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Das Deutfd^e Drama.
Das
(ßrunÖ3ügc feiner 21eftt^etif
Son
Carl meitbrecftt
IT/
»Harmonie <
Ocrlagsgcfcllfc^aft für £itcratur unb Kunfl
Lettin W. 8.
1900.
:illc Hcd?tc,
bcfonbcrs bas bcr Ucbcrfc^ung, Dorbct|aItcn.
(Einleitung,
■id)t 5um crftcnmal, aber tuiebcr eimnat finb
bte äftl^cttfc^en Segriffe, im befonberen bie
S3egriffe öom ®rama, in ein ftarfeä @c^h)anfen, um
nicf)t 5U fagen in Übeln SBirrwarr geraten. S9ei ben
5)eutfc!^en toenigftenS, unb haä gereid^t if)nen an unb
für fiel) nid)t einmol §ur ©c^anbe: beffer t)ie unb ha ein*
mal ein menig SDurd^einanber al§ ein 5at)meä unb
faulet 3?erliegen inftarren^unftüberlieferungen. Xamit
liat'g freilid) bei ung !eine gro^e ©efa^r, e^ liefee
fic^ fogar in mand^er §inftc^t bebauern, ha^ ttjir gu
n)enig fefte ^unftüberlieferungen mel)r ^aben — ober
bafe mir folc^e nod) nic^t ^aben. 2)ag beutfd^e S)rama
inäbefonbere ift öerpltnigmä^ig nod) gu jung unb
ber ©eutfc^e, njenn er bid^tet unb benft, liebt
gu fe[)r feine greil)ett, al^ t>a^ fid^ in ^eutfc^lanb
ein einigermaßen feftftet)enber bramaturgifc^er 9?egel*
fobej t)ätte bilben lönnen, etnja tt)ie in granlreid^.
1
Hud^ \>a^ i[t an fid^ fein ©d^abe; aber tt)enn bann
allemal bie 3^^ten fommen, ha ein ©ejd^tec^t bon
!J)eutfd^en glaubt, n^ieber bei ber ©rfc^affung ber 2öelt
beginnen, bie Äunft unb 5Ie[tf)etif ganj neu erfinben
gu muffen, bann pflegt e§ eine ßeit lang fet)r bunt unb
frauö tierjuge^en unb bie 53egripöern}irrungen unb
©efrfjmacEööerirrungen greifen bei ben ©c^affenbcn,
bei ber Äriti! unb beim ^ubtitum in üerljeerenber
SSeife um fic^. (£ö wirb bann Qq'ü, ba§ h)enigfteng
bie 5(eftf)eti! fi^ frage, ob e§ benn nid^t boc^ etma^
gefteS gebe, bo§ nicfjt erft erfunben n)erben muffe,
fonbern nur gefunben unb gefef)en unb feftgefteüt
merben bürfe, bamit ber eingeriffene SBirrn:)arr fid>
lieber einigermaßen lid^te — njenn aud) nur bei benen,
bie ftrf) nodE) ein 93ebürfnig nad) feftcn ©tanbpunften
unb 30?oßftöben gen)af)rt ^aben.
SDaß njir unö ettt)a feit gttpei Sat)r5et)nten lieber
in biefem ^aße befinben, unb baJB ha^ inöbefonbere
auf ha§ beutfd)e ®rama gutrifft, n)irb !ein rut)iger
95eobac£)ter unferer mobernen ß^f^^"^^ ^" 3(brebe
5ie{)en. Unfere ©romatüer toiffen faft augnat)m§toö
nic^t mef)r, hja§ fie njoßen, fo feft oud§ öiele eine
ßeit lang auf ha§i fd^on njieber nioctelige ®ogma be^
9^aturati§mu§ gefd^njoren t)aben. ^ie gangbare
Äriti! unb Dramaturgie njeiß ebenfo Wenig ober nod)
njeniger, ttjag fie toxU] fie treibt fteuerloö in ben
ßeitftrömungen mit, aud^ ttienn fie nid^t ööüig in
— 3 —
Sicportertum unb li)tcflameltjc[cn ücrfommcn ift. S)aÄ
ÖroJ3c "ipublifum üoIlcnbsJ ivci^ gor nid)t mc[)r, tuo
eö bran ift; cö läfjt firf) Dom augcnblicflicf)cn Xl^cotcrs
crfolc^, unb fei bicfcr nod) fo plump ober fünfttirf)
c\emacljt, balb bal)in balb bortljin )d)leppcn, (o^t ficf)
Don ber fogenannten Ä'ritif ()cutc taii unb morgen
jeneg cinbtafen, l)5rt t)ie unb ba einmal etnjQ^ läuten
non neuen, Derl^ei^ungdOoHen, mit aßem 33eralteten
aufräumcnben Xl)eorieen in ber 9(cftl)etif unb
Dramaturgie, ift f)eute tjingeriffen unb mirb morgen
ftu^ig, mirb ober im gangen üor eitel innerer
Unftd)erl)eitnal;e5ut)erbrie§lid)unb gleic^giltig. (Srnfter
©ebitbete öerfpüren unb geigen etttjoö n)ie 5(bneigung
gegen baö ^t)eater unb übertragen fie auf ha§i Drama
felbft, Ujiffen aber öielfac^ aud^ md£)t red^t, toarum,
unb Ijaben eine bunfle 5I^nung baoon, ha'^ i^nen
bod) ha§> eigentticf)e Urteil, ein rt)ol)lbegrünbeter
(5tanbpun!t in @oc^en beä Dramaö fel)lt. 9Sir finb
eben in Deutfd)tanb noc^ giemlic^ ttjeit baoon entfernt,
für ha^ Drama ein ^ublüum mit einigermaßen
fidljerem ©efdimad gu i)aben — ©efc^mad im (Sinne
einer Urteilgfäl)ig!eit, bie auf inftinftiü geworbenem
fad)lic^en ä^erftänbnig berul)t; unb fo ^at ha§ beutfc^e
^ublifum no^ btutttjenig ©inftu^ auf bie ©ntmidlung
unferer bramatifdjen ^unft, eg ift bem belieben unb
bem (SJefc^äftSbetrieb ber 2^f)eaterleiter, ben ^erum*
taftenben SSerfud^en ber Dramatifer, bem Ijoltlofen
— 4 —
®ef(i)lüä^ ber 5^age^5fritif unb bcm Särm Heiner aber
umtriebiger Parteien unb gro^ftäbtifc^er ^rentieren*
befudjer toel^rloö preisgegeben. Unb \)od) fönnte ein
urteiI^fäJ)igereg ^ublifum öon grünb(i(f)er ©ebilbeten
gn^ar !ein gro^e^ !5)rama fc^affen, n}cnn bie brama*
tifd)en 2)id^ter ba^u fel)(en, aber eö fönnte burd)
nac^brüdlic^e 5(ufmuntcrung unb Hbleljnung eine
fd)ärfere ©onberung förbern Reifen grtifd^en bem,
tt)a^ njirflid^e bramatifd^e Ä^unft unb bem, Joaö nur
btenbenbe (Sdjeinbramatif unb äu^erlid^ tt)eatralifd)e
Sl^erjerrung be§ 2)ramatifd§en ift. S)aö märe möglid),
menn bie tiefer ©ebilbeten fid) nid^t entmeber mürrifc^
öom Xl)eoter gurüdgögen ober fid) auf ben üblichen
ma^ftabtofen SD^einungSauStaufc^ beim S3ier ober ^§ee
befdjränften, mobei feiner ben anbern überzeugt ober
öom anbern lernt, med man über bie einfad^ften
grunbtegenben ^Begriffe nid)t !Iar unb einig ift; menn
man fic!^ üielmel)r gerabe in biefen Greifen bemüt)te,
über baö Söefen beS S)ramatifd)en, feine natürlii^en
SebenSgefe^e unb SebenSbebingungen, feine 2öir!ungsJs
unb S)arfteIIunggmitteI fic^ einige grunbfä^tid^e
Älar^eit gu berfd)affen, alfo eine äufammenpngenbe
öft^etifd) ' bramaturgif^e @r!enntni§ gu geminnen.
Wlan braucht baju fein ^ad^mann gu merben, meber
in miffenfc^aftlid^er 5teftf)etif nod§ in :pra!tifd)er
93üt)nen!unbe; mo^t aber mu^ man bem meit*
öerbreiteten SBaf)n ben 5(bfd^ieb geben, ba§ man in
— 5 —
fofcfjcn !I)in(^cn ßar nirfjtö crnftt)Qft 5U fernen brauche,
haf? bniS brnmntur(^iirf)c ii^crftänbni'S jcbcm angeboren
fei über bafj einige iürocfen ©diulluciüsljeit auö ber
l'iternturftunbe, bafe namentlid) ein geiuot)nl)cit0«
nuif^igeiji 3nötl)eatertnufen unb Ärititenlefcn flenüge,
um ben 3[l(en)d)en ber bramQti[d)en Äunft gegenüber
urteiIüJfäl)ig 5U mad)en.
'^cx fdjiuerfte ^Jrrtum, in bem bie bromntifdjen
'^ieuerung'Siierfud)e ber legten Saljr^el^nte befangen
maren, n^ar ber, man fd^affc ein neucsj ®rama, ha^
!5)roma ber ßufunft, lucnn man nur einfadj bie öor*
I)anbenen bromatifd)en formen für überlebt erfläre,
fie milltürlid^ fprenge. !5)a man aber bod) fofort cttoa^
an bie ©teile feigen mu^te, fo griff man o()ne 33cfinnen
nad) ben Sarftellungöformen be§ naturaliftifdjen
9?omane§ mit feinen ßuftanbö* unb 93cilieufd)ilbes
rungen, ben man foeben bei gran^ofen unb Muffen
5u beiDunbern angefangen f)atte, unb impfte biefe bem
®rama auf; ober man bemüf)te fid^, bie gon§ inbi«
nibucEe, in getuiffen Segietjungen jener 9?omantecl^nif
üertüanbte bramatifd)e ^ec^nif be^o ©fanbinaöierö
tsbfen nad)5uat)men unb in ha^ beutfd^e 2)rama ein*
5ufüf)ren. 'äi^ fic^ mit ber Qdt I)erau§fteEte, njie
n}cnig babet für ha§> S)rama alö 2)rama f)eraugfomme,
taftete man njieber nad^ ben üerad^teten älteren formen
berum, o^ne bod) ben Wut gu finben, mit ber Xf)eorie
he^i S'Joturaligmug grunbfä^lic^ ju brechen — unb fo
— 6 —
finb toix je|t glüdttd^ bal^tn ge!ommen, ha^ bte öer*
metntlid^ übertüunbene ©eid^tig!eit unb ^Iattf)eit be^
9}2obebrama!g ber [tebgtger Satire t^re glorreid^e 5tuf«
er[tef)ung auf ber beutfc^en 93üt)ne fd^etnt fetern §u
JroHen.
(£^ tftfd^nell gefagt: toir muffen ein neueö S)rama
t)aben, ba^ bt^^erige ift öeraltet! ©in n)irflid^ neueö
SDrama !ann einer S^Jation nur burd^ einen neuen
grojsen £eben^get;alt gefd^affen njerben, njenn biefer
reif genug ift, um in mocf)töonen bic^terifcf)en
^erföntic£)teiten fünftterifd^e ©eftalt gu geminnen.
Ob fid§ bann biefer ®et)att aud^ ungeahnte neue
formen fd^affen mirb, barüber ift §um borauS gar*
nid)tg 5u fagen ; e§ ift möglid^, ha'^ ha§> gefd^ief)t, eä
ift aber ebenfo gut möglid^, ja ma^rfd)eintid^er, ha'^
ein neuer ©e^alt ^xoax ältere Slunftformen umprägen,
ermeitern, öertiefen, ertjötjen mirb, hafi er aber öor-
l^anbene formen infomeit ru{)ig meiterbenu^en mirb,
als fie bem befonberen Sßefen ber bramatifd^en Äunft
entfpred^en unb fidt) in ber ßntmidlung biefer ^unft
auf bem befonberen 95oben einer Station a(§ angemeffen
unb mirfunggüolt erprobt f)aben. Senen neuen Sebenä-
get)alt befi^en mir aber ^ur ß^^t nod) nid^t in bem
erforbertid^en ' 9?eifegrab, er ift beftenfaßg im alt«
mät)tid§en 3Berben unb Sleifen begriffen, menn audt)
in giemtidj anberer SBeife, aU bie lauten §eroIbe ber
„SD'Joberne" in ben testen Satjr^etjnten meinten unb
— 7 —
ucrfünbii^ten. S[t er einmal imftanbc, ein neueö,
groöcö 2)rama auö fid) Ijerüoräutrciben, fo lüerben
fid) auc^ etiuoige neue formen üon fcIDft geben.
Sn^luifdjen gilt e8 nid)t, mit bem S^ort)anbencn in
ben %aQ l)inein aufzuräumen, fonbern eö gilt, fid)
bariiber flar 3U ujerben, toa^ ettua an bem Sl^or«
Ijanbencn bauernb, tueil tocfentIt(^, ba^ f^eifjt im pfl)d)o«
Iogifd);äftt)etifdjen SBefen ber bramatifdjen Äunft be«
grünbct ift. Unb l)iefür liegt aU Unterfud)ung«J«
matetial nid)t ein 5U grünbenbeiS 2)rama ber ßufunft
uor, fonbern ha^ 2)rama auf ber (Jntmidlung^ftufe,
bie e!^ tt)atfäd)lid} unter ben Sebingungen feinet
Söefenö unb SSerben^ bi§ je|;t erreid)t t)at. 2)iefe8
2)roma fid^ barauf ongufetjen, toaß e^ tion ben all*
gemeinen Sebeuf^bebingungen unb Sebenögefe^en ber
bramatifc^en Äunft offenbart, tt)ie ujeit ha§ gen^iffen
allgemeineren unb befonberen pft)C^ologifd)en unb
öftljetifdjen St^atfad)en unb ©efe^en entfpric^t unb in
it)nen begrünbet ift; biefe 23egrünbung Dielletc^t anberig
unb fd)ärfer Ijerauäguftelten, aU e^ etma bisher ge«
fd)etjen ift, aber o{)ne bie @ud)t, fc^led;tl)in 9^eueö
unb 9^iebagemefeneg gum 93orfd)ein gu bringen —
t)a§ allein fann jur 3eit bie 3tufgabe einer äftl)etifd)en
3)ramaturgie, einer 5teftt)eti! beö 2)rama§ fein.
5)amit ift aud) fd^on angebeutet, n)eld^eä n^iffen*
fc^aftlid)e ^erfat)ren I)ier ©rfolg öerfprec^en !ann.
3Kit bloßer Siteraturpt)ilologie ift ba nic^t^ §u madjen
— 8 —
— fd^on begtüegen ntd^t, tüeit ber ©egenftanb ber
Unterfucfiung nid)t 6Io^ bte bramattfc^e Siteratur ift,
ntc^t blo^ ba§ S)rama, tüte eö in S3üd^ern al§ ein Xl)eil
ber aEgenieinen Siteratut üorliegt. (£)§ ^anbett [ic^
öielmel)r um baö 5Dr am a, foferne^alS lebenbige
Äunft unb Äunftübung im Seben ber Station
öort)anben unb mirfjam ift, gefd^affen mirb öon
bramatifrfien jDirfjtern, aU ©piel üorgefüt)rt n)irb mit
|)ilfe ber ©d^aufpielfunft unb fo eine ganj beftimmte
5Irt öon äftf)etifd)em Sntereffe medt unb befrtcbigt.
2)em lö^t [i(^ nur beifommen burd^ ha§> pf^c[)o(ogiftf)*
Qftt)etijd^e SSerfat)ren, beffen fid) überl)aupt bie gegen*
märtige Steftl^etif in erfter Sinie bebient, unb — gur
(Srgängung unb Kontrolle — burc^ äftl^etifc^sfritifd^e
93etrad§tung ber t)ort)anbenen bramatifd^en ^unftmerfe
fomie burtf) ßrmägung ber tt)atfäd)Iid[;en 93ebingungen,
unter benen ha§> bramatifd^e ©piel auf ber ©d^au*
büljne ftet)t. jDieUnterfud^ung ^at alfo i^ren5(u§gangö«
punh gu netjmen öon ber boppelten §rage: tt)eld^e^
finb bie SSirfungen im @inn öon pf^d^obgifd^en
SSorgängen, bie mir erfa^rungggemäjg öon bem
em|)fangen, maö ber ©prad;gebraud^ mit einiger
Uebereinftimmung ai§> bramatifd^e Äunft begeid^net?
— unb fobann: mit meldfjen Äunftmitteln merben
biefe 2öir!ungen erhielt, in erfter Sinie öon bem
©d^öpfer beö bramatifd)en ^unftmer!ö, in gmeiter
Sinie öon ber ©arfteEung biefe^ Äunftmerfe im t^at*
— 9 —
[ncf)lid)cn ©piol? ^nci ?(itnc 511 faffcn finb n(fo
ciiuTJcitci bio pfijdjoloflifdjcn 3[^or(^än(jc unb ^-^uftänbe,
iuclri)c fid) in bcr ©ccle bcffcn ooU^icljcn unb üorfinben,
bcr bac( bramQti[d)c i^'unftiücrf aufnimmt, be^ 3"*
fdjnuor^, beS ^^ublifumsJ; bie ganj bcfonbcrc 5(rt bcö
äftl)etifd)on Sntcrcffcii, boö mir flcrabc am bramati)d)en
ilunftmcrf im llntcr)d)iob üon allen anbeten nel)men.
^(nbercrieitfii l)anbelt eci fid) um bie (Srtenntniä beffen,
mefd)e befonberen 5Q?ittel unb Söegc bcm bramatifc^cn
Stünftler, bcm fdjaffenben unb aud) bem nac^fd)affcnbcn,
5ur 33erfügun(\ ftef)cn, maö er leiften fann aber aud^
leiftcn mu§, bamit jcne^ Sntercffe befriebigt merbe,
jene S3ürgänge ober SBirfungen fid) mirflid^ üoü*
5iel)en unb Qftl)etifd)e Suftmerte abmerfen. ^aö
SiJJaterioI gu biefen Unterfudjungen ift un^ gugängtid)
t()eiB in ber ©elbftbeobad^tung, tnbem mir un^ aU
^ublifum betradjten unb beobachten unb bie^ ergangen
unb nod)prüfen burd^ bie 93eobad)tung anberer, ber
(SJefamt{)eit beö ^ublifumö; tf)ei(g aber geminnen mir
ha^ 9J?ateria( au§ ber Setrad^tung ber bramatifd)en
SlunftmerJe, meldte erfal)rungögemä§ jene SSirfungen
erzeugen, in meldten jene Äunftmittel angemanbt öor*
liegen. 9^ur ha'^ biefe Äunftmerfe nid^t a(ö bIo§e
Siteraturergeugniffe gu betrad^ten finb, fonbern a(^
©egenftänbe ber S(nfd§auung einer beftimmten 3(rt
üon lebenbigem fünftlerifc^em ©piel. 5mmert)in ift
biefeö ©piel nur infomeit in 93etrad^t gu gießen, aU
10
in it)m getüiffe SebenöBebingungen für bog bramatifrfie
Äunj'ttt}er! fetbft liegen unb aU eö fetbft njieber burc^
bie 33efonbert)eiten beö 3)ramatifcl)en bebingt mxh
— nic^t aber jottjeit, ha'^ aud) bie nur au§tüt)renbe
unb nad^fdjaffenbe Äunft biefe^ (Spielet felbft, bie
©c^aufpietfunft big ing einzelne in ben Äreiö ber
Unterfuc^ung fiele, dagegen Ujirb nod^ etrtja^, loenn
irgenb möglid^, bagu fommen muffen: einiger Sinblid
in bie befonbere 9Irt ber bramatifd^en ©djaffenS*
borgänge, in bie ^f^d)oIogie beö ©ramatiferö; biefer
©inbltd ift allerbingö nic^t jebem auö @rfa{)rung
gugänglid), t)ier ift bie 5(eftt)etif im gangen ouf bie
Autorität ber bramatifd) ©d^affenben ober ft)enigfteng
auf eine Unterfud^ung if)rer ©elbftbefenntniffe an=
gemiefen — fomeit nid)t ^twa ber günftige gall
eintritt, ha'^ fid) in ber ^erfon beö 5(eft^etiferö pro*
buftiöe bramotifc^e ^Begabung unb 93efät)igung gu
n)iffenfd)aftlid)en Unterführungen bereinigen.
S)ag (ärgebniö biefeö SSerfal^reng mirb aber
fc^tie^Iid) nid^t blo^ befdjreibenbe ^eftftetlung üon
gefunbenen ©ingeltl^atfacfien fein bürfen ober muffen;
bie Unterfud)ung mirb 0ielmel)r bat)in gelangen !önnen
unb muffen, ba^ fid^ Ö^^iffe allgemeinere SebeniS*
bebingungen ber bramatifc^en ^unft al^ natürliche
Äunftgefe|e ^erau^ftellen, auf benen \)a§ Seben beö
^ramag berut)t, ha'j^ fid) ha^» äftt)etifd)e SBefen beö
^rama§, feiner ^unftgefe^e unb ^unftmittel in einem
— 11 —
inneren 3"fQ"""cnf)ann barftcüen läjjt. Unb fo luirb
auci) eine :5)ar[teUun(^ bcr ?(cftl)ctif beö ^ranmö,
jumat JDcnn fic [idj nicf)t auöfd)tief}lid) an bcn luiffen*
fc^aftlidjen 3*0^^)"'^"" tuenbet, fonbern auc^ jener
friit)er bernl)rten allgemeineren Klärung unb geftigung
beö Urteitö biencn lüill — [ie wirb nid)t pein(id)
aud) in il)rcm äufjercn C^ng gan^ uon unten, öon
ben leljtcn (£'in5eltl)at[od)en auffteigen muffen, öiel;
me()r ben ©egenftanb fdjon in einer gen)iffen f^fte*
matifdjen ^(norbnung be()anbeln bürfen, menn nur
bie Öegrünbung ber ®efe^e au^ ben t()atfäd)(id)en
S^orgängen, ber 2Beg, auf bem bie allgemeineren
©rgebniffe gemonnen finb, am red)ten Ort beutlid)
genug erfennbar gemad)t merben.
