wohin Ihr Geift ſchon mar emporgetragen, 
Die hier gebluͤht in lieblichheitrer Weife. 


Biertes Sonett, 


Verruchter Tod, dem Mitleid nie darf nabn, 
Des Schmerzes alter Ahn, 
Du Urtheilsſpruch, ſchwer und nicht zu entfliehen, 
Du haft dem mwehen Herzen Stoff geliehen; 
Drum will id mich bemühen 
Bu ſchmaͤhen dich auf trüber Lebensbahn. 
Und daß du nie magft ein’ge Huld empfahn, 


Sei von mir fund gethan, 
Wie Trug und Lug und Frevel did durchgluͤhen; 
Nicht weil die Welt verfennt dein arg Bemühen, 


Nein, denen, die noch ziehen 
Auf Amors Pfad, zur Warnung vor dem Bahn. 


Du haft die Anmuth dieſer Welt entriffen 
Und was allein den Frauen Preis verleiht: 


Im Holder Jugendzeit 
Die Tugend und den Liebreiz folln wir miffen. 


Wer Jene fei, wollt e8 nicht anders wiſſen, 
As durch den Ausdrud ihrer Weſenheit. 


Wer fern der Seligkeit, 
Wird ewig Ihrer auch entbehren muͤſſen. 


CLI 


10 


Funftes Sonett, 

Nachdenklich reitend vor nicht langer Zeit, 

Weil ich die Fahrt nur ungern unternommen, 

Gewahrt' ich Amor mir entgegenkommen, 

Den Leib umhuͤllt mit leichtem Pilgerkleid. 
Sein Aeußeres bezeugte Duͤrftigkeit, 

As ob man feine Herrfchaft ihm genommen, 

Und feufzend fchritt er weiter und beflommen, 

Gebuͤckt, ale wär ihm jeder Aufblic leid. 
As er mid) fab, rief er mich namentlich, 

Und fprad): „Aus weiter Ferne komm' id) ber, 

Wo fid dein Herz befand auf mein Verfügen. 
Nimm’s, daß e8 dir gerodbre neu Vergnügen!" — 

Darauf warb ich von ihm erfüllt fo ſehr, 

Daf er, id) weiß nicht wie, von hinnen mid. 


1 


Erſte Vallate. 


1. BVBottate, geh zuerft zu Amor bin, 
Mit ibm dann magft du zu Madonna eilen, 
„Daß die Entfehuldigung in deinen Zeilen 
Mein Herr vortrage der Gebieterin. 


1. Du gebft fo fein und fittig, o Ballate” 
Und dürfteft nicht verlieren 
Den Muth, beträteft du den Weg allein; 
Dod) wilft du folgen meinem guten Natbe, 
5. Laß did von Amor führen, 
Schlimm möchteft du ohn’ ibn berathen fein. 
Wenn Jene, welche dir das Ohr foll leihn, 
Sowie id) fürchte, gegen mid) entglommen, 
Did nicht von ihm begleitet fähe fommen, 
So braͤcht' es Schande leicht dir zum Gewinn. 


III. Mit ſuͤßem Tone, wenn du Sie erblidet, 

Laf fo dein Wort erfchallen, 

Nachdem um Mitleid du gefleht bei Ihr: 

„Es wuͤnſcht, Madonna, Der mid zu euch fehidet, 
5. Daf, ſollt' es Cud) gefallen, 

Entſchuld'gung, hat er fie, Ihr Hört von mir. 

Bur Stel? ift Amor, der durch Eure Bier 

Ihm nad) Gefallen wandelt Aug” und Brauen. 

Errathet denn, warum nad) Undrer fchauen 

Ihn Amor hieß, wenn treu doch blieb fein Sinn.” 


120° 
IV. „Mabonna” — fage dann — „fän Herz war immer 
So felt Cud zugeneiget, 
Daf jeglicher Gedank' Cud dienfibar war; 
Flugs war er Euer und war treulo8 nimmer.” 
5. Wenn Sie dann Mißtraun zeiget, 
So laß Sie Amon fragen, ob e8 wahr, 
Dann aber ffell als Flebender dic, dar: 
Wenn's Ihr beſchwerlich fei, mic zu vergeben, 
So heiße Sie mir nur, nicht mehr zu leben, 
Und Sie wird fehn, ob ich gehorfam bin. 


V. Sag’ ihm, dem Schluͤſſel zu des Mitleids Pforte, 
Eh' Sie dich von fich weiſe, 
(Denn fagen wird er, daß ich redlich fei): " 
Verweile mit der Holden bier am Orte 

5. In meiner fügen Weife, 
Und fprid) von deinem Knechte frank und frei; 
Und wenn du Gnad' erflehft von Ihr aufs neu, 
So laf Sie hold ihm Ihre Gunft anfagen.” 
Mein feines Lieb, nun, warn dir's wird behagen, 
Geh, daß du Ruhm gewinnt, zu Iener bin. 


13 


Sechstes Sonett. 


Meine Gedanken fprechen insgeſammt 
Von Amor, doc) ift- ungleich, t0a8 fie meinen. 
Ihm zu geborden, mahnen mid) die einen, 
Von andern wird ale Thorbeit dies verdammt. 
Indeß mit Hoffnung diefer mid) entflammt, 
Macht jener wieberholentlic mid) weinen, 
So da im Mitleidflehn fie nur fid) einen, 
Von Furcht ducchbebt, die aus dem Herzen ſtammt. 
So weiß ich denn nicht, welcher Stoff mir nüge, 
Sd möcht, und weiß doc nicht wovon zu fpreden: 
Sold) Irrſal in der Lieb” ift mic beſchieden. 
Und will mit Allen id nun fobliefen Frieden, 
Muß meine Feindin ich um Hülf’ anfprechen, 
Die Herrin Mitleid, daß fie mich beſchuͤtze. 


14 


Sie beutes Sonett. 


Wenn Ihr mit andern Frauen mich verlacht, 
Bedenkt Ihr nicht, o Frau, wie es gekommen, 
Daß ich ſo neues Weſen angenommen, 

Hab' ich auf Eure Huld und Anmuth Acht. 

Das Mitleid gaͤb' Euch gegen mich nicht Macht 
Zu ſolcher Grauſamkeit, wenn Ihr's vernommen; 
Denn, ſieht mid Amor Euch fo nah, entglommen 
It dann fein Muth, und fein Vertraun erwacht. 

Er fchlägt auf meine Geifter, die verzagten, 

Und tödtet die, und treibt von bannen jene, 
Und bleibt, Euch anzuſchaun, allein zuruͤck 

Verwandelt fiehet dann mid Euer Blick, 

Jedoch nicht fo, daß ich nicht das Geſtoͤhne 
Vernaͤhme jener jammernden Berjagten. 


15 


Achtes Sonett, 


Mas in den Sim mir forme, es iſt dahin, 
Wann Euer Aug’, o holder Stern, mir blinket, 
Und Amor fühl ich, wenn id nah Euch bin, 
Der: Fleuch! ſcheuſt du den Tod, zuruft und winket. 

Das Herz erflarret, wo e8 träumt Gewinn, 

Des Herzens Zach’ ifP'6, die das Antlig ſchminket, 
Indeß in meiner Furcht wabntrunfnem Sinn: 
Stirb, ffirb! der Stein zu rufen felbft mid) duͤnket. 

Verrath begehet, wer alsdann mich hört, 

Scheut er'8 die matte Seele zu erquiden; 
* Beigt er auch nur, mitfühl er meine Noth, 
Durch das Erbarmen, das nur Spott zerflört, 
Und das webflaget in den todten Bliden 
Der Augen, bie ſich fehnen nad) dem Tod. 


Menute8 Souett. 


female wird Sinn und Geift mir eingenommen 
Von jenen Wehn, die Amor mir erfiebt; 
Dann fpredy ich mol, weil Mitleid mic, beflornmen : 
Web mir, daß fo Betruͤbendes gefchieht! 

Denn Amor hat fo fehnell mic übernommen, 
Daf Athem mir und Leben faft entfliebt. 
Ein Lebensgeift nur wird mir nicht genommen, 
Der, weil von Euch er Kunde gibt, nicht ſchied. 

Dann giving” id) mid) und möchte gern erftehen; 
Und aller Kraft entbloͤßt, fat ohne Leben, 
Komm’ ich, Genefung zu erfhaun an Euch). 

Dod) heb’ ich nun den Blick Cud) anzufehen, 
Veginnt mein Herz zu zittern und zu beben, 
Und aus den Pulfen flieht die Seele gleich. 


17 


Er ſte Canzone, 


1. O Fraun, die ihr von Amor Kunde habet, 
Laft reden mid von meiner Herefcherin, 
Nicht weil ih Sie zu ruͤhmen fähig bin, 
Nein, reden nur, die Seele zu befchtwichten. 
5. Traun, ben® id) dran, wie Sie fo hoch begabet, 
So zudt fo füß mir Amor durch den Sinn; 
Und wäre nicht zugleich mein Muth dahin, 
Würd’ Alter Herzen ich zur Liebe richten. 
Dod auf fo Hohes will ich gern verzichten; 
10. Fd möchte mid aus Zucht unruͤhmlich zeigen. 
Dod Ihren Liebreiz will ich nicht verſchweigen 
Und reden, Ihrer würdig zwar mit nichten. 
Liebreiche Fraun und Fräulein, hört die Kunde! 
Den Andern bleibe fie verhehlt mit Grunde. 


18 


Il. Im göttlichen Verftande ruft ein Engel 
Und fpriht: „O Here, bort auf ber Erbe fiebt 
Ein Wunder man an Mienen, das erbluͤht 
In einem Geift, def Strahlen bieber fließen.” 

5. Der Himmel fleht, fonft ledig aller Mängel, 
Von feinem Herren Sie für fein Gebiet; 
Und alle Hei’gen flehn, mit ibm bemüht. 

‚ Nur Mitleid till an uns ſich huͤlfreich ſchließen. 
Gott redet, Ihrer eingeben, der Süßen: 

10. „Ihr, meine Theuern, duldet noch im Stillen, 
Denn eure Hoffnung bleibt nad) meinem Willen 
Dort, wo Sie Einer fürchtet einzubüßen, 

Der dem verlornen Volk wird offenbaren: 
Sd) fab die Hoffnung der verklaͤrten Scharen.” 


IM. Der Himmel fühlt um Sie der Sehnſucht Schmerzen ; 
Und nun End’ Ihre Tugend id mit Fleiß: 
Strebt, fag’ ich, eine Frau nad) edlem Preis, 

Geh fie mit Ihr; denn im Voruͤberſchweben 
5. Wirft Amor flarren Froft in niebre Herzen, 
Daf all ihr Denken ſtirbt und wird zu Eis. 
Wer Aug’ in Aug” Ihr fhaute fehnfuchtheiß, 
Würd’ edel werden, doch nicht mögen leben. 
Und wen Ste würdig hält, ben Blick zu heben 

10. Bu Ihr, an dem beweiſt Sie ſich zum Heile, 

Aus Ihrem Gruß wird Segen ihm zu Theile; 
Dann wird er gern vergeffen und vergeben. 

Nod) molte groͤßre Gunft Ihe Gott zuwenden: 
Mit dem Sie fprad), der fann nicht fündig enden. 


19 


IV. Von Ihr fagt Amor: „Ein Gefhöpf der Erden, 
Wie fommt8, daß es fo reine Schönheit ziert?" 
Er ſchwoͤrt, wenn er im Anſchaun ſich verliert, 
Daf Gott zu ſchaffen Neues mar gemillet. 

5. Der Perle Schmelz fehn gue Geftalt wie werden 
In rechtem Mafie, wie e8 Fraun gebührt. 
Sie zeigt, was Edles nur Natur gebiert, 
Sn hr erfcheint die Schönheit unverhuͤllet. 
Aus Ihrem Auge, wenn's von Glanz erſchwillet, 

10. Entfpringt ein Heer von Amor8 Flammengeiftern, 
Die des Beſchauers Augen ſich bemeiftern, 
Bum Herzen dringend, das dann Glut erfüllet. 
Ihr febet Amors Bild Ihr Antlig ſchmuͤcken, 
Niemand vermag es feft Sie anzubliden. 


V. Mein Lied, ich weiß, du wirſt mit Kunde gehen 
Bu vielen Fraun, warn du entfanbt von mir. 
Fest mabm id) dich, — benn id) erzog did) hier 
Zu Amors zartem jungfräulichen Kinde, — 
5. Daß, wo du hingelangft, bu mögeft flehen: 
nBeigt mir den Weg! Ich bin gefandt zu Ihr, 
Von deren Lob entlehnt ift meine Bier.” 
Und willſt du meiden jedes Irrgewinde, 
Wolan, baf man beim Pibel dich nicht finde! 
10. Laß offen, fo du Fannft, nur dann did) fchauen, 
Wenn du zu edlen Männern kommſt und Frauen; 
Sie führen dich den naͤchſten Weg geſchwinde. 
Du wirft bei Fener Amorn dann -entdeden, 
Und, wie du mußt, mir Huld bei Ihr erweden. 











SZebutes Sonett, 


Amor und ebled Herz find fireng verbunden, 

Sotvie der Weil’ in feinem Lied e& lehrt, 

Und dies wird ohne jenen nicht gefunden, 

Mie die Vernunft Vernuͤnft ges nicht passe. 
Natur ſchuf Amorn in der Liebe Stunden ” 

Bum Herten, und das Herz ward ihm befchert 

Bur Wohnung, wo er ruht von Schlaf umivunden, 

Der manchmal Furz, bisweilen lange währt. 
Schönheit erſcheint al8 edle Frau fobann, 

Und reizt das Auge, daß im Herzensraume 

Sehnſucht entftebt nad) dem, was hold zu ſchauen. 
Und diefes hätt fo lang’ in jenem an, 

Bis Amorn es erweckt aus feinem Traume. 

Und Gleiches wirkt der madre Mann bei Frauen. 


Eiftes Sonett. 


Amor berohnt Madonna's Augenlicht, 
Da Alles, was Sie anfchaut, ſich verklaͤret, 
Und, wo Sie geht, ſich jeder zu Ihr kehret, 
Und jedes Herz erbebt, zu dem Sie fpricht, 
Daf AU erblaffen neigend das Geficht, 
Und feufien ob dem Fehl, der fie beſchweret; 
Es flieht vor Ihr, mas zorn- und flolzbethörer. 
Helft mir, Sie preifen, Scaun, id fann e8 nicht. 
Ar Huld und alle Demuthsfuͤll erquillt 
Im Herzen deſſen, bem Sie Rede fchenker; 
Drum, wer Sie fahe, dem hat Heil begonnen. 
Dod, lächelt Sie ein wenig, biefe Wonnen 
Wer ift, der fie anfagt, der fie nur denfet? 
Sold Wunder ift es, neu und hulderfuͤllt 


Zwolftes Sonett. 


Ihr mit dem Demuthsblick, die ihr vor Wehen 
Des Herzens niederfenkt der Augen Licht, 
Woher? Dem Mitleid ſcheint unaͤhnlich nicht 
Mir eure Farbe! Mas ift euch gefchehen? 

Habt unfte holde Herrin ihr gefehen 
Mit Liebesthränen baden ihr Geficht? 
Sprecht, Frauen, was zu mic mein Herz fhon fpricht, 
Da ich euch fehe fonder Tabel gehen. 

Und wenn ihr fommt von folhem Wehgeſchicke, 
© fo vertveilt bei mir ein wenig hier, 

Und, was es fei, o haltet's nicht zuruͤcke! 

Mit Thraͤnen, feb ich, tränkt die Augen ihr, 
Und feb, ihr kehret mit entftelltem Blicke: 

Es bebt das Herz bei ſolchem Anblic mir. 





Dreizebute8 Sonett. 


„Dirt bu es, der fo häufig bat erzaͤhlet, 
Und uns allein, von Ihr, der Holden, Schönen? 
Die Stimme zwar erinnert und an jenen, - 
Dod) die Geftalt, die ehemal'ge, fehlet. 
Was mweineft du, vom Grame fo gequälet, 
Daf du aud Andre flimmft zu Trauerténen? 
Sabft du Sie weinen, daß dein klaͤglich Stöhnen 
Dein Geift, zu Eraftlos, nun nicht länger hehlet? 
Laf weinen und und traurig gehn und fommen! 
Der fünbigt, der uns will mit Troft begrüßen, 
Die Ihe Geſpraͤch, Ihr Weinen twir vernommen, 
Da Ihre Mienen fold ein Leid verfchliefen, 
Daf, wer Sie zu betrachten unternommen, 
Hinfinken würde tobt zu Ihren Füßen.” 


24 


Zweite Canzone, 


L En Mädchen, jugenblid und mild von Herzen, 
Mit hohem Reiz der Sterblichen gezieret, 
War dort, wo ich den Tob oft tief mit Sehnen. 
Als fie erblikt mein Antlig voll von Schmerzen, 
5. Und meiner Reben irren Wahn verfpüret, 
Brad) fie beängftigt aus in heft'ge Thränen. 
Die andern Fraun, bei ihren Klagetönen 
Aufmerkfam werdend, was mit mic gefchehen, 
Befahlen ihr zu gehen; i 
10. Und um mid) zu erweden, nahten fie. 
Ermuntre did!” ſprach die; 
Und jene: „Was bedeutet diefes Stoͤhnen?“ 
Da fühle id) das Gebilde der Ideen, 
Wie ih Madonna's Namen rief, verwehen. 


235 
II. Jedoch fo ſchmerzvoll war mein Nuf ergangen, 
Von Thränen fo gebrochen und beflommen, 
Daf id allein im Geift den Namen hörte, 
Indeß von Scham die Augen ganz befangen, 
5. Die mir das Antlig mächtig übernommen, 
Auf Amors Wink ic mich zu ihnen tebrte. 
Dod jeme, weil id) ganz der Farb’ entbehrte, 
Vermeinten ſchon, ich 149” in Todesbeben. 
Auf, ftärten wir fein Leben!” 
10. So trieben oftmals fie einander an, 
Und fragten mid) fodann: 
Was faheft du, das dir die Kraft verzehrte? 
Kaum fonnt ich drauf bie Stimm’ aufs neu erheben, 
Da fprad id: „Braun, ich will euch Kunde geben." 


II. Als id) bedachte, wie mein Leben wanke, 
Und fahe, wie fo ſchnell es flieht von binnen, 
Wein! Amor, wo er wohnt, im Herzensgrunde. 
Da ward verwirret mir Seel’ und Gedanke, 

5. Daf id mit leifem Seufzer ſprach tiefinnen: 
Auch meiner Herrin droht die Todesftunde.” 
Da tvirbelte mir Alles in der Runde, 

Die matten Augen waren zugefallen, 
Den Lebensgeiftern allen, 
10. Die ſich zerfreueten, entwich der Much; 
Dann in der innern Glut, 
Fern aller Wahrheit, aller fichern Kunde, 
Vernahm id Fraun und ihres Wehrufs Schalten: 
„Todt bift du, oder bift bem Tob verfallen.” 
Dante, Lyriſche Gedichte. I. 2 


IV. Dann mußt id) grauenvolle Ding’ erfahren 
In meines Geiſtes träumerifchen Plagen ; 
Ich ſchien, id) weiß nicht wohin zu gelangen, 
Sad Frauen gehn mit aufgelöften Haaren, 

5. Theils weinen, theild echeben laute Klagen, 
Die Schmerzensflammen auf den Träumer ſchwangen. 
Allmaͤlig warb von Nadt die Sonn’ umfangen, 
Die Stern’ erfchienen; Zaͤhr' enttroff auf Zaͤhre 
Bhe und dem Himmelsheere; 

10. Es ftürzte das Geflügel aus der Luft, 
Und bebte Berg und Kluft; 
Da fam ein bleicher heiſter Mann gegangen, 
Und fpradh : „Was machſt du? Weißt du nicht die Mähre? 
Todt ift Madonna dein, die holbe, here.” 


V. Ich hob die Augen, die in Thränen ſchwammen, 
Und fab gleich einem Regen füßer Manna 
Die Engel ſchweben zu des Himmels Auen, 
Ein Woͤlkchen 309 vor ihnen, und allfammen 

5. Erboben folgend fie ben Ruf: Hofanna! 

Und fagten mehr fie, wird’ ich's gern vertrauen. 
Dod Amor fprah: „Du fot Sie jego ſchauen 
Dabingeftredt, Sie, dein und mein Entzüden!" 
Und führt in Traumes Tuͤcken 

10. Mid) zur erblaffeten Gebieterin. 
Nod blide ich auf Sie hin, 
Da dedten Sie mit einem Schleier Frauen; 
Ic fab Ihr. Antlig wahre Demuth fhmbcen, 
Es fchien: Ich bin in Frieden! auszubräden. 


27 


VI. Demöthig ward id) nun in meinem Wehe, 
Da folhe Demuth Ihr war zugetheilet; 
Sodaß ich fprad): „Du bift mir, Tod, willkommen! 
Der id) an Dir fortan nur Liebes fehe, 

5. Weit du bei Ihr, der Holden Frau, geweilet. 

Bon bir kann Mitleid nur, nicht Härte kommen. 
Schon gleid) id) dir, 0 wuͤrd' ich aufgenommen 
Sn deine Schar, zu der mein Wunfd mid) ziehet! 
© komm! Mein Herz erglähet.” 

10. Als jeber Trauerbraud) nun mar vollbracht, 
Ging id) von bannen facht 
Und fprad), den Blick gewandt zum Reich der Ftommen: 
„Gluͤckſelig, ſchoͤne Seele, wer dich ſiehet!“ — 
Da rieft ihr, Dank euch, und der Traum entflicher. 


2* 


Bierzehutes Sonett. 


Ri fühlte, wie in meiner Bruſt erftand 
Ein Geift der Lich’ und aus bem Schlaf erwachte, 
Sal Amorn dann fernber zu mir gewandt, 
So fröhlich, daß nicht ibn zu fehn ich dachte. 
Er ſprach: „Jetzt mid zu ehren fei zur Hand!” 
Und jedes Wort aus feinem Munde lachte. 
Indem ich fo mit meinem Herren ftand 
Den Weg betrachtend, der ihn zu uns brachte, 
Lief ſich Frau Vanna und Frau Bice fchauen. 
Ich fahe wandeln fie heran zu mit, 
Voran die ein’, und drauf bie andre Schöne, 
Und wenn id) tem Gebächtniß darf vertrauen, 
Sprad) Amor: „Dies ift Primavera hier, 
Und Amor, als mic ähnlich, heißet Jene.“ 


Funfzebutes Sonett. 


Mie ſolcher Hub und Anmuth iſt geſchmuͤcket 
Madonna, daß, wem Sie ſich gruͤßend neigt, 
Def Bunge ploͤtzlich ſtockt und zitternd ſchweigt, 
Und kaum empor zu Ihr fein Auge blicket. 

Vernimmt Sie Lobeswort' Ihr nachgeſchicket, 

So flieht Sie, der an Demuth Eeine gleicht. 
Wol ſcheint's, daß Sie vom Simmel niederſteigt 
Ein Wunder, das die Seligen entzldet. 

So zauberifch ift Ihrer Augen Licht, 

Daß in das Herz draus eine Suͤße quillet, 
Die nicht begreifet, ter fie nicht erlebet. 

Herab von Ihrem Antlig, ſcheint es, ſchwebet 
Ein milder Geiſt, von Amors Huld erfuͤllet, 
Der: Seufze! zu der See? im Weggehn ſpricht. 


Gechtehntes Gonett. 


Beikomnme hoͤchſte Wonme fiebet malen, 
Der in der Frauen Schar die meine fiche; 
Und die da mit Ihr wandeln, find gehalten 
Bu preifen Gottes Gnade dankergluͤht, 
Es bat Ihr Reiz fo feltene Gewalten, 
Daf aus der Frauen Bruft der Neid entfliebt, 
Daf jede deren, bie pu Ihr fih halten, 
Der Treue, Leb” und Anmuch Schnud umblüht. 
Ihr Anblick laͤßt demüchig Ales werden, 
Nicht auf Sie ſelbſt blos Ruhm und Ehre lenkend, 
Nein, nur durch Sie ſcheint jedes Ding geweiht. ' 
Und fo voll holdem Reiz find die Geberden, 
Daf Jeglicher, der Holden Frau gedentend, 
Erſeufzen muß durch Amors Suͤßigkeit. 


a 


Dritte Canzone. 


So tange Hab” ich mm in Amors Reiche 


10. 


Bereits gelebt, bin fo gewöhnt an ihn, 
Daß fo, wie mir er firenge fonft erfchien, 
Er jego wahrhaft iſt der mitleibreiche. 


. Denn, werden fo gewaltig feine Streiche, 


Daf, wie e8 fcheint, die Lebensgeifter fliehn, 

Dann fuͤhl id) meinen ſchwachen Geiſt durchziehn 
Sold eine Suͤßigkeit, daß ich erbleiche. 

Und Amors Streihe — fallen auf mid) ein, 

Daf alle meine Seufier redend gehen 

Von dannen und anfleben 

Madonna, mir mehr Hell noch zu verleihn. 

Und dies gefchieht, wenn fie mich fiehe, wo immer; 
Sie ift fo demuthsvoll, man glaubt es nimmer. 


Vieste Canzone. 


I Die Augen, bie getrauert mit bem Herzen, 
Empfanden fo des Weinens herbe Mühn, 
Daß fie fi) endlich geben uͤberwunden. 

Jetzt, wenn id) will befänftigen die Schmerzen, 

5. Die mid) allmälig leig zum Tobe ziehn, 

Kann id) fie nur durch Klagelaut befunden; 
Und cingedent, daß id) in jenen Stunden, 
Mo meine Herrin anmutbreid) gebluͤht, 
Cud) gern von Ihr erzähle, edle Frauen, 

10. Will Keinem id vertrauen 
Mein Herz, ald eblem weiblichen Gemüth, 
Und fagen, und die Augen neu bethaun, 

Daf plöglic Sie warb himmelauf getragen, 
Und Amor nur mir blieb in Schmerz und Klagen. 


Il. Fa, Beatrice ging zu Himmels Binnen 
Ins Land der Engel, in des Friedens Reich, 
Und weilet dort, ihr Frauen, euch entruͤcket. 
Nicht ſtarter Froft entraffte Sie von binnen, 

5. Aud Sonnenglut nicht, andern Frauen gleich. 
Die Milde thats, die uns an Ihr entzuͤcket, 
Und die mit Ihrer Demuth ſich geſchmuͤcket, 
Sodaß Ihr Glanz durchdrang das Sterngefild, 
Dom ew'gen Gott mit Staunen wahrgenommen. 





10. 


10. 


W. 


As Gott darauf entglommen . 

Bu fid zu rufen fold) ein Tugendbilb, 
Zieß er empor Sie von hienieden fommen, 
Erwaͤgend, daß dem ſchnoͤden Erdenteben 
Mit Unrecht fold ein Kleinod bingegeben. 


Es ließ den ſchoͤnen Leib, der Sie umfloſſen, 
Die holde Seel’ in lichter Anmuth Schein, 
Die bod nun thront auf wuͤrdigem Gebiete. 
Ver, Ihrer denkend, Thränen nicht vergoffen, 


. Gt arggefinnt und bat ein Herz von Stein, 


Das nie bewohnen kann ein Geift der ‚Güte; 
Wie auch kein niedres Herz fo hoch erglühte, 
Ihr Bildniß ſich zu denken, aud nur ſchwach, 
Sodaß aud Soldem Feine Thraͤn' entquillet. 
Dod Gram und Schwermuth füllet 

Und Thränenängftigung und Seufierad 

Die. Seel, und troftlo8 bleibt fie ſchmerzumhuͤllet, 
Die in Gedanken manches Mal erwogen, 

Wie Sie gemefen, wie und nun entzogen. 


Die Seufzer machen mie die Bruſt fo enge, 
Wann der Gedank' in meinem trüben Muth 
Mir Jene zeigt, die mic daB Herz zertheiletz 
Und oft, wenn Grabgedanken ich nachhaͤnge, 


. Durdflamme mid) folcher Sehnſucht füße Glut, 


Daf meinen Wangen alle Farb’ enteilet. 

Wenn dann die Phantafie mid) feſſelnd weilet, 

Faͤllt mid) folh Weh von allen Seiten an, 

Daf ich in meinem innern Schmerz verzage, 
qu 


3 


10. Und daß in folder Lage 
Ich mid) verberg” aus Scham vor Jedermann. 
Dann fpred’ ich, wenn ich einfam mein’ und Mage: 
„O Beatrice, hat dich Tod umfangen?“ 
Und auf den Ruf gleich lindert Sie mein Bangen. 


V. Des Weinen Schmerz, der Seufjer angfivoli Beben 
Sprengt, wenn id) einfam bin, mir faft die Bruft, 
Daß eben, der es fähe, Mitleid quälte. 

Und wie feitbem befchaffen war mein Leben, 
5. Daf fih Madonna ſchwang zu höhrer Luft, 
Nicht eine Zunge gibt's, die das erzählte. 
Drum, Fraun, wenn’s aud) an Willen mir nicht fehlte, 
Könnt id doch nicht bezeichnen, mie ich Bin; 
So bat des Lebens Drangfal mid) gebeuget, 
10. Und mid) zur Gruft geneiget, 
Daß Jeder, duͤnkt mich, fagt: „Du bift babint” 
Weil ſchon im Antlig ſich der Tod mir zeiget. 
Dod wenn Madonna fieht, wie mic gefchahe, 
So if Sie, Hoff id, noch mit Troſt mir nahe. 


VI. Mein Kingelieb, geh weinend nun und ſuche 
Die Graun und Mädchen wieder, die da fhienen 
Sonft mit vergnügten Mienen 7 
Bu Hören deiner Schweftern Froͤhlichkeit ; 
5. Und, die du Tochter biſt der Traurigkeit, 
Troftlofe, geh, und bleibe dort bei ihnen. 





Sie bzehntes Sonett. 


Kommt, hoͤret, wie ſich meine Seufzer jagen 
(Mitleid gebeut es euch, ihe liebevollen 
Gemuͤther), wenn fie aud nicht Troft mir zollen, 
So tibtete mich ohne fie mein Zagen; 

Denn meine Augen würden mir verfagen 
Den Dienft viel öfter, als ich würde wollen, 
Ermattet von der Thränen ſtetem Rollen, 
Um weinend zu erleichtern meine Plagen. 

Vernehmet, wie fie vufen manchesmal 
Die holde Frau, die fie gefehn entſchweben 
Bu einem Reich, daB Ihrer Tugend werth, 

Und wie fie nun verfhmähen biefes Leben 
Im Namen meiner Seele, die voll Qual 
AU ihres Heiles trauernd nun entbehrt. 


Fünfte Cauzone. 


19 wehe mir! So oft mein Herz gedentet, 


Daf Ihrer Augen Schein 
Mir nie mehr glänzt, um bie ich fo mid) quäfe, 
Wird mir im Herzen fo von Schmerz umſchraͤnket 


. Die ſchmerzenvolle Seele. 


Dann ruf’ id aus: „Fliehſt du nicht, Seele mein? 
Denn jene Qualen, die did) noch bebräum 

Im einer Weit, die dich ſchon duͤnket Laft, 

Erfüllen mid) mit Furcht vor ihrem Wehe.” 


10. Um bdeffentivillen flebe 


Ich nad dem Tod, als nad) willkommner Naft, 
Und fpredhe: „Komm zu mir!” mit folhem Sehnen, 
Daf ich beneide jedes Todesſtoͤhnen. 


IL Bum Tod hin alle meine Seufzer fireben, 


10, 


Daf er, mein bittres Leid 
Bu enden, länger nicht mehr möge fiumen. 
Bu ihm ging all mein Trachten und Beftreben, 


. Seit von der Erde Räumen 


Madonna fehieb durch feine Graufamfeit, 
Da nun der Zauber Ihrer Lieblichkeit 
Seitdem ibn unfer Blick nicht mehr genießt, 
Als hohe geift'ge Schönheit ſich beweiſet, 
Daf durch den Himmel freifet 

Das Licht des Amor, das die Engel grüßt, 
Und deren Geift, fo ſcharf und fo erhaben, 
Bewundernd anftaunt Ihrer Anmuth Gaben. 


3 


Achtzehutes Sonett, 


Sm Angebenten war mir aufgegangen 
Madonna, deren Hulberhabenheit, 
Alfo gebot'8 der Herr der Herrlichkeit, 
"Marias Demuthehimmel hat empfangen: 


Im Angedenfen war mir aufgegangen 
Die holde Frau, der Amor Thränen weiht 
Im Augenblick', als feine. Mächtigkeit 
Cud) trieb zu ſchauen, was ich angefangen. 
Amor, bemerkend, daß ich Sie empfangen, 
Erwacht' im Herzen, too nichts wohnt al Leid, 
Und fagte zu den Seufjern: „Bliehet weit!” 
Und fie erfüllten Hagend fein Verlangen. 
Sie meinten, als fie ſich binwegbegaben, 
Mit einem Ton, bei dem fchon oft die Thräne 
Des Schmerzes meinem bangen Aug” entbebet. 
Die aber, die mit klaͤglichſtem Geftöhne 
Davonflohn, riefen: „Geift, hoch und erhaben, 
Heut’ iſt's ein Jahr, da du emporgeſchwebet.“ 


MNennzebute8 Sonett. 


Es fab mein Auge, welch mitfühlend’ Leib 
In eurem ganzen Weſen ſich ausbrädte, 
Als euer Aug’ auf meine Mienen blickte, 
Wozu der Schmerz mid) zwingt feit langer Beit. 
Dann ahnt id, daß ihr ber Beſchaffenheit 
Des Lebens denket, das fo ſchwer mid) druͤckte, 
Aifo daß bange Furcht mein Herz durchzuͤckte, 
Mein Blick verrathe meine Mattigkeit. 
Und id) entzog mid) euch, bewußt im Geiſt, 
Daf aus dem Herzen ſchon aufflieg der Than, 
Das, eudy erblickend, ruhig nicht geblieben. 
Id) fprad) darauf von Traurigkeit getrieben: 
„Traun, jener Amor ift bei jener Frou, 
Der mid mit ſolchen Thränen gehen heit.” 


Zwangigſtes Sonett. 


Der Liebe Farbe wie des Mitleids Wehe 
Hat nie ein Frauenangefiht umhuͤllt 
So wunderbar, dag man fo oft ein mild 
Antlig und ſchmerzenvolle Mienen fähe, 
Sowie das eute, wenn ich vor euch ſtehe, 
Und ihr gewahret mein betrübtes Bild, 
Soda durdy euch mid der Gedan® erfuͤllt 
Mit großer Zucht, daß nicht mein Herz vergehe. 
Ich Tann nicht weg die müden Augen kehren, 
Daf fie euch nicht anfchauten vielemal, 
Weit fie zu meinen fih zu innig fehnen, 
Und ihr vermehrt fo biefer Sehnſucht Qual, 
Daf im Verlangen fie fid ganz verzehren, 
Dod euer Anblick bemmet ihre Thränen. 


inundzwanzigfied Sonett. 


„Das bittre Weinen, das ihr offenbarter 
So manden langen Tag, ihr Augen mein, 
Es flößte oft des Mitleids Thränen ein 
Aud) fremden Menfchen, wie ihr e8 gewahrtet. 
Fept ſcheinet mire, daß ihe nicht Treu bewahrtet, 
Könnt ich fo ruchlos und ſo ſchaͤndlich fein, 
Und nicht an Die eud) mahnen mit Bebräun, 
Fuͤr Die ihr eure Thränen fonft nicht fpartet. 
Die Eitelkeit, von der ihr feid befeffen, 
Floͤßt mic Veforgnif ein und Furcht und Beben 
Vor einer Jungfrau Blick, die euch befchaut. 
hr folltet nie, fo lang’ ihr feid im Leben, 
Madonna, die geftorben ift, vergeffen.” 
So fpricht mein Herz in mic; dann feufzt «8 laut. 





4 


Zweinndzwanzigftes Sonett. 


Ein lieblicher Gedanfe tritt oft ein 
Bei mir, um mid) von euch zu unterhalten, 
Und füg Gefpräd von Amor zu entfalten, 
Daf gern mit ihm das Herz flimmt überein. 
Die Seele fpriht: „O Herz, wer mag es fein, 
Der unfern Schmerz durch Troft will umgeftalten, 
Und ftehn ihm zu fo mächtige Gewalten, 

Daf kein GedanP uns naht ald er allein 2" 
Es gibt ihr Antwort: „„Seele, gramdurchdrungen, 
Vernimm, dies ift ein neuer Geift der Liebe, 
Der feine Neigungen mir nicht verhehlt. 

Sein Leben ift und feine ſtarken Triebe 
Den Augen jener milden Frau entfprungen, 
Die über unſre Leiden felbft ſich quale. 


42 


Dreiundzwanzigſtes Sonett. 


Ba mir! Sold cine Schar von Seufzern ſchicket 
Das Herz hervor aus der Gedanken Deer, 
Daß meine Augen matt find und nicht mehr 
Den anſchaun innen, welcher fie anblicer, 

Und nur ein Doppelwunfd) ſich drinn ausbridet, 
Zu weinen und zu Außen die Beſchwer; 

Und gar nicht felten meinen fie fo fehr, 
Daf Amor mit dem Marterkranz fie ſchmuͤcket. 

Und die Gedanken dann und Seufzer üben 
So quälende Gewalt in meinem Herzen, 

Daf Amor dort erftaret von Qualgefuͤhl; 

Denn in ſich tragen jene, voller Schmerzen, 
Madonna’s fügen Namenszug gefchrieben, 

Und Jammerwort' um Ihr Verſcheiden viel. 





ieruubzivenzigite8 Sonett. 


D Pilger, die ir geht in end) verſenket, 
Um das mol, was bem Blick nicht mehr erſcheint, 
Kommt ihr aus folder Ferne, tie man meint, 
Wenn eurem Aeufern man Betrachtung ſchenket? 
Denn ohne Thränen eure Schritte lenket 
Ihr mitten durch die Stadt, die klagt und weint, 
Wie Leute, denen fremb geblieben fcheint, 
Welch eine ſchwere Schickung uns gekraͤnket. 
Wenn ihr verweilt und mich vernehmen wollt, 
So gibt mein ſeufzend Herz mir Sicherheit, 
Daf ihr mit Thrinen wieder geht von hinnen. 
Um ihre Beatrice trägt fie Leid, 
Und wer dem nad) Vermögen Worte zollt, 
Macht Thraͤnen einem Jeglichen entrinnen. 


Tünfundzwonzigfies Sonett. 


Jenſeit der Sphaͤre, die am weitſten kreiſt, 
Dringt mancher Seufzer, der der Bruſt entwehet, 
Indem die neue Einſicht, ausgefdet 
Von thränenvoller Kieb’, ihm aufwärts reift. 
Kommt er dort an, wohin die Sehnfucht weit, 
So faut die Herrin er, die Ehr' empfäher, 
Und die fo große Helligkeit umfähet, 
Daf durd) den Glanz fie ſchaut der fremde Geift. 
Sold) Anſchaun iſt's, daß, gibt er mir Bericht, 
Ich's nicht verſteh', fo fpricht er unvernehmlich 
Bum wehen Herzen, das ihn. veden hieß. 
Von Ihr, der wonniglichen, fpricht er nämlich, 
Denn, weil er häufig: ,, Beatrice!” fpricht, 
Iſt dies mir, theure Fraun, nicht ungewiß. 


Eanzone ni. 


Ber Google 





Erſte Canzone. 


I O od, da Niemand meine Klagen hoͤret, 
Um mic, Fein Seufzer fremder Bruſt entflicht, 
Wohin mein Auge fiebt —, den Fuf ich trage, 
Und meil du jener bift, der mir zerftöret 

5. Den froben Muth und martert mein Gemuͤth, 

Und auf mid) zieht — jedweden Unglüds Plage; 
Weil du, 0 Tob, reich meine Lebenstage 
Und arm kannſt machen, ganz nad) eigner Kür, 
Werd’ id) zu dir mein Antlig nad) Gebühr, 

10. Das, gleichwie Leichen, VA? und Bleiche Beiden. 
Bu bir, wie zu Mitleid’gen, komm' und Elage, 
O Toò, id) um den Frieden, den bu mir 
Entreifieft, wenn von deiner Morbbegier 
Sie, meines Herzens Gignerin, foll leiden, 

15. Die wahre Pforte zu den höchften Freuden. 


U. © Tod, den Frieden, den du kommſt zu wehren, 
Bezeichn ich nicht, mein Aug’ zeigt weinend ſich 
Die Öffentlich —; leicht wirft du ibn gewabten, 
Siehft du auf meiner Augen weiche Zähren, 
5. Siehft bu die Matter hier tiefinnerlich, 
Siebft bu bezeichnet mid — gleich deinen Scharen. 


48 


Ad, wenn ſchon Furcht mich läßt fold Deb erfahren 
Durch ihren Streich, mas wird dann thun das Leib, 
Seh’ ich getilgt der Augen Helligkeit, 

10. Die füß Geleit den meinen pflegt zu geben? 

Traun, du ſtimmſt ein, willſt nicht mein Leben fparen, 
Du findeft dich durch meine Qual erfreut; 

Drum, fühl id) auch maͤcht'ge Beklommenheit, — 
Wuͤnſch' id, um mindre Webflag zu erheben, 

15. Den Tod — daß Niemand tilgen twird mein Leben. 

I. © Tod, wird Sie, die Holde, dir zur Beute, — 
Sie, deren Werth gibt dem Verſtand Gewähr, 
Daf hoch und hehe — was man nur an Ihr fiehet — 
So ſcheuchſt die Tugend du, ſchreckſt fie mit Streite, 

5. Und nimmft der Anmuth ihre Burg und Wehr, 
Machſt, daß ſich leer — des Lohne die That bemühet, 
Entſtellſt die Schönheit, die’ in Fener biühet, 

Und die vor Andern ift mit Licht geziert, 

. o glänzend, wies demjenigen gebührt, 

10. Der Licht bringe Würd’gen aus dem Reid) der Frommen; 
Du madft, dag Trew und Glauben man entziehet 
Dem wahren Amor, welcher Jene führt. 

Wenn Ihren Glanz Sie, Tod, durch dic) verliert, 
Kann Amor fprehen, wo er herefcht, beflommen: 
15. „Mein ſchoͤnes Banner ift mir, ach, genommen." 


IV. © Tod, laß dich bei folchem Weh beſchwichten, 
Das, wenn’ fie flirbt, mir wird zum Todesſtoß, 
Weil e8 fo grof —, wie nimmer man erlitten! 
Entfpanne deinen Bogen, laß mit nichten 


49 


5. Den fharfen Pfeil von deiner Senne (08 
Zum Todesloos — in meines Bufen8 Mitten. 
Ad) Gnab’, um Gott, beſaͤnft'ge deine Sitten 
Und zügle dieſe afigellofe Wuth, 

Die ſchon begierig ift nad Deren Blur, 
10. Auf die fo große Gnade fam von oben. 
Tod, wenn du Gnade fennft, laß did) erbitten! 
Mir ddudt ſchon, daß der Himmel auf fid) thut, 
Und Gottes Engelfhar Sie nimmt in Hut, 
Die beilge Seel, hinauf mit Ihr gehoben, 

15. Bu deren Preis gefungen wird da droben. 


V. Du fiebft, Canzone, wohl, wie das Gewebe 
Gar fein, an das id) meine Hoffnung fpann; 
Was fing’ ich an —, flärkt Sie nicht mein Vermögen 
Drum, wie du bift, mit Demuthsmild’ entſchwebe, 

5. Mein neues Lied, und Trdgheit thu' in Bann! 

In deine Hand nur ann — bie Bitt id) legen, 
Und mit der Demuth, die id) hieß dich hegen, 
Tritt, fanfte du, dem Tod vor's Angeſicht; 
Auf daß, fofern ber Härte Riegel bricht, 

10. Man dir der Gnade füße Frucht gewaͤhre. 
Geſchieht e8 dann, daß deinem Wort erlegen 
Sein moͤrderiſch Gethft, fo gib. Bericht 
Der Herrin, bring” Ihr füßer Tröftung Licht, 
Daß fich der Welt hingebe jene Hehre 

15. Nod zum Gefchent, Ste, der ich angehörte. 


Dante, Lyriſche Gebdichte. 1. 3 





Zweite Canzone. 


I. Die ihr im Geifte lenkt den dritten Bogen, 
Horcht meinem Herzen, welche Sprach’ es führt, 
So neue, der ich kaum kann Worte geben: 
Der Himmel, welchen eure Kraft regiert, — 

5. Ihr Wefen, von der Gottheit vorgezogen, — 
Schenkt die Gefühle mir, die mich durchbeben, 
Weshalb die Rede nun von biefem Leben 
An euch zu richten wuͤrdig mir erfcheinet, 
So bitt id) denn, daß ihe Gehör mir leiht! 

10. Fd) Find euch meines Herzens Neuigkeit, 
Wie die betrübte Seele drinnen tveinet, 

Und wie ein Geift beghtige ihre Qualen, 
Der nieberfteigt aus eures Glanzes Strahlen. 


1. Erquidung gibt bem Herzen, das gebrochen, 
Ein lieblicher Gedank', und mandesmal 
Gilt er davon zu unfer8 Herren Füßen, 
Wo er ein Weib erblickt in hehrem Strahl, 


— 51 — 

5. Von welchem er fo ſuͤß mic zugeſprochen, 
Daf meine Seele rief: „Ich muß fie grüßen.” 
Dod jener koͤmmt, von dort fie auszuſchließen, 
Der über mid) gewalt'ge Herrſchaft über, 
Sodaß davon mir bebet Herz und Leib; 

10. Er richtet meine Augen auf ein Weib, 
Ausrufend: „Wer fein Heil zu fehen liebe, 
Der ei? und ſchaue jenes Weibes Blide, 

Hält ihn die Angft vor Seufzern nicht zuruͤcke“ 


111. So feindlidy findet den, der ihn verzehret, 
Der zärtlihe Gedanke, der mir pflegt 
Vom Engiein, das im Himmel thront, zu fagen. 
Die Seele weint, von tiefem Schmerz beivegt, 

5. Und fpricht: „O wehe, daß von hinnen Febret 
Er, der voll Mitleid minderte mein Zagen!“ 
Von meinen Augen fagt fie voller Klagen: 

„O böfer Tag, ale Jene fie erblider! 

Und warum glaubten fie von Ihr nicht mir? 

10. Id) fagte, wohl müff in den Augen Ihr 

Der ftehn, der meines gleichen nieberbrüdket; 

Aud) frommete mir nichts mein forgfam Achten, 

Sie, die mid) töbten ist, nicht zu betrachten.” 
IV. „Du ftarbeft nicht, verlorft nur das Befinnen, 

O Geift, der jegt verzagt an aller Luft!” — 

So fpricht ein geiffig Wefen edler Liebe, — 

„Denn jene Frau, die Herrin beiner Bruft, 

5. Hat did) verwandelt fo an Herz und Sinnen, 
Daf deine Schwachheit bang did macht und tribe. 
Sieh, wie fo fanft und huldreich ihre Triebe, 

3* 


52 


Wie weil und freundlich, ob fie gleich erhaben! 
Erkenn' in ihr die Fürftin aller Fraun; 

10. So wirft du, wenn du did) nicht täufcheft, ſchaun 
Gar hoher Schönheit wunderfame Gaben, 
Und: Amor, wahrer Sere! — wirſt du gefteben — 
Laß deiner Magd nad) deinem Wunfd) gefchehen ! 


V. Du wirft zu ſolchen, glaub’ ich, felten Eommen, 
Die dich, mein Lied, durchſchaun mit tiefem Blick, 
Weil fie zu dunkel dich und firenge finden; 
Drum, wenn es fügen follte das Geſchick, 
5. Daß did Perfonen hätten aufgenommen, 
Die deinen Sinn nicht foheinen zu ergründen, 
Laß Muth und Hoffnung, bitt ich, bann nicht ſchwinden, 
Mein liebes neues Lied, und fprich zu ihnen: 
„Merkt mindeftens auf meine holden Mienen!" 


Dritte Canzone. 


L Amor, der mir auf fehnfuchtsvolle Weife 


10. 


15. 


Von der Gebieterin im Geifte fpricht, 
Bewirkt durd) das, was in die Med’ er flicht, 
Oft, daß mir der Verftand drob möchte ſchwinden. 


. Und meine Seele bei dem füßen Preife 


Aufhorchend und e8 auch vernehmend, bricht 
In Klagen aus: „O weh mic, daß ich nicht, 
Mas ich gehört, im Stande bin zu finden!” 
Zuerft traun, muß id) deffen mid) entbinden, — 
Gedenk' ich, was ich höre, vorzutragen — 
Was ich nicht eingefehn mit meinem Geiſt; 
Und dann auch das zumeift, 

Was ich zwar einfah, doch nicht weiß zu fagen. 
Drum, wenn mein Lied ſich zeiget mangelhaft, 
Sobald an ihren Preis e8 fid will wagen, 

So table man des Geifte8 ſchwache Kraft 

Und unfer Wort, dem alle Macht benommen 
Bu kuͤnden, was von Amor id) vernommen. 


54 


II Die Sonne, die die ganze Welt umrollet, 


5. 


10. 


Schaut nie fo Holdes al8 zu jener Zeit, 

Wo Ihrem Aufenthalt fie Strahlen leibt, 

Bu deren Preis den Sinn mir Amor lenfet. 
hr wird von allen Himmeln Huld gezollet, 
Und Jeder, der fein Herz der Liebe weiht, 
Fuͤhlt im Gedanken ihre Lieblichkeit, 

Wenn Amor ihn mit feinem Frieden tränket. 
Ihr Wefen liebet Gott, der Ihr es ſchenket, 
Sodaß auf Sie fiet feine Kräfte thauen, 
Und dag Sie mehr, als uns geziemt, geneufit. 
Ihr reiner lautrer Geift, 

Dec diefe8 Heil empfängt vor allen Frauen, 
Spricht klar ſich aus durch Körper und Geſicht; 


15. Denn ſolche Reize find bei Ihr zu fchauen, 


Daf Augen, die beftrahlt von Ihrem Licht, 
Es kundthun dem von Sehnfucht ſchweren Herzen, 
Das dann ale Seufzer aushaucht feine Schmerzen. 


MI. Auf Sie ift Gottes Hulb herabgewallet, 


10. 


Wie auf ben Engel, der fein Antlig ſieht; 
Und welche ſchoͤne Frau der Glaube flicht, 
Mag es duch Schaun und Umgang inne werden. 


. Bom Himmel her Eommt, ivo Ihr Wort erfchallet, 


Ein Geiſt, der und zu dem Vertrauen zieht, 
Daf jene Kraft, gefenkt in Ihr Gemüth, 
AU Andres übertrifft, was fonft auf Erden. 
Sie zeiget uns die lieblichſten Geberden, 
Die um die Werte Lich? erivedfen gehen, 
So laut, daß fie fic gibt im Herzen fund. 


15. 


55 


So fage denn mein Mund: 

„Edel an Fraun ift, was an Ihr zu fehen, 
Und Sede nur fo fhön, ale Ihr fie gleicht.” 
Ihr Anblid dienet, barf man mol gefteben, 
Das wahr zu finden, was und Wunder daͤucht. 
Beiſtand warb unferm Giauben fo gegeben, 
Und darum rief ber Ew'ge Sie ins Leben. 


IV. In Ihrem Anglig zeigen Mar und offen 


10, 


15. 


Sid Wonnen, die das Paradie8 nur hegt, 
Die und Ihr Lächeln und Ihr Blick erregt, 
Wohin fie Amor bringt vor andern Orten. 


. Es weicher der Verftand, davon betroffen, 


Sowie der Blick die Sonne nicht erträgt, 

Drum weil Ihr Reiz mein Auge nieberfchlägt, 
Kann id) Sie ſchildern nur mit ſchwachen Worten: 
Es regnet Giut herab die Schönheit dorten 

Von einem Geift der Lieb’ und Huld befeelet, 
Der jede tugendhafte Regung ſchafft. 

Dann fürzt mit Donners Kraft 

Die angeborne Schuld, die Alle qudlet. 

Wenn eine Frau drum höret, dag man fdilt 


. Auf ihren Neiz, weil Demuthsmild' ihr fehlet, 


So ſchaue fie auf diefes Demuthebild; 
Denn dies demüthigt jeden Thorheitsvollen. 
Er ſchuf Sie, der da hieß die Sterne rollen. 


V. Mein Lied, e8 wiberfpricht an einer Stelle, 


So feheint e8, eine deiner Schmweftern bir: 
Denn jene Frau, ein Bild der Demuth hier, 
Wird misgelaunt und firenge dort genennet. 


56 


5. Du weißt, daß ſtets der Himmel klar und helle, 
Und daß er felbft nie truͤbet feine Bier. 
Dod) unfern Augen teauend fagen wir 
Dft, daß das Sternenzelt nur dunkel brennet. 
Wenn jenes Lied drum Stolz in Ihr erfennet, 
10. So fpricht e8 nicht nad Wahrheit und nad) Treue, 
Nad dem nur, was ich igt erkenn' als Schein. 
Furcht nahm mid) damals ein, 
Und thut e8 heute noch, daß id) mich ſcheue, 
Den® ich, wie Sie durchſchauert meinen Sinn. 
15. Drum bite, iſt's nöthig, daß Sie dir verzeihe, 
Und fprich, fobald bu trittft vor Jene hin: 
Wird eure Huld, 0 Frau, mir nicht gebrechen, 
Wil id von euch auf jeder Seite ſprechen. 


57 


Wierte Canzone. 


1. Das füße Lied des Amor, das mir che 
Oft in der Vruft erfcholl, 
Das muß ich laffen, obgleich hoffnungévoll 
Dahin zurüuͤckzukehren; 

5. Doch weil ich in der Herrin Augen Groll 

Und ſtrengen Unmuth ſehe, 
Und drum den ſonſtgewohnten Weg nicht gehe. 
Bu fprechen nad) Begehren, 
Und weil für ige mir gutdäucht aufzuhören, 

10. So leg” id nun den fanften Griffel nieder, 
Mit bem id) Amors Preis bisher erfann, 
Und madje fund fortan, 
Was Menſchen wahrhaft machet abligbieber, 
Durch rauhfharffinn’ge Lieder 

15. Die tabelnd, deren Meinung mir zutoiber, 
Als falſch und niedrig, als ob Abel quille 
Aus Gelb und Güterfüle; 
Und ruf im Anfang gleich den ‚Herren an, 
Der in Mabdonna8 Augen Plag genommen, 

20. Weshalb in Liebe Sie zu fi entglommen. 

gu 


58 


II. Ein Herrſcher war e8, ber den Abel fegte 
Nach feines Geiftes Wis 
Sn angeerbten ahnlichen Beſitz 
Und Führung, die da ebrte; 

5. Noch weniger war deffen Meinung nüg, 
Der ſich dagegenfebte, 

Und deshalb gar vielleicht abſchnitt das Legte, 
Weil er es felbft entbehrte. 
Nady ihnen dann betreten gleiche Fährte, 

10. Die Jedermann den Adel zuerkennen, 
Wenn uraltreihem Stamm er angehört, 
Ein Irrthum, fo verjährt, 

Daf aud die Îg'gen ſich bazu befennen, 
Und adlig Alle nennen, 

15. Die prablend von ſich felber fagen Eönnen: 
„Mein Ahn, mein Vater war fo bod und wichtig !’” 
Obwol er völlig nichtig; 

Ta, wohlbedacht, ift deffen Schuld gemehtt, 
Der irve geht, des Vorbilds ungeachtet; 
20. Der lebt zum Schein, indeß ihn Tod umnadhtet. 


II. Wer Menſchen für belebtes Holz erklaͤret, 

Dec fpricht zuerft nicht wahr, . 
Und bietet ferner Mangelhaftes dar, 
Wol weil er's nicht ergrinbet. 

5. So hat aud jener Kaifer offenbar 
Nicht feinen Geift bewaͤhret, 
Weil nicht nur falſch der Spruch, den er und lebret, 
Aud mangelhaft ſich findet; 
Denn Reichthum kann, wer immer much e8 Finder, 


10. 


15. 


20. 


Nicht Adel nehmen und nicht Abel zeugen, 

Denn ſchlecht und nichtig if er von Natur. 

Wer malt, fann die Figur, 

Traͤgt er fie nicht im Geift, nicht bildend zeigen. 
Den Thurm, den grad’ auffteigen 

Mir fehn, kann nicht ein Strom fernfliegend beugen. 
Gemein ift Geld und Gut und unvolltommen; 


Mag's aud in Haufen fommen, 


Es bringt die Ruhe nicht, bringt Sorge nur. 
Wenn Recht und Wahrheit drum den Geift erbellet, 
Wird er von Gluͤckeswechſel nicht entftellet. 


IV. Sie fagen, „Niedres firebt umfonft nad) Ehre, 


15. 


Und nieberm Blut entfprang 
Des nimmer, der da hat abligen Rang.” 
Das iſt's, was fie bekennen, 


. Dod in fich felber ſcheint die Nede krank, 


Bedenken wir die Lehre, \ 

Daf zu dem Abel Zeitverlauf gehöre, 

Den fie davon nicht trennen. 

Dann wird man aus bem Frühen folgern koͤnnen, 


. Dafi Keinem Abel zulomm’ ober Allen, 


Daf fonft der Menfchenftamm ohn’ Anfang fei. 
Dem ftimm’ id nun nicht bei; 

Aud) kann's als Chriften Jenen nicht gefallen. 
Drum wird’& nicht ſchwierig fallen 

Bu fehn, wie ſolche Red’ cin leeres Schalten. 
Da id) der Meinung Falſchheit nun erwieſen, 
Wend' ich mich weg von diefen, 

Und fage jegt die cigne Meinung frei, 


Was Adel, und woher er komm', ingleichen 
20. Wie Edle man erfenn’, an welchen Zeichen. 


V. Ic) fage, jeder Tugend Keim  entftebet 

Aus einer Wurzelkraft, 
Der Zugend, mein’ ich, die und Gluͤck verſchafft, 
Und unfer Thun begleitet; 

5. Sie ift des Guten Wahl, die nie erſchlafft, — 
Wie's in der Ethit ſtehet, — 
Und nimmer aus der Mitte Schranken gehet; 
So wird uns dort bedeutet. 
Ic, fage, daß der Adel nur bereitet 

10. Damit Begabten Lob, ift e8 der reine, 
Mie Niedrigkeit bereitet Unheil nur; 
Und jener Tugend Spur 
Folgt gleichfalls Andrer Lob mit hellem Scheine. 
Weil Beid’ in dem Vereine, 

15. Daf ihre Wirkung ift diefelb’ und eine; 
Muß aus dem Einen fpriefen 
Das Andre oder Veid' aus Drittem fließen. 
Umfaffet er indefi ihre Natur 
Und Andres mehr, fo wird aus ibm fie kommen 

20. Nur Eingang tvar, was ihr bisher vernommen. 


VI. Es maltet Abdel ftets, wo Tugend waltet, 
Dod Tugend nicht, wo er; 
So ift aud Himmel, wo der Sterne Heer, 
Was umgekehrt betrüglich. 
5. An Fraun und an der Jugend fehn wir hehr 
Dies ſchoͤne Gluͤck entfaltet, 





61 

Sofern noch zarte Scham in ihnen fchaltet, 

Auf Tugend unbezuͤglich. 

Drum, wie aus Schwarzen Braunes, fiehtman gnuͤglich 
10. Aus Adel fpriefen mit all einzien Zweigen 

Den Tugenbfiamm, wie ich gezeigt zuvor. 

Daf Keiner wie ein Thor 

Drum fprehe: „Durch Geburt ift fie mein eigen.” 

Weit Göttern gleich ſich zeigen, 
15. Die fo begnabdigt, fern vom Suͤnderreigen. 

Denn Gott verleihet fie allein ber Seele, 

Die ex fo fonder Feble 

Bexeitet fiebt — ein nicht zahlreicher Chor — 

Im der fie dann die Saat des Heiles ndbret 
20. Dem Geift, von Gott gefandt, der unverfehret. 


VI. Die Seele, die mit diefem Dell begläder, 

Hält diefes nicht verhuͤllt; 
Sie zeigt es, feit der Körper fie umſchwillt, 
Bis fie ihn muß verlaffen, 

5. Denn fie if ſchamerfuͤllt, gehorfam, mild, 
As Kind, und man erblicket 
She Aeufere8 mit ſuͤßem Reiz geſchmuͤcket, 
Und Gtied zum Gliede paffen. 
Stark ift fie in der Jugend und gelaffen, 

10. Von Lieb’ und Ruhm erfuͤllt, doc, ſitt gerweiſe, 

Und wird duch eble Thaten nur erfreut. 
Dann in der fpätern Beit 
Beigt fie gerecht, freigebig ſich und weife; 
Von fremder Thaten Preife 


15. Sid) unterceden ift ihr Freudenfpeife. 
Im vierten Lebenstheil weiht ihre Liebe 
Sie Gott mit neuem Triebe, 
Macht auf bas Biel des Weges ſich bereit, 
Und fegnet frob die- Zeit, die abgelaufen. — 
20. Schaut jego der Bethoͤrten maͤcht gen Haufen! 


VIII. Den Irrenden geh, mein Gefang, entgegen, 
Und triffft auf deinen Wegen 
Den Ort du, wo fid) zeigt die Herrin dir, 
So darfſt du deinen Antrag nicht verhehlen. 
5. Gib die Verfihrung Ihr: 
„Bon eurer Freundin komm’ ich zu erzählen.” 


Fünfte Canzone. 


1. R 7 fühle. fo der Liebe große Stärke, 
Daf id) nicht kann ertragen 
Die Schmerzen lange; darum trauv id) fehr, 
Dieweil ich ihre Kraft zunehmen merke, 

5. Und meine mir verfagen, 

Werd’ id) allſtuͤndlich ſchwaͤcher als vorher. 
Nicht zwar thut Amor Über mein Begehr; 
Denn wolle er nur nad) meinem Willen walten, 
So trligen’8 nicht die endlichen Gewalten, 

10. Die von Natur id trag’ in Herz und Sinnen, 
Und diefes quält und druͤcket mich fo ſchwer, 
Daf Können nicht dem Wollen Wort Bann halten. 
Dod fann ein ebler Wille Lohn erhalten, 

So fodr' id) ihn, mehr Kräfte zu gewinnen, 

15. Von jenen Augen, die mit füßem Glühen, 

Da, wo id) Lieb” empfinde, Triftung fprühen. 


11. Es firahlen Ihre Augen in die meinen, 
Die ganz von Lieb’ entbrennen, 
Und fprühen, two ich Leib empfinde, Luft, 
Und gehn, indem fie Wandrern ähnlich fcheinen, 

5. Die ihren Weg ſchon Eennen, 

Und wmiffen, wo die Liebe bleiben mußt’, 
Einführend fie durch's Aug’ in meine Bruſt, 
Weshalb fie, zugeneigt mic, Mitleid ſchenken; 
Und Iene, der id) angehöre, kraͤnken, 


64 - 


10. Verftedt vor mir. Dann flammt fo meine Liebe, 
hr dienend bin ich Werth mir nur bewußt, 
Aud) muß ich mein nur lieberzeugte® Denken 
Zu Ihrem Dienft gleichwie zur Fahne lenten, 

Den id) mit folhem Fleiß und Eifer. übe, 

15. Daf, wär e8 Noth, ich Sie felbft fliehen möchte, 

Obwol mir das ‚den Tod gewißlich brächte. 


III. Wol wahre Lieb’ ifl’s, die mich eingenommen, 
Und eng bin id) gefangen, 
Wenn, wie id) fag”, id) träge folhen Bann. 
Denn mächtiger ift niemals Lieb’ entglommen, 
5. Als wenn den Tod verlangen 
Um Ihretwillen der Entflammte ann. 
Das ift die Willenskraft, die id) gewann, 
Sobald die große Vrunft, die mich durchquillet, 
Kraft des Gefallen8 fid in mic enthüllet, 
10. Wodurch Albuld in holdem Antlig bluͤhet. 
Sd) bin Ihr Sklav, und bin, den® id) daran, 
Mas Iene fei, zufriedenheiterfuͤllet. 
Wol laͤßt ſich dienen, wenn auch ungetvilfet, 
Und menn die Jugend mic den Lohn entziehet, 
15. Harr' id) der Zeiten, wo ich wuͤrd'ger werde, 
Wenn id nicht früher Iaffen muß die Erbe. 


IV. Dent id befonbren Wunſches, der, entfproffen 
Aus jenem allgemeinen, 
Gewaltig mich zu eblem Thun entrafft, 
Scheint mehr als bill'ger Lohn mir zugefloffen ; 


5. 


10. 


15. 


65 


Dann möcht ich felbft verneinen, 

Daf mid) bedruͤckt das Joch der Dienerfchaft. 

So vor bem Angeficht der Freude ſchafft 

Der Dienft mir Lohn, weil Sie fo gut und linde; 
Doch wenn id) fireng mid) an die Wahrheit binde, 
Heißt fold Verlangen Dienft mir fonder Weigern. 
Drum wenn ih Wahsthum leihe meiner Kraft, 
Den® id nicht dran, wie ich mid) felbft befinde, 
An Sie nur, deren Obmadt id) empfinde, 

Und thue dies, um Ihren Werth zu fleigern, 

Und al’ mein Wunſch ift Ihr anzugehören, 

Da mid) die Liebe würdigt folcher Ehren. 


V. Nur Liebe Eonnte folhe Kraft mir regen, 


10. 


Daf ich mich würdig muͤhte 
Um Sie, die nimmer wird von Lieb’ entzuͤckt, 
Gleich der Gebieterin, der nichts gelegen 


. Am liebenden Gemüthe, 


Das, wenn’s ein Weilchen Sie nicht fieht, erſchrickt. 
Ich Habe Sie fo oft nod) nicht erblickt, 

Daf nicht ein neuer Reiz Sie flets verklaͤret; 
Weshalb ſich meiner Liebe Kraft vermehret, 

&o oft mein Herz empfindet neue Freude; 
Weshalb ein Zuftand fortwährt unverruͤckt, 
Weshalb mit gleicher Koft mid Amor ndbret, 
(Weil gleiche Pein und Luft fie mir gerodbret) 
So lang die Trennung währt, durch die ich leide. 


. Ic traure, wenn Ihr Anſchaun mic genommen, 


Bis dahin, wo e8 mir zuruͤckgekommen. 


VI. Mein holdes Lieb, weil, wenn bu nad mir arteft, 
Du alfo nicht von Grolle 
Wirft voll fein, wie e8 zukommt deinem Werth, 
Midt ich dich bitten, daß du did) verwahrteſt, 

5. Du füße, liebevolle, 

Vor falfcher Weil? und Bahn, die dich entehrt. 
Wenn dic) ein Ritter hält und bein begehrt, 
Bevor du feinem Wunſche did) ergeben, 
Muft du für dich ihn zu gewinnen ſtreben; 

10. Und fannft du's nicht, wohl, fo verlaffe jenen. 
Der Gut iſt nur des Guten Schlafgefährtz 
Dod Mancher ſchließt fih, wie wir's oft erleben, 
Der Schar an, ber nur tein’gen muß fein Leben 
Dom böfen Ruf, den andre Zungen tönen. 

15. Gefell in Geift und Kunft dic) nicht den Böfen, 
Denn wehe, wer fich die Partei erlefen! 


VII. Zuerft in unſrer Heimat nun verfüge 

Bu ben drei minder Schuld'gen dich, mein Lied! 
Zween grüße, doch den dritten fei bemüht 
Bu trennen erft von frevelvoller Bande. 

5. Sprich: „Gute führen nicht mit Guten Kriege; “ 
Bevor mit Bifen ibm der Sieg entblüht, 
Sprich: „Thorheitsvoll iff, wer ſich nicht entzieht 
Der Thorheit, weil ihm bangt vor Scham und Schande. 
Scham fürchtet nur, wem banget vor dem Böfen, 

10. Denn biefes flichn heißt Befferes erlefen.” 





. Schöte Eanzone. 


1. Io trag’ um mid) fo heftig Leid im Herzen, 


10, 


Daf id muß Trauer zollen 
Sowol des Mitleids willen al der Qual. 
Weh, daß die Luft als Seufzer ſich mit Schmerzen, 


. So wenig id) mag wollen, 


Im Herzen fammelt mic zum legtenmal, 

Sn welches ſchlug der ſchoͤnen Augen Strahl, 

As Amors Hand mir auffchloß ihren Schimmer, 
Zum Tobe führend mich, der mid Seaminget. 

© wie fo mild ibe Flimmer 

Und fanft und lieblich auf mich niederquoll, 

Als mir zuerft erſcholl 

Bum Tobe, der mid feindlich igt durchdringet, 
Ihr Ruf: ,,Fried' iſt s, was unfer Schimmer bringet.“ 


IL „Wir leihn dem Herzeh Srieden, leihn euch Wonnen“ — 

So zu ben meinen ſprachen 
Ehdem die Augen der Gebieterin; 
Dod als mehr Einficht fie von Ihr gewonnen, 

5. Wie meine Kräfte brachen, 
Weil mir zu fireng und hart erfhien Ihr Sinn, 
Da flohen fie mit Amor Fahnen Hin, 
Sodaß die Vlide, die mit Sieg burdibrangen, 
Seitdem mein Auge nimmer wieberfinbet. 

10. Drum blieb von Schmerz befangen 
Die Seele mir, bie Troft in ihrer Noth 
Von ihnen hoffe, und tobt 
Das Herz nun fieht, mit dem fie war verbindet, 
Und fcheiden muß von jenen liebentzünbet. 


III. Und tiebentzünbet eilt fie fort und Elagend, 

Die fo unfäglich leidet, 
Aus bdiefem Leben, weil ihr Amor brdut, 
Sie geht von bannen, fo vor Schmerz verzagend, 

5. Daf, ebbevor fie fcheidet, 
For Schöpfer Hört mitfühlend auf ihr Leib. 
Dann zieht fie ſich in die Verborgenheit 
Des Herzens mit bem Leben, bag verglimmet 
Im Augenblice, wo fie muß erblaffen. 

10. Dort gegen Amor flimmet 
Sie Klag' an, der fie treibt aus biefer Welt, 
Und oft umſchlungen hätt 
Die Geifter fie, bie weinend kaum ſich faffen, 
Weil fie nun müffen ihren Umgang laffen. 


IV. Das Bildniß diefer Holden Herrin glibet 
. Nod in des Geiftes Grunde, 
Den leitend Amor ibm zum Sig erfor; 
Dod kuͤmmert Sie das Leid nicht, dag Sie fichet, 
5. Da fchöner Sie zur Stunde 
Und holder noch Ihr Lächeln als zuvor; 
Dam hebt Ihr tibtend Auge Sie empor 
Und ruft ihr zu, die ſcheidend ndft die Wangen: 
„Geh, Ungtädfelige von hinnen, gehe!" 
10. So ruft Sie, mein Verlangen, 
Die fiegend, wie Sie pflege, bekämpft mein Herz, 
Ob minder gleich mein Schmerz, 
Weil ich verſchmachtend ſchon Eraftlofer fühle, 
Und mehr mid nahe meiner Qualen Ziele. 


V. An jenem Tag, wo Sie ans Licht gekommen, — 

Nad dem, was fteht gefchrieben 
Im Buche fhroindender Erinnerung, 
Ward da die junge Bruft mic eingenommen 

5. Von neuen midtgen Trieben, 
Daf ich erfüllt blieb von Beängftigung, 
Weil meines Innern Kräfte cin Baum umfchlung 
So plöglic, daß ich hinſank und von rauhen 
Entfegenstönen mir die Sinne ſchwunden; 

10. Und ift dem Buch zu trauen, 
Der Lebenggeift erzitterte fo fehr, 
Daf faft fein Zweifel mehr, 
Wie nun fein Tod Eingang zur Welt gefunden; 
Drob hat, der dies erregte, Reu' empfunden. 


10 


VI. Als id die grofe Schönheit drauf erblickte, 


10, 


Die mid) fo fehr läßt trauern, 
Ihr edlen Fraun, an die id mich gewandt, 
Da ward die Kraft, die hoͤchſter Adel ſchmuͤckte, 


. An meinen Wonnefhauern 


Wohl inne, meld) ein Unheil ihr erftand, 

Und wel Verlangen war in mir entbrannt, 

Weit fie dem fteten Hinfhaun fid) befliffen, 

Daf brauf fie zu den Andern fprady mit Zaͤhren: 
„Hier werd’ ich ſchauen muͤſſen 

Statt jener fruͤheren die Huldgeſtalt, 

Drob ſchon mich Furcht durchmwallt; 

Wir Alle koͤnnen nicht den Thron Ihr wehren, 
Sobald's gefällt dem Auge jener Hehren.“ 


VII. An euch ergeht mein Wort, ihr jungen Frauen, 


Ihr, deren Auge füßer Reiz bethaut, 
Und deren Sinn ſchon Amor feffelnd neigte! 
Mit Huld und Nachſicht ſchaut 


. Auf diefes Lied, wohin e8 ſich begebe, 


Und bier vor euch vergebe 
Ich Ihr, der Schöhen, die mid) töbtend beugte, 
Die, deffen ſchuldig, nimmer Mitleid zeigte. 


Siebente Eanzone. 


1S rauh von Wort zu fein bin id) getvillet, 
Wie jene ſchoͤne Steingeftalt von That, 
Sie, die um einen Grad 
Mehr raub wird und mehr hart zu allen Stunden, 
5. Und ihren Leib in einen Jaspis hüllet. 
Drum, ober teil fie dem entflieht, der naht, 
Hat noch fein Pfeil den Pfad 
Bu unbeſchuͤtztem Theil bei ihr gefunden. 
Sie trifft, und vor den tobbegabten Wunden 
10. Sudt man umfonft durd) Flucht und Harniſch Heil. 
Befluͤgelt ſchwirrt ihr Pfeil, 
Erreicht Jedweden, fplittert alle Waffen: 
Drum weiß und kann id) mir nicht Hälfe ſchaffen 


Il. Kein Schild ift, den fie mir nicht kann zertrümmern, 
Kein Ort, wo ihr Blick mid) nicht fände mehr. 
Dod thront im Geift mir hehe 
Sie wie die Blum’ ob Blättern obenan. 


72 


5. So viel [heine um mein Leid fie ſich zu kümmern, 
Wie um bie Flut ein Schiff im glatten Meer. 
Ich bin bedruͤckt fo ſchwer, 
Daf id) es nicht in Reimen kuͤnden kann. 
Ach, Feile, harte, grauſame, ſag' an, 
10. Die du geheim entkraͤfteſt mir das Leben, 
Fuͤhlſt du kein Widerſtreben, 
Mein Herz nach innen ſchrittweis zu zerquaͤlen, 
Wie ich von deiner Macht wem zu erzaͤhlen? 


III. Und mehr erbebt niein Herz voll Furcht, daß, während 
Ich eingedenk bin der Gebieterin, 
Ein Andrer auf mich hin 
Die Blicke richt’, im Aug’ mein Innres ſehend, 

5. Als felbft der Tod mich ſchreckt, obwol verzehrend 
Schon mit der Liebe Zahn mir jeden Sinn. 
So voll Gedanken bin 
Ich fonder Kraft zum Handeln, und vergebend. 
Er flug zu Boden mid, über mir ftebend, 
10. Mit jenem Schwert, das Dido's Herz durchſchnitt; 

Amor, den ih mit Vite 
Um Gnade fleh’, und mit demüth’gen Klagen, 
Und er ſcheint Gnade ftandhaft abzufchlagen. 


IV. Kampf meinem ſchwachen Leben anzufagen, 
Erhebt mein Feind von Beit zu Beit die Hand, 
Der ruͤcklings mich gefpannt 
Am Boden hält, daß alle Kräfte weichen. | 
5. Dann feigen mir im Gelft auf laute Klagen; 
Zerſtreuet durch die Adern fommt gerannt, 
Durch Ruf zuruͤckgewandt, 


33 


Das Blut zum Herzen, daß ich muß erbleichen. 
Er trifft gue linfen Seite fo mit Streichen 

10. Mic, daß der Schmerz im Herzen ruͤckwaͤrts fpringt. 
Da ſprach ih: „Wenn er ſchwingt 
Den Arm aufs neu, hat mid) ber Tod bezwungen, 
Nod ch’ der Schlag iſt niederwaͤrts gebrungen.” 


V. © daß ich ſaͤh ihn fo das Herz zerfpalten 
Der Harten auch, ſowie mit mir er thut: 
Dann ſchreckte meinen Muth 
Der Tod nicht, den Ihr Reiz mich läffet fehen; 
5. Dod) gleich bei Tag und Nacht ift ihr Verhalten, 
Der Diebin, Räub’rin, die da lechzt nad) Blut. 
Wie id in heißer Flut 
Warum, ad, muß Sie niht um mid) vergehen? 
„Ich komme,“ rief' ich flugs, „Die beizufteben.” 
10. Voll Freude fim’ id) dann und mit Vegier 
Im blonden Haar, das Ihr 
Amor mit Gold durchlodt zu meinen Leiden, 
Wuͤhlt' id mit meiner Hand, mid) dran zu weiden. 


VI. Wenn id) erfaßt Sie bei den blonden Schnüren, 
Gleich Geifel mid und Ruthe quälen fie) 
Hielt' ich von neun Uhr früh 
Bis Vesper Sie, big Abends bei den Haaren; 
5. Und flatt mid) milb und höflich aufzuführen, 
Bär’ ich vielmehr ein ſcherzend Baͤrenvieh. 
Und für die Streiche, bie 
Mir Amor gdb’, wolle id nicht Rache fparen. 
She ſchoͤnes Aug”, aus welchem Funken fahren, 
Dante, Lyriſche Gedichte. I. 4 


x 74 

10. Die das gerrifne Herz entflammen mir, 
Beſchaut' id) ftare und flier. 
Daß Sie vor mir geflohn, ließ ich Sie buͤßen, 
Durd Amor Frieden dann mit Ihr zu ſchließen. 


VII. Lied, geh’ nun grade bin zu jener Frau, 
Die mir das Herz getroffen, und mir nimmt 
Wonady mein Gaumen glimmt, 
Und dann mit einem Pfeil Ihr Herz verfehre! 
* 5. Demm, wer fi raͤcht, gewinnet edle Ehre. 


Lo) 


Achte Eanzone, 


1. Du fiehft e8, Amor, nun, daß diefe Herrin 

Verhoͤhnet deine Macht zu jeber Beit, 
Sie, die ſich zeiget al8 der Andern Herrin, 
Seit Sie fit fieht auch meines Herzens Herrin 

5. Kraft deines Strabl8, der mir im Antlig glänzt; 
Erwies Sie ſich alè jeder Härte Herrin, 
Daf Sie das Herz nicht zeigt der milden Herrin, 
Nein, jenes Thiers, das ganz an Liebe kalt. 
Ob warm bie Jahreszeit und ob fie kalt, 

10. Erſcheint Sie mir gleich einer ſchoͤnen Herrin, 
Die nicht lebendig, rein, geformt aus Steine, 
Durch Den, der Meifter ift, zu hau'n in Steine. 


1. Dod ich bin ftanbhaft dir, gleich bdrtftem Steine, 
Ergeben ob der Schönheit meiner Bertin; 
Verftedt trag’ ich die Wunde von dem Steine, 
Mit dem du mid) verlegt gleich einem Steine, 

5. Der bir zuwider war feit langer Beit, 
Sodaß mein Herz er traf, wo id) von Steine. 
Nod niemals hörte man von einem Steine, 
Der durch der Sonne Kraft, womit fie glänzt, 
So hohe Kraft entlebnt, fo Licht erglänzt, 
10. Daf er mir helfen mag von biefem Steine, 
4* 


76 


Der feinen Froſt mittheilend, felber alt, 
Mid hinführt, wo ich ende todebfalt. 


III © Herr, du weißt ed, wenn es ſchneidend Kalt, 


10. 


So friert das Waffer zum kryſtallnen Steine, 
Dort unterm Pole, der fo fiare und falt, 
Und wo bie Luft, im Element ftets falt, 


. Sid fo. verkehrt, daß Feuchtigkeit die Herrin 


In jener Gegend ift, wo es fo Ealt. 

So friert mein Blut vor jenem Bli fo fatt, 
Vor jenem Antik ſchon feit langer Zeit, 

Und der Gedanke, der die meifte Beit 

Mir füllt, wird felbft zum Körper feft und kalt, 
Und koͤmmt hervor, dort wo das Auge giänzt, 
Mo mir Ahr graufam Licht zuerft erglängt. 


IV. In Ihr verfammelt fid), was ſchoͤn erglänzt, 


10. 


Und jede Graufamfeit, die bart und falt, 
Strömt in Ihr Herz, two nie bein Licht erglängt; 
Weshalb fo Hold fie meinem Aug’ erglänzt, 


. Wenn ic Sie fehe, die ich feb’ im Steine, 


Und überall, wo nur mein Blick erglänzt. 

Ihr Auge iſt's, das alfo mir erglänzt, 

Daß id) der Undern fpotte, bei der Herrin. 

O tod Sie mir doch minder harte Herrin, 
Der id) bei Nacht und wenn der Tag erglänzt, 
Bu Ihrem Dienft errufe Ort und Beit 

Und hierzu nur beflimmt des Lebens Beit! 


V. Darum, 0 Kraft, die diter ale die Zeit, 


Und als Bewegung und das Licht, das glänzt — 


Lul 


Erbarm did) mein in diefer trüben Beit, 
Dring' in Ihr Herz, es drängt die hoͤchſte Zeit, 
5. Verbann® von dort, was graufam ift und fatt, 
Mag mid) betruͤgt um meines Lebens Beit. 
Denn wenn bein Sturm mid) faßt in biefer Zeit, 
Im diefer Lage, fiebt das Bild von Steine, 
Gar bald mid) liegen unter faltem Steine, 
10. Um nie mehr zu erftehn als nad) der Zeit. 
Dann werd’ ich fehn, ob jemals eine Herrin 
Gelebt, fo ſchoͤn wie diefe harte Herrin. 


VI. Mein Lied, id trag’ im Geiffe eine Herrin, 
Die, ob fie gleich für mid von hartem Steine, 
Mir Kühnheit gab, und Jeder ſcheint mir kalt, 
Daf ich's gewagt, für Sie, die mir fo falt, 
5. Ein Lied, das neu durch feine Form erglängt, 
Bu bilden, wie's erdacht zu Eeiner Zeit. 





MNeunte Eanzone, 


L Zu jenem Punkt im Kreis bin ich gefommen, 
Allwo der Luftkreis, wenn die Sonne ſchwindet, 
Der Zwillinge Geftirn am Himmel zeigt. 

Der Stern ber Liebe, fern, wird und benommen 
5. Von jenem hellen Licht, das ibn umwindet 

So ſeitwaͤrts, daß davon fein Strahl erbleicht, 

Und der Planet, der ſich dem Froſte neigt, 

Stellt ganz fid dar an jenem großen Bogen, 

In dem die Sieben wenig Schatten geben; 

10. Und doch mill von mir ſchweben 
Rein einz’ger Liebeswunfd, der mir umzogen 
Den franten Sinn, der fefter als ein Stein 
An jenem holden Bilde hält von Stein. 


TI. Aus Aetbiopieng duͤrrem Sand erhebet 


Der Wind ſich, der die Luft mit Dunkel fuͤllet, 
Die Sonn’ umzieht, die glühend ihn begrüßt; 
Dann flieht er übers Meer und mit ihm ſchwebet 
5. Ein dichter Nebel, ben, wenn nichts ihn ftillet, 
Des Nordens Froft verdichtet und verfchließt; 
Drauf loͤſt er ſich; in weißen Floden ſchießt 
Er dann herab als Schnee und laͤſt'ger Regen. 
Dann trüben alle Lüfte fih und meinen, 
10. Und Amor, der mit feinen 


19 


Sagbmegen zieht vom Himmel Sturmes megen, 
Sest ſtets mir nad); fo auch die fine Herrin, 
Die graufe, bie verliehn mir warb gue Herrin. 


III. Geflohn ift jeder Vogel, der bem Wehen 
Der Wärme folgte, von Europas Staaten, 
Das ſtets die fieben falten Sterne fiebt; 
Und aller Lied hab’ id) verffummen fehen, 

5. Um nicht zu tönen big zu friſchen Saaten, 
Es wäre denn mit ſchmerzerfuͤlltem Lied. 
Und jedes Thier, das von Natur erglüht 
Sn Freud’ und Luft, ift frei vom Liebeötriche, 
Nun da der falte Winterhauch e8 bindet. 

10. Sn meiner Bruft nur zündet 
Die Glut ſich höher an; denn Luft der Liebe 
Entzieht und gibt mir nicht des Jahres Alter; 
Ein Mägdlein gibt fie mir von jungem Alter. 


IV. Entflohen ift die Belt des grünen Laubes, 
Das die Gewalt des Widders und erzeugte, 
Die Welt zu ſchmuͤcken; tobt ift Feld und Hain; 
Schon birgt fid) jeder Zweig, gewiß des Raubes, 
5. Wenn Pinie, Lorbeer, Tanne fi nicht zeigte 
Und andre, die bes fleten Laubs ſich freun. 
So rauh und herbe will die Zeit nun fein, 
Daf fie bie Bluͤmlein töbtet auf ben Matten, 
Die falten Herbfithau nicht zu tragen wiffen. 
10. Vom Dorn, der mich zerriffen 
- Allein will Amor Freiheit nie verftatten; 
Daß ich beſtimmt bin, ihn zu tragen immer, 
o lang’ id) Leb” und foll@ ich leben immer. 


80 


V. Dampfende Waffer, deren Adern fließen 

Durch Dunft und Qualm, tvie fie die Erde ndbret, 
Und aus bem Abgrund ſich empor fie bringt, 
Vertvandeln jenen Weg, den ich zu grüßen 

5. Im Lenze pfleg”, in einen Bad, der rodbret 
So lang des Winters Angriff und umringt. 
Die Erd’ ift feft, als ob fie Schmelz umfchlingt, 
Das Waffer wandelt todt fid zum Keyftalle 
Ob jenes Froftes, der's von aufien bränget. 

10. Dod) mir, vom Krieg bedränget, 
Iſt's nicht vergönnt, daß je ich heimmärts male; 
Nod aud) begehr’ ich's: it ſchon Marter ſuͤß, 
Wie muß der Tod fein über Ades ſuͤß! 


VI. Mein Lied, was wird doch dann erft aus mir werden, 
Im neuen Holden Jahre, wenn die Liebe 
Von allen Himmeln auf die Erde träuft, 
Sind jegt im Froſt gehäuft 
5. In meiner Vruft, wie nirgends, ihre Triebe? — 
Verwandelt bin ich dann zum Bild von Stein, 
Wenn Iene flatt des Herzens ziert ein Stein. 
L. 


8 


Zehute Canzone. 


1. Amor, da id) mich laut beklagen muß, 
Damit die Welt mich höre, 
Und zeigen, tie id) ganz vom Heil verfehlagen, 
So gib beim Willen Kraft zum Thränerguf, 
5. Aufbaf der Schmerzen Schwere 
Frei, wie id) fühl, ertön’ in Neb' und Klagen. 
Du heißeft fterben mich, und id) will's tragen; 
Doch wer entſchuldigt mid, weiß ich Bericht 
Hievon zu geben nicht? 
10. Wer glaubt mir, daß ich jemals fo befangen? 
Doch, gönnft du mir zu finden meine Plagen, 
So laf, 0 Herr, bevor mein Auge bricht, 
Nicht zu der Schulb’gen fommen dies Gedicht; 
Denn, würde fund Ihr dies mein innres Bangen, 
15. Entſchoͤnte Mitleid Ihre ſchoͤnen Wangen. 


49% 


82 


Il. Ic kann Sie mehr nicht hindern, dag Sie fteh’ 


a 


15. 


Vor meinem geiff'gen Blide, 
Als den Gedanken, der dorthin Sie raffet. 
Mein thoͤricht Herz finnt nad, ſich felbft zum Weh, 


. Wie fehön Sie, wie voll Tide, 


Bis feine Qual in Farb’ und Form es ſchaffet; 
Schaut dann Sie an, und mann e8 fid) ergaffet 
Unmäß’ge Brunft aus jener Augen Glut, 
Kehrt's gegen fich die Wuth, 


. Weil e8 den Brand erzeugt, der es verzehret. 


Wo wäre die Vernunft, die nicht erfchlaffet, 
Wenn duch die Adern fo mir ftürmt bag Blut? 
Der allzu bod) geftiegnen Qualen Flut 
Entftrömt dem Munde fo, bag man fie hoͤret, 
Und, was dem Auge zukommt, ibm gemdbret. 


II. Die feindliche Geftalt, die drinnen bleibt, 


10. 


15. 


Sieghaft und wild zum Grauen, 
Und ob der Willenskraft den Szepter führet, 
Sie ifP8, die felbftvergnügt mid) dorthin treibt, 


. Wo mahrhaft Sie zu ſchauen, 


Wie Achnliches gern Aehnliches erküret. 

Wol weiß ich, daß am Strahl ſich Schnee verlieret; 
Dod, Eraftlos ſchon, nehm’ id) zum Vorbild den, 
Der, wenn ihn rings umſtehn 


. Die Henker, feinem Tod entgegenfchreitet. 


Wann id) genabet, wird mein Ohr berühret 
Vom Ruf: „Willſt du ihn wirklich flerben fehn 2" 
Sodann fhau’ id umher und fpdbe, wen 

Bum Schug id anfleh'; fo werd' id) geleiter 
Vom Blid, der mir mit Unrecht Tod bereitet. 





IV. Amor, was mic gefchieht, alfo verfehrt, 
Weißt du, nicht id) zu finden, 


Der du mid) fiehft, wenn Ohnmacht mich beſchlichen. 


Und wenn die Seele dann zum Kerzen kehrt, 

5. War völliges Erblinden 
Ihe Antheil, während fie von mic gewichen. 
Wenn id) erftche, ſchauend nad) den Stichen, 
Die mid) entfeelten, al8 ich nieberfant, 

Bleib’ id) entherzt und krank, 
10. Weil VBangigkeit mir jedes Glied ducchfchauert. 
Aud zeigt die Wang’, erblichen, 
Welch Donnertofen hinter mir erflang, 
Daf, wenn gleich füßem Lächeln es entfprang, 
Die lebenlofe Farbe lang’ noch dauert, " 

15. Weil voll Muthlofigkeit die Seele trauert. 

V. So thuft im Alpenſchoß du, Amor, mir, 

In jenes Fluffes Thale, 
Längs dem ſtets unter deiner Macht ich ſtehe. 
Nett’ oder tödte, rie du willſt, mid) hier 

5. Mit jenem graufen Strable, 
De Blitzgeſchoß Bahn bricht dem Todeswehe. 
Daf ich nicht Frauen hier, nody Edle fehe, 
Ich Armer, deren Bruſt mein Leib bewegt! 
Wenn Sie nicht Mitleid hegt, 

10. Wie hoff’ id dann, daß mid) ein Andrer ſchuͤtze? 
Und Sie, hinweggebannt ans deiner Nähe, 
Beforgt nicht, Herr, daß Sie dein Pfeil erfchlägt, 
Weil Sie des Stolzes harte Bruſtwehr trägt, 
Daf jeder Pfeil dort abftumpft feine Spige; 

15. Denn ein bewaffnet Herz verfehrt Fein Schüge. 


84 


VI. © mein Gebirgsgefang, bu gebft!: Wohlen, 
Geh’ nad) Florenz aud in mein Vaterland, 
Das mid von fio verbannt, 
On’ irgend Lieb’ und Mitleid zu gewähren; 

5. Sprich, wenn bu binfommit: „Dein Gebieter kann 
Jet nicht mehr waffnen gegen euch die Hand; 
Dort, wo id) herkomm', feffelt ihn ein Band, 
Daf, wenn auch mild nun eure Herzen wären, 

Er nicht mehr Freiheit hat zurückzukehren." 


@lfte Sanzone. 


1. De ruheloſe Geift, der ruͤckwaͤrts blicket 
Auf die verlorne Zeit, die mir verſtrichen, 
Beſtuͤrmt von hier mein Herz mit falſchem Schein; 
Sndef der Wunſch der Liebe mich entruͤcket 

5. Nach jenem ſchoͤnen Land, dem ich entwichen, 

Und mid) von bort bekämpft mit Liebespein. 
Und folhe Kraft will mir mein Herz nicht leihn, 
Daf id) vermöchte lang zu widerſtehn, 
Wenn, holde Frau, Ihr meine Kraft nicht ftählet 

10. Dod) wenn Ihr e6 erwaͤhlet 
Bu meiner Rettung je ang Werk zu gehn, 
Gefall' e8 Cud mir Euren Gruß zu fenden 
Und Troft und Veiftand meiner Kraft zu fpenden. 


1. Gefall es Euch, das Herz nicht zu verlaffen, 

Bu biefer Frift, das alſo für Cud) glüher, 
Und das ſich Heil allein von Euch verfpricht. 
Ein milder Herr pflegt kuͤrzer nicht zu faffen 

5. Des Knechtes Baum, dem er zu Hülfe ziehet, 
Weil nicht für ibn — für eigne Ehr er fit! 
Und wilder brennt ber Schmerz und nagt und flicht, 
Wenn id) ertodige, daß die Hand der Liebe 
Cud, Herrin, zeichnete im Buſen drinnen. 

10. Wohlen, fo müßt Ihr finnen 
Aufs eifrigſte, daß nichts dies Herz betruͤbe ; 


86 


Denn, ber, aus dem das Gute muß entquillen, 
Liebt innger und um feines Bildes willen. 


III. Und wolltet Ihr, o füße Hoffnung, fagen, 
Daf id erwarten foll, was ich erbitte, 
So mift, bag ich nicht Länger harren fann. 
Ang Ende meiner Madt bin ich verſchlagen, 
5. Das wißt Ihe wohl, ba Ihr mit kuͤhnem Schritte 
Mid meiner legten Hoffnung fehet nahn. 
Denn jede Bürde trägt ja eb'e der Mann, 
Bis daß die Laft ibn ganz zu Boden neigt, 
: Eh' zweifelnd er verfucht den beften Freund; 
10. Nicht weiß er, wie er's meint, 
Und wenn er rauh fi nun der Bitte zeigt, 
So gibt e8 nichts, das ihm fo bitter fcheine, 
Von dem er herbern Tod zu leiden meine. 


IV. Ihr aber ſeid's, der ſich mein Herz ergeben, 

Die das Geſchenk des Keil allein ihm fpendet, 
Auf der mein einzig Hoffen nun beruht. 
Nur Cud zu dienen, lieb’ ich dieſes Leben, 

5. Begehte nur, was Euern Ruhm vollendet, 
Und läftig ſcheint mir jedes andre Gut. 
Drum reicht nur Ihr — mas Keiner Fan, noch thut — 
Mir auch; denn Fa und Nein gab euern Händen 
Die Liebe bin, weshalb id) hoch mich wähne, 

10. Und dies Vertrauen entlehne 
Sd Euren Mienen, die mir Mitleid fenden; 
Denn wer Cud) fieht, dem muß e8 Bar erfcheinen, 
Daf Huld und Milde ſich in Eud) vereinen. 


87 


V. Drum fendet Euern Gruß mir unverbroffen, 


10. 


Das Herz zu laben, welches nad) ihm brannte, 
Erhabne Frau, wie id) von Euch begehrt. 
Dod wift, baf e8 dem Nahenden verfchloffen 
Bon jenem Pfeil ſich zeigt, den Amor fandte, 
Um Tage, ba er alfo mid) verfebrt. 

Drum ift der Eintritt Jedem auch verwehrt, 
As Amors Boten, der'8 zu öffnen weiß 
Nad dem Verlangen beffen, der e8 fchließt; 
Und in dem Kampf erfprieft 

Aus feiner Ankunft Schaden mir, ftatt Preis, 
Wenn er mit jenem Boten nicht erfchiene 
Des hohen Herren, dem allein id) diene. 


VI. Mein Lied, finell fei und eilig deine Reife; 


Du weißt, baf dem, für ben du fie begonnen, 
Nur Eurze Lebensfrift noch zugefponnen. 
L. 


Zwölfte Canzone. 


1 Da deine Macht bu lenkſt vom Himmelszelte, 
Amor, wie Sol die Gtut, 
Die Eräfr'ger ift und größte Wirkung thut, 
Wo feine Strahlen höhern Abel finden; 

5. Und wie vor ihm entflichet Nacht und Kälte, 
So du, mein höcftes Gut, 

Treibſt du die Feigheit aus der Menſchen Blutz 
Des Zornes Macht muß gegen dich verſchwinden, 
Aus welhem alle Güter ſich entbinden, 

10, Um bie die ganze Welt mit Eifer wirbt; 
Und ohne dich erflicht, 
Was wir zum eblen Thun an Kräften haben, 
Gleichwie ein Bild, das ſich an finfirer Stelle 
Nicht zeigen kann, nod) laben 

15. Durd) feine Kunft und feiner Farben Helle. 


II. Wie ing Geflien der Sonne Strahl, fo bringet 
Ins Herz mic ſtets dein Licht, 
Nachdem von deine Herrſcherthums Gewicht 
Mein Geift zum erften Male ward befangen, 

5. Woher ein leitender Gedank entfpringet, 

Der mir fo hold zuſpricht, 
Daf id zum Schönen wende mein Geſicht 
So lieber, um je holder ift fein Prangen. 
So ift nun eine Jungfrau eingegangen 


89 


10. Ins Herz mir durch dies Schaun mit Hertſchermacht, 


Sat Glut mir angefacht, 
Mie faltes Waſſer fpiegelnd Feuer fprühet, 


. Weit, feit Sie mid) bezwungen, deine Flammen 


15. 


Morin Sie mir erglühet, 
Aus ihrem Aug’ mic glänzen allzufammen. 


TIT. Wie ſchoͤn Sie ift, und all Ihr Thun und Weſen 


10. 


15. 


Nicht Huld noch Adel mift, 

So ſchmuͤckt die Bildkraft, die zu Peiner Frift 
Ausrubt, in meipem Geift Ste, Ihrem Sige; 
Nicht weil er felbft von Gaben ausertefen 

Für ſolche Hoheit ift, 

Nein, nur durch did) fich eines Muths vermift, 
Wie und Natur nice einräumt zum Beſitze. 
Ihr Reiz diene deinem hohen Werth zur Stige, 
Soweit nah Wirkung urtheilt der Verftand 

Bei wuͤrd'gem Gegenſtand, 

Gleichwie die Sonne von dem Feuer zeuget, 
Das ihr nicht Kraͤfte raubet, noch auch giebet, 
Doch macht, wo ſie ſich zeiget, 

Daf es mehr Heil noch. ſcheinbar wirkt und uͤbet. 


IV. Darum, o Herrſcher du fo hoher Hulden, 


Daß jede Abligleit, 
Hienieden, und all ſonſt'ge Guͤtigkeit, 
Von deiner Größe nur fcheint zu beginnen, 


. Behlt’ mein Leben, mag es gleich viel dulden, 


Und fei voll Mitdigkeit; 
Denn es durchrinnt bei Ihrer Lieblichkeit 


Bu grimmig deine Giut all meine Sinnen. 

Laß, Amor, Sie nad deiner Huld durchrinnen 
10. Mein groß Gelüft zu ſchauen Ihre Bier. 

Nicht fei’s verfkattet Ihr, 

Daf Sie durd) ihre Jugend fo zerſtoͤret. 

Sie weiß nicht, welche Schönheit Ihr beſchieden, 

Nod mie mich Liebe zehret, 
15. Und wie in Ihren Augen wohnt mein Frieden. 


V. Stebft bu mir bei, wird dir's viel Ehre tragen, 
Und mic reihen Gewinn, 
Denn wohl erfenn’ idys, dig id fam bahin, 
Wo id mein Leben nicht mehr kann bewahren; 
5. Denn meine Kraft bat fold) ein Feind zerfchlagen, 
Daf id des Glaubens bin, 
Dafern fih ihrer nicht erbarmt dein Sinn, 
Daf fie Berftirung miiffe bald erfahren. 
Nod möge deine Macht ſich offenbaren 
10. An Ihr, die wuͤrdig ift damit geziert, 
Da mol es fid) gebührt 
Ihr zu verleihen reichlich alle Güter, 
Als einer, die geboren ward zur Erde, 
Aufdaß Sie der Gemuͤther 
15. Von Alen, die Sie fehen, Herrin werde. x 





9 





Dreizebute Eanzone. 


1. Weit Amor denn mid) ganz beſchloß zu meiden 

(Nicht mir zu Freuden: 
Mein Leiden — duͤnkte füß ja meinem Muth; 
Weit fo zum Mitleid lud 

5. Die Qual von meinem Herzen, 
Daß feine Klagen er nicht Länger trug), 
So mill ich minnelebig euch befcheiden 
Wie fehr fid ſcheiden 
Die beiden, — bie fo Mandher nennt gleich gut, 

10. Hofzudt und Uebermutb, 
Der Ekel ſchafft und Schmerzen. 
Die Hof: und Ritterzucht if ſchoͤn genug, 
Und wuͤrdig, daß fie fchlug 
Um den den Königemantel, den fie lenkt; 

15. Ein Zeichen, ausgehängt 
Zu zeigen ift fie, wo bie Tugend wohnt. 
Drum weiß id) auch, wenn id) dies wohl verfechte, 
Wie ich's verlünden möchte, 

+ Daß Amor mir dafuͤr noch felber lohnt. 


N. Vol wähnen Manche, die ihr Gut verſchwenden 
Mit beiden Händen, 
Durch Spenden — in der Guten Stand zu ſtehn; 
Der Guten, die beftehn, 


5. Aud) wenn fie längft geftorben, 
Im Geifte Deren, welche Einfiht haben. . 
Dod Weife fann fold Thun niemals verblenden, 
Die kluͤger finden, 
Verftänden — jene fparend zu entgehn 
10. Dem Leid, das, wie wir fehn, 
So Viele fih erworben, 
Die falfhem Urtheit ſich getäufcht ergaben. 
Mit Uebermaf ſich laben 


Und Schwelgerei — mer wollte das nicht fchelten ? 


15. Sid fhmüden, als ob ſtellten 
Sie auf dem Markt ber Thörichten ſich feil? 
Des Weifen Lob ermirbt nicht dein Gewand, 
Das ja nur dufirer Tandz 
Dem Geift und Edelfinn nur wird's zu Theil. 


II. Nod) Andre wol’n durch Lächeln in den Mienen 

Den Ruf verdienen, 
Daf ihnen — nichts zu tief und fein. 
Und Manche täufcht der Schein: 

5. Wenn, was fie nicht verftehn, 
Belaͤchelt wird, vermutben Geift fie dort. 
Gezierter Reden woll'n fie fid) bedienen, 
Und gut gefchienen 
Hat ihnen — nur bed Pöbels Lob allein. 

10. Der Liebe ſich zu freun, 
Fliehn fie, ale wärs Vergehn; 
Reich an geſuchten Wigen ift ihr Wort; 
Sie ſtell'n den Fuß nicht fort, 
Um Sraun zu werben, ſowie Ritterweiſe; 


15. 


Gleich Dieben heimlich, leiſe, 

So ſchleichen fie zu ſchnoͤder Luft umber; 
Nicht zwar, als fei erloſchen bei den Fraun 
Hofzuht in Waͤlſchlands Gaun; 

Daß fie gleich Thieren ſchienen Urtheils leer; 


IV. Obmol fo feinblid) ftehn der Himmel Kreife, 


15. 


Daf Rittertveife 
Unweiſe — ward, fo tie ich’8 euch genannt. — 
Ich aber, ber bekannt 


. Mit wahrer Hofzucht worden, 


Dank fers der Holden, der fie nie war fern, 
Exhebe ich mich nicht zu ihrem Preife, 
Sing’ ich nur leife; 

VBeweife — ic) den Feinden mich verwandt. 


. So will ic mit Verftand 


In höheren Accorden 

Sie wahrhaft fingen; doch wer hört mid) gern? — 
Ich ſchwoͤr' es bei dem Herrn, 

Der Amor heißt, und Heil die Fülle hat, 

Daf tugendhafte That 

Allein des wahren. Lobes Lohn entzündet. 

Wird gut drum biefes Liedes Stoff genannt, 
Wie Jeder leicht erkannt, 

So ift es Tugend und mit ihr verbünbdet. 


V. Befonbre Tugend gleichet nicht der reinen; 


Sie darf erfheinen 
Bei keinen —, bie der hoͤchſten Tugend Knechte, 
Das heißt bei dem Geſchlechte 





5. Der mit dem Herrn Verlobten, 

Und derer, welche ſchmuͤckt gelehrtes Kleid. 

Erhebt fie gleichwol Ritter vor Gemeinen, 

Muß allgemeinen 

Vereinen — fie nod) mehr befondre Mächte, 
10. Sobaf Dem Zabel brächte, 

Was wir an Senem lobten; 

Wenn reine Tugend fiberall erfreut. 

Ihr muß fi Freubdigleit, 

Cin tapfrer Much und Liebe zugefellen, 
15. Denn biefe find die Quellen 

Der Ritterzucht und fihern ihr Gehalt; 

So muß der Sonne Wefen fi verbuͤnden 

Des Lichts, der Wärme Zuͤnden, 

Und die vollkommne, lieblihe Geftalt. 


VI. Hofzucht, fie gleicht dem größten der Planeten: 

Von Morgenröthen 
Bum fpäten — Abend, wo er finft bahin, 
Stets ift fein Strahl Beginn 

5. Von neuer Kraft hienieden. 
So weit der Stoff vermag fie zu empfahn. — 
Die, Menſchen ſcheinend, Menſchliches ertöbten, 
Davor erröthen, 
Verſchmaͤhten — Hofzucht ſtets und Ritterfinn. 

10. Denn deren arger Sinn 
Macht Frucht und Laub verſchieden. 
Den Edlen bietet Hofzucht Edles an; 
Sie ſchmuͤckt des Lebens Bahn 
Mit Freudigkeit und mit anmuth'gen Weifen, 


96 


15. Die ſtets ſich neu erweifen; 
Die Tugend bat, wer fie erfor, zum Zeichen. 
© falfche Ritter, fo verlodt vom Schein, 
Um Sener feind zu fein, 
Die der Geſtirne Fuͤrſten zu vergleichen. 


VII. Der ihre gehört, empfängt unb fpendet Gutes 
Stets freud'gen Muthes; — 
So thut e — aud die Sonne: fie gewährt 
Den Sternen Licht, vermehrt 

5. Durch fie der Wirkung Mächte, 
Und freudig thun e8 Sonne fo wie Stem. — 
Sein Herz, nie bringt cin Wort bes Uebermuthes 
Im Bornesglut e85 
Nur gutes — Wort bewahrt er: man erfährt 
10. Von ihm, was lobenswerth. 
Lich ift er dem Gefchlechte . 
Der Einſichtsvollen, Ale fehn ihn gern. 
Dod, die der Hofzucht fern, 
Verachtet er im Lobe wie im Zabel. 
15. Wie hoch ibn hebt fein Adel, 
Nie wird er ftolz; doch kommt es darauf an, 
Greimuth zu üben, den er hegt tief innen, 
So wird er Ruhm gewinnen. — 
Das Gegentheil thut jego Jedermann! — 
. W. 


Mierzebute Canzone. 


I Dei Fraun umringen mir das Herz und haben 


10, 


15. 


Auswärts gelagert ſich, 
Dod Amor innerlich, 
Der meines Lebens Herrſcher ift und König. 


. Sie find fo lieblich und von folhen Gaben, 


Daf, der fo mächtig mid 

Bewohnt — mein Herz, fag’ ih — 
Gefpräches pflegt mit ihnen nur ein wenig. 
Jedwede ſcheint betruͤbt und unterthänig, 

Gleich muͤden Wandrern, die man hat verjaget, 
Nach denen Niemand fraget, 

Und denen nicht frommt edler Tugendſinn. 
Einſt war die Zeit, worin 

Laut ihres Wortes man ſie hochgeehret. 

Jetzt ſieht man ſcheu und zornig auf fie hin. 
So find denn eingefehret 

Mie bei dem Freund, die drei Einfieblerinnen, 
Wohl miffend, er, den ich genannt, fei drinnen. 


II. Beredt erzähle die Eine ihre Qualen, 


Auf eine Hand gefentt, 
Getnidte Rof, e8 lente 
Bum nadten Arm fih, ihrer Schmerzensfäule, 


9 


5. Hinab der Strom ber augentquolinen Strahlen; 
Die andre Hand umſchraͤnkt 
Den Bid, den Salzfluth trdnft; 
Schuh:, gurtlos ift fie, frei doch; mittlerweile 
Schaut Amor durd) des Manteld Rif die Theile, 
10. Von denen man am beften thut zu fchmeigen. 
Mit fchonendem Bezeigen 
Und argem fragt nad) ihr er und dem Leid. 
„Du, welcher Nahrung beut 
Nur Wen’gen,” fpricht und feufzet fie daneben, 
15. „Uns foidt zu die her unfre Weſenheit. 
Ih, ganz dem Gram ergeben, 
Bin deine Baf, und Rechtlichkeit geheißen, 
Und arm, ſchau her, daß Gurt und Kleid zerreißen.“ 


III. So gab fie Auskunft ihm auf fein Begehren; 
Und Schmerz und Scham empfand 
Er, den id) Herr genannt, 
Und fragte nach den zwein, die bei ihr waren. 
5. Sie aber, die bereit zu ſteten Zähren, 
Sobald fie ihn verftand, 
Nod mehr fehmerzübermannt, 
Spread: „Willſt du meinen Augen dies nicht fparen ?” 
Dann fuhr fie fort: „Wie du bereits erfahren, 
10. Entfpringt der Nil als Heiner Fluf der Quelle, 
Dort, wo die Sonnenbelle 
Die Erde macht des Weidenlaubes baar. 
An jener Flut gebar 
Ic) jene, bie zur Seite mir ſich zeiget 
15. Und bie ſich trodnet mit dem blonden Haar. 
Dante, Lprifhe Gedichte. 1. 5 


98 


Sie, hold von mir gezeuget, 
Als fie ſich in dem klaren Quell erfpähet, 
Erzeugte diefe, die mir ferner ftebet. 


IV. Es ſchwieg in Seufzern Amor eine Weile; 
Das Aug’ in ThrAnenflor, 
Das loſe war zuvor, 
Grüßt' er die Frauen, die das Leid verbindet. 
5. Bum einen greifend und zum andern Pfeile, 
nn Sehe"", fprad) et, „„blickt empor! 
Die Waffen, die id) for, 
Durch Nichtgebraudy erfcheinen fie erblindet. 
Mafhaltung, Mild', und was entſtammt ſich finder 
10. Aus unferm Blute, gehn im Bettlerkleide; 
Dient dieſes nun zum Leide, 
So mady es deren Auge weinend Fund, 
Dies trifft, und deren Mund, 
Die untergeben ſolchen Himmels Strahlen; 
15. Nicht wir, entſtammt dem erogen Himmelsrund. 
Sind wir anigt in Qualen, 
Wir werden fein und Solche nicht entbehren, 
Die diefen Pfeil mit Schimmer einft verklaͤren.““ 


V. Sd), hörend in fo hoher Neben Klange 
Das Leid und das Vertraun | 
Der hehren fluͤcht gen Fraun, 
Bin froh des Banns, der fiber mich gefommen. 
5. Und wenn nad) Schickſals Urtheil oder range 
Der Weltlauf ſchwaͤtzt mit Graun | 
"Blumen, die weiß zu fchaun, | 


Dod ift zu preifen, wer erliegt mit Frommen. 

Und, todre meinen Augen nicht genommen " 
10. Das ferne, ſchoͤne Zeichen, mic fo theuer, 

Das mid) gefegt in Feuer, 

So ſchiene leicht mir, was anigo Laft; 

Dod hat dies Feuer faft 

Verzehret mir das Fleiſch mitfamt den Knochen, 
15. Daß meine Bruft beinah der Tod erfaßt. 

Denn, was id) aud) verbrochen, 

Gs hätten raid) viel Monden fon entfündet, 

Wenn buch die Reue Schuld Vernichtung findet. 


, VI Mein Lied, dag Niemand bein Gewand betafte, . 
Zu ſchaun, was jede holde Frau verftedt! 
Gnug fei, was unbebedt; 
Das ſich die ſuͤße Frucht zu Keinem wende, 
5. Der ausſtreckt feine Hände! 
Dod trife ſich s, daf ſich mit Tugendweihe 
Dir Jemand naht und bittend zu die flände, 
Dann ſchmuͤcke dic aufs Neue, 
Und zeige dich, und für bie ſchoͤne Blüte 
10. Entzünde Brunſt in liebendem Gemüthe. 


100 


Fuufzehute Canzone. 


1. Bor Gram fühl id mein Herz in Muth entbrennen, 


15. 


20. 


Gleich Dem zu veden, ‘der für Wahrheit glüht. 
Drum foll euch, daß mein Lieb, 
O Fraun, ſich Jedermann zu zeihn erfühne, 


. Nicht in Verwundrung fegen; 


Die eigne Schwäche follt ihr drin erkennen. 
Denn Amors Urgefeg, daß euch gelichne 
Anmuch an Leib und Miene 

Nur Tugendbaften zur Belohnung bluͤht, 


. Seh’ ich euch ſtets verlegen; 


Cud) mein’ ich, die ihr liegt in Amors Negen. 
Weil Schönheit euer, weil 

Die Tugend unfer Theil, 

Und Amor8 Amt, der beiden Bund zu fiegeln, 
Sollt ihr eu'r Herz verriegeln, · 

Die Schönheit igt verhuͤlln, die ihr erhalten; 
Denn Tugend, ihrer werth, ift nicht zu finden. 
Soll id) es noch verkünden? 

Im Born ob folder Sünden 

Wäre für weife wol die Frau zu halten, 

Die wagte felber ſich umzugeftalten. 


101 


Il. Der Mann, der gegen Tugend ſich empöret, 
Iſt nicht cin Mann, cin maͤnnergleiches Thier. 
O Gott, welch niebre Gier, 
Sid fo vom Herrn zum Knechte zu verkehren, 
5. Bum Tobe fo vom Leben! 
Die Tugend bleibt dem Schöpfer treu, fie höret 
Auf fein Gebot, bedacht nur ihm zu ehren. 
Wil, fie nod) zu verklaͤren, 
Dann Amor feines Dienftes Beichen ihr 
10. Am Throne Gottes geben, 
Dann fieht man freudig fie herniederſchweben; 
Froh wendet fie fih hin 
Bu der Gebieterin, 
Froh wirkt fie ihres Dienftes hohe Pflichten ; 
15. Vermebren, zieren, ſichten 
Sieht man fie Alles auf der kurzen Reife, “ 
Dem Tob ift jede Madt an ihe genommen. 
Du Reine, Heil der Frommen, 
Vom Himmel bergefommen, 
20. Machſt Du allein den König; zum Beweiſe 
Sei, daß nur Dein Befig von ew’gem Preife. 


UI. © Magd, wer Did vermeidet, wird zum Knechte 
Nicht eines Heren, nein Knechtes niedrer Art. 
Ad, 66 beſtraft fich bart, 

Wollt ihr den ein’ und andren Schaden achten, 

5. Der Tugend Pfad zu laſſen! 

Tyrann ift diefer Herr» Knecht, Feind dem. Rechte; 
Die Augen, welche Licht dem Geifte brachten, 
Heißt fein Gebot umnachten. 


102 


Dann müßt von ihm, der Thorheit nur gewahrt, 
10. Ihr blind euch führen laffen. 
Daf ihr jedoch vermögt mein Wort zu faffen, 
Neig’ id) mit Sprad’ und Sinn * 
Zu eurer Kraft mich bin, 
Und bie gewohnte Redefunft verſchmaͤh' ich. 
15: Weit aber Wen’ge fähig 
Verhuͤllten Morte Meinung zu verftchen, 
Will id) euch deutlich Über eur Betragen 
Dies eurettvillen fagenz 
Mir kann es nichts verſchlagen: 
10. Gemeines jeder Art follt ihr verſchmaͤhen, 
Denn wen e8 reizt, der toird dein untergehen. 


IV. Wer diefer Knechtſchaft fröhnt, der gleicht dem Muͤden, 

Der rafch dem Herren nachfolgt, ohne Rath, 
Auf fehmerzensvollem Pfad. 
So fiebt die Geiy'gen man nad) Gelde rennen, 

5. Dem Alles unterthänig. 
Der Geizhals Läuft, doch fehneller flieht der Frieden; 
(O biindes Herz, fannft bu denn nicht erfennen 
Dein thörichte® Entbrennen ?) 
Denn die begehrte Zahl wächft, wie er naht; 

10. Erlangt, daͤucht fie zu wenig, 
Und fleigt, bis ibm der Tod ruft, Aller König. 
Du biindes, geiz ges Thier, 
Was half dein Mammon dir? 
Sag’ an! Ob deinem Nichts muß felbft dir ſchwindeln; 

15. Drum fluch' id) deinen Windeln, 
Die mit fo ſchoͤnen Träumen und genarret; 


103 


Drum flud’ id, daß, an bid) verlorne, Biffen 
Nicht Hunden vorgefchmiffen! 
Fruͤh ble zu Finfterniffen 


20. Haft du zufammen rubelo8 gefcharret, 


Was dir der nahe Tob zu rauben harret. 


V. Gold aufgehäuft hat ohne Maß der Reiche, 


5 


10. 


Und ohne Maß aud hält er es zuruͤck. 

Drum leiht ihm das Geſchick 

So manchen Knecht, und will Wer widerſtreben, 
Fuͤhlt er ſich ſchwer bedraͤngen. 

Fortuna, Tod, was zoͤgern eure Streiche? 
Was eilt ihr nicht, fo todten Schatz zu heben? 
Wem aber dann ihn geben? 

Ich weiß nicht: denn und Alle hätt das Gluͤck 
In feines Reifes Engen; 

Deum folte die Vernunft die Feffel fprengen, 
Nicht fagen, ich bin Knecht, 

Vie wehrt fi) doch fo ſchlecht 

Der, gegen den die Diener aufgeftanden! 


15. Hier mehren fi die Schanden, 


20. 


Wollt ihr genauer fehn, wohin ich beute. 
© falfche Thiere, die Fein Mitleid kennen, 
Durch Sumpf und Hügel rennen, 

Nadt, von der Sonne brennen 

Seht ihr die beften, Lafterfreiften Leute, 
Und haltet feft an eurer ſchmuz'gen Beute. 


VI. Die Tugend kommt dem Geizigen entgegen, 


(Die felbft den Feinden immer Frieden baut) 
Und fucht duch Freundlichkeit 


104 


Bu locken ihn, doch bleibt ihre Streben nichtig, 


5. Denn er entflieht der Speife. 


15. 


20. 


Nad lang vergebnem Rufen und Bewegen 
Wirft fie den Fraß ibm hin, befehrungsfüchtig; 
Er aber bleibt ihr flüchtig. 

Und kommt er endlich doch, wenn jene weit, 


. So iſt's verdroßnerweiſe; 


Beeifert ſcheint er, daß zu feinem Preife 

Ihm feine Wohlthat ſei. — 

Vernehmt mein Wort, ich ſag' es frei, 

Durch luftiges Verſprechen, durch Verſchieben, 
Durch Mienen, die betruͤben, 

Macht Mancher zu ſo theurem Kauf ſein Schenken, 
As der nur weiß, der ſolchen Druck empfunden. 
Glaubt, mit fo ſchweren Wunden 

Sf ſolch Geſchenk verbunden, 

Daf Weigerungen im Vergleich nicht frinfen — 
So fehmerzt es Beide, mill ein Geiz'ger ſchenken. 


VII. Getüftet Hab’ ich euch, 0 Fraun, die Hülle 


Der Niedrigkeit des Volks, das euch begafft. 
Dies lei” euch Zorneskraft! 
Mehr aber ift, das noch zu fagen bliebe, 


. Wenn’s nicht zu ſchmuzig wäre. 


In Jedem ift jedweden Lafter8 Fülle. 

Drum ſchwinden von der Welt die edlen Triebe; 
Denn das Gewaͤchs der Liebe 

Saugt aus der guten Wurzel guten Saft, 


. Ihm gieid an Wind’ und Ehre. 


So höret denn, wie ih zum Schluß erkläre, 





15. 


20. 


105 


Daß Keine glauben fol, 

Weil fie fi anmutbevoll 

Erſcheint, fo werde fie geliebt von Jenen. 
Denn wäre, wie fie wähnen, 

Die blinde Wolluſt Liebe zu benennen, 


Dann müßte Schönheit für ein Uebel gelten. 


Die Frauen muß id ſchelten, 

Die, weil fie Luft erwaͤhlten, 

Bon rechter Tugend ihre Schönheit ttennen, 
Und der Vernunft entgegne Liebe kennen. 


5+* 


W. 


106 


Sechzehute Eanzone. 


1O Baterftadt, zu triumphiren mwärbig, 

Erzeugerin der Guten, 
Mehr als die Schweſter haft du Grund zu trauern. 
Fuͤhlt Wer der Deinen vechte Liebe für dich, 

5. So muß das Herz ihm bluten, 
Sieht er in dir die Greuelthaten dauern. 
Wie find die Boͤſen ſchnell in deinen Mauern, 
Bu deinem Misgeſchick fid zu verſchwoͤren! 
Mit fcheelem Blick bethoͤren 

10. Dein Volt fie, Falfches ibm ſtatt Wahren meifend. 
Erhebe glühend der Gedruͤckten Muth, 
Und der Verräther Blut 
Begehre dein Gericht; damit, dich preifend, 
Wie jegt dir fchimpflich, Gnade bei dir wohne, 

15. Und, alles Gute nährend, did) belohne. 


I. Du herrſchteſt gluͤcklich in der ſchoͤnen Jugend, 
As deine Kinder wollten 
Auf Tugenden als ihre Säulen bauen. 
Des Ruhmes Mutter, Wohnort jeber Tugend, 
5. Wo fefle Treu gegolten, 
Warſt du befeligt mit den fieben Frauen. 
Nun fann id) fold) Gewand an bie nicht fchauen! 





107 


Gehuͤllt in Trauer und voll Bruberwürger 
Entbehrft du gute Bürger, 


10. Du Friedensfeindin, feig und doch hochmuͤthig! 


15. 


Entehrte du, der Zwietracht Nährerin, 

Im friegestrunfnen Sinn 

Strafft, wie Verrdther, du, Die, .cdelmuůthig, 
Der Lilie Banner mieden, den verwaißten. 
Die dich zumeift geliebt, beugft bu am meiften. 


III. Die geilen Wurzeln, welche deine Blume 


10. 


15. 


Beſchmuzen und berauben, 

Vertilg' und laß did nicht von Mitleid beugen. 
Die Tugend fuͤhr' aufs neu zum Siegesrubme, 
Daf der erftorbne Glauben 

Und die Gerechtigkeit den Thron befteigen. 

Laf von Suftinian den Weg bir zeigen; 

An deiner ungerechten Stelle fege 

Verbefferte Gefege, 

Daf Erd’ und Himmel ihnen Lob gewähren. 
Verleih von deinem Reichthum, Ehr' und Lohn 
Dem liebevoliften Sohn; 

Dod laf Unwuͤrd'ge nicht dein Gut verzehren, 
Damit die Klugheit und die andern Schweſtern 
Dic beiftehn und du aufhörft fie zu laͤſtern. 


IV. Ein jeder Stern, verfäheft du alfo, fpendet 


Dir feine Kräfte mächtig. 
Dann wirft du ruhmvoll und geehrt regieren, 
Dann nennt dein Name, der dich jegt nur ſchaͤndet 


5. „Die Bluͤhende“ mit Recht dich, 


10. 


108 


Weit deine Kinder dich in Liebe zieren; 

Heil denen, die ihr Loo8 zu dir wird führen. 
Dann wirft du, hoͤchſten Lobes werth, auf Exden 
Ein Vorbild Alen werden. 

Doch, leihſt du neuen Fibemann nicht dem Nachen, 
So tviffe, daß vermehrter Sturm und Tod 

Die in den Wellen droht, 

Bu ben vergangnen ſchweren Ungemachen. 

So wähle denn, ob Haufen frecher Diebe 


15. Dir mehr genehm ift, oder Bruderliebe. 


V. Geh bin, mein Lied, weil did) die Liebe leitet, 


10. 


15. 


Seh bin mit Selbfivertrauen 
Im meine Vaterſtadt, um bie ich bange. 
Wie wenig Schein der Guten Licht verbreitet, 


. Wirft du dort häufig ſchauen, 


Sie felbft gedrüdt und nah dem Untergange. 
Sie rufe an: „Ihr ſeid's, die ich verlange, 
Ergreift die Waffen, und erhebt Sie wieder, 
Die flerbend liegt bamieder. 

Denn Craffus, Kapaneus und Simon ftellen 
hr nad, zu denen Sinon fich, der log, 
Und Mahmud, der betrog, 7 
Jugurth', Aglauros, Pharao geſellen. — 
Dann tvende dich zu ihren beften Söhnen 
Und flebe, bis fie ſich mit ihr verfähnen. 


109 


Sie bzehute Canzone. 


. O falſches Laͤcheln, warum taͤuſchteſt du 


10. 


Mein Augenpaar, und was hab’ id) gefündigt, 
Daß du betrogen mid in folder Art; 
Den Griechen wäre ſchon mein Wort verkündigt. — 


. Die Damen wiffen’s all, und Ihr dazu, 


Betrug und Ehre waren nie gepaart. — 

Ad, deffen Herz, der harrt, 

Ihr toißt, wie fern ihm bleiben Freud” und Frieden. 
Ich lebe boffend, Niemand achtet mein; 

O Gott, wie bittre Pein, 

Welch ein vernichtend Loos iſt Dem befchieden, 
Der wartend feines Lebens Zeit verbarb 

Und nie die Heinfte Bluͤte ſich erwarb. 


TI. Zuerft, 0 weiches Herz, verlag’ ich dich, 


Um zweier Augen Blick, wer fol es denken? 
Verirrt'ſt du did) aus des Gefeges Hage. 
Mid) aber freut's, daß fhon beim Schwerterfchränten 


. Der Pöbel aus dem Schmuz beilt wider mid. — 


Des Todes bin ich: ob der Treu bellage, 
Die id im Herzen trage, 

Sd), daß id) Strafe leide ohne Grund. — 
Aud) fagt Ste nicht, ich fei Ihr zu geringe. 


110 


10, Drum meine Klage bringe 
Ich laut an wider Ste; denn Ihr iſt's fund, 
Daß," wenn mein Herz an andre Liebe bächte, 
Die Untreu fih an ihm am ſchwerſten raͤchte 


IM. Gewif Hat diefes Weib ein Herz von Stein 
Und fo viel Rauheit, daß fie gleicht den Bären, 
Wenn fie des Knechts ſich nicht erbarmen mag. 
+ Sie wird, toill fie mir Hülfe nicht gewähren, 

5. (Amor, du weißes) Schuld meines Tobes fein. 
Nicht Hält die Hoffnung mehr mein Leben wach; 
Drum weh mie Amor, ad, 

Geftattet fie mir nicht aus gutem Herzen, 
Ihr Heitres Angeficht aufs neu zu fehn 

10. (O Gott, wie ift fie ſchoͤn!); | 
Dod fuͤrcht id: nein, geden id) meiner Schmerzen. 
Gehofft Hab’ id) auf fie, twie lange ſchon; 
Dod denkt fie nie an meiner Liebe Lohn. 


IV. Du Eannft, mein Lied, die ganze Welt durchwandern, 
Denn in drei Sprachen Eleider’ ich dich ein, 
Daf meine herbe Pein 
Sn jedem Volt und Lande werd’ erzähle; 
5. Vielleicht erbarmt ſich dann auch, die mich qualet. 
W. 


11 ’ 


Achtzehute Canzone. 


1. Zu Cud, 0 hehre Frau, zuruͤckzukehren, 


10. 


15. 


Genommen ift er mir, der füße Wahn; 
So ſchwankt denn nun mein Kahn 
Fuͤr immer troftlo8 auf des Lebens Fluten. 


. Auf eroig foll ich, Euch zu ſchaun entbehren, 


Verſchloſſen hat das Schickſal mir die Bahn, 
Auf der mid) Cud) zu nahn 

Allein geziemend mar, mir zuzumuthen. 

Drum muß mein Herz in folhen Schmerzen bluten, 
Daf id in Klag’ und Seufzern ganz vergeh. — 
Nur Qual duͤnkt mid) und Weh, 

Daf nod) der Tod mein Leben nicht beendet. 
Was foll ich thun? — Stets wachfen meine Gluten, 
Und, ad, die Hoffnung ſchwindet mehr als je. 
Nicht andern Schug erſpaͤh 

Ich irgentivo, weil Alles Qual mir fpendet, 

Als wenn der Tod tvill belfend zu mir fommen, 
Und jede Nerve heiße ihn laut willkommen. 


II. Zur Truͤgrin ward bie Hoffnung, bie vertoiefen 


Mid von der Luft hat, die Eur Anblick beut, 
Dec täglich mehr erfreut; 
Denn e8 zerſchnitt der Tob ein theures Leben. — 


2 


112 





5. Die Liebe, die und Alles fibertviefen, 
Sie hatte mic, in Qual und Duͤrftigkeit, 
Bue Hülfe für mein Leib, 
Den Rath ale Friedensförderer gegeben, 
Mid ganz zu weiben liebevollem Streben. — 
10. Ruhm zu erwerben, ſchied id) einft von Euch, 
Schon fheidend ſehnſuchtreich 
Bu Eehren heim, erhöht am Lob und Preife. 
Dem Heren folgt ich, und Wer audy vorgegeben, 
Daf je ein Herr gelebt, an Guͤt' ihm gleich, 
15. Der luͤgt bei dem Vergleich; 
Denn niemals war noch Tapferteit fo, tveife. 
Ktug, mäßig, flark, gerecht und reich an Gaben 
Dar er wie Keiner, ben man ja begraben, 


III. Er war zum Thron erhöht nad) alten Rechten 
Und kraft des Willens jeden Volks gewählt; 
Von Geiftesmuth befeeit 
War er wie Keiner je zu allen Zeiten. 
5. Nie fonnt ihn Geiz und niemals Hochmuth Enechten, 
Des Schickſals Tide war an ihm verfehlt, 
Vom Unglück neu geſtaͤhlt 
Vegegne? er dem Feind zu gutem Etreiten. 
So mußten Recht und Neigung mid) benn leiten, 
10. Daß id) fo theurem Herrn mid) ganz ergab. — 
Wich von der Wahrheit ab, 
Wer gegen ihn erhob fein freches Dräuen, 
So durft' id fo Verirrte nicht begleiten, 
Der Gegner Haß bot mie gu ibm den Stab; 
15. Und macht nun aud) dat Grab 


113 





Daf Süße bitter, ift nichts zu bereuen; 
Denn Gutes foll man thun, nur weil es gut, 
Unb irren fann niemals, Wer Rechtes thut. 


