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Full text of "Das Buch bei den Griechen und Römern"

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DBÜCHER  DER  STAAT- 
;HEN  MUSEEN  zu  BERLIN  I 


WILHELM  SCHUBART 

DAS  BUCH 

BEI  DEN  GRIECHEN 

UND  RÖMERN 


n^ 


HANDBÜCHER  DER  STAAT- 
LICHEN  MUSEEN  ZU  BERLIN 

WILHELM  SCHUBART 

DAS  BUCH 

BEI  DEN  GRIECHEN 

UND  RÖMERN 

ZWEITE  UMGEARBEITETE  AUFLAGE 
MIT  39  ABBILDUNGEN  IM  TEXT 


523471 


BERLIN  UND  LEIPZIG  1921 

BEREINIGUNG  WISSENSCHAFTLICHER  VERLEGER 
WALTER  DE  GRUYTE«  &  CO. 


Druck  der  Vereinigung  wissensciiaftlicher  Verleger  Walter  de  Gruyter  &  Co.,  Berlin  W.  10. 


I 


Vorwort.  • 

Der  zweiten  Auflage  dieses  Buches  möchte  ich  zunächst 
vorausschicken,  was  ich  zur  ersten  gesagt  habe:  es  kommt 
mir  hier  auf  das  Buch  der  griechisch-römischen  Kulturwelt  an, 
sodaß  der  Orient,  insbesondere  das  alte  Ägypten,  nur  helfend 
und  ergänzend  eintritt.  Soweit  es  möglich  ist,  nach  unten  eine 
Grenze  zu  ziehen,  darf  sie  etwa  um  400  n.  Chr.  angesetzt  werden ; 
das  Buchwesen  des  Mittelalters  dient  nur  zum  klärenden 
Vergleiche.  Ziel  meiner  Darstellung  ist  nicht  die  Geschichte 
des  Buchs,  sondern   die  Schilderung   seiner   Beschaffenheit. 

Außer  den  schon  früher  genannten  Werken  von  Birt, 
Dziatzko  und  Haenny  hebe  ich  diesmal  mit  Dank  Birts 
Buch  über  die  Buchrolle  in  der  Kunst,  Gardthausens  Grie- 
chischePaläographie-  Band  I  und  Thompson,  An  Introduction 
to  Greek  and  Latin  Palaeography  hervor.  Andere  Bücher 
und  Aufsätze,  die  mich  belehrt  haben,  werden  an  geeigneter 
Stelle  angeführt  werden.  Durch  wertwolle  briefliche  Bemer- 
kungen hat  mich  Fr.  Zucker  freundschaftlich  gefördert.  Das 
Sachregister  verdanke  ich  meiner  Frau. 

Anschauung  bietet  dem  Leser  nicht  nur  die  vermehrte 
Zahl  der  Bilder  in  der  neuen  Auflage,  sondern  auch  manches 
andere  Buch;  die  Papyruspublikationen,  vor  allem  die  Oxy- 
rhynchus-Papyri,  bringen  viel  Abbildungen  literarischerPapyri, 
am  bequemsten  zugänglich  sind  vielleicht  meine  Papyri 
Graecae  Berolinenses.  Außerdem  sind  in  der  Papyrusaus- 
stellung des  Berliner  Museums  (Neues  Museum)  Schreibgerät 
und  Buchhandschriften  in  Originalen  zu  sehen.  Ein  Verzeichnis 
aller  literarischen  Papyri  bis  1918  enthält  das  20.  Kapitel 
meiner  P'.inführung  in  die  Papyruskunde. 

Um  berechtigten  Wünschen  zu  entsprechen,  gebe  ich  in 
einem  Anhange  eine  Reihe  einzelner  Bemerkungen  und 
Nachweise,  die  dem  Fachmann  willkommen  sein  mögen; 
vollständig  können  und  sollen  sie  nicht  sein,  weil  dies  Buch 
weder  für  Stoffsammlung  noch  für  wissenschaftliche  Aus- 
einandersetzung bestimmt  ist. 

Berlin-Steglitz. 

W.  Schubart. 


ERSTES  KAPITEL. 
DAS  SCHREIBMATERIAL. 

Die  Urteile,  die  wir  über  ein  Buch  zu  fällen  und  zu  hören 
gewohnt  sind,  gelten  bald  seinem  Inhalte,  bald  seiner 
äußeren  Gestalt;  und  oft  genug  haben  wir  beide  im  Auge, 
wenn  wir  ein  Buch  gut  oder  schön,  alt  oder  neu,  groß  oder 
klein  nennen.  Eine  Gedankenreihe  hat  ebensowenig  An- 
spruch, ein  Buch  zu  heißen,  wie  eine  Sammlung  leeren 
Schreibmaterials;  erst  durch  ihre  Vereinigung  entsteht  das 
Buch.  Gewiß  regiert  in  diesem  Bunde  der  Geist  und  schafft, 
was  er  will  und  muß,  ohne  nach  der  äußeren  Form  zu  fragen. 
Wichtig  aber  wird  sie  für  den  Empfänger  des  Gedankens,  den 
Leser,  auf  den  der  Gedanke  in  einem  bestimmten  Gewand  ein- 
wirkt. Deshalb  wird  uns  die  äußere  Gestalt  des  Buches, 
seine  Herstellung  und  Einrichtung,  überall  da  besonders  be- 
deutungsvoll und  lehrreich  sein,  wo  sie  wesentlich  von  den 
uns  geläufigen  Formen  sich  unterscheidet;  zumal  um  die 
Wirkung  einer  fnmden,  vor  Jahrhunderten  oder  gar  Jahr- 
tausenden entstandenen  Literatur  richtig  zu  schätzen,  um 
die  Werke  der  griechischen  und  römischen  Schriftsteller  mit 
den  Augen  ihrer  Zeitgenossen  zu  lesen,  bedürfen  wir  auch 
eines  Einblicks  in  die  längst  vergangenen  technischen  Be- 
dingungen ihres  Entstehens. 

Das  Buch  der  Griechen  und  Römer  nach  seiner  äußeren 
Gestalt  und  nach  seiner  inneren  Einrichtung  wird  nur  dann 
verständlich  und  anschaulich,  wenn  man  sich  von  den  Voraus- 
setzungen der  Niederschrift,  vom  Schreibmaterial  im 
weitesten  Sinne,  eine  Vorstellung  gebildet  hat.  Mit  diesem 
allgemeinen  Ausdrucke  soll  alles  das  umfaßt  werden,  was 
zum  Schreiben  erforderlich  ist,  der  die  Schrift  tragende  Stoff 
sowohl  wie  das  Schreibgerät,  soweit  sie  in  Verbindung  mit 
der  Buchtechnik  stehen.  Daher  geht  uns  zwar  der  Griffel, 
der  das  Metall  ritzt,  samt  der  mit  Schrift  bedeckten  Metall- 
platte noch  etwas  an,  nicht  aber  der  Marmor,  der  eine  In- 
schrift trägt,  noch  der  Meißel  des  Steinmetzen. 

S  c  h  u  b  a  r  t ,   Das  Buch.     2.  Aufl.  I 


2  Erstes  Kapitel. 

I.  Die  Anfänge.    Über  die  Anfänge  des  Schreibwesens 
der  Alten  haben  die  Schriftsteller,  voran  der  Altertumsforscher 
Varro,  im  Grunde  nicht  gar  viel  gewußt.  Denn  was  sie  davon 
erzählen,   klingt  unbestimmt  und  ist  nur    selten   charakte- 
ristisch.  Palmblätter  und  Baumbast  sollen  im  Gebrauch 
gewesen  sein:  für  besondere  Fälle  ist  die  Sitte,  Blätter  zu  be- 
schreiben, sowohl  in  Athen  als  auch  in  Syrakus  bezeugt,  und 
der  Bast  der  Linde  wird  öfters  erwähnt.    Dies  alles  erscheint 
ganz  glaublich,  wenn  man  bedenkt,  wie  lange  sich  solches 
Schreibmaterial  im  Orient,  z.  B.  in  Indien,  erhalten  hat.  Hier 
sind  es  schmale,  rechtwinkhg  zugeschnittene  Streifen,  die  an 
mehreren  Stellen  durchlöchert,  auf  einander  gelegt  und  mit 
Fäden  verknüpft  werden;  die  Schrift  wird  entweder  mit  der 
Rohrfeder    aufgetragen    oder    mit    dem  MetallgrifTel  einge- 
ritzt.     Das  griechische  Wort   byblos    und  das   lateinische 
liber,   die  beide  ganz  allgemein  die  Bedeutung  »Buch«  ge- 
wonnen haben,  bezeichnen  ursprünglich  den  Baumbast  und 
weisen  damit  auf  eine  ältere  Stufe  zurück,  die  allerdings  wohl 
völlig  überwunden  war,  als  Varro  darüber  schrieb.    Dagegen 
kann  ihm  beschriebene  Leinwand  wirklich  vor  Augen  ge- 
kommen sein.      An   sich   ist   auch   ein   gewebter    Stoff   für 
schriftliche  Aufzeichnungen  geeignet;  die  Ägypter  haben  be- 
sonders die  Leinwandbinden  der  Mumien  gern  beschrieben, 
und  in  Hinterindien  hat  man  bis  in  die  neueste  Zeit  auf  große 
schwarze  Baumwollrollen   die  Schrift  mit  einem  kreideähn- 
lichen Stift   weiß  aufgesetzt.     Die  Parther  sollen  sogar  die 
Schrift  eingewebt  haben,    ein  Verfahren,  das  man  nur  bei 
weitester  Ausdehnung  des  Begriffes  noch  schreiben   nennen 
kann.   Überdies  gibt  es  gerade  für  Varros  Heimatland  Italien 
noch  brauchbare  Zeugnisse;  mag  es  ein  Zufall  sein,  daß  die 
längste  erhaltene  etruskische  Inschrift  auf  einem  Leinwand- 
streifen steht,   so   dürfen   wir  wirkliche   Kenntnis  bei   dem 
Geschichtschreiber  Livius  und  seinem  Gewährsmanne,  dem 
alten  Chronisten  Licinius  Macer,  vermuten.     Er  erzählt,  im 
Tempel  der  Moneta  seien    leinene    Bücher    aufgefunden 
worden,    und    zwar    Bücher    der    Behörden,    also    amtliche 
Schriftstücke  aus  alter  Zeit.     Ebenso  läßt  er  bei  den  Sam- 
niten  einen  vornehmen  Priester  aus  einem  alten  Leinenbuche 
vorlesen.    Auch  Kaiser  Augustus  entdeckte  nach  Livius  ein 
Leinwandbuch,  als  er  einen  verfallenen  Tempel  des  Jupiter 
herstellen  ließ.   Und  fast  300  Jahre  später  soll  Kaiser  Aurelian 
sein    amtliches   Tagebuch   in   Leinenbüchern   haben   führen 
lassen. 

Es  sind  gerade  römische  Schriftsteller,  die  von  der  Lein- 
wand als  Beschreibstoff  reden.  Sie  äußern  sich  zwar  ganz 
allgemein,  aber  die  Vermutung  hegt  nahe,  daß  ihre  Notizen 
auf  solchen  Nachrichten  beruhen,  wie  sie  Livius  dem  Werke 


Das  Schreibmaterial.  3 

des  Licirius  Macer  entnommen  hat,  und  sich  im  besonderen 
auf  ItaHen  beziehen.  Wenn  also  Varro,  der  Gewährsmann 
des  Plinius,  wenn  später  der  Jurist  ülpian  von  Leinwand- 
rollen spricht,  so  darf  man  zuerst  an  italische  und  römische 
Verhältnisse  denken  und  sich  die  altrömischen  Aufzeichnun- 
gen rechtlichen  und  kirchlichen  Inhalts,  die  oft  erwähnt 
werden,  mit  einem  gewissen  Recht  als  Leinwandrollen  vor- 
stellen, ohne  den  Griechen  das  Leinenbuch  völlig  abzu- 
sprechen. 

F  eilich  können  wir  heute  nicht  mehr  sicher  scheiden, 
was  jenen  Schriftstellern  noch  durch  den  Augenschein  bekannt 
war   und   was   sie  einer  eingewurzelten   Überlieferung  ent- 


Abb.  1.    Arabische  Schrift  in  Seide  auf  Leinwand  gestickt. 

nahmen.  So  gut  wie  wir  können  auch  sie  aus  einzelnen  Aus- 
drücken wie  liber=  Bast  ihre  Schlüsse  gezogen  haben;  viel- 
leicht brachten  sie  damit  in  Verbindung,  was  man  bei  fremden 
Völkern,  namentlich  im  Orient,  noch  vorfand,  und  malten 
sich  danach  ein  Bild  des  ursprünglichen  Schreibwesens  der 
Vorfahren,  das  zwar  in  den  Hauptzügen  richtig  sein  mochte, 
aber  keine  größere  Gewißheit  bot,  als  es  ebenso  mangelhafte 
Unterlagen  bieten  können.  Was  die  römischen  Juristen  in 
ihren  Begriffsbestimmungen  des  Buches  davon  zu  sagen 
wissen,  verdient  ebenso  viel  oder  so  wenig  Glauben;  wenn 
Ulpian  Bücher  aus  Bast  verschiedener  Art  voraussetzt,  so 
tut  er  es  doch  wohl  nur,  um  keine  Möglichkeit  auszulassen, 
nicht  weil  er  praktisch  damit  gerechnet  hätte.  Sehen  wir 
nun  von  diesen  Schreibmaterialien  einer  etwas  nebelhaften 
Vorzeit  ab,  so  bleiben  für  die  Griechen  und  die  Römer  nur 
drei  Stoffe  von  allgemeiner  Bedeutung,  zumal  für  die  Litera- 


4  Erstes  Kapitel. 

tur,  Übrig:  der  Papyrus,   das  Leder  und  die  Tafel   aus 
Holz. 

2.  Papyrus.  Die  Papyruspflanze  und  der  Beschreib- 
stoff aus  Papyrus  haben  zu  unserem  Vorteil  in  dem  älteren 
Plinius  einen  Darsteller  gefunden,  der  unserer  Kenntnis  in 
vielen  Stücken  zu  Hilfe  kommt.  Der  Papyrus  wuchs  als  ein 
grasartiges  Sumpf gewächs  in  stehenden  Gewässern  und  ver- 
sumpfenden Flußarmen,  am  reichlichsten  im  Delta  des  Nils. 
In  den  Darstellungen  ägyptischer  Reliefs  kommt  er  von  den 
frühesten   Zeiten    an   häufig   vor;    wir   sehen    Boote   in   ein 


Abb.  2.    Vogeljagd  im  Papyrus  sumpf,  Relief. 


Dickicht  von  Papyrus  und  Lotos  hineinfahren,  wo  die  Jagd 
auf  Wasservögel  besonders  ergiebig  war.  Die  Stengel  steigen 
oft  mehrere  Meter  hoch  gerade  auf  und  tragen  Büschel 
der  Form,  die  der  als  Zierpflanze  noch  heute  fortlebende 
Papyrus  aufweist.  Er  kam  aber  auch  in  Syrien  vor  und  ebenso 
am  Euphrat.  Heute  ist  er  aus  Ägypten  gänzlich  verschwun- 
den und  wächst  nur  noch  am  Blauen  Nil  in  Abessinien,  da- 
gegen hat  er  sich  in  Sizilien  einen  bescheidenen  Platz  bewahrt. 
Die  Ägypter  wußten  sich  das  schilfartige  Gewächs  mit  den 
geraden  und  kräftigen  Stengeln  in  mannigfaltiger  Art  nutzbar 
zu  machen,  ganz  abgesehen  von  der  Verwendung  zu  Kränzen 
und  von  der  Nachahmung  des  Stengelbündels  in  der  sog. 
Papyrussäule.  Sie  stellten  Boote  daraus  her,  indem  sie  die 
Stengel  mit  Stricken  zusammenbanden.     Den  Wurzelstock 


Das  Schreibmaterial.  5 

mit  seinem  harten  Holze  gebrauchten  sie  als  Brennmatertal 
und  schnitzten  auch  wohl  einfache  Gefäße  daraus.  Der 
untere  Teil  des  Stengels  konnte  roh  oder  gekocht  gegessen 
werden.  Weit  mehr  aber  wußten  sie  durch  künstliche  Ver- 
arbeitung daraus  zu  machen:  Segel  und  Matten,  Decken 
und  Kleider,  ja  sogar  SchifTstaue.  Blieben  alle  diese  Arten 
der  Verwertung  im  wesenthchen  auf  Ägypten  und  auf 
die  anderen  Verbreitungsgebiete  des  Papyrus  beschränkt,  so 
gewann  die  Bereitung  eines  Schriftträgers  aus  der  Pflanze 
eine  Bedeutung,  die  weit  über  die  Grenzen  des  Heimatlandes 
hinausging.  Erhaltene  Blätter  zeigen,  daß  schon  in  der 
Periode  Ägyptens,  die  man  das  Alte  Reich  zu  nennen  pflegt, 
im  Beginne  des  dritten  Jahrtausends  v.  Chr.,  der  aus  Papyrus 
gefertigte  Schreibstoff  üblich  und  technisch  mindestens  ebenso 
vollkommen  war  wie  in  späteren  Zeiten,  deren  schriftliche 
Erzeugnisse  heute  noch  in  Papyrusrollen  vor  uns  liegen.  Je 
höher  der  Verbrauch  stieg,  um  so  mehr  wurde  die  Pflanze  ge- 
pflegt, und  in  griechisch-römischer  Zeit,  als  Ägypten  die  ganze 
Mittelmeerwelt  mit  Papier  zu  versorgen  hatte,  wurde  der 
Papyrus  offenbar  besonders  angebaut. 

Das  Schreibmaterial  gewann  man  in  folgender  Weise. 
Der  Stengel  der  Pflanze  wurde  in  dünne,  aber  möglichst 
breite  Streifen  geschnitten,  wobei  die  Mitte  des  Stengels 
die  breitesten  und  besten  Streifen  ergab.  Solche  wurden 
dicht  neben  einander  gelegt,  eine  zweite  Schicht  legte  man 
senkrecht  zu  der  Richtung  der  unteren  Schicht  darauf;  bei 
guter  Ware  mußten  die  Streifen  von  gleicher  Breite  sein. 
E^  waren  also  zwei  selbständige,  verschieden  gerichtete 
Lagen,  nicht  ein  Geflecht  solcher  Streifen.  Ihre  Verbindung 
bewirkte  der  natürliche  Klebstoff,  wie  Versuche  gezeigt  haben. 
Nur  zum  Satinieren  und  weiterhin  zur  Verbindung  fertiger 
Blätter  brauchte  man  einen  Leim,  der  aus  feinem  Mehl, 
heißem  Wasser  und  einem  kleinen  Zusatz  von  Essig  her- 
gestellt wurde.  Man  mußte  gerade  dabei  sehr  achtsam  zu 
Werke  gehen,  denn  der  Leim  hatte  nur  dann  volle  Wirkung, 
wenn  er  »einen  Tag  alt«  war,  d.  h.  wenn  seine  Bestandteile 
sich  durchdrungen  hatten,  ohne  steif  zu  werden.  Die  beiden 
Lagen  der  Papyrusstreifen  wurden  gepreßt,  dadurch  zugleich 
geglättet  und  an  der  Sonne  getrocknet.  Da  nun  aber,  mochte 
die  Arbeit  noch  so  sorgfältig  ausgeführt  sein,  die  natürlichen 
Pflanzenfasern  auch  nach  dem  Pressen  noch  etwas  hervor- 
traten, war  es  nötig,  alle  Unebenheiten  mit  einem  Glätter 
aus  Elfenbein  oder  einer  Muschel  zu  beseitigen.  Die  zahl- 
reichen Papyrus,  die  wir  heute  noch  besitzen,  zeigen  deutlich, 
wie  vollkommen  diese  Technik  entwickelt  war:  es  ist  in  den 
meisten  Fällen  unmöglich,  die  einzelnen  Streifen  heraus- 
zuerkennen, so  genau  sind  sie  an  einander  gepaßt;  die  beiden 


6  Erstes  Kapitel. 

ZU  einander  senkrecht  stehenden  Lagen  sind  so  fest  mit  ein- 
ander verbunden,  daß  selbst  Jahrtausende  trotz  Zerreißen, 
Wurmfraß  und  Feuchtigkeit  ihren  Zusammenhalt  nicht  haben 
lösen  können,  und  die  Oberfläche  eines  sorgsam  gefertigten 
Papyrusblattes  ist  noch  heute  glatt  genug,  um  sogar  der 
modernen  Stahlfeder  ein  leidliches  Vorwärtsgleiten  zu  ge- 
statten. 

Die  Alten  schätzten  das  Papyrusblatt  um  so  höher,  je 
dünner  es  war;  zugleich  aber  sollte  es  dicht,  also  sorgsam 
zusammengefügt  sein,  es  mußte  eine  glatte  Oberfläche  und 
eine  möglichst  helle  Farbe  haben.  Blätter,  die  in  der  Gegen- 
wart aus  Papyrusstreifen  nach  dem  beschriebenen  Verfahren 
angefertigt  worden  sind,  sehen  mattgrün  bis  silbergrau  aus 
und  haben  einen  feinen  Glanz;  einige  sind  hell  weißgelb. 
Sie  zeichnen  sich  außerdem  durch  Feinheit  und  Weiche  aus, 
so  daß  man  sie  rollen,  falten,  brechen  oder  zusammendrücken 
kann,  ohne  sie  irgendwie  zu  beschädigen.  Die  Vorliebe  der 
Alten  für  eine  helle  Farbe  erklärt  sich  aus  der  Rücksicht  auf 
die  Deutlichkeit  der  Schrift;  die  erhaltenen  Papyrus  weichen 
darin  stark  von  ein  ander  ab.  Wir  haben  technisch  fehlerlose 
Exemplare  von  dunkler,  entschieden  brauner  Farbe  neben 
solchen,  die  hellgelb,  fast  weißgelb  aussehen.  In  vielen 
Fällen  mag  der  Papyrus  erst  mit  der  Zeit  dunkel  geworden 
sein,  ist  doch  die  Feuchtigkeit  nicht  nur  seiner  Haltbarkeit, 
sondern  auch  seiner  Farbe  schädlich.  Zugleich  aber  gibt  es 
so  viele  hell  gefärbte  Papyrus,  daß  man  doch  an  einen  ur- 
sprünglichen Unterschied  denken  möchte.  Gerade  unter  den 
ältesten  ägyptischen  Rollen  finden  wir  hell  gefärbte  Exem- 
plare, und  auffallend  hell  ist  fast  am  Ende  des  Papyrus- 
zeitalters eine  große  Gruppe  arabischer  Papyrus.  Daß  man 
Färbmittel  anwandte,  ist  kaum  fraglich;  die  Mode  mag  in 
dieser  Beziehung  sich  mehr  als  einmal  gewandelt  haben. 
Was  die  Feinheit  und  die  Festigkeit  des  Papyrus  angeht,  so 
muß  man  entschieden  den  Leistungen  der  ältesten  ägypti- 
schen Fabrikanten  den  Preis  zusprechen;  ich  habe  eine 
hieratische  Rolle  in  der  Hand  gehabt,  die  mehr  als  dreitausend 
Jahre  alt  war,  sich  aber  noch  weich  und  geschmeidig  anfühlte 
wie  Rohseide  und  ohne  jede  Gefahr  gerollt  werden  konnte. 
Solche  Ware  ersten  Ranges  wurde  selten,  als  die  Welt  der 
Papyrusblätter  in  Massen  bedurfte;  aber  man  darf  nicht 
annehmen,  die  Technik  sei  allgemein  zurückgegangen.  Bis 
weit  in  die  römische  Kaiserzeit  hinein  ist  der  Durchschnitt 
gut  und  brauchbar,  und  erst  in  den  letzten  Jahrhunderten 
der  Papyrusfabrikation  wird  eine  entschiedene  Verschlechte- 
rung sichtbar. 

Zu  allen  Zeiten  gab  es  Sorten  von  verschiedener  Güte, 
deren  Unterschiede  wir  freilich  in  den  erhaltenen  Papyrus 


Das  Schreibmaterial.  y 

nur  ungefähr  beobachten  können.    Selbst  für  das  erste  Jahr- 
hundert der  Kaiserzeit,  wo  uns  die  Ausführungen  des  Phnius 
bestimmte    Klassen    überliefert    haben,    vermögen    wir    die 
zahlreichen  Überreste  nicht  in  diese   Klassen  einzuordnen. 
Nach  Plinius  war  früher  die  beste  Qualität  die  hieratica, 
die  zur  Zeit  des  Augustus  nach  seinem  Namen   Augusta 
benannt  wurde.     Es  ist  vielleicht  dieselbe  Sorte,  die  CatuU 
Charta    regia,  das  Königspapier,  nennt  und  als  besonders 
trefflich  rühmt;  die  ältere  Bezeichnung  hieratica  mag  in  der 
Ptolemäerzeit  dem  Namen  Königspapier  gewichen  und  nach 
der  Eroberung  Ägyptens  durch  Oktavian  dem  neuen  Herrn 
zu  Ehren  in  Augusta  umgetauft  worden  sein.     Daß  in  der 
Tat  ein  neuer  Herrscher  auch  eine  Papiersorte,  sicherlich  die 
beste,  nach  sich  umzunennen  liebte  und  darin  einen  Ausdruck 
seiner  Stellung  sah,  beweist  der  erste  Kaiserliche  Statthalter 
Cornelius  Gallus,  der  sich  in  Ägypten  selbständig  zu  machen 
suchte    und    zugleich    eine    Papiersorte    Corneliana    taufte. 
Als  zweite  folgte  die  Li  vi  a,  die  ihren  Namen  von  der  Gattin 
.des  Kaisers  erhielt,  auch  sie  vermutlich  im  Anschluß  an  eine 
ältere,  nicht  mehr  bekannte  Bezeichnung;  dann  die  nunmehr 
an  die  dritte  Stelle  gerückte    hieratica.     Nach  der  Lage 
der   Fabrik   beim   alexandrinischen   Amphitheater   hieß   die 
vierte  Sorte  amphitheatritica,  ebenfalls  nach  ihren  Her- 
stellungsorten  im  Nildelta  bezeichnete  man  die  fünfte  als 
Saitica  und  die  sechste   als  Taeneotica.     Diese  wurde 
nicht  mehr  nach  der  Qualität  verkauft,  sondern  nach  dem 
Gewicht;  es  war  grobe  Ware,  die  als  Packpapier  diente  und 
wegen  ihrer  Verwendung  im  Kaufladen  emporitica,  Kauf- 
mannspapier,  genannt  wurde.-   Wie  alt  diese  sechs   Sorten 
sind,  läßt  sich  nicht  erkennen;  aber  ihre  Namen  beweisen, 
daß  sie  der  alexandrinischen,  nicht  der  römischen  Fabrika- 
tionsgewohnheit angehören  und  wahrscheinlich  zur  Zeit  des 
Augustus  schon   längst  feste   Unterschiede   darstellten. 

In  Rom  brachte  die  erste  Kaiserzeit  einige  Neuerungen 
hervor;  die  Fabrik  des  Fannius  bemächtigte  sich  der  vierten 
Sorte  und  machte  aus  der  amphitheatritica  eine  feine  Qualität, 
die  als  Fannia  zu  Ansehen  gelangte,  und  in  der  Zeit  des 
Kaisers  Claudius  wurde  die  allzu  dünne  Augusta  etwas  ver- 
stärkt, so  daß  nun  die  neue  Sorte  Claudia  den  ersten  Platz 
sich  eroberte.  Gerade  diese  Verbesserungen  beweisen,  daß 
die  einzelnen  Sorten  technisch  stark  von  einander  abwichen, 
denn  das  Verfahren  des  Fannius  hat  nur  dann  einen  Sinn, 
wenn  die  von  ihm  erfundeneVerfeinerung  der  amphitheatritica 
das  eigentliche  Wesen  dieser  Sorte  unverändert  ließ;  sonst 
hätte  er  ja  einfach  eine  der  besseren  Sorten  wie  Augusta  oder 
Livia  führen  können.  Er  machte  aber  augenscheinlich  mit 
der  Verbesserung  der  vierten  Sorte  ein  Geschäft,  indem  er 


8  Erstes  Kapitel. 

seine  neue  Ware  immer  noch  billiger  als  die  Augusta  abgeben 
konnte.  Zugleich  sprechen  diese  Notizen  des  Plinius  dafür, 
daß  auch  damals  die  Fabrikation  für  den  Weltbedarf  in 
Ägypten  ihren  Sitz  hatte;  in  Rom  bezog  man  fertige  Ware 
und  brachte  nur  noch  einzelne  Verbesserungen  an.  Immerhin 
war  auch  hierfür  Kenntnis  und  Übung  in  der  Technik  nötig, 
und  es  ist  kein  Zufall,  daß  die  lateinische  Sprache  besondere 
Namen  für  die  »Kleber«  geprägt  hat.  Jedenfalls  scheinen 
allmählich  auch  in  Rom  Papyrusfabriken  entstanden  zu  sein, 
sicherlich  in  der  späteren  Kaiserzeit,  als  Ägypten  Papyrus 
in  natura,  d.  h.  unverarbeitet,  in  die  römischen  »Papyrus- 
magazine« zu  liefern  hatte.  Daher  möchte  ich  nicht 
entscheiden,  ob  eine  so  weitgehende  Umarbeitung  wie  die 
der  Augusta  zur  Claudia  in  Rom  oder  in  Ägypten  auf  Ver- 
langen der  kaiserlichen  Kanzlei  vorgenommen  worden  ist. 
Denn  die  Claudia  unterschied  sich  von  der  Augusta  nicht  nur 
durch  eine  Unterlage  von  größerer  Festigkeit,  sondern  auch 
durch  ein  größeres  Format.  Neben  der  Feinheit  spielte  nämlich 
die  Breite  der  Blätter  eine  große  Rolle.  Sie  betrug  bei  den 
besten  Sorten  nach  Plinius  dreizehn  Finger  und  sank  bis  zu 
einer  Breite  von  sechs  Fingern  bei  der  emporitica.  Auch  bei 
den  erhaltenen  Papyrusblättern  findet  man  sehr  große  Unter- 
schiede der  Breite,  die  aber  nicht  ohne  weiteres  mit  den  von 
Plinius  überlieferten  Maßen  übereinstimmen.  Im  Durch- 
schnitt haben  die  Blätter,  aus  denen  die  Rollen  zusammen- 
gesetzt sind,  ungefähr  die  Breite  der  ersten  Klasse  des  Plinius, 
aber  auch  solche  von  geringerer  Breite  sind  nicht  selten. 
Überdies  darf  man  die  uns  noch  vorliegenden  Papyrus  nicht 
lediglich  nach  den  Notizen  des  Plinius  beurteilen,  selbst 
wenn  man  sich  auf  seine  Zeit  beschränkt.  Was  er  kannte, 
\yaren  jedenfalls  die  Sorten,  die  [m  Handel  mit  Rom  und 
den  andern  Märkten  außerhalb  Ägyptens  gang  und  gäbe 
waren,  also  die  Erzeugnisse  der  großen  ägyptischen  Ausfuhr- 
geschäfte. Im  Heimatlande  des  Papyrus  wird  es  aber  zahl- 
reiche große  und  kleine  Fabriken  gegeben  haben,  die  ihre 
Kundschaft  hauptsächlich  im  Lande  selbst  besaßen  und  auch 
andere  Formate  verkauften.  Ein  Urteil  wird  uns  überdies 
dadurch  erschwert,  daß  die  große  Mehrzahl  der  erhaltenen 
Stücke  für  diese  Frage  überhaupt  nichts  ergibt;  denn  für 
kleinere  Urkunden,  Rechnungen  und  Briefe  schnitt  man  aus 
den  Rollen  Blätter,  ohne  sich  um  die  Grenzen  der  Fabrik- 
blätter zu  kümmern.  So  beschränkt  sich  die  Frage  nach  der 
Blattbreite  auf  die  Rollen,  die  aus  vielen  Blättern  zusammen- 
geklebt sind,  und  wenn  in  ihnen  eine  Breite  von  20  bis  25  cm 
die  Regel  bildet,  so  darf  man  sie  doch  nicht  ohne  weiteres 
mit  der  ersten  Klasse  des  Plinius  gleichsetzen,  weil  diese 
Breite  bei  Papyrusstücken  verschiedener  Güte  und  Feinheit 


Das  Schreibmaterial.  g 

vorkommt.  Die  obere  Grenze  der  Breite  stellt  wohl  die  zuvor 
genannte  Claudia  dar,  die  einen  Fuß  breit  war;  die  Riesen- 
blätter von  Ellenbreite,  von  denen  Plinius  spricht,  waren 
nach  seinem  eigenen  Urteil  unpraktisch  und  wenig  übHch. 
Die  Papyrusfabriken  haben  nicht  Einzelblätter  in  den 
Handel  gebracht,vielmehr  große  Ballen,  auch  schon  in  ältester 
Zeit,  als  die  Herstellung  noch  nicht  der  ganzen  Welt  zu  dienen 
hatte,  sondern,  wie  es  scheint,  in  den  Tempeln  für  den  damals 
noch  geringeren  Bedarf  mit  besonderer  Sorgfalt  betrieben 
wurde.  In  der  Fabrik  klebten  die  Arbeiter  eine  Reihe  von 
Papyrusblättern  an  einander,  und  zwar  so,  daß  jedes  Blatt 
mit  seinem  Rande  den  des  folgenden  bedeckte.  Die  Deckungs- 
fläche ist  in  der  Regel  gering,  etwa  l  bis  2  cm  breit,  und  die 
Verdickung,  die  so  entsteht,  wird  kaum  bemerkbar.  Diese 
Klebungen  zeugen  durchaus  von  fabrikmäßiger  Übung  und 
sind  bei  allen  auch  sonst  gut  gearbeiteten  Papyrus  so  sorg- 
fältig ausgeführt,  daß  sie  keine  Unebenheit  der  Schreibfläche 
erzeugen;  demgemäß  richtet  sich  auch  der  Schreiber  nicht 
nach  den  Grenzen  der  einzelnen  Blätter,  sondern  schreibt 
ungehindert  über  die  Klebung  hinweg.  Man  erkennt  diese 
Stellen  oft  nur  dadurch,  daß  die  wagerechten  Fasern  der  sich 
berührenden  Blätter  nicht  genau  in  denselben  Linien  ver- 
laufen. Es  versteht  sich  von  selbst,  daß  die  Blätter  im 
gleichen  Sinne  an  einander  geklebt  wurden,  auf  der  einen  Seite 
also  alle  Pflanzenfasern  wagerecht,  auf  der  andern  senkrecht 
verlaufen.  Versehen  sind  freilich  vorgekommen  und  treten 
z.  B.  in  einer  Papyrusrolle  des  Berliner  Museums  deutlich 
zutage.  Ebenso  fügte  man  bei  sorgfältiger  Arbeit  nur  Blätter 
gleicher  Breite  an  einander;  aber  auch  hier  fehlt  es  nicht  an 
Ausnahmen.  Aus  dem  Ballen  schnitt  man  durch  Längs- 
schnitt ganze  Rollen,  durch  Längs-  und  Querschnitte  einzelne 
Blätter  ohne  Rücksicht  auf  die  Klebungen,  die  für  den  Ge- 
brauch ganz  bedeutungslos  waren.  An  sich  konnte  eine  be- 
liebige Anzahl  einzelner  Blätter  an  einander  gereiht  werden, 
aber  die  praktische  Brauchbarkeit  schob  der  Willkür  einen 
Riegel  vor.  Man  hat  aus  Plinius  entnommen,  es  seien  niemals 
mehr  als  20  Blätter  verbunden  worden;  allein  die  erhaltenen 
Rollen  überschreiten  dies  Maß  zum  Teil  recht  erheblich,  und 
die  hieratischen  Papyrus,  auf  denen  zuweilen  jedes  20.  Blatt 
mit  dieser  Ziffer  versehen  ist,  beweisen  durch  ihren  weit 
größeren  Umfang,  wie  wenig  man  daran  gebunden  war.  Ver- 
mutlich berechneten  die  Fabriken  den  Ballen  nach  Einheiten 
von  je  20  Blättern,  wie  wir  heute  das  Papier  nach  »Buch«; 
jene  Zahl  kann  ein  Fabrikmaß  bedeuten.  Solch  ein  langer 
Streifen  wurde  nicht  gefaltet,  sondern  gerollt,  ein  Verfahren, 
das  dazu  dient,  das  zarte  Material  zu  schonen  und  das  Lesen 
der  beschriebenen  Rolle  zu  erleichtern.  Auch  kleinere  Stücke, 


lo  Erstes  Kapitel. 

Blätter  mit  Urkunden  oder  Briefen,  können  gerollt  werden, 
und  zwar  ebenso  gut  in  der  Richtung  der  längeren  wie  der 
kürzeren  Seite,  während  bei  der  viele  Meter  langen  Rolle 
sich  das  letztere  von  selbst  verbot.  Aber  häufig  genug  hat 
man  Urkunden  und  Briefe  gefaltet,  zumal  da  bei  solchen 
Blättern  Rollen  und  Falten  ungefähr  auf  dasselbe  hinaus 
kamen.  In  ein  paar  Beispielen,  die  zu  den  ältesten  griechischen 
Papyrusurkunden  gehören,  ist  das  sehr  große  Blatt  zunächst 
einmal  gefaltet  und  dann  erst  gerollt  worden,  wodurch  die 
Länge  der  geschlossenen  Rolle  auf  die  Hälfte  der  Blatthöhe 
herabgesetzt  wurde,  ein  Verfahren,  das  auch  später  wieder- 
kehrt, namentlich  bei  Briefen,  für  die  lange  und  schmale 
Blätter  beliebt  waren.  Gern  klebte  man  vorn  an  die  Rolle 
ein  sog.  Schutzblatt,  das  unbeschrieben  blieb. 

Soweit  sich  bei  den  erhaltenen  Papyrus,  die  alle  mehr 
oder  weniger  von  ihrer  ursprünglichen  Glätte  eingebüßt 
haben,  die  Beschaffenheit  der  beiden  Seiten  beurteilen  läßt, 
kommt  nach  Wilckens  Ansicht  der  einen  ein  gewisser  Vorzug 
zu:  diejenige  Seite,  deren  natürliche  Fasern  rechtwinklig  zur 
Blattklebung  verlaufen,  sei  in  der  Regel  etwas  besser  ge- 
glättet als  die  andere.  Freilich  wäre  es  nicht  leicht,  zu  er- 
klären, weshalb  die  Fabrik  die  eine  Seite  weniger  sorgsam 
behandelt  hätte;  ja  es  wäre  technisch  schwer  vorstellbar,  da 
der  Arbeiter  das  Blatt  ohne  Zweifel  auf  einer  festen  Unterlage 
preßte  und  es  nur  zu  wenden  brauchte,  um  beide  Seiten 
gleich  zu  glätten.  Aber  auch  wenn  Wilckens  Beobachtung 
richtig  ist,  so  erhält  sie  doch  erst  in  der  griechisch-römischen 
Periode  eine  größere  praktische  Bedeutung.  Die  Ägypter 
schrieben  ihre  hieratische  und  später  demotische  Schrift  mit 
einer  gekappten  Bin5e,  deren  Gang  die  Fasern  des  Papyrus 
nicht  hemmten,  auch  wenn  sie  senkrecht  zur  Schreibrichtung 
liefen.  Dasselbe  gilt  von  der  aramäischen  Schrift,  die  wir 
aus  den  Papieren  der  jüdischen  Siedlung  auf  Elefantine 
kennen.  Auch  als  die  Griechen  auf  Papyrus  zu  schreiben 
begannen,  bedienten  sie  sich  derselben  Binse  und  konnten 
die  Richtung  der  Fasern  unbeachtet  lassen,  wie  denn  viele 
der  ältesten  griechischen  Urkunden  aus  dem  4.  und  3.  Jahr- 
hundert V.  Chr.  gegen  die  Faserrichtung  geschrieben  sind. 
Erst  als  man  zum  gespitzten  Schreibrohre,  dem  Kalamus, 
überging,  erwies  es  sich  notwendig,  die  Schrift  den  Fasern 
entlang  zu  führen.  Im  übrigen  konnte  jeder  Schreiber  sich 
das  einzelne  aus  dem  Ballen  geschnittene  Blatt  so  legen, 
daß  sein  Schreibrohr  der  Faser  folgte.  Anders  bei  der  Rolle. 
Wie  H.  Ibscher  zeigt,  rollte  man  so,  daß  die  wagerechten 
Fasern  innen,  die  senkrechten  außen  lagen,  weil  dies  Ver- 
fahren den  Papyrus  am  meisten  schonte  und  der  Eigenheit 
beider  Seiten  angepaßt  war.    Als  Schreibseite  aber  ergab  sich 


Das  Schreibmaterial.  H 

von  selbst  die  geschützte  Innenseite;  so  kam  es,  daß  die 
Schreiber  diese  bevorzugten  und  zuerst  beschrieben.  Da  sie 
nun  die  Blätter  für  Urkunden  und  Briefe  aus  dem  Ballen 
schnitten,  lag  nichts  näher,  als  auch  hier  den  Vorzug  der 
Innenseite  gelten  zu  lassen  und  die  Außenseite  erst  zu  be- 
schreiben, wenn  jene  schon  benutzt  war.  Die  Innenseite, 
deren  Fasern  rechtwinklig  von  der  Klebung  geschnitten 
wurden,  nennen  wir  Rekto,  die  Außenseite  mit  den  der 
Klebung  gleich  gerichteten  Fasern  dagegen  Verso.  Wenn  in 
vielen  Fällen  heute  die  Rektoseite  etwas  glatter  erscheint,  so 
bedenke  man,  daß  beim  Rollen  die  Innenseite  geschont,  die 
Außenseite  aber  stärker  gespannt  wurde;  sie  mußte  eher 
Schaden  leiden  als  jene.  Wäre  der  Unterschied  zwischen 
Rekto  und  Verso  wirklich  erheblich  gewesen,  so  hätte  sich 
Papyrus  für  den  Kodex  nicht  geeignet,  der  doch  später  in 
Mengen  daraus  angefertigt  worden  ist. 

Daß  Rekto  in  der  Regel  vor  Verso  beschrieben  worden 
ist,  hat  Wilcken  zuerst  gesehen.  Seine  Beobachtung  hat 
.über  das  Technische  hinaus  Bedeutung,  denn  wo  eine 
ausdrückliche  Datierung  fehlt,  kommt  demnach  der  Schrift 
der  Rektoseite  ein  höheres  Alter  zu  als  der  der  Verso- 
seite;  man  gibt  von  hier  aus  undatierten  Aufzeichnungen 
eine  obere  oder  untere  Zeitgrenze,  wofern  nur  die  Schrift 
einer  Seite  sich  zeitlich  bestimmen  läßt.  Im  allgemeinen 
stimmen  auch  die  Fälle,  die  eine  Prüfung  gestatten,  mit 
dieser  Regel  von  Rekto  und  Verso  überein,  aber  Aus- 
nahmen hat  es  gegeben.  Nicht  nur,  daß  gelegentlich  ein- 
mal ein  kleineres  Blatt  aus  Versehen  und  Eile  verkehrt 
zur  Hand  genommen  wurde,  auch  bei  sorgfältig  geschriebe- 
nen literarischen  Texten  ist  es  vorgekommen,  daß  die  Verso- 
seite  benutzt  wurde,  während  Rekto  frei  blieb.  Später  hat 
der  Kodex,  dessen  Blätter  auf  beiden  Seiten  beschrieben 
wurden,  den  Unterschied  für  den  Schreiber  tatsächlich  auf- 
gehoben, und  nicht  minder  die  Neigung  byzantinischer 
Schreiber,  die  Rolle  parallel  der  kurzen  Seite  zu  beschreiben. 
Ohne  auf  diese  Frage  noch  näher  einzugehen,  will  ich  hier 
nur  bemerken,  daß  jene  Regel  von  der  Zeitfolge  der  Schrift 
auf  Rekto  und  Verso  nur  für  die  griechische  Zeit  wirkliche 
Bedeutung  hat  und  genau  genommen  auch  nur  für  die  Zeit 
etwa  von  250  v.  Chr.  bis  400  n.  Chr.;  die  ältesten  erhaltenen 
Papyrusdokumente  in  griechischer  Sprache  zeigen  die  Regel 
erst  im  Entstehen,  und  die  spätere  byzantinische  Zeit  verliert 
vielleicht  im  Zusammenhang  mit  der  neumodischen  Riesen- 
schrift das  Verständnis  für  die  Vorzüge  der  Rektoseite. 

Das  aus  Papyrus  hergestellte  Schreibmaterial  hat  eine 
bei  seiner  Zartheit  erstaunliche  Dauerhaftigkeit  bewiesen; 
Tausende  erhaltener  Stücke  legen  dies  deutlich  an  den  Tag. 


12  Erstes  Kapitel. 

Allerdings  verdanken  sie  ihren  Bestand  besonders  günstigen 
Bedingungen.  Das  trockene  Klima  Ägyptens  hat  sie  ge- 
schützt und  nicht  minder  der  Umstand,  daß  sie  nicht  allzu 
lange  in  den  Händen  der  Benutzer  blieben.  Urkunden  und 
Briefe  wurden  bald  Makulatur  und  wanderten  entweder  auf 
den  Kehrichthaufen  (kom),  der  sich  bei  jeder  ägyptischen 
Ortschaft  auftürmte,  oder  blieben  in  den  Häusern  liegen, 
wenn  die  Einwohner  das  Dorf  verließen,  weil  es  durch 
den  Verfall  des  Ackerbaus  und  der  Kanäle  unbewohnbar 
wurde,  wie  es  besonders  seit  dem  3.  Jahrhundert  n.  Chr. 
am  Rande  der  Wüste  oft  geschah.  Der  vordringende  Sand 
deckte  die  Papyrusblätter  zu  und  bewahrte  sie  bis  auf  die 
Gegenwart.  Andere  wurden  zu  Mumienhüllen  verarbeitet. 
Etwa  seit  dem  3.  Jahrhundert  v.  Chr.  bis  in  die  römische 
Kaiserzeit  hinein  pflegte  man  nämlich  die  Mumien  mit  einer 
Pappe  aus  nutzlos  gewordenen  Papyrusblättern  zu  ver- 
kleiden; sie  erreichte  bisweilen  eine  Dicke  von  lO  Blättern, 
die  Außenseite  wurde  mit  Stuck  überzogen  und  bemalt. 
Diese  den  Körperformen  ungefähr  angepaßte  Papyruskar- 
tonnage hat  uns  viele  z.  T.  umfangreiche  Texte  erhalten, 
•die  in  der  Regel  50  bis  lOO  Jahre  älter  sein  mögen  als 
ihre  Verarbeitung  für  die  Mumienhülle.  Außerdem  hat 
aber  der  Sieg  des  Kodex  seit  dem  4.  Jahrhundert  n.  Chr. 
gerade  für  die  Erhaltung  literarischer  Texte  keine  geringe 
Rolle  gespielt,  denn  in  demselben  Maße  als  die  neue 
Buchform  die  Rolle  verdrängte,  wurden  die  alten  Papyrus- 
rollen entwertet,  zur  Makulatur  geworfen  und  damit  den 
Händen  der  Leser  entzogen,  in  denen  sie  weit  früher  zugrunde 
gegangen  wären  als  auf  den  Schutthaufen  der  ägyptischen 
Ortschaften.  Besonders  günstig  war  das  Schicksal  solcher 
Rollen,  die  den  Toten  mit  ins  Grab  gelegt  wurden. 

Daß  die  beständig  benutzte  Papyrusrolle  nur  eine  begrenzte 
Dauer  besaß,  könnten  wir  aus  der  Beschaffenheit  des  Stoffes 
allein  schon  entnehmen;  zum  Überfluß  geht  aus  mehr  als 
einer  Bemerkung  alter  Schriftsteller  hervor,  daß  ein  Alter  von 
200  bis  300  Jahren  bei  einer  Rolle  schon  als  sehr  beträchtlich 
galt.  In  Aktenstücken  wird  mehr  als  einmal  über  beschädigte 
Rollen  und  die  geringe  Haltbarkeit  des  Papyrus  geklagt. 
Wenn  es  nicht  der  Bücherwurm  war,  der  das  pflanzliche 
Produkt  zerfraß  —  »ein  skorpionähnliches  Tier,  das  in  den 
Büchern  vorkommt,«  nennt  Aristoteles  diesen  Erbfeind  der 
Literatur  —  so  litten  jedenfalls  die  Ränder  unter  dem  häufigen 
'Gebrauche;  man  bemühte  sich  freihch,  diesen  beiden  Übel- 
ständen entgegenzuwirken,  indem  man  den  Papy  us  mit 
Zedernöl  tränkte  und  Anfang  und  Ende  der  Rolle  durch 
untergeklebte  Streifen  verstärkte,  ja  auch  schadhafte  Stellen 
in  derselben  Weise  herrichtete.    Allein  das  gelang  nur  unvoll- 


Das  Schreibmaterial. 


IS 


kommen,  und  wir  kennen  nicht  wenige  Stücke,  die  schon 
Beschädigungen  aufwiesen,  als  sie  beschrieben  wurden,  so  daß 
der  Schreiber  diese  schadhaften  Stelkn  überspringen  mußte. 
Und  wenn  diese  Mittel  so  lange  helfen  mochten,  als  der  Pa- 
pyrus benutzt  wurde,  so  hatten  nachher  in  der  Makulatur 
die  Würmer  freien  Spielraum,  ganz  abgesehen  von  den 
mechanischen  Verletzungen,  denen  auch  das  fortgeworfene 
Material  ausgesetzt  blieb.  Der  schlimmste  Feind  des  Pa- 
pyrus aber  war  die  Feuchtigkeit.  Die  Schutthaufen  in  der 
Nähe  der  Orte,  die  im  Niltale  lagen,  wurden  in  ihren  unteren 
Schichten  oft  von  der  Überschwemmung  erreicht,  die  alles 
zerstörte,  so  daß  in  der  Regel  nur  die  oberen,  also  die  späteren 
Schichten  einigermaßen  der  Zeit  Widerstand  leisten  konnten. 
Daher  sind  in  den  großen  Funden  der  letzten  Jahrzehnte  die 
Papyrus  der  arabischen,  der  byzantinischen  und  der  römischen 
Periode  weit  zahlreicher  vertreten  als  solche  aus  vorchrist- 
licher Zeit.  Mitunter  hat  das  Material  freilich  auch  dem 
Wasser  standgehalten;  die  Papyruskartonnage  im  besonderen 
konnte  wegen  ihrer  Dicke  auch  in  feuchten  Grabstellen  ziem- 
lich dauerhaft  bleiben.  Aber  auch  ihr  hat  die  Feuchtigkeit 
mehr  geschadet  als  die  Würmer,  die  sich  mit  Vorliebe  von 
dem  v  rbindenden  Kleister  genährt  haben;  man  findet  im 
Klebstoffe  der  Schichten  häufig  noch  die  vertrockneten 
Tierchen. 

Die  Feuchtigkeit  ist  es  auch  zum  großen  Teile  ge- 
wesen, die  außerhalb  Ägyptens  so  gut  wie  alle  Überreste 
des  Papyruszeitalters  vernichtet  hat.  Wären  in  Herkulanum 
die  wertvollen  Rollen  einer  Privatbibliothek  nicht  bei  dem 
Untergange  der  Stadt  durch  den  Vi  suv  im  Jahre  79  n.  Chr. 
unter  der  Verschüttung  vor  zerstörenden  Einflüssen  bewahrt 
worden,  so  hätte  man  schwerlich  auch  nur  einen  Fetzen  von 
ihnen  gefunden.  Trotzdem  aber  muß  es  auffallen,  daß  aus 
Syrien  und  Kleinasien  nur  wenig  Papyrusblätter  auf  uns 
gekornmen  sind,  und  zwar  solche,  die  im  Altertum  ein  Zufall 
nach  Ägypten  verschlagen  hat,  und  aus  dem  Abendlande  fast 
nichts  erhalten  geblieben  ist,  obwohl  doch  Griechenland  wie 
Italien  sich  mindestens  ein  Jahrtausend  lang  dieses  Schreib- 
materials bedient  haben.  Vielleicht  darf  man  eine  Erklärung 
dafür  in  der  ununterbrochenen  Dauer  der  griechisch-römi- 
schen Kultur  suchen.  In  Ägypten  hat  die  arabische  Erobe- 
rung einen  tiefen  Einschnitt  gemacht;  der  Papyrus  ist  zwar 
noch  eine  Zeitlang  weiter  benutzt,  aber  allmählich  durch  das 
arabische  Papier  verdrängt  worden,  und  vor  allem  ist  die 
griechische  Kultur  und  Literatur  hier  unter  dem  Schwerte  der 
Eroberer  unte'g  gangen.  Demgegenüber  behielt  sie  im  Abend- 
lande ihre  Stätte  und  pflanzte  sich  in  immer  neuen  Abschrif- 
ten fort,  so  daß  die  alten  Papyrusrollen  neuen  Pergamenten 


14 


Erstes  Kapitel. 


weichen  mußten,  ohne  wie  in  Ägypten  einen  günstigen  Boden 
zu  finden,  der  sie  auf  die  Nachwelt  gebracht  hätte.  Weder 
Schutthügel  noch  Beigaben  für  die  Toten  wirkten  zu  ihrer 
Erhaltung;  dauernde  Kultur  und  christliche  Sitte  ließen 
keines  von  beiden  bestehen.  Übrigens  hat  sich  der  Papyrus 
auch  im  Abendlande  weit  ins  Mittelalter  hinein  behauptet; 
davon  zeugen  nicht  nur  Urkunden  aus  Ravenna  und  ein  paar 
Merovingerurkunden,  sondern  vor  allem  23  päpstliche  Bullen; 

die  päpstliche  Kanzlei 
haftete  am  Alten  und 
wählte  für  ihre  wichtig- 
sten Äußerungen  noch 
lange  den  vornehmsten 
Schriftträger. 

Vom  Umfange  der 
Papyrusfabrikation  kön- 
nen auch  die  Tausende, 
die  jetzt  in  zahlreichen 
Sammlungen  aufbewahrt 
werden,  keine  Vorstel- 
lung geben,  da  sie  doch 
nur  einen  kleinen  Teil 
dessen  darstellen,  was 
fabriziert  und  gebraucht 
worden  ist.  So  ist  z.  B. 
von  einem  Edikte  des 
Statthalters  Tiberius 
Julius  Alexander,  das 
ohne  Frage  in  Hunder- 
ten von  Exemplaren 
durch  das  Land  verbrei- 
tet wurde,  nur  eine 
öffentliche  Ausfertigung 
in  einer  Inschrift  und 
eine  einzige  Abschrift 
auf  Papyrus  erhalten  geblieben.  Wenn  man  aber  beob- 
achtet, wie  sparsam  selbst  in  Ägypten  das  Material  aus- 
genutzt wurde,  wie  die  Rückseite  in  zahllosen  Fällen  her- 
halten mußte,  wie  sogar  die  Schrift  getilgt  wurde,  um  Platz 
für  einen  neuen  Inhalt  zu  gewinnen,  so  vermag  man  nicht 
an  eine  unbeschränkte  Erzeugung  zu  glauben.  In  Ober- 
ägypten ist  vielfach  für  kleinere  Aufzeichnungen,  namentlich 
für  Steuerquittungen,  die  Tonscherbe  an  die  Stelle  des  Pa- 
pyrusblattes getreten;  es  muß  also  an  Papyrus  gefehlt  haben. 
Auf  der  andern  Seite  hat  man  oft  genug  eine  uns  erstaun- 
liche Verschwendung  getrieben;  die  Schreibseligkeit  der  Be- 
hörden hat  für  die  nichtigsten  Dinge  ein   Papyrusblatt  ge- 


Abb.  3   Griechisches  Ostrakon  P.  12  319. 
Auslese  poetischer  Sprüche. 


Das  Schreibmaterial. 


15 


opfert,  und  für  Briefe,  deren  Inhalt  gleich  Null  ist,  finden  wir 
stattliche  Stücke  vergeudet.  Geradezu  protzig  sehen  manche 
demotischen  Verträge  aus  vorchristlicher  Zeit  aus:  auf  einem 
Papyrus  von  mehr  als  50  cm  Länge  und,  etwa  30  cm  Höhe 
stehen  z.  B.  fünf  oder  sechs  eng  geschriebene  Zeilen,  die  noch 
nicht  den  dritten  Teil  der  Schreibfläche  ausfüllen.  Vielleicht 
konnten  damals  die  Notariate  der  ägyptischen  Tempel,  bei 
denen  solche  Urkunden  aufgesetzt  wurden,  noch  reichlich 
über  Papyrus  verfügen,  weil  die  Tempel  immer  noch  selbst 
für  den  eigenen  Bedarf  arbeiteten. 

Die  Papyruserzeugung  mußte  steigen,  als  der  Papyrus 
das  Ausland  eroberte.  Wann  er  vor  allem  in  Griechen- 
land eindrang,  ist  uns  wichtig  für  die  Geschichte  des 
griechischen  Buches,  aber  keineswegs  leicht  zu  bestimmen. 
Es  muß  auffallen,  daß  vor  Alexander  dem  Großen  das 
Papyrusblatt  auf  griechischem  Boden  überhaupt  nur  zwei- 
mal genannt  wird.  Eine  Steininschrift  mit  der  amtHchen 
Abrechnung  über  den  Bau  des  Erechtheustempels  in  Athen 
führt  unter  den  Ausgaben  auf:  »es  wurden  2  Papyrus- 
blätter gekauft,  auf  die  wir  die  Abschriften  geschrieben 
haben«  mit  Angabe  des  Preises.  Wie  der  Zusammenhang 
lehrt,  waren  diese  Papyrusblätter  für  eine  Abschrift  der 
Rechnung  bestimmt,  während  das  Original  auf  Holztafeln 
geschrieben  wurde;  wahrscheinlich  zog  man  Papyrus  als 
bequemeren  Stoff  vor,  wenn  man  Abschriften  für  die  staat- 
lichen Archive  brauchte.  Ob  hier  einzelne  Blätter  oder  ganze 
Rollen  gemeint  sind,  können  wir  nicht  entscheiden.  Ganz  ähn- 
lich und  ebenso  unbestimmt  wird  Papyrus  auf  einer  In- 
schrift des  4.  Jahrhunderts  aus  dem  Peloponnes  erwähnt. 
Das  Wesentliche  ist  nur,  daß  man  im  5.  Jahrhundert  in 
Athen  Papyrus  kaufen  konnte  und  an  seine  Verwendung 
gewöhnt  war;  freiHch  scheint  die  besondere  Hervorhebung 
den  Kauf  solcher  Blätter  als  etwas  nicht  ganz  Alltägliches 
zu  bezeichnen. 

Dazu  kommen  zwei  bemerkenswerte  Züge  aus  Hero- 
dots  Büchern.  Bei  seinen  ionischen  Landsleuten,  so  erzählt  er, 
nenne  man  von  alters  her  die  bybloi  (d.  h.  die  Bücher) 
»Häute«  (diphtherai),  weil  man  einst,  als  es  an  byblos  (d.  h. 
Baumbast  u.  dergl.)  mangelte,  Häute  von  Ziegen  und  Schafen 
verwendet  habe.  Aber  mit  seiner  Erklärung  können  wir  uns 
nicht  zufrieden  geben,  denn  wenn  er  selbst  sagt,  das  Wort 
»Haut«  sei  seit  alter  Zeit  eingebürgert,  so  ergibt  sich  im 
Gegenteil,  daß  »Haut«  das  alte  und  byblos  das  neue  Wort 
für  Buch  war.  Es  ist  sehr  begreiflich,  daß  man  die  alte  Be- 
zeichnung behielt,  als  der  Stoff  sich  änderte.  Ob  aber  byblos 
wirklich  Papyrus  bedeutete,  ist  für  jene  Zeit  nicht  so  sicher 
wie  für  später,  denn  an  sich  ist  es  der  Name  des  Bastes  und 


l6  Erstes  Kapitel. 

verwandter  Stoffe.  Immerhin  darf  man  es  wahrscheinlich 
auch  hier  auf  Papyrus  deuten.  Sodann  muß  es  befremden, 
daß  Herodot  in  seiner  Beschreibung  Ägyptens  zwar  viele 
andere  Gegenstände  aus  Papyrus  erwähnt,  über  das  Papyrus- 
blatt aber  kein  Wort  verliert;  man  sollte  meinen,  s  müßte 
ihm  vor  allem  beachtenswert  gewesen  sein,  und  er,  der 
so  viel  zu  sehen  und  zu  hören  verstand,  müßte  wenigstens  in 
Ägypten  selbst  Papyrusrollen  zu  Gesicht  bekommen  oder 
davon  erfahren  haben.  War  die  Papyrusrolle  in  seiner 
Heimat  unbekannt  oder  selten,  so  scheint  sein  auffälliges 
Schweigen  ganz  unbegreiflich;  es  wird  noch  am  ehesten  ver- 
ständlich, wenn  dieser  Beschreibstoff  den  Griechen  damals 
bereits  geläufig  war.  Vielleicht  ist  für  ihn  überall,  wo  er  das 
Wort  byblos  anwendet,  Papyrus  schon  die  selbstverständ- 
liche Voraussetzung.  Alles  in  allem  darf  man  daher  für 
Herodots  Zeit  den  Papyrus  als  einen  gebräuchlichen  Stoff  in 
der  griechischen  Welt  voraussetzen,  zumal  da  seit  dem 
ägyptischen  Könige  Psammetich  I.  (663— 609  v.  Chr.)  Ägypten 
dem  Handel,  vornehmlich  griechischen  Kaufleuten,  offen 
stand  und  der  Papyrus  gewiß  bald  eine  Ausfuhrware  wurde. 
Unendlich  viel  größer  mußten  aber  Erzeugung  und  Ausfuhr 
nach  Ägyptens  voller  Erschließung  durch  Alexander  den 
Großen  werden;  denn  nun  begann  es  die  ganze  Kulturwelt 
um  das  Mittelmeer  zu  versorgen,  in  höchster  Steigerung,  als 
das  römische  Kaisertum  diese  Welt  zu  einem  Reiche  zu- 
sammenfaßte. 

Vielleicht  könnten  wir  über  den  Umfang  der  Fabrikation 
besser  urteilen,  wenn  wir  mehr  von  den  Preisen  wüßten. 
Zwar  lesen  wir  mehrfach  in  Papyrusurkunden  Preisangaben, 
aber  nirgends  erhalten  wir  eine  brauchbare  Belehrung,  denn 
es  handelt  sich  überall  um  ganz  ungleiche  Größen,  und  der 
Berechnung  liegen  verschiedene  Geldwährungen  zugrunde. 
Mit  den  spärlichen  Angaben  über  die  Preise  außerhalb  Ägyp- 
tens ist  erst  recht  nichts  anzufangen.  Als  am  Ende  des 
5.  Jahrhunderts  v,  Chr.  in  Athen  die  erwähnte  Baurechnung 
für  den  Erechtheustempel  aufgestellt  wurde,  bezahlte  man 
für  zwei  Papyrusblätter  2  Drachmen  und  4  Obolen:  jedes 
Blatt  entsprach  dem  Inhalt  einer  Holztafel,  wird  also  jeden- 
falls keine  Rolle  von  vielen  Metern  gewesen  sein.  Die  andere 
Rechnung  aus  dem  Asklepieion  in  Epidauros  bezeugt  einen 
Preis  von  mehr  als  4  Obolen  für  ein  Papyrusblatt,  aber  wir 
ahnen  nicht,  wie  groß  es  war.  Und  die  viel  besprochene  Stelle 
aus  der  Verteidigungsrede  des  Sokrates,  wo  der  Preis  einer 
Schrift  des  Anaxagoras  auf  eine  Drachme  geschätzt  wird, 
sagt  nichts  über  das  Papier;  war  es  Papyrus,  so  muß  man 
die  Summe  allerdings  im  Vergleich  mit  den  für  jene  Baurech- 
nung verwendeten  Blättern  gering  nennen,  selbst  wenn  die 


Das  Schreibmaterial.  ij 

Schrift  noch  so  kurz  war.  Allein  der  Fall  ist  unklar,  unge- 
rechnet, daß  er  sich  auf  Buchpreise,  nicht  auf  Schreibmaterial 
bezieht;  man  tut  am  besten,  ihn  beiseite  zu  lassen.  Wer 
sich  aber  an  die  Verwendung  der  Ostraka,  der  Tonscherben, 
erinnert,  wer  in  manchem  Brief  gelesen  hat,  daß  der  Schreiber 
den  Empfänger  um  Zusendung  eines  Papyrusblattes  bittet, 
damit  er  antworten  könne,  wer  von  Martial  gelernt  hat,  wie 
wertvoll  ein  leeres  Blatt  im  kaiserlichen  Rom  war,  wird  geneigt 
sein,  den  Papyrus  als  ein  ziemlich  teures  Material  zu  be- 
trachten, das  naturgemäß  außerhalb  Ägyptens  noch  teurer 
war.  Weshalb  hätte  man  sonst  so  häufig  beide  Seiten  der 
Rolle  beschrieben,  ja  sogar  die  Schrift  abgewaschen,  um  das 
Blatt  wieder  zu  benutzen.?  Der  bedrohliche  Mangel,  der  in 
Rom  unter  Tiberius  eintrat  und  den  Senat  nötigte,  die  Ver- 
teilung in  die  Hand  zu  nehmen,  wird  aus  einem  zeitweiligen 
Rückgang  der  Erzeugung  und  somit  aus  einem  Steigen  der 
Preise  zu  erklären  sein;  die  Papyruspflanzer  verstanden  sich 
darauf,  durch  verminderte  Erzeugung  ihre  Ware  kostbar 
zu  machen.  Ebenso  läuft  das  Ausfuhrverbot,  das  einmal  in 
ptolemäischer  Zeit  ergangen  sein  soll,  um  zugunsten  der 
alexandrinischen  Bibliothek  die  Konkurrenzgründung  in 
Pergamon  niederzuhalten,  in  Wirklichkeit  auf  eine  Preis- 
treiberei der  sehr  geschäftstüchtigen  Ptolemäer  hinaus. 
Wenn  im  ersten  Jahrhundert  der  Kaiserzeit  neben  der 
Papyrusrolle  der  Pergamentkodex  als  bescheidenere  Buch- 
form zur  Geltung  kommt,  so  spricht  auch  dies  für  die  Kost- 
spieligkeit des  Papyrus. 

Wahrscheinlich  belegten  die  in  Steuersachen  sehr  findigen 
Ptolemäer  auch  die  Papyrusfabrikation  mit  einer  Abgabe.  In 
der  späteren  Kaiserzeit  wurde  sie  Monopol;  wenn  auch  willkür- 
liche Maßregeln  gegen  die  Ausfuhr  und  gewinnlüsterne  Ver- 
minderung des  Anbaus  fortfielen,  so  ist  unter  dem  Monopol  der 
Preis  auch  nicht  gerade  gesunken.  Jedenfalls  muß  diese  Ein- 
nahmequelle sich  gelohnt  haben,  da  auch  in  byzantinischer  Zeit 
der  Staat  die  Fabrikation  unter  seiner  Hand  behielt.  Damals 
versah  man  das  erste  Blatt  einer  Rolle,  richtiger  des 
Ballens,  das  Protokoll,  mit  einer  steifen,  großen  Auf- 
schrift, die  wahrscheinlich  in  irgend  einer  Form  die  fiskali- 
schen Rechte  ausdrückte.  Als  die  Araber  Ägypten  eroberten, 
blieben  sie  bei  demselben  Verfahren,  nur  daß  jetzt  der  amt- 
liche Stempel  arabisch  und  griechisch  lautete.  So  kommt 
es,  daß  der  Osterbrief  eines  alexandrinischen  Patriarchen 
aus  dem  8.  Jahrhundert  am  Kopfe  der  prachtvollen,  über 
6  m  langen  Papyrusrolle  den  Namen  des  Propheten  Moham- 
med trägt,  gewiß  nicht  zur  Erbauung  der  Geistlichkeit. 
Diese  Stempelung  bedeutet  entweder  Herkunft  aus  der 
Staatsfabrik  oder   Erlegung   der   Stempelsteuer.      Die    Ent- 

S  c  h  u  b  a  r  t ,  Das  Buch.     a.  Aufl.  2 


l8  Erstes  Kapitel. 

zifferung   der  sog.  »Stempelschrift«  steht   noch   in   den  An- 
fängen. 

3.  Leder  und  Pergament.  War  der  Papyrus  ein 
ägyptisches  Erzeugnis  und  für  die  griechische  Buchfabrikation 
ein  ausländisches  Material,  so  hatte  das  Leder  als  Be- 
schreibstoff keine  begrenzte  Heimat.  Die  von  den  Haaren 
befreite  und  gereinigte  Tierhaut  ist  den  Orientalen  wie  den 
Griechen  seit  ältester  Zeit  vertraut  gewesen.  Einige  alt- 
ägyptische Lederhandschriften  sind  auf  uns  gekommen,  und 
wir  wissen,  daß  auch  die  Assyrer  sich  der  Tierhaut  bedienten. 
Die  Juden  haben  seit  alters  ihre  heiligen  Schriften  auf 
Lederrollen  aufgezeichnet,  deren  Nachkommen  die  heutigen 
Thorarollen  sind.  Der  griechische  Arzt  Ktesias,  der  lange 
Zeit  am  Hofe  des  persischen  Großkönigs  lebte,  hat  dort 
erfahren,  daß  die  Perser  die  Taten  der  Alten,  d.  h.  wohl 
ihre  Geschichte,  auf  Tierhäute  aufgezeichnet  hätten;  man 
nannte  diese  Chroniken  »königliche  Häute«.  Eine  alte,  ohne 
Zweifel  orientalische  Sitte  scheint  es  zu  verraten,  wenn 
man  auf  der  Insel  Cypern  den  Schreiblehrer  bezeichnete  als 
»den,  der  die  Haut  salbt«,  wobei  freilich  unsicher  bleibt,  ob 
gemeint  ist,  er  bestreiche  sie  mit  Fett  oder  Öl,  um  sie  ge- 
schmeidig zu  machen,  oder  er  »lösche  die  Haut  aus«,  d.  h. 
er  verbessere  die  auf  Leder  geschriebene  Arbeit  des  Schülers 
durch  Auslöschen.  Neuerdings  sind  in  Kurdistan  zwei  grie- 
chische Urkunden  auf  pergamentähnlichem  Leder  aufge- 
taucht, die  dem  l.  Jahrhundert  v.  Chr.  angehören.  Jedenfalls 
war  dem  gesamten  Vorderasien  die  Tierhaut  als  Schriftträger 
geläufig.  Dies  ist  wichtig,  weil  innerhalb  des  griechischen 
Kulturkreises  das  Leder  bei  den  loniern  besondere  Bedeutung 
erlangt  zu  haben  scheint,  die  lonier  aber  zuerst  und  am 
stärksten  von  allen  Hellenen  vorderasiatischem  Einflüsse 
offen  standen.  Zu  Herodots  Zeiten  noch  belegten  sie,  wie 
wir  sahen,  andere  Stoffe  wie  Papyrus  und  Bast  mit  dem 
Namen  »Tierhaut«  (diphthera),  die  ihnen  daher  seit  langem 
vertraut  gewesen  sein  muß.  Auf  der  andern  Seite  nötigt 
uns  nichts,  diese  Sitte  auf  die  lonier  zu  beschränken,  denn 
daß  sonst  in  der  griechischen  Literatur  des  5.  Jahrhunderts 
V.  Chr.  sich  kein  Hinweis  auf  die  Tierhaut  findet,  ist  ohne 
Belang,  wird  doch  überhaupt  nur  an  ganz  wenigen  Stellen 
etwas  über  das  Schreibmaterial  verraten.  Ja  es  spricht 
sogar  manches  dafür,  bei  den  Griechen  der  alten  Zeit  im 
allgemeinen  die  Tierhaut  vorauszusetzen.  Um  etwas  Uraltes 
zu  bezeichnen,  pflegte  man  zu  sagen,  es  sei  älter  als  die 
Tierhaut,  und  wenn  ein  später  Schriftsteller  den  Zeus  sich 
lange  in  die  Häute  vertiefen  läßt,  so  sieht  man  deuthch, 
daß  die  Tierhaut  als  Buch-  und  Schreibmaterial  dem  Be- 
wußtsein  des  Volkes  uralt  erschien.     Ebendahin  weist  die 


Das  Schreibmaterial.  I^ 

Beobachtung,  daß  die  Götter,  sofern  sie  schreibend  einge- 
führt werden,  zur  Tierhaut,  zur  Schreibtafel  oder  zu  Ton- 
scherben greifen.  Das  derbe  Leder  hat  sich  auch  weiterhin,  als 
anderes  in  den  Vordergrund  trat,  nicht  völlig  verdrängen 
lassen  und  taucht  ganz  spät,  gegen  das  lO.  Jahrhundert 
unserer  Zeitrechnung  als  Träger  koptischer,  arabischer  und 
nubischer  Urkunden  wieder  auf,  die  wahrscheinlich  aus 
Ägyptens  südlichem  Nachbarlande  Nubien  stammen,  wo  man 
offenbar  an  den  feineren  Stoffen  Mangel  litt  und  sich  behelfen 
mußte.  Nubischer  Herkunft  sind  auch  die  merkwürdigen 
Schriftstücke  auf  Gazellenleder. 

Etwa  im  3.  Jahrhundert  v.  Chr.  hat  man  das  Leder 
feiner  und  glätter  zu  machen  gelernt,  nach  glaubwürdiger 
Überlieferung  bezeichnenderweise  gerade  an  der  Küste  Klein- 
asiens im  Zusammenhange  mit  dem  Aufblühen  Pergamons 
und  seiner  berühmten  Bibliothek.  Daher  war  es  berechtigt, 
das  längst  bekannte  Material  in  seiner  verfeinerten  Gestalt 
Pergament  zu  nennen;  Häute  von  Schafen  und  Ziegen 
eigneten  sich  am  meisten  für  das  neue  Verfahren.  Die  wichtig- 
sten Vorzüge  des  Leders  bestanden  in  seiner  Dauerhaftigkeit, 
seiner  Glätte  und  seiner  hellen  Farbe,  die  einen  vortrefflichen 
Grund  für  die  schwarze  Tinte  bildete.  Diese  Vorteile  werden 
ihm  auch  einen  erheblichen  Raum  verschafft  haben,  als  es 
unter  dem  Namen  des  Pergaments  von  neuem  zur  Geltung 
kam,  obwohl  dieser  Aufschwung  in  eine  Zeit  fiel,  die  unter 
dem  Zeichen  des  Papyrus  stand..  An  sich  war  das  Leder  und 
nicht  minder  das  Pergament  für  die  Rollenform  ebenso 
geeignet  wie  der  Papyrus  oder- noch  besser,  da  es  nicht  so 
leicht  zerrissen  werden  konnte;  es  ist  als  Schriftrolle  benutzt 
worden,  obgleich  wir  nur  spärlich  darüber  unterrichtet  sind 
und  nur  wenige  Beispiele  kennen.  Jedenfalls  ist  sie  auch  den 
Griechen  wohl  bekannt  gewesen.  Ganz  abgesehen  davon, 
daß  man  im  Mittelalter  das  Pergament  als  Rolle  handhabte, 
sehen  wir  die  Möglichkeit  der  Ledcrrolle  noch  vor  Augen  in 
erhaltenen  Exemplaren  ägyptischer  Texte,  die  vor  dem 
Beginn  einer  griechischen  Literatur  auf  Lederrollen  geschrie- 
ben worden  sind;  unzweideutig  reden  auch  die  Zeugnisse 
von  den  Gesetzesrollen  der  Juden.  Demnach  ist  kaum  zu 
bezweifeln,  daß  die  pergamenische  Bibliothek,  soweit  sie 
Pergamentbücher  enthielt,  in  Pcrgamentrollcn  zu  denken  ist. 
In  Priene  hat  man  im  i.  Jahrhundert  v.  Chr.  amtliche  Schrift- 
stücke doppelt,  auf  Papyrus-  und  auf  Lederrollcn,  jedenfalls 
Pergamentrollen,  ausgefertigt.  Auch  die  römischen  Juristen, 
denen  es  gerade  auf  die  Form,  ob  Rolle  oder  Kodex,  ankam, 
rechnen  das  Leder  zu  den  Stoffen,  die  als  Rolle  verwendet 
werden  können.  Und  noch  in  einer  weit  späteren  Zeit  gab 
es  Leder-  oder  Pergamentrollen,  wie  das  Prachtexemplar  in 


20  Erstes  Kapitel. 

der  Bibliothek  des  Kaisers  Konstantin,  das  die  Homerischen 
Gedichte  in  Goldschrift  enthielt.  Hatten  Leder  und  Perga- 
ment den  Nachteil,  nur  Rollen  von  mäßigem  Umfange  zu 
liefern,  wegen  der  natürlichen  Grenze,  die  die  Größe  der 
Tierhaut  vorschrieb,  so  konnte  man  doch  die  Häute  zu- 
sammenfügen, wenn  auch  schwerlich  die  Ausdehnung  großer 
Papyrusrollen  erreichen.  Daß  es  geschah  und  bei  sorgfälti- 
ger Arbeit  unbemerkt  blieb,  erzählt  Aristeas  von  den  Prunk- 
rollen der  Juden. 

Besonders  geeignet  aber  waren  Leder  und  Pergament, 
wo  es  sich  um  kurze  Aufzeichnungen  handelte;  für  Ur- 
kunden und  Briefe,  für  private  Notizen  aller  Art  hat 
das  Pergamentblatt  außerhalb  Ägyptens  sicherlich  weit 
größere  Verbreitung  gehabt,  als  wir  heute  übersehen  können. 
Wenn  wir  es  etwa  von  Ciceros  Zeit  an  für  solche  Zwecke 
allgemein  benutzt  finden,  so  bedeutet  das  nicht  eine  Neue- 
rung, sondern  nur,  daß  wir  für  diese  Zeit  mehr  davon  wissen 
als  für  die  voraus  liegenden  Jahrhunderte.  Die  Entdeckungen 
auf  ägyptischem  Boden,  die  erst  verhältnismäßig  spät  auch 
Pergamentblätter  aufweisen,  geben  uns  nicht  das  Recht,  die 
Verhältnisse  in  Griechenland  und  in  Italien  danach  zu  be- 
urteilen. Gerade  für  den  Notizenzettel  aus  Pergament  haben 
wir  Zeugnisse  genug,  besonders  seit  dem  I.Jahrhundert 
v.  Chr.  Wenn  meistens  von  den  Entwürfen  dichterischer 
Werke  die  Rede  ist,  so  liegt  es  daran,  daß  wir  unsere  Kenntnis 
aus  gelegentlichen  Bemerkungen  des  Horaz,  des  Persius,  des 
Juvenal  und  andrer  Dichter  schöpfen.  Auch  die  »Mem- 
branen«, die  der  Apostel  Paulus  sich  von  seinem  Schüler 
Timotheos  nachbringen  läßt,  mögen  solche  Zettel  sein.  Mit 
einzelnen  Pergamentblättern  wird  der  Gelehrte  gearbeitet 
haben,  der  genötigt  war,  aus  großen  Rollen  Auszüge  für  seine 
Zwecke  zu  machen,  denn  Papyrusblätter  mußten  rasch  be- 
schädigt werden,  wenn  man  sie  wieder  und  wieder  zur  Hand 
nahm.  So  dürfen  wir  uns  den  Alexandriner  Didymos,  dessen 
Arbeitsweise  auf  zahllose  Auszüge  hinweist,  mitten  unter 
Tausenden  von  Pergamentzetteln  hantierend  vorstellen.  Daß. 
sie  im  geschäftlichen  Verkehr  unentbehrlich  waren,  versteht 
sich  von  selbst,  und  zum  Überflusse  werden  auch  Schuld- 
verschreibungen auf  Pergament  ausdrücklich  ei  wähnt.  Ver- 
mutlich ist  auf  diesem  Gebiete  der  öffentliche  Verkehr  samt 
Handel  und  Wandel  der  Lehrmeister  der  Schriftsteller  und 
Gelehrten  gewesen,  gewiß  schon  lange  vor  Ciceros  Zeit.  Aber 
erst  durch  den  Kodex,  die  moderne  Buchform,  hat  das  Perga- 
ment die  Herrschaft  im  Buchgewerbe  errungen;  die  alte 
Lederrolle  und  die  Pergamentrolle  haben  zwar  auch  literari- 
schen Zwecken  gedient,  aber  neben  der  Papyrusrolle  sich 
nicht    behaupten  können.      Im  großen  und  ganzen  ist  also- 


Das  Schreibmaterial.  21 

für  das  Pergament  als  Träger  eines  literarischen  Inhalts  die 
Kodexform  ebenso  bezeichnend,  wie  es  die  Rolle  für  den 
Papyrus  ist.    Vgl.  Abb.  24,  25,  26. 

Die  allgemeine  griechische  Bezeichnung  für  die  Tier- 
haut ist  diphthera;  sie  taucht  auch  bei  Cicero,  dem  der 
etwas  altertümliche  Klang  des  Wortes  bewußt  ist,  und  noch 
später  immer  wieder  auf.  Die  Römer  sagen  membrana. 
Beide  Namen  können  auch  das  Pergament  bezeichnen;  aber 
seine  unterscheidende  Eigenart  prägt  sich  deutlich  genug  in 
dem  neuen  Namen  aus,  dessen  Ableitung  von  Pergamon 
gegen  manche  an  sich  nicht  grundlose  Bedenken  verteidigt 
werden  darf.  Die  späte  Nachricht,  Pergament  zu  sagen,  sei 
besonders  bei  den  Römern  üblich,  könnte  eine  gewisse  Stütze 
in  Roms  Beziehungen  zu  Pergamon  seit  dem  2.  Jahrhundert 
V.  Chr.  finden;  allein  sie  sagten  meistens  membrana  und 
kannten  das  Leder  als  Schriftträger  sicherlich  schon  früher; 
so  werden  sie  in  Wirklichkeit  den  für  die  neue  Technik  ge- 
prägten Namen  von  den  Griechen  übernommen  haben. 

Was  wertvoller  war,  Pergament  oder  Papyrus,  läßt  sich 
allgemein  gar  nicht  sagen,  da  alle  Werte  solcher  Art  natur- 
gemäß nach  Zeit  und  Ort  wechseln,  und  da  es  obendrein  sehr 
auf  die  Güte  der  beiden  Stoffe  ankam.  An  der  Küste  Klcin- 
asiens  scheint  zu  Anfang  des  i.  Jahrhunderts  v.  Chr.  Perga- 
ment mehr  gegolten  zu  haben  als  Papyrus;  im  Rom  der 
ersten  Kaiserzeit  dürfte  umgekehrt  der  Papyrus  kostbarer 
gewesen  sein.  Will  man  eine  Schätzung  versuchen,  so  muß 
man  davon  ausgehen,  daß  das  Pergament  oder  das  Leder 
von  Anfang  an  im  Kulturkreise  des  Mittelmeers  überwiegend 
das  Material  des  täglichen  Lebens  war  und  erst  allmählich 
zum  Range  eines  Buchmaterials  emporstieg;  die  gleichmäßige 
Benutzung  beider  Seiten  gegenüber  dem  L^nterschicde  von 
Rekto  und  Verso  beim  Papyrus  besagt  dagegen  nichts,  denn 
sie  beruht  nicht  auf  der  Eigenart  des  Stoffes,  sondern  auf  der 
Form  des  Heftes;  alles  in  allem  darf  man  dem  Pergament 
eher  einen  geringeren  Wert  zuschreiben,  zumal  da  auch  seine 
Herstellung  nicht  das  Monopol  eines  einzigen  Landes  war. 
Gerade  deshalb  erfahren  wir  auch  wenig  über  seine  Fabrika- 
tion, die  jedenfalls  überall  betrieben  worden  ist  und  besondere 
Arten,  wie  z.B.  die  Vitelliana  genannten  Blättchen  im 
kaiserlichen  Rom,  hervorgebracht  hat. 

Die  beiden  Seiten  der  Tierhaut,  die  Haarseite  und  die 
Fleischseite,  kann  zwar  das  geübte  Auge  ziemlich  leicht 
unterscheiden,  ob  sie  aber  jemals  eine  ähnliche  Bedeutung 
wie  die  Rekto-  und  Versoseite  des  Papyrus  erlangt  haben, 
wissen  wir  nicht,  da  uns  die  alten  Pergamentrollen  etwa  der 
pergamenischen Bibliothek  unbekannt  sind;  vermutlich  genoß 


2  2  Erstes  Kapitel. 

in  ihnen  die  eine  Seite  ebenso  den  Vorzug  wie  in  der  Papyrus- 
rolle. An  sich  kann  Pergament  auf  beiden  Seiten  gleich  gut 
beschrieben  werden  und  empfiehlt  sich  auch  dadurch  für  die 
Notizen  des  täglichen  Lebens.  Mit  diesem  Vorteil  geht  Hand 
in  Hand  der  andere,  daß  die  Schrift  hier  weit  leichter  auszu- 
löschen ist  als  auf  Papyrus.  Die  Alten  haben  es  wegen  dieser 
Eigenschaft  geradezu  palimpsestum  genannt,  d.  h.  das 
wieder  Geschabte;  z.  B.  Catull  und  Cicero,  der  einen  Brief- 
bogen so  bezeichnet;  die  erste  Schrift  zu  tilgen,  war  zwar 
auch  beim  Papyrus  möglich,  und  es  fehlt  nicht  an  erhaltenen 
Beispielen,  aber  weit  bequemer  war  es  beim  Pergament.  Auf 
der  andern  Seite  leidet  die  auf  Pergament  gesetzte  Schrift 
mehr  durch  Feuchtigkeit  als  die  auf  Papyrus;  wo  er  sich 
überhaupt  erhält,  bleibt  auch  die  Schrift  in  der  Regel  deut- 
lich, während  sie  auf  gut  erhaltenen  Pergamentblättern  oft 
verwaschen  aussieht.  Dazu  kommt,  dai3  die  metallische 
Tinte  der  byzantinischen  Zeit  das  Pergament  angreift,  so  daß 
in  vielen  Fällen  jeder  Strich  zu  einem  Loch  geworden  ist. 
Unter  ungünstigen  Bedingungen  bietet  daher  ein  altes  Perga- 
mentblatt eher  mehr  Schwierigkeiten  für  die  Entzifferung  als 
ein  gleich  beschädigtes  Papyrusblatt.  Man  hat  freilich  ver- 
waschene Pergamentschrift  durch  chemische  Mittel  wieder 
deuthch  zu  machen  und  neuerdings  sogar  zu  photographieren 
gelernt;  beim  Papyrus  müssen  alle  Versuche,  beschädigte 
Schrift  wieder  zu  beleben,  vergeblich  bleiben,  weil  hier  die 
Tinte  meistens  abgerieben  und  auf  keine  Weise  zu  ersetzen 
ist,  ganz  abgesehen  von  der  andern  Beschaffenheit  der  älteren 
Tinte.  Von  unserem  Standpunkte  aus  darf  man  die  Dauer- 
haftigkeit der  beiden  Schreibstoffe  überhaupt  nicht  ver- 
gleichen, weil  ihre  Schicksale  durchaus  verschieden  gewesen 
sind.  Wohl  erhaltene  Pergamentbücher  haben  ein  friedliches 
Dasein  in  Bibliotheken  geführt;  gleich  alte  und  gleich  wert- 
volle Papyrustexte  dagegen  verdanken  wir  hauptsächlich  den 
ägyptischen  Kehrichthaufen.  Aber  die  Masse  der  Pergamente 
des  Abendlandes  ist  genau  so  zugrunde  gegangen  wie  seine 
Papyrusblätter. 

Papyrus  und  Pergament  sind  endlich  durch  das  Papier 
verdrängt  worden,  das  wahrscheinlich  nach  chinesischem 
Vorbilde  zuerst  um  die  Mitte  des  8.  Jahrhunderts  n.  Chr. 
in  Samarkand  aus  Leinen  und  Hanf  hergestellt  und  von 
den  Arabern  der  westlichen  Welt  zugeführt  wurde.  Als 
Schriftträger  dient  es  in  Ägypten  sowohl  arabischen  wie 
koptischen  Texten,  hier  und  überall  sonst  vor  allem  der 
Fortpflanzung  griechischer  Literatur  im  Mittelalter,  ohne  für 
das  griechische  Buchwesen  eine  Bedeutung  zu  besitzen;  denn 
die  Buchformen  hatten  sich  längst  am  Papyrus  und  am 
Pergament  gestaltet. 


Das  Schreibmaterial.  23 

4.  Schreibtafel.  Dem  Papyrus  und  dem  Pergament 
reiht  sich  die  Schreibtafel  aus  Holz  an  letzter  Stelle  an. 
Im  täglichen  Leben  vielleicht  mehr  als  die  andern  Materiale 
gebraucht,  hat  sie  für  das  Buchwesen  nur  mittelbar  eine 
Bedeutung  gewonnen.  Einfache  Tafeln  sind  von  den  frühe- 
sten Zeiten  an  gang  und  gäbe  gewesen;  den  Griechen  waren 
sie  zur  Zeit  der  Perserkriege  längst  geläufig,  wie  denn  Pigres, 
der  Verfasser  des  dem  Homer  zugeschriebenen  komischen 
Heldengedichts  vom  Kriege  der  Frösche  und  der  Mäuse  sie 
wohl  kennt.  Sie  haben  das  Altertum  überdauert,  und  in  ver- 
ändertem Material,  aber  unveränderter  Gestalt  kennt  sie 
heute  jedes  Kind  als  Schiefertafel.     Holzbrettchen  wurden 


'rT^.r'  TZ-"^  6rr^ 


/l^^;' 


itt 


y->'-'.  ;.    Ge weißte  Holztafel,    enthaltend  Ilias  2,  147-162;   am  Schluß 
das  Datum  der  Schularbeit. 

häufig  weiß  gefärbt,  um  die  Schrift  deutlicher  hervortreten 
zu  lassen,  oder  auch  mit  einer  Stuckschicht  überzogen,  die 
das  Schreiben  und  Abwaschen  erleichterte.  Der  Wohl- 
habende fand  diese  Vorteile  mit  elegantem  Aussehen  in  der 
Elfenbeintafel  vereinigt  und  konnte  sogar  mit  noch  kost- 
bareren Stoffen  prunken. 

Wichtiger  aber  als  die  einfachen  Holzbrettchen  sind  die 
zu  zwei  oder  mehr  zusammengefügten  Tafeln.  Sie  wurden  an 
zwei  oder  drei  Stellen  durchbohrt  und  mit  Fäden  oder  Ringen 
verbunden,  wobei  natürlich  ihr  Format  gleich  sein  mußte. 
So  erhielt  man  zwei  innere  Flächen,  die  beim  Zusammen- 
klappen geschützt  waren  und  die  Schrift  besser  bewahren 
konnten.  Häufig  wurden  an  den  Außenrändern  Fäden  zum 
Verschluß  angebracht,  wodurch  das  Ganze  zum  geschlossenen 
Hefte  wurde  (Abb.  5).    Von  der  Verbindung   zweier  Tafeln 


24 


Erstes  Kapitel. 


ging  man  weiter  zu  drei  und  mehreren;  schon  das  5.  Jahr- 
hundert V.  Chr.  hat  solche  gekannt,  und  die  »vieltürigen 
Klappen  der  Schreibtafel«  bei  Euripides  dürfen  wörtHch  ge- 
nommen werden,  nachdem  wir  dicke  Blöcke  solcher  Tafeln 
gefunden  haben,  die  freilich  das  Notizbuch  zu  einer  unbe- 
quemen Last  machten. 