3ßenn fid) aber eine fold)e Unterfuc^ung unb
^arfteßung in ber §auptfad)e unb grunbfä^lic^ auf
ha§ beutfc^e^rama befd^ränh, fo lä^t fid) fragen,
ob unb miefern ha^ berechtigt feiV Tlan fönnte
üerfud)t fein, gu fagen: menn eö überhaupt in ber
bramatifc^en ^unft etma^ gefteö giebt, beftimmte
allgemeine ©efe^e beö S)ramatifdjen ; menn fid) nid)t
bloB eine ^ef^ic^te be§ S)rama§ geben läBt unb
eine 2lnalt)fe beftimmter bramatifd^er 2Serfe, menn
fid) üielmet)r eine 5ufammenl)ängenbeäftt)etifc^eStf)eorte
beö ©ramaö oufftellen läfet — fo !ann boc^ nur
öon einer allgemeinen 5{eftl)eti! beö 2)ramaö, einer
allgemeinen 2)ramaturgie bie 9f{ebe fein unb ni^t
— 12 —
üon einer beutfd^en ober franäöfifd^cn ober fpantfd^en
ober griec^ifd^en unb fo fort. 9^un giebt eö aÜer*
bingä, irie gu geigen fein lüirb, jeneg ^efte, ^füge«
meine, ©urd^greifenbe, n)a§ über ben jenseitigen Sten*
berungen beö ®efrf)macEeö unb ber Äunftrid^tungen
fte^t unb im 2Sefen be§ 2)ramag begrünbet ift; aber
tro^bem ift ba^ 5tnbere eben fo fieser, bofe ha^ im
tiefften ©runbe (Sine SSefen be^ 2)ramatifrf)en fid^
bei öerfct)iebenen Stationen unb in üerfd^iebenen
^ulturperioben üerfd)ieben entfaltet ijat ®af3 na^
tionaler ßt)ara!ter, 9?eIigion unb ©itte, bie ©efamt*
^eit ber Äulturbebingungen, bie gange 3SeIt= unb
SebenSauffaffung unb and) bie iöebingungcn ber je^
njeiligen realen 58ü^ne t)ier eine 9ieil)e üon miditigen
Unterfd^ieben begrünbet I)aben, ift unbeftreitbar. ®a§
^rama ber ®ried)en unb 9iömer geigt bod) eine
9{eii)e öon Sigentümüd^feiten, bie ha§ moberne S)rama
nid^t fennt unb umge!et)rt; ha^ ®rama ber romani*
fd)en 3SöIfer unterfd^eibet fid) in einfd^neibenben
^un!ten öon bem ®rama ber ©ermanen; aud^ inner*
\)alh fofd^er Gruppen finb Unterfdjiebe: ha§> fpani*
fd)e S)rama \)at eine anbere ©ntmidlung genommen
alö ha§> frangöftfd)e ober italienifd^e, unb ha§ beut*
fd)e ®rama feit Seffing meiert tro^ aller S3eein*
f[uffung burd^ ©^a!efpeare in mef)r aiß einer S3e«
gie^ung öon bem englif^en ©rama ob. ^Jod^ met)r
Unterfd)iebe begrünben natürlid^ aud^ bie Snbiüibuali*
— 13 —
taten bcr ^ramatifer, njclrf)c bem ÜDramo einer 5Jiation
ober 3eit it)r befonbereö C^epräge fleOcn, obiuol)! ourf)
fie umflefel)rt tuieber beeinflußt finb üon jenen all*
(gemeineren i2k'bini"\tl)eiten.
ihir,^, fcl)on unter biefem ®c[id)t8punft iftbaSbeutfd^e
2)rama eine *3ad;e für fid), unb tuie man auö ber alt*
cjemeinen i^iteraturgefdjidjte eine beut)d)e Siteratur*
fle)d)id)te at^ ein felbftänbigeä ®an5eg t)erau^nel)men
fann, fo tö^t fid) üon einer allgemeinen äft^eti)d)enjDra*
maturgie eine beutfd^e Dramaturgie ab^mcigen. 9^ur
borf man babei 5lüeierlei nidjt üergeffen. (Sinmal ift bie
ßntmidtung beö beutfdjen 2)ramaö unb fo aud) feiner
inneren äftl)etifd^sbramaturgifd;en®efe^e nidjt unbeein*
flu§t geblieben t)on au^en t)er; eöiftnamentlid^geitnjeilig
fet)r ftar! üom frangöfifd^en 2)rama beeinflußt ttjorben,
bann aber, nadjbem bie i^errfd^aft ber fran^öftfc^en
9iegel gebrodjen n^ar, nod) ftärfer üon ©t)afefpeare.
@l;afefpeare ift fogar fo fel)r geiftigeö Eigentum ber
beutfd)en Station gett)orben, boß ha^ ©Ijafefpearefc^e
2)rama üom beutfd^en 2)rama gar nid^t mel)r ^u
trennen ift; unb ettt)aö ät)nli(^eg f)at fic^ in neueftet
3eit — nur in geringerem unb meniger bebeutenbem
9J?aße unb ol)ne ha^ eine tiefere fad)lic^e ©leic^ftellung
guläffig märe, mit bem Sbfenfd)en 2)rama üollgogen.
@g t)erfd)lägt jebenfallö nid^t t)iel, ob man allgemeiner
üom germanifd£)en ober enger öom beutfd^en Drama
rebet — im Unterfd^ieb bann Dom gried^ifd^en unb
— 14 —
romanifcfien, üon bem anbetet SSöltet in altet unb
neuet Qtit nicf)t gu teben. 5Inbete au§Iänbtfd)e @in=
flüffe auf haß beutfd^e SDtoma nad^ ©d^ittet, fpontfdje
©nflüffe auf ha§> 2)tama bet 9ftomantifet, abetmatige
ftangöfifc^e ©inflüffe in neueftet ^Qxt fommen met)t
füt bie ®efd)ic^te beö ncueten beutfd£)en 2)tama§ in
Settac^t, alö bo§ fie füt feine §teftf)eti! öon njefentlidjet
93ebeutung geujotben ttjöten. ©oId)e ©inflüffe unb
3ufamment)önge finb natütlidj nid)t au^ bem 5Iuge
gu öetlieten, tt)enn öon einet ^feft^etif beS beutfc^en
^tamaö bie 9?ebe fein foll. @6enfo njid^tig abet unb
in geUjiffem @inn toid^tiget ift ha^ 5fnbete — unb
^ietin liegt nod^ eine tiefete 9^ed^tfettigung füt bie
93efd)tän!ung auf haä beutfdje obet allgemeinet auf
ha§> getmanifd)e ©tanta: tto^ aß jenet t^atfäd)Iid)en
I)iftotifd^en unb nationalen Untetfd^iebe in ben Sebenö*
öu^etungen bet btamatifd)en ^unft bet)ält ha§> eigent«
lic^e SBefen aUeä 2)tamatifd^en boc§ nod^ fo Diel
®emeinfame§, butc§ alle SSetfd§iebent)eiten ®utc^s
gteifenbeö , ha^ aud^ eine beutfd^e ^Dtamatutgie
in ben njefentlid^en ©tunbtagen unb entfd^eibenben
®tunbbeftimmungen gugleid^ allgemeine Stamatutgie,
aEgemeine 5teftt)eti! be§ S)tama§ mitb fein muffen
unb fönnen. Sa, man !ann nod^ meitet get)en unb
fagen : im beutfd^en obet übetf)aupt im getmanifc^en
®tama l)at ha^ SSefen bet btamatifd^en ^unft — mie
e§ aud^ fd^on in feinen anbeten ©eftaltungen, ja big
— 15 —
ouf joinc jctüciligen ^fnfnnf^c ^urücf nod) er*
fcnnbar ift — boc^ feine bi^ je^jt reinfte, tieffte unb
uoUfommcnfte ^luSflcftaltunfl (^efunben, fid) biö jeOt
nm fdjärfftcn unb flarftcn ßcoffenbart; cjciuiffc ^tb*
lucid)uni]cn, bie boiS romanifdjc unb aud) baö grie«
d)i[d)e jDrama geigt, finb nid)t nur ?(blücid)ungen,
fonbcrn 3^''^^)*^" "^^"^r inenigcr reinen ^(u^prägung
biefeS !föe)eng. Unb [o barf bie 9Xeftt)etif be« ger*
manifd)cn, bcä beutfdjcn 2)rama§ (fottjeit [ie gelingen
fann, natürlid)!) ben ?(n[prud) cr()eben, gugleid) bie
9(ufgaben ber 5re[tt)etif beö SDramoö übert)aupt im
angegebenen @inne gu erfüllen.
@ine iöefdjränfung auf ha^ beutfd)e 2)rama
empfiehlt fic^ im 2(ugenblic£ aud^ baburc^, t)a)i e^
fid) für ben I^eutigen 2)eutfd^en oor allem barum
f)anbett, gu erfennen, \oa^ bie feinem nationalen
(5t)arafter, feiner ®efd)id)te unb ben übrigen Se*
bingungen feineä Sebenö gemäße bramatifd)e Äunft
fei. 5)enn eine internationale Äunft, öon ber fo oft
gerebet mirb, ift eben nid^tö aU eine unflare D^ebenä*
art. 5llle mir!lid)e Äunft ift national, unb bie
bramatifc^e erft red^t. S)a§ fd^lie^t ja nic^t an§, ha)i
bie Äunft einer Station auc^ ouf bie anberer Stationen
mirlen unb in it)ren ©rgeugniffen üon i^nen angeeignet
h)erben lann; aber in i^rem SSefen unb in i^rer
@ntftet)ung trägt fie allezeit nationalen S^ara!ter,
Snt übrigen ift noc^ ettoa^ au^brüdlic^ gu be-
— 16 —
merfen. SSenn bk 5Ieft^etif oon ©efe^en fprtd^t,
fo f)at fie, in ®eutfd;Ianb loenigfteniS, fid^ fofott auf
ben SSorlDurf unberedjtigter „tmperatiöer 5XeftI)ett!"
gefaxt gu mad)en; aud) in ©ac^en beö ®ramaä njirb
immer inieber geeifert gegen bie angebtid^e Slnmafeung
ber Sleftfjetifer, ©efe^e geben gu n}o(Ien. SDiefer ®ifer
ift ^ödjft überftüfftg. (Sine 5leftf)etif unb fo aud; eine
äftJ)etifd^e Dramaturgie, bie if)re 5[ufgobe rid^tig er*
fannt \)at, xoxU gunädjft feine ©efe^e geben, fonbern
@efe|e f in ben — ©efe^e in feinem n^efenttid)
anbern ©inn atö in bem, in meld^em mir in aEen
S^Jaturs unb ©eifte^miffenfc^aften üon ©efe^en reben.
S)ie t^atfäd)Ii(^en SebenSuorgänge unb Sebenäs
bebingungen, in benen unb unter benen bie bra«
matifd^e ^unft i^re SBirfungen übt, mögtid^ft richtig
5u erfennen unb fie auf ®runb beffen in gemiffen
allgemeinen @ä^en gufammengufaffen, in einen ein*
t)eitlic^en 3"faJi^ment)ang gu bringen — ha^ iftä,
mag allein eine ?left^etif beö 2)ramag aU ibre näc^fte
Aufgabe betrad^ten fann. greilic^ ergiebt fid^ meiter«
t)in öon fetbft unb of)ne jeglid^e 5lnma^ung „impera*
tiüer Steft^etü", ba^, mer gemiffe Slunftmirfungen
erzielen miü, fic^ an bie ©efel^e I;alten mu^, hk
t£)atfäc§Iid^ im SBefen einer beftimmten Äunft Hegen;
fo merben biefe ®efe|e aöerbingö bon felbft an^ §u
Siegeln für ha§ ©d^affen. S)ie 5(eftf)etif, menigftenö
bie, meiere mir t)eute betreiben, erl^ebt feineSmegg ben
— 17 —
il)r fo oft untergefdjoliencn unb üorgctnorfcncn 5(n«
fpru^, mit einem millfürticl) aufgcftcUten ober fon*
üentionell übcrtommcncn 9ic(\clfobcj bem fd)öpferifd)cn
bramotifdjcn Zaknt vorgreifen, fein (3cl)affen fcfjul*
meiftcrn unb cinfdjnüren 5U njoÜen; Woiji aber erlaubt
fie fid), eben in bem fic bie tt)at)äd)Iid)cn (^efe^e im
üföefen beiS SDramaö finbet unb feftfteüt unb gum 33e*
njufetfein bringt, aud) bem fc^affenben SDramatüer
5U fagen: baS unb baö mu^t bu im 5(uge be{)a(ten,
menn bu bie SBirfungen, bie bu erftrebft, aud) tt)irf=
\\d) erzielen ttjiüft! Äommt ein mäd)tiger bramotifc^er
@eniu!§, ber burd^ fein ©d^affen ber bramotifd)en
Slunft gan§ neue 33af)nen eröffnet, neue, biäl)er un«
befannte ®efe^e giebt ober erfd)lie^t — gut, fo n)irb
bie Sleftt)etif eifrig au§ feinen Schöpfungen lernen,
unb tt)a§ er toirüic^ 9^eue§ unb gugleid^ ©auernbeö
leiftet, haS' fann auc^ gu neuen Sfiegeln merben.
Sngmifd^en aber barf fid) feiner, ber fid) nic^t burd^
bie Xt)at ai§ foI(^ einen ©eniuS auögemiefen tiat,
n^unbern, ttjenn er burc^ SJJi^ac^tung ber bereite üor*
{)anbenen, erfonnten unb erprobten ©efe^e ftd^ um
bie Sßirhingen bringt, bie er erreichen möchte.
Uebrigeng pflegt ha^ njirüid^e ®enie gerabe in biefem
@tüd öiel befd^eibener gu fein unb befonnener üor*
äugelten al§> ber ©enialität^ttja^n, ber in unreifer
SSiUfür gegenüber allem ©efe^möBtgen feine todU
betoegenbe Sebeutung fud)t. @ine 9(eft^etif be^
2
18
5)ramaö 6raud)t olfo, bte ©ad^e red§t öetftanben,
ben S3ortt)urf gefe^geberifd^en SSerfa^renö !etneält)egg
gu fdjeuen. (£i8 !ommt nur barauf an, n)te njett [ie
bie öor^anbenen ©efe^e ber bramattfcf)en Äun[t rid)tt9
gu er!ennen unb feftjufteUen üermag; unb in biefer
Segiefiung njtrb fte atterbtngö ftd^ feineöttjeg^ un*
fefjlbar bünfen fonbern auc^ für ben S'Jadjnjetg be^
Srrtumö empfängltd^ fein, njenn man i^r nur nid^t
mit 3J?obefcE)tagmörtern unb minbigen 5Inmeifungtn
auf eine unfid^ere ßufunft geftiegen fommt, fonbern
beffere ©rfenntni^ beö X^atfädf)tid^en bringt unb
rid^tigere 5tbleitung ber ©efe^e au§ ben St{)atfad^en.
Srfte« Äapitel.
Das Dramatifd^c.
Jtc (S^runbfrage, über lüelcfie jebe Q[t£)etifd^e
Dramaturgie ÄIarf)eit ju fd^affen l)at,
lautet f(^li(l)t unb einfach : tüaä t[t bratnattfd^?
ÜDaö aber ^et^t: tDuS ge^t öor, toenn baö, toaS ber
©pradjgebraud^ im oEgemeinften @inne bramatifd^e
Äunft nennt, auf ung äftl^etifc^ mirft? SBa^ i[t ha^
S3ei'onbere in biefen SSorgängen? — im beftimmten
Unterfc^ieb öon bem, mag üorge^t, menn mir'ö mit
anbern fünften gu tf)un l^aben. SBa^ ift biefeS S5es
fonbere neben etmaigem Gemeinsamem, ha§ aud^ in
anberen fünften, in aßen öieEeid§t, ober bod^ in
irgenbmie öermanbten, fid^ finbet — ?
S)a ift gunäd^ft eine Xf)atfad^e nic^t gu überfe^en,
beren 3KiBac£)tung immer mieber SSermirrung anrichtet:
bie bramatifd^e Äunft mirft, if)rer ©ntfte^ung unb if)rer
2*
20
(gnttotcflung nad) a(§ ein bem 3^f<^öuer gegen«
tt}ärtige§, auf einem beftimntten ©d^aupla^ borge*
fü^rteö @piel. „©pieten" ift hidjt äufaüig biö auf
ben heutigen Xag ber SluiSbrud beö ©prac^gebraucf)^
für bie SSorfüt)rung eineg bramatifd^en ÄunfttuerB,
unb bie ^luöbrüde „5Iuffüf)rung ", „ ^ßorfteüung ",
getjen auf berfelben ^^öfirte: eg n)irb unb lüurbe üon
je^er bem ßufdöauer auf einem ©d^aupla^ {ha§ t)et^t
ja „ ^{)eater "), auf einem ®erüft, einer ®üf)ne üxva^
„aufgefüt)rt", unb fei'g aud; nur ein Sfufgug ober
Umgug; eö tuurbe unb mirb bem ßuft^auer ctraag
„üorgeftettt", öor feine @inne etmag tjingeftetlt, ha^
für if)n irgenb eine Sebeutung ^aben, aud) in btefem
@inne etmaö „ öorftelten " foü. 2)enn nidjt im
@rnfte ber gett)ö^nlid)en 2BirfIid^!eit ooll^iel;! fid) auf
bem (Sdjaupla^ irgenb ein Seben^üorgang, fonbern
ma§ öor bem ßufc^auer borgest unb auf i^n vo'ixtt,
foE if)m einen Sebenäüorgang nur Dorftellen, bebeuten,
„barftetten" — baä t)ei^t: in einem iöilb, in einer
im meiteften ©inne äft^etifd^en 5(nfd^auung üor bie
©inne führen. Unb gttjar gefd)ief)t bieö nic^t bur(^
färben, auf Seinemanb ober ^otj ober Äal! gematt,
aud^ nid^t burd^ aufgefteHte (Statuen öon ©tein ober
©rj; fonbern e§ gefd^iet)t burd) lebenbige 9Wenfd)en
öon t^Ieifc^ unb 95Iut: fie führen bie Sebenööorgänge,
um bie fid^'g f)anbett, bem 3"fc|öuer fpielenb öor;
mit 93etöegungen i^reöÄörper)§, mitäJJienen, ©ebärben.
— 21 —
SBeincn, Sadjcn, mit SBorten — furj mit fnmtlic^cn
imn bor ^^l)t)[iotü(\ic unb ^4^ft)d)oIoflie fo genannten
^Hu!(Sbrucf0beU)ci]unöen *) [teilen [ic bem 3"fft)auer
Dor bie (Sinne, too« ber Ißorgang auf bem ©c^au*
plQ|j für il)n barfteEen, bebeutcn foü. SSor bie
©inne äunädjft — unb burd) bie ©inne üor bie
^I)antQfie, öor bie innere äft^etifdje ?Infd)auung.
5m testen pft)d)olociifci^en ®runb unb Söcfen
ift biefeö ©picl burdjQuö md)tä anbereiS aliS ha^
©piel ber Äinber, mie eä gang öon felbft unb o^ne
jebe ben (£rmad)fenen nad)geal)mte Äunftbeftrebung
fid^ immer unb überall auö einem tt)atfäd)lid) Uor^
l)anbenen Xrieb ber linbltd)en, ber menfcl)lid)en
9Zatur ergeben \)at Unb in ber finblidjften, naiüften,
einfad^ften ^orm irgenbmeld)en ©pieleö fteKen fid^
jo bei aßen SSöllern bie erften 5lnfänge bramatifc^er
Äunft bar: in einem 2Saffentan§ mirb Ärieg ge=
fpielt, in einem feftlid^en ?tuf* ober Umgug merben
religiöfe SßorfteGungen f^mbolifd^ öorgefül)rt, in
einer närrifd^en Suftbarleit n)irb ha§> tl)örid^te ©e^
baren üon 9^ebenmenfd^en fpielenb nad^geal)mt,
*) Sur SlusbrucfSberoegung roirb jebe Äörperbc«
roegung, fei fie im übrigen roillfürlit^ ober refleftorift^ ober
automatifc^, loenn fie ben 2)ienfl l^ut, einem an ftt^ ni^t
roa^rnc^mbaren feelifc^en Sorgang finnenfäüigen ÄuSbrudf
ju geben. 2lu(^ bie ©pracf)c i[t — barin roirb man
asilöclm SBunbt juftimmen muffen — pfg^opl^gfiologifc^
betrad)tet eine gorm ber auabrutfsberoegung.
— 22 —
ein ©türf aus einem 2)?t)t^u§, einer t^eiligen ©efd^id^te
roirb nid^t nur öon (£inem, öom ^riefter etnja, er5ät)tt,
fonbern 3)?e^rere [teilen eg fpielenb üorö Singe ber
5Inbern, als ob fte bie SOtenfc^en, |)eroen, ©ötter
wären, bon benen bie ®ef(i)id^te f)anbelt. (£§ tt)äre
nun freiließ öertet)rt, wenn bie Steft^eti! beö ®rama8
i^r Unterfud^ungSmateriat lebiglic^ auö jenen primi*
tiöften formen, auS ben naiöften Stnföngen be§
bramatifd^en Spielet net)men inoHte; eine einseitige
Steigung, haS SSefen einer @act)e nur au^ il;ren
primitiöften fieben^Qu^erungen er!ennen §u wollen,
ift JQ aEerbingS in ber mobernen3ßijfenfd^aftüort)anben
— aber baS ift eben eine Sinfeitigfeit! ®ie t)üt)eren
unb f)öd)ftenttt)icfelten formen t)aben ebenfo unb nod^
met)r ein 9?ec^t, in 5tnf(^Iag gebrad;t gu werben;
unb haä gilt aud) öon ben t)öt)eren unb entwidelten
formen ber bramatifc^en Äunft: fie fagen unS mef)r
nodt) aU jenesS urtümlid^e naioe ®piel in ben 5(nfängen.
Slber umgefe^rt bürfen wir boc^ auc^ biefe Stnfänge
nid^t auö bem 5(uge laffen; fie geigen, tda^ man
angefi^tg ber %xt, wie je^t bie bramatifdje Ä'unft
öor unö tritt, fo leidet öergifet: baö nömlidj eben,
ba^ 'öaS 2)rama üon §au8 au^ unb in feinem SSefen
©piet ift.
S)ag öergi^t mon fo Ieid)t über bem Umftanb,
ha^ wir t)eute bramatifc^e Äunftwerfe nid^t nur im
X^eater gu fet)en bekommen, fonbern ha^ wir fie
— 23 —
ourf) in iöüdjcrn lefen. ©prici)t man borf) foflar
auöbrücflid) üon „93utf)bramcn", „Scfcbramcn", olfo
Don Aromen, bie öon üornljerein nur für ba«J Sefcn
bcfttmmt fein follen, nid^t für ha^ Icbenbige (Spiel
bor 58ül)ne, bie beeiiüeQen and) mit ben SJ^ößlidjfeiten
unb i^ebeniSbebingungen bcr 33üi)ne, mit ben ©efc^en
unb ^(nforberungcn bei^ lebenbigen (Spielet gornidit
gu red^nen Ijätten. ©oUjeit eg fid) babei nur um
eine Ungufrieben^eit beö Xiramatiferig mit jeweiligen
tl;atföd)lidien Stl)eater5uftänben l^anbett, barum, ba§
ber 2)id)ter au§ biefem ©runbe vorläufig auf bie
93üt)nenauffüt)rung öergic^tet, rtäre grunbfä^tid^ nid^tg
bagegen eingunjenbcn; er benft eben bann an eine
fpätere ßtit mit befferen ober anberö gearteten
S3ü^nent)ert)öltniffen, unb in ber 'ill)at ift eö ja met)r
aU einem ber t)eröorragenbften 2)ramen begegnet, ba§
e§ gunöd^ft alö unbrauchbar für bie 93ü^ne galt unb
fic^ biefe erft fpäter unb kngfam erobert t)at. 5(ber
ein anber jDing ift e§, menn ber SSerfaffer eineä
fogenannten S3ud^* ober Sefebramag öon üorntjerein
gar nid^t baran benft, für ein übertjaupt möglid^eö
©piel irgenb ft)eld)er 2Irt gu fd^affen, toenn er öon
biefem @piel nur gemiffe gan§ äufeerlid^e formen
borgt, ettoa ben S)ialog, um in fold^en formen etroa^
niebergulegen, maö man nur tefenb öerfteljen unb
genießen fann; t)ierbei üergid^tet er überhaupt aufg
bramatifc^e <Sd§affen. «Setir fjäufig freiließ öerbanft
— 24 —
fo ein Sud^brama fein ®afetn tebtglid^ ber Unfä^tg=
fett be^ 35erfafferg, bramatifd^ gu fd)affen, unb fo
maä)t er f)interbretn auä ber 9^ot eine Xugenb unb
nennt Sud^brama, toa^ einfach ein mi^rateneg ober
untt)ir!fam geratene^ SDrama ^ei§en foUte, menn e§
auc^ bießeid^t aßerlei 9Sir!ungen unb (Sd^önt^eiten
allgemein poetifd^er 5Irt entsaften mag.
(Jin n)ir!Iid§eg ®rama ift ein ©piel unb ftellt
fid^ alö foId^eiS bar, aud) menn eg nur in einem 93ud)e
getefen ober au^ i^m öorgetefen mirb. 2)ie S^ieber?
fd^rift, ber 2)ru(! gar eine^ bramatifdjen @pie(ä
bient ja bod^ urfprünglid^ unb junöc^ft nur bem
3tt»ede, bem ©ebädjtniiS gu ^ilfe gu fommen ; ba^, toaS
gefpielt h)erben foU unb mie eö gefpielt merben foH,
namentlid) tva^ beim (Spiet gefprod^en hjerben foll,
ba^ bramatifdje SBort, baS ^id^terujort folt burd^
©d^rift ober S)rud fidler unb für bie 5Dauer feftgetjalten
tt)erben. Unb je met)r ha^ bramatifd^e SSort mirf*
lid^eiS S)i(^tern)ort, ^oefie ift, befto me^r fommt eö
auf ben SSortlaut an, befto mel)r Sntereffe t)at ber
^ramatüer baran, ba^ nid^tö anbereg unb nid^t anberö
gefpielt unb im (Spiet gefprod^en tt)erbe, alö ma§ er
miß, mag feinen !ünftterifc^en ^xotd^n bient. So
mirb ba^ 5)rama gugleic^ ein Stüd Literatur, ift
nic^t nur auf ber Süf)ne unb für bie Sü^ne fonbern
aud) literarifd) üor^anben. 5t6er eg bleibt be^megen
boc^ Spiet unb ber pf^d)oIogifd)e S?organg, menn
— 25 —
eiS QUO bcm Jöudjc aufgenommen toirb unb feine
2S3irIunö übt, ift im Ie(jtcn ©runbe bcrfelbc, tt)ie
tt)enn e8 auf einet 93ül)ne Don irgenb n)eld()er (Sin*
ridjtunfl barc^efteüt ipirb. ^er Untcrfc^ieb ift nur,
ba^ in jenem ^aU bai <Bpkl nic^t auc^ ben äußeren
©innen unb üor allem ben äußeren (Sinnen üor*
gefteUt mirb fonbcrn nur unb fofort bem inneren
®inn, ba^ e8 lebiglidj üor ber ^^antafie beö Sefer^
ober ^brer^ in ©cene get)t. ®a« mag tt)eiterl)in
geiüiffe Unterfd^iebe in ber (Stär!e unb 5trt ber
einzelnen SBirfungen bebingen, aber baö SSefen ber
'Badje bleibt baöon unberüt)rt.