IV. Wol Manche gibt's, die Ehr' und Preis erblicken 
Im Vorzug, weichen die Natur verlieh; 
Mid aber duͤnkt, daß fie 
Sorgtos ihr Leben. führen ohne Frommen. 
5. Nicht fremde Gunft vermag die Bruft zu fhmüden; 
Nur, die aus ebrenbaftem Sinn gebieh, 
Die inw’re Ehre, die 
Alten ift unfer, nur die That willfommen. — 
Wie wäre dann dem Ruhm fein Werth genommen. 
10. Weit ſolches Herren Tod die Welt beweint? 
Wie falfh der Wahn, erfcheint 
Dem Geifte Mar, der fi in Hoͤhres ſenkte. — 
O Seele, bie bu weilft im Kreis der Frommen, 
Beweinen follte bid), fo Freund als Feind, 
15. Wenn bdiefe Welt vereint 
Der Gute mit dem Tugenbbaften lenkte; 
Beweinen feine Schuld, Wer bid) betrogen, 
Den Tod beweinen, Wer mit dir gezogen. 


V. Mid felbft betveinen muß ich, weil geftorben 
Mein Here ift, den ich mehr geliebt als mich, 
Durch den zu Eehren ich 
Gedacht zum Ziel von allem meinen Sehnen. 
5. Am Leben ift mir jede Luft verdorben, i 
Weit mir des Troftes Hoffnung ganz entwich, 
Graufamer Tod, durch dich. 


— — 


Did klag ich an, zerſtoͤrt Haft bu mein Wähnen, 
Ich wuͤrde zu der fchönften Luft von denen, 

10. Die je Natur in ſchoͤnen Weib’s Geſtalt 
Erſchuf, heimkehren bald, 
Und ihren Reiz verklaͤrt durch Tugend finden. 
Die Hoffnung nahmft du mir; ich fuͤhl's in Thränen, 
Nie drückte Jemand ſchwerern Grams Gewalt, 

15. Als ber Verbannung Halt. — 
Des Helles Hoffnung feb id gänzlich ſchwinden: 
Er ift geftorben, id) bin im Erile; 
Drum eb’ id) troſtlos ſchmachtend weit vom Ziele. 


VI. Geh Hin mein Lied, geh grade nach Toscana 
Bur größten Luft, die je gefchaffen, fort; 
Und bift du dann am Ort, 
Erzähle Hagend, wie ich ſchwer getroffen. 
5. Allein durcheilſt vorher du Lunigiana, 
So grüß den Markgraf Francesdino dort; 
Mit ſchmeichleriſchem Wort 
Sag’ ihm, noch fuͤhr' ich fort, auf ihn zu hoffen. 
Und beugt mid aud) bie Ferne ſchwer danieder, 
10. So bit ibn doch für mich um Antwort wieder. 
' W. 


115 


Reunzehnte Eanzone. 


1. Sa weiß nicht zu verhehlen meine Schmerzen, 
Da ſchmerzlich aud mein Aeufre8 ſich beweiſt, 
Sowie an ihrem Theil die Seele drinnen. 
Denn al8 geniftet Amor mir im Herzen, 

5. rat er hervor, darftellend meinem Geift 
Gedanken, bie nun Nube nicht gewinnen, 
Und oft die Gluten ſchuͤren mic tiefinnen, 
Des Schmerzes eingebent, dem fie entquollen, 
Sammt jenen fummervollen 

10. Meblauten, die, ein mächtig Heer, 
Für meine Kraft zu ſchwer, 
Von aufen fehnell fid in mein Innres fenten, 
Wenn Amor mid Madonna’s heißt gebenten. 


Il. Die Phantafie voll Schmerzen, mid) verzehrend, 

Stellt mir vor meine Augen jebes Meb, 
Das ich muß leiden bis zur legten Stunde. 

. Meine Natur zwar kaͤmpft bem Tode wehrend, 

5. Den id, wohin id immer biide, feb’; 
Dod wuͤnſcht mit ihm zu fliehn die Seel’ im Bunde. 
Heimlich fam Amor dann, und folde Wunde 
Schlug er dem Herzen, daß mic) Tod umfangen, 
Und lieg mir kein Verlangen, 


10. 


116 


De Kraft mir brächte Lebensteoft zuruͤck; 
Und wandt' ich meinen Blid, 

Sab id, wie Mitleid Sie in ſich zerſtoͤret, 
Weshalb in meinen Blick Tod eingekehret. 


NI. Das. Wefen wird vom Zufall unterdruͤcket, 


10. 


Darum befiegt in Amors Kampf find’ id 
Die Kraft, für die Fein Beiſtand zu erfeben, 
Wie fid) in des Geſichtes Blaͤſſ ausdruͤcket. 


. Aus meinem Aug’ ergiefen Thränen fi, 


Die Seele möcht in andrer Obhut ſtehen. 

© wehe mir! denn muß ich ſolches fehen, 

Werd’ id) nicht felten einem Tobten ähnlich, 

Den Troft beweinend ſehnlich, 

Den id) erblid” in meinem Tode nur; 

Denn obmol von Natur 

Und duch Vernunft der Tod mir ſchien ein Leiben, 
So daͤucht er mir nad) jenem Schmerz tvie Freuden. 


IV. Wann fid der Geift ermutbigt dann aufs neue, 


10, 


Mifcht Iene fich in die Gedanken mir, 
Die ftet8 als Seufzerlaute fi entwinden, 
Und Amor wacher auf mit einem Schreie: 


. „Blieht, Lebensgeifter! Sebet, Ste ift hier, 


Von welcher eure Glieder Qual empfinden.” 
Wie id dann bleibe, während fie entſchwinden, 
Wenn das, von denen bie entfliehen, Einer 
Erzaͤhlete flatt feiner, 

Der bort geblieben einfam und allein, 

Der würde traun nicht fein 


117 


So hart, mir nicht zu weihen eine Zähre, 
Sofern id) zu den Menfchen doch gehöre. 


V. Mein Lied, in Thraͤnen Hab’ ich dich vereinet, 


10. 


Und meinem trüben Geift did) eingedgt, 
Denn mit ihm wirft bu bald von binnen gehen. 
‚Hier weile bei der Schar, die troſtlos meinet, 


. Und flieh von dort, wo Luft‘ die Seele legt, 


Denn Gteichgefinntes fol zufammenftehen. 

Lieft dich cin Edler, ſollſt du ihn anflehen, 

Did Ihr, durch deren Hoheit fender, Gleichen 
Mid Amor ließ erbleihen, 

So vorzuftellen,- daß dein Sinn Ihr fei 

Klar und von Anftof frei; 

Dann ſieh, wenn fhon mein Name Sie verleget, 
Wie Sie mein Wefen erft geringe fchäget. 


118 


Itvanzigfte Canzone. 


1 Zum turzen Tag und Uebermaf der Schatten 
Bin id) gelangt, und Schnee liegt auf den Hügeln, 
Wo längft verblich die Farbe frifcher Kräuter; 
Dod mein Verlangen hört nicht auf zu grünen, 
5. So iſt's verwurzelt in dem harten Steine, 
Der redet und empfindet, wie ein Mäbchen. 


Il. Nicht minder fare erfcheint dies junge Mädchen, 
Als Schnee verhärtet, wenn er liegt im Schatten, 
Denn fie ermeidht, nicht mehr alè harte Steine, 
Die füße Beit, die Wärme wedt in Hügeln, 

5. Daf fie, ffatt. weißer Dede, neu ergrünen, 
Und Blümlein fpriefen rings und würz’ge Kräuter. 


MI. Umeränzen Ihre Stine Blum’ und Kräuter, 
So raubt Sie die Erinn'rung andrer Mädchen. 
So ſchoͤn gefellt ſich Fraufes Gold dem Grünen, 
Daf Amor fommt, zu ruhn in folhem Schatten. 
5. Gefangen bin ich zwiſchen Eleinen Hügeln, 
Daß Ralf nicht fefter bindet Mauerfteine. 


IV. Mehr Kraft befiget Ihr Neiz als edle Steine. 
Die Wunde, die Sie fehlägt, Heilt nicht durch Kräuter. 
Id) irrt umher in Feldern und auf Hügeln, 


119 


Um zu entfliebn dem mitleiblofen Mädchen. 
5. Bor Ihrem Licht gewährt tein Berg mir Schatten, 
Kein Mauerwerk und keines Baumes Grünen. 


V. Einft fab ich Sie, fo ſchoͤn gefhmüdt mit grünen 
Gewaͤndern, daf Sie Lieb’ erweckt im Steine, 
Wie id) fie hege, felbft für Ihren Schatten. 
Sd) warb um fie auf einer Flur voll Kräuter, 
5. So lieblih, wie nur je cin fchönes Mädchen, 
Und rings umfchloffen von erhabnen Hügeln. 


VI. Eh aber kehrten Fluͤſſe zu den Hügeln, 
Als diefer Baum, bem friſch die Zweige grünen, 
Entbrennte, wie wol fonft ein fchönes Mädchen, 
Für mich, der gerne fchlief auf hartem Steine, 
Und weidete mein lebelang die Kräuter, 
Duͤrft' id) nur fein, wo ihre Kleider ſchatten. 


VII. Liegt an ben Hügeln — auch ein tiefer Schatten, 
Es birgt im Grünen — fie dies junge Mädchen; 

So bergen Steine — tool ſich unter Kräuter. I 

W. 


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Ballaten 


Dante, Lyriſche Gedichte. 1. 6 


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Erſte Ballate. 


I. OD frifche junge Nofe 
© holde Fruͤhlingsluͤfte! 
Am Bach durch Wieſenduͤfte 
Geh' ih und jubl und finge, 
Daf euer Lob erflinge — ring8 im Grünen. 


1. Ewr ſchoͤnes Lob und Preifen 
Sei freudig neu gefungen 
Von Alten und von Jungen 
Zu Haufe wie auf Reifen. 
Euch weihen Vögelzungen 
Sn viel verſchiednen Weifen 
Bei jeder Stunde Kreifen 
Aus Blüten Huldigungen. 
Schon ift die Zeit gekommen, 
Mit Liedern allerenden 
Gebührend Lob zu fpenden 
Der Hoheit, die erlefen 
In Cud, 0 Engelöwefen — uns erfhienen. 
6* 


124 


IH. Eu'r engelgleiches Prangen, 
© boldefte der Fraun, 
Laͤßt mich auf Gluͤck vertraun 
Sn diefem Glutverlangen. 
Es geben fih, im Schaun 
Der Schönheit Eurer Wangen, 
Natur und Kunft gefangen. 
Unglaublich ift fie traun! 
Die Damen nennen Goͤttin 
Cud unter ſich mit Wahrheit; 
Erzaͤhlt wird Eure Klarheit 
Nie von erſchaffnen Geiſtern; 
Wer wird Natur zu meiſtern — ſich erkuͤhnen? 


IV. Eu'r zart holdſelig Kleid 
Schuf über Menſchen Weife 
Der Himmel zum VBemeife, 
Daf Ihr die Herrin feid. 
So bleibt mir denn, o Speife 
Der Yugen, nimmer weit, 
Daf Gottes Herrlichkeit 
Sic freundlich mir ermeife. 
Und ſcheint e8 Euch anmaßlich, 
Daf id nur Euch ergeben, 
Wollt mir die Schuld nicht geben, 
Denn das find Amors Werke, 
Dem zu begegnen Std — und Maf nichts dienen. 
W. 





125 


Zweite Ballate, 


1. Weit id) die Augen nicht an der Betrachtung 
Der ſchoͤnen Herrin jemals fätt’gen Fann, 
Shaw ich fo feſt fie an, 

Bis daf ich felig werde, Sie betrachtend. 


I. Dem Engel gleich, der ſchon nad den Geſchicken 
Hoc) ftehend voll Entzuͤcken 
Nur Gott anſchauend Seligfeit empfangen: 
So finne ich, den der Erbe Laften drüden, 
Feft hangend mit den Blicken 
An Ihr, die Herz und Sinn mir hält gefangen, 
As Menſch hienieden Seligkeit erlangen. 
So hohe Zugend-beut und reicht Sie bar, 
Dod) nimmt fie Keiner wahr, 
Als wer Ihr Huldigung darbringet ſchmachtend. 


126 


Dritte Ballate, 


L RI bin ein Eleines Mädchen, neu und teizend, 
Und komme her und ftelle mid) cud) dar 
Vom anmutbreiden Det, der mich gebar. 
U. Id bin vom Himmel und will wieder hin, 
Um Andern Luft mit meinem Glanz zu eden; 
Und mer mid) fieht und nicht fühlt brünft’gen Sinn, 
Wird nimmer Amor -Lieblichkeit entdecken, 
Der rein mid) wollt’ und frei von allen Sieden, 
As die Natur, ihe Fraun, mid dem gebar, 
Der mid) gefellt till fehen eurer Schar. 
DI. Gs laͤßt ing Auge jedes Sternes Licht 
Mir ihren Werth und ihren Schimmer thauen. 
Die Welt nod) fannte meine Schönheit nicht, 
Weil fie ertheilt mir von bes Himmels Auen. 
Drum ift es Niemand möglich Sie zu ſchauen; 
Sn wen fih Amor ſenkt aus aller Schar, 
Aus Luft an wen, nur der erfhaut fie Mar.” 
IV. Und diefe Schrift ift im Geficht zu fehn 
Des Engleins, das ſich uns hat ſchauen laſſen. 
Ich, fefthinftarrend drauf, ihm zu entgehn, 
Bin in Gefahr nun Todes zu erblaffen, 
Weit der mir ſolche Wunde hinterlaffen, 
Den id in Ihren Augen warb gewahr, 
Daf id) nun wein’, aufhdrend nimmerbar. 


127 


Bierte Ballate. 


LO Woͤlkchen, das in Amors Schuggeleit 
Vor meinen Augen plöglich einft erfchienen, 
Sab Mitleid mit der Bruſt, die die muß dienen, 
Die auf dich hofft und ſtirbt vor Herzeleid. 


II. Gewoͤlk von uͤberirdiſcher Geftalt, 
Sn meiner Bruft haft du ein Gluͤhn entzündet 
Mit deiner Rede Qualen. 
Dann mit dem Hauch, der Hoffnung ſchafft und Finder, 
Heitft du mid) ſchnell mit liebender Gewalt, 
Vo deine Augen firalen. 
D feinen Blick! Vertraun muß id) ihm zahlen. 
Mein Glutverlangen wolle lieber ſchauen; 
Denn Undrer Herzeleid hat taufend Frauen, 
Weil fie zu lange fäumten, tief gereut. 





128 


Füufte Mallate. 


I Zu thun, was dich erfreut, 
O Amor, ift mein einziges Begehren, 
Denn dir anzugehören 
Wünfdy ich, mein füßer Herr, zu aller Beit. 


IL Zu aller Beit it mir's gleich füße Pflicht, 
Der holden Frau zu dienen, 
Mit deren Schau du Amor mid) geleget 
Einft plöglich, daß fo tief mir cingedget 
Die bemutbvollen Mienen, © 
As id) dich fand in Ihrer Augen Licht, 
Und daß mir nicht — verleiht 
Seitdem fonft etwas inniges Behagen, 
As finnend nachzujagen 
Dem Huldgebilde jener Lieblichkeit. 


MI. Dies Sinnen, Amor, freuet mid) fo fehr, 
Und hat mid) fo erfüller, 
Daf flets ich fehaue, was id) damals ſchaute. 
Zwar e8 zu ſchildern wehrt der Schmerz dem Laute, 
Obwol nichts weiter quillet 
In meinem Bufen; fil bin ich daher; 
Denn nimmermeht — mol beut 
Sid Farbe meinem Wort zu Ihrem Bilde. 
Sprich, Amor, du voll Milde - 
Dort, mo geweiht id meine Dienftbarkeit. 


129 


IV. Wal bin ich ſtets bereit 
Dich, Gott der Liebe, dankend zu verebren, 
Weil ich der Hohen, Heben, 
Auf deinen Wink und Zuruf mid geweiht. 


Schöte Vallate. 


1. Was mag von mir, o Frauen, Amor heifchen, 
Da id, wie ſcharfen Todesſtreich er draͤue, 
Dod Linderung der Schmerzen mehr noch ſcheue? 


II. Den tiefſten Kern von meinem Innern Eldret 
Ein Schimmer fhöner Augen, dag das Wehe 
Der berben Sehnfucht flieht; 
Obwol von dort ein Pfeil hinunterfähret, 
Der Trodenheit in meines Herzens Seee 
Erzeugt, eh’ er vergläht. 
Das thut mir Amor, ruft er ins Gemüch 
Die füße Hand mir und die reine Treue, 
Die meinem Gluͤck verliche ſichre Weihe. 


6 ** 


130 | 


Sichente Vallate. 


1. Die ihr des Amor wohibelehret ſeid, 
Hört meiner Hagenden Ballata Klänge, 
Die fund euch machen einer Herrin Strenge, 
Durd deren Macht mein Herz vergeht in Leid. 


IL Wer Sie aud) fieht, Sie ift fo ſtolz gemuther, 
Daf er die Augen ſenkt von Furcht erfüllt, 
Denn immertodbrend um die Ihren fluthet 
Ein Schimmer, welchem bittre Haͤrt' entquillt; 
In Ihnen aber wohnt ein füßes Bild, 

Das edle Herzen heißt um Gnabe flehen, 
So tugendlid), baf Alten, die e8 fehen, 
Seufzer entlodt der Bruft Bettommenbeit. 


11. Sie fcheint zu fagen: „Nimmer werd’ id) dienen 
Dem, ber zu meinen Augen blidt hinauf, 
Weil ich den edlen Herten trag’ in ihnen, 

Der mic) erreicht mit feiner Pfeile Lauf.” 
Und wahrlich, Sie hat forgfam Acht darauf, 
Daf Ste bei ſich fie fehe nad) Belieben; 
So pflegen Frauen Widerftand zu üben, 
Wirbt man um ihren Reiz aus Eitelkeit. 


131 


IV. Ich zweifl', ob je nur kurzen Anfchauns Jene 
Wen wärdig Hält in mitleidloſer Bruft: 
So wenig mild iſt Sie bei Ihrer Schöne, 
Sn Ihren Augen Amors ſich bewußt. 
Doc) heg' und wahre diefen Sie nad) Luft, 
Und laſſe foviel Heil mich noch entbehren; 
Mid ſtaͤhlet doch mein flammende8 Begehren 
Und trogt dem Stolz, mit dem mir Amor dräut. 


132 


Achte Mallate 


1Mavonne, jener Herr, der in dem Schein 
Von Euren Augen Alles überwindet, 
‚Hat ficher mir verkündet, 
Ihe werdet einft mir nod) mitleidig fein. 


1. Denn, too verweilend Amor fid) befindet 
Mit wunderbarer Schönheit im Verein, 
Da zieht die Tugend: ein, 
Weit alle Macht auf ihn allein ſich grimbet. 
Nur dadurch wird mein Hoffen neu entzündet, 
Dem, was mir twiberfähet, fo fehr entgegen, 
Daß es ſchon lingft erlegen, 
Wenn nicht durch Amors Güte 
Mir Muth in jedem Misgefchit erblühte 
Durch feinen Anblick, welchem ſich verbuͤndet 
Des ſuͤßen Orts Erinnrung und der Bit, 
Die duftend mein Gemüthe 
Umfrdnzt mit beitrer Wonne, 
Dank, Dame, fei e8 Eurer Gnadenfonne. 

W. 





133 


Reunte Mallate. 


I. Nachdem ich ein en Kranz 
Geſehn, weckt jede Blume 
Mir banger Seufzer Laut. 


II. I fab Cud, Herrin, tragen einen Kranz, 
Selbſt Hold wie Blumen find, 
Und drüber flatterte in lichtem Glanz 
Ein fanftes Liebesenglein gar gefchroind. 
Sein Lied lang lei und lind: 
„Zu meines Herren Ruhme 
Wird fingen, wer mich fchaut.” 


IH. Komm’ id, wo nur ein Bluͤmchen fpriefet, bin, 
So werd’ id) feufzend bangen, 
Und fagen: „meine holde Königin 
Kraͤnzt fi) mit Amors Bluͤten Stirn und Wangen.” 
Zu mehren das Verlangen 
Wird fie vom Herm mit Ruhme 
Gekroͤnt gleich einer Braut. 


IV. Aus Blumen’ haben Wort in neuer Art, 
Dies Tänzerlied gemacht; 
Aus Blumen, die der Reim im Spiel gepaart, 
Entftand ein Kleid, wie Keiner noch erbacht, 
Drum bite ich, habet Acht, 
Daf Niemand feinem Ruhme 
Bu wehren fid getraut. 


134 


Schute Vallate. 


L In einer weifen Botin Pilgertracht 
Mad) eilig dich, Ballate, auf; berichte 
Der ſchoͤnen Herrin, an die id) dich richte, 
Wie ſchwach der Gram mein Leben ſchon gemacht. 


IL Von meiner Augen L008 folft du beginnen, 
Die, ſchauend einft die englifche Geftalt, 
In Sehnfuchtkronen pflegten zu erglänzen. 
est, wo Ihr Anſchaun fie nicht mehr gewinnen, 
Bedraͤuet fie fo ſehr des Tob'8 Gewalt, 
Daf fie zwei Marterkronen rings umkraͤnzen. 
Weh mir! nad) welchem Biel, zu welchen Grenzen 
Send’ ich zu ibrer Luft fie aus? — Dem Tobe nah 
Triffſt du mich an, bringft du nicht Troft von da, 
Wo fie verweilt. — Ballate habe Acht! 


W. 





135 


Cifte Bollate, 


1. Wa Du gewahrſt, mie jung Du biſt und ſchoͤn, 
Wie Deine Blicke Amors Flammen fhhren, 
Lief't graufam Du zum Stolze Did verführen. 


11. Pol Haft in Härte Du Dich überhoben, 
Weil Du bemüht, mir Tod zu geben bift. 
So glaub’ ich thuft Du nur um zu erproben, 
Ob Amors Kraft zu tödten fähig ift. 
Weil Du vor Andern mich gefangen fiebft, 
Laͤßt Du durch meine Schmerzen Did) nicht rühren. — 
O moͤchteſt je Du feine Macht verfphren! 
W. 


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Sonette 


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140 


Zweites Sonett. 


„Ihe Frauen, deren Auge Mitleid fpricht, 

Wer ift die Frau, dort liegend überwunden? 
Die, deren Bildniß wird in mir gefünden? — 
Ad, wenn Sie's ift, verbeblt es länger nicht! 

Ja wol, verändert ift Ihr Angeficht, 

+ Und die Geffalt auch feheint mir hingeſchwunden; 
Sd kann daran, beduͤnkt's, die nicht erfunden, 
Die andre Frauen ſchmuͤckt mit fergem Licht.” 

„„Daß Ihre Züge dir unkenntlich waren, 

Weil Sie befiegt, hat leichtlich ſich begeben, 
Ein Gleiches haben wir ja felbft erfahren. 

Dod) willſt du Acht nur auf den Adel geben 
Der Augen, wird Sie bir fi) offenbaren. 

O weine nicht, da ſchon dahin dein Leben." 





141 


Drittes Sonett. 


Von warnen tomme ihre mit fo ernften Sinnen? 
Sagt mir’s, beliebt e8 euch, aus Freundlichkeit, 
Dieweil ich forge, daß mit folhem Leid 
Cud meine Herrin fendete von binnen. 

Verargt mir, edle Fraun, nicht mein Beginnen, 
Hemmt euren Schritt nur eine kurze Beit, 

Und Lat den Armen einigen Beſcheid 
Auf die Erfundigung nad) Ihr gewinnen; 

Obſchon e8 zu vernehmen mic nicht leicht. — 

So hat von mir fih Amor ganz gefebret, 
Daf all fein Trachten bittres Weh mir reicht. 

Bemerket wol, wie ich mich abhezehret, 

Daf jede Lebenskraft mir ſchon entweicht, 
Wenn ihr, o Frauen, mir nicht Troft gewaͤhret. 


142 


Viertes Sonett. 


Kam eines Tags Melancholie zu mir, 
Und fprad: „Ich will ein wenig Naft hier halten.” 
Und mern mic nicht mein Auge täufchte, wallten 
As Fabrigenoffen Schmerz und Zorn bet ihr. 

Und id) begann darauf: ,,,Fort, fort mit bie!’ — 
Da hört id) fie wie einen Griechen walten, 
Und ganz gemaͤchlich ihre Red' entfalten; 
Dod da ich auffab, war aud Amor hier, 

Von einem ſchwarzen Kleide neu umfangen, 
Und einen Hut hatt? er aufs Haupt gefegt, 
Aufricht ge Thraͤnen ndfiten feine Wangen, 

Und id): „„Was hat dich, armer Schelm, verlegt?"'" 
Und er antwortete: „Mich muß mol bangen, 
Denn, Bender, unfre Herrin, ftirbt anjegt.” 





148 


Wünftes Sonett. 


Du Guido, Lappo auch und ich, wie fehr 
Wuͤnſcht' ich, daß Zauber uns zugleich befinge, 
Zu Schiff uns braͤcht', und daß die Barke ginge 
Nad eu — und meinem Willen hin und ber, 

Daf Fein Geſchick, kein böfes Ungefähr 
Se dürfte laͤhmen unfers Schiffleins Schwinge, 
Auch, daß wir lebten immer guter Dinge, 

Und ums vereint gefielen mehr und mehr; 
Sh Vanna dann, füß Bice und zu beiden 
Die uns Zahl Dreifig anzeigt, zugefügt, 
Der gute Zauberer zu und verfeßte, 
Und nichts als Liebeständeln uns ergögte, 
Und daß die Frauen allefammt vergnägt, 
Wie wir dann, glaub’ id), wären voller Freuden! 


144 


Sechstes Gonett. 


Soon Diele wollten, was bie Liebe fei, verkünden ; 
Doch, wie fie auch in Worten ſich ergangen, 
Nichts von der Wahrheit mochten fie erlangen, 
Nod die Bezeichnung ihres Werths erfinden. 

Der Eine fpradh, die Liebe fei cin Zuͤnden 
Des Geifte, vom Gedanken aufgefangen; 

Der ſprach, fie fei willkuͤtliches Verlangen, 
Aus Luft entfprungen in des Herzens Grinden. 

Ich aber fage, weſenlos ift Liebe, 

Der Stoff und Formen nimmermehr gentigenz 
Nein, ein Verlangen der ercegten Triebe, 

Naturerregte Luft an fchönen Zügen, 

Die dauernd andre aus der Bruſt vertriebe, 
Verloͤre fie ſich nicht. mit bem Vergnügen. 
. W. 


145 


Siebentes Gonett. 


Bon Frauen fab id) eine holde Schar 
Am Allerheilgentag, ber juͤngſt verfloffen, 
Und Eine fiele ale Herrlichſte fid dar, 
Rechts Amor mit ſich führend als Genoffen. 
Dem Aug entquoll ein Licht, glanzhell und klar, 
Gleich einem Geifte, weichen Glut umgoffen; 
Kühn nahm ich nun Ihr Antlig näher wahr, 
Und fab vor mir ein Engelsbilb entfproffen. 
Ste grüßte ben, ber beffen wuͤrdig fchien, 
Mit Ihren Augen, hold ihm zugeneiget, 
Da wurde jedem Herzen Kraft verliehn. 
Ich glaube, daß im Himmel Sie gezeuget, 
Und Bier auf Erden uns zum Heil erſchien. 
Gluͤckſelig drum, dem Sie ſich nahe zeiget! 


Dante, Lorxiſche Gedigte. L 7 


146 


Achtes Souett. 


Auf jener Straße, die die Schoͤnheit ziehet, 

Wenn ſie die Liebe zu erwecken geht, 

Da iſt's, wo ſtolz ihr cine Jungfrau ſeht, 

Gleich der, die mich — mir zu entziehn ſich müher. 
Und wie fie jener Burg ſich nahe ſiehet, 

Die aufgeht, wenn das Herz e8 zugeftcht, 

Vernimmt fie einen Ruf, der alfo flebt: 

„Weicht, ſchoͤne Jungfrau, naht Euch nicht, entflicher.” 
Denn da fie felbft begehrt der Herrſchaft Zeichen, 

Die holde Herrin, die dort oben thront, 

Hat Amor, was fie heiſcht', ihr miffen reichen. 
As Jene fo ſich mahnen hört, zu weichen 

Von jenem Ort, wo Amor herrfchend wohnt, 

Da fieht man ſchamroth fie von binnen fchleichen. 

L. 





147 


Denntes Sonett. 


Sr, meine Worte, bie die Welt bucchflogen, 
Und die entffanden, als id fo gefungen, 
Von ibr, die mid) mit irrem Wahn umfchlungen: 
Die ihe im Geifte lenkt den dritten Bogen,” 
Jetzt eilt zu Ihr, auf bie fich dies bezogen, 
Und weint, big eure Klage fie durchdrungen, 
Spreht: „Hier find wir und weihn Euch Hulbigungen, 
Und mehr als wir find Euch nicht zugewogen.“ 
Dod) fern von Ihr, der Amor fremd ift, eilet 
Und ſchleicht umber, in Schwarz gehuͤllt die Glieder, 
Daf ihe ein 2008 mit euren Schweſtern theilet. 
Und trefft ihr wo cin edles Bild, fo weilet, 
Werft demutbvoll euch ihm zu Füßen nieder, 
Spredit: „Euch zu grüßen, ward une zugetheilet.” 
L. 


148 


Iebutes Sonett. 


Jhr fügen Reime, die ihr redend gehet, 

Von jener Holden, bie die andern ebret; 

Auf! Einer naht — wenn noch nicht cingefebret — 

Von dem ihr fagt: „Hier if ein Bruder, ſehet!“ 
O feid von mir denn brünftig angeflehet, 

Bei ihm, defi Feu'r das Herz der Fraun verzehrer, 

Nur Fein Vertrauen feinem Wort gemähret, 

Sn dem fuͤrwahr Fein Haud von Wahrheit weher! 
Dod würdet ihr von feinem Lieb gewonnen 

Behend zu eurer Herefcherin zu eilen, 

So zaubert nicht — nein, flieht zu Ihe und faget: 
„Wir fommen, hohe Herrin, ohne Weiten, 

Den zu empfehlen, der, in Schmerz zerronnen, 

nu Bo ift die Freude meiner Augen““ — klaget.“ 

L. 


. 149 


. Elftes Sonett. 


Bon jenem Licht, das feines Laufes Bogen, 
Nach emyyreiſchem Geſetz erküret, 
Und zwiſchen Mars ſtets und Saturn regieret, 
Gemäß der Wiffenfchaft des Affrologen, 
Hat Jene, deren Freuden mid) durchwogen, 
Sid) mit obherrlicher Gewalt gezieret; 
Und, was fi nie vom vierten Kreis verlieret, 
Schenkt meines Wunſches Vollfraft Ihr gewogen, 
Sodann wird vom Merkur, bem fchönen Sterne, 
Nicht minder Ihrer Zunge Kraft gezahlet; 
Der erfte Himmel auch ift Ihr nicht ferne. 
Sie, die den dritten Kreis mit Schimmer malet,* 
Reinigt das Herz Ihr in Beredtheit gerne. — 
So wird von allen Sieben Sie beftralet. 


150 


Zwolftes Sonett. 


Hewor aus meiner Herrin Augen bricht 
So holder Schein, daß da, wo er entglommen, 
Man Ding’ erblidet, wie man nie vernommen, 
So neue, bere, daß Fein Mund fie fpricht. 

Und es erbebt mein Herz von biefem Licht, 
Sodaß ich fpreche, ganz von Angft beflommen: 
Ich will bieber niemalen wieder kommen!“ — 
Und doch ift alle Mühe ſchnell zunicht. 

Und mo befiegt ich werd’, hinwend' id) mid), 
Aufs neu die Augen Eräftigend, die bangen, 
Die fonft ſchon fühlten diefe große Macht! 

Aufſchau nd ermatt’ ich, und fie ſchließen ſich, 
Ausliſcht felbft das fie leitende Verlangen: 
Darum fei Amor auf mein Wohl bedacht! 





151 


Dreizehutes Sonett. 


Wer bitte jemal6 ohne heimlich Bagen 
Wol in die Augen dieſer holden Kleinen, 
Die fo mir zugefegt, bag ich muß meinen, 
Nichts bleibt mir, als der Tod, fo ſchwer zu tragen. 
O febt, wie bart mid) das Geſchick gefchlagen, 
Daf e8 vor Alm auserfah mich Einen; 
An meinem Beifpiel follte klar erfcheinen, 
Gefährlich fei8, den Blick auf Sie zu wagen. 
Und mir befchieben ward e8, fo zu enben, 
Da es beftimmt, es folle Einer fallen 
Und Rettung bringen fo den andern Alten. 
Drum ließ ich Armer mir's fo ſchnell gefallen, 
Mir felbft des Lebens Gegentbeit zu fpenden, 
Wie Sterne ihren Glanz den Perlen fenden. 


152 


Bierzehutes Sonett. 


So fehr verlang’ id) nad dem ſchoͤnen Licht 

. Dec Augen, die mid) truͤgeriſch entfeelen, 
Daf, unbekuͤmmert um erneutes Qudlen, 
Sid Bahn zu ihm die Heiße Sehnſucht bricht. 

Was ic, erkannt, was Ahnung mir verfpricht, 
Des Körpers Auge blendet'8 und der Seelen, 
Sobaf mich, dem Verftand und Kräfte fehlen, 
Allein die Liebe lentet und umflicht. 

Sie führte mid), der voll Vertrauen glaubte, 
Duck) füße Trigerei zu füßem Tod, 
Der allzufpde erſt fi) den Blicken bot. 

Pol ſchmerzt mid) bitter die verhoͤhnte Noth, 
Mehr aber noch, daß das Geſchick erlaubte, 
Daf meiner Liebesgiut den Lohn Sie raubte, 


153 


Funfzebutes Sonett. 


© knorr'ges Holz gibt nicht in Walbgebegen, 
Aud in Gebirgen nicht fo harten Stein, 

In dem bie Graufame, die Moͤrd'rin mein, 
Mit ihrem Blick nicht koͤnnte Lieb’ erregen. 
Dem, ber Sie anfchaut, tritt Sie ihm entgegen, 

Durdbringt, flieht nicht fein Herz, des Blickes Schein 
Dann muß e8 fterben,. denn Sie fühlet Bein 
Erbarmen, mag'6 die Pflichten auch zerlegen. 
Warum, ad), wurde fo gemwaltge Macht 
Den Augen folcher harten Frau gegeben, 
Die Eeinen Ihrer Treuen läßt am Leben, 
Und gegen Mitleid zeigt fold, Widerſtreben, 
Daf für Sie Sterbender fie nicht hat Acht 
Und ihnen beblt gar Ihrer Schoͤnheit Macht? 


154 


Se⸗htebutes Sonett. 


Fluch jenem Tag, wo ich zuerſt die Blige 
Von euch, verraͤtheriſche Augen, fab: 
Dem Zeitpunkt aud), mo klimmend ihe zum Sie 
Des Herzens ftahlt die Seele mir von da; 
Fluch auch der Zeile voll verliebter Digg, 
Die Farb’ und Wort mit Politur verfab, 
Die id) erfunden und gereimt mit Wie, 
Denn ibrethalb verehet die Welt ech ja! 
Fluch meinem feften Sinn auch, dag er fi 
Def, was ihn tötet, nicht will ledig aachen! 
Did, arge, teizende Geftalt, mein? ich, 
Um die oft Amor ſchwoͤret freventlich, 
Sobaf fie alle ihn und mich verlachen. 
De Rads des Güde molle ich bemächt'gen mid). 


165 


Gichzehntes Gionett. 


Io Armen, ich derſprach ante Mibickeit 
Bernähme meine Herrin nur bie Kunde 
Bon meines Herzens qualamoller Wunde, 
Und find’ Unwillen nun und Graufamfeit, 

Und Zorn fogar anflatt Demuͤthigkeit, 

Daf nahe mir ſchon daucht die Tobesfkunde, 
Und daß mich richtet gende Das ju Grumde, 
Was nrir verleihen follte Sicherheit. 

Drum ſpricht's in mir mit vorwurfsnollem Laute, 
Wie id) noch leb', in Zweifel ganz verſtrickt, 
Daf Sie und Mitleid werden je Vertraute; 

Sodaß zu fferben nur fuͤr mich ſich ſchickt, 
Und mir zum Unheil ich Bologna ſchaute, 
Und jene ſchoͤne Frau, die ich erblidt. 


166 


chtzehutes Sonett. 


Fn Eure Hände, o Gebieterin, 
Befehl’ ich meinen Geift, der im Entſchweben 
So klagt, daß, der den Abfchieb ihm gegeben, 
Amor ihn ſchauet mit erweihtem Sinn. 
Ihr gabet ihn an deſſen Herrſchaft bin, 
Sobaf ihm nichts mehr übrig ift vom Leben, 
Als Kraft zu rufen: „Herr, fieh mid) ergeben, 
Daß, was mit mir bu will, ih Willens bin.” 
Ich weiß, daß Euch ein jedes Unrecht kraͤnket; 
Der Tod nun, ben id) nicht verdient, verbebre 
Das Herz mir mit erhöhtem Grab des Leibe. 
© holde Frau, fo lang” mein Leben währt, 
Uebt, daß mir merde Fried' und Troft gefchenker, 
Dod) gegen meine Augen Eeinen Geiz. 


157 


Neunzehntes Sonett. 


Siehſt du mein Auge ſich zu weinen ſehnen, 
Weil neues Mitleid meine Bruſt erweicht, 
So fleh' bei der ich, die nie von dir weicht, 
Entreiße mich, o Herr, der Luft der Thränen. 

Mit deinem rechten Arm beftrafe Ienen, 

Der alles Recht zertritt und dann entfleucht 
Bum großen Zwingherrn, der vom Gift ihm reicht, 
Das Welten tödten foll nad) feinem Wähnen; 

Bu ihm, der in bie Herzen dir Getreuer 
So große Furcht gelegt, daß Jeder ſchweigt. 
Du aber, Licht des Himmels, Liebesfeuer, 

Die Tugend, die erftaret und Bloͤße zeigt, 
Erhebe Du, gehuͤllt in Deinen Schleier; 
Denn nimmer ohne fie wird Frieb' erreicht. 


138 


Zwengigfbes Gonett. 


Meifter Bruuetto/ diefes Singfertein 
Wuͤnſcht Oftern zu begehn in eurem Hauſe; 
Verftebt, nicht Oſtern zu begehn mit Schmaufe, 
Sie ſchmauſet nicht, fie will gelefen fein. 
Bur Eile ladet nicht ihr Inhalt ein, 
Paßt auch zu Poffen nicht und zu Gebraufes 
Dod daß in Andrer Geifte tief fie hauſe, 
Bedarf «8 wiederholter Schmeichelein. 
Könnt ihr fie fo euch nicht verftändlich machen, 
So gibts Alberte gmug in eurer Schar, 
Um zu verftebn, was hier ich Ihnen fpende. 
Da mögt ihr mich vornehmen fonder Lachen; 
Und wird den Andern doch nicht Ales Elar, 
So gehe zu Herrn Giano nur am Ende. 





159 


Binundzwanzigfied Spnett, 


Si, Die fo finnig machet mein Betragen, 
Hegt Amor Macht in Ihrem Angeficht, 
Und laͤßt den holden Geift mir ſchiummern nicht 
Im Herzen, wo id) heimlich ihn getragen. 

Sie hat mir eingeflößt fold) cin Verzagen, 

Daf ich, feit id) in Ihrer Augen Licht 
Erſchaut des ſuͤßen Heren Kraft und Gewicht, 
Ihr nah, den Blick nicht wage aufzuſchlagen. 

Schau id) Ihe Auge dann von ungefähr, 

So fel ih Gihd und Heil in jener Gegend, 
Die mein Verftand nicht fähig ift zu faflen: 

Dann 18ft ſich jede Kraft mir, jede Wahr, 
Sodaß die Seele, jene Seufier vegend, 
Bereit und willig ift, Sie zu verlaffen. 


160 


Zweinndzwanzigfies Gonett. 


Die Wonne, die dies Antlig mir gewäͤhrte, 
Erſchuf den Pfeil, den mir die Augen fanbten - 
Ins inne Herz, als fie zu mir ſich wandten, 
Der Ihre Schönheit fab und fie verehrte. 

Da fühle ich meinen Geift, der weg fich kehrte 
Bon dieſen Gliedern, die von Furcht entbrannten, 
Und meine Seufzer, die hervor fi wandten, 
Erzaͤhlten Elagend, was das Herz verbeerte. 

Drauf tveinte jeder Sinn in mir voll Schauer 
Im ſchmerzerfuͤlltem Geift, der immerdar 
Der Holden Preis vor meinem Blick entfaltet; 

Und ‘ein Gedanke, welcher in mir maltet, 

Spread: „Mitleid nicht erweckt bir unfte Schar!” 
Darum verzweifl’ id nun in dumpfer Trauer. 





161 


Dreinndzwanzigfies Gonett. 


Nicht möglich, fag ich, iſts, und das ift wahr, 
Bu fügen ſich vor Ihrer Augen Pfeile, 
Wiewol der Macht id nicht Schuld zuertheile, — 
Dem Herzen nur, das alles Mitleids baar, 

Mir ſtets ihr Antlig birgt, das rein und far, 
Weshalb ich meines Herzens Wunde heile, 
Und nicht dient Weinen zum Entfchuldgungsheile; 
Sie bleibt trog bittrer Klage, wie Sie war. 

Die ewigſchoͤne, nimmergnabenvolle, 
Der Liebe fremd, dem Mitleid abgewwandt! 
Mehr als zu fagen ziemt, bin fibermannt 

Id von Verdruß, weil Sie mir Qual gefandt, 
Wiewol id dennod) keineswegs Ihr grolle, 
Nein, Lieb’ und Treu mehr als mir felber zolle. 


162 


Wierundzwanzigfted Souett. 


Bemerktet Ihr nicht Einen, der verſchmachtet, 
Und troſtlos wandelt, nur am Thrönen reich? 
Habt Ihr ihn nicht bemerkt, fo bitt' ih Euch 
Um Eure Ehre, daß Ihr ihn beachtet. 

Wie Jemand, den fhon Tobesgraun umnachtet, 
Scheint er vernichtet, feine Wange bleich; 

So find von Schmerzen ihm die Augen weich, 
Daf er umfonft fie zu erheben trachtet. 

Sieht Jemand ihn mitteib’gen Blickes an, 

So will das Herz ihm gar in Thränen brechen, 
Die Seele jammert fo, daf man's vernimmt. 

Dann hört man Euren Namen ihn ausfpreden, 
Und floͤh er nicht, fo fagte Jedermann: 

„Nun wiſſen wir, wer ihm bag Leben nimmt.” 


163 


Wünfundzwanzigftes Sonett. 


Hast ihr, o Frauen, neulich, wol gefehen 
Die Huldgeftalt, vor der mein Leben flieht? 
Wenn Ihr Geſicht ein Lächeln uͤberzieht, 
Pflege meine Denkkraft gänzlich zu vergehen. 

Von Ihr vertoundet fühl ich folhe Wehen, 
Daf faum, beduͤnkt mich's, noch der Tod verzieht. 
Ber immer drum von euch, ihr Fraun, Sie fieht, 
Sole unterwegs begegnend es gefchehen, 

So ſtehet ſtill, wenn ihr mir Huld getoähret, 
Und gebet Ihr die demuthvolle Kunde, 
Daf ich von Ihr empfing die Todeswunde; 

Und molle Sie, daß mir da6 Herz gefunde 
Durch Ihre Huld, obwol e8 fehr befchroeret, 
Bad’ es auch ferne mir durch euch erfiäret. 


164 


Sechsundzwanzigftes Souett. 


Sebald die Nacht mit bräunfichem Geficber 
Die Erd’ umarmt, und bleich der Tag entfleucht, 
In Luft und Meer, Gebuͤſch umd Laube kreucht 
Dann das Gefchöpf, in Schiem zu ruhn die Glieder; 
Dann brüct der Schlaf auch den Gedanken nieder, 
Indem er alle Sinnen Üiberfchleicht, 
Bis ihn Auroras blonde Lode fheucht 
Und Altes weckt zur Tagesarbeit wieber. 
Ich Armer darf mid nicht an Jene reihen, 
Weil vor den Seufzern alle Ruhe ſchwindet, 
Und Aug’ und Herz nie muͤd' und fchläfrig wird, 
Und gleich dem Vogel, ber umgarnt ſich findet, 
Se mehr bemüht id) bin mich zu befreien, 
Das Neg mid) dichter einſchließt und verwirrt. 


165 


Sichenunbztwanzigfied Sonett. 


G ebarerin der Tugend, ew'ger Schimmer, 

© du genefen jener Ftucht der Ehren, 
Die ſich erfor den Kreugestod, ben ſchweren, 
Daf wir dem Ort entflöhn, wo Nacht auf immer. 

Herrin, ob Himmel und ob Sterngeflimmer, 
© wolle bitten deinen Sohn, den hehren, 

Daf er mid) führe zu den Himmelsfphären, 
Kraft jener Obhut, die uns läffet nimmer. 

Du weißt, bu warſt mir immer Hoffnungshelle, 
Du weißt, bu wareft immer mein Vergnügen, 
Hilf igo mir, du alles Heiles Quelle! 

Hilf igo mir, ich feb’ den Hafen liegen, 

Befahren muß ich bald nun feine Melle; 
Mein Höcjfter Troft, ad) laf mich nicht erliegen! 

Wenn id) auf Erden mid) verging jemalen, 

Weint ist die Seele, bangt das Herz in Qualen. 


166 


Achtundzwanzigſtes Souett. 


Gotoferge Jungfrau, da Du wol gefeben, 
Wie ich Dein eigen, Div mid) unterziehe, 
Für Did nur brennend ſchmachte und verglähe, 
So laß mid) unbelobnet nicht vergehen. 
Wol wirſt du, edler Herr, dir's nicht verfeben, 
Wie bart Sie ift, wie bitter meine Mühe; 
Drum wird, daß Huͤlfe meiner Treu’ erbluͤhe, 
Dein edles Herz erbarmend nicht verfhmähen. 
Dann bin ich frei der Noth, die jegt mich quälet, 
Krönft mit erfehntem gluͤcklichen Gelingen 
Du meine Hoffnung, meiner Liebe Ziehen. 
Nun, Herrin, ehe denn der Tod mich mählet, 
Beim Himmel hilf, mich, wilft Du Huͤlfe bringen, 
Fußfaͤllig bald vor Deinen Knien zu fehen. 
E. 6. 


167 


Rennundbzwanzigfied Souett. 


Wann meine Augen Pfeil und Bogen rodeen, 
Wenn id) ein fo vermögend Gift enthielte, 

Daf ich mit meinem Anblick tödtlich zielte, 
Pie fie von Baſilisken uns belehren; 

Dann freilich wärs zu viel Ihr, die fo ſchweren 
Martern mid) gibt, der ich mein Herz verfpielte. 
Dod fo, — wenn faum mein Blick Ihr Anſchaun fühlte, 
Gilt Ste auch fon, Sid von mir abzukehren ; 

Obwol nur Zärtlichkeit und Lieb’ entſchwinget 
Sid meinen Augen, die an Ihr ſich weiden 
Von jener Luft, die dann mein ‚Herz ducchbringet. 

So helfe Gott, daß hr für jenes Leiden, 

So Ihre Liebe meinem Herzen bringet, 
Ein Seufzer nur mög’ aus dem Bufen ſcheiden. 
E. 


168 


Dreißigftes Sonett. 
An Bernardo di Bologna. 


Beh mir, ich feb, wie cine Frau begehrt 
Mein Leben zu umlagern mit fo herben 
Zorngluten, daß zu feheuchen, zu verderben 
Sie alles fucht, mas Leben ihm gewährt. 
Drum fann das Herz, das Qual fo fehr verzehrt, 
"Nicht Beiſtand noch Geſellſchaft ſich erwerben, 
Und wegen eines einz’gen Wunfches fterben 
Muß «8 nothwendig, den dort Amor nährt. 
Der Tod, felt bie Belag’rung mid umfangen 
Umſchließt mein Leben, rings ans Herz geſchmiegt, 
Das matt fhon ward, alè Amor e8 erfriegt 
Für jene Frau, die zuͤrnend fortgegangen, 
As ob's Ihr Schande madite, wenn Sie fiegt, 
Drob er8 berennen muß, bis es erliegt. 





169 


Sinunddreißigſtes Sonett. 
Dante Alighieri an Meister Cino. 


Rice Einen find’ ich hier, Gefpräch zu pflegen 
Von jenem Hern, an dem gleidy dir ich hange, 
Und fo genüg’ id) ſchreibend jenem Drange, 
Der mein Gefühl mid) nétbigt darzulegen. 

Entſchuldigen bei die fol nichts mid) wegen 
Des Schweigens, das ich uͤbt' unhöflich, lange, 
Als diefer Ort unheimlich mir und bange, 
Weil feine Bürger Gutem ſtets entgegen. 

Nicht Fraun find hier, bie ſich der Liebe weihten, 
Nicht Männer, die erfeufzten ihre Gnaden, 
Und thdt e8 wer, wuͤrd' er fi) Spott bereiten. 

Verwandelt, Meffer Cino, find die Zeiten, 

Zu unferm und zu unfrer Lieber Schaden 
Das Gute wird verfhmäht auf allen Seiten. 


Dante, Lyriſche Gebiäte. I. 8 


170 


Untwort. 


Nicht hoͤr' ich, Dante, irgendwo erklingen 
Das Heil, das allwaͤrts in Vergeſſenheit 
Verſank und floh ſeit ſo geraumer Zeit, 
Daß ſchon feindſelge Toͤn' empor ſich ſchwingen. 
Und durch die große Wandlung in den Dingen 
Empfaͤht nicht Lohn, wer ſich dem Heile weiht, 
Dem Heile, weißt du, das Gott weit und breit 
Ließ ſelbſt zum Reiche der Dämonen dringen. 
Sofern des Heiles Herrſchaft nun vertrieben 
Durchaus von dieſer Weit, wohin bu ziehft, 
Soll ich durd) dich Genüg’ und Freud’ empfangen, 
So laß, mein Bruder, den bag Leid umfangen, 
Bei jener Herein fleb’ ich, die du fiebfi, 
Nicht ab zu fprechen, wenn du treu verblieben. 





171 


Zweinnbbreißigfted Sonett. 
Dante Alighieri an Meister Cino von Pistoja. 


Jo batte, glaubt’ ich, ganz mich abgewandt 
Bon Reimen, Gino, wie fie euch entfließen. 
Bu anderm Pfabe muß fi) nun entfchließen ; 
So ziemt e8 fi, mein Fahrzeug, fern vom Strand. 
Dod, weil ihe oftmals felber mir befannt, 
Jedwedes Häkchen Linn’ euch an ſich ſchließen, 
So leiht ein wenig, laßt's euch nicht verdrießen, 
Hier dieſer Feder eure müde Hand. 
Wer ſich verliebet, ſowie ihr es thut, 
Den jede Luſt neu bindet und entbindet, 
Laͤßt ſich nur leicht von Amors Pfeil verwunden. 
Wenn euer Herz ſo vielfach ſich entzuͤndet, 
Bite id) bei Gott euch, beſſert feine Glut: 
Dem holden Wort ſei edle That verbunden. 





8* 


172 


Antwort. 


O Dante, feit mid aus bem Vaterland 
Des Banned grimme Drohungen verftiefen, 

Und fern von höchfter Monn' ich mußte büfen, 
Die je gebildet der Urmonne Hand: 

Bog ich mit Thränen aus von Strand zu Strand, 
Mid Armen wollte felbft der Tod nicht grüßen s 
Und fand ich etwas ähnlich jener Süßen, 

So fagt ich, mas dabei mein Herz empfand. 

Nicht jener erften mitleidlofen Glut, 

Der feften Hoffnung nicht, die mid) entbindet, 
Entfremd' id) mid), ba Huͤlfe mir entſchwunden. 

Diefelbe Monn’ ift'8, die mid Löft und bindet, 

Und dem verwandten Schönen drum zu gut, 
Bin wechſelnd ich mit vielen Fraun verbunden. 


173 


Drciunddreifiigfte8 Sonett. 
Dante Alighieri an Herrn Bosone Waffaelli von Agobbio. 


Wohner des Huͤgels, der fo ſchattiglabend 
Ein Fluͤßchen näher, das fid nicht wild ergieft, 
Drum man den fanften Linci es begrüßt 
Mit welſchem Laut, nicht deutfchem, es begabend: 
Geh Morgens froh zu Tifche, wie am Abend, 
Da von dem lieben Sohne bir entfprießt 
Erhoffte Frucht, wie ſchnell er ſchreibt und lieſt 
Griedifo und Franzifch, eifrig ſich gehabend. 
Da hoher Genius nicht Wohnung nimmt 
In Welfchland, wo die. Schmerzen nur gedeihen, 
Bei dem man folder Frucht fid darf verfehen, 
Mag hoch der erfte Rafael ſich freuen. 
Sichtbar wird er ihn bei Gelehrten fehen, 
Wie auf dem Waſſer Leichtes oben ſchwimmt. 


174 VEE | 


Dante von Majano an Dante Alighieri. 


So treu heiße Amor Liebe mich bewahren, 
Und flößt mic ein fo brünftige Begier, 
Daf mir verfloffen keine Stunde hier, 
Wo nicht bei jenem die Gedanken waren. 
Ich glaubt', e8 wird” Ovid mir offenbaren, 
Wie man die Liebe heilt, frei wird von ihr; 
Jedoch als Lügner zeigt’ er fih an mir: 
Nur , Grade” rufend kann id) HU erfahren. 
Und ganz der Wahrheit treu mag’ ich zu fagen, 
Daf gegen Liebe Mache nicht Hilft, noch Kunft, 
Nod Geift, noch Lehr, und was man fonft gewinne: 
Nur Gnade, nur geduldiges Ertragen, 
Und fteter Dienft, nur das gewähret Gunſt. — 
Sprich, weifer Freund, ob dies nad) deinem Sinne. 


175 


Bierunbdreißigfied Sonett. 
Antwort des Dante Alighieri. 


Kunſt, Wiſſenſchaft, Get, feine Lebensart, 
Adliger Stand, Schönheit und Reichthums Segen, 
Thatkraft und Demuth und ein Tühner Degen, 
Freigeb'ger Sinn, Glanz, einzeln und geſchart, 

Die all mit des Vefiges Luft gepaart, 
Sie überwinden Amorn allerwegen; 
Mehr Kraft ſtellt Eins als Andres ihm entgegen, 
Dod gibt es eins, das fie nicht offenbart. 

Drum wenn, o Freund, bu wuͤnſcheſt, daß bir frommen 
Die Kräfte, die Natur gab oder Gtüd, 
Bu Amors Gunft nuͤtz als Vafalle fie, 

Und widerfege feinem bolben Wink bid) nie; 
Denn Ades weicher doch vor ihm zuruͤck, 
Wenn gegen ihn ben Kampf man unternommen. 


176 


Fünfunddreißigfies Sankt. 


Log, Amor, und ein wenig doch verkehren, 
Und tilg den Zorn, det mir im Herzen ſchwillt; 
Bu gegenfeit'ger Luſt fei dann gewillt, 
Von unfrer Frau, Herr, Rede zu gewähren. 
Getvif, geringer wird der Weg befchweren, 
Erwaͤhlen wir, was uns fo lieblid, flilt; 
Schon bin id Heimkehr Hoffend luſterfuͤllt 
Beim Wechſelwort von Ihren hohen Ehren. 
Auf, Amor, dir geziemt es anzufangen, 
Und chifte did; denn Sie if’s, deren Winfen 
Geneigt du folgft, Geſellſchaft mir zu zollen. 
Mitleid nun oder deine Sitten wollen, 
Daf mir der Geift, mir die Gedanken finfen; 
So groß ift dich zu hören mein Verlangen. 


177 


Schenndbreißigfies Sonett. 


Zwei Frauen ſind in meines Geiſtes Hoͤhe 
Von Liebe zu verhandeln eingekehrt; 

Klugheit und Ehrbarkeit und hoher Werth 
Und edle Zucht ift in der Einen Nähe. 

Schönheit und füße Anmuth aber fehe 
Sd an der andern Frau von Hulb vertidet; 
Indeß ich, weil's mein hoher Here gewährt, 
Bu Füßen dieſer Herrfcherinnen ſtehe. 

Von Schönheit wird und Tugend aufgeftellt 
Die Frage, wie ein Herz volltommen liebet, 
Wenn zwifchen zweien Fraun die Mitt’ es hält. 

Drauf ebler Rebe Quell die Antwort gibet, 
Daf man die Schönheit liebt, weil fie gefaͤllt, 
Die Tugend aber, weil fie Hohes über. 





gu 


Sichenunddreißigfted Sonett. 


D vricfet ber zu fehen, wer mic) ziehet, 
Sodaß ich leben fann mit euch nicht mehr, 
Und achtet jenen, denn er ift es, der 
Um holde Frauen Andre ſchmerzdurchſpruͤhet. 
Die Kraft, die tödtet, doch von Zorn nicht glühet, 
Send’ er auf eure Bitte zu mir herz 
Und glaubet mir, daß man fein Thun nicht eh'r, 
Als bis man feufzet, duch und durch erfichet. 
Denn fie durchzuͤckte meinen Geift fo heiß, 
Und hätt fold holdes Frauenbild mir vor, 
Daf meine Kraft vor ihr hinſinkt vernichtet, 
Und tönet mic den zarten Ruf ins Ohr: 
„Wie fannft du wollen, dag um niebern Preis 
Mein Aug’ auf fold) ein ſchoͤnes Weib verzichtet?" 


179 


Achtuuddreißigftes Sonett. 


Gemeinde, weh! wie feb’ ich dich verheeren 
Von überbergifcyen und nahen Sündern, 

Am meiften aber von ben eignen Kindern, 
Die ftügen foliten deinen Thron, den bebren. 

Am degften thun, die ſchuldig dich gu ehren; 

Es fann die Frevler Fein Gebot verhindern, 
Mit Haken, Beil und Säge did zu pländern, 
Allein bedacht die Beute zu vermehren. 

Auch nicht Ein Treuer blieb dem Vaterlande; 
Der madt den Stab, die Schuh’ fih Der zu eigen, 
Und ener raubt zerfegend die Gewande. 

Veil ihre Frevel did) danieberbeugen, 

Denkt Keiner an dein Leid und deine Schande, 


Und ob bu finfen mußt bei feinem Steigen. 
W. 


Reunundbreißigfies Sonett. 


Wenn Jeder cilte Hülfe mir zu reichen, 

Mie jest, an mir zu werden zum Verräther, 
Dann wäre Rom, gelenkt durch weife Väter, 
An Herrlichkeit nicht Florenz zu vergleichen. 

Dod, feid gewiß, daß biefen Bubenſtreichen 
Die Rache folgen wird, fruͤh oder fpäter; 
Dereinft fol jeden Diebſtahls frecher Thaͤter 
Ob meiner Wiederfoderung erbleichen. 

Schon mancher ſchwang ſich auf zu hoͤchſten Ehren, 
Der dann durch Raͤuberei gefränkt mid) bat, 
Bis er den Seffel wieder mußte leeren. 

Emporgeftiegener an feiner Statt! 

Laß du auf Koften feiner dich belehren, 
Erfenn’ in meinem Wort den wahren Pfad. 

Du fiehft, Gerechtigkeit nimmt für mich Race, 

Vergreife dich denn nicht an meiner Sache. 





181 


Vierzigftes Sonett. 


O mein Sonett, fommt dir Meuccio vor, 
Mußt du, fobald bu ibn erblidft, ihn grüßen, 
Und eilen und bid) werfen ihm zu Süßen, 
Damit du nicht an Sitten ſcheinſt ein Thor; 

Und lieh er dir ein Weilchen dann fein Ohr, 
Ihn wieder grüßen, laß dich's nicht verdrießen, 
Und dann, was ich die auftrug, ihm erfchließen, 
Abſeits indeffen geh mit ihm zuvor. 

„Meuccio”, fprich, „er, der dich liebt fo ſehr, 
Schickt dir von feinen theuerften Juwelen, 
Um deinem wadern Sinne fid zu nahn.“ 

Us erfte Gabe laß ibn dann empfahn 
Deine Geſchwiſter hier mit den Befehlen, 
Daf fie von dorther Echren nimmermehr. 


182 


Einundvierzigfiee Sonett. 


© graufam fheint mir nichts, und nichts fo bart, 
Als Sie, in deren Dienft ich mid) vergebre; 
Denn, während Amors Gut id) in mir nähre, 
Iſt Ihr Verlangen ganz in Eis erftaret. . 
Dod wenn aud nimmer Lohn mir wird nod) warb, 
Nur Ihre Schönheit ich zu ſchaun begehres 
Verlange fo, wie meine Qual ich mehre, 
Daf andre Luft nie meiner Augen baret. 
Die fich, den Sonnengott zu ſchaun, bewegt, 
Unmanbelbare Glut verwandelt hegt, 
Nie war ihr Loos fo bitter, wie bag meine. — 
Wird diefe Stolze nie von mir gebändigt, * 
So fomm, o Amor, eh’ mein Leben endigt, 
Und mifch’ in meine Seufzerflagen deine. 


18 





QJweinndvierzigfies Sonett. 


Unjegt, wo Blumen fico und Wlätter beiten 
Bum Schmuck der Welt ob Wief und Bergeshang, 
Der Himmel abftreift Dunft und Eifes Zwang, 
Und jebes Thier beginnet Feftlichkeiten, 

Sic Altes fcheint zur Liebe zu bereiten, 

Die Vögel ihrer Lieder fhönften Klang 
Von Klag' ablaffend und von Wehgefang, 
Erheben durch der Höhn und Thdler Weiten: 

In diefen Tagen, wo der Lenz mit neuen 
Hellgeinen Farben lieblich [hmüdt die Welt, 
Wird meine Hoffnung auch mit Glanz erhellt, 

Gleich dem, der Leben und der Ehr' erhält 
Vom hochgeliebten Herrn, daß feinen treuen 
Ergebnen Diener, mid, er werd’ erfreuen. 


184 


Dreinndvierzigfies Sonett. 


Entbehrte ich den Holden Anblic nicht 
Der Herrin, die ich anzufchaun begehte, 
Um bie in Seufzern ich mich hier verzehre, 
So fern von Ihrem fhönen Angefiht; 
Damm fchiene, was mit druͤckendem Gewicht 
Mid martert und mir ausprefit mandhe Bähre, 
Sodaß ich faum des Todes mich erwehre, 
Gleich, Einem, dem die Hoffnung ganz gebricht, 
Mir leiht und ohne Grund zur Traurigkeit; — 
Dod, weil ich jest muß Ihren Anblick miffen, 
Vergeb” ich faft in bangen Kümmerniffen, 
Und fo ift alle Hoffnung mir entriffen, 
Daf, woran jeder Andre fich erfreut, 
Mir umgekehrt nur Schmerzen bringt und Leib. 
W. 


185 


Wierundvierzigfied Sonett. 


Dir König, der fie alle, die ergeben 
Ihm dienen, lohnt mit Ueberſchwenglichkeit, 
Hat aller wilden Sorgen mich befreit, 
Und heißt zum Hochverein den Blick mid) heben. 
Und den®® ich nun an jener Bürger Leben 
In hoher Gottesftabt voll Herrlichkeit, 
Zum Lob des Schöpfers ich Geſchoͤpf bereit, 
Muß ich ihm mehr zu loben ewig ſtreben. 
Betracht' id dann, wie groß der Lohn wird fein, 
Bu welchem Gott beruft der Chriften Scharen, 
So mag id gar nichts Andres mehr gemwahren. 
Doch Schmerz muß, Theurer, id um did) erfahren, 
Weil du der Zukunft nicht willſt Achtung weihn, 
Und fo das Sichre bingibft für den Schein. 


186 


Giinfunbvierzigfie6 Sonett. 
„Die Thuͤren fort, die eure Hdufer wahren; . 
Denn Sie fol einziehn, Die die Andren ehrt: 
Die Herrin fag’ ich, reich an hohem Werth, 
In der fo Macht als Edelfinn ſich paaren.” 
„„O weh mir Armen, wehl““ „MWähnft du Gefahren?" 
nn sh zittte, alle Kraft ift mir verzehrt.” 
„So faffe Muth; durch mid wird dir gewährt 
Einft Huf und Leben. — Wie, wirft du erfahren." 
„„Ich fühle jeden Lebensmuth gebunden 
Von der verborgnen Kraft, die Ihr entfleuft, 
Und fehmerzendroh’nd feb Amor id im Geiſt.““ — 
nnn©0 komm zu mir, die Freude dir verheißt, 
In der Erinw’rung fühle nur die Wunden, 
Und zweifle nicht, bald find auch fie verfhmunden.""" 
W. 








187 


Sechöundsierzigfted Sonett. 


Der Anblick jener Herrin brachte mir fo ſchwere 
Verwundung, daß noch alle Pulfe beben. — 
Gott! wolle Linb'rung mir aus Gnabe geben, 
Daf etwas ſich der Geift zum Muthe Echre! 

Der thraͤnenmuͤden Augen Licht verzehre 
Id in der berben Qual, die mir gegeben. 

So nah zum Tobe bin führt fie mein Leben, 
Daf zu entflichn vergebens id) begebre. 
Seht, Herein, ob ich Schmerzen leide, feht! 
Und Hört, wie meine Stimme faft vergangen, 
Veil id umfonft um Eure Gunft gefleht! 
Dod, ift e8, holde Herrin, Eu'r Verlangen, 
Daf, in ben Qualen all, mein Herz vergebt, 
So mill id gern durch Eud) den Tod empfangen. 
W. 


188 


Siebenundvierzigſtes Sonett. 


Mag ſchmaͤhen auch ſchmachvoller Leute Wuth, 
Und mögen fie die groͤbſten Worte ſagen, 
Drob barf die ehrenmwerthe Frau nicht jagen, 
Und nimmer darf es Eränken ihren Muth. 

Sie Eennet ihres Nufeg lautres Gut, 

Klar ift und fpiegelrein all ihr Betragen, 
Sie weiß, daß zu fo misgeſchaffnen Klagen 
Nichts Anlaß gibt von Allem, was fie thut. 

Gleichwie die Rof in ihrer Stachein Suse, 
Und wie in Feuers Gut das reine Gold, 
Belgt ihr euch aller Orten Mar und hold. 

Lafit reden drum ben bummen Tuͤckebold, 

Denn feinem Schimpfen, feinem Schmähn zum Trutze 
Gereicht ein ſolch Gebaren eud zu Nuge. 


189 


Achtundvierzigſtes Sonett. 


Bm Antlig, dem das Sonnenlicht erbleicht, 

Dee Segensfpenberin für Segenswerthe, 
Die unfrem Leben Reiz und Gluͤck gewährte 
Mehr, als fonft je die niedre Welt erreicht, 

Von Ihrem Bid, der Sonn’ und Sternen gleicht, 
Vor deffen Glanz Fein Aug” ſich noch erwehrte, 
Der meine Seufzer feimen ließ und nährte, 

Von Ihrem Wort, bag Huld und Demuth zeigt, 

Von diefen Formen himmlifcher Geftaltung 
Und Kieblichkeit, wie nie zuvor erfchien, 

Die felbft ber Luft der Liebe Feuer Lebrt, 

Von all der Gunft des Himmels und der Waltung 
Der Sterne, die nie gleiche Gaben liebn, — 
Entfprang die Glut, die mid) verzehrend näher. 

W. 


190 


Reununbsierzigfied Somnett. 


Wir oft id) wein’ und lad’ in einem Tage, 
Ich jauchz' und traurig bin, laͤßt fid nicht zählen. 
Verlaͤßt Sie mich, fo fühl id) mid) entfeelen, 
Kaum weiß ic, wie ic meinen Gram dann trage. 

Kehrt Sie zurück, fo ſchweigt jedwede Klage, 
Ich fing’ und juble, Tann mein Gluͤck nicht beblen; 
Dod) bald ift Sie beeitt, Sich fortzuftehlen, 
Worauf id) laut in Thraͤnen wieder Elage. 

So ift der Zwieſpalt fiber mich gefommen, 
Daf längft der Schlaf von meinen Naͤchten mid 
Und meinen Tagen ift die Ruh genommen. 

Amor! erbarme meiner Qualen dich! 
Gib Tob, gib Leben! — Beides ift willlommen; 
Dod diefes Schwanken, es vernichtet mid). 

5 W. 





191 


Bunfzigffe0 Sonett. 


Gentigten Schmerzen, Seufierqual und Zähren 
In Etwas zu erleichtern mic bag Scheiben 
Von diefem Leben, das fo reich an Leiden; 
So würde felbft Satum mein Seufzen hören. 
Dod) all die Flammen fann id) nicht befchmören, 
Die mir den Horizont ring8her umkleiden; 
Und, weiß ich nicht mein keckes Wort zu meiben, 
So wird mir bald ein Obdach mehr gehören. 
In diefer Qual, nein Wuth, fol ich mein Leben, 
Das gramerfüllte, denn zu Ende bringen, 
Nichts hoffen duͤrfend, felbft nicht Schmerzensminderung! 
Co fe darum! So möge mein Beftreben 
Von nun an ewig wechfeln mit den Dingen. — 
Nichts Andres ſchafft ja meinem Juden Linderung. 
W. 


192 


Cinundfunfzigftes Souett. 


D fürlechte, blinde Welt, an, Truͤbſal reich, 
Fortuna, trägerifch und mwandelbar, 
Der Frohen Feindin, alles Friedens baar, 
Die an Beftändigkeit den Winden gleich! 
Nicht Klug noch Edel fann, nicht Arm noch Reich 
Entgehn dem Unheil, das dein Rab gebar. 
Bum Anedt machſt du Den, der Gebieter war, 
Und, Den bu felbft erhoͤhteſt, kummerbleich 
Wer nachdenkt, wie du thateft dem Gemabl 
Der Hekuba, wie ber Thebaner Stadt 
Und Anden, die bu ftürzteft, ohne Zahl, 
Der fühlt, was er von bir zu hoffen bat, 
Die du voll Seufzer bift und voller Qual 
Und flandhaft wie am Baum cin ſchwankend Blatt. 
Drum, wer auf Did) fein Lebenszutraun ftellt, 
Verliert den Einen, der dad AU erhellt. 
W. 





198 


Zweiundfunfzigfies Sonett. 


Gas die Fortuna Herrfchaft diefer Weit, 
So fei bedacht, verftindig Maß zu halten; 
Denn e8 bedroht des Gluͤcks willkuͤtlich Schalten 
Am meiften Den, der ſich gefichert Hält. 
Auf Rache finnt (ob er ſich duldend fiellt), 
Wen bu verlegt mit frevelnden Gewalten, 
Und wer dem Wechſel ſich entruͤckt gehalten, 
Der fühlt ben Schmerz am tiefften, wenn er fällt. 
Fortuna ſchont nicht Reichthum, Ehv und Madt, 
Sie rollt ihr Rab nad) eigenem Behagen, 
Und fagt nicht, wenn bu nieberfinkft: „hab' Acht!" 
Der du regiereft, laß dies Wort dir fagen: 
„So lange bu emporfteigft, fei bedacht, 
"Wie Viele fchon fie in den Staub geſchlagen.“ 
W. 


Dante, Lyriſche Gedichte 1. 9 


196 


Vrinfundfunfzigfte8 Sonett. 


La Frieden, — wenn du nichts vergibft dem Rechte, 
Das dir gebührt, der Heimat, ben Genoffen! 
Nur Unheil pflegt dem Kriege zu entfproffen, 
Den Herren macht er oft zum Knecht der Knechte. 
Obfiegt dem Irrthum aber nicht das Rechte, 
Dann dräng’ den Wahn felbft mit des Wahns Geſchoſſen; 
Denn wer ftets floh, in Burgen ſich verſchloſſen, 
Der reizt die Uebermüthgen zum Gefechte. 
Bu große Langmuth dient nur zu vermehren 
Die Willkuͤr, welche Trog der Ordnung bot, 
Wird Anlaß, gute Sitte zu verfebren. 
Drum nétbigt oft ein zwingendes Gebet, 
Dem feden Frevelmuth die Stirn zu Eehren, 
Und ibn zu zücht'gen, jenachdem er drobt. 





E pigramme. 


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Erftes Epigramm. 


Der einen Wolf mit eines Schafes Vließe 
Bedeckt' und ihn gefellte fo der Heerde, 
Staubft du, daß, weil ein Schaf nun an Geberde, 
Die Heerde darum er zufrieden ließe? 


Zweites Epigramm. 


Die Liebe, durch des Walten cinft erlefen 
Zur Tochter der breicinge Vater, die 
Alsdann als Mutter feines Sohns genefen, 
Macht hier zur Königin des Weltalls fie. 


Drittes Epigramm. 


Du, der zum Spott das neunte Zeichen madt, 
Und tven’ger ift als was ihm geht voran, 
Seh, und verbopple deffen Hintermann! 

Zu Anbrem hat Natur did nicht gemacht. 


I 
(Psalm 6.) 

1. (8. 2.) © firafe mich nicht, Herr, in deinem Grimme, 
Und zuͤchtige mic nicht in deiner Wuth, 

Vielmehr mit füßer und mit milder Stimme! 

4. Wohl weiß ich, daß du mit gerechter Glut 
Beſtrafeſt, die ſich gegen bid) vergangen, 

* Dod Reuige auch nimmt in gndbge Hut. 

7. (8.3.) Laß Nachficht mich fuͤt ſchwere Schuld empfangen, 
Denn id) bin elend und erfranft gar fehr, 

Und alle meine Kraft ift mir vergangen. 

10. Gib vor bem großen Wurm mir Schug und Wehr, 
Und heile, Herr, mich! Muͤrb' ift mein Gebeine, 
Mein Fuß erfhroden taumelt bin und her; 

13. (8. 4.) Und durch die Laft, die große, ungemeine, 
Iſt meine Seel’ erfchredt big auf den Grund, 

Daß ohne did, ich nichts vermag alleine. 

16. (8. 5.) Fa, thu mir immer deine Hilfe fund, 
Schnell, ſchnell errette mich aus bem Gebränge, 
Und zieh die Seele aus dem Suͤndenſchlund! 

19. Sei gegen mid fo hart nicht und fo firenge, 
Bewahre mid) durch beine Milbigkeit, 

Sie, welche weitert ſtets des Herzens Enge. 


25. 


28. 


31 


34, 


37. 


40, 


43. 


46, 


49. 


52, 


Gleich Einem, der, im Dornſtrauch fi verfehrend, 
Zuruͤck ſich beugt und Acht in Zukunft hat, 

Erkenn' ich dich, zurück zu die mich kehrend. 

(8. 5.) Zwar meine Rex ift langfam noch und matt, 
Dod, wenn ich Alles beichte, was id) fehlte, 

Sat Unwabrheit und Trug dabei nicht flatt. 

Du weißt, Herr, daß ich offen dir erzählte 

Meiner Vergehungen und Suͤnden Zahl, 

Und feinen Irrthum deinem Ohr verhehlte; 

Und zu mir felber ſprach ich manchesmal: 

Ein rein Geftändnig will ich Gotte zollen, 

Und ganz geftehen meines Herzens Qual. 

Und du, nachdem mein Wort vor bir erfchollen, 
Haft jeden Febl fern von Saumfeligkeit | 
Mit gürger Nachſicht mic verzeihen wollen. 

(8. 6.) Drum werden zu des Weltgerichtes Beit 
Die Heilgen al? erheben Flehensklaͤnge, 

Daf dann bu Gnad' übft und Barmherzigkeit. 
Dod iſt zu groß der Menfchenfrevel Menge, 

Und bricht die Ueberſchwemmung einft fih Bahn, 
Beſtehn fie nicht der Proben bittre Strenge. 

Ste werden nicht der harten Krippe nahn, 

Sn der gelegen deffen Rindesglieder, 

Der auf die Erde fam fleifchangethan. 

(8. 7.) Vor dir, o Herr, fall id) in Thränen nieder, 
Denn mit Verfuhung naht der Feinde Schwall, 
Sie drohen jego mir und ehren wieder. 

Die fündgen Seelen preif cin Jubelſchall, 

Die Buße Üben außen ſowie innen! 

Hilf mir vor der Dämonen Ueberfall! 





55. 


58. 


64. 


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70. 


73. 


76. 


79. 


il 207 


Erlaube nicht, da meine Feind’ erfinnen 
Mir Untergang in ihrem mädtgen Bund, 
Und mwehre meinem fleifhlihen Beginnen! 
(8. 8.) Vernahm id doch aus meines Herren Mund: 
Du fol, 0 Menſch, Verftand von mir empfangen, 
Der macht dir alle hoͤchſten Guͤter fund; 
Aud Kenntnif rechten Wegs fouft du erlangen, 
Auf dem du dich erbebft zu jenem Reid, 
Wo ſtillſchweigt jedes finnliche Verlangen. 
Selbſt meines Anblicks mad’ id) einft dic) reich; 
(8. 9.) Dod) bleib’ aud) wuͤrdig der Verftandesgabe, 
Und werde nicht dem Pferd und Efel gleich. . 
© bu, mein Herr, du eingge Wonn’ und Labe, 
Iſt Einer unterm Mond zu diefer Friſt, 
Wenn nicht der Mare und neugeborne Knabe, 
Der, weil er ſich nur folgt und fi vermißt, 
Dir frevelnd Trotz zu bieten, nicht des ſchweren 
Gebiſſes und des Zuͤgels wuͤrdig iſt? 
(G. 10.) Drum bin id) auch mir wohlbewußt der Lehren, 
Daf fid die Hiebe für die Geißelung 
Des Sünders niemals minbernd ewig währen; 
Dod), deren Hoffnung feft verbleibt und jung, 
Die wird auf weichen Lager einft er betten 
Mit fanftem Mitleid und Begnabigung. 
(8.11.) Darum, ihr Ser’gen auf begluͤckten Stätten, 
O ihr Gerechten, deren Seelen tein, 
Lobfingt ihm banfend, der euch wollte retten, 

Nun koͤnnt ihr wohlgemuth und freudig fein. 


II. 
(Psatm 38, [37.]) 


1. (V. 2) Da Himmel du und Erbe fannft umfaffen, 
Ich bitte did, du wollſt nicht zornig fein, 
Nicht beine Grimmigfeit mid büßen laſſen; 

4. (B.3.) Denn tief zum Herzen drang mir ſchon hinein 
Dein fharf Geſchoß, und uͤber mir gefchloffen 
Daft du die Hand, Herr und Gebieter mein, 

7. (V. 4) Und nimmer hat Gefundheit mehr genoffen 
Mein Fleiſch und Bein, feitbem erfannt mein Sinn, 
Daf zorn’ge Blicke du auf mich gefchoffen. 

10. So gingen gleid) viel Tag’ und Monde bin, 
Seitdem Fein Frieden mir ind Herz gekehtet, 

Ich fühlte, daß ich zu belaftet bin. 

13. (8. 5.) Nun feb id) wohl, mein Haupt liegt ganz befchtveret 
Von Suͤnd', und daß, je länger felbft id mich 
Vetrachte, meine Laft ſich noch vermehret. 

16. (2. 6.) Weh, wie verfchlafen, ſtinkendfaul war ich! 
Nun weckt mid meine Thorheit; von Gefährbe 
Brei ſchien ich mir, doch mehrt mein Uebel fich. 

19, (®.7.) Ganz elend bin id) worden und zur Erde 
Gekruͤmmt, und den ganzen Tag lang geh” 

Sd klagend und mit trauernder Geberde. 

22. (B.8) Denn meine Lenden thun von Hohn mir weh 
Und von der Geifter böfen Anfechtungen, 

Von benen ich mich ſtets umgeben feb. 


25. 


28. 


31. 


34. 


37. 


40. 


43. 


Und Ungefundheit hat mein Fleiſch durchdrungen, 

(8. 9.) Zerknirſcht bin ich, wenn mich der Schmerz 
durchzieht, 

Daf mid) die Sünde ganz und gar bezwungen. 

Und wenn mid dann jedwede Tröftung flieht, 

So feufyg und heul’ ich mit des Loͤwens Grimme, 

Wenn er in Ketten fid) und Banden fieht. . 

(2. 10.) Wend' ih, o Herr, wie er in Thränen 
ſchwimme, 

Mit Seufzerlaut den Blick zu die empor, 

So ſtockt die Thrän’ und ffumm wird meine Stimme. 

(2. 11.) Aus eignem Herzen fleigt kein Troft hervor, 

Mein Aug’ ift ganz vermaift an Kraft und Glanze, 

Wie id die Herrſchaft meiner felbft verlor. 

(8. 12.) Wer ehedem mir nicht erfohien als Schrange, 

Vielmehr ale wahrer Freund und Vruber, der 

VBerennt als Feind mid) jegt mit Speer und Lanze, 

Und wer mir moblgefinnet war vorher, 

Floh, al8 er mid) gefehn zu Boden fallen, 

So eilig wie die andern, und nod) mehr. 

(8. 13.) Mein Feind dacht’ igt mit feinen Mannen 

‘ : allen 


. Mein feftes Schloß, als er allein mich ſah, 


46. 


49. 


Den Graben uͤberſchreitend anzufallen; 

Dod merkend, daß nichts Leide8 mir gefchah 
Durch feinen Angriff, weil zu hoch die Binnen, 
Mit Schimpf und Hohn beleidigt er mich da. 
Und doc, um Tob mir endlich zu erfinnen, 
Dadt er duch Trug und durch Berrdtherei 
Tagtäglic drauf, den Eingang zu gewinnen. 


52. 


55. 


58. 


61. 


64. 


67. 


73. 


76, 


210 


(8.14, 15.) A mid) bedrohte ſolche Mirderei, 
Stellt’ ich mich taub und flumm, als ob mein Wehe 
Id nicht ausbräden koͤnnt' in Angſtgeſchrei. 


(8. 16.) Auf did, Herr, der du fiehft, was audi 
gefchehe, 

Hate’ ich bereits gefegt all mein Vertraun, 

Set boffend, daß es mir danach ergebe. 

Und traun, id) fann auf dich fo ficher baun, 

Daf du nicht fallen laͤſſeſt mich zur Erden, 

Und mic) befeeift von aller Noth und Graun, 


(8. 17.) Damit nicht meine Feinde mich gefährden 

An meiner Ehre, noch auch Stoff empfahn 

Durch meine Leiden zu Zriumphgeberben. 

(8. 18.) Nicht, ale ob frant ich wär am eitlen 
Wahn, 

Daf ich vollfommen fei; vielmehr, ich fage, 

Daf Sünden id und Irrthum unterthan. 

Drum bin id) überzeugt auch, daf ich trage 

Ganz nad) Verdienſte deiner Geißel Wuth, 

Und jeden Schmerz, und jede Noth und Plage. 


. Dies alle zu erdulden hab’ ich Muth, 


Will nichts von Schonung meiner Sünden wiſſen, 
Nimmft du nur, Herr, mic fernerhin in Hut. 
(8.19.) Denn immer werd’ id von Gewiſſensbiſſen 
Berfleifcht, weil meine Sünden fchlimmer Art; 

Der Reu' und Buße bin id drum befliffen. 
(8.20.) Jedoch ale meine Feinde dies gewahrt, 
Sind fie noch fidrfer auf mid) losgegangen, 

Und haben noch zahlreicher ſich gefchart, 


211 
i 79. (8. 21.) Und die da 688, mas Gutes fie empfangen, 
Den Gebern lohnen, fie erheben Spott, 
Weit id) anjegt gefucht, dir anzuhangen. 
82. (8. 22.) © fo verlag mid) nicht, Here Zebaoth, 
(®. 23.) Id bitte dich, voll Huld mic zu erretten 
Von meinen Widerſachern, du, mein Gott; 
Denn nur bei bir fann ich mid) ficher betten. 


» 


= 


10. 


13. 


16. 


19. 


212 





(sam 51, [50]) 


. (8.83) Mein Gott und Vater, du der Eintracht 


Grinder, 
Ich bitte dich bei deiner Mitdigkeit, 
Sei gnädig, fei barmherzig mit mir Sünder! 


. Bei deiner ſchrankenloſen Gütigkeit 


Vite ich dich auch, verfcheuh” aus meinem Wege 
Jedwede Sünde fammt Unreinigkeit. 


. (B. 4.) Nod) bitt ich. bid, mad) lauter meine Seele 


Von Schuld und Makel, fäubre meinen Sinn, 

Und wahre mic aud vor verborgnem Feble! 

(8. 5.) Wol weiß ich ja, daß ich voll Argheit bin, 

Und daß die Sünd’ in mic nod) nicht vergangen, 

Die mit mir war von Kinbheitsanbeginn. 

(8. 6.) An dir allein nur hab’ id) mid) vergangen, 

Vor deinem Antlig ſchlimme That gethan, 

Obwol nie Trug aus deinem Mund ergangen. 

(8.7.) In Sünden hat die Mutter mid) empfahn, 

In Sünden ift fie meiner auch genefen; 

So mard ih Menſchenſchwachheit unterthan. 

(8.8.) Schau, Here, mein Gott, du, deſſen Geift 
und Wefen 

Die Wahrheit ift, verhehlt hab? ich dir nicht, 

Wie ich dein Feind und Unbrer Feind gemefen. 





22. 
25. 
28. 
s1. 


34 


37. 


40. 


43. 


46. 


49. 


218 


© wie mid) mein Gewiſſen nagt und fridt, 
Beden® ich, daß in allen Finfterniffen 

Sid offenbart mir deiner Meishelt Licht. 

(8. 9.) Der Buße hab’ ich nun mid) erft befliffen, 
Und hoff, ich werde weißer noch als Schnee, 
Wenn du vom Schmmuze teinigft mein Gewiffen. 
(8.10.) © eine Wonne fühlt man mehr ale je, 
Wird man gemwahr, du feift nicht zu erhaben, 
Nein, milde gegen reuevolles Web. 

Wenn id drum höre, was gehört zu haben 

Ic wuͤnſchte, da ich noch ein thöriht Kind, 

So wird mein welt Gebein ſich füß erlaben. 

(8. 11.) Mein Herr und Vater, wende denn gelind 
Dein Antlig ab von meinem Misverhalten, 

Und ſcheuche jeden Trug, der fich entfpinnt! 
(8.12.) Ta, wolle neu mich, rein und ſtark geftalten, 
Und flöß ins Herz mir beinen vechten Geift, 

Und mög’ er drinnen fonder Saͤumniß walten! 

(8. 13.) Laß mid) nicht ganz von allem Troft vertvaift, 
Laß mic), entfchleiernd deine heilgen Blicke, 

Bur Schar gehören, die dich nah umkreiſt! 

Gib, Herr, nicht zu, daß mir entflieh, nein, ſchicke 
Mir deinen heilgen Geift auf immer, fammt 

Der Mojeftätshuld dein, die mich erquide! 

(8. 14.) So werd’ in mir, 0 Herr, die Freud’ entflammt, 
Der Heileswuͤrdigkeit gewiſſes Zeichen, 

Und fo vergif die Schuld, die mid) verdammt. 

Mit deinem Geift fodann, dem tugendreichen, 

Wirk meines leichten Sinne Befeftigung, 

Um nimmermehr aus deinem Dienft zu weichen. 


214 


52. (®.15.) Gibft diefer Hoffnung du Genehmigung, 


55. 


58. 


61. 


64, 


67. 


70. 


Bu die dann führ” ich, Herr, der Suͤnder Scharen, 
Wahrhafter Gott, durch Sinnesänderung. 
(8. 16.) Befreie mic, von fleifhlihem Gebaren, 
Daf meines Mundes Rede wuͤrdig fei, 
Deine Gerechtigkeit zu offenbaren. 
(8. 17.) Herr, made meines Geiftes Lippen frei, 
Um meines Herzens Drange zu genügen, 
Did zu erhöhen fern und nahebei! 
(8. 18.) Nicht frei ſcheint deffen Seele vom Beträgen, 
Und für die Heerde forget der nur ſchlecht, 
Wer nicht an bir, Herr, findet fein Vergnügen. 
(8. 19.) Der Geift, gequält von Rew, urtbeil ich recht, 
Das Herz, dad demuthsvoll zerknirſchte, ſchwache, 
Das, das nur ift ein Opfer wahr und echt, 
(8. 20.) O ſchaff, Herr, daß man Zion wohl bewache, 
Damit in Bufunft ficher fei wie heut 
Das Heiligthum an Mauern, Schwel? und Dache; 
(8. 21.) Dann nimmſt du wol die Gaben, die man beut, 
Sammt Kälbern, bie dir der auf ben Altären 
Darbringen wird, der mächtiglich fich ſcheut 

Bu hindern dein Gebot und dein Begehren. 





215 


V. 


(Psalm 102. [101.]) 


1. (2. 2.) O Herr, erhöre mein Gebet und Fiehn, 


SI 


10. 


13. 


16. 


19. 


Womit id) meine Angft dir möcht erklären, 
Und laß mich deine Guͤt' und Mitleid fehn. 


. (B.3.) Mög’ id nur deinen Anblick nicht entbehren, 


Nein, täglich, wenn der Schmerz mich Übermannt, 
‚Herr, neige mir dein Ohr auf mein Begehren! 


- (VB. 4.) Der Tage Zahl, der Jahre Reih verfhmwand 


Mit großer Eile gleich dem Hauch und Rauche, 

Und mein Gebein ift troden und verbrannt. 

(8.5.) Ic bin gemäht gleich Blum’ und Graf und 
Lauche, 

Mein ganzes Herz iſt toͤdtlich mir erſchlafft, 

Ich aß ſelbſt nicht nach ſonſtgem Menſchenbrauche, 

(8. 6.) Und alſo hatte mich der Schmerz in Haft, 

Daf in der Seufier eitelem Entſchwellen 

Mir ganz entfhwunden ſchien die Lebenskraft. 

(8. 7.) Ich war dem Pelifane gleichzuftellen, 

Der weiß wie weiße Lilien Schutt und Graus 

Bewohnt, und ferne bleibt bewohnten Stellen. 

Und dbnlid) bin ic drum der Fledermaus, 

Die nur gue Nachtzeit pfleget auszufliegen, 

Und Tags vertviret und traurig bleibt zu Daus. 


22. 


25. 


28. 


31. 


34. 


37. 


40. 


43. 


46. 


216 


(B. 8.) Mein Schweigen war durch nichts mehr zu 
befiegen, 

Cinfiebler= Sperlings Art war mein Gefeg, 

Der Troft drin fucht, fih unters Dad zu ſchmiegen. 

(8. 9.) Jedweder ift mein Feind, ſtellt mir fein Neg, 

Beſchimpft mich, laͤſtert mich vor Aller Ohren 

Den ganzen Tag mit wechſelndem Geſchwaͤt, 

Und die mich fonft zum Gegenftand erforen 

Des Lobes und der fügen Schmeichelein, 

Die find nun Alle gegen mic, verſchworen. 

(8. 10.) Drum muß mein Brot anigt die Afche fein, 

Mit Thränen hab’ id) mir gemifcht mein Trinfen, 

Um von der geilen Vrunft mich zu beftein. 

(8.11.) Ic fürchte deiner Augen zuͤrnend Blinken, 

Bedenk' ich, mas mir meine Kraft beſchraͤnkt: 

Du hobft mid) auf, und liefeft tief mic) finfen. 

(8. 12.) Gleichwie der Schatten, wenn fih Phöbus 
ſenkt, 

Erſt laͤnger wird, dann flugs nicht mehr zu ſehen, 

Sobald die Sonne keinen Strahl mehr ſchenkt: 

So mar mein Leben, jest voll Todeswehen, 

Einft frifh und grin; doch wie zu twelfem Heu 

Das Gras wird, fo ift mir anigt geſchehen. 

(8. 13.) Jedoch du Herr, du emig wahr und treu, 

Der meiner nie vergift, zeig mir das belle, 

Das gütevolle Antlitz mir aufs neu. 

(8. 14.) Du bift des Lichtes flare, reine Quelle, 

Damit nicht zögernd voll Freigebigleit, 

Beſtrahleſt bu noch heller Zions Schwelle. 





49. 


52. 


55. 


58. 


61. 


64. 


73. 


76. 


217 


Gefommen ift anigt die rechte Zeit, 

Daf Beiftand deine Hand der Stätte brächte, 
Die jedem Bürger Ev und Luft verleiht. 

(2. 15.) Um Mitleid fleht fie wol mit allem Rechte, 
Und, die ber heilgen Mauern Freunde find, 

Slehn auch darum, fie beine guten Knechte. 

Sie feben, wie der Thau der Thränen rinnt, 

Sie hören diefes Landes Klagemorte, 

Und flehn dafür Vergebung mild und Lind. 

(8. 16.) Dienft ihnen du vor diefem Krieg zum Horte, 
Dann fcheuet, Herr, did) jede Nation, 

Def beilger Nam’ auffchließt des Himmels Pforte. 
Did preift dann aller Fürften Fubelton 

Und deine große Macht und hohes Walten, 

Und alle Könige auf ihrem Thron, 

(8. 17.) Weil Gott das heilge Zion wollt’ erhalten 
Bu feines erogen Angebentens Hut, 

Und dort gefehn fein till in mäctgem Schalten. 
(8.18.) Und weil in Schug zu nehmen’ er gerubt 
Der Auserwäplten Demuth, und zu legen 

Die Flebenden, zu flärten ihren Muth. 


. (8.19.) Für Undankbare, die zuruͤckeſetzen 


Treulos, hart, eigenfinnig mein Gebet, 

Nicht ſchrieb ich, nur für ſolche, die e8 ſchaͤtzen. 
Ein beſſtes Volk, alè das ihr jebo feht, 

Wird einft erfiehn, in Thälern wird e8 loben 
Wie auf ben Bergen Gottes Majeftär, 

(8.20.) Weil unfers Gottes Augen hoch von oben 
Auf diefer Erde Thaͤler niederfahn, 

Und weil hieher er niederftieg von broben. 


Dante, Lyriſche Gedichte. I. 10 


79. 


82. 


85, 


88, 


9. 


9. 


97. 


100. 


103, 


106. 


218 
(8. 21.) Vom Krieg fie zu befreien, wird er nahn, 
Sie, welche Schmerzen, Ketten, Band’ umfchloffen, 
Und weltlich eitlem Weſen unterthan. 
(8. 22.) Frei fühlen fie ſich dann, um unverdroſſen 
Bu fingen deines beilgen Namens Preis 
Im Reid) der auserlefenen Genoffen- 


. (B. 23.) Dort bilden einen fchönen, großen Kreis 


Die Könige mit ihren Nationen, 

Und fingen ihm vereint, von Inbrunft heiß. 

Dod, während fie auch noch hienieden wohnen, 
Lobt Jeder Gott mit Dienftbefliffenheit, 

Und einft wird ewge Herrlichkeit fie lohnen. 

(8. 24.) Ich bitte dich, du Herr der Mildigkeit, 
Daß du mir zeigeft beine Huldgeberde 

Am Schluffe meiner kurzen Lebenszeit. 

(8. 25.) Nein, ruf mid) nicht zuruͤck zu Staub und Erde 
In meiner Tage Mit’! Es fei durch did 

Die Zeit beflimmt, wenn ich errettet werde! 

Du weißt ja wohl, aus Erde fhufft du mich, 

Nicht bin ich ewig, bin nicht deinesgleichen, 

Nein, jedem Unheil unterthan bin id. 

(8. 26.) Du herrſcheſt fort und fort in denen Reichen, 
Den Himmel foufet du von Anbeginn, . 
Die Erde ſchufſt du, und die SdL imgleichen. 

(8. 27.) Richt Schaben bringet dir, noch auch Gewinn 
Der jüngfte Tags du bleibſt, nichts kann dich ändern, 
Stlrzt gleich bag Firmament zum Abgrund hin. 
Das menfhlihe Geſchlecht in allen Ländern 

Veraltet jet, gleich einem Kleid und Schub, 

Dod du beBleibeft neu e8 mit Gemändern. 


219 


109. (8. 29.) Denn plöglich werden insgefammt im Nu 
Sie all’ erftehn beim Schalle der Trompete. 
Dann forberft Rechenſchaft vom Leben bu. 
112. Dann mad, o Herr, daß aus dem Grab, ich bete, 
Ic) nicht erſteh voll Makel, wie id mar, 
Nein, weiß wie eine Taube vor did) trete, 
115. Damit id) dann leichtſchwebend, rein und Bar, 
Zu jener Wohnung möge bingelangen, , 
Mo deine Söhn’ und deiner Diener Schar 
Und ewge Freud' und Wonne mid) empfangen. 


10* 


220 


VI 


(Psalm 130, [129,]) 


1. (8.1) Her, aus der Tiefe dringt mein Ruf hervor, 


10. 


13. 


22. 


Sd) bitte dich, du wolleſt freundlich ſchenken 
Dem Rufe meines Klagetons dein Ohr. 


. (8. 2.) Eroͤffn' es, Herr, und laß mic) brein verfenfen 


Der angſtbeſchwerten Stimme jammernd Flehn, 
Und wolle nicht an meine Sünde denken! 


. (8. 3.) Denn wenn du willſt auf Miſſethaten fehn, 


Auf unfrer Herzen tägliches Verſchulden, 

Wird nimmermehr ein Menfd vor die beftehn. 

(8. 4.) Dod) weil id) weiß, daß ewig beine Hulden, 
Daf dein Erbarmen fonder Grenzen ift, 

Erwart' ich feft, du wirft mich ferner dulden. 

(8. 5.) Und weil du alles Lebens Urquell biſt, 
Und wilft, baf auch ber Boͤſeſte gefunde, 

So hab’ id nie die Hoffnung noch vermift. 


. (B.6.) Vielmehr aus meines Herzens tiefftem Grunde 


Hoff’ ich auf Gott, den etogen, feſtiglich 
Von früh big fpde zu aller Zeit und Stunde, 


. (B. 7.) Dieweil der Herr fo hold und mildiglich, 


Und zur Erlöfung ausſtreckt feine Arme; 
Mehr alè id) fündgen fann, erbarmt er fid). 
(2.8.) Drum wenn er fieht in der Zerknirſchung Harme 
Das Voll von Ifrael, fo zweifl' ich nicht, 
Daß er ſich fein gewogentlich erbarme, 
Und es nicht ziehe vor fein Strafgericht. 





221 


VIL 


(Psalm 143, [142.]) 


1. (8.1.) Zu dir erheb ic, Herr, die Red', erhoͤre 
Mein Flebn, womit in Unterwürfigkeit, 
Eroͤffneſt du dein Ohr, ich dich beſchwoͤre. 

4. © Herr, ja zu erhören fei bereit 
Mid, deinen Knecht, in deiner Wahrheitsliche, 
Mit der ſtets wandelt die Gerechtigkeit. 

7. (8. 2.) Nur wuͤnſcht' id, daß entfernt die Strenge 

bliebe! 

Du richteſt mit gerechtem Strafgericht, 
Dod) richte mit gewohntem milden Triebe! 

10. Denn wenn bein Urtheilsſpruch Verdammung fpricht, 
Wer Hilft mir dann von Alten, die da leben? 
D Niemand fann'8, ju retten bin ich nicht. 

13. (8. 3.) Schau, wie ſich gegen mich bie Feind’ erheben! 
Die Seele flieht vor ihrem bittern Wort, 
Mark und Gebein durchziehet mir ein Beben. 

16. Sie haben mid) gebannt in dunklem Ort, 
As rode id) in mein Grab ſchon eingefchloffen, 
Und fie verfolgen mid) noch fort und fort 

19. (8. 4.) Drum ift all meine Lebenskraft verbroffen, 
Und meine Seel’ ohnmaͤchtig und verzehrt, 
Erblickꝰ ich um mich foldhertei Genoffen. 


22. (B. 5.) Und dennoch hab’ ich richtig mir erklärt 
Jeglich Gefeg und alter Beit Begebniß; 
Und wie du dich ſchon ehedem bewährt, 

25. So zeuget wol Gedaͤchtniß und Erlebnif 
Mehr, dag du milde bift als fireng von Sinn, 
Wiewol für dich zum preifenden Erhebniß. 

28. (2. 6.) Drum fire’ id, da ich jegt fo angſtvoll bin, 
Die Hand nad) bir, denn meine Zung’ ift blöde, 
* Und reicht zum Ausbrud meiner Schuld nicht hin. 

31. Aud) ift all meine Denkkraft ftumpf und fpröde, 
Sn ihrem trofnen Grund keimt Feine Saat, 
Erquickſt du durch dein Waffer nicht die Dede. 

34. (8. 7.) Drum bitt’ ic dich, Hilf mir mit Rath und That, 
Erhoͤre mich, o Herr, mit ſchnellſter Schnelle, 
Weit meine Seele fhon bem Tobe naht. 

37. Verbirg nicht deines Angefichtes Helle 
Den Diener dein, hilf, hilf, weil fonft es heißt, 
Daf ich verburftet, ch ic fam gue Quelle. 

40. (8. 8.) Laß mid) aud) fühlen, wie ſich mil erweiſt 
Dein Mitleid Alen, die zu dir fich neigen, 
Drum hofft auf dein Erbarmen Seel’ und Geil. 

43. Die Seele gab ich längft ſchon bir zu eigen, 
Jedoch, 0 ‚Herr, wo fol ich finden did, 
Wirft du mic nicht zu die die Strafe zeigen. 

46. (V. 9.) Komm mir zu HU, 0 Vater, mildiglich, 
Und rette mich vor meiner Feinde Notte, 
Denn nicht zu andern Göttern wend' ich mich. 

49. (3. 10.) Gott, hoch und hehr vor jedem andern Gotte, 
Bu deinem Dienft hab’ ich mid ganz geweiht, 
Did ehr’ ich, andre bienen mir zum Spotte. 


52. 


55. 


58. 


62. 


Ia fchaffe, Herr, daß die Gewogenheit 
Von deinem heilgen Geifte bin mich meife 
Bum rechten Pfab durch deine Gütigkeit. 
Gehſt, wie id) hoffe, bu voran im Gleife, 
Dann Leb ich ficherlich auf immerdar 
Nach diefes Lebens ſchnell vollbrachter Reife. 
(8. 11.) Nur wahre mid vor Ungtäd und Gefahr, 
Und laß mid) nicht mehr peinigen und quälen, 
Wie deine Hand ſchon oft mir huͤlfreich war. 
(8. 12.) Ich darf mic) ja zu deinen Knechten zählen, 
So bitt’ ich dich, zerſtreu' und tilge fie, 
AU gegen mich verſchworne arge Seelen, 
Die mir die Ruhe gönnen nun und nie. 


224 


Der Glaube. 


1. Kt ſchrieb dereinft von Liebe manche Zeile, 
So viel ich hole, ſchoͤne, fUfe wußt', 

Und brauchte, fie zu glätten, oft die Feile. 

4. Anigt hab’ id) nicht länger Muth und Luft, 
Denn ciel, feb ich wol, war all mein Streben, 
Und ſtatt Gewinnes hab’ id) nur Verluft. 

7. Drum jene falfche Liebe zu erheben, 

Leg” id) nicht länger meine Hand mehr an, 
Und will nun Gott als Chrift die Ehre geben. 


Symbolum von Nicda. 


10. Id glaub’ an Gott, den Vater, welcher fann, 
Was er nur will, von welchem auch entfpringen 
Die Güter des Gedeihns für Jedermann; 

13. Def Gnaten Erd’ und Himmel rings duchdringen, 
Und aus dem Nichts bracht Alles er ans Kicht, 
Urquell von guten und volllommnen Dingen. 

16. Was in den Sinn fällt, in Gehör, Geficht, 
Schuf feine Güte, welche nimmer endet, 

Und das auch, was im innen Sinne fpricht. 

19. Ich glaube, daß, zur heilgen Magd gemendet, 
Er menſchlich Wefen annahm ganz und gar, 
Bu ihr, die Troft fürbittend Allen fpendet, 





22. 


25. 


28. 


31, 


34. 


37. 


40. 


43. 


46. 


49. 


, 

Und daß, wenn gleich in Chrifto licht und Mar, 
Dod gleiche Menſchheit ihn wie und umfangen, 
Die beige Kirche lehrt's auch offenbar, 
In dem fi) wahrhaft Gott und Menſch verſchlangen, 
Er if, Gott's ein’ger Sohn, und ewigher 
Erzeugt, und Gott aus Gott hervorgegangen, 
Kein Werk der Hand, ähnlich, erzeugt vielmehr 
Dem Vater, und der ift mit ihm nur einer, 
Und mit dem heilgen Geift, und Fleiſch ward er. 
Damit dem Heil verloren ginge einer, 
Trug er am beilgen Holz des Kreuzes Pein, 
Ein fo gendbiger, fo fündenreiner. 
Dann flieg er in den Hoͤllenſchlund hinein, 
Daf er dem büfteren Verlief enthebe 
Die Ahnherrn, die feft in des Herzens Schrein 
Den Glauben hegten, dag Gott ſich umgebe 
Mit Fleiſch, daß er fie aus dem Rerfer zieh” 
Und Heil durch feine Leiden Jedem gebe. 
Und ficher iſt's, daß, wer da wanket nie 
Und tief in treuen Glauben fid) verfentet, 
Daf allen Solchen Heil fein Leid verlieh. 
Dod wer bald Dem, bald Jenem Glauben fäyenket, 
(Der Setbftfeind zeige und Keger fid daran) 
Verliert die Seele, ohne daß er's denfet. 
Dom Kreuz in eine Gruft gelegt fobann, 
Erftand fein Geift von Fleiſch und Blut umfangen 
Am dritten Tag, das nehm’ id gläubig an; 
Und mit dem Körper, welchen er empfangen 
Von ihr, die felbft von ‚Gott gebenebeit, 
Iſt er lebendig bimmelauf gegangen. 

bl 10** 


52. 


55. 


58. 


61, 


64. 


67. 


70. 


13. 


79, 


226 
x 

Mit Gott, dem Vater, figt er dort, bereit 
Bu Lehren, um zu ſtrafen unb zu lohnen 
Tod und Lebendige nad Wuͤrdigkeit. 
Drum fireb’ ein Jeder nad) der Tugend Kronen, 
Durch Tugend reifend fir das Paradies, 
Um einft nad Gottes Gnade dort zu wohnen. 
Den Böfen und den Frevler doch verſtleß 
Sammt den Dämonen er zur Tiefe nieder 
Für etoge Qual ins Hölifche Verließ. 
Nichts frommet dort und nimmer kehrt man wieder 
Aus jenem Reid, und keine Beit ermißt 
Die Zahl der Weheruf und Jammerlieder. 
Vor diefen Qualen mag der fromme Chriſt 
Sid forgfam ſchuͤtzen durch den Geift, den heilgen, 
Der in der Zrinität der dritte ift. 
Denn fo ift Gott der Vater mit dem heilgen 
Geift wie der Sohn, daß gleich er ihnen fteht, 
Nur Ein Gott, und Ein Heilger mit den Heilgen. 
Alſo beſchaffen ift die Trinitaͤt 
Daß aus des Vaters, Sohns und Geiſts Vereine 
Ein’ einzge Gottesweſenheit entſteht. 
Und die war Abſicht nicht, dies wirkt” alleine 
Die Lieb’ und Mildigkeit, die ewiglich 
Dom Vater herrſcht zum Sohne, wie id) meine. 


. Bemüht um nähern Aufſchluß Iemand fi 


Der Wefenheit, der fühlt bei folhen Flügen 
Mit Schmerzen bald, daf ibm die Kraft entwich. 
So mag uns benn der fefte Glaube gnügen 

An Alles, was die heilge Kirche lehrt, 

Weil ihre Sprüche lügen nie, noch trügen. 


82. 


85. 


88. 


9. 


94, 


97. 


100. 


103, 


106. 


227 


Die fieben Sacramente. 


Sd) fage, daß bie Taufe Jeden klaͤrt 

Mit Gottes Gnade, daß fie wegnimmt jede 

Der Sünden, jede Tugend ihm gewährt. 

Die Zauf erheifcht das Waffer und bie Mede; 
Aufs neu getauft wird mer getamfet war 

Nicht mehr, wie Lafter ibn mit Schmuz befehbe. 
Wer nicht getauft iſt, ift der Kräfte baar, 

Und kann zum etogen Leben nimmer kommen, 
Und wäre tugendhaft er ganz und gar. 

Ein Licht iſt's, jenem Lichtesglanz entſchwommen, 
Der durd) den heilgen Geiſt in uns erblüht, 

Und in uns herrſcht, zu rechter Brunft entglommen, 
Wodurch ein folder Drang zur Tauf' erglüht, 
Daf felber fir das Gute nicht der Gute 

Mehr, als fie zu erhalten, ſich bemüht. 

Und ung zu fäubern von dem böfen Muthe 

Und von der Sünde, die von Gott uns trennt, 
Verfteht die Buße, wenn fie ſchwingt die Nuthe. 
Und wie auch Menfcenkraft und Lift entbrermt, 
Bu Gott wird Eeine Ruͤckkehr uns bereitet, . 
Wenn das Geffdndnif nicht die Schuld befennt. 
Zerknirſchung if e8, die zuerſt befkreitet 

Das Uebel, das du thatft; der Mund geftebt 

Das Uebel dann, das innen fi) verbreitet. 

Und wenn Genugthuung ihr folgen feht, 

Dann darf, wer alle8 dies vereint betrachtet, 
Vergebung hoffen, wenn er dieſes Weges geht. 


109. 


112. 


115. 


118, 


121. 


124, 


127. 


130. 


136, 


Seitdem ber Boͤſe une zu ſchaden trachtet, 

Weil unfer Witte mirb und ſchwach ihm ſcheint, 
Und unfre Kraft zur Tugend er verachtet, 

Zeigt unfer Hort, um vor bem argen Feind 

Uns zu befchügen, der jedweder Plage 

Urquell if und fie al? in ſich vereint, 

Gott, unfer Herr, und Schliger unſter Tage, 
Im Abendmahl am heiligen Altar 

Sein Blut und feinen Körper, wie ich fage, 

Den eignen Körper, der durchſtochen mar, 
Sammt feinem Blut, für uns, die fonft verloren, 
Bu retten uns aus höllifchyer Gefahr. 

Und wenn die rechte Meinung id) erforen, 

Sf Chriſtus in die Hoſtie fo verſenkt, 

Wie ihn die Jungfrau an das Licht geboren, 
Wahrhafter Gott und Menfc in Eins verfchräntt, 
Unter des Weines und des Brots Geftalten, 
Was mit dem Paradies und einft beſchenkt. 
Sold göttliches, fold) wunderbares Walten 
Schließe in ſich diefes heilige Myſter, 

Daf meine Nede nicht e8 mag entfalten. 

Es gibt und Fräftgen Much und ftarfe Wehr, 
Um zu beftehn in allen Anfechtungen, 

Daf dann bes Satans Angriff ſchwach und leer; 


. Denn Gott verftebet alle Reb’ und Zungen, 


Wenn das Gebet aus tiefer Demuth flammt, 
Wenn bittere Zerknirſchung und durchdrungen. 
Die kirchlichen Gefhäfte insgefammt, 

Die Tauf und Horas nebft den andern Werken 
Die zu verrichten ift der Priefter Amt. 


139. 


142. 


145. 


157. 


160. 


163. 


. As Chriſtenthumes Stügen find zu merken 


Die legte Delung unb die Firmelung, 
Wir haben fie, im Glauben une zu flärken. 
Denn ſtets aufs neue zur Erniederung 
Entflammen uns des Fleiſches brünftge Triebe 
Bue Sinnlichkeit und zur Verfündigung. 

Als Mittel gegen biefe falfche Liebe 

Hat Gott das Ehebündnif uns beftimmt, 
Damit er ſchnoͤden Misbraud) hintertriebe. 


. Nun fhügen uns, wie qud) der Feind ergrimmt, 


Die fieben Sacramente, wenn zu ihnen 
Man nody Gebet, Almofen, Faften nimmt. 


Die zehn Gebote. 


Behn find Gebote Gottes uns erfchienen. 
Das erft’ ift, anzubeten ihn allein, 
Und feinem andern, falfchen Gott zu dienen. 


. Den beilgen Namen audy nicht zu entweihn 


Durd Anruf, Schwur und fonft auf falfchen Wegen, 
Vielmehr nur einzig ibn zu bemebein. 

Gemäß dem dritten fol man Ruhe pflegen 

Die Wody an einem Tag von aller Mib, 
Denn anders wär's ber heilgen Kirch' entgegen. 
Sodann vor Allen auf der Erde hie 

Soll man den Vater und die Mutter ehren, 
Weil wir empfingen Fleiſch und Bein durch fie; 
An Gut und Leben Niemand auch verfehren; 
Keuſch fein, nicht ſchwelgeriſch und luͤderlich, 
Und nimmer Andere baburch entehren. 


166, 


172. 


175, 


178. 


181. 


184, 


187. 


190, 


Und fibre aud) bie Welt uma mächtiglich, 
Falſch Zeugniß foll aus unferm Mund nicht gehen, 
Denn Falſchheit paart nicht mit der Wahrheit fi. 


. Aud follen wir ums nicht im Bom vergehen, 


Bum Morde aufzuheben unfte Hand: 

Wer das thut, ift nicht werth, den Herrn zu fehen. 
Nie loͤſt der feiner Schuld verſchlungen Band, 
Wer's wagt, für feines Näcften Weib zu brennen, 
Denn vechte Liebe hat er nicht gekannt. 

Bulegt, wer Fremdes firebet fein zu nennen, 

Und auf des Naͤchſten Güter neidiſch fieht, 

Der ſucht mit Fleiß von Gotte fid zu trennen. 


Die. fieben Zodfünden. 


Drum fehe Jeder, wie er dem entflicht, 

Daf Gottes Wort er nichts entgegenftelle, 
Weil uns das Lafter Gottes Gunft entzieht. 
Stolz iſt jedweden Uebel8 erfte Quelle, 

Der Wahn, daf uns an Tugend Jeder weicht, 
Daf würdig wir des Gluͤckes hoͤchſter Stelle. 
Neid ift e8 dann, der unfre Wange bleicht, 
Wie denn, wer über fremdes Wohlſein trauert, 
Dem Widerſacher Gottes felber gleicht. 

Born macht, baß Born’ge ſtete Pein durchſchauert, 
Er fest in Glut und Tollbeit fie, ſodaß 

Das Gute, was fie thun, nicht lange bauert. 
Traͤgheit hat gegen alles Gute Saf, 

Weil Trdge vor der Anſtrengung erſchlaffen, 
Und unmutbévoll im Handeln werben Taf. 





193. 


196. 


199. 


202. 


205. 


208. 


211. 


217. 


. 281 
Geiz macht und Habſucht, daß von fich zu fehaffen 
Man Jeden ſucht, der an dem Lafter krank; 
Sein Streben aber ifl, an fi) zu raffen. 
Bur Voͤllerei bat Thor und Weifer Hang, 
Und mer nur Opfer bringet feinem Schlunde, 
Im Trank und Speife ſchwelgend, lebt nicht lang. 
Und Ueppigleit, bie fiebente ber Runde, 
Sie loͤſt die Freundſchaft wie die Schwaͤgerſchaft, 
Mit Tugend und Vernunft niemals im Bunde. 


Dod) diefe Suͤnden zähmt bes Muthes Kraft, 
Und wenig braudt e8 Tint und Schreibgeräthe, 
Uns vorzuzeichnen rechte Wanderfchaft. 

Und todblen wirft du traum bie techte Stätte, 
Wenn zum Gebet zu Gott du dich beeilſt, 
Bum Vaterunfer als dem Hauptgebete: 


Das Vater unfer. 
© Vater unfer, ber im Himmel weilft, 
Gebeiligt fei dein Name ſtets mit Preife, 
Und Dank und Lob für was du uns ertheilft. 
Dein Reid) erfchein’ auf unferm Erdenkreiſe! 
Geſcheh dein Wille, herrſche bein Gebot 
Im Himmel und auf Exden gleicherweife! 


. Gib, Water, heut uns unfer taͤglich Brot, 


Und fei von dir uns unfre Schulb verziehen, 
Wodurch wir oft verdienen Straf’ und Tod. 
Und daß aud wir verzeihen, fei verliehen 
Buerft Vergebung uns an deinem Theil, 
Damit wir unferm Feinde uns entziehen. 


220. 


223. 


226. 


229. 


232. 


235. 


238, 


241. 


244. 


22 o_ 
Du Gott und Water, Quell von jedem Heil, 
Beſchuͤt' und rett' uns vor den Anfechtungen 
Des Satans und vor feinem Tobespfeil, 
Die wir den Laut erheben unfcer Zungen, 
Daf, deine Huld verdienend, kuͤnftig wir 
Eingehen in dein Reich, andachtdurchdrungen. 
Wir bitten did, Herr, unfre Ehr' und Bier, 
Schuͤtz uns vor Schmerzen! Siehe nur! Exhoben 
Iſt mit gefenftem Bd das Herz zu bir. 
Aud) die gebenedeite Jungfrau loben 
Und preifen wir mit Recht; fie möge fein 
Der Schluß zu Dem, was wir gefchrieben oben. 
Durch heilges Ziehen wird fie uns verleihn 
Die Gnade Gottes trog der Hinderniffe, 
Und uns entreißen ewiglicher Pein. 
Und Al, die duch der Ständen Finfterniffe 
Blind find, erleuchte fie mit mildem Sinn, 
Und fehlige fo fie vor der HIU Abyſſe. 
Das Ave Maria. 

Ave Maria, Jungfrau, Königin, 
Holdſeligſte, bei Gott ftets, deinem Horte, 
Vor allen Fraun des Himmels Herefherin! 
Gefegnet fei auch heut mit frommem Worte 
Dein Sohn, daß er abwendend die Gefahr, . 
Mit fi) uns woͤhnen laff’ an Einem Orte. 
Gebenedeite Jungfrau immerdar, Ù 
Fleh Gott für uns an, daß er uns verzeihe, 
Daß er hier unten unfer nehme wahr, 

Und endlich uns das Paradies verleihe! 





Etlogen. 





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Johannes de Virgilio an Dante Alighieri. 


© du der Dierinnen heilge Stimme, 
Der du mit neuem Sang bie Welt befeligft, 
Indem vom Gift du, das ihr Blut erfüllt, 
Sie mit dem Lebengziveig zu reingen ſtrebſt. 
Enthuͤllend das dreifache nad) Verdienft der Schatten 
Verlooſte Reich, den Orkus den Verdammten, 
5. Die Lethe den fich Käuternden, den Segen 
Die jenfeit Sols gelegenen Gefilde, 
Warum, ad), wilft bu doc) preisgeben dieſes 
Muͤhvolle, bere Wert dem Pöbel, uns 
Poeten raubend beine ſchoͤnſte Leiftung; 
Denn eher wird ein Davus doch den krummen 
Delphin bewegen mit ber eier, eher 
Der Sphing zweideutig Näthfel loͤſen, ale 
10. Den naͤchtgen Schlund und die dem Plato felbft 
Verhällten Himmel niebre8 Volt ſich vorftelit. 
Denn Dinge find’s, die man nicht faffet, wenn fie 
Herplappert auf dem Markt ber Pidelbering, 
Def Poffen den Horaz verjagen fonnten. 
Dem Voll nicht dicht ich, fagft bu, nein den Weifen, 
15. Wiewol im Volkslaut; doch der Weife höhnet 
Des Volkes Sprache, wär” es gleih nur Eine, 
Da e8 doc) taufend find. Auch dichteten 


20. 


25. 


30, 


3 


(o) 


40. 


236 


Sie, denen du ale ſechster dich gefelleft, 

Und er, dem du zum Himmel fleigend folgeft, 
Nicht in des Marktes Sprache. Drum erlaube, 
© du der Dichter nur zu fcharfer Tadler, 

Daf ich der Rede Zaum ſchlaff laſſ' ein wenig. 
Wirf nicht den Saͤu'n verſchwendriſch bin bie Perle! 
Nicht bilie niedrigſchweres Kleid die Mufe; 
Vielmehr die Sprady ermähle zum Gefange, 
Die biefem, jenem Volt zugänglich ift, 

Sobaf der Welt fie deinen Ruhm verkünde, 
Und manche Dinge harten ſchon, burd) dic) 
Bekannt zu werben. Auf, fag’ an den Flug, 
Den Jovis Vogel zu den Sternen nahm! 
Sag’ an die Blumen und bie Lilien, welche 
Der Pflüger mähte, fammt den Phrygerhirfchen, 
Die des Moloffer8 Zahn gerrif. Sag’ an 
Von der Ligurier Bergen, von den Flotten 
Parthenope8 mit Liebern, bie ba Klingen 

Nach Herkuls Gades, die man flaunenb lieſt 
Am Her und am Pharus, und die bort 
Gefallen, wo das Neid der Dido war. 

Wenn dich der Ruf anzieht, twird nicht zu enge 
Begrenzung und des Pöbeld Gunft dir gnügen. 


. Ich, Phöbus Diener und der Mitgenannte 


Des edlen Maro, wenn du's nicht verfhmähft, 
IM in die Schulen dich einführen als 

Den lorbeerringsumkränzten Triumphator, 

Ein Herold, der fich ſelbſt gefchmeichelt duͤnkt, 
Dem froben Volf zu finden die Triumphe 

Des £duptling8 mit dem lauten Mang der Stimme. 


287 


Schon fühl’ id mir von Eriegrifchem Getöfe 
Das Ohr umſchaudert. Water Apenninus, 
Mie ſchaut er brobend! Wie ducchfaufet Nereus 
Tyrrhenums Meer! Wie tobet hier und dorten 
Der Gott des Kriegs! Ergreife drum bie Leier, 
Ergreife fie und zähme dieſes Wuͤthen. 

45. Wenn du zu folhem Stoff den Sang nicht wedeft, 
Indem du bid) entfernt hältft von den Dichten, 
Du einz’ger, wird er unbefungen bleiben. 

Du Wohner an des Padus Mitte, wenn du 

Mir Hoffnung gibft, mid) zu, befuchen, mir 

Ein freundlich Wort ſchickſt, wenn dich's nicht gereut, 
Den ſchwachen Vers zu lefen, den der Rabe 

50. Keck kraͤchzt dem Sänger Schwan, fo gib mir Antwort, 
Wo nicht, erfülle meinen Wunſch, o Meifter! 


15. 


238 


Dante Alighieri an Johannes de Virgilio. 
Erfe Efloge 


Sahwarʒ ſahn geſchrieben wir auf weißem Blatte 
Geſaͤnge, lieblich quillend von dem Buſen 
Der Pierinnen und an uns gerichtet. 
Zufaͤllig ſtand id) unter einer Eiche 
Mit Meliboͤus, zaͤhlend unfre Heerde 
. Bon ſatten Ziegen. Meliboͤus wuͤnſchte 
Mit mir das Lied zu hören. „Was will Mopſus? 
Mein Tityrus, fpric, was er will,” — begann er. 
Ich fat, 0 Mopfus. Und nun drängt’ er mehr noch. 
Aus Liebe mich zulegt ergebend, faum 
Das Lachen zügelnd: „Thoͤrichter, du vafeft, 
Did fordern deine Biegen ja, fie einzig 
. Sind deine Sorge, — fprad) id, — wenn bir gleich 
Die Large Mahlzeit auch zu denfen gibt. 
Die Weiden fennft du nicht, die mit dem Gipfel 
Der Minalus die Sonn’ einhuͤllend dunkelt, 
Die Gras und Blumen taufendfarbig ſchmuͤcken; 
Ein unter Weidenbüfchen flilverborgnes 
Beſcheidnes Bächlein, deffen auf dem Gipfel 
Des Bergs von felbft geborne Waffer Bahn 
Sid brechen, wo e8 dann hinwallet langfam, 
Und die Geſtade feines Stromes negt, 
Mit unverfiegendem Erguß umgibt fie. 





20. 


25. 


30. 


35. 





Dort, während feine Rinder ſcherzend wandeln 

Sn weichen Wiefengras, betrachtet Mopfus 

Die Werke fo der Menfchen wie ber Götter. 

Dann fließt er ein in die geſchwellten Rohre 

Die Freuden feiner Bruft, ſodaß die Heerde 

Dem fügen Sange folgt Berg ab und Thal, 
Gezaͤhmt die Limen ftürzen, daß bie Fluͤſſe 
Nacheilen ihm, die Wälder und bie Berge 

Des Mänatus Stirn fowie Wipfel neigen.” 

Drauf gab er Antwort: „Zitprus, wenn Mopfus 
Oft finge auf Wiefen, die mir unbefannt find, 
Kann ich, von bir belehrt, mein ſchweifend Vieh 
Dod jene unbekannten Sänge lehren." — 

Was fol id) thun bei fo begiergem Trachten? 
Aoniſchem Gebirge weiht fih Mopfus, 

O Meliboͤus, jährlich, während Andre 

Sic; fättgen auf dem Markt an Rechtsbelehrung, 
Und blaffet in des heilgen Haines Schatten. 
Gebabet in der Flut, die den Poeten 

Leben verleiht, und voll bes Saͤngerichors 

Die Kehl’ und Adern, ruft er mich zum Laube, 
Das duch Verwandlung fprof am Strom Peneos.“ 
„Was wirſt bu thun?“ begann er. „Willſt die Flur bu 
Als Hirt durchwandern, unbekränzt vom Lorbeer?” 
„Der Dichter Kranz und Namen, Melibdus, 
Verſchwindet oft, und felbft die Mufen wagten 
Den Mopfus kaum als ſchlummerlos zu bilden.” 
Kaum hatt ich's ausgefagt, als folder Weife 

Mein Zorn in Wort’ ausbrad: „Wie werben Hügel 
Und Au’n ertönen, wenn umgrint die Stime 


40. 


50, 


55. 


240 





Mit Lautenklang ich Phöbus Hymnen mede! 
Dod beb’ id) vor den Hainen und den Stätten, 
Den gottvergeffenen. Und wär's nicht beffer 
As Triumphator, wenn ich wieberkehre 

Ins Vaterland, die Haare mir zu ſchmuͤcken, 
Die weißen, die einft blond am Arno waren?" 


. Und er: „Wer zweifelt dran? Sebod) bedenke, 


Mein Tityrus, die Flüchtigkeit der Stunden. 

Es altern ſchon die Ziegen, die den Böden 

Mir überliegen, daß fie Mütter würden.” 

Und id antwortete: „Sobald bie Beier 

Vollbracht ift durch mein Lieb — ber Schatten, welche 

Die Flut uméteifet, und der felgen Geifter, 

Sorvie bereits der unteriehfehen Reiche: 

Dann frommt's die Stirn mit Lorbeer mir und Epheu 

Bu gürten. Wird es Mopfus mir verginnen? 

„Wie? Mopſus!“ — fprad) der Andre. — „Siehft 
du nicht 

Wie. er migbilligt die gemeine Nede, 

Als ob fie niedrig und gemein erklaͤnge 

Von Weibestipp’, als ob die Pierinnen 

Schamroth ſich eigerten, fie anzunehmen?” 

„Er wird es,“ ſprach id), und las beine Verfe, 

Nod einmal, Mopfus. Achfelzudend aber 

Erwidert er: „Wie wenden wir denn Mopſus?“ — 

„Sch hab’, antwortet ich, „in meiner Heerde 

Den bir bekannten Liebling, welcher faum 

Die ſchweren Euter tragen fann, fo ſchwellen 


. Bon Mild fie. Dort am maͤchtgen Felfen ſteht er 


Und fduet wieder bie gerupften Kräuter. 


241 


Dem Haufen nicht ſich einend, und zum Stalle 
Sid) nicht gewoͤhnend, pflegt er fih zum Eimer 
Von felbft zu ſtellen fonder Swangbebürfnig. 
Sieh, deſſen Euter den? id) jegt zu melten, 
Und zehn der Mafe mit der Mid, erfüllend 
Dem Mopfus fie zu fenden. Nimm did diefer 
65. Muthwill'gen Boͤck und Ziegen an indeffen, 
Und wege deinen Zahn für fremde Kruſten.“ — 
So unter einer Eiche fangen, ich 
Und Melibdus, während unfee Suppe 
Am Feuer in der Meinen Hütte kochte. 


Dante, Lyriſche Gedichte. L u 


10. 


15. 


242 


Johannes de Virgilio an Dante Alighieri. 
Antmortsefloge. 


RI weile? am Fuße der benegten Hügel 
In heimatlicher Kluft, wo die Savena, 

Die Nymph, umgrinet ihre fchnee'gen Loden, 
Muthwillig cilet in den Schoß des Nhenus. 
Die Rinder weideten nad) eignem Diinfen - 


. Am grasgen Ufer; weichre Kräuter rupften 


Die LAmmer, und bie Ziegen Felsgeſtruͤppe. 
Was foll? id nun beginnen? Denn ich fahe 
Mid) ale des Waldes einzigen Bewohner. 

Toll eiferten die Anderen zur Stadt, 

Veforgt um ihr Beduͤrfniß; fehlte felber 

Dod Nifa, fehlte felber doc Aleris, 

Die fonft fo treuen Freunde; fort nun ging ich 
Mit frummer Sichel in bem Sumpf zu fällen 
Die Kolben Rohrs, mein einziges Vergnügen, 
Als don des Abriatermeere8 Schatten, — 

Wo dicht die Pinien in langer Reihe 

Die lieblichen geräum’gen Auen bdeden, 

Die jenes Ortes wie des Himmels Huld 

Von Morten buften läßt, von Kraut und Blumen, 
Und mo ber flüß’ge Widder Trodenheit 
Verbeut dem Erdreich, während er des Meeres 
Gewaͤſſer aufſucht für fein meiches Fließ — 


243 


Den Litprue ich höre’ aus jenem Schatten. 
Das Säufeln felbft des Eurus, welcher damals 
So füß und lieblich blies, gewährte mir 
Den Eangesreihen Duft, der burd) die Höhen 
Des Mänalus hinwehend Balfam tröpfelt 
So in das Ohr wie auf die Zunge Mil, 
20. Milch, wie feit langer Zeit nicht Hüter 
a Der Heerden ſich erinnern, fie getrunken 
Zu haben, find gleich all Arkabier. 
Als fie das Lieb vernabmen, jauchzten alle 
Arkadernymphen, Hirten fammt den Heerden, 
Die rauhen Gaifen und die Rinder, felber 
Des Waldes wilde Eſel hörten auf 
Bu fliehn und öffneten das Ohr; bie Saunen 
25. Entftiegen dem Lyceum, Taͤnze flechtend. 
Sd) ſprach bei mir: Wenn Tityrus die Rinder 
Und Boͤck und Limmer durch Gefang begeiftert, 
Wann fhädigte die Lippen jemals dir 
Die Mantuanerflöte, hirtliche 
Gefdng” erhebend, da du in den Mauern 
Der Stadt vertveilend Staͤdtiſches nur fangeft? 
30. Der Rinderhirt auch hör im Hain dich fingen! 
Und fonder Zaubern leg’ ich nieder drum 
Das edle Rohr, zum hirtlichniedern greifend, 
Und geb’ ibm Leben mit dem Haud der Lippen. 
Alſo, du Goͤttlicher, fo wirft du fein, 
Wirft fein ber zweite nach dem eblen Maro, 
Sa nicht der zweite nur, vielleicht derſelbe, 
Wenn man dem Seber darf vertraun von amos. 
35. So fei dem Mopfus das verliehen, was 
11* 


40. 