Um  aber  die  Schrift  noch  wirksamer  zu  schützen,  ver- 
tiefte man  das  Innere  der  einzelnen  Tafel  und  heß  nur 
ringsum  einen  Rand  stehen.  Die  viereckige  Vertiefung 
wurde  mit  Wachs  ausgestrichen  und  ergab  eine  leicht  ritz- 
bare Schreibfläche,  die 
obendrein  wieder  ge- 
glättet und  von  neuem 
benutzt  werden  konn- 
te. Daß  der  Metall- 
griffel auf  Wachs  we- 
der so  schön  noch  so 
geläufig  schrieb  wie 
die  Rohrfeder  auf  Pa- 
pyrus oderPergament, 
beweisen  die  meisten 
Wachstafeln,  die  wir 
noch  besitzen.  Das 
war  aber  auch  nicht 
nötig,  weder  für  die 
Schulübung  noch  für 
die  flüchtige  Notiz. 
Um  die  eingeritzten 
Züge  kräftiger  von 
der  Grundfläche  ab- 
zuheben, hat  man 
wahrscheinlich  schon 
im  Altertum  dasWachs 
dunkel  gefärbt.  Wenn 
heute  der  Wachsüber- 
zug vöUig  schwarz  aussieht,  so  ist  das  nicht  eine  Folge  des  Alters, 
sondern  eben  jener  Färbung,  deren  Zweckmäßigkeit  ein  Ver- 
such bewiesen  hat.  Solche  Wachstafeln  führte  jeder  bei  sich, 
der  überhaupt  in  die  Lage  kam,  sich  Notizen  zu  machen,  der 
Kaufmann  wie  der  Politiker  und  der  Schriftsteller.  So  dürfen 
wir  uns  die  Entwürfe  der  griechischen  Literaturwerke  minde- 
stens bis  ins  5.  Jahrhundert  v.  Chr.,  ehe  Papyrus  sich  mehr 
einbürgerte,  auf  einfachen  Holztafeln  oder  Wachstafeln  vor- 
stellen, deren  z,  B.  die  Tragödie  öfters  gedenkt.  Die  Schreib- 
tafel des  Aischylos  war  noch  nach  Jahrhunderten  eine  kost- 
bare Rarität.  Die  einfache  Tafel  wie  die  Wachstafel  war  vor 
allem  in  der  Schule  heimisch.     So  finden  wir  z.  B.  auf  zwei 


A-bb. 


Neun   verbundene  "Wachstafeln, 
Übungshefb  eines  Schülers. 


Das  Schreibmaterial. 


25 


20  Erstes  Kapitel. 

unverbundenen,  weiß  gestrichenen  Brettchen  Verse  aus  der 
Ihas  aufgezeichnet,  bei  denen  die  Worttrennung  durch  Striche 
bezeichnet  ist;  am  Schlüsse  steht  das  Datum  der  Schularbeit 
(Abb.  4).  Zusammengehörige  Wachstafeln  haben  uns  ein  sonst 
unbekanntes  Gedicht  erhalten,  das  der  Schüler  aus  dem  Ge- 
dächtnis aufgeschrieben  und  dabei  arg  zugerichtet  hat,  andere 
enthalten  Schülerpräparationen  zu  Homer,  und  ein  Heft  aus 
9  Wachstafeln  führt  uns  allerlei  Schreib-  und  Rechenübungen 
eines  Anfängers  vor  Augen  (Abb.  5).  Aber  auch  für  alle  mög- 
lichen andern  Aufzeichnungen,  für  Rechnungen,  für  Urkunden, 
für  Verwünschungen  wie  für  Gebete  dienten  sie  der  ganzen 
griechisch-römischen  Welt,  ohne  durch  Papyrus  oder  Perga- 
ment verdrängt  zu  werden.  In  bildlichen  Darstellungen  aus 
dem  Altertum  erscheinen  sie  sogar  besonders  häufig,  wie  denn 
der  verzierte  Kopf  des  Griffels  auf  Abb.  8  den  Schüler  mit 
Griffel  und  Wachstafelheft  zeigt.  Die  Wachstafel  und  die 
Elfenbeintafel  eigneten  sich  besonders  für  den  Brief;  der 
Empfänger  konnte  das  Wachs  glätten  oder  die  Schrift  löschen 
und  in  dieselbe  Tafel  sofort  die  Antwort  sehreiben.  So  sendet 
bei  Ovid  der  Liebende  sein  Täfelchen  an  die  Geliebte  und 
hofft,  daß  sie  als  Antwort  nur  das  eine  Wort  »Komm«  hinein 
schreiben  werde.  Als  Brief  dient  sie  auch  im  6.  Buche  der 
Ilias,  wo  sie  die  »unheilvollen  Zeichen«  trägt.  Manchmal  ist 
der  Griffel  durch  die  Wachsschicht  ins  Holz  eingedrungen  und 
hat  uns  Schriftzüge  gerettet,  die  sonst  bei  der  Zerstörung 
des  Wachses  verloren  gegangen  wären,  wenn  man  nicht  etwa 
gar  den  Holzgrund  für  besondere  Zwecke  auszunutzen  wußte, 
wie  Demaratos,  der  vom  persischen  Hofe  in  Susa  den  Spar- 
tanern eine  heimliche  Botschaft  geben  wollte:  »Er  nahm  eine 
zweiteilige  Schreibtafel,  kratzte  das  Wachs  aus  und  schrieb 
auf  das  Holz  die  Absicht  des  Königs;  dann  strich  er  wieder 
Wachs  über  die  Buchstaben,  damit  die  Beförderung  der  Tafel 
bei  den  Straßenpolizisten  nicht  auf  Schwierigkeiten  stieße.« 
Für  die  Literatur  kommen  sie  natürlich  nicht  als  eigentliche 
Bücher  in  Betracht,  wohl  aber  als  die  Träger  der  ersten 
Aufzeichnungen  des  Schriftstellers.  Wenn  der  erste  Apollon- 
hymnus  auf  einem  weißen  Brette  in  Delos  stand,  wenn  Euri- 
pides  die  Gesänge  des  Orpheus  auf  »thrakischen  Brettern« 
aufgezeichnet  sein  läßt,  so  muß  man  solche  Niederschriften 
als  öffentliche  Denkmäler  auffassen  und  mit  der  Art  ver- 
gleichen, wie  etwa  die  Gesetze  Solons  öffentlich  ausgestellt 
und  noch  in  der  römischen  Kaiserzeit  amtliche  Bekannt- 
machungen auf  geweißten  Brettern,  die  man  Leukoma 
nannte,  veröffentlicht  wurden.  Es  ist  eine  weniger  feierliche 
und  nicht  so  für  die  Ewigkeit  berechnete  Form  wie  die  Auf- 
stellung steinerner  Inschrifttafeln.  Aber  für  die  Geschichte 
des  Buches  ist  es  wichtig,    daß  diese  zwei-  und  mehrfachen 


Das  Schreibmaterial. 


27 


Abb.  7.     Bleitafel :   Liebeszauber. 


Tafeln  das  unmittelbare  Vorbild  des  Kodex  geworden  sind; 
das  mit  Wachs  ausgestrichene  Brettchen  durch  ein  Pcrga- 
mentblatt  zu  ersetzen,  war  ein  Schritt,  den  die  Alten  in  der 


28  Erstes  Kapitel. 

ersten  Kaiserzeit  bereits  getan  hatten.  Die  Formate  waren 
dem  Zwecke  entsprechend  meistens  klein,  manchmal  länglich, 
manchmal  ziemlich  quadratisch;  die  für  Schulübungen  be- 
nutzte einfache  Holztafel  durfte  größer  sein  als  das  aus 
Waphstafeln    zusammengefügte    Notizbuch. 

Nur  nebenbei  darf  hier  die  Metalltafel  erwähnt  werden, 
die  für  das  Buch  wenig  bedeutet,  obgleich  auch  sie  Träger 
literarischen  Inhalts  werden  konnte.  Die  Bleirolle  ist  uns 
schon  begegnet;  Bleitafeln,  die  sich  leicht  ritzen  ließen,  aber 
auch  mit  Tinte  beschrieben  wurden,  dienten  besonders  für 
Verwünschungen  und  allerlei  Zauberformeln.  Zu  Dodona 
legte  man  dem  Orakel  seine  Fragen  auf  kleinen  Bleitafeln 
vor,  während  die  Ägypter  zu  solchem  Zwecke  Papyruszettel 
nahmen.  Auf  Bleitafeln  waren  Hesiods  »Werke  und  Tage« 
am  Helikon  als  ehrwürdiges  Schaustück  erhalten.  Bronze- 
tafeln, besonders  beliebt  für  die  Entlassungsurkunden  römi- 
scher Legionäre,  haften  ebenso  wenig  an  einer  bestimmten 
Zeit.  Die  eherne  Tafel  aus  dem  Grabe  der  Alkmene  bei 
Hahartos  in  Böotien,  die  nach  Plutarch  mit  unverständ- 
lichen Zeichen,  ägyptischen  Hieroglyphen  ähnhch,  bedeckt 
war,  galt  als  ein  Überrest  grauen  Altertums. 

5.  Schreibzeug.  Nur  mit  wenigen  Worten  will  ich 
noch  auf  das  Schreibgerät  der  Alten  eingehen.  Ägypten 
gebrauchte  eine  dünne  Binse,  die  schräg  gekappt  wurde  und 
sowohl  breite  wie  schmale  Striche  ergab,  je  nachdem  man 
sie  drehte;  mit  ihr  sind  die  hieratischen,  demotischen,  ara- 
mäischen und  noch  die  ältesten  griechischen  Papyri  geschrie- 
ben, wie  nicht  nur  erhaltene  und  sichtUch  benutzte  Schreib- 
binsen beweisen,  sondern  auch  Versuche  dargetan  haben; 
gerade  damit  wurden  jene  Schriftarten  erzielt.  Bei  benutzten 
Stücken  sitzen  die  Farbreste  am  gekappten  Ende,  nicht  am 
andern,  das  etwas  aufgefasert  ist,  wie  es  leicht  von  selbst  ge- 
schehen kann.  Nichts  berechtigt  zu  der  Annahme,  die  alten 
Ägypter  hätten  mit  diesem  faserigen  Ende  wie  mit  einem  Pinsel 
ihre  Schrift  gemalt.  Der  ägyptische  Schreiber  trug  mehrere 
solcher  Binsen  in  der  sog.  Palette  bei  sich,  einem  schmalen 
Holzbrette  mit  Vertiefung  zur  Aufnahme  der  Binsen  und 
flachen  Löchern  für  die  Farbe.  Mehrere  sind  im  Original  auf 
uns  gekommen,  und  ägyptische  Darsteller  zeigen  den  Schrei- 
ber mit  seinem  Geräte,  das  auch  zum  Malen  dienen  konnte. 

Wenn  man  nach  den  Schriftzügen  urteilen  darf,  so  scheint 
noch  im  3.  Jahrhundert  v.  Chr.  das  zugespitzte  Schreibrohr, 
der  Kala  mos,  aufgekommen  zu  sein,  der  eine  dünnere 
Schrift  ermöglicht,  zugleich  aber  auch  gerade  an  den  Fasern 
des  Papyrus  manche  Schwierigkeit  findet.  Er  behauptet  sich, 
in  Massen  gewerbsmäßig  hergestellt,  durch  das  ganze  Alter- 
tum und  im  Orient  bis  in  die  Gegenwart  hinein.    Das  Messer, 


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Abb.  8.  Schreiberpalette.  3  Griffel.  Zweiteiliges  Tintenfaß  für  schwarze- 
und  rote  Tinte. 


30 


Erstes  Kapitel. 


das  den  Kalamos  spaltet,  der  Bimsstein,  woran  seine  stumpf 
gewordene  Spitze  gewetzt  wird,  gehören  zum  unentbehrlichen 

Gerät  des  Schreibenden. 
Für  die  gerade  Richtung 
der  Schriftkolumne  wie 
der  einzelnen  Teile  sorgte 
das  Lineal;  die  Linien  zog 
man  mit  einer  runden 
Bleischeibe,  nicht  nur 
wagerechte,  sondern  auch 
senkrechte  zur  Begrenzung 
der  Schriftkolumnen,  und 
mit  dem  Kalamus  in  der 
Rechten,  dem  Lineal  in 
der  Linken  setzte  sich  der 
Schreiber  an  die  Arbeit. 
Die  Bleitafeln  wie  die 
Wachstafeln  bedurften  na- 
türlich des  Metallgriffels, 
des  Stilus,  der  uns  aus 
vielen  oft  verzierten  Exem- 
plaren noch  wohl  bekannt 
ist;  vielfach  ist  er  am 
oberen  Ende  zu  einem 
kleinen  Spaten  verbrei- 
tert, der  dazu  diente,  das 
Wachs  zu  glätten  und  die 
Schrift  auszulöschen.  Da- 
her bedeutete  »den  Griffel 
wenden«  soviel  wie  »til- 
gen« oder  »von  vorn  an- 
fangen«. 

Die  Tinte  scheint  aus 
Ruß,  Wasser  und  einem 
Klebstoff  hergestellt  zu 
sein;  die  ägyptischen  Pa- 
pyrusfunde stellen  ihr  ein 
glänzendes  Zeugnis  aus, 
denn  sie  hat  ihre  tief- 
schwarze Farbe  auch  un- 
ter ungünstigen  Bedingun- 
gen durch  Jahrtausende 
bewahrt  und  leistet  noch 
heute  der  Feuchtigkeit 
einen  Widerstand,  der  die 
Abb.  9.  Stele  aus  Thyateira:  Beutel  Dauerhaftigkeit  moderner 
mit  Schreibrohren.   Eolle.  Tinte     weit     hinter     sich 


Das  Schreibmaterial. 


31 


zurückläßt.  Erst  in  byzantinischer  Zeit,  etwa  seit  dem 
4.  Jahrhundert  n.  Chr.,  bemerkt  man  neben  der  alten 
Rußtinte  eine  braunrote,  wohl  metallische  Tinte,  die  sich 
weniger  gut  gehalten  hat.  Die  Nöte,  die  der  Schreiber 
bisweilen  mit  einer  schlechten  Tinte  auszustehen  hatte, 
schildert  uns  ergötzlich  der  Dichter  Persius;  bald  ist  sie  zu 
dick,  bald  zu  dünn,  und  schließlich  macht  der  Kalamos  einen 
Klecks.  Wie  ge- 
treu er  ausmalt, 
sehen  wir  an  Brie- 
fen und  Urkun- 
den noch  vor 
uns.  Neben  der 
schwarzen  war 
rote  Tinte  be- 
liebt; in  hierati- 
schen Papyrus 
sind  meistens  die 
Überschriften  der 
Abschnitte  rot 
geschrieben,  eine 
Sitte,  die  in  wei- 
tem Umfange  in 
das  griechisch- 
römischeSchreib- 
wesen  übergegan- 
gen ist,  so  sehr, 
daß  das  Wort 
Rubrum  fast  den 
Sinn  von  Über- 
schrift oder  Titel 
angenommen  hat. 
Ergibt  aber  auch 
Schriftstücke,  die 
ganz  mit  roter 
Tinte  geschrieben 
sind.  Auf  der  Pa- 
lette des  ägypti- 
schen   Schreibers 

befanden  sich  daher  wie  gesagt  zwei  kleine  Vertiefungen  für  die 
schwarze  und  die  rote  Farbe,  wofern  ersieh  nicht  einer  Muschel 
oder  eines  Reibnapfes  bediente.  Später  hatte  man  besondere 
Tintenfässer  aus  Ton  oder  Metall,  oft  zweiteilig  für  schwarze 
und  rote  Tinte  (Abb.  8).  Purpurtinte  blieb  in  römischer  Zeit 
dem  Kaiser  vorbehalten;  Prunkbücher  schrieb  man  in  Silber- 
oder Goldfarbe.  Zum  Schreibgeräte  gehörte  auch  der 
Schwamm,   womit   man    Schreibfehler  beseitigte;    mit   dem 


Abb.  lo.    Ägypter  mit  Schreibgerät.  Holzrelief. 


22  Erstes  Kapitel. 

Messer  zu  radieren,  verbot  sich  bei  Papyrus  von  selbst,  ob- 
gleich man  auch  dies  gelegentlich  versucht  hat.  Das  Ab- 
waschen mit  dem  nassen  Schwamm  hat  den  Dichtern,  be- 
sonders häufig  dem  Ovid,  den  rührsamen  Vergleich  mit  den 
Tränen  an  die  Hand  gegeben;  als  er  seine  Klagelieder  aus  der 
Verbannung  schrieb,  lag  es  ihm  freilich  nahe,  von  den  Tränen 
zu  reden,  die  die  Schrift  auszulöschen  drohten.  Aber  in  einer 
guten  Buchschrift  durfte  man  nichts  von  der  Tätigkeit  des 
Schwammes  sehen,  und  in  Urkunden  wird  öfter  ausdrücklich 
betont,  daß  nichts  gelöscht,  radiert  oder  übergeschrieben  sei, 
eine  sehr  begreifliche  Vorkehrung  gegen  nachträgliche  Ände- 
rungen. 

Der  Schreiber,  der  eine  Lehrzeit  von  etwa  zwei  Jahren 
durchmachen  mußte,  um  das  »Schriftsystem«  sich  anzu- 
eignen, wurde  nach  der  Güte  der  Schrift  und  nach  der 
Zeilenzahl  bezahlt.  Ohne  Zweifel  beschäftigte  dieser  Beruf, 
wie  noch  heute  im  Orient,  ein  ganzes  Heer  von  Leuten  vom 
einfachen  Lohnschreiber  bis  zum  wissenschaftlich  gebildeten 
Privatsekretär,  wie  Ciceros  Tiro  einer  war.  Aber  die  Mehr- 
zahl wird  kaum  in  das  Lob  eingestimmt  haben,  das  die  Lehren 
eines  alten  ägyptischen  Weisen  dem  Schreiberberufe  als  dem 
besten  und  lohnendsten  von  allen  zuerkennen. 

6.  Namen  des  Buches.  In  einem  gewissen  Zusammen- 
hange mit  dem  Beschreibstoffe  stehen  die  Namen,  die  die 
Alten  dem  Buche  gegeben  haben.  Das  Ergebnis  scheint  sehr 
einfach  zu  sein:  die  Griechen  sagten  Biblos  und  die  Römer 
Liber.  Es  liegt  aber  keineswegs  so  auf  der  Hand;  denn  bei 
den  großen  Unterschieden  der  Schriftträger  wie  der  Buch- 
formen stellt  sich  die  Frage  dahin,  ob  die  von  den  Alten  ge- 
brauchten Ausdrücke  bestimmte  Stoffe  und  bestimmte  For- 
men bezeichnen.  Wir  sind  in  der  Betrachtung  des  antiken 
-Buchwesens  auf  die  gelegentlichen  Äußerungen  der  alten 
Schriftsteller  so  sehr  angewiesen,  daß  wir  uns  klar  machen 
müssen,  was  sie  mit  diesem  oder  jenem  Worte  gemeint  haben. 
Gehen  wir  vom  Papyrus  aus,  so  finden  wir  als  den  botanischen 
Namen  der  Pflanze  den  noch  heute  üblichen,  nämlich  Papyros, 
das  Wort,  wovon  wohl  Papier  sich  herleitet.  Herodot  jedoch 
nennt  die  Pflanze  byblos  (dies  scheint  die  ältere,  biblos  die 
jüngere  Schreibweise  zu  sein),  und  auch  sonst  bis  in  nach- 
christliche Zeit  kommt  diese  Bezeichnung  in  Zusammen- 
hängen vor,  die  nur  an  das  Rohmaterial  denken  lassen. 
Wahrscheinlich  aber  bedeutet  sie  nicht  Papyrus  allein,  son- 
dern gerade  so  wie  das  lateinische  liber  den  Bast  und  alle 
vergleichbaren  pflanzlichen  Stoffe.  Auf  der  andern  Seite 
gebraucht  Herodot  eben  dies  Wort  einmal  in  einem  Sinne, 
der  auf  das  Buch  als  solches  bezogen  werden  kann:  die 
lonier,  sagt  er,  bezeichneten  die  bybloi  als  diphtherai  (Häute). 


Das  Schreibmaterial.  ^^ 

Es  ist  wohl  möglich,   daß  er  auch  hier  byblos  im   weitesten 
Sinne  nimmt  und   an   alle  Beschreibstoffe  aus  Bast,  Schilf 
oder  Blättern  denkt;  wenn  aber  bei  Aischylos  dasselbe  Wort 
allem  Anschein  nach  einfach  »Buch«  bedeutet,  so  darf  man 
wohl   annehmen,    daß    auch    Herodot   es   dafür   verwenden 
konnte.     Wahrscheinlich  war  das  Wort  schon  damals  von 
der  Beziehung  auf  das  Material,  Bast  aller  Art  oder  Schilf 
oder  Papyrus,  der  zwar  erst  am  Ende  des  5.  Jahrhunderts 
in  Athen  unzweideutig  erwähnt  wird,  aber  jedenfalls  schon 
länger  bekannt  war,  zu  der  Bedeutung  des   Schriftwerkes, 
des  Buches  übergegangen.    Und  von  da  an  begegnen  wir  ihm 
allenthalben,  bei  Piaton,  bei  Polybios  usw.,  wenn  von  einem 
Literatun\'erke  die  Rede  ist.    Ob  eine  Rolle  damit  gemeint 
ist  oder  nicht,  geht  aus  dem  Worte  an  sich  nirgends  hervor. 
Ebenso  verhält  es  sich  mit  der  abgeleiteten  Form  b  y  b  1  i  o  n . 
Herodot  freilich  macht  einen  Unterschied;  byblion  ist  ihm 
ein  Brief,  ein  Schriftstück  kleineren  Umfangs.     Diesen  Sinn 
hat  das  Wort  in  der  amtlichen  Sprache  bewahrt,    wie  uns 
zahlreiche  Beispiele  aus  griechischen  Urkunden  lehren,  denn 
sie  gebrauchen  byblion  für  eine   Eingabe  an  die   Behörden 
und  für  Aktenstücke.    Wenn  es  nun  zugleich  von  Xenophon 
und  Piaton  an  auch  ein  Buch  bedeutet,  so  ergibt  sich  eine 
Weite   des   Ausdrucks,    die   auch   aus   diesem   Worte   keine 
Folgerungen  für  Form  und  Stoff  zu  ziehen  erlaubt,  um  so 
weniger,  als  auch  in  Urkunden  und  Briefen  selbst  mit  byblion 
gelegentlich  ein  wirkliches  Buch  bezeichnet  wird.    Den  Begriff 
der  Rolle  darf  man  daher  mit  diesen  Ausdrücken  nur  soweit 
verbinden,  als  diese  Buchform  aus  andern  Gründen  voraus- 
gesetzt werden  kann.    Ganz  entsprechend  hat  das  lateinische 
Liber  überall  die  Bedeutung  des  Buches  als  eines  größeren 
Schriftwerkes,   meistens   literarischen    Inhalts,   jedoch   nicht 
ausschließlich.     Am  richtigsten  scheint  das,  was  die  Alten 
imter  byblos  und  byblion  wie  unter  liber  verstanden,  der 
Jurist  Paullus  im  3.  Jahrhundert  n.  Chr.  bestimmt  zu  haben: 
es  ist  nicht  Rolle,  sondern  ein  abgeschlossenes  Schriftwerk. 
Tm  Grunde  ist  also  nicht  der  Inhalt,  sondern  die  Selbständig- 
st des  Inhalts  der  springende  Punkt.    Insofern  kann  auch 
in  Aktenband  gerade  so  gut  ein  »Buch«  sein  wie  ein  Literatur- 
werk.   Dem  entspricht  auch  die  freilich  von  Hause  aus  nicht 
übliche,    aber  später   allgemeine    Gliederung   umfangreicher 
Werke  in  »Bücher«.    Man  darf  aber  nicht  erwarten,  überall 
die  Genauigkeit  juristischer  Bestimmungen  zu  finden,   und 
so  erklärt  es  sich,  daß  jene  Worte  manchmal  eine  Buchform, 
manchmal  ein  Material  anzudeuten  scheinen.    Die  Form  der 
Rolle  dagegen  betont  der  Jurist  Ulpian  in  seiner  Erörterung 
des  Begriffes  über,  offenbar  im  Anschluß  an  das,  was  zu  seiner 
Zeit  üblich  war.  Ihre  eigentlichen  Namen  sind  tcuchos  und 

S  c  h  u  b  a  r  t ,  Das  Buch.    2.  Aufl.  3 


^4  Erstes  Kapitel. 

tomos,  dieser  besonders  für  die  Aktenrolle,  während  er  später 
auch  als  »Band«  für  Literaturwerke  Geltung  gewonnen  hat 
und  noch  heute  in  Frankreich  geläufig  ist.  Wenn  die  Ver- 
kleinerungsformen, bei  den  Griechen  biblidion,  bei  den 
Lateinern  libellus,  eben  so  gut  ein  kleines  Buch  wie  ein 
kleines  Aktenstück  bedeuten,  so  folgen  sie  dem  weiten  Sinne 
ihrer  Stammwörter.  Der  unbeschriebene  Papyrus,  sei  es 
ein  Blatt  oder  eine  •  Rolle,  hieß  allgemein  chartes, 
von  den  Lateinern  umgebildet  charta,  die  Wurzel  unserer 
»Karte«;  das  Wort  wird  meistens  im  eigentlichen  Sinne 
gebraucht  und  bekommt  erst  in  römischer  Zeit  durch 
eine  nahe  liegende  Übertragung  den  Sinn  des  Buches, 
behält  aber  doch  seine  natürliche  Beziehung  auf  die 
Papyrusrolle  wie  bei  den  »drei  gelehrten  und  mühevollen 
Charten«,  von  denen  Catull  spricht.  Einen  besonderen  Sprach- 
gebrauch zeigen  die  diphtherai,  die,  ursprünglich  im  engen 
Anschluß  an  das  Material,  bei  den  loniern  später  überhaupt 
die  Bücher  bezeichneten.  Die  Rollenform  selbst  wurde  durch 
eigene  Ausdrücke  wiedergegeben.  Kylindros  hieß  sie  bei 
den  Griechen,  daneben  auch  Kylistos,  dies  jedoch,  wie  es 
scheint,  nur  für  größere  gerollte  Schriftstücke  und  eine  Mehr- 
heitin einander  gerollter  Blätter,  denn  ihnen  gegenüber  stehen 
die  »Briefe«,  die  gerollt  oder  gefaltet  wurden.  Das  ent- 
sprechende lateinische  Wort  volumen  hat  dieselbe  Klarheit 
in  seiner  Anwendung. 

Wie  unser  deutsches  »Buch«  zugleich  das  Ganze  eines 
Schriftwerkes  und  die  darin  enthaltene  Arbeit  bezeichnet, 
so  umfassen  auch  die  besprochenen  Ausdrücke  der  Alten 
beide  Gesichtspunkte.  Hinter  ihnen  treten  im  gewöhnlichen 
Gebrauche  die  der  schriftstellerischen  Arbeit  als  solcher  gelten- 
den Worte  zurück.  Mit  einer  charakteristischen  Betonung 
der  Schreibarbeit  nannte  man  das  Werk  des  Schriftstellers 
in  Griechenland  Syngramma,  das  Zusammengeschriebene, 
oder  Grammata,  Schriften;  verwandten  Sinnes  sind  Syn- 
taxis  und  Syntagma.  Die  selbständigen  Teile  hießen  Logos, 
Rede,  ein  Wort,  das  erst  später  durch  biblion  und  liber  ersetzt 
worden  ist.  Diese  wie  das  lateinische  Opus,  Werk,  be- 
gegnen uns  bei  Schriftstellern,  denen  man  eine  Nachlässig- 
keit im  Ausdruck  nicht  zutrauen  darf,  neben  biblos,  biblion 
und  liber.  Sie  haben  also  nicht  genau  dasselbe  bedeutet, 
sondern  sich  ähnlich  von  ihnen  unterschieden,  wie  im  Deut- 
schen »Buch«  und  »Schrift«  getrennte  Begriffe  sind,  so  viel 
sie  auch  in  einander  übergehen.  Als  allmählich  neben  der 
Rolle  die  moderne  Buchform  aufkam,  ergab  die  Praxis 
eigene  Bezeichnungen,  vor  allem  das  lateinische  Kodex,  das 
im  folgenden  als  Kennwort  im  Gegensatz  zur  Rolle  gebraucht 
werden  wird.    Ein  allgemein  übliches  griechisches  Wort  dafür 


Das  Schreibmaterial.  35 

gibt  es  nicht.  Durch  das  Material,  das  in  erster  Linie  für 
diese  Buchform  verwendet  wurde,  das  Pergament,  drangen 
wie  oben  bei  der  Rolle  übertragene  Ausdrücke  ein,  nament- 
lich das  lateinische  membrana,  das  jedoch  in  der  großen 
Mehrzahl  der  Fälle  einfach  den  Stoff  bezeichnet.  Der  alte 
griechische  Ausdruck  dafür,  diphthera  gleich  Tierhaut,  wich 
später  dem  noch  heute  üblichen  »Pergament«  und  bekam 
einen  gewollt  altertümlichen  Schein,  wenn  ihn  z.  B.  Cicero 
noch  anwendete.  Er  ist  in  der  Form  »defter«  ins  Türkische 
übergegangen,  wo  er  heute  noch  das  Buch  bedeutet.  Aus 
den  bescheidenen  Anfängen  des  Kodex  stammt  der  nicht 
seltene  Name  pugillare,  Faustbuch,  womit  die  Kleinheit 
und  Bequemlichkeit  des  »Handbuches«  treffend  gekenn- 
zeichnet wird.  Manche  andere  Buchbezeichnungen  wie  Soma 
gleich  Corpus  als  Ausdruck  für  größere  Einheiten,  die  mehrere 
Bücher  umfaßten,  haj^en  keine  unmittelbare  Beziehung  zur 
antiken  Buchtechnik  und  dürfen  deshalb  in  diesem  Über- 
blick beiseite  gelassen  werden,  da  es  hier  nur  auf  die  ge- 
bräuchlichsten Wörter  ankommt.  Alle  Wandlungen  haben 
die  allgemeinen  Wörter  biblos  und  biblion,  liber  und  libellus 
überdauert.  Sie  gelten  für  die  Rolle  wie  für  den  Kodex  und 
sagen  an  sich  weder  über  die  Form  noch  über  das  Material 
des  Buches  etwas  aus.  Ist  dieser  Umstand  auf  der  einen 
Seite  uns  ungünstig,  da  er  der  Untersuchung  über  das  antike 
Buch  manche  wünschenswerte  Stütze  entzieht,  so  bietet  er 
auf  der  andern  Seite  den  Vorteil,  daß  man  sich  der  immer 
gefährlichen  Auslegung  einzelner  Worte,  die  zu  ihrer  Zeit 
ohne  weiteres  verständlich  waren,  es  heute  aber  der  Natur 
der  Sache  nach  nicht  mehr  sein  können,  nur  als  eines  be- 
scheidenen Hilfsmittels  bedienen  kann. 


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Abb.  IT.    Papyrusrolle  als  hieroglyphisches  Schriftzeichen. 


ZWEITES  KAPITEL. 
DIE  BUCHROLLE. 

Unsere  Kenntnis  des  griechischen  und  römischen  Buch- 
wesens fließt  aus  zwei  wesenthch  verschiedenen  Quellen, 
aus  Überlieferung  und  aus  Anschauung.  Die  erste  bieten 
uns  die  Äußerungen  der  alten  Schriftsteller,  die  andere  ver- 
danken wir  in  der  Hauptsache  den  großen  Papyrusfunden 
der  letzten -Jahrzehnte,  hinter  denen  die  ziemlich  zahlreichen 
Darstellungen  in  der  Plastik  wie  auf  Vasen  an  Bedeutung 
weit  zurückbleiben.  Beiden  gemeinsam  ist  der  Zufall,  von 
dem  sie  abhängen;  jene  Dichter,  Geschichtschreiber,  Philo- 
sophen haben  nicht  schildern  wollen,  wie  das  Buch  zu  ihrer 
Zeit  aussah,  sondern  nur  gelegentlich  eine  Andeutung  darüber 
gemacht,  und  die  neueren  Funde  beschränken  sich  fast 
ausschheßlich  auf  den  Boden  Ägyptens,  der  unter  andern 
Überresten  des  Altertums  auch  die  Reste  alter  Bücher  hier 
und  da  bewahrt  hat.  Verstehen  wir  nun  auch  manche  Be- 
merkung der  Schriftsteller  besser,  seitdem  wir  Proben  solcher 
Bücher  vor  Augen  haben,  so  wird  uns  doch  keineswegs  ein 
vollständiger  Überblick  über  die  Entwicklung  des  Buch- 
wesens gewährt.  Denn  die  wirklich  ergiebige  Überlieferung 
stammt  zum  größten  Teile  erst  aus  später  Zeit,  etwa  von 
Ciceros  Tagen  an,  und  gilt  daher  genau  genommen  nur  für 
das  Buchgewerbe  des  hellenistisch-römischen  Zeitalters,  in 
derg  griechische  und  römische  Buchtechnik  kaum  noch  Unter- 
schiede aufweisen.  Die  Anschauung  aber  reicht  wenig  über 
den  Anfang  des  3.  Jahrhunderts  v.  Chr.  hinauf  und  steckt 
der  erhofften  Belehrung  wiederum  eine  zeitliche  und  örtliche 
Grenze.  Wie  es  vorher  ausgesehen  hat,  welche  äußere  Gestalt 
die  Werke  der  klassischen  griechischen  Literatur  zur  Zeit 
ihrer  Entstehung  gehabt  haben,  dafür  geben  uns  die  spärlichen 
Andeutungen  bei  einigen  Schriftstellern  und  die  ältesten  Pa- 
pyrushandschriften nur  sehr  geringen  Anhalt.  Will  man  ver- 
suchen, sich  ein  Bild  davon  zu  machen,  so  ist  man  auf  Rück- 


Die  Buchrolle.  ^y 

Schlüsse  angewiesen;  es  versteht  sich  von  selbst,  daß  hierbei 
die  größte  Vorsicht  geboten  ist,  weil  wir  nur  unsicher  beur- 
teilen können,  wie  weit  das,  was  wir  kennen,  auf  ältere  Vor- 
bilder zurückgehen  mag;  was  uns  etwa  ein  vereinzelter  techni- 
scher Ausdruck  oder  ein  hingeworfenes  Wort  verrät,  setzt 
uns  beständig  dem  Mißverständnis  aus,  weil  uns  die  An- 
schauung mangelt.  Man  kann  daher  nur  in  unbestimmten 
Linien  ein  Bild  des  alten  Buchwesens  bis  zum  Ende  des 
4.  Jahrhunderts  v.  Chr.  zu  zeichnen  versuchen. 

I.  Das  5.  und  4.  Jahrhundert  v.  Chr.  Im  vorigen 
Kapitel  haben  wir  die  Schriftträger  ihrer  Beschaffenheit 
nach  kennen  gelernr  und  zu  ermitteln  versucht,  wann  sie 
bei  Griechen  und  Römern  in  Gebrauch  gekommen,  wie  weit 
sie  gleichzeitig  neben  einander  hergegangen  sind  oder  sich 
abgelöst  haben.  Jetzt  aber  stehen  wir  vor  der  Frage,  welche 
Form  das  Buch  der  Griechen  in  seinen  Anfängen  gehabt  habe. 
Die  beiden  Stoffe,  die  wir  bei  den  Griechen  voraussetzen 
dürfen,  das  Leder  und  der  Papyrus,  lassen  die  Form  der  Rolle 
nicht  nur  zu,  sondern  sind  von  alters  her  mit  ihr  verknüpft. 
Daran  kann  angesichts  der  altägyptischen  Schriftstücke  kein 
Zweifel  bestehen;  daß  auch  das  Lederbuch,  wofür  Ägypten 
nur  wenig  aussagt,  ebenso  wie  Papyrus  als  Rolle  zu  denken 
ist,  bezeugen  die  heiligen  Rollen  der  Juden  wie  der  schon 
besprochene  eigentümliche  Sprachgebrauch  der  lonier,  die 
das  Papyrusbuch  diphthera  nannten.  Papyrus  wurde  den 
Griechen  von  vorn  herein  als  Rolle  zugeführt,  und  schon 
deshalb  dürfen,  ja  müssen  wir  die  Rolle  als  Gestalt  des 
griechischen  Buches  ansehen  von  der  Zeit  an,  seit  der  Pa- 
pyrus als  Schriftträger  eindrang,  was  etwa  seit  dem  Aus- 
gange des  7.  Jahrhunderts  v.  Chr.  geschehen  sein  mag. 
Einzelne  Äußerungen,  wenn  z.  B.  Xenophon  vom  Leser  sagt, 
er  rolle  die  Bücher  auf,  treten  bestätigend  hinzu.  Entschei- 
dend aber  wird  das  Zeugnis  der  plastischen  und  bildhchen 
Denkmäler,  die  für  das  5.  Jahrhundert  v.  Chr.,  die  Zeit  der 
großen  Tragiker,  Pindars,  des  Herodotos  und  des  Thuky- 

lides,  den  Gebrauch  der  Buch  rolle  sichern.  Wir  werden 
auch  nicht  irren,  wenn  wir  sie  uns  als  Papyrusrolle  vorstellen, 
ohne  jedoch  die  Lederrolle  auszuschließen.    Jene  Denkmäler 

ler  großen  und  kleinen  Kunst  können  uns  darüber  natürlich 

licht  belehren. 

Zürn  Buche  im  eigentlichen  Sinne  gehört  die  Bestimmung 
für  die  Öffentlichkeit  und  als  ein  Mittel  zu  diesem  Zwecke 

lie  Vervielfältigung.  Aus  Gründen,  die  genauer  im  4.  Kapitel 
dargelegt  werden  sollen,  glaube  ich  annehmen  zu  dürfen,  daß 
die  Entstehung  des  Buches  bei  den  Griechen  spätestens  in 
das  6.  Jahrhundert  v.  Chr.  zu  verlegen  ist.  Das  Aufblühen 
der  Prosaliteratur  muß  in  dieser  Richtung  lebhaft  fördernd 


38  Zweites  Kapitel. 

gewirkt  haben;  wir  haben  daher  das  Recht,  im  5.  Jahrhundert 
eine  wirkHche  Buchtechnik  vorauszusetzen  und  die  zuvor 
gewonnenen  Ergebnisse  dafür  zu  verwerten. 

Wie  aber  war  das  griechische  Buch  des  5.  und  4.  Jahr- 
hunderts eingerichtet?  Für  die  Beantwortung  dieser  Frage 
stehen  uns  nur  sehr  geringe  Hilfsmittel  zu  Gebote,  aber  seit 
kurzem  haben  wir,  wenn  auch  in  bescheidenem  Maße  und 
mit  vielen  Einschränkungen,  die  Möglichkeit,  uns  eine  An- 
schauung davon  zu  verschaffen.  In  den  letzten  Jahrzehnten  sind 
aus  Ägypten  einige  Papyrushandschriften  zutage  getreten, 
die  an  Alter  alle  früher  gefundenen  übertreffen  und  auch  bei 
vorsichtigster  Beurteilung  in  eine  Zeit  geVückt  werden  dürfen, 
die  der  Entstehung  der  alexandrinischen  Bibliothek  und  der 
von  ihr  ausgehenden  Umwandlung  des  Buchwesens  voraus 
liegt.  Die  frühesten  unter  ihnen  gehören  noch  ins  4.  Jahr- 
hundert V.  Chr.,  vielleicht  nicht  einmal  an  seinen  Ausgang, 
und  führen  uns  in  die  Tage  des  Demosthenes  und  des  Ari- 
stoteles hinauf.  Wie  wichtig  sie  daher  für  das  griechische 
Buch  der  klassische^i  Zeit,  vor  Alexander,  sind,  liegt  auf  der 
Hand.  Der  größte,  ergiebigste  und  älteste  Vertreter  dieser 
Gruppe  ist  der  Timotheospapyrus ;  deshalb  gehe  ich 
näher  auf  sein  Aussehen  ein.  Wer  sich  genau  darüber  unter- 
richten will,  findet  eine  Beschreibung  in  der  Textausgabe 
von  Wilamowitz  und  eine  vollständige  Abbildung  in  den 
VeröffentHchungen  der  Deutschen  Orientgesellschaft  vom 
Jahre   190 3. 

Auf  dem  Begräbnisplatze  von  Abusir  in  der  Nähe  von 
Kairo  ist  dieser  Papyrus  gefunden  worden.  Er  lag  zusammen- 
gerollt neben  einer  Mumie,  die  an  den  sonstigen  Beigaben 
als  Leiche  eines  griechischen  Mannes  kenntlich  war.  Alles, 
was  man  in  der  Umgebung  aus  dem  Boden  herausgeholt  hat, 
weist  auf  das  4.  Jahrhundert  v.  Chr.  hin,  so  daß  man  ohne 
Bedenken  auch  die  Schriftrolle  in  diese  Zeit  setzen  darf. 
Die  altertümlichen,  steifen  Schriftzüge,  die  hier  und  in  eini- 
gen ähnlichen  Papyrustexten  den  Buchstabenformen  der 
Steininschriften  nahe  stehen,  würden  für  sich  allein  ihr  Alter 
noch  nicht  verraten;  nachdem  aber  ein  glücklicher  Fund  uns 
eine  aus  dem  Jahre  311/0  v.  Chr.  datierte  Urkunde  beschert 
hat,  haben  wir  ein  Mittel  zum  Vergleichen  in  der  Hand.  Und 
da  der  Timotheospapyrus  in  den  Formen  der  Buchstaben 
dieser  Urkunde  nahe  steht,  aber  selbst  ihr  gegenüber  noch 
etwas  altertümlich  aussieht,  so  dürfen  wir  ihn  getrost  ins 
4.  Jahrhundert,  vielleicht  sogar  vor  seine  letzten  Jahrzehnte 
setzen.  Nicht  die  ganze  Rolle  lag  neben  der  Mumie,  sondern 
nur  das  Ende,  aber  doch  ein  so  beträchtlicher  Teil,  daß 
man  ihn  etwa  auf  die  Hälfte  des  vollständigen  Buches 
schätzen  kann.    Als  ein  Verwandter  oder  Freund  dem  Toten 


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Die  Buchrolle. 


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dies  Buch  ins  Grab  legte,  war  es  jedenfalls  schon  verstümmelt; 
vielleicht  hatte  er  kein  besseres  Exemplar  zur  Hand,  oder 
der  Lebende  glaubte  dem  Toten  auch  mit  einem  schadhaften 
Genüge  zu  tun.  Der  Papyrus  selbst  ist  gut  gearbeitet;  die 
einzelnen  Blätter,  aus  denen  die  Rolle  zusammengeklebt  ist, 
haben  eine  Breite  von  22  cm  und  eine  Höhe  von  19  cm.  Die 
Klebungen  sind  sorgfältig  ausgeführt,  so  daß  die  Schrift  ohne 
Anstoß  darüber  hinweg  gehen  kann.  Der  Text  steht  in  fünf 
recht  gut  erhaltenen  Schriftreihen  oder  Kolumnen  vor  uns; 
jede  dieser  Kolumnen  hat  ungefähr  27  Zeilen,  deren  oberste 


Ao  Zweites  Kapitel. 

und  unterste  den  Rändern  sehr  nahe  kommen.  Die  Länge 
der  Zeilen  ist  bei  ihm  wie  bei  einigen  andern  Papyrustexten, 
die  nicht  viel  jünger  sind,  so  ungleich,  wie  es  später  kaum 
einmal  in  literarischen  Handschriften  vorkommt,  und  da  sie 
mitunter  sich  bis  zu  23  cm  ausdehnt,  so  macht  die  Kolumne 
im  Verhältnis  zur  Höhe  des  Papyrus  einen  außerordentlich 
breiten  Eindruck.  Auf  der  letzten  Kolumne  stehen  nur  noch 
vier  Zeilen;  der  Schluß  des  Textes  ist  erreicht,  und  der  Rest 
wird  leer  gelassen;  vom  Titel  findet  sich  keine  Spur.  Bei 
größeren  Sinnabschnitten  wird  die  begonnene  Zeile  nicht 
ausgefüllt;  unter  ihrem  Anfange  steht  ein  wagerechter  Strich, 
und  der  neue  Gedanke  setzt  mit  der  nächsten  Zeile  ein. 
Wo  der  eigentliche  Inhalt  beendet  ist  und  eine  persönliche 
Bemerkung  des  Verfassers  folgt,  steht  am  Rande  noch  ein 
seltsames  vogelgestaltiges  Zeichen,  das  ich  an  anderer  Stelle 
näher  besprechen  werde. 

Diese  merkwürdige  Rolle  enthält  den  Schluß  eines 
dithyrambischen  Gedichtes,  als  dessen  Verfasser  sich  auf 
der  vorletzten  Kolumne  Timotheos  von  Milet  bekennt.  Die 
Schilderung  einer  Seeschlacht,  die  wir  hier  lesen,  macht  es 
unzweifelhaft,  daß  von  dem  Siege  bei  Salamis  die  Rede  ist, 
obwohl  kein  Name  genannt  wird.  Wir  kennen  auch  aus  Zi- 
taten den  Titel  des  ganzen  Gedichts  und  wissen,  daß  »die 
Perser«  das  berühmteste  Werk  des  Timotheos  waren.  Für 
eine  Festaufführung  in  Milet  ist  es  um  400  v.  Chr.  gedichtet 
worden;  die  Papyrusrolle  ist  demnach  von  der  Zeit  des  Dich- 
ters nur  um  Jahrzehnte  entfernt. 

Dürfen  wir  uns  nun  das  griechische  Buch  des  4.  Jahr- 
hunderts nach  diesem  Exemplare  vorstellen?  Zunächst 
könnte  man  einwerfen,  der  Papyrus  stamme  aus  Ägypten 
und  zeige  daher  wohl  die  Schreibweise  der  dort  wohnen- 
den Griechen,  aber  nicht  die  ihrer  Heimat,  nicht  das 
Buch  Athens.  Das  hat  indessen,  glaube  ich,  nicht  viel 
Gewicht.  Denn  die  Griechen,  die  schon  vor  dem  starken 
Zustrom  in  den  Tagen  des  großen  Alexander  sich  dort 
ansiedelten,  werden  ebenso  wie  die,  welche  mit  der  make- 
donischen Eroberung  eindrangen,  ihre  Gewohnheiten  aus 
der  Heimat  mitgebracht  haben.  Wollten  sie  eine  Buchrolle 
schreiben,  so  mußten  sie  dem  folgen,  was  sie  von  Hause  aus 
gewohnt  waren,  weil  es  gar  kein  anderes  Vorbild  gab,  denn 
die  ihnen  unverständlichen,  höchstens  nach  dem  Aussehen 
bekannten  ägyptischen  Papyrusrollen  konnten  ihnen  kein 
Muster  sein.  Nehmen  wir  an,  daß  die  Papyrusrolle  im  5.  und 
4.  Jahrhundert  in  Griechenland  üblich  war,  so  bildete  ihre 
Form  auch  für  die  in  Ägypten  ansässigen  Griechen  ohne 
weiteres  den  Maßstab.  Man  hat  im  Hinblick  auf  ortho- 
graphische Eigenheiten    des  Textes    und    auf   die  Form  der 


Die  Buchrolle.  ^i 

Buchstaben  geglaubt,  der  Timotheospapyrus  sei  in  Klein- 
asien, etwa  in  Milet,  der  Vaterstadt  des  Dichters,  geschrie- 
ben worden.  Diese  Annahme  ist  aber  überflüssig;  denn 
gerade  von  der  kleinasiatischen  Küste  wie  von  den  Inseln  des 
ägäischen  Meeres  sind  so  viele  Griechen  als  Söldner  oder 
Kaufleute  in  das  Niltal  gekommen,  daß  es  gar  kein  Wunder 
ist,  wenn  wir  dort  ihre  Besonderheiten  wiederfinden.  Die 
Timotheosrolle  darf  also  ruhig  als  ein  Vertreter  griechischer 
Schreibweise  gelten;  wenn  ein  Unterschied  zwischen,  dem 
athenischen  und  dem  milesischen  Buche  bestand,  was  wir 
nicht  wissen,  so  käme  sie  allerdings  vornehmlich  für  dieses 
in  Betracht. 

Sehen  wir  nun  aber  diese  5  Kolumnen  genauer  an,  so 
regt  sich  doch  ein  Bedenken,  ob  wir  es  hier  wirklich  mit  einem 
mustergültigen  Exemplare  zu  tun  haben.  Die  meisten  Buch- 
handschriften und  darunter  solche  von  hohem  Alter  zeigen 
eine  viel  größere  Regelmäßigkeit  und  Sorgfalt  der  Schrift, 
ein  deutliches  Bestreben,  den  Zeilen  der  Kolumne  nach  Mög- 
lichkeit gleiche  Länge  zu  geben,  bestimmte  und  nicht  zu 
kleine  Abstände  zwischen  den  Kolumnen  einzuhalten  und 
oben  wie  unten  einen  erheblichen  freien  Raum  übrig  zu  lassen. 
Sie  sollen  augenscheinlich  nicht  nur  bequem  lesbar  sein, 
sondern  auch  gut  aussehen.  Die  Hand,  die  den  Timotheostext 
schrieb,  entspricht  keiner  dieser  Anforderungen.  Sie  ist 
zwar  des  Schreibens  gewohnt  und  bildet  die  Buchstaben  im 
ganzen  gleichmäßig,  aber  ohne  das  Bemühen,  schön  zu 
schreiben;  sie  ist  deutlich,  aber  nichts  weniger  als  elegant. 
Wie  ungleich  die  Länge  der  Zeilen  ist,  habe  ich  schon  erwähnt; 
da  aber  der  Schreiber  hierin  nicht  dem  Versmaße  folgt,  hätte 
er  sehr  wohl  eine  gleichmäßig  aussehende  Kolumne  herstellen 
können,  wenn  es  ihm  darauf  angekommen  wäre.  Die  Ko- 
lumnen sind,  wie  sich  aus  der  Ungleichheit  der  Zeilen  ergibt, 
nicht  durch  bestimmte  Zwischenräume  von  einander  getrennt, 
ja  besonders  lange  Zeilen  reichen  manchmal  bis  dicht  an  die 
nächste  Kolumne  heran.  Kurz,  das  ganze  Buch  ist  nichts 
weniger  als  schön.  Wären  die  Griechen  in  der  Herstellung 
der  für  den  Verkauf  geschriebenen  Exemplare  über  die  Güte 
derTimotheoshandschrift  nicht  hinaus  gekommen,  so  könnte 
man  nicht  gerade  eine  hohe  Meinung  von  dem  griechischen 
Buchgewerbe  gewinnen  und  müßte  den  Aufschwung,  der  von 
Alexandreia  im  3.  Jahrhundert  v.  Chr.  ausgegangen  ist,  als 
eine  vollständige  Umwälzung  ansehen.  Es  ist  zudem  der  Be- 
achtung wert,  daß  gerade  die  der  Schrift  nach  dem  Timo- 
theospapyrus verwandten  Handschriften  einige  seiner  wesent- 
lichen Merkmale,  die  Ungleichheit  der  Zeilen,  den  völligen 
Mangel  metrischer  Gliederung  und  das  niedrige  Format,  mit 
ihm  gemein  haben.    Deshalb  darf  man  den  Schluß,  dies  seien 


^2  Zweites  Kapitel. 

Kennzeichen  der  voralexandrinischen  Buchtechnik,  nicht 
völhg  von  der  Hand  weisen.  Außerdem  scheint  die  Schrift 
dieser  ältesten  Papyri,  der  Buchtexte  wie  der  Urkunden, 
der  schönen  und  gewandten  Buchschrift  und  Geschäfts- 
schrift des  3.  Jahrhunderts  v.  Chr.  recht  fern  zu  stehen; 
sie  sieht  wie  unbeholfene  Anfängerarbeit  aus.  Und  doch 
ist  es  undenkbar,  daß  Griechenlands  Kultur  noch  keine 
geläufigere  Schrift  erzeugt  haben  sollte.  Wir  stehen  hier  vor 
einer  noch  ungelösten  Frage.  Auf  der  andern  Seite  wissen 
wir  nicht  genug  über  den  Einfluß  Alexandreias,  um  die  Regel- 
mäßigkeit und  Schönheit  mancher  Beispiele  aus  der  ersten 
Hälfte  des  3.  Jahrhunderts  ohne  weiteres  auf  seine  Rechnung 
setzen  zu  dürfen. 

Aber  auch  Erwägungen  anderer  Art  kommen  für  die 
Timotheosrolle  in  Betracht.  Sie  ist  geschrieben  von 
einem  leidlich  gebildeten  Griechen,  aber  schwerhch  von 
einem  gewerbsmäßigen  Buchschreiber.  Vielleicht  war  der 
Tote,  bei  dem  man  sie  fand,  ein  wandernder  Sänger,  der  die 
berühmte  patriotische  Dichtung  und  Komposition  seinen 
Landsleuten  im  fremden  Lande  vorzutragen  pflegte;  viel- 
leicht hatte  er  selbst  den  Text  aufgeschrieben  oder  sich  auf- 
schreiben lassen;  das  ändert  nichts  an  der  Sache.  Daß  die 
Noten  fehlen,  scheint  mir  unwesentlich;  wer  solch  ein  Lied 
berufsmäßig  sang,  wußte  die  Melodie  auswendig  ebenso  wie 
den  Text.  Ihm  seine  Glanznummer  ins  Grab  zu  legen,  paßt 
durchaus  zu  antiken  Gewohnheiten.  Privatabschriften  hat 
es  sicher  vorher  und  nachher  in  großer  Menge  gegeben,  und 
es  liegt  kaum  ein  Grund  vor,  diese  Rolle,  die  man  vielleicht 
dazu  rechnen  würde,  wäre  sie  um  hundert  Jahre  jünger, 
wegen  ihres  hohen  Alters  anders  zu  beurteilen.  Ob  ein  Ange- 
höriger oder  Freund  ein  schönes  Buchhändlerexemplar,  das 
doch  Geld  kostete,  dem  Toten  abgetreten  hätte,  ist  schließlich 
auch  noch  fragHch.  Gleichgültig  bleibt  es,  ob  wir  die  Rolle 
als  Privatabschrift  oder  als  Beispiel  einer  billigen  Ausgabe 
ansehen,  deren  viele  wir  später  kennen  lernen  werden.  Mit 
solcher  Deutung  der  eigentümlichen  Züge  umgehen  wir  frei- 
lich die  zuvor  betonten  Schwierigkeiten,  ohne  ihrer  Lösung 
recht  sicher  zu  werden.  Wir  können  daher  dieser  ältesten 
Handschrift  und  der  wenigen  andern,  die  ihr  ungefähr  gleich 
stehen,  nicht  entbehren,  wenn  wir  uns  von  der  Buchrolle  des 
4.  Jahrhunderts  ein  Bild  machen  wollen:  ob  sie  aber  ein 
vollgültiges  Beispiel  für  die  Technik  Athens  und  anderer 
Mittelpunkte  des  literarischen  und  buchhändlerischen  Lebens 
bieten,  ob  wir  uns  nach  ihrem  Muster  die  Ausgaben  des 
Piaton  oder  des  Isokrates  vorstellen  dürfen,  muß  bis  auf 
weiteres  dahingestellt  bleiben. 

Nur  wenig  läßt  sich  für  das  griechische  Buch  des  5.  und 


I 


Die  Buchrolle.  43 

4.  Jahrhunderts  aus  andern  Quellen  gewinnen.  Daß  z.  B. 
die  Buchrolle  auch  damals  einen  Titel  irgend  welcher  Form 
besaß,  ist  selbstverständlich,  und  man  braucht  nicht  erst  in 
einem  Bruchstücke  aus  einem  Lustspiele  des  Alexis  zu  sehen, 
wie  der  Schüler  Herakles  an  der  Aufschrift  den  Inhalt  der 
Bücher  erkennt.  Zu  den  unsicheren  Vermutungen  aber  gehört 
es,  wenn  man  gemeint  hat,  in  jener  Zeit  habe  es  Rollen  von 
ganz  gewaltigem  Umfange  gegeben,  Rollen,  die  z.  B.  das  ge- 
samte Geschichtswerk  des  Thukydides  enthielten.  Es  ist 
allerdings  richtig,  daß  die  Einteilung  in  Bücher,  die  wir  jetzt 
in  den  Ausgaben  des  Thukydides  und  aller  andern  finden, 
von  den  Verfassern  nicht  herrührt.  Sie  haben  ihre  Werke 
als  ein  Ganzes  geschrieben;  erst  später  hat  man  das  Bedürfnis 
gehabt,  den  großen  Stoff  auch  äußerlich  zu  gliedern.  Rechnet 
man  aber  den  ganzen  Thukydides  als  eine  Buchrolle,  so  ergibt 
sich  ein  Riesenexemplar  von  etwa  80  m  Länge,  weit  mehr, 
als  selbst  die  größten  uns  erhaltenen  griechischen  Rollen 
zeigen.  An  sich  war  es  gewiß  möglich,  solche  Rollen  herzu- 
. stellen  und  zu  beschreiben;  wer  aber  eine  Vorstellung  davon 
hat,  wie  solch  ein  Ungeheuer  aussehen  müßte,  wird  doch 
Bedenken  tragen,  daran  zu  glauben.  Zum  mindesten  wäre 
diese  Rolle  eine  Last  für  den  Leser,  der  sie  kaum  handhaben 
könnte;  sie  wäre  außerdem  schon  beim  Beschreiben  eine 
wahre  Qual  für  den  Schreiber  und  fortwährend  in  Gefahr, 
zu  zerreißen  oder  sonst  beschädigt  zu  werden.  Ich  sehe  nicht 
ein,  weshalb  wir  den  Alten  etwas  -so  Unpraktisches  zutrauen 
sollen.  Es  lag  doch  viel  näher,  den  Text  auf  Rollen  von 
mäßigem  Umfange  zu  verteilen  und  sie  mit  Nummern  zu 
bezeichnen.  Daß  jede  Rolle  auch  inhaltlich  ein  Ganzes  sein 
müsse,  ist  ein  Gedanke,  der  in  späterer  Zeit  allerdings  be- 
tont, aber  auch  da  nicht  streng  durchgeführt  worden  ist.  Ihn 
für  das  5.  Jahrhundert  vorauszusetzen,  haben  wir  gar  keinen 
Anlaß.  Die  manchmal  sehr  großen  Rollen  ägyptischer  Texte 
sind  nicht  maßgebend,  denn  es  handelt  sich  um  Prunkrollen, 
wie  den  berühmten  Papyrus  Ebers,  die  gewiß  nicht  in  jeder- 
manns Hand  kamen  und  keineswegs  zu  täglichem  Gebrauche 
dienten.  Die  gewöhnlichen  ägyptischen  Buchtexte  scheinen 
nicht  übermäßig  lang  gewesen  zu  sein.  Überdies  unterschied 
sich  griechische  Schreibweise  von  ägyptischer  so  stark,  daß 
ägyptische  Buchrollen  kaum  Vorbild  werden  konnten,  selbst 
wenn  man  in  Athen  mehr  von  ihnen  wußte,  als  mir  glaub- 
lich ist. 

Schließlich  gibt  nicht  irgend  ein  Grundsatz,  sondern 
die  Praxis  in  solchen  Dingen  den  Ausschlag;  wo  man 
nicht  klare  Beweise  hat,  ist  das  Handliche  und  Brauch- 
bare immer  wahrscheinlicher  als  das  Unpraktische,  mag 
es   noch    so   sehr  durch  gelehrte  Gesichtspunkte  empfohlen 


^4  Zweites  Kapitel. 

werden.  Damit  will  ich  nicht  ausschließen,  daß  gelegent- 
lich einmal  eine  ungewöhnlich  große  Rolle  beschrieben 
worden  sei,  um  einen  ganzen  Schriftsteller  aufzunehmen; 
solche  Schaustücke  stehen  außerhalb  der  Regel.  So  scheint 
z.  B.  der  Jurist  Ulpian  eine  den  ganzen  Homer  begreifende 
Rolle  für  möghch  zu  halten:  »Wenn  jemand«,  sagt  er, 
»den  ganzen  Homer  in  einer  Rolle  besäße,  so  rechnen  wir 
nicht  48  (einzelne)  Bücher,  sondern  die"  eine  Homerrolle 
hat  als  (ein)  Buch  zu  gelten«.  Jedoch  ist  das  im  Grunde  ein 
schwacher  Beweis,  denn  es  kommt  dem  Juristen  nur  darauf 
an  auszudrücken,  daß  im  juristischen  Sinne  Rolle  gleich 
Buch  ist,  ohne  Rücksicht  auf  die  Länge.  Er  hat  ein  Beispiel 
gewählt,  das  ihm  als  das  äußerste  erschien;  ob  er  wirklich 
solche  Rollen  kannte,  läßt  sich  aus  seinen  Worten  nicht  ent- 
nehmen, aber  Prachtrollen  wie  die  schon  erwähnte  Homer- 
rolle des  Kaisers  Konstantin  mag  er  im  Sinne  haben.  Jeden- 
falls sagt  er  nichts  über  die  uns  beschäftigende  Zeit  und 
nichts  über  die  herrschende  Praxis.  Ebensowenig  ist  mit  dem 
berühmten  Ausspruche  des  alexandrinischen  Gelehrten  und 
Dichters  Kallimachos  anzufangen,  das  große  Buch  sei  gleich 
dem  großen  Übel.  Man  hat  gemeint,  darin  den  Leitgedanken 
der  alexandrinischen  Buchreform  erblicken  zu  dürfen:  Kalli- 
machos habe  damit  die  bisher  üblichen  Riesenrollen  verur- 
teilt und  ein  besser  brauchbares  Format  empfohlen.  Aber  tun 
wir  ihm  mit  dieser  Erklärung  nicht  unrecht,  hat  er  sich 
wirklich  so  viel  dabei  gedacht.^  Mir  kommt  es  natürlicher 
vor,  seina  Äußerung,  deren  Zusammenhang  wir  nicht  kennen, 
als  einen  Scherz  aufzufassen;  er  hat  wohl  nur  sagen  wollen, 
es  gebe  nichts  Schlimmeres  als  ein  umfangreiches  Buch,  und 
in  einer  Zeit  der  Vielschreiberei  wäre  solch  ein  Urteil  durch- 
aus verständlich. 

So  bleibt  als  sicher  für  die  ältere  Periode  nur  zweierlei  be- 
stehen: man  benutzte  außer  andern  Beschreibstoffen  in  erster 
Reihe  für  das  Buch  die  Lederrrolle  und  die  Papyrusrolle,  die 
vermutlich  weitaus  überwog,  und  zwar  trug  das  Buch  durch- 
weg die  Gestalt  der  Rolle;  man  hatte  aber  auch  im  Laufe 
einer  regen  schriftstellerischen  Tätigkeit  bestimmte  äußere 
Formen  für  Einrichtung  und  Ausstattung  des  Buches  usge- 
bildet  und  hatte  einen  erheblichen  buchhändlerischen  Betrieb 
entwickelt,  wie  allein  schon  aus  den  sehr  hohen  Beständen 
der  alexandrinischen  Bibliothek  hervorgeht,  auf  die  wir  bald 
kommen  werden.  Alles  Nähere  ist  uns  unbekannt  und  wird 
es  voraussichtlich  immer  bleiben. 

Ehe  wir  diese  Periode  verlassen,  ehe  wir  aus  dem  vor- 
geschichtlichen Zeitalter  des  Buchgewerbes  in  die  geschicht- 
liche Zeit  hinübertreten,  werfen  wir  noch  einen  kurzen 
Blick  auf  die   Ursprünge    des    römischen    Buchwesens. 


Die  Buchrolle. 


4S 


Freilich  darf  man  davon  nur  mit  einer  entscheidenden  Ein- 
schränkung sprechen:  die  Literatur  lateinischer  Sprache, 
die  wir  kennen,  ist  von  vorn  herein  abhängig  von  griechi- 
schen Einflüssen  und  deshalb  auch  im  Äußerlichen,  im 
Schriftträger  und  in  der  Buchform,  unselbständig.  Wie  die 
ältesten  einheimischen  Aufzeichnungen,  denen  man  kaum  den 
Charakter  von  Literaturwerken  zusprechen  kann,  veröffent- 
licht worden  sind,  können  wir  aus  den  Bemerkungen  späterer 
Schriftsteller  nicht  entnehmen,  denn  sie  gebrauchen  dafür 
die  ihnen  geläufigen  Ausdrücke  und  hätten  schwerlich  sagen 
können,  ob  diese  Wörter  den  ursprünglichen  Formen  ange- 
messen waren.  Man  darf  wohl  im  allgemeinen  dasselbe  voraus- 
setzen, was  für  die  älteste  Periode  des  griechischen  Schrift- 
tums gilt,  zumal  da  es  auch  in  jenen  Tagen,  vor  dem  3.  Jahr- 
hundert V.  Chr.,  keineswegs  an  Berührungen  mit  griechischem 
Wesen  gefehlt  hat.  Aber  der  Beginn  einer  wirklichen  römi- 
schen Literatur  fällt  in  eine  Zeit,  die  schon  dem  alexandrini- 
schen  Einflüsse  offen  stand;  die  Papyrusrolle  wird  damals,  im 
3.  Jahrhundert,  auch  in  Italien  und  in  Rom  geherrscht  haben.. 
Und  als  im  Jahre  181  v.  Chr.  der  Versuch  gemacht  wurde, 
Schriften  juristischen  und  philosophischen  Inhalts  als  uralte 
Weisheit  unterzuschieben,  war  der  Betrüger  nicht  in  der  Lage 
oder  nicht  schlau  genug,  auch  altes  Material  dafür  zu  nehmen; 
so  wie  Livius  und  Plinius,  der  sich  auf  Cassius  Hemina  beruft, 
diese  Bücher  beschreiben,  scheinen  sie  Papyrusrollen  gewesen 
zu  sein.  Sie  sahen  ganz  neu  aus,  sagt  Livius,  und  das  gilt 
wohl  nicht  allein  von  der  Schrift  und  ihrer  guten  Erhaltung, 
-ondern  auch  von  ihrem  Stoffe.  Die  Römer  ließen  sich  denn 
auch  nicht  täuschen;  nach  manchem  Hin  und  Her  brachten 
die  Behörden  sie  in  ihre  Hand  und  ließen  sie  als  religions- 
feindlich verbrennen. 

2.  Der  Einfluß  Alexandreias.  Mit  dem  Beginne 
des  3.  Jahrhunderts  v.  Chr.  gewinnen  wir  zum  ersten  Male 
einen  sicheren  Boden,  denn  von  hier  an  besitzen  wir  Reste 
griechischer  Bücher,  die  uns  das  Buchwesen  der  Alten  in 
greifbare  Nähe  rücken.  Unter  diesem  Gesichtspunkte  bildet 
die  Periode,  die  durch  erhaltene  Papyrushandschriften  ver- 
treten wird,  für  uns  ein  Ganzes  gegenüber  der  Vorzeit,  wenn 
wir  auch  ve  sucht  haben,  aus  den  ältesten  dieser  Zeugen  dies 
ind  j  nes  für  das  5.  und  4.  Jahrhundert  abzuleiten,  und  c.ie 
-päteren  Wandlungen  keineswegs  geling  achten;  erst  mit 
lieser  Periode  tritt  an  die  Stelle  der  Vermutungen  trotz  allen 
.schranken  des  Wissens  eine  wirkliche  Kenntnis.  Äußerlich 
l)etrachtet  hängt  das  Recht,  die  neue  Zeit  als  die  geschicht- 
hrh  klare  von  der  voran  gehenden  zu  sondern,  an  einem 
Zufall,  den  Papyrusfunden  der  letzten  Jahrzehnte;  allein 
'\vr  Zufall  fällt  mit  einer  wirklichen  Um\<^andlung  des  Buch- 


Aß  Zweites  Kapitel. 

Wesens  zusammen.  Erst  durch  die  Eroberung  Ägyptens  und 
seine  Eingliederung  in  das  Reich  Alexander,  wird  as  Pa- 
pyrusland den  Griechen  völlig  erschlossen;  denn  so  rege 
auch  seit  Jahrhunderten  die  Beziehungen  zwischen  Griechen- 
land und  Ägypten  waren^  sie  sind  nicht  zu  vergleichen  mit 
dem  Verkehr,  der  sich  nun  in  das  Niltal  lenkte.  In  Ägypten 
aber  faßt  das  starke  Königtum  Ptolemaios  I.,  der  aus  dem  zer- 
fallenden Weltreiche  Alexanders  diese  Provinz  gewann  und 
seinen  Nachfolgern  sicherte,  alle  Kräfte  der  einströmenden 
Griechen  in  einer  Weise  zusammen,  die  bis  dahin  unmöglich 
gewesen  war.  Und  in  derselben  Zeit  tut  der  griechische 
Geist  den  Schritt  von  der  lebendigen  Literatur  und  Wissen- 
schaft zur  kritischen  und  zur  geschichtlich  betrachtenden 
Gelehrsamkeit.  Diese  drei  Vorgänge,  die  unter  einander  teils 
offen,  teils  mehr  verborgen  in  Verbindung  stehen,  haben  auch 
für  das  Buchwesen  eine  außerordentliche  Bedeutung  erlangt. 
War  auch  schon  vor  den  Tagen  Alexanders  des  Großen 
die  Papyrusrolle  in  Griechenland  wohl  bekannt  und  ver- 
breitet, so  ist  es  nicht  zweifelhaft,  daß  sie  von  mm  an 
bei  den  einwandernden  Griechen  wie  in  Griechenland  elbst 
das  Schrift-  und  Buchwesen  völlig  beherrscht.  Die  Aus- 
nahmen, vornehmlich  die  Pergamentrollen,  die  von  Pergamon 
ausgehen,  ändern  nichts  daran.  Zahllose  persönliche  Ver- 
bindungen schlagen  eine  Brücke  von  Ägypten  hinüber  zu 
allem,  was  griechisch  redet  und  griechisch  gebildet  ist,  und 
der  Handel  gewinnt  freien  Spielraum  für  die  Vermittlung  des 
ägyptischen  Schreibmaterials  an  die  ganze  griechische  Welt. 
Diese  Beziehungen  werden  absichtlich  gefördert  von  den 
neuen  griechischen  Herrschern  Ägyptens,  deren  Stütze  nie- 
mand anders  als  das  griechische  Element  ihres  Gebietes  sein 
konnte.  Wenn  bei  dem  ersten  der  Ptolemäer  auch  die  äußere 
Politik  und  die  militärische  Sicherung  des  neuen  Besitzes  im 
Vordergrunde  standen,  so  legte  er  doch  schon  den  Grund  zu 
der  literarischen  und  wissenschaftHchen  Führerstellung  der 
neuen  Hauptstadt  Alexandreia;  ihm  verdankten  die  Bibho- 
thek  und  das  Museion  ihren  Ursprung.  Gestützt  auf  die 
gefestigte  Macht  des  Reiches  konnte  sein  Sohn,  der  zweite 
Ptolemaios,  sich  mit  allen  Kräften  den  Aufgaben  der  Kultur 
zuwenden,  denen  er  innerlich  näher  stand  als  sein  Vater. 
Er  war  es,  der  nicht  nur  griechische  Soldaten  mit  Landbesitz 
ausstattete  und  in  Ägypten  dauernd  ansiedelte,  sondern  auch 
•die  Vertreter  griechischer  Wissenschaft  und  Literatur  in  die 
Hauptstadt  Alexandreia  zu  ziehen  suchte.  Das  tat  er  vor 
allem,  indem  er  ihnen  in  Alexandreia  eine  Stätte  der  Wirk- 
samkeit bereitete,  wie  sie  damals  sonst  nirgends  zu  finden 
war.  Die  großen  Mittel  des  Königs  boten  hier  der  geistigen 
Arbeit  ganz  andere  Unterstützung,   als  sie  im  griechischen 


Die  Buchrolle.  47 

Mutterlande  gewährt  werden  konnte.  Allerdings  nicht  auf 
jedem  Gebiete;  was  des  Widerhalls  in  einem  freien  und  ge- 
bildeten Volke  bedurfte,  konnte  schwerlich  den  Boden 
Athens  verlassen.  Das  Lustspiel  bHeb  dort  heimisch  und 
gedieh  in  den  Werken  eines  Menander  zu  neuer  Blüte; 
die  Philosophie  ließ  sich  ebensowenig  verpflanzen,  und  die 
Schüler  des  Piaton  wie  die  des  Aristoteles  sahen  in  Athen 
auch  weiterhin  ihren  Mittelpunkt.  Wo  es  aber  auf  große 
wissenschaftliche  Unternehmungen  ankam,  konnte  Alexan- 
dreia  leicht  den  Vorrang  gewinnen.  So  wandten  sich  denn 
im  Anfang  des  3.  Jahrhunderts  viele  griechische  Gelehrte  der 
neuen  Stadt  und  der  königlichen  Gunst  ihres  Beherrschers  zu. 
Hier  fanden  sie  Einrichtungen,  die  ihnen  ein  sorgenfreies 
I^ben  im  Dienste  der  Wissenschaft  ermöglichten  und  ein 
weites  Feld  der  Tätigkeit  eröffneten.  Der  neue  Tempel  der 
Musen,  das  Museion,  wurde  ihr  Mittelpunkt.  Als  Diener  und 
Priester  der  Musen  in  der  Art  eines  religiösen  Vereins  ver- 
bunden, genossen  sie  hier  der  bedeutendsten  Vorteile.  Sie 
bekamen  ihren  Unterhalt,  indem  sie  in  Nachahmung  griechi- 
scher Vorbilder  gemeinsam  die  Mahlzeiten  auf  Kosten  des 
Königs  einnahmen;  sie  waren  von  Steuern  befreit  und  er- 
hielten, wenn  nicht  alle,  so  doch  zum  großen  Teile  recht  an- 
sehnliche Gehälter.  Daß  man  auch  freie  Wohnung  gewährte, 
jedenfalls  in  Gebäuden,  die  dem  Museion  angeschlossen  waren, 
ist  sehr  wahrscheinlich: 

Mag  nun  auch  jeder  aus  diesem  Kreise,  den  man  in 
vielem  unseren  wissenschaftlichen  Akademien  vergleichen 
kann,  die  Freiheit  gehabt  haben,  seinen  Studien  nach  eigener 
Wahl  zu  leben,  so  ergab  es  sich  doch  von  selbst,  daß 
gerade  die  hervorragendsten  unter  ihnen  ihre  Arbeit  der 
zweiten  wissenschaftlichen  Gründung  des  Königs,  der  großen 
Bibliothek,  zuwandten.  Es  waren  eigentlich  zwei  Biblio- 
theken; die  eine,  welche  man  die  innere  nannte,  lag  bei  dem 
königlichen  Palaste  und  stand  in  Verbindung  mit  dem  Mu- 
seion, die  andere  befand  sich  in  dem  Ägypterviertel  Rakote 
bei  dem  Sarapistempel  und  hieß  deshalb  die  äußere.  Später 
wollte  Caesar  sie  nach  Rom  bringen.  Der  viel  beredete 
Brand  bei  seinem  Kampfe  am  Alexandreia  hat  der  Biblio- 
thek wenig  geschadet,  und  Antonius  schuf  reichen  Ersatz, 
als  er  der  Kleopatra  200  000  Rollen  aus  Pergamon 
schenkte^  Völlig  untergegangen  ist  sie  erst  391  n.  Chr., 
als  die  Christen  das  Sarapisheiligtum  zerstörten.  Die 
größten  Gelehrten  des  3.  und  des  2.  Jahrhunderts  betrachte- 
ten es  als  höchste  Auszeichnung,  mit  dem  Amte  des  Biblio- 
theksvorstehers betraut  zu  werden.  Ihre  Tätigkeit  erstreckte 
sich  zuerst  auf  die  Sammlung  wirklich  guter  Texte,  da  nur 
-'11/u  viele  »wilde«  Ausgaben  der  griechischen  Schriftsteller, 


48  Zweites  Kapitel. 

von  Homer  an  bis  auf  jene  Zeit  selbst,  umliefen,  sodann  auf 
die  Ordnung  der  angesammelten  Bücherbestände  und  endlich 
auf  kritische  Untersuchungen  über  einzelne  Schriftsteller.  Aus 
der  Reihe  berühmter  Namen  dieses  Kreises  ragt  als  Dichterund 
Gelehrter  Kallimachos  hervor.  Er  widmete  sich  vor  allem 
den  Bücherkatalogen  und  stellte  umfangrviiche  Verzeichnisse 
der  Schriftsteller  mit  ihren  Werken  nach  sachlichen  Gesichts- 
punkten auf.  Seine  Werke,  die  er  »Tafeln«  (Pinakes)  nannte, 
sind  uns  zwar  nicht  erhalten,  aber  wir  haben  noch  eine  Reihe 
von  Notizen  daraus,  die  uns  lehren,  wie  er  die  Sache  anfaßte. 
Auf  die  Angabe  der  Literaturgattung  folgte  der  Name  des 


Abb.  13.    Papyrusrollen. 

Schriftstellers,  sodann  die  Anfangsworte  des  Buches,  die  viel- 
fach als  Titel  dienten,  endlich  die  Zahl  der  Zeilen.  Später  hat 
rnan  seine  Verzeichnisse  oft  so  verstanden,  als  böten  sie  eine 
Auswahl  der  Klassiker,  deren  Lektüre  besonders  empfohlen 
werden  sollte.  Allein  der  Begriff  einer  klassischen  Literatur 
war  für  Kallimachos  und  seine  Nachfolger  noch  im  Werden, 
während  es  auf  der  andern  Seite  wohl  begreiflich  ist,  daß  der 
Nachwelt  die  von  ihm  verzeichneten  Schriftsteller  als  klassisch 
galten.  Die  alexandrinischen  Bibliothekare  haben  sich  jeden- 
falls an  das  gehalten,  was  sie  in  der  Bibliothek  vorfanden, 
ohne  eine  Auswahl  zu  treffen.  Deutlich  ist  dies  z.  B.  bei  den 
alten  griechischen  Lyrikern.  Die  spätere  Zeit  kannte  ihrer 
neun,  aber  nicht,  weil  die  Gelehrten  Alexandreias  diese  neun 
aus  der  Menge  der  übrigen  ausgewählt  hätten,  sondern  weil 
die  Bibliothek  eben  nur  von  ihnen  vollständige  Exemplare 
hatte  auftreiben  können.  Andere  Gelehrte  und  Vorsteher 
der  Bibliothek  richteten  ihre  Aufmerksamkeit  vorwiegend 
auf  die  Fragen  der  Echtheit;  denn  auch  damals  wurde  viel 
gefälscht,  und  weil  die  Bibliothek  für  Werke  alter  Schrift- 
steller  hohe   Preise   bezahlte,    versuchte    man   neue   Bücher 


Die  Buchrolle. 


49 


unter  altberühmten  Namen  einzuschmuggeln.  Vor  allem  aber 
haben  diese  Männer  sich  ein  bleibendes  Verdienst  erworben, 
indem  sie  die  Werke  der  großen  griechischen  Dichter  und 
Denker  kritisch  untersuchten,  sachlich  erläuterten  und  in 
gereinigter  Gestalt  neu  herausgaben.  Den  Spuren  ihrer  Arbeit 
begegnen  wir  überall,  vor  allem  in  den  Homerischen  Gedich- 
ten, denen  sie  eine  besondere  Aufmerksamkeit  zuwandten. 

Hand  in  Hand  mit  der  großen  Bedeutung  der  alexan- 
drinischen  Bibliothek  für  die  Überlieferung  der  Literatur 
geht  nun  ihr  Einfluß  auf  das  Buchwesen,  auf  die  Herstellung 
und  Ausgestaltung  der  Bücher.  Man  hat  allgemein  diesen 
Einfluß  sehr  hoch  eingeschätzt;  man  hat  geglaubt,  erst  durch 
sie  sei  die  Papyrusrolle  in  der  griechischen  Literatur  wirklich 
eingebürgert,  durch  sie  seien  aber  auch  neue  Grundsätze  in 
der  schriftstellerischen  Tätigkeit  eingeführt  worden.  Dem 
gegenüber  bedenke  man,  daß  die  große  Fülle  literarischer 
Werke  in  den  vorausliegenden  Jahrhunderten  notwendig  auch 
eine  Buchtechnik  erzeugt  haben  muß.  Aber  wie  wir  sahen, 
ist  uns  gar  zu  wenig  davon  bekannt,  und  die  ältesten  Papyri 
verwickeln  die  Frage  nur  noch  mehr.  Daß  Alexandreia  viel 
Neues  geschaffen  hat,  lehrt  uns  der  Augenschein. 

Versuchen  wir  uns  zunächst  einmal  klar  zu  machen,  wie 
denn  überhaupt  die  Bibliothek  ihre  sehr  hohen  Bestände  —  in 
der  äußeren  sollen  42800,  in  der  inneren  sogar  490000  Rollen 
gewesen  sein  —  zusammengebracht  haben  kann.  Offenbar 
war  man  darauf  angewiesen,  im  ganzen  Umkreise  des  griechi- 
schen Kulturgebietes  Handschriften  zu  sammeln,  im  eigent- 
Hchen  Griechenland,  in  Kleinasien,  in  Sizilien  usw.  Überall 
wird  die  Bibliothek  ihre  Vertreter  gehabt  haben,  die  mit  Geld 
hinreichend  versehen  sein  mußten.  Daß  diese  Tätigkeit  zwar 
nicht  ohne  bestimmte  Gesichtspunkte,  aber  mit  weitester 
Freiheit  geschah,  versteht  sich  eigentlich  von  selbst;  war  doch 
dieses  Unternehmen  in  solchem  Umfange  das  erste  seiner 
Art;  leitende  Ziele  oder  Begriffe,  wie  etwa  den  einer  klassi- 
schen Literatur,  gab  es  damals  kaum.  Man  hat  also  gekauft, 
was  irgend  zu  haben  war,  bedeutende  und  unbedeutende 
Werke,  gute  und  schlechte  Exemplare,  und  hat  weder  ver- 
meiden können  noch  wollen,  daß  ein  und  dasselbe  Werk 
gelegentlich  in  vielen  Abschriften  erworben  wurde.  Denn 
eine  Übersicht  wurde  erst  mögHch,  nachdem  das  Material  in 
der  Bibliothek  angelangt  war.  So  erklären  sich  die  großen 
Zahlen,  die  uns  für  die  Bestände  der  Bibliothek  überliefert 
werden.  Nimmt  man  auch  an,  daß  die  erworbenen  Werke  im 
Durchschnitt  mehrere  Rollen  ausgefüllt  haben  mögen,  teilt 
man  auch  jene  Zahlen  etwa  durch  zehn,  so  ergibt  sich  doch 
immer  noch  eine  Summe,  die  über  die  wirkliche  Schrift- 
stcllerei    der    vorausliegenden    Jahrhunderte   hinauszugehen 

Sch  uba  rt  ,  Das  Buch,     2.  Auf].  4 


CO  Zweites  Kapitel. 

scheint,  wenn  man  nicht  voraussetzt,  daß  vieles  in  einer 
Menge  von  Exemplaren  einlief.  Auf  der  andern  Seite  konnte 
man  wahrscheinlich  so  manches  Werk  trotz  allen  Bemühun- 
gen nicht  mehr  auftreiben,  so  daß  selbst  die  alexandrinische 
Bibliothek  sich  nicht  rühmen  durfte,  die  gesamte  griechische 
Literatur  zu  besitzen.  Diese  Sammelarbeit,  die  natürlich 
gleich  anfangs  Jahrzehnte  beanspruchte  und  dann  dauernd 
fortlief,  forderte  ohne  Zweifel  eine  zweite  Tätigkeit,  die  sie 
ergänzen  mußte.  Erlangte  man  nur  schlechte  Abschriften, 
die  äußerlich  beschädigt  oder  schlecht  geschrieben  waren,  so 
lag  es  nahe,  möglichst  bald  ein  neues,  wirklich  brauchbares 
Exemplar  herzustellen;  überdies  aber  führte  die  kritische 
Arbeit  der  Gelehrten  an  entstellten  Texten  zu  neuen  Aus- 
gaben. Selbst  bei  den  berühmtesten  Werken  der  griechischen 
Literatur  hielt  es  schwer,  in  den  Besitz  zuverlässiger  Hand- 
schriften zu  kommen,  und  der  verworrene  Zustand  der  Homeri- 
schen Dichtung  tritt  in  den  Papyri  jener  Zeit  anschaulich 
zutage.  Auch  von  den  Dramen  der  drei  großen  Tragiker 
Aischylos,  Sophokles  und  Euripides  gab  es  in  der  alexan- 
drinischen  Bibliothek  anfänglich  nur  Exemplare  zweifel- 
haften Wertes.  Deshalb  entlieh  der  dritte  Ptolemaios  gegen 
ein  Pfand  von  15  Talenten  (gegen  70  000  Mark)  das  Normal- 
exemplar, das  die  Stadt  Athen  aufbewahrte;  man  wollte 
danach  eine  maßgebende  Ausgabe  für  die  Bibliothek  her- 
stellen. Freilich  war  die  Absicht  des  Königs  nicht  ehrlich; 
denn  die  Vorliebe  für  alte,  wertvolle  Bücher  bestimmte  ihn 
oder  die  damaligen  Bibliothekare,  das  Pfand  verfallen  zu 
lassen  und  das  athenische  Original  zu  behalten.  Die  Athener 
wurden  mit  einer  in  Alexandreia  gefertigten  Abschrift  ab- 
gespeist und  konnten  die  Rückgabe  ihres  Eigentums  trotz 
allen  Anstrengungen  nicht  erreichen,  Stand  es  nun  so 
bei  den  Tragikern,  so  wird  es  mit  einem  großen  Teile 
der  älteren  Literatur  ähnlich  ausgesehen  haben,  vor  allem 
bei  berühmten  Werken,  die  weit  verbreitet,  oft  abge- 
schrieben und  dadurch  der  Entstellung  besonders  ausge- 
setzt waren.  Wir  dürfen  uns,  ohne  in  grundlose  Ver- 
mutungen zu  geraten,  vorstellen,  daß  die  Bibliothek  eine 
erhebliche  Anzahl  von  Abschreibern  beschäftigt,  dadurch 
zugleich  das  Buchgewerbe  befördert  und  die  Ausbildung  der 
Schreiber  wie  die  Einrichtung  der  Buchrolle  beeinflußt  hat. 
Je  mehr  die  Vorräte  sich  anhäuften,  je  mehr  Abschriften 
verlangt  wurden,  um  so  mehr  mußte  sich  in  der  Herstellung 
der  Rolle  und  in  der  Schreibarbeit  eine  feste  Regel  ausbilden, 
deren  Grundlage  die  beständig  wachsende  Übersicht  über 
das  literarische  Material  ergab.  Ebendahin  wirkte  gewiß 
nicht  an  letzter  Stelle  die  Rücksicht  auf  Ordnung  und  Hand- 
lichkeit der  Bücher,  denn  bei  einer  so  gewaltigen  Masse  konnte 


Die  Buchrolle.  51 

man  ohne  eine  gewisse   Gleichmäßigkeit  im  Äußeren   nicht 
auskommen. 

3.  Formate  der  Buchrollen.  So  führte  denn 
von  selbst  die  Praxis  zu  dem  Bestreben,  zunächst  bei  der 
Länge  der  Rollen  die  Willkür  etwas  zu  beschränken. 
Wie  wir  gesehen  haben,  lieferten  die  Papyrusfabriken  Ballen, 
aus  denen  man  die  Rollen  schnitt.  An  sich  konnte  man  daher 
Rollen  beliebiger  Länge  haben,  wenn  nötig  auch  an  die  ge- 
schnittene Rolle  Blätter  ankleben,  soviel  man  wollte;  daß 
man  dabei  auch  in  früheren  Zeiten  die  Handlichkeit  nicht 
ganz  vergessen  haben  kann,  ist  schon  berührt  worden.  Jetzt 
wird  man  aber,  um  ein  bereits  besprochenes  Beispiel  heran- 
zuziehen, es  als  unbequem  empfunden  haben,  wenn  das  Ge- 
schichtswerk des  Thukydides  auf  mehrere  Rollen  willkürlich 
und  vermutlich  in  verschiedenen  Exemplaren  verschieden 
verteilt  vorlag.  Der  Gedanke,  das  Ganze  in  Abschnitte  zu 
gliedern,  die  inhaltlich  etwas  Selbständiges  darstellen  konnten 
und  zugleich  im  Umfange  nicht  allzusehr  von  einander  ab- 
wichen, lag  deshalb  nahe.  Daraus  ergab  sich,  wenn  auch 
nicht  gleich  im  Anfange,  so  doch  jedenfalls  unter  dem  Einflüsse 
der  Bibliothek,  die  der  alten  Zeit  fremde  Gliederung  großer 
Werke  in  Bücher  mäßigen  Umfanges,  wie  sie  uns  später  in 
den  Handschriften  begegnet.  Gerade  hier  sehen  wir  aber 
auch,  daß  man  nicht  etwa  mechanisch  geteilt  und  eine  einzige 
Rollengröße  zum  Maßstab  genommea  hat,  denn  die  Bücher 
des  Herodot,  des  Thukydides  usw.  sind  einander  an  Umfang 
keineswegs  gleich.  Man  suchte  vielmehr  auszugleichen,  soweit 
es  der  Inhalt  zuließ.  Schwankungen  konnten  nicht  aus- 
bleiben; eine  Einteilung,  die  dem  einen  gut  schien,  mag 
einem  andern  mißfallen  haben;  aber  der  Gedanke,  auf  Gleich- 
mäßigkeit der  Rollengröße  und  damit  des  Buchumfangs  hin- 
zuarbeiten, konnte  damals  aus  der  Praxis  der  Bibliothek  er- 
wachsen. Die  Annahme,  daß  erst  im  Laufe  der  Schreibarbeit 
die  Rolle  durch  Ankleben  zur  gewünschten  Länge  ausgedehnt 
worden  sei,  widerspricht  den  erhaltenen  Originalen,  denn  an 
ihnen  sieht  man  ohne  weiteres,  daß  die  Klebungen  von  sehr 
geübten  Arbeitern  in  der  Fabrik  hergestellt  sind,  werden  sie 
doch  meistens  nur  dem  erfahrenen  Auge  sichtbar.  Die  Schrift 
geht  ohne  Anstoß  darüber  hinweg.  Auch  für  die  Höhe  der 
Blätter  und  damit  der  Rolle  bestand  kein  zwingendes  Gesetz; 
aber  die  Papyrusfunde  zeigen  uns  deutlich,  daß  es  gewisse 
Größen  gab,  die  man  bevorzugte.  Wie  weit  sich  dies  an  den 
auf  uns  gekommenen  Rollen  und  Bruchstücken  bestätigt, 
werde  ich  weiter  unten  ausführen.  War  ein  Werk  zu  klein, 
um  auch  das  bescheidenste  Format  zu  füllen,  so  fügte  man 
ein  anderes  hinzu;  das  sehen  wir  an  mehreren  erhaltenen 
Stücken  noch  mit  Augen,  und  was  uns  von  der  alexandrini- 


52  Zweites  Kapitel. 

sehen  Bibliothek  berichtet  wird,  beweist,  daß  schon  sie  so  ver- 
fuhr. In  ihren  Bücherbeständen  unterschied  man  nämhch  »ein- 
fache« und  »gemischte«  Rollen;  nach  Birts  einleuchtendem 
Gedanken  sind  die  letzteren  nichts  weiter  als  Mischrollen, 
die  mehrere  kleine  Werke  enthielten.  Daß  man  hierbei  nach 
Möglichkeit  Zusammengehöriges  verband,  versteht  sich  von 
selbst,  obgleich  es  nicht  immer  erreichbar  gewesen  sein  wird. 
Sicher  aber  lernen  wir  aus  dem  Vorhandensein  der  Misch- 
rollen, daß  es  zum  mindesten  ein  kleines  Rollenformat  gab, 
unter  dessen  Länge  man  nicht  hinabgehen  mochte.  Die 
»einfachen«  Rollen  sind  natürlich  solche,  die  von  einem 
Schriftsteller  oder  einem  Abschnitte  seines  Werkes  ausgefüllt 
wurden. 