@g bleibt hahex: ob ein ®rama über bie S3ü^ne
get)e ober ouö einem 93ud)e aufgenommen tt)erbe, immer
t)anbelt e^ fid) um ein ben äuJBeren ©innen unb ber
^t)antafie ober nur ber ^f)antafie gegenwärtige^
©piel unb nid^t — ha^ ift ber fofort fc^arf m§> 5Iuge
5U faffenbe ©egenfa^: nid^t um eine ©rgäfjtung, um
einen Serid^t über ^efd^e^eneö, SSergangeneö. SSenn
ber Sänger in bie ^alle tritt unb ben laufc^enben
3ut)i3rern über et)[Da§> (SJefd^el)ene^ berid^tet, öon Staaten
ber gelben ober ©ötter, öon einer (Sd)lad^t, öon einet
33rautmerbung — ober toenn ber moberne Sefer einen
9^oman in ber ^anb tjätt unb mit (Spannung ben
3}egebent)eiten folgt, bie ber 9ioman ergätilt, fo ift
ber iBorgang offenbar ein gan^ anberer. S)er §örer
ober Sefer befommt öjol^l auc^ ein ^^antafiebilb öon
— 26 —
ben SegeBen^eiten, bie bertdjtet »erben, unb je beffer
ber @r3äl)ler feine Äunft üerftet)!, in befto Mftigerer
iöen^egung gieijen bie 93egebent)eiten an bem inneren
9luge öorüber; ja, je nadjbem ber @r5Ql)Ier ergätjlt,
fann öor ber ^fiantafie beö ^örerö bie 93enjegung
ber ergä^Iten SSorgänge fogar geitnjeilig etnja^ üon
ber STrt gegenh)ärtiger 93ett)egung eineg ©pieleS an*
nef)men — baö nennt man bann bie „bramatifd^en
©teüen" in einer @r§ät)Iung. 5(ber baö ift nidjt ber
burd^gängige unb hjefenttid^e (5f)oratter be^ SSor*
gange^: biejer ift t)ielmef)r Serid^t über (5Jefdf)e^ene^
unb SSergangeneö, unb gnjar Serid^t eineö ©ingelnen
an eineSIngat)! öon 3ut)örern — nidfjt aber gegen*
njörtigeö (Spiel, in ftjeld^em SQJe^rere einen Seben^*
öorgang gur 5)arfteßung bor^ufd^auern bringen —
unb gttjar öor ßufcä^öuern, bie, förpertid^ bem «Spiele
anmefenb, mit bem leiblichen 2tuge unb Dt)r if)m folgen
ober menigfteng folgen foHen, nur gemiffermafeen aug*
l)ilf§meife fid^ aud^ begnügen ober begnügen muffen,
nad^ ben 5Inbeutungen eine^ 93ud§eg ha§ (Spiel nur
in ber ^l)antafte angufdEiauen.
Unb ebenfo get)t bei fold)em bramatifcf)em
Spiel offenbar etma^ gan^ anbereS öor, al^ menn
ein 3)id^ter feine ®efül)le unb Stimmungen ober
oud§ feine in 5lnfd^auung öermonbelten ®eban!en
bem ^örer öorträgt ober im gefd^riebenen ober ge*
27
brurftcn 2öort bcn liefern l)or(c(\t, im flcfunflcncn Uicbe
über im (^cfprocljcncn ober burd) liefen Quf5unet)mcnben
®ebict)t. ^khd überträgt einfach ber ®irf)tct —
tüieberum alö 6in5elner — feinen (^efül)Iö5uftQnb, feine
©timmungen unb 5InfcI)Quungen auf ben ^örer ober
Sefer, inbem er fie in 3Borten ober ettua and) begleiten*
ben ^bnen gum ?(uöbruct bringt, ben .^i)rern mitteilt.
5(ucl) Ijier tonnen in bcn ber ""^Ijantafie gegebenen
5(nfd)Quung«^reiIjen, burd) mcldje ber 2)id)ter feinen
©emütöguftanb gum Stuöbrud bringt, 9D^?omente üor*
fommen, ttjeld)e für einen Stugenblid mie eine ?(rt
@piel öor ber ^l^antafte oorbei^ietjen; aber aud) ba^
finb eben nur i)orüberget)enbe SOtomente, bie fo«
genannten „ bramatifdjen ©teilen " aud) in ber £^ri! —
nid)t aber ift ha^, mas^ geboten tt)irb, alä ©ange^
unb mefentlid) «Spiel.
Sineä freilid^ i)at ha^ bramatifd)e ©piel mit
ber (£r5ät)lung (ber epifd)en ^id)tung, menn bieS
9Sort gebraud)t merben foll) unb mit ber Itjrifd^en
Äunft gemein: and) ha§ bramatifc^e Spiel bebient
fid^ beigSÖorte^, um bie OorgefteUten ßeben^öorgänge
bem ßufd^auer beutlid^er gu mad^en. iBIo^e mortlofe
Huäbrudäbemegung, Xang, Pantomime, ift auc^ ein
@piel, !ann infofern einen gemiffen bramatifd^en ßl)a*
rafter l^aben, unb in ben Slnfängen ber bramatifd^en
Äunft befd^rönft fid^ ha^ Spiel ^äufig auf SSermenbung
ber übrigen Stui^brudöbemegungen au^er ber Sprad^e;
— 28 —
auf biefer <3tufe plt [tc^ audt) :^eute noc^ i>a^, tua^
trtr 93aIIett, Pantomime ober bergleidjen nennen.
5(ber ha^ ftnb eben nur bte prtmitiüen 5tnfänge —
unb fd^on ber unartüulierte <S(J)ret, ettoa beim ^ange,
ober ein monotoner ©ingfang üon Stönen of)ne SBorte
brängt nad) einer ©rgängung ber übrigen ^luöbrucEö«
benjegungen burd) if)re ^öc^fte gorm, ba^ menf(^tid^e
SBort. (Somie fid^ ba^ bramatifd^e Spiet über bie
urtümlirfiften formen unb ?lnfänge ^inauö entmidelt,
fommt ha§ gejprod^ene SBort(etma auc^ ha^ gefungene)
gur ©eltung, aU ha^ unentbef)rlid^e unb nad^ gen^iffen
9^id^tungen l^in reic^fte Stui^brucEigmittet, bem ßufd^auer
beutlid^ gu mad^en, xoa^ gefpiett toirb. Unb je f)öt)er
t)a§> 2)rama ficf) entujicfelt, je bernjidEeltere feelifd^e
SSorgänge aU @piet öorgeftellt n^erben, befto unent*
be^rlid^er n)irb ba^ SSort, befto reid^er entmicEelt fid^
bie bramatifc^e @prad[)e. S)urd^ bie (3prac[)e aber
mirb bie bramatifdje Äunft gu einem ßtoeige ber jDid^t*
!unft, tt)ät)renb bie ^Beteiligung ber anbern 5tuöbru(f§*
bemegungen bie mimifc^e Äunft an ber bramotifd^en
ifjren 5lntei( nel)men lö^t. 5Iud[; bie bitbenben lüünfte
liefern, je nad) ber S3efd^affent)eit be§ ©d^aupla^eä,
itjren Seitrag jum ©angen; übrigen^ liegt ein 9J?oment
aug ber bilbenben Äunft aud^ infofern in ber brania*
tifc^enÄunft, a(^ bie äft^etifc^e 5Infd)auung nid^t nur —
njie in ber epifc^en unb Itjrifc^en^oefie — ber ^^^antafie
gegeben Ujerben folt, fonbern, im lebenbigen Spiel,
— 29 —
nurl) unb 5unäcl)ft bcn äufjercn ©innen. (Snblirf) fann
ja auci) bie 9J?u[if it;ren iSeitra^ 5Ut bromatifd)cn
Äunft [teilen, tuenn fie ©timmungcn njccfenb ober
üerftörfenb in bog ©pict eintritt ober ttjenn an bie
Stelle beö gefproc^cnen SöorteS baö gefungene tritt,
©cnaii bctradjtct gel)t cö alfo nid)t an, ba^ 5)rama
fdjlcdjtiucg nur ai^ eine Gattung ber ^oefie ^u
betrad)ten, feine 5le[tl)eti£ ot)ne toeitereg unb aus*
fdjlicfelid) aU einen Xeil ber 2leftf)etit ber 5)ic^tfunft
gu bel)anbeln. Slber toaß immer bon anberen Äünften
jur Döfligen 5lu!3gcftaltung beä bramatifc^en Äun[t=
iDerfiS beige[teuert toerbe: fein eigentlidjer Schöpfer
bleibt bod^ ber 2)id)ter, fein bel)errfd^enbeö Äunft-
mittel ha§ bic^terifd^e SBort.
5lber bie ©prad)e be^ bramatifdjen 2)i(^terig ift
in il)rem SBefen eine anbere aU bie be§ ©rgäfiter^
ober be§ ß^riferö. Genauer ift bag erft fpäter au§=
gufü^ren ; für je^t ift foöiel einleuc^tenb : bie bramatifd^e
@prad)e l)at ben 3^^^' beutlid^ §u mad)en, ttia^
gefpielt trirb; nid^t blo^ @efd^el)eneä gu berid^ten ober
©eelenäuftänbe auä5ufpred^en, fonbern bem ßufc^auer
flar gu machen, toa^ ha gegentoärtig auf bem ©d§au*
pla^e öorget)t, toaö gefpielt toirb — eä !larer gu
mad)en, alö bieg 3J?ienen, ©eberben unb bergleid^en
aßein gu mad^en üermögen. S)iefer ß^Jed beftimmt
ben (£t)ara!ter ber bramatifd^en ©prad^e.
— 3J?tt all bem S3iöl)erigen ift gunäc^ft ba^
— 30 —
feftgeftettt: tüa§ im 2)rama borget)t, ift lebenbigeö,
gegentüärtigeö (Spiel, nid^t i8eridE)t bon Vergangenen
©egebentjetten, nid^t 5tuö[prarf)e öon bloßen ©efül^Iö*
guftänben unb ®eban!en. 2)amit allein ift aber ha^
Söefen beg ®ramatifc§en nod^ nid^t erfd^öpft, eg ift
nur bie allgemeine ©runblage für bie Seftimmung
feinet befonberen SSefenö gegeben.
(Jinen @d[;ritt meiter füf)rt bie ^^rage: njoS
intereffiert unö benn an biefem ©piel, fo fel)r,
ba§ eS bie mäd^tigften 2Bir!ungen üben fann, ha^
bie 5tnfd^auung biefeS ©pielö ober aud^ bie aftiöe
Beteiligung baran gur Seibenfd^aft Serben fann, fd^on
bei Äinbern — ? Genauer: ttjaö intereffiert un^
öft^etifd^ babei? ®a§ aber t)ei^t: mag öeranlafet
ung, mit ungeteiltem SJemu^tfein gan^ bei ber 5tn«
fd^auung biefeöSpielegguöermeilen, jene Konzentration
beö ©emuJBtfeinö auf bie Slnfd^auung Oor§unet)men,
bie biefe gur äftl)etifc^en mad^t, bem 5lnfd^auungä?
oorgang ben (£t)ara!ter eineg KunftgenuffeiS öer^
lei^t — ? 3Sa§ gtoingt ung, äft^etifc^ gu füllen, ha^
l)ei§t: bem 5lngefd)auten einen beftimmten ©efü^lg*
mert beizulegen, un§ mit äftl)etifd)en Suftmerten (ober
aud^ Unluftmerten) an bem ©piele gu beteiligen, unä
perfönlid^ ^ineinjuleben in haä, maä gefpielt mirb — ?
Sßenn auf bem ©d^aupla^ ein 9Kenfd^ auftritt,
ein anberer bann, ein britter bagufommt u. f. m.
— menn fie fid^ anf(^idlen gu fpielen b. ^. mit
31
9}^icncn, SBorten, ßJeberbcn, ?(ußbrucfj^bciDCflunöcn
jciilicl)er 'äxt bem 3"fff)öucr einen Sebenöüorflanfl
uor^uftellen: lüaö t[t bie i^xa(\c, bie bcr 3"frf)öuer
innerlid) erlebt, in ber fid) fein Sntereffe gufammen*
fafet, bie feine «Spannung bilbet? &au^ flenjtfj roirb
fid) biefe ^xaQC am natürlid)ften in bie einfachen
Si^orte bringen laffen: luaö n^iü ber \>a? rva^
»ollen bie?
Sn ber erften ©^ene ber „Diäuber", fottjie ber
S3orl)ang aufgegangen ift, fte^t ^ran^ 'SRoox öor feinem
i^ater, einen 35rief in ber §anb; er mac^t allerlei
einleitenbe S3emer!ungen, el)e er ben ©rief lieft, lieft
tf)n bann unb fügt n)ieber feine 33emerfungen unb
Erläuterungen tiinju. Sßoran fnüpft fid^ unfer
^auptintereffe? 9^ic^t an bie S^age: tt)a§ ftel)t in bem
©rief? 2)aö intereffiert unö n)ot)l aud^ im ^ufammen*
^ang, aber erft in gn^eiter ßinie; baä ^auptintereffe
ift: mir fe^en unb merfen gletd), ber mitl etmaS, ber
^ot eine beftimmte 5Ibfid)t mit bem S^rief ~ mag
mill er? Unb mie mirä merlen, ma^ S^cinj mill,
fragen mir meiter: mag mirb fein ißater baju fagen,
b. i). moßen? Unb baburd^ erft mirb ber 3nl)alt beS
Sriefeg, ber über ®efd)el)eneg berid^tet, mid^tig unb
bie ^rage, ob haä mirflid) gefd)el)en ift unb mag eg
für folgen ^aben mirb. 2)ag lieifet aber bann fofort
mieber: mag mirb Äarl mollen auf ®runb beg bereitg
@efd§el)enen, namentlid^ aber auf ®runb beffen, mag
— 32 —
^ranj to'iü unb tt)ie ber SBille beS 5IIten ftc^ mit bem
SBiEen beg ^rang auSeinanberje^t. 5Iu§ biefer grage:
tüaö toollen bie? — [teigt unfere gonge Spannung
auf ha^ !ommenbe bramatifc^e Spiel; oug bem, moö
granj ^ier toill, ma^ ber ^Ilte mü unb mag infolge*
beffen ^art moüen mirb, entmidelt fic^ aud) t^atfäc^tid^
baö gange 2)rama mit ber @ict)er^eit, mit melc^er
ein Organismus auS feinem ^eim ermöd)ft. — Sn
ber erften ©gene üon ÄleiftS »pß^i^^^^odEienem Erug"
mirb ßmeierlei beridjtet: ber ^orfri(f)ter Stbam fe|t
bem ©d^reiber Sid)t auäeinanber, ha^ unb unter
meldten Umftänben er beim 5(ufftet)en gefallen fei,
fid^ ben ^u§ öerle^t unb baS ®efi(^t am Dfen
äerfrfjunben ^abe; ber ©d^reiber Sid^t fobann beric£)tet
bem ®orfrirf)ter, ber ®eridE)törat SSalter auS Utrecht
fei auf feiner ^ifitationöreife geftern in §oIIa gemefen,
f)abe ben bortigen Üiid^ter unb ©d^reiber fuSpenbiert
unb fei je^t auf bem 9Sege ^iet)er narf) ^uifum.
SSoran t)eftet fid^ unfer ^auptintereffe an biefen
Seric^ten? SBieberum nic^t an haS S3erid^tete fetbft,
üielme^r: auS ber 5lrt, mie Slbam öon feinem %aU
ergä^It unb ßid^t t>a& ©rgä^Ite angmeifelt, mer!en
mir fofort: ai)a, ber 2)orfric^ter iiat etmaS gu Verbergen,
^at etmaS angefteEt, — ber mill etmaS, inbem er
bie ©ac|e fo barfteHt; ber @d£)reiber miß and) etma^,
inbem er öon ber 9fteife beä ©erid)tgrate§ berid)tet,
er mill ben alten ©ünber 5tbam marnen unb t)at
-- 33 —
fclbft flci^'ffc ^'^intcrgcbanfcn, b. l). ?(bfid)tcn bei
CMcIcöen^cit bcr ^.^ifitation; aucf) ber ©eric^törat,
incnn er fommt, tuirb etluaS luollen, \va^ fd^luerlicf)
mit bcm liü^ollcn "i^CbaiiK^ fricblirf) gufammentreffen tüirb.
Äurj, abermals: bie lyoilcn etiuaö! 2)ie 53egebenljeiten,
ber gall 5(bamö, bie isßifitationSreife beö ®erirf)törat§,
bag bi^tjerige 9Scrt)äItniö beö (Srf)reiberö jum 9^i(^ter,
crl)atten if)re 95cbeutung, i^r Sntereffe tebiglidj baburdj,
bofe tt)ir bcn ©inbruc! f)aben: 5(bQm iriU etiuaS
Verbergen, Iüqö burcf) bie ^ifttation beg ©eridjtiSratg
Qnö Sicijt !ommen tann, unb ber ©d;retber iriU aud)
etjoaö babei unb gtüar tttoa^ anbere^, ai§ ber jDorf=»
ric^ter tüill. Unb ou§ bem altem entmidelt fid) in
ber Xi)at ha§> gange !omifd§e @^ieL
^ieje beiben iBeifpiete liefen ftd^ au§ ber gangen
ßa^t iuirfunggöoüer Sramen beliebig öermel)ren, unb
^tvax natürlid) in aEertei Variationen; namentlich
offenbart ftd^ nid)t in jebem 5)rama ha^ SSoUen
gleid^ rafc^ unb fidler. ®a§ t)ängt teife öom ©toffe
ah, teilä öon ber breiteren ober fna^peren SIntage be§
238er!e§, teil§ aud) öon ber größeren ober geringeren
bramatifc^en 35erbi(^tunggfraft beg SSerfafferä. Smmer
aber — je rafdjer unb fid)erer tt)ir mer!en, ba^ efma^
gelnoßt mxh unb ttJaö, befto rafd)er unb fieserer tft
unfer Sntereffe gen)onnen. Unb t)ierauö erfjellt beutfid^ :
tüa^ ba^ öft^etifd^e Sntereffe im S)rama gefangen
nimmt, mag un^ öeranla^t, mit unferm gangen
3
34
SelDufetfein bei ber ^tnfc^auung beö üorgefü^rten
©ptetg gu bertoeilen unb tf)m einen gett)iffen ®efüf)Iö=
toert beijumeffen, atfo un^ äft^etifd^ 5u üer^alten —
ba§ ift nid^t eine äußere Segebent)eit alg fot(f)e,
bielmel^r ein menfd^Iid^eö SSoUen, haS ft(^ in irgenb
einer SSeife an ber 95egebenl)eit entfaltet, fei'ö aU
i{)re golge, fei'S ttjeiter^in alö SSerantaffung Don neuen
95egeben()eiten. 2)enn felbftüerftänblic^ ftel)t ein folc^eö
SGSoßen nic^t nur am beginn be§ «Spieteg, fonbern
bag, tt)0§ bie Seute ttJoHen, greift irgenbttjie ein in
ben ®ang ber ^inge, ruft neue Gegebenheiten ^erüor,
bie bann h)ieber gu neuen Söitlenöregungen Slnftofe
geben — unb fo ttjeiter bi^ ju einem gemiffen
2tbfcJ)Iu§, über ben ^inauö Ujir !ein meitereS Sntereffe
mef)x {)aben, meil eben ha^ erlebigt ift, mag öon
Sfnfang an unfer Sntereffe gefeffett, unfere «Spannung
unb ^eilnat)me am (^pkl erregt unb feftgef)atten t)at,
maä ber eigentlicf)e ©egenftanb be^ (S|)ielä mar, unö
borgefteHt merben foKte.
S)ieje§ 'Bp'id öon SSiUen^öorgängen unb i^ren
golgen !ann aber nic^tbon@inem gema(i)t merben.
@iner lönnte nur ©efc^e^ene^ berid^ten ober feine
baran fic^ fnüpfenben @eban!en unb @efüt)(e jum
5tuöbruc! bringen; unb maä er etma aU einzelner
mottte, haS bliebe ein ru^enber 3ufton^ fei"^^ SBitteng*
fpl^äre ober fönnte ficJ) menigfteng nid^t gum <Bpid
entfalten, menn nid^t anbere i|m entgegentröten, bie
— 35 -
au<if cttDQ«; tooÜen unb t()m baburd) ^-üctanlaffunfl
flcben, feine 3BilIcnSrc(^unj\ trirflid; in 9(ftion 5U fe^en.
5lnbcre, hai ticifet: anbere 3J?enfd)en — ober aber
aud) Umftänbe, 33erl)ältniffe, SUJädjte, (iJertalten, bie
im 9J?cnj'd)cnlebcn irc^cnb einen beftimmenben (Sinffufe
üben, bcn Iföillen l)erau0torbern, baf3 er in Xt)ätißfeit
trete. Stber aud) in biefcn ^erpltniffen unb 9J?äd)ten
mu§ etnjaS öon ber Sfrt eineS SBitteng fteden, unjere
^I;anta[ie mufj it)nen ftienigfteniS etrta^ bergleid)en
Ieif)en, unterlegen !önnen, n)enn unfer Sntereffe am
©^tct get)örig erregt merben, menn überhaupt ein
toirflidjeä @piel möglid) njerben foll. ^er Umftanb,
ha^ einer !ranf ift, gibt nod) fein ^pkl, aud) njenn
er ben tebl^afteften SSiüen i)at, gefunb gu njerben;
aber Ujenn anberen ber Umftanb, ba'^ er franf ift
ober fid^ !ran! glaubt, gum Stnla^ tt)irb, tttva^ öon
tl)m, mit it)m, an if)m gu mollen, bann !ann ein
@piet entftet)en n)ie ha^ öom „^ran!en in ber @in*
bilbung " bei SKoIiere. ^er Umftanb, ha^ auf einem
@ee ein göt)nfturm bittet unb beim beften SßiHen
feinen ©d)iffer ^inau^täfet, giebt noc§ fein ©piel; aber
njenn üon ber ^^rage, ob tro^ be§ ©türmet bie ga^rt
gemagt merbe, Seben unb Stob 93aumgarten§ abt)ängt,
ttjenn iöaumgarten gerettet merben miß, bie «Schiffer
nid^t fat)ren moHen unb enbtid^ Xett feinen SBilten
einfe|t, bann entftet)t ein «Spiel, ha^ meitere folgen
l^aben fann. Srgenbmeld^e politifd^e, fogiale unb
3*
_.._ 36 —
anbete ^Ser^ältniffe, auf tücld^e ber SSitle beg ©tn^elnen
trifft, erzeugen ein ©piel nur bann, njenn fie nicijt
bIo§ eben alg ßuftönbe gu unferer tenntni^ fommen,
fonbern Ujenn fie üon ^erfonen tiertreten finb, bie
etttjaiS tt)otten fönnen im Sinne biefer ßuftänbe. Unb
fo auc^ bie t)öd)ften SJ^ä'djte unb ®ett)alten beg S)a*
feini§, bie natürlichen unb fittlidjen SSeltgefe^e unb
Seben^orbnungen, fie treten ing bramatif(i)e ©piel
nur ein, tijenn fie tion moUenben ü)?enf(^en irgenb=
h)ie ge^anb^abt unb tiertreten tijerben — ober menn
fie n)enigftenä nad) ber SInatogie eine^, ob aud) un=
perfönlid)en SöiEenö, eine§ SSettmillenä, Slational*
tijillenö ober waS eg fei, fid) funbgcben ober üon un^
üorgeftellt werben. Unb Wenn biefe pdjften 3)?äc^te
religiös gen}enbet alß ©ott^eit auftreten, fo tt)irb biefer
©ott^eit eben audj ein SSiEe §ugefdjrieben, fo ift'^
ber SSille ber ®ottt)eit, ber bem tt)oEenben 9!)?enfc|en
gegenüberftet)t unb fo ein ©|)iel ermöglid)t.