45. 


50. 


244 


Dem Meliböus. Wehe, daf du unter 
Schmuzvollen morfchen Dache dich befindeft, 
Und weinft mit Recht untvillig (0 der Schande 
Der undanfbaren Stadt!) daß deiner Heerde 
Man raubt des Arno Weiden. Ad), erlaube 
Auf neue deinem Mopfus, das Geſicht 

Mit Thränen zu bethaun und molle nicht 
Graufam dich länger peinigen und ihn, 

Def Liebe, theurer Greig, dich mit fo feftem 
Und zähem Arm umfclingt, wie die Rebe 
Des Weinſtocks hundert KreiP und Knoten 
Um den ihr anvermählten Ulmbaum ſchlaͤgt! 
Wie wirft du ſtaunen, wenn bu beine Hütte 
Dann voieberfichft, die gelben Steohgebede, 
Nicht anders als ob an der Stirn du beine 
Bon Phylis Hand geſchmuͤckten Silberhaare 
Aufs neue blond ſich färben fähft, die heilgen. 
Dod daß bie Stunden, bie dazwiſchen liegen, 
Nicht lang dir werden, fannft bu in der Grotte, 
Wo id mid cube, did erquiden, dich 

Mit mir dort unterhalten; wechſelnd fingen 
Wir beid’, ich mit befcheibener Schalmel, 

Und du mit Hoheit, wie ein ſichrer Meifter, 
Die Töne drein ergießend, daß vermaifet 

Und matt mein Jugendalter nicht erfcheine. 
Der Ort felbft ladet did) hieherzufommen: 

Es neget drinnen ein lebendger Quell 

Die Grotte, die ringsum ber Fels beſchirmt, 
Und griner Rafen frifcht. Cs ſtreuen Duft 
Des Wohlgemuthtrauts Blüten, und es flößen 





55. 


60, 


65. 


70, 


245 


Dir Schlummer ein des Mohnes rothe Häupter, 

Des Schöpfer lieblicher Bergeffenheit. 

Aleris wird bir, Quendel unterbreiten, 

Vitt ich den Korpdon, daß er ibn rufe. 

Die Füße wird dir meine Nifa wafchen, 

Bu biefem Werk ſich gern bequemend, und 

Den Tiſch bereiten. Textilis indeffen 

Würze mit zerſtoßnem Pfeffer uns die Schwämme, 

Bum beſſeren Geſchmack einmiſchend Knoblauch, 

Wenn etwa unvorſichtig Meliböus 

Sie in dem Garten eingeſammelt hätte. 

Der Bienen Summen wird bid) firre machen, 

Gern von dem füßen Honig zu genießen. 

Obſt wirft du pflüden und verzehren fröhlich, 

Denn nicht undhnlich ift es Niſa's Wangen. 

Viel wird zum Effen audy zu ſchoͤn bie ſcheinen. 

Schon ſchlaͤngelt um bie Grotte fid ber Epheu 

Mit feinen Schöflingen did zu umgarnen; 

Genug, e8 foll an keiner Luft die mangeln. 

So fomm benn ber, du ſollſt auch bie hier finden, 

Die wieber dich zu fehen heiß begehren, 

Juͤngling' und Greife von Parthafius Hügel, 

Die deine neuen Lieder zu bewundern 

Entbrennen, wie die alten zu erlernen. 

Sie bringen bir alsbann bes Waldes Zicklein, 

Sie bringen dir das bunte Fell des Luchfes, 

Sotvie dein Meliböus es gewohnt tar. 

Komm, komm, und fürchte, Titprus, nicht unfte 

Waldberge, denn ben twindbewegten Wipfeln 

Dec Pinien, und den fruchtbelabnen Eichen 
11** 


75. 


80, 


85. 


90. 


246 





Wie den Gebuͤſchen darfſt bu Glauben ſchenken. 
Hier gibts nicht Hinterlift, forvie du glaubeft, 
Nicht Kränkung. Traueft du nicht deinem Freunde? 
Mie? IfE dir unfer Reich verdächtig? Dod 

Die Götter felbft verſchmaͤhten nicht die Wohnung 
Der Holden Grotte. Chiron fei mir Beuge, 
Achilles! Lehrer und der Hirt Apollo. — 

© Mopfus, bift du thöriht? Da Tola 

Der milbgefinnte, der gebildete, 

Es nimmer zuläßt, während beine Gaben 

Nur laͤndlich find, und beine Grotte fichrer 

Nicht ift als cin Palaſt, für Tityrus 

Sich zu erholen. Aber welche Flammen 
Entlodern deinem Geift, und welche Gier 

Bewegt die Füße dir? Gleichwie die Jungfrau 
Mit innerem Behagen ſchaut den Jüngling, 

Der Simgling dann den Vogel, und der Vogel 
Den Wald, der Wald des Frühlings Sdufeln: 
So, Tityrus, [haut Mopfus dich mit Wolluſt. 
Die Liebe pflegt zu keimen aus dem Anfchaun. 
So nimm denn keinen Anftand! Das Gemäffer 
Des Phrygers Mufo wird den Durſt die loͤſchen. 
Du Eennft vielleicht ihm nicht, gewohnt zu trinfen 
Den Fluß der Heimat. Horch! Indeſſen bloͤket 
Die Kuh mir. Wie? Beſchweren ſie vielleicht 
Die vollen Euter an ben feuchten Schenken? 
Faft glaub’ ide. Wohl! So eil id anzufüllen 
Mit friſcher Milch der Eimer weite Räume, 

Die harte Krufte mir damit zu weichen. 

Komm denn zum Melffag! Denn auf diefe Weife 


247 


Wird Titprus gleichviel Gefäße finden, 

95. Als er verfprochen hat uns zuzufenden. 
Dod) einem Hirten Mitch zu ſchicken, ziemet 
Nicht eben. — Während fo id plaubte, fommen, 
Schau, die Gefährten, und die. Sonne fintt. 


-10, 


15. 


248 


Dante Alighieri an Johannes de Virgilio. 


Zweite Ekloge. 


Sein goldnes Kolcherfließ enthuͤllet fpenbend 
Zog Titan's goldnen Wagenſitz der Leichtfuß 
Cous ſammt den andern Fluͤgelroſſen. 

Das Gleis nun, das vom hohen Himmel ſich 
Zu ſenken anfing, hielt in gleichem Schweben 
Die Raͤder hier und dorten, und dem Glutſtrom, 


. Der vor den Schatten pflegt zu weichen, wichen 


Die Schatten und e8 fiebeten die Fluren: 

Da floh mit Titprus, Alpheſiboͤus 

Mit ſich und mit der Heerde Mitleid habend 
Bum dichten Hain der Efchen und ber Linden, 
Und der Platanen; und indeß die Laͤmmer 

Und Bidiein, fi zu Einem Haufen mifchend, 
Ausruhten in dem Gras und mit den Nafen 
Einathmeten die Luft, erwartete 

Der alte Tityrus des Schlummers Düfte. 

Matt in des Ahorns Schatten und ſich ftügend 
Auf einen Knotenftod vom Aft des Birnbaums 
Stand er, Aiphefibdus zu vernehmen. 

Und der begarin nun: „tie der Menfchen Seelen 
Bu ben Geftirnen, wannen fie entftammen, 

Die Körper zu beleben, wiederkehren, 

Wie e8 den Schwänen, wenn bei Himmels Milde 


20. 


25. 


30. 


340 — 


Sie durch des Sumpfes Thal hinziehn, gefalle 
Kaifteos Flut mit Sange zu beleben, 

Wie ſich des Meeres Fifche, wo die Fluͤſſe 
Eintreten ins Gebiet des Mereus, einend 

Die Flut verlaffen, wie Hyrkaniens Tiger 
Den Kaukaſus mit Blut befudeln, Lybiens 
Erdreich die Natter mit den Schuppen fegt; 
Drob nicht ergreift mic) Staunen, pflegt doch 
Jedweder mit Vergnügen dem zu folgen, 

O Tityrus, was feinem Wefen zufagt. 

Wol aber nimmt mid) Wunder, und mit mir 
AM andre Hirten von Sicilien, 

Daf der Cyklopen dire Geftein am Aetna 
Den Mopfus feſſelt.“ Sprach e8, und indem, 
Erhigt und langfam mit beflemmter Kehle, 
Sprach Meliboͤus, doch mit Müh das Wort 
Vorbringend: Tityrus! — Die Greife lachten 
Des jungen Tons, wie die Sifaner, als fie 
Sergeftus von dem Fels geriffen fahn. 

Drauf hob der Alte von dem grimen Rafen 
Das Silberhaar, und fprad) zu jenem, welcher 
Aus offner Nafe blies: „D du, zu Junger, 
Welch neue Urfad) trieb bid) an, die Bälge 


. Der Bruft mit fo geſchwinden Athemzügen 


Bu peinigen?“ — Er nun dagegen fagte 
Kein einzig Wort; doch ala er feinen Lippen, 
Den zitternden, gendbert bie Schalmei, 

Die er in Händen hielt, erſcholl ben Ohren 


Ein einfach Säufeln blog. Als fi) der Juͤngling 


Kläng’ aus dem Rohe zu loden mehr bemüht, 


40. 


45. 


50. 


60, 


250 


(Ein Wunder, dennoch Wahrheit werd’ ich fagen) 
Entluden der Schalmei fid) diefe Worte: 

13% weil am Fuße der benebten Hügel" — 
Und hätte Tityrus ins Rohr noch dreimal 
Gehaucht, der Felder ſchweigende Bewohner 

Haͤtt' er befeliget mit hundert Liedern, 

Wie fida Alphefibdus eingebilbet, 

Der an den Titgrus gewendet ihm 

Den Vorwurf machte: „O ehrwuͤrd'ger Greis, 
Wirft du e8 wagen, des Pelorums feuchte 

Gefilde gegen der Cyklopenhoͤhle 

Bu tauſchen?“ — Er darauf: „Was zwefelft du? 
Warum, Geliebter, willſt du mich verſuchen?“ — 
Aphefiböus drauf: „Bemerkſt du nicht, 

Mie in der Floͤte Ton die Kraft dtr Gottheit 
Erklingt, und wie er gleicht den mit Geflüfter 
Entfproßnen Rohren, die da offenbarten 

Des Königs Efelsohren, der auf Bacchus 

Geheiß Paktolus Sand vergolden Eonnte? 


. Gtücferger Geis, o ſchenke nicht Vertrauen 


Dem falfehen Schmeicheltvorte, das dich ladet 
Zu dem mit Aetnas Feld bedecktem Ufer. 


"Mit deiner Heerd' und mit des Ortes Nymphen 


Sab” Mitleid! Did Abwefenden beweinen 

Die Hügel fammt den Wäldern und den Fiüffen, 
Und mit mir die Dryaden, die noch Aergres 
Befuͤrchten, und ein Ende hat die Misgunft, 
Die gegen uns hegt felber der Pachinus. 

Und uns, die Hirten, wird e8 ſchmerzen, dich 
Gefannt zu haben. O gluͤckſel'ger Greis, 





65. 


70. 


75. 


80. 


251 


Verlaf die Quellen nicht und Weiden, die 
Berühmt geworben ſchon duch deines Namens 
Unfterblichkeit.” Und Titprus dagegen: 

„D du, ber nad) Verdienft mehr als die Häffte 
Von biefem Vufen biſt“ (auf feinen zeigt er) 
„Vereint mit gleicher Neigung ift mir Mopfus 
Duck) Jene, die erfchroden dem Ppreneus, 
Dem unheilvoll nadfpringenden, entflohen. — 
Beim Rubikon, auf deſſen linfem Ufer, 

Denkt’ er mid) wohnend, auf des Padus rechtem, 
Dort wo Aemilia ſchließt am Abria. 

Laut preif er mir des Aetnaufer8 Weiden, 
Und weiß nicht, daß wir beide hier auf graſ gem 
Sicilianerberge leben, dem 

An Fruchtbarkeit für Rinder und fir Schafe 
In ganz Trinakria eine Gegend gleid) ifl. 
Dod wären aud) nicht vorzuziehn dem grünen 
Pelorum Aetnas felfige Gefteine; 

Dod ging’ id) hin, den Mopfus zu befuchen, 
Und tieß' bier meine Heerde, ſcheut' ich nicht 
Did, Polyphemus.” — Drauf Alpheſiboͤus: 
Wer möchte nicht vor Polpphemus beben, 
Ihm, der mit Menſchenblut die Lefze fledte, 
Ad), feit der Beit, mo Galatea ihn 

Des armen Acis Glieder fab zerfleiſchen? 

Mit Müh entfam fie. Hätt’ ibn wol der Liebe 
Getvalt bezwungen, da fo weit ihn fortrif 

Das wilde Toben? Konnte doch nur eben 
Das Leben Achaͤmenides erretten, 

Erblickend, wie in graufem blutgem Eiter 


85. 


90. 


95. 


252 


Die Fabetgenoffen hingemegelt wurden! 

Did fleb’ ich an, mein Leben, faffe did 
Nicht ſoich Gethft, damit der Rhenus habe 
Und def Najade dies erlauchte Haupt, 

Dem ſchon der Winzer abzufchneiden eilet 
Das nimmertvelte Laub des heil gen Lorbeers.” — 
Und Tityrus mit Lächeln und ihm ganz nun 
Hulbreich geworden, nahm bie weifen Reben 
Des großen Hirten auf mit tiefem Schweigen. 
Dod weil gefentt des Phöbus ſchoͤne Zeiter 
Die Luft durchſchnitten und die Schatten ſchon 
Von allen Dingen in die Weite reichten; 
Verliefen Büfche fammt ſchon Falten Thälern 
Die Hirten, hinter ihren Heerden wanbelnd. 
Von weichen Auen waren auf ber Ruͤckkehr 
Die zottgen Bidlein an der Heerdben Spie. 
Unfern indeffen batte fich verborgen 

Jolas, der verfchlag’ne, der fid Alles 
Merkt', Alles uns erzähle. Und, wie er une, 
So haben wir e8, Mopfus, dir gekünder. 








Drud von 8. A. Brodhaus in Leipzig. 


Dante Alighieris 
Iyrifhe Gediobte. 


Zweiter Theil. 


Dante Alighieri's 
Iyrifde Gedichte. 


Überfegt und erklärt 
von 
Karl Rudwig Raunegießer 
und 


Karl Witte 
Zweite, vermehrte und verbefferte Auflage. 


weiter Theil: 
Anmerkungen von Karl Witte. 


—— ——— — — 


Leipzig: 
F. U Brodhaus. 


1842. 


Bibliographifch-Eritifche Einleitung. 


Handſchriften und Ausgaben legen haͤufig daſſelbe Gedicht 
bald Dante, bald einem andern Dichter bei, und bie Schwie⸗ 
tigkeit, zwiſchen fo wiberftreitenden. Beugniffen zu entfcheis 
den, ift, namentlich feit Dionifi fhon mehrfach gefühlt, 
big igt aber noch nicht befriedigend gelöft worden. Es ere 
klaͤrt fich jene Unzuverläffigkeit urkundlicher Zeugniffe zum 
"Theil burd) die Beſchaffenheit derjenigen Hanbfchriften, in 
welchen die Reliquien aititalieniſcher Lyrik uns aufbewahrt 
find. Vergebens fehn wir uns unter ihnen nad wohl 
georbneten, auf Grund vorgängiger Prüfungen angelegten 
Sammlungen, nad) ber Art fo mancher Handfchriften pros 
vengalifcher Dichter, ober des Maneſſiſchen Cober der Minner 
finger, um. Weitaus die meiften verrathen ſchon ihrer 
äußeren Befcyaffenheit nad) die geringe Aufmerkſamkeit, die 
auf fie verwandt ift, und gebanfento8 ift ein Gedicht nad 
dem andern, wie es eben dem Schreiber vorfam, bald mit 
und bald ohne Angabe bes Namens, oft mit ben finn 
zerſtoͤrendſten Auslaffungen und Fehlern, abgefchrieben. Am 
meiften haben von biefem Verfahren die Kleineren Gedichte, 
namentlich bie Sonette gelitten. 

Solche Sorgiofigleit führte natürlich dahin, ben Na: 
men des Verfaffer8 des einen Gebichtes, oft faͤlſchlich auf 
Diejenigen zu erſtrecken, die hinter diefem abgefchrieben was 
ren. Andre Mate war der Name des Dichters nicht voll: 


VI 


fländig verzeichnet, und ein, bem Guibo Guinicelli gebò= 
rendes, Gedidyt wurde dem Guido delle Colonne, oder Guido 
Cavalcanti beigelegt, ober der Name Dante Alighieri mit 
Dante da Majano ober aud mit Facopo Alighieri ver= 
wechſelt. Nicht felten modite es auch gefhebn, dag der 
Abfchreiber dem namentofen Liebe eines Unbekannten zu 
beſſerer Empfehlung willkürlich einen berühmten Namen 
vorfegte, obgleich es auch nicht an Handfchriften fehlt, bie 
einzelnen , unzweifelhaft Dante gehörenden, Gebichten den 
Namen irgend eines obfeuren, bem Gopiften vielleicht per= 
ſoͤnlich werthen, Poeten beilegen'). 

Bevor nun noch verſucht wird, in diefes Wirrfat einige 
Ordnung zu bringen, fcheint es angemeffen, ben gebrudt 
vor uns liegenden Vorrath, fo wie er allmälig zufammen- 
getommen ift, zw überbliden. 

1 Das unter den hier zufammengefteliten Stüden am 
felibeften gedruckte ift das Credo, das fid am Ende der 
berühmten Ausgabe. des Vindelino da Spira (Vene: 
gia) 1477 F., in tvelcher der Tert der göttlichen Komödie 
mit dem Commentar des Facopo della Lana verfehn iſt, 
unter der Ueberfchrift: Qui incomincia il Credo di Dante 
findet?). Wieder abgedrude ift daffelbe in der Nidbobea= 
tiniſchen Ausgabe von 1477 und 78°) unb in einigen 


1) Dionift Aneddoto II (1788) p. 97. 2. Fiacdi in 
den Opuscoli scientifici e letterarj. XIV, (1819) p. 92—9. 
Perticazi in den Amori e rime di Dante Al. Mantova 1823. 
p. XVII $raticelli. Sulle poesie liriche, che si hanno 
a stampa col nome di D. AL in ten Poesie di D. Al, Fir. 
1834 passim. 

2 Gamba Serie dei testi di lingua Ed IV. Ven. 1839. 
p. 121, beſchreibt biefe Ausgabe genau, erwähnt aber weder 
dad Credo, nod) die vorausgefchidten Capitoli de Bufone 
da Gubbio und des Jacopo di Dante. Da id) die Aus— 
gabe felbft befige, Tann ich mit Sicherheit befunden, daß fie bie 
genannten &tüde enthält. Mol. au Dibdin Biblioth. Spen- 
ceriana IV, 105. 

3) Gamba l c. p. 122. 


VI 


andern ber naͤchſtfolgenden Zeit, unter denen ich nur zwei, 
von mir felbft befeffene (Venetia, per Bartholomeo de 
Zanne da Portese 1507. Klein Folio, und Venezia, per 
Miser Bernardino Stagnino da Trino de Monferra 1520. 
Quart, beide mit bem Commentar des Landino), nennen till. 
Außerdem befinben ſich in der Trivulziofhen Bibliothek zwei 
felbftännige Quartausgaben des Credo, eine aus dem 15ten, 
die andere aus bem 16ten Jahrhundert‘). 

U. Von den fieben Bußpfalmen find zwei 
Ausgaben des 15ten Jahrhunderts, beide in Quart und 
beide ohne Datum, bekannt. Nur die eine bat eine Un: 
terfchrift, nämlich: Li septe psalmi penitentiali li quali 
fece Dauit stando in pena; unbegreiflicherweife hat indeß 
Quadrio flatt Dauit Dante gelefen?). II. Beide 
Werkchen ließ der ebengenannte Quabrio 1752 (Milano. 
Marelli. Oct.) auf Anlaß des Mach. Aleſſ. Trivulzio, le 
diglich nad) den alten Ausgaben, mit einem unendlich breis 
ten Commentar abbruden. Das Jahr darauf erfchien in 
Bologna (Giov. Gottardi. Quart) ein Nachdruck mit einem 
Anhange „Carmina selecta“, naͤmlich Canz. 4 u. 15. uns 
free Sammlung, die fogenannte Ballate 7 der gewoͤhnli⸗ 
hen Ausgaben und unfer Sonett 27. 

IV. Die drei im Convito erläuterten Canzonen erfchie: 
nen im Jahr 1490 zum erften Mal mit dieſer Schrift 
(Firenze. Bonacorfi). 

V. Pietro Cremonefe, detto Veronefe, gab am 
Schluſſe feiner, durch den Minoritenmind Pietro da Fi: 
gbine corrigirten Ausgabe der göttlichen Komödie mit Lan: 
dino's Commentar (Vinegia 1491, 18. Nov. F.’) zum 
erſten Mal eine Sammlung von Dante's Canzonm. Es 


1) Sambal. c. p. 335. Nr. 1091, 

2) I sette salmi penitenz. illustr. dall’ Al. Sav. guadrio. 
Bologna 1753 p. 9. gl. Gamba p. 335. Ne. 108 

3) Vgl. De Romanis im Sten Band ber —8 Aus⸗ 
gabe von 1923, p. 549, 50. 


VIN 


find folgende und in nachftehender Orbnung: Vita nuova 
Gang. 1 u. 2. — Gang. 7, 2, 3, 4, 12, 5, 20 (&eftine), 
8, 9, 6, 13, 11, 14, 15, 10 u. 17, Der Let it in 
hohem Grade durch Drucfehler entſtellt. 

VI. Bei Wilhelm von Monferrat erſchien 1518 
in Venedig, Duodez, eine zweite Sammlung, die außer den 
Gedichten Dante's noch einige von Cino und Girardo 
Novello umfaßt. Der Titel dieſes hoͤchſt ſeltenen Buͤch⸗ 
fein if: Canzoni di Dante, Madrigali del detto, Ma- 
drigali di M. Cino et di M. Girardo Novello. Die Un: 
terfhrift lautet: Stampata in Venetia per Guilielmo de 
Monferrato. M. D. XVIII. Adi XXVII. Aprile. De 
Inhalt ift diefer: Canz. 7, 2, 3, 4, 12, 5, 8, 9, 6, 14, 
Vita nuova Canz. I. Die Canzone: lo miro i crespi e 
gli biondi capegli und bie andere: La bella stella, che’l 
tempo misura, welche in ben gewöhnlichen Ausgaben 3. B. 
bei Pasquali, Zatta (Nr. XVII) u. f. mw. als 15te und 
16te Dante beigelegt werben. — Vita nuova Canz. 2. — 
Canz. 10. — Die Canzone Perchè nel tempo rio (in 
den älteren Ausgaben die 17te). — Die Canzone L'alta 
virtù, che si ritrasse al cielo (Poesie di Messer Cino, 
ed Ciampi. 1826, p. 189) unb bie andre: Quand’ io 
pur veggio, che sen vola’l sole (ibid, Canz. 4. p. 53). 
— Die Canzonen: Giovine donna dentro al cor mi siede, 
Dacchè ti piace, Amore, ch'io ritorni, und L’uom che 
conosce è degno, ch’aggia ardire, bie fid in ben ge 
woͤhnlichen Ausgaben als 18te, 19te und 20fte Canzone 
unfces Dichters finden. — Sodann unfre Canzone 20 
(bie Seftina), 11, die Canzone: Io non pensava, che lo 
cor giammai (bie 21fte unter ben, früher Dante beigeleg⸗ 
ten), unfre 18te Canzone und die Canzone: L'alta spe- 
ranza, che mi reca Amore (bie bisher als Dante's 22fte 
gezählt warb). Alsdann folgen die Ballaten 2, 6, 4. — Hier: 
nad) hat alfo dieſe Ausgabe fämmtliche ſchon von Pietro 
Cremonefe gegebenen Gedichte, mit Ausnahme ber Can: 
zonen 13, 15 und 17. Sie fügt aber, aufer den ge 


IX 


nannten brei Ballaten, acht Ganzonen, bie fn berfelben 
Reihenfolge fpäter, nämlich feit Pasquali (1741) in den 
Canzoniere unfre8 Dichters aufgenommen murden, zwei 
Canzonen bes Cino, und endlich die erft von mir wieder 
Dante vinbieirte 18te (Ne. XXXII) Canzone hinzu. 

Diefe Ausgabe wurde noch in bemfelben Jahre zu 
Mailand im gleichen Formate nachgebrudt. Die Unter 
férife lautet: Milano per Augustino da Vimercato 
ad Instantia di M. Io. laco. e fratelli di Legnano 
MCCCCCXVIII. a di 2. de setember*). 

“VIL Im Jahr 1527 gab Bernardo di Giunta 
(Fir. Eredi di Giunta) bie erfte, und auf lange Zeit eins 
zige Sammlung altitalienifcher Lyrifer (Sonetti e canzoni 
di 'diversi antichi autori in dieci libri raccolte ) mit einer, 
von ben Italtenem vielgepriefenen, in ber That aber pres 
tiöfen unb auf Stelzen gehenden Vorrede heraus. Das 
Iſte Bud) enthält die Gedichte der vita nuova (zuvoͤrderſt 
23 Sonette, dann die beiden Sonetti rinterzati (2 und 
4) als Ballaten, hierauf die einzige Ballate unb bie 5te 
Canzone. Das ?te Bud: 21 Sonette (9, 10, 21, 13, 
12, 22, 15, 23, 14, 16, 18, 24, 19, 6, 8, 1, 11, 17, 
25, 2, 3), fieben Ballaten (1, 2, 3, 4, 5, 6, 7) und 
zwei Canzonen (I und 17). Das 3te Bud umfaßt neun 
(7, 12, 5, 6, 11, 10, 20 (Seftine), 9, 8) und das date 
fed6 Canzonen (2, 3, 4, 13, 15, 14). Gin 10te8 Bud 
enthält Canzoni di autori incerti (die Canzone Nel tempo, 
che s’infiora e copre d'erba und neun von ben Canzo: 
nen, die Wilhelm von Monferrat Dante beilegt, naͤmuch 
die neunzehnte (alter Zählung), bie Ate bes Cino, bie 
Canzonen 16, 18, 22, 15, 20, 21 (alter Zählung), for 
dann unfre Canzone 19 und Canzone 17 (alter Zählung). 
Außerdem Canzone 23 (alter Zählung) Oimé lasso, quelle 
treccie bionde, und unfre Canzone 16. Endlich zwei 
Seſtinen mit denfelben Endwörtern, wie die Dante zuger 


*) Bol. über beide Ausgaben Gamba lc. p.244, Nr. 798, 
. 
2 


x 


hoͤrende. Das Ilte Bud bietet 31, von einem Dichter 
am einen andern gerichtete, Sonette. Unter biefen werden 
das Ate, Gte, 16te, 18te, 21fte und 29fte unfcem Dichter 
beigelegt. Won biefen find die beiden erften und das vor» 
legte bei und das 32fte, Ste und 34ſte. Die drei andern 
(Qual che voi siate, Non conoscendo, amico und Sa- 
vete giudicar) find, als vermuthlich unächt, aus ber ges 
gentärtigen Sammlung fortgelaffen. — Der Tert ift 
durchgängig fehr correct, und zu Dante8 Gedichten find 
am Schluffe zahleeihe Varianten gegeben. 

Die Giuntiner Sammlung ift 1532 in Venedig (Fo. 
Antonio e Fratelli ba Sabio) und 1727 in Slo 
renz (Duodez. Die Dedication ift: Afoto Aletino uns 
terfchrieben, und am Schluſſe feht: A spese di Elau- 
mene Loppagi, Nel mese di Agosto) nachgebrudt'). 

VIIL Die erfte Ausgabe der Vita nuova, welche 1576 
in Florenz bei Bartol. Sermartelli erſchien (Octav), 
hat alè Anhang 15 Canzonen (7, 2,:3, 4, 12, 5, 20, 
8, 9, 6, 13, 11, 14, 15, 10), mit furgen, vermuthlich 
einer Handſchrift entlehnten, Inhaltsangaben. Der Tert 
ift im Ganzen der des Giunta?). 

IX. Sanfovino’s Schrift: Venetia, città nobilis- 
sima, deser. in XIV libri, ift meines Wiffens zuerft 1581, 
Quart, erfhienen. Im Sten Buche derfelben wird unfer 
zweites Epigramm mitgetheilt. x 

X. Sacopo Corbinelli fügte feiner Pari 1595 
(andre Eremplare haben das Datum 1589, 90 oder 91°) 
erfchlenenen Ausgabe der Bella mano des Giusto de’ Conti 
eine: Raccolta di antiche rime di diversi Toscani, Ol- 


1) Ugl. überhaupt Gamba 1. c. p. 244, 45, Nr. 799—801, 
2) Gift mit unbegreiflich, wie der font fo genaue Gamba 
1. c. p. 134. Ne. 414. biefe Ganzonen mit Stillfägweigen über 
gehen, und dagegen fagen kann: contiene parecchi Sonetti di 
Dante, ed an di altri — a lui. In a Crema 
plaren, die ich befige, finde ich feine Spur von folchen Sonetten. 
2) Sambal. c. p. 116, 17. Nr. 369, 


XI 


tre a quelle dei X-libri (ndmlid) der Giuntinifchen Samm- 
tung) bei. Ich Hefige nur die beiden Wiederholungen: 
Firenze, Sutducct e Frandi 1715, Duodez, und Ve 
rona, Tumermani 1753, Quart*). Die zwei Vorre: 
den deg Corbinelli fehlen in ber erften diefer Ausgaben 
gänzlich; bie zweite gibt p. 365—77 eine Debication, 
und unter der Üeberfchrift Maeſtro Pagolo da Firenze 
cine Art Vorrede; vermutblic find diefe Stüce mit jenen 
beiden identiſch. Ueber die Quellen, aus denen GCorbinelli 
gefchöpft, findet ſich Feine weitere Auskunft, alè daß er 
unfre 18te Canzone, nebft den übrigen, von ihm Sen: 
nuccio dei Bene beigelegten, Gedichten, in Avignon 
von Bernardo del Bene (fpdter Vifhof von Nimes), 
der fie aus einem alten Manufcripte abgefchrieben, erhalten 
habe. Später fei ibm duch Sabolet eine andre Ab: 
fhrift aus Rom gefandt, in ber der Dichter Benucci 
genannt ſei. — Es enthält diefe Sammlung, die nur Un: 
gedrucktes zu geben beflimmt war, unter vielem Andern, 
unfre 18te Canzone, tvie gefagt, al8 dem Sennuccio 
del Bene zugehörig und, als von Cino herruͤhrend, die 
Canzone L'alta speranza, tvelche beide Wilhelm von Mon: 
ferrat ſchon unter Dante8 Namen gebrudt hatte. Ferner 
Sonett 27 und ganz am Schluffe (aus einer fehr alten 
Handfchrift von Dante's Canzonen und dem erften Theile 
von Petrarca's Sonetten) die Gte Strophe der Sten Can: 
gone und das Gte Sonett mit ber Ueberfchrift D’incerto, 
obgleich ſchon Giunta e8, als von Dante herruͤhrend, ger 
drudt hatte. 

Die erfte der genannten zwei Wiederholungen fügte 
ein Capitolo des Sannazar, tvie-e8 ſcheint aus einer 
von Corbinelli angefangenen Fortfegung biefer Raccolta, 
hinzu. Die Vorrede p. XVI. XVII gibt Vetichtigungen 
unfrer 18ten Canzone; bie Anmerkungen bes Salvini ee 
ſtrecken fid aber bloß über die bella mano felbft. 


3) Gamba L c. p. 117. Ne. 370, TI. 


XI 


Die Veronefer Ausgabe gibt im Anbange aus ber dis 
teften Ausgabe der Bella mano (1472) 24 Sonette des 
Giovanni Antonio Romanello; für unfern Zweck 
aber nichts Neues. 

XI. 1589 (Venezia, Imberti. Quart) gab Sau: 
flino Taffo die Rime des Cino dba Piftoja heraus. 
Unter biefen Gebichten find manche an Dante gerichtet, 
und tenigftens auf einige von diefen ift auch bie Antwort 
des legten erhalten. Taffo foheint mehre diefer Antworten 
mit abgebrudt zu haben. So namentlid die auf das 93fte 
Sonett bei Ciampi (vgl. diefen p. 312). Ich befige 
indef bie Zaffofche Ausgabe nicht und Ciampi gibt nur 
(p. 176) unfer 31ftes Sonett, alè Dante zugehörig. 

XII. Im Jahr 1661 erfchien unter folgendem Titel: 
Poeti antichi | raccotti da codici M. SS. | della Biblio- 
teca Vaticana, | e Barberina, | da Monsignor | Leone 
Allacci. | e da lui dedicati. | alla Accademia | della Fu- 
cina | della Nobile, et Esemplare Città | di Messina | In 
Napoli, per Sebastiano d’Alecci 1661 ber erfte Band 
einer beabfichtigten größeren Sammlung. Der gelehrte 
Chiote Leo Allatius ließ nämlic in feinem fpäteren Als 
ter aus den Handfehriften des Vaticang und der roͤmiſchen 
Familien Ghigi und Barbarini durd) feine Amanuen⸗ 
fen die ungebruditen Poefien von 360 alten Dichtern buch— 
ſtaͤblich abfchreiben. Die Gedichte der Sicilianer wurden 
aud dann aufgenommen, wenn fie bereits gedruckt waren. 
Ein Viertheil diefer Sammlung, alfo was von 90 Poeten 
gefammelt war, fandte er vorläufig an die Accademia della 
Gucina in Meffina zu weiterer Bearbeitung und bemndd= 
fligen Abbrud. Biographifche Notizen wollte er felber mit⸗ 
theilen. Die Akademiker Übertrugen die Beforgung Einem 
aus ihrer Mitte, dem fonft wohl unterrichteten Grafen 
Giovanni Ventimiglia (Accademico Occulto), ber 
fi indeß begniigte, bie von Allatius veranftalteten Abs 
ſchriften druden zu laffen, wobei ber Setzer zahlreiche 
Drudfehler hinzuthat. Aliacci batte nur für elf Dichter 





XII 


Biographien geliefert. Da der Abbrud buchſtaͤblich den 
Tert der Handfchriften mit allen ihren Soldcismen befolgt, 
fo ift er ziemlich ungeniefbar; doch ift darum der Vorwurf 
nod) nicht gegriindet, daß Allatius biefe Gedichte aus Un: 
Fenntnif der italtenifhen Sprache entftellt habe. Was aber 
aud der Grund fein möge: bie Übrigen drei Viertheile der 
Sammlung find leider nie erfchienen. — P. 291—93 fins 
den fi) drei, Dante zugefchriebene Sonette, unfer 4tes, 
das 21ffe Sonett des Cino von Pif. nah Ciampi” 
Ausgabe (p. 43) und unfer 20fte8*). 

XI. In den Anmerkungen zu feinem Bacco in Tos- 
cana (zum erften Mal 1685. Sd benuge bie Ausgabe 
der Werke. Venezia 1712, T. II) theilt Redi (p. 153 
und 165) aus ihm zugehörigen Hanbſchriften ein Dante 
augefdhriebene8 Sonetto rinterzato: Quando il consiglio 
degli augei si tenne (in den gewöhnlichen Ausgaben Bal: 
late 7) und bie ſechs Anfangszeilen eines 16zeiligen So— 
netts (Iacopo, io fui nelle nevicate alpi) mit. In dem 
vor einigen Jahren in Florenz wieberaufgefundenen Redi- 
ſchen Coder der rime antiche habe id) diefe Gedichte nicht 
entbedten koͤnnen. 

XIV.. Gregcimbeni publiciete Cobne Angabe ber 
Quelle) in feiner Istoria della volgar poesia (I. 355 der 
Ausgabe von 1731), welche zuerft 1698, und dann ums 
gearbeitet 1702—11 und nochmals 1714 erfhien, unfer 
3tes Epigramm. 

XV. Im Jahre 1706 entiehnte ‘Muratori in fe: 
ner Perfetta poesia (Venezianer Oetavausgabe 1795, 1. 
p. 18) aus einer Ambrofianifhen Handſchrift (in Mais 
land) unfer Ttes Sonett, und gab babei zugleich Nach— 
richt von nod) mehren, in diefem Manuferipte Dante bei: 
gelegten, Gedichten. 

XVI. 1731 erſchien in Venedig bei Criſtof. Bane 
cine neue Bearbeitung von ber Giuntiner Sammlung ber 


*) Bgl. Gamba |. o. p 246. Nr. 804. 


XIV 


Rime antiche. Dante find bier fünf Bücher zugetheitt. 
Das erffe gibt die Gedichte der vita nuova, in berfelben 
Ordnung, wie fie dieſem Büchlein eingereiht find. Die 
Sonetti rinterzati werben babei ausdrädtich al8 ſolche bes 
zeichnet. Das zweite Bud entfpricht dem zweiten bei 
Giunta, jebod in andrer Orbnung; es beginnt naͤmlich 
mit Ballate 1. Dann folgen Son. 9, 10, 21, 13, 12, 
22, Bal. 2, 3, Son. 15, 23, 14, 16, 18, 24, Ball 
4, 5, Son. 19, 6, 8, 1, 11, 17, Ball 6, 7, Son. 25, 
2, 3, Canz. 1 und 17. Das britte und vierte Bud ſtim⸗ 
men mit den Giuntinifchen vdllig überein, nur ift in der 
fünften Canzone die fedifte Strophe aus Corbinelli nach 
getragen. Das fünfte Bud) ift im Vergleih mit Giunta 
neu, und folgendermaßen zufammengefegt: Son. 27 nad 
Gorbinelli, Son. 7 nad Muratori, bag von Redi heraus: 
gegebene Sonetto rinterzato, Son. 4 und Son. 20 nad 
lacci. Nun folgen die von Wilhelm von Monferrat 
Dante beigelegten Canzonen (mit Ausnahme ber beiden, 
ſchon oben als Cino zugehörend bezeichneten) in ber gleis 
hen Ordnung, wie bei jenem (im Ganzen neun). Hier—⸗ 
bei hat ſich aber ein folgenreiches Verfeben eingefchlihen: 
Während der Herausgeber in der Vorrede erklärt, er habe 
auf die Autorität von Hanbfchriften, ober ber Monferra> 
tifhen und Giuntinifhen Ausgabe manche Gedichte, bie 
Pit dem Cino, ober Andre Andren beilegten, mit Dans 
tes Namen bezeichnet, und als Beifpiel unfre 18te Cans 
zone nennt, welche Corbinelli bem Sennuccio zufchreibe, 
findet fid im Terte diefe Canzone uͤberall nicht, ftatt ihrer 
aber am Schluffe die bei Giunta im zehnten Buch alè 
unbeftimmt gebrudte, Canzone: Oimé lasso, quelle 
treccie bionde, bie ſich weber bei Monferrat, noch, meines 
Wiffens, fonft irgendivo unter Dante8 Namen finde. — 
Den Beſchluß madt Cpigramm 1 nad) Crescimbeni. 
Der Sonettenbriefwechſel im zwoͤlften Bud iſt nicht bes 
reichert worden. Der Tert ift nicht allzu correct, die Vas 


xv 


tianten bei Giunta find tweggelaffen, am Rande aber ift 
angegeben, Wem bie einzelnen Gedichte nad andern Nu: 
toritäten beigelegt werben. 

XVII. Mit bem Jahr 1741 beginnen die Pasquas 
liſchen (Venedig, Oct., wieberholt 1751 und 1793) und 
mit 1758 bie mit jenen im Wefentlichen übereinftimmen- 
den Zatt aſchen (Venedig, Quatt, wiederholt 1760 und 
1772, beide Male in DOctav) Ausgaben ber Opere minori 
unfres Dichters, in benen bie rime ben legten Play einneh⸗ 
men. Die Gedichte der vita nuova find weggelaffen. Den 
Anfang machen die 21 Sonette des zweiten Buches bei 
«Giunta. Dann folgen bie vier von Bane in das fünfte 
Buch aufgenommenen Sonette. Hierauf Ball. 2—7 des 
Giunta und Redi's Sonetto rinterzato, welches Ballata 
VII genannt wird. Sobann die Seftine (Canz 20), 
Ball. 1 (als Ganz. 1), Ganz. 1 und 17. Nun erft kom⸗ 
men die Canzonen des britten und vierten Buches von 
Giunta, im Ganzen in der gleichen Ordnung, jedoch mit 
folgenden Mobificationen. Zuvoͤrderſt ift die Seftina an 
dem Plage, den fie bei Giunta einnimmt, natuͤrlich regge: 
laffen. Sodann werben auch bie drei Canzonen deg Con- 
vito fibergangen. Hierauf folgen die neun Canzonen, bie 
Bane in fein fünftes Buch genommen, an deren legte ſich, 
gleich einer Schlußftrophe, verfebrter Meife das erwähnte 
Epigramm reiht. Den Beſchluß machen bie Dante juge: 
fchriebenen, ober ibn betreffenden Sonette des Briefwechfels. 

Diefe, toie gezeigt ift, ohne alle eigene Forſchungen, une 
kritiſch compilitte Sammlung, ift, mit wenig Ausnahmen, 
die, im Weſentlichen alleinige, Grundlage aller fpäteren 
Ausgaben von Dante's lyriſchen Gedichten geworben, wie 
ſich im Einzelnen noch weiter ergeben wird. 

XVII. Im Jahr 1752 gab Lami im 13ten Bande 
der Deliciae Eruditorum, ber die Geſchichte des Bofone 
da Gubbio enthält p. 118, vermuthlich aus berfelben 
vecchia cartapecora legata in libro E nel publico Archi- 


XVI 


vio Armanni di Gubbio, auf bie” ſich fpäter Dionifi') 
beruft, das 33ffe Sonett, an Bofone novello, heraus. 

XIX. Andrea Rubbi publiciete 1784—91 (Vee 
nezia, Batta, kl. Oct.) einen Parnasso italiano in 56 
Bänden. In dem, Lirici antichi betitelten, fechften Bande 
gibt er aus der Vita nuova Ganz. 4. und Son. 24. Au: 
ferbem, obne Angabe ber Quelle, unter ber Ueberſchrift: 
Sonetto inedito unfer Son. 26. 

XX. Das vorhin erwähnte fünfte Heft von Dio: 
nifi’8 Aneddoti erfchlen 1790. Hierin brudte der Der 
ausgeber p. 27—42 unfre 16te Canzone aus einer Hand» 
ſchrift, die ibm Bandini geſchenkt hatte, tie e8 ſcheint 
in bem Glauben, Unedirtes zu geben?). 

XXI. Keil (Chemnig, Maude, Octav) und Bet: 
toni (Brescia, Duodez) publicirten beibe im Jahr 1810 
Sammlungen ber Iprifchen Gedichte; Iener als Anhang 
feiner Ausgabe der vita nuova, Diefer am Ende feines 
Nachdruckes von Dionifi’s 1795 bei Bodoni etfchienes 
ner Ausgabe der göttlichen Komödie. Der erfte bat Son. 
26 aus Rubbi aufgenommen, und ben Canzonen, wie fie 
bei Batta ftehen, noch die zum Convito gehörenden ange 
hängt, ſodaß er im Ganzen 26 zählt. Aud find bie 
Vufpfalmen und das Credo beigegeben. Dann folgt der 
Sonettenbriefwechfel, an deffen Schluß Son. 33 aus ben 
Del. Eruditorum Hinzugefügt if. Die Ueberſchrift über 
dem Dogenftubi ift aus Sanfovino, und felbft bie Grab: 
ſchrift des Markgraf Diezmann von Meifen aus Gla= 
fen mitgetbeitt Den Beſchluß machen Iehrreihe Anmers 


1) Aneddoto V, p. 82-85. 

2) De Romanis führt: XX eine Ausgabe ber göttlichen 
Komödie von Romualdo Botti, London, 1807. Duod. an, in 
deren Aten Bande bie rime mit kurgen Anmerkungen bed Her⸗ 
ausgebers ftehen. Genaueres weiß id) nicht über fie anzugeben. 
Auferdem fenne ich cine 2te Ausgabe von 1819 u. 20, in 3 
rt welche jedoch nur bie Ifte u. Ate Ganzone der Val n. 
enthält, 


XVII 


tungen, in welde namentlich die Varianten des Giunta 
aufgenommen find. 

XXU. Bon der Vrescianer Ausgabe follte man, bei 
dem Einfluß, den Dionifi auf fie gehabt hat, Beſſeres 
erwarten, ais fie leiftet. Dem Zatta’fchen Terte, ber uns 
verändert beibehalten worden, find zuerft die Bußpfalmen 
und bag Credo, fobann die Epigramme 1 und 2, jenes 
aus einer Niccarbifchen Handſchrift, dieſes aus Sanfovino, 
und endlich unfre 16te Canzone hinzugefügt. Sonett 33 
fehlt, obgleich Dionifi auf daffelbe bedeutendes Gewicht 
legte. Für die Berichtigung bes Textes ſcheint wenig, oder 
nichts gethan zu fein; lebrreid) find aber einige, ungeord⸗ 
met beigegebene , aphoriftifche Bemerkungen von Dionifi. 

XXIII In dem l4ten big 16ten Bande der Opus- 
coli scientifici e letterarj (toren; 1812) gab der Abate 
Luigi Fiacchi eine Anzahl, von ibm für ungedrudt ges 
haltener, Gedichte alter itafienifcher Lyrifer aus Handfchrifz 
ten, welche theil von Aleffandri, bem Ubte der Flos 
ventiner Babla berftammten, 'theils ber Familie Feroni 
zugehörten, heraus. Im felben Jahre erfhienen dieſe 
Stüde zufammengedrudt unter bem Titel: Scelta di Rime 
antiche, Dante werben bier fieben Sonette und zwei 
Ballaten zugeſchrieben. Bon den erften find fünf (ale 
Son. 31, 35, 38—40) in die gegenwärtige Sammlung 
aufgenommen; doch war Son. 31 in den Ausgaben von 
Cino's Gedichten längft unter Dante's Namen gebrudt. 
Son. 38 und 39 dagegen hatte Allacci (p. 54, 55) als 
von Antonio Pucci herrühtend ebirt. Won den beiden 
übrigen war bag eine als ein Gedicht des Toscaniſchen 
Barbiers VBurdiello (erfte Hälfte des 15ten Fabebuns 
derté) gleichfalls laͤngſt befannt*). Das andre, weiches 
mit den Worten: Chi udisse tossir la mal fatata beginnt, 
erwähnt denfelben Bicci Forefe, von dem das vorige 


*) Sonetti di Burchiello, del Bellincioni ecc. London 
(Lucca e Pisa) 1757, p. 990. 


XVII 


handelt. Die beiben VBallaten find die achte umb neunte 
der gegenwärtigen Sammlung. Legtere jedoch in einer 
andern Geftalt, alè in ber fie hier geboten wird. 

XXIV. Die im Jahr 1817 erfchinene Palermis 
taner Sammlung: Raccolta di Rime antiche Tos- 
cane (4 Bände, Hein Quart") beginnt im zweiten Bande 
mit den 23 Sonetten ber Vita nuova (die beiden Sonetti 
rinterzati find ausgefchloffen). Dann folgen 25 Sonette 
wie bei Zatta, am’ welche fich noch andre 6, bie in dem 
Sonettenbriefwechfel Dante zugefehrieben werben, und uns 
fee Sonett 33 reihen. So ift die Zahl im Ganzen auf 
55 geftiegen. Hierauf folgen die zwei „Sonetti doppj“ 
der Vita nuova (2 und 4). Der Ballaten find acht: die 
erſte aus der Vita nuova, die übrigen nad) Satta. So— 
dann werden gegeben: bie Sefline, und unter acht Num 
mern die fünf Canzonen ber Vita nuova und bie drei des 
Convito. Ballate 1 heißt Canzone 9, und nun folgen 
big Nr. 31 die Canzonen ganz tie bei Fatta. An deren 
Schluſſe ftehen die drei Epigramme als „Quadernarj“. Zu⸗ 
legt endlich kommen die Bufpfalme und ber Glaube. 

XXV. Der bei Andreola (Venedig, Duodez) ge 

brudite Parnaso Italiano Liefert im fechften Bande (1820) 
zuerſt die 25 Sonette der Zatta’fhen Sammlung. 
Ganz. 2, Ball. 1, Ganz. 1 und in ber feltfamften Un» 
ordnung Ganz. 7, 12, 5 (ohne die Stanze des Corbinelli), 
11, 10, 9, 15, 14, bie 19te und 23fte der bei Batta 
u. f. mw. Dante beigelegten Canzonen (legtere mit Epige. 1 
als Schlußftrophe) und Ganz. 4. Endlich Ball. 2, 3, 5, 
Redi's Sonetto rinterzato, die Seftine und bie Bußpfalme 
(ohne den Glauben) ?). 


1) Sambal, c. p. 247. Ne, 809, 

2) Nach) einer, durch den nun auch verftorbenen trefflichen 
Gamba mir mitgeteilten Notiz hat Salo. Betti im Julis 
und Octoberheft der zömiichen Arcadia v. 1822 unfre Ball. 3, 
Son, 13 und „ein Dante zugefchriebenes Sonett” aus bem Co- 


XIX 


XXVI. Als Fortfegung feines Abdrudes der, Boc⸗ 
caccio zugefehriebenen, Vaticanifchen Handſchrift der göttlichen 
Komödie (Nr. 3199) gab der Graf Fantoni 1823 in 
Rovetta, Hein Quart, aud) die lyriſchen Gedichte heraus. 
Bis p. 86 find Inhalt und Ordnung ganz wie bei Fatta. 
Dann folgen Son. 33 und Gpigr. 1, 2, Canz. 16 und 
die drei Canzonen des Convito, Den Beſchluß macht die 
Ganzone Non spero che giammai per mia salute, melde 
auf Autorität einer Parifer Handſchrift (Nr. 7767) Dante 
beigelegt wird. Daffelbe Manufeript wird im Inhaltsvers 
zeichniffe noch bei den drei Canzonen bes Convito citirt, 
und bei der dritten derfelben noch auferdem ein Codex 
Vindobon. Palat. 184 Philol. In ber That fcheint es, 
daß biefe vier Gedichte, mit Beibehaltung der alten Dr: 
thographie nad) Handfchriften abgedrude find. Die Mehr: 
zahl der abweichenden Lesarten ift indeß entweder entfchie- 
den verwerflich, oder unbedeutend. 

XXVII. Nad den Rathſchlaͤgen Perticari’s und 
mit befondrer Beihülfe Arrivabene”8 gab in demfelben 
Jahre Caranenti zu Mantua (Duodez) unter dem Ti 
tel: Amori e rime di Dante Alighieri eine Sammlung 
der lyriſchen Gedichte heraus, der Arrwabene's Schrift: 
Gli amori di Dante e Beatrice vorausgeſchickt if. Die 
erften fünf Bücher ſtimmen genau mit Zane’s Bearbeitung 
der Giuntina überein”); body ift das Epige. 3 am Schluß 
der Canzone Oimé lasso, weggelaffen. Das fechfte Buch 
if in folgender Weife zufammengefegt: Ganz. 16, die feche, 
Dante zugefchriebenen, Sonette aus dem Briefwechſei, die 
zwei Ballaten und fieben Sonette, die Fiacchi unter Dans 
tes Namen herausgegeben, und unfer 36fte8 und 37 ſtes 


dex Vatican. 3214. abbruden laffenz doch weiß ich nicht, ob 
das legte unedirt war. 

*) Unter ben Gebichten ber vita n. heißen bie beiden Sonetti 
rinterzati Ballaten; die unvollendete Ite Ganzone aber wird 
Sonett genannt. 


Xx 


Sonett, welhe Perticari, ich weiß nicht anzugeben, in 
welchem Jahre, aus einer Pefarefer Handfchrift im Poli: 
grafo bekannt gemacht batte. Zwiſchen biefen beiden fleht 
noch bas Sonett an Bofone ba Gubbio. So bringt diefe 
Ausgabe die Gefammtzahl der Canzonen auf 29, bie der 
Sonette auf 65. Die Epigramme fehlen ganz. 

XXVIII. Die Opere poetiche di D. Al. con note di 
diversi, per diligenza e studio di Ant. Buttura. Parigi 
Lefevre 1823 Oct. beginnen mit ben Gebichten der Vita 
muova. Dann folgen die Canzonen des Convito, und als 
Rime diverse in ganz willkuͤrücher Ordnung Son. 9, 20, 
Ball. 7, Son. 13, 10, 12, 15, 23, 16, 18, 24, 19, 1, 
11, 17, 2, 3, 34, 32, 5, Ball. 2, 3, 4, 6, Canz. 20 
(Seftine), Ball. 1 (als Canzone), Ganz. 1, 17, 7 und 
fo fort wie bei Batta big zu unfrer Canz. 14, Son. 21, 
29, 14, 25, 27, 7, 6, 4, Ball. 5, Rebîg Son. rinterz., 
die 9te Canz. aus Zane's fünftem Bud, Son. 33, und 
die 3 Epigramme. Für den Tert ift fo gut als nichts 
gethan. Die Anmerkungen find nicht gerade bedeutend. 

XXIX. Eine Handſchrift der Stadebibliothe zu Pes 
rugia (Nr. 186) enthält die Son. 28 und 29 der ge 
gentodetigen Sammlung, welche der Profeffor Bermis 
gltoli herausgegeben bat. Wo biefe Gedichte zuerft ges 
druckt find, weiß ich nicht mit Sicherheit anzugeben. Vor 
mie liegt ein Vlertelfedezbogen mit dem Titel: Due So- 
netti inediti di D. Al., tratti dal cod. CLXXXVI della 
bibliot. pubbl. di Perugia. Ridotti a migliore lezione. 
Auf der legten Seite ſteht: Perugia 1824. Tipogr. di 
Franc. Baduel. Presso i socj Bartelli e Costantini. 
Sn der Dedication an bie befannte, fribverftorbene Graͤ⸗ 
fin Anna di Serego Alighieri, nata da Schio, mit 
deren Tobe, am 15. Juni 1829, der Name unfres Didi: 
ter8 erlofhen ift, heißt e8: fermo nella intenzione di 
pubblicarli ( naͤmlich jene zwei Sonette) non potea cer- 
tamente incontrarmi in una occasione più lieta l’anno 
scorso in Venezia, onde farne al suo merito devota e 


XXI 


’ 
sincerissima offerta. Hieraus fcheint ſich zu ergeben, daß 
die beiden Sonette fhon 1823 publicirt worden feien. 
Wieder abgebrudt wurden fie unter Anderm in Ing hi— 
rami Opuscoli letterarj e scientifici III, 478—80. Nad 
einer Abforift aus dem Manuferipte, die ih Herm Dr. 
Heyſe verdante, ift der Abbrud keinesweges buchſtaͤblich, 
und die Lesart an mehren Stellen mindeftens zweifelhaft. 

XXX. Der Abate Rigoli, Bibliothekar der Riccars 
biana, gab in feinem Saggio di rime di diversi buoni 
autori, che fiorirono dal XIV. fino al XVIII. sec. Firenze, 
Ronchi (groß Octav) *) bag Credo aus ber Handfchrift 
Ne. 1011 der genannten Bibliothef, womit er die Manu: 
feripte Ne. 1017, 1132, 1154, 1691, 2055, 2760 unb 
mod) 5 andre verglid) (f. unten p. 212 und 13). Außers 
dem das Sonett: Alessandro lasciò la signoria, bag bei 
Ailacci p. 192 unter dem Namen des Buto Meffo 
gedrudt ift, aus den Manuferipten 931 und 1088 derſel⸗ 
ben Bibliothek. 

XXXI, In der erften Ausgabe ber gegenwärs 
tigen Sammlung, welde 1826 erſchien, wurden bie 
Canzonen, die durch Zane Aufnahme gefunden, ausge 
ſchloſſen. So blieben von den 31 Caranenti's, naͤchſt der 
erften Canzone (Morte) nur die 16, bie bei Giunta im 
Sten und Aten Buche ftehen, zu denen indeß die von Dios 
nift herausgegebene (O patria) hinzugefügt ward. Um die 
von Giov. Villani angegebene Zahl von zwanzig Can: 
gonen (vgl. Vorrede S. VII) zu erreichen, wurden auf 
bandfchriftliche Autoritäten bie beiden Canzonen: L'alta 

che mi reca Amore und Io non posso celar * 
lo mia dolore aufgenommen, von denen bie erfte ſchon 
feit With. v. Monferrat, mitten unter den Apokryphen, 
Dante beigelegt war, bie zweite aber zum erften Mat unter 
dem Namen des Dichters gebrudt ward. Das Gedicht: 
Fresca rosa novella wurde zu ben Ballaten gezählt; dann 


*) Gamba Lc, p. 247. Ne, 810. 


XXH 


folgten‘ bie ſechs übrigen Ballaten des Giunta, und, unter 
Hinmweglaffung des Redi'ſchen Sonetto rinterzato, bie beis 
den von Fichi publicieten. Won ben Sonetten wur⸗ 
den nur die vierzig aufgenommen, welche in ber gegen= 
wärtigen Sammlung bie erften find; unter biefen warb 
Son. 30 nad) handſchriftlichen Zeugniffen zum erften Mat 
mit Dante6 Namen gebrudt. Den Beſchluß madten bie 
drei Epigramme. Eigenthuͤmlich war bie, auch jegt beibes 
baltene, Anordnung. 

XXXII Rod, in bemfelben Jahre gab id, im Sep- 
temberbeft der Florentiner Anthologie, wie Wigem 
v. Monferrat ſchon laͤngſt gethan, und Bane pu thun bes 
abfichtigt batte, die Canzone: Posciach’ i’ ho perduta ogni 
speranza (18) aus ber Venetianer Handſchrift San Marco 
Ne. 191 unter Dante8 Namen heraus. Sn den beige 
fügten Noten theilte ih, zur Erläuterung, aus einem neu 
acquirirten Manufcripte berfelben Bibliothek die beiden So— 
nette: Tornato è ’l sol, che la mia mente alberga und 
Preziosa virtü, cui forte vibra, und Bruchſtuͤcke der bei: 
den andern: Io veggio bene ormai, che tua podesta 
unb Se lagrime, dolor, pianti e martirj (50), fowie fer 
ner auß bem Codex 137 dafelbft zwei Sragmente ber Can: 
gone: Alcides veggio d’in sul seggio a terra, unb enbe 
lid) aus Codex 63 und 191 ein Fragment ber Canzone: 
Virtà, che’l ciel menasti a sì bel punto, mit. 

XXXII, Im Anzeigeblatt des 42ffen Bandes ber 
Wiener Jahrbücher (1828) gab ich aus der Ambros 
fianer Handſchrift in Mailand, O. 63. supra, die id) nach 
Muratori 8 Nachrichten wieder aufgefunden hatte, vier 
zehn, dort Dante zugefchriebene, Sonette heraus. 
andre, melde das Manuſcript ebenfo bezeichnet, blieben ande 
geſchloſſen, weil fie unter dem Namen des Cino von 
Piftoja (Son. 21, 26 und 60 bei Ciampi p. 43, 50 
und 103), bes Guittone von Arezzo (Nr. 223. 
p. 224 im 2ten Bande der Valerianifchen Ausgabe, 
Florenz 1828) und bes Cecco Angelieri von Siena 


XXIII 


(Altacci p. 196. Palermitaner Samml. II. 154) ſchon 
gebrude waren. Auch unter jenen 14 mußten ſich indefi 
bei genauerer Betrachtung zwei (darunter eines, beffen 
Schlußzeilen Muratori angeführt hatte) als demfelben 
Cecco Angelieri, zwei andre alè bem Cino von 
Piftoja und eines ale dem Giovanni Quirino ge 
hoͤrend, ergeben. Ein fechftes war in der Handfchrift fo 
entftelit, daß e8 alles Verſtaͤndniß ausſchloß. Aud ein 
fiebentes, deffen Inhalt Muratori ruͤhmend mitgetheilt hatte, 
erfchien des Dichters unwuͤrdig. So biieben nur fieben 
Sonette, von benen id) glaubte, daf fie mit einiger Wahrs 
ſcheinlichkeit dem Dichter zugefchrieben werben koͤnnten, und 
diefe fioben find in der gegenwärtigen Sammlung Nr. 41—47. 

XXXIV. Ebenfalls im Jahre 1828 erſchien in Mai 
land bei Bettoni, al vierted Heft der Libreria econo- 
mica, ein Sebezbdndcien: Rime di Dante Alighieri, Si 
aggiungono le rime di Guido Guinicelli e di Guido 
Cavalcanti. In den erften 5 Büchern ift die Anordnung 
genau diefelbe, wie bei Garanenti, body wird die 3te Gans 
gone ber Vita nuova richtig als folche bezeichnet. Im 
Sen Bude flimmen bie 3 erften Sthicke mit Caranenti 
fiberein. Dann find die 4 übrigen Sonette des Briefwech-⸗ 
fels, barumter auch unfer 34ftes, weggelaffen. Hierauf fol: 
gen das 3te Epigramm, und die von Fiacchi publicirten 
Stile, mit Ausnahme unfrer ten Ballate. Den Be 
ſchluß machen die beiden Sonette aus dem Poligrafo, zwi: 
ſchen welche nicht nur das an Bofone da Gubbio, ſondern 
auch das von Rubbi herausgegebene cingefchoben find. Der 
Tert ift mehrfach berichtigt, namentlich ber der Canzonen 
des Convito nad) der Mailänder Ausgabe bdiefe Buches 
(1826) und der ber Canzone: Io miro i crespi nad) bands 
ſchriftlichen, von der Wittwe mitgetheilten Verbefferungen 
Perticari's *). 


*) Fraticelli Poesie di Dante p. IX. führt: KXXV. eine 
mie unbefannte Ausgabe der di Dante (Bloreng, Giass 


XXIV 


XXXVI. Die materiell vollftänbigfte unter allen Samm⸗ 
tungen ift jedenfalls bie im Jahre 1834 bei Allegrini und 
Mazzoni (Florenz, Duodez) unter dem Titel: Poesie di 
Dante Alighieri, precedute da un discorso intorno alla 
loro legittimità von P. I. Fraticelli herausgegebene *). 
Fuͤr Interpretation und Kritik ift mindeftens in keiner an: 
dern italtenifchen Schrift mehr und Vefferes geleiftet. Schon 
die Anordnung ift indeß weit mehr ein Werk bes Zufalles, 
als eines felbfländigen Planes. Den Anfang machen die 
Ganzonen der Vita nuova, von denen jeboch die Ste und 
Ste willkuͤrlich ausgefchloffen find. Hierauf folgen Ganz. 16 
und 1 und demndobft die 12 ferneren Canzonen wie bei 
Batta. Bon ben hieran ſich anreihenden Apotryphen, bie 
Bane aus With. v. Monferrat entlehnt, find die beiden: 
Giovane donna und To non pensava ausgelaffen; dafür 
aber bie von Fantoni unter Dante's Namen abgebrudte 
Cino ſche Canzone eingerüct. Nun erft Eommen bie 3 
Ganzonen des Convito und alsbann bie eben ausgelaffenen 
beiden. Hierauf folgen die Seftine und die 3 Epigramme, 
die Mabdrigale genannt werden. Unter ben Ballaten ter: 
den Son. 2 und 4 ber Vita nuova an die Spige geftelt. 
An fie ſchließen ſich die Ballate und bie Ste Canzone ber 
Vita nuova, die ebenfalls Ballate heißt. Nun erft folgen 
die übrigen Ballaten in nachftebender Orbnung: 3, 2, 5, 
1, 4, 6, 7, Rebi'& Sonetto rinterzato, 8 und 9. Legtere 
ſteht im Terte in der Geftalt, in welcher Fiocchi fie ge 
geben; in der Einleitung p. CCLXIV, fo berichtigt, wie ich 
fie in den Wiener Jahrbüchern publicirt hatte. Unter den 


detti, 5 Bände, Octav) an. Der vierte Band enthalte die 
ivriſchen Gedichte, nämlich 30 Ganzonen, 67 Sonette, 14 Balla: 
ten, 3 Mabrigale (Epigr.) und bie Rime sacre (Bußpfalme 
und Credo). us Unachtfamkeit feien indeß unfere Ganz. 16 
und Vall. 1 an zwei Stellen zweimal abgebrudt. Vgl. Gamba 
Lc. p. 133. Str. 410, 

*) Der Discorso fann nad) bem Datum eines Briefed p. CALVI 
ext 1835 gefcheieben fein. 


XXV 


Sonetten ftehen zuerft die der Vita nuova, zu denen auch 
das Fragment der Canz. 3 gezählt ift. Dann folgen die 
übrigen in nachftehender Orbnung: 31, 21, 22, 23, 14, 
16, 18, 24, 19, 17, 25, 30, 9, 10, 13, 12, 15, 6, 8, 
1, 11, 2, 3, 7, 4, 20. Die 6 Sonette aus dem poeti: 
Then Briefwechſel (darunter 32, 5, 34) Son. 35 und die 
andern 5 von Fiachi unter Dante s Namen herausgegebenen 
Sonette, wie bei Enranenti. Sodann, ebenfalls wie bei 
Diefem, die 2 Sonette aus dem Poligrafo und zwifchen 
ihmen das an Bofone da Gubbio. Den Beſchluß machen 
das Sonett bes Buto Meffo, das Rigoli unter Dante's 
Namen gedrudt, Son. 27 aus Corbinelli, die beiden von 
Vermiglioli ebirten Sonette, und 11 von den 14 Sonetten, 
die ich in ben Wiener Jahrbuͤchern herausgegeben, darunter 
felbft die drei, als deren Verfaffer ich Cecco Angelieri und 
Giovanni Quirino nadygemiefen habe. Hierauf folgen die 
Vufpfalme, bag Credo und ber lateinifche Briefmechfel mit 
Sobannes de Virgilio, legterer mit ber italienifchen 
Ueberfegung des Grafen Francesco Perfoni. Ganz 
zuletzt ſtehen unter der Ueberſchrift: Altre poesie di D. Al. 
‚zwei Seftinen mit gleichen Endworten, wie die unfers Did: 
ters, welche Giunta ohne Namen herausgegeben. Ferner 
ein Sonett des Dante ba Majano: Lo vestro fermo dir 
fino ed horrato, bag Giunta durd) einen offenbaren Drud- 
fehler (ben die fpäteren Abdruͤcke der Rime antiche ftill: 
ſchweigend verbeffert haben) Dante Al. beilegt. Sodann 
das Sonett aus Rubbi's Parnaso (26); noch eines ber 
Sonette, die id) in den Wiener Jahrbuͤchern aus der Am: 
brofianifdyen, und zweie, die id in der Antologia aus der 
Marcianifchen Handfchrift herausgegeben, und endlich (als 
Son. 86) bag Sonett bed Cino, das Allacci Dante zus 
ſchreibt. Hierauf folgen: die eine der beiden Canzonen Cin 0'8, 
die Wilh. v. Monfercat Dante beilegt (L’alta virtù, che 
si ritrarse al cielo), und unfte Ganz. 18. Den Beſchluß 
machen das Fragment eines Sonettes, das Redi, und drei 
von den Fragmenten, die ich (in der Antologia) mitgetheilt 
Dante, Epeifge Gebigte. IL 


- 


XXVI 
hatte. Die drei Übrigen haben p. CCCXXXVII in den 
Anmerkungen einen Plag gefunden. 

P. XXI der Einleitung fagt der "Herausgeber, daß er 
beabfichtigt habe, alle Gedichte, die je unter Dante's Nas 
men gedruckt worden feien, zufammenzuftellen; dies ift ine 
def nur unvoliftindig geſchehen. Es fehlen nämlich bie 
Canzone: Quand’ io pur veggio, melde von With. v. 
Monferrat, bag Sonett: Degno farvi trovar ogni tesoro, 
das von Fauftino Taffo, und die Canzone: Jo non posso celar 
lo mio dolore, die von mir unter Dante8 Namen ge 
druckt ift; mobei ich der Eleineren Fragmente nod) nicht ge 
denke, die Triffino, die Crusca und Ubaldini aus 
Gedichten mittheilen, welche ihrer Angabe nach von Dante 
herruͤhten. 

Die Ordnung anlangend, erklaͤrt Fraticelli gleichfalls 
in der Einleitung p.XXI, daß es am zweckmaͤßigſten ge 
mefen fein wuͤrde, biefe Gedichte in drei Abfchnitte zu ver: 
theilen: in folche, die entfchieden Dante angehören, folhe, 
deren Urfprung zweifelhaft if, und endlich ſolche, die ent: 
ſchieden undebt find. Es wäre nun mot zu wuͤnſchen ges 
weſen, daß Fraticelli diefe Forfhungen, über deren Ergeb: 
nif drei Regifter p. COCXLVII ff. cine Ueberſicht geben 
folten, nicht erfi begonnen hätte, als, mie er felbft ber 
richtet, der Abbrud fon bedeutend vorgefdritten 
war. Wenn er aber auch jegt fhon ausgeführt hätte, was 
er fi) auf eine zweite Ausgabe verfparen will, fo duͤrfte 
nicht. nur unangemeffen fein, einer Abtheilung von Dante? 
Gedichten diejenigen zuzumeifen, bie unzweifelhaft nicht 
von Dante herrühten, fondern bie eigentliche Aufgabe deb 
Ordners erft darin befteben, für die wirklich Achten Ge 
dichte eine angemeffene Reihenfolge zu ermitteln. 
Wie übrigens die feltfame Ordnung, ober vielmehr Unord: 
nung der, vorläufig allein vorliegenden, erften Ausgabe ent: 
fanden fei, daruͤber ſchweigt der Herausgeber, und es ift 
mir nicht gelungen, ein’ Princip zu entbedfen, bas ibn, im 
Gegenſatz gegen feine Vorgänger, geleitet Hätte. 





XXVII 


Die Pröfung der Aechtheit der Dante beigelegten Ges 
dichte erfcheint ganz vorzugsweife ale die Aufgabe des 
langen Discorso preliminare. Der Herausgeber war im 
Stande, an feinem Wohnorte Hülfsmittel zu benugen, wie 
fie fonft nirgends ſich beifammen finden. Die Laurentias 
ner, die Riccardianer, die Magliabecchianer und Palatinis 
ſche Vibliothe in Florenz bieten einen außerorbentlichen 
Reichtum von Handfcriften altitalienifcher Lyrifer (vgl. 
p. XVII und 339 sq.). Außerdem waren dem Leraus: 
geber (p. CLVHI) noch die Handfchriften ber Familie Mars 
telli, bes Marcheſe Bernaccin und ein Coder der öffents 
lichen Bibliothek in Siena (p. CCLIV) zugänglich. Leider 
find diefe Hülfsmittel nicht in bem Mafe gebraucht, wie 
gu wuͤnſchen getvefen wäre. P. XVII werben nur zwei 
Laurentianer Manuferipte al8 benugt genannt, während (die 
Handſchriften der Vita nuova und des Credo, ber geift: 
lichen und ber Lateinifchen Gedichte ungerechnet) allein nach 
Bandini’s Katalog 15 zu benugen gewefen wären; feit 
Bandini ift aber fehr viel neu hinzugelommen. i 
und wieder im Xert und in den Correzioni ed aggiunte 
wird indeß noch auf einige andere Manuferipte Rüdficht 
genommen. Nod auffallender ift e8, baf von ben beiden 
ale verglichen bezeichneten Handfchriften bie eine (XXIX. 8) 
gar nichts, die andere (XLI. 15) aber nur zwei Canzonen 
von Dante, und guar bie eine, ald von einem quidam 
Florentinus herrühtend, enthält. ft nun gleich, wie ſchon 
oben ausgeführt warb, das Zeugniß der Handfchriften über 
den Urheber eines Gedichtes häufig ein trügliches, fo muß 
« uns bod) immer ben Ausgangspunkt für die Unterfuhung 
bieten, und e8 ift ſicher zu beklagen, daß Fraticelli biefe 
Beugniffe fo unvollftändig zufammengeftellt und erwogen 
bat. Worarbeiten für feine Unterfuchungen fand bee Her⸗ 
ausgeber in fehr geringer Zahl vor. Meine Abhandlung 
in den Wiener Fabrblichern ift ihm erft nad) Beendigung 
feiner Arbeit (già condotto a termine il nostro lavoro) 
bekannt, und burd) cine italienifhe Ucberfegung, die Hr. 


sì 


XXVIM 


Dr. Reumont anzufertigen fo gefällig war, zugaͤnglich ge- 
worden; doch iſt fie mit Sorgfalt benugt. So häufig indef 
in ihr auf die erfte Ausgabe die ſes Buches verwiefen 
ward, ift daffelbe dennoch ungebraucht geblieben. 

Für die Berichtigung des Tertes bat Fraticelli beimei: 
tem mehr gethan, alè feine Vorgänger; namentlich iſt eine 
bebeutenbe Bariantenfammlung unter den Seiten beigegeben 
und nachtraͤglich noch Molini’s Collation ber Palatinis 
ſchen Handſchrift mitgetheilt. Ungern vermift man indeß 
bei den erftern jede Angabe über ihren Urfprung, und oft 
findet fih an den unficerfien Stellen keine abweichende 
Lesart bemerkt (3. B. zur legten 3. der Ganz. 6). Oft 
bat Sraticelli felbft geſchwankt, und der Vert eines Gedich⸗ 
tes lautet anders in der Sammlung der lyriſchen Gebichte 
und anders in feiner Ausgabe ber Vita nuova, oder deg 
Convito. Nod öfter ift feine Wahl unter den Lesarten 
eine irrige. Belege finden ſich mehrfach, in meinen Anmer⸗ 
ungen; hier mögen einige wenige, in denen Sraticell’s 
Irrthum ungtoeifelhaft ift, genügen: Ganz. IL Str. 4. 3.1 
muß e8 nad) Convito II. 11. ma tu sei smarrita, nicht 
sbigottita heißen. Ibid. 3. 10. tu vedrai, nicht ancor 
vedrai. Str. 5. 3. 3 ift la parli, flatt lor parli falfch. 
Ueber Canz. III, Str. 3. 3.4 vgl. unten ©. 72 a. E, 
und daß e Str. 5. 3,14 io veggo (oder veggio), nicht 
vengo, heißen muß, ergibt fi aus Conv. III, 10 zu 
Anf. — Canz. IV Str.2. 3.11 ift gentili ftatt gentile 
falſch, und Str. 6. 3. 4 ift, mie unter Andern Dionifi 
nadigemiefen hat, ſtatt è converso, fateinifd) e converso 
zu lefen. 

Die Anmerkungen (theilg Worterklärungen unter dem 
Tert, theils felbftänbige, mit den Eritifchen Unterfuchungen 
im dritten Capitel beg Discorso preliminare verbunden) 
find jedenfall reichhaltiger, als alle8 zuvor in biefer Din: 
ſicht Geleiftete *). 


*) Vol. überhaupt Gamba I. c. p. 136, Nr. 424. 


XXIX 


XXXVII Charles Lpell gab im Jahre 1835 
(London, Muriay. Octav) The canzoniere of D. Al., in- 
cluding the poems of the vita nuova and convito, ita- 
lian and english heraus. Den Anfang madhen bie Ger 
dichte der Vita nuova nad) der Pefarefer Ausgabe *). Dann 
folgen die Canzonen ‚des Convito nad) dem Pabovaner Ubs 
drud der Mailänder Ausgabe. Nun erft fommt, was der 
Herausgeber fpeciell Canzoniere of Dante nennt, naͤmlich 
die übrigen Gedichte in einer Reihenfolge, welche, ba fie 
weſentlich Zufammengehöriges auseinanderreift (3. B. bie 
Sonette 38 und 39, und bie Sonette Bicci novel und 
Chi udisse tossir), wol nur zufällig aus ber allmdlig fort: 
f&hreitenden Vollendung der Ueberfegungen entftanden fein 
Tann. Die Ordnung ift folgende: Ball. 7. Ganz. 12, 13, 
5, 15, 14, 6, 11, 7, Ganz.: Io miro i crespi, Ganz. 16, 
Ball. 1 (al Canzone), Bal. 5, Canz. Giovine donna und 
Io non pensava, Ganz. 9, Redi’s Son. rinterzato, Canz. 10, 
bie vier Canzonen: La bella stella, Dacchè ti piace, 
Perchè nel tempo rio und L’uom che conosce, Ganz. 17, 
20 (Seftina) und 8, die Canz. L'alta speranza, Ball. 6, 
8,4, 9, das Sonett: Bicei novel, die Sonette 14, 17, 
15, 16, 6, 12, 18, 24, 4, 19, 1, 37, Bau. 2 (als 
Sonett bezeihnet!), bag Sonett: Chi udisse tossir, die 
Sonette 27, 21, 23, 13, Alessandro lasciò la signoria, 
Son. 11, 7, Ball. 3, Son. 35, 36, 22, 25, 38, 8, 26, 
39, Savete giudicar, Son. 20, 5, das 21fie Sonett des 


*) Vita nova di D. Al. secondo la lez. di un cod. inedito 
del sec. XV, colle varianti dell’ ediz. più accreditate, Tipogr. 
Nobili. 1829, Octav. Eigentlich find es zwei Ausg.: bie eine 
als Gelegenheitsfchrift mit roth= und ſchwarzem Drud; die ane 
dere mit blo8 ſchwarzen Lettern. Nur die lettere hat” die Vas 
rianten. Gamba 1. c, p. 134. Nr. 416. Die Handfcrift ger 
hörte früher dem Buchhändler Figna, jest dem Buchhändler 
Nobili. Herausgeber waren der Graf Od. Machirelli und 
Luigi Grifoft. Berzuget Eine Recenfion von mir in den 
Berliner Jahrbuͤchern 1833. p. 728 ff. 


XXX 





Guido Cavalcanti (Ausg. von Cicciaporci p.11), 
Son. 33, 31, das 105te Sonett des Cino von Piftoja 
(Ciampi p.177), Son. 32, das 87fte Sonett des Cino 
(Ciampi p. 151), Son. 34, die Sonette: Qual che voi 
siate und Non conoscendo, Son. 9, 10, 3, 2, Ganz. I 
und die Canzone: Oimé lasso. Den Beſchluß macht ein 
Appendix, enthaltend drei Sonette des Dante dba Mas 
jano und eines des Cino von Piffoja an Dante, bie 
beiden Sonette Michel Agnolo's über Dante, ein engs 
lifches Antvortfonett auf bag erfte der Vita muova (von 
Lpell felbft?), die Weberfichtscanzone Über den Inhalt der 
göttlihen Komödie: Natura, ingegno, studio, isperienza 
und bag Dante fehildernde Sonett aus Cod. Laurent, 
Plut. XL. No, 26. 

Für den italienifchen Tert der Gedichte dieſes Canzo- 
niere fcheint wenig gethan zu fein*). Die Ueberfegung 
in blank verses ift duferft treu und verraͤth ebenfo viel 
Einfiht ale gründliche Sprachkunde. Die Introduction 
gibt eine Jufammenfiellung der Ideen über Liebe, wie fie 
in Dante'8 Gedichten und in Plato's Sympofion ſich aut: 
fprechen. Den Gedichten aus der Vita nuova ift eine kurze 
Inhaltsangabe diefes Buͤchleins beigefügt. Außerdem wer: 
den p.126—36 References to passages in the ,,comento 
analitico della div. com.“ and „spirito antipapale di 
Dante“ of Professor Rossetti gegeben. Zur Erläuterung 
des fpeciell fogenannten Canzoniere theilt Lyell leider nur 
zwei Seiten Über bie Conventional language of the Ghi- 
bellines mit. Im biefer Beziehung heißt e8 in der Vor 
tede: The proposed notes have been relinquished, in 
consequence of the intention of Signor Rossetti to publish 
a volume of Illustrations, which by the additional and 
unexpected light it will throw on the Canzoniere, would 


*) So finb 3. B. zu ber Canzone: Io miro i crespi die Bee 
richtigungen ber biblioteca economica nicht benugt. 


% XXXI 


render theme of little value. Meines Wiſſens ift indeß 
diefe Schrift von Noffetti bis jegt noch nicht erfchienen *). 





Nach diefer Ueberfiht der Ausgaben und allmaͤligen 
Vervollſtaͤndigungen von Dante'8 Eleineren italieniſchen Ge: 
dichten möge noch kurz ertodbnt werben, daß die beiden 
lateinifhen Eflogen zuerft von Th. Buonaventuri 
in ben Cermina illustrium poetarum Italorum (Florenz, 
Tartini und Frandi, 1719. Octav) XII. 115, jedoch ſehr 
uncorrect, gedruckt wurden. Die erften 38 Verfe ded erſten 
Gedichte von Johannes de Virgilio wurden 1759 
von Laur. Mehus in Ambr. Trauerfati Epistolae 
in libros XXV. distributae, p. CCCXX herausgegeben. 
Bandini beabfichtigte cine Ausgabe von allen vier Mede 
felgedichten aus ber Laurentianer Handfchrift Plut. XXIX, 
cod. 8; ſchenkte jedoch die bereits genommene Abfchrift dem 
Canonico Dionifi, welcher fie nun in feinem vierten 
Aneddoto (Verona 1788. Quart) p. 1—22 mit den alten 
Scholien des Manufcriptes berauagab. Fraticelli's Mies 
derabbrud ift bereitg erwähnt worden. ine dritte Aus 
gabe mit manchen VBerichtigungen des Tertes und der In: 
terpretation hat Foh. Casp. v. Orelli in dem Zuͤrichet 
Kectionscatalog für den Sommer 1839. p. 14 sq. gegeben. 
Mit Unrecht fagt er indef (p. 15), die erwähnte Lauren⸗ 
tianer Handfchrift fei die einzige diefer Gehichte, von der 
man Kunde habe; vielmehr finden fie fih nod in dem 
oder 26. Plut, XXXIX. berfelben VBibliothef und in einem 
Wiener Manuferipte, welche, fo viel id) weiß, beide noch 
nicht verglichen find. 


*) Aud) aus Italien ift mir Feine Kunde von neuen, auf 
Dante'8 Iyrifche Gedichte beziglichen, Leiftungen zugefommen. 


XXXI 


Indem nad) biefer Ueberficht des gebrudt vorhandenen 
Materials deffen Sichtung verfucht, und uͤber den noch 
handſchriftlich aufbewahrten Vorrath wenigſtens Fingerzeige 
gegeben werben ſollen, ſcheint es zweckmaͤßig, von den un: 
zweifelhaften, oder doch dem Zweifel zu enthebenben Punkten 
aUmdlig zu ben bedenklicheren aufzufteigen. 

Bundchft bedarf e8 natürlich Feiner Prüfung der Aecht⸗ 
heit derjenigen Gedichte, die in der Vita nuova vom Did: 
ter felbft erläutert werden. Gleiches gilt zwar von den 
drei Canzonen des Convito; aug einem befondern, erft fpä= 
ter anzugebenden, Grunde follen fie aber von der folgenden 
Unterfuhung nicht ausgefchloffen werben. 

Es fäut nun bei dem Ueberbli der oben aufgezaͤhlten 
Ausgaben ein Stamm von 15 Canzonen in die Augen, 
die fich, faft ohne Ausnahme, in allen wiederfinden. Da 
indeß eines dieſer Gedichte (20) eine Seftine ift, fo find 
es eigentlich nur 14 Ganzonen. Sie bilden daß dritte und 
vierte Bud bei Giunta, und nur fie finden fi in der 
Ausgabe Sermartelli’s. Genau diefelben, und in ber 
gleichen Ordnung tie in der Iegteren, machen den Inhalt 
der 1491 gebrudten Sammlung aus, nur find in diefer 
zwei Canzonen der Vita nuova vorausgefhidt, und am 
Schluſſe ift die Canzone in drei Sprachen (17) angehängt. 
Diefe drei Ausgaben find aber unter den, eine gemiffe 
Vollftändigkeit beswedenden, bie einzigen, fetöftändis 
aus Handfchriften gefloffenen. Ohne jedoch vor der Hand 
die, von Sraticelli und Andern nicht mit Unrecht verdaͤch⸗ 
tigten, Beugniffe alter Handfehriften zu befragen, will id 
verſuchen, die Uechtbeit der Mehrzahl diefer 15 Canzonen 
durch andere, ſchwerlich in Zweifel zu ziehende, Autoritäten 
gu belegen. Es find diefe Canzonen, nad) der Ordnung, 
wie fie bei Pietro Cremonefe und Sermartelli 
ſtehen, folgende: 1) Così nel mio parlar voglio esser 
aspro (7). Ihre Aedtheit wird dadurch verbürgt, daß 
Petrarca, wie S. 110 erwähnt ift, die Anfangszeile zum 
Schluffe der dritten Strophe feiner Canzone: Lasso me, 


XXXIN 


ch’ i’ non so ecc. gewählt hat. Außerdem wird fid wei: 
ter unten ergeben, daß Dante felbft (Conv. IV, 26) diefe 
Canzone citirt. — Es folgen die drei Ganzonen deg Con- 
vito, von denen zum Ueberfluß 2) bie erfte: Voi che 
’ntendendo il terzo ciel movete (2) von Dante, Parad. 
VII, 37 citirt wird. Ebenſo wird 3) bie zweite: Amor, 
che nella mente. mi ragiona (3) Purgat. II, 112 und außer⸗ 
dem im Vulgare Eloquium Il, 6 angeführt *). 4) Die 
dritte: Le dolci rime d’Amor, ch’ io solfa (4) nennt 
einer ber diteften Commentatoren der göttlichen Komödie, 
der fogenannte Ottimo, zu Purg. XXX, 130, und, in 
der vollftändigeren Handfchrift Riccard. 1004, auch zum 
Anfang des Inf, als Dante gehörig. Berner bezieht 
Cecco d’Ascoli fi in der Acerba Lib. II, cap. 12 
auf fie 5) Die Canzone: Amor che muovi tua virtù 
dal cielo (12) wird burd Vulg. Eloqu. Il, 5 und 11, 
und bud) die Anführung bes Lionardo Bruni Are: 
tino (vgl. Vorr. ©. VIII) beglaubigt.- 6) Für die Can: 
gone: Io sento sì d’Amor la gran possanza (5) gibt der 
Ottimo zu Purg. XXX, 37 Beugnif. 7) Die Seftine: 
Al poco giorno, ed al gran cerchio d’ombra (20) nennt 
Dante im Vulg. Eloqu. Il, 10 und 13 felbft als bie 
feinige. 8) In demfelben Buche (II, 13) gibt er Beug- 
niß für die Canzone: Amor, tu vedi ben, che questa 
donna (8). Dagegen fehlt es an ähnlichen Xutoritäten 
für 9) die Canzone: Io son venuto al punto della rota 
(9) und 10) E’ m’ incresce di me sì malamente (6). 
11) Daf Dante der Verfaffer der Canzone: Posciach® 
Amor del tutto m’ ha lasciato fei, fagt er uns felbft 
Vulg. Eloqu. IT, 12, 12) $ür die Canzone: La dispie- 





*) Wenn Dante im Vulg. Eloqu. feine eigenen Gedichte ans 
führt, fo thut er es manchmal mit unmittelbarer Bezeihnung 
(in illa, quam diximus); häufiger aber citirt er zuerft ein Ger 
dicht bea Gino von Piftoja, und dann, mit dem Beifage: 
amicus ejus, ein eigenes. 

+19 


XXXIV 


tata mente, che pur mira (11) weiß id) feine aͤhnliche 
Gewaͤhr anzugeben. Wol aber wirb 13) die: Tre donne 
intorno al cor mi son venute (14) burd) den alten Com: 
mentator im Cod. Riccardian. 1026 (Ottimo?) zu Inf. 
I, 101 und burd) die Anführung bei Leonardo Are: 
tino (1. c.) beglaubigt. 14) Für die Canzone: Doglia 
mi reca nello core ardire (15) haben wir das Seugnif 
im Vulg. Eloqu. Il, 2; und 15) die Aechtheit der Can: 
jene: Amor dacchè convien pur ch’ io mi doglia (10) 
ergibt ſich aus dem S. 236 abgebrudten Briefe über deren 
Entftebung. 

Iſt uns durch diefe Nachweiſungen für zwölf unter den 
aufgezählten Gedichten Sicyerheit gewährt, fo werden auch 
die übrigen drei ale hinlänglic verbürgt gelten muͤſſen, 
wenn ſich ergeben follte, daß jene Canzonen feit der fr: 
heſten Beit eine abgefhloffene Sammlung bildeten. 
As eine ſolche fommen fie nun aber in den älteften und 
beften Handfchriften vor, und zwar regelmäßig in berfelben 
Ordnung, in der fie foeben, nad) Pietro Cremonefe und - 
Sermartelli, aufgeführt find. So unter den Laurentianer 
Handſchriften in Plut. XL, Cod. 42 und Biblioth. Gad- 
diana Plut. XC. sup. Cod, 136. Auch ffimmen Cod. 49 
des Plut. XL (Ne. IL. bei Bandini) und Plut, XC, inf. 
Cod, 37 ber Gaddiana genau überein; doch theilen fie wei: 
terbin noch andere Gedichte von Dante mit. Diefelben 
Canzonen und in der gleichen Ordnung Eehren wieder im 
Codex Riccardian. 1035, Strozzian. 170, in einer Sedez⸗ 
handfchrift des Marchefe Trivulzio, welche früher der 
Mater Boffi befeffen, in der ein Theil der Gedichte Vita 
muova vorausgefchidt it *). — Andere Handfchriften be: 
halten zwar im Weſentlichen die angegebene Ordnung bei, 
fügen aber Gedichte aus ber Vita nuova ein (mie 3. B. 
ein, toie Profa gefchriebenes Trivulziofches Manufcript, 


*) Aud) Bitali’s Manufcript ſcheint übereinzuftimmen. Vol 
Lettera al Sig. Ab. Colombor A u ee 





xxxv 


und meine Handfchrift, die mit den beiden erſten Canzo: 
nen der Vita nuova beginnt, und inter Ganz. 4 bie vierte 
Canzone, das zweite Sonett, bie Ballate, die Son. 9, 10, 
die Ganz. 5, unb bie Son. 18, 24 unb 25 der Vita nuova 
einſchiebt), oder fie vertaufchen die Reihenfolge von ein paar 
einzelnen Canzonen (mie der Codex Riccardian. 1108, in 
dem bie achte Canzone der Seftine vorausgeht). Nod an: 
bere combiniren beide Mobificationen mit einander (mie 
3. B. eine neuacquirirte Marcianer Handfchrift die 14te 
Canzone hinter die fechfte ftellt und dann bie drei Canzo= 
nen der Vita nuova auf fie folgen laͤßt. Aehnlich ift der 
Cod, Strozz, 171 u. f. w.). 

Iſt nun hierdurch feftgeftelle, bag 14 Canzonen und 
eine Seftine, welche unzmeifelhaft von Dante herruͤhren, 
in die diteften und beften Handſchriften als ein zufammen- 
gehoͤriges Ganze aufgenommen find, fo liegt eine andere 
Vermuthung fehr nahe: vierzehn feiner Canzonen betrach⸗ 
tete Dante felbft als einen abgefchloffenen Cyklus; vierzehn, 
der Liebe zu der donna gentile, meldje un die Weisheit 
bedeuten fol, gemibmete Canzonen wollte er im Convito 
commentiten: La vivanda di questo convito sarà di 
quattordici maniere ordinata, cio è quattordici canzoni 
sì d’amore, come di virtù materiate. Mir befigen indeß 
nur vier Trattati jene8 Convito, beren erfter zur Einleis 
tung dient, und von benen jeber folgende den Commentar 
gu je einer Canzone bietet. An der Fortfegung ift Dante 
entweder durd) den Tod gehindert, oder die göttliche Komi: 
die bat ibn in fpäteren Jahren fo ausſchließlich in Anz 
fprud) genommen, daß er bag früher beabfichtigte Wert 
wieder aufgab. 

Es ließe ſich denken, daß ber Dichter eine gewiſſe An: 
zahl Canzonen, wie fie ibm zufällig in die Hand fallen 
wuͤrden, zu commentiren gedacht hätte; bei Dante'8 durch⸗ 
gängiger Abfichtlichkeit it aber ein fo planlofes Verfahren 
gewiß nicht zu vermuthen. Es ergibt ſich vielmehr, daß 
ſchon beim Veginne des Convito die Reihenfolge der vier- 


XXXVI 


zehn Canzonen feftftand, woraus ſich wieder ſchließen läßt, 
daß fie durch bas Zortfchreiten des ſich in ihnen ausfpre 
henben Gedankens als nothiwendig gegeben war. An fol: 
genden Stellen deg Convito vermeifet nämlich Dante im 
Voraus auf ben Kommentar zu nachher nichtcommentirt 
gebliebenen Ganzonen: 

„Eh quanto raffrenare fü quello, che quando, avendo 
(Enea) ricevuto da Dido tanto piacere, quanto di sotto 
nel settimo frattato sì dirà: e usando con essa tanto 
di dilettazione, egli si partì, per seguire onesta e lau- 
dabile via e fruttuosa.“ (IV, 26.) 

nAvvegnachè ciascuna vertù sia amabile nell’ uomo, 
quella è più amabile in esso, ch’ è più umana; e questa 
è la giustizia, la qual’ è non solamente nella parte 
razionale, ovvero intellettuale, ma anche nella parte 
operativa, cioè nella volontà — — — Di questa 'vertü 
inanzi dicerò più pienamente nel quattordecimo trat- 
tato.“ (I, 12.) 

„Conviensi anche a questa (terza) età essere giusto, 
acciocchè li suoi giadizj, e la sua autoritade sia un 
lume, e una legge agli altri — — — Ma perocchè 
di giustizia nel penultimo trattato di questo libro si 
tratterà, basti qui al presente questo poco aver toccato 
di quella. (IV, 27.) 

„Le scritture si possono intendere e debbonsi spo- 
nere massimamente per quattro sensi. — — — Il se- 
condo senso si chiama allegorico: e questo è quello, 
che si nasconde sotto ’l manto di queste favole: ed è 
una verità ascosa sotto bella menzogna — — — e 
perchè questo nascondimento fosse trovato per li savj, 
nel penultimo trattato si mostrerà.“ (Il, 1.) 

„La terza cosa, nella quale si può notare la pronta 
liberalità, si è, dare non domandato; acciocchè il doman- 
dato da una parte, non è virtù, ma mercatanzia. — — — 
Perchè sì caro costa quello che si prega; non ‘intendo 


XXXVII 


qui ragionare, perchè sufficientemente si ragionerà, nell’ 
ultimo trattato di questo libro,“ (I, 8.) 

„Li costumi sono beltà dell’ anima, cioè le virtà 
massimamente, le quali talvolta per vanità, o per super- 
bia si fanno men belle o men gradite, siccome nell’ 
ultimo trattato veder si potrà. (III, 15.) 


Es wird nun darauf anfommen, zu unterfuchen, ob 
ſich die Canzonen vielleicht wieder erkennen laffen, deren 
Commentar die angedeuteten Fragen erörtern follte: 

Die Canzone zunaͤchſt, bei deren Erklärung von der 
Luft geredet werden follte, welche Dibo dem Aeneas ges 
währte, unb die, als Gegenftand des fiebenten Trattato, 

«ber Orbnung nach die ſech ſte zu fein beflimmt war, er: 
fennen wir mit Sicherheit in unferer fiebenten, die folgende 
Worte enthält: 

EI (Amore) m’ ha percosso in terra, e stammi sopra 

Con quella spada, ond’ egli uccise Dido. 

Die vorlegte Canzone follte, nad) boppeltem Zeugnif, 
dem Commentar Anlaß geben, von ber Gerechtigkeit zu 
handeln. — Es fann feinem Zweifel unterliegen, da hier 
unfere 14te Canzone gemeint ift, deren tiefern Sinn ſchon 
Dionifi (,,Preparazione istorico-critica“, 1807, T. 1, 
p. 65), ohne diefen Zufammenhang zu ahnen, richtig als 
eine Alegorifirung der breierlei Rechte, nach den Ideen 
roͤmiſchet Juriſten, angegeben hat. — Die andere Anfühs 
rung beftdtigt biefe Vermuthung auf bas entſchiedenſte. 
Dante verfpricht nämlich, bei Gelegenheit berfelben Gan- 
zone von ber Bedeutung und bem Urfprunge allegorifcher 
Erfindungen zu handen. Nun ift aber die genannte Can: 
zone nicht allein durchgehende allegorifh, ſondern ihre 
Schlußſtrophe enthält, gleich Leine andern, eine Warnung 
für die, welche verfuchen möchten, ben verhülften Sinn zu 
errathen. 

Sn den Erläuterungen der letzten Canzone endlich 
foll dargethan werden, ein erbetenes Gefchent fei dem Kaufe, 


XXXVIII 


und zwar bem theuren, gleich zu achten. Auch hier 1486 
das gemeinte Gebicht in unferm Löten fich nicht verfennen. 
Nachdem ber Dichter in der fechlten Strophe erzählt hat, 
mie bie Tugend ben Geizigen vergeblich zur Freigebigkeit 
auffodere, und wie die endlich unwillig erzeigte Wohlthat 
ſich ſelbſt des Verdienſtes beraube, fügt er hinzu: 

Qual con tardare e qual con vana vista, 

Qual con sembianza trista 

Volge il donare in vender tanto caro 

Quanto sa sol chi tal compera paga. 


Ferner follten die Anmerkungen zu derfelben Canzone 
zeigen, wie die guten Eigenfchaften des Geiftes durch Dod 
muth und Gitelfeit verdrängt werden, ein Sag, ber dem 
Geifte der ganzen Canzone entfpricht, unb befonber8 an 
folgende Zeiten fi anknüpfen Eonnte: 

Uomo da se virtù fatta ha lontana: 

Uomo non già, ma bestia, ch’ uom somiglia *). 

Nachdem wir auf folche Weife drei von den zum Amo- 
roso convito beftimmten Canzonen unter den elf ermittelt 
haben, weiche die Handfehriften regelmäßig mit den brei in 
jenes Werk bereit aufgenommenen verbinden, fo liegt die 
Vermutbung fehr nahe, daß in den Übrigen acht Canzonen 
der Handfchriften diejenigen acht zu erkennen find, bie D. 
ferner nod) commentiren wollte. Während rote aber bisher, 
wie mich duͤnkt, auf vollfommen ficherm Boden fortge 
ſchritten find, bieten fi) uns bei Prüfung jener Gonjectur 


*) Die erften Nachweifungen über die auf biefem je zu 
bewirtende Reconfiruction des von Dante nicht ausgi ten 
Theile des Convito habe ich im Hermes von 1824. ©. 160. 
Anm. **) gegeben. Wollftänbiger alsbann in ber erften Ausgabe 
der gegenwärtigen Schrift S. 364 ff. und italieniſch in ber von 
Trivulzio u. f. w. belozgten Mailänder Originals Aus 
gabe besConvito p. XL-XLVII— Braticetti p CKCVII, 

CIX hat richtig erfannt, baf bie Cangone: Doglia mi reca 
beftimmt war, die Iegte bes Convito zu fein, ift aber auf biefem 
richtigen Wege nicht weiter vorgefchritten. 


XXXTX 


und bei den Verfuchen, bie Stelle zu beffimmen, welche 
jede Canzone im Conv. einnehmen follte, nur Combina- 
tionen bar, bie jene Wermuthungen nicht zur Gewißheit, 
viel aber doch zur Wahrſcheinlichkeit zu erheben vers 
mögen. 

Faffen wir zunaͤchſt den Inhalt derjenigen Ganzonen 
ſchaͤrfer ing Auge, deren beabfichtigte Stelung uns mune 
mehr genauer bekannt ift. Vielleicht gelingt e8 uns, auf 
diefem Wege den Gebanfenfaben zu entbafen, auf den 
wir alsbann den ganzen Cyklus ber Ordnung nad aufs 
reihen können. 

Die erfte Canzone fhildert uns die Liebe, von der das 
Convito zu handeln beftimmt ift, im Entſtehen. Nod 
ſchwankt der Dichter, ob er dem auffeimenden Gefühle fi 
hingeben, ober in dem zur geftorbenen Beatrice treu behar⸗ 
ven fol. Im der zweiten ift jene Liebe bie unbeftrittene 
Herrin des Dichters und e8 verfolgt das ganze Gebicht 
nur ben einen Gedanken, bie Geliebte zu preifen. Indeß 
vernehmen wir in ber Schlußftrophe, daß Dante aud) ſchon 
Grund gehabt hatte, die gefeierte Dame graufam, unmutbig 
und ſtolz zu nennen. Bar widerruft der Dichter dieſe 
Anfhuldigungen, die nicht auf der Wahrheit, fondern nur 
auf dem durch die Beklemmung ſeines Herzens getrübten 
Schein beruht habe; doch beginnt bie dritte Canzone 
wieber mit ben gleichen Klagen. Jene Härte und Grau= 
ſamkeit der Geliebten entmuthigen den Liebenden aber nicht. 
Er hofft, wie er fagt, zu den füßen Liebesreimen zuräd: 
zukehren; fo lange aber die Ungunft des Augenblickes währt, 
mill er warten, und unter Unrufung des Deren, ber in 
ihren Augen weilt (ber Wahrheit), von ihrer Freundin (bem 
Adel) Handeln. Sehr veränderte Gefinnung fpricht fi in 
der Canzone aus, welche beffimmt war, bie fechfte des 
Convito zu fein. So weit bat bie Härte und Kälte der 
Geliebten den Dichter getrieben, baß er ungeſtuͤm begehrt, 
Rache an ihr zu nehmen. Dennoch ift er noch unwan⸗ 
delbar Ihr eigen: Sie thront in feinem Geifte hoch über 


XL 


allen andern Gebanfen, wie die Blume über ben Blättern. 
Nichts ift ibm heiliger, ale das Beftreben, das Gebeimnif 
feiner Liebe fireng zu betoahren, und jene Race felbft, fie 
fol ibm nur ben vollen Befig der widerſtrebenden Gelieb- 
ten gewähren. Den ganzen Tag lang will er in Ihren 
blonden Loden tofiblen unb unverwandt und tief in Ihre 
ſchoͤnen Augen ſchauen. Das dreizehnte Gedicht des 
Convito (Ganz. 14) gebentt der Geliebten überall nicht 
mehr; dod) fagt e8 uns, Amor weile fortwährend in des 
Dichters Herzen, und habe die Herrfchaft über fein Leben. 
Nur deshalb find die drei (das Recht bezeichnenden) Frauen, 
von benen die Canzone handelt, zu jenem Herzen, wie zum 
Haufe eines Freundes gefommen, weil fie wiſſen, daß Amor 
in demſelben weilt. Die Canzone endlich, welche die viet: 
zehnte des Convito fein follte, ſchweigt gleichfalls von der 
Geliebten und fpricht allgemein von der Tugend unb ihrem 
Verbditnif zur Liebe. 

Auf der einen Seite iſt nicht zu verfennen, wie dies 
Fortfehreiten von der ſich felbft gentigenten Liebe zu den 
Klagen darüber, daß fie unertviedert bleibe, und emblich zu 
dem Aufgeben aller felbftifchen Wünfche, um ſich der Liebe 
an ſich zu freuen, dem S. 4 und 5 nachgemiefenen Vers 
haͤltniſſe des erften, dritten und vierten Abfchnittes der Vita 
nuova verwandt ift; auf der andern aber erhellt aus dem, 
was ©. 49 ff. Über den eigenthümlichen Charakter derjeni- 
gen Liebe gefagt ift, welche das Convito uns fhildert, daß 
deren Geſchichte nicht auf einen fo einfachen, man möchte 
fagen Eindlichen, Hergang beſchraͤnkt fein kann, wie bie Ge 
ſchichte der Liebe der Vita nuova. Es erhellt, mie die 
Klagen über verfagte Liebesgunft hier weit mehr in den 
Vorgrund treten, ja den vorzugsweiſe wiederkehrenden In: 
halt biefer Lieder ausmachen milffen. Es erhellt endlich, 
wie eben diefe Liebe fähig war, ſcheinbar ber Liebe fremd: 
artige Stoffe (mie Adel, Gerechtigkeit, leggiadria, Tugend), 
als ihr vertvandte in ihren Kreis hineinzuziehen. 

Scheint nun hiernach angenommen werben zu müffen, 


XLI 


daß der Dichter, zwiſchen immer neu erwachender Hoffnung, 
durch treue Ausdauer bie Gunft der Geliebten zu erkaͤm⸗ 
pfen, und zwifchen dem Unmuth über die Nichtgemährung 
feiner Wuͤnſche ſchwankend, endlich um die Mitte diefes 
Cyklus zum Culminationspunkt ber legteren Gefinnung 
anfteige, dann aber umfebre, um mehr der Liebe felbft, alè 
deren einzelnem Gegenftanbe zu huldigen, und daher Alles zu 
preifen, worin Amors Macht wirkfam ſich ausfpricht, — fo iſt 
damit der obengefuchte Faden ermittelt, und im Einzelnen 
muß bie für richtig geachtete Ordnung mehr durch inneren 
Tact ſich vechtfertigen, als daß ein eigentlicher Beweis für 
fie möglich wäre. 

Zunaͤchſt fordert, wie mid duͤnkt, bie zu Anfang der 
dritten Canzone bed Convito ausgefprodjene Abfiht, in 
günftigerer Zeit zu den Liedern der Liebe zurüͤckzukehren, 
ein Gedicht, das die Liebe nochmals in aller Fülle und 
Innigkeit, obgleich fie unerwiedert blieb, ausſpricht. Als 
ein ſolches ſchien mir die Canzone: Io sento sì d’ Amor 
‚la gran possanza jener würdig zu folgen. Vor dem Vers 
langen nah Race, das in der fechflen Canzone des Con- 
vito laut wird, mußte die Ueberzeugung ausgefprochen wer⸗ 
den, daß die Geliebte ihre Gunft nicht gewähren molle. 
Die bittern Klagen Über die Härte der Geliebten, felbft in 
harte und frembartige Weife gekleidet, ſchließen unfte achte 
Ganzone wieder an jene an, welche die fechfte des Convito 
werben follte, und wie genau tvieder mit ihr unfre neunte 
Canzone zufammenhängt, iſt S. 111 nachgewiefen. Mit 
unfrer zehnten Canzone tritt jene Wendung ein, vermöge 
deren jebe Klage über die Härte der Geliebten verftummt, 
und der Dichter felbft in den Qualen der nicht erhörten 
Liebe durch die Liebe ſich beglidt fühlt. Daf alsbann 
über die Reihenfolge unſrer elften und zwölften Canzone 
geftritten werben könne, und welche Gründe mid für 
die von mir ermwählte beffimmt haben, ift ©. 120, 21 
gezeigt. Endlich ſchließt unfce dreizehnte Canzone ſich fo 
unverkennbar an die beiden an, welche wir als die beiden 


XLI 


legten des Convito erfannt haben, daß fie nothwendig dens 
felben unmittelbar vorausgefchidt werden mußte. Gleich 
jenen ſchweigt fie nicht nur von ber Geliebten, fondern 
berichtet, auch Amor habe, weil er bie Thrdnen de Did 
ter8 nicht mehr anzuhören vermocht habe, diefen, obwol 
wider deffen Willen, verlaffen. Indem aber Dante von 
der leggiadria, die ein Wahrzeichen der Tugend ift,- zu 
handeln unternimmt, vertraut er, baf Amor einft zum 
Lohne ſich ihm noch ginftig ermeifen merde. 

Es weicht die aus den angegebenen Gründen erwählte 
Drdnung der vierzehn Canzonen ebenſowol von ber ab, 
welche zahlreiche alte Handſchriften und einige der früheren 
Ausgaben bieten, als von derjenigen, bie fih nad Pas: 
quali und Zatta in manchen neueren findet. Wenn aber 
auch angenommen werben muß, daß die Manufcripte dur 
eine, vom Dichter felbft ausgehende, Weberlieferung jene 
14 Gedichte alè ein zufammengehörendes Ganze erhalten 
hatten, fo fann doch die Ordnung, welche fie befolgen, un: 
möglich die urfprüngliche fein; denn von den ſechs Can: 
gonen, Über deren Plag wir fichere Nachricht haben, ſteht 
keine einzige da, wo fie hingehört. Nod weniger Bead: 
tung verdiente die Orbnung unfrer Ausgaben; denn theild 
ift nachgewieſen worden, wie zufällig biefelbe bei Pat: 
quali entftanden ift, theils weichen die Ausgaben in der 
Reihenfolge und in der Vertheilung diefer Gedichte fo viel 
fad von einander ab, daß von einer herkömmlichen 
Drbnung überall nicht geſprochen werben fann. 


Nod iſt der Grund nicht angegeben worden, weshalb 
wir zwar die 14 Canzonen des Convito in einer Reihen 
folge fortgezaͤhlt, aber ſchon die erfte derfelben ald zweite 
Canzone, und fo fort, bezeichnet haben. Im biefer Hin 
ficht ift in der bisher geführten Unterfuchung ein anfcheis 
nender Nidfdritt zu machen. Wir haben 11 Canzone 


XL 


fennen gelernt, die beftimmt maren, bem Convito anzuges 
hören, in dies Merk aber nicht aufgenommen find; bagegen 
haben wir ſtillſchweigend vorausgefegt, daf, ba der Dichter 
ums die Vita muova als eine abgefchloffene Arbeit hinter 
faffen, Gedichte, welche biefe in ähnlicher Weife ergänzten, 
nicht vorhanden feien. Es if nun zu unterfudjen, ob 
diefe Vorausfegung begründet fei? Hier ift wieder fo viel 
Elar, daß, wenn fie e8 nicht wäre, die zum Cyklus bes 
neuen Lebens gehörenden, aber nicht in dies Bud) aufge 
nommenen, Gedichte Feinenfall8, wie bei dem Convito, 
folche fein koͤnnten, welche, obwol fie zur Aufnahme bes 
flimmt waren, der Dichter, weil er dad Bud unvollendet 
binterlaffen, in baffelbe aufzunehmen verfäumt hätte. Da 
indeß, wie ©. 5 gezeigt ift, die Gedichte der Vita nuova 
zuerft einzeln entftanden und erft nad) längerer Beit von 
dem Dichter gefammelt und commentirt wurden, fo läßt 
fich der umgekehrte Fall füglich denken, daß nämlich, im 
Sinne der Vita nuova gebichtete, bei Redaction biefes Buches 
aber zuruͤckgewieſene, Lieder felbftändig auf uns gefommen 
feien. Zuvörberft laͤßt ſich nicht bezweifeln, daß Dante in 
Beziehung auf die Ereigniffe, von denen die Vita nuova 
uns berichtet, mancherlei gedichtet, was demnaͤchſt in biefe 
Schrift nicht aufgenommen warb. Im vierten Capitel die 
fer Schrift erzählt er, wie er feine Liebe zu Beatrice durch 
erkuͤnſtelte Aufmerkſamkeit für ein anderes Mädchen zu vere 
bergen gefucht babe, und fügt hinzu: 

„Feci per lei certe cosette per rima, le quali non 
è mio intendimento di scriver quì. 


Im nddiften Capitel gebenkt er eines, uns nicht aufz 
behaltenen (vgl. S.13, 14) Serventes, in welchem er die 
60 ſchoͤnſten Florentinerinnen genannt. 

Daf ferner die einzelnen Gedichte, die aus derjenigen 
Liebe entftanden, welche die Vita muova ſchildert, lange, be 
vor fie gefammelt wurden, einzeln im Umlauf waren, ere 
gibt fid nicht nur aus dem ganzen Iufammenhange der 


XLIV 


Vita muova, fondern wir haben baflı cin fpecielle8 Zeug: 
nig in folgender kurzen, offenbar vom Dichter felbft ber: 
rührenden Vorrede, mit welcher ſich das dritte und vierte 
Sonett jenes Buches einzeln in einer Laurentianifchen Hand: 
ſchrift (PI. XL, cod. 49, p. 60) finden: 


„Una giovane donna e di gentile aspetto, la quale 
assai graziosa fù in questa città, lo cui corpo io vidi 
giacere sanza |’ anima in mezzo di molte donne, le 
quali assai piangeano pietosamente. Allora ricordan- 
domi, che l’ aveva veduta in buona prosperità e leg- 
giadrfa, proposi di dire queste parole, e fecine due 
sonetti, 


Vielleicht gelingt e8 uns nun, unter den Gedichten, 
welche aufier der Vita nuova uns überliefert find, ſolche 
wieberzuerkennen, welche zwar zu bem Cyklus jener Schrift 
gehören, vom Dichter aber, bei deren Redaction, nicht 
in biefelbe aufgenommen find. Das Kriterium wird hier 
natürlich in der Verwandtſchaft des Gedankens und ber 
Sprache gefunden werden müffen. Eine auffallende Weber 
einftimmung biefer Art wirb weiter unten für gewiſſe 
Sonette nachgemwiefen werben; hier möge es vorläufig ge 
nügen, auf die unverfennbare Verwandtfhaft einer uns 
einzeln überlieferten Canzone mit einer andern ber Vita 
nuova aufmerkfam zu machen. 


Das 23fte Capitel der Vita nuova enthält die Be 
ſchreibung eines Gefichtes, welches unferm Dichter, ald er 
felber krank daniederlag, den bevorftehenden Tod feiner Bea: 
trice verfündete; genau biefelben Bilder und Gedanken kehren 
aber in der Canzone toieder, die bei uns die erfte it, mit 
dem einzigen Unterfchiebe, daß die Iegtere Reflerion enthält, 
die Schilderung der Vita nuova aber bildlich fpricht. 


Folgende Bufammenftellung mag als Veifpiel dienen: 





XLV 


Vita nuova. 

Levava gli occhj miei bagnati in pianti, 
E vedea, che parean pioggia di Manna, 
Gli angeli, che tornavan suso in cielo 
Ed una nuvoletta avean davanti, 
Dopo la qual gridavan tutti: ,,Osanna! 

Erfte Canzone. 

Deh, Morte, non tardar mercè, se l’ hai; 
Chè mi par già veder lo cielo aprire, 
E gli angeli di Dio quaggiù venire, 
Per volerne portar l’ anima santa 
Di questa, il cui onor lassù si canta. 

Allerdings gehört‘ diefe Canzone nicht zu bem oben an: 
gegebenen regelmäßigen Kanon, und ein Codex Strozzian. 
No. 170 fcreibt fie bem Guido Cavalcanti, eine Lau: 
rentianer Handſchrift (Plut. XL. Cod, 46. No. VI) bei 
Bandini V, 58 aber fogar dem Florentiner Notar Fa: 
copo Cecchi zu. Meines Wiſſens ift indeß diefer legte 
unter den altitalienifchen Reimern fonft nicht bekannt, und 
wenn audy Fraticelli's Behauptung, daß diefe Canzone 
fih in vielen Manuferipten ale Dante zugehörig befinde, 
eine irrige if, fo fehlt es doc auch nicht an urkundlichen 
Beugniffen für deren Aechtheit. Die Redigerfhe Land: 
ſchrift in Breslau ift fhon S. 46 erwähnt. Außerdem, 
fteht fie in der Laurentianer Handfchrift Plut. XL. Cod. 44. 
No. 1. sub VII unter Dante's Namen, auch legt Giunta 
fie unferm Dichter bei, und die oben nachgetviefene Uebers 
cinffimmung mit der Vita nuova feheint die Frage zu Guns 
ſten Dante'8 zu entſcheiden. Wie nun aber biefes Jugend⸗ 
werk felbft als ein Vorläufer des Convito zu betrachten ift, 
fo mußte auch diefe Canzone den zum Convito gehörenden 
nothwendig vorausgehen. 

Nod zwei Gedichte find ſchon oben, als in Handſchrif⸗ 
ten und Auégaben häufig mit denen des Convito zuſam⸗ 
mengeftellt, erwähnt worden: bie Seftine und die Canzone 
in drei Sprachen. Der erften habe id, weil fie nur un: 
eigentlich Canzone heißen fann (obwol Dante im Vulg. El. 


XLVI 


HI, 10 ihr felbft diefen Namen gibt), den legten Plag ans 
getviefen. Die Aechtheit ber zweiten ift zwar neuerdings 
von Fraticelli p. CLXVI und Nannucci Manuale 
della letterat. del primo sec. II, 59. No. 6 bezweifelt 
worden *); fie diefelbe fpricht aber außer der Aehnlichkeit 
diefer Sprahmifchung mit der im Purgat. XXVI, 140sq. 
das Beugnif zahlreicher Handſchriften (3. B. Laurent XL, 
44. I. sub No. 24; Gaddian. XC sup. 137; Cod. Pa- 
latin.; bie bereit erwähnte ehemals Boffifche, jegt Trivul⸗ 
zio ſche Handſchrift der rime und mein Manufeript) und 
der Ausgaben des Pietro Cremonefe und Giunta. — Zwar 
berufe fit Sraticelli darauf, daß Laurent. Plut. XLI, 
Cod. 15 dieſes Gedicht ohne Namen biete, doc ſcheint 
Bandini p. 107. Nr. XXXVIII diefe, ohnehin unerheb- 
liche, Angabe nicht zu unterftügen. 

Weit geringere Sicherheit haben wir für bie Übrigen 
Canzonen. Unfere 16te Canzone (O patria, degna di 
triumfal fama) gilt feit Dionifi und Perticari allge 
mein für ein Wert Dante'8, und als ein ſolches bezeichnen 
fie, außer dem Manufcripte, aus dem Dionifi gefchöpft bat 
(Laurent. Gaddian. Piut. LXXXX inf, Cod. 37) und 
außer dem Parifer Nr. 7767 (Libri Hist. des sciences 
mathem. en Italie II, 167) nad) Fraticelli's Ver 
fiherung (p. CLVII) mehre Handfchriften der Riccardiana 
und die des Marchefe Vernaccia. Es if indeß nicht zu 
verſchweigen, daß ber Laurentianer Cober 15. Plot, XLI 
diefe Canzone, die ohne Namen aud im Cod. Ricard. 
1103 ftebt und anonym von Giunta herausgegeben ift, 
einem quidam Florentinus beilegt, und daß nah Bans 
dini’s (p. 105. Na. 4) Bericht cine andere Riccardi’fche 
Handſchrift den fonft unbekannten Alberto della Pia: 
gentina als Dichter nennt. Vitali 1. c. p.33 zweifelt 
noch fortwährend an ber Aedtheit, und id Tann nicht 


*) Ueber bie älteren Zweifel des Lenzoni vgl. Crescim⸗ 
benf l. c. II, 181. 


XLVII 


leugnen, daß auc meine Ueberzeugung von der letzteren 
eine ganz fichere ift. Dabei verfenne ich indef nicht, dag 
das ſtolze Seldftgefühl, mit welchem ber Verfaffer, der uns 
zweifelhaft ein verbannter Florentiner ift, feine Landsleute 
auf die Bahn bes Rechtes und der Tugend zuruͤckweiſt 
und unverhuͤllt genug anbeutet, baß, bei folder Umwand⸗ 
lung, an ber Führung des Staatsruders und an ber öffent: 
lichen Dankbarkeit ein nicht geringer Antheil ihm gebühren 
wuͤrde, — ben Gefinnungen unfer8 Dichters wohl ent: 
ſpricht. 

Nod größeren Streit hat in neuerer Beit unſere 18te 
Ganzone (Posciach’ i ho perduta ogni speranza) gervedt, 
welche, nachdem ich fie unter Dante'8 Namen hatte drucken 
laffen, Gabriel Pepe ’);, Emanuele Repetti ?), 
Bian Giacomo Trivulzio®) und Fraticelli*) eine 
flimmig ihm abgeſprochen und die der Zweite bem Sennuccio 
del Bene, der Dritte aber dem Cino da Piftoja beigelegt 
hat, während die beiden Andern ſich Über den toabren Vers 
faffee nicht ausfprehen. Was zunaͤchſt die duferen Autos 
titäten betrifft, fo ſchreiben die Marcianer Handfchrift 
191, bie mebrertodbnte Duodezhandſchrift altitalienifcher 
Gedichte in der Trivulzio' ſchen Bibliothek und die Ausgabe 
des Wilhelm v. Monferrat unfere Canzone Dante zu, auch 
iſt ſchon erwähnt worden, daß Zane fie unter dem Namen 
biefes Legtern in feine Sammlung aufnehmen wollte. Das 
gegen bezeichnen fie die Marcianer Handſchrift 292, die 
Zaurentianer Plut. XL. Cod. 46. IX. No. III, fo wie die 
neuacquiriete Nr. 1687 F. 118, die Vaticaner Nr. 3213, 
und, nad Sraticelli'8 Verficherung, die Magliabecdiia= 


1) Antologia 1826. Nov. e Dic. p. 275. 
9) Ibid. 1827. Febbr. 
Jopra una canzone, attribuita a Seanuecio del Bene 
e a D. Al 
4) p. CCXXVII—XL. 


XLVHI 


ner (?) Ne, 1192 ') als von Sennuccio del Bene 
herruͤhtend. Gleiches muß in der Handfchrift des Bernardo 
del Bene der Fall geweſen fein, aus ber Corbinelli die Gans 
zone berausgab. Diefe Zeugniffe find alfo zwar getheilt, 
dod) Übertviegend für Sennuccio. Indeß will, mas wir 
von Sennuccio und feinen Lebensverhättniffen willen, durch⸗ 
aus nicht zum Inbalt der Canzone paffen. Sennuccio 
mar, gleich feinem Freunde Petrarca, ein Schuͤtling bes 
Cardinals Giovanni Colonna, weshalb denn Mazzuohelli *) 
vermutbet, bie Canzone betrauere den Tod diefes Kirchen: 
fürften (1346). Es bedarf indeß Feiner Ausführung, daß 
Alles, was in unferm Gedichte zur Bezeichnung des Be 
trauerten gefagt wird, in Beiner Weife auf einen Geiftlichen 
Anwendung findet (namentlih Str. 3, 4). Wenn ferner 
in der Schlußſtrophe ein Marchefe Sranceschino in Luni: 
giana, auf den der Dichter noch einige Hoffnung fegt, ge 
mannt wird, fo ift zu bemerken, daß der Franceschino, bei 
dem Dante gaftliche Aufnahme gefunden, ſchon 1320 ge 
ftorben war. in anderer Franceschino (il soldato von der 
Linie di Filattiera) ftarb zwar erſt 1355; mir wenigſtens 
ift aber nichts bekannt, wodurch ein fo ausgezeichnetes Ber: 
trauen in biefen gerechtfertigt wuͤrde *). Endlich fonnte 
Sennuccio zu Ende der erffen Hälfte ded Jahrhunderts 
nicht mehr Hagen, daß ihm die Ruͤckkehr in die Heimat 
verwehrt fei, da nah Ammirato*) fein Eril fon 1326 
aufgehoben war. — Der Annahme, bag Cino von Pifkoja 
Urheber unferer Canzone fei, widerſpricht das Schweigen 


1) Wäre dies vieleicht eine Verwechfelung mit bem Codex 
Riccardian. 1100, ber die Canzone wirktid unter Sennuccio's 
Namen hat? 

2) Scrittori Italiani II, 2. 808, 

3) Vgl. bie genealogifche Tafel bei Em. Repetti a. a. D. 
und Gerini Memorie storiche della Lunigiana Massa. 1829. 
I, 22 sq. 333—35, 339, 40. 

4) Storie Fiorent. Fir. 1641. I, 331. 


XLIX 


ber Handfchriften, deren tir von Cino'8 Gedichten in nicht 
geringer Zahl befigen. Außerdem erfcheinen drei Trauer: 
gedichte deffelben Verfaſſers auf ben Tob des Kaifers doch 
in ber That zu viel; um fo mehr, al8 wir von einem per: 
fönlidy näheren Verhaͤltniß zu dem Legteren nichts wiffen. 
Endlich war Cino vor dem Tode des Kaiſers in Neapel); 
bald nachher finden wir ihn in Siena, und e8 ift nicht 
abzufehen, mas ihn in der Zroifchenzeit nördlich von Luni: 
giana geführt haben ſollte. Nicht" zu beftreiten ift indeß, 
daß, wie Trivulzio durch Parallelftellen belegt bat, die Sprache 
mit der in Gino'8 Gedichten mehrfache Äehnlichkeit hat. 
Fraticelli bat eine Neibe von Gruͤnden aufgeftellt, 
aus benen fich, nad) feinem Dafuͤrhalten, die Unmöglichkeit 
ergibt, daß Dante. dies Gedicht verfaßt haben könne. Die 
bebeutenbften barunter find folgende: 1) es fei völlig uns 
gebräuchlich, eine Stadt alè ein Weib, ober gar al8 bie 
Geliebte zu bezeichnen. Hierauf ift fhon S. 159 geant: 
wortet, und aud die Worte ber Upofalopfe: Mulier, quam 
vidisti, est civitas magua, quae habet regnum super 
reges terrae, toiberlegen dies Argument. 2) Die Aus 
brüde, in denen ber Dichter von der Angeredeten fpreche, 
feien von.der Art, dag man bei ihnen unmoͤglich an eine 
allegorifhe, fondern nur an eine wirkliche Geliebte von 
Fleiſch und Bein denken Eönne. Ich würde diefen Gegen: 
grund erheblich finden, wenn die Canzonen des Convito 
nicht ganz ebenfo den Eindruck wirklicher Liebeslieder mach⸗ 
ten und von Dante dennoch für Allegorien erklärt würden. 
Aud) ift auf die Parallele von Ganz. 14. Str. 5. 3. 9 ſchon 
bingewiefen. 3) Dante ſpreche fonft nur ſchmaͤhend von 
feiner Heimath ; unmöglich alfo koͤnne er hier von ihr fagen, 
daß ihre Schönheit voller Tugend fei. Darauf ift zu er: 
wiedern, baf, wie Ugo Foscolo ?) richtig bemerkt hat, 


1) Giampi Vita e memorie di Mess. Cino p. 51, 56. 
2), Discorso preliminare sul testo di Dante, Lond 1825. 
p. 297 sq. N 


Dante, Lyriſche Gedigte. II. ri 


L 


Dante unmittelbar nad) Heinridh'8 Tode feinen ftolzen Ton 
gar fehr herabgeftimmt hat. ine ähnliche muthlofe Stim- 
mung hatte ſchon früher fich feiner bemächtigt, vgl. Canz. 14. 
Str. 5. 3. 16—18. Leonardo Bruni fagt darüber! 
Ridussesi tutto ad umilità, cercando con buone opere, 
e con buoni portamenti di racquistare la grazia, di po- 
tere tornare in Firenze per” ispontanea rivocazione di 
chi reggeva la terra, e sopra questa parte s’ affaticò 
assai, e scrisse più tolte non solamente a particulari 
cittadini del reggimento, ma ancora al popolo, ed intra 
Y altre una epistola assai lunga, la quale comincia: 
Popule mee quid feci tibi. 4) Nad den Worten der 
Canzone zu ſchließen, fei deren Verfaffer nicht gezwungen, 
fondern freiwillig von feiner Heimath gefchieden (Str. 2. 
3.1, 2, 10—12). Mir ſcheint dieſes Argument zu viel 
zu beweiſen; benn Sraticelli fagt nicht, und aud ich ge 
ſtehe nicht errathen zu innen, wie Demienigen, ber frei: 
willig die Heimath gemieden hatte, nur dadurch, daß ber 
Raifer oder ein anderer Machthaber geftorben war, bie 
Ruͤckkeht verfperrt fein folle. Für Dante erklaͤrt fich indeß 
die Aeußerung, wenn wir annehmen, daß um das Jahr 1309 
feine freundlichen Verbdlmiffe zu den Malafpina’s und den 
Grafen Guidi, mit feinen eigenen verföhnlihen Schritten 
verbunden, ibm die Möglichkeit der Heimkehr gewährt ober 
doch nahe geruͤckt hatten, daß er aber, um ehrenvoller in 
die florentinifchen Thore wieder einzuziehen, nachdem Hein ⸗ 
ric) VII feinen Römerzug befchloffen und nachdem Florenz 
übermüthig gegen biefen fid) erhoben, die Partei des Kaifers 
ergriff. 5) Keiner befondern Widerlegung bedarf das fer: 
nere Argument des Gegners, daf die Canzone eines Theile 
berichte, ihr Verfaffec fei dem Raifer (oder wer fonft der 
Betrauerte fei) gefolgt; andern Theils aber erwähne, daß 
der Dichter ſich, von Toscana aus gerechnet, jenfeits Lumi: 
giana befinde. Bekanntlich liegen Dante's Pilgerfahrten 
in faft vollftändigem Dunkel, und nichts hindert, anzuneh⸗ 
men, baß er ben Raifer 3. B. zur Krönung nach Rom 





Li 


begleitet, dann aber, etwa während der Belagerung fei: 
ner Vaterffadt, wieher norbwärtd gezogen fei. MWeilte er 
in dem verhängnißvollen Sommer 1313 vielleicht in der 
Lombardei, in Piemont, oder Genua, um ſchwankende Bun⸗ 
desgenoffen in ber Treue des Kaifers zu erhalten? Mir 
wiffen es nicht; felbft Tropa findet in feinen fonft fo 
wilikuͤrlichen Vorausfegungen für jenes Jahr Feine Aus: 
kunft; für das Jahr zuvor aber nimmt auch er einen Auf: 
enthalt des Dichters in Genua an '). 