Wenn  nun  in  dieser  Weise  der  Einfluß  der  alexandrini- 
schen  Bibliothek  sich  geltend  machte,  wenn  man  aus  prakti- 
schen Gründen  umfangreiche  Werke  zu  teilen  strebte  und 
in  der  Rollenlänge  auf  eine  gewisse  Regel  hinwirkte,  so 
konnte  diese  Bewegung  sich  nicht  auf  die  eigene  Tätigkeit 
der  Bibliothek  beschränken.  Ein  Unternehmen  von  solcher 
Bedeutung  nötigte,  wenn  nicht  sofort,  so  doch  mit  der  Zeit 
alle,  die  mit  dem  Buchgewerbe  in  Berührung  standen,  sich 
jenen  Grundsätzen  anzupassen.  Auch  die  Schriftsteller 
konnten  auf  die  Dauer  von  dem  neuen  Gedanken  nicht  un- 
berührt bleiben,  daß  nach  Möglichkeit  das  Buch  sich  mit  der 
Rolle  zu  decken  habe,  ein  inhaltlich  geschlossenes  Ganzes 
also  auch  äußerlich  sich  als  selbständig,  als  Rolle  darstellen 
müsse.  Wüßten  wir  es  nicht  aus  andern  Quellen,  so  müßte 
man  aus  der  Sachlage  selbst  schon  diesen  Schluß  ziehen. 
Denn  der  Gedanke  war  so  einleuchtend,  so  praktisch,  daß  der 
Schriftsteller  nur  zu  seinem  eigenen  Besten  handelte,  wenn 
er  darauf  Rücksicht  nahm.  Freilich  nicht  so,  als  wäre  er 
nun  an  bestimmte  Rollenformate  gebunden  gewesen;  viel- 
mehr blieb  ihm  hierin  große  Freiheit.  Auch  die  wissenschaft- 
liche und  literarische  Tätigkeit  der  Bibliothekare  und  ihrer 
Kreise  wird  einen  Einfluß  geübt  haben.  Denn  ihre  kritischen 
Ausgaben  alter  Schriftsteller  und  ihre  sonstigen  gelehrten  wie 
poetischen  Werke  haben  gewiß  in  der  äußeren  Form  die  in  der 
Bibliotheksarbeit  gewonnenen  Grundsätze  befolgt  und  sind 
durch  die  Bedeutung  ihrer  Leistungen  der  gesamten  literari- 
schen Welt  ein  Vorbild  geworden,  ja  geblieben,  solange  über- 
haupt die  Papyrusrolle  für  literarische  Werke  benutzt  worden 
ist.  Die  Papyrusfunde  selbst  geben  uns  allerdings  hierfür  so 
gut  wie  gar  keine  Belege,  da  keine  einzige  ganze  Buchrolle 
auf  uns  gekommen  ist.  Wo  man  jedoch  die  Länge  einer  Rolle 
ungefähr  schätzen  kann,  findet  man  ein  Maß  von  7 — lO  Metern 
kaum  überschritten;  eine  Rolle  mit  Piatons  Symposion  läßt 
sich  auf  ungefähr  71/2  ni,   eine  andere  mit  dem  Panegyrikos 


I 


Die  Buchrolle. 


53 


des  Isokrates  auf  dieselbe  Länge  berechnen;  nicht  wenige 
sind  erheblich  dahinter  zurückgeblieben.  Wie  H.  Ibscher 
beobachtet  hat,  stellt  eine  ungefähr  6  m  lange  Papyrusrolle 
fest  gewickelt  einen  Zylinder  von  5 — 6  cm  Dicke  dar,  den 
eine  gewöhnliche  Hand  bequem  umschließt.  Damit  ist  in 
der  Handlichkeit  ein  Maß  gefunden,  das  man  gewiß  im  allge- 
meinen eingehalten  hat. 

Im  übrigen  ist  unser  Material  gerade  hierfür  noch  zu 
dürftig,  um  andere  Erv\-ägungen  und  Zeugnisse  entbehrlich 
zu  machen.    Da  wir  trotz  allen  Abweichungen  im  einzelnen 


Ahb.  14.  Zum  Lesen  geöffnete  Holle,  6  m  lang. 

bei  den  literarischen  Papyrustexten  eine  feste  Praxis  in  der 
Schreibweise  und  in  der  gesamten  Ausstattung  für  die  vor- 
christliche Zeit  ebenso  wie  für  die  römische  finden,  dürfen 
wir  auch  in  bezug  auf  die  Rollenlänge  das,  was  Schrift- 
steller der  späteren  Jahrhunderte  uns  gelegentlich  verraten, 
als  den  Ausdruck  der  seit  dem  3.  Jahrhundert  v.  Chr. 
Ixjgründeten  Gewohnheit  betrachten.  Sie  scheint  fast  wie 
ein  Programm  von  dem  Historiker  Diodor  ausgesprochen  zu 
werden:  »In  allen  Geschichtswerken«,  sagt  er,  »ziemt  es  den 
Schriftstellern,  in  ihren  Büchern  die  Geschichte  von  Städten 


54  Zweites  Kapitel. 

oder  Königen  vollständig  von  Anfang  bis  zu  Ende  zu  um- 
fassen«, in  unserer  Redeweise:  der  Historiker  soll  jedes  Buch 
zu  einem  selbständigen  Abschnitt  der  Geschichte  machen. 
Darin  liegt  zugleich  der  Gedanke,  daß  ein  Inhaltsganzes  nicht 
aus  einem  Buche  in  das  andere  übergreifen  dürfe.  Was  Diodor 
von  dem  Historiker  fordert,  gilt  natürlich  auch  für  den  Philo- 
sophen und  jede  andere  literarische  Arbeit.  So  haben  denn 
die  Schriftsteller  schon  im  4.  Jahrhundert  v.  Chr.  auch  wirk- 
lich darauf  gesehen,  groß  angelegte  Werke  in  einzelne  inhalt- 
lich geschlossene  Bücher  zu  zerlegen.  Daß  sie  deswegen 
nicht  genötigt  waren,  immer  den  gleichen  Umfang  einzu- 
halten, beobachten  wir  überall.  Bei  dem  Geschichtschreiber 
Polybios  z.  B.  ist  die  Länge  der  Bücher  recht  ungleich;  er 
hatte  also  die  Freiheit,  für  seine  Bücher  Rollen  verschiedener 
Länge  zu  wählen,  aber  das  Bestreben,  dem  Ganzen  des 
Buches  das  Ganze  der  Rolle  entsprechen  zu  lassen,  ist  vor- 
handen. Es  ist  nur  eine  natürliche  Folge,  wenn  er  und  mit 
ihm  viele  andere  am  Anfange  eines  neuen  Buches  den  Inhalt 
des  vorhergehenden  kurz  zusammenfassen,  denn  das  neue 
Buch  ist  eine  neue  Rolle.  Der  Leser  wurde  dadurch  veranlaßt, 
seine  Lektüre  da  zu  unterbrechen,  wo  die  Darstellung  einen 
Einschnitt  hatte;  begann  er  das  nächste  Mal  mit  der  nächsten 
Rolle,  so  mußte  ihm  eine  Übersicht  über  das  vorige  Buch 
willkommen  sein. 

Natürlich  stellte  der  geltende  Grundsatz  eine  nicht  ge- 
ringe Anforderung  an  die  Kunst  des  Schriftstellers.  Nicht 
allen  gelang  es,  den  Stoff  so  zu  ordnen,  daß  auf  eine  Rolle 
von  erträglicher  Länge  auch  wirkHch  ein  abgerundeter  In- 
halt kam.  Bisweilen  mochte  auch  der  Papierhandel,  am 
ehesten  außerhalb  Ägyptens  und  der  Großstädte  der  Mittel- 
meerwelt, nicht  jedem  Ansprüche  genügen,  so  daß  die  ver- 
fügbaren Formate  manchmal  wirklich  die  Freiheit  des 
Verfassers  beschränkten,  wie  es  nicht  selten  in  Schlußbe- 
merkungen angedeutet  wird;  es  klingt  wie  eine  betrübliche 
Klage,  wenn  wir  z.  B.  bei  Orosius  lesen:  »Mein  Stoff  ist 
freilich  so  reich,  daß  er  sich  nicht  in  diesem  Buche  beschließen 
läßt.  So  mag  hier  die  vorliegende  Rolle  ihr  Ende  haben, 
in  den  folgenden  werde  ich  fortfahren.«  Die  Not  besonderer 
Umstände  und  oft  genug  wohl  auch  das  Ungeschick  des 
Schriftstellers  haben  solche  Bekenntnisse  hervorgebracht. 
Denn  wie  sehr  der  Buchumfang  im  Grunde  vom  Inhalte  ab- 
hing, zeigt  uns  die  Bemerkung  des  späten  Schriftstellers 
Isidor,  für  Gedichte  und  Briefliteratur  sei  ein  kleineres 
Format  oder  ein  kleinerer  Umfang  üblich  als  für  Geschichts- 
werke. Das  lag  in  der  Natur  der  Sache,  und  es  entsprach 
nur  dem,  was  die  Praxis  ergeben  hatte,  wenn  in  der  Regel 
das  Poesiebuch  in  einer  kleineren  Rolle  Platz  fand  als  das 


I 

I 
I 


Die  Buchrolle. 


55 


Prosabuch.  Ob  auch  diese  Gewohnheit  von  der  Bibliothek 
in  Alexandreia  ausgegangen  ist,  können  wir  nicht  wissen; 
jedenfalls  entspricht  sie  den  Grundsätzen,  die  an  sie  anzu- 
knüpfen scheinen.  Von  allen  Wandlungen  der  Jahrhunderte 
blieb,  soweit  wir  urteilen  können,  der  leitende  Gedanke  un- 
berührt: das  Buch  soll  der  Rolle  entsprechen,  aber  für  die 


Abb.  15.    Versiegelte  Urkundenrollen. 


Länge  der  Rolle  gibt  es  innerhalb  der  Grenzen,  die  das  Hand- 
liche zieht,  kein  Gesetz,  höchstens  eine  gewisse  Gewohnheit. 
Neben  der  Rolle  dient  auch  das  Einzelblatt  einem 
literarischen  Inhalt  und  seiner  Veröffentlichung;  kleine  Stücke, 
z.  B.  einzelne  Gedichte,  sind  so  herausgegeben  worden,  von 
Martial,  Ausonius  und  andern.  Die  Papyrusfundc  bestätigen 
es:  die  sog.  Skolien  mit  Elegie,  die  etwa  um  300  v.  Chr.  ge- 
schrieben worden  sind,  bilden  nicht  den  Rest  einer  Buch- 
rolle, sondern  stehen  für  sich,  ebenso  ein  Preisgedicht  auf 
Hermes  und  einen  jungen  Gymnasiarchen  aus  dem  3.  Jahr- 


cß  Zweites  Kapitel, 

hundert  n.  Chr.  NamentHch  hier  ist  das  Einzelblatt  mit  dem 
Einzelgedichte  ganz  buchmäßig  geschrieben  und  ausge- 
stattet. Auch  das  Preisgedicht  auf  Johannes,  aus  dem 
6.  Jahrhundert  n.  Chr.,  hat  sein  Verfasser,  der  Dichter  von 
Aphrodito,  auf  zwei  einzelnen  Blättern  vereinigt.  Und  die 
Trauerdichtung  auf  den  Tod  eines  Rhetors  aus  Berytos,  die 
im  4,  Jahrhundert  n.  Chr.  auf  Kodexblätter  geschrieben 
worden  ist,  scheint  Sonderveröffentlichung  in  einem  dünnen 
Hefte  zu  sein,  also  ein  entsprechendes  Beispiel  aus  dem  Zeit- 
alter des  Kodex.  So  manches  andere  Papyrusblatt  mag  in 
diese  Reihe  gehören,  ohne  daß  man  es  ihm  ansieht. 

Die  Praxis  der  alexandrinischen  Bibliothek  wird  ihren 
Einfluß  auch  sonst  in  der  ganzen  inneren  und  äußeren  Aus- 
stattung des  Buches  geltend  gemacht  haben.  Waren  wir  aber 
für  die  Frage  nach  der  Länge  der  Rollen  überwiegend  auf  ver- 
einzelte Bemerkungen  alter  Schriftsteller  und  auf  allgemeine 
Erwägungen  angewiesen,  so  haben  wir  für  alle  andern  Seiten 
des  Buchwesens  in  den  erhaltenen  griechischen  Rollen  die 
besten  Beispiele  vor  Augen  und  können  deshalb  mit  größerer 
Sicherheit  urteilen.  Wie  weit  alles  das,  was  wir  beobachten 
können,  von  dem  Vorbilde  der  Alexandriner  angeregt  ist, 
läßt  sich  nicht  entscheiden,  ist  aber  auch  verhältnismäßig 
gleichgültig,  denn  jedenfalls  gehört  es  fast  sämtlich  in  die 
Zeit,  die  auf  die  Ausgestaltung  der  alexandrinischen  Biblio- 
thek folgte,  und  sieht  im  großen  und  ganzen  einheitlich  aus. 

Sichtbarer  als  durch  die  Längenausdehnung  wird  das 
Format  der  Buchrolle  durch  die  Höhe  der  Blätter  be- 
stimmt, aus  denen  sie  sich  zusammensetzt.  Daß  diese  Höhe 
gleichmäßig  ist,  daß  also  nur  Blätter  derselben  Höhe  zu 
einer  Rolle  vereinigt  werden,  ist  selbstverständlich  und 
bedarf  nicht  der  Bestätigung,  die  uns  alle  Bruchstücke  lite- 
rarischer Handschriften  liefern;  wechselnde  Höhe  kommt  da- 
gegen bei  Aktenrollen  vor,  die  man  aus  fertigen  Urkunden 
zusammengeklebt  hat.  Die  gleichmäßige  Breite  dieser  Blätter 
ist  dem  gegenüber  von  geringerer  Bedeutung,  da  Abweichun- 
gen nicht  in  die  Augen  fallen  und  auch  dem  Beschreiben  der 
Rolle  keine  Schwierigkeit  bieten. 

Sehen  wir  nun  in  den  erhaltenen  Stücken  auf  die 
Höhe  der  Blätter,  so  beobachten  wir  sehr  verschiedene 
Formate.  Es  gibt  Rollen,  deren  Höhe  nahe  an  40  cm  her- 
angeht, und  solche,  wo  die  Höhe  noch  nicht  5  cm  er- 
reicht, und  dazwischen  eine  große  Anzahl  verschiedener 
Maße.  Jedoch  werden  die  vorhandenen  Möglichkeiten  keines- 
wegs in  gleicher  Menge  durch  unser  Material  vertreten. 
Die  Zahl  derjenigen,  die  30  cm  überschreiten,  ist  nicht 
groß;  darunter  befinden  sich  Handschriften,  die  auch  in 
allen  übrigen  Beziehungen  vornehm  und  anspruchsvoll  aus- 


Die  Buchrolle.  gy 

gestattet  sind,  aber  auch  solche  von  geringerer  Güte  und 
Schönheit.  Kleine  Unterschiede  von  i  bis  2  cm  fallen  hierbei 
kaum  ins  Gewicht,  da  in  den  meisten  Fällen  gerade  die 
Ränder  der  Papyrusrollen  etwas  beschädigt  sind  und  alle 
diese  Maßangaben  einen  gewissen  Spielraum  zur  Voraus- 
setzung haben.  Eines  der  größten  Formate  vertritt  die  Rolle 
mit  der  Hypsipyle  des  Euripides,  die  reichhch  37  cm  hoch  ist; 
mehrere  andere  bewegen  sich  zwischen  31  und  34  cm.  Eine 
Höhe  von  30  cm  finden  wir  z.  B.  in  der  stattlichen  Hand- 
schrift eines  Kommentars  zu  Piatons  Theaitetos,  von  der 
eine  Probe  auf  Abb.  16  wiedergegeben  ist,  ebenso  aber  in  dem 
halb  kursiv  und  mit  vielen  Abkürzungen  geschriebenen 
Didymospapyrus  der  Berliner  Sammlung.  Um  ein  Bild  davon 
zu  gewinnen,  muß  man  sich  klar  machen,  daß  in  den  heutigen 
Büchern  eine  Blatthöhe  von  25  cm  schon  sehr  stattlich  aus- 
sieht, und  daß  Blätter  von  30  cm  Höhe  für  unsere  Begriffe 
ein  außergewöhnlich  großes  Format  darstellen.  Die  Höhe 
sehr  zahlreicher  Buchrollen  liegt  zwischen  30  und  20  cm. 
Innerhalb  dieser  Grenzen  kommen  so  ziemlich  alle  Maße 
vor,  ohne  daß  man  Gruppen  bilden  könnte.  Eins  sieht 
man  ohne  weiteres:  die  große  Mehrzahl  der  erhaltenen  Rollen- 
bruchstücke gehört  in  die  Höhengruppe  von  20  bis  30  cm; 
diese  Formate  sind  augenscheinlich  am  gebräuchlichsten 
gewesen,  und  zwar  durch  das  ganze  Zeitalter  der  Papyrus- 
rolle hindurch.  Auch  ein  paar  der  ältesten  Bruchstücke 
beweisen,  daß  schon  dem  Anfang  des  3.  Jahrhunderts 
v.  Chr.  solche  Formate  bekannt  waren.  Die  Mehrzahl  der 
frühesten  Texte,  wenn  man  bei  einer  Gesamtsumme  von 
höchstens  20  Exemplaren  so  rechnen  darf,  bleibt  freilich 
dahinter  zurück  und  bewegt  sich  z.  T.  um  ein  Maß  von  19 
bis  20  cm,  z.  T.  um  15  bis  17  cm.  Zu  der  erstgenannten 
Klasse  gehört  auch  der  Timotheospapyrus  mit  19  cm, 
der  freilich  ebenso  wie  seine  Altersgenossen  überhaupt  eine 
besondere  Stellung  einnimmt.  Sehen  wir  aufs  Ganze,  so 
ist  die  Zahl  der  Handschriften,  deren  Hö'he  unter  20  cm 
bleibt,  etwas  geringer  als  die  der  darüber  hinaus  gehenden 
Stücke;  immerhin  aber  bilden  sie  eine  deutlich  erkennbare 
Gruppe.  Mit  einer  gewissen  Sicherheit  ergibt  sich  sodann 
ein  kleines  Format  von  etwa  12  bis  15  cm  Höhe,  denn  ob- 
wohl wir  noch  nicht  viel  Beispiele  besitzen,  darunter  solche 
frühester  Zeit,  stimmen  diese  doch  so  gut  zu  einander,  daß 
eine  Regel  sich  nicht  verkennen  läßt.  Der  bekannteste  Ver- 
treter dieser  Gruppe  ist  der  Papyrus  im  Britischen  Museum, 
der  die  Mimiamben  des  Herodas  enthält.  In  der  Berliner 
Sammlun«^  zeigt  eine  Anthologie  aus  dem  2.  Jahrhundert 
V.  Chr.,  die  Lob  und  Tadel  der  Frauen  in  Worten  der 
Tragiker  und   Komiker  zusammenstellt,    ungefähr   dasselbe 


c8  Zweites  Kapitel. 

Format.  Unter  diese  Grenze  scheint  man  nicht  gern 
hinabgegangen  zu  sein.  Die  oben  erwähnte  winzige  Rolle, 
deren  Höhe  noch  nicht  5  cm  beträgt,  steht  ganz  allein,  so 
weit  meine  Kenntnis  reicht;  es  ist  wohl  kein  Zufall,  daß 
dies  Taschenformat  in  kleiner  und  zierlicher  Schrift  elegante 
Epigramme  enthält:  solch  ein  Büchlein  konnte  die  feine 
Dame  unbemerkt  im  Bausch  des  Kleides  verschwinden  lassen, 
wenn  sie  bei  der  Lektüre  nicht  überrascht  werden  wollte. 
Im  übrigen  bilden  die  Handschriften,  denen  für  die 
Höhe  des  Formats  etwas  zu  entnehmen  ist,  nur  einen  Teil  der 
erhaltenen  Papyrus;  die  Mehrzahl  ist  unvollständig  und  kann 
uns  keine  Fingerzeige  geben.  Es  ist  freilich  möglich,  auch 
bei  solchen  durch  Vergleich  mit  unversehrten  Rollenbrüch- 
stücken aus  der  Zeilenlänge,  den  Zwischenräumen  zwischen 
den  Kolumnen  und  den  etwa  sichtbaren  Teilen  des  oberen 
oder  unteren  Randes  annähernd  das  Format  zu  erraten,  aber 
diese  abgeleitete  Erkenntnis  muß  hier  beiseite  bleiben,  da  sie 
doch  nur  aus  den  oben  erörterten  Voraussetzungen  gewonnen 
werden  kann. 

4.  Die  Schriftkolumne.  Bildet  die  Höhe  der  Pa- 
pyrusrolle die  natürliche  Grenze  der  Schreibfläche,  so  wird 
sie  doch  nicht  völlig  von  der  Schrift  eingenommen.  Schon 
die  praktische  Rücksicht,  den  Text  vor  Beschädigungen  zu 
behüten,  nötigt  dazu,  oben  und  unten  einen  freien  Raum  zu 
lassen.  Wenn  bei  unseren  heutigen  Büchern  der  Text  auf 
die  Seite  so  gesetzt  werden  muß,  daß  er  beim  Beschneiden 
der  Blätter  durch  den  Buchbinder  unverletzt  bleibt,  so  lag 
bei  der  Papyrusrolle  die  Gefahr  in  der  Brüchigkeit  des  Ma- 
terials, das  gerade  an  den  Rändern  am  leichtesten  bestoßen 
werden  konnte.  Allein  diese  Rücksicht  ist  für  die  Alten 
ebenso  selbstverständlich  gewesen  wie  für  uns;  nicht  sie  regelt 
die  Anordnung  der  Schrift  auf  der  Schreibfiäche,  sondern 
das  Bestreben,  einen  gefälligen  Eindruck  für  das  Auge  hervor- 
zurufen. Denn  das  Aussehen  des  Buches  wird  wesentlich 
durch  die  Breite  des  oberen  und  des  unteren  Randes  be- 
stimmt, durch  das  Verhältnis  der  Schriftkolumne  zur 
Schreibfläche.  Wo  die  Fläche  nach  Möglichkeit  ausge- 
nutzt wird,  entsteht  ebenso  wie  heute  im  Buche  der  Ein- 
druck der  Enge  und  der  ÄrmHchkeit,  während  Raumver- 
schwendung vornehm  und  elegant  aussieht.  Sie  darf  aber 
nicht  übertrieben  werden,  denn  wollte  man  nur  einen  kleinen 
Teil  der  Schreibfläche  ausfüllen,  so  würde  nicht  ein  wohl- 
tuendes, sondern  ein  lächerliches  Bild  entstehen. 

In  den  Papyrusrollen  beobachten  wir  zwar  große  Unter- 
schiede, aber  doch  eine  Regel;  es  sind  ziemlich  feste  Höhen- 
verhältnisse, die  immer  wiederkehren.  In  vornehm  ausge- 
statteten Handschriften  beträgt  die  Höhe  der  Kolumne  nicht 


.  Die  Buchrolle.  5^ 

selten  nur  zwei  Drittel  der  Gesamthöhe;  von  diesem  gün- 
stigsten Verhältnisse  geht  es  abwärts  zu  drei  Vierteln,  vier 
Fünfteln  und  fünf  Sechsteln  der  Rollenhöhe.  Dies  bildet 
ungefähr  die  Grenze  dessen,  was  in  einer  Buchhandschrift 
zulässig  erscheint,  und  bedeutet  schon  eine  sehr  starke  Aus- 
nutzung des  Raumes,  die  von  Schönheit  des  Aussehens  weit 
entfernt  ist.  Jene  Zahlenverhältnisse  sind  abgerundet  und 
schließen  eine  Reihe  kleiner  Abweichungen  ein,  genau  so 
wie  im  Buch  von  heute  die  Höhe  des  Satzspiegels  hinter  der 
Seitenhöhe  in  verschiedenem  Maße  zurückbleibt.  Da  im 
allgemeinen  ein  hohes  Format  an  sich  schon  kostspieliger  ist 
als  ein  niedriges,  so  darf  man  erwarten,  bei  Rollen  von  großer 
Höhe  öfters  eine  verhältnismäßig  geringe  Höhe  der  Kolumne 
zu  finden.  So  begegnet  uns  denn  auch  das  günstigste  Ver- 
hältnis von  2  :  3  besonders  häufig  in  der  Gruppe,  die  eine 
Höhe  von  ungefähr  30  cm  und  darüber  hat.  Die  den  Kom- 
mentar zu  Piatons  Theätet  enthaltende  Rolle  gibt  wiederum 
ein  gutes  Beispiel,  denn  bei  einer  Gesamthöhe  von  30  cm 
beträgt  die  Kolumnenhöhe  20,5  cm,  so  daß  wir  ziemlich 
genau  zwei  Drittel  als  Verhältnis  vor  uns  haben.  Um  ein 
bekanntes  Buch  von  heute  zum  Vergleich  heranzuziehen, 
nenne  ich  für  Bismarcks  »Gedanken  und  Erinnerungen«  die 
entsprechenden  Zahlen:  die  Blatthöhe  beläuft  sich  auf  23  cm, 
der  Satzspiegel  ist  16,5  cm  hoch.  Diese  Ausfüllung  der  Seite 
erscheint  uns,  wenn  nicht  luxuriös,  so  doch  durchaus  an- 
ständig, obwohl  sie  das  Zahlenverhältnis  der  Theätetrolle 
noch  nicht  erreicht.  Wie  es  aussieht,  wenn  die  Schrift  drei 
Viertel  der  Gesamthöhe  bedeckt,  kann  man  sich  an  Momm- 
sens  Römischer  Geschichte  deutlich  machen;  mein  vorliegen- 
des Buch  selbst  ist  ein  Beispiel  für  vier  zu  fünf.  Unsere  Re- 
klamausgaben, die  in  der  Blatthöhe  ziemlich  genau  dem 
oben  besprochenen  kleinen  Rollcnformat  unter  15  cm  Höhe 
gleichen,  haben  einen  Satzspiegel  von  11,5  cm,  also  immer 
noch  nicht  fünf  Sechstel  des  Ganzen,  wie  es  in  Papyrusrollen 
vorkommt.  Wenn  nun  im  allgemeinen  die  Gesamthöhe  der 
Rolle  einen  gewissen  Maßstab  für  die  mehr  oder  weniger 
elegante  Ausfüllung  der  Fläche  abgibt,  so  liegt  darin  doch 
keineswegs  ein  Gesetz,  denn  auch  ein  großes  Format  wird 
gelegentlich  bis  aufs  Äußerste  ausgenutzt,  so  bei  der  Rolle, 
die  den  Kommentar  des  Didymos  zu  Demosthenes  enthält, 
während  umgekehrt  bisweilen  gerade  eine  niedrige  Rolle  durch 
eine  kleine  Schriftkolumne  ein  vornehmes  Aussehen  gewinnt, 
wie  es  die  schöne  Handschrift  von  Pindars  Päanen  zeigt, 
wo  die  Schrift  kaum  zwei  Drittel  füllt. 

Wie  die  Abstände  der  Kolumnen  vom  oberen  und 
unteren  Rande  der  Rolle  das  Bild  bestimmen,  so  auch 
ihre    Entfernung   von   einander;    diese    Zwischenräume    ge- 


^O  Zweites  Kapitel. 

hören  freilich  nicht  wie  auf  der  heutigen  Buchseite  als 
Rahmen  zu  einem  einzigen  Schriftsatze,  sondern  immer 
zu  je  weien  und  fallen  ins  Auge,  wenn  der  Leser  mehrere 
vor  sich  sieht.  Auch  hier  gilt  Raumverschwendung  als 
Zierde  einer  Rolle,  während  geringe  Abstände  ärmlich  er- 
scheinen; für  das  bequeme  Lesen  kommt  viel  darauf  an. 
Wir  finden  große  Unterschiede  je  nach  der  allgemeinen 
-Güte  der  Handschrift  und  der  gesamten  Ausstattung.  Im 
Timotheospapyrus  fehlen  die  Abstände  fast  ganz,  denn  die 
längsten  Zeilen  reichen  hier  bis  dicht  an  die  nächste  Kolumne 
heran.  Ebenso  nähern  sich  die  Kolumnen  fast  bis  zur  Be- 
rührung in  der  Rolle,  die  des  Satyros  Lebensbeschreibungen 
der  Tragiker  enthält.  In  beiden  Fällen  haben  wir  es  mit 
unschöner  Schrift  zu  tun,  dort  mit  sehr  breiten,  hier  mit  sehr 
schmalen  Schriftreihen.  Im  Didymospapyrus  sind  die  Ab- 
stände gering  verglichen  mit  der  Breite  der  Kolumne,  breit 
dagegen  in  der  stattlichen  Handschrift  des  Theätetkommen- 
tars.  Natürlich  gibt  in  der  Regel  die  Höhe  der  Rolle  ein  ge- 
wisses Maß,  so  daß  in  einer  kleinen  bei  entsprechender  Aus- 
stattung nicht  dieselben  Zwischenräume  erwartet  werden 
dürfen  wie  in  einer  großen,  wofern  nicht  besondere  Gründe 
vorliegen,  von  denen  bei  den  Scholien  die  Rede  sein  wird. 
Die  Höhe  der  Kolumne  wird  b  dingt  durch  die  Zahl 
ihrer  Zeilen;  die  Größe  der  Schrift  und  der  Abstand  der  Zeilen 
voneinander  lassen  hier  einen  weiten  Spielraum,  so  daß  man 
ein  festes  Verhältnis  der  Kolumnenhöhe  zur  Zeilenzahl  nicht 
suchen  darf,  wenn  auch  naturgemäß  ein  niedriges  Format 
die  Zeilenzahl  enger  begrenzt  als  ein  hohes.  Bei  einer  Rollen- 
höhe von  30  cm  haben  die  Kolumnen  im  Kommentar  des 
Didymos  zu  Demosthenes  ungefähr  70  Zeilen  und  dürften 
damit  ziemlich  allein  stehen.  Die  Zeilen  drängen  sich,  die 
Schrift  hat  viele  Abkürzungen  und  neigt  zu  kursiven  Formen, 
die  ganze  Rolle  ist  trotz  ihrem  stattlichen  Format  kein 
Musterexemplar  eines  Buches.  Aber  50  Zeilen  und  mehr  be- 
gegnen auch  in  eleganten  Handschriften;  als  Beispiel  mag 
wiederum  der  Theätetpapyrus  dienen  oder  eine  schöne 
Menanderhandschrift,  die  sich  in  England  befindet;  dazu 
die  Hypsipyle  des  Euripides,  deren  Kolumnen  54  bis 
62  Zeilen  enthalten.  Mehr  als  30  Zeilen  kommen  oft  vor, 
die  große  Masse  bleibt  zwischen  20  und  30.  Unter  20  sinkt 
die  Zeilenzahl  nur  selten  bei  niedrigem  Format  der  Rolle, 
-so  in  Pindars  Päanen  mit  15  Zeilen  und  in  den  Gedichten  des 
Herodas,  wo  sie  zwischen  15  und  19  schwankt.  Damit  sind 
wir  zugleich  bei  dem  oben  besprochenen  kleinen  Rollenformat 
angelangt.  Daß  die  winzige  RoLe  von  4  bis  5  cm  Höhe,  die 
einige  Epigramme  enthält,  trotz  ihrer  kleinen  Schrift  nur 
-etwa  sieben  Zeilen  in  der  Kolumne  unterbringt,  gibt  ihr  auch 


Die  Buchrolle. 


6i 


Abb.  i6.    Aus  einem  Kommentare  zu  Flatons  Theaitetos. 


^2  Zweites  Kapitel. 

in  dieser  Beziehung  eine  besondere  Stellung  außerhalb  des 
uns  sonst  vorliegenden  Materials.  Wenn  ich  früher  darauf 
hingewiesen  habe,  daß  die  ältesten  Rollen  nur  eine  mäßige 
Blatthöhe  besitzen,  so  ist  jetzt  hinzuzufügen,  daß  auch  ihre 
Zeilenzahl  sich  zwischen  20  und  30  hält;  die  hohen  Ziffern 
wie  50  und  darüber  gehören  alle  einer  späteren  Zeit  an. 

Aber  bemerkenswerter  als  diese  Zahlen  ist  es,  daß  inner- 
halb einer  und  derselben  Rolle  die  Kolumnen  recht  erhebliche 
Unterschiede  aufweisen.  Wenn  eine  Jliashandschrift  in  der  läng- 
sten Kolumne  63,  in  der  kürzesten  nur  42  Zeilen  hat,  so  ist 
das  freilich  ein  Abstand,  der  auch  das  Aussehen  stark  beeinflußt 
und  nicht  als  normal  gelten  kann.  Jedoch  sind  Schwankun- 
gen von  fünf  bis  acht  Zeilen  nichts  Seltenes  und  stören  den 
Gesamteindruck  der  Gleichheit  kaum.  Der  Schreiber  hielt 
eben  nicht  immer  denselben  Zwischenraum  inne,  und  kleine 
Verschiebungen  wachsen  namentlich  bei  großer  Zeilenzahl 
zu  beträchtlichen  Ziffern.  Gerade  hier  wird  es  ganz  deutlich, 
daß  für  die  Kolumnen  der  Buchrolle  nicht  die  gleiche  Zahl 
der  Zeilen  vorgeschrieben  war,  sondern  daß  das  Gleichmaß 
als  Ziel  galt.  Im  Grunde  versteht  es  sich  von  selbst, 
aber  es  ist  nicht  überflüssig,  es  zu  betonen,  weil  man  leicht 
zu  viel  Wert  auf  die  Zahlen  legen  könnte.  Mitunter  freilich 
mißlingt  es  dem  Schreiber,  die  gleiche  Höhe  der  Kolumnen 
einzuhalten;  begreiflich  genug,  denn  es  sind  geschriebene 
Texte;  auch  wir  erreichen  es  beim  Schreiben  nur,  wenn  wir 
durch  Linien  unterstützt  werden.  Dazu  kommt,  daß  oft 
gegen  das  Ende  der  Rolle  der  Schreiber  flüchtiger  wird  und 
mehr  an  den  Abschluß  als  an  das  gute  Aussehen  denkt.  Da- 
durch wird  auch  die  Weite  der  Schrift  und  damit  die  Zahl 
der  Zeilen  beeinflußt,  wie  denn  z.  B.  in  den  letzten  Kolumnen 
des  Didymospapyrus  die  Buchstaben  ständig  größer  werden 
und  die  Zeilenzahl  abnimmt,  während  die  Höhe  der  Kolumne 
ungefähr  dieselbe  bleibt;  selbst  in  dieser  unschönen  Hand- 
schrift wird  der  Inhalt  nach  Möglichkeit  so  verteilt,  daß  sie 
«in  leidliches  Aussehen  wahrt. 

Das  Verhältnis  der  Kolumnenhöhe  zur  Kolumnen- 
breite ist  so  verschieden,  daß  man  darauf  verzichten 
muß,  feste  Regeln  zu  erkennen.  Nur  soviel  läßt  sich 
sagen:  fast  immer  ist  die  Höhe  größer  als  die  Breite, 
und  bei  einer  Zeilenbreite  von  lO  bis  15  Buchstaben  über- 
wiegt die  Höhe  bedeutend,  wenn  auch  nicht  immer  so 
stark,  wie  in  der  schon  oft  herangezogenen  Theätetrolle. 
Natürlicherweise  hängt  das  Verhältnis  der  Höhe  zur  Breite 
nicht  lediglich  vom  Willen  des  Schreibers  ab,  sondern  auch 
vom  Formate  der  Rolle  und  vom  Texte.  Sollten  z.  B.  in 
eine  Rolle  von  etwa  20  cm  Höhe  Homerverse  geschrieben 
werden,  so  fiel  die  Kolumne  von  selbst  sehr  breit  aus.     Die 


1 


Die  Buchrolle.  6^ 

Prosa  bot  mehr  Freiheit,  und  schon  die  ältesten  Hand- 
schriften zeigen  in  diesem  Punkte  so  erhebliche  Unterschiede, 
daß  man  zeitlich  bestimmbare  Moden  nicht  erkennen  kann. 
Nur  die  schmälsten  Kolumnen  nach  Art  der  TheätetroUe 
Mnd  der  vorchristlichen  Zeit  fremd. 

5.    Länge    der    Zeilen.     Von   einem   meßbaren   Ver- 
hältnis der  beiden  Kolumnenausdehnungen  kann  man  nur 
unter  der  Voraussetzung  sprechen,   daß  die   Kolumne  von 
oben  bis  unten  die  gleiche   Breite  bewahrt.    Sie  muß  sich 
als  eine  fest  begrenzte  Einheit  von  der  Papyrusfläche  ab- 
heben, wenn  die  Rolle,  die  ja  Seiten  im  Sinne  des  modernen 
Buches  nicht  haben   kann,   als  ein   regelmäßig  gegliedertes 
Ganzes  erscheinen  soll.    Daher  erhalten  in  den  meisten  lite- 
rarischen Handschriften  die  Zeilen,  aus  denen  die  Kolumne 
sich  zusammensetzt,  die  gleiche  Länge.     Es  war  leicht,  die 
Zeilen  in  einer  Linie  anzufangen,  dagegeru  nicht  ganz  so  ein- 
fach,   sie    auch    gleichmäßig    abzuschließen.      Denn    hierbei 
dürfen  die  Grundregeln  der  Worttrennung  nicht  gänzlich  ver- 
ichlässigt  werden;  oft  genug  bietet  sich  kein  passendes  Wort 
ler  keine  entsprechende  Silbe  am  Ende  der  Zeile,   so  daß 
■   r   Schluß   bald    über   die    durchschnittliche    Länge    etwas 
übergreift,  bald  auch  etwas  dahinter  zurückbleibt.     Durch 
welche  Mittel  man  dem  abzuhelfen  suchte,  werden  wir  noch 
sehen.     Außerdem   ist  es  auch  rein  äußerlich  für  das  Auge 
schwerer,  das  Ende  der  Zeilen  in  eine  gerade  Linie  zu  bringen 
als  den  Anfang,  den  man  mit  dem  Lineal  ausrichten  konnte. 
Das  scheinen  freilich  die   Schreiber  nicht  immer  sorgfältig 
getan  zu  haben,  denn  selbst  in  schön  geschriebenen  Exem- 
plaren weichen  die  Schriftkolumnen  häufig  in  ihrem  unteren 
Teile  von  der  Senkrechten  nach  links  ab;  das  ebenmäßige 
Bild  der  gedruckten  Seite  dürfen  wir  hier  nicht  verlangen. 
Die  für  sorgfältige  Buchschrift  geltende  gleiche  Breite  der 
kolumne  beruht  auf  dem  Maße,  nicht  auf  der  Buchstaben- 
zahl, die  nur  eine  unzuverlässige  Hilfe  geben  kann,  denn  die 
Buchstaben  besitzen  auch  bei  sehr  regelmäßiger  Schrift  eine 
verschiedene  Ausdehnung.   Wie  nun  die  Höhe  der  Kolumnen 
je  nach  der  Höhe  des  Papyrusformats  und  nach  dem  Zwecke 
der  Abschrift  ungleich  ist,   so  gibt  es  auch  für  ihre  Breite 
kein  allgemeines  Gesetz,  ja  hier  noch  weniger  festen  Gebrauch 
als  dort.   Man  hat  gemeint,  die  Breite  der  einzelnen  Papyrus- 
blätter,  aus   denen   die    Rolle   besteht,   sei   eine   natürliche 
Grenze  für  die  Ausdehnung  der  Zeilen.    Allein  diese  Ansicht 
läßt  sich  heute,  wo  wir  eine  Menge  solcher  Handschriften 
überblicken  können,    nicht  aufrecht  erhalten.      Wenn    der 
Schreiber  die  fertige   Rolle  erhielt,  so  war  sie   für  ihn  ein 
Ganzes,    dessen    Bestandteile    er   nicht   zu    berücksichtigen 
brauchte. 


64  Zweites  Kapitel. 

Mehr  Beachtung  verdient  eine  andere  auf  gute  Gründe 
gestützte  Theorie,    die   das    Durchschnittsmaß   der  Zeile  in 
der   Länge    des    Hexameters,    des    homerischen  Versmaßes, 
erbHckt..     Dieser   hat   im    Mittel   15  Silben,  etwa  35  Buch- 
staben,   die    in    geschriebenem  Texte    allerdings    einen   be- 
trächtlichen Raum  einnehmen.     Es  wäre  an  sich  nicht  un- 
glaublich,   daß    das   Maß   des   verbreitetsten    Buches   allge- 
meine Regel  geworden  und  vielleicht  zuerst  in  Alexandreia 
von  den  Homerausgaben  auch  auf  andere  Werke  übertragen 
worden  sei.    So  ließe  sich  verstehen,  daß  die  Zeile  schlecht- 
hin  »epischer  Vers«   (epos)    genannt   worden   ist.     Indessen 
wollen  unsere  Papyrustexte  sich  dieser  Regel  durchaus  nicht 
anpassen.     In  tadellosen  Buchhandschriften,   von  denen  wir 
Proben  genug  besitzen,  findet  sich  nicht  die  angenommene 
Normalzeile,  sondern  eine  wesentlich  kürzere,  und  zwar  auch 
in  sehr  alten  Exemplaren.    Es  wäre  mehr  als  sonderbar,  wenn 
die  alexandrinische  Praxis,  die  sonst  so  nachhaltig  gewirkt 
hat,  sich  in  den  Papyrusrollen  nicht  ausgeprägt  hätte.    Eine 
unbefangene  Betrachtung  des  Tatsächlichen  nötigt  uns,  jene 
Hexameterzeile  als  Normalzeile  aufzugeben;  trotzdem  ist  sie 
für  die   Buchschrift   nicht  gleichgültig.     Da  die   Klebungen 
dem  Schreibrohre  keine  Schwierigkeit  bieten,  kann  die  Zeile 
an  sich  jede  biliebige  Länge  erreichen;  aber  in  Wirklichkeit 
ist  sie  nicht  unbeschränkt,  weil  ein  Übermaß  das  Lesen  er- 
schwert. Die  Alten  haben  das  offenbar  auch  empfunden,  denn 
sie  beobachten  in  literarischen   Handschriften  meistens  die 
Grenze,   die  durch  die  mittlere   Länge  des  epischen  Verses 
gegeben  wird.     Insofern  hat  die  Hexameterzeile  in  der  Tat 
eine   allgemeine   Bedeutung  gewonnen:   sie  ist  das   höchste 
Maß  des  Zulässigen.    Freilich  kommen  noch  längere  Zeilen 
vor,  ebenso  in  sehr  alten  Handschriften,  z.  B.  im  Timotheos- 
gedichte,  wie  in  späteren,   in  sorgfältigen  Büchern  und  in 
solchen,  die  nach  Fo  m  oder  Inhalt  von  geringer  Güte  sind. 
Sie  nähern  sich  darin  einer  Reihe  von  Urkunden,  bei  denen- 
die    Länge    der   Zeilen   bisweilen    außerordentlich    groß   ist. 
Beispiele  dafür  gibt  es  aus  allen  Zeiten;  gerade  die  ältesten 
griechischen  Urkunden,  an  ihrer  Spitze  eine  vom  Jahre  31  i/o 
V.  Chr.,  fallen  dadurch  auf.  Bei  einem  Inhalte  von  verhältnis- 
mäßig geringem  Umfange,  wie  es  die  Urkunde  zu  sein  pflegt, 
konnte  man  danach  streben,  auch  äußerlich  sie  als  ein  Ganzes 
ohne  Teilung  in  Kolumnen  darzustellen.    Für  Briefe  gilt  es 
erst  recht.     Jedoch  gibt  es  von  ptolemäischer  Zeit  an  zahl- 
reiche Abweichungen,  in  denen  die  Urkunde  ohne  erkenn- 
bare Ursache  auf  mehrere  Kolumnen  verteilt  wird.     Die  oft 
viele   Kolumnen  umfassenden  amtlichen   Schriftstücke,   Ge- 
setze, Verordnungen  usw.  bleiben  dabei  noch  unberücksich- 
tigt, weil  sie  der  Buchrolle  verwandt  sind,  ebenso  große  Rech- 


Die  Buchrolle,  65 

niingen,  deren  Umfang  eine  Gliederung  forderte.  Die  Länge 
der  Urkundenzeilen  ist  überhaupt  viel  weniger  an  Regeln 
und  Grenzen  gebunden  als  die  literarischer  Texte,  so  daß 
wir  von  hier  aus  keinen  Aufschluß  über  die  Buchrolle  erwarten 
dürfen.  Jedoch  stimmen  die  Urkunden,  soweit  sie  sorgfältig 
geschrieben  sind,  mit  ihr  im  Streben  nach  Zeilengleichheit 
überein. 

Unterhalb  der  durch  die  Hexameterzeile  gegebenen  Grenze 
ad  viele  Abstufungen  zu  verzeichnen.  Sehr  schöne  Hand- 
schriften haben  oft  nur  10  bis  15  Buchstaben  in  der  Zeile, 
wie  wiederum  der  Kommentar  zu  Piatons  Theätet.  In- 
dessen ging  man  in  der  Regel  etwas  darüber  hinaus,  und 
es  scheint,  als  sei  eine  Zeile  von  20  bis  25  Buchstaben  be- 
sonders häufig;  allein  unser  Material  bietet  noch  keine 
genügende  Grundlage,  um  sicher  zu  urteilen.  Deshalb  sei 
auch  nur  nebenbei  erwähnt,  daß  die  kurze  Zeile  in  den 
erhaltenen  Stücken  auffällig  oft  für  Reden  und  für  Texte 
rhetorischen  und  philosophischen  Inhalts  verwendet  wird; 
auch  bei  geschichtlichen  Darstellungen  ist  sie  zu  bemerken, 
aber  keineswegs  als  Regel. 

Das  Gesetz  der  Zeilengleichheit  gilt  nur  für  Prosatexte. 
Denn  da  hier  weder  Inhalt  noch  Satzbau  einen  Zwang  auf 
die  Zeileneinteilung  ausübte  und  die  Alten  keinen  besonderen 
Wert  auf  die  äußere  Abgrenzung  der  Sinnabschnitte  legten, 
konnte  die  Regel  ohne  Schwierigkeit  durchgeführt  werden, 
wie  es  in  der  Tat  geschehen  ist.  Sie  kam  für  Poesie  nur 
dann  in  Betracht,  wenn  sie  ohne  metrische  Gliederung,  d.  h. 
als  Prosa,  geschrieben  wurde.  Daß  mit  dem  Grundsatze  der 
Zeilengleichheit  ungefähr  in  der  i.  Hälfte  des  3.  Jahrhunderts 
V.  Chr.  etwas  Neues  aufgekommen  ist,  machen  einige  im 
Alter  dem  Timotheospapyrus  wenig  nachstehende  Prosa- 
fragmente mit  ihrer  auffallenden  Ungleichheit  der  Zeilen 
sehr  wahrscheinlich,  und  der  Timotheostext  selbst  als  ein 
nach  Art  der  Prosa  geschriebenes  Gedicht  bestätigt  es.  Wer 
das  Aussehen  dieser  Texte  prüft,  begreift  vollkommen,  daß 
eine  Ordnung  der  Schreibweise,  vor  allem  eine  gleichmäßige 
Begrenzung  der  Zeilen,  das  Ziel  einer  Reform  zu  werden  ver- 
mochte, die  wir  den  alexandrinischen  Gelehrten  und  Biblio- 
thekaren als  ihr  Verdienst  anrechnen  dürfen. 

Es  gab  mancherlei  Hilfsmittel,  um  die  als  Regel  geltende 
gleiche  Breite  der  Zeilen  auch  dann  zu  erreichen,  wenn  die 
Verteilung  der  Buchstaben  und  Silben  sich  dem  Gesetze 
nicht  fügen  wollte.  Entweder  drängte  der  Schreiber  gegen 
das  Ende  der  Zeile  die  Buchstaben  zusammen  und  brachte 
auf  diese  Weise  die  notwendige  Übereinstimmung  von  Zeilen- 
länge und  Worttrennung  zustande,  oder  er  vermied  diesen 
unschönen  Notbehelf  dadurch,  daß  er  schon  etwas  vor  der 

SchuSart.   Dns    P.iir'l..-   i.  Aiifl  C 


66  Zweites  Kapitel. 

Grenze  abbrach  und  den  leeren  Raum  durch  Striche  oder 
einen  kleinen  Haken  ausfüllte.  Dies  gilt,  soweit  mein  Über- 
blick reicht,  nur  für  Prosatexte,  da  ja  auch  nur  hier  das 
Gleichmaß  der  Zeilen  grundsätzlich  durchgeführt  werden 
konnte.  Später  machte  man  es  sich  noch  bequemer  und 
erlaubte  sich,  auch  einen  größeren  freien  Raum  durch  Häk- 
chen auszufüllen,  so  daß  etwa  seit  dem  4.  Jahrhundert  n.  Chr. 
nach  Bedarf  sogar  eine  ganze  Reihe  dieser  Winkel  auftreten 
durfte.  Sie  stellen  sich  namentlich  am  Ende  eines  Sinn- 
abschnitts ein,  weil  man  es  gern  vermied,  den  neuen  Gedanken 
in  der  Mitte  der  Zeile  anzufangen.  Das  rein  äußerliche  Mittel 
der  Zeilenfüllung  erhält  dadurch  beinahe  den  Wert  einer 
starken  Interpunktion  und  wird  z.  B.  in  der  Prachtrolle 
eines  christlichen  Osterbriefes  aus  dem  8.  Jahrhundert 
geradezu  in  dieser  Bedeutung  angewendet,  jedoch  immer 
nur  am  Ende  der  Zeile. 

6.  Metrische  Schreibung.  Bei  poetischen  Schriften 
lag  es  nahe,  die  Verse  auch  äußerlich  kenntlich  zu  machen. 
Wir  sehen  schon  in  den  ältesten  Texten  und  von  da  an 
durchweg  in  allen  Papyrusrollen,  daß  jeder  Hexameter  eine 
Zeile  für  sich  bildet  —  das  Entsprechende  gilt  für  Epi- 
gramm und  Elegie  —  und  ebenso  jeder  iambische  Trimeter, 
d.  h.  der  Vers  des  Dialogs  im  Drama.  Die  neuesten  Ent- 
deckungen beweisen  dies  für  Handschriften,  die  spätestens 
im  Anfang  des  3.  Jahrhunderts  v.  Chr.  entstanden  sind,  z.  T. 
wohl  noch  ins  4.  Jahrhundert  gehören.  Wir  haben  es  also  bei 
diesen  beiden  Versen  nicht  mit  einer  Neuerung  der  Alexan- 
driner zu  tun,  sondern  mit  einer  längst  vorhandenen  Ge- 
wohnheit, deren  früher  Ursprung  leicht  begreiflich  ist.  Das 
Prinzip  der  Zeilengleichheit  kam  hier  überhaupt  nicht  in 
Betracht  oder  nur  insofern,  als  die  Verse  ihm  wegen  ihres 
gleichmäßigen  Baues  im  allgemeinen  von  selbst  entsprachen. 
Die  Schreiber  haben  sich  nicht  darum  bemüht,  und  gerade 
die  Homertexte  enthalten  deshalb  häufige  und  beträchtliche 
Überschreitungen  der  Durchschnittslänge. 

Anders  steht  es  mit  solchen  Dichtungen ,  die  aus 
metrisch  ungleichen  Gliedern  zusammengesetzt  sind,  vor 
allem  mit  den  Texten  der  griechischen  Lyriker  und  den 
Chorpartien  der  Tragödie  und  Komödie.  Unser  Material  ist 
nicht  mehr  zu  gering,  um  Aufschluß  zu  geben,  und  ver- 
dient besprochen  zu  werden,  weil  es  auffallende  Verschie- 
denheiten bietet.  Unter  den  Lyrikern  stehen  dem  Alter 
nach  an  der  Spitze  die  Timotheosrolle  und  eine  nicht  wesent- 
lich jüngere  Handschrift,  die  Skolien  von  Elefantine,  mit 
spruchartigen,  ganz  ungleichen  Versen.  Beide  sind  ohne 
jede  Rücksicht  auf  die  metrische  Gliederung  in  langen  und 
ungleichen  Zeilen  geschrieben;    aber  die  Skolien  machen  es 


I 


Die  Buchrolle.  67 

besonders  deutlich,  weil  die  darunter  stehende  Elegie  ohne 
weiteres  metrisch  abgeteilt  wird.  In  beträchtlichem  Ab- 
stände folgt  ihnen  ein  ziemlich  langes  Stück  aus  Alkman, 
das  metrisch  geordnet  ist.  In  die  Kaiserzeit  gehört  die  schön 
geschriebene  Rolle,  die  uns  den  Bakchylides  bekannt  gemacht 
hat;  auch  hier  wird  metrisch  gegliedert  ohne  Rücksicht  auf 
Zeilengleichheit.  Dasselbe  gilt  von  den  umfangreichen 
Stücken  aus  Pindars  Gedichten,  die  wir  den  Papyri  ver- 
danken; ebenso  verhält  es  sich  mit  den  jetzt  schon  zahlreich 
gewordenen  Bruchstücken  aus  den  Liedern  des  Alkaios  und 
der  Sappho,  von  denen  das  späteste  etwa  ins  3.  Jahrhundert 
n.  Chr.  gehört:  sie  befolgen  überall  die  metrische  Gliederung. 
Die  Berliner  Pergamenthandschrift  der  Sappho  stimmt 
damit  überein,  fällt  aber  wegen  ihres  späten  Datums 
nicht  ins  Gewicht.  Auch  die  Stücke  aus  den  Liedern 
des  Kallimachos  bestätigen  die  Regel.  Dagegen  finden 
wir  in  einem  nicht  unerheblichen  Fragmente  aus  einer 
Korinna-Rolle  beide  Schreibweisen  neben  einander  :das  eine 
Gedicht  beachtet  die  metrischen  Glieder  nicht,  freilich  die 
Zeilengleichheit  ebensowenig,  das  andere  ist  metrisch  ge- 
schrieben. Und  in  den  merkwürdigen  Anapästen,  die  in  ele- 
ganter Buchschrift  der  ersten  Kaiserzeit  überliefert  sind, 
scheint  nur  die  Zeilengleichheit  maßgebend  zu  sein.  Auch  der 
Kerkidas-Papyrus  verzichtet  darauf,  die  Verse  abzuteilen, 
und  befolgt  die  äußerliche  Zeilengleichheit  der  Prosa. 

Über  die  Lieder  in  der  Tragödie  und  Komödie  sind  wir 
durch  Papyrushandschriften  immer  noch  mangelhaft  unter- 
richtet. Zwei  Proben  etwa  aus  dem  Anfange  des  3.  Jahr- 
hunderts V.  Chr.  zeigen  Chorpartien  aus  Euripides  das  eine 
Mal  in  langen,  das  andere  Mal  in  kurzen  Zeilen,  aber  in  beiden 
Fällen  ohne  erkennbare  Hervorhebung  des  Versmaßes.  In 
dieselbe  frühe  Zeit  gehört  eine  sorgfältig  geschriebene  Stelle 
aus  dem  Phaethon  des  Euripides,  und  auch  hier  werden  die 
metrischen  Glieder  nicht  als  Zeilen  behandelt,  sondern  inner- 
halb der  Zeile  durch  wagerechte  Striche  von  einander  getrennt. 
Dagegen  ist  in  der  Hypsipyle  des  Euripides  und  den  Spür- 
hunden des  Sophokles,  deren  Handschriften  aus  der  Kaiserzeit 
stammen,  der  Vers,  nicht  die  Gleichheit  der  Zeile  maßgebend. 
Deutlich  erkennbar  ist  dies  Verfahren  auch  in  dem  Bruch- 
stücke aus  der  »Achäcrversammlung«  des  Sophokles,  wo  die 
obenan  stehenden  zehn  Chorzeilen  nach  rechts  eingerückt  und 
als  metrische  Glieder  geschrieben  sind.  Auch  die  »Kreter« 
des  Euripides  darf  man  als  Zeugen  dafür  heranziehen,  denn 
obwohl  der  Text  auf  einem  Blatte  aus  einem  Pergamentkodex 
steht,  ist  er  doch  ein  Altersgenosse  dieser  Papyrusrollen  und 
gehört  in  eine  Reihe  mit  ihnen.  Beachtung  verdient  es,  daß 
auf  Papyri  und  gleichzeitigen  Pergamenten  die  Psalmen  fast 

5* 


68 


Zweites  Kapitel. 


i. 


Abb.  17.    Sophokles,  Achäerversammlung. 


immer  metrisch  gegliedert  werden;  aber  auch  hier  gibt  es 
Ausnahmen.  Im  allgemeinen  scheint  man  ursprünglich  lyri- 
sche Texte  ohne  Versgliederung  wie  Prosa  geschrieben  zu 
haben;  später  hat  man  nur  noch  gelegentlich  bei  ungleichen 
und  schwierigen  Maßen  sich  auf  diese  Weise  geholfen.  Die 
Kaiserzeit  hat  die  metrische  Schreibung  als  Regel  in  der 
Hauptsache  anerkannt. 

Da  die  alexandrinischen  Grammatiker  sich  mit  der 
alten  griechischen  Lyrik  kritisch  beschäftigt  und  neue  Aus- 
gaben veranstaltet  haben,  ist  es  von  vornherein  wahrschein- 
Hch,  daß  die  Papyri  auch  in  der  metrischen  Schreibung 
im  allgemeinen  ihnen  folgen.  Die  sichere  Versgliederung 
bei  den  allbekannten  und  allberühmten  Dichtern  wie  Sappho, 


Die  Buchrollc.  69 

Alkaios,  Pindaros,  Bakchylides,  ebenso  bei  dem  Alexandriner 
Kallimachos  selbst,  würde  dafür  sprechen,  und  die  Unsicher- 
heit bei  andern,  wie  bei  Kerkidas,  den  namenlosen  Anapästen 
und  dergl.,  könnte  als  Bestätigung  gelten.  Die  ältesten 
Stücke  würden  den  Zustand  vor  der  Arbeit  der  Alexan- 
driner spiegeln,  der  sich  überall  da  erhalten  hätte,  wo  es 
an  alexandrinischen  Ausgaben  oder  Vorbildern  fehlte.  Die 
Chorlyrik  des  Dramas  überwindet  den  Urzustand  bald,  ohne 
aber  zu  einer  festen  Gliederung  zu  gelangen,  denn  noch  die 
Handschriften  des  Mittelalters  schwanken  beträchtlich.  Daß 
überhaupt  die  Abteilung  der  Verse  nicht  immer  gleich  oder 
auch  nur  gleichartig  erscheint,  versteht  sich  von  selbst;  auch 
da,  wo  alexandrinische  Ausgaben  vorlagen,  braucht  ihre  Be- 
handlung der  Verse  nicht  überall  durchgedrungen  zu  sein; 
ganz  abgesehen  davon,  daß  der  Versbau  oft  Schwierigkeiten 
enthielt  und  mehr  als  eine  Deutung  zuließ.  Ohne  ein  völHg 
zweifelloses  Ergebnis  zu  gewinnen,  darf  man  doch  sagen:  ver- 
mutlich sind  lyrische  Verse,  gleichviel  ob  strophisch  oder 
nicht,  ursprünglich  wie  Prosa  geschrieben  worden,  bis  die 
alexandrinischen  Gelehrten  den  Grundsatz  metrischer  Gliede- 
rung aufstellten  und  anwandten,  der  sich  mit  ungleichem 
Erfolge  durchgesetzt  hat. 

7.  DieBuchschrift.  Für  die  soeben  erörterten  Fragen 
ist  die  Gestalt  der  Buchstaben  zu  wesentHch,  als  daß 
sie  ganz  übergangen  werden  dürfte,  obwohl  ein  Überblick 
über  die  Entwicklung  der  Schrift  nicht  in  den  Rahmen  meiner 
Darstellung  gehört.  E^  handelt  sich  hier  um  die  sog.  großen 
Buchstaben,  nur  mit  dem  Unterschiede,  daß  die  Schrift 
mehr  gerundete  Formen  aufweist  als  unsere  Drucktypen;  die 
kleinen  griechischen  Buchstaben,  die  wir  schreiben  und 
drucken,  haben  sich  erst  im  Mittelalter  aus  der  byzantinischen 
Kursive  entwickelt  und  geben  nur  in  wenigen  Fällen,  z.  B. 
im  w,  annähernd  die  Schriftzüge  der  Papyrusrollen  wieder. 
Die  Alten  setzen  die  Wörter  nicht  ab,  sondern  lassen  ohne 
Zwischenraum  Buchstaben  auf  Buchstaben  folgen;  von 
den  unvollkommenen  Mitteln  der  Satztrennung  werden  wir 
noch  sprechen.  Dies  Verfahren  diente  zwar  der  Schönheit 
des  Aussehens,  aber  keineswegs  der  Bequemlichkeit  des  Lesers. 
Wenn  auch  der  Buchschreiber  sich  bemüht,  die  Buchstaben 
möglichst  gleichmäßig  zu  schreiben  und  ihnen  ungefähr  den 
gleichen  Raum  zuzuteilen,  so  widerstrebt  doch  das  griechi- 
sche Alphabet  wie  jedes  der  strengen  Durchführung.  Die  von 
Natur  schmalen  Buchstaben,  vor  allem  das  t,  können  nicht 
soviel  Raum  füllen  wie  die  von  Natur  breiten,  z.  B.  das  i». 
Trotzdem  gibt  es  in  sorgfältiger  Handschrift  genug  Mittel 
und  Wege,  um  kleinere  Unterschiede  auszugleichen.  Je  nach- 
dem man  breite  oder  schmale  Schrift  erzielen  will,  lassen  sich 


^O  Zweites  Kapitel. 

Querstriche  lang  oder  kurz,  Rundungen  breit  oder  schmal 
ausführen,  zumal  wenn  man  die  einzelnen  Buchstaben  aus 
mehreren  Strichen  zusammensetzte,  wie  die  Alten  es  in  Schön- 
schrift taten.  Ich  erinnere  daran,  daß  auch  bei  uns  im 
Schreibunterricht  die  Kinder  angehalten  werden,  bei  vielen 
Buchstaben,  namentlich  den  großen,  mehrmals  anzusetzen. 
Im  übrigen  wird  die  Schrift  vom  wechselnden  Verfahren  der 
Schule,  man  darf  auch  sagen  von  der  Mode  beherrscht. 
Diese  äußert  sich  in  der  Art,  wie  die  einzelnen  Buchstaben 
gezogen  werden,  und  ebenso  in  der  ganzen  Buchstabenreihe, 
in  der  Richtung  der  Schrift,  in  der  geringeren  oder  größeren 
Neigung  zu  Verzierungen.  Damit  berühren  wir  das  Gebiet 
der  Schriftkunde,  die  uns  hier  nichts  angeht.  Um  aber  zu 
zeigen,  wie  der  Stil  der  Schrift  auch  die  Raumfüllung  be- 
einflussen kann,  sei  ein  Gesichtspunkt  hervorgehoben,  der 
besonders  oft  uns  dazu  hilft,  die  Menge  der  Schriftarten 
in  bestimmte  Gruppen  einzuordnen:  auf  der  einen  Seite  stehen 
diejenigen,  welche  die  geraden  Striche  senkrecht  führen  oder 
wenigstens  der  Senkrechten  annähern,  auf  der  andern  die- 
jenigen ,  die  diesen  Strichen  eine  ausgesprochen  schräge 
Richtung  geben.  Die  Beobachtung  der  aus  gebogenen  Linien 
gebildeten  Zeichen  ergibt  eine  zweite  Gliederung  in  schmale 
und  breite.  Die  letzte  Gruppe  formt  die  gebogenen  Striche 
als  Teile  eines  Kreises ;  sie  ist  im  engeren  Sinne  die  Unziale, 
ein  Name,  der  mit  Unrecht  vielfach  ganz  allgemein  für  die 
Schrift  der  Bücher  angewendet  wird.  Jene  beiden  Schrift- 
arten kreuzen  sich  nun  fortwährend  und  ergeben  vier  Haupt- 
typen: Neigung  zur  Senkrechten  verbunden  mit  schmalen 
Rundungen,  senkrechte  Strichführung  verbunden  mit  breiten 
Kreisformen,  Bevorzugung  der  schrägen  Linie  zusammen  mit 
schmalen  Rundungen  und  schräge  Striche  zusammen  mit 
breiten  Kreisformen.  Es  liegt  auf  der  Hand,  daß  je  nach  der 
Anwendung  dieses  oder  jenes  Typus  die  Füllung  der  Zeile  ver- 
schieden ausfällt.  Außerdem  spielt  auch  die  absolute  Größe 
der  Buchstaben  eine  Rolle,  die  von  der  Mode,  von  der -Willkür 
des  Schreibers  oder  dem  Zwecke  der  Abschrift  abhängt.  Da- 
durch wird  der  Abstand  der  Zeilen  wesentlich  bestimmt,  zu- 
mal da  mehrere  Schriftzeichen,  besonders  der  byzantinischen 
Zeit,  nach  oben  und  unten  um  ein  Beträchtliches  über  den 
Raum  hinausragen,  den  die  andern  beanspruchen.  Eine  ge- 
wisse Weite  des  Zeilenabstandes  dient  nicht  nur  der  Über- 
sichtlichkeit, sondern  trägt  auch  zur  Eleganz  des  Aussehens 
bei,  während  eng  an  einander  gedrängte  Zeilen  eine  ärmliche 
Sparsamkeit  verraten. 

Meistens  ist  in  solchen  Fällen  auch  die  Schrift  von  ge- 
ringerer Güte  und  berührt  sich  mit  kursiven  Formen. 
Jedoch  bedeuten   einzelne  kursive  Züge  nicht  ohne  weiteres 


Die  Buchrolle.  yi 

ine  nachlässige  Schrift.     Denn  es   gibt  im  Grunde  keinen 
strengen  Unterschied  zwischen  der  Buchschrift  und  der  Kur- 
sive, die  man  richtiger  Geschäftsschrift  nennt.    Beide  gehen 
zurück  auf  die  Schrift,  die  in  der  Schule  gelehrt  wird;  daraus 
entwickelt  sich  die  sorgfältige  Schönschrift,   die  man  in  der 
Kegel  bei   Büchern,  aber  auch  öfters  bei  der  Reinschrift  von 
geschäftlichen  Schriftstücken  und  Briefen  anwendet,  und  auf 
1er  andern  Seite  die  geläufige  Hand  des  täglichen  Lebens, 
leren  Ziel  in  bequemer  Strichführung  und  nach  Möglichkeit 
n  Verbindung  der   Buchstaben  besteht.     Diese  Geschäfts- 
schrift wird  vornehmlich  von  den  Lohnschreibern    und  den 
amtlichen  Schreibern  getragen,  daneben  von  allen,  die  im 
Leben  viel  zu  schreiben  haben,  also  von  Leuten  einer  nicht 
geringen  Bildungsstufe.    Die  Buchschreiber,  die  sich  für  die 
•ine    Schönschrift   mit   verbindungslosen    Buchstaben   aus- 
ildeten,  schrieben  doch,  wie  sich  von  selbst  versteht,  ihre 
Briefe  und  sonstigen  Aufzeichnungen  in  der  Geschäftsschrift 
ihrer  Zeit;  daher  ist  es  kein  Wunder,  wenn  wir  auch  in  den 
Buchrollen  nicht  gar  so  selten  kursive   Formen  und  sogar 
verbundene   Buchstaben  finden.     Jedoch  genoß  der   Buch- 
schreiber von  Beruf  unverkennbar  eine  eigene  Ausbildung;  das 
bedeutet,  daß  die  Schönschrift  der  Bücher  in  gewissen  Gren- 
n  auch  eine  selbständige  Entwicklung  durchmacht  neben 
der  ebenso  selbständigen    Entwicklung  der   Geschäftsschrift, 
die  viel  augenfälliger  und  uns  viel  leichter  kennthch  ist.    Beide 
berühren  sich,  aber  nicht  zu  allen  Zeiten  gleich  nah;  vielmehr 
tritt   gerade   an    ihrem   wechselnden   Verhältnis   der   eigene 
i-ing  beider  Schreibweisen  zutage.    Zu  einer  Zeit,  in  der  alle 
ijücher  geschrieben  wurden  und  zugleich  eine  reiche  Literatur 
der  Vergangenheit  wie  der  Gegenwart   sich  im  Buchhandel 
fortpflanzte,     mußte    es    ein    Heer    gewerbsmäßiger    Buch- 
hreiber  und  für  sie  eine  besondere  Vorbildung  geben.   Selbst 
iie  ganz  zufälligen  Papyrusfunde,  die  doch  nur  einen  ver- 
schwindend geringen  Teil  der  Buchrollen  des  Altertums  dar- 
stellen,  lassen  uns  einen   Blick  in  das  Gewerbe  der  Buch- 
Schreiber  tun:  mehrere  Stücke,  und  zwar  solche  verschiedenen 
Inhaltes,  tragen  die  Züge  derselben  Hand,  dürfen  also  als 
die  Arbeit  desselben  Schreibers  gelten.   Sie  stammen  aus  Oxy- 
rhynchos,  das  ja  seinen  Erforschern,  den  Engländern  Grenfell 
und  Hunt,  besonders  viel  literarische  Texte  beschert  hat. 
I  rotzdem  dürfen  wir,  wie  schon  gesagt,  weder  den  gemein- 
samen   Ursprung    noch    die   ständigen    Beziehungen    beider 
Schreibweisen    vergessen.      Unsere    Drucktypen    sind    zwar 
nch  aus  der  geschriebenen   Schrift  entstanden,  erscheinen 
tis  aber  jetzt  doch  als  etwas  durchaus  Selbständiges,  weit 
Mehr,  als  es  im  allgemeinen  die  Schönschrift  der  Bücher  sein 
:onnte.     Man  muß  sich  hüten,  mit  Vorstellungen  aus  der 


y2  Zweites  Kapitel. 

Gegenwart  an  die  Papyrusrollen  heranzutreten,  und  muß 
sich  beständig  bewußt  bleiben,  daß  wir  es  auch  in  der  Buch- 
rolle mit  geschriebenen  Texten  zu  tun  haben.  Damit  wird 
keineswegs  ausgeschlossen,  daß  auch  die  Alten  die  Schrift 
in  bestimmte  Gattungen  nach  der  Güte  oder  sagen  wir  nach 
ihrer  Stellung  zu  Schönschrift  und  Geschäftsschrift  einteilten. 
Unser  Material  ist  reich  genug  an  Verschiedenheiten,  um  uns 
Schrift  erster  Güte,  Schrift  zweiter  Güte  und  Geschäfts- 
schrift in  einem  Erlaß  des  Kaisers  Diokletian  über  Maximal- 
preise anschaulich  zu  machen.  Und  es  gab  in  Wirklichkeit 
noch  viel  mehr  Stufen  und  Übergänge,  wie  wir  jetzt  an  den 
Papyrusrollen  sehen. 

Literarische  Texte  nach  der  Schrift  zu  datieren,  ist 
außerordentlich  schwierig  und  bleibt  ein  unsicherer  Versuch, 
wenn  nicht  die  vorkommenden  kursiven  Formen  einen  festen 
Anhalt  gewähren.  Über  die  Entwicklung  der  kursiven  Ge- 
schäftsschrift sind  wir  durch  eine  Menge  genau  datierter  Ur- 
kunden hinreichend  unterrichtet;  die  Schönheit  eines  Buches 
folgt  weit  weniger  der  Zeit  und  bietet  als  Merkmal  ihres 
Alters  nur  den  allgemeinen  Stil,  der  sich  aus  einzelnen  Buch- 
stabenformen, noch  mehr  aus  dem  gesamten  Zuge  der  Schrift 
herauslesen,  aber  nicht  leicht  beurteilen  läßt.  Von  einer 
sicheren  Erkenntnis,  die  man  in  Regeln  fassen  könnte,  dürfen 
wir  noch  nicht  reden.  Vielleicht  wird  man  später,  wenn  wir 
noch  mehr  literarische  Handschriften  besitzen  und  weiteren 
Überblick  gewonnen  haben,  auch  hierin  klarer  blicken.  Heute 
ist  auch  der  Kenner  noch  erheblichen  Mißgriffen  ausgesetzt. 

8.  Zählung  der  Zeilen.  Wir  müssen  uns  nun  einmal 
klar  zu  machen  suchen,  wie  denn  solch  eine  Rolle  be- 
schrieben worden  ist.  Nehmen  wir  den  einfachsten 
Fall:  ein  geübter  Schreiber  soll  eine  Abschrift  nach  einer 
Vorlage  anfertigen;  es  ist  dafür  gleichgültig,  ob  dies  Original 
selbst  eine  Abschrift  oder  das  Manuskript  des  Verfassers 
darstellt.  Es  soll  ein  gut  ausgestattetes  Buch  werden.  Zu- 
nächst muß  das  Format  bestimmt  oder  aus  dem  Vorrat,  der 
erreichbar  ist,  ausgewählt  werden.  Darauf  muß  der  Auftrag- 
geber sich  mit  dem  Schreiber  im  allgemeinen  über  die  Größe 
der  Schrift  sowie  über  die  Breite  der  Kolumnen  und  der 
Ränder  verständigen.  Steht  Papyrus  in  unbeschränkter 
Fülle  zur  Verfügung,  so  mag  hierüber  lediglich  der  Geschmack 
des  einzelnen  oder  die  Mode  der  Zeit  entscheiden;  wo  man 
aber  haushalten  muß,  bedarf  es  schon  der  Erwägung,  wieviel 
die  Rolle  aufnehmen  soll.  Jedenfalls  wird  der  Schreiber,  ehe 
er  seine  Arbeit  beginnt,  sich  einen  solchen  Überblick  ver- 
schaffen, wird  ausmessen,  wieviel  Kolumnen  vom  verein- 
barten Umfang  er  unterbringen  könne,  und  berechnen,  wie- 
viel Text  ungefähr  auf  jede  Kolumne  entfallen  werde.  Wollte 


Die  Buchrolle. 


73 


er  ohne  solche  Vorkehrungen  sich  gleich  ans  Schreiben 
machen,  so  käme  er  in  Gefahr,  mit  der  Rolle  nicht  auszu- 
reichen oder  am  Ende  zuviel  Platz  frei  zu  lassen.  Diese  Ab- 
schätzung läßt  sich  nur  so  denken,  daß  man  durch  Abzählen 
ermittelt,  wieviel  Zeilen  der  Vorlage  auf  eine  Kolumne  der 
Abschrift  gehen;  ob  die  Zeile  der  Abschrift  der  der  Vorlage 
gleicht  oder  nicht,  macht  keinen  nennenswerten  Unterschied 
aus.  Natürlich  braucht  der  Schreiber  nicht  die  ganze  Vor- 
lage durchzuzählen;  wenn  sie  nur  einigermaßen  gleichmäßig 
geschrieben  ist,  kann  er  sich  mit  einem  kleinen  Teile  be- 
gnügen und  das  Ganze  danach  ausrechnen.  Je  geübter  er 
ist,  desto  sicherer  wird  auch  seine  Schätzung  sein.  Ein 
nützliches  Hilfsmittel  wäre  es,  in  der  Vorlage  jedesmal  da 
einen  Strich  zu  machen,  wo  nach  der  Berechnung  ungefähr 
eine  neue  Kolumne  in  der  Abschrift  beginnen  soll;  man 
erreicht  aber  dasselbe,  wenn  man  in  der  Vorlage  in  bestimm- 
ten Abständen  die  Zahl  der  Zeilen  daneben  schreibt,  etwa 
bei  jedem  Hundert.  Auf  Grund  einer  solchen  Übersicht  kann 
der  Schreiber  nun  unbesorgt  arbeiten,  da  er  sicher  ist,  den 
Text  richtig  auf  das  Papier  verteilt  zu  haben.  Freilich  mag 
selbst  bei  der  größten  Sorgfalt  im  Laufe  eines  längeren  Textes 
die  Abgrenzung  der  Kolumnen  sich  gegen  den  ursprünglichen 
Plan  etwas  verschieben,  und  wir  haben  uns  bben  davon  über- 
zeugt, daß  sowohl  die  Buchstabenzahl  der  Zeile  als  auch  die 
Zeilenzahl  der  Kolumne  unbeschadet  der  Gleichmäßigkeit 
beträchtlich  schwankt.  So  kann  es  kommen,  daß  gegen  Ende 
der  Schreiber  etwas  enger  schreiben  muß,  um  mit  dem  Platze 
auszureichen,  oder  die  Buchstaben  vergrößern  und  die  Zeilen- 
zahl verringern  muß,  weil  sonst  zuviel  Papyrus  leer  bliebe, 
wie  es  sich  deutlich  in  den  Kolumnen  des  Didymospapyrus 
zeigt,  deren  Schrift  gegen  das  Ende  hin  immer  weitläufiger 
wird.  Hier  wird  jedoch  der  Schreiber  durch  die  Menge  der 
Abkürzungen  entschuldigt,  denn  diese  erschweren  die  Be- 
rechnung  außerordentlich. 

Die  Zählung  der  Zeilen  in  der  Vorlage  hat  aber  noch 
einen  andern  ebenso  wichtigen  Zweck:  sie  dient  dazu,  die 
Arbeit  des  Schreibers  zu  schätzen  und  die  Bezahlung  zu  be- 
rechnen. Daß  außer  der  Zeilenzahl  auch  die  Schriftart  dafür 
in  Betracht  kommt,  bedarf  keines  Wortes.  Das  Edikt  des 
Diokletian,  dessen  ich  schon  gedacht  habe,  legt  beides  zu- 
grunde, indem  es  Höchstpreise  für  je  lOO  Zeilen  in  drei  ver- 
schiedenen Schriftarten  festsetzt.  An  unsern  Papyrushand- 
schriften aber  sieht  jeder  auf  den  ersten  Blick,  welch  ein 
großer  Unterschied  zwischen  Zeile  und  Zeile  ist.  Das  kaiser- 
liche Gesetz  scheint  davon  nichts  zu  wissen,  denn  es  spricht 
einfach  von  der  Zeile  und  nimmt  sie  als  festes  Maß  an.  In 
der    Praxis    wäre    es    auch    sehr    lästig    gewesen,    jedesmal 


fjA  Zweites  Kapitel. 

für    den   Preis   die  jeweilige   Zeilenlänge  anzurechnen,    weil 
diese  allgemeinen  Regeln  nicht  unterworfen  war.     Man  be- 
durfte in  der  Tat  einer  Einheit,  einer  Normalzeile,  nicht  für 
die  Schreibarbeit,  wohl  aber  für  die  Preisberechnung,  und 
hier  dürfen  wir  unbedenklich  anerkennen,  daß  der  Glaube 
an  die   maßgebende   Geltung  der  Hexameterzeile  eine   tat- 
sächliche   Grundlage  hat.     Es  lag  sehr  nahe,  für  die  Preis- 
berechnung als' Einheit  die  Maximalzeile  zu  wählen;  man  wird 
durch  die  Erfahrung  mit  der  Zeit  dahin  gekommen  sein.    An 
sich  konnte  freilich  auch  jede  andere  Größe  denselben  Dienst 
tun :  in  Lyrikertexten  mit  ihrer  metrischen  ZeilengHederung 
mag     eine      andere     Norm      gegolten     haben,      und     die 
Verse  des    dramatischen   Dialogs  kann  man  sich  wohl  nur 
nach  ihrem  eigenen  Maße  berechnet  denken.  Die  Randziffern 
in  einer  Pindarhandschrift  des  i.  Jahrhunderts  v.  Chr.   auf 
eine  berechnete  Hexameterzeile  zurückzuführen,    halte   ich 
daher  für  bedenklich,    denn   diese  metrischen  Glieder   sind 
doch  allzu  eigenartig,  als  daß  man  sie  wie  die  übrigen  hätte 
behandeln   können.      Der   epische   Hexameter   ist    nur   des- 
halb besonders  dazu  berufen  ein  Maß  zu  werden,  weil  er  die 
übliche  obere  Grenze  und  zugleich  eine  allgemein  bekannte, 
von    dem    Ansehen    Homers     getragene    Einheit    darstellt. 
Demnach  wird  also  in  der  Vorlage,  mag  sie  Hexameterzeilen 
oder  andere  Gliederung  gehabt  haben,  ein  Maß  von  je  15  Sil- 
ben, ungefähr    35  Buchstaben   als   Zeile  bezeichnet  worden 
sein;   jedes   Hundert    erhielt    am   Rande   die   entsprechende 
Ziffer.      In    den    erhaltenen  Papyrusrollen  finden  wir  zwar 
nicht  oft,    aber    doch  mehrmals    am  Rande   solche  Reihen- 
zahlen,   besonders     häufig    in    Homertexten,    deren    einige 
durchweg    damit  versehen  sind.    In  der  Regel  sind  es  nicht 
die  Zahlzeichen  für   lOO,  200  usw.,  sondern  die  griechischen 
Buchstaben  a,  ß,  t   gleich    den    Ziffern  l,  2,   3    usw.,    ganz 
natürlicher  Weise,  weil  man  nicht  die  Reihen,  sondern  die 
Hunderte  zählen  will.    Wenn  daneben  auch  einmal  die  Buch- 
staben Sigma  für  200  und  Tau  für  300,  also  mit  ihrem  gewöhn- 
lichen Werte   begegnen,   so  beweist   das  nur,  daß  man  sich 
des  eigentlichen  Zweckes  nicht  immer  bewußt  war.    In  man- 
chen Fällen  ist  es    infolge  dieses  schwankenden  Verfahrens 
nicht  möglich,  den  Wert  der  Ziffer  sicher  zu  ermitteln,  denn 
ein  Beta  am  Rande  wird  zwar  in  der  Regel  das  zweite  Hundert 
bezeichnen,  kann  aber  auch  2000  bedeuten.    Ob  in  den  sog. 
Anapästen  des  Berliner  Museums  der  Buchstabe  Alpha  das 
erste  Hundert  abschließt,   ist  mir  freilich  ungewiß;  an  sich 
kann  er   als  Zahlzeichen  gemeint  sein,  seine  Verzierung  mit 
allerhand  Schnörkeln  will  aber  zu  der  sonstigen  Gewohnheit 
nicht  stimmen. 

Bei    den    Homerhandschriften   ergibt    sich    von    selbst, 


Die  Buchrolle.  yj. 

daß  die  Bezifferung  der  Vorlage  auch  für  alle  Abschriften 
zutrifft;  sie  mag  hier  zugleich  auch  als  Verszählung  es  erleich- 
tert haben,  eine  Stelle  in  dem  am  meisten  gelesenen  Schrift- 
steller, in  dem  wichtigsten  Schulbuche,  zu  linden,  so  daß 
man  ihre  Häufigkeit  wohl  begreifen  kann.  '  Anders  aber 
steht  es  mit  allen  Texten,  die  nicht  in  der  epischen  Zeile 
geschrieben  sind.  Die  Zeilenzählung  der  Vorlage  brauchte 
in  ihnen  nicht  mit  den  Zeilen  der  Abschrift  übereinzustimmen 
und  weicht  auch  wirklich  davon  ab.  Wir  können  das  in  den 
Buchrollen,  die  aus  dem  verschütteten  Herkulanum  wieder 
zutage  gekommen  sind,  sicher  feststellen  und  gewinnen  sa 
einen  Beweis,  daß  der  Zählung  nicht  die  Abschrift,  sondern 
eine  feste  Normalzeile  zugrunde  gelegen  hat;  die  meisten 
andern  Stücke  lassen  sich  nicht  daraufhin  prüfen,  da  sie  nur 
gelegentlich  solch  eine  Ziffer  aufweisen.  Aber  nicht  alle  Texte^ 
in  denen  wir  Reihenziffern  sehen,  sind  als  Vorlagen  zu  be- 
trachten, wenn  auch  jedes  beliebige  Exemplar  als  Vorlage 
dienen  konnte.  Vielmehr  wird  oft  genug  der  Schreiber  aus 
Gedankenlosigkeit  die  Ziffern  aus  der  Vorlage  in  die  Abschrift 
übernommen  haben.  Im  allgemeinen  war  es  nicht  üblich;  der 
kleinen  Zahl  noch  dazu  unregelmäßig  bezifferter  Texte  steht 
die  große  Mehrzahl  gegenüber,  und  darunter  die  schönsten 
Buchhandschriften,  die  nicht  die  geringste  Spur  davon  auf- 
^veisen. 

Indessen  scheint  der  Sinn  der  Reihenzählung  damit  noch 
nicht  erschöpft  zu  sein;  man  vermutet  mehr,  wenn  in  einigen 
Fällen  am  Schlüsse  des  Buches  der  Verfasser  selbst  davon 
spricht.  So  sagt  Josephus,  der  jüdische  Politiker  und  Ge- 
schichtsschreiber, am  Ende  seines  Werkes  über  das  israeliti- 
sche Altertum:  »Ich  will  meine  Geschichte  des  Altertums  ab- 
schließen; sie  umfaßt  20  Bücher  und  60  000  Zeilen.«  Auf 
dasselbe  kommt  es  im  Grunde  heraus,  wenn  in  einer  Reihe 
von  Handschriften  am  Ende  eines  Buches  die  Reihenzahl 
angegeben  wird,  und  zwar  nicht  nur  in  Pergamentcodices, 
WO  es  später  häufig  wird,  sondern  auch  schon  in  Papyrus- 
•"oUen,  In  einer  ziemlich  umfangreichen  Homerrolle  lesen 
ir  hinter  dem  23.  Buche  der  IHas  die  Zahl  890,  nebenbei 
uemerkt,  nicht  in  den  sonst  üblichen  Ziffern,  sondern  in  der 
alten  Schreibweise  der  Inschriften;  ganz  entsprechende  Ver- 
merke finden  sich  gerade  im  Homer  auch  sonst,  und  manch- 
mal steht  unter  jeder  Kolumne  die  Zahl  ihrer  Zeilen.  Nicht 
selten  begegnet  mansolchen  Angaben  in  den  herkulanensischen 
Rollen,  die  hauptsächlich  philosophische  Schriften  enthalten. 
Dieser  Gebrauch  ist  also  schon  vor  den  Zeiten  des  Josephus 
vorhanden  und  erstreckt  sich  weiter  über  die  ganze  Periode 
des  griechischen  und  römischen  Buchwesens.  Wenn 
Kallimachos,  wie  schon  erwähnt  worden  ist,  in  seinen  Bücher- 


y6  Zweites  Kapitel. 

katalogen  auch  die  Zeilensumme  jedesmal  hinzufügt,  so  denkt 
er  schwerlich  an  eine  Hilfe  für  künftige  Abschreiber;  vielmehr 
möchte  ich  glauben,  daß  er  damit  ein  Mittel  an  die  Hand 
geben  wollte,  um  ungefähr  den  Umfang  des  Buches  zu 
schätzen.  Auch  heute  pflegt  der  Verlagsbuchhändler  bei  der 
Ankündigung  eines  neuen  Werkes  die  Seitenzahl  mitzuteilen, 
damit  das  kaufende  Publikum  sich  ein  Bild  von  der  Größe 
des  Buches  machen  könne.  Ist  damit  die  Normalzeile,  der 
epische  Hexameter,  gemeint,  worauf  jede  beliebige  Zeile  um- 
gerechnet werden  konnte,  so  ergibt  sich  ein  absolutes  Maß, 
jedenfalls  aber  ein  Hinweis,  den  der  kundige  Leser  beurteilen 
kann.  Es  wäre  ein  Gesichtspunkt,  den  man  in  der  Bücherei 
und  im  Buchhandel,  überall  da,  wo  erhebliche  Mengen 
von  Büchern  vereinigt  waren,  voraussetzen  dürfte,  und  der 
Besitzer  der  herkulanensischen  Rollen  mag  deshalb  so  oft 
die   Reihenzahl  angemerkt  haben. 

Vornehmlich  aber  dient  die  Zählung  zur  Prüfung  der 
Vollständigkeit.  Auch  wenn  man  nicht  an  betrügerische 
Absicht  denkt,  die  dem  Käufer  ein  unvollständiges  Exem- 
plar als  vollständig  anbieten  wollte,  so  lag  doch  die  Gefahr 
unabsichtlicher  Auslassungen  nahe  genug,  um  ein  Mittel 
zur  Prüfung  zu  fordern;  insofern  erhält  die  Reihenzählung 
in  der  Abschrift  ihren  besonderen  Sinn  und  Wert.  Sie 
wird  also  aus  den  Bedürfnissen  der  Bibliotheken  und  des 
Buchhandels  erwachsen  sein.  Am  wichtigsten  war  sie  bei 
den  Homerhandschriften,  nicht  nur,  weil  sie  am  weite- 
sten verbreitet  waren,  sondern  weil  der  Text  beträchtlich 
schwankte  und  oftmals  Verse  hinzugefügt  oder  ausgelassen 
wurden.  Ob  in  Fällen  wie  bei  Josephus  es  sich  um  die  Voll- 
ständigkeit handelt  oder  aber  der  Verfasser  mit  seiner 
Leistung  prunken  will,  bleibe  dahingestellt.  Ausgeschlossen 
erscheint  es  mir,  daß  etwa  die  Summe  der  Zeilen  einen  Anhalt 
für  die  Berechnung  des  Buchpreises  hätte  bieten  sollen,  der 
bei  der  Rolle  nur  zum  Teile  durch  den  Schreiberlohn  bestimmt 
wird;  die  Kosten  des  Papiers  und  der  gesamten  Ausstattung 
fallen  erheblich  ins  Gewicht,  um  gar  nicht  davon  zu  reden, 
daß  der  Buchhändler  keine  Veranlassung  hatte,  dem  Käufer 
einen  Bestandteil  des  Preises  vorzurechnen,  der  nicht  einmal 
entscheidend  war. 

