DBÜCHER DER STAAT-
;HEN MUSEEN zu BERLIN I
WILHELM SCHUBART
DAS BUCH
BEI DEN GRIECHEN
UND RÖMERN
n^
HANDBÜCHER DER STAAT-
LICHEN MUSEEN ZU BERLIN
WILHELM SCHUBART
DAS BUCH
BEI DEN GRIECHEN
UND RÖMERN
ZWEITE UMGEARBEITETE AUFLAGE
MIT 39 ABBILDUNGEN IM TEXT
523471
BERLIN UND LEIPZIG 1921
BEREINIGUNG WISSENSCHAFTLICHER VERLEGER
WALTER DE GRUYTE« & CO.
Druck der Vereinigung wissensciiaftlicher Verleger Walter de Gruyter & Co., Berlin W. 10.
I
Vorwort. •
Der zweiten Auflage dieses Buches möchte ich zunächst
vorausschicken, was ich zur ersten gesagt habe: es kommt
mir hier auf das Buch der griechisch-römischen Kulturwelt an,
sodaß der Orient, insbesondere das alte Ägypten, nur helfend
und ergänzend eintritt. Soweit es möglich ist, nach unten eine
Grenze zu ziehen, darf sie etwa um 400 n. Chr. angesetzt werden ;
das Buchwesen des Mittelalters dient nur zum klärenden
Vergleiche. Ziel meiner Darstellung ist nicht die Geschichte
des Buchs, sondern die Schilderung seiner Beschaffenheit.
Außer den schon früher genannten Werken von Birt,
Dziatzko und Haenny hebe ich diesmal mit Dank Birts
Buch über die Buchrolle in der Kunst, Gardthausens Grie-
chischePaläographie- Band I und Thompson, An Introduction
to Greek and Latin Palaeography hervor. Andere Bücher
und Aufsätze, die mich belehrt haben, werden an geeigneter
Stelle angeführt werden. Durch wertwolle briefliche Bemer-
kungen hat mich Fr. Zucker freundschaftlich gefördert. Das
Sachregister verdanke ich meiner Frau.
Anschauung bietet dem Leser nicht nur die vermehrte
Zahl der Bilder in der neuen Auflage, sondern auch manches
andere Buch; die Papyruspublikationen, vor allem die Oxy-
rhynchus-Papyri, bringen viel Abbildungen literarischerPapyri,
am bequemsten zugänglich sind vielleicht meine Papyri
Graecae Berolinenses. Außerdem sind in der Papyrusaus-
stellung des Berliner Museums (Neues Museum) Schreibgerät
und Buchhandschriften in Originalen zu sehen. Ein Verzeichnis
aller literarischen Papyri bis 1918 enthält das 20. Kapitel
meiner P'.inführung in die Papyruskunde.
Um berechtigten Wünschen zu entsprechen, gebe ich in
einem Anhange eine Reihe einzelner Bemerkungen und
Nachweise, die dem Fachmann willkommen sein mögen;
vollständig können und sollen sie nicht sein, weil dies Buch
weder für Stoffsammlung noch für wissenschaftliche Aus-
einandersetzung bestimmt ist.
Berlin-Steglitz.
W. Schubart.
ERSTES KAPITEL.
DAS SCHREIBMATERIAL.
Die Urteile, die wir über ein Buch zu fällen und zu hören
gewohnt sind, gelten bald seinem Inhalte, bald seiner
äußeren Gestalt; und oft genug haben wir beide im Auge,
wenn wir ein Buch gut oder schön, alt oder neu, groß oder
klein nennen. Eine Gedankenreihe hat ebensowenig An-
spruch, ein Buch zu heißen, wie eine Sammlung leeren
Schreibmaterials; erst durch ihre Vereinigung entsteht das
Buch. Gewiß regiert in diesem Bunde der Geist und schafft,
was er will und muß, ohne nach der äußeren Form zu fragen.
Wichtig aber wird sie für den Empfänger des Gedankens, den
Leser, auf den der Gedanke in einem bestimmten Gewand ein-
wirkt. Deshalb wird uns die äußere Gestalt des Buches,
seine Herstellung und Einrichtung, überall da besonders be-
deutungsvoll und lehrreich sein, wo sie wesentlich von den
uns geläufigen Formen sich unterscheidet; zumal um die
Wirkung einer fnmden, vor Jahrhunderten oder gar Jahr-
tausenden entstandenen Literatur richtig zu schätzen, um
die Werke der griechischen und römischen Schriftsteller mit
den Augen ihrer Zeitgenossen zu lesen, bedürfen wir auch
eines Einblicks in die längst vergangenen technischen Be-
dingungen ihres Entstehens.
Das Buch der Griechen und Römer nach seiner äußeren
Gestalt und nach seiner inneren Einrichtung wird nur dann
verständlich und anschaulich, wenn man sich von den Voraus-
setzungen der Niederschrift, vom Schreibmaterial im
weitesten Sinne, eine Vorstellung gebildet hat. Mit diesem
allgemeinen Ausdrucke soll alles das umfaßt werden, was
zum Schreiben erforderlich ist, der die Schrift tragende Stoff
sowohl wie das Schreibgerät, soweit sie in Verbindung mit
der Buchtechnik stehen. Daher geht uns zwar der Griffel,
der das Metall ritzt, samt der mit Schrift bedeckten Metall-
platte noch etwas an, nicht aber der Marmor, der eine In-
schrift trägt, noch der Meißel des Steinmetzen.
S c h u b a r t , Das Buch. 2. Aufl. I
2 Erstes Kapitel.
I. Die Anfänge. Über die Anfänge des Schreibwesens
der Alten haben die Schriftsteller, voran der Altertumsforscher
Varro, im Grunde nicht gar viel gewußt. Denn was sie davon
erzählen, klingt unbestimmt und ist nur selten charakte-
ristisch. Palmblätter und Baumbast sollen im Gebrauch
gewesen sein: für besondere Fälle ist die Sitte, Blätter zu be-
schreiben, sowohl in Athen als auch in Syrakus bezeugt, und
der Bast der Linde wird öfters erwähnt. Dies alles erscheint
ganz glaublich, wenn man bedenkt, wie lange sich solches
Schreibmaterial im Orient, z. B. in Indien, erhalten hat. Hier
sind es schmale, rechtwinkhg zugeschnittene Streifen, die an
mehreren Stellen durchlöchert, auf einander gelegt und mit
Fäden verknüpft werden; die Schrift wird entweder mit der
Rohrfeder aufgetragen oder mit dem MetallgrifTel einge-
ritzt. Das griechische Wort byblos und das lateinische
liber, die beide ganz allgemein die Bedeutung »Buch« ge-
wonnen haben, bezeichnen ursprünglich den Baumbast und
weisen damit auf eine ältere Stufe zurück, die allerdings wohl
völlig überwunden war, als Varro darüber schrieb. Dagegen
kann ihm beschriebene Leinwand wirklich vor Augen ge-
kommen sein. An sich ist auch ein gewebter Stoff für
schriftliche Aufzeichnungen geeignet; die Ägypter haben be-
sonders die Leinwandbinden der Mumien gern beschrieben,
und in Hinterindien hat man bis in die neueste Zeit auf große
schwarze Baumwollrollen die Schrift mit einem kreideähn-
lichen Stift weiß aufgesetzt. Die Parther sollen sogar die
Schrift eingewebt haben, ein Verfahren, das man nur bei
weitester Ausdehnung des Begriffes noch schreiben nennen
kann. Überdies gibt es gerade für Varros Heimatland Italien
noch brauchbare Zeugnisse; mag es ein Zufall sein, daß die
längste erhaltene etruskische Inschrift auf einem Leinwand-
streifen steht, so dürfen wir wirkliche Kenntnis bei dem
Geschichtschreiber Livius und seinem Gewährsmanne, dem
alten Chronisten Licinius Macer, vermuten. Er erzählt, im
Tempel der Moneta seien leinene Bücher aufgefunden
worden, und zwar Bücher der Behörden, also amtliche
Schriftstücke aus alter Zeit. Ebenso läßt er bei den Sam-
niten einen vornehmen Priester aus einem alten Leinenbuche
vorlesen. Auch Kaiser Augustus entdeckte nach Livius ein
Leinwandbuch, als er einen verfallenen Tempel des Jupiter
herstellen ließ. Und fast 300 Jahre später soll Kaiser Aurelian
sein amtliches Tagebuch in Leinenbüchern haben führen
lassen.
Es sind gerade römische Schriftsteller, die von der Lein-
wand als Beschreibstoff reden. Sie äußern sich zwar ganz
allgemein, aber die Vermutung hegt nahe, daß ihre Notizen
auf solchen Nachrichten beruhen, wie sie Livius dem Werke
Das Schreibmaterial. 3
des Licirius Macer entnommen hat, und sich im besonderen
auf ItaHen beziehen. Wenn also Varro, der Gewährsmann
des Plinius, wenn später der Jurist ülpian von Leinwand-
rollen spricht, so darf man zuerst an italische und römische
Verhältnisse denken und sich die altrömischen Aufzeichnun-
gen rechtlichen und kirchlichen Inhalts, die oft erwähnt
werden, mit einem gewissen Recht als Leinwandrollen vor-
stellen, ohne den Griechen das Leinenbuch völlig abzu-
sprechen.
F eilich können wir heute nicht mehr sicher scheiden,
was jenen Schriftstellern noch durch den Augenschein bekannt
war und was sie einer eingewurzelten Überlieferung ent-
Abb. 1. Arabische Schrift in Seide auf Leinwand gestickt.
nahmen. So gut wie wir können auch sie aus einzelnen Aus-
drücken wie liber= Bast ihre Schlüsse gezogen haben; viel-
leicht brachten sie damit in Verbindung, was man bei fremden
Völkern, namentlich im Orient, noch vorfand, und malten
sich danach ein Bild des ursprünglichen Schreibwesens der
Vorfahren, das zwar in den Hauptzügen richtig sein mochte,
aber keine größere Gewißheit bot, als es ebenso mangelhafte
Unterlagen bieten können. Was die römischen Juristen in
ihren Begriffsbestimmungen des Buches davon zu sagen
wissen, verdient ebenso viel oder so wenig Glauben; wenn
Ulpian Bücher aus Bast verschiedener Art voraussetzt, so
tut er es doch wohl nur, um keine Möglichkeit auszulassen,
nicht weil er praktisch damit gerechnet hätte. Sehen wir
nun von diesen Schreibmaterialien einer etwas nebelhaften
Vorzeit ab, so bleiben für die Griechen und die Römer nur
drei Stoffe von allgemeiner Bedeutung, zumal für die Litera-
4 Erstes Kapitel.
tur, Übrig: der Papyrus, das Leder und die Tafel aus
Holz.
2. Papyrus. Die Papyruspflanze und der Beschreib-
stoff aus Papyrus haben zu unserem Vorteil in dem älteren
Plinius einen Darsteller gefunden, der unserer Kenntnis in
vielen Stücken zu Hilfe kommt. Der Papyrus wuchs als ein
grasartiges Sumpf gewächs in stehenden Gewässern und ver-
sumpfenden Flußarmen, am reichlichsten im Delta des Nils.
In den Darstellungen ägyptischer Reliefs kommt er von den
frühesten Zeiten an häufig vor; wir sehen Boote in ein
Abb. 2. Vogeljagd im Papyrus sumpf, Relief.
Dickicht von Papyrus und Lotos hineinfahren, wo die Jagd
auf Wasservögel besonders ergiebig war. Die Stengel steigen
oft mehrere Meter hoch gerade auf und tragen Büschel
der Form, die der als Zierpflanze noch heute fortlebende
Papyrus aufweist. Er kam aber auch in Syrien vor und ebenso
am Euphrat. Heute ist er aus Ägypten gänzlich verschwun-
den und wächst nur noch am Blauen Nil in Abessinien, da-
gegen hat er sich in Sizilien einen bescheidenen Platz bewahrt.
Die Ägypter wußten sich das schilfartige Gewächs mit den
geraden und kräftigen Stengeln in mannigfaltiger Art nutzbar
zu machen, ganz abgesehen von der Verwendung zu Kränzen
und von der Nachahmung des Stengelbündels in der sog.
Papyrussäule. Sie stellten Boote daraus her, indem sie die
Stengel mit Stricken zusammenbanden. Den Wurzelstock
Das Schreibmaterial. 5
mit seinem harten Holze gebrauchten sie als Brennmatertal
und schnitzten auch wohl einfache Gefäße daraus. Der
untere Teil des Stengels konnte roh oder gekocht gegessen
werden. Weit mehr aber wußten sie durch künstliche Ver-
arbeitung daraus zu machen: Segel und Matten, Decken
und Kleider, ja sogar SchifTstaue. Blieben alle diese Arten
der Verwertung im wesenthchen auf Ägypten und auf
die anderen Verbreitungsgebiete des Papyrus beschränkt, so
gewann die Bereitung eines Schriftträgers aus der Pflanze
eine Bedeutung, die weit über die Grenzen des Heimatlandes
hinausging. Erhaltene Blätter zeigen, daß schon in der
Periode Ägyptens, die man das Alte Reich zu nennen pflegt,
im Beginne des dritten Jahrtausends v. Chr., der aus Papyrus
gefertigte Schreibstoff üblich und technisch mindestens ebenso
vollkommen war wie in späteren Zeiten, deren schriftliche
Erzeugnisse heute noch in Papyrusrollen vor uns liegen. Je
höher der Verbrauch stieg, um so mehr wurde die Pflanze ge-
pflegt, und in griechisch-römischer Zeit, als Ägypten die ganze
Mittelmeerwelt mit Papier zu versorgen hatte, wurde der
Papyrus offenbar besonders angebaut.
Das Schreibmaterial gewann man in folgender Weise.
Der Stengel der Pflanze wurde in dünne, aber möglichst
breite Streifen geschnitten, wobei die Mitte des Stengels
die breitesten und besten Streifen ergab. Solche wurden
dicht neben einander gelegt, eine zweite Schicht legte man
senkrecht zu der Richtung der unteren Schicht darauf; bei
guter Ware mußten die Streifen von gleicher Breite sein.
E^ waren also zwei selbständige, verschieden gerichtete
Lagen, nicht ein Geflecht solcher Streifen. Ihre Verbindung
bewirkte der natürliche Klebstoff, wie Versuche gezeigt haben.
Nur zum Satinieren und weiterhin zur Verbindung fertiger
Blätter brauchte man einen Leim, der aus feinem Mehl,
heißem Wasser und einem kleinen Zusatz von Essig her-
gestellt wurde. Man mußte gerade dabei sehr achtsam zu
Werke gehen, denn der Leim hatte nur dann volle Wirkung,
wenn er »einen Tag alt« war, d. h. wenn seine Bestandteile
sich durchdrungen hatten, ohne steif zu werden. Die beiden
Lagen der Papyrusstreifen wurden gepreßt, dadurch zugleich
geglättet und an der Sonne getrocknet. Da nun aber, mochte
die Arbeit noch so sorgfältig ausgeführt sein, die natürlichen
Pflanzenfasern auch nach dem Pressen noch etwas hervor-
traten, war es nötig, alle Unebenheiten mit einem Glätter
aus Elfenbein oder einer Muschel zu beseitigen. Die zahl-
reichen Papyrus, die wir heute noch besitzen, zeigen deutlich,
wie vollkommen diese Technik entwickelt war: es ist in den
meisten Fällen unmöglich, die einzelnen Streifen heraus-
zuerkennen, so genau sind sie an einander gepaßt; die beiden
6 Erstes Kapitel.
ZU einander senkrecht stehenden Lagen sind so fest mit ein-
ander verbunden, daß selbst Jahrtausende trotz Zerreißen,
Wurmfraß und Feuchtigkeit ihren Zusammenhalt nicht haben
lösen können, und die Oberfläche eines sorgsam gefertigten
Papyrusblattes ist noch heute glatt genug, um sogar der
modernen Stahlfeder ein leidliches Vorwärtsgleiten zu ge-
statten.
Die Alten schätzten das Papyrusblatt um so höher, je
dünner es war; zugleich aber sollte es dicht, also sorgsam
zusammengefügt sein, es mußte eine glatte Oberfläche und
eine möglichst helle Farbe haben. Blätter, die in der Gegen-
wart aus Papyrusstreifen nach dem beschriebenen Verfahren
angefertigt worden sind, sehen mattgrün bis silbergrau aus
und haben einen feinen Glanz; einige sind hell weißgelb.
Sie zeichnen sich außerdem durch Feinheit und Weiche aus,
so daß man sie rollen, falten, brechen oder zusammendrücken
kann, ohne sie irgendwie zu beschädigen. Die Vorliebe der
Alten für eine helle Farbe erklärt sich aus der Rücksicht auf
die Deutlichkeit der Schrift; die erhaltenen Papyrus weichen
darin stark von ein ander ab. Wir haben technisch fehlerlose
Exemplare von dunkler, entschieden brauner Farbe neben
solchen, die hellgelb, fast weißgelb aussehen. In vielen
Fällen mag der Papyrus erst mit der Zeit dunkel geworden
sein, ist doch die Feuchtigkeit nicht nur seiner Haltbarkeit,
sondern auch seiner Farbe schädlich. Zugleich aber gibt es
so viele hell gefärbte Papyrus, daß man doch an einen ur-
sprünglichen Unterschied denken möchte. Gerade unter den
ältesten ägyptischen Rollen finden wir hell gefärbte Exem-
plare, und auffallend hell ist fast am Ende des Papyrus-
zeitalters eine große Gruppe arabischer Papyrus. Daß man
Färbmittel anwandte, ist kaum fraglich; die Mode mag in
dieser Beziehung sich mehr als einmal gewandelt haben.
Was die Feinheit und die Festigkeit des Papyrus angeht, so
muß man entschieden den Leistungen der ältesten ägypti-
schen Fabrikanten den Preis zusprechen; ich habe eine
hieratische Rolle in der Hand gehabt, die mehr als dreitausend
Jahre alt war, sich aber noch weich und geschmeidig anfühlte
wie Rohseide und ohne jede Gefahr gerollt werden konnte.
Solche Ware ersten Ranges wurde selten, als die Welt der
Papyrusblätter in Massen bedurfte; aber man darf nicht
annehmen, die Technik sei allgemein zurückgegangen. Bis
weit in die römische Kaiserzeit hinein ist der Durchschnitt
gut und brauchbar, und erst in den letzten Jahrhunderten
der Papyrusfabrikation wird eine entschiedene Verschlechte-
rung sichtbar.
Zu allen Zeiten gab es Sorten von verschiedener Güte,
deren Unterschiede wir freilich in den erhaltenen Papyrus
Das Schreibmaterial. y
nur ungefähr beobachten können. Selbst für das erste Jahr-
hundert der Kaiserzeit, wo uns die Ausführungen des Phnius
bestimmte Klassen überliefert haben, vermögen wir die
zahlreichen Überreste nicht in diese Klassen einzuordnen.
Nach Plinius war früher die beste Qualität die hieratica,
die zur Zeit des Augustus nach seinem Namen Augusta
benannt wurde. Es ist vielleicht dieselbe Sorte, die CatuU
Charta regia, das Königspapier, nennt und als besonders
trefflich rühmt; die ältere Bezeichnung hieratica mag in der
Ptolemäerzeit dem Namen Königspapier gewichen und nach
der Eroberung Ägyptens durch Oktavian dem neuen Herrn
zu Ehren in Augusta umgetauft worden sein. Daß in der
Tat ein neuer Herrscher auch eine Papiersorte, sicherlich die
beste, nach sich umzunennen liebte und darin einen Ausdruck
seiner Stellung sah, beweist der erste Kaiserliche Statthalter
Cornelius Gallus, der sich in Ägypten selbständig zu machen
suchte und zugleich eine Papiersorte Corneliana taufte.
Als zweite folgte die Li vi a, die ihren Namen von der Gattin
.des Kaisers erhielt, auch sie vermutlich im Anschluß an eine
ältere, nicht mehr bekannte Bezeichnung; dann die nunmehr
an die dritte Stelle gerückte hieratica. Nach der Lage
der Fabrik beim alexandrinischen Amphitheater hieß die
vierte Sorte amphitheatritica, ebenfalls nach ihren Her-
stellungsorten im Nildelta bezeichnete man die fünfte als
Saitica und die sechste als Taeneotica. Diese wurde
nicht mehr nach der Qualität verkauft, sondern nach dem
Gewicht; es war grobe Ware, die als Packpapier diente und
wegen ihrer Verwendung im Kaufladen emporitica, Kauf-
mannspapier, genannt wurde.- Wie alt diese sechs Sorten
sind, läßt sich nicht erkennen; aber ihre Namen beweisen,
daß sie der alexandrinischen, nicht der römischen Fabrika-
tionsgewohnheit angehören und wahrscheinlich zur Zeit des
Augustus schon längst feste Unterschiede darstellten.
In Rom brachte die erste Kaiserzeit einige Neuerungen
hervor; die Fabrik des Fannius bemächtigte sich der vierten
Sorte und machte aus der amphitheatritica eine feine Qualität,
die als Fannia zu Ansehen gelangte, und in der Zeit des
Kaisers Claudius wurde die allzu dünne Augusta etwas ver-
stärkt, so daß nun die neue Sorte Claudia den ersten Platz
sich eroberte. Gerade diese Verbesserungen beweisen, daß
die einzelnen Sorten technisch stark von einander abwichen,
denn das Verfahren des Fannius hat nur dann einen Sinn,
wenn die von ihm erfundeneVerfeinerung der amphitheatritica
das eigentliche Wesen dieser Sorte unverändert ließ; sonst
hätte er ja einfach eine der besseren Sorten wie Augusta oder
Livia führen können. Er machte aber augenscheinlich mit
der Verbesserung der vierten Sorte ein Geschäft, indem er
8 Erstes Kapitel.
seine neue Ware immer noch billiger als die Augusta abgeben
konnte. Zugleich sprechen diese Notizen des Plinius dafür,
daß auch damals die Fabrikation für den Weltbedarf in
Ägypten ihren Sitz hatte; in Rom bezog man fertige Ware
und brachte nur noch einzelne Verbesserungen an. Immerhin
war auch hierfür Kenntnis und Übung in der Technik nötig,
und es ist kein Zufall, daß die lateinische Sprache besondere
Namen für die »Kleber« geprägt hat. Jedenfalls scheinen
allmählich auch in Rom Papyrusfabriken entstanden zu sein,
sicherlich in der späteren Kaiserzeit, als Ägypten Papyrus
in natura, d. h. unverarbeitet, in die römischen »Papyrus-
magazine« zu liefern hatte. Daher möchte ich nicht
entscheiden, ob eine so weitgehende Umarbeitung wie die
der Augusta zur Claudia in Rom oder in Ägypten auf Ver-
langen der kaiserlichen Kanzlei vorgenommen worden ist.
Denn die Claudia unterschied sich von der Augusta nicht nur
durch eine Unterlage von größerer Festigkeit, sondern auch
durch ein größeres Format. Neben der Feinheit spielte nämlich
die Breite der Blätter eine große Rolle. Sie betrug bei den
besten Sorten nach Plinius dreizehn Finger und sank bis zu
einer Breite von sechs Fingern bei der emporitica. Auch bei
den erhaltenen Papyrusblättern findet man sehr große Unter-
schiede der Breite, die aber nicht ohne weiteres mit den von
Plinius überlieferten Maßen übereinstimmen. Im Durch-
schnitt haben die Blätter, aus denen die Rollen zusammen-
gesetzt sind, ungefähr die Breite der ersten Klasse des Plinius,
aber auch solche von geringerer Breite sind nicht selten.
Überdies darf man die uns noch vorliegenden Papyrus nicht
lediglich nach den Notizen des Plinius beurteilen, selbst
wenn man sich auf seine Zeit beschränkt. Was er kannte,
\yaren jedenfalls die Sorten, die [m Handel mit Rom und
den andern Märkten außerhalb Ägyptens gang und gäbe
waren, also die Erzeugnisse der großen ägyptischen Ausfuhr-
geschäfte. Im Heimatlande des Papyrus wird es aber zahl-
reiche große und kleine Fabriken gegeben haben, die ihre
Kundschaft hauptsächlich im Lande selbst besaßen und auch
andere Formate verkauften. Ein Urteil wird uns überdies
dadurch erschwert, daß die große Mehrzahl der erhaltenen
Stücke für diese Frage überhaupt nichts ergibt; denn für
kleinere Urkunden, Rechnungen und Briefe schnitt man aus
den Rollen Blätter, ohne sich um die Grenzen der Fabrik-
blätter zu kümmern. So beschränkt sich die Frage nach der
Blattbreite auf die Rollen, die aus vielen Blättern zusammen-
geklebt sind, und wenn in ihnen eine Breite von 20 bis 25 cm
die Regel bildet, so darf man sie doch nicht ohne weiteres
mit der ersten Klasse des Plinius gleichsetzen, weil diese
Breite bei Papyrusstücken verschiedener Güte und Feinheit
Das Schreibmaterial. g
vorkommt. Die obere Grenze der Breite stellt wohl die zuvor
genannte Claudia dar, die einen Fuß breit war; die Riesen-
blätter von Ellenbreite, von denen Plinius spricht, waren
nach seinem eigenen Urteil unpraktisch und wenig übHch.
Die Papyrusfabriken haben nicht Einzelblätter in den
Handel gebracht,vielmehr große Ballen, auch schon in ältester
Zeit, als die Herstellung noch nicht der ganzen Welt zu dienen
hatte, sondern, wie es scheint, in den Tempeln für den damals
noch geringeren Bedarf mit besonderer Sorgfalt betrieben
wurde. In der Fabrik klebten die Arbeiter eine Reihe von
Papyrusblättern an einander, und zwar so, daß jedes Blatt
mit seinem Rande den des folgenden bedeckte. Die Deckungs-
fläche ist in der Regel gering, etwa l bis 2 cm breit, und die
Verdickung, die so entsteht, wird kaum bemerkbar. Diese
Klebungen zeugen durchaus von fabrikmäßiger Übung und
sind bei allen auch sonst gut gearbeiteten Papyrus so sorg-
fältig ausgeführt, daß sie keine Unebenheit der Schreibfläche
erzeugen; demgemäß richtet sich auch der Schreiber nicht
nach den Grenzen der einzelnen Blätter, sondern schreibt
ungehindert über die Klebung hinweg. Man erkennt diese
Stellen oft nur dadurch, daß die wagerechten Fasern der sich
berührenden Blätter nicht genau in denselben Linien ver-
laufen. Es versteht sich von selbst, daß die Blätter im
gleichen Sinne an einander geklebt wurden, auf der einen Seite
also alle Pflanzenfasern wagerecht, auf der andern senkrecht
verlaufen. Versehen sind freilich vorgekommen und treten
z. B. in einer Papyrusrolle des Berliner Museums deutlich
zutage. Ebenso fügte man bei sorgfältiger Arbeit nur Blätter
gleicher Breite an einander; aber auch hier fehlt es nicht an
Ausnahmen. Aus dem Ballen schnitt man durch Längs-
schnitt ganze Rollen, durch Längs- und Querschnitte einzelne
Blätter ohne Rücksicht auf die Klebungen, die für den Ge-
brauch ganz bedeutungslos waren. An sich konnte eine be-
liebige Anzahl einzelner Blätter an einander gereiht werden,
aber die praktische Brauchbarkeit schob der Willkür einen
Riegel vor. Man hat aus Plinius entnommen, es seien niemals
mehr als 20 Blätter verbunden worden; allein die erhaltenen
Rollen überschreiten dies Maß zum Teil recht erheblich, und
die hieratischen Papyrus, auf denen zuweilen jedes 20. Blatt
mit dieser Ziffer versehen ist, beweisen durch ihren weit
größeren Umfang, wie wenig man daran gebunden war. Ver-
mutlich berechneten die Fabriken den Ballen nach Einheiten
von je 20 Blättern, wie wir heute das Papier nach »Buch«;
jene Zahl kann ein Fabrikmaß bedeuten. Solch ein langer
Streifen wurde nicht gefaltet, sondern gerollt, ein Verfahren,
das dazu dient, das zarte Material zu schonen und das Lesen
der beschriebenen Rolle zu erleichtern. Auch kleinere Stücke,
lo Erstes Kapitel.
Blätter mit Urkunden oder Briefen, können gerollt werden,
und zwar ebenso gut in der Richtung der längeren wie der
kürzeren Seite, während bei der viele Meter langen Rolle
sich das letztere von selbst verbot. Aber häufig genug hat
man Urkunden und Briefe gefaltet, zumal da bei solchen
Blättern Rollen und Falten ungefähr auf dasselbe hinaus
kamen. In ein paar Beispielen, die zu den ältesten griechischen
Papyrusurkunden gehören, ist das sehr große Blatt zunächst
einmal gefaltet und dann erst gerollt worden, wodurch die
Länge der geschlossenen Rolle auf die Hälfte der Blatthöhe
herabgesetzt wurde, ein Verfahren, das auch später wieder-
kehrt, namentlich bei Briefen, für die lange und schmale
Blätter beliebt waren. Gern klebte man vorn an die Rolle
ein sog. Schutzblatt, das unbeschrieben blieb.
Soweit sich bei den erhaltenen Papyrus, die alle mehr
oder weniger von ihrer ursprünglichen Glätte eingebüßt
haben, die Beschaffenheit der beiden Seiten beurteilen läßt,
kommt nach Wilckens Ansicht der einen ein gewisser Vorzug
zu: diejenige Seite, deren natürliche Fasern rechtwinklig zur
Blattklebung verlaufen, sei in der Regel etwas besser ge-
glättet als die andere. Freilich wäre es nicht leicht, zu er-
klären, weshalb die Fabrik die eine Seite weniger sorgsam
behandelt hätte; ja es wäre technisch schwer vorstellbar, da
der Arbeiter das Blatt ohne Zweifel auf einer festen Unterlage
preßte und es nur zu wenden brauchte, um beide Seiten
gleich zu glätten. Aber auch wenn Wilckens Beobachtung
richtig ist, so erhält sie doch erst in der griechisch-römischen
Periode eine größere praktische Bedeutung. Die Ägypter
schrieben ihre hieratische und später demotische Schrift mit
einer gekappten Bin5e, deren Gang die Fasern des Papyrus
nicht hemmten, auch wenn sie senkrecht zur Schreibrichtung
liefen. Dasselbe gilt von der aramäischen Schrift, die wir
aus den Papieren der jüdischen Siedlung auf Elefantine
kennen. Auch als die Griechen auf Papyrus zu schreiben
begannen, bedienten sie sich derselben Binse und konnten
die Richtung der Fasern unbeachtet lassen, wie denn viele
der ältesten griechischen Urkunden aus dem 4. und 3. Jahr-
hundert V. Chr. gegen die Faserrichtung geschrieben sind.
Erst als man zum gespitzten Schreibrohre, dem Kalamus,
überging, erwies es sich notwendig, die Schrift den Fasern
entlang zu führen. Im übrigen konnte jeder Schreiber sich
das einzelne aus dem Ballen geschnittene Blatt so legen,
daß sein Schreibrohr der Faser folgte. Anders bei der Rolle.
Wie H. Ibscher zeigt, rollte man so, daß die wagerechten
Fasern innen, die senkrechten außen lagen, weil dies Ver-
fahren den Papyrus am meisten schonte und der Eigenheit
beider Seiten angepaßt war. Als Schreibseite aber ergab sich
Das Schreibmaterial. H
von selbst die geschützte Innenseite; so kam es, daß die
Schreiber diese bevorzugten und zuerst beschrieben. Da sie
nun die Blätter für Urkunden und Briefe aus dem Ballen
schnitten, lag nichts näher, als auch hier den Vorzug der
Innenseite gelten zu lassen und die Außenseite erst zu be-
schreiben, wenn jene schon benutzt war. Die Innenseite,
deren Fasern rechtwinklig von der Klebung geschnitten
wurden, nennen wir Rekto, die Außenseite mit den der
Klebung gleich gerichteten Fasern dagegen Verso. Wenn in
vielen Fällen heute die Rektoseite etwas glatter erscheint, so
bedenke man, daß beim Rollen die Innenseite geschont, die
Außenseite aber stärker gespannt wurde; sie mußte eher
Schaden leiden als jene. Wäre der Unterschied zwischen
Rekto und Verso wirklich erheblich gewesen, so hätte sich
Papyrus für den Kodex nicht geeignet, der doch später in
Mengen daraus angefertigt worden ist.
Daß Rekto in der Regel vor Verso beschrieben worden
ist, hat Wilcken zuerst gesehen. Seine Beobachtung hat
.über das Technische hinaus Bedeutung, denn wo eine
ausdrückliche Datierung fehlt, kommt demnach der Schrift
der Rektoseite ein höheres Alter zu als der der Verso-
seite; man gibt von hier aus undatierten Aufzeichnungen
eine obere oder untere Zeitgrenze, wofern nur die Schrift
einer Seite sich zeitlich bestimmen läßt. Im allgemeinen
stimmen auch die Fälle, die eine Prüfung gestatten, mit
dieser Regel von Rekto und Verso überein, aber Aus-
nahmen hat es gegeben. Nicht nur, daß gelegentlich ein-
mal ein kleineres Blatt aus Versehen und Eile verkehrt
zur Hand genommen wurde, auch bei sorgfältig geschriebe-
nen literarischen Texten ist es vorgekommen, daß die Verso-
seite benutzt wurde, während Rekto frei blieb. Später hat
der Kodex, dessen Blätter auf beiden Seiten beschrieben
wurden, den Unterschied für den Schreiber tatsächlich auf-
gehoben, und nicht minder die Neigung byzantinischer
Schreiber, die Rolle parallel der kurzen Seite zu beschreiben.
Ohne auf diese Frage noch näher einzugehen, will ich hier
nur bemerken, daß jene Regel von der Zeitfolge der Schrift
auf Rekto und Verso nur für die griechische Zeit wirkliche
Bedeutung hat und genau genommen auch nur für die Zeit
etwa von 250 v. Chr. bis 400 n. Chr.; die ältesten erhaltenen
Papyrusdokumente in griechischer Sprache zeigen die Regel
erst im Entstehen, und die spätere byzantinische Zeit verliert
vielleicht im Zusammenhang mit der neumodischen Riesen-
schrift das Verständnis für die Vorzüge der Rektoseite.
Das aus Papyrus hergestellte Schreibmaterial hat eine
bei seiner Zartheit erstaunliche Dauerhaftigkeit bewiesen;
Tausende erhaltener Stücke legen dies deutlich an den Tag.
12 Erstes Kapitel.
Allerdings verdanken sie ihren Bestand besonders günstigen
Bedingungen. Das trockene Klima Ägyptens hat sie ge-
schützt und nicht minder der Umstand, daß sie nicht allzu
lange in den Händen der Benutzer blieben. Urkunden und
Briefe wurden bald Makulatur und wanderten entweder auf
den Kehrichthaufen (kom), der sich bei jeder ägyptischen
Ortschaft auftürmte, oder blieben in den Häusern liegen,
wenn die Einwohner das Dorf verließen, weil es durch
den Verfall des Ackerbaus und der Kanäle unbewohnbar
wurde, wie es besonders seit dem 3. Jahrhundert n. Chr.
am Rande der Wüste oft geschah. Der vordringende Sand
deckte die Papyrusblätter zu und bewahrte sie bis auf die
Gegenwart. Andere wurden zu Mumienhüllen verarbeitet.
Etwa seit dem 3. Jahrhundert v. Chr. bis in die römische
Kaiserzeit hinein pflegte man nämlich die Mumien mit einer
Pappe aus nutzlos gewordenen Papyrusblättern zu ver-
kleiden; sie erreichte bisweilen eine Dicke von lO Blättern,
die Außenseite wurde mit Stuck überzogen und bemalt.
Diese den Körperformen ungefähr angepaßte Papyruskar-
tonnage hat uns viele z. T. umfangreiche Texte erhalten,
•die in der Regel 50 bis lOO Jahre älter sein mögen als
ihre Verarbeitung für die Mumienhülle. Außerdem hat
aber der Sieg des Kodex seit dem 4. Jahrhundert n. Chr.
gerade für die Erhaltung literarischer Texte keine geringe
Rolle gespielt, denn in demselben Maße als die neue
Buchform die Rolle verdrängte, wurden die alten Papyrus-
rollen entwertet, zur Makulatur geworfen und damit den
Händen der Leser entzogen, in denen sie weit früher zugrunde
gegangen wären als auf den Schutthaufen der ägyptischen
Ortschaften. Besonders günstig war das Schicksal solcher
Rollen, die den Toten mit ins Grab gelegt wurden.
Daß die beständig benutzte Papyrusrolle nur eine begrenzte
Dauer besaß, könnten wir aus der Beschaffenheit des Stoffes
allein schon entnehmen; zum Überfluß geht aus mehr als
einer Bemerkung alter Schriftsteller hervor, daß ein Alter von
200 bis 300 Jahren bei einer Rolle schon als sehr beträchtlich
galt. In Aktenstücken wird mehr als einmal über beschädigte
Rollen und die geringe Haltbarkeit des Papyrus geklagt.
Wenn es nicht der Bücherwurm war, der das pflanzliche
Produkt zerfraß — »ein skorpionähnliches Tier, das in den
Büchern vorkommt,« nennt Aristoteles diesen Erbfeind der
Literatur — so litten jedenfalls die Ränder unter dem häufigen
'Gebrauche; man bemühte sich freihch, diesen beiden Übel-
ständen entgegenzuwirken, indem man den Papy us mit
Zedernöl tränkte und Anfang und Ende der Rolle durch
untergeklebte Streifen verstärkte, ja auch schadhafte Stellen
in derselben Weise herrichtete. Allein das gelang nur unvoll-
Das Schreibmaterial.
IS
kommen, und wir kennen nicht wenige Stücke, die schon
Beschädigungen aufwiesen, als sie beschrieben wurden, so daß
der Schreiber diese schadhaften Stelkn überspringen mußte.
Und wenn diese Mittel so lange helfen mochten, als der Pa-
pyrus benutzt wurde, so hatten nachher in der Makulatur
die Würmer freien Spielraum, ganz abgesehen von den
mechanischen Verletzungen, denen auch das fortgeworfene
Material ausgesetzt blieb. Der schlimmste Feind des Pa-
pyrus aber war die Feuchtigkeit. Die Schutthaufen in der
Nähe der Orte, die im Niltale lagen, wurden in ihren unteren
Schichten oft von der Überschwemmung erreicht, die alles
zerstörte, so daß in der Regel nur die oberen, also die späteren
Schichten einigermaßen der Zeit Widerstand leisten konnten.
Daher sind in den großen Funden der letzten Jahrzehnte die
Papyrus der arabischen, der byzantinischen und der römischen
Periode weit zahlreicher vertreten als solche aus vorchrist-
licher Zeit. Mitunter hat das Material freilich auch dem
Wasser standgehalten; die Papyruskartonnage im besonderen
konnte wegen ihrer Dicke auch in feuchten Grabstellen ziem-
lich dauerhaft bleiben. Aber auch ihr hat die Feuchtigkeit
mehr geschadet als die Würmer, die sich mit Vorliebe von
dem v rbindenden Kleister genährt haben; man findet im
Klebstoffe der Schichten häufig noch die vertrockneten
Tierchen.
Die Feuchtigkeit ist es auch zum großen Teile ge-
wesen, die außerhalb Ägyptens so gut wie alle Überreste
des Papyruszeitalters vernichtet hat. Wären in Herkulanum
die wertvollen Rollen einer Privatbibliothek nicht bei dem
Untergange der Stadt durch den Vi suv im Jahre 79 n. Chr.
unter der Verschüttung vor zerstörenden Einflüssen bewahrt
worden, so hätte man schwerlich auch nur einen Fetzen von
ihnen gefunden. Trotzdem aber muß es auffallen, daß aus
Syrien und Kleinasien nur wenig Papyrusblätter auf uns
gekornmen sind, und zwar solche, die im Altertum ein Zufall
nach Ägypten verschlagen hat, und aus dem Abendlande fast
nichts erhalten geblieben ist, obwohl doch Griechenland wie
Italien sich mindestens ein Jahrtausend lang dieses Schreib-
materials bedient haben. Vielleicht darf man eine Erklärung
dafür in der ununterbrochenen Dauer der griechisch-römi-
schen Kultur suchen. In Ägypten hat die arabische Erobe-
rung einen tiefen Einschnitt gemacht; der Papyrus ist zwar
noch eine Zeitlang weiter benutzt, aber allmählich durch das
arabische Papier verdrängt worden, und vor allem ist die
griechische Kultur und Literatur hier unter dem Schwerte der
Eroberer unte'g gangen. Demgegenüber behielt sie im Abend-
lande ihre Stätte und pflanzte sich in immer neuen Abschrif-
ten fort, so daß die alten Papyrusrollen neuen Pergamenten
14
Erstes Kapitel.
weichen mußten, ohne wie in Ägypten einen günstigen Boden
zu finden, der sie auf die Nachwelt gebracht hätte. Weder
Schutthügel noch Beigaben für die Toten wirkten zu ihrer
Erhaltung; dauernde Kultur und christliche Sitte ließen
keines von beiden bestehen. Übrigens hat sich der Papyrus
auch im Abendlande weit ins Mittelalter hinein behauptet;
davon zeugen nicht nur Urkunden aus Ravenna und ein paar
Merovingerurkunden, sondern vor allem 23 päpstliche Bullen;
die päpstliche Kanzlei
haftete am Alten und
wählte für ihre wichtig-
sten Äußerungen noch
lange den vornehmsten
Schriftträger.
Vom Umfange der
Papyrusfabrikation kön-
nen auch die Tausende,
die jetzt in zahlreichen
Sammlungen aufbewahrt
werden, keine Vorstel-
lung geben, da sie doch
nur einen kleinen Teil
dessen darstellen, was
fabriziert und gebraucht
worden ist. So ist z. B.
von einem Edikte des
Statthalters Tiberius
Julius Alexander, das
ohne Frage in Hunder-
ten von Exemplaren
durch das Land verbrei-
tet wurde, nur eine
öffentliche Ausfertigung
in einer Inschrift und
eine einzige Abschrift
auf Papyrus erhalten geblieben. Wenn man aber beob-
achtet, wie sparsam selbst in Ägypten das Material aus-
genutzt wurde, wie die Rückseite in zahllosen Fällen her-
halten mußte, wie sogar die Schrift getilgt wurde, um Platz
für einen neuen Inhalt zu gewinnen, so vermag man nicht
an eine unbeschränkte Erzeugung zu glauben. In Ober-
ägypten ist vielfach für kleinere Aufzeichnungen, namentlich
für Steuerquittungen, die Tonscherbe an die Stelle des Pa-
pyrusblattes getreten; es muß also an Papyrus gefehlt haben.
Auf der andern Seite hat man oft genug eine uns erstaun-
liche Verschwendung getrieben; die Schreibseligkeit der Be-
hörden hat für die nichtigsten Dinge ein Papyrusblatt ge-
Abb. 3 Griechisches Ostrakon P. 12 319.
Auslese poetischer Sprüche.
Das Schreibmaterial.
15
opfert, und für Briefe, deren Inhalt gleich Null ist, finden wir
stattliche Stücke vergeudet. Geradezu protzig sehen manche
demotischen Verträge aus vorchristlicher Zeit aus: auf einem
Papyrus von mehr als 50 cm Länge und, etwa 30 cm Höhe
stehen z. B. fünf oder sechs eng geschriebene Zeilen, die noch
nicht den dritten Teil der Schreibfläche ausfüllen. Vielleicht
konnten damals die Notariate der ägyptischen Tempel, bei
denen solche Urkunden aufgesetzt wurden, noch reichlich
über Papyrus verfügen, weil die Tempel immer noch selbst
für den eigenen Bedarf arbeiteten.
Die Papyruserzeugung mußte steigen, als der Papyrus
das Ausland eroberte. Wann er vor allem in Griechen-
land eindrang, ist uns wichtig für die Geschichte des
griechischen Buches, aber keineswegs leicht zu bestimmen.
Es muß auffallen, daß vor Alexander dem Großen das
Papyrusblatt auf griechischem Boden überhaupt nur zwei-
mal genannt wird. Eine Steininschrift mit der amtHchen
Abrechnung über den Bau des Erechtheustempels in Athen
führt unter den Ausgaben auf: »es wurden 2 Papyrus-
blätter gekauft, auf die wir die Abschriften geschrieben
haben« mit Angabe des Preises. Wie der Zusammenhang
lehrt, waren diese Papyrusblätter für eine Abschrift der
Rechnung bestimmt, während das Original auf Holztafeln
geschrieben wurde; wahrscheinlich zog man Papyrus als
bequemeren Stoff vor, wenn man Abschriften für die staat-
lichen Archive brauchte. Ob hier einzelne Blätter oder ganze
Rollen gemeint sind, können wir nicht entscheiden. Ganz ähn-
lich und ebenso unbestimmt wird Papyrus auf einer In-
schrift des 4. Jahrhunderts aus dem Peloponnes erwähnt.
Das Wesentliche ist nur, daß man im 5. Jahrhundert in
Athen Papyrus kaufen konnte und an seine Verwendung
gewöhnt war; freiHch scheint die besondere Hervorhebung
den Kauf solcher Blätter als etwas nicht ganz Alltägliches
zu bezeichnen.
Dazu kommen zwei bemerkenswerte Züge aus Hero-
dots Büchern. Bei seinen ionischen Landsleuten, so erzählt er,
nenne man von alters her die bybloi (d. h. die Bücher)
»Häute« (diphtherai), weil man einst, als es an byblos (d. h.
Baumbast u. dergl.) mangelte, Häute von Ziegen und Schafen
verwendet habe. Aber mit seiner Erklärung können wir uns
nicht zufrieden geben, denn wenn er selbst sagt, das Wort
»Haut« sei seit alter Zeit eingebürgert, so ergibt sich im
Gegenteil, daß »Haut« das alte und byblos das neue Wort
für Buch war. Es ist sehr begreiflich, daß man die alte Be-
zeichnung behielt, als der Stoff sich änderte. Ob aber byblos
wirklich Papyrus bedeutete, ist für jene Zeit nicht so sicher
wie für später, denn an sich ist es der Name des Bastes und
l6 Erstes Kapitel.
verwandter Stoffe. Immerhin darf man es wahrscheinlich
auch hier auf Papyrus deuten. Sodann muß es befremden,
daß Herodot in seiner Beschreibung Ägyptens zwar viele
andere Gegenstände aus Papyrus erwähnt, über das Papyrus-
blatt aber kein Wort verliert; man sollte meinen, s müßte
ihm vor allem beachtenswert gewesen sein, und er, der
so viel zu sehen und zu hören verstand, müßte wenigstens in
Ägypten selbst Papyrusrollen zu Gesicht bekommen oder
davon erfahren haben. War die Papyrusrolle in seiner
Heimat unbekannt oder selten, so scheint sein auffälliges
Schweigen ganz unbegreiflich; es wird noch am ehesten ver-
ständlich, wenn dieser Beschreibstoff den Griechen damals
bereits geläufig war. Vielleicht ist für ihn überall, wo er das
Wort byblos anwendet, Papyrus schon die selbstverständ-
liche Voraussetzung. Alles in allem darf man daher für
Herodots Zeit den Papyrus als einen gebräuchlichen Stoff in
der griechischen Welt voraussetzen, zumal da seit dem
ägyptischen Könige Psammetich I. (663— 609 v. Chr.) Ägypten
dem Handel, vornehmlich griechischen Kaufleuten, offen
stand und der Papyrus gewiß bald eine Ausfuhrware wurde.
Unendlich viel größer mußten aber Erzeugung und Ausfuhr
nach Ägyptens voller Erschließung durch Alexander den
Großen werden; denn nun begann es die ganze Kulturwelt
um das Mittelmeer zu versorgen, in höchster Steigerung, als
das römische Kaisertum diese Welt zu einem Reiche zu-
sammenfaßte.
Vielleicht könnten wir über den Umfang der Fabrikation
besser urteilen, wenn wir mehr von den Preisen wüßten.
Zwar lesen wir mehrfach in Papyrusurkunden Preisangaben,
aber nirgends erhalten wir eine brauchbare Belehrung, denn
es handelt sich überall um ganz ungleiche Größen, und der
Berechnung liegen verschiedene Geldwährungen zugrunde.
Mit den spärlichen Angaben über die Preise außerhalb Ägyp-
tens ist erst recht nichts anzufangen. Als am Ende des
5. Jahrhunderts v, Chr. in Athen die erwähnte Baurechnung
für den Erechtheustempel aufgestellt wurde, bezahlte man
für zwei Papyrusblätter 2 Drachmen und 4 Obolen: jedes
Blatt entsprach dem Inhalt einer Holztafel, wird also jeden-
falls keine Rolle von vielen Metern gewesen sein. Die andere
Rechnung aus dem Asklepieion in Epidauros bezeugt einen
Preis von mehr als 4 Obolen für ein Papyrusblatt, aber wir
ahnen nicht, wie groß es war. Und die viel besprochene Stelle
aus der Verteidigungsrede des Sokrates, wo der Preis einer
Schrift des Anaxagoras auf eine Drachme geschätzt wird,
sagt nichts über das Papier; war es Papyrus, so muß man
die Summe allerdings im Vergleich mit den für jene Baurech-
nung verwendeten Blättern gering nennen, selbst wenn die
Das Schreibmaterial. ij
Schrift noch so kurz war. Allein der Fall ist unklar, unge-
rechnet, daß er sich auf Buchpreise, nicht auf Schreibmaterial
bezieht; man tut am besten, ihn beiseite zu lassen. Wer
sich aber an die Verwendung der Ostraka, der Tonscherben,
erinnert, wer in manchem Brief gelesen hat, daß der Schreiber
den Empfänger um Zusendung eines Papyrusblattes bittet,
damit er antworten könne, wer von Martial gelernt hat, wie
wertvoll ein leeres Blatt im kaiserlichen Rom war, wird geneigt
sein, den Papyrus als ein ziemlich teures Material zu be-
trachten, das naturgemäß außerhalb Ägyptens noch teurer
war. Weshalb hätte man sonst so häufig beide Seiten der
Rolle beschrieben, ja sogar die Schrift abgewaschen, um das
Blatt wieder zu benutzen.? Der bedrohliche Mangel, der in
Rom unter Tiberius eintrat und den Senat nötigte, die Ver-
teilung in die Hand zu nehmen, wird aus einem zeitweiligen
Rückgang der Erzeugung und somit aus einem Steigen der
Preise zu erklären sein; die Papyruspflanzer verstanden sich
darauf, durch verminderte Erzeugung ihre Ware kostbar
zu machen. Ebenso läuft das Ausfuhrverbot, das einmal in
ptolemäischer Zeit ergangen sein soll, um zugunsten der
alexandrinischen Bibliothek die Konkurrenzgründung in
Pergamon niederzuhalten, in Wirklichkeit auf eine Preis-
treiberei der sehr geschäftstüchtigen Ptolemäer hinaus.
Wenn im ersten Jahrhundert der Kaiserzeit neben der
Papyrusrolle der Pergamentkodex als bescheidenere Buch-
form zur Geltung kommt, so spricht auch dies für die Kost-
spieligkeit des Papyrus.
Wahrscheinlich belegten die in Steuersachen sehr findigen
Ptolemäer auch die Papyrusfabrikation mit einer Abgabe. In
der späteren Kaiserzeit wurde sie Monopol; wenn auch willkür-
liche Maßregeln gegen die Ausfuhr und gewinnlüsterne Ver-
minderung des Anbaus fortfielen, so ist unter dem Monopol der
Preis auch nicht gerade gesunken. Jedenfalls muß diese Ein-
nahmequelle sich gelohnt haben, da auch in byzantinischer Zeit
der Staat die Fabrikation unter seiner Hand behielt. Damals
versah man das erste Blatt einer Rolle, richtiger des
Ballens, das Protokoll, mit einer steifen, großen Auf-
schrift, die wahrscheinlich in irgend einer Form die fiskali-
schen Rechte ausdrückte. Als die Araber Ägypten eroberten,
blieben sie bei demselben Verfahren, nur daß jetzt der amt-
liche Stempel arabisch und griechisch lautete. So kommt
es, daß der Osterbrief eines alexandrinischen Patriarchen
aus dem 8. Jahrhundert am Kopfe der prachtvollen, über
6 m langen Papyrusrolle den Namen des Propheten Moham-
med trägt, gewiß nicht zur Erbauung der Geistlichkeit.
Diese Stempelung bedeutet entweder Herkunft aus der
Staatsfabrik oder Erlegung der Stempelsteuer. Die Ent-
S c h u b a r t , Das Buch. a. Aufl. 2
l8 Erstes Kapitel.
zifferung der sog. »Stempelschrift« steht noch in den An-
fängen.
3. Leder und Pergament. War der Papyrus ein
ägyptisches Erzeugnis und für die griechische Buchfabrikation
ein ausländisches Material, so hatte das Leder als Be-
schreibstoff keine begrenzte Heimat. Die von den Haaren
befreite und gereinigte Tierhaut ist den Orientalen wie den
Griechen seit ältester Zeit vertraut gewesen. Einige alt-
ägyptische Lederhandschriften sind auf uns gekommen, und
wir wissen, daß auch die Assyrer sich der Tierhaut bedienten.
Die Juden haben seit alters ihre heiligen Schriften auf
Lederrollen aufgezeichnet, deren Nachkommen die heutigen
Thorarollen sind. Der griechische Arzt Ktesias, der lange
Zeit am Hofe des persischen Großkönigs lebte, hat dort
erfahren, daß die Perser die Taten der Alten, d. h. wohl
ihre Geschichte, auf Tierhäute aufgezeichnet hätten; man
nannte diese Chroniken »königliche Häute«. Eine alte, ohne
Zweifel orientalische Sitte scheint es zu verraten, wenn
man auf der Insel Cypern den Schreiblehrer bezeichnete als
»den, der die Haut salbt«, wobei freilich unsicher bleibt, ob
gemeint ist, er bestreiche sie mit Fett oder Öl, um sie ge-
schmeidig zu machen, oder er »lösche die Haut aus«, d. h.
er verbessere die auf Leder geschriebene Arbeit des Schülers
durch Auslöschen. Neuerdings sind in Kurdistan zwei grie-
chische Urkunden auf pergamentähnlichem Leder aufge-
taucht, die dem l. Jahrhundert v. Chr. angehören. Jedenfalls
war dem gesamten Vorderasien die Tierhaut als Schriftträger
geläufig. Dies ist wichtig, weil innerhalb des griechischen
Kulturkreises das Leder bei den loniern besondere Bedeutung
erlangt zu haben scheint, die lonier aber zuerst und am
stärksten von allen Hellenen vorderasiatischem Einflüsse
offen standen. Zu Herodots Zeiten noch belegten sie, wie
wir sahen, andere Stoffe wie Papyrus und Bast mit dem
Namen »Tierhaut« (diphthera), die ihnen daher seit langem
vertraut gewesen sein muß. Auf der andern Seite nötigt
uns nichts, diese Sitte auf die lonier zu beschränken, denn
daß sonst in der griechischen Literatur des 5. Jahrhunderts
V. Chr. sich kein Hinweis auf die Tierhaut findet, ist ohne
Belang, wird doch überhaupt nur an ganz wenigen Stellen
etwas über das Schreibmaterial verraten. Ja es spricht
sogar manches dafür, bei den Griechen der alten Zeit im
allgemeinen die Tierhaut vorauszusetzen. Um etwas Uraltes
zu bezeichnen, pflegte man zu sagen, es sei älter als die
Tierhaut, und wenn ein später Schriftsteller den Zeus sich
lange in die Häute vertiefen läßt, so sieht man deuthch,
daß die Tierhaut als Buch- und Schreibmaterial dem Be-
wußtsein des Volkes uralt erschien. Ebendahin weist die
Das Schreibmaterial. I^
Beobachtung, daß die Götter, sofern sie schreibend einge-
führt werden, zur Tierhaut, zur Schreibtafel oder zu Ton-
scherben greifen. Das derbe Leder hat sich auch weiterhin, als
anderes in den Vordergrund trat, nicht völlig verdrängen
lassen und taucht ganz spät, gegen das lO. Jahrhundert
unserer Zeitrechnung als Träger koptischer, arabischer und
nubischer Urkunden wieder auf, die wahrscheinlich aus
Ägyptens südlichem Nachbarlande Nubien stammen, wo man
offenbar an den feineren Stoffen Mangel litt und sich behelfen
mußte. Nubischer Herkunft sind auch die merkwürdigen
Schriftstücke auf Gazellenleder.
Etwa im 3. Jahrhundert v. Chr. hat man das Leder
feiner und glätter zu machen gelernt, nach glaubwürdiger
Überlieferung bezeichnenderweise gerade an der Küste Klein-
asiens im Zusammenhange mit dem Aufblühen Pergamons
und seiner berühmten Bibliothek. Daher war es berechtigt,
das längst bekannte Material in seiner verfeinerten Gestalt
Pergament zu nennen; Häute von Schafen und Ziegen
eigneten sich am meisten für das neue Verfahren. Die wichtig-
sten Vorzüge des Leders bestanden in seiner Dauerhaftigkeit,
seiner Glätte und seiner hellen Farbe, die einen vortrefflichen
Grund für die schwarze Tinte bildete. Diese Vorteile werden
ihm auch einen erheblichen Raum verschafft haben, als es
unter dem Namen des Pergaments von neuem zur Geltung
kam, obwohl dieser Aufschwung in eine Zeit fiel, die unter
dem Zeichen des Papyrus stand.. An sich war das Leder und
nicht minder das Pergament für die Rollenform ebenso
geeignet wie der Papyrus oder- noch besser, da es nicht so
leicht zerrissen werden konnte; es ist als Schriftrolle benutzt
worden, obgleich wir nur spärlich darüber unterrichtet sind
und nur wenige Beispiele kennen. Jedenfalls ist sie auch den
Griechen wohl bekannt gewesen. Ganz abgesehen davon,
daß man im Mittelalter das Pergament als Rolle handhabte,
sehen wir die Möglichkeit der Ledcrrolle noch vor Augen in
erhaltenen Exemplaren ägyptischer Texte, die vor dem
Beginn einer griechischen Literatur auf Lederrollen geschrie-
ben worden sind; unzweideutig reden auch die Zeugnisse
von den Gesetzesrollen der Juden. Demnach ist kaum zu
bezweifeln, daß die pergamenische Bibliothek, soweit sie
Pergamentbücher enthielt, in Pcrgamentrollcn zu denken ist.
In Priene hat man im i. Jahrhundert v. Chr. amtliche Schrift-
stücke doppelt, auf Papyrus- und auf Lederrollcn, jedenfalls
Pergamentrollen, ausgefertigt. Auch die römischen Juristen,
denen es gerade auf die Form, ob Rolle oder Kodex, ankam,
rechnen das Leder zu den Stoffen, die als Rolle verwendet
werden können. Und noch in einer weit späteren Zeit gab
es Leder- oder Pergamentrollen, wie das Prachtexemplar in
20 Erstes Kapitel.
der Bibliothek des Kaisers Konstantin, das die Homerischen
Gedichte in Goldschrift enthielt. Hatten Leder und Perga-
ment den Nachteil, nur Rollen von mäßigem Umfange zu
liefern, wegen der natürlichen Grenze, die die Größe der
Tierhaut vorschrieb, so konnte man doch die Häute zu-
sammenfügen, wenn auch schwerlich die Ausdehnung großer
Papyrusrollen erreichen. Daß es geschah und bei sorgfälti-
ger Arbeit unbemerkt blieb, erzählt Aristeas von den Prunk-
rollen der Juden.
Besonders geeignet aber waren Leder und Pergament,
wo es sich um kurze Aufzeichnungen handelte; für Ur-
kunden und Briefe, für private Notizen aller Art hat
das Pergamentblatt außerhalb Ägyptens sicherlich weit
größere Verbreitung gehabt, als wir heute übersehen können.
Wenn wir es etwa von Ciceros Zeit an für solche Zwecke
allgemein benutzt finden, so bedeutet das nicht eine Neue-
rung, sondern nur, daß wir für diese Zeit mehr davon wissen
als für die voraus liegenden Jahrhunderte. Die Entdeckungen
auf ägyptischem Boden, die erst verhältnismäßig spät auch
Pergamentblätter aufweisen, geben uns nicht das Recht, die
Verhältnisse in Griechenland und in Italien danach zu be-
urteilen. Gerade für den Notizenzettel aus Pergament haben
wir Zeugnisse genug, besonders seit dem I.Jahrhundert
v. Chr. Wenn meistens von den Entwürfen dichterischer
Werke die Rede ist, so liegt es daran, daß wir unsere Kenntnis
aus gelegentlichen Bemerkungen des Horaz, des Persius, des
Juvenal und andrer Dichter schöpfen. Auch die »Mem-
branen«, die der Apostel Paulus sich von seinem Schüler
Timotheos nachbringen läßt, mögen solche Zettel sein. Mit
einzelnen Pergamentblättern wird der Gelehrte gearbeitet
haben, der genötigt war, aus großen Rollen Auszüge für seine
Zwecke zu machen, denn Papyrusblätter mußten rasch be-
schädigt werden, wenn man sie wieder und wieder zur Hand
nahm. So dürfen wir uns den Alexandriner Didymos, dessen
Arbeitsweise auf zahllose Auszüge hinweist, mitten unter
Tausenden von Pergamentzetteln hantierend vorstellen. Daß.
sie im geschäftlichen Verkehr unentbehrlich waren, versteht
sich von selbst, und zum Überflusse werden auch Schuld-
verschreibungen auf Pergament ausdrücklich ei wähnt. Ver-
mutlich ist auf diesem Gebiete der öffentliche Verkehr samt
Handel und Wandel der Lehrmeister der Schriftsteller und
Gelehrten gewesen, gewiß schon lange vor Ciceros Zeit. Aber
erst durch den Kodex, die moderne Buchform, hat das Perga-
ment die Herrschaft im Buchgewerbe errungen; die alte
Lederrolle und die Pergamentrolle haben zwar auch literari-
schen Zwecken gedient, aber neben der Papyrusrolle sich
nicht behaupten können. Im großen und ganzen ist also-
Das Schreibmaterial. 21
für das Pergament als Träger eines literarischen Inhalts die
Kodexform ebenso bezeichnend, wie es die Rolle für den
Papyrus ist. Vgl. Abb. 24, 25, 26.
Die allgemeine griechische Bezeichnung für die Tier-
haut ist diphthera; sie taucht auch bei Cicero, dem der
etwas altertümliche Klang des Wortes bewußt ist, und noch
später immer wieder auf. Die Römer sagen membrana.
Beide Namen können auch das Pergament bezeichnen; aber
seine unterscheidende Eigenart prägt sich deutlich genug in
dem neuen Namen aus, dessen Ableitung von Pergamon
gegen manche an sich nicht grundlose Bedenken verteidigt
werden darf. Die späte Nachricht, Pergament zu sagen, sei
besonders bei den Römern üblich, könnte eine gewisse Stütze
in Roms Beziehungen zu Pergamon seit dem 2. Jahrhundert
V. Chr. finden; allein sie sagten meistens membrana und
kannten das Leder als Schriftträger sicherlich schon früher;
so werden sie in Wirklichkeit den für die neue Technik ge-
prägten Namen von den Griechen übernommen haben.
Was wertvoller war, Pergament oder Papyrus, läßt sich
allgemein gar nicht sagen, da alle Werte solcher Art natur-
gemäß nach Zeit und Ort wechseln, und da es obendrein sehr
auf die Güte der beiden Stoffe ankam. An der Küste Klcin-
asiens scheint zu Anfang des i. Jahrhunderts v. Chr. Perga-
ment mehr gegolten zu haben als Papyrus; im Rom der
ersten Kaiserzeit dürfte umgekehrt der Papyrus kostbarer
gewesen sein. Will man eine Schätzung versuchen, so muß
man davon ausgehen, daß das Pergament oder das Leder
von Anfang an im Kulturkreise des Mittelmeers überwiegend
das Material des täglichen Lebens war und erst allmählich
zum Range eines Buchmaterials emporstieg; die gleichmäßige
Benutzung beider Seiten gegenüber dem L^nterschicde von
Rekto und Verso beim Papyrus besagt dagegen nichts, denn
sie beruht nicht auf der Eigenart des Stoffes, sondern auf der
Form des Heftes; alles in allem darf man dem Pergament
eher einen geringeren Wert zuschreiben, zumal da auch seine
Herstellung nicht das Monopol eines einzigen Landes war.
Gerade deshalb erfahren wir auch wenig über seine Fabrika-
tion, die jedenfalls überall betrieben worden ist und besondere
Arten, wie z.B. die Vitelliana genannten Blättchen im
kaiserlichen Rom, hervorgebracht hat.
Die beiden Seiten der Tierhaut, die Haarseite und die
Fleischseite, kann zwar das geübte Auge ziemlich leicht
unterscheiden, ob sie aber jemals eine ähnliche Bedeutung
wie die Rekto- und Versoseite des Papyrus erlangt haben,
wissen wir nicht, da uns die alten Pergamentrollen etwa der
pergamenischen Bibliothek unbekannt sind; vermutlich genoß
2 2 Erstes Kapitel.
in ihnen die eine Seite ebenso den Vorzug wie in der Papyrus-
rolle. An sich kann Pergament auf beiden Seiten gleich gut
beschrieben werden und empfiehlt sich auch dadurch für die
Notizen des täglichen Lebens. Mit diesem Vorteil geht Hand
in Hand der andere, daß die Schrift hier weit leichter auszu-
löschen ist als auf Papyrus. Die Alten haben es wegen dieser
Eigenschaft geradezu palimpsestum genannt, d. h. das
wieder Geschabte; z. B. Catull und Cicero, der einen Brief-
bogen so bezeichnet; die erste Schrift zu tilgen, war zwar
auch beim Papyrus möglich, und es fehlt nicht an erhaltenen
Beispielen, aber weit bequemer war es beim Pergament. Auf
der andern Seite leidet die auf Pergament gesetzte Schrift
mehr durch Feuchtigkeit als die auf Papyrus; wo er sich
überhaupt erhält, bleibt auch die Schrift in der Regel deut-
lich, während sie auf gut erhaltenen Pergamentblättern oft
verwaschen aussieht. Dazu kommt, dai3 die metallische
Tinte der byzantinischen Zeit das Pergament angreift, so daß
in vielen Fällen jeder Strich zu einem Loch geworden ist.
Unter ungünstigen Bedingungen bietet daher ein altes Perga-
mentblatt eher mehr Schwierigkeiten für die Entzifferung als
ein gleich beschädigtes Papyrusblatt. Man hat freilich ver-
waschene Pergamentschrift durch chemische Mittel wieder
deuthch zu machen und neuerdings sogar zu photographieren
gelernt; beim Papyrus müssen alle Versuche, beschädigte
Schrift wieder zu beleben, vergeblich bleiben, weil hier die
Tinte meistens abgerieben und auf keine Weise zu ersetzen
ist, ganz abgesehen von der andern Beschaffenheit der älteren
Tinte. Von unserem Standpunkte aus darf man die Dauer-
haftigkeit der beiden Schreibstoffe überhaupt nicht ver-
gleichen, weil ihre Schicksale durchaus verschieden gewesen
sind. Wohl erhaltene Pergamentbücher haben ein friedliches
Dasein in Bibliotheken geführt; gleich alte und gleich wert-
volle Papyrustexte dagegen verdanken wir hauptsächlich den
ägyptischen Kehrichthaufen. Aber die Masse der Pergamente
des Abendlandes ist genau so zugrunde gegangen wie seine
Papyrusblätter.
Papyrus und Pergament sind endlich durch das Papier
verdrängt worden, das wahrscheinlich nach chinesischem
Vorbilde zuerst um die Mitte des 8. Jahrhunderts n. Chr.
in Samarkand aus Leinen und Hanf hergestellt und von
den Arabern der westlichen Welt zugeführt wurde. Als
Schriftträger dient es in Ägypten sowohl arabischen wie
koptischen Texten, hier und überall sonst vor allem der
Fortpflanzung griechischer Literatur im Mittelalter, ohne für
das griechische Buchwesen eine Bedeutung zu besitzen; denn
die Buchformen hatten sich längst am Papyrus und am
Pergament gestaltet.
Das Schreibmaterial. 23
4. Schreibtafel. Dem Papyrus und dem Pergament
reiht sich die Schreibtafel aus Holz an letzter Stelle an.
Im täglichen Leben vielleicht mehr als die andern Materiale
gebraucht, hat sie für das Buchwesen nur mittelbar eine
Bedeutung gewonnen. Einfache Tafeln sind von den frühe-
sten Zeiten an gang und gäbe gewesen; den Griechen waren
sie zur Zeit der Perserkriege längst geläufig, wie denn Pigres,
der Verfasser des dem Homer zugeschriebenen komischen
Heldengedichts vom Kriege der Frösche und der Mäuse sie
wohl kennt. Sie haben das Altertum überdauert, und in ver-
ändertem Material, aber unveränderter Gestalt kennt sie
heute jedes Kind als Schiefertafel. Holzbrettchen wurden
'rT^.r' TZ-"^ 6rr^
/l^^;'
itt
y->'-'. ;. Ge weißte Holztafel, enthaltend Ilias 2, 147-162; am Schluß
das Datum der Schularbeit.
häufig weiß gefärbt, um die Schrift deutlicher hervortreten
zu lassen, oder auch mit einer Stuckschicht überzogen, die
das Schreiben und Abwaschen erleichterte. Der Wohl-
habende fand diese Vorteile mit elegantem Aussehen in der
Elfenbeintafel vereinigt und konnte sogar mit noch kost-
bareren Stoffen prunken.
Wichtiger aber als die einfachen Holzbrettchen sind die
zu zwei oder mehr zusammengefügten Tafeln. Sie wurden an
zwei oder drei Stellen durchbohrt und mit Fäden oder Ringen
verbunden, wobei natürlich ihr Format gleich sein mußte.
So erhielt man zwei innere Flächen, die beim Zusammen-
klappen geschützt waren und die Schrift besser bewahren
konnten. Häufig wurden an den Außenrändern Fäden zum
Verschluß angebracht, wodurch das Ganze zum geschlossenen
Hefte wurde (Abb. 5). Von der Verbindung zweier Tafeln
24
Erstes Kapitel.
ging man weiter zu drei und mehreren; schon das 5. Jahr-
hundert V. Chr. hat solche gekannt, und die »vieltürigen
Klappen der Schreibtafel« bei Euripides dürfen wörtHch ge-
nommen werden, nachdem wir dicke Blöcke solcher Tafeln
gefunden haben, die freilich das Notizbuch zu einer unbe-
quemen Last machten.
Um aber die Schrift noch wirksamer zu schützen, ver-
tiefte man das Innere der einzelnen Tafel und heß nur
ringsum einen Rand stehen. Die viereckige Vertiefung
wurde mit Wachs ausgestrichen und ergab eine leicht ritz-
bare Schreibfläche, die
obendrein wieder ge-
glättet und von neuem
benutzt werden konn-
te. Daß der Metall-
griffel auf Wachs we-
der so schön noch so
geläufig schrieb wie
die Rohrfeder auf Pa-
pyrus oderPergament,
beweisen die meisten
Wachstafeln, die wir
noch besitzen. Das
war aber auch nicht
nötig, weder für die
Schulübung noch für
die flüchtige Notiz.