So weit reihen Braticelli’s Gegengruͤnde, die ich voll⸗ 
ſtaͤndig veferirt zu haben glaube. Eine eigene Erklärung 
des, jebenfalls merkwürdigen, Gedichte, eine Deutung der 
biftorifden Unfpielungen ift er uns ſchuldig geblieben, wäh: 
tend, vorausgefegt, daß Dante unfere Canzone gebichtet, 
der Zufammenbang ihres Inhaltes mit den Zeitereigniffen 
und den eigenen Lebensfhidfalen des Dichters in dem 
©. 159 ff. Gefagten, wie mid) duͤnkt, genügend nadige: 
wiefen wird. Indeſſen fordert der Gegner in fo ehrenmers 
ther Weife mid) auf, nicht hartnddig bei meiner Meinung 
zu bebarren ?), baf id) ungern als eigenfinnig erfcheinen 
möchte und gern geflehe, daß mir die Frage über den wah⸗ 
ven Urheber dieſes Gedichtes ſchon Iänyft im hohen Grade 
zweifelhaft erfchien, und daß ich in bem Augenblide, wo 
mir eine, unter Vorausfegung eines beflimmten andern 
Dichters, genuͤgen de Erklärung geboten wird, meine, auf 
vereinzelte Autoritäten geftügte Annahme, daß Dante ber 


1) Veltro allegorico p. 130. 

) Speriamo che un uomo dotto, siccome egli è, aman- 
tinsimo pra cose degli Italiani, benemerito della nostra let- 
teratura e di D. AL, non vorrà più ostinarsi ad attribuire 
a questo sommo poeta una Canz., în cui non scorgesi nè il , 
nervo, nè lo stile dell aut. del sacro poema, nè il merito 
degli altri lirici carmi di lui, ne quella elevatezza e quella 
coneisione, quell’ evidenza e quella verità, che sono proprie 
del Cantor di Beatrice, e che con maggiore o minore lucentezza 
traspajono sempre in qualunque di lui poetico componimento. 


presi 


Lu 


Dichter fei, fofort aufzugeben bereit fein merde, da id) wohl 
fühle, wie die Sprache, ja zum Xheil die Gedanken nicht 
durchgängig des Sängers ber göttlichen Komödie wuͤrdig 
ſcheinen. 

Die neunzehnte Canzone: Io non posso celar lo 
mio dolore, hat, tvie id) nicht verſchweigen will, ihren Platz 
gewiſſermaßen ale Lüdenbüßer erhalten. Da naͤmlich Vil: 
Canti, mie ſchon mehrfach erwähnt worden, bie Zahl ber 
Canzoni morali e d’ amore, bie Dante im Exile gedich⸗ 
tet, auf zwanzig angibt, fo wuͤnſchte ich diefe Zahl beizus 
halten und ſchob, big fi) ein beffer beglaubigte finden 
wird, ein Gedicht ein, von dem es allerdings fehr zweifel- 
haft iff, ob e8 von Dante herruͤhrt. Die Autorität, auf 
welche baffelbe Dante zugefchrieben ward, ift diefetbe Hand- 
ſchrift, aus mwelher Dionifi unfere 16te Canzone heraus: 
gegeben bat (Gaddian. Pint. XC Inf. Cod. 37, I. No.XVI:, 
und in der That ift die Sprache fo ebel und gehalten, 
daß fie Dante8 nicht unwuͤrdig erfcheint. Nicht allein fin: 
det fich inbeß diefelbe Canzone im Cod. Riccardian, 1103 
und bei Giunta ohne Namen; fondern die Ausgaben der 
Gedichte des Cino (Ciampi Canz. VII. p. 71), ja das 
erfigenannte Manuſcript felbft (IX. Ne. IX) legen fie an einer 
andern Stelle dem Piftojefen bei *). 


Im Obigen ift die Auswahl derjenigen Canzonen ger 
rechtfertigt worden, die in gegenwärtiger Sammlung mit 
Dante8 Namen bezeichnet find. Es ift weiter zu prüfen, 
mit welchem Rechte Handfchriften und Ausgaben nod) an: 
dere Canzonen unferm Dichter zufchreiben. 

Was zunaͤchſt die Canzonen betrifft, die Wilhelm v. 
Monferrat unter Dante8 Namen gebrudt hat, fo wird es 
einer weiteren Prüfung in Betreff der beiden nicht beduͤr⸗ 


*) Bal. Fraticelli p. CCCXLIV. 


LIII J 
fen, die außer dieſem unzuverlaͤſſigen Herausgeber alle uͤbri⸗ 
gen dem Cino von Piſtoja zuſchreiben, da id) zwar die 
erfte unter ihnen (L’ alta virtü) in dem Cod. Marcian, 
191 verkehrter Weife unter Guido Cavalcanti’& ), 
feine von beiben aber irgendwo in Handfchriften unter 
Dante'8 Namen gefunden habe ?). 

Von den übrigen ift die erfte (lo miro i crespi) ſchon 
wegen der, Dante'8 Tone völlig fremben, betaillitten, faft 
finnlichen Körperbefchreibung unferm Dichter, bem fie noch 
Ginguené beilegt *), abzufprehen. Dagegen findet fie ſich in 
mehren Handfchriften, und vermuthlic mit Recht, unter dem 
Namen des Fazio degli Uberti. So im Cod. Laurent. Plut. 
XL. Cod. 46. No. XXIX, im Cod. Riccard, 1050, in 
einer Trivulzio ſchen und einer Perticarifchen Handſchrift *). 

Die weite (La bella stella) citirt Taffoni *) al8 von 
Dante berchbrend, und audy Arrivabene®) häft fie wegen 
der Aebnlichteit von Str. 5. 3.4 mit Inf. INI, 136 und 
Ganz. 14. Str. 1. 3.10 für det; doch legt, fie Ciampi 
(Ganz. 8. p. 79) mit der Marcianer Handſchrift 191 dem 
Gino, Baleriani ”) aber mit dem Cod, Vatican. 
No. 4823 dem Guido Guinicelli bei. Für die legte 
Meinung erklärt fi aud) Nannucci ®). 

Die dritte (Perchè nel tempo rio) fängt mit einem 
Heptafplabus an. Nun fagt aber Dante im Vulg. Elo- 
quium (II, 12): ,,Sicut quaedam stantia est uno hepta- 
syllabo conformata, sic duobus, tribus, quatuor, quin- 
que videtur posse contexi, dummodo in tragico vincat 


1) Gicciaporci I. c. p. 148, 

2) Vol. auch Triffino Poetica Ed. Vallarsi. p. 77. 

3) Italien. Weberfegung des Perotti II, 24. 

4) Vol. die Anm. in der Biblioteca economica p. 112 und 
Monti Proposta II, 1. p. 238. 

5) Im Commentar zu Petrarca'8 achtem Sonett. 

6) Amori e rime di Dante p. 260. 272. 

7) Poeti del primo secolo 1, 96. 

8) Manuale 1, 83, 


LIV 


hendecasyllabum et principiet. Verumtamen quosdam 
ab heptasyllabo tragice principiasse invenimus, videlicet 
Guidonem de Ghisileriis et Fabritium, Bononienses— — 
et quosdam alios, Sed si ad eorum sensum intrare 
velimus, non sine quodam Elegiae umbraculo haec tra- 
goedia procedere videbitur. So iſt es denn nicht glaub⸗ 
Hd, daß Dante felbft die erwähnte Licenz, welche er, al8 
der Winde der Canzone (stylus tragicus) unangemeffen, 
tabelt, fi genommen haben, und noch überdies die einzels 
nen Strophen zur vollen Hälfte aus Heptaſyllaben zuſam⸗ 
mengefegt haben folte Im der That fchreibt Ciampi 
(Ganz. 5. p.59), in Uebereinftimmung mit ber fonft Bo ffi= 
Then, jest Trivulzio ſchen Handfchrift, die Canzone dem 
Gino zu; während die Marcianer Handfchrift 191 Guido 
Cavalcanti zu ihrem Verfaffer macht. 

Die vierte unter jenen Canzonen (Giovine donna) wurde 
fhon von Quadrio!) und Roffetti?) fire unaͤcht er 
klaͤrt, wie benm namentlich Morte wie meggio und vega 
unmöglich aus Dante's Feder gefloffen fein können. Der 
Cod. Marcian. 191 legt fie, Gino be. 

Ebenfalls Cino ift mit ber erwähnten Handfchrift der 
Sanct Marcusbibliothe und mit Ciampi (Canz. 9. p. 83 
und Ganz. 6. p.65) für den Autor der fünften und fechften 
Canzone (Dacchè ti piaceunb L’uom che conosce) zu halten. 
Die ztoeite biefer Canzonen fteht aud) in bem Cod. Gad- 
dian. XC, Inf. 37. IX. No. VII unter Cino's Gedichten; 
doc) ift zu bemerken, daß biefelbe bei Ciampi offenbar ent: 
ftellt ift und in ben Rime antiche und den daraus entlehn⸗ 
ten Abdrüden bei Batta u. f. to. bie richtige Form dec 
wahrt bat. 

Die fiebente (Io non pensava) wird zwar nod) von 
Nannucci *) ale Dante gehörig citirt, ift aber nad) drei 

1) Storia e ragione di ogni poesia . . 2. L 
— L ep CCLVIL 13 cap 2 Ba 

2) Comento analitico II, 411. 

3) Manuale II, 43. 








LV 


Laurentianifchen (Plut. XLI. Cod, 20, II. No. XLII, 
Cod, 34. XXXIII, Gaddian, Plut. XC. Inf. Cod. 37, VI) 
und zwei Marcianifhen Handſchriften (63 und 191) un: 
zweifelhaft von Guido Cavalcanti). - 

Die achte jener Canzonen (L’ alta speranza) ſteht bei 
GCorbinelli und Ciampi (Canz. Il. p. 105) unter 
Cino’s Namen. Demfelben fehreiben fie auch Gif 
fino?) und bas Wörterbuch der Crusca ") zu. Indeß 
legt die oft erwähnte Laurent. Gabdian. Handfchrift XC, 
Inf. 37, welche fie an der einen Stelle unter Cino's Se 
dichten "aufführt (IX. Ne. XI), fie an einer andern (I. 
Ne. XVII) Dante bei. Diefe Autorität fehlen mir in der 
erften Ausgabe genügend, bie Canzone mit der Erklärung, 
daß ich fie für unaͤcht halte, aufzunehmen. Der Marcia: 
ner Coder 191 ſchreibt fie Guido Cavalcanti zu. 

Daf endlich die neunte (Oimè lasso) vermutlich nur 
durch eine Verwechſelung Zane's gegen deffen Willen unter 
Dante'8 Gedichten mit abgedruckt ift, wurde fhon oben ge: 
zeigt. Nach der ebengenannten Marcianer Handfchrift und 
nad Ciampi (Ganz. 14. p. 133) gehört fie dem Cino, 
auf deffen perfänliche Verhättniffe fie beftimmte Anfpieluns 
gen enthält ). Dennoch citirt fie Ginguene °) als 
Dante's Merk. 

Außer den genannten neun bat Fantoni nod) die 
Ganzene: Non spero che giammai unter Dante's Gedichte 
aufgenommen. Nad der Marcianer Handfehrift Nr. 292 
legte der Testo Bembo fie bem Ser Noffo, Notajo di 
Oltr’ Arno bei, und mit diefem Namen finden wir fie bei 
Valeriani (I. c.) bezeichnet. Der, Cod. Marcian. 191 


2 Rh mehr Handſchriften citirt Gicciaporci 1. c. 
di 2) Lc. p.62. 66, 74. 

3) s. v. affetta. 

4) Ciampi |. c. p. 304. 

5) Lc. ID 


LVI 


gibt ihre aber Cino zum Verfaffer, toomit ein Gitat bei 
Triffino') übereinftimmt, und daß diefe Bezeichnung die 
ridtige fei, befundet Dante ſelbſt (Vulg. Eloqu. II, 5). 

Fener will Vitali?) nad) feiner Handfchrift die Can: 
gone: Nel tempo, che s’ infiora e cuopre d’ erba, teldje » 
Giunta ohne Namen gebrudt hatte, Dante vindiciren. 
Arrivabene ?) pflichtet ihm bei, und Fraticelli*) er 
mähnt noch, daß aud) bie Palatiner Handſchrift Dante als 
Urheber dieſes Gedichte bezeihne. So anmutbig indef 
diefe Canzone ift, fo ſcheint mir der Ton berfelben zu leicht, 
um fie unferm Dichter mit einigem Grunde zufchreiben zu 
finnen. Sie erinnert lebhaft an die Canzone: To miro 
* i crespi, und in ber That rührt fie nach dem Zeugniß der 
Laurentianer Handſchrift' Plut. XL. Cod, 46, Nr. XVII, 
gleich jener, von Fazio degli Uberti ber. 

Endlich behauptet Fraticelli °) mit großer Beftimmt: 
heit, die beiden Seftinen, melde Giunta in einer alten 
Handfehrift mit der von Dante felbft als ihm angehörend 
bezeichneten (Ganz. 20), zufammengefunden und am Schluffe 
feines zehnten Buches herausgegeben (Amor mi mena tal 
fiata al’ ombra und Gran nobiltà mi par vedere all’ 
ombra), rührten ebenfalls von unferm Dichter her. Qua: 
drio und Caſtelvetro find gleicher Unfiht; irrig aber 
iſt e8, wenn Fraticelli auch Cregcimbeni®) ale einſtim⸗ 
mend anführt. Was nun die Frage felbft betrifft, fo 
fobeint mir gerade das Argument, auf das Fraticelli fich 
faft ausſchließlich fügt, am entfchiebenfterr gegen ihn zu 
fprechen. Gerade weil beide Seftinen in Gedanken und 
Form nur ein Nadball jener erftern find, Können fie une 


1) 1. c. p.28. 30, 65. 

2) Lettera p. 15. 

3) Amori di Dante p. CCLVI. 
4) p. CCCXLII. 

5) p. CCXLI—IM. 

6) Commentarj T, 143. 





LVII 


möglich von Dante fein, der ſicher die Beit nicht damit 
verſchwendet haben wuͤrde, ſich felbft zu copiren. Es tritt 
aber nody ein anberer Gegengrund Hinzu: in ber richtig 
conftruirten Seftine follen zu Ende der Zeilen nicht nur 
gleihgefhriebene Worte durch alle ſechs Strophen bin: 
durd) wiederkehren, fondern weſentlich die ſelben Worte. 
So verhält es ſich denn auch in der wirklich Dante zuges 
hoͤrenden Seftine. In den beiden nachgeahmten kommt 
aber nicht nur colli zugleich als Plural von collo und 
colle, fondern auch als Gonjunctiv von cogliere vor; fer: 
ner petra al Subftantiv (pietra) und zugleich als En: 
digung des Zeitwortes impetrare. Endlich fehlen in beiden 
Schlußſtrophen die wiederkehrenden Endmworte in der Mitte 
der Zeilen. 


Schließlich find noch diejenigen Canzonen zu erwähnen, 
die, ohne bis jegt unter Dante8 Namen gedrudt zu fein, 
in Handfehriften unferm Dichter beigelegt werben., 

Gedrudt, aber nicht ald Dante angehörend gedruckt, 
find zuvoͤrderſt die unter Cino's Gedichten zuerft von 
Ciampi (Ganz. 31. p. 280) herausgegebene: Nel tempo 
della mia novella etate, und bie querft von Allacci 
(p.377) al8 cin Wert des Guido Guinicelli gebrudte 
Canzone. Avvegnachè io m’ aggia più per tempo *), 
welche beide in dem Marcianer Cover 63 ala Canz. 22 
und 24 Dante zugefchrieben werden. Die erfte diefer beis 
den Canzonen erinnert mit ihren breit ausgefponnenen und 
unverftändlichen Adegorien an Francesco da Barber 
tino, und Ausbride wie allebbia, scima, tolga, paora 
tauben ihr alle Anſpruͤche, für ein Product Dante'8 zu 
gelten. Die zweite ift allerdings von großer Schönheit, 


*) Baleriani Poeti del primo secolo, I, 87. Palermitas 
ner Sammlung I, 405. 
“eg 


LVII 


und erinnert lebhaft an bie erfte Canzone ber Vita nuova; 
jedoch fo, daß man eher glauben fann, Dante habe bei der 
legten an dies Gedicht des großen Bolognefer Guido ge 
dacht, alé daſſelbe gehöre ihm felber an. 

Unter den, meines Wiffens, nody ungebrudten Canzo= 
nen ift bie verbreitetfte ein Lobgedicht auf einen Laifer, 
vermuthlich Heintich VII, in 15 Strophen von je 12 Zeilen 
mit dem Anfange: Virtù, che ’l ciel menasti (ober mo- 
vesti) a sì bel punto. ie findet fid unter Dante 
Namen (als Alfte Canzone) zunächft in der, früher von 
Apoftolo Zeno befeffenen, jest Marcianer Handſchrift 
Ne, 191, aus welcher ich, wie bereit6 erwähnt warb, unfre 
18te Canzone herausgegeben. Nach einer darin enthaltenen 
Bemerkung ift fie im Mai 1509 durch den Venetianer 
Suriften Antonio Mezzabarba nad) „antiquissimi 
libbri manuscritti“ copitt. Ferner wird fie nach Trivul⸗ 
zio's btieflichen Mittbeilungen in Vitali"8 Handfchrift 
und einem Manufeript der Barberiniana zu Rom unferm 
Dichter zugefchrieben. Triffimo!) citirt fie mehrfach ale 
von Dante herruͤhrend, und aud Ubaldini?) führt fie 
als Canzone in lode di Enrico VII an. Der Erftere theilt 
die erfte Strophe mit; ein anderes Bruchſtuͤck (bie 10te 
Strophe) habe id) abdruden laffen *). Aller diefer Auto: 
täten unerachtet halte ich die Gedicht mit feinen confufen, 
ſich ftet8 miederholenden breiten Lobſpruͤchen für entfchieden 
unddt. Eine andere Marcianer Handfhrift (Nr. 63) 
legt e8 dem Guido Cavalcanti bei, aber auch dies ift, 
wie fhon Cicciaporci bemerkt hat, irrig *). 

Berner fehreiben bie beiden Manuferipte: Laurentian. 
Plut. XL, Cod, 44. 1. No, VIII u. XII und Riccardian. 


1) Poetica Ed. Vallarsi p. 40. 73. 

2) Tavola ai Documenti d'amore di Francesco Barberino 
s. v. „sallire“ e „invilla“, 

3)"Antologia Sett, 1826, p. 47. 

4) 1. c. p. 148. 





LIX 


1156 zwei, auf das innere Verderbniß der Kirche und deren 
Buwiefpalt mit bem Stante bezligliche Canzone: Io fui 
fermata chiesa e ferma fede und: lo sono ’} capo mozzo 
«@alP imbusto Dante zu. Unter dem gieidien n fine 
det bie erfte ſich aud im Cod Hiccardian, 1050 und 





Strozz, 161, während eine ehemat8 VBoffr{de, jett The .. 


vulzio ſche Handſchrift fie bem Giannozzo Sacchetti") 
beilegt. Die zweite dagegen fleht im Cod. Marcian, 63, 
als von Guido Cavalcanti herruͤhrend *). Allerdings 
find beide zum Theil in Dante8 Sinne geſchrieben und 
voller Reminifcenzen aus ber göttlichen Komdbdie; doch fehlt 
8 ihnen gar fehr an ber rechten, im das Leben einfchneis 
denden Energie jener berühmten Steafoerfe im Purgatorio 
unb Paradiso. Won ber zweiten dieſer Canzonen hat 
Banbini?) dielegte und Fraticelli *) die erffe Strophe 
herausgegeben. ont bittet in ihr feine beiden Augen 
(Papft und Kaifer), ſich zu verſoͤhnen. Str. 2 und 3 find 
an Jenen, Str. 4 und 5 an Diefen gerichtet; bie fechfte 
Strophe ift eine Art Schlußgebet. Der Papſt wird fehr 
demuͤthig gebeten, tem Streît der Guelfen und Ghibellinen 
ein Ende zu machen, nah Rom zuruͤckzukehren, und das 
weltliche Schwert dem Kaifer zu Übergeben. Der Raifer 
witd aufgefordert, fern Schiff nad) der Tibermündung zu 
wenden. Aber mit Sorge bittet Roma, daß bied Contra ’I 
voler del mio Vescovo degno, vicario di Dio fein könne; 
darum möge denn ber Kaiſer fidi vor allen Dinger alle 
papali braccia wenden, Melde ſich dann ficher infino all’ 
unghia (!) aufthun werben, vorausgefegt, baf Fener in 
ogni verso besifert fsi, ber santa chiesa zu gehorchen. 
Schon Cicciaporci dermuthet, daß dieſe Canzone fi 


1) Erescimbeni L c. III, 235. 
2) Cicoiaporci L c. p. 148. 
3) Catalogus V, 50. 

4) p. CCCXLAT. 


LX 


auf die Zeiten Ludwig des Baiern beziehe, und es bedarf 
Feiner Bemerkung, daß Dante fo nicht fchreiben Eonnte. 
So wie die Schlußſtrophe bei Bandini lautet, ſcheint fie 
Dante8 Namen als Reimtoort und Unterfchrift zu haben; 
dante ift aber nur Abkürzung von davante, und andere 
Bandſchriften lefen ’nnante. 


Eine vierte, noch unebdirte, Canzone über die Freund: 
fhaft: La vera sperienza vuol, ch’ io parli legen die 
Handfchriften Laurent. Plut, XL. Cod. 43. IV und Ric- 
cardian, No. 1100 unferm Dichter bei. Außerdem findet 
ſich in einem 1443 zu San Miniato gefchriebenen Manu- 
feripte der göttlichen Komödie (Laurent. XL, 34) eine 
Notiz über Dante's Schriften, und darunter: De Amici- 
tia, rythmo vulgari, librum unum. Dagegen erwähnt 
Bandini (p. 45), in andern (2) Handfehriften finde fich 
diefe Canzone unter dem Namen des Cino del Borgo 
di San Sepolcro, den auch Allacci in feinem Ver: 
zeichniß altitalienifcher Dichter mit aufführt. Die Canzone 
ift in beiden Handfchriften ziemlich entftelit, und daher nicht 
durchgehends verftänblich; doch iſt nicht zu verfennen, daß 
es auch ihr an der Kraft und Präcfion Dante {her Sprache 
fehlt. Beſonders auffallend ift indeß, baf alle Reime der 
Schlußſtrophe rime tronche find, was meines Wiffens fonft 
nirgend bei Dante vorkommt. 


Die legte der ungedrudten Canzonen, von benen auch 
Fraticelli Notiz gibt, findet fih mit den Anfangswors 
ten: Lo doloroso amor, che ii conduce in berfelben 
Handſchrift der Riccardiana unter Dantes Namen. In 
den zwei legten Beilem ber erften Strophe heißt e8: 

. . . la mente mia sospira e dice 
Per quell’ amor ch’ ha nome Beatrice, 


und id) halte e8 nicht für unmöglich, daß diefe Canzone, 
ebenfo wie unfere erfte, cin aufier der Vita nuova auf und 
gefommene8 Trauergedicht über Beatrice Tod fe; doch 








LXI 


bleiben bei der großen Ungenauigkeit des einzigen Manu: 
feriptes viele Stellen mir dunkel *). 

Schließlich find noch einige ungebrutte Canzonen zu 
erwähnen, von denen Fraticelli Feine Kunde gibt. Buerft 
bat der Marcianer Coder 137, der im 16ten Jahrhundert 
di un libro antichissimo dei frati del zoccolo di Siena 
copirt ift, eine Canzone mit dem Anfang: Alcides veggio 
di sul seggio a terra unter Dante'8 Namen, von der ich, 
wie ſchon erwähnt, Bruchſtuͤcke in ber Antologia (I. c. 
p. 44, 45, 55) mitgetheilt babe. Es ift diefelbe durch 
vielfache mythologiſche Anfpielungen und Allegorien ziemlich 
undeutlich; doch erbellt fo viel, daß der Dichter das üble 
Regiment und die Sittenlofigkeit einer Stadt, vermuthlich 
feiner Heimath, zum Theil in ſchoͤnen, frdftigen Verfen 
beklagt, und ihr noch ſchümmere Geſchicke für die Zukunft 
prophezeibt. Seit Kari mit Schmerzen gefommen, fei 
ihr Unheil ſtets gewachſen und werde es noch ferner thun. 
Es liegt fehr nahe, hiebei an Florenz und Karl ohne Land 
gu benfen. Die Endſtrophe richtet das Gedicht an einen 
hochgepriefenen Freund und am Schluffe heißt e8: 

Or t’ apri dunque solamente a lui, 

E non mica ad altrui, 

E mostra questi due diversi versi, 

Che sono bianchi e neri, e non di persi: 
„Vestibus Herculeis exuitor foemina plorans, 
Ulciscitur Juppiter illam et fulminat urbem.“ 


Nod entbdit die oft erwähnte Marcianer Handſchrift 
Nr. 63 drei Canzonen, als Dante's 23fte, 25ſte und 26ffe 


*) Rod) gebeiftt Fraticelli p. CCCXLIV einer Gangone: 
Novella Monarchia, giusto signore, bie in gewiffen Band» 
ſchriften ber Laurentiana Dante beigelegt merde; in welchen, 
fagt er nicht, und id) kenne keine ſolche. Dagegen findet fie ſich 
in zwei Danb[driften gleichmäßig ala von Maeftro Simone 
Saviogzo da Siena an ben Sue 9 Galeazzo von Mailand 
geld senta. XC, Inf. cod. No, VII. cod, 37. 

o, 


LXI 





(bued) einen Schreibfehler heißt «8 nochmals: Vigiessima 
quinta), beren Anfangszelen alfo lauten: Questa è la 
donna, che lo mondo alluma, O conditor dello beato 
regno unb Rinchiusi gli occhj miei dal pianto stanchi. 
Befonders bie beiden erflen find in dem Manufeript fo 
ſehr entftellt, daß es an manchen Stellen unmoͤglich if, 
den Sinn vollftändig zu errathen. Mehr als einmal ift 
die richtige Structur ber Strophe verwiſcht, ober es fehlen 
einzelne Zeilen, und es ift nicht fuͤglich mit Sicherheit zu 
entfcheiden, ob an biefen Unregelmdfigleiten allein des Abs 
ſchreibers Mangel an Sorgfalt, ober vieleicht auch bie 
Flüchtigkeit des Dichters Schuld if. Die erfie preift ein 
bere Weib, als das Heil des Menfcengefchlechtes; irre 
ich nicht, fo if der Glaube darunter zu verſtehen. Die 
zweite ſchilt die Nichtachtumg von Recht und Gefeg, deren 
fih) Alle vom Fuͤrſten und Harn bis herab zum Bürger 
und Bauer fhuldig madhen, und fleht zu Gott um Wie 
derfebe ber rechten Drbnung. Die britte ſchildert ein 
Traumgefiht, in welchen bie verftorbene Geliehte dem 
Dichter erfheint, und auf feine Frage Über den Zufland 
ihrer Seele Auskunft zu geben verweigert; zur Abmah⸗ 
nung von ber irbifchen Liebe aber ihm ausführlich ſchildert, 
welch ekeler Verweſung ihr einft fo ſchoͤner Körper jegt an: 
heim gefallen fei. — Endlich findet fid) in einer Vitali ſchen 
Hanbfchrift noch eine Canzone auf die göttliche Gerechtig- 
fit: O divina potenzia, tua giustizia, voller Ermabnun: 
gen, die brobende, menn auch zögernde Strafe zu ſcheuen 
und fi den theologifchen und moralifhen Tugenden zu 
befreunden. So gute Gefinnung fich indefi in dem Alen 
ausfpricht, fo ſcheint mir doch Fein gentigender Grund, das 
Gedicht Dante beizumeffen. Vgl Vitali Lettera p. 13. 

Außer biefm Canzonen, von denen mir vollſtaͤndige 
Abfchriften verliegen, weiß ih nod) durch Trivulzio'6 
Mitcheitungen, daß die Vaticaner Handſchrift Ne, 3793 
folgende fünf, Dante zugeſchriebene Inedita bat: 1) Ben 
aggia I amoroso e dolce core. 2) Amor per Dio più 


LXIM 


non posso soffrire. 3) La giovin donna, cui appello 
Amore. 4) A voi gentile Amore. 5) Poich' ad Amore 
piace. Feiner bie bereits erwähnte Barbermni’fche folgende 
drei: 1) Una donzella umile e dilettosa '). 2) A forza 
pur convien, ch’ alquanto spiri. 3) Mercè ti chiero, 
caro signor nostro. Dägegen babe id) von der Canzone: 
Traggemi della mente Amor la stiva (vielleicht spina? 
Vgl. Canz. 9. Str. 4. 3.10, 11), die Dante im Valg. 
Eloqu. Il, 11 fetbft anführt, leiber nirgends eine Spur 
gefunden. 

Endlich ift noch der Lächertiche Irrthum qu erwaͤhnen, 
durch den Arrivabene ?) und Fraticelli®) in Triſ— 
fino’& *) Citation der Anfangszeile bes 2aften Gefanges 
der Hölle die Anflibrung einer ungedruckten Canzone ges 
funten haben. Cin zweites Ineditum glaubte der Erfte *) 
auch bei Venturi‘) gefunden zu haben, mo indef ges 
lefen werben muß: nella Canz. ,,Morte“ cantò: „Muori, 
novella mia non far tardanza.““ Naͤmlich Ganz. 1, 
Str. 5. 3.5. 


Die Ballaten und Sonette, befonders die erfteren, 
fommen in Handfchriften weit feltener vor, ale die Cane 
zonen. Die erften fieben fieben in der gleichen Reihenfolge 
unter Dante8 Namen bei Giunta im zweiten Buche. 


1) Auch die oft genannte Marcianer Handſchrift Nr. 63 legt 
diefe Canzone Dante bei;, an ihrer nds Tann aber fein 
Bweifel fein, ba in der Schlußſtrophe der er theils erwähnt, 
daß er aus dem Gril na ee, quedegete! et fei, unb theils 
ausbrädtich das Jahr 1 
3 Amori è di ante P COXKT. 


PICS en 


8 u Inf, II, 67. 


LXIV 


Vefondres Bedenken macht gleich bie erfte: Fresca 
rosa novella, deren Form und Sprache für Dante zu 
Eindlich fcheinen. Mir ift e8 durchaus nicht gelungen, fie 
in irgend einer Handforift zu finden. Giov. Maria 
Barbieri!) hat fie dem Guido Cavalcanti zugefpro= 
hen, und diefe Vermuthung gewinnt dadurch an Wahr: 
ſcheinlichkeit, daß Guido'8 Geliebte, wie mehrfach erwähnt 
worden (S. 14, 30), Primavera beigenannt ward, und 
in 3. 2 der gegenwärtigen Ballate ein Wortfpiel mit dies 
fem Namen zu liegen fcheint. Indeß hat auh Ciccia= 
porci dies anmuthige Heine Gedicht nirgends alè Guido’s 
Eigenthum bezeichnet gefunden. Aud Dionifi?) und 
Fraticelli®) halten dieſe Ballate für unaͤcht; doch weiß 
ich nicht, auf Wen der Iegtere fich bezieht, wenn er erwähnt, 
Einige (da alcuno) legten fie dem König Enzo bei. 

Von den nun folgenden Ballaten ift die fiebente: 
Voi, che sapete ragionar d’Amore ungtveifelbaft ächt; 
denn fie hat Dante’ eigenes Zeugnig (Conv. III, 10) für 
fih. Außerdem habe ich fie unter Dante's Namen in 
folgenden Handfchriften gefunden: Laurent. Gaddian. Plut. 
XC, Sup. cod. 135, Plut. XC, Inf. cod. 37, und S. 
Marc. cod. 63. Ziemlich ebenfo beglaubigt ift Ball. 3.: 
To mi son pargoletta bella e muova burd) bag Zeugnif 
des Ottimo zum Purg. XXX chiosa prelimin. und der 
Hanbfehriften: Laurent. Plut. XL. cod. 44. Ricard. cod. 
1016 und S. Marc. cod. 63. Die vierte Ballate: Deh 
nuvoletta, che ’n ombra d’Amore fteht in der Marcianer 
Handſchrift 191 unter Dante's Namen. Für die zweite 
(Poichè saziar non posso gli occhj miei), fünfte (lo 
non dimando, Amore) und fechfte (Donne, io non so, 
di che mi preghi Amore) weiß id indeß fein andres 
Beugnig, al8 das des, fonft freilich zuverläffigen, Giunta, 


I) Dell orig. della poesia rimata. Modena 1700, p. 77. 
2) Anedd. II, 97. 
3) p. CCLVIT 





Lav 


anzuführen, wenn man nicht etwa (für die zweite und fechfte) 
bag des Wilhelm von Monferrat fürein ſolches gel 
ten laffen will. Die zweite und fünfte findet ſich ale drit⸗ 
tes Madrigale (p. 196) und erfle Ballate (p. 29—bei 
Ciampi) unter Cino's Gedichten, und Ciampi be 
merft!), daß die legtere, die auch Triffino”) dem Gino 
beizulegen fcheint, in den Handfchriften häufig unter deſſen 
Namen ftehen. Dennoch halte id die zweite Ballate für 
debt; die fünfte aber, wegen der bei Dante ungewöhnlichen 
vierzeiligen Schlußſtrophe (vgl. ©. 171), und bie fechfte 
wegen der Zeile: La dolce mano e quella fede pura ve: 
nigftens für zweifelhaft. 

Die adte (Madonna, quel Signor, che voi por- 
tate) und neunte (Per una ghirlandetta) bat Fiacdi 
(vgl. oben Nr. XXIII) aus einer Handfchrift des Abate 
Aleffandri herausgegeben. ‚Die erfte fchließt fi im Tone 
an die unzweifelhaft aͤchten an, und die Aechtheit der an⸗ 
dern hat durch Trivulzio's Mittheilungen nad) einer Hand» 
ſchrift“, aus welchen id das fleine Gedicht verbeffert herz 
ausgeben Eonnte, Betätigung erfahren. Die zehnte: In 
abito di saggia messaggiera habe id) aus der Marcianer 
Handfchrift 191 und die elfte: Perchè ti vedi giovinetta 
e bella aus der Niccardiana 1050 entiehnt, und beide 
feinen mir bag Gepräge der Aechtheit zu tragen. 


Von Sonetten if und eine fo große Zahl unter 
Dantes Namen überliefert, und die Frage nad) ber Aecht⸗ 
heit ift bei einem Gedichte von fo geringem Umfange fo 
ſchwer mit einiger Sicherheit zu entfcheiden, daß e8 ange⸗ 
meffen erfcheint, hier mehr eine Ueberficht der fpärlich vor= 
bandenen Materialien, al zum definitiven Abſchluß fühs 





hp 2m. 
MN. c. p. 58. — Ueber die zweite vgl. ibid. p. 36. 


LXVI 


tende Unterfuchungen zu geben. Zu dem Ende foll zuerft 
für jedes der in bie gegentoditige Sammlung aufgenom= 
menen Sonette nachgewieſen werden, welche mir befannte 
Handſchriften daffelbe Dante beilegen‘). Die alsdann bei= 
gefügte roͤmiſche Ziffer zeigt an, in telcher der oben auf= 
geführten Schriften es querft ald Dante zugebdrend gedruckt 
ifts wo dieſe Angabe fehlt, erfcheint das Sonett jegt zum 
erften Male. Endlich wird nod) bemerkt, von Wem das 
Sonett einem andern Dichter zugefchrieben ift. 

Son. 1. Dagli occhj belli di questa mia dama. — 
(2?) — VIL — Quadrio?) fehreibt e8 bem Dante von 
Majano zu. 

Son. 2. Voi donne, che pietoso atto mostrate, — 
(?) — VII — Der Codex Ambrosian: O. 63 supra’) 
gibt e8 ohne Namen. 

Son. 3. Onde venite voi così pensose. — Laurent. 
XL. 44. — VI 

Son. 4. Un dì si venne a me malinconia. — (?) 
— XII. — Sraticelli (p. CCCII) ift geneigt, e8 bem 
Dante dba Majano beizulegen. 

Son. 5. Guido vorrei, che tu, e Lappo ed io. — 
Magliabecch, cod. 991— VII. 

Son. 6. Molti, volendo dir, che fosse Amore. — 
Laurent. XL. 44, LXXXIX. Inf. 44, — VII. — Cor: 
binelti (X) gibt e8 al8 d'incerto, ebenfo der Cod. Vi- 
tali (ogl. Vitali Lettera p. 13); Zane (XVI) bemerkt, 
daß es in einer, mir unbefannten, Opera moralissima di 
diversi einem „andern Dichter” zugefchrieben merde. 


1) Diefe Nachweiſung ift höchft ungenügend, da id) gu der 
Beit, wo id) die Handſchriften von Florenz, Venedig und Mais 
land benugte, ein ſolches Verzeidinif nicht beabficitigte, und ba 
Braticelli gerabe bier faft gar feine felbftändige Rachrich⸗ 
ten gibt... " 

$ Storia della poesia, Cap. 4. part. I. 

3) Fernerhin fol diefe Handſchrift bios „Ambros,“ bezeich⸗ 
net werden. 





LXVII 


Son. 7. Di’ donne io vidi una gentile schiera — 
Ambros, — XV. 

Son. 8. Per quella via, che la bellezza corre — 
Laurent. XL. 44, Ambros. — VII. — 

Son. 9. Parole mie, che per lo mondo siete. — 
Laurent. XL, 49, XC. Inf. 37, Riccardian. 1044, Cod. 
Strozzian. 170, Cod. Bossi. — VII. 

Son. 10. O dolci rime, che parlando andate. — 
Laurent. XL. 49, XC. sup. 135, XC. Inf. 37. Stroz-, 
zian. 170, Cod. Bossi, Cod. des Lorenzo da Ponte!) 

Son. 11. Da quella luce, che ’l suo corso gira. — 
Laurent. XL. 44. — VII. — Der Coder Boffi nernt 
Chriffoforo da Monte als Verfaffer. 

Son. 12. Dagli occhj della mia donna si muove. 
— Laurent. XC. Inf. 37, Strozz. 170, Ambros., Cod. 
Lor. da P. — VII. 

Son. 13. Chi guarderà giammai senza paura. — 
Laurent. XL. 49, XC. Inf. 37, Strozz. 170, Cod. Bossi 
und Lor. da P. — VII. — Ambros. ohne Namen. 

Son. 14. To son sì vago della bella luce. — Lau- 
rent. XL. 49, XC. Sup. 135, XC. Inf. 37, Strozz. 170, 
Cod. Lor. da P. und cin anderer(?) von Lorenzo il 
Magnifico herftammender Coder der Trivulziana®) — VII. 
— Ciampi (Son. 3, p. 13) hat e8 unter Cino's 
Namen. 

Son. 15. E’ non è legno di sì forti nocchj. — 
Laurent. XL. 49, XC. Sup. 135, XC. Inf. 37, Strozz. 
170, Cod. Lor. da P. — VIL 

Son. 16. lo maledico il dì, ch'io vidi in prima. — 


1) Diefe Oandſchrift der Vita nuova etc. ift jegt, gleich der ebene 
sewäbnten, fonft dem Maler Boffi gehörenden, in der Biblio 
thek des Marchefe Trivulzio. 

2) Giampi p. 328. 


LXVIII 


Laurent. XL, 49. — VII. — Bei Ciampi (Son. 96. 
p. 168) ſteht e8 als Cino gehörend. 

Son. 17. Ahi lasso, ch’ io credea trovar pietate. 
Laurent. XL. 44° — VII — Giampi (Son. 101, 
p. 173) legt e8 in Uebereinffimmung mit Laurent. XC. 
Inf. 37. bem Gino bei. 

Son. 18. Nelle man vostre, o dolce donna mia. 
C. Vatican. 3214, Strozz. 170, Marcian. 191, Ambros., 
Cod. Bossi und Lor. da P. — VII — Ciampi (Son. 
97, p. 169.) gibt «8, in Uebereinffimmung mit der Hand: 
fchrift des Lorenzo Magnif., als cin Sonett Cino’s. 

Son. 19. Se vedi gli occhj miei dı pianger. vaghi. 
— Laurent. XL. 44. — VII. — Ciampi (Son. 98, 
p. 107) fereibt e8 Gino zu; die Crusca v. ,, svagare “ 
ſtimmt aber für Dante. 

Son. 20. Messer Brunetto, questa pulzelleta — 
(8) — XIL 

Son. 21. Questa donna, ch’andar mi fa pensoso 
— Ambros. — VII. 

Son. 22. Lo fin piacer di quello adorno viso. — 
(2) — VII. — Diefe beiden Sonette (21 u. 22.) fies 
hen im Cod. Laurent. XC. Inf. 37, und, nad) Ciam= 
pi'8 Angabe*), auch in ben beiden, jest dem Marcheſe 
Trivulzio gehörenden, Handfchriften des Lorenzo Magnif. 
und des Cardinal Bembo, unter Cino's Gedichten, in 
deren gedruckten Sammlungen (Ciampi Son. 6, p. 16 
u. Son. 10, p. 24) ihnen gleichfalls ein Platz eingeräumt ift. 

Son. 23. Ben dico certo, che non è riparo. — 
Laurent. XL. 49, XC. Sup. 135, XC. Inf. 37, Strozz. 
170, Cod. Lor. da P. — VII. — Giampi (Son. 
112, p. 184) fihreibt es Cino zu. 

Son. 24. Non vaccorgete voi d’un che si smuore 
— (?) — VII. — Cod. Laurent. XC. Inf. 37, for. 


H p. 328, 345." 


x 





LXIX 


Magnif. und Ciampi (Son. 95, p. 167) nennen Cino 
als Verfaſſer. 

Son. 25. Madonne, deh vedeste voi } altr’ieri. — 
(?) — VI — Ciampi (Son. 16, p. 32) bat, mit 
Beiftimmung der Handfchrift des Lorenzo Magnif., dies 
Sonett unter Cind's Gedichten. 

Son. 26. Quando la notte abbraccia con fosch’ ale 
— (2) — XI 

Son. 27. O madre di virtute, luce eterna, — (?)_ 
— X. — Valeriani Poeti del primo secolo (Ii. 42) 
ſchreibt e8 dem Monte Andrea da Firenze zu. 

Son. 28. Giovinetta gentil, poichè tu vede, und 

Son. 29. Se gli occhj miei saettassero quadrella 
— Beide aus der Stadtbibliothek in Perugia. — XXIX. 

Son. 30. Ahimè, ch'io veggio, ch’ una donna viene. 
— C. Bossi und Bembo!) — XXXI — Bei Ciampi 
(Son. 63, p. 109) feht e8 als Cino gehörig. 

Son. 31. Poi ch’ io non trovo chi meco ragioni 
— Laurent. XC. Inf. 47. XXXIV. Cod. Marucellian ?), 
Alessandri. — XI. (vgl. XXIII). 

Son. 32. Io mi credea del tutto esser partito — 
Laurent. XL. 44, Cod. Bossi — VII. 

Son. 33. Tu, che stampi lo colle ombroso e fresco 
— Archivio Armanni in Gubbio (?). — XVIIL 

Son. 34. Savere e cortesfa, ingegno ed arte — 
(2) — vu. i 

Son. 35. Deh ragioniamo un poco insieme, Amore. 
— Cod. Alessandri, Ambros, — XXIII. 

Son. 36. Due donne in cima della mente mia. — 
Pefarefer Handſchrift — Perticari im Poligrafo (vgl. 
XXVII). — Cod. Marcian. fdreibt e8 einem Puccio 
Bellandi?) zu. . 








3) In AREA 8 Regifter heißt er Belonbi. 


LXX 


Son. 37. Volgete gli occhj a veder chi mi tira — 
Pefar. Handſchrift, Ambros., Cod. Bossi. — Perticari 
im Poligrafo. 

Son. 38. O’ mè Commun, come conciar ti veg- 
gio und 

Son, 39. Se nel mio ben ciascun fosse leale. — 
Cod. Feroni — XXIII. — Bei Allacci p. 54, 155 une 
ter dem Namen de Ant. Pucci. 

Son. 40. Sonetto, se Meuccio t'è mostrato. — 
Cod. Alessandri, Marcian. 292, Cod. Bossi — XXIII 
Son. 41. Nulla mi parrà mai sì crudel cosa, 

Son, 42. Ora, che ’l mondo si adorna e veste, 

Son, 43, Se’lbello aspetto non mi fosse tolto und 

Son, 44, Lo re, che merta i suoi servi a ristoro 
ſammtlich Cod. Ambros, — XXXIII 

Son, 45. Togliete via le vostre porte omai — 
Ambros. und neu acquirirte Handfchrift der ©. Marcus: 
bibliothe. — XXXIII 

Son. 46. Poichè sguardando ’| cor feriste in 
«tanto, und 

Son. 47. Per villanfa di villana persona — Am- 
bros. — XXXIII. 

Son. 48. Dal viso bel, che fa men chiaro 'l sole 
— Cod, Vitali). ’ 

Son. 49, Molte fiate il giorno piango e rido, — 
Cod. Bossi *). 

Son. 50. Se lagrime, dolor, pianti e martiri. — 
Neuacquirirte Handfehrift der St. Marcusbibliothet. — 
Die neuerworbene Laurentianer Handſchrift Nr. 1687, f. 
229 fihreibt e8 dem Simone Serdini dei Sa: 
viozzi zu. 


1) Bol. Vitali Lettera p. 13. 

2) Diefe fchon öfter angeführte Ganbfdrift, welche, wie ber 
reits erwähnt, jegt dem March. Trivulzio gehört, ift im 
1425 incolte Pin de — fi sk 


LXXI 


Son. 51. © pien d’affanni mondo, cieco e vile, — 
Cod. Bossi. 

Son. 52. Se la Fortuna t'‘ha fatto Signore. — 
Riccardian. cod. 1103. — Sm Cod. Laurent. XL. 43. 
XV. Nr. XIV ſteht dies Sonett ohne Namen; im Cod. 
49. Plut. XLVII ibid. und bei Erescimbeni III, 156 
aber unter bem des Ser Ventura Monaci. 

Son. 53. Com’ più vi fiere Amor co’ suoi vinca- 
stri. — Cod. Marcian. 292'). — Dies Sonett wird, 
als Dante angehörend, von der Crusca s. v. ,, trovare“ 
und von Ubaldini (Tavola ibid.) citirt. 

Son. 54. Deh sappi pazientemente amare. — Lau- 
rent, LXXXIX., Inf. 44. 

Son. 55. Quanto si può, si dee senza disnore — 
Laurent, XC. Inf. — Im Cod. Bossi dem Meff. Be: 
nuccio Salimbeni beigelegt. 


Von diefen Sonetten werben, wie gezeigt worden, allein 
elf (14, 16—19, 21—25 und 30.) anderwärts dem 
Gino zugefchrieben. Von allen diefen will Sraticelti') 
nur Son. 14, 16 und 19. als det anerkennen, indem 
er, etwas Übereilt, behauptet, daß bie fibrigen von feiner 
handſchriftlichen Autorität Dante beigelegt würden. Mir 
ift gerade das 16te Sonett, deffen Acchtheit auch Qua: 
drio, Dionifi und Ginguené anerkannt haben, etwas 
verdächtig. In VBetreff der beiden andern, von Frati: 
celti al8 det hervorgehobenen, flimme ich überein. Bu 
Gunſten des 18ten und 23ften fpredjen zahlreiche Autos 
titäten, und wenn „d’Amor selvaggia“ in Xerz. 1, 3. 2 


1) Im Jahr 1753 nad) einer im Jahr 1564 von dem Abate 
Lorenzo Bartolini aus Florenz (dal testo di Monsignor 
Bembo) gefchriebenen Handſchrift copirt. 

1) p. CCLXXXII aq. 


LXXII 


auch einen Verdachtsgrund geben kann, fo ift e8 doch uns 
zuläffig, alle Gedichte, in denen bag Wort selvaggia vor- 
fommt, ohne Weiteres dem Gino zuzufchreiben. Für Son. 

- 24 weiß ich zwar Feine handfchriftliche Beglaubigung, boch 
ſcheint mir der Ton entfchieben für Dante zu fprechen. 
Dagegen ift mir Son. 17 fehr verdächtig. In Betreff 
der Übrigen wage ich fein beftimmtes Urtheil. Ueber bie 
Reimftellung der Zerzette in Son. 14 und 23 vgl. 
©. 184. 

Von den uͤdrigen Sonetten (fo weit fie ihm ſchon bes 
fannt waren) mill Fraticelli nod) das zwölfte als ent: 
ſchieden unaͤcht verwerfen. Darunter Son. 1 und 4, für 
weiche uns jede handfchriftliche Autorität, für oder wider, 
abgeht, unb bie, wenn fie debt find, in Dante's frühefte 
Beit fallen miffen. Fuͤr das fechfte, das Fraticelli gleich⸗ 
falls verwirft, fprechen nicht nur mehre Autoritäten, fon: 
dern auch die Verwandtfhaft mit den Worten ber Vita 

- nuova. Cap. 25. Potrebbe quì dubitar persona, degna 
da dichiararle ogni dubitazione, e dubitar potrebbe di 
ciò, che io dico d'Amore, come se fosse una cosa per 
se, e non solamente sustanzia intelligente, ma siccome 
fosse sustanzia corporale. La qual cosa, secondo la 
verità, è falsa, che Amore non è per se siccome sus- 
tanzia, ma è und accidente in sustanzia, und mit Son. 
10 daf. (vgl. auch Conv. III, 2.) Desgleichen die Par: 
altelftellen, die S. 178, 79 angeführt find. Das 2öſte, 
27fte und 33ſte Halte id) mit Fraticelli für unddt. In 
Betreff des legten ift auch Ugo Foscolo*) einverftanden; 
vermutblid) hat ihm nur bie zweite Zeile des erften Ta: 
zetts zu Dante Namen verholfen. Das 34fte und 35fte 
fann id nur als zweifelhaft anerkennen; in Betreff des 
legten ift einem Hauptbedenken Fraticelli's, dag naͤmlich 
der legten Zeile der Reim fehle, durch Umftellung der 
Worte leicht abgeholfen. Dergleihen Febler pflegen über: 


*) Discorso sul testo p, 201. 


LXXII 


haupt nicht den Dichtern, ſondern den Abfchreibern gue 
Laft zu fallen. Das mehrfach, beglaubigte 37fte halte ich 
für Acht. Das 38fte und 39fte find vieleicht richtiger bem 
Ant. Pucci zuzuſchreiben; jedenfalls aber fehr in Dante’s 
Sinne. Das 40fte endlich, glaube id) nur den zweifelhaf: 
ten beizdblen zu koͤnnen. 

Nod zaͤhlt Fraticetli fünf Sonette (20, 28, 29, 
42 und 47), deren Xechtheit er nicht entfchieden leugnen 
will, aber doch bebenklich findet. Id bin in Betreff aller, 
wie fhon in ber erfien Ausgabe ausgefprochen war, gleis 
der Anſicht. 

So bleibt denn (die von mir zuerft bekannt gemad= 
ten abgerechnet) nur eine Elsine Zahl von Sonetten (2, 3, 
5, 7—13, 15, 31, 32, 36) unangefochten, unb felbft © 
unter biefen fommen, mie erwähnt worden ift, das elfte 
und 36fte in Handſchriften auch unter anderm Namen vor. 

Unter den adt Sonetten, die jegt zum erften Mat 
aus Handfchriften mitgetheilt werden, ift vielleicht Feines, 
deffen Aechtheit ich für unzweifelhaft erklären möchte. Da 
indeß der Originaltert den Lefern noch nicht vorliegt, ſcheint 
e mir beffer, die Unterfuhung für jegt ganz binaus= 
zuſchieben. 


Was für die Anordnung dieſer Sonette geſchehen, 
ift leider febe ungenügend. Der Gegenfag von den zum 
Cyklus der Vita nuova, ober zu dem des Convito gehoͤ— 
enden Gedichten findet fid unter den Sonetten, wie une 
ter den Canzonen. So wurde denn urſpruͤnglich beabſich⸗ 
tigt, die Sonette in zwei Theile zu zerlegen. Indeß ift 
diefer Plan fat nur in Betreff des alten Stammes, von 
Giunta überlieferte Gedichte ausgeführt, worden, ba bie 
imeifelbafte Uechtheit der Mehrzahl der fpäter hinzugekom ⸗ 
menen, es angemeffener erſcheinen Lie, fie in einer Art 
untergeordneten Anbange8 anzureihen. Wird die Kritik 
dereinft erft zu ſichereren Nefultaten gebiehen fein, fo wird 

Dante, Lyriſche Gedichte. IL —8 


LXXIV 


jenes Eintheilungsprinzip in weiterem Umfange bucchgeführt 
möffen. 


werben 


Bunächft ber Vita nuova verwandt ergeben fich die er 
ſten acht Sonette, und es iſt nad) ben ſchon oben S. XLV 
gemachten Bemerkungen zu vermuthen, daß wenigſtens einige 
unter ihnen zugleich mit den, in jenem Büchlein comme: 
tirten, Gedichten entflanden, und nur bei der Rebaction 
beffelben nicht mit aufgenommen murden. Beſonders auf: 
fallend tft die Verwandtſchaft zwiſchen unfeem dritten 


Sonette und bem zwölften ber Vita nuova"). 


V. n. Son. 12. 
Voi, che portate la sembianza umile, 
Cogli occhi bassi mostrando dolore, 
Onde venite? 


Son. 3. 
Onde venite voi così pensosi? 


V. n. Son. 12. 
Vedeste voi nostra donna gentile 
Bagnata il viso di pietà d'Amore? 
Ditelmi, donne, chè ? mi dice il core, 
Perch’ io vi veggio andar senz’ atto vile. 


Son. 3. 
Ditemel, s’a voi piace, in cortesia; 
Ch’’ho dottanza, che la donna mia 
Non vi faccia tornar così dogliose. 


V. n. Son. 12. 
Piacciavi di ristar qui meco alquanto, 
E, checchè sia di lei, nol mi celate. 


Son. 3. 
Deh, gentil donne, non siate sdegnose, 
Nè di ristare alquanto in questa via, 
E dire al doloroso, che disia 
Udir delia sua donna alcune cose. 


* Schon Vuttura (XXVII) p. 123 Hat auf diefelbe 


aufmertfam gemacht. 


LXxXV 





Da nun das zweite Sonett in einer ähnlichen Bezie— 
bung zum dritten fteht, wie bas zwoͤlfte und breizehnte der 
Vita muova unter einander, fo wird durch die obige Nadje 
meifung zugleich der Plag des zweiten beflimmt. Das 
vierte erinnert am die, in der zweiten Canzone der Vita 
nuova gefchilberte Vifions das fünfte gedentt (Terz. 1, 
3. 2) ausbrüdtich des ©. 13, 14 erwähnten Sirvented; 
von ber Beziehung des fechften zu Cap. 25 ber Vita 
muova ift ſchon gefprochen, und Son. 7 ift mit Son. 13 
und 14 ber Vita nuova verwandt. Dabei ift nur vor 
dem Mißverfländniß zu warnen, daß das, im Sonette 
gefchilberte, Begegnen nicht etwa für das erfte zwifchen 
Beatrice und dem Dichter genommen werde, da biefes, 
nah S. 11 am 1. Mai und nicht am Allerheiligentage 
flattfand: Endlich ift das achte Sonett dem fechften Abs 
f&nitt ber Vita muova, alfo dem zweiten Trattato bes 
Convito verwandt. Mit ibm find bann das 30fte und 
37fte Sonett zufammenzuftellen. 

Das neunte und zehnte Sonett ſtehen in offenba: 
tee Beziehung zu eiher Gedichtfammlung, und zwar zu 
einer, bem Tyklus be Convito angebi enden (gl. ©. 
181). Diefe Beziehung wird auch in ben einleitenden 
Bemerkungen anerkannt, mit welchen biefe Sonette fi 
im Cod. Laurent. XL, 49. III (Bandini p. 63) und 
Ricard. 1044 (Fraticelli p. CCLXXXVIII, Nr. 30) 
finden. Endlich ift das elfte Sonett gewiffermaßen eine 
weitere Ausführung von Canzone III, Str. 2, 3.5 (vgl. 
Vita nuova cap. 30: nella sua generazione tutti e nove 
li mobili cieli perfettissimamente s’avevano insieme) und 
3. 1 und 2 der zweiten Quartine des vierzehnten ent— 
fprechen der vierten Strophe derſelben Canzone. 


Es iff nunmehr von 19 Sonetten zu berichten, die 
Dantes Namen tragen und auch bereits gedrudt find; 


su. 


LXXVI 


dennod) aber in die gegenwärtige Sammlung nicht mit 
aufgenommen find. 

Schon Giunta (VII) gibt in bem poetifchen Brief 
wechfel drei Antworts⸗ Sonette an Dante da Maiano (Qual 
che voi siate, amico, vostro manto — Non conoscendo, 
amico, vostro nomo und Savete giudicar vostra ragione) 
unter dem Namen unfers Dichterd. — Das erfte ſchreibt 
indeß Valeriant!) dem Tommafo Buzzuola da 
Faenza und das zweite?) dem Mino del Pavefajo 
d'Arezzo zu, und bei der Erbaͤrmlichkeit beider, wird 
jeder Lefer gern die geringe Ehre, ſolche Gedichte gefertigt 
gu haben, von dem großen Alighieri auf die Schultern 
zweier obfeurer Poeten gemwälzt feben. Das britte ift um 
nichts beffer, obwol Ubaldini*) und Nannucci') e 
als von Dante herrührend citiren. So wird e8 benn, wie 
auch Fraticelli®) annimmt, einem toürdigen Genoffen in 
dem Dichterbunde jener zwei angehören. 

Daf Fauftino Taffo (XI) das Sonett: Degno 
farvi (oder favi?) trovar ogni tesoro, als eine Antwort, 
die Dante im Namen des Marchefe Mafafpina auf ein 
Sonett des Gino gebichtet, abgedruckt hat, ift fehon an: 
gebeutet worden. Ciampi°) citirt cine Redi’fche Hand: 
feprife Sd) beſihe eine Aofchrift aus bem Cod. Ric- 
card. 1103, und halte die Aechtheit nad) dem ganzen Tone 
für fehr wahrſcheinlich; doch ift beſonders das erfte Terzett 
ſo corrumpitt, daß die Mittheilung noch ausgeſetzt bleiben 
mußte. 

Wenn Allacci (XII) das 21ffe Sonett des Cino: 
Sel viso mip alla terra s’inchina, cinverftanden mit dem 


1) Poeti del primo secolo II. 252. vgl. Grescimbeni 
Comment, III. 8 8Ì 

2 Lc. p. 386, 

3) Tavola v. „allore“, 

4) Manuale I, 18. II. p. VIIL 

5) p. CCCVII, IX. 

6) p. 312, 


LXXVIÎ 


Cod. Ambrosian. und Marcian. 191, Dante zufchreibt, fo 
Hat ihm Niemand darin beigeſtimmt), und e8 bebarf bas 
ber nicht erft einer Widerlegung. 

Dagegen hat Redi's (XIII) Sonetto rinterzato: 
Quando ’] consiglio degli augei si tenne, gewoͤhnlich une 
ter bem Namen einer Ballate, ſich faft in alle Ausgaben 
eingeſchlichen, obwol es äußerlich fchlecht beglaubigt ift, und 
feinem Tone nad) eher dem Ugolino Ubaldini”), als 
unferm Dichter gehören Könnte. Aud Fraticelli”) hat 
meinem vertverfenden Urtbeil beigeftimmt. — Ueber bag 
zweite Sonett, von dem Redi nur ſechs Zeilen mittheilt 
(Iacopo, io’ fui nelle nevicate alpi) laͤßt fid ein beftimm- 
te8 Urtheil noch nicht fällen; doch möchte man eher ge 
neigt fein, an Cino, und feinen Befud der Sambuca zu 
denken ). 

Die eben ſo ſchlecht verfificitten, ale ihrem Inhalte 
nad) pöbelhaften Sonette: Chi udisse tossir la mal fatata 
unb Bicci novel, figliuol di non so cui, bie Fiacdi 
(XXIII) aus dem Cod. Alessandri abgedrudt hat, finden 
ſich auffallend genug nicht felten in Handſchriften. Ale 
beibe fehen im Cod. Marcian. 292 und im Cod. Bossi; 
das zweite allein im Laurent. XL, 49 und Fraticelli 
(p. CCCXIII) führt nod) eine Riccardianer Handfchrift 
an. Das erfte, nad der Ueberfchrift an Forefe Donati 
gerichtet, fpottet, daß bie Frau dieſes Forefe ewig an Hu 
ften und Schnupfen leide, weil der Mann fie ſchlecht zus 
gebedt halte. Darauf antwortet Forefe mit einem Sonette, 
in bem er unter Anderm fagt, er babe ben Alighier fra le 
fosse gefunden: E quei mi disse: per amor di Dante 
Scio’ mi. Sn der, wie gedacht, ſchon unter Burchiello s 
Gedichten abgebrudten Entgegnung wird Forefe ein Dieb 


5 Seehtestuin 202 . 
erticari logia di Dante p. 262. 

3) p. CCLXI, LAN. ei P 

4) Ciampi Vita e memorie di Mr. Cino, p. 59, 53. 


„erg 


LXXVHI 


und Räuber genannt. Die Duplif: Ben so, che fosti 
figliuol d’Alighieri*) fteht gleichfalls bei Burdiello. Aus | 
diefem ganzen Bufammenhange ergibt fi, daß ber bei bie 
fem Gezdnfe betheiligte Alighieri nur ein Abkoͤmmling bes 
Dichters fein Eann?). 

Aud) das von Rigoli (XXX) Dante beigelegte So: 
nett fommt außer den beiden Manuferipten, aus denen 
jener es herausgegeben, nicht felten unter Dante'8 Namen 
in Handſchriften vor. So namentlich in ber Laurentianer 
Handfchrift XLII, 38 und im Cod. Bossi. Dagegen ſteht 
es im Cod. Laurent. XC. Inf. 33 ohne Namen, und | 
Altacci (p. 192) hat e8 unter dem Namen des Buto 
Meffo da Firenze abgedrudt. 

Die Aechtheit der beiden in der Florentiner Anthologie 
(XXXII) von mir mitgetheilten Sonette, ift mic feitdem 
um fo jieifelhafter geworden, als in der newermorbenen 
Laurentianer Handfehrift Nr. 1687, in welcher ſich beide 
(f. 227 u. 29) unter bem Namen des Simon Ser: 
dint befinden, das erfte die Ueberfchrift bat: D’una Gio- 
vane tornata, la quale egli chiamava solo und bas 
weite: A Messer Francesco da Gonzaga, Signor di 
Mantova. 

Endlich jft ſchon oben S. XXII erwähnt worden, daB 
von den in ben Wiener Jahrbuͤchern (XXXIII) aus der 
Ambrofianer Handſchrift abgebrudten Sonetten bie zwei 
dem Gino von Piftoja (E’ m’ ha sì punto cradel- 
mente male und Avvegnach® mestier non mi sia mai), 
die zwei dem Cecco Angelieri (I ho tutte le cose, 
ch'io non voglio und Quando veggio Becchina corruc- 
ciata) und das eine bem Giovanni Quirino vindicitte 
(Lode di Dio e della madre pura) in bie gegenmärtige 
Sammlung nicht mit aufgenommen werden Eonnten. Eben⸗ 
falls ausgefhloffen blieb ale unverſtaͤndlich das Sonett: 





1) Gitirt von Ubaldini Tavola v. ., vendetta“. 
2) Vgl. Paleemit. Samml, II. 353, 


LXXIX 


Se] primo uomo si fosse difeso und al Dante nicht 
würbig das andre: Se’l Dio d’Amor venisse fra la gente. 


Es bleibt übrig, von den unter Dante8 Namen noch 
ungebrudten Sonetten zu berichten, welche in Handſchrif⸗ 
ten ſich mit demfelben bezeichnet finden. Fünf bereits ans 
derweitig - gedrudite*), welche bie Ambrofianer Handſchrift 
Dante beilegt, find fhon oben (&. XXL) erwähnt mor: 
den. Außerdem ſchreibt Cod, Laurent. LXXXIX. Inf. 44 
das Sonett Sarà pietà in Silla, in Mario e in Nerone 
und Cod. Bossi das andre: Vecchio peccato fa nuova 
vergogna, welche beide bei Burdiello (p. 197, 194) 
gedrudt find, Dante zu. Ferner geben Cod. Laurent. 
XLII, 38 und Biccard. 1103 das Sonett: Fior di virtù 
si è gentil coraggio ald Dante gebérend, obwol e8 ſchon 
unter Cino’8 (Son. 142, p. 255) Namen, und, 
mas mir richtiger feheint, unter dem des Folgore da 
San Gemignano (Allacci p. 315, Baleriani II, 
169) gedrudt war. Endlich fteht Guido Cavalcanz 
t1?8 ziemlich unverftändliches zweites Sonett (Ciccias 
porci p. 40) im Cod. Marcian. 191 mit Dante'8 Nas 
men bezeichnet. 

Folgende, in Manufcripten Dante zugefchriebenen, 
Sonette find dagegen meines Wiffens überall noch nicht 
gebrudt: 1. Im Cod. Bossi: Se quei, che suol avere, 
ed ha perduto. ferner in ber neuacquirirten Handſchrift 
der St. Marcusbibliothef: 2. L’or’ che Titon si scuopre 
il chiaro manto. Sn ber neuermorbenen Laurentianer 
Handſchrift Nr. 1687 als von Simon Serbdini mit 
der Ueberfdrift: Per la sua donna, andando a casa 
d'uno suo compagno presso essa. 3. Decoris alma, 


H ueber Cino's 115te8 Sonett (Ciampi p. 194) vgl. 
Giampi p. 319, 


LXXX 


angelico tesoro. — Ebendafelbft, ebenfo: A Messer Lo- 
dovico, Signore d’Imola. — 4. Più Acheronte, Flege- 
ton, o Stige. — Ebenbafelbft, ebenfo: Della Fortuna. 
5. Frusto e del fragil legno ancore e sarte. — ben: 
bafelbft, ebenfo. — 6. Io veggio bene ormai, che tua po- 
desta. — Ebendaſelbſt, ebenfo. 7. Le soave orme, e 
quella gentil fiera. — Cbendafelbft, ebenfo: Parla della 
scienza in forma di donna. 8. Qual possa sempiterna, 
o qual destina. — Ebenbafelbft, ebenfo: Per la figlinola 
del re Carlo da Durazzo. 9. Non fiori, erbette, im- 
pallidite e lasse. — Ebendaſelbſt, ebenfo: Per una gio- 
vine da Firenze. 10. Fugga virtù le corti, o sensi 
accervi. — Ebendaſelbſt, ebenfo: A Gian Colonna. — 
Sobann in dem'Cod. Marcian. 191. 11. Visto aggio 
scritto ed udito cantare. 12. mit ber Ueber{drift: Dante 
a Chiaro Davanzati: Tre pensier aggio, onde mi vien 
pensare. 13. Gfeiche Ueberfchrift: Già non magienza (?), 
Chiaro, il dimandare. 14. mit der Ueberſchrift: Dante 
a Puccio di Bellandi: Saper vorria da voi, nobile e 
saggi. — In bem Cod, Marcian. 292: 15. Non mi 
potranno giammai far ammenda (fteht auch im Cod. 
Bossi) — Im Cod. Riccard. 1103: 16. Deh piangi 
meco, tu dogliosa pietra. — Im Cod. Riccard. 1050: 
17. Suonar bracchetti, e cacciatori izzare (aud im 
Cod. Bossi). 18, I° ho veduto già senza radice. — 
Endlich im Cod. Riccard. 1156: 19. Io Dante a te, 
che m’ hai così chiamato (fteht aud Laurent. XL, 44. 
I Nr. XVI, aber mit ber Bemertung: non Aldigieri). 

Die gulegt erwaͤhnte Laurentianer Handfchrift gibt noch 
drei Sonette: Ciò ch’ uom vorrebbe aver o fatto, 0 
detto, — Chiunque per giuoco si dinuda e spoglia 
unb Chi ’n questo mondo vuole avere onore; jedoch mit 
den NRandbemerfungen: non Aldigieri; non è vero umb 
dice le bugie. Bei zwei andern Sonetten beffelben Ma: 
mufcripte8 (Già fui misero amante transformato und 


LXXXI 


Quando la bella immagine Amor pose) bat eine andre 
Hand Dante'8 Namenbezeicdinung in: di Lorenzojperwanbelt. 


Die drei Epigramme find, role oben (IX, XIV, XXI) 
gezeigt ward, fo gut al8 unbegiaubigt, und ber geringe 
Werth ihres Inhaltes macht mehr als wahrſcheinlich, daß 
fie nicht von Dante herrähren '). 


Der Staube mit feinen Anhängen kommt duferft Häufig 
in Handſchriften vor‘); unter den Laurentianifchen allein: 
Plut. XXVII. cod. 6, Plut. XL. cod. 5, 9, 26, 30, 
36, 43, Plut. XLI. cod. 41, Plut. XC. Inf. cod. 41, 
43); bagegen if mic fein Manufeript der Bußpfalme bes 
tannt. Die ſprachlichen Gründe, um berenttoillen id die 
geiftlichen Gedichte für unaͤcht halte, babe ih S. 211 
angegeben. Nur das Credo, nicht die Pfalmen, verwirft 
Foffi (Catalogus codd. saec. XV. impress. bibl. Ma- 
gliabecch. I, 602). Daß fie ſaͤmmtlich unaͤcht fein, und - 
vielmehr bem Antonio del Beccajo da Ferrara an: 
gehören, vermuthet Allacci in der Vorrede zu ben Poeti 
antichi (XI). Ihm ftimmen bei Bane (XVI) in ber 
Vorrede, Apoftolo Zeno (Lettere I, 273, IN, 412), 
Vitali (Lettera p. 12) und Foscolo (Discorso p. 
424). Dagegen vertheidigen Taeffe, Roffetti, Ars 
taub und Balbo nodi fortwährend die Aechtheit. 

Jedenfalls ift das Dante zugefchriebene Credo nicht mit 
dem fogenannten einen Credo zu verwechfeln, welches, 
als Schlußſchrift einen integrirenden Theil des, Commens 
tar von Tacopo della Lana ausmacht. 


paticelti p . CCXLIIT—XLVII. 
gl. Pe tri lemorie p. 195. No, 47. 


LXXXII 








Nod hat Keil bie lateinifhe Grabforift auf den 
Markgraf Diezmann von Meifen unter Dante's Ge 
dichte mit aufgenommen; e8 unterliegt aber jegt keinem 
Broelfet, daß diefelbe nicht von Dante berrhbrt. Nobbe 
Programm zur Ofterprüfung (1823) der Nicolaifhule zu 
Leipzig. Boͤt ti ger Gefchichte des Kurſtaats und König. 
reichs Sachſen 1, 219*). 


*) Nachträglich fei mir geftattet, eine Vermuthung, auf die 
ich erft neuerlich gefallen bin, ber Prüfung ‚Rundiger vorzule⸗ 
gen: S. 90 ift erwähnt worden, daß bie fünfte Canzone mit 
zwei Schlußftrophen auf uns gefommen ift. &. 147 und 153 
find Schlußftrophen mitgetheitt, die ſich in einzelnen Handſchrif⸗ 
ten gue l4ten und I5ten Canzone finden. Ale diefe Strophen 
haben fpeciellere, perfönliche Beziehungen. Ift nun nicht viel: 
leicht anzunehmen, daß Dante jene Canzonen urfprünglich an 
beftimmte Perfonen gerichtet und Anfpielungen auf concrete 
Verbdltniffe in fie verwoben; dann aber, ald er fie gue Aufs 
nahme in bag Convito beftimmte, bie vorzugsweife ſoiche Be— 
siehungen enthaltenden Schlußftrophen mit andern, allgemeiner 
gehaltenen vertaufcht babe, ohne jedoch Kindern zu können, daß 
die urfprünglichen und bereits verbreiteten noch in einzelne Mas 
nuferipte Eingang fanden ? 


Anmerkungen 


Von 


Rari Witte. 


Dante, Lyriſche Gedichte. IL 1 


LXXXII 


Nod hat Keil die lateiniſche Grabſchrift auf den 
Markgraf Diezmann von Meifen unter Dante's Ge 
dichte mit aufgenommen; e8 unterliegt aber jegt keinem 
Zweifel, daß diefelbe nicht von Dante herrähtt. Nobbe 
Programm zur Oſterpruͤfung (1823) der Nicolaifchule zu 
Leipzig. Boͤt ti ger Gefchichte des Kurſtaats und König. 
reichs Sadfen I, 219*). 


*) Nachträglich fei mir geftattet, eine Vermuthung, auf die 
ich erft neuerlich gefallen bin, ber Prüfung ‚Funbiger vorzule⸗ 
gen: S. 90 ift erwähnt worden, daß bie fünfte Canzone mit 
zwei Schlußftrophen auf uns gelommen ift. ©. 147 und 153 
find Schlußftrophen mitgetheitt, die ſich in einzelnen Handſchrif⸗ 
ten zur l4ten und 15ten Canzone finden. Alle diefe Strophen 
haben fpeciellere, perfönliche Beziehungen. Ift nun nicht viel= 
leicht anzunehmen, baf Dante jene Canzonen urfprünglich an 
beftimmte Perfonen gerichtet und Anfpielungen auf concrete 
BVerhältniffe in fie verwoben; dann aber, ald er fie gue Aufs 
nahme in bag Convito beftimmte, bie vorzugsweiſe ſoiche Bes 
siehungen enthaltenden Schlußfteophen mit andern, allgemeiner 
gehaltenen vertaufcht babe, ohne jedoch hindern zu koͤnnen, daß 
die uefprünglichen und bereits verbreiteten nod) in einzelne Mas 
nuferipte Eingang fanden ? 


Anmerfungen. 


Von 


Karl Witte. 


Dante, Lyriſche Gedichte. Il 1 


LXXXII 


Nod bat Keil bie lateinifhe Grabforift auf den 
Markgraf Diezmann von Meißen unter Dante8 Ge 
Dichte mit aufgenommen; es unterliegt aber jegt keinem 
Zweifet, daß diefelbe nicht von Dante herrührt. Nob be 
Programm zur Ofterprüfung (1823) der Nicolaifchule zu 
Leipzig. Böttiger Geſchichte des Kurſtaats und König 
reichs Sadfen I, 219*). 


*) Racıträglich fei mir geftattet, eine Vermuthung, auf bie 
ich erft neuerlich gefallen bin, ber Prüfung Kundiger vorzule 
gen: S. 90 ift erwähnt worden, baf bie fünfte Canzone mit 
zwei Schlußſtrophen auf uns gefommen ift. S. 147 und 153 
find Schlußfteophen mitgetheilt, die ſich in einzelnen Hanbihrif 
ten zur l4ten und 15ten Canzone finden. Alle diefe Strophen 
haben fpeciellere, perfönliche Veziebungen. Iſt nun nicht viel 
Teicht anzunehmen, daß Dante jene Canzonen urfprünglid an 
beftimmte Perfonen gerichtet und Anfpielungen auf concrete 
Verbdltniffe in fie verwoben; dann aber, al8 er fie gue Auf 
nahme in bag Convito beftimmte, bie vorzugsweiſe folche Be 
giebungen enthaltenden Schlußftrophen mit andern, allgemeiner 
gehaltenen vertaufcht habe, ohne jedoch hindern zu tonnen, def 
die urfprünglichen und bereits verbreiteten noch in einzelne Mar 
nuferipte Eingang fanden ? 


Anmerfungen. 


Von 


Karl Witte. 


Dante, Lyriſche Gedichte. IL 1 


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Zu den Gedichten der vita nuova. 


Die Lieder, denen Dante anvertraut, was er durch fieben 
Sabre (1283—90) für Beatrice Portinari gefühlt, in benen 
er fpäter ihren Tod beweint und ihr Andenken feiert, bilden 
den Cyklus der vita nuova. Die meiften von ihnen find in das 
fo benannte Büchlein aufgenommen und in ihm erläutert; einige 
andere, jedoch nur wenige, find felbftändig auf uns gelangt. 
Es reden alle biefe Gedichte eine rührend einfache Sprache, die 
nur allmälig zu größerer Kraft und Kunft des Autbruds fi 
erhebt; alle zeugen fie von ber gleichen Gefinnung, welche fie 
von Dante'8 fpäteren Arbeiten fehr beftimmt unterfcheidet. Sie 
ſchildern uns des Dichters erfte Eiche, in einer Geftalt, wie 
wir bei ebleren Gemüthern ihr wol zu allen Zeiten begegnen. 
Dem Herzen, dad noch ungeprüft von den Schlägen bes Schick- 
fals in kindlicher Freudigleit lebt, geht in ber Geliebten ber 
ganze Himmel auf. Ihre Schönheit, ihre Güte, alle ihre Tu— 
genden find ihm nur ein Beweis von Gottes unendlicher Liebe; 
felbft bas Wohlgefallen an ber irdiſchen Geftalt wird, ſtatt zu 
verlodtender Vegier, zur geweihten Freude, an der Herrlid« 
keit, die Gott im Gefchöpfe offenbart hat. Solche Liebe kennt 
kein unbefriedigtes Verlangen, Leine Eiferſucht und keine Klage. 
Iſt doch die Geliebte felbft nur die wunderbarfte und koͤſtlichſte 
unter den Blumen, die in Gottes weitem Garten blühen, vor 
1* 


4 


denen wir in ftilex, Freude fteben und ihres Dufts geniefen, 
ohne daß wir verfucht würden, bie Rofe zu bredien. Ihre 
Stimme ift nur die tönendfte unter denen der taufend Nadbti: 
gallen, denen wir laufden und ohne Misgunft uns des Ent: 
zuͤckens freuen, bas ihr Lied zugleich in Andern wedt. 

Schon ber Blumen Pracht, des Waldes Ernft und der Lob⸗ 
gefang feiner Bewohner fprechen von der Herrlichkeit der Ra: 
tur, von der Güte ihres Schöpfers und erheben das Gemüth in 
feliger Andacht. Unenblid) inniger und befeelter aber ift diefe frohe 
Fròmmigleit, wenn nicht die bewußtlofen Stimmen der Pfian: 
gen und Thiere, fondern bie Zülle eines geliebten, in Demuth 
und Inbrunft zu Gott aufſchauenden, Geiftes und das Lob bes 
‚Herrn verfündigt. Die Lieder einer folden Liebe eine Alles 
gorie bed frommen Glaubens zu nennen, wäre thoͤricht; fie 
ift felbft ein freubiges Leben in Gott, beffen irdifchen Abglanz 
der Liebende zu ſchauen gewürdigt wird. Selbſt ber Tod der 
Geliebten vermag dies ſtille Gluͤck nicht auf einmal zu zerſtd— 
ven; unter den Thrdnen blidt der Vermwaifte gen Simmel, 
freudig der Gemifheit, daß der theure Geift nun felig in bem 
Lichte weilt, deffen Abbild er auf Erben zeigte. Allmaͤlig erſt 
drückt bie Dede, die mit jedem Tage ſchwerer laftet, den Liebe 
burftigen nieber und verbunfelt ihm einen Troft nach dem an: 
dern; — doch die Lieder unferes Dichters, zu denen biefe 
Stimmung den Anlaß gegeben, gehören dem gegenwärtigen 
Kreife nicht an. 

Die einfache Gefchichte feiner Liebe, welche Dante in der 
vita nuova erzählt, Idft ſich füglich in fieben Abſchnitte their 
len Der erfte berichtet einleitend von dem erften Erwachen 
ber Liebe in der Vruft des Knaben und wie fie von dem Per: 
gen des Zünglings fpäter bleibenden Vefig genommen. Unter 
den Gedichten entfpricht diefem Abſchnitte nur das erfte Gonett. 
So ſcheu aber ift des Dichters Liebe, daß Keine Gefahr ihm 
meibenewerther erſcheint, als die eine, bas Geheimnig feines 
‚Herzens verrathen zu fehen; daher beziehen ſich die folgenden 
pier Sonette auf die Verſuche, zwei andere Damen ale den 


5 


Gegenftand feiner Huldigungen erfcheinen zu laffen. Indeffen 
ift durch diefes Spiel, das Dritte taͤuſchen follte, Beatrice felbft 
an Dante'8 Gefinnung irre geworben. Darum entfagt er nun 
dem Scheine und berichtet im britten Abſchnitt (Vallate 1. und 
Son. 6—9) unverholen von feinem eigenen qualvollen Zuftand. 
Bald aber kommt er zu ber Einficht, baf nicht die Gunft der 
Geliebten, fondern das Entziden über bie in ihr vereinten 
Vollkommenheiten unb deren Verherrlichung der wahre Lohn 
der Liebe ſei. Diefen Gedanken verfolgt der vierte Abfchnitt 
(Ganz. 13, Son. 10—16), doc) enthält derfelbe als Epiſode 
die durch den Tod von Beatrice's Vater gewedte Vorabnung 
von ihrem eigenen Tode (Son. 12, 13, Ganz. 2). Diefer Tod 
teitt ein, unb Ganz. 4, 5 und &on. 17, 18 find allein ber 
Trauer über ibn gewibmet. Der Trauer begegnet ein Troft, 
den bem Dichter der Unblid einer holden Frau gewährt. Er 
tämpft mit bem Zweifel, ob in dem Aufnehmen folder Trds 
ftung nicht eine Untreue gegen bie Verfldrte liege, und biefen 
Kampf ſchildern bie Gonette 19—22. Endlich fiegt die Macht 
der erften Liebe und die legten brei Sonette feiern in erneuten 
Cbrdnen ihr Gebächtniß. 

Entftanden find bie Gedichte ber vita nuova in betraͤcht- 
lichen Zwiſchenraͤumen. Zunaͤchſt ift nicht zu bezweifeln, daß 
die der vier erften Abfchnitte wirklich um die Beit der Ereig- 
niffe gebichtet find, welche fie befingen (1293 — 90). Wahr: 
ſcheinlich fammelte und erläuterte fie Dante bald nad) dem 
Tode feiner Beatrice, und fo entftanden die erften drei Vier— 
theile der vita nuova, benen ber Dichter die fpäteren Canzo: 
nen und Sonette anfügte, fomie er fie niebergefchrieben und 
commentirt batte*). Berner gehört der fünfte Abfchnitt unbes 


*) Boccaccio vita e costumi di Dante. Ed, del Gamba. 
Ven. 1825, p. 82, „duranti ancora le lagrime della sua 
morta Beatrice, quasi nel suo ventesimo sesto anno, com- 
pose in uno suo volumetto, il quale egli intitolò Vita nuova, 
certe operette, siccome Sonetti e Canzoni, in diversi tempi 
davanti in rima fatte da lui,“ 


denttich der Zeit vom Zuni 1290 big zum Juni 1291 an. 
Minder offenbar ift die Zeitbeſtimmung ber beiben legten Abs 
ſchnitte. Um bier bas Richtige zu finden, ift zunaͤchſt noͤthig, 
Dante's zwiefaches Beugnif (Convito IT, 2) feftzuhalten, erftens 
daß bie holde Frau, von deren Troſt der fechfte Abfchnitt der 
vita nuova berichtet, diefelbe ift, welche der Dichter im Con- 
vito Philofophie nennt und als feine Perrin preift; zweitens, 
daß das erfte Vegegnen mit biefer holden Frau zwei Venus: 
jahre nad) Veatrice8 Tobe, alfo (Convito II, 15 a. €.) zu 
Anfang des Mais 1292 flattgefunden habe. Died vorauege: 
ſchickt, gewährt das 13te Kapitel deſſeiben Trattato eine fer⸗ 
nere Beitbeftimmung. Hier berichtet nämlich ber Dichter, daß, 
nachdem er lange troftlos über Beatrice’ Tod geweint (Fünfter 
Abſchnitt), er in’ zwei Schriften, des Gicero (Laelius) und Boè- 
thius (de consolatione Philosophie), Zroft gefuht. Da er 
nun in beiden ben Preis der Philofophie gefunden, babe er fi 
diefe ala eine erbabene Herrin gedacht, unb fei, um fie näher 
zu erkennen, zu ben Schulen der Geiftlichen und ben Disputa: 
tionen ber Weltweifen gegangen. So fei er denn nad) breifig 
Monden ihrer Suͤßigkeit inne geworden und habe begonnen, 
ihr Lob zu fingen. Wie kurz nun auch die zwifchen bem erften 
Suchen nad) Zroft und dem Beginn des Studiums ber Philos 
fophie verfloffene Beit angenommen merde, fo führen biefe Da: 
ten jebenfals bis in ben Anfang des Jahres 1295. 

Von bier an gehen bie Erzählungen der vita nuova und 
des Convito auseinander. Die erftere gedentt jener holden 
Frau nur ala einer vorübergehenben Verlodung, die von ber 
Trauer über bie babingefchiebene Beatrice abzuleiten drohte. 
Keine der Gebichte des fechften Abfchnittes ift geradebin ihrem 
Preife geweiht; alle befingen nur ben Kampf auffeimenter 
Neigung gegen treues Angedenten, und fo fehr ift ber Dichter 
beftrebt, jene als eine flüchtig vorübergehende zu fchildern, daß 
er in ben Erläuterungen zum 23ften Sonett den ganzen Zeit 
raum ber erwachenben, fiegenten und endlich überwältigten Liebe 
zu jener holden Frau, alè nur einige Tage (alquanti di) ums 





LI 


faffend bezeichnet. Das Convito dagegen ſchildert ung biefe 
Liebe nur alé die fiegreiche, unb indem es und eine Reihe von 
Kämpfen und Entwidelungen des: Gefühles barlegt, welche bie 
vita nuova nicht ahnen I4ft, verfhweigt cè uns gefliffentlich 
(U, 9) den endlichen Sieg ber Grinnerung an bie verklärte 
Beatrice. Wie fehnell aber auch jenes Gedenkbuch der Iugends 
liebe über bie Zeiten hinwegeile, welche der Dichter ſpaͤter⸗ 
hin als Abirrungen erfannte, fo fehlt e8 doch nicht an Spus 
ren, daß fie Jahre umfafiten und ben Zuftänden entfprachen, 
die wie in feinen andern Schriften gefchildert fehen. Wenn 
zunaͤchſt das 23fte Sonett einer Augentrantheit des Dichters 
gebentt, fo fcheint die gleiche in ihr erkannt werben zu müffen, 
an welcher er, nad) dem Berichte des Convito (II, 9), in dem 
Jahre litt, in welchem die zweite der in diefem Werke erläus 
terten Ganzonen (Amor, che nella mente mi ragiona) entftand. 
Das wunberbare Geficht, von dem bie Einleitung zu eben dies 
fem Gonette (vita nuova cap. 43) erzählt, entfpricht ficher ben 
im Porg. XXX, 133, 34 erwähnten. gl. Convito II, 8. 
Leiten uns biefe Daten ſchon bis auf mehre Jahre über 1205 
hinaus, fo begegnen wir weiterhin einer Notiz, die diefe Anz 
nahme auf überrafchende Weife beftdtigt und zugleich eine fer⸗ 
nere Anknuͤpfung von der größten Wichtigkeit gewährt. In 
der Einleitung zum 24ften Sonett der vita nuova fagt der 
Dichter, er habe dies Gedicht um jene Zeit verfaßt, als vieles 
Bolt nad Rom gezogen fei, um jenes gebenebeite Bild zu 
ſchauen, welches Iefus Chriftus uns als einen Abdruck feines 
allerfchönften Antliges binterlaffen. Daß in biefen Worten das 
Schweißtuch der Veronifa angedeutet fei, bebarf kaum ber Er 
wähnung. Es berichtet uns aber Giovanni Villani (VIII, 
36), um bie Beit bes Jubiläums im Jahre 1300 , wurde zur 
Erweckung der chriftlichen Pilger an jedem Freitag und jedem 
bobgren Fefttage bie Veronika des Schweißtuches Ghriffi in 
Sanct Peter vorgewiefen. Weshalb benn ein großer Theil der 
Chriſten, welche damals lebten, fo Weiber ala Männer, von 
fernen und verſchiedenen Ländern her, die gedachte Pilgerfahrt 


8. 


unternahmen." Nicht minber fagt Papft Clemens VI., indem 
er zu dem zweiten Jubiläum vom Jahre 1350 den Gläubigen, 
welche die Vafilifen der Apoftel Petrus und Paulus und bie 
Lateranenfifche Kirche befuchen würben, Ablaf verheißt, an ben 
Wänden der legteren fei bem gefammten römifchen Volke bie 
Geftalt des Erlöfers zum erften Male in eittem Abbilde ſicht⸗ 
bar erfchienen. So nahe liegt in der That die Beziehung jener 
Stelle auf das Jubeljahr 1300, daß felbft Schriftfteller, denen | 
jene Parallelen von Zeitgenoffen unbefannt waren, ſchon barauf 
verfallen find. So madt Sermartelli in feiner Ausgabe 
der vita nuova (1576) die furzen Randbemerkungen (p. 67) 
„Giubileo. — Sudario.“ gl. aud) Parad. XXXI, 103 sq. 
Eben in das Jahr 1300 verlegt aber Dante die wunderbare 
SBifion, deren Schilderung feinen Namen für alle Zeiten un | 
fterblich gemacht hat, und mit offenbarer Beziehung auf diefe 
fagt er am Schluß der vita nuova: ,,Nad dem 25ften Sonett 
erfchien mir eine wunderbare Vifion, in welcher id Dinge 
ſchaute, die mich zu dem Entfchluffe bewogen, nicht eher wieder 
von biefer Gebenedeiten zu reden, als bis id) würbiger fie zu 
preifen vermöchte. Bu biefem Ziele zu gelangen, beftrebe ih 
mich aber, foviel ich vermag, und ſolches weiß fie wahrhaftig: 
lich.“ und fo findet denn auch folgende Schlußnote volle Be: 
flätigung, bie fi in bem mir zugehörenden Manufeript der 
vita nuova befindet: „Nach Ginigen follte biefes Büchlein vor 
den Anfang bed Buches geſchrieben werben, welches von der 
Hölle Handelt.” Das Ergebniß diefer Forſchungen if alfo, 
daß bie vita nuova, obmol zum größten Theile ſchon um das 
Jahr 1291 vollendet, in ihrem legten, fpäter binzugefügtem, 
Viertheil nicht nur die ganze Beit umfaßt, von der das Con- 
vito handelt (ohne jeboch die Gefinnung zu verfolgen, aus mel: 
her das legte hervorging), fondern daß fie fogar ben Faben 
ber Ereigniſſe bis zu dem Momente herabführt, wo fpdter bie 
göttliche Komdbie ihn wieder aufnimmt *). Rechtfertigt fi 





*) Es verfteht fi, daß bei Gelegenheit diefer Zufäge auch 


nun biefes Ergebhif, wie ich hoffe, durch die Art feiner Hers 
leitung von felbft, fo bin ich befonderer Wiberlegung ber ab: 
weichenben Anfichten Anderer*) um fo mehr überhoben, alè der 
wefentlichfte Grund derfelben darin beruht, daß zwifchen dem 
‚Haupttheile des Buches (Abſchn. I—5) und ben fpäteren Rache 
teägen (Abſchn. Gu. 7) nicht gebbrig unterfdhieden warb. Die 
einzige Stelle, die mit vielem Scheine gegen die Annahme einer 
fo fpäten Vollendung ber vita nuova angeführt werben fonte 
(Convito I, 1), bat Fraticelli burd) veränderte Wortvers 
binbung bereits auf überzeugende Weife befeitigt**). Umgekehrt 
will Roffetti (Comento anal I, 271) die Abfaffung der vita 
nuova big in bie Jahre des Exils hinausfchieben; jedoch gleiche 
falls mit Unrecht, wie ſich insbefondere daraus ergibt, daß in 
den Erläuterungen zum 14ten Sonett Guido Cavalcanti (+ 1300) 
als lebend erwähnt wirb, und daß aus ber Einleitung der vier⸗ 
ten Canzone hervorgeht, das ganze Büchlein fei an eben biefen 
Freund des Dichters gerichtet. 

Noch) ift die Frage aufgeworfen, warum Dante feine Schrift: 


der urfprüngliche Theil des Buches revidirt und theilweife übers 
arbeitet fein wird. Died vorauggefegt, finden bie oben anges 
nommenen Daten eine merkwürbige Beftätigung in folgender 
Variante, welche meine bereits erwähnte gandfärift zu ben 
Erläuterungen des 14ten Sonettes bietet: „Non troviamo cose 
dette anzi lo presente tempo, che siamo nella 'ndizione del 
1300, o poco ne falla, che da CXL. anni in là s’usassono.“ 
Der etwas befrembliche Ausbrud indizione für Fabreszdblung 
kehrt auch fpäter in der vita nuova wieder. 

*) Bgl. Fraticelli Discorso preliminare alla sua ediz. d. 
vita muova p. 245 - 51. 

**) X. a. ©. ©. 250. In bem Sage: in quella dinanzi 
all’ entrata di mia gioventute parlai, ift dinanzi nidt, wie 
gemöhnlich geſchieht, was aber bis vor 1290 zuruͤckfuͤhren würde, 
gu all’ entrata, fonbern zu in quella zu beziehen: „in ber zu⸗ 
erft erwähnten Schrift." Deffenungeadhtet nimmt nodj Artaub 
(Histoire de Dante Aligh. p. 71) an, der Dichter habe ben 
erften Gedanken ber göttlichen Komödie, welchen jene Schluß- 
fielle der vita nuova anbeutet, [don 1391 gefaßt. 

1** 


w 





Das neue Leben genannt babe? Fraticelli (a. a. ©. 
&. 206 ff. und Poesie di Dante p. CLII[—LV) belegt 
durd) Beifpiele, daß nuovo ober novello auch foviel heiße als 
jugendlich, und will deshalb jenen Titel buch: Das ju 
gendliche Leben erklären. Diefer Deutung wiberfpricht aber 
der Anfang des Werkchens, in welchem der Dichter fagt, an 
einer gemiffen Stelle bes Buches feiner Erinnerung fei eine 
ueberſchrift zu lefen, welche laute: hier beginnt das neue 
Leben, da Dante fein jugendliches Leben doch unmöglich 
mit einem einzelnen Greigniß beginnen fonnte, bag fich in fe: 
nem neunten Jahre zutrug. Roffetti Spirito antipapale p. 
284, 85 verfteht unter dem neuen Leben gar das wiebergebos 
rene des in bie geheime Werbindung der Ghibellinen Aufge: 
nommenen, unb auch bas Alter von neun (3 mal 3) Jahren, 
bas Dante fi beim erften Bufammentreffen mit Beatrice bei: 
legt, gilt ihm nur als der Gebeimfpradie angehörende Bezeich⸗ 
nung bes dritten Grabe. Cine befondere Wiberlegung ſcheint 
überflüffig. o ift denn die alte Deutung jenes Zitels für die 
allein richtige zu halten, nad) welcher das neue Leben, bas 
durch die Liebe zu Veatrice geweihte, ihn bem Haufen ber 
Menge entziehenbe (Inf. II, 105) ift. In ähnlichem Sinne 
tommt nuovo ober novello nicht felten für etwas Vefonbderes, 
Audgezeichnetes vor. Vgl Ganz. XXY, Str. 1, 3. 16 des 
Fra Guittone in Valeriani'8 Sammlung (Florenz 1828, 
I, 117) unb unter Dante’s lyriſchen Gedichten Ganz. I, Str. 5, 
3. 5, Gang. II, Str. 5, 3.8. Pergamint Memoriale della 
lingua s. v. Nuovo zu Anfang. 





un 
Erftes Sonett. 


Dante berichtet, als er faft neun Jahre alt gewefen, fei 
er gum erflen Mal feiner Beatrice begegnet, welche damals 
das achte Jahr eben überfhritten. Alsbald habe ein Zittern 
feine Lebenögeifter ergriffen und er habe erkannt, daß er einem 
mächtigen Gotte unterthan geworben, daß aber aud) bas ‚Heil ſei⸗ 
ner Augen erfehienen fei. Nun wiffen wir (Par. XXI, 115), daß 
Dante zwifchen dem 22. Mai und dem 22. Juni 1265 geboren ift. 
Die Erzählung Borcaceio's, daß jenes Begegnen am 1. Mai und 
zwar im Haufe des Folco Portinari, des Waters der Beatrice, 
bei ber Feier bes Maifeftes, flattgefunden habe, wird alfo fehr 
wahrſcheinlich *). (Ugl. Balbo a. a. ©. ©. 61, 62.) 

Genau neun Jahre fpäter begegnete Dante ber inzwifchen 
berangewachfenen Beatrice aufs Neue. Cie ging inmitten 
zweier bejabrteren Frauen und grüßte ben Zagenden mit freunds 
lichem Blick und Worten. Es war bas erfte Mal, daß fie 
ihre Rebe an ihn richtete, und ala er heimgekehrt nod dem 
Entzüden darüber nahhing, erfchien ihm die Vifion, welche 
er im gegenwärtigen Sonette ſchilbert. Amor redete ihn babei 
mit den Worten an: „Ich bin dein Gebieter”‘, und aud) diefes 
Mal, wie beim erften Begegnen fah er Beatrice mit blut= 
rothem Gewande bekleidet. Der Sinn bes Gefichtes erſchien 
dem Liebenden Träumer rdtbfelbaft, und fo befchloß er in einem 
Sonette, ohne Nennung feines Namens, bie Dichter der Zeit 
zu feiner Deutung aufzuforbern. 


*) Fùr Artaub’s (Histoire de Dante Alighieri p. 27) 
Angabe, daß der 8. Mai der Geburtstag des Dichters gemefen 
fei, ift mir durchaus feine Autorität befannt. Mit Unrecht Ik t 
aud Gef. Balbo (Vita di Dante I, 38), das Geburts; KA 
Dante'8 werde und nur in Boccaccio'8 unvollendetem Goms 
mentar berichtet; nicht allein nämlich, findet es fi ſchon in 
der weit älteren Biographie deffelben Verfaffer8 (p. 13), fons 
dern auch bei mehren Commentatoren des lAten Jahrh. Xu 
Franc. ba Buti bezeichnet ausbrüclich ben Mai jenes Jahres. 


12 


Den Wortfinn -biefes Sonettes anlangende Bemerkungen 
finden fi bei Binc. Nannucci Manuale della letteratura 
del primo secolo JI, 86. Qu. 1. 3. 1. ueber bag Wort presa 
vgl. Perticari Apologia di Dante p. 135. — 3.3. Parvente 
ift provencalifchen Urfprunges. Vgl. Galvani Osserv. sulla 
poesia de trovatori p. 34. — Qu.2. 3. 1. Ueber bie Zeitrech⸗ 
nung dgl. Rofa Morando zum Purg. IX, 1. In Batta’s 
Octav⸗Ausg. INI, 27. — 3.2 ift mit der Robili’fchen Hands 
ſchrift n'è lucente ftatt è nel Iuc gefegt. 

Von Vielen wurde geantwortet und zwar nad) bem Ges 
brauche mit den gleichen Endreimen; doch berichtet uns Dante, 
Keiner babe den Sinn erfannt, den er felbft für den wahren 
achte. Drei foldhe Antworten find auf uns gefommen, barunter 
bie des befannten Guido Cavalcanti, welde, nad Dan: 
tes Beugnif, die erfte Grundlage zu der nahen Freundſchaft 
warb, bie fpäter zwiſchen Weiden big zu Guibo'8 Tobe beffand. 
— Neben diefem erften Freunde unferes Dichters finden wir 
bereits Denjenigen, ben er in fpdteren Jahren feinen zweiten 
Freund zu nennen liebte: Gino von Piftoja. Entweder 
muß aber biefes Antwortfonett bedeutend fpäter gebichtet fein, 
ober das Geburtsjahr Cino's, wie Arfaroli es angibt*), ift 
irrig, ober endlich jenes Sonett rührt nicht von Gino her; 
denn nach ber erwähnten Angabe hätte biefer im Jahr 1283 
erſt 13 Fabre gezählt. — Wie feurril endlid) bie Antwort des 
unbebeutenden Namensgenoffen unferes Dichters (aus Majano) 
ift, braucht nicht erft hervorgehoben zu werben. — Welch eine 
Deutung Roffetti von dem Sonette Dante'8 geben wird, bleibt 
noch dabingeftellt, obwol er wicherholt (Spirito antipapale p- 
189, 90, 317) darauf vermeift. Nur foviel verräth er, daß 
es den Schlüffel zu der ganzen Geheimſprache enthalte, und 
daß unter dem Herzen bas große Sectengeheimniß zu verfte: 
ben fei. 


1 2 Ciampi Vita e memorie di Messer Cino Ed, 6. 1826. 
p. 113. 


13 


weites Sonett. 


Das den zweiten Abfchnitt der vita nuova bezeichnenbe 
Streben ift, wie fon erwähnt worden, den Neugierigen zu 
verbergen, Wer in des Dichters Bruſt die Liebe angefacht 
babe. Als eines Tages in der Kirche das Lob der Himmels⸗ 
tonigin gefungen ward, faß ein Fraulein von feltener Schoͤn⸗ 
beit zwifhen Beatrice und Dante, genau in der gleichen Richs 
tung wie bie Erfte. Daher wurden dea Dichters Blicke von 
vielen Veobacitern und vielleicht von der Dame felbft gemis⸗ 
deutet, und alè er died wahrnahm, befchloß er, fein wahres 
Geheimniß ferner durch feheinbare Huldigungen zu verbergen”). 
Rad) einiger Zeit verließ das Fräulein Florenz, und Dante hielt 
eò für angemeffen, ihr Scheiben im gegenwärtigen Gedichte zu 
beklagen, wenn gleich in einzelnen Stellen Beatrice gemeint 
war. Gr nennt dies Gedicht, gleich dem vierten, Sonett, 
ba es bei den Dichten bes 13ten Zahrhunderts nicht unges 
braͤuchlich war, verboppelte Reime entweder in ba8 Innere ber 
Beilen aufzunehmen, ober auch, wie hier, als felbftändige fie: 
benfolbige Zeilen zwiſchen die regelmäßigen vierzehn des Sonet⸗ 
tes einzufchieben. Die Italiener nennen biefe Sonette doppj 
oder rinterzati **). Daß mit den beiden Anfangszeilen auf bie 
Klagelieder Ieremid 1, 12. angefpielt werden follte, erwähnt 
der Dichter ſelbſt. 

Um biefe Beit bichtete Dante cin Sendfchreiben in der Form 
cine8 Sirventes, wie fie, wenn auch nur in feltenen Anwen⸗ 


*) Vol. über das öfter Vorkommen eines folchen ir⸗ 
mes Balbo a. a. O. S. 68. ulivi 
**) Ubaldini Tavola v. Sonetto. Redi Annotazioni al 
Bacco in Toscana Opere Ed. Venez. 1712. III, 153 — 57. 
Crescimbeni Istoria della Volgar poesia I, 17-19. Meine 
Feganbiun über den Urfprung der Sonettenform ©. XXXIV, 
Serigee Jabın garen noch Galvani a. a. D. S. 49 und 
Valbo a. 


14 

dungen von der Provence *) nach Italien übertragen worben 
waren und in dem er bie ſechszig fchönften Florentinerinnen 
namentlich aufführte. Manni theilt in feiner Istoria del De- | 
camerone p. 143, 44 zwei Bruchſtuͤcke eines Gapitolo in Kerr | 
zinen mit, das offenbar einen völlig ähnlichen 3wed verfolgt. | 
Offenbar fehle der Anfang und nad der dritten Zerzine it | 
durch ec. eine Side angegeben; wahrſcheinlich gibt ber Abbrud | 
auch den Schluß nicht. Um bie Beit der Entftebung jenes Ger 

‘ dichtes zu ermitteln, würbe es genauerer Nachforſchungen in ber 
Blorentiner Familiengefhichte bebürfen, zu benen mir bie Mas 
terialien fehlen. Merkwuͤrdig ift es aber, daß während nad 
den Erläuterungen zum l4ten Sonett ber vita nuova Wanna, 
die Geliebte des Guido Cavalcanti, den Beinamen Primavera 
erhalten batte, aud) in diefen Terzinen 

La Vanna di Filippo, Primavera — chiamata, 

vorkommt. Dante hebt hervor, daß der Rhythmus ihm nicht 
geftattet babe, bem Namen feiner Beatrice unter denen jener 
Damen cine‘andere Stelle zu geben als die neunte, und biefe 
Baht neun geht burd bie ganze vita nuova als Beatrices 
beftändige Begleiterin binburd**). Der Dichter beantwortet 
die Frage nad) dem Grunde biefes oft wiederkehrenden Zufam: 
mentreffené einigermaßen befremdlich dahin, daß wie brei bie 
Wurzel von neun fei, fo aud nur in der Dreieinigleit felbft 
die Wurzel des in Beatrice verförperten Wunders zu erkennen 
fei. Wenigftens ebenfo befremblich ift aber bie Deutung, welche 
Roffetti (Spirito antipapale, che produsse la riforma p. 
246, 424) von biefer myſtiſchen Neunzahl gibt: ber neunte 
Buchſtabe des Alphabets ift I, das I aber bezeichnet bad 
Kaiſerthum, alfo Beatrice felbft. 


*) Diez, die Poefie der Troubadours, S. 169 —86, 
Pi pi Stellen find gefammelt in Fraticelli'8 Ausgabe 


15 


Drittes Sonett. 


Diefes und das folgende Sonett gelten bem Anbenten eines 
jungen und ſchoͤnen Mädchens, welche Dante öfter in Beatrice's 
Begleitung gefehen, und die nun einen frühen Tod gefunden 
batte. In Qu. II, 3. 4 mußte mit der Nobili'ſchen und meis 
ner Handſchrift fuora fatt sovra gefegt werben. 


Viertes Sonett. 


Die erfte der beiden Vierzeilen, die hier den Terzinen ente 
ſprechen, macht Schwierigkeiten. Man kann nämlich eben fo: 
wol hinter bie zweite Zeile ein unterſcheidungszeichen fegen, ala 
die dritte Zeile mit jener verbinden. Im erften Falle wird dem 
Lode zuoörderft Schuld gegeben, daß er eble Sitte (cortesia) 
und, was an Frauen zu fehägen fei, nämlich Tugend, aus der 
Beit verbannt, und dann ferner, daß er die Anmuth der Liebe 
in ber heitern Jugend zerftört habe. Im zweiten Falle wird, 
1008 an Frauen zu fehägen fei, als Tugend in heiterer Jugend 
bezeichnet. — Ich ziehe die zweite Erflärung vor. — Einen 
ziemlich unbantbaren Verſuch, in dieſem Sonette Strophe, 
Antifteophe, Epodos und Antepobos nachzumeifen macht Maz⸗ 
zoni Difesa della Com. «di Dante I, 359. Dante bemerkt 
felbft, daß die legten Zeilen nicht auf bie Verftorbene, fondern 
auf Beatrice zu beziehen feien.. 


Finftes Sonett. 


Dante berichtet weiter, er fei gendthigt gemefen, in Ges 
fellfchaft vieler Anbern eine Reife zu Pferde gu machen, welche 
ihn längs eines Elaren und vafchftrömenden Fluffes, nad) der 
Richtung, wo bie zum zweiten Sonett erwähnte Dame fi 
damals aufgehalten, geführt habe. Da fei ihm Amor erſchie⸗ 
nen und babe mit dem Dichter das im gegenwärtigen Sonett 





16 


berichtete Zwiegeſpraͤch geführt. Gef. Balbo (Vita di Dante 
I, 59) vermuthet, Dante fei eben auf der Reife gewefen, um 
die Univerfität Bologna zu beziehen; mir fcheint inbef viel 
wahrfcheinlicher, daß ber Zug, von welchem Dante berichtet, 
nad Gampaldino gegangen fei, wo er am 11. Juni 1289, wie 
uns mit Sicherheit befannt ift, zwifchen Arno und Archiano, 
unter ber Glorentiner Reiterfchaar tapfer gefochten hat. 

Der Sinn bes von Dante gefchilberten Gefichtes ift, daß 
Amor ibm fein Herz, das jene Dame, zum Schein, eine Beits 
lang befeffen, von diefer zurüdbringt, damit er es für die Bu: 
Eunft, gleichfalls um feine wahre Liebe zu verbergen, einer 
zweiten, bie Amor ihm bezeichnet, übergebe. Roffetti (Co- 
mento analitico IT, 550 und Spirito antipap. p. 150) nimmt 
den ſchlecht beffeideten, bileftigen Amor für ein Symbol bes 
ſchutzlos bebrücten Ghibellinismus und findet in dem ganzen 
Bilde eine Initiation in den Geheimbund Derer, bie es unters 
nahmen, ihre ghibellinifchen Gefinnungen unter bem Scheine 
des Guelfentbums zu verbergen. 

Qu. I, 3.1 L’altr’ier heißt wie im Purg. XXITI, 119 und 
anderwärts nicht vorgeftern, fondern neulich. Mol. bie 
Stelle aus Armannino’s Fiorità, abgebrudt in ben Prose 
des Sal. Betti. Milano 1827, p. 181. 


Erfte Ballate. 


Dante ließ es ſich fo angelegen fein, Amors Rath zu der 
folgen, daß daraus nicht nur jener Dame übele Nachrede ere 
rude, fonbern daß Beatrice felbft, zum Zeichen ihrer Miss 
billigung, ibm ihren Gruß verfagte, in weldem er bis dahin 
fein höchftes Heil gefunden. In der Trauer, welche ihn hier 
über befiel, zeigte ihm ein Traumgeſicht den zum Juͤngling 
berangewadfenen Amor, ber ihm gebot, allen Scheinhuldigungen 
nun zuentfagen. Id bin, fagt der Gott in Lateinifcher Sprache, 
in welcher er bis babin immer zu bem Dichter geredet, gleich 


17 


dem Mittelpunkte des Kreifes, zu dem alle Theile des Umfangs 
in gleicher Weiſe fih verhalten. Du aber bift nicht fo. — 
Dann fährt er auf italienifà fort, in welcher Sprache ihn von 
nun an ber Dichter ſtets vedend einführt. Er rit) dem Bes 
‚tümmerten, Beatrice in einem Gedichte zu verfichern, wie er 
von feinem Knabenalter an ſtets nur ihr gehört und allein um 
der Leute willen anfdeinend an andern Frauen Gefallen gezeigt 
babe. Berufe dich dabei, fagt Amor, auf mein Zeugniß und 
fenbe dein Gedicht nicht ohne fanfte Muſik, in welcher zu, 
athmen id bic verfprede. Co entftand die gegenwärtige 
Ballate. 

Roffetti (Spirito antip. p. 151, 52, 225) deutet den 
vermeigerten Gruß auf ben Verdacht der Abtrinnigfeit, in den 
Dante bei den ghibellinifchen Machthabern gefallen fei. Ihm 
iſt alfo die Vallate ein Entfehuldigungsgebicht, in dem ber 
Dichter andeutet, fein anfcheinendes Guelfenthum fei nur er⸗ 
heuchelt und durch die Macht der Umftände geboten. Aud) auf 
den Umftand, daß Amor lateiniſch redet, ift Roffetti aufmerk⸗ 
fam geworben, nicht aber auf den zweiten, daß er die Sprache 
wechfelt. Ienen deutet er babin, daß Iateinifch bie begeichnende 
Sprache der Ghibellinen gewefen fei. Hätte er den Uebergang 
zum Stalienifchen nicht überfehen, fo würde er unzweifelhaft 
in ibm ben angenommenen Schein bes Guelfenthums gefunden 
haben. 

Str. IV, 3. 3 weichen Handferiften und Ausgaben fehe 
von einander ab. Meine eigene, welche biefe Ballate zwei Mal 
bietet, bat einmal l’anpronto und das zweite Mal lo pronta, 
Anderwärts finbet fidi l'ha pronto und in Trivulzio" Ausgabe 
ha pronto. Meines Eradtens kann nur zwiſchen der zweiten 
Lesart meines Manufcriptes, welche bie Deputati zum Deka⸗ 
meron &. 78 unter Berufung auf Purg. XII, 20 mit treffz 
tidjen Gründen verfediten, und der andern: ha impronto, für. 
melde Purg. XVII, 123 zu ſprechen fcheint, geſchwankt wer⸗ 
ben. — Ueber dad Wort preghiero in 3. 7 vgl. Ubaldini 
Tavola v. prece und Rannucci Manuale ecc. II. XITI, 


18 


Str. V, 3. 1 mußte nad) den eigenen Erlduterungen des 
Dichters mit meiner Handfchrift (Nr. 2) und andern Autorità= 
ten colui, nämlid Amor, gelefen werben. — 3. 2 sdonneare, 
die Dame verlaffen, nicht, mie bie Crusca erklärt, der Liebe 
ledig werben, ift ſehr ungemöhnlid. Roffetti (Comento 
analitico p. 399) macht baraus: Wieberaufhbren zu bem Grade 
des Geheimbunbes zu gehören, beffen Mitglieder donne genannt 
wurden. Sdonnei fann übrigens eben ſowol auf bie Vallate, 
„als (Conjunetiv) auf Amor bezogen werben; doch ſcheint mir 
das erfte richtiger. K. Fòrfter (das neue Leben von Dante 
A. ©. 20) nimmt bag Wort im Sinn der Crusca und bezieht 
es auf den Dichter: „Eh ihres Dienſt's ich ledig.” — 3.2 
und 3 nimmt Leigh als der Ballate aufgetragene, an Amor 
gerichtete, Worte und überfegt: Before thou leave Madonna, 
Dispose her mind to own my reasoning good. Meine Gr: 
klaͤrung ift in der Ueberfegung ausgebrüdt. 


Sechſtes Sonett. bi 


Dante berichtet, wie vier Gebanten ihn bekämpft und 
unter ſich geftritten hätten: 1) Die Herrſchaft der Liebe fei 
gut; denn fie ziehe ab von allem Argen. 2) Sie fei nicht gut; 
denn je treuer der Liebenbe diene, defto ſchwerere Stürme babe 
ce zu erfahren. 3) Da bie Namen der Natur ded Benannten 
entfpsechen und ber Name Liebe fo füß laute, fo müffe bie 
Liebe auch in ihrer eigentlichen Wirkung füß fein. 4) Die 
‚Herrin des Dichters fei nicht, gleich andern, leicht zur Gegens 
Hiebe zu bewegen. Aus biefen timpfenden Gedanken entftanb 
gegenwärtigeö Sonett. — Roffetti (Comento analitico II, p. 
511—13 und Spirito antipap. p. 153, 337), ber Pietà durch 
papiftifhe Frömmigkeit, oder Guelfismus, erklärt, findet in 
diefem Sonette die Klagen des feiner Partei noch immer ans 
hängenden, aber von bem Kaifertfum (feiner Dame) ohne 
Schutz gelaffenen Dichters, der fich endlich, wenn aud nur 
zum Scheine, den Anhängern der Kirche verbindet. 


19 


Siebentes Sonett. 


Vermuthlic war Beatrice ſchon feit einiger Beit vermaͤhlt. 
Daf fie e8 war, deutet Dante felbft dadurch an, daß er fie 
im l4ten Sonett Monna Vice nennt, eine Bezeichnung, bie 
für Jungfrauen nicht üblich ift; daneben auch wol buch bie 
zurüchaltende Weife, mit welcher er in ber vita nuova von 
ihrem Tode fpriht. Daf Simone be’ Bardi es gewefen, 
der fie heimgeführt, bekundet ausdruͤcklich ein alter Gommentar 
der göttlichen Komödie, von dem wir eine Handſchrift vom 
Sabre 1343 (Riccard. 1016) und zwei neuere (Gaddian. XC. 
sup. Cod. 123 und Medic. Palat. 117/183) befigen *). Aehn⸗ 
liches berichtet fpdter Boccaccio (Gommentar zu Inf, II, 57) 
und volle Veftàtigung gewährt bas Teftament bes Folco 
Portinari vom 15. Fan. 1287 (alfo nad) unferer Zeitrech⸗ 
nung wol 1288), in weldem Bici filiae suae et uxori D. 
Simonis de Bardis ein Legat auögefegt wird. 

Bur Nachfeier der Hochzeit (bem lendemain) einer von 
Beatrice's Vefanntinnen fam nun, nad) der Landegfitte, eine 
Anzahl (verheiratheter**)) ſchoͤner Frauen bei der Neuvermaͤhl⸗ 
ten gum Mittagsmahl. Dante, ber durch einen feiner Freunde 
eingeführt ward, um, gleich andern jungen Männern, den Das 
men bei Tiſche zu dienen, abnte nicht, daß Beatrice unter 
ihnen fei. Kaum aber war er eingetreten, fo befiel ihn ein 
ſolches Zittern, daß er fi an die Wand lehnen mußte, und 
ala er dann Beatrice erblidte, verlor er faft das Bewußtfein. 
Die Damen wurben e8 gewahr und fpotteten über ben Lieben— 
ben; mit ihnen felbft Beatrice. Da bichtete Dante, alè der 
Breund ihn binweggefibrt batte, das gegenwärtige Sonett. 

Roffetti (Comento anal. I, 270, 71, vgl. [Jof. Men: 
dela fobn] Bericht über Roffetti'è Ideen, Berlin 1840, ©. 08) 


*) Bgl. Taeffe A comment on Dante p. 93. 
**) Balbo Vita di Dante p. 70 





20 


findet natürlich in dem ganzen Sonett, befonder8 in Terz. 2, 
3. 1, die gewohnte Andeutung ſcheinbaren Uebertrittes zu ben 
Guelfen. 

Qu. 1, 3. 1. Gabbare mia vista ftatt gabbarsi della 
mia vista fehlt in der Crusca. — 3. 2 donna ftatt donne 
wird vom Sinne notbwendig erforbert und hat viele Autorità: 
ten für fi. 


Achtes Sonett. 


Die Beſchaͤmung, die er erfahren, veranlaßt den Dichter, 
ſich felbft zu fragen, wie er nur, ba die Gegenwart der Ges 
liebten ihn ftets aller Macht über ſich beraube und in dem ber 
Hagenswertheften Buftand verfege, immer wieder fie zu ſchauen 
verlangen finne. Er antwortet im gegenwärtigen Sonett: fo 
oft die Phantafie ihm ihre Schönheit vorbilde und das Ver: 
langen, fie ſelbſt zu ſchauen erwede, fterbe mit jedem andern 
Gebanfen auch die Erinnerung an alles bereits erlittene Uns 
gemach. 

Da Roſſetti morire durch Uebertreten zum Guelfen— 
thum und pietre durch Guelfen erklärt, fo findet er (Comento 
anal. II, 529) in Qu. 2, 3. 4 einen Bericht, daß vornehme 
Guelfen häufig verſucht hätten, ben Dichter zu dem Ihrigen 
zu machen. 

Terz. 1, 3.3. Wie Nannucci (Manuale II. XXXD 
dazu fommt, zu behaupten, es müffe doja heißen, ift mir pdl: 
lig unverftänblich. 


Neuntes Sonett. 


Diefes legte unter ben Gedichten des britten Abſchnittes 
Hat Dante beftimmt, vier Gedanken, bie gleichzeitig ihn qudle 
ten, auszufprechen und dies ift mit hinreichender Klarheit 
geſchehen. 


«21 


Erfte Canzone. 


Allmaͤlig war ba Geheimniß von Dante’s Liebe Manchen 
kund geworben. Daher fragten ihn eines Tages edle Damen, 
die in größerer Zahl verfammelt waren, zu welchem Ende er 
feine Herrin liebe, ba er doch ihre Gegenwart nicht ertragen 
könne. Gewiß, bas Ende folder Liebe muffe gar befonderer 
Art fein. Darauf erwiedert der Dichter, einft fei das Biel feis 
ner Liebe der Gruß feiner Herrin gewefen. In biefem babe 
feine ganze Seligkeit, das Ende aller feiner Wuͤnſche gelegen. 
Seit fie ihm aber biefen verfage, habe er feine Seligleit in 
Das gefegt, was ihm nicht entzogen werben könne. Weiter 
befragt, fügt er hinzu: in die Worte, die meine Herrin preis 
‚fen. Da entgegnet die Eine, bie für die andern gerebet: dem 
entſprechen die Worte aber nicht, in denen du deinen Zuftand 
geſchildert haft. Beſchaͤmt über diefe Antwort gelobt ſich Dante, 
nicht wieber ander als zum Preife feiner Herrin zu dichten, 
und bie erfte Frucht diefes Entfchluffes ift die gegenwärtige 
Ganzone. \ 

Eine mertmirdige Parallele befteht zwifchen ihr und der 
äweiten bes Convito (Ganz. 3), welche faft in derſelben Geban: 
tenfolge, wie biefe bie lebende Beatrice, fo die zweite Liebe 
des Dichters (allegorifch die Philofophie) preift. 

Str. I. Der Dichter weiß, daß, wenn er vermoͤchte, den 
Preis der Geliebten nach ber Wahrheit zu fingen, fo wie er 
ibn tiebend fühlt wenn er ihrer gebentt, er alle Welt dadurch 
entflammen würde; doch ihm fehlt ber Muth dagu, er weiß, 
daß er ihr Lob nicht auszufingen vermöchte, und fo will er 
denn, nur um feines Herzens Uebermaß zu erleichtern, vers 
gleihungsweife oberflählih, zu liebentbrannten Frauen und 
Mägblein reden; denn andere wären folder Rede nicht würdig. 
Unter biefen Frauen mögen wir uns zunaͤchſt, bod nicht aus: 
ſchließlich, diejenigen denken, die durch ihr Gefpräch das Lieb 
veranlaßt hatten. Der Dichter erläutert felbft, er fage donne 
(eble Frauen, Herrinnen), nicht gewöhnliche Weiber (che non 





son pur femmine). gl. Convito IV, 3. Roffetti (Co- 
mento analit. IT, 400, 401 und Spirito antipap. p. 255) Bat 
auf diefe einfache Bemerkung bag feltfamfte Gebäude aufge: 
führt: donne fei ein eigener Grad des ghibellinifchen Geheim⸗ 
bundes; Dante fage e8 ja felbft, donne, die feine Frauen, 
fonbern Männer feien. Nur an biefe Eingeweihten fei biefe 
Gangone gerichtet, die in übereinkömmlichen Phrafen das Lob 
deg Kaiferthbums finge; Andern müffe mit Grund ihr Inhalt 
verbeblt bleiben. — Ueber pensare für bedenken vgl. Gras 
ticelli vita nuova p. 299, 300, poesie di Dante p. CLI. 
In Str. II preift der Dichter bie Geliebte, indem er be: 
richtet, wie ber Himmel ſelbſt nad) ihr verlange. Die beiden 
folgenden ſchildern ihre irdiſche Erſcheinung und den Einfluß 
ihrer Schönheit und Tugend. Offenbar fpielt in diefe Strophe. 
ſchon eine Ahnung derjenigen Verklärung hinein, zu der Dante 
dereinft die geftorbene Beatrice erheben follte, und es liegt fehr 
nahe, in ben beiden legten Beilen (mit Roffetti Spirito anti- 
pap. p. 345, vgl. mit Comento analit. I, 377, $raticelti 
poesie p. LXI, Zörfter bag neue Leben, ©. 130, u. X.) 
eine Andeutung von des Dichters künftiger Höllenwanderung zu 
finden. Indeß kann unter der Hölle und dem verlorenen Voll 
fuͤglich audi die Welt mit ihren groͤßtentheils verberbten Ber 
wohnern verftanden werben. Merkwuͤrdig ift es, ſchon hier die 
Vorahnung von Beatrice's Tode in bem Verlangen des Engels 
und bem Cinftimmen des ‚Himmels und der Heiligen zu finden. 
Noch verficht das Mitleid die Wünfche der Erbe; in der Aten 
Ganzone (Str. IN) wird der Tod der Geliebten daraus herge⸗ 
leitet, daß Gott die Erbe für ummirbig erfannt habe, fie zu 
befigen. — 3. 1. Den Engel als außer Gott zu biefem fpres 
hend zu ſchildern, ſcheint dem Dichter zu anthropomorphiſch; 
daher laͤßt er Gott die Rede im eigenen Geift vernehmen. 
Srrig ift Fraticeli’s Erklaͤrung, der Engel bebiene ſich einer 
göttlichen Sprade. — 3. 3. Maraviglia nell’atto, ein wirklich 
(actuell) geworbenes Wunder. — Mit 3. 4 muß bie Rebe bes 
Engels notpwendig gefchloffen werben. Andere behnen fie big 


3. T aus. — 3.8. Eine Bemerkung von Roffetti über dieſe 
Beile babe ich nirgends gefunden; vermuthlich weil fie eine der 
unzähligen Stelen ift, bie fein Gpftem vollftändig widerlegen. 
Nach feinen Principien nämlich müßte fie fo paraphrafirt wers 
den: allein das Papſtthum (pietà) vertheibigt unfere (die ghi: 
bellinifche) Partei, indem es Gott bittet, gegen den Wunſch 
der Guelfen (ciascun santo) ber Erde das Kaifertfum (Ma- 
donna) zu erhalten!!— 3.9 glaube ich, wie ſchon Andere vor: 
gefhlagen (vgl. Braticelli a. a. ©. ©. CLIN), mit zwei 
Fragezeichen ſchreiben zu müffen. Der ganze Himmel ift begie= 
rig, wie Gott zwiſchen dem Verlangen des Engels und ber 
Fürbitte des Mitleids entfcheiden merde; baher die Frage: Was 
redet Gott? Was beabfichtigt er mit Madonna? Dod fam 
man aud) ohne Fragezeichen Chè für perchè nehmen: Denn 
(wegen der Fürbitte des Mitleidens) e8 redet Gott, indem er 
Mabonna meint. — Daß 3. 12 und 13 auf Dante zu beziehen 
find, bebarf kaum einer Erwähnung. 

Die dritte Strophe fehildert den Geiftesadel der Gelieb⸗ 
ten: fo groß ift diefer, baf er auch Denen ſich mittheilt, die 
in ihrem Geleit gehen, falls fie nur edler Anregungen überall 
fähig find. In den Niebriggefinnten erflarrt in Beatrice's 
Nähe jeber ihnen fonft gewohnte Gedanke (3. 4—6). Achns 
liches warb fon oben am Schluffe des vierten Sonettes ange⸗ 
deutet und tebrt im 16ten wieder. — Hieraus folgt nun (3. 
7, 8), baß, wer es vermöchte, dauernd fie anzufchauen, ente 
weder (bei guter Anlage) ſelbſt ihres Adels theilbaftig werben, 
ober (bei böfer) innerlich erfterben müßte. O si morria, flatt 
e si morria, beftätigen viele Autoritäten und fordert der Sinn 
notwendig. — Aehnlich fagt Guido Cavalcanti in feiner 
achten Ballate (Ed. Cieciaporci p. 24) 

Ed io, s'îla guardassi, ne morria, 
— 3. Il fpielt, wie bies häufig in ber vita nuova gefchieht, 
mit dem zwiefachen Sinn bes Wortes salute (‚Heil und Gruß). 
— 3. 12. Umiliare für‘ demüthig machen, nicht für demuͤthi⸗ 


24 


gen, fehlt in der Crusca, vgl. Rott zum Avventuroso Cici- 
liano deg Bufone da Gubbio p. 358. 

Str. IV. Amor felbft hält foviel Huld und Reinheit in 
einem fterblichen Wefen für unmöglich; body nachdem er bie 
‚Herrin betrachtet, geftebt er, daß Gott in ihr noch nicht da 
Gewefenes (cosa nuova. S. oben über den Namen ber vita 
nueva ©. 10) gefchaffen. Die hauptfächlichften ihrer Schoͤnhei⸗ 
ten werben nun einzeln gefchilbert: zuerft Farbe und Geftalt. 
‚Hier heißt e8 (3. 5), fie verwirklicht (vergeftaltet, informa) die 
Farbe der Perle in rechtem Map. D. D. fie hält die Mitte 
zwiſchen bäurifchem Roth und Erankhaftem Blaß. Diefe ge: 
mäßigte Bläffe, die Beatrice eigen gemefen, erwähnt ber Dich: 
ter noch beftimmter in den Erläuterungen zum 20ften Sonett. 
Sie gilt Dante ebenfo einer edlen Frau geziemend, als lang= 
fames Bewegen ber Augen und leifes Reben bem gebildeten 
Manne. — 3.7, 8. Sie ift das Urbilb der Schönheit; ſchoͤn 
ift alfo nur, was ihr ähnelt. — 3. 9 ff. Die zwei weſentlich⸗ 
fien Schönheiten haben ihren Wohnfig in Augen und Mund 
(ogl. die zweite Canzone bes Convito [Canz. 3], Str. IV, 
3. 3 und den Commentar im Conv. JIT, 8). Die Augen (3. 
9—12) find der Quell der Liebe; der Mund ift ihr Ziel, naͤm⸗ 
Ud der Herrin holdfeliger Gruß. — Nach der Lesart aller 
Handſchriften und Ausgaben, die mir befannt find, nennt die 
Canzone nur bie Augen und Eehrt demnaͤchſt (3.13), ftatt von 
dem Munde zu reden, zu dem Gefichte im Allgemeinen zurüd. 
Dennod erwähnt der profaifche Tert ausbrüdlich des Munbes, 
deffen Preis der Parallelismus mit ber Canzone bes Convito 
nothwendig fobert, und ich halte baher die Conjectur, die Tris 
vulzio mir brieflich mitgetheilt, daß in 3. 13 riso ftatt viso 
zu lefen fei, für mehr als nur wahrſcheinlich (vgl. Son. 11, 
Terz. 2). — Daß Dante andermärts durch den Blid der Ger 
liebten die Veweife und burd) ihr Lächeln die Vermuthungen 
der Philofophie andeuten will, wird in ber Erflärung der zwei⸗ 
ten Ganzone des Convito Nr. 4 nadigerviefen werben; ebenfo 
neu als befcemblich aber ift es, "wenn Roffetti (Spirito 


25 


antipap. p. 432) in ben Augen die Erkenntniß, welche die 
Symbole des ghibellinifhen Geheimbundes aufzunehmen fucht 
und in dem Munde deren mündliche Mittheilung allegorifict. 
glaubt. — Ein Gebanke, ähnlich dem in 3. 9 unb 10 ausge⸗ 
ſprochenen, findet fi in ber fiebenten Ballate dea Lapo 
Gianni, Ste. IT, 3.1 u. 2 (Palermitaner Samm. I, 421). 

Ste. V, 3. 10, Il. Roffetti findet natürlich in den 
edlen Frauen und Männern, denen allein die Canzone fido. 
offenbaren foll, die beiden Grabe feines ghibellinifchen Garbos 
narismus wieder, und da der Dichter in feinen Erläuterungen 
die Furdt ausfpricht, die geliebte Herrin vieleicht ſchon zu 
deutlich bezeichnet zu haben (io temo d’avere a troppi com- 
municato il suo [ber Gangone] intendimento, pur per queste 
divisioni [erläuternde Eintheilungen] che fatte sono*)), fo fiebt 
darin fein neuer Hermeneut die Scheu vor guelfifch gefinnten 
Berräthern (Comento analit, IT, 411; Spirito antipap. p. 345). 
— Ueber dad Wort tostana (3. 12) vgl. Nannucci Manuale 
IT, XII, 





Bebnte8 Sonett +4). 