Im  allgemeinen  hat  die  Reihenzählung  nur  eine  technische 
Bedeutung  und  nicht  etwa  den  Zweck,  das  Zitieren  zu 
erleichtern.  Was  uns  an  Büchern  aus  dem  Altertum  noch 
vorliegt,  ist  in  überwiegender  Menge,  auch  die  Prosa,  zum 
Lesen  geschrieben,  nicht  als  wissenschaftliche  Quelle,  und 
bedarf  nicht  derjenigen  Hilfsmittel  für  das  Zitieren,  die  am 
gelehrten  Werke  unentbehrlich  scheinen.  Ebensowenig  wie 
wir,    wenn   wir    nicht    gerade    Fachgelehrte    sind,    zitieren: 


Die  Buchrolle.  yy 

Goethe,  Römische  Elegien  XII,  19,  sondern  einfach:  Goethe 
in  den  Römischen  Elegien,  so  sagen  auch  die  Alten  nicht: 
Piaton  im  Staate,  Buch  x,  Reihe  y,  sondern  kurz:  Piaton  im 
Staate,  höchstens  wird  noch  das  Buch  bezeichnet.  Aber  auch 
da,  wo  sie  ein  Werk  in  gelehrter  Arbeit  ausbeuten,  fehlt  ihnen 
durchaus  der  Sinn  für  die  peinliche  Genauigkeit  im  Anführen, 
die  wir  uns  zum  Gesetze  machen.    Ihre  unbestimmten  Zitate 
passen  zu  dem  Mangel  der  Reihenzählung  in  der  großen  Mehr- 
zahl der  erhaltenen  Rollen.    Außerdem  wäre  die  Zählung  der 
Zeilen  von   Hundert   zu    Hundert   für   das   Zitieren  wenig 
brauchbar  gewesen,  selbst  wenn  man  sie  auf  Grund  einer 
Normalzeile   in  allen  Abschriften  durchgeführt  hätte;   ver- 
einzelt kommt  es  allerdings  vor.     Nach  heutigen  Begriffen 
müßte  daher  die  Bezifferung  der  Seiten,  also  in  der  Rolle  die 
der  Kolumnen  eintreten.    Aber  auch  damit  hätte  man  nichts 
erreicht,    denn  bei   einem   geschriebenen  Texte  konnte   die 
Verteilung  auf  die  Kolumnen  nicht  so  fest  bleiben  wie  beim 
Druck.     Selbst  wenn   ein  Werk  gleichzeitig  in  Rollen  von 
gleicher  Länge  bei  gleicher  Höhe  und  Breite  der  Kolumnen, 
vervielfältigt  wurde,   ließ   sich  beim  besten  Willen  völlige 
Gleichheit  niemals  erreichen.     Wo  trotzdem  in  Buchrollen 
Zählung  der  Kolumnen  vorkommt,  beruht  sie  wohl  auf  der 
Nachahmung  fremder  Vorbilder,  nämlich  der  Urkundenrolle 
und  des  Kodex.    Eine  ganze  Reihe  von  Urkunden  lehrt  uns 
deutlich,  daß  man  in  den  amtlichen  Registraturen  die  Akten- 
stücke, nach  Gegenständen  geordnet,  zu  Rollen  zusammen- 
geklebt hat;    eine  solche  Rolle  hieß,   wie  wir  schon  sahen, 
Tomos  und  jedes  ihrer  Blätter  Kollema,   d.  h.  Klebung, 
durchaus  zutreffend,    denn  jedes  einzelne  Aktenstück  war 
auch  ein  einzelnes  Papyrusblatt.     Wollte  man  sich  darin 
zurechtfinden,   so  mußte  jeder  Tomos  und  jedes  Kollema 
seine  Nummer  erhalten;  nur  so  konnte  der  Beamte  auf  Ver- 
langen bestimmte  Urkunden  ausschreiben  oder  zitieren,  wie 
man  denn  auch  anführt :  Tomos  x,  Kollema  y.  Während  diese 
Aktenrollen,  unsern  Aktenbänden  vergleichbar,  nur  die  äußere 
Form  mit  der  Buchrolle  gemein  haben,  stehen  ihr   die  Ab- 
schriften solcher  Rollen,  ferner  die  amtlichen  Listen  über 
Einwohner    eines   Ortes,    Steuerbeträge,    Grundbesitz    usw. 
schon  bedeutend  näher.   Dort  klebte  man  die  Rolle  aus  selb- 
ständigen, bereits  beschriebenen  Blättern  nachträglich  zu- 
^nmmen;  hier  wurde  von  vornherein  eine  fertige  Rolle  be- 
hrieben.     Natürlich  erhielt  auch  sie  eine  Nummer,  und  es 
lag  nahe,  ebenso  die  Kolumnen  zu  beziffern,  die  indessen 
durchaus  nicht  an  die  einzelnen  Blätter  gebunden  waren, 
sondern  über  die  Klebungen  hinweggingen.    Was  hier  recht 
war,  mußte  auch  für  das  Buch  billig  sein,  und  so  wird  man 
mit  einer  eigentlich  zwecklosenNachahmunggelegentlich  auch 


yg  Zweites  Kapitel. 

in  literarischen  Texten  jeder  Kolumne  ihre  Ziffer  gegeben 
haben.  Später,  als  neben  der  Rolle  sich  der  Kodex  mehr  und 
mehr  Geltung  verschaffte,  konnte  auch  er  bisweilen  zum 
Vorbilde  werden.  Außerdem  aber  blieb  es  dem  Besitzer  eines 
Buches  unbenommen,  sich  zu  seinem  Gebrauche  dieKolumnen 
zu  beziffern.  Es  ist  dann  seine  Privatsache;  eine  allge- 
meine Sitte  in  Buchausgaben  aber  ist  es  nicht  gewesen,  weil 
es  zwecklos  war,  und  nach  allem,  was  die  erhaltenen  Rollen 
und  Bruchstücke  von  Rollen  zeigen,  dürfen  wir  den  Alten 
etwas  Zweckloses  nicht  zutrauen. 

9.  Kürzungen.  Obwohl  die  Abkürzungen  der 
Schrift,  deren  man  sich  im  täglichen  Leben  bediente,  dem 
Wesen  der  Buchschrift  als  einer  Schönschrift  durchaus  wider- 
sprechen, hat  man  doch  schon  früh  sie  einzuführen  gewagt. 
Bereits  im  2.  Jahrhundert  n.  Chr.  drang  ein  Verfahren  ein, 
das  der  Zeilengleichheit  diente,  nämhch  der  Ersatz  des 
letzten  Buchstabens  durch  einen  wagerechten  Strich 
über  dem  vorletzten.  Es  trifft  indessen  nur  das  N  am  Silben- 
ende, ist  aber  hier  sehr  beliebt  geworden,  vermutlich  im  An- 
schlüsse an  die  kursive  Schreibweise,  die  schon  früh  dazu 
neigt,  das  Schluß-N  in  Gestalt  eines  flüchtigen  Hakens  an  den 
vorhergehenden  Vokal  anzuhängen. 

Ganz  anders  steht  es  mit  den  übrigen  Kürzungen. 
Die  Zusammendrängung  der  Buchstaben,  die  die  Kur- 
sive erlaubte,  ist  zwar  in  literarische  Handschriften 
mit  wenigen  Ausnahmen  nicht  eingedrungen,  mag  aber 
dazu  geführt  haben,  einen  Ersatz  zu  suchen.  Dieser 
bot  sich  in  einem  System  von  Abkürzungen,  das  sich 
mit  sorgfältiger  Ausführung  der  einzelnen  Buchstaben  ver- 
einigen ließ.  In  der  Schrift  des  täglichen  Lebens  pflegte  man 
vielfach  Wörter  nur  soweit  zu  schreiben,  wie  es  das  Ver- 
ständnis des  Sinnes  forderte,  und  dann  den  letzten  Buch- 
staben hoch  zu  setzen.  Da  der  Sinn  und  der  Zusammenhang 
die  Auflösung  bestimmten,  konnte  man  hier  fester  Regeln 
entbehren.  Um  ein  Beispiel  anzuführen,  konnte  die  Ab- 
kürzung TToX  mit  hochgesetztem  \  mehrere  griechische  Wörter 
"bezeichnen,  aber  im  Zusammenhange  einer  geschichtlichen 
Darstellung  ergab  sich  die  Auflösung  in  itö\€|uoc  »Krieg«  oder 
ttöXk;  »Stadt«  von  selbst.  Dies  Verfahren  ließ  sich  also  ohne 
weiteres  für  literarische  Texte  heranziehen  und  ist  in  großem 
Umfange  angewendet  worden.  Sodann  gab  es  eine  Anzahl 
Icursiver  Buchstabenverbindungen,  die  eindeutig  waren  und 
-deshalb  ohne  Gefahr  zugelassen  werden  durften.  Das  Wort 
Kai  »und«  zeigt  in  der  Kursive  sehr  oft  die  Buchstaben  ai  in 
eine  einzige  gebogene  Linie  zusammengezogen,  und  dies 
S-förmige  Zeichen  wurde  für  ai  auch  in  andern  Verbindungen 
beliebt.     Was  aber  dem  Auge  an  abgekürzt  geschriebenen 


Die  Buehrolle.  yo 

Texten  vor  allem  auffällt,  sind  die  schrägen  Striche  über  den 
Buchstaben,  die  sich  bald  rückwärts,  bald  vorwärts  neigen. 
Diese  sog.  Strichkürzung  stellt  ein  ziemlich  festes  System  dar, 
das  in  allen  uns  bekannten  Fällen  ungefähr  gleich  ist.  Sie 
betrifft  nicht  nur  kurze  Wörter,  besonders  die  gewöhnlichen 
Präpositionen,  sondern  auch  häufige  Silben,  sowohl  am  Ende 
wie  in  der  Mitte  des  Wortes.  Der  Anfangsbuchstabe  des 
Wortes  oder  der  Silbe  ergibt  je  nach  der  Stellung  des  Striches 
und  nach  dem  Zusammenhange  verschiedene  Bedeutungen. 
So  ist  z.  B.  b'  =  bi,  b'  dagegen  =  bid,  und  |u'  kann  am  Wort- 
ende )biu)v,  in  der  Mitte  aber  nur  |uev  gelesen  werden.  Häufige 
Wörter  werden  zu  Siglen  vereinfacht,  indem  man  ihre  Kenn- 
buchstaben verbindet;  X  niit  einem  mitten  hineingeschriebe- 
nen p  kann  nur  xpövoc  »Zeit«  heißen;  t,  in  derselben  Weise 
mit  p  verknüpft,  ergibt  ohne  Zweifel  rpö-aoc,  »Art«  usw.  Die 
allergewöhnlichsten  Formen:  »ist«,  »sind« und  »sein«  schreibt 
man  überhaupt  nur  als  Striche,  deren  Lage  sie  nach  der  Be- 
deutung unterscheidet.  Damit  ist  freilich  die  Reihe  der 
Möglichkeiten  nicht  erschöpft,  und  jeder  Schreiber  hatte 
mancherlei  eigene  Abkürzungen  bei  der  Hand.  Man  kann 
sich  vorstellen,  wie  bunt  dies  Gewirr  von  Strichen,  hochge- 
setzten Buchstaben  und  Siglen  werden  muß,  wenn  es  einiger- 
maßen regelmäßig  durchgeführt  wird;  manches  Wort  besteht 
dann  fast  nur  noch  aus  solchen  Zeichen.  Aber  die  Schreiber 
haben  sich  niemals  streng  daran  gebunden,  sondern  gelegent- 
lich auch  Wörter  ausgeschrieben,  für  die  ihr  System  eine 
Kürzung  enthielt  (vgl.  Abb.  22).  Auf  den  Zusammenhang 
mit  der  eigentlichen  Kurzschrift,  deren  Gebrauch  für  das 
Lateinische  unter  dem  Namen  der  tironischen  Noten  beson- 
ders bekannt  ist  —  Tiro  war  Ciceros  Sekretär  —  kann  ich 
hier  nicht  eingehen. 

Nur  wenige  der  erhaltenen  literarischen  Handschriften 
sind  ganz  und  gar  abgekürzt  geschrieben;  außer  mehreren 
herkulanensischen  Rollen  ist  das  wichtigste  Beispiel  die 
Rolle,  welche  auf  der  Vorderseite  den  Kommentar  des  Didy- 
mos  zu  Demosthenes  und  auf  der  Rückseite  die  Ethische 
Elementarlehre  des  Hierokles  enthält;  beide  Texte,  obwohl 
von  verschiedenen  Händen,  befolgen  ungefähr  dasselbe  System 
der  Kürzungen  (vgl.  Abb.  22).  Sonst  bemerkt  man  sie  in 
literarischen  Handschriften  nur  vereinzelt,  am  häufigsten  in 
Randnotizen  und  in  der  Personenbezeichnung  bei  dramati- 
schen Werken.  Schon  damit  wird  ausgesprochen,  daß  die 
Abkürzungen  eigentlich  nicht  in  ein  Buch  passen;  es  ist  eine 
unanständige  Sparsamkeit,  ein  Verzicht  auf  Schönheit  und 
Regelmäßigkeit  des  Aussehens.  Dagegen  fügt  sich  dieser 
Gebrauch  vollkommen  in  das  Bild,  das  man  sich  von  einer 
privaten  Abschrift  oder  einer  billigen  Buchausgabe  machen 


8o  Zweites  Kapitel. 

darf,  die  auf  wenig  Raum  möglichst  viel  Stoff  bringen  sollte. 
Das  System  aber  dürfte  wohl  älter  sein  als  das  früheste 
Beispiel,  die  Rollen  aus  Herkulanum.  Über  seine  Verbreitung 
kann  man  schwer  urteilen,  denn  aus  der  nicht  sehr  großen 
Zahl  der  bekannten  Beispiele  darf  man  keineswegs  schließen, 
daß  Abkürzungssysteme  selten  gebraucht  worden  seien. 

Eine  abgesonderte  Stellung  nehmen  die  christlichen 
Texte  ein,  die  Handschriften  biblischer  Bücher  sowie  die 
übrige  theologische  Literatur  (vgl.  Abb.  25).  Sie  bedienen  sich 
schon  früh  und  mit  einer  Regelmäßigkeit,  die  sich  sonst  bei 
den  Kürzungen  kaum  beobachten  läßt,  bestimmter  Abkür- 
zungen für  gewisse  Ausdrücke  von  theologischer 
Bedeutung.  Die  griechischen  Wörter  für  Gott,  Vater,  Herr, . 
Jesus,  Christus,  Sohn,  Heiland,  Geist,  Himmel,  Mensch,  Israel, 
und  die  Ableitungen  davon  haben  ihre  festen  Siglen,  die  nur 
geringe  Abweichungen  zulassen  und  den  Kasus  des  Wortes 
hinreichend  deutlich  angeben,  indem  sie  die  Endung  bezeich- 
nen: z.  B.  6c  =  Öeöc,  9u  =  GeoO.  Der  wagerechte  Strich  über 
den  Buchstaben  macht  das  Auge  sofort  darauf  aufmerksam 
daß  eine  Abkürzung  gemeint  ist,  was  bei  dem  Fehlen  der 
Worttrennung  nicht  überflüssig  war.  Ursprünglich  scheint 
der  Strich  über  dem  Worte,  besonders  über  Namen,  zur 
Hervorhebung  gedient  zu  haben;  vielleicht  steht  die  Kürzung 
mit  ihm  im  Zusammenhange.  Von  andern  Abkürzungen 
kommen  in  christlichen  Texten  fast  nur  der  Strich  für  das 
Schluß- N  und  die  Schlangenlinie  für  ai  vor.  Endlich  sei 
erwähnt,  daß  die  umfangreiche  lateinische  Papyrushand- 
schrift, der  wir  eine  Übersicht  über  den  Inhalt  mehrerer  ver- 
lorener Bücher  des  Livius  verdanken,  die  römischen  Vor- 
namen in  der  uns  geläufigen  Weise  mit  dem  ersten  Buchstaben 
und  auch  einige  technische  Ausdrücke  wie  »Konsul«,  »Tribus« 
abkürzt.  Völlige  Einheitlichkeit  dürfen  wir  nirgends  er- 
warten, da  wir  ja  Handschriften,  nicht  Drucke  vor  uns 
haben.  In  jedem  Falle  bestimmt  der  Zusammenhang  die 
Auswahl  der  Kürzungen  und  der  Zweck  der  Abschrift  den 
Umfang  ihres  Gebrauches. 

10.  Lesezeichen.  In  den  Buchhandschriften  der  Grie- 
chen werden  wie  in  allen  ihren  schriftlichen  Aufzeichnungen 
die  Wörter  nicht  abgesetzt,  sondern  ohne  Unter- 
brechung reiht  sich  innerhalb  der  Zeile  ein  Buchstabe  an 
den  andern;  nur  die  Lateiner  pflegen  die  Wö':ter  durch  kleine 
Zwischenräume  und  durch  Punkte  zu  trennen.  Daß  in  Zauber- 
texten manchmal  die  dem  Gläubigen  selbst  unverständlichen 
Zauberwörter  durch  Punkte  getrennt  werden,  weil  man  die 
sinnlosen  Buchstabenreihen  sonst  nicht  gliedern,  also  weder 
richtig  lesen  noch  richtig  sprechen  konnte,  hat  mit  der  Wort- 
trennung im  gewöhnlichen  Sinne  nichts  zu  tun.     Auch  der 


w 


Die  Buchrolle.  8i 

gebildete  Grieche  oder  Römer  hatte  beim  Lesen  manche 
Schwierigkeit  zu  überwinden,  die  uns  heute  erspart  bleibt; 
er  mußte  selbst  die  Reihe  zu  gliedern  wissen.  Mochte  das  nun 
auch  dem,  der  in  der  Sprache  lebte,  verhältnismäßig  leicht 
und  durchbeständige Übungzur  sicheren  Fertigkeit  werden,  so 
empfand  man  doch  die  Unbequemlichkeit  und  suchte  ihr 
abzuhelfen.  Es  schien  um  so  notwendiger,  je  schwieriger  der 
Text  nach  Inhalt,  Wortschatz  und  Stil  war,  vornehmlich 
in  poetischen  Werken.  Die  meisten  älteren  Dichtungen, 
sei  es  lyrische  Poesie,  Tragödie  oder  Epos,  hat  der  gewöhn- 
liche Leser  der  römischen  Kaiserzeit,  aus  der  wir  am  meisten 
Originale  haben,  gewiß  nicht  leichter  verstanden  als  der 
lieutige  Gelehrte.  Daher  werden  gerade  in  solchen  Schriften 
allerlei  Lesezeichen  angewandt,  um  den  Sinn  deutlicher 
zu  machen.  Der  nach  unsern  Begriffen  einfachste  Weg, 
nämlich  die  Wörter  zu  trennen,  lag  den  Alten  ganz  fern; 
nur  in  Ausnahmefällen  begegnen  wir  hier  und  da  einem 
Anlauf  dazu.  In  den  Schriftstücken  des  täglichen  Lebens, 
in  Briefen  und  Urkunden,  stehen  die  einzelnen  Wörter 
manchmal  für  sich,  weil  hier  das  Bestreben,  die  Buchstaben 
mit  einander  zu  verbinden,  von  selbst  dahin  führen  konnte; 
freilich  hat  man  ebenso  oft  gerade  die  Wörter  zerrissen, 
weil  die  bequeme  Strichverbindung  das  mit  sich  brachte, 
denn  das  geschriebene  Wort  war  für  die  Augen  der  Alten 
keine  selbständige  Einheit.  Wie  wünschenswert  aber  eine 
Hilfe  bei  literarischen  Texten  war,  zeigt  uns  eine  Schul- 
iibung,  worin  der  Schüler  eine  Anzahl  Homerverse  aufge- 
schrieben und  durch  Striche  die  Wörter  getrennt  hat.  (Vgl. 
Abb.  4.) 

Das  gewöhnlichste  Hilfsmittel  aber  sind  die  Akzente. 
Hls  ist  beachtenswert,  daß  die  ältesten  Papyrustexte  keine 
Spur  davon  aufweisen.  Erst  im  ersten  Jahrhundert  v.  Chr. 
sehen  wir  sie  verwendet,  hier  freilich  schon  häufig  und  nach 
L^ewissen  Grundsätzen,  so  daß  man  den  Ursprung  dieses  Ver- 
ihrcns  für  älter  halten  muß.  Von  da  an  treffen  wir  die 
Akzente  ebenso  wie  die  Zeichen  für  den  Hauch,  den  Spiritus 
Icnis  und  den  Spiritus  asper,  bis  etwa  ins  4.  Jahrhundert 
n.  Chr.  ziemlich  oft,  ohne  daß  man  eine  erkennbare  Zunahme 
ihres  Gebrauchs  beobachten  könnte;  die  Handschriften  der 
byzantinischen  Zeit,  soweit  sie  durch  Papyri  vertreten  wird, 
ilso  bis  etwa  ins  8.  Jahrhundert  n.  Chr.,  haben  sie  nur  ganz 
(Iten.  Der  spätere,  mittelalterliche  Gebrauch  geht  uns  hier 
lichts  an.  Auch  die  Sorgfalt  der  Schrift,  die  Güte  des 
Textes  und  die  feine  Ausstattung  des  Äußeren  sind  nicht 
"hne  weiteres  maßgebend    für  die  Häufigkeit  dieser  Lese- 

•  ichen.   Vielmehr  waren  es  der  unmittelbare  Zweck  der  Ab- 

•  hrift  und  das  Bedürfnis  des  Lesers,  die  darauf  hinwirkten. 

Schuba  r  t ,  Das  Buch.     a.  Aufl.  6 


82 


Zweites  Kapitel. 


Das  Spiegelt  sich  auch  'darin  wieder,  daß  oft  die  Akzente 
und  dgl.  von  anderer  Hand  nachträglich  hinzugefügt  sind, 
sei  es  von  dem  Korrektor,  der  den  Text  nach  Beendigung 
der  Abschrift  durchsah,  sei  es  vom  Leser,  der  sich  für  das 
zweite  Mal  die  Mühe  erleichtern  wollte.  Daneben  aber  gibt 
es  auch  Buchrollen,  die  von  vornherein  mit  den  Lesezeichen 


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Abb.  i8.    Aus  einer  HomerroUe  mit  Lesezeichen. 

Papyrus.  Unter  der  Kolumne  ist  ein  vom  Schreiber  vergessener  Vers  nachg-etragen. 


versehen  sind,  besonders  gelehrte  Ausgaben  schwieriger 
Texte.  Das  eigentliche  Feld  der  Akzente  sind  die  Dichter- 
texte; sie  kommen  aber  auch  in  Prosawerken  vor,  z.  B.  in 
Handschriften  des  Demosthenes  und  des  Piaton,  die  einem 
Leser  in  der  Kaiserzeit  nicht  immer  bequem  verständlich 
sein  mochten. 

Was    wir  an  Akzenten  und  Spiritus  vorfinden,   verrät 
ein  System,  wonach  eigentlich  jede  Silbe  ein  Zeichen  des  ihr 


Die  Buchrolle.  83 

zukommenden  Tones  tragen  sollte.  Der  nach  links  geneigte 
Strich,  den  wir  gravis  nennen,  gehörte  den  schwach  betonten 
Silben,  der  nach  rechts  geneigte  Strich,  der  acutus,  und 
der  Bogen,  der  Zirkumflex,  den  voll  betonten.  Für  den  Ge- 
hrauch aber  schien  eine  strenge  Genauigkeit  nicht  nötig. 
Man  beschränkte  sich  in  der  Regel  darauf,  entweder  die 
'  hwach  betonten  Silben  als  solche  zu  kennzeichnen  oder 
ier  Tonsilbe  ihren  Akzent  zu  geben.  Zwar  trägt  in  man- 
hen  Fällen  ein  Wort  auf  jeder  Silbe  den  ihr  zukommenden 
\kzent,  aber  doch  in  der  Regel  aus  besonderem  Anlaß,  z.  B. 
in  zusammengesetzten  Wörtern  oder  bei  der  Wortbrechung, 
wo  es  wichtig  war,  den  Zusammenhang  der  beiden  Wort- 
teile anzudeuten,  wenn  jeder  Teil  als  selbständiges  Wort 
aufgefaßt  werden  konnte.  Bindestriche  waren  ja  gänzlich 
unbekannt.  Zusammengesetzte  Wörter  wurden  überhaupt 
mit  Vorliebe  akzentuiert,  aus  der  begreiflichen  Rücksicht 
auf  den  Sinn.  Das  erwähnte  vereinfachte  Verfahren  hat 
sich  nun  insofern  zu  einer  neuen  Regel  ausgebildet,  als  der 
gravis,  das  Zeichen  der  unbetonten  Silbe,  meistens  verwen- 
det wird,  wenn  die  letzte  Silbe  den  Ton  hat;  diese  erhält 
dann  keinen  Akzent.  Da  es  bei  längeren  Wörtern  über- 
flüssig war,  jede  vorangehende  Silbe  mit  dem  gravis  zu  ver- 
schen, so  pflegte  man  nur  den  beiden  zunächst  stehenden 
oder  einer  von  ihnen  ihr  Tonzeichen  zu  geben.  Viel  öfter  aber 
setzte  man  den  Akzent  nur  auf  die  Tönsilbe,  besonders  wenn 
es  nicht  die  letzte  war.  Allmählich  bürgerte  sich  das  jetzt 
noch  übliche  Verfahren  ein,  die  Tonsilbe  am  Wortende  im 
fortlaufenden  Texte  mit  dem  Gravis  zu  schreiben,  und  dieser 
Gebrauch  trifft  nicht  selten  mit  dem  älteren  zusammen,  die 
tonlosen  Silben  mit  dem  Gravis  zu  versehen.  Sollte  ein 
Diphthong  den  Akzent  erhalten,  so  zog  man  entweder  den 
gebogenen  Zirkumflex  über  beide  Vokale,  oder  man  schrieb 
den  Akut  über  den  ersten  und  nur  in  Ausnahmen  über  den 
zweiten  Vokal.  Besonders  häufig  scheint  man  das  Bedürfnis 
nach  dem  Akzent  gefühlt  zu  haben,  wenn  eines  der  schwach 
betonten  Wörter,  der  im  Griechischen  zahlreichen  Enklitika, 
folgte.  Dann  erhielt  die  unmittelbar  vorausgehende  Silbe 
den  Akut  oder  auch  den  Gravis.  Sonderbarerweise  finden 
wir  gelegentlich  auch  das  dem  Zurückwerfen  des  Akzents 
genau  entgegengesetzte  Bestreben,  den  Akzent  kurzer  Wörter 
vorwärts  zu  rücken.  Ein  voll  betontes  Wort  erhält  dann  den 
gravis  und  wird  dadurch  mit  dem  folgenden  in  ein  einziges 
auf  der  letzten  Silbe  betontes  Wort  zusammengefaßt.  Daß 
diese  seltenen  Fälle  wirklich  so  zu  verstehen  sind,  bestätigt 
eine  Bemerkung  in  einem  Homerkommentar,  wo  der  Er- 
klärer ein  Beispiel  dieser  Art  anfühlt  und  als  fehlerhaft  be- 
zfirlinot".   Fehlor  ?inrl  jn  nnrh  j^^onst  oft  gcnuggemachtworden; 

6» 


$4  Zweites  Kapitel. 

nicht  jeder  Schreiber  oder  Leser  wußte  sich  Rat  in  der  An- 
wendung der  Tonzeichen. 

Der  Spiritus,  das  Zeichen  des  schwachen  oder  starken 
Hauches,  wurde  sehr  unregelmäßig  verwendet;  der  Spiritus 
asper  ziemlich  häufig,  sogar  da,  wo  wir  ihn  nicht  setzen,  in 
der  Mitte  eines  zusammengesetzten  Wortes,  dessen  zweiter 
Bestandteil  für  sich  genommen  mit  einem  starken  Hauche 
beginnt.  Sehr  selten  ist  der  Spiritus  lenis;  er  wird  eigent- 
lich nur  geschrieben,  wenn  die  Buchstabengiuppe,  mit  dem 
Spiritus  asper  versehen,  eine  andere  Bedeutung  hat. 

Es  gibt  keine  Handschrift,  die  durchweg  akzentuiert  wäre, 
es  gibt  auch  keine,  die  nicht  in  vielen  Fällen  von  der  Regel 
abwiche.  Am  häufigsten  finden  wir  diese  Lesezeichen  in 
den  Homertexten;  aus  Homer  sind  verhältnismäßig  sehr 
viel  Bruchstücke  auf  uns  gekommen,  so  daß  wir  hier  ein 
reiches  Material  überblicken,  und  überdies  war  Homer  der 
wichtigste  Lesestoff  der  Schule,  das  allen  bekannte  und  von 
allen  gelesene  Buch,  dessen  Schwierigkeiten  daher  am  drin- 
gendsten eine  Erleichterung  forderten.  Außerdem  haben  wir 
in  reichlich  akzentuierten  Exemplaren  die  Lyriker,  Pindar, 
(vgl.  Abb.  20),wieKorinna,  Alkaios  undSappho,  Kallimachos 
und  Kerkidas,  aber  auch  Dramen.  Ein  besonders  schönes 
Beispiel  ist  die  Rolle,  welche  die  Gedichte  des  Bakchylides 
enthält;  gerade  sie  zeigt  deutlich,  daß  der  Akzent  nur  als 
Hilfsmittel  verwendet  wird,  um  einer  Verwechslung  vorzu- 
beugen; wo  der  Ton  auf  einer  kurzen  Silbe  steht,  während 
dicht  daneben  ein  langer  Vokal  tonlos  bleibt,  wo  ein  seltenes 
Wort  vorkommt,  da  pflegt  man  ihn  zu  schreiben.  So  er- 
klärt es  sich  auch,  daß  er  gern  auf  Eigennamen  gesetzt  wird, 
am  häufigsten  in  den  kleinen  Gedichten  des  Herodas,  und  daß 
in  den  Liedern  der  Sappho  und  des  Alkaios  der  vom  Gemein- 
griechischen abweichende  Ton  des  lesbischen  Dialekts  mehr- 
fach angegeben  wird. 

Neben  Akzent  und  Spiritus  brachte  das  Bedürfnis  des 
Lesers  einige  andere  Zeichen  hervor,  die  im  Grunde  dem- 
selben Zwecke  dienten.'  In  der  Bakchylideshandschrift  und 
in  ein  paar  andern  werden  lange,  zusammengesetzte  Wörter 
gelegentlich  an  der  Fuge  mit  einem  darunter  gezogenen  Bogen 
als  eins  bezeichnet ;  sie  tragen  meistens  zugleich  einen  Akzent, 
eben  weil  sie  nicht  ohne  weiteres  verständlich  schienen.  Daf3 
man  Länge  und  Kürze  einer  Silbe  nicht  selten  in  unserer 
Weise  durch  einen  wagerechten  Strich  und  einen  Bogen 
hervorhob,  ist  bei  der  Bedeutung  der  Quantitäten  im  griechi- 
schen Verse  zu  erwarten;  in  Prosa  kommt  es  nur  sehr  selten 
vor.  Endlich  sei  noch  erwähnt,  daß  ein  alter  lateinischer  Text 
in  der  Weise  mancher  Inschriften  über  die  langen  Vokale 
einen  Apex,  d.  h.  einen  nach  unten  geöffneten  Winkel  setzt; 


Die  Buchrolle.  85 

Akzente  bleiben  im  Lateinischen  seltene  Ausnahme.  Als 
Lesezeichen  sind  wohl  auch  die  sog.  diakritischen  Punkte 
anzusehen,  die  etwa  seit  dem  2.  Jahrh.  n.  Chr.  häufig 
auf  den  Vokalen  Jota  und  Ypsilon  erscheinen,  ur- 
sprünglich, wenn  diese  Vokale  unmittelbar  neben  einem 
andern  als  selbständige  Silbe  gelesen  werden  sollten. 
Das  Verständnis  dafür  ist  den  Schreibern  freilich  früh  ab- 
handen gekommen;  sie  setzen  die  Punkte  auf  diese  Vokale 
ohne  Wahl,  wie  es  ihnen  gerade  einfällt.  Zu  den  gewöhn- 
lichsten Lesezeichen  gehört  endlich  der  Apostroph,  der- 
sich  auch  in  byzantinischer  Zeit  behauptet  hat. 

Es  fehlte  auch  nicht  an  Mitteln,  um  das  Wortgefüge,  den 
Satz,  als  Ganzes  hervorzuheben  und  zu  begrenzen.  Die 
Interpunktion  ist  schon  in  sehr  alten  Texten  nachweisbar 
und  in  weitem  L'mfange  angewandt  worden.  Man  unterschied 
den  Punkt  oben  in  der  oberen  Randlinie  der  Buchstaben,  den 
Punkt  unten  inZeilenhöheund  den  Punkt  in  der  Mitte, 
gebrauchte  sie  aber  ziemlich  regellos  bald  für  den  stärkeren, 
bald  für  den  schwächeren  Einschnitt.  Der  Doppelpunkt 
ist  das  älteste  Zeichen  der  Satztrennung,  hat  sich  aber  nur 
im  Dialog  des  Dramas  wie  der  Prosa  beim  Wechsel  der  Rede 
innerhalb  der  Zeile  dauernd  behauptet,  während  er  in  der 
Prosa  dem  einfachen  Punkte  weichen  mußte  und  nur  selten 
seine  Stelle  vertritt.  Die  Alten  haben  aber  auch  einen  Anlauf 
zu  dem  nahe  liegenden  Verfahren  genommen,  die  Sätze  durch 
einen  leeren  Raum  von  einander  zu  sondern,  und  zwar  auf- 
fallend oft  in  den  ältesten  Buchhandschriften  in  Poesie  und 
Prosa,  ein  Gebrauch,  der  zwar  niemals  ganz  einschläft  aber 
erst  spät  sich  wieder  ausbreitet.  Diese  Art,  Gedanken  fürs 
Auge  abzugrenzen,  begegnet  auch  in  Urkunden  und  Briefen, 
denen  jede  Interpunktion  fast  ohne  Ausnahme  fehlt.  Bei 
größeren  Sinnabschnitten  wird  häufig  der  Rest  der  Zeile  frei- 
gelassen, der  neue  Abschnitt  also  mit  der  neuen  Zeile  be- 
gonnen. 

Hohen  Alters  ist  auch  die   Paragraphos,  der  wage- 
rechte Strich  unter  dem  Anfang  derjenigen  Zeile,   worin  der 
Gedankengang  endet.    Ihren  ursprünglichen  Sinn  zeigen  die 
frühesten  Beispiele:  da  steht  ein  Strich  mitten  in  der  Zeile, 
illein   oder   mit  dem    Doppelpunkt,    meistens,    aber    nicht 
mmer,  am  Anfang  als  Paragraphos  wiederholt,  um  von  vorn- 
iicrein  auf  den  Einschnitt  aufmerksam  zu  machen.    Dies  gilt 
sowohl  für  die  Prosa  wie  für  die  Gliederung  des  Dialogs.   Von 
da  an  steht  sie  allein  oder  in  Beziehung  auf  eine  Interpunktion 
in  sorgfältigen  Buchhandschriften  fast  regelmäßig;  die  dia- 
logische Gliederung  bezeichnet  sie  nicht  nur  im  Drama,  son- 
lern  auch  in  ähnlich  angelegten  Dichtungen,  wie  den  Mimiam- 
)en  des  Herodas,  und  in  dialogischer  Prosa,  z.  B.  in  einigen 


86  Zweites  Kapitel. 

Piatonhandschriften  (vgl.  Abb.  21).  Bei  strophischer  Gliede- 
rung im  Drama  wie  in  der  Lyrik  schließt  sie  naturgemäß 
die  Strophe  ab.  Auslassungen  und  falsche  Anwendungen 
bleiben  selbstverständlich  auch  hier  nicht  aus.  Wollte  man 
den  Abschluß  eines  längeren  Gedankenganges  bezeichnen,  so 
schien  die  einfache  Paragraphos  nicht  zu  genügen;  sie  wurde 
dann  mit  Schnörkeln  verziert,  und  dies  Strichgewinde  hieß 
seiner  Gestalt  entsprechend  Koronis.  Sie  gehörte  ans  Ende 
eines  ganzen  Buches,  »indem  sie  die  letzte  Wendung  bezeich- 
net als  zuverlässiger  Grenzwächter  für  die  Schriftreihen«,  und 
deshalb  »thront  sie  mit  ihrer  Schlangenwindung  am  Ziele  der 
Gelehrsamkeit«,  wie  der  Epigrammdichter  Meleager  am 
Schlüsse  seines  Liederkranzes  von  ihr  sagt.  So  sehen  wir  sie 
auch  oft  in  den  erhaltenen  Papyrustexten,  z.  B.  in  dem  Kom- 
mentare des  Didymos  zu  den  Reden  des  Demosthenes  sowohl 
am  Ende  der  Rolle  vor  dem  Schlußtitel  als  auch  da,  wo  die 
Erläuterung  der  einzelnen  Reden  abschließt  (vgl.  Abb.  22). 
In  poetischen  Werken  begrenzt  sie  die  Strophen  oder  die 
lyrischen  Systeme,  wofern  sich  der  Schreiber  mit  der  Para- 
graphos nicht  begnügen  will.  Im  allgemeinen  entsprechen 
die  Papyri  der  Regel  des  Grammatikers  Hephaistion,  indem 
sie  die  Strophe  mit  der  Paragraphos,  das  Lied  mit  der 
Koronis  beschließen.  Im  Timotheospapyrus  steht  vor  dem 
letzten  Abschnitte  ein  sonderbares  Gebilde,  das  fast  wie  ein 
Vogel  aussieht,  zugleich  aber  eine  beabsichtigte  Verbindung 
von  Buchstaben,  ein  Monograrrim  zu  sein  scheint.  Daß 
dieser  angebliche  Vogel  eine  Koronis  sei  oder  gar  die  Krähe 
darstelle,  deren  griechischer  Name  Korone  die  Verbindung 
mit  Koronis  nahelegen  könnte,  ist  freilich  eine  unsichere 
Vermutung.  Man  tut  besser,  das  Zeichen  vor  der  Hand 
unerklärt  zu  lassen.  Jedenfalls  ist  es  hier  ganz  anders  ge- 
staltet als  die  richtige  Koronis,  die  immer  als  eine  Ver- 
zierung  der    Paragraphos    auftritt. 

Gelegentlich  werden  Abschnitte  des  Sinnes  durch  Aus- 
rücken oder  Einrücken  einer  Zeile  hervorgehoben.  Ebenso 
machte  man  Zitate  kenntlich,  natürlich  vor  allem  in  Kom- 
mentaren zu  andern  Schriften,  wo  es  galt,  die  Worte  des 
Klassikers  deutlich  von  der  Erläuterung  zu  sondern.  Oft 
wurden  sie  auch  durch  einen  spitzen  Winkel  am  Anfang, 
selten  durch  einen  Strich  am  Ende  der  Zeile  als  solche  für 
das  Auge  bezeichnet;  daß  daneben  auch  die  Paragraphos 
helfen  mußte,  versteht  sich  von  selbst.  Beginnt  das  Zitat 
Innerhalb  der  Zeile,  so  stehen  diese  äußeren  Hinweise  doch 
immer  an  ihrem  Anfange.  Man  leistete  mit  diesen  Mitteln 
dasselbe,  was  wir  heute  durch  gesperrten  Druck  erreichen. 
Noch  mehr  als  in  Prosatexten  spielt  das  Ausrücken  oder 
Einrücken  der  Zeilen  eine  Rolle  in  Dichterhandschriften,  vor- 


Die  Buchrolle.  87 

nehmlich  da,  wo  eine  metrisch  anders  gebaute  Versgruppe 
beginnt.  Die  Chorlieder  der  Tragödie,  die  man  in  kurzen 
Zeilen  zu  schreiben  pflegte,  heben  sich  vom  Dialog  schon 
äußerlich  dadurch  ab,  daß  ihre  Zeilen  etwas  weiter  rechts 
beginnen.  Und  ähnlich  wird  in  Texten  lyrischen  Inhalts  der 
Beginn  einer  neuen  Strophe  bezeichnet.  Alle  diese  Mittel, 
einen  größeren  oder  kleineren  Sinnabschnitt  kenntlich  zu 
machen,  dienen  der  Deutlichkeit  und  Verständlichkeit.  Im 
allgemeinen  regelmäßiger  als  die  Akzente  gebraucht,  ent- 
stammen sie  doch  ebenso  dem  nächsten  Bedürfnis  des  Lesers, 
werden  daher  nicht  immer  streng  folgerecht  gesetzt,  nicht 
immer  mit  einander  in  Beziehung  gebracht  und  geben  an  sich 
kein  untrügliches  Kennzeichen  für  die  Güte  und  Sorgfalt 
einer  Handschrift. 

II.  Besonderheiten  im  Drama.  Der  Dialog  im 
Drama,  dessen  Gliederung  äußerer  Hinweise  besonders 
bedurfte,  hat  sich  lange  mit  den  genannten  Zeichen,  beson- 
ders dem  Doppelpunkte,  begnügt.  Erst  in  der  Kaiserzeit 
begegnen  wir  der  Sitte,  die  uns  geläufig  ist,  nämlich  die  Namen 
der  redenden  Personen  in  abgekürzter  Form  an  den  linken 
Rand  zu  schreiben;  nur  ausnahmsweise  stehen  sie  am  rechten 
Rande.  Allein  man  verzichtete  deshalb  keineswegs  auf  die  alten 
Zeichen,  sondern  vei  wendete  sie  neben  dem  neuen  Verfahren. 
Völlige  Genauigkeit  hat  man  in  ihrem  Gebrauche  niemals 
zu  erreichen  vermocht,  da  gerade  in  diesen  Dingen  am  leichte- 
sten dem  Schreiber  ein  Versehen  unterlaufen  konnte.  Daß 
die  Personenbezeichnung  durch  vorangesetzte  Namen  eigent- 
lich eine  der  Sache  fremde  Zutat  war,  spiegelt  sich  in  der  Ab- 
kürzung dieser  Namen;  sie  gehörten  nicht  zum  Texte  und 
durften  auch  äußerlich  als  eine  Nebensache  behandelt  werden. 
Daher  sind  auch  die  Schriftzüge  hier  in  der  Regel  kleiner  und 
mehr  kursiv  als  die  Buchstabenformen  des  Textes,  manchmal 
ersichtlich  erst  von  einer  zweiten  Hand  hinzugefügt.  Die 
Art  der  Abkürzung  entspricht  jedesmal  den  Anforderungen 
der  Deutlichkeit,  und  in  vielen  Fällen  genügen  ein  oder  zwei 
Buchstaben  dafür.  Nur  für  den  Chor,  der  ja  in  der  Tragödie 
und  der  Alten  Komödie  immer  auftritt,  scheint  sich  eine  ziem- 
lich feste  Bezeichnung  ausgebildet  zu  haben,  nämlich  die  Kür- 
zung xop,  wobei  meistens  p  hochgesetzt  wird,  bisweilen  aber/in 
die  Mitte,  o  darüber  und  p  darunter  kommt.  Für  sich  steht 
eine  Handschrift  aus  dem  2.  Jahrhundert  n.  Chr.,  die  für 
die  Hauptpersonen  nicht  Abkürzungen,  sondern  Buchstaben, 
also  Ziffern,  gebraucht,  obwohl  diese  Personen  im  Texte 
selbst  mit  eigenen  Namen  angeredet  werden.  Neben  ihnen, 
die  wir  bis  zur  Zahl  7  verfolgen  können,  finden  sich  für  die 
Nebenrollen  gewöhnliche  Abkürzungen,  die  ihren  Charakter 
als  «König«,  «Weib«  usw.  angeben.  Indessen  darf  man  daraus 


88  Zweites  Kapitel. 

keinen  allgemeinen  Gebrauch  erschließen,  wenigstens  nicht 
für  die  Handschriften  der  höheren  dramatischen  Poesie,  sei 
es  Trauerspiel  oder  Lustspiel.  Denn  dieses  Stück,  das  in  der 
oberägyptischen  Provinzialstadt  Oxyrhynchos  gefunden 
worden  ist,  gibt  sich  als  eine  Posse  niederen  Ranges  zu  er- 
kennen und  lehrt  uns  in  seinem  Inhalte,  wie  diese  Tageslitera- 
tur beschaffen  war,  mag  es  nun  dem  Theater  von  Oxyrhynchos 
angehören  oder  anderswoher  stammen.  Es  behandelt  einen 
auch  in  Romanen  verwerteten  Stoff:  ein  griechisches  Mädchen 
ist  in  ein  fernes  Land,  hier  Indien,  verschlagen  worden  und 
wird  von  seinem  Bruder  und  dessen  Genossen  wiedergefunden. 
Wenn  hier  der  König  des  Landes  und  sein  Gefolge  in  ihrer 
barbarischen  Sprache,  die  der  Papyrus  wiedergibt,  zu  reden 
anfingen,  mag  das  PubHkum  sich  köstlich  an  dem  unver- 
ständlichen Zeug  unterhalten  haben,  nicht  minder  an  den 
Spaßen  und  den  unanständigen  Manieren  des  Possenreißers. 
Die  Personen  vertraten  hier  weniger  einen  Charakter  als  einen 
Menschentypus,  und  so  mochte  es  genug  sein,  sie  mit  A,  B 
usw.  zu  bezeichnen.  Vielleicht  war  das  in  solchen  Werken 
überhaupt  gebräuchlich;  die  höhere  dramatische  Poesie  gab 
und  forderte  bestimmtere  Benennungen. 

Auf  solche  Äußerlichkeiten,  wie  es  die  Zutat  der  Namen 
ist,  Betrachtungen  allgemeiner  Art  aufzubauen,  mag  bedenk- 
lich erscheinen.  Da  aber  diese  Hilfe  den  ältesten  Handschriften 
fremd  ist  und  ziemlich  spät  sich  einstellt,  so  erinnert  man  sich 
unwillkürlich  daran,  daß  das  Drama  aus  dem  angeschauten 
Bühnenvorgange  ein  Literaturwerk,  ein  Lesestück  geworden 
ist.  Denn  die  Tragödie  eines  Sophokles  war  von  Hause  aus 
nicht  darauf  angelegt,  gelesen  zu  werden,  und  gab  auch  dann, 
wenn  sie  wirklich  nur  gelesen  wurde,  noch  deutlich  genug  an, 
welche  Personen  die  Zwiesprache  führten.  So  oft  eine  neue 
Person  zum  ersten  Male  auftritt,  wird  sie  in  ganz  klarer  Weise 
bezeichnet,  meistens  sogar  mit  Namen  genannt,  vor  allem 
natürlich  am  Anfang  des  Stückes,  wo  der  Zuschauer  gleich 
erfahren  mußte,  wen  er  vor  sich  hatte.  Man  betrachte  die 
Antigone;  unter  der  Voraussetzung,  daß  das  Publikum  im 
allgemeinen  über  den  dramatisch  behandelten  Sagenstoff 
Bescheid  weiß,  gibt  der  erste  Vers  schon  zu  erkennen,  daß 
Antigone  spricht,  da  Ismene  als  Schwester  angeredet  wird. 
Sollte  noch  jemand  zweifeln,  so  wird  er  gleich  durch  die 
Worte  der  Ismene  darüber  aufgeklärt.  Der  dann  auftretende 
Chor  bedarf  keiner  Einführung,  da  er  sich  als  solcher  ohne 
weiteres  dem  Auge  darstellt.  Mit  seinen  letzten  Worten 
kündigt  er  an,  daß  der  aus  dem  Palaste  heraustretende  Mann 
der  König  Kreon  ist.  Erscheint  nachher  der  Wächter,  so 
kennzeichnet  ihn,  auch  abgesehen  von  der  Tracht,  sofort  der 
erste  Satz,  den  er  ausspricht.     Diese  der  Bühne  angepaßte 


Die  Buchrolle.  89 

Gewohnheit  wird  in  mannigfaltigen  Wendungen  immer 
befolgt  und  macht  im  Grunde  nicht  nur  für  den  Zuschauer, 
sondern  auch  für  den  Leser  die  Nennung  der  Person  neben 
dem  Texte  überflüssig.  Und  da  das  Gespräch  sich  meistens 
nur  zwischen  zwei  Personen  bewegt,  so  wird  man  auch  beim 
Lesen  hinreichend  durch  Paragraphos  und  Punkte  unter- 
stützt. Treten  gleichzeitig  mehr  Personen  auf,  so  liegt  es 
schon  näher,  die  Namen  an  den  Rand  zu  schreiben.  Wie  sehr 
aber  neben  dieser  neuen  Mode  die  ältere  einfache  Sitte  sich 
behauptet  hat,  beweist  am  besten  die  spätere  Überlieferung 
mit  ihrer  Unsicherheit  in  der  Zuteilung  der  Reden  an  die 
Personen,  namentlich  in  den  bewegten  Vers  um  Vers  wech- 
selnden Teilen.  Dasselbe  lehren  die  Papyri,  denn  nirgends 
werden  die  Personen  regelmäßig  bezeichnet,  so  daß  man  auch 
hier  nur  allzu  oft  vor  der  Frage  steht,  wer  denn  eigentlich  rede. 

Das  Verfahren  der  Dialogbezeichnung  hat  in  ein  paar 
Fällen  vom  Drama  aus  auf  andere  Literaturwerke  über- 
gegriffen, wenn  eine  ähnliche  Gliederung  vorlag.  So  lesen 
wir  in  einer  Homerhandschrift  der  Kaiserzeit  mehrmals  am 
Rande  die  Namen  der  sprechenden  Personen,  z.  B.  des 
Diomedes,  wo  dessen  W^orte  angeführt  sind,  und  ein  andermal 
beim  Beginn  der  Erzählung  in  Abkürzung:   »Der  Dichter«. 

Wie  es  den  ältesten  Handschriften  der  Tragödie  und 
der  Komödie  an  der  Nennung  der  Personen  fehlt,  so  mangelt 
ihnen  auch  alles,  was  wir  szenische  Bemerkungen  zu 
nennen  pflegen.  Kehren  wir  wieder  zu  Sophokles  zurück. 
Die  Szenerie  war  hier  an  sich  schon  viel  zu  fest  und  regel- 
mäßig, als  daß  sie  besonderer  Hinweise  bedurft  hätte.  Der 
Dichter  selbst  übte  die  Aufführung  ein  und  konnte  alles 
Notwendige  über  Auftreten,  Gebärden  usw.  den  Schau- 
spielern selbst  sagen,  soweit  nicht  auch  dies  durch  überlieferte 
Gewohnheit  sich  von  selbst  ergab.  Man  darf  sich  über- 
haupt eine  solche  Aufführung  im  Athen  des  5.  Jahrhunderts 
ja  nicht  nach  dem  Bilde  heutiger  Theatersitte  vorstellen; 
schon  das  gewaltige  Theater  nötigte  zu  einfachem  Spiel  und 
verbot  jede  Charakteristik,  die  nicht  weithin  sichtbar  und 
ohne  weiteres  verständlich  war.  Außerdem  müssen  wir  die 
Buchausgaben  von  den  Texten,  die  der  Aufführung  dienten 
und  in  der  Hand  des  Spielleiters  wie  der  Darsteller  waren, 
nachdrücklich  scheiden.  Mochten  hier  allerlei  Winke  nötig 
und  vorhanden  sein,  so  konnte  man  im  nur  gelesenen  Buche 
ihrer  entbehren.  Es  ist  also  kein  Wunder,  daß  in  der  Regel 
auch  unsere  Papyrushandschriften  keinerlei  szenische  Be- 
merkungen enthalten.  Nur  in  Komödien,  die  größere  Leb- 
haftigkeit verlangen  und  freieres  Spiel  erlauben,  kommen  sie 
vor,  und  nicht  vor  dem  2.  Jahrhundert  n.  Chr.,  also  unter  sehr 
veränderten  Theaterverhältnissen.   Aber  auch  hier  sind  sie  im 


QO  Zweites  Kapitel. 

Vergleich  mit  modernen  Stücken  sehr  kurz,  am  ehesten  den- 
jenigen alter  Shakespeare-Ausgaben  vergleichbar.  Wie  es 
in  diesen  kurz  heißt:  »exeunt«,  so  lesen  wir  in  der  Perikeiro- 
mene  des  Menander:  »tritt  auf«  und  »tritt  ab  «,  in  einer 
Aristophaneshandschrift  einmal:  »spricht  für  sich«.  Etwas 
ergiebiger  ist  wiederum  die  Posse  aus  Oxyrhynchos.  Sie 
bringt  sogar  Anweisungen  für  die  Musikbegleitung,  z.  B. 
»Pauken«,  »Pauken  fünfmal«;  ist  ein  Wort  als  eine  Art 
von  Refrain  von  allen  zu  sprechen,  so  steht  dabei  »zusammen« 
und  dgl.  mehr.  Alle  diese  Anweisungen  stehen  im  geschriebe- 
nen Texte  da,  wo  sie  hingehören,  also  auch  mitten  in  der 
Zeile,  meistens  abgekürzt  oder  über  die  Worte  der  Rede 
geschrieben.  Übrigens  findet  man  hier  wie  in  der  Menander- 
handschrift  auch  die  Personenbezeichnung  manchmal  in  der 
Zeile  oder  darüber.  Man  wird  aber  aus  den  wenigen  Bei- 
spielen solcher  szenischen  Bemerkungen  nicht  folgern  dürfen, 
daß  sie  in  Buchhandschriften  sich  verbreitet  hätten.  Das 
Exemplar  jener  Posse  macht  durchaus  den  Eindruck  einer 
Abschrift  von  geringer  Güte,  die  keinen  Anspruch  auf  Schön- 
heit erhob,  wie  sie  denn  auch  in  ungewöhnlich  langen  Zeilen 
geschrieben  ist;  vielleicht  haben  wir  es  sogar  mit  einem  Rollen- 
auszuge für  einen  Schauspieler  zu  tun.  Vor  allem  aber  lag 
den  Alten  eine  Bühnenanweisung  bis  ins  Kleine,  wie  sie  z.  B. 
Ibsen  gibt,  ganz  fern. 

12.  Korrektur.  Hatte  der  Schreiber  seine  Arbeit  voll- 
endet, so  war  damit  das  Buch  noch  nicht  fertig  und  noch 
nicht  für  den  Buchhandel  bereit.  Seine  Arbeit  bedurfte  einer 
gewissenhaften  Prüfung,  wenn  sie  mehr  als  ein  Schaustück 
sein  sollte.  Während  beim  heutigen  gedruckten  Buche  die 
Korrektur  dem  endgültigen  Drucke  vorausgeht,  ist  sie  für 
die  geschriebene  Buchrolle  erst  dann  möglich,  wenn  die  Ab- 
schrift fertig  vorhegt.  Auch  der  sorgsamste  und  erfahrenste 
Schreiber  begeht  Fehler,  zumal  wenn  er  einen  langen  Text 
niederzuschreiben  hat,  der  an  seine  Ausdauer  erhebliche  An- 
forderungen stellt.  Man  darf  ohne  Übertreibung  behaupten, 
daß  es  fehlerlose  Buchhandschriften  nicht  gibt,  denn  wo  wir 
etwa  ein  fehlerfreies  Bruchstück  entdecken,  ist  eben  nur  der  ge- 
ringe Umfang  des  Erhaltenen  die  Ursache  des  günstigen  Ergeb- 
nisses. Auch  die  schönsten  Buchrollen,  z.  B.  der  Panegyrikos 
des  Isokrates  und  eine  Handschrift  des  Phaidros  aus  Oxy- 
rhynchos, weisen  viele  Versehen  und  Mißgriffe  auf  (vgl. 
Abb.  21).  Diese  sind  sehr  verschiedener  Art;  man  unter- 
scheidet meistens  deutlich  die  eigentlichen  Schreibfehler  von 
den  Willkürlichkeiten,  die  auf  Mißverständnissen  beruhen. 
Je  nachdem  der  Schreiber  seine  Arbeit  rein  mechanisch  machte 
oder  sich  etwas  dabei  dachte,  tritt  die  eine  oder  die  andere 
Art  besonders  hervor.   Oft  genug  mag  die  Vorlage  schuld  sein. 


I 


Die  Buchrolle. 


91 


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^ 


Abb.  19.    Oeschichtserzählung:  in  ionischer  Mundart, 
durehkorrigien,  vermutlich  Manuskript  des  Verfassers. 

sei  sie  nun  von  einer  unleserlichen  Hand,  sei  sie  in  Abkür- 
zungen geschrieben  oder  sonst  fehlerhaft.  Demgemäß  ist  auch 
die  Tätigkeit  des  Korrektors  verschieden;  bald  richtet  sie  sich 
hauptsächlich  auf  die  Verschreibungen,  bald  mehr  auf  die 
orthographischen  und  sachlichen  Mängel  der  Abschrift.  Es 
ist  für  uns  gleichgültig,  ob  Korrektor  und  Schreiber  eine 
Person  sind  oder  nicht.  Oft,  aber  keineswegs  immer,  gibt  uns 
die  Schrift  der  Korrekturen  eine  Aufklärung  darüber. 

Die  Schreibfehler   äußern  sich  darin,  daß  ähnlich  aus- 


02  Zweites  Kapitel. 

sehende  Buchstaben  verwechselt,  Silben,  Wörter,  ja  ganze 
Zeilen  ausgelassen,  aber  auch  ganze  Buchstabengruppen 
fälschlich  wiederholt  oder  zugefügt  werden.  Auch  die  un- 
richtige Auflösung  einer  Abkürzung,  die  verkehrte  Stellung 
zweier  Wörter  und  die  falsche  Schreibung  seltener  oder  poeti- 
scher und  dialektischer  Ausdrücke  wird  in  der  Regel  auf 
Nachlässigkeit  des  Abschreibenden  zurückgehen.  Um  über- 
flüssige Buchstaben  zu  tilgen,  setzt  der  Korrektor  über  jeden 
einen  Punkt,  über  ein  solches  Wort  einen  Strich,  oder  er 
streicht  sie  durch,  und  häufig  tut  er  um  der  Deutlichkeit 
willen  beides.  Ist  etwas  ausgelassen  worden,  so  schreibt  er 
das  Fehlende  über  die  Zeile;  nimmt  jedoch  die  Verbesserung 
mehr  Platz  in  Anspruch,  so  ist  er  auf  die  leeren  Randflächen 
angewiesen.  Der  Zwischenraum  zwischen  den  Kolumnen, 
der  nicht  breit  zu  sein  pflegt,  kommt  nur  für  Korrekturen 
mäßigen  Umfangs  in  Betracht;  man  pflegt  sie  rechts  neben 
<lie  Kolumne  zu  schreiben.  Bei  längeren  Auslassungen  muß 
der  obere  und  der  untere  Rand  aushelfen.  Die  fehlende  Zeile 
■oder  der  fehlende  Satz  wird  dann  über  oder  unter  der  Ko- 
lumne nachgetragen  und  erhält  ein  Zeichen,  einen  gebogenen 
Strich,  ein  Kreuz  oder  dergleichen,  das  neben  dem  Texte  an 
der  besserungsbedürftigen  Stelle  wiederkehrt,  so  daß  der 
Leser  sich  leicht  zurechtfinden  kann.  Und  oft  schreibt  man 
noch  neben  den  Nachtrag  ein  »oben«  oder  »unten«,  dem  im 
Texte  ein  »unten«  oder  »oben«  entspricht  (vgl.  Abb.  l8).  In- 
dessen findet  sich  diese  Genauigkeit  nicht  überall;  man 
begnügt  sich  vielfach  mit  einem  dieser  Mittel  und  überläßt 
das  Weitere,  bisweilen  auch  alles,  dem  Leser.  Unser  Ver- 
fahren, eine  irrtümlich  hinzugefügte  Stelle  einzuklammern, 
ist  selten,  kommt  aber  doch  in  ein  paar  Beispielen  vor. 
Ebensowenig  scheint  es  üblich  gewesen  zu  sein,  einen  aus- 
gestrichenen Buchstaben  durch  einen  darunter  gesetzten 
Punkt  wiederherzustellen;  in  solchen  Fällen  zieht  der  Kor- 
rektor es  vor,  das  Richtige  darüber  zu  schreiben,  nur  im 
Theätetkommentar  sehen  wir  einmal  den  Punkt  unter  dem 
gestrichenen  Buchstaben.  Falsch  gestellte  Wörter  bringt 
man  in  Ordnung,  indem  man  kurzerhand  sie  tilgt  und  noch 
einmal  schreibt  oder  Buchstaben  als  Ziffern  darüber  setzt, 
•ganz  in  unserer  Weise. 

Äußerlich  gleichen  die  Korrekturen,  die  orthographische 
Fehler  und  Mißverständnisse  berichtigen,  natürlich  den  vori- 
gen, denn  auch  für  sie  gab  es  nur  die  genannten  einfachen 
Mittel.  Dagegen  stellen  sie  an  den  Korrektor  höhere  An- 
sprüche, denn  er  muß  nicht  allein  die  Vorlage  vergleichen, 
sondern  sie  auch  verstehen  und  gelegentlich  verbessern 
können.  Er  hat  freilich  oft  genug  nur  wenig  Mühe  aufge- 
wendet, um  in  zweifelhaften  Fällen  das  Echte  zu  ermitteln. 


Die  Buchrolle.  ^3. 

und  meistens  nach  Gutdünken  korrigiert.  Aber  man  bemerkt 
doch  bisweilen,  daß  bestimmte  Grundsätze  befolgt  werden^ 
wie  denn  der  Korrektor  des  Theätetpapyrus  in  der  Ortho- 
graphie ersichtlich  von  der  Vorlage  abweicht  (vgl.  Abb.  16)  und 
ein  anderer  in  einer  Thukydideshandschrift  das  attische  tt 
durch  das  gemeingriechische  ss  ersetzt.  Die  Verbesserungen 
sind  fast  durchweg  flüchtiger  geschrieben  als  der  Text;  daraus 
darf  man  aber  nicht  ohne  weiteres  entnehmen,  sie  stammten 
von  anderer  Hand,  denn  wie  die  gewöhnliche  Schrift  des 
Schreibers  aussah,  kann  uns  seine  Schönschrift  im  Texte  nicht 
lehren.  Dagegen  bieten  die  Korrekturen  durch  ihre  Neigung 
zu  kursiven  Formen  ein  wichtiges  Hilfsmittel,  um  Buchhand- 
schriften zu  datieren.  Wenn  wir  einige  Male  neben  einer 
korrigierten  Zeile  ein  Kreuz  oder  ein  ähnliches  Zeichen  be- 
merken, so  liegt  die  Deutung  nahe,  daß  der  Korrektor  beim 
ersten  Lesen  sich  die  fehlerhafte  Stelle  nur  angestrichen  und 
erst  nach  Überlegung  oder  Nachforschung  verbessert  habe. 
Er  konnte  überhaupt  nicht  eine  ganze  Buchrolle  hinter  ein- 
ander korrigieren,  um  so  weniger,  je  ernster  er  seine  Aufgabe 
nahm;  die  schrägen  Striche,  die  manchmal  am  linken  Rande 
bei  einer  nicht  korrigierten  Zeile  stehen,  mögen  anzeigen, 
wie  weit  er  jedesmal  gekommen  ist.  Es  ist  kein  Wunder,  daß 
auch  ihm  vieles  entgeht,  und  daß  er  umgekehrt  auch  einmal 
etwas  ändert,  was  gut  und  richtig  ist.  Denn  abgesehen  von 
der  Ermüdung,  die  jeder  kennt,  der  einmal  umfangreiche 
Korrekturen  gelesen  hat,  ist  nur  allzu  oft  auch  die  Sachkennt- 
nis des  Korrektors  nicht  viel  größer  als  die  des  Schreibers. 
Beide  haben  ihre  Arbeit  oft  recht  flüchtig  und  mechanisch 
getrieben.  Immerhin  kann  die  Korrektur  den  Wert  des 
Textes  nur  erhöhen,  und  damit  stimmt  es  überein,  wenn 
gerade  sorgfältige  und  schöne  Handschriften  viele  Verbesse- 
rungen aufweisen;  daneben  stehen  allerdings  auch  Buchrollen 
von  glänzendem  Aussehen,  deren  Text  schlecht  und  vom 
Korrektor  kaum  berührt  ist,  Luxusbücher  für  solche,  die  nur 
damit  prunken  wollen.  In  gewissen  Grenzen  gibt  deshalb 
die  Menge  der  Korrekturen  einen  Maßstab  für  die  Güte  des 
Textes  und  den  Wert  der  Buchrolle  an  die  Hand. 

13.  Anmerkungen.  Streng  genommen  besteht  die 
Aufgabe  des  Korrektors  nur  darin,  an  fehlerhaften  Stellen 
das  Richtige  einzusetzen,  ohne  in  irgend  einer  Form 
seine  persönliche  Meinung  auszudrücken.  Allein  es  war  an 
sich  wohl  möglich,  die  Verbesserung  in  eine  selbständige 
Bemerkung  einzukleiden,  und  wo  es  zweifelhaft  schien,  was 
richtig  sei,  war  es  zweckmäßig,  diese  Unsicherheit  auch  aus- 
zusprechen, zumal  in  den  gar  nicht  seltenen  Fällen,  wo  die 
Vorlage  schon  zwei' oder  mehr  Fassungen  bot  oder  mehr  ais- 
eine Vorlage  herangezogen  wurde.    Wenn  wir  Bemerkungenr 


Q4  Zweites  Kapitel. 

darüber  oder  im  Didymospapyrus  eine  Korrektur  mit  »viel- 
leicht« eingeleitet  finden,  so  gehört  das  eigentlich  schon  zu  den 
Anmerkungen,  nicht  mehr  zu  den  Korrekturen.  In  Wirk- 
lichkeit läßt  sich  beides  gar  nicht  streng  scheiden;  oft  genug 
werden  freilich  die  Anmerkungen  nicht  vom  Korrektor, 
sondern  von  einem  Leser  herrühren.  Derii  Aussehen  nach 
gleichen  sie  den  Korrekturen;  auch  sie  werden  zwischen  den 
Zeilen,  an  den  seitlichen  Rändern  der  Kolumne,  darüber  und 
darunter  angebracht.  Sie  sind  in  den  uns  beschäftigenden 
Papyrusrollen  keineswegs  selten,  bisweilen  breit,  öfters  kurz 
gefaßt  und  immer  ziemlich  willkürlich  gesetzt.  Wo  der  Be- 
nutzer des  Textes  etwas  zum  Verständnisse  beizutragen 
wußte,  wo  er  sich  selbst  das  zweite  Lesen  durch  Notizen  über 
einzelnes  wie  über  den  Inhalt  ganzer  Abschnitte  erleichtern 
wollte,  da  schrieb  er  eine  Bemerkung  hin;  ebenso  der  Kor- 
rektor, der  aus  andern  Ausgaben  , durch  gelehrte  Arbeit  sogar 
aus  andern  Büchern  Stoff  zur  Erklärung  zu  sammeln  wußte. 
Diese  »Schollen«,  wie  man  sie  zu  nennen  pflegt,  betreffen 
nicht  selten  den  Wortlaut  des  Textes  selbst.  Die  alexandrini- 
schen  Grammatiker  hatten  solche  Untersuchungen  der  älteren 
griechischen  Literatur  zugewendet  und  ein  System  kriti- 
scher Zeichen  herausgebildet,  das  mit  Strichen  und  Punk- 
ten bestimmte  Urteile  ausdrückte.  So  besagte  die  »diple», 
der  nach  links  gespaltene  Strich,  daß  in  grammatischer  Be- 
ziehung etwas  zu  erinnern  sei,  der  »Asteriskos«,  der  Stern, 
daß  die  Stelle  sonst  noch  in  demselben  Werke  vorkomme,  der 
Obelos,  d.  h.  der  Spieß,  daß  sie  unecht  sei  usw.  Dieser  kriti- 
schen Zeichen  gibt  es  eine  ganze  Menge,  ohne  daß  wir  immer 
über  ihre  Bedeutung  Bescheid  wüßten;  sie  treten  zwar  vor- 
wiegend in  den  Homertexten  auf,  aber  doch  auch  in  vielen 
andern,  auch  in  prosaischen  Werken.  Gewiß  sind  sie  zum 
großen  Teile  aus  den  alten  alexandrinischen  Ausgaben  in  die 
späteren  Abschriften  übergegangen  und  gleich  vom  Abschrei- 
ber mit  eingesetzt  worden;  jedoch  wird  man  im  einzelnen  Falle 
schwer  entscheiden  können,  ob  ein  Strich,  ein  Sternchen,  ein 
Haken  dem  Schreiber  des  Textes  zuzurechnen  sei  oder  einem 
andern.  Bei  der  Einfachheit  dieser  Zeichen  läßt  sich  nicht 
einmal  eine  genaue  Grenze  zwischen  ihnen  und  den  Stri- 
chen des  Korrektors  ziehen.  Natürlich  gehören  alle 
diese  Zeichen  an  den  linken  Rand  vor  die  Zeile,  und  es 
erscheint  deshalb  als  Unschicklichkeit,  sie  mitten  in  die  Zeile 
zu  schieben,  wie  es  ein  später  biblischer  Kodex  tut.  Nicht 
selten  geht  die  Textkritik  über  solche  Symbole  hinaus;  so 
werden  in  der  an  Schollen  reichen  Handschrift  der  Päane 
Pindars  zahlreiche  »Varianten«  des  Textes  mit  Berufung  auf 
Gelehrte  wie  Zenodotos  und  Theon  angemerkt  oder  auch 
einfach   mit   einem   »man  schreibt«   eingeführt,   ähnlich  im 


Die  Buchrolle.  q5 

Papyrus  der  Spürhunde  des  Sophokles;  in  einem  Homertexte 
wird  die  allgemein  übliche  Lesart  als  »koine«  (allgemeine) 
bezeichnet.    Die  Reihe  ließe  sich  leicht  verlängern. 

Sprachliche  und  sachliche  Erläuterungen  sind  in  den  Hand- 
schriften des  Mittelalters  so  häufig  und  so  reich  ausgebaut, 
daß  man  dasselbe  für  ihre  Vorlagen  aus  dem  Altertum  an- 
nehmen muß,  denn  ihrer  alten  Gelehrsamkeit  entstammen 
jene  Scholien.  Das  bestätigen  auch  die  Papyrusfunde  immer 
mehr.:  Inhalt,  Namen,  Zeit  der  Abfassung,  Versmaß,  Gramma- 
tik, Dialektformen  und  alles  Mögliche  andere  finden  wir  bei 
Pindar,  bei  den  Lesbiern  Sappho  und  Alkaios,  bei  Korinna, 
bei  Kallimachos  usw.  erörtert.  Vornehmlich  sind  es  die  Werke 
der  Dichter,  die  solcher  Erklärungen  bedurften  und  bereits  von 
den  alexandrinischen  Gelehrten  nach  allen  Richtungen  durch- 
gearbeitet wurden.  Wenn  ihnen  Homer  auch  in  dieser  Be- 
ziehung an  erster  Stelle  stand,  so  zeugen  zwar  auch  die  Papyri 
dafür;  aber  es  ist  ein  besonderes  Glück,  daß  sie  uns  noch 
mehr  Scholien  zur  alten  Lyrik,  zu  Kallimachos  u.  a.  geschenkt 
haben.  Neben  Texten,  die  oft  zerstört  oder  schwer  lesbar 
sind,  haben  die  vScholien  schon  mehr  als  einmal  sogar  dazu 
geholfen,  den  Wortlaut  des  Textes  zu  ermitteln.  Bei  Prosa- 
schriften finden  wür  sie  in  den  Papyri  bis  jetzt  viel  seltener, 
vielleicht  w^eil  hier  der  Leser  nicht  auf  Schritt  und  Tritt 
Schwierigkeiten  begegnete.  Aber  an  sich  gab  es  auch  hier 
Anlaß  genug  zu  sachlichen  wie  sprachlichen  Ausführungen, 
und  so  mag  es  z.  T.  Zufall  sein,  daß  wir  auf  diesem  Gebiete 
noch  nicht  so  viel  entdeckt  haben. 

Nebenbei  sei  bemerkt,  daß  die  Scholien  gewissermaßen 
zur  Selbständigkeit  geführt  in  den  Erläuterungsschriften  er- 
scheinen, die  alexandrinische  Gelehrte  den  Klassikern  in 
Poesie  und  Prosa  gewidmet  haben.  Davon  geben  uns  die 
Papyri  umfangreiche  und  kostbare  Beispiele.  Wohl  das 
wichtigste  ist  die  Rolle,  die  den  Kommentar  des  Didymos  zu 
Demosthenes  enthält  und  uns  mit  einer  Fülle  gelehrten 
Stoffes  überschüttet.  Aber  auch  große  Stücke  von  Homer- 
kommentaren, von  Inhaltsangaben  und  Erläuterungen  dra- 
matischer Werke  treffen  wir  unter  den  Papyrusfunden,  ganz 
abgesehen  von  der  sonst  überlieferten  Erklärungsliteratur. 
Auch  die  Wörterbücher  zu  einzelnen  Werken  dürfen  hier 
genannt  werden.  Die  Vokabeln  und  die  Wortformen  der 
homerischen  Gedichte  waren  vielen  Lesern,  vor  allem  den 
Schülern,  keineswegs  geläufig,  und  Übersetzungen  mochten 
recht  nötig  sein.  Deshalb  hat  schon  mancher  Benutzer  zu 
den  alten  und  poetischen  Ausdrückensich  die  entsprechenden 
prosaischen  seiner  Zeit  hinzugeschrieben.  Allgemein  aber 
standen  dafür  eigene  Wörterbücher  zur  Verfügung,  und  der 
fleißige  Schüler  legte  sich  auf  Wachstafeln  Präparationshefte 


96 


Zweites  Kapitel. 


zu  Homer  an,  um  nicht  wie  bequemere  Kameraden  das  Buch 
selbst  zu  verunzieren. 

Es   bleibt   noch  eine  dritte  Gruppe   von  Anmerkungen 
übrig,  die  keinerlei  eigenes  Wissen  an  den  Text  heranträgt, 


sondern  nur  dazu  dient,  die  Übersicht  zu  erleichtern.  Man 
machte  sich,  vornehmlich  bei  längeren  Texten,  Notizen 
über  den  Inhalt  in  Gestalt  von  Überschriften  über  den  Ko- 
lumnen.    In    größter    Ausdehnung    ist    dies    im     Didymos- 


J 


Die  Buchrolle.  gy 

kommentar  und  in  der  Ethischen  Elementarlehre  des  Hiero- 
kles,  auf  der  Rückseite  desselben  Papyrus,  geschehen.  Die 
Überschriften  sind  kursiver  geschrieben  als  der  Text,  können 
aber  allenfalls  derselben  Hand  angehören.  Meistens  erhalten 
sie  ein  Zeichen,  das  sich  an  der  entsprechenden  Stelle  der 
Kolumne  wieder  einstellt,  werden  also  genau  so  behandelt 
wie  die  oben  erwähnten  Zusätze  des  Korrektors.  Der  Buch- 
rolle an  sich  sind  sie  fremd;  fortlaufende  Seitenüberschriften, 
wie  sie  bei  uns  oft  in  Büchern  zu  finden  sind,  kennt  das  alte 
Buchgewerbe  nicht.  Noch  in  einem  späten  christlichen 
Kodex,  der  die  Schrift  von  der  Himmelfahrt  des  Jesaias  ent- 
hält, werden  sie  durch  Striche  zu  der  Stelle  in  Beziehung 
gesetzt  und  offenbar  als  Zutaten,  nicht  als  Bestandteile  der 
Buchhandschrift  aufgefaßt.  Es  ist  aber  leicht  begreiflich,  daß 
allmählich  dies  bequeme  Hilfsmittel  aus  dem  privaten  Be- 
lieben einzelner  zu  einem  verbreiteten  Gebrauche  geworden  ist. 
Die  weit  überwiegende  Mehrzahl  der  Papyri  hat  keine 
Schoiien,  ein  Zeichen,  daß  es  Ausgaben  für  Ungelehrte,  für 
die  weiten  Kreise  der  Leser  waren,  wie  ja  auch  heute  das 
Buch  mit  Anmerkungen  glücklicherweise  der  Wissenschaft 
vorbehalten  bleibt.  Diese  Rollen  sollten  auch  keinerlei  An- 
merkungen aufnehmen;  das  lehren  uns  die  schmalen  Zwischen- 
räume der  Kolumnen,  wenn  wir  sie  mit  einigen  vergleichen, 
deren  ungewöhnlich  breite  Kolumnenabstände  ihren  Zweck 
verraten  und  auch  demgemäß  reich  mit  Schoiien  ausgestattet 
sind.  Vielleicht  das  beste  Beispiel  geben  wieder  Pindars 
Päane.  Man  mag  sich  vorstellen,  daß  etwa  ein  Gelehrter 
für  seinen  Gebrauch  sich  eine  solche  Abschrift  besorgt  habe, 
ähnlich  wie  wir  heute  Bücher  mit  leeren  Blättern  durch- 
schießenlassen, wenn  wir  größere  Eintragungen  beabsichtigen. 
Außerdem  hat  es  aber  auch  gelehrte  Buchausgaben  gegeben, 
die  der  Verleger  durch  einen  Grammatiker  für  wissenschaft- 
liche Zwecke  bearbeiten  ließ.  Hierher  gehört  z.  B.  die  Ko- 
rinnarolle,  die  schon  durch  ihre  lautliche  Schreibung  dem 
gewöhnlichen  Leser  fast  unverständlich  wurde  und  gewiß  nur 
dem  Philologen  etwas  bieten  konnte. 

In  einer  der  Herkulanensischen  Rollen  lesen  wir  am 
Schlüsse  der  Schrift  des  Philodemos  über  die  Redekunst  den 
Namen  des  Poseidonax,  des  Sohnes  des  Biton.  An  die  spätere 
Sitte,  daß  der  Schreiber  sich  am  Ende  nennt,  ist  nicht  zu 
lenken,  und  in  diesem  Poseidonax  den  Besitzer  der  Rolle  zu 
suchen,  bleibt  auch  nur  ein  Notbehelf.  Noch  weniger  ver- 
ständlich ist  es,  wenn  in  einem  Iliaskommentar  zwischen  zwei 
Kolumnen  geschrieben  steht:  »ich  Ammonios,  Sohn  des  Am- 
monios,  Grammatiker,  habe  unterzeichnet«,  und  ebenfalls 
zwischen  zwei  Kolumnen  einer  philosophischen  Schrift:  »ich 
Mikrylos  habe  eingetragen«.     Es  gibt  zwar  einen  Ammonios, 

Sehn  hart,  Das  Buch.     2.  Aufl.  7 


^8  Zweites  Kapitel, 

der  Erläuterungen  zu  Homer  geschrieben  hat,  aber  jener 
Zusatz  gehört  einer  erheblich  späteren  Zeit  an  als  die  Hand- 
schrift des  Textes,  und  der  Ausdruck:  »ich  habe  unterzeich- 
net« macht  es  unmöghch,  an  den  Verfasser  zu  denken.  Was 
endlich  Mikrylos  »eingetragen«  oder  »zu  den  Akten  genommen« 
hat,  bleibt  ganz  rätselhaft.  Auf  der  andern  Seite  müssen 
diese  Notizen  irgend  eine  Beziehung  zum  Buchtexte  aus- 
drücken; ihre  Einordnung  ist  zwar  sonderbar,  kann  aber  doch 
kaum  damit  erklärt  werden,  daß  es  sich  um  Notizen  handele, 
die  gar  nichts  mit  dem  Buche  zu  tun  hätten,  denn  dann 
werden  sie  völlig  sinnlos.  Eine  Deutung  vermag  ich  nicht 
zu  geben;  vielleicht  lernen  wir  in  Zukunft  aus  neuen  Bei- 
spielen ihren  Zweck  verstehen. 

14.  Titel.  Daß  die  fertige  Buchrolle  einen  Titel  er- 
halten hat,  scheint  von  vornherein  klar,  wie  er  aber  beschaffen 
war,  wird  beim  ersten  Überblick  über  die  erhaltenen  Papyri 
nicht  ohne  weiteres  kenntlich.  Denn  aus  den  meisten  Pa- 
pyrustexten können  wir  überhaupt  kein  Ergebnis  gewinnen, 
weil  es  nur  Bruchstücke  mitten  aus  der  Rolle  sind.  Auch  die 
sonst  so  lehrreiche  Theätetrolle  läßt  uns  hier  im  Stiche,  da 
Anfang  und  Ende  fehlen.  Immerhin  stehen  uns  jetzt  mehrere 
Beispiele  zu  Gebote,  in  denen  wir  am  Ende  des  Buches  und 
der  Rolle  oder  am  Schlüsse  eines  Abschnittes  eine  Angabe 
über  Verfasser  und  Inhalt  finden,  die  wir  als  Titel  in  unserem 
Sinne  bezeichnen  müssen.  Eine  ganze  Reihe  der  Rollen  aus 
Herkulanum  bietet  kurze  Fassungen  wie:  Epikur  über  die 
Natur  II,  wobei  der  Name  des  Verfassers  im  Genitiv  steht, 
weil  der  Begriff  »Buch«  hinzuzudenken  ist.  Alles  Wesent- 
liche ist  damit  gegeben,  Name  des  Schriftstellers,  Bezeichnung 
des  Werkes  nach  seinem  Inhalt  und  Nummer  des  betreffenden 
Buches.  Dieselbe  Anordnung  zeigen  noch  mehrere  andere 
Handschriften,  die  späteren  Ursprungs  sind  als  die  etwa  dem 
I.  Jahrhundert  v.  Chr.  angehörigen  Rollen  aus  Herkulanum. 
So  steht  am  Ende  der  schönen  Rolle,  die  einen  großen  Teil 
von  Piatons  Gastmahl  enthält,  neben  der  letzten  Kolumne 
ziemlich  in  der  Mitte  der  Höhe:  »Piatons  Symposion«,  und 
der  Titel:  »des  Kerkidas,  des  Hundes  (d.  h.  des  Kynikers) 
Meliamben«  beschließt  die  Kerkidasrolle.  Auch  für  den  Aus- 
zug des  Herakleides  Lembos  aus  Hermippos  und  für  die  Bar- 
barendichtungen des  Choirilos  kennen  wir  die  Schlußtitel. 
Heranziehen  darf  man  auch  ein  Preisgedicht,  das  zugleich 
dem  Hermes  und  einem  jugendlichen  Gymnasiarchen  gilt; 
es  füllt  zwar  nur  ein  Blatt,  hat  aber  unten  wie  die  Rolle 
seinen  Titel,  der  am  linken  Rande  wiederholt  wird.  Auf- 
fällig ist  dagegen  der  Papyrus,  dem  wir  ein  Stück  aus  dem 
Werke  des  Satyros  über  die  Tragiker  verdanken,  denn  hier 
steht  der  Titel  des  6.  Buches,  das  von  Aischylos,  Sophokles 


Die  Buchrolle. 


99 


Abb.  21.    Schluß  von  Piatons  Symposion  mit  Titel. 


und  Euripides  handelt, 'Zwischen  zwei  Kolumnen,  an  einer 
ungeeigneten  Stelle,  deren  Sinn  man  nicht  sieht;  allerdings 
ist  die  ganze  Handschrift  nichts  weniger  als  mustergültig. 
Die  Sitte,  innerhalb  eines  Werkes  oder  Buches  einzelne  Ab- 
schnitte durch  einen  Titel  an  ihrem  Ende  zu  bezeichnen,  be- 


loo  Zweites  Kapitel. 

gegnet  uns  mehrmals,  z.  B.  in  dem  großen  Sapphopapyrus 
aus  Oxyrhynchos,  in  dem  Kallimachosbuche  derselben  Her- 
kunft und  andern.  Ich  nenne  noch  das  wertvolle  Bruch- 
stück aus  den  Kestoi  des  Julius  Africanus,  der  in  seinen 
»Kasten«  tausenderlei  gelehrte  Notizen  zusammengetragen 
hat;  wir  lesen  unter  der  Schriftkolumne:  des  Julius  Africanus 
Kasten  l8,  und  befinden  uns  demgemäß  am  Ende  des 
l8.  Buches  seines  Gesamtwerkes.  Auch  die  Schlußtitel  samt 
Verszahlen  der  Homerhandschriften  gehören  hierher.  Gerade 
diese  Endtitel  einzelner  Abschnitte  innerhalb  des  Buches  oder 
der  Rolle  beweisen  aufs  deutlichste,  daß  der  Buchtitel  regel- 
mäßig am  Ende  seinen  Platz  hat,  denn  jenen  Einzeltitel  ans 
Ende  zu  rücken  ist  eigentlich  sinnlos  und  erklärt  sich  nur  aus 
der  Nachahmung  des  Buch-  oder  Werktitels.  Das  beste 
Beispiel  bietet  bis  jetzt  der  Didymoskommentar.  Hier  lautet 
der  Titel  unter  der  letzten  Kolumne:  Didymos  (im  Genetiv) 
über  Demosthenes  28  der  Philippika  3;  dann  folgen  unter 
einander  die  Ziffern  9  bis  12  und  neben  jeder  die  Anfangs- 
worte der  behandelten  Rede.  Im  Lichte  der  übrigen  Unter- 
schriften bedeutet  dies,  daß  wir  aus  dem  Kommentar  des 
Didymos  zu  Demosthenes  das  28.  Buch  vor  uns  haben,  das 
unter  den  Büchern  über  die  Philippischen  Reden  Nummer  3 
ist  und  die  vier  angeführten  Reden  betrifft,  Nummer  9  bis  12 
der  Reihe.  Der  Kodex  ist  in  Stellung  und  Fassung  des  Titels 
der  Rolle  gefolgt  und  darf  daher  für  das  Verfahren  der  Buch- 
rollen herangezogen  werden;  so  dient  das  schon  erwähnte 
Kallimachosbuch  zur  Bestätigung,  ebenso  der  Iliaskodex 
Morgan  und  die  Unterschrift  unter  der  Grammatik  des 
Tryphon,   die  durchaus  jenen  alten  Titeln  entspricht. 

So  sehr  es  uns  auffallen  mag,  daß  der  Titel  am  Ende  steht, 
so  hat  es  doch  in  der  Buchrolle  einen  guten  Sinn.  Denn  da 
ihr  Schluß  sich  innen  befand  und  vor  der  Zerstörung  am 
besten  geschützt  war,  so  hatte  hier  der  für  den  Leser  wesent- 
liche Titel  den  sichersten  Platz.  Freilich  will  es  wenig  dazu 
stimmen,  wenn  wir  am  Ende  einer  Rede,  die  in  einer  gut 
geschriebenen  alten  Rolle  vor  uns  liegt,  gar  keinen  Titel 
sehen,  obwohl  Raum  genug  dafür  vorhanden  ist.  Ebenso 
fehlt  er  der  TimotheosroUe,  deren  Ende  erhalten  ist,  jedoch 
nennt  Timotheos  seinen  Namen  im  Gedichte  selbst.  Dagegen 
zeigt  ihn,  freilich  in  verworrener  Form,  eine  vorchristliche 
Handschrift  des  astronomischen  Werkes,  das  als  »Kunst  des 
Eudoxos«  bekannt  ist.  Vielleicht  war  es  damals  noch  nicht 
allgemein  üblich,  einen  Titel  in  unserem  Sinne  zu  geben  und 
ihn  ans  Ende  zu  rücken.  Von  Hause  aus  besaß  ihn  das  griechi- 
sche Buch  überhaupt  nicht,  wie  unter  anderem  die  schon  er- 
wähnten Bibliothekskataloge  des  Kallimachos  dartun.  Denn 
sie  führen  neben  dem  Namen  des  Verfassers  an  Stelle  einer  In- 


Die  Buchrolle. 


iünde  der  DidymosroUe  mit  Titel. 


102  Zweites  Kapitel. 

haltsbezeichnung  die  Anfangsworte  des  Werkes  an,  die  also 
den  Titel  vertreten.  Wenn  ferner  die  Herkulanensischen 
Rollen  den  Schlußtitel  kennen,  die  DidymosroUe  aber  die 
einzelnen  Reden  des  Demosthenes  nur  mit  den  Anfangs- 
worten anführt,  so  scheint  sich  zu  ergeben,  daß  er  erst  all- 
mählich und  mit  Schwankungen  sich  ausgebildet  hat.  Die 
päpstlichen  Bullen  werden  ja  noch  heute  mit  ihren  Anfangs- 
worten bezeichnet. 

Mit  dem  Schlußtitel  konnte  indessen  die  Buchrolle  nicht 
genügend  kenntlich  gemacht  sein,  da  man  ihn  ja  erst  fand, 
wenn  die  ganze  Rolle  entwickelt  war.  Der  Benutzer  brauchte 
unbedingt  einen  entsprechenden  Vermerk  am  Anfang.  Nun 
wissen  wir  freilich  gerade  über  den  Anfang  der  Buchrolle  am 
wenigsten  Bescheid;  denn  da  er  bei  der  geschlossenen  Rolle 
außen  lag,  war  er  der  Zerstörung  am  meisten  ausgesetzt  und 
ist  nur  in  ganz  seltenen  Fällen  auf  uns  gekommen.  Um  eine 
Verletzung  des  Textes  nach  Kräften  auszuschließen,  ließ  man 
am  Anfang  ein  Blatt  frei  oder  klebte  ein  sog.  Schutzblatt, 
das  leer  bleiben  sollte,  vorn  an  die  Rolle.  Hier  konnte  ein 
Anfangstitel  untergebracht  werden.  Daß  es  in  der  Tat  ge- 
schehen ist,  zeigt  die  Rückseite  des  Didymospapyrus.  Sie 
hat  die  »Ethische  Elementarlehre«  des  Hierokles  aufgenom- 
men, die  natürlich  im  entgegengesetzten  Sinne  zum  Didymos- 
texte  geschrieben  ist.  Haben  wir  beim  Didymos  den  Schluß, 
so  befindet  sich  auf  seinem  Rücken  beim  Hierokles  der  Anfang, 
der  als  Schutzblatt  leer  gelassen  ist.  Hier  steht  denn  auch  un- 
gefähr in  der  Mitte  der  Titel,  kursiv  geschrieben,  mehr  ein 
kurzer  Hinweis  als  ein  eigentlicher  Bestandteil  des  Buches, 
Ich  nehme  an,  daß  am  Ende  des  Hieroklesbuches  der  Titel  in 
Form  einer  sorgfältigen  Unterschrift  folgte.  Ähnlich  ist  es, 
wenn  in  einem  andern  Falle  eine  kursive  Hand  auf  die  Rück- 
seite der  Rolle,  der  i.  Kolumne  gegenüber,  den  Titel  ge- 
schrieben hat.  Daraus  würde  sich  ergeben,  daß  die  regelrecht 
ausgestattete  Buchrolle  den  Haupttitel  am  Ende  hatte, 
während  vorn  auf  dem  Schutzblatte  ein  flüchtiger  Vermerk 
eingetragen  war.  Allerlei  Abweichungen  von  dieser  Regel 
werden  uns  nicht  irre  machen,  wenn  wir  auf  die  Menge  der 
Eigenheiten  zurückbHcken,  die  uns  bei  der  Betrachtung  der 
Papyrusrolle  schon  begegnet  sind.  Blieb  am  Ende  kein  Platz 
mehr  übrig,  so  wußte  man  sich  zu  helfen  und  schrieb  den 
Titel  über  die  letzte  Kolumne,  wie  wir  es  in  dem  Fragment 
aus  der  Inhaltsangabe  des  Dionysalexandros,  einer  Komödie 
des  Kratinos,  bemerken.  In  diesem  Falle  zeigt  die  große 
feierliche  Schrift  allein  schon,  daß  es  wirklich  der  Titel  ist 
und  nicht  etwa  eine  Kolumnenüberschrift,  die  wir  mehrfach 
im  Didymospapyrus  gefunden  haben.  Vielleicht  ist  auch  der 
oben  besprochene  Fall  des  Satyrostitels  ähnlich  zu  erklären. 