Sin bramatifdjeö ©piel entftetjt alfo nid)t auä
bem, maö ein ©ingelner mei^ ober gu er3äl)len i)at
ober tijaö er ben!t, füt)(t — nidjt einmal au^ bem, tva^
er aB einzelner begehrt, tüiU: öielmet)r entftet)t e^
nur au§ bem SöoIIen SD?et)rerer. 2(ber auc^ au^
biefem nic^t, iüenn alle baSfelbe moEen. S)a§ ßhJeie
fid) lieben unb fid) tiereinigen moEen, giebt nod) fein
bramatifd^eä <Bpki', baoon fann man, menn'g gefd)et)en
ift, eine intereffante (SJefc^id)te er5äl)len, bie Seiben
— 37 —
fbnncn i^rcr fiiefic uub <3ef)nfud)t fcf)önen 9(u8brurf
flcdcn, aber bnrnuö cntftcl)t norf) fein 1)rama, t)i3d)ftend
eine (Sr^nl^lunrt ober eine h)ri)d)e ^id)tung. X>aflegen,
fotüie ben beiben iJiebenbcn ein dritter [ic^ entcjegen;
ftettt, ober mc()rere, ober eine 90?ad^t — furj ein
SBiße, ber nid)t toiÜ, ha^ fie ftd^ lieben unb bereinigen;
ober tüenn bie beiben fiiebenben felbft uneinö luetben
unb, n)enn aud) nod) ba^felbe, bie^ bod) in öerfd)iebener
SBeije, mit üer[d)iebenen 9J?itteIn iPoUen: bann [inb
bramatifd)e ©piele möglich tuie in ©f)afefpeare2>
„9tomeo unb Sulia" ober Seffing^ „3J?inna bon
S3arnt)elm". SSenn eine SWaffe baffelbe njiti, hjenn
ettüQ baö gange §eer SSaltenfteinö ju ben @ci§tt)eben
überget)en ttjollte, fo gäbe ta^ nur ben ©egenftanb
für einen epifd^en 93eric^t; aber ein bramatifd)eg @piet
ent[tet)t erft baburc^, ba§ Dctauio einen Steil be^
Söaltenfteinfd^en §eere§ beftimmt, etlna^ anbere^ gu
iroEen, bem Äaifer treu bleiben gu tooEen. Sa aud^
nur, tüenn ein SKaffentuitte fic^ fo fe^r in ©eftalt
äu^erlid^er Tlad)t unb Uebermac^t barfteßt, ha'^ ber
SSille unb namenttid^ ber ©egenlüiüe gar nid^t aU
SSiüen^aftion gur Geltung unb gur Stnfc^auung !ommt,
halß bietmef)r nur eben bie, ob au^ üom 9öißen
birigierte äußere Uebermad^t bie fc^njöd^ere 9Jtad^t
befiegt, fo giebt aud^ bag noc^ fein bramatifd^eä @|)ie(.
(Sin Ärieg, eine ©c^Iad^t, fie ftnb al§ fold^e (Siegen*
ftänbe eptfc^en Q^erid^teS aber nid^t be^ bramatifd^en
38
©pielg. SBenn aber ber — allerbing§ om @nbe
übermächtigen unb fiegrctc^en SPJaffe be§ fd^tüeigerifc^en
SSoIfeg ber tmmerl)tn it)iber[tanböfäf)ige, ja gunäd^ft
I)errf(f)enbe ^^rannenlüille ©efelerg unb ber anbern
^abgburgtfd^en S3ögte gegenüberftef)t, bann giebt'ä ein
S)rama. 3)?affen!ämpfe alö foId)e finb beölüegen nid^t
bramatifd^ fonbern epifd), tt)eit eben burd^ bie 5lb«
maffierung unb bie äußere 2SudE)t ber SO'Jaffe gu fef)r
ber ©inbrurf bon ber @egenetnanberbeh)egung üer*
fd^iebener (SingelrtJiüen in ben §intergrunb gebrängt
njirb, njeil — obnjolil Äampf ba ift, bodf) gu [ef)r
ber ©inbrurf uorl^errfd^t, ha^ öiete baöfelbc njoHen.
2Ö0 bagegen 5n)ar 9J?ef)rere, aber borf) nur
SBenige, öietteid^t nur ßtoei einanber gegenüberfte^en,
ba tritt ftärfer alB bei 90?affen eben baö l^erauö, ba§
ber ©ine nid^t b(o^ etiraö anbereä tt)ut ober leibet,
fonbern ettüaö anbereä njiÜ al§ ber 5Inbere, ha'^ ein
SßiUenglonftift ba ift. 3m Äonftüt üor oßem
jeigt unb entfaltet fid) ber 9BiEe, im Slonfüft 3rt)ifd^en
Mel^reren tö§t fic^ ber SSille al§> ©piel öorfü^ren,
bei einem 3Sitten§!onfIift mirb unfer Sntereffe aufS
ftär!fte eben barauf gefponnt, mag bie Seute motten,
ob unb mie fie it)ren 3SiEen burd^fe^en ober nid^t,
mag ba^ SSoIIen für t^ofgen t)aben mirb, mof)in e§
führen, mie bie (Sac|e enblid) auggef)en mirb. Sm
9Bißenä!onfIift !ann allerbingg aud) ein (Singeiner fid^
mit fid^ felbft befinben, genauer gefagt: im 5^onfIift
— 39 —
bcr ?!J?otiue für feine 3SiIIcni^entfc^cibun(\; unb foI(f)c
Älonfliftc fönncn einen fel)r luicljtic^en iöcitraQ ^um
0!iQn5en beö brnmnti)d)en ©pio(«5 geben, ja üicUcic^t
in feinem 9J^itteIpunfte fielen - man Denfe nur an
SSaUenftein! ?(ber ein fcl)aubareg, barfteübareö «Spiel
ermbglicl)! ein foId)er Äonflitt ber SDiotiue allein noc^
nicl)t — ein SOtonotog ift nod) fein 2)rama, I)öd)ften8
ber Scftanbteil cineö foId)en; ein bramatifdjeö Spiel
!onn fid) nur entfalten, menn mit ben um ben SBitlen
beö ©ingeinen ftreitenben inneren SD^otiüen üon aufeen
t)er bie 2öiüeniSäuBerun9en anberer in irgenbmelc^e
iöegie^ungen treten, l)emmenb ober förbernb. G6en
im „ 333allen[tein " ift ha§ aufö flarfte gu fel)en.
3m 2®itlen§fonflilt barum lebt bie eigentlid^e
©eele beö Sramottfdjen, unb bie 5föirfung be§ brama*
tifdjen (Spielet auf ben ßuff^öu^^ ^f* ""^ fo ftärler
unb öotter, je energifdjcr unb mädjtiger ein Söilleuä*
!onflift angefponnen, je beutlid)er unb anfdjaulic^er
er in oüen ©tobien feiner (Sntmidlung üorgefül^rt
unb burd}gefül)rt mirb, je grünbtidjer, beftimmter unb
fonfequenter er gum enblidjen 5lugtrag gebrad)t mirb.
@g t)exftet)t fvi) babei, ta^ ber ©efamtlonflilt eine§
bramatifc|en Spiele fid) mieber au^einanberlegen !ann,
ja in ber Siegel mufe, in eine 9?eil)e öon (Singel*
fonflüten, boB immer mieber, 6i§ m§> ©ingelne Ijtnein,
3Sille auf 3BiHe trifft, mit immer neuen Spannungen
unb Söfungen, fo bafe fid) au^ einem gelöften ^onflift
— 40 —
immer irieber ein anbetet ergibt, bi§ enbtid) alle
eingelnen Spannungen unb Söfungen ^ufammen i>Qn
@efamt!onfIift gum 5tu^ttag bringen. SBie fid) Ijkxau^
bie ^ompofitionögefe^e be§ S)tama^5 mit S'Zotttjenbigs
!eit ergeben, mirb fid) geigen.
gür je^t ift aufö nad;brüdlid)[te feft^ufteüen unb
ein für aüemal f eftgul^alten : ha^ SSefen be^
SJramatifd^en rut)t im teilten ©runbe in
nid^tg anberem aU in einem gum «Spiet
geftalteten SBitlen^fonffift. ®oc^ ift babei
fotgenbeö nid)t au^er %d)t gu taffen.
(Sinmat laffen [ic^ SSiüen^öorgänge — im
tneiteften pf^d^ologifd^en Sinne beö SSorteö — groat
für ha^ abftrafte miffenfd^aftlid^e ^enfen, nid^t aber
im t^atfäd)Iid)en 93erlauf unfereö Seelenleben^ toötbfen
t)on anberen pf^djifdjen ^ßorgöngen; fie pngcn nid}t
in bcrSuft, fiefinb motiüiett burd)@emütöbemegungen
jeglicher 2trt, ftnb in le^ter Snftang beterminiert burd)
ben ®efamt(^ara!ter beö njoEenben Snbiöibuumg; unb
fie löfen trieberum ©emüt^bemegungen au§, mir!en
gurüd auf ben ©efamtdjorafter. ©a'S bramatifc^e
Spiel !ann alfo bie SSillen^üorgönge bem ßufc^auer
nic^t üorftetlen, ot)ne gugleid) auc| allerlei ©emütö*
bemegungen be§ UJoEenben SOtenfd^en auf bem §inter*
grunbe feinet @efamtc^ara!terö gur äftt)etifd)en5Infd)au*
ung anbringen. Unbanber5lnfd^auung biefer 95 e gleit*
erfd^einungen ber SSitlenööorgänge, ber triebe,
— 41 —
?(ffc!tc, (Stimmuitflen, ®cfüt)le, tt)ic fie tcitö ben SBiüen
motiüicren, tcil^J burrf) it}n auÖ(^ctö[t irerbcn, nc()men
uiir ein äljnlicljCiS !5ntcrcf)"o tute am IföiUen fctbft. So
fül)rt bcnn basJ bramatifdjc Spiel mit bcm 2BiUen
aud) feine ©eglcitcrfdjcinungen unfcrcr äft^ctifdjen
?(nfd)auunfl üor — frcilid) nidjt q(^ rut)cnbe ©emütö*
3u[tänbe,j'onbcrn atö [ceIi)d)e5iciDe(^uncjcn in93e5iet)un(^
3um Iföillcn. !J)aö bramatifdjc entl)ält alfo, fur^
t]efaflt, aud) ein tljtifdjcö 3)^oment, unb biefeö
!ann fid) an fletuiffen Siutjepunften beiS <Bpk\§ mit
einiger 9ieid)lid)teit unb ^ülle entfalten, begleitet im
übrigen, me()r ober meniger ftarf t)ert)ortretenb, ben
ganzen bramatifdjcn Spielproje^. Unb bie ^arftellung
ber 3BiIIen§üorgänge njirb ^ugleid; gur Stjarotter-
barftcüung, giebt ein ©efamtbilb beö im Spiele t)or*
gefteHten 9Jcenfd)en. 9^ur !ann biefe^ It)rifd)e 9}?oment
nid^t felbftänbig, nid^t Selbftglüed n^erben: 5(eu^erung
Oon ©emüt^bemegungen attein ober aud) bto§e
6f)arafterfd)ilberung giebt noc^ fein SDrama —
bramatifd) tüirb ha^ alle^ nur, fofern unb foUjeit e^
fid) in engfter Öe^iet^ung ^ält gum SBiüen unb
feinen 5!onftiften.
Sobann ift ebenfo t)a§ gu beadjten: ber SBiUe
tft grtar an fid) ein rein innerer ^35organg, innere
STftion unb Slftioität beö 9}2enfd^en, unb ba§ fann
für iia^ rid)tige SSerftänbni^ be§ ©ramatifd^en nid^t
fd)arf genug betont iDcrben. 5rber biefe innere
— 42 —
2t!til)ität \)at nicfitgbeftonjentger ben 2)rang, fid) auc^
in äußere ^Htion umgufe^en, irgenbtute auf bte
Slufeentrelt belregenb unb befttmmenb 5U tt)tr!en. ©ie
fann aUerbingg baran öetf)inbert irerben burc^ ©egen*
tüirfungen unb bod) Sßtlle bleiben unb olg foI(i)er
fein bramatifd^eg 3ntereffe bet)aupten; ha^ eben ift
ja bcr ®inn eineö 9BitIeng!onfti!teg, bafe ein SBille
ben anbern um feine 3Sir!ung gu bringen fuc^t, inbem
er fid^ felbft bie 9J?ög(ic^feit ber 2Bir!ung erringen
^lüill. 5rber eben ouä biefem Slonflüt, njelc^er Sßille
ber fiegreic^e fei, ergiebt fid) irgenbtt)ie eine äußere
Hftion, entfielen SSirfungen auf bie 5(uf3entt)elt, baö
Reifet: e§ begiebt fid) etttjaö. Umge!el)rt n)erben
233illcn^ben)egungen unb 3Sineng!onfIi!te burc^ Se-
gebent)eitcn öcranla^t, in ber mannigfattigften Söeife
berfdjiingen unb freuten fid) innere 3Sißen§öorgänge
unb äußere 93egebenl)eitcn, Verfetten fid) unter bem
®cfid)tgpunft öon Urfoc^e unb 2Bir!ung, ä^eranloffung
unb gotgc. (So ge^t alfo auc^ bie äußere 93e*
gebent)eit in ha^ bramatifd)e ©pie( ein, n)irb öon
if)m bargefteüt unb tnenbet fid) an \)a^ Sntereffe
beö Su\d)auQi^. S)a§ lä^t fid) aud) fo augbrüden:
iüie ein l^rifc^eö, fo entt)ä(t ha^ 2)rama ein epifc^es
SWoment, eben bie S3egebent)eit, ben SSorgang beg
2(ufeenlebenä, bie öuBere Station. 5(ber aud) bie
5?orfü{)rung ber 93egeben^eit !ann nid)t (SelbftgUjed
für ha^ bramatifc^e S^iel fein: alte§, raaö fid) begiebt.
— 43 —
{^cuiinnt brnmotifrf)cö3ntercffc, crmöj\(id)tbnö(c6enbiöc
.•pin unb .^■>cr cincö 'Spiclcö nur, fofcrn unb foiucit ci
au« 3iMUcn0Uorflnngcn l)cnioröct)t ober fic bebingt
— ober fte öeranfd)aund)t.
S)cnn bag ift in bicfem 3ufQmment)ancj aud)
nod) 5u bcadjtcn: alle äftt)etifd)e SBirfung rul)t ouf
5Infd)auuniv aud) ba«i bramatifd)e Spiel bor SBillenö«
tonfliftc lüoücn nur fc()cn, nid)t etum blo^ üer[tanbe(g*
mäfeig crfcnnen unb crfc^ücfjcn. 9(6er Sßillen^üorgönge
finb ja an fid) md)t^ fd^aubarc^, fie laffen [i(^ alö
foId)e nur ungenügcnb üor bie 5(nfd)auung bringen:
SD^iencn unb ©eberben !önnen etioa anbeuten, ba§
SBilleni^üorgänge fid) im 9}?enfd)en öoKgieljen, big
auf einen geluiffen ®rab aud) noc§, in tueldjer
9?id)tung ungefäl)r fie ge()en; unb auc^ baö SBort
fann gtüor üom Sut)alt be§ 3SoIIeng etlra^ auöfpredien,
aber bire!t boc^ aud^ nur in giemlid^ allgemeiner
Söeife b. I). fo, bo^ bie Dbjefte, auf bie ftc^ bie
fubjeÜiüe innere 2(!tiüität berief)! unb fponnt, benannt
unb be5eid)net merben unb fo in ber gorm Don
SSorfteEungen bem 3ufd)auer gugängtid) finb. SIber
ber 3Si(Iengöorgang fetbft in feinem SSerben, in feiner
@ntftef)ung unb feinem SSertauf big gu einem gemiffen
©nbe — mu§ mef)r auf inbireüem 9Sege öor bie
äftl)etifd)e 5(nfc^auung gebracht inerben, teilg inbem
bie Segleiterfdjeinungen ber SSitlengüorgänge, bie
®efül;Ie, Stimmungen, ©emüt^bemegungen jeglicher
— 44 —
5ttt auf borfteltunggmä^igen, an[d)aultd)en 5tugbrud
gebracht irerben, ))oetij'c^ unb mtmtfc!^ fici£) au§fpred)en,
teitg inbem ein äu^ere^ ®efd)el)en, eine i8egebenl)eit
aU erregenber 51nla§ ober afö äußere ^olge unb
2öir!ung ber inneren 3SiIIen§!onfIi!te öor bie ^n-
fdjauung ber ©inne ober ber ^f)anta[ie gebrarfjt
tt)irb. Snfofern bienen bie I^ri[d)en unb epifc^en
SKomente im SSerlauf be^ bramatifd)en <3piet§ bem
3h)ed, bog eigentlid^ ©ramatijdje, ha^ im SBiEen
unb feinen Äonftüten ruf)t, einbringtid)er unb beut^
lieber, atg eS oI)ne fie möglid^ Ujöre, \)ox bie un=
mittelbare 5tnfd)auung gu bringen, fd^aubar unb
fomit äftt)etifd) fapar gu madjen. 5(ber tro^bem unb
ebenbamit bleiben bie SBiEengfonfüfte felbft ber
eigentliche ^auptgegenftonb beg bramatifc^en Sntereffeg
unb bie Sebenöbebingung be§ bramatifdjen ©pielä,
SSeiter nun ober: n)o 3SilIeng!onfIi!te bie — "mk
fd)on gefagt — innere treibenbe Straft im ®efd)e§en ftnb,
liegt eö in ber Statur ber <3ad^e, ha^ gn^ifc^en ben
SBillenöborgängen unb ber äußeren 93egeben{)eit eine
SSerfettung Don Urfad)e unb SBirfung, SSerantaffung
unb ^otge ftattfinbet. (£ö ergiebt fid) fo au§ ben
3BiIIen§!onfüften ein ©angeö öon notirenbigen
3ufamment)ängen in einer beftimmten STnorbnung, unb
eben biefeiS gufammenfjängenbe @an§e alö ein ein*
:^eitlid)er, intereffanter SebenäDorgang njirb gefpielt,
auf bem @d)aupla| bor bie äft^etifc^e ?tnf(^auung
- 4ö —
flcftcUt. 1)icfc« &an^c, bicfc (5inl)cit nun aber l)ot
mnu uon 'ülltcrS I)er ^anblunfl, bramatifclje .<panb*
lun(\ (genannt — lüic beim and) „Urania" iprad)ncl)
nicl)tö anbcrciS bebeutet alö .'panbluiuv llnb bicfe
iöe5eicl)nunrt l)at il)r uoUe^, in ber 3acl)e begriinbeteiä
9iecl)t. .*panblung ift nod) ettoaS aubereö, tiefer greifen*
beS a(g Olofee äußere i8eget)enf)eit: 5ur i^anblung luirb
eine Segebenljcit ober eine 9iei()e Don 58egebcn()eiten
erft, lüenn ttjollenbe 3J?enfd}en if)re inneren SSiüenä*
uorgänge in äufjere SEirfungen umfctK^n, tüenn nid)t
b(oJ3 etiüaö fid) begtobt, äufäüig, ungewollt, fonbern
tnenn bie S8egebcnl;eiten au^ bem 2Biüen unb feinen
itonfüften t)erüorgef)en, burd) it)n in innerüdjem
3ufammenl)ang üerfnüpft unb üerfettet njerben. 3)a
aber ber 3BilIe |3fi)c^oIogifd) auä bem 6^ara!ter fteigt,
bortI)er feine ä)?otioe bcgieljt, mit ^Zotmenbigfeit burc^
i()n beterminiert ift, fo giebt eä feine bramatifc^e §anb*
lung ol)ne bramatifd^e ß^araftere, bie ^anblung
entmidelt fic^ üietme^r au§ ben (5t)arafteren in mef)r
ober tt)eniger beuttid) erfennbarer 3Seife — am beutlid)*
ften unb nad)brüdlid)ften freilid) im germanifc^en
Srama. Unb e§ ift mieberum fein ßufall, fonbern
innerlid) begrünbet, menn ber bramaturgifd^e «Sprach*
gebraud) bie f^anbelnben ^erfonen im ^rama gerabe^u
^, ßf)araftere " nennt.
Ueber^anblung unbS^araftere unbit)r SSer^ältniö
im S)rama ift fpäter noc^ augfüf)rlic^er gu reben. %nx
— 46 —
je^t genügt ha^ eben ©efagte unb eö ift über ha^
SBe[en beö 2)ramaä biö je^t fo ötel gewonnen: boiS
2)rama t[t eine auö SSillenäfonfUften auf*
fteigenbe, bur^ SSittengfonftifte ^u einljeit*
ItdEjer ^anblung üer!ettete unb burd) SStHen^*
!onfIt!te tntereffterenbe, 5u[amment)ängenbe
9JeiI;e Don Segebenfjetten, h)eld)e einem ^w
fd^auenben ^ublüunt auf einem beftimmten
©d)au:pla^ al§ lebenbigeg «Spiet öor bie
äft]^etifd£)e 5tnfc£)auung geftellt mirb. .
®abei ift aber noc^ eineS fc^arf in§ 5(uge gu faffen.
@ö liegt in ber S'latur be^ Spielet, ha^ eä ai§ ein
njerbenbeg angefd^aut n)irb; öor ben klugen be^
ßufc^auerö entmicEelt eö ftd) Don einem gegebenen
3eitpun!t an nac^ ber ßufunft l^in biä gu einem 5Ib*
f^Iu^. Unb baäfelbe liegt in ber '^atnx ber 2öiIIen§*
fonflüte, meldte ben ^ern beä bramatifc^en Spietä
au^mad^en: fte fpinnen fic§ an, fommen an einem
beftimmten ^un!te gur Stftion, fteigern fid^ big gu einem
fünfte §in, too fie fic^ öoE entfalten unb gugleic^
if)re notmenbigen folgen tjerüorgutreiben beginnen,
unb biefe brängen in 3Sed)feImir!ung mit ben SBillenä*
öorgöngen unb i^ren 93egleiterfc^ einungen ^u einem
fünfte ^in, wo ber ^onftüt feinen 5lugtrag, feine
enbgiltige Söfung irgenbmel^er 3Irt finbet. Stud^ haS,
gefpiett, ift ein üor ben Hugen fid^ öoUgietjenbeS
SBerben, bag an einem gegentüärtigen ^un!te einfe|t
— 47 —
unb in einet 3"^""?* fß^t'Ö ^'^^- ^"^ ""f^*^ Snter«
cffc t)cftct fid) eben an bic[e8 33?erben, fponnt fiel)
auf baS SBerben Don ^^unft ju ^untt, öon Stabium
5U Stabium — unb erlifdjt, luctt Ocfrtcbißt, fotüie
bic ©adjc fertig i[t, baä isföerbenbe alä ein (^eluorbeneg
üorliegt. ^aö t)ei{jt alfo : bramatifd) ift im loefent*
Iid)en nur ha^, ujaä njirb, Kor unseren 5{ugen
h)irb, ber SBiüeniSfonfüft atg ©piel Dorgefttt)rt bon
ber (SJegennjort nad) ber ^ufunft; ha^ fertige bagegen,
©cluorbcne, 5öcrgangcnc ift alä foId;eä unbramotifc^,
!ann gar nidjt eigcntlid) gefpielt hjerben, erregt nidjt
haä Sntereffe, ein ©piet an^ufdjauen.