Auf die Bitte eines Freundes verſucht Dante in dieſem 
Sonett bie Natur ber Liebe zu bezeichnen. Einen zweiten Vers 
ſuch finden wir in bem ſechſten der nicht in die vita nuova 
aufgenommenen Sonette. Der Dichter geht von bem febbnen 
Gedanken des alten Guido Guinicelli (il Saggio) aus, deſſen 
berühmte Ganzone alfo beginnt: 

Al cor gentil ripara sempre Amore, 
Siccome augello in selva alla verdura, 
Non fè Amore anzi che gentil core, 
Né gentil cor anzi ch’ Amor natura. 





*) Diefe Stelle ift misverftanden von Foͤr ſter (bag neue -, 
eeben Sch erſt Börfter (I 


**) Bel. Nannucci Manuale II, 63. 
Dante, Lyriſche Gedichte. IT. 2 


Gm ebien Herzen herbergt immer Liebe, 
Wie in des Waldes Laub der Voͤglein Schar; 
Nicht ſchuf Natur vor edlen Herzen Liebe, 
Nod edles Herz ch’ Lieb’ erfhaffen war. 
Dann fügt er, ſcholaſtiſch und poetifch zugleich, hinzu: poten- 
tia fei die Liebe von jeher im eblen Herzen, als in ihrer eige: 
nen Wohnung, in ihrem Subjekte, aber fie fehlafe; dann er: 
geuge die Schönheit eines würdigen Gegenfandes das Verlangen, 
unb wenn biefes ein bleibendes fei, fo erwecke e8 bie Liebe, die 
alsdann aud) actu lebendig werde. Wenn Dante in den Ter: 
ginen zuerft das Erwachen ber Liebe im Manne und alöbann, 
mit einer Zeile, im Weibe ſchildert, fo will Roffetti (Com. 
analitico I, 386, 87), ber bier einmal feine zwei Orbensgrade 
vergift, darin erft die Betrachtung der ſchrecklichen Folgen des 
Lafter8 (Virgil) und dann bie ber beilbringenden Wirkungen 
der Tugend (Beatrice) finden. 
In Qu. 2, 3. 1 bezieht ſich bag gli in Fagli mit etwas 
tühner Licenz zugleich auf core und Amore. 


Elfte8 Sonett. 


Was im vorigen Gonette allgemein von der Liebe auöger 
fagt war, findet in biefem fpecielle Anwendung auf die Liebe 
zu Beatrice. Es findet aber auch Grweiterung: denn von ber 
Schönheit überhaupt war nur gefagt, fie vermöge die Liebe da 
zu erweden, wo biefe ſchlafend (potentia) fehon weile; bier 
aber heißt e8, auch in nicht eblen Bergen, in benen Liebe alfo 
nicht einmal ſchlafend herberge, rufe Beatrice's Blick eine eblere 
Negung hervor, nöthige zur Demuth und treibe Born und 
Stolz in die Flucht. 

Diefe Wirkungen rühmen bie beiden Quart. von den Augen 
der Geliebten. Die Tergette reden von bem Munde, wenn er 
zebet und wenn er lächelt. Das Lächeln aber übt fo wunder: 
bare Macht, daß felbft das Gebächtniß es fich nicht wieder vere 
gegenwärtigen, noch weniger die Sprache es ſchildern kann. 


27 


(Ugl. Ganz. 1, Str.5, 3.13, 14. Parad. XVIII, 8—12 und 
anberwärtd.) — Das Seligpreifen des Menfchen, der zuerft 
Beatrice gefehen (Terz. 1, 3. 3), erinnert an bie Worte des 
Volksliedes: Benedetta la tua mamma, Che ti fere così bella. 


Zwoͤlftes Sonett. 


Am 31. Dec. 1289*) farb Folco Portinari, Beatrice's 
Bater. Rad) Florentinifdem Trauergebrauche **) gingen Ver: 
wandte und Freundinnen zu der vermaiften Tochter, um mit 
ihr zu Magen. Dante, der in der Nähe weilte, hörte die Zus 
ruckkehrenden von Beatrice's Schmerz erzählen. Andere folgten 
nach, und wie fie ihn gewahr wurden, den jene Kunde auf das 
Siefite erfchüttert batte, fprachen fie von der Theilnahme, die 
in feinen Zügen fi ausbridte. — Dante gab biefem Vorfall 
in ben gegenwärtigen zwei Sonetten bichterifche Geftalt. Im 
erften fragt er bie Worübergehenden, ob fie von Beatrice kom⸗ 
men, wie er vermuthet, und was biefer begegnet fei. Das 
zweite enthält die Antwort jener Frauen. 

Roffetti (Comento analit. II, 529), der mit Giunta 
in Qu. 1, 3. 4 pietra ſtatt pietà lieft***), verrodffert biefe 
zührenden Töne innigften Mitgefühl zu ber froftigen Allegorie, 
daß Dante Ghibellinen anrede, die auf den eigenen Antrieb 
‚Heinzich’s VII. (1) guelfifche Farbe angenommen hätten, worauf 
ex denn auch felbft fi) guelfifch zu flellen nach Kräften beflei— 
fige (Spir. antipap. p. 149). 

Qu. 2, 3. 2 ift mit der Nobilmfden Handſchrift und 
andern Autoritäten, ftatt des gezwungenen: Bagnar nel viso 
di pianto Amore gefegt worden Bagnata il viso di pietà d’am. 
— Gbenfo Terz. 2, 3. 2 tornar flatt venir, 





*) Der Grabſchrift sufolge: S. Pelli Memorie gr ser- 
vire alla vita di Dante Al. 2da ediz, p. 74, No, 18. 
*#) Ugl. Boccaccio Decamerone Nov. 36 in f., 38. 
er) Bal die Anmerkung zu Purg. XXXIII, 74 in ber 
Florentiner Ediz. dell’ ancora. 
2* 


28 


Dreizehntes Sonett. 


Die legten Zeilen fpredhen den öfters wiederkehrenden Ges 
danken aus, bafi Niemand das volle Anfchauen Veatrice'8 zu 
tragen vermöchte. 


Zweite Canzone. 


Bald darauf nöthigte ein fehr ſchmerzhaftes drtliches Uebel” 
den Dichter, neun Tage lang faft regungslo8 zu Hegen. Als ihn 
am neunten Tage bie eigene Schwäche lebhaft daran gemahnt 
batte, wie, fpäter oder früher, auch Beatrice merde fterben müffen, 
erfchien ihm ein Geficht von bem bereinftigen Tode und der Ver: 
klaͤrung ber Geliebten. Da rief er im Traume meinend mit lau: 
ter Stimme: „D, ſchone Seele, felig ift, wer bid fiche”; und 
als eine nahe Blutöfreundin des Dichters *), die zur Pflege des 
Kranken gegenwärtig war, dies fein Schluchzen vernahm und 
"deshalb laut zu weinen begann, weckten ihn andere Frauen, die 
im Bimmer weilten, mit tröftendem Wort. Nod im Erwachen 
rief er aus: „O Beatrice, fei gebenebeit”; aber die Thraͤnen 
erfticten bie Stimme, ſodaß ber Name von ben Umftependen 
nicht vernommen ward. Was er geträumt habe, erzählt nun 
der Dichter in gegenwärtiger Canzone ben pflegenden Frauen. 

Str. I, 3. 1,2. Die Blutöfreundin Dante. — 3.9. 
Vol. Str. VI. — 3. 9.. Sie entfernten fie wegen des Webers 
mafes ihres Schmerzes. — 3. 10 per farmi sentire, foviel als 
risentire, um mid) ind Vewuftfein zurüczurufen. — 3. 14. 
Roffetti (Spirito antipap. p. 408, 409), ber entdeckt hat, 
daß bies Gedicht eine Schilderung des jüngften Gerichtes fei, 
belehrt uns, der Name, ben Dante im Erwachen ausgerufen, 
fei der Heinrich's VIL gewefen; des Dichters heuchleriſch anges 
nommenes Guelfenthum (voce dolorosa, rotta dall’ angoscia 





*) Vielleicht feine Schwefter, die an Leon EI verhei⸗ 
rathet war. Bl. Foͤrſter, Das neue Leben, ©. 132. 


del pianto Str. 2) habe aber bie Ghibellinen feiner Umgebung 
(donne) gehindert, den Ruf zu vernehmen. 

Ste. III, 3.14. Vifcioni will lefen: se’ morto, o pur 
morra’ti; bie Pefarefer Ausgabe: Che mi dicean pur: morra'ti, 
morra’ti; Fraticelli (poesie CLV) C. m. dicien: morra'ti 
pur, morra’ti. n ber profaifchen Erzählung heißt es, biefe 
geipenftifhen Frauenbitber hätten gerufen: Tu pur morrai, 
und wieder andere: Tu sei morto. Daher halte id) die Lesart 
der Trivulz io'ſchen Ausgabe: Se’ morto: — pur morra’ti für 
die richtige. 

Str. IV, 3. 8. Ueber la stella ift zu vergleichen, was 
bei der zweiten Canzone des Convito Str. V, 3. 8 gefagt ift. 
— 3. 10. Die entfpredende Stelle der profaifhen Erzählung 
ift in ben älteren Ausgaben der vita nuova auögefallen und 
daher no) von Foͤr ſter unuberfegt geblieben. — 3. 12. Ein 
Freund. des Dichters, den er nicht näher bezeichnet. 

Str. V, 3. 1-5. Das gleiche Bild kehrt in der erften 
der nicht in die vita nuova aufgenommenen Ganzonen Str. IV, 
3. 12—15 wieder. Die alten Maler big herab in das 16. 
Jahrhundert pflegen die feheidende Seele in Geftalt eines Kin— 

. des gu bilden, bas gehült in ein weißes Wölkchen gen Himmel 
ſchwebt. — 3. 13, 14. Nod) aus den Zügen ber Geftorbenen 
fprady Demuth, und ſchon die Leiche verklärte die Freude über 
das Eingehen in den ewigen Frieden. Was für einen Geheim⸗ 
finn Roffetti (Spirito antipap. p. 192) in biefen Beilen fin: 
den will, weiß ich nicht zu verftehen. 

Ste. VI. SRidt ein Schrechild hat der Tod auf Beatri: 
ce's Antlig binterlaffen, fondern Demuth und Freude. So muß 
er denn mol füß fein, und der Dichter, der ſchon an Farbe ibm 
gleicht (3. 8), ruft ihn, daß er auch zu ihm fommen möge. 
Bgl.Petrarca trionfo della Morte I, 172. Aud hier deutet 
Roffetti (a. a. O. S. 199) in wichtigthuenden Worten einen 
Gebeimfinn an, obne ihn doch zu erklären. — 3. 8 io ti so- 
miglio, in fede: meiner Treu, ich gleiche dir. Soviel ich febe, 
haben alle Ueberfeger diefe Stelle faljch verftanden. - 3. 10. 


30 ' I 


Consumato ogni duolo findet in der profaifchen Erzählung ger 
nügenbe Deutung: Quand’ io avea veduti compiere tutti i 
dolorosi mestieri, che alle corpora de’ morti s'usano di fare. 
Lyell ift hier der einzige, ber das Rechte getroffen. | 


Vierzehntes Sonett. 


Eines Tage befiel ben Dichter ein Zittern und alsbalb | 
erfchien ihm Amor und fagte: ,,Segne ben Tag, an dem bu mir 
unterthänig wurdeſt!“ Da ward Dante'8 Herz gar freudig, 
wie e8 lange nicht gewefen und eine Frau von befonberer Schön- 
heit, ber Guido Cavalcanti früher leibenſchaftlich gehul- 
digt hatte, fam des Weges. Sie hieß Giovanna; doch war | 
ihr um ihrer Schönheit willen der Beiname Primavera (Fruͤh⸗ 
ling) ertheilt. Bald darauf folgte Beatrice. Da war e8 dem 
Dichter, alè fage ihm Amor: nur weil es beftimmt war, baß jene 
Giovanna heute zuerft kommen werbe (prima verrà), hat fie 
den Namen Primavera erhalten, und Giovanna heißt fie, weil | 
fie gleich dem Täufer Johannes, vorausgegangen ift und Vea 
trice die Wege bereitet hat. Beatrice aber follte man Amor 
nennen, fo fehr gleicht fie mir. — Diefelben beiden Liebespaare, 
deren Dante bier gebenkt, finden wir auch in bem fünften der 
Sonette außer ber vita nuova, das vermuthlich diter iſt, 
gefellt. 

Roffetti gibt wie gewöͤhnlich (Spirito antipap. p. 195, 
213) rdtbfelbafte Winke, daß hinter biefem Vergleiche mit Jo: 
hannes und Amor große Gebeimniffe verftedit feien, bleibt aber 
die Auflöfung ſchuldig. Wahrſcheinlich denkt er bei bem erften an 
Sanct Fobanniglogen, und baß Kaifer (Beatrice) und Kaifers 
thum (Amore) einander verwandt find, muß er fehr natir: 
uch finden. 

Terz. 1, 3. 1. Bice ftatt Beatrice haben wir ſchon im 
Zeftamente Folco Portinari’s gefunden und diefelbe Abkürzung 
beutet Dante Par. VII, 14 an. 


31 





Funfzebnte8 Sonett. 


Wo Beatrice gefehen warb, ba flößte fie Ehrfurcht und 
Bewunderung ein, fodaf bie Leute herbeieilten, fie zu ſchauen 
und dann, wenn fie vorüberging und grüßte, dennoch in Scheu 
nicht das Auge zu erheben wagten. Oft geſchah es bem Dich⸗ 
ter, daß er einen Ausruf entzudten Staunens aus dem Munde 
Frember vernahm; denn ibr Anblid weckte Geufzer in Jedem, 
dem er zu Theil ward und Ließ im Herzen unnennbare Süße 
zuruͤck. Demuth aber blieb ihr Gewand und ihre Krone, wie 
laut fie fi auch preifen hörte. — Damit auch Diejenigen dies 
erführen, die Beatrice nicht mit leiblichen Augen fehen tonnten, 
dichtete Dante bad gegenwärtige Sonett. — Cine gute Uebers 
fegung bietet (Taeffe) A comment p. 103. 

Qu. 2, 3.2 entfpridit den Worten des profaifchen Textes 
Ella, coronata e vestita d’ umiltà, s’andava ecc. Ferner heißt 
es in ber Einleitung zur erften Ballate: con viso vestito d’ 
umiltà. Man muß alfo mit Nobili'8 und meiner Handfchrift 
lefen: Benignamente d’umiltà vestuta, ftatt: Umilemente 
d'onestà vestuta der meiften Ausgaben. 

Terz. 2, 3.1. Daf labbia von labbro verſchieden ift und 
nicht Lippe, fondern Geficht heißt, ift eine fehr triviale Ber 
merkung, bie aber alle Ueberfeger, felbft Eyell nicht ausge⸗ 
nommen, außer Acht laſſen. 


Schözehntes Sonett. 


Nicht nur Beatrice felbft ward von Allen gepriefen, die 
fie kannten; fonbern auch andere Frauen wurden buch ihre 
Nähe gehoben. So erhaben war'ihre fiegende Schönheit, daß 
die Andern einen Reid darob empfanden, und Seelenadel, Lieb’ 
und Treue wurden fchon durch ihre Nähe gemedt. Wer fie 
gefehen bat, muß feufzen, fobald er nur ihrer gedenkt. 

Wenn wir bei diefem Gonette fo gluͤclich find, mit Rofs 
fett? ſchen Orbensmpfterien verſchont zu bleiben fo begegnet 


uns dafür eine nicht minder froftige Deutung Dionifi’s (Pre- 
parazione istorica e critica alla nuova ediz, di Dante Al. II, 
47, 48): Beatrice foll die Moralphilofophie vorftellen; die” 
donne, mit denen fie verkehrt, feien tugenbbafte Geelen. Das 
Weitere Yann fich Jeder felbft componiren. 


Dritte Canzone. 


Im Vorigen hat fi ergeben, mie bie Liebe des Dichters 
allmaͤlig von jedem Verlangen geläutert worben; felbft daß die 
Geliebte ibm ihren Gruß verweigert, ftört ibn nicht, und fo 
fühlt denn er, der früher über Amors Härte geklagt, jegt nur 
noch deffen Süße. Vemdltigt ibn fo der Liebe Macht, daß alle 
Lebenögeifter zu entfliehen ſcheinen, fo verdoppelt fi nur feine 
Seligkeit und im Erfterben ruft er noch die Herrin, daß fie 
dies fein Heil vermehre. 

Diefe vergeiftigte und felbftlos gewordene Geftalt feiner 
Liebe wollte Dante in einer Ganzone darftellen; doch auf die: 
fer Stufe war die Liebe zur irdiſchen Beatrice ſchon reif in 
die zu ber verklärten überzugehen, und fo ift es denn nicht 
bloßer Zufall, baf biefe Zeilen bie legten find, welche Dante 
an bie lebenbe Geliebte gerichtet, und daß die Canzone ein Frage 
ment blieb. 

Die Form anlangend, ift bemerfenswerth, baf bie Stro: 
phe biefer Canzone nur dadurch von einem Sonett ſich unters 
ſcheidet, daß die IIte Beile fiebenfpibig ift und die te no 
einen Mittelreim enthält. 


Vierte Canzone. 


Am 9. Funi 1290 ftarb Beatrice. Ueber die Umftände 
ihres Todes ſchweigt der Dichter und ala den wichtigften Grund 
feines Schweigens erwähnt er, daß er von ihrem Tode nicht 
reden Tonne, ohne fich felbft zu loben, was nicht gegiemenb fei. 


Weirerhin fagt er (Ganz. IV, Str. 2), kein Froft und krin 
Sonnenbrand habe fie getöbtet, mie Andere von dergleichen zu 
ftecben pflegten. — Starb fie dann vielleicht an gebrochenem 
Herzen und war etwa Meffer Simone de’ Barbi Derjenige, 
der es bra? — Einen Klagebrief fchrieb der Dichter an bie 
Angefehenften der Stadt (principi della terra), welcher mit 
den Worten des Ieremias anfub: Quomodo sedet sola civi- 
tas; aber von ihrem Tode vermochte er nicht zu fingen. 

Als nach unabläffigem Strömen ber Quell der Thränen 
auf eine Beit verfiegt war, verfuchte er es, feinen Schmerz 
und ihren Preis in Worte zu Mleiden, und fo entſtand die ges 
genwärtige Canzone. 

Roffetti (Comento analitico II, 439. Spirito antipap. 
p 159, 60, 373) laͤßt ſich durch diefe Einzelnheiten zu den fette 
famften Gonfequenzen hinreißen: Dante babe fich in Beatrice 
verwandelt und fei als ſolche gleich einem Spiegel gemefen, 
der bas Bild der großen allegorifhen Herrin, nämlich Gein: 
rich's VIL, in fi getragen. Darum habe er von Beatrice's 
ode nicht reden Fönnen, ohne ſich ſelbſt zu rühmen. — Ger 
ftorben aber fei Beatrice für. Dante in dem Augenblid, wo 
diefer, wenn auch nur zum Schein, zu ben Guelfen übergetre- 
ten fei. Damals, nämlich 1314 und nicht 1290, babe Dante 
einen noch erhaltenen (von mir herausgegebenen) Brief des ers 
wähnten Anfanges an bie Firften ber Erbe (principi della 
terra), nämlich bie zu Garpentras im Gonclave verfammelten 
Garbindle gefchrieben, in dem er fi) öffentlich ala Anhänger 
des italienifchen Papftthums befannt. 

Eine - fogenannte Ueberfegung biefer Canzone gibt Char 
banon Vie du Dante, Paris 1773, und eine theiliveife Taeffe 
A comment on Dante, p. 110. Die erftere hat nur infofern 
Anſpruͤche auf Treue, als in ihr, wie im Originale, der Name 
Beatrice vorkommt. 

Str. I. Vom Uebermaß des Weinens find bie Augen des 
Dichters troden geworben, fo bleiben ihm benn, um feinen 
Schmerzen Luft zu machen, nur nodj Worte; und weil er 

qua 


3% 


die Lieder ihres Preifes, alè Beatrice noch lebte, an edle Frauen 
gerichtet, fo widmet er ihnen: auch dieſes Trauerlied. 

Str. II. Hinter 3. 6 erfordert ber Ginn.ein Semifolon 
ober Punkt, wie die gewöhnlichen Ausgaben ein folches hinter 
3.5 fegen Das Richtige haben ſchon Fraticelli (in der 
Ausgabe der vita nuova) und Balbo (Vita di D. p. 168). 
— Der Gebante diefer Strophe entfpricht im Weſentlichen dem 
fon Ganz. 1, Str. 2 ausgefprodienen. 

Ste. INI. Nur der Edele weiß das Cbele zu erkennen und 
gu würdigen. Der Schlechte vermag nicht über Beatrice zu 
weinen (3. A—9); mer aber ihr Wefen erkannt bat, idſt bei 
dem Gedanken an ihren Tod fich in Seufzer und Thraͤnen auf 
(8. 10—14). — 3. 1 erinnert an Inf. V, 101. 

Str. IV, 3.6. Das Verlangen nad) dem Tode leiht dem 
Dichter die Farbe des Todes. Achnliches fagte er ſchon Ganz. 2, 
Str. 6, 3.7,8. — 3. 7 ift mit der Nobilifden Handſchrift 
tien ſtatt vien gefegt, da venir fiso mir ein uncihtiger Ger 
danke ſcheint. — Der Dichter unterfcheidet die bloße Erinnes 
zung an Beatrice, die ibn ſchon gleich einem Tobten erbleichen 
macht, und das Sichverſenken in.ihr Bild, bei dem er im eigenen 
Schmerz erbebt und bas Begegnen der Menfchen meibet. Dann 
ift e8 ihm wieder, als koͤnne das Entfegliche nicht gefchehen 
fein und er ruft fragend aus: „Bift du denn wirklich geftors 
ben?” und wie er fragt, ba glaubt er Antwort mie von Geis 
fternähe zu vernehmen; die Seligleit des Schmerzes kehrt mil 
bernd in ihm ein. 

Str. V. Die Welt meibend wird der Trauernde auch von 
ber Welt gemieden. Wie er nun in Einfamkeit und &chmerz 
feine Tage hingebracht und hinbringt, vermag bie Sprache nicht 
gu (bildern; aber diefe Leiden halten ibn über die große Kluft 
hin mit der Geliebten verbunden, und fo wird fie ihm einſt 
dafür lohnen. 

Str. VI. In diefer Schlußfteophe weift der Dichter, wie 
in der erften, fein Lied an Mädchen und Frauen, bemen die 
Gedichte glücticher Tage oft Freude gebracht. — Sorelle mer: 





den biefe Gebichte genannt, mie in ber zweiten Canzone bed 
Convito, Str. V, 3.2. — Sermartelli fügt am Schluffe 
noch folgende brei Zeilen hinzu: 

Dì: Beatrice più che l’attre belle 


Nè ita a piè d’ Iddio immantenente, 
Kd ha lascicito Amor meco dolente. 


Siebzebnte8 Sonett. 


Beatrice's Bruber bat ben Dichter um einige Verfe zum 
Andenken einer Verftorbenen. Obwol Fener eine andere nannte, 
errieth Dante, baf bie Verfe feiner Beatrice gelten follten, 
und er dichtete bas gegenwärtige Sonett. 

Der Gedanke entfpricht dem zu Anfang ber vorigen Can: 
gone auögebrücten: Nur noch Seufzer findet der Dichter, um 
die Laſt des Grames zu erleichtern; denn die Thränen find faft 
verfiegt. Freilich Troft gewähren die Seufzer nicht; aber ohne 
fie würde bas Uebermaf des Schmerzes ihn erftiden. — (Au. 2.) 
Ohne die Seufzer würde es ben Augen noch viel öfter ale jegt, 
und öfter als fie es vermöchten, obliegen (sarebber rei Molte 
fiate più), die Dabingefchiedene alfo zu bemeinen, daß ber 
Schmerz fi in ihnen ausſchuͤttete (che sfogherei [ftatt sfo- 
gassi] ’l cor, piangendo lei). Segt teilen wenigftens bie 
Seufzer diefe Pflicht mit den Augen. Im Wefentlichen ebenfo 
überfegt &yelt: For oft my eyes would rebels prove when 
I, Wearied with weaping for my mistress dead, Would call 
on them for aid, to ease the heart, By giving vent to tears 
when mourning her. Giunta und Sermartelli lefen ins 
deſſen ch’ affogherieno il cor: läge ben Xugen allein ob, um 
Beatrice zu trauern, fo müßte das ‚Herz in ihren Thränen ers 
teinten. Diefe Lesart hat Trivulzio aufgenommen. — Unter 
pietà in.Qu. 1, 3.2 verfleht Roffetti (Spir. antip. p. 254) 
wieber ben Papft, oder andere mächtige Guelfen. 

Terz. 1, 2. Der Inhalt der Seufzer ift ein boppelter: 





theils zufen fie nach der Dahingeſchiedenen, theils verſchmaͤhen 
fie bas. nun heilberaubte Leben. 


Fünfte Canzone. 


Die Aufforderung, welche dad 17te Sonett hervorrief, wurde 
Dante Anlaß, noch eine Ganzone von nur zwei Strophen zu 
dichten. Aud diefe Strophen gab er dem Bruder der Verſtor⸗ 
benen, als wären fie für ihn gebichtet; in ber That aber fpricht 
nur die erfte in ber Perfon diefes legteren, die zweite in der 
eigenen des Dichters. 

In biefer zweiten Strophe fehen wir die Verklärung Vea: 
trice’8, welche ſich in den folgenden Gebichten fortwährend firi: 
gert unb in der göttlichen Komödie ihren Höhepunkt erreicht, 
ſchon entſchieden bervortreten, und es erinnern biefe ſchoͤnen 
Beilen lebhaft an Purg. XXX, 128, 29. 

Der Sinn von Str. I, 3. 1—5 ift wol genauer: So oft 
id gebente, baf ich Veatrice nie mehr fehen fol, verfammelt 
(assembra) bie ſchmerzensvolle Erinnerung (La dolorosa mente) 
foviel Schmerz um mein Herz u.f. w. 


, Ahtzehntes Sonett. 


Am Jahrestage von Beatrice's Tode ſaß Dante in ihr 
Andenken verfunten und zeichnete einen Engel. Da warb er 
gewahr, daß angefehene Männer, feine Zeichnung betrachtend, 
ihm zur Seite ſtanden, und wie er vernabm, ſchon eine Beit: 
lang dort weilten. Sid zu entfchuldigen, fagte er: Eben war 
Jemand bei mir, deshalb faß ich fo in Gedanken. Er meinte 
aber Beatrice, die geiftig mit ibm war. Als jene ihn allein 
gelaffen, ſchilderte er biefen Geiftesbefuch im gegenwärtigen 
Sonette. Die vier erften Zeilen hat Dante zweifad) gedichte, 
ohne fi für eine von beiben Formen zu entfcheiben: in der 
erften bezeichnet er den Ort, wo bie Verklaͤrte weilt, in der 
weiten gebenkt er des Anlaffes zu biefem Sonette. 


37 


Ich kann mir nicht verfagen, hier die eberfegung eines 
verehrten Dantefreundes mitzutheilen, der leider ben größten 
Theil feiner tief eindringenden Arbeiten über ben Dichter nur 
einem Éleinen Kreife von Freunden vorbehalten wiſſen will: 

In meine Seele war herabgefommen 

Die bolde Frau, die Gott aus hoͤchſter Macht 
3um Himmel, wo Maria figt, gebracht, 
Wo hoch die niebre Demuth ziert die Frommen. 


In meine Seele war berabgefommen, 
Die holde Frau, um bie die Liebe klagt, 
Bur felben Zeit, ale biefer Liebe Macht 
Gud 308, zu febn, was meinem Lieb entglommen. 
Die Liebe, die bort jene wahrgenommen, 
War im zerriß'nen Herzen aufgemacht: 
Bieht aus!” fie zu ben Seufzern jego fagt, 
Und alle Seufzer weichen tiefbeflommen. 
Sie ziehen klagend ab aus meinem Herzen 
Mit einem Wehruf, ber nod) oft mit Thränen 
Die Augen tränkt und truͤbt mit bittern Schmerzen. 
Die ſchwerer ſcheiden und fich bänger fehnen, 
Die feufzen: „Sel'ge Seele, rein und Mar, 
Daf du zum Himmel ftiegft, ift heut’ ein Jahr!” 
Ueber die auch in dieſem Sonette, wie an fo vielen Stel: 
len der vita nuova, in Bezug auf Beatrice gepriefene Demuth, 
dgl. die Anmerkung der Pefarefer Ausgabe, S. 62, 63. 


Neunzehntes Sonett. 


Einige Beit darauf gedachte Dante, wie er und berichtet, 
befonder8 ſchmerzlich der vergangenen Beit, fobafi er von Gram 
und Thraͤnen ganz entftellt war. Unb als er ſcheu umher⸗ 
blickte, ob ihn aud Niemand in folhem Buftand beobachte, 
ward er ein edles Fräulein gemwahr, bie von einem benadjbars 
ten Fenfter mit dem Ausbrud fo inniger Theilnahme auf ihn 
blickte, daß es ſchien, als fei alles Mitleiden in ihr vereinigt. 
Bei diefem Anblick erwachte bie Luft der Thrinen mit verbop= 
pelter Macht in der Vruft bes Dichters, und um jene nicht 


88 


feben zu laffen, wie er weine, eilte er ſchnell von bannen. 
Bei ſich felbft aber ſprach er: Wahrlih, gar edle Liebe muß 
bei biefer Mitleiigen weilen. Diefes Ereigniß und biefe Ges 
fühle find es, die Dante im gegenwärtigen Sonette ſchildern 
wollte. 

Qu. 1, 3.3. Das Wort statura in bem Sinne von Suftand 
fehlt in der Crusca, vgl. Fraticelli vita nuova, p. 346. 


Bwanzigftes Sonett. 


So oft der Dichter fpäter biefem Zräulein begegnete, Heiz. 


deten ſich deren Wangen mit Bläffe, derjenigen ähnlich, die er 
einft an Beatrice gepriefen. Und wo Dante fie gewahr warb, 
da floffen reichlich feine fonft verfiegten Thränen. Defters ging 
er deshalb, fie zu feben, einzig, um wieder recht von Herzen 
weinen zu fönnen. 

Qu. 1, 3.1. Color d'amore: Palleat omnis amans, pal- 
lens color aptus amanti (Ovid). — Die legten anderthalb 
Beilen biefer Quartine machen erhebliche Schwierigkeiten. Nimmt 
man per vedere u.f. w. als Anlaß jener Liebesbläffe und jenes 
Ausbrudes von Mitleid, fo ſcheinen die in der naͤchſten Zeile 
erwähnten Augen und Thraͤnen nur die des Dichters fein zu 
Eönnen. Dann ift aber wieder nicht zu begreifen, mie er bie 
eigenen Augen gentili nenne. Daher verfteht Förfter (N. 8. 
©. 77) per vedere in bem Sinne von: wie viel (holde Augen 
und fehmergensreiche Thraͤnen) ich auch gefehen babe, — wogegen 
ſprachlich nichts einzuwenden ift. Deynbaufen überfegt: um 
ſehnlich Neigen Von Blicken ſchmerzgebeugt fidi zu verdienen; 
&yell aber: Features ... Of lady, who had heard the 
plaints, And watched the eyes, which spoke a tender sor- 
row. Wie indeß Beide diefen Sinn in den Worten be Ori: 
ginals finden wollen, weiß ich nicht anzugeben. Obwol ohne 
Unterftügung einer Handfchrift, möchte ich das e in i verwans 
deln: weil holde Augen oft die fehmergensreichen Thraͤnen flie⸗ 
sen fahen. Auch ohne zu ändern, ließe fich indefi vieleicht fols 





gende Erklärung rechtfertigen: Der Anblick holder Augen (eis 
nes Mannes) pflegt oft dem Antlig eines Weibes bie Farbe ber 
Liebe zu leihen; der Anblick ſchmerzensreicher Thraͤnen eines 
Andern gibt oft den Zügen bes Weibes, die ihn weinen fiebt, 
den Ausdrud des Mitleibens. Id) aber habe nicht holde, fon» 
dern im Gram erlofchene Augen, mir find die Thraͤnen verfiegt, 
und dennoch zeigt fid in Euren Zügen, fo oft Ihr mein travers 
volles Geficht erblickt, größere Liebesbläffe unb innigeres Mitleid, 
als je ein Weib ob foldhen Anbligtes zeigte. 

Qu. 2, 3. 3. Die cosa, die dem Dichter in Erinnerung 
(alla mente) fommt, ift wol, wie Lyell richtig verftanten zu 
haben ſcheint, Beatrice. 

In der legten Zeile des Sonette8 wird zuerft der Ges 
danke angedeutet, daß diefea ‚Mitleiven mit der Trauer bes 
Dichters ihn von feiner Trauer abzieht. 


Cinundzwanzigftes Sonett. 


Dante berichtet, allmdlig haben feine Augen mit wachfens 
dem Wohlgefallen jenes mitleidige Frdulein angefehen. Er aber 
habe ihnen gezüent und ihre thoͤrichte Luft ihnen vermiefen. 
rüber babe ihr thränenmübes Ausfeben Jeden gerührt, der 
fie erbtit, und fo bia zum Tobe fortzuiveinen fei ihre Pflicht 
gewefen; nun aber würden bie leichtfertigen ihre Thraͤnen eins 
ftellen, wenn bas Herz fie nicht feheltend dazu antriebe. Diefe 
Gedanken find e8, die der Dichter im gegenwärtigen Sonette 
dem Herzen, al8 an bie Augen gerichtet, in ben Mund legt. 

Qu. 1, 3. 3 lagrimar flat maravigliar bietet ſchon 
Giunta als Variante. Jetzt wird diefe Lesart, die der Sinn 
fordert, duch Nobili und meine Handichrift beftitigt. 





Sweiundzwangigftes Sonett. 


Qualenvolle innere Kämpfe hatte ber Dichter jet zu be⸗ 
fteben. ft ſchien es ihm, als babe Amor ſelbſt ihm fo ſuͤßen 


40 


Troſt zugeführt, um ihn aus dem grambedruͤckten Zuftande, in 
welchem er Jahre lang Dingebritet, zu rubigerem, vielleicht 
noch freudevollem Leben zu leiden. Diefen ſchmeichelnden Eins 
flüfterungen horchte das Berg willig und gab ſich bald der 
neuen Neigung bin. Nun fhalt es nicht mehr die Augen, bie 
feüher allein ſich hatten verloden laffen. Es felbft aber wurde 
von ber Vernunft geſcholten, die in treuem Angebenten jenem 
Troſt nicht nachgeben wollte. Diefen Kampf, in dem bag neus 
entzündete Herz den Sieg dapon trägt, ift das gegemmärtige 
Sonett zu ſchildern beftimmt. 


So berichtet Dante im neuen Leben über das edle Fraͤu⸗ 
lein (donna gentile), deren Mitleid ihn zugleich getròftet und 
verlodt. Gr fügt Hinzu: Gines Tages fat um bie neunte 
Stunde fei ihm in einer Vifion die glorreiche Beatrice erfchies 
nen, angethan mit den rothen Gewaͤndern, in benen er fie gu: 
erſt erblickt und von ebenfo jugendlicher Geftalt, wie bamals. 
Da fei bittere Reue ob jener Verirrung über ihn gelommen, 
und von ber Stunde an haben fich alle feine Gedanken allein 
der ebelften Beatrice zugewandt. 

Die wenigen Blätter, die nad) diefem Abſchnitt ben Schluß 
des neuen Lebens enthalten, gedenken jener donna gentile nicht 
mehr; dagegen begegnen wir ihr auf unerwartete Weife im 
Convito wieder. Bier heißt es (II, 2) ... „jene eble Dame, 
deren id) am Ende der vita nuova gedacht habe, erſchien meir 
nen Augen zuerft und nahm einen Theil meines Geiftes ein. 
Und wie in jenem Büchlein berichtet ift, geſchah es mehr durch 
ibre Golbfeligleit, als durch meine Wahl, daß id) eimmilligte 
der Ihre zu fein... Weil aber die Liebe nicht auf einmal ins 
Leben tritt und groß und vollfommen wird, ſondern eine Zeit⸗ 
lang von ben Gedanken ernährt fein will, befonbers, wo wider⸗ 
firebende Gedanken fidi ihr entgegenftellen, fo bedurfte es, ehe 
diefe zur Vollendung fam, noch manchen Kampfes zwiſchen 
dem Gebanfen, ber ihr Nahrung bot und dem entgegengefeßten, 





4 . 


der für jene glorreiche Beatrice noch immer bie Burg meiner 
Erinnerung inne hatte u. ſ. w.“ — Bis bierber reiht ſich die— 
fer Bericht ganz gut an den oben aus dem neuen Leben mitz 
getheilten. Wie aber ſchon erwähnt worden, bezeichnet der 
Dichter fpäterhin (II, 13) bei der allegoriſchen Erflärung der⸗ 
felben Gangone jenes eble und mitleidige Fräulein ale die Phi: 
Lofophie, bie er fich nur unter dem Bilde einer erhabenen Herrin 
gedacht und gepriefen habe. — Nod) weiterhin fagt er, er habe 
ſich biefes Bildes bedienen müffen, weil feine Zuhörer nicht leicht 
vermodt haben würden, die unbilblichen Worte zu faflen. Gie 
würben ben nicht erbichteten Worten keinen Glauben beigemeffen 
haben, während es ſich mit den erdichteten umgekehrt verhalten 
und Jedermann ben Dichter jener fingirten Liebe ergeben ges 
glaubt babe. ©- Zufammenhängenb bamit ift endlich folgende 
Stelle aus der Einleitung des Convito (I, 2): „Zum Verfaffen 
biefes Werkes bewegt mich die Furcht vor Schande und das 
Verlangen, Belehrung zu ertheilen, bie in. der That kein Ander 
ver geben Tann. Ich fürchte die Schande, folder Leidenfchaft 
gefroͤhnt zu haben, als Derjenige in mir vorauöfegen muß, ber 
die erwähnten Ganzonen lieft. Diefe Schande aber verfchwinbet 
durch Dasjenige, was ich hier über mich zu fagen habe, gänzs 
Ud; denn e8 wird zeigen, daß nicht Leidenfchaft, fondern Zus 
gend bie bewegende Urfache gemefen ift. Sodann mill ich ben 
wahren Sinn jener Lieder darlegen, ben Fein Anderer erkennen 
Tann, wenn id) ihn nicht offenbare, ba er unter ber Geftalt 
der Allegorie verborgen iſt.“ 

Zu biefen beiden, fo fehr verſchiedenen Darftellungen fom= 
men noch die Aeuferungen der göttlichen Komoͤdie hinzu, welche, 
wenn auch der richtigeren Meinung nach nicht in Purg. XXIV, 
37, bod in Purg. XXXI, 59 mit Beftimmtheit auf eine irdi⸗ 
fe Neigung zu deuten feheinen, welche den Dichter von den 
Gebanfen an die in den Himmel aufgenommene Beatrice abges 
zogen haben. 

Gewiß gehört die Frage, wie die zwei Geftalten, mit denen 
der Dichter die donna gentile einmal in der vita nuova und 


42 


dann im Convito belleibet, mit einander auszugleichen und auf 
die Wahrheit zurüdzuführen feien, zu den ſchwierigſten unter 
denen, bie Dante'8 inneren Entwidelungsgang betreffen; eine 
fichere Loͤſung bitefte vielleicht nie zu finden fein. — Ich ſelbſt 
babe früher und zwar im Wefentlichen nad Dionifi8 Vor: 
gang (Anedd. II, 45 und Preparaz. storica II, 56—67) mit 
Eifer die allegorifche Darftellung der vita nuova als bie allein 
wahre in Scug genommen, die donna gentile alfo für nichts 
als einen Namen der Philofophie erklärt (Hermes XXII, 150. 
Erſte Ausgabe der gegenwärtigen Schrift, &. 37178). Dod 
Tann ich nicht leugnen, baß bei oft wiederholter Erwägung bie 
veinmenfchliche Wahrheit der Erzählung in ber vita nuova mir 
immer unabieislicher entgegentritt, und ich nicht mehr mit Ente 
ſchiedenheit wage, ber ftets wachfenden Zahl Derjenigen zu 
widerfprechen, die annehmen, Dante babe eine Neigung, bie 
ihn eine Zeitlang menfchlich getròftet und von bem Andenken 
an feine Beatrice menſchlich abgezogen babe, fpdter zur Alle 
gorie der Stubien gemacht, bie ihm Anfangs Troft und Auf: 
ſchlüſſe verheißen, dann aber ben unwandelbaren Lehren ber 
Religion gegenüber ihn auf Abwege zu führen gebropt haben 
(Blanc in Gruber und Erfd Encyklopädie, Artikel Dante. 
Foͤrſter, Das nette Leben, ©. 142—51). 





Dreiundzwanzigftes Sonett. 


Nachdem der Dichter ſich reuevoll wieder der verklaͤrten 
Beatrice zugewandt, verdoppelte fich feine Zrauer um ihren 
Verluſt. Bon unabläffigem, ſtets neue Thränenluft erweckendem 
Weinen waren balb feine Augen faft erblindet, und bie ſich 
durch Wohlgefallen am Anſchauen fremder Schönheit verfindigt 
Batten, wurden unfähig, einen Bid zu ermiebern. Gein 
‚Herz aber war aufs Neue von nichts Anderm erfüllt, als von 
dem Namen der dabingefciebenen ‚Herrin und ber Erinnerung 
ihres Todes. 


43 


Vierundzwanzigftes Sonett. 


Um bie Beit, ale viel Volles nadj Rom ging, um Veros 
nica’8 Schweißtuch zu ſchauen, fab Dante eines Tages mehre 
Pilger auf einer der Hauptfteaßen von Florenz gar gebankens 
voll des Weges ziehen. Da meinte er bei fich felber: wol ans 
dere Gedanken find es, denen fie nachhängen, ale bie und ers 
füllen. Sie gebenten wol ber entfernten Freunde, die uns 
fremd find *). Sicher fommen fie aus weiter Ferne und vers 
nahmen nichts von Ihr, um bie wir trauern, fonft würde 
Theilnahme für unfern Schmerz fi in ihren Zügen malen. 
Wollten fie verweilen und mich anhören, gewiß, fie würden 
mit mic weinen, bevor fie noch bie Stadt verlaffen. 

Indem Dante diefe Wallfahrer Pilger nennt, erwähnt er 
dreierlei Namen, mit denen man Diejenigen bezeichne, bie um der 
Andacht willen in die Fremde ziehen. Pilger heißen eigentlich 
nur, die das Haus des heiligen Jacob von Gompoftella, Roms 
fahrer, die die Gräber der Apoftel befuchen, Palmenträger 
aber, die uͤber Meer in das heilige Land wallfahrten. — Aus 
dieſem Bericht entnimmt Roffetti (Spir. antipap, p. 172— 
77) die befrembliche Kunde von drei dem Papfithum feindlichen 
Geheimbünden jener Beit: den Templern (Palmieri), Albigen⸗ 
fern (Pellegrini) und Ghibellinen (Romei). Dante habe ber 
legten von biefen Secten angehört, vielfach aber fich der Reber 
weife und ber Symbole der beiden anderen bedient. Nach zwei 
andern, allerdings etwas dunkeln Stellen (a. a. D. S. 254, 
55, 408) wäre ber Gebanfe diefes (und des folgenden) Sonet= 
tes, baß der Dichter, durch ein ſcheinbares Anfchließen an das 
paͤpſtliche Rom feine geheimen ghibellinifhen 3wede zu erteis 
Gen fudie. 

Qu. 2, 3. 3. Ueber die Form neente vgl. Ubaldini 
Tavola v. neente. — 3.4. Mit unrecht fegen die älteren 


*) gl Purg. VIII, 1 sq. 


4 


‚Herausgeber an den Schluß biefer Zeile ein Fragezeichen, mel: 
ches zuerft Trivulzio verworfen hat. 

Terz. 2, 3. 1. Der Doppelfinn von Beatrice (Geil: 
fpenderin) war im Deutfchen nicht wieberzugeben. 

In der erften Ausgabe ftand folgende Ueberfegung biefes > 
Sonettes: 

© Pilger, die ihr geht mit trägen Schritten, 

Vielleicht an Dinge denfend, die entlegen, 


Kommt ihr zu uns auf fo entfernten Wegen, 
Wie ibe bekundet durch Geftalt und Citten? 


So thränenlos burchwandelt ihr inmitten 
Die Stadt, die jammert ob des Schickſals Schlaͤgen; 
Geht fergentos einher, wie Leute pflegen, 
Die unbekannt mit Dem, was wir gelitten. 
Wenn ihr verweilt, zu reden mir erlaubet, 
So fagt mein Herz mir unter Seufzerflagen, 
Im Scheiben ift eu'r Auge nicht mehr teoden. 
Bift, unfre Beatric’ ift une geraubet! 
Was Einer fann in Worten von ihr fagen, 
Vermag Jedwedem Thränen zu entloden. W. 


Fünfundzwanzigdtes Sonett. 


Zwei eble Frauen fanbten an Dante, ihn um einige feis 
ner Gedichte zu bitten. Er uͤberſchickte ihnen das 17te und 
24fte Sonett und fügte das gegenwärtige hinzu. Sein Inhalt 
bildet den Uebergang zur göttlichen Komödie; denn in ihm ift 
ſchon ausgeſprochen, baß die Liebe zur himmlifhen Beatrice 
(bie im Vegriff fteht, fi zur Theologie zu verflären) ihm eine 
neue Denkkraft leiht (intelligenza nuova, 3. 3), mittelft deren 
er ſich aufſchwingt big jenfeit des Kryſtallhimmels (3. 1 pri- 
mum mobile), b. h. big zum empyreifchen, oder bem Anfchauen 
Gottes. — Nod fehlt ihm ‚die eigene Kraft zu verftehen, was 
er ſchaut (Terz. 1); nur das Eine weiß er: Beatrice war es, 
die dort leuchtete, nur ihren Namen, nur durch fie verftebt 
er (Terz. 2). Cie wird ibm in dem großen Gebichte die Augen 
kraͤftigen, ben Geift erhellen, daß er ſchauen fann und erkennen. 


45 


«Der fehon gebachte Freund unferes Dichters geftattet mir, 
feine Ueberfegung auch biefes Sonette8 mitzutheilen: 

Der Seufzer, der aus meiner Vruft entweichet, 

Deingt in bie Sphäre, die am hoͤchſten Ereift; 

Ihn zieht hinauf der neugeborne Geift 

Der Glaubenskraft, die Lieb” und Leib ergeuget. 
Er kommt hinauf, wohin die Sehnſucht fteiget, 

Und fieht ein Weib, bag man dort felig preift; 

Es firablt fo lichthell, daß fich’s allermeift 

Durch feinen eignen Glanz dem Pilgrim zeiget. 
Wohl 16} er Sie; doh, wenn eg'8 wieder faget, 

Verfteh' ich's nicht, fo fein ift das Gebilb 

Fürs arme Herz, bag aufhorcht, und doch Elaget. 
Dod) weiß ich, daß e8 meiner Sel'gen gilt; 

Weil oft er ihren Erden Namen nennt, 

Den, meine werthen Frau'n, das Herz ſchon Eennt. 

Welche Verſchiedenheit von Petrarca’s prätentiöfem Sos 
nett: Volo con l’ali del pensiero al cielo! 

Wie Roffetti, den Sert entftellend, in Serg. 1, 3. 1 
ftatt vede la tal, vede la Tal fegt, um Beatrice in Dein: 
rich VIT. zu verwandeln, möge, Wen nad folder Koft vers 
langt, bei ihm felber (Spirito antipap. p. 254, 55, 408, 409) 
nachlefen. 


Anmerkungen zu den übrigen 
Gedichten. 


I. Zu den Canzonen. 


Erfte Canzone. 


Diefe Ganjone ift vor Beatrice 8 Tode gedichtet und veranlaßt 
durch die Beſorgniß um fie, welche den Dichter in feinen Fieber= 
phantafien mit büftern Bildern erſchreckte. Vita nuova, Ganz. 2. 
— ie redet nur vom Tobe und daher beginnt jebe ihrer 
Strophen mit bem Worte Morte. Die erfte Strophe enthätt 
die cinleitende Antufung des Todes, bem Alles, was dem Did: 
ter am Herzen liegt, unterthan ift. Die zweite ſchildert, wie 
hart Beatrice's gefürchteter Tod den Dichter treffen würde. Die 
dritte fügt hinzu, mie viel auch die übrige Welt durch jenen 
Tod verlieren würbe. Aus biefen Gründen wenbet fi bie 
vierte bittend an ben Tod, daß er feine Sichel abwenden 
möge. Die fünfte endlich ift das gewohnte, an das Lied ſelbſt 
gerichtete, Geleit. 

Ste. I, 3.9. Face ungewöhnlich von Facies, ftatt Fac- 
cia, fehlt in der Crusca. 

Str. II. Eine alte Rediger'ſche (Breslauer) Handſchrift 
der Görtlichen Komödie, in welcher unfere Canzone dem Gebichte 
vorgefegt ift, laͤßt biefer Strophe die folgende vorangehen. 
Diefelbe hat in 3. 3 und 4 die beffern Lesarten Za und pianto 
ftatt des gewöhnlichen lo und pianti geboten. 3. 6 erinnert 
an bie 2te Canzone der Vita nuova, legte Strophe, wo der 
Dichter zum Tode fagt: 

Vedi, che sì desideroso vegno 
D’ esser de’ tuoi, ch’io ti somiglio in fede. 


4 


Statt der Ilten unb 12ten Zeile lieſt die ermähnte Handfchrifts 
Credo che qual si sia, quel che più noi, 
Sentirà dolce verso il mio lamento, 
was vor unferm Terte leicht den Vorzug verdienen koͤnnte. In 
diefem Falle koͤnnte man etwa überfegen: 
Bas aud) für Schmerzen bieten die Gefahren 
Süß find fie gegen bad, was mich bebräut. 

Der Gedanfengang ber legten fünf Beilen würde dann folgens 
der fein: Ich fühle, daB das Aergfte im Vergleich mit meinen 
jetigen Qualen mir füß ſcheinen wird; fo werbe ich denn, wie 
id ſchon jest befürchte, das Aergfte diefer Welt, den Tod, ere 
fehnen, um minderes Wehllagen zu vernehmen; Niemand aber 
wird mid) töbten wollen. — Aehnliches fagt Fazio degli Uberti 
in ber Gangone: Lasso, che quando immaginando vegno. 

Str. III, 3.4. Tu la disfidi 1äßt ſich nur erklären duch: 
Du erfchätterft den Glauben an bie Tugend; ungefähr wie es in 
3.11 heißt: Tu rompi e parti tanta buona fede. Disfidare in 
biefem Sinne fehlt in der Crusca. Verwandt damit ſcheint der 
Gebraud) im 131ften Sonett von Petrarca (Se ’1 dolce sguardo) 
3.8. — 3.6. Der Ueberfeger hat bat Wort Mercede im 
Sinne von „gute Werke” genommen (Crusca, $. 1). Es ift 
aber vielmehr durch Gnade zu überfegen, eine ebenfalls fehr 
gewöhnliche (in ber Crusca aber fehlende, vergl. Perticari, 
Apologia di Dante, p. 139) Bedeutung biefes Wortes, bie 
3 B. gleich in der naͤchſten Strophe vorkommt. Natürlich ift 
darunter bie göttliche Gnade, und unter effetto der heilfame 
Einfluß verftanden, ben der Anblick Beatrice's auf die Menfchen 
ausübt. — bei fiaft den in 3.8 und a cosa flatt che cosa in 
3.9 find auf Autorität der Red. Hanbfchrift gefegt. Fraticelli 
f&ldgt an ber legten Stelle ch’ € cosa vor. — luce in 3.8 
ift Beitwort: fie firalt aus. — Der Sinn der ganzen Strophe 
ift die in ber vita nuova häufig wieberfehrende, nachher oft 
mitempfundene ober auch nachgefprochene bee, die Geliebte fei 
eine Botfchaft Gottes, welche den Liebenden durch ihre himm⸗ 
uüſchen Reize zu Ihm empor weift. Der Dichter fühlt im vor⸗ 


48 


aus, wie wir, um unferer Schwachheit willen, einen Vermitt= 
ler Gottes bei und ſchwerer entbebren koͤnnen als einen Vers 
mittler unfer bei Gott. 

Str. IV, 3.3 u. 6. Ich habe nad) alter Art (Dionifia 
Anmerkungen zur Vrescianer Ausg. der Div. com., p. 304 — 
308) ben Mittelreim: maggiore und core beide Male ausges 
ſchrieben, und das zur Richtigkeit des Verſes nöthige Apoftro= 
phiren der legten Sylbe dem Lefer überlaffen. Unſere Ausgaben 
ſchreiben in beneibenswerther Unſchuld in Betreff bes Mittels 
reimes, maggior und cor. Fraticelli bat auch hier bie Struc= 
tur des Gedichtes richtig verftanden, alfo maggiore und core 
gebrudit, doch wiberfpricht er in den Anmerkungen ſich felbft, 
indem er verlangt, daß in allen Faͤllen ſcheinbar zwoͤlfſylbiger 
Verfe bei Dante und Petrarca bie überzählige Splbe durch 
Apoffrophirung ausgemerzt werde: dann fällt aber hier wieder 
der Mittelreim meg. Das Richtige ift, daß bie diteften Dicke 
ter nicht die Sylben zählten, fondern nur auf ben Rhythmus 
hörten, und in biefem, befonbers beim Mittelreim, gelegenttich 
zwei Sylben von entfchiebener Kürge einer einzigen gleich achteten. 
Vol Vince. Vannucci Manuale della letteratura del primo 
secolo della lingua ital. Fir. 1837—39. Vol. II. p. LI, LIV. 

Str. V, 3.3 mußte wegen des Mittelreims sanza ftatt 
senza geſchrieben werben, wie dies bie Deputati zum Dekame⸗ 
ton zwar ſchon längft bemerkt, die neuern ‚Herausgeber, mit 
Ausnahme von Fraticelli, aber unbeachtet gelaffen «haben. Die 
Rediger'ſche Handſchrift Lieft die Ie Zeile: 

Sicchè di crudeltà rompi le porte. 
In der 10ten Beile bin ich ihr gefolgt, während die Ausgaben 


lefen: 
E giunghi alla mercè del frutto buono, 


Die nun folgenden Ganzonen gehören zum Eyklus bes 
Gaftmabl8 der Liebe (Amoroso convito). Die drei erften 
Bat der Dichter in bem genannten Werke felbft, fowol den 


49 


Worten nad), als allegorifch erklärt. Die elf folgenden, die 
Dante mit einem gleichen Gommentar zu begleiten gebachte, 
müffen wie erft unter feinen übrigen Gebichten zu ermitteln 
fuchen. 

Schon bei Erläuterung der Gedichte der vita nuova (©. 
6, 7) ift darauf bingebeutet, daß bie 14 Ganzonen des Con- 
vito nur jene Liebe zu feiern beftimmt waren, deren ber ſechſte 
Abſchnitt des neuen Lebens als einer vorübergehenden Abirrung 
von bem Andenken an bie babingefchiebene Beatrice gedenkt. 
Auch das ift bereits erwähnt worden, daß der Dichter wieders 
Bolt verfihert, nicht zu einem fterblichen Weibe habe er dieſe 
Liebe gebegt, fondern zur Philofophie, die er gleich einer hols 
den Dame fidh vorgeftellt und gepriefen. 

Zum Berftändniß der tieferen Vebeutung biefer. Liebe, die 
entfrembend zwifchen bie fehüchterne Verehrung für die lebende 
Beatrice und den das Weltall umfaffenden Lobgefang auf die 
verflärte tritt, ift es gleichgültig, ob e8 die Augen eines ſcho⸗ 
nen Mädchens in Fleiſch und Vein waren, die den Dichter von 
feiner Trauer zu neuem Wohlgefallen verlodten, ober nicht. 
Bar jene unbefannte Tròfterin, wie Dante fie in ber vita 
nuova uns ſchildert, nicht ſchon urfprünglich die Weltweisheit, 
fo ift fie es ihm geworben, und nur als foldhe haben wir fie 
in ber großen Zrilogie feines geiftigen Lebens, wie feiner Werke 
aufzufaflen. 

Dem kindlich freubigen Sinne, wie er in jenem Jugend» 
werke. fi ausfpricht, tönte aus allen Stimmen der Schöpfung 
nur ein Hymnus auf den Schöpfer, firabite bas Abbild des 
Ewigen in den fchönen Zügen der Geliebten. Und dennoch trug 
jene blüten= und fangesreihe Natur in fih ben Keim bes 
Verberbens, ber Serftirung. Zob und Verweſung Iauerten 
binter ber lachenden Fruͤhlingspracht; nur im Untergange Ans 
derer, nur in Mord und Graufamkeit erhielt fih all dies heiter 
ſcheinende Leben, um balb qud an feinem Theile zu efeler Ente 
ftelung dahinzufterben. Und eben die Geliebte, die fein Auge 
gewöhnt hatte, freubig und banfend zum Himmel emporzus 

Dante, Lyriſche Gebidte. IL 3 





50 


blicken, die er durch die gotterfüllte Reinheit feiner Liebe irdi— 
fer Vergänglichkeit enthoben glauben mochte, fie warb ihm 
von ber eifernen Willkür des Todes entriffen. Ein Jahr und 
länger fuchte fein Blick die Verklärte über den Sternen und 
fühlte fein Herz ſich nod) durch die Grüße erlabt, die über das 
Grab her ihn anmehten. Uber immer oͤder ward e8 ihm auf 
Erben, immer herber fchnitt jene Luͤcke ein in alle Fäden feines 
Lebens, und bald vermochte er bad Auge, das früher die Ge— 
liebte emporgelentt, nun einfam und ohne Zührer nicht mehr 
mit dem gleichen Gefühle dorthin zu wenden, von wo aus er 
ſich mehr zertrümmert glaubte, als ihm je gefchentt war, und 
der in ben Grundveften erfchütterte Glaube an Gottes Liebe 
und Güte vermochte nicht mehr die Frage nach dem Grunde 
ſolcher Graufamkeit zurüczudrängen. 

Bol Mandhe werben fein, beren Zutrauen und Ergeben= 
heit, die früher feft erſchienen, in fo zerreißenden Momenten 
aufammenbredien, unb grabe Diejenigen, die ihr zerſtoͤrtes Gluͤc 
am freubigften anerkannten, werben nicht, felten bethört genug 
fein, am lauteften gegen Den zu habern, der feine Wohlthaten 
in Züchtigungen verwandelte. Anders unfer Dichter: flatt zu 
murren, bemüht er ſich, durch angefpanntes Zorfchen nad) ber 

* fung des düftern Geheimniffes den Schrei ber Verzweiflung 
nieberguhalten. Iener kindliche Glaube freilich, ber ihm in den 
Lagen des Glüdes die Sprache feiner Liebe gerebet hatte, ver= 
mag dem Verwaiften Beinen Troft mehr zu gewähren. So 
ſucht er ihn denn bei der MWeltweisheit, bie ſchon andere 
Trauernde getròftet: 

Adversity’s sweet milk, philosophy. 
Und biefe eine Thätigkeit, deren ber zerrüttete Geift zu Anfang 
allein fähig ift, führt allmälig zu andern, und die Speculation 
‚in allen Richtungen ihres weiten Gebietes erfcheint dem gebro= 
chenen Herzen als eine tröftende Freundin. Wol bat ſchon 
mancher Troftlofe bie Erfahrung gemacht, daß anhaltende Ber 
ſchaͤftigung auf bem Gebiete der Wiffenfchaft, zum gemeinen 
Beten, oder für Andere eine Zeitlang feine Schmerzen zu line 





51 


dern vermochte, und Die jedes Band zerriffen wähnten, das fie 
mit der Gegenwart verknüpfte, gelangten nad) längerer Ge: 
wöhnung nicht felten dahin, ihren eigentlichen Beruf in folder 
Thaͤtigkeit zu entdeden. So fehen wir denn aud Dante zuerft 
dem Studium abftracter Philoſophie feine ungetheilte Liebe 
weihen, bann aber fittliche Reflerionen überhaupf und insbes 
fondere die Fragen ber Zeit über Staat und Kirche, ja felbft 
ſprachliche Forſchungen mit faum geringerem Intereffe verfolgen. 

Der Dichter ſchildert und bie geliebte Philofophie in bell: 
firablenten Farben. Mit dem hoben Liebe fagt er: „Sechzig 
ift der Königinnen und aditzig ber Kebsweiber und der Jungs 
frauen ift feine Zahl; aber Eine ift meine Taube, meine 
Gromme, Eine ift ihrer Mutter die liebfte und die Xusermdbite 
ihrer Mutter." — Und dennod), diefe Weltweisheit, fie ift nur 
die Weisheit diefer Welt, und wie Eühn Ariftotele8 und feine 
arabifchen Schüler, wie Fühn Abelard und die Scholaftifer ihre 
Bogen fhlagen, um bie Kluft zu überwölben, die zwifchen dem 
Sinnlichen und Ueberfinnlichen fi aufthut, bennod) find bie 
Wege ber Phitofophie, auch wenn fie driftlide Sprache rebet, 
andere al8 die des gläubigen, gottergebenen Gemüthes. Wol 
wird dem legteren, wenn es demuͤthig ihn fucht, wahrer Fries 
den zu Theil; jene Bahnen aber fie verbeifen es zu Licht, 
Troſt und Frieden zu führen und verfchwinden bann dem vers 
leiteten Wanderer zwifchen Dornen und Klippen. Nach kurzer 
Wanderſchaft find auf allen Seiten die hoffnungsiofen Schranz 
ten menfchlicher Erkenntnißkraft erreicht und von bem anfangs 
tichen Troſte bleibt zulegt nichts zurüd als bie Ermattung 
vergeblihen Kampfes. Sabre lang verharrt der Dichter in 
diefem qualvollen Zuftand, noch immer bie ‚Hoffnung nährend, 
durch verdoppelte Anftrengungen die Erfüllung feines Strebens 
von der Philofophie zu erringen. So fhildern uns denn bie 
Gedichte des Convito bie gefeierte Herrin alè graufam und 
mitleiblos. Oft flagt der Dichter, daB fie ihm eigenfinnig ihre 
Gunft, das Leuchten ihrer Augen, bag Lächeln ihres Mundes 
vorenthalte. Damit wir nicht zweifeln, wie biefer bildliche 

3* 


52 


Ausbrud zu verftehen fei, deutet er eine einzelne biefer Klagen 
(Conv. IV, 1) felbft dahin, eben damals babe er fi vergeb= 
lid) beftrebt, pbilofophifc zu ergründen, ob die erfte Materie 
von Gott gefhaffen fei. Immer aufs neue ſucht er den Grund 
der Bruchtlofigkeit feines Forſchens in feiner perfönlichen Unreife, 
bie er burd) vermehrten Eifer zu bemeiftern bofft, flatt zu er= 
kennen, daß irdifche, enbliche Weisheit, ihrem Wefen nad) die 
unendlichen, das Diesfeità mit bem Jenſeits verfnüpfenden 
Rathfel nicht zu löfen vermag. Endlich gelangt er dazu, nicht 
mehr diefe ober jene Gunft von feiner Herrin zu heiſchen, nicht 
mehr zu begehren, daß die Philofophie feine Zweifel beant= 
worte, fonbern den wahren Lohn in ber Liebe zur Weisheit 
felbft zu finden, möge fie nun verfagen ober gewähren. Diefe 
Gefinnung wunſchloſer Ergebung herrſcht in den Gedichten vor, 
die ben Schluß der Sammlung bes Amoroso convito zu maz 
hen beftimmt waren; ehen fie bildet aber auch den Uebergang 
zu ber dritten Stufe in Dante’ geiftiger Entwidelung, zu der 
der göttlichen Komoͤdie. Jagt der Geift nicht, mehr auf menfche 
lichen Wegen nad) Erfenntniß, fondern fehnt er ſich befcheiden 
nach dem höheren Licht, fo ift er vorbereitet, dies Licht nicht 
mehr von irdifcher Speculation zu erwarten, fondern nur von 
Dem in Demuth zu erflehen, ber allein ber Weg, die Wahr 
heit und bas Leben ift. Und es wird unferem Dichter in reis 
cem Maße zu Theil. Seine Beatrice, nun verflärt zum 
lebendigen Anfchauen Gottes, biete ibm in dem göttlichen 
Gedichte ewigen Troft aus der Quelle alles Troftes, und fie 
weift feine Zweifel nicht zurüd auf den kindlichen Glauben, 
der mit willig verfchloffenen Augen jeder Frage ſich beſcheidet, 
fondern fie reicht bem nun in ber Wiſſenſchaft Gereiften Licht 
aus bem Urquell des Lichtes für jedes Dunkel, das die Philos 
fophie, ſtatt es zu erbellen, ihm einft nur vermehrt hatte. 
Von diefem höheren Standpunkte aus mußte die Liebe, 
welche bag Convito feiert, bem Dichter alè eine Untreue an 
bem gottergebenen Glauben erfeheinen, für den ihm bie Liebe 
qu feiner Beatrice lebendiger Ausdruck geworden war. Sn 


53 


ſolcher Weife bezeichnet er denn auch wiederholt jenes fruchtlos 
umirrende Suchen nad) Licht ald Abweg. Einige der Haupt⸗ 
ftellen aus ber göttlichen Kombbie find folgende: allgemeinen 
Zabel über das, irdiſcher Wiſſenſchaft und Kunft und politiſchem 
Parteientampfe gewidmete, Leben des Dichters ſpricht Forefe 
Donati im Purgatorium (XXIII, 116) aus: 

+ + + Se ti riduci a mente 

Qual fosti meco, e qual io teco fui 

Ancor fia grave il memorar presente. 
Daf dies Streben, wenn auch Wahrheit fein Ziel war, body 
nicht aus dem Brunnen göttliher Wahrheit floß, fondern irdis 
ſchen Urfprungs war und irdiſche Ziele verfolgte, beichtet ber 
Dichter felbft feiner Beatrice (Purg. XXXI, 34): 

+ « + + Le presenti cose 


Col falso lor pincer volser miei passi, 
Tosto che ’] vostro viso si nascose. 


Wie wenig aber dies Ringen nad Wahrheit vom Erfolge ber 
lohnt ward, bezeugt Beatrice, indem fie vom Dichter fagt 
(Purg. XXX, 130): 
— Volse i passi suoi per via non vera, 
Immagini di ben seguendo false, 
Che nulla promission rendono intera. 
Und er felbft bekundet uns an zahlreichen Stellen ber gegen 
wärtigen Gedichte, mie rubelo8 biefe Liebe gemefen fei, ja, 
wie fie die Unmöglichkeit, Frieben zu gewähren, in ſich felber 
getragen habe, 3. B. Ganz. V, Str. 1, 3. 7 ff., Gang. VI, 
Str. 2. Wie ungenügend irdifche Weisheit fei, fagt Beatrice 
an einer andern Stelle (Parad. XXIX, 85): 
Voi non andate giù per un sentiero 
Filosofando, tanto vi trasporta 
L’amor dell’’apparenza e suo pensiero. 
Am beftimmteften aber fpricht fie im Purgatorium ben Ges 
genfag irdiſcher Forſchung und göttlicher Erleuchtung aus 
(XXXII, 85): 
Perchè conoschi, disse, quella scuola, 
Ch’ hai seguitata, e veggi sua dottrina, 
Come può seguitar la mia parola, 





E veggi vostra via dalla divina 
Distar cotanto, quanto si discorda 
Da terra ?l ciel che più alto festina *). 
Unbefriedigend, Raͤthſel auf Räthiel häufend, und fatt deren 
&bfung, bie fie verheißen, immer neue Zweifel aufwerfend iſt 
die philofophifche Speculation, während ‚bie Aufihläffe, die ber 
Glaube gewährt, ohne Kampf ſich felber bieten und bis in ben 
Abgrund göttlicher Weisheit Leine bemmenden Schranken ken⸗ 
nen (Purg. XXXI, 29): 
Ond ‘ella a me: „Perentro i miei disiri, 
Che ti menavano ad amar lo bene, 
Di là del qual non è a che s'aspiri, 
Qual fosse attraversate, o quai catene 
Trovasti, perchè del passare innanzi 
Dovessiti così spogliar la spene? 
E quali agevolezze, o quali avanzi 
Nella fronte degli altri si mostraro, 
Perchè dovessi for passeggiare anzi ?“ 

Wenn bie im Convito befungene Liebe im Gegenfag der zu 
Beatrice, als die Philofophie gegenüber bem Glauben bezeich- 
net ift, fo rebet der Dichter im erfteren Werke nicht etwa die 
ungläubige Sprache ded modernen Rationalismus, oder neuefter 
Hyperſpeculation. Die Philofophie, welcher er huldigt, ift wie 
er fagt (Conv. III, 14), eben jene Weisheit, bie Salomo (Epr. 
Gap. 8) und Iefus Sirad) (Cap. 24) preifen, ja fie ift das 
emige Wort felbft, bas nad Johannes von Anfang bei Gott 
war. Weit entfernt, mit ihren Waffen geoffenbarte Wabrhei: 
ten zu betämpfen, fegt er ihren Einklang mit ben legten al 
nothwendig voraus und verbindet in feinen Demonftrationen 
nicht felten bie Autorität des Stagiriten mit ber der heiligen 
Schrift. 

Deshalb haben denn Dionifi (Aneddoti Il, 45, 55, 90 
unb Preparaz. storica II, 67, 105—108), Xbefen (Wiener 
Jahrbuͤcher XXX, 126) unb Andere geleugnet, daß der Dichter 


*) Vol. den fogen. Ottimo Comento zu biefer Stelle. 


55 


eine in folcher Art geweihte Philofophie eine Verirrung von 
dem Pfade des Glaubens babe nennen können und behauptet, 
die Beatrice ber göttlichen Komoͤdie fei, weit entfernt, bie-im 
Convito gefeierte Herrin aus dem Herzen bes Dichters ver: 
drängt zu haben, eben biefe felbft, verfejmolgen mit ber Bea: 
trice des neuen Lebens. — Die Wiberlegung dieſer Anficht 
liegt, wie ich glaube, ſchon in ben angeführten Stellen der 
Divina Comenedia, und es ift befannt genug, daß die Specu: 
lation im Mittelalter, auch wo fie ſich in ihren Refultaten von 
der Kirche und deren Lehre am meiften entfernte, mie bei 
Berengar, Abelard u. A., dennoch ſtets davon ausging, bie 
«geoffenbarten Wahrheiten al unantaftbare anzuerkennen. Richt 
fomol bie Grundlage der Forfehungen, ja nicht fowol der Wort: 
inhalt bes Gefundenen mar es, mas jene Veftrebungen ber 
Kirche entfremdete, fondern der Weg, ben fie verfolgten, daß 
der menfchliche Verftand es unternahm, zu conftruiren, was er 
nur empfangen Eonnte. So bat auch die neuere Philofophie 
ihren Abfall vom Chriſtenthum in das Gewand fpeculativer 
Begründung rechtgläubiger Dogmen gehuͤllt. 

Diejenigen, die ben Ganzonen bes Convito und den mit 
ihnen verwandten nicht bie oben nachgewiefene Bedeutung bei: 
legen, finden in ihnen Lieber ber Liebe, nicht für eine, fondern 
für mebre Damen, benen ber Sänger Beatrice's, vielleicht im 
Laufe mander Jahre, eine flüchtige ober dauernde Neigung 
geweiht. Cs ift ergöglih, bag Vergeicinif der zahlreichen 
Schönen zu lefen, benen, wenn wir gewiflen Viographen und 
Gommentatoren glauben müßten, Dante in übermäßigem Ban: 
teimuthe gehuldigt hätte. Außer der Donna gentile, die zu 
Ende der vita nuova erwähnt wird, follen hierher zu. zählen 
fein: 1) Pargoletta nad Purg. XXXI, 59 (vgl. Ottimo Co- 
mento ebenbafelbft und deffen Proemio zu Purg. XXX), Ganz. 
IX, Ball. 3 und Son. 13. 2) Pietra degli Scrovigni aus 
Padova nad Ganz. VII, VIIT, IX und XX. 3) Gentucca aus 
Lucca nad) Purg. XXIV, 37: 4) Lucia aus Pratovecdio nad 
Inf. II, 97. Purg. 1X, 55. Par. XXXH, 137 verglichen mit 


56 


dem bereit8 erwähnten alten Gommentar, der u. A. in ber Mica 
cardian. Hoſchr. No. 1016 auf uns gefommen ift (Taeffe,aCom- 
ment p. 146. Troya, Vettroalleg. p. 142). 5) Die Montanina 
nach Ganz. X ff. (ogl. Ottimo Com. zu Pg. XXXI,55). — Einer 
Handferift zufolge, die Gorbinelli in feiner Ausgabe bes 
Vulgare eloquium anführt, wäre fie cine Apenninifche Bauer⸗ 
diene gewefen, welche die allzu freigebige Natur mit einem 
Kropfe begabt hatte. 6) Lifetta nach dem Ottimo a. a. D. 
Ginigen Neuern ift diefe, Velbft dem Ovid ober einem uns 
ferer Dichter Ehre machende Weränderlichleit doch etwas zu 
arg geworben, und fo haben fie denn manderlei Auswege vers 
fügt. Taeffe (S. 20 f., 94 f., 114 f.) fiebt bie allegorifdhen 
Geftalten des göttlichen Gebichtes als eine Art Stammbud für 
deffen Urheber an. Dante fei Beatrice treu geblieben, fie 
Habe big gu feinem Sobe the altar of his memory eingenomz 
men; bag habe ihn aber nicht gehindert, Wohlgefallen an jeder 
neuen Schönheit zu finden, und dies alè ein rein Afthetifches, 
keineswegs verliebtes Gefühl in Liedern auszubrilden. Wenn 
nun eine Dame feinen befondern Beifall erlangt, fo habe er 
die längft vollendeten Anfangsgefänge feines großen Gebichtes 
jebesmal wieder hervorgefucht, und an einer bequemen Stelle 
eine neue Tugend eingefhoben und mit bem Namen biefer 
Dame belegt. Diefe Manier fei ihm fo gue Gewohnheit ges 
worden, baß er, um nicht erft eine andere erfinden zu müffen, 
folche Geliebten unterweilen fogar lange vor ihrem Tobe in 
ben Simmel gefdidt habe „and no party was loser by the 
change“. Hierauf verfucht ber finnreiche Commentator das 
obige Regiffer zu reduciren, indem er vorfhlägt, die Gens 
tucca und Pargoletta, fowie bie Beatrice und Gentil 
Donna für biefelben Perfonen zu halten, Lifetta, Pietra 
de’ Scrovigni und die Apenninifche Kropfträgerin aber ganz 
gu ignoriren Wie es fih nun damit verhält, möge ba8 Bei⸗ 
fpiel der Beatrice zeigen. Dante, fagt der englifhe Gelehrte, 
bat die vita nuova allein ber Beatrice gewibmet, dad Amo- 
roso convito aber jener Gentil Donna. Nun fagt er aber 


57 


in ber legten Schrift (IT, 2) ausbrädiih: „Quella gentil 
donna, cui feci menzione nella fine della Vita nuova“, alfo 
— find Beatrice und bie Genti Donna ein und bdisfelbe Pers 
fon, „Can any more satisfactory illustration be required?“ 
— Wie es ſich mit biefer Ibentität verhält, bedarf nach den 
obigen Erörterungen feines weiteren Wortes. So macht alfo, 
diefem Commentator zufolge, die lebendige Beatrice Dante ber 
tobten Beatrice untreu, big in einer Vifion (V. n., c. 48) die 
tobte Beatrice ihn wieder von ben Werlodungen der lebendigen 
abzieht!! — Die unbebingte Unmöglichkeit, daß während der 31 
Sabre, um welche Dante feine Beatrice überlebte, jemals ein 
weibliche Wefen, feiner Ehefrau Gemma bei Donati nicht zu 
gebenten, einen, wenn auch nur vorübergehenden Eindrud auf 
ihn habe machen und ben Dichter zu einem Liebe habe veran— 
laſſen koͤnnen, fol in der That nicht behauptet werden. Ich 
fetbft babe aus neu aufgefundenen Urkunden wahrfcheinlic zu 
machen gefucht, daß unfere zehnte Ganzone einer folchen ſchnell 
ermachten und vielleicht ebenfo ſchnell wieder verflogenen Neir 
gung ihren Urfprung verbante. — Was aber oben über die 
anfängliche Realität der Gentil Donna des Convito gefagt ift, 
gilt hier in noch höherem Maße: hatten in der That einzelne 
Lieder des Convito⸗Cyklus anfänglich eine Beziehung auf eine 
Erdentochter, fo haben fie ihre höhere Bedeutung, ihre wahre 
Weihe erft dadurch erhalten, daß der Dichter fie jenem, nur 
die Philofophie preifenden Ganzen einverleibt hat, und der 
urfprüngliche Anlaß finkt für uns zu bem untergeordneten Ins 
tereffe einer biftorifchen Guriofität herab. 





Den Namen bes Convito hat Dante offenbar von 
Plato's Sympofion entlehnt. Er felbft fagt darüber in ber 
Einleitung des Buches, nachdem er nachgemwiefen, mie alle 
Menſchen nad höherer Erkenntniß fich fehnen, wenige aber fie 
zu erringen vermögen: „O felig jene Wenigen, die an dem 
Tiſche figen, wo das Brot ber Engel genoffen wird, und bella: 

3** 


58 





gensiverth Diejenigen, welche ihre Speife mit dem Viebe gemein | 
haben! . .. . Ich alfo, der id) nicht an jenem feligen Tifje | 
fige, der ich aber ber Weibe des großen Haufens entfiohen, zu 

den Füßen Derjenigen, die dort figen, bie Brofamen auflefe, die 

fie fallen laffen, und das jammervolle Leben Derer kenne, bie 

id) binter mic zurüdgelaffen, id habe burd die Sifigleit 
Deffen, was id allmaͤlig auffammie, vom Mitleiben bewogen, 
doch obne mich felbft zu vergeffen, für jene Armen Einiges 
bewahrt, was ich ſchon vor geraumer Zeit ihren Augen gezeigt 
und fie baburd nur nod) verlangender gemacht habe. Indem | 
id nun für fie anzurichten gedenke, will ich ein allgemeines | 
Gaftmabl veranftalten, fowol von Dem, was ich ihnen bereits 
zeigte, ale von dem Brote, deffen es zu ſolcher Speife bebarf; 
denn es würde biefelbe, ohne biefes ihrer würdige Brot von 
ihnen bei diefem Gaftmahl nicht genoffen werden koͤnnen, und 
vergebens aufgetragen fein. . . . Die Speifen diefes Gaftmablé 
werden auf vierzehn Weiſen zugerichtet fein, d. h. fie werben 

in vierzehn Liedern beftehen, welche ſowol bie Liebe ale vers 
ſchiedene Tugenden zum Gegenftande haben. Es litten aber 
diefelben ohne das gegenwärtige Brot an einigen Schatten der 
unverſtaͤndlichteit, ſodaß Vielen mehr ihre Schönheit als ihre 
Güte wohlgefällig war. Diefes Brot aber, d. h. die gegen: 
wärtige Erklaͤrung, wird das Licht fein, welches jeber Schatti⸗ 
zung ihres Sinnes den wahren Glanz verleiht.” 


Das Zeitalter diefes Werkes anlangenb ift breierlei zu uns 
teefcheiben: 1) die Beit, zu welcher bie in ihm vereinten Ge 
dichte wirklich entftanden find; 2) die Zeit, in welche der Dice 
ter ihre Entftehung vermöge poetifcher Fiction verlegt; 3) die 
Beit, in welcher Dante den profaifchen Gommentar zu den erften 
drei Ganzonen gefchrieben hat. 

In der erften Beziehung ift nicht zu zweifeln, daß eine 
geraume Zeit von Jahren zwiſchen ber Entſtehung der einzelnen 
Ganzonen liegt. Die Gründe, um derentwillen bie erfte um 


59 * 





das Jahr 1205 zu fegen ift, werben fogleid) weiter angegeben 
werben. Jedenfalls ergibt fih aus Purg. II, 119 und Par. 
VII, 37, daß bie beiden erften Ganzonen des Convito vor 1300 
gebichtet waren. Dagegen erwähnen Ganzone 10, 11 und 14 aus 
druͤcklich das Eril bes Dichters, Tonnen alfo nicht vor dem 
Sabre 1302 entftanden fein, und ich babe (WI. für liter. Unter» 
halt. 1838, &. 600, 10) wahrſcheinlich gemacht, daß die erfte 
jener drei Ganzonh- bem Jahre 1309 angehört. 

In der zweiten Beziehung ift als Endpunkt für bie Ger 
dichte des Convito bie Umehr zur Liebe file Beatrice zu ber 
trachten, welche, wie oben gezeigt worben, fpdteften in bas 
Jahr 1300 fat. Im ähnlicher Weife alfo, wie die göttliche 
Komoͤdie in der That zu fehr verfchiebenen Beiten, bis herab 
gum Tode des Dichters, verfaßt ift, durch Fiction aber in das 
Jahr 1300 verlegt wird, verlegt Dante fämmtliche Ganzonen, 
die er im Convito zu erklären gedachte, wenn fie auch noch fo 
fpät gedichtet waren, in bie Frift von 1295 —1300. 

ueber die Entftehungszeit des im Convito enthaltenen Com⸗ 
mentars bietet diefed Werk felbft uns folgende Daten: Im 
Tratt. I, cap. 1 fagt ber Dichter, er fehreibe, nachdem feine 
Jugend bereit verfloffen fei (mia gioventute già trapassata). 
IV, 24 aber belehrt er und, daß bie Jugend vom 25ften bis 
zum 45ften Jahre reihe, und wir wiffen, baf Dante im Mai 
oder Juni 1310 fein 45ſtes Lebensjahr zurüdtegte. Dagegen 
wird IV, 6 Karl II. von Neapel, der am 5. Mai 1309 ftarb, 
als lebend angeführt, und IV, 3 nennt Dante Briebri IT. ben 
tegten ròmifchen Kaifer, indem er hinzufügt, bie feitbem er⸗ 
wählten Rudolph von Habsburg, Abolph von Raffau und 
Albrecht von Deftreid) feien nicht zu zählen (Ultimo dico per 
rispetto al tempo presente; non ostante che Ridolfo e Adolfo 
© Alberto poi eletti sieno appresso la sua morte e de’ suoi 
discendenti). Run warb aber Albrecht am 1. Mai 1308 ers 
morbet und Heinrich VIL am 22. Novbr. beffelben Jahres gu 
Renfe gewählt. Dabei ift indef zu bemerken, daß Dante nicht 
veranlafit fein fonnte, an jener Stelle ben Kaifer lobend oder 


‘ 60 


tadelnd zu erwähnen, bis ſich nicht ergeben hatte, ob er fi 

Italiens anzunehmen, ober, wie feine brei legten Vorgänger, 

e8 ſich ſelbſt zu überlaffen gebente. Der Römerzug warb aber 
erſt im September 1309 zu Speier befchloffen. 

Auf den erften Anblick ſcheinen biefe brei Daten einen Eleis 
nen Widerſpruch zu enthalten, denn bie beiden legten geftatten 
nicht, bie Abfaffung des Convito in eine fpätere Beit, als das 
erfte Drittheil des Jahres 1309 zu verlegen,*mwährend das erfte 
reichlich cin Jahr meiter herabzuführen fcheint. Es liegt indeß 
nahe, daß wenn Dante ausfpredien wollte, wie weit ausein⸗ 
anber die Zeit der vita muova und bie des Convito lägen, er 
bei dem Zeitraum von 20 Jahren, den er der Jugend zuweiſt, 
diefe füglich ſchon verftrichen nennen fonnte, obwol noch ein 
Jahr an dem Termine fehlte, ben er anderwaͤrts als ihren 
officiellen Endpunkt bezeichnete. So wird benn anzunehmen 
fein, bas Convito fei um ben Winter von 1308 auf 9, ent 
weber bei ben Malafpina’ in der Lunigiana, ober bei bem 
Grafen Guido Salvatico im oberen Arnothal entftanden. 

Damit ſtimmt denn auch wohl überein, wenn Gherardo -da 
Camino IV, 14 in Ausbrüden genannt mirb, wie man fie vor: 
zugsweiſe von einem jüngft Verftorbenen gebraudt; denn es 
ftarb derfelbe nad) Litta am 26. März 1307. 

Diefer Beitbeftimmung, die Hicht dem Reſultate, wol aber 
ber Begründung nad neu genannt werden fann, gegenüber, 
haben in neuerer Zeit fehr abweichende Meinungen fich geltend 
gemadt. Ugo Foscolo nimmt an (La Commedia di Danto 
illustrata T. I, p. 226—48), das Convito fei nad) bem Tode 
‚Heineich’s VII. (24. Aug. 1313) verfaßt und zur Begütigung 
der Florentiniſchen Machthaber nad der Heimat gefandt. Mit 
diefer Annahme ftimmt, jedod nur in Vetreff des erften und 
dritten Trattato auch Fraticelli (Quando, e con qual fine 
il Convito fosse dall’ Alighieri dettato, in: Dante Opere 
minori II, 571) überein, und zwar vorzugsweiſe weil die hoff: 
nungalofen Klagen des Dichters (Conv. I, 3) über fein Eri, 
das ihn gendtbigt babe, faft durch ganz Italien umberzuirren 


6 


(per le parti quasi tutte, alle quali questa lingua si stende, 
peregrino, quasi mendicando sono andato), nicht früher ges 
rechtfertigt erfchienen, als nad bem Tobe Heinrichs VIL — 
Da indeß befannt ift, daß Dante verbannt wurde, als er fi 
in Rom befand, und ba wir ungmeifelhafte Kunde davon haben, 
daß er vor bem Fabre 1306 theils im Gafentino, theils in 
Yabova und theild in der Lunigiana gemeilt hat, fo bedürfen wir 
einer un fo tief herabführenden Annahme durchaus nicht. Viel: 
mehr werden wir e8 grade umgekehrt für ſchlechthin unmöglich 
erklären müflen, daß Dante mach Heinrich's Römerzuge fo 
umfaffende Abhandlungen gefchrieben habe, ohne feines Helden 
preifend zu gedenken. 

Umgetebrt behaupten Scolari (Appendice alla ediz, del 
convito di D. Al. fatta in Padova dalla Tipogr. d. Min. — 
Pad. Crescini 1828, p. 9—12) und Fraticelli, der zweite 
und vierte Trattato feien um Vieles früher verfaßt. Der erfte 
von biefen beiden gehörte nad) Scolari bem Fabre 1292 an; 
da indefi ſchon Fraticelli (S. 576) den etwas ſtarken Irr⸗ 
thum berichtigt hat, auf welchen biefe Annahme ſich fügt, fo 
ift es überflüffig, bei demfelben zu verweilen. — Fraticelli 
felbft fut in einer, faft 80 Seiten langen Abhandlung bag 
Datum von 1294—98, oder genauer das Jahr 1298 als Ente 
ſtehungszeit der beiden genannten Trattati zu rechtfertigen. 
Die Gründe, auf die er ſich ftüst, find zum Theil fo gehaltlos, 
daß fie einer Widerlegung nicht bedürfen, ja berfelben nicht 
einmal fähig find. So namentlih, wenn Fraticelli (S. 
612—18) an bie völlig willfürliche, andere Urkunden zu ges 
ſchweigen, durch die göttliche Komibie (Purg. XVI, 124) felbft 
miberlegte Vorausfegung, daß ber oben erwähnte Gherardo ta 
Gamino im Jahr 1298 geftorben fei, bie Behauptung Emipft, 
die citirte Stelle IV, 14 müffe in demfelben Jahre gefchrieben 
fein. Kein beffere8 Argument ift das dem Scolari entlehnte 
(&raticelti ©. 623): da der heil. Thomas von Aquino (IV, 
30) cinfac il buon Fra Tommaso genannt werde, während 
er doch zwei Jahr nach des Dichters Tobe (1323) unter die 


‚Heiligen aufgenommen fei, Tonne jene Stelle bes Convito nicht 
ſpaͤter als 1298 gefcjrieben fein. Ebenſo wenig verfprict 
die ebrenbe' Erwähnung bea Guibo von Montefeltro (+ 8. 
October 1298) in Trattato IV, cap. 28 in Vergieich mit 
der berühmten Stelle ber Hölle (XXVII, 61) irgend einen 
beftimmten Aufſchluß, ba die erftere nichts enthält, was uns 
noͤthigte, Guibo als noch lebend ober eben geftorben anzuneh⸗ 
men, und da die Hölle, wie anderwaͤrts gezeigt ift, erft im 
Salire 1214 beendet ward (vgl. Fraticelli ©. 618—21) 
Roc machen die Gegner (Braticelli ©. 592, 609) geltend, 
daf der Dichter von Alboino della Scala (IV, 16) in fo ger 
tingfhägigen Ausbriden ſpreche, alè er dies zu einer Zeit, 
wo er fi) ſchon des Schuges von Cangrande erfreut, ober 
wo diefer body ſchon an der Spige ber italienifchen Ghibellinen 
geftanden habe, unmöglich gewagt haben würde. Die Schwäche 
diefes Argumentes, Dante's ruͤckſichtsloſem Sinne gegenüber, hat 
Fraticelli felber gefühlt; e8 wird aber noch ſchwaͤcher, wenn 
das Convito, wie oben behauptet warb, zu einer Zeit entftanò, 
wo es gwifchen ben Veronefer Scaligeri und bem eriliten 
Dichter noch an aller Beziehung febite. 

So bleibt benn nur ein einziger, von Fraticelli (©. 
609, 10) neu hinzugefügter Grund übrig: Inf, XX, 118 nennt 
Dante ben Parmigianer Schufter Asdente al damals bereits 
verftorben; das Wort sarebbe im Conv. IV, 16 lift fich aber 
fo verftehen, als ob jener falfche Prophet damals noch gelebt 
babe. Ich mill nicht gegen Fraticelli die Interpretation 
geltend machen, deren er fi) gleich darauf in Betreff des Ghe⸗ 
vardo ba Camino bebient, daß némlid die Tobesangaben in 
‚Hölle und Zegefeuer unzuverläffig feien; aber es liegt am 
Zage, daß jenes sarebbe bie angeführte Auslegung durchaus 
nicht nothwendig erfordert. 

Der wichtigfte Gegengrund gegen Fraticelli ift etwas 
kuͤnſtlicher Art; aber darum, wie id) glaube, nicht minber übers 
geugend: In dem zweiten und vierten Trattato , bie nad) Ans 
fit der Gegner im 13. Jahrhundert geſchrieben fein follen, 


fegt Dante ben Plan des ganzen Convito als feftftebend vor: 
aus und citirt namentlich ben Gommentar zur Tten und LAten 
Canzone im Voraus. Nun find aber, wie oben gezeigt wor⸗ 
den, bie Ganzonen, die das Convito zufammenfegen follten, 
zum Theil erft im 14. Jahrhundert gefchrieben und namentlich 
erwähnt diejenige, von der fich mit Sicherheit nachweifen laͤßt, 
daß fie bie Iate zu fein beftimmt war, das erft 1302 eingetres 
tene Gril; unmöglid Tann alfo ber Eommentar, der jene Vers 
weifungen enthält, dem vorhergehenden Jahrhundert angehören. 


Zweite Canzone. 


Str. I. Worterkl.: Am. conv., II, 3—7. Alleg.: 13—15. 

Der Dichter ſchildert in biefer Canzone, wie neuer 
Reiz, den er in bem Gommentar als ben ber Phitofophie 
begeichnet, bag trauernde Andenken an bie der Erbe entriffene 
Beatrice zu verdrängen brobe. Die Allegorie ift in dem Ges 
dichte foweit geführt, daß biefe Erinnerung („soave, umil 
pensiere “, ,, lieblicher zärtlicher Gedanke”) und jene neue Nkis 
gung („spiritel d’ amore“, „ein geiftig Wefen edler Liebe”) 
fogar perfonifieiet und fprediend eingeführt werden, und bag 
richtige Verftänbniß hängt befonder8 davon ab, jene Wechſel— 
eben gehörig zu unterfcheiben. Aehnliches Zwiegeſpraͤch und 
ähnlichen Streit enthält bas 22fte Sonett der vita nuova und 
das Ste der nachfolgenden Sammlung. 

Beatrice ftarb den Iten Juni 1290. in Jahr darauf 
(Vita nuova, c.36) finden wir Dante’3 Herz noch mit bem ans: 
ſchließlichen Gebanfen an die Vertidrte beichäftigt. Geraume 
3eit darauf („Poi per alcun tempo“) erblicken feine Augen 
gum erften Male jene ſchoͤne Tröfterin. Hiermit flimmt bag 
Amoroso convito (II, 2) volltommen überein. Da heißt e8, 
die Venus habe feit Beatrice's Tobe ihren Umlauf zweimal 
vollendet, als Dante jene neue Schönheit zuerft erblidite. Schon 
die Alten gaben der Venus 348 Tage Umiaufézeit (vgl. conv., 


64 


1, 15 a. E.), und fo wäre dies erfte Vegegnen Anfang Mai 
1292 zu fegen. Diefe Canzone ward indeß erft gebichtet, alè 
Dante bie Herrlichkeit feiner neuen Geliebten näher erfannt, alè 
er lefend und hoͤrend in die Tiefen ber Philofophie einigermaßen 
eingeweiht worben war. Er berichtet uns felbft (conv., IT, 13), 
daß er 30 Monden diefem Studium gemibmet habe, und es iſt 
fein Grund vorhanden, mit Dionifi die Zahl trenta in tre 
qu verwandeln. Hiernach würde dann die Entflehung dieſes 
Gebichtes in das Jahr 1295 fallen. 

Bum Verftändniß ber ‘in ber erften Zeile enthaltenen An: 
rede, und mander andern Aeufierung in biefen Gebichten, find 
einige Worte über bie Aftronomie der Beit notwendig. Das 
Ptolemäifche Syſtem, in der Ausbildung, in welder Dante es 
befaß, nahm 10 völlig concentrifche Himmel an. Den feften 
und unbeweglichen Mittelpunkt macht biefem Syfteme die Erde 
aus, und ebenfalls unbeweglich ift wieder ber dufierfte ober 
empyreifche Himmel, der Wohnort ber Seligen, in bem bag 
Weltall enthalten ift. Das Verlangen nach diefer Wohnung 
des Herrn leiht dem, von ihr zunaͤchſt umfangenen, neunten 
‚Simmel, dem Fryftellinifchen, bem primum mobile, eine fo ge 
ſchwinde Umdrehung, daß er trog feiner unermeßlichen Aus: 
dehnung fi in 24 Stunden und etwas einmal um feine Arc 
dreht, und, was wohl zu merfen ift, biefe Drehung allen 
übrigen 8 von ihm enthaltenen Himmeln, ohne deren eigen 
thümtihe Bewegung zu flören, mittheilt. Cine folde 
eigenthümliche Bewegung, und zwar die langfamfte unter allen, 
die nämlid in 100 Jahren nur einen Grad von Weften nad 
Often zurüdtegt, wohnt nun zunächft dem Sten Himmel bei, 
an welchem bie Firfterne, beren man 1022 gezählt hat, in glei: 
cher Entfernung von der Erde befeftigt find, und ihr Licht von 
der Sonne erhalten (Par. XX, 6. XXIII, 30). Auch, diefe 
Bewegung des Himmels- ber Firfterne (stellato), nicht aber 
die der übrigen, theilt ſich gleichmäßig allen von ihm cin: 
gefchloffenen mit. Hierauf folgen die Himmel, die nad) ben 7 
Planeten Saturn, Jupiter, Mars, Sonne, Venus, Merkur 


65 


und Mond benannt werben, und fämmtlih, außer jenen zwei 
mitgetheilten Bewegungen, noch ihre eigenthümliche haben, 
Diefe legte Bewegung läßt fih nun am bequemften fo denken, 
daß man fich jeden einzelnen Simmel als eine durchſichtige 
Kugel vorftellt, die fih um ihre Are dreht, und auf deren 
Aequator der Planet befeftigt if. o benkt fi) Dante in der 
hat aud den Himmel ber Sonne; hätte man aber biefelbe 
Borftellungsart ohne weitere Mobification auf bie übrigen Plas 
neten anwenden wollen, fo würben bie Phänomene, welche die 
Beobachtung bot, zum großen Theil unerläutert geblieben fein. 
Es würde une zu weit führen, wenn ich bie Hypothefen, zu 
denen bie Aftronomie jener Beit. ihre Zuflucht nehmen mußte, 
big zu ben einzelnen Planeten verfolgen wollte; daher beſchraͤnke 
ich mich auf das uns hier zunächft vorliegende Veifpiel der 
Venus. 

An bem Aequator des nach dieſem Planeten benannten 
dritten Himmels nämlich ift nicht der Planet felbft, fondern 
der unfichtbare Mittelpunkt eines ebenfalls unfichtbaren, und 
natürlich mit jenen Himmeln nicht concentrifchen Kreifes befes 
fligt. Dabei ift zu bemerken, baf der dritte und vierte Him⸗ 
mel ſich in vollfommen gleicher Beit um ihre Are drehen, und 
daß eine von der Erbe aus burd) jenen auf bem Aequator des 
dritten Himmels befeftigten Mittelpunkt gezogene Linie, in dem 
vierten Himmel, ober bem ber Sonne, genau den Legteren Plas 
neten treffen würde. Der erwähnte unfichtbare Kreis nun heißt 
Epicyclus der Venus; es brebt fich dieſer Epicyclus in 348 
Zagen um feinen Mittelpunkt, und erft auf ibm ift der Planet 
Venus felbft befeftige, der dann wieder eine Umdrehung um 
feine eigene Are hat. Da der Mittelpunkt des Epicyclus ftets 
der Sonne gegenüber bleibt, fo ift Mar, daß der auf der 
Peripherie deffelben befindliche Planet während der einen Hälfte 
der Umlaufözeit zur einen, und während der andern zur andern 
Seite der Sonne erſcheinen und deshalb alè Abend = oder als 
Morgenftern gelten muß. 


Recht faßlich ift dies Syſtem vorgetragen, und durch eine 
Figur erläutert in Daniello’s Commentar zum aditen Ges 
fange von Dante's Parabiefe. . 

Es ift aber nicht cine tobte Gravitation, welche biefen 
‚Himmelslörpern ihre mannichfachen Bewegungen mittheilt; eine 
jebe derfelben wirb hervorgebracht durch den Willen eines über- 
irdiſchen Gefchöpfes, eines Engels, einer Intelligenz. Bon 
diefen Himmelsbewohnern machte fi) das Mittelalter, beſonders 
nad) dem Vorgange bed angeblichen Dionysius Areopagita, 
viel beftimmtere Vorftellungen, al8 wir mit benfelben Ramen 
zu verbinden gewohnt find. Solcher feligen Geifter naͤmlich, 
lehrte die Schule, find zahlreiche Scharen gefchaffen, jede Ein— 
gelne, um cine befonbere Richtung des göttlichen Wefens, fei 
dies nun in fid) betrachtet, oder in feiner Begiehung zur Sept: 
pfung, anzuſchauen und zu verwirklichen. So find benn bie 
Engel nur Ideen, nicht abgerundete und mehrfacher Richtung 
fähige, alfo frei darunter wählende, Perföntichkeiten, und ba: 
durch erklären ſich die manchen zum Theil feltfamen Aeuferun= 
gen ber Myſtiker über bas Verhältnig der Menfchen zu den 
Engeln und über den Vorzug, ben Gott ben erften gibt. Bat. 
4. 8. Convito IV, 19. med. 

Diefen Intelligenzen ale Ausflüffen, ober, wie Dante fi 
öfter ausbridt, Spiegeln ber göttlichen Kraft, ift es nun 
gegeben, bie einzelnen Grfcheinungen be Lebens im Weltall 
anzuregen, und eine jede mit ber ihr eigenthümlichen Fähigkeit 
gu durchdringen; denn Gott felbft erfchafft feit vollenbeter Sehd: 
pfung von dem Einzelnen nur noch bie Seele des Menſchen; 
alles Uebrige erzeugt fi ferner aus ben einmal verlichenen 
Kräften, und aud der Menfch empfängt feine befondern Anta= 
gen mittelbar durch den Einfluß jener ewigen Intelligenzen. 
Diefe legten find burd) das Weltall verbreitet, und ber Wille, 
nad ihrem Berufe bie Kraft einzufaugen und auszuftrömen, 
für die fie gefchaffen find, Hält fie zwifchen dem weiten Throne 
Gottes, von wo fie empfangen, und biefer Erbe, ber fie ver: 
leihen, in fteter Ereifender Bewegung : 


67 


Questi ordini di sù tutti aꝰ ammirano, 
E di giù vincon sì, che verso Iddio ‘ 
"Tutti tirati son e tutti tirano. (Par. XXVIII.) 

Sie find die Bewohner ber einzelnen Himmel und ber 
Umlauf ber Planeten felbft ift nichts Anderes, als bie Kraft 
des Gedankens biefer feligen Geifter (muovono intendendo 
heißt es in unferer erften Zeile. Solo intendendo, Conv., II, 6. 
Vol. auch Par. XXVII, 114). Ihre Kraft Abt auf der Erde 
jenen Ginflufi aus, ben die Afteologen oft oberflächlich eine 
Wirkung ber Planeten und ihrer Conftellationen felbft nennen: 
ein Einfluß, der Anlagen und Neigungen erteilt, vom Men: 
ſchen aber allerdings durch bie ausſchließlich ihm erteilte Frei: 
heit bes Willens befämpft und überwunden werben Tann. 

Insbeſondere bie Intelligenzen bes Venus⸗Himmels nun 
betrachten bie göttliche Liebe, und fireuen bienieben, mo 
die Strahlen ihres Planeten eingefogen werben, ben Samen ber 
irbifchen, mehr ober minder heiligen. 8 find beren mebre, 
vermuthlich theils ber Gontemplation, theil ber äußerlich ere 
fcheinenden Thaͤtigkeit ergeben, ber legten aber wenigftens fo 
viele, ala der Planet felbft Bewegungen hat, mithin vier. An 
fie nun wenbet ſich der Dichter in biefer Canzone, weil er feine 
neue Licbe, bie den Entfchläffen feines Herzens fo entgegen ift, 
nur durch ihren mädjtigen Einfluß ſich zu erfläzen weiß, und 
daher von ihnen zuerft Mitleid erwartet. 

Betrachten wir, wie Dante uns dazu nöthigt, dieſe Liebe 
in ihrem allegorifhen Sinne, alè Studium ber Philofophie, fo 
erhält die Anrufung ber Lenker dieſes einen Himmels nodi einen 
andern Sinn. Unfer Dichter vergleicht nämlich, und ich will 
dies Gleihniß weiter nicht ala befonders poetiſch in Schug neh⸗ 
men, die Himmel mit ben Wiſſenſchaften, und zwar bie ber 
fieben Planeten mit ben Wiffenfchaften des Zriviums und Quas 
driviums, ben geftienten Himmel mit der Phyſik und Metaphy— 
fil, den Kryſtallhimmel mit ber Moralphilofophie und den 
emppreifchen mit ber Theologie. Der Venus insbefondere fällt 
bei biefer Vertheilung die Rhetorik zu, und fo fonnen die Mei: 


fter biefer Kunft, im allegoriſchen Sinne, als Lenker bes ges 
nannten Planeten gelten. Gicero und Boethius waren es aber, 
deren Studium unfern Dichter, nad) feiner eigenen Erzählung, 
zuerſt que Liebe der Philofophie hinführte, 

Ste. IL Worterflärung: Am, conv., IL, 8, Allegorie: 
16, Das Weib, deflen in den erften 6 Beilen gedacht wird, ift 
bie in ben Himmel aufgenommene Beatrice. 

In 3. 1 leſen bie neueren Ausgaben Suolea, was bem 
Vers allen Rhythmus nimmt, gegen die Autorität ber Hand⸗ 
fobriften und gegen Dante'8 eigenes Beugnif in ber angeführten 
Stelle des Convito verftößt und endlich ben Sinn verunftaltet. 
In diefem Gebdichte nämlich nennt Dante ben Gebanfen an die 
verflärte Beatrice noch denjenigen, ber, trog ber keimenden 
neuen Neigung, fein Herz zu beleben pflege. Erſt in ben 
fpäteren Gedichten erfcheint die Donna gentile al in bes Did 
ters Herzen herrſchend. — Sn der Tten Zeile tritt der Liebes- 
geift auf, ber von jener Erinmerung abs, und zu ber neuen Liebe 
inlentt. — 3. 8. Qual ora, meld) arge Stunde, nicht Qual- 
ora, wie manche Ausgaben leſen. — Tal in 3. 13 ift Amor; 
ber Amor nämlich, der ihn zu ber neugeliebten Donna gentile 
führt. — Die legten 2 Beilen erläutert der Dichter allegoriſch 
dahin, daß unter ben Blicken der Geliebten die Aufſchluͤſſe zu 
verftehen feien, welche bie Philofophie ertheilt, bie aber nur 
durch angeftrengte Arbeit und im Rampfe mit immer neuen 
Zweifeln erlangt werben koͤnnen. 

Str. II. Worterft.: An. conv., II, 9, 10. Alleg.: 16. 

Der, beffen Flucht bie Seele in ber Öten Zeile beklagt, 
ift ber liebevolle Gebante an Beatrice. In den folgenden Bei: 
ten aber fpricht fie ihn der Schuld frei und beſchwert fich allein 
über die Augen, ala bie Urfade biefes Uebels. „Meines 
gleien” in ber elften Belle, will im allegorifchen Sinne fas 
gen, Geifter, bie für die Wonne ber Speculation empfänglich 
find. — In ber legten Beile lefen meine Handſchrift und die 
Ausgabe von 1491: Ch’io nol vedessi (oder mirassi) tal, ch'io 
ne son morta. 


Str. IV. Worterflärung: Am. conv., II, 11. 

In diefer Strophe führt der Geift der neuen Liebe wieder 
das Wort und lehrt bie Seele, ftatt über ihren Taufch zu 
weinen, ſich zu freuen. Die Ote Beile hätte wörtlicher überfegt 
werben follen: Entſchließe did nad grade, Sie beine Herrin 
gu nennen. 

Str. V. Worterflärung: Am. conv. , II, 12. 


Dritte Canzone. 


Str. I. Worterkl.: Am, conv., II, 2-4. Alleg.: 11, 12, 

Die befondere Abſicht dieſes Gedichtes ift, den*Preis ber 
Geliebten zu verkünden, um dadurch Ihr felbft die Ergebenheit 
bes Dichters zu beweifen, und biefen legten bei Denen zu ents 
ſchuldigen, die ihm Unbeftänbdigkeit vorwerfen koͤnnten, ihn aber 
zugleich auch durch den hohen Gegenftand, zu bem er feine 
Augen erhoben hat, zu ehren. Dante fagt in einem ſchoͤnen 
Bilde, er vernepme bas Lob ber’ Geliebten aus Amor8 Munde 
(ogt. Purg. XXIV, 52, 53), und der Inhalt biefer Verfe fei 
nur ein Berfuch, jene Schilderung den Hörern gu berichten: 
ein Verſuch, der fern vom Biele bleiben müffe, weil fein eigener 
Geift die Worte Amors nur unvollfommen aufiufaffen wiffe, 
und weil aud das Aufgefafite nur zum geringen Theile in 
menſchlicher Sprache ausgebräcdt werben koͤnne. (Val. Hölle, 
XXVIII, 4. Par. XXXIII, 55—57.) 

Der Dichter 14ft Amor in feinem Geifte (mente), als 
bem entfprechendften Orte, ben Preis ber Geliebten verfünben, 
- um baburd den Abel feiner Liebe zu bezeichnen, und fie von 
den Neigungen zu unterfcheiben, welche dufierer Reiz in den 
Sinnen erwachen läßt. Im allegorifchen Sinne aufgefaßt, ift 
18 freilich cinleuditend, bag die Liebe zur Weisheit nit von 
koͤrperlicher Art fein fonnte; bennod) aber verwahrt ber Dichter 
fi in feinen Erklaͤrungen vor bem Verdachte, vielleicht aus 
flüchtiger Neugier, aus oberflächlichen Ergögen, oder aus Hoffe 


70 


nung auf dufierliden Nugen, „wie Juriften, Mebiciner und | 
Theologen ihre Brotwiſſenſchaften“, bie Philofophie zu Lieben; | 
vielmehr betheuert er, aus reinem Durffe nach Wahrheit, ohne 
andern Wunfd) als ben der Erfenntniß, ber Philofophie in 
ihrem weiten Umfange ganz und ungetheilt ergeben zu fein. Cr 
führt bei diefer Gelegenheit bie allegorifche Darftellung der Phi: 
lofophie noch weiter aus und fagt: Ihr Stoff, gemiffermafien 
ihe Körper, fei die Weisheit felbft. Ihre belebende Form 
aber, was man alfo Seele nennen fonnte, das liebevolle und 
anhaltende Streben. 

Die Ate Zeile hieße richtiger: daß dem Verftande fchwin- 
delt, und die Gte: daß die Seele, bie aufhorcht und vernimmt 
(aber nicht verftebt). — 3. 14 ift nad) zahlreichen Autoritäten 
Però für Dunque gefet. — Im ber 15tem Beile hat querft 
Monti (,, Proposta di correzioni ed aggiunte al vocabola- 
rio della Crusca“, Vol. MI, p. 1, Mil. 1819, p. 260) des 
richtige entreran gefegt, was ſich in mehren Handſchriften, 
unter andern auch in meiner, findet. Die eigentliche Schreib⸗ 
art ber ‘alten Manuferipte ift indef enterran, vgl. Colombo 
zu Boccaccio's Decameron Giorn, II. Nov. 5. p. 111. Die 
gewöhnlichen Ausgaben lefen mit ber Princeps entraron und 
bie Grusca interran, was fie zu argem &candal als „beſchmu- 
gen”, figUrlich genommen, erklärt. 

Str. II. Worterti.: Am. conv., III, 5,6. Alleg.: 12, 13. 

In der erften Hälfte diefer Strophe wird gefagt, wie Gott, 
Engel und Menfden die Herrlichkeit ber Geliebten anertennen. 
Die Sonne ift Ausbrud für Gott felbft, der die Weisheit als 
einen Theil de eigenen Weſens erkennt, und zugleich allein 
Ihren Umfang und Ihre Tiefe burdfdaut. Die Intelligenzen 
(8. 5) bliden auf Sie ber, nicht um Ihr Kräfte zu Leihen, 
fondern, um in Ihr, eine jebe an ihrem Theil, ein Vorbild 
tiefiter Erkenntniß zu fehen; alfo, jede für fi, ſchon unfähig, 
Sie in Ihrem ganzen Umfange zu begreifen. Die Menſchen 
G. 6) endlich vermögen aud in der einzelnen Richtung nicht 
die Tiefe ber Weisheit zu faffens in ben Augenblicken aber, 


31 


wo fie mit der eblen Liebe fi) befreundet fühlen, werben fie 
fih Ihrer firablenten Nähe bewußt. Wenn der Dichter in 
alle Dem die Geliebte nur dadurch lobt, daß er berichtet, wie 
Sie Andern erfcheint, erzählt er in der zweiten Hälfte der 
Strophe (3. 9), wie Sie in Sid und in dem Liebenden felbft 
ihre Herrlichkeit fund thut. Die Ausbrüde der 1Aten Beile 
(ch’ ella conduce) find von dem Körper zu verftehen, der 
durch jene reine Seele gelenkt wird. Der Dichter will alfo 
fagen: daß bie göftlichen Kräfte der Geliebten in höherem 
Mafie, als fonft der menfhlichen Natur geziemt, mitgetheilt 
find, ift an der Schönheit des von jener Seele geleniten Koͤr⸗ 
perg zu erkennen. Man koͤnnte indefi diefe Stelle auch von den 
Birkungen beuten wollen, welche ber Anbli der Geliebten in 
dem Liebenden hervorruft. Im legten Falle wäre zu gedenken, 
daß Dante bie Liebe ala die Secle der Philofophie bezeichnet, 
daß alfo Derjenige, der die Seele in fich trägt (la conduce, 
oder den diefe Seele lenkt, ch’ ella conduce), der Lebende 
ift, und alsdann müßten jene brei Zeilen fo lauten: 
Def gibt Ihe reiner Geiſt, 
Dem Gott fo hohes Heil gewollt vertrauen, 

. In Denen, bie ihn begen, klar Bericht. 
Die erſte Erklärung ift na) Dem, was Dante (Conv. III, 6 
a. E.) fagt, mol ficher die richtigere; in beiden Filen muß 
aber ftatt che la der älteren Ausgaben ch’ ella gelefen werden. — 
Die legten drei Zeilen fehilbern den Buftand Derer, bie, ohne 
zu ben Getreuen der Weisheit zu gehören, einzelne Ihrer Reize 
gewahren, ben Segen feben, den Sie über die Ihrigen verbrei: 
tet, unb im Vergleich ihre eigene bürftige Lage befeufgen. 

Str. II. Worterflärung: Am. conv., III, 7. Xleg.: 14. 

Bisher find die dußern und innern Reize der Geliebten 
ihren Wirkungen nad) allgemeiner gepriefen, nun verfünbet der 
Dichter das Lob Ihrer Seele insbefondere. So begabt ift diefe, 
fagt er, daß Ihre Kräfte nicht, gleich denen anderer Erdbewoh⸗ 
ner, dem Einfluß der Geifter zugefchrieben werben Eönnen, bie 
zwiſchen Gott und uns vermitteln, fondern daß fie, gleich denen 


712 


jener Sntelligenzen, unmittelbar von Gott hergeleitet werden 
müffen. Wäre eine Seele ungläubig und duͤnkte fie bies Lob 
zu groß, fo ergebe fie fi nur bem Umgange ber Weisheit; 
benn zu Ihr, als dem hoͤchſten der irdiſchen Gefchöpfe, gefellt 
fi) ein Himmelögeift, und Enüpft fo burd Sie das Menfden: 
gefejledht in einer ununterbrodenen Kette an den Simmel an. 
Diefer Geift ift aber eben die Liebe, d. h. bie Vegeifterung für 
die Weisheit. Unter den Bolllommenheiten, welche bie Serle 
im Umgange mit ber Weisheit an ihr wahrnehmen wird, hebt 
ber Dichter bie Worte und die Geberben (bas Vetragen) ber: 
vor; mit andern Worten, Lehre und That. 

Da Sie nur in der Liebe zum Edlen und Wahren Ihr 
Leben findet, fo muß bas Herz Deffen, der der höhern Liebe 
fähig ift, bei Ihrem Anblide auch in folder für Gie entbren⸗ 
nen. Und, ba die Seele des Menſchen (in biefer Strophe 
zweimal burd) donna, Frau, bezeichnet), den ihr eigenen Abel 
nur bekundet, infofern fie nad) Erfenntnif firebt, fo berubt iht 
ganzer Werth in dem Antheile, den fie an ber Geliebten bes 
Dichters bat (8. 13, 14). So fagt Guido Guinicelli: 

— Pare 
Ciò che lassù è bello, a lei somiglio, 
An einer andern Stelle (Conv. IV, 3) fagt Dante, nur ber 
Wahrheit vermaͤhlt ift die Seele „Herrin“ zu nennen; fonf 
aber Magb. — Wie nun aber bie unverhüllten Reize eine 
Tönen Weibes glauben Laffen: 
Che corrisponde, 
A quel ch’ appar di fuor, quel che s’ asconde, 

fo gewaͤhrt die burd) die Philoſophie erlangte Exfenntniß be 
Einen Vertrauen, auch das Andere, bis jegt noch Unbegreifliche, 
möge wahr fein, und bereinft noch erfannt werben koͤnnen (3. 
15—17). Wo die Ate Zeile im Convito angeführt wirb (cap. 
14), heißt e& Parli con lei, Gbenfo in ben vier diteften Aut: 
gaben des Convito im Terte felbft und bei Giunta unter den 
Varianten. Die Sammlungen der Rime unferes Dichters pfle⸗ 
gen indeß Vada con lei zu haben, wie bies auch in bie mer 


73 


ften neueren Ausgaben bes Convito übergegangen ift. Nur die 
Mailänder folgt, ohne eine Variante ober einen Grund ber 
Aenberung anzuführen, der erften Lesart, und fie fcheint mic 
vom Sinn geboten. — In der Gten Beile fordern die beiden 
entfpredjenden Stellen beö Convito, ftatt des gewöhnlichen Un’ 
Angelo dal ciel, wie id in den Tert genommen: Uno spirto 
del ciel, was ſich in mehren Hanbfdriften findet. Die meinige 
bat Uno spirto d'amore. — In 3.14 lefen Manche deutlicher: 
bello è tanto, — Die legte Zeile ift auf bie Autorität mehrer Sand: 
ſchriften, unter andern ber meinigen, verändert worben; für 
die fonft gewöhnliche Lebart: da eterno creata ließe fid) cin 
öfters vorfommenter biblifcher Sprachgebrauch, 3. B. Sprichw. 
&alom. VIII, 2. 3., anführen. 

Ste. IV. Worterflär.: Am. conv., IH, 8. Alfeg.: 15. 

Diefe Strophe fpricht von der Materie, oder dem Körper 
ber Philofophie, b. h. ber Weisheit, insbefondere, in bem die 
Söttlichkeit ber Geliebten ſich offenbart. Freuden des Parabie: 
fes, fagt Dante, gehen hervor aus dem Blicke Ihrer Augen 
und bem Lächeln Ihres Mundes. Die Freude des Paradiefes 
ift das Anſchauen der ewigen Wahrheit in Gott; bie Beweiſe 
der Philofophie aber und ihre Vermuthungen, dieſer Blick und 
dies Lächeln der Weisheit, Laffen uns ſchon hier auf Erden 
Theile jener Wahrheit erfennen. Oft indefi überfleigen ihre 
Verkuͤndigungen die Fähigkeit des menfchlichen Geiftes, und er 
bleibt von ihrem Lichte, wie von bem Glanz ber Sonne geblen= 
det (3. 5—8). 

Bon Auge und Mund fommt ber Dichter nun auf die 
Schönheit des übrigen Körpers, und wie biefe beim Men: 
fen im entfprechenden Verhalten ber Glieber beftebt, fo bei 
der Philofophie im rechten Unterorbnen unter die allgemeinen 
Gefege von Sitte und Recht. Mer in ber Liebe ber Weisheit 
fo weit vorgebrungen ift, bas Auge feines Geifted an biefen 
verborgenen Reizen ber Gelbftüberwinbung zu weiden, dem wird 
es nicht nur gelingen, bie Febler ber gu beſie⸗ 

Dante, Lyriſche Gebigte. IL 


74 


gen, fonbern aud die angeborenen verkehrten Anlagen werben 
vor diefer Liebe in Nichts zufammenfallen (3. 12,13). Darum 
fol die Seele, die fih als hochmuͤthig ober eitel verklagen 
Hört, zu Ihren Reigen, zu der Moralphilofophie, ihren Blid 
erheben, um an dieſem Prüfftein felber fich zu lautern (3. 14— 
16). Der Schlußgedante (3.18) endlich ift dem Salomo (Spr. 
VIII, 23—31.) entlehnt. 

Str. V. Worterflärung: Am. conv., 9, 10. Alleg.: 15. 

Diefe Tornata ober Licenza ift beftimmt, ben ſcheinbaren 
Widerſpruch zwiſchen gegenmartiger Canzone und ber Tten Bal: 
late zu löfen, in welcher legten der Dichter fich über ben Gtolk 
und bas ſchnode Mefen ber Geliebten befchwert hatte, während 
er Sie hier ein Mufter der Demuth nennt. Er geftebt nun, 
jene Klagen feien bie Frucht leidenfchaftlicher Verblendung ge 
wefen, welche ihm nicht erlaubt, ber Wahrheit nach die Geliebte 
richtig zu würdigen; was er allegorifch dahin erklärt, der erſte 
Eifer, zur Erfenntnif zu gelangen, fei aus Mangel der eigenen 
Einſicht, von der Tiefe und Dunkelheit der philofophifchen Auf: 
ſchluͤſſe ohne Erfolg zuruͤckgewieſen, big erneute Anftcengung 
beffere Hoffnung geliehen, wenn auch noch lange nicht zu dem 
begehrten Ziele geführt habe. 

Sene Ballate wird in 3. 2 Schwefter, Sorella genannt. 
Ebenſo heißen unferm Dichter in dem 2lften Gedichte der vita 
nuova (ber vierten Canzone) feine früheren Lieber sorelle beffen, 
in bem er eben fpricht und Petrarca bezeichnet in der Ganzone: 
Gentil mia Donna, io veggio am Schluß ein anderes Lied durch 
sorella. Drei feiner berühmteften Canzonen werben befanntlid 
allgemein le tre sorelle genannt. 

La stella in 3. 8 ift auch bier bas ganze mit Sternen 
befäete Firmament, obgleich noch Fraticelli das Wort unbe 
geeiflicherweife von ber Sonne erflärt. 3,12—14 heißen woͤrt⸗ 
dh: Die Geele fuͤrchtete ſich und fuͤrchtet fih noch jegt in fol 
dem Maße, daß mir graufam erfoheint, 

Was id dort fehe, wo fie mid) erblidt. 
Furcht nahm und nimmt mid ein, 


75 


Daf AULE id) der Graufamfeit dann geibe, 

Wenn id) von ihrem Blick getroffen bin. 
unrichtig ift alfo die Lesart: Quandungue io vengo dov’ ella 
mi senta (ogl. Vitali Lettera a Mich. Colombo p. 17). 

Die Ote und 10te Zeile reden in andern Auégaben in der 
erften Perfon, und die 16te und 17te Zeile heißen in noch 
mehren: 

E quanto puoi a lei ti rappresenta; 
E di: Madonna — ecc. 


Vierte Canzone. 


Ste. I. Erklarung: Am, conv., IV, 2. 

Diefe Canzone ift beftimmt, als ein Lehr» und Gtrafs 
gebicht bie Vegriffe vom Adel zu laͤutern, unb ſchweigt vom 
Lobe der Geliebten, deren Härte den Dichter nöthigt, auf eine 
Beit zu hoffen, bie feiner Liebe günftiger fein wird. Dante er⸗ 
Mart fich im Gommentar felbft darüber, daß die Schwierigkeiten 
ber unterſuchung, ob die Materie der Elemente aus Gottes 
Willen hervorgegangen, oder fchon im Chaos vorhanden gemes 
fen fei, ihn von feiner philofophifchen Liebe auf furze Beit zu⸗ 
ruͤckgeſchreckt habe, und wir bürfen wol faum zweifeln, daß in 
der Göttlichen Komöbie unfer Dichter biefe und ähnliche Fragen 
im Vergleich der Weisheit, die von Gott kommt, ala gering» 
fügig barftellen wollte (Parad. XII 97 f). Bier inbeffen 
entfagt er um einer foldhen Graufamfeit willen ber Geliebten 
nicht, fondern er fült auch die Beit, bie er Ihrem Lobe ents 
zieht, mit ber Behandlung der Gegenftinde aus, bie Ihr bes 
freundet find. 

Unter ber rima aspra 3. 14 ift ber Zabel abweichender 
Meinungen, unter ber rima fottile die eigene Ausführung des 
Dichters zu verftehen. — Die legten Zeilen finden in ben Noten 
zu ber vorigen Canzone genügende Erklärung. Die Augen ber 
Geliebten find die Veweife der Philofophie, in biefen wohnt bie 

4* 


76 


Wahrheit, welche ber Dichter Hier anruft. Wahrheit ift aber 
das Streben der Philofophie, Wahrheit alfo begabt Sie mit 
Liebe zu Sich felbft. 

Str... Erklärung: Am. conv., IV, 3—9. 

Der Dichter berichtet zuerft fremde Meinungen, deren 
Autorität vielleicht weitere Unterfuchung verbieten dürfte. Hier⸗ 
unter wieber zunächft eine Aeußerung Kaifer Friedrich's IT, bie 
ich nicht weiter nachzuweiſen im Stande bin. Dante begründet 
bei biefer Gelegenheit im Gommentar die Madtvollfommenbeit 
des Raiferthum8 mit ungefähr gleichen Gründen alè in ber 
Monarchia und bem neuerlich aufgefundenen Strafbriefe an bie 
Florentiner, erklaͤrt fid aber doch dafür, dieſe Autorität, die 
nur in den Angelegenheiten des Rechtes und für unfere Hand: 
lungen entfcheibend fei, koͤnne in einer rein fpeculativen und 
nur dem Scheine nad) verwandten Frage der Unterfuchung nicht 
entgegengeftellt werben. Die zweite Autorität, beren Unzuläng- 
lichkeit Dante barthut, ift die ber großen Menge, bie vorzuͤg⸗ 
lib dadurch Bedeutung erhält, daß Ariftoteles (Eth. Nicom. 
VII, 13) es für unmögtich erfiärt, daß völlig falfch fei, mos 
die Meiften für wahr halten. Der Dichter bezieht indeß dieſen 
Sag nur auf eine Meinung des Verftande8, nicht auf eine 
bloße Wahrnehmung der Sinne; jene Meinung über ben Abel 
ift aber, wie er fagt, ohne einige Berftanbesthätigkeit ber Glau⸗ 
benden entftanden, fo alfo auch der Widerlegung vollfommen 
fähig. — Die Ste Zeile heißt im Originale: weil er fie (die 
guten Sitten) nicht befaß. 

Die Meinung, daß au, bei eigener Unmücbigkeit, die 
Abftammung von ebeln Vorfahren ben Abel verleihe, wird durch 
die entgegengefegte Behauptung, baf fo Bedorzugte vielmehr 
verächtlicher und gemeiner feien, ald andere Unwuͤrdige, bie on 
ihren Ahnen ſolche Vorbilber nicht befeffen, enkraͤftet. 


Incipit ipsorum contra te stare parentum 

Nobilitas, claramque facem pracferre udendis, 

Omne animi vitium tanto conspectius in se 

Crimen habet, quanto major, qui peccat, habetur. — Juren. 


77 


Die legte Zeile will nichts weiter fagen, als er braucht 
feine Vernunft, biefe für ben Menfchen bezeichnende Gabe, fo 
wenig, baß man fein Leben nicht das eines Menfchen nennen 
kann: 





Nil nisi Cecropides, truncoque limus Hermae. 

Nullo quippe alio vincis discrimine, quam quod 

Di marmoreum caput est, tua vivit imago. — Juven. 

Pederzini will in biefer Beile E tocco ha tal lefen, d. h. 
Wer in folder Weife den Weg verfehlt, trägt einen ſolchen 
Schlag (tocco) davon, daß er, obwol noch auf Erden man: 
delnd, tobt ift. Ich vermuthe, baf Z foce’ a tal bas Rich⸗ 
tige ift, b. h. es kommt mit ihm fomeit (a tal segno), daß er 
geiftig tobt zu nennen ift. 

Str. II. Erklaͤrung: Am. conv., IV, 10—13. 

Dante widerlegt bie Behauptung des Kaiferd nun genauer, 
und ſchickt, um ſich verfländlicher zu machen, eine Definition 
borau8, welche biefelben Mängel, nur fichtbarer, an fich trägt, 
als die bes Kaiferd. Der Sag: ber Menſch ift belebtes 
Holz, enthält unwahres und unvollfommen Wahres. Holz 
ift ber Menfch überall nicht, und fo Haben Reichthum und Beit 
überall nichts mit bem Abel gemein. Belebt ift der Menſch 
allerding8, aber das Melebtfein ift für ihn noch Feine vollfome 
mene Bezeichnung, da er es mit den Thieren gemein hat; follte 
bie Bezeichnung alfo vollkommen fein, fo müßte es heißen: Ver⸗ 
nunft begabt. Auf die gleiche Weife find allerdings eble 
Sitten (costumi belli) zum Abel erforderlich, aber fie machen 
noch nicht fein volles Wefen aus. 

Der Dichter unterfuht nun zunaͤchſt, ob Reihthum 
beiteagen Tonne, wahren Abel zu verleihen. Er leugnet e8, 
weil Gelb und Gut an fich unebel find, unb nichts bervorge: 
bracht werben fann, was in dem Servorbringenden nicht, der: 
Idee nach, ſchon enthalten wäre, und weil, umgefebrt, uns 
durch nichts entzogen werben fann, was mit bem Entziehenden 
keinerlei Berührung bat. Das ift der Sinn der beiden Gleich 


78 


niffe vom Maler und vom Thurm. Der Maler, ber Dichter 
fann feine Geftalt, teinen Charakter ſchaffen, den er nicht im 
Keime in ſich trägt, in ben er fich nicht zu verwandeln vermoͤchte. 
Giefole ift unfähig, die Glut tobenber Leibenfchaften, und Michel 
Angelo, ben Frieden ergebener Froͤmmigkeit darzuſtellen. Umge⸗ 
ehrt vermag ben feften, ftolz aufftrebenben Thurm ber Bad 
nicht zu erfchüttern, der, ihm fern, den Boden hinabrinnt; den 
Abel nicht das Anfchwellen und Wiederverfiegen irdiſcher Reide 
thümer. — Die Niebrigkeit der Reichthuͤmer offenbart ſich aber 
darin, daß wir fie ohne alle Kuͤckſicht auf wahres Verdienſt 
vertheilt feben, baf ihr Befig nicht allein nicht beruhigt, fon: 
dern ben plagenden Durft nad) neuer Bereicherung ohne Ente 
erregt, und daß ihr Vefig adelige Gefinnung, namentlich aber 
die Tugend ber reigebigkeit, eher nimmt als gibt. 

In 3. 1 lefen meine Handſchrift und bie Ausgabe von 
1491: Chi difinisce homo legno animato, unb ebenfo bie erfiere 
an ben betreffenden Stellen bes Convito; bie älteren Ausgaben 
biefer Schrift dagegen: Chi diffinisce: huomo è legno animato 
und ebenfo die neueren feit der Mailänder. Ich bin Giunta 
gefolgt, unb bie gleiche Lesart hat Fraticelli in ben lyriſchen 
Gedichten. 

ueber bie falſche Erklärung, welche bie Crusca von der 
18ten Beile gibt, vgl. Monti, Proposta, I, 2, p. 205. 