Die  Buchrolle. 


103 


Bestand  der  Text  einer  Buchrolle  aus  mehreren  selb- 
ständigen Abschnitten,  so  schrieb  man  zwar,  wie  wir  sahen, 
auch  ihren  Titel  gern  darunter,  vergaß  aber  doch  nicht,  daß 
auch  eine  Überschrift  nötig  sei.  Gedichte  haben  wohl  ursprüng- 
lich solche  Überschriften  nicht  gehabt;  wenigstens  erscheinen 
im  Bakchylidespapyrus  die  Bezeichnungen  der  einzelnen  Ge- 
dichte als  Zutaten,  die  zum  Teil  der  Schreiber  des  Textes 
selbst,  zum  Teil  eine  andere  Hand  beigefügt  hat,  ebenso  liegt 
es  bei  den  Mimiamben  des  Herodas  und  bei  Pindars  Päanen. 
Immerhin  sind  sie  doch  hinzugefügt,  also  als  nötig  anerkannt 
worden.  Übrigens  bestätigen  diese  Fälle  mittelbar  den  An- 
fangstitel des  ganzen  Buches.  Stellte  man  aber  die  Dichtun- 
gen Verschiedener  zusammen,  so  durften  ihre  Namen  über 
ihrjen  Versen  nicht  fehlen,  wie  es  die  erhaltenen  Anthologien 
und  Epigrammsammlungen  dartun.  So  treffen  denn  am  Ende 
solcher  Buchteile  manchmal  Schlußtitel  und  Anfangstitel  zu- 
sammen: im  Kallimachosbuche  steht  zwischen  den  Aitia  und 
den  lamboi  »der  Aitia  4.  Buch«,  darunter  »lamboi«.  Auch 
in  den  Homerrollen  gehörte  die  Bezeichnung  des  neuen  Buches 
an  seinen  Anfang,  so  daß  ein  Titel  unter  dem  vorhergehenden 
wegfallen  durfte,  wofern  nicht  Ende  des  Buches  und  Ende 
der  Rolle  zusammentrafen.  Hier  war  es  eigentlich  nur  eine 
fortlaufende  Bezifferung,  die  ihrer  Natur  nach  an  den  Anfang 
gehörte.  Daß  dichterische  Werke  mit  ähnlich  fortschreitender 
Zählung  dabei  blieben,  liegt  nahe,  und  eine  Rolle  der  Psalmen 
in  Leipzig  bestätigt  die  Sitte  auch  für  die  christliche  Literatur. 
Der  Kodex,  der  allmählich  die  Rolle  verdrängte  und  von 
ihr  den  Schlußtitel  übernahm,  erweiterte  ihn  bald  zu  der  sog. 
Subskription  mit  Wunsch  oder  Fürbitte  für  den  Schreiber, 
den  Empfänger  und  den  Leser  des  Buches,  während  gleich- 
zeitig- der  Anfangstitel  allmählich  zur  Hauptsache  wurde,  da 
ihn  im  Kodex  ja  der  Einband  schützte  (vgl.  Abb.  25).  Die 
Subskription  enthält  öfters  nicht  nur  den  Namen  des  Schrei- 
bers und  des  Korrektors,  die  auf  diesem  Wege  sich  einen 
Anteil  an  der  Unsterblichkeit  sichern  wollten,  sondern  auch 
die  Zeilenzahl.  Wer  sich  dessen  erinnert,  was  wir  zuvor  über 
die  Zeilenzählung  bemerkt  haben,  könnte  vermuten,  daß  auch 
dieser  Bestandteil  dem  Schlußtitel  der  Rolle  entlehnt  sei. 
Die  Möglichkeit  will  ich  nicht  bestreiten,  aber  die  erhaltenen 
Rollenenden  sprechen  nicht  dafür;  die  Zeilenzahl  mag  oft 
genug  dabeigestanden  haben,  aber  einen  wesentlichen  Teil 
des  Schlußtitels  bildet  sie  augenscheinlich  nicht.  In  der 
Rolle  hebt  sich  der  Haupttitel  am  Ende  äußerlich  durch 
eingerückte  Zeilen  und  oft  durch  wagerechte  Striche  über 
dem  ersten  und  dem  letzten  Buchstaben  vom  übrigen  Texte 
ab;  wo  eine  Koronis  angebracht  ist,  verläuft  sie  in  der  Regel 
an  seiner  linken  Seite. 


1 04  Zweites  Kapitel. 

Der  beschriebene  Rollentitel  gab  wohl  eine  ausreichende 
Bezeichnung  für  den,  der  die  Rolle  zum  Lesen  in  die  Hand 
nahm,  konnte  aber  nichts  nützen,  wenn  man  aus  einer  Reihe 
geschlossen  aufbewahrter  Rollen,  etwa  aus  einer  Bücherei,  ein 
bestimmtes  Buch  aussuchen  wollte.  Man  bedurfte  eines  sofort 
sichtbaren  Titels,  sobald  es  überhaupt  Büchersammlungen 
gab.  Denn  mochten  nun  die  Rollen  in  den  gewöhnlichen 
topfähnlichen  Bücherbehältern  zu  mehreren  neben  einander 
stehen  oder  auf  Regalbrettern  liegen,  in  beiden  Fällen  waren 
sie  zum  größten  Teile  unsichtbar.  Daher  befestigte  man  am 
oberen  Rande  der  geschlossenen  Rolle  einen  heraushängenden 
Streifen  aus  Pergament,  der  unter  dem  griechischen  Namen 
Sillybos  und  dem  lateinischen  Index  oder  Titulus  öfter 
erwähnt  wird;  noch  heute  heftet  man  ja  an  Aktenbände  den 
sog.  Aktenschwanz.  Bei  der  vornehm  ausgestatteten  Rolle 
war  er  rot  oder  safranfarbig;  darauf  stand,  wie  die  erhaltenen 
Exemplare  zeigen,  der  Name  des  Verfassers  und  des  Werkes. 
Noch  an  der  Rolle  befestigt  war  der  Sillybos  mit  der  Auf- 
schrift: »Dithyramben  des  Bakchylides«;  ein  anderer  ist 
unser  einziger  Rest  einer  Buchrolle,  die  die  von  Piaton  hoch 
geschätzten  Mimoi  des  Sophron  enthielt.  Statt  weiterer  Be- 
schreibung lasse  ich  ein  paar  Worte  des  Ovid  folgen,  die  am 
besten  zeigen,  wie  der  Titulus  aussah.  Im  ersten  Gedichte 
seiner  Klagelieder  aus  der  Verbannung  redet  er  sein  Buch  an, 
das  nach  Rom  gehen  soll:  »wenn  du  dort«,  sagt  er,  »dein 
Haus,  den  gerundeten  Bücherbehälter,  erreicht  hast,  wirst 
du  deine  Brüder  der  Reihe  nach  aufgestellt  sehen,  die  alle 
derselbe  Trieb  zum  Leben  erweckt  hat.  Die  übrige  Schar 
wird  offen  ihre  Titel  sehen  lassen  und  ihre  Namen  an  freier 
Stirn  tragen.  Drei  aber  wirst  du  abseits  im  dunklen  Winkel 
lehnen  sehen,  wenn  überhaupt.  Sie  lehren,  was  jeder  kennt, 
die  Liebe.«  Der  Dichter  denkt  an  an  seine  drei  Bücher 
Amores,  die  ihren  Titel  scheu  verbergen  müssen,  weil  sie  als 
unsittlich  verrufen  waren.  Und  nicht  minder  deutlich  ist 
Martials  bissige  Bemerkung  über  den  Reimschmied  Fiden- 
tinus,  der  eine  Seite  eigner  Poesie  in  Martials  Buch  einge- 
schmuggelt hat;  mit  einem  kaum  übersetzbaren  Wortspiele 
meint  er,  da  sei  weder  index  noch  iudex,  weder  Ansicht  noch 
Einsicht  nötig,  die  Seite  verrate  sich  selbst.  Schließlich  er- 
innere ich  noch  an  die  früheste  Erwähnung  des  Titels  in  einer 
Komödie  des  Alexis,  wo  der  Schüler  Herakles  die  Bücherreihe 
durchmustert:  »Orpheus  ist  da,  Hesiod,  Tragödie,  Epicharm, 
Homer«  usw.;  das  alles  erkennt  er  an -den  heraushängenden 
Titelstreifen.  Dieser  ist  vielleicht  die  älteste  Art,  den  Inhalt 
der  Buchrolle  kenntlich  zu  machen;  er  konnte  nur  eine  ganz 
kurze  Notiz  enthalten  und  auf  die  Länge  allein  nicht  genügen. 

15.    Ausstattung    der    Rolle.     Mit  der  Erwähnung 


Die  Buchrolle.  105 

des  Sillybos  haben  wir  eigentlich  die  Rolle  als  Schriftwerk 
schon  verlassen  und  uns  ihrer  äußerlichen  Ausstattung 
zugewendet.  Davon  wissen  wir  freilich  nur  wenig,  da  die  zu- 
verlässigsten Zeugen,  die  erhaltenen  Papyrusrollen,  so  gut 
wie  gar  nichts  auszusagen  vermögen.  Denn  der  Zufall,  der 
sie  auf  uns  gebracht  hat,  konnte  sie  doch  nicht  vor  der  Be- 
schädigung ihres  Äußeren  schützen.  Wir  sind  also  im  wesent- 
lichen auf  verstreute  Bemerkungen  alter  Schriftsteller  ange- 
wiesen, die  in  diesem  oder  jenem  Zusammenhange  gelegent- 
lich der  Buchrolle  gedenken,  natürlich  ohne  bis  ins  einzelne 
genau  zu  schildern,  was  ihren  Lesern  bekannt  war.  So  stoßen 
wir  mehrere  Male  auf  das  lateinische  Wort  frons,  die  Stirn; 
bald  scheint  die  Rolle  nur  eine  Stirn  zu  haben,  bald  hat  sie 
deren  zwei.  Wir  dürfen  nicht  etwa  in  einer  Ungenauigkeit 
des  bildlichen  Ausdrucks  einen  Ausweg  suchen.  Denn  Ovid 
wenigstens  hat  unverkennbar  beides,  frons  und  frontes, 
unterschieden  und  Verschiedenes  davon  ausgesagt.  Die  Ge- 
lehrten haben  eine  Deutung  auf  allerlei  Wegen  gesucht,  die  ich 
hier  nicht  im  einzelnen  schildern  kann.  Klar  scheint  vor 
allen  Dingen,  daß  die  Stirn  eine  Fläche  sein  muß.  Suchen 
wir  an  der  geschlossenen  Rolle  einen  Teil,  der  mit  Recht  als 
»Stirn«  bezeichnet  werden  konnte,  so  finden  wir  nur  ihre 
Außenfläche,  wir  können  auch  sagen,  ihre  beiden  Außen- 
flächen. Vielleicht  hat  Ovid  an  der  Stelle,  die  ich  zuvor  zur 
Erläuterung  des  Sillybos  herangezogen  habe,  mit  der  »freien 
Stirn«  eben  diese  Außenfläche  gemeint.  Dann  hätte  hier  der 
Titel  gestanden;  die  Stelle  war  dafür  wohl  geeignet  und  ent- 
spricht obenein  dem  Platze  der  Briefadresse,  die  man  auf  die 
Außenseite  des  gerollten  oder  gefalteten  Briefes  schrieb.  Es 
wäre  nur  natürlich,  wenn  man  bei  der  Buchrolle  dasselbe 
fände,  und  ein  Beispiel  für  den  Titel  auf  der  Außenseite  ist 
uns  ja  auch  begegnet.  Ein  frei  heraushängender  Sillybos 
wäre  damit  noch  nicht  überflüssig  geworden.  Im  Zusammen- 
hange mit  der  Stirn  erscheinen  die  »Hörner«  der  Rolle.  Diese 
cornua  sollen  sich  zwischen  den  »beiden  Stirnen«  befinden, 
aber  auch  an  »der  Stirn«  ihren  Platz  haben.  Wie  schon  die 
Überlegung,  ganz  deutlich  aber  die  abgebildete  Stele  von 
Thyateira  zeigen  kann,  gleicht  an  der  Rolle  einem  Hörne  nur 
das  herausragende  gebogene  Ende  des  Rollenstabes,  von  dem 
sogleich  die  Rede  sei  n  wird.  Ragte  er  an  beiden  Seiten  hervor, 
so  wurde  das  Bild  der  Hörner  vollständig,  damit  aber  auch 
das  Bild  der  Stirn,  oder  wenn  man  die  geschlossene  Rolle 
von  zwei  Seiten  betrachtete,  der  Stirnen.  Dem  Menschen 
des  Altertums  erschien  sie  als  Rinderstirn  mit  Hörnern  Diese 
wurden  gefärbt  und  hoben  sich  dadurch  von  der  hellen  Pa- 
pyrusfarbe ab,  die  ursprünglich  einem  weißlichen  Grau  nahe- 
kam.    Auch    heute   gibt  es  neben  dem  durch  Feuchtigkeit 


io6 


Zweites  Kapitel. 


^^^S 


und  Alter  gebräunten  Papyrus,  der  in  den  Funden  überwiegt, 
weißgelbe  Blätter.  Vielleicht  bleichte  man  ihn  auch  durch 
das  Tränken  mit    Cedrusöl,    wovon  öfter  die  Rede    ist;   es 

geschah  nicht  nur,  um  das 
Aussehen  zu  verbessern, 
sondern  auch,  um  Würmer 
und  Feuchtigkeit  zu  be- 
kämpfen. Wenigstens  er- 
scheint das  Cedrusöl  immer 
unter  den  Verschönerungs- 
mitteln; bisweilen  mag  man 
auch  die  Außenseite  gerade- 
zu weiß  gefärbt  haben.  Diese 
Außenfläche  der  Rolle  muß 
schon  damals,  als  der  Papy- 
rus noch  neu  war,  zum  Aus- 
fasern geneigt  haben,  denn 
die  Dichter  heben  es  immer 
als  ein  wesentliches  Erfor- 
dernis hervor,  daß  sie  mit 
Bimsstein  geglättet  wird; 
ein  wenig  rauh  und  runzlig 
blieb  der  Stoff  ja  immer. 
Darum  werden  die  »beiden 
Stirnen«  der  Rolle,  die  Ovids 
Klagelieder  aus  der  Ver- 
bannungenthält, nicht  mit 
Bimsstein  poliert;  struppig 
mit  seinen  vereinzelten 
Haaren  soll  das  Trauerbuch 
aussehen,  das  auf  alle  Schön- 
heitsmittelverzichtet. Gera- 
de dies  letzte  Bild  der  Haare, 
das  auch  Tibull  anwendet, 
paßt,  zu  der  Rinderstirn  so 
vollkommen,  daß  wohl  kein 
Zweifel  übrig  bleibt.  Stirn 
und  Stirnen  mit  Haaren  und 
Hörnern  leiten  alle  zu  der- 
selben Anschauung. 

Die  »Hörner«  haben 
uns  bereits  zum  Rollen- 
stabe geführt.  Um  ihn 
wickelte  man  die  Rolle,  so 
daß  er  als  fester  Kern  da- 
rin steckte;  beim  Lesen  zog 
Abb.  23.   Solle  mit  Stab  manihnheraus,  konnte  aber 


ffr^ 


a 


Die  Buchrolle.  107 

den  gelesenen  Teil  gleich  wieder  um  ihn  wickeln.  An  einer 
Seite,  gewöhnlich  aber  wohl  an  beiden,  ragte  der  Stab  aus 
der  Rolle  hervor,  und  diese  Endstücke  wurden  entweder 
zur  Gestalt  von  Hörnern  gebogen  oder  mit  Knöpfen  abge- 
schlossen; jenen  entsprach  der  Name  cornu,  diesen  um- 
bilicus.  Diese  Abschlüsse  erleichterten  das  Rollen,  da  sie  den 
Papyrus  hinderten,  schräg  über  den  Stab  hinaus  zu  gleiten. 
Sie  wurden  gefärbt,  bei  ganz  kostbaren  Büchern  mochten  die 
Knöpfe  sogar  aus  Gold  sein.  Wenn  man  auch  hin  und  wieder 
einen  Stab  am  Rollenende  anklebte,  ähnlich  wie  es  heute  bei 
Landkarten  für  die  Schule  geschieht,  so  war  doch  die  Regel, 
daß  der  Stab  lose  in  der  Rolle  steckte.  So  erfüllte  er  seinen 
Zweck  am  besten  und  konnte  dem  Leser  für  mehr  als  ein 
Buch  dienen,  so  ist  er  aber  auch  durchweg  verloren  gegangen. 
Keine  Papyrusrolle  ist  mit  dem  Stabe  auf  uns  gekommen, 
was  doch  ein  befremdHcher  Zufall  wäre,  wenn  er  wirklich  fest 
daran  gesessen  hätte.  Für  kleine  Papyrusrollen  oder  Blätter 
brauchte  man  wohl  nur  selten  einen  Stab;  verdickte  man 
den  Rand  durch  aufgeklebte  Papyrusstreifen,  so  gewann  man 
einen  genügend  haltbaren  Kern  fürs  Rollen.  Dagegen  mochte 
der  Stab  nützlich  sein,  wenn  man  mehrere  Akten  und  Briefe 
zur  Beförderung  in  eins  rollte.  Erst  in  später  Zeit  haben  die 
Alten  sich  gelegentlich  zweier  Stäbe  für  die  Rolle  bedient. 
Endlich  erhielt  die  Buchrolle  einen  Umschlag  aus 
Pergament,  der  meistens  purpurfarben  war.  Mit  einer 
passenden  Übertragung  konnte  man  ihn  paenula,  griechisch 
phainoles,  den  Reisemantel  des  Buches,  nennen.  Etwas  Ähn- 
liches hat  sich  in  Indien  bis  in  die  neueste  Zeit  gehalten:  die 
Bücher  aus  Palrnblättern  werden  in  einer  Hülle  aus  Bambus- 
rohr mit  einem  Überzug  aus  rotem  Stoff  aufbewahrt.  Ob  die 
roten  Riemen,  von  denen  Catull  spricht,  nur  den  Pergament- 
umschlag bezeichnen  sollen,  möchte  ich  bezweifeln,  da  jeden- 
falls auch  die  eingewickelte  Rolle  noch  durch  Bänder  irgend- 
welcher Art  zusammengehalten  worden  ist.  Brief-  und  Ur- 
kundenrollen, die  mit  Papyrusbändern  umwickelt  sind,  haben 
wir  noch  vor  Augen.  Von  allen  diesen  Verzierungen  und 
Sicherungen  der  Buchrolle  ist  nichts  erhalten  geblieben,  ab- 
gesehen von  wenigen  Rollenrändern  mit  aufgeklebten  Ver- 
stärkungsstreifen und  zwei  Exemplaren,  die  noch  den  Ansatz 
des  Pergaments  an  den  Papyrus  zeigen.  Das  eine  ist  ein  amt- 
liches Schreiben  des  römischen  Statthalters  Subatianus 
Aquila  vom  Jahre  209  n.  Chr.  in  der  Originalausfertigung: 
dem  Papyrusblatte  ist  ein  naturfarbener  Pergamentstreifen 
vorgeklebt,  der  es  im  gerollten  Zustande  außen  deckte. 
Außerdem  finden  wir  ihn  an  einer  ausgezeichnet  erhaltenen 
Papyrusrollc  des  größten  Formats,  von  etwa  6  m  Länge,  und 
sorgfältiger   Schönschrift.     Sie  enthält  den  Osterbrief  eines 


io8  Zweites  Kapitel. 

griechischen  Patriarchen  von  Alexandreia  aus  dem  Anfange 
des  8.  Jahrhunderts  und  ist  somit  ein  spätes  Beispiel  für  die 
Papyrusrolle.  Inhaltlich  gehört  sie  trotz  der  theologischen 
Erörterung,  die  den  größten  Raum  einnimmt,  zu  den  Ur- 
kunden, denn  ihr  eigentlicher  Zweck  ist,  für  das  betreffende 
Jahr  den  Tag  des  Osterfestes  sowie  die  vorangehenden  und 
nachfolgenden  Fastenzeiten  bekannt  zu  machen.  Auch  sie 
ist  eine  Originalausfertigung,  diesmal  aus  der  Kanzlei  des 
Patriarchen  und  deshalb  in  der  Ausstattung  so  vornehm,  daß 
sie  mit  vollem  Recht  als  Beispiel  einer  schönen  Buchrolle 
betrachtet  werden  darf.  Der  kleine  Pergamentfetzen,  der 
sich  am  Anfang  erhalten  hat,  ist  der  Rest  der  vorgeklebten 
Pergamenthülle.  Vom  Rollenstabe  findet  sich  keine  Spur, 
und  in  diesem  Falle  ist  es  sicher,  daß  er  nicht  angeklebt  war. 
Überhaupt  darf  man  bei  allem,  was  die  Schriftsteller  uns  vom 
Aussehen  der  Buchrolle  erzählen,  nicht  vergessen,  daß  ihre 
Beschreibung  in  der  Regel  für  Luxusausgaben  gilt,  auch  dann, 
wenn  es  der  Zusammenhang  nicht  von  selbst  ergibt.  Auch  die 
schönsten  erhaltenen  Stücke  geben  uns  vom  eigentlichen 
Luxusbuche  kaum  einen  Begriff,  wie  es  z.  B.  die  konstanti- 
nische Homerrolle  mit  Goldbuchstaben  war.  Die  große  Mehr- 
zahl der  Rollen  hat  gewiß  weit  bescheidener  ausgesehen,  mögen 
ihnen  nun  einige  der  angeführten  Zutaten  oder  alle  gefehlt 
haben.  Daher  liefern  die  Papyri  nicht  nur  infolge  äußerer 
Beschädigungen  fast  gar  keine  Belege  zu  den  antiken  Schilde- 
rungen, sondern  vor,  allem  weil  so  reich  verzierte  Exemplare 
ebenso  selten  waren  wie  heute  die  Prachtausgaben  unter  der 
Masse  der  gewöhnlichen  Bücher. 

Dagegen  fehlt  es  uns  nicht  gänzlich  an  Beispielen  illu- 
strierter Buchrollen,  so  daß  wir  uns  die  gelegentlichen 
Andeutungen  der  Alten  über  diesen  Punkt  anschaulich 
mächen  können.  Unter  anderem  sind  es  Werke  mathemati- 
schen Inhalts,  die  der  Zeichnungen  nicht  entbehren  konnten. 
Außer  ein  paar  Bruchstücken  aus  den  Schriften  des  Euklid 
steht  hier  wieder  der  Kommentar  zu  Piatons  Theätet  voran; 
zweimal  sind  darin  zur  Erläuterung  mathematische  Figuren 
innerhalb  des  Rahmens  der  Kolumne  eingetragen,  die  bis  auf 
einen  aus  freier  Hand  gezogenen  Halbkreis  mit  dem  Lineal 
ausgeführt  sind  (vgl.  Abb.  30) .  Ganz  roh  sehen  die  mathema- 
tischen Figuren  in  ein  paar  geometrischen  Aufgaben  auf  Papy- 
rus aus.  Auch  bei  astronomischen  Texten  ergab  sich  die  Not- 
wendigkeit der  Bilder,  und  die  lange  Rolle,  die  das  Werk  des 
Eudoxos  enthält,  ist  reich  damit  ausgestattet.  Aber  wie  ihre 
Schrift  und  die  ganze  Anordnung  der  Kolumnen  geringe 
Sorgfalt  verrät,  so  sehen  auch  die  Figuren  nachlässig  aus  und 
stehen  ungeschickt  bald  in  den  Kolumnen,  bald  zwischen 
ihnen;   die  Goldfarbe,  die  für  Sonne,  Mond  usw.  verwendet 


Die  Buchrolle.  109 

ist,  vermag  die  Mängel  der  Ordnung  nicht  zu  verhüllen.  Die 
Abbildung  kam  ganz  besonders  in  naturwissenschaftlichen 
Werken  zur  Geltung;  eine  freilich  geringe  Probe  berechtigt 
uns  immerhin,  viele  Abbildungen  späterer  Pergamentbücher 
auf  solche  Vorbilder  zurückzuführen.  Auch  das  Porträt  fand 
Eingang;  Varro  belebte  seine  Lebensbeschreibungen  be- 
rühmter Männer  mit  nicht  weniger  als  700  Abbildungen,  und 
das  Bild  des  Verfassers  scheint  in  gut  ausgestatteten  Buch- 
rollen nichts  Seltenes  gewesen  zu  sein.  Der  Kodex  hat  sich 
auch  darin  an  die  Rolle  angeschlossen.  Das  ägyptische  Toten- 
buch mit  seiner  Fülle  meist  bunter  Bilder  kommt  wohl  für 
die  griechische  Buchillustration  als  Vorbild  wenig  oder  gar 
nicht  in  Betracht,  kann  uns  aber  die  fast  ganz  fehlende  An- 
schauung einigermaßen  ersetzen.  Eher  mochten  schon  die 
sogenannten  satirischen  Papyri  der  Ägypter  mit  ihren  heite- 
ren, aber  auch  bissigen  Zeichnungen  eine  Anregung  geben. 
Sie  leiten  über  zum  eigentlichen  Bilderbuche,  worin  der  Text 
Nebensache  war  oder  verschwand.  Reste  solcher  besitzen 
wir  noch  in  einigen  farbigen  Blättern  aus  Vorlagebüchern 
später  Zeit  für  Web-  und  Stickarbeiten.  Der  Vergleich  mit 
koptischen  Stoffen  macht  Herku  nf  t  u  nd  Sinn  dieser  Bilder  ganz 
klar  (Abb.  31,  32).  Noch  weit  mehr  aber  hat  uns  Th.  Birt 
einen  Einblick  in  das  Bilderbuch  auf  der  Papyrusrolle  er- 
schlossen, indem  er  nachwies,  daß  die  Relief darstellungen, 
die  in  gewundenem  Bande  die  Trajanssäule  und  die  Markus- 
säule in  Rom  umgeben,  ein  monumentales  Abbild  der  Bilder- 
rolle sind.  Auch  die  Peutingersche  Tafel  geht  auf  eine  Land- 
karte in  Rollenform  zurück,  denn  nur  so  wird  die  eigentüm- 
liche Zeichnung  verständlich;  an  ihr  können  wir  ein  Bild 
gewinnen,  wie  etwa  ein  Atlas  im  Zeitalter  der  Buchrolle  aus- 
gesehen haben  mag. 

Was  ich  über  die  Einrichtung  und  Ausstattung  der 
Papyrusrolle  gesagt  habe,  gilt  ebenso  für  die  Pergament- 
rolle, die  uns  nur  durch  Überlieferung,  aber  nicht  durch 
Originale  bekannt  ist,  sofern  wir  nicht  die  Thorarollcn  als 
ihre  Nachkommen  ins  Auge  fassen.  Sie  ist  in  Ägypten  natur- 
gemäß weit  seltener  gewesen  als  anderswo,  fügt  sich  aber 
vollkommen  in  die  aus  der  Papyrusrollc  abgeleiteten  Regeln, 
wie  wir  sie  denn  auch  immer  herangezogen  haben. 

16.  Handhabung  der  Rolle.  Wir  dürfen  die  Buch- 
rolle nicht  verlassen,  ohne  zu  fragen,  wie  sie  benutzt  worden 
sei,  denn  ihre  eigentümliche  Gestalt  verlangte  eine  be- 
sondere Handhabung.  Freilich  ergibt  sie  sich  eigentlich 
von  selbst;  wer  sie  sich  vorstellen  will,  tut  am  besten,  ein 
großes  Blatt  Papier,  etwa  eine  Zeitung,  zu  rollen  und 
selbst  zu  versuchen,  wie  man  am  bequemsten  lesen  kann. 
Indessen  findet  doch  jeder  gern  das,  was  ihm  die  Erfahrung 


HO  Zweites  Kapitel. 

sagt,  durch  klare  Beispiele  bestätigt.  Wir  besitzen  aus  dem 
Altertum  so  zahlreiche  Reliefs  und  Statuen,  die  uns  den  Ge- 
bildeten, den  Dichter,  den  Gelehrten  mit  der  Rolle,  zumal 
darin  lesend,  vor  Augen  führen,  daß  Th.  Birt  ihnen  ein  be- 
sonderes, aufschlußreiches  Buch  widmen  konnte.  Der  Leser 
sitzt  und  hält  die  geöffnete  Rolle,  die  auf  seinen  Knieen  liegt, 
mit  beiden  Händen.  Vor  sich  hat  er  nicht  die  in  ganzer  Länge 
gelöste  Rolle,  sondern  der  Anfang  wie  das  Ende  ist  zusammen- 
gerollt und  wird  von  der  rechten  und  linken  Hand  festge- 
halten. Zwischen  diesen  beiden  gerollten  Teilen  liegt  in  der 
Mitte  nur  eine  kleine  offene  Fläche,  der  Teil,  der  gerade  gelesen 
wird,  d.  h.  eine  Schriftkolumne,  oder  wenn  sie  schmal  sind, 
höchstens  vier.  (Vgl.  Abb.  14. 35.)  So  stellt  sich  auch  eine  viele 
Meter  messende  Rolle  in  der  Hand  des  Lesers  als  ein  kleiner 
Gegenstand  dar,  der  nicht  größer  ist  als  ein  modernes  Buch. 
Beim  Fortschreiten  der  Lektüre  zieht  die  linke  Hand  die 
soeben  gelesene  Kolumne  an  und  rollt  sie  zusammen,  während 
die  rechte  Hand  den  in  ihr  liegenden  Zylinder  lockert  und 
eine  neue  Kolumne  nach  links  gleiten  läßt.  ZumÜberflusse 
sagen  es  noch  einige  Schriftsteller  ausdrücklich:  »er  hielt 
das  Buch  in  den  Händen,  das  zu  zwei  (Zylindern)  zusammen- 
gerollt war,  und  so  wollte  er  einen  Teil  erst  lesen,  den  andern 
hatte  er  schon  gelesen«  heißt  es  bei  Lukian.  Ein  Versuch 
mit  einer  wohl  erhaltenen  Papyrusrolle  hat  gezeigt,  daß  man 
auf  diese  Weise  gut  lesen  und  die  Rolle  handhaben  kann, 
zumal  da  sie  sehr  leicht  ist.  War  der  Leser  am  Ende  angelangt, 
so  hielt  er  sie  als  geschlossene  Rolle  in  der  linken  Hand,  wobei 
nun  das  Ende  sich  außen,  derAnfangsichinnen  befand.  Das  war 
freilich  ein  entschiedener  Nachteil  dieser  Buchform,  denn  um 
die  Rolle  wieder  für  das  nächste  Mal  benutzbar  zu  machen, 
mußte  der  Lesende  sie  von  neuem  so  rollen,  daß  der  Schluß 
nach  innen  kam.  Es  mag  ihm  manchmal  langweilig  geworden 
sein,  und  wie  wir  wohl  ein  Buch  aufgeschlagen  liegen  lassen, 
so  mochte  er  auch  die  gelesene  und  verkehrt  gewickelte  Rolle, 
wie  sie  war,  in  den  Bücherbehälter  stecken.  Jedenfalls  hat 
der,  welcher  zuletzt  den  Theätetpapyrus  las,  es  so  gemacht, 
denn  als  die  Rolle  im  Berliner  Museum  eintraf,  befand  sich 
der  Anfang  im  Inneren.  Hatte  man  einen  Tisch  oder  das 
beliebte  Lesepult  vor  sich,  so  legte  man  die  Rolle  darauf, 
und  ein  unachtsamer  Leser  konnte  den  schon  gelesenen  Teil 
einfach  herunterfallen  lassen,  ohne  ihn  mit  der  linken  Hand 
zusammenzufassen,  allerdings  zum  Schaden  der  Rolle,  die 
dadurch  leicht  Risse  bekam.  Überhaupt  war  das  häufige 
Rollen  ihr  nachteilig,  und  viel  gelesene  Rollen  werden  rasch 
verbraucht  worden  sein.  Wer  die  gelesene  Rolle  wieder  im 
richtigen  Sinne  wickeln  wollte,  drückte  das  Ende  unters  Kinn, 
wobei  sie  natürlich  herunterfiel,  und  rollte  sie  so  zusammen. 


Die  Buchrolle.  HI 

Das  meint  wohl  Martial,  wenn  er  von  dem  Papyrus  spricht, 
»der  vom  rauhen  Kinn  gerieben  nicht  zusammenschauert«. 
Dies  alles  gilt  zunächst  vom  griechischen  und  römischen 
Leser;  der  Ägypter  verfuhr  im  wesentlichen  ebenso,  rollte 
aber  von  links  nach  rechts,  da  seine  Schrift  in  dieser  Richtung 
lief.  Beim  Schreiben  pflegte  er  die  Rolle  hockend  auf  die 
Oberschenkel  zu  legen,  ohne  sich  einer  festen  Unterlage  zu 
bedienen. 

Was  ich  über  die  Buchrolle  zusammengestellt  habe,  ist 
im  wesentlichen  eine  Beschreibung  ihrer  Merkmale,  ohne 
daß  es  möglich  gewesen  wäre,  ihre  Entwicklung  zu  verfolgen. 
Denn  das  wenige,  was  wir  von  den  ältesten  Buchrollen 
griechischer  Herkunft  und  von  dem  Einflüsse  der  alexan- 
drinischen  Neuerungen  wissen,  gibt  uns  noch  nicht  das  Recht, 
von  einer  Geschichte  der  Rolle  zu  reden.  Spätestens  mit  dem 

6.  Jahrhundert  v.  Chr.  aus  Ägypten  übernommen,  beherrscht 
sie  bei  Griechen  und  Römern  das  Buchwesen  eines  Jahr- 
tausends und  hat  darüber  hinaus  sich  noch  Jahrhunderte  lang 
im  Gebrauch  erhalten,  als  der  Kodex  neben  ihr  sich  ein- 
bürgerte und  sie  nach  und  nach  verdrängte.    Noch  im  6.  und 

7.  Jahrhundert  n.  Chr.  hat  sie  ihre  Vertreter,  und  der  oben 
besprochene  Osterbrief,  der  im  Anfange  des  8.  Jahrhunderts 
geschrieben  worden  ist,  beweist  durch  seine  Ausstattung,  daß 
die  Buchrolle  keineswegs  ihre  Schönheit  und  Brauchbarkeit 
verloren  hatte.  Pergamentrollen  leben  im  Mittelalter  fort, 
und  die  Thorarolle  hat  es  überdauert,  ebenso  die  Urkunden- 
rolle. Ihre  Gestalt  sehen  wir  noch  heute  in  manchen  Doku- 
menten, z.  B.  in  unseren  Doktordiplomen,  die  unmittelbare 
Abkömmlinge  derUrkundenform  byzantinischer  Zeit  sind.  Es 
scheint  aber,  daß  die  Buchrolle  doch  im  großenund  ganzen  mit 
ihrem  gebräuchlichsten  Stoffe,  dem  Papyrus,  stand  und  fiel; 
als  die  Papyrusfabrikation  dem  arabischen  Papier,  denn 
dieses,  nicht  das  Pergament,  hat  sie  abgelöst,  weichen  mußte, 
als  der  Papyrus  selbst  ausstarb,  ist  auch  die  Buchrolle  aus 
dem  Gebrauche  verschwunden. 


DRITTES  KAPITEL. 

DER  KODEX. 

Noch  vor  wenigen  Jahrzehnten  standen  der  Wissenschaft 
griechische  und  lateinische  Bücher  in  Form  von  Pa- 
pyrusrollen nicht  zu  Gebote.  Denn  erst  im  Laufe  des  19.  Jahr- 
hunderts sind  literarische  Papyrustexte  aus  dem  Schutte 
ägyptischer  Ortschaften  oder  aus  ihren  Friedhöfen  in  größerer 
Anzahl  zutage  gekommen.  Erst  diese  Funde  haben  uns  das 
Buch  des  Altertums  anschaulich  gemacht,  die  Vorgänger  der 
mittelalterlichen  Handschriften  gezeigt,  haben  die  literarische 
Überlieferung  sowie  die  Textgeschichte  hell  beleuchtet  und 
alle  wissenschaftlichen  Untersuchungen  hierüber  auf  feste 
Füße  gestellt.  Unsere  Kenntnis  der  hellenistischen  Literatur, 
von  Alexander  dem  Großen  bis  in  die  Kaiserzeit,  haben  sie 
wesentlich  erweitert  und  vertieft,  unser  Wissen  von  der  mehr 
volkstümlichen  Schriftstellerei  jener  Zeiten  und  von  ihrer 
Sprache  unschätzbar  vermehrt.  Endlich  verdanken  wir  ihnen 
eine  Fülle  vorher  unbekannter  Werke,  deren  Wert  nicht  nur 
der  Gelehrte,  sondern  jeder  gebildete  Freund  des  Altertums 
zu  schätzen  weiß;  ich  nenne  als  Beispiele  neue  Lieder  der 
Sappho,  Pindars  Päane,  die  Gedichte  des  Bakchylides,  die 
Spürhunde  des  Sophokles,  Menanders  Stücke,  den  Geschichts- 
schreiber von  Oxyrhynchos,  die  Reden  des  Hypereides,  des 
Aristoteles  Buch  von  der  athenischen  Verfassung  und  neue 
Aussprüche  Jesu.  Die  Papyrusfunde  haben  das  Bild  der 
alten  Literatur  außerordentlich  bereichert,  aber  sie  haben 
es  nicht  geschaffen.  Alle  die  großen  Werke,  die  auf 
die  geistige  Entwicklung  Europas  so  tief  eingewirkt 
haben,  waren  auch  vor  den  neuen  Entdeckungen  er- 
halten; Homer  und  Sophokles,  Thukydides  und  Piaton, 
Demosthenes  und  Aristoteles  waren  schon  seit  alters 
unser  geistiger  Besitz.  Denn  die  große  Masse  der  griechischen 
Literatur  ist  nicht  in  Buchrollen  auf  uns  gekommen, 
sondern  in  der  Form  des  Kodex,  also  in  derjenigen  Gestalt, 
die  im  Buchgewerbe  sich  bis  auf  den  heutigen  Tag  behauptet 


i 


Der  Kodex. 


113 


hat.  Ist  es  nun  auch  richtig,  daß  diese  Form  allmählich  die 
Rolle  verdrängt  hat  und  insofern  als  ihr  Nachfolger  gelten 
'larf,  so  wird  doch  ihr  Verhältnis  damit  noch  keineswegs  zu- 
treffend ausgedrückt.  Vielmehr  steht  der  Kodex  selbständig 
neben  der  Buchrolle  und  hat  eine  eigene  Entwicklung  durch- 
gemacht, die  von  der  Buchrolle  nur  zum  Teil  abhängt. 

I.  Entstehung  des  Kodex.  In  seiner  rohesten  Ge- 
stalt finden  wir  das,  was  wir  Heft  oder  Buch  zu  nennen  pflegen, 
schon  in  der  Verbindung  der  seit  alter  Zeit  gebräuchlichen 
Schreibtafeln,  namentlich  der  Wachstafeln.  Da  aber  eine 
größere  Anzahl  von  ihnen  einen  unhandlichen  Block  ergab, 
so  öffnete  sich  ein  weiterer  Spielraum  erst  dann,  als  man  einen 
weniger  dicken  und  schweren,  dafür  aber  biegsameren  Stoff 
zu  verwenden  begann.  Papyrus  und  Pergament  boten  beide 
diese  Möglichkeit;  man  konnte  ein  einzelnes  Blatt,  anstatt  es 
zu  rollen,  in  der  Mitte  brechen  und  zusammenklappen.  Dieser 
Versuch  ist  beim  Papyrusblatte  gemacht  worden,  wie  uns 
einige  Beispiele  lehren;  allein  es  ist  kein  Zufall,  daß  das  Per- 
gament zum  eigenthchen  Träger  der  Heftform  geworden  ist. 
Denn  dem,  was  man  brauchte,  entsprach  es  am  besten.  Hier 
konnte  man  die  Schrift  ebenso  leicht  löschen  wie  auf  der 
Wachsfläche,  und  obendrein  hob  sich  von  seiner  hellen  Farbe 
die  schwarze  Schrift  klarer  ab  als  die  eingeritzten  Züge  von 
dem  Wachsgrunde.  Der  Übergang  von  einem  gefalteten 
Blatte  zu  einer  Mehrzahl  in  einander  gelegter  Blätter  ergab 
das  Notizenheft  aus  Pergament  und  die  Form  des  Ko- 
dex. Es  scheint  mir  nicht  überflüssig,  ausdrücklich  zu  be- 
tonen, daß  diese  sich  erst  mit  dem*  stärkeren  Vordringen 
des  Pergaments  wirklich  ausbilden  konnte.  Mit  dem  Papyrus 
hat  der  Kodex  ursprünglich  kaum  etwas  zu  tun,  denn  dieser 
besitzt  von  Hause  aus  in  der  Rolle  seine  eigentümliche  Gestalt; 
auch  das  einzelne  Papyrusblatt,  das  als  Briefbogen,  als  Ur- 
kunde oder  Geschäftspapicr  benutzt  wurde,  war  dazu  be- 
stimmt, zusammengerollt  zu  werden.  Ich  werde  später  noch 
auf  den  Kodex  aus  Papyrus  eingehen;  hier  soll  nur  gesagt 
werden,  daß  nicht  er,  sondern  der  Pergamentkodex  am  Ein- 
gange dieser  neuen  Buchform  steht.  Merkwürdiger  Weise 
gibt  es  dafür  keinen  griechischen  Namen,  der  als  technischer 
Ausdruck  wie  codex  gelten  könnte.  Sollte  die  Erfindung 
auf  lateinischem  Sprachgebiete  gemacht  worden  sein.?  Daß 
wir  fast  nur  von  lateinischen  Schriftstellern  darüber  hören, 
kann  ein  Zufall  sein. 

Es  wird  wohl  immer  dunkel  bleiben,  wann  das  Notizen- 
heft aus  Pergament  zu  einem  für  zusammenhängende  Auf- 
zeichnungen geeigneten  Umfange  und  damit  zu  einer  neuen 
Buchform   aufgestiegen   ist.     Ungefähr    von    Ciceros    Zeit 
II    besitzen    wir     eine     Reihe    von    Zeugnissen    für    den 

S  c  h  u  b  a  r  t ,  Das  Buch.     2.  Aufl.  3 


114  Drittes  Kapitel. 

Kodex,  die  wir  ohne  Übertreibung  vollständig  nennen 
dürfen,  eine  Reihe,  die  bis  zu  den  ältesten  erhaltenen 
Exemplaren  hinüber  reicht.  Als  im  Jahre  52  v.  Chr. 
Publius  Clodius  auf  offner  Landstraße  von  der  Bande  seines 
Gegners  Milo  ermordet  wurde,  brachte  der  leidenschaftlich 
erregte  römische  Pöbel  seine  Leiche  in  die  Kurie,  das  Amts- 
haus des  Senats,  und  schichtete  ihm  einen  Scheiterhaufen 
aus  Tischen  und  Stühlen  und  den  Codices  librariorum;  bei 
diesem  revolutionären  Leichenbegängnisse  ging  die  Kurie 
in  Flammen  auf.  Librarius  bedeutet  in  vielen  Fällen  den 
Buchhändler,  und  wenn  das  auch  hier  gelten  sollte,  so  hätte 
der  Kodex  damals  schon  im  Buchhandel  eine  Rolle  gespielt. 
Allein  in  der  Kurie,  der  die  Volksmenge  das  erste  beste  Brenn- 
holz entnahm,  wird  es  schwerlich  einen  Buchladen  gegeben 
haben;  vielmehr  mögen  es  die  Aktenbände  der  Senats- 
schreiber gewesen  sein,  die  ja  unmittelbar  zur  Hand  lagen. 
Wir  sehen  also  den  Kodex  für  Aktensammlungen  verwen- 
det; dafür  eignete  er  sich  besonders,  weil  er  die  Möglich- 
keit bot,  einzelne  Aktenstücke  da,  wo  sie  hingehörten,  in  den 
Aktenband  einzuheften.  Die  Aktenrolle  gestattete  nur,  Blatt 
an  Blatt  anzukleben;  wollte  man  eine  einzelne  Urkunde 
mitten  hineinfügen,  so  mußte  man  sie  zerschneiden.  Überdies 
war  es  im  Kodex  viel  leichter,  etwas  aufzufinden,  denn  obgleich 
in  der  Aktenrolle  alle  einzelnen  Stücke  numeriert  waren, 
machte  es  doch  Umstände,  ein  bestimmtes  Schriftstück  auf- 
zusuchen. Man  kann  sich  demnach  vorstellen,  daß  gerade 
die  Behörden  ebenso  wie  der  Geschäftsmann  am  frühesten 
den  Vorteil  der  Kodexform  erkannt  und  sich  zunutze  gemacht 
haben. 

Sehr  zweifelhaft  ist  es  dagegen,  ob  es  in  Ciceros  Tagen 
schon  literarische  Werke  in  der  neuen  Buchform  gegeben 
hat.  Ich  lasse  die  Miniaturausgabe  der  Ilias  auf  Pergament, 
die  in  einer  Nußschale  Platz  fand,  beiseite;  Cicero  soll  davon 
gesprochen  haben,  aber  eine  solche  Spielerei,  die  an  sich 
kaum  glaublich  ist,  könnte  eher  auf  einem  gerollten  Per- 
gamentstreifen als  in  einem  winzigen  Kodex  gelungen  sein 
und  verdient  keine  Beachtung.  Wesentlich  wurde  ohne 
Zweifel  die  Ersparnis  an  Stoff  und  Raum,  die  der  Kodex  mit 
sich  brachte,  da  seine  Blätter  auf  beiden  Seiten  beschrieben 
werden  konnten.  Wer  in  jener  viel  lesenden  Zeit  etwas  zum 
Lesen  bei  sich  tragen  oder  auf  die  Reise  mitnehmen  wollte, 
konnte  sich  natürlich  nicht  mit  Rollen  belasten,  die  viel  Platz 
einnahmen  und  leicht  beschädigt  wurden;  der  Kodex  aus 
Pergament  bot  bei  geringem  Umfange  mehr  Inhalt.  Der 
Epigrammdichter  Martial,  der  aus  Rücksicht  auf  seine  Kasse 
alles  tat,  um  seinen  Gedichten  weite  Verbreitung  zu  sichern, 
ließ  deshalb  neben  der  Ausgabe  in  Rollenform  eine  kleine  viel- 


Der  Kodex.  II5 

leicht  in  Gestalt  des  Pergamentkodex,  erscheinen  und  empfahl 
sie  besonders  für  die  Reise:  »wenn  du  meine  Büchlein  immer 
bei  dir  tragen  und  Begleiter  für  die  lange  Reise  haben  willst, 
so  kaufe  die,  welche  das  Pergament  auf  kleinen  Seiten  zu- 
sammendrängt; die  Büchergestelle  laß  den  großen  (Rollen?), 
mich  kann  eine  Hand  umspannen.«  Er  tat  damit  nichts 
Ungewöhnliches,  denn  man  hatte  damals  schon  die  bekannte- 
sten Schriftsteller  in  solchen  kleinen  Kodexausgaben.  Mögen 
auch  diese  Pergamentbücher  Vorgänger  gehabt  haben,  die 
vielleicht  bis  in  die  Zeit  des  Augustus  zurückreichten,  so  be- 
treten wir  doch  erst  mit  dem  Ausgange  des  i.  Jahrhunderts 
der  Kaiserzeit  sicheren  Boden.  Martial  ist  es,  dem  wir  den 
Aufschluß  darüber  verdanken.  In  einem  seiner  Gedichte 
erzählt  er  von  den  Neujahrsgeschenken,  die  man  sich  in  Rom 
zu  machen  pflegte.  Um  jedem  etwas  zu  sagen,  richtet  er  seine 
Ratschläge  nach  den  Geldverhältnissen  der  Schenker  ein  und 
stellt  immer  ein  kostbares  Geschenk  neben  eines  von  gerin- 
gerem Werte.  Unter  den  tausend  Dingen,  die  man  schenken 
kann,  erscheinen  auch  Bücher,  z.  T.  Rollen,  z.  T.  Codices. 
Die  Gegenüberstellung  ergibt,  daß  durchweg  der  Kodex  aus 
Pergament  als  die  bescheidene  Gabe  im  Vergleich  zu  der 
kostbaren  Rolle  gilt,  wie  das  ja  die  stärkere  Ausnutzung  der 
Schreibfläche  leicht  begreiflich  macht.  »Auf  kleinen  Leder- 
blättern drängt  sich  der  gewaltige  Livius  zusammen,  dessen 
ganzen  Umfang  meine  Bibliothek  nicht  fassen  kann«,  nämlich 
150  Bücher  in  Rollenformat,  wenn  nicht  hier  nur  von  einem 
Auszuge  die  Rede  ist.  Da  finden  wir  denn  Homer,  Vergil 
und  Ovid,  Cicero  und  Livius  in  bescheidenen  Codices, 
also  die  am  meisten  gelesenen  griechischen  und  römischen 
Schriftsteller,  die  Bücher  der  Schule.  Billigkeit  und  Be- 
quemlichkeit haben  zu  solchen  Ausgaben  geführt,  die 
man  etwa  mit  unseren  Reclamausgaben  der  Klassiker 
vergleichen  darf.  Das  Pugillare,  d.  h.  Handbuch,  brauchte 
indessen  einer  gewissen  Eleganz  nicht  zu  entbehren,  die 
Vergilausgabe,  von  der  Martial  spricht,  trug  sogar  auf 
der  ersten  Seite  das  Bild  des  Dichters.  Kurz,  in  dieser  Zeit 
hat  der  Kodex  schon  eine  erhebliche  Bedeutung  für  die 
Literatur  gewonnen  und  neben  der  Rolle  zwar  noch  lange 
nicht  das  gleiche  Recht,  aber  doch  einen  Platz  errungen. 
Will  man  einen  Übergang  von  dem  Aktenbande  aus  dem 
Rom  Ciceros  zu  dem  Literaturbuche  bei  Martial  suchen,  so 
bietet  ihn  vielleicht  die  juristische  Literatur.  Von  dem 
Juristen  Neratius  Priscus  werden  sieben  Bücher  »membranae« 
erwähnt.  Das  kann  nicht  wohl  der  Titel,  sondern  nur  eine 
volkstümliche  Bezeichnung  sein;  der  Name  »Membrane« 
(Pergamente)  mag  sich  eingebürgert  haben,  weil  dieses  Werk 
von  vorn  herein  als  Kodex  erschien,  nicht  wie  die  eigentliche 

8* 


Ii6  Dnttes  Kapitel. 

Literatur  zunächst  in  Rollenform,  Bei  juristischen  Arbeiten, 
die  für  den  täglichen  Gebrauch  des  Richters  und  des  Anwalts, 
nicht  für  die  Bücherleser  im  allgemeinen,  bestimmt  waren, 
fiel  die  Rücksicht  auf  vornehmes  Aussehen  am  leichtesten 
fort;  das  Zweckmäßige  und  das  Billige  kamen  hier  allein  in 
Betracht.  Wie  rasch  der  Kodex  ein  Bürgerrecht  im  literari- 
schen Betriebe  erlangte,  bestätigen  die  Ausführungen  römi- 
scher Juristen.  Der  Fall,  daß  der  Erblasser  seine  Bücher 
testamentarisch  vermacht,  veranlaßt  sie  festzustellen,  was 
denn  als  Buch  im  juristischen  Sinne  zu  betrachten  sei.  Cassius 
Longinus  im  ersten  Jahrhundert  der  Kaiserzeit  erklärt  un- 
bedenklich auch  die  membranae  für  Bücher;  er  wird  dabei 
nicht  an  Notizhefte  und  Zettel  gedacht  haben,  vielmehr  an 
wirkliche  Bücher,  vielleicht  besonders  an  Werke  wie  die  des 
Neratius  Priscus.  Jedenfalls  hatte  die  Frage,  ob  der  Kodex 
ein  Buch  sei,  schon  zu  seiner  Zeit  eine  wirkliche  Bedeutung. 
Sein  großer  Fachgenosse  Ulpian  im  3.  Jahrhundert  findet 
sein  Urteil  freilich  etwas  anfechtbar.  Nach  ihm  gehören  zu 
den  Büchern  unzweifelhaft  alle  Rollen,  mögen  sie  aus  Papyrus 
oder  aus  anderem  Stoffe  sein.  Ob  aber  auch  die  Codices  dazu 
gerechnet  werden  dürfen,  müsse  man  erst  untersuchen;  er 
entscheidet,  daß  auch  alles  übrige,  also  was  nicht  Rolle  sei, 
zu  den  Büchern  gehöre,  wenn  das  Testament  nicht  ausdrück- 
lich anders  bestimme.  Demnach  ist  für  Ulpian  streng  genommen 
nur  die  Rolle  ein  Buch;  sie  behauptet  auch  zu  seiner  Zeit  noch 
den  Vorrang  nicht  nur  anWert,  sondern  auch  anVerbreitung. 
Wenn  er  etwas  widerstrebend  sich  dazu  bequemt,  auch  den 
Kodex  als  Buch  gelten  zu  lassen,  so  sehen  wir  diesen  noch 
imAufsteigenbegriffen,  wohl  gemerkt,  den  Kodex  alsBuchform 
für  einenliterarischen  Inhalt.  Auch  der  Jurist  PauUus,  der  etwas 
später  als  Ulpian  schrieb,  rechtfertigt  es  ausdrücklich,  weshalb 
er  den  Kodex  als  Buch  betrachte:  ein  Buch  sei  nicht  eine 
Papyrusrolle,  sondern  ein  in  sich  geschlossenes  Schriftwerk. 
Die  Zeit,  wo  der  Kodex  die  Rolle  verdrängt,  ist  noch  nicht 
gekommen,  aber  als  billige  und  bequeme  Ausgabe  zweiten 
Ranges  ist  er  schon  wichtig  geworden;  er  mag  das  Buch  des 
unbemittelten  Literaturfreundes,  des  armen  Studenten  ge- 
wesen sein,  während  der  reiche  Büchersammler  und  die 
Büchereien,  mit  ihnen  aber  auch  der  Buchhandel,  überwiegend 
an  der  Rolle  festhielten.  Diesen  Unterschied  im  Range  und 
im  Werte  bestimmt  augenscheinlich  die  Raum  sparende  Form 
und  höchstens  in  zweiter  Linie  das  Preisverhältnis  des  Pa- 
pyrus und  des  Pergaments.  Trotz  manchen  Andeutungen 
können  wir  über  den  Wert  der  beiden  Stoffe  in  der  ersten 
Kaiserzeit  nicht  urteilen.  Papyrus  war  teuer:  »man  darf  es 
nicht  für  ein  geringes  Geschenk  achten«,  sagt  Martial,  »wenn 
der  Dichter  leere  Papyrusblätter  schenkt«;  setzt  man  für  eine 


Der  Kodex.  117 

Papyrusrolle  und  für  einen  Pergamentkodex  bei  gleichem  In- 
halt eine  gleiche  Ausstattung  voraus,  so  könnte  der  Preis  beider 
nur  dann  gleich  sein,  wenn  Pergament  doppelt  so  viel  kostete 
als  Papyrus,  denn  die  Blätter  des  Kodex  sind  auf  beiden 
Seiten  beschrieben,  die  Rolle  dagegen  nur  auf  einer.  Diese 
Annahme  ist  aber  unwahrscheinlich  und  kommt  nicht 
ernstlich  in  Betracht;  selbst  wenn  Pergament  damals  etwas 
teurer  als  Papyrus  gewesen  wäre,  hätte  der  Kodex  immer 
noch  hinter  der  Rolle  an  Wert  zurückbleiben  müssen. 

2.  Die  Funde.  Während  die  Papyrusrolle  erst  in  neuerer 
Zeit  durch  eine  Reihe  glücklicher  Funde  uns  anschaulich  ge- 
worden ist,  kannte  man  seit  langem  Bücher  in  der  Gestalt 
des  Kodex,  die  freilich  nur  bis  ins  6.  oder  5.Jahrhundertn.  Chr. 
hinauf  reichten.  Was  wir  den  jüngsten  Forschungen  auf 
ägyptischem  Boden  verdanken,  ist  neben  einem  Zuwachs 
an  Codices  des  frühen  Mittelalters  vor  allem  die  Bekanntschaft 
mit  älteren  Büchern  dieser  Form.  Wir  haben  jetzt  Kodex- 
blätter, Pergament  wie  Papyrus,  die  man  aus  verschiedenen 
Gründen  etwa  dem  dritten  Jahrhundert  zuweisen  darf,  und 
einige  dürften  allem  Anschein  nach  sogar  ins  zweite  Jahr- 
hundert unserer  Zeitrechnung  gehören.  Nach  dem,  was  wir 
zuvor  aus  den  Zeugnissen  der  Alten  selbst  gelernt  haben,  ist 
daran  nichts  auffällig;  trotzdem  haben  die  Gelehrten  lange 
Bedenken  getragen,  solche  Blätter  über  das  vierte  Jahr- 
hundert hinaufzurücken,  weil  es  als  eine  Art  von  Grundsatz 
galt,  ein  Kodex  könne  nicht  älter  sein.  Diese  Vorsicht  in  der 
Datierung  hat  dazu  geführt,  die  Bücher  in  Kodexform  eher 
zu  spät  als  zu  früh  anzusetzen;  eine  umfassende  Vergleichung 
des  Materials  würde  in  dieser  Beziehung  vielleicht  manches 
überraschende  Ergebnis  bringen.  Zu  den  frühesten  erhaltenen 
Bruchstücken  gehört  ein  Pergamentblatt  aus  den  sonst  nicht 
bekannten  »Kretern«  des  Euripides,  wohl  noch  aus  dem 
2.  Jahrhundert  n.  Chr.  Fände  man  diese  Schriftzüge  auf 
einer  Papyrusrolle,  so  würde  schwerlich  jemand  an  einer 
solchen  Datierung  Anstoß  nehmen,  und  im  Hinblick  auf 
die  klaren  Beweise  für  den  Gebrauch  des  Kodex  im  ersten 
Jahrhundert  der  Kaiserzeit  darf  man  getrost  jedes  Bedenken 
oder  richtiger  Vorurteil  fallen  lassen.  Vielleicht  gilt  dasselbe 
noch  für  ein  paar  andere  Bruchstücke,  deren  eines  lateinisch 
ist.  Es  verdient  ganz  besondere  Beachtung,  daß  auch  in 
Ägypten,  dem  Lande  des  Papyrus,  der  Kodex  so  früh  Eingang 
gefunden  hat.  Wenn  bisher  aus  dieser  Zeit  und  aus  den  folgen- 
den i(X)  Jahren  noch  nicht  gar  so  viel  Kodexblätter  hier 
ans  Licht  gekommen  sind,  so  mag  freilich  der  Zufall  seinen 
Anteil  daran  haben;  vor  allem  aber  bietet  ihre  Herkunft  die 
Erklärung.  In  den  andern  Ländern  griechischer  Kultur  ver- 
breitetesich  die  neue  Buchform  sicherlich  stärker  und  rascher ; 


ii8 


Drittes  Kapitel. 


daß  sogar  Ägypten  sich  ihr  erschlossen  hat,  darf  man  geradezu 
als  einen  Beweis  für  ihr  kräftiges  Vordringen  ansehen.  Jene 
ältesten  Codices   geben  uns  zum  mindesten  das  Recht,  die 


f: 


P 


Abb.  24.    Seite  aus  einem  Pergamentbuche :  Euripides,  Kreter. 


Äußerungen  der  Schriftsteller  über  den  Kodex  im  Rom  des 
ersten  Jahrhunderts  in  ihrem  ganzen  Umfange  ernst  zu 
nehmen. 

Gerade   die  frühesten  Exemplare  sind    auf  Pergament 
creschrieben    und   scheinen  zunächst  unsere  Annahme  über 


Der  Kodex.  hq 

die  Entstehung  der  Kodexform  zu  bestätigen.  Allein  allzu 
viel  Gewicht  wird  man  nicht  darauf  legen,  denn  der  Zeit  nach 
folgen  sofort  einige  Papyruscodices,  Handschriften  der  Genesis 
und  der  Evangelien  nach  Matthäus  und  Johannes,  was  man 
aus  Ägypten  erwarten  konnte.  Und  im  Anfange  des  dritten 
Jahrhunderts  spricht  schon  der  Römer  Ulpian  davon.  Wenn 
irgend  ein  Land,  so  mußte  Ägypten  geneigt  sein,  das  alte 
Rollenmaterial  der  neuen  Form  anzupassen.  Daher  dürfen 
wir  das  Pergament  der  Kreterhandschrift  ruhig  für  einen 
Zufall  halten.  Etwa  vom  dritten  Jahrhundert  an,  wo  Kodex- 
blätter häufiger  auftreten,  halten  sich  Pergament  und  Pa- 
pyrus ungefähr  die  Wage.  Erst  das  vierte  und  fünfte  Jahr- 
hundert bringen  dem  Papyruskodex  ein  entschiedenes  Über- 
gewicht unter  den  ägyptischen  Funden,  das  aber  zu  Schlüssen 
auf  andere  Länder  und  auf  das  ganze  griechisch-römische 
Kulturgebiet  nicht  berechtigt.  Und  da  auch  hier  eine  ganz 
beträchtliche  Menge  von  Fergamenthandschriften  den  Pa- 
pyrusblättern an  die  Seite  tritt,  so  beweist  der  Vergleich  nur, 
wie  sehr  im  allgemeinen  der  Pergamentkodex  den  Vorrang 
behauptet.  Überall,  wo  der  Papyrus  nicht  so  wohlfeil  und 
nicht  so  leicht  erreichbar  war  —  wir  haben  gesehen,  daß  es 
außerhalb  Ägyptens  mehr  als  einmal  daran  mangelte  — 
ergab  sich  das  Pergament  von  selbst.  In  Ägypten  aber  hat 
man  schon  sehr  früh  die  bequeme  neue  Buchform  in  Nach- 
ahmung des  am  Pergament  ausgebildeten  Beispiels  auf  den 
einheimischen  Beschreibstoff  übertragen.  Dabei  blieb  indessen 
die  Form  der  Rolle,  die  dem  Papyrus  von  Hause  aus  eigen- 
tümlich war,  in  ihrer  Herrschaft  unberührt,  ja  hier  gewiß 
länger  als  anderswo.  Wenn  sie  selbst  in  Rom  im  dritten 
Jahrhundert  noch  als  das  eigentliche  Buch  angesehen  werden 
konnte,  so  muß  diese  Anschauung  damals  in  Ägypten  weit 
mehr  gegolten  haben.  Kurz,  für  den  Fortschritt  der  Kodex- 
form ist  Ägypten  nicht  maßgebend,  sondern  folgt  wahr- 
scheinlich der  allgemeinen  Entwicklung  in  ein  m  gewissen 
Abstände. 

3.  Der  Kodex  und  die  Heiligen  Schriften.  Die 
Billigkeit  und  der  niedrige  Rang,  die  dem  Kodex  in  seinen 
Anfängen,  als  Schulbuch  und  als  Rechtshandbuch,  eigen- 
tümlich sind,  haben  ihm  bald  eine  besondere  Bedeutung  auf 
einem  bestimmten  Felde  der  Literatur  verschafft,  nämlich 
innerhalb  der  christlichen  Schrif  tstellerei.  Waren  wir 
'lort  auf  Vermutungen  angewiesen,  so  stehen  wir  hier  auf  viel 
usterem  Grunde.  Schon  bevor  die  Funde  der  letzten  Jahre 
ein  genaueres  Urteil  ermöglichten,  ist  der  Gedanke  aufge- 
taucht, das  Alte  wie  das  Neue  Testament  sei  seit  dem  Beginn 
der  christlichen  Gemeinden  in  der  Form  der  Codices  verbreitet 
worden.    Beweise  dafür  lassen  sich  freilich  nicht  anführen, 


I20  Drittes  Kapitel. 

denn  ob  die  schon  genannten  Membranen  des  Apostels  Paulus 
wirkliche  Pergamentbücher  waren,  ist  mehr  als  zweifelhaft;  in- 
dessen fehlt  es  nicht  an  Gründen  allgemeiner  Art.  Die  ersten 
Christengemeindenbestanden  fast  ausschUeßlich  aus  geringen 
Leuten  von  geringem  Vermögen  und  geringer  Bildung.  Ein 
Buch,  genau  gesagt  eine  Buchrolle,  wird  in  ihren  Kreisen 
eine  Seltenheit  gewesen  sein;  soweit  es  Judenchristen  waren, 
besaß  wohl  die  Gemeinde,  aber  schwerlich  der  einzelne  eine 
Thorarolle.  Wenn  sie  daran  gingen,  die  Schriften  ihrer  Stifter 
und  Lehrer  zu  verbreiten,  so  werden  sie  die  billigste  Art  jeder 
andern  vorgezogen  haben.  Der  Kodex  aber  war  damals  das 
Buch  der  kleinen  Leute.  Die  neuen  Entdeckungen  auf  ägypti- 
schem Boden  ändern  freilich  das  Bild  einigermaßen.  Denn 
es  gibt  eine  Reihe  früher  christlicher  Handschriften  in  Rollen- 
form: besonders  die  berühmte  Sammlung  von  Aussprüchen 
Jesu,  die  Logia  Jesu,  beweist,  wenn  es  eines  Beweises  bedarf, 
daß  auch  die  Rolle  ein  Träger  christlicher  Überlieferung  ge- 
wesen ist.  Noch  im  vierten  Jahrhundert  hat  man  sowohl 
die  Psalmen  als  auch  den  Hebräerbrief  in  Rollenform  nieder- 
geschrieben. Stellt  man  aber  diese  christlichen  Texte  den 
Buchrollen  weltlichen  Inhalts  gegenüber,  so  bilden  sie  einen 
sehr  kleinen  Teil,  so  klein,  daß  man  an  den  reinen  Zufall  nicht 
recht  zu  glauben  vermag.  Unter  den  Codices  dagegen  und 
gerade  unter  den  ältesten  bis  ins  vierte  Jahrhundert  hinein 
sind  sie  mit  einer  verhältnismäßig  großen  Zahl  vertreten. 
Berücksichtigt  man  nun  die  selbständige  Stellung  Ägyptens 
im  Buchwesen,  so  darf  man  mit  Recht  folgern,  daß  christliche 
Papyrusrollen  auf  diesem  Boden  noch  nicht  ohne  weiteres 
ihr  Vorhandensein  in  andern  Ländern  beweisen,  während 
umgekehrt  der  hohe  Prozentsatz  der  Codices  eine  noch  weitere 
Verbreitung  außerhalb  Ägyptens  vermuten  läßt. 
'-2!  Dazu  kommt  der  eigentümliche  Ursprung  der  christlichen 
Literatur.  Die  Briefe  des  Neuen  Testaments  sind  zum  größten 
Teile  von  Hause  aus  überhaupt  keine  Bücher.  Der  Apostel 
Paulus  hat  seine  Briefe  entweder  eigenhändig  geschrieben,  wie 
er  es  am  Schlüsse  des  Galaterbriefes  ausdrücklich  sagt,  oder 
diktiert,  in  jedem  Falle  aber  waren  es  in  vollem  Sinne  Briefe, 
die  er  an  junge  Gemeinden  oder  an  einzelne  Freunde  richtete, 
nicht  etwa  Lehrschriften.  Kam  ein  solcher  Brief,  sagen  wir 
einer  der  beiden  Korintherbriefe  in  Korinth  an,,  so  wird  die 
Gemeinde  bei  ihrer  nächsten  Versammlung  die  Vorlesung 
durch  einen  der  Ältesten  angehört  haben;  dann  wird  man 
das  wichtige  Schriftstück  sorgfältig  aufbewahrt  und  gelegent- 
lich ganz  oder  teilweise  wieder  vorgelesen  haben.  Einzelne 
Gemeindeglieder,  die  lesen  und  schreiben  konnten,  erhielten 
vielleicht  auch  die  Erlaubnis,  den  Brief  abzuschreiben,  wie 
sie    wollten    und    konnten,    sicherlich    nicht  in  irgend  einer 


Der  Kodex. 


121 


Abb.  25.    Seite  aus  einem  Pergamentbuche :  Schluß  des  Markus- 
Evangeliums. 

Buchform,  sondern  auf  Blättern,  die  sie  gerade  zur  Hand 
hatten.  Welches  Material  etwa  Paulus  selbst  benutzt  hat, 
können  wir  natürlich  nicht  ahnen;  es  kann  ein  bescheidenes 
Notizbuch  aus  Wachstafeln  oder  Pergament,  aber  auch  eine 
Papyrusrolle  oder  eine  Anzahl  einzelner  Blätter  gewesen  sein. 
Gewiß  war  die  äußere  Ausstattung  sehr  einfach  und  nicht 
von  ferne  mit  den  früher  erwähnten  Osterbriefen  der  Patri- 


122  Drittes  Kapitel. 

archen  zu  vergleichen,  deren  Prunk  uns  der  fast  700  Jahre 
j  üngere  alexandrinische  Osterbrief  anschaulich  macht ;  als  Brief 
steht  er  den  Sendschreiben  der  Apostel  nahe,  aber  die  Nach- 
folger des  armen  Lebens  Jesu  waren  sicherlich  nicht  in  der 
Lage,  den  Gemeinden  vornehme  Muster  der  Kalligraphie  zu 
widmen.  Vielmehr  haben  wir  es  an  den  griechischen 
Papyrusbriefen  vor  Augen,  wie  etwa  die  Briefe  des  Paulus 
im  Original  ausgesehen  haben  mögen.  Ein  Bedürfnis, 
solche  Apostelbriefe  in  richtiger  Buchform  zu  verbreiten, 
hat  in  den  ersten  Jahrzehnten  nicht  bestehen  können; 
war  doch  der  Brief  nur  für  einzelne  Gemeinden  be- 
stimmt. Erst  als  in  größerer  Zahl  neue  Gemeinden  ent- 
standen, die  nicht  mehr  unmittelbare  Beziehungen  zu  den 
Aposteln  besaßen,  wird  in  ihnen  der  Wunsch  erwacht  sein, 
einen  Anteil  an  jenen  Schriften  zu  erlangen,  und  nach  man- 
chem Notbehelf  mit  privaten  Abschriften  mag  man  dazu 
übergegangen  sein,  in  schlichtester  Form  die  einzelnen  Briefe 
als  kleine  Bücher  zu  verbreiten.  Daß  sie  dann  als  Pergament- 
codices ins  Leben  traten,  ist  allerdings  durchaus  wahrschein- 
lich, um  so  mehr,  als  sie  auch  auf  dieser  Stufe  noch  nicht  den 
Anspruch  erheben  konnten,  Literatur  zu  sein.  Die  Evangelien 
sind  anders  angelegt :  in  der  uns  vorliegenden  Form  sind  sie  auch 
mit  der  persönlichen  Widmung  bei  Lukas  wirkliche  Bücher 
ebenso  wie  die  Apostelgeschichte.  Später  entstanden  als  die 
paulinischen  Briefe,  fallen  sie  in  eine  Zeit,  der  schon  die  un- 
mittelbare Überlieferung  fehlte,  die  auch  bereits  die  Anfänge 
einer  christlichen  Schriftstellerei  besaß.  Mögen  sie  nun  an- 
fänglich auf  Rollen  gestanden  haben  oder  nicht,  ihr  wichtig- 
ster Träger  wird  doch  wiederum  der  Kodex  geworden  sein. 
Das  Alte  Testament,  das  den  judenchristlichen  Gemeinden 
als  Thorarolle  geläufig  war,  ist  früh  zur  Buchform  über- 
gegangen, nachdem  es  Anerkennung  in  der  Kirche  gewonnen 
hatte. 

Wenn  einzelne  Werke  der  christlichen  Literatur  wie 
die  Logia  Jesu  in  Ägypten  durch  die  Rollenform  zur  Literatur 
emporgestiegen  sind,  so  darf  man  doch  annehmen,  daß  im 
allgemeinen  die  christlichen  Schriften  Hand  in  Hand  mit 
dem  Aufsteigen  des  Kodex  den  Rang  wirklicher  Literatur- 
werke errungen  haben.  In  der  Rolle  sind  sie  nicht  heimisch 
geworden;  es  ist  vielleicht  kein  Zufall,  daß  einige  solche 
Rollenhandschriften  auf  der  Rückseite  anderer  Texte  stehen; 
sie  sind  also  zwar  als  Rollen  gedacht,  aber  doch  nur  sehr  be- 
scheidene Exemplare.  Die  wenigen  Ausnahmen,  neben  den 
Logia  Jesu  besonders  eine  Rolle,  die  den  »Hirten«  des  Hermas 
enthielt,  finden  ihre  natürlichste  Erklärung  im  ägyptischen 
Buchgewerbe,  worin  die  Rolle  überwog.  Wenn  ich  nun  noch 
daran  erinnere,  daß  im  zweiten  Jahrhundert,  dem  die  ältesten 


Der  Kodex. 


123 


Kodexblätter  christlichen  Inhalts  angehören,  der  Kanon  des 
Neuen  Testaments  sich  herausgebildet  hat  und  zugleich  der 
Kodex  dem  Range  eines  Buches  sich  nähert,  so  erscheint 
ein  Zusammenhang  zwischen  der  literarischen  Geltung  der 
neutestamentlichen Schriften  und  dem  Aufsteigen  des  Kodex 
nicht  als  Phantasiegebilde.  Die  ägyptischen  Funde  sprechen 
durchaus  dafür  und  haben  um  so  mehr  Gewicht,  als  hier  die 
Papyrusrolle  gewiß  im  Vordergrunde  stand.  Hatte  aber 
die  christliche  Schriftstellerei  bis  dahin  es  mit  dem  Kodex 
auch  in  seiner  Niedrigkeit  gehalten,  so  gab  es  von  nun  an  erst 
recht  keinen  Anlaß,  davon  abzugehen.  Die  wohlhabenden 
Leute,  deren  jetzt  nicht  wenige  innerhalb  der  Christen- 
gemeinden standen,  brauchten  sich  nicht  zu  schämen, 
unter  ihrer  Büchersammlung  die  Heiligen  Schriften  in  Kodex- 
form zu  besitzen;  was  ursprünglich  die  Billigkeit  geboten 
hatte,  war  jetzt  nicht  nur  anständig,  sondern  schon  ein  festes 
Herkommen  geworden.  Die  koptische  Literatur  seit  dem 
vierten  Jahrhundert,  die  fast  durchweg  christlichen  Inhalts 
ist,  bevorzugt  von  vorn  herein  in  entscheidender  Weise  den 
Kodex,  obwohl  doch  gerade  ihr  die  Papyrusrolle  nahe  genug 
gelegen  hätte.  Und  im  Anfange  des  fünften  Jahrhunderts 
sehen  wir  in  den  Bildern  einer  Weltchronik  die  heiligen  Per- 
sonen mit  dem  Kodex  in  der  Hand.  Er  ist  im  Sinne  der 
christlichen  Literatur  das  Buch  als  solches.  Dies  alles  gilt 
in  der  Hauptsache  von  den  Heiligen  Schriften  selbst  und  dem, 
was  ihnen  inhaltlich  nahe  steht  oder  volkstümlich  ist.  Da- 
gegen sind  die  Werke  der  christlichen  Gelehrten,  der  Kirchen- 
väter, Literatur  wie  jede  andere  und  nach  Form  und  Inhalt 
mit  der  weltlichen  in  eine  Reihe  zu  stcllien. 

4.  Der  Kodex  und  die  weltliche  Literatur.  Die 
weltliche  Literatur  konnte  ihrer  Vergangenheit  zufolge 
nicht  denselben  Weg  einschlagen  wie  die  christliche.  Jahr- 
hunderte lang  hatte  in  ihr  die  Rolle  eine  unbedingte  Herrschaft 
ausgeübt,  und  nur  als  ein  Hilfsmittel  war  neben  ihr  der  Kodex 
eingedrungen.  Wenn  er  schon  im  zweiten  Jahrhundert  ziem- 
lich weit  verbreitet  und  halb  und  halb  als  wirkliches  Buch 
anerkannt  war,  so  hat  doch  die  Papyrusrolle  mindestens  noch 
das  dritte  Jahrhundert  hindurch  ihren  Vorrang  behauptet. 
Auch  dem  vierten  ist  sie  noch  ganz  geläufig;  so  betrachtet  es 
der  Kirchenvater  Basileios  als  natürlich,  sein  Buch  über  den 
Heiligen  Geist  dem  Freunde  auf  einer  Rolle  zu  senden,  und 
nur  auf  den  ausdrücklichen  Wunsch  des  Empfängers  wählt  er 
einen  Kodex.  Ebenso  spricht  Hieronymus  von  seinen  Büchern 
in  Ausdrücken,  die  uns  nötigen,  an  Papyrusrollen  zu  denken; 
wie  schon  gesagt,  muß  die  christliche  Literatur,  was  die 
Form  ihrer  Bücher  anbetrifft,  der  allgemeinen,  weltlichen 
Literatur   zugerechnet   werden.      Es   scheint,    daß   damals, 


124  Drittes  Kapitel. 

also  im  vierten  Jahrhundert,  beide  Buchformen  mit  gleichem 
Rechte  neben  einander  hergingen.  Basileios  läßt  seine 
Werke  teils  auf  Papyrusrollen,  teils  in  Codices  schreiben, 
und  Hieronymus  hat  sich  in  Rom  eine  Reihe  von 
Klassikertexten  in  Pergamentbänden  zusammengebracht, 
während  er  seine  eigenen  Schriften  als  »chartulae«  bezeichnet. 
Besonders  bedeutsam  ist  aber  eine  Nachricht,  die  wir  wieder- 
um dem  Hieronymus  verdanken:  die  Bibliothek  des  Pamphi- 
lus  in  Caesarea,  die  teilweise  gelitten  hatte,  sei  von  den 
beiden  Geistlichen  Acacius  und  Euzoius  auf  Pergament  er- 
neuert worden.  Pamphilus,  der  Lehrer  des  Kirchenvaters 
Eusebius,  lebte  zu  Caesarea  im  dritten  Jahrhundert;  seine 
Büchersammlung  bestand  augenscheinlich  aus  Papyrusrollen 
Mag  sie  nun  durch  einen  Brand  oder  infolge  der  natürlichen 
Zerstörbarkeit  des  Papyrus  schadhaft  geworden  sein,  die  Er- 
neuerung wird  jedenfalls  in  der  Form  von  Pergamentcodices 
unternommen.  Muß  man  sich  auch  hüten,  aus  solch  einer 
Bemerkung  zuviel  herauszulesen,  so  liegt  doch  der  Schluß 
nahe,  daß  damals,  im  vierten  Jahrhundert  also,  der  Kodex 
als  die  zeitgemäße  Buchform  gegolten  hat.  Birts  Beob- 
achtung, bis  ins  vierte  Jahrhundert  stelle  die  Kunst  den 
Lesenden  oder  Studierenden  nur  mit  der  Rolle  dar,  ist  wichtig 
aber  nicht  entscheidend,  denn  gerade  hierin  leben  oft  alte 
Motive  fort,  wenn  die  Zeit  längst  darüber  hinweg  gegangen 
ist.  Taucht  doch  die  Rolle  selbst  heute  noch  in  Bild  und 
Plastik  gelegentlich  auf. 

Wie  stellen  sich  nun  die  ägyptischen  Funde  dazu  >  Im 
dritten  Jahrhundert  scheint  die  Papyrusrolle  noch  entschieden 
zu  überwiegen,  die  Codices  sind  immer  noch  eine  Seltenheit, 
die  freilich  durch  die  neuen  Entdeckungen  schon  jetzt  eine 
stattliche  Mindeiheit  geworden  ist.  Dagegen  hört  die  Rolle 
mit  dem  vierten  Jahrhundert  fast  ganz  auf,  während  dieselbe 
Zeit  uns  eine  ansehnliche  Menge  von  Codices  bringt,  und  zwar 
gerade  solche  weltlichen  Inhalts.  Daß  die  großen  Bibelhand- 
schriften dieser  Zeit  wie  der  berühmte  Kodex  Sinaiticus 
völlig  als  Bücher  im  eigentlichen  Sinne,  als  stattliche  Litera- 
turbände auftreten,  ist  nicht  verwunderlich,  wohl  aber  ist  das 
gleichzeitige  Vordringen  des  weltlichen  Kodex  ein  sehr  be- 
achtenswertes Merkmal.  Wir  haben  aus  dieser  Periode  nicht 
nur  Homer  und  Vergil,  die  schon  Martial  in  Kodexform 
kannte,  sondern  auch  Aristophanes,  Sophokles  und  Euripides 
als  Codices  neben  einer  ansehnlichen  Reihe  anderer  Schriften. 
Wenn  nun  sogar  in  Ägypten  ungefähr  mit  dem  vierten  Jahr- 
hundert das  Übergewicht  des  Kodex  einsetzt,  wenn  in  der- 
selben Zeit  die  koptische  Literatur  ihn  von  vorn  herein  bevor- 
zugt, so  wird  in  andern  Ländern,  vor  allem  in  Rom,  die  Ent- 
wicklung des   Buchwesens   mindestens   auf   derselben   Stufe 


Der  Kodex.  125 


gestanden  haben.  Selbstverständlich'  hat  es  längerer  Zeit 
bedurft,  um  die  jüngere  Buchform  ganz  geläufig  zu  machen; 
daß  mangelegenthch  sich  nicht  recht  hinein  zu  schicken  wußte, 
lehrt   ein  Homerkodex,  bei    dem  die  Blätter  nur  auf  einer 


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Abb.  26.    Zwei  Seiten   aus    einem  Pergamentbuche;   auf  der   zweiten 
unten  der  Titel.     Kine  Rede  des  Demosthcnes. 

Seite  beschrieben  sind,  so  daß  später  die  leeren  Rückseiten 
noch  für  eine  grammatische  Abhandlung  benutzt  werden 
konnten.  Ebenso  anschaulich  wird  der  Übergang  der  einen 
Form  in  die  andere  durch  einen  Papyruskodex  des  vierten 
Jahrhunderts,  der  etwa  zwei  Drittel  der  Genesis  enthält.  Der 
Schreiber  hat  zwar  beide  Seiten  der  Blätter  beschrieben,  also 
von  vorn  herein  einen  Kodex  anfertigen  wollen,  hat  aber,  an 


126  Drittes  Kapitel. 

die  Rollenschreibart  gewöhnt,  die  Schriftkolumnen  so  dicht 
an  einander  gerückt,  daß  der  Raum  zwischen  je  zwei  Kolum- 
nen für  das  Heften  nicht  ausreicht  und  die  Stiche  des  Buch- 
binders häufig  durch  den  geschriebenen  Text  gehen  müssen. 
Auch  die  Bücher  mit  zwei  Spalten  auf  jeder  Seite  deuten 
manche  Gelehrte  auf  alte  Rollengewohnheit.  In  dieser  Zeit 
des  Übergangs  ist  die  Rolle  noch  keineswegs  verdrängt;  sie  be- 
gegnet uns  auch  später  noch  in  unzweideutigen  Worten  der 
Schriftsteller.  Aber  indem  sie  den  Kodex  als  gleichberechtigt 
anerkennen  muß,  hat  sie  ihm  in  Wahrheit  den  Platz  geräumt. 
Daß  die  Aktenrolle  und  das  einzelne  Papyrusblatt  als  Ur- 
kunden- und  Briefbogen  fortbestanden  haben,  wird  durch 
dies  Ergebnis  nicht  berührt. 

5.  Zusammensetzung  des  Kodex.  Obgleich  der 
Kodex  in  seinen  Grundzügen  die  bis  auf  den  heutigen  Tag 
gebräuchliche  Buchform  und  daher  jedem  wohl  bekannt  ist, 
scheint  es  mir  doch  nicht  überflüssig,  seine  wesentlichen 
Merkmale  hervorzuheben,  denn  gerade  von  den  geläufigsten 
Dingen  geben  wir  uns  am  wenigsten  Rechenschaft.  Vom 
heutigen  Buche  nur  in  Einzelheiten  verschieden,  bedeutet  er 
einen  scharfen  Gegensatz  zur  Rolle.  Während  die  Papyrus- 
rolle im  Verhältnis  zu  ihrer  Höhe  sehr  lang  und  ein  zusammen- 
hängender Streifen  ist,  besteht  der  Kodex  aus  einer  Anzahl 
von  Blättern  gleichen  Formates.  In  der  Höhe  des  Blattes 
kann  er  jener  gleichen,  in  der  Breite  aber  muß  er  sich  in 
engen  Grenzen  halten,  denn  er  darf,  wenn  er  nicht  unhandlich 
werden  soll,  keine  größere  Ausdehnung  erreichen,  als  der 
Lesende  übersehen  kann,  ohne  den  Platz  zu  wechseln.  Dort 
ist  die  Reihenfolge  der  Schriftkolumnen  durch  den  Zu- 
sammenhang der  Schreibfläche  ohne  weiteres  gegeben,  hier 
dagegen  bedarf  es  eines  besonderen  Hilfsmittels:  die  Blätter 
müssen  in  richtiger  Folge  befestigt  sein.  Das  geschieht  durch 
das  Heften.  Im  Unterschiede  von  den  Schreibtafeln,  den 
Vorbildern  des  Kodex,  bei  denen  jede  einzelne  Tafel  ein  Stück 
für  sich  ist  und  mit  den  übrigen  nur  durch  Scharniere  oder 
Fäden  verbunden  wird,  erlauben  die  biegsameren  Stoffe  Perga- 
ment und  Papyrus,  je  zwei  einer  Tafel  entsprechende  Schreib- 
fiächen  aus  einem  Stücke  herzustellen,  eine  Reihe  solcher 
Doppelblätter  in  einander  zu  legen  und  sie  in  der  Mitte  durch 
einen  Heftfaden  zu  verbinden.  Soweit  wir  urteilen  können, 
hat  man  dies  Verfahren  von  Anfang  an  befolgt;  der  Kodex 
besteht  aus  einer  Anzahl  in  einander  gelegter  und  verbundener 
Blätter,  deren  jedes  die  zweifache  Größe  des  geschlossenen 
Buches  hat.  Nun  zeigt  aber  der  Versuch,  ja  schon  die  Über- 
legung, daß  man  nicht  eine  unbegrenzte  Menge  von  Blättern 
so  ordnen  kann.  Je  mehr  Blätter  in  einander  gelegt  werden, 
desto   stärker  widerstreben  sie   dem   Zusammenfalten  oder 


Der  Kodex. 


127 


Schließen  des  Buches,  desto  straffer  wird  der  Heftfaden  an- 
gespannt, desto  heftiger  die  Blattmitte  vom  Heftfaden  ange- 
griffen. Die  Alten  haben  daher,  namentlich  in  das  Papyrus- 
buch, das  empfindlicher  war,  Pergament-  oder  Lederstreifen 
eingelegt,  damit  der  Heftfaden  das  Blatt  nicht  einreiße. 
Außerdem  nimmt  bei  dem  einzelnen  Blatte,  je  weiter  es  nach 
außen  Hegt,  einen  um  so  größeren  Teil  seiner  Fläche  die 
Biegung  beim  Schließen  des  Buches  in  Anspruch.  Bleiben 
die  Blätter  einander  gleich,  so  vermindert  sich  von  innen 
nach  außen  mehr  und  mehr  die  Schreibfläche.  Diesem  Übel- 
stande  vermag  man  allerdings  zu  begegnen,  indem  man  die 
Breite  der  Blätter  in  demselben  Sinne  zunehmen  läßt.  Da 
aber  die  übrigen  Nachteile  fortbestehen,  hat  man  zu  der  Aus- 


Abb.27.  Zusammensetzung  des  Kodex;  links:  zwei  getrennte  Lagen  von 
je  zwei  Doppelblättem  ;  rechts  :  alle  Blätter  bilden  eine  einzige  Lage. 


hilfe  gegriffen,  nur  eine  kleine  Anzahl  von  Blättern  in  einander 
zu  heften  und  das  ganze  Buch  aus  mehreren  selbständigen 
Heften  zusammenzusetzen.  Der  Buchbinder  nennt  solch  eine 
Folge  in  einander  gelegter  Blätter  ei  ne  Lage  und  setzt  demnach 
das  Buch  aus  mehreren  Lagen  zusammen.  Je  weniger  Blätter 
sie  umfaßt,  desto  weniger  Fläche  geht  für  die  Biegung  ver- 
loren, so  daß  die  Blätter  gleich  zugeschnitten  werden  dürfen, 
was  die  Herstellung  bedeutend  vereinfacht.  Heute  herrscht 
bekanntlich  ein  anderes  Verfahren,  das  jedoch  im  Erfolge  auf 
dasselbe  hinaus  kommt.  Unsere  Bücher  bestehen  aus  Bogen, 
d.  h.  aus  großen  Papierstücken,  die  solange  gefaltet  werden, 
bis  man  die  geforderte  Blattgröße  erhält.  Infolge  dessen 
hängen  die  Buchblätter  nicht  nur  an  der  Heftstelle,  sondern 
auch  an  allen  Faltungsstellen  zusammen.  Das  Buch  muß, 
wie  wir  zu  sagen  pflegen,  aufgeschnitten  werden,  was  in  der 
Regel    erst  beim  Einbinden  geschieht.     Für  den  Druck  ist 


128  Drittes  Kapitel. 

dies  Verfahren  vorteilhaft;  solange  man  aber  darauf  ange- 
wiesen war,  den  Buchtext  mit  der  Hand  zu  schreiben,  mußte 
man  etwas  anders  zu  Werke  gehen.  Immerhin  scheint  es 
vorzukommen:  im  berühmten  Menanderbuch  in  Kairo  be- 
ginnen innerhalb  der  Lage  Blatt  i  und  3  mit  Rekto,  2  und  4 
mit  Verso,  was  sich  am  einfachsten  erklärt,  wenn  man  die 
Faltung  eines  großen  Papyrusbogens  voraussetzt;  dasselbe 
gilt  von  einem  Odysseebuche  aus  Pergament,  wo  Haar-  und 
Fleischseite  sich  jedesmal  berühren.  Erhielt  der  Schreiber 
die  aufgeschnittenen  Lagen,  so  stand  seiner  Arbeit  nichts 
im  Wege. 