Um die eingeritzten
Züge kräftiger von
der Grundfläche ab-
zuheben, hat man
wahrscheinlich schon
im Altertum dasWachs
dunkel gefärbt. Wenn
heute der Wachsüber-
zug vöUig schwarz aussieht, so ist das nicht eine Folge des Alters,
sondern eben jener Färbung, deren Zweckmäßigkeit ein Ver-
such bewiesen hat. Solche Wachstafeln führte jeder bei sich,
der überhaupt in die Lage kam, sich Notizen zu machen, der
Kaufmann wie der Politiker und der Schriftsteller. So dürfen
wir uns die Entwürfe der griechischen Literaturwerke minde-
stens bis ins 5. Jahrhundert v. Chr., ehe Papyrus sich mehr
einbürgerte, auf einfachen Holztafeln oder Wachstafeln vor-
stellen, deren z, B. die Tragödie öfters gedenkt. Die Schreib-
tafel des Aischylos war noch nach Jahrhunderten eine kost-
bare Rarität. Die einfache Tafel wie die Wachstafel war vor
allem in der Schule heimisch. So finden wir z. B. auf zwei
A-bb.
Neun verbundene "Wachstafeln,
Übungshefb eines Schülers.
Das Schreibmaterial.
25
20 Erstes Kapitel.
unverbundenen, weiß gestrichenen Brettchen Verse aus der
Ihas aufgezeichnet, bei denen die Worttrennung durch Striche
bezeichnet ist; am Schlüsse steht das Datum der Schularbeit
(Abb. 4). Zusammengehörige Wachstafeln haben uns ein sonst
unbekanntes Gedicht erhalten, das der Schüler aus dem Ge-
dächtnis aufgeschrieben und dabei arg zugerichtet hat, andere
enthalten Schülerpräparationen zu Homer, und ein Heft aus
9 Wachstafeln führt uns allerlei Schreib- und Rechenübungen
eines Anfängers vor Augen (Abb. 5). Aber auch für alle mög-
lichen andern Aufzeichnungen, für Rechnungen, für Urkunden,
für Verwünschungen wie für Gebete dienten sie der ganzen
griechisch-römischen Welt, ohne durch Papyrus oder Perga-
ment verdrängt zu werden. In bildlichen Darstellungen aus
dem Altertum erscheinen sie sogar besonders häufig, wie denn
der verzierte Kopf des Griffels auf Abb. 8 den Schüler mit
Griffel und Wachstafelheft zeigt. Die Wachstafel und die
Elfenbeintafel eigneten sich besonders für den Brief; der
Empfänger konnte das Wachs glätten oder die Schrift löschen
und in dieselbe Tafel sofort die Antwort sehreiben. So sendet
bei Ovid der Liebende sein Täfelchen an die Geliebte und
hofft, daß sie als Antwort nur das eine Wort »Komm« hinein
schreiben werde. Als Brief dient sie auch im 6. Buche der
Ilias, wo sie die »unheilvollen Zeichen« trägt. Manchmal ist
der Griffel durch die Wachsschicht ins Holz eingedrungen und
hat uns Schriftzüge gerettet, die sonst bei der Zerstörung
des Wachses verloren gegangen wären, wenn man nicht etwa
gar den Holzgrund für besondere Zwecke auszunutzen wußte,
wie Demaratos, der vom persischen Hofe in Susa den Spar-
tanern eine heimliche Botschaft geben wollte: »Er nahm eine
zweiteilige Schreibtafel, kratzte das Wachs aus und schrieb
auf das Holz die Absicht des Königs; dann strich er wieder
Wachs über die Buchstaben, damit die Beförderung der Tafel
bei den Straßenpolizisten nicht auf Schwierigkeiten stieße.«
Für die Literatur kommen sie natürlich nicht als eigentliche
Bücher in Betracht, wohl aber als die Träger der ersten
Aufzeichnungen des Schriftstellers. Wenn der erste Apollon-
hymnus auf einem weißen Brette in Delos stand, wenn Euri-
pides die Gesänge des Orpheus auf »thrakischen Brettern«
aufgezeichnet sein läßt, so muß man solche Niederschriften
als öffentliche Denkmäler auffassen und mit der Art ver-
gleichen, wie etwa die Gesetze Solons öffentlich ausgestellt
und noch in der römischen Kaiserzeit amtliche Bekannt-
machungen auf geweißten Brettern, die man Leukoma
nannte, veröffentlicht wurden. Es ist eine weniger feierliche
und nicht so für die Ewigkeit berechnete Form wie die Auf-
stellung steinerner Inschrifttafeln. Aber für die Geschichte
des Buches ist es wichtig, daß diese zwei- und mehrfachen
Das Schreibmaterial.
27
Abb. 7. Bleitafel : Liebeszauber.
Tafeln das unmittelbare Vorbild des Kodex geworden sind;
das mit Wachs ausgestrichene Brettchen durch ein Pcrga-
mentblatt zu ersetzen, war ein Schritt, den die Alten in der
28 Erstes Kapitel.
ersten Kaiserzeit bereits getan hatten. Die Formate waren
dem Zwecke entsprechend meistens klein, manchmal länglich,
manchmal ziemlich quadratisch; die für Schulübungen be-
nutzte einfache Holztafel durfte größer sein als das aus
Waphstafeln zusammengefügte Notizbuch.
Nur nebenbei darf hier die Metalltafel erwähnt werden,
die für das Buch wenig bedeutet, obgleich auch sie Träger
literarischen Inhalts werden konnte. Die Bleirolle ist uns
schon begegnet; Bleitafeln, die sich leicht ritzen ließen, aber
auch mit Tinte beschrieben wurden, dienten besonders für
Verwünschungen und allerlei Zauberformeln. Zu Dodona
legte man dem Orakel seine Fragen auf kleinen Bleitafeln
vor, während die Ägypter zu solchem Zwecke Papyruszettel
nahmen. Auf Bleitafeln waren Hesiods »Werke und Tage«
am Helikon als ehrwürdiges Schaustück erhalten. Bronze-
tafeln, besonders beliebt für die Entlassungsurkunden römi-
scher Legionäre, haften ebenso wenig an einer bestimmten
Zeit. Die eherne Tafel aus dem Grabe der Alkmene bei
Hahartos in Böotien, die nach Plutarch mit unverständ-
lichen Zeichen, ägyptischen Hieroglyphen ähnhch, bedeckt
war, galt als ein Überrest grauen Altertums.
5. Schreibzeug. Nur mit wenigen Worten will ich
noch auf das Schreibgerät der Alten eingehen. Ägypten
gebrauchte eine dünne Binse, die schräg gekappt wurde und
sowohl breite wie schmale Striche ergab, je nachdem man
sie drehte; mit ihr sind die hieratischen, demotischen, ara-
mäischen und noch die ältesten griechischen Papyri geschrie-
ben, wie nicht nur erhaltene und sichtUch benutzte Schreib-
binsen beweisen, sondern auch Versuche dargetan haben;
gerade damit wurden jene Schriftarten erzielt. Bei benutzten
Stücken sitzen die Farbreste am gekappten Ende, nicht am
andern, das etwas aufgefasert ist, wie es leicht von selbst ge-
schehen kann. Nichts berechtigt zu der Annahme, die alten
Ägypter hätten mit diesem faserigen Ende wie mit einem Pinsel
ihre Schrift gemalt. Der ägyptische Schreiber trug mehrere
solcher Binsen in der sog. Palette bei sich, einem schmalen
Holzbrette mit Vertiefung zur Aufnahme der Binsen und
flachen Löchern für die Farbe. Mehrere sind im Original auf
uns gekommen, und ägyptische Darsteller zeigen den Schrei-
ber mit seinem Geräte, das auch zum Malen dienen konnte.
Wenn man nach den Schriftzügen urteilen darf, so scheint
noch im 3. Jahrhundert v. Chr. das zugespitzte Schreibrohr,
der Kala mos, aufgekommen zu sein, der eine dünnere
Schrift ermöglicht, zugleich aber auch gerade an den Fasern
des Papyrus manche Schwierigkeit findet. Er behauptet sich,
in Massen gewerbsmäßig hergestellt, durch das ganze Alter-
tum und im Orient bis in die Gegenwart hinein. Das Messer,
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Abb. 8. Schreiberpalette. 3 Griffel. Zweiteiliges Tintenfaß für schwarze-
und rote Tinte.
30
Erstes Kapitel.
das den Kalamos spaltet, der Bimsstein, woran seine stumpf
gewordene Spitze gewetzt wird, gehören zum unentbehrlichen
Gerät des Schreibenden.
Für die gerade Richtung
der Schriftkolumne wie
der einzelnen Teile sorgte
das Lineal; die Linien zog
man mit einer runden
Bleischeibe, nicht nur
wagerechte, sondern auch
senkrechte zur Begrenzung
der Schriftkolumnen, und
mit dem Kalamus in der
Rechten, dem Lineal in
der Linken setzte sich der
Schreiber an die Arbeit.
Die Bleitafeln wie die
Wachstafeln bedurften na-
türlich des Metallgriffels,
des Stilus, der uns aus
vielen oft verzierten Exem-
plaren noch wohl bekannt
ist; vielfach ist er am
oberen Ende zu einem
kleinen Spaten verbrei-
tert, der dazu diente, das
Wachs zu glätten und die
Schrift auszulöschen. Da-
her bedeutete »den Griffel
wenden« soviel wie »til-
gen« oder »von vorn an-
fangen«.
Die Tinte scheint aus
Ruß, Wasser und einem
Klebstoff hergestellt zu
sein; die ägyptischen Pa-
pyrusfunde stellen ihr ein
glänzendes Zeugnis aus,
denn sie hat ihre tief-
schwarze Farbe auch un-
ter ungünstigen Bedingun-
gen durch Jahrtausende
bewahrt und leistet noch
heute der Feuchtigkeit
einen Widerstand, der die
Abb. 9. Stele aus Thyateira: Beutel Dauerhaftigkeit moderner
mit Schreibrohren. Eolle. Tinte weit hinter sich
Das Schreibmaterial.
31
zurückläßt. Erst in byzantinischer Zeit, etwa seit dem
4. Jahrhundert n. Chr., bemerkt man neben der alten
Rußtinte eine braunrote, wohl metallische Tinte, die sich
weniger gut gehalten hat. Die Nöte, die der Schreiber
bisweilen mit einer schlechten Tinte auszustehen hatte,
schildert uns ergötzlich der Dichter Persius; bald ist sie zu
dick, bald zu dünn, und schließlich macht der Kalamos einen
Klecks. Wie ge-
treu er ausmalt,
sehen wir an Brie-
fen und Urkun-
den noch vor
uns. Neben der
schwarzen war
rote Tinte be-
liebt; in hierati-
schen Papyrus
sind meistens die
Überschriften der
Abschnitte rot
geschrieben, eine
Sitte, die in wei-
tem Umfange in
das griechisch-
römischeSchreib-
wesen übergegan-
gen ist, so sehr,
daß das Wort
Rubrum fast den
Sinn von Über-
schrift oder Titel
angenommen hat.
Ergibt aber auch
Schriftstücke, die
ganz mit roter
Tinte geschrieben
sind. Auf der Pa-
lette des ägypti-
schen Schreibers
befanden sich daher wie gesagt zwei kleine Vertiefungen für die
schwarze und die rote Farbe, wofern ersieh nicht einer Muschel
oder eines Reibnapfes bediente. Später hatte man besondere
Tintenfässer aus Ton oder Metall, oft zweiteilig für schwarze
und rote Tinte (Abb. 8). Purpurtinte blieb in römischer Zeit
dem Kaiser vorbehalten; Prunkbücher schrieb man in Silber-
oder Goldfarbe. Zum Schreibgeräte gehörte auch der
Schwamm, womit man Schreibfehler beseitigte; mit dem
Abb. lo. Ägypter mit Schreibgerät. Holzrelief.
22 Erstes Kapitel.
Messer zu radieren, verbot sich bei Papyrus von selbst, ob-
gleich man auch dies gelegentlich versucht hat. Das Ab-
waschen mit dem nassen Schwamm hat den Dichtern, be-
sonders häufig dem Ovid, den rührsamen Vergleich mit den
Tränen an die Hand gegeben; als er seine Klagelieder aus der
Verbannung schrieb, lag es ihm freilich nahe, von den Tränen
zu reden, die die Schrift auszulöschen drohten. Aber in einer
guten Buchschrift durfte man nichts von der Tätigkeit des
Schwammes sehen, und in Urkunden wird öfter ausdrücklich
betont, daß nichts gelöscht, radiert oder übergeschrieben sei,
eine sehr begreifliche Vorkehrung gegen nachträgliche Ände-
rungen.
Der Schreiber, der eine Lehrzeit von etwa zwei Jahren
durchmachen mußte, um das »Schriftsystem« sich anzu-
eignen, wurde nach der Güte der Schrift und nach der
Zeilenzahl bezahlt. Ohne Zweifel beschäftigte dieser Beruf,
wie noch heute im Orient, ein ganzes Heer von Leuten vom
einfachen Lohnschreiber bis zum wissenschaftlich gebildeten
Privatsekretär, wie Ciceros Tiro einer war. Aber die Mehr-
zahl wird kaum in das Lob eingestimmt haben, das die Lehren
eines alten ägyptischen Weisen dem Schreiberberufe als dem
besten und lohnendsten von allen zuerkennen.
6. Namen des Buches. In einem gewissen Zusammen-
hange mit dem Beschreibstoffe stehen die Namen, die die
Alten dem Buche gegeben haben. Das Ergebnis scheint sehr
einfach zu sein: die Griechen sagten Biblos und die Römer
Liber. Es liegt aber keineswegs so auf der Hand; denn bei
den großen Unterschieden der Schriftträger wie der Buch-
formen stellt sich die Frage dahin, ob die von den Alten ge-
brauchten Ausdrücke bestimmte Stoffe und bestimmte For-
men bezeichnen. Wir sind in der Betrachtung des antiken
-Buchwesens auf die gelegentlichen Äußerungen der alten
Schriftsteller so sehr angewiesen, daß wir uns klar machen
müssen, was sie mit diesem oder jenem Worte gemeint haben.
Gehen wir vom Papyrus aus, so finden wir als den botanischen
Namen der Pflanze den noch heute üblichen, nämlich Papyros,
das Wort, wovon wohl Papier sich herleitet. Herodot jedoch
nennt die Pflanze byblos (dies scheint die ältere, biblos die
jüngere Schreibweise zu sein), und auch sonst bis in nach-
christliche Zeit kommt diese Bezeichnung in Zusammen-
hängen vor, die nur an das Rohmaterial denken lassen.
Wahrscheinlich aber bedeutet sie nicht Papyrus allein, son-
dern gerade so wie das lateinische liber den Bast und alle
vergleichbaren pflanzlichen Stoffe. Auf der andern Seite
gebraucht Herodot eben dies Wort einmal in einem Sinne,
der auf das Buch als solches bezogen werden kann: die
lonier, sagt er, bezeichneten die bybloi als diphtherai (Häute).
Das Schreibmaterial. ^^
Es ist wohl möglich, daß er auch hier byblos im weitesten
Sinne nimmt und an alle Beschreibstoffe aus Bast, Schilf
oder Blättern denkt; wenn aber bei Aischylos dasselbe Wort
allem Anschein nach einfach »Buch« bedeutet, so darf man
wohl annehmen, daß auch Herodot es dafür verwenden
konnte. Wahrscheinlich war das Wort schon damals von
der Beziehung auf das Material, Bast aller Art oder Schilf
oder Papyrus, der zwar erst am Ende des 5. Jahrhunderts
in Athen unzweideutig erwähnt wird, aber jedenfalls schon
länger bekannt war, zu der Bedeutung des Schriftwerkes,
des Buches übergegangen. Und von da an begegnen wir ihm
allenthalben, bei Piaton, bei Polybios usw., wenn von einem
Literatun\'erke die Rede ist. Ob eine Rolle damit gemeint
ist oder nicht, geht aus dem Worte an sich nirgends hervor.
Ebenso verhält es sich mit der abgeleiteten Form b y b 1 i o n .
Herodot freilich macht einen Unterschied; byblion ist ihm
ein Brief, ein Schriftstück kleineren Umfangs. Diesen Sinn
hat das Wort in der amtlichen Sprache bewahrt, wie uns
zahlreiche Beispiele aus griechischen Urkunden lehren, denn
sie gebrauchen byblion für eine Eingabe an die Behörden
und für Aktenstücke. Wenn es nun zugleich von Xenophon
und Piaton an auch ein Buch bedeutet, so ergibt sich eine
Weite des Ausdrucks, die auch aus diesem Worte keine
Folgerungen für Form und Stoff zu ziehen erlaubt, um so
weniger, als auch in Urkunden und Briefen selbst mit byblion
gelegentlich ein wirkliches Buch bezeichnet wird. Den Begriff
der Rolle darf man daher mit diesen Ausdrücken nur soweit
verbinden, als diese Buchform aus andern Gründen voraus-
gesetzt werden kann. Ganz entsprechend hat das lateinische
Liber überall die Bedeutung des Buches als eines größeren
Schriftwerkes, meistens literarischen Inhalts, jedoch nicht
ausschließlich. Am richtigsten scheint das, was die Alten
imter byblos und byblion wie unter liber verstanden, der
Jurist Paullus im 3. Jahrhundert n. Chr. bestimmt zu haben:
es ist nicht Rolle, sondern ein abgeschlossenes Schriftwerk.
Tm Grunde ist also nicht der Inhalt, sondern die Selbständig-
st des Inhalts der springende Punkt. Insofern kann auch
in Aktenband gerade so gut ein »Buch« sein wie ein Literatur-
werk. Dem entspricht auch die freilich von Hause aus nicht
übliche, aber später allgemeine Gliederung umfangreicher
Werke in »Bücher«. Man darf aber nicht erwarten, überall
die Genauigkeit juristischer Bestimmungen zu finden, und
so erklärt es sich, daß jene Worte manchmal eine Buchform,
manchmal ein Material anzudeuten scheinen. Die Form der
Rolle dagegen betont der Jurist Ulpian in seiner Erörterung
des Begriffes über, offenbar im Anschluß an das, was zu seiner
Zeit üblich war. Ihre eigentlichen Namen sind tcuchos und
S c h u b a r t , Das Buch. 2. Aufl. 3
^4 Erstes Kapitel.
tomos, dieser besonders für die Aktenrolle, während er später
auch als »Band« für Literaturwerke Geltung gewonnen hat
und noch heute in Frankreich geläufig ist. Wenn die Ver-
kleinerungsformen, bei den Griechen biblidion, bei den
Lateinern libellus, eben so gut ein kleines Buch wie ein
kleines Aktenstück bedeuten, so folgen sie dem weiten Sinne
ihrer Stammwörter. Der unbeschriebene Papyrus, sei es
ein Blatt oder eine • Rolle, hieß allgemein chartes,
von den Lateinern umgebildet charta, die Wurzel unserer
»Karte«; das Wort wird meistens im eigentlichen Sinne
gebraucht und bekommt erst in römischer Zeit durch
eine nahe liegende Übertragung den Sinn des Buches,
behält aber doch seine natürliche Beziehung auf die
Papyrusrolle wie bei den »drei gelehrten und mühevollen
Charten«, von denen Catull spricht. Einen besonderen Sprach-
gebrauch zeigen die diphtherai, die, ursprünglich im engen
Anschluß an das Material, bei den loniern später überhaupt
die Bücher bezeichneten. Die Rollenform selbst wurde durch
eigene Ausdrücke wiedergegeben. Kylindros hieß sie bei
den Griechen, daneben auch Kylistos, dies jedoch, wie es
scheint, nur für größere gerollte Schriftstücke und eine Mehr-
heitin einander gerollter Blätter, denn ihnen gegenüber stehen
die »Briefe«, die gerollt oder gefaltet wurden. Das ent-
sprechende lateinische Wort volumen hat dieselbe Klarheit
in seiner Anwendung.
Wie unser deutsches »Buch« zugleich das Ganze eines
Schriftwerkes und die darin enthaltene Arbeit bezeichnet,
so umfassen auch die besprochenen Ausdrücke der Alten
beide Gesichtspunkte. Hinter ihnen treten im gewöhnlichen
Gebrauche die der schriftstellerischen Arbeit als solcher gelten-
den Worte zurück. Mit einer charakteristischen Betonung
der Schreibarbeit nannte man das Werk des Schriftstellers
in Griechenland Syngramma, das Zusammengeschriebene,
oder Grammata, Schriften; verwandten Sinnes sind Syn-
taxis und Syntagma. Die selbständigen Teile hießen Logos,
Rede, ein Wort, das erst später durch biblion und liber ersetzt
worden ist. Diese wie das lateinische Opus, Werk, be-
gegnen uns bei Schriftstellern, denen man eine Nachlässig-
keit im Ausdruck nicht zutrauen darf, neben biblos, biblion
und liber. Sie haben also nicht genau dasselbe bedeutet,
sondern sich ähnlich von ihnen unterschieden, wie im Deut-
schen »Buch« und »Schrift« getrennte Begriffe sind, so viel
sie auch in einander übergehen. Als allmählich neben der
Rolle die moderne Buchform aufkam, ergab die Praxis
eigene Bezeichnungen, vor allem das lateinische Kodex, das
im folgenden als Kennwort im Gegensatz zur Rolle gebraucht
werden wird. Ein allgemein übliches griechisches Wort dafür
Das Schreibmaterial. 35
gibt es nicht. Durch das Material, das in erster Linie für
diese Buchform verwendet wurde, das Pergament, drangen
wie oben bei der Rolle übertragene Ausdrücke ein, nament-
lich das lateinische membrana, das jedoch in der großen
Mehrzahl der Fälle einfach den Stoff bezeichnet. Der alte
griechische Ausdruck dafür, diphthera gleich Tierhaut, wich
später dem noch heute üblichen »Pergament« und bekam
einen gewollt altertümlichen Schein, wenn ihn z. B. Cicero
noch anwendete. Er ist in der Form »defter« ins Türkische
übergegangen, wo er heute noch das Buch bedeutet. Aus
den bescheidenen Anfängen des Kodex stammt der nicht
seltene Name pugillare, Faustbuch, womit die Kleinheit
und Bequemlichkeit des »Handbuches« treffend gekenn-
zeichnet wird. Manche andere Buchbezeichnungen wie Soma
gleich Corpus als Ausdruck für größere Einheiten, die mehrere
Bücher umfaßten, haj^en keine unmittelbare Beziehung zur
antiken Buchtechnik und dürfen deshalb in diesem Über-
blick beiseite gelassen werden, da es hier nur auf die ge-
bräuchlichsten Wörter ankommt. Alle Wandlungen haben
die allgemeinen Wörter biblos und biblion, liber und libellus
überdauert. Sie gelten für die Rolle wie für den Kodex und
sagen an sich weder über die Form noch über das Material
des Buches etwas aus. Ist dieser Umstand auf der einen
Seite uns ungünstig, da er der Untersuchung über das antike
Buch manche wünschenswerte Stütze entzieht, so bietet er
auf der andern Seite den Vorteil, daß man sich der immer
gefährlichen Auslegung einzelner Worte, die zu ihrer Zeit
ohne weiteres verständlich waren, es heute aber der Natur
der Sache nach nicht mehr sein können, nur als eines be-
scheidenen Hilfsmittels bedienen kann.
3*
k\\>:>\vi
Abb. IT. Papyrusrolle als hieroglyphisches Schriftzeichen.
ZWEITES KAPITEL.
DIE BUCHROLLE.
Unsere Kenntnis des griechischen und römischen Buch-
wesens fließt aus zwei wesenthch verschiedenen Quellen,
aus Überlieferung und aus Anschauung. Die erste bieten
uns die Äußerungen der alten Schriftsteller, die andere ver-
danken wir in der Hauptsache den großen Papyrusfunden
der letzten -Jahrzehnte, hinter denen die ziemlich zahlreichen
Darstellungen in der Plastik wie auf Vasen an Bedeutung
weit zurückbleiben. Beiden gemeinsam ist der Zufall, von
dem sie abhängen; jene Dichter, Geschichtschreiber, Philo-
sophen haben nicht schildern wollen, wie das Buch zu ihrer
Zeit aussah, sondern nur gelegentlich eine Andeutung darüber
gemacht, und die neueren Funde beschränken sich fast
ausschheßlich auf den Boden Ägyptens, der unter andern
Überresten des Altertums auch die Reste alter Bücher hier
und da bewahrt hat. Verstehen wir nun auch manche Be-
merkung der Schriftsteller besser, seitdem wir Proben solcher
Bücher vor Augen haben, so wird uns doch keineswegs ein
vollständiger Überblick über die Entwicklung des Buch-
wesens gewährt. Denn die wirklich ergiebige Überlieferung
stammt zum größten Teile erst aus später Zeit, etwa von
Ciceros Tagen an, und gilt daher genau genommen nur für
das Buchgewerbe des hellenistisch-römischen Zeitalters, in
derg griechische und römische Buchtechnik kaum noch Unter-
schiede aufweisen. Die Anschauung aber reicht wenig über
den Anfang des 3. Jahrhunderts v. Chr. hinauf und steckt
der erhofften Belehrung wiederum eine zeitliche und örtliche
Grenze. Wie es vorher ausgesehen hat, welche äußere Gestalt
die Werke der klassischen griechischen Literatur zur Zeit
ihrer Entstehung gehabt haben, dafür geben uns die spärlichen
Andeutungen bei einigen Schriftstellern und die ältesten Pa-
pyrushandschriften nur sehr geringen Anhalt. Will man ver-
suchen, sich ein Bild davon zu machen, so ist man auf Rück-
Die Buchrolle. ^y
Schlüsse angewiesen; es versteht sich von selbst, daß hierbei
die größte Vorsicht geboten ist, weil wir nur unsicher beur-
teilen können, wie weit das, was wir kennen, auf ältere Vor-
bilder zurückgehen mag; was uns etwa ein vereinzelter techni-
scher Ausdruck oder ein hingeworfenes Wort verrät, setzt
uns beständig dem Mißverständnis aus, weil uns die An-
schauung mangelt. Man kann daher nur in unbestimmten
Linien ein Bild des alten Buchwesens bis zum Ende des
4. Jahrhunderts v. Chr. zu zeichnen versuchen.
I. Das 5. und 4. Jahrhundert v. Chr. Im vorigen
Kapitel haben wir die Schriftträger ihrer Beschaffenheit
nach kennen gelernr und zu ermitteln versucht, wann sie
bei Griechen und Römern in Gebrauch gekommen, wie weit
sie gleichzeitig neben einander hergegangen sind oder sich
abgelöst haben. Jetzt aber stehen wir vor der Frage, welche
Form das Buch der Griechen in seinen Anfängen gehabt habe.
Die beiden Stoffe, die wir bei den Griechen voraussetzen
dürfen, das Leder und der Papyrus, lassen die Form der Rolle
nicht nur zu, sondern sind von alters her mit ihr verknüpft.
Daran kann angesichts der altägyptischen Schriftstücke kein
Zweifel bestehen; daß auch das Lederbuch, wofür Ägypten
nur wenig aussagt, ebenso wie Papyrus als Rolle zu denken
ist, bezeugen die heiligen Rollen der Juden wie der schon
besprochene eigentümliche Sprachgebrauch der lonier, die
das Papyrusbuch diphthera nannten. Papyrus wurde den
Griechen von vorn herein als Rolle zugeführt, und schon
deshalb dürfen, ja müssen wir die Rolle als Gestalt des
griechischen Buches ansehen von der Zeit an, seit der Pa-
pyrus als Schriftträger eindrang, was etwa seit dem Aus-
gange des 7. Jahrhunderts v. Chr. geschehen sein mag.
Einzelne Äußerungen, wenn z. B. Xenophon vom Leser sagt,
er rolle die Bücher auf, treten bestätigend hinzu. Entschei-
dend aber wird das Zeugnis der plastischen und bildhchen
Denkmäler, die für das 5. Jahrhundert v. Chr., die Zeit der
großen Tragiker, Pindars, des Herodotos und des Thuky-
lides, den Gebrauch der Buch rolle sichern. Wir werden
auch nicht irren, wenn wir sie uns als Papyrusrolle vorstellen,
ohne jedoch die Lederrolle auszuschließen. Jene Denkmäler
ler großen und kleinen Kunst können uns darüber natürlich
licht belehren.
Zürn Buche im eigentlichen Sinne gehört die Bestimmung
für die Öffentlichkeit und als ein Mittel zu diesem Zwecke
lie Vervielfältigung. Aus Gründen, die genauer im 4. Kapitel
dargelegt werden sollen, glaube ich annehmen zu dürfen, daß
die Entstehung des Buches bei den Griechen spätestens in
das 6. Jahrhundert v. Chr. zu verlegen ist. Das Aufblühen
der Prosaliteratur muß in dieser Richtung lebhaft fördernd
38 Zweites Kapitel.
gewirkt haben; wir haben daher das Recht, im 5. Jahrhundert
eine wirkHche Buchtechnik vorauszusetzen und die zuvor
gewonnenen Ergebnisse dafür zu verwerten.
Wie aber war das griechische Buch des 5. und 4. Jahr-
hunderts eingerichtet? Für die Beantwortung dieser Frage
stehen uns nur sehr geringe Hilfsmittel zu Gebote, aber seit
kurzem haben wir, wenn auch in bescheidenem Maße und
mit vielen Einschränkungen, die Möglichkeit, uns eine An-
schauung davon zu verschaffen. In den letzten Jahrzehnten sind
aus Ägypten einige Papyrushandschriften zutage getreten,
die an Alter alle früher gefundenen übertreffen und auch bei
vorsichtigster Beurteilung in eine Zeit geVückt werden dürfen,
die der Entstehung der alexandrinischen Bibliothek und der
von ihr ausgehenden Umwandlung des Buchwesens voraus
liegt. Die frühesten unter ihnen gehören noch ins 4. Jahr-
hundert V. Chr., vielleicht nicht einmal an seinen Ausgang,
und führen uns in die Tage des Demosthenes und des Ari-
stoteles hinauf. Wie wichtig sie daher für das griechische
Buch der klassische^i Zeit, vor Alexander, sind, liegt auf der
Hand. Der größte, ergiebigste und älteste Vertreter dieser
Gruppe ist der Timotheospapyrus ; deshalb gehe ich
näher auf sein Aussehen ein. Wer sich genau darüber unter-
richten will, findet eine Beschreibung in der Textausgabe
von Wilamowitz und eine vollständige Abbildung in den
VeröffentHchungen der Deutschen Orientgesellschaft vom
Jahre 190 3.
Auf dem Begräbnisplatze von Abusir in der Nähe von
Kairo ist dieser Papyrus gefunden worden. Er lag zusammen-
gerollt neben einer Mumie, die an den sonstigen Beigaben
als Leiche eines griechischen Mannes kenntlich war. Alles,
was man in der Umgebung aus dem Boden herausgeholt hat,
weist auf das 4. Jahrhundert v. Chr. hin, so daß man ohne
Bedenken auch die Schriftrolle in diese Zeit setzen darf.
Die altertümlichen, steifen Schriftzüge, die hier und in eini-
gen ähnlichen Papyrustexten den Buchstabenformen der
Steininschriften nahe stehen, würden für sich allein ihr Alter
noch nicht verraten; nachdem aber ein glücklicher Fund uns
eine aus dem Jahre 311/0 v. Chr. datierte Urkunde beschert
hat, haben wir ein Mittel zum Vergleichen in der Hand. Und
da der Timotheospapyrus in den Formen der Buchstaben
dieser Urkunde nahe steht, aber selbst ihr gegenüber noch
etwas altertümlich aussieht, so dürfen wir ihn getrost ins
4. Jahrhundert, vielleicht sogar vor seine letzten Jahrzehnte
setzen. Nicht die ganze Rolle lag neben der Mumie, sondern
nur das Ende, aber doch ein so beträchtlicher Teil, daß
man ihn etwa auf die Hälfte des vollständigen Buches
schätzen kann. Als ein Verwandter oder Freund dem Toten
«
Die Buchrolle.
39
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dies Buch ins Grab legte, war es jedenfalls schon verstümmelt;
vielleicht hatte er kein besseres Exemplar zur Hand, oder
der Lebende glaubte dem Toten auch mit einem schadhaften
Genüge zu tun. Der Papyrus selbst ist gut gearbeitet; die
einzelnen Blätter, aus denen die Rolle zusammengeklebt ist,
haben eine Breite von 22 cm und eine Höhe von 19 cm. Die
Klebungen sind sorgfältig ausgeführt, so daß die Schrift ohne
Anstoß darüber hinweg gehen kann. Der Text steht in fünf
recht gut erhaltenen Schriftreihen oder Kolumnen vor uns;
jede dieser Kolumnen hat ungefähr 27 Zeilen, deren oberste
Ao Zweites Kapitel.
und unterste den Rändern sehr nahe kommen. Die Länge
der Zeilen ist bei ihm wie bei einigen andern Papyrustexten,
die nicht viel jünger sind, so ungleich, wie es später kaum
einmal in literarischen Handschriften vorkommt, und da sie
mitunter sich bis zu 23 cm ausdehnt, so macht die Kolumne
im Verhältnis zur Höhe des Papyrus einen außerordentlich
breiten Eindruck. Auf der letzten Kolumne stehen nur noch
vier Zeilen; der Schluß des Textes ist erreicht, und der Rest
wird leer gelassen; vom Titel findet sich keine Spur. Bei
größeren Sinnabschnitten wird die begonnene Zeile nicht
ausgefüllt; unter ihrem Anfange steht ein wagerechter Strich,
und der neue Gedanke setzt mit der nächsten Zeile ein.
Wo der eigentliche Inhalt beendet ist und eine persönliche
Bemerkung des Verfassers folgt, steht am Rande noch ein
seltsames vogelgestaltiges Zeichen, das ich an anderer Stelle
näher besprechen werde.
Diese merkwürdige Rolle enthält den Schluß eines
dithyrambischen Gedichtes, als dessen Verfasser sich auf
der vorletzten Kolumne Timotheos von Milet bekennt. Die
Schilderung einer Seeschlacht, die wir hier lesen, macht es
unzweifelhaft, daß von dem Siege bei Salamis die Rede ist,
obwohl kein Name genannt wird. Wir kennen auch aus Zi-
taten den Titel des ganzen Gedichts und wissen, daß »die
Perser« das berühmteste Werk des Timotheos waren. Für
eine Festaufführung in Milet ist es um 400 v. Chr. gedichtet
worden; die Papyrusrolle ist demnach von der Zeit des Dich-
ters nur um Jahrzehnte entfernt.
Dürfen wir uns nun das griechische Buch des 4. Jahr-
hunderts nach diesem Exemplare vorstellen? Zunächst
könnte man einwerfen, der Papyrus stamme aus Ägypten
und zeige daher wohl die Schreibweise der dort wohnen-
den Griechen, aber nicht die ihrer Heimat, nicht das
Buch Athens. Das hat indessen, glaube ich, nicht viel
Gewicht. Denn die Griechen, die schon vor dem starken
Zustrom in den Tagen des großen Alexander sich dort
ansiedelten, werden ebenso wie die, welche mit der make-
donischen Eroberung eindrangen, ihre Gewohnheiten aus
der Heimat mitgebracht haben. Wollten sie eine Buchrolle
schreiben, so mußten sie dem folgen, was sie von Hause aus
gewohnt waren, weil es gar kein anderes Vorbild gab, denn
die ihnen unverständlichen, höchstens nach dem Aussehen
bekannten ägyptischen Papyrusrollen konnten ihnen kein
Muster sein. Nehmen wir an, daß die Papyrusrolle im 5. und
4. Jahrhundert in Griechenland üblich war, so bildete ihre
Form auch für die in Ägypten ansässigen Griechen ohne
weiteres den Maßstab. Man hat im Hinblick auf ortho-
graphische Eigenheiten des Textes und auf die Form der
Die Buchrolle. ^i
Buchstaben geglaubt, der Timotheospapyrus sei in Klein-
asien, etwa in Milet, der Vaterstadt des Dichters, geschrie-
ben worden. Diese Annahme ist aber überflüssig; denn
gerade von der kleinasiatischen Küste wie von den Inseln des
ägäischen Meeres sind so viele Griechen als Söldner oder
Kaufleute in das Niltal gekommen, daß es gar kein Wunder
ist, wenn wir dort ihre Besonderheiten wiederfinden. Die
Timotheosrolle darf also ruhig als ein Vertreter griechischer
Schreibweise gelten; wenn ein Unterschied zwischen, dem
athenischen und dem milesischen Buche bestand, was wir
nicht wissen, so käme sie allerdings vornehmlich für dieses
in Betracht.
Sehen wir nun aber diese 5 Kolumnen genauer an, so
regt sich doch ein Bedenken, ob wir es hier wirklich mit einem
mustergültigen Exemplare zu tun haben. Die meisten Buch-
handschriften und darunter solche von hohem Alter zeigen
eine viel größere Regelmäßigkeit und Sorgfalt der Schrift,
ein deutliches Bestreben, den Zeilen der Kolumne nach Mög-
lichkeit gleiche Länge zu geben, bestimmte und nicht zu
kleine Abstände zwischen den Kolumnen einzuhalten und
oben wie unten einen erheblichen freien Raum übrig zu lassen.
Sie sollen augenscheinlich nicht nur bequem lesbar sein,
sondern auch gut aussehen. Die Hand, die den Timotheostext
schrieb, entspricht keiner dieser Anforderungen. Sie ist
zwar des Schreibens gewohnt und bildet die Buchstaben im
ganzen gleichmäßig, aber ohne das Bemühen, schön zu
schreiben; sie ist deutlich, aber nichts weniger als elegant.
Wie ungleich die Länge der Zeilen ist, habe ich schon erwähnt;
da aber der Schreiber hierin nicht dem Versmaße folgt, hätte
er sehr wohl eine gleichmäßig aussehende Kolumne herstellen
können, wenn es ihm darauf angekommen wäre. Die Ko-
lumnen sind, wie sich aus der Ungleichheit der Zeilen ergibt,
nicht durch bestimmte Zwischenräume von einander getrennt,
ja besonders lange Zeilen reichen manchmal bis dicht an die
nächste Kolumne heran. Kurz, das ganze Buch ist nichts
weniger als schön. Wären die Griechen in der Herstellung
der für den Verkauf geschriebenen Exemplare über die Güte
derTimotheoshandschrift nicht hinaus gekommen, so könnte
man nicht gerade eine hohe Meinung von dem griechischen
Buchgewerbe gewinnen und müßte den Aufschwung, der von
Alexandreia im 3. Jahrhundert v. Chr. ausgegangen ist, als
eine vollständige Umwälzung ansehen. Es ist zudem der Be-
achtung wert, daß gerade die der Schrift nach dem Timo-
theospapyrus verwandten Handschriften einige seiner wesent-
lichen Merkmale, die Ungleichheit der Zeilen, den völligen
Mangel metrischer Gliederung und das niedrige Format, mit
ihm gemein haben. Deshalb darf man den Schluß, dies seien
^2 Zweites Kapitel.
Kennzeichen der voralexandrinischen Buchtechnik, nicht
völhg von der Hand weisen. Außerdem scheint die Schrift
dieser ältesten Papyri, der Buchtexte wie der Urkunden,
der schönen und gewandten Buchschrift und Geschäfts-
schrift des 3. Jahrhunderts v. Chr. recht fern zu stehen;
sie sieht wie unbeholfene Anfängerarbeit aus. Und doch
ist es undenkbar, daß Griechenlands Kultur noch keine
geläufigere Schrift erzeugt haben sollte. Wir stehen hier vor
einer noch ungelösten Frage. Auf der andern Seite wissen
wir nicht genug über den Einfluß Alexandreias, um die Regel-
mäßigkeit und Schönheit mancher Beispiele aus der ersten
Hälfte des 3. Jahrhunderts ohne weiteres auf seine Rechnung
setzen zu dürfen.
Aber auch Erwägungen anderer Art kommen für die
Timotheosrolle in Betracht. Sie ist geschrieben von
einem leidlich gebildeten Griechen, aber schwerhch von
einem gewerbsmäßigen Buchschreiber. Vielleicht war der
Tote, bei dem man sie fand, ein wandernder Sänger, der die
berühmte patriotische Dichtung und Komposition seinen
Landsleuten im fremden Lande vorzutragen pflegte; viel-
leicht hatte er selbst den Text aufgeschrieben oder sich auf-
schreiben lassen; das ändert nichts an der Sache. Daß die
Noten fehlen, scheint mir unwesentlich; wer solch ein Lied
berufsmäßig sang, wußte die Melodie auswendig ebenso wie
den Text. Ihm seine Glanznummer ins Grab zu legen, paßt
durchaus zu antiken Gewohnheiten. Privatabschriften hat
es sicher vorher und nachher in großer Menge gegeben, und
es liegt kaum ein Grund vor, diese Rolle, die man vielleicht
dazu rechnen würde, wäre sie um hundert Jahre jünger,
wegen ihres hohen Alters anders zu beurteilen. Ob ein Ange-
höriger oder Freund ein schönes Buchhändlerexemplar, das
doch Geld kostete, dem Toten abgetreten hätte, ist schließlich
auch noch fragHch. Gleichgültig bleibt es, ob wir die Rolle
als Privatabschrift oder als Beispiel einer billigen Ausgabe
ansehen, deren viele wir später kennen lernen werden. Mit
solcher Deutung der eigentümlichen Züge umgehen wir frei-
lich die zuvor betonten Schwierigkeiten, ohne ihrer Lösung
recht sicher zu werden. Wir können daher dieser ältesten
Handschrift und der wenigen andern, die ihr ungefähr gleich
stehen, nicht entbehren, wenn wir uns von der Buchrolle des
4. Jahrhunderts ein Bild machen wollen: ob sie aber ein
vollgültiges Beispiel für die Technik Athens und anderer
Mittelpunkte des literarischen und buchhändlerischen Lebens
bieten, ob wir uns nach ihrem Muster die Ausgaben des
Piaton oder des Isokrates vorstellen dürfen, muß bis auf
weiteres dahingestellt bleiben.
Nur wenig läßt sich für das griechische Buch des 5. und
I
Die Buchrolle. 43
4. Jahrhunderts aus andern Quellen gewinnen. Daß z. B.
die Buchrolle auch damals einen Titel irgend welcher Form
besaß, ist selbstverständlich, und man braucht nicht erst in
einem Bruchstücke aus einem Lustspiele des Alexis zu sehen,
wie der Schüler Herakles an der Aufschrift den Inhalt der
Bücher erkennt. Zu den unsicheren Vermutungen aber gehört
es, wenn man gemeint hat, in jener Zeit habe es Rollen von
ganz gewaltigem Umfange gegeben, Rollen, die z. B. das ge-
samte Geschichtswerk des Thukydides enthielten. Es ist
allerdings richtig, daß die Einteilung in Bücher, die wir jetzt
in den Ausgaben des Thukydides und aller andern finden,
von den Verfassern nicht herrührt. Sie haben ihre Werke
als ein Ganzes geschrieben; erst später hat man das Bedürfnis
gehabt, den großen Stoff auch äußerlich zu gliedern. Rechnet
man aber den ganzen Thukydides als eine Buchrolle, so ergibt
sich ein Riesenexemplar von etwa 80 m Länge, weit mehr,
als selbst die größten uns erhaltenen griechischen Rollen
zeigen. An sich war es gewiß möglich, solche Rollen herzu-
. stellen und zu beschreiben; wer aber eine Vorstellung davon
hat, wie solch ein Ungeheuer aussehen müßte, wird doch
Bedenken tragen, daran zu glauben. Zum mindesten wäre
diese Rolle eine Last für den Leser, der sie kaum handhaben
könnte; sie wäre außerdem schon beim Beschreiben eine
wahre Qual für den Schreiber und fortwährend in Gefahr,
zu zerreißen oder sonst beschädigt zu werden. Ich sehe nicht
ein, weshalb wir den Alten etwas -so Unpraktisches zutrauen
sollen. Es lag doch viel näher, den Text auf Rollen von
mäßigem Umfange zu verteilen und sie mit Nummern zu
bezeichnen. Daß jede Rolle auch inhaltlich ein Ganzes sein
müsse, ist ein Gedanke, der in späterer Zeit allerdings be-
tont, aber auch da nicht streng durchgeführt worden ist. Ihn
für das 5. Jahrhundert vorauszusetzen, haben wir gar keinen
Anlaß. Die manchmal sehr großen Rollen ägyptischer Texte
sind nicht maßgebend, denn es handelt sich um Prunkrollen,
wie den berühmten Papyrus Ebers, die gewiß nicht in jeder-
manns Hand kamen und keineswegs zu täglichem Gebrauche
dienten. Die gewöhnlichen ägyptischen Buchtexte scheinen
nicht übermäßig lang gewesen zu sein. Überdies unterschied
sich griechische Schreibweise von ägyptischer so stark, daß
ägyptische Buchrollen kaum Vorbild werden konnten, selbst
wenn man in Athen mehr von ihnen wußte, als mir glaub-
lich ist.
Schließlich gibt nicht irgend ein Grundsatz, sondern
die Praxis in solchen Dingen den Ausschlag; wo man
nicht klare Beweise hat, ist das Handliche und Brauch-
bare immer wahrscheinlicher als das Unpraktische, mag
es noch so sehr durch gelehrte Gesichtspunkte empfohlen
^4 Zweites Kapitel.
werden. Damit will ich nicht ausschließen, daß gelegent-
lich einmal eine ungewöhnlich große Rolle beschrieben
worden sei, um einen ganzen Schriftsteller aufzunehmen;
solche Schaustücke stehen außerhalb der Regel. So scheint
z. B. der Jurist Ulpian eine den ganzen Homer begreifende
Rolle für möghch zu halten: »Wenn jemand«, sagt er,
»den ganzen Homer in einer Rolle besäße, so rechnen wir
nicht 48 (einzelne) Bücher, sondern die" eine Homerrolle
hat als (ein) Buch zu gelten«. Jedoch ist das im Grunde ein
schwacher Beweis, denn es kommt dem Juristen nur darauf
an auszudrücken, daß im juristischen Sinne Rolle gleich
Buch ist, ohne Rücksicht auf die Länge. Er hat ein Beispiel
gewählt, das ihm als das äußerste erschien; ob er wirklich
solche Rollen kannte, läßt sich aus seinen Worten nicht ent-
nehmen, aber Prachtrollen wie die schon erwähnte Homer-
rolle des Kaisers Konstantin mag er im Sinne haben. Jeden-
falls sagt er nichts über die uns beschäftigende Zeit und
nichts über die herrschende Praxis. Ebensowenig ist mit dem
berühmten Ausspruche des alexandrinischen Gelehrten und
Dichters Kallimachos anzufangen, das große Buch sei gleich
dem großen Übel. Man hat gemeint, darin den Leitgedanken
der alexandrinischen Buchreform erblicken zu dürfen: Kalli-
machos habe damit die bisher üblichen Riesenrollen verur-
teilt und ein besser brauchbares Format empfohlen. Aber tun
wir ihm mit dieser Erklärung nicht unrecht, hat er sich
wirklich so viel dabei gedacht.^ Mir kommt es natürlicher
vor, seina Äußerung, deren Zusammenhang wir nicht kennen,
als einen Scherz aufzufassen; er hat wohl nur sagen wollen,
es gebe nichts Schlimmeres als ein umfangreiches Buch, und
in einer Zeit der Vielschreiberei wäre solch ein Urteil durch-
aus verständlich.
So bleibt als sicher für die ältere Periode nur zweierlei be-
stehen: man benutzte außer andern Beschreibstoffen in erster
Reihe für das Buch die Lederrrolle und die Papyrusrolle, die
vermutlich weitaus überwog, und zwar trug das Buch durch-
weg die Gestalt der Rolle; man hatte aber auch im Laufe
einer regen schriftstellerischen Tätigkeit bestimmte äußere
Formen für Einrichtung und Ausstattung des Buches usge-
bildet und hatte einen erheblichen buchhändlerischen Betrieb
entwickelt, wie allein schon aus den sehr hohen Beständen
der alexandrinischen Bibliothek hervorgeht, auf die wir bald
kommen werden. Alles Nähere ist uns unbekannt und wird
es voraussichtlich immer bleiben.
Ehe wir diese Periode verlassen, ehe wir aus dem vor-
geschichtlichen Zeitalter des Buchgewerbes in die geschicht-
liche Zeit hinübertreten, werfen wir noch einen kurzen
Blick auf die Ursprünge des römischen Buchwesens.
Die Buchrolle.
4S
Freilich darf man davon nur mit einer entscheidenden Ein-
schränkung sprechen: die Literatur lateinischer Sprache,
die wir kennen, ist von vorn herein abhängig von griechi-
schen Einflüssen und deshalb auch im Äußerlichen, im
Schriftträger und in der Buchform, unselbständig. Wie die
ältesten einheimischen Aufzeichnungen, denen man kaum den
Charakter von Literaturwerken zusprechen kann, veröffent-
licht worden sind, können wir aus den Bemerkungen späterer
Schriftsteller nicht entnehmen, denn sie gebrauchen dafür
die ihnen geläufigen Ausdrücke und hätten schwerlich sagen
können, ob diese Wörter den ursprünglichen Formen ange-
messen waren. Man darf wohl im allgemeinen dasselbe voraus-
setzen, was für die älteste Periode des griechischen Schrift-
tums gilt, zumal da es auch in jenen Tagen, vor dem 3. Jahr-
hundert V. Chr., keineswegs an Berührungen mit griechischem
Wesen gefehlt hat. Aber der Beginn einer wirklichen römi-
schen Literatur fällt in eine Zeit, die schon dem alexandrini-
schen Einflüsse offen stand; die Papyrusrolle wird damals, im
3. Jahrhundert, auch in Italien und in Rom geherrscht haben..
Und als im Jahre 181 v. Chr. der Versuch gemacht wurde,
Schriften juristischen und philosophischen Inhalts als uralte
Weisheit unterzuschieben, war der Betrüger nicht in der Lage
oder nicht schlau genug, auch altes Material dafür zu nehmen;
so wie Livius und Plinius, der sich auf Cassius Hemina beruft,
diese Bücher beschreiben, scheinen sie Papyrusrollen gewesen
zu sein. Sie sahen ganz neu aus, sagt Livius, und das gilt
wohl nicht allein von der Schrift und ihrer guten Erhaltung,
-ondern auch von ihrem Stoffe. Die Römer ließen sich denn
auch nicht täuschen; nach manchem Hin und Her brachten
die Behörden sie in ihre Hand und ließen sie als religions-
feindlich verbrennen.
2. Der Einfluß Alexandreias. Mit dem Beginne
des 3. Jahrhunderts v. Chr. gewinnen wir zum ersten Male
einen sicheren Boden, denn von hier an besitzen wir Reste
griechischer Bücher, die uns das Buchwesen der Alten in
greifbare Nähe rücken. Unter diesem Gesichtspunkte bildet
die Periode, die durch erhaltene Papyrushandschriften ver-
treten wird, für uns ein Ganzes gegenüber der Vorzeit, wenn
wir auch ve sucht haben, aus den ältesten dieser Zeugen dies
ind j nes für das 5. und 4. Jahrhundert abzuleiten, und c.ie
-päteren Wandlungen keineswegs geling achten; erst mit
lieser Periode tritt an die Stelle der Vermutungen trotz allen
.schranken des Wissens eine wirkliche Kenntnis. Äußerlich
l)etrachtet hängt das Recht, die neue Zeit als die geschicht-
hrh klare von der voran gehenden zu sondern, an einem
Zufall, den Papyrusfunden der letzten Jahrzehnte; allein
'\vr Zufall fällt mit einer wirklichen Um\<^andlung des Buch-
Aß Zweites Kapitel.
Wesens zusammen. Erst durch die Eroberung Ägyptens und
seine Eingliederung in das Reich Alexander, wird as Pa-
pyrusland den Griechen völlig erschlossen; denn so rege
auch seit Jahrhunderten die Beziehungen zwischen Griechen-
land und Ägypten waren^ sie sind nicht zu vergleichen mit
dem Verkehr, der sich nun in das Niltal lenkte. In Ägypten
aber faßt das starke Königtum Ptolemaios I., der aus dem zer-
fallenden Weltreiche Alexanders diese Provinz gewann und
seinen Nachfolgern sicherte, alle Kräfte der einströmenden
Griechen in einer Weise zusammen, die bis dahin unmöglich
gewesen war. Und in derselben Zeit tut der griechische
Geist den Schritt von der lebendigen Literatur und Wissen-
schaft zur kritischen und zur geschichtlich betrachtenden
Gelehrsamkeit. Diese drei Vorgänge, die unter einander teils
offen, teils mehr verborgen in Verbindung stehen, haben auch
für das Buchwesen eine außerordentliche Bedeutung erlangt.
War auch schon vor den Tagen Alexanders des Großen
die Papyrusrolle in Griechenland wohl bekannt und ver-
breitet, so ist es nicht zweifelhaft, daß sie von mm an
bei den einwandernden Griechen wie in Griechenland elbst
das Schrift- und Buchwesen völlig beherrscht. Die Aus-
nahmen, vornehmlich die Pergamentrollen, die von Pergamon
ausgehen, ändern nichts daran. Zahllose persönliche Ver-
bindungen schlagen eine Brücke von Ägypten hinüber zu
allem, was griechisch redet und griechisch gebildet ist, und
der Handel gewinnt freien Spielraum für die Vermittlung des
ägyptischen Schreibmaterials an die ganze griechische Welt.
Diese Beziehungen werden absichtlich gefördert von den
neuen griechischen Herrschern Ägyptens, deren Stütze nie-
mand anders als das griechische Element ihres Gebietes sein
konnte. Wenn bei dem ersten der Ptolemäer auch die äußere
Politik und die militärische Sicherung des neuen Besitzes im
Vordergrunde standen, so legte er doch schon den Grund zu
der literarischen und wissenschaftHchen Führerstellung der
neuen Hauptstadt Alexandreia; ihm verdankten die Bibho-
thek und das Museion ihren Ursprung. Gestützt auf die
gefestigte Macht des Reiches konnte sein Sohn, der zweite
Ptolemaios, sich mit allen Kräften den Aufgaben der Kultur
zuwenden, denen er innerlich näher stand als sein Vater.
Er war es, der nicht nur griechische Soldaten mit Landbesitz
ausstattete und in Ägypten dauernd ansiedelte, sondern auch
•die Vertreter griechischer Wissenschaft und Literatur in die
Hauptstadt Alexandreia zu ziehen suchte. Das tat er vor
allem, indem er ihnen in Alexandreia eine Stätte der Wirk-
samkeit bereitete, wie sie damals sonst nirgends zu finden
war. Die großen Mittel des Königs boten hier der geistigen
Arbeit ganz andere Unterstützung, als sie im griechischen
Die Buchrolle. 47
Mutterlande gewährt werden konnte. Allerdings nicht auf
jedem Gebiete; was des Widerhalls in einem freien und ge-
bildeten Volke bedurfte, konnte schwerlich den Boden
Athens verlassen. Das Lustspiel bHeb dort heimisch und
gedieh in den Werken eines Menander zu neuer Blüte;
die Philosophie ließ sich ebensowenig verpflanzen, und die
Schüler des Piaton wie die des Aristoteles sahen in Athen
auch weiterhin ihren Mittelpunkt. Wo es aber auf große
wissenschaftliche Unternehmungen ankam, konnte Alexan-
dreia leicht den Vorrang gewinnen. So wandten sich denn
im Anfang des 3. Jahrhunderts viele griechische Gelehrte der
neuen Stadt und der königlichen Gunst ihres Beherrschers zu.
Hier fanden sie Einrichtungen, die ihnen ein sorgenfreies
I^ben im Dienste der Wissenschaft ermöglichten und ein
weites Feld der Tätigkeit eröffneten. Der neue Tempel der
Musen, das Museion, wurde ihr Mittelpunkt. Als Diener und
Priester der Musen in der Art eines religiösen Vereins ver-
bunden, genossen sie hier der bedeutendsten Vorteile. Sie
bekamen ihren Unterhalt, indem sie in Nachahmung griechi-
scher Vorbilder gemeinsam die Mahlzeiten auf Kosten des
Königs einnahmen; sie waren von Steuern befreit und er-
hielten, wenn nicht alle, so doch zum großen Teile recht an-
sehnliche Gehälter. Daß man auch freie Wohnung gewährte,
jedenfalls in Gebäuden, die dem Museion angeschlossen waren,
ist sehr wahrscheinlich:
Mag nun auch jeder aus diesem Kreise, den man in
vielem unseren wissenschaftlichen Akademien vergleichen
kann, die Freiheit gehabt haben, seinen Studien nach eigener
Wahl zu leben, so ergab es sich doch von selbst, daß
gerade die hervorragendsten unter ihnen ihre Arbeit der
zweiten wissenschaftlichen Gründung des Königs, der großen
Bibliothek, zuwandten. Es waren eigentlich zwei Biblio-
theken; die eine, welche man die innere nannte, lag bei dem
königlichen Palaste und stand in Verbindung mit dem Mu-
seion, die andere befand sich in dem Ägypterviertel Rakote
bei dem Sarapistempel und hieß deshalb die äußere. Später
wollte Caesar sie nach Rom bringen. Der viel beredete
Brand bei seinem Kampfe am Alexandreia hat der Biblio-
thek wenig geschadet, und Antonius schuf reichen Ersatz,
als er der Kleopatra 200 000 Rollen aus Pergamon
schenkte^ Völlig untergegangen ist sie erst 391 n. Chr.,
als die Christen das Sarapisheiligtum zerstörten. Die
größten Gelehrten des 3. und des 2. Jahrhunderts betrachte-
ten es als höchste Auszeichnung, mit dem Amte des Biblio-
theksvorstehers betraut zu werden. Ihre Tätigkeit erstreckte
sich zuerst auf die Sammlung wirklich guter Texte, da nur
-'11/u viele »wilde« Ausgaben der griechischen Schriftsteller,
48 Zweites Kapitel.
von Homer an bis auf jene Zeit selbst, umliefen, sodann auf
die Ordnung der angesammelten Bücherbestände und endlich
auf kritische Untersuchungen über einzelne Schriftsteller. Aus
der Reihe berühmter Namen dieses Kreises ragt als Dichterund
Gelehrter Kallimachos hervor. Er widmete sich vor allem
den Bücherkatalogen und stellte umfangrviiche Verzeichnisse
der Schriftsteller mit ihren Werken nach sachlichen Gesichts-
punkten auf. Seine Werke, die er »Tafeln« (Pinakes) nannte,
sind uns zwar nicht erhalten, aber wir haben noch eine Reihe
von Notizen daraus, die uns lehren, wie er die Sache anfaßte.
Auf die Angabe der Literaturgattung folgte der Name des
Abb. 13. Papyrusrollen.
Schriftstellers, sodann die Anfangsworte des Buches, die viel-
fach als Titel dienten, endlich die Zahl der Zeilen. Später hat
rnan seine Verzeichnisse oft so verstanden, als böten sie eine
Auswahl der Klassiker, deren Lektüre besonders empfohlen
werden sollte. Allein der Begriff einer klassischen Literatur
war für Kallimachos und seine Nachfolger noch im Werden,
während es auf der andern Seite wohl begreiflich ist, daß der
Nachwelt die von ihm verzeichneten Schriftsteller als klassisch
galten. Die alexandrinischen Bibliothekare haben sich jeden-
falls an das gehalten, was sie in der Bibliothek vorfanden,
ohne eine Auswahl zu treffen. Deutlich ist dies z. B. bei den
alten griechischen Lyrikern. Die spätere Zeit kannte ihrer
neun, aber nicht, weil die Gelehrten Alexandreias diese neun
aus der Menge der übrigen ausgewählt hätten, sondern weil
die Bibliothek eben nur von ihnen vollständige Exemplare
hatte auftreiben können. Andere Gelehrte und Vorsteher
der Bibliothek richteten ihre Aufmerksamkeit vorwiegend
auf die Fragen der Echtheit; denn auch damals wurde viel
gefälscht, und weil die Bibliothek für Werke alter Schrift-
steller hohe Preise bezahlte, versuchte man neue Bücher
Die Buchrolle.
49
unter altberühmten Namen einzuschmuggeln. Vor allem aber
haben diese Männer sich ein bleibendes Verdienst erworben,
indem sie die Werke der großen griechischen Dichter und
Denker kritisch untersuchten, sachlich erläuterten und in
gereinigter Gestalt neu herausgaben. Den Spuren ihrer Arbeit
begegnen wir überall, vor allem in den Homerischen Gedich-
ten, denen sie eine besondere Aufmerksamkeit zuwandten.
Hand in Hand mit der großen Bedeutung der alexan-
drinischen Bibliothek für die Überlieferung der Literatur
geht nun ihr Einfluß auf das Buchwesen, auf die Herstellung
und Ausgestaltung der Bücher. Man hat allgemein diesen
Einfluß sehr hoch eingeschätzt; man hat geglaubt, erst durch
sie sei die Papyrusrolle in der griechischen Literatur wirklich
eingebürgert, durch sie seien aber auch neue Grundsätze in
der schriftstellerischen Tätigkeit eingeführt worden. Dem
gegenüber bedenke man, daß die große Fülle literarischer
Werke in den vorausliegenden Jahrhunderten notwendig auch
eine Buchtechnik erzeugt haben muß. Aber wie wir sahen,
ist uns gar zu wenig davon bekannt, und die ältesten Papyri
verwickeln die Frage nur noch mehr. Daß Alexandreia viel
Neues geschaffen hat, lehrt uns der Augenschein.
Versuchen wir uns zunächst einmal klar zu machen, wie
denn überhaupt die Bibliothek ihre sehr hohen Bestände — in
der äußeren sollen 42800, in der inneren sogar 490000 Rollen
gewesen sein — zusammengebracht haben kann. Offenbar
war man darauf angewiesen, im ganzen Umkreise des griechi-
schen Kulturgebietes Handschriften zu sammeln, im eigent-
Hchen Griechenland, in Kleinasien, in Sizilien usw. Überall
wird die Bibliothek ihre Vertreter gehabt haben, die mit Geld
hinreichend versehen sein mußten. Daß diese Tätigkeit zwar
nicht ohne bestimmte Gesichtspunkte, aber mit weitester
Freiheit geschah, versteht sich eigentlich von selbst; war doch
dieses Unternehmen in solchem Umfange das erste seiner
Art; leitende Ziele oder Begriffe, wie etwa den einer klassi-
schen Literatur, gab es damals kaum. Man hat also gekauft,
was irgend zu haben war, bedeutende und unbedeutende
Werke, gute und schlechte Exemplare, und hat weder ver-
meiden können noch wollen, daß ein und dasselbe Werk
gelegentlich in vielen Abschriften erworben wurde. Denn
eine Übersicht wurde erst mögHch, nachdem das Material in
der Bibliothek angelangt war. So erklären sich die großen
Zahlen, die uns für die Bestände der Bibliothek überliefert
werden. Nimmt man auch an, daß die erworbenen Werke im
Durchschnitt mehrere Rollen ausgefüllt haben mögen, teilt
man auch jene Zahlen etwa durch zehn, so ergibt sich doch
immer noch eine Summe, die über die wirkliche Schrift-
stcllerei der vorausliegenden Jahrhunderte hinauszugehen
Sch uba rt , Das Buch, 2. Auf]. 4
CO Zweites Kapitel.
scheint, wenn man nicht voraussetzt, daß vieles in einer
Menge von Exemplaren einlief. Auf der andern Seite konnte
man wahrscheinlich so manches Werk trotz allen Bemühun-
gen nicht mehr auftreiben, so daß selbst die alexandrinische
Bibliothek sich nicht rühmen durfte, die gesamte griechische
Literatur zu besitzen. Diese Sammelarbeit, die natürlich
gleich anfangs Jahrzehnte beanspruchte und dann dauernd
fortlief, forderte ohne Zweifel eine zweite Tätigkeit, die sie
ergänzen mußte. Erlangte man nur schlechte Abschriften,
die äußerlich beschädigt oder schlecht geschrieben waren, so
lag es nahe, möglichst bald ein neues, wirklich brauchbares
Exemplar herzustellen; überdies aber führte die kritische
Arbeit der Gelehrten an entstellten Texten zu neuen Aus-
gaben. Selbst bei den berühmtesten Werken der griechischen
Literatur hielt es schwer, in den Besitz zuverlässiger Hand-
schriften zu kommen, und der verworrene Zustand der Homeri-
schen Dichtung tritt in den Papyri jener Zeit anschaulich
zutage. Auch von den Dramen der drei großen Tragiker
Aischylos, Sophokles und Euripides gab es in der alexan-
drinischen Bibliothek anfänglich nur Exemplare zweifel-
haften Wertes. Deshalb entlieh der dritte Ptolemaios gegen
ein Pfand von 15 Talenten (gegen 70 000 Mark) das Normal-
exemplar, das die Stadt Athen aufbewahrte; man wollte
danach eine maßgebende Ausgabe für die Bibliothek her-
stellen. Freilich war die Absicht des Königs nicht ehrlich;
denn die Vorliebe für alte, wertvolle Bücher bestimmte ihn
oder die damaligen Bibliothekare, das Pfand verfallen zu
lassen und das athenische Original zu behalten. Die Athener
wurden mit einer in Alexandreia gefertigten Abschrift ab-
gespeist und konnten die Rückgabe ihres Eigentums trotz
allen Anstrengungen nicht erreichen, Stand es nun so
bei den Tragikern, so wird es mit einem großen Teile
der älteren Literatur ähnlich ausgesehen haben, vor allem
bei berühmten Werken, die weit verbreitet, oft abge-
schrieben und dadurch der Entstellung besonders ausge-
setzt waren. Wir dürfen uns, ohne in grundlose Ver-
mutungen zu geraten, vorstellen, daß die Bibliothek eine
erhebliche Anzahl von Abschreibern beschäftigt, dadurch
zugleich das Buchgewerbe befördert und die Ausbildung der
Schreiber wie die Einrichtung der Buchrolle beeinflußt hat.
Je mehr die Vorräte sich anhäuften, je mehr Abschriften
verlangt wurden, um so mehr mußte sich in der Herstellung
der Rolle und in der Schreibarbeit eine feste Regel ausbilden,
deren Grundlage die beständig wachsende Übersicht über
das literarische Material ergab. Ebendahin wirkte gewiß
nicht an letzter Stelle die Rücksicht auf Ordnung und Hand-
lichkeit der Bücher, denn bei einer so gewaltigen Masse konnte
Die Buchrolle. 51
man ohne eine gewisse Gleichmäßigkeit im Äußeren nicht
auskommen.
3. Formate der Buchrollen. So führte denn
von selbst die Praxis zu dem Bestreben, zunächst bei der
Länge der Rollen die Willkür etwas zu beschränken.
Wie wir gesehen haben, lieferten die Papyrusfabriken Ballen,
aus denen man die Rollen schnitt. An sich konnte man daher
Rollen beliebiger Länge haben, wenn nötig auch an die ge-
schnittene Rolle Blätter ankleben, soviel man wollte; daß
man dabei auch in früheren Zeiten die Handlichkeit nicht
ganz vergessen haben kann, ist schon berührt worden. Jetzt
wird man aber, um ein bereits besprochenes Beispiel heran-
zuziehen, es als unbequem empfunden haben, wenn das Ge-
schichtswerk des Thukydides auf mehrere Rollen willkürlich
und vermutlich in verschiedenen Exemplaren verschieden
verteilt vorlag. Der Gedanke, das Ganze in Abschnitte zu
gliedern, die inhaltlich etwas Selbständiges darstellen konnten
und zugleich im Umfange nicht allzusehr von einander ab-
wichen, lag deshalb nahe. Daraus ergab sich, wenn auch
nicht gleich im Anfange, so doch jedenfalls unter dem Einflüsse
der Bibliothek, die der alten Zeit fremde Gliederung großer
Werke in Bücher mäßigen Umfanges, wie sie uns später in
den Handschriften begegnet. Gerade hier sehen wir aber
auch, daß man nicht etwa mechanisch geteilt und eine einzige
Rollengröße zum Maßstab genommea hat, denn die Bücher
des Herodot, des Thukydides usw. sind einander an Umfang
keineswegs gleich. Man suchte vielmehr auszugleichen, soweit
es der Inhalt zuließ. Schwankungen konnten nicht aus-
bleiben; eine Einteilung, die dem einen gut schien, mag
einem andern mißfallen haben; aber der Gedanke, auf Gleich-
mäßigkeit der Rollengröße und damit des Buchumfangs hin-
zuarbeiten, konnte damals aus der Praxis der Bibliothek er-
wachsen. Die Annahme, daß erst im Laufe der Schreibarbeit
die Rolle durch Ankleben zur gewünschten Länge ausgedehnt
worden sei, widerspricht den erhaltenen Originalen, denn an
ihnen sieht man ohne weiteres, daß die Klebungen von sehr
geübten Arbeitern in der Fabrik hergestellt sind, werden sie
doch meistens nur dem erfahrenen Auge sichtbar. Die Schrift
geht ohne Anstoß darüber hinweg. Auch für die Höhe der
Blätter und damit der Rolle bestand kein zwingendes Gesetz;
aber die Papyrusfunde zeigen uns deutlich, daß es gewisse
Größen gab, die man bevorzugte. Wie weit sich dies an den
auf uns gekommenen Rollen und Bruchstücken bestätigt,
werde ich weiter unten ausführen. War ein Werk zu klein,
um auch das bescheidenste Format zu füllen, so fügte man
ein anderes hinzu; das sehen wir an mehreren erhaltenen
Stücken noch mit Augen, und was uns von der alexandrini-
52 Zweites Kapitel.
sehen Bibliothek berichtet wird, beweist, daß schon sie so ver-
fuhr. In ihren Bücherbeständen unterschied man nämhch »ein-
fache« und »gemischte« Rollen; nach Birts einleuchtendem
Gedanken sind die letzteren nichts weiter als Mischrollen,
die mehrere kleine Werke enthielten. Daß man hierbei nach
Möglichkeit Zusammengehöriges verband, versteht sich von
selbst, obgleich es nicht immer erreichbar gewesen sein wird.
Sicher aber lernen wir aus dem Vorhandensein der Misch-
rollen, daß es zum mindesten ein kleines Rollenformat gab,
unter dessen Länge man nicht hinabgehen mochte. Die
»einfachen« Rollen sind natürlich solche, die von einem
Schriftsteller oder einem Abschnitte seines Werkes ausgefüllt
wurden.