Str, IV. Ertiarung: Am. conv., IV, 14-15, 

Der Dichter wendet ſich nun zu bem zweiten in jener De 
finition enthaltenen Erforderniß des Abel, bem Beitverlauf. 
Buerft widerlegt Dante bie fragliche Meinung ber Gegner buch) 
ihre eigenen Behauptungen. Sie erklären es nämlich für un: 
möglich, daß ein Gemeiner durch eigene Handlungen ober Erwerb 
abelig werben koͤnne, für ebenfo unmöglich aber auch, daß der 
Sohn eines Gemeinen al8 folder, ober um jener Gründe mil: 
len, abelig fei, vielmehr verlangen fie den Verfluf einer gemif: 
fen Beit dazu. Sept man biefe Beit aber auch noch fo lang, 
fo wird ein Moment ſich nachweifen laffen, unmittelbar vor 
dem der Abel noch nicht vorhanden war, unmittelbar nach dem 


39 


er aber eintrat, wo alfo ber Gemeine, ober der Sohn bes 
Gemeinen abelig ward, was doch nach dem Obigen unmöglich 
ift. — 3 läßt ſich nicht Leugnen, daß biefer Gegenbeweis 
etwas vom Sorit® bat. — Berner widerlegt Dante noch, im 
Gommentar, Diejenigen, bie jene Meinung dadurch rechtfertigen 
wollen, daß fie zu genauerer- Beftimmung der Beit eine folche 
verlangen, in ber die gemeine Abftammung in Vergeffenheit ge: 
rathen ift, unter Anderem dadurch, daß diefe Vorausfegung zu 
dem wiberfinnigen Ergebniß führen würbe, je ungefchichtlicher, 
je weniger bad Andenken ber Vorfahren bewahrend, ein Wolf 
fei, defto leichter werde in ihm der Abel gewonnen. 

Wenn nun aber, fährt der Dichter fort, die Entftehung 
des Abels nicht in einem einzelnen Zeitmoment gefegt werben 
Tann, fo muß man, um ihren Urfprung aufzufuchen, immer 
höher binauffteigen, bia zur Gntftehung unſers Geſchlechtes. 
Folgt man hier nun den heiligen Urkunden, und nimmt nur 
einen Stammvater an, fo müffen alle feine Abkoͤmmlinge ente 
weber abelig ober gemein fein, und bamit ber ganze Stanbes= 
unterſchied zufammenfallen. Und fo wäre denn fein anderes 
Mittel, den legtern zu retten, ale ihn einen urſpruͤnglichen 
zu nennen, und mebre weſentlich verfchiebene Stammbäupter 
des Menfchengefchlechtes anzunehmen, was gleich fehr der Phi" 
Lofophie und Religion zuwider ift: 

Et tamen, ut longe repetas longeque revolvas 
Nomen, ab infami gentem deducis asylo. 

Majorum primus quisquis fuit ille tuorum, 

Aut pastor fuit, aut illud, quod dicere nolo. — Juven. 

Daf Dante bie gefchichtliche Vebeutung bes Adels vertennt, 
indem er 2bftammung und ererbten Reichthum (Grundbefig) 
nicht für Elemente beffelben gelten Laffen will, baf er mit ans 
dern Worten fubjectiv edle Gefinnung mit bem Abel ale Stande 
verwechfelt, liegt am Tage. Es fei hier geftattet, an bie 
Aeufierung eines neueren Rechtöphilofophen zu erinnern: „Das 
‚große, von eigener Arbeit freie, in ber Familie fortgeerbte Lands 
eigenthum ift die Grundlage bes Adels nad feiner wahren Ber 


80 


ftimmung, indem eg ‚auf ber einen Seite bag Intereffe ans 
Baterland, mithin an ben Staatsverband, unaufloͤslich befeftigt, 
auf ber andern Seite eine Gemeinfdjaft ber Generationen bes 
wirkt, bas ift eine Stammerinnerung, mit Welcher bie Familie 
in ihrer Gucceffion ſich ihrer Einheit bewußt bleibt, und bie 
für die Nation felbft zum Träger ihrer gefchichtlichen Crime: 
zung und Einheit wird.“ 

Ariftoteles, an ben Dante fonft fo vorzugsweife ſich 
anzufchließen liebt, gab tem Geſchlechtsadel und bem ererbten 
Reichthum größeres Gewicht, als der Dichter. ihnen hier zuge 
ſtehen will (Politic. I, 12, 13). Es fdeint, daß er fi in 
ben hier ausgefprodienen Anfiditen duch Acgidius  Colannna 
(De Regimine principum IH, 2, c. 8) und Thomas von 
Aquino, deren Argumente zum Theil genau mit benen des Did: 
ters übereinftimmen, bat leiten laffen, vgl. Ozanam Dante et la 
philosophie catholique p. 397. 98. — Mehr Bebeutung als 
in biefer Canzone und ben entfprechenben Stellen des Convito 
ſcheint der Dichter in der Göttlichen Komödie adeliger Abtunft 
beizumeffen. Buerft in ber Hölle (XV, 73— 78) ftellt Dante 
den ebleren Abkömmlingen altrömilcher Goloniften die neuere 
Bevölkerung von Florenz, wie fie von Fiefole und fonft herbei 
gefommen, entgegen. (Ugl. Inf. X, 45) Aebnliche Xeußerungen 
finden fi im Parabdiefe (XVI, 49). Ebendaſelbſt berichtet Cac⸗ 
ciaguiba, des Dichters Urahn, biefem über feine Vorfahren 
durch faft zwei Jahrhunderte, und einleitend fagt Dante: 

O poca nostra nobiltà di sangue, 
Se gloriar di te la gente fai 
Quaggiù dove l'affetto nostro langue, 
Mirabil cosa non mi sarà mai; 
Chè là dove appetito non si torce, 
Dico nel Cielo, io me ne gloriai. 
Ben se’ tu manto che tosto raccorce 
Sì che, se non s’appon di die in die 
Lo tempo va dintorno con le force, 


Sn 3. 10 bin id) der Lesart gefolgt, welche die Ausgabe 
von 1491, Giunta und meine Handfchrift im Tert des Convito 


8 


bieten, unb bie mit Dante'8 eigenem Gommentar am beften 
übereinguftimmen feheint. Meine Handſchrift in den Ganzonen 
und bie Ausgaben des Convito haben dagegen che sien (ober. 
che sian) tutti gentili. Die zuerft genannten Autoritäten Lefen 
in 3. 18 E voglio dire omai. 

Str. V. Erklärung: Am. conv., IV, 16—18. 

Nach Widerlegung ber Gegner begruͤndet ber Dichter in 
biefer und ben folgenden Strophen feine eigene Meinung über 
ben Abel. Anftatt nun zu biefem Ende ben Begriff des Adels 
allgemein aufzufuchen, und dann auf ben menfchlichen Adel ans 
zuwenden, verfährt er Inductionsweife, und ftellt gewiſſe Wir: 
tungen ber Tugend und des Adels als Ariome auf. Aus der 
nachgewieſenen Gleichheit diefer Wirkungen fließt er auf die 
Verwandtſchaft jener Urfachen, um endlich die Tugenden als 
abftammend vom Abel barzuftellen. i 

Die erſten acht Zeilen enthalten eine dem Ariftotele8 (Eth. 
ad Nicom, II, 2 und 6 pr.) entiehnte gemeinfame Bezeichnung 
aller moralifchen (operativen) Tugenden: „Zorv doa @ doer) 
es moomiperizi) tv peodrnio olaa.“ „Die Tugend ift ein 
wählender Buftanb, ber fi in ber Mitte befindet.” — Die 
folgenden fünf Zeilen (9—13) berichten, wie der Abel und wie 
die genannte Tugend für ben bamit Begabten gleiche Wirkung, 
nämlich 205 hervorrufen, und bie legten fieben (14—20) ent: 
halten die ſchon oben erwähnte Schlußfolge. — In 3. 16, 17 
ift nad) einer Trivulzio' ſchen unb einer Venetianer Handſchrift 
(8. Marco. 191) durch Umfegung ber Worte das richtige Vers 
maß hergeſtellt. In der Schlußzeile habe ich aus meinem 
Manuferipte, Giunta, Sermastelli und andern Beugniffen pre- 
supposto (.Heifchefag) fiatt per supposto ber neueren Aug: 
gaben aufgenommen. 

Str. VI. Grelärung: Am. conv., IV, 19—22. 

Der Dichter erläutert zunaͤchſt bie in ber vorigen Strophe 
aufgeftellte Behauptung, daß der Abel die Tugend in ſich ent: 
halte, aber auch ba fich finden fònne, wo ber Vegriff der 
Tugend auögefchloffen bleibe, durch das Gleichniß des Himmels 

40% 


und ber Sterne, und bas Beifpiel Derer, bie, ber Erkenntniß 
von Gut und Boͤſe, alfo ber oben gedachten Wahl, unfähig, 
fi dennoch edel benehmen, wie Kinder und Frauen. Aus bie 
fera Enthaltenfein der Tugenden im wahren Abel folgert er 
nun, daß jene aus biefem hervorgehen, mie bag Braun aus 
dem Schwarzen (bas feinen Urfprung noch burd) bie Verwandt⸗ 
ſchaft der Farbe verräth), möge man bie moralifcden Tugenden 
einzeln ober indgefammt betrachten wollen. Dabei ift bie eifte 
Beile unüberfegt geblieben; fie will fagen, nicht nur jede fpes 
cielle Tugend (ciascheduna virtù), fondern bas gemeinfame 
Weſen aller Tugend, nämlich die zur Gewohnheit gewordene 
Wahl des in der Mitte liegenden Guten, geht aus dem Abel 
hervor. 

So hat benn Niemand, ber nicht durch fein tugenbhaftes 
‚Handeln den Abel bekundet, auf beffen Namen einen Anfprud, 
ann er ſich auch des diteften Stammes rühmen: 

Tota licet veteres exornant undique cerae 

Atria: nobilitas sola est atque unica virtus. — Juven. 
Dt. auch Pg. VII, 121, 

Die legten Beilen ftellen bie abelige Gefinnung als ein von 
Gott unmittelbar ausgebende8 Geſchenk bar, welches er nur 
dann ertheilt, wenn bie übrigen bei der Erzeugung mitwir: 
tenden Kräfte ein volllommene8 Wefen bervorgebradt haben. 
Dante erwähnt in feinen Anmerkungen felbft eine verwandte 
Stelle des Guido Guinicelli: 

Fuoco d’ Amor in gentil cor #° apprende 

Come virtute în petra preziosa; 

Che dalla stella valor non discende, 

Anzi che 1 sol la facia gentil cosa, 
Der Liebe Flammen in der Vruft erwachen 
Sowie die n im eblen Stein. — 
Erſt muß die Sonn’ ihn rein und lauter machen, 
Dann legen Gaben bie Geftien' hinein. 

Go werden denn freilich nur Wenige fein, bie biefes Ge 
ſchenks fähig wären, und denen Gott.es ertheilt, biefen Wenis 
gen aber ift e8 ein Samen wahren Slides. 


83 


Diefe Strophe ift in unfern älteren Ausgaben auf bag 
wiberfinnigfte entftellt, und von mir ſchon beim erften Erſchei⸗ 
nen dieſes Buches im Wefenttichen ebenfo wie jegt, zum Theil 
nad Giunta, unb zum Theil durch befcheidene Gonjecturen 
reftituirt. Seitdem haben meine Handſchrift und die neueren 
Ausgaben (feit ber Mailänder) entſcheidende VeftAtigungen ges 
liefert. In Beite 19 ift die gewöhnliche, aud) noch von mir in 
ber erften Ausgabe und von Fraticelli in ben lyriſchen Gebichs 
ten befolgte, Lesart: Lo seme di felicità; bie alten Drude 
des Convito haben aber: Che ’n seme di fel. Hieraus hat 
Dionifi (Anedd. V, 154) gemadht Ch ‘è seme di fel, d.h. 
Wenigen leuchtet ein (s'accosta), daß ber Abel der Samen deg 
Gluͤckes ift. Accostarsi für einleuchten kommt auch anderwärts 
vor, 3. B. in Sacchetti's Nov, 191. T. III. p. 148 a. E. der 
Silveſtri ſchen Ausgabe: Dice il prete: Se Dio mi dia bene, 
chè .cotesta ragione molto mi s’accosta, In ähnlichem Sinne 
heißt vino accostante ein bebaglicher (füffiger) Wein. Vergl. 
Boccaccio Laber. d’amore Firenze, 1826. 12. p. 106. 

tr. VII. Grllärung: Am. conv., IV, 23— 29, 

Nachdem Dante in ben beiden vorigen Strophen bas Wefen 
des Adels bezeichnet hat, fohilbert er nun feine Wirkungen, 
gewiffermaßen die Fruͤchte bes oben erwähnten Samens. Diefe 
befteben aber in nichts Anberm als in dem für das jebesmalige 
Alter angemeffenften und würbigften Benehmen. Der Dichter 
bezeichnet dies für bie vier Menfchenalter im Ginzelnen, und 
theilt zu dem Ende unfer Leben in Jugend (— 25), Mannheit 
45), Alter (— 70) und Greifenthum. Die einem jeden 
entſprechenden Vollfommenbeiten beziehen fih im erften auf 
Bildung, im zweiten auf Reife, im dritten auf Gemeins 
mugen und im Legten auf Beſchluß; daher wird dem erften 
Alter nachgerühmt, es fei gehorfam, gefällig, ſcheu und wohl⸗ 
gebildet; dem zweiten, e8 fei Erdftig und boch gemäßigt, voll 
ebler Lieb’ und guter Sitte und in Allem redlich. Dem Alter 
wird Klugheit, Gerechtigkeit, Freigebigkeit und Leutfeligleit zus 
geſchrieben, und das Greiſenthum dadurch empfohlen, daß es 





84 


feine Gedanken allein zu Gott wendet und freudig auf die Ver: 
gangenbeit zuruͤckblickt. Won den vier Cardinaltugenten wer 
den baher zwei, nämlich Stärke und Mäßigkeit, ald bem Man: 
nesalter befonder8 geziemend hervorgehoben; zwei andere dage: 
gen, Weisheit und Gerechtigkeit, legt der Dichter dem fpäteren 
Alter: bei. Die übrigen unter ben erwähnten Vorzuͤgen ent: 
ſprechen größtentheils den von Dante im Convito IV, 17 nad 
Ariftoteled aufgezählten moralifchen Tugenden. — Der Gebante 
ber 17ten Beile kehrt mit benfelben Worten im Purg. XXIII, 
81 wieder. 
Echiußſtrophe. Crtldrung: Am. conv., IV, 30. 


Um den Zufammenhang ber Erklärung ber brei Canzone 
des Convito nicht zu unterbrechen, ift der. Roſſet ti'ſchen 
Deutungen im Obigen nicht gebacht worden. Seiner Meinung 
nach (Comento analit. II, 431—37) hätte Dante das Convito, 
nadibem durch Heinrich's Tod alle feine Hoffnungen febigefdia: 
gen waren, verfaßt, um bie Florentiner Guelfen zu überreden, 
feine älteren Gangonen, deren ghibellinifcher Geheimfinn, von 
Xielen errathen worden mar, haben Iebiglich ber Philofo: 
phie und nicht der Politik gegolten. Zugleich aber fei diefer 
Commentar beftimmt gewefen, den Ghibellinen anzubeuten, daß 
der Dichter, dem Scheine zum Trotz nod ganz der Ihrige fe. 
— Man muß geftehen, daß Dante zu jenem erften Zweck bad 
Mittel feltfam gewählt hätte, ba der vierte Trattato, bie in 
der Monarchie auögefprochenen, durchaus ghibellinifchen Geſin⸗ 
nungen in aller Strenge wiederholt. 

Die drei Canzonen, bie der Dichter im Convito commen: 
tirt, follen nach Roffetti (Spieito antipap. p. 131, 339, 346) 
den brei Gantichen der göttlichen Komoͤdie entfprechen; jedoch 
in umgefehrter Orbnung, fobaf die legte bas Inferno repri: 
fentirt. Dabei fol, was mit Roſſetti's eben angeführter 
Anficht ſchwer zu vereinigen fein dürfte, Dante mehrfach. aus: 


85 


fprechen, ober anbeuten, wie mibermillig, er fich entſchloſſen 
babe, in ber göttlichen Komoͤdie feine wahren Gefinnungen zu 
verhüllen. Giner andern Stelle zufolge (Comento anal, I, 119) 
beftänbe eine noch fpeciellere Beziehung zwifchen ber legten 
Gangone und bem vierten Gefange der ile. 

Die erfte der drei Ganzonen ift nad Roffetti an bie 
Principi della pietà gerichtet (Spir. antip. p. 162, 63, 346); 
das foll aber auffallender Weife nicht heißen: die Vorfediter 
des Guelfentgums , fondern bie geheimen Gbibellinen. 

Die legte unter ihnen ift nach ber Annahme diefes Inters 
preten unter Albrecht von Deftreid) (Comento analit. II, 411) 
zu einer Beit gebichtet, wo bas Raiferthum fich von Italien 
unb den bortigen Ghibellinen abgewandt hatte (Spir. antipap. 
p. 154, 241, 337). 

Die Donna gentile, deren Lob biefe Lieder fingen, ift 
(Spir. antipap. p. 169) nichts Anderes, ala bie eigene Seele 
des in den Geheimbund eingeweihten ghibellinifchen Garbonaro, 
und ber Zweck der Liebe volle Bereinigung mit bem geliebten 
Gegenfland (9). 


Fünfte Canzone. 


Die unheilbare Krankheit, an der die Liebe unfer8 Did: 
terè leidet, welche den Gegenftand ber gegenwärtigen Gebichte 
ausmacht, ift bie Hoffnung, von der Wiffenfchaft Vefriebigung 
bet Seele erringen zu koͤnnen. Spaͤterhin freilich, in der 
Goͤttlichen Komdbie, erkannte und bereute er diefen Irrthum: 


— „Se potuto aveste veder tutto, 

Mestier non era partorir Maria. ‘ 
E disiar vedeste senza frutto 

Tai, che sarebbe lor disio quetato, 

Ch’ eternamente è dato lor per lutto. 


Io dico d’ Aristotele © di Pinto 
E di molti altri:“ e qui chinò la fronte, 
E più non disse, e rimase turbato, (Purg. III, 38 59) 


In diefen Gebiditen gelangt er aber nie bahin, zu erken⸗ 
nen, daß im Innerften der menſchlichen Weisheit felbft die 
unzulaͤnglichkeit liegt; ec fut ben Grund bes Unfeiebens, ben 
er, ftatt der Beruhigung, in feiner Liebe gue Philofophie fin 
det, in immer andern Sufdlligleiten, bald in feiner eigenen 
unkenntniß, bald in ber vorübergehenden Härte der Geliebten, 
kurz in Hinderniffen, die früher ober fpäter hinwegfallen, und 
dann den befeligenden Strahl ihrer Augen enthüllen werden. 
Klagen bdiefer Art begannen das vorige und beendeten das vor: 
vorige Gedicht; befonder8 merkwürdig aber find ein Paar Aeu: 
$erungen des Convito (III, 15, und IV, 12, 13), in welchen 
die unzulaͤnglichkeit der Philofophie, obgleich Dante fie noch 
beftreitet, doch als vorgeahnt ſich quefpribt. Wie fann man, 
wirft er an jenen Stellen ſich felber ein, die Philofophie voll: 
tommen nennen, wenn Sie bi ing Unenbliche wachſenden Durft 
erweckt und unfern Geift am Ende bienbet, ftatt ihn gu erhels 
ten? Darauf antwortet er: jener Durft kann nicht ein fort: 
während gefteigerter genannt werden, fondern bie Wiſſenſchaft 
befriebigt den erften, bem alsbanif nur in andern Richtungen 
neued Verlangen nadifolgt, und wenn bie Weisheit an fih 
auch über den Verftand ber Menſchen unendlich hinausreicht, fo 
flößt Sie doc; dem Einzelnen kein größeres Verlangen ein, alt 
das, für welches feine Fähigkeit bie Befriedigung faffen fam. 
Was bie legte Behauptung betrifft, fo lehrte, wie bie Goͤtt⸗ 
liche Kombbie beweift, unfern Dichter feine eigene Erfahrung, 
wie fie für die Phitofophie ebenfo unwahr, als für bie Reis 
gion wahr fei (Par. II. 70—90). 

Aber ſchon in diefer Canzone zweifelt er an ihrer Wahrheit 
unb fürdhtet, daß feine Liebe, b. h. fein angefpanntes Borfden, 
auf ein Biel gerichtet fei, bag gu erreichen bie Kräfte de 
menfchlichen Geiftes nicht vermögen. Nod aber hofft er auf 
der Liebe Lohn, noch vertraut er darauf, daß vermehrte Kennt: 


87 


niß und rafttofes Schauen in die Augen ber Gelichten, im ſchon 
oben gebeuteten Sinn, feinen Blick genügend fchärfen werben, 
um bie Beruhigung zu entbedien, welche bie Philofophie auf 
alle Fragen bietet, unb die nur ec gu kurzſichtig ift ſchon jest 
zu entziffern. — Gitirt wird die gegenwärtige Ganzone vom 
Ottimo Pg. XXX, 37. 

Die erfte Beile erinnert auffallend an Purgator. XXX, 
39. — 3.4 left bie Marcianer Handſchrift (191) leichter: 
sempre s’avanza, — 3.7 hat mein Manufcript, vieleicht ride 
tiger, faccia ciò ch’ io voglio. Lyell'8 Ueberfegung fagt: Ih 
wünfche nicht, daß Liebe mehr bewilligen möge, als id) begehre, 
— Die legte Zeile lautet in einer Variante bei Giunta (Porta 
conf., ov. sente am.) unb in meiner Handſchrift (Porta conf. 
dovunque è Am.) allgemein, ohne befondere Beziehung auf ben 
Dichter: Die Augen der Philofophie (ihre Demonftrationen) 
bringen Troſt (Befriedigung) überall bin, wo Liebe (zur Er⸗ 
Eenntniß) ift. Ich bin geneigt, biefen Sinn für den richtigeren 
zu halten. Richt figlio zu zechtfertigen ſcheint mir die von 
BGraticelli aufgenommene 2esart: senta, 

Die zweite Strophe fpribt bas Bewußtfein eines alts 
begründeten Umganges mit der Philofophie aus. — 3. 4 hat 
Fraticelli nad einer Variante bei Giunta: E sanno lo 
cammin, fie kennen ben Weg, auf dem fie fchon öfter ein» und 
ausgingen. — Die Ste bis I0te Zeile madt Schwierigkeiten, 
und gibt nad) ber gewöhnlichen Interpunction gar keinen Sinn. 
Ich interpungire großentheils nach Giunta und erkenne in 
diefen Zeilen bie Ueberzeugung bes Dichters, daß auch der Phis 
loſophie damit gebient fein muffe, Ihren Preis und Ihre Wahr: 
heiten durch ihn verkündet zu fehen. Leuchten mir Ihre Augen, 
Ihre Lehrfäge ein, fo begluͤcken fie mich; entziehen fie ſich 
meinem Berftändniffe, fo bleibt jenes ber Philofophie erwuͤnſchte 
Biel unerreicht. 

Gott ift fo viel an mir, als mir an ihm gelegen, 

Sein Weſen bell id) ihm, wie ev das meine hegen. 

Angelus Sileſius. 


88 


In 3. 8 lieſt die erwähnte Marcianer Handſchrift Sicchè. 
Das cui ber Sten Zeile nimmt die Crusca (h. v.) für den 
Genitiv, Monti (a. a. O. I, 2, p. 199) aber (in gleichem 
Sinne) für den Dativ; beide ftimmen indeß barin überein, daß 
sono bie erfte Perfon Singularis fei: Die Augen bringen Der: 
jenigen Nachtheit, der ich gehöre. Ebenſo auch unfer Weber: 
feger. Vieleicht wäre e8 aber richtiger, bie britte Perfon 
Pluralis zu verfteben: Der fie (die Augen) angehören. Cine 
andere Marcianer Handfdrift (63) hat quella cui mi son. 

In 3. 10 hat eine Hanbfdrift (8. Marc. 191) deutlicher 
dai miei, vor meinen Uugen. Das poi berfelben Zeile ift wol 
richtiger caufal, für poichè zu nehmen: ‘Denn fo ſehr liebe 
ich fie. 

Die legte Hälfte diefer Strophe und die erfte der brit: 
ten bezeugen uns, wie uneingefchränkt der Dichter bem Dienfte 
der Geliebten fich weiht. Dabei fagt Dante, wenn er glauben 
müßte, feiner Herrin zu dienen, indem er Ihr entfagte, fo 
würbe er bereit fein, auch bas zu thun, fo gewiß es ihm ben 
Tod brädte. Suchen wir den allegorifchen Sinn zu entbeden, 
den Dante in biefe Worte legen wollte, fo dürften wir ben 
Ideenzuſammenhang mit ben eben nachgewiefenen Gebanken 
leicht erkennen. Sollte nämlich jenes Selbftvertrauen ihn taͤu⸗ 
fen, meint der Dichter, und follte fein Mund, wenn er bie 
Herrlichkeiten ber Philofophie verkünden will, Sie  entftellen, 
ftatt Sie zu preifen, fo würde er, aus Liebe zur ewigen Wake: 
heit, auch auf diefe Freude verzichten. Der Ausfpruch der Aten 
bis Gten Zeile deutet auf Evang. Joh. XV, 13. Koffetti 
(Comento II. 385) verftebt ihn in gewohnter Weife von dem 
ſchweren Opfer, das der Ghibelline bringen müffe, wenn er 
fi, um bem Kaiſerthum recht zu bienen, guelfifch gefinnt 
ftelle. 

Die zweite Hälfte diefer Strophe, welche bie Freudigkeit 
ſchildert, mit welcher Dante feiner Geliebten dient, erläutert 
fich leicht aus bem Obigen, und in den legten brei Zeilen ift 
die ebenfalls ſchon berührte Hoffnung ausgefprochen, durch forte 





89 


ſchreitendes Studium und erweiterte Kenntniß, wenn auch erft 
nach langen Jahren, vermehrten Lohn zu empfangen. 

Piacimento (3. 9) für Object des Gefallens (Schönheit) 
kommt u. A. aud in Ber Dante zugefchriebenen Ganzone Poscia 
ch’ i ’ho perduto ogni speranza XIX vor. 

In ber 10ten Zeile weichen Handſchriften und Ausgaben 
vielfach von einander ab. Ginige haben: Che nel viso d'ogni 
beltà, ober Nel viso in cui ogni beltà, andere Che nel bel 
viso d’ogni ben. — Die in unferm Zerte beibehaltene Lesart 
ließe fic vielleicht and) beuten: Durch bie Kraft der Schönheit, 
die in dem febbnen Antlig (ber Geliebten) aus Allem, was 
fonft ſchon ift, zufammengefaßt erfcheint. 

Die Ilte und 12te Zeile heißt wörtlich: Ich glühe, und 
bedenke id für Wen, und welcher Art Sie fei, fo bin ich 
beffen froh. — 3.12 lautet in ber Marc. Handfehrift 191 Teiche 
ter: Qual colei sia, bei Giunta wie in unferm Test; bie 
meiften Anbern haben: Qual ch’ ella sia. 

Die vierte Strophe preift die Liebe des Dichters nad 
ihren Früchten. — Was für ein befonderer Wunfd, der 
aus jener Liebe hervorgegangen ift und ihm allein ſchon genüs 
gender Lohn duͤnkt, hier gemeint fei, hätten wir freilich am 
beften aus Dante'8 eigenem Gommentar erfahren; doch möchten 
wir nicht allzu fehl greifen, wenn wir das Streben nad) ben 
moralifchen oder operativen Tugenden (Gang. IV, Str. V, 3. 
3, 4) darunter verftehen. Hiermit würde denn auch der fols 
gende Gebanke genau zufammenhängen. Wenn ber Dichter 
fi nämlid einen Diener der Geliebten nennt, zugleich aber 
zweifelt, ob fein Buffand ein Dienft zu nennen fei, fo denken 
wir daran, wie jene Tugenden ein Zwang, ber bie entgegens 
gefegten ſuͤndlichen Neigungen bekämpft, zu fein feinen, 
wie aber bie Philofophie.eben in ihnen die wahre Freiheit des 
Willens erkennen lehrt. „So geſchieht bas Dienen, Dank ihrer 
‚Huld, vor ben Augen des Wohlgefallens“; es fällt mit dem 
eigenen Verlangen fo ganz zufammen, daß es nicht mehr ale 
Dienen erſcheint. Lyell verfteht biefe Zeilen fo: Dienft vere 


wandelt ſich in Sohn, wenn er mit Augen des Vergnuͤgens von 
ber Güte der Herrin angefehen wird. Genauer ben Worten 
entfpredend wäre jedenfalls folgende Deutung: So wirb dad 
Dienen (welches gefchieht) vor ben Augen meiner Freube (ber 
Geliebten) zum Lohne fremder Güte (der Güte der Geliebten). 
— Die Schlußzeilen (11-16) endlich ‚fprechen aus: nicht um 
eigenen Berbienftes willen befleißige ber Dichter fich guter Werke, 
fonbern bamit die Hörer an ihm, bem Verkuͤnder der Weisheit, 
auch zuerft ihre Früchte feben könnten. 

Löfen wir bie Gedanken ber fünften Strophe (3.:7 ff) 
von ihrer allegorifchen Darftellung, fo fagt Dante, jeber new 
Bweig ber Philofophie, den er fiubirend ergreife, mache ihn 
mit neuen Reigen ber Geliebten befannt. Zugleich aber treten 
ihm mit jeder Arbeit neue Bedenken und ungelöfte Zweifel ent: 
gegen, die ihn quälend befchäftigen, bis er, einigermaßen über 
fie beruhigt, abermals aus der Fülle Ihres Reichthums Welch 
zung fhöpft. — Die erften drei Beilen heißen wörtlich: Nur 
Liebe fonnte mid zu einem Solchen machen, der würbig ift, Gie 
genthum jener Herrin zu fein, welche felber niemals Liebe fühlt. 

Die fechfte Strophe fehlt in den gewöhnlichen Handſchriften 
und Ausgaben und ward erft von Gorbinelli in einem alten 
Manufcripte ber Dante’fhen Ganzonen aufgefunden und im 
Anbange feiner Ausgabe ber Bella mano ebirt. An ihrer Ccht⸗ 
beit kann nicht gezweifelt werben; auch frebt fie in einer Mars 
cianer (191), einer Palatinifhen (Nr. 199) und einer Riccore 
di ſchen (1050) Hanbfchrift, während ein Manufcript der Ma: 
gliabecchianiſchen Bibliothek (Cl. XXI, cod. 85) fie alè Schluz 
umferer zwölften Ganzone bietet. Es fpridt diefe Strophe den 
Gedanken aus, ben auch das Amoroso convito ſchon berührt, 
daß e8 nur Entweihung der philofophifchen Ambrofia wäre, 
wollte man fie Denen vorwerfen, die ihren bimmlifchen Wohl: 
geſchmack nicht zu faffen vermögen, deren Gemüther, ſtatt der 
Weisheit offen zu ftehen, nur an ben Gemeinheiten der Melt 
bangen. Wol aber, fagt der Dichter, wird e8 bem Freunde 
ber Weisheit zu Seiten gelingen, Diejehigen für ihren Dienft 


91 


gu gewinnen, bie für ihre Freuden zwar empfaͤnglich find, aber, 
tere geleitet, lange Zeit hindurch mit fchlechter Gefellichaft fi 
gemein machten. 3. 3, wo fonft Tanto, quanto alla gelefen 
ward, ift um bes Wohllautes willen nach der Riccardi'ſchen 
anbfdirift (1050) berichtigt, und aus gleichem Grunde 3. 5 
nad) ber Marcianer (191) Diletta für Dolce gefegt worben. 
3. 10 lautet in ber Gorbineli’fhen Ausgabe und als Hands 
variante ber Marcianer Handſchrift Se vuoi saper qual è la 
sua persona, Sn 3.11 lefen ftatt camera tiene andere Hands 
füriften carriera tiene, oder corrieri viene. — Disdetta in 
3.13 ift boppelbeutig; e8 fann heißen: Manche ſtuͤrzen fich in 
Geſellſchaften, die weiter keine Frucht bringen, als die Nöthis 
gung, übelen Gerüchten, bie über fie verbreitet find, zu wibers 
fprechen; oder auch: bie nichts als den Nachtheil (vgl. Crusca 
6. 1) übelen Seumundes bringen. — Ebenſo kann 3. 15 vers 
ftanden werben: leihe dem MWöfen nicht deinen Geift und beine 
Kunft; oder auch: laß weber burd) Geift nod) durch Kunſt dich 
bewegen, mit ben Böfen zu: weilen. 

Die fiebente Strophe, die in ben alten Ausgaben fid uns 
mittelbar an bie fünfte ſchloß, ift offenbar den Gebanfen nad 
mit unferer ſechſten verwandt, nur perfänlicher als biefe gehals 
ten. Aud fteht fie der Form nad in ber Beziehung zum 
gegenwärtigen Gebicht nad), daß fie, wie dies bei ben Schluß— 
ftrophen (licenze, tornate oder commiati) ber Dante'fchen Ganz 
zonen, wenn diefelben nicht den nämlichen Bau haben, wie bie 
übrigen, immer ber Fall ift, der Gonftruction der zweiten 
Hälfte (Sirima) biefer legten genau entfpricht. Entweder alfo 
bat Dante ums zu derfelben Canzone zwei Schlußſtrophen bins 
terlaffen, wie wir in ber vita nuova ein Gonett (18.) mit zwei 
Anfängen befigen, ober vieleicht ift dies auch der Schlußvers 
einer verlorenen patriotifdjen Canzone. Id geftehe, daß ich 
die tre men rei, vermuthlich. Guelfen von der ſchwarzen Pars 
tei, fo wenig zu nennen weiß, alè bie due giusti des fechften 
Gefanges ber Hölle. Roffetti (Com. I, LV) und [Mendels- 
fohn] Bericht über Roſſettis Ideen, S. 30, deuten indeß den 


92 


dritten auf Guibo Cavalcanti. In 3. 3 ift das Berftändnig 
leichter, wenn mit ber Marcianer Handfchrift (191) und in 
Palatiniſchen (199) 1 terzo fatt l’altro gefegt wird. — In 
3. 6 muß prove bie britte Perfon fein; denn ala zweite würde 
es nicht mit bem prove ber dritten Zeile reimen duͤrfen. Der 
Sinn ſcheint alfo zu fein: fage ihm, bevor er in Gemeinfchaft 
mit den Böfen auszieht, um den Gieg zu verſuchen u. f. w. — 
3. 9 dagegen bietet erft die von und aufgenommene Lesart eis 
ner Riccardi (den Handſchrift (1100) einen zureichenden Sinn: 
thöricht ift, wer aus Furcht vor Schande bei den Thoren vers 
harrt; die wahre Schande ift Gemeinfchaft mit den Böfen; die 
rechte Furcht vor ihr alfo, diefe zu meiden. — Andere Hands 
ſchriften und Ausgaben lefen: Che quegli teme, ober Che 
quel sol teme. . 

Den Gebraud) des curare ftatt procurare in ber Schluß 
zeile bat aus andern Veifpielen gegen die Crusca ſchon richtig 
nachgewiefen: Monti a. a. Orten I, 2, S. 202, deffen Bor: 
flag, creare zu lefen, mir unnöthig zu fein ſcheint. Andere 
leſen: l’altro assicura, oder I’ altro il sicura. 


Die ſechſte Canzone 


führt ben Gedanken, mit bem bie vorige anhob, - weiter aus, 
indem fie auf das Andenken an Beatrice zugleich noch einmal 
zuruͤckblickt. Es ift aber nicht mehr bie bloße Trauer über bie 
eigene Unfähigkeit; der Dichter macht der Geliebten hier fchon 
Vorwürfe, daß fie die Verbeifungen Ihrer Augen nicht erfüllt 
babe, und Sich mit Trofte in fein Herz gefchlihen, um ihm 
nun graufamen Tod zu geben. Diefen Tod und feine Bor: 
ahnung in Dante'8 friberm Leben befchreibt der größere Theil 
des Gedichtes. Unter Denen, die ſich über den Sinn dieſes 
Gebichtes ausgefprochen, deutet nur Buttura durch Verwei: 
fung auf das 19te und 20fte Sonett der vita nuova an, daf 
er es in dem eben auögefprochenen Sinne verfteht. 

Sehr verfchieden ift biefe Canzone von Deynhaufen 


93 


(„Das neue Leben“, S. 119) verftanden worden. Nad) ibm 
bildete fie einen Webergang von ber vita nuova zum Convito, 
d. h. von der irbifchen Liebe, die nur ein Symbol der himm⸗ 
liſchen ift, zum beſchaulichen Leben, das ſich der icbifchen Liebe 
nur als einer Allegorie bedient. Die brei erflen Strophen bes 
zoͤgen fich noch auf die Veatrice des Neuen Lebens, in ber Aten 
und Sten wäre das Verklaͤren der Geliebten, bas Abfterben für 
alles Irdiſche verfucht, und enblidà in der Gten Strophe bie 
febbne Zröfterin des Convito eingeführt. Cine Wiberlegung 
fheint nicht nothwendig, da der deutliche Zufammenhang des 
ganzen Liedes einer folchen Trennung widerſtrebt. 

Biscioni, Keil, Fraticelli und Körfter beziehen das 
Gedicht auf die vita nuova, an welche einzelne Ausbrüde allerdings 
in auffallender Weifd erinnern. So wird gleid) in den Anfangss 
morten jenes Buches die Erinnerung libro della memoria, wie 
bier libro della mente genannt. Weiterhin fagt Dante von dem 
erften Erblicken Beatrice's, ala er neun Jahr alt war (wie 
hier: la mia persona parvola), lo apirito della vita cominciò 
a tremar si fortemente, che appariva ecc. und ebenfo heißt 
es bier: lo spirito maggior tremò sì forte, che parve ben 
ecc. (Endlich wird dort (Gap. 14) gefagt: li miei spiriti — 
si lamentavano forte und hier: Gli spiriti piangon tuttavia. 
Zrog biefer Aehnlichkeit halte ich es indef für irrig, in der 
Dame ded gegenwärtigen Gebichtes die Beatrice ber vita nuova 
zu finden. Zunaͤchſt ergibt fich dies, wie mid) duͤnkt, ſchon aus 
dem ganzen Zone. Das neue Leben felbft und die vereingelten, 
ibm anzureihenden Poefien tragen gleichmäßig den Charakter 
Eindlicher Einfalt und Breite, während gerade die gegenwärtige 
Canzone dur; Prägnanz und Goncifion bes Ausbrudes noch 
vor ben übrigen ſich auszeichnet. Sodann fennt die vita nuova 
feine zürnenden Klagen über bie Geliebte, wie fie in biefem 
und in vielen andern Gebichten des gleichen Cyklus fo häufig 
vorkommen. Endlich aber ſcheint mir die vita nuova ſelbſt 
Hintängliche Andeutungen zum Verftdnbniffe dieſer Canzone und 
zur Bezeichnung ihrer Verfchiedenheit von bem Inhalte jenes 


94 


Werkes zu enthalten. Die zweite, britte und vierte Strophe 
unferes Gebichtes ſchildern, wie die anima durch das Bild der 
Geliebten, welches Amor in bie mente eingeführt, vertrieben 
wird und ſcheidend ſich noch einen Augenblid in das Herz, dem 
fie früher vermählt war, flüchtet. Nun fagt aber bie vita 
nuova (Gap. 14): L’una parte chiamo cuore, ed è l'appetito 
(d.h. das Wohlgefallen an ber fchönen Dame, bie dem Dichter 
nad) Beatrice" Tobe erfcheint), l’altra chiamo anima, cioè la 
ragione (b. h. bie treue Erinnerung an Beatrice). So fehen 
wir benn auch in biefem Gedichte querft die Augen von ber 
neuen Liebe gewonnen; bann wird bag Herz verwundet und 
durch Verbeifungen von Frieden und Troſt beftochen. Indem 
aber bas Bild ber Geliebten von ber mente Vefig nimmt, wird 
die anima, die noch immer nur ber Beatrice gehört, aus ihrem 
alten Wobnfig vertrieben. Uebereinſtimmend bamit erkennt in 
der fechften Strophe bie virtus intellectiva vorahnend, daf 
das Verlangen (disfo) an die Stelle der erften Geliebten (una 
ch? io vidi) biefe neue Gchönheit (la bella figura) einführen 
werbe. 

Str. I, 3. 3 wird von Fraticelli ganz irvig verfan- 

den. Seiner Anficht nad) bezöge fich biefe Canzone auf bie 
‚ Beftrebungen des Dichters, durch anfcheinende, andern Damen 
gewibmete, Huldigungen die Aufmerkfamkeit ber Welt von fer 
ner Liebe zu Beatrice abzuziehen, und die hier erwähnte pietà 
wäre von dem erwünfchten Entgegentommen foldher, nur ſchein⸗ 
bar verebrter, Frauen zu verftchen. Richtiger fagt Dante nur, 
fein Leiden fei ein fo gewaltiges, daß er felber Mitleid mit fih 
fühle, und daß bies Mitleid ihn kaum minder al8 bag Leiden 
felbft ergreife. — 3.6. Sezza’ fteht für sezzajo (ungefähr wie 
Inf. Gef. VI, 79, fiatt Tegghiajo auch Teggbia’ und Par. 
XV, 110, Uccellato’ ftatt Uccellatojo ausgefprodjen werben 
muß, vgl. auch Purg. XIV, 66), und heißt, der Legte, wie ef 
in gleichem Sinne Par. XVIII, 93 vortommt. In ben Mona: 
fezipten pflegt sezzajo geſchrieben zu fein. Val. Vitali Let 
tera a M. Colombo, p. 29 und Rannucci Manuale Vol. II, 


3 


p. LIV. — Das Herz ift in der Tten Zeile und ferner in dies 
fem Gedichte nicht allein ale der Sig des Liebenden Gefühles 
(im Gegenfag der anima),Yffondern aud ale ber bes irdiſchen 
Lebens gebraucht. 

Str. II. Der Gedanke diefer Strophe ift: Troſt und 
Befriedigung verbiefen bie Augen ber Geliebten nur fo lange, 
bis fie ihres Sieges und meiner Ergebenbeit gewiß waren; 
dann vermanbelten fie ihre einlabende Freundlichkeit in Strenge 
und ließen mic ihre Strahlen nicht mehr ſchauen, unbekuͤm⸗ 
mert, ob meine Geele, jedes Troftes beraubt, nun ber Vere 
gweiflung zu Theil würde. — Anima (3. 11) entfpricht bem 
deutfchen Seele und fteht, wie gefagt, dem Bergen, rel: 
ches das animalifche Leben und die neue Siebesregung bezeiche 
net, gegenüber. Die geiftige Form ſcheidet von dem belebten 
Stoffe, bem fie auf Erben vermählt war, ober im tieferen 
Sinne: die von Beatrice erfüllte Seele, welche das ‚Herz bis 
dahin lenkte, ſcheidet nun von diefem, verbrängt durch das Bild 
der neuen Geliebten. — In 3.9 ift, um den Hiatus fu vermeis 
den, mit ber Marcianer Handſchrift (191) sol Hinter poi eine 
gefchoben worden. Gin neuerworbenes Manufcript derfelben 
Bibliothek fest ftatt deffen pur. 

Die dritte Strophe befchreibt ben Abſchied der Seele 
‚von dem Herzen zart und innig. Sie fucht den legten unten 
des für fie fchon faft erfforbenen Herzens auf und ſcheidet une 
gern von ben Gliebern, die fie lenkte; fie fann nicht aufhören, 
die Lebensgeifter zu umarmen, bie, ſchon Eraftlos, nun balb 
verlofchen fein follen: 

Poscia l’ultimo sguardo al corpo affisse. 
Già suo consorte in vita — — — 





Dormi in pace, dicendo, o di mie pene 
Caro compagno, infin che del gran die 
L'orrido squillo a risvegliarti viene, 
Monti. 
In 3. 3 habe id) das scaccia meines Manufcriptes bem 
gewöhnlichen caccia vorgezogen. 





rog biefes Kampfes und biefer Schmerzen, fagt die 
vierte Strophe, ift bie graufame Geliebte noch immer bie 
Gebieterin bes Geiftes und fühlt kein Crbarmen wegen deg 
Leides, das Sie geftiftet, vielmehr fpottet Sie ber Seele, bie 
ihrer Macht jegt weichen muß. Nod empfindet das Herz bie 
ganze Macht der alten Liebe, wenngleich bag gänzlich ent: 
Eräftete aud) die Qualen nicht mehr im früheren Mafie zu 
fühlen vermag. Diefen legten Gedanken deutet Deynhaufen, 
wie mid) duͤnkt fehr gefucht, dahin, „daß einiger Troft in bier 
fem Zurüdgiehen in fich felbft fei, indem ber Reiz und bag 
Woblgefallen an dem dufiern Leben ſich allmälig verliere.” “ 

3. 3 fegen das Palatiner und mein Manufeript und eine 
Variante bei Giunta che fü für ch’ era, was mir indeß ben 
Vorzug nicht zu verdienen ſcheint. Dagegen habe id) 3. 10 
nad) zwei Hanbfchriften der Marcusbibliothet (63 und 191) 
grida ftatt gridò aufgenommen. 

Das libro della mente (Bud) der Erinnerung) der fünften 
Strophe, 3. 3 und 10, erinnert außer der ſchon angeführten 
Stelle der vita nuova auch an Par. XXIII, 14. Deynhau 
fen verftebt biefe Strophe von Beatrice, bie nächfte aber 
von der Dame bes Convito; offenbar befchreibt indeß diefe 
die Borahnung, welche ben Dichter ergriff, als bie Geliebte 
zuerft das Licht der Welt fah, die fechfte aber ſchildert feine 

"Gefühle, als er fie zum erften Male erblickte. Deſſenungeachtet 
macht Fraticelli den gleichen Fehler. — Sollen wir eine alle: 
gorifhe Deutung biefer beiben Strophen verfuchen, fo muͤſſen 
wir wol in der erften unter bem Dichter bad ganze Menſchen⸗ 
geſchlecht verftehen, das fi vorabnend feiner Fähigkeit zur 
Erkenntniß bewußt wird, in der zweiten aber bas wirklich ges 
worbene Streben darnach angedeutet fehen. — Che vien meno 
der 3. 3 beziehen Deynhaufen, unfer Ueherfeger und Ly e tl auf 
das Gebdditnif (libro della mente); mir ſcheint indeß richtiger 
gebeutet werben zu müffen: bas Gedenkbuch des Geiftes, ber 
erftirbt. — 3. 9 bieten die Palatiner Handſchrift und Giunta 
die beachtenswerthe Variante luce fiatt voce. — Die Schluß⸗ 


9 


zeile weiß ich fortwährend noch nicht genügend zu deuten. — 
3. 11 bleibt zweifelhaft, ob lo spirito maggior (ber Lebens: 
geift) für gleichbedeutend mit der virtù, che ha più nobilitate 
in Ste. VI, 3. 4 zu halten fi. — Quei in 3. 14 kann nur 
Amor fein, ber bie Alles (questo) in Berwegung gefeht hat. — 
Nach der eben fo finnreichen, als von ber meinigen abweichen 
den Deutung eines meiner gelehrten Freunde repräfentirte ber 
Dichter in diefer Strophe (mie in ber göttlichen Komoͤdie) bag 
gefammte Menſchengeſchlecht. Beine Herrin, die Philofophie, 
entfpräche, in ähnlicher Weife, wie in den Schlußgefängen bes 
Purgatorio ber menfchlichen Erkenntniß des Guten und Böfen. 
Der Tag, wo biefe in die Welt gefommen, wäre alfo ber des 
Sünbenfalles, und ber Gebante ber legten drei Beilen fo zu 
parapbrafiren: e8 leuchte ein, daß durch bas Erfenntnifver= 
mögen ber Zob in die Welt gefommen fei; weshalb jegt eben 
jenes Vermögen feine fündhaften und unbeilbringenten Beftres 
bungen felbft bereue. — Auch nad biefer Erklärung ließe ſich 
inbef 3. 7 wol nur fehr gezwungen von ben Schranken logiſch 
geregelten Denkens deuten. 

„Die Kraft, die höchfter Adel ſchmuͤckt“ in ber ſechſt en 
Strophe, 3. 4, ift wol unbezweifelt das Erfenntnifivermbgen 
(virtà intellettiva) unb „die frühere” ber Ilten Beile Vea⸗ 
trice, wie fon Deynhaufen bemerkt hat. 

Daß in der fiebenten und ben vorhergehenden Strophen 
die angeredeten Frauen, wie in frühern Ganzonen, ber Speculation 
fähige Seelen find, bedarf nicht erft der Erwähnung. — 3. 2 
ſchreibt die Palatiner Handſchrift und die ditefte Ausgabe flatt 
bellezze vielleicht richtiger bellezza. Die legte Beile, in ber 
unfere Ausgaben lefen: che men ha colpa, ift nad) einer 
Marcianer Handfehrift (No. 63) der Ausgabe von 1491 (beide 
haben: me ne ha) und Dionifi berihtigt. Mein Manufeript 
und eine Ranbvariante des Marcianer Coder (191) bieten mena. 
Im Zerte tieft bie legtere men na und eine neu acquirirte 
‚Handfchrift derfelben Bibliothek gar: mena colpi. 

Dante, Lyriſche Gedichte. II. 5 


98 


Zum befferen Verſtaͤndniß ſchien es mir zweckmaͤßig, eine 
ueberſetzung ohne Reime beizufügen: 


So übel reut e& meiner felber mich, 
Das eben fo viel Schmerz 
Das Mitleid mir gemähret, alè die Qual; 
Denn, ad, id fühl’ es, wie fich unter Leiden 
Und wider meinen Willen 
Der Hauch bes legten Scufzer8 in bem Herzen 
Anfammelt, das die ſchoͤnen Augen trafen 
Als Amor auf fie that mit feinen Händen 
Mid zu der Beit, die mich zerſtoͤrt, zu führen. B 
Web mir, wie fanft und linde, 
Wie füß erhoben fie ſich gegen mic, 
Damals, als fie begannen 
Mir Tod zu bringen, was mid nun fo fchmerzt, 
Und fprachen: Unfer Licht gemdbret Frieden. 
Gud woll'n wir Luft, bem Herzen Frieden bringen, 
o rebeten zu meinen Kugen 
Die jener Tönen ‚Herrin manches Mal; 
Dod ala von ihrem Geifte fie vernommen, 
Daf mir durch ihre Madt 
Der Sinn war ſchon f gut ald ganz geraubt, 
Da wandten fie fi) ab mit Amors ahnen, 
So baß von jener Zeit ihr fiegend Strahlen 
Nicht mehr gefehen ward ein einz’ges Mal. 
Darum ift meine Seele 
BVetrübt geblieben, mo fie Tröftung hoffte. 
Schon fieht fie nah dem Tode 
Das arme Herz, dem fie vermählt gewefen 
Und ſcheiden muß fie nun in Lieb’ entzündet. 
In Lieb’ entzündet, ſcheidet unter Thränen 
Die Serle Troſt ermangelnd 
Vom Leben, weil fie forttreibt Amors Macht. 
Und alfo Hagen reipt fie fich dort Los, 
Daf noch vor ihrem Scheiben 
Ihr Schöpfer ihr mitleidiges Gehör gibt. 
Gefloben if fie in des me Mitte 
Mit jenem Neft des Lebens, ber erliſcht, 
Erſt in dem Augenblick, mo fie entflieht, 
Und bier erhebt fie Klage, 
Daß Amor fie aus biefer Welt vertreibt. 
“Und oftmals noch umarmt fie} 


Die Lebenägeifter, bie ohn Xufhör weinen, 
Weil fie verlieren follen die Gefährtin. 


Nod immer thront das Vilbnif jener Herrin 
Hoc) oben in dem Geifte, 
Bo es fein Führer, Amor, aufgeteilt. 
Nicht reut bas Uebel fie, das fie gewahrt; 
Nein, Schöner jede Sfunde 
Und fröblicher als je ſcheiat fie zu lächeln. 
Und ſchlaͤgt bie Augen auf, die Todesbringer, 
Und jener ruft fie zu, die weinenb ſcheidet: 
Ge bin, Berlagenemerthe, geh von dannen. 
So rufet mein Verlangen, 
Das mic befimpft mit der gewohnten Macht 
Ob minder gleich die Schmerzen; 
Denn {con ermattet ift die Kraft zu fühlen 
Und näher ſchon bem Ende meiner Qualen. 
An jenem Tag’, als fie zur Welt gekommen; 
(Wie id) verzeichnet finde 
Im Buche der Erinnerung, bie ermattet) 
Durdjzudte mein noch jugenbliches Ih 
Riemals empfund'ne Regung, 
So daß ich blieb erfüllt von Zurcht und Bangen. 
So plöglic wurde meiner Kräfte jeder 
Baum angelegt, baß ich zu SBoben fiel 
DO einer Stimme, bie im Herzen bröhnte, 
Unb wenn das Buch nicht ieret, 
Ergitterte fo ſehr der Geifter größter, 
Daß wohl fid) offenbarte, 
Es fei der Tod für ihn zur Melt gefommen; 
Nun reut es jenen felbft, der dies erregt. 
Als fpäter mic erfdzien die hohe Schönheit, 
Um bie ich fo muß Elagen, 
Ihr Holden Damen, die id) angerebet, 
Da ward die Kraft, die hochſter Adel ſchmuͤckt, 
Anſchauend jene euf 
Gar wohl gemabr, ihr Unftern fei geboren 
Und an dem eignen angefpannten jauen 
Erkannte fie, erwacht fei bas Werlangen; 
So daß fie weinend zu ben andern fpradh: 
Einzieh'n wird an ber Stelle 
Der Einen, id fab, bie Hulbgeftalt 
Die fon mir Furcht ermedt 
5* 








100 


Und von und allen wird fie Herrin fein, 
Sobald es ihren Augen wird gefallen. 

3u Cud) hab’ ich gefprochen, junge Damen, 
n deren Yugen glänzt ber Schönheit Schmud, 
Die Liebe ſchon befiegt’ und finnig machte, 
Damit Gud meine Worte 
Empfohlen fei'n, wo immer fie erklingen 
Und meinen Tod verzeih ich 
In Eurer Gegenwart dem ſchoͤnen Wefen, 
Das ibn verſchuldet und nie Mitleid fühlte. 


Siebente Canzone. B . 


Dies Gedicht, bas feine Rauheit aud) durch die Hdufung 
ungewöhnlicher, wiberftrebender Worte und feltener Conftructio: 
nen befunbet (eine alte Inhaltsangabe fagt: tratta della rigi- 
dità della sua donna con rigida rima), fteigert den Unmwilen 
über die Härte der Geliebten bis zum Gipfel, nämlich bis zum 
auögefprochenen Verlangen, fih an Ihr zu rächen, und bildet 
fo (ba bie brei legten Ganzonen des Amoroso convito bie Gt: 
tiebte nicht erwähnen) ſchicklich die Mitte diefer Lieder. Es 
bat indefi biefer Unwille den Dichter noch nicht dahin geführt, 
gu erkennen, baf diefe Geliebte, aud wenn Sie mit ihrer 
Gunft gegen ihn fo freigebig wäre, ala je gegen einen Sterb= 
lichen, dennoch aus eigenem Mangel nicht vermögen würde, 
feinem Geifte Frieden zu geben; vielmehr find fein Born und 
die Graufamkeit, bie er zu üben wuͤnſcht, nur eine Form der 
Liebe. Wäre dem nicht fo, fo müßte dies Gebicht dad Convito 
beſchließen und die Divina commedia beginnen laffen. — Den: 
noch aber ift bie gegenwärtige Canzone ein Wendepunkt zu 
nennen, von weldem an eine Hinneigung zur Commedia, nur 
in anderm Ginne beginnt. So weit naͤmlich Dante bis jett 
feine Liebe zur Philofophie ausgeſprochen Pat, fo erfcheint fie 
immer als ein Streben und gemaltfame8 Ringen, bas durch 
eigene Kraft Ermieberung fi) zu erzwingen denkt. Alle folgen: 
den Gedichte dagegen Feigen das von ſolchem Selbſtvertrauen 
zurüdgefommene Gemüth, bas ergeben und anſpruchlos hoffend, 


101 


erwartet, wann bie Geliebte Ihren harten Sinn dndern und 
einige Gunft gewähren wird. Diefe. Gefinnung nun mußte 
nothwendig erfahren, daß für fie von menſchlicher Weisheit Kein 
Stoft zu erwarten fei, daß aber ber Glaube ſich ihr felbft bare 
biete und Alles, was ihr Noth thut, bringe. 

Fraticelli ift darauf aufmerkfam geworben, daß (wie 
übrigens ſchon in ber erften Ausgabe dieſes Buches, ©. 374, 
hervorgehoben war) in unferer und in der naͤchſten Ganzone 
fowie in ber Seftine (Ganz. 20) die Geliebte, wie fpielend, ci: 
nem Steine verglichen merde, unb will beöhalb alle drei, denen 
er noch bie neunte Canzone hätte zugefellen koͤnnen, ber Liebe 
Dante’s zu ber angeblichen Pietra de’ Scrovigni vinbicicen. 

RNoffetti übertrifft in der Erklaͤrung biefes Gebichtes 
(Spirito antipap. p. 162) ſich felbft an Geltfamkeit. Seiner 
Meinung bezöge fich daffelbe auf des Dichters erheuchelten 
Uebertritt zu den Guelfen; Pietra ftinde für Pietro, d. h. der 
Papft, und wäre ſynonym mit Pietà, d. h. Guelfenthum. 

Nod ift über biefes Gebicht zu bemerken, daß Petrarca 
in ber Gangone: Lasso me, ch’i'non so in qual parte pieghi, 
in welcher bekanntlich jede Strophe mit der Anfangszeile eines 
Liedes von einem berühmten Dichter foblieft, bie des gegen: 
wärtigen zur britten Strophe genommen bat. Die fo bezeich- 
neten italienifchen Canzonen pflegen nun in alten Ausgaben des 
Petrarca (mann zuerft, weiß ich nicht anzugeben) ala Anhang 
des Canzoniere abgebrudt zu werben. Vielleicht fand fic eine 
ähnliche Bufammenftelung ſchon in Handſchriften; wenigftens 
ift es gewiß, daß biefer Tert unferer Canzone von dem der 
Ausgaben Dante’fher Gedichte ganz felbftändig if. Mir ift 
baburd) ſchon in ber erften Ausgabe mandje Berichtigung, bes 
fonders in ber gewiffenlos entftellten dritten Strophe möglich 
geworben. Ich babe mich der Rovilti’fchen Ausgabe von 
1551, ber diteften von Gaftelvetro (1582, 4.) unb ber in 
ben fämmtlichen Werfen (1581 f.) bedient. 

Str. I, 3. 3. Das impetra erfidrt bie Crusca wol mit 
Recht nicht alè verfteinern (impietrare), fondern erwerben, 


102 


gewinnen, wie bies Wort in gleichem Sinne Inf. XIII, 27 por: 
fommt. — Die Gebanfen der Gten und 10ten Zeile ſtehen eins 
ander gegenüber. Sie ift geſchuͤtt, fei es burd) ihr Gewand 
von Jaspis, oder weil Sie allen Pfeilen entflicht, Andere aber 
finden wider Sie fein Schild und finnen durch Feine Fludt 
Ihe entgehen. — Questo ftatt ui ift in 3.6 aus ben Vorian: 
ten bei Giunta aufgenommen; Andere lefen lei, fo namentlich 
ubalbini in ber Tavola hinter ben Documenti d'Amore s. 
v. let — lui wäre auf diaspro zu beziehen und daher ebenfalls 
zu rechtfertigen. Das gleichfolgende e ftatt o findet ſich in di 
ner Marcianer (191) und in meiner Handſchrift. — Ajutar da 
qualcheduno fagt Dante eben fo wie 3. 13 Inf. I, 89. 

&tr. IT, 3.1 haben die meiften Manuferipte schermo ſtatt 
scudo, — 3.3 mill fagen, Gie thront in meinem Geifte oben: 
an, wie bie Blume über die Blätter ragt. Cod. Mare. 191 
bietet die Randvariante: Che come fior in — 3. 6 leva if 
bie britte Perfon von dem Zeitwort levare, erheben: Das 
Meer, das Feine Welle regt. — Der Gebante der legten Bei: 
len, ber gleich in der nächften Strophe weiter ausgeführt wird, 
ift: ich ſcheue mid) meine Liebe zu verrathen; ſcheuſt Du Did 
denn nicht, mich allmdlig zu tödten? — 3.9. Die Zeile Amors 
wird aud im Ibten Sonett genannt. — A scorza, a scorsa 
‚beißt von Aufien immer weiter nach Innen. 

Str. III. Die erften acht Bellen fagen Folgendes: „Mehr 
fürchte id davor, daß cin Anderer, beobachtet er mid, wenn 
id an Sie dente, meine Liebe entbede, als ich ben Tod fürchte, 
der ſchon meine Sinne verzehrt. Deshalb laͤhmen alle Gedan 
ten meine Kraft (brucare, eigentlich den Bäumen bas Laub 
nehmen) und id werbe zu Allem untauglich.“ Die Ausgaben 
laffen hinter manduca ben Punkt weg. — In 3.6 ift mit der 
Palatiner Handſchrift mi manduca ftatt si mand. gefegt. Dit 
Tte Zeile heißt in unfern Ausgaben giemlich unverſtaͤndlich Ciò 
che nel pensier bruca unb ift nad) der Marcianer Handſchrift 
(191) und bem Petrark- Anhang berichtigt, in welchen beiten 
die Ste Zeile fo lautet: 


103 


La sua vertù sioch’'io abbondono l’opra. 

Das el (er) der Iten Zeile geht nicht mehr auf ben Tod, 
fondern entweber auf Amor, ber erft in ber Ilten genannt 
wird, oder es ift unperfönlih (für es) gu nehmen. Alſo: 
„Amor, zu dem ich, demüthig flebend, um Gnabe rufe, hat > 
mid zu Voden gefchlagen, bebrobt mid mit bem Schwerte, 
durò) das er Dibo töbtete, und will nichts von Gnade wiffen.” 
unrichtig lefen die gedachten beiden Teste: Ch’ ella m'ha messo 
in terra. Man mödte vermuthen: Ch’ egli mha messo; 
doch weiß ich dafuͤr Leine Autorität. 

Bu Str. IV, 3.4 vgl. Purg. XXV, 26. — 3.5. Strida, 
Schreien und Klagen über Amors Graufamleit. — In 3.9 
hat lato ftatt braccio die meiften Autoritäten für fi. — Mer 
ter al niego (3. 13), ing Seugnen ftellen, braucht Dante ebenfo 
Purg. XVII, 60. &yell misverftebt biefen Ausbrud, wenn 
er überfegt: sent all mercy to deny. 

Str. V. Gr wünfcht, Amors Pfeil möchte, ſtatt ihn, dic 
Geliebte verwunden und Sie nad ihm verlangen; dann wollte 
ec ſich rächen. — In 3. 1 haben meine Handfchrift, eine Va—⸗ 
riante bei Giunta und ber Anhang zum Petrarca lei ftatt lui. 
Großentheils biefelben lefen in3.2 a quel flatt alla.— Squa- 
trare, für squartare, zerreißen, fommt in eben biefem Sinne 
Inf. VI, 18 vor. — Das dare in 3.5 läßt fi wol nicht an: 
ders verftehen, alè ſchlagen, verwunden, wie 3. B. 

Ma pria nel petto tre fiate mi diedi. (Purg. IX, 111.) . 
Sodaß der Gedanke dem Inhalte der Iten Canzone entfpricht. 
Lyell bezieht dies dà jeboch auf die Schönheit: fie ftrahlt 
ebenfo bell im Schatten wie in der Sonne. &tatt Ma ift mit 
der Mehrzahl der Autoritäten Che gefegt. — Der ſchon zu Ganz. 
VI, Str. 5 erwähnte Freund will Sonne und Schatten, dic 
hier erwähnt werben, von bem Lichte, bag die Geliebte gewährt, 
den Auffdliffen der Philofophie, und von der Dunkelheit, in welche 
fie ſich huͤllt, verftehen; fodaß der Sinn wäre: fie treibt mich 
dem ode entgegen, möge fie mir günftig fein (burd) das 
Uebermaf des Glanzes), ober ſich mir entziehen (buch den 


104 


Schmerz über mislungenes Streben). — 3. 7 feheint der Zus 
fammenhang zu fordern, daß latrare heiße: ergeben fein. In 
diefem Sinne kommt zwar das Wort meines Wiffens fonft nicht 
vor; doch findet ſich bei Dante (Par. XXI, 111) ſowoi latria 
als idolatre (Inf. XIX, 113), und fo Könnte benn bieò latrare 
allenfalls von darpesev ftammen. Richtiger ſcheint es indep, 
aud) hier, wie Par. VI, 73, die Bebeutung beò lateinifchen 
latrare anzunehmen, d. h. verzweiflungsvoll Hagen, ſchelten. — 
3. 8 borro heißt wörtlich das Bett ‘eines Waldbaches. ‘ 

Den in ben erften Beilen der fechften Strophe enthalte: 
nen Wunſch drüct ber Satyr in Saffo'8 Aminta (Atto II, 
Sc. 1) in fehr ähnlichen Worten aus. — Dem blonden Haare 
dargebrachte Huldigungen der Dichter hat reichlich zufammen- 
geftelt Foscolo La chioma di Berenice, p. 205—13. — 
Das Haar der Geliebten, das ber Liebende bier feftzuhalten 
verlangt, vom Morgen bis zum Abend, ift in ähnlicher Weife, 
wie bei arabifchen Myſtikern von den Geheimniffen ber Weit: 
heit zu deuten. Vol. Tpolud Ssufismus, p. 305. — 3.3. 
Terza ift bie Mitte zwiſchen Sonnenaufgang und Mittag. — 
3. 7. Entweder: wollte Amor mich zuͤchtigen, daß ich gegen 
die Geliebte graufam bin, fo würde ich mid an Ihr und 
nit an ihm raͤchen; oder, wol richtiger: wenn mid Amor 
auch dafür züchtigte, fo würde ich dennoch wegen mehr als 
taufend Beleidigungen mich rächen. — Fraticelli meint, 
anciso in 3. 10 heiße nicht getöbtet, fondern nur ſchwer ver: 
wundet. Den Beweis follen Ganz. X, Str. 3, 3. 15 und in 
Son. 22 geben; offenbar liegt aber in allen biefen Stellen nur 
ein verftàriter Ausdrud vor. 

Str. VII, 3.2 mußte nad) dem Beugniß der meiften Hand: 
ſchriften Che m'ha rubato e morto, anftatt Che m'ha ferito 
il core gefegt werden. 

Eine reimiofe Ueberfegung ift and) hier beigefügt: 

So berbe will id) fein in meiner Rebe 

Wie in Geberden diefer ſchoͤne Stein ift, 

Der ſtuͤndlich mehr gewinnet 


105 


Un größter Härte und graufamen Wefen; 
und die ben Leib mit einem Jaspis Heibet, 
o daß durò diefen, oder daß fie rüdweicht 
Wol niemals aus dem Köcher 
Gin Pfeil enteilet, ber fie nadend träfe. 
Sie aber töbtes, und vergebens bedet 
Der Menfd fi, oder flieht vor ihren Streichen, 
Die jeden, wie beflügelt, 
Erreichen, und zertrümmern jebe Waffe. 
Drum weiß ih, und vermag mich nicht zu ſchuͤtzen. 


Ich finde Keinen Schild, den fie nicht braͤche, 
Nod Zuflucht, die vor ihrem Blick mid) bärge; 
Denn wie am Zweig bie Blume, 

So nimmt fie ein den Gipfel meines Geiftes. 
Soviel fcheint fie fi um mein Leib zu kümmern, 
As um ein wellenlofes Meer der Schiffer. 

Die Laft, die mich verfentet, 

ft fo beſchaffen baf fein Keim es ausfagt. 

© angftvoll’ und erbarmungslofe Feile, 

Die heimlich mir das Leben alfo fdmdlert, 
Warum trägft Fein Bedenken n 

Du, mir das Herz fo flücdweif zu zernagen, 
Wie ih, wer dir die Kraft verleiht, zu fagen. 

Denn mehr erbebt das Herz mir, ben?’ id) ihrer 
Un einem Ort, wo andrer Blick fie-träfe, 

Aus Furcht, daß mein Gebante 
Erfdjein’ im Aeufiern und fi) fo verrathe,) 
As vor dem Tod' es bebt, der alle Sinne 
Mit Liebeszähren ſchon in mir verzebret, 

So daß jeder Gedanke 

Die Kraft mir nagt und ihre Wirkung laͤhmet. 
3u Boben warf mid und fteht über mir nun 
Mit jenem Schwert, womit er Dido töbt'te, 
Amor, zu dem ich rufe, 

Erbarmen fieend und demüthig bittenb: 

Dod Er ſcheint all’ Erbarmen zu verleugnen. 

Bon Beit zu Beit hebt er ben Arm und brobet 
Dem ſchwachen Leben mein, jener Ruchlofe, 
Der ausgeftredit und liegend 
Mid hält am Boden, jeder Sudung mübe. 
Dann fteigen auf in meinem Geifte Schreie, 
Und all’ mein Blut zerftreut in meinen Adern, 

5** 


106 


Gilt fliehend zu dem Herzen, 
Das e8 perbelcute drob ich muß erbleichen. 
Er aber trifft mid) unterm linfen Arme 

defi , daß der Schmerz zum Herzen dringet. 
Da ſprach ih: Schlägt er wieder 
Gin andres Mal, hat Tod mich wol umfangen, 
Bevor ber Streich noch Tann binabgelangen. 


Sd ih nur ber Graufamen gerfpalten 
Das Herz, die mir das meine fo zerreißet! 
Dann wäre mir nicht tribe 
Der Tob, wohin um ihre Schön’ ich cile. 

Sie aber trifft im Lichte wie im Schatten 

Die mörberifh graufame Räuberin. 

Weh mir, warum nit ſchreit fie 

Nad mir, wie ich nad) ihr, im heißen Abgrund! 
Seid) würd’ id} rufen: Ich fomm' die zu Hülfe! 
Und nur zu gerne thät” ich's, denn ich konnte 

An ihre lichten Haare, 

Die mir zum Unheil Amor Erdußt und goldet, 
Die Hände legen, und mid) fo dann fdtt'gen. 


Haͤtt' ich die goldnen Lodfen nur ergriffen, 
Die Ruthe mir und Geifel find geworden, 
Und wär’ es früh am Morgen, 
Dod hielt’ ich fie wol big zum Abenblduten: 
Nicht mitleibsvoll dann wär’ ich und nicht freundlich, 
Nein, wie der Bär thät’ ich, wenn Scherz er treibet: 
Ob Amor mic) auch geifle, 
Raͤcht' ich mich doch für mehr als taufend Streiche. 
Und ihre fehönen Augen, denen Funken 
Entfpribn, die mir bas tobte Herz entzünben, 
Wollt’ nah und feft ich anſchaun, 
Um bas Entflieben, das fie übt, zu rächen, 
Und dann mit Lieb’ ihr Frieden wieder geben. 
Canzone, geh du grade zu der Frauen, 
Die mie das de verlegt nh und mir raubet, 
Wonach mich mei gelüftet, 
Durcbohr’ das Herz ihr, du, mit einem Pfeile: 
Denn fchöne Ehre bringt's, wenn man fich raͤchet. 








107 


Achte Canzone. 


Es ift begeichnend für Dante, daß er auf den Ruhm der 
albernen, bis gur völligen Sinnloſigkeit führenden*) Formkuͤn⸗ 
fteleien und Spielereien verzichtet; und überhaupt ſtatt ber 
verſchwimmenden provengalifcgen Weichheit, die vor ibm aud 
unter ben Stalienern üblich war, Eräftigere Sprache und Ges 
danken handhabt. Daher find fogar bie Mittelreime bei ihm 
viel feltener, als bei allen feinen Zeitgenoffen. Niemand aber 
fann ober fol feine Beit völlig verleugnen, und fo ift denn 
auch Dante von ihren Schwächen nicht durchaus frei. Wie er 
dies felbft erfannt, ergeben am Beften bie auf bie gegenwaͤr⸗ 
tige Ganzone bezüglichen Worte des Vulgare Eloquium (II, 13): 
Dedecet aulice poetantem nimia ejusdem rithimi repercussio, 
nisi forte novum aliquid atque intentatum artis hoc sibi 
praeroget, ut nascentis militine dies, qui cum nulla prae- 
rogativa suam indignatur praeterire diaetam. Alſo nur ei: 
gen wollte der Dichter, daß er des Eünftlichen Vers = und Reim⸗ 
baues, auf den geringere Geifter fi) fo viel zu Gute thaten, 
nicht nur vollfommen mächtig fei, fondern auch noch Schwie- 
rigeres zu leiften vermöge. Dies jedoch eine fchalkhafte Paro: 
die zu nennen, wie Adolf Wagner (,,3wei Epochen der 
modernen Poeſie“, ©. 11) thut, foeint mir Keine richtige 
Bezeichnung. Wenn uns dergleichen Künftelei feltfam fcheint, 
fo mögen wir bedenken, daß Petrarca, dem bas Verhaͤltniß 
Dant e's zu feinen Vorfahren vor Augen ſtand, dennoch weit 
mehr und weit unglüdticher provencalifirt alè Dante. — Die 
Italiener nennen bie Form biefes Gebichtes, bie, foviel mir 
bekannt, ganz eben fo nie wieberholt ift, Sestina doppia 


) ©. cin Sonett von Pucciandone Martelli bei 
Grescimbeni, Th. I, ©. 75, und ein anderes von Dante 
da Majano bei Giunta Nr. 14. Bol. überhaupt meine 
Abhandlung: „Der Minnegefang in Italien“ in Reumont's 
Italia Bb. 1, ©. 124, 


108 


(Crescimbeni Istoria d. volg. Poesia I, 26 und Commentarj. 
p. 143). Eigentliche Reime fommen hier fowenig als in ber 
eigentlichen Seftine vor, fondern nur Wiederholungen der Ent: 
worte; jedbod in der Art, daß diefe Worte nicht mur, wie 
bei ber Seftine, in jeder Strophe in veränderter Orbnung 
wieberfehren, ſondern daß ein Theil von ihnen noch auferbem 
in berfelben Strophe fi wiederholt. Es find fünf Endwortt, 
deren jebes in einer ber Stropben herrſcht, d. h. fehe Mal 
den Zeilenſchluß bildet. Zwei andere Worte Eommen boppelt 
und zwei einfach vor. Die herrfchenden Worte der auf bie 
exfte folgenden Strophen beobachten die umgekehrte Orbnung 
von ber, in welcher fie fi in ber erften Strophe finden. Dann 
folgt wie bei der Seftine cine licenza. 

Es führt dies Gebicht faft ebenfo bittere Klagen über die 
Geliebte als das vorige, unb die Rauheit und Seltfamteit, 
die dort, bem Inhalte entfprehend, in den Ausdruck gelegt 
wurde, mag auch bier als Entfdulbigung für die Form gelten, 
wie benn in ber vermanbten nddiften Canzone die Anftrengung 
offenbar ebenfalls eine abfichtliche ift. Snfofern aber unter: 
ſcheidet ſich dies Gebicht ſchon von dem vorhergehenden, alè 
befonder8 in der vierten unb ber legten Strophe bie treue Ans 
bänglichkeit, und in der fünften die ergebene Hoffnung, welche 
in jenem ganz zurückgetreten waren, deutlich ausgefprochen find. 

Anton Maria Amabi, ein obfeurer Poet des 16. 
Jahrhunderts, fagt in bem Commentar, mit bem er felbft eine 
feiner Canzonen ausgeftattet (Annotazioni sopra una canzon 
morale. Padova 1565. 4. p. 84): „Da donno deriva donna, 
come appo Dante în quella canzone, la quale egli nella sua 
Vita nuova, amando Madonna Pietra della nobile famiglia 
de’ Scrovigni Padovana, compose, che incomincia: Amor te 
vedi ben ecc Jedes Wort, welhes ſich die Mühe ndfme, 
fo albernes, kenntnißloſes Gefchwäg zu widerlegen, wäre übers 
flüffig; dennoch ift dieſer müßige Einfall Amabi’s unzählige 
Male nachgefchrieben, und wenig Viographen unferes Dichters 
verfäumen , unter Berufung auf die gegenwärtige Canzone, 


108 


von Dante'8 Seibenfdaft für Pietra degli Scrovagni zu bes 
rigten. 

Selbft Fraticelli, der diefe Babel &. CXCH—XCIV 
mit genügenden Grinben widerlegt, bezieht fih ©. CLXIX, 
LXX auf die angebliche Liebesgeſchichte zur Erklärung einer 
Anzahl von Canzonen. 

Str. I, 3. 4 poi für poichè; noch deutlicher fegen die 
Marcianer Handſchrift und die Ausgabe von 1491 Poichè für 
E poi. — 3. 12 haben Giunta und Sermartelli Per man 
di quel che me ’ntagliasse (Crescimbeni: me tagliasse). Schon 
einige unter ben Nachdruͤcken ber erfteren Ausgabe und alle 
neueren Ausgaben (leider auch meine vorige) lefen che m’ in- 
tagliasse. Nur Fraticelli bat che me’ intagliasse und er: 
Mirt richtig me’ durch meglio (tie Inf. I, 112, IT, 26u.f.w.). 
Meine Gandſchrift Hieft zur VeftAtigung meglio, mit Punkten 
unter den legten vier Buchftaben, wie fie in italienifchen Mas 
nuferipten bedeuten, daß etwas nicht auagefprochen werden fol. 
Die Ausgabe von 1491 hat mei, 

Str. IT, 3. 4 gibt Fraticetli die verbeutlichende Vas 
riante Con la qual tu mi desti come ap. — 3.7. Den magis 
ſchen Aberglauben, daß Seliotrop (Stein und Kraut) durch 
gewiffe Bauberformeln, bie Kraft unfichtbar zu machen, erlange, 
erwähnt fon Plinius (H. N, XXXVII, sect, 60). Das 
Mittelalter formt folhe Sagen nad) feiner Weife mannichfaltig 
um, unb Steine, Ringe, bie unfichtbar madjen oder andere 
Bauberkräfte befigen, find big auf Arioft herab überall anzus 
treffen. Diefe Eigenfchaft bes Heliotrop's wird erwähnt Inf. 
XXIV, 93 und bietet Stoff gu einer befonders ergöglichen 
Novelle von Boccaccio (VIII, 3). Daß Edelfteine das Licht 
cinfaugen und zum Theil verändert wieder zurückgeben, ift ſchon 
eine alte Beobachtung (Plinius a. a. D.); daher der Glaube, 
jene Baubertrdfte feien von der Sonne entlehnt, auf welchen 
eine ſchon oben (zu Canz. 4, Str. 6) angeführte Stelle des 
Guibo Guinicelli und unfer 13tes Sonett fich beziehen. 
Das eigene Licht (sua luce) mag auf ben Rarfunfelglauben 


110 


gehen, von dem fi bei Brunetto Latini unb in dem an: 
geblichen Briefe des Prefto Giovanni (Blorentiner Ausgabe des 
Giov. Villani von 1823, IV, p. CXII) Spuren finden. — 
Deine Hondſchrift lieft: E mai non si converse und bie Mar: 
cianer (191) in 3. 8: Nè al splendor di sole, nd a sua, 
wobei an jene Umwandlung bes Steine8 durch bas Licht der 
Sonne gedacht werben kann. Bergl. überhaupt Albertus 
Magnus De Lapidibus nominatis in Opp. Lugd. 1651. 
T. U, p. 227g. im Auszuge in d. d. Hagen u. f.to. Mu: 
feum für altdeutſche Literatur und Kunft II, 62, 63, 131, 32, 
womit bie Stelle aus dem beutfchen Gedichte von Joſeph 
(ebendaf. S. 62) zufammenzuhalten ift. 

Str. III. Die erften Zeilen erinnern an bie Schilderung 
des nordifchen Froffes Inf. XXXII, 22—30, Zur Grläuterung 
des Folgenden, namentlich der Sten Zeile, Tann bie Bemerkung 
dienen, baf die Jahreszeiten und bie Temperamente im Mittel: 
alter, einigermaßen auf Anlaß de Ariftoteles, ala Miſchun⸗ 
gen von warm, kalt, trodfen und naß ausgebrüdt werben; 
ſodaß der fanguinifhe Frühling duch warm und naf, ber 
cholerifhe Sommer duch warm und trodfen, ber phlegmatiiht 
Herbſt durch falt und naf, und endlich der melancholifche Win: 
tee durch Falt und trodfen bezeichnet wird. Hier bient alfo 
Kälte und Näffe der rauhen und trüben Jahreszeit zum Aud: 
brud, wobei dann noch der meteorologifche Gedanke ins Auge 
zu faffen ift, daß Regen und Nebel nur entftejen, wenn bie 
erkältete Luft die Feuchtigkeit, die fie früher aufgelöft hatte, 
nicht mehr gu erhalten vermag. 3. 9 iſt dunkel: Die Ausgabe 
von 1491 tieft: me achori (vielleiht mi accuora?) al t. 

Die Ste Beile der vierten Strophe erinnert an bie Worte 
des Dichters: 
„Wie der wandernde Mann, der vor dem Sinfen ber Sonne 
Sie noch einmal ins Auge, die ſchneilverſchwindende, fafite, 
Dann im bunfeln Gebùfd und an ber Seite des Felfens 
Schweben fiebet ihr Bild; wohin er bie Blicke nur menbet, 
Gilet e8 vor und glänzt und ſchwankt in herrlichen Farben.” u.f.m. 





111 


Die 10te und die folgenden Zeilen deuten wieder auf des 
Dichters angeftrengte Stubien bin; doch find 3. 10 und 11 
nicht vecht verftändlich. Der Schluß der erften lautet in meis 
nee Handſchrift und einer Variante bei Fraticelli che notte 
sia luce, und ftatt der legten wiederholen beibe ben Oten Vers 
der vorigen Strophe. 

Str. V, 3.6 koͤnnte bas aver tempo vielleicht fo viel fein, 
als aver buon tempo, ungefähr wie in dem Sprichwort: Chi 
ha tempo non aspetti tempo: Ich habe Feine Freude. Epell 
äberfegt indefi: I may not wait like others for her aid, 


Neunte Canzone. 


Diefe ſchoͤne und für unfern Dichter fehr charakteriftifche 
Canzone führt den Grundgedanken (den man in Betreff der Liebe 
zur Philofophie zu Dante’s Beit fehr wohl auch allegorifch nehmen 
Tann): „Alles um mich ber ift der Liebe erftorben; nur meine 
Liebe gewinnt täglich neue Kraft, fo wenig ihr auch Nahrung 
geboten wird”, in prädjtigen Bildern und tönenber Sprache 
aus. Ich Tann mir nicht verfagen auf die Kunft aufmerkfam 
zu, machen, mit welcher nad der majeftätifchen und büftern 
Befchreibung ber Außenwelt in den großen Hendekaſyllaben 
jeber Strophe, der Gegenfag bed eigenen Innern durch ben 
Schlagreim in ber kurzen zehnten Zeile hervorgehoben wird. 

Es ſchließt ſich diefes Gebicht fomwol der Form als dem 
Inhalte nad) an das vorige an. Erſteres indem es theils in 
den beiben Schlußzeilen jeder Strophe, ftatt einen Reim zu 
bieten, baffelbe Wort wiederholt, theils indem biefe Schluß⸗ 
worte in den drei erften "Strophen bie gleichen find, welche in 
der zweiten, erften und fünften Strophe der vorigen Canzone 
berrfchen. i 

Die erfte Strophe bezeichnet afteonomifch die Beit. Das 
Rab (rota), das die Planeten bilden, indem fie fih um bie 
Erbe drehen, ift zu dem Punkte (ober wie bie Ausgabe von 
1491 vielleicht richtiger Left, tempo) gelangt, wo die Zwil⸗ 


112 


linge mit Sonnenuntergang aufgehen, die Sonne alfo im ent: 
gegengefegten Zeichen des Zodiakus, d. h. im Steinbock fteht. 
Gs ift mitten im Winter. Die folgenden Data mdditen viel: 
leicht geeignet fein, bas vom Dichter gemeinte Jahr zu ente 
decken, doch fehlt e8 mir leider zu biefer Unterfuchung an ben 
nòtbigen Kenntniffen. — Die Venus, heißt e8 weiter, wirb von 
den Sonnenſtrahlen fo f&räge (di traverso) umglänzt, daß fie 
nicht gefehen werden Tann. Cie fteht alfo, nad damaliger 
Anficht, in ihrem Epicyklus entweder zunächft dem Perihelium 
ober dem Aphelium. Der Planet, ber den Froſt befordert, 
ift Saturn; ben ihm entgegengefegten, bie Venus, bezeichnet 
der Dichter Purg. I, 19 mit ähnlichen Worten. Saturn zeigt 
ficd ganz und fteht am Himmel in feiner hoͤchſten Höhe, d. b- 
in feinem Wendezirkel: fo wenigftens glaube id) ben grande 
arco verftehen zu müffen und nicht von bem colurus solsti- 
tiorum. 

Str. IL In Aethiopien, das hier ftatt der fühlichen Les 
mifphäre ſteht, ift jest Sommer, und bie dortige Wärme (lo 
sol, che scalda l’arena) im Gegenfag ber Kälte auf unferer 
Halbkugel erzeugt den warmen Suͤdwind, der, indem er über 
das Meer ftreicht, Feuchtigkeit in Menge in fi aufnimmt. 
Die folgenden Zeilen fann man entweder fo verftehen: dieſe 
Wafferdämpfe (che, 3. 5) werben burd) die Kälte unferer De: 
mifphäre feftgehalten (chiude, vgl. Crusca $. 3) und verbichtet 
(salda), big fie als Schnee oder Regen niederfallen; ober, was 
mir jegt richtiger fcheint, fo: der Suͤdwind führt Nebel in 
Menge herbei; fo daß, wenn nichts Anderes ihn zertheilt, die⸗ 
fer Nebel unfere Hemifphäre ganz umfchließt und erflarrt. — 
Sn 3. 5 muß, ſchon um nicht daffelbe Wort ale Reim zwei⸗ 
mal wieberfehren zu laffen, mit meiner Handſchrift sturba 
ftatt turba gefegt werden. — 3. 7, 8 erinnern an Inf. XIV, 
29, 30. — 3. 10. Ragne, Nege, ein ber Vogelftellerei, mit 
welcher Dante vielfach genaue Bekanntſchaft zeigt, entlehnter 
Ausdruck. Amor zieht bie Nege ein, naͤmlich für alle Anderen, 
nur für mid) nicht. — 3. I1 tieft die Ausgabe von 1491 verno 


118 


flatt vento, was ich vorziehen würbe, wenn ich nachweifen 
tönnte, daß üblich fei, zu fagen, il verno poggia. Dagegen 
tommt: il vento poggia öfters vor, 3. B. Boccaccio Decam. 
Giorn. V. Nov. 1 post ‘med. 

n den ndcbiten drei Strophen geht der Dichter die Cine 
wirkungen des Winters auf bie drei Reiche der Natur durch. 
Das Ziehen der Vögel und ber Winterfchlaf; das Abfterben 
und Entblättern der Pflanzen; das Verdichten und Gefrieten 
des Waſſers. 

Str. III, 3. 3. Die fieben froftigen Sterne, die für uns 
fern Welttheil nie untergehen, find entweber die Plejaben, 
nivosum sidus des Etatius (Sylv. 1,2), ober, wol richtiger, 
der Heine ober große Bär, septentrio, die uns immer über 
bem Horizont bleiben, vgl. Plautus Amphitruo I, 1. V, 117 
und Purg. XXX, 1. — Die Zeilen, bie auf bie vierte folgen, 
feinen den, von diteren Naturforſchern behaupteten, Winters 
ſchlaf der Schwalben und der, vielleicht auch zu ben Voͤgeln 
gerechneten, Fledermaͤuſe anzubeuten, während deffen fie nur 

. gewaltfam, alfo zu Klagelauten ermedt werden Können (Blu 
menbad, Raturgeſchichte, achte Ausg., S. 196 u. 78. Joh. 
Ande. Naumann, Raturgefchichte der Land u. Waffernögel, 
Bd. J, S. 12-15. De ſſelben Naturgefd. der Vögel Deutfche 
land8, umgearb. von Joh. Friebr. Naumann, VI, 47, 54, 
55). Vielleicht hatte der Dichter indep auch nur die gewöhns 
lichen bei una überwinternden Vögel im Sinn, die in der raus 
Ben Jahreszeit zwar nicht die Stimme, aber doch den Gefang 
verlieren. — In 3. 6 ift mit der Palatiner Handfehrift già 
für ciò gefegt worden. — Daffelbe Manufcript lieft 3. 7 gli 
animai, ch’eran più ga. — Lor spirito in 3. 9 ift gegen bie 
Bembo'ſchen Regeln der Rechtfchreibung; daher haben andere 
Handſchriften und Ausgaben: Perchè il freddo lo spirto loro 
amm., ober Per lo freddo, che loro apirti amm. — In 3. 13 
ift me li ſtatt gli mi aus meinem Manuſcript und der Aus: 
‚gabe von 1491 entlebnt. 


ne 


tr. IV, 3. 2. Daß die Kraft bes Wibber8 das Fruͤh⸗ 
jahr fei, bebarf wol Feiner Erflärung. Der Dichter ſcheint zu 
unterfcheiben zwiſchen perennirenden (le fronde), nicht perenni: 
renden (l'erba) Pflanzen und Bäumen; unter ben legten 
machen nur die eine Ausnahme von der allgemeinen Zrauer 
der Natur, bie ihr fefteres Blatt im Winter nicht abwerfen. 
— Sn 3.5 ift die Ordnung der aufgezählten Bäume nad 
alten Autoritäten umgeftellt worden. — In 3. 8 mil Vitali 
(lett. a Colombo p. 29) ftatt Ch’ ammorta, nad} feiner Hand: 
ſchrift, mit der hier auch die Palatiner übereinftimmt, Che ha 
morti .lefen, fobann ferner i bei flatt gli und in der nächflen 
Zeile ftatt posson tollerar — puote (fo auch meine band: 
ſchrift) colorar, was Giunta gleichfalls ala Variante anführt. 
— 3.11 ift nach meiner Handſchrift me la ſtatt la mi gefegt. 

Str. V. Die Anfangszeilen conftruiven fi ſchwierig, 
müffen aber fo verftanden werben: Da, wo zur fchönen Zeit 
ich gern luſtwandelte (3. 4), wo aber jegt und während des 
übrigen Winters ein Bach fließt (3.5, 6), fehütten die Quellen 
rauchendes Waffer aus, [melches entfprang] durch bie Dünfte 
im Innern der Erbe; benn fie (die Erbe) zieht fie aus dem 
Abgrunde empor. — Wir müffen an Italien denken umb keine 
gefrorenen Ströme erwarten; nur der Grbboden ift hart und 
die Teiche (Acqua morta) find oberwärts (di fuor la serra) 
zugefroren. — Smalto für Stein kommt ebenfo wie 3. auch 
Inf, IX, 52 vor. 

Schlußſtrophe. Wird im Fruͤhjahre, wenn alle Pla: 
neten Leben und Liebe fenden, nicht meine Liebe noch unendlich 
größer fein? Nein, bis dahin merde ich ſchon verfteint fein, 
wenn (ferner) meine ‚Herrin ein marmornes Herz hat. — Daf 
die SBiographen unferes Dichters in ihrem Eifer, Spuren viel: 
facher Liebſchaften in feinen Werken zu entdeden, nicht in der 
Sehlußzeile bie Pargoletta des Purgatoriums (XXXI, 59) 
wiedergefunden haben, ift wol nur burd) ihre Unachtfamkeit zu 
erflären. Bol. Ball. 3, 3. 1. 

Auch bier ift eine zeimlofe Ueberfegung beigefügt: 





115 


Getommen bin ich zu dem Punkt bes Rades 
Daf uns der Horizont, wenn ſich die Sonne 
Zur Rüfte legt, gebiert ben Zwillingshimmel. 
Der Liebe Stern weilt ob des lichten Strahles 
Uns fern, der ihn in folder Schraͤg' umfchräntet, 
Daß er für unfre Augen ihn verfcleiert. 

Und ber Planet, der Kraft verleiht dem Frofte, 
Zeigt fich uns völlig in dem großen Bogen, 

In dem ber Sieben Jeder wenig fchattet. — 
Und bennoch weicht nicht einer 

Der liebenden Gedanken, die mid) drüden, 

Aus meinem Geift, der härter ift als Stein, 
Feft zu bewahren, jenes Bild von Stein. 


In Aethiopiens Wüftenfand erhebt fi 
Der Wind, der fernber unfre Luft verfinftert, 
Weil jenen jegt der Sonne Ball durchwaͤrmet. — 
Dann überfhreitet er bas Meer und führt 
So viel des Nebel8 mit, baf menn nichts hindert, 
Er unfre Bone ganz erflarrt und cinpillt. 
Dann löft er n und füllt in weißen Floden 
Des Falten Schnee’s herab und laͤſt'gem Regen, 
Wovon der Dunftkreis fi) betrübt und weinet. — 
Dod Amor, ber die Nege 
3um Simmel einziebt, bei bem Wind ber tobet, 
Verlaͤßt nur mich niemals, fo ſchoͤne Herrin 
Sft jene Harte, mir beftimmt zur Herrin. 
Geflohn find alle Vögel, die der Wärme 
Bebürfen, aus Europa, das bie fieben 
Froft dringenden Geftirne nie verliert. — 
Die andern hüllten ihre Stimm’ in Schweigen, 
Gie big zur .grinen Beit nicht zu erheben; 
3 wäre denn, um Leiden zu beflagen. 
Und alle Thiere, die nad) ihrem Wefen 
Bur Freude neigen, find jegt liebeleer, 
Weil ihren Geift die Kälte ganz ertoͤdtet. — 
Nur meiner hegt mehr Liebe; 
Mir raubt ja die Gedanken nicht, die füßen, 
Und gibt fie nicht der Wechfellauf der Jahre; 
Nur eine Herrin gibt fie, jung an Jahren. 
Ihr Lebensziel erreichten ſchon die Blätter, 
Die von des Wibders Kraft hervorgerufen, 
Um Schmud zu leihn der Welt; tobt find die Kräuter, 


116 


Und jeber grüne Zweig hat ſich verborgen, 
Bis auf des Lorbeer8 Laub, der Fiht' und Tanne 
Und andere, die ihr grünes Kleid bewahren. — 
So hart ift diefe Jahreszeit und ftrenge, 
Daf fie die Blümlein tödtet an den Hügeln, 
Die nicht den Reif vermögen zu ertragen. 
Allein den Dorn ber Liebe 
Zieht Amor dennod mir nice aus dem Herzen, 
Und ficher — er darin für immer, 
So lang” ich leben werd' und lebt’ ich immer. 

Die Quellen ftrömen rauchendes Gewäffer, 
Der Dünfte Niederfchlag im Schoß der Erbe, 
Die aus bem Abgrund fie zu Tage zieht. 
Dort, wo am ſchoͤnen Tag ich gern ‚gewandelt, 
Fließt jegt ein Wach und wird fo lange fließen, 
Ale dauern wird des Winters Deft'ger Anfall. 
Der Erde Boden ſcheint in Stein verwandelt 
Und ftehendes Gewäffer ward zu Glafe, 
Weil e8 ber Froſt von Aufen ganz verfdloffen. 
Allein von meinen Kriegen 
hat ich barum noch feinen Schritt zuruͤcke 
und will aud nicht; denn ift die Qual ſchon füße, 
So übertrifft der Tod all’ andre Süße. 

Mein Lied, was foll mein 8008 erft in der jungen 
und füßen Jahreszeit fein, wenn bie Liebe 
Zur Erde nieberträuft von allen Himmeln, 
Da fon bei folder Kälte 
In mic nur Amor weilt und nirgends anders? 
Ich merde gleichen einem Mann von Stein, 
IE in dem Mägdlein, ftatt des Herzens, Stein. 


Bebnte Canzone. 


Aus diefem Gedichte ift aller Born über bie Unfreundlich- 
teit ber Geliebten ſchon fo ganz verſchwunden, daß der Dichter 
fi ‘ala eine Gunft von Amor bie Fabigleit ecbittet, feinen 
Tod im Liebeleiden fehildern zu konnen, und doch zugleich von 
ibm verlangt, daß er Feinen biefer Klagetöne zu-Ihr gelangen 
laffe, damit Sie nicht durch feine Qualen betrübt merde. Das 
übrige Gedicht enthält bie erbetene Schilderung, bie nur dazu 


117 


dienen fol, baf mitfühlende Seelen bie Urfache von des Did: 
ters Zobe erfahren. 

Die Alpen, bie in ber fünften Strophe erwähnt werden, 
haben alberne und gehaltlofe Rathereien über ben Ort verans 
laßt, wo dies Gedicht entitanden. Quabdrio („Storia e ragion 
d'ogni poesia“, II, 2, p. 113) meint, in den veronefer Gebir⸗ 
gens Banetti (in der Zatt a'ſchen Ausgabe der Werke T. 
IV, p. If, p. 141), im Lagarinatbal unweit Noveredo; Orelli 
(„Vita di Dante“, p. 25) an ber carrarefer Kuͤſte; Dionifi 
(Aneddoto, II, p. 22), bem Fraticelli beiftimmt, vermuthet 
mit Rüdfiht auf das il fiume lungo il qual u. ſ. w. mit mehr 
Grund, ed fei dad Cafentino gemeint. Bgl. auch no 
Gary, The vision of Dante, fonbon 1819, T. I, p. XX. 
Gorbinelli ſchmuͤctt biefe Bocalitàt noch dadurch aus, daß 
er als Gegenftand ber Liebe unferes Dichters ein Bauermaͤd⸗ 
hen begeichnet, beffen Hals ein Kropf verungiert babe. — Daf 
nun wirklich das obere Arnothal gemeint fei, ergibt fich zus 
naͤchſt aus der Ucberfchrift des Gebichtes in meiner Handſchrift: 
si duole della rigidità d’una crudele donna di Casentino; 
gang befonber8 aber aus einem neuerlich entbediten, fehr merk⸗ 
würdigen Briefe Dante'8 an ben Mardhefe Marcello Malafpina 
di Giovagallo (Blätter für liter. Unterhalt. 1838, ©. 609, 10). 
Derfelbe ift von den Quellen bes Arno, wo ber Dichter vere 
muthli bei dem Grafen Guibo Salvatico gaftfreie Aufnahme 
gefunden, batirt und um bas Jahr 1309 geſchrieben. Er ſchil⸗ 
dert in Ausbriden, die genau denen unferes Gebichtes, welches 
ihm beigefügt war, entfpreden, wie Dante, faum von Malas 
ſpina's Hofe zuruͤckgekehrt, einem Weibe begegnet fei, zu mel: 

- ber heiße Liebe fich unwiderftehlich feiner bemächtigt, alle an: 
deren Gebanfen in ihm verbrängt unb ihn, der früher Frauen 
gemieden, durchaus umgewandelt habe. — Der Inhalt dieſes 
Briefes ſcheint eine allegorifche Deutung nicht zuzulaffen, unb 
fo dürfte denn kaum zu beftreiten fein, daß unfer Gebicht ur 
fprüngli in ber That ber Liebe zu einem lebenden Weibe 
gegolten babe. Dennoch werben wir nicht anftehen tonnen, 


118 


auch diefe Canzone, deren Klagen fpäterhin ber Dichter au 
eine ibeale Liebe übertragen haben wirb, denjenigen mit einzu= 
reihen, die im Convito erläutert zu werben beſtimmt waren. 

Str. I, 3.4. Iſt nad; meiner Handſchrift com’ i? ho 
voglia ftatt come voglia gefegt, ba ber Dichter das Verlangen 
laut zu Magen wol faum als eine Gabe Amors bezeichnen 
fonnte. — 3. 6 heißt e8 im Abdruck unferes Gebichtes bei 
Quabrio Portin fiatt Porti, ſodaß duol Object und parole 
Subject wären. Diefelbe Lesart hat aud Vitali (Lett. a 
Colombo p. 32) in feiner Hanbfchrift gefunden, und fo diirfte 
fie leicht den Vorzug verdienen. — Omai in 3. 10 fcheint auf 
die reiferen Jahre bes Dichters und feine frühere Zuruͤckge⸗ 
zogenheit zu deuten. — Parlare in 3. 11 ift Hauptwort: 
Redegabe. 

Str. II, 3.3. Se non Der Dichter fann Ihr Vil 
ebenfo wenig feiner Ginbilbungstraft (biefen Sinn muß, wie 
aud Fraticelli annimmt, immagine, teog des Schweigens 
der Crusca, hier haben) zurüdhalten, ald er dem Gebanten zu 
wehren vermag. Die Seele begabt dies Bild (Ia sua pena) 
mit allem Ihren Reiz und Ihrer Graufamfeit. (Das che 
dagli occhi le tira geftehe ij, nicht genügend erklären zu 
tirmen. Zwei Venetianer Manuferipte [Marc, 63 und 191] 
leſen la tira, cine dritte [neu acquirirte] und die Ausgabe von 
1491 aber li oder gli) Dann verbrennt fie in bem Feuer des 
Verlangen (ove ella trista incende; auch hier fdeint die 
Crusca unfern Dichter falſch zu verftehen) und gürnt über ſich 
wegen ber felbftentfachten Giut. Db folchen innern Wiberfprus 
es fühlt die Seele ſich fo beängfligt, daß fie Seufzer zum 
Bunde und den Augen Thrdnen fehit. Wgl. Purg. XXX, 
97—100. — In 3. 12 ift nad) der Ausgabe von 1491 aggira 
für gira gefegt: — Merito in 3.15 find die Thraͤnen, ale ges 
echte Strafe der Augen für ihr fehnfächtiges Schauen. 

Str. I. Das Bilb der Geliebten, bas nun allein bie 
Willenskraft beherrfcht, treibt, im Wohlgefallen an ber eige⸗ 
nen Schönheit, den Dichter gu dem Urbilde hin. — In dem 


119 


fane ber vierten Beile iſt das ne keine überfläffige Endung zu 
Gunften be Reimes, wie Par. XXVII, 33, fondern es muß 
aufgelöft werben: mi fa andarne, bavongeben. — Gr gehorcht, 
feines Verderbens ſich bewußt, wie Einer, ber zum Tode ges 
fàbet wird. Rings um fich her vernimmt er nur Veftitigung 
feines Werberbens, aber kein Mitgefühl und Teine Hülfe- (Bal 
das achte Sonett ber vita nuova.) In einer Randvariante der - 
Marcianer Handfehrift (191) und in der Ausgabe von 1491 
lautet bie zehnte Zeile Va co’ suoi piedi al loco ove ecc. — 
3. 12 ift eine Verwendung Amor8 oder ber Umftehenden für 
den Dichter bei ber Geliebten: „Willſt Du ihn denn fters 
ben feb?” 

Str. IV. Die Vefinmmg verläßt ihn, und was mit ibm 
vorgegangen fei, weiß er nicht, fondern nur Amor, ber ihn 
geleitete. Erwacht, läßt ihn. nur der Schrecken über feine 
Wunde und bie TobtenblAffe feines Gefichtes fchließen, welch 
cin heftiger Schlag ihn getroffen, ber gleich einem Donner⸗ 
ſchlage mit lichtem Blite begann und lange, büftere Racht zur 
Folge hatte. — 3. 2 Heißt in unfern Ausgaben: Sa’ ’l contar 
tu, non io; in meiner Handſchrift und in einer Variante bei 
Giunta: Sa’ lo tu, e non io, in ber Palatiner: Sai ti lo tu, 
und in jener Ausgabe: Ben lo sai tu, welche legtere Lesart 
mir bie angemeffenfte fcheint. — La virtù che vuole fommt 
ebenfo wie 3. 3 aud) Purg. XXT, 105 und Par. VII, 25 vor. 
— 8. 8 verbient die Ranbvariante ber Marcianer Handfärift 
(191) Ch’ Amor mi fece al cor, che ho percosso vielleicht 
den Vorzug. In meinem Manufcript fteht: che mi si fece. — 
Indem biefelte Marcianer und die Palatiner Handfehrift in 3. 
12 mostri lefen, verbinden fie diefe Belle mit der vorhergehen⸗ 
den. Die erfte fegt aufierbem la mia ftatt poi la. Marc. 63 
dagegen Chè mostral poi la. — 3. 15 lautet in ber Marcia= 
ner Handſchrift (191) Poi lungamente si rim. und in einer 
Randvariante: Lungo da gioja poi rim. 

Str. V. Man fhnnte daran benfen, in bem Sinne, weis 
hen Dante dem Gebichte im Convito beigelegt haben würde, 


120 


diefe ganze Strophe allegorifch zu nehmen und ben fiume, von 
dem bier die Rede if, mit der fiumana aus Inf. II, 108 (vgl. 
Pfalm 137, 1.) in Verbindung zu bringen. An beiden Stellen 
würbe alsbann, obwol in verfchiedenem Sinne, der Fluß bem 
Meere finnlicher Leidenfchaft gegenüber ſtehen. Dann wäre 
que) die Klage, daß Niemand da fei, feine Leiden mitzufüh- 
- ten, nicht die Bezeichnung eines Ortes, fondern die ber Zeit 
im Allgemeinen und fie entfprädhe fo mandher ähnlichen Aeufie= 
rung in Dante8 Schriften, 3. B. Purg. XVI, 115—20. 
Am. conv. I, 9 und Vulg. El. I, 12. — 3u 3.7 fann au 
Son. 31, Terz. 1 verglichen werben. 
Die fechfte Strophe beweift, wie ſchon Dionifi (Aned. 
II, 21) ausgeführt bat, Dant e's unveränberliche Liebe zu feis 
nem Vaterlande, bas ihn verbannt batte, und den Verdacht 
feindlicher Angriffe, den man gegen ihn hegte. — Montanina 
mit Quadrio durch Eunftlos, rob zu erklären, ift gemig uns 
zutäffig. — In 3.6 lefen meine Handſchrift und cine Variante 
bei Giunta fattor ftatt signor, unb in ber legten Zeile gibt 
Fraticelti più flatt qui alè abweichende Lesart an. 


Elfte Canzone. 


Die Gefinnungen biefer und ber nddiften Canzone find fo 
nahe verwandt, daß über ihre Rangorbnung wol geſchwankt 
werben Tann, und id wenig zu entgegnen wüßte, wollte man 
etwa wegen unferer britten Strophe ihre Zahlen umftellen. In 
beiden baffelbe weiche Erliegen ber liebenden Sehnfucht, in bei: 
bemfaft nur ummilllürliche Klagen mit der Ueberzeugung ver⸗ 
bunden, daß in biefer wenn auch fruchtlofen Liebe dennoch für 
den Dichter das einzige Heil zu finden fei, in beiben enblich 
diefelbe Ergebung in ben nahe geglaubten Tod. Der Unters 
ſchied zwifchen ihnen befteht nur darin, daß die gegenwärtige 
Canzone an bie Geliebte felbft gerichtet ift, bie nddifte aber 
Amor um feine Hülfe bittet; und um diefes unterſchiedes mil: 
len babe ich die gewählte Neibenfolge angenommen. Grft in 


121 


der zwölften Ganzone nämlich ſcheint mir bie Ibee von dem 
abfoluten Werthe ber Liebe, ohne Rüdficht auf die Gefinnung 
des geliebten Gegenftandes, in feiner vollen Reinheit hervors 
zutreten und fo biefe Canzone, die Gefcichte biefer in fi 
ibealen Liebe ebenfo wuͤrdig zu beſchließen als bie brei völlig 
fpeculativen einzuleiten, welche die Gedichte des Amoroso con- 
vito enden. J 

Fraticelli will dieſe Canzone den gum Cyklus der vita 
nuova gehörenden beigezäßlt wiffen, und in der That find nicht 
nur die Gebanken weicher, ift die Sprache weniger concis als 
in der Mehrzahl der zum „Gaſtmahl“ gehörenden Gedichte; 
fondern einzelne Motive ſcheinen den im neuen Leben behanbelz 
ten nahe verwandt. Hierher gehört insbefondere, wie ſchon 
Braticelli bemerkt bat, das Verlangen nach dem Grufe (la 
salute) ber Geliebten (Str. 1, 3. 12. Str. 5, 3. 1), welches 
auch die vita nuova fo befonder8 hervorhebt (Cap. 9, 10, 18). 
Da indeß die gegenmdrtige.Ganzone in allen Handfchriften mit: 
ten unter ben für das Convito beftimmten und zwar unter 
den drei Schlußcanzonen fteht, und da die Gefinnung, welde 
in ihr fich ausfpricht, zu ber Entwidelung dieſes Cyklus wer 
fentlich gehört, fo ameifle ich nicht, daß ihr der richtige Plag 
angewiefen ift, obgleich die Wahrfcheinlichkeit eingeräumt wers 
ben fann, daß fie unter ben Gebidten, bie Dante in der ans 
gegebenen Weife zufammenzuftelen gedachte, befonders früh 
entftanden fein mag. 

Vollig verfchieben ift die Deutung, die Roffetti an mehr 
ren Stellen feiner Scheiften von unferer Canzone gegeben 
(Comento anal. I, p. 268, 69. II, 374. Spir. antipap. p. 245. 
dgl. mit [Mendelsfohn] Bericht, ©. 6164). Rad) ihm 
entbielte fie eine dringende Aufforderung an Kaifer Heinrich VIE. 
(la salute), nicht unnig bei der Belagerung von Brescia und 
Eremona zu verweilen, fondern ſchleunig ben Ghibellinen in 
Zoscana, beren Kräfte erfchbpft feien (sono al fine della mia 
possanza), zu Hülfe zu fommen. Amore wäre bad Ghibellis 
nentbum, Donna bie Zaiferliche Gewalt und unter ben messi 

Dante, Lyriſche Gedichte. IL 6 


122 


müßten die Heere bes Kaiſers und feiner Partei verftanden 
werben. — Dante vermeilte damals in Poppi bei dem Grafen 
Guido Novello, alfo in einer zwar guelfifchen, aber dem Kaifer 
verbundenen Familie und batte Feinen Grund, feine Wuͤnſche, 
daß Heinrich feinen Römerzug beſchleunige, in eine gefhmad= 
loſe Chiffre zu huͤllen. Daf er dies aber auch in ber That 
nicht gethan, belegen feine auf und gekommenen Briefe zur 
Gendge, und es wäre mehr ale thöricht gewefen, hätte der 
Dichter, was er in den herbften Worten foeben auf dem Markte 
ausgerufen, zugleich noch in bem unverſtaͤndlichen Jargon der 
Sectenſprache von fern andeuten wollen. 

Str. I. Das Gemüth des Dichters wird von miberftrei= 
tenden Gefühlen befämpft und muß erliegen, wenn bie Geliebte 
ihm nicht bald mit Ihrer Gunft zu Hülfe fommt. — Das 
erfte Gefibl iſt Schmerz über bie lange, vergeblidier Liebe 
geweihte Beit; worin wir bagegen bas zweite Gefühl erfennen 
folen, ſcheint zweifelhaft. Man koͤnnte glauben, das „fchöne 
Sand’, welches der Dichter verlaffen bat, wäre bie Liebe felbft, 
der er, im Unmuthe über bie Härte ber Geliebten, ſich zu ente 
ziehen badıte, fobaß jene beiden Empfindungen nur in dem 
Kampfe zwiſchen bem Aufgeben ber Liebe und dem Fefthalten 
an ihr zu fuchen wären. Richtiger aber fol bier überall mm 
der niebergebeugte Gemüthszuftand des Dichters bezeichnet wer⸗ 
den, als deffen wefentlichfte Gründe er feine unbefriebigenben 
geiftigen Anftrengungen (unerwiberte Liebe) und bie Sehnfucht 
nad) dem Vaterlande, das ihn verftofien, anführt. — 3.7 lau⸗ 
tet in ber Palatiner umb faft ebenfo in meiner Handſchriſt: 
Nè dentro i sento tanto di valore; ba fi} indeß di lui in 
8. 11 wieber auf bas Herz bezieht, fo ſcheint deffen Erwaäh⸗ 
nung bier nicht ausgelaffen werben zu dürfen. — 3. 10 bietet 
meine Handſchrift am Rande die Variante: ch’ a voi: denn 
Euch liegt es ob, zur Rettung meines Herzens etwas zu uns 
ternehmen; indef ſcheint das ungewiffe mai ein vorausgehendes 
se zu fordern. — Fia flatt sia in der Schlußzeile ik nach eis 
ner Variante bei Giunta aufgenommen. 


128 


tr. II. In der vorigen Strophe fordert der Dichter alfo 
feine Dame auf, ibm zu helfen, „wenn dies ihr anders zus 
tommt” (se a voi conviene). Bu zeigen, daß fie wirklich 
Grund habe, ſolche Hilfe zu leiften, ift nun der Gegenftand 
biefer Strophe. Schon ein guter Herr, fagt der Dichter, 
fpringt feinem Sclaven bei, wenn biefer in Roth ibn ancuft, 
benn er findet in deffen Vertheibigung feine eigene Ehre. Ih 
bin nicht allein ber Eure, fondern ich trage Euer Bild in mir 
und halte mid nur um beffentwillen werth. Run liebt uns 


aber Gott, um Seines Bildes willen, und fo müßt aud Ihr. 


Erbarmen mit mir haben. — 3. 2 ift nach ber Palatiner und 
meiner Handſchrift In ftatt A gefegt. — 3. 3 ift die Lesart 
zweier Marcianer (63, 191) und meiner Handſchrift ber ger 
wöhnticjen: Poi vorgezogen; bod) fommt poi ftatt poichè öfter 
vor, 3. B. Par. II, 56. — 3. 4 bleibt ber Artifel vor freno 
mit meiner Handfdrift, der Ausgabe von 1491 und einer Vas 
riante bei Giunta beffer meg. — 3. 7 la sua doglia bezieht 
fi auf bas Serg in der zweiten Zeile. — 3. 8 lautet in den 
Gandſchriften fehr verfchieben: Eine Marcianer (63) bat: 
Madonna quando penso ben che vui, eine zweite (191): Qualora 
penso, eine brite (neu acquirirte): Quanto più penso. Gra: 
ticelli lieft: Quand’ io mi penso, donna mia, und eine Vas 
viante bei Giunta: Quand io più penso ben. — 3. 9 pinta 
tönnte zwar heißen, hineingetrieben ober hineingeftoßen, wird 
aber ficher richtiger von malen hergeleitet, wie Par. XXXIII, 
131. — 3. 12, 13 misverfteht Lyell gänzlich, wenn er übers 
fegt: For gem, which bears the impress of a friend, Must 
through that pictared form be held more dear. 

Str. IM. Die Geliebte foll darin, daß Dante eben an 
&ie fi) wendet, den Beweis finden, daß ihn die größte Noth 
bebrängt. Denn, fagt er, ale Schmerzen, allein die töbtlichen 
ausgenommen (infino, nit, wie Lyell überfegt, mitindegrifs 
fen), muß ber Menfd ertragen, und feine Ausſicht der Rete 
tung muß ihm mehr übrig fein, ehe er fi) entfchließt, bie 
Huͤlfe feines beften Freundes anzufprechen. — ihm dieſer 


124 


nit willfabren, fo wäre fein Tod ja um fo ſchmerzlicher. — 
3.3 lefen andere Handfehriften beutlicher, aber minber zierlich: 
io sono al fine. — 3. 8. Die richtige Sesart ftatt des völlig 
finnlofen Dell’ uomo mander unferer Ausgaben hat ſchon die 
Giuntina, 

Str. IV, 3.1 lieft mein Manufcript quella cui più amo 
— 3. 3 habe ich nach derfelben Autorität des größeren Mohpl= 
lautes wegen verändert; die gewöhnlichen Ausgaben lefen: E’n 
cui la mia speranza più rip. — 3. 7. Osa im gewöhnlichen 
Sinne, infofern fich freilich Fein Anderer getrauen darf, über 
Dante’s Schidfal das nö auszufpredhen. Dod fommt osare 
aud) in einem dem einfachen Tönnen verwandten Sinne vor: 
è B. Boccaccio, Giorn. INI, Nov. 1, um bie Mitte. — 
Das tututto im fuperlativem Sinne, flatt tutto tutto, fommt 
bei älteren Scheiftftellern, namentlich bei Boccaccio, nicht 
felten vor, wie dies die Crusca und Salviati (niht Salz 
vini, wie Betti ibn citirth Avvertimenti della lingua 
Vol. II, lib. 1, cap. 4, p. 11 genügend nachgemiefen haben. 
Vgl. Salo. Betti in ber De Romanis’fchen Ausgabe der 
Div. comm. Purg. XVIII, 78. Dennod) iſt es fehr qreifete 
baft, ob Dante fi hier diefes Wortes bedient habe, da ich 
keine ältere Autorität alè bie Giuntiner Ausgabe für diefe Less 
art nadizumeifen vermag. Die Ausgabe von 1491 hat blos 
tuto unb alle Handſchriften, die ich einzufehen Gelegenheit ges 
Habt babe, entweber di me, oder di ciò. Gtatt in Iefen Gi: 
nige en oder è ’n. 

Str. V. Mit der Verwandtfchaft bes Grußes der Gelieb: 
ten (salute) und des dadurch verliehenen Heiles (salute) fpielt 
Dante zu Zeiten. (Bgl. 3. B. das 15te und 16te Sonett der 
vita nuova.) — Wollte bie Geliebte vieleicht aus blofem Gr= 
barmen einen Liebelofen Gruß fenben (la sua venuta), fo wilde 
dem Dichter dadurch Feine Hülfe werben. Der Pfeil, mit bem 
Amor ihn verwundete, al8 er bie Geliebte querft fab, verfchließt 
noch den Eingang zu feinem Herzen, und nur Amord Boten 
wiffen dies Schloß zu Öffnen. Im Geleite eines ſolchen alſo 


125 


muß jener Gruß kommen, wenn er irgend frudten fol. — 3.4 
lefen die gewöhnlichen Ausgaben: Ma sappi, wogegen ic) der 
Palatiner Handfchrift gefolgt bin. Eine Marcianer (191) hat 
Ma sappiate che | suo entrar; in ber meinigen ftebt dentro 
ftatt di lui, — 3. 7 lieft meine Handſchrift Perchè a tutti 
1° entrare è cont. und bie Palatiner Perchè lo entr. a tutte 
altre. — 3. 8 hat die Ausgabe von 1491 fanno ftatt sanno. 
Die Schlußftrophe weit von ber oben angegebenen 
Regel, nad) der die Tornata ber zweiten Hälfte ber Strophen 
entfprechen fol, ab, offenbar um auch in ber zum Ende eilens 
den Form bie gänzliche Erſchoͤpfung des Dichters auszubrüden. 


Zwoͤlfte Canzone. 


Es ift biefes Gedicht mit mehr Vewuftfein und Kunft, 
daher aber aud mit weniger Innigkeit gefchrieben als das 
vorige, wie ſich dies in der Sprache und befonders in den ges 
lebrten Bildern offenbart. Die Sprache biefes Gebichtes ift 
auffallend weniger leidenſchaftlich, ala bie ber früßeren. Von 
den Reizen ber Geliebten wirb faft nur vorübergehend in der 
dritten Strophe geſprochen; befto ausführlicher aber von Amors 
Macht über den Dichter, die ſich nur wie zufällig beim Anblick 
ber Geliebten in foldem Mafie offenbart hat. Dante felbft 
gebentt biefer Ganzone im Vulg. El. (II, 5 u. 11) mit Wohl⸗ 
gefallen, und Leonardo Aretino citirt die Eingangszeilen 
ala Probe der fhönen Anfänge von Dante’s Gedichten. 

Str. I, 3.1. Muovi für: bu läffeft ausgehen, kommt 
felten vor; body find bie Veifpiele in ber Crusca $. XI ver: 
wandt. Fraticelli erflirt zwar: Du leiteft ber; Lyell 
indef ftimmt ber vorigen Erflirung bei, und fie ift die riti: 
gere; da man nicht fagen Tann, bie Sonne leite ihren Glanz 
vom Himmel ber. 

3. 3 u. 4. Der verfchiedene Einfluß der Planeten je nad 
der verfchiedenen Fähigkeit des Gegenftandes ift ſchon mehr⸗ 


126 





mals erwähnt. — Michel Agnolo Vuonarotti fagt von 
der Sonne: 
A me in un modo, ad altri in altro, e altrove 
Riluce, e più e men sereno e terso, 
Secondo l’egritudin, che disperso 
Ha l'intelletto alle divine piove. 

So firabit fie mir, und anders anberwegen, 

Hier gine fe heit, dort feheint fie nur erfehlafft, 

Und wechfelnd ift die Wirkung nad) der 

Die aufzufahn vermag den Strahlens Regen. 
ie nun die Gonne je nad) bem Abel des Gegenftandes, den 
ihre Strahlen befcheinen, größere oder mindere Wirkung übt, 
fo aud die Liebe. Die Uebertragung des Bildes auf Amer 
verſchweigt der Dichter; vieleicht weil Guido Guinicelli in der 
von Dante öfter angeführten Canzone fe ausführlich erörtert 
hatte. 

3.5. Wie ferner die Sonne Kälte vertreibt und Licht 
verbreitet, fo zerftört die Liebe niedrige Gefinnungen und er: 
wedt alle Thaͤtigkeit des Menſchen. Ohne die Liebe zu den 
(wahren obgr cingebilbeten, fegt bie göttliche Kombbie hinzu) 
erfirebten Gütern, blieben bie Kräfte im Menfchen nur Zähige 
keiten (potenza) : 

„Quinci comprender puoi, ch’esser conviene 

Amor sementa in voi d'ogni Virtute, 

E d’ogni operazion, che merta pene. (Purg. XVII, 103.) 
Xgl. Par. V, 9. 

3. 8. Ira ſcheint auf ben Zorn Über bie Kälte der Ges 
Hiebten zu deuten. 

@tr. I. La stella für die Geftirne, im Gegenfag ber 
Some, ift bei Dante fo häufig, daß fi ſchwer begreifen 14ft, 
wie bie Gommentatoren zu Inf. II, 55, von Landino ab, fo 
viel Albernbeit von Sonne, Venus u. ſ. w. ſchwaten, und dieſe 
bis auf Taeffe, Roffetti und Fraticelli no@ wieder: 
holen Eonnten (vgl. auch Perticari Apologia di Dante p. 
275 und Nannucci Manuale del primo sec. I, 78), da Voc 





127 


caccio und Lombardi ſchon bie rechte Erflärung gegeben 
batten. Aud in den Anmerkungen zur gegenwärtigen Stelle, 
wie zu Ganz. IH, Str. 5, 3.8 will Fraticelli stella durch 
Sonne erklärt miffen, obgleich) unmöglich gefagt werden kann, 
daß der Strahl die Sonne beſcheine; während ſchon oben zu 
Ganz. II, Str. 1 bemerkt wurde, daß nad ber Anficht des 
Mittelalters allerdings fomol Firfterne als Planeten ihr Licht 
von ber Sonne erhalten. Beduͤrfte es noch eines weiteren Ber 
weifes , fo böte einen unmiberleglihen Str. 4, 3. 8 der giveis 
ten Gangone ber vita nuova, wo es beißt: Turbar lo sole ed 
apparir la stella. — 3. 3. Poi che iſt getrennt worben, da 
es nicht weil, fondern feitdbem bebeutet. — 3.5. Die Liebe, 
die unter allen Ganzonen in biefer am großartigften aufgefafit 
ift, fpricht ſich Pier ala allgemeine Freude am Schönen aus, 
die auf ben einzelnen Gegenftand ſich nicht beſchraͤnkt, und 
ihrer VeftAndigleit unbefchabet, verfehiedene Danifeftationen 
erfahren Tann. — 3. 7 lefen meine Handſchrift und die Aus: 
gabe von 1491 In rimirar. — 3. 1% Die Strahlen Amors, 
von bdenen bie Geliebte beleuchtet war, fpiegeln fi in Ihren 
Augen und entzünden, trog Ihrer eigenen Kälte, das Herz 
ded Dichters. . 

Str. IM. Die erften vier Zeilen find mit der zweiten 
Strophe unferer zehnten Canzone zu vergleichen. — Statt 
Negli atti lefen nach Giunta andere Handſchriften in ber zweis 
ten Zeile Leggiadra. — 3.5—8. Selbſt Ihre Schönheit aufs 
zufaffen und wieder zu erzeugen, wäre der Geift zu ſchwach, 
begabte bie Liebe ihn nicht mit uͤbermenſchlichen Kräften. — 
3. 9. Gs ift bezeichnend, baf in jeder biefer brei Strophen 
Amor einmal mit ber Gonne verglichen wird; doch muß ich 
frei bekennen, baf id) diefe legte Stelle nicht, fo wie ich es 
wünfchte, verftebe, unb überhaupt von einem ‘gròfiecn Kenner 
der Phyſik jener Zeit genaueren Aufſchluß über bas damals 
angenommene Verhaͤltniß der Sonne zur Sphäre des Feuers, 
in Bezug auf die Wärme, ermarte. So weit ich ſchon jest 
den Ibeengang zu verfolgen im Stande bin, fo feheint er mir 


128 


folgender zu fein: bie Schönheit der Geliebten ftärkt im Giau: 
ben (conforto, ebenfo wie Inf, IT, 29) an Amors Herrlichkeit, 
gemiffermafien als Eine Offenbarung der legten. Dennoch if 
diefe Schönheit nicht etwa ein bloßes Werk von Amors Sand, 
fondern fie hat ein felbftindiges, an fich fon hohes Dafein, 
mit dem ſich Amor nur verkörpert, und fo entftebt durch Amors 
Einfluß eine Erſcheinung mit Reizen begabt, wie fie ber un 
törperlihe Amor nie hätte hervorbringen koͤnnen. Auf ähnliche 
Weiſe, fagt der Dichter, befteht auch die Sonne für fi, ihre 
Wärme aber gibt in den wohlthätigen Einwirkungen, bie fie 
über das Weltall verbreitet, folde Kunde vom Feuer (von der 
Atmofphäre des Beuers?), das wieder auf fie einfließt, als dies 
legte an fich nie zu geben im Stande gewefen wäre. — 3. 11. 
Die von Giunta erwähnte Lesart: Sovra d’ogni suggetto 
ſcheint mir irrig. ° 

Die IV. Strophe wiederholt zu Anfang den ſchon Str. 1, 
3. 9 auögefprochenen Grunbgebanfen mit erneutem Nachdruck 
Aud) Lyell verftebt diefe Zeilen gleich uns, und ich weiß nicht 
zu erfennen, warum Fraticelli fie unverflänblich nennt. — 
3. 2. Die Ausgaben lefen questa nobilitate; bagegen ift 
quella aus einer Variante bei Giunta entlehnt. — 3.4 levare 
im Sinne von herleiten fehlt in ber Crusca. — 3. 6. Guarda 
fann allerdings ben von unferm Ueberfeger angenommenen Ginn 
haben, body wäre wol richtiger: 

Sieh her, wie viel mein Leben muß erbulben. 
— 3.8 ift, mehren Autoritäten gemäß, sentir nel für sentire 
al gefegt. — In 3. 12 Tann gezweifelt werben, ob giovinessa 
auf die Geliebte ober auf ben Dichter zu beziehen fei, doch 
f&eint mir, gegen Lyell und gegen unfern Weberfeger, das 
erfte richtiger; beſonders auch wegen ber nddiften Zeile. 

Str. V, 3° 6. Tal ift auf ähnliche Weife gebraucht, wie 
oft in ber göttlichen Komöbie, 5.8. IX, 8: Gin fo gewaltiger 
Gegner bekämpft mein Leben, daß ich nicht benfe (ragiono, 
vgl. Purg. XIX, 137 und unfere 15te Canzone, Str. 3), fein 
Ende wird fi} lange verzögern. — Im 3. 4 darf das o in 


129 


ov nicht ausgefprochen werben; fobaß vielleicht beffer La ’v 
io gefjrieben würde. — In 3. 8 will Vitali (Lett, a Co- 
lombo p. 23) nad feiner Handſchrift und ber Ausgabe des 
Sermartelli posson ftatt possan fegen ; boch feheint er den 
Sinn der Stelle nicht richtig aufgefaßt zu haben. — In ber 
legten Zeile fpricht die allegorifche Tendenz ſich wieder mit bes 
fonderer Klarheit aus. — Ogni uom ift alé bag prägnantere 
gegen ben Wiberfprudh von Vitali 1. c. p. 26, der ognun 
gelefen wiffen will, beibehalten. 


Dreizehnte Canzone *). 


Dieſe ſchwer verſtaͤndliche und auch in der Form beſon— 
ders kuͤnſtliche **) Canzone handelt von ber leggiadria, einer 
Eigenfhaft, die im Deutfchen wol nod am beften durch Ritz 
terlichteit, Hof= ober Ritterzucht überfegt wird und der che- 





*) Schr lebrreiche, fomol bie Ueberfegung alè den Goms 
mentar diefer Canzone betreffende, Bemerkungen gibt —*9 
Wagner in den Jahrbuͤchern für wiſſenſchaftliche Kritik 1828, 
Sp. 39-42. i 

**) 3. 2 und 8 (b. h. bie beiben zweiten Zeilen der zwei 

iedi, in welche bie fronte zerfällt) find fünffglbig; 3. 4 und 

jebeg piede und 3. 1, 3, 6 ber sirima (13, 15, 18 ber 
Strophe) gm fiebenfglbig, die übrigen zehn Zeilen elffglbig. 
3. 1 und 2 jedes ber beiden piedi reimen nicht nur miteinanz 
der; fondern berfelbe Reim kehrt auch ale zweite und dritte 
Splbe. ber dritten Zeile jedes piede, im Ganzen alfo ſechsmal, 
wieber. Dante felbft fagt darüber (Vulg. El. IT, 12): „In 
dictamine magno sufficit unum pentasyllabum in tota Stan- 
tia conseri, vel duo ad plus...; minime autem trisyllabum 
in tragico videtur esse sumendum per se subsistens. Et 
dico per se subsistens, quia per quandam rythimorum re- 
percussionem frequenter videtur assumptum, sicut inveniri 
potest... in illa quam diximus: Poscia ch’ Amor del tutto 
m’ ha lasciato. Nec per se ibi carmen est omnino, sed 
pars hendecasyllabi tantum ad rythimum praecedentis car- 
minis velut Echo respondens.“ 

6** 


130 


valerie nahe verwandt ift. Es erinnert dies Gedicht lebhaft 
an unfer viertes, und ſchon aus biefer Sonberung geht hervor, 
wie Dante zwifchen (Seelen) Abel und Ritterlichkeit unter: 
ſcheidet. Nach einem ganz ähnlichen Plane, wie in ber er: 
wähnten Ganzone, berichtet und miberlegt Dante auch hier in 
den erften drei Strophen bie irrigen fremben Meinungen. In 
der vierten und fünften fucht und beftimmt er ben richtigen 
Begriff, und in den beiden legten endlich ſchildert ex ihre 
Wirkungen. 