Die  Mehrzahl  der  alten  Codices  besteht  aus  solchen 
Lagen;  leider  fehlt  uns  gerade  bei  den  ältesten  Überresten 
jede  Möglichkeit,  ihre  Blätterzahl  zu  bestimmen,  weil  nur 
Fetzen  von  Seiten  erhalten  sind.  Wo  wir  aber  den  Sach- 
verhalt erkennen  können,  finden  wir  gewöhnlich  ziemlich 
kleine  Lagen  von  zwei,  drei,  vier  Blättern  etwa  bis  zu  der 
obersten  Grenze  von  neun  Blättern.  In  manchen  Fällen  läßt 
sich  der  Umfang  der  Lage  berechnen,  auch  wenn  sie  nicht  ganz 
erhalten  ist,  freilich  nur  bei  einem  bekannten  Texte.  So 
trägt  bei  den  Bruchstücken  eines  großen  Aristophaneskodex 
in  der  Berliner  Sammlung  eine  im  wesentlichen  erhaltene 
Lage  ihre  Nummer  und  bietet  daher  die  Möglichkeit,  ungefähr 
zu  schätzen,  wieviel  Text  auf  den  vorhergehenden  Lagen 
gestanden  haben  kann.  Denn  die  Lagenziffer  9,  die  mit 
Seite  65  zusammentrifft,  beweist,  daß  die  fehlenden  64  Seiten 
sich  auf  8  Lagen  zu  je  8  Seiten  gleich  2  Doppelblättern  gleich 
4  Einzelblättern  (Quaternio)  verteilen.  Die  erhaltenen  Seiten 
fallen  mitten  in  die  »Acharner«  des  Aristophanes;  legt  man 
der  Berechnung-  die  durchschnittliche  Zeilenzahl  zugrunde, 
so  hat  diese  Komödie  ungefähr  mit  Seite  42  des  Kodex  be- 
gönnen, und  ein  anderes  Stück,  nach  einer  ziemlich  sicheren 
Schätzung  eines  der  längeren,  ist  vorangegangen.  Von  der- 
selben Handschrift  besitzen  wir  kleine  Bruchstücke  aus  den 
»Vögeln«  und  aus  den  »Fröschen«  desselben  Dichters.  Rechnet 
man  nun  am  Anfange  des  Buches  ungefähr  zwei  Seiten  für 
den  Buchtitel  ab,  so  wird  es  recht  wahrscheinlich,  daß  der 
Kodex  mit  den  »Fröschen«  anfing,  da  diese  am  ehesten  die 
verfügbaren  40  Seiten  füllen  würden.  Wer  aber  dieser  Be- 
rechnung nicht  trauen  will,  wird  doch  daran  nicht  zweifeln 
können,  daß  die  »Acharner«  in  diesem  Kodex  an  zweiter 
Stelle  gestanden  haben.  Ich  habe  dies  Beispiel  näher  be- 
sprochen, um  zu  zeigen,  wie  sehr  die  Beobachtung  äußerer 
Züge  auch  wissenschaftlichen  Untersuchungen  dienen  kann. 
Ähnlich  ergibt  sich  aus  einer  Lagenziffer  des  schon  erwähnten 
Pergamentbuches  der  Odyssee,  daß  der  Kodex  ursprünglich 
die  ganze  Odyssee  umfaßt  hat. 


Der  Kodex.  129 

Man  sollte  meinen,  die  Einteilung  des  Kodex  in  mehrere 
Lagen  hätte  durch  ihre  greifbaren  Vorzüge  zu  allgemeiner 
Anerkennung  gelangen  müssen.  Merkwürdiger  Weise  ist  das 
nicht  eingetreten;  es  gibt  eine  nicht  unbeträchtliche  Minder- 
zahl alter  Codices,  die  nur  eine  einzige  Lage  darstellen.  Hier 
liegen  demnach  sämtliche  Blätter  des  Buches  in  einander,  und 
um  die  gleiche  Größe  der  Schreibflächen  einzuhalten,  hat  man 
die  Blätter  von  innen  nach  außen  an  Breite  zunehmen  lassen. 
Gerade  Papyruscodices  —  ich  kenne  neben  koptischen 
Büchern  dieser  Art  auch  griechische,  wie  das  Iliasbuch  der 
Sammlung  Morgan  und  das  Chemiebuch  in  Stockholm  — 
sind  so  hergestellt  worden,  obwohl  doch  Papyrus  weniger 
widerstandsfähig  ist  als  Pergament.  Sie  gehören  etwa  dem 
Ende  des  dritten  und  dem  vierten  Jahrhundert  an,  also  einer 
verhältnismäßig  frühen  Zeit.  Wer  vermuten  wollte,  daß  diese 
Technik  die  ursprüngliche  sei,  und  daß  die  alten  Buchfabri- 
kanten erst  durch  die  schlechten  Erfahrungen  hierbei  auf  die 
Gliederung  in  mehrere  Lagen  gekommen  seien,  könnte  auf 
die  älteren  Kodexbruchstücke  hinweisen,  worin  die  Anord- 
nung nach  Lagen  nicht  nachweisbar  sei.  Das  kann  freilich 
Zufall  sein,  und  aus  solchen  Trümmern  darf  man  nicht  viel 
erschließen,  aber  an  sich  erklärt  diese  Annahme  die  Tat- 
sachen einleuchtend  genug. 

Die  Frage,  ob  die  Blätter  des  Papyruskodex  von  den 
Fabriken  besonders  hergestellt  oder  aus  denselben  Ballen 
geschnitten  wurden,  denen  man  auch  die  Rollen  entnahm, 
wird  durch  eine  Beobachtung  H.  Ibschers  der  Lösung  zuge- 
führt. Er  hat  an  einem  koptischen  Buche  feststellen  können, 
daß  die  Blätter  sämtlich  von  einem  Ballen  stammen;  manhatte 
diesen  zunächst  durch  zwei  Längsschnitte  in  drei  Streifen 
zerlegt  und  aus  diesen  die  Blätter  geschnitten.  Kleinere 
Stücke  am  Ende,  die  kein  Doppelblatt  mehr  ergaben,  wurden 
als  Einzelblätter  gelegentlich  eingefügt.  Dergleichen  Einzel- 
blätter,  die  öfters  vorkommen  und  bisher  schwer  erklärbar 
waren,  werden  hierdurch  leicht  verständlich.  Die  Herkunft 
der  Kodexblätter  aus  dem  Ballen  leuchtet  so  ein,  daß  man 
sie  wohl  als  Regel  betrachten  darf. 

Obgleich  im  Kodex  beide  Seiten  beschrieben  wurden,  der 
Unterschied  zwischen  Rekto  undVerso  also  seinenWert  für  den 
Schreiber  verlor,  scheint  der  alte  Vorzug  der  Rektoseite  auch 
hier  noch  nicht  vergessen  zu  sein,  weil  auch  hier  wie  bei  der  Rolle 
die  wagerechten  Fasern  mehr  geschont  wurden,  wenn  sie  innen 
lagen;  die  Blätter  aus  Ägypten  zeugen  in  ihrer  Mehrzahl  dafür, 
daß  die  Rektoseite  nach  innen  gelegt  wurde.  In  der  ersten  Hälfte 
der  Lage  geht  also  die  Versoscite,  in  der  zweiten  die  Rekto- 
seite voran;  wo  der  ganze  Kodex  eine  einzige  Lage  darstellt, 
kann  demnach  ein  loses  Blatt,  je  nachdem  der  Text  von  Verso 

Schubart,    Das  Buch.     2.  Aufl.  q 


I^O  Drittes  Kapitel. 

auf  Rekto  oder  von  Rekto  auf  Verso  fortschreitet,  der  ersten 
oder  der  zweiten  Hälfte  des  Kodex  zugesprochen  werden. 
Allein  das  wird  nur  in  solchen  Fällen  helfen,  wo  der  größere 
Teil  des  Buches  erhalten  ist.  Obendrein  fehlt  es  nicht  an 
Beispielen  für  die  Vernachlässigung  jener  Regel.  In  einem 
Iliaskodex  beginnen  die  ersten  erhaltenen  Blätter  mit  Verso, 
dann  folgt  eins,  das  mit  Rekto  anfängt,  und  das  letzte  ent- 
spricht wieder  den  ersten.  Derselbe  Wechsel  innerhalb  einer 
Lage  ist  bei  den  Resten  des  Berliner  Aristophanes  und  ebenso 
bei  denen  des  Nonnos  deutlich  zu  erkennen.  Von  einer  festen 
Regel  kann  demnach  nicht  die  Rede  sein;  man  wird  im  ganzen 
darauf  gesehen  haben,  beide  Seiten  möglichst  gleichmäßig 
zu  glätten,  da  beide  denselben  Anforderungen  zu  genügen 
hatten.  Daß  bei  sorgsamer  Arbeit  auch  die  Versoseite  dem 
Vorwärtsgleiten  des  Schreibrohrs  kein  Hindernis  entgegen- 
setzt, beweist  schon  die  Schrift  vieler  Rollen  und  einzelner 
Blätter.  Es  ist  hiermit  ebenso  wie  mit  dem  Unterschiede  der 
Fleischseite  und  der  Haarseite  des  Pergaments,  der  auch  keine 
unumstößliche  Anordnung  herbeigeführt  hat.  Wäre  die 
Versoseite  des  Papyrus  wirklich  viel  ungünstiger  für  das  Be- 
schreiben gewesen,  so  hätte  der  Papyruskodex  schwerlich  eine 
so  große  Verbreitung  finden  können.  Daß  er  in  manchen 
andern  Beziehungen,  vor  allem  in  der  Dauerhaftigkeit,  hinter 
dem  Pergamente  zurückstand,  hat  das  ägyptische  Buch- 
gewerbe nicht  gehindert,  ihn  in  Massen  herzustellen;  ist  doch 
unter  den  Kodexbruchstücken  ägyptischer  Herkunft  das  Ver- 
hältnis der  Papyrusbücher  zu  denen  aus  Pergament  etwa 
wie  fünf  zu  drei,  und  zwar,  wenn  man  nur  die  griechischen 
Handschriften  heranzieht,  während  durch  Anrechnung  der 
koptischen  das  Zahlenverhältnis  sich  noch  zugunsten  des 
Papyrus  verschiebt. 

6.  Formate.  Wie  bei  der  Papyrusrolle  die  verschiede- 
nen Formate  sich  in  einige  Gruppen  einordnen  lassen,  so 
führt  auch  ein  Überblick  über  die  Codices  zu  ähnlichen  Er- 
gebnissen. Ich  kann  nicht  versuchen,  diese  Untersuchung 
zu  allgemein  gültigen  Sätzen  zu  führen,  da  ich  nur  einen 
kleinen  Teil  des  Vorhandenen  überblicke,  sondern  möchte 
andere,  die  mehr  davon  wissen,  dadurch  anregen,  dieser  Frage 
ihre  Aufmerksamkeit  zuzuwenden.  Den  winzigen  Rollen, 
die  wir  als  kleinste  Taschenformate  kennen  gelernt  haben, 
entsprechen  ziemlich  genau  einige  Büchlein  in  Kodexform, 
die  ungefähr  6  cm  Höhe  und  4  cm  Breite  besitzen;  nahe 
stehen  ihnen  andere  mit  7^  zu  6^  cm.  Die  mir  bekannten 
Exemplare  dieser  Art  sind  nicht  älter  als  das  vierte  Jahr- 
hundert, bestehen  meistens  aus  Pergament  und  zeigen  in  der 
Schrift  keine  besondere  Sorgfalt.  Die  größeren  Formate 
lassen  einen  Vergleich  mit  den  Rollen  eigentlich  nicht  zu, 


I 


Der  Kodex.  i^i 

denn  von  einer  Höhe  von  12  cm  an  bis  zur  Höhe  von  40  cm 
reihen  sie  sich  ohne  ersichtliche  Gliederung  an  einander.  Um 
ihre  Maße  in  eine  Ordnung  zu  bringen,  muß  man  den  Ge- 
sichtspunkt voranstellen,  der  für  den  Kodex  natürlich  ist, 
nämlich  das  Verhältnis  der  Höhe  zur  Breite.  Da 
ergibt  sich  denn  zunächst  eine  Gruppe,  deren  Ausdehnungen 
gleich  oder  annähernd  gleich  sind;  kleine  Abweichungen  der 
Messung  erklären  sich  oft  aus  der  Beschädigung  der  Ränder 
und  verdienen  keine  Berücksichtigung.  Als  typischen  Ver- 
treter dieser  Gattung  stelle  ich  einen  Kodex  voran,  der  den 
zweiten  Thessalonicherbrief  enthalten  hat;  seine  Höhe  wie 
Breite  belauf t  sich  auf  16  cm.  Etwa  auf  dasselbe  Verhältnis 
kommen  einige  andere,  die  ungefähr  14  cm  hoch  und  12  cm 
breit  sind,  noch  genauer  größere  Formate  wie  24  X  22  cm 
und  26  X  23  cm,  bei  denen  das  Auge  den  Unterschied 
zwischen  Höhe  und  Breite  kaum  bemerkt.  Den  Gegensatz 
dazu  bildet  ein  Format,  dessen  Höhe  die  Breite  ungefähr  um 
das  Doppelte  übertrifft.  So  hat  z.  B.  die  Ilias  Morgan  27 
und  14,  eine  alte  Euripideshandschrift,  die  dem  dritten  Jahr- 
hundert angehören  mag,  28  und  14,  ein  eleganter  Demosthe- 
neskodex  17,5  und  8  (vgl.  Abb.  26),  ein  grammatischer  Text 
27  und  14,5,  das  Stockholmer  Chemiebuch  30  zu  15  cm. 
Endlich  glaube  ich  eine  Reihe  von  Codices  bestimmen  zu 
können,  deren  Ausdehnungen  sich  ungefähr  wie  3  zu  2  und 
wie  5  zu  4  verhalten.  Es  scheint  kein  Zufall  zu  sein,  daß 
viele  von  ihnen  eine  ziemlich  erhebliche  Größe  haben  und 
über  eine  Höhe  von  25  cm  hinausgehen;  jedoch  fehlt  es  auch 
nicht  an  kleineren.  Im  allgemeinen  lehrt  ein  solcher  Über- 
blick, daß  bestimmte  Größen  hier  ebenso  wenig  wie  bei  der 
Rolle  oder  noch  weniger  zutage  treten;  das  Verhältnis  der 
Maße  ist  es,  was  dem  Kodex  sein  äußeres  Merkmal  verleiht. 
Wir  sind  mit  dieser  Beobachtung  auf  dem  richtigen  Wege; 
das  beweist  wohl  zur  Genüge  die  deutliche  Beziehung,  in  der 
einige  Formate  zu  andern  stehen.  Die  alten  Buchfabrikanten 
haben  nämlich  öfters  eine  vorhandene  Blattgröße  in  der  Mitte 
gebrochen  und  auf  diese  Weise  ein  kleineres  Format  herge- 
stellt, dessen  Höhe  gleich  der  Breite  des  ursprünglichen  ist, 
während  die  Breite  halb  so  viel  beträgt  wie  die  Höhe  des 
größeren  Formates.  In  mehr  als  einem  Falle  sieht  man  noch 
deutlich,  wie  genau  das  kleinere  Format  sich  dem  größeren 
anpaßt.  So  besitzt  die  Staatsbibliothek  in  Berlin  zwei  kopti- 
sche Papyrusbücher  ungefähr  gleichen  Alters,  deren  Blätter 
augenscheinlich  nach  demselben  Maße  zugeschnitten,  aber 
nachher  verschieden  benutzt  worden  sind.  Einen  klaren 
Beweis  liefern  einige  Pergamentblätter  im  Berliner  Museum, 
denn  unter  der  Schrift  sieht  man  die  Spuren  eines  älteren 
Textes,  der  in  dem  zugehörigen  größeren  Formate  geschrieben 

9* 


32 


Drittes  Kapitel. 


Abb.  28.     Seite  aus  einem  Papyrusbuche :   Ilias  12  Ende   und  Ilias  13 

Anfang. 


Der  Kodex. 


^33 


war.  Ich  habe  ein  paar  Proben  ausgemessen,  die  ent- 
weder genau  oder  mit  geringen  Abweichungen  zu  einander 
stimmen.  Wir  haben  zu  dem  Format  26  X  17  das  kleinere 
17  X  13,  ferner  20  X  12  und  12  X  lO,  13,5  X  10  und  10  X  7, 
endlich  35  x  27  und  27,5  x  17,5.  Hier  handelt  es  sich  nicht 
wie  oben  um  zweimal  beschriebene  Blätter  (Palimpseste), 
bei  denen  die  Halbierung  des  Formats  der  Willkür  anzu- 
rechnen ist;  vielmehr  sind  es  selbständige,  von  einander  unab- 
hängige Bücher.  Daher  hat  vermutlich  das  größere  Format 
mit  dem  kleineren  den  Ursprung  in  derselben  Zeit,  wenn  nicht 
gar  in  derselben  Fabrik  gemein.  Damit  ist  nicht  gesagt,  daß 
gerade  dies  oder  jenes  Format  in  einer  bestimmten  Zeit  vor- 
geherrscht habe;  dem  widerspricht  die  große  Mannigfaltig- 
keit der  Buchgrößen.  Wohl  aber  darf  man  Schlüsse  daraus 
ziehen,  wenn  das  größere  oder  das  entsprechende  kleinere 
sich  datieren  läßt.  Anders  liegt  es  natürlich  bei  dem  oben 
genannten  Beispiele  aus  der  Berliner  Sammlung,  wo  man 
einen  Kodex  zerschnitten  hat,  um  einen  neuen  kleineren 
daraus  herzustellen.  Denn  hier  lehrt  sowohl  die  ursprüngliche 
Schrift  wie  die  absichtliche  Zerstörung  des  ersten  Textes,  daß 
der  größere  Kodex  älter  war  als  der  kleine,  der  aus  ihm 
hervorgegangen  ist. 

Aber  auch  sonst  dürften  die  Formate  nicht  ganz  wertlos 
für  die  Datierung  der  Codices  sein,  und  da  man  ihr  Alter 
aus  der  Handschrift  nur  unbestimmt  ermitteln  kann,  verdient 
jedes  andere  Hilfsmittel  beachtet  zu  werden.  So  weit  meine 
Kenntnis  reicht,  scheinen  die  erste  und  die  zweite  Klasse  der 
Formate  ziemlich  hohen  Alters  zu  sein.  Es  ist  ja  im  Grunde 
ein  Zirkelschluß,  wenn  wir  die  Formate  für  die  Datierung 
benutzen  wollen  und  auf  der  andern  Seite  für  die  Datierung 
der  Formate  eben  die  Merkmale  der  Schrift  heranziehen 
müssen.  Allein  da  die  Kennzeichen  alter  Schrift  auffallend 
oft  mit  annähernder  Gleichheit  von  Breite  und  Höhe  wie  mit 
dem  größten  Abstände  beider  Ausdehnungen  zusammen 
treffen,  mögen  diese  Formate  der  Zeit  bis  zum  vierten  Jahr- 
hundert und  diesem  selbst  gehören.  In  derselben  Periode  be- 
merkt man  bei  aller  Verschiedenheit  ein  Übergewicht  der 
kleinen  Formate.  Dagegen  glaube  ich  etwa  vom  fünften 
Jahrhundert  an  eine  Zunahme  der  großen  Formate  erkennen 
zu  können;  Folianten  wie  der  Berliner  Aristophaneskodex 
mit  den  Maßen  36  X  25  oder  gar  der  noch  spätere  Nonnos- 
kodex  mit  40  X  28  cm  dürften  im  vierten  Jahrhundert  kaum 
ihresgleichen  finden.  Noch  deutlicher  aber  scheint  sich  zu 
ergeben,  daß  in  derselben  Zeit  die  Formate  im  Verhältnisse 
von  3  zu  2  sich  einbürgern.  Selbstverständlich  will  jede  solche 
Beobachtung  nur  das  Vordringen  einer  Mode  bemerken.  Wie 
bei  uns  alle  möglichen  Formate  neben  den  besonders  gebrauch- 


1^4  Drittes  Kapitel. 

liehen  vorkommen,  so  ist  auch  im  Buchwesen  der  Alten  die 
Mode  noch  keine  Regel  und  niemals  eine  Regel  ohne  Aus- 
nahme geworden.  Immerhin  lehrt  ein  Blick  auf  neuere 
Zeiten,  wie  stark  sie  sich  geltend  machen  kann.  Heute 
herrscht  im  allgemeinen  das  Format  3  zu  2  in  allen  möglichen 
Abstufungen  der  Größe.  Das  18.  Jahrhundert  dagegen  hat 
gerade  dies  Verhältnis  weniger  geschätzt  als  auf  der  einen 
Seite  schmalere  Formate  und  auf  der  andern  Seite  die  unge- 
fähr quadratischen,  ein  Geschmack,  der  noch  weit  ins  19. 
Jahrhundert  nachgewirkt  hat.  Solche  Beobachtunge  wollen 
aber  mit  äußerster  Vorsicht  benutzt  werden,  da  sie  von 
sicheren  Ergebnissen  weit  entfernt  sind  und  durch  neue  Funde 
wie  durch  weitere  Umschau  jeden  Tag  überholt  werden 
können. 

Bei  jedem  Formate  findet  der  Schreiber  Gelegenheit, 
einen  vorteilhaften  Eindruck  des  geöffneten  Buches  zu  be- 
wirken; beim  Kodex  kommt  noch  mehr  darauf  an  als  bei  der 
Rolle,  weil  jede  Seite  als  ein  fest  begrenztes  Ganzes  sich  dem 
Auge  darstellt.  Höhe  und  Breite  der  Schriftkolumne  in  ein 
richtiges  Verhältnis  zur  Seitengröße  zu  bringen,  hat  man 
nicht  etwa  mechanisch  versucht,  indem  man  auf  die  Schrift- 
kolumne die  Verhältnisse  der  Seite  in  verkleinertem  Maße 
übertrug;  vielmehr  wahrt  im  elegant  ausgestatteten  Buche 
die  Schriftkolumne  eine  gewisse  Selbständigkeit  gegenüber 
der  Seite.  Neben  einer  Reihe  von  Beispielen,  wo  sie  ungefähr 
den  Verhältnissen  der  Seite  entspricht,  fehlt  es  nicht  an 
auffallend  kleinen  Kolumnen;  augenfällig  ist  es  in  dem 
auf  S.  125  abgebildeten  Pergamentbuche,  das  Reden  des 
Demosthenes  enthielt,  denn  auf  einer  Seite  von  17,5  X  8  cm 
sehen  wir  eine  Schriftkolumne  von  10  X  5  cm,  also  eine  so 
geringe  Füllung,  daß  man  diese  Raumverschwendung  nur 
aus  dem  Streben  nach  Eleganz  erklären  kann.  Das  große 
Aristophanesbuch,  dessen  Schrift  keineswegs  besonders  schön 
ist,  beschränkt  doch  auf  einer  Seite  von  36  X  25  cm  die 
Schriftkolumne  auf  27  X  14  cm.  Aber  auch  andere  Ver- 
hältnisse kommen  vor;  so  läßt  ein  Bruchstück  aus  einem 
sehr  alten  lateinischen  Kodex  der  Kolumne  einen  Raum  von 
8x8  cm,  während  die  Seite  14,5  cm  hoch  und  12  cm  breit 
ist.  Wieder  in  anderen  Büchern  wird  die  Seite  ausgiebig 
benutzt  und  der  Rand  auf  ein  geringes  Maß  beschränkt,  und 
zwar  verträgt  sich  diese  Sparsamkeit  sehr  wohl  mit  einem 
zierlichen  Formate  und  einer  sorgfältigen  Schrift.  Allein  im 
ganzen  bemüht  man  sich  doch,  oben  und  unten  sowie  an  den 
Seiten  reichlich  Platz  zu  lassen,  vor  allem  in  den  Papyrus- 
büchern, bei  denen  die  Empfindlichkeit  des  Stoffes  ein  Wort 
mitgesprochen  haben  mag,  denn  die  Gefahr  der  Beschädigung 
war  hier  größer  als  beim  Pergament.    Zumal  der  Gebrauch, 


Der  Kodex. 


135 


^~^- 


die  Kolumnen  nicht  genau  in  die  Mitte  der  Seite,  sondern 
ein  wenig  nach  innen  zu  rücken,  erklärt  sich  daraus,  denn 
der  äußere  Rand  litt  am  ehesten  bei  häufiger  Benutzung  des 
Buches.  Im  übrigen  wird  auch  beim  Einheften  die  Kolumne 
ein  wenig  nach  innen  und  damit  das  ganze  Seitenbild  ver- 
schoben. Ein  paar  Bücher  hohen  Alters  fallen  durch  unge- 
wöhnlich breite  Kolumnen  auf,  aber  man  muß  sich  hüten, 
darin  etwa  eine  ältere  Sitte  zu  suchen.  Denn  neben  ihnen 
stehen  genug  andere,  die  durch  schmale  Kolumnen  und  breite 
Ränder  ersichtlich 

ein  vornehmes  Aus-  -    - 

sehen  erzielen  wol- 
len. Es  gab  eben 
beim  Kodex  wie 
bei  der  Rolle  erheb- 
liche Unterschiede 
der  Ausstattung; 
soweit  man  aber 
einen  natürlich  nur 

oberflächlichen 
Vergleich  anstellen 
kann,  scheint  er 
zugunsten  des  Ko- 
dex auszufallen. 
Denn  die  Mehr- 
zahl der  erhaltenen 
Exemplare  stellt 
sich  im  Gesamtein- 
druck der  Schrift 
und  in  der  Anord- 
nung den  guten 
Rollen  an  die 
Seite  und  zeigt 
mehr  Rücksicht 
auf  diese  Äußer- 
lichkeiten als  der  Durchschnitt  der  Papyrusrollen;  man  hatte 
an  ihnen  gelernt,  und  gewisse  Schönheitsregeln  waren  Allge- 
meingut geworden. 

Eine  bemerkenswerte  Eigentümlichkeit  ist  noch  zu  er- 
wähnen: bei  vielen  griechischen  und  koptischen  Büchern  sehr 
verschiedenen  Formates  trägt  jede  Seite  zwei  Schriftkolum- 
nen, in  einigen  Fällen  sogar  noch  mehr.  Sie  sind  dann  im 
Verhältnis  zur  Höhe  außerordentlich  schmal  und  werden 
häufig  nur  durch  einen  geringen  Zwischenraum  getrennt.  Das 
schon  erwähnte  Papyrusbuch  der  Genesis  beginnt  in  dieser 
Weise;  nach  einigen  Seiten  aber  hat  der  Schreiber  es  be- 
quemer   gefunden,    über   die   ganze   Breite   des   Blattes   zu 


■^ 


Abb.  29.    Federzeichnung  auf  Papyrus. 


1^6  Drittes  Kapitel. 

schreiben,  und  sich  für  eine  einzige  Schriftkolumne  ent- 
schieden. Er  wußte  sich  mit  der  Kodexform  nicht  recht  ab- 
zufinden, ganz  abgesehen  davon,  daß  seine  Kunst  überhaupt 
nur  gering  war.  Als  typisches  Beispiel  mag  neben  den  großen 
Bibelhandschriften  des  vierten  und  fünften  Jahrhunderts, 
die  drei  und  sogar  vier  Kolumnen  auf  der  Seite  haben,  zugleich 
aber  mustergültig  in  ihrer  Ausstattung  sind,  ein  koptisches 
Buch  dienen,  dessen  Seite  auf  einer  Fläche  von  35  X  27  cm 
zwei  Kolumnen  von  je  24  X  8  cm  Ausdehnung  trägt.  Da 
nicht  wenige,  namentlich  die  griechischen,  verhältnismäßig 
alt  sind,  hat  man  gemeint,  es  sei  ein  altes  Verfahren,  das  sich 
noch  an  die  Rolle  anlehne,  weil  der  Leser  der  Rolle  mehrere 
Kolumnen  überblickt  habe.  Das  ist  möglich,  aber  keineswegs 
sicher,  denn  eine  Nachahmung  der  Rolle  würde  eher  dahin 
wirken,  für  jede  Kolumne  eine  besondere  Seite  zu  bestimmen. 
Auch  hatte  der  Leser  in  der  Rolle  nur  dann  mehrere  Kolum- 
nen vor  Augen,  wenn  sie  schmal  waren;  daher  sehe  ich  nicht 
ein,  weshalb  die  Seite  mit  zwei  Kolumnen  der  Schriftver- 
teilung auf  der  Rolle  besonders  nahe  stehen  sollte.  Obendrein 
hat  sich  diese  Anordnung  sehr  lange  erhalten,  so  daß  man 
kaum  von  einer  besonders  alten  Sitte  sprechen  darf.  Viel- 
leicht lag  ihr  das  Bestreben  zugrunde,  die  für  schön  geltende 
Schmalheit  der  Kolumne  mit  einer  reichlichen  Ausnutzung 
der  Schreibfläche  zu  vereinigen.  Es  wäre  dann  eine  Mode, 
deren  Geltungsbereich  wir  nicht  näher  bestimmen  können. 
7.  Schrift,  Lesezeichen,  Seitenzählung.  Über 
die  Ausstattung  des  Textes  im  Kodex  kann  ich  mich 
kurz  fassen,  denn  sie  entspricht  im  allgemeinen  dem,  was  wir 
bei  der  Rolle  bereits  kennen  gelernt  haben,  ohne  einen 
nennenswerten  Fortschritt  zu  zeigen.  Auch  hier  gilt  für 
Prosa  gleiche  Länge  der  Zeilen  als  Regel,  während  der  poeti- 
sche Text  dieselbe  Freiheit  genießt  wie  in  der  Rolle.  Ab- 
weichungen sind  noch  seltener  als  bei  der  Rolle,  weil  auf  der 
genau  begrenzten  Buchseite  jede  Unregelmäßigkeit  mehr  auf- 
fallen und  stören  muß.  Auch  die  runden  und  überaus  gleich- 
mäßigen Buchstaben,  die  etwa  seit  dem  Ende  des  dritten 
Jahrhunderts  den  sorgfältig  geschriebenen  Büchern  ein  ganz 
unpersönliches,  druckähnliches  Aussehen  verleihen,  tragen 
dazu  bei,  daß  im  Gesamteindrucke  viele  Bücher  dieser  Zeit 
durch  ElDenmaß  und  Schönheit  vorteilhaft  auffallen.  Die 
Buchschrift  entfernt  sich  damals  weit  von  der  Geschäfts- 
schrift und  läßt  deutlich  eine  besondere  Schule  und  eine 
eigene  Entwicklung  erkennen.  Abkürzungen,  Interpunktio- 
nen und  Akzente  werden  im  wesentlichen  ebenso  gehandhabt 
wie  in  den  Rollen;  Akzente  setzt  man  noch  bis  ins  vierte 
Jahrhundert  ziemlich  freigebig,  dann  aber  treten  sie  stark 
zurück.    Auch  in  der  Satztrennung  ist  man  nicht  weiter  ge- 


Der  Kodex. 


137 


kommen,  wenngleich  Anläufe  dazu  nicht  zu  verkennen  sind 
und  besonders  in  kirchüchen Texten  durch  VersgHederung  und 
Satzzählung  unterstützt  werden.  Beachtenswert  ist  die  sich 
rasch  ausbreitende  Mode,  Abschnitte  des  Sinnes  durch  einen 
nach  links  ausgerückten  und  vergrößerten  Anfangsbuchstaben 
kenntlich  zu  machen.  Für  Korrekturen,  Randbemerkungen, 
Bezeichnung  der  Personen  im  Drama  gilt  ebenfalls  das,  was 
bei  der  Besprechung  der  Rolle  im  einzelnen  und  schon  mit 
Ausblick  auf  den  Kodex  dargelegt  worden  ist.  Denn  der 
Kodex  konnte  in  der  inneren  Ausstattung  des  Textes  sich  an 
die  bewährte  alte  Sitte  ohne  Schwierigkeit  anschließen,  um 
so  mehr,  als  die  Rolle  noch  lange  genug  neben  ihm  im  Ge- 
brauch bHeb. 


Abb.  30.    Mathematische  Figuren  auf  Papyrus. 


Etwas  Neues  ist  nur  da  zu  finden,  wo  die  veränderte 
Form  sich  mit  der  alten  Regel  nicht  vertrug  oder  besondere 
Bedürfnisse  hervorbrachte.  Dahin  gehört  vor  allem  die 
Zählung  der  Seiten.  Die  Bezifferung  der  Kolumnen  war 
in  der  Rolle  über  Versuche  nicht  hinaus  gelangt,  weil  sie  im 
Grunde  keinen  Zweck  hatte.  Auch  im  Kodex  ist  sie  keines- 
wegs von  vorn  herein  eine  Regel,  aber  es  gibt  doch  schon  früh 
soviel  Beispiele  dafür,  daß  man  eine  Wandlung  anerkennen 
muß,  (vgl.  Abb.  28).  Nicht  immer  erhält  jede  Seite  ihreZiffer, 
manchmal  nur  eine  um  die  andere,  und  gerade  für  die  ältesten 
Bücher  bleiben  wir  darüber  meistens  im  Ungewissen,  weil  nur 
einzelne  Blätter  und  auch  diese  oft  genug  mit  beschädigten 
Rändern  auf  uns  gekommen  sind.  Jetzt  entsprach  die  Zählung 
der  Seiten  wirklich  einem  Bedürfnis,  denn  die  neue  Buchform 
machte  durch  ihre  Gliederung  in  kleine  Teile,  die  Blätter  und 
Seiten,  gerade  das  möglich,  was  die  Natur  der  Rolle  ver- 


138 


Drittes  Kapitel. 


eitelte,  nämlich  eine  bestimmte  Stelle  sofort  aufzuschlagen. 
Freilich  gilt  noch  immer,  was  sich  uns  früher  ergab,  daß 
die  meisten  Literaturwerke  von  Hause  aus  nicht  darauf  an- 
gelegt sind,  wörtlich  angeführt  zu  werden.  Es  wird  aber 
wünschenswert,  wenn  die  Arbeit  der  Gelehrten  sich  der 
Literatur  zuwendet  und  sie  wissenschaftlich  ausbeutet.  Das 
ist  schon  früh  geschehen,   ohne'  an  der  Rolle  eine  Hilfe  zu 

finden.  Der  wissen- 
schaftliche Gesichts- 
punkt mag  im  vierten 
Jahrhundert,  das  wir 
als  einenWendepunkt 
in  der  Geschichte  des 
Kodex  erkannt  haben, 
für  die  griechische 
und  römische  Litera- 
tur der  Vergangen- 
heit, nicht  für  ihre 
gelehrten  Werke  al- 
lein, sondern  auch 
Dichtung,  Erzählung, 
Rede  usw.  in  weitem 
Umfange  zutreffen, 
denn  sie  war  längst 
klassisch  geworden. 
Aber  der  Ursprung 
der  Bezifferung  liegt 
vielleicht  doch  auf 
einem  andern  Felde. 
Wenn  der  Kodex  in 
den  ersten  Jahrhun- 
derten vorwiegend  als 
Aktenband,  als  juri- 
stisches Handbuch 
und  als  Träger  der 
Heiligen  Schriften  ge- 
dient hat,  so  ergeben 
alle  diese  Arten  des 
Inhalts,  daß  in  ihm  oft  und  viel  nachgeschlagen  werden 
mußte,  um  ein  Aktenstück,  eine  juristische  Belehrung 
für  einen  bestimmten  Fall  oder  ein  theologisch  bedeut- 
sames Beweismittel  zu  finden.  Diese  unmittelbaren  Be- 
dürfnisse können  sehr  wohl  dazu  geführt  haben,  durch 
eine  Bezifferung  der  Seiten  das  Aufschlagen  und  Zitieren 
zu  erleichtern.  War  es  hier  üblich  geworden,  so  folgte 
die  Übertragung  auf  andere  Gebiete  der  Literatur  von 
selbst.      Nebenbei    mag    man    auch    ein    bequemes    Mittel, 


Abb.  31.  Farbiges"Webemuster  auf  Papyrus. 


Der  Kodex.  i^q 

die  Vollständigkeit  des  Buches  festzustellen,  darin  erblickt 
haben. 

8.  Titel.  In  der  Stellung  des  Buchtitels  offen- 
baren die  ältesten  Codices  noch  eine  starke  Abhängigkeit 
von  der  Rolle.  Deshalb  sind  sie  auch  dort  bereits  heran- 
gezogen worden.  Wie  dort,  steht  auch  hier  der  Haupttitel 
am  Ende  des  Textes,  sei  es  nun  mit  der  schlichten  Angabe 
des  Verfassers  und  des  Inhalts,  sei  es  in  größerer  Ausführlich- 
keit, die  allmählich  immer  mehr  beliebt  wird.  Schon  der 
große  Iliaskodex  des  4.  oder  5.  Jahrhunderts,  der  unter  dem 
Namen  Harris  bekannt  ist,  hat  am  Ende  des  zweiten  Buches 
die  Bemerkung:  »ein  Ende  hat  der  Ilias  2.  (Buch)«  und  eine 
entsprechende  unter  derri  dritten  Buche;  ähnlich  das  jüngere 
Nonnosbuch.  Dagegen  folgt  die  auf  der  Rückseite  jener  Ilias- 
blätter  stehende  Grammatik  des  Tryphon  noch  ganz  dem 
schlichten  Brauche,  nur  das  Notwendige  auszudrücken. 
Ebenso  verhalten  sich  die  großen  Bibelhandschriften,  z.  B. 
der  Kodex  Sinaiticus  und  der  etwas  jüngere  Alexandrinus. 
Bald  genug  jedoch,  vielleicht  im  Anschlüsse  an  Vorbilder,  die 
wir  nicht  sicher  erkennen,  aber  in  Weihungen  und  Gebeten 
suchen  können,  fanden  auch  der  Schreiber,  der  Korrektor, 
der  Herausgeber  es  nötig,  ihre  Namen  der  Nachwelt  zu  über- 
liefern, so  daß  der  Schlußtitel  sein  eigentliches  Wesen  verlor 
und  zu  einer  längeren  Schlußbemerkung  wurde.  Diese  Wand- 
lung steht  gewiß  im  Zusammenhange  mit  der  zunehmenden 
Wichtigkeit  des  Anfangstitels.  Sofern  er  überhaupt  vor- 
handen war,  bestand  er  bei  der  Rolle,  wie  es  scheint,  in  einem 
kurzen  Vermerk,  in  der  Regel  auf  dem  Schutzblatte,  oft  in 
nachlässiger  Schrift,  und  erhob  gar  nicht  den  Anspruch,  ein 
wirklicher  Titel  zu  sein.  Der  Kodex  hatte  hierfür  die  erste 
Seite  oder  das  ganze  erste  Blatt  zur  Verfügung,  eine  Stelle, 
die  sich  von  vorn  herein  dem  Auge  mehr  aufdrängte  als  jenes 
Schutzblatt.  Daher  fand  allmählich  der  eigentliche  Titel  auf 
dem  ersten  Blatte  seinen  Platz,  während  der  Schlußtitel  sich 
in  eine  »Unterschrift«  (Subscriptio)  umwandelte.  In 
Augustins  Zeit,  um  400,  war  man  jedenfalls  schon  gewohnt, 
den  Titel  am  Anfange  zu  suchen. 

Innerhalb  des  Kodex  werden  einzelne  Teile  gerade 
so  wie  bei  der  Rolle  durch  Untertitel  bezeichnet,  die 
über  und  unter  dem  Abschnitte  stehen.  Mit  einer  ge- 
wissen Breitspurigkeit  drängt  sich  der  Untertitel  z.  B. 
in  den  Bruchstücken  aus  Nonnos  am  Anfange  des  15.  Buches 
der  Dionysiaka  auf,  indem  auch  hier  der  Titel  Dionysiaka 
und  der  Name  des  Dichters  genannt  wird.  Früher,  noch  im 
viertenjahrhundert,  begnügte  man  sich  wohl  mit  einer  kurzen 
Fassung,  die  gelegentlich  über  die  den  neuen  Abschnitt  begin- 
nende Seite  gesetzt  wurde  und  fast  wie  eine  nachträgliche 


140  Drittes  Kapitel. 

Zutat  aussieht.  Sie  bedeutet  dann  nichts  anderes  als  die 
Kolumnenüberschriften,  die  in  manchen  Rollen  vor- 
kommen und  weniger  ein  notwendiger  Bestandteil  des  Buches 
als  eine  willkürliche  Zugabe  sind.  Daher  fehlen  diese  Seiten- 
überschriften gerade  in  älterer  Zeit  häufig,  ohne  daß  man  in 
ihrem  Fehlen  ein  Zeichen  höheren  Alters  erblicken  dürfte. 
Manchmal  scheinen  sogar  schon  in  sehr  alten  Codices  die  ver- 
schiedenen Titel  recht  verschwenderisch  angewendet  zu 
werden.  So  lesen  wir  auf  einem  Blatte,  das  den  Anfang  der 
Andromache  des  Euripides  enthält,  ein  paar  Buchstaben,  die 
wohl  mit  Recht  als  Anfang  eines  Untertitels,  nämlich  »Rede 
der  Andromache«  gedeutet  worden  sind.  Er  steht  auf  der 
leeren  ersten  Seite,  der  Text  beginnt  erst  auf  der  zweiten. 
Damit  wird  es  zugleich  sehr  wahrscheinlich,  daß  noch  ein 
besonderes  Blatt  mit  dem  Haupttitel  des  Dramas  voranging, 
und  zwar  in  einem  Kodex  des  dritten  Jahrhunderts.  Hat  diese 
Entwicklung  des  Buchtitels  einen  verständlichen  Zusammen- 
hang mit  der  Kodexform,  so  ist  es  eine  davon  unabhängige 
Sitte,  wenn  die  Zählung  der  Verse  oder  Zeilen  in  poetischen  und 
prosaischen  Werken  mit  der  Zeit  häufiger  wird  und  die 
späteren  Codices  meistens  am  Ende  der  einzelnen  Abschnitte 
und  am  Schlüsse  des  ganzen  Buches  die  Summe  der  Zeilen 
angeben. 

9.  Illustration.  Schwerlich  hängt  die  Zunahme  der 
Buchillustration  von  der  Kodexform  ab.  Auch  Rollen 
mit  Abbildungen  sind  uns  begegnet;  in  welchem  Umfange  die 
Rolle  sich  den  Bildern  geöffnet  hat,  haben  wir  immerhin  ver- 
muten können.  Eine  Untersuchung  über  die  Buchillustra- 
tion würde  auf  dem  Gebiete  der  Kunstgeschichte  liegen  und 
mit  der  eigentlichen  Buchtechnik  wenig  zu  tun  haben;  sie 
gehört  deshalb  nicht  hierher.  Denn  der  Kodex,  der  schon 
in  seinen  Anfängen  Bilder  brachte  wie  Varros  Lebensbe- 
schreibungen und  die  Vergilausgabe  bei  Martial,  ist  jeden- 
falls nur  deshalb  in  höherem  Maße  als  die  Rolle  Träger  der 
Illustration  geworden,  weil  sein  Vordringen  zeitlich  mit  der 
Zunahme  der  Buchabbildungen  zusammen  fällt.  Überdies 
wissen  und  sehen  wir  davon  mancherlei,  von  der  Rolle  mit 
Bildern  aber  fast  nichts.  Wenn  ich  eine  reich  illustrierte 
Weltchronik  aus  dem  fünften  Jahrhundert  erwähne,  so  soll 
dies  Beispiel  nur  zeigen,  daß  die  Leser  damals  schon  lebhaft 
das  Bedürfnis  empfanden,  den  trockenen  Text  durch  Bilder 
belebt  zu  sehen.  Die  Anordnung  der  Bilder  auf  der  Seite 
ist  gerade  so  mannigfaltig  wie  in  der  früher  besprochenen 
astronomischen  Papyrusrolle;  sie  stehen  bald  rechts,  bald 
links  neben  dem  Texte,  auch  mitten  darin,  so  daß  die  Schrift- 
reihe eingeengt  und  unterbrochen  wird.  Aber  nicht  nur 
bildliche  Darstellung  von  Personen  und  Vorgängen  finden 


Der  Kodex. 


141 


wir,  sondern  auch  rein  ornamentale  Verzierungen,  namentlich 
auf  der  ersten  und  der  letzten  Seite.  Von  der  Hervorhebung 
einzelner  Buchstaben  oder  auch  Zeilen  durch  rote  Tinte  ging 
der  Geschmack  der  Zeit  bald  über  zur  farbigen  Ausmalung, 
verbunden  mit  schnörkelhaften  Zierlinien.  Solche  Initialen, 
die  nun  sehr  groß  gestaltet  und  nach  links  ausgerückt  werden, 


Abb.  32.    Farbiges  "Webemuster  auf  Papyrus. 


treten  in  griechischen  und  koptischen  Büchern  schon  seit  dem 
vierten  Jahrhundert  auf.  Soweit  ich  sehe,  ist  das  bei  der  Pa- 
pyrusrolle noch  nicht  geschehen;  es  sei  aber  nochmals  betont, 
daß  es  vielleicht  ein  Zufall  ist,  wenn  diese  Äußerlichkeiten 
uns  durch  den  Kodex  vor  Augen  geführt  werden.  Der  Kodex 
an  sich  steht  der  Illustration  und  dem  Buchschmuck  nur 
nach  der  Zeit,  nicht  nach  seinem  Wesen  näher  als  die  Rolle. 
Bei  den  Abbildungen,  die  wir  auf  Papyrusfetzen  sehen,  bleibt 


142 


Drittes  Kapitel. 


meistens  zweifelhaft,  ob  sie  selbständig  sind  oder  in  ein  Buch 
gehören;  einige  haben  wir  schon  einem  Webvorlagenbuche 
zuweisen  können. 

Über  den  Bucheinband  der  Jahrhunderte,  die  uns 
hier  beschäftigen,  ist  nur  wenig  zu  sagen,  weil  es  fast  gänz- 
lich an  Beispielen  aus  der  Frühzeit  des  Kodex  fehlt.  Wie 
die  wenigen  erhaltenen  Stücke  zeigen,  hat  man  bisweilen  ge- 
brauchte Papyrusblätter  zu  einer  dicken  Pappe  zusammen- 
geklebt und  mit  einem  Lederüberzug  als  Buchdeckel  ver- 
wendet. Das  Leder  ist  zu  kunstvollenOrnamenten  geschnitten 
und  vielleicht  gefärbt  oder  wenigstens  durch  helle  Unter- 
lagen zu  far- 
bigerWirkung 
gebracht  wor- 
den. Ob  der 
hölzerne  Dek- 
kel  mit  den 
Bildern  der 
vier  Evange- 
listen, der 
zum  Evange- 
lienbuche der 
Freer-  Samm- 
lung gehört, 
so  alt  ist  wie 
die  Schrift, 
weiß  ich  nicht. 
10.  Die 
Schreibar  - 
bei  t.  Es  bleibt 
noch  die  Frage 
übrig,  wie  sich 
beim  Kodex 
die  Arbeit 
des  Schreibers  gestaltet  habe.  Im  Grunde  war  seine 
Aufgabe  hier  dieselbe  wie  bei'  der  Rolle.  Denn  auch  hier 
muß  er  vor  dem  Beginne  seiner  Abschrift  abgeschätzt 
haben,  wieviel  Raum  der  ganze  Text  beanspruchen  und 
wieviel  eine  Seite  aufnehmen  möge.  Falsche  Schätzungen 
kommen  auch  hier  vor  und  äußern  sich  in  einer  besonders 
engen  oder  seltner  einer  besonders  weiten  Schrift  der  letzten 
Seiten.  Natürlich  hatte  bei  der  Anordnung  und  der  Wahl 
der  Schrift  der  Buchhändler  oder  auch  der  Verfasser  ein 
Wort  mitzureden.  In  einer  Beziehung  aber  konnte  die  neue 
Form  eine  Änderung  der  Schreibarbeit  mit  sich  bringen. 
Die  Rolle  wurde  dem  Schreiber  als  Ganzes  zur  Ausfüllung 
gegeben;  der  lange  Papyrusstreifen  mußte  geschont  werden 


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Abb.  33.    Bucheinband. 


Der  Kodex. 


143 


und  war  nicht  leicht  zu  handhaben.  Der  Kodex  bot  dafür 
eine  größere  Bequemlichkeit.  Erhielt  der  Schreiber  das  fertig 
geheftete  Buch  zur  Herstellung  des  Textes,  so  wurde  damit 
seine  Arbeit  erschwert,  besonders  wenn  der  Kodex  ein  kleines 
Format  hatte  oder  sehr  dick  war.  Daher  hat  man  ihm  wohl  in 
der  Regel  die  Lagen  der  Blätter  einzeln  übergeben,  jede  stellte 
ein  dünnes  Heft  dar,  worin  er  bequem  schreiben  konnte.  Be- 
stand freilich  der  Kodex  aus  einer  einzigen  Lage,  so  mußte 
man  die  einzelnen  Blätter  lose,  also  ungeheftet  beschreiben 
lassen.  Jedoch 

spricht  in  einigen 
Fällen  die  Anord- 
nung der  Schrift 
dafür,  daß  ein  voll- 
ständig geheftetes 
Buch  in  die  Hand 
des  Schreibers  kam. 
Wir  müssen  also 
auch  hier  mit  Un- 
gleichheit und  mit 
Willkür  rechnen. 
Das  eine  wie  das 
andre  Verfahren 
ist  mit  der  Arbeit 
mehrerer  Schrei- 
ber an  demselben 
Buche  vereinbar. 
Der  Schreiber  des 
frühen  Genesis - 
buches,  das  für 
diese  Dinge  beson- 
ders lehrreich  ist, 
hat  offenbar  auf 
losen  Blättern  ge- 
arbeitet, denn 
sonst  hätte  er  den  für  das  Heften  bestimmten  Zwischenraum 
nicht  vernachlässigen  können.  Da  nun  jedes  Blatt  ein 
Doppelblatt  mit  vier  Seiten  war,  von  denen  nur  je  zwei 
einen  fortlaufenden  Text  aufnahmen,  war  es  wichtig,  vor 
dem  Schreiben  die  Reihenfolge  genau  zu  bezeichnen.  Am 
sichersten  geschah  es  durch  die  Bezifferung  der  Seiten,  die 
also  nicht  nur  dem  Leser,  sondern  auch  dem  Schreiber  einen 
Anhalt  bieten  sollte,  und  vor  dem  Schreiben  des  Textes  ge- 
schehen mußte,  freilich  nicht  immer  geschehen  ist.  Erhielt 
aber  der  Schreiber  eine  Anzahl  dünner  Blätterlagen,  die  jede 
für  sich  geheftet  waren,  so  bedurfte  er.  Um  Irrtümer  zu  ver- 
meiden,  nur  einer  Angabe  über  die  Reihenfolge  der  Lagen. 


Abb.  34.    Bucheinband. 


144  Drittes  Kapitel. 

Die  Lagenziffern,  die  öfters  begegnen,  boten  ihm  diese  Hilfe. 
In  erster  Linie  freilich  dienten  sie,  genau  wie  im  heutigen 
Buche  die  Bogenzählung  dazu,  die  Vollständigkeit  des  Bandes 
zu  prüfen.  Den  Leser  gingen  sie  nur  insofern  an,  als  man 
gelegentlich  nach  ihnen  statt  nach  Seiten  zitierte. 

Beging  der  Schreiber  ein  erhebliches  Versehen,  das  sich 
nicht  in  der  gewöhnlichen  Weise  der  Korrektur  beseitigen 
ließ,  so  konnte  er  auch  aus  der  Lage  ein  einzelnes  Blatt  heraus- 
nehmen und  durch  ein  neues  ersetzen.  Wo  wir  einzelne  Blätter 
eingeklebt  finden,  können  wir  daher  außer  den  schon  früher 
besprochenen  rein  technischen  Ursachen  auch  eine  solche  Er- 
klärung für  möglich  halten.  Wer  dagegen  glaubt,  der  Schreiber 
habe  hier  den  Text  einer  oder  zweier  Seiten  anfänglich  aus- 
gelassen, muß  annehmen,  daß  seine  Vorlage  dieselbe  Seiten- 
einteilung hatte  wie  die  geforderte  Abschrift.  Gewiß  kann 
eine  Abschrift  im  Format  und  in  der  Anordnung  des  Textes 
genau  der  Vorlage  entsprechen,  besonders  wenn  es  sich  um 
Vervielfältigung  in  zahlreichen  Exemplaren  handelt.  War 
aber  die  Vorlage  eine  Rolle  oder  das  Manuskript  des  Verfassers, 
worin  durch  Striche  die  Gliederung  für  die  Abschrift  bezeich- 
net wurde,  so  ist  es  nicht  eben  wahrscheinlich,  daß  der  Schrei- 
ber gerade  eine  oder  zwei  Seiten  des  Formates  seiner  Ab- 
schrift übersah  und  ausließ.  Doch  ist  es  im  Grunde  müßig, 
allen  Möglichkeiten  nachspüren  oder  alle  besonderen  Um- 
stände erraten  zu  wollen. 

Schwerlich  vermöchte  man  aus  den  Eigenheiten  der 
Schrift  einzelne  Stilarten  mit  Sicherheit  herauszufinden, 
denn  die  größere  oder  geringere  Sorgfalt  des  Schreibers,  der 
jetzt  fast  immer  mit  dem  Lineal  arbeitete  und  am  linken 
Rande  die  Zeilen  durch  Punkte  kenntlich  machte,  prägt 
auch  den  Handschriften  der  Codices  verschiedenen  Charakter 
auf.  Immerhin  zeigen  sie  im  Vergleiche  mit  der  großen  Mannig- 
faltigkeit der  Rollen  mehr  Gleichmäßigkeit  und  eine  be- 
merkenswerte Unabhängigkeit  von  der  gleichzeitigen  Ge- 
schäftsschrift, die  früher  sichtHchen  Einfluß  auf  die  Buch- 
schreiber ausübte.  Namentlich  die  schöne  Unciale  des  4.  und 
5.  Jahrhunderts  hat  ein  so  einheitliches  Gepräge  in  Büchern 
ganz  verschiedenen  Inhalts  und  ganz  verschiedener  Herkunft, 
in  griechischen  wie  in  koptischen  Texten,  daß  man  die  Zunft 
der  Buchschreiber  und  ihre  gleichmäßige  Schulung  geradezu 
vor  sich  sieht.  Selbst  die  schönsten  Rollen  früherer  Jahr- 
hunderte bleiben  in  der  Regelmäßigkeit  der  Schrift  hinter 
diesen  Büchern  zurück;  sie  zeigen  mehr  Persönliches  als 
solche  Codices,  die  oft  wie  gedruckt  aussehen.  Ob  man  aus 
dieser  Beobachtung  schließen  darf,  das  Buchgewerbe  habe 
damals  gegen  früher  eine  gesteigerte  Ausbreitung  erreicht 
und   zugleich   immer  festere   Regeln   ausgebildet,    lasse   ich 


I 


Der  Kodex. 


145 


dahin  gestellt;  jedenfalls  kam  ihm  die  Überlieferung  vieler 
Jahrhunderte  zugute.  Vielleicht  könnte  eine  eingehende 
Untersuchung  über  den  Stil  der  Buchschrift  auch  der  Datie- 
rung, die  vor  der  Hand  für  das  Zeitalter  des  Kodex  etwa  vom 
4.  Jahrhundert  an  fast  noch  schwieriger  ist  als  für  das  der 
Rolle,  eine  festere  Grundlage  verschaffen. 

Eine  Geschichte  des  Kodex  und  eine  umfassende  Dar- 
stellung seiner  Formen  würde  über  das  Altertum  hinaus  bis 
zur  Gegenwart  reichen  und  die  Entwicklung  bis  zum  5.  Jahr- 
hundert nur  als  Vorstufe  betrachten.  Für  das  Buchwesen 
der  Alten  dagegen  bilden  die  ersten  Jahrhunderte  des  Kodex 
den  Übergang  zu  etwas  Neuem,  das  nur  in  seinem  Ursprünge 
dem  Altertume  angehört,  die  klassische  Buchform  der  Rolle 
aber  überwindet  und  damit  das  antike  Buch  beseitigt.  Daher 
ist  auf  diesem  Gebiete  etwa  das  Jahr  400  n.  Chr.  ein  Wende- 
punkt und  ein  Abschluß,  wie  er  später  nicht  mehr  zu  finden 
wäre. 


Sehn  hart,    Das  Buch.     2,  Aufl. 


VIERTES  KAPITEL. 

DIE  VERVIELFÄLTIGUNG  UND  DER 
BUCHHANDEL. 

Eine  Literatur  kann  nur  da  entstehen,  wo  ein  empfängliches 
Volk  dem  Werke  des  Schaffenden  Teilnahme  und  Ver- 
ständnis entgegen  bringt.  Mag  auch  den  Dichter,  den  Erzähler, 
den  Denker  ein  unwiderstehlicher  Drang  nötigen,  sein  Fühlen, 
Wissen  und  Denken  in  Worte  zu  fassen  oder  in  zusammen- 
hängender Darstellung  das,  was  ihn  bewegt,  sich  selbst  zur 
Klarheit  zu  bringen,  so  lange  er  es  für  sich  behält,  bleibt  es 
ein  Selbstgespräch,  und  die  vollkommenste  Ausgestaltung 
ändert  daran  nichts.  So  bedarf  denn  das  wirkliche  Literatur- 
werk ebenso  sehr  der  Empfänger  wie  des  Schöpfers;  es  muß 
zwar  nicht  immer  wirken  wollen,  aber  wirken.  Beide  müssen 
auf  irgend  einem  Wege  in  Verbindung  treten.  Der  Verfasser 
will  seine  Gedanken  anderen  zugänglich  machen,  um  sie  zu 
erfreuen  oder  zu  überzeugen,  und  das  Volk  verlangt  einen 
Anteil  an  dem  geistigen  Schaffen  seiner  Dichter  und  Denker. 
Die  Wege,  die  zu  ihrer  Beziehung  führen,  können  sehr  ver- 
schieden sein  und  hängen  ebenso  von  der  Eigenart  des  Werkes 
wie  von  der  Kultur  der  Zeit  ab. 

In  der  Frühzeit  der  griechischen  Literatur  treffen  wir 
an  den  Fürstenhöfen"  überall  den  Sänger,  der  zum  Mahle  der 
vornehmen  Herren  ein  altes  Heldenlied,  ein  Märchen  oder 
ein  Abenteuer  vorträgt.  In  dieser  Weise  sind  die  homerischen 
Gesänge  von  Mund  zu  Mund  gegangen,  und  wandernde  Rhap- 
soden haben  sie  hier  und  dort  den  Hörern  vermittelt.  Die 
alte  Lyrik  wendet  sich  ebenso  an  die  Hörer  und  verbreitet 
sich  mündlich  durch  Gesang  und  Vortrag.  Waren  diese  Dich- 
tungen, wenigstens  in  ihrer  Mehrzahl,  allgeijiein  genug,  um 
überall  zu  gefallen,  so  gibt  es  andere,  die  nicht  so  sehr  aus  der 
Gelegenheit  heraus  entstehen  als  vielmehr  für  die  Gelegenheit 
gemacht  werden.  Ich  erinnere  an  Pindars  Siegeslieder  und  an 
die  alte  Schauspieldichtung.  Aber  auch  sie  wenden  sich  an 
eine  Zuhörerschaft,  und  wo  der  Dichter  nicht  selbst  vorträgt. 


Die    Vervielfältigung  und  der  Buchhandel.  147 

leitet  er  doch  die  Aufführung  und  bedient  sich  der  Menschen- 
stimme, um  mit  seinem  Volke  in  Beziehung  zu  treten.  Der 
Kreis,  an  den  er  sich  wendet,  ist  daher  beschränkt,  mögen 
auch  Tausende  im  Theater  versammelt  sein,  und  die  Kennt- 
nis seines  Werkes  ist  an  Bedingungen  gebunden,  die  mehr  von 
der  Gelegenheit  als  von  ihm  abhängen.  Man  darf  sich  freilich 
diese  mündliche  Verbreitung  nicht  zu  gering  vorstellen;  denn 
der  rege  Verkehr  zu  Lande  und  zu  Wasser  trug  ein  Lied  rasch 
genug  durch  die  Welt,  und  das  Drama  fand  bald  mehr  als 
ein  Theater  zu  seiner  Verfügung. 

Eine  andere  Frage  ist  es,  ob  die  ältere  griechische  Lite- 
ratur ursprünglich  schriftlich  aufgezeichnet  worden  sei.  Die 
Antwort  kann  nur  bejahend  ausfallen.  Auch  das  alte  Epos,  das 
spätestens  im  sechsten  Jahrhundert  v.  Chr.  eine  feste  Gestalt 
erhalten  hat,  bedurfte  der  Schrift  für  seine  Überlieferung, 
ganz  abgesehen  davon,  daß  seine  Sammlung  und  Sichtung, 
der  Aufbau  einer  Ilias,  nur  unter  dieser  Voraussetzung  denk- 
bar wird.  Hesiods  Gedichte  sind  sicher  von  vorn  herein  auf- 
geschrieben worden,  früh  auch  schon  die  alte  Lyrik. 
Freilich  die  unmittelbaren  Zeugnisse^  die  man  dafür  hat  finden 
wollen,  halten  nicht  Stich:  wenn  Alkaios  und  Sappho  sich 
in  Versen  anreden  und  vielleicht  sogar  auf  ihre  Dichtungen 
anspielen,  wenn  Solon  einem  Worte  des  Kolophoniers  Mim- 
nermos  widerspricht,  so  brauchen  sie  ihre  Werke  nicht  ge- 
lesen zu  haben,  sondern  konnten  sie  ohne  Schreibrohr  und 
Papier  kennen  lernen.  Aber  die  Tatsache  der  sich  fortpflan- 
zenden Überlieferung  und  ihre  Textgestalt  erheben  die  Nie- 
derschrift über  jeden  Zweifel,  um  davon  zu  schweigen,  daß 
der  Dichter  selbst  darauf  angewiesen  war.  Pindars  Sieges- 
lieder konnten  nur  dann  aufgeführt,  die  Tragödien  nur  dann 
eingeübt  werden,  wenn  dem  Chor  und  den  Schauspielern 
ein  geschriebener  Text  zur  Verfügung  stand.  Solche  Nieder- 
schrift ist  freilich  zunächst  nicht  mehr  als  ein  Hilfsmittel 
für  den  Verfasser  und  für  das  Gedächtnis;  sie  unterstützt  nur 
mittelbar  die  Verbreitung  des  Literaturwerkes. 

Etwas  wesentlich  anderes  ist  es,  wenn  die  Schrift  neben 
die  mündliche  Verbreitung  oder  an  ihre  Stelle  tritt  und  un- 
mittelbar den  Verfasser  mit  dem  Publikum  in  Verbindung 
bringt.  Wann  dieser  Schritt  bei  den  Griechen  geschehen  ist, 
wage  ich  nicht  zu  entscheiden,  jedenfalls  nicht  mit  einem 
Schlage  sondern  allmählich  und  zu  verschiedenen  Zeiten. 
Es  war  nur  möglich  in  einem  Zeitalter,  das  des  Schreibens  und 
Lesens  bereits  gewohnt  und  in  beiden  Künsten  weit  genug 
vorgeschritten  war,  um  dem  Schriftsteller  wie  den  Lesern 
diesen  Weg  der  Verständigung  bequem  gangbar  zu  machen. 
Aber  schwerlich  hätte  man  ihn  in  größerem  Umfange  be- 
schritten, wenn  nicht  die  Literatur  selbst  darauf  hingedrängt 

IG* 


1^8  Viertes  Kapitel. 

hätte.  Es  entstanden  Werke,  die  ihrer  Natur  nach  sich  dem 
mündlichen  Vortrage  nicht  mehr  recht  fügen  wollten,  und  vor 
allem  muß  die  Entstehung  prosaischer  Schriften  in  dieser 
Richtung  gewirkt  haben.  Zwar  soll  noch  Herodot  um  die 
Mitte  des  5.  Jahrhunderts  v.  Chr.  bei  den  Festspielen  in 
Olympia  den  versammelten  Griechen  Teile  seines  Geschichts- 
werkes vorgelesen  haben,  allein  es  versteht  sich  von  selbst, 
daß  seine  Darstellung  nicht  darauf  angelegt  war,  vor  allem 
nicht  nach  ihrer  Zusammenfassung  zu  einem  Gesamtwerke. 
Sie  forderte  die  Verbreitung  durch  die  Schrift  und  hat  sie 
durch  die  Schrift  gefunden,  nicht  als  erste,  denn  die  Spuren 
des  gelesenen  Buches  weisen  in  höheres  Alter  hinauf.  Die 
Geschichtsschreibung  und  die  Philosophie  mögen  zuerst  diese 
Entwicklung  gefördert  haben,  beide  im  weitesten  Sinne  ge- 
faßt, sodaß  auch  ihre  älteste  noch  poetische  Gestalt  hierher 
zu  rechnen  ist.  Für  das  5.  Jahrhundert  dürfen  wir  die  Ver- 
breitung durch  Abschrift  nicht  nur  als  sicher,  sondern  als 
geläufig  betrachten;  auch  die  Werke,  die  auf  Hören  und  Vor- 
tragen angelegt  waren,  haben  damals  diesen  ursprüng- 
lich fremden  Weg  eingeschlagen  und  sind  Bücher  geworden. 
I.Vorstufen  des  Buchhandels.  Die  Geschichte  des 
Buches  fällt  nicht  mit  der  Geschichte  der  Literatur  zusammen. 
Vom  Buche  darf  man  genau  genommen  erst  reden,  wenn  die 
Vervielfältigung  vom  Verfasser  zum  lesenden  Publikum 
die  Brücke  schlägt.  Von  da  an  sind  die  Bedingungen  für  das 
Verhältnis  beider  Teile  in  ihren  Grundzügen  unverändert 
geblieben;  der  Verfasser  verbreitet  sein  Werk  durch  Abschrif- 
ten, und  das  Publikum  sucht  sich  durch  Abschriften  Kenntnis 
davon  zu  verschaffen.  Ohne  vom  ursprünglichen  Zustande 
eine  wirkliche  Kenntnis  zu  besitzen,  dürfen  wir  doch  ver- 
suchen, uns  ein  Bild  davon  zu  entwerfen,  das  freilich  Ver- 
mutung bleibt.  Anfänglich  wird  dieser  Verkehr  in  einfacher 
Weise  vor  sich  gegangen  sein.  Der  Schriftsteller  machte  sein 
Werk  zunächst  im  Kreise  seiner  Freunde  bekannt,  indem  er 
seine  Handschrift  verlieh  oder  ein  paar  Abschriften  anfertigte. 
Die  Freunde  wiederum  schrieben  sich  das  Buch  ab,  um  es 
selbst  zu  besitzen,  sie  gaben  ihr  Exemplar  anderen,  die  davon 
neue  Abschriften  nahmen,  sodaß  auf  diese  Weise  schon  eine 
ziemlich  weite  Verbreitung  zu  Stande  kommen  konnte.  Hatten 
aber  einmal  größere  Kreise  davon  gehört  und  Teilnahme 
daran  gewonnen,  so  mochten  die  von  Hand  zu  Hand  wan- 
dernden Exemplare  nicht  mehr  ausreichen.  Sei  es  nun,  daß 
man  den  Verfasser  darum  bat,  sei  es,  daß  er  von  selbst  dem 
Wunsche  vieler  entgegen  kam,  er  ließ  jetzt  eine  größere  Anzahl 
von  Abschriften  herstellen,  oder  wenn  er  es  nicht  tat,  über- 
nahm es  ein  anderer,  der  ihm  nahe  stand,  wie  denn  Piatons 
Schüler  Hermodoros  die  Schriften  des  Meisters  vertrieb.    Da 


Die  Vervielfältigung  und  der  Buchhandel. 


149 


nun  aber  die  Vervielfältigung  Kosten  an  Schreibstoff  und 
Schreiberlohn  verursachte,  konnten  die  Abschriften  nur  noch 
gegen  eine  Entschädigung  geliefert  werden.  Ich  glaube  nicht, 
daß  es  längerer  Zeit  bedurfte,  bis  man  dahin  kam,  das  Buch 
sich  bezahlen  zu  lassen,  denn  der  Ersatz  der  baren  Auslagen 
war  etwas  Selbstverständliches,  sobald  das  Buch  über  den 
engsten  Kreis  der  Freunde  hinausdrang.  Dabei  muß  man 
aber  zweierlei  im  Auge  behalten:  was  bezahlt  würd,  ist  nicht 
die  schriftstellerische  Leistung,  sondern  die  technische  der 
Vervielfältigung,  und  neben  dem  Erwerb  einer  Abschrift  für 
Geld  hinderte  nichts  den 
Leser,  sich  selbst  eine  Ab- 
schrift nach  einem  geliehenen 
Buche  zu  machen.  Noch  De- 
mosthenes  soll  das  ganze 
Werk  des  Thukydides  acht- 
mal abgeschrieben  haben,  ver- 
mutlich für  sich  und  für 
Freunde,  und  vielleicht  hat 
er  sich  auch  dafür  bezahlen 
lassen.  Hatte  der  Verfasser 
selbst  oder  ein  anderer  es 
übernommen,  eine  größere 
Zahl  von  Abschriften  herzu- 
stellen, für  das  vorhandene 
Bedürfnis  oder  auch  darüber 
hinaus  auf  Vorrat,  so  erwarb 
er  damit  keineswegs  das 
Recht,  von  nun  an  allein  die 
Verbreitung  zu  besorgen,  ein 
Recht,  das  damals  niemand 
anerkannt  hätte.  Jede  der 
beteiligten  Parteien,  Verfasser 
wie  Publikum,  wählte  den 
Weg,  der  ihr  am  besten  schien,  ohne  daß  es  irgend  ein  Gesetz 
gegeben  hätte,  wenn  auch  wahrscheinlich  schon  früh  sich 
ein  Brauch  herausgebildet  haben  mag.  Welche  tief  wirkenden 
Folgen  für  die  Gestaltung  des  Textes  diese  völlige  Freiheit 
und  Gesetzlosigkeit  haben  mußte,  kann  hier  nicht  ausgeführt 
werden.  Jedenfalls  darf  man  die  geschilderte  Art  der  Ver- 
breitung nur  als  Vorstufe  des  Buchhandels  bezeichnen,  auch 
dann,  wenn  derjenige,  der  die  Verbreitung  in  die  Hand  nahm, 
einen  Vorteil  herauszuschlagen  wußte. 

2.  Buchhandel.  Der  wirkliche  Buchhandel  beginnt 
erst  da,  wo  ein  Unternehmer  gewerbsmäßig  die  Vervielfälti- 
gung und  Verbreitung  von  Büchern  betreibt,  und  wo  dem 
Publikum    im   Buchladen  verschiedene  Bücher    zum  Kaufe 


Abb.  35.    Imhotep  mit  der 
Papyrusrolle. 


Igo  '  Viertes  Kapitel. 

bereit  stehen;  jedenfalls  ist  es  noch  im  fünften  Jahrhundert 
V.  Chr.  dahin  gekommen.  Den  Buchladen  finden  wir  zuerst 
in  der  Komödie  dieser  Zeit  erwähnt;  auch  eine  viel  erörterte 
Stelle  aus  der  Verteidigungsrede  des  Sokrates  ist  oft  darauf 
gedeutet  worden  und  beweist  trotz  mancher  Unklarheit 
immerhin,  daß  man  in  Athen  die  Schriften  des  Philosophen 
Anaxagoras  kaufen  konnte.  Recht  klar  wird  die  Ausdehnung 
des  Buchhandels  durch  eine  Bemerkung  in  Xenophons  Ana- 
basis: bei  Salmydessos  fand  man  unter  anderen  Überbleibseln 
gestrandeter  Schiffe  »viel  geschriebene  Bücher«;  es  gab  also 
bereits  eine  Buchausfuhr  über  See.  Weiter  zurück  zu  gehen, 
scheint  nicht  geraten,  denn  die  Büchersammlungen  großer 
Herren  wie  des  Peisistratos  in  Athen  und  des  Polykrates  in 
Samos  im  6.  Jahrhundert  können  auch  ohne  Hilfe  des  Buch- 
handels entstanden  sein;  obendrein  darf  man  zweifeln,  ob  sie 
nicht  später  Erfindung  entsprungen  sind.  Man  wird  gut  tun, 
sich  auch  noch  vom  Buchhandel  Athens  im  5.  Jahrhundert 
bescheidene  Vorstellungen  zu  machen;  wir  wissen  im  Grunde 
sehr  wenig  davon.  Sicherlich  brachte  das  4.  Jahrhundert 
Fortschritte,  und  die  Entstehung  großer  Büchereien  wie  der 
Privatsammlung  des  Aristoteles  und  später  des  gewaltigen 
Unternehmens  in  Alexandreia  ist  ohne  ein  leistungsfähiges 
Buchgeschäft  nicht  denkbar.  Die  ältere  wie  die  gleichzeitige 
Literatur  muß  in  sehr  zahlreichen,  oft  unzuverlässigen  und 
verwilderten  Abschriften  durch  private  und  buchhändlerische 
Tätigkeit  verbreitet  gewesen  sein,  wenn  die  Gelehrten  des 
dritten  Jahrhunderts  es  nötig  fanden,  die  Texte  kritisch  zu 
bearbeiten:  damit  tun  wir  freilich  auch  einen  Blick  in  die 
Willkür  uid  Regellosigkeit,  die  mit  der  antiken  Weise  der 
Vervielfältigung  von  vorn  herein  Hand  in  Hand  ging  und 
noch  lange  verbunden  blieb.  Schon  die  Sammlung  guter 
Texte  war  ein  großes  Verdienst  der  Bibliotheken,  zumal  der 
alexandrinischen.  Viel  mehr  aber  als  solche  Erwägungen 
und  Folgerungen  steht  uns  nicht  zu  Gebote;  wir  müssen  darauf 
verzichten,  die  Geschichte  des  Buchhandels  im  Altertum 
uns  anschaulich  zu  machen.  Erst  in  den  letzten  Jahrzehnten 
der  römischen  Republik  gewinnen  wir  festen  Boden,  und  was 
wir  feststellen  können,  gilt  nur  für  das  Rom  Ciceros  und  der 
Kaiserzeit.  Wollte  man  von  hier  aus  auf  frühere  Jahrhunderte 
zurückschließen,  so  würde  man  in  das  Reich  der  Vermutungen 
geraten;  auch  die  Ausbhcke  auf  andere  Teile  der  Mittelmeer- 
welt eröffnen  sich  nur  spärlich  und  unsicher. 

3.  Verleger.  Horaz  hat  vielleicht  nicht  zuviel  gesagt, 
als  er  sich  schmeichelte,  seine  Gedichte  würden  an  den  äußer- 
sten Küsten  des  Schwarzen  Meeres  wie  an  der  Rhone  und  am 
Ebro  gelesen  werden.  Denn  in  der  ganzen  Mittelmeerwelt 
war  zu  seiner  Zeit  ein  gebildetes  und  leselustiges  Publikum 


Die  Vervielfältigung  und  der  Buchhandel.  151 

vorhanden,  und  der  Weltverkehr  im  römischen  Reiche  ließ 
ein  Buch  nach  allen  Richtungen  ohne  besondere  Schwierigkeit 
seinen  Weg  finden.  Man  war  weit  entfernt  von  den  Tagen, 
wo  der  Schriftsteller  selbst  die  Beziehung  zu  seinen  Lesern 
in  der  Hand  halten  konnte;  die  Bücherverb'-eitung  war  ein 
entwickelter  Buchhandel  geworden,  und  der  Verleger  war 
der  unentbehrliche  Vermittler  zwischen  Verfasser  und  Leser, 
mögen  auch  vielleicht,  wie  Birt  annimmt,  die  vornehmen 
Römer,  die  zur  Feder  griffen,  ihre  Schriften  im  Selbstverlage 
herausgegeben  haben. 

Der  erste  mit  Namen  bekannte  Verlagsbuchhändler 
ist  Atticus,  Ciceros  Freund,  und  von  da  an  kennen  wir 
eine  ganze  Reihe  solcher  Männer,  die  der  Ruhm  eines 
v^on  ihnen  vertriebenen  Schriftstellers  auf  die  Nachwelt 
gebracht  hat.  War  auch  Cicero  mit  Atticus  durch  persönliche 
Freundschaft  verbunden,  so  muß  doch  der  Verlag  seiner 
Schriften  ein  geschäftliches  Verhältnis  begründet  haben. 
Nach  unseren  Begriffen  war  Cicero  für  den  Verleger  ein  wert- 
voller Autor,  ein  viel  gelesener  Schriftsteller,  dessen  Bücher 
einen  sicheien  Absatz  fanden.  Man  würde  also  erwarten,  daß 
der  Verleger  es  sich  etwas  kosten  ließ  und  ihm  ein  anständiges 
Honorar  zahlte.  Das  scheint  aber  nicht  der  Fall  gewesen  zu 
sein;  vielmehr  trug  wahrscheinlich  Atticus  die  Herstellungs- 
kosten, Cicero  aber  bekam  keine  Entschädigung.  Denn  wenn 
Cicero  seine  »Akademika^<  dermaßen  ändert,  daß  die  ganze 
schon  fertige  Auflage  preisgegeben  werden  muß,  ohne  dem 
Atticus  seine  Kosten  zu  ersetzen,  so  muß  dem  der  völlige  Ver- 
zicht auf  ein  Honorar  gegenüber  stehen.  Dem  Verfasser  so 
weit  entgegen  zu  kommen,  war  gewiß  schon  ein  Freundschafts- 
dienst; hätte  Atticus  dem  Cicero  noch  Honorar  zahlen  müssen, 
so  wäre  er  als  Geschäftsmann  schwerlich  in  der  Lage  gewesen, 
so  gefällig  zu  sein.  Damit  wird  nicht  ausgeschlossen,  daß 
Cicero  einen  Anteil  am  Reingewinn  erhalten  habe;  wahr- 
scheinlich ist  es  aber  nicht,  denn  das  Verhältnis  zum  Verleger 
war  damals  wesentlich  anders  als  heute.  Indem  der  Schrift- 
steller sich  mit  dem  Verleger  in  Verbindung  setzte,  hatte  er 
vor  allem  die  Verbreitung  seines  Werkes  im  Auge,  übertrug 
ihm  die  Herstellung  einer  Anzahl  von  Abschriften,  verkaufte 
ihm  aber  keineswegs  das  Werk  selbst,  sondern  behielt  voll- 
kommen freie  Verfügung.  Ihm  blieb  ohne  weiteres  das  Recht, 
es  auch  von  sich  aus  zu  verbreiten  und  es  anderen  zur  Ab- 
schrift zu  überlassen.  Das  erklärt  sich  im  Grunde  einfach  aus 
der  Art  des  Buchgewerbes  selbst,  denn  mochte  auch  der  Ver- 
leger durch  seine  geschulten  Schreiber  und  durch  seine  ge- 
schäftlichen Verbindungen  in  der  Masse nerzeugung  einen 
weiten  Vorsprung  haben,  so  hinderte  doch  nichts  den  Privat- 
mann, sich  eine  Papyrusrolle  zu  kaufen  und  den  Text  selbst 


1^2  Viertes  Kapitel. 

abzuschreiben;  er  wird  das  Buch  so  immer  noch  biUiger  als 
im  Laden  bekommen  haben.  Dem  Verfasser  lag  schwerlich 
daran,  solchen  Privatfleiß  zu  bekämpfen,  vor  allem  aber  be- 
saß weder  er  noch  der  Verleger  irgend  ein  Mittel,  sich  dagegen 
zu  wehren.  War  das  Buch  erschienen,  so  war  es  vogelfrei;  es 
gab  weder  ein  Autorrecht  noch  ein  Verlagsrecht.  Dem  Ver- 
leger fiel  der  Gewinn  aus  der  Auflage  zu,  die  nur  kurze  Zeit 
ohne  Wettbewerb  bestand  und  vermutlich  nicht  be- 
sonders hoch  war;  denn  da  nachher  jeder  abschreiben  konnte, 
soviel  er  mochte,  so  wäre  es  zwecklos  gewesen,  bei  der  Auflage 
sich  in  große  Unkosten  zu  stürzen.  Der  Verleger  hat  im 
Altertume  noch  weit  vorsichtiger  als  heute  abwägen  müssen, 
wieviel  Exemplare  er  mit  einiger  Sicherheit  absetzen  könne. 
Bei  dieser  Lage  war  er  aber  auch  dem  Verfasser  gegenüber 
zu  besonderen  Leistungen  nicht  verpflichtet.  Übernahm  er 
die  Kosten  der  Auflage  in  vollem  Umfange,  so  konnte  der 
Schriftsteller   froh  genug  sein. 

Leider  ist  man  hierbei  fast  ausschließlich  auf  der- 
gleichen allgemeine  Betrachtungen  angewiesen  und  er- 
fährt so  gut  wie  nichts  aus  der  alten  Literatur.  Das 
Wenige,  was  sie  mitteilt,  scheint  aber  damit  überein- 
zustimmen. So  sagt  Horaz  in  der  »Ars  Poetica«,  dies  Buch 
bringe  Geld  ein  den  Sosii,  das  sind  seine  Verleger,  es  gehe  übers 
Meer  und  sichere  dem  Verfasser  ein  langes  Leben.  Das  be- 
deutet kurz  und  klar:  Horaz  hat  den  Ruhm  und  der  Verleger 
den  Profit;  von  Honorar  ist  keine  Rede.  Wenn  später  Martial 
auf  die  klingende  Belohnung  für  seine  Verse  anspielt,  so  meint 
er  wohl  die  Geschenke  reicher  Gönner,  die  er  zunächst  mit 
Abschriften  seiner  neuen  Dichtungen  zu  bedenken  pflegte. 
Er  griff  also  dem  Verleger  vor,  wenn  er  diese  Widmungs- 
exemplare auf  eigne  Faust  herstellen  ließ,  und  hatte  schwerlich 
ein  Honorar  von  jenem  zu  erwarten.  Freilich  könnte  man 
versuchen,  doch  so  etwas  aus  einem  Gedichte  herauszulesen. 
Lupercus  macht  sich  an  ihn  heran,  er  erlaube  wohl,  daß  er 
seinen  Diener  zu  ihm  schicke,  um  das  Büchlein  Epigramme 
abzuholen;  er  werde  es  ihm  nach  der  Lektüre  sofort  wieder 
zustellen.  »Du  brauchst  deinen  Diener«,  antwortet  der  Dich- 
ter, »nicht  den  weiten  Weg  und  die  drei  hohen  Treppen  zu  mir 
zu  bemühen,  du  kannst  es  näher  haben,  gehe  nur  in  den 
Buchladen  des  Atrectus  und  laß  dir  den  Martial  geben;  er 
kostet  5  Denare.«  Hat  Martial  einen  Vorteil  davon,  den  Lu- 
percus an  den  Buchhändler  zu  verweisen?  Nach  der  Beschrei- 
bung, die  er  vom  Laden  des  Atrectus  gibt,  ist  dieser  ein  Sor- 
timentsbuchhändler, aber  nicht  sein  Verleger,  und  der  Sinn 
der  Verse  liegt  nur  in  der  Abfertigung  des  unverschämten 
Borgers,  der  auf  eine  Gefälligkeit  keinen  Anspruch  hat,  son- 
dern den  Geldbeutel  ziehen  mag,  wenn  er  das  Buch  lesen  will. 


Die  \'ervielfältigung  und  der  Buchhandel.  ic^ 

Außer  Atrectus  nennt  Martial  auch  noch  Secundus  als  einen 
Buchhändler,  bei  dem  seine  Werke  zu  haben  seien,  namentlich 
die  kleine  Ausgabe  in  Form  des  Kodex,  die  er  erwähnt;  seine 
Verleger  aber  scheinen  erst  Polius  und  dann  Tryphon,  der 
auch  den  Quintilian  herausgab,  gewesen  zu  sein.  Man  darf, 
wie  ich  glaube,  auch  für  Martials  Zeit,  das  Ende  des  i.  Jahr- 
hunderts n.  Chr.,  annehmen,    daß  der  Verleger  den  vollen 


Abb.  36.    Der  Schreibende  mit  der  "Wachstafel. 

Gewinn  aus  der  Auflage  zieht,  der  Verfasser  frei  über  sein 
Werk  verfügt  und  die  private  Abschreibcrei  einen  empfind- 
lichen Wettbewerb  bedeutet.  Ein  bedeutender  Verlag  mußte 
darauf  ausgehen,  mehr  als  ein  Werk  zu  verlegen.  Wie  Tryphon 
Quintilian  und  Martial  herausgab,  so  werden  auch  die  übrigen 
getan  haben,  und  uns  fehlt  nur  die  Kenntnis,  um  eine  richtige 
Anschauung  vom  Umfange  des  Verlagsgeschäftes  in  jener  Zeit 
zu  gewinnen.  Selbstverständlich  brachte  man  auch  die  alte 
Literatur  der  Griechen,    die  bereits  klassisch  geworden  war, 


154  M,  Viertes  Kapitel. 

in  neuen  Auflagen;  so  hat  Atticus  nicht  nur  Ciceros  Werke 
verlegt,  sondern  auch  neue  Ausgaben  des  Piaton,  Aischines  und 
Demosthenes  veranstaltet. 

Wenn  ich  soeben  den  Verleger  dem  Sortimentsbuch- 
händler gegenüber  gestellt  habe,  so  geschah  es  in  Anlehnung 
an  die  heutigen  Begriffe;  der  antike  Buchhandel  wird  diesen 
Unterschied  nur  insofern  gekannt  haben,  als  das  Verhältnis 
des  Schriftstellers  zu  ihnen  in  Betracht  kommt.  Der  Verleger 
b*"achte  zuerst  das  neue  Werk  in  einer  gewissen  Anzahl  von 
Exemplaren  auf  den  Büchermarkt,  aber  jeder  andere  Buch- 
händler konnte  ihm  Konkurrenz  machen,  indem  er  ein  Exem- 
plar kaufte  und  es  seinerseits  vervielfältigen  ließ.  Dem  Publi- 
kum gegenüber  bestand  dann  kein  wesentlicher  Unterschied 
zwischen  beiden,  höchstens  in  dem  Falle,  daß  der  Verfasser 
selbst  die  Korrektur  der  vom  Verleger  besorgten  Auflage 
überwachte.  Davon  abgesehen  vermochte  ein  andrer,  den 
wir  genau  genommen  weder  Verleger  noch  Sortimenter  nennen 
dürfen,  ebenso  gute  Exemplare  in  den  Handel  zu  bringen. 
Auch  dieser  Umstand  drängt  zu  der  Annahme,  daß  die  soge- 
nannte Auflage  nicht  sehr  hoch  gewesen  sei;  der  Verleger  hat 
vielleicht  ein  Buch  in  einer  Weise  ausgegeben,  die  dem  heutigen 
Subskriptionsverfahren  verwandt  ist,  mag  er  nun  sich  vorher 
der  Abnehmer  versichert  oder  ihre  Zahl  ungefähr  geschätzt 
haben.  Eine  niedrige  Auflage  macht  es  auch  am  leichtesten 
verständlich,  daß  man  nach  dem  Erscheinen  des  Buches 
noch  Korrekturen  ausführen  konnte,  wie  es  Atticus  auf 
Ciceros  Wunsch  getan  hat,  indem  er  seine  Schreiber  bei  den 
Abnehmern  herumschickte.  Es  war  nur  möglich,  wenn  es 
sich  nicht  um  Tausende  handelte,  und  wenn  der  Verleger  die 
Käufer  kannte  oder  noch  ermitteln  konnte. 

Die  Lage  des  Buchhandels  war  damals  ganz  anders  als 
heute;  von  einer  gesetzlichen  Regelung  wissen  wir  nichts,  und 
sollte  sie  bestanden  haben,  so  hätte  die  Eigenart  der  damaligen 
Buchtechnik  sie  um  ihre  Wirkung  gebracht.  Um  ein  Beispiel 
heranzuziehen,  sei  wieder  an  Martial  erinnert.  Wie  es  scheint, 
verkaufte  der  Buchhändler  Secundus  eine  kleine  Ausgabe  der 
Epigramme  in  Kodexform ;  deswegen  braucht  er  aber  in  keiner- 
lei Beziehung  zu  Polius  oder  Tryphon,  den  Verlegern,  noch 
zu  dem  Dichter  selbst  gestanden  zu  haben,  sondern  kann 
einfach  ein  »Nachdrucker«  gewesen  sein,  der  mit  Rücksicht 
auf  weniger  bemittelte  Leser  eine  billige  Ausgabe  veranstaltete. 
Dieser  Gesichtspunkt  ist  wesentlich,  wenn  man  sich  von  der 
Herausgabe  eines  Buches  ein  Bild  machen  will.  Denn  bei 
diesem  Verfahren  konnte  ein  Werk  bald  nach  dem  Erscheinen 
in  mehreren  gleichen  oder  in  Güte  und  Format  verschiedenen 
Ausgaben  auf  den  Markt  kommen,  denen  allerdings  die  Aus- 
gabe  des  Verlegers  zugrunde  lag;  der  Verleger  selbst  hatte 


I 


Die  Vervielfältigung  und  der  Buchhandel.  155 

vor  ihr  nur  einen  kleinen  Vorsprung,  wenn  die  Konkurrenz 
rührig  war.  Verschiedene  Ausgaben  besaßen  also  keineswegs 
den  Wert  einer  neuen  Auflage  im  heutigen  Sinne.  Eine  solche 
wird  der  Verleger  und  mit  ihm  der  Verfasser  weit  seltener 
unternommen  haben,  als  es  heute  unter  sonst  gleichen  Um- 
ständen geschieht,  in  der  Regel  nur  dann,  wenn  der  Text  des 
Buches  durch  unbeaufsichtigte  Vervielfältigung,  wir  würden 
sagen  durch  Nachdrucke,  arg  verdorben  worden  war,  oder 
wenn  der  Verfasser  sein  Buch  wesentlich  umarbeiten  wollte. 
Eine  Umarbeitung, -nicht  einfach  eine  neue  Auflage  ist  es, 
die  Martial  mit  seinem  10.  Buche  vorgenommen  hat;  sagt 
er  doch  selbst,  sie  werde  das  Alte  nur  teilweise  und  in  neuer 
Bearbeitung,  meistens  aber  Neues  bringen. 