Wenn nun in dieser Weise der Einfluß der alexandrini-
schen Bibliothek sich geltend machte, wenn man aus prakti-
schen Gründen umfangreiche Werke zu teilen strebte und
in der Rollenlänge auf eine gewisse Regel hinwirkte, so
konnte diese Bewegung sich nicht auf die eigene Tätigkeit
der Bibliothek beschränken. Ein Unternehmen von solcher
Bedeutung nötigte, wenn nicht sofort, so doch mit der Zeit
alle, die mit dem Buchgewerbe in Berührung standen, sich
jenen Grundsätzen anzupassen. Auch die Schriftsteller
konnten auf die Dauer von dem neuen Gedanken nicht un-
berührt bleiben, daß nach Möglichkeit das Buch sich mit der
Rolle zu decken habe, ein inhaltlich geschlossenes Ganzes
also auch äußerlich sich als selbständig, als Rolle darstellen
müsse. Wüßten wir es nicht aus andern Quellen, so müßte
man aus der Sachlage selbst schon diesen Schluß ziehen.
Denn der Gedanke war so einleuchtend, so praktisch, daß der
Schriftsteller nur zu seinem eigenen Besten handelte, wenn
er darauf Rücksicht nahm. Freilich nicht so, als wäre er
nun an bestimmte Rollenformate gebunden gewesen; viel-
mehr blieb ihm hierin große Freiheit. Auch die wissenschaft-
liche und literarische Tätigkeit der Bibliothekare und ihrer
Kreise wird einen Einfluß geübt haben. Denn ihre kritischen
Ausgaben alter Schriftsteller und ihre sonstigen gelehrten wie
poetischen Werke haben gewiß in der äußeren Form die in der
Bibliotheksarbeit gewonnenen Grundsätze befolgt und sind
durch die Bedeutung ihrer Leistungen der gesamten literari-
schen Welt ein Vorbild geworden, ja geblieben, solange über-
haupt die Papyrusrolle für literarische Werke benutzt worden
ist. Die Papyrusfunde selbst geben uns allerdings hierfür so
gut wie gar keine Belege, da keine einzige ganze Buchrolle
auf uns gekommen ist. Wo man jedoch die Länge einer Rolle
ungefähr schätzen kann, findet man ein Maß von 7 — lO Metern
kaum überschritten; eine Rolle mit Piatons Symposion läßt
sich auf ungefähr 71/2 ni, eine andere mit dem Panegyrikos
I
Die Buchrolle.
53
des Isokrates auf dieselbe Länge berechnen; nicht wenige
sind erheblich dahinter zurückgeblieben. Wie H. Ibscher
beobachtet hat, stellt eine ungefähr 6 m lange Papyrusrolle
fest gewickelt einen Zylinder von 5 — 6 cm Dicke dar, den
eine gewöhnliche Hand bequem umschließt. Damit ist in
der Handlichkeit ein Maß gefunden, das man gewiß im allge-
meinen eingehalten hat.
Im übrigen ist unser Material gerade hierfür noch zu
dürftig, um andere Erv\-ägungen und Zeugnisse entbehrlich
zu machen. Da wir trotz allen Abweichungen im einzelnen
Ahb. 14. Zum Lesen geöffnete Holle, 6 m lang.
bei den literarischen Papyrustexten eine feste Praxis in der
Schreibweise und in der gesamten Ausstattung für die vor-
christliche Zeit ebenso wie für die römische finden, dürfen
wir auch in bezug auf die Rollenlänge das, was Schrift-
steller der späteren Jahrhunderte uns gelegentlich verraten,
als den Ausdruck der seit dem 3. Jahrhundert v. Chr.
Ixjgründeten Gewohnheit betrachten. Sie scheint fast wie
ein Programm von dem Historiker Diodor ausgesprochen zu
werden: »In allen Geschichtswerken«, sagt er, »ziemt es den
Schriftstellern, in ihren Büchern die Geschichte von Städten
54 Zweites Kapitel.
oder Königen vollständig von Anfang bis zu Ende zu um-
fassen«, in unserer Redeweise: der Historiker soll jedes Buch
zu einem selbständigen Abschnitt der Geschichte machen.
Darin liegt zugleich der Gedanke, daß ein Inhaltsganzes nicht
aus einem Buche in das andere übergreifen dürfe. Was Diodor
von dem Historiker fordert, gilt natürlich auch für den Philo-
sophen und jede andere literarische Arbeit. So haben denn
die Schriftsteller schon im 4. Jahrhundert v. Chr. auch wirk-
lich darauf gesehen, groß angelegte Werke in einzelne inhalt-
lich geschlossene Bücher zu zerlegen. Daß sie deswegen
nicht genötigt waren, immer den gleichen Umfang einzu-
halten, beobachten wir überall. Bei dem Geschichtschreiber
Polybios z. B. ist die Länge der Bücher recht ungleich; er
hatte also die Freiheit, für seine Bücher Rollen verschiedener
Länge zu wählen, aber das Bestreben, dem Ganzen des
Buches das Ganze der Rolle entsprechen zu lassen, ist vor-
handen. Es ist nur eine natürliche Folge, wenn er und mit
ihm viele andere am Anfange eines neuen Buches den Inhalt
des vorhergehenden kurz zusammenfassen, denn das neue
Buch ist eine neue Rolle. Der Leser wurde dadurch veranlaßt,
seine Lektüre da zu unterbrechen, wo die Darstellung einen
Einschnitt hatte; begann er das nächste Mal mit der nächsten
Rolle, so mußte ihm eine Übersicht über das vorige Buch
willkommen sein.
Natürlich stellte der geltende Grundsatz eine nicht ge-
ringe Anforderung an die Kunst des Schriftstellers. Nicht
allen gelang es, den Stoff so zu ordnen, daß auf eine Rolle
von erträglicher Länge auch wirkHch ein abgerundeter In-
halt kam. Bisweilen mochte auch der Papierhandel, am
ehesten außerhalb Ägyptens und der Großstädte der Mittel-
meerwelt, nicht jedem Ansprüche genügen, so daß die ver-
fügbaren Formate manchmal wirklich die Freiheit des
Verfassers beschränkten, wie es nicht selten in Schlußbe-
merkungen angedeutet wird; es klingt wie eine betrübliche
Klage, wenn wir z. B. bei Orosius lesen: »Mein Stoff ist
freilich so reich, daß er sich nicht in diesem Buche beschließen
läßt. So mag hier die vorliegende Rolle ihr Ende haben,
in den folgenden werde ich fortfahren.« Die Not besonderer
Umstände und oft genug wohl auch das Ungeschick des
Schriftstellers haben solche Bekenntnisse hervorgebracht.
Denn wie sehr der Buchumfang im Grunde vom Inhalte ab-
hing, zeigt uns die Bemerkung des späten Schriftstellers
Isidor, für Gedichte und Briefliteratur sei ein kleineres
Format oder ein kleinerer Umfang üblich als für Geschichts-
werke. Das lag in der Natur der Sache, und es entsprach
nur dem, was die Praxis ergeben hatte, wenn in der Regel
das Poesiebuch in einer kleineren Rolle Platz fand als das
I
I
I
Die Buchrolle.
55
Prosabuch. Ob auch diese Gewohnheit von der Bibliothek
in Alexandreia ausgegangen ist, können wir nicht wissen;
jedenfalls entspricht sie den Grundsätzen, die an sie anzu-
knüpfen scheinen. Von allen Wandlungen der Jahrhunderte
blieb, soweit wir urteilen können, der leitende Gedanke un-
berührt: das Buch soll der Rolle entsprechen, aber für die
Abb. 15. Versiegelte Urkundenrollen.
Länge der Rolle gibt es innerhalb der Grenzen, die das Hand-
liche zieht, kein Gesetz, höchstens eine gewisse Gewohnheit.
Neben der Rolle dient auch das Einzelblatt einem
literarischen Inhalt und seiner Veröffentlichung; kleine Stücke,
z. B. einzelne Gedichte, sind so herausgegeben worden, von
Martial, Ausonius und andern. Die Papyrusfundc bestätigen
es: die sog. Skolien mit Elegie, die etwa um 300 v. Chr. ge-
schrieben worden sind, bilden nicht den Rest einer Buch-
rolle, sondern stehen für sich, ebenso ein Preisgedicht auf
Hermes und einen jungen Gymnasiarchen aus dem 3. Jahr-
cß Zweites Kapitel,
hundert n. Chr. NamentHch hier ist das Einzelblatt mit dem
Einzelgedichte ganz buchmäßig geschrieben und ausge-
stattet. Auch das Preisgedicht auf Johannes, aus dem
6. Jahrhundert n. Chr., hat sein Verfasser, der Dichter von
Aphrodito, auf zwei einzelnen Blättern vereinigt. Und die
Trauerdichtung auf den Tod eines Rhetors aus Berytos, die
im 4, Jahrhundert n. Chr. auf Kodexblätter geschrieben
worden ist, scheint Sonderveröffentlichung in einem dünnen
Hefte zu sein, also ein entsprechendes Beispiel aus dem Zeit-
alter des Kodex. So manches andere Papyrusblatt mag in
diese Reihe gehören, ohne daß man es ihm ansieht.
Die Praxis der alexandrinischen Bibliothek wird ihren
Einfluß auch sonst in der ganzen inneren und äußeren Aus-
stattung des Buches geltend gemacht haben. Waren wir aber
für die Frage nach der Länge der Rollen überwiegend auf ver-
einzelte Bemerkungen alter Schriftsteller und auf allgemeine
Erwägungen angewiesen, so haben wir für alle andern Seiten
des Buchwesens in den erhaltenen griechischen Rollen die
besten Beispiele vor Augen und können deshalb mit größerer
Sicherheit urteilen. Wie weit alles das, was wir beobachten
können, von dem Vorbilde der Alexandriner angeregt ist,
läßt sich nicht entscheiden, ist aber auch verhältnismäßig
gleichgültig, denn jedenfalls gehört es fast sämtlich in die
Zeit, die auf die Ausgestaltung der alexandrinischen Biblio-
thek folgte, und sieht im großen und ganzen einheitlich aus.
Sichtbarer als durch die Längenausdehnung wird das
Format der Buchrolle durch die Höhe der Blätter be-
stimmt, aus denen sie sich zusammensetzt. Daß diese Höhe
gleichmäßig ist, daß also nur Blätter derselben Höhe zu
einer Rolle vereinigt werden, ist selbstverständlich und
bedarf nicht der Bestätigung, die uns alle Bruchstücke lite-
rarischer Handschriften liefern; wechselnde Höhe kommt da-
gegen bei Aktenrollen vor, die man aus fertigen Urkunden
zusammengeklebt hat. Die gleichmäßige Breite dieser Blätter
ist dem gegenüber von geringerer Bedeutung, da Abweichun-
gen nicht in die Augen fallen und auch dem Beschreiben der
Rolle keine Schwierigkeit bieten.
Sehen wir nun in den erhaltenen Stücken auf die
Höhe der Blätter, so beobachten wir sehr verschiedene
Formate. Es gibt Rollen, deren Höhe nahe an 40 cm her-
angeht, und solche, wo die Höhe noch nicht 5 cm er-
reicht, und dazwischen eine große Anzahl verschiedener
Maße. Jedoch werden die vorhandenen Möglichkeiten keines-
wegs in gleicher Menge durch unser Material vertreten.
Die Zahl derjenigen, die 30 cm überschreiten, ist nicht
groß; darunter befinden sich Handschriften, die auch in
allen übrigen Beziehungen vornehm und anspruchsvoll aus-
Die Buchrolle. gy
gestattet sind, aber auch solche von geringerer Güte und
Schönheit. Kleine Unterschiede von i bis 2 cm fallen hierbei
kaum ins Gewicht, da in den meisten Fällen gerade die
Ränder der Papyrusrollen etwas beschädigt sind und alle
diese Maßangaben einen gewissen Spielraum zur Voraus-
setzung haben. Eines der größten Formate vertritt die Rolle
mit der Hypsipyle des Euripides, die reichhch 37 cm hoch ist;
mehrere andere bewegen sich zwischen 31 und 34 cm. Eine
Höhe von 30 cm finden wir z. B. in der stattlichen Hand-
schrift eines Kommentars zu Piatons Theaitetos, von der
eine Probe auf Abb. 16 wiedergegeben ist, ebenso aber in dem
halb kursiv und mit vielen Abkürzungen geschriebenen
Didymospapyrus der Berliner Sammlung. Um ein Bild davon
zu gewinnen, muß man sich klar machen, daß in den heutigen
Büchern eine Blatthöhe von 25 cm schon sehr stattlich aus-
sieht, und daß Blätter von 30 cm Höhe für unsere Begriffe
ein außergewöhnlich großes Format darstellen. Die Höhe
sehr zahlreicher Buchrollen liegt zwischen 30 und 20 cm.
Innerhalb dieser Grenzen kommen so ziemlich alle Maße
vor, ohne daß man Gruppen bilden könnte. Eins sieht
man ohne weiteres: die große Mehrzahl der erhaltenen Rollen-
bruchstücke gehört in die Höhengruppe von 20 bis 30 cm;
diese Formate sind augenscheinlich am gebräuchlichsten
gewesen, und zwar durch das ganze Zeitalter der Papyrus-
rolle hindurch. Auch ein paar der ältesten Bruchstücke
beweisen, daß schon dem Anfang des 3. Jahrhunderts
v. Chr. solche Formate bekannt waren. Die Mehrzahl der
frühesten Texte, wenn man bei einer Gesamtsumme von
höchstens 20 Exemplaren so rechnen darf, bleibt freilich
dahinter zurück und bewegt sich z. T. um ein Maß von 19
bis 20 cm, z. T. um 15 bis 17 cm. Zu der erstgenannten
Klasse gehört auch der Timotheospapyrus mit 19 cm,
der freilich ebenso wie seine Altersgenossen überhaupt eine
besondere Stellung einnimmt. Sehen wir aufs Ganze, so
ist die Zahl der Handschriften, deren Hö'he unter 20 cm
bleibt, etwas geringer als die der darüber hinaus gehenden
Stücke; immerhin aber bilden sie eine deutlich erkennbare
Gruppe. Mit einer gewissen Sicherheit ergibt sich sodann
ein kleines Format von etwa 12 bis 15 cm Höhe, denn ob-
wohl wir noch nicht viel Beispiele besitzen, darunter solche
frühester Zeit, stimmen diese doch so gut zu einander, daß
eine Regel sich nicht verkennen läßt. Der bekannteste Ver-
treter dieser Gruppe ist der Papyrus im Britischen Museum,
der die Mimiamben des Herodas enthält. In der Berliner
Sammlun«^ zeigt eine Anthologie aus dem 2. Jahrhundert
V. Chr., die Lob und Tadel der Frauen in Worten der
Tragiker und Komiker zusammenstellt, ungefähr dasselbe
c8 Zweites Kapitel.
Format. Unter diese Grenze scheint man nicht gern
hinabgegangen zu sein. Die oben erwähnte winzige Rolle,
deren Höhe noch nicht 5 cm beträgt, steht ganz allein, so
weit meine Kenntnis reicht; es ist wohl kein Zufall, daß
dies Taschenformat in kleiner und zierlicher Schrift elegante
Epigramme enthält: solch ein Büchlein konnte die feine
Dame unbemerkt im Bausch des Kleides verschwinden lassen,
wenn sie bei der Lektüre nicht überrascht werden wollte.
Im übrigen bilden die Handschriften, denen für die
Höhe des Formats etwas zu entnehmen ist, nur einen Teil der
erhaltenen Papyrus; die Mehrzahl ist unvollständig und kann
uns keine Fingerzeige geben. Es ist freilich möglich, auch
bei solchen durch Vergleich mit unversehrten Rollenbrüch-
stücken aus der Zeilenlänge, den Zwischenräumen zwischen
den Kolumnen und den etwa sichtbaren Teilen des oberen
oder unteren Randes annähernd das Format zu erraten, aber
diese abgeleitete Erkenntnis muß hier beiseite bleiben, da sie
doch nur aus den oben erörterten Voraussetzungen gewonnen
werden kann.
4. Die Schriftkolumne. Bildet die Höhe der Pa-
pyrusrolle die natürliche Grenze der Schreibfläche, so wird
sie doch nicht völlig von der Schrift eingenommen. Schon
die praktische Rücksicht, den Text vor Beschädigungen zu
behüten, nötigt dazu, oben und unten einen freien Raum zu
lassen. Wenn bei unseren heutigen Büchern der Text auf
die Seite so gesetzt werden muß, daß er beim Beschneiden
der Blätter durch den Buchbinder unverletzt bleibt, so lag
bei der Papyrusrolle die Gefahr in der Brüchigkeit des Ma-
terials, das gerade an den Rändern am leichtesten bestoßen
werden konnte. Allein diese Rücksicht ist für die Alten
ebenso selbstverständlich gewesen wie für uns; nicht sie regelt
die Anordnung der Schrift auf der Schreibfiäche, sondern
das Bestreben, einen gefälligen Eindruck für das Auge hervor-
zurufen. Denn das Aussehen des Buches wird wesentlich
durch die Breite des oberen und des unteren Randes be-
stimmt, durch das Verhältnis der Schriftkolumne zur
Schreibfläche. Wo die Fläche nach Möglichkeit ausge-
nutzt wird, entsteht ebenso wie heute im Buche der Ein-
druck der Enge und der ÄrmHchkeit, während Raumver-
schwendung vornehm und elegant aussieht. Sie darf aber
nicht übertrieben werden, denn wollte man nur einen kleinen
Teil der Schreibfläche ausfüllen, so würde nicht ein wohl-
tuendes, sondern ein lächerliches Bild entstehen.
In den Papyrusrollen beobachten wir zwar große Unter-
schiede, aber doch eine Regel; es sind ziemlich feste Höhen-
verhältnisse, die immer wiederkehren. In vornehm ausge-
statteten Handschriften beträgt die Höhe der Kolumne nicht
. Die Buchrolle. 5^
selten nur zwei Drittel der Gesamthöhe; von diesem gün-
stigsten Verhältnisse geht es abwärts zu drei Vierteln, vier
Fünfteln und fünf Sechsteln der Rollenhöhe. Dies bildet
ungefähr die Grenze dessen, was in einer Buchhandschrift
zulässig erscheint, und bedeutet schon eine sehr starke Aus-
nutzung des Raumes, die von Schönheit des Aussehens weit
entfernt ist. Jene Zahlenverhältnisse sind abgerundet und
schließen eine Reihe kleiner Abweichungen ein, genau so
wie im Buch von heute die Höhe des Satzspiegels hinter der
Seitenhöhe in verschiedenem Maße zurückbleibt. Da im
allgemeinen ein hohes Format an sich schon kostspieliger ist
als ein niedriges, so darf man erwarten, bei Rollen von großer
Höhe öfters eine verhältnismäßig geringe Höhe der Kolumne
zu finden. So begegnet uns denn auch das günstigste Ver-
hältnis von 2 : 3 besonders häufig in der Gruppe, die eine
Höhe von ungefähr 30 cm und darüber hat. Die den Kom-
mentar zu Piatons Theätet enthaltende Rolle gibt wiederum
ein gutes Beispiel, denn bei einer Gesamthöhe von 30 cm
beträgt die Kolumnenhöhe 20,5 cm, so daß wir ziemlich
genau zwei Drittel als Verhältnis vor uns haben. Um ein
bekanntes Buch von heute zum Vergleich heranzuziehen,
nenne ich für Bismarcks »Gedanken und Erinnerungen« die
entsprechenden Zahlen: die Blatthöhe beläuft sich auf 23 cm,
der Satzspiegel ist 16,5 cm hoch. Diese Ausfüllung der Seite
erscheint uns, wenn nicht luxuriös, so doch durchaus an-
ständig, obwohl sie das Zahlenverhältnis der Theätetrolle
noch nicht erreicht. Wie es aussieht, wenn die Schrift drei
Viertel der Gesamthöhe bedeckt, kann man sich an Momm-
sens Römischer Geschichte deutlich machen; mein vorliegen-
des Buch selbst ist ein Beispiel für vier zu fünf. Unsere Re-
klamausgaben, die in der Blatthöhe ziemlich genau dem
oben besprochenen kleinen Rollcnformat unter 15 cm Höhe
gleichen, haben einen Satzspiegel von 11,5 cm, also immer
noch nicht fünf Sechstel des Ganzen, wie es in Papyrusrollen
vorkommt. Wenn nun im allgemeinen die Gesamthöhe der
Rolle einen gewissen Maßstab für die mehr oder weniger
elegante Ausfüllung der Fläche abgibt, so liegt darin doch
keineswegs ein Gesetz, denn auch ein großes Format wird
gelegentlich bis aufs Äußerste ausgenutzt, so bei der Rolle,
die den Kommentar des Didymos zu Demosthenes enthält,
während umgekehrt bisweilen gerade eine niedrige Rolle durch
eine kleine Schriftkolumne ein vornehmes Aussehen gewinnt,
wie es die schöne Handschrift von Pindars Päanen zeigt,
wo die Schrift kaum zwei Drittel füllt.
Wie die Abstände der Kolumnen vom oberen und
unteren Rande der Rolle das Bild bestimmen, so auch
ihre Entfernung von einander; diese Zwischenräume ge-
^O Zweites Kapitel.
hören freilich nicht wie auf der heutigen Buchseite als
Rahmen zu einem einzigen Schriftsatze, sondern immer
zu je weien und fallen ins Auge, wenn der Leser mehrere
vor sich sieht. Auch hier gilt Raumverschwendung als
Zierde einer Rolle, während geringe Abstände ärmlich er-
scheinen; für das bequeme Lesen kommt viel darauf an.
Wir finden große Unterschiede je nach der allgemeinen
-Güte der Handschrift und der gesamten Ausstattung. Im
Timotheospapyrus fehlen die Abstände fast ganz, denn die
längsten Zeilen reichen hier bis dicht an die nächste Kolumne
heran. Ebenso nähern sich die Kolumnen fast bis zur Be-
rührung in der Rolle, die des Satyros Lebensbeschreibungen
der Tragiker enthält. In beiden Fällen haben wir es mit
unschöner Schrift zu tun, dort mit sehr breiten, hier mit sehr
schmalen Schriftreihen. Im Didymospapyrus sind die Ab-
stände gering verglichen mit der Breite der Kolumne, breit
dagegen in der stattlichen Handschrift des Theätetkommen-
tars. Natürlich gibt in der Regel die Höhe der Rolle ein ge-
wisses Maß, so daß in einer kleinen bei entsprechender Aus-
stattung nicht dieselben Zwischenräume erwartet werden
dürfen wie in einer großen, wofern nicht besondere Gründe
vorliegen, von denen bei den Scholien die Rede sein wird.
Die Höhe der Kolumne wird b dingt durch die Zahl
ihrer Zeilen; die Größe der Schrift und der Abstand der Zeilen
voneinander lassen hier einen weiten Spielraum, so daß man
ein festes Verhältnis der Kolumnenhöhe zur Zeilenzahl nicht
suchen darf, wenn auch naturgemäß ein niedriges Format
die Zeilenzahl enger begrenzt als ein hohes. Bei einer Rollen-
höhe von 30 cm haben die Kolumnen im Kommentar des
Didymos zu Demosthenes ungefähr 70 Zeilen und dürften
damit ziemlich allein stehen. Die Zeilen drängen sich, die
Schrift hat viele Abkürzungen und neigt zu kursiven Formen,
die ganze Rolle ist trotz ihrem stattlichen Format kein
Musterexemplar eines Buches. Aber 50 Zeilen und mehr be-
gegnen auch in eleganten Handschriften; als Beispiel mag
wiederum der Theätetpapyrus dienen oder eine schöne
Menanderhandschrift, die sich in England befindet; dazu
die Hypsipyle des Euripides, deren Kolumnen 54 bis
62 Zeilen enthalten. Mehr als 30 Zeilen kommen oft vor,
die große Masse bleibt zwischen 20 und 30. Unter 20 sinkt
die Zeilenzahl nur selten bei niedrigem Format der Rolle,
-so in Pindars Päanen mit 15 Zeilen und in den Gedichten des
Herodas, wo sie zwischen 15 und 19 schwankt. Damit sind
wir zugleich bei dem oben besprochenen kleinen Rollenformat
angelangt. Daß die winzige RoLe von 4 bis 5 cm Höhe, die
einige Epigramme enthält, trotz ihrer kleinen Schrift nur
-etwa sieben Zeilen in der Kolumne unterbringt, gibt ihr auch
Die Buchrolle.
6i
Abb. i6. Aus einem Kommentare zu Flatons Theaitetos.
^2 Zweites Kapitel.
in dieser Beziehung eine besondere Stellung außerhalb des
uns sonst vorliegenden Materials. Wenn ich früher darauf
hingewiesen habe, daß die ältesten Rollen nur eine mäßige
Blatthöhe besitzen, so ist jetzt hinzuzufügen, daß auch ihre
Zeilenzahl sich zwischen 20 und 30 hält; die hohen Ziffern
wie 50 und darüber gehören alle einer späteren Zeit an.
Aber bemerkenswerter als diese Zahlen ist es, daß inner-
halb einer und derselben Rolle die Kolumnen recht erhebliche
Unterschiede aufweisen. Wenn eine Jliashandschrift in der läng-
sten Kolumne 63, in der kürzesten nur 42 Zeilen hat, so ist
das freilich ein Abstand, der auch das Aussehen stark beeinflußt
und nicht als normal gelten kann. Jedoch sind Schwankun-
gen von fünf bis acht Zeilen nichts Seltenes und stören den
Gesamteindruck der Gleichheit kaum. Der Schreiber hielt
eben nicht immer denselben Zwischenraum inne, und kleine
Verschiebungen wachsen namentlich bei großer Zeilenzahl
zu beträchtlichen Ziffern. Gerade hier wird es ganz deutlich,
daß für die Kolumnen der Buchrolle nicht die gleiche Zahl
der Zeilen vorgeschrieben war, sondern daß das Gleichmaß
als Ziel galt. Im Grunde versteht es sich von selbst,
aber es ist nicht überflüssig, es zu betonen, weil man leicht
zu viel Wert auf die Zahlen legen könnte. Mitunter freilich
mißlingt es dem Schreiber, die gleiche Höhe der Kolumnen
einzuhalten; begreiflich genug, denn es sind geschriebene
Texte; auch wir erreichen es beim Schreiben nur, wenn wir
durch Linien unterstützt werden. Dazu kommt, daß oft
gegen das Ende der Rolle der Schreiber flüchtiger wird und
mehr an den Abschluß als an das gute Aussehen denkt. Da-
durch wird auch die Weite der Schrift und damit die Zahl
der Zeilen beeinflußt, wie denn z. B. in den letzten Kolumnen
des Didymospapyrus die Buchstaben ständig größer werden
und die Zeilenzahl abnimmt, während die Höhe der Kolumne
ungefähr dieselbe bleibt; selbst in dieser unschönen Hand-
schrift wird der Inhalt nach Möglichkeit so verteilt, daß sie
«in leidliches Aussehen wahrt.
Das Verhältnis der Kolumnenhöhe zur Kolumnen-
breite ist so verschieden, daß man darauf verzichten
muß, feste Regeln zu erkennen. Nur soviel läßt sich
sagen: fast immer ist die Höhe größer als die Breite,
und bei einer Zeilenbreite von lO bis 15 Buchstaben über-
wiegt die Höhe bedeutend, wenn auch nicht immer so
stark, wie in der schon oft herangezogenen Theätetrolle.
Natürlicherweise hängt das Verhältnis der Höhe zur Breite
nicht lediglich vom Willen des Schreibers ab, sondern auch
vom Formate der Rolle und vom Texte. Sollten z. B. in
eine Rolle von etwa 20 cm Höhe Homerverse geschrieben
werden, so fiel die Kolumne von selbst sehr breit aus. Die
1
Die Buchrolle. 6^
Prosa bot mehr Freiheit, und schon die ältesten Hand-
schriften zeigen in diesem Punkte so erhebliche Unterschiede,
daß man zeitlich bestimmbare Moden nicht erkennen kann.
Nur die schmälsten Kolumnen nach Art der TheätetroUe
Mnd der vorchristlichen Zeit fremd.
5. Länge der Zeilen. Von einem meßbaren Ver-
hältnis der beiden Kolumnenausdehnungen kann man nur
unter der Voraussetzung sprechen, daß die Kolumne von
oben bis unten die gleiche Breite bewahrt. Sie muß sich
als eine fest begrenzte Einheit von der Papyrusfläche ab-
heben, wenn die Rolle, die ja Seiten im Sinne des modernen
Buches nicht haben kann, als ein regelmäßig gegliedertes
Ganzes erscheinen soll. Daher erhalten in den meisten lite-
rarischen Handschriften die Zeilen, aus denen die Kolumne
sich zusammensetzt, die gleiche Länge. Es war leicht, die
Zeilen in einer Linie anzufangen, dagegeru nicht ganz so ein-
fach, sie auch gleichmäßig abzuschließen. Denn hierbei
dürfen die Grundregeln der Worttrennung nicht gänzlich ver-
ichlässigt werden; oft genug bietet sich kein passendes Wort
ler keine entsprechende Silbe am Ende der Zeile, so daß
■ r Schluß bald über die durchschnittliche Länge etwas
übergreift, bald auch etwas dahinter zurückbleibt. Durch
welche Mittel man dem abzuhelfen suchte, werden wir noch
sehen. Außerdem ist es auch rein äußerlich für das Auge
schwerer, das Ende der Zeilen in eine gerade Linie zu bringen
als den Anfang, den man mit dem Lineal ausrichten konnte.
Das scheinen freilich die Schreiber nicht immer sorgfältig
getan zu haben, denn selbst in schön geschriebenen Exem-
plaren weichen die Schriftkolumnen häufig in ihrem unteren
Teile von der Senkrechten nach links ab; das ebenmäßige
Bild der gedruckten Seite dürfen wir hier nicht verlangen.
Die für sorgfältige Buchschrift geltende gleiche Breite der
kolumne beruht auf dem Maße, nicht auf der Buchstaben-
zahl, die nur eine unzuverlässige Hilfe geben kann, denn die
Buchstaben besitzen auch bei sehr regelmäßiger Schrift eine
verschiedene Ausdehnung. Wie nun die Höhe der Kolumnen
je nach der Höhe des Papyrusformats und nach dem Zwecke
der Abschrift ungleich ist, so gibt es auch für ihre Breite
kein allgemeines Gesetz, ja hier noch weniger festen Gebrauch
als dort. Man hat gemeint, die Breite der einzelnen Papyrus-
blätter, aus denen die Rolle besteht, sei eine natürliche
Grenze für die Ausdehnung der Zeilen. Allein diese Ansicht
läßt sich heute, wo wir eine Menge solcher Handschriften
überblicken können, nicht aufrecht erhalten. Wenn der
Schreiber die fertige Rolle erhielt, so war sie für ihn ein
Ganzes, dessen Bestandteile er nicht zu berücksichtigen
brauchte.
64 Zweites Kapitel.
Mehr Beachtung verdient eine andere auf gute Gründe
gestützte Theorie, die das Durchschnittsmaß der Zeile in
der Länge des Hexameters, des homerischen Versmaßes,
erbHckt.. Dieser hat im Mittel 15 Silben, etwa 35 Buch-
staben, die in geschriebenem Texte allerdings einen be-
trächtlichen Raum einnehmen. Es wäre an sich nicht un-
glaublich, daß das Maß des verbreitetsten Buches allge-
meine Regel geworden und vielleicht zuerst in Alexandreia
von den Homerausgaben auch auf andere Werke übertragen
worden sei. So ließe sich verstehen, daß die Zeile schlecht-
hin »epischer Vers« (epos) genannt worden ist. Indessen
wollen unsere Papyrustexte sich dieser Regel durchaus nicht
anpassen. In tadellosen Buchhandschriften, von denen wir
Proben genug besitzen, findet sich nicht die angenommene
Normalzeile, sondern eine wesentlich kürzere, und zwar auch
in sehr alten Exemplaren. Es wäre mehr als sonderbar, wenn
die alexandrinische Praxis, die sonst so nachhaltig gewirkt
hat, sich in den Papyrusrollen nicht ausgeprägt hätte. Eine
unbefangene Betrachtung des Tatsächlichen nötigt uns, jene
Hexameterzeile als Normalzeile aufzugeben; trotzdem ist sie
für die Buchschrift nicht gleichgültig. Da die Klebungen
dem Schreibrohre keine Schwierigkeit bieten, kann die Zeile
an sich jede biliebige Länge erreichen; aber in Wirklichkeit
ist sie nicht unbeschränkt, weil ein Übermaß das Lesen er-
schwert. Die Alten haben das offenbar auch empfunden, denn
sie beobachten in literarischen Handschriften meistens die
Grenze, die durch die mittlere Länge des epischen Verses
gegeben wird. Insofern hat die Hexameterzeile in der Tat
eine allgemeine Bedeutung gewonnen: sie ist das höchste
Maß des Zulässigen. Freilich kommen noch längere Zeilen
vor, ebenso in sehr alten Handschriften, z. B. im Timotheos-
gedichte, wie in späteren, in sorgfältigen Büchern und in
solchen, die nach Fo m oder Inhalt von geringer Güte sind.
Sie nähern sich darin einer Reihe von Urkunden, bei denen-
die Länge der Zeilen bisweilen außerordentlich groß ist.
Beispiele dafür gibt es aus allen Zeiten; gerade die ältesten
griechischen Urkunden, an ihrer Spitze eine vom Jahre 31 i/o
V. Chr., fallen dadurch auf. Bei einem Inhalte von verhältnis-
mäßig geringem Umfange, wie es die Urkunde zu sein pflegt,
konnte man danach streben, auch äußerlich sie als ein Ganzes
ohne Teilung in Kolumnen darzustellen. Für Briefe gilt es
erst recht. Jedoch gibt es von ptolemäischer Zeit an zahl-
reiche Abweichungen, in denen die Urkunde ohne erkenn-
bare Ursache auf mehrere Kolumnen verteilt wird. Die oft
viele Kolumnen umfassenden amtlichen Schriftstücke, Ge-
setze, Verordnungen usw. bleiben dabei noch unberücksich-
tigt, weil sie der Buchrolle verwandt sind, ebenso große Rech-
Die Buchrolle, 65
niingen, deren Umfang eine Gliederung forderte. Die Länge
der Urkundenzeilen ist überhaupt viel weniger an Regeln
und Grenzen gebunden als die literarischer Texte, so daß
wir von hier aus keinen Aufschluß über die Buchrolle erwarten
dürfen. Jedoch stimmen die Urkunden, soweit sie sorgfältig
geschrieben sind, mit ihr im Streben nach Zeilengleichheit
überein.
Unterhalb der durch die Hexameterzeile gegebenen Grenze
ad viele Abstufungen zu verzeichnen. Sehr schöne Hand-
schriften haben oft nur 10 bis 15 Buchstaben in der Zeile,
wie wiederum der Kommentar zu Piatons Theätet. In-
dessen ging man in der Regel etwas darüber hinaus, und
es scheint, als sei eine Zeile von 20 bis 25 Buchstaben be-
sonders häufig; allein unser Material bietet noch keine
genügende Grundlage, um sicher zu urteilen. Deshalb sei
auch nur nebenbei erwähnt, daß die kurze Zeile in den
erhaltenen Stücken auffällig oft für Reden und für Texte
rhetorischen und philosophischen Inhalts verwendet wird;
auch bei geschichtlichen Darstellungen ist sie zu bemerken,
aber keineswegs als Regel.
Das Gesetz der Zeilengleichheit gilt nur für Prosatexte.
Denn da hier weder Inhalt noch Satzbau einen Zwang auf
die Zeileneinteilung ausübte und die Alten keinen besonderen
Wert auf die äußere Abgrenzung der Sinnabschnitte legten,
konnte die Regel ohne Schwierigkeit durchgeführt werden,
wie es in der Tat geschehen ist. Sie kam für Poesie nur
dann in Betracht, wenn sie ohne metrische Gliederung, d. h.
als Prosa, geschrieben wurde. Daß mit dem Grundsatze der
Zeilengleichheit ungefähr in der i. Hälfte des 3. Jahrhunderts
V. Chr. etwas Neues aufgekommen ist, machen einige im
Alter dem Timotheospapyrus wenig nachstehende Prosa-
fragmente mit ihrer auffallenden Ungleichheit der Zeilen
sehr wahrscheinlich, und der Timotheostext selbst als ein
nach Art der Prosa geschriebenes Gedicht bestätigt es. Wer
das Aussehen dieser Texte prüft, begreift vollkommen, daß
eine Ordnung der Schreibweise, vor allem eine gleichmäßige
Begrenzung der Zeilen, das Ziel einer Reform zu werden ver-
mochte, die wir den alexandrinischen Gelehrten und Biblio-
thekaren als ihr Verdienst anrechnen dürfen.
Es gab mancherlei Hilfsmittel, um die als Regel geltende
gleiche Breite der Zeilen auch dann zu erreichen, wenn die
Verteilung der Buchstaben und Silben sich dem Gesetze
nicht fügen wollte. Entweder drängte der Schreiber gegen
das Ende der Zeile die Buchstaben zusammen und brachte
auf diese Weise die notwendige Übereinstimmung von Zeilen-
länge und Worttrennung zustande, oder er vermied diesen
unschönen Notbehelf dadurch, daß er schon etwas vor der
SchuSart. Dns P.iir'l..- i. Aiifl C
66 Zweites Kapitel.
Grenze abbrach und den leeren Raum durch Striche oder
einen kleinen Haken ausfüllte. Dies gilt, soweit mein Über-
blick reicht, nur für Prosatexte, da ja auch nur hier das
Gleichmaß der Zeilen grundsätzlich durchgeführt werden
konnte. Später machte man es sich noch bequemer und
erlaubte sich, auch einen größeren freien Raum durch Häk-
chen auszufüllen, so daß etwa seit dem 4. Jahrhundert n. Chr.
nach Bedarf sogar eine ganze Reihe dieser Winkel auftreten
durfte. Sie stellen sich namentlich am Ende eines Sinn-
abschnitts ein, weil man es gern vermied, den neuen Gedanken
in der Mitte der Zeile anzufangen. Das rein äußerliche Mittel
der Zeilenfüllung erhält dadurch beinahe den Wert einer
starken Interpunktion und wird z. B. in der Prachtrolle
eines christlichen Osterbriefes aus dem 8. Jahrhundert
geradezu in dieser Bedeutung angewendet, jedoch immer
nur am Ende der Zeile.
6. Metrische Schreibung. Bei poetischen Schriften
lag es nahe, die Verse auch äußerlich kenntlich zu machen.
Wir sehen schon in den ältesten Texten und von da an
durchweg in allen Papyrusrollen, daß jeder Hexameter eine
Zeile für sich bildet — das Entsprechende gilt für Epi-
gramm und Elegie — und ebenso jeder iambische Trimeter,
d. h. der Vers des Dialogs im Drama. Die neuesten Ent-
deckungen beweisen dies für Handschriften, die spätestens
im Anfang des 3. Jahrhunderts v. Chr. entstanden sind, z. T.
wohl noch ins 4. Jahrhundert gehören. Wir haben es also bei
diesen beiden Versen nicht mit einer Neuerung der Alexan-
driner zu tun, sondern mit einer längst vorhandenen Ge-
wohnheit, deren früher Ursprung leicht begreiflich ist. Das
Prinzip der Zeilengleichheit kam hier überhaupt nicht in
Betracht oder nur insofern, als die Verse ihm wegen ihres
gleichmäßigen Baues im allgemeinen von selbst entsprachen.
Die Schreiber haben sich nicht darum bemüht, und gerade
die Homertexte enthalten deshalb häufige und beträchtliche
Überschreitungen der Durchschnittslänge.
Anders steht es mit solchen Dichtungen , die aus
metrisch ungleichen Gliedern zusammengesetzt sind, vor
allem mit den Texten der griechischen Lyriker und den
Chorpartien der Tragödie und Komödie. Unser Material ist
nicht mehr zu gering, um Aufschluß zu geben, und ver-
dient besprochen zu werden, weil es auffallende Verschie-
denheiten bietet. Unter den Lyrikern stehen dem Alter
nach an der Spitze die Timotheosrolle und eine nicht wesent-
lich jüngere Handschrift, die Skolien von Elefantine, mit
spruchartigen, ganz ungleichen Versen. Beide sind ohne
jede Rücksicht auf die metrische Gliederung in langen und
ungleichen Zeilen geschrieben; aber die Skolien machen es
I
Die Buchrolle. 67
besonders deutlich, weil die darunter stehende Elegie ohne
weiteres metrisch abgeteilt wird. In beträchtlichem Ab-
stände folgt ihnen ein ziemlich langes Stück aus Alkman,
das metrisch geordnet ist. In die Kaiserzeit gehört die schön
geschriebene Rolle, die uns den Bakchylides bekannt gemacht
hat; auch hier wird metrisch gegliedert ohne Rücksicht auf
Zeilengleichheit. Dasselbe gilt von den umfangreichen
Stücken aus Pindars Gedichten, die wir den Papyri ver-
danken; ebenso verhält es sich mit den jetzt schon zahlreich
gewordenen Bruchstücken aus den Liedern des Alkaios und
der Sappho, von denen das späteste etwa ins 3. Jahrhundert
n. Chr. gehört: sie befolgen überall die metrische Gliederung.
Die Berliner Pergamenthandschrift der Sappho stimmt
damit überein, fällt aber wegen ihres späten Datums
nicht ins Gewicht. Auch die Stücke aus den Liedern
des Kallimachos bestätigen die Regel. Dagegen finden
wir in einem nicht unerheblichen Fragmente aus einer
Korinna-Rolle beide Schreibweisen neben einander :das eine
Gedicht beachtet die metrischen Glieder nicht, freilich die
Zeilengleichheit ebensowenig, das andere ist metrisch ge-
schrieben. Und in den merkwürdigen Anapästen, die in ele-
ganter Buchschrift der ersten Kaiserzeit überliefert sind,
scheint nur die Zeilengleichheit maßgebend zu sein. Auch der
Kerkidas-Papyrus verzichtet darauf, die Verse abzuteilen,
und befolgt die äußerliche Zeilengleichheit der Prosa.
Über die Lieder in der Tragödie und Komödie sind wir
durch Papyrushandschriften immer noch mangelhaft unter-
richtet. Zwei Proben etwa aus dem Anfange des 3. Jahr-
hunderts V. Chr. zeigen Chorpartien aus Euripides das eine
Mal in langen, das andere Mal in kurzen Zeilen, aber in beiden
Fällen ohne erkennbare Hervorhebung des Versmaßes. In
dieselbe frühe Zeit gehört eine sorgfältig geschriebene Stelle
aus dem Phaethon des Euripides, und auch hier werden die
metrischen Glieder nicht als Zeilen behandelt, sondern inner-
halb der Zeile durch wagerechte Striche von einander getrennt.
Dagegen ist in der Hypsipyle des Euripides und den Spür-
hunden des Sophokles, deren Handschriften aus der Kaiserzeit
stammen, der Vers, nicht die Gleichheit der Zeile maßgebend.
Deutlich erkennbar ist dies Verfahren auch in dem Bruch-
stücke aus der »Achäcrversammlung« des Sophokles, wo die
obenan stehenden zehn Chorzeilen nach rechts eingerückt und
als metrische Glieder geschrieben sind. Auch die »Kreter«
des Euripides darf man als Zeugen dafür heranziehen, denn
obwohl der Text auf einem Blatte aus einem Pergamentkodex
steht, ist er doch ein Altersgenosse dieser Papyrusrollen und
gehört in eine Reihe mit ihnen. Beachtung verdient es, daß
auf Papyri und gleichzeitigen Pergamenten die Psalmen fast
5*
68
Zweites Kapitel.
i.
Abb. 17. Sophokles, Achäerversammlung.
immer metrisch gegliedert werden; aber auch hier gibt es
Ausnahmen. Im allgemeinen scheint man ursprünglich lyri-
sche Texte ohne Versgliederung wie Prosa geschrieben zu
haben; später hat man nur noch gelegentlich bei ungleichen
und schwierigen Maßen sich auf diese Weise geholfen. Die
Kaiserzeit hat die metrische Schreibung als Regel in der
Hauptsache anerkannt.
Da die alexandrinischen Grammatiker sich mit der
alten griechischen Lyrik kritisch beschäftigt und neue Aus-
gaben veranstaltet haben, ist es von vornherein wahrschein-
Hch, daß die Papyri auch in der metrischen Schreibung
im allgemeinen ihnen folgen. Die sichere Versgliederung
bei den allbekannten und allberühmten Dichtern wie Sappho,
Die Buchrollc. 69
Alkaios, Pindaros, Bakchylides, ebenso bei dem Alexandriner
Kallimachos selbst, würde dafür sprechen, und die Unsicher-
heit bei andern, wie bei Kerkidas, den namenlosen Anapästen
und dergl., könnte als Bestätigung gelten. Die ältesten
Stücke würden den Zustand vor der Arbeit der Alexan-
driner spiegeln, der sich überall da erhalten hätte, wo es
an alexandrinischen Ausgaben oder Vorbildern fehlte. Die
Chorlyrik des Dramas überwindet den Urzustand bald, ohne
aber zu einer festen Gliederung zu gelangen, denn noch die
Handschriften des Mittelalters schwanken beträchtlich. Daß
überhaupt die Abteilung der Verse nicht immer gleich oder
auch nur gleichartig erscheint, versteht sich von selbst; auch
da, wo alexandrinische Ausgaben vorlagen, braucht ihre Be-
handlung der Verse nicht überall durchgedrungen zu sein;
ganz abgesehen davon, daß der Versbau oft Schwierigkeiten
enthielt und mehr als eine Deutung zuließ. Ohne ein völHg
zweifelloses Ergebnis zu gewinnen, darf man doch sagen: ver-
mutlich sind lyrische Verse, gleichviel ob strophisch oder
nicht, ursprünglich wie Prosa geschrieben worden, bis die
alexandrinischen Gelehrten den Grundsatz metrischer Gliede-
rung aufstellten und anwandten, der sich mit ungleichem
Erfolge durchgesetzt hat.
7. DieBuchschrift. Für die soeben erörterten Fragen
ist die Gestalt der Buchstaben zu wesentHch, als daß
sie ganz übergangen werden dürfte, obwohl ein Überblick
über die Entwicklung der Schrift nicht in den Rahmen meiner
Darstellung gehört. E^ handelt sich hier um die sog. großen
Buchstaben, nur mit dem Unterschiede, daß die Schrift
mehr gerundete Formen aufweist als unsere Drucktypen; die
kleinen griechischen Buchstaben, die wir schreiben und
drucken, haben sich erst im Mittelalter aus der byzantinischen
Kursive entwickelt und geben nur in wenigen Fällen, z. B.
im w, annähernd die Schriftzüge der Papyrusrollen wieder.
Die Alten setzen die Wörter nicht ab, sondern lassen ohne
Zwischenraum Buchstaben auf Buchstaben folgen; von
den unvollkommenen Mitteln der Satztrennung werden wir
noch sprechen. Dies Verfahren diente zwar der Schönheit
des Aussehens, aber keineswegs der Bequemlichkeit des Lesers.
Wenn auch der Buchschreiber sich bemüht, die Buchstaben
möglichst gleichmäßig zu schreiben und ihnen ungefähr den
gleichen Raum zuzuteilen, so widerstrebt doch das griechi-
sche Alphabet wie jedes der strengen Durchführung. Die von
Natur schmalen Buchstaben, vor allem das t, können nicht
soviel Raum füllen wie die von Natur breiten, z. B. das i».
Trotzdem gibt es in sorgfältiger Handschrift genug Mittel
und Wege, um kleinere Unterschiede auszugleichen. Je nach-
dem man breite oder schmale Schrift erzielen will, lassen sich
^O Zweites Kapitel.
Querstriche lang oder kurz, Rundungen breit oder schmal
ausführen, zumal wenn man die einzelnen Buchstaben aus
mehreren Strichen zusammensetzte, wie die Alten es in Schön-
schrift taten. Ich erinnere daran, daß auch bei uns im
Schreibunterricht die Kinder angehalten werden, bei vielen
Buchstaben, namentlich den großen, mehrmals anzusetzen.
Im übrigen wird die Schrift vom wechselnden Verfahren der
Schule, man darf auch sagen von der Mode beherrscht.
Diese äußert sich in der Art, wie die einzelnen Buchstaben
gezogen werden, und ebenso in der ganzen Buchstabenreihe,
in der Richtung der Schrift, in der geringeren oder größeren
Neigung zu Verzierungen. Damit berühren wir das Gebiet
der Schriftkunde, die uns hier nichts angeht. Um aber zu
zeigen, wie der Stil der Schrift auch die Raumfüllung be-
einflussen kann, sei ein Gesichtspunkt hervorgehoben, der
besonders oft uns dazu hilft, die Menge der Schriftarten
in bestimmte Gruppen einzuordnen: auf der einen Seite stehen
diejenigen, welche die geraden Striche senkrecht führen oder
wenigstens der Senkrechten annähern, auf der andern die-
jenigen , die diesen Strichen eine ausgesprochen schräge
Richtung geben. Die Beobachtung der aus gebogenen Linien
gebildeten Zeichen ergibt eine zweite Gliederung in schmale
und breite. Die letzte Gruppe formt die gebogenen Striche
als Teile eines Kreises ; sie ist im engeren Sinne die Unziale,
ein Name, der mit Unrecht vielfach ganz allgemein für die
Schrift der Bücher angewendet wird. Jene beiden Schrift-
arten kreuzen sich nun fortwährend und ergeben vier Haupt-
typen: Neigung zur Senkrechten verbunden mit schmalen
Rundungen, senkrechte Strichführung verbunden mit breiten
Kreisformen, Bevorzugung der schrägen Linie zusammen mit
schmalen Rundungen und schräge Striche zusammen mit
breiten Kreisformen. Es liegt auf der Hand, daß je nach der
Anwendung dieses oder jenes Typus die Füllung der Zeile ver-
schieden ausfällt. Außerdem spielt auch die absolute Größe
der Buchstaben eine Rolle, die von der Mode, von der -Willkür
des Schreibers oder dem Zwecke der Abschrift abhängt. Da-
durch wird der Abstand der Zeilen wesentlich bestimmt, zu-
mal da mehrere Schriftzeichen, besonders der byzantinischen
Zeit, nach oben und unten um ein Beträchtliches über den
Raum hinausragen, den die andern beanspruchen. Eine ge-
wisse Weite des Zeilenabstandes dient nicht nur der Über-
sichtlichkeit, sondern trägt auch zur Eleganz des Aussehens
bei, während eng an einander gedrängte Zeilen eine ärmliche
Sparsamkeit verraten.
Meistens ist in solchen Fällen auch die Schrift von ge-
ringerer Güte und berührt sich mit kursiven Formen.
Jedoch bedeuten einzelne kursive Züge nicht ohne weiteres
Die Buchrolle. yi
ine nachlässige Schrift. Denn es gibt im Grunde keinen
strengen Unterschied zwischen der Buchschrift und der Kur-
sive, die man richtiger Geschäftsschrift nennt. Beide gehen
zurück auf die Schrift, die in der Schule gelehrt wird; daraus
entwickelt sich die sorgfältige Schönschrift, die man in der
Kegel bei Büchern, aber auch öfters bei der Reinschrift von
geschäftlichen Schriftstücken und Briefen anwendet, und auf
1er andern Seite die geläufige Hand des täglichen Lebens,
leren Ziel in bequemer Strichführung und nach Möglichkeit
n Verbindung der Buchstaben besteht. Diese Geschäfts-
schrift wird vornehmlich von den Lohnschreibern und den
amtlichen Schreibern getragen, daneben von allen, die im
Leben viel zu schreiben haben, also von Leuten einer nicht
geringen Bildungsstufe. Die Buchschreiber, die sich für die
•ine Schönschrift mit verbindungslosen Buchstaben aus-
ildeten, schrieben doch, wie sich von selbst versteht, ihre
Briefe und sonstigen Aufzeichnungen in der Geschäftsschrift
ihrer Zeit; daher ist es kein Wunder, wenn wir auch in den
Buchrollen nicht gar so selten kursive Formen und sogar
verbundene Buchstaben finden. Jedoch genoß der Buch-
schreiber von Beruf unverkennbar eine eigene Ausbildung; das
bedeutet, daß die Schönschrift der Bücher in gewissen Gren-
n auch eine selbständige Entwicklung durchmacht neben
der ebenso selbständigen Entwicklung der Geschäftsschrift,
die viel augenfälliger und uns viel leichter kennthch ist. Beide
berühren sich, aber nicht zu allen Zeiten gleich nah; vielmehr
tritt gerade an ihrem wechselnden Verhältnis der eigene
i-ing beider Schreibweisen zutage. Zu einer Zeit, in der alle
ijücher geschrieben wurden und zugleich eine reiche Literatur
der Vergangenheit wie der Gegenwart sich im Buchhandel
fortpflanzte, mußte es ein Heer gewerbsmäßiger Buch-
hreiber und für sie eine besondere Vorbildung geben. Selbst
iie ganz zufälligen Papyrusfunde, die doch nur einen ver-
schwindend geringen Teil der Buchrollen des Altertums dar-
stellen, lassen uns einen Blick in das Gewerbe der Buch-
Schreiber tun: mehrere Stücke, und zwar solche verschiedenen
Inhaltes, tragen die Züge derselben Hand, dürfen also als
die Arbeit desselben Schreibers gelten. Sie stammen aus Oxy-
rhynchos, das ja seinen Erforschern, den Engländern Grenfell
und Hunt, besonders viel literarische Texte beschert hat.
I rotzdem dürfen wir, wie schon gesagt, weder den gemein-
samen Ursprung noch die ständigen Beziehungen beider
Schreibweisen vergessen. Unsere Drucktypen sind zwar
nch aus der geschriebenen Schrift entstanden, erscheinen
tis aber jetzt doch als etwas durchaus Selbständiges, weit
Mehr, als es im allgemeinen die Schönschrift der Bücher sein
:onnte. Man muß sich hüten, mit Vorstellungen aus der
y2 Zweites Kapitel.
Gegenwart an die Papyrusrollen heranzutreten, und muß
sich beständig bewußt bleiben, daß wir es auch in der Buch-
rolle mit geschriebenen Texten zu tun haben. Damit wird
keineswegs ausgeschlossen, daß auch die Alten die Schrift
in bestimmte Gattungen nach der Güte oder sagen wir nach
ihrer Stellung zu Schönschrift und Geschäftsschrift einteilten.
Unser Material ist reich genug an Verschiedenheiten, um uns
Schrift erster Güte, Schrift zweiter Güte und Geschäfts-
schrift in einem Erlaß des Kaisers Diokletian über Maximal-
preise anschaulich zu machen. Und es gab in Wirklichkeit
noch viel mehr Stufen und Übergänge, wie wir jetzt an den
Papyrusrollen sehen.
Literarische Texte nach der Schrift zu datieren, ist
außerordentlich schwierig und bleibt ein unsicherer Versuch,
wenn nicht die vorkommenden kursiven Formen einen festen
Anhalt gewähren. Über die Entwicklung der kursiven Ge-
schäftsschrift sind wir durch eine Menge genau datierter Ur-
kunden hinreichend unterrichtet; die Schönheit eines Buches
folgt weit weniger der Zeit und bietet als Merkmal ihres
Alters nur den allgemeinen Stil, der sich aus einzelnen Buch-
stabenformen, noch mehr aus dem gesamten Zuge der Schrift
herauslesen, aber nicht leicht beurteilen läßt. Von einer
sicheren Erkenntnis, die man in Regeln fassen könnte, dürfen
wir noch nicht reden. Vielleicht wird man später, wenn wir
noch mehr literarische Handschriften besitzen und weiteren
Überblick gewonnen haben, auch hierin klarer blicken. Heute
ist auch der Kenner noch erheblichen Mißgriffen ausgesetzt.
8. Zählung der Zeilen. Wir müssen uns nun einmal
klar zu machen suchen, wie denn solch eine Rolle be-
schrieben worden ist. Nehmen wir den einfachsten
Fall: ein geübter Schreiber soll eine Abschrift nach einer
Vorlage anfertigen; es ist dafür gleichgültig, ob dies Original
selbst eine Abschrift oder das Manuskript des Verfassers
darstellt. Es soll ein gut ausgestattetes Buch werden. Zu-
nächst muß das Format bestimmt oder aus dem Vorrat, der
erreichbar ist, ausgewählt werden. Darauf muß der Auftrag-
geber sich mit dem Schreiber im allgemeinen über die Größe
der Schrift sowie über die Breite der Kolumnen und der
Ränder verständigen. Steht Papyrus in unbeschränkter
Fülle zur Verfügung, so mag hierüber lediglich der Geschmack
des einzelnen oder die Mode der Zeit entscheiden; wo man
aber haushalten muß, bedarf es schon der Erwägung, wieviel
die Rolle aufnehmen soll. Jedenfalls wird der Schreiber, ehe
er seine Arbeit beginnt, sich einen solchen Überblick ver-
schaffen, wird ausmessen, wieviel Kolumnen vom verein-
barten Umfang er unterbringen könne, und berechnen, wie-
viel Text ungefähr auf jede Kolumne entfallen werde. Wollte
Die Buchrolle.
73
er ohne solche Vorkehrungen sich gleich ans Schreiben
machen, so käme er in Gefahr, mit der Rolle nicht auszu-
reichen oder am Ende zuviel Platz frei zu lassen. Diese Ab-
schätzung läßt sich nur so denken, daß man durch Abzählen
ermittelt, wieviel Zeilen der Vorlage auf eine Kolumne der
Abschrift gehen; ob die Zeile der Abschrift der der Vorlage
gleicht oder nicht, macht keinen nennenswerten Unterschied
aus. Natürlich braucht der Schreiber nicht die ganze Vor-
lage durchzuzählen; wenn sie nur einigermaßen gleichmäßig
geschrieben ist, kann er sich mit einem kleinen Teile be-
gnügen und das Ganze danach ausrechnen. Je geübter er
ist, desto sicherer wird auch seine Schätzung sein. Ein
nützliches Hilfsmittel wäre es, in der Vorlage jedesmal da
einen Strich zu machen, wo nach der Berechnung ungefähr
eine neue Kolumne in der Abschrift beginnen soll; man
erreicht aber dasselbe, wenn man in der Vorlage in bestimm-
ten Abständen die Zahl der Zeilen daneben schreibt, etwa
bei jedem Hundert. Auf Grund einer solchen Übersicht kann
der Schreiber nun unbesorgt arbeiten, da er sicher ist, den
Text richtig auf das Papier verteilt zu haben. Freilich mag
selbst bei der größten Sorgfalt im Laufe eines längeren Textes
die Abgrenzung der Kolumnen sich gegen den ursprünglichen
Plan etwas verschieben, und wir haben uns bben davon über-
zeugt, daß sowohl die Buchstabenzahl der Zeile als auch die
Zeilenzahl der Kolumne unbeschadet der Gleichmäßigkeit
beträchtlich schwankt. So kann es kommen, daß gegen Ende
der Schreiber etwas enger schreiben muß, um mit dem Platze
auszureichen, oder die Buchstaben vergrößern und die Zeilen-
zahl verringern muß, weil sonst zuviel Papyrus leer bliebe,
wie es sich deutlich in den Kolumnen des Didymospapyrus
zeigt, deren Schrift gegen das Ende hin immer weitläufiger
wird. Hier wird jedoch der Schreiber durch die Menge der
Abkürzungen entschuldigt, denn diese erschweren die Be-
rechnung außerordentlich.
Die Zählung der Zeilen in der Vorlage hat aber noch
einen andern ebenso wichtigen Zweck: sie dient dazu, die
Arbeit des Schreibers zu schätzen und die Bezahlung zu be-
rechnen. Daß außer der Zeilenzahl auch die Schriftart dafür
in Betracht kommt, bedarf keines Wortes. Das Edikt des
Diokletian, dessen ich schon gedacht habe, legt beides zu-
grunde, indem es Höchstpreise für je lOO Zeilen in drei ver-
schiedenen Schriftarten festsetzt. An unsern Papyrushand-
schriften aber sieht jeder auf den ersten Blick, welch ein
großer Unterschied zwischen Zeile und Zeile ist. Das kaiser-
liche Gesetz scheint davon nichts zu wissen, denn es spricht
einfach von der Zeile und nimmt sie als festes Maß an. In
der Praxis wäre es auch sehr lästig gewesen, jedesmal
fjA Zweites Kapitel.
für den Preis die jeweilige Zeilenlänge anzurechnen, weil
diese allgemeinen Regeln nicht unterworfen war. Man be-
durfte in der Tat einer Einheit, einer Normalzeile, nicht für
die Schreibarbeit, wohl aber für die Preisberechnung, und
hier dürfen wir unbedenklich anerkennen, daß der Glaube
an die maßgebende Geltung der Hexameterzeile eine tat-
sächliche Grundlage hat. Es lag sehr nahe, für die Preis-
berechnung als' Einheit die Maximalzeile zu wählen; man wird
durch die Erfahrung mit der Zeit dahin gekommen sein. An
sich konnte freilich auch jede andere Größe denselben Dienst
tun : in Lyrikertexten mit ihrer metrischen ZeilengHederung
mag eine andere Norm gegolten haben, und die
Verse des dramatischen Dialogs kann man sich wohl nur
nach ihrem eigenen Maße berechnet denken. Die Randziffern
in einer Pindarhandschrift des i. Jahrhunderts v. Chr. auf
eine berechnete Hexameterzeile zurückzuführen, halte ich
daher für bedenklich, denn diese metrischen Glieder sind
doch allzu eigenartig, als daß man sie wie die übrigen hätte
behandeln können. Der epische Hexameter ist nur des-
halb besonders dazu berufen ein Maß zu werden, weil er die
übliche obere Grenze und zugleich eine allgemein bekannte,
von dem Ansehen Homers getragene Einheit darstellt.
Demnach wird also in der Vorlage, mag sie Hexameterzeilen
oder andere Gliederung gehabt haben, ein Maß von je 15 Sil-
ben, ungefähr 35 Buchstaben als Zeile bezeichnet worden
sein; jedes Hundert erhielt am Rande die entsprechende
Ziffer. In den erhaltenen Papyrusrollen finden wir zwar
nicht oft, aber doch mehrmals am Rande solche Reihen-
zahlen, besonders häufig in Homertexten, deren einige
durchweg damit versehen sind. In der Regel sind es nicht
die Zahlzeichen für lOO, 200 usw., sondern die griechischen
Buchstaben a, ß, t gleich den Ziffern l, 2, 3 usw., ganz
natürlicher Weise, weil man nicht die Reihen, sondern die
Hunderte zählen will. Wenn daneben auch einmal die Buch-
staben Sigma für 200 und Tau für 300, also mit ihrem gewöhn-
lichen Werte begegnen, so beweist das nur, daß man sich
des eigentlichen Zweckes nicht immer bewußt war. In man-
chen Fällen ist es infolge dieses schwankenden Verfahrens
nicht möglich, den Wert der Ziffer sicher zu ermitteln, denn
ein Beta am Rande wird zwar in der Regel das zweite Hundert
bezeichnen, kann aber auch 2000 bedeuten. Ob in den sog.
Anapästen des Berliner Museums der Buchstabe Alpha das
erste Hundert abschließt, ist mir freilich ungewiß; an sich
kann er als Zahlzeichen gemeint sein, seine Verzierung mit
allerhand Schnörkeln will aber zu der sonstigen Gewohnheit
nicht stimmen.
Bei den Homerhandschriften ergibt sich von selbst,
Die Buchrolle. yj.
daß die Bezifferung der Vorlage auch für alle Abschriften
zutrifft; sie mag hier zugleich auch als Verszählung es erleich-
tert haben, eine Stelle in dem am meisten gelesenen Schrift-
steller, in dem wichtigsten Schulbuche, zu linden, so daß
man ihre Häufigkeit wohl begreifen kann. ' Anders aber
steht es mit allen Texten, die nicht in der epischen Zeile
geschrieben sind. Die Zeilenzählung der Vorlage brauchte
in ihnen nicht mit den Zeilen der Abschrift übereinzustimmen
und weicht auch wirklich davon ab. Wir können das in den
Buchrollen, die aus dem verschütteten Herkulanum wieder
zutage gekommen sind, sicher feststellen und gewinnen sa
einen Beweis, daß der Zählung nicht die Abschrift, sondern
eine feste Normalzeile zugrunde gelegen hat; die meisten
andern Stücke lassen sich nicht daraufhin prüfen, da sie nur
gelegentlich solch eine Ziffer aufweisen. Aber nicht alle Texte^
in denen wir Reihenziffern sehen, sind als Vorlagen zu be-
trachten, wenn auch jedes beliebige Exemplar als Vorlage
dienen konnte. Vielmehr wird oft genug der Schreiber aus
Gedankenlosigkeit die Ziffern aus der Vorlage in die Abschrift
übernommen haben. Im allgemeinen war es nicht üblich; der
kleinen Zahl noch dazu unregelmäßig bezifferter Texte steht
die große Mehrzahl gegenüber, und darunter die schönsten
Buchhandschriften, die nicht die geringste Spur davon auf-
^veisen.
Indessen scheint der Sinn der Reihenzählung damit noch
nicht erschöpft zu sein; man vermutet mehr, wenn in einigen
Fällen am Schlüsse des Buches der Verfasser selbst davon
spricht. So sagt Josephus, der jüdische Politiker und Ge-
schichtsschreiber, am Ende seines Werkes über das israeliti-
sche Altertum: »Ich will meine Geschichte des Altertums ab-
schließen; sie umfaßt 20 Bücher und 60 000 Zeilen.« Auf
dasselbe kommt es im Grunde heraus, wenn in einer Reihe
von Handschriften am Ende eines Buches die Reihenzahl
angegeben wird, und zwar nicht nur in Pergamentcodices,
WO es später häufig wird, sondern auch schon in Papyrus-
•"oUen, In einer ziemlich umfangreichen Homerrolle lesen
ir hinter dem 23. Buche der IHas die Zahl 890, nebenbei
uemerkt, nicht in den sonst üblichen Ziffern, sondern in der
alten Schreibweise der Inschriften; ganz entsprechende Ver-
merke finden sich gerade im Homer auch sonst, und manch-
mal steht unter jeder Kolumne die Zahl ihrer Zeilen. Nicht
selten begegnet mansolchen Angaben in den herkulanensischen
Rollen, die hauptsächlich philosophische Schriften enthalten.
Dieser Gebrauch ist also schon vor den Zeiten des Josephus
vorhanden und erstreckt sich weiter über die ganze Periode
des griechischen und römischen Buchwesens. Wenn
Kallimachos, wie schon erwähnt worden ist, in seinen Bücher-
y6 Zweites Kapitel.
katalogen auch die Zeilensumme jedesmal hinzufügt, so denkt
er schwerlich an eine Hilfe für künftige Abschreiber; vielmehr
möchte ich glauben, daß er damit ein Mittel an die Hand
geben wollte, um ungefähr den Umfang des Buches zu
schätzen. Auch heute pflegt der Verlagsbuchhändler bei der
Ankündigung eines neuen Werkes die Seitenzahl mitzuteilen,
damit das kaufende Publikum sich ein Bild von der Größe
des Buches machen könne. Ist damit die Normalzeile, der
epische Hexameter, gemeint, worauf jede beliebige Zeile um-
gerechnet werden konnte, so ergibt sich ein absolutes Maß,
jedenfalls aber ein Hinweis, den der kundige Leser beurteilen
kann. Es wäre ein Gesichtspunkt, den man in der Bücherei
und im Buchhandel, überall da, wo erhebliche Mengen
von Büchern vereinigt waren, voraussetzen dürfte, und der
Besitzer der herkulanensischen Rollen mag deshalb so oft
die Reihenzahl angemerkt haben.
Vornehmlich aber dient die Zählung zur Prüfung der
Vollständigkeit. Auch wenn man nicht an betrügerische
Absicht denkt, die dem Käufer ein unvollständiges Exem-
plar als vollständig anbieten wollte, so lag doch die Gefahr
unabsichtlicher Auslassungen nahe genug, um ein Mittel
zur Prüfung zu fordern; insofern erhält die Reihenzählung
in der Abschrift ihren besonderen Sinn und Wert. Sie
wird also aus den Bedürfnissen der Bibliotheken und des
Buchhandels erwachsen sein. Am wichtigsten war sie bei
den Homerhandschriften, nicht nur, weil sie am weite-
sten verbreitet waren, sondern weil der Text beträchtlich
schwankte und oftmals Verse hinzugefügt oder ausgelassen
wurden. Ob in Fällen wie bei Josephus es sich um die Voll-
ständigkeit handelt oder aber der Verfasser mit seiner
Leistung prunken will, bleibe dahingestellt. Ausgeschlossen
erscheint es mir, daß etwa die Summe der Zeilen einen Anhalt
für die Berechnung des Buchpreises hätte bieten sollen, der
bei der Rolle nur zum Teile durch den Schreiberlohn bestimmt
wird; die Kosten des Papiers und der gesamten Ausstattung
fallen erheblich ins Gewicht, um gar nicht davon zu reden,
daß der Buchhändler keine Veranlassung hatte, dem Käufer
einen Bestandteil des Preises vorzurechnen, der nicht einmal
entscheidend war.