©anj anberö ift eä, fonjie ex^üf)U tt)irb: ergäl^Ien
fann man nur ein gertigeiS, SSergangeneä. Qtüax !ann
ber (Srgöl^ter unb fönnen feine ßuprer aud) ha^ Snter*
effe t)aben, ha^ florgefteßt njerbe, n)ie ha^ fertige,
SSergangene gerobe fo geworben ift, aber baä Snter*
effe tieftet fid) babei nic|t an ha^ Sßerben felbft, fonbern
an ha^ SBie be8 ©emorbenen. 3Bo^l !önnen hahei
auc^SSiUen^öorgänge unbSöiUengfonflüte bonSBic^tig*
!eit gemefen fein, aber e§ fönnen aud^ gang anbere
Urfad^en beftimmenb, ja ausfc^Iaggebenb gemirft
t)aben, bem 3öiEen entzogene ßufätt^f elementare (£r*
eigniffe, 9}?affengemalten — !ur§ 93egeben^eiten, bie
nid^t aug bem menfd^Iic^en SSilten auffteigen. etiler*
bingg !önnen bie Qui)'6tet be§ ©rgäl^terä aud^ eine
©pannung nad^ ber ßu'^unft erleben, je nad^bem er
— 48 -
feine @r5äl)lung cinrtdjtet; aber eö ift lebtglidE) eine üor=
geftellte, ^t)antafiemä^ig angenommene ßufunft — im
©runbe toiffen fie borf), ha^ ha§> ^rgäfilte fertig, abge^
fcl)(offen, öergangen ift, fonft tonnte man ja nid)t baüon
er^ötilen. 2)er Sefer, ber fet)r balb nac^ bem @nbe ber
@efc^i(f)te fid^ umfc^aut, el)e er meiterlicft, mei^ im ®runbe
fef)r moI)(, tva§ er t^ut, unb getjijrt teine^meg^^ ot)ne meis
tereö gum Sefepöbet. SJcit anberen SSorten: toa^ ber
©rgöfiler üon einem SBerben 6erid)tet, ba§> ift in feinem
2Befen nur ©rflärung beg ©emorbenen ; i>a§> SSerben
beö bramatifd^en ©^ieteö aber braud)t gar feine nady
träglidje ©rflärung, loeil e^ fid) Dor ben 5(ugen be§
3ufd)auerö al^ ein 3Scrben cnttt)idclt, nac^ einer
ßutunft, bie für ben ßufdjaucr mirttic^ ßi^^u^f* ^f^ —
ßutunft beiS «Spielet natürlich, menn auc^ üwa hk
2[öirnid)!eit, beren äft!^etifd)en ©diein ha§> ©piel bem
3ufd)auer öorftellt, ber ^ergangenf)eit, ber ®efd)id)te
ongef)ören folltc. |)ierin liegen bie tieferen ^f^djo?
logifc^en Unterfd)iebe gmifc^en 2)rama unb dpoß, unb
ouö it)nen ergiebt fid) mit 9^otmenbigfeit bie SSer=
fcf)ieben^eit ber bramatifd)en unb e^ifd)en Xed^nif.
2(et)ntid) fte^t haä ^ramatifc^e in biefer iSegie^ung
gegenüber bem£t)rif^en: ber ©egenftanb beö tt)rifd;en
©id^auöfpred)eng, an bem mir Sntereffe netjmen, ift
ebenfaEö ein fertiger, in fid) abgefc^Ioffener (Seelen*
guftanb, ber mefentlid) in ber (SJefül)I§fp^äre liegt;
nur tritt er nic^t ^aU ettoa^ in ber 58ergongent)eit
— 49 —
ÖJctrefencö, fonbern eben burrf) ben Icdenbiflen (Mefüljtö«
Quöbrucf nlö etiunci (Mcc^einuärtiöcö Dor unö. ?(ber
bicfeö CS^eöenlüärtifle fpannt iinfer ^ntereffc nict)t nac^
ber 3"fu"ft i>flö i;$ntcrcffe rul)t befriebigt in ber 5(n*
fdjQuunö beS Icbcnbi^ üeröegcntüärtigten Seelen«
^uftonbeS. ^toax tonnen in biefem ©eetenguftanb
ouci) üBif(cni^uorc|Qngc mit entljolten fein unb in biefer
,f)in[icl)t bcn 3wftanb in (ebljafter 58clüegung geigen;
aber [ic finb tcin ioefenttid)er, uncntbet)r(irf)er öeftanb*
teil beö ßuftanbeö, fie brängen nid)t nottoenbig nad)
einer tt)atfäd)lid)en 2öeitcrenttt)idlung über ben gegen«
uinrtigen ßuftanb I)inauä, tt)eden nid^t baö Sntereffe
am !föerbcn eine§ ©pieleö; eö tohh überfiaupt nid)t
gefpielt, fonbern cö fagt un§ einer, tüie eö in feinem
Snnern auöfiet)t — etn^a auc^ au^gefetjen t)at, aber
bod) fo, bafe tüir eö al^ gegennjärtigen (Seelenguftanb
je^t miterleben. 5Iud^ im Stjrifd^en alfo t)aben n)ir'§
mit gertigem gu tf)un, nid)t mit erft SSerbenfoßenbem
n)ie im jDramatifd^en.
^a§ ^eime beö ^ramatif^en au<i) im (Spifc^en
unb 2t)rifc^enfteden !önnen, ift natürlii^ aud^ l^ierburd^
nidjt auägefc^Ioffen. Slber bie ©rfenntniö, ba§ fic^'§
im S)rama n)efentlid) um bie 5lnfd)auung beö 2Berben§
unb nid^t um bie beö gertigen ^anbelt, ift tro|bem
fo ft)id)tig, ba^ man fagen barf: lebiglic^ au§ ber
SJJifead^tung biefeä ^unfteä erflärt fid) fo mand)e
3öir!ung§Ioftg!eit ober f^^ad^e 3Sir!ung fonft poefie«
4
— 50 —
üotter, fd)öner, ge^altreid^er ©ramen ober bramatifdjer
(Svenen. @ott)ie fertiges erörtert tpirb, in epifdjer
ober It)rifd)er 2)ar[teIIung§tüeife, beginnt bo^ brarna^
tifc^e Sntereffe beg ß^i'^^"^^^ h^ er(at)men, ha^ Spiet
ftel)t ftiß, unb ber 3ufd)auer ift unbefriebigt, n)eil fein
Sntereffe üorn)örtä mU, mö^renb bod) nid^t^ öoriuärtö
gef)t. SSortoärtiS, öorttjärt^! SBerbentaffen, ein SBerben
fd)auen laffenl '^a^ ift ber SJJa^nruf, ber an^
bem t^atfäc^tidjen |)f^d)otogifc!^en Sntereffe be-g 3"-
fd^auerg unb au§ ber S^Jatur be§ ^pieU forttt)ät)renb
in§ D^r beö ^ramatifer^ tönt; unb njer il)n übertjört
ober mi^ac^tet, ber barf fid^ nid^t ttjunbern, n^enn
bie fd)önft empfunbenen ober gefagten ®ad)en, bie
mer!n)ürbigften S3erid)te !eine ober nur fc^tt)ad)e
SBir!ung im 2)rama tl)un.
@in fet)r intereffanteö unb Iei)rreid)e<§ Seifpiel,
rt)ie nid)t baä fertige fonbern "baß SSerbenbe bie
eigentlid^ bramatifc^e 3Sir!ung t^ut, ift Äteiftö „Qtx^
brod^ener ^rug". ^ier njirb auf eine ebenfo einfädle
als tt)tr!unggooIle, ja überraf^enbe SBeife gerabe^u
einem fertigen baS Söerben abgemonnen, ^ertigeö
in Söerbenbeg umgefe^t. S)ag ö^^ä^ ßuftfpiel bret)t
fidfi oHerbingö in geUjiffem @inn um ein gertige^:
bie bereite abgefd^loffene St^atfad;e, ba§ ber 2)orfrid^ter
STbam unter einem SSormanb in ba^ ßimmer ber (£öe
eingebrungen ift, üon if)rem <Sc^a|, bem S^tupred^t
überrafd)t bie ^(ud)t burc^g ^enfter ergriffen {)at,
— 51 —
babei ben auf bcm ®efimg ftcf)cnbcn ct)rtüürbiflcn
Ärufl ber %xavi 3)?artt)e JHutt jcrbrorfjcn i)at unb
uon 9?uprcd[)t mit ber Xl)ürfünfe über ben ©djäbet
flct)auen luorbcn ift; baji ferner Güe quo ®rünben
ben iüal)ren Mruc^^crtrümmercr nid)t (genannt tjot, ha^
beötuegen ^-rau 9??artl)e ben 9iupred)tal0 ben ^()äter be*
trad)tet unb it)n öor ®erid)t belangt, ^iefeö ^^ertige
n)irb nun aber teinei^njegS ex^ä^U unb burc^ ^ufammen«
l)Qngenbe @r3äl)Iung in feinem ßufta^betommen beut*
lid) gemad)t; c§ iuirb ebenfoluenig lebiglid) barüber
reflcttiert ober beftamiert ober in ©efüi)(öauöbrüd^en
gerebet; ja baö Sntereffe an biefem fertigen tritt
überl)aupt gan^ in ben ^intergrunb, obnjof)! n)ir fe^r
balb mer!en, ttjaS fo im aßgemeinen ber S^atbeftanb
ift. SSieImef)r: gerabe baburd), ha'^ n)ir biefen Xi)aU
beftanb bolb gu merfen be!ommen, tt)irb unfer Snter*
effe rafd^ auf etmag gang anbereg gelenft, auf ba^,
toa^ nun eigentlid) Ujerben foU. ^rau SJtart^e 9tutt
t)er!tagt ben 9?uprec^t al§ ben ^ruggertrümmerer bei
bem ^orfrid^ter ^Tbam, unb biefer mu§ mit feinem
oI)nebie§ nid)t eben fauberen 5lmt^genjiffen hk @ac^e
gur geridjtlid^en Unterfud)ung bringen, unb ^tvax in
®egentt)art beö ®erid)t§rateä SBalter, ber eben bagu
ha ift, feine ^Tmtöfütjrung gu öifitieren. 3(bam fetber
t)at ben ^rug gerbrod^en hei einem 5tn(a§, ber it)m
auö anbern ®rünben nid)t gur @^re gereid^t, er
Ijat alfo ein bringenbeö Sntereffe baran, feinen
4»
— 52 —
5(nteil an bem ®efd^ef)enen gu öerbergen nnb oße
©d^utb auf ben 9?upred^t ober einen anbeten gu
n)äl5en; unb bo(^ foll er atö 9tid^ter, unb ghjar öor
einem SSifitator, ber i^m fc^arf auf ben ^ienft pa^t,
bie 3[Bal)rI)eit an ben Xag bringen. S)arau§ ergiebt
fid^ ein SSillenöfonfüft, an ben fid) fofort unfer
gangeö Sntereffe feft!tammert: n^ie tuirb fid^ ber alte
©ünber in biefer gefpannten Sage t)inburd)äun)inben
unb t)inauö5ubret)en furf)en, unb tt)ie njirb ha§ unter
bem ®egentt)oüen unb (S^egennjirfen ber Stnberen au§'
laufen? 2)aö ift bie ^rage, an ber unfer Sntereffe
t)ängt, unter biefem ©efid^töpunft öerfotgen n)ir bie
®erid)t!§üert)anblung aliS efmaß Sßerbenbeö mit t)eiterer
Spannung; bag i^ertige, baö SSergangene aber behält
im ^intergrunb fein Sntereffe nur folüeit, aU eä
biefem merbenben SSorgang bient, im SSerben unb
om SBerben beö ^ro^effeg aEmät)tid) gu Stage fommt
unb fo gemifferma^en fetbft alö ein 9Berbenbe§ an
un§ öorübergieiit, üor unfere Slnfc^auung tritt. ®ie
eigentümliche, ben ©egenftanb öon f)inten aufrollenbe
^ed)ni! biefeiS SuftfpielsS, bie auf ben erften S5tid über*
rafd)t, ergiebt ftd^ mit einer gemiffen Sf^otraenbigfeit
ou§ ber ^orberung beg bramatifc^en @pietg, nid)t
fertiges fonbern SESerbenbeä bor unfere STnfdiauung
unb üor unfer Sntereffe gu bringen ober baö ?5^^*i9^
in einSBerben um^ufe^en. Unb biegorm einer ®erid)t§*
öer^anblung fügt fid^ bein au^erorbentlid) Ujiltig unb-
— 53 —
cjünftifl: bie bramQti[d)c .f)anbtunö felbft tft ja in il)rer
tiufjcrcn ©rfdjcinung fo^ufaßcn ein ^rojefe, ber üor
einem ^ublifum c^efüt)tt tt}irb unb in bem fid)'ö barum
I)anbelt, iuer feinen IföiUen üor bem (^eridjt burd)*
fe^en )üirb. — ?(ud| in (Sc^illeri^ ,,Wax'm (Stuart "
liegt ^ertigeiS in SOiaffe üor: bie gange SSergangen()eit
ber 3Karia, it)re ®efangenjd)aft, if)r ^rogefe, bie
bisherigen SSer[ud)e gu itjrer ^Befreiung, il)re SSer«
iirteitung gum %ob. Slber aud) biefeö Sättige
bleibt alö folc^eö gang im ^intergrunb unfereS
allgemeinen Sntereffe^ — unfer fpeciell bromatifd^eS
Sntereffe fnüpft fic^ üon 5(nfang an an ha§, ma^
tuerben folt: toirb ha^ ^obeäurteit üollftredt njerben
ober nic^t? 5)arum breljt fid^ ber ^'onflüt ber
tierfd^iebenen aufeinanbertreffenben SöiHenSöorgänge
in ben bramatifc^en ßliarafteren, brel)t fid^ ber gange
bramatifc^e ^roge^, ber öor unferen Slugen gefüt)rt
lüirb unb gur ©ntfd^eibung fommt.
Unb fo burd^meg in alten Dramen üon Ujirftid^
bramatifd^er 2Sir!ung. S^amentlid^ aud^ bie fogleid^
einfd^tagenbe 2öir!ung ber 5(nfänge üon 2)ramen,
g. 33. eben ber erften Sl!te ©d^illerö unb anberer, ru^t
tüefentlic^ barauf, ba'^ un[er Sntereffe rafd^ unb
energifd^ üon bem SSergangenen, üon ben 3}orauä=
fe^ungen, bie ja jebeS ®rama l)at, ah' unb toeiter*
geteuft tt)irb auf haß, tt)aö nun barauä ttierben foÜ.
Snfofern erlennt man ben mirKid^en ^romatifer
— 54 —
g(eicJ) beim ^Beginn feine§ 2®er!eö unb ebenfo ben
fd^tuadjen 2)ramQtifer, ber fid) öiel gu öiet unb gu
lang mit @r5Ql)Ien unb iöerid^ten öon 35ergangenem
aufl)Qtt. Seffing fü()rt befannttid) bie (äjpofition ber
„9Winna öon 5öarnt)elm" big in ben öierten 5t!t
l^inein — lebiglic^ be§n)egen, tt)eil er Don ben
SSorauSfe^ungen ber ^anbtung immer nur ha^ gicbt,
b. {). ergä^Ien läBt, tt)ag ber 3ufd)auer gerabe brandet,
um ta§ Sterben be§ ©pielö ^u uerfteljen. SSa§
bagegen in fo mandjen Dramen Sbfen^, faft in aßen
au§> [einer fpäteren ßeit, bie bramati[(^e Söirfung jo
bielfad) fc^äbigt ober n^enigfteng ungemein erfd;tt)ert,
ha^ ift: er gebraudjt im mefentlidjen eine äf)ntid)e
Xec^ni! njie Slteift im „3erbrod;enen ^rug" — aber
ba^ 35ergangene, ha§ aufgerollt tüixh, mad^t fid^ üiel
5U breit, eä mirb oiet gu oiel über ^ertigeö unb
nic|t mel^r gu 5tenbernbe§ gerebet, biefe^ beanfprud)t
baö Sntereffe nur gu oft in einem oiel l)öl)eren
SOJa^e atä ha^, ioaö Ujerben foE unb njag bem
ßufc^auer eben bod) Ujic^tiger ujäre; e§ ift oft
gerabegu peinlid) unb bemü^enb, immer tt)ieber auf
ben Srrnjegen beg SSergangenen Ijerumnjanbern unb
fic^ ha müt)felig gurec^tfinben gu foEen, ftatt ha^ eö
frifc^ unb energifd^ auf ftc^er gu finbenben 3Begen
nad^ ber ßufunft bortoärtg ginge.
5tud^ t)ier ift freilid) nid^t ^u Oergeffen, ttjag
fd)on in anberem ßufammenljang l)eröorge^oben
— 66 —
iüurbc, baf^ nänilid^ baö ^roma immcrl)in aud) ein
cpifd)c«( unb ein lt)rifcl)cö SD^oment urnfnilt. 2)ieg
gilt aud) in bicfcm 3"ffl"^"^C"()Q"fl- 2)amit ber
3ufd)Quer baö 3[Bcrbcn bc« Spiels rirf)tig t)erftet)e
unb rnfrf) auffnffc, mufj i()m ba unb bort, namcnttid^
Qm 5(nfan(i bcö ^rnmaö ober am ^fnfanc^ neuer
'5^ciI[tüdEe bcö "Dranmi^, biciS unb baö mitgeteilt,
bcrid)tet, er5Qt)lt mcrben, maö gefc^etjen ift unb auf
®runb beffen baä 95?eitere merben folf. ßs fann
fogar entfdjeibenbe 5(ugenblide geben, tüo gerabe
burdj einen 3^crid)t über ®efd)cl;eneö SSiUen^entfd^ei*
bungen t)er6eigefüf)rt merben unb [o bie §onb(ung
meitergeleitet mirb, mo eine Spannung entmeber
erzeugt ober gelöft mirb burd^ einen S3erid^t. 9J?an
benfe nur 5. 55. an bie 93ebeutung, bie ber Seric^t
über bie Gefangennahme be§ <Sefin für bie ^anbtung
be^ „SSaüenftein" geminnt. Unb ebenfo giebt eg
9(ugenbltde im IBerben hc§> bramatifdjen ®piel^, mo
bie ipanblung in ber Zt^at für eine SSeile ftillfte(;en
mu§, med feelifd^e ßuftänbe al^ ^egteiterfdjeinungen
ber SSittengöorgänge fo ftarf unb mäd^tig f)erüor*
brängen, ba^ ber 3ufd)auer ein mirflid)e§ Sntereffe
baran l)at, aud^ fie aU etma^ gur Sac^e ©etjorigeiS
in il)rer gangen Äraft unb ^ülle t)or5(ugen gu t)aben;
5lu«brüc^e be^ ©efüfil^v ber Seibenfc^oft, beg STffeft^,
aljo tt)rifd^e 9(eu§erungen finb an manchen unb oft
fe^r midjtigen Stellen gerabe fo unüermeibtid^, ttjie
— 56 —
an anbeten ©teilen e^ifd^e 93erid)te. Unb allgemein
))oeti[c^ betrad)tet, formeE ftnb fold^e (t)rt[(^e ©teÜen
oft gerabewegä ^rad)tftücfe üon @d^önf)eit^n)irfung
ober anbernjeittger allgemein äft^etifd^er SBirfung.
Stber eben um bie ridjtigen ©teilen ^anbelt fid^S
babei unb barum, ha'^ hk^^ I^rifc^en unb eptfd^en
S!J?omente inä redete 35erl)ältnig gu bem bet)errfc^enben
btamatifdt)en 9)?omente treten. 3Bo bie ^anblung
toeiter foU, too ha§> SSerben unb SBir!en beö SBiüen^
je^t unfer Sntereffe in ^Infprud^ nimmt, ha finb tüir
fel^r menig empfänglich für bie fd^önften tt)rifd)en
Srgüffe, für bie an fid) intereffanteften 58erid^te über
33egebent)eiten - unb bann finb foldje ©teilen tro^
aller poetifc^en ©d^önljeit oft nid^tig atö Slrmut^*
geugniffe für ben ©ramatifer, ber mit ber |)anblung
nid)t mel)r red^t ttieiter toeife unb un^ beämegen üon
©eelen^uftänben unb bergangenen fingen mit fd;önen
SBorten gu unterl)alten fuc^t. SBo bagegen ha^
figrifclje ober ©pifd^e bem bramatifd^en 3^^^!, auf
ben beg ßufd^auerö ©eete gefpannt ift, in ber fdI)on
angebeuteten SBeife bient, ha mirb eö freubig mill*
!ommen get)ei^en unb gerne genoffen aud) in feiner
formalen öftt)etifdl)en 2Sirfung, in ©prad)e unb SSersJs
flang, ha toirft e§ auc^ im bramatifdjen ©piet um
fo fröftiger, je mel)r aßgemeine poetifd)e ^roft e^
entfaltet. jDie ^rad^töergä^Iungen ©d^illers mie ber
93erid^t beö lot^ringifdjen 9litterg in ber „Sungfrau",
— 57 —
bic (fr^iil)lunfl bci^ fc()iucbi|d)cn Hauptmann« im
„SBallcnftein," bie ^raumcr^äljtung be«^ i^i^an^ in ben
„9{äubcrn" unb lua« bcrglcidjcn ift — fic roürben
il)re SBitfunci nid)t t()un, ja c\erabe burd) mand)c
formale 3d)i)nl)citciiuivfungcn nur fdjäbicjen, luenn
[ic nid)t an ber redeten Stelle bramatifd)e SBirtungen
uorbereiten ober au«Jlö|en luürben. 5)ie 9?ebe be^
•^Intoniuäi an ßäfarö Seiche bei <Sl)afe)peare toäxe
nid)tö al^ ein übteö rl)etoriid)cö Äunftftüd, ba^ un^
bramatifd) falt liefse ober gar langttjeilte, menn fie
nic^t in grojjartig bered)neter Steigerung ber 9)iittel
bem ßmede biente, üor unfern ?(ugen ha^ römifdje
Sßot! auf5uftad)eln, einen üölligen Umfd^roung ber
SSotf^ftimmung unb bamit bie (Einleitung gu einem
n)eiteren3Serben ber §anblung t)erbor5urufen. S^rifd^e
Stellen Don befonber^5 ausgeprägtem ßtiarafter finb
unter anberem bie SJconologe; ber moberne 9latu-
raliömuö t)at fie auS pc^ft unfadjgemäBen ©rünben
öernjorfen: er meinte in feiner bürren äftl)etifc!^en
@ngf)er5ig!eit, bie SUienfdjen l)a(ten ja im gemö^nlid^en
Seben in ber 9?egel feine lauten SOtonologe, mad)en
bafür üielleic^t t)öd)ften§ §um unb 9[l?um — olfo
bürfen eS aud) bie 9)Zenfd)en im ®rama nidjt anber'g
lialten. 2)a^ haS^ grunbfalfd) ift, mirb fid) fpäter
nod) geigen, menn bon ber bramatifdjen Sprad^e hk
9iebe fein mirb. 3n biefem 3iif^n^"^cnl)ang ift
nur §u fagen: ber 9J?onolog ift allerbingö ein etroaS
— 58 —
gefofirtid^eö ®ing unb fann 5U einem ^trmutgjeugntö
für ben 2)ramattfer irerben — fobolb er nämlid) bte
i5üf)Iung mit ber bramatifcfjen §anbtung üerloren
I)at unb nidfjtS ift aU t^rifd^er ®efül)l^ergu| für
fid) ober irgenbmeld)e ^eüamation über gertigeä,
fobalb er über ha§' 3Sorte mad)t, \va^ mir merben
fef)en füllten. ?(ber er ift in feinem öollen 'Sit<i)t,
menn in it)m unb burd) i^n ber SBiüe mirb, menn
fid^ beutlid) unb anfd)aulid^ ein midjtiger @ntfd)Iu^
in if)m herausarbeitet, menn in ber ©eele be§ bramo*
tifd^en 9J?enfc^en irgenb etmaö uormörtö !ommt, rüdt,
fict) f(ar mirb — ober aud^, menn eine Ijodjgrabige
(Spannung ber @eele burd) ben 2öi(Ien ober feine
folgen fid^ in SBorten entlobt unb löft, bie bie <SeeIe
in biefem 31ugenblid nic^t 5urüdt)aUen fann. 3ti ben
3J(onoIogen ^omletö, 9Jcacbetf)§, SBaUenfteinS u. f. m.
rüdt oUemal etmaS: menn fie gu @nbe finb, fte^t irgenb
etmaS im bramotifd^en ^^roge^ anberö aU eö tiorI)er
geftanben ift; fogar ber üieIangefod)tene 9)conoIog
Xellö in ber t)ol)len ®affe leibet gmar im @prad^ftil
an einiger Sdjönrebnerei, bie in Stella SKunb nid)t
pa^t, aber bramatifd) ift er in feinem guten fÜQdjt:
auf ben Stugenblid gur entfd^eibenben %l)at t)arrenb,
bie ©eele gan^ üoll Don bem allerbingS längft gefaxten
@ntfd)Iufe, borf Xeü gang mol;I ben Smtfdjlu^ nod;
einmal burdjprüfen unb ooüenbö gur ^Ijat feftmadjen,
borf er ganj mol)! auöfpredien, ma§ fid) it)m in biefe
- 59 -
lierfjnnöniöüoUcn ^U^inutcn uon feinem flanken Sebcn
unb ®ejcr)irf 5ufQmmenbränöt.