Wie  ein  Buchladen  im  Rom  der  Kaiserzeit  aussah, 
beschreibt  Martial  mit  ein  paar  Versen.  »Die  Türpfosten 
rechts  und  links  sind  ganz  beschrieben«,  sagt  er,  »so  daß 
man  rasch  alle  Poeten  überlesen  kann.«  Am  Eingange  be- 
fand sich  also  eine  Auslage,  wohl  in  der  Form,  daß  die  Titel 
der  vorhandenen  Bücher  angeschrieben  oder  auf  Zetteln 
angeheftet  waren;  die  Bücher  selbst  können  nicht  wohl  an 
den  Türpfosten  angebracht  gewesen  sein,  denn  die  Papyrus- 
rolie  hätte  sich  dafür  wenig  geeignet.  Innen  aber  befanden 
sich  mehrere  Büchergestelle,  Martial  nennt  sie  »Nester«, 
die  unseren  Bücherregalen  ähnlich  gewesen  sein  mögen. 
Darauf  standen  die  Rollen  selbst- vielleicht  in  besonderen  Be- 
hältern aus  Holz  oder  Ton,  oder  sie  lagen  unmittelbar  auf  den 
Regalbrettern;  genauere  Kenntnis  fehlt  uns. 

4.  Preise.  Die  Preise  der  Bücher  wurden  vor  allem 
bestimmt  durch  die  Herstellungskosten,  das  Schreibmaterial, 
den  Schreiberlohn,  die  Zahlung  für  den  Korrektor  und  die 
äußere  Ausstattung;  sie  hingen  also  von  dem  jeweiligen 
Werte  des  Papyrus  oder  des  Pergaments  und  von  dem  wech- 
selnden Werte  der  menschlichen  Arbeit  ab.  Die  großen  Unter- 
schiede der  Ausstattung,  mit  denen  man  bei  dem  oben  be- 
sprochenen Stande  des  Buchhandels  immer  rechnen  muß, 
machen  einen  Vergleich  der  überlieferten  Angaben  unter  sich 
und  mit  heutigen  Bücherpreisen  so  gut  wie  unmöglich.  Lesen 
wir  z.  B.  bei  Martial,  daß  sein  13.  Buch  bei  Tryphon  für  einen 
Denar  zu  haben  sei,  so  ist  das  kein  Widerspruch  gegen  die 
andere  Bemerkung,  das  erste  Buch  koste  bei  Atrcctus  5  Denare. 
Der  Umfang  würde  den  Unterschied  nicht  rechtfertigen,  aber 
die  Ausstattung  kann  ganz  verschieden  gewesen  sein,  und  das 
Exemplar  für  5  Denare  bei  Atrectus  war  nach  des  Dichters 
Worten  sicher  elegant  ausgestattet,  während  Tryphon  das 
13.  Buch  in  bescheidener  Form  ausgegeben  haben  mag.  »Auch 
wenn  es  nur  einen  halben  Denar  kostet«,  sagt  Martial,  »macht 
Tryphon   noch   ein   Geschäft.«     Will   man  eine  Vermutung 


156 


Viertes  Kapitel. 


wagen,  so  mag  man  sich  denken,  Tryphon,  der  berühmte 
Buchhändler,  habe  Martials  Werke  nur  als  Nebensache  be- 
trachtet und  deshalb  nicht  viel  daran  gewendet,  oder  er  habe 
es  für  zweckmäßig  gehalten,  eine  billige  Ausgabe  für  weite 
Leserkreise  zu  veranstalten.  Atrectus  dagegen  könnte  auf 
reiche  Käufer  und  auf  den  Ruf  des  Dichters  gerechnet  haben. 
Doch  das  sind  im  Grunde  Phantasien;    etwas   Brauchbares 


Abb.  37.    Der  Lesende  mit  der  Buchrolle. 


ließe  sich  nur  gewinnen,  wenn  man  die  Unterschiede  der  Aus- 
stattung nach  ihren  Kosten  schätzen  und  die  Preise  der  Bücher 
mit  denen  für  andere  Dinge  vergleichen  könnte.  Das  ist  aber 
auch  bei  Martials  Aufzählung  von  Neujahrsgeschenken,  wo 
er  Bücher  und  tausend  andere  Dinge  neben  einander  reiht, 
nicht  möghch.  Nur  soviel  sieht  man,  daß  zu  seiner  Zeit  der 
Pergamentkodex  der  Papyrusrolle  gegenüber  im  allgemeinen 
als  billige  Ausgabe  galt.  Von  den  Preisen  in  früheren  Jahr- 
hunderten wissen  wir  erst  recht  nichts,  und  die  bekannte  Stelle 


Die  Vervielfältigung  und  der  Buchhandel.  157 

in  der  Verteidigungsrede  des  Sokrates  über  den  Preis  der 
Schriften  oder  einer  Schrift  des  Anaxagoras  besagt  allzu  wenig, 
da  es  unklar  bleibt,  was  für  eine  Rolle  gemeint  ist,  ob  groß 
oder  klein,  stattlich  oder  einfach;  nur  soviel  ist  deutlich,  daß 
für  diese  unbekannte  Größe  der  Preis  von  einer  Drachme  um 
400  V.  Chr.  als  bescheiden  galt,  und  das  bleibt  ohne  nähere 
Kenntnis  für  uns  wertlos. 

5.  Vervielfältigung.  Ich  habe  oben  davor  gewarnt, 
die  vom  Verleger  besorgte  erste  Ausgabe  hoch  anzusetzen. 
Aber  auch  wenn  sie  im  Vergleich  mit  heutigen  Auflagen  nie- 
drig war,  stellte  sie  doch  etwas  andere  Forderungen  als  die 
einzelne  Abschrift.  Der  Verfasser  hat  schwerlich  mehr  als 
sein  eigenes  Manuskript  oder  eine  Reinschrift  zur  Verfügung 
gestellt;  hätte  ein  Schreiber  die  ganze  Auflage  anfertigen 
sollen,  so  wäre  auch  bei  großer  Übung  und  Schnelligkeit 
viel  Zeit  darauf  gegangen.  Es  müssen  notwendig  mehrere 
Schreiber  gleichzeitig  beschäftigt  worden  sein;  allein  der 
verbreitete  Glaube,  ein  ganzes  Heer  von  Schreibern  habe 
nach  Diktat  geschrieben,  ist  nicht  so  begründet  wie  er  scheint. 
Allerdings  sehen  wir  in  einer  altägyptischen  Darstellung 
mehrere  nach  Diktat  schreiben,  und  was  damals  geschah,  dürfte 
in  griechischer  Zeit  dem  hoch  entwickelten  Buchgewerbe  erst 
recht  unentbehrlich  gewesen  sein.  Wo  es  auf  Schnelligkeit 
und  Masse  ankam,  hat  man  gewiß  dies  Verfahren  angewendet. 
Im  übrigen  aber  spricht  die  Überlieferung  nicht  dafür,  und 
es  fehlt  nicht  an  erheblichen  Bedenken.  Denn  wieviel  Fehler 
müßten  durch  falsches  Hören  entstanden  sein,  wieviel  Arbeit 
müßte  der  Korrektor  gehabt  haben!  Die  Papyri  bieten  im 
allgemeinen  Texte,  die  für  Diktat  zu  gut  aussehen,  und  ihre 
Fehler  beruhen  fast  immer  auf  falschem  Lesen,  nicht  auf 
falschem  Hören.  Daher  haben  andre  Wege  mehr  Wahrschein- 
lichkeit für  sich.  Man  konnte  z.  B.  eine  Anzahl  Schreiber 
staffeiförmig  arbeiten  lassen,  sodaß  der  erste,  wenn  er  ein  paar 
Kolumnen  geschrieben  hatte,  den  erledigten  Teil  der  zer- 
schnittenen Vorlage  einem  zweiten  gab  und  so  fort.  In  der- 
selben Reihenfolge,  wie  sie  begonnen  hatten,  wurden  sie  auch 
fertig,  und  auf  diese  Weise  ließen  sich  annähernd  gleichzeitig 
eben  soviel  Exemplare  herstellen,  wie  es  Schreiber  gab.  Oder 
man  setzte  an  jede  einzelne  Rolle  mehrere  Schreiber;  der 
eine  schrieb  in  allen  Exemplaren  die  Anfänge,  ein  zweiter 
fuhr  fort  usw.  Hierbei  konnte  der  Schreiber,  der  immer  das- 
selbe abzuarbeiten  hatte,  eine  größere  Geschwindigkeit 
erreichen.  Je  sorgfältiger  die  Schrift  war,  desto  weniger  wird 
die  Ungleichheit  der  Hände  hervorgetreten  sein,  zumal  da 
die  ständigen  Schreiber  einer  Schreibstube  ohne  allzu  große 
Mühe  sich  eine  gemeinsame  Schreibart  angewöhnen  konnten, 
ganz  abgesehen  von  dem  Stile  der  Buchschrift,  den  sie  ge- 


1^8  Viertes  Kapitel. 

lernt  hatten,  und  der  vielleicht  viel  einförmiger  war,  als  wir 
ahnen.  Aber  auch  wenn  die  verschiedenen  Hände  erkennbar 
blieben,  wird  darin  niemand  einen  Nachteil  erblickt  haben, 
wofern  sie  nur  alle  klar  und  sorgfältig  waren. 

Unter  den  erhaltenen  Papyrustexten  fehlt  es  nicht 
an  solchen  Fällen;  so  sind  z.  B.  Pindars  Päane  und 
des  Aristoteles  Buch  von  der  Verfassung  Athens  sicht- 
lich von  mehr  als  einer  Hand  geschrieben  worden, 
aber  vielleicht  könnten  wir  den  zweiten  Schreiber 
in  manchen  anderen  Beispielen  auch  dann  nicht  heraus- 
kennen, wenn  wir  mehr  vollständige  Rollen  besäßen,  als  es 
der  Fall  ist.  Eine  Sammlung  amtlicher  vSchriftstücke  aus  dem 
3.  Jahrhundert  v.  Chr.,  die  sog.  Dikaiomata,  rückt  uns  den 
Wechsel  der  Hände  sehr  deutlich  vor  Augen  und  darf  für  das 
Buchwesen  herangezogen  werden,  obwohl  ihr  Inhalt  nicht 
literarisch  ist.  Eine  durchgängige  Regel  braucht  diese  Arbeits- 
teilung nicht  gewesen  zu  sein;  jedenfalls  ließ  man  Pracht- 
ausgaben immer  nur  von  einem  Kalligraphen  abschreiben, 
während  bei  eiliger  Herstellung  auch  das  Diktieren  zur  Gel- 
tung gekommen  sein  mag.  Die  Anforderungen  waren  je  nach 
der  beabsichtigten  Güte  des  Exemplars  so  verschieden,  daß 
auch  die  Art  der  Vervielfältigung  verschieden  sein  durfte, 
und  ein  und  derselbe  Buchhändler  ist  gewiß  auf  mehrere 
Arten  des  Schreibbetriebs  eingerichtet  gewesen.  Ganz  deut- 
lich wird  das  an  einem  Beispiel  aus  dem  4.  Jahrhundert  n.  Chr. 
Zwei  Bücher,  die  sich  in  der  Art  des  Papyrus,  im  Format  und 
in  der  Schrift  so  ähnlich  sind,  daß  man  sie  demselben  Verlage 
zuweisen  möchte,  unterscheiden  sich  wesentlich  in  der  inneren 
Ausstattung.  Das  eine,  ein  hellenistisches  Epos  enthaltend, 
ist  sorgfältig  korrigiert  und  mit  Akzenten  versehen ;  das  andere, 
dessen  Abfassung  kaum  früher  fallen  dürfte  als  die  erhaltene 
Abschrift,  zeigt  abweichende  Fassungen  des  Textes  am  Rande. 
Hier  hat  der  Verleger  das  neue  Werk  gegeben,  wie  er  es  fand, 
und  nicht  einmal  einen  einheitlichen  Text  herzustellen  für 
nötig  befunden,  während  er  an  den  Klassiker  einen  kundigen 
Grammatiker  als  Korrektor  gesetzt  hat.  Wieviel  der  Schreiber 
etwa  an  einem  Tage  leisten  konnte,  läßt  sich  natürlich  nicht 
sagen;  wenn  er  aber,  wie  wir  aus  einer  Urkunde  des  2.  Jahr- 
hunderts n.  Chr.  sehen,  zwei  Jahre  in  die  Lehre  gegangen 
war,  so  konnte  er  schon  eine  erhebliche  Fertigkeit  erworben 
haben. 

6.  Korrektur.  Auf  den  Schreiber  folgte  der  Korrektor, 
wofern  es  nicht  dieselbe  Person  war.  Eine  sorgfältige  Korrek- 
tur war  bei  der  Vervielfältigung  durch  Schreiber  unerläßlich; 
ohne  Auslöschen,  Hinzufügen  und  Verbessern  ging  es  nicht 
ab,  und  auch  die  schönsten  Handschriften  bezeugen  das. 
Ja,  die  Menge  der  Korrekturen  spricht  eher  für  die  Güte  der 


Die  Vervielfältigung  und  der  Buchhandel.  icn 

Ausgabe  und  erhöht  ihren  Wert,  so  daß  man  gerade  darin 
vielleicht  den  wesentlichsten  Vorzug  der  ersten  vom  Verleger 
besorgten  Ausgabe  vor  den  folgenden  Nachausgaben  suchen 
darf.  Prunkbücher,  die  auf  die  entstellendenVerbesserungen  ver- 
zichteten und  nur  durch  Schönschrift  glänzen  wollten,  mochten 
auch  ihre  Liebhaber  finden;  dem  ernsthaften  Leser  und  uns 
genügen  sie  nicht.  Während  der  Korrektur,  die  ziemlich  viel 
Zeit  beansprucht  haben  muß,  hatte  auch  der  Verfasser  noch 
Gelegenheit,  einzugreifen  und  Versehen  zu  beseitigen.  Sogar 
längere  Abschnitte  ließen  sich  ändern,  wie  Cicero  es  verlangte, 
als  er  aus  seinem  Vorrat  von  Einleitungen  eine  falsche  heraus- 
gegriffen hatte;  am  Anfang  der  Rolle  war  es  am  leichtesten 
möglich.  Atticus  hat  also  in  diesem  Falle  die  erste  Einleitung 
wegschneiden  und  die  neue  vorn  ankleben  lassen.  Schlimmer 
stand  es,  wenn  die  Auflage  schon  in  den  Handel  gekommen 
war,  aber  möglich  scheint  es  auch  dann  noch  gewesen  zu  sein. 
Cicero  schreibt  an  Atticus,  es  würde  ihm  sehr  angenehm  sein, 
wenn  er  nicht  nur  in  seinen  Büchern  sondern  auch  in  denen 
der  andern  durch  seine  Schreiber  »Aristophanes«  statt  »Eu- 
polis«  einsetzen  ließe;  er  hatte  im  Orator  die  beiden  attischen 
Komödiendichter  verwechselt,  den  Irrtum  aber  zu  spät  be- 
merkt. Attikus  mußte,  wie  schon  gesagt,  seine  Schreiber 
bei  den  Käufern  umher  schicken,  um  die  Änderung  vorzu- 
nehmen. Etwas  anderes  ist  es,  wenn  der  Verfasser  in  Aus- 
nahmefällen ein  Exemplar  selbst  verbessert,  wie  Martial 
es  auf  das  Drängen  eines  Verehrers  tut,  der  »die  Possen  im 
Original«  haben  will,  denn  das  bedeutet  eine  persönliche  Ge- 
fälligkeit, die  der  Dichter  dem  Freunde  erweist,  und  hat  mit 
der  Pflicht  des  Verlegers  nichts  zu  tun.  Mochte  der  Schreiber 
oft  genug  ohne  Nachdenken  arbeiten,  so  mußte  der  Korrektor 
mit  Rechtschreibung  wie  Sprache  Bescheid  wissen  und  ge- 
bildet genug  sein,  um  auch  den  Inhalt  zu  verstehen;  bedeu- 
tende Verleger  haben  gewiß  mit  dieser  Arbeit  gelehrte  Gram- 
matiker betraut,  deren  sie  namentlich  bei  der  Herausgabe 
klassischer  Werke  bedurften.  Daß  aber  nicht  jeder  Korrektor 
solchen  Ansprüchen  genügte,  beweisen  uns  manche  hinein 
korrigierten  Mißverständnisse  und  Gedankenlosigkeiten,  die 
in  Papyrusrollen  auf  die  Nachwelt  gekommen  sind.  Jedoch 
wird  nach  Möglichkeit  jeder  Verleger  auf  Güte  der  Schrift 
und  der  Korrektur  gehalten  haben.  Ob  die  Vervielfältigung 
durch  Abschrift  geschäftlich  ein  selbständiges  Gewerbe  war, 
wie  es  heute  die  Druckereien  in  ihrer  Mehrzahl  darstellen, 
oder  unmittelbar  vom  Buchhändler  in  die  Hand  genommen 
wurde,  ist  eine  unentschiedene,  freilich  auch  ziemlich  belang- 
lose Frage. 

Die  Stadt  Rom  war  im  Zeitalter  des  Augustus  und  seiner 
Nachfolger  ein  Mittelpunkt  des  literarischen  Schaffens  und 


i6o  Viertes  Kapitel. 

der  Literaturfreunde,  aber  nicht  der  einzige.  Dem  ent- 
sprechend wird  auch  der  römische  Buchhandel  beträchtlich, 
vielleicht  am  bedeutendsten,  aber  nicht  ohne  kräftigen  Wett- 
bewerb gewesen  sein.  Es  gibt  zu  denken,  daß  Kaiser  Domi- 
tian  die  Vervielfältigung  in  Alexandreia  besorgen  ließ,  als 
er  die  beim  Brande  Roms  vernichteten  Bibliotheksbestände 
erneuern  wollte.  Schwerlich  taugten  die  Schreiber  in  Rom 
sowenig,  daß  sie  den  kaiserlichen  Ansprüchen  nicht  genügten; 
vielmehr  waren  vermutlich  die  Schreibstuben  der  Stadt  Rom 
solch  einem  Auftrage  nicht  gewachsen.  Auch  damals  noch 
dürfte  Alexandreia  der  Hauptsitz  des  Buchhandels  und  der 
Verlagsanstalten  gewesen  sein;  zum  mindesten  besaß  es  einen 
großen  Vorsprung  vor  allen  anderen  Großstädten  durch  die 
unmittelbare  Nähe  des  Papyruslandes.  Außerdem  aber  blühte 
der  Buchhandel  überall  da,  wo  große  Städte  mit  einem  ge- 
bildeten Leserkreise  vorhanden  waren,  in  Spanien  und  Süd- 
frankreich ebenso  gut  wie  in  Griechenland,  Kleinasien  und 
Syrien;  am  Euphrat  scheint  man  sogar  die  Papyrusfabri- 
kation selbständig  betrieben  zu  haben.  Wie  weit  er  außerhalb 
der  großen  Mittelpunkte  auf  eignen  Füßen  stand,  ist  eine 
andere  Frage.  Jedenfalls  waren  die  Provinzen  des  römischen 
Reichs  z.  T.  von  der  römischen  und  wchl  auch  alexandri- 
nischen  Ausfuhr  abhängig;  in  den  kleineren  und  entlegenen 
Provinzstädten  konnte  der  hauptstädtische  Buchhändler 
seine  übrig  gebliebenen  Exemplare,  seine  Ladenhüter,  noch  an 
den  Mann  bringen,  ein  Beweis,  daß  in  der  Kaiserzeit  der 
Buchhandel  zu  Lande  und  zu  Wasser  sich  weit  ausgedehnt 
hat. 

7.  Buchhandelsexemplar  und  Privatabschrift. 
Im  Laufe  der  letzten  Jahre  sind  so  zahlreiche  und  so  umfang- 
reiche Reste  von  Büchern  aus  dem  Altertum  ans  Licht  ge- 
kommen, daß  man  von  ihnen  Ergebnisse  für  den  Stand  des 
Buchgewerbes  und  des  Buchhandels  mit  Recht  erwarten 
darf.  Genauer  gesagt  spitzt  sich  die  Frage  darauf  zu,  ob  man 
eindeutige  Merkmale  des  Buchhändlerexemplars  gegen- 
über der  Privatabs  chrift  ermitteln  könne.  Die  Kenner 
der  Papyrusfunde  pflegten  lange  mit  der  Bezeichnung  »Pri- 
vatabschrift« ziemlich  freigebig  zu  sein,  und  es  ist  schwer,  über 
die  Berechtigung  solcher  Urteile  zu  sprechen,  weil  auf  diesem 
Gebiete  bis  jetzt  lediglich  persönliche  Erfahrungen  und  An- 
schauungen zur  Geltung  kommen  können.  Stehen  wir  doch 
immer  noch  in  den  Anfängen  der  Schrift-  und  Buchkunde, 
von  gesicherter  wissenschaftlicher  Erkenntnis  noch  weit  ent- 
fernt. 

Man  nimmt  als  Regel  an,  daß  die  Rolle,  von  der  wir 
allein  zu  reden  haben,  bei  einem  anständigen  Buche  nur  auf 
einer  Ssite  benutzt  worden  sei,  und  die  Mehrzahl  der  sorgfältig 


Die  Vervielfältigung  und  der  Buchhandel. 


i6i 


geschriebenen  Texte  stimmt  damit  überein.  Wo  dagegen 
entweder  beide  Seiten  literarische  Texte  aufgenommen  haben, 
oder  wo  der  Buchtext  auf  der  Rückseite  einer  Urkunde  steht, 
denkt  man  zunächst  an  eine  Privatabschrift.  Beispiele  beider 
Arten  gibt  es  in  Menge;  Handschriften  aus  vorchristHcher 
wie  aus  nachchristlicher  Zeit,  prosaischen  wie  poetischen 
Inhalts  sind  darin  vertreten.  Ebenso  vielgestaltig  sind  die 
Schriftarten,  und  neben  flüchtig  geschriebenen  Texten  mangelt 
es  nicht  an  tadellosen  Mustern  der  Schönschrift.  Eine  be- 
sondere Gruppe  bilden  Stücke  mit  zwei  oder  mehr  Texten, 
die  in  irgend  einer  Hinsicht  zusammengehören,  mag  nun 
eine  Verwandtschaft  im  Inhalt 
oder  die  Absicht  des  Schreibers 
die  Beziehung  herstellen.  So 
enthält  z.  B.  eine  umfangreiche 
Rolle  zuerst  eine  Rede  des 
Hypereides  und  dann  den 
dritten  Brief  des  Demosthe- 
nes,  also  Werke  gleichzeitiger 
attischer  Redner,  deren  Ver- 
bindung verständlich  wird. 
Mehr  als  zufällige  Vereinigung 
ist  es  vielleicht  auch,  wenn  auf 
Rekto  das  2.  Buch  Mose,  auf 
Verso  die  Offenbarung  Johan- 
nis  steht  und  in  einem  anderen 
Falle  ein  Isishymnus  mit  der 
Lebensbeschreibung  des  ver- 
göttlichten Weisen  Imuthes  zu- 
sammentrifft. Dagegen  beruht 
die  Folge  verschiedener  Texte 
in  einem  Bruchstücke  der  Ber- 
liner Sammlung,  das  mit  einer  Erzählung  aus  dem 
Alexanderromane  beginnt  und  Listen  von  Künstlern,  Kunst- 
werken, Gebirgen,  Flüssen  und  Inseln  anschließt,  ledig- 
lich auf  einer  besonderen  Absicht  dessen,  der  diese  Zu- 
sammenstellung gemacht  hat,  denn  es  sind  alles  Auszüge 
aus  größeren  Werken;  vielleicht  gehen  sie  auf  einen  Gelehrten 
oder  Schulmeister  zurück,  der  eine  größere  Bibliothek  nicht 
am  Orte  hatte  und  deshalb  bei  Gelegenheit  sich  zusammen- 
schrieb, was  er  brauchen  konnte.  Alles  gehört  derselben  Hand 
an;  auf  der  Rückseite  des  Papyrus  aber  steht  von  anderer 
Hand  die  Inhaltsangabc  eines  Gedichtes  über  den  Raub  der 
Persephone.  Bleiben  auch  beide  Hände  hinter  buchmäßiger 
Schönschrift  ziemlich  weit  zurück,  so  nötigen  sie  doch  allein 
noch  nicht  dazu,  die  Arbeit  für  eine  flüchtige  private  Auf- 
zeichnung zu  erklären,  aber  die  völlig  willkürliche  Zusammen- 


Abb.  38. 


Der  Lesende  mit   der 
Bolle. 


S  c  h  u  b  a  r  t ,    Das  Kuch.     2.  Aufl. 


II 


102  Viertes  Kapitel. 

Stellung  führt  dahin.  Denn  welchen  Sinn  hätte  es  gehabt, 
solch  ein  buntes  Gewirr  von  Auszügen  aus  allerlei  Werken 
als  Buch  herauszugeben.^  Trotzdem  kann  das,  was  uns  vor- 
liegt, sehr  wohl  eine  Abschrift  sein,  wenn  dieser  ohne  Ordnung 
gehäufte  Stoff  auch  einem  Späteren  noch  brauchbar  erschien, 
und  wieder  ein  Späterer  mag  die  Rückseite  für  seine  Zwecke 
verwertet  haben. 

Etwas  anders  muß  man  diejenigen  Rollen  beurteilen, 
die  auf  beiden  Seiten  selbständige  Buchtexte  ohne  Beziehung 
aufweisen.  Eine  sehr  alte  Rolle  noch  aus  dem  3.  Jahrhundert 
V.  Chr.  trägt  auf  der  Vorderseite  eine  Rede  des  Lysias,  auf  der 
Rückseite  eine  Anthologie  aus  Euripides  und  anderen  Dich- 
tern. Im  3.  Jahrhundert  n.  Chr.  ist  eine  und  dieselbe  Rolle  für 
den  Kommentar  des  Didymos  zu  Demosthenes  und  für  die 
Ethische  Elementarlehre  des  Hierokles  benutzt  worden.  Dem 
ersten  Buche  der  Ilias  gegenüber  steht  eine  astronomische 
Abhandlung,  entsprechend  ist  Hesiods  Gedicht  von  der 
Arbeit  mit  einer  mathematischen  Lehrschrift  zusammen- 
geordnet, und  aus  noch  späterer  Zeit  stammt  ein  Papyrus, 
der  in  derselben  Weise  eine  Inhaltsangabe  der  Bücher  des 
Livius  mit  dem  Hebräerbrief  vereinigt.  Diese  Beispiele  aus 
einer  Reihe,  die  sich  leicht  verlängern  ließe,  zeigen  nicht  den 
mindesten  Zusammenhang  zwischen  Vorder-  und  Rückseite; 
Prosa  und  Poesie,  gelehrte  Werke  und  schöne  Literatur 
finden  sich  zusammen,  und  in  allen  diesen  Fällen  beweist 
obendrein  die  Schrift,  daß  beide  Seiten  von  verschiedenen 
Händen  und  zu  verschiedenen  Zeiten  beschrieben  worden 
sind.  Jede  Seite  für  sich  betrachtet  trägt  keine  sicheren 
Kennzeichen  privater  Arbeit,  auch  nicht  die  Texte  der  spä- 
teren Hände,  aber  die  zweimalige  Benutzung  legt  den  Ge- 
danken nahe,  eine  auf  der  Vorderseite  beschriebene  Buchrolle 
möge  später  von  ihrem  Besitzer  noch  einmal  verwertet  worden 
sein. 

So  viel  auch  dafür  spricht,  muß  es  doch  nicht  unbedingt 
so  sein.  Denn  der  Papyrus  und  erst  recht  eine  unbeschädigte 
Rolle  war  immer  ein  wertvolles  Material,  das  jeder  so  viel  wie 
möglich  ausnutzte,  nicht  nur  der  private  Besitzer,  sondern 
wohl  auch  der  Buchhändler.  Gelang  es  dem  Buchhändler 
nicht,  die  oben  genannte  Lysiasrolle  abzusetzen,  so  kann  er 
sehr  wohl  auf  den  Gedanken  gekommen  sein,  sie  auf  der 
leeren  Seite  mit  einem  neuen  Texte  zu  versehen  und  wieder 
in  den  Handel  zu  bringen,  gewiß  billiger,  da  sie  immerhin 
an  einem  Schönheitsfehler  litt;  aber  für  einen  minder  be- 
mittelten Leser  mochte  sie  auch  so  noch  ganz  annehmbar 
sein.  Wenn  der  Name  des  Livius  die  Kunden  nicht  mehr 
anzog,  warum  sollte  der  Buchhändler  die  schöne  Rolle  als 
Makulatur  verkaufen?  Vielleicht  war  es  zu  seiner  Zeit  sicherer, 


Die  Vervielfältigung  und  der  Buchhandel.  163 

auf  die  Frömmigkeit  zu  rechnen  und  es  mit  dem  Hebräerbrief 
zu  versuchen.  Die  DidymosroUe  sieht  freilich  auf  den  ersten 
Blick  gar  nicht  wie  ein  Buchhändlerexemplar  aus;  denn  die 
Schrift  ist  halb  kursiv  und  wimmelt  von  Abkürzungen,  die 
Zeilen  stehen  eng  gedrängt,  kurz  der  Platz  ist  über  die  Grenze 
des  Anstands  hinaus  benutzt;  aber  am  Ende  steht  wie  in 
jeder  guten  Buchrolle  der  Titel.  Solch  ein  rein  wissenschaft- 
liches Werk  hat  damals  gewiß  ebenso  wenig  wie  heute  viel 
Käufer  gefunden;  die  Bibliotheken  und  einzelne  wohlhabende 
Gelehrte  werden  mustergültige  Exemplare  besessen  haben, 
aber  dem  armen  Schulmeister  und  Studenten  konnte  es  nur 
angenehm  sein,  wenn  er  solch  eine  sparsame  Ausgabe  zu  kaufen 
bekam.  Das  Buch  des  Hierokles  auf  der  Rückseite,  das  eben- 
soviel Abkürzungen  aufweist,  aber  im  ganzen  schöner  geschrie- 
ben ist,  war  auch  dann  noch  Geldes  wert,  wenn  man  den 
Didymos  der  Vorderseite  mit  in  den  Kauf  nehmen  mußte.  In 
diesen  Fällen  ist  die  private  Abschrift  nicht  ausgeschlossen, 
aber  auch  nicht  sicher  zu  beweisen;  auch  solche  Exemplare 
können   im   Handel   gewesen  sein. 

Endlich  gibt  es  eine  lange  Reihe  literarischer  Texte,  die 
auf  der  Rückseite  von  Urkundenrollen  stehen.  Auch  hier  ist 
die  Annahme  privater  Arbeit  durchaus  zulässig,  aber  wenn 
die  Schrift  nicht  gerade  eine  Schülerhand  verrät,  darf  man 
solch  ein  Exemplar  ohne  Bedenken  als  ein  Erzeugnis  des  Buch- 
handels ansehen,  zumal  da  ihrer  so  viel  sind.  Mit  Rücksicht 
auf  die  Kosten  des  Papyrus  wird  mehr  als  ein  Buchhändler 
gebrauchte  Rollen  gekauft  haben,  um  sie  von  neuem  und 
zwar  als  Buchrollen  in  die  Welt  gehen  zu  lassen.  Bisweilen 
sind  mehrere  Urkundenrollen  zusammengeklebt  worden, 
um  eine  Buchrolle  von  genügender  Länge  zu  gewinnen,  und 
für  Pindars  Päane  hat  man  eine  Urkundenrolle  zerschnitten 
und  von  n^uem  zusanimengesetzt  mit  Verstärkungsstreifen 
an  den  Fugen.  Die  Berliner  Sammlung  besitzt  in  einer  Iso- 
kratesrolle  und  in  einem  großen  Bruchstücke  aus  den  Kata- 
logen des  Hesiod  Beispiele  dieser  Gattung,  die  meines  Erach- 
tens  ganz  buchmäßig  aussehen;  namentlich  der  Hesiodtext 
ist  ein  Muster  der  Schönschrift,  deren  es  übrigens  unter  den 
Texten  dieser  Gruppe  noch  manche  gibt.  Aber  auch  bei  ge- 
ringerer Ausstattung  bleibt  zu  bedenken,  daß  die  Schrift  ein 
unsicherer  Führer  ist,  denn  auch  der  Buchhändler  wird  für 
Exemplare  verschiedener  Güte  verschiedene  Schreiber  an- 
gestellt haben,  zumal  da  gute  und  geringere  Schrift  sehr  un- 
gleich bezahlt  wurden.  Ein  billiges  Buch  mußte  in  Schreib- 
material, Schrift  und  Ausstattung  wesentlich  anders  aussehen 
als  eine  Prachtrolle.  Nach  allem,  was  sich  uns  zuvor  über 
den  antiken  Buchhandel  ergeben  hat,  können  wir  kaum  be- 
'/vv,  if.  In    claß  die  Güte  der  im  Handel  umgehenden  Bücher 


164  Viertes  Kapitel. 

außerordentlich  verschieden  war,  und  daß  der  Buchhändler 
nicht  nur  kostbare,  sondern  auch  billige  Ausgaben  führen 
mußte.  Auf  der  andern  Seite  aber  darf  man  eine  zwar  nicht 
angefochtene,  aber  oft  zu  wenig  beachtete  Wahrheit  nicht 
vergessen:  das  antike  Buch  wurde  nicht  gedruckt,  sondern 
geschrieben;  besaß  der  Berufsschreiber  auch  die  größere 
Übung,  so  konnte  doch  ein  schreibgewohnter  Privatmann 
einen  Buchtext  in  annähernd  gleicher  Güte  für  sich  oder  einen 
anderen  abschreiben.  Die  Unterscheidung  des  Buchhändler- 
exemplars von  der  Privatabschrift  hat  in  Wirklichkeit  keine 
sichere  Unterlage,  und  eine  feste  Grenzhnie  gibt  es  nicht. 
Gewiß  spielte  die  Privatabschrift  eine  weit  größere  Rolle, 
als  man  nach  dem  Beispiele  heutiger  Verhältnisse  zunächst 
glaubt,  ebenso  sicher  aber  beschränkte  sich  der  Buchhandel 
keineswegs  auf  Musterrollen,  die  in  Schönschrift  nur  auf  einer 
Seite  beschrieben  waren.  Handelte  es  sich  um  eine  erste  Auf- 
lage und  um  einen  berühmten  Verfasser,  so  war  gewiß  auch 
die  gesamte  Ausstattung  tadellos,  wie  aber  die  »Nachdrucke« 
und  die  billigen  Ausgaben  aussahen,  das  lehren  uns  am  ehesten 
noch  die  Papyrusrollen  zweiter  und  dritter  Güte. 

Die  Menge  der  Korrekturen  und  ihre  Sorgfalt  sind  eben- 
sowenig unterscheidende  Merkmale;  der  Gelehrte,  der  für 
seinen  eignen  Gebrauch  ein  Buch  abschrieb,  mag  oft  genug 
peinlicher  darin  gewesen  sein  als  der  bezahlte  Korrektor. 
Wo  man  in  alten  Rollen  Randbemerkungen  findet,  können 
sie  sowohl  auf  eine  Privatabschrift  wie  auf  eine  gelehrte  Aus- 
gabe deuten;  sind  sie  von  zweiter  Hand,  so  bleibt  es  immer 
noch  unentschieden,  ob  der  Besitzer  der  Rolle  oder  der  Kor- 
rektor sie  eingetragen  hat,  ganz  abgesehen  von  der  Schwie- 
rigkeit, eine  zweite  Hand  sicher  festzustellen.  Daß  der  Buch- 
handel Ausgaben  mit  gelehrtem  Beiwerke  hervorgebracht 
hat,  ist  dagegen  sicher  und  wird  durch  die  P,apyrusfunde 
bestätigt.  Alle  diese  Dinge  fordern  in  jedem  einzelnen  Falle 
besondere  Erwägung;  allgemein  gültige  Regeln  gibt  es  nicht. 

Was  die  erhaltenen  Papyrusrollen  lehren,  gilt  natürlich 
zunächst  nur  für  ihre  Heimat  Ägypten.  Aber  ihr  Ergebnis 
steht  mit  dem,  was  wir  aus  anderen  Quellen  über  den  Buch- 
handel, besonders  in  Rom,  erfahren^  recht  gut  im  Einklang. 
Im  Papyruslande  mag  der  Buchhandel  eher  noch  günstiger 
daran  gewesen  sein  als  anderswo,  denn  wenigstens  der  Schreib- 
stoff dürfte  in  Ägypten  billiger  gewesen  sein.  In  Rom  und 
anderen  Großstädten  kann  freilich  die  große  Zahl  wohl- 
habender Literaturfreunde  den  Nachteil  einigermaßen  aus- 
geglichen haben.  Allein  das  sind  Vermutungen,  nichts  weiter. 
Dagegen  scheint  es  mir  ziemlich  sicher,  daß  vornehmlich 
die  bedrängte  Lage  des  römischen  Buchhandels  den  Kodex 
emporgehoben  und  befördert  hat ;  diese  neue  Form  des  Buches 


Die  Vervielfältigung  und  der  Buchhandel.  165 

zeigt  mehr  als  viele  Worte,  wie  sehr  man  darauf  sehen  mußte, 
neben  den  kostbaren  Ausgaben  billigere  Exemplare  zu  führen. 
Die  Sparsamkeit  mit  dem  Material  beherrschte  durch  den 
Buchhandel  schließlich  auch  den  Schriftsteller,  und  es  ist 
ein  billiger  Spott,  wenn  Martial  mit  einem  seiner  beliebten 
Wortspiele  von  dem  Dichterling  sagt:  »er  schreibt  seine  Epi- 
gramme auf  die  Rückseite  des  Papyrus  und  ist  betrübt,  wenn 
ihm  die  Muse  ihre   Rückseite  zeigt«. 

S.Sammler  und  Sammlungen.  Für  die  äußere  Ge- 
stalt der  Buchausgabe  ist  naturgemäß  weniger  der  Wunsch 
des  Verfassers  als  das  Bedürfnis  der  Kundschaft  maßgebend. 
Viel  gelesene  Tagesliteratur  tritt  unter  günstigeren  Bedin- 
gungen in  die  Öffentlichkeit  als  fachwissenschaftliche  Werke, 
neue  Schriften  werden  anders  behandelt  als  Klassiker,  und 
wenn  dem  Studenten  ein  unschönes  Exemplar  gut  genug  war, 
so  verlangte  die  vornehme  Dame  eine  zierliche  Rolle  oder  ein 
elegantes  Bändchen.  Je  nachdem  die  Kundschaft  des  Buch- 
händlers beschaffen  war,  werden  auch  seine  Buchausgaben 
gewesen  sein.  Eine  besondere  Stellung  unter  seinen  Kunden 
nahmen  die  Sammler  und  die  Sammlungen  ein,  die  privaten 
Bücherliebhaber  und  die  öffentlichen  Bibliotheken. 
Privatleute,  die  mit  einer  stattlichen  Bücherei  zu  glänzen 
suchten,  oder  aus  Liebe  zur  Literatur  und  zur  Wissenschaft 
möglichst  viel  und  vielseitig  zu  sammeln  strebten,  hat  es  wohl 
gegeben,  solange  es  Bücher  gibt.  .Polykrates  und  Peisistratos 
genossen  den  Ruhm,  auf  griechischem  Boden  die  ersten  Bücher- 
freunde und  Büchersammler  zu  sein,  aber  die  Überlieferung 
ist  bedenklich  und  erlaubt  ernstlichen  Zweifel.  In  den  Tagen 
des  Sokrates  besaß  Euthydemos  eine  nennenswerte  Samm- 
lung, die  man  sich  freilich  nicht  allzu  groß  denken  darf;  denn 
daß  er  die  homerischen  Gedichte  vollzählig  hatte,  scheint 
schon  als  etwas  Ungewöhnliches  gegolten  zu  haben.  Im  4.  Jahr- 
hundert v.Chr.  war  wohl  Klearchos,  der  Herrscher  von  Hera- 
kleia  am  Pontes,  der  früheste  Nichtgelchrte,  der  eine 
Bücherei  anlegte.  Als  Gelehrter  auf  allen  Gebieten  der  Wissen- 
schaft tat  es  Aristoteles,  und  neben  ihm  verdient  die  Aka- 
demie, die  Vereinigung  der  Piatonschüler,  genannt  zu  werden. 
Auch  Alexander  der  Große  gehört  zu  den  berühmten  Bücher- 
freunden; sein  Beispiel  hat  nicht  wenig  dazu  beigetragen, 
seinen  Nachfolgern  in  Makedonien,  Asien  und  Ägypten,  die 
ihm  in  allem  zu  gleichen  strebten,  die  Begründung  großer 
Bibliotheken  als  eine  königliche  Pflicht  erscheinen  zu  lassen. 
In  Rom  lenkte  die  Bibliothek  des  besiegten  Makedonen- 
königs  Pcrseus,  die  dorthin  überführt  wurde,  den  Blick  der 
Aristokraten  auf  dies  Gebiet,  und  im  letzten  Jahrhundert 
der  Republik  machten  sich  besonders  Sulla  und  Cicero  als 
Sammler  einen  Namen.    Hundert  Jahre  später  »konnte  der 


l66  Viertes  Kapitel. 

Besitzer  kaum  in  seinem  ganzen  Leben  die  Titel  durchlesen« 
wie  Seneca  sagt.  Der  Umfang  der  Privatbüchereien  und  die 
Zahl  der  Sammler  wuchsen  beständig;  zu  ihrem  Nutz  und 
Frommen  schrieb  unter  dem  Kaiser  Hadrian  Herennius 
Philo  einen  Führer  durch  den  Büchermarkt  mit  dem  Titel 
»über  Erwerb  und  Auswahl  von  Büchern«.  Daran  änderte 
sich  nichts,  als  die  Vornehmen  wie  die  Gelehrten  Christen 
wurden;  Hieronymus,  Augustinus  und  andre  arbeiteten  mit 
großen  eignen  Bücherschätzen. 

In  solchen  Kreisen  blühte  auch  die  Vorliebe 
für  alte  Exemplare,  womöglich  Originalhandschriften 
berühmter  Schriftsteller.  Als  einst  der  dritte  Ptole- 
maios  die  Tragikerhandschriften  aus  Athen  entlieh, 
hatte  er  den  wissenschaftlichen  Zweck  im  Auge,  der 
alexandrinischen  Bibliothek  einen  maßgebenden  Text  zu 
sichern,  nebenbei  freilich  auch  die  Absicht,  ihr  durch  die 
unschätzbaren  Originale  einen  Vorsprung  zu  verschaffen. 
Dagegen  war  es  wohl  nur  die  Schätzung  des  Alten  und  Ori- 
ginalen, die  den  Wert  eigenhändiger  Niederschriften  des 
Demosthenes  bestimmte.  Daß  man  in  Athen  diese  Hand- 
schriften aufbewahrte,  zeigt,  wie  sehr  schon  in  früher  Zeit 
auch  bei  den  Griechen  die  Ehrfurcht  vor  dem  Original  ent- 
wickelt war.  Und  diese  Richtung  nahm  zu:  im  ersten  Jahr- 
hundert der  Kaiserzeit  erzählt  der  ältere  Plinius  mit  einer 
gewissen  Feierlichkeit,  er  habe  die  Handschriften  des  Tiberius 
und  des  Gaius  Gracchus  gesehen,  die  damals  gegen  200  Jahre 
alt  waren,  während  ihm  eigenhändige  Niederschriften  des 
Cicero,  des  Vergil  und  des  Kaisers  Augustus  schon  eher  als 
etwas  Gewöhnliches  erscheinen.  Er  gehörte  zu  denen,  die 
nach  dem  Worte  des  Galenos  »sich  darauf  verlegten,  uralte 
Bücher,  die  vor  300  Jahren  geschrieben  waren,  aufzufinden«. 
Das  zweite  Buch  der  Aeneis  in  Vergib  eigner  Handschrift 
war  für  Gellius  wegen  seines  Alters  eine  große  Merkwürdig- 
keit. Sicherlich  hat  auch  der  Buchhandel  sich  dieses  Gegen- 
standes bemächtigt;  jedenfalls  zahlten  die  Liebhaber  für 
solche  Originale  sehr  hohe  Preise.  An  sich  ist  diese  Neigung 
berechtigt  und  verständlich,  aber  sie  wird  lächerlich,  wo  man 
das  Alte  und  Seltene  nur  noch  um  dieser  Eigenschaften  willen 
schätzt.  Aus  dem  Sammler  wird  der  Büchernarr,  und  an 
solchen  hat  es  nicht  gefehlt,  wie  denn  Lukian  mit  seinem 
Spotte  über  den  »Ungebildeten,  der  viel  Bücher  kauft«,  gewiß 
nicht  auf  einen,  sondern  auf  die  ganze  Gattung  der  reichen 
Sammler  zielt.  Aber  er  spottet  nicht  über  die  Vorliebe  für  das 
Alte  an  sich,  sondern  über  den  Unverstand  dessen,  der  es 
sammelt,  ohne  es  schätzen  zu  können.  »Woran  kannst  du 
erkennen«,  sagt  er,  »was  alt  und  wertvoll  oder  was  schlecht 
und  nutzlos  ist,  wenn  du  es  nicht  danach  beurteilst,  ob  es  zer- 


Die   Vervielfältigung  und  der  Buchhandel.  167 


Abb.  39.    Orabstein  eines  Mädchens,  mit  Buchrolle  und  Lesepult. 

fressen  und  be.slüßtn  ist,  und  den  Bücherwurm  zu  deinem 
Berater  machst.«  Ein  solcher  Mann  war  freilich  für  die  Anti- 
quare ein  gefundenes  Fressen,  wie  Lukian  bemerkt.  Aber 
diese  Erscheinung  stand  damals  wie  heute  weniger  mit  der 
Bücherliebhaberei  als  mit  der  Jagd  auf  Raritäten  jeder  Art 
in  Verbindung;  der  ungebildete  Büchernarr  fällt  unter  das- 
selbe Urteil  wie  der,  welcher  für  die  Tonlampe  des  Stoikers 
Epiktet  3000  Drachmen  bezahlt. 

Abgesehenvon  solchen  Auswüchsen  konnte  die  Teilnahme 
begüterter  Leute  dem  Buchhandel  und  dem  Buchgewerbe  nur 


l68  Viertes  Kapitel. 

zugute  kommen,  denn  verständnisvolle  Sammler  werden  an 
die  Ausstattung  des  Buches  wie  an  die  Beschaffenheit  des 
Textes  hohe  Anforderungen  gestellt  haben.  Allerdings  kommt 
auch  hier  wieder  das  unterscheidende  Merkmal  des  alten  Buch- 
wesens vom  heutigen  zur  Geltung;  denn  der  Sammler  war  längst 
nicht  in  dem  Maße  wie  heute  auf  den  Buchhändler  angewiesen, 
sondern  konnte  sich  verhältnismäßig  bequem  auf  eigne  Hand 
eine  leidliche  Bücherei  verschaffen,  wenn  er  nur  ein  paar 
geübte  Schreiber  zur  Verfügung  hatte.  Ob  er  damit  billiger 
fuhr,  vermögen  wir  freilich  nicht  zu  beurteilen,  da  wir  weder 
Buchpreise  noch  Arbeitslöhne  kennen.  Die  schon  öfter  er- 
wähnten Herkulanensischen  Rollen,  die  einem  Privathause, 
also  einer  privaten  Bücherei  entstammen,  machen  zum  großen 
Teile  den  Eindruck,  als  seien  sie  durch  private  Arbeit  ent- 
standen. Ihr  Besitzer  hatte  es  fast  ausschließlich  auf  die 
Schriften  epikureischer  Philosophen  abgesehen,  besonders 
des  Philodemos,  so  daß  man  vermutet  hat,  es  sei  die  Biblio- 
thek des  Philodemos  selbst  gewesen,  die  er  im  Hause  eines 
Gönners  untergebracht  habe.  Mehrere  seiner  Werke  waren 
doppelt  vorhanden,  z.  T.  in  ziemlich  nachlässigen  Abschriften. 
Eine  solche  private  Büchersammlung  wird  von  selbst  leicht 
einseitig,  wenn  auch  nicht  immer  in  dem  Maße  wie  diese  epi- 
kureische Fachbibliothek. 

Einen  größeren  Literaturkreis  haben  ohne  Zweifel  die 
öffentlichen  Bibliotheken  umfaßt,  obgleich  auch  für 
sie  die  Möglichkeit,  sich  Bücher  zu  beschaffen,  enger  als  heute 
begrenzt  war.  Im  übrigen  kam  es  natürlich  auf  die  besonderen 
Zwecke  des  Gründers  an,  und  mit  der  Zunahme  der  Biblio- 
theken ergab  sich  von  selbst  die  Beschränkung  auf  gewisse 
Gebiete;  im  zweiten  Jahrhundert  n.  Chr.  bestanden  in  Rom 
gesonderte  hellenische  und  lateinische  Bibliotheken.  Ferner 
hat  sich  ebenso  wie  heute  manche  öffentliche  Bibliothek 
aus  einer  privaten  entwickelt,  deren  Inhalt  vom  Ge- 
schmacke  des  ursprünglichen  Sammlers  bestimmt  worden 
war,  ganz  abgesehen  von  der  bedeutenden  Wirkung  des  Zu- 
falls. So  soll  Ptolemaios  Philadelphos  nicht  nur  Bücher  aus 
Athen  und  Rhodos  bezogen,  sondern  auch  die  Sammlung 
des  Aristoteles  gekauft  haben.  Endlich  war  auch  der  Ort 
nicht  gleichgültig;  für  eine  Bibliothek  in  Rom  lagen  die  Be- 
dingungen anders  als  für  die  in  Jerusalem,  von  der  Julius 
Africanus  spricht.  Nur  die  allerverbreitetsten  Werke  wird 
man  überall  gefunden  haben;  auch  ohne  besonderes  Zeugnis 
würden  wir  glauben,  daß  man  in  Jerusalem  in  römischer  Zeit 
den  Homer  bekommen  konnte. 

In  der  Herstellung  ihrer  Bestände  scheint  die  Muster- 
bibliothek in  Alexandreia  recht  selbständig  gewesen 
zu     sein.      Der     Einfluß,     den    sie    auf    das    Buchgewerbe 


Die  Vervielfältigung  und  der  Buchhandel.  169 

ausgeübt  hat,  erklärt  sich  wohl  gerade  daraus,  daß 
sie  die  BibHotheksexemplare  und  bis  zu  einem  gewissen  Grade 
auch  ihre  Vervielfältigung  auf  eigene  Hand  ausführte.  Über- 
dies ist  es  fraglich,  ob  der  Buchhandel  zu  der  Zeit,  als  die 
alexandrinische  Bibliothek  entstand,  überhaupt  schon  in  der 
Lage  war,  große  Aufträge  zu  übernehmen;  aber  ohne  Zweifel 
wird  ihn  eben  die  literarische  und  buchgewerbliche  Tätigkeit 
lebhaft  gefördert  haben,  die  sich  an  die  Bibliothek  anknüpfte. 
Ob  sie  ihn  später  mehr  in  Anspruch  genommen  hat,  ob  sie 
z.  B.  nach  dem  großen  Brande  bei  der  Eroberung  der  Stadt 
durch  Cäsar,  als  ein  Teil  ihrer  Bestände  in  Flammen  aufging, 
die  Erneuerung  durch  den  Buchhandel  ins  Werk  gesetzt  hat, 
läßt  sich  nicht  beurteilen.  Wie  die  pergamenische  Bibliothek 
verfuhr,  wie  weit  man  später  in  Rom  sich  des  Buchhandels 
bediente,  als  nach  dem  Beispiele  des  Asinius  Pollio  und  Au- 
gustus  die  Gründung  öffentlicher  Bibliotheken  eine  Mode 
wurde,  bleibt  uns  erst  recht  unbekannt,  aber  wahrscheinlich 
haben  die  Bibliotheken  zu  den  besten  Kunden  der  Buchhändler 
gehört,  sobald  der  Buchhandel  sich  so  weit  entwickelt  hatte, 
wie  wir  es  für  die  Zeit  eines  Cicero,  eines  Horaz,  eines  Mar- 
tial  annehmen  dürfen.  Dies  gilt  besonders  für  solche  Fälle, 
wo  die  Bestände  planmäßig  vermehrt  worden  sind.  Schon 
Polybios  setzt  öffentliche,  dem  Forscher  zugängliche  Biblio- 
theken voraus;  daher  dürfen  wir  uns  auch  die  alexandrinische 
so  denken.  Die  späteren  waren  es  gewiß.  Aber  von  allen  fehlt 
uns  die  lebendige  Anschauung.  Hier  helfen  auch  die  Papyrus- 
funde nur  wenig.  Zwei  kleine  Bruchstücke  von  Bücherver- 
zeichnissen besagen  fast  nichts.  Mehr  bietet  ein  Überblick 
über  die  literarischen  Texte,  die  in  Oxyrhynchus  ans  Licht 
gekommen  sind;  ob  sie  einer  oder  mehreren  Sammlungen, 
privaten  oder  öffentlichen  entstammen,  wissen  wir  nicht. 
Immerhin  lehren  sie  im  Einklänge  mit  den  Funden  literari- 
scher Papyri  überhaupt  das  starke  Übergewicht  der  klassi- 
schen Literatur,  der  sich  die  hellenistische  der  drei  letzten 
Jahrhunderte  v.  Chr.  anschließt,  nachdem  sie  klassisch  ge- 
worden ist.  Dagegen  fehlt  die  Literatur  der  Kaiserzeit,  die 
weltliche  wie  die  christliche,  so  gut  wie  völlig;  nur  das  Volks- 
tümliche ist  vertreten.  Bis  etwa  auf  Augustus  haben  die 
Griechen  Ägyptens  den  Zusammenhang  mit  dem  Geistes- 
leben der  gesamten  Griechenwelt  gewahrt,  nachher  aber  die 
Fühlung  verloren,  selbst  mit  der  alexandrinischen  Schrift- 
stcllerci.  So  erklärt  sich  das  eigentümliche  Ergebnis  der 
Funde,  das  natürlich  nur  für  Ägypten  gilt  und  auch  nur  auf 
die  griechischen  Bibliotheken  dieser  Provinz  ein  Licht  wirft. 
Auf  die  Anlage  der  Bibliotheken  des  Altertums  näher 
einzugehen,  würde  vom  Buchwesen  zu  weit  abführen;  von 
der  alexandrinischen  Bibliothek  haben  wir   überdies   schon 


lyo  Viertes  Kapitel. 

an  früherer  Stelle  uns  ein  Bild  zu  machen  versucht.  Das 
Wort  »bibliotheke«  bedeutet  eigentlich  Bücherbehälter  oder 
Bücherniederlage  und  kann  ursprünglich  ebenso  gut  den 
einzelnen  Bücherbehälter  bezeichnen  wie  den  Ort  der  Auf- 
bewahrung, also  den  Buchladen  oder  die  Bücherei.  Diese 
Bücherbehälten  waren  runde  oder  eckige  Gefäße  aus  Holz, 
Ton  oder  Stein,  die  bei  den  Griechen  kiste  oder  teuchos,  bei 
den  Lateinern  capsa  oder  scrinium  hießen;  sie  dienten  zur 
Aufbewahrung  der  Rollen,  die  man  in  Ägypten  auch  in  Krü- 
gen und  Körben  unterbrachte.  Einzelne  hat  man  noch  ge- 
funden, so  einen  Steinkasten  mit  der  griechischen  Aufschrift: 
Dioskurides  3  Rollen.  Aus  altägyptischer  Zeit  stammen 
ein  paar  schöne  Alabasterplatten  mit  dem  Namen  Amenem- 
hets  III,  die  einst  die  Rollenbehälter  der  königlichen  Bücherei 
verschlossen.  In  griechischer  Zeit  pflegte  man  größere  Werke 
zu  drei  oder  mehr  Rollen,  sogar  zu  zehn,  Triaden,  Dekaden 
und  dgl.  zusammenzuordnen.  Aber  auch  Rollenbündel  ohne 
Behälter  sieht  man  öfters  dargestellt.  Der  Bücherschrank, 
armarium,  gehört  im  wesentlichen  erst  der  Zeit  des  Kodex  an. 
Schon  früh  wird  der  Inhalt  des  Namens  bibliotheke 
näher  bestimmt  und  zugleich  gewandelt;  er  bezeichnet  die 
Büchersammlung  und  die  Gesamtheit  der  an  einer  Stelle 
vereinigten  Bücher,  jedoch  ohne  Beschränkung  auf  das  Buch 
im  engeren  Sinne,  das  Literaturwerk.  Die  griechischen  Ur- 
kunden aus  Ägypten  lehren,  daß  es  an  vielen  Orten  »Bi- 
bliotheken« gab,  die  nach  unsern  Begriffen  Archive  waren, 
amtliche  Urkundensammlungen  oder  ihre  Aufbewahrungs- 
stellen, wie  ja  ganz  entsprechend  auch  das  Wort  biblion 
nicht  nur  ein  Schriftstück  urkundlichen  Inhalts,  sondern 
auch  ein  Buch  bedeutet.  Die  innere  Einrichtung  wird  bei 
beiden  Arten  der  Bibliothek  im  wesentlichen  gleich  gewesen 
sein,  da  die  Urkunde  so  gut  Rolle  war  wie  das  Buch;  das 
Büchergestell  und  der  Behälter  für  die  Rollen  wurden  überall 
verwendet,  in  der  privaten  Büchersammlung,  in  der  öffent- 
lichen Bibliothek  und  im  Buchladen.  Im  einzelnen  wissen 
wir  davon  fast  nichts,  obwohl  eine  Ausgrabung  die  Grund- 
mauern und  damit  den  Grundriß  der  Bibliothek  in  Pergamon 
frei  gelegt  hat.  Die  Kataloge  scheinen  ursprünglich  die  Gestalt 
hölzerner  Tafeln  gehabt  zu  haben,  wenn  man  soviel  aus  dem 
Namen  »Pinakes«  schließen  darf,  den  die  alexandrinischen 
Bibliothekskataloge  auch  dann  behielten,  als  sie  in  Buchform 
erschienen.  Erst  mit  der  größeren  Verbreitung  des  Kodex 
hat  sich  die  Ausstattung  der  Bibliothek  zu  dem  uns  geläufigen 
Bilde   umgestaltet. 


ANHANG. 


ANMERKUNGEN  UND  NACHWEISE. 

Seite  2:  Varro  siehe  Plinius  n.  h.  XIII  ii. 

Blätter,  vgl.  ^Kq)uXXoq)opia  in  Athen  und  Tr6Ta\l(T|UÖ<;  in  Syrakus 
sowie  den  Brief  auf  einem  Ostrakon  aus  Ägypten  (Plaumann,  Arch.  f. 
Pap. -Forschung  VI  220  Nr.  8,  3.  Jahrh.  v.  Chr.):  dTröaxGiXov  xoTc; 
ÖTTOTeTpaMM^voK;  tok;  'ir€TaX{a(;  Kpuqpf|i  Kai  luriGeic;  aia0av^a6uu  usw., 
dann:  l\o\}a\  b^  ai  TreraMai  d'rTrfpa9riv  ^v  cpuXXoic;.  Der  Sinn  ist 
dunkel.  Zum  Lindenbast,  qpiXüpa,  vgl.  u.  a.  Galen,  ad  Hippokr.  18, 2, 
dazu  G.  A.  Gerhard,  Ein  neuer  Jurist.  Pap. 

Leinenbücher:  Livius  4,7.20  (thorax  linteus);  bei  den  Samniten 
10,  38.    Vop.  Aurelian  i ,  7. 

Schrift  in  Seidenstickerei  auf  Leinwand  kommt  später  bei  den 
Arabern  vor. 

Seite  4:  Der  Name  Papyrus,  sicher  ungriechisch,  ist  verschieden 
erklärt  worden.  Herrn  Prof.  G.  Möller  verdanke  ich  den  Hinweis  auf 
eine  Deutung,  die  vor  langer  Zeit  Seyffarth  bereits  ausgesprochen  hat; 
sie  leuchtet  nicht  nur  ein,  sondern  stimmt  auch  nach  Möller  im  Laut- 
bestande vollkommen  und  entspricht  allem,  was  man  inhaltlich  fordern 
darf.  Koptisch  Trairouppo  heißt:  das  dem  Könige  Gehörige,  das  König- 
liche. Die  Laute  ergeben  unmittelbar  die  griechische  Schreibung  ird- 
TTupo?.  Damit  wird  das  Schreibpapier  als  königlich  bezeichnet,  also 
doch  wohl  als  Erzeugnis  königlicher  Fabriken,  womit  der  Gedanke  des 
Monopols  sehr  nahe  rückt.  Soweit  ich  weiß,  können  wir  irdirupoc;  nicht 
über  das  4.  Jahrh.  v.  Chr.  hinauf  verfolgen;  das  Wort  kann  freilich 
älter  sein.  Immerhin  würde  man  einerseits  auf  ein  Monopol  seit  dem 
4.  Jahrh.  spätestens  geführt,  andrerseits  brauchte  man  den  Gedanken 
eines  älteren  Tempelmonopols  nicht  aufzugeben.  Zum  Papyrusmonopol 
siehe  Anmerkung  zu  Seite  17.  Der  Vergleich  mit  charta  regia  bei 
Catull  und  xdpTr\(;  ßaaiXiKÖ<;  bei  Heron,  Autom.  269  (Bühnenein- 
richtung: TouTUJv  Y6vo|u^vujv  bcT  Xöpf^v  Xaßövra  XeirTÖTarov  tOuv 
ßaaiXiKiJüv  KaXouu^vujv  dTroxeiueTv  aöxoO  t6  !LifiKO(;,  i^iXIkov  &v  trepi- 
^X^  üvpog  TÖ  ToO  TTivaKoq  ?baq)o<;  ^uuq  xiijv  öGovfujv  TiJuv  auv€iXri|u^vujv 
Kai  äiroTeiLivövTUJv  xöv  ÖM(paXöv  xoö  x&pTox)  Trpo<;KoXXfiaai  auxöv 
TTpö<;  xöv  Kavöva  xöv  ^k  beSiOüv  xoö  -rrlvaKo?,  \X)0-x^  dvxi  xoö  Ö|li- 
fpaXoö  xöv  Kavöva  -rrpocjKCKoXXfjaGai;  trifft  nur  im  übertragenen  Sinne 
zu.  Denn  bei  diesem  ist  von  einer  besonders  guten  Sorte  die  Rede.  An 
sich  könnte  ja  auch  von  einer  solchen  der  Name  auf  das  Papier  über- 
haupt   übergegangen    sein,    aber    der    eindeutige    Sprachgebrauch    der 


1^2  Anhang. 

Ptolemäerzeit  führt  darauf,  ßaaiXiKÖ^  und  damit  Tuairouppo  zu  deuten: 
dem  Könige  gehörig,  nicht:  königlicher  Pracht  angemessen.  Daß  der 
König  und  die  Regierung  sich  eines  besonders  guten  Papyrus  bedienten, 
will  ich  nicht  bestreiten;  aber  daß  diese  Sorte  Hauptware  der  Ausfuhr 
geworden  sei  und  den  Namen  des  Papiers  im  Auslande  bestimmt  habe, 
leuchtet  mir  weniger  ein  als  die  Beziehung  auf  königliche  Fabrikation. 
Auch  dagegen  freilich  könnte  man  einwenden,  der  Name  passe  auf  jedes 
Monopolerzeugnis. 

Papyruspflanze  Herod.  II  92.  Theophrast,  hist.  plant.  4,  8,  3. 
Plin.  n.  h.  13,  n  ff.  Altäg.  Darstellungen  z.  B.  bei  Wreszinski,  Atlas  zur 
altäg.  Kulturgeschichte  Taf.  2  u.  30. 

Seite  5:  Herstellung  des  Schreibpapiers  aus  Papyrus:  Plin.  a.  a.  0. 
H.  Ibscher,  Arch.  f.  Pap.-Forschung.V  191  ff.  Papyrusanbau:  Wilcken, 
Chrestomathie  319.  B(erliner)  G(riechische)  U(rkunden)  IV  1121,  Zeit 
des  Augustus:  Verpachtung  eines  ^Xoq  iraTTupiKÖv  in  der  Nähe  Alexan- 
dreias. 

Moderne  Papyrusblätter  angefertigt  aus  Pflanzenstengeln  des 
Berliner  Botanischen  Gartens  von  dem  Konservator  an  der  Papyrus- 
sammlung H.  Ibscher,  aus  sizilischem  Rohstoffe  von  K.  Kafka  in  Wien. 

Seite  J:  Cornehana:  Isidor,  Etym.  4,  10.  —  Papyrusfabrik  in  Tanis 
im  Delta:  P.   Soc.  It.  IV  333. 

Seite  8:  Kleber  lateinisch  glutinator,  glutinarius. 

Die  Papyrusmagazine  Roms  in  der  späteren  Kaiserzeit  hießen 
horrea  chartaria. 

Seite  g:  Die  Erkenntnis,  daß  der  Papyrus  in  Ballen  hergestellt 
wurde,  verdanke  ich  H.  Ibschers  Aufsatze  im  Arch.  f.  Pap. -Forschung 
V  191  und  vielfacher  mündlicher  Belehrung.  Auch  er  leugnet  nicht, 
daß  gelegentlich  ein  Privatmann  ein  Blatt  an  eine  Rolle  ankleben  oder 
ein  Einzelblatt  verwenden  konnte;  aber  die  geschilderte  Regel  wird 
durch  die  erhaltenen  Papyri  sichergestellt.  Nur  sie  erklärt  es  z.  B.,  daß 
häufig  mitten   durch   einen   schmalen   Briefbogen   eine   Klebung   läuft. 

Die  Einzelblätter  der  Fabrik,  deren  Vielheit  den  Ballen  ergibt, 
heißen  ae\i<;,  die  Klebung  KÖWrijua.  Gewisse  Urkundenrollen  entstanden 
durch  Sammlung  von  Urkunden,  die  man  zusammenklebte,  wie  man 
heute  Akten  in  Bände  heftet;  hier  übertrug  sich  der  Name  KÖXXri,ua  leicht 
auf  die  einzelne  eingeklebte  Urkunde,  die  in  der  Regel  eine  Schrift- 
kolumne war.  So  konnte  es  geschehen,  daß  weiterhin  KÖWrjiua  in  längeren 
Aktenstücken  von  mehreren  Kolumnen  die  einzelne  Kolumne  bezeichnete. 
Daher  wird  aus  solchen  Aktenrollen  zitiert :  tÖ|uou  (Rolle)  x,  Ko\Xr)|uaTO^  y. 

Wenn  Polyb.  5,33  sagt:  \iixp\  be  toutou  |uvr|creriao|uai,  biöxi  xOuv 
Ka0'  r[\xac,  Tiveq  fpaqpövTuuv  laxopiav  ^v  rpiölv  r\  Teaöapöiv  ii.y\^Y\(5d- 
juevoi  aeXiaiv  r\\nv  töv  Tuu|uaiuuv  Kai  Kapxr|bov(ujv  iröXejaöv  qpaai  rd 
KaGöXou  YPCi^€iv,  so  gebraucht  er  aeXi^  =  Schriftkolumne,  wie  wir 
von  »Seitens  sprechen.  Weder  die  Deckung  der  Schriftkolumne  mit 
der  öeXic;  noch  gar  die  selbständige  Verwendung  einzelner  0€Xibe<; 
folgt  daraus. 

Zur  Länge  der  Rollen:  Der  hieratische  Papyrus  Ebers  hat  über  20  m 
Länge.  Plin.  13, 77:  numquam  plures  scapo  quam  vicenae  (plagulae);  die 
im  Texte  stehende  Deutung  ist  noch  am  wahrscheinlichsten,  obwohl  nicht 
einmal  feststeht,  ob  PI.  von  der  Rolle  oder  vom  Blatte  spricht,  vgl.  Nach- 
trag  Seite   190.     Rekto    und    Verso:    Wilcken,    Hermes    22,487,  41,104. 


Anmerkungen  und  Nachweise.  '  ly^ 

Griechische  Ostraka  I  i8.  Grundzüge  der  Papyruskunde  XXX.  H.  Ib- 
scher,  Arch.  f.  Papyrusforsch.  V  191. 

Seite  12:  Klagen  über  beschädigte  Akten:  Bell,  Arch.  f.  Pap.- 
Forsch.  6,  loi :  ?via  b^  KcqpaXößpoxa  (sie !)  Y6T0vdvai  biet  tö  tou^  T[ö]Trouq 
Kauaibbi^  elvai;  ferner:  tOuv  ß[i]ßX{u)v  [dJiTÖ  töttujv  de,  töttouc;  dve- 
TriTr|be[(]ou<;  ttoWcikk;  .uerevexö^vTUJv  xai  ^tt'  d\Xri\[uJv]  Ka[i]  dauvG^- 
Tujv  bid  TÖ  irXrjeo;  k€iu^vuuv  tCu  tov  vo|uöv  .ueyicrTOv  eivai,  KaGn,u€- 
pivf|q  -rrpoaip^aeux;  Ott'  auxuj  Yei[v]o|Lievri<;  Kai  ty\<;  To[\]amr\c,  \i\r\c, 
€ubia(p(G/öpo(u)  ouori«;.  (TTpoaipeaiq  =  Herausnehmen  der  Aktenrollen 
aus  den  Behältern.) 

Seite  14:  zur  Sparsamkeit  mit  Papyrus  vgl.  briefliche  Äußerungen 
BGU  III  822  (2./3.  Jh.  n.  Chr.)  Kai  [i&]v  aoi  (pavf|,  ird^vjiov  ,uoi  aypa- 
q)Ov  xdpTr\\,  i'va  €Öpo[|Li€]v  ^TTiaToX[r)v]  YPCiM^ai.  Atene  e  Roma  VII 
(1904)  125  (3.  Jahrh.  n.  Chr.)  Kai  Y«P  ^«^  TToXXdKK;  \xo\)  dmaTeiXav- 
TÖ^  aoi  KQi  xcipfö?  ^'iriaToXiKd[^  diroJaTeiXavTO^,  i'v'  euTropri^  toö  ypd- 
(q)€iv]  ,uoi,  au  oxjhi  öXuj^  r^tiujaac;  Kaö'  ö[vtivoöv  Tpöirov  usw.  Genf.  52 
(um  346  n.  Chr.)  xctpxiov  KaGapöv  \xr\  eupüjv  irpöc;  Tf]v  löpav  exe,  toO- 
[t]ov  ^Ypai|;a. 

Üppigkeit  demotischer  Urkunden:  Die  demot.  Papyrus  Hauswaldt, 
bearb.  v.  W.  Spiegelberg;  siehe  bes.  die  Abbildungen.  Die  Ton- 
scherbe, das  Ostrakon  (Ostrakismos  in  Athen),  diente  zwar  in 
Ägypten,  wie  die  Funde  lehren,  in  weitestem  Umfange  als  Ersatz 
des  Papyrus  für  kleinere  Aufzeichnungen  jeder  Art,  Steuerquittungen, 
Rechnungen,  Briefe,  Schulübungen  und  alles  mögliche  andere,  und  trägt 
nicht  selten  auch  literarische  Texte;  aber  für  das  Buch,  sein  Werden 
und  seine  Gestalt,  kommt  es  nicht  in  Betracht.  Die  Keilschrifttäfelchen 
des  Zweistromlandes  könnten  mit  mehr  Recht  in  die  Geschichte  des 
Buches  einbezogen  werden,  haben  jedoch  mit  dem  griechisch-römischen 
Buchwesen  ebensowenig  zu  tun  wie  etwa  die  koreanische  Bibliothek 
auf  80000  Holzplatten  in  der  Bonzerei  Hai  (Zschr.  d.  Gesellsch.  f.  Kunde 
des  Ostens,  herausg.  von  H,  v.  Staden,  München,  Bd.  IV,  Heft  5/8,  1914). 

Seiteis:  Papyrus  bei  den  Griechen:  CIA  324.  Inschr.  Pelop. 
I  1485,159.     Über  ßußXoi  und  biq)0^pai  Herod.  5,58. 

Seite  16  :  Preise:  Reil,  Beiträge  zur  Kenntnis  des  Gewerbes  im  hel- 
lenistischen Ägypten  (Leipzig  191 3)  130. 

Preis  des  Papyrus.  Zur  Ausnutzung  des  Papyrus  vgl.  S.  161/2. 
Gardthausen  folgert  aus  Demosth.  Kaxd  Alovucrobujpou :  ^v  "fpa|Li|aa- 
T€ibiiu  buoiv  xoXkgiv  i{XJ\r\\xi\yu  Kai  ßußXibitu  iiiiKpuj  Trdvu,  Papyrus  sei 
billig  gewesen;  aber  i.  ist  nicht  sicher,  ob  von  Pap.  die  Rede  ist,  und 
2.  scheint  der  Preis  (i  Drachme  =  0,80  Mk.  gerechnet)  von  '/3  Obolos 
=  reichlich  4  Pf.,  an  Kaufkraft  jedenfalls  beträchtlich  mehr,  für  ein 
ganz  kleines  Blatt  gar  nicht  gering. 

Seite  17:  Mangel  in  Rom:  Plinius  I.e.  Preistreiberei  der  Pflanzer, 
Strabo  800.  Die  in  BGU  IV  H2i  vorausgesetzte  Vereinbarung  der 
Pflanzer  über  die  Arbeitslöhne  mußte  umgekehrt  dahin  wirken,  die 
Papyruspreise  mäßig  zu  halten. 

Monopol:  vgl.Anm.  zu  Seite  4.  Zucker,  Philol.  70,1  (^iriTpoTro? 
XapTr|pci(;):  im  Anfange  der  Kaiserzeit  gab  es  sicher  kein  Monopol,  wohl 
aber  seit  ptol.  Zeit  eine  Ertrags-  oder  Gewerbesteuer;  Monopol  bestand 
wohl  spätestens  seit  Diokletian,  aber  auch  für  die  byz.  Zeit  steht  es  nicht 
völlig  fest.     Ähnlich  jetzt  Wilcken,  Grundzüge  255.     An  sich  liegt  es 


174  *  Anhang. 

nahe,  an  ein  altes  Tempelnaonopol  zu  denken,  das  die  Ptolemäer  auf 
den  Staat  übernommen  hätten,  ähnlich  wie  bei  66övia.  Vgl.  auch 
Reil,  a.a.O. 

Protokoll  und  Stempelschrift:  Versuche  der  Entzifferung  von  Jean 
Masp6ro,  fortgesetzt  von  I.  Bell,  Journal  of  Hell.  Studies  37,  56. 

Seite  18:  Lederhandschriften  in  Ägypten:  Erman-Krebs,  Aus  den 
Papyrus  der  Kgl.  Museen.  Berlin  1899.  Bei  den  Assyrern:  0.  Schroeder, 
Orientalist.  Lit.-Ztg.  20,204  {^9^l)-  Ktesias:  Diodor  2,32.  Auf  Kypros 
heißt  der  Schreiblehrer  biqpGepdXoiqpoc;.  Urkunden  aus  Kurdistan:  Minns, 
Parchment  of  the  Parthian  Period  from  Avroman  in  Kurdistan.  Journal 
of  Hell.  Studies  35, 22  ff.  (1915)-  Diogen.  3,2  wird  das  Sprichwort 
dpxaiöxepa  tPic;  bi(p9^pa<;  auf  die  bi(p6^pai  des  Zeus  bezogen,  von 
denen  Zenob.  4,11  sagt:  Zeuq  Kaxeibe  xpövioc;  eic;  tok;  biqpödpa^.  Die 
Götter  schreiben  auf  öarpaKa,  b^Xxoi,  aKUxdXai,  bicpO^pai,  tabulae;  vgl. 
Marx,  Ind.  Lect.  Gryph.  1892/3  VI  ff. 

Seiteig:  Pergament:  Plinius  a.a.O.  Über  die  Zubereitung  Gardt- 
hausenl93  ff.  Die  Pergamente  des  Altertums  sind  feiner  als  die  des 
Mittelalters.  Leder-  und  Pergamentrolle:  Aristeas  176:  xaiq  bicpG^paiq, 
^v  ai^  f)  vo^oGeaia  Y6Ypa|U|u^vr)  xP^JC^OTpaqpia  xoT^  'loubaiKOi?  Tpä|a- 
|uaai,  Gauuaaiuj^  eipYaaiu^vou  xoO  ijili^voc;  Kai  i^c,  irpö?  h\\r\\a  c\)\x- 
ßo\f|(;  dv€TTaiaGr)xou  Kax6crKeua(J|U^vn<;-  Priene:  Inschriften  von  Priene 
114,  28  ff.  bnrXfjv  xrjv  [dvalfpaqpriv  auxOuv  irapaboix;  ^v  bep|uaxivoi(; 
Kai  ßußXivoiq  X€0[x]e[aiv].  Daß  x€Oxo(;  Rolle  bedeutet,  wird  später 
gezeigt  werden. 

Nicht  in  Betracht  kommt  für  die  pergam.  Bibliothek  die  viel 
erörterte  Galen-Stelle  ad  Hippokr.  18,2;  denn  wie  G.  A.  Gerhard,  Ein 
neuer  Jurist.  Papyrus,  Heidelberg  1903,  gezeigt  hat,  steht  die  allgemein 
anerkannte  Änderung  Cobets  iv  biqpG^paic;  für  ^v  biaqpöpoK;  q)i\ijpai(;  auf 
schwachen  Füßen.  Die  Möglichkeit  von  Büchern  auf  Lindenbast  muß 
durchaus  anerkannt  werden.  Gerhard  betont  mit  Recht,  daß  die  ganze 
Stelle  verdorben  und  nicht  ohne  weiteres  benutzbar  sei  (xiv^c;  |U^v  yoip 
Kai  irdvu  TraXaiujv  ßißXiujv  dveupeiv  daTroübaaav  -rrpö  xpiaKoaiujv  dxujv 
YeYpctmu^va,  xd  |u^v  ^xovxe?  ^v  xoTq  ßißXioic;,  xd  hi  iv  xoT<;  xöpfai^, 
xd  hk  ev  biaqpöpoic;  qpiXupaiq,  üjairep  xd  irap'  fi|uTv  ^v  TTepYd^iu).  Zur 
Verbindung  mehrerer  Häute  vgl.  die  angef.  Stelle  aus  Aristeas. 

Seite  20:  Paulus,  ad  Timoth.  114,13:  xöv  qp€\6vr|v,  8v  diT^Xnrov 
iv  TpLudbi  uapd  KdpiTLu,  dpxö|U€vog  qp^pe  Kai  xd  ßißXia  |Lid\iaxa  hi 
xd^  |ue|ußpdva(;.  G.  A.  Gerhard,  Ein  neuer  Jurist.  Papyrus,  denkt  auch 
hier  bei  den  Membranen  an  Codices;  aber  die  Verbindung  mit  ßißXia,  die 
daraufführt,  zwingt  nicht  dazu.  q)eXövr|q,  qpaivöXr|(;  =  paenula  bedeutet 
sowohl  den  Reisemantel  wie  die  Leder-  oder  Pergamenthülle  der 
Buchrolle;  was  Paulus  gemeint  hat,  kann  man  nicht  erraten.  Zur 
Zettelarbeit  des  Didymos  vgl.  Diels  im  i.  Bande  der  Berl.  Klassikertexte 
XXXII  ff.  und  Foucart,  ßtude  sur  Didymos  8  ff. 

Ein  Notizblatt  aus  derbem  Pergament  ist  P.  7358/9  der  Berliner 
Papyrussammlung,  7Y2  X  6  cm  groß,  der  Schrift  nach  wohl  dem  2.  Jahrh. 
n.  Chr.  gehörig.  Es  enthält  Notizen  über  die  Zahl  von  Arbeitern  und 
ihre  Bezahlung. 

Seite  21:  Wert:  Die  Inschrift  Priene  114  hebt  die  bepjudxiva  xeuxil 
gegenüber  den  ßußXiva  hervor.  Zur  Heftform  vgl.  Kapitel  3.  Noch  Au- 
gustin II 19  Brief  15  entschuldigt  sich  wegen  des  Gebrauches  eines  Perga- 


Anmerkungen    und  Nachweise.  175 

mentblattes:  non  haec  epistola  sie  inopiam  chartae  indicat,  ut  membranas 
saltem  abundare  testetur.  tabellas  eburneas,  quas  habeo,  avunculo  tuo 
cum  litteris  rtiisi;  tu  enim  hinc  pelliculae  facilius  ignosces.  Vitelliana: 
Martial  II  6, 5.     Über  Martials  dTroqpöprixa  Kap.  3. 

Seite 23 — 2y:  Schreibtafel:  b^Xroc;,  irivaH,  ttuHiov.  Elfenbeintafel: 
Augustin  an  der  zu  S.  21  angef.  Stelle;  offenbar  rechnete  man  damit, 
die  Brieftafel  mit  der  Antwort  zurückzuerhalten.  Vgl.  auch  Martial 
14, 5.  Vopiscus  8.  Luxustafeln  Plutarch  Antonius  58  beXroipia  tujv 
^piuTiKUJv  övuxiva  Kai  Kpu0TdXXiva. 

Doppeltafeln  usw.  Aischyl.  Suppl.  957;  Eurip.  Iph.  Taur.  727: 
b^XTOU  }xiv  ai'be  TroXuOupoi  biaTrxuxai.  iTTUxai  passen  eigentlich  nicht  zu 
harten  Stoffen  und  scheinen  von  gefaltetem  Leder,  Bast  oder  gar  Papyrus 
übertragen  zu  sein.  Neun  zusammengehörige  Wachstafeln  aus  Ägypten 
veröffentlicht  von  G.  Plaumann,  Amtl.  Berichte  aus  den  Kgl.  Kunst- 
sammlungen 1912/3  Spalte  210  ff.  (Abb.  Spalte  211/2). 

Wachstafeln  Kr|puj,ua,  cera.  Wie  es  scheint,  pflegte  man  monatlich 
neues  Wachs  einzugießen,  Herodas  3  (ed.  Crusius):  \d\  \x^v  TdXaiva  b^X- 
T0<;,  T^v  i^\h  Kd.uvuj  KripoOa'  ^Kdarou  |ur|vö^,  öp9avfi  KeTxai  (die  Mutter 
erzählt  von  ihrem  schreibfaulen  Sohne).  Schülertafeln  mit  allen  mög- 
lichen Übungen:  Ziebarth,  Aus  der  antiken  Schule'  (Lietzmann,  Kleine 
Texte  65),  Bonn  1913.  Vgl.  auch  Plaumann,  a.  a.  0.  Spalte  219/20. 
Elegie  des  Poseidippos,  von  einem  Schüler  aus  dem  Kopfe  fehlerhaft 
aufgeschrieben:  Schubart,  Pap.  Graecae  Berol.,  Bonn  191 1,  Tafel  17. 
Sehr  gute  Abb.  von  Wachstafeln  bei  Lefebvre,  Copie  d'un  edit  imperial 
(Bulletin  de  ia  Societe  Archeol.  d'Alexandrie  12). 

Benutzung  für  andere  Zwecke:  IG  XII  7, 515, 130  ff.  Gesetz  von 
Aigiale  auf  Amorgos  töv  hi  vö|uov  TÖv[b6  elvai  Kupiov]  ei?  xöv  udvxa 
Xpövov,  Kai  6  YPCiMMCiTeO<;  auxöv  dvaY[pai|j]dxuj  eic;  xd  brifiöaia  '^p6.\x- 
.uaxa  Tidvxa  Kai  de,  xdq  beXxouq,  ou  oi  [vöjaoi  €]iaiv  dvaY[€T]paM[M]^voi. 
Der  Ausdrudk  bAxouc;  spricht  gegen  den  naheliegenden  Gedanken  an 
öffentliche  Aufstellung,  siehe  unter  X6UKUU|Lia.  Wachstafeln  in  Menge 
aus    Pompei    erhalten.      Aus  Ägypten  römische  Geburtsurkunden. 

Tafel  als  Brief  vgl.  Herodas  a.  a.  0.  Augustin  a.  a.  0.  usw.  Ilias 
6, 168.  Schrift  durch  das  Wachs  ins  Holz  gedrungen  Berl.  Klass.  Texte  V 
2,98.  Demaratos  Herodot  7,239-  Dichterkonzepte  z.B.  Ovid,  Metam. 
9,521.     Leukoma:  Schubart,  Einführung  270. 

Über  Schreibtafel  und  Kodex  vgl.  Kap.  III.  Seneca,  de  brev. 
vitae  13:  plurium  tabularum  contextus  caudex  apud  antiquos  vocabatur, 
unde  publicae  tabulae  Codices  dicuntur.' 

Seite  28 :  Bleitafel  z.  B.  G.  Plaumann,  Antike  Bleitafel  mit  Liebes- 
zauber, Amtl.  Berichte  aus  d.  Kgl.  Kunstsamml.  1913/4  Spalte  203  ff. 
Brief  des  Mnesiergos:  Jahreshefte  d.  Österr.  Archäol.  Inst.  7,  94.  Hesiods 
Erga  Pausanias  9,  31,4.  Bleirollen  Plinius  13,  n.  Bronzetafel:  schöne 
Abb.  bei  Gradenwitz,  Simulacra  19,  20  (zu  Bruns  Fontes?  Nr.  98). 
Plutarch,  De  genio  Socratis  5  p.  575  E:  irivaH  xdXKeoc;  l\^v  Ypdfi.uaxa 
TToXXd  Oauuaaxd  ib?  Tra^irdXaia  *  YvOuvai  -f dp  il  aOxuJv  oubdv  irapeixe 
Kaitrep  ^Kq)av^vxa  xoü  xö^koö  KaxaTrXue^vxoq,  dXX'  \h\6c,  t\c,  ö 
xuTro(;  Kai  ßapßapiKÖg  xüjv  xapaKxripuuv  ^|u(p€p^axaxo<;  A(yuitxioi(;. 

Palette,  Abzeichen  der  Priesterklasse  der  lepoYpa|afiax€i<;, 
Clem.  Alex.  Strom.  757:  4Ef^<;  hi  6  UpoYpaMiuaxeix;  Ttpo^pXexai  Ix^xiv 
TTxepd  ^irl  TT^?  K€q)aXf|(;  ßißXiov  t€  ^v  xcpal  Kai  Kavöva,  ^v  tp  x6  tpa- 


176  Anhang. 

qpiKÖv  |Li^\av  Kai  axoivo«;,  fj  Ypdqpouai.  Er  trägt  die  Papyrusrolle  und 
die  Palette,  die  auch  als  Lineal  diente,  wie  der  Name  Kttvduv  zeigt. 

Kalamos,  gewerbsmäßig  hergestellt:  Reil  a.a.O.  131.  Vom 
Schreibzeuge  im  allgemeinen  sprechen  Epigramme  der  Anthologie, 
z.  B.  VI  62.  63.  295.  IX  162.  Vgl.  Gardthausen  I  182  ff.  Ferner  P.  Gren- 
fell  II  38.  Oxyrh.  II  326  usw.  Lineal  Kavujv,  regula;  die  Bleischeibe 
KUKXo^iöXißboc;.  Ob  man  die  Zeilenabstände  mit  dem  Zirkel,  biaßdTr|(;, 
oder  dem  Stecher,  punctorium,  schon  im  Altertum  bestimmte,  ist  zwei- 
felhaft. Eine  Urkunde  auf  Linien  ist  P.  Tebtunis  II  488.  Stilus:  stilum 
vertere  =  tilgen. 

Seite  30:  Tinte  jueXav,  die  kaiserliche  Purpurtinte  Kivvoißapl^, 
sacrum  incaustum.  Über  schlechte  Tinte  Persius  3,  10  ff.  Die  Ver- 
wendung roter  Tinte  in  den  griech.  Papyri  verdient  eine  Untersuchung, 
da  sie  durch  Inhalt  und  Herkunft  der  Schriftstücke  bedingt  zu  sein  scheint. 

Seite  32 :  Auslöschen  und  Radieren,  vgl.  z.  B.  P.  Leipzig  10  II2 
(240  n.Chr.):  r|v  Kai  Tpiaar|v  aoi  -rrporiKdiuriv  KaGapdv  dTrö  dXiqpdboc; 
Kai  diriYpacpfig  Kai  xctpdHeuuc;.  Lehrzeit  des  Schreibers  Wilcken,  Chresto- 
mathie 140;  hier  ist  allerdings  von  einem  Lehrgange  in  Stenographie 
die  Rede,  so  daß  man  nur  ungefähr  auf  den  gewöhnlichen  Schreib- 
unterricht übertragen  darf.  Der  altägyptische  Spruch  versteht  unter 
dem    Schreiber    den    Beamten. 

Seite  33:  byblion:  Preisigke,  Fachwörter  des  öffentl.  Verwaltungs- 
dienstes Ägyptens.  Göttingen  1915,  s.  v.  ßißXiov,  ebenda  ßißXot; 
und  ßißXibiov.  Vgl.  auch  ßußXiaqpöpoe;  Briefträger,  Aktenbote.  ßißXioÖrjKri 
sowohl  Bücherei  wie  Amtsarchiv,  Dem  byblion  ertspricht  im  allge- 
meinen libellus.  ßißXiov  ^  Buch  Oxyrh.  III  531  (Brief):  dXXd  TOic;  ßi- 
ßXioi^  aou  auTÖ  ^övov  irpö^exe  qpiXoXoYuuv  Kai  Ätt'  aOrüJV  övrjaiv  ^Heiq. 
Daß  die  viel  behandelte  Galenstelle  ad  Hippokr.  18,2  verdorben  und 
daher  zunächst  unergiebig  ist,  wurde  schon  zu  Seite  18  bemerkt. 

Teöxoc;  bedeutet  auch  in  der  Inschrift  von  Priene,  Priene  114 
(i.  Jahrh.  v.  Chr.),  wie  Wilcken  Hermes  44,150  gezeigt  hat,  un- 
zweifelhaft die  Rolle,  während  ich  in  der  i.  Aufl.  dieses  Buches  darin 
die  früheste  Erwähnung  des  Kodex  erblickte.  Wilcken  verwies  auf 
BGU  III  970,  3  (177  n.  Chr.)  ^KYeYpd[(p6ai]  Kai  TrpO(;avTißeßXriK^vai 
^K  T€uxou^  ßißXeibiuuv  Titou  TTaKTOUjuriiou  MdYvou  ^iT[dpxou]  Aiyötttou. 
Ebenso  schlagend  ist  Aristeasbrief  176,  vgl.  die  Bemerkung  zu  Seite  19. 
Pergamentrollen  sind  ganz  unanstößig.  Ferner  die  Glosse  volumen 
TeOxoc;:  Esau,  Glossae  ad  rem  libr.  pert.  p.  105.  Damit  ergibt  sich,  daß 
auch  im  Epigramm  das  Krinagoras,  Anthol.  Pal.  IX  239,  mit  TeOxoc; 
eine  Rolle  gemeint  ist;  ßüßXujv  f]  jXvKepr]  XupiKUUV  dv  reuxei  Tujbe  | 
irevTdq  duijuriTuuv  ^pYa  qx^pei  XapiTUUv  usw.  Dies  um  so  mehr,  als  xeOxo«; 
gelegentlich  die  höhere  Einheit  über  mehrere  TÖ|UOl  zu  sein  scheint: 
P.  Rylands  II  220  (134 — 138  n.  Chr.),  Aktenrolle  mit  Eintragungen 
wie  a  Teux(ou<;)  a  tö(|liou)  KoX(Xr||uaTa<;)  Hß.  Zu  TeOxoq  und  xöiioq  vgl. 
Preisigke  a.  a.  0.  So  kann  auch  bei  Krinagoras  Teuxoc;  Einheit  mehrerer 
TÖ|uoi  sein.  Birt,  Buchrolle  i.  d.  Kunst.  xcipTTiq,  Preisigke  a.  a.  0.  Ger- 
hard, Ein  neuer  Jurist.  Pap.,  meint,  das  Wort  bezeichne  praktisch  immer 
die  Rollenform.  Aber  man  brauchte  auch  Einzelblätter,  sogar  für 
Literaturwerke. 