Im allgemeinen hat die Reihenzählung nur eine technische
Bedeutung und nicht etwa den Zweck, das Zitieren zu
erleichtern. Was uns an Büchern aus dem Altertum noch
vorliegt, ist in überwiegender Menge, auch die Prosa, zum
Lesen geschrieben, nicht als wissenschaftliche Quelle, und
bedarf nicht derjenigen Hilfsmittel für das Zitieren, die am
gelehrten Werke unentbehrlich scheinen. Ebensowenig wie
wir, wenn wir nicht gerade Fachgelehrte sind, zitieren:
Die Buchrolle. yy
Goethe, Römische Elegien XII, 19, sondern einfach: Goethe
in den Römischen Elegien, so sagen auch die Alten nicht:
Piaton im Staate, Buch x, Reihe y, sondern kurz: Piaton im
Staate, höchstens wird noch das Buch bezeichnet. Aber auch
da, wo sie ein Werk in gelehrter Arbeit ausbeuten, fehlt ihnen
durchaus der Sinn für die peinliche Genauigkeit im Anführen,
die wir uns zum Gesetze machen. Ihre unbestimmten Zitate
passen zu dem Mangel der Reihenzählung in der großen Mehr-
zahl der erhaltenen Rollen. Außerdem wäre die Zählung der
Zeilen von Hundert zu Hundert für das Zitieren wenig
brauchbar gewesen, selbst wenn man sie auf Grund einer
Normalzeile in allen Abschriften durchgeführt hätte; ver-
einzelt kommt es allerdings vor. Nach heutigen Begriffen
müßte daher die Bezifferung der Seiten, also in der Rolle die
der Kolumnen eintreten. Aber auch damit hätte man nichts
erreicht, denn bei einem geschriebenen Texte konnte die
Verteilung auf die Kolumnen nicht so fest bleiben wie beim
Druck. Selbst wenn ein Werk gleichzeitig in Rollen von
gleicher Länge bei gleicher Höhe und Breite der Kolumnen,
vervielfältigt wurde, ließ sich beim besten Willen völlige
Gleichheit niemals erreichen. Wo trotzdem in Buchrollen
Zählung der Kolumnen vorkommt, beruht sie wohl auf der
Nachahmung fremder Vorbilder, nämlich der Urkundenrolle
und des Kodex. Eine ganze Reihe von Urkunden lehrt uns
deutlich, daß man in den amtlichen Registraturen die Akten-
stücke, nach Gegenständen geordnet, zu Rollen zusammen-
geklebt hat; eine solche Rolle hieß, wie wir schon sahen,
Tomos und jedes ihrer Blätter Kollema, d. h. Klebung,
durchaus zutreffend, denn jedes einzelne Aktenstück war
auch ein einzelnes Papyrusblatt. Wollte man sich darin
zurechtfinden, so mußte jeder Tomos und jedes Kollema
seine Nummer erhalten; nur so konnte der Beamte auf Ver-
langen bestimmte Urkunden ausschreiben oder zitieren, wie
man denn auch anführt : Tomos x, Kollema y. Während diese
Aktenrollen, unsern Aktenbänden vergleichbar, nur die äußere
Form mit der Buchrolle gemein haben, stehen ihr die Ab-
schriften solcher Rollen, ferner die amtlichen Listen über
Einwohner eines Ortes, Steuerbeträge, Grundbesitz usw.
schon bedeutend näher. Dort klebte man die Rolle aus selb-
ständigen, bereits beschriebenen Blättern nachträglich zu-
^nmmen; hier wurde von vornherein eine fertige Rolle be-
hrieben. Natürlich erhielt auch sie eine Nummer, und es
lag nahe, ebenso die Kolumnen zu beziffern, die indessen
durchaus nicht an die einzelnen Blätter gebunden waren,
sondern über die Klebungen hinweggingen. Was hier recht
war, mußte auch für das Buch billig sein, und so wird man
mit einer eigentlich zwecklosenNachahmunggelegentlich auch
yg Zweites Kapitel.
in literarischen Texten jeder Kolumne ihre Ziffer gegeben
haben. Später, als neben der Rolle sich der Kodex mehr und
mehr Geltung verschaffte, konnte auch er bisweilen zum
Vorbilde werden. Außerdem aber blieb es dem Besitzer eines
Buches unbenommen, sich zu seinem Gebrauche dieKolumnen
zu beziffern. Es ist dann seine Privatsache; eine allge-
meine Sitte in Buchausgaben aber ist es nicht gewesen, weil
es zwecklos war, und nach allem, was die erhaltenen Rollen
und Bruchstücke von Rollen zeigen, dürfen wir den Alten
etwas Zweckloses nicht zutrauen.
9. Kürzungen. Obwohl die Abkürzungen der
Schrift, deren man sich im täglichen Leben bediente, dem
Wesen der Buchschrift als einer Schönschrift durchaus wider-
sprechen, hat man doch schon früh sie einzuführen gewagt.
Bereits im 2. Jahrhundert n. Chr. drang ein Verfahren ein,
das der Zeilengleichheit diente, nämhch der Ersatz des
letzten Buchstabens durch einen wagerechten Strich
über dem vorletzten. Es trifft indessen nur das N am Silben-
ende, ist aber hier sehr beliebt geworden, vermutlich im An-
schlüsse an die kursive Schreibweise, die schon früh dazu
neigt, das Schluß-N in Gestalt eines flüchtigen Hakens an den
vorhergehenden Vokal anzuhängen.
Ganz anders steht es mit den übrigen Kürzungen.
Die Zusammendrängung der Buchstaben, die die Kur-
sive erlaubte, ist zwar in literarische Handschriften
mit wenigen Ausnahmen nicht eingedrungen, mag aber
dazu geführt haben, einen Ersatz zu suchen. Dieser
bot sich in einem System von Abkürzungen, das sich
mit sorgfältiger Ausführung der einzelnen Buchstaben ver-
einigen ließ. In der Schrift des täglichen Lebens pflegte man
vielfach Wörter nur soweit zu schreiben, wie es das Ver-
ständnis des Sinnes forderte, und dann den letzten Buch-
staben hoch zu setzen. Da der Sinn und der Zusammenhang
die Auflösung bestimmten, konnte man hier fester Regeln
entbehren. Um ein Beispiel anzuführen, konnte die Ab-
kürzung TToX mit hochgesetztem \ mehrere griechische Wörter
"bezeichnen, aber im Zusammenhange einer geschichtlichen
Darstellung ergab sich die Auflösung in itö\€|uoc »Krieg« oder
ttöXk; »Stadt« von selbst. Dies Verfahren ließ sich also ohne
weiteres für literarische Texte heranziehen und ist in großem
Umfange angewendet worden. Sodann gab es eine Anzahl
Icursiver Buchstabenverbindungen, die eindeutig waren und
-deshalb ohne Gefahr zugelassen werden durften. Das Wort
Kai »und« zeigt in der Kursive sehr oft die Buchstaben ai in
eine einzige gebogene Linie zusammengezogen, und dies
S-förmige Zeichen wurde für ai auch in andern Verbindungen
beliebt. Was aber dem Auge an abgekürzt geschriebenen
Die Buehrolle. yo
Texten vor allem auffällt, sind die schrägen Striche über den
Buchstaben, die sich bald rückwärts, bald vorwärts neigen.
Diese sog. Strichkürzung stellt ein ziemlich festes System dar,
das in allen uns bekannten Fällen ungefähr gleich ist. Sie
betrifft nicht nur kurze Wörter, besonders die gewöhnlichen
Präpositionen, sondern auch häufige Silben, sowohl am Ende
wie in der Mitte des Wortes. Der Anfangsbuchstabe des
Wortes oder der Silbe ergibt je nach der Stellung des Striches
und nach dem Zusammenhange verschiedene Bedeutungen.
So ist z. B. b' = bi, b' dagegen = bid, und |u' kann am Wort-
ende )biu)v, in der Mitte aber nur |uev gelesen werden. Häufige
Wörter werden zu Siglen vereinfacht, indem man ihre Kenn-
buchstaben verbindet; X niit einem mitten hineingeschriebe-
nen p kann nur xpövoc »Zeit« heißen; t, in derselben Weise
mit p verknüpft, ergibt ohne Zweifel rpö-aoc, »Art« usw. Die
allergewöhnlichsten Formen: »ist«, »sind« und »sein« schreibt
man überhaupt nur als Striche, deren Lage sie nach der Be-
deutung unterscheidet. Damit ist freilich die Reihe der
Möglichkeiten nicht erschöpft, und jeder Schreiber hatte
mancherlei eigene Abkürzungen bei der Hand. Man kann
sich vorstellen, wie bunt dies Gewirr von Strichen, hochge-
setzten Buchstaben und Siglen werden muß, wenn es einiger-
maßen regelmäßig durchgeführt wird; manches Wort besteht
dann fast nur noch aus solchen Zeichen. Aber die Schreiber
haben sich niemals streng daran gebunden, sondern gelegent-
lich auch Wörter ausgeschrieben, für die ihr System eine
Kürzung enthielt (vgl. Abb. 22). Auf den Zusammenhang
mit der eigentlichen Kurzschrift, deren Gebrauch für das
Lateinische unter dem Namen der tironischen Noten beson-
ders bekannt ist — Tiro war Ciceros Sekretär — kann ich
hier nicht eingehen.
Nur wenige der erhaltenen literarischen Handschriften
sind ganz und gar abgekürzt geschrieben; außer mehreren
herkulanensischen Rollen ist das wichtigste Beispiel die
Rolle, welche auf der Vorderseite den Kommentar des Didy-
mos zu Demosthenes und auf der Rückseite die Ethische
Elementarlehre des Hierokles enthält; beide Texte, obwohl
von verschiedenen Händen, befolgen ungefähr dasselbe System
der Kürzungen (vgl. Abb. 22). Sonst bemerkt man sie in
literarischen Handschriften nur vereinzelt, am häufigsten in
Randnotizen und in der Personenbezeichnung bei dramati-
schen Werken. Schon damit wird ausgesprochen, daß die
Abkürzungen eigentlich nicht in ein Buch passen; es ist eine
unanständige Sparsamkeit, ein Verzicht auf Schönheit und
Regelmäßigkeit des Aussehens. Dagegen fügt sich dieser
Gebrauch vollkommen in das Bild, das man sich von einer
privaten Abschrift oder einer billigen Buchausgabe machen
8o Zweites Kapitel.
darf, die auf wenig Raum möglichst viel Stoff bringen sollte.
Das System aber dürfte wohl älter sein als das früheste
Beispiel, die Rollen aus Herkulanum. Über seine Verbreitung
kann man schwer urteilen, denn aus der nicht sehr großen
Zahl der bekannten Beispiele darf man keineswegs schließen,
daß Abkürzungssysteme selten gebraucht worden seien.
Eine abgesonderte Stellung nehmen die christlichen
Texte ein, die Handschriften biblischer Bücher sowie die
übrige theologische Literatur (vgl. Abb. 25). Sie bedienen sich
schon früh und mit einer Regelmäßigkeit, die sich sonst bei
den Kürzungen kaum beobachten läßt, bestimmter Abkür-
zungen für gewisse Ausdrücke von theologischer
Bedeutung. Die griechischen Wörter für Gott, Vater, Herr, .
Jesus, Christus, Sohn, Heiland, Geist, Himmel, Mensch, Israel,
und die Ableitungen davon haben ihre festen Siglen, die nur
geringe Abweichungen zulassen und den Kasus des Wortes
hinreichend deutlich angeben, indem sie die Endung bezeich-
nen: z. B. 6c = Öeöc, 9u = GeoO. Der wagerechte Strich über
den Buchstaben macht das Auge sofort darauf aufmerksam
daß eine Abkürzung gemeint ist, was bei dem Fehlen der
Worttrennung nicht überflüssig war. Ursprünglich scheint
der Strich über dem Worte, besonders über Namen, zur
Hervorhebung gedient zu haben; vielleicht steht die Kürzung
mit ihm im Zusammenhange. Von andern Abkürzungen
kommen in christlichen Texten fast nur der Strich für das
Schluß- N und die Schlangenlinie für ai vor. Endlich sei
erwähnt, daß die umfangreiche lateinische Papyrushand-
schrift, der wir eine Übersicht über den Inhalt mehrerer ver-
lorener Bücher des Livius verdanken, die römischen Vor-
namen in der uns geläufigen Weise mit dem ersten Buchstaben
und auch einige technische Ausdrücke wie »Konsul«, »Tribus«
abkürzt. Völlige Einheitlichkeit dürfen wir nirgends er-
warten, da wir ja Handschriften, nicht Drucke vor uns
haben. In jedem Falle bestimmt der Zusammenhang die
Auswahl der Kürzungen und der Zweck der Abschrift den
Umfang ihres Gebrauches.
10. Lesezeichen. In den Buchhandschriften der Grie-
chen werden wie in allen ihren schriftlichen Aufzeichnungen
die Wörter nicht abgesetzt, sondern ohne Unter-
brechung reiht sich innerhalb der Zeile ein Buchstabe an
den andern; nur die Lateiner pflegen die Wö':ter durch kleine
Zwischenräume und durch Punkte zu trennen. Daß in Zauber-
texten manchmal die dem Gläubigen selbst unverständlichen
Zauberwörter durch Punkte getrennt werden, weil man die
sinnlosen Buchstabenreihen sonst nicht gliedern, also weder
richtig lesen noch richtig sprechen konnte, hat mit der Wort-
trennung im gewöhnlichen Sinne nichts zu tun. Auch der
w
Die Buchrolle. 8i
gebildete Grieche oder Römer hatte beim Lesen manche
Schwierigkeit zu überwinden, die uns heute erspart bleibt;
er mußte selbst die Reihe zu gliedern wissen. Mochte das nun
auch dem, der in der Sprache lebte, verhältnismäßig leicht
und durchbeständige Übungzur sicheren Fertigkeit werden, so
empfand man doch die Unbequemlichkeit und suchte ihr
abzuhelfen. Es schien um so notwendiger, je schwieriger der
Text nach Inhalt, Wortschatz und Stil war, vornehmlich
in poetischen Werken. Die meisten älteren Dichtungen,
sei es lyrische Poesie, Tragödie oder Epos, hat der gewöhn-
liche Leser der römischen Kaiserzeit, aus der wir am meisten
Originale haben, gewiß nicht leichter verstanden als der
lieutige Gelehrte. Daher werden gerade in solchen Schriften
allerlei Lesezeichen angewandt, um den Sinn deutlicher
zu machen. Der nach unsern Begriffen einfachste Weg,
nämlich die Wörter zu trennen, lag den Alten ganz fern;
nur in Ausnahmefällen begegnen wir hier und da einem
Anlauf dazu. In den Schriftstücken des täglichen Lebens,
in Briefen und Urkunden, stehen die einzelnen Wörter
manchmal für sich, weil hier das Bestreben, die Buchstaben
mit einander zu verbinden, von selbst dahin führen konnte;
freilich hat man ebenso oft gerade die Wörter zerrissen,
weil die bequeme Strichverbindung das mit sich brachte,
denn das geschriebene Wort war für die Augen der Alten
keine selbständige Einheit. Wie wünschenswert aber eine
Hilfe bei literarischen Texten war, zeigt uns eine Schul-
iibung, worin der Schüler eine Anzahl Homerverse aufge-
schrieben und durch Striche die Wörter getrennt hat. (Vgl.
Abb. 4.)
Das gewöhnlichste Hilfsmittel aber sind die Akzente.
Hls ist beachtenswert, daß die ältesten Papyrustexte keine
Spur davon aufweisen. Erst im ersten Jahrhundert v. Chr.
sehen wir sie verwendet, hier freilich schon häufig und nach
L^ewissen Grundsätzen, so daß man den Ursprung dieses Ver-
ihrcns für älter halten muß. Von da an treffen wir die
Akzente ebenso wie die Zeichen für den Hauch, den Spiritus
Icnis und den Spiritus asper, bis etwa ins 4. Jahrhundert
n. Chr. ziemlich oft, ohne daß man eine erkennbare Zunahme
ihres Gebrauchs beobachten könnte; die Handschriften der
byzantinischen Zeit, soweit sie durch Papyri vertreten wird,
ilso bis etwa ins 8. Jahrhundert n. Chr., haben sie nur ganz
(Iten. Der spätere, mittelalterliche Gebrauch geht uns hier
lichts an. Auch die Sorgfalt der Schrift, die Güte des
Textes und die feine Ausstattung des Äußeren sind nicht
"hne weiteres maßgebend für die Häufigkeit dieser Lese-
• ichen. Vielmehr waren es der unmittelbare Zweck der Ab-
• hrift und das Bedürfnis des Lesers, die darauf hinwirkten.
Schuba r t , Das Buch. a. Aufl. 6
82
Zweites Kapitel.
Das Spiegelt sich auch 'darin wieder, daß oft die Akzente
und dgl. von anderer Hand nachträglich hinzugefügt sind,
sei es von dem Korrektor, der den Text nach Beendigung
der Abschrift durchsah, sei es vom Leser, der sich für das
zweite Mal die Mühe erleichtern wollte. Daneben aber gibt
es auch Buchrollen, die von vornherein mit den Lesezeichen
^icx^.w...
I
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uj^;;-
Abb. i8. Aus einer HomerroUe mit Lesezeichen.
Papyrus. Unter der Kolumne ist ein vom Schreiber vergessener Vers nachg-etragen.
versehen sind, besonders gelehrte Ausgaben schwieriger
Texte. Das eigentliche Feld der Akzente sind die Dichter-
texte; sie kommen aber auch in Prosawerken vor, z. B. in
Handschriften des Demosthenes und des Piaton, die einem
Leser in der Kaiserzeit nicht immer bequem verständlich
sein mochten.
Was wir an Akzenten und Spiritus vorfinden, verrät
ein System, wonach eigentlich jede Silbe ein Zeichen des ihr
Die Buchrolle. 83
zukommenden Tones tragen sollte. Der nach links geneigte
Strich, den wir gravis nennen, gehörte den schwach betonten
Silben, der nach rechts geneigte Strich, der acutus, und
der Bogen, der Zirkumflex, den voll betonten. Für den Ge-
hrauch aber schien eine strenge Genauigkeit nicht nötig.
Man beschränkte sich in der Regel darauf, entweder die
' hwach betonten Silben als solche zu kennzeichnen oder
ier Tonsilbe ihren Akzent zu geben. Zwar trägt in man-
hen Fällen ein Wort auf jeder Silbe den ihr zukommenden
\kzent, aber doch in der Regel aus besonderem Anlaß, z. B.
in zusammengesetzten Wörtern oder bei der Wortbrechung,
wo es wichtig war, den Zusammenhang der beiden Wort-
teile anzudeuten, wenn jeder Teil als selbständiges Wort
aufgefaßt werden konnte. Bindestriche waren ja gänzlich
unbekannt. Zusammengesetzte Wörter wurden überhaupt
mit Vorliebe akzentuiert, aus der begreiflichen Rücksicht
auf den Sinn. Das erwähnte vereinfachte Verfahren hat
sich nun insofern zu einer neuen Regel ausgebildet, als der
gravis, das Zeichen der unbetonten Silbe, meistens verwen-
det wird, wenn die letzte Silbe den Ton hat; diese erhält
dann keinen Akzent. Da es bei längeren Wörtern über-
flüssig war, jede vorangehende Silbe mit dem gravis zu ver-
schen, so pflegte man nur den beiden zunächst stehenden
oder einer von ihnen ihr Tonzeichen zu geben. Viel öfter aber
setzte man den Akzent nur auf die Tönsilbe, besonders wenn
es nicht die letzte war. Allmählich bürgerte sich das jetzt
noch übliche Verfahren ein, die Tonsilbe am Wortende im
fortlaufenden Texte mit dem Gravis zu schreiben, und dieser
Gebrauch trifft nicht selten mit dem älteren zusammen, die
tonlosen Silben mit dem Gravis zu versehen. Sollte ein
Diphthong den Akzent erhalten, so zog man entweder den
gebogenen Zirkumflex über beide Vokale, oder man schrieb
den Akut über den ersten und nur in Ausnahmen über den
zweiten Vokal. Besonders häufig scheint man das Bedürfnis
nach dem Akzent gefühlt zu haben, wenn eines der schwach
betonten Wörter, der im Griechischen zahlreichen Enklitika,
folgte. Dann erhielt die unmittelbar vorausgehende Silbe
den Akut oder auch den Gravis. Sonderbarerweise finden
wir gelegentlich auch das dem Zurückwerfen des Akzents
genau entgegengesetzte Bestreben, den Akzent kurzer Wörter
vorwärts zu rücken. Ein voll betontes Wort erhält dann den
gravis und wird dadurch mit dem folgenden in ein einziges
auf der letzten Silbe betontes Wort zusammengefaßt. Daß
diese seltenen Fälle wirklich so zu verstehen sind, bestätigt
eine Bemerkung in einem Homerkommentar, wo der Er-
klärer ein Beispiel dieser Art anfühlt und als fehlerhaft be-
zfirlinot". Fehlor ?inrl jn nnrh j^^onst oft gcnuggemachtworden;
6»
$4 Zweites Kapitel.
nicht jeder Schreiber oder Leser wußte sich Rat in der An-
wendung der Tonzeichen.
Der Spiritus, das Zeichen des schwachen oder starken
Hauches, wurde sehr unregelmäßig verwendet; der Spiritus
asper ziemlich häufig, sogar da, wo wir ihn nicht setzen, in
der Mitte eines zusammengesetzten Wortes, dessen zweiter
Bestandteil für sich genommen mit einem starken Hauche
beginnt. Sehr selten ist der Spiritus lenis; er wird eigent-
lich nur geschrieben, wenn die Buchstabengiuppe, mit dem
Spiritus asper versehen, eine andere Bedeutung hat.
Es gibt keine Handschrift, die durchweg akzentuiert wäre,
es gibt auch keine, die nicht in vielen Fällen von der Regel
abwiche. Am häufigsten finden wir diese Lesezeichen in
den Homertexten; aus Homer sind verhältnismäßig sehr
viel Bruchstücke auf uns gekommen, so daß wir hier ein
reiches Material überblicken, und überdies war Homer der
wichtigste Lesestoff der Schule, das allen bekannte und von
allen gelesene Buch, dessen Schwierigkeiten daher am drin-
gendsten eine Erleichterung forderten. Außerdem haben wir
in reichlich akzentuierten Exemplaren die Lyriker, Pindar,
(vgl. Abb. 20),wieKorinna, Alkaios undSappho, Kallimachos
und Kerkidas, aber auch Dramen. Ein besonders schönes
Beispiel ist die Rolle, welche die Gedichte des Bakchylides
enthält; gerade sie zeigt deutlich, daß der Akzent nur als
Hilfsmittel verwendet wird, um einer Verwechslung vorzu-
beugen; wo der Ton auf einer kurzen Silbe steht, während
dicht daneben ein langer Vokal tonlos bleibt, wo ein seltenes
Wort vorkommt, da pflegt man ihn zu schreiben. So er-
klärt es sich auch, daß er gern auf Eigennamen gesetzt wird,
am häufigsten in den kleinen Gedichten des Herodas, und daß
in den Liedern der Sappho und des Alkaios der vom Gemein-
griechischen abweichende Ton des lesbischen Dialekts mehr-
fach angegeben wird.
Neben Akzent und Spiritus brachte das Bedürfnis des
Lesers einige andere Zeichen hervor, die im Grunde dem-
selben Zwecke dienten.' In der Bakchylideshandschrift und
in ein paar andern werden lange, zusammengesetzte Wörter
gelegentlich an der Fuge mit einem darunter gezogenen Bogen
als eins bezeichnet ; sie tragen meistens zugleich einen Akzent,
eben weil sie nicht ohne weiteres verständlich schienen. Daf3
man Länge und Kürze einer Silbe nicht selten in unserer
Weise durch einen wagerechten Strich und einen Bogen
hervorhob, ist bei der Bedeutung der Quantitäten im griechi-
schen Verse zu erwarten; in Prosa kommt es nur sehr selten
vor. Endlich sei noch erwähnt, daß ein alter lateinischer Text
in der Weise mancher Inschriften über die langen Vokale
einen Apex, d. h. einen nach unten geöffneten Winkel setzt;
Die Buchrolle. 85
Akzente bleiben im Lateinischen seltene Ausnahme. Als
Lesezeichen sind wohl auch die sog. diakritischen Punkte
anzusehen, die etwa seit dem 2. Jahrh. n. Chr. häufig
auf den Vokalen Jota und Ypsilon erscheinen, ur-
sprünglich, wenn diese Vokale unmittelbar neben einem
andern als selbständige Silbe gelesen werden sollten.
Das Verständnis dafür ist den Schreibern freilich früh ab-
handen gekommen; sie setzen die Punkte auf diese Vokale
ohne Wahl, wie es ihnen gerade einfällt. Zu den gewöhn-
lichsten Lesezeichen gehört endlich der Apostroph, der-
sich auch in byzantinischer Zeit behauptet hat.
Es fehlte auch nicht an Mitteln, um das Wortgefüge, den
Satz, als Ganzes hervorzuheben und zu begrenzen. Die
Interpunktion ist schon in sehr alten Texten nachweisbar
und in weitem L'mfange angewandt worden. Man unterschied
den Punkt oben in der oberen Randlinie der Buchstaben, den
Punkt unten inZeilenhöheund den Punkt in der Mitte,
gebrauchte sie aber ziemlich regellos bald für den stärkeren,
bald für den schwächeren Einschnitt. Der Doppelpunkt
ist das älteste Zeichen der Satztrennung, hat sich aber nur
im Dialog des Dramas wie der Prosa beim Wechsel der Rede
innerhalb der Zeile dauernd behauptet, während er in der
Prosa dem einfachen Punkte weichen mußte und nur selten
seine Stelle vertritt. Die Alten haben aber auch einen Anlauf
zu dem nahe liegenden Verfahren genommen, die Sätze durch
einen leeren Raum von einander zu sondern, und zwar auf-
fallend oft in den ältesten Buchhandschriften in Poesie und
Prosa, ein Gebrauch, der zwar niemals ganz einschläft aber
erst spät sich wieder ausbreitet. Diese Art, Gedanken fürs
Auge abzugrenzen, begegnet auch in Urkunden und Briefen,
denen jede Interpunktion fast ohne Ausnahme fehlt. Bei
größeren Sinnabschnitten wird häufig der Rest der Zeile frei-
gelassen, der neue Abschnitt also mit der neuen Zeile be-
gonnen.
Hohen Alters ist auch die Paragraphos, der wage-
rechte Strich unter dem Anfang derjenigen Zeile, worin der
Gedankengang endet. Ihren ursprünglichen Sinn zeigen die
frühesten Beispiele: da steht ein Strich mitten in der Zeile,
illein oder mit dem Doppelpunkt, meistens, aber nicht
mmer, am Anfang als Paragraphos wiederholt, um von vorn-
iicrein auf den Einschnitt aufmerksam zu machen. Dies gilt
sowohl für die Prosa wie für die Gliederung des Dialogs. Von
da an steht sie allein oder in Beziehung auf eine Interpunktion
in sorgfältigen Buchhandschriften fast regelmäßig; die dia-
logische Gliederung bezeichnet sie nicht nur im Drama, son-
lern auch in ähnlich angelegten Dichtungen, wie den Mimiam-
)en des Herodas, und in dialogischer Prosa, z. B. in einigen
86 Zweites Kapitel.
Piatonhandschriften (vgl. Abb. 21). Bei strophischer Gliede-
rung im Drama wie in der Lyrik schließt sie naturgemäß
die Strophe ab. Auslassungen und falsche Anwendungen
bleiben selbstverständlich auch hier nicht aus. Wollte man
den Abschluß eines längeren Gedankenganges bezeichnen, so
schien die einfache Paragraphos nicht zu genügen; sie wurde
dann mit Schnörkeln verziert, und dies Strichgewinde hieß
seiner Gestalt entsprechend Koronis. Sie gehörte ans Ende
eines ganzen Buches, »indem sie die letzte Wendung bezeich-
net als zuverlässiger Grenzwächter für die Schriftreihen«, und
deshalb »thront sie mit ihrer Schlangenwindung am Ziele der
Gelehrsamkeit«, wie der Epigrammdichter Meleager am
Schlüsse seines Liederkranzes von ihr sagt. So sehen wir sie
auch oft in den erhaltenen Papyrustexten, z. B. in dem Kom-
mentare des Didymos zu den Reden des Demosthenes sowohl
am Ende der Rolle vor dem Schlußtitel als auch da, wo die
Erläuterung der einzelnen Reden abschließt (vgl. Abb. 22).
In poetischen Werken begrenzt sie die Strophen oder die
lyrischen Systeme, wofern sich der Schreiber mit der Para-
graphos nicht begnügen will. Im allgemeinen entsprechen
die Papyri der Regel des Grammatikers Hephaistion, indem
sie die Strophe mit der Paragraphos, das Lied mit der
Koronis beschließen. Im Timotheospapyrus steht vor dem
letzten Abschnitte ein sonderbares Gebilde, das fast wie ein
Vogel aussieht, zugleich aber eine beabsichtigte Verbindung
von Buchstaben, ein Monograrrim zu sein scheint. Daß
dieser angebliche Vogel eine Koronis sei oder gar die Krähe
darstelle, deren griechischer Name Korone die Verbindung
mit Koronis nahelegen könnte, ist freilich eine unsichere
Vermutung. Man tut besser, das Zeichen vor der Hand
unerklärt zu lassen. Jedenfalls ist es hier ganz anders ge-
staltet als die richtige Koronis, die immer als eine Ver-
zierung der Paragraphos auftritt.
Gelegentlich werden Abschnitte des Sinnes durch Aus-
rücken oder Einrücken einer Zeile hervorgehoben. Ebenso
machte man Zitate kenntlich, natürlich vor allem in Kom-
mentaren zu andern Schriften, wo es galt, die Worte des
Klassikers deutlich von der Erläuterung zu sondern. Oft
wurden sie auch durch einen spitzen Winkel am Anfang,
selten durch einen Strich am Ende der Zeile als solche für
das Auge bezeichnet; daß daneben auch die Paragraphos
helfen mußte, versteht sich von selbst. Beginnt das Zitat
Innerhalb der Zeile, so stehen diese äußeren Hinweise doch
immer an ihrem Anfange. Man leistete mit diesen Mitteln
dasselbe, was wir heute durch gesperrten Druck erreichen.
Noch mehr als in Prosatexten spielt das Ausrücken oder
Einrücken der Zeilen eine Rolle in Dichterhandschriften, vor-
Die Buchrolle. 87
nehmlich da, wo eine metrisch anders gebaute Versgruppe
beginnt. Die Chorlieder der Tragödie, die man in kurzen
Zeilen zu schreiben pflegte, heben sich vom Dialog schon
äußerlich dadurch ab, daß ihre Zeilen etwas weiter rechts
beginnen. Und ähnlich wird in Texten lyrischen Inhalts der
Beginn einer neuen Strophe bezeichnet. Alle diese Mittel,
einen größeren oder kleineren Sinnabschnitt kenntlich zu
machen, dienen der Deutlichkeit und Verständlichkeit. Im
allgemeinen regelmäßiger als die Akzente gebraucht, ent-
stammen sie doch ebenso dem nächsten Bedürfnis des Lesers,
werden daher nicht immer streng folgerecht gesetzt, nicht
immer mit einander in Beziehung gebracht und geben an sich
kein untrügliches Kennzeichen für die Güte und Sorgfalt
einer Handschrift.
II. Besonderheiten im Drama. Der Dialog im
Drama, dessen Gliederung äußerer Hinweise besonders
bedurfte, hat sich lange mit den genannten Zeichen, beson-
ders dem Doppelpunkte, begnügt. Erst in der Kaiserzeit
begegnen wir der Sitte, die uns geläufig ist, nämlich die Namen
der redenden Personen in abgekürzter Form an den linken
Rand zu schreiben; nur ausnahmsweise stehen sie am rechten
Rande. Allein man verzichtete deshalb keineswegs auf die alten
Zeichen, sondern vei wendete sie neben dem neuen Verfahren.
Völlige Genauigkeit hat man in ihrem Gebrauche niemals
zu erreichen vermocht, da gerade in diesen Dingen am leichte-
sten dem Schreiber ein Versehen unterlaufen konnte. Daß
die Personenbezeichnung durch vorangesetzte Namen eigent-
lich eine der Sache fremde Zutat war, spiegelt sich in der Ab-
kürzung dieser Namen; sie gehörten nicht zum Texte und
durften auch äußerlich als eine Nebensache behandelt werden.
Daher sind auch die Schriftzüge hier in der Regel kleiner und
mehr kursiv als die Buchstabenformen des Textes, manchmal
ersichtlich erst von einer zweiten Hand hinzugefügt. Die
Art der Abkürzung entspricht jedesmal den Anforderungen
der Deutlichkeit, und in vielen Fällen genügen ein oder zwei
Buchstaben dafür. Nur für den Chor, der ja in der Tragödie
und der Alten Komödie immer auftritt, scheint sich eine ziem-
lich feste Bezeichnung ausgebildet zu haben, nämlich die Kür-
zung xop, wobei meistens p hochgesetzt wird, bisweilen aber/in
die Mitte, o darüber und p darunter kommt. Für sich steht
eine Handschrift aus dem 2. Jahrhundert n. Chr., die für
die Hauptpersonen nicht Abkürzungen, sondern Buchstaben,
also Ziffern, gebraucht, obwohl diese Personen im Texte
selbst mit eigenen Namen angeredet werden. Neben ihnen,
die wir bis zur Zahl 7 verfolgen können, finden sich für die
Nebenrollen gewöhnliche Abkürzungen, die ihren Charakter
als «König«, «Weib« usw. angeben. Indessen darf man daraus
88 Zweites Kapitel.
keinen allgemeinen Gebrauch erschließen, wenigstens nicht
für die Handschriften der höheren dramatischen Poesie, sei
es Trauerspiel oder Lustspiel. Denn dieses Stück, das in der
oberägyptischen Provinzialstadt Oxyrhynchos gefunden
worden ist, gibt sich als eine Posse niederen Ranges zu er-
kennen und lehrt uns in seinem Inhalte, wie diese Tageslitera-
tur beschaffen war, mag es nun dem Theater von Oxyrhynchos
angehören oder anderswoher stammen. Es behandelt einen
auch in Romanen verwerteten Stoff: ein griechisches Mädchen
ist in ein fernes Land, hier Indien, verschlagen worden und
wird von seinem Bruder und dessen Genossen wiedergefunden.
Wenn hier der König des Landes und sein Gefolge in ihrer
barbarischen Sprache, die der Papyrus wiedergibt, zu reden
anfingen, mag das PubHkum sich köstlich an dem unver-
ständlichen Zeug unterhalten haben, nicht minder an den
Spaßen und den unanständigen Manieren des Possenreißers.
Die Personen vertraten hier weniger einen Charakter als einen
Menschentypus, und so mochte es genug sein, sie mit A, B
usw. zu bezeichnen. Vielleicht war das in solchen Werken
überhaupt gebräuchlich; die höhere dramatische Poesie gab
und forderte bestimmtere Benennungen.
Auf solche Äußerlichkeiten, wie es die Zutat der Namen
ist, Betrachtungen allgemeiner Art aufzubauen, mag bedenk-
lich erscheinen. Da aber diese Hilfe den ältesten Handschriften
fremd ist und ziemlich spät sich einstellt, so erinnert man sich
unwillkürlich daran, daß das Drama aus dem angeschauten
Bühnenvorgange ein Literaturwerk, ein Lesestück geworden
ist. Denn die Tragödie eines Sophokles war von Hause aus
nicht darauf angelegt, gelesen zu werden, und gab auch dann,
wenn sie wirklich nur gelesen wurde, noch deutlich genug an,
welche Personen die Zwiesprache führten. So oft eine neue
Person zum ersten Male auftritt, wird sie in ganz klarer Weise
bezeichnet, meistens sogar mit Namen genannt, vor allem
natürlich am Anfang des Stückes, wo der Zuschauer gleich
erfahren mußte, wen er vor sich hatte. Man betrachte die
Antigone; unter der Voraussetzung, daß das Publikum im
allgemeinen über den dramatisch behandelten Sagenstoff
Bescheid weiß, gibt der erste Vers schon zu erkennen, daß
Antigone spricht, da Ismene als Schwester angeredet wird.
Sollte noch jemand zweifeln, so wird er gleich durch die
Worte der Ismene darüber aufgeklärt. Der dann auftretende
Chor bedarf keiner Einführung, da er sich als solcher ohne
weiteres dem Auge darstellt. Mit seinen letzten Worten
kündigt er an, daß der aus dem Palaste heraustretende Mann
der König Kreon ist. Erscheint nachher der Wächter, so
kennzeichnet ihn, auch abgesehen von der Tracht, sofort der
erste Satz, den er ausspricht. Diese der Bühne angepaßte
Die Buchrolle. 89
Gewohnheit wird in mannigfaltigen Wendungen immer
befolgt und macht im Grunde nicht nur für den Zuschauer,
sondern auch für den Leser die Nennung der Person neben
dem Texte überflüssig. Und da das Gespräch sich meistens
nur zwischen zwei Personen bewegt, so wird man auch beim
Lesen hinreichend durch Paragraphos und Punkte unter-
stützt. Treten gleichzeitig mehr Personen auf, so liegt es
schon näher, die Namen an den Rand zu schreiben. Wie sehr
aber neben dieser neuen Mode die ältere einfache Sitte sich
behauptet hat, beweist am besten die spätere Überlieferung
mit ihrer Unsicherheit in der Zuteilung der Reden an die
Personen, namentlich in den bewegten Vers um Vers wech-
selnden Teilen. Dasselbe lehren die Papyri, denn nirgends
werden die Personen regelmäßig bezeichnet, so daß man auch
hier nur allzu oft vor der Frage steht, wer denn eigentlich rede.
Das Verfahren der Dialogbezeichnung hat in ein paar
Fällen vom Drama aus auf andere Literaturwerke über-
gegriffen, wenn eine ähnliche Gliederung vorlag. So lesen
wir in einer Homerhandschrift der Kaiserzeit mehrmals am
Rande die Namen der sprechenden Personen, z. B. des
Diomedes, wo dessen W^orte angeführt sind, und ein andermal
beim Beginn der Erzählung in Abkürzung: »Der Dichter«.
Wie es den ältesten Handschriften der Tragödie und
der Komödie an der Nennung der Personen fehlt, so mangelt
ihnen auch alles, was wir szenische Bemerkungen zu
nennen pflegen. Kehren wir wieder zu Sophokles zurück.
Die Szenerie war hier an sich schon viel zu fest und regel-
mäßig, als daß sie besonderer Hinweise bedurft hätte. Der
Dichter selbst übte die Aufführung ein und konnte alles
Notwendige über Auftreten, Gebärden usw. den Schau-
spielern selbst sagen, soweit nicht auch dies durch überlieferte
Gewohnheit sich von selbst ergab. Man darf sich über-
haupt eine solche Aufführung im Athen des 5. Jahrhunderts
ja nicht nach dem Bilde heutiger Theatersitte vorstellen;
schon das gewaltige Theater nötigte zu einfachem Spiel und
verbot jede Charakteristik, die nicht weithin sichtbar und
ohne weiteres verständlich war. Außerdem müssen wir die
Buchausgaben von den Texten, die der Aufführung dienten
und in der Hand des Spielleiters wie der Darsteller waren,
nachdrücklich scheiden. Mochten hier allerlei Winke nötig
und vorhanden sein, so konnte man im nur gelesenen Buche
ihrer entbehren. Es ist also kein Wunder, daß in der Regel
auch unsere Papyrushandschriften keinerlei szenische Be-
merkungen enthalten. Nur in Komödien, die größere Leb-
haftigkeit verlangen und freieres Spiel erlauben, kommen sie
vor, und nicht vor dem 2. Jahrhundert n. Chr., also unter sehr
veränderten Theaterverhältnissen. Aber auch hier sind sie im
QO Zweites Kapitel.
Vergleich mit modernen Stücken sehr kurz, am ehesten den-
jenigen alter Shakespeare-Ausgaben vergleichbar. Wie es
in diesen kurz heißt: »exeunt«, so lesen wir in der Perikeiro-
mene des Menander: »tritt auf« und »tritt ab «, in einer
Aristophaneshandschrift einmal: »spricht für sich«. Etwas
ergiebiger ist wiederum die Posse aus Oxyrhynchos. Sie
bringt sogar Anweisungen für die Musikbegleitung, z. B.
»Pauken«, »Pauken fünfmal«; ist ein Wort als eine Art
von Refrain von allen zu sprechen, so steht dabei »zusammen«
und dgl. mehr. Alle diese Anweisungen stehen im geschriebe-
nen Texte da, wo sie hingehören, also auch mitten in der
Zeile, meistens abgekürzt oder über die Worte der Rede
geschrieben. Übrigens findet man hier wie in der Menander-
handschrift auch die Personenbezeichnung manchmal in der
Zeile oder darüber. Man wird aber aus den wenigen Bei-
spielen solcher szenischen Bemerkungen nicht folgern dürfen,
daß sie in Buchhandschriften sich verbreitet hätten. Das
Exemplar jener Posse macht durchaus den Eindruck einer
Abschrift von geringer Güte, die keinen Anspruch auf Schön-
heit erhob, wie sie denn auch in ungewöhnlich langen Zeilen
geschrieben ist; vielleicht haben wir es sogar mit einem Rollen-
auszuge für einen Schauspieler zu tun. Vor allem aber lag
den Alten eine Bühnenanweisung bis ins Kleine, wie sie z. B.
Ibsen gibt, ganz fern.
12. Korrektur. Hatte der Schreiber seine Arbeit voll-
endet, so war damit das Buch noch nicht fertig und noch
nicht für den Buchhandel bereit. Seine Arbeit bedurfte einer
gewissenhaften Prüfung, wenn sie mehr als ein Schaustück
sein sollte. Während beim heutigen gedruckten Buche die
Korrektur dem endgültigen Drucke vorausgeht, ist sie für
die geschriebene Buchrolle erst dann möglich, wenn die Ab-
schrift fertig vorhegt. Auch der sorgsamste und erfahrenste
Schreiber begeht Fehler, zumal wenn er einen langen Text
niederzuschreiben hat, der an seine Ausdauer erhebliche An-
forderungen stellt. Man darf ohne Übertreibung behaupten,
daß es fehlerlose Buchhandschriften nicht gibt, denn wo wir
etwa ein fehlerfreies Bruchstück entdecken, ist eben nur der ge-
ringe Umfang des Erhaltenen die Ursache des günstigen Ergeb-
nisses. Auch die schönsten Buchrollen, z. B. der Panegyrikos
des Isokrates und eine Handschrift des Phaidros aus Oxy-
rhynchos, weisen viele Versehen und Mißgriffe auf (vgl.
Abb. 21). Diese sind sehr verschiedener Art; man unter-
scheidet meistens deutlich die eigentlichen Schreibfehler von
den Willkürlichkeiten, die auf Mißverständnissen beruhen.
Je nachdem der Schreiber seine Arbeit rein mechanisch machte
oder sich etwas dabei dachte, tritt die eine oder die andere
Art besonders hervor. Oft genug mag die Vorlage schuld sein.
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Die Buchrolle.
91
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^
Abb. 19. Oeschichtserzählung: in ionischer Mundart,
durehkorrigien, vermutlich Manuskript des Verfassers.
sei sie nun von einer unleserlichen Hand, sei sie in Abkür-
zungen geschrieben oder sonst fehlerhaft. Demgemäß ist auch
die Tätigkeit des Korrektors verschieden; bald richtet sie sich
hauptsächlich auf die Verschreibungen, bald mehr auf die
orthographischen und sachlichen Mängel der Abschrift. Es
ist für uns gleichgültig, ob Korrektor und Schreiber eine
Person sind oder nicht. Oft, aber keineswegs immer, gibt uns
die Schrift der Korrekturen eine Aufklärung darüber.
Die Schreibfehler äußern sich darin, daß ähnlich aus-
02 Zweites Kapitel.
sehende Buchstaben verwechselt, Silben, Wörter, ja ganze
Zeilen ausgelassen, aber auch ganze Buchstabengruppen
fälschlich wiederholt oder zugefügt werden. Auch die un-
richtige Auflösung einer Abkürzung, die verkehrte Stellung
zweier Wörter und die falsche Schreibung seltener oder poeti-
scher und dialektischer Ausdrücke wird in der Regel auf
Nachlässigkeit des Abschreibenden zurückgehen. Um über-
flüssige Buchstaben zu tilgen, setzt der Korrektor über jeden
einen Punkt, über ein solches Wort einen Strich, oder er
streicht sie durch, und häufig tut er um der Deutlichkeit
willen beides. Ist etwas ausgelassen worden, so schreibt er
das Fehlende über die Zeile; nimmt jedoch die Verbesserung
mehr Platz in Anspruch, so ist er auf die leeren Randflächen
angewiesen. Der Zwischenraum zwischen den Kolumnen,
der nicht breit zu sein pflegt, kommt nur für Korrekturen
mäßigen Umfangs in Betracht; man pflegt sie rechts neben
<lie Kolumne zu schreiben. Bei längeren Auslassungen muß
der obere und der untere Rand aushelfen. Die fehlende Zeile
■oder der fehlende Satz wird dann über oder unter der Ko-
lumne nachgetragen und erhält ein Zeichen, einen gebogenen
Strich, ein Kreuz oder dergleichen, das neben dem Texte an
der besserungsbedürftigen Stelle wiederkehrt, so daß der
Leser sich leicht zurechtfinden kann. Und oft schreibt man
noch neben den Nachtrag ein »oben« oder »unten«, dem im
Texte ein »unten« oder »oben« entspricht (vgl. Abb. l8). In-
dessen findet sich diese Genauigkeit nicht überall; man
begnügt sich vielfach mit einem dieser Mittel und überläßt
das Weitere, bisweilen auch alles, dem Leser. Unser Ver-
fahren, eine irrtümlich hinzugefügte Stelle einzuklammern,
ist selten, kommt aber doch in ein paar Beispielen vor.
Ebensowenig scheint es üblich gewesen zu sein, einen aus-
gestrichenen Buchstaben durch einen darunter gesetzten
Punkt wiederherzustellen; in solchen Fällen zieht der Kor-
rektor es vor, das Richtige darüber zu schreiben, nur im
Theätetkommentar sehen wir einmal den Punkt unter dem
gestrichenen Buchstaben. Falsch gestellte Wörter bringt
man in Ordnung, indem man kurzerhand sie tilgt und noch
einmal schreibt oder Buchstaben als Ziffern darüber setzt,
•ganz in unserer Weise.
Äußerlich gleichen die Korrekturen, die orthographische
Fehler und Mißverständnisse berichtigen, natürlich den vori-
gen, denn auch für sie gab es nur die genannten einfachen
Mittel. Dagegen stellen sie an den Korrektor höhere An-
sprüche, denn er muß nicht allein die Vorlage vergleichen,
sondern sie auch verstehen und gelegentlich verbessern
können. Er hat freilich oft genug nur wenig Mühe aufge-
wendet, um in zweifelhaften Fällen das Echte zu ermitteln.
Die Buchrolle. ^3.
und meistens nach Gutdünken korrigiert. Aber man bemerkt
doch bisweilen, daß bestimmte Grundsätze befolgt werden^
wie denn der Korrektor des Theätetpapyrus in der Ortho-
graphie ersichtlich von der Vorlage abweicht (vgl. Abb. 16) und
ein anderer in einer Thukydideshandschrift das attische tt
durch das gemeingriechische ss ersetzt. Die Verbesserungen
sind fast durchweg flüchtiger geschrieben als der Text; daraus
darf man aber nicht ohne weiteres entnehmen, sie stammten
von anderer Hand, denn wie die gewöhnliche Schrift des
Schreibers aussah, kann uns seine Schönschrift im Texte nicht
lehren. Dagegen bieten die Korrekturen durch ihre Neigung
zu kursiven Formen ein wichtiges Hilfsmittel, um Buchhand-
schriften zu datieren. Wenn wir einige Male neben einer
korrigierten Zeile ein Kreuz oder ein ähnliches Zeichen be-
merken, so liegt die Deutung nahe, daß der Korrektor beim
ersten Lesen sich die fehlerhafte Stelle nur angestrichen und
erst nach Überlegung oder Nachforschung verbessert habe.
Er konnte überhaupt nicht eine ganze Buchrolle hinter ein-
ander korrigieren, um so weniger, je ernster er seine Aufgabe
nahm; die schrägen Striche, die manchmal am linken Rande
bei einer nicht korrigierten Zeile stehen, mögen anzeigen,
wie weit er jedesmal gekommen ist. Es ist kein Wunder, daß
auch ihm vieles entgeht, und daß er umgekehrt auch einmal
etwas ändert, was gut und richtig ist. Denn abgesehen von
der Ermüdung, die jeder kennt, der einmal umfangreiche
Korrekturen gelesen hat, ist nur allzu oft auch die Sachkennt-
nis des Korrektors nicht viel größer als die des Schreibers.
Beide haben ihre Arbeit oft recht flüchtig und mechanisch
getrieben. Immerhin kann die Korrektur den Wert des
Textes nur erhöhen, und damit stimmt es überein, wenn
gerade sorgfältige und schöne Handschriften viele Verbesse-
rungen aufweisen; daneben stehen allerdings auch Buchrollen
von glänzendem Aussehen, deren Text schlecht und vom
Korrektor kaum berührt ist, Luxusbücher für solche, die nur
damit prunken wollen. In gewissen Grenzen gibt deshalb
die Menge der Korrekturen einen Maßstab für die Güte des
Textes und den Wert der Buchrolle an die Hand.
13. Anmerkungen. Streng genommen besteht die
Aufgabe des Korrektors nur darin, an fehlerhaften Stellen
das Richtige einzusetzen, ohne in irgend einer Form
seine persönliche Meinung auszudrücken. Allein es war an
sich wohl möglich, die Verbesserung in eine selbständige
Bemerkung einzukleiden, und wo es zweifelhaft schien, was
richtig sei, war es zweckmäßig, diese Unsicherheit auch aus-
zusprechen, zumal in den gar nicht seltenen Fällen, wo die
Vorlage schon zwei' oder mehr Fassungen bot oder mehr ais-
eine Vorlage herangezogen wurde. Wenn wir Bemerkungenr
Q4 Zweites Kapitel.
darüber oder im Didymospapyrus eine Korrektur mit »viel-
leicht« eingeleitet finden, so gehört das eigentlich schon zu den
Anmerkungen, nicht mehr zu den Korrekturen. In Wirk-
lichkeit läßt sich beides gar nicht streng scheiden; oft genug
werden freilich die Anmerkungen nicht vom Korrektor,
sondern von einem Leser herrühren. Derii Aussehen nach
gleichen sie den Korrekturen; auch sie werden zwischen den
Zeilen, an den seitlichen Rändern der Kolumne, darüber und
darunter angebracht. Sie sind in den uns beschäftigenden
Papyrusrollen keineswegs selten, bisweilen breit, öfters kurz
gefaßt und immer ziemlich willkürlich gesetzt. Wo der Be-
nutzer des Textes etwas zum Verständnisse beizutragen
wußte, wo er sich selbst das zweite Lesen durch Notizen über
einzelnes wie über den Inhalt ganzer Abschnitte erleichtern
wollte, da schrieb er eine Bemerkung hin; ebenso der Kor-
rektor, der aus andern Ausgaben , durch gelehrte Arbeit sogar
aus andern Büchern Stoff zur Erklärung zu sammeln wußte.
Diese »Schollen«, wie man sie zu nennen pflegt, betreffen
nicht selten den Wortlaut des Textes selbst. Die alexandrini-
schen Grammatiker hatten solche Untersuchungen der älteren
griechischen Literatur zugewendet und ein System kriti-
scher Zeichen herausgebildet, das mit Strichen und Punk-
ten bestimmte Urteile ausdrückte. So besagte die »diple»,
der nach links gespaltene Strich, daß in grammatischer Be-
ziehung etwas zu erinnern sei, der »Asteriskos«, der Stern,
daß die Stelle sonst noch in demselben Werke vorkomme, der
Obelos, d. h. der Spieß, daß sie unecht sei usw. Dieser kriti-
schen Zeichen gibt es eine ganze Menge, ohne daß wir immer
über ihre Bedeutung Bescheid wüßten; sie treten zwar vor-
wiegend in den Homertexten auf, aber doch auch in vielen
andern, auch in prosaischen Werken. Gewiß sind sie zum
großen Teile aus den alten alexandrinischen Ausgaben in die
späteren Abschriften übergegangen und gleich vom Abschrei-
ber mit eingesetzt worden; jedoch wird man im einzelnen Falle
schwer entscheiden können, ob ein Strich, ein Sternchen, ein
Haken dem Schreiber des Textes zuzurechnen sei oder einem
andern. Bei der Einfachheit dieser Zeichen läßt sich nicht
einmal eine genaue Grenze zwischen ihnen und den Stri-
chen des Korrektors ziehen. Natürlich gehören alle
diese Zeichen an den linken Rand vor die Zeile, und es
erscheint deshalb als Unschicklichkeit, sie mitten in die Zeile
zu schieben, wie es ein später biblischer Kodex tut. Nicht
selten geht die Textkritik über solche Symbole hinaus; so
werden in der an Schollen reichen Handschrift der Päane
Pindars zahlreiche »Varianten« des Textes mit Berufung auf
Gelehrte wie Zenodotos und Theon angemerkt oder auch
einfach mit einem »man schreibt« eingeführt, ähnlich im
Die Buchrolle. q5
Papyrus der Spürhunde des Sophokles; in einem Homertexte
wird die allgemein übliche Lesart als »koine« (allgemeine)
bezeichnet. Die Reihe ließe sich leicht verlängern.
Sprachliche und sachliche Erläuterungen sind in den Hand-
schriften des Mittelalters so häufig und so reich ausgebaut,
daß man dasselbe für ihre Vorlagen aus dem Altertum an-
nehmen muß, denn ihrer alten Gelehrsamkeit entstammen
jene Scholien. Das bestätigen auch die Papyrusfunde immer
mehr.: Inhalt, Namen, Zeit der Abfassung, Versmaß, Gramma-
tik, Dialektformen und alles Mögliche andere finden wir bei
Pindar, bei den Lesbiern Sappho und Alkaios, bei Korinna,
bei Kallimachos usw. erörtert. Vornehmlich sind es die Werke
der Dichter, die solcher Erklärungen bedurften und bereits von
den alexandrinischen Gelehrten nach allen Richtungen durch-
gearbeitet wurden. Wenn ihnen Homer auch in dieser Be-
ziehung an erster Stelle stand, so zeugen zwar auch die Papyri
dafür; aber es ist ein besonderes Glück, daß sie uns noch
mehr Scholien zur alten Lyrik, zu Kallimachos u. a. geschenkt
haben. Neben Texten, die oft zerstört oder schwer lesbar
sind, haben die vScholien schon mehr als einmal sogar dazu
geholfen, den Wortlaut des Textes zu ermitteln. Bei Prosa-
schriften finden wür sie in den Papyri bis jetzt viel seltener,
vielleicht w^eil hier der Leser nicht auf Schritt und Tritt
Schwierigkeiten begegnete. Aber an sich gab es auch hier
Anlaß genug zu sachlichen wie sprachlichen Ausführungen,
und so mag es z. T. Zufall sein, daß wir auf diesem Gebiete
noch nicht so viel entdeckt haben.
Nebenbei sei bemerkt, daß die Scholien gewissermaßen
zur Selbständigkeit geführt in den Erläuterungsschriften er-
scheinen, die alexandrinische Gelehrte den Klassikern in
Poesie und Prosa gewidmet haben. Davon geben uns die
Papyri umfangreiche und kostbare Beispiele. Wohl das
wichtigste ist die Rolle, die den Kommentar des Didymos zu
Demosthenes enthält und uns mit einer Fülle gelehrten
Stoffes überschüttet. Aber auch große Stücke von Homer-
kommentaren, von Inhaltsangaben und Erläuterungen dra-
matischer Werke treffen wir unter den Papyrusfunden, ganz
abgesehen von der sonst überlieferten Erklärungsliteratur.
Auch die Wörterbücher zu einzelnen Werken dürfen hier
genannt werden. Die Vokabeln und die Wortformen der
homerischen Gedichte waren vielen Lesern, vor allem den
Schülern, keineswegs geläufig, und Übersetzungen mochten
recht nötig sein. Deshalb hat schon mancher Benutzer zu
den alten und poetischen Ausdrückensich die entsprechenden
prosaischen seiner Zeit hinzugeschrieben. Allgemein aber
standen dafür eigene Wörterbücher zur Verfügung, und der
fleißige Schüler legte sich auf Wachstafeln Präparationshefte
96
Zweites Kapitel.
zu Homer an, um nicht wie bequemere Kameraden das Buch
selbst zu verunzieren.
Es bleibt noch eine dritte Gruppe von Anmerkungen
übrig, die keinerlei eigenes Wissen an den Text heranträgt,
sondern nur dazu dient, die Übersicht zu erleichtern. Man
machte sich, vornehmlich bei längeren Texten, Notizen
über den Inhalt in Gestalt von Überschriften über den Ko-
lumnen. In größter Ausdehnung ist dies im Didymos-
J
Die Buchrolle. gy
kommentar und in der Ethischen Elementarlehre des Hiero-
kles, auf der Rückseite desselben Papyrus, geschehen. Die
Überschriften sind kursiver geschrieben als der Text, können
aber allenfalls derselben Hand angehören. Meistens erhalten
sie ein Zeichen, das sich an der entsprechenden Stelle der
Kolumne wieder einstellt, werden also genau so behandelt
wie die oben erwähnten Zusätze des Korrektors. Der Buch-
rolle an sich sind sie fremd; fortlaufende Seitenüberschriften,
wie sie bei uns oft in Büchern zu finden sind, kennt das alte
Buchgewerbe nicht. Noch in einem späten christlichen
Kodex, der die Schrift von der Himmelfahrt des Jesaias ent-
hält, werden sie durch Striche zu der Stelle in Beziehung
gesetzt und offenbar als Zutaten, nicht als Bestandteile der
Buchhandschrift aufgefaßt. Es ist aber leicht begreiflich, daß
allmählich dies bequeme Hilfsmittel aus dem privaten Be-
lieben einzelner zu einem verbreiteten Gebrauche geworden ist.
Die weit überwiegende Mehrzahl der Papyri hat keine
Schoiien, ein Zeichen, daß es Ausgaben für Ungelehrte, für
die weiten Kreise der Leser waren, wie ja auch heute das
Buch mit Anmerkungen glücklicherweise der Wissenschaft
vorbehalten bleibt. Diese Rollen sollten auch keinerlei An-
merkungen aufnehmen; das lehren uns die schmalen Zwischen-
räume der Kolumnen, wenn wir sie mit einigen vergleichen,
deren ungewöhnlich breite Kolumnenabstände ihren Zweck
verraten und auch demgemäß reich mit Schoiien ausgestattet
sind. Vielleicht das beste Beispiel geben wieder Pindars
Päane. Man mag sich vorstellen, daß etwa ein Gelehrter
für seinen Gebrauch sich eine solche Abschrift besorgt habe,
ähnlich wie wir heute Bücher mit leeren Blättern durch-
schießenlassen, wenn wir größere Eintragungen beabsichtigen.
Außerdem hat es aber auch gelehrte Buchausgaben gegeben,
die der Verleger durch einen Grammatiker für wissenschaft-
liche Zwecke bearbeiten ließ. Hierher gehört z. B. die Ko-
rinnarolle, die schon durch ihre lautliche Schreibung dem
gewöhnlichen Leser fast unverständlich wurde und gewiß nur
dem Philologen etwas bieten konnte.
In einer der Herkulanensischen Rollen lesen wir am
Schlüsse der Schrift des Philodemos über die Redekunst den
Namen des Poseidonax, des Sohnes des Biton. An die spätere
Sitte, daß der Schreiber sich am Ende nennt, ist nicht zu
lenken, und in diesem Poseidonax den Besitzer der Rolle zu
suchen, bleibt auch nur ein Notbehelf. Noch weniger ver-
ständlich ist es, wenn in einem Iliaskommentar zwischen zwei
Kolumnen geschrieben steht: »ich Ammonios, Sohn des Am-
monios, Grammatiker, habe unterzeichnet«, und ebenfalls
zwischen zwei Kolumnen einer philosophischen Schrift: »ich
Mikrylos habe eingetragen«. Es gibt zwar einen Ammonios,
Sehn hart, Das Buch. 2. Aufl. 7
^8 Zweites Kapitel,
der Erläuterungen zu Homer geschrieben hat, aber jener
Zusatz gehört einer erheblich späteren Zeit an als die Hand-
schrift des Textes, und der Ausdruck: »ich habe unterzeich-
net« macht es unmöghch, an den Verfasser zu denken. Was
endlich Mikrylos »eingetragen« oder »zu den Akten genommen«
hat, bleibt ganz rätselhaft. Auf der andern Seite müssen
diese Notizen irgend eine Beziehung zum Buchtexte aus-
drücken; ihre Einordnung ist zwar sonderbar, kann aber doch
kaum damit erklärt werden, daß es sich um Notizen handele,
die gar nichts mit dem Buche zu tun hätten, denn dann
werden sie völlig sinnlos. Eine Deutung vermag ich nicht
zu geben; vielleicht lernen wir in Zukunft aus neuen Bei-
spielen ihren Zweck verstehen.
14. Titel. Daß die fertige Buchrolle einen Titel er-
halten hat, scheint von vornherein klar, wie er aber beschaffen
war, wird beim ersten Überblick über die erhaltenen Papyri
nicht ohne weiteres kenntlich. Denn aus den meisten Pa-
pyrustexten können wir überhaupt kein Ergebnis gewinnen,
weil es nur Bruchstücke mitten aus der Rolle sind. Auch die
sonst so lehrreiche Theätetrolle läßt uns hier im Stiche, da
Anfang und Ende fehlen. Immerhin stehen uns jetzt mehrere
Beispiele zu Gebote, in denen wir am Ende des Buches und
der Rolle oder am Schlüsse eines Abschnittes eine Angabe
über Verfasser und Inhalt finden, die wir als Titel in unserem
Sinne bezeichnen müssen. Eine ganze Reihe der Rollen aus
Herkulanum bietet kurze Fassungen wie: Epikur über die
Natur II, wobei der Name des Verfassers im Genitiv steht,
weil der Begriff »Buch« hinzuzudenken ist. Alles Wesent-
liche ist damit gegeben, Name des Schriftstellers, Bezeichnung
des Werkes nach seinem Inhalt und Nummer des betreffenden
Buches. Dieselbe Anordnung zeigen noch mehrere andere
Handschriften, die späteren Ursprungs sind als die etwa dem
I. Jahrhundert v. Chr. angehörigen Rollen aus Herkulanum.
So steht am Ende der schönen Rolle, die einen großen Teil
von Piatons Gastmahl enthält, neben der letzten Kolumne
ziemlich in der Mitte der Höhe: »Piatons Symposion«, und
der Titel: »des Kerkidas, des Hundes (d. h. des Kynikers)
Meliamben« beschließt die Kerkidasrolle. Auch für den Aus-
zug des Herakleides Lembos aus Hermippos und für die Bar-
barendichtungen des Choirilos kennen wir die Schlußtitel.
Heranziehen darf man auch ein Preisgedicht, das zugleich
dem Hermes und einem jugendlichen Gymnasiarchen gilt;
es füllt zwar nur ein Blatt, hat aber unten wie die Rolle
seinen Titel, der am linken Rande wiederholt wird. Auf-
fällig ist dagegen der Papyrus, dem wir ein Stück aus dem
Werke des Satyros über die Tragiker verdanken, denn hier
steht der Titel des 6. Buches, das von Aischylos, Sophokles
Die Buchrolle.
99
Abb. 21. Schluß von Piatons Symposion mit Titel.
und Euripides handelt, 'Zwischen zwei Kolumnen, an einer
ungeeigneten Stelle, deren Sinn man nicht sieht; allerdings
ist die ganze Handschrift nichts weniger als mustergültig.
Die Sitte, innerhalb eines Werkes oder Buches einzelne Ab-
schnitte durch einen Titel an ihrem Ende zu bezeichnen, be-
loo Zweites Kapitel.
gegnet uns mehrmals, z. B. in dem großen Sapphopapyrus
aus Oxyrhynchos, in dem Kallimachosbuche derselben Her-
kunft und andern. Ich nenne noch das wertvolle Bruch-
stück aus den Kestoi des Julius Africanus, der in seinen
»Kasten« tausenderlei gelehrte Notizen zusammengetragen
hat; wir lesen unter der Schriftkolumne: des Julius Africanus
Kasten l8, und befinden uns demgemäß am Ende des
l8. Buches seines Gesamtwerkes. Auch die Schlußtitel samt
Verszahlen der Homerhandschriften gehören hierher. Gerade
diese Endtitel einzelner Abschnitte innerhalb des Buches oder
der Rolle beweisen aufs deutlichste, daß der Buchtitel regel-
mäßig am Ende seinen Platz hat, denn jenen Einzeltitel ans
Ende zu rücken ist eigentlich sinnlos und erklärt sich nur aus
der Nachahmung des Buch- oder Werktitels. Das beste
Beispiel bietet bis jetzt der Didymoskommentar. Hier lautet
der Titel unter der letzten Kolumne: Didymos (im Genetiv)
über Demosthenes 28 der Philippika 3; dann folgen unter
einander die Ziffern 9 bis 12 und neben jeder die Anfangs-
worte der behandelten Rede. Im Lichte der übrigen Unter-
schriften bedeutet dies, daß wir aus dem Kommentar des
Didymos zu Demosthenes das 28. Buch vor uns haben, das
unter den Büchern über die Philippischen Reden Nummer 3
ist und die vier angeführten Reden betrifft, Nummer 9 bis 12
der Reihe. Der Kodex ist in Stellung und Fassung des Titels
der Rolle gefolgt und darf daher für das Verfahren der Buch-
rollen herangezogen werden; so dient das schon erwähnte
Kallimachosbuch zur Bestätigung, ebenso der Iliaskodex
Morgan und die Unterschrift unter der Grammatik des
Tryphon, die durchaus jenen alten Titeln entspricht.
So sehr es uns auffallen mag, daß der Titel am Ende steht,
so hat es doch in der Buchrolle einen guten Sinn. Denn da
ihr Schluß sich innen befand und vor der Zerstörung am
besten geschützt war, so hatte hier der für den Leser wesent-
liche Titel den sichersten Platz. Freilich will es wenig dazu
stimmen, wenn wir am Ende einer Rede, die in einer gut
geschriebenen alten Rolle vor uns liegt, gar keinen Titel
sehen, obwohl Raum genug dafür vorhanden ist. Ebenso
fehlt er der TimotheosroUe, deren Ende erhalten ist, jedoch
nennt Timotheos seinen Namen im Gedichte selbst. Dagegen
zeigt ihn, freilich in verworrener Form, eine vorchristliche
Handschrift des astronomischen Werkes, das als »Kunst des
Eudoxos« bekannt ist. Vielleicht war es damals noch nicht
allgemein üblich, einen Titel in unserem Sinne zu geben und
ihn ans Ende zu rücken. Von Hause aus besaß ihn das griechi-
sche Buch überhaupt nicht, wie unter anderem die schon er-
wähnten Bibliothekskataloge des Kallimachos dartun. Denn
sie führen neben dem Namen des Verfassers an Stelle einer In-
Die Buchrolle.
iünde der DidymosroUe mit Titel.
102 Zweites Kapitel.
haltsbezeichnung die Anfangsworte des Werkes an, die also
den Titel vertreten. Wenn ferner die Herkulanensischen
Rollen den Schlußtitel kennen, die DidymosroUe aber die
einzelnen Reden des Demosthenes nur mit den Anfangs-
worten anführt, so scheint sich zu ergeben, daß er erst all-
mählich und mit Schwankungen sich ausgebildet hat. Die
päpstlichen Bullen werden ja noch heute mit ihren Anfangs-
worten bezeichnet.
Mit dem Schlußtitel konnte indessen die Buchrolle nicht
genügend kenntlich gemacht sein, da man ihn ja erst fand,
wenn die ganze Rolle entwickelt war. Der Benutzer brauchte
unbedingt einen entsprechenden Vermerk am Anfang. Nun
wissen wir freilich gerade über den Anfang der Buchrolle am
wenigsten Bescheid; denn da er bei der geschlossenen Rolle
außen lag, war er der Zerstörung am meisten ausgesetzt und
ist nur in ganz seltenen Fällen auf uns gekommen. Um eine
Verletzung des Textes nach Kräften auszuschließen, ließ man
am Anfang ein Blatt frei oder klebte ein sog. Schutzblatt,
das leer bleiben sollte, vorn an die Rolle. Hier konnte ein
Anfangstitel untergebracht werden. Daß es in der Tat ge-
schehen ist, zeigt die Rückseite des Didymospapyrus. Sie
hat die »Ethische Elementarlehre« des Hierokles aufgenom-
men, die natürlich im entgegengesetzten Sinne zum Didymos-
texte geschrieben ist. Haben wir beim Didymos den Schluß,
so befindet sich auf seinem Rücken beim Hierokles der Anfang,
der als Schutzblatt leer gelassen ist. Hier steht denn auch un-
gefähr in der Mitte der Titel, kursiv geschrieben, mehr ein
kurzer Hinweis als ein eigentlicher Bestandteil des Buches,
Ich nehme an, daß am Ende des Hieroklesbuches der Titel in
Form einer sorgfältigen Unterschrift folgte. Ähnlich ist es,
wenn in einem andern Falle eine kursive Hand auf die Rück-
seite der Rolle, der i. Kolumne gegenüber, den Titel ge-
schrieben hat. Daraus würde sich ergeben, daß die regelrecht
ausgestattete Buchrolle den Haupttitel am Ende hatte,
während vorn auf dem Schutzblatte ein flüchtiger Vermerk
eingetragen war. Allerlei Abweichungen von dieser Regel
werden uns nicht irre machen, wenn wir auf die Menge der
Eigenheiten zurückbHcken, die uns bei der Betrachtung der
Papyrusrolle schon begegnet sind. Blieb am Ende kein Platz
mehr übrig, so wußte man sich zu helfen und schrieb den
Titel über die letzte Kolumne, wie wir es in dem Fragment
aus der Inhaltsangabe des Dionysalexandros, einer Komödie
des Kratinos, bemerken. In diesem Falle zeigt die große
feierliche Schrift allein schon, daß es wirklich der Titel ist
und nicht etwa eine Kolumnenüberschrift, die wir mehrfach
im Didymospapyrus gefunden haben. Vielleicht ist auch der
oben besprochene Fall des Satyrostitels ähnlich zu erklären.
Die Buchrolle.
103
Bestand der Text einer Buchrolle aus mehreren selb-
ständigen Abschnitten, so schrieb man zwar, wie wir sahen,
auch ihren Titel gern darunter, vergaß aber doch nicht, daß
auch eine Überschrift nötig sei. Gedichte haben wohl ursprüng-
lich solche Überschriften nicht gehabt; wenigstens erscheinen
im Bakchylidespapyrus die Bezeichnungen der einzelnen Ge-
dichte als Zutaten, die zum Teil der Schreiber des Textes
selbst, zum Teil eine andere Hand beigefügt hat, ebenso liegt
es bei den Mimiamben des Herodas und bei Pindars Päanen.
Immerhin sind sie doch hinzugefügt, also als nötig anerkannt
worden. Übrigens bestätigen diese Fälle mittelbar den An-
fangstitel des ganzen Buches. Stellte man aber die Dichtun-
gen Verschiedener zusammen, so durften ihre Namen über
ihrjen Versen nicht fehlen, wie es die erhaltenen Anthologien
und Epigrammsammlungen dartun. So treffen denn am Ende
solcher Buchteile manchmal Schlußtitel und Anfangstitel zu-
sammen: im Kallimachosbuche steht zwischen den Aitia und
den lamboi »der Aitia 4. Buch«, darunter »lamboi«. Auch
in den Homerrollen gehörte die Bezeichnung des neuen Buches
an seinen Anfang, so daß ein Titel unter dem vorhergehenden
wegfallen durfte, wofern nicht Ende des Buches und Ende
der Rolle zusammentrafen. Hier war es eigentlich nur eine
fortlaufende Bezifferung, die ihrer Natur nach an den Anfang
gehörte. Daß dichterische Werke mit ähnlich fortschreitender
Zählung dabei blieben, liegt nahe, und eine Rolle der Psalmen
in Leipzig bestätigt die Sitte auch für die christliche Literatur.
Der Kodex, der allmählich die Rolle verdrängte und von
ihr den Schlußtitel übernahm, erweiterte ihn bald zu der sog.