©0 fönncn olfo and) tljrifc^e unb epifdje 9)?omente
fidj bcm brnmatijcfjen SBerbepro^cf] einfügen unb
unterorbnen unb, fouieit fie bivi t()un, in it)rem 9ierf)te
fein, ^er innerfte SeDeni^cjetjatt biefe^S Jßerbepro^cffeg
ift unb bleibt aber ber mcnfdjtid^e SStUe mit feinen
Äonfüften, 9Jc'otit)en unb folgen jeg(id)er 5Irt. ©ein
SBerben unb SBirfen alö einen 5ufamment)ängcnben
SebeniSliorgang in einer eintjeitlid^en ^anblung öor
bie unmittelbare 5fnfd)ouung ^u ftellen unb bem un-
geteilten, Tebt^aftcn Sntereffe be§ ß^fii)^"^^^ ^^^3^
gu bringen: ba^ ift bie 5(ufgabe beä bramatifdjen
f^t^^=^Wf^t^^=\
3tt)eiteg Äapitet.
Der Stoff.
fenn ba^ bromattfd£)e ©ptel in feinem SBejen
gan^ bestimmte ^öefonber^eiten l)at, bie e^o
bon anberen 5trten !ünftteri[d§er ^arfteHung unter*
fc|eiben, fo i[t bie ^rage nic^t ^u umget)en, n)a^
fic^ benn nun gu fold^er ^arftellung eigne unb toa^
nid^t, ha^ l)ei§t: 'ma§ bramatifd^e ©toffe feien? ®iefe
grage ift nid)t nur für ben fc^affenben 2)ramati!er
fonbern anä) für ha^ bramaturgifd£)e Urteil be^njegen
eine ber erften, toeil @toff unb 93el)anblunggart in
alter Äunft fid) irgenbnjie gegenfeitig bebingen, Ujeit
nur 5U oft eine beabfid^tigte Äunftnjirtung lebig(id)
au^ beut ©runbe nid^t erreicht n^irb, ha^ ber Äünftter
ftd^ im (Stoffe »ergriffen t)at.
3unäc^ft ift gan^ allgemein feft^uf teilen, toa^
()ier mit bem SBorte „@toff" gemeint ift. ®ag
bramatifdie «Spiet ift tok jebe^ — eben S|)iel, ha^
— 61 —
l)cif}t: \va^ auf bem ®c()QuplQt^ uorflc()t, haS ift nic^t
ein Stücf loirflid^cn iJebenö fonbern nur ber <Bd)em
eine!? [oldjcn, ein für bic äftl)etifcf)e 9Infd)auung
bcrecljnctcö, mit ben bcfonbctcn SKittcIn bcö ©piel«J
bem^ufrfjowcr üorgeftcüteö^^ilb öon^cbcnöuorgängen.
S)ie Sebcn^öorgöngc ber ernftl^aften SSirflid^feit nun,
Don bcncn in biefer SBcife ein 93ilb öorgefteüt luirb,
fie bilbcn in biefem Sinne ben «Stoff beg bromatifc^en
©picti?, feinen (SJegenftanb — unb bie ^rage nad)
ben bromatifd^en Stoffen t)eif?t atfo: rt)etdje£ebens5=
borgänge auö bem ernftf)aften lüirftid)en
Seben eignen fic^ bagu, in bramatifc^e ^anb*
(ung oerlDanbelt unb bramatifd^ gefpielt gu
tt)erben?
5(uf biefe ^^rage finb fc^on mancherlei 9lnttt)orten
gegeben tuorben unb toerben nod) fortmäf)renb gegeben,
toetdje burd)au§ bie Sac^e nid)t treffen, oielmet^r
frembe unb unfac^gemä^e ®efid)t§punfte einmifc^en.
So, hjenn man bel)auptet \)at unb neuerbingg ttjieber
gu bet)aupten geneigt ift, nur bie SSeltgefc^ic^te
biete für ha^ ^rama, menigftenö für ha§> entn^idettere
neuere Srama bie redeten Stoffe; bie bem Stoffe
nad) ^iftorifd§e Stragöbie unb ^omöbie feien bie
einzig mafjren unb mürbigen 2)ramen, 2)iefe 95e*
t)Ouptung ^at immer mieber, befonberg in beftimmten
Sat)räet)nten unfereg Sa§rl)unbertg, gute ßeute öerleitet
gu meinen, irgenb ein ^iftorifc^ bebeutfameö @reigni§
— 62 —
fei eben burd) feine ^iftorif(f)e 9^ebeutfam!eit fc^on
ein befonberö 6raud)barer bramatifc^er ©toff — unb
bie ®efc^idC)te ber bramatifdjen Siteratur t)at mit
(Sd)Qubern bie äJJaffe Don unmöglicEjen, töblid) lang*
n)eiligen ober tro^ etnjaiger ^oetifcE)er <Sd)öns
l^eiten üer^meifelt n?irfung^Iofen 2)Tamen öergeidjnet,
bie biefem 2öal)n if)re @nt[tef)ung üerbanft ^aben.
3öag ^at benn bie ^f)atfQc^e, ba^ eitoa^ ^iftorifd^
gefd^el^en ift unb für ben Sauf ber SSeltgefc^ic^te
irgcnb einmal unb irgenbmie Don 93ebeutung n^ar,
mit ben fpegiellen fünftlerifdjen Sebenöbebingungen
be§ bramatifd^en ©pielö ^u tt;un? 9tein nidjt^ unb
mieber nichts! Ober man t)at gar irgenb ein be=
ftimmteg t)iftorifc^eö ©ebiet aB ha^ günftigfte Stoff*
gebiet für ha§ ®rama betrad^tet, bie atte ®efd)ic^te
ettua, bie gried)ifdje ober römifd^e — ober ha§ WxtkU
alter ober bie ßeit feit ber 9^eformation — ober man
l^at inöbefonbere bie nationale ®efd)id)te alä bie
befte (Stofffunbgrube bejeic^net unb t§ut ha^ gerabe
l)eute »lieber. SSeil ha g. 95. bie §ot)enftaufengef(^id)te
ein befonberö bebeutfameg ©tüd unferer nationalen
@efd)id^te ift, ^at man ial)r5et)ntetang bie berüchtigten
unbramatifd)en §oi)enftaufenbramen gefünbigt; unb
meit in ber neueren beutfd)en öefdjic^te bie ®efd^id)te
ber ^o^engoüern üon befonberer f)iftorif(^er 93ebeutung
ift, fo bringt man je|t tüieber mit bilettantentiaftem
(Siferbarauf, ba^biefe^o^engoüerngef^idite bramatifc^
— 63 —
ausfflcdeutet iuerbe, unb ba^ ^oljcnjoÜctnbrama fdjcint
bo|"timmt, für einige ßeit eine äl)nlid) unflUicfIicl)e
JKüUe 5U fpielen iüie früher baö .^')oI)enftaufcnbrama.
9(ber tuiebcrum: luaö l)at benn ber ^ufällifle Umftanb,
ha^ ein ©toff ber nationalen ober ber ^otjenftaufen-
ober .^ol)en5ollern(\efd)id)te anflel)i3rt, mit ben inneren
Sebenöbebingungen beö bramatifd)en ©pielä, mit bem
SBefcn ber bramatifdjcn Äunft ju tl)un? 9^id)tg, rein
nid)t!^ . 3ic ift ja rcdjt unb gut unb nid)t genug ^u
betonen, bie ^"'^^^^'^^""Ö' ^^B ^ic Slunft national
fein foß, unb jebe ed)te, lebenöfäf)ige, gefunbe Slunft
erfüllt biefe ^orberung bon felbft, njeit fie nid^t anber^
fann. 5lber biefeö S'lationale liegt im @eift unb nid)t
im SfJo^ftoff, im befonberen beutfd)nationat ift
unferc Stunft, fon)ie unfere ^ünftler beutfc^
em^finben, beulen, bie Söelt anfc^auen, im
ett)ifc^en 5^ern i^rer ^erfönlid^feit üon beut*
f^er 2lrt finb unb biefe 5trt i^rem ^unfttt)erl
gang bon felbft mitteilen, einflößen, aU
<Stem))el aufbrüden. ®er blo^e Umftanb, ha'^
ein ^ünftler feinen «Stoff auä ber nationalen ®e*
fc^id^te nimmt, ber blo^e lanbldufige ^^atriotigmu^
mit feinen Hurrarufen unb feinem lonoentioneEen
^eft=^atl)oä madjt nod) leine beutfd)*nationale ^unft,
überhaupt nod) leine Slunft — üoltenb^ leine
bramatifd^e ^unft, unb menn noc^ fo öiel ^om^ in
ber äußeren Sluöftattung be§ 3:pielö berfd^toenbet
— 64 —
trirb. 2Bo!§ einen ©toff unb feine ^arftetlung int
©piel bromatifcf) mad)t, liegt gang irgenbn)o anber§.
SSie mit bem 2)rängen auf ^iftorifc^e ©toffe,
fo ift§ auc^, n}enn man etn^a bie fogialen Probleme
ber ©egennjart al^ haS» eigentliche «Stoffgebiet be§
S)ramag begeid^net — nid^t feiten bann mit gleid)*
zeitiger SSern^erfung ober garSSert)öt)ung beö I)iftorifd)en
®rama§. 5(ud^ ba^ ift neuefteng toieber bagetoefen.
5(ber aud^ bafür ift fein ^albn?eg§ gureid^enber ®runb
eingufefjen, H^ ein Stoff für ^arfteHung burd)
bramatifd)e§ Spiet be§tt)egen befonber^ geeignet fein
foU, njeil er unS in ben focialen fragen unb Stampfen
ber ©egenmart befonberS njid^tig erfd)eint. Wan
!önnte ebenfogut, ja mit etmaö met)r ®runb befjaupten,
biefe Stoffe feien befonberö ungünftig, tt)eil fie gu
ernft()aft intereffieren, gu fad^Iidj aufregen, al§ ha^
t)a§ äft^etifc^e Sntereffe am bramatifd^en Spiet
unbeeinträdjtigt bleiben !önnte; unb tt)enn man bie
mobernen fogialen 5;)ramen fid^ anftef)t, bie einige
SSirfung getJjan ^aben, fo finbet mon in ber Z^at,
ha^ biefe SBirfung meift met)r öon ber ftofflid^en
(Erregung, bem fogenannten a!tuelten Sntereffe bebingt
ift aU t)on fpegififd^ bramatifc^er S!raft* unb Äunft?
entfaltung. Unb überbieg öerföllt biefe fogiale Problem*
bramatif nur aEguIeic^t in eine 2)arftellung öon
bloßen 3"ft^"^^"' °^^^ energifdieä SSerben einer
^anblung unb namentti^ of)ne fieberen Stbfd)Iu^
— 65 —
— ba« aber flcl)t birctt gcflcn baö SBefen be3
^romatifdjcn. 9tuc^ SM^"* fogioloflifc^e Dramen
Icibcn ftarf an bicfcm SWangcI — unb iocnn man
il)m als einem träftic^ auf eigenen ^üf^cn ftet)enbcn
!Dramatifer aucf) allerlei 3U gut Italien mag, fo t)at
bie 9?acl)al)mung vsbfem^ auf basS mobernfte 3)rama
um fo fcl)äblirf)cr gemirft. S)agegen öergleid^e man
etnjo ©d)illerö fojiate 2)ramen, bie „^Räuber" unb
bie „Suife StWillerin", beten 3Sirfung ^eute nod) nid£)t
njefentlid) geringer ift alö gur ßeit il)reö erften ?fuf=
treteniS, unb man frage fidj, morauf biefe 3Sirlung
beruljt? ©id)ertid} nidjt barauf, ha'^ ber Stoff au^
bem ttjirflic^en Seben ber bamaligen (SJegenmart ge*
nommen ift — ber ^at für ung f)eute feine „Stftualität"
eingebüßt; t)ielmef)r au^ ber auf gang anberem
ru^enben, f^egififc^ bramatifd)en Wad^t unb SSud^t
btefer 2)ramen fommt i^re unöergänglid^e SSirhing,
bie ber SSirfung feiner f^äteren S)ramen mit f)iftorifc^en
(Stoffen nic^t nac^fte^t, fie teilmeife fogar übertrifft.
9lid)t anberS ift t§, menn g. B. 'Siidjaxh SSagner
bem S)rama al§ fein eigenttid^e§ Stoffgebiet ben
?9?^tf)u^, bie Sage gumeifen miß. @^ ift ja an fid)
unb in gemiffem Sinne rid)tig, menn er fagt, ber
9J?t)t()u§ fei emig tva^x, magrer al§ bie immer nur he-
bingte 3Sat)r£)eit ber ©efd^id^te ober gar ber jemeife
gegenmärtigen fogialen ^rogen unb^öemegungen; unb
eö ift bagegen öer!e{)rt unb oberfläd^tid^, menn anbere
6
— 66 —
gerabe^SageunbSK^t^uö bem mobernen2)id)ter, fpe^iell
bem ^ramatifer üerlre^ren tpoöen, tuett fie angebüd^
bem mobemen Sett)u^t[ein ^u fern liegen, njetl @ttten
unb ®e6räud)e auS ber Qeit, ha fie entftanben feien,
nid^t met)r bie unfrigen feien. SBagner Ijat gan^ rerf)t
tuenn er ber 3)?einung ift, 3}^t)tf)u§ unb 3agc cntfjatten,
n)enn aud) in einer auf ben erften 5ötid frembartigen
gorm, ho6) fo niel Dom gangen nationalen ßt)arafter
unb ber einer ^lotion gemäßen SSettauffaffung, ha^
fie immer mieber uom ^ünftler, inSbefonbere Hom
S)id^ter erneut, gum neuen 5{u§brud be^ jemeiligen
SebenS feiner Station Dermenbet merben fönnen.
SBo^I — ober tüaä l^at ha^ mit ben befonberen Sebens^
bebingungen ber bramatifd)enÄunft gu fc^affen? 9(ber*
mat§ nid^tö. Wan Dergteid^e SBagnerä eigene Dramen
— l^ier natürlid^ abgefet)en öon i^rer mufifalifdjen
(Seite unb Hon feiner gangen ST^eorie be^ SJJufifbrama^
aiß beä „ ^unfttoertö ber ßufunft" — üielmefjr nur
'Unter bem ®efid^t§pun!t, tüie fid^ ber ©toff gum 2S?efen
beö bramatifc^en «Spiele üer^ätt. Wan üergteidje 5. 93.
feinen „^riftan" mit feinem „9Zibetungenring".
jDer llnterfd^ieb, ha'ii bie 9^ibelungen unfere eigent(id)e
S^Jationalfage finb, mäfjrenb ber ^triftan au^länbifdje^
'(^etoäd)^ ift, fommt ^ier nid)t in ^etrad^t, ireil ja
bie 93egriffe national unb bramatifd) gunädjft gar
nid)t§ mit einanber gu tt)un ^aben; in beiben Rollen
gicbt .eben bie ©age ben Stoff gum Urania, ^er
— 67 —
„^riftan" nun ober i)'t unbramatifdj burrf) unb
burd), flon^ hjrifd) mit einem bünnen epijd}en ^obelein,
baö in bcm (anflcn U)ri[d)en SieOe-j^buctt be«^ ämciten
?(ftc§ flor nid)t mc()r, im erftcn unb brüten faum 5U
feljen ift, luöljrenb furo cigentlid) 2)ramatifc^e faum
im erften unb te^Uen 5(ft ein paar [c^mad^e 9fn[ä^e
öorl^anben [tnb. 2)er „S^ing beö 9JibeIungen" ha^
gegen — tro^\ atlebem, ttjos man allgemein ä|tt)etifd^
gegen i^n einmenben fann, tro(3 aller poetifd^en
9!J?ange(^aftigfeit ber 9(uigfüt)rung im einzelnen — er ift
in ben großen ©runb^ügen, im gangen 5{ufbau ber um«
fangreid)en Tetralogie in {)o^em 9}?afee bramatifd^.
Sltfo, beibe 2Ser!e entne£)mcn it)ren ©toff bem 9}?t)tt)uö,
ber (Sage — unb bod^ ift ha^ eine t)öd^ft unbramatifd),
baö anbere ^öd)ft bramatifd^. S)er (5^runb bafür mu^
bocl^ irgenbnjo onberö liegen aU im Stoffgebiet, eS
muffen eben im !i)?ibetungenftoff alä fotc^em anbere
Sebingungen für§ 2)ramatifc^e liegen alä im ^iriftan*
ftoff — ober ber S)ic^ter mufe bem einen Stoff brama*
tifd^eS Seben abgugeUjinnen gemußt l^aben, bem anbern
nid^t, gan§ abgefe£)en öon bem gemeinfamen fagen*
fiaften unb ml)tt)ifd)en (Sf)arafter beiber Stoffe.
Unb fo ift§ burdimeg, fott)ie man in bie ^rage
nadf) bem bramatifc^en Stoff frembe ©efic^t^punfte
l^erein bringt, bie mit bem fpegieüen 3Sefen ber
bramatifd^en ^unft nid)t^ gu t§un £)aben. SKan
öermed^fett ba immer ba^, \va§ menfd^Iid; ober
5*
— SS —
national ober fogtal ober ^iftorifd^ ober „altuell"
irgenbh)te intereffant unb bebeutjam tft, öerttjed^fett
ba§ in anberem <Sinn [tofflic^ unb fo(f)ltc£) Söic^tige
mit bem, tt)aö im befonberen gum bramatifd^en «Spiel
[id^ eignet. (£§ ift ja im allgemeinen rid^tig, bajs
ein Stoff für jebe — für jebe! — Hinftleri)d)e
SorfteKung um fo günftigere 93ebingungen bietet, je
me^r er namentlict) menfci^ticf) Sebeutfameg für
unö ^aben fann. 2)er Äünftler begiebt *fic^ üon
üornt)erein eine^ grojgen SSorteilö, menn er nad^
©toffen greift, bie irgenbnjie bem Sntereffe feinet
^ublifumö fernliegen; er mu§ geft)idl)tige ®rünbe
bofür t)aben, lüenn erö bod^ t^ut, er mu^ fid^ eine
ftarfe Äraft gutrauen fönnen, eben burd^ feine Äunft
ha§ an fid) nid^t öorl^anbene 3ntereffe gu medten,
auc^ ben an fid^ unintereffanten, fernliegenben @toff
bem Sntereffe nal)e gu bringen. Unb namentlid^
mirb er bie l^öd^fte formale ^unft öergebenö aufmenben,
njenn fidl) bem Stoff nid)t irgenbmie etmaö ah
geUjinnen lä^t, ma§ irgenbnjeld^e Offenbarungen
über SWenfd^enart unb 3)?enfd^engefcl)idE gäbe, maä
beömegen ben 5!J?enfd^en im Snnerften feineä 2eben^==
intereffeö padte. 5lber: ha§ gilt allgemein bon aller
Äunft, üon ber bramatifd^en au dl), aber nid^t blo§
unb im befonbern öon it)x; unter biefen ©efic^tgs
:punlten allein lönnte man beftimmte Stoffe unb
Stoffgebiete gerabe fo gut irgenb meld^er anbern
— 69 —
Äunft ^utücifcn unb anpreifcn lüie bet bramatt)(l)en.
(58 ergiebt fid) unter aßen bcrartigcn ®eficf)t8«
fünften für bie ^xaQC nad) bramatifdjen (Stoffen
nid^tg njetter als bie gan5 allgemeine äftl)ctifd)e Z\)aU
fad)e ober ^orberung, bafj ouc^ bie bramatifd)e itunft
\vk jebc anberc barauf bebadjt fein mufj, mijgüdift
üicl ollgcmein menfdjiidjeö ^ebenäintereffe 5U erregen,
unb ha^ fd)on ber ©toff üon einer 5Irt fein muB,
tt}eld)e bieiS überljaupt in genügenbem 9J?a§e ermöglicht.
dJerabe bem aber ttjiberftreben fo Diele ^iftorifd)e
Stoffe, menfd^Iid) g[cid)giltige ©taatfSaftionen, biplo*
matifdje Sntriguen, ältinifterftürge, friegerifdje ßreig«
niffe unb bergleidjen. ®erabe bem miberftreben üie(e
fojiate «Stoffe, in benen nur t)orüberge{)enbe, zufällige
ober Io!aIe SOti^bilbungen unb ©ebred^en. Schaben
gemiffer befd)rän!ter ®efeEfd)aftgfc^id)ten ober ber*
gleid^en bie ^auptfad^e ftnb. SSaö geijt unä 3. ©. ber
efelijofte Sumpf meiter an, in bem fid) eine gemiffe
berliner ©efeUfc^aftgfc^id^te beö ^ro^entum^ unb ber
^unftgigeunerei umtreibt, mie baig Subermann in
„Sobomä Snbe" barfteßt? 2)iefe im Snnerften Der*
faulte Derlorene ^anbe unb if)r Streiben ^at glüdlid^er*
tt)eife für bie beutfc^e Station au^er^alb 95erlin§ nodj fo
n^enig menfd^Iic^eS Sntereffe mie etma ber lüfterne
Sd^Iingel Don einem Stbiturienten in^albeö „Sugenb"
ober äf)nlid)e 9)?i^gebilbe. Unb aud^ auf bem Q^ehkte
be^ 9}ct)t^uö unb ber Sage finbet fid^ neben menfd^üd^
— 70 —
feilt ©cbeutfamem bodj fo üiele^, h)aä üergtrcifelt
geringe^ menfdEiUdjefg Sntereffe bietet. @i§ finb alfo
gerabe biefe unb ä^nlid^e «Stoffgebiete ^äufig gerabe
unter bem einzigen aßgemeinen ®efid^t^pun!t, ben fie
für alle Äunft unb fo auc| für bie bramatifc^e ^aben
fönnen, nic^t einmal braud^bar.
2)er einzig entfd^eibenbe 3)?afeftab üietmef)r, an
bem ein Stoff furo bramatifctje Spiel gu meffen ift,
ift au§ bem befonberen SBefen biefeö Spietg felbft,
au§ ben inneren äftt)etif(i)en Seben^bebingungen be§
^i^ramatifc^en unb unfereg Sntereffeg an it)m gu
nehmen. 2Benn tt)ir uniS aber über biefeg SSefen be^
bramatifd^en Spiele flar finb, fo erlebigt fid^ bie
grage, mag ein bramatifc^er Stoff fei, fe{)r fd^nelt.
Seber irgenbmie menfc^Iid) bebeutfame
Stoff ift bramatifc^, eignet fid^ §um ©egenftanb
beg bramatifc^en Spielet bann, aber nur bann,
njenn fid^ auä i^m SSittenöfonflüte ent*
micEeln (äffen, bie in i^rem SSerben — in
i^rer (£ntftet)ung, it)rem SSerlauf, ibren ^^olgen big
gu einem beftimmten 2lbfd£)lu^ ^in — aU eine
^ufammenl^ängenbe §anbtung fic^ geftalten
laffen unb aU anfd)aulict)eg gegenmärtigeg
Spiel öon menfc^lid) intereffanten ©tjaraf*
teren auf einem begrenzten Sd)aupla^ einem
3ufcl)auer borgeftellt toerben können, fo ba^
er mit lebhaft erregtem menfc^lid^em Sntereffe eben
— 71 —
„5U)"c()aut", mit feiner ^tnfdjauunß unb feinem ®efü^(
bem Spiele folflt üon einem ^fnfanflSpunfte burd)
«Uc (l-nttuicfelunflöftufcn l)inbnrd) bi« ju einem ent*
fd)cibcnbcn Hbfdjluf}. ::^eber ©toff, bcr fid) bag ab*
t^cminnen läfit, ift bramatifd) braudjbar, mag er fünft
i'incm Stoffflebiet anflcljiJrcn, njctc^em er mill. Seber
(Stoff bageöen, in bem feine 3iMüenäfonf(ifte liegen,
ber feine in biefem Sinn I^onbelnbe (£()Qraftere bietet,
auö bem fid) feine im SSerben bewegte .^anblung
ijciuinncn liifjt, ber fid) nid)t jum anfc^aulid)en unb
in bcr 5(nfd)auung intereffierenben Spiel auf einem
Sd)auplal^ geftalten läfet — ift bramatifd) unbrauchbar,
mag er fonft nod) fo uiet allgemein menfd^Iid;e^
Sntereffe traben, nod) fo öiel äfd)etifd)en Üteig befi^en,
allgemein poetifd) ober fünft(erifd) nod) fo (odenb fein,
t)iftorifd) ober fojial ober n)ie fonft nod) fo öiel
^td)ttgfeit unb ©ebeutung beanfprud)en. jDa^ ift
ta^ einzig entfd)eibenbe S^riterium für ben bramatifd^en
Stoff — alle^ anbere fd)iefet neben ha§> ßkt
(i§ ift beömegen ganj eitel unb öergebüc^, menn
S)ramaturgie ober Äritif bem ©ramatifer unter
irgenbmelc^en anberen ©eftd^täpunften beftimmte
Stoffgebiete borfc^reiben ober üermet)ren h)oHen.