Str. I. Schon die erften drei Zeilen find dunkel. Als 
Grund, weshalb er bebauere, daß Amor ihn verlaffen habe, 
fagt der Dichter: Che stato non avea tanto -giajoso. Ih 
überfege non durch niemals fonft, und verftebe: fo große 
Schmerzen mir die Liebe auch machte, fo war ich doch noch 
nie fo glüdtich gewefen, als unter ihrer Herrſchaft; — unge: 
fähr wie e8 in dem alten Kirchenhymnus heißt: 

Blandus hic dolor est 

Qui meus amor est. 
Vgl. auch Guitton d’Urezzo, Ganz. 36 (Tutto ’l dolor, 
ch’ io mai portai fu gioja) in Valeriani8 Auégabe der 
rime Fir. 1829, I, 153. 

3. 7—16 enthalten nun die Erpofition der ganzen Gan: 
gone: Kampf gegen Die, welche niedrigen und gemeinen Selen 
Ritterlichkeit beilegen wollen (3. T—12) und Preis ber Let: 
ten (3.13—16). — Sn 3. 14 ift ftatt colui nad) der Mars 
cianer (191), nad) meiner Handſchrift und nach der Ausgahe 
von 1491 colà gefegt. — 3. 17-19 erinnern wieber an bie 
Schtußzeilen der Unfangeftrophe ber vierten Ganzone, vergli: 
chen mit ber Tornata derfelben. Bier und dort entfteht bad 
Gedicht aus der Unzufriedenheit mit Amors Härte; am beiden 
Orten aber wird ein Gegenftand erwählt, welcher ber Liebe 
verwandt ift und fo aud) den Wuͤnſchen des Dichters foͤrderlich 
fein tann. — Die richtige Lesart der 3. 17, flatt der finnlofen 
unferer Ausgaben, findet fich ſchon in der Marcianer (191) und 
meiner Handfhrift, dem Drucke von 1491 und der Giuntina. 


131 


Str. I. Ginige glauben ritterlich zu fein, wenn fie nur 
verſchwenden, was fie haben. — In 3.2, 3 mill Vitali flatt 
des gewoͤhnlichen capere valere nad) feiner Handſchrift potere 
capere lefen (Lett. a Colombo p. 30, 31). Die Marcianer 
(191) bat potere Sapere und dad potere vertritt auch das 
Manufcript No. 63 berfelben Vibliothe. — 3. 4—6 ftellen 
der Erklaͤrung faft unüberfteigliche Hinderniſſe entgegen. Bus 
erſt ift ungewiß, ob wir in 3. 4 dad Che beibehalten, ober 
mit zwei Marcianer Handſchriften (63 und einer neu acquirir⸗ 
ten) und der Ausgabe von 1491 Ma lefen follen. Ferner aber 
machen die verfchiebenen Bedeutungen der Worte riparo (Ver⸗ 
geltung, Schug, vielleicht Warnung, vgl. auch Par. XXII, 
150) unb conoscenza (Erkennen, Ertenntnif und Erkenntlich—⸗ 
keit) ben Sinn zweifelhaft, und auf Feine Weife ſcheint er ſich 
zu ben übrigen Gebanken runden zu wollen. Ich bin bei Ums 
bibung der Ueberfegung der Anfiht von Wagner gefolgt, 
daß che als Relativum auf gli buoni zu beziehen und bas Ganze 
fo zu verſtehen fei die Guten, die nad tem Tode noch fi 
halten, feftftehen in der Erinnerung der Einfichtigen ober Vers 
föndigen. Aebnlid) ſcheint auch Lpell die Stelle aufgefaßt zu 
haben: And after death to have Their memory preserved 
By those who rank among the illustrious wise. grati: 
celli ſchweigt gänzlich. — 3. 7. Sie find auf dem Irrwege! 
messione für Betragen fommt ebenfo vor im Conv. IV, 11, 
a. €. IV, 27 med. verb. „Non altrimenti si dee ridere, ti 
ranni, delle vostre messioni“ dgl. die Anmerkungen ber Mais 
länder Ausgabe an beiden Stellen. — 3. 8. Verſchwenden ijt 
Lafter ſowol als Geiz; mit Maße behalten (tenere) und mit 
Mafe ausgeben (vgl. Ganz. 15, Str. 5) ift allein Weisheit 
(savere) und Tugend. Bgl Inf, VII, 19 sq. Purg. XXI, 
31 sq. Conv. IV, 27 med, Verſchwendung bereitet Dem, der 
fie übt, und Andern Unbeil; in ihr alfo Tann Ritterzucht nicht 
beftehen. — Von 3. 13 beginnt eine zweite irrige Meinung, 
det zufolge Miele ritterlich gu fein glauben, wenn fie ſchlem⸗ 
men, der Wolluft feöhnen und in feltfamem Puge einhergehen. 


132 


Wie bizarre und lächerlich ber männliche Pug jener Zeiten haufig 
gewefen fei, lehrt unter Anderg cine fehr ergögliche Stelle bei 
Boccaccio, Commento a Dante, T. I, p. 330— 336 der 
alten Ausgabe. Die Sitte, zu verfaufende Thiere zu ſchmuͤcken, 
auf welche 3. 15 und 16 anfpielen, ift in Italien uralt: Uti 
quae optime ornata vendendi causa fuerint, ita emtoribus 
tradentur, fagt das Ebict der curuliſchen Aedilen. Noch heute 
fagen roͤmiſche Frauen wol zu Deutfchen, die grünes Laub oder 
Blumen auf den Hut geftedt: Volete andare a farvi vendere 
in campo Vaccino? — 3. 16 lieft die Marcianer Handſchrift 
(191) Dovessonsi fatt Si volesse, und 3. 18 biefelhe, gleid, 
der mit No. 63 bezeichneten, Ch’ altrui ftatt Perchè. — In 
3. 19 enblid) will Ubaldini in feiner Tavola (Ginter Bars 
berino’ Documenti) genti coraggi ftatt gentil coraggi ge: 
lefen wiffen. Coraggio für core ift im 13. Fabebundert fehe 
gebriudilicd. gl. zu Ganz. XVIII, Str. 3, 3.9. — Bl 
felten ein Weifer fein muß, wie die ſchoͤnen drei legten Zeilen 
ibn ſchildern, zeigeh Juvenal's ewig wahre Verfe: 

Quid, quod materiam praebet causasque jocorum 

Omnibus hic idem, si foeda et scissa lacerna, 

Si toga sordidula est, et rupta calceus alter 

Pelle patet, vel si consuto vulnere crassum 

Atque recens linum ostendit non una cicatrix, 


Str. II. Eine dritte Alaffe fegt ihre Ritterlichkeit darin, 
daß fie durch unzufriedenes Belaͤcheln ber Dinge um fid) her 
den Ruf der Klugheit, durch gezierte Reben den der Gelebr: 
ſamkeit und durch Gefühllofigkeit den Namen der Vornebmbeit 
bei dem großen Haufen fi erwerben: 

Sie feinen mir aus einem eblen Haus, 
Sie feben ftolz und unzufrieden aus. 
3. 5. Von ridere, etwas beladen, mit bem Accufatio 
(cosa) fommt ein Veifpiel aus Varefi in der Crusca, $. III 
. bor. — Die Marcianer Handſchrift (191) entftellt den Sinn, 
indem fie diefe zwei Zeilen fo lieft: Questi son ingannati Vo- 
lendo dicer cosa. — 3. 8. Spiacenti überfege ich nicht: den 


133 





Guten misfallend, fondern ungefällig, ober mit einem veralte- 
ten Ausbrud: Dete. — mirati ftatt lodati, wie zwei Mars 
cianer Handſchriften in 3. 9 leſen, ift ziemlich gleichbedeutend. 
— 3.12. Scede, ſchlechte Wige (Par. XXIX, 115, Voce 
caccio Decam. Giorn. VIII. Nov. 4. in.), mit denen fie ihr 
Gefpräch allein zu verzieren wiffen. Man Tönnte verfucht fein, 
diefe Schilderung auf die vornehm thuenden jungen Leute deut⸗ 
ſcher Hauptſtaͤdte noch heute anzumenten. — 3. 14. Donneare, 
um Grauen werben, ift ein f&hönes Wort (Par. XXVII, 88. 
Novelle antiche 62, 80), wofür e8, wie für bie meiften vers 
wanbter Bebeutung (vagheggiare, amoroso, leggiadro, gen- 
tile, madonna), uns an einem beutfchen Ausdruck fehlt. Aud 
der Gegenfag sdonneare fommt in biefen Gedichten vor: Ball. 
1 der vita nuova Str. 4, 3.2. Ebenfo wenig aber heift don- 
neare ein Weib werden, als sdonneare aufhören ein folches zu 
fein, wie Roffetti Comento (II, 399) mit Ruͤckſicht auf feine 
Traͤume von. mittelalterlichem Carbonarilogen, in benen bie 
Abepten des zweiten Grades donne geheißen hätten, behauptet. 
Aud) die Crusca irrt indeß, wenn fie sdonneare mit isnamo- 
rarsi erflärt. — 3. 17. %n ben Männern liegt die Schuld, 
nicht an ben Frauen. Jene find verberbt, nicht diefe. Gin 
wahres Wort. Statt è così spento lieft cine Marcianer Sand: 
ſchrift (191) è sì dispento und die andere (63) siano ispento. 
In ber legten Zeile habe ih mit Lyell pajano ftatt pajono 
gefegts eine fo beſcheidene Aenderung, daß es dafuͤr wol keiner 
befonberen Autorität bedarf. Die Ausgabe von 1491 hat par- 
rieno, 

Str. IV. In allen Handſchriften und Ausgaben, bie ich 
nachgefehen, mit alleiniger Ausnahme der Marcianer Handfbrift 
(191), ift die gegenwärtige Strophe, als fünfte, der folgenden 
nachgeftellt, obwol genauere Betrachtung die, nunmehr zum 
erſten Mal befolgte, Anorönung von felbft als die richtige hätte 
ergeben muͤſſen. — Die erften Zeilen biefer Strophe ſchließen 
ſich als Schluß des Sages nothwendig an bie legten der voris 
gen Strophe an. Hierauf fagt der Dichter, mie er durch die 


. 


134 


Geliebte von dem Weſen wahrer Ritterzucht belehrt, fie bar: 
zuſtellen verpflichtet fei, follte auch Niemand ihn hören wollen. 
Er betheuert bei Amor, nur bem Tugenbbaften Tönne leggia- 
dria beigemeffen werben; biefe milffe alfo entweder Tugend 
ſchlechthin fein, oder zur Tugend in engem Verhaͤltniß ſtehen. 
Die legte Alternative verfolgt aldbann bie fünfte Strophe und 
bezeichnet bas Werhältniß der leggiadria zur Tugend durch das 
ber Sonne zu Licht und Wärme. In der ſechſten Strophe 
wird alsbann dies Gleichniß ber Sonne weiter fortgeführt und 
durch diefe Umftellung zweier Strophen gewinnt nicht nur Meg 
gehörigen Bufammenbang, fonbern viele frühere Zweifel ldſen 
fi} ganz von felbft. — 3. 3 bietet eine Variante bei Giunta bie 
®esart: Disvia cotanto, e quanto più ne quanto ne conto; 
Vitali (Lett. a Colombo p. 31) will dagegen nad} feiner 
Handſchrift lefen Disvia cotanto, e più quant’ io ne conto. 
— 3.4—12 nennt der Dichter ſich mit der leggiadria befannt, 
vermoͤge ber Geliebten, die fie in Allem zeigte, mas fie that. 
Hier nun ergibt fich die Unzuldnglichteit des deutſchen Mor: 
tes: Ritterzucht, bas für die, unter leggiadria mitbegriffene, 
weibliche Anmuth kaum gebräuchlich ift. — 3. 6 lieſt bie Mar: 
cianer Sanbfcrift (191) dimostra ffatt mostrava, was ih 
vorziehen würde, glaubte ich nicht, das Imperfect folle bie in 
ben erften Zeilen der Ganzone hervorgehobene Entfremdung von 
der Geliebten andeuten. Am Schluß der Zeile muß sui flatt 
suoi gelefen werden, damit der Reim ber Zeile 12 und 13 ente 
ſpreche. Unfere Herausgeber haben dies ohne Ausnahme ebenfo 
überfehen, als daß in Zeile 9 und 10 der Keim die Verwand⸗ 
lung von giunto und punto in bie alterthümlichen Formen 
gionto und ponto erfordert. — Wie der Dichter oben (Ganz. 
5, Str. 4) fagte, wenn er fi Ruhm zu erwerben fude, fo 
thue er es nur, perchè sua cosa în pregio monti: fo empficit 
ex bier bie leggiadria, weil er glauben würde, Sie gu ver: 
leugnen, wollte er nicht die Ihr fo eigene Tugend preifen 
@. 7—9). So felten ift aber biefe Eigenſchaft, daß Dante 
zweifelt, ob er ‚Hörer finden werde (3. 19, — 3. 13—16. 


135 


Das wahre Lob (nämlich ritterlichen Benehmens) Tann, fo 
ſchwoͤrt der Dichter, nur Der erwerben, der die Tugend übt. 
— 3. 17—19 könnte man allenfalls, wie in der Ueberfegung 
ber vorigen Ausgabe geſchehen war, von ber Verdienſtlichkeit 
des gegenwärtigen Liebes verftehen. Richtiger aber nimmt man 
mia materia nur ald eine andere Bezeichnung von leggiadria, 
fobaf alsbann die legte Zeile die Grundlage der bisher gefudi= 
ten Definition enthält: Ritterzucht ift eine Tugend und vers 
Endpft ſich mit Tugend. 

Str. V. Der Dichter fucht nun den wahren Begriff der 
Nitterlichleit genauer zu beftimmen und geht dabei ebenfo zu 
Werke, wie oben bei dem Abel. Cr vergleicht bas Ritterthum 
in ber Erſcheinung mit ber Tugend, mo dann das Refultat 
um vieles ander8 ausfällt, als für den Adel. Während ndms 
Ud beibe Verwandtſchaft mit ber Tugend haben, zeigte ſich der 
Abel al Quelle der Tugend, Ritterlichkeit aber ift Tugend 
verbunden mit andern Eigenfchaften, denen man Leinen abfolus 
ten Werth beilegen Tann, fondern die nur an beftimmten Pers 
fonen gut geheißen werden dürfen. — 3.1 möchte ich gern 
ftatt disviata lefen divisata: die befchriebene, bezeichnete iſt 
nicht bie reine Tugend, die Tugend an fi. Dod fann man 
auch disviata beibehalten (vgl. Str. 4, 3. 3), und bie, wie 
es in ber Meberfegung geſchehen ift, als bloßen Gegenfag von 
pura verftehen. Aud Wagner nimmt disviata in Schut 
und erflärt e8 buch „bie leggiadria, die fo entartet, fo miss 
verftändig geworben ift”, was mir nicht recht ar ift. Ebenfo 
wenig leuchtet mir ein, was Lyell mit ben Worten: A vir- 
tue of convention is not pure ausbriden will. Zwar babe 
id, feitbem ich divisata flatt disviata vorgefchlagen, jene Less 
art in einer Marcianer Handfchrift (63) gefunden, doc wage 
id nod immer nicht, fie in ben Tert, wenn aud nur der 
Ueberfegung, aufzunehmen. — 3. 2—6. Gitterlichteit ziemt 
fich nicht für Geiftlihe oder Gelehrte, fonbern allein für Kite 
ter. — 3.7—12. Es fragt fih nun, was ſich al Bedin⸗ 


136 


gende8 (causata) mit ber Tugend verbinde (mischiata *)), um 
Nitterlichfeit zu ergeugen? —- 3. 13, 14. Die Antwort if: 
Sollasso (Greubigleit, Wohlgemuthheit), Amore unb opera 
perfetta (wol im Grunde noch mehr als Tapferkeit, und alle 
fogenannten „Ritterpflichten umfaffend. — Wagner erldu: 
tert duch: Miftigleit, Zierlichkeit, Hehrheit oder Anmuth). — 
3. 16 leſen zwei Marcianer Handſchriften (63 und 191) É 
pura leggiadria e in esser dura; eine Variante bei Giunta 
aber É vera legg. u.f.w. — In ben legten drei Zeilen wird 
das Ritterthum mit der Sonne verglichen, und biefe, faft wie 
in der vorigen Canzone (Str. 3 a. E.), als felbftändig von 
Lidt und Wärme, ja fogar von der Geftalt gebadit. 

Str. VI, 3. 2-6. Dt. Par. XXI, 116. — 3. 7-1. 
Wie die Sonne den Gegenftänben, bie’ keine Faͤhigkeit haben, 
auch von ihrer Kraft nichts mittheilt (f. o. zu Ganz. 4, Str.6), 
fo verſchmaͤht das Ritterthum die Uneblen, bie nur bie Geftalt 
vom Menfehen haben, ober, wie Dante im Convito fagt: muo- 
jono uomini e vivono bestie. — 3.12. Den Edlen aber 
bietet diefe Tugend verwandte (simili), d. h. gleichfalls edle 
Gaben (3. 13—15) in Heiterkeit und immer neuen Rittertha⸗ 
ten. — 96 will nicht verſchweigen, daß simili, fatt auf dat 
edle Herz, auch wol auf bie Sonne bezogen werben Eönnte: es 
bietet ähnliche Gaben, wie die Sonne. — 3. 16 ſchien mir die 
Verwandlung von Zui in lei unbebingt nöthig: Wer fie (bie 
leggiadria) zum Mufter nimmt,. hat das Vorbilb der Tugend. 

Str. VII, 3. 1—6. Den wahrhaft Ritterlichen hinbert 
weber Geiz am Mittheilen feiner Güte und Kräfte, noch fal: 
ſcher Stolz am Empfangen, vielmehr freut es ihn, fo oft 
burd) Zuſammenwirken Mehrer Gutes bewirkt werben Tann. — 
3. 7-9. Gr erzürnt fi nicht über unfreundliche Worte, er 
ift fein Naufer; nur bie guten Reben behält er im Gedaͤcht⸗ 
niß. — 3.9, 10. Bon ibm hört man nur Gutes. Le sue 


**) Die Ordnung biefer beiden Reimworte mußte nad) der 
Mehrzahl der Autoritäten umgeftellt werben. 


137 


novelle, Nachrichten über ihn, ift eine befannte italienifche 
Phrafe. — 3. 11, 12. Die Weifen lieben und begehren ihn 
um fein felöft und nicht um ber Zufäligkeiten willen, die an 
ihm haften. „L’amico mio, e non della ventura.“ Inf. 
II, 61, — 3. 13, 14. 2ob und Tadel der Unmwiffenden (sei- 
vagge) gilt ihm gleich: 

Stimar chi stima, e non curar chi sprezza — 

Den Schiller fhdgen, Schmäher überfehen — 
fagt Leonardo ba Vinci, und: spernere te sperni ber 
b. Philippus Neri. — 3. 15—18. Nimmer hochmuͤthig, 
bleibt er doch nie zuruͤck, wo e8 gilt, unb gibt bann edite 
Proben feiner Tapferkeit. 

3. 19: Rara avis in terris, nigroque simillima eygng. 


Vierzehnte Canzone. 


Die große und abfichtliche Dunkelheit diefer Canzone hebt 
der Dichter in der erften Hälfte der Tornata felbft hervor, 
und wenn auc bie Vergleichung der darauf folgenden Schluß⸗ 
zeilen ſchon in Mandjen die Hoffnung, daß eben ihm das rich: 
tige Verftänbniß offenbart fei, erweckt bat, fo muß doch wenig⸗ 
ſtens ich offen geftehen, daß der Glaube, bas Wahre gefunden 
zu haben, bei wieberholter Prüfung immer wieder in mic wans 
kend geworben ift. 

In manden Handfhriften (3. B. der meinigen) und bei 
Sermartelli lautet die Ueberfhrift biefes Gebichtes: Can- 
zone di D, nella quale artificiosa mente parla delle uirtù. 
Braticelli fügt, ſchwerlich jedoch auf alte Autorität, hinzu: 
(delle tre virtù) la Rettitudine, la generosità e la Tempe- 
ranza. Uebereinftimmenb bamit erflärt Byron (Anmerk. zur 
Prophecy of Dante) burd) Right, generosity and temperance. 
Offenbar ift diefe Aufzählung der drei Tugenden, und noch 
deutlicher bie bei Ginguené (ital. Ueberfegung von Perrotti, 
3b. IT. &. 27, 28), hervorgegangen aus Str. 2, 3. 17 und 


138 
Str. 4, 3. 9; unbedenklich aber will bie legte Stelle Feines= 
weges zwei der dem Dichter gegenüberftehenden Frauen, fons 
dern Andere gleicher Abkunft bezeichnen. 

; Bacopo della Lana, ber ditefte Gommentator ber 
göttlichen Komödie, deutet die zwei Gerechten in Inf. VL, 
73 von „Giustizia e ragione“ Giov. Batt. Gelli in ſei— 
ner (höchft feltenen) terza lettura sopra lo Inferno. Fir. 1556. 
p. 130 berichtet, daß der Nipote del Poeta (nad) Lett. I, p. 
34, 35 ein Sohn bes Petrus Dantis, der einen lateinifchen 
Gommentar verfaßt) unter jenen Beiden das natürliche Gefeg 
(weldjes die Natur allen Lebenden Wefen und die heilige Schrift 
den Menfchen gelehrt) und das durch das Menſchengeſchlecht 
feftgeftellte (jus gentium) verftanten babe. Gelli fügt hinzu, 
ein brittes, aber ungerechtes, Gefeg, nämlich das municipale 
babe für Florenz insbefondere gegolten. Diefelbe Notiz wieber= 
holen Benvenuto von Imola (dixerunt, quod auctor 
loquitur de justitia et jure) und andino (la legge divina 
ed umana). Dionifi (Preparazione istorica I, 65, No. 4) 
aber bemerkt, daß ein alter Commentator, ben er nicht näher 
bezeichnet, und ben ich nicht nachzuweiſen vermag, jenes göttliche 
natürliche Recht in der drittura ber gegenwärtigen Ganzone 
wieberfinden wolle, fodaß die zweite jener Frauen bem jus gen- 
tium, bie dritte aber bem jus civile entfpräde. — Merkwuͤr⸗ 
dig Analoges findet fi in Calderon's Auto sacramental 
alegorico: A Dios por razon d’ estado (Xuggabe von Aponz 
tes. 1759. T. II, p. 7), unter beffen feltfam gufammengeftell: 
ten Perfonen auch La ley natural, la ley escrita und la ley 
de gracia vorfommen. Rach den genaueren Mittheilungen dar: 
über, bie id) der Güte des ‚Ben. Hofrath Dr. Keil verdanke, 
ift unter ber ley natural das Gefeg zu verfteben, das Gott in 
das Herz eines jeden Menfchen nieberleät, bas Gefeg ded «eis 
denthums (Sim. Br. IT, 14. 15.). eine Gebote lauten: 
Liebe Gott mehr als Dich felbft und Deinen Nächften wie Dich 
felöft. Die ley escrita ift das mofaifhe Gefeg, das Gefeg 
bes Judenthums. Die ley de gracia enblih, das Geſet ber 


139 





Grade, bes Evangeliums, welches bie beiben früheren nicht 
aufhebt, fonbern erfüllt unb verftärkt. Verwirklicht wird es 
in den fieben Sacramenten. 

Nahe verwandt ift die Erklärung, die Orelli (vita di 
Dante, p. 20) von ben drei Frauen gibt: Drittura, Legge 
divina positiva und Legge positiva, ossia civile. 

Abweichend von ben Uebrigen mil Buttura bie drei 
allegoriſchen Figuren von Wahrheit, Weisheit und Tugend 
(virtù) verftehen. 

Seltfam, wie immer, erflärt aud hier Roffetti (Spir. 
antip. p. 177— 79): die brei rauen feien drei geheime Ges 
ſellſchaften, nämlich bie Tempelberren, die Albigenfer und die 
Ghibellinen, wobei noch erwähnt wird, daß der Orben der 
Tempelherren unzweifelhaft aus Aegypten ftamme, und der 
ber Templer ihm nachgebildet fei. Das bürftige und ungezies 
mende Xeußere ber brei Frauen fei ein Sinnbild der Verfol⸗ 
gungen, bie jene Secten haben erbulben müffen. Die zwei 
Pfeile bed Amor (Str. 4, 3. 5) feien die beiden Schwerter, 
bas geiſtliche und weltliche, das Gott an Papft und Kaifer 
verliehen. Unter der weißen Blume (Str. 5, 3.7) habe Dante 
fi felbft angebeutet, und biefe legtere Allegorie fei fpdter in 
einem eigenen Roman (Flour und Blancheflour, wovon Ro f= 
fetti nur bie Bearbeitung alè franzbfifhes Fabliau zu Een» 
nen fcheint) weiter ausgefponnen. Vgl. oben S. 43. 

Nur als Vermuthung will Hr. Hofrath Dr. Keil eine 
rigene Erklärung betrachtet wiffen. Nach ihr wäre die erfte 
ver drei Frauen (Drittura für il giusto, oder la bontà), der 
sen Kleider gerciffen find, der Stand der Unſchuld; die zweite 
vie Liebe zu Gott, als erfter, im Orient entfprungener, Res 
igionebegriff; die dritte endlich bie Liebe zu dem Naͤchſten, 
eren Mangel Dante in das Exil trieb. 

Str. J. Seelenadel und ritterliches Wefen haben wir 
bon ala mit der Liebe unferes Dichters befreundet kennen ges 

ent; ebenfo vertraut mit Ihr erfheint in biefem Gedichte bie 
echtlichteit (Drittura), und fo find denn diefe drei Iegten 


140 


Gedichte in der That nur einzelne Ausführungen der zwölften 
Canzone, welche in ber rein gue Idee erhobenen Liebe bie 
Quelle und den Mittelpunkt alles Guten erfannte. — 3.8. 
Waita: er bebient fich nicht der Rede, fie verfagt ihm, wenn 
er von ihnen ſprechen will, ift ungewöhnlich (Crusca, ajutare, 
$. 1) und erfordert del parlare, wie ich nad meiner Hand: 
ſchrift und ber Ausgabe von 1491 ftatt di parlare in den Bert 
genommen habe. — 3. 9—15. Niemand achtet mehr des 
Rechtes. 


Che val, perchè ti racconciasse il freno 
Giustiniano se la sella è vota? 
Sanz'esso fora la vergogna mero. (Purg. VI, 88.) 


i son,“ ma chi pon mano ad esse? 
— (Purg. XVI, 197.) 
3. 11 tutta gente manca, alle Welt verfagt ihnen bie Treu, 
den Dienft. Ebenfo fagt Morelli Cronica Fir. 1718. p. 
286 von einem Adler, ber nicht weiter zu fliegen vermag: le 


mancarono Pali. — 3. 12 lefen nach Graticelli anberi 
Sanbfdriften: E a cui virtute nè beltate vale. — 3. 18 
Amor. Vgl. 8.3. 


Str. II. Die erfte dieſer Frauen, von ber in biefe 
Strophe ausbrüdlich gefprochen wird, nennt fi Drittura, 
was wir durch Rechtuͤchteit nicht ganz ungegiemend überfeger 
tönnen. Der Dichter meint darunter, Dioniſi's Erklärung 
vorausgefegt, dad jus naturale im Sinne feiner Zeit, das heiß 
die Regeln des Thun und Unterlaffene, die von pofitiven 
Sagungen unabhängig find. — 3. 5. Raggio für Thräne if 
mir fonft nicht vorgefommen, unb vielleicht bichterifcher, all 
daffelbe Wort, von Taffo*) (Gerus. IV, 84) bis herab 4 
den Opernterten, für Auge zu gebrauchen. Trivulzio ver 
mutbete brieflich gegen mich: I’ 'oraggio, das Gewitter; bol 
kommt dies Wort fonft im Italieniſchen nit vor. — 3.0 


*) Schon ber fogenannte Ottimo, Comento a Pg. 2004 
111, gebraucht e8 im gleichen Sinn. 


141 


Die Trennung bed man und diene mußte von Dionifi erft 
wieber vorgefhlagen werben, ftand aber längft in Handſchrif⸗ 
ten unb alten Auögaben. Die gewöhnliche Ledart: mantiene 
gerftört allen Sufammenbang, wenn man nicht etwa in 3. 7 
mit ber Ausgabe von 1491 La terza lagrimosa lefen will. — 
3. 10. ol entfpredend dem „lo membro che l’uom cela.“ 
Inf, XXV, 116. — Che’ tacere è bello fommt ebenfo vor 
Inf. IV, 104 und Purg. XXV, 43. %nbere Ganbfdriften le: 
fen: ovel tacere. — 3. 11. Nimmt man fello als völlig 
gleichbebeutend mit bem lateinif—en improdus, fo mag man 
(freilich ohne Veiftand ber@Crusca) an Ovib’s improba verba 
denen und verfteben:. Amor (dev Eindifche) ift über biefer 
Frauen Anzug zugleich gerührt und zum Lachen gereizt; eine 
febr naturgetreue Verbindung. VeftAtigt wird biefe Erklärung 
durch Amord Scham in Str. 3, 3. 2 und durch das folli in 
Str. 4, 3.3; auch würde ihr bie Lesart ber Marcianer Hands 
ſchrift (191) Et pietoso et fello zu befonderer Unterftügung 
gereichen; dennoch aber finde ich bei ihr ſtets wachfende Beden⸗ 
ten. — 3. 13. Die Anrede an Amor. — 3. 15. Die nahe 
Verwandtſchaft zwiſchen Dir und uns heißt uns zunächft bei 
Dir Hülfe ſuchen. Diefe Verwandtſchaft, fo genau bezeichnet, 
als es vom Dichter 3. 17 gefchiebt, in ber alten Mythologie 
nachweiſen zu wollen, möchte vergeblich fein. So wäre es 
taum mehr als müßige Spielerei, bie jegt Spredjende Astraea 
zu nennen und daran zu erinnern, baß fool biefe ald Venus 
cine Tochter des Jupiter war. Für bie beiden andern Frauen 
fonnte man Namen unter ben Horen wählen, etwa Nemefis 
und Dice oder Eunomia und Irene, bie bann freilich der 
Mothus zu Töchtern der Themis und nicht der Aftrda macht. 
Auf allen Fall bat Dante hier nur ben tieferen Sinn im Auge, 
dem zufolge bas ditefte, von Gott felbft in ben Menfchen ges 
legte, Gefeg, das ber Liebe iſt. 

Str. II. Die beiden Frauen, deren Abkunft in biefer 
Strophe bezeichnet wird, find nach der einen ber oben angege= 
benen Deutungen, bas jus gentium und civile der Schule. Bei 


142 


dem erften Worte dürfte ber Lefer Feinenfalla an unfer Bölker: 
zecht denken, fondern er möchte ſich darunter bie Rormen vor: 
ftellen, die für unfer Handeln ſich durch den Verkehr von ſelbſt 
bilben, fobald berfelbe die Grenzen ber Familienverbinbung 
überfreitet; alfo, Meditegrundfdge, die nicht durch menſch⸗ 
liches Gefeg und nicht durch befondere Nationalfitte entfteben, 
auf der andern Seite aber auch nicht urfprünglich (bem jus 
naturale angehörig) find, fondern ala Grunblage jebes Ge: 
ſchaͤftsverkehres vorausgefegt werden miffen, wie 3. B. bie 
pflicht, Verfprechen zu balten u. f. w. Entfteben aus diefem 
Verkehre, den wir und ohne alle Form denfen koͤnnen, enblià 
einzelne abgefchloffene Staatsverbindungen, fo wirb für eine 
jede von biefen wieder ein befondere8, cin menfchlich pofitives, 
Recht erfoberlich fein, und bag ift, jener Deutung zufolge, bie 
dritte Frau, das jus civile. — 3. 10. Warum Dante die 
zweite biefer Frauen gerade an ben Quellen bes Nils geboren 
werben läßt, Tann man kaum vermuthen. Vielleicht dachte er ih 
Nubien und Abefiynien ald ben Mittelpunkt des dlteften Mil: 
kerverkehres, nachdem der Bau von Cennaar das eine Bolt 
der diteften Beit zu mehren gemacht batte. Vielleicht aber find 
bie Quellen bes Nile noch weiter ruͤckwaͤrts zu fuchen. Fazio 
degli Uberti nennt biefe Quellen Gion und berichtet, ber 
Fluß firöme durch viele Höhlen unter bem Atlas gegen Baus 
titanien, wo er, nahe bem Ocean, zu Tage fomme unb einen 
See bilde. Dann merde fein Lauf wieder unterirdiſch bis Gi: 
farea, wo er fidi zum britten Mal verberge, um erft in Aethio: 
pien bleibend aufzutaudien. (Dittamondo V, 29.) Zener Gion 
tft aber Gihon, ber zweite der Parabiefesfläffe, von bem di 
(Genef. 3, 13) heißt, er fliefe um bas ganze Mohrenland. Ja 
Jeſus Sirad) 24, Vers 33—37 heißt es nun, aus dem Gefete 
Mofis fei ,, bervorgebrochen die Zucht, wie bas Licht, und wir 
das Waffer Nilus im Herbſt“, und an eben biefer Stelle fett 
bie Vulgata Gehon, mo Luther Nilus hat. Hiernach liegt 
es nahe, anzunehmen, bie Quelle des Nils bebeute hier den 
Det des Suͤndenfalles, welcher, bem urſoruͤnglich allein gent: 


143 


genden Gefege der Liebe gegenüber, bas Gefeg ded Zwanges 
und Borne8, bag irdiſche Recht, zunaͤchſt alfo bie mofaifche 
Legislation, nöthig machte. — Roffetti’s feltfame Deutung 
von dem Ägyptifchen Urfprung des Templerordens ift ſchon ers 
wähnt worben. An einer andern Stelle (Comento analitico 
II, 55) betrachtet er den Ril, durch bas eich des Ofirie, als 
die Wiege der Monarchie. — Die fehr verworrene Gonftruction 
der Beile 10 beffert Dionifi baburd, daß er zu lefen por: 
flägt: Nasce di picciol fonte Nilo fiume. Richtiger vers 
fiebt man mol: aus der Quelle entfpringt der Nil als ein 
Heiner Fluß. — 3. 11, 12 dürften fchwerlich mehr ala eine 
einfache Bezeichnung bed Ortes, ber zu den Zropenlänbern ges 
hört, enthalten. — 3. 13 sovra für: am Ufer kommt oft vor. 
Vol. Crusca $. 3. — 3. 16—18. Das jus gentium erzeugt 
das jus civile, indem es fein eigenes Gpiegelbilb betrachtet; 
denn biefes entfteht nach bem Obengefagten durch biefelben Bes 
dürfniffe des Verkehres nur eine Stufe tiefer hinab. — Dazu, 
in der dritten jener Frauen, nach Anleitung Galderon’s, bie 
Lex gratiae zu finden, ſcheint feinerlei Anhalt. — In 3. 18 
leſen andere Hanbfchriften flatt a’ panni — a fame, ober fama 
und fobann ventura ftatt cintura. — Zu 3.14 und 18 macht 
Dionifi bie Vemertung, baf bag Gebot des jus gentium: 
neminem laede et suum cuique tribue, dem des jus naturale: 
quod tibi non vis fieri, alteri ne feceris zur Seite ftehe, waͤh⸗ 
tend das bem legteren erft im zweiten Grabe verwandte jus 
civile (vgl. Inf. XI, 105) ſich von ibm ſchon um Bieles mehr 
entferne. 

Ste. IV, 3. 1 un poco tardo. Die Seufzer machten 
Amor nadibentlià. — 3. 3 folli, muthwillig. — 3.5. Die 
beiden Pfeile Amors mögen hier eher allegorifche und wirkliche 
Liebe fein, ald, wie Keil meint, ber golbene und ber bleierne 
des Ovid. E poichè ftatt Posciachè ift nad Fraticelli 
aufgenommen. — 3.6—8. Amor tröftet die drei Frauen durch 
fein gleiches Schidfal. Aud feine Pfeile find von Roſt bes 
fledt. Keiner fühlt zur Wiſſenſchaft, Keiner zu edlen Frauen 


144 


echte Liebe. 3.6 erinmert an Par. IT, 10. — 3. 8. Per non 
usar, ftatt P. n. l’usar lefen die Palatiner und meine Hand: 
ſchrift und biefelbe Lesart findet fid) bei Giunta als Variante. 
Die erfte fährt fort: vedete son turb. —; bie beiben legten: 
vendetta son t. — 3.9, 10. Eben fo febr finb die übrigen 
Zugenben vergeffen. — Es ift bemerkenswert, daß Dante 
Pier nicht auf die von ber Kirche angenommene Aufzählung 
von fieben Tugenden, ſondern auf bie elf des Ariftoteles 
(Eth. Nic. II, 7, vgl. mit Am. conv. IV, 17) hindeutet. — 
3. 11—15. Vernachlaͤſſigen bie Menfchen uns, fo find nicht wir, 
fondern allein bie Denfchen zu beklagen. Wir gehören zu jenen 
‚Himmelöberohnern, von deren einem ber Dichter am einer 
andern Stelle (Inf. VII, 94) fagt: 
Ma ella s’è beata, e ciò non ode; 
Con l’altre prime creature lieta 
Volve sua spera, e beata si gode 

3. 14 ift von ben unbeilbringenden Gonftellationen ber Zeit 
zu erflären und nicht mie Lyell überfegt: And whotn the 
beam of bounteous heaven might bless. — 3. 18. Che ift 
ber ‚Nominativ, und dardo, im Gegenfag von 3. 8, ber Accu: 
fativ. Die Marcianer Handſchrift (191) lieft vielleicht beffer: 
— troverem genti, Che questi dardi faran star lucenti. 

Str. V, 3. IA. Mit den Tugenden gleiches Eoos zu 
tragen, gereicht zum Ruhme. — 3. 3 gibt Fraticelli die 
Bariante: Con sì und weiterhin Giunta: alti e dispersi. — 
3.5. Der Dichter zweifelt, ob dies Unheil Strafe vorausge: 
gangener Miffethaten, ober bas Werk eines in feinen Sweden 
unerforſchlichen Rathſchluſſes fei. — 3.6, 7. Iſt es beftimmt, 
daß das Reine und Edle auf der Welt bem Trüben und Ge 
meinen unterliegen fol? Zugleich aber aud eine Anfpielung 
auf die politifchen Parteien in Toscana, deren einer (ber weis 
Sen) unfer Dichter ſich angefchloffen hatte und deshalb von der 
andern (ber ſchwarzen), bie feit dem Cinzuge Karl's von 
Valois die Herrfhaft in Florenz gewonnen hatte, verbannt 
war. — Versare für umgeftalten, vertebren (convertere) fehlt 


145 


in ber Crusca. Es würde ben gewöhnlichen Sinn von Aus: 
ſchuͤtten behalten, wenn man mit einer Variante bei Frati: 
celli tra’ persi ftatt in p. läfe. — Derfelbe erwähnt. in 3.7 
die Le6art coi ftatt tra’ buoni. — 3.8. Um wie viel ſtrenger 
er fpäter feine Leibensgefährten beurtheilte ; beweiſt folgende 
Stelle des Parabiefes (XVII, 61): 
E quel che più ti graverà le spalle 
En la compagnia malvagia e scempia, 
Con la qual tu cadrai in questa valle: 
Che tutta ingrata, tutta matta ed empia 
Si farà contra te; ma poco appresso 
Ella, non tu, n’avrà rossa ]a tempia. 


Wenn e8 übrigens ein gefährliches Unternehmen ift, einer 
von givei feindlich gegenüberftehenben Parteien bag volle Recht 
fprechen zu wollen, und wenn namentlich) auch in biefem Rampfe 
seditione, dolo, scelere atque libidine et ira auf beiden Sei 
ten genug gefchehen ift, fo beſchwert doch nicht allein bas naz 
türliche Vorurtheil zu Gunften ber Unglädlichen, fondern vor: 
zuͤglich die Betrachtung ber Greuel, die Florenz feit bem 
Siege der Schwarzen verheerten, bie Wagfdale der legten 
Partei überwiegend. — 3.9. Der ganze Zufammenhang biefer 
Strophe beutet auf eine Beit, in meldjer dem Dichter geringe 
‚Hoffnung geblieben war, durch die Kraft des eigenen Willens 
und Hülfe mächtiger Vundesgenoffen zur Heimat zuruͤckzukeh—⸗ 
zen, auf eine Zeit, in welcher bie Sehnſucht nad) der Vater= 
ſtadt aber auch noch lebendig genug war, ihn, flatt der feudt= 
108 gebliebenen Gewalt, Ueberrebung und Bitten nicht ver: 
ſchmaͤhen zu laſſen. So fagt er denn hier, wäre nur das 
ſchoͤne Biel meiner Augen nicht durch Ferne meinem Blick ents 
tidt, fo würbe ich für leicht erachten, was mic bebrüdt: 
Died Biel ber Augen, wie in ber Canzone 18 (über den Tod 
Heinrich's VII.) auf die Vaterftabt felbft zu deuten, liegt viela 
leicht am nächften; doch Könnte man aud) wol an bie Sins 
derniffe denken, welche bas Exil den Studien des Dichters in 
ben Weg legt. E se non che in 3. 9 muß als Guipfe fir 

Dante, Lyriſche Gedichte. IL 7 


146 


E se non fosse che genommen werben. Leichter wäre bie 
Lesart meiner Handſchrift, bie auch Fraticelli ald Variante 
anführt: E se degli occhj miei così ’l bel segno; doch feheint 
ber Bufammenbang barunter zu leiden. — 3. 13—15. Dennoch 
aber, fo ſehr auch feine Unfälle ihn abzuziehen bemüht find, 
hängt er biefer Liebe noch immer nad, fobaß fie faft fein 
Leben fehon ‚verzehrt, baß ber Tod den Schluͤſſel ſchon in 
fein Herz geftedit hat, um es vom Leben Loszufchließen. — 
3.16—18. In Dante’s fämmtlihen Scheiften ift ſchwer- 
lich eine Stelle zu finden, in ber er fich durch den Wunſch 
que Heimkehr fomeit hätte bemüthigen laffen, als in biefen 
Beilen. Er gefteht, wenigftens bebingungsmeife, zu, fein Gril 
verfduibet zu haben, und beruft fich nur darauf, daß wenn 
ander8 Reue vermöge, menſchliche Schuld zu tilgen, die feinige 
ſchon feit Monden verlofchen fein müffe. Diefe und ähnliche, 
wenn auch minber mutblofe, Aeußerungen des Dichters laſſen 
ſich wol ſchwerlich zu einer andern Zeit denken, ala um bat 
Jahr 1309, wo alle älteren Ausſichten der Ghibellinen ſich al 
truͤgeriſch ergeben hatten, und bie Hoffnungen auf Heinrich VII. 
noch nicht erwacht waren. — 3. 17 lieſt meine Handſchrift 
Più lume. Dionifi will biefe Zeitbeflimmung von dem Gril 
an rechnen und ſchließt daraus, daf die gegenwärtige Canzone 
um bas Jahr 1303 gebichtet fei. Die Schuld ſucht er in der 
Entfernung von der Geliebten, ber Philofophie. Gewiß aber 
zebet der Dichter von ber ibm beigemeffenen Schuld, um de 
tentwillen er erilirt warb. 

Str. VI. Rad) Roffetti (Com. anal. II, 410) fpride 
3.2 nicht von ben Theilen ihres Körpers, bie eine ſchoͤne Fran 
verbirgt; ſondern della donna wäre ein Kunſtwort der Ser 
tenſprache und bie Zeile Diefe nur foviel: Niemand wage 6 
zu erfpähen, welcher Sinn unter bem Worte bella donna vers 
edit fei. Der pomo 3.4 wäre bag Drdensgeheimnig. — 3.6 
lautet in ber Marcianer Handſchrift (191): E s'egli avvio 
ch’ alcuno tu mai trovi, und bie nädjfte Beile bei ‘Frati: 
celli Am, di v. e quel ten priega. — Bemertmemwesth if 








147 


ferner, daß bie eben erwähnte Handſchrift zum Schluß nodi 
folgende, meines Wiſſens nirgende gedrudte, aber mit dem 
Reimbau der Canzone in keinem Bufammenhang ftebende, zweite 
‘Tornata binzufigt: 

Canzon novella con le bianche penne, 

Canzone caccia con li neri veltri, 

Chè fuggir mi convenne ; 

Ma far mi poterian di pace dono, 

Però nol fan; chè non san quel che sono. 

Camera di perdon savio huom non serra; 

Chè ’l perdonar è bel vincer di guerra. 
Die beiben erften Beilen werben richtiger nach ben Randvarian⸗ 
ten gelefen werben müffen: Signor, novella con le bianche 
penne Canzon mi caccia ecc. 


Funfzebute Canzone. 


Ich ftehe nidt an, biefe Schlußcanzone be Amoroso con- 
vito unter allen Gebichten Dante'8 bas ſchwierigſte zu nennen. 
Selbft nad) genauerer Bekanntſchaft mit diefem feltfamen Liebe 
faut es ſchwer, feinen Inhalt mit Beftimmtheit anzugeben. 
Die vierte bis fechfte Strophe handeln offenbar vom Geize, 
der inbeß in den übrigen Strophen durchaus nicht erwähnt 
wird. — In bem Vulg. EL (II, 2) fagt Dante, unter ben 
verfcjiebenen Stoffen, bie ber Poefie würbig feien, haben Gis 
rauld be Bernoeil und Er fid die rectitudo erwählt. Als 
BVeifpiel führt er nun bie gegenwärtige Canzone an unb gibt 
uns dadurch wol ben richtigften Fingerzeig. — Während bie 
vierte Canzone vom Abel, die 13te vom Hittertfum und bie 
vorige von ber Gerechtigkeit handelten, faßt endlich biefes 
Schlußgedicht alle Tugenden, oder bie Tugend überhaupt, unter 
dem Gefihtspunkte ber Liebe zufanmen. Der wahre Grunds 
gebante biefer Canzone ift naͤmlich: ber Liebe fähig und würdig 
ift nur ber Tugendhafte. Darum follen edle Frauen den Wer: 
bungen ber Männer, bie zur Beit ber Tugend ganz entbehren, 
ſich entziehen; um ben Frauen sun biefe unwuͤrdigkeit der 

7* 


148 


Männer anſchaulicher zu machen, beleuchtet der Dichter ihr 
Betragen und, als Probe davon, insbefondere ihren Geiz ge 
nauer. — Der glühende Born, der in den legten Schilberungen 
fi) ausfpricht, der Unmuth über die Kälte, mit ber der reiche 
Geiggals den Evdelſten Hülflos barben fiebt, Läßt vermuthen, 
daß biefe Canzone geſchrieben warb, ala Dante burd) fein Gril 
ſchon erfahren batte, . 
siccome sa di sale 
Il pane altrui, e com'è duro calle 
Lo scendere e’l salir per l’altrui scale. (Par. XVII, 58.) 

Schon mochte Cangrande durch ein Eümmerliches Almo: 
fen, das noch im legten Lebensjahre Dante der druͤckendſten 
Noth preis gab (f. bie Debication bes Paradieſes), ſich mehr 
als berechtigt geglaubt haben, mit bem göttlichen Dichter 
empòrend plumpe Späße zu treiben. (Petrarcha, Res mem, 
Lib. II, p. m. 427. Poggius Facetiae No. 57, 58. Giraldi 
Cinthio Hecatommithi Deca 7, Nov. 6. Schmidt ad Petri 
Alphonsi discipl. cleric, p. 148 sq. Wiener Zahrbüder 
XXXIX, 249.) 

Str, I, 3. 12, 13. Die Marcianer (191) und meine 
Handſchrift und eine Variante bei Giunta lefen: Che virtute 
a noi Fu data e beltà a voi, — 3. 17 ift nad) einer Variante 
bei Giunta non-ci è ftatt non è aufgenommen. Irrig, wie 
mir ſcheint, ertlirt Fraticelli: Poichè la bellezza non può 
essere per se stessa una virtù. Unb Lyell: Virtue is not 
yours, which should be beauty’s aim. 

Str. II, 3.1, 2 find nad) der Ausgabe von 1491 berid: 
tigt; fonft heißen fie: 

Uomo da se vertù fatta ha lontana; 
Uomo non già, ma bestia, ch'uòm somiglia. 
Gin ganz aͤhnlicher Gedanke findet fi im Conv. II, 7 in f. 

3.6. Woͤrtlich: Die Tugend ift bem Schöpfer fo gehor⸗ 
fam, und fo bedacht, ihn zu ehren, daf Amor u. ſ. m. — 
Giunta gibt die Variante sempre è. — 3. 9 koͤnnte bie Leis 
art meiner Handſchrift, einer Variante bei Giunta und im 


149 


Befentlihen aud ber Ausgabe von 1491: L'ha segnata ec- 
cellente sua famiglia (daß Amor fie alè feine treffliche Dienes 
rin bezeichnet hat) leicht bie riditigere fein. — 3.11 vgl. 
Purg. XVI, 88-90. — In 3.12 fann die donna, die Gebie⸗ 
terin, ber Zugend mol nur bie Seele fein. Die Marcianer 
Sanbferift (191) lieft: Della sua d. 

Ste. INI, 3. 2 haben alle Handſchriften, bie ich nad= 
gefeben, ftatt cotal signor — cotal serva; bie Ausgabe von 
1491 und eine Variante bei Fraticelli servo. Der signor 
tönnte nur Amor ſein, von bem bag gegenwärtige Gebicht aber 
nicht zu handeln beftimmt ift. Die serva ift dagegen bie Tus 
gend, bie ſchon in ber vorigen Stophe (3. 18) als ancella, 
nämlich alè Amorg Dienerin (3. 9) bezeichnet ward. Wer bie 
Genoſſenſchaft biefer Magd meidet, wird zum Knechte eines 
Knechtes. — 3.5. Meine Handfhrift und Fraticelli lefen: 
si svia. Mol. Purg. XVI, 82. — 3. 6. Der Anruf, Signor, 
fonnte fi auf Amor, ben wahren Herrn, beziehen; beffer 
aber wird servosignor für Cin Wort genommen, biefer Herr⸗ 
knecht, biefer zum Oerrn gewordene Knecht. Roffetti (Spir. 
antipap. p. 279) bentt auch hier wieder an ten Papft. Bei 
Marcianer Handfriften (63 und 191), und Fraticetli lefen: 

.tanto è prot, — 3. 7. Die Sünde, ber finnliche Trieb, der 
offenbar unter diefem empoͤrten Knechte verftanden werben muß, 
blendet bie wahre Willensfreiheit und übergibt une ber blinden 
euſt. — 3.9 ift mit den eben erwähnten Marcianer Hands 
ſchriften das bemonftrative colui (Genitiv) ftatt altrui gefett 
werben: wir müffen nad bem Belieben Desjenigen wandeln, 
ber nur Thorbeit ins Auge faßt. — 3. 11 bat Fraticelli 
Ma ftatt E. — 3. 13 bietet Giunta bie Variante: In dire; 
— 3. 17 $raticelti bie andere: Perchè con voi si vuol 
trattare aperto, 

Str. IV, 3. 1. Die beiden Marcianer Handſchriften (63 
und 191) lefen: Chi è servo come quel, bie Ausgabe von 
1491: Chi servo è come quel. Die legtere fährt fort: quale 
è. — 3. 2 lautet in eben jenen Manufcripten und in einer 


150 


Ranbvariante der meinigen Dietro a sign. ecc, und in einer 
Anmerkung bei Fraticetli Tratto eco. — Man möchte vers 
mutben: Chi servo è come quel, è qual seguace Dietro a 
signor, che non sa dove vada. — 3. 4. gl. Horat. Epist, 
1, 16, 67. Così flatt Come ift nad ber Marcianer Hands 
ſchrift (191) aufgenommen. — 3.6. gl. Am. conv., II, 15: 
med, IV, 12. — 3.7, 8 Iefen die oben erwähnten zwei Mars 
cianer Handſchriften: .. Che non può ved. Lo suo f. vol, — 
3. 9 bietet ber Marcianer Gober (191) und theilweiſe auch 
eine Variante bei Fraticelli bie beachtenswerthe Lesart: 
Che ’l numero con oro a passar bada, und in ber folgenden 
Zeile ber legtere: Infinito ftatt Che ’nfinito. Fraticelli 
eeflärt dies: Vaneggiando a’ imagina poter diventare gran 
dissimo, infinito. — 3. 17 haben meine Haudſchrift und eine 


. Variante bei Fraticelli: tanti tuoi sogni. — 3.21. Andere: 


tosto ti sì fa. 

Str. V, 3.2 distringe, ober wie Andere lefen, ristr., ente 
ſpricht bem pugno chiuso Inf, VII, 57. — 3. 3, 4. Sole, 
die auf feine Wohlthaten hoffen. Weide, nad den Marcianer 
Handſchriften (63 und 191) (mit Fraticelli) corrigirten Zeie 
Ten lauten in ben gewöhnlichen Ausgaben E quest? è quel che 
pinge Molti in servaggio. — 3.6. Der natürliche Wunſch, diefe 
Reichthuͤmer in beffern Händen gu fehen. Vol. überhaupt Inf. 
VII, 73-96. Gewiß mit unrecht fegt Fraticelli fera flatt 
buona. — Fortuna, deren Beftimmung ift, bie Glüdegäter zu 
vertaufhen, thut ein gutes Merk, wenn fie fie jenen Reichen 
wieber entzieht. — 3. 8—10 wiberftreben bem Verſtaͤndniß 
faft eigenfinnig. Buerft wirft der Dichter bie Frage auf: Wenn 
Gluͤck oder Tod jenen Wunſch erfüllen und dem Geizigen feinen 
Reichtum entziehen, wem fol man ihh bann übergeben? (e 
cui si rende? nämlich quel che non si spende). Fd) weiß 
nicht, antwortet er: denn „tal cerchio ne cigne, Chi (oder 
wie andere Handfchriften lefen, Che) di lassù ne riga. Das 
legte Wort, fagt bie Crusca, werbe hier gebraucht im Ginne 
von Tirar linse. Was aber „wer von bort oben uns Linien 





151 

sieht” bebeuten fol, geftehe ich nicht. zu faffen. Nicht ver: 
ſtaͤndlicher ift mir Braticelli’s Erklarung zu dem Wort 
riga: „separa.“ Deutlid und bem wahren Sinne gewiß nahe 
kommend ift die Ueberfegung von Lyell: I know not; since 
he rules us by the spheres, Who writes our destiny above; 
doch weiß ich fie den Worten des Originals nicht anzupaffen. 
— Bis man mid) eines Vefferen belehren wird, überfege ich 
rigare in bem gewöhnlichern Sinne von benegen, thauen: Das 
Weſen (chi), das una (ne) von bort oben (die Keichthümer) 
herabthauet, ober regnet, nämlich Fortuna, umgürtet und bes 
ſchraͤnkt uns (ne cigne) burd) einen ſolchen Reifen, ben wir 
nicht fprengen Eönnen. Mie andern Worten: Die Vertheilung 
der Glüdsgüter foll weber dem Verbdienfte entfprechen, noch 
unferer Willkür unterworfen fein, fondern nad} einer überirdie 
fen Orbnung geregelt werben, wie bag in ben eben erwähns 
ten berühmten unb fehönen Werfen des fiebenten Gefanges der 
Hölle ausführlicher gelehrt wird. — 3. II—14. Richt dem 
Slide, dad dem Geigigen ‚die Reichthuͤmer laͤßt, ift bie Schuld 
beizumeffen, fonbern der Vernunft Deffen, ber fih (3. 3, 4) 
im bie Knechtſchaft des Geizigen begibt, fo daß ber Herr dem 
niedern Knedite unterthänig wird, ftatt daß jene berufen gewefen 
wäre, ihn zu geißeln. — 3. 20. Wie Dante felbit. — 3. 21 
Tautet- in der Palatiner Handſchrift E voi ten. nel fango il 
vest. . 

Ste. VI. Die, dem Geige entgegengefegte, Tugend, dic 
Freigebigkeit, fobert den Geizigen zum Wohlthun auf, indem 
fie ibm Beduͤrftige und Würdige (gewiffermafien al eine Lock— 
fpeife) entgegenführt; er aber wiberftrebt, und, entſchließt er 
ſich endlich doch gezwungen zu einem Almofen, fo gefchieht es 
fo unmillig, daß er felbft ihm allen Werth nimmt. Das Ganze 
unter bem, unferm Dichter fo vertrauten, Bilde des Vogel: 
ſtellens gefcilbert. — 3. 6—9. Der Vogel, der bem Loden 
des Vogelfteller8 gutwillig folgt, fommt ſchon auf beffen Ruf 
herbei. Der ſcheuere erft wenn bas Futter ihm vorgeworfen. 
wird. Nur ber ganz wiberftrebende berührt das Butter erft, 


. 152 
wenn ber Finfler, des Wartens müde, bavongegangen ift. 
Sinnbildlich bebeutet hier bas legtere, daß die fo lange zurüde 
gehaltene Gabe bes Geizigen, wenn fie endlich erfolgt, mit bem 
Edelmuthe, der ſich vom Geber abgewendet, nichts gemein hat. 
— 3. W—12. In feinem Wiberwillen ſcheint ber Geizige 
abſichtlich bemüht, fo zu geben, daß ihm Kein Lob daraus ere 
wachſe. — Diefer Sinn erfodert am Schluß der zwölften Beile 
ein Punktum, wo andere Ausgaben ein Komma haben. Eyelt 
fängt mit 3. 11 einen neuen Sag an. Fraticelli fegt in 
eben biefer Zeile willfielidj Come non ftatt ciò und erflärt: 
wenn ber Geizige ſich auch einmal von ber Tugend bereden 
läßt, eine Wohlthat zu erzeigen,- fo gereut es ihn nach der 
That (quando ella è partita) fo fehr, daß es nicht anders 
fein fann (Come non possa dar), alles Lob muß der Gabe 
entgehen. — 3. 9 ift nad; den Dandſchriften quando ell è 
fiatt quando #° è gefegt. — 3. 14, 15. Tehnlich fagt Dante 
Purg. XVII, 59: 
Quale aspetta prego, e l’uopo vede, 
Malignamente già si mette al nego. 
und Capo Saltarello (Valeriani II, 436): 
Per lungar lo don non è aggradito; 
Ù Chè par cosa sforzata a pur cherere 
A chi non vuol tener del giuoco invito. 
— 3. 18, 19 (wo Fraticelli mit unrecht: 8° è piaga lieft) 
beißen: Wollt ihr hören, welch eine Wunde Denjenigen, der 
folche Gabe anzunehmen hat, entmuthigt? — Cine folche, daß 
felbft die Zurüdweifung ibm im Vergleiche nicht bitter ſcheint. 
— Die ganze Stelle erinnert an Arici's ſchoͤne Verfe, in 
denen er von Dante fagt: 
P acerbo 
P avara cortesia del Magno 
Ricettator di schiavi e di giullari. 
Val. überhaupt Seneca, De Beneficiis II, 1. 
. Str. VII, 3. 3 ift nad ber Palatiner und meiner Hand: 
ſchrift Perchè l agg. ftatt P. gli agg. gefegt. — 3.5 hat eine 





153 

Marc. Hbfdr. (191) im Tert und eine andere (63) am Rande: 
a dirvi è lado. — 3. 6 assembro ftebt für assembrato, vere 
einigt. Die Zeile lautet in ber Marcianer Handfhrift (63): 
In ciaschedun di ciasc. viz. ass., 191: In ciascun viz. ed 
a ciasc. ass., in ber neu acquirirten: In ciasc. ed in ciasc, 
viz. Pass., und in meiner eigenen; In ciascune ed in ciasc. 
viz. ass. — 3. 10 heißt in Marc. 63: Poi son simili und 
Marc. 191: Poi sol simil è, — 3. 15—17. Der Ueberfeger 
bat den Gebanfen herumgeworfen. Dante fagt wörtlich: Wols 
en wir Schönheit den Uebeln beizdblen, fo fann man (puone 
ift ein verlAngertes può) glauben, daß bie Männer unferer Zeit 
ſchoͤne Frauen lieben, will man andere bie Begierde eines mil: 
ben Thieres Liebe nennen. — 3. 21 gibt Fraticelli die 
Bariante fuor dritto. 

Aus ciner Martell’fcen und einer Magliabecchia⸗ 
ni'foben Handſchrift (Palco 4, No, 102) gibt Fraticelli noch 
eine weite, wie ich glaube unddhte, Schiußſtrophe, bie ich ſchon 
lange zuvor in ber Marcianer Handſchrift (191) gefunden, wo 
fie alfo lautet: 

Canzon presso di qui & donna, 
Chè del nostro passes bin 

Bella saggia e cortese 

La chiaman tutti, e niun se n’accorge 
Quando (Quanto) suo nome porge, 
Bianca, giovane contessa, chiamando. 
A costei te ne va chiusa ed onesta, 
Prima a lei manifesta 

Quel che tu se’ e quel per ch'io ti mando, 
Poi seguirai secondo suo comando. 


Sechzehnte Eanzone. 


Der Abbrud diefes Gedichtes in ben Rime antiche weight 
vielfach von dem Dionifi'fen, aus der Bandini’fcen 
Handſchrift entlehnten, Terte (Anedd. V, 27—42) ab; außer» 
dem gibt Perticari in feiner Schrift: Dell’ amor patrio di 


x me 


154 


Dante (Monti, Proposta di correz. II, 2. p. 59-61) nad 
Handſchriften einen vielfach abweichenden, meiftfißerichtigten 
Test. Uebrigens find der Abweichungen fo viele, daß ich nur 
einzelne davon in ben Noten habe bemerken wollen. — Rofs 
fetti (Comento anal. I. LXVII) fegt die Entftefung dieſes 
Gedichtes zu Anfang des Roͤmerzuges Heinrich VIL Ich ver 
muthe, es gehört in eine bedeutend frühere Zeit. " 

Str. I, 3. 3. Die Schwefter von Florenz ift Rom. — 
3. 4 lautet bei Perticari: Qual’ è de’ figli ti, che in 
on. ecc. 

Ste. I, 3. 6. Die vier moralifchen und drei thevlogi: 
fen Lugertten. Purg. XXIX, 121—32. — 3. 9. Die under 
fichlichkeit des Fabricius dem Pyrrhus gegenüber, Kommt 
qud) Purg. XX, 25 fombolifc vor. — 3. 11 left Dionifi: 
O ’l diserrato' in te speco di parte. — 3. 12 giunta fan 
heißen, gebieben zum Kriege, ober verbilndet mit Mars. — 
3. 13, Antenora heißt in Dante'8 Hölle bie zweite Abtheilung 
des legten Kreifes, in ber bie Vaterlandsverraͤther beftvaft 
werben. (Inf. XXXII, 88) — 3. 14 begieht Dionifi gemif 
mit unrecht auf ben Tod des Gorfo Donati, oder gar Philipp’s 
des Schönen; richtiger findet Fraticelli den Grund, warum 
Florenz verwaift genannt wird, in feinem Mangel an Tugenden 
und gerechten Gefegen. — 3.15. Giunta und Dionifi 
lefen: Poi tremerà (oder temerà) cui tu farai mal piglio. 

Str. III, 3. 2 bei Dionifi: A’ tuoi pietosa, — 3.3 
lautet bei Giunta: Che fan tuo fior d’ogni color lontano. 
— 3.8. Die harten Municipalgefege. von Florenz, nad) benen 
Dante, ohne gehört oder überführt zu fein, zum Scheiterhaus 
fen verdammt werben konnte. Gleich bittern Zabel erfahren 
die florentiniſchen Gefege Purg. VI, 145. Vgl die einleitende 
Bemerkung zur 14ten Canzone. — 3. 14. Die ſchon erwähns 
ten Tugenden. 

Str. IV, 3. 5 lieſt Fraticelli nad) Dionifi’s Vor— 
flag Potrai ftatt Potrà. — 3.7. Giunta und Perticari 
lefen fia creata; ic) zweifele aber, ob man fagen koͤnne, eine 





155 


Seele werde an einem beftimmten Orte geſchaffen. — 3. 5 
lautet bei Perticari: Ogni potenza e loda ecc. — In 3. 
15 heißt e8 bei Giunta und Dionifi che "l (ober che) star 
lupa eco. — 3. 15. gl. Par. XV, 6. 

Str. V, 3. 4. Unter ben Guten biefer Zeile will Dio: 
nifi biejenigen Wohlgefinnten verftanden wiſſen, bie an ber 
Regierung von Florenz feinen Antheil nahmen; unter ben Ges 
rechten ober Veften ber 3. 14 aber bie anderen, bie zwar 
höhere Aemter befleiben, dennoch aber die Gewalt ben Vere 
rétbern (3. 10-13) überlaffen. — 3. 7. Giunta lieft ras- 
saltate, Dionifi resultate und Perticari esaltate. Der 
Sinn ift unftreitig: wiebererheben, zu Ehren bringen. Dios 
nifi will biefen Sinn feinem resultare beilegen, doch fommt 
es weder im Lateinifchen, noch im Italieniſchen auf folche Meife 
vor. Das rassaltare des Giunta fehlt in den Wörterbüchern, 
und man finnte hoͤchſtens etwa rassaldare baraus madien. 
Esaltate fann wegen ber Rafophonie bes vorgehenden e aber 
auch nicht ohne Verdnberung aufgenommen werben, und man 
muß es entweder in ed esaltate, ober, was id nach Anlei: 
tung ber beiben andern Ausgaben vorgezogen habt, e resaltate 
(ein der Crusca freilich unbekanntes, aber völlig analoges 
Wort) verwandeln. — 3. 10—13. Daf biefe adt Namen 
Lafter bezeichnen follen, bie in Florenz herrſchen, ift offenbar; 
und wirklich Tommen bie erften ſechs auf ähnliche Weife in der 
göttlichen Komdbie vor. Kapaneus für Gottesläfterung Inf. 
XIV, 63. Graffus für Geiz Purg. XX, 116. Aglauros 
für Neid Purg. XIV, 139. Simon für Beſtechlichteit Inf. 
XIX, 1. Der Birgilifhe Sinon für Lüge Inf. XXX, 98. 
Mahomet für Zwiefpalterregung Inf. XXVII, 31. Dem 
entfprediend wird Pharao Vebridung und Iugurtha Vers 
zath bedeuten. — Roffetti (Comento analit, I, 368, 69) 
ftimmt zunächft in ber rein allegorifhen Deutung biefer Perſo⸗ 
nen, namentlich der drei erften, überein (nur nimmt er, mit 
Fraticelli, Kapaneus für Hochmuth); dann aber verſpricht 
ex, in ihnen berühmte Sünder ber Beit nachzuweiſen. Deutliche 


156 


Grftärungen darüber babe ich nicht gefunden, doch ſcheint es, 
ex wolle (II, 56) unter Kapaneus Tibalbo be’ Bruffati, unter 
Simon Bonifaz VIII. (I, 130) und unter Mahomet und Gi: 
non zwei unbefannte Florentiner verftanden wiffen (IT, 256, 
284, 85). Was er II, 90 ausfüßet, um feine feltfame Meinung, 
daß in dem gegenwärtigen Gebicht ber Strick von Inf, XVI, 106 
erfannt werben muffe, zu begründen, ift am Veften bei ihm felbft 
nachzuleſen. — 3. 15 lautet bei Giunta und Perticari: 
Preg. sì, ch’ ella sempre s’augusti. Ich ziehe indeß Dio: 
nifi'8 Sesart por und erkläre mit ihm: bitte jene Veften, daß 
fie ſich Florenz, d. b. feiner Regierung, wieder nähern. Vol. 
Par. XXXII, 121. 





Siebzebnte Canzone. 


Rambaut von Vaqueiras ‚dichtete gegen Ende des 
12. Jahrhunderts, um fich an einer Genueferin, die feine Liebe 
verfchmäht hatte, zu rächen, eine Ganzone, in welcher er fih 
felbft provengalifà, die Dame aber genuefifch rebend einführt. 
(Diez, Leben und Werke ber Troubadourg, S. 269, 70.) 
Später befang er bie vorübergehende Ungnade ber Geliebten, 
der die Mehrzahl feiner Gedichte gewibmet ift, ber Gräfin 
Beatrir von Montferrat, Gemahlin des Marcheſe bei Earretto, 
in einem Descort, beffen fünf Strophen in fünf Mundarten 
(provencalifà, italieniſch, franzoͤſiſch, gasconiſch und caftilia: 
niſch) gebichtet waren. Die Schlußftrophe verband paarweis 
alle fünf Sprachen. Ungemig bleibt dabei, ob ber Troubadout 
durch biefen Wechfel den Wankelmuth ber Geliebten, ober feine 
innere Zerriffenheit babe anbeuten, ober nur ihren Preis und 
die Klagen über ihre Härte allen Völkern romaniſcher Zunge 
habe verkünden wollen. Bgl. Erescimbeni Volgar poesia 
I, 4. II, 56. Perticari Apologia di Dante p. 183. Diez 
a. a. ©. &. 290, 91 und Deffen Poefle ber Troubadour— 
©. 116. Galvani Osservazioni sulla poesia de’ trovatori 


157 


p. 10914. Diefen Beifpielen, insbefondere bem ber Schlußs 
firophe des erwähnten Descort, folgt Dante im gegenwärtigen 
Gedichte, deſſen Bau durò Verſchlingung ber Sprachen ges 
wiffermaßen einen boppelten Reim hat. In ber erften Strophe 
herrſchen die italienifhen, in ber zweiten die provengalifchen, 
in ber britten bie lateinifchen Beilen vor. Genauer ift der Sprache 
bau folgender: I. Pr. 1. it. L pr. it. it. 1 pr. pr. 1. it, it, 
IL L. it. pr. it. r. pr. it. 1. 1. i. pr. pr. HI. It, pr. L 
pr. it. LL. pr. it pr. L L Die Reimftellung aber: abc 
bac.—cdeedff.— Der provengalifche Tert ift theils nach 
ſehr gütigen brieflichen Mittheilungen bes Hrn. Prof. Diez, 
theils nah Galvani a. a. ©. ©. 115—17 berichtigt. Uebers 
dept ift derfeibe von Erescimbeni II, 249, von Galvani 
und von Epell. 
Str. I, 3. 4. Was die Gracci bier follen, ift nicht Mar. 
Ich vermuthe, Dante fpielt im Zufammenhang ber spietata 
* fraude auf bie unredlichteit der Griechen an, bie ihm ſowol 
aus den römifhen Schriftftellern, namentlich dem oft von ihm 
ermähnten Ju venal, alè aus der Geſchichte der legten Jahre 
hunderte befannt fein fonnte. Bol. Roffetti Comento analit. 
II, 485, 86. Dante’ niertes und Gino 62ftes Son. 3. 4 
bei Ciampi ©. 108. — So unreblid, bie Griechen find, fo 
hätten fie mich doch ſchon erhört. — audivissent, wie meine 
Handſchrift ftatt audissent lieft, erfobert der Vers. — Die 
fünfte Zeile ift nad) Galvani berichtigt. Sugleid) thellt er 
als Vermuthung eines Freundes mit: San lo 'n autr. d. e 
vos saubetz. Diez flug vor: Sabem nos autr’ amic e v. 
sab. — 3. 10 und I find nad) Diez; Galvani lief: Eu 
v. sp. e par de mi a non cura, Ai Dieus! quanta malura. 
Str. U, 3. 1-3. Die Befchwerbe, die der Dichter über 
fein eigenes Herz führt. — 3. 4. Die Wunden, die ich von 
der Geliebten empfange. — 3. 5. Der gemeine Haufen erhebt 
fi gegen mid. — 3. 6 qui? autreg — que j’ octroie, bie 
ich gewähre. — In 3.7 muß bas pover der Ausgaben (richti⸗ 
ger paubres) des Werfes wegen wegfallen. Meine Handſchrift 








158 


lieſt, nad) Berichtigung der Orthographie: Fort mi desplatz 
per mey, und vermuthlich ift jenes pover aus dem per, ober 
wie geſchrieben ift, pour, entftanben. Aud die Ausgabe von 
1491 hat: For moi displait puer mois. — 3. 9. Die Gelichtr. 
— 3.11. Crulla ftatt crolla fehlt in ber Crusca. Statt 
crolla muß aber wieder crollasse verftanden werben. — Schwie⸗ 
tig find die beiden legten Zeilen. Galvani lieft: A plazer 
@’autra, quar d's'amor #’ laisset, El fals cora greus pena n 
emportet, und überfegt: A piacer d’altra, perchè di suo 
amore si lasciò, Il falso cuore greve pena ne importò. Of⸗ 
fenbar wird aber badurch bie Beitfolge geftört, ba es in 3.11 
heißt: se ’l miocor si crulla. Daher bin id) den Vermuthun: 
gen von Diez gefolgt, bie allerding8 von ber gewöhnlichen. . 
Lesart (A plaser d’autre qe de lo amor le set ll faulx cor 
gran pen en porteret) bebeutend abweichen. — Dabei ift sesta 
in 3. 12 mit: ſich enthält zu überfegen. ‘ 
Str. III, 3. 2 ift die Galvani" {he Neftitution von ber Die: 
ziſchen, bie ich aufgenommen habe, bebeutenb verfchieben. Der 
Grffere will lefen: Aitan col aspis, que per ma fe es sors 
unb überfegt: Tanto come l’aspide, che per mià fè è sordo; 
doch feblagt er auch vor: E tan d’ aspis unb erflärt alsbam: 
E tanto da aspide, il qual aspide ecc. — Die Diezifhe 
Zerteöherftellung entſpricht weit beffer bem bisherigen Terte 
(E tan daspres ge per ma fed e sors) unb meiner HGandſchrift 
(E tant daspresse que per ma foy et fors) unb ift gu iter: 
fegen: Diefe Dame hat dag Herz fo graufam, daß fie, bei mei: 
ner Treu, ein Bär ift. Ebenſo fagt Bernart von Venta: 
bour um bie Mitte des 12. Jahrhunderts (Raynouard 
poesies des troubadours III, 46; vgl. Diez, Leben u. Werke, 
©. 39): Ors ni leos non etz vos ges. und ber Norbfrangofe 
Euſtaches Li Peintres (handſchriftlich, nach brieflicher Mit: 
teilung von Diez): Ours ne lions n 'est ne beste sauvaige. 
— 3. 4 emenbiet Diez: Ben sap l’amore, se eu non ai 
socors, Bisher lad man s’eu ie u. ſ. w. Meine Hanbfchrift 
hat que je; es ſcheint alfo, baß man entmeber wie in unferm 


159 


. 
erte, ober que eu lefen muß. — 3.13 fehlt eine Sylbe; body 
weiß id) fie nicht mit Wahrſcheinlichkeit zu ergdnzen. . 
Ste. IV, 3.4 ſcheint die Beziehung auf gravis mea spina 
zu fordern: Za senta; doch lefen Handfchriften und Ausgaben: 
ogn’ uomo, ober ognuno il senta. 


Ahtzehnte Canzone. 


Barthold hebt eö in feinem Römerzuge Heinrich's VII. 
II, 449, 50 hervor, daß, bgm Jubel der Gbibellinen über 
Heinrich's Ankunft in Italien gegenüber, kein würbiges Denk: 
mal ber Nationaltrauer über feinen Tod auf uns gefommen 
Sei. Schon längft aber waren zwei Canzonen Cino's von Piz 
fioja auf ben Zob des Kaiſers gebrudt (Ganz. 15 und 19 der 
Giampi’fchen Ausgabe von 1826, ©. 189. Bel. Galvani 
Sulla poesia dei trovatori p. 60—62), und wenn fdon fie 
zu ben befferen Gebichten jenes Piftojefen gehören, fo ift das 
gegenwärtige Alagelied ein weit würbigeres Monument. Es bes 
Elagt den Tod des Kaifers in ganz perfönlicher Beziehung auf 
den Dichter und deffen nun für immer zerftörten Hoffnungen. 
Selbft das Lob des Verftorbenen gewinnt dadurch eine fubjective 
Färbung, baf ber Dichter in ibm die Rechtfertigung feiner 
Anbdnglichteit, und ben Troſt für geſcheiterte Pläne findet. Was 
ihm aber am bitterften zu tragen fällt, das ift die Berewigung 
feines Exiles, deffen Ende er durch Heinrich's ſiegreiche Waffen 
ſchon geglaubt hatte vor fid zu fehen. So wendet er ſich denn 
gleich in der erfien Strophe an die Vaterftabt, als an bie, 
ihm nun für immer enteiffene Geliebte, mit einer Verkörpes 
zung, bie inmitten ber unzähligen Perfonificirungen auch der 
abftracteften Dinge, wie fie fo oft im Mittelalter una begegnen, 
unmöglich befremben Tann. Ganz ähnlich redet Dante die Hei 
mat auch in ber 16ten Canzone als Donna an. 

Str. I. Die erſten Zeilen erinnern lebhaft an die fimfte 
Ganzone der vita nuova: 


160 
Quantunque volte, lasso, mi rimembra, 
Ch’ io non debbo giammai 
Veder la donna, od io vo sì dolente 
Tanto dolore intorno al cor m? asseml 
La dolorosa mente, 
Ch’ io dico „Anima mia, che non ten’ vai?“ 
Nod) auffallender {ft die Aehnlichkeit mit einer Ballate des 
Guido Gavalcanti (Ausgabe von Cicciaporci p. 26): 
Perch’ io non spero di tornar giammai. — 3.5. Eine Rand: 
variante der Marcianer Handſchrift (191) lieſt wohlklingender: 
Nè spero. — 3. 7. Dem Dichter ift nicht unbefannt, daß er 
durch Demüthigungen die Heimkehr erfaufen koͤnnte; um fols 
hen Preis aber verf—hmäht er fie, wie fpdter in dem befannten 
Briefe: Non est haec via redeundi ad patriam, pater mi. — 
3. 8. Tambroni im Giornale arcadico 1822, p. 99 lieſt: 
A me tornare al vostro eco, — 3. 11. Andere lefen Ma 
duolmi. — Gbenfo Inf. V, 107. Caina attende chi vita ci 
spense und Ganz. VI, Str.3, 8.8 la vita che rimane spenta, 
— 3. 17. In bey vorhin erwähnten Canzone heißt es: 
Ond’ io chiama la Morte, 
Come soave e dolce mio riposo. 
und bei Fazio degli Uberti: 
lo chiamo, io prego, e Insingo la Morte 
Come divota, cara e dolce amica. 
— 3. 18 lefen Andere: ogni senso ad alta bocca. 
Ste. IT, 3.4. Aebnlid) im vierten Gonett der vita nuova: 
Morte villana e di pietà nemica. 
Eine Randvariante ber Marcianer Handſchrift lautet: Per man 
di morte, — 3. 5. Amor hat Alles in unfere Hand gegeben: 
Liebe ift der Urquell alles Deffen, mas gefchiebt. Ebenſo im 
der zwölften Canzone: 
Amor .... 
Da te convien che ciascun ben si muova, 
Per lo qual si travaglia il mondo tutto. 
Cine Randvariante ber Handſchrift fat: Che quel Signor, che. 
Andere Lonbfebriften Iefen: vostra mano, — 3.8, Im Anhang 


161 


ber bella mano: M’avea promesso consi 
lefen: in pregio in più, ober ein pr. e in più, oder con pr. 
in p. — 3.14. Sire ftatt Signore fommt bei Dante öfter 
vor, 3. B. vierte Canzone det vita nuova, Str. 2, 8. 9. 
Par. XXIX, 28. — 3. 15. Der Anhang ber bella mano hat 
mentire. — 3. 17. Sgl. Ganz. XIV, Gtr. 4, 8.9. Billig 
im gleichen Sinne preift Heinrich VII eine ungebrudte fehr 
ausführliche Canzone, welche anfängt: Virtù, che ’l ciel me- 
nasti a sì bel punto und in Handſchriften bald Dante, bald 
(obwol gewiß mit unrecht) Guido Cavalcanti beigelegt, und 
aud von Triffino unter bem Namen bes Erfteren citirt wird. 
Questi è prudente, forte e temperato, 

Giusto, magnificente, ver, giocondo, 

Magnanimo, affabile, gentile, 

In costui è consiglio, onore, e stato, . 

Questi con libertate onora il mondo. 
3. 18 ift nad) Zambroni und einer Trivulzio ſchen Handfchrift 
berichtigt. Die Marcianer Handfhrift hat: Giusto viepiü che 
mai ecc. 

Str. IT. Nah Dante'8 Lehre ift das römifch=deutfche 
Kaiſerthum bie allein legitime, d. h. von Gott felbft angeorb= 
nete Univerfalmonarchie. Wenigftene ber Idee nach gilt jedes 
Volk der Erde als bei der Wahl des Kaifers vertreten. Webris 
gene Tann Eletto per virtute eben fowol heißen: erwaͤhlt Eraft 
des Willens eines jeden Volkes, als: feiner Tugend wegen ers 
wählt aus allem Bolt. — Nicht ohne bedeutende Uebertreibung 
behauptet Repetti Antologia 1827, Febbr. nur durch bie 
Sntriguen des Bifchofs von Oftia, Cardinals von Prato, fei 
Heinrich zum Kaifer gewählt. Bol. Barthold a. a. ©. I, 
307 f. — 3.4. Die Randvariante des Marcianer Manus 
fcriptes ift aufgenommen. Im Texte ftebt: D’ animo valorfa 
ch’ altro mai fosse. Bei Tambroni: Valoria d’ alma più 
ch’ altri che f. und im Anhang ber bella mano: Valor d’ 
anima più ch’ altri che f. — 3. 5 erinnert an Inf, I, 103: 

Questi non ciberà terra nè peltro. 





162 


3. 6. In bem oben erwähnten Lobgebidht auf Heinrich VII. 
heißt es: 
Alla impresa manifesta il vero, 
Ancora che gli ’l contrarii la ventura. 
unb in einem gleichfalls Dante beigelegten Sonett (Anfang: 
Preziosa virtù, cui forte vibra): 
Forse che prova avversità tua fibra, 
Quanto ella ha possa. 

3.7, 8 lauten bei Anderen: E magnaninamente Ei contra- 
stette ecc. — 3.9. Die Marcianer Handſchrift hat ben voler; 
die übrigen Autorititen buon e. — 3.11. Dante fagt in dem 
(im ©riginal ungebruditen) Brief an die italienifhen Fuͤrſten: 
Considerantes, quod potestati resistens, Dei ordinationi re- 
sistit, et qui divinae ordinationi repugnat, voluntati omni- 
potentis conequali recalcitrat, et durum est contra stimu- 
lum caleitrare. — 3.14. Zambroni lieft: Veninne. — 
3. 15. Am Rande ber Marcianer Handſchrift iſt bemerkt: 
Ma perchè ’l dolce; ber Anhang ber bella mano hat Perchè 
del d. 

Str. IV, 3. 1—7. Diefelben Gebanten werden in der 
vierten Canzone ausgeführt: 

+,» Nessun si vanti 
Dicendo, „per ischiatta io son con lei.“ 

Bol. aud) Ganz. XII, Str. 5, 3.13. — 3.2. Andere Iefen: 
Alcun ben, che a lor venga. — 3. 6. Eine Ranbvariante 
des Marcianer Coder hat: Ma qu. uom fa di buon per sua 
f. und Zambroni: Ma per qu. uomo adorna sua f. — 
3. 8. 2nbere lefen: Questo si è suo, e l’opera è grad, 

Str. V, 3.3, 4. Diefe Hoffnung wachte nach fo vielen 
Cdufdungen immer wieder in bem Dichter auf. Am lebendig⸗ 
ften noch am Schluffe feines Lebens im 25ften Gefange bes 
Parabiefes. — 8. 5 ift nad) dem Anhang ber bella mano und 
Tambroni berichtigt. Die Marcianer Handſchrift bat: Per 
cui sp. und bie Ausgabe von 1518: E per lo cui sp. — 
3.5, 6. Aehnlich heißt es in der zehnten Canzone, Str. 5: 


163 


Non spero mai d’ altrui aver soccorso. 
— 3. 19, Ebenſo werden auch in der Löten Canzone Schöns 
heit und Tugend als zufammengehörig genannt. — 3. 14. In 
der l4ten Ganzone, Str. 5: 

. . degli occhj miei ’l bel segno 

Fer lontananza m’ è tolto dal viso. 
— 3. 16 lautet im Anhang ber bella mano: Questi morendo 
non sp. sal. 

tr. VI, 3. 2. Piacer fino fommt bei den altitalienis 

fchen Bpritern häufig vor, 3. B. im 22ffen Sonett unferer 
Sammlung. — Der in Beile 6 genannte Branceschino ift der 
zweite biefes Namens, Markgraf von Mulazzo, Sohn Mas 
roello's II. und Batersbrubersfohn des berühmten Marcello III. 
Bei biefem Malafpina hatte Dante längere gaftliche Aufnahme 
gefunden, und fchon im Det. 1306 ihn bei dem Friedensſchluſſe 
von Gaftelnuovo bi Sarzana vertreten. Maroello III. modite 
um biefe Beit noch als kaiſerlicher Vicar in Brescia verweilen. 
— 3. 8 lautet im Anhang der bella mano: Li narrerai, che 
in lui alqu. 


Neunzebnte Canzone. 


Str. II, 3. 4 divide ſcheint hier bem Sinne nit zu 
entſprechen, e8 wäre benn, baß man, unferm Ueberfeger wibers 
fprechen, morte zum Subject und natura zum Object machen 
wollte. — 3.5 ungue ftatt dovungue. — 3.8 wörtlich: 
Amor verwundete meine Sele in meinem Herzen. 

Str. III. Aus der Wefenheit der Geliebten gehen die 
Schmerzen, bie der Dichter durch Sie leidet, nicht hervor, 
vielmehr ift jene geeignet zu beglüden. Nur der außermefents 
liche Umftand, daß Sie Fein Mitleid mit ibm bat, erzeugt 
jene Qualen. — 3. 6. Nämlich in das Reich des Todes. — 
3. 13. So ſchmerzlich fonft der Tod ift, fo erſcheint er mir, 
in Vergleich mit jenem Schmerz, ale Freude. Dal. Ganz. I, 
Str. 2, 3. 11. 


164 


Str. IV, 3. 7. Die Lebenögeifter entfliehen, und ber 
Dichter bleibt allein, gewiffermaßen ohne Leben zuruͤck. In 
welchem Zuſtande er ſich dann befindet (com’io rimango), weiß 

* er felbft nicht zu berichten; erzählte es aber ftatt feiner (per 
colui, che è rimaso) einer von jenen entflohenen Lebenagei: 
ftern (un di quei, che campan pui), fo würde kin ‚Hörer 
fi) der Thränen enthalten. 

Str. V, 3.1. Wörtlih, aus Thränen zufammengefügt. 
— 3.3. Wenn id) Dich ausfende, wird auch mein Geift den 
Leib verlaffen. — 3.4. Hier, auf der Erbe, die Du, mein 
Lied, durchwanderft, follt Du, deinem Inhalte gemäß (3. 6), 
die Frohen fliehen (3. 5) und nur bei den Zraurigen weilen. 
— 3.12. Gin Anderer fol bies Lieb bei ber Geliebten eine 
führen; denn time es unter des Dichters Namen, fo würde 
Sie e8 ungelefen laffenz wie unfreunblich wuͤrde Sie alfo erft 
gegen ibn ſelbſt fein! 


Bwanzigfte Canzone oder Seftine. 


Die erfte Strophe entfpricht dem Inhalte unferer neun: 
ten Ganzone. — Das bianchir de’ colli in 3. 2 läßt feinen 
Zweifel, baf Dante an ben Winter, am ſchneebedeckte Hügel 
badite. — 3. 5 barbato wird, nad) mehren Veifpielen in ber 
Crusca ($. 1), für altgeworben, verwurzelt, gebraucht. Mal. 
Inf. XXV, 58, 

Str. II, 3.1 nuova für jung kommt vor bei Petrarca 
in ber Canzone: Una donna più bella assai che’l sole 
(Ste. 2). Dante gebraucht es öfter für feltfam und unges 
wohnt, was fi) auch hier mit bem Sinne allenfalls vertragen 
würde. Vol. oben S. 10. — 3. 3 la bezieht ſich auf neve. 

tr. III, 3. 1 erinnert an ben Anfang ber neunten Vale 
late. — Ueber bie blonden Haare (3. 3) vgl. Ganz. 7, Str. 6. 
— In der Schlußzeile Iefen die Marcianer Handfehriften (63 
und 191) che in la calcina, 


165 


Str. IV, 3. 1. gl. Anmerkungen zu Ganz. 8, Str. 2, 
und zu Ganz. 12, Str. I. — 3.2. Bol. Gang. 7, Ch. I, 
3.9. Die Palatiner Handſchrift lieft Colpo che dà und in 
3. 4 Sol per poter campar. benbiefelbe hat in 3. 5 viso 
ftatt lume, welche Zeile in der Marcianer Handſchrift No. 191 
Nè al suo lume mi puote f. o. und in ber Nr. 63 Ed al s. 
1. non ecc. lautet. 

Str. V. Die legten brei Beilen find dunkel. Will man 
innamorata auf bie Geliebte beziehen, fo erfcheint nicht allein 
die legte Zeile fehr gezwungen, fondern es widerfpricht auch der 
Anhalt. der naͤchſten Strophe einem folchen Veimort entſchieden. 
Auf erba bezogen, ift aber innamorata ein nicht minder une 
gewöhnliches und feltfames Adjectiv. (Vergl. indef Crusca, 
$. IL) 

Stredfuf (Berliner Converfationeblatt 1827, No. 46, 
©. 183) gibt von ber zweiten Hälfte diefer Strophe folgende 
Erklaͤrung, mit der ich mich indeß nicht einverftanden erklaͤren 
Tann: „Daher (weil ich fie fo reizend fab) babe ich fie begehrt 
auf einer ſchoͤnen Wiefe, von Liebe erfüllt, wie fie aud) ein 
Weib war und rings pon fehr hohen Hügeln umfchloffen. Mit 
anbern Worten: Der Dichter, auf ihre weibliche Natur trauend, 
und auf die flille Verfdloffenbeit des Thales, wuͤnſchte und 
hoffte, fie auf jener Wiefe für Liebe empfaͤnglich zu finden.’ 
Sehr ähnlich ift aud) die Ueberfegung von Lyell. — In 3.5 
lieſt meine Handſchrift anche ftatt anco und in 3. 6 mußte 
nad) zahlreichen Autoritäten chiuso ftatt chiusa gefegt werben. 
Bel. Vitali Lettera, p. 27. 

tr. VI, 3. 4 lefen die Marcianer Handſchriften Per me 
ftatt Di me, —- 3. 5 hat die Palatiner Handfeheift Tutti i 
miei giorni. — 3.6 lautet bei Fraticelli Sol per ved. de’ 
suoi panni l'ombra, In ber Marcianer Handſchrift (191) und 
in ber Palatinge: Per ved. dove i suoi p. fanno o. Andere 
leſen du, ober do ftatt u’ (ove). 

Aud die Erklärung ber Schlußftrophe ober ripresa 
macht Schwierigkeiten. „Der Gedanke ſcheint mie ber zu fein: 





166 


Die bunfelfte Nacht (Object) überbedt bie Geliebte mit Ihrem 
Glanze, fowie Steine vom Grafe überbedit werden. Ob bad 
Grin (un bel verde), bas mit Ihr zufammengeftellt wird 
(wie Lyell überfegt), dad grüne Laubbad, unter bem Sie figt, 
ober Ihr eigenes grünes Gewand fein fol, weiß ich nicht zu 
entfcheiden. Von wefentlihem Einfluß auf den Sinn ift e8, 
daß die Ausgabe von 1491 in 3. 1 Quantunque lieft, welde 
Lesart in ben beiden Marcianer Handſchriften und in ber mei: 
nigen als Variante bemerkt wird. Ferner bat bie legtere (3.3) 
gleich ber des Vitali (Lettera p. 27) La fa sparir, auf 
gibt Giunta bie gleije Variante an. — Stredfuf (a a. 
©. ©. 184) fagt über biefe drei Zeilen Folgendes: „Ueber 
fegen wie mörtlih: Wenn auch die Hügel ben ſchwaͤrzeſten 
Schatten machen, bie junge Herrin macht fie verſchwinden unter 
einem f&hönen Grün, wie ben Stein unter dem Grafe — fo 
bietet ſich zunächft bem Auge ein angenehmes finnliches Bilb 
der Geliebten, welche den balbentblbfiten Bufen dem Auge des 
fehnfuchtsvollen Liebenden entzieht. Aber wir finden auch ohne 
Schwierigkeit den Sinn bes Bildes, der dem ganzen Inhalte 
des Gedichtes völlig entfpricht. Wenn auch in ihrer Vruft der 
ſchwaͤrzeſte Schatten, wenn er durch Gluth der Liebe auch noch 
fo wenig erwärmt und erhellt ift, fo uͤberkleidet bie Herrin ibn 
mit bem fehönen Grin der Hoffnung, welche die Liebe nicht 
erfterben läßt, wie der Stein, der harte und fühllofe, von dem 
weichen, bag Auge ftärkendem Grafe überbedit wird.” — Wie 
Trivulzio ſich brieflich gegen biefe Deutung erlärt hat, if 
feiner Beit mitgetheilt worden (Blätter für literar. Unterhalt. 
1827, No. 200, &. 800). Ueber feine eigene Meinung febrieb 
er zugleich an mich: „Iſt Dante’s Geliebte die Philofophie, fo 
. . wuͤrde es nicht unpaßlich fein, zu erflären, dieſes 
junge Maͤdchen, naͤmlich die Philoſophie, mache bie Finfternif 
(die unter bem ſchwarzen Schatten zwiſchen den Hügeln vers 
fanden wäre) entſchwinden, und alsbann bürfte auch nidt 
ſchwer fein, zu errathen, warıım Dante biefer feiner Geliebten 
ein fchönes Grin zum Sewande gibt . . . . Grinnern Gie ſich 


167 


an bie Ganzone, bie im britten Trattato des Convito erflärt 
ift, in ber die Augen und das Lächeln der Philofophie gedeutet 
werben; erinnern Sie fi) an bag Enbe des zweiten Trattato, 
wo Dante fagt, bie Augen feiner Geliebten (ber Philofophie) 
feien Räuber des menfchlichen Gemüthes, wenn fie (bie Geliebte) 
mit ihren Trauten vebet, und Sie werben auch in diefer Seftine 
viel Uebercinftimmung mit ber allegorifchen Sprache finden, bie 
Dante in feinen andern Canzonen redet.“ 


IE. Zu den Vallaten. 


Erfte Ballate. 


Vie ſehr dies Gedicht, nicht allein dem Geifte, fondern 
auch der Sprache nach bem Provengalifchen verwandt ift, bes 
weift die wörtliche Uebertragung in jene Sprache, die Pertis 
cari, Apologia di Dante, p. 199, bavon geben fonnte. — 
Unfere Lefer werben fidi lebhaft an beutfche Minnelieder erins 
nert fühlen. 

Str. I, 3. 2. ei Primavera ift zu gebenten, daß auch 
cin folder Frauennamen vorkommt. Ugl. das Ate Sonett 
ber vita nuova, . 

Str. IT, 3.2. Val. Anmerkungen zu Ganz. 6, Str. 1. 
— 3. 6. Den Gefang der Vögel, ihre Sprade, ihr Latein 
zu nennen, ift bei ben diteften Stalienern und bei den Provens 
galten gewöhnlich. Vgl. z. B. Arnauld Daniel bei Pers 
ticart, Apologia, p. 181, obgleich biefe Bedeutung unbes 
greiflicher Weife in ber Crusca fehlt. Die richtige Erklärung 
findet fid) fhon in Pergamino’s Memoriale della lingua 
und in Ciampi Anmerkungen zu Cino's 20fter Canzone, 
Str. 2, 3.9, ©. 319. Aud im deutſchen Mittelalter kommt 
das Latein der Vögel vor. Val. Hoffmann Elegaft (Horae 


168 


belgicae IV), Berg 770, 81 und ©. 61. Göttinger gelebrte 
Anzeigen 1833, ©. 1591. 

Str. III, 3. I. Die Alten ſchreiben bald sembranza und 
bald semblanza, big ſich endlich sembianza feſtſtellt. Siehe 
3: 8. Dante ba Majano bei Giunta, 75. — 3.4. Des 
Dichters Verlangen ſchon ift Glid. Lyell nimmt sembianza 
für den Gegenftand des Verlangent: she whom I adore. — 
3. 5 cera ift ein bei ben Alten, vorzüglich bei Dante ba 
Majano, fehr gewöhnlicher Ausbrud für Geficht, der ſich in 
buona cera, und auch fonft als Provincialismus bis heute er: 
halten hat. Giajosa wird oft von ber Geliebten gebraudt, 
3 B. Dante da Majano im erften Sonett bei Giunta. — 
3. 7. Costumanza nad der unangenehm gleihfdrmigen Beife 
der Provengalen und Altern Italiener aus costume gebildet. 
Dies heißt nun bekanntlich Sitte, Gewohnheit, und der Ueber: 
feger bat es, im Gegenfag von Natura für bag genommen, 
was Sitte oder Mode zur Verſchoͤnerung natürlicher Geftalt 
beitragen Tann. gl. Purg. XXXI, 49. 

Str. IV, 3. 3. Essenza ift fehr uneigentlich gebraudt. 
Gott ſchuf Euren Reiz dem Wefen nach, d. h. ala wefenttichen 
Theil von Euch, oder Eurem Wefen völlig entfprechenb, damit 
von jenem auf dieſes genügend gefchloffen werben koͤnne. 


‚weite Ballate, 


Vgl. Deynbaufen a. a. D. ©. 204. Diefe Ballate if 
unter den Gebichten Cino bei Ciampi Madrig. 3, p. 196 
mit Abweichungen abgebrudt, bie wenig Beachtung verbienen. 
— Der ganze Gedanke erinnert an Petrarca’s 139fe 
Sonett. : 

Str. I, 3.3, 4. NBgl. die erfte Canzone der vita nuova, 
Ste. 3, 3. 

Str. II. Die vorlegte Zeile it bei Ciampi elffpibig: 
Se stessa ad altri, avv. n, lasc. 





169 


Dritte Ballate. 


Str. I, 3. 1 nuova. ©. Anmerkung zu Ganz. 20, Str. 
2, 3.1. Was die Gommentatoren der göttlichen Komödie über 
die Pargoletta in Purg. XXXI, 59 gefabelt haben, ift bei 
ihnen felbft nachzuleſen. Bgl. Ganz. 9, Str. 6, 3.7. Die 
zweite und britte Zeile lauten vielleicht richtiger in der Mars 
cianer Landfdrift (63): Che son ven. per mostrarmi altrui 
Delle bellezze del loco ond’ io fui. 

Ste. II, 3.2. Altrui find die Engel und Seligen im 
‚Himmel. Diefe verlangen in der erften Canzone ber vita nuova, 
daß Gott Beatrice von der Erbe abrufe, und in der zweiten 
Canzone bes Convito (Ganz. 3) fehen die Engel auf des Dichs 
ters Geliebte ald auf ihr Vorbild. — Jedenfalls irrig Lieft in 
3. 4 die erwähnte Marcianer Handſchrift: D’ Am. giammai 
non ara compagnia und in der nächften Zeile diffetto ftatt 
disdetto. — 3. 5. Gli („der“) ift Amor, nicht die Geliebte 
felbft, wie Taeffe ©. 143 unrichtig überfegt. Disdire heißt: 
nein fagen, abſchlagen: Amor erfuhr in Betreff keines feiner 
Wuͤnſche eine Weigerung, ala bie Natur Denjenigen ich zu 
febaffen bat, der mid Cud, ihr Frauen, zugefellen wollte. 
Mit unrecht nimmt die Crusca, wie ſchon Fraticelli bes 
merkt bat, disdetto ald Subftantio. — 3.7. Dionifi (Pre- 
parazione II, 35) will a lui lefen, und bies auf Amor und 
feinen Wunfd in 3.5 beziehen, was mir jedoch unnöthig ſcheint. 
(„La sapienza è colei, che non si scosta mai dall’ amor 
divino, con cui ella è unita quasi per eterno matrimonio “) 
Bel. Fgaticelli ©. CCLV. 

Str. II, 3. 1, 2. Derfelbe Gedanke ift ausgeführt im 
elften Sonett. — 3.6, 7. Nur ber Liebende fann meinen 
Werth begreifen; altrui ift ber Genitiv: Wohlgefallen an 
irgend Iemandem. Depnbaufen (S. V) fcheint das altrui 
mit Unrecht auf Amor gu begiehen. Die Marcianer Handfhrift 
hat ftatt beffen di vui, unb eine Variante bei Fraticelli 
a lui, 

Dante, Lyriſche Gebigte. II, 8 


170 


Str. IV, 3. 3. Campare heißt: ſich vetten, entgehen; 
bier alfo: bem Vorwurfe entgehen, der in Str. 2, 3. 4 ent: 
Halten if. Buttura will biefe Ballate auf ben Beginn von 
Dante'8 zweiter Liebe (zu ber Dame des Convito) beziehen 
und verfteht die gegenwärtige Beile von ben in ber vita nuova 
gefchilberten Verfuchen bes Dichters, gegen den vergehrenben 
Schmerz um Veatrice'8 Tod, Troft im Anfchauen jener Dame 
zu finden, beren Augen ihm Mitleid verfprechen. — Meine 
Handfhrift lieft: per guardar. — 8. 6. Amor. 

Taeffe, ber biefe Ballate an die Gentucca gerichtet 
glaubt, findet in ihr zwar Wohlgefallen und Bewunderung, 
aber feine Spur von Liebe (expressive of delight and admi- 
ration, but void of a trace of amatory passion). 


Vierte Ballate. 


Der Grund, warum Dante die Geliebte nuvoletta nennt, 
mag in Bolgendem zu fuchen fein: Die alten Maler bis zum 
Ende des 15. Jahrhunderts fielen die Aufnahme einer Gere 
unter bie Geligen gewöhnlich fo dar, baf Chriſtus fie am 
Sterbebette in der Geftalt eines Meinen Kindes in feine Arme 
empfängt, baf aber zugleich eine Heine regenbogenfarbige Wolke, 
in ber man zu Zeiten bie Figur der Verftorbenen noch erkennt, 
von Engeln zum Simmel getragen wird. Genau ebenfo be 
fchreibt Dante in ber zweiten Canzone ber vita muova ben 
Tod der Beatrice: 

Gli Angeli che tornavan suso in cielo, 
Ed una nuvoletta avean davanti, . 
und an einer andern Stelle die Himmelfahrt bes Elias: 
Che nol potea sì coll’ occhio seguire, 
Che vedesse altro, che la fiamma sola, 
Sì come nuvoletta in pù salire. (Inf. XXVI, 37.) 
So ſcheint benn der Dichter mit biefem Ausbrud bie reine, 
von aller irdiſchen Befchränkung freie Serle bezeichnen gewollt 
zu haben. Aud im Purg. XXX, 28 wird eine nuvoletta 


171 





di fiori erwähnt. — Vefrembend ift die abweichende Lesart der 
Marcianer Handſchrift (191): Deh violetta. 

Str. II, 3. 7, 8. Sieh mich nit an, um in mir neue 
unb abermals täufchende Hoffnung zu erregen; fonbern um 
meine Liebe zu erkennen, zu würdigen und zu belohnen. Anz 
ders verftebt Lyell biefe Beile: O heed not, why in her 
(hope) I place my trust. 


Finfte Ballate. 


Diefe Ballate ift unter denen bes Gino (Ausgabe von 
Giampi, ©. 29) mit febr vielen Abweichungen gedrudt, von 
denen aber kaum eine mir Aufnahme zu verdienen fcheint. 

Str. I, 3. 4. Der Artikel im Vocativ, der übrigens in 
dem Abdrud bei Ciampi fehlt, ift alterthümlih. (Siehe 
3 8. Raynowarb, Choix des pogsies, T. I, p. 123: „Lo 
miens bels amics gens.) 

Str. II, 3. 3. Das suditamente entfpricit dem subito 
in ber zweiten Beile ber vorigen Ballate und bezieht fi, wenn 
anders biefe Ballate Dante zugehört, auf das plögliche Gemahrs 
werben der Geliebten, welches ber Dichter in der vita nuova, 
cap. 37, beſchreibt. — 3. 6. Amor in den Augen ber Ges 
Uiebten ift ein Bild, deffen unfer Dichter ſich oft bedient, 3. B. 
Gang. 2, Ste. 3, 3. II und Ballate 7, Str. 3. — 3. 9 ift 
mit ben Abbriden in Cino's Gedichten Fuorchè quella ftatt 
Fuorchè ’n qu. gefegt. 

Die dritte Strophe hat im ‚Gebanten Aehnlichkeit mit 
der erſten der dritten Canzone. 3. 5, 6 lautet bei Ciampi 
ſehr abweichend: L’ immagine passata Ch’ ho nella mente; 
ma pur mi do p. 

Str. IV. Es ift Fein anderes Beifpiel befannt, wo Dante 
eine Ballate mit einer Strophe, die der erften an Kürze gleicht, 
befchtoffen Hätte. Der Form nad) ſehr ähnlich ift Cino" for 
genannte 17te Ganzone (Giampi &. 159), bie in ber That 
eine Ballate ift. 

8* 


172 


Sechſte Ballate. 


Str. I, 3.1. Das preghi ift feltfam. Entweder muß 
es heißen, wie er es macht, daß ich mid) feinen Wünfchen 
füge, ober preghi ift bie erfte Perfon und Amore bag Object: 
id weiß nicht, um was id Amor bitten foll (di che mi preghi). 
Die legtere Erklaͤrung feheint auch Lyell vorgezogen zu haben. 
— 3.3. Bel. Can. 5, Str. 1: 

Non dico, ch’ Amor faccia più ch'io voglio. 

Str. I, 3.5, 6. Den See im Herzen weiß ich nicht 
anders zu verfteben, als ben im Anfange ber ‚Hölle (I, 20) 
erwähnten, ben Magalotti, mie id) glaube, mit Recht, von 
dem nad) den Vorftellungen ber Beit im Herzen ftagnirenben 
Blute erflärt. Alfo, das Blut fließt aus dem Herzen unb 
färbt die Wangen, fo oft bie Pfeile Amor8 in das legte ſich 
fenten. — Die zwei Schlußzeilen, bie an Giufto be’ Conti 
erinnern, find bei Dante, ber ein irbifches Biel feiner Liebe 
nirgend erwähnt , in ber That befremblich. 


Siebente Ballate. 


Vol. Anmerkungen zu Ganz. 3, Str. 5. 

Str. II, 3.6. S. oben zu Ganz. 1, Str. 3. Richtig 
verftanden bebeutet diefe Zeile wol: Der Ausbrud ihrer Augen 
verbeift Gnade. Wer ſich der Philofophie geweiht, ahnt, menn 
deren Dunkelheit ibn auch nod) fo ſehr zurüdichredt, daf ihm 
bereinft Verſtaͤndniß kommen werbe. 

Str. IH, 3.4. Man ift verſucht zu fehreiben: Che PAG, 
oder Che v'ha fatto, ober’ bie Worte ber Geliebten ſchon mit 
der vorigen Beile enben zu laffen. — 3. 5, 6. Sie bewacht 
ihre Augen mit fo brobenden Worten, um fie mit aller Mufe 
felbft beſchauen zu koͤnnen. Nicht zu überfehen ift dabei, daß 
diefe Vallate ſich, nad) bem obigen Beugniffe des Dichters, uns 
mittelbar an das Convito anſchließt, und daß in biefem bie 


173 


Augen ber Geliebten die Demonftrationen der Philofophie bes 
deuten, beren Verftinbnif ſich bem Dichter entzogen hatte, alè 
er im Unmuth biefe Vallate dichtete. Conv. III, 15. Non 
mi ridea, in-quanto le sue persuasioni ancora non intendea, 
e parea disdegnosa, chè non mi volgea l’occhio, cioè, ch’ io 
non potea vedere le sue dimostrazioni. — 3. 7. Die Crusca 
erklärt: fa difesa per non essere soprafatta dall’altrui sguar- 
do, und fo bat auch unfer Ueberfeger verftanden. Monti 
(Proposta, II, 1, p. 84) zieht aber nicht far retta, fonbern 
donna retta, ober, wie die Boſſi'ſche Handſchrift lieft: retta 
donna zufammen, fobafi man etwa überfegen Konnte: 

Ein edles Weib pflegt folhen Vraud zu üben, 

Betrachtet fie fich felbft aus Sittſamkeit. 

Str. IV, 3.5. Wie fehr fie auch Amor, der in ihren 
Augen weilt, verberge und bewache, fo merde ich bod dies 
‚Heil, wenn aud nur in vorübergehenden Augenbliden, ges 
wahren. 


Achte Ballate. 


Die erfte Strophe und bie erfte Hälfte der zweiten führen 
den Gebanfen aus, bafi wo Amor und Schönheit weiten, noth⸗ 
wenbig aud Güte einfebren, diefe aber die Tueilnabme ber 
Geliebten für die Glut des Dichters medfen muffe. In den 
legten zehn Zeilen fagt der Dichter, feine Hoffnung würbe jedoch 
ſchon zuvor erftorben fein, wenn Amor nicht in ihm auf mehr⸗ 
fache Weife Muth erweckte: theil8 con la sua vista, was nur 
von dem Anblick Amors, nämlich in den Augen ber Geliebten, 
in benen er weilt, gebeutet werben Tann; theils con la rimem 
branza Del dolce loco, e del sonve fiore. Was für ein Ort 
und mas für eine Bluͤthe darunter zu denken fei, ift mic uns 
verftinblid. Man möchte ganz fpecielle Beziehungen vermu⸗ 
then. Durch diefe füßen Bilder wird die Erinnerung des Dich⸗ 
ters (la mente mia) mit neuen beiteren Karben gefhmüdt. — 
3. 13 hat bie Aleſſandri'ſche Handſchrift Cerco la mente; 


13 


174 


Fiacdi vermuthet Cerchio; id bin aber Fraticelli8 Cor: 
rectur gefolgt. 


Neunte Ballate. 


Der Tert biefer Ballate, mie Fiacdhi ibn nad) der Alefz 
fandri’fejen Handſchrift herausgegeben, mußte ganz vermorfen 
werben, ba Sinn und Versbau in ibm fo gut als ganz gere 
flört waren. Den nunmehr an feine Stelle getretenen verdanke 
id) Trivulzio” Mittheilungen aus Handſchriften. Er wurde 
von mic zuerft in ben Wiener Jahrbüchern bekannt gemacht 
(8b. XLII, Anzeigeblatt, & 6) und dann von Fraticelli 
(S. CCLXIV) aufgenommen. Da bie Schwierigkeit der Form 
der Ueberfegung nicht die gewünfchte Treue hat zu Theil were 
den laffen, fo möge hier noch eine reimlofe folgen: 

Ob eines einen Kranges, 

Den ich gefehen, macht 

Mich — jede Blume. 

Ich ſah Cud, Herrin, tragen einen Kranz, 

Gleich einer Blume Hold, 

und über ihm fab id) in Eile fliegen 

Ein Engelchen der Liebe ganz bemüthig. 

Es fprad fein leiſes Singen: 

„Gin Ieber, der mich ſieht, 

Wird loben meinen Herrn.” 

Es wird geſchehn ‚daß jebesmal ich feufze, 

Bin 16, wo Blimden find. " 

Ich ſpreche dann: ,, Die ſchoͤne, holde Herrin 

Lrdgt auf bem Haupt die Blümi meines Meifters.” 

Dod Sehnfucht noch zu mehren 

Wird meine Perrin kommen - 

Bon Amor felbft gekrönt. 

Aus Blüthen haben meine neuen Wörtlein 

Gemadt eine Vallate; 

Bon ihnen haben fie zur Luft entnommen 

Ein Kleid, das nie nod) Andern warb, gegeben. 

Deswegen feid gebeten 

Daf, Wer fie auch wird fingen, 

Ihre Ehre ihr erweift. 


175 


Zehnte Ballate. 


Diefe ſchoͤne Ballate erſcheint bier zum erften Male ges 
druckt, nad) ber Marcianer Handſchrift No. 191, wo fie fi 
am Ende der Sonette befindet. Der Tert, wie das Manufcript 
ihn liefert, ift völlig correct; mit der einzigen Ausnahme, daß 
Str. 1, 3. 3 E ftatt A, weldjes der Ginn erfordert, feht. 

Die nahe Verwanbt{daft der zweiten Strophe mit dem 
43ften Gapitel der vita nuova und bem 23ften Sonett berfel: 
ben fällt in die Augen. 


DIE. Zu den Sonetten. 


Erftes Sonett. 


Quart. 1, 3. 2 pina flatt piena. Quabrio, Storia 
della poesia Cap. V, part. 1. Die Alten verwechſeln e und 
i im Keime häufig. — 3. 3 ve’ fleht für vede. — inchinarsi 
wird von dem geiftigen Hinneigen nicht felten gebraucht. 

Qu. 2, 3. 1. In der erften Ballate hieß es: 

Fra lor le donne Dea 
La chiaman. 


Terz. 1. Lieſt man mit unfern Ausgaben: 
Chi l’ama, come può esser contento? 
fo verfegt man in dies ber Spradje nad) duferft frühe Sonett 
einen Gebanten, der des Dichters Jugendliebe zu Beatrice fremd 
if, und erft einer fpätern Periode des Amorose convito ent: 
ſpricht. Diefer Grund fchien mir genügend, Dionifi8 ſcharf⸗ 
finnige und in den Aneddoti (IV, p. 174) mit Beifpielen be 
legte Gonjectur in ben Tert aufzunehmen. Der Sprachgebrauch: 


176 


Ser contento entfpricht ganz bem frate montone bei Boccac⸗ 
cio (Nov. 33) unb vielen ähnlichen Ausbrüden. — 3.3 
Ganz ähnlich heißt ea im 2lften Sonett des Cecco Angios 
lieri (Palermitaner Sammlung II, 163) E s’tu dicessi: tu 
come lo sai? Io ti rispondo, che io l'ho provato. 


3weites Sonett. 


Diefes und das folgende Sonett beziehen ſich auf Beatrie 
ces Trauer bei dem Tobe ihres Waters. ©. vita nuova cap. 
22 und bafelöft Son. 12, 13. 

Qu. 1, 3. 2, 3 venta uno penta ftatt vinta und pinta 
erfordert der Reim der naͤchſten Quartine. Vgl. das vorige 
Sonett. 

Qu. 2, 3. 4. In dem fiebenten Sonett heißt es: 

Beata, chi 1% prossimana. 
gl. Sonett 16 ber vita nuova. 

T. 1, 3.2. Conquiso für geiftig angegriffen, tommt 
häufig vor. ° 


Drittes Sonett. 


Qu. 1, 3. 2. In cortesia, abverbialifà gebraucht, eine 
bloße Vittform: fagt mir es gefälligft (Crusca, $. V). — 
3. 3 dottanza (von dottare, dubitare), Furcht, Angft. Inf. 
XXXI, III: dotta. Der Dichter fürdtet, ber traurige Bu: 
fland, in dem jene Frauen bie Geliebte gefunden, made fie fo 
betrübt. 

Qu. 2, 3.2. Das sdegnose wird durch né zu biefer 
Zeile mit herübergezogen: Zuͤrnt nicht (nämlich, daß ij Gud 
anrede), © non siate sdegnose di ristare u. f. w. 

2.1, 3.3. Amor zielt nur, um zu verwunden; alle feine 
Pfeile treffen. Graticelli fhlägt vor: finire flatt ferire zu 
leſen; doch fcheint dies unnöthig. 





177 


Viertes Sonett. 


Eine treffliche Ueberfegung bei Gary: The vision of 
Dante (gonbon,-1819), I, XXXIX. 

Qu. 2, 3.2. Keil erflärt: d'una maniera assai leg- 
giere und erinnert an ben Ruf ber Leichtfertigleit, den bie 
Griechen fdjon bei den roͤmiſchen Glaffitern hatten. Ich ver: 
muthe dagegen, ber Dichter will fagen, tro meines Vefehles 
ging die Melancholie doch nicht fort, fondern ließ fi mit mir 
in lange XAuseinanderfegungen und Diöputationen ein. Und fo 
dente id) denn bei Greco an bie den Alten ebenfo wohl bekannte 
Gelehrfamkeit und rhetoriſche Ausbilbung der Griechen, auf 
welche auch Inf. XXVI, 75 hingebeutet wich, felbft wenn man 
jene Stelle nicht fo erklaͤren mill, wie Venturi es thut. 
Vol. übrigens Ganz. 17, Str. 1. 

T. 1, 3.2. Amor verläßt das Land, mo die Geliebte 
flirbt, und fo bezeichnet ber Hut Hier wie auf antifen Kunfte 
dentmalen bie Reife. 

£. 2, 3. 1. Cattivello heißt foviel als ſchmerzensreich, 
beklagenswerth. Vygl. bie divisione zu ber vierten Canzone ber 
vita muova und mehre Beifpiele in der Crusca. 


Fuͤnftes Sonett. 


Gary a. a. D. ©. 84. 

Dante wünfcht, mit feinem Freunde, dem gelehrten Guido 
Gavalcanti, bem Verfaffer der berühmten Canzone: Donna 
mi prega; perch’io voglio dire, mit einem gemiffen tappo 
aus der dem Guibo verſchwaͤgerten Familie Uberti, und mit 
der Geliebten eines Jeden diefer dreie allein auf dem Deere 


nad Gefallen in Liebesgefprächen herumgutreiben. Die tosca= , 


mifche Geliebte des Guido (benn die meiften feiner Gebichte find 

an eine Zonlouferin gerichtet). hieß Giovanna und ward 

Primavera beigenannt. Die des Bappo wird nicht nams 

haft gemacht und nur baburd bezeichnet, daß fie in einem 
FE 


178 


von Dante verfaßten Verzeichniß ber ſechzig fchönften Florenti: 
nerinnen bie dreißigfte ſei. Zufammengehörig mit biefem So- 
nette ift das 2ilfte des Guido Cavalcanti bei Cicciaporci 
©&. 11; vgl. ebendaf. ©. 124. Nannucci, Letteratura del 
primo sec. Il, 1, vermuthet, Lappo fei ibentifch mit dem 
Lapo Gianni, deffen Gebichte in der Palermitaner Samm- 
lung, S. 414—29, abgedrudt find; da diefer indes um 1250 
bluͤhte, fo liegt es näher an Lapo degli Uberti, den Water bes 
Fazio, zu denken, obgleid) die Hanbfehriften, hier und bei 
Guido, Lappo und nit Lapo haben. Aud) der Lapo, den 
Dante Vulg. Elog. 11,13 mit fid) felbft, mit Guibo und Gino 
zufammennennt, bürfte eher der Uberti, als Gianni fein. 

Qu. 1, 3. 3 ift mit der Magliabech. Handſchrift (991) 
in ftatt ad gefegt. 

2.1, 3. 1. Sehr bemerkenswerth ift bie Variante ber 
gedachten Handſchrift, die Lagia ftatt Bice hat. — 3.2. Sur 
ftatt sovra (f. die Canzone Kaifer Friedrich U. Str. 3, Giunta 
110, und bei Perticari, Apologia, p. 79) wäre nad 
Dionifr’s (Anedd. IL, 43) Vorfdlag zu fehreiben, während 
die gewöhnlichen Ausgaben su lefen, und id nad) Giccia: 
porci in sul gefegt habe. 


- Sechſtes Sonett. 


Diefes Sonett, welches an Gino von Piftoja gerichtet fein 
fol, bei dem wir an das treffliche unfers Flemming benten 
mögen, ift einer von den vielen, vorzüglich bei den dltern Did: 
tern häufigen, Verſuchen, bie Liebe poetifch zu bezeichnen. Vel 
aud das Sonett von Guido Orlandi: „Onde si muove ecc,“ 
in ber Palermitaner Samml. II, 364. Dante verfährt babei 
in berfelben Weife wie in den größern Ganzonen: nad) einer 
turzen Einleitung trägt er bie gemisbilligten fremben Meinm: 
gen vor, ehe er die eigene ausfpricht. — Sener find num in 
ber zweiten Quartine zwei aufgeführt, deren Urheber genauer 
nachzuweiſen ich nicht vermag; doch glaube id, die erfte unter 


179 


ihnen in der ſchon erwähnten Canzone bed Guido Gaval: 
canti wieberquerfennen, wo es in ber zweiten Strophe fo heißt: 
Vien da veduta forma, che s'intende, 
Che prende — nel possibile intelletto, 
Come in suggetto — Poco ‘© dimoranza. 


Die zweite koͤnnte man in folgenden Worten des Cino von 
Piftoja: 


Amore è uno 
Che nasce di piacere e vien per guardo. 
(Son. 42 bei Ciampi.) 
ober in einer Canzone des Guitton d'Arezzo (Giunta 99, 
‘Rime di Fra Guittone I, 117) finden wollen: 
Chè, di cosa piacente, 
Sapemo, ed 3 vertà, “ch'è nato Amore. 


Richtiger aber ift anzunehmen, daß Dante fich auf ein Sonett 
von Iacopo da Lentino (Valeriani I, 308) bezogen habe: 
Amore è un disfo, che vien dal core 
Per l’abbondanza del gran piacimento. 


Auf die legte Zeile fheint fich Cecco d'Ascoli in der Acerba 
lib. IH, cap. 1 zu beziehen: 

Non si diparte (Amor) altro che per morte 
Quando la-luce eterna le conforma 
Insieme Palme del piacere accorte, 

Ma Dante rescrivendo a Messer Cino 
Amor non vide in questa pura forma, 
Che tosto avria cambiato suo latino. 

Io sono con Amor stato insieme, 

Qui pose Dante, che nuovi speroni 
Sentir può il fianco con la nuova speme, 
Contra tal detto dico quel ch’ io sento, 
Formando filosofiche ragioni; 

Se Dante poi le solve, son contento. 


Indeß koͤnnte man auch dafür halten, daß Cecco den von mir 
herausgegebenen Brief an Gino (Dantis epist. p. 14 bei Fra: 
ticelli ©. 202) im Sinne gehabt hätte, wobei dann wieder 
vermuthet werben koͤnnte, baf ber in jenem Briefe erwähnte 
Calliopeus sermo eben unfer Sonett wäre. 





180 


Siebentes Sonett. 


Qu. 2, 3.3. Bgl. Anmerkung zur dritten Strophe der 
erften Ballate. 

2.1, 3.1. ©. Anmerkung zu Gang. Il, Ste. 5. — 
3. 2 piana, anftindig und ruhig (Inf. IT, 56). at. Inf. 
IV, 112 und Purg. VI, 63. 

T. 2. ©. Ballate 3 und Son. 2, Qu. 2. — Den uè: 
drud soprana in 3.1 gebraucht in ähnlichem Sinn Lapo Gianni 
in ber Palermitaner Samml. II, 343. 


Achtes Sonett. 


Died Sonett rührt aus ber Beit ber, wo bie Augen des 
Dichters im Anſchauen der Philofophie ſchon Wohlgefallen em: 
pfunden, wo aber in feiner Geele das Andenken an bie ver: 
florbene Beatrice noch thronte, und gegen die Angriffe bes 
neuen Reizes fiegreich fid wehrte. Wölig verkehrt ift e& da⸗ 
gegen, wenn Buttura die Dame ber dritten Zeile mit Schön: 
heit, die ber erften Terzine aber mit Vernunft erklärt. 

Qu. 1, 3. 1. Durch die Augen. — Sehr befrembend ift 
in 3. 3 bie Legart der Ambrofianer Handſchrift in Mailand 
O. supra 63, weldje Passa Lisetta ftatt Passa una donna 
lieſt; eine Variante, welche durch, die gleich nachfolgende poes 
tifche Antwort des Albobrandino Mezzabotte, bie gleichfalls 
diefe Lisetta nennt, beftätigt wird. 

Qu. 2, 3. 2 weiß ich mir, bie gewöhnliche Lesart: che 
tace vorausgefegt, nicht anders zu erklaͤren als: der Geift, bie 
Burg der Erinnerung, hat feit dem Tobe der Geliebten fih 
fo weit erholt, daß das ‚Herz ihm ſchon einzelne Unterbrechungen 
‚gewährt, in welchen er mit feinen lauten Klagen einhält; ride 
tiger aber ift che s'apre zu fegen, wie ſich in der Ambrofianer 
Dandfdrift finde. — 3.4. Die Geele heißt der Philofophie, 
von binnen ziehen, weil Beatrice (Terz. 1) noch dieſelbe Ges 


181 


walt über fie befige, als gu ber Zeit, wo Amor ihr die Herr⸗ 
ſchaft über die Rebnerin einedumte. — 

T. 1, 3.2. Verga, der Stab der Herrſchaft, wie der 
Engel, ber Dante das Thor von Dite eröffnet, ihn im Rei: 
nem trägt. Inf. IX, 89. 

®. 2, 3.1. Accomiatare, verabſchieden, von comitatus, 
das Geleit. 


Neuntes Sonett. 


8Bgl. Dionifi, Preparazione storica, II, 58, 

Dies einleitenbe Sonett beutet auf eine vom Dichter felbft 
veranftaltete Sammlung. Da bie vierte Beile der erften Quar⸗ 
tine die mit dem Amoroso convito zufammenhängenden Gedichte 
bezeichnet, fo möchte man vermutben, dies Sonett habe viel: 
leicht das vollendete Convito, ober aber eine verwanbte felb= 
fländige Sammlung, vielleiht allein aus Sonetten beftehend, 
einleiten follen. Die dritte Zeile koͤnnte ſogar auf ben Gedan⸗ 
ten führen, dies Gedicht rühre erft aus der Periode der goͤtt⸗ 
lichen Komödie her, in welcher dem Dichter jene frühere Leis 
denſchaft als ein Irrwahn erfcheinen mußte. Auf allen Fall 
fieht der Dichter diefe Liebe als abgefchloffen an und thut in 
der legten Zeile der zweiten Quartine ein förmliches Gelübbe 
des Schweigens. Roffetti (Comento II, 403) paraphrafirt 
(ober foll ich fagen parobirt?) dies Sonett folgendermaßen: 
Ihr, meine Gedichte, die ihr entftandet, feit id) von ber kai⸗ 
ferlihen Gewalt, gegen bie ich fpäter abtrünnig gefehlt habe, 
gu fingen begann, geht zum Throne des Kaifers, klagt ihm 
meinend eure Seiben und fagt ihm: wir find Euer, und nie 
konnt Ihe uns Euch getreuer fehen, ale wir jegt find. Weilt 
aber nicht bei dem ſchwachen Albrecht von Deftzeich, der fich der 
italienifchen Ghibellinen nicht annimmt; fondern geht trauernd 
umher gleid) euren Schweſtern. Findet ihr dann mächtige 
Ghibellinen, wie Gan Grande, Guido Novello u. f. w., fo bes 
weit Denen eure ganze Ehrfurcht. 


182 


T. 1, 3. 3 suore, Schweſter, nennt auch ein anderes 
Gedicht (Ganz. 3, legte Str.) von Dante, bas frühere; im 
naͤchſten Sonett, Bruder. 

®. 2, 3. 1 donna ftatt donne habe ich nah Dionifis 
Vorſchlag aufgenommen. 


BZebnte8 Sonett. 


Das Gedicht, von dem Dante fi hier losſagt, ift ver: 
muthlich unfer achtes Sonett, welches die Geliebte, der biefe 
Lieber gewidmet find, befchdmt von dem vergebenen Angriff auf 
des Dichters Herz abftehen lift. Vuttura will indef ben 
„Bruder“ von einem abmahnenden Freunde verftanden wiffen 

2.1, 3.2. Das in ver ſcheint hier im friedlichen Sinne 
gebraucht: Will auch jenes Gedicht gegen Sie antreiben, fo 
folgt biefem Antriebe und eilt zu Ihr. 

©. 2, 3.2. Den Dieter. 


Elftes Sonett. 


Der einfache Gebante biefes Sonettes ift in ber legten 
Beile ausgeſprochen: alle Planeten verleihen der Geliebten von 
ibrer Kraft. 

Qu. 1. Der Einfluß des Saturn fowol ald ber des 
Mars wirb nicht geradezu erwähnt, wol aber mittelbar da: 
duch, daß der Dichter den Jupiter, der bie Kräfte jener 
beiden in fich vereinigt, nad) feiner Lage zwifchen ihnen bezeiche 
net. Denn, fagt Dante (Am. conv., II, 14): „Il cielo di 
Giove si — — muove tra due cieli, repugnanti alla sua 
buona temperanza; siccome quello di Marte e quello di 
Saturno. Onde Tolomeo dice nello allegato libro, che 
Giove è stella di temperata complessione, in mezzo della 
freddura di Saturno, e del calore di Marte. 

Dy. 2, 8.2. Jupiter verleiht einen Eniglichen Gion. 
— 3.3. Die Sonne ertheilt Wiflenfhaft und Ginbilbungs: 


188 


fraft. — Die Liebe zur Philofophie hat Wiffenfhaft zur 
Wirkung. 

2.1, 3.1,2. Merkur gewährt die Gabe ber Rede. — 
3. 3. Der Mond läßt uns bie irdiſchen Güter für die geifts 
lichen aufgeben und befbrbert die Keufchheit. 

T. 2. Der Einfluß der Venus erwedt nicht nur Freunde 
ſchaft und Wohtwollen, fondern verleiht auch Muſik und Dichts 
funft, und im Am. conv. fagt Dante: „Il cielo di Venere 
si può comparare alla rettorica.“ Mit alle bem ift die zweite 
Zeile dieſer Quartine noch nicht genügend erfldrt, und es 
bleibt vorzüglich buntel, warum ber Dichter die ſchon beim 
Merkur erwähnte Gabe ohne Grund hier wieberhole. — 3. 1 
costringere heißt auch einfach: binden, alfo: der an den dritten 
‚Himmel gebundene Planet. 


Zwoͤlftes Sonett. 


Du. 1, 3.4. Bol. Ganz. 3, Str. 1. Die Hoheit der 
Reize der Geliebten hindert den Geift, fie zu faffen, und ihre 
Neuheit macht e8 ber Sprache, ber es an Worten fehlt, uns 
möglich, auch nur das Aufgefaßte auszubrüden. 

Der übrige Theil bes Gonettes entfpricht unferer zehnten 
Canzone. — Qu. 2, 3. 1, 2 erinnert an Guido Cavalcanti in 
der Ball. 8, Str. 2 bei Cicciaporci ©. 23. 