Subskription mit Wunsch oder Fürbitte für den Schreiber,
den Empfänger und den Leser des Buches, während gleich-
zeitig- der Anfangstitel allmählich zur Hauptsache wurde, da
ihn im Kodex ja der Einband schützte (vgl. Abb. 25). Die
Subskription enthält öfters nicht nur den Namen des Schrei-
bers und des Korrektors, die auf diesem Wege sich einen
Anteil an der Unsterblichkeit sichern wollten, sondern auch
die Zeilenzahl. Wer sich dessen erinnert, was wir zuvor über
die Zeilenzählung bemerkt haben, könnte vermuten, daß auch
dieser Bestandteil dem Schlußtitel der Rolle entlehnt sei.
Die Möglichkeit will ich nicht bestreiten, aber die erhaltenen
Rollenenden sprechen nicht dafür; die Zeilenzahl mag oft
genug dabeigestanden haben, aber einen wesentlichen Teil
des Schlußtitels bildet sie augenscheinlich nicht. In der
Rolle hebt sich der Haupttitel am Ende äußerlich durch
eingerückte Zeilen und oft durch wagerechte Striche über
dem ersten und dem letzten Buchstaben vom übrigen Texte
ab; wo eine Koronis angebracht ist, verläuft sie in der Regel
an seiner linken Seite.
1 04 Zweites Kapitel.
Der beschriebene Rollentitel gab wohl eine ausreichende
Bezeichnung für den, der die Rolle zum Lesen in die Hand
nahm, konnte aber nichts nützen, wenn man aus einer Reihe
geschlossen aufbewahrter Rollen, etwa aus einer Bücherei, ein
bestimmtes Buch aussuchen wollte. Man bedurfte eines sofort
sichtbaren Titels, sobald es überhaupt Büchersammlungen
gab. Denn mochten nun die Rollen in den gewöhnlichen
topfähnlichen Bücherbehältern zu mehreren neben einander
stehen oder auf Regalbrettern liegen, in beiden Fällen waren
sie zum größten Teile unsichtbar. Daher befestigte man am
oberen Rande der geschlossenen Rolle einen heraushängenden
Streifen aus Pergament, der unter dem griechischen Namen
Sillybos und dem lateinischen Index oder Titulus öfter
erwähnt wird; noch heute heftet man ja an Aktenbände den
sog. Aktenschwanz. Bei der vornehm ausgestatteten Rolle
war er rot oder safranfarbig; darauf stand, wie die erhaltenen
Exemplare zeigen, der Name des Verfassers und des Werkes.
Noch an der Rolle befestigt war der Sillybos mit der Auf-
schrift: »Dithyramben des Bakchylides«; ein anderer ist
unser einziger Rest einer Buchrolle, die die von Piaton hoch
geschätzten Mimoi des Sophron enthielt. Statt weiterer Be-
schreibung lasse ich ein paar Worte des Ovid folgen, die am
besten zeigen, wie der Titulus aussah. Im ersten Gedichte
seiner Klagelieder aus der Verbannung redet er sein Buch an,
das nach Rom gehen soll: »wenn du dort«, sagt er, »dein
Haus, den gerundeten Bücherbehälter, erreicht hast, wirst
du deine Brüder der Reihe nach aufgestellt sehen, die alle
derselbe Trieb zum Leben erweckt hat. Die übrige Schar
wird offen ihre Titel sehen lassen und ihre Namen an freier
Stirn tragen. Drei aber wirst du abseits im dunklen Winkel
lehnen sehen, wenn überhaupt. Sie lehren, was jeder kennt,
die Liebe.« Der Dichter denkt an an seine drei Bücher
Amores, die ihren Titel scheu verbergen müssen, weil sie als
unsittlich verrufen waren. Und nicht minder deutlich ist
Martials bissige Bemerkung über den Reimschmied Fiden-
tinus, der eine Seite eigner Poesie in Martials Buch einge-
schmuggelt hat; mit einem kaum übersetzbaren Wortspiele
meint er, da sei weder index noch iudex, weder Ansicht noch
Einsicht nötig, die Seite verrate sich selbst. Schließlich er-
innere ich noch an die früheste Erwähnung des Titels in einer
Komödie des Alexis, wo der Schüler Herakles die Bücherreihe
durchmustert: »Orpheus ist da, Hesiod, Tragödie, Epicharm,
Homer« usw.; das alles erkennt er an -den heraushängenden
Titelstreifen. Dieser ist vielleicht die älteste Art, den Inhalt
der Buchrolle kenntlich zu machen; er konnte nur eine ganz
kurze Notiz enthalten und auf die Länge allein nicht genügen.
15. Ausstattung der Rolle. Mit der Erwähnung
Die Buchrolle. 105
des Sillybos haben wir eigentlich die Rolle als Schriftwerk
schon verlassen und uns ihrer äußerlichen Ausstattung
zugewendet. Davon wissen wir freilich nur wenig, da die zu-
verlässigsten Zeugen, die erhaltenen Papyrusrollen, so gut
wie gar nichts auszusagen vermögen. Denn der Zufall, der
sie auf uns gebracht hat, konnte sie doch nicht vor der Be-
schädigung ihres Äußeren schützen. Wir sind also im wesent-
lichen auf verstreute Bemerkungen alter Schriftsteller ange-
wiesen, die in diesem oder jenem Zusammenhange gelegent-
lich der Buchrolle gedenken, natürlich ohne bis ins einzelne
genau zu schildern, was ihren Lesern bekannt war. So stoßen
wir mehrere Male auf das lateinische Wort frons, die Stirn;
bald scheint die Rolle nur eine Stirn zu haben, bald hat sie
deren zwei. Wir dürfen nicht etwa in einer Ungenauigkeit
des bildlichen Ausdrucks einen Ausweg suchen. Denn Ovid
wenigstens hat unverkennbar beides, frons und frontes,
unterschieden und Verschiedenes davon ausgesagt. Die Ge-
lehrten haben eine Deutung auf allerlei Wegen gesucht, die ich
hier nicht im einzelnen schildern kann. Klar scheint vor
allen Dingen, daß die Stirn eine Fläche sein muß. Suchen
wir an der geschlossenen Rolle einen Teil, der mit Recht als
»Stirn« bezeichnet werden konnte, so finden wir nur ihre
Außenfläche, wir können auch sagen, ihre beiden Außen-
flächen. Vielleicht hat Ovid an der Stelle, die ich zuvor zur
Erläuterung des Sillybos herangezogen habe, mit der »freien
Stirn« eben diese Außenfläche gemeint. Dann hätte hier der
Titel gestanden; die Stelle war dafür wohl geeignet und ent-
spricht obenein dem Platze der Briefadresse, die man auf die
Außenseite des gerollten oder gefalteten Briefes schrieb. Es
wäre nur natürlich, wenn man bei der Buchrolle dasselbe
fände, und ein Beispiel für den Titel auf der Außenseite ist
uns ja auch begegnet. Ein frei heraushängender Sillybos
wäre damit noch nicht überflüssig geworden. Im Zusammen-
hange mit der Stirn erscheinen die »Hörner« der Rolle. Diese
cornua sollen sich zwischen den »beiden Stirnen« befinden,
aber auch an »der Stirn« ihren Platz haben. Wie schon die
Überlegung, ganz deutlich aber die abgebildete Stele von
Thyateira zeigen kann, gleicht an der Rolle einem Hörne nur
das herausragende gebogene Ende des Rollenstabes, von dem
sogleich die Rede sei n wird. Ragte er an beiden Seiten hervor,
so wurde das Bild der Hörner vollständig, damit aber auch
das Bild der Stirn, oder wenn man die geschlossene Rolle
von zwei Seiten betrachtete, der Stirnen. Dem Menschen
des Altertums erschien sie als Rinderstirn mit Hörnern Diese
wurden gefärbt und hoben sich dadurch von der hellen Pa-
pyrusfarbe ab, die ursprünglich einem weißlichen Grau nahe-
kam. Auch heute gibt es neben dem durch Feuchtigkeit
io6
Zweites Kapitel.
^^^S
und Alter gebräunten Papyrus, der in den Funden überwiegt,
weißgelbe Blätter. Vielleicht bleichte man ihn auch durch
das Tränken mit Cedrusöl, wovon öfter die Rede ist; es
geschah nicht nur, um das
Aussehen zu verbessern,
sondern auch, um Würmer
und Feuchtigkeit zu be-
kämpfen. Wenigstens er-
scheint das Cedrusöl immer
unter den Verschönerungs-
mitteln; bisweilen mag man
auch die Außenseite gerade-
zu weiß gefärbt haben. Diese
Außenfläche der Rolle muß
schon damals, als der Papy-
rus noch neu war, zum Aus-
fasern geneigt haben, denn
die Dichter heben es immer
als ein wesentliches Erfor-
dernis hervor, daß sie mit
Bimsstein geglättet wird;
ein wenig rauh und runzlig
blieb der Stoff ja immer.
Darum werden die »beiden
Stirnen« der Rolle, die Ovids
Klagelieder aus der Ver-
bannungenthält, nicht mit
Bimsstein poliert; struppig
mit seinen vereinzelten
Haaren soll das Trauerbuch
aussehen, das auf alle Schön-
heitsmittelverzichtet. Gera-
de dies letzte Bild der Haare,
das auch Tibull anwendet,
paßt, zu der Rinderstirn so
vollkommen, daß wohl kein
Zweifel übrig bleibt. Stirn
und Stirnen mit Haaren und
Hörnern leiten alle zu der-
selben Anschauung.
Die »Hörner« haben
uns bereits zum Rollen-
stabe geführt. Um ihn
wickelte man die Rolle, so
daß er als fester Kern da-
rin steckte; beim Lesen zog
Abb. 23. Solle mit Stab manihnheraus, konnte aber
ffr^
a
Die Buchrolle. 107
den gelesenen Teil gleich wieder um ihn wickeln. An einer
Seite, gewöhnlich aber wohl an beiden, ragte der Stab aus
der Rolle hervor, und diese Endstücke wurden entweder
zur Gestalt von Hörnern gebogen oder mit Knöpfen abge-
schlossen; jenen entsprach der Name cornu, diesen um-
bilicus. Diese Abschlüsse erleichterten das Rollen, da sie den
Papyrus hinderten, schräg über den Stab hinaus zu gleiten.
Sie wurden gefärbt, bei ganz kostbaren Büchern mochten die
Knöpfe sogar aus Gold sein. Wenn man auch hin und wieder
einen Stab am Rollenende anklebte, ähnlich wie es heute bei
Landkarten für die Schule geschieht, so war doch die Regel,
daß der Stab lose in der Rolle steckte. So erfüllte er seinen
Zweck am besten und konnte dem Leser für mehr als ein
Buch dienen, so ist er aber auch durchweg verloren gegangen.
Keine Papyrusrolle ist mit dem Stabe auf uns gekommen,
was doch ein befremdHcher Zufall wäre, wenn er wirklich fest
daran gesessen hätte. Für kleine Papyrusrollen oder Blätter
brauchte man wohl nur selten einen Stab; verdickte man
den Rand durch aufgeklebte Papyrusstreifen, so gewann man
einen genügend haltbaren Kern fürs Rollen. Dagegen mochte
der Stab nützlich sein, wenn man mehrere Akten und Briefe
zur Beförderung in eins rollte. Erst in später Zeit haben die
Alten sich gelegentlich zweier Stäbe für die Rolle bedient.
Endlich erhielt die Buchrolle einen Umschlag aus
Pergament, der meistens purpurfarben war. Mit einer
passenden Übertragung konnte man ihn paenula, griechisch
phainoles, den Reisemantel des Buches, nennen. Etwas Ähn-
liches hat sich in Indien bis in die neueste Zeit gehalten: die
Bücher aus Palrnblättern werden in einer Hülle aus Bambus-
rohr mit einem Überzug aus rotem Stoff aufbewahrt. Ob die
roten Riemen, von denen Catull spricht, nur den Pergament-
umschlag bezeichnen sollen, möchte ich bezweifeln, da jeden-
falls auch die eingewickelte Rolle noch durch Bänder irgend-
welcher Art zusammengehalten worden ist. Brief- und Ur-
kundenrollen, die mit Papyrusbändern umwickelt sind, haben
wir noch vor Augen. Von allen diesen Verzierungen und
Sicherungen der Buchrolle ist nichts erhalten geblieben, ab-
gesehen von wenigen Rollenrändern mit aufgeklebten Ver-
stärkungsstreifen und zwei Exemplaren, die noch den Ansatz
des Pergaments an den Papyrus zeigen. Das eine ist ein amt-
liches Schreiben des römischen Statthalters Subatianus
Aquila vom Jahre 209 n. Chr. in der Originalausfertigung:
dem Papyrusblatte ist ein naturfarbener Pergamentstreifen
vorgeklebt, der es im gerollten Zustande außen deckte.
Außerdem finden wir ihn an einer ausgezeichnet erhaltenen
Papyrusrollc des größten Formats, von etwa 6 m Länge, und
sorgfältiger Schönschrift. Sie enthält den Osterbrief eines
io8 Zweites Kapitel.
griechischen Patriarchen von Alexandreia aus dem Anfange
des 8. Jahrhunderts und ist somit ein spätes Beispiel für die
Papyrusrolle. Inhaltlich gehört sie trotz der theologischen
Erörterung, die den größten Raum einnimmt, zu den Ur-
kunden, denn ihr eigentlicher Zweck ist, für das betreffende
Jahr den Tag des Osterfestes sowie die vorangehenden und
nachfolgenden Fastenzeiten bekannt zu machen. Auch sie
ist eine Originalausfertigung, diesmal aus der Kanzlei des
Patriarchen und deshalb in der Ausstattung so vornehm, daß
sie mit vollem Recht als Beispiel einer schönen Buchrolle
betrachtet werden darf. Der kleine Pergamentfetzen, der
sich am Anfang erhalten hat, ist der Rest der vorgeklebten
Pergamenthülle. Vom Rollenstabe findet sich keine Spur,
und in diesem Falle ist es sicher, daß er nicht angeklebt war.
Überhaupt darf man bei allem, was die Schriftsteller uns vom
Aussehen der Buchrolle erzählen, nicht vergessen, daß ihre
Beschreibung in der Regel für Luxusausgaben gilt, auch dann,
wenn es der Zusammenhang nicht von selbst ergibt. Auch die
schönsten erhaltenen Stücke geben uns vom eigentlichen
Luxusbuche kaum einen Begriff, wie es z. B. die konstanti-
nische Homerrolle mit Goldbuchstaben war. Die große Mehr-
zahl der Rollen hat gewiß weit bescheidener ausgesehen, mögen
ihnen nun einige der angeführten Zutaten oder alle gefehlt
haben. Daher liefern die Papyri nicht nur infolge äußerer
Beschädigungen fast gar keine Belege zu den antiken Schilde-
rungen, sondern vor, allem weil so reich verzierte Exemplare
ebenso selten waren wie heute die Prachtausgaben unter der
Masse der gewöhnlichen Bücher.
Dagegen fehlt es uns nicht gänzlich an Beispielen illu-
strierter Buchrollen, so daß wir uns die gelegentlichen
Andeutungen der Alten über diesen Punkt anschaulich
mächen können. Unter anderem sind es Werke mathemati-
schen Inhalts, die der Zeichnungen nicht entbehren konnten.
Außer ein paar Bruchstücken aus den Schriften des Euklid
steht hier wieder der Kommentar zu Piatons Theätet voran;
zweimal sind darin zur Erläuterung mathematische Figuren
innerhalb des Rahmens der Kolumne eingetragen, die bis auf
einen aus freier Hand gezogenen Halbkreis mit dem Lineal
ausgeführt sind (vgl. Abb. 30) . Ganz roh sehen die mathema-
tischen Figuren in ein paar geometrischen Aufgaben auf Papy-
rus aus. Auch bei astronomischen Texten ergab sich die Not-
wendigkeit der Bilder, und die lange Rolle, die das Werk des
Eudoxos enthält, ist reich damit ausgestattet. Aber wie ihre
Schrift und die ganze Anordnung der Kolumnen geringe
Sorgfalt verrät, so sehen auch die Figuren nachlässig aus und
stehen ungeschickt bald in den Kolumnen, bald zwischen
ihnen; die Goldfarbe, die für Sonne, Mond usw. verwendet
Die Buchrolle. 109
ist, vermag die Mängel der Ordnung nicht zu verhüllen. Die
Abbildung kam ganz besonders in naturwissenschaftlichen
Werken zur Geltung; eine freilich geringe Probe berechtigt
uns immerhin, viele Abbildungen späterer Pergamentbücher
auf solche Vorbilder zurückzuführen. Auch das Porträt fand
Eingang; Varro belebte seine Lebensbeschreibungen be-
rühmter Männer mit nicht weniger als 700 Abbildungen, und
das Bild des Verfassers scheint in gut ausgestatteten Buch-
rollen nichts Seltenes gewesen zu sein. Der Kodex hat sich
auch darin an die Rolle angeschlossen. Das ägyptische Toten-
buch mit seiner Fülle meist bunter Bilder kommt wohl für
die griechische Buchillustration als Vorbild wenig oder gar
nicht in Betracht, kann uns aber die fast ganz fehlende An-
schauung einigermaßen ersetzen. Eher mochten schon die
sogenannten satirischen Papyri der Ägypter mit ihren heite-
ren, aber auch bissigen Zeichnungen eine Anregung geben.
Sie leiten über zum eigentlichen Bilderbuche, worin der Text
Nebensache war oder verschwand. Reste solcher besitzen
wir noch in einigen farbigen Blättern aus Vorlagebüchern
später Zeit für Web- und Stickarbeiten. Der Vergleich mit
koptischen Stoffen macht Herku nf t u nd Sinn dieser Bilder ganz
klar (Abb. 31, 32). Noch weit mehr aber hat uns Th. Birt
einen Einblick in das Bilderbuch auf der Papyrusrolle er-
schlossen, indem er nachwies, daß die Relief darstellungen,
die in gewundenem Bande die Trajanssäule und die Markus-
säule in Rom umgeben, ein monumentales Abbild der Bilder-
rolle sind. Auch die Peutingersche Tafel geht auf eine Land-
karte in Rollenform zurück, denn nur so wird die eigentüm-
liche Zeichnung verständlich; an ihr können wir ein Bild
gewinnen, wie etwa ein Atlas im Zeitalter der Buchrolle aus-
gesehen haben mag.
Was ich über die Einrichtung und Ausstattung der
Papyrusrolle gesagt habe, gilt ebenso für die Pergament-
rolle, die uns nur durch Überlieferung, aber nicht durch
Originale bekannt ist, sofern wir nicht die Thorarollcn als
ihre Nachkommen ins Auge fassen. Sie ist in Ägypten natur-
gemäß weit seltener gewesen als anderswo, fügt sich aber
vollkommen in die aus der Papyrusrollc abgeleiteten Regeln,
wie wir sie denn auch immer herangezogen haben.
16. Handhabung der Rolle. Wir dürfen die Buch-
rolle nicht verlassen, ohne zu fragen, wie sie benutzt worden
sei, denn ihre eigentümliche Gestalt verlangte eine be-
sondere Handhabung. Freilich ergibt sie sich eigentlich
von selbst; wer sie sich vorstellen will, tut am besten, ein
großes Blatt Papier, etwa eine Zeitung, zu rollen und
selbst zu versuchen, wie man am bequemsten lesen kann.
Indessen findet doch jeder gern das, was ihm die Erfahrung
HO Zweites Kapitel.
sagt, durch klare Beispiele bestätigt. Wir besitzen aus dem
Altertum so zahlreiche Reliefs und Statuen, die uns den Ge-
bildeten, den Dichter, den Gelehrten mit der Rolle, zumal
darin lesend, vor Augen führen, daß Th. Birt ihnen ein be-
sonderes, aufschlußreiches Buch widmen konnte. Der Leser
sitzt und hält die geöffnete Rolle, die auf seinen Knieen liegt,
mit beiden Händen. Vor sich hat er nicht die in ganzer Länge
gelöste Rolle, sondern der Anfang wie das Ende ist zusammen-
gerollt und wird von der rechten und linken Hand festge-
halten. Zwischen diesen beiden gerollten Teilen liegt in der
Mitte nur eine kleine offene Fläche, der Teil, der gerade gelesen
wird, d. h. eine Schriftkolumne, oder wenn sie schmal sind,
höchstens vier. (Vgl. Abb. 14. 35.) So stellt sich auch eine viele
Meter messende Rolle in der Hand des Lesers als ein kleiner
Gegenstand dar, der nicht größer ist als ein modernes Buch.
Beim Fortschreiten der Lektüre zieht die linke Hand die
soeben gelesene Kolumne an und rollt sie zusammen, während
die rechte Hand den in ihr liegenden Zylinder lockert und
eine neue Kolumne nach links gleiten läßt. ZumÜberflusse
sagen es noch einige Schriftsteller ausdrücklich: »er hielt
das Buch in den Händen, das zu zwei (Zylindern) zusammen-
gerollt war, und so wollte er einen Teil erst lesen, den andern
hatte er schon gelesen« heißt es bei Lukian. Ein Versuch
mit einer wohl erhaltenen Papyrusrolle hat gezeigt, daß man
auf diese Weise gut lesen und die Rolle handhaben kann,
zumal da sie sehr leicht ist. War der Leser am Ende angelangt,
so hielt er sie als geschlossene Rolle in der linken Hand, wobei
nun das Ende sich außen, derAnfangsichinnen befand. Das war
freilich ein entschiedener Nachteil dieser Buchform, denn um
die Rolle wieder für das nächste Mal benutzbar zu machen,
mußte der Lesende sie von neuem so rollen, daß der Schluß
nach innen kam. Es mag ihm manchmal langweilig geworden
sein, und wie wir wohl ein Buch aufgeschlagen liegen lassen,
so mochte er auch die gelesene und verkehrt gewickelte Rolle,
wie sie war, in den Bücherbehälter stecken. Jedenfalls hat
der, welcher zuletzt den Theätetpapyrus las, es so gemacht,
denn als die Rolle im Berliner Museum eintraf, befand sich
der Anfang im Inneren. Hatte man einen Tisch oder das
beliebte Lesepult vor sich, so legte man die Rolle darauf,
und ein unachtsamer Leser konnte den schon gelesenen Teil
einfach herunterfallen lassen, ohne ihn mit der linken Hand
zusammenzufassen, allerdings zum Schaden der Rolle, die
dadurch leicht Risse bekam. Überhaupt war das häufige
Rollen ihr nachteilig, und viel gelesene Rollen werden rasch
verbraucht worden sein. Wer die gelesene Rolle wieder im
richtigen Sinne wickeln wollte, drückte das Ende unters Kinn,
wobei sie natürlich herunterfiel, und rollte sie so zusammen.
Die Buchrolle. HI
Das meint wohl Martial, wenn er von dem Papyrus spricht,
»der vom rauhen Kinn gerieben nicht zusammenschauert«.
Dies alles gilt zunächst vom griechischen und römischen
Leser; der Ägypter verfuhr im wesentlichen ebenso, rollte
aber von links nach rechts, da seine Schrift in dieser Richtung
lief. Beim Schreiben pflegte er die Rolle hockend auf die
Oberschenkel zu legen, ohne sich einer festen Unterlage zu
bedienen.
Was ich über die Buchrolle zusammengestellt habe, ist
im wesentlichen eine Beschreibung ihrer Merkmale, ohne
daß es möglich gewesen wäre, ihre Entwicklung zu verfolgen.
Denn das wenige, was wir von den ältesten Buchrollen
griechischer Herkunft und von dem Einflüsse der alexan-
drinischen Neuerungen wissen, gibt uns noch nicht das Recht,
von einer Geschichte der Rolle zu reden. Spätestens mit dem
6. Jahrhundert v. Chr. aus Ägypten übernommen, beherrscht
sie bei Griechen und Römern das Buchwesen eines Jahr-
tausends und hat darüber hinaus sich noch Jahrhunderte lang
im Gebrauch erhalten, als der Kodex neben ihr sich ein-
bürgerte und sie nach und nach verdrängte. Noch im 6. und
7. Jahrhundert n. Chr. hat sie ihre Vertreter, und der oben
besprochene Osterbrief, der im Anfange des 8. Jahrhunderts
geschrieben worden ist, beweist durch seine Ausstattung, daß
die Buchrolle keineswegs ihre Schönheit und Brauchbarkeit
verloren hatte. Pergamentrollen leben im Mittelalter fort,
und die Thorarolle hat es überdauert, ebenso die Urkunden-
rolle. Ihre Gestalt sehen wir noch heute in manchen Doku-
menten, z. B. in unseren Doktordiplomen, die unmittelbare
Abkömmlinge derUrkundenform byzantinischer Zeit sind. Es
scheint aber, daß die Buchrolle doch im großenund ganzen mit
ihrem gebräuchlichsten Stoffe, dem Papyrus, stand und fiel;
als die Papyrusfabrikation dem arabischen Papier, denn
dieses, nicht das Pergament, hat sie abgelöst, weichen mußte,
als der Papyrus selbst ausstarb, ist auch die Buchrolle aus
dem Gebrauche verschwunden.
DRITTES KAPITEL.
DER KODEX.
Noch vor wenigen Jahrzehnten standen der Wissenschaft
griechische und lateinische Bücher in Form von Pa-
pyrusrollen nicht zu Gebote. Denn erst im Laufe des 19. Jahr-
hunderts sind literarische Papyrustexte aus dem Schutte
ägyptischer Ortschaften oder aus ihren Friedhöfen in größerer
Anzahl zutage gekommen. Erst diese Funde haben uns das
Buch des Altertums anschaulich gemacht, die Vorgänger der
mittelalterlichen Handschriften gezeigt, haben die literarische
Überlieferung sowie die Textgeschichte hell beleuchtet und
alle wissenschaftlichen Untersuchungen hierüber auf feste
Füße gestellt. Unsere Kenntnis der hellenistischen Literatur,
von Alexander dem Großen bis in die Kaiserzeit, haben sie
wesentlich erweitert und vertieft, unser Wissen von der mehr
volkstümlichen Schriftstellerei jener Zeiten und von ihrer
Sprache unschätzbar vermehrt. Endlich verdanken wir ihnen
eine Fülle vorher unbekannter Werke, deren Wert nicht nur
der Gelehrte, sondern jeder gebildete Freund des Altertums
zu schätzen weiß; ich nenne als Beispiele neue Lieder der
Sappho, Pindars Päane, die Gedichte des Bakchylides, die
Spürhunde des Sophokles, Menanders Stücke, den Geschichts-
schreiber von Oxyrhynchos, die Reden des Hypereides, des
Aristoteles Buch von der athenischen Verfassung und neue
Aussprüche Jesu. Die Papyrusfunde haben das Bild der
alten Literatur außerordentlich bereichert, aber sie haben
es nicht geschaffen. Alle die großen Werke, die auf
die geistige Entwicklung Europas so tief eingewirkt
haben, waren auch vor den neuen Entdeckungen er-
halten; Homer und Sophokles, Thukydides und Piaton,
Demosthenes und Aristoteles waren schon seit alters
unser geistiger Besitz. Denn die große Masse der griechischen
Literatur ist nicht in Buchrollen auf uns gekommen,
sondern in der Form des Kodex, also in derjenigen Gestalt,
die im Buchgewerbe sich bis auf den heutigen Tag behauptet
i
Der Kodex.
113
hat. Ist es nun auch richtig, daß diese Form allmählich die
Rolle verdrängt hat und insofern als ihr Nachfolger gelten
'larf, so wird doch ihr Verhältnis damit noch keineswegs zu-
treffend ausgedrückt. Vielmehr steht der Kodex selbständig
neben der Buchrolle und hat eine eigene Entwicklung durch-
gemacht, die von der Buchrolle nur zum Teil abhängt.
I. Entstehung des Kodex. In seiner rohesten Ge-
stalt finden wir das, was wir Heft oder Buch zu nennen pflegen,
schon in der Verbindung der seit alter Zeit gebräuchlichen
Schreibtafeln, namentlich der Wachstafeln. Da aber eine
größere Anzahl von ihnen einen unhandlichen Block ergab,
so öffnete sich ein weiterer Spielraum erst dann, als man einen
weniger dicken und schweren, dafür aber biegsameren Stoff
zu verwenden begann. Papyrus und Pergament boten beide
diese Möglichkeit; man konnte ein einzelnes Blatt, anstatt es
zu rollen, in der Mitte brechen und zusammenklappen. Dieser
Versuch ist beim Papyrusblatte gemacht worden, wie uns
einige Beispiele lehren; allein es ist kein Zufall, daß das Per-
gament zum eigenthchen Träger der Heftform geworden ist.
Denn dem, was man brauchte, entsprach es am besten. Hier
konnte man die Schrift ebenso leicht löschen wie auf der
Wachsfläche, und obendrein hob sich von seiner hellen Farbe
die schwarze Schrift klarer ab als die eingeritzten Züge von
dem Wachsgrunde. Der Übergang von einem gefalteten
Blatte zu einer Mehrzahl in einander gelegter Blätter ergab
das Notizenheft aus Pergament und die Form des Ko-
dex. Es scheint mir nicht überflüssig, ausdrücklich zu be-
tonen, daß diese sich erst mit dem* stärkeren Vordringen
des Pergaments wirklich ausbilden konnte. Mit dem Papyrus
hat der Kodex ursprünglich kaum etwas zu tun, denn dieser
besitzt von Hause aus in der Rolle seine eigentümliche Gestalt;
auch das einzelne Papyrusblatt, das als Briefbogen, als Ur-
kunde oder Geschäftspapicr benutzt wurde, war dazu be-
stimmt, zusammengerollt zu werden. Ich werde später noch
auf den Kodex aus Papyrus eingehen; hier soll nur gesagt
werden, daß nicht er, sondern der Pergamentkodex am Ein-
gange dieser neuen Buchform steht. Merkwürdiger Weise
gibt es dafür keinen griechischen Namen, der als technischer
Ausdruck wie codex gelten könnte. Sollte die Erfindung
auf lateinischem Sprachgebiete gemacht worden sein.? Daß
wir fast nur von lateinischen Schriftstellern darüber hören,
kann ein Zufall sein.
Es wird wohl immer dunkel bleiben, wann das Notizen-
heft aus Pergament zu einem für zusammenhängende Auf-
zeichnungen geeigneten Umfange und damit zu einer neuen
Buchform aufgestiegen ist. Ungefähr von Ciceros Zeit
II besitzen wir eine Reihe von Zeugnissen für den
S c h u b a r t , Das Buch. 2. Aufl. 3
114 Drittes Kapitel.
Kodex, die wir ohne Übertreibung vollständig nennen
dürfen, eine Reihe, die bis zu den ältesten erhaltenen
Exemplaren hinüber reicht. Als im Jahre 52 v. Chr.
Publius Clodius auf offner Landstraße von der Bande seines
Gegners Milo ermordet wurde, brachte der leidenschaftlich
erregte römische Pöbel seine Leiche in die Kurie, das Amts-
haus des Senats, und schichtete ihm einen Scheiterhaufen
aus Tischen und Stühlen und den Codices librariorum; bei
diesem revolutionären Leichenbegängnisse ging die Kurie
in Flammen auf. Librarius bedeutet in vielen Fällen den
Buchhändler, und wenn das auch hier gelten sollte, so hätte
der Kodex damals schon im Buchhandel eine Rolle gespielt.
Allein in der Kurie, der die Volksmenge das erste beste Brenn-
holz entnahm, wird es schwerlich einen Buchladen gegeben
haben; vielmehr mögen es die Aktenbände der Senats-
schreiber gewesen sein, die ja unmittelbar zur Hand lagen.
Wir sehen also den Kodex für Aktensammlungen verwen-
det; dafür eignete er sich besonders, weil er die Möglich-
keit bot, einzelne Aktenstücke da, wo sie hingehörten, in den
Aktenband einzuheften. Die Aktenrolle gestattete nur, Blatt
an Blatt anzukleben; wollte man eine einzelne Urkunde
mitten hineinfügen, so mußte man sie zerschneiden. Überdies
war es im Kodex viel leichter, etwas aufzufinden, denn obgleich
in der Aktenrolle alle einzelnen Stücke numeriert waren,
machte es doch Umstände, ein bestimmtes Schriftstück auf-
zusuchen. Man kann sich demnach vorstellen, daß gerade
die Behörden ebenso wie der Geschäftsmann am frühesten
den Vorteil der Kodexform erkannt und sich zunutze gemacht
haben.
Sehr zweifelhaft ist es dagegen, ob es in Ciceros Tagen
schon literarische Werke in der neuen Buchform gegeben
hat. Ich lasse die Miniaturausgabe der Ilias auf Pergament,
die in einer Nußschale Platz fand, beiseite; Cicero soll davon
gesprochen haben, aber eine solche Spielerei, die an sich
kaum glaublich ist, könnte eher auf einem gerollten Per-
gamentstreifen als in einem winzigen Kodex gelungen sein
und verdient keine Beachtung. Wesentlich wurde ohne
Zweifel die Ersparnis an Stoff und Raum, die der Kodex mit
sich brachte, da seine Blätter auf beiden Seiten beschrieben
werden konnten. Wer in jener viel lesenden Zeit etwas zum
Lesen bei sich tragen oder auf die Reise mitnehmen wollte,
konnte sich natürlich nicht mit Rollen belasten, die viel Platz
einnahmen und leicht beschädigt wurden; der Kodex aus
Pergament bot bei geringem Umfange mehr Inhalt. Der
Epigrammdichter Martial, der aus Rücksicht auf seine Kasse
alles tat, um seinen Gedichten weite Verbreitung zu sichern,
ließ deshalb neben der Ausgabe in Rollenform eine kleine viel-
Der Kodex. II5
leicht in Gestalt des Pergamentkodex, erscheinen und empfahl
sie besonders für die Reise: »wenn du meine Büchlein immer
bei dir tragen und Begleiter für die lange Reise haben willst,
so kaufe die, welche das Pergament auf kleinen Seiten zu-
sammendrängt; die Büchergestelle laß den großen (Rollen?),
mich kann eine Hand umspannen.« Er tat damit nichts
Ungewöhnliches, denn man hatte damals schon die bekannte-
sten Schriftsteller in solchen kleinen Kodexausgaben. Mögen
auch diese Pergamentbücher Vorgänger gehabt haben, die
vielleicht bis in die Zeit des Augustus zurückreichten, so be-
treten wir doch erst mit dem Ausgange des i. Jahrhunderts
der Kaiserzeit sicheren Boden. Martial ist es, dem wir den
Aufschluß darüber verdanken. In einem seiner Gedichte
erzählt er von den Neujahrsgeschenken, die man sich in Rom
zu machen pflegte. Um jedem etwas zu sagen, richtet er seine
Ratschläge nach den Geldverhältnissen der Schenker ein und
stellt immer ein kostbares Geschenk neben eines von gerin-
gerem Werte. Unter den tausend Dingen, die man schenken
kann, erscheinen auch Bücher, z. T. Rollen, z. T. Codices.
Die Gegenüberstellung ergibt, daß durchweg der Kodex aus
Pergament als die bescheidene Gabe im Vergleich zu der
kostbaren Rolle gilt, wie das ja die stärkere Ausnutzung der
Schreibfläche leicht begreiflich macht. »Auf kleinen Leder-
blättern drängt sich der gewaltige Livius zusammen, dessen
ganzen Umfang meine Bibliothek nicht fassen kann«, nämlich
150 Bücher in Rollenformat, wenn nicht hier nur von einem
Auszuge die Rede ist. Da finden wir denn Homer, Vergil
und Ovid, Cicero und Livius in bescheidenen Codices,
also die am meisten gelesenen griechischen und römischen
Schriftsteller, die Bücher der Schule. Billigkeit und Be-
quemlichkeit haben zu solchen Ausgaben geführt, die
man etwa mit unseren Reclamausgaben der Klassiker
vergleichen darf. Das Pugillare, d. h. Handbuch, brauchte
indessen einer gewissen Eleganz nicht zu entbehren, die
Vergilausgabe, von der Martial spricht, trug sogar auf
der ersten Seite das Bild des Dichters. Kurz, in dieser Zeit
hat der Kodex schon eine erhebliche Bedeutung für die
Literatur gewonnen und neben der Rolle zwar noch lange
nicht das gleiche Recht, aber doch einen Platz errungen.
Will man einen Übergang von dem Aktenbande aus dem
Rom Ciceros zu dem Literaturbuche bei Martial suchen, so
bietet ihn vielleicht die juristische Literatur. Von dem
Juristen Neratius Priscus werden sieben Bücher »membranae«
erwähnt. Das kann nicht wohl der Titel, sondern nur eine
volkstümliche Bezeichnung sein; der Name »Membrane«
(Pergamente) mag sich eingebürgert haben, weil dieses Werk
von vorn herein als Kodex erschien, nicht wie die eigentliche
8*
Ii6 Dnttes Kapitel.
Literatur zunächst in Rollenform, Bei juristischen Arbeiten,
die für den täglichen Gebrauch des Richters und des Anwalts,
nicht für die Bücherleser im allgemeinen, bestimmt waren,
fiel die Rücksicht auf vornehmes Aussehen am leichtesten
fort; das Zweckmäßige und das Billige kamen hier allein in
Betracht. Wie rasch der Kodex ein Bürgerrecht im literari-
schen Betriebe erlangte, bestätigen die Ausführungen römi-
scher Juristen. Der Fall, daß der Erblasser seine Bücher
testamentarisch vermacht, veranlaßt sie festzustellen, was
denn als Buch im juristischen Sinne zu betrachten sei. Cassius
Longinus im ersten Jahrhundert der Kaiserzeit erklärt un-
bedenklich auch die membranae für Bücher; er wird dabei
nicht an Notizhefte und Zettel gedacht haben, vielmehr an
wirkliche Bücher, vielleicht besonders an Werke wie die des
Neratius Priscus. Jedenfalls hatte die Frage, ob der Kodex
ein Buch sei, schon zu seiner Zeit eine wirkliche Bedeutung.
Sein großer Fachgenosse Ulpian im 3. Jahrhundert findet
sein Urteil freilich etwas anfechtbar. Nach ihm gehören zu
den Büchern unzweifelhaft alle Rollen, mögen sie aus Papyrus
oder aus anderem Stoffe sein. Ob aber auch die Codices dazu
gerechnet werden dürfen, müsse man erst untersuchen; er
entscheidet, daß auch alles übrige, also was nicht Rolle sei,
zu den Büchern gehöre, wenn das Testament nicht ausdrück-
lich anders bestimme. Demnach ist für Ulpian streng genommen
nur die Rolle ein Buch; sie behauptet auch zu seiner Zeit noch
den Vorrang nicht nur anWert, sondern auch anVerbreitung.
Wenn er etwas widerstrebend sich dazu bequemt, auch den
Kodex als Buch gelten zu lassen, so sehen wir diesen noch
imAufsteigenbegriffen, wohl gemerkt, den Kodex alsBuchform
für einenliterarischen Inhalt. Auch der Jurist PauUus, der etwas
später als Ulpian schrieb, rechtfertigt es ausdrücklich, weshalb
er den Kodex als Buch betrachte: ein Buch sei nicht eine
Papyrusrolle, sondern ein in sich geschlossenes Schriftwerk.
Die Zeit, wo der Kodex die Rolle verdrängt, ist noch nicht
gekommen, aber als billige und bequeme Ausgabe zweiten
Ranges ist er schon wichtig geworden; er mag das Buch des
unbemittelten Literaturfreundes, des armen Studenten ge-
wesen sein, während der reiche Büchersammler und die
Büchereien, mit ihnen aber auch der Buchhandel, überwiegend
an der Rolle festhielten. Diesen Unterschied im Range und
im Werte bestimmt augenscheinlich die Raum sparende Form
und höchstens in zweiter Linie das Preisverhältnis des Pa-
pyrus und des Pergaments. Trotz manchen Andeutungen
können wir über den Wert der beiden Stoffe in der ersten
Kaiserzeit nicht urteilen. Papyrus war teuer: »man darf es
nicht für ein geringes Geschenk achten«, sagt Martial, »wenn
der Dichter leere Papyrusblätter schenkt«; setzt man für eine
Der Kodex. 117
Papyrusrolle und für einen Pergamentkodex bei gleichem In-
halt eine gleiche Ausstattung voraus, so könnte der Preis beider
nur dann gleich sein, wenn Pergament doppelt so viel kostete
als Papyrus, denn die Blätter des Kodex sind auf beiden
Seiten beschrieben, die Rolle dagegen nur auf einer. Diese
Annahme ist aber unwahrscheinlich und kommt nicht
ernstlich in Betracht; selbst wenn Pergament damals etwas
teurer als Papyrus gewesen wäre, hätte der Kodex immer
noch hinter der Rolle an Wert zurückbleiben müssen.
2. Die Funde. Während die Papyrusrolle erst in neuerer
Zeit durch eine Reihe glücklicher Funde uns anschaulich ge-
worden ist, kannte man seit langem Bücher in der Gestalt
des Kodex, die freilich nur bis ins 6. oder 5.Jahrhundertn. Chr.
hinauf reichten. Was wir den jüngsten Forschungen auf
ägyptischem Boden verdanken, ist neben einem Zuwachs
an Codices des frühen Mittelalters vor allem die Bekanntschaft
mit älteren Büchern dieser Form. Wir haben jetzt Kodex-
blätter, Pergament wie Papyrus, die man aus verschiedenen
Gründen etwa dem dritten Jahrhundert zuweisen darf, und
einige dürften allem Anschein nach sogar ins zweite Jahr-
hundert unserer Zeitrechnung gehören. Nach dem, was wir
zuvor aus den Zeugnissen der Alten selbst gelernt haben, ist
daran nichts auffällig; trotzdem haben die Gelehrten lange
Bedenken getragen, solche Blätter über das vierte Jahr-
hundert hinaufzurücken, weil es als eine Art von Grundsatz
galt, ein Kodex könne nicht älter sein. Diese Vorsicht in der
Datierung hat dazu geführt, die Bücher in Kodexform eher
zu spät als zu früh anzusetzen; eine umfassende Vergleichung
des Materials würde in dieser Beziehung vielleicht manches
überraschende Ergebnis bringen. Zu den frühesten erhaltenen
Bruchstücken gehört ein Pergamentblatt aus den sonst nicht
bekannten »Kretern« des Euripides, wohl noch aus dem
2. Jahrhundert n. Chr. Fände man diese Schriftzüge auf
einer Papyrusrolle, so würde schwerlich jemand an einer
solchen Datierung Anstoß nehmen, und im Hinblick auf
die klaren Beweise für den Gebrauch des Kodex im ersten
Jahrhundert der Kaiserzeit darf man getrost jedes Bedenken
oder richtiger Vorurteil fallen lassen. Vielleicht gilt dasselbe
noch für ein paar andere Bruchstücke, deren eines lateinisch
ist. Es verdient ganz besondere Beachtung, daß auch in
Ägypten, dem Lande des Papyrus, der Kodex so früh Eingang
gefunden hat. Wenn bisher aus dieser Zeit und aus den folgen-
den i(X) Jahren noch nicht gar so viel Kodexblätter hier
ans Licht gekommen sind, so mag freilich der Zufall seinen
Anteil daran haben; vor allem aber bietet ihre Herkunft die
Erklärung. In den andern Ländern griechischer Kultur ver-
breitetesich die neue Buchform sicherlich stärker und rascher ;
ii8
Drittes Kapitel.
daß sogar Ägypten sich ihr erschlossen hat, darf man geradezu
als einen Beweis für ihr kräftiges Vordringen ansehen. Jene
ältesten Codices geben uns zum mindesten das Recht, die
f:
P
Abb. 24. Seite aus einem Pergamentbuche : Euripides, Kreter.
Äußerungen der Schriftsteller über den Kodex im Rom des
ersten Jahrhunderts in ihrem ganzen Umfange ernst zu
nehmen.
Gerade die frühesten Exemplare sind auf Pergament
creschrieben und scheinen zunächst unsere Annahme über
Der Kodex. hq
die Entstehung der Kodexform zu bestätigen. Allein allzu
viel Gewicht wird man nicht darauf legen, denn der Zeit nach
folgen sofort einige Papyruscodices, Handschriften der Genesis
und der Evangelien nach Matthäus und Johannes, was man
aus Ägypten erwarten konnte. Und im Anfange des dritten
Jahrhunderts spricht schon der Römer Ulpian davon. Wenn
irgend ein Land, so mußte Ägypten geneigt sein, das alte
Rollenmaterial der neuen Form anzupassen. Daher dürfen
wir das Pergament der Kreterhandschrift ruhig für einen
Zufall halten. Etwa vom dritten Jahrhundert an, wo Kodex-
blätter häufiger auftreten, halten sich Pergament und Pa-
pyrus ungefähr die Wage. Erst das vierte und fünfte Jahr-
hundert bringen dem Papyruskodex ein entschiedenes Über-
gewicht unter den ägyptischen Funden, das aber zu Schlüssen
auf andere Länder und auf das ganze griechisch-römische
Kulturgebiet nicht berechtigt. Und da auch hier eine ganz
beträchtliche Menge von Fergamenthandschriften den Pa-
pyrusblättern an die Seite tritt, so beweist der Vergleich nur,
wie sehr im allgemeinen der Pergamentkodex den Vorrang
behauptet. Überall, wo der Papyrus nicht so wohlfeil und
nicht so leicht erreichbar war — wir haben gesehen, daß es
außerhalb Ägyptens mehr als einmal daran mangelte —
ergab sich das Pergament von selbst. In Ägypten aber hat
man schon sehr früh die bequeme neue Buchform in Nach-
ahmung des am Pergament ausgebildeten Beispiels auf den
einheimischen Beschreibstoff übertragen. Dabei blieb indessen
die Form der Rolle, die dem Papyrus von Hause aus eigen-
tümlich war, in ihrer Herrschaft unberührt, ja hier gewiß
länger als anderswo. Wenn sie selbst in Rom im dritten
Jahrhundert noch als das eigentliche Buch angesehen werden
konnte, so muß diese Anschauung damals in Ägypten weit
mehr gegolten haben. Kurz, für den Fortschritt der Kodex-
form ist Ägypten nicht maßgebend, sondern folgt wahr-
scheinlich der allgemeinen Entwicklung in ein m gewissen
Abstände.
3. Der Kodex und die Heiligen Schriften. Die
Billigkeit und der niedrige Rang, die dem Kodex in seinen
Anfängen, als Schulbuch und als Rechtshandbuch, eigen-
tümlich sind, haben ihm bald eine besondere Bedeutung auf
einem bestimmten Felde der Literatur verschafft, nämlich
innerhalb der christlichen Schrif tstellerei. Waren wir
'lort auf Vermutungen angewiesen, so stehen wir hier auf viel
usterem Grunde. Schon bevor die Funde der letzten Jahre
ein genaueres Urteil ermöglichten, ist der Gedanke aufge-
taucht, das Alte wie das Neue Testament sei seit dem Beginn
der christlichen Gemeinden in der Form der Codices verbreitet
worden. Beweise dafür lassen sich freilich nicht anführen,
I20 Drittes Kapitel.
denn ob die schon genannten Membranen des Apostels Paulus
wirkliche Pergamentbücher waren, ist mehr als zweifelhaft; in-
dessen fehlt es nicht an Gründen allgemeiner Art. Die ersten
Christengemeindenbestanden fast ausschUeßlich aus geringen
Leuten von geringem Vermögen und geringer Bildung. Ein
Buch, genau gesagt eine Buchrolle, wird in ihren Kreisen
eine Seltenheit gewesen sein; soweit es Judenchristen waren,
besaß wohl die Gemeinde, aber schwerlich der einzelne eine
Thorarolle. Wenn sie daran gingen, die Schriften ihrer Stifter
und Lehrer zu verbreiten, so werden sie die billigste Art jeder
andern vorgezogen haben. Der Kodex aber war damals das
Buch der kleinen Leute. Die neuen Entdeckungen auf ägypti-
schem Boden ändern freilich das Bild einigermaßen. Denn
es gibt eine Reihe früher christlicher Handschriften in Rollen-
form: besonders die berühmte Sammlung von Aussprüchen
Jesu, die Logia Jesu, beweist, wenn es eines Beweises bedarf,
daß auch die Rolle ein Träger christlicher Überlieferung ge-
wesen ist. Noch im vierten Jahrhundert hat man sowohl
die Psalmen als auch den Hebräerbrief in Rollenform nieder-
geschrieben. Stellt man aber diese christlichen Texte den
Buchrollen weltlichen Inhalts gegenüber, so bilden sie einen
sehr kleinen Teil, so klein, daß man an den reinen Zufall nicht
recht zu glauben vermag. Unter den Codices dagegen und
gerade unter den ältesten bis ins vierte Jahrhundert hinein
sind sie mit einer verhältnismäßig großen Zahl vertreten.
Berücksichtigt man nun die selbständige Stellung Ägyptens
im Buchwesen, so darf man mit Recht folgern, daß christliche
Papyrusrollen auf diesem Boden noch nicht ohne weiteres
ihr Vorhandensein in andern Ländern beweisen, während
umgekehrt der hohe Prozentsatz der Codices eine noch weitere
Verbreitung außerhalb Ägyptens vermuten läßt.
'-2! Dazu kommt der eigentümliche Ursprung der christlichen
Literatur. Die Briefe des Neuen Testaments sind zum größten
Teile von Hause aus überhaupt keine Bücher. Der Apostel
Paulus hat seine Briefe entweder eigenhändig geschrieben, wie
er es am Schlüsse des Galaterbriefes ausdrücklich sagt, oder
diktiert, in jedem Falle aber waren es in vollem Sinne Briefe,
die er an junge Gemeinden oder an einzelne Freunde richtete,
nicht etwa Lehrschriften. Kam ein solcher Brief, sagen wir
einer der beiden Korintherbriefe in Korinth an,, so wird die
Gemeinde bei ihrer nächsten Versammlung die Vorlesung
durch einen der Ältesten angehört haben; dann wird man
das wichtige Schriftstück sorgfältig aufbewahrt und gelegent-
lich ganz oder teilweise wieder vorgelesen haben. Einzelne
Gemeindeglieder, die lesen und schreiben konnten, erhielten
vielleicht auch die Erlaubnis, den Brief abzuschreiben, wie
sie wollten und konnten, sicherlich nicht in irgend einer
Der Kodex.
121
Abb. 25. Seite aus einem Pergamentbuche : Schluß des Markus-
Evangeliums.
Buchform, sondern auf Blättern, die sie gerade zur Hand
hatten. Welches Material etwa Paulus selbst benutzt hat,
können wir natürlich nicht ahnen; es kann ein bescheidenes
Notizbuch aus Wachstafeln oder Pergament, aber auch eine
Papyrusrolle oder eine Anzahl einzelner Blätter gewesen sein.
Gewiß war die äußere Ausstattung sehr einfach und nicht
von ferne mit den früher erwähnten Osterbriefen der Patri-
122 Drittes Kapitel.
archen zu vergleichen, deren Prunk uns der fast 700 Jahre
j üngere alexandrinische Osterbrief anschaulich macht ; als Brief
steht er den Sendschreiben der Apostel nahe, aber die Nach-
folger des armen Lebens Jesu waren sicherlich nicht in der
Lage, den Gemeinden vornehme Muster der Kalligraphie zu
widmen. Vielmehr haben wir es an den griechischen
Papyrusbriefen vor Augen, wie etwa die Briefe des Paulus
im Original ausgesehen haben mögen. Ein Bedürfnis,
solche Apostelbriefe in richtiger Buchform zu verbreiten,
hat in den ersten Jahrzehnten nicht bestehen können;
war doch der Brief nur für einzelne Gemeinden be-
stimmt. Erst als in größerer Zahl neue Gemeinden ent-
standen, die nicht mehr unmittelbare Beziehungen zu den
Aposteln besaßen, wird in ihnen der Wunsch erwacht sein,
einen Anteil an jenen Schriften zu erlangen, und nach man-
chem Notbehelf mit privaten Abschriften mag man dazu
übergegangen sein, in schlichtester Form die einzelnen Briefe
als kleine Bücher zu verbreiten. Daß sie dann als Pergament-
codices ins Leben traten, ist allerdings durchaus wahrschein-
lich, um so mehr, als sie auch auf dieser Stufe noch nicht den
Anspruch erheben konnten, Literatur zu sein. Die Evangelien
sind anders angelegt : in der uns vorliegenden Form sind sie auch
mit der persönlichen Widmung bei Lukas wirkliche Bücher
ebenso wie die Apostelgeschichte. Später entstanden als die
paulinischen Briefe, fallen sie in eine Zeit, der schon die un-
mittelbare Überlieferung fehlte, die auch bereits die Anfänge
einer christlichen Schriftstellerei besaß. Mögen sie nun an-
fänglich auf Rollen gestanden haben oder nicht, ihr wichtig-
ster Träger wird doch wiederum der Kodex geworden sein.
Das Alte Testament, das den judenchristlichen Gemeinden
als Thorarolle geläufig war, ist früh zur Buchform über-
gegangen, nachdem es Anerkennung in der Kirche gewonnen
hatte.
Wenn einzelne Werke der christlichen Literatur wie
die Logia Jesu in Ägypten durch die Rollenform zur Literatur
emporgestiegen sind, so darf man doch annehmen, daß im
allgemeinen die christlichen Schriften Hand in Hand mit
dem Aufsteigen des Kodex den Rang wirklicher Literatur-
werke errungen haben. In der Rolle sind sie nicht heimisch
geworden; es ist vielleicht kein Zufall, daß einige solche
Rollenhandschriften auf der Rückseite anderer Texte stehen;
sie sind also zwar als Rollen gedacht, aber doch nur sehr be-
scheidene Exemplare. Die wenigen Ausnahmen, neben den
Logia Jesu besonders eine Rolle, die den »Hirten« des Hermas
enthielt, finden ihre natürlichste Erklärung im ägyptischen
Buchgewerbe, worin die Rolle überwog. Wenn ich nun noch
daran erinnere, daß im zweiten Jahrhundert, dem die ältesten
Der Kodex.
123
Kodexblätter christlichen Inhalts angehören, der Kanon des
Neuen Testaments sich herausgebildet hat und zugleich der
Kodex dem Range eines Buches sich nähert, so erscheint
ein Zusammenhang zwischen der literarischen Geltung der
neutestamentlichen Schriften und dem Aufsteigen des Kodex
nicht als Phantasiegebilde. Die ägyptischen Funde sprechen
durchaus dafür und haben um so mehr Gewicht, als hier die
Papyrusrolle gewiß im Vordergrunde stand. Hatte aber
die christliche Schriftstellerei bis dahin es mit dem Kodex
auch in seiner Niedrigkeit gehalten, so gab es von nun an erst
recht keinen Anlaß, davon abzugehen. Die wohlhabenden
Leute, deren jetzt nicht wenige innerhalb der Christen-
gemeinden standen, brauchten sich nicht zu schämen,
unter ihrer Büchersammlung die Heiligen Schriften in Kodex-
form zu besitzen; was ursprünglich die Billigkeit geboten
hatte, war jetzt nicht nur anständig, sondern schon ein festes
Herkommen geworden. Die koptische Literatur seit dem
vierten Jahrhundert, die fast durchweg christlichen Inhalts
ist, bevorzugt von vorn herein in entscheidender Weise den
Kodex, obwohl doch gerade ihr die Papyrusrolle nahe genug
gelegen hätte. Und im Anfange des fünften Jahrhunderts
sehen wir in den Bildern einer Weltchronik die heiligen Per-
sonen mit dem Kodex in der Hand. Er ist im Sinne der
christlichen Literatur das Buch als solches. Dies alles gilt
in der Hauptsache von den Heiligen Schriften selbst und dem,
was ihnen inhaltlich nahe steht oder volkstümlich ist. Da-
gegen sind die Werke der christlichen Gelehrten, der Kirchen-
väter, Literatur wie jede andere und nach Form und Inhalt
mit der weltlichen in eine Reihe zu stcllien.
4. Der Kodex und die weltliche Literatur. Die
weltliche Literatur konnte ihrer Vergangenheit zufolge
nicht denselben Weg einschlagen wie die christliche. Jahr-
hunderte lang hatte in ihr die Rolle eine unbedingte Herrschaft
ausgeübt, und nur als ein Hilfsmittel war neben ihr der Kodex
eingedrungen. Wenn er schon im zweiten Jahrhundert ziem-
lich weit verbreitet und halb und halb als wirkliches Buch
anerkannt war, so hat doch die Papyrusrolle mindestens noch
das dritte Jahrhundert hindurch ihren Vorrang behauptet.
Auch dem vierten ist sie noch ganz geläufig; so betrachtet es
der Kirchenvater Basileios als natürlich, sein Buch über den
Heiligen Geist dem Freunde auf einer Rolle zu senden, und
nur auf den ausdrücklichen Wunsch des Empfängers wählt er
einen Kodex. Ebenso spricht Hieronymus von seinen Büchern
in Ausdrücken, die uns nötigen, an Papyrusrollen zu denken;
wie schon gesagt, muß die christliche Literatur, was die
Form ihrer Bücher anbetrifft, der allgemeinen, weltlichen
Literatur zugerechnet werden. Es scheint, daß damals,
124 Drittes Kapitel.
also im vierten Jahrhundert, beide Buchformen mit gleichem
Rechte neben einander hergingen. Basileios läßt seine
Werke teils auf Papyrusrollen, teils in Codices schreiben,
und Hieronymus hat sich in Rom eine Reihe von
Klassikertexten in Pergamentbänden zusammengebracht,
während er seine eigenen Schriften als »chartulae« bezeichnet.
Besonders bedeutsam ist aber eine Nachricht, die wir wieder-
um dem Hieronymus verdanken: die Bibliothek des Pamphi-
lus in Caesarea, die teilweise gelitten hatte, sei von den
beiden Geistlichen Acacius und Euzoius auf Pergament er-
neuert worden. Pamphilus, der Lehrer des Kirchenvaters
Eusebius, lebte zu Caesarea im dritten Jahrhundert; seine
Büchersammlung bestand augenscheinlich aus Papyrusrollen
Mag sie nun durch einen Brand oder infolge der natürlichen
Zerstörbarkeit des Papyrus schadhaft geworden sein, die Er-
neuerung wird jedenfalls in der Form von Pergamentcodices
unternommen. Muß man sich auch hüten, aus solch einer
Bemerkung zuviel herauszulesen, so liegt doch der Schluß
nahe, daß damals, im vierten Jahrhundert also, der Kodex
als die zeitgemäße Buchform gegolten hat. Birts Beob-
achtung, bis ins vierte Jahrhundert stelle die Kunst den
Lesenden oder Studierenden nur mit der Rolle dar, ist wichtig
aber nicht entscheidend, denn gerade hierin leben oft alte
Motive fort, wenn die Zeit längst darüber hinweg gegangen
ist. Taucht doch die Rolle selbst heute noch in Bild und
Plastik gelegentlich auf.
Wie stellen sich nun die ägyptischen Funde dazu > Im
dritten Jahrhundert scheint die Papyrusrolle noch entschieden
zu überwiegen, die Codices sind immer noch eine Seltenheit,
die freilich durch die neuen Entdeckungen schon jetzt eine
stattliche Mindeiheit geworden ist. Dagegen hört die Rolle
mit dem vierten Jahrhundert fast ganz auf, während dieselbe
Zeit uns eine ansehnliche Menge von Codices bringt, und zwar
gerade solche weltlichen Inhalts. Daß die großen Bibelhand-
schriften dieser Zeit wie der berühmte Kodex Sinaiticus
völlig als Bücher im eigentlichen Sinne, als stattliche Litera-
turbände auftreten, ist nicht verwunderlich, wohl aber ist das
gleichzeitige Vordringen des weltlichen Kodex ein sehr be-
achtenswertes Merkmal. Wir haben aus dieser Periode nicht
nur Homer und Vergil, die schon Martial in Kodexform
kannte, sondern auch Aristophanes, Sophokles und Euripides
als Codices neben einer ansehnlichen Reihe anderer Schriften.
Wenn nun sogar in Ägypten ungefähr mit dem vierten Jahr-
hundert das Übergewicht des Kodex einsetzt, wenn in der-
selben Zeit die koptische Literatur ihn von vorn herein bevor-
zugt, so wird in andern Ländern, vor allem in Rom, die Ent-
wicklung des Buchwesens mindestens auf derselben Stufe
Der Kodex. 125
gestanden haben. Selbstverständlich' hat es längerer Zeit
bedurft, um die jüngere Buchform ganz geläufig zu machen;
daß mangelegenthch sich nicht recht hinein zu schicken wußte,
lehrt ein Homerkodex, bei dem die Blätter nur auf einer
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Abb. 26. Zwei Seiten aus einem Pergamentbuche; auf der zweiten
unten der Titel. Kine Rede des Demosthcnes.
Seite beschrieben sind, so daß später die leeren Rückseiten
noch für eine grammatische Abhandlung benutzt werden
konnten. Ebenso anschaulich wird der Übergang der einen
Form in die andere durch einen Papyruskodex des vierten
Jahrhunderts, der etwa zwei Drittel der Genesis enthält. Der
Schreiber hat zwar beide Seiten der Blätter beschrieben, also
von vorn herein einen Kodex anfertigen wollen, hat aber, an
126 Drittes Kapitel.
die Rollenschreibart gewöhnt, die Schriftkolumnen so dicht
an einander gerückt, daß der Raum zwischen je zwei Kolum-
nen für das Heften nicht ausreicht und die Stiche des Buch-
binders häufig durch den geschriebenen Text gehen müssen.
Auch die Bücher mit zwei Spalten auf jeder Seite deuten
manche Gelehrte auf alte Rollengewohnheit. In dieser Zeit
des Übergangs ist die Rolle noch keineswegs verdrängt; sie be-
gegnet uns auch später noch in unzweideutigen Worten der
Schriftsteller. Aber indem sie den Kodex als gleichberechtigt
anerkennen muß, hat sie ihm in Wahrheit den Platz geräumt.
Daß die Aktenrolle und das einzelne Papyrusblatt als Ur-
kunden- und Briefbogen fortbestanden haben, wird durch
dies Ergebnis nicht berührt.
5. Zusammensetzung des Kodex. Obgleich der
Kodex in seinen Grundzügen die bis auf den heutigen Tag
gebräuchliche Buchform und daher jedem wohl bekannt ist,
scheint es mir doch nicht überflüssig, seine wesentlichen
Merkmale hervorzuheben, denn gerade von den geläufigsten
Dingen geben wir uns am wenigsten Rechenschaft. Vom
heutigen Buche nur in Einzelheiten verschieden, bedeutet er
einen scharfen Gegensatz zur Rolle. Während die Papyrus-
rolle im Verhältnis zu ihrer Höhe sehr lang und ein zusammen-
hängender Streifen ist, besteht der Kodex aus einer Anzahl
von Blättern gleichen Formates. In der Höhe des Blattes
kann er jener gleichen, in der Breite aber muß er sich in
engen Grenzen halten, denn er darf, wenn er nicht unhandlich
werden soll, keine größere Ausdehnung erreichen, als der
Lesende übersehen kann, ohne den Platz zu wechseln. Dort
ist die Reihenfolge der Schriftkolumnen durch den Zu-
sammenhang der Schreibfläche ohne weiteres gegeben, hier
dagegen bedarf es eines besonderen Hilfsmittels: die Blätter
müssen in richtiger Folge befestigt sein. Das geschieht durch
das Heften. Im Unterschiede von den Schreibtafeln, den
Vorbildern des Kodex, bei denen jede einzelne Tafel ein Stück
für sich ist und mit den übrigen nur durch Scharniere oder
Fäden verbunden wird, erlauben die biegsameren Stoffe Perga-
ment und Papyrus, je zwei einer Tafel entsprechende Schreib-
fiächen aus einem Stücke herzustellen, eine Reihe solcher
Doppelblätter in einander zu legen und sie in der Mitte durch
einen Heftfaden zu verbinden. Soweit wir urteilen können,
hat man dies Verfahren von Anfang an befolgt; der Kodex
besteht aus einer Anzahl in einander gelegter und verbundener
Blätter, deren jedes die zweifache Größe des geschlossenen
Buches hat. Nun zeigt aber der Versuch, ja schon die Über-
legung, daß man nicht eine unbegrenzte Menge von Blättern
so ordnen kann. Je mehr Blätter in einander gelegt werden,
desto stärker widerstreben sie dem Zusammenfalten oder
Der Kodex.
127
Schließen des Buches, desto straffer wird der Heftfaden an-
gespannt, desto heftiger die Blattmitte vom Heftfaden ange-
griffen. Die Alten haben daher, namentlich in das Papyrus-
buch, das empfindlicher war, Pergament- oder Lederstreifen
eingelegt, damit der Heftfaden das Blatt nicht einreiße.
Außerdem nimmt bei dem einzelnen Blatte, je weiter es nach
außen Hegt, einen um so größeren Teil seiner Fläche die
Biegung beim Schließen des Buches in Anspruch. Bleiben
die Blätter einander gleich, so vermindert sich von innen
nach außen mehr und mehr die Schreibfläche. Diesem Übel-
stande vermag man allerdings zu begegnen, indem man die
Breite der Blätter in demselben Sinne zunehmen läßt. Da
aber die übrigen Nachteile fortbestehen, hat man zu der Aus-
Abb.27. Zusammensetzung des Kodex; links: zwei getrennte Lagen von
je zwei Doppelblättem ; rechts : alle Blätter bilden eine einzige Lage.
hilfe gegriffen, nur eine kleine Anzahl von Blättern in einander
zu heften und das ganze Buch aus mehreren selbständigen
Heften zusammenzusetzen. Der Buchbinder nennt solch eine
Folge in einander gelegter Blätter ei ne Lage und setzt demnach
das Buch aus mehreren Lagen zusammen. Je weniger Blätter
sie umfaßt, desto weniger Fläche geht für die Biegung ver-
loren, so daß die Blätter gleich zugeschnitten werden dürfen,
was die Herstellung bedeutend vereinfacht. Heute herrscht
bekanntlich ein anderes Verfahren, das jedoch im Erfolge auf
dasselbe hinaus kommt. Unsere Bücher bestehen aus Bogen,
d. h. aus großen Papierstücken, die solange gefaltet werden,
bis man die geforderte Blattgröße erhält. Infolge dessen
hängen die Buchblätter nicht nur an der Heftstelle, sondern
auch an allen Faltungsstellen zusammen. Das Buch muß,
wie wir zu sagen pflegen, aufgeschnitten werden, was in der
Regel erst beim Einbinden geschieht. Für den Druck ist
128 Drittes Kapitel.
dies Verfahren vorteilhaft; solange man aber darauf ange-
wiesen war, den Buchtext mit der Hand zu schreiben, mußte
man etwas anders zu Werke gehen. Immerhin scheint es
vorzukommen: im berühmten Menanderbuch in Kairo be-
ginnen innerhalb der Lage Blatt i und 3 mit Rekto, 2 und 4
mit Verso, was sich am einfachsten erklärt, wenn man die
Faltung eines großen Papyrusbogens voraussetzt; dasselbe
gilt von einem Odysseebuche aus Pergament, wo Haar- und
Fleischseite sich jedesmal berühren. Erhielt der Schreiber
die aufgeschnittenen Lagen, so stand seiner Arbeit nichts
im Wege.
Die Mehrzahl der alten Codices besteht aus solchen
Lagen; leider fehlt uns gerade bei den ältesten Überresten
jede Möglichkeit, ihre Blätterzahl zu bestimmen, weil nur
Fetzen von Seiten erhalten sind. Wo wir aber den Sach-
verhalt erkennen können, finden wir gewöhnlich ziemlich
kleine Lagen von zwei, drei, vier Blättern etwa bis zu der
obersten Grenze von neun Blättern. In manchen Fällen läßt
sich der Umfang der Lage berechnen, auch wenn sie nicht ganz
erhalten ist, freilich nur bei einem bekannten Texte. So
trägt bei den Bruchstücken eines großen Aristophaneskodex
in der Berliner Sammlung eine im wesentlichen erhaltene
Lage ihre Nummer und bietet daher die Möglichkeit, ungefähr
zu schätzen, wieviel Text auf den vorhergehenden Lagen
gestanden haben kann. Denn die Lagenziffer 9, die mit
Seite 65 zusammentrifft, beweist, daß die fehlenden 64 Seiten
sich auf 8 Lagen zu je 8 Seiten gleich 2 Doppelblättern gleich
4 Einzelblättern (Quaternio) verteilen. Die erhaltenen Seiten
fallen mitten in die »Acharner« des Aristophanes; legt man
der Berechnung- die durchschnittliche Zeilenzahl zugrunde,
so hat diese Komödie ungefähr mit Seite 42 des Kodex be-
gönnen, und ein anderes Stück, nach einer ziemlich sicheren
Schätzung eines der längeren, ist vorangegangen. Von der-
selben Handschrift besitzen wir kleine Bruchstücke aus den
»Vögeln« und aus den »Fröschen« desselben Dichters. Rechnet
man nun am Anfange des Buches ungefähr zwei Seiten für
den Buchtitel ab, so wird es recht wahrscheinlich, daß der
Kodex mit den »Fröschen« anfing, da diese am ehesten die
verfügbaren 40 Seiten füllen würden. Wer aber dieser Be-
rechnung nicht trauen will, wird doch daran nicht zweifeln
können, daß die »Acharner« in diesem Kodex an zweiter
Stelle gestanden haben. Ich habe dies Beispiel näher be-
sprochen, um zu zeigen, wie sehr die Beobachtung äußerer
Züge auch wissenschaftlichen Untersuchungen dienen kann.
Ähnlich ergibt sich aus einer Lagenziffer des schon erwähnten
Pergamentbuches der Odyssee, daß der Kodex ursprünglich
die ganze Odyssee umfaßt hat.
Der Kodex. 129
Man sollte meinen, die Einteilung des Kodex in mehrere
Lagen hätte durch ihre greifbaren Vorzüge zu allgemeiner
Anerkennung gelangen müssen. Merkwürdiger Weise ist das
nicht eingetreten; es gibt eine nicht unbeträchtliche Minder-
zahl alter Codices, die nur eine einzige Lage darstellen. Hier
liegen demnach sämtliche Blätter des Buches in einander, und
um die gleiche Größe der Schreibflächen einzuhalten, hat man
die Blätter von innen nach außen an Breite zunehmen lassen.
Gerade Papyruscodices — ich kenne neben koptischen
Büchern dieser Art auch griechische, wie das Iliasbuch der
Sammlung Morgan und das Chemiebuch in Stockholm —
sind so hergestellt worden, obwohl doch Papyrus weniger
widerstandsfähig ist als Pergament. Sie gehören etwa dem
Ende des dritten und dem vierten Jahrhundert an, also einer
verhältnismäßig frühen Zeit. Wer vermuten wollte, daß diese
Technik die ursprüngliche sei, und daß die alten Buchfabri-
kanten erst durch die schlechten Erfahrungen hierbei auf die
Gliederung in mehrere Lagen gekommen seien, könnte auf
die älteren Kodexbruchstücke hinweisen, worin die Anord-
nung nach Lagen nicht nachweisbar sei. Das kann freilich
Zufall sein, und aus solchen Trümmern darf man nicht viel
erschließen, aber an sich erklärt diese Annahme die Tat-
sachen einleuchtend genug.