Ülein 2)ramatifer, ber'ö mirflic^ ift — ha^ ^ei§t: feiner,
ber ba§ fd^arfe 5(uge für bie S3ebeutung ber 3BiIIen!g=
fonflifte im ^afein ^at, für tt)re taufenbfältige
urfäc^Iid^e SSerfd^tingung mit SD^enfd^enteben unb
— 72 —
50tenf(i)engefd^tcf; feiner, beffen gange SSeltauffaffung
et^tfd^ unb äft^etijd^ auf ben SSttten geftellt ift unb
i^m bis in feine tiefften SSurgeln nad£)gräbt — ber
bann notürlid^ aud^ bie ^ät)ig!eit ^at, aug bem im
ßufammen^ange ber SebenSüorgänge @rfd)auten eine
bebeutenbe ^anblung gu bilben unb für haS» Spiel
3U geftatten: fein luirHicEjer ©romatifer biefer 9Irt
t)at fid) je um jene SSorfd)riften ober SSerbote ge*
flimmert — um fo tüeniger, je fräftiger uub tiefer
feine ^erfi3nlicf)feit toar ober ift, je energifd)er feine
fünftterifc|e ^raft, je reid£)er feine 5tnfrf)ouung Oon
ben ßufammenljöngen beö ^afeinö unb iJjren ä^er*
mittlungen burd; ben menfd^tid^en SBillen. 9^ur
fdjUjad^e bramatifd)e Talente ober feid^te (SJeifter ober
©eifter, beren ©djoffen toeniger oom innerften STrieb
beg ^erfön(id;en a(§ Oon einer äftf)etifd)en Xljeorie
geleitet ift, ober Seute, bie oom SBinb eine§ äugen*
blidlidien ß^^tgefc^madeö regiert tt)erben ober gar
bireft auf ben StlltagSerfoIg beim St^eaterpijbel auö#
ge^en — nur folc^e pflegen fic^ jenen miüfürlic^en,
bie <Ba(i)e nidjt treffenben SSorfc^riften bei il)rer
©toffttja^I gu fügen. Wan ge^e alle großen unb
bauernben 3Berfe ber gangen bramatifc^en Literatur
ober nur tt)enigftenö be§ germanifdjen ^ramaä burd^
unb fe^e fie auf if)re @toffe an, man get)e gu
©^afefpeare, <Sd)itter, aucE) ©oet^e, gu ^leift,
©rillparger, |)ebbel, Subttjig, Srngengruber — Oon
— 73 --
anbcrcn 511 idjiucirton — waS alleö liefert ba
bramatifrfje Stoffe! 9}^l;tl)Ui8, <3oge, 9J2ärd)en, GiJea
fcl)id)tc, fo,^iaIeö iJcben ber jelueiligen (^egenlüart,
pcrfönlicljeö (E'rlcbniö, atte S'iouetlen unb «Sdjiuänfe,
5tnetboten, eichene ©rfinbung — bie Stoffgebiete finb
unbe9ren5t. IJBie arm unb einförmig bagegen finb
g. 93. bie mobernen !5)ramatifer, bie fid) lebiglid)
auf bog ©ebiet beö fogiaten jDramaö auö ber ©egen*
Ujart uerfteifen, tüc'ii bie äftt)etifc^e ^f)eorie ber
„9J?oberne" esS eine ß^it (ang fo geforbert t)at! 3Bo
einer \vk ®erf)art Hauptmann ftd) nur einigermaBen
öon biefer Xf)eorie frei ju madjen fud)t, ha greift er
entiüeber 5U t)iftorifd^en Stoffen niie genau genommen
fc^on in ben „SSebern", bann in bem freilid; an§
anberen ©rünben mißlungenen „^^lorian ®e^er", ober
gu Sage unb 9J?ärc^en mie in ber „Sßerfunfenen
®lode". Subermann bagegen fdieint au§ ber Gnge
beg mobernen berliner ^origonteö nid)t ^eraug=
gufommen (tto| feinet „3ot)anne^5", ber im ©runb
aud^ im ^iergartenöiertet \pklt); i()m fe^lt überbieä
ber tiefere ßinblid in bie großen S^afeinSgufammens
f)änge, ot)ne ben fein 2)ramati!er öon 93ebeutung gu
benfen ift.
@!§ finb nun allerbingg in ber ^raudjbarfeit an
fid) bramatifd^er Stoffe noc§ relatiüe Unterfc^iebe.
'Sli^t jeber Stoff fügt fid^, auc^ menn er im ©runbe
bramatifd^ ift, jenen ißebingungen gleid) leidet, enttjätt
— 74 —
[ie alle in gleid^em Wla'^Q. ®er eine bietet uielleidjt
bromatifd^ gel^oItöoEe 6J)ara!tere, erfd^rtert aber
bie ©Übung einer 5ufamment)ängenben bettjegten
^anblung; ber anbere giebt eine äußere ^anblung
tt)ie üon felbft, mad)t eg aber fd)tt)ierig, [ie innerlid)
genügenb mit ben (S^arolteren gu öermittetn; ein
britter mac^t ®(f)n)ierigfeiten für bie 3)ar[teIIung im
(Spiel, für bie 3ufammenbrängung ber ^'^onblung auf
ben ©(f)aupla^ — unb bergleidjen. 9J?anc^e Stoffe
ftnb fo, h)ie fie batiegen, fd^on fo üoU öon fpejififrf)
bramotifd^em Seben, ba§ aud} eine geringere ©eftal*
tung^fraft fie bemättigen !ann; anbere finb tro^ eineä
triebfätjigen bramatifdjen ^eimö fo fc^njer gu entfalten,
baJ3 nur eine gang bebeutenbe Straft i^nen ettüae^
dieö^te^ obgen)innen !ann. Sn aU biefen öe^ietjungen
giebt eö eine unbegrenzte SQJenge öon 9JJögtid)!eiten
unb SSariationen — unb toaß fc^lie^Iid^ entfc^eibet,
bai§ ift bie ^erföntic^feit beö 2)ramatiferg unb
feine inbiöibueEe !ünftlerifc^e 5(u^rüftung. 5(urf) ber
S)ramati!er giebt im legten ®runbe fid^ felbft
— unb bie SSelt fo, Ujie fie in i§m menfdjlid^ inbiüi«
buelleS Seben geftjorben ift; unb er ergreift beämegen
eben bie Stoffe, in bie er am naturgemäjseften öon
biefem feinem perfönlid^en Seben etmajo f)ineinfüt)Ien
unb t)ineinfd^auen !ann. Smmer aber mirb er aU
S)ramatifer, ber eö mirflid^ ift unb nid^t blo§ fein
mö^te, nur nad^ fold^en Stoffen greifen, bie irgenbtoie
— 75 —
jene unerlQ|}licl)cn iik'biiiöunflen für bramatifdje (55e*
ftaltuiiQ entljQlten. ^^rcilid} fiel)t biefer tüitflic^c
S)ramQtifer jene iöebingunöcn aucf) uiel rajd^er unb
fidjcrcr al8 anberc, er fd)aut unter bramattfdjen
'^efid)ti^punften aud) bic ScOcnÖDorc^änflc fdjon üon
tiornl)ereiu an, bie für anbere nidjtä ober luenig
2)ramatifd)eö Ijatten; ja er fe^t einem an unb für
fid) nod) gang unbramatifd)en ©toffe in Äraft feiner
bramatifd) geridjtcten ^l^antafie möglid^erttjeife erft
bie bramatifd^e @eete ein, inbem er §u SöiHen^«
fonflüten geftaltct unb in bramatif(^e .^anbtung
üeriüanbelt, \va^ an fidj Mob 93egebenf)eit UJÖre.
S)en (Stoff beö „Xeü" t)atte befanntlid) guerft öioetije
«ergriffen, unb it)m, ber nte^r I^rifd^ unb epifd^ aU
4)romatifi^ öeranlagt lüor, fiel e§ gar nid^t ein, ein
S)rama barau^ mad)en gu mollen — eö foUte ein
'<£poö geben, unb ber ©toff fetbft ift ja an ftc| met)r
epifd) alä bramatifd): eine 9ieit)e üon öegebent)eiten
unb 9}iaffen!ämpfen, bie nidjt fonberlic^ barauf an=
^gelegt f (feinen, bie ^ro^effe be§ SBillenö unb feiner
-Äonflifte im SSerben §u geigen. @rft alö ©exilier,
ier geborene 5Dramati!er, über ben ©toff fam, fd)aute
-ix einen bramatifd)en ©el^alt in \i)n t)inein unb be*
gmang ben fdjtuierigen unb loiberf^jenftigen ©toff in
einer SBeife, bie eingig in if)rer ?Irt bafte^t : er bdbete
•eine bramatifdje §anblung, bie nic^t auf bie SSiEenS*
lonflifte eineö (Singetnen ober SBeniger geftellt ift,
76
fonbern auf ben SSiGen eineg gangen 35oIfe!§; unb
biefe§ legt fid^ njteber in eine Slngaf)! öon t^pi[c^en
SSertretern auöeinanber, bon benen jeber feine be*
fonberen ^onftüte ^at, bie aber atte tuieber §u einem
großen ©efamtfonftüt gufammengelien. <So bringt
er burd^ feine perfönltd; angeborene bramatifd^e Äraft
guftanbe, toaß (5JoetJ)e nid^t guftanbe gebracf)t unb gar
nic£)t unternommen ^ätte, ma§ manche 5(nbere fd£)on
berfurf)t unb nid^t guftanbe gebrac£)t ()aben: an ftd)
epifd^e 9KaffenMm|)fe in bramatifd^eä @piel §u fe^en.
9J?an öergleidje einmal in biefer ^infid£)t |)auptmannö
„Söeber" ober feinen „glorian ®etjer" mit «S^illersS
„%eVi" unb man mxh ben 9}taa^ftab be!ommen, ber
!£)ier not tf)ut.
3m übrigen üerfte£)t fic^, bafe eS ebenfaEö mit
ber gangen Snbiöibuatität unb ®eifteärid§tung eineö
S)ramati!er^ gufammenl^ängt, menn er etma feine
bramatifd^en ©toffe (ba§ fie bramatifd) feien, babei
fd)on üorauägefe^t) öorgugämeife ober auäfd^Iiejglid^
auf einem jener (Stoffgebiete fuc^t, bie auö anber*
Zeitigen ®rünben fid^ empfet)Ien mögen. @o betoegt
fid^ ©d^iüer üorgugätoeife auf bem «Stoffgebiete be^
^iftorifd^en, meil er bort gang befonberö jene ^on*
flute finbet, hie i^m feiner gangen 5lrt nad^ befonberS
mii^tig finb: in benen „um ber 9}2enfd§f)eit gro^e
(SJegenftänbe, um ^errfc^aft unb um ^rei^eit mirb
gerungen." (So liegt esS in ber gangen ©eifteSart
— 77 —
^fnjjcnßruberfiJ, bafj er [icfj feine Stoffe Dornemtic^
QUVK bem bäuerlidjen unb bütflerlirfjen SSoIfSleben ^ott;
fo lieflt eS njotjl auct; in ber Snbiüibuatität eineö
(Subcrmonn, bafj fein Stoffgebiet auöfdjtiefjlid) bie öon
tieferen Söeltanfdjauunflöfraöen unberül^rten fogialen
Äonflifte geftjiffer moberner ®efelIfd)Qft§fd^icl^ten finb,
bie nid)t tiefet unb hjeiter tjinauS intereffieren fönnen
als bie Äonflifte feineS bramotifclen 5If)n§errn
Äotjebue.
■ ViV# V/iVjP V/i^X V/iVX V/iV
2)ritte!§ Kapitel.
Die bramattfd?^ ^anblung.
Jer (Stoff im big^er befproc^enem @tnn ift,.
Üinftlerifd^ betrachtet, nur 9?o^[toff b. t). ber
angemeine auö ben Sebenäöorgängen genommene
©egenftanb, ber gum ©egenftanb eineS tl^atföd^Iid) bor^
fteßboren bramatifd^en@ptelä erft geftattet merben mu§.-
©0 tüie er i|t, lä^t ftd^ !ein Stoff fpieten — menigften'S
nirf)t im ©tnne einer entmidelten bramatifd^en Äunft.
3n ben naiöen ?(nfängen he§ ^ramaö frettid^ ^at
man haß öerfuc|t unb bi^ ouf einen getoiffen @rab
get^an: boi§ mittelotterlid^e beutfd^e ^rama unb
norf) bog ^roma be§ 16. Sal^rl^unbertS mar meift
ein ungefüge^ unb menig Üinftterifd) geftalteteS
(Spiet, in meld^em ber 9^ot)ftoff mie er mar, eine
®efd)ic§te, ein Sebenöüorgang in alter Umftänbticf;*
feit, bie biefer S^toi^ftoff bot, auf ben ©c^auptal^-
— 79 —
rtcbrocl)! iinb in möfllidift getreuer y^acljaljmung
burd) bie ^piclcnbcn ben ßufdjaucrn Dorflcftcllt
ivurbc. Sn manrf)cn jcljt nod) erljattcnen üotfö*
tüinlid)cn ©piclen, 't|>QffionSfpiclcn unb bcrgleldjcn,
finbcn fidj nod) beutlidjc Sjjuren biefcö naiücn
SSerfaljrcnö. Unb ber fraffe bramatifd)e ^itettantiigs
mug Derfäfirt im 3i^e)entlid)en bei feinen bromatifd^en
üßerfudjen t)eute nod^ \o: man nimmt irgenb eine
93egcbcn[)eit ober eine 9ieif)e Don 93egebent)etten,
bie |id) gan^ t)üb]d) er5äf)len tie^e, t)ielleid)t aud)
bie ?[nfä^e 3um luirflid; ^ramatifd^en entf)ält —
man nimmt biefen i)iol)ftoff, mie er tft, teilt it)n
in genjiffe 5(b)d)nttte ein, bie man 5(!te unb ©cenen
nennt, fteüt bie ^erfonen, Don benen bie ©efd^ic^te
^anbelt, auf einen ©djaupta^, tä^t fie fpre(^en unb
ftd^ bemegen — unb nennt bog bann ein ®rama.
!5)ai§ ift aber Dom @tanbpun!t ber bramatifdjen
Äunft, tüie fie burd^ tt)re großen SJceifter fid) ent*
midelt t)at, nod) lange fein S)rama, im beften gaß
ha^ iRol)materiat gu einem folc^en. (BoU ein mir!*
lid^eä S^rama Ujerben, fo mufe biefeS 9?o]^material
erft lebenbig organifiert merben burd^ jene inneren
Sebenögefelje beö S)ramatifc§en unb beö bramatifc^en
@pielg, tuelc^e ben nailien 5lnfängen ber bramatifd^en
S^unft unb ben ^öerfud^en be§ Silettantigmuö noc^
unbekannt ober nid^t genügenb belannt finb, meldte
erft in ber Ijö^er entmidelten bramatifd^en ^unft
— 80 —
bcuttid)er gutage treten unb nur üom geborenen
S)ramatt!er mit unbettju^ter @ic^ert)ett get)anbt)abt
tüerben — auif) if)m übrigen^ muffen fie gum S3e*
tüu^tfein be§ Äunftüerftanbeä fommen, hjenn er
tt)etterl)tn auä) ber Xec|nt! big in§ ©ingetne fid)er
hjerben foll. @rft burdEj biefe Drganifierung be^
9?o^ftDffeg entftet)t ein !ünftlerifc^ mirffamer ©egen*
ftanb für haS tt;atfäd)tid^ borguftellenbe bramatifc^e
<Bpkl, entfte{)t bie innere Äunftform beö ©ramaö;
unb biefe mirb bann tuieber gur äußeren Äunft=
form burd^ bie fprad^IidE)e, mimifc^e, fcenifd^e 5(u§*
geftaltung, burc^ aüeä ha§, toa^ bramatifcf)e Xed^nif,
fprad^lid^e, mimifdje unb fcenifd^e S)arfteßung beä
2)ramQtifrf)en ^ei^t.
®er Unterfrf)ieb oon innerer unb öu^erer gorm
ift für bie 5(eft^eti! aller Äunft öon großer 9Sic[)tig*
!eit. Snnere ^orm ift, furggefagt, ha^ 93ilb beffen,
tt)a§ als ^unftmerf merben foß, mie e§ im Innern
be§ ^ünftterö lebt, öon if)m gefd)affen in Sl^raft
feiner perfönticfien fc!^i3pferifd;en ^l;antafie; äuBere
i^orm ift ha^ 93ilb, haS er bem SlunftttJerf für bie
5fnfd)auung ber 3(nberen giebt, inbem er mit ben
befonberen 9J?itteIn feiner Äunft bem inneren 93ilbe
gum 5(uöbruc£ öer^itft. 5Iu§ ber inneren ^orm
rtädjft bie äußere lebenbig tjerüor, unb umge!et)rt
entptt bie äußere ^orm bie innere in fid) olö i()ren
lebenbigen ©e^att.
— 81 —
Scnc innere gorm beS 2)ramaö aber rut)t
njcfcntlicf) in bcm, \m& toir bramatifrfje ^anb«
lung, bramatifdje SIjQraftere unb njeiterf^in
bramatifrfjc Äompof|ition nennen.
@S tüurbc fcljon frül)cr fur^ feftgeftcüt, bafe
^'JCinblung im bramatifrf)e|n ©inn üwa^ anbereS
ift als eine beliebige 9iei()e öon aufeinanberfolgenben
93egebenl;eitcn. ^atürtid) iftö aurf) nic^t ha^, \oa^
mir in ber ©pradje beS gen)ö()nlid^en Seben^ eine
eingcine „^anbtung" nennen, bie Umfe^ung cineä
eingetnen SBiUenöüorgangä in äußere Stt)ätigfeit unb
SSirfung, in eine „Xffat" in biefent ®inn. @ine
fotd^e %^at, eine ©ingelfianblung !ann einen S5es
ftanbtf)eil ber bramatifc^en ^anbtung geben, einen
njidjtigen üieEeid^t, entfd^eibenben, foIgen[d)h)eren ober
abfdjlie^cnben — aber für f id^ bilbet fie no^ feine
§anblung im bramatifdjen @inn; eine fotd^e entfielt
erft oug einer 9ieif)e üon 9}orgängen, bie [td^ in einer
gemiffen ^otge aneinanberjd^Iie^en. 5tber aucE) biefeä
Slufeinanberfotgen an [td^ mad^t bie bramatifc^e
§anblung nocE) nid^t — felbft bann nid^t, toenn ha^,
ma§ [id§ begiebt, an benfelben ^erfonen fid^ öoHgiefjt,
menn ein gemiffer 3ufammen{)ang erfenntlid^ toirb,
ja fogar bann nod^ nid^t, menn 6£)ara!tereigenfd^aften,
ßeibenf d^aften, 93eget)rungen, SBillengregungen jener
^erfonen im ©ingeinen babei mitfpielen. S)a§ !ann
immer nod^ eine epifd^e, gang unbramatifcE)e §anblung
6
— 82 —
fein, ßux bramati|c[)en §anb(ung lüirb bte 9?etl}e
ber S^orgänge ober 93egebent)eiten, bie ber 9io^[toff
barbietet, erft bann, n)enn ein ein^eittic^eö organi*
fierenbeö ^rin^ip bie Slufeinanberfalge unb ben
ßufammen^ang ber SSorgänge in einer gang beftimmten
SBeife regelt, leitet, anorbnet, gtiebert — in einer
5Irt, bie möglid^erweife, ja in ben meiften gäEen Don
ber 5(norbnung, bie ber 9iot)ftoff bietet, giemlid) [tarf
oblneidjt.
S)ieje§ organifierenbe -pringil) I)at man h)o()I
„bie Sbee" beö 3)rama!§ genannt — eä !ommt
aber fet)r barouf an, tt)aö man unter biefem Diel*
beutigen bequemen SSort t)er[te{)t. Srgenb ein bie
gange 9^eit)e burdjgie^enber, fie meinttjalb gujammen*
t)altenber fogenannter ©runbgebante |):^iIofopf)i|c^er,
moralifd^er, fogialer, f)i[toriidjpoIitifd)er 5Irt ober
tt)eld§er ?trt immer — ift norf) feine bramatifc^e Sbee;
ber 3Saf)n, ba§ fei'ö, t)erf(f)ulbet im Gegenteil fo öiele
l^erglicE) unbramatijcf)e §anblungen, unb ber @d)uls
meifter ober ^ritifer, ber feinen Sdjülern ober Sefern
eine fold^e Sbee gtüdlid) ^erouSgemurgelt ^at, 1)at
i^nen bamit oon ber Sbee be§ ®rama^ noc^ gar
nid)tö gefagt, t)öd)ften§ üielleic^t eine 5(nbeutung ge«
geben, in meldjer Otid^tung mögtidjermeife jene bra*
matifdje Sbee gu fud^en märe. ^Die Sbee al§ fünfte
lerifc^ organifierenbe^ ^rin§i|) ber bramatifd^en ^anb*
luttg ift öielme^r nid}t§ anbereg, at§ bie in ber
— 83 -
fd;bpfcrifc^en ^^Ijantofic beS 2)ramatifer8
auföcganöenc lebcnbiße ®efamtanfd)auung
eines SBitIcnSfonflifteS, ber tüidjtig unb madjtig
genug ift, um bte ganje 9Jeif)e ber inneren unb
aufboren ^-I^üvgnnge, ber 9?3iUen^s unb ®efü()lö*
bouicgungcn unb bor ^I^atcn unb 33cgebcnl)eiten 3U
bcl)err[d)en, jeber (^-ingclljcit if)re rid)tige Stelle in
einem lüdentofen notmenbigen ßi^fou^n^cntjang üon
Urfad;e unb SBirfung anguttteifen — unb fo bie gonge
bunte 9ieil;e bon 35orgängen üon einem gang be=
ftimmten ^rnfoljpunftc burdj alle Stabien eineö eng^
ücrfetteten SBerbeprogeffeö Ijinburd^ bi§ gu einem
abermals gang beftimmten unb notlpenbigen 2(bf(^Iu^
unb Ergebnis ^ingutreiben. Unb gtnar bieg fo, ha%
ber einmal angefetjte §auptfonf(iEt fic^ @d)ritt für
©djritt, burd) äße (SingeHonflifte f)inburc^ fteigert bi§
gu einem ^un!te, mo feine Weitere (Steigerung mel)r
möglich ift, mo'ä biegen ober bred)en mu^, Oon mo
eö mit einer unoermeiblic^en 3Senbung biä gu einem
anberen fünfte fül^rt, on bem ber ©runbfonflift
feinen 5Iu§trag, b. t). feine notmenbige enbgdtige
Süfung finbet, fo ober fo, fc^ieblid^ frieblid; ober
gemaltfam. llnb erft eine in biefer 3Seife ongeorbnete
unb organifierte 9ieit)e öon inneren unb äußeren ^or*
gangen, für bie unmittelbare 5(nf(^auung gebitbet unb
alä Spiel auf einem Sd)aupla^ oorfüt)rbar — i)at ben
§(nfpruc^ auf ben 9^amen einer bramatifdjen^anblung.