Seite  34:  KÜXivbpo^  Diog.  Laert.  10,  a6;  KuXiaxo^  Wilcken, 
Chrestom.  435. 


Anmerkungen  und  Nachweise.  lyy 

Zu  auvYpa^,ua,  ouvTaY.ua  auvxaSK;,  irpaY.uaTeia  usw.  vgl.  Schum- 
rick,  Observationes  ad  rem  libr.  pertin.     Diss.  Marburg  1909. 

Codex:  Seneca,  de  brev.  vitae  13  vgl.  Anm.  zu  S.  23.  Als 
griech.  Kennwort  hat  man  K€q)aXi?  angesehen  mit  Berufung  auf  Migne, 
Patrol.  65,168:  ?xovTa  Im  x^^pa?  KeqpaXiba,  TOuxdöTi  TÖ|aov  yeTpaiLi- 
u^vov  laiuGev  Kai  ^HiuBev.  Aber  gerade  damit  wird  deutlich  die  auf  beiden 
Seiten  beschriebene  Rolle  (xö.uo^)  bezeichnet.  Vgl.  Hebräerbrief  10,  7 
TÖTe  eiTTOv  ibou  f^KUJ  (^v  KeqpaXibi  ßißXiou  T^Tpa''TTai  irepi  ^|lioO)  toO 
TTOifiaai,  6  Qeöq,  rö  Q4Xr]\id  aou,  aus  Ps.  40, 7,  wo  gewiß  nur  von  einer 
Rolle  die  Rede  sein  kann.  Ferner  Apokal.  5,  1  Kai  eTbov  im  xrjv  beEiav  toO 
Kaerm^vou  im  toö  Gpövou  ßißXiov  Y€Tpa|Li.u^vov  ^auueev  Kai  ÖTTiaGev 
KaxeaqppaYiöu^vov  ocppaflaxv  dirxd.  Das  ist  deutlich  eine  Rolle,  wie 
denn  dem  ApokaK-ptiker  die  Rolle  ohne  weiteres  das  Buch  ist:  6, 14  Kai 
oupavöc;  direx^JUpitJOri  ihc,  ßißXiov  ^Xiaaöiuevov.  Nimmt  man  alles  zu- 
sammen, so  wird  jene  Bestimmung  der  KcqpaXit;  als  außen  und  innen 
beschriebener  Rolle  bestätigt;  auf  den  Kodex  würde  die  Beschreibung 
gar  nicht  passen,  pugillare  vgl.  Esau  a.  a.  O.  38  pugillares  TTivaKibec;. 
b^Xxoi  pugillares.  pugillares  parvi  libri  vel  tabulae,  quae  possis  pu- 
gno  includere. 

Seite  38  ff.:  Über  bildliche  Darstellungen  der  Buchrolle  im  5.  Jahrh. 
V.  Chr.  vgl.  Th.  Birt,  Die  Buchrolle  in  der  Kunst,  Leipzig  1907. 
Seite  210. 

Timotheos-Papyrus:  U.  v.  Wilamowitz,  Timotheos,  Die  Perser. 
Leipzig  1903.  Die  Gruppe  der  ältesten  griech.  Papyri,  die  sich  erkenn- 
bar von  den  späteren  absondern,  habe  ich  in  meiner  Einführung  in  die 
Papyruskunde  S.  29  näher  besprochen. 

Seite  43:  Birt  hält  auch  in  der  »Buchrolle  in  der  Kunst«  das  »Groß- 
rollensystem« aufrecht.  Einer  ungewöhnlich  langen  Urkundenrolle  ent- 
stammt P.  Rylands  II  225  (1./2.  Jahrh.  n.  Chr.),  denn  eine  erhaltene 
Kolumne  trägt  die  Nummer  177;  aber  selbst  wenn  wir  breite  Kolumnen 
von  20  cm  voraussetzen,  gelangen  wir  nur  zu  35  m  und  brauchen  nicht 
zu  glauben,  die  Rolle  sei  wesentlich  länger  gewesen.  Daß  man  die  Ko- 
lumnen durch  mehrere  Aktenrollen  durchgezählt  habe,  ist  zwar  möglich, 
aber  nach  der  gewöhnlichen  |Art  'der  Anführung  xö|UO(;  x  KÖXXrjiua  y 
nicht  eben  wahrscheinlich. 

Seite  45  ff.:  Die  Bemerkungen  über  die  alex.  Bibliothek  sollen  nur 
dem  Laien  die  nötigste  Vorstellung  geben.  Zu  den  alex.  Bibliothekaren 
vgl.  jetzt  Oxy.  X  1241.  Einen  Überblick  über  die  erhaltenen  Papyri 
literarischen  Inhalts  habe  ich  in  meiner  Einführung  in  die  Papyruskunde 
Kap.  4 — 10  gegeben,  ein  vollständiges  Verzeichnis  (bis  Juni  1918)  ebenda 
Kap.  20. 

Seite  $2:  Beispiel  einer  Mischrolle:  Hypereides,  in  Philippidem, 
worauf  der  dritte  Brief  des  Demosthenes  folgt,    Kenyon,  Classical  Texts. 

Länge:  Symposion  P.  Oxy.  V  843.  Isokrates  Paneg.  Oxy. 
V  844.  Anonymer  Komm,  zum  Theaetet  Berl.  Klass.  Texte  II:  das 
erhaltene  Stück  ist  gegen  6  m  lang,  das  Ganze  muß  länger  gewesen  sein. 
Eine  amtliche  Liste  aus  der  Mitte  des  2.  Jahrh.  n.  Chr.  hat  6  m;  vorn 
scheint  nicht  allzuviel  zu  fehlen.  Sie  läßt  sich  noch  heute  bequem  hand- 
haben. Der  Osterbrief  eines  alex.  Patriarchen  aus  dem  Anfang  des 
8.  Jahrh.,  dessen  Länge  feststeht,  erreicht  gegen  7  m.  Die  120  Fuß 
lange  Homerrolle  Constantins  ist  Prunkstück,  kein  Buch  für  den  Gebrauch. 
S  c  h  u  b  a  r  t ,    Das  Buch.    3.  Aufl.  1 2 


lyS  Anhang. 

Seite  53 ■  Diodor  i6,  Anfang:  ^v  Trdcraiq  |U6V  Tai(;  iaropiKaiq 
TrpaY|uaT€iai<;  KaerjKei  touc;  öuYTpacpei?  irepiXa^ßdveiv  ^v  xmc;  ßiß\oi<; 
Y\  iröXeuuv  y\  ßaöiXduuv  irpdEeK;  amoxeXeXc,  dir*  äpxr\c,  |uexpi  toü  t^Xou^. 
Das  bedeutet  nicht  etwa  Zwang  durch  das  Maß  einer  Normalrolle. 

Seite  54:  Orosius  II,  Ende:  et  quoniam  über  dicendi  materia  est, 
quae  nequaquam  hoc  concludi  libro  potest,  hie  praesentis  voluminis 
finis  sit,  ut  in  subsequentibus  cetera  persequamur.  Isidor,  Orig.  612: 
quaedam  genera  hbrorum  certis  modulis  conficiebantur;  breviori  forma 
carmina  atque  epistulae;  at  vero  historiae  maiori  modulo  scribebantur, 

Seite  55:  Skolien  Berl.  Klass. -Texte  V  2, 56.  Enkomion  auf  Hermes 
P.  Oxy.  VII  1015.  Dichter  von  Aphrodito  vgl.  meine  Einführung  in 
die  Papyruskunde  145  f.  und  Berl.  Klass.  Texte  V  i.  Epikedeia  auf 
einen  Rhetor  Berl.  Klass. -Texte  V  i. 

Seite  56 ff.:  Formate  z.  B.  Euripides,  Hypsipyle  Oxyrh.  VI  852: 
37,1  cm.  Lit.  Abhandlung  Oxyrh.  VII  1012:  33^2  cm.  Piaton,  Politikos 
Oxyrh.  X  1248:  3272  cm.  Piaton,  Symposion  Oxyrh.  V  843,  Isokrates 
Paneg.  Oxyrh.  V  844,  Thukyd.  Oxyrh.  XI  1376,  Hesiod,  Kataloge,  Berl. 
Klass.  Texte  V  i,  31:  31  cm.  Piaton,  Phaidon  Oxyrh.  VII  1016:  28  cm. 
1017:  27^2  cm.  Ilias-Scholien  Oxyrh.  VIII  1087:  24,3  cm.  Hellenica 
Oxyrh.  Oxyrh.  V  842:  21,2  cm  (meistens  Kaiserzeit).  Homer,  Hibeh  21 : 
22,7  cm.  23:  19  cm.  Eurip.,  Iph.  Taur.  Hibeh  24:  16,8  cm.  Piaton, 
Phaidon  Petr.  I:  21  cm.  Eurip.  Antiope  Petr.  I;  21  cm.  Kalender 
Hibeh  27:  16,8  cm.  Rhetorik  an  Alex.  Hibeh  26:  12,8  cm.  Epicharm 
Hibeh  i:  16,9  cm.  Komödie  Hibeh  6:  12,7  cm  (sämtlich  3.  Jahrh. 
V.  Chr.).  Skolien  u.  Elegie  Berl.  Klass.  Texte  V  2, 56:  25  cm  (3.  Jahrh. 
V.  Chr.).     Epigrammrolle  zu  5  cm:  Berl.  Klass.-Texte  V  i. 

Seite  58:  Da  die  Abbildungen  der  veröff.  Papyri  selten  die  volle 
Höhe  sehen  lassen,  kann  man  nur  einen  Teil  sicher  beurteilen.  Wer 
Publikationen  zur  Hand  hat,  findet  die  Beispiele  selbst;  für  das  häufige 
Verhältnis  5/4  nenne  ich  Hell.  Oxyrh.  Oxy.  V  842  (21  :  17  cm),  Thukyd. - 
Komm.  Oxyrh.  VI  853  (20  :  16  cm),  Achilles  Tatius  Oxyrh.  X  1250 
(24  :  19  cm),  Pindars  Paeane  siehe  Oxyrh.  V  841  (18  :  11,5  cm). 

Seite  62:  Ilias  3.  4.  Kenyon,  Classical  Texts:  42 — 63  Zeilen  in 
der  Kol.     Satyros,  Bioi  Oxyrh.  IX  1176. 

Seite  63:  Daß  die  Breite  der  aeXii;  die  Kolumne  begrenze,  meint 
Crönert  auf  Grund  seiner  Beobachtungen  an  Herkul.-Rollen.  Ohne  zu 
bestreiten,  daß  häufig  Kolumne  und  cfeXi«;  sich  entsprechen,  kann  ich 
nur  sagen,  daß  in  vielen  andern  Fällen  die  Schrift  über  die  Klebung 
hinweggeht.  Daß  Polyb.  5,33  nichts  beweist,  habe  ich  schon  zu  Seite  9 
bemerkt. 

Seite  64:  Bes.  lange  Zeilen  (d.h.  bes.  breite  Kolumnen):  z.B. 
Schol.  zu  Ilias  2  Oxyrh.  VIII 1086.  Xenophon,  Kyrupäd.  Oxyrh.  IV  697. 
Cicero,  de  imp.  Oxyrh.  VIII  1097.  An  Buchstabenzahl,  weniger  an  Breite 
des  Maßes  gehören  auch  der  Did;ymospap.  (Berl.  Klass.-Texte  I)  und 
Hierokles  (Berl.  Klass.  Texte  IV)  hierher.  In  Urkunden:  Elefantine 
Papyri  ed.  Rubensohn;  Petrie  Papyri.  Unter  den  Briefen  vgl.  man  den 
Brief  des  Polykrates  in  den  Petrie  Pap.  mit  den  Briefen  der  Kaiserzeit, 
die  in  der  Regel  mehr  hoch  als  breit  sind.  Beispiele  für  diese  Erscheinun- 
gen sind  in  meinen  Papyri  Graecae  Berohnenses  abgebildet. 

Amthche    Rollen     z.  B.    Revenue    Laws,     Dikaiomata,    Gnomon 


Anmerkungen  und  Nachweise.  lyn 

des  Idios  Logos,  große  Rechnungen  und  Übersichten  wie  im  i. 
Bande  der  Tebtynispapyri,  auch  das  in  der  Berliner  Papyrusaus- 
stellung ausgestellte  Grundbuch  (Rolle  aus  der  Mitte  des  2.  Jahrh. 
n.  Chr.)  unterliegen  mehr  den  Gesetzen,  die  für  die  Buchrolle  gelten. 
Aber  die  Dikaiomata  zeigen  beträchtliche  Ungleichheit  der  Kolumnen 
im  Zusammenhange  mit  dem  Wechsel  der  Hände.  Schmale  Kolumnen 
z.  B.  Isokr.  Paneg.  Oxyrh.  V  844.  Demosth.  c.  Boeot.  Oxyrh.  VIII  1093. 
Antiphon  uepi  dXriGeiac;  Oxyrh.  XI  1364.  Antiphon  (Redner)  Nicole, 
L'apologie  d'Antiphon,  Genf  iqoj.  Satyros  Oxyrh.  IX  11 76.  Mittel- 
breite von  20 — 25   Bst.  z.  B.   Symposion  Oxyrh.  V  843. 

Seite  66:  Zur  metrischen  Schreibung:  Auf  Vollständigkeit  gehe  ich 
nicht  aus,  sondern  gebe  nur  Beispiele.  An  Abbildungen  gewinnt  man  am 
besten  eine  Vorstellung.  Der  epische  Vers  z.  B.  Pap.Gr.Berol.  19  a — c.43b. 
44a,b.  Der  dramatische  Dialogvers  ebenda  6c.  na.  30a,  b.  43a. 
Skolien  von  Eleph.  ebenda  3,  Timotheos  i.  Das  Gedicht  »Des  Mädchens 
Klage«  (Crusius,  Herondas  5)  setzt  die  unverkennbar  vorhandenen  Verse 
nicht  ab.  Lehrreich  ist  ein  noch  unveröflf.  Berliner  Pap.  aus  dem  3.  Jahrh. 
V.  Chr.  im  alkm.  System  (laudabunt  alii,  Horaz  carm.  I  7),  der  nicht 
nach  dem  epischen,  sondern  erst  nach  dem  alkm.  Verse  absetzt.  Alkman, 
Bergk  3,  Pindar,  vor  allem  Päane  Oxyrh.  V  841  (vgl.  meine  Einführung 
Kap.  20).  Alkaios  und  Sappho  bes.  Oxyrh.  X  1231,  1232,  1233,  1234. 
XI  1360.  Berl.  Klass.  Texte  V  2.  Pap.  Gr.  Berol.  29  b.  Kallimachos 
SB.  Berl.  Akad.  1912  und  1914.  Die  Aitia  Oxyrh.  VII  loii  und  ebenda 
die  Jamben  fallen  unter  die  allg.  Regel  über  den  epischen  Vers  und  den 
Trimeter.  Korinna,  Berl.  Klass.  V  2.  Pap.  Gr.  Berol.  29  a  (das  metrisch 
abgeteilte  Gedicht).  Anapäste,  Berl.  Klass.  V  2.  Pap.  Gr.  Berol.  11  b. 
Kerkidas  Oxyrh.  VIII  1082.  Euripides  Hibeh  24,  25.  Berl.  Klass. 
V  2.  Pap.  Gr.  Berol.  4  b.  Hypsipyle  Oxyrh.  VI  852.  Sophokles 
Ichneutai  Oxyrh.  IX  11 74.  Achäervers.  Berl.  Klass.  V  2.  Pap.  Gr. 
Berol.  30  b.  Eurip.  Kreter  Berl.  Klass.  V  2.  Pap.  Gr.  Berol.  30  a. 
Psalmen  vgl.  m.  Einf.  Kap.  20.  Ausnahmen:  Oxyrh.  XI  1352,  wo  die 
Gliederung  innerhalb  der  Zeile  durch  Doppelpunkte  bezeichnet  wird. 
Auch  diese  fehlen  Rylands  I  3.  Ähnliches  gilt  von  anderen  poetischen 
Büchern  des  AT.  Das  Beispiel  der  Psalmen  bestätigt,  daß  man  auch 
spät  noch  dazu  neigte,  Verse  wie  Prosa  zu  schreiben,  wenn  man  über 
den  Bau  nicht  recht  Bescheid  wußte. 

Seite  69:  Zur  Schriftentwicklung,  Buchschrift  und  Geschäfts- 
schrift vgl.  meine  Einführung  Kap.  2,  bes.  Seite  27  und  die  dort  ange- 
führten Werke.  Ferner  meinen  Aufsatz:  Fragen  und  Aufgaben  der 
Papyrusschriftkunde  (Zeitschrift  d.  Deutschen  Vereins  für  Buchwesen 
und  Schrifttum  I  Nr.  5/6.  1918).  Zu  den  näher  besprochenen  Schrift- 
typen vgl.  Wilcken,  Archiv  für  Papyrusforschung  I  354  ff. 

Seite  71:  Von  derselben  Hand  geschrieben  sind  folgende  Paare: 
Isokrates  Paneg.  —  Thukyd.  7  (Oxyrh.  V  844,  X  1246).  Kerkidas  — 
Thuk.  8  (Oxyrh.  VII  1082,  X  1247).  Sophokles  Ichneutai  —  Sophokles 
Eurypylos  (Oxyrh.  IX  1174.  1175).  Alkaios  (Oxyrh.  X  1233.  Berl. 
Klass.  V  2;  in  diesem  Falle  vielleicht  Stücke  derselben  Ausgabe).  Proben 
bes.  schön  geschriebener  Buchrollen  werden  später  genannt  werden. 
Diokletians  Maximaltarif  ed.  Mommsen-Blümner,  Berlin  1893. 

Seite  72:  Vgl.  im  allg.  Birt,  Die  Buchrolle  in  der  Kunst 
197  ff. 

12* 


l8o  Anhang. 

Seite  7 4:  Zeilenziffern  in  Pindars  Päanen.  Oxyrh.  V  841:  M  und 
N,  nach  Grenfell-Hunt  =  1200  u.  1300;  an  das  40.  und  50.  Hundert 
ist  schwerlich  zu  denken.  Hell.  Oxyrh.  Oxyrh.  V  842:  A  wohl 
=  400.  Ilias  I  Ryl.  I  44,  bei  Vers  500:  E  .  ö  =  200,  t  =  300,  Berl.  Klass. 
Texte  III  II.  Ferner  stichometr.  Zlahlen  in  den  Ichneutai  Oxyrh. 
IX  II 74;  Kallimachos,  Aitia  u.  lamboi  Oxyrh.  VII  loii  usw. 

Seite  yS:  Die  Summierung  der  Verse  nach  jedem  Buche  ist 
bes.  deutlich  im  Iliaskodex  Morgan  (v.  Wilamowitz-Plaumann,  S.  B. 
Berl.  Ak.  1912,  1198).  Der  frühe  Kodex  steht  darin  der  Rolle  gleich. 
Die  angef.  Summe  unter  Ilias  23  siehe  Kenyon,  Classical  Texts.  Homer- 
texte mit  Plus-  und  Minusversen  namentlich  aus  ptol.  Zeit,  vgl.  m.  Ein- 
führung 91. 

Seite  77:  Zu  xö\xoc,  und  KÖ\\ri|aa  vgl.  Anm.  zu  Seite  9.  Die 
amtliche  Aktenrolle  aus  Originalurkunden  heißt  tÖ,uo^  öUYKoX\riai)UUJV, 
die  Abschrift  davon  6ipö|U€V0V,  vgl.  Preisigke,  Fachwörter.  Kolumnen 
in  der  Buchrolle  beziffert  z.  B.  Oxyrh.  III  412  (Julius  Africanus),  Oxyrh. 
IV  657  (Hebräerbrief). 

Seite  78:  Die  Kürzungen  der  Kursive  findet  man  in  vielen 
Publikationen  verzeichnet;  sie  sind  von  der  Buchstaben  verschlingung, 
also  der  tatsächlichen,  aber  nicht  beabsichtigten  Kürzung  wohl  zu 
unterscheiden.  Am  häufigsten  erscheinen  sie  in  Entwürfen,  bes.  in  den 
Urkunden  aus  Alexandreia  BGU  IV,  vgl.  Pap.  Gr.  Berol.  13.  14,  ferner 
21  a,  26  a,  b.  Für  das  Kürzungssystem  der  lit.  Texte  Berl.  Klass.  Texte 
I  und  IV;  vgl.  Pap.  Gr.  Berol.  20. 

Seite  80:  Tax  den  sog.  Nomina  Sacra  vgl.  außer  dem  grundlegenden 
Werke  von  Traube  noch  G.  Rudberg,  Neutestamentlicher  Text  und 
Nomina  Sacra.  Die  ältesten  Handschriften  zeigen  die  Kürzungen  gar 
nicht  oder  sparsam,  z.B.  die  Philon-Handschrift  Oxyrh.  IX  ii73,XIi356 
(nur  0g  und  u<;).  Genesis  Oxyrh.  VII  1007  (Gq,  aber  oivGpuuirog,  irarrip). 
Außer  den  angeführten  Wörtern  kommen  noch  vor,  wohl  nach  Analogie 
behandelt,  |ur|Tr|p  häufig  und  Kfiou  =  KÖa|Liou  Oxyrh.  VII  1008.  Gekürzt 
wird  z.  B.  iraTrip  in  irrip,  gen.  irpc;,  aiuxrip  in  auip,  oupavög  in  ouvo<;, 
(Xv6puü'iT0(;  in  avO(;.  Einige  Handschriften  setzen,  bestimmt  durch  die 
jüdische  Scheu  vor  der  Anführung  Gottes,  statt  KÜpioc;  das  sog.  Tetra- 
grammaton  TTITTI,  die  griechische  Nachmalung  der  hebräischen  Buch- 
staben rnn""  =  Jahuh;  Oxyrh.  VII  1007  schreibt  dafür  ein  Zeichen,  das 
vielleicht  Doppel- Jota  ist,  als  Anfang  des  Namens  Jahuh,  Jahwe.  Vgl. 
Wessely,  Un  nouveau  fragment  de  la  version  grecque  du  Vieux  Testament 
par  Aquila,  in  Melanges  Chatelain.  Ein  unpubl.  Perg.  etwa  5./6.  Jahrh. 
n.  Chr.  hat  Act.  4, 10  die  Kürzung  €cr+  UüCfare  =  ^aTaupujaaxe,  also  das 
Kreuz  (cfTaupö?)  als  Sigle.  Im  allg.  vgl.  Thompson,  Palaeography  76  ff. 
Der  Hervorhebungsstrich  gelegentlich  im  Trypbon-Papyrus,  Kenyon, 
Class.  Texts.  Sehr  frühes  Beispiel  in  einem  Verhandlungsprotokoll  des 
2.  Jahrh.  n.  Chr.  Mitteis,  Chrestomathie  91.  Auch  außerhalb  bibl.  und 
Christi.  Texte  begegnet  die  Kürzung  der  nomina  sacra,  z.  B.  avov  = 
äveptUTTOV  im  Pap.  Graecus  Holmiensis,  ed.  Lagercrantz. 

Worttrennung  in  lat.  Texten,  vgl.  Sallust,  Catilina  Oxyrh.  VI 
884.  In  Urkunden  Neigung  zum  Absetzen  ^von  Wörtern  oder  Wort- 
gruppen, z.  B.  ^Pap.   Graecae  Berol.  [6  a,  9  [a.  Daneben   Zerreißung   der 


Anmerkungen  und  Nachweise.  l8i 

Wörter  ebenda  28  (.3  TUüveu  xoiLiai  5Tr|?0uYa  xpocjauxri«;)-  Schulübung  mit 
Trennungsstrichen,  deren  Fehler  besonders  lehrreich  sind,  ausgestellt 
im  Schaukasten  der  Berliner  Papyrusausstellung,  s.  Abb.  4.' 

Seite  81 :  Akzente.  Ich  kann  hier  auf  das  System,  das  einei  gründ- 
lichen Untersuchung  bedarf,  nicht  eingehen;  vgl.  meine  Einführung 
59/60.  Anschauung  gibt  z.  B.  Pap.  Gr.  Berol.  19  b,  c,  29  a,  43  a.  Beson- 
ders reich  akzentuiert  sindOxyrh.  II 223,  Ilias  5  (ludra,  daöXov,  dqpveloq, 
H6Taq)p^vuj,  TTUKivai,  KÖpuGöq  xe,  ttgXXujv  xe,  eibaiöc;  xe,  k\u9{  juoi). 
Oxyrh.  III 448,  Odyssee  22,  23  (oTö^  xoi,  k^  ttoGi,  arjb'  fj\u)  wegen  hy\\<xi !). 
Ox>Th.  IV  660.  Paean.  661.  Epoden.  Oxyrh.  I  22  Oidip.  Tyr.  Oxyrh. 
VI  852.  Eurip.  Hypsipyle  (xöHd  xe).  Oxyrh.  VII  1015  Enkomion. 
Berl.  Klass.  V  2  Korinna.  Oxyrh.  V  841  Pindar,  Päane  (cpiXr^aiax^qpavov, 
q)ep6|nriXou(;,  exene,  xpöq)ov,  0d,uiva,  dvnnTÖ?  eim)-  Diphthonge:  xeXei?, 
HÖiaaittK;.  Oxyrh.  VIII  1082  Kerkidas  (iriiueXöaapKGqpaYUJv,  oub^v  iroKa) 
WilamowitzSB.  Berl.  Ak.  1912,  524+  1914,222+  Soc.  Ital.  133  Kalli- 
machos.  Rylands  I  53  Odyssee  (biöxp^qp^«;,  X^P<?i»  XP^^^ov  xe,  ^a0f|xd  xe. 
Oxyrh.  X  1231  Sappho.  Bakchylides  ed.  Blass  4.  Oxyrh.  VIII  1099 
Griech.  Paraphrase  zur  Aeneis  (concüssam  —  auvxivaYeicrav,  lamentis 
—  KOirexoiq,  quaesivit  —  e2r|xr|aev).  Späte  Beispiele  Epikedeia  und 
Hellenist.  Epos  Berl.  Klass.  V.  Der  Akzent  nach  vorn  gerückt  Oxyrh. 
II  221  Schol.  Ilias  21  (Kol.  I  3  ff.  wird  öx^  hr\  bemängelt).  Spiritus  in 
Wortmitte  Ryl.  I  53  Odyssee  (apYuporiXou,  Ttpoxiocrcreo).  Hellenist. 
Epos  Berl.  Klass.  V  67  (eqpeTexo,  aiveXevr|<;). 

Seite  84:  Länge  und  Kürze  z.  B.  Eurip.  Hypsipyle  Oxyrh.  VI  852. 
Pindar,  Päane  Oxyrh.  V  841.  Ilias  5  Oxyrh.  II  223.  Päan  Oxyrh.  IV 
660  usw.;  in  Prosa  Phaidon  Oxyrh.  II  229;  u.  a.  Bindebogen  Kerkidas 
Oxyrb.  VIII  1082  trotz  den  häufigen  Zusammensetzungen  nur  einmal. 
Hellenist.  Epos  Berl.  Klass.  V  i  öfters.  Lat.  Apex  Oxyrh.  I  30.  Für 
die  lat.  Papyri  vgl.  m.  Einführung  Kap.  20. 

Seite  85:  Vgl.  Flock,  de  Graecorum  interpunctionibus.  Diss. 
Greifswald  1908.  öivuj  und  xdxuj  axiY^H  sowie  die  seltenere  \iiar\  werden 
auch  in  musterhaft  schönen  Papyri  wie  Oxyrh.  VIII  1083  nicht  klar 
unterschieden.  Doppelpunkt  z.  B.  Des  Mädchens  Klage  (Crusius, 
Herodas  5),  fast  alle  dramat.  Texte,  ferner  in  den  sog.  Anapästen  (Berl. 
Klass.  V  2)  zur  Bezeichnung  der  Katalexe;  in  Prosa  z.B.  Symposion 
Oxyrh.  V  843.  Phaidros  Oxyrh.  VII  1016.  Thukyd.  5  Oxyrh.  VI  880 
u.  a.  Er  vertritt  die  einfache  Interpunktion  Oxyrh.  VIII  1078  Hebräer- 
brief. Spatium  z.B.  Oxyrh.  VII  1008,  V  840,  842.  Berl.  Klass.  V 
Osterbrief.  Paragraphos  verb.  mit  kleinem  Spatium,  ohne  Punkt 
HellenikaOxyrh.OxyV842.  Komm. Thukyd. Oxyrh. VI 853.  Mit,Doppel- 
punkt  Sympos.  Oxyrh.  V  843,  Strich  in  der  Zeile,  Paragraphos  am 
Anfang  Eurip.  Phaethon,  Berl.  Klass.  V  2.  Rhetor.  Text  Hibeh  I  15. 
Komma  zur  Worttrennung  Kerkidas  Oxyrh.  VIII  1082.  Koronis: 
Pindars  Päane  Oxyrh.  V  841  öfters  nach  jeder  Strophe;  in  Prosa 
nicht  nur  am  Ende  des  Ganzen,  sondern  auch  bei  größerem  Sinn- 
abschnitte Sympos.  Oxyrh.  V  843.  Hephaistion  (cd.  Gaisford)  133: 
irapd  |i^v  xoi;  XupiKoiq,  dv  \xiy  |uovöaxpoq)ov  xö  ^a|ua  fj,  xaG'  ^Kda- 
xriv  xiSexai  öxp09i^v  ^  irapdYpacpoc;,  elxa  ^ttI  x^Xouq  xoö  qla|uaxo<; 
f]  K0pujvi<;.  Meleager:  Anthol.  12,257.  Die  angef.  Beispiele  sind  nur 
eine  kleine  Auswahl;  Anschauung  gewähren,  wo  Originale  fehlen,  die 
Bilder    in  den    Publikationen,    und    folgende  Tafeln   in  den  Pap.  Gr. 


l82  Anhang. 

Berol.  I  (Vogel-Koronis)  Paragraphos.  3  (Paragr.)  4  b  (Koronis,  Pa- 
ragr.).  7  a  (Paragr.).  11  a,  b  (Doppelp.,  Paragr.).  18  (Punkt,  Paragr.). 
19  a,  b,  c  (Punkt,  Paragr.).  20  (Punkt,  Koronis).  29  a,  b  (Punkt,  Pa- 
ragr.). 30  a,  b  (Paragr.,  Kor.).  31  (Paragr.).  40  (Paragr.,  Spat.).  43  a,  b 
(Punkt).     50   (Punkt,   Spat.). 

Seite  86:  Zitate  z.B.  Iliasscholien  Oxyrh.  III  418.  Dagegen  be- 
ginnen in  den  Iliasscholien  Oxyrh.  VIII  1086  die  Lemmata  mitten  in  der 
Zeile,  nur  manchmal  mit  Häkchen  eingeleitet.  Vgl.  Pap.  Gr.  Berol.  31. 
Zum  Einrücken :  ebenda  3,  wo  die  Elegie  eingerückt  wird.    30  b  Chorlied. 

Seite  Sy :  Art  und  Regellosigkeit  der  Personenbezeichnung:  z.  B. 
Eurip.  Hypsipyle  Oxyrh.  VI  852.  Sophokles  Ichneutai  Oxyrh.  IX  1174. 
Menander,  namenthch  die  Handschrift  in  Cairo,  siehe  Körte,  Menandrea  ^. 
Zur  Bezeichnung  des  Chors  ebenda  in  den  Epitrepontes  und  der  Peri- 
keiromene.  Posse  von  Oxyrh.  Oxyrh.  III  413,  vgl.  m.  Einführung  138. 
Homerpap.   Oxyrh.    II   223.      Anschauung   gibt   Pap.    Gr.    Berol.   30  b. 

Seite  8g:  Szen,  Bemerkungen:  Posse  Oxyrh.  III  413,  nach  Rostrup 
Exemplar  ausgeschrieben.er  Rollen!  Soph.  Ichneutai  col.  V  2  ^oTßboc;. 
Aristophanes  Oxyrh.  XI  1371   KttG'  ^auTÖv  X^Y^i. 

Seite  90 :  Korrektur,  gute  Beispiele  Aristoxenos  Oxyrh.  I9.  Ilias 
5  Oxyrh.  II  223.  Isokrates  Paneg.  Oxyrh.  V  844.  Piaton,  Phaidon 
Oxyrh.  VII  1017.  Vgl.  Pap.  Gr.  Berol.  18  Kol.  I  Zeile  12.  19  c.  31. 
43  a.  Umgestaltung  von  Wörtern  Kyrupädie  Oxyrh.  VII  1018.  Ersatz 
des  TT  durch  00 :  Thukyd.  Oxyrh.  I  16.  Einen  besonderen  Fall  bildet 
der  ionische  Text  über  die  Belagerung  von  Rhodos  (v.  Hiller,  Sitz.- 
Ber.  Berl.  Ak.  1918,  752  ff.),  der,  von  roher  Hand  geschrieben,  unge- 
wöhnlich stark  durchkorrigiert  ist.  Wahrscheinhch  liegt  nicht  ein  Rest 
einer  wirkhchen  Buchrolle,  sondern  ein  Aufsatz  vor,  den  der  Verf. 
selbst  durchgearbeitet  hat.  Korrekturen  sind  in  Urk.  und  Briefen  sehr 
häufig,  vgl.  Pap.  Gr.  Berol.  13,  14  (von  zweiter  Hand). 

Seite  9J;  Anmerkungen,  Scholien.  Kritische  Zeichen  z.  B,  Pindar 
Oxyrh.  V  841.  Korinna  Berl.  Klass.  V  2.  Eurip.  Hypsipyle  Oxyrh.  VI 
852.  Ilias  2  Tebt  i  4.  Ilias  5  Oxyrh.  II  223.  Ilias  6  Oxyrh.  III  445.  Ilias 
24  Ryl.  I  51.  Varianten:  Pindar  Oxyrh.  V  841  z.  B.  Zri(vöboToq),  0^(ujv) 
usw.,  daneben  einfach  Yp(dq)eTai).  Soph.  Ichneutai  Oxyrh.  IX  1174 
Berufung  auf  O^iuv.  Epikedeia,  Berl.  Klass.  V  i.  Reich  mit  Scholien 
ausgestattet  sind  z.  B.  Korinna,  Pindars  Päane,  Soph.  Ichneutai,  Ker- 
kidas  Oxyrh.  VIII  1082,  Alkaios  Oxyrh.  X  1234.  Eurip.  Hypsipyle 
Oxyrh.  VI  852.  Aristophanes  Oxyrh.  XI  1371.  Kallimachos  Wilamo- 
witz  SB.  Berl.  Ak.  191 2  u.  1914.  Prosa  z.  B.  Xenophon  Hell.  Oxyrh. 
I  28.  Vgl.  im  allg.  m.  Einführung  60.  Kommentare  vgl.  ebenda  Kapitel 
IX  und  in  Kapitel  XX  unter  Homer.  Dort  auch  Homer-Wörter- 
bücher. Anschauung  geben  für  Kolumnenüberschrift  Pap.  Gr.  Berol.  20, 
Randscholien  29  a,  43  a;  noch  besser  die  Tafeln  zu  Pindars  Päanen 
und  zu  Kallimachos,  siehe  oben. 

Seite  97 :  Zu  Poseidonax  vgl.  Crönert,  Lit.  Zentralblatt  1907,  1313. 
Ammonios  Oxyrh.   II  221.     Mikrylos  Berl.  Klass.   II  53/4. 

Seite  98:  Titel.  Xenophon,  Kyrup.  Oxyrh.  IV  697.  Aristarch 
Komm.  Herod.  Amh.  II  12.  Symposion  Oxyrh.  V  843  TTXciTaivoc; 
ZuiLiTTÖölov.  Kerkidas  Oxyrh.  VIII  1082  KepKiba  Kvvöq  [^e]\ia)ußoi. 
Herakl.    Lembos    Oxyrh.    XI    1367    ['H]paK\e(bou    toO  [IJapaTriuJvoc; 


Anmerkungen  und  Nachweise.  183 

^Tr[i]To,ur|  TiJüv  'Ep.uiTTTTOu  irepi  vojnoeeTtuv  Kai  ^[irjTd  öocpujv  Kai  [TT]u- 
Gayöpou.  Choirilos  Oxyrh.  XI  1399  XoipiXou  Troir)|uaTa  ßapßapiKd 
MTibiK(d)  7T€pa[iKd].  Enkomion  auf  Hermes  Oxyrh.  VII  1015.  Satyros 
Ox\rh.  IX  1176  larupou  ßiuuv  dvaYpacpfj(;  c,  AiaxuXou  loqpoKX^ouc; 
EupiTTibou.  Sappho  Oxyrh.  X  1231  ,ue\Ouv  a  XH^^I^^  (1320  Verse,  ge- 
schrieben im  altattischen  Ziffernsystem).  Africanus  Oxyrh.  III  412: 
'louXiou  AqppiKavoö  Keaxö?  iy\.  Didymos  (P.  Gr.  Berol.  20)  Aib6,uou 
Ttepi  ArjuoaGevouc;  kti  OiXnnriKUJv  f-  ö  ttoWüjv  (b  ävhpec,  ÄGrivaToi 
i  Kai  CTToubaia  vouiliuv  id  öxi  u^v  (h  dvbpe^  ÄörivaToi  cJ)iXi-rrTro^  iß 
irepi  luev  xoö  Trapövrog.  Vgl.  m.  Einführung  163  ff.,  wo  Literatur. 
Ich  nehme  jetzt  an,  daß  über  Kr\  der  Ordinalstrich  fehlt,  die  Rolle  also 
als  28.  bezeichnet,  nicht  das  Gesamtwerk  auf  28  Bücher  berechnet 
wird.  So  auch  Wilcken  Hermes  55,324-  Ilias  Morgan  ed.  Plaumann-Wila- 
mowitz,  SB.  Berl.  Ak.  1912,  1198.  Tryphons  Techne  ed.  Blass.  Techne 
des  Eudoxos  in  den  Pariser  Papyri.  Anfangstitel  Hierokles,  Berl.  Klass. 
IV  MepOKX^ouc  fiOiKri  aTOixeiuüaiq.  Epitome  zu  Theopomp,  Philipp.  47 
OeoTTÖUTTOU  [ct)iXnnnKU»v  }iZ]  (Erg.  zw.)  Kratinos,  Dionysalexandros 
Oxyrh.  IV  663. 

Seite  10 j:  Teiltitel.  In  Pindars  Päanen  steht  am  1.  Rande,  vor  den; 
6.  Gedichte:  AeX(poT<;  eic,  TTuOiIj,  also  eine  Bezeichnung,  die  bei  Pindar 
(01\Tnp.  usw.)  allgemein  üblich  geworden,  aber  streng  genommen  kern 
Titel  ist.  Kallimachosbuch  Oxyrh.  VIII  loii  KaXXifidxou  [AiTi]iJUV  b, 
darunter  KaXXi|adxou  "laufßoi].  Vgl.  auch  den  Nonnoskodex  Berl. 
Klass.  V  I.  Isokrateskodex  Oxyrh.  VIII  1096  hat  hinter  Paneg.  und 
vordePace:  TravnT^piKÖc;,  darunter -rrepiTficseiprivric;.  Basileios-Exzerpte, 
Berl.  Klass.  VI:  Inhaltsüberschriften  der  einzelnen  Auszüge  stehen  über 
der  Seite;  ein  Kreuz  bezeichnet  die  Stellen,  der  die  Fassung  der  Über- 
schrift entlehnt  ist.  Leipziger  Psalmen  Heinrici,  Die  Leipziger  Papyrus- 
fragm.  d.  Ps.  Lpzg.  1903.  Subscriptio  z.  B.  Demosthenes,  De  cor. 
Ryl.  I  58:  uTT^p  KTTiai(pujvTO<;  irepi  xoO  axeqpdvou.  Dann  [eOJxuxuJc; 
rui  Tpdi|>avx[i]  Kai  [Xa]^ßdvov[xi]  Kai  dvaYivuuaKOvxi.  Christliches  Gebet  in 
den  Freer-Gospels,  am  Schlüsse  des  Markus-Ev.  Man  vgl.  damit  die 
inschriftl.  Proskynemata,  bes.  Preisigke,  Sammelbuch  1018:  xö  irpocTKU- 
vnua  MdpKOu  Avxiüveiou  OOdXevxo?  iirir^o?  aireipri?  d  Orißaiuuv  iiriri- 
Kf|q  xOpurjc;  KaXuaxiavoö  Kai  xüiv  dbeXcpOüv  Kai  xoO  iirirou  Kai  xwv 
auxoö  irdvxujv  Kai  xiJuv  (peiXövxujv  auxöv  irdvxuuv  Kai  xoö  Ypdijiavxoq 
Kai  xoö  dva-feivujaKovxoc;  irapd  6euj  lueYeicrxuj  MavbouXei  ariiuepov, 
In    d'raOiJ»,  Kupiiu  MavboOXei. 

Seite  104:  Sillybos:  Sophron  Oxyrh.  II  301.  Bakchylides  Oxyrh. 
VIII  1091  BaKXuXibou  Al6upa|aßoi.  Auch  ein  Sillybos  einer  Akten- 
rolle ist  erhalten,  4  y  30,5  cm:  6L  Oöeoiraaiavoö  |uvr||aoviKiJuv  |uriv(ö(;) 
N^ou  Zeßaaxoö  dvx(xo|U(ov)  Oxyrh.  II381.    Zu  index-iudex  Martial  i,  53. 

Seite  105:  frons,  frontes,  cornua  unendlich  oft  behandelt,  scheinen 
bei  der  vorgetragenen  Deutung  allem  zu  entsprechen,  was  von  ihnen 
gesagt  wird.  Vgl.  Tibull  III  i,  u  pumex  ei  canas  tondeat  ante  comas. 
Doppelstirn  Martial  III  2  cedro  nunc  licet  ambules  perunctus  /  et  frontis 
gemino  decens  honore.  Ovid,  Tristia  I  1,8  Candida  nee  nigra  cornua 
fronte  geras.  1,11  nee  fragili  geminae  poliuntur  pumice  frontes.  Auch 
der  schwierige  Ausdruck  bei  Tibull  a.a.O.  inter  geminas  pingantur 
cornua  frontes  wird  verständlich,  denn  der  Rollenstab,  hier  als  cornua 
bezeichnet,  lag  innen   in  der  Rolle,  also  mitten  zwischen  den   beiden 


184  Anhang. 

Außenflächen,  frontes  (vgl.  Martial  11,  107,  wo  es  von  der  Rolle  heißt 
explicitur  usquae  ad  sua  cornua).  Die  Stele  von  Thyateira  (Wiegand, 
Athen.  Mitt.  191 1,  291  ff.)  zeigt  die  Rolle,  deren  Anfang  aufgeschlagen 
ist,  und  einen  Rollenstab,  der  nur  an  einem,  Ende  herausragt;  ein  solcher 
war  ebenso  möglich  wie  der  doppelt  gehörnte.  Die  Stele  richtig  gedeutet 
von  Gardthausen,  Paläogr.  P  144.  Birt,  Buchrolle  in  der  Kunst  236 
versteht  uiiter  cornua  die  Endblätter,  unter  frontes  die  beiden  Schnitt- 
flächen der  geschlossenen  Rolle. 

Seite  106:  Rollenstab.  Daß  er  lose  in  der  Rolle  steckte,  hat  Birt, 
Buchrolle  in  der  Kunst  232,  mit  Recht  betont.  Vgl.  Tibull  III  i,n 
lutea  sed  niveum  involvat  membrana  libellum  /  pumex  ei  canas  tondeat 
ante  comas  /  summaque  praetexat  tenuis  fastigia  chartae  /  indicet  ut 
nomen  littera  facta  tuum  (Sillybos)  /  atque  inter  geminas  pingantur 
cornua  frontes  /  sie  etenim  comptum  raittere  oportet  opus.  Martial  III  2 
cedro  nunc  licet  ambules  perunctus  /  et  frontis  gemino  decens  honore  / 
pictis  luxurieris  umbilicis  /  et  te  purpurea  delicata  velet  /  et  cocco 
rubeat  superbus  index.  Vgl.  Ovid,  Tristia  I  i.  Lukian,  adv.  indoctum  7  : 
ÖTTÖTav  TÖ  |u^v  ßißXiov  ^v  Tf)  X^^P^  ^X^C  TrctTKaXov,  iropqpupäv  ju^v 
?XOV  Tr]v  biqpG^pav,  XP'Jcroöv  b^  töv  ö|uqpa\öv.  Der  Rollenstab  ist  wohl 
auch  in  dem  ptol.  Postbuche  Wilcken  Chrest.  435  mit  dem  unerklärten 
äHiov  gemeint,  das  ich  in  dH(öv)iov  verbessern  möchte,  wofern  es  nicht 
aus  äSuuv  verlesen  ist.  Hier  werden  Briefe  offenbar  ineinander  gerollt, 
wie  es  auch  bei  naehreren  der  kleinen  Texte  aus  Elefantine  geschah, 
wo  eine  Rolle  die  Gesamtaufschrift  ^TriaroXal  trägt  (Eleph. -Papyri  ed. 
Rubensohn).  Vgl.  BGU  III  891,  II  15  ff.  usw.  Einen  Stab,  der  an  der 
Rolle  befestigt  ist,  setzt  Heron,  Autom.  269  voraus,  bei  einem  sehr 
langen,  nicht  zum  Schreiben  benutzten  Ballen. 

Seite  loy :  Pergamenthülle  vielleicht  auch  vom  Apostel  Paulus  ad 
Timoth.  II  4,  13  gemeint.  Vgl.  oben  Tibull  usw.  Verschnürte  Rollen 
Eleph.  Papyri;  Sachau,  Aram.  Papyri.  Schreiben  des  Sub.  Aquila  P. 
Gr.  Berol.  35,  wo  aber  der  Pergamentstreifen  nicht  mit  abgebildet 
ist;  Alex.Osterbrief  Berl.  Klass.  VI. 

Seite  108:  Unter  den  erhaltenen  lit.  Papyri  zeichnen  sich  durch 
bes.  schöne  Schrift  aus:  Isokrates  Paneg.  Oxyrh.  V  844.  Schrift  über 
Vorzeichen  Oxyrh.  VI  885.  Lit.  Abhandlung  Oxyrh.  VII  1012.  Piaton 
Phaidon  Oxyrh.  VII  1017.  Kerkidas  Oxyrh.  VIII  1082.  Satyrdran^a 
Oxyrh.  VIII  1083.  Hesiod,  Kataloge,  Berl.  Klass.  V  i,  28;  aber  ihre 
sonstige  Ausstattung  ist  nicht  mehr  kenntlich.  Konstantinische  Per- 
gamentrolle Zonaras  14, 2- 

Illustr.  Eukleides  P.  Fay.  9.  Oxyrh.  I  29.  Math.  Papyri:  Chicago 
Lit.  Papyri  3  (P.  Ayer)  P.  Soc.  Ital.  III  186.  Anatl.  Berichte  aus  d. 
Kgl.  Kunstslgn.  191 5/16,  161.  Naturgeschichtlich:  De  Johnson,  A  botani- 
cal  Papyrus  with  illustr.  (Arch.  f.  Gesch.  d.  Naturwiss.  u.  d.  Technik 
4,403);  man  vergleiche  den  Dioskorides.  Bilder  der  Verfasser:  Seneca, 
De  tranqu.  9, 7.  Martial  14, 186.  Im  allg.  vgl.  die  Josuarolle.  Zur 
Trajanssäule  und  Markussäule  Th.  Birt,  Die  Buchrolle  in  der  Kunst 
296  ff.    Landkarte:  Properz  IV  3,350. 

Seite  HO:  Th.  Birt,  Die  Buchrolle  in  der  Kunst,  bringt  viel  wert- 
volle Beobachtungen  an  einer  Fülle  von  Darstellungen,  will  aber  in 
vielen  Einzelzügen  viel  zu  viel  herauslesen  und  muß  daher  mit  großer 
Vorsicht  benutzt  werden.      Auf  jeden   Fall  aber  ist  das  Buch  unent- 


Anmerkungen  und  Nachweise.  185 

behrlich,  wenn  man  eine  lebendige  Anschauung  gewinnen  will.  Daß  der 
Leser  höchstens  4  Kolumnen  vor  sich  hatte,  darf  man  wohl  den  Codices, 
die  aufgeschlagen  4  Spalten  zeigen,  entnehmen.  Auch  der  Ägypter  las 
öfters  auf  dem  Stuhle  sitzend,  wie  z.  B.  die  Imhotep-Statuetten  zeigen; 
die  heutige  Sitte  der  Orientalen  ist  nicht  maßgebend,  da  sie  den  Stuhl 
von  Hause  aus  nicht  kennen.  Zum  Rollen  vgl.  Martial  1,66;  dazu  Birt 
a.  a.  O.  115. 

Seite  112:  Vgl.  im  allg.  m.  Einführung  Kap.  V  und  373  ff. 

Seite  113:  Die  Heftform  deutlich  bei  Quintilian  I.  0.  X  3,31  illa 
quoque  minora  (sed  nihil  in  studiis  parvum  est)  non  sunt  transeunda: 
scribi  optime  ceris,  in  quibus  facillima  est  ratio  delendi,  nisi  forte  visus 
jnfirmior  membranarum  potius  usum  ex'get,  quae  ut  iuvant  aciem,  ita 
crebra  relatione,  quoad  intinguntur  calami,  morantur  manum  et  cogita- 
tionis  impetum  frangunt.  relinquendae  autem  in  utrolibet  genere  contra 
erunt  vacuae  tabellae,  in  quibus  libera  adiciendo  sit  excursio.  Die  leere 
Gegenseite  beweist  die  Heftform. 

Seite  114:  Ascon.  in  Mil.  29.  F.  Zucker  versteht,  wie  er  mir 
schreibt,  unter  den  Codices  librariorum  Holztafeln.  Ilias  in  nuce  Plin. 
n.  h.  7,  85.    Reisebücher  Martial  I  2. 

Seite  115:  Zu  den  Neujahrsgeschenken  (Apophoreta):  Martial  XIV. 
Gardthausen,  Paläographie  *  I  98,  behauptet,  gerade  die  Membran- 
bücher enthielten  die  großen  Werke,  die  Papyrusbücher  dagegen  nur 
Einzelschriften.  Das  ist  im  allg.  richtig,  aber  Martials  Worte  zeigen, 
daß  eben  jene  großen  Werke  in  kleinen  Umfang  zusammengedrängt, 
also  erst  recht  unscheinbare  Ausgaben  waren.  Birt,  Buchrolle  in  der 
Kunst  31,  betont  mit  Recht,  es  seien  meistens  Schulbücher.  Wichtig 
sind  G.  A.  Gerhards  Ausführungen  über  den  Kodex  (Gerhard  und 
Gradenwitz,  Ein  neuer  Jurist.  Papyrus  der  Heidelb.  Univ.  Bibl.  1903). 

Neratius  Priscus  und  Cassius  Longinus  bei  Ulpian  Dig. 
32,52.  Birt  a.a.O.  20  Anm«  3  versteht  unter  membranae  Entwürfe, 
ebenso  Zucker  (brieflich),  [der  axebiujv  bei  Plinius  vergleicht,  womit 
Sammel-  und  Exzerptwerke  gemeint  seien.  Gerhard  sieht  im  Titel 
membranae  die  Bestätigung  des  Pergamentkodex.  Paullus  Sent.  HI  6, 51. 

Seite  117:  Kreter  Berl.  Klass.  Texte  V  2,  P.  Gr.  Berol.  30  a.  Meine 
frühere  Datierung  auf  das  i.  Jahrh.  hat  Hunt,  Oxyrh.  VH  i  mit  Recht 
angefochten;  das  2.  Jahrh.  glaube  ich  verteidigen  zu  können.  Die 
Ähnlichkeit  mit  Oxyrh.  I  16  (Tafel  IV),  das  Grenfell-Hunt  vermutungs- 
weise ins  I.  Jahrh.  n.  Chr.  setzen,  scheint  mir  unbestreitbar.  Frühe 
Codices  z.  B.  Genesis  Oxyrh.  IV  656  (Pap.),  Titus-Brief  Ryl.  I  5  (Pap.), 
Hesiod,  Theogonie  Oxyrh.  VI  873  (Pap.),  Genesis  Oxyrh.  VII  1007 
(Perg.),  Exodus  Oxyrh.  VIII  1074  (Pap.).  Dies  letzte  dürfte  eher  ins 
2.  als  ins  3.  Jahrh.  gehören,  ebenso  Oxyrh.  IV  656. 

Seite  120:  Logia  Jesu  Oxyrh.  IV  654.  Über  den  Unterschied  von 
Brief  und  Epistel  im  NT.  Deißmann,  Licht  vom  Osten  >  166  ff.  Deiß- 
mann,  Paulus  5  ff.  (Tübingen  191 1).  Näher  darauf  einzugehen,  ist  hier 
nicht  der  Ort.  Zum  AT.  vgl.  die  Aquila-Übersetzung,  bes.  das  Bruch- 
stück, das  Wessely  in  den  M^langes  Chatelain  1910  mitgeteilt  hat. 

Seite  123:  Alex.  Weltchronik:  Bauer  und  Strzygowski,  Dcnkschr. 
d.  Wiener  Akad.  LI  (1905).  Über  Rolle  und  Kodex  in  der  Hand 
heiliger  Personen   Birt   Buchrolle   in   der  Kunst.     Allzu    oft   wird  das 


l86  Anhang.^ 

Inventar  der  Dorfkirche  von  Ibion  (P.  Grenfell  II  iii,  5./6.  Jahrh. 
n.  Chr.)  mit  seinen  ßißXia  bep|LidTi(va)  Ka  6|Lioi(i]u<;)  x^pTia  t  als  Zeuge 
angerufen;  der  Bestand  einer  Dorfkirche,  der  klein  ist  und  vom  Zufall 
abhängt,  kann  uns  wenig  lehren. 

Basil.  epist.  395  TÖ  irepi  toö  Trvei)|LiaTO(;  ßißXiov  yeTpaTTTai 
f-iev  fifiiv  Kai  lieip^aorm  ibq  auxöc;  oTba^ '  dTrooTeiXai  be  Iv  X^^P'^Vl  T^TP«!^- 
la^vov  dKOuXuödv  ^e  ol  ,ueT'  <uoü  otbeXqpoi  eirrövrec;  TiapäTr\<;  euYeveiac;  aou 
^vtoXck;  ^X^^"^  ^v  aujjuaTiuj  Ypdniai.  Der  Gegensatz  zeigt,  daß  mit  xdpTr|<; 
nicht  nur  Papyrus,  sondern  die  Rolle  gemeint  ist.  Auch  Ausonius  spricht 
öfters  unverkennbar  von  der  Papyrusrolle;  aber  Apollin.  Sidonius  ergibt, 
daß  auf  die  Ausdrücke  volumen  und  codex  damals  kein  Verlaß  mehr  ist. 
Amm.  Marcell.  29,  i,  41  berichtet  vom  Jahre  371  n.  Chr.:  deinde  congesti 
innumeri  Codices  et  acervi  voluminum  multi  sub  conspectu  iudicum 
concremati  sunt,  also  gab  es  beide  in  Menge.  Hieron.  epist.  141:  quam 
(bibhothecam)  ex  parte  corruptam  Acacius  dehinc  et  Euzoius  eiusdem 
ecclesiae  sacerdotes  in  membranis  instaurare  conati  sunt. 

Seite  124:  Äg.  Funde:  z.B.  Odyssee  Rylands  I  53  (3-/4.  Jahrh.). 
Ihas  2 — 4  (Harris)  Class.  Texts.  Rückseite  Tryphons  Techne.  Xeno- 
phon,  Kyrup.  Oxyrh.  IV  697.  Eurip.  Melanippe  Berl.  Klass.  V  2. 
Vergil  Aeneis  Oxyrh.  131-  Aristophanes  Berl.  Klass.  V2  usw.  Gene- 
siskodex d.  Preuß.  Staatsbibl.  noch  nicht  veröffentlicht. 

Seite  I2y :  Schonungsstreifen  aus  Pergament  im  Papyrusbuche 
eingeheftet  z.B.  Philon-Kodex  Oxyrh.   IX  1173. 

Seite  128:  Gefalteter  Bogen:  Kairener  Menander,  siehe  Körte, 
Menandrea  2.  Odyssee,  Rylands  I  53,  wo  aber  Abweichungen  vor- 
kommen: the  sheets  are  normally  so  arranged,  that  the  recto  (flesh-side) 
and  verso  (hair-side)  lie  uppermost  alternately,  the  recto  of  one  leaf 
thus  facing  the  recto  of  the  next;  the  arrangement  is  however  sometimes 
disturbed.  Vgl.  auch  R.  Gregory,  Comptes  Rendus  1885  IV  t.  13  p.  261. 
Die  Lagen  sind  bekannt  unter  den  Namen  binio,  ternio,  quaternio  usw. 
Aristophanes  Berl.  Klass.  V  2. 

Seite  J29 ;  Bücher  in  einer  Lage  z.  B.  Ilias  Morgan,  um  300  n.  Chr., 
enthielt  11 — 16.  Chemischer  Papyrus:  Lagercrantz,  Pap.  Graecus  Hol- 
miensi^s  (7  Doppelblätter,  28  Seiten,  vollständig).  Koptisch:  der  i. 
Clemensbrief  ed.  C  Schmidt,  der  dort  Seite  7  andere  Beispiele  nennt. 
Bes.  lehrreich  ein  kopt.  Kodex  der  Preuß.  Staatsbibliothek,  der  nach 
H.  Ibscher  40  Vollblätter  zu  je  4  Seiten  enthält. 

Seite  130 :  Kleinste  Formate  z.  B.  Berl.  P.  9778  Genesis  3./4.  Jahrh. 
5,5  X  7  cm.  P.  10  585  koptisch,  7,5  X  6,5  cm.  Oxyrh.  V  840  Unkan. 
Ev.  4.  Jahrh.,  8,8  X  7,4  cm.  Rylands  I  28  irepi  Tra\|uüjv  4.  Jahrh., 
7,5  X  6,6  cm.  Oxyrh.  VII  loio  Ezra-Apokal.  4.  Jahrh.,  8,4  X  5,6  cm- 
Höhe  =  Breite  (es  kommt  nur  auf  annähernde,  dem  Auge  so  erschei- 
nende Gleichheit  an),  z.B.  Berlin  P,  5013.  Thessal.  2.  4.  Jahr!., 
16  X  16  cm.  de  Ricci,  Melanges  Chatelain  Cicero  pro  Plancio  5.?  Jahrh., 
14X12  cm.  Berlin  P.  9287  kopt.  16  X  14  cm.  P.  8100  kopt.  18,5  X  16  cm. 
P.  1862  kopt.  15  x13  cm.  P.  10586  kopt.,  15,5  X  14  cm.  Oxyrh.  VI 
849  Acta  Petri  Anf.  4.  Jalrh.  9,8  X  9  cm.  Berl.  Klass.  V  i  Epikedeia 
4.  Jahrh.,  24  X  22  cm.  Eurip.  Hippol.,  26  X  23  cm.  Berl.  P,  9917 
Grammatisch  29  X  27  cm.  Breite  =  halber  Höhe  Oxyrh.  III  449  Eurip. 
Andrem.  3.  Jahrh.,  28  X  14  cm.  Kairo,  unpubl.  Demosthenes  17,5  X 
8  cm.     Wilamowitz-Plaumann,   SB.  Berl.  Ak.   1912,   Ilias  Morgan,  um 


Anmerkungen   und  Nachweise.  187 

300  n.Chr.  14  X  27  cm.  Soc.  Ital.  III  251  Galaterbrief,  12  X  7  cn^. 
Pap.  Holm.  ed.  Lagercrantz,  Chemiebuch,  4.  Jahrh.  17  X  29  cm.  Ver- 
hältnis 3/2:  Henry  A.  Sanders,  The  New  Testament  Manuscripts  in 
the  Freer  Collection  I  New  York  1912,  Evangelien  20,8  X  14,3  cm.  Paulin. 
Briefe  16,5  X  11,2  cm.  Freer  Psalmen  32,7x24  cm.  Körte  Menandrea: 
Kairener  Menander  30  x18  cm.  Berl.  Klass.Vl  Basileios-Exc.  22X15,5 
cm.  Soc.-Ital.  1 2  Lukasev.,  15x11  cm.  Rylands  I  53 Odyssee  (3./4.  Jahrh.), 
16,8  X  13  cm.  Berl.  Klass.  V  2  Eurip.  Kreter,  2.  Jahrh.,  14,5  X  11,5  cm. 
Berlin  P.  13230  Homer  27,5  X  17,5  cm.  13  262  Homer  31  X  22  cm. 
Berl.  Klass.  V  2  Aristophanes,  36  X  25  cm.  V  i  Nonnos,  40  X  28  cm. 
Verh.  5/4  z.  B.  Freer  Deuteron.  30,1  X  25,9  cm  usw.  Die  letzteren 
nähern  sich  fürs  Auge  dem  quadratischen  Verh. 

Seite  134:  Verh.  der  Seite  etwa  gleich  dem  der  Kol.,  z.  B.  Eurip. 
Kreter,  wo  die  Kol.  ungefähr  10  X  7Y2  cm  hat, /vgl.  Pap.  Gr.  Berol.  30  a. 
Cicero,  pro  Plancio,  Kol.  8x8  cm,  Seite  14,5  X  12  cm. 

Seite  135:  Mehrere  Kol.  auf  der  Seite,  z.B.  Thukyd.,  Nicole, 
Textes  grecs  inedits  de  la  Collection  Papyrol.  de  Geneve  2.  Oxyrh. 
VII  1007.  Auch  Zucker  meint,  daß  hier  die  Rolle  nachgewirkt  habe. 
Bibelhandschrift  Vaticanus  3  Kol.,  vgl.  Lietzmann,  Specimina  Codicum 
Graecorum  i.     Der  Sinaiticus  hat  4  Kol. 

Seite  136:  Liniierung  im  Kodex  häufiger  als  in  der  Rolle;  senkrecht 
und  wagerecht,  z.  B.  im  Odysseebuche  Rylands  I  53.  Seitenzähliing 
selten  regelmäßig,  im  Kairener  Menander  vom  Korrektor  begonnen, 
aber  nicht  durchgeführt;  in  der  eben  genannten  Odyssee  fehlt  sie;  dafür 
steht  auf  jeder  rechten  Seite  oben  die  Buchziffer. 

Seite  13g:  Titel.  Harris-Homer:  t^Xgc;  ^xe\  'IXictboc;  ß.  Nonnos, 
Berl.  Klass.  V  i  rlXoq  ToO  ib  iroirmaToq  tOuv  [Aiovuaia]Ku)v  [Nö]v- 
vou  TTofinToö  TToJvoTToXiTOU.  u\^  (Stichenzahl)  öpxil  to[u]  Te  TTOirmaTO? 
TUiv  AiovuaiaKUJV  Növvo[u]  TroiriT(oO).  Tryphon:  Tpucpujvos  t^xvt]  Tpa,u- 
uaTiKr|.  ^um  Vorbilde  der  ausfuhr!.  Unterschrift  vgl.  Anm.  zu  Seite 
103.  Erste  Seite  leer,  heute  Schmutztitel.  Ilias  Morgan  z.  B.  'l\idbo(; 
Stichenzahl,  darunter  N,  eingerahmt  und  verziert.  Zum  Kallimachos 
vgl.  Anm.  zu  Seite  103.  Freer,  Deut.  u.  Josua  hat  am  Anfange  Aeuxe- 
povö|üiiov,  Odyssee  Rylands  I  53  am  Anfang  und  Ende  die  Buchziffer, 
ohne  Stichenzahl.  Eurip.SkironAmh.il  17.  Andromache Oxyrh.  III  449, 
mitten  auf  der  Seite  ^f^[(Jl^  Avbpo)Lidxri?] ;  die  zunächst  sehr  gewagt 
scheinende  Ergänzung  wird  durch  Stellung  und  Raum  gestützt. 

Seile  140:  Illustration.  Thompson  p.  32  f.  zählt  illustr.  Codices 
auf.  Alex.  Weltchronik  ed.  Bauer-Strzygowski.  Initialen  schon  Oxyrh. 
V  840  unkan.  Ev.  Web  vor  lagen :  Amtl.  Berichte  aus  d.  Kgl.  Kunst- 
samml.  1908,  294. 

Seite  142:  Einband.  Gardthausen  I*,  174  ff.  Einband  von 
H.  Ibscher  hergestellt  und  beschrieben,  Archiv  f.  Buchbinderei  191 1, 
113  ff.  Femer  vgl.  C.  Schmidt,  der  i.  Clemensbrief  (Texte  und  Unter- 
suchungen z.  Gesch.  d.  altchristl.  Lit.  32,  i).  Freer  siehe  Sanders,  The 
New  Testament  Manuscripts,  New  York  1912. 

Seite  143:  H.  Ibscher  bemerkt  zu  einem  kopt.  Pap. -Kodex  der 
Berliner  Staatsbibliothek,  die  Blätter  des  Buchblocks  seien  in  der  Mitte 
um  4  cm  schmäler  als  die  äußeren,  die  Ränder  der  Seiten  dagegen  seien 
durchweg  gleich  breit,  während  die  Breite  der  Schriftkoli  mnen  nach  der 


l88  Anhang-. 

Mitte  zu  abnehme.  In  diesem  Falle  hat  daher  der  Schreiber  in  den 
fertig  gehefteten  Kodex,  der  eine  einzige  Lage  bildete,  geschrieben. 
Mehrere  Schreiber  tätig  z.B.  am,  Philon-Kodex  Oxyrh.  IX  1173,  XI 
1356.  Lagenzifiern  auch  zitiert,  z.  B.  Z!riT€i  dq  ty]-v  dpxrjv  toO  xerpa- 
biou  (quaternio).  Zur  Buchschrift  vgl.  S.  690  und  die  Lit.  der  dortigen 
Anm. 

Seite  147:  Zur  Überheferung  des  Epos  vgl.  Wilamowitz,  Die  Ilias 
und  Homer,  Berlin  1916.    Einleitung. 

Seite  148 :  Hermodoros  vertreibt  Piatons  Dialoge  CAF  III  incert. 
269:  XÖYOiaiv  'EpjuöbuupO(;  djuiropeueTai. 

Seite  150:  Piaton,  Apologie  26  D:  ä  ^Heaxiv  ^vioxe,  €1  irdvu  iroX- 
XoO,  bpaxun«;  ^K  xf|(;  öpxnaxpac;  irpiaiuevoi?  usw.  An  sich  wäre  ein 
Buchladen  in  der  Orchestra  denkbar.  Xenophon  Anab.  VII,  5:  dv- 
xau6a  etjpiaKovxo  iroWal  faev  KXTvai,  -rroWd  b^  Kißdixia,  iroWai  hi  ßißXoi 
YeTpawiA^vai  Kai  xotWa  iroWdöaadv  ?u\ivoicxeOxeaivauK\r|poidYou(Jiv. 

Strabon  XIII  609  über  die  unzuverlässigen  Exemplare  von 
Schriften  des  Aristoteles  und  Theophrast  im  Buchhandel. 

Seite  151:  Atticus:  Usener,  Gott.  Gel.  Nachr.  1892,181  £E.  A.  gab 
auch  die  Klassiker  heraus;  ÄxxiKiavd  dirÖYpaqpa  des  Demosthenes, 
Aischines,  Piaton  standen  in  Ansehen.  Selbstverlag:  Birt,  Rh.  Mus. 
72,    Verlag    u.    Schriftstellereinnahmen  im  Altertum. 

Seite  152:  Horaz,  Ep.  II  3,345.  Martal  1,117,  ^S»  3-  ^^  erwägen 
ist  in  manchen  Fällen  auch  der  Kommissionsverlag,  wobei  der  Schrift- 
steller die  Kosten  trägt  und  der  Verleger  gegen  einen  Anteil  am  Gewinn 
die  Herstellung  vermittelt  und  den  Vertrieb  besorgt. 

Seite  154:  Cicero  ad  Attic.  12,6,3  (er  hatte  Eupolis  und  Aristo- 
phanes  verwechselt). 

Seite  155:  Marti al  I  117. 

Seite  isy :  Äg.  Schreiber  nach  Diktat:  Birt,  Buchrolle  in  der  Kunst 
S.  12,  Abb.  12. 

Seite  158:  Pindars  Päane  Oxyrh.  V  841;  auch  bei  den  Hellenika 
von  Oxyrh.,  Oxyrh.  V  842,  zwei  Hände,  die  in  der  Interpunktion  ab- 
weichen. Ist  die  Anordnung  der  Bruchstücke  richtig  (siehe  die  An- 
merkung der  Herausgeber  S.  114),  so  wechseln  die  Schreiber  ab.  Dikaio- 
mata,  herausg.  v.  d.  Graeca  Halensis,  Berlin  19 13  mit  Abb.  Mit  der 
eigentl.  Vervielfältigung  hat  nichts  zu  tun,  was  Euseb.  h.  e.  VI  23  von 
Origenes  erzählt:  sein  Freund  Ambrosius  drängte  ihn,  seine  Reden  zu 
veröffentlichen,  und  sorgte  für  alle  Hilfen:  xaxuTpdcpoi  ydp  auxuj 
irXeiouc;  fj  d-rrxd  xöv  dpiGiuöv  Trapf|aav  uiraYopeuovxi,  xpovoi«;  xexaT- 
\xivo\c,  dXXriXouc;  d|ueißovxe<;  ßißXioYpdqpoi  xe  oüx  r|xxou^  djua  Kai 
KÖpai^  e-rti  x6  KaXXiypacpeiv  ficTKrmevaK;  usw.  Zwei  Werke  des- 
selben Verlags  wohl  Hell.  Epos  und  Epikedeia,  Berl.  Klass.  V  i.  Lehr- 
vertrag, Wilcken  Chr.  140,  betrifft  Tachygraphie  und  kommt  für 
Buchschrift  nur  unter  Vorbehalt  in  Betracht. 

Seite  159:  Cicero,  ad  Attic.  12,6,3,  16,6,4.  E.  Norden,  Aus 
Ciceros  Werkstatt,  S.  B.  Berl.  Akad,  1913  I,  bes.  S.  5/6  und  11/12. 
Martial  7,  i. 

Seite  160 :  Erneuerung  der  römischen  Bestände  in  Alexandreia: 
Sueton,  Domit.  20. 


Anmerkungen    und  Nachweise.  189 

Seite  161 :  Auf  derselben  Rolle:  Hypereides  und  Demosthenes 
siehe  Kenyon,  Hyperidis  Orationes  et  Fragmenta.  Oxford  1906.  Blass- 
Jensen,  H}-peridis  orationes  1917.  Exodus  und  Apokalypse  Oxyrh. 
VIII  1075,  1079-  Isishymnus  und  Bios  des  Imuthes  Oxyrh.  XI  1380, 
1381.  Laterculi  Alexandrini  ed.  Diels,  Abh.  Berl.  Ak.  1904,  vorher  ein 
noch  unveröff.  Stück  des  Alexanderromans,  und  Paraphrase  eines 
Demeter-Persephone-Gedichts,  Berl.  Klass.  V  i,  beide  etwa  i.  Jahrh. 
V.  Chr.  Lysias  Hibeh  I  14  —  Anthologie  Hibeh  I  7.  Didymos  Berl. 
Klass.  I  —  Hierokles  Berl.  Klass.  IV.  Ilias  i  Rylands  I  43  —  Astron. 
Rylands  I  27.  Hesiod  Erga  Oxyrh.  VIII  1090  —  Mathem.  noch  nicht 
publ.     Liviusepitome  Oxyrh.  IV  668  —  Hebräerbrief  Oxyrh.  IV  657. 

Seite  16 J-:  Lit.  Texte  auf  Verse  von  Urkunden:  mehrere  Rollen 
zusammengeklebt  für  Komm,  zu  Thuk.  2  Oxyrh.  VI  853,  ebenso  für  den 
Gnomon  des  Idios Logos,  BGU  V  i.  Für  PindarsPäane  Oxyrh.  V  841  wurde 
eine  Rolle  horizontal  und  vertikal  zerschnitten.  Ferner :  Hellenika  Oxyrh. 
V  842.  Euripides  Hypsipyle  Oxyrh.  VI  852.  Lit.  Abh.  Oxyrh.  VII 
1012.  Piaton  Phaidros  Oxyrh.  VII  1016.  Xenophon  Kyrup.  Oxyrh. 
VII  1018.  Alex.  Chronik  Oxyrh.  VIII  1089.  Euripides,  Phönissen 
Oxyrh.  IX  1177.  Hesiod  Kataloge  Oxyrh.  XI  1358.  Roman  Oxyrh. 
XI  1368.  Isokrates  Demon.  P.  8935.  Hesiods  Kataloge  Berl.  Klass.  Vi 
(Pap.  Gr.  Berol.  19  a).  Ninosroman  P.  Gr.  Berol.  18  usw.  Darunter 
befinden  sich  besonders  schöne  Handschriften,  wie  der  zuletzt  genannte 
Hesiod,  femer  Oxyrh.  VII  1012,  V  841.  Daß  man  an  Texte  auf  Verso 
von  Urkunden  so  viel  Sorgfalt  wandte,  spricht  stark  für  ihre  Ent- 
stehung und  Verwendung  im  Buchhandel.  Nicht  wenige  Texte  auf 
Rekto    mit  leerer  Rückseite  bleiben  weit  hinter  jenen  zurück.^ 

Seite  165:  Rand  und  Rückseite  der  Rolle  ausgenutzt:  Juvenal, 
1,4  ff.  Die  Papyri  zeigen,  abgesehen  von  Verbesserungen  und  Scholien, 
fast  immer  freie  Ränder;  anders  bei  Briefen,  vgl.  z.  B.  P.  Gr.  Berol.  28. 
Martial  8,62:  scribit  in  aversa  Picens  epigrammata  Charta  /  et  dolet 
averso  quod  facit  illa  deo. 

Über  Bibliotheken  hier  nur  ein  paar  Bemerkungen;  vgl.  Gercke- 
Norden,  Einleitung  in  die  Altertumswissenschaft  I '  6  ff.  Poland, 
öff.  Bibliotheken  in  Griechenland  und  Kleinasien  (Histor.  Untersuchun- 
gen für  E.  Förstemann,  Leipzig  1894).  Cagnat,  Les  Bibhotheques 
municipales  dans  l'empire  Romain.  1906.  Birt,  Die  Buchrolle  in  der 
Kunst  244  ff .  Bücherei  des  Euthydemos:  Xenophon,  Memor.  4,  2,10. 
Klearchos  von  Herakleia  F.  H.  G.  III  527.    Seneca,  De  tranqu.  9,4. 

Seite  166:  Handschriften  des  Demosthenes:  Lukian,  adv.  indoct.4, 
eine  nicht  leicht  deutbare  Stelle.  Plinius,  n.  h.  13,  n.  Galen,  ad  Hipp. 
12  p.  2.     Gellius  2, 3. 

Lukian  adv.  indoct.  1/2;  ebenda  15  tö  AiaxOXou  ttuH(ov, 
e{(;  ö  ^Keivoq  l^pa\\i£. 

Seite  168:  Ptol.  Philad.  Athenäus  I  3  a,  b.  Hell.  u.  lat.  Bibl.  in 
Rom:  Dittenberger,  Or.  Gr.  II  679.  Jerusalem:  Julius  Africanus  Oxyrh. 
III  412  Iv  T6  TOK  (ipxeioK  Tf|<;  <ipX«^a?  TrfalTp(bo?  KoXujv€[ia](;  [A]{- 
Xia<;  KaTnTUjX€ivTi<;  xf)?  TTa\aiaT€{vr)[<;]  Kdv  Nüar)  Tf|<;  Kapiac;  }Jilxpi  hi 
Toö  Tpi<;KaibeKdTou  ^v  'PiJb.uT)  Trpö(;  xaic;  'AXeEdvbpou  6€p|Liai<;  ^v  t^ 
^v  TTaveeiuj  ßißXioeriKr)  x^  KaXf|,  r^v  aOxö?  fjpxixeKXÖvnaa  xij> 
leßaaxCu.     'Polyb.    XII '27,  4. 


190  Anhang. 

Seite  i6g:  Bücherlisten  auf  Papyrus:  Wilcken  Chrest.  155.  P. 
Flor.  III  371,  15  ff.  Über  die  Lit.  Papyri  und  ihre  Bedeutung  vgl.  meine 
Einführung.  Kap.  4  und  Kap.  17.    Übersicht  Kap.  20. 

Seite  170 :  P.  Tebt  II  414, 16  Tctc;  Kiffxac;  tujv  xapxapiujv.  In  Krügen 
z.  B.  die  Elefantine-Papyri,  in  Körben  öfters  in  Oxyrhynchos.  In  Teb- 
tynis  fand  man  Krokodilmumien  mit  Rollen  ausgestopft.  Steinkasten 
AiO(;KOupibr|(;  y  tÖ|uoi  de  Ricci,  Bull.  Soc.  Arch.  Alex.  11,350.  Im 
allg.  Birt,  Die  Buchrolle  in  der  Kunst  248.  Bibliothek  =  Archiv,  vgl. 
bes.  die  ^YKTr|(JeiJüv  ßißXloGriKr]  in  Ägypten;  ihre  Ausmalung  bei  Preisigke, 
Girowesen  454  ff.,  entbehrt  der  sicheren  Grundlage.  Auch  der  Kosten- 
anschlag für  ihren  Bau,  Bell,  Arch.  f.  Pap.  VI  102,  besagt  nichts. 

Nachtrag  zu  Seite  8 :  Edgar,  Selected  Papyri  from  the  archives 
of  Zenon  (Annales  du  Serv.  d.  Antiqu.  1919)  Nr.  9  (3.  Jahrh.  v.  Chr.) 
Xdpxa^  ^YboOvai  irevTTiKOvxa  kö\\ov(;  v  ;  das  sind  50  Rollen  zu  je 
50  »Klebungen«  d.  h.  Blättern  (creXibeO«  Nach  dem  Durchschnitte 
berechnet  waren  sie  rund   10  m  lang. 


VERZEICHNIS  DER  ABBILDUNGEN. 

Seite 
Abb.     I.    Arabische  Schrift  in  Seide  auf  Leinwand  gestickt 3 

2.  Vogeljagd  im  Papyrussumpf,  Relief 4 

3.  Griechisches  Ostrakon  P.  12  319.  Auslese  poetischer 
Sprüche,  Sitz.-Ber.  Berl.  Ak.   1918,  742   14 

4.  Geweißte  Holztafel,  enthaltend  llias  2,  147-162  am  Schluß 
das  Datum  der  Schularbeit  (Papyrusausstellung) 23 

5.  Neun  verbundene  Wachstafeln,  Ubungsbeft  eines  Schülers 
Amtl.  Berichte  aus  den  Kgl.  Kunstsammlungen  191 3, 
Spalte  210  ff.  (Papyrusausstellung) 24 

6.  Wachstafel;  Schülerabschrift  der  Elegie  eines  Poseidippos, 
vgl.  Papyri  Graecae  Berolinenses  17  (Papyrusausstellung)     25 

7.  Bleitafel:  Liebeszauber,  Amtl.  Berichte  1913/14,  Spal'te 
203  ff.  (Papyrusausstellung) 27 

8.  Schreiberpalette.  Kalamos.  Drei  Griffel.  Zweiteiliges 
Tintenfaß  für  schwarze  und  rote  Tinte.  (Papyrusaus- 
stellung; der  verzierte  Griffel  und  das  Tintenfaß  im 
Antiquarium)    29 

9.  Stele  aus  Thyateira:  Beutel  mit  Schreibrohren  und  Pa- 
pyrusrolle         30 

10.  Ägypter  mit  Schreibgerät,  Holzrelief 31 

11.  Papyrusrolle  als  hieroglyphisches  Schriftzeichen  nach 
G.  Möllers  Schrifttafeln 36 

12.  Aus  dem  Timotheospapyrus,  vgl.  v.  Wilamowitz,  Timo- 
theos,  Die  Perser.     Leipzig  1903  (Papyrusausstellung)  .      39 

1 3.  Papyrusrollen   48 

14.  Zum  Lesen  geöffnete  Rolle,  6  m  lang  (Papyrusausstellung)     53 

15.  Versiegelte  Urkundenrollen  des  3.  Jahrh.  v.  Chr.  aus 
Elefantine,  vgl.  Elephantine-Papyri  Seite  6ff... 55 

16.  Aus  einem  Kommentare  zu  Piatons  Theaitetos,  Berl. 
Klassikertexte  II  (Papyrussaustellung)    61 

17.  Bruchstück  aus  Sophokles,  Achäerversammlung,  Berl. 
Klass.  Texte  V  2  (Papyrusausstellung)  68 

18.  Aus  einer  Homerrolle  mit  Lesezeichen,  Berl,  Klass.  Texte 
V  I  (Papyrusausstellung)    82 

19.  Geschichtserzählung  in  ionischer  Mundart,  vermutlich  Ms. 
d.  Vf.;  v.  Hiller,  Aus  der  Belagerung  von  Rhodos,  Sitz.- 
Ber.  Berl.  Akad.    1918,   752   (Papyrusausstellung) 91 

20.  Aus  Pindars  Päanen,  Text  mit  Scholien.  Oxyrhynchos 
Papyri  V  841   Tafel  II 96 

21.  Schluß  von  Piatons  Symposion  mit  Titel,  Oxyrhynchos 
Papyri  V,  843  Tafel  VI 99 


102  Verzeichnis  der  Abbildungen. 

Abb.  22.    Schluß  der  Didymosrolle  mit  Titel,  Berl.  Klass.  Texte  I 

(Papyrusausstellung) loi 

23.  Stele  aus  Thyateira,  Rolle  mit  gebogenem  Rollenstabe  .    106 

24.  Euripides,    Kreter,     Seite    aus    einem    Pergamentbuche. 
Berl.  Klass.  Texte  V  2  (Papyrusausstellung)    118 

25.  Schluß   des  Markus-Evangeliums,  Pergamentbuch  Kodex 
Freer  0 121 

26.  Demosthenes,  irepi  tujv  (yu)Li|LiopiUJV,  mit  Schlußtitel,  Per- 
gamentbuch, Cairo    125 

27.  Zusammensetzung  des  Kodex,  schematische  Zeichnungen  127 

28.  Ilias  12  Ende  und   Ilias  13  Anfang,   Seite  aus  dem  Pa- 
pyruskodex Morgan,  Sitz.-Ber.  Berl.  Ak.  1912,  1198   ...    132 

29.  Federzeichnung  auf  Papyrus  (Papyrusausstellung) 135 

30.  Mathematische  Figuren  im  Kommentar  zu  Piatons  Theai- 
tetos  (Papyrusausstellung)    137 

31.  Farbiges  Webe-  oder  Stickmuster  auf  Papyrus  (Papyrus- 
ausstellung)      138 

32.  Farbiges  Webemuster  auf  Papyrus  (Papyrusausstellung)  141 

33.  Bucheinband,     nach     dem    Originale     ergänzt     und    ge- 
zeichnet von  H.  Ibscher  (Papyrusausstellung) 142 

34.  Bucheinband 143 

35.  Imhotep  mit  der  Papyrusrolle,  ägypt.  Statuette  (Papyrus- 
ausstellung)      149 

36.  Der  Schreibende  mit  der  Wachstafel.     Durisvase.     Furt- 
wängler  Katalog  2285  (Antiquarium) 153 

37.  Der  Lesende  mit  der  Rolle.    Durisvase,  siehe  36 156 

38.  Der  Lesende  mit   der   Rolle,    auf  deren    Innenseite  der 
Name    des    Euripides    steht ')  Terrakotta    (Antiquarium)  161 

„    39.    Grabstein   eines  Mädchens,  mit  Buchrolle  und  Lesepults)  167 

1)  Etwa  5.  Jahrh.  n.  Chr.  Titel:  €uaYT^^iov  Kard  MäpKOV. 
Unterschrift:  xpi<?T^  äyie  ov  luexa  toO  bouXou  aou  Ti|uo0^ou  f  Kai 
TrdvTtuv  Tiijv  auxoO  f 

2)  abgeb.  bei  Wendland,  Die  hellenistisch-römische  Kultur  *-3 
(1912)  Tafel  III  7,  besprochen  ebenda  S.  421,  wo  in  der  Anm.  Zahns 
Vermutung,  die  Aufschrift  6upiTribr|(;  bezeichne  den  Leser,  angeführt 
wird;  Zahn  erbhckt  jetzt  darin  den  Inhalt  der  Rolle. 

3)  Unterschrift:  Äßeixa  lr]aaoa  iTY]  i  }Jir\vaq  hvw.  xaipexe. 


SACHREGISTER. 


Aktenbände    114. 

Akzente  81,  136. 

Alexandrei  a  41,  42,  45,  46,  47, 

49,  160. 
Alexandrinische     Bibliothek 

17,  38,  44,  46,  47,  48,  49.   50. 

51»  52,  53,  56,  65. 
Alexandrinische  Gelehrte68, 

94,  95- 
Anmerkungen  93. 
Apex  84. 
Apostroph  85. 
Archive  170. 

Baumbast  2. 
biblidion  34. 
Bibliothek76, 150,  163,  165,  168. 

—  in  Caesarea  124. 

—  in  Pergamon  19,  21,  46,  47,  170. 

—  in  Rom  160. 

siehe  auch  alexandrinisch. 
Biblos  32. 
Binse  10,  28. 
Blatthöhe  56. 
Brief  10,  20,  22,  26,  34,  54,  64, 

71,  81,  85,  107,  120,  122. 
Buch 

—  Einband  142. 

—  Einteilung  43,  51. 

—  Namen  32. 

—  Preise  76,  135. 

—  Schrift  69,  78,  136. 
Bücherbehälter  170. 
Buchhandel  148. 
Buchladen  150,  155. 
Bühnenanweisungen  89. 
byblion  33. 

byblos  2,  15,  32,  33. 

chartes  34. 

Christliche  Texte  80,  119. 

Datierung  72,  133. 
Dialogische   Gliederung  87. 
diphtherai  15,  21,  32,  34,  35,  37. 

Einzelblatt  55. 

Schubart,   Da«  Buch     2.  Aufl. 


Etruskisch  2. 

Faltung  12S. 

Geschäftsschrift  71. 
Grammata  34. 

Herkulanum-Papyri  13,  75,  79, 
97,  98,  102,   168. 

Illustration   108,  140. 
Initialen  141. 
Interpunktion  85. 
Italisches    Buchwesen    2,    44. 
Juristische  Literatur  115. 

Kalamus  10,  28. 
Kallimachos  44,  48. 
Kodex  17,  27,  34,  103. 

—  Formate  130. 

—  Funde  117. 

« —  Papyrus-  119,   129,  130. 

—  Pergament-  75. 

—  Schrift  144. 

j  —  Zusammensetzung  126. 
!   Kollema  77. 

Kolumne  39,  41,  58,  60. 

Koptische  Literatur  124. 

Koronis  86,  103. 

Korrektur  90,  154,  158. 

Kritische  Zeichen  94. 
I   Kursive  71,  78. 

Kürzungen   78. 

Kylindros  34. 

LateinischePapyrushand- 

schriften  80,  117. 
Leder  18. 

—  Urkunden  aus  Kurdistan  18. 

—  Rolle  19,  44. 

—  Buch  37. 
Leinene   Bücher  2. 
Lesezeichen   80,  136. 
Lcukoma  26. 
libellus  34. 

Über  2,  32,  33. 

«3 


194 


Sachregister. 


Logos  34. 

Luxusbücher  31,    44,   .93,    107, 
108,   159. 

Makulatur  12. 
Membranen  20,  21,  35,   115. 
Metallgriffel  24. 
Metrische  Schreibung  66. 
Museion  46,  47. 

Opus  34. 

Palette  28. 
Palimpsestum  22. 
Palmblätter  2. 
Papier  22,  11 1. 
Papyru  s 

—  die  ältesten  38,  57,  62. 

—  außerhalb  Ägyptens  13,   15. 

—  Erhaltung  12. 

—  Fabriken  9,   51. 

—  Farbe  6. 

—  Formate  8. 

—  Funde  36,  45,  52,  55. 

—  Kartonnage  12,   13. 

—  Klebung  9,   51. 

—  Kodex  119,   129,   130. 
■ —  Monopol  17. 

• —  Pflanze  4,  32. 

—  Preise  16. 

—  Rolle  9,  37,  44,  45,  49,  75. 

—  Sorten  7. 

—  Technische  Bearbeitung  5. 

—  Umfang  der  Fabrikation  16. 
Paragraphos  85. 
Pergament  18,   19,  21,  35. 

—  Blatt  20. 

—  Kodex  17,  75,   113. 

—  Rolle  19,   109. 

—  Seiten  21. 

—  Wert  21. 
Pinakes  170. 
Pliniu  s  4,  9. 
Privatabschrift  42,   160. 
Protokoll  17. 

Rekto   II,   129. 
Rolle 

—  Äußere  Ausstattung  104. 

—  Formate  51,   58. 

—  Handhabung  109. 

—  Länge  43,   51,   52. 
Rubrum  31. 


Sammler  165. 

Scholien  94. 

Schreiber  32,  42,  50,  62,  71,  72, 

90,   142,   144,   157. 
Schreibtafel  23. 

—  Bleitafel  28. 

—  Elfenbeintafei  23. 

—  zum  Heft  zusammengefügt  23. 

—  Holztafel  23. 

—  Schultafel  26. 

—  Wachstafel  24,   121. 
Schreibzeug  28. 

—  ägyptisches  46. 
Schutzblatt    10,   102. 
Seitenzählung  136. 
Sillybos  104. 
Sortimentsbuchhändler   152, 

154. 
Spiritus  81,  84. 
Stilus  30. 
Subskription   103. 
Syngramma  34. 

teuchos  33.  ' 
Thorarollen  18. 
Timotheuspapyrus  38,   57,  60, 

64,  65,  66,  86,  100. 
Tinte  22,  30. 

—  goldne  20,  31. 

—  Purpur  31. 

—  rote  141, 

—  silberne  31. 
lironische  Noten  79. 
Titel  40,  43,  48,  98,  139. 
tomos  34,  77- 
Tonscherbe  =   Ostrakon  14. 

Überschriften  31. 

Varro  2. 

Verleger  150,   154. 
Verso   II,   129. 
Vervielfältigung  37,   157. 

Zaubertexte  80. 
Zeile 

—  Hexameter-  64,  65    74. 

—  Länge  63. 

—  Normal-  64. 

—  Zahl  60. 

—  Zählung  72. 
Zitate  77,  86. 


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