Die Frage, ob die Blätter des Papyruskodex von den
Fabriken besonders hergestellt oder aus denselben Ballen
geschnitten wurden, denen man auch die Rollen entnahm,
wird durch eine Beobachtung H. Ibschers der Lösung zuge-
führt. Er hat an einem koptischen Buche feststellen können,
daß die Blätter sämtlich von einem Ballen stammen; manhatte
diesen zunächst durch zwei Längsschnitte in drei Streifen
zerlegt und aus diesen die Blätter geschnitten. Kleinere
Stücke am Ende, die kein Doppelblatt mehr ergaben, wurden
als Einzelblätter gelegentlich eingefügt. Dergleichen Einzel-
blätter, die öfters vorkommen und bisher schwer erklärbar
waren, werden hierdurch leicht verständlich. Die Herkunft
der Kodexblätter aus dem Ballen leuchtet so ein, daß man
sie wohl als Regel betrachten darf.
Obgleich im Kodex beide Seiten beschrieben wurden, der
Unterschied zwischen Rekto undVerso also seinenWert für den
Schreiber verlor, scheint der alte Vorzug der Rektoseite auch
hier noch nicht vergessen zu sein, weil auch hier wie bei der Rolle
die wagerechten Fasern mehr geschont wurden, wenn sie innen
lagen; die Blätter aus Ägypten zeugen in ihrer Mehrzahl dafür,
daß die Rektoseite nach innen gelegt wurde. In der ersten Hälfte
der Lage geht also die Versoscite, in der zweiten die Rekto-
seite voran; wo der ganze Kodex eine einzige Lage darstellt,
kann demnach ein loses Blatt, je nachdem der Text von Verso
Schubart, Das Buch. 2. Aufl. q
I^O Drittes Kapitel.
auf Rekto oder von Rekto auf Verso fortschreitet, der ersten
oder der zweiten Hälfte des Kodex zugesprochen werden.
Allein das wird nur in solchen Fällen helfen, wo der größere
Teil des Buches erhalten ist. Obendrein fehlt es nicht an
Beispielen für die Vernachlässigung jener Regel. In einem
Iliaskodex beginnen die ersten erhaltenen Blätter mit Verso,
dann folgt eins, das mit Rekto anfängt, und das letzte ent-
spricht wieder den ersten. Derselbe Wechsel innerhalb einer
Lage ist bei den Resten des Berliner Aristophanes und ebenso
bei denen des Nonnos deutlich zu erkennen. Von einer festen
Regel kann demnach nicht die Rede sein; man wird im ganzen
darauf gesehen haben, beide Seiten möglichst gleichmäßig
zu glätten, da beide denselben Anforderungen zu genügen
hatten. Daß bei sorgsamer Arbeit auch die Versoseite dem
Vorwärtsgleiten des Schreibrohrs kein Hindernis entgegen-
setzt, beweist schon die Schrift vieler Rollen und einzelner
Blätter. Es ist hiermit ebenso wie mit dem Unterschiede der
Fleischseite und der Haarseite des Pergaments, der auch keine
unumstößliche Anordnung herbeigeführt hat. Wäre die
Versoseite des Papyrus wirklich viel ungünstiger für das Be-
schreiben gewesen, so hätte der Papyruskodex schwerlich eine
so große Verbreitung finden können. Daß er in manchen
andern Beziehungen, vor allem in der Dauerhaftigkeit, hinter
dem Pergamente zurückstand, hat das ägyptische Buch-
gewerbe nicht gehindert, ihn in Massen herzustellen; ist doch
unter den Kodexbruchstücken ägyptischer Herkunft das Ver-
hältnis der Papyrusbücher zu denen aus Pergament etwa
wie fünf zu drei, und zwar, wenn man nur die griechischen
Handschriften heranzieht, während durch Anrechnung der
koptischen das Zahlenverhältnis sich noch zugunsten des
Papyrus verschiebt.
6. Formate. Wie bei der Papyrusrolle die verschiede-
nen Formate sich in einige Gruppen einordnen lassen, so
führt auch ein Überblick über die Codices zu ähnlichen Er-
gebnissen. Ich kann nicht versuchen, diese Untersuchung
zu allgemein gültigen Sätzen zu führen, da ich nur einen
kleinen Teil des Vorhandenen überblicke, sondern möchte
andere, die mehr davon wissen, dadurch anregen, dieser Frage
ihre Aufmerksamkeit zuzuwenden. Den winzigen Rollen,
die wir als kleinste Taschenformate kennen gelernt haben,
entsprechen ziemlich genau einige Büchlein in Kodexform,
die ungefähr 6 cm Höhe und 4 cm Breite besitzen; nahe
stehen ihnen andere mit 7^ zu 6^ cm. Die mir bekannten
Exemplare dieser Art sind nicht älter als das vierte Jahr-
hundert, bestehen meistens aus Pergament und zeigen in der
Schrift keine besondere Sorgfalt. Die größeren Formate
lassen einen Vergleich mit den Rollen eigentlich nicht zu,
I
Der Kodex. i^i
denn von einer Höhe von 12 cm an bis zur Höhe von 40 cm
reihen sie sich ohne ersichtliche Gliederung an einander. Um
ihre Maße in eine Ordnung zu bringen, muß man den Ge-
sichtspunkt voranstellen, der für den Kodex natürlich ist,
nämlich das Verhältnis der Höhe zur Breite. Da
ergibt sich denn zunächst eine Gruppe, deren Ausdehnungen
gleich oder annähernd gleich sind; kleine Abweichungen der
Messung erklären sich oft aus der Beschädigung der Ränder
und verdienen keine Berücksichtigung. Als typischen Ver-
treter dieser Gattung stelle ich einen Kodex voran, der den
zweiten Thessalonicherbrief enthalten hat; seine Höhe wie
Breite belauf t sich auf 16 cm. Etwa auf dasselbe Verhältnis
kommen einige andere, die ungefähr 14 cm hoch und 12 cm
breit sind, noch genauer größere Formate wie 24 X 22 cm
und 26 X 23 cm, bei denen das Auge den Unterschied
zwischen Höhe und Breite kaum bemerkt. Den Gegensatz
dazu bildet ein Format, dessen Höhe die Breite ungefähr um
das Doppelte übertrifft. So hat z. B. die Ilias Morgan 27
und 14, eine alte Euripideshandschrift, die dem dritten Jahr-
hundert angehören mag, 28 und 14, ein eleganter Demosthe-
neskodex 17,5 und 8 (vgl. Abb. 26), ein grammatischer Text
27 und 14,5, das Stockholmer Chemiebuch 30 zu 15 cm.
Endlich glaube ich eine Reihe von Codices bestimmen zu
können, deren Ausdehnungen sich ungefähr wie 3 zu 2 und
wie 5 zu 4 verhalten. Es scheint kein Zufall zu sein, daß
viele von ihnen eine ziemlich erhebliche Größe haben und
über eine Höhe von 25 cm hinausgehen; jedoch fehlt es auch
nicht an kleineren. Im allgemeinen lehrt ein solcher Über-
blick, daß bestimmte Größen hier ebenso wenig wie bei der
Rolle oder noch weniger zutage treten; das Verhältnis der
Maße ist es, was dem Kodex sein äußeres Merkmal verleiht.
Wir sind mit dieser Beobachtung auf dem richtigen Wege;
das beweist wohl zur Genüge die deutliche Beziehung, in der
einige Formate zu andern stehen. Die alten Buchfabrikanten
haben nämlich öfters eine vorhandene Blattgröße in der Mitte
gebrochen und auf diese Weise ein kleineres Format herge-
stellt, dessen Höhe gleich der Breite des ursprünglichen ist,
während die Breite halb so viel beträgt wie die Höhe des
größeren Formates. In mehr als einem Falle sieht man noch
deutlich, wie genau das kleinere Format sich dem größeren
anpaßt. So besitzt die Staatsbibliothek in Berlin zwei kopti-
sche Papyrusbücher ungefähr gleichen Alters, deren Blätter
augenscheinlich nach demselben Maße zugeschnitten, aber
nachher verschieden benutzt worden sind. Einen klaren
Beweis liefern einige Pergamentblätter im Berliner Museum,
denn unter der Schrift sieht man die Spuren eines älteren
Textes, der in dem zugehörigen größeren Formate geschrieben
9*
32
Drittes Kapitel.
Abb. 28. Seite aus einem Papyrusbuche : Ilias 12 Ende und Ilias 13
Anfang.
Der Kodex.
^33
war. Ich habe ein paar Proben ausgemessen, die ent-
weder genau oder mit geringen Abweichungen zu einander
stimmen. Wir haben zu dem Format 26 X 17 das kleinere
17 X 13, ferner 20 X 12 und 12 X lO, 13,5 X 10 und 10 X 7,
endlich 35 x 27 und 27,5 x 17,5. Hier handelt es sich nicht
wie oben um zweimal beschriebene Blätter (Palimpseste),
bei denen die Halbierung des Formats der Willkür anzu-
rechnen ist; vielmehr sind es selbständige, von einander unab-
hängige Bücher. Daher hat vermutlich das größere Format
mit dem kleineren den Ursprung in derselben Zeit, wenn nicht
gar in derselben Fabrik gemein. Damit ist nicht gesagt, daß
gerade dies oder jenes Format in einer bestimmten Zeit vor-
geherrscht habe; dem widerspricht die große Mannigfaltig-
keit der Buchgrößen. Wohl aber darf man Schlüsse daraus
ziehen, wenn das größere oder das entsprechende kleinere
sich datieren läßt. Anders liegt es natürlich bei dem oben
genannten Beispiele aus der Berliner Sammlung, wo man
einen Kodex zerschnitten hat, um einen neuen kleineren
daraus herzustellen. Denn hier lehrt sowohl die ursprüngliche
Schrift wie die absichtliche Zerstörung des ersten Textes, daß
der größere Kodex älter war als der kleine, der aus ihm
hervorgegangen ist.
Aber auch sonst dürften die Formate nicht ganz wertlos
für die Datierung der Codices sein, und da man ihr Alter
aus der Handschrift nur unbestimmt ermitteln kann, verdient
jedes andere Hilfsmittel beachtet zu werden. So weit meine
Kenntnis reicht, scheinen die erste und die zweite Klasse der
Formate ziemlich hohen Alters zu sein. Es ist ja im Grunde
ein Zirkelschluß, wenn wir die Formate für die Datierung
benutzen wollen und auf der andern Seite für die Datierung
der Formate eben die Merkmale der Schrift heranziehen
müssen. Allein da die Kennzeichen alter Schrift auffallend
oft mit annähernder Gleichheit von Breite und Höhe wie mit
dem größten Abstände beider Ausdehnungen zusammen
treffen, mögen diese Formate der Zeit bis zum vierten Jahr-
hundert und diesem selbst gehören. In derselben Periode be-
merkt man bei aller Verschiedenheit ein Übergewicht der
kleinen Formate. Dagegen glaube ich etwa vom fünften
Jahrhundert an eine Zunahme der großen Formate erkennen
zu können; Folianten wie der Berliner Aristophaneskodex
mit den Maßen 36 X 25 oder gar der noch spätere Nonnos-
kodex mit 40 X 28 cm dürften im vierten Jahrhundert kaum
ihresgleichen finden. Noch deutlicher aber scheint sich zu
ergeben, daß in derselben Zeit die Formate im Verhältnisse
von 3 zu 2 sich einbürgern. Selbstverständlich will jede solche
Beobachtung nur das Vordringen einer Mode bemerken. Wie
bei uns alle möglichen Formate neben den besonders gebrauch-
1^4 Drittes Kapitel.
liehen vorkommen, so ist auch im Buchwesen der Alten die
Mode noch keine Regel und niemals eine Regel ohne Aus-
nahme geworden. Immerhin lehrt ein Blick auf neuere
Zeiten, wie stark sie sich geltend machen kann. Heute
herrscht im allgemeinen das Format 3 zu 2 in allen möglichen
Abstufungen der Größe. Das 18. Jahrhundert dagegen hat
gerade dies Verhältnis weniger geschätzt als auf der einen
Seite schmalere Formate und auf der andern Seite die unge-
fähr quadratischen, ein Geschmack, der noch weit ins 19.
Jahrhundert nachgewirkt hat. Solche Beobachtunge wollen
aber mit äußerster Vorsicht benutzt werden, da sie von
sicheren Ergebnissen weit entfernt sind und durch neue Funde
wie durch weitere Umschau jeden Tag überholt werden
können.
Bei jedem Formate findet der Schreiber Gelegenheit,
einen vorteilhaften Eindruck des geöffneten Buches zu be-
wirken; beim Kodex kommt noch mehr darauf an als bei der
Rolle, weil jede Seite als ein fest begrenztes Ganzes sich dem
Auge darstellt. Höhe und Breite der Schriftkolumne in ein
richtiges Verhältnis zur Seitengröße zu bringen, hat man
nicht etwa mechanisch versucht, indem man auf die Schrift-
kolumne die Verhältnisse der Seite in verkleinertem Maße
übertrug; vielmehr wahrt im elegant ausgestatteten Buche
die Schriftkolumne eine gewisse Selbständigkeit gegenüber
der Seite. Neben einer Reihe von Beispielen, wo sie ungefähr
den Verhältnissen der Seite entspricht, fehlt es nicht an
auffallend kleinen Kolumnen; augenfällig ist es in dem
auf S. 125 abgebildeten Pergamentbuche, das Reden des
Demosthenes enthielt, denn auf einer Seite von 17,5 X 8 cm
sehen wir eine Schriftkolumne von 10 X 5 cm, also eine so
geringe Füllung, daß man diese Raumverschwendung nur
aus dem Streben nach Eleganz erklären kann. Das große
Aristophanesbuch, dessen Schrift keineswegs besonders schön
ist, beschränkt doch auf einer Seite von 36 X 25 cm die
Schriftkolumne auf 27 X 14 cm. Aber auch andere Ver-
hältnisse kommen vor; so läßt ein Bruchstück aus einem
sehr alten lateinischen Kodex der Kolumne einen Raum von
8x8 cm, während die Seite 14,5 cm hoch und 12 cm breit
ist. Wieder in anderen Büchern wird die Seite ausgiebig
benutzt und der Rand auf ein geringes Maß beschränkt, und
zwar verträgt sich diese Sparsamkeit sehr wohl mit einem
zierlichen Formate und einer sorgfältigen Schrift. Allein im
ganzen bemüht man sich doch, oben und unten sowie an den
Seiten reichlich Platz zu lassen, vor allem in den Papyrus-
büchern, bei denen die Empfindlichkeit des Stoffes ein Wort
mitgesprochen haben mag, denn die Gefahr der Beschädigung
war hier größer als beim Pergament. Zumal der Gebrauch,
Der Kodex.
135
^~^-
die Kolumnen nicht genau in die Mitte der Seite, sondern
ein wenig nach innen zu rücken, erklärt sich daraus, denn
der äußere Rand litt am ehesten bei häufiger Benutzung des
Buches. Im übrigen wird auch beim Einheften die Kolumne
ein wenig nach innen und damit das ganze Seitenbild ver-
schoben. Ein paar Bücher hohen Alters fallen durch unge-
wöhnlich breite Kolumnen auf, aber man muß sich hüten,
darin etwa eine ältere Sitte zu suchen. Denn neben ihnen
stehen genug andere, die durch schmale Kolumnen und breite
Ränder ersichtlich
ein vornehmes Aus- - -
sehen erzielen wol-
len. Es gab eben
beim Kodex wie
bei der Rolle erheb-
liche Unterschiede
der Ausstattung;
soweit man aber
einen natürlich nur
oberflächlichen
Vergleich anstellen
kann, scheint er
zugunsten des Ko-
dex auszufallen.
Denn die Mehr-
zahl der erhaltenen
Exemplare stellt
sich im Gesamtein-
druck der Schrift
und in der Anord-
nung den guten
Rollen an die
Seite und zeigt
mehr Rücksicht
auf diese Äußer-
lichkeiten als der Durchschnitt der Papyrusrollen; man hatte
an ihnen gelernt, und gewisse Schönheitsregeln waren Allge-
meingut geworden.
Eine bemerkenswerte Eigentümlichkeit ist noch zu er-
wähnen: bei vielen griechischen und koptischen Büchern sehr
verschiedenen Formates trägt jede Seite zwei Schriftkolum-
nen, in einigen Fällen sogar noch mehr. Sie sind dann im
Verhältnis zur Höhe außerordentlich schmal und werden
häufig nur durch einen geringen Zwischenraum getrennt. Das
schon erwähnte Papyrusbuch der Genesis beginnt in dieser
Weise; nach einigen Seiten aber hat der Schreiber es be-
quemer gefunden, über die ganze Breite des Blattes zu
■^
Abb. 29. Federzeichnung auf Papyrus.
1^6 Drittes Kapitel.
schreiben, und sich für eine einzige Schriftkolumne ent-
schieden. Er wußte sich mit der Kodexform nicht recht ab-
zufinden, ganz abgesehen davon, daß seine Kunst überhaupt
nur gering war. Als typisches Beispiel mag neben den großen
Bibelhandschriften des vierten und fünften Jahrhunderts,
die drei und sogar vier Kolumnen auf der Seite haben, zugleich
aber mustergültig in ihrer Ausstattung sind, ein koptisches
Buch dienen, dessen Seite auf einer Fläche von 35 X 27 cm
zwei Kolumnen von je 24 X 8 cm Ausdehnung trägt. Da
nicht wenige, namentlich die griechischen, verhältnismäßig
alt sind, hat man gemeint, es sei ein altes Verfahren, das sich
noch an die Rolle anlehne, weil der Leser der Rolle mehrere
Kolumnen überblickt habe. Das ist möglich, aber keineswegs
sicher, denn eine Nachahmung der Rolle würde eher dahin
wirken, für jede Kolumne eine besondere Seite zu bestimmen.
Auch hatte der Leser in der Rolle nur dann mehrere Kolum-
nen vor Augen, wenn sie schmal waren; daher sehe ich nicht
ein, weshalb die Seite mit zwei Kolumnen der Schriftver-
teilung auf der Rolle besonders nahe stehen sollte. Obendrein
hat sich diese Anordnung sehr lange erhalten, so daß man
kaum von einer besonders alten Sitte sprechen darf. Viel-
leicht lag ihr das Bestreben zugrunde, die für schön geltende
Schmalheit der Kolumne mit einer reichlichen Ausnutzung
der Schreibfläche zu vereinigen. Es wäre dann eine Mode,
deren Geltungsbereich wir nicht näher bestimmen können.
7. Schrift, Lesezeichen, Seitenzählung. Über
die Ausstattung des Textes im Kodex kann ich mich
kurz fassen, denn sie entspricht im allgemeinen dem, was wir
bei der Rolle bereits kennen gelernt haben, ohne einen
nennenswerten Fortschritt zu zeigen. Auch hier gilt für
Prosa gleiche Länge der Zeilen als Regel, während der poeti-
sche Text dieselbe Freiheit genießt wie in der Rolle. Ab-
weichungen sind noch seltener als bei der Rolle, weil auf der
genau begrenzten Buchseite jede Unregelmäßigkeit mehr auf-
fallen und stören muß. Auch die runden und überaus gleich-
mäßigen Buchstaben, die etwa seit dem Ende des dritten
Jahrhunderts den sorgfältig geschriebenen Büchern ein ganz
unpersönliches, druckähnliches Aussehen verleihen, tragen
dazu bei, daß im Gesamteindrucke viele Bücher dieser Zeit
durch ElDenmaß und Schönheit vorteilhaft auffallen. Die
Buchschrift entfernt sich damals weit von der Geschäfts-
schrift und läßt deutlich eine besondere Schule und eine
eigene Entwicklung erkennen. Abkürzungen, Interpunktio-
nen und Akzente werden im wesentlichen ebenso gehandhabt
wie in den Rollen; Akzente setzt man noch bis ins vierte
Jahrhundert ziemlich freigebig, dann aber treten sie stark
zurück. Auch in der Satztrennung ist man nicht weiter ge-
Der Kodex.
137
kommen, wenngleich Anläufe dazu nicht zu verkennen sind
und besonders in kirchüchen Texten durch VersgHederung und
Satzzählung unterstützt werden. Beachtenswert ist die sich
rasch ausbreitende Mode, Abschnitte des Sinnes durch einen
nach links ausgerückten und vergrößerten Anfangsbuchstaben
kenntlich zu machen. Für Korrekturen, Randbemerkungen,
Bezeichnung der Personen im Drama gilt ebenfalls das, was
bei der Besprechung der Rolle im einzelnen und schon mit
Ausblick auf den Kodex dargelegt worden ist. Denn der
Kodex konnte in der inneren Ausstattung des Textes sich an
die bewährte alte Sitte ohne Schwierigkeit anschließen, um
so mehr, als die Rolle noch lange genug neben ihm im Ge-
brauch bHeb.
Abb. 30. Mathematische Figuren auf Papyrus.
Etwas Neues ist nur da zu finden, wo die veränderte
Form sich mit der alten Regel nicht vertrug oder besondere
Bedürfnisse hervorbrachte. Dahin gehört vor allem die
Zählung der Seiten. Die Bezifferung der Kolumnen war
in der Rolle über Versuche nicht hinaus gelangt, weil sie im
Grunde keinen Zweck hatte. Auch im Kodex ist sie keines-
wegs von vorn herein eine Regel, aber es gibt doch schon früh
soviel Beispiele dafür, daß man eine Wandlung anerkennen
muß, (vgl. Abb. 28). Nicht immer erhält jede Seite ihreZiffer,
manchmal nur eine um die andere, und gerade für die ältesten
Bücher bleiben wir darüber meistens im Ungewissen, weil nur
einzelne Blätter und auch diese oft genug mit beschädigten
Rändern auf uns gekommen sind. Jetzt entsprach die Zählung
der Seiten wirklich einem Bedürfnis, denn die neue Buchform
machte durch ihre Gliederung in kleine Teile, die Blätter und
Seiten, gerade das möglich, was die Natur der Rolle ver-
138
Drittes Kapitel.
eitelte, nämlich eine bestimmte Stelle sofort aufzuschlagen.
Freilich gilt noch immer, was sich uns früher ergab, daß
die meisten Literaturwerke von Hause aus nicht darauf an-
gelegt sind, wörtlich angeführt zu werden. Es wird aber
wünschenswert, wenn die Arbeit der Gelehrten sich der
Literatur zuwendet und sie wissenschaftlich ausbeutet. Das
ist schon früh geschehen, ohne' an der Rolle eine Hilfe zu
finden. Der wissen-
schaftliche Gesichts-
punkt mag im vierten
Jahrhundert, das wir
als einenWendepunkt
in der Geschichte des
Kodex erkannt haben,
für die griechische
und römische Litera-
tur der Vergangen-
heit, nicht für ihre
gelehrten Werke al-
lein, sondern auch
Dichtung, Erzählung,
Rede usw. in weitem
Umfange zutreffen,
denn sie war längst
klassisch geworden.
Aber der Ursprung
der Bezifferung liegt
vielleicht doch auf
einem andern Felde.
Wenn der Kodex in
den ersten Jahrhun-
derten vorwiegend als
Aktenband, als juri-
stisches Handbuch
und als Träger der
Heiligen Schriften ge-
dient hat, so ergeben
alle diese Arten des
Inhalts, daß in ihm oft und viel nachgeschlagen werden
mußte, um ein Aktenstück, eine juristische Belehrung
für einen bestimmten Fall oder ein theologisch bedeut-
sames Beweismittel zu finden. Diese unmittelbaren Be-
dürfnisse können sehr wohl dazu geführt haben, durch
eine Bezifferung der Seiten das Aufschlagen und Zitieren
zu erleichtern. War es hier üblich geworden, so folgte
die Übertragung auf andere Gebiete der Literatur von
selbst. Nebenbei mag man auch ein bequemes Mittel,
Abb. 31. Farbiges"Webemuster auf Papyrus.
Der Kodex. i^q
die Vollständigkeit des Buches festzustellen, darin erblickt
haben.
8. Titel. In der Stellung des Buchtitels offen-
baren die ältesten Codices noch eine starke Abhängigkeit
von der Rolle. Deshalb sind sie auch dort bereits heran-
gezogen worden. Wie dort, steht auch hier der Haupttitel
am Ende des Textes, sei es nun mit der schlichten Angabe
des Verfassers und des Inhalts, sei es in größerer Ausführlich-
keit, die allmählich immer mehr beliebt wird. Schon der
große Iliaskodex des 4. oder 5. Jahrhunderts, der unter dem
Namen Harris bekannt ist, hat am Ende des zweiten Buches
die Bemerkung: »ein Ende hat der Ilias 2. (Buch)« und eine
entsprechende unter derri dritten Buche; ähnlich das jüngere
Nonnosbuch. Dagegen folgt die auf der Rückseite jener Ilias-
blätter stehende Grammatik des Tryphon noch ganz dem
schlichten Brauche, nur das Notwendige auszudrücken.
Ebenso verhalten sich die großen Bibelhandschriften, z. B.
der Kodex Sinaiticus und der etwas jüngere Alexandrinus.
Bald genug jedoch, vielleicht im Anschlüsse an Vorbilder, die
wir nicht sicher erkennen, aber in Weihungen und Gebeten
suchen können, fanden auch der Schreiber, der Korrektor,
der Herausgeber es nötig, ihre Namen der Nachwelt zu über-
liefern, so daß der Schlußtitel sein eigentliches Wesen verlor
und zu einer längeren Schlußbemerkung wurde. Diese Wand-
lung steht gewiß im Zusammenhange mit der zunehmenden
Wichtigkeit des Anfangstitels. Sofern er überhaupt vor-
handen war, bestand er bei der Rolle, wie es scheint, in einem
kurzen Vermerk, in der Regel auf dem Schutzblatte, oft in
nachlässiger Schrift, und erhob gar nicht den Anspruch, ein
wirklicher Titel zu sein. Der Kodex hatte hierfür die erste
Seite oder das ganze erste Blatt zur Verfügung, eine Stelle,
die sich von vorn herein dem Auge mehr aufdrängte als jenes
Schutzblatt. Daher fand allmählich der eigentliche Titel auf
dem ersten Blatte seinen Platz, während der Schlußtitel sich
in eine »Unterschrift« (Subscriptio) umwandelte. In
Augustins Zeit, um 400, war man jedenfalls schon gewohnt,
den Titel am Anfange zu suchen.
Innerhalb des Kodex werden einzelne Teile gerade
so wie bei der Rolle durch Untertitel bezeichnet, die
über und unter dem Abschnitte stehen. Mit einer ge-
wissen Breitspurigkeit drängt sich der Untertitel z. B.
in den Bruchstücken aus Nonnos am Anfange des 15. Buches
der Dionysiaka auf, indem auch hier der Titel Dionysiaka
und der Name des Dichters genannt wird. Früher, noch im
viertenjahrhundert, begnügte man sich wohl mit einer kurzen
Fassung, die gelegentlich über die den neuen Abschnitt begin-
nende Seite gesetzt wurde und fast wie eine nachträgliche
140 Drittes Kapitel.
Zutat aussieht. Sie bedeutet dann nichts anderes als die
Kolumnenüberschriften, die in manchen Rollen vor-
kommen und weniger ein notwendiger Bestandteil des Buches
als eine willkürliche Zugabe sind. Daher fehlen diese Seiten-
überschriften gerade in älterer Zeit häufig, ohne daß man in
ihrem Fehlen ein Zeichen höheren Alters erblicken dürfte.
Manchmal scheinen sogar schon in sehr alten Codices die ver-
schiedenen Titel recht verschwenderisch angewendet zu
werden. So lesen wir auf einem Blatte, das den Anfang der
Andromache des Euripides enthält, ein paar Buchstaben, die
wohl mit Recht als Anfang eines Untertitels, nämlich »Rede
der Andromache« gedeutet worden sind. Er steht auf der
leeren ersten Seite, der Text beginnt erst auf der zweiten.
Damit wird es zugleich sehr wahrscheinlich, daß noch ein
besonderes Blatt mit dem Haupttitel des Dramas voranging,
und zwar in einem Kodex des dritten Jahrhunderts. Hat diese
Entwicklung des Buchtitels einen verständlichen Zusammen-
hang mit der Kodexform, so ist es eine davon unabhängige
Sitte, wenn die Zählung der Verse oder Zeilen in poetischen und
prosaischen Werken mit der Zeit häufiger wird und die
späteren Codices meistens am Ende der einzelnen Abschnitte
und am Schlüsse des ganzen Buches die Summe der Zeilen
angeben.
9. Illustration. Schwerlich hängt die Zunahme der
Buchillustration von der Kodexform ab. Auch Rollen
mit Abbildungen sind uns begegnet; in welchem Umfange die
Rolle sich den Bildern geöffnet hat, haben wir immerhin ver-
muten können. Eine Untersuchung über die Buchillustra-
tion würde auf dem Gebiete der Kunstgeschichte liegen und
mit der eigentlichen Buchtechnik wenig zu tun haben; sie
gehört deshalb nicht hierher. Denn der Kodex, der schon
in seinen Anfängen Bilder brachte wie Varros Lebensbe-
schreibungen und die Vergilausgabe bei Martial, ist jeden-
falls nur deshalb in höherem Maße als die Rolle Träger der
Illustration geworden, weil sein Vordringen zeitlich mit der
Zunahme der Buchabbildungen zusammen fällt. Überdies
wissen und sehen wir davon mancherlei, von der Rolle mit
Bildern aber fast nichts. Wenn ich eine reich illustrierte
Weltchronik aus dem fünften Jahrhundert erwähne, so soll
dies Beispiel nur zeigen, daß die Leser damals schon lebhaft
das Bedürfnis empfanden, den trockenen Text durch Bilder
belebt zu sehen. Die Anordnung der Bilder auf der Seite
ist gerade so mannigfaltig wie in der früher besprochenen
astronomischen Papyrusrolle; sie stehen bald rechts, bald
links neben dem Texte, auch mitten darin, so daß die Schrift-
reihe eingeengt und unterbrochen wird. Aber nicht nur
bildliche Darstellung von Personen und Vorgängen finden
Der Kodex.
141
wir, sondern auch rein ornamentale Verzierungen, namentlich
auf der ersten und der letzten Seite. Von der Hervorhebung
einzelner Buchstaben oder auch Zeilen durch rote Tinte ging
der Geschmack der Zeit bald über zur farbigen Ausmalung,
verbunden mit schnörkelhaften Zierlinien. Solche Initialen,
die nun sehr groß gestaltet und nach links ausgerückt werden,
Abb. 32. Farbiges "Webemuster auf Papyrus.
treten in griechischen und koptischen Büchern schon seit dem
vierten Jahrhundert auf. Soweit ich sehe, ist das bei der Pa-
pyrusrolle noch nicht geschehen; es sei aber nochmals betont,
daß es vielleicht ein Zufall ist, wenn diese Äußerlichkeiten
uns durch den Kodex vor Augen geführt werden. Der Kodex
an sich steht der Illustration und dem Buchschmuck nur
nach der Zeit, nicht nach seinem Wesen näher als die Rolle.
Bei den Abbildungen, die wir auf Papyrusfetzen sehen, bleibt
142
Drittes Kapitel.
meistens zweifelhaft, ob sie selbständig sind oder in ein Buch
gehören; einige haben wir schon einem Webvorlagenbuche
zuweisen können.
Über den Bucheinband der Jahrhunderte, die uns
hier beschäftigen, ist nur wenig zu sagen, weil es fast gänz-
lich an Beispielen aus der Frühzeit des Kodex fehlt. Wie
die wenigen erhaltenen Stücke zeigen, hat man bisweilen ge-
brauchte Papyrusblätter zu einer dicken Pappe zusammen-
geklebt und mit einem Lederüberzug als Buchdeckel ver-
wendet. Das Leder ist zu kunstvollenOrnamenten geschnitten
und vielleicht gefärbt oder wenigstens durch helle Unter-
lagen zu far-
bigerWirkung
gebracht wor-
den. Ob der
hölzerne Dek-
kel mit den
Bildern der
vier Evange-
listen, der
zum Evange-
lienbuche der
Freer- Samm-
lung gehört,
so alt ist wie
die Schrift,
weiß ich nicht.
10. Die
Schreibar -
bei t. Es bleibt
noch die Frage
übrig, wie sich
beim Kodex
die Arbeit
des Schreibers gestaltet habe. Im Grunde war seine
Aufgabe hier dieselbe wie bei' der Rolle. Denn auch hier
muß er vor dem Beginne seiner Abschrift abgeschätzt
haben, wieviel Raum der ganze Text beanspruchen und
wieviel eine Seite aufnehmen möge. Falsche Schätzungen
kommen auch hier vor und äußern sich in einer besonders
engen oder seltner einer besonders weiten Schrift der letzten
Seiten. Natürlich hatte bei der Anordnung und der Wahl
der Schrift der Buchhändler oder auch der Verfasser ein
Wort mitzureden. In einer Beziehung aber konnte die neue
Form eine Änderung der Schreibarbeit mit sich bringen.
Die Rolle wurde dem Schreiber als Ganzes zur Ausfüllung
gegeben; der lange Papyrusstreifen mußte geschont werden
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Abb. 33. Bucheinband.
Der Kodex.
143
und war nicht leicht zu handhaben. Der Kodex bot dafür
eine größere Bequemlichkeit. Erhielt der Schreiber das fertig
geheftete Buch zur Herstellung des Textes, so wurde damit
seine Arbeit erschwert, besonders wenn der Kodex ein kleines
Format hatte oder sehr dick war. Daher hat man ihm wohl in
der Regel die Lagen der Blätter einzeln übergeben, jede stellte
ein dünnes Heft dar, worin er bequem schreiben konnte. Be-
stand freilich der Kodex aus einer einzigen Lage, so mußte
man die einzelnen Blätter lose, also ungeheftet beschreiben
lassen. Jedoch
spricht in einigen
Fällen die Anord-
nung der Schrift
dafür, daß ein voll-
ständig geheftetes
Buch in die Hand
des Schreibers kam.
Wir müssen also
auch hier mit Un-
gleichheit und mit
Willkür rechnen.
Das eine wie das
andre Verfahren
ist mit der Arbeit
mehrerer Schrei-
ber an demselben
Buche vereinbar.
Der Schreiber des
frühen Genesis -
buches, das für
diese Dinge beson-
ders lehrreich ist,
hat offenbar auf
losen Blättern ge-
arbeitet, denn
sonst hätte er den für das Heften bestimmten Zwischenraum
nicht vernachlässigen können. Da nun jedes Blatt ein
Doppelblatt mit vier Seiten war, von denen nur je zwei
einen fortlaufenden Text aufnahmen, war es wichtig, vor
dem Schreiben die Reihenfolge genau zu bezeichnen. Am
sichersten geschah es durch die Bezifferung der Seiten, die
also nicht nur dem Leser, sondern auch dem Schreiber einen
Anhalt bieten sollte, und vor dem Schreiben des Textes ge-
schehen mußte, freilich nicht immer geschehen ist. Erhielt
aber der Schreiber eine Anzahl dünner Blätterlagen, die jede
für sich geheftet waren, so bedurfte er. Um Irrtümer zu ver-
meiden, nur einer Angabe über die Reihenfolge der Lagen.
Abb. 34. Bucheinband.
144 Drittes Kapitel.
Die Lagenziffern, die öfters begegnen, boten ihm diese Hilfe.
In erster Linie freilich dienten sie, genau wie im heutigen
Buche die Bogenzählung dazu, die Vollständigkeit des Bandes
zu prüfen. Den Leser gingen sie nur insofern an, als man
gelegentlich nach ihnen statt nach Seiten zitierte.
Beging der Schreiber ein erhebliches Versehen, das sich
nicht in der gewöhnlichen Weise der Korrektur beseitigen
ließ, so konnte er auch aus der Lage ein einzelnes Blatt heraus-
nehmen und durch ein neues ersetzen. Wo wir einzelne Blätter
eingeklebt finden, können wir daher außer den schon früher
besprochenen rein technischen Ursachen auch eine solche Er-
klärung für möglich halten. Wer dagegen glaubt, der Schreiber
habe hier den Text einer oder zweier Seiten anfänglich aus-
gelassen, muß annehmen, daß seine Vorlage dieselbe Seiten-
einteilung hatte wie die geforderte Abschrift. Gewiß kann
eine Abschrift im Format und in der Anordnung des Textes
genau der Vorlage entsprechen, besonders wenn es sich um
Vervielfältigung in zahlreichen Exemplaren handelt. War
aber die Vorlage eine Rolle oder das Manuskript des Verfassers,
worin durch Striche die Gliederung für die Abschrift bezeich-
net wurde, so ist es nicht eben wahrscheinlich, daß der Schrei-
ber gerade eine oder zwei Seiten des Formates seiner Ab-
schrift übersah und ausließ. Doch ist es im Grunde müßig,
allen Möglichkeiten nachspüren oder alle besonderen Um-
stände erraten zu wollen.
Schwerlich vermöchte man aus den Eigenheiten der
Schrift einzelne Stilarten mit Sicherheit herauszufinden,
denn die größere oder geringere Sorgfalt des Schreibers, der
jetzt fast immer mit dem Lineal arbeitete und am linken
Rande die Zeilen durch Punkte kenntlich machte, prägt
auch den Handschriften der Codices verschiedenen Charakter
auf. Immerhin zeigen sie im Vergleiche mit der großen Mannig-
faltigkeit der Rollen mehr Gleichmäßigkeit und eine be-
merkenswerte Unabhängigkeit von der gleichzeitigen Ge-
schäftsschrift, die früher sichtHchen Einfluß auf die Buch-
schreiber ausübte. Namentlich die schöne Unciale des 4. und
5. Jahrhunderts hat ein so einheitliches Gepräge in Büchern
ganz verschiedenen Inhalts und ganz verschiedener Herkunft,
in griechischen wie in koptischen Texten, daß man die Zunft
der Buchschreiber und ihre gleichmäßige Schulung geradezu
vor sich sieht. Selbst die schönsten Rollen früherer Jahr-
hunderte bleiben in der Regelmäßigkeit der Schrift hinter
diesen Büchern zurück; sie zeigen mehr Persönliches als
solche Codices, die oft wie gedruckt aussehen. Ob man aus
dieser Beobachtung schließen darf, das Buchgewerbe habe
damals gegen früher eine gesteigerte Ausbreitung erreicht
und zugleich immer festere Regeln ausgebildet, lasse ich
I
Der Kodex.
145
dahin gestellt; jedenfalls kam ihm die Überlieferung vieler
Jahrhunderte zugute. Vielleicht könnte eine eingehende
Untersuchung über den Stil der Buchschrift auch der Datie-
rung, die vor der Hand für das Zeitalter des Kodex etwa vom
4. Jahrhundert an fast noch schwieriger ist als für das der
Rolle, eine festere Grundlage verschaffen.
Eine Geschichte des Kodex und eine umfassende Dar-
stellung seiner Formen würde über das Altertum hinaus bis
zur Gegenwart reichen und die Entwicklung bis zum 5. Jahr-
hundert nur als Vorstufe betrachten. Für das Buchwesen
der Alten dagegen bilden die ersten Jahrhunderte des Kodex
den Übergang zu etwas Neuem, das nur in seinem Ursprünge
dem Altertume angehört, die klassische Buchform der Rolle
aber überwindet und damit das antike Buch beseitigt. Daher
ist auf diesem Gebiete etwa das Jahr 400 n. Chr. ein Wende-
punkt und ein Abschluß, wie er später nicht mehr zu finden
wäre.
Sehn hart, Das Buch. 2, Aufl.
VIERTES KAPITEL.
DIE VERVIELFÄLTIGUNG UND DER
BUCHHANDEL.
Eine Literatur kann nur da entstehen, wo ein empfängliches
Volk dem Werke des Schaffenden Teilnahme und Ver-
ständnis entgegen bringt. Mag auch den Dichter, den Erzähler,
den Denker ein unwiderstehlicher Drang nötigen, sein Fühlen,
Wissen und Denken in Worte zu fassen oder in zusammen-
hängender Darstellung das, was ihn bewegt, sich selbst zur
Klarheit zu bringen, so lange er es für sich behält, bleibt es
ein Selbstgespräch, und die vollkommenste Ausgestaltung
ändert daran nichts. So bedarf denn das wirkliche Literatur-
werk ebenso sehr der Empfänger wie des Schöpfers; es muß
zwar nicht immer wirken wollen, aber wirken. Beide müssen
auf irgend einem Wege in Verbindung treten. Der Verfasser
will seine Gedanken anderen zugänglich machen, um sie zu
erfreuen oder zu überzeugen, und das Volk verlangt einen
Anteil an dem geistigen Schaffen seiner Dichter und Denker.
Die Wege, die zu ihrer Beziehung führen, können sehr ver-
schieden sein und hängen ebenso von der Eigenart des Werkes
wie von der Kultur der Zeit ab.
In der Frühzeit der griechischen Literatur treffen wir
an den Fürstenhöfen" überall den Sänger, der zum Mahle der
vornehmen Herren ein altes Heldenlied, ein Märchen oder
ein Abenteuer vorträgt. In dieser Weise sind die homerischen
Gesänge von Mund zu Mund gegangen, und wandernde Rhap-
soden haben sie hier und dort den Hörern vermittelt. Die
alte Lyrik wendet sich ebenso an die Hörer und verbreitet
sich mündlich durch Gesang und Vortrag. Waren diese Dich-
tungen, wenigstens in ihrer Mehrzahl, allgeijiein genug, um
überall zu gefallen, so gibt es andere, die nicht so sehr aus der
Gelegenheit heraus entstehen als vielmehr für die Gelegenheit
gemacht werden. Ich erinnere an Pindars Siegeslieder und an
die alte Schauspieldichtung. Aber auch sie wenden sich an
eine Zuhörerschaft, und wo der Dichter nicht selbst vorträgt.
Die Vervielfältigung und der Buchhandel. 147
leitet er doch die Aufführung und bedient sich der Menschen-
stimme, um mit seinem Volke in Beziehung zu treten. Der
Kreis, an den er sich wendet, ist daher beschränkt, mögen
auch Tausende im Theater versammelt sein, und die Kennt-
nis seines Werkes ist an Bedingungen gebunden, die mehr von
der Gelegenheit als von ihm abhängen. Man darf sich freilich
diese mündliche Verbreitung nicht zu gering vorstellen; denn
der rege Verkehr zu Lande und zu Wasser trug ein Lied rasch
genug durch die Welt, und das Drama fand bald mehr als
ein Theater zu seiner Verfügung.
Eine andere Frage ist es, ob die ältere griechische Lite-
ratur ursprünglich schriftlich aufgezeichnet worden sei. Die
Antwort kann nur bejahend ausfallen. Auch das alte Epos, das
spätestens im sechsten Jahrhundert v. Chr. eine feste Gestalt
erhalten hat, bedurfte der Schrift für seine Überlieferung,
ganz abgesehen davon, daß seine Sammlung und Sichtung,
der Aufbau einer Ilias, nur unter dieser Voraussetzung denk-
bar wird. Hesiods Gedichte sind sicher von vorn herein auf-
geschrieben worden, früh auch schon die alte Lyrik.
Freilich die unmittelbaren Zeugnisse^ die man dafür hat finden
wollen, halten nicht Stich: wenn Alkaios und Sappho sich
in Versen anreden und vielleicht sogar auf ihre Dichtungen
anspielen, wenn Solon einem Worte des Kolophoniers Mim-
nermos widerspricht, so brauchen sie ihre Werke nicht ge-
lesen zu haben, sondern konnten sie ohne Schreibrohr und
Papier kennen lernen. Aber die Tatsache der sich fortpflan-
zenden Überlieferung und ihre Textgestalt erheben die Nie-
derschrift über jeden Zweifel, um davon zu schweigen, daß
der Dichter selbst darauf angewiesen war. Pindars Sieges-
lieder konnten nur dann aufgeführt, die Tragödien nur dann
eingeübt werden, wenn dem Chor und den Schauspielern
ein geschriebener Text zur Verfügung stand. Solche Nieder-
schrift ist freilich zunächst nicht mehr als ein Hilfsmittel
für den Verfasser und für das Gedächtnis; sie unterstützt nur
mittelbar die Verbreitung des Literaturwerkes.
Etwas wesentlich anderes ist es, wenn die Schrift neben
die mündliche Verbreitung oder an ihre Stelle tritt und un-
mittelbar den Verfasser mit dem Publikum in Verbindung
bringt. Wann dieser Schritt bei den Griechen geschehen ist,
wage ich nicht zu entscheiden, jedenfalls nicht mit einem
Schlage sondern allmählich und zu verschiedenen Zeiten.
Es war nur möglich in einem Zeitalter, das des Schreibens und
Lesens bereits gewohnt und in beiden Künsten weit genug
vorgeschritten war, um dem Schriftsteller wie den Lesern
diesen Weg der Verständigung bequem gangbar zu machen.
Aber schwerlich hätte man ihn in größerem Umfange be-
schritten, wenn nicht die Literatur selbst darauf hingedrängt
IG*
1^8 Viertes Kapitel.
hätte. Es entstanden Werke, die ihrer Natur nach sich dem
mündlichen Vortrage nicht mehr recht fügen wollten, und vor
allem muß die Entstehung prosaischer Schriften in dieser
Richtung gewirkt haben. Zwar soll noch Herodot um die
Mitte des 5. Jahrhunderts v. Chr. bei den Festspielen in
Olympia den versammelten Griechen Teile seines Geschichts-
werkes vorgelesen haben, allein es versteht sich von selbst,
daß seine Darstellung nicht darauf angelegt war, vor allem
nicht nach ihrer Zusammenfassung zu einem Gesamtwerke.
Sie forderte die Verbreitung durch die Schrift und hat sie
durch die Schrift gefunden, nicht als erste, denn die Spuren
des gelesenen Buches weisen in höheres Alter hinauf. Die
Geschichtsschreibung und die Philosophie mögen zuerst diese
Entwicklung gefördert haben, beide im weitesten Sinne ge-
faßt, sodaß auch ihre älteste noch poetische Gestalt hierher
zu rechnen ist. Für das 5. Jahrhundert dürfen wir die Ver-
breitung durch Abschrift nicht nur als sicher, sondern als
geläufig betrachten; auch die Werke, die auf Hören und Vor-
tragen angelegt waren, haben damals diesen ursprüng-
lich fremden Weg eingeschlagen und sind Bücher geworden.
I.Vorstufen des Buchhandels. Die Geschichte des
Buches fällt nicht mit der Geschichte der Literatur zusammen.
Vom Buche darf man genau genommen erst reden, wenn die
Vervielfältigung vom Verfasser zum lesenden Publikum
die Brücke schlägt. Von da an sind die Bedingungen für das
Verhältnis beider Teile in ihren Grundzügen unverändert
geblieben; der Verfasser verbreitet sein Werk durch Abschrif-
ten, und das Publikum sucht sich durch Abschriften Kenntnis
davon zu verschaffen. Ohne vom ursprünglichen Zustande
eine wirkliche Kenntnis zu besitzen, dürfen wir doch ver-
suchen, uns ein Bild davon zu entwerfen, das freilich Ver-
mutung bleibt. Anfänglich wird dieser Verkehr in einfacher
Weise vor sich gegangen sein. Der Schriftsteller machte sein
Werk zunächst im Kreise seiner Freunde bekannt, indem er
seine Handschrift verlieh oder ein paar Abschriften anfertigte.
Die Freunde wiederum schrieben sich das Buch ab, um es
selbst zu besitzen, sie gaben ihr Exemplar anderen, die davon
neue Abschriften nahmen, sodaß auf diese Weise schon eine
ziemlich weite Verbreitung zu Stande kommen konnte. Hatten
aber einmal größere Kreise davon gehört und Teilnahme
daran gewonnen, so mochten die von Hand zu Hand wan-
dernden Exemplare nicht mehr ausreichen. Sei es nun, daß
man den Verfasser darum bat, sei es, daß er von selbst dem
Wunsche vieler entgegen kam, er ließ jetzt eine größere Anzahl
von Abschriften herstellen, oder wenn er es nicht tat, über-
nahm es ein anderer, der ihm nahe stand, wie denn Piatons
Schüler Hermodoros die Schriften des Meisters vertrieb. Da
Die Vervielfältigung und der Buchhandel.
149
nun aber die Vervielfältigung Kosten an Schreibstoff und
Schreiberlohn verursachte, konnten die Abschriften nur noch
gegen eine Entschädigung geliefert werden. Ich glaube nicht,
daß es längerer Zeit bedurfte, bis man dahin kam, das Buch
sich bezahlen zu lassen, denn der Ersatz der baren Auslagen
war etwas Selbstverständliches, sobald das Buch über den
engsten Kreis der Freunde hinausdrang. Dabei muß man
aber zweierlei im Auge behalten: was bezahlt würd, ist nicht
die schriftstellerische Leistung, sondern die technische der
Vervielfältigung, und neben dem Erwerb einer Abschrift für
Geld hinderte nichts den
Leser, sich selbst eine Ab-
schrift nach einem geliehenen
Buche zu machen. Noch De-
mosthenes soll das ganze
Werk des Thukydides acht-
mal abgeschrieben haben, ver-
mutlich für sich und für
Freunde, und vielleicht hat
er sich auch dafür bezahlen
lassen. Hatte der Verfasser
selbst oder ein anderer es
übernommen, eine größere
Zahl von Abschriften herzu-
stellen, für das vorhandene
Bedürfnis oder auch darüber
hinaus auf Vorrat, so erwarb
er damit keineswegs das
Recht, von nun an allein die
Verbreitung zu besorgen, ein
Recht, das damals niemand
anerkannt hätte. Jede der
beteiligten Parteien, Verfasser
wie Publikum, wählte den
Weg, der ihr am besten schien, ohne daß es irgend ein Gesetz
gegeben hätte, wenn auch wahrscheinlich schon früh sich
ein Brauch herausgebildet haben mag. Welche tief wirkenden
Folgen für die Gestaltung des Textes diese völlige Freiheit
und Gesetzlosigkeit haben mußte, kann hier nicht ausgeführt
werden. Jedenfalls darf man die geschilderte Art der Ver-
breitung nur als Vorstufe des Buchhandels bezeichnen, auch
dann, wenn derjenige, der die Verbreitung in die Hand nahm,
einen Vorteil herauszuschlagen wußte.
2. Buchhandel. Der wirkliche Buchhandel beginnt
erst da, wo ein Unternehmer gewerbsmäßig die Vervielfälti-
gung und Verbreitung von Büchern betreibt, und wo dem
Publikum im Buchladen verschiedene Bücher zum Kaufe
Abb. 35. Imhotep mit der
Papyrusrolle.
Igo ' Viertes Kapitel.
bereit stehen; jedenfalls ist es noch im fünften Jahrhundert
V. Chr. dahin gekommen. Den Buchladen finden wir zuerst
in der Komödie dieser Zeit erwähnt; auch eine viel erörterte
Stelle aus der Verteidigungsrede des Sokrates ist oft darauf
gedeutet worden und beweist trotz mancher Unklarheit
immerhin, daß man in Athen die Schriften des Philosophen
Anaxagoras kaufen konnte. Recht klar wird die Ausdehnung
des Buchhandels durch eine Bemerkung in Xenophons Ana-
basis: bei Salmydessos fand man unter anderen Überbleibseln
gestrandeter Schiffe »viel geschriebene Bücher«; es gab also
bereits eine Buchausfuhr über See. Weiter zurück zu gehen,
scheint nicht geraten, denn die Büchersammlungen großer
Herren wie des Peisistratos in Athen und des Polykrates in
Samos im 6. Jahrhundert können auch ohne Hilfe des Buch-
handels entstanden sein; obendrein darf man zweifeln, ob sie
nicht später Erfindung entsprungen sind. Man wird gut tun,
sich auch noch vom Buchhandel Athens im 5. Jahrhundert
bescheidene Vorstellungen zu machen; wir wissen im Grunde
sehr wenig davon. Sicherlich brachte das 4. Jahrhundert
Fortschritte, und die Entstehung großer Büchereien wie der
Privatsammlung des Aristoteles und später des gewaltigen
Unternehmens in Alexandreia ist ohne ein leistungsfähiges
Buchgeschäft nicht denkbar. Die ältere wie die gleichzeitige
Literatur muß in sehr zahlreichen, oft unzuverlässigen und
verwilderten Abschriften durch private und buchhändlerische
Tätigkeit verbreitet gewesen sein, wenn die Gelehrten des
dritten Jahrhunderts es nötig fanden, die Texte kritisch zu
bearbeiten: damit tun wir freilich auch einen Blick in die
Willkür uid Regellosigkeit, die mit der antiken Weise der
Vervielfältigung von vorn herein Hand in Hand ging und
noch lange verbunden blieb. Schon die Sammlung guter
Texte war ein großes Verdienst der Bibliotheken, zumal der
alexandrinischen. Viel mehr aber als solche Erwägungen
und Folgerungen steht uns nicht zu Gebote; wir müssen darauf
verzichten, die Geschichte des Buchhandels im Altertum
uns anschaulich zu machen. Erst in den letzten Jahrzehnten
der römischen Republik gewinnen wir festen Boden, und was
wir feststellen können, gilt nur für das Rom Ciceros und der
Kaiserzeit. Wollte man von hier aus auf frühere Jahrhunderte
zurückschließen, so würde man in das Reich der Vermutungen
geraten; auch die Ausbhcke auf andere Teile der Mittelmeer-
welt eröffnen sich nur spärlich und unsicher.
3. Verleger. Horaz hat vielleicht nicht zuviel gesagt,
als er sich schmeichelte, seine Gedichte würden an den äußer-
sten Küsten des Schwarzen Meeres wie an der Rhone und am
Ebro gelesen werden. Denn in der ganzen Mittelmeerwelt
war zu seiner Zeit ein gebildetes und leselustiges Publikum
Die Vervielfältigung und der Buchhandel. 151
vorhanden, und der Weltverkehr im römischen Reiche ließ
ein Buch nach allen Richtungen ohne besondere Schwierigkeit
seinen Weg finden. Man war weit entfernt von den Tagen,
wo der Schriftsteller selbst die Beziehung zu seinen Lesern
in der Hand halten konnte; die Bücherverb'-eitung war ein
entwickelter Buchhandel geworden, und der Verleger war
der unentbehrliche Vermittler zwischen Verfasser und Leser,
mögen auch vielleicht, wie Birt annimmt, die vornehmen
Römer, die zur Feder griffen, ihre Schriften im Selbstverlage
herausgegeben haben.
Der erste mit Namen bekannte Verlagsbuchhändler
ist Atticus, Ciceros Freund, und von da an kennen wir
eine ganze Reihe solcher Männer, die der Ruhm eines
v^on ihnen vertriebenen Schriftstellers auf die Nachwelt
gebracht hat. War auch Cicero mit Atticus durch persönliche
Freundschaft verbunden, so muß doch der Verlag seiner
Schriften ein geschäftliches Verhältnis begründet haben.
Nach unseren Begriffen war Cicero für den Verleger ein wert-
voller Autor, ein viel gelesener Schriftsteller, dessen Bücher
einen sicheien Absatz fanden. Man würde also erwarten, daß
der Verleger es sich etwas kosten ließ und ihm ein anständiges
Honorar zahlte. Das scheint aber nicht der Fall gewesen zu
sein; vielmehr trug wahrscheinlich Atticus die Herstellungs-
kosten, Cicero aber bekam keine Entschädigung. Denn wenn
Cicero seine »Akademika^< dermaßen ändert, daß die ganze
schon fertige Auflage preisgegeben werden muß, ohne dem
Atticus seine Kosten zu ersetzen, so muß dem der völlige Ver-
zicht auf ein Honorar gegenüber stehen. Dem Verfasser so
weit entgegen zu kommen, war gewiß schon ein Freundschafts-
dienst; hätte Atticus dem Cicero noch Honorar zahlen müssen,
so wäre er als Geschäftsmann schwerlich in der Lage gewesen,
so gefällig zu sein. Damit wird nicht ausgeschlossen, daß
Cicero einen Anteil am Reingewinn erhalten habe; wahr-
scheinlich ist es aber nicht, denn das Verhältnis zum Verleger
war damals wesentlich anders als heute. Indem der Schrift-
steller sich mit dem Verleger in Verbindung setzte, hatte er
vor allem die Verbreitung seines Werkes im Auge, übertrug
ihm die Herstellung einer Anzahl von Abschriften, verkaufte
ihm aber keineswegs das Werk selbst, sondern behielt voll-
kommen freie Verfügung. Ihm blieb ohne weiteres das Recht,
es auch von sich aus zu verbreiten und es anderen zur Ab-
schrift zu überlassen. Das erklärt sich im Grunde einfach aus
der Art des Buchgewerbes selbst, denn mochte auch der Ver-
leger durch seine geschulten Schreiber und durch seine ge-
schäftlichen Verbindungen in der Masse nerzeugung einen
weiten Vorsprung haben, so hinderte doch nichts den Privat-
mann, sich eine Papyrusrolle zu kaufen und den Text selbst
1^2 Viertes Kapitel.
abzuschreiben; er wird das Buch so immer noch biUiger als
im Laden bekommen haben. Dem Verfasser lag schwerlich
daran, solchen Privatfleiß zu bekämpfen, vor allem aber be-
saß weder er noch der Verleger irgend ein Mittel, sich dagegen
zu wehren. War das Buch erschienen, so war es vogelfrei; es
gab weder ein Autorrecht noch ein Verlagsrecht. Dem Ver-
leger fiel der Gewinn aus der Auflage zu, die nur kurze Zeit
ohne Wettbewerb bestand und vermutlich nicht be-
sonders hoch war; denn da nachher jeder abschreiben konnte,
soviel er mochte, so wäre es zwecklos gewesen, bei der Auflage
sich in große Unkosten zu stürzen. Der Verleger hat im
Altertume noch weit vorsichtiger als heute abwägen müssen,
wieviel Exemplare er mit einiger Sicherheit absetzen könne.
Bei dieser Lage war er aber auch dem Verfasser gegenüber
zu besonderen Leistungen nicht verpflichtet. Übernahm er
die Kosten der Auflage in vollem Umfange, so konnte der
Schriftsteller froh genug sein.
Leider ist man hierbei fast ausschließlich auf der-
gleichen allgemeine Betrachtungen angewiesen und er-
fährt so gut wie nichts aus der alten Literatur. Das
Wenige, was sie mitteilt, scheint aber damit überein-
zustimmen. So sagt Horaz in der »Ars Poetica«, dies Buch
bringe Geld ein den Sosii, das sind seine Verleger, es gehe übers
Meer und sichere dem Verfasser ein langes Leben. Das be-
deutet kurz und klar: Horaz hat den Ruhm und der Verleger
den Profit; von Honorar ist keine Rede. Wenn später Martial
auf die klingende Belohnung für seine Verse anspielt, so meint
er wohl die Geschenke reicher Gönner, die er zunächst mit
Abschriften seiner neuen Dichtungen zu bedenken pflegte.
Er griff also dem Verleger vor, wenn er diese Widmungs-
exemplare auf eigne Faust herstellen ließ, und hatte schwerlich
ein Honorar von jenem zu erwarten. Freilich könnte man
versuchen, doch so etwas aus einem Gedichte herauszulesen.
Lupercus macht sich an ihn heran, er erlaube wohl, daß er
seinen Diener zu ihm schicke, um das Büchlein Epigramme
abzuholen; er werde es ihm nach der Lektüre sofort wieder
zustellen. »Du brauchst deinen Diener«, antwortet der Dich-
ter, »nicht den weiten Weg und die drei hohen Treppen zu mir
zu bemühen, du kannst es näher haben, gehe nur in den
Buchladen des Atrectus und laß dir den Martial geben; er
kostet 5 Denare.« Hat Martial einen Vorteil davon, den Lu-
percus an den Buchhändler zu verweisen? Nach der Beschrei-
bung, die er vom Laden des Atrectus gibt, ist dieser ein Sor-
timentsbuchhändler, aber nicht sein Verleger, und der Sinn
der Verse liegt nur in der Abfertigung des unverschämten
Borgers, der auf eine Gefälligkeit keinen Anspruch hat, son-
dern den Geldbeutel ziehen mag, wenn er das Buch lesen will.
Die \'ervielfältigung und der Buchhandel. ic^
Außer Atrectus nennt Martial auch noch Secundus als einen
Buchhändler, bei dem seine Werke zu haben seien, namentlich
die kleine Ausgabe in Form des Kodex, die er erwähnt; seine
Verleger aber scheinen erst Polius und dann Tryphon, der
auch den Quintilian herausgab, gewesen zu sein. Man darf,
wie ich glaube, auch für Martials Zeit, das Ende des i. Jahr-
hunderts n. Chr., annehmen, daß der Verleger den vollen
Abb. 36. Der Schreibende mit der "Wachstafel.
Gewinn aus der Auflage zieht, der Verfasser frei über sein
Werk verfügt und die private Abschreibcrei einen empfind-
lichen Wettbewerb bedeutet. Ein bedeutender Verlag mußte
darauf ausgehen, mehr als ein Werk zu verlegen. Wie Tryphon
Quintilian und Martial herausgab, so werden auch die übrigen
getan haben, und uns fehlt nur die Kenntnis, um eine richtige
Anschauung vom Umfange des Verlagsgeschäftes in jener Zeit
zu gewinnen. Selbstverständlich brachte man auch die alte
Literatur der Griechen, die bereits klassisch geworden war,
154 M, Viertes Kapitel.
in neuen Auflagen; so hat Atticus nicht nur Ciceros Werke
verlegt, sondern auch neue Ausgaben des Piaton, Aischines und
Demosthenes veranstaltet.
Wenn ich soeben den Verleger dem Sortimentsbuch-
händler gegenüber gestellt habe, so geschah es in Anlehnung
an die heutigen Begriffe; der antike Buchhandel wird diesen
Unterschied nur insofern gekannt haben, als das Verhältnis
des Schriftstellers zu ihnen in Betracht kommt. Der Verleger
b*"achte zuerst das neue Werk in einer gewissen Anzahl von
Exemplaren auf den Büchermarkt, aber jeder andere Buch-
händler konnte ihm Konkurrenz machen, indem er ein Exem-
plar kaufte und es seinerseits vervielfältigen ließ. Dem Publi-
kum gegenüber bestand dann kein wesentlicher Unterschied
zwischen beiden, höchstens in dem Falle, daß der Verfasser
selbst die Korrektur der vom Verleger besorgten Auflage
überwachte. Davon abgesehen vermochte ein andrer, den
wir genau genommen weder Verleger noch Sortimenter nennen
dürfen, ebenso gute Exemplare in den Handel zu bringen.
Auch dieser Umstand drängt zu der Annahme, daß die soge-
nannte Auflage nicht sehr hoch gewesen sei; der Verleger hat
vielleicht ein Buch in einer Weise ausgegeben, die dem heutigen
Subskriptionsverfahren verwandt ist, mag er nun sich vorher
der Abnehmer versichert oder ihre Zahl ungefähr geschätzt
haben. Eine niedrige Auflage macht es auch am leichtesten
verständlich, daß man nach dem Erscheinen des Buches
noch Korrekturen ausführen konnte, wie es Atticus auf
Ciceros Wunsch getan hat, indem er seine Schreiber bei den
Abnehmern herumschickte. Es war nur möglich, wenn es
sich nicht um Tausende handelte, und wenn der Verleger die
Käufer kannte oder noch ermitteln konnte.
Die Lage des Buchhandels war damals ganz anders als
heute; von einer gesetzlichen Regelung wissen wir nichts, und
sollte sie bestanden haben, so hätte die Eigenart der damaligen
Buchtechnik sie um ihre Wirkung gebracht. Um ein Beispiel
heranzuziehen, sei wieder an Martial erinnert. Wie es scheint,
verkaufte der Buchhändler Secundus eine kleine Ausgabe der
Epigramme in Kodexform ; deswegen braucht er aber in keiner-
lei Beziehung zu Polius oder Tryphon, den Verlegern, noch
zu dem Dichter selbst gestanden zu haben, sondern kann
einfach ein »Nachdrucker« gewesen sein, der mit Rücksicht
auf weniger bemittelte Leser eine billige Ausgabe veranstaltete.
Dieser Gesichtspunkt ist wesentlich, wenn man sich von der
Herausgabe eines Buches ein Bild machen will. Denn bei
diesem Verfahren konnte ein Werk bald nach dem Erscheinen
in mehreren gleichen oder in Güte und Format verschiedenen
Ausgaben auf den Markt kommen, denen allerdings die Aus-
gabe des Verlegers zugrunde lag; der Verleger selbst hatte
I
Die Vervielfältigung und der Buchhandel. 155
vor ihr nur einen kleinen Vorsprung, wenn die Konkurrenz
rührig war. Verschiedene Ausgaben besaßen also keineswegs
den Wert einer neuen Auflage im heutigen Sinne. Eine solche
wird der Verleger und mit ihm der Verfasser weit seltener
unternommen haben, als es heute unter sonst gleichen Um-
ständen geschieht, in der Regel nur dann, wenn der Text des
Buches durch unbeaufsichtigte Vervielfältigung, wir würden
sagen durch Nachdrucke, arg verdorben worden war, oder
wenn der Verfasser sein Buch wesentlich umarbeiten wollte.
Eine Umarbeitung, -nicht einfach eine neue Auflage ist es,
die Martial mit seinem 10. Buche vorgenommen hat; sagt
er doch selbst, sie werde das Alte nur teilweise und in neuer
Bearbeitung, meistens aber Neues bringen.
Wie ein Buchladen im Rom der Kaiserzeit aussah,
beschreibt Martial mit ein paar Versen. »Die Türpfosten
rechts und links sind ganz beschrieben«, sagt er, »so daß
man rasch alle Poeten überlesen kann.« Am Eingange be-
fand sich also eine Auslage, wohl in der Form, daß die Titel
der vorhandenen Bücher angeschrieben oder auf Zetteln
angeheftet waren; die Bücher selbst können nicht wohl an
den Türpfosten angebracht gewesen sein, denn die Papyrus-
rolie hätte sich dafür wenig geeignet. Innen aber befanden
sich mehrere Büchergestelle, Martial nennt sie »Nester«,
die unseren Bücherregalen ähnlich gewesen sein mögen.
Darauf standen die Rollen selbst- vielleicht in besonderen Be-
hältern aus Holz oder Ton, oder sie lagen unmittelbar auf den
Regalbrettern; genauere Kenntnis fehlt uns.
4. Preise. Die Preise der Bücher wurden vor allem
bestimmt durch die Herstellungskosten, das Schreibmaterial,
den Schreiberlohn, die Zahlung für den Korrektor und die
äußere Ausstattung; sie hingen also von dem jeweiligen
Werte des Papyrus oder des Pergaments und von dem wech-
selnden Werte der menschlichen Arbeit ab. Die großen Unter-
schiede der Ausstattung, mit denen man bei dem oben be-
sprochenen Stande des Buchhandels immer rechnen muß,
machen einen Vergleich der überlieferten Angaben unter sich
und mit heutigen Bücherpreisen so gut wie unmöglich. Lesen
wir z. B. bei Martial, daß sein 13. Buch bei Tryphon für einen
Denar zu haben sei, so ist das kein Widerspruch gegen die
andere Bemerkung, das erste Buch koste bei Atrcctus 5 Denare.
Der Umfang würde den Unterschied nicht rechtfertigen, aber
die Ausstattung kann ganz verschieden gewesen sein, und das
Exemplar für 5 Denare bei Atrectus war nach des Dichters
Worten sicher elegant ausgestattet, während Tryphon das
13. Buch in bescheidener Form ausgegeben haben mag. »Auch
wenn es nur einen halben Denar kostet«, sagt Martial, »macht
Tryphon noch ein Geschäft.« Will man eine Vermutung
156
Viertes Kapitel.
wagen, so mag man sich denken, Tryphon, der berühmte
Buchhändler, habe Martials Werke nur als Nebensache be-
trachtet und deshalb nicht viel daran gewendet, oder er habe
es für zweckmäßig gehalten, eine billige Ausgabe für weite
Leserkreise zu veranstalten. Atrectus dagegen könnte auf
reiche Käufer und auf den Ruf des Dichters gerechnet haben.
Doch das sind im Grunde Phantasien; etwas Brauchbares
Abb. 37. Der Lesende mit der Buchrolle.
ließe sich nur gewinnen, wenn man die Unterschiede der Aus-
stattung nach ihren Kosten schätzen und die Preise der Bücher
mit denen für andere Dinge vergleichen könnte. Das ist aber
auch bei Martials Aufzählung von Neujahrsgeschenken, wo
er Bücher und tausend andere Dinge neben einander reiht,
nicht möghch. Nur soviel sieht man, daß zu seiner Zeit der
Pergamentkodex der Papyrusrolle gegenüber im allgemeinen
als billige Ausgabe galt. Von den Preisen in früheren Jahr-
hunderten wissen wir erst recht nichts, und die bekannte Stelle
Die Vervielfältigung und der Buchhandel. 157
in der Verteidigungsrede des Sokrates über den Preis der
Schriften oder einer Schrift des Anaxagoras besagt allzu wenig,
da es unklar bleibt, was für eine Rolle gemeint ist, ob groß
oder klein, stattlich oder einfach; nur soviel ist deutlich, daß
für diese unbekannte Größe der Preis von einer Drachme um
400 V. Chr. als bescheiden galt, und das bleibt ohne nähere
Kenntnis für uns wertlos.
5. Vervielfältigung. Ich habe oben davor gewarnt,
die vom Verleger besorgte erste Ausgabe hoch anzusetzen.
Aber auch wenn sie im Vergleich mit heutigen Auflagen nie-
drig war, stellte sie doch etwas andere Forderungen als die
einzelne Abschrift. Der Verfasser hat schwerlich mehr als
sein eigenes Manuskript oder eine Reinschrift zur Verfügung
gestellt; hätte ein Schreiber die ganze Auflage anfertigen
sollen, so wäre auch bei großer Übung und Schnelligkeit
viel Zeit darauf gegangen. Es müssen notwendig mehrere
Schreiber gleichzeitig beschäftigt worden sein; allein der
verbreitete Glaube, ein ganzes Heer von Schreibern habe
nach Diktat geschrieben, ist nicht so begründet wie er scheint.
Allerdings sehen wir in einer altägyptischen Darstellung
mehrere nach Diktat schreiben, und was damals geschah, dürfte
in griechischer Zeit dem hoch entwickelten Buchgewerbe erst
recht unentbehrlich gewesen sein. Wo es auf Schnelligkeit
und Masse ankam, hat man gewiß dies Verfahren angewendet.