®. 2, 3.2. Weil dem Dichter felbft das Vewufitfein 
geraubt wird und fein Verlangen Vefriedigung findet, wie das 
des Juͤnglings zu Said. Buttura erflärt flatt deffen, viel: 
leicht natürlicher: Die Augen bleiben geſchloſſen; denn die 
Schüchternheit befiegt (estingue) in Ihrer Gegenwart bag 
Verlangen. 


Dreizehntes Sonett. 


T. 1. Der Dichter hofft, der Tod, der fein vergebliches 
Lieben, ober wie wir es übertragen koͤnnen, philoſophiſches 


. 


184 


Forfden, nun bald beendigen wird, merde infofern wenigſtens 
nicht vergeblich fein, als ex Andere belehren merde, in diefem 
Streben das Heil nicht zu ſuchen. Dabei ift eine Anfpielung 
auf Co. Joh. XI, 5I. Eaum ju verfennen. 

T. 2, 3.3. Das Einfaugen planetariſcher Kräfte durch 
die Ebelfteine ift ſchon mehrfach erwähnt worden (f. zu Ganz. 
20, Str. 4). In bem Am. conv. (IV, 20) fagt unfer Dichter: 
„Se una pietra margarita è male disposta, ovvero imper- 
fetta, la virtù celestiale ricevere non può,“ 

Die Reimftellung in den Terzinen ift eine mindergewoͤhn⸗ 
liche; jedoch bei Gino und in einigen ungebruditen, weiter 
unten vorfommenten, Gebichten, fowie ſchon in den nächften 
Sonetten fi) wieberholende. 


Vierzebnte8 Sonett. 


Qu. 1, 3. 3. Das Original gibt dies „erneute Qudlen" 
genauer an: dorthin, wo id) getöbtet (ober nad) ber Lesart in 
den Gino= Ausgaben, befiegt) und verfpottet werbe. 

Qu. 2, 3.1. Was id) ſchon faffen und erkennen fam, 
und was ich alè den Gegenftand zukünftiger Erkenntniß nur 
erft zu ahnen vermag. (Vol. das zwölfte Sonett.) Wie ber 
Dichter bei einer andern Gelegenheit fich ausdruͤckt: le dimo- 
strazioni e le persuasioni. 

2.2, 3.3. Wok Ganz. 17, Str. 2, 3. 6. 


Funfzebntes Sonett. 


Vil Dionifi, Preparazione storica, IL, 63. — Die 
harten Reime find ohne Zweifel dem Sinne des Gebichts ent: 
ſprechend gewählt. 

Qu. 1. Bol. Ganz. W, Str. 5. — 3.3 perpetrare, zu 
Stande bringen, burchfegen, ift wenig im Gebraud. 

Qu. 2, 3. 2. Das Fliehende ift das Herz. Vitali 
(Lettera p. 34) will po’ non s’arretra lefen. — 3.3 ift nad 


1865 

Vitali veraͤndert. — 3. A si spanocchi, oder wie Andere, 
3. B. Vitali a. a. D., lefen s’impanocchi madt Schwierige 
teiten. Panocchia heißt die büfchelförmige Frudjt mancher Ges 
treibearten, 3. ®. ber Hirſe, spanocchiare alfo: die Körner 
auslöfen und vereinzeln; spanocchiare il dovere alfo vermuth⸗ 
Ud: die Pflicht theilen, um fie allmaͤlig zu erfüllen. Vitali 
erklaͤrt umgekehrt, daß bie Pflicht fi einhuͤlle und verberge, 
wie bas Korn ih ber Aehre. Buttura überfegt, ohne weis 
tere Autorität, spänocohiare burd) erfüllen. 

2.2, 3.2, 3. Weil er ihr unmirdig und allzu ſchwa⸗ 
hen Geiftes erfcheint. Ganz. 6, Str. 4. Roffetti (Com. 
JI, 360) will bag Streben von Dante8 Uebertritt zum Guel: 
fenthum verftanden wiffen. 


Sehzehntes Sonett. 


Qu. 2, 3.1. Bol. Gong. 7, Str. 1, 3.9. 

T. 2. Amor Batte biefer Liebe günftigen Erfolg verfpro: 
hen, da er vorausfegte, bei folder Schönheit müffe auch Er: 
barmen berbergen. Die Welt aber, mit ber ‚Härte der Gelich- 
ten fchon bekannt, fpottet diefes Verſuchs auf Ihr Herz, als 
eines völlig vergeblichen Unternehmens. 


Siebzehntes Sonett. 


Qu. 2, 3.2. Maccuso persona morta. Id betrachte 
mich, wie einen tobten Mann, ich ergebe mich in ben Tod. 
Der Ausbrud ehrt wieber bei Monte Andrea da Firenze in 
der Palermitaner Sammi. I, 459, Str. 4 a. E. Vgl. auch 
Jacopo della Lana zu Parad. XXV. — 3.3 sfidare heißt, 
wie Roffetti (Com. II, 359) richtig bemerkt, bag Vertrauen 
rauben. ©. oben S. 47. — 3.4. Die Geliebte, oder bie Liebe. 

2.2, 3.2, 3. Bei Ciampi, der dies Sonett, ald bem 
Gino zugehörig, mit manchen minder bedeutenden Abweichun⸗ 
gen, gibt, heißt die legte Zeile: 


186 


Ma più la bella donna ch’io lasciai 

und fo erttàrt denn Ciampi (S. 314, 15) bag mal vidi Bo- 
logna dem mal vide Medusa des Petrarca entfprediend: zu 
meinem Unglüd fab id) Bologna, bamals naͤmlich, als ich, um 
dorthin zu gehen, meine Selvaggia verlieh, melde mic waͤh⸗ 
rend meiner Reife entfrembet worden ift. gl. aud bie Depu 
tati zum Decameron Nov. 14, p. 31. — Mir ſcheint biefe 
Erklaͤrung mit dem übrigen Sonette durchaus nicht zu ſtim⸗ 
men. Ich verftehe vielmehr den Dichter dahin, daß er fih 
beflagt, die Hohfehule von Bologna mit geringem Erfolge 
befucht zu haben (mal vidi), wenn er durch die bort erworber 
nen Kenntniffe nicht das Herz der Geliebten zu gewinnen, zu 
bem Verftdnbniffe ber Philofophie zu gelangen vermag. Bal 
Buonaggiunta Urbiciani Son. 18, Palermitaner Sammt. I, 
335. — Gino fagt in ber Einleitung feines berühmten Com: 
mentars über den Cober, er babe ihn gefchrieben: ne putarer 
in vacuum totiens lustrasse Bononiam. — Roffetti a. a. D. 
S. 358, geht von ber irrigen Vorausfegung aus, daß Bologna 
zu Dante8 Beit ein Heerd des Ghibellinismus gemefen fei 
(Orelli, Cronichette d'Italia I, 195), und verftebt daher die 
Klage über den Beſuch in Bologna ala Reue über feine Anz 
haͤnglichkeit an bas Gbibellinentjum. — Buttura fegt vor: 
aus, daß von neuen Liebſchaften des Dichters bie Rebe fei. 





Ahtzehntes Sonett. 


Qu. 1. Die erften zwei Beilen erinnern, vielleicht nicht 
ganz angemeffen, an Lucas Gap. 23, BV. 46. 

Qu. 2, 3. 3 ift aus ber Vaticaner Handfehrift No. 3214 
nad der Mittheilung von Salo. Betti im Giornale Arca- 
dico 1822. Ott. p. 105 berichtigt. 

T. 1, 3.2. Servir morte, den Tod verdienen, kommt 
bei den ältern Schriftftelleen bdufig vor. Crusca, $. II. — 
Roffetti (Com. analit. II, 360), ber bied ganze Sonett von 
Dante's Uebergange zur guelfifchen Partei verftebt und morte 


18% 
mit Papftthum überfegt, deutet diefe Stelle dahin: Dem Papfte, 
dem ich nie gehulbigt, huldigen, wird mir doppelt bitter. 

3.2, 3.3. Giampi, der dies Sonett dem Gino zus 
ſchreibt, und Fraticelli geben bie legte Zeile folgenders 
mafen: 

Non siate agli occhj miei cotanto avara. 

Man finnte auch in Verſuchung gerathen, cara in rara zu 
verwanbeln; doch verdient cara, als bie ſchwerere Lesart, ben 
Vorzug, da dies Wort an fi ſchon in dem Sinne von fparz 
fam, oder geizig vorkommt. Crusca, $. II. gl. Ubalbini 
‘Tavola v. „caro“. Richtiger vielleicht paraphrafirt Buttura: 
Der Dichter fühlt, er muffe fterben; weil aber die Geliebte 
auf der Erbe weilt, fo ſchmerzt es ihn, biefe zu verlaffen. 
Daher bittet er fie, ihm minder theuer zu fein, bamit er fein 
Schickſal williger ertragen koͤnne. 


Neunzehntes Sonett. 


Die folgende Deutung biefes Sonettes ift ihren Grund: 
zügen nad) aus Dionifi’s Anedd, II, 81 entiehnt. 

Vermutlich ift bas Sonett an Heinrich VII., ober an 
Gangrande della Scala gerichtet, und foll ihn auffodern, durch 
kraͤftigen Angriff den Ungerechtigkeiten der guelfifchen Partei ein 
Ende zu machen. Dionifi meint, ber Angeredete (Signor!) 
fei die göttliche Liebe (Amor divino). Roffetti (Comento 
analit. I, 269, 70) glaubt mit mir, daß baß Sonett an Hein⸗ 
rich VII gerichtet fei, beutet e8 aber im Uebrigen, wie weiter 
angegeben werben wirb, abweichend. 

Qu. 1, 3. 2. Was ber Gegenftand diefes neuen Mitleis 
des fei, ift ſchwer gu beftimmen. Vielleicht die vergebliche 
Belagerung von Florenz, vielleicht auch die Graufamkeiten gegen 
die Templer. Roffetti a. a. O. meint, die Trauer um ben 
ob des Grafen Walram von Lügelburg, Bruders des Kai⸗ 
fer, ber bei ber Belagerung von Brescia fiel. Diefe vers 
laffe nie bes Raifer8 Herz (3.3). — 3.3 per lei, bei de, — 





ixgend eine Tugend, Dionifi meint, bie Weisheit. — 3. 4. 
Das Punctum am Ende diefer Zeile ift auf Dionifi’s Vor: 
ſchlag gefegt. Die Crusca lieft: piacere svaghi, die gewöhns 
lichen Ausgaben: piacer i svaghi, woraus Dionifi bie Les: 
art unferes Terte8 zufammengefegt bat. Ebenſo wohl koͤnnte 
man aber mit Ciampi, ber auch dies Sonett zu den Arbei: 

: ten Gino’8 zählt, und bem Fraticelli folgt, piacer gli 
svaghi fegen. — Vago heißt verlangend, svagare alfo: von 
einem Verlangen abbringen.— Roffetti erklärt, der Dichter 
beſchwoͤre den Raifer bei jener heiligen Trauer, dem (früheren) 
Verlangen Dante’s (befonders aber dem noch gegenwärtigen bes 
Kaifers felbft) zuwider, die Belagerung von Brescia aufzugeben 
und durch Veftrafung des Papftes ben niebergebriditen Ghibel⸗ 
linismus wieber aufzurichten, 

Qu.2, 3.1. Die ftcafende Rechte kommt auch im brit: 
ten Bußpfalme Vers 6 vor. — Paghi bezahle, im folimmen 
Sinne. Dionifi erinnert an das Horazifche (Od. III, 26): 
sublimi flagello tange Chloen. — Derfelbe meint, unfer Did 
ter rede bier von Bonifaz VII. und beffen erften Ungereditige 
keiten gegen bie Blorentiner Weißen. Da indef Dionifi die 
dritte Zeile diefer Quartine felbft von Philipp dem Gchönen 
erklärt, fo müßte dies Sonett in ber Außerft kurzen Zeit der 
ſcheinbar wieberhergeftellten Eintracht zwiſchen biefem König 
und Vonifaz entftanden fein, obgleich auch damals bie Aus: 
bride rifugge und del cui fosco sugge dem wahren Verhaͤlt⸗ 
niſſe nicht ſehr entfprochen hätten. Um jene Beit aber gab es 
weber in Florenz noch in Piftoja Schwarze und Weiße, und 
fo fält Dionifi’s Erflärung zufammen. — Ich vermuthe, 
der Dichter meint Clemens V., für den jene Ausbride voll: 
kommen wahr find, und bezieht ſich ganz fpeciell auf bie, 
Dante8 Unfibten, wie er fie in ber Monarchia ausfpridt, 
feeitich febr zuwiderlaufende, Clementina un. de Jurejurando, 
fodaß dies Gonett 1312 oder zu Anfang 1313 gebichtet wäre. 
— 3.3. Philipp der Schöne — fein Gift. Der Geiz dieſes 
Königs, bem Clemens fünfjährige Bebnten und die Templer 





189 


batte opfern müffen. Buttura bezieht diefe Beile auf Karl 
von Valoi. — 3. 4. Die felbftifchen Abſichten Philipp's 
batte bas Goncilium von Vienne zum Theil ſchon fanctionirt, 
gum Sheil weigerte ſich der Papft noch, ihnen zu willfahren. 

T. 1, 3. 3. Dionifi findet in biefer Unrufung nur eine 
Wieberholung ber in der erften Quartine enthaltenen. Nad 
meiner Anficht aber wendet fich der Dichter nun erft von dem 
irdiſchen ‚Helfer zum himmlifchen. 

8.2, 3.1. Dionifi erflärt: die Barmherzigkeit. NRich- 
tiger wol: das kaiſerliche Banner. 


Bwanzigfies Sonett. 


Gary a. a. D. ©. 39. 

Dies Sonett ggleitete angeblich eine Arbeit bes Dichters 
zu feinem Lehrer Brunetto Latini (} 1294). Ruͤhrt es 
wirklich von Dante her, fo bekundet es ſchon das Nebergewicht 
über ben wunderlichen, und nicht befonders ehrenwerthen, Leh— 
zer, deſſen der Schüler fich bewußt war. — Roffetti (Com. 
anal. II, 533, 34 und Spir. antipap. p. 317, 18) vermutbet, 
der Dichter habe bas erfte Sonett der vita nuova, mit dem 
gegenwärtigen begleitet, an den Guelfen Brunefto, wie an ans 
dere ‚Freunde gefandt. Es rufe nun dies Sonett zur Ofter= 
feier, b. h. gue uferftebung vom Tode (Buelfenthum) zum 
Leben (Ghibellinismus), und der Dichter verweife den Brunetto 
zum befferen Berftänbniß auf fo mandje feiner (fcheinbaren) 
Parteigenoffen (In vostra gente), welchen die Geheimniffe der 
Frauen (b. h. nad Roffetti’s ofterwähnter Deutung, der 
Ghibellinen) wohlbekannt feien. 

Qu. 1, 3. 1. Messere iſt ein Titel, der nur den hoͤhern 
Ständen zulommt. — Pulzelletta für Mädchen (hier die übers 
fanbte Canzone) fommt fonft nur bei den fehledhtern Alten, wie 
bei bem Fra Iacopone vor. — 3. 2 far la Pasqua. Es 
ift möglich, ja wahrſcheinlich, daß dies Sonett kurz vor Oftern 


190 


gefandt warb; doch darf nicht vergeffen werben, daß aud 

andere Fefte bei ben Italienern Pasqua heißen, woher bann 

daß eigene Wort pasquare für foldjes fefttihe Schmauſen ent: 
* fanden ift. 

Qu.2, 3.2. Giullare alè Beitwort fehlt in der Crusca, 
es bedeutet Spaß und Poffen machen. Giullaro, Jongleur, 
ein Poffenreißer, wie bergleichen an ben Höfen bes 13. und 
14. Zahrhunderts nicht fehlen durften. 

2.1, 3.2. Albertus Magnus von Köln, ber ber 
tibmte Scholaftiter: Cs find genug Gelehrte unter euren 
Freunden. — Roffetti erinnert nicht unangemeffen an bie 
Schrift des Albertus: De secretis mulierum, da von dem 
Verftändniß eines Mädchens die Rebe ift. 

T. 2, 3. 1 vu für voi. Die Lesart ift Dionifi’s 
Aneddoto (II, 28) entnommen. Noffetti ſchlaͤgt dagegen 
Coloro e me vor. Die gewöhnlichen Ausgaben lefen: Coloro 
wme str. ober Con loro vi restr. — 3. 3. Unter biefem 
Giano verfiehen Keil und Roffetti im Comento ben 
Demagogen Giano bella Bella aus edlem Haufe, der, 
nachdem feine verfuchte Reform gefcheitert war, im Jahr 1294 
in ein freiwilliges Eril ging. Vieleicht mit Recht; boch weiß 
id) nichts zur Unterflügung biefer Meinung anzuführen. In 
bem Spirito antipapale will Roffetti biefen Giano vom 
Yweiköpfigen, dem Guelfen= und Ghibellinenthum zugemwanbten 
Janus verftanden wiffen; eine Deutung, welche ein Citat aus 
Swedenborg (!) belegen fol. 


Einundzwanzigftes Sonett. 


Qu. 1, 3.4. Bgl. Ganz. 2, Str. 4: „Uno spiritel 
Amor gentile, “ 

. 1 erinnert lebhaft an die erften ſechs Zeilen von Ste. 4 
der britten Ganzone. — 3.3. In ben diteren Ausgaben lautet 
diefer Vers: . 


191 
Che l'intelletto mio non vi può gire, 
Unfer Text ift (im Wefentlichen in Uebereinftimmung mit Gra: 
ticelli) aus bem Abbrud in Cino's Gedichten entlehnt, 
welcher noch viele andere von mis übergangene Abweichun⸗ 
gen bat. 


Smweiundzwanzigfted Sonett. 


x. 1, 3.1. Der Test bei Gino, der noch einige anz 
bere Varianten bietet, bat hier: Lasso di poi ne planse. — 
3. 3. Bei Gino: lo suo voler fero, ihren graufamen Willen. 

©. 2, 3. 1 bei Gino: 

Per il qual se mercede ad Amor chero, 
wodurch die Rede in den folgenden zwei Zeilen zu einer Ante 
worf des um Hülfe gerufenen Amor8 wird. 


Dreiundzwanzigftes Sonett. 


Qu. 2, 3.2. Die Crusca erklärt das rimpolpare an 
diefer Stelle mit: erfegen des Fleiſches, alfo zuheilen. But⸗ 
tura umgekehrt: nutro la piaga del mio core. — In ben 
naͤchſten zwei Beilen verwandelt der Tert bei Cino bie Nega= 
tive in eine Affirmation; immer aber bleibt die ganze Quarz 
tine dunkel. Vermuthlich ift zu überfegen: Ich erleichtere mein 
‚Herz nicht duch mein Weinen, und bewege bie Geliebte duch 
meine bitteren Klagen nicht zum Mitleiden. 


Vierundzwanzigfted Sonett. 


Qu. 2, 3.4. Das han mandher Älteren Ausgaben ftatt 
des Singular8, der, auch anderweitig beglaubigt, ſich in dem 
Certe bei Gino findet, ift vermuthlich nur ein Drudfehler; 
doch bietet jener Text noch manche andere Abweichungen. 


192 


Fünfundzmwanzigftes Sonett. 


Qu. 1,3. 3,4. Bei Cino: 
Quella, se solo un pochettin sorride, 
Quale’ sol neve strugge i miei pensieri. 

Qu. 2, 3. 1,2. Bei Cino ohne Zweifel verftänblicher: 
Onde nel cor giungon colpi sì fieri, „ 

Che della vita par, ch’io mi disfide. 
3. 4. Ebendafeldft: 

O per via l'incontrate o per sentieri. 

2. 2, 3. 3. Ebendafelbft: 
A dire a me: „sta san“ voi la mandate. 


Scehöundzwanzigftes Sonett. 


Diefes mol ſicher unächte Sonett zeigt eine faft unver: 
tennbare Verwandtſchaft mit dem von Petrarca: Quando "1 
Sol bagna in mar l’aurato carro, und mit der Seftine deſſel⸗ 
ben: A qualunque animale alberga in terra, 

Dem Lefer ift es vielleicht willfommen, wenn ich hier eine, 
duch Zufall handſchriftlich an mic gelangte, Ueberfegung 
biefes Sonettes von Franz Paffom mittheile: 


Mann Nacht das Land mit dunkler Schwing’ umfchlinget, 
Der Tag gewandt ift und fein Licht verfchoffen, 
Dann ruht in Luft, Meer, Wald und Laubesfproffen 
Und unterm Dad, was Lebenägeift durchdringet. 

Beil Schlummer dann den Geift in Nube finget, 

Der durch die Glieder ſich ringsher ergoffen, 
Bis Eos, bell vom Golbgelod umfloffen, 
Des Tages Kimpf und Méb'n zuddebringet. 

Ich Armer feb mich biefer Schar entnommen: 
Denn Seufzerqual, die Seelenruh entrüdet, 
‚Hält offen mir die Augen, wach die Seele, 

Und gleich dem Vögelein, im Neg verftridet, 
Jemehr ich fuch’ ein Mittel zu entlommen, 

Seh id mich mehr umgarnt von Irr' und Feble. 





193 


Siebenundzmwanzigftes Sonett. 


Qu. 1, 3. 2 benegno ftatt benigno fagt Dante aud in 
der britten Canzone ber vita nuova Str. 3. — 3.4 caverna 
ftatt inferno, fowie im Deutfchen Hölle und Höhle fpradvers _ 
wandt find. 

Qu. 2, 3. I superno abjectivifch ala: der erhabenfte, 
hoͤchſte kommt oft vor, bod) Zönnte superna hier vieleicht ſub⸗ 
ſtantiviſch ftatt soprana ftatt sovrana, Königin, ftehen. 

x. 1, 3.1, 2. Die Vertheidiger der Echtheit dieſes 
Sonettes mögen bei bem wiederholten in te an die Wiederhos 
Tung berfelben Worte in bem Bernhardini'ſchen Gebete (Par. 
XXXII, 19, 20) denken. — il mio diporto bleibt indeß im⸗ 
mer, fowol als bag obige ben degno matt. 

Coda, 3. 1 delito ftatt delitto if, foviel ich weiß, völlig 
ohne Autorität, und beftätigt ben Verdacht gegen die Behaups 
tung, baf Dante Urheber des gegenwärtigen Gebichtes fei. ° 


Ahtundzwanzigftes Sonett. 


Die Ueberfegung biefes und des folgenden Gonettes vers 
danken wir Hrn. Prof. Ed. Gerhard. 

Die erfte Quartine und die beiden Tergette find an bie 
Geliebte gerichtet, ber zwifchenliegenbe Ver an einen caro 
Signor, ber doch kaum ein anderer fein fann alè Amor. 

Qu. 2, 3.3. Du glaubft nit, wie hart fie ift; denn 
in Deinem Herzen ift das Mitleiden (von dem ich Huͤlfe 
hoffe) noch nicht erlofchen. 

2. 1, 3. 3 chiedi ftatt chieda, bie Hoffnung, die (è. h. 
deren Erfüllung) mir Amor von Dir abforbern möge. 


Neunundzmanzigftes Sonett. 


Qu. 1, 2. Entfendeten meine Augen Pfeile, ober befäßen 
fie die Gifteaft des toͤdtenden Baſiliskenblickes ſo waͤre Sie 
Dante, Lyriſche Gedichte. II. 9 


194 . 


qu entfejulbigen, wenn Sie Sid meinem Anſchauen entzöge. 

So aber firòmen meine Xugen nur Liebe aus, und bennod 
entfliebt Sie ihren Vliden. 

Du. 2, 3. 3. Das Così bridt Feine Vergleibung aus, 

fonbern ift mit fobalb als zu überfegen. Crusca h. v. $. IL 

i &. 2, 3.1. Hier ift das Così nur als Auérufung und 

Beſchwoͤrung zu nehmen; etwa wie im Deutfchen: So möchte 
doch. Crusca $, III, IV. 


Dreifigfte8 Sonett. 


Ueber biefen Bernardo di Bologna weif id) teine weitere 
Auskunft zu geben, als daß wir im Anhange der bella mano 
ein Sonett von ihm an Guido Gavalcanti mit ber Antwort 
biefes Legteren befigen. 

Das gegenwärtige Sonett fam mit unferm achten verglis 
en werben und, wenn. eg ander8 Dante zugehört, als eine 
Weiterbildung der bort vorgetragenen Begebenheit im Sinne 
des Amoroso convito gelten. 

Qu. 1, 3. 1. Anderwaͤrts lautet ber Anfang dieſes Sos 
nettes Bernardo io veggio. — 3. 4 ift nad) einer Zrivulgio': 
ſchen Handſchrift verändert. In Ciampi's Ausgabe heißt est 
che in vita le sostiene. I 

T. 1 und 2. Die Geliebte belagert mein Leben in deffen 
Wohnftätte, dem Herzen, und verjagt bie Lebensgeifter, fo 
daß das verlaffene Herz bem Tode anheimfällt. Der Tod aber 
gewann folhe Macht über bas Herz, feit biefes burd die | 
Liebe verwandelt warb; burd bie Liebe zu jener Dame, die 
über diefe Leidenfchaft nur zuͤrnt, als ob fie ibr Schande | 
brddite. — ©. 2, 3. 1 left Fraticelli: che eì mira forte. 

Roffetti im Comento analitico II, 370, 71 paraphra: 
firt diefes Gonett (bag er dem Gino beilegt) in folgender 
Weife: Das Guelfentfum (in Qu. 1 Herrin, in T. 1 aber Lod 
genannt) belagert bad Leben, d.h. den Ghibellinismus im Ser: 
en des Dichters, und biefem bleibt, weil ihn die Zaiferliche 


195 


Wacht ohne Hilfe gelaffen, fein anderer Ausweg, als der Tod, 
d. h. der Uebertritt zu den Guelfen. Dennod aber zürnen der 
Kaifer und feine Getreuen (bie Donna der zweiten Terzine) 


über dieſen Wanfelmuth und fchämen ſich fo unzuverläffiger 
Diener. 


Einundbdreißigftes Sonett. 


Dieſes Sonett ift, ſowol als bag folgende, an Meffer 
Guido, Guidoncino ober Cino dei Sinibuldi aus Piftoja 
(1270— 1336) gerichtet. Diefer beruhmte Neditegelebete vere 
liebte fi) während feines Exils in die Tochter feines Gafte 
freundes Filippo Vergiolefi, Selvaggia, welche bald nach— 
ber, doch nad) 1313, zu La Sambuca in den Pratefer Alpen 
ftarb und der Gegenftand feiner Poefien ift. 

Das gegenwärtige Sonett mag an einem entlegenen Zus 
fluchtsorte Dante’s während feiner Verbannung geſchrieben fein 
und erinnert durch feine Klagen über den Mangel an Mittheis 
lung an unfere zehnte Ganzone, befonder8 Str. 5. 

. 2, 3.2. Der Pluralis diri für Reden fommt ebenfo 
in Ganz. 4, Str. 4, 3. 15 vor. 

Roffetti (Spir. antipap. p. 156, 57) gibt von diefem 
Sonett folgende Deutung: Der Dichter beftage ſich zuvoͤrderſt, 
daß er in feiner guelfifchen Umgebung Niemanden finde, zu 
dem er von feiner guten (ghibellinifchen) Gefinnung reden koͤnne. 
Danh entſchuldige er fich durch diefe feindliche Geſellſchaft, zu 
der er fich dem Scheine nad) halten müffe, daß er fo lange 
unterlaffen habe, ben Ghibellinismus zu prebigen. Es feien 
aber in feiner Nähe weder Mitglieder des einen (donne), 
noch des andern Grades (uomini) im kaiſerlichen Geheimbunbe, 
und wer ghibellinifche Gefinnungen ausſpreche, merde nur als 
cin Thor verhöhnt. Zum Schluffe beflage er, daß ein folder 
Wechſel die alte Glorie ber Partei habe erbleichen machen. — 
Gino antwortet dann, na Roffetti’'s Meinung, ber Dichter 
folle ſich nicht abhalten laffen, wenigftens in ter Geheimfprache 

* 


196 


des Bundes, feine Gefinnungen zu verkünden. Vol. (Mens 
deisfohn) Bericht über Roffetti's Ideen, ©. 66—68, wo 
ſich ſehr gelungene Ueberfegungen beider Gonette vom Dr. 
Schnakenburg finden. 


Zweiunddreißigſtes Sonett. 


Aus «den Vorwürfen, bie die Gonett enthält, und bie 
Gino in der Antwort nicht allzu genügend ablehnt, erfahren 
wir, baß feine Gedichte nah Selvaggia" Tode nicht allein 
das "Andenken bet Verftorbenen feierten, oder daß er wol gar 
ber nod) Lebenden, aber Entfernten, nicht allzu geroiffenhafte 
Treue bewahrte. Es ift bezeichnend für Dante, und mag zur 
BeftAtigung früherer Behauptungen dienen, daß er ben Gino 
deshalb fo Lebhaft tabelt; und wie hätte er bag gefonnt, wäre 
ev felbft, und noch dazu in ſolchem Webermaße, wie mandie 
Schriftſteller wollen, in den gleichen Fehler verfallen? — Die 
Anfangszeile der Antwort bemeift, baß biefer poetifche Brief 
wechfel vor 1314, dem Fabre, in welchem Gino nach Piftoja 
heimkehrte, geführt worben ift. 

Qu. 1, 3. 3, 4. Dante erwähnt feine Beſchaͤftigung mit 
der göttlichen Komödie: dieſes größere Unternehmen führt ibn 
in die hohe See; ihm genügt nicht mehr die Heine Kuͤſten⸗ 
ſchiffahrt gewöhnlicher Reimer. Mit Unrecht will Fraticelli 
già lunge (efen. 

Qu. 2, 3. 1 di voi, wie unfer: von Cud, kann fowol 
bebeuten: in Betreff Eurer, als: aus Eurem Munde. — 3.3, 4. 
Gino fol antworten, unb fi wo möglich rechtfertigen. — 
Nicht unangemeffen ſcheint Roffetti’s (Comento analit. II. 
368) Vorſchlag, lo stancat ’odito zu lefen. 

X. 2, 3. 3 accordi ftatt accordino fommt öfter vor. 

Es bedarf kaum einer Erwähnung, daß Roffetti biefes 
Sonett auf bie geringe Ausdauer deutet, bie Gino im Vers 
fechten der Eaiferlichen Sade bewiefen. Dabei ift es benn nur 
befremdlich, daß grade Dante, der, nad Roffetti's eigener 





197 


Deutung, feinem Freunde im vorigen Sonett mit böfem Bei— 
fpiele vorangegangen war, ihn im gegenwärtigen wegen des 
gleichen Fehlers ſchilt. Vol. auch Spir. antipap. 397, 98. 


In der Antwort Qu. 2, 3. 3 ift das Object (di lui 
offentar bag piacer più fino von Qu. 1, 3. 3. Gino will 
fagen, feit ich von jener füßen Luft meines Herzens durch das 
Eril getrennt bin, babe ich, fo oft mir etwas biefer Luft nahe 
Stehendes, Achnliches begegnete, gefagt, fie fei es, die mir 
das Herz verwundet; zugleich aber bat jene Aehnlichkeit mich 
entzücdt, und mic) in anderen Frauen das Abbild der einzig 
Geliebten lieben laſſen. Wöllig verkehrt deutet Ciampi: fo 
oft ich einen Nachbarn meiner Heimat (einen Piftojefen, oder 
Florentiner u. f. 1.) gefunden, babe ich ibm gefagt, daß die 
Entfernung von jener Heimat mir bas Serg verwundet habe. 


Dreiunddreißigftes Sonett. 


Cary a. a. ©. ©. XIX. 

Qu. 1. Unter Gubbio, einer hochgelegenen Stadt im obern 
Ziberthal, ergießt fi ein perennirende8 Fluͤßchen mit bem 
wohlklingenden, unb nicht nad) beutfcher Weife harten, Namen 
Linci in den Ziber. 

Qu. 2, 3. 4. Diefe Zeile ift einer von den vielen ſchlech⸗ 
ten Beweifen, bie man für Dante'8 Kunde der griechiſchen 
Sprache vorgebracht hat. 

2. 1, 3. 1. Cima d’ingegno, wie fior d’ingegno, ver: 
zuͤglicher Geift. — Astallare, verweilen (f. Purg. VI, 39). — 
3. 2. Diefe Zeile, die Purg. VI, 76 ungefähr ebenfo vor— 
kommt, Tann leicht bem ganzen Gedichte Dante's Namen 
gegeben haben. — 3. 3 fruto ftatt frutto ift mir fonft nicht 
vorgefommen. 

2/2, 3.1. Der Vater; denn der Sohn bieß auch Rafael 
und wurde fpdter l’Unghero beigenannt. — Gavassare, aufs 


198 


jauchzen, ift bei ben Ginguecentiften häufiger. — 3.3. Galla 
fubftantivifch fehlt in diefem Sinne in der Crusca. 


Vierunddreißigſtes Sonett. 


Der Gebante dieſes etwas vermorrenen Sonettes ſcheint 
zu ſein: Die in den beiden Quartinen angefuͤhrten Mittel und 
Beſchaͤftigungen dienen einzeln oder vereinigt dazu, die Liebe 
zu mäßigen und vor dem Uebermaß der Leidenſchaft zu ſchuͤten. 
Die Liebe gerfidren aber vermag weber irgend eine Zerftreuung, 
noch foll der Menfch es überall verfuchen, gegen fie, die ihn 
verebelt und erhebt, ſich aufzulchnen. 


Fünfunddreißigfted Sonett. 


Die Reife, von der in der zweiten Quartine gerebet wird, 
önnte bie in ber vita nuova und im vierten Sonett erwähnte 
fein; welchen Born der Dichter aber in ſich bekämpft wiffen 
will, möchte ſich kaum mit Sicherheit beftimmen laffen. Im 
erften Tergett mußte ber Reim durch Umftellung der Worte, 
die bei Fiacchi Or incomincia, Amor, chè si conviene lau: 
ten, reftituirt werben. 

Das zweite Terzett ift mir unklar und dürfte leicht Tex—⸗ 
tesentftellungen enthalten. Vielleicht gehört die erfte Zeile noch 
zum vorigen Terzett: Sie ift Urſache, daß Du Dich herab⸗ 
laßt, mich zu begleiten; gefchehe dies nun mir zum Lohn, oder 
aus freier Gunft. 


Scehöunddreißigftes Sonett. 


Dies merkwuͤrdige Gebicht ſcheint einen Verfud des Did: 
ters zu enthalten, bie Liebe zur verftorbenen Beatrice (virtù) 
mit der zur Helbin bes Amoroso convito (bellezza) zu ver: 
ſohnen, in welchem Falle es zwiſchen den Anfang des legten 
Werkes und den Schluß der vita nuova (alfo nach unferm 


199 


achten Sonett) zu fegen, und in feiner Art völlig einzig wäre. 
Gs ift keine verſchiedene Erklärung zu nennen, wenn id) fage, 
daß man in biefem Sonette aud die Vermittelung zwifchen 
Wiſſenſchaft und Poefie erkennen kann. 

©. 2, 3. 1. Ohne Zweifel Amor. 


Siebenunbbdreifigfte8 Sonett. 


Der Dichter ſcheint noch immer nicht entfchieben von der 
feibern Liebe ſich loszureißen, und fordert die Freunde auf, 
Amor zu bitten, daß er ihm feine Kraft noch gewaltiger fende, 
auf daß er ganz befiegt werbe, und nicht um einen chatten, 
wie ed ihn jegt duͤnkt, feiner neuen Liebe entfage. 

Qu.2, 3.3, 4 ſcheint mir vielmehr bahin verftanden wer⸗ 
den zu müffen, baf Amor feine Weifen um fo mehr anfpannt, 
alfo feine Glut um fo mehr mitteilt, je mehr der Menfch 
feufget. Cine Trivutzio ſche Hanbfrift tieft 3. 3 delli modi 
und 3. 4 quanto uom lo, 

T. 2, 3. 3 ift nad) der erwähnten Handſchrift tuoi fatt 
miei gefegt. 


Ahtunddreißigftes Sonett. 


Die Gemeinde zu perfonificiren ift in ber Beit des Did: 
ters nichts ungewoͤhnliches. Am merkwuͤrdigſten find in diefer 
‚Hinfiht zwei von den 16 Vasreliefs am Grabmal des Biſchofs 
Guibo Tarlati von Pietramala in ber Hauptkirche von Arezzo, 
von Agoftino und Agnolo Sanefi um bas Jahr 1330 
angefertigt. Bier ift eine Eurze Beſchreibung bavon aus meis 
nen Notizen (vgl. Bottari zu Vafari in der fanefer Aus— 
gabe II, 122, 23): 

3. Il comun pelato. Gin alter bdrtiger Mann figt auf 
einem Thron, den ein boppelter Sockel unterftügt. Sechs Bür- 
ger find befchäftige, ihm ben Scepter zu nehmen, bie Schuhe 


auszuziehen, und ibn an Haaren und Gürtel zu zupfen. Einer 
ſcheint fie abhalten zu wollen. 

4. Comune in Signoria. Derfelbe alte Mann auf eben 
die Art, nur nod) eine Stufe höher. Ihm zur Seite ficht 
Biſchof Guido, aud mit einem Scepter. Vor dem Comune 
tniet ein Mann mit gefalteten Händen. Vor bem Biſchof zwei 
Andere, bie Hände auf den Rüden gebunden, denen der Scharf- 
richter den Kopf abzufchlagen im Begriff it. Drei feben ver 
wundert zu. (©. Cicognara, I, Tafel 24.) 


Neunundbreißigfied Sonett. 


Die Gemeinde antwortet. 

Legte Zeile. Endica (ſprich -uv), eigentlich ein Schacher: 
faufen, um viel theurer zu verkaufen. Beide Sonette find mit 
der Löten Ganzone, einigermaßen auch mit bem 1Sten Gonett 
verwandt. 


Vierzigftes Sonett. 


Meuccio ift eine Umgeftaltung von Bartolomeo; Weis 
teres weiß id über die Perfon nicht anzugeben. Aud bies 
Sonett, dad mir übrigens ziemlich gering vorfommt, hat eine 
Anzahl Gedichte begleitet und ann daher mit dem 20ften gu: 
fammengeftellt werben. 


Einundvierzigſtes Sonett. 


. ad der Ambroſianiſchen Handſchrift, aus welcher ich fie 
entlebnt habe, ift diefes Sonett, gleich ben brei folgenden, an 
Giovanni Quirino gerichtet. Die Familie Quirino it 
cine Venetianer, und ein Gebicht des 14. Jahrhunderts von 
unbelanntem Verfaffer zählt unter den venetianer Poeten jener 
Beit auch diefen Giovanni auf (Arrivabene Secolo di Dante 


201 


p. 756). Sonette von ihm finden ſich in bem. gedachten Mas 
nufeript. 

Du. 2, 3. 4 Mel. Ganz. 11, Str. 4, 3. 7. 

x. 1, 3.1. In Erwähnung der Cigtie, „die ſich den 
Sonnengott zu ſchaun bewegt", hat der Dichter fein Vorbild 
(© vid Metamorph. IV, 270) noch überboten; benn bei biefem 
heißt es nur: „Vertitur ad solem, mutataque servat amorem.“ 

Durd einen Zufall haben beide Herausgeber die Sonett 
überfegt; fo möge benn auch bie zweite Uebertragung bier mit: 
getheilt werben: 

Nichts Graufres gibt'8 wol, nichts macht mehr mich zagen, 

Ale fie, in deren Dienft ich ſchon erbleiche; 

Denn ihre Liebe gleicht dem eif’gen Teiche, 

Dieweil die Flammen Amor8 mich umfchlagen. 

li mid) auch pein’gen mag und plagen, 

— le —XX fhaun Be anmulhrehe, 
Da meiner Qual ich nichts an Reiz vergleiche, 

Ihr Unblid nur fann meinem Blick behagen. 


Selbſt fie, die nad dem Sonnengott fich mendet, 
Verwandelt wanbellofe Liebe hegt, 
Empfand nicht das, was meine Seele trägt; 


Indeſſen Amor, würd’ qud) nie bewegt 
Die Harte, bi der Tod mein Leben endet, 
Bisweilen mit mitleib’ge Seufzer fpendet. K. 


Smweiunbdvierzigftes Sonett. 


Es verfolgt dieſes Gedicht den entgegengefegten Gedanken 
von bem in unferer neunten Canzone, freilich mit viel mehr 
Ziefe und Meifterfchaft ausgeführten. 


Dreiundvierzigftes Sonett. 


Aud) Bier merde die'Ueberfegung des andern Herausgebers 


mitgetheilt: 
gu 


Haͤtt' ich den Anblick noch, der mid) entzückt, 
Der Holden, bie ich ftetö zu fehn verlange, 
Nadj der mit Thränen ich und Seufzern pange, 
So fern von ihr, bie hoͤchſte Schönheit ſchmuͤct, 
Was mid) fo peinigt, und fo ſchwer mid) bridt, 
As ob mit Schraube man mid) zwickt' und Zange, 
So daß ich aud) nicht athmen fann noch Lange, 
Beil alle freub’ge Hoffnung mir entrüdt: 
So wär’ id) heiter und der Leiden baar; 
Dod, weil ich fie, wie ich's gewohnt, nicht fehe, 
So quält mid Amor, und mein Herz thut wehe. 
Indem id jedes Trofts entkleibet ftehe, 
Daf alles, was mir fonft erfreulich war, 
Mir laͤſtig wird und ärgerlich fogar. 


Vierundvierzigftes Sonett. 


Diefes Sonett fteht in der Ambrofianifchen Handfchrift 
unmittelbar hinter einem andern, das bie gleiche Enbreime 
bat und gleichfalls als von Dante herrührend, aber an Gio: 
vanni Quirino gerichtet, bezeichnet werben. Der Verfaffer 
biefes andern Sonettes rühmt nun ben in bemfelben Angerede: 
ten wegen feiner zu Gottes und ber Jungfrau Ehren gereis 
enden Arbeiten, bie ihm Unfterblihkeit und den Ruhm ger 
währen würben, mit feinem Pfunde gewucert zu haben. 
Dagegen fagt ber Schreibende von fich felber, baf er ben 
weltlichen Sorgen anheimgefallen und gleich der Schar des 
Spitur träge und flumpf geworben fei. Sicher ift unfer 
Sonett, das den Hinblick auf die Finftige Welt fo befonbers 
bervorhebt, eine Antwort auf jenes; vermuthlich alfo gehört 
jenes dem Giovanni Quirino, biefes aber Dante an. 


Zünfundvierzigftes Sonett. 


Offenbar fprechen in diefem Sonette verfchiebene Derfonen. 
In der erften Quartine, Qu. 2, 3. 1 (zweite Hälfte) und 
3. 3, 4 wird Amor redend eingeführt. Dagegen antwortet ber 


Dichter in Qu. 2, 3. 1, 2 und dem erften Terzett. Da diefes 
legtere mit Mistrauen gegen Amor fehließt, fo feheint im zwei—⸗ 
ten Sergett die Geliebte felbft dazwiſchen zu treten und dem 
Diter folte Freude zu verbeifen, baf von ben erlittenen 
Qualen ihm kaum die Grinnerung bleiben foll. 
Die zweite Ueberfegung dieſes Sonettes lautet fo: 
nWolauf, eröffnet jego Thür und Thor: 
Einzieht ber andern Frauen Ruhm und Ehre. 
Sie ift die ‚Herrliche, Sie ift die Hebre; 
Ihr Werth trägt über Alle fie empor.” 
Beh, weh mir Armen! „Sprich, was haft Du vor?" 
dh gittre, def ich alles Muth’s entbebre. 
„So fei getroft, da Hülf’ id dir gewähre 
Und Leben. — Wohl vernehm’ es nun Dein Ohr.‘ 
I° all meine Thätigkeit gebunden 
sq fe die geheime —E von ihr, 
Und Amor, feb” ich, drohet Leiden mir. 
„„„So komm zu mic, Wohlwollen heg' id) bir. 
Nur in vergangner Beit empfingft du Wunden; 
Getroft, du wirft insfünftige gefunden. K. 


° Sechsundvierzigſtes Sonett. 


* Der Dichter redet in dieſem Sonett abwechfelnd bie Ges 
liebte und Gott an; jene aber mit Ihr, biefen mit Du. 
Die andere Ueberfegung wird bier mitgetheilt: 
Weit blidend ihr das Herz alfo gefchlagen, 
Daf alle Adern Elopfen feit der Zeit, ‘ 
Sf Gott voll Mitleid, welcher Athem leibt, 
So daß ſich etwas doc verliert das Zagen. 
Schau, wie die Augen alle Kraft verfagen, 
Erblindet faft von übermäß’gem Leid, 
So baß zum Zobe ſchon ich war bereit, 
Und nicht die Füße mich von binnen tragen. 
Schaut, Herrin, mid) beſchwert vom Schmerzgewichte, 
‚Ödet, meine Stimm’ iff Hanglos und geihmädt, 
Die ih um Liebeshuld ftets an euch richte. 





Dod, ſchoͤne Frau, ift euch nichts Andres recht, 
As daß das herbe Leid mein Herz vernichte, 
So febt, ih bin eu'r untertban'ger Knecht. K. 


Siebenundvierzigftes Sonett. 


Welch eine eble Frau e8 fei, welche der Dichter hier über 
verleumbderifche Weiberklatſchereien zu beruhigen fucht, bürfte 
fewer zu ermitteln fein. Der Gebanfe ber legten Zeilen ift, 
es gereiche mehr gue Ehre von Niebriggefinnten geſchmaͤht, als 
‚gelobt zu werben. 


Achtundvierzigſtes Sonett. 


In der zweiten Zeile Fonnte bas Spiel bed Driginales mit 
dem Namen ber Geliebten ,, Beatrice!” (Segenfpenderin) nicht 
nachgeahmt werben. Der freubige, friebensreiche Ton des Ges 
dichtes ‚erinnert an bie vita nuova. 


Neunundvierzigſtes Sonett. 


Diefes Sonett von untergeorbnetem poetifchen Werthe fand 
ſich in der Boſſiſſchen Handſchrift fo entftellt, daß ibm mehre 
fach durch, zum Theil unſichere, Wermuthungen nachgeholfen 
werben mußte. Falla es unferem Dichter angehört, dürfte dad 
Kommen und Gehen der Geliebten von den Auffchlüffen zu 
deuten fein,, welche die Philofophie ihm bald gewährt und bald 
wieder vorenthalten. 


Bunfzigftes Sonett. 


Der vom Schickſal verfolgte Dichter hat alle feine Hoffe 
nungen ſcheitern feben und an die Gaſtfreundſchaft oft unwuͤr⸗ 
diger Gönner gemiefen, wirb er inne, wie bie Geißelhiebe feines 
unmuthes ibm eine Zufluchtsftätte nach der andern verfchließen, 


ſodaß ihm bald nur ber freie Himmel zum Obdach bleiben 
werde. o entfagt er denn bem Feſthalten an dem einmal 
erkorenen Biele, ben Plänen für fernere Zukunft; nur ber 
Wechſel ber Ereigniſſe foll feine Schritte leiten, „Richt mit 
andern Nägeln will er feinen Ausfag Fragen.” 


Einundfunfzigftes Sonett. 


Wenn dies Sonett Dante mit Recht zugefchrieben wird, 
fo muß es in einer Beit entftanden fein, in welcher der Dichter 
noch nicht zu der großartigen Rechtfertigung bes Gluͤckswechſels 
Inf. VII, 73— 96 gebiehen war. 


Sweiundfunfzigftes Sonett. 


Welchem, in feinem Glide übermüthigen, Machthaber der 
Dichter hier den Spiegel Eünftiger Erniebrigung vorhält, weiß 
id) nicht zu errathen. 

Das Rab der Fortuna, auf bas im erften Terzett Din: 
gebeutet wird, ift eine im Mittelalter fehr verbreitete Dar: 
ftellung. Gewöhnlich trägt es vier Perfonen, bie oberfte gekrönt 
und freubeftrahlend, zu den beiben Seiten bie eine auffteigend 
und hoffend, bie andere nieberfinfend und wehklagend. Die 
unterfte verzweifelt in ihrem Sturze. Gin Fragment eines 
ſolchen Bildwerkes, das neuerlich in England gefunden ward, 
Pat dort die abenteuerlichiten Deutungen hervorgerufen. 


Dreiundfunfzigftes Sonett. 


Die Aufforderung, Amor den Weg zu bahnen, gefchieht 
im Original (3. 8, 9), mit ben Worten: dunque ormai lastri 
Vostro cor lo camin; doch fehlt lastrare in unferen Wörters 
büchern. 


Vierundfunfzigfies Sonett. 


Seiner inneren Verwandtſchaft wegen ift biefes Sonett, 
obmol aus einer ganz anderen Quelle entlebnt, mit bem vori⸗ 
gen zufammengeftellt worden. 


IV. 3u den Epigrammen. 
Erftes Epigramm. 


Valery (Voyages historiques et literaires en Italie, 
Bruͤſſeler Ausg., S. 261, Anm. 1) berichtet, cine Riccarbianer 
Handſchrift der rime unferes Dichters ergähle, im Haufe eine 
vornehmen Herren, bei dem Dante gaftfreundlihe Aufnahme 
gefunden, fei ein feiner ‚Heiligkeit wegen vielgepriefener Fran: 
ciscaner aus⸗ und eingegangen, und habe fi, angeblich zu 
Andachtsuͤbungen, häufig mit ber Gemahlin des Herren einge⸗ 
föloffen. Der Dichter Habe feinen Gönner auf bie Unziemlid: 
keit ſolchen Gebahrens aufmerkfam gemacht; biefer aber den 
Mind als einen halben Heiligen geſchildert. Andern Tages 
fei Dante wieder mit bem Franciscaner zufammengetcoffen, der 
fi, nad) kurzer Begrüßung bes ‚Herren, fofort den Zimmern 
der Hausfrau zugewandt. Nun habe Dante biefe vier Zeilen 
gefagt, und dadurch ben Herren fo nachdenklich gemacht, daß 
er die Entfernung des Mönches veranlaßt, und an verfdiedes 
nen Orten feines Palaftes bas Epigramm babe einſchreiben 
laffen. — Aehnliches deutet die furze Inhaltsangabe an, die 
fih in den meiften Ausgaben findet. gl. Fraticelli Ra- 
gionamento p. CCXLIV. Nach andern Notizen wäre die 
Dame die Gräfin Caterina, Gemahlin des Grafen Guibo als 
vatico, gemefen, und hätte den Dichter felbft veraniafit, ihr in 


207 - - 


folcher Weife gegen bie unkeuſchen Zumuthungen des Moͤnches 
bei ihrem Gemable Schug zu erwirken. 

Ganz anders deutet Roffetti (Comento analit, II, 359 
und Spir. antipap. p. 155) biefe Zeilen. einer Behauptung 
nach enthielten fie eine Warnung gegen einen Guelfen, der ſich 
unter Verleugnung feiner Gefinnungen in den Geheimbund ber 
Gbibellinen, um bdeffen Myfterien zu erfpdben, habe aufnehe 
men loffen. 


Zweites Epigramm. 


In ber Sala del maggior Consiglio zu Venedig war big 
in bag 16. Jahrhundert über dem Throne des Dogen ein altes 
Frescobilb der Krönung Mariä zu fehen, unter welchem bie 
gegenwärtigen vier Zeilen ftanben, bie bie Ueberlieferung Dante 
beilegte. Das Bild war indeß erft im Jahr 1365 unter bem 
Dogen Marco Eornaro von dem Pabovaner Guariento ges 
malt. Bel. Baldinucci Notizie dei professori del disegno. 
Ed. d. Piacenza. Tor. 1768, I, 269. Arrivabene Secolo 
di Dante p. 754, 


Drittes Epigramm. 


Ueber biefe8 Epigramm wird berichtet, ein geringer Wigs 
ling babe Dante feiner Heinen und bageren Geftalt wegen (22) 
mit einem i verglichen, und der Dichter barauf mit den gegens 
wärtigen vier Zeilen geantwortet, zu beren VerftAnbnif nur 
noch daran erinmert zu werben braucht, baß im Italienifchen 
das h immer unausgefprochen bleibt. Mit Buttura babei 
an das Sprichwort: Non vale un otto zu denken, ift kein 
Anlaf. n 

Roffetti (Comento analit. II, 200, 488 unb Spir. an- 
tipap. p. 246) behauptet, bies Gpigramm fei gegen einen vers 
wegenen Guelfen gerichtet, der ſich erbibnt babe, ‚ben den 
bibellinen geheiligten Anfangsbuchflaben des Mortes Impe- 


208 


rator gu verfpotten, auf beffen hohe Bedeutung Dante auch 
Parad. XXVI, 134 anfpiele. SBgl. (Mendelsfohn) Beriht, 
e, 56, 57. 


V. Die Vufpfalmen und der 
Glaube. 


Zur Erlaͤuterung der Paraphraſen der ſieben Bußpſalmen 
und des chriſtlichen Glaubens, die Dante zugeſchrieben werden, 
bat nur wenig geſchehen koͤnnen. Die Originalpfalmen find 
bei ben Ueberfchriften und zwar zugleich nach der lutberi: 
ſchen Zählung und ber der Vulgata citirt worden. Die Verfe 
der betreffenden Pfalmen find in Parenthefe angegeben und 
zwar nad) ber Eintheilung Luther's; obwol nämlich der Para: 
phraſt unzweifelhaft vorzugsweiſe aus der Verfion des h. Hier 
ronymus gefchöpft und aud bie Gliederung feiner Terzinen 
häufig auf deren Versbau geftigt bat, fo fehien der deutſche 
Lefer doch auf die ihm geldufige Ueberfegung verwiefen werden 
gu müffen. Quadrio, Dionifi und Graticelli führen 
die entfprechenden Verfe der Vulgata an; indeß nicht ohne 
weſentliche Irrthuͤmer. 

Man kann zweifeln, ob ber Urheber dieſer Paraphraſe 
außer ber Wulgatüberfegung andere Pfalmenterte benugt habe! 
Die Septuagint gewiß nicht. Cher vielleicht den Urtert. Daß 
Dante hebräifc gewußt, oder doch von Hebräifchundigen Aufs 
ſchluͤſſe erhalten habe, machen die berüchtigten Verfe der Hölle, 
bie ſich aus dem ebrdifchen nod) am erften beuten laffen, 
einigermaßen wahrſcheinlich. Beweiſe von der Kunde bes Urs 
tertes will Quabdrio u. X. in Pf. 1, 3. 12, Pf. 2, 3. 30, 
Pf. 3; 3. 16, 22, Pf. 4, 3. 37, pf. 5, 3. 17 finden; mit 
welchem Rechte? — das gu beurtheilen, muß ich Sachverſtaͤn⸗ 


209 


digen überlaffen. Bol. (Taeffe) A comment on the div. 
com. £onb. 1822. I, 407. 

Die Paraphrafe ift im Ganzen mehr eine breite, ala eine 
prägnante zu nennen. Daß der Dichter bie Alteren und mite 
telalterlihen Gommentatoren eifrig benugt und aus ihnen viel= 
fache dogmatifche Erweiterungen und XAntecipationen entlehnt 
hat, Tann nicht bezweifelt werden. Parallelftellen und Grörtes 
rungen hierüber finden fich im Ueberfluß bei Quabrio, liegen 
aber ben bier zu verfolgenden Intereffen zu fern, um aufge 
nommen und geprüft zu werben. Die meiften, das Gebiet ber 
bloßen Verdeutlichung überfchreitenden Aenderungen, bie ber 
Paraphraft ſich erlaubt bat, find offenbar Gloffeme und Um⸗ 
deutungen im Sinne des neuen Teftamente8 und der Eatholis 
fchen Auffaffung deffelben. Manche wollen in den Zufägen bes 
Paraphraften Hindeutungen auf Dante'8 eigene Lebensſchickſale 
finden. So namentlih Cefare Balbo vita di Dante Tor. 
1839. I, 411—13 und fein Nachfolger Artaub de Montor 
Hist. de Dante Aligh. Paris 1841, p. 477. Ich vermag ber: 
gleichen durchaus nicht mit einiger Sicherheit zu erfennen. Am 
weiteften in jener Richtung ift Roffetti gegangen (Comento 
analit, I, 374, 75, 384, 85. II, 494, 95, 519, 20, Spirito 
antipap. p. 128. 271—73, 296, vgl. aud 241). einer Bes 
bauptung nad) wäre zu Anfang des 14. Fabrbunderta die alte 
Geheimfprache der Ghibellinen, welche fi der Liebe ald des 
Symbols der Parteibeftrebungen bedient hatte, durch bie vielen 
Abtrünnigen an bie Guelfen verrathen morben. Als nun bie 
Hoffnungen der Kaiferlichgefinnten durch den verheißenen Mds 
merzug Heinrich's VII. wieder geweckt worben, fei eine andere 
Chiffre zur Verftinbigung der Sinnesverwanbten nöthig ges 
worden. Diefe habe, vermuthlich im perfönlichen Auftrage des 
Luremburger8, Dante in der Art erfunden, daß nun bie Aus: 
bride chriſtlicher Froͤmmigkeit gue Bezeichnung ber Verhälts 
niffe ber Anhänger des Kaifertfums hätten dienen müffen. Die 
Grammati? biefer neuen Sprache fei niedergelegt in der Schrift 
De vulgari eloquio. Als Heinrich VII. nun wirklich über bie 


210 


Alpen gezogen fei, forderte Dante bie Fürften und Machthaber 
Italiens auf, ſich dem Kaifer zu unterwerfen, unb verhieß ſelbſt 
den Abgefallenen, wenn fie nur noch rechtzeitig umkehrten, 
Verzeihung und Gnade. Hier heißt e8 nun (an ber ſchon oben 
angeführten Stelle zu Ganz. 18): i 

Praeoccupatis faciem ejus in confessione subjectionis, 

et Psalterio poenitentiae jubiletis, considerantes, quod 

potestati resistens, Dei ordinationi resistit, et qui di- 

vinae ordinationi repugnat, voluntati, omnipotentiae 

coaequali, recalcitrat; et durum est, contra stimulum 

calcitrare, ° 
Diefe Aufforderung, in bem Bußpfalter zu jubeln, bringt Roſ⸗ 
fetti mit der gegenwärtigen, Dante zugefchriebenen, Bearbei⸗ 
tung jener Pfalmen in Zufammenhang. Diefe Paraphrafe 
enthalte aber nichts, als, in bie neue Geheimfprache verhuͤllte, 
Anrufungen des Kaiferd und ber machthabenden Ghibellinen, 
Schilderungen des sbellagenewerthen Zuftandes der Unterdruͤck⸗ 
ten, Aeußerungen der Reue von Seiten Derjenigen, bie mehr 
oder ‚minder gebrängt, wenigftens ſcheinbar in bag Felblager 
der Guelfen übergegangen feien. 

Ein wie wichtiges Glied in ber Kette von Roffetti's 
‚Hppothefen biefe Annahme einer Aenderung ber ghibellinifchen 
Chiffre fei, ergibt ſich fchon daraus, daß die göttliche Komödie 
ſelbſt in ber neuen Geheimfprache verfaßt fein fol Gewiß 
erweckt es inbef kein günftiges Vorurtheil für jene Annahme, 
daß der beutfche Apologet Roffetti’fcher Ideen (Mendelsfohn) 
es nicht hat über fi gewinnen Tönnen, fie zu erwähnen, ger 
ſchweige denn zu vertheibigen. Die Frage, ob eine ſolche con: 
ventionelle Zeichenſprache unter den Ghibellinen überall beſtan⸗ 
den und alsbann in der von Roffetti behaupteten Weiſe 
umgeftaltet worden fei, ift hier nicht zu prüfen. Was aber 
die Bußpfalmen betrifft, fo haben biefe in Zerknirſchung file: 
Benden Verfe ein fo verfchiedenes Golorit von dem Jubelton 
jened Briefe, daß nur große Tactlofigkeit eine Zuſammen- 
ftelung beider geftatten Fonnte. Außerdem hätte gewiß ein 


211 


Uebermaf von Leichtfinn dazu gehört, die eben mühfam gefuns 
dene neue Geheimfchrift fofort ben Abtrünniggewordenen in der 
unficheren Hoffnung preiszugeben, daß fie vieleicht für den 
Bund wiebergewonnen werben Eönnte. 

Neben jenen manchen und mannigfad gebeuteten Erweiter 
zungen fehlt e8 aber der Paraphrafe auch nicht an Austaffun= 
gen, von denen wenigftens einige lediglich aus Unachtfamkeit 
ober aus Mangel an Geſchick zur Nachbildung des Originals 
hervorgegangen feinen. Siehe z. B. Pf. 3, V. 14, Pf. 5, 
23. 3, 28, 29 der Vulgatverfion. 

Daf die Sprache durchgängig vernachläffigt fei, erkennen 
auch die italienifchen Krititer an. Einzelne Eicenzen finden 
amar bei den diteften Lyrifern, bie Alles wagen zu bürfen 
glaubten, Analogien; verlegen aber bas gebilbetere Ohr uns 
leidlich. So 3. B. cargo ftatt carco I, 13 und III, 14; con- 
summi ftatt consumi II, 56; mullo flatt mulo IT, 65; mutto 
ftatt muto III, 53; fazza und discazza ffatt faccia und dis- 
caccia IV, 34, 36 (vgl. inbef Perticari Apologia di Dante. 
In Monti Proposta II, 2, p. 128); piacque ftatt piacquero 
V, 53 (ogl. Balbo Vita di D. II, 413. No, 25); $ tu ffatt 
Se tu V, 58 (vgl. indeß unfer erftes Gonett Terz. 1, 3. 3); 
das plebeje finocchj III, 37, die unangenehme Tautologie II, 
23 u.f.w. fresa ftatt fregia, Vento ftatt vinto, digionio ftatt 
digiuno, semana ftatt settimana, vodo ftatt voto, tarde ftatt 
tardi, cieghi ftatt ciechi im Credo 3. 85, 135, 153, 161, 
177, 195, 238 der Rigoli'fcen Zählung. 

Im Einzelnen finde id nur noch etwa Folgendes zu er: 
wähnen: 


Zweiter Bußpfalm. 


3. 1-9. Der Paraphraft unterfcheidet nad) Auadrio's 
Bemerkung, abweichend vom Driginalterte, brei Klaffen ber 
Seligen: 1) Diejenigen, bie zwar fewer gefündigt haben, 
deren Sünden aber verziehen find. 2) Diejenigen, die fi 


212 


überall Feiner Tobfünden ſchuldig gemacht. 3) Diejenigen, bie 
zum eigenen Günbigen Feine Gelegenheit hatten (wie bie uns 
ſchulbigen Kinder), denen aber bie auf fie mitübertragene Erb⸗ 
fünde durch die Kraft ber Taufe abgewafchen ward. 

3. 26 a quel si volge e guarda erinnert einigermaßen 
an Inf. I, 24: Si volge all’ acqua perigliosa e guata. 


Vierter Bußpfalm. 


3. 61. Der angeführte Vers des Pfalmes lautet: „Denn 
Du haft nicht Luft zum Opfer, ich wollte Dir’s fonft wol 
geben; und Brandopfer gefallen Dir nicht.” Die Paraphrafe 
lautet wörtlich: „Es würbe mir ſcheinen, ein großes Unrecht 
zu thun, für den (meinen) Fehltritt das Schäflein zu geben, 
deffen, mie id) weiß, mein Herr fi) nicht erfreut.” So 
würbe folgende Ueberfegung vielleicht dem Originale näher 
tommen: J 
„Woillt' ich, um abzubuͤßen Deine Rügen, 
Gin Lamm Die, opfern, fo thdt' ic) nicht Recht, 
Denn nicht am Samme haft Du, Herr, Vergnügen.” 


Der Glaube. 


Rigoli, der Bibliothekar der Riccardiana, publicirte 
im Sabre 1825 einen Saggio di Rime di diversi buoni 
Autori, in weldem er dies Credo nad) zwölf Handfchriften 
jener Bibliothek berichtigt mitteilt. Das Manufcript No. 1011 
ſchickt eine Notiz voraus, nach welcher Dante durch feine bei: 
fienden Bemerkungen über die Franciscaner feiner Zeit (im 
Paradiefe) fid die Misgunft biefes Ordens zugezogen hätte. 
So hätten denn einige jener Möndje angeblich ketzeriſche Gtel- 
len aus ber göttlichen Komödie zufammengeftellt, und der Ins 
quifition denuncirt. Vor ben Inquifitor gefordert, babe Dante 
ſich über Nacht Zeit erbeten, um fein Glaubensbefenntnif auf: 
aufegen, und am anderen Morgen zur Zufriedenheit des geift= 


213 


lichen Gerichtes und zur Beſchaͤmung ber Ankläger diefe Ter⸗ 
ginen eingereicht. — Daß indeß dieſes Geſchichtchen eine Fabel 
fei, nimmt felbft Balbo (a. a. ©. ©. 413, 14) an, obmwol 
er bie Arbeit unferem Dichter zufchreibt. 

3. 73 ff. Die Ueberfegung folgt hier den älteren Aus= 
gaben. Die Riccarbianer Handſchrift 1052 gibt die gegenwäre 
tige Vergine verändert und fchiebt alsbann (vor unferer 3. 76) 
noch eine andere ein. Diefer Veränderung Könnte etwa fol 
‚gende Ueberfegung entfprechen: 

Bon biefer Lieb’ und Liebeswunſch alleine, n 

Die zwifchen Sohn und Vater find, ging aus 

Der Geift, der nicht erzeugt ift, wie ich meine. 
Er baudt auf Erden, berrfcht im Himmelshaus, 

Wie Sohn und Vater wollten ewiglich, 

Und Keiner folgte nad, nod) ging voraus. 

3. 78 (81). Manca la possa fann an Parad. XXXIII, 
142 All’ alta fantasia mancò la possa erinnern. 


VI. Boetifcher Vriefwechſel 
zwiſchen Sohannes de Virgilio und Dante. 


Gedicht des Joh. de Virgilio. 


Zohannes, deffen Familiennamen wir nicht wiffen, der 
aber ſchon von feinen Beitgenoffen wegen des Beftrebens, ben 
mantuanifchen Dichter nadizuabmen, de Virgilio genannt 
warb, mar in Bologna geboren, wo er minbeftens bis 1321 
Öffentlichen Unterricht ertheilte. Später fol er nach Gefena 
gezogen fein. Bedeutend jünger alè Dante, begte er für biefen 
die hoͤchſte Verehrung, obmol er felbft nur lateiniſch bichtete, 
und zwar mit befferem Erfolg als die Mehrzahl feiner Zeitz 


214 


genoffen. Er hält dafür, daß ein meitreichender Ruhm nur 
duch Werke zu erlangen fei, die in der Sprache der Ge 
lebrten gefchrieben, in ber gefammten gebildeten Welt gleich- 
mäßig gelefen und gewürbigt werben koͤnnten. Diefe Gefinnung 
gibt ibm Anlaß, bem verehrten Dichter darüber feine Vermun= 
derung auszuſprechen, daß er ein fo mächtiges Werk, wie die 
göttliche Komödie, in der Volksfprache unternommen. Er er= 
mahnt ihn, in edlerem Gewande angemeffene Stoffe barzuftels 
ten, die ihrer Bedeutſamkeit wegen, falls er fie nicht befinge, 
unbearbeitet bleiben. würden. — Gewiß ein merfwürbiger Febl 
griff! Die lateiniſchen Antwortfchreiben unferes Dichters be= 
lehren ung, wenn es erft biefer Belehrung. bebürfte, bei aller 
Zeinheit der Gedanken, bie durch die wiberftrebende Form bin: 
durchleuchtet, daß eine lateinifche divina comoedia ſchwerlich 
ein viel befferes Schickſal gehabt haben würde, als die Africa, 
das Schofifind Petrarca’s. Und wenn nun Dante, als ein 
anderer Ferretus Vicentinus Cangrande's fiebzehnjährigen Krieg 
mit ben unfügfamen Pabovanern, ober bie Kämpfe um bie 
Signorie von Lucca, oder bie Belagerung von Genua befungen 
hätte, — was wäre ibm davon für Ruhm geworben, als jegt 
in Muratori’ Scriptores einige hundert Seiten zu füllen? 
Gene naiven Vorfchläge des Johames de Virgilio, was 
Dante und wie er dichten folle, haben für uns befonderes In= 
tereffe; denn fie führen uns auf bag Datum diefer Verfe, wels 
ches felbft wieder für die Entftehungsgefchichte der göttlichen 
Komödie von entfcheidender Wichtigkeit ift. Die vier Gegen- 
fände, welche der Volognefer für des Liedes wuͤrdig achtet, 
- find: 1) Der Tod Heinrich VII am 24. Aug. 1313. 2) Die 
Schlaht von Val di Nievole (oder Monte Gatini) am 29. 
Aug. 1315. 3) Cangrande's Sieg über die Pabovaner am 
17. Sept. 1314. 4) König Robert's Sdiffezug nad) Genua 
am 20. Zuli 1318. Das Gedicht des Joh. de Virgilio Tann 
alfo nicht älter fein, als bie zweite Hälfte des Jahres ‘1318. 
Schon in den erften Zeilen begeichnet er bie brei Haupt⸗ 
abtheilungen ber’ göttlichen Rombbie und V. 18 enthält eine 





215 





ungweifelhafte Anfpielung auf Purg. XXI, 6 ff. Danach Eönnte 
man glauben, entweder bad ganze Gedicht, ober doch Hölle 
und Fegefeuer feien damals fchon vollendet und verbreitet ges 
wefen. Dies wird aber durch V. 48, 49 der (erften) Ante 
wortsekloge entfchieden widerlegt. Dante ſpricht dort nur von 
der Hölle al vollendet; von Purgatorium und Parabie aber 
als nod) zu beenden. — So drängt ſich denn bie Ausarbeitung 
des Paradiefes auf die kurze Zeit von höchftens zwei Lebens— 
jahren, den legten des Dichters, zufammen; ein Umftand, der 
faft zu der Annahme nöthigt, daß Dante zugleich an den vers 
fehiedenen Theilen feines Werkes ftücweife gearbeitet. Wal. 
Dionifi Anedd. IV, p. 105— 109. x 

Noch einen anderen Auffhluß aber gewähret uns Fohan: 
nes de Virgilio: Wenn er fich ſchon auf eine Epifode bes Purs 
gatoriums beziehen fonnte, während biefer Theil des Gedichtes 
nod) nicht vollendet war, fo muß Dante einzelne Abfchnitte der 
Cantichen, wie fie eben entftanden waren, feinen Freunden mits 
getheilt haben. Grade dies aber bekundet Boccaccio in 
einer oft angezweifelten Nachricht (Vita di Dante. Ed. di 
Gamba. Ven. 1825, p. 88, 89). — Kopifch in den Erläuter 
rungen am Schluffe feiner Ueberfegung der göttlichen Komödie, 
©. 460, vermuthet, daß Dante bie vollendeten Abtheilungen 
feines Werkes früher Gönnern und Freunden mitgetheilt, ale 
veröffentlicht babe, und daß namentlich im Jahr 1318 ſchon 
die ganze div. com. vollendet gemefen fei. Diefe Meinung, zu 
ber es an genigentem Anlaß fehlt, wird aber durch Purg. 
XXXIII. 43 widerlegt, wenn man nur an ber richtigen Er: 
klaͤrung (daß Gangrande als Vunbesherzog vom 16. Dec. 1318 
gemeint fei) feſthaͤlt. 

Endlich ift noch zu bemerken, daß bie Verfe unferes Fo 
hannes ein einfaches Gebicht find, ohne einer befonderen antiken 
Dichtungsweiſe ſich anzuſchließen. Erſt Dante kleidet feine 
Antwort in die Fictionen des Hirtengedichtes. Die Eklogen 
des Calpurnius (und Nemeſianus ?) wurden erſt im 15. Sabre 
hundert wieber aufgefunden, und fo galt bafür, daß bie buko— 





216 


liſche Dichtung feit Virgil ungedbt geblieben fei. Auf biefen 
Primat, ber unter ben neueren D’htern allerdings Dante ges 
bührt, fpielt er 3. 61 der Antwortsekloge felber an. Deuts 
licher thut e8 Joh. de Virgilio in feiner Ekloge 3. 20, 21 
und in einem nad) des Meifter8 Tode an ben Pabovaner Muf= 
fatus gefandten Gebichte: 

— — Benacia — — 

Fistula non posthac nostris inflata postis, 

Donec ea mecum certaret Tityrus olim 

Lydius, Adriaco qui nune in litore dormit, 

Qua pineta sacras praetexunt saltibus umbras, 

Quaque Aries dulces exundat in aequore Iymphas. 


Die Verfe find in ben folgenden Erläuterungen nad) den 
‚Herametern des Original8 gezählt, die id am Rande der Uebers 
fegung angemerkt habe. 

Schon in ber zweiten Zeile ift die Conftruction dunkel, da 
dem tollere bag Object fehlt, wenn man nicht letiluum für 
Subftantiv nehmen will (novis qui cantibus orbem Mulces 
letifluum, vitali tollere ramo Dum cupie). 

3.5. Die nad ben Sternen Strebenten (Astripetae) 
find natürlich die Buͤßenden, benen die Soligleit, mie fpdt 
aud immer, gewiß ift. 

3. 7. Wir, über den Stubien Erbleichte, follen nie etwas 
von Dir lefen, da es nicht ziemen würbe, unfere Aufmerkfams 
keit Werfen zuzumwenden, bie in der Pöbelfprache geſchrieben 
find. Ganz ähnlich dachte noch eine Generation fpdter Pes 
trarca, obwol er, wie er faft wiberwillig geftehen muß, feinen 
italienifchen Gedichten die friſchgruͤnendſten Zweige feines Lor= 
beertranze8 verbanite. In bem bekannten Briefe an Boc— 
caccio fagt er, Dante fei gemefen popularis quod ad stylum 
attinet; quod ad rem haud dubie nobilis und fein Ruhm 
ventosis diu vulgi plausibus agitata, atque ut sic dixerim 
fatigata; er fei vulgaribus accentissimus. 

3.8. Pandi heißen bie Delphine auch bei Ovib Trist 
II, 10, vers. 43. 


217 


3. 9. Davus vgl. Hor az Ars poet. 114. \ 

3. 10. Die gens idiota, Ungelehrte, Sole, für die Du 
nicht beffer getban hätteft, Tateinifch zu fehreiben, werben nie 
ben Abſturz der Unterwelt (Tartareum praeceps), nie bie Ges 
Heimniffe des Poles (d. b. de Himmels: Hor ag Epod..XVII, 
TT) begreifen; Deine Mühe ift alfo doch umfonft verſchwendet. 

3.11. Selbft Plato vermochte fi nicht zur Anfchauung 
des Himmels zu erheben, ihn zu erhoffen. Die alten Anmerz 
tungen, welche der Zlorentiner Handfchrift beigefügt find, er: 
Mären exsperata, mol gewiß unrichtig, durch ex spera (sphae- 
ra) tracta. di 

3. 12. Der Pöbel begreift Deine Schilderungen nicht; 
denn ihm fehlt alle Vorbereitung. Seine Spaßmacher haben 
ihm nie von dergleichen erzählt. Laßt Du Dich aber herab, 
ben Pöbel zu unterhalten, fo ſtellſt Du felbft Did mit jenen 
Spaßmadern zufammen, deren Gemeinſchaft der wahre Dichter 
und Gelehrte (wie Horaz) über Alles verabfcheuen muß. 

3. 15. Sob. de Virgilio wirft Dante vor, er dichte car- 
mine laico, und fügt hinzu: Clerus vulgaria temnit, Clerus 
und laici bedeuten in ber conftanten Rebeweife des Mittelalters: 
Gelehrte und Ungelehrte. 

3. 16. Zwei Gründe find es, warum es ſich nicht ziemt, 
Würbiges in ber Volksſprache zu fagen: einmal, weil e8 eben 
die Sprache des Pöbels iſt; zweitens, weil, während bie gelehrte 
Sprache (grammatica) über ben ganzen Erdfreis bin diefelbe 
ift, die Volksſprache von Land zu Lande, ja von Provinz zu 
Provinz wechſelt. 

3. 17. Deutliche Anfpielung auf Inf. IV, 102. 

3. 18. Daß bier auf Purg. XXI, 6 ff. hingebeutet werbe, 
ift ſchon hervorgehoben worden. Daf das Argument (meber 
‚Homer, Virgil, Horaz, Ovid und Eucan, noch Statius dichter 
ten italienifch; benn in ber Sprache ihres Volkes bichteten 
fie allerdings) ein herzlich albernes ift, bedarf keiner Erwaͤb⸗ 
nung. 

Dante, Lyriſche Gedichte. Il 10 


218 


3. 19. Das censor libferrime vatum fann faft nur au 
die mitunter ſcharfen Urtheile im Vulgare eloquium bezogen 
werben; bar die tadelnden Aeufierungen in ber göttlichen Komd= 
die (Purg. XXIV, 55 ff. XXVI, 124 ff.) gewiß nicht unziem: 
liche genannt werben fonnen. 

3.23. Rede in einer Mundart, die geeignet ift, Dir 
Ehre zu erwerben, und made Did burd) Dein wuͤrdiges Lieb 
(Carmine vatisono) zum Gemeingut beider Wölfer: bies= und 
jenfeits der Alpen (sorti communis utrique).- 

3. 26. Der Waffenträger Jupiter's ift natürlich ber 
Kaifer (Heinrich VIL.), deffen Wappen der geheiligte Vogel ift. 
In ben Worten guo volatu liegt vermuthlic eine Aufforde: 
zung, bag ſchon bamald über bie Art von Heinrich's Tobe ver: 
breitete Dunkel aufzuhellen. Bgl. Bartholb, ber Römerzug 
König Heinrich's von Lügelburg II, 439 und Beil. I. 

3.27. Das Zerbrechen dev Blumen und Lilien deutet auf 
eine Niederlage ber Florentiner und frangöfifchen Angiovinen. 
Warum Uguccione della Faggiuola als arator bezeichnet ift 
wie dies der alte Gloffator ausbrüdlich erflärt, weiß ich nicht 
anzugeben. Die Schlacht ift unzweifelhaft die ſchon erwähnte 
vom 29. Aug. 1315, in welcher Peter von Anjou und Karl 
von Tarent auf ber Wahlftatt blieben, und bie Leichen der 
tapferften unter ben florentiner und bolognefer Guelfen bas 
Schlachtfeld bedeckten. Vgl. Trona Veltro allegorico, p. 
145 —50. 

3.28. Die Pabovaner heißen nach Antenor phrygiſche 
Hirſche. In dem Zahn des Moloffers liegt offenbar eine An: 
fpielung auf ben Namen Gangrande'8. Aus dem im I. 1312 
bem £egteren übertragenen Vicariat von Vicenza (Barthold 
a. a. O. S. 250) entfprang ein 17idbriger Krieg mit Padova, 
der mit abwechfelndem Gluͤck geführt ward. Welche einzeln 
Niederlage hier angedeutet fei, ift wol nicht mit Sicherheit zu 
beftimmen; vermuthlich aber die von Vicenza (Giov. Vil: 
Cani IX, 63. Troya ©. 140). 

3. 29. Die Beugniffe über den Kampf bes Königs Robert 





219 


und der übrigen Guelfen mit ben Visconti'8 und Doria’s um den 
Befig von Genua find zufanmengeftellt bei Dionifi Anedd. 
IV, 106, 107. Leo Geſchichte von Italien, I, 470 ff. 

3. 30-32. Dichte in der Sprache, die von den Säulen 
des Hercules biz zu ben Donauminbungen, von Aegypten big 
Karthago vernommen werben fann. 

3. 33, 34. Weber das enge Gebiet eines Volksdialectes, 
noch das Lob des Pöbeld mögen Deinem Ehrgeiz genügen. 

3. 36. Sob. de Virgilio nennt ſich einen Geweihten (Cle- 
ricus) der Bewohnerinnen bed Helikon, und Namensgenoffen 
(vocalis verna) des Maro. 

3. 37, 38.- Er erbietet fi), ein wuͤrdiges, d. h. lateinis 
ſches, Gedicht Dante'8, zuerft von dem Lehrſtuhl zu verkünden 
und dadurch die Lorbeerhefrönung des Dichters (in Bologna) 
zu vermitteln. 

3.41 ff. Doc) jene vier Veifpiele zu befingenten Stoffes 
genügen nicht. Ganz Italien bewegt fih, Krieg durchſtuͤrmt 
bas umgebende Meer. Nur Dante’s Leier Tann ſolche Thaten 
befingen, foldje Kampfbegier befänftigen. 

3. 45, 46. Alle anderen Dichter hängen wartend an 
Dante's Munde (alios a te pendendo poätas). Schweigt er, 
fo bleiben jene Ereigniffe unbefungen. 

3. 47. Dante wird fehr uneigentlidy ein Wohner in bes 
Yabus Mitte (Eridani mediane) genannt; benn felbft Porto 

. Primaro liegt noch nördlich von Ravenna; allerdings aber ers 
ſtrecken fi die Po-Candle bis zu diefer Stadt. — Dante hat 
dem Schreibenden, doch wol bei perfönlichem Verkehr, Goff: 
nung gemacht, ihn und namhafte Freunde zu befuchen. 

3..49—51. Zuͤrnt er nicht über den. geringen Werth 
diefer Verfe, welche die Gans verwegen dem fangreichen Schwan 
geſchnattert (Quos strepit arguto temerarius anser olori), fo 
möge er fommen, oder doch Antwort epreiben. 


10* 


220 


Dante’s erfte Efloge. 


In bem Hirtengedichte, das Dante bem Johannes als 
Antwort fendet, fingirt er, mit feinem Freunde und Gril: 
genoffen Ser Dino Perini bei ber weibenden Heerde weilend, 
den Brief bes Erfteren befprochen zu haben. „Sich felbft nennt 
er dabei Tityrus (mol nicht ohne Anfpielung auf die Zuflucht, 
die er bei dem folgenden Guido von Polenta gefunden), den 
Ser Dino: Melibdu8 und den Johannes de Virgilio (auf den 
Wettgefang in Virgil's fünfter Ekloge hindeutend) Mopfus. — 
Boccaccio in feinem Gommentar über die göttliche Komödie 
(Inf. VIII) gibt eine doppelte Erzählung über die Wiederauf- 
findung der von Dante felbft, nachdem er ins Eril gegangen, 
verloren geglaubten fieben erften Gefänge ber Hölle: nad) der 
einen hätte Andrea di Leon Poggi, de Dichters Neffe, ala er 
im Auftrage ber Gattin Dante's in Schränken, welche biefe bei 
ber Plünderung gerettet, nad) Documenten gefucht, die fieben 
Gefinge gefunden und demnaͤchſt an Dino di Meffer Lambers 
tuccio Frescobaldi gegeben. Diefem Berichte, den Boccaccio 
aus Anbrea'8 eigenem Munde vernommen, babe inde Ger 
Dino Perini (nostro cittadino ed intendente uomo, e se- 
condochè esso diceva, stato, quanto esser più si potesse, 
familiare ed amico di Dante) miberfprodien und behauptet, er 
fei es gemefen, ber im Auftrag ber Gemma bie Schränke er 
öffnet und bag Gedicht gefunden. 

3. 3. Unter ben jungen Biegen, welche Tityrus und 
Melibdus überzählen, will der alte Gjoffator die Schüler, 
Orelli aber (in ber einleitenden Gommentation zum Zuͤricher 
Lectionscatalog vom Sommer 1839) die Sorgen und Beftrer 
bungen für bie ghibellinifche Partei verfianden willen. Lepteres 
wol entfchieden mit Unrecht; denn Joh. de Virgilio war felbft 
Guelfe, und Dante lebte damals unter bem Schuge eines ihm 
gütigen guelfifchen Herren. Vermuthlich ift an eine Allegorie 
überall nicht zu denken. 


221 


Mit 3. 7 beginnt eine feinducchgeführte Ironie über die 
Anmafiung, mit welcher Joh. de Virgilio die Sprache bes 
Volkes und bie in ibr gebichteten Werke als ber Aufmerkfams 
Beit ber Gelehrten unwuͤrdig bargeftellt hatte. Tityrus meift 
des Melibdus Frage nach dem Briefe bes Mopfus zurüd, 
weil Fener unfähig fei, fo Hohes zu verfteben und zu wuͤrdi⸗ 
gen. Die Ironie wird baburd) noch gefteigert, daß Dante 
dabei bem Johannes bas Verdienſt andichtet, welches er, 
deffen Poefie der Andere nicht für ebenbürtig batte anerkennen 
mollen, fich eben felbft erwirbt, nämlich das der Wieberauf: 
friſchung des bufolifchen Gefanges. 

3. 11. Schon Virgil, in ber achten Ekloge, bezeichnet 
das Hirtengebiht nad dem arkabifchen Berge Mänalus. 

3. 12. Der alte Grflärer meint, der Mänalus werde 
celator solis genannt, weil Namen und Begebenheiten zur 
Verhuͤllung anderer Perfonen und Zuftände im Hirtengebichte 
fingirt würden. 

3. 16, 17. Das Bächlein wäre nad) demfelben Gloffator 
der anfprudjlofe Styl biefer Dichtungsart; ber Gipfel bes 
Berges, von bem der Bach nieberrinfit, follte aber Virgil, das 
Vorbild ber Butoliker, bezeichnen. 

3. 22, 23. Dante gibt bag Wunder, bas Johannes ihm 
zugemuthet, nämlich die erzuͤrnten Geifter ber Machthabenden 
duch Gefang zu befänftigen, Dem, ber es gefordert hatte, 
zurüd. 

3. 24, 25. Melibdus will nicht daran verzweifeln, daß 
die Gelebrfamteit des Mopfus (Johannes) doch auch für ihn 
erreichbar fein werbe. 

3. 29—32. Tityrus ergeht fih in uͤberſchwaͤnglichem 
Lobe der Studien des Mopfus und ihres Erfolges. Der Sei: 
tenhieb auf bie Jurisprudenz Stubirenden erinnert an Par. 
XI, 4 und ähnliche Stellen. 

3.33. Er ruft mich) zu den Zweigen,” die ber verwan⸗ 
beiten Tochter des Peneus (Daphne) entwachfen find (frondes, 
versa Peneide cretas). 





3. 34, 35. Auch Meliböus findet es unwuͤrdig, daß 
Dante die Dichterfrone nicht trage. 

3. 36. Nun erft geht ber Ton des Gebichtes zum eigent⸗ 
lichen Ernft über. Dante Hlagt, daß in ber unempfänglichen 
Beit der Schmuck der Dichter, ja ihe Name fo gut ala ver: 
geffen fei (Par. I, 29). Gelbft ben Mopfus zum Dichter zu 
machen, fei, trog feiner Nachtwachen, der Mufe faum gelungen. 

3. 38. Ergriffen von der Schnfucht nach dem heiligen 
Lorbeerrei8 und in eblem Selbftbewußtfein feines Merthes ruft 
er aus: Welch ein Jubel wird unter, ben Heerden fein, wenn 
ich, nachdem ber grüne Kranz meine Schute umflicht, das 
Siegeslied ertönen laffe! 

3. 41. Aber er fuͤrchtet das heftig guelſiſche, der Poeſie 
abholde Bologna und den dortigen Gewalthaber: Romeo dei 
Pepoli. 

3. 42—44. Beſſer, begluͤckender wird es fein, dereinſt, 
wenn ich je wiederkehre, am vaterlaͤndiſchen Arno die ſonſt 
blonden, nun graugewordenen, Haare zum Triumph zu ſchmü— 
en und unter bem Lorbeer zu verbergen. Wer bddite nicht 
bei diefem Ausrufe fehnlichen Verlangen an Par. XXV, 1 ff. 

3. 45—47. Meliböus zweifelt (leider mit nur zu gro 
fem Hecht), ob die Lebenszeit zur Erfüllung dieſes Wunfches 
hinreichen merde. 

3. 48—50. Dante .erwidert: Hat mein Gefang erft die 
meerumfloffenen Körper (die Schatten der Fegefeuer= Infel) 
und bie fternbemwobnenden ebenfo dargelegt, wie bereitd das 
Reich der Unterwelt, fo wird es an ber Beit fein, mit Epheu 
und Lorbeer bag Haupt zu befrängen. 

3. 51. Halb ironiſch fügt er hinzu: Wied Mopſus es 
geftatten? 

3.51—54. Meliböus geht auf den Zweifel ein und wie: 
derholt furz die Gründe des Mopfus. Comica verba find nad) 
der befannten Erklärung, die Dante in bem Briefe an Gan 
grande felbft gibt, im nieberen Style, hier in der Volksſprache, 
geſchrieben. 





3. 55. n jene Gründe verfchwendet Dante Fein Wort 
der Wiberlegung; jim Bewußtfein bed mächtigen Werkes, bad 
er in ſich trägt, genügt ihm bas einfache: er wird. Die von 
Orelli vorgefchlagene Abtheilung der Worte ift ohne Zweifel 
die richtige. 

3. 56. Meliböus zweifelt noch immer und finnt auf ein 
Mittel, den Mopfus zu begütigen. 

3.58. Dante weiß, daß ein lateinifches Gedicht in claffi: 
fer Dichtungsform den etwas pebantifchen Grammatifer ficher 
beftedjen werde. 

3. 60, Unter dem Felſen den Berg des Purgatoriums 
zu verftehen, wie Dionifi will, ift fein genügender Grund. 

3.65, 66. Mit Recht ſchreibt Orelli diefe beiden Verfe 
noch dem Zityrus zu. Die Ermabnung: Et duris crustis 
discas infigere dentes erinnert, da Beide im Grile lebten, 
deutlich an Par. XVII, 58. 

3.68. Auf die Armuth Beiber wird nochmals, wie ſchon 
3. 10, bingemiefen. 


Efloge des Johannes de Virgilio. 


Johannes läßt die von Dante angefchlagene Saite fort: 
tönen, indem auch er feine Erwiederung in bie Form eines 
Hirtengedichtes Heide. Es enthält biefe Ekloge von 3. 47 an 
eine Einladung an Dante, den Schreiber in Bologna zu befus 
den; doch fcheint dieſe Einladung nad) 3. 80 ff. nicht befonders 
ernft gemeint, und in folder Weife hat auch Dante fie in 
feiner zweiten EEloge genommen. 3. 11 und 95 bezeichnen 
das Gedicht auebridlià) al Antwort, und ich vermutbe, daß 
es ber Virgilifchen Ekloge bald gefolgt fei. Bemerkenswerth 
ift nur, daß 3. 61 Melibdus (Ger Dino Perini) als nun bei 
Mopfus, dem Verfaffer des Gendfchreibens, weilend gedacht 
wird. ben biefer Melibdus kehrt in Dante'8 zweiter Ekloge 
(8. 29) ale Ueberbringer der gegenwärtigen Verſe wieber; es 


224 


ift alfo anzunehmen, baf er von Ravenna eine Befuchsreife 
nad; Bologna gemadit habe. 

3. 1. Die Savena heift tm lateinifchen Original mit ei 
nem meines Wiffens neu gebildeten Namen Sarpina. Viridi 
niveos interlita crines wird fie nah Dioniſi's Bemerkung 
genannt, weil fie fih vor ihrer Mündung in zwei Arme, 
Savena vecchia e nuova theilt, die burd) grinendes Erdreich 
getrennt werben. Einer Specialfarte zufolge fpaltet fich die 
Savena ungefähr zwei Miglien oberhalb Bologna. Die Savena 
nuova ergießt fih nad) furzem Lauf bei Ruffo in den Ibice; 
die Savena vecchia bagegen verliert fi) nad) längerem Laufe 
in den Simpfen füblich von Ferrara. Zwiſchen beiden ift ein 
Landſtrich von betraͤchtiicher Breite. — Aud Inf. XVIII, 61 
werben die beiden Fluͤſſe Savena und Reno, als Bologna bes 
zeichnend, zufammen genannt. 

3.8. Nifa heißt die Freundin bes Mopfus (vgl. 3. 58) 
ſchon in Virgil's achter Ekloge. 

3. 9, 10 calamos moderabar hydranles Falce recurvella, 
cunctae solamina: wol genauer: zur Werfürzung ber Weile 
(cunctae ftatt cunctationis) fehnitt ich mit frummem Meffer 
die Pfeifen bes Waffer= (—Schilf-) rohrs zurecht, nämlich zu 
einer Hirtenflöte. 

3. 12—17 find Parenthefe, und der Hauptfag fo zu ver: 
fiehen: das Fluͤſtern des hauchenden Oftwindes brachte mir 
leife ben im Schatten des Abriatifchen Geftades tönenben Tity= 
rus. — 3. 12. Der Pinienwald wird wie fo oft ala Raven: 
na'8 Wahrzeichen genannt. gl. Purg. XXVII, 20, 

3.13, 14. Die reiche Vegetation und bie würzigen Weiz 
den der Pineta find noch jest berühmt. 

3. 15. Aries fluvialis ift ber Montone, der bei Ravenna 
flieft. Inf. XVI, 94. Keinesweges, wie Orelli annimmt, 
der Po. 

3. 16. Das Bild des Widder wird fortgeführt: er for: 
dert durch fein weiches Vließ das Meer gewiffermaßen auf, ihn 
gu negen, b. h. er fließt bei ber geringen Abdachung des 





Landes fo langfam, bafi bie Zluthen vielfach in fein Bett cin: 
treten. 
3. 26—30. Sd ſprach zu mir felbft: Wenn Tityrus 
fingt, veißt er bie Schafe, bie Böde und bie Rinderbeerden 
bin. Wann aber hat je (weil id in Städten feßhaft ein ſtaͤd⸗ 
tifches Lied fang) bie Venacifhe Flöte Hirtengefang ertönend 
meine Lippe berührt? Dod nun foll er auch mich in ben 
Wäldern als einen Hirten fingend vernehmen. Der Abfluß 
des Gardaſees, des Benacus, fließt unter dem Namen Mincio 
bekanntlich durch Mantua; daher heißt die Hirtenflöte Virgil's 
die Venacifde. — Dionifi erflärt grade umgekehrt, Job. de 
Virgilio babe ſich durch vielfadhes Interpreticen von Virgil'è 
Eklogen die Lippen an jener Hirtenflöte wund gerieben. 

3. 33. Unfer Johannes fpendet dem Dichter Beifall, daB 
er ber Tateinifchen Poefie fich zugewandt. Auf ſolchem Wege 
tonne er der dem Virgil Naͤchſte werden; ja, wenn bie pytha= 
goräifhe Lehre von ber Seelenwanderung begründet fei, babe 
man ihn vieleicht einen zweiten Virgil zu nennen. 

3. 35. Durfte Melibdus Wechſelgeſang mit Dir wagen, 
fo darf auch ich es. Zu kuͤnſtlich fcheint mir bie von Dionifi 
vorgefchlagene Deutung: Es möge mir geftattet fein, fo wie 
Meliböus in Virgil'e fiebenter Ekloge den Eorydon allen An: 
deren vorzieht, fo Dir, Dante, vor allen andern Dichtern den 
Preis zuzuerkennen. 

3. 36. Das ftaubige rauhe Dach, unter dem Dante weilt, 
deutet auf die Armuth Din, deren der Legtere 3. 10 und 86 
feiner Ekloge gedacht. 

3. 38. Ebenfalls von Dante und Florenz ſagt Michel 
Angelo Buonarroti: 

Ingrata patria, e della sua fortuna 
A suo danno nutrice. 

3. 39. Ich vermuthe, biefe Stelle ift vielmebe fo zu 
überfegen: Aus Schonung für Deinen Mopfus laffe ab, bie 
Wangen mit einem Thraͤnenſtrome zu befeuchten; benn dadurch 
quant Du zugleich Dich und ihn. 

10** 


B. 44. Burddweifung auf Dante'6 Ekloge 3. 42 —44. 

3. 46 lautet in ber Handſchrift: Quam visendo tuas 
tegetes miraberis uvas; Dionifi hatte ulvas corrigirt und 
ihm folgt unfere Ueberfegung. Mit Recht aber will Orelli 
den handſchriftlich beglaubigten Tert aufrecht erhalten wiffen: 
Dante wird mit freubigem Erſtaunen (über ihr Wachsthum) 
feine uͤberdeckten Trauben, d. h. feine Rebenlauben, wieberfehen. 

3. 48. Laetitiae spectare potes, zu Deiner Unterbal: 
tung fannft Du ſchauen. 

3. 55. Freilich hatte Dante viel zu vergeffen, follte er 
Rube und Freude finden. Unter bem Wohlgemuthskraut mit 
dem alten Scholiaften die Philofophie, unter dem Mohne bie 
Luft am Studium und unter bem fächelnden Gebùfd (virgulta 
Nabellant) poetifche Fabeln zu verftehen, ift gewiß fein Grund. 

3. 56, 57. Alexis und Gorphon werben wie bei Virgil 
(Bel. 2) zufammengeftellt; doch fo, daß jener fi) hier willig 
von Corydon rufen läßt. 

3. 59. Die dienende, pflanzentunbige Theftylis ift aus 
Virgil (Ed. II, 10) entlehnt, dem fie felbft von Theokrit 
(Zöyl. IT) überliefert war. 

3. 60, 61. Der Knoblauch ſcheint nicht nur ale Würze, 
fondern zugleich als Aleripharmakon beigefügt zu werben, falle 
Melibdus unachtſam ſchaͤdliche Pilze mit eingefammelt haben 

" follte. — Der alte Gloffator läßt es auch bier nidit an Alle: 
gorie fehlen: Die Pilze find ihm die Ausfprüche der alten 
Weiſen, und der Honig in ber naͤchſten Beile bedeutet ihm ben 
Sinn poetifher Fabeln. 

3. 62. Ut comedas apium memorabunt mella susurri: 
Das Summen der Bienen wird Did mahnen, daß Du Honig 
effen mögeft. 

3.63. Xepfel roth und rund gleich Niſa's Wangen. Dem 
Scholiaften find diefe Aepfel ſchon wieder alte Urkunden. 

3. 66. Serta parata tibi: Der Epheu firedit feine Ran: 
ten über den Eingang.der Höhle. Es find Kränze, bie ſchon 
Deiner warten. 


227 


3. 67,08. Die gelehrten Bewohner der Stadt Parrhafia, 
jung und alt, die Dich zu fehen (pervisere, nicht grade mie 
derzufehen) begebren, werben herbeitommen. 

3. 72. Joh. de Virgilio fieht voraus, daß Dante abger 
neigt fein merde, bie leidenfchaftlich guelfifche, von Romeo 
Pepoli, bem reichſten Banfherren feiner Beit, bem Water des 
nachherigen Signore von Bologna, Tabbeo, geleitete, Stadt, 
Bologna, zu befuchen. 

3.73, 74. Daß bie Pinien, die Eichen und die Geſtraͤuche 
nichts Vifes im Schilbe führen, fichert freilich noch nicht vor ‘ 
den Menſchen. 

3. 75. Non hic insidiae, non hic injuria, quantas Esse 
putas. Daf ed an Nadiftellungen und offenen Angriffen nicht 
fehlen werde, räumt ber Schreiber ftillfchweigend ein; es fei 
damit nur nicht fo ſchlimm, als Dante. vieleicht dente. 

3. 80. Mopfus fagt ſich felbft, wie wenig Ausficht fei, 
daß Tityrus feine Ginlabung annehmen werde. Tolas (vgl. 
Birgit Ecl. IT, 57. INT, 76, 79), b. 6. Guido V. Novello, 
Dante'8 ravennatiſcher Gaftfreund, ift voll Wohlwollens und 
ftädtifcher Zeinheit, während Mopfus nur ländliche Gaben gu 
bieten hat. 

3. 82. Die Stelle dürfte mit Orelli fo zu verfteben 
fein: Gegenwärtig (modo) ift feine Höhle zu finden, bie fiche 
rer wäre alè jene Gezelte des Guido, und in der Dante fein 
Saitenfpiel angemeffener ertönen laffen Könnte. 

3. 83, 84. Unter folchen Umftänden wirft er ſich felber 
die gewiß erfolglofe Bitte vor. Das pedibus nova nata 
cupido ift mir nicht verftändlih, da von einer eigenen Reife 
des Johannes nicht bie Rebe ift. 

3. 85—87. Die Liebe frigt nicht nach der Ausfiht auf 
Erfolg. Vol. Virgil Ecl. II, 63—65. 

3. 88, 39. Joh. de Virgilio gibt feine Witte nicht ohne 
einige Ironie auf: Wolan, verachte mich und meine Wuͤnſche; 
dann merde ich meinen Durft an bem Phrygier Muffo (bem 
befannten Glorentiner Dichter Albertino Muffato) zu fil: 


Ten ſuchen. Du millft ja body von biefen Dingen (ber lateinis 
ſchen Poefie, die dir in Bologna bie Dichterkrone gewährt 
hätte) nichts wiffen, und allein aus bem Strome Deiner Alt⸗ 
vorbern trinten. — Nad Dante’s Tobe ſchrieb Johannes in 
der That eine Etloge an Muffato, die big auf une gekommen, 
meines Wiffens aber nur theilmeife gedruckt ift. 

3. 93. Die Eimer voll Milch, alfo die bukoliſchen Verfe, 
die er bem Freunde nad) Ravenna fendet, follen biefem bas 
Brot des Erils, über beffen Härte er fich beſchwert hatte, 
3. 66, erweichen helfen. 

3. 96. Nod zweifelt er, ob dem größeren Dichter Verfe 
zu fenden für den Meineren fid) zieme; doch die Heimkehr der 
Gefährten aus der Stadt fehneibet diefe Bedenken ab. 


Dante'8 zweite EEloge. 


Der alte Gloffator der Efloge des Joh. be Virgilio an 
Abertinus Muffatus berichtet, Dante habe die Antwort auf 
bie vorige Ekloge des Johannes ein Jahr lang anftehen laffen. 
Erſt nad) des Dichters Tode habe deffen Sohn das gegenz 
wärtige Gedicht vorgefunden und dem Freunde feines Waters 
überfandt. . 

Die Fiction des bukoliſchen Gebichtes erweitert Dante in 
diefer zweiten Ekloge infofern, als er, gleich Virgil, die Scene 
nad Sicilien verlegt, und ſich dadurch in den Stand fegt, 
zum Bwede ber beabfichtigten Allegorie die Cyklopenfabel zu 
verwenden. 

3. 1, 2. Velleribus Colchis praepes detectus Eous 
Alipedesque alii pulchrum Titana ferebant. Diefe zwei gei⸗ 
ten überfegt Francesco Perfoni (bei Fraticelli): Schon 
beraubt des goldenen Kolchiſchen Vließes z0g die lichte Sonne 
der flüchtige Cous fammt den andern geflügelten Rennern. 
Ich babe dafür Orelli8 Erklärung fubftituirt, die mir ums 
zweifelhaft die allein richtige ſcheint. 





3.3, 4. Bal. Parad. XXIX, 1 ff. Currigerum can- 
thum — quemque, wörtlich, jeben ber beiben mwagentragenden 
Rabreifen. 

3. 5, 6. Es war bie Beit gleich nach der Mittagsftunde, 
mo bie Hige am hoͤchſten fteiat. — Nur wenn die Sonne höher 
alè 45 Grabe fteht (b. h. für Ravenna, das unter 44'4 Grad 
Breite liegt, auch zu Mittag nur im Sommerhalbjahr), find 
die Schatten ber Gegenftinde kürzer, ala biefe hoch ſind. 

3.7. Alphefibdus if, dem alten Gloffator zufolge, 
der gelehrte Arzt Maeſtro Fibucio be’ Milotti ba Certaldo, 
der damals in Ravenna weilte (vgl. Virgil Ed. VIII). 

3.9. Aud in Anfehung der Vegetation verlegt der Dich⸗ 
ter die Scene nad Sicilien; bei Ravenna bürfte es ſchwer 
fein, einen, mit Linden und Platanen untermifchten Eſchenwald 
zu finden. 

3.10, 11. Birgit Ed. IT, 8, 9 fagt: Nunc etiam 
pecudes umbras et frigora captant, Nunc virides etiam oc- 
cultant spineta lacertas, 

3.12. Tityrus wird ſchon in des Joh. de Virgilio zwei— 
tem Sendſchreiben (3. 33, 42) und hier (vgl. 3. 32, 46, 55, 
61, 64) ala ein Greis gefchildert. Indeß zählte Dante damals 
nur 55—56 Jahre, und fo feheint benn dies angedichtete 
höhere Alter mit zu der poetifchen Identificirung bes Dichters 
mit Tityrus zu gehören, den Virgil wieberkolt (Ecl. I, 47, 
52) Fortunate senex (vgl. hier 3. 55, 61) nennt. 

3.16 ff. Fünf Beifpiele zähle Atphefibdus von dem Prin: 
cipe auf, daß Entfpredhendes das Entfprediende fuche: 1) Die 
Menſchenſeelen, bie zu den Sternen heimkehren. 2) Die Schwäne, 
bie fi) nur auf dem Kayftrus wohl fühlen. 3) Die Geefifche 
die zum Laichen die Flufminbungen fudien. 4) Die Tiger, 
die auf bem Kaufafus und 5) die Schlangen, bie in ben Sands 
wuͤſten meilen. — Daß die Seele des Menſchen von ben Ster⸗ 
nen nieberfteige und zu ihnen zurüctehre, ift eine Meinung, 
die Dante bem Aphefibdus in den Mund legt, aber felbft 
verwirft. Par. IV, 49 ff. 





3. 18. Non illo plura Cayster Carmina cygnorum la- 
bentibus audit in undis. Ovid Metamorph, V, 386. 

3.20. Wie ſchon angedeutet, verftehe ich dieſe Stelle von 
dem Triebe, in Folge beffen die Fiſche des Meeres die hohe 
See verlaffen, um an dem Ausfluß der Ströme zu laichen 

3. 21. Duris genuit te cautibus horrens Caucasus, 
Hyrcanaeque admorunt ubera tigres. Virgil Aen. IV, 366. 

" 3.27. Wenn mehre Cyklopen genannt werben, fo ift dar 
unter wol bie ganze Familie ber Pepoli, in deren Gchuse 
Joh. de Mirgilio lebte, zu verftehen. Der Xetna bezeichnet 
den, im Süben, nahe von Bologna, ſich erbebenden Apennin. 

3.28. Nun erft kehrt Perini mit Johannes Briefe gue 
rùd; doch deutet feine Athemiofigleit an, welch ein eifriger 
Vote er gewefen. _ 

3. 30. Die Greife lachen, daß auch ein Iiingerer, glei 
ihnen, außer Athem fommt: Irrisere senes juvenilia guttura. 

8. 31. gl. Virgil Aen. V, 200 ff. 209 ff. 

3.33. Tityrus, ber fi) inzwifhen (vgl. 3: 15) gela: 
gert hat. 

3. 34. 3u jung, daß Du fo übermäßig geeilt haft. 

3. 36 ff. Meliböus überbringt den Brief des Mopfus 
nicht gefchrieben, er recitirt ober fingt ibn auch nicht etwa; 
fondern wie er in die Hirtenflöte bläft, ertonen aus ibr von 
felbft die Verfe des Johannes. 

3. 42. Hätte Meliböus noch brei Hauche hinzugefügt, 
fo würben Hundert Verfe erflungen fein und bie ftummen Sir: 
ten erfreut haben. Aber das Sendſchreiben des Johannes hatte 
nur 97 Zeiten. i 

Nach 3. 43 fege id einen Punkt. 3. 44 heißt alsbann: 
Tityrus batte e8 vernommen, und mit ibm Alphefiböus. Die 
ganze Stelle würbe ich fo miebergeben: 

und hätte Melibdus dreimal noch 

Ins Rohr gebaudt, hätt’ er die ftummen Hirten 

Erfreut mit hundert Verfen. — Tityrus 

Vernahm bas Lied — mit ibm Alphefibdus. 





» 231 


Und dieſer ſprach, gewandt & Tityrus 
Das warnungsvoile Wort: Chrwürd’ger Greis u. ſ. wm. 

3. 46. Das Pelorum bezeichnet die fruchtbare Nordoſt⸗ 
fpige Siciliens, im Gegenfag der Zelfenhöhen des Aetna. Auf⸗ 
fallend ift, daß Dante fich felbft venerande senex und 3. 86 
illustre caput nennen läßt. 

3. AT. Daß der Cyklop, ober wie er fpäter fpeciell ger 
nannt wird, Polyphem, Romeo bei Pepoli bedeute, ift 

ſchon erwähnt. Bemerkenswerth und zu verwundern ift dabei, 

daß Romeo, bem Dante ſich hier fo feindlich zeigt, zur ghi: 
beflinifchen Partei binneigte. Giov. Villani IX, 132. Leo, 
Geſchichte von Italien, IV, 88, 475, 76. Tropa Veltro 
p- 179, 80. 

3.48. Dante ift fo entſchieden im Ablehnen, daß dadurch 
die Ginlabung faft als eine Thorheit bargeftellt wird. 

3.49. Alpheſibdus entſchuldigt fi, daß er an die Möge 
lichkeit ber Annahme glauben Eonnte. Wie burd) ein Wunder 
fei bie Hirtenflöte bei Meliböus’ Hauche von felbft in Worten 
erFlungen (mas ber alte Gloffator von ber Leichtigkeit deutet, 
mit ber Johannes bie bukoliſche Dichtung fich angeeignet). Das 
fei Grund genug, durch folche Bauberklänge ſich verloden zu 
laſſen. 

3. 51—53. i 

Rohre fprießen hervor, und raufchen und lifpeln im Winde: 
Midas! Midas, der Fürft, trägt ein verlängertes Ohr. 
Goethe 

3. 53. Nachdem Midas reuevoll feine Schuld bekannt, 
gebot ihm Bacchus, zur Löfung des Bauber8, ber, was der 
König berührte, in Gold wandelte, fidi in der Quelle des 
Pattolus zu baden. Er gehorchte bem Befehl, und feitdem iſt 
der Sand des Fluſſes goldhaltig. 

Rex jussae succedit aquae; vis aurea tinxit 

Flumen, et humano de corpore cessit in amnem. 

Nune quogue jam veteris percepto semine venae 

Arva rigent, auro madidis pallentia glebis. 

O vid Metam XI, 143. 


3. 54. Aetnaeo pumice, bie vulfanifchen Auswürfe bes 
Aetna. 

3. 58 pejora timentes, daß Polyphem Dir nad) dem Le⸗ 
ben tradite. Ù 

3. 59. Et cadet invidia, quam nunc habet ipse Pachy- 
nus, Ueber diefe fehwierige Zeile finde ich nirgends eine Er 
tlaͤrung. Id vermuthe, Alpheſibdus will jagen: geſchaͤhe, was 
ich befürchte, daß Dir in Bologna bas Leben genommen würbe, 
fo würde ber Neid aller Deiner jegigen Wiberfacher verftum: 
men. Padynum ift bekanntlich die Stibfpige von Sicilien, 
und man fann babei entweder überhaupt an ben Süben von 
Italien, d. b. an den, Dante feindlichen, König Robert von 
Neapel, oder an Sicilien felbft, d.h. an König Friedrich den: 
ten, der zwar Ghibelline war, aber von Dante gering gefchägt 
ward. Purg. VII, 119, 20. Par. XIX, 130. XX, 63. 

.8. 62. Aud) da vivax nomen gehört zu ben Bezeichnun⸗ 
gen, bie oben, zu 3. 46 auffallend genannt wurden. 

3.63. Anrede an Alpheſibdus: Du haft e8 um mid ver: 
dient, daß ich Dich bie beffere Hälfte meines Selbft nenne. 

3. 65. Durch unfere gemeinfame Verebrung für bie 
Mufen ift Mopfus in gleicher Liebe mit mir verbunden. Die 
Mufen werben hier ale Diejenigen bezeichnet, bie dem in vers 
kehrter Begier entbrennenden Ppreneus, der burch arge Lift fie 
bändigen und gefangen halten wollte, ſcheu entflohen. 

dinque pe claudit sua tecta Pyreneus, al 

'imque parat, quam nos (Musae) sumptis effugimus alis. 

Ipse Bechturo Als pata — 
Quaque via est vobis, erit et mihi, dixit, eadem. 
Seque jacit vecors e summo culmine turris, 

Ovib Metam, V, 287 sq. 

3. 66. Pyreneum ift breifplbig zu lefen, und wol beffer 
Pyrenum zu fehreiben. 

3. 67 — 72. Mir fcheinen biefe Zeilen nah Orelti’s 
Deutung, welcher nunmehr auch die Ueberfegung entfpricht, 
verftanden werben zu müflen: Johannes be Virgilio ruft 


_ 233 

mic) nad) Bologna, als ob nur dort ber Dichter heimatliche 
Luft athme, nur dort Arkadien, nur bort Theokrit's Sicilien 
fei. Er verfegt das, bem Eridanus rechts und bem Rubicon 
linfa gelegene, Land, wo ich am dftlichen Ende der Romagna 
nächft dem adriatifchen Meere wohne, in das Gebiet der Bars 
baren. Aber er weiß nicht, daß das wahre Trinakrien ba ift, 
mo wir Beibe in unvertimmerter Mufe ben Stubien und ber 
Poeſie Leben. 

3. 73. Obgleich mein grünes Pelorum, bie jungkräftige 
Voltkspoeſie, der meine Gedichte den Lebensathem eingehaucht, 
taufendmal mehr werth ift, alè die ausgebrannte Schlade las 
teinifcher Verstinftelei; bie Johannes mir aufbringen will, fo 
würde ich ibm befuchen, wenn nicht Polyphem-Romeo wäre. 

3. 76 ff. Ob unter biefer Anfpielung auf die Zabel 
(Ovid Metam, XII, 739-898) geſchichtliche Thatfachen vers 
ſteckt fein follen, weiß ich nicht anzugeben. Man könnte bei 
3. 80, 81 an Gewaltftreiche gegen bie eigenen Parteigenoffen 
denten. 

3. 82. Ahämenibes ift der am Cyklopenſtrande zus 
ruͤckgebliebene Gefährte bes Odyſſeus, mit bem Virgil (Aen. 
IM, 59—681) den Aeneas zufammentreffen läßt. Genauer 
malt deffen hier gefchilberte Tobesangft Ovid Metam, XIV, 
160 — 220. 

3.85. Die Najabe bürfte eher die der Savena, als, wie 
der alte Gloffator will, die Stadt Bologna fein. 

8. 86, 87 in alta Virgine fagt Dante ſehr Eühn für den 
ſchlanken Lorbeerbaum, weil Daphne ewig Jungfrau zu bleiben 
gelobt hatte. Ovid Metam, I, 486, 87. — 3. 87 erinnert 
an Ovid 565: perpetuos semper gere frondis honores. 

3. 89. Verba gregis magni tacitus concepit alumni. 
Drelli erlärt wol richtig: Tityrus erfannte, daß diefe Worte 
des Schüler die ber großen Heerde waren, b. h. mit ben 
Wuͤnſchen aller Freunde des Dichters übereinftimmten. 

3. 90 jugales: bag Viergefpann der Sonnenpferbe. 





234 

3. 91. Die Schatten find nun viel länger als bie Gegen: 
fände, vgl. 3. 5, 6. 

3.92. Virgiferi, die Ruthenträger, für: bie beiden Hirten. 

3. 96. Dante fällt aus der Rolle, indem er. ſich (bem 
fingirten Tityrus) von Jolas das Geſpraͤch bes Tityrus er: 
adblen läßt. 

3. 97 poimus wir haben es Dir gebichtet: eine untundige 
Radbilbung von moroier, ungefäht wie bas befannte ento- 
mata Purg. X, 128. Bergl. über jenes Wort Voccaccio 
Comento all’ Inf. I, 73. 








Anbangs 


Um den Raum, ber am Ende des Bogens übrig bleibt, 
nicht ungenugt zu laffen, füge id noch den &. 57, 59 und 
117 bereit8 erwähnten und big jegt ungebrudten Brief bei, 
der über bie Entftehung der zehnten Canzone berichtet. 

‚Here Dr. Th. Heyfe in Rom hatte ſchon im Fabre 1837 
die Güte gehabt, fid auf meine Bitte umfaffenden Nachforſchun⸗ 
gen nach Dante betreffenden Manufcripten in ber Baticanifchen Bir 
Bliothet bereitwillig zu unterziehen. Hierbei gab er mic Notiz von 
der Vatic. = Palatinifhen Handſchr. No. 1729, welche unter An: 
dern eine Anzahl von Briefen unfers Dichters enthält, und un: 
terzog fich demnaͤchſt mit eben fo viel Gefälligkeit als Sad: 
kunde der Abſchrift. Hierauf gab ih in No. 149 —51 ter 
Blätter für literarifche Unterhaltung 1839 Nachricht von biefem 
wichtigen Zunde und Auszüge aus ben Briefen felbft. Diefer 
Auffag wurde fobann ins Franzoͤſiſche und aus biefer Sprache 
ins Italienifche überfegt, in welcher Geftalt ibn Fraticelli fe 
ner Ausgabe ber Opere minori Vol. III, p. 2. Flor. 1840 p. 165 
— 98 einverleibt hat *). 


*) Mit Unreht meint Braticelli in ber Anmerkung gu ©. 
1,— 81, die Behauptung, daß Dante die Hölle fräheftend im 


x — 235 


An jenem Orte habe ich nachzumeifen geſucht, daß der 
vorliegende Brief nach den verunglücten Verſuchen der ver 
triebenen Weißen, mit Waffengewalt nach Florenz zuruͤczu⸗ 
ehren (1304), nad) der Einnahme des ghibellinifchen Piftoja 
(1306) und nad bem Gapitanat des Marcello in biefer 
Stadt (1307); ja felbft nach dem Ausbruch der Mifhelligkeis 
ten zwifchen Marcello und den Blorentinern (1308), aber vor 
dem Beginn bes Römerzuges Heinrich’ VII., daß er alfo ver: 
muthlich im Fabre 1309 heſchrieben if. Unter den verſchiede⸗ 
nen Malafpina"8, die ben Namen Maroello geführt haben, 
wurde der Mardefe di Giovagallo, Sohn des Man: 
fredi Lancia und Enkel bes Gurrabo l'Antico (Purg 
VIIL 119.), Gemahl der Alagia Fieſchi (Purg. XIX.142), 
mit einem Worte der berühmtefte Maroello, als Derjenige, an 
den diefer Brief gerichtet war, bezeichnet, und angenommen, 
er fei von einer ber Burgen der Grafen Guidi von Rome⸗ 
na, vielleicht von ber dea Grafen Guido Salvatico im 
Gafentino geſchrieben. 

Der Brief nun lautet alfo: 

Dantes Domino Maroello, Marchioni Malaspinae. 
Nelateant dominum vincula servi sui,,quem affectus gratui- 
tae generositatis dominantis servum reddiderat ‘), et ne alia 
relata pro aliis, quae falsarum opinionum seminaria frequen- 
tius esse solent, negligentem praedicent carceratum, ad con- 
spectum Magnificentiae vestrae praesentis oraculi ) seriem 


Sabre 1314 vollendet babe, fei von mir ohne Angabe eined geni: 
genden Grunbe8 aufgeftellt, und erft der Umerifaner Henry Wil: 
de Habe das allein erhebliche, aus Inf. XIX.97 entlebate, Argument 
hervorgehoben. Gerade dieſe Stelle aber ift ed, auf welde allein 
id) in meinem, Sraticelli wohlbefannten, Xuffage Antologia LXIX. 
p. 57. jene Meinung ftügte. In eben biefer Beitfdhrift LXX1. LXXII. 
p. 274 —81 hat auch Gabriel Pepe bereits im Mefentlichen bier 
felben ungenügenden Gegenargumente geltend gemacht, wie jegt 
Featiceli. 

1) In ber Honbfdr.: affeetus grataltatis dominantis. 

2) Wielleicht oratianenlae ? 


placuit destinare. Igitur mihi a limine, suspiratae *) postea, 
curiae separato (in qua, velut sub admiratione vidistis, fas 
fuit sequi libertatis officia), quum primum pedes juxta Sar- 
ni *) fiuenta securus et incautus defigerem, subito, heu! mu- 
lier, ceu fulgur descendens 5), apparuit, nescio quomodo, 
meis auspiciis, undique moribus et forma conformis. Oh 
quantum in ejus apparitione obstupui! Sed stupor subse- 
quentis tonitrui *) terrore cessavit. Nam sicut diurnis cor- 
ruscationibus illico succedunt tonitrua 7), sic inspecta flam- 
ma pulchritudinis hujus, Amor terribilis et imperiosus me 
tenuit 8). Atque hic ferox, tanquam dominus pulsus a patria, 
post longum exilium sola în sua repatrians, quidquid ei ꝰ) con- 
trarium fuerat intra me, veloccidit, vel expulit, vel ligavit 19). 
Occidit ergo propositum illud laudabile, quo a mulieribus 
suisque !') cantibus abstinebam, ac meditationes assiduas, 
quibus tam coelestia, quam terrestri intuebar, quasi su- 
spectas, impie relegavit; et denique, ne contra se amplius 
anima rebellaret, liberum meum ligavit arbitrium, ut non 
quo ego, sed quo ille vult, me verti oporteat !°). Regnat 
itaque Amor in.me; qualiterque me regat, inferius, extra 
sinum praesentium 1%), requiratis. 





3) Handſchr. suspirare. 

4) So nennt Dante immer ben Arno lateiniſch, 3. B. Bel, 1. 
Ver 44. — Nella vallo del fiume, Lungo jl qual sempre sopra 
me vel forte heißt e8 in ber Canzone. 

5) In der Gangone: Il fiero lume, che folgorando fa via alla morte. 

6) Ein aud) bei andern Schriftſtellern ſchlechter Latinitàt vors 
tommente Soldcismud. 

7) In der Ganz.: quel tuono, che mi giunso addosso. 

8) In der Ganz.:.. la riguarda, e... s'adira, Ch’ ha fatto il 
fuoco ov'ella trista incende. 

9) Handför. enim. 

10) In ber Ganz.: La nemica figura, che rimane Vittoriosa e 
fera, E signoreggia la virtù che vuole. 

11) Handfr. suis. Man Könnte auch Iefen; mela In cantibue, 
ober a mulfebribus cantibus. (tie © enfe vorfelägt) 

12) Nämlich; in der beigefügten Canzone. 








‚231 


Ueber biefen Brief ſchrieb mir Here Dr. Heyfe, der mei: 
nen obenerwähnten Auffag nicht zu Geficht bekommen batte, 
am 21. Nov. 1840. von Rom aus Folgendes: 

„Der Brief an Marcello Malafpina ift gewiß ein ſchoͤ— 
ner Fund und macht mir befondere Freude. Cin Herzeng: 
ftänbniß an einen vertrauten Freund, aber ein Geftändniß im 
Styl dea Dante. Was gewöhnliche Seelen nur wie vorüberz 
ftreifend berühren würbe, faft und erfüllt hier ben ganzen 
Menfchen, verſchlingt für den Augenblick alle feine Kräfte. 
Und wie er e8 empfangen, wirft der Spiegel feines Geiftes das 
Erlebnif in zauberhaft großen Formen, ja mitBlig und Flam⸗ 
men zurüd. Er fann nicht erzählen, er Tann nur dichten; 
unwiltüriih wird ihm die Bekanntſchaft zur Crfcheinung. 
Aber je poetifcher und fublimer fein Bericht, defto wirklicher 
mußte ber Anlaß fein, und thöricht wär’ ed, obwohl ganz im 
Sinne der italienifchen Ausleger, auch hier eine, ich weiß nicht 
welche, Allegorie vorauszufegen. Dante war nicht der Mann, 
fi erft aus dem Stegreife in ein Gefpenft feiner Phantafie 
zu verlieben, und hernach noch einen guten Freund zu myſti— 
fieiren, bem er eine Zahl Gedichte ale lebendige Zeugen feiner 
Seibenfehaft fenbet. . 

Daf von Beatrice hier nicht die Rebe fein Tann, und 
daß jene Gebichte, welche den Brief begleiteten, nicht etwa 
Theile der göttlichen Komödie waren, verfteht ſich wohl. Es 
erhellt aus der Schilderung felbft, aus dem Verhaͤltniß feiner 
Liebe zu ben Studien, dem fonftigen Thun und Denken des 
Dichters, gue Genüge auch für diejenigen, die Boccaccio's Erz 
adblung bezweifeln möchten, zufolge welcher erft fünf Fabre nach 
Dante'8 Verbannung bie fieben erften Gefänge der Hölle, gue 
fällig aufgefunden, von Madonna Gemma an eben diefen Mas 
roello gefchidt wurden, wo ber Autor gerade vermeilte. 

Wir dürfen nicht zweifeln: biefe fhönheitftrahlende Frau 
(mulier ceu fulgur descendens, undique moribus et forma 
conformis) war ungeachtet ihrer Gewalt und Herrlichkeit nicht 
mehr und nicht minder alè eine jener immagini false, deren 





238 


Verehrung Dante am Eingang bed Parabiefes vor der befeli: 
genden Liebe feines Geifte8 abzubüßen hatte; unb all die Leis 
denfchaft und Inbrunft, womit er dies Bild umfaßt, der bes 
geifterte Schwung feiner Rebe wird uns nur den Commentar 
liefern önnen zu feinen eigenen firengen, ſchoͤnen Worten: 

Ma tanto più maligno e più silvestro 

Si fal terren col mal seme, e non colto, 

Quant? egli ha più di bwon vigor terrestro. 

Nun wifiten wir gern das Nähere von Wann und Wo? 
Meine Handſchrift laͤßt den Dichter ad fiuenta Sarni wandeln 
(securum et incautum, faft wie Horaz, ba er Lalagen fang). 
Dies Flüßchen kannte Dante gewiß nicht allein aus feinem Vir: 
gil und Lucan; benn, wenn wir Filelfo glauben, ber es wohl 
wiffen Eonnte, fo hatten zwei Gefanbtfchaftsreifen ihn nad) Neo: 
pel geführt, qua rigat aequora Sarnus, Auch ſcheint mir an 
fi) weder ein geſchichtlicher, noch innerer Grund der Annah⸗ 
me entgegen zu ftehen, baß auch unfern Dichter ein Sirenen 
lied (movor ihn Beatrice vermarnet: Udendo le Sirene sie 
più forte) an bem nämlichen Ufer entzückt babe, wo es ehebem 
den fabulofen Griechen zu Obren fam. In biefem Falle wäre 
ich geneigt, die Worte libertatis officia sequi auf die Ge 
ſandtſchaft zu deuten, ein nicht unglüdticher Ausbrud im Ge 
genfag feiner bisherigen Staatsbemühungen, welche ihn in Flos 
renz · gleichfam eingepfercht hielten (velut sepe). Der Brief 
fiele ungefähr um das Jahr 1296. — Aber anbrerfeità liegt die 
Verwechslung von Sarnus und Arnus wiederum gar zu nahe. 
Sie begegnete nicht bloß dem Orosius, (oder vielmehr deffen 
Abfchreibern), fondern, was wichtiger ift, unferm Gopiften felbft 
an andern unzweifelhaften Stellen. Den Brief an Raifer Dein: 
rid) unterfhreibt er: in finibus Tusciae sub fonte Sarni. Und 
damit Niemand bier auf ben Einfall fomme, durch andere Ab⸗ 
teilung: sub fontes Arni, auf Koften ber Latinitdt bes Brief: 
ſtellers den Abſchreiber in Schug zu nehmen”), ſchrieb er ſchon 


*) Nod eine Ledart, bie Taseia in Toscanella ıc. verwandelt, 
ift ein leeres Misverfländniß . 





vorher im Briefe felber, wo Feinerlei Rettung für ihn bleibt: 
verum Sarni fiuenta torrentis adhuc rictus ejus infitiunt et 
Florentiam forte nescis etc. Befremden mag es freilich, daß 
cin Gopift, aus Montepulciano gebürtig, und in Perugia (1398) 
fhreibend, den Arno zum Sarno machen Eonnte; — aber am 
Ende, was Tann nicht ein Gopift? Genug für und, wenn aus 
dem Obigen mehr als wahrfcheinlich geworben, daß die Heldin 
und Göttin des Briefes eine oskaniſche Schönheit war.” — 





Berihtigungen und Zufäge. 


© 18 Belle 13 ftatt Leigh lies. Spell 

ft. in Fagli 1. in Fagli 
. fere I. fece 
. l’attre L l'altre 
. lascicito I. lasciato 
. leiden I. leiten 
der vita nuova I. deö convito 
u. ft. biete I. bietet 
Comenedia 1. anna fügen! 
u. hinter 37 ift hinzuzufügen: Tropa 
o Me 37 | p. [raue ’ 
das Gitat des Tropa ift gu ſtreichen 
$raticetli Poesie di Dante p. LXXI. fügt 
nod) 7) eine Vologneferin hinzu. 
v. u. ft. Danto I. Dante 
v 





Sao 


3 v. u. a auch Fraticelli zu Dante's 

Briefen p. 184, 85. 

— 75 — A4v.u fl Tottile L sottile. 

— 79 — 13 fi. einem. einen 

— 82 — 11 ft. Tugend L Tugenden 

— 9 u. 97 find die Worte: „Die Schlußzeile — deuten” 
u ftreichen. 

— 101 3eile u Meinung I. Meinung nad) 

— 104 — Moi ¶ zu fireihen 

— 110 — 38 Iv. Lv. 

— 115 — 20 ft. für 1. fat 

— 16 — 3 ft. andere I andrer 


se. 
— 139 


— 205 


240 





118 Zeile 1 ft. au L. auf 
134 — 


13 find die Worte quanto ne gu ftreichen. 
15 ft. Templer L Albigenfer 

6 v. u. Vgl. Sonett 43 

12 ft. miocor I. mio cor 
20 ft. chiama [. chiamo 

4 Ygl. oben S. 119 

lv. u. ft. ihr L ftets 

8 ft. ftatt I. oder 

19 ft. werden L wird 

5 gu Quart. 2. 3. 3 vgl. Par. XXV. 5. 


14111111461 


— 212 Ueber Einleitungsverſe zu dem Glauben, bie ſich in 


den alten Ausgaben dieſes Gedichtes finden, 
und eine ähnliche Serähtung enthalten, bes 
richtet Guill. Libri Histoire des sciences 
mathematiques en Italie. II. 171. 


— 222 Zeile 11 v. u. Die mundi circumflua corpora will 


Fraticelli p. CKXXI, ſicher mit Unrecht, 
von ben Planeten erklären 





Drud von F. A. Brodhaus in Leipzig. 


Digtize 


„Google 


Ber Google 


Ber Google 


Ber Google