Im übrigen aber spricht die Überlieferung nicht dafür, und
es fehlt nicht an erheblichen Bedenken. Denn wieviel Fehler
müßten durch falsches Hören entstanden sein, wieviel Arbeit
müßte der Korrektor gehabt haben! Die Papyri bieten im
allgemeinen Texte, die für Diktat zu gut aussehen, und ihre
Fehler beruhen fast immer auf falschem Lesen, nicht auf
falschem Hören. Daher haben andre Wege mehr Wahrschein-
lichkeit für sich. Man konnte z. B. eine Anzahl Schreiber
staffeiförmig arbeiten lassen, sodaß der erste, wenn er ein paar
Kolumnen geschrieben hatte, den erledigten Teil der zer-
schnittenen Vorlage einem zweiten gab und so fort. In der-
selben Reihenfolge, wie sie begonnen hatten, wurden sie auch
fertig, und auf diese Weise ließen sich annähernd gleichzeitig
eben soviel Exemplare herstellen, wie es Schreiber gab. Oder
man setzte an jede einzelne Rolle mehrere Schreiber; der
eine schrieb in allen Exemplaren die Anfänge, ein zweiter
fuhr fort usw. Hierbei konnte der Schreiber, der immer das-
selbe abzuarbeiten hatte, eine größere Geschwindigkeit
erreichen. Je sorgfältiger die Schrift war, desto weniger wird
die Ungleichheit der Hände hervorgetreten sein, zumal da
die ständigen Schreiber einer Schreibstube ohne allzu große
Mühe sich eine gemeinsame Schreibart angewöhnen konnten,
ganz abgesehen von dem Stile der Buchschrift, den sie ge-
1^8 Viertes Kapitel.
lernt hatten, und der vielleicht viel einförmiger war, als wir
ahnen. Aber auch wenn die verschiedenen Hände erkennbar
blieben, wird darin niemand einen Nachteil erblickt haben,
wofern sie nur alle klar und sorgfältig waren.
Unter den erhaltenen Papyrustexten fehlt es nicht
an solchen Fällen; so sind z. B. Pindars Päane und
des Aristoteles Buch von der Verfassung Athens sicht-
lich von mehr als einer Hand geschrieben worden,
aber vielleicht könnten wir den zweiten Schreiber
in manchen anderen Beispielen auch dann nicht heraus-
kennen, wenn wir mehr vollständige Rollen besäßen, als es
der Fall ist. Eine Sammlung amtlicher vSchriftstücke aus dem
3. Jahrhundert v. Chr., die sog. Dikaiomata, rückt uns den
Wechsel der Hände sehr deutlich vor Augen und darf für das
Buchwesen herangezogen werden, obwohl ihr Inhalt nicht
literarisch ist. Eine durchgängige Regel braucht diese Arbeits-
teilung nicht gewesen zu sein; jedenfalls ließ man Pracht-
ausgaben immer nur von einem Kalligraphen abschreiben,
während bei eiliger Herstellung auch das Diktieren zur Gel-
tung gekommen sein mag. Die Anforderungen waren je nach
der beabsichtigten Güte des Exemplars so verschieden, daß
auch die Art der Vervielfältigung verschieden sein durfte,
und ein und derselbe Buchhändler ist gewiß auf mehrere
Arten des Schreibbetriebs eingerichtet gewesen. Ganz deut-
lich wird das an einem Beispiel aus dem 4. Jahrhundert n. Chr.
Zwei Bücher, die sich in der Art des Papyrus, im Format und
in der Schrift so ähnlich sind, daß man sie demselben Verlage
zuweisen möchte, unterscheiden sich wesentlich in der inneren
Ausstattung. Das eine, ein hellenistisches Epos enthaltend,
ist sorgfältig korrigiert und mit Akzenten versehen ; das andere,
dessen Abfassung kaum früher fallen dürfte als die erhaltene
Abschrift, zeigt abweichende Fassungen des Textes am Rande.
Hier hat der Verleger das neue Werk gegeben, wie er es fand,
und nicht einmal einen einheitlichen Text herzustellen für
nötig befunden, während er an den Klassiker einen kundigen
Grammatiker als Korrektor gesetzt hat. Wieviel der Schreiber
etwa an einem Tage leisten konnte, läßt sich natürlich nicht
sagen; wenn er aber, wie wir aus einer Urkunde des 2. Jahr-
hunderts n. Chr. sehen, zwei Jahre in die Lehre gegangen
war, so konnte er schon eine erhebliche Fertigkeit erworben
haben.
6. Korrektur. Auf den Schreiber folgte der Korrektor,
wofern es nicht dieselbe Person war. Eine sorgfältige Korrek-
tur war bei der Vervielfältigung durch Schreiber unerläßlich;
ohne Auslöschen, Hinzufügen und Verbessern ging es nicht
ab, und auch die schönsten Handschriften bezeugen das.
Ja, die Menge der Korrekturen spricht eher für die Güte der
Die Vervielfältigung und der Buchhandel. icn
Ausgabe und erhöht ihren Wert, so daß man gerade darin
vielleicht den wesentlichsten Vorzug der ersten vom Verleger
besorgten Ausgabe vor den folgenden Nachausgaben suchen
darf. Prunkbücher, die auf die entstellendenVerbesserungen ver-
zichteten und nur durch Schönschrift glänzen wollten, mochten
auch ihre Liebhaber finden; dem ernsthaften Leser und uns
genügen sie nicht. Während der Korrektur, die ziemlich viel
Zeit beansprucht haben muß, hatte auch der Verfasser noch
Gelegenheit, einzugreifen und Versehen zu beseitigen. Sogar
längere Abschnitte ließen sich ändern, wie Cicero es verlangte,
als er aus seinem Vorrat von Einleitungen eine falsche heraus-
gegriffen hatte; am Anfang der Rolle war es am leichtesten
möglich. Atticus hat also in diesem Falle die erste Einleitung
wegschneiden und die neue vorn ankleben lassen. Schlimmer
stand es, wenn die Auflage schon in den Handel gekommen
war, aber möglich scheint es auch dann noch gewesen zu sein.
Cicero schreibt an Atticus, es würde ihm sehr angenehm sein,
wenn er nicht nur in seinen Büchern sondern auch in denen
der andern durch seine Schreiber »Aristophanes« statt »Eu-
polis« einsetzen ließe; er hatte im Orator die beiden attischen
Komödiendichter verwechselt, den Irrtum aber zu spät be-
merkt. Attikus mußte, wie schon gesagt, seine Schreiber
bei den Käufern umher schicken, um die Änderung vorzu-
nehmen. Etwas anderes ist es, wenn der Verfasser in Aus-
nahmefällen ein Exemplar selbst verbessert, wie Martial
es auf das Drängen eines Verehrers tut, der »die Possen im
Original« haben will, denn das bedeutet eine persönliche Ge-
fälligkeit, die der Dichter dem Freunde erweist, und hat mit
der Pflicht des Verlegers nichts zu tun. Mochte der Schreiber
oft genug ohne Nachdenken arbeiten, so mußte der Korrektor
mit Rechtschreibung wie Sprache Bescheid wissen und ge-
bildet genug sein, um auch den Inhalt zu verstehen; bedeu-
tende Verleger haben gewiß mit dieser Arbeit gelehrte Gram-
matiker betraut, deren sie namentlich bei der Herausgabe
klassischer Werke bedurften. Daß aber nicht jeder Korrektor
solchen Ansprüchen genügte, beweisen uns manche hinein
korrigierten Mißverständnisse und Gedankenlosigkeiten, die
in Papyrusrollen auf die Nachwelt gekommen sind. Jedoch
wird nach Möglichkeit jeder Verleger auf Güte der Schrift
und der Korrektur gehalten haben. Ob die Vervielfältigung
durch Abschrift geschäftlich ein selbständiges Gewerbe war,
wie es heute die Druckereien in ihrer Mehrzahl darstellen,
oder unmittelbar vom Buchhändler in die Hand genommen
wurde, ist eine unentschiedene, freilich auch ziemlich belang-
lose Frage.
Die Stadt Rom war im Zeitalter des Augustus und seiner
Nachfolger ein Mittelpunkt des literarischen Schaffens und
i6o Viertes Kapitel.
der Literaturfreunde, aber nicht der einzige. Dem ent-
sprechend wird auch der römische Buchhandel beträchtlich,
vielleicht am bedeutendsten, aber nicht ohne kräftigen Wett-
bewerb gewesen sein. Es gibt zu denken, daß Kaiser Domi-
tian die Vervielfältigung in Alexandreia besorgen ließ, als
er die beim Brande Roms vernichteten Bibliotheksbestände
erneuern wollte. Schwerlich taugten die Schreiber in Rom
sowenig, daß sie den kaiserlichen Ansprüchen nicht genügten;
vielmehr waren vermutlich die Schreibstuben der Stadt Rom
solch einem Auftrage nicht gewachsen. Auch damals noch
dürfte Alexandreia der Hauptsitz des Buchhandels und der
Verlagsanstalten gewesen sein; zum mindesten besaß es einen
großen Vorsprung vor allen anderen Großstädten durch die
unmittelbare Nähe des Papyruslandes. Außerdem aber blühte
der Buchhandel überall da, wo große Städte mit einem ge-
bildeten Leserkreise vorhanden waren, in Spanien und Süd-
frankreich ebenso gut wie in Griechenland, Kleinasien und
Syrien; am Euphrat scheint man sogar die Papyrusfabri-
kation selbständig betrieben zu haben. Wie weit er außerhalb
der großen Mittelpunkte auf eignen Füßen stand, ist eine
andere Frage. Jedenfalls waren die Provinzen des römischen
Reichs z. T. von der römischen und wchl auch alexandri-
nischen Ausfuhr abhängig; in den kleineren und entlegenen
Provinzstädten konnte der hauptstädtische Buchhändler
seine übrig gebliebenen Exemplare, seine Ladenhüter, noch an
den Mann bringen, ein Beweis, daß in der Kaiserzeit der
Buchhandel zu Lande und zu Wasser sich weit ausgedehnt
hat.
7. Buchhandelsexemplar und Privatabschrift.
Im Laufe der letzten Jahre sind so zahlreiche und so umfang-
reiche Reste von Büchern aus dem Altertum ans Licht ge-
kommen, daß man von ihnen Ergebnisse für den Stand des
Buchgewerbes und des Buchhandels mit Recht erwarten
darf. Genauer gesagt spitzt sich die Frage darauf zu, ob man
eindeutige Merkmale des Buchhändlerexemplars gegen-
über der Privatabs chrift ermitteln könne. Die Kenner
der Papyrusfunde pflegten lange mit der Bezeichnung »Pri-
vatabschrift« ziemlich freigebig zu sein, und es ist schwer, über
die Berechtigung solcher Urteile zu sprechen, weil auf diesem
Gebiete bis jetzt lediglich persönliche Erfahrungen und An-
schauungen zur Geltung kommen können. Stehen wir doch
immer noch in den Anfängen der Schrift- und Buchkunde,
von gesicherter wissenschaftlicher Erkenntnis noch weit ent-
fernt.
Man nimmt als Regel an, daß die Rolle, von der wir
allein zu reden haben, bei einem anständigen Buche nur auf
einer Ssite benutzt worden sei, und die Mehrzahl der sorgfältig
Die Vervielfältigung und der Buchhandel.
i6i
geschriebenen Texte stimmt damit überein. Wo dagegen
entweder beide Seiten literarische Texte aufgenommen haben,
oder wo der Buchtext auf der Rückseite einer Urkunde steht,
denkt man zunächst an eine Privatabschrift. Beispiele beider
Arten gibt es in Menge; Handschriften aus vorchristHcher
wie aus nachchristlicher Zeit, prosaischen wie poetischen
Inhalts sind darin vertreten. Ebenso vielgestaltig sind die
Schriftarten, und neben flüchtig geschriebenen Texten mangelt
es nicht an tadellosen Mustern der Schönschrift. Eine be-
sondere Gruppe bilden Stücke mit zwei oder mehr Texten,
die in irgend einer Hinsicht zusammengehören, mag nun
eine Verwandtschaft im Inhalt
oder die Absicht des Schreibers
die Beziehung herstellen. So
enthält z. B. eine umfangreiche
Rolle zuerst eine Rede des
Hypereides und dann den
dritten Brief des Demosthe-
nes, also Werke gleichzeitiger
attischer Redner, deren Ver-
bindung verständlich wird.
Mehr als zufällige Vereinigung
ist es vielleicht auch, wenn auf
Rekto das 2. Buch Mose, auf
Verso die Offenbarung Johan-
nis steht und in einem anderen
Falle ein Isishymnus mit der
Lebensbeschreibung des ver-
göttlichten Weisen Imuthes zu-
sammentrifft. Dagegen beruht
die Folge verschiedener Texte
in einem Bruchstücke der Ber-
liner Sammlung, das mit einer Erzählung aus dem
Alexanderromane beginnt und Listen von Künstlern, Kunst-
werken, Gebirgen, Flüssen und Inseln anschließt, ledig-
lich auf einer besonderen Absicht dessen, der diese Zu-
sammenstellung gemacht hat, denn es sind alles Auszüge
aus größeren Werken; vielleicht gehen sie auf einen Gelehrten
oder Schulmeister zurück, der eine größere Bibliothek nicht
am Orte hatte und deshalb bei Gelegenheit sich zusammen-
schrieb, was er brauchen konnte. Alles gehört derselben Hand
an; auf der Rückseite des Papyrus aber steht von anderer
Hand die Inhaltsangabc eines Gedichtes über den Raub der
Persephone. Bleiben auch beide Hände hinter buchmäßiger
Schönschrift ziemlich weit zurück, so nötigen sie doch allein
noch nicht dazu, die Arbeit für eine flüchtige private Auf-
zeichnung zu erklären, aber die völlig willkürliche Zusammen-
Abb. 38.
Der Lesende mit der
Bolle.
S c h u b a r t , Das Kuch. 2. Aufl.
II
102 Viertes Kapitel.
Stellung führt dahin. Denn welchen Sinn hätte es gehabt,
solch ein buntes Gewirr von Auszügen aus allerlei Werken
als Buch herauszugeben.^ Trotzdem kann das, was uns vor-
liegt, sehr wohl eine Abschrift sein, wenn dieser ohne Ordnung
gehäufte Stoff auch einem Späteren noch brauchbar erschien,
und wieder ein Späterer mag die Rückseite für seine Zwecke
verwertet haben.
Etwas anders muß man diejenigen Rollen beurteilen,
die auf beiden Seiten selbständige Buchtexte ohne Beziehung
aufweisen. Eine sehr alte Rolle noch aus dem 3. Jahrhundert
V. Chr. trägt auf der Vorderseite eine Rede des Lysias, auf der
Rückseite eine Anthologie aus Euripides und anderen Dich-
tern. Im 3. Jahrhundert n. Chr. ist eine und dieselbe Rolle für
den Kommentar des Didymos zu Demosthenes und für die
Ethische Elementarlehre des Hierokles benutzt worden. Dem
ersten Buche der Ilias gegenüber steht eine astronomische
Abhandlung, entsprechend ist Hesiods Gedicht von der
Arbeit mit einer mathematischen Lehrschrift zusammen-
geordnet, und aus noch späterer Zeit stammt ein Papyrus,
der in derselben Weise eine Inhaltsangabe der Bücher des
Livius mit dem Hebräerbrief vereinigt. Diese Beispiele aus
einer Reihe, die sich leicht verlängern ließe, zeigen nicht den
mindesten Zusammenhang zwischen Vorder- und Rückseite;
Prosa und Poesie, gelehrte Werke und schöne Literatur
finden sich zusammen, und in allen diesen Fällen beweist
obendrein die Schrift, daß beide Seiten von verschiedenen
Händen und zu verschiedenen Zeiten beschrieben worden
sind. Jede Seite für sich betrachtet trägt keine sicheren
Kennzeichen privater Arbeit, auch nicht die Texte der spä-
teren Hände, aber die zweimalige Benutzung legt den Ge-
danken nahe, eine auf der Vorderseite beschriebene Buchrolle
möge später von ihrem Besitzer noch einmal verwertet worden
sein.
So viel auch dafür spricht, muß es doch nicht unbedingt
so sein. Denn der Papyrus und erst recht eine unbeschädigte
Rolle war immer ein wertvolles Material, das jeder so viel wie
möglich ausnutzte, nicht nur der private Besitzer, sondern
wohl auch der Buchhändler. Gelang es dem Buchhändler
nicht, die oben genannte Lysiasrolle abzusetzen, so kann er
sehr wohl auf den Gedanken gekommen sein, sie auf der
leeren Seite mit einem neuen Texte zu versehen und wieder
in den Handel zu bringen, gewiß billiger, da sie immerhin
an einem Schönheitsfehler litt; aber für einen minder be-
mittelten Leser mochte sie auch so noch ganz annehmbar
sein. Wenn der Name des Livius die Kunden nicht mehr
anzog, warum sollte der Buchhändler die schöne Rolle als
Makulatur verkaufen? Vielleicht war es zu seiner Zeit sicherer,
Die Vervielfältigung und der Buchhandel. 163
auf die Frömmigkeit zu rechnen und es mit dem Hebräerbrief
zu versuchen. Die DidymosroUe sieht freilich auf den ersten
Blick gar nicht wie ein Buchhändlerexemplar aus; denn die
Schrift ist halb kursiv und wimmelt von Abkürzungen, die
Zeilen stehen eng gedrängt, kurz der Platz ist über die Grenze
des Anstands hinaus benutzt; aber am Ende steht wie in
jeder guten Buchrolle der Titel. Solch ein rein wissenschaft-
liches Werk hat damals gewiß ebenso wenig wie heute viel
Käufer gefunden; die Bibliotheken und einzelne wohlhabende
Gelehrte werden mustergültige Exemplare besessen haben,
aber dem armen Schulmeister und Studenten konnte es nur
angenehm sein, wenn er solch eine sparsame Ausgabe zu kaufen
bekam. Das Buch des Hierokles auf der Rückseite, das eben-
soviel Abkürzungen aufweist, aber im ganzen schöner geschrie-
ben ist, war auch dann noch Geldes wert, wenn man den
Didymos der Vorderseite mit in den Kauf nehmen mußte. In
diesen Fällen ist die private Abschrift nicht ausgeschlossen,
aber auch nicht sicher zu beweisen; auch solche Exemplare
können im Handel gewesen sein.
Endlich gibt es eine lange Reihe literarischer Texte, die
auf der Rückseite von Urkundenrollen stehen. Auch hier ist
die Annahme privater Arbeit durchaus zulässig, aber wenn
die Schrift nicht gerade eine Schülerhand verrät, darf man
solch ein Exemplar ohne Bedenken als ein Erzeugnis des Buch-
handels ansehen, zumal da ihrer so viel sind. Mit Rücksicht
auf die Kosten des Papyrus wird mehr als ein Buchhändler
gebrauchte Rollen gekauft haben, um sie von neuem und
zwar als Buchrollen in die Welt gehen zu lassen. Bisweilen
sind mehrere Urkundenrollen zusammengeklebt worden,
um eine Buchrolle von genügender Länge zu gewinnen, und
für Pindars Päane hat man eine Urkundenrolle zerschnitten
und von n^uem zusanimengesetzt mit Verstärkungsstreifen
an den Fugen. Die Berliner Sammlung besitzt in einer Iso-
kratesrolle und in einem großen Bruchstücke aus den Kata-
logen des Hesiod Beispiele dieser Gattung, die meines Erach-
tens ganz buchmäßig aussehen; namentlich der Hesiodtext
ist ein Muster der Schönschrift, deren es übrigens unter den
Texten dieser Gruppe noch manche gibt. Aber auch bei ge-
ringerer Ausstattung bleibt zu bedenken, daß die Schrift ein
unsicherer Führer ist, denn auch der Buchhändler wird für
Exemplare verschiedener Güte verschiedene Schreiber an-
gestellt haben, zumal da gute und geringere Schrift sehr un-
gleich bezahlt wurden. Ein billiges Buch mußte in Schreib-
material, Schrift und Ausstattung wesentlich anders aussehen
als eine Prachtrolle. Nach allem, was sich uns zuvor über
den antiken Buchhandel ergeben hat, können wir kaum be-
'/vv, if. In claß die Güte der im Handel umgehenden Bücher
164 Viertes Kapitel.
außerordentlich verschieden war, und daß der Buchhändler
nicht nur kostbare, sondern auch billige Ausgaben führen
mußte. Auf der andern Seite aber darf man eine zwar nicht
angefochtene, aber oft zu wenig beachtete Wahrheit nicht
vergessen: das antike Buch wurde nicht gedruckt, sondern
geschrieben; besaß der Berufsschreiber auch die größere
Übung, so konnte doch ein schreibgewohnter Privatmann
einen Buchtext in annähernd gleicher Güte für sich oder einen
anderen abschreiben. Die Unterscheidung des Buchhändler-
exemplars von der Privatabschrift hat in Wirklichkeit keine
sichere Unterlage, und eine feste Grenzhnie gibt es nicht.
Gewiß spielte die Privatabschrift eine weit größere Rolle,
als man nach dem Beispiele heutiger Verhältnisse zunächst
glaubt, ebenso sicher aber beschränkte sich der Buchhandel
keineswegs auf Musterrollen, die in Schönschrift nur auf einer
Seite beschrieben waren. Handelte es sich um eine erste Auf-
lage und um einen berühmten Verfasser, so war gewiß auch
die gesamte Ausstattung tadellos, wie aber die »Nachdrucke«
und die billigen Ausgaben aussahen, das lehren uns am ehesten
noch die Papyrusrollen zweiter und dritter Güte.
Die Menge der Korrekturen und ihre Sorgfalt sind eben-
sowenig unterscheidende Merkmale; der Gelehrte, der für
seinen eignen Gebrauch ein Buch abschrieb, mag oft genug
peinlicher darin gewesen sein als der bezahlte Korrektor.
Wo man in alten Rollen Randbemerkungen findet, können
sie sowohl auf eine Privatabschrift wie auf eine gelehrte Aus-
gabe deuten; sind sie von zweiter Hand, so bleibt es immer
noch unentschieden, ob der Besitzer der Rolle oder der Kor-
rektor sie eingetragen hat, ganz abgesehen von der Schwie-
rigkeit, eine zweite Hand sicher festzustellen. Daß der Buch-
handel Ausgaben mit gelehrtem Beiwerke hervorgebracht
hat, ist dagegen sicher und wird durch die P,apyrusfunde
bestätigt. Alle diese Dinge fordern in jedem einzelnen Falle
besondere Erwägung; allgemein gültige Regeln gibt es nicht.
Was die erhaltenen Papyrusrollen lehren, gilt natürlich
zunächst nur für ihre Heimat Ägypten. Aber ihr Ergebnis
steht mit dem, was wir aus anderen Quellen über den Buch-
handel, besonders in Rom, erfahren^ recht gut im Einklang.
Im Papyruslande mag der Buchhandel eher noch günstiger
daran gewesen sein als anderswo, denn wenigstens der Schreib-
stoff dürfte in Ägypten billiger gewesen sein. In Rom und
anderen Großstädten kann freilich die große Zahl wohl-
habender Literaturfreunde den Nachteil einigermaßen aus-
geglichen haben. Allein das sind Vermutungen, nichts weiter.
Dagegen scheint es mir ziemlich sicher, daß vornehmlich
die bedrängte Lage des römischen Buchhandels den Kodex
emporgehoben und befördert hat ; diese neue Form des Buches
Die Vervielfältigung und der Buchhandel. 165
zeigt mehr als viele Worte, wie sehr man darauf sehen mußte,
neben den kostbaren Ausgaben billigere Exemplare zu führen.
Die Sparsamkeit mit dem Material beherrschte durch den
Buchhandel schließlich auch den Schriftsteller, und es ist
ein billiger Spott, wenn Martial mit einem seiner beliebten
Wortspiele von dem Dichterling sagt: »er schreibt seine Epi-
gramme auf die Rückseite des Papyrus und ist betrübt, wenn
ihm die Muse ihre Rückseite zeigt«.
S.Sammler und Sammlungen. Für die äußere Ge-
stalt der Buchausgabe ist naturgemäß weniger der Wunsch
des Verfassers als das Bedürfnis der Kundschaft maßgebend.
Viel gelesene Tagesliteratur tritt unter günstigeren Bedin-
gungen in die Öffentlichkeit als fachwissenschaftliche Werke,
neue Schriften werden anders behandelt als Klassiker, und
wenn dem Studenten ein unschönes Exemplar gut genug war,
so verlangte die vornehme Dame eine zierliche Rolle oder ein
elegantes Bändchen. Je nachdem die Kundschaft des Buch-
händlers beschaffen war, werden auch seine Buchausgaben
gewesen sein. Eine besondere Stellung unter seinen Kunden
nahmen die Sammler und die Sammlungen ein, die privaten
Bücherliebhaber und die öffentlichen Bibliotheken.
Privatleute, die mit einer stattlichen Bücherei zu glänzen
suchten, oder aus Liebe zur Literatur und zur Wissenschaft
möglichst viel und vielseitig zu sammeln strebten, hat es wohl
gegeben, solange es Bücher gibt. .Polykrates und Peisistratos
genossen den Ruhm, auf griechischem Boden die ersten Bücher-
freunde und Büchersammler zu sein, aber die Überlieferung
ist bedenklich und erlaubt ernstlichen Zweifel. In den Tagen
des Sokrates besaß Euthydemos eine nennenswerte Samm-
lung, die man sich freilich nicht allzu groß denken darf; denn
daß er die homerischen Gedichte vollzählig hatte, scheint
schon als etwas Ungewöhnliches gegolten zu haben. Im 4. Jahr-
hundert v.Chr. war wohl Klearchos, der Herrscher von Hera-
kleia am Pontes, der früheste Nichtgelchrte, der eine
Bücherei anlegte. Als Gelehrter auf allen Gebieten der Wissen-
schaft tat es Aristoteles, und neben ihm verdient die Aka-
demie, die Vereinigung der Piatonschüler, genannt zu werden.
Auch Alexander der Große gehört zu den berühmten Bücher-
freunden; sein Beispiel hat nicht wenig dazu beigetragen,
seinen Nachfolgern in Makedonien, Asien und Ägypten, die
ihm in allem zu gleichen strebten, die Begründung großer
Bibliotheken als eine königliche Pflicht erscheinen zu lassen.
In Rom lenkte die Bibliothek des besiegten Makedonen-
königs Pcrseus, die dorthin überführt wurde, den Blick der
Aristokraten auf dies Gebiet, und im letzten Jahrhundert
der Republik machten sich besonders Sulla und Cicero als
Sammler einen Namen. Hundert Jahre später »konnte der
l66 Viertes Kapitel.
Besitzer kaum in seinem ganzen Leben die Titel durchlesen«
wie Seneca sagt. Der Umfang der Privatbüchereien und die
Zahl der Sammler wuchsen beständig; zu ihrem Nutz und
Frommen schrieb unter dem Kaiser Hadrian Herennius
Philo einen Führer durch den Büchermarkt mit dem Titel
»über Erwerb und Auswahl von Büchern«. Daran änderte
sich nichts, als die Vornehmen wie die Gelehrten Christen
wurden; Hieronymus, Augustinus und andre arbeiteten mit
großen eignen Bücherschätzen.
In solchen Kreisen blühte auch die Vorliebe
für alte Exemplare, womöglich Originalhandschriften
berühmter Schriftsteller. Als einst der dritte Ptole-
maios die Tragikerhandschriften aus Athen entlieh,
hatte er den wissenschaftlichen Zweck im Auge, der
alexandrinischen Bibliothek einen maßgebenden Text zu
sichern, nebenbei freilich auch die Absicht, ihr durch die
unschätzbaren Originale einen Vorsprung zu verschaffen.
Dagegen war es wohl nur die Schätzung des Alten und Ori-
ginalen, die den Wert eigenhändiger Niederschriften des
Demosthenes bestimmte. Daß man in Athen diese Hand-
schriften aufbewahrte, zeigt, wie sehr schon in früher Zeit
auch bei den Griechen die Ehrfurcht vor dem Original ent-
wickelt war. Und diese Richtung nahm zu: im ersten Jahr-
hundert der Kaiserzeit erzählt der ältere Plinius mit einer
gewissen Feierlichkeit, er habe die Handschriften des Tiberius
und des Gaius Gracchus gesehen, die damals gegen 200 Jahre
alt waren, während ihm eigenhändige Niederschriften des
Cicero, des Vergil und des Kaisers Augustus schon eher als
etwas Gewöhnliches erscheinen. Er gehörte zu denen, die
nach dem Worte des Galenos »sich darauf verlegten, uralte
Bücher, die vor 300 Jahren geschrieben waren, aufzufinden«.
Das zweite Buch der Aeneis in Vergib eigner Handschrift
war für Gellius wegen seines Alters eine große Merkwürdig-
keit. Sicherlich hat auch der Buchhandel sich dieses Gegen-
standes bemächtigt; jedenfalls zahlten die Liebhaber für
solche Originale sehr hohe Preise. An sich ist diese Neigung
berechtigt und verständlich, aber sie wird lächerlich, wo man
das Alte und Seltene nur noch um dieser Eigenschaften willen
schätzt. Aus dem Sammler wird der Büchernarr, und an
solchen hat es nicht gefehlt, wie denn Lukian mit seinem
Spotte über den »Ungebildeten, der viel Bücher kauft«, gewiß
nicht auf einen, sondern auf die ganze Gattung der reichen
Sammler zielt. Aber er spottet nicht über die Vorliebe für das
Alte an sich, sondern über den Unverstand dessen, der es
sammelt, ohne es schätzen zu können. »Woran kannst du
erkennen«, sagt er, »was alt und wertvoll oder was schlecht
und nutzlos ist, wenn du es nicht danach beurteilst, ob es zer-
Die Vervielfältigung und der Buchhandel. 167
Abb. 39. Orabstein eines Mädchens, mit Buchrolle und Lesepult.
fressen und be.slüßtn ist, und den Bücherwurm zu deinem
Berater machst.« Ein solcher Mann war freilich für die Anti-
quare ein gefundenes Fressen, wie Lukian bemerkt. Aber
diese Erscheinung stand damals wie heute weniger mit der
Bücherliebhaberei als mit der Jagd auf Raritäten jeder Art
in Verbindung; der ungebildete Büchernarr fällt unter das-
selbe Urteil wie der, welcher für die Tonlampe des Stoikers
Epiktet 3000 Drachmen bezahlt.
Abgesehenvon solchen Auswüchsen konnte die Teilnahme
begüterter Leute dem Buchhandel und dem Buchgewerbe nur
l68 Viertes Kapitel.
zugute kommen, denn verständnisvolle Sammler werden an
die Ausstattung des Buches wie an die Beschaffenheit des
Textes hohe Anforderungen gestellt haben. Allerdings kommt
auch hier wieder das unterscheidende Merkmal des alten Buch-
wesens vom heutigen zur Geltung; denn der Sammler war längst
nicht in dem Maße wie heute auf den Buchhändler angewiesen,
sondern konnte sich verhältnismäßig bequem auf eigne Hand
eine leidliche Bücherei verschaffen, wenn er nur ein paar
geübte Schreiber zur Verfügung hatte. Ob er damit billiger
fuhr, vermögen wir freilich nicht zu beurteilen, da wir weder
Buchpreise noch Arbeitslöhne kennen. Die schon öfter er-
wähnten Herkulanensischen Rollen, die einem Privathause,
also einer privaten Bücherei entstammen, machen zum großen
Teile den Eindruck, als seien sie durch private Arbeit ent-
standen. Ihr Besitzer hatte es fast ausschließlich auf die
Schriften epikureischer Philosophen abgesehen, besonders
des Philodemos, so daß man vermutet hat, es sei die Biblio-
thek des Philodemos selbst gewesen, die er im Hause eines
Gönners untergebracht habe. Mehrere seiner Werke waren
doppelt vorhanden, z. T. in ziemlich nachlässigen Abschriften.
Eine solche private Büchersammlung wird von selbst leicht
einseitig, wenn auch nicht immer in dem Maße wie diese epi-
kureische Fachbibliothek.
Einen größeren Literaturkreis haben ohne Zweifel die
öffentlichen Bibliotheken umfaßt, obgleich auch für
sie die Möglichkeit, sich Bücher zu beschaffen, enger als heute
begrenzt war. Im übrigen kam es natürlich auf die besonderen
Zwecke des Gründers an, und mit der Zunahme der Biblio-
theken ergab sich von selbst die Beschränkung auf gewisse
Gebiete; im zweiten Jahrhundert n. Chr. bestanden in Rom
gesonderte hellenische und lateinische Bibliotheken. Ferner
hat sich ebenso wie heute manche öffentliche Bibliothek
aus einer privaten entwickelt, deren Inhalt vom Ge-
schmacke des ursprünglichen Sammlers bestimmt worden
war, ganz abgesehen von der bedeutenden Wirkung des Zu-
falls. So soll Ptolemaios Philadelphos nicht nur Bücher aus
Athen und Rhodos bezogen, sondern auch die Sammlung
des Aristoteles gekauft haben. Endlich war auch der Ort
nicht gleichgültig; für eine Bibliothek in Rom lagen die Be-
dingungen anders als für die in Jerusalem, von der Julius
Africanus spricht. Nur die allerverbreitetsten Werke wird
man überall gefunden haben; auch ohne besonderes Zeugnis
würden wir glauben, daß man in Jerusalem in römischer Zeit
den Homer bekommen konnte.
In der Herstellung ihrer Bestände scheint die Muster-
bibliothek in Alexandreia recht selbständig gewesen
zu sein. Der Einfluß, den sie auf das Buchgewerbe
Die Vervielfältigung und der Buchhandel. 169
ausgeübt hat, erklärt sich wohl gerade daraus, daß
sie die BibHotheksexemplare und bis zu einem gewissen Grade
auch ihre Vervielfältigung auf eigene Hand ausführte. Über-
dies ist es fraglich, ob der Buchhandel zu der Zeit, als die
alexandrinische Bibliothek entstand, überhaupt schon in der
Lage war, große Aufträge zu übernehmen; aber ohne Zweifel
wird ihn eben die literarische und buchgewerbliche Tätigkeit
lebhaft gefördert haben, die sich an die Bibliothek anknüpfte.
Ob sie ihn später mehr in Anspruch genommen hat, ob sie
z. B. nach dem großen Brande bei der Eroberung der Stadt
durch Cäsar, als ein Teil ihrer Bestände in Flammen aufging,
die Erneuerung durch den Buchhandel ins Werk gesetzt hat,
läßt sich nicht beurteilen. Wie die pergamenische Bibliothek
verfuhr, wie weit man später in Rom sich des Buchhandels
bediente, als nach dem Beispiele des Asinius Pollio und Au-
gustus die Gründung öffentlicher Bibliotheken eine Mode
wurde, bleibt uns erst recht unbekannt, aber wahrscheinlich
haben die Bibliotheken zu den besten Kunden der Buchhändler
gehört, sobald der Buchhandel sich so weit entwickelt hatte,
wie wir es für die Zeit eines Cicero, eines Horaz, eines Mar-
tial annehmen dürfen. Dies gilt besonders für solche Fälle,
wo die Bestände planmäßig vermehrt worden sind. Schon
Polybios setzt öffentliche, dem Forscher zugängliche Biblio-
theken voraus; daher dürfen wir uns auch die alexandrinische
so denken. Die späteren waren es gewiß. Aber von allen fehlt
uns die lebendige Anschauung. Hier helfen auch die Papyrus-
funde nur wenig. Zwei kleine Bruchstücke von Bücherver-
zeichnissen besagen fast nichts. Mehr bietet ein Überblick
über die literarischen Texte, die in Oxyrhynchus ans Licht
gekommen sind; ob sie einer oder mehreren Sammlungen,
privaten oder öffentlichen entstammen, wissen wir nicht.
Immerhin lehren sie im Einklänge mit den Funden literari-
scher Papyri überhaupt das starke Übergewicht der klassi-
schen Literatur, der sich die hellenistische der drei letzten
Jahrhunderte v. Chr. anschließt, nachdem sie klassisch ge-
worden ist. Dagegen fehlt die Literatur der Kaiserzeit, die
weltliche wie die christliche, so gut wie völlig; nur das Volks-
tümliche ist vertreten. Bis etwa auf Augustus haben die
Griechen Ägyptens den Zusammenhang mit dem Geistes-
leben der gesamten Griechenwelt gewahrt, nachher aber die
Fühlung verloren, selbst mit der alexandrinischen Schrift-
stcllerci. So erklärt sich das eigentümliche Ergebnis der
Funde, das natürlich nur für Ägypten gilt und auch nur auf
die griechischen Bibliotheken dieser Provinz ein Licht wirft.
Auf die Anlage der Bibliotheken des Altertums näher
einzugehen, würde vom Buchwesen zu weit abführen; von
der alexandrinischen Bibliothek haben wir überdies schon
lyo Viertes Kapitel.
an früherer Stelle uns ein Bild zu machen versucht. Das
Wort »bibliotheke« bedeutet eigentlich Bücherbehälter oder
Bücherniederlage und kann ursprünglich ebenso gut den
einzelnen Bücherbehälter bezeichnen wie den Ort der Auf-
bewahrung, also den Buchladen oder die Bücherei. Diese
Bücherbehälten waren runde oder eckige Gefäße aus Holz,
Ton oder Stein, die bei den Griechen kiste oder teuchos, bei
den Lateinern capsa oder scrinium hießen; sie dienten zur
Aufbewahrung der Rollen, die man in Ägypten auch in Krü-
gen und Körben unterbrachte. Einzelne hat man noch ge-
funden, so einen Steinkasten mit der griechischen Aufschrift:
Dioskurides 3 Rollen. Aus altägyptischer Zeit stammen
ein paar schöne Alabasterplatten mit dem Namen Amenem-
hets III, die einst die Rollenbehälter der königlichen Bücherei
verschlossen. In griechischer Zeit pflegte man größere Werke
zu drei oder mehr Rollen, sogar zu zehn, Triaden, Dekaden
und dgl. zusammenzuordnen. Aber auch Rollenbündel ohne
Behälter sieht man öfters dargestellt. Der Bücherschrank,
armarium, gehört im wesentlichen erst der Zeit des Kodex an.
Schon früh wird der Inhalt des Namens bibliotheke
näher bestimmt und zugleich gewandelt; er bezeichnet die
Büchersammlung und die Gesamtheit der an einer Stelle
vereinigten Bücher, jedoch ohne Beschränkung auf das Buch
im engeren Sinne, das Literaturwerk. Die griechischen Ur-
kunden aus Ägypten lehren, daß es an vielen Orten »Bi-
bliotheken« gab, die nach unsern Begriffen Archive waren,
amtliche Urkundensammlungen oder ihre Aufbewahrungs-
stellen, wie ja ganz entsprechend auch das Wort biblion
nicht nur ein Schriftstück urkundlichen Inhalts, sondern
auch ein Buch bedeutet. Die innere Einrichtung wird bei
beiden Arten der Bibliothek im wesentlichen gleich gewesen
sein, da die Urkunde so gut Rolle war wie das Buch; das
Büchergestell und der Behälter für die Rollen wurden überall
verwendet, in der privaten Büchersammlung, in der öffent-
lichen Bibliothek und im Buchladen. Im einzelnen wissen
wir davon fast nichts, obwohl eine Ausgrabung die Grund-
mauern und damit den Grundriß der Bibliothek in Pergamon
frei gelegt hat. Die Kataloge scheinen ursprünglich die Gestalt
hölzerner Tafeln gehabt zu haben, wenn man soviel aus dem
Namen »Pinakes« schließen darf, den die alexandrinischen
Bibliothekskataloge auch dann behielten, als sie in Buchform
erschienen. Erst mit der größeren Verbreitung des Kodex
hat sich die Ausstattung der Bibliothek zu dem uns geläufigen
Bilde umgestaltet.
ANHANG.
ANMERKUNGEN UND NACHWEISE.
Seite 2: Varro siehe Plinius n. h. XIII ii.
Blätter, vgl. ^Kq)uXXoq)opia in Athen und Tr6Ta\l(T|UÖ<; in Syrakus
sowie den Brief auf einem Ostrakon aus Ägypten (Plaumann, Arch. f.
Pap. -Forschung VI 220 Nr. 8, 3. Jahrh. v. Chr.): dTröaxGiXov xoTc;
ÖTTOTeTpaMM^voK; tok; 'ir€TaX{a(; Kpuqpf|i Kai luriGeic; aia0av^a6uu usw.,
dann: l\o\}a\ b^ ai TreraMai d'rTrfpa9riv ^v cpuXXoic;. Der Sinn ist
dunkel. Zum Lindenbast, qpiXüpa, vgl. u. a. Galen, ad Hippokr. 18, 2,
dazu G. A. Gerhard, Ein neuer Jurist. Pap.
Leinenbücher: Livius 4,7.20 (thorax linteus); bei den Samniten
10, 38. Vop. Aurelian i , 7.
Schrift in Seidenstickerei auf Leinwand kommt später bei den
Arabern vor.
Seite 4: Der Name Papyrus, sicher ungriechisch, ist verschieden
erklärt worden. Herrn Prof. G. Möller verdanke ich den Hinweis auf
eine Deutung, die vor langer Zeit Seyffarth bereits ausgesprochen hat;
sie leuchtet nicht nur ein, sondern stimmt auch nach Möller im Laut-
bestande vollkommen und entspricht allem, was man inhaltlich fordern
darf. Koptisch Trairouppo heißt: das dem Könige Gehörige, das König-
liche. Die Laute ergeben unmittelbar die griechische Schreibung ird-
TTupo?. Damit wird das Schreibpapier als königlich bezeichnet, also
doch wohl als Erzeugnis königlicher Fabriken, womit der Gedanke des
Monopols sehr nahe rückt. Soweit ich weiß, können wir irdirupoc; nicht
über das 4. Jahrh. v. Chr. hinauf verfolgen; das Wort kann freilich
älter sein. Immerhin würde man einerseits auf ein Monopol seit dem
4. Jahrh. spätestens geführt, andrerseits brauchte man den Gedanken
eines älteren Tempelmonopols nicht aufzugeben. Zum Papyrusmonopol
siehe Anmerkung zu Seite 17. Der Vergleich mit charta regia bei
Catull und xdpTr\(; ßaaiXiKÖ<; bei Heron, Autom. 269 (Bühnenein-
richtung: TouTUJv Y6vo|u^vujv bcT Xöpf^v Xaßövra XeirTÖTarov tOuv
ßaaiXiKiJüv KaXouu^vujv dTroxeiueTv aöxoO t6 !LifiKO(;, i^iXIkov &v trepi-
^X^ üvpog TÖ ToO TTivaKoq ?baq)o<; ^uuq xiijv öGovfujv TiJuv auv€iXri|u^vujv
Kai äiroTeiLivövTUJv xöv ÖM(paXöv xoö x&pTox) Trpo<;KoXXfiaai auxöv
TTpö<; xöv Kavöva xöv ^k beSiOüv xoö -rrlvaKo?, \X)0-x^ dvxi xoö Ö|li-
fpaXoö xöv Kavöva -rrpocjKCKoXXfjaGai; trifft nur im übertragenen Sinne
zu. Denn bei diesem ist von einer besonders guten Sorte die Rede. An
sich könnte ja auch von einer solchen der Name auf das Papier über-
haupt übergegangen sein, aber der eindeutige Sprachgebrauch der
1^2 Anhang.
Ptolemäerzeit führt darauf, ßaaiXiKÖ^ und damit Tuairouppo zu deuten:
dem Könige gehörig, nicht: königlicher Pracht angemessen. Daß der
König und die Regierung sich eines besonders guten Papyrus bedienten,
will ich nicht bestreiten; aber daß diese Sorte Hauptware der Ausfuhr
geworden sei und den Namen des Papiers im Auslande bestimmt habe,
leuchtet mir weniger ein als die Beziehung auf königliche Fabrikation.
Auch dagegen freilich könnte man einwenden, der Name passe auf jedes
Monopolerzeugnis.
Papyruspflanze Herod. II 92. Theophrast, hist. plant. 4, 8, 3.
Plin. n. h. 13, n ff. Altäg. Darstellungen z. B. bei Wreszinski, Atlas zur
altäg. Kulturgeschichte Taf. 2 u. 30.
Seite 5: Herstellung des Schreibpapiers aus Papyrus: Plin. a. a. 0.
H. Ibscher, Arch. f. Pap.-Forschung.V 191 ff. Papyrusanbau: Wilcken,
Chrestomathie 319. B(erliner) G(riechische) U(rkunden) IV 1121, Zeit
des Augustus: Verpachtung eines ^Xoq iraTTupiKÖv in der Nähe Alexan-
dreias.
Moderne Papyrusblätter angefertigt aus Pflanzenstengeln des
Berliner Botanischen Gartens von dem Konservator an der Papyrus-
sammlung H. Ibscher, aus sizilischem Rohstoffe von K. Kafka in Wien.
Seite J: Cornehana: Isidor, Etym. 4, 10. — Papyrusfabrik in Tanis
im Delta: P. Soc. It. IV 333.
Seite 8: Kleber lateinisch glutinator, glutinarius.
Die Papyrusmagazine Roms in der späteren Kaiserzeit hießen
horrea chartaria.
Seite g: Die Erkenntnis, daß der Papyrus in Ballen hergestellt
wurde, verdanke ich H. Ibschers Aufsatze im Arch. f. Pap. -Forschung
V 191 und vielfacher mündlicher Belehrung. Auch er leugnet nicht,
daß gelegentlich ein Privatmann ein Blatt an eine Rolle ankleben oder
ein Einzelblatt verwenden konnte; aber die geschilderte Regel wird
durch die erhaltenen Papyri sichergestellt. Nur sie erklärt es z. B., daß
häufig mitten durch einen schmalen Briefbogen eine Klebung läuft.
Die Einzelblätter der Fabrik, deren Vielheit den Ballen ergibt,
heißen ae\i<;, die Klebung KÖWrijua. Gewisse Urkundenrollen entstanden
durch Sammlung von Urkunden, die man zusammenklebte, wie man
heute Akten in Bände heftet; hier übertrug sich der Name KÖXXri,ua leicht
auf die einzelne eingeklebte Urkunde, die in der Regel eine Schrift-
kolumne war. So konnte es geschehen, daß weiterhin KÖWrjiua in längeren
Aktenstücken von mehreren Kolumnen die einzelne Kolumne bezeichnete.
Daher wird aus solchen Aktenrollen zitiert : tÖ|uou (Rolle) x, Ko\Xr)|uaTO^ y.
Wenn Polyb. 5,33 sagt: \iixp\ be toutou |uvr|creriao|uai, biöxi xOuv
Ka0' r[\xac, Tiveq fpaqpövTuuv laxopiav ^v rpiölv r\ Teaöapöiv ii.y\^Y\(5d-
juevoi aeXiaiv r\\nv töv Tuu|uaiuuv Kai Kapxr|bov(ujv iröXejaöv qpaai rd
KaGöXou YPCi^€iv, so gebraucht er aeXi^ = Schriftkolumne, wie wir
von »Seitens sprechen. Weder die Deckung der Schriftkolumne mit
der öeXic; noch gar die selbständige Verwendung einzelner 0€Xibe<;
folgt daraus.
Zur Länge der Rollen: Der hieratische Papyrus Ebers hat über 20 m
Länge. Plin. 13, 77: numquam plures scapo quam vicenae (plagulae); die
im Texte stehende Deutung ist noch am wahrscheinlichsten, obwohl nicht
einmal feststeht, ob PI. von der Rolle oder vom Blatte spricht, vgl. Nach-
trag Seite 190. Rekto und Verso: Wilcken, Hermes 22,487, 41,104.
Anmerkungen und Nachweise. ' ly^
Griechische Ostraka I i8. Grundzüge der Papyruskunde XXX. H. Ib-
scher, Arch. f. Papyrusforsch. V 191.
Seite 12: Klagen über beschädigte Akten: Bell, Arch. f. Pap.-
Forsch. 6, loi : ?via b^ KcqpaXößpoxa (sie !) Y6T0vdvai biet tö tou^ T[ö]Trouq
Kauaibbi^ elvai; ferner: tOuv ß[i]ßX{u)v [dJiTÖ töttujv de, töttouc; dve-
TriTr|be[(]ou<; ttoWcikk; .uerevexö^vTUJv xai ^tt' d\Xri\[uJv] Ka[i] dauvG^-
Tujv bid TÖ irXrjeo; k€iu^vuuv tCu tov vo|uöv .ueyicrTOv eivai, KaGn,u€-
pivf|q -rrpoaip^aeux; Ott' auxuj Yei[v]o|Lievri<; Kai ty\<; To[\]amr\c, \i\r\c,
€ubia(p(G/öpo(u) ouori«;. (TTpoaipeaiq = Herausnehmen der Aktenrollen
aus den Behältern.)
Seite 14: zur Sparsamkeit mit Papyrus vgl. briefliche Äußerungen
BGU III 822 (2./3. Jh. n. Chr.) Kai [i&]v aoi (pavf|, ird^vjiov ,uoi aypa-
q)Ov xdpTr\\, i'va €Öpo[|Li€]v ^TTiaToX[r)v] YPCiM^ai. Atene e Roma VII
(1904) 125 (3. Jahrh. n. Chr.) Kai Y«P ^«^ TToXXdKK; \xo\) dmaTeiXav-
TÖ^ aoi KQi xcipfö? ^'iriaToXiKd[^ diroJaTeiXavTO^, i'v' euTropri^ toö ypd-
(q)€iv] ,uoi, au oxjhi öXuj^ r^tiujaac; Kaö' ö[vtivoöv Tpöirov usw. Genf. 52
(um 346 n. Chr.) xctpxiov KaGapöv \xr\ eupüjv irpöc; Tf]v löpav exe, toO-
[t]ov ^Ypai|;a.
Üppigkeit demotischer Urkunden: Die demot. Papyrus Hauswaldt,
bearb. v. W. Spiegelberg; siehe bes. die Abbildungen. Die Ton-
scherbe, das Ostrakon (Ostrakismos in Athen), diente zwar in
Ägypten, wie die Funde lehren, in weitestem Umfange als Ersatz
des Papyrus für kleinere Aufzeichnungen jeder Art, Steuerquittungen,
Rechnungen, Briefe, Schulübungen und alles mögliche andere, und trägt
nicht selten auch literarische Texte; aber für das Buch, sein Werden
und seine Gestalt, kommt es nicht in Betracht. Die Keilschrifttäfelchen
des Zweistromlandes könnten mit mehr Recht in die Geschichte des
Buches einbezogen werden, haben jedoch mit dem griechisch-römischen
Buchwesen ebensowenig zu tun wie etwa die koreanische Bibliothek
auf 80000 Holzplatten in der Bonzerei Hai (Zschr. d. Gesellsch. f. Kunde
des Ostens, herausg. von H, v. Staden, München, Bd. IV, Heft 5/8, 1914).
Seiteis: Papyrus bei den Griechen: CIA 324. Inschr. Pelop.
I 1485,159. Über ßußXoi und biq)0^pai Herod. 5,58.
Seite 16 : Preise: Reil, Beiträge zur Kenntnis des Gewerbes im hel-
lenistischen Ägypten (Leipzig 191 3) 130.
Preis des Papyrus. Zur Ausnutzung des Papyrus vgl. S. 161/2.
Gardthausen folgert aus Demosth. Kaxd Alovucrobujpou : ^v "fpa|Li|aa-
T€ibiiu buoiv xoXkgiv i{XJ\r\\xi\yu Kai ßußXibitu iiiiKpuj Trdvu, Papyrus sei
billig gewesen; aber i. ist nicht sicher, ob von Pap. die Rede ist, und
2. scheint der Preis (i Drachme = 0,80 Mk. gerechnet) von '/3 Obolos
= reichlich 4 Pf., an Kaufkraft jedenfalls beträchtlich mehr, für ein
ganz kleines Blatt gar nicht gering.
Seite 17: Mangel in Rom: Plinius I.e. Preistreiberei der Pflanzer,
Strabo 800. Die in BGU IV H2i vorausgesetzte Vereinbarung der
Pflanzer über die Arbeitslöhne mußte umgekehrt dahin wirken, die
Papyruspreise mäßig zu halten.
Monopol: vgl.Anm. zu Seite 4. Zucker, Philol. 70,1 (^iriTpoTro?
XapTr|pci(;): im Anfange der Kaiserzeit gab es sicher kein Monopol, wohl
aber seit ptol. Zeit eine Ertrags- oder Gewerbesteuer; Monopol bestand
wohl spätestens seit Diokletian, aber auch für die byz. Zeit steht es nicht
völlig fest. Ähnlich jetzt Wilcken, Grundzüge 255. An sich liegt es
174 * Anhang.
nahe, an ein altes Tempelnaonopol zu denken, das die Ptolemäer auf
den Staat übernommen hätten, ähnlich wie bei 66övia. Vgl. auch
Reil, a.a.O.
Protokoll und Stempelschrift: Versuche der Entzifferung von Jean
Masp6ro, fortgesetzt von I. Bell, Journal of Hell. Studies 37, 56.
Seite 18: Lederhandschriften in Ägypten: Erman-Krebs, Aus den
Papyrus der Kgl. Museen. Berlin 1899. Bei den Assyrern: 0. Schroeder,
Orientalist. Lit.-Ztg. 20,204 {^9^l)- Ktesias: Diodor 2,32. Auf Kypros
heißt der Schreiblehrer biqpGepdXoiqpoc;. Urkunden aus Kurdistan: Minns,
Parchment of the Parthian Period from Avroman in Kurdistan. Journal
of Hell. Studies 35, 22 ff. (1915)- Diogen. 3,2 wird das Sprichwort
dpxaiöxepa tPic; bi(p9^pa<; auf die bi(p6^pai des Zeus bezogen, von
denen Zenob. 4,11 sagt: Zeuq Kaxeibe xpövioc; eic; tok; biqpödpa^. Die
Götter schreiben auf öarpaKa, b^Xxoi, aKUxdXai, bicpO^pai, tabulae; vgl.
Marx, Ind. Lect. Gryph. 1892/3 VI ff.
Seiteig: Pergament: Plinius a.a.O. Über die Zubereitung Gardt-
hausenl93 ff. Die Pergamente des Altertums sind feiner als die des
Mittelalters. Leder- und Pergamentrolle: Aristeas 176: xaiq bicpG^paiq,
^v ai^ f) vo^oGeaia Y6Ypa|U|u^vr) xP^JC^OTpaqpia xoT^ 'loubaiKOi? Tpä|a-
|uaai, Gauuaaiuj^ eipYaaiu^vou xoO ijili^voc; Kai i^c, irpö? h\\r\\a c\)\x-
ßo\f|(; dv€TTaiaGr)xou Kax6crKeua(J|U^vn<;- Priene: Inschriften von Priene
114, 28 ff. bnrXfjv xrjv [dvalfpaqpriv auxOuv irapaboix; ^v bep|uaxivoi(;
Kai ßußXivoiq X€0[x]e[aiv]. Daß x€Oxo(; Rolle bedeutet, wird später
gezeigt werden.
Nicht in Betracht kommt für die pergam. Bibliothek die viel
erörterte Galen-Stelle ad Hippokr. 18,2; denn wie G. A. Gerhard, Ein
neuer Jurist. Papyrus, Heidelberg 1903, gezeigt hat, steht die allgemein
anerkannte Änderung Cobets iv biqpG^paic; für ^v biaqpöpoK; q)i\ijpai(; auf
schwachen Füßen. Die Möglichkeit von Büchern auf Lindenbast muß
durchaus anerkannt werden. Gerhard betont mit Recht, daß die ganze
Stelle verdorben und nicht ohne weiteres benutzbar sei (xiv^c; |U^v yoip
Kai irdvu TraXaiujv ßißXiujv dveupeiv daTroübaaav -rrpö xpiaKoaiujv dxujv
YeYpctmu^va, xd |u^v ^xovxe? ^v xoTq ßißXioic;, xd hi iv xoT<; xöpfai^,
xd hk ev biaqpöpoic; qpiXupaiq, üjairep xd irap' fi|uTv ^v TTepYd^iu). Zur
Verbindung mehrerer Häute vgl. die angef. Stelle aus Aristeas.
Seite 20: Paulus, ad Timoth. 114,13: xöv qp€\6vr|v, 8v diT^Xnrov
iv TpLudbi uapd KdpiTLu, dpxö|U€vog qp^pe Kai xd ßißXia |Lid\iaxa hi
xd^ |ue|ußpdva(;. G. A. Gerhard, Ein neuer Jurist. Papyrus, denkt auch
hier bei den Membranen an Codices; aber die Verbindung mit ßißXia, die
daraufführt, zwingt nicht dazu. q)eXövr|q, qpaivöXr|(; = paenula bedeutet
sowohl den Reisemantel wie die Leder- oder Pergamenthülle der
Buchrolle; was Paulus gemeint hat, kann man nicht erraten. Zur
Zettelarbeit des Didymos vgl. Diels im i. Bande der Berl. Klassikertexte
XXXII ff. und Foucart, ßtude sur Didymos 8 ff.
Ein Notizblatt aus derbem Pergament ist P. 7358/9 der Berliner
Papyrussammlung, 7Y2 X 6 cm groß, der Schrift nach wohl dem 2. Jahrh.
n. Chr. gehörig. Es enthält Notizen über die Zahl von Arbeitern und
ihre Bezahlung.
Seite 21: Wert: Die Inschrift Priene 114 hebt die bepjudxiva xeuxil
gegenüber den ßußXiva hervor. Zur Heftform vgl. Kapitel 3. Noch Au-
gustin II 19 Brief 15 entschuldigt sich wegen des Gebrauches eines Perga-
Anmerkungen und Nachweise. 175
mentblattes: non haec epistola sie inopiam chartae indicat, ut membranas
saltem abundare testetur. tabellas eburneas, quas habeo, avunculo tuo
cum litteris rtiisi; tu enim hinc pelliculae facilius ignosces. Vitelliana:
Martial II 6, 5. Über Martials dTroqpöprixa Kap. 3.
Seite 23 — 2y: Schreibtafel: b^Xroc;, irivaH, ttuHiov. Elfenbeintafel:
Augustin an der zu S. 21 angef. Stelle; offenbar rechnete man damit,
die Brieftafel mit der Antwort zurückzuerhalten. Vgl. auch Martial
14, 5. Vopiscus 8. Luxustafeln Plutarch Antonius 58 beXroipia tujv
^piuTiKUJv övuxiva Kai Kpu0TdXXiva.
Doppeltafeln usw. Aischyl. Suppl. 957; Eurip. Iph. Taur. 727:
b^XTOU }xiv ai'be TroXuOupoi biaTrxuxai. iTTUxai passen eigentlich nicht zu
harten Stoffen und scheinen von gefaltetem Leder, Bast oder gar Papyrus
übertragen zu sein. Neun zusammengehörige Wachstafeln aus Ägypten
veröffentlicht von G. Plaumann, Amtl. Berichte aus den Kgl. Kunst-
sammlungen 1912/3 Spalte 210 ff. (Abb. Spalte 211/2).
Wachstafeln Kr|puj,ua, cera. Wie es scheint, pflegte man monatlich
neues Wachs einzugießen, Herodas 3 (ed. Crusius): \d\ \x^v TdXaiva b^X-
T0<;, T^v i^\h Kd.uvuj KripoOa' ^Kdarou |ur|vö^, öp9avfi KeTxai (die Mutter
erzählt von ihrem schreibfaulen Sohne). Schülertafeln mit allen mög-
lichen Übungen: Ziebarth, Aus der antiken Schule' (Lietzmann, Kleine
Texte 65), Bonn 1913. Vgl. auch Plaumann, a. a. 0. Spalte 219/20.
Elegie des Poseidippos, von einem Schüler aus dem Kopfe fehlerhaft
aufgeschrieben: Schubart, Pap. Graecae Berol., Bonn 191 1, Tafel 17.
Sehr gute Abb. von Wachstafeln bei Lefebvre, Copie d'un edit imperial
(Bulletin de ia Societe Archeol. d'Alexandrie 12).
Benutzung für andere Zwecke: IG XII 7, 515, 130 ff. Gesetz von
Aigiale auf Amorgos töv hi vö|uov TÖv[b6 elvai Kupiov] ei? xöv udvxa
Xpövov, Kai 6 YPCiMMCiTeO<; auxöv dvaY[pai|j]dxuj eic; xd brifiöaia '^p6.\x-
.uaxa Tidvxa Kai de, xdq beXxouq, ou oi [vöjaoi €]iaiv dvaY[€T]paM[M]^voi.
Der Ausdrudk bAxouc; spricht gegen den naheliegenden Gedanken an
öffentliche Aufstellung, siehe unter X6UKUU|Lia. Wachstafeln in Menge
aus Pompei erhalten. Aus Ägypten römische Geburtsurkunden.
Tafel als Brief vgl. Herodas a. a. 0. Augustin a. a. 0. usw. Ilias
6, 168. Schrift durch das Wachs ins Holz gedrungen Berl. Klass. Texte V
2,98. Demaratos Herodot 7,239- Dichterkonzepte z.B. Ovid, Metam.
9,521. Leukoma: Schubart, Einführung 270.
Über Schreibtafel und Kodex vgl. Kap. III. Seneca, de brev.
vitae 13: plurium tabularum contextus caudex apud antiquos vocabatur,
unde publicae tabulae Codices dicuntur.'
Seite 28 : Bleitafel z. B. G. Plaumann, Antike Bleitafel mit Liebes-
zauber, Amtl. Berichte aus d. Kgl. Kunstsamml. 1913/4 Spalte 203 ff.
Brief des Mnesiergos: Jahreshefte d. Österr. Archäol. Inst. 7, 94. Hesiods
Erga Pausanias 9, 31,4. Bleirollen Plinius 13, n. Bronzetafel: schöne
Abb. bei Gradenwitz, Simulacra 19, 20 (zu Bruns Fontes? Nr. 98).
Plutarch, De genio Socratis 5 p. 575 E: irivaH xdXKeoc; l\^v Ypdfi.uaxa
TToXXd Oauuaaxd ib? Tra^irdXaia * YvOuvai -f dp il aOxuJv oubdv irapeixe
Kaitrep ^Kq)av^vxa xoü xö^koö KaxaTrXue^vxoq, dXX' \h\6c, t\c, ö
xuTro(; Kai ßapßapiKÖg xüjv xapaKxripuuv ^|u(p€p^axaxo<; A(yuitxioi(;.
Palette, Abzeichen der Priesterklasse der lepoYpa|afiax€i<;,
Clem. Alex. Strom. 757: 4Ef^<; hi 6 UpoYpaMiuaxeix; Ttpo^pXexai Ix^xiv
TTxepd ^irl TT^? K€q)aXf|(; ßißXiov t€ ^v xcpal Kai Kavöva, ^v tp x6 tpa-
176 Anhang.
qpiKÖv |Li^\av Kai axoivo«;, fj Ypdqpouai. Er trägt die Papyrusrolle und
die Palette, die auch als Lineal diente, wie der Name Kttvduv zeigt.
Kalamos, gewerbsmäßig hergestellt: Reil a.a.O. 131. Vom
Schreibzeuge im allgemeinen sprechen Epigramme der Anthologie,
z. B. VI 62. 63. 295. IX 162. Vgl. Gardthausen I 182 ff. Ferner P. Gren-
fell II 38. Oxyrh. II 326 usw. Lineal Kavujv, regula; die Bleischeibe
KUKXo^iöXißboc;. Ob man die Zeilenabstände mit dem Zirkel, biaßdTr|(;,
oder dem Stecher, punctorium, schon im Altertum bestimmte, ist zwei-
felhaft. Eine Urkunde auf Linien ist P. Tebtunis II 488. Stilus: stilum
vertere = tilgen.
Seite 30: Tinte jueXav, die kaiserliche Purpurtinte Kivvoißapl^,
sacrum incaustum. Über schlechte Tinte Persius 3, 10 ff. Die Ver-
wendung roter Tinte in den griech. Papyri verdient eine Untersuchung,
da sie durch Inhalt und Herkunft der Schriftstücke bedingt zu sein scheint.
Seite 32 : Auslöschen und Radieren, vgl. z. B. P. Leipzig 10 II2
(240 n.Chr.): r|v Kai Tpiaar|v aoi -rrporiKdiuriv KaGapdv dTrö dXiqpdboc;
Kai diriYpacpfig Kai xctpdHeuuc;. Lehrzeit des Schreibers Wilcken, Chresto-
mathie 140; hier ist allerdings von einem Lehrgange in Stenographie
die Rede, so daß man nur ungefähr auf den gewöhnlichen Schreib-
unterricht übertragen darf. Der altägyptische Spruch versteht unter
dem Schreiber den Beamten.
Seite 33: byblion: Preisigke, Fachwörter des öffentl. Verwaltungs-
dienstes Ägyptens. Göttingen 1915, s. v. ßißXiov, ebenda ßißXot;
und ßißXibiov. Vgl. auch ßußXiaqpöpoe; Briefträger, Aktenbote. ßißXioÖrjKri
sowohl Bücherei wie Amtsarchiv, Dem byblion ertspricht im allge-
meinen libellus. ßißXiov ^ Buch Oxyrh. III 531 (Brief): dXXd TOic; ßi-
ßXioi^ aou auTÖ ^övov irpö^exe qpiXoXoYuuv Kai Ätt' aOrüJV övrjaiv ^Heiq.
Daß die viel behandelte Galenstelle ad Hippokr. 18,2 verdorben und
daher zunächst unergiebig ist, wurde schon zu Seite 18 bemerkt.
Teöxoc; bedeutet auch in der Inschrift von Priene, Priene 114
(i. Jahrh. v. Chr.), wie Wilcken Hermes 44,150 gezeigt hat, un-
zweifelhaft die Rolle, während ich in der i. Aufl. dieses Buches darin
die früheste Erwähnung des Kodex erblickte. Wilcken verwies auf
BGU III 970, 3 (177 n. Chr.) ^KYeYpd[(p6ai] Kai TrpO(;avTißeßXriK^vai
^K T€uxou^ ßißXeibiuuv Titou TTaKTOUjuriiou MdYvou ^iT[dpxou] Aiyötttou.
Ebenso schlagend ist Aristeasbrief 176, vgl. die Bemerkung zu Seite 19.
Pergamentrollen sind ganz unanstößig. Ferner die Glosse volumen
TeOxoc;: Esau, Glossae ad rem libr. pert. p. 105. Damit ergibt sich, daß
auch im Epigramm das Krinagoras, Anthol. Pal. IX 239, mit TeOxoc;
eine Rolle gemeint ist; ßüßXujv f] jXvKepr] XupiKUUV dv reuxei Tujbe |
irevTdq duijuriTuuv ^pYa qx^pei XapiTUUv usw. Dies um so mehr, als xeOxo«;
gelegentlich die höhere Einheit über mehrere TÖ|UOl zu sein scheint:
P. Rylands II 220 (134 — 138 n. Chr.), Aktenrolle mit Eintragungen
wie a Teux(ou<;) a tö(|liou) KoX(Xr||uaTa<;) Hß. Zu TeOxoq und xöiioq vgl.
Preisigke a. a. 0. So kann auch bei Krinagoras Teuxoc; Einheit mehrerer
TÖ|uoi sein. Birt, Buchrolle i. d. Kunst. xcipTTiq, Preisigke a. a. 0. Ger-
hard, Ein neuer Jurist. Pap., meint, das Wort bezeichne praktisch immer
die Rollenform. Aber man brauchte auch Einzelblätter, sogar für
Literaturwerke.
Seite 34: KÜXivbpo^ Diog. Laert. 10, a6; KuXiaxo^ Wilcken,
Chrestom. 435.
Anmerkungen und Nachweise. lyy
Zu auvYpa^,ua, ouvTaY.ua auvxaSK;, irpaY.uaTeia usw. vgl. Schum-
rick, Observationes ad rem libr. pertin. Diss. Marburg 1909.
Codex: Seneca, de brev. vitae 13 vgl. Anm. zu S. 23. Als
griech. Kennwort hat man K€q)aXi? angesehen mit Berufung auf Migne,
Patrol. 65,168: ?xovTa Im x^^pa? KeqpaXiba, TOuxdöTi TÖ|aov yeTpaiLi-
u^vov laiuGev Kai ^HiuBev. Aber gerade damit wird deutlich die auf beiden
Seiten beschriebene Rolle (xö.uo^) bezeichnet. Vgl. Hebräerbrief 10, 7
TÖTe eiTTOv ibou f^KUJ (^v KeqpaXibi ßißXiou T^Tpa''TTai irepi ^|lioO) toO
TTOifiaai, 6 Qeöq, rö Q4Xr]\id aou, aus Ps. 40, 7, wo gewiß nur von einer
Rolle die Rede sein kann. Ferner Apokal. 5, 1 Kai eTbov im xrjv beEiav toO
Kaerm^vou im toö Gpövou ßißXiov Y€Tpa|Li.u^vov ^auueev Kai ÖTTiaGev
KaxeaqppaYiöu^vov ocppaflaxv dirxd. Das ist deutlich eine Rolle, wie
denn dem ApokaK-ptiker die Rolle ohne weiteres das Buch ist: 6, 14 Kai
oupavöc; direx^JUpitJOri ihc, ßißXiov ^Xiaaöiuevov. Nimmt man alles zu-
sammen, so wird jene Bestimmung der KcqpaXit; als außen und innen
beschriebener Rolle bestätigt; auf den Kodex würde die Beschreibung
gar nicht passen, pugillare vgl. Esau a. a. O. 38 pugillares TTivaKibec;.
b^Xxoi pugillares. pugillares parvi libri vel tabulae, quae possis pu-
gno includere.
Seite 38 ff.: Über bildliche Darstellungen der Buchrolle im 5. Jahrh.
V. Chr. vgl. Th. Birt, Die Buchrolle in der Kunst, Leipzig 1907.
Seite 210.
Timotheos-Papyrus: U. v. Wilamowitz, Timotheos, Die Perser.
Leipzig 1903. Die Gruppe der ältesten griech. Papyri, die sich erkenn-
bar von den späteren absondern, habe ich in meiner Einführung in die
Papyruskunde S. 29 näher besprochen.
Seite 43: Birt hält auch in der »Buchrolle in der Kunst« das »Groß-
rollensystem« aufrecht. Einer ungewöhnlich langen Urkundenrolle ent-
stammt P. Rylands II 225 (1./2. Jahrh. n. Chr.), denn eine erhaltene
Kolumne trägt die Nummer 177; aber selbst wenn wir breite Kolumnen
von 20 cm voraussetzen, gelangen wir nur zu 35 m und brauchen nicht
zu glauben, die Rolle sei wesentlich länger gewesen. Daß man die Ko-
lumnen durch mehrere Aktenrollen durchgezählt habe, ist zwar möglich,
aber nach der gewöhnlichen |Art 'der Anführung xö|UO(; x KÖXXrjiua y
nicht eben wahrscheinlich.
Seite 45 ff.: Die Bemerkungen über die alex. Bibliothek sollen nur
dem Laien die nötigste Vorstellung geben. Zu den alex. Bibliothekaren
vgl. jetzt Oxy. X 1241. Einen Überblick über die erhaltenen Papyri
literarischen Inhalts habe ich in meiner Einführung in die Papyruskunde
Kap. 4 — 10 gegeben, ein vollständiges Verzeichnis (bis Juni 1918) ebenda
Kap. 20.
Seite $2: Beispiel einer Mischrolle: Hypereides, in Philippidem,
worauf der dritte Brief des Demosthenes folgt, Kenyon, Classical Texts.
Länge: Symposion P. Oxy. V 843. Isokrates Paneg. Oxy.
V 844. Anonymer Komm, zum Theaetet Berl. Klass. Texte II: das
erhaltene Stück ist gegen 6 m lang, das Ganze muß länger gewesen sein.
Eine amtliche Liste aus der Mitte des 2. Jahrh. n. Chr. hat 6 m; vorn
scheint nicht allzuviel zu fehlen. Sie läßt sich noch heute bequem hand-
haben. Der Osterbrief eines alex. Patriarchen aus dem Anfang des
8. Jahrh., dessen Länge feststeht, erreicht gegen 7 m. Die 120 Fuß
lange Homerrolle Constantins ist Prunkstück, kein Buch für den Gebrauch.
S c h u b a r t , Das Buch. 3. Aufl. 1 2
lyS Anhang.
Seite 53 ■ Diodor i6, Anfang: ^v Trdcraiq |U6V Tai(; iaropiKaiq
TrpaY|uaT€iai<; KaerjKei touc; öuYTpacpei? irepiXa^ßdveiv ^v xmc; ßiß\oi<;
Y\ iröXeuuv y\ ßaöiXduuv irpdEeK; amoxeXeXc, dir* äpxr\c, |uexpi toü t^Xou^.
Das bedeutet nicht etwa Zwang durch das Maß einer Normalrolle.
Seite 54: Orosius II, Ende: et quoniam über dicendi materia est,
quae nequaquam hoc concludi libro potest, hie praesentis voluminis
finis sit, ut in subsequentibus cetera persequamur. Isidor, Orig. 612:
quaedam genera hbrorum certis modulis conficiebantur; breviori forma
carmina atque epistulae; at vero historiae maiori modulo scribebantur,
Seite 55: Skolien Berl. Klass. -Texte V 2, 56. Enkomion auf Hermes
P. Oxy. VII 1015. Dichter von Aphrodito vgl. meine Einführung in
die Papyruskunde 145 f. und Berl. Klass. Texte V i. Epikedeia auf
einen Rhetor Berl. Klass. -Texte V i.
Seite 56 ff.: Formate z. B. Euripides, Hypsipyle Oxyrh. VI 852:
37,1 cm. Lit. Abhandlung Oxyrh. VII 1012: 33^2 cm. Piaton, Politikos
Oxyrh. X 1248: 3272 cm. Piaton, Symposion Oxyrh. V 843, Isokrates
Paneg. Oxyrh. V 844, Thukyd. Oxyrh. XI 1376, Hesiod, Kataloge, Berl.
Klass. Texte V i, 31: 31 cm. Piaton, Phaidon Oxyrh. VII 1016: 28 cm.
1017: 27^2 cm. Ilias-Scholien Oxyrh. VIII 1087: 24,3 cm. Hellenica
Oxyrh. Oxyrh. V 842: 21,2 cm (meistens Kaiserzeit). Homer, Hibeh 21 :
22,7 cm. 23: 19 cm. Eurip., Iph. Taur. Hibeh 24: 16,8 cm. Piaton,
Phaidon Petr. I: 21 cm. Eurip. Antiope Petr. I; 21 cm. Kalender
Hibeh 27: 16,8 cm. Rhetorik an Alex. Hibeh 26: 12,8 cm. Epicharm
Hibeh i: 16,9 cm. Komödie Hibeh 6: 12,7 cm (sämtlich 3. Jahrh.
V. Chr.). Skolien u. Elegie Berl. Klass. Texte V 2, 56: 25 cm (3. Jahrh.
V. Chr.). Epigrammrolle zu 5 cm: Berl. Klass.-Texte V i.
Seite 58: Da die Abbildungen der veröff. Papyri selten die volle
Höhe sehen lassen, kann man nur einen Teil sicher beurteilen. Wer
Publikationen zur Hand hat, findet die Beispiele selbst; für das häufige
Verhältnis 5/4 nenne ich Hell. Oxyrh. Oxy. V 842 (21 : 17 cm), Thukyd. -
Komm. Oxyrh. VI 853 (20 : 16 cm), Achilles Tatius Oxyrh. X 1250
(24 : 19 cm), Pindars Paeane siehe Oxyrh. V 841 (18 : 11,5 cm).
Seite 62: Ilias 3. 4. Kenyon, Classical Texts: 42 — 63 Zeilen in
der Kol. Satyros, Bioi Oxyrh. IX 1176.
Seite 63: Daß die Breite der aeXii; die Kolumne begrenze, meint
Crönert auf Grund seiner Beobachtungen an Herkul.-Rollen. Ohne zu
bestreiten, daß häufig Kolumne und cfeXi«; sich entsprechen, kann ich
nur sagen, daß in vielen andern Fällen die Schrift über die Klebung
hinweggeht. Daß Polyb. 5,33 nichts beweist, habe ich schon zu Seite 9
bemerkt.
Seite 64: Bes. lange Zeilen (d.h. bes. breite Kolumnen): z.B.
Schol. zu Ilias 2 Oxyrh. VIII 1086. Xenophon, Kyrupäd. Oxyrh. IV 697.
Cicero, de imp. Oxyrh. VIII 1097. An Buchstabenzahl, weniger an Breite
des Maßes gehören auch der Did;ymospap. (Berl. Klass.-Texte I) und
Hierokles (Berl. Klass. Texte IV) hierher. In Urkunden: Elefantine
Papyri ed. Rubensohn; Petrie Papyri. Unter den Briefen vgl. man den
Brief des Polykrates in den Petrie Pap. mit den Briefen der Kaiserzeit,
die in der Regel mehr hoch als breit sind. Beispiele für diese Erscheinun-
gen sind in meinen Papyri Graecae Berohnenses abgebildet.
Amthche Rollen z. B. Revenue Laws, Dikaiomata, Gnomon
Anmerkungen und Nachweise. lyn
des Idios Logos, große Rechnungen und Übersichten wie im i.
Bande der Tebtynispapyri, auch das in der Berliner Papyrusaus-
stellung ausgestellte Grundbuch (Rolle aus der Mitte des 2. Jahrh.
n. Chr.) unterliegen mehr den Gesetzen, die für die Buchrolle gelten.
Aber die Dikaiomata zeigen beträchtliche Ungleichheit der Kolumnen
im Zusammenhange mit dem Wechsel der Hände. Schmale Kolumnen
z. B. Isokr. Paneg. Oxyrh. V 844. Demosth. c. Boeot. Oxyrh. VIII 1093.
Antiphon uepi dXriGeiac; Oxyrh. XI 1364. Antiphon (Redner) Nicole,
L'apologie d'Antiphon, Genf iqoj. Satyros Oxyrh. IX 11 76. Mittel-
breite von 20 — 25 Bst. z. B. Symposion Oxyrh. V 843.
Seite 66: Zur metrischen Schreibung: Auf Vollständigkeit gehe ich
nicht aus, sondern gebe nur Beispiele. An Abbildungen gewinnt man am
besten eine Vorstellung. Der epische Vers z. B. Pap.Gr.Berol. 19 a — c.43b.
44a,b. Der dramatische Dialogvers ebenda 6c. na. 30a, b. 43a.
Skolien von Eleph. ebenda 3, Timotheos i. Das Gedicht »Des Mädchens
Klage« (Crusius, Herondas 5) setzt die unverkennbar vorhandenen Verse
nicht ab. Lehrreich ist ein noch unveröflf. Berliner Pap. aus dem 3. Jahrh.
V. Chr. im alkm. System (laudabunt alii, Horaz carm. I 7), der nicht
nach dem epischen, sondern erst nach dem alkm. Verse absetzt. Alkman,
Bergk 3, Pindar, vor allem Päane Oxyrh. V 841 (vgl. meine Einführung
Kap. 20). Alkaios und Sappho bes. Oxyrh. X 1231, 1232, 1233, 1234.
XI 1360. Berl. Klass. Texte V 2. Pap. Gr. Berol. 29 b. Kallimachos
SB. Berl. Akad. 1912 und 1914. Die Aitia Oxyrh. VII loii und ebenda
die Jamben fallen unter die allg. Regel über den epischen Vers und den
Trimeter. Korinna, Berl. Klass. V 2. Pap. Gr. Berol. 29 a (das metrisch
abgeteilte Gedicht). Anapäste, Berl. Klass. V 2. Pap. Gr. Berol. 11 b.
Kerkidas Oxyrh. VIII 1082. Euripides Hibeh 24, 25. Berl. Klass.
V 2. Pap. Gr. Berol. 4 b. Hypsipyle Oxyrh. VI 852. Sophokles
Ichneutai Oxyrh. IX 11 74. Achäervers. Berl. Klass. V 2. Pap. Gr.
Berol. 30 b. Eurip. Kreter Berl. Klass. V 2. Pap. Gr. Berol. 30 a.
Psalmen vgl. m. Einf. Kap. 20. Ausnahmen: Oxyrh. XI 1352, wo die
Gliederung innerhalb der Zeile durch Doppelpunkte bezeichnet wird.
Auch diese fehlen Rylands I 3. Ähnliches gilt von anderen poetischen
Büchern des AT. Das Beispiel der Psalmen bestätigt, daß man auch
spät noch dazu neigte, Verse wie Prosa zu schreiben, wenn man über
den Bau nicht recht Bescheid wußte.
Seite 69: Zur Schriftentwicklung, Buchschrift und Geschäfts-
schrift vgl. meine Einführung Kap. 2, bes. Seite 27 und die dort ange-
führten Werke. Ferner meinen Aufsatz: Fragen und Aufgaben der
Papyrusschriftkunde (Zeitschrift d. Deutschen Vereins für Buchwesen
und Schrifttum I Nr. 5/6. 1918). Zu den näher besprochenen Schrift-
typen vgl. Wilcken, Archiv für Papyrusforschung I 354 ff.
Seite 71: Von derselben Hand geschrieben sind folgende Paare:
Isokrates Paneg. — Thukyd. 7 (Oxyrh. V 844, X 1246). Kerkidas —
Thuk. 8 (Oxyrh. VII 1082, X 1247). Sophokles Ichneutai — Sophokles
Eurypylos (Oxyrh. IX 1174. 1175). Alkaios (Oxyrh. X 1233. Berl.
Klass. V 2; in diesem Falle vielleicht Stücke derselben Ausgabe). Proben
bes. schön geschriebener Buchrollen werden später genannt werden.
Diokletians Maximaltarif ed. Mommsen-Blümner, Berlin 1893.
Seite 72: Vgl. im allg. Birt, Die Buchrolle in der Kunst
197 ff.
12*
l8o Anhang.
Seite 7 4: Zeilenziffern in Pindars Päanen. Oxyrh. V 841: M und
N, nach Grenfell-Hunt = 1200 u. 1300; an das 40. und 50. Hundert
ist schwerlich zu denken. Hell. Oxyrh. Oxyrh. V 842: A wohl
= 400. Ilias I Ryl. I 44, bei Vers 500: E . ö = 200, t = 300, Berl. Klass.
Texte III II. Ferner stichometr. Zlahlen in den Ichneutai Oxyrh.
IX II 74; Kallimachos, Aitia u. lamboi Oxyrh. VII loii usw.
Seite yS: Die Summierung der Verse nach jedem Buche ist
bes. deutlich im Iliaskodex Morgan (v. Wilamowitz-Plaumann, S. B.
Berl. Ak. 1912, 1198). Der frühe Kodex steht darin der Rolle gleich.
Die angef. Summe unter Ilias 23 siehe Kenyon, Classical Texts. Homer-
texte mit Plus- und Minusversen namentlich aus ptol. Zeit, vgl. m. Ein-
führung 91.
Seite 77: Zu xö\xoc, und KÖ\\ri|aa vgl. Anm. zu Seite 9. Die
amtliche Aktenrolle aus Originalurkunden heißt tÖ,uo^ öUYKoX\riai)UUJV,
die Abschrift davon 6ipö|U€V0V, vgl. Preisigke, Fachwörter. Kolumnen
in der Buchrolle beziffert z. B. Oxyrh. III 412 (Julius Africanus), Oxyrh.
IV 657 (Hebräerbrief).
Seite 78: Die Kürzungen der Kursive findet man in vielen
Publikationen verzeichnet; sie sind von der Buchstaben verschlingung,
also der tatsächlichen, aber nicht beabsichtigten Kürzung wohl zu
unterscheiden. Am häufigsten erscheinen sie in Entwürfen, bes. in den
Urkunden aus Alexandreia BGU IV, vgl. Pap. Gr. Berol. 13. 14, ferner
21 a, 26 a, b. Für das Kürzungssystem der lit. Texte Berl. Klass. Texte
I und IV; vgl. Pap. Gr. Berol. 20.
Seite 80: Tax den sog. Nomina Sacra vgl. außer dem grundlegenden
Werke von Traube noch G. Rudberg, Neutestamentlicher Text und
Nomina Sacra. Die ältesten Handschriften zeigen die Kürzungen gar
nicht oder sparsam, z.B. die Philon-Handschrift Oxyrh. IX ii73,XIi356
(nur 0g und u<;). Genesis Oxyrh. VII 1007 (Gq, aber oivGpuuirog, irarrip).
Außer den angeführten Wörtern kommen noch vor, wohl nach Analogie
behandelt, |ur|Tr|p häufig und Kfiou = KÖa|Liou Oxyrh. VII 1008. Gekürzt
wird z. B. iraTrip in irrip, gen. irpc;, aiuxrip in auip, oupavög in ouvo<;,
(Xv6puü'iT0(; in avO(;. Einige Handschriften setzen, bestimmt durch die
jüdische Scheu vor der Anführung Gottes, statt KÜpioc; das sog. Tetra-
grammaton TTITTI, die griechische Nachmalung der hebräischen Buch-
staben rnn"" = Jahuh; Oxyrh. VII 1007 schreibt dafür ein Zeichen, das
vielleicht Doppel- Jota ist, als Anfang des Namens Jahuh, Jahwe. Vgl.
Wessely, Un nouveau fragment de la version grecque du Vieux Testament
par Aquila, in Melanges Chatelain. Ein unpubl. Perg. etwa 5./6. Jahrh.
n. Chr. hat Act. 4, 10 die Kürzung €cr+ UüCfare = ^aTaupujaaxe, also das
Kreuz (cfTaupö?) als Sigle. Im allg. vgl. Thompson, Palaeography 76 ff.
Der Hervorhebungsstrich gelegentlich im Trypbon-Papyrus, Kenyon,
Class. Texts. Sehr frühes Beispiel in einem Verhandlungsprotokoll des
2. Jahrh. n. Chr. Mitteis, Chrestomathie 91. Auch außerhalb bibl. und
Christi. Texte begegnet die Kürzung der nomina sacra, z. B. avov =
äveptUTTOV im Pap. Graecus Holmiensis, ed. Lagercrantz.
Worttrennung in lat. Texten, vgl. Sallust, Catilina Oxyrh. VI
884. In Urkunden Neigung zum Absetzen ^von Wörtern oder Wort-
gruppen, z. B. ^Pap. Graecae Berol. [6 a, 9 [a. Daneben Zerreißung der
Anmerkungen und Nachweise. l8i
Wörter ebenda 28 (.3 TUüveu xoiLiai 5Tr|?0uYa xpocjauxri«;)- Schulübung mit
Trennungsstrichen, deren Fehler besonders lehrreich sind, ausgestellt
im Schaukasten der Berliner Papyrusausstellung, s. Abb. 4.'
Seite 81 : Akzente. Ich kann hier auf das System, das einei gründ-
lichen Untersuchung bedarf, nicht eingehen; vgl. meine Einführung
59/60. Anschauung gibt z. B. Pap. Gr. Berol. 19 b, c, 29 a, 43 a. Beson-
ders reich akzentuiert sindOxyrh. II 223, Ilias 5 (ludra, daöXov, dqpveloq,
H6Taq)p^vuj, TTUKivai, KÖpuGöq xe, ttgXXujv xe, eibaiöc; xe, k\u9{ juoi).
Oxyrh. III 448, Odyssee 22, 23 (oTö^ xoi, k^ ttoGi, arjb' fj\u) wegen hy\\<xi !).
Ox>Th. IV 660. Paean. 661. Epoden. Oxyrh. I 22 Oidip. Tyr. Oxyrh.
VI 852. Eurip. Hypsipyle (xöHd xe). Oxyrh. VII 1015 Enkomion.
Berl. Klass. V 2 Korinna. Oxyrh. V 841 Pindar, Päane (cpiXr^aiax^qpavov,
q)ep6|nriXou(;, exene, xpöq)ov, 0d,uiva, dvnnTÖ? eim)- Diphthonge: xeXei?,
HÖiaaittK;. Oxyrh. VIII 1082 Kerkidas (iriiueXöaapKGqpaYUJv, oub^v iroKa)
WilamowitzSB. Berl. Ak. 1912, 524+ 1914,222+ Soc. Ital. 133 Kalli-
machos. Rylands I 53 Odyssee (biöxp^qp^«;, X^P<?i» XP^^^ov xe, ^a0f|xd xe.
Oxyrh. X 1231 Sappho. Bakchylides ed. Blass 4. Oxyrh. VIII 1099
Griech. Paraphrase zur Aeneis (concüssam — auvxivaYeicrav, lamentis
— KOirexoiq, quaesivit — e2r|xr|aev). Späte Beispiele Epikedeia und
Hellenist. Epos Berl. Klass. V. Der Akzent nach vorn gerückt Oxyrh.
II 221 Schol. Ilias 21 (Kol. I 3 ff. wird öx^ hr\ bemängelt). Spiritus in
Wortmitte Ryl. I 53 Odyssee (apYuporiXou, Ttpoxiocrcreo). Hellenist.
Epos Berl. Klass. V 67 (eqpeTexo, aiveXevr|<;).
Seite 84: Länge und Kürze z. B. Eurip. Hypsipyle Oxyrh. VI 852.
Pindar, Päane Oxyrh. V 841. Ilias 5 Oxyrh. II 223. Päan Oxyrh. IV
660 usw.; in Prosa Phaidon Oxyrh. II 229; u. a. Bindebogen Kerkidas
Oxyrb. VIII 1082 trotz den häufigen Zusammensetzungen nur einmal.
Hellenist. Epos Berl. Klass. V i öfters. Lat. Apex Oxyrh. I 30. Für
die lat. Papyri vgl. m. Einführung Kap. 20.
Seite 85: Vgl. Flock, de Graecorum interpunctionibus. Diss.
Greifswald 1908. öivuj und xdxuj axiY^H sowie die seltenere \iiar\ werden
auch in musterhaft schönen Papyri wie Oxyrh. VIII 1083 nicht klar
unterschieden. Doppelpunkt z. B. Des Mädchens Klage (Crusius,
Herodas 5), fast alle dramat. Texte, ferner in den sog. Anapästen (Berl.
Klass. V 2) zur Bezeichnung der Katalexe; in Prosa z.B. Symposion
Oxyrh. V 843. Phaidros Oxyrh. VII 1016. Thukyd. 5 Oxyrh. VI 880
u. a. Er vertritt die einfache Interpunktion Oxyrh. VIII 1078 Hebräer-
brief. Spatium z.B. Oxyrh. VII 1008, V 840, 842. Berl. Klass. V
Osterbrief. Paragraphos verb. mit kleinem Spatium, ohne Punkt
HellenikaOxyrh.OxyV842. Komm. Thukyd. Oxyrh. VI 853. Mit,Doppel-
punkt Sympos. Oxyrh. V 843, Strich in der Zeile, Paragraphos am
Anfang Eurip. Phaethon, Berl. Klass. V 2. Rhetor. Text Hibeh I 15.
Komma zur Worttrennung Kerkidas Oxyrh. VIII 1082. Koronis:
Pindars Päane Oxyrh. V 841 öfters nach jeder Strophe; in Prosa
nicht nur am Ende des Ganzen, sondern auch bei größerem Sinn-
abschnitte Sympos. Oxyrh. V 843. Hephaistion (cd. Gaisford) 133:
irapd |i^v xoi; XupiKoiq, dv \xiy |uovöaxpoq)ov xö ^a|ua fj, xaG' ^Kda-
xriv xiSexai öxp09i^v ^ irapdYpacpoc;, elxa ^ttI x^Xouq xoö qla|uaxo<;
f] K0pujvi<;. Meleager: Anthol. 12,257. Die angef. Beispiele sind nur
eine kleine Auswahl; Anschauung gewähren, wo Originale fehlen, die
Bilder in den Publikationen, und folgende Tafeln in den Pap. Gr.
l82 Anhang.
Berol. I (Vogel-Koronis) Paragraphos. 3 (Paragr.) 4 b (Koronis, Pa-
ragr.). 7 a (Paragr.). 11 a, b (Doppelp., Paragr.). 18 (Punkt, Paragr.).
19 a, b, c (Punkt, Paragr.). 20 (Punkt, Koronis). 29 a, b (Punkt, Pa-
ragr.). 30 a, b (Paragr., Kor.). 31 (Paragr.). 40 (Paragr., Spat.). 43 a, b
(Punkt). 50 (Punkt, Spat.).
Seite 86: Zitate z.B. Iliasscholien Oxyrh. III 418. Dagegen be-
ginnen in den Iliasscholien Oxyrh. VIII 1086 die Lemmata mitten in der
Zeile, nur manchmal mit Häkchen eingeleitet. Vgl. Pap. Gr. Berol. 31.
Zum Einrücken : ebenda 3, wo die Elegie eingerückt wird. 30 b Chorlied.
Seite Sy : Art und Regellosigkeit der Personenbezeichnung: z. B.
Eurip. Hypsipyle Oxyrh. VI 852. Sophokles Ichneutai Oxyrh. IX 1174.
Menander, namenthch die Handschrift in Cairo, siehe Körte, Menandrea ^.
Zur Bezeichnung des Chors ebenda in den Epitrepontes und der Peri-
keiromene. Posse von Oxyrh. Oxyrh. III 413, vgl. m. Einführung 138.
Homerpap. Oxyrh. II 223. Anschauung gibt Pap. Gr. Berol. 30 b.
Seite 8g: Szen, Bemerkungen: Posse Oxyrh. III 413, nach Rostrup
Exemplar ausgeschrieben.er Rollen! Soph. Ichneutai col. V 2 ^oTßboc;.
Aristophanes Oxyrh. XI 1371 KttG' ^auTÖv X^Y^i.
Seite 90 : Korrektur, gute Beispiele Aristoxenos Oxyrh. I9. Ilias
5 Oxyrh. II 223. Isokrates Paneg. Oxyrh. V 844. Piaton, Phaidon
Oxyrh. VII 1017. Vgl. Pap. Gr. Berol. 18 Kol. I Zeile 12. 19 c. 31.
43 a. Umgestaltung von Wörtern Kyrupädie Oxyrh. VII 1018. Ersatz
des TT durch 00 : Thukyd. Oxyrh. I 16. Einen besonderen Fall bildet
der ionische Text über die Belagerung von Rhodos (v. Hiller, Sitz.-
Ber. Berl. Ak. 1918, 752 ff.), der, von roher Hand geschrieben, unge-
wöhnlich stark durchkorrigiert ist. Wahrscheinhch liegt nicht ein Rest
einer wirkhchen Buchrolle, sondern ein Aufsatz vor, den der Verf.
selbst durchgearbeitet hat. Korrekturen sind in Urk. und Briefen sehr
häufig, vgl. Pap. Gr. Berol. 13, 14 (von zweiter Hand).
Seite 9J; Anmerkungen, Scholien. Kritische Zeichen z. B, Pindar
Oxyrh. V 841. Korinna Berl. Klass. V 2. Eurip. Hypsipyle Oxyrh. VI
852. Ilias 2 Tebt i 4. Ilias 5 Oxyrh. II 223. Ilias 6 Oxyrh. III 445. Ilias
24 Ryl. I 51. Varianten: Pindar Oxyrh. V 841 z. B. Zri(vöboToq), 0^(ujv)
usw., daneben einfach Yp(dq)eTai). Soph. Ichneutai Oxyrh. IX 1174
Berufung auf O^iuv. Epikedeia, Berl. Klass. V i. Reich mit Scholien
ausgestattet sind z. B. Korinna, Pindars Päane, Soph. Ichneutai, Ker-
kidas Oxyrh. VIII 1082, Alkaios Oxyrh. X 1234. Eurip. Hypsipyle
Oxyrh. VI 852. Aristophanes Oxyrh. XI 1371. Kallimachos Wilamo-
witz SB. Berl. Ak. 191 2 u. 1914. Prosa z. B. Xenophon Hell. Oxyrh.
I 28. Vgl. im allg. m. Einführung 60. Kommentare vgl. ebenda Kapitel
IX und in Kapitel XX unter Homer. Dort auch Homer-Wörter-
bücher. Anschauung geben für Kolumnenüberschrift Pap. Gr. Berol. 20,
Randscholien 29 a, 43 a; noch besser die Tafeln zu Pindars Päanen
und zu Kallimachos, siehe oben.
Seite 97 : Zu Poseidonax vgl. Crönert, Lit. Zentralblatt 1907, 1313.
Ammonios Oxyrh. II 221. Mikrylos Berl. Klass. II 53/4.
Seite 98: Titel. Xenophon, Kyrup. Oxyrh. IV 697. Aristarch
Komm. Herod. Amh. II 12. Symposion Oxyrh. V 843 TTXciTaivoc;
ZuiLiTTÖölov. Kerkidas Oxyrh. VIII 1082 KepKiba Kvvöq [^e]\ia)ußoi.
Herakl. Lembos Oxyrh. XI 1367 ['H]paK\e(bou toO [IJapaTriuJvoc;
Anmerkungen und Nachweise. 183
^Tr[i]To,ur| TiJüv 'Ep.uiTTTTOu irepi vojnoeeTtuv Kai ^[irjTd öocpujv Kai [TT]u-
Gayöpou. Choirilos Oxyrh. XI 1399 XoipiXou Troir)|uaTa ßapßapiKd
MTibiK(d) 7T€pa[iKd]. Enkomion auf Hermes Oxyrh. VII 1015. Satyros
Ox\rh. IX 1176 larupou ßiuuv dvaYpacpfj(; c, AiaxuXou loqpoKX^ouc;
EupiTTibou. Sappho Oxyrh. X 1231 ,ue\Ouv a XH^^I^^ (1320 Verse, ge-
schrieben im altattischen Ziffernsystem). Africanus Oxyrh. III 412:
'louXiou AqppiKavoö Keaxö? iy\. Didymos (P. Gr. Berol. 20) Aib6,uou
Ttepi ArjuoaGevouc; kti OiXnnriKUJv f- ö ttoWüjv (b ävhpec, ÄGrivaToi
i Kai CTToubaia vouiliuv id öxi u^v (h dvbpe^ ÄörivaToi cJ)iXi-rrTro^ iß
irepi luev xoö Trapövrog. Vgl. m. Einführung 163 ff., wo Literatur.
Ich nehme jetzt an, daß über Kr\ der Ordinalstrich fehlt, die Rolle also
als 28. bezeichnet, nicht das Gesamtwerk auf 28 Bücher berechnet
wird. So auch Wilcken Hermes 55,324- Ilias Morgan ed. Plaumann-Wila-
mowitz, SB. Berl. Ak. 1912, 1198. Tryphons Techne ed. Blass. Techne
des Eudoxos in den Pariser Papyri. Anfangstitel Hierokles, Berl. Klass.
IV MepOKX^ouc fiOiKri aTOixeiuüaiq. Epitome zu Theopomp, Philipp. 47
OeoTTÖUTTOU [ct)iXnnnKU»v }iZ] (Erg. zw.) Kratinos, Dionysalexandros
Oxyrh. IV 663.
Seite 10 j: Teiltitel. In Pindars Päanen steht am 1. Rande, vor den;
6. Gedichte: AeX(poT<; eic, TTuOiIj, also eine Bezeichnung, die bei Pindar
(01\Tnp. usw.) allgemein üblich geworden, aber streng genommen kern
Titel ist. Kallimachosbuch Oxyrh. VIII loii KaXXifidxou [AiTi]iJUV b,
darunter KaXXi|adxou "laufßoi]. Vgl. auch den Nonnoskodex Berl.
Klass. V I. Isokrateskodex Oxyrh. VIII 1096 hat hinter Paneg. und
vordePace: TravnT^piKÖc;, darunter -rrepiTficseiprivric;. Basileios-Exzerpte,
Berl. Klass. VI: Inhaltsüberschriften der einzelnen Auszüge stehen über
der Seite; ein Kreuz bezeichnet die Stellen, der die Fassung der Über-
schrift entlehnt ist. Leipziger Psalmen Heinrici, Die Leipziger Papyrus-
fragm. d. Ps. Lpzg. 1903. Subscriptio z. B. Demosthenes, De cor.
Ryl. I 58: uTT^p KTTiai(pujvTO<; irepi xoO axeqpdvou. Dann [eOJxuxuJc;
rui Tpdi|>avx[i] Kai [Xa]^ßdvov[xi] Kai dvaYivuuaKOvxi. Christliches Gebet in
den Freer-Gospels, am Schlüsse des Markus-Ev. Man vgl. damit die
inschriftl. Proskynemata, bes. Preisigke, Sammelbuch 1018: xö irpocTKU-
vnua MdpKOu Avxiüveiou OOdXevxo? iirir^o? aireipri? d Orißaiuuv iiriri-
Kf|q xOpurjc; KaXuaxiavoö Kai xüiv dbeXcpOüv Kai xoO iirirou Kai xwv
auxoö irdvxujv Kai xiJuv (peiXövxujv auxöv irdvxuuv Kai xoö Ypdijiavxoq
Kai xoö dva-feivujaKovxoc; irapd 6euj lueYeicrxuj MavbouXei ariiuepov,
In d'raOiJ», Kupiiu MavboOXei.
Seite 104: Sillybos: Sophron Oxyrh. II 301. Bakchylides Oxyrh.
VIII 1091 BaKXuXibou Al6upa|aßoi. Auch ein Sillybos einer Akten-
rolle ist erhalten, 4 y 30,5 cm: 6L Oöeoiraaiavoö |uvr||aoviKiJuv |uriv(ö(;)
N^ou Zeßaaxoö dvx(xo|U(ov) Oxyrh. II381. Zu index-iudex Martial i, 53.
Seite 105: frons, frontes, cornua unendlich oft behandelt, scheinen
bei der vorgetragenen Deutung allem zu entsprechen, was von ihnen
gesagt wird. Vgl. Tibull III i, u pumex ei canas tondeat ante comas.
Doppelstirn Martial III 2 cedro nunc licet ambules perunctus / et frontis
gemino decens honore. Ovid, Tristia I 1,8 Candida nee nigra cornua
fronte geras. 1,11 nee fragili geminae poliuntur pumice frontes. Auch
der schwierige Ausdruck bei Tibull a.a.O. inter geminas pingantur
cornua frontes wird verständlich, denn der Rollenstab, hier als cornua
bezeichnet, lag innen in der Rolle, also mitten zwischen den beiden
184 Anhang.
Außenflächen, frontes (vgl. Martial 11, 107, wo es von der Rolle heißt
explicitur usquae ad sua cornua). Die Stele von Thyateira (Wiegand,
Athen. Mitt. 191 1, 291 ff.) zeigt die Rolle, deren Anfang aufgeschlagen
ist, und einen Rollenstab, der nur an einem, Ende herausragt; ein solcher
war ebenso möglich wie der doppelt gehörnte. Die Stele richtig gedeutet
von Gardthausen, Paläogr. P 144. Birt, Buchrolle in der Kunst 236
versteht uiiter cornua die Endblätter, unter frontes die beiden Schnitt-
flächen der geschlossenen Rolle.
Seite 106: Rollenstab. Daß er lose in der Rolle steckte, hat Birt,
Buchrolle in der Kunst 232, mit Recht betont. Vgl. Tibull III i,n
lutea sed niveum involvat membrana libellum / pumex ei canas tondeat
ante comas / summaque praetexat tenuis fastigia chartae / indicet ut
nomen littera facta tuum (Sillybos) / atque inter geminas pingantur
cornua frontes / sie etenim comptum raittere oportet opus. Martial III 2
cedro nunc licet ambules perunctus / et frontis gemino decens honore /
pictis luxurieris umbilicis / et te purpurea delicata velet / et cocco
rubeat superbus index. Vgl. Ovid, Tristia I i. Lukian, adv. indoctum 7 :
ÖTTÖTav TÖ |u^v ßißXiov ^v Tf) X^^P^ ^X^C TrctTKaXov, iropqpupäv ju^v
?XOV Tr]v biqpG^pav, XP'Jcroöv b^ töv ö|uqpa\öv. Der Rollenstab ist wohl
auch in dem ptol. Postbuche Wilcken Chrest. 435 mit dem unerklärten
äHiov gemeint, das ich in dH(öv)iov verbessern möchte, wofern es nicht
aus äSuuv verlesen ist. Hier werden Briefe offenbar ineinander gerollt,
wie es auch bei naehreren der kleinen Texte aus Elefantine geschah,
wo eine Rolle die Gesamtaufschrift ^TriaroXal trägt (Eleph. -Papyri ed.
Rubensohn). Vgl. BGU III 891, II 15 ff. usw. Einen Stab, der an der
Rolle befestigt ist, setzt Heron, Autom. 269 voraus, bei einem sehr
langen, nicht zum Schreiben benutzten Ballen.
Seite loy : Pergamenthülle vielleicht auch vom Apostel Paulus ad
Timoth. II 4, 13 gemeint. Vgl. oben Tibull usw. Verschnürte Rollen
Eleph. Papyri; Sachau, Aram. Papyri. Schreiben des Sub. Aquila P.
Gr. Berol. 35, wo aber der Pergamentstreifen nicht mit abgebildet
ist; Alex.Osterbrief Berl. Klass. VI.
Seite 108: Unter den erhaltenen lit. Papyri zeichnen sich durch
bes. schöne Schrift aus: Isokrates Paneg. Oxyrh. V 844. Schrift über
Vorzeichen Oxyrh. VI 885. Lit. Abhandlung Oxyrh. VII 1012. Piaton
Phaidon Oxyrh. VII 1017. Kerkidas Oxyrh. VIII 1082. Satyrdran^a
Oxyrh. VIII 1083. Hesiod, Kataloge, Berl. Klass. V i, 28; aber ihre
sonstige Ausstattung ist nicht mehr kenntlich. Konstantinische Per-
gamentrolle Zonaras 14, 2-
Illustr. Eukleides P. Fay. 9. Oxyrh. I 29. Math. Papyri: Chicago
Lit. Papyri 3 (P. Ayer) P. Soc. Ital. III 186. Anatl. Berichte aus d.
Kgl. Kunstslgn. 191 5/16, 161. Naturgeschichtlich: De Johnson, A botani-
cal Papyrus with illustr. (Arch. f. Gesch. d. Naturwiss. u. d. Technik
4,403); man vergleiche den Dioskorides. Bilder der Verfasser: Seneca,
De tranqu. 9, 7. Martial 14, 186. Im allg. vgl. die Josuarolle. Zur
Trajanssäule und Markussäule Th. Birt, Die Buchrolle in der Kunst
296 ff. Landkarte: Properz IV 3,350.
Seite HO: Th. Birt, Die Buchrolle in der Kunst, bringt viel wert-
volle Beobachtungen an einer Fülle von Darstellungen, will aber in
vielen Einzelzügen viel zu viel herauslesen und muß daher mit großer
Vorsicht benutzt werden. Auf jeden Fall aber ist das Buch unent-
Anmerkungen und Nachweise. 185
behrlich, wenn man eine lebendige Anschauung gewinnen will. Daß der
Leser höchstens 4 Kolumnen vor sich hatte, darf man wohl den Codices,
die aufgeschlagen 4 Spalten zeigen, entnehmen. Auch der Ägypter las
öfters auf dem Stuhle sitzend, wie z. B. die Imhotep-Statuetten zeigen;
die heutige Sitte der Orientalen ist nicht maßgebend, da sie den Stuhl
von Hause aus nicht kennen. Zum Rollen vgl. Martial 1,66; dazu Birt
a. a. O. 115.
Seite 112: Vgl. im allg. m. Einführung Kap. V und 373 ff.
Seite 113: Die Heftform deutlich bei Quintilian I. 0. X 3,31 illa
quoque minora (sed nihil in studiis parvum est) non sunt transeunda:
scribi optime ceris, in quibus facillima est ratio delendi, nisi forte visus
jnfirmior membranarum potius usum ex'get, quae ut iuvant aciem, ita
crebra relatione, quoad intinguntur calami, morantur manum et cogita-
tionis impetum frangunt. relinquendae autem in utrolibet genere contra
erunt vacuae tabellae, in quibus libera adiciendo sit excursio. Die leere
Gegenseite beweist die Heftform.
Seite 114: Ascon. in Mil. 29. F. Zucker versteht, wie er mir
schreibt, unter den Codices librariorum Holztafeln. Ilias in nuce Plin.
n. h. 7, 85. Reisebücher Martial I 2.
Seite 115: Zu den Neujahrsgeschenken (Apophoreta): Martial XIV.
Gardthausen, Paläographie * I 98, behauptet, gerade die Membran-
bücher enthielten die großen Werke, die Papyrusbücher dagegen nur
Einzelschriften. Das ist im allg. richtig, aber Martials Worte zeigen,
daß eben jene großen Werke in kleinen Umfang zusammengedrängt,
also erst recht unscheinbare Ausgaben waren. Birt, Buchrolle in der
Kunst 31, betont mit Recht, es seien meistens Schulbücher. Wichtig
sind G. A. Gerhards Ausführungen über den Kodex (Gerhard und
Gradenwitz, Ein neuer Jurist. Papyrus der Heidelb. Univ. Bibl. 1903).
Neratius Priscus und Cassius Longinus bei Ulpian Dig.
32,52. Birt a.a.O. 20 Anm« 3 versteht unter membranae Entwürfe,
ebenso Zucker (brieflich), [der axebiujv bei Plinius vergleicht, womit
Sammel- und Exzerptwerke gemeint seien. Gerhard sieht im Titel
membranae die Bestätigung des Pergamentkodex. Paullus Sent. HI 6, 51.
Seite 117: Kreter Berl. Klass. Texte V 2, P. Gr. Berol. 30 a. Meine
frühere Datierung auf das i. Jahrh. hat Hunt, Oxyrh. VH i mit Recht
angefochten; das 2. Jahrh. glaube ich verteidigen zu können. Die
Ähnlichkeit mit Oxyrh. I 16 (Tafel IV), das Grenfell-Hunt vermutungs-
weise ins I. Jahrh. n. Chr. setzen, scheint mir unbestreitbar. Frühe
Codices z. B. Genesis Oxyrh. IV 656 (Pap.), Titus-Brief Ryl. I 5 (Pap.),
Hesiod, Theogonie Oxyrh. VI 873 (Pap.), Genesis Oxyrh. VII 1007
(Perg.), Exodus Oxyrh. VIII 1074 (Pap.). Dies letzte dürfte eher ins
2. als ins 3. Jahrh. gehören, ebenso Oxyrh. IV 656.
Seite 120: Logia Jesu Oxyrh. IV 654. Über den Unterschied von
Brief und Epistel im NT. Deißmann, Licht vom Osten > 166 ff. Deiß-
mann, Paulus 5 ff. (Tübingen 191 1). Näher darauf einzugehen, ist hier
nicht der Ort. Zum AT. vgl. die Aquila-Übersetzung, bes. das Bruch-
stück, das Wessely in den M^langes Chatelain 1910 mitgeteilt hat.
Seite 123: Alex. Weltchronik: Bauer und Strzygowski, Dcnkschr.
d. Wiener Akad. LI (1905). Über Rolle und Kodex in der Hand
heiliger Personen Birt Buchrolle in der Kunst. Allzu oft wird das
l86 Anhang.^
Inventar der Dorfkirche von Ibion (P. Grenfell II iii, 5./6. Jahrh.
n. Chr.) mit seinen ßißXia bep|LidTi(va) Ka 6|Lioi(i]u<;) x^pTia t als Zeuge
angerufen; der Bestand einer Dorfkirche, der klein ist und vom Zufall
abhängt, kann uns wenig lehren.
Basil. epist. 395 TÖ irepi toö Trvei)|LiaTO(; ßißXiov yeTpaTTTai
f-iev fifiiv Kai lieip^aorm ibq auxöc; oTba^ ' dTrooTeiXai be Iv X^^P'^Vl T^TP«!^-
la^vov dKOuXuödv ^e ol ,ueT' <uoü otbeXqpoi eirrövrec; TiapäTr\<; euYeveiac; aou
^vtoXck; ^X^^"^ ^v aujjuaTiuj Ypdniai. Der Gegensatz zeigt, daß mit xdpTr|<;
nicht nur Papyrus, sondern die Rolle gemeint ist. Auch Ausonius spricht
öfters unverkennbar von der Papyrusrolle; aber Apollin. Sidonius ergibt,
daß auf die Ausdrücke volumen und codex damals kein Verlaß mehr ist.
Amm. Marcell. 29, i, 41 berichtet vom Jahre 371 n. Chr.: deinde congesti
innumeri Codices et acervi voluminum multi sub conspectu iudicum
concremati sunt, also gab es beide in Menge. Hieron. epist. 141: quam
(bibhothecam) ex parte corruptam Acacius dehinc et Euzoius eiusdem
ecclesiae sacerdotes in membranis instaurare conati sunt.
Seite 124: Äg. Funde: z.B. Odyssee Rylands I 53 (3-/4. Jahrh.).
Ihas 2 — 4 (Harris) Class. Texts. Rückseite Tryphons Techne. Xeno-
phon, Kyrup. Oxyrh. IV 697. Eurip. Melanippe Berl. Klass. V 2.
Vergil Aeneis Oxyrh. 131- Aristophanes Berl. Klass. V2 usw. Gene-
siskodex d. Preuß. Staatsbibl. noch nicht veröffentlicht.
Seite I2y : Schonungsstreifen aus Pergament im Papyrusbuche
eingeheftet z.B. Philon-Kodex Oxyrh. IX 1173.
Seite 128: Gefalteter Bogen: Kairener Menander, siehe Körte,
Menandrea 2. Odyssee, Rylands I 53, wo aber Abweichungen vor-
kommen: the sheets are normally so arranged, that the recto (flesh-side)
and verso (hair-side) lie uppermost alternately, the recto of one leaf
thus facing the recto of the next; the arrangement is however sometimes
disturbed. Vgl. auch R. Gregory, Comptes Rendus 1885 IV t. 13 p. 261.
Die Lagen sind bekannt unter den Namen binio, ternio, quaternio usw.
Aristophanes Berl. Klass. V 2.
Seite J29 ; Bücher in einer Lage z. B. Ilias Morgan, um 300 n. Chr.,
enthielt 11 — 16. Chemischer Papyrus: Lagercrantz, Pap. Graecus Hol-
miensi^s (7 Doppelblätter, 28 Seiten, vollständig). Koptisch: der i.
Clemensbrief ed. C Schmidt, der dort Seite 7 andere Beispiele nennt.
Bes. lehrreich ein kopt. Kodex der Preuß. Staatsbibliothek, der nach
H. Ibscher 40 Vollblätter zu je 4 Seiten enthält.
Seite 130 : Kleinste Formate z. B. Berl. P. 9778 Genesis 3./4. Jahrh.
5,5 X 7 cm. P. 10 585 koptisch, 7,5 X 6,5 cm. Oxyrh. V 840 Unkan.
Ev. 4. Jahrh., 8,8 X 7,4 cm. Rylands I 28 irepi Tra\|uüjv 4. Jahrh.,
7,5 X 6,6 cm. Oxyrh. VII loio Ezra-Apokal. 4. Jahrh., 8,4 X 5,6 cm-
Höhe = Breite (es kommt nur auf annähernde, dem Auge so erschei-
nende Gleichheit an), z.B. Berlin P, 5013. Thessal. 2. 4. Jahr!.,
16 X 16 cm. de Ricci, Melanges Chatelain Cicero pro Plancio 5.? Jahrh.,
14X12 cm. Berlin P. 9287 kopt. 16 X 14 cm. P. 8100 kopt. 18,5 X 16 cm.
P. 1862 kopt. 15 x13 cm. P. 10586 kopt., 15,5 X 14 cm. Oxyrh. VI
849 Acta Petri Anf. 4. Jalrh. 9,8 X 9 cm. Berl. Klass. V i Epikedeia
4. Jahrh., 24 X 22 cm. Eurip. Hippol., 26 X 23 cm. Berl. P, 9917
Grammatisch 29 X 27 cm. Breite = halber Höhe Oxyrh. III 449 Eurip.
Andrem. 3. Jahrh., 28 X 14 cm. Kairo, unpubl. Demosthenes 17,5 X
8 cm. Wilamowitz-Plaumann, SB. Berl. Ak. 1912, Ilias Morgan, um
Anmerkungen und Nachweise. 187
300 n.Chr. 14 X 27 cm. Soc. Ital. III 251 Galaterbrief, 12 X 7 cn^.
Pap. Holm. ed. Lagercrantz, Chemiebuch, 4. Jahrh. 17 X 29 cm. Ver-
hältnis 3/2: Henry A. Sanders, The New Testament Manuscripts in
the Freer Collection I New York 1912, Evangelien 20,8 X 14,3 cm. Paulin.
Briefe 16,5 X 11,2 cm. Freer Psalmen 32,7x24 cm. Körte Menandrea:
Kairener Menander 30 x18 cm. Berl. Klass.Vl Basileios-Exc. 22X15,5
cm. Soc.-Ital. 1 2 Lukasev., 15x11 cm. Rylands I 53 Odyssee (3./4. Jahrh.),
16,8 X 13 cm. Berl. Klass. V 2 Eurip. Kreter, 2. Jahrh., 14,5 X 11,5 cm.
Berlin P. 13230 Homer 27,5 X 17,5 cm. 13 262 Homer 31 X 22 cm.
Berl. Klass. V 2 Aristophanes, 36 X 25 cm. V i Nonnos, 40 X 28 cm.
Verh. 5/4 z. B. Freer Deuteron. 30,1 X 25,9 cm usw. Die letzteren
nähern sich fürs Auge dem quadratischen Verh.
Seite 134: Verh. der Seite etwa gleich dem der Kol., z. B. Eurip.
Kreter, wo die Kol. ungefähr 10 X 7Y2 cm hat, /vgl. Pap. Gr. Berol. 30 a.
Cicero, pro Plancio, Kol. 8x8 cm, Seite 14,5 X 12 cm.
Seite 135: Mehrere Kol. auf der Seite, z.B. Thukyd., Nicole,
Textes grecs inedits de la Collection Papyrol. de Geneve 2. Oxyrh.
VII 1007. Auch Zucker meint, daß hier die Rolle nachgewirkt habe.
Bibelhandschrift Vaticanus 3 Kol., vgl. Lietzmann, Specimina Codicum
Graecorum i. Der Sinaiticus hat 4 Kol.
Seite 136: Liniierung im Kodex häufiger als in der Rolle; senkrecht
und wagerecht, z. B. im Odysseebuche Rylands I 53. Seitenzähliing
selten regelmäßig, im Kairener Menander vom Korrektor begonnen,
aber nicht durchgeführt; in der eben genannten Odyssee fehlt sie; dafür
steht auf jeder rechten Seite oben die Buchziffer.
Seite 13g: Titel. Harris-Homer: t^Xgc; ^xe\ 'IXictboc; ß. Nonnos,
Berl. Klass. V i rlXoq ToO ib iroirmaToq tOuv [Aiovuaia]Ku)v [Nö]v-
vou TTofinToö TToJvoTToXiTOU. u\^ (Stichenzahl) öpxil to[u] Te TTOirmaTO?
TUiv AiovuaiaKUJV Növvo[u] TroiriT(oO). Tryphon: Tpucpujvos t^xvt] Tpa,u-
uaTiKr|. ^um Vorbilde der ausfuhr!. Unterschrift vgl. Anm. zu Seite
103. Erste Seite leer, heute Schmutztitel. Ilias Morgan z. B. 'l\idbo(;
Stichenzahl, darunter N, eingerahmt und verziert. Zum Kallimachos
vgl. Anm. zu Seite 103. Freer, Deut. u. Josua hat am Anfange Aeuxe-
povö|üiiov, Odyssee Rylands I 53 am Anfang und Ende die Buchziffer,
ohne Stichenzahl. Eurip.SkironAmh.il 17. Andromache Oxyrh. III 449,
mitten auf der Seite ^f^[(Jl^ Avbpo)Lidxri?] ; die zunächst sehr gewagt
scheinende Ergänzung wird durch Stellung und Raum gestützt.
Seile 140: Illustration. Thompson p. 32 f. zählt illustr. Codices
auf. Alex. Weltchronik ed. Bauer-Strzygowski. Initialen schon Oxyrh.
V 840 unkan. Ev. Web vor lagen : Amtl. Berichte aus d. Kgl. Kunst-
samml. 1908, 294.
Seite 142: Einband. Gardthausen I*, 174 ff. Einband von
H. Ibscher hergestellt und beschrieben, Archiv f. Buchbinderei 191 1,
113 ff. Femer vgl. C. Schmidt, der i. Clemensbrief (Texte und Unter-
suchungen z. Gesch. d. altchristl. Lit. 32, i). Freer siehe Sanders, The
New Testament Manuscripts, New York 1912.
Seite 143: H. Ibscher bemerkt zu einem kopt. Pap. -Kodex der
Berliner Staatsbibliothek, die Blätter des Buchblocks seien in der Mitte
um 4 cm schmäler als die äußeren, die Ränder der Seiten dagegen seien
durchweg gleich breit, während die Breite der Schriftkoli mnen nach der
l88 Anhang-.
Mitte zu abnehme. In diesem Falle hat daher der Schreiber in den
fertig gehefteten Kodex, der eine einzige Lage bildete, geschrieben.
Mehrere Schreiber tätig z.B. am, Philon-Kodex Oxyrh. IX 1173, XI
1356. Lagenzifiern auch zitiert, z. B. Z!riT€i dq ty]-v dpxrjv toO xerpa-
biou (quaternio). Zur Buchschrift vgl. S. 690 und die Lit. der dortigen
Anm.
Seite 147: Zur Überheferung des Epos vgl. Wilamowitz, Die Ilias
und Homer, Berlin 1916. Einleitung.
Seite 148 : Hermodoros vertreibt Piatons Dialoge CAF III incert.
269: XÖYOiaiv 'EpjuöbuupO(; djuiropeueTai.
Seite 150: Piaton, Apologie 26 D: ä ^Heaxiv ^vioxe, €1 irdvu iroX-
XoO, bpaxun«; ^K xf|(; öpxnaxpac; irpiaiuevoi? usw. An sich wäre ein
Buchladen in der Orchestra denkbar. Xenophon Anab. VII, 5: dv-
xau6a etjpiaKovxo iroWal faev KXTvai, -rroWd b^ Kißdixia, iroWai hi ßißXoi
YeTpawiA^vai Kai xotWa iroWdöaadv ?u\ivoicxeOxeaivauK\r|poidYou(Jiv.
Strabon XIII 609 über die unzuverlässigen Exemplare von
Schriften des Aristoteles und Theophrast im Buchhandel.
Seite 151: Atticus: Usener, Gott. Gel. Nachr. 1892,181 £E. A. gab
auch die Klassiker heraus; ÄxxiKiavd dirÖYpaqpa des Demosthenes,
Aischines, Piaton standen in Ansehen. Selbstverlag: Birt, Rh. Mus.
72, Verlag u. Schriftstellereinnahmen im Altertum.
Seite 152: Horaz, Ep. II 3,345. Martal 1,117, ^S» 3- ^^ erwägen
ist in manchen Fällen auch der Kommissionsverlag, wobei der Schrift-
steller die Kosten trägt und der Verleger gegen einen Anteil am Gewinn
die Herstellung vermittelt und den Vertrieb besorgt.
Seite 154: Cicero ad Attic. 12,6,3 (er hatte Eupolis und Aristo-
phanes verwechselt).
Seite 155: Marti al I 117.
Seite isy : Äg. Schreiber nach Diktat: Birt, Buchrolle in der Kunst
S. 12, Abb. 12.
Seite 158: Pindars Päane Oxyrh. V 841; auch bei den Hellenika
von Oxyrh., Oxyrh. V 842, zwei Hände, die in der Interpunktion ab-
weichen. Ist die Anordnung der Bruchstücke richtig (siehe die An-
merkung der Herausgeber S. 114), so wechseln die Schreiber ab. Dikaio-
mata, herausg. v. d. Graeca Halensis, Berlin 19 13 mit Abb. Mit der
eigentl. Vervielfältigung hat nichts zu tun, was Euseb. h. e. VI 23 von
Origenes erzählt: sein Freund Ambrosius drängte ihn, seine Reden zu
veröffentlichen, und sorgte für alle Hilfen: xaxuTpdcpoi ydp auxuj
irXeiouc; fj d-rrxd xöv dpiGiuöv Trapf|aav uiraYopeuovxi, xpovoi«; xexaT-
\xivo\c, dXXriXouc; d|ueißovxe<; ßißXioYpdqpoi xe oüx r|xxou^ djua Kai
KÖpai^ e-rti x6 KaXXiypacpeiv ficTKrmevaK; usw. Zwei Werke des-
selben Verlags wohl Hell. Epos und Epikedeia, Berl. Klass. V i. Lehr-
vertrag, Wilcken Chr. 140, betrifft Tachygraphie und kommt für
Buchschrift nur unter Vorbehalt in Betracht.
Seite 159: Cicero, ad Attic. 12,6,3, 16,6,4. E. Norden, Aus
Ciceros Werkstatt, S. B. Berl. Akad, 1913 I, bes. S. 5/6 und 11/12.
Martial 7, i.
Seite 160 : Erneuerung der römischen Bestände in Alexandreia:
Sueton, Domit. 20.
Anmerkungen und Nachweise. 189
Seite 161 : Auf derselben Rolle: Hypereides und Demosthenes
siehe Kenyon, Hyperidis Orationes et Fragmenta. Oxford 1906. Blass-
Jensen, H}-peridis orationes 1917. Exodus und Apokalypse Oxyrh.
VIII 1075, 1079- Isishymnus und Bios des Imuthes Oxyrh. XI 1380,
1381. Laterculi Alexandrini ed. Diels, Abh. Berl. Ak. 1904, vorher ein
noch unveröff. Stück des Alexanderromans, und Paraphrase eines
Demeter-Persephone-Gedichts, Berl. Klass. V i, beide etwa i. Jahrh.
V. Chr. Lysias Hibeh I 14 — Anthologie Hibeh I 7. Didymos Berl.
Klass. I — Hierokles Berl. Klass. IV. Ilias i Rylands I 43 — Astron.
Rylands I 27. Hesiod Erga Oxyrh. VIII 1090 — Mathem. noch nicht
publ. Liviusepitome Oxyrh. IV 668 — Hebräerbrief Oxyrh. IV 657.
Seite 16 J-: Lit. Texte auf Verse von Urkunden: mehrere Rollen
zusammengeklebt für Komm, zu Thuk. 2 Oxyrh. VI 853, ebenso für den
Gnomon des Idios Logos, BGU V i. Für PindarsPäane Oxyrh. V 841 wurde
eine Rolle horizontal und vertikal zerschnitten. Ferner : Hellenika Oxyrh.
V 842. Euripides Hypsipyle Oxyrh. VI 852. Lit. Abh. Oxyrh. VII
1012. Piaton Phaidros Oxyrh. VII 1016. Xenophon Kyrup. Oxyrh.
VII 1018. Alex. Chronik Oxyrh. VIII 1089. Euripides, Phönissen
Oxyrh. IX 1177. Hesiod Kataloge Oxyrh. XI 1358. Roman Oxyrh.
XI 1368. Isokrates Demon. P. 8935. Hesiods Kataloge Berl. Klass. Vi
(Pap. Gr. Berol. 19 a). Ninosroman P. Gr. Berol. 18 usw. Darunter
befinden sich besonders schöne Handschriften, wie der zuletzt genannte
Hesiod, femer Oxyrh. VII 1012, V 841. Daß man an Texte auf Verso
von Urkunden so viel Sorgfalt wandte, spricht stark für ihre Ent-
stehung und Verwendung im Buchhandel. Nicht wenige Texte auf
Rekto mit leerer Rückseite bleiben weit hinter jenen zurück.^
Seite 165: Rand und Rückseite der Rolle ausgenutzt: Juvenal,
1,4 ff. Die Papyri zeigen, abgesehen von Verbesserungen und Scholien,
fast immer freie Ränder; anders bei Briefen, vgl. z. B. P. Gr. Berol. 28.
Martial 8,62: scribit in aversa Picens epigrammata Charta / et dolet
averso quod facit illa deo.
Über Bibliotheken hier nur ein paar Bemerkungen; vgl. Gercke-
Norden, Einleitung in die Altertumswissenschaft I ' 6 ff. Poland,
öff. Bibliotheken in Griechenland und Kleinasien (Histor. Untersuchun-
gen für E. Förstemann, Leipzig 1894). Cagnat, Les Bibhotheques
municipales dans l'empire Romain. 1906. Birt, Die Buchrolle in der
Kunst 244 ff . Bücherei des Euthydemos: Xenophon, Memor. 4, 2,10.
Klearchos von Herakleia F. H. G. III 527. Seneca, De tranqu. 9,4.
Seite 166: Handschriften des Demosthenes: Lukian, adv. indoct.4,
eine nicht leicht deutbare Stelle. Plinius, n. h. 13, n. Galen, ad Hipp.
12 p. 2. Gellius 2, 3.
Lukian adv. indoct. 1/2; ebenda 15 tö AiaxOXou ttuH(ov,
e{(; ö ^Keivoq l^pa\\i£.
Seite 168: Ptol. Philad. Athenäus I 3 a, b. Hell. u. lat. Bibl. in
Rom: Dittenberger, Or. Gr. II 679. Jerusalem: Julius Africanus Oxyrh.
III 412 Iv T6 TOK (ipxeioK Tf|<; <ipX«^a? TrfalTp(bo? KoXujv€[ia](; [A]{-
Xia<; KaTnTUjX€ivTi<; xf)? TTa\aiaT€{vr)[<;] Kdv Nüar) Tf|<; Kapiac; }Jilxpi hi
Toö Tpi<;KaibeKdTou ^v 'PiJb.uT) Trpö(; xaic; 'AXeEdvbpou 6€p|Liai<; ^v t^
^v TTaveeiuj ßißXioeriKr) x^ KaXf|, r^v aOxö? fjpxixeKXÖvnaa xij>
leßaaxCu. 'Polyb. XII '27, 4.
190 Anhang.
Seite i6g: Bücherlisten auf Papyrus: Wilcken Chrest. 155. P.
Flor. III 371, 15 ff. Über die Lit. Papyri und ihre Bedeutung vgl. meine
Einführung. Kap. 4 und Kap. 17. Übersicht Kap. 20.
Seite 170 : P. Tebt II 414, 16 Tctc; Kiffxac; tujv xapxapiujv. In Krügen
z. B. die Elefantine-Papyri, in Körben öfters in Oxyrhynchos. In Teb-
tynis fand man Krokodilmumien mit Rollen ausgestopft. Steinkasten
AiO(;KOupibr|(; y tÖ|uoi de Ricci, Bull. Soc. Arch. Alex. 11,350. Im
allg. Birt, Die Buchrolle in der Kunst 248. Bibliothek = Archiv, vgl.
bes. die ^YKTr|(JeiJüv ßißXloGriKr] in Ägypten; ihre Ausmalung bei Preisigke,
Girowesen 454 ff., entbehrt der sicheren Grundlage. Auch der Kosten-
anschlag für ihren Bau, Bell, Arch. f. Pap. VI 102, besagt nichts.
Nachtrag zu Seite 8 : Edgar, Selected Papyri from the archives
of Zenon (Annales du Serv. d. Antiqu. 1919) Nr. 9 (3. Jahrh. v. Chr.)
Xdpxa^ ^YboOvai irevTTiKOvxa kö\\ov(; v ; das sind 50 Rollen zu je
50 »Klebungen« d. h. Blättern (creXibeO« Nach dem Durchschnitte
berechnet waren sie rund 10 m lang.
VERZEICHNIS DER ABBILDUNGEN.
Seite
Abb. I. Arabische Schrift in Seide auf Leinwand gestickt 3
2. Vogeljagd im Papyrussumpf, Relief 4
3. Griechisches Ostrakon P. 12 319. Auslese poetischer
Sprüche, Sitz.-Ber. Berl. Ak. 1918, 742 14
4. Geweißte Holztafel, enthaltend llias 2, 147-162 am Schluß
das Datum der Schularbeit (Papyrusausstellung) 23
5. Neun verbundene Wachstafeln, Ubungsbeft eines Schülers
Amtl. Berichte aus den Kgl. Kunstsammlungen 191 3,
Spalte 210 ff. (Papyrusausstellung) 24
6. Wachstafel; Schülerabschrift der Elegie eines Poseidippos,
vgl. Papyri Graecae Berolinenses 17 (Papyrusausstellung) 25
7. Bleitafel: Liebeszauber, Amtl. Berichte 1913/14, Spal'te
203 ff. (Papyrusausstellung) 27
8. Schreiberpalette. Kalamos. Drei Griffel. Zweiteiliges
Tintenfaß für schwarze und rote Tinte. (Papyrusaus-
stellung; der verzierte Griffel und das Tintenfaß im
Antiquarium) 29
9. Stele aus Thyateira: Beutel mit Schreibrohren und Pa-
pyrusrolle 30
10. Ägypter mit Schreibgerät, Holzrelief 31
11. Papyrusrolle als hieroglyphisches Schriftzeichen nach
G. Möllers Schrifttafeln 36
12. Aus dem Timotheospapyrus, vgl. v. Wilamowitz, Timo-
theos, Die Perser. Leipzig 1903 (Papyrusausstellung) . 39
1 3. Papyrusrollen 48
14. Zum Lesen geöffnete Rolle, 6 m lang (Papyrusausstellung) 53
15. Versiegelte Urkundenrollen des 3. Jahrh. v. Chr. aus
Elefantine, vgl. Elephantine-Papyri Seite 6ff... 55
16. Aus einem Kommentare zu Piatons Theaitetos, Berl.
Klassikertexte II (Papyrussaustellung) 61
17. Bruchstück aus Sophokles, Achäerversammlung, Berl.
Klass. Texte V 2 (Papyrusausstellung) 68
18. Aus einer Homerrolle mit Lesezeichen, Berl, Klass. Texte
V I (Papyrusausstellung) 82
19. Geschichtserzählung in ionischer Mundart, vermutlich Ms.
d. Vf.; v. Hiller, Aus der Belagerung von Rhodos, Sitz.-
Ber. Berl. Akad. 1918, 752 (Papyrusausstellung) 91
20. Aus Pindars Päanen, Text mit Scholien. Oxyrhynchos
Papyri V 841 Tafel II 96
21. Schluß von Piatons Symposion mit Titel, Oxyrhynchos
Papyri V, 843 Tafel VI 99
102 Verzeichnis der Abbildungen.
Abb. 22. Schluß der Didymosrolle mit Titel, Berl. Klass. Texte I
(Papyrusausstellung) loi
23. Stele aus Thyateira, Rolle mit gebogenem Rollenstabe . 106
24. Euripides, Kreter, Seite aus einem Pergamentbuche.
Berl. Klass. Texte V 2 (Papyrusausstellung) 118
25. Schluß des Markus-Evangeliums, Pergamentbuch Kodex
Freer 0 121
26. Demosthenes, irepi tujv (yu)Li|LiopiUJV, mit Schlußtitel, Per-
gamentbuch, Cairo 125
27. Zusammensetzung des Kodex, schematische Zeichnungen 127
28. Ilias 12 Ende und Ilias 13 Anfang, Seite aus dem Pa-
pyruskodex Morgan, Sitz.-Ber. Berl. Ak. 1912, 1198 ... 132
29. Federzeichnung auf Papyrus (Papyrusausstellung) 135
30. Mathematische Figuren im Kommentar zu Piatons Theai-
tetos (Papyrusausstellung) 137
31. Farbiges Webe- oder Stickmuster auf Papyrus (Papyrus-
ausstellung) 138
32. Farbiges Webemuster auf Papyrus (Papyrusausstellung) 141
33. Bucheinband, nach dem Originale ergänzt und ge-
zeichnet von H. Ibscher (Papyrusausstellung) 142
34. Bucheinband 143
35. Imhotep mit der Papyrusrolle, ägypt. Statuette (Papyrus-
ausstellung) 149
36. Der Schreibende mit der Wachstafel. Durisvase. Furt-
wängler Katalog 2285 (Antiquarium) 153
37. Der Lesende mit der Rolle. Durisvase, siehe 36 156
38. Der Lesende mit der Rolle, auf deren Innenseite der
Name des Euripides steht ') Terrakotta (Antiquarium) 161
„ 39. Grabstein eines Mädchens, mit Buchrolle und Lesepults) 167
1) Etwa 5. Jahrh. n. Chr. Titel: €uaYT^^iov Kard MäpKOV.
Unterschrift: xpi<?T^ äyie ov luexa toO bouXou aou Ti|uo0^ou f Kai
TrdvTtuv Tiijv auxoO f
2) abgeb. bei Wendland, Die hellenistisch-römische Kultur *-3
(1912) Tafel III 7, besprochen ebenda S. 421, wo in der Anm. Zahns
Vermutung, die Aufschrift 6upiTribr|(; bezeichne den Leser, angeführt
wird; Zahn erbhckt jetzt darin den Inhalt der Rolle.
3) Unterschrift: Äßeixa lr]aaoa iTY] i }Jir\vaq hvw. xaipexe.
SACHREGISTER.
Aktenbände 114.
Akzente 81, 136.
Alexandrei a 41, 42, 45, 46, 47,
49, 160.
Alexandrinische Bibliothek
17, 38, 44, 46, 47, 48, 49. 50.
51» 52, 53, 56, 65.
Alexandrinische Gelehrte68,
94, 95-
Anmerkungen 93.
Apex 84.
Apostroph 85.
Archive 170.
Baumbast 2.
biblidion 34.
Bibliothek76, 150, 163, 165, 168.
— in Caesarea 124.
— in Pergamon 19, 21, 46, 47, 170.
— in Rom 160.
siehe auch alexandrinisch.
Biblos 32.
Binse 10, 28.
Blatthöhe 56.
Brief 10, 20, 22, 26, 34, 54, 64,
71, 81, 85, 107, 120, 122.
Buch
— Einband 142.
— Einteilung 43, 51.
— Namen 32.
— Preise 76, 135.
— Schrift 69, 78, 136.
Bücherbehälter 170.
Buchhandel 148.
Buchladen 150, 155.
Bühnenanweisungen 89.
byblion 33.
byblos 2, 15, 32, 33.
chartes 34.
Christliche Texte 80, 119.
Datierung 72, 133.
Dialogische Gliederung 87.
diphtherai 15, 21, 32, 34, 35, 37.
Einzelblatt 55.
Schubart, Da« Buch 2. Aufl.
Etruskisch 2.
Faltung 12S.
Geschäftsschrift 71.
Grammata 34.
Herkulanum-Papyri 13, 75, 79,
97, 98, 102, 168.
Illustration 108, 140.
Initialen 141.
Interpunktion 85.
Italisches Buchwesen 2, 44.
Juristische Literatur 115.
Kalamus 10, 28.
Kallimachos 44, 48.
Kodex 17, 27, 34, 103.
— Formate 130.
— Funde 117.
« — Papyrus- 119, 129, 130.
— Pergament- 75.
— Schrift 144.
j — Zusammensetzung 126.
! Kollema 77.
Kolumne 39, 41, 58, 60.
Koptische Literatur 124.
Koronis 86, 103.
Korrektur 90, 154, 158.
Kritische Zeichen 94.
I Kursive 71, 78.
Kürzungen 78.
Kylindros 34.
LateinischePapyrushand-
schriften 80, 117.
Leder 18.
— Urkunden aus Kurdistan 18.
— Rolle 19, 44.
— Buch 37.
Leinene Bücher 2.
Lesezeichen 80, 136.
Lcukoma 26.
libellus 34.
Über 2, 32, 33.
«3
194
Sachregister.
Logos 34.
Luxusbücher 31, 44, .93, 107,
108, 159.
Makulatur 12.
Membranen 20, 21, 35, 115.
Metallgriffel 24.
Metrische Schreibung 66.
Museion 46, 47.
Opus 34.
Palette 28.
Palimpsestum 22.
Palmblätter 2.
Papier 22, 11 1.
Papyru s
— die ältesten 38, 57, 62.
— außerhalb Ägyptens 13, 15.
— Erhaltung 12.
— Fabriken 9, 51.
— Farbe 6.
— Formate 8.
— Funde 36, 45, 52, 55.
— Kartonnage 12, 13.
— Klebung 9, 51.
— Kodex 119, 129, 130.
■ — Monopol 17.
• — Pflanze 4, 32.
— Preise 16.
— Rolle 9, 37, 44, 45, 49, 75.
— Sorten 7.
— Technische Bearbeitung 5.
— Umfang der Fabrikation 16.
Paragraphos 85.
Pergament 18, 19, 21, 35.
— Blatt 20.
— Kodex 17, 75, 113.
— Rolle 19, 109.
— Seiten 21.
— Wert 21.
Pinakes 170.
Pliniu s 4, 9.
Privatabschrift 42, 160.
Protokoll 17.
Rekto II, 129.
Rolle
— Äußere Ausstattung 104.
— Formate 51, 58.
— Handhabung 109.
— Länge 43, 51, 52.
Rubrum 31.
Sammler 165.
Scholien 94.
Schreiber 32, 42, 50, 62, 71, 72,
90, 142, 144, 157.
Schreibtafel 23.
— Bleitafel 28.
— Elfenbeintafei 23.
— zum Heft zusammengefügt 23.
— Holztafel 23.
— Schultafel 26.
— Wachstafel 24, 121.
Schreibzeug 28.
— ägyptisches 46.
Schutzblatt 10, 102.
Seitenzählung 136.
Sillybos 104.
Sortimentsbuchhändler 152,
154.
Spiritus 81, 84.
Stilus 30.
Subskription 103.
Syngramma 34.
teuchos 33. '
Thorarollen 18.
Timotheuspapyrus 38, 57, 60,
64, 65, 66, 86, 100.
Tinte 22, 30.
— goldne 20, 31.
— Purpur 31.
— rote 141,
— silberne 31.
lironische Noten 79.
Titel 40, 43, 48, 98, 139.
tomos 34, 77-
Tonscherbe = Ostrakon 14.
Überschriften 31.
Varro 2.
Verleger 150, 154.
Verso II, 129.
Vervielfältigung 37, 157.
Zaubertexte 80.
Zeile
— Hexameter- 64, 65 74.
— Länge 63.
— Normal- 64.
— Zahl 60.
— Zählung 72.
Zitate 77, 86.
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