6*
— 84 —
®Qö aber bietet ber 9?o^ftoff, »ie er h^m
5)ramatifer üorltegt, feiten ober nie — nie gang fo,
iüie eg unumgängltdj i[t, inenn bie üoUe bramattfdje
SBirfung ergielt tüerben foß; ba§ mu§ ber S)ramati!er
erft fdjaffen, ha§ gu fd^affen ift fein erfteg unb
iric^tigfteä ®efrf)äft. Sn biefem @inn ift bag alte
2Sort beg 5IriftoteIeg gu berftet)en, bie §anbtung fei
ha§ ßrfte unb SSid;tigfte. 3Ser ha§> nicJ)t au§> bem
9lo{)ftoff f(i)affen unb lebenbig ^erauöorganifieren knn,
ift bon bornl^erein !ein 2)ramatifer, fei er fonft tüer
unb toaS er tüoHe; ber foß öon üornf)erein bie §anb
ttom bramatifc^en ^anbtner! laffen, er iüirb bod^ nur
barin pfufd^en. S)a^ ber 9tot)ftoff aU fo(d[;er eine
bramatifcf;e ^anblung nodf) nid^t ober nur un=
boHfommen bieten !ann, t)at aber feinen guten ®runb:
taä tt)irflid)e Seben, liege eg nun aU ©efd^id^te ober
al& unmittelbare ®egentt)art bor — biefeö toirüic^e
Seben, fo tüie e§ ung in ber 9tegel erfcE)eint, geigt
gumeift gerabe haS nic^t ober nur unüoG!ommen,
toa^ bie bramatifdEje §anblung erft madjt, nämlid^
jene urföd^Iid^e S5er!ettung ber inneren unb äußeren
SSorgönge, jenen lüdenlofen faufalen ßufammen^ang
glüifrfien ntenfc^Iic^em SSoßen unb fd^itffalOoßem
@efc£)et)en, glüifc^en grei^eit unb Sf^ottoenbigfeit,
Q^fjarafter unb ©efd^idf — eben ben tieferen not*
toenbigen 3ufantment)ang bon Urf ad^e unb 9Bir!ung,
ben bie bramatifd^en SSißeni^fonflüte aufguroßen.
— 85 —
I)o6cn. Q\mx nötigt unö ja ber ®e[amt[tanb unserer
tfjeoretifrfjen ©rfonntniö, im aÜflcmcinen an^u»
net)men, bafj fold^e 3"fömmcnl)änöc and) ha üor^
Ijanbcn feien, tuo n)ir [ie im (Sin^etnen nirf}t mef)t
ucrfühien tonnen; unb biefc allgemeine 9(nna()me,
©rfenntniiS, Ucbcr^eugung u. f. tu. ift pvax unerläfjürfje
^orauöfe^jung für aüeg bramotifdje ©d;affen unb
©enie^en. 2(6er baS aUeiS ift eben tI)eotetifd)er S^Jatur,
noc^ nicljt äftt)etifc^e Slnfc^auung; njenn tt)ir
als Qu]d)auei bem bramatifd)en ©piet gegenüber
ftetjen, fo genügt un^ jene allgemeine tt)eoretifd)e
9Innat)me nid)t. 3Sir njoUen jene 3ufan^n^en[;änge
nid^t 6Io^ benfen unb öorauöfe^en, mir moHen fie
fe^en, anfc^auen im gegebenen (SingelfaU, anfd^auen
im ^roge^ if)reä Sßerben^ unb 2Bac|fen§, anfd)auen
in i{)rer tebenbigen ©elbftentpEung. Qu biefer
gorberung l^aben mir ein guteg 9te^t, benn nur in
ber 5(nfc^auung, unb gmar in ber STnfc^auung be^
gegebenen %aUeS berf)alten mir unö äft^etifc|, nic^t
aber im t^eoretifd^en 5Denfen; nur mo äft^etifc^e
5rnfd;auung ift, ftnb ^unftmirfungen — mie überhaupt,
fo ouc| bem ®rama gegenüber. 3Bag aber bie Söirflid^s
feit irgenbmeld^er 'äxt nid^t o^^ne meitereä geigt, nic^t
anfdjouen lä^t, obmot)t mir e§ al^ öor^anben an*
net)men muffen: baä eben fie^t unb fc^aut ber ^ünftler,
ha§: orbeitet er fd^affenb au^ bem oft fo mirren 0lof)«
ftoff beä 2Sir!Iid§en f)erauä, ha^ and) mir e^ fc^auen
— 86 —
lönnen, Jrie er§ ge[d)aut I)at. llnb tüeit eben jene
bem alttägltd;en STuge fo oft ücrborgenen ßufammen*
f)änge glüifc^en SSillen unb ®efc|i(! mit aH ben taufenb
Äonfliften, bie barin lauern, ben eigentlidjen Äern
beö ©ramatifd^en bilben, barum mu^ fpeäiell ber
bramatifdje Äünftter bie bramatifd)e ^anblung mit
ber fi^auenben ^t)antafte erft fd^affen, um [ie bann
bem ßufc^auer im @pie( gu geigen, ^afe babei ber
eine 9Jo^ftoff jenen fd)auenben iölid in jene
3ufammenf)änge unb bamit bie ®en)innung einer
bramatifd)en ^anblung teidjter mad^t, ber anbere
fd^merer, ift fetbftöerftänbtid). 5Iber irgenbtoie, mit
mef)r ober meniger STuftoanb öon fdjöpferifd^er Äraft
mufe bie bramatifdje ^anblung erft gemonnen merben.
Unb ha§ fe^t beim 2)ramatifer gttjeierlei borauä:
einmal natürlid) bie fd£)auenbe unb geftaltenbe Äraft
ber fd)öpferifc^en ^tjantafie, alfo eine fpegififd)
!ünftlerifc^e SSeranlagung; bann aber aud^ haß, Ujaö
njir überliau^t SBeltanfc^auung nennen, perfönitdje
SSeltanfd^auung, bo§ f)ei^t: eben jenen Don bem
gangen ©tanb ber ®eifte!§antage unb ©eifteöbilbung
unb Dom et^ifd^en (5f)ara!ter gegebenen tieferen
©inblid in bie 3ufammenf)änge beS ^afeing unb
namenttid) in i§re SSermitttungen burcE) ben menfd)*
tid;en SSillen. 3So biefeä B^^^^e, bie perfönlid^
öertiefte 3SeItanfdE)auung fet)lt, ba bringt erfa^rungä«
gemö^ auc^ eine im altgemeinen gute fünftterifd^e
— 87 —
i^cranlQflunfl, bringt DoUcnbei nur ein formales
teff)nifcl)e§ ®cic()lcf nod) feine bramatifdje ^'^anblunß
uon QU)8rcirf)cnber ©tärfe unb 5lüingenber Ueber*
^euc^uni^öfraft ,^uftQnbe. ^ai aber fel)lt in ber Siecjef
bei bor unreifen -?u(^mb, bic iljrc 3?3cltanfd}auun(^
unb il)ren (^tjarofter erft ^u bilben Ijat; ber S)ramatifer
braurfjt einen getuiffen ®rab üon geiftiger unb etl)ifrf)er
^iefe, ben nur gang geniale S^Jaturen tt}ie Sdjiüer
fdjon in frül)er Sugcnb Ijoben. ^DaS fe^It aber auc^
il^ielen nod) in fpäterem 5riter, if)r ganzes; Seben lang:
er gibt „unfertige Teufel", n)ie ®ottfrieb fteller fic^
einmal auöbrüdte, bie q^ il)r Seben lang nie gu einer
beftimmten unb perfönlid) tiefgrünbigen SSettan*
fd)auung bringen — unb baö [inb, n^enn fie für bie
iöütpe arbeiten, jene ^alb= unb ©c^einbramatifer,
bereu Xt)puö in ber ©egentt^art (Subermann ift, bie
nur burd) äußere ^edjuif unb Üioutine blenben, nur
äu^erlid) fo fdjeinenbe bramatifc^e §anblungen gu?
ftanbebringen, ol;ne öoßeä innere^ Seben, ol)ne 2;iefe
unb ^oxx^ont, of)ne bie UeberjeugungSfraft beö 'tRoU
Utenbigen unb im t)ö!^eren Sinne Seben^mal)ren.
2)ag gibt auc^ jene platten SSirllic^feitöbramen, beren
bie moberne SBelt fdjon mieber fatt gu n^erben beginnt,
nadjbem fie fid) baran übergeffen l)at — jene unfrei
im 9iol)ftoff ^ängenben bramatifc^en Sc^eingebilbe,
bie [tc^ nur auf ber Dberfläd^e unferer augenblidlid^en
fogiaten ßuftänbe herumtreiben, ol^ne eine bramatifd^e
^anbtung tiefer in bie Meibenben 3ufö"^nient)änge
beS Sefienö :^inuntertreiben gu !önnen. 3ßa§ ben
^errn, aurf) ben formal begabten, in ben legten
Generationen nteift gemangelt \)at, ba^ toax eben
h)ir!(ic|e SBeltanfc^auung — begreifüc!^ in einer ger*
fa{)renen Uebergang^Mtur^eriobe, aber baburd^ nid^t
beffer! tiefer 9}?angel ift ein §au|)tgrunb, irarum
€§ ber ©egennjart tro^ großer 5lnfprüd)e unb allerlei
formellem können bod) an einer großen bramatifc^en
Äunft fel^It; unb biefer SO^angel ftanb unb.ftel^t in
engftem 3ufammenf)ang mit ber falfd^en Äunfttt)eorie
beg $RaturaIigmu§, meltf)er nur bie SBirttidjfeit mieber^
zugeben erlauben ttjiH, tüie fie möglid^ft getreu
beoba^tet bem 5(uge erfc^eint — ^a§ l^ei^t alfo eben
nur ben 9lo^ftoff, ben ba§ £eben bietet. ®a gittg
bann fc^on at^ p(f)fte ^unftteiftung, UJenn einer ein
!rummgeratene§ 2Sir!ü(^!eit§gen)äc^g fo feft auf bie
95ül)ne gu fteEen bermag, ttjie |)auptmann feinen
„guf)rmann §enf(i)el": etma§ üom SBurgetgeftedjt ift
aHerbingö nod^ mitgegangen unb ein paar brau*
pngenbe ©rbfc^ollen, aber bie ^fatitmurgel ift ab*
gebroi^en, eä langt mä)t§ met)r hinunter in bie ^iefe
beg SebenägrunbeS. Unb nun gar ber ©urc^fcfinitt
berartiger ^unft! 2öir pren i^ren Sammer ja fogar
avL§> ben ftänbigen 9f?eben§arten ber 2)urd)fd^nittg!riti!:
gut gemad^t, aber innerlich tjot)!! — mo^l ein tonfüft,
aber feine Söfung ! — ftarfe SSir!ungen im ©ingetnen,
- 89 —
aber im ©an^cn unbctticbiflcnb! — unb jo tociter
unb fo tucitcrl
3(6er nid)t nur bie 9?o(;[toffe auS ber gegen*
ipnrtigcn SiJirftidjfcit — aurf) bic IjiftorifrfjCn 9f?ot)ftoffe
geben otS fülcl;e nocf) feine genügenbe bramatifcl)e
^anbUing, qucIj il)nen mnji ber ©ramatüer erft it)re
tieferen Äaufal5u[aminen()änge ab^ufd^auen njiffen,
au<i} fie ntu§ er erft burd^ biefe organifieren. Sntnter*
t)in tritt bei i^nen ha^ ©efe^ ber öftljetifdjen ^erne
in SStrfung, njel'djeö befagt, ba§ jeber ©egenftanb
ber 5(nfd3auung, n)enn fie äft^etifd^e 5(nfd^auung
n^erben foU, einer geluiffen Entfernung öom Sefc^auer
bebarf, geitlidier ober räumlid^er, n)ir!tid)er ober
ibealer Entfernung. Unter biefem (Siefid^töpunft mad^en
eS l^iftorifd^e ©toffe Ieid)ter al§ ©toffe au^ ber
unmittelbaren ©egenu^art, ben ^origont unb bie
^erfpeftiöe gu gewinnen, n)eld)e bie ©djoffung einer
bromatifd^en §anblung au§ bem 9?ot)ftoff ermögtidjen
— Oorau^gefe^t natürtid), ba^ einer fold^en «Stoffen
gegenüber über^au^t genügenb fd^ö^ferifd^e Äraft
aufbringt. S)agegen bieten SDZ^t^uä unb @age bem
©d;affenben pufig günftige 93ebingungen aud^
infofern, alö t)ier bie bid^tenbe ^pntafie be§ 35oIfeS
in feiner SSergangenl^eit fdjon urfäd£)Iid^ üerfnü^fenb
Vorgearbeitet t)at.
SSenn atfo be§ S)ramatiferö ^pntafie au§ bem
Üiotjftoff eine bramatifd^e §anblung fd^afft, fo bilbet
90
er iljn um, tcitö ergän^enb teilö au!äfc()eibenb, teilö Der*
binbenb teilä lodernb, immer unter einem beftimmten
be£)errfc^enben (Siefid)t!§pun!t orbnenb unb orQanifierenb.
S)er (ä§t \ifS) leidet an jebem beliebigen 2)rama geigen,
beffen O^ofjftoff nod) beullid^ er!ennbar ift, etlim a(^
eine befannte 9^ei()e öon ^iftorifdEien jlt)ati*a(^en unb
95egebenJ)eiten vorliegt. 3Betd) reid)en, poetifrf) üer^
lodenben Stoff t)at Sdjiüer für feine „SKaria ©tuart",
toeld^e ^üüe bon S3egebenf)eiten, Seibenfd^aften,
5lonfIiften bietet ßeben unb ®efd)id ber fd)ottifd^en
Königin in einer langen bunten 9^eit)e ! jDie fed^^etin*
jährige Sodjter ^önig 3a!obg V. üon ©c^ottlanb
mirb nac^ granfreid) üermä£)It an ben S)au^l)in, lebt
am §ofe ber Statfjarina 9}(ebici, trägt furge ßeit, al8
grang IL ^önig gemorben, mit it)m bie ^rone oon
gronfreid), h^xt nac^ bem Xobe beg @emat)Iä al§
neunäe{)niäf)rige SSitme nad^ ©d)ottIanb gurüd, nimmt
als Königin bon @d)ottIanb unb ©d^meftertoc^ter
^einrid)§ VIII. öon ©nglanb ben englifc^en Eönigg-
titel an, t)ermä£)It fic^ mit it)rem SSetter 2)arnlet),
!ommt in ben 3Serbac|t, beffen ÜJ^orb mitöerfdjulbet
gu t)aben, nadjbem er i^ren ©ünftling 9?iccio getötet
i)at, üermät)(t fid) abermatö mit bem ©rafen Sot[;meIt,
ben bie fd^ottifc^en S3arone ber ©rmorbung
2)arnle^§ befd)ulbigen, mirb Don ben aufftänbifc^en
Maronen bebröngt, gefangengefe^t, entfagt bem Xt)ron,
loirb öom trafen 2)oug(aä befreit, flüchtet nac§
— 91 —
(5n(\Innb, inbcm fic qUc it)re 9(n)prüc()e tüieber auf*
nimmt, toirb nbcr aucf) in C£'nfllanb gefangen gefegt;
ha^ ganje fatI)otifcI)e (Suropa nimmt für fie gartet,
eine 9?eit)e uon blutig auggel)cnbcn ii^erfrfjluijrungen
njerbcn ju ilircn (fünften angc3cttclt unb bcbrol^en
bai§ lieben bct (Slifabctl) öon C£nglanb; enblid) lüirb
3J?aria ipegen ber it)r <Sd)ulb gegebenen ^Beteiligung
an iöabingtoniS 4'^od)üerrat nom cnglifd^en ^arla*
ment 5um 2:^obc üerurteitt unb entljauptet. Unb all
biefe Srlcbniffe, ^t)aten, ®efcf)i(fe ber fd)önen Stuart
öoll5iel)en fid) auf bem ^intergrunb einer Iebt)aft
bewegten Qeit, in ber gn^etten 5pälfte beö 16. 3al)r'
l)unbert!§, mitten tm Stampf ber Gegenreformation unb
beö 5lb[oIutiömu!S gegen ha^ proteftantifc^e ©ngtanb
mit feinem Parlament, gang (Suropa fämpft gule^t
gemifferma^en um haß Seben ber SJcaria — ein un*
gemein frudjtbarer, !onfIiftt)oIler ®toff für einen
^ramatüer! Unb bodj ~ fo! — bloßer 9bl)ftoff!
Unb bod^ biefe gan^e lange 9fteit)e üon SSorgöngen,
bie in il^rer 5lufeinanberfoIge einen gemiffen inneren
3ufamment)ang geigen, noc^ !eine bramatifd^e §anb*
lung! ©in natoeö (Spiel au§ ber Qtit be^ no^ un«
entn)idelten ®rama§ l^ätte bie gonje 9?et^e biefer
Gegebenheiten otelleidjt ®tM für Stücf in i^rer
{)iftorifd)en Speisenfolge auf ben Sc^aupkl gebracht;
ein bramatifdjer 2)ilettant ober unftd)erer STnfänger
l)äitQ aU baöSeibenfdjafttic^e nnb poetifd^ ÜieigöoIIe au§
— 92 —
ber Sugenb ber Wax'ia fid^ fc^iüerlic^ entgef)en (äffen
JüoEen, ptte fid^ etloa gemüljt, bte ©rmorbung 9ttccio§,
ben ^ob 5)arnle^g, bie trafen Sotf)lüeß unb 5Dougtag,
ben 5tufftanb ber fc|ottifcl^en ©arone in bte |)anbtung
fitnetngubringen, ^ötte aber bo(^ audf) ben töbltd)en
2tu§gang ber Tlaxia in ©nglanb nicf)t miffen ttJoUen
unb biefen irgenbnjie al§ ©c^tufe ber §anblung an*
jufügen gefud^t; er ^otte aber mit aü biefem öemül)en
fdjlnerlid) bie güHe ber 33egebenl)eitten gu einer einl)eit*
tid^en |)anblung im bramatifdjen (Sinne gufammen*
§ubrängen genjufet — ^tte nur eben bie ^iftorifc^e
golge ber 93egebent)eiten gu einer bramatifd)en «Svenen*
folge geftaltet, bie nur öon fd^tttatf)en göben unb burd§
bie ^erfon ber |)elbin ^ufammenge^atten luorben lüäre.
Söag aber t^ut ©exilier? Wü ber fidleren §anb be«
geborenen unb gereiften ^ramatifer^ fd^iebt er bie
ganje berlodenbe güße all ber inneren unb duneren
SSorgönge gurüd, bie üor ber ^ßerurteilung ber Waxia
in ©ngtanb liegen; oll haä tuirb blofee SSorauöfe^ung
ber bramatifd)en |)onbIung, giebt feinen S^eftanbteil
ber ^anblung felbft; nid^t einmal bie SSerfd^tüörung
95abingtonä, bie ben ®runb gu Wax'ia^ ^Verurteilung
gegeben tiat, ober i^r ^roge^ bor bem Parlament ge^t
in bie |)anb(ung ein — auc^ \)a^ liegt fc^on üor i()rem
93eginne. ®ie bramatifd^e §anblung fetbft läuft blo^
bon ber Urteil^eröffnung big gur Urteitööoltftredung
— unb ber bramatifdje ^fufd)er, ber am 9iot)ftoff
— 93 —
flcbt unb nicijt tud^, lua« bramatifd)c ^anblung
ift, fönnte bie ipänbe überm Äopf ^ufammenfc^lagen
ob bcr ^()orf)eit, fic^ eine folc^e ^üUe ber bunteften,
reiguollftcn, IciDcnfd)nftburc()n)trften ©reigniffe unb
93ecicbenI)citon cntöcljon 5U (äffen unb firf; auf jeneS
fcfjeinbar arme unb bctancjlofc ©tüd auä ber ganjen
reidjcn J)iciI)enfoU3e 5U befd)rän!en. ?(ber eben in
biefer S3efd)ränfung geigt fic^ aud) ^ier ber 9Keifter.
Sn biefeS furge ©tüd brängt @d)iüer benno(^ bie
gange reid)e ©tofffüÖe gufammen, gerabe in if)m
organifiert er fie gu einer mirfüc^ bramatifc^en
^anblung. Unb ha^ organifierenbe ^ringip ift ein
ungemein brangnoUer SBiüen^fonflitt: bie fdjon gum
^ob^öerurtedte Königin öon <Scf)ott(anb miß ettoa^
mit aller 3J?ndjt unb ^raft einer „p()^fifc|en D^atur",
mit bem gangen ftarfen 93egef)ren it)reg nad^ Seben,
Siebe, §errfc^aft üerlangenbenungebrod^enen S^JatureH^
unb (Sf)arafter§; unb maö fie tt^ill, ift: leben,
am Seben bleiben, obmol)! ber Xob unmittelbar über
il^r pngt, unb gtüar fo, ttiie e§ ifjrer innerften 9^atur
gemä^ allein leben ^ei^en fann, mit allen 5lnfprüc|en
auf greif)eit unb ^errfd^aft, Siebe unb ®lüd. Sf)re
Gegnerin Slifabetf; aber miß ha^ genaue Gegenteil,
fie min, bo§ 9Jcaria fterbe, enblic^ if)r aug bem 3Sege
fei, nad)bem fie if)r lang genug in i^rem gangen
SBefen unbequem unb gumiber gemefen ift; ha^ hü'i
Xobe^urteit, ha§ enblidj glüdlid^ mit einem ©d^ein
94
be§ Sied^teä gefäüt ift, aud) lütrfltd^ Doü^ogen trerbe
— nur aber fo, ha^ auf Wnbere iiaS ®ef)äf[tge falle,
^a^ fte felbft ben @(i)etn ber Wilhe unb (55erec£)tig!ett
tt»af)re. Unb biefer Äonfüft gnjifc^en ben beiben
föniglid^en 2Bei6ern, ber gunäd^ft ein rein ntenfd)(id)er,
iprtöater, perfönüc^er, fpegieH ein SBetberfonftift ift,
erlüeiterl unb uertteft fid^ gu einem Slonflüt üon lüelt*
t)iftorifd^er 93ebeutfamfeit: um baö Seben ber SWaria
n)irb nic^t nur am §of unb im (StaatfSrat öon ©ngknb,
nid}t nur gttjifd^en Sonbon unb gott;eringt)at) ge*
t)anbelt unb gefömpft, fonbern um biefeö Seben
fämpfen gUiei Wäd)te ber ^ät, beren ^ampf l)eute
nod) nid)t aufgetragen ift unb barum I)eute nod^
intereffiert: Gegenreformation, Üiom, Sefuitigmug,
frangöfifd;=fpanifd)er ^Cbfoluti^mnö auf ber einen
(Seite — auf ber anbern germanifdjer ^roteftantiä*
muö unb nationale ©elbftbeftimmung, §unäc|ft burd)
Sngtanb unb fein Parlament bargefteßt; jene 9}?äci§te
fc^iden alä ifjren perfönlid^en 33ertreter ben 30?ortimer
in ben bramatifdjen Äonflift, biefe finb |)erfönlid)
Vertreten burc^ SJiurleigt). ®ag ift ber menfi^Iid)
bebeutfame, in bie großen Sebenöfragen ber Sflationen
unb il)re bauernben, treitergreifenben ßufammen^änge
l)inunterfaffenbe §aupt!onflift, ber bie üom 9^ot)ftoff
gegebene Diei^e ber ®egebent)eiten gur bramatifc^en
^anblung organifiert; il)m gegenüber öerlieren bie an
[ic§ fo reigüoll fdjeinenben Ieibenfd;aftlid)en 5^onf(ifte
— 95 —
bcr Ataxia au3 ifjrcm iöorlcbcn [ofort an S^cbcutung
— fio iinb alle« anbete, wa^ ber 9tot)ftoff bietet,
iuerbcn nun biefem ^auptfonfüft DöUifl 6et)errfrf)t,
an bie rcdjte (Stelle unb in bie red)te ^fnorbnuncj
nad) bem i^erbältniiJ i()rcr iBcbcutung öcrürft. ®ie
jugenblidjen !^Nerirrungen ber SÜ^aria, it)re ilonflifte
in <Sd;ottIanb, focjar bie für il)ren (Sljaratter nic^t
uniüefenttidjen Sugenberlebniffe in granfreid) — ha^
alles fpielt nod) t)erein, aber nur alö 5ßorauöfe|5ung
ber eigentlicl^en .^"^anblung, teils alS ein <Sd)atten,
ber auf bem ®emüt ber 90?oria liegt, teils alS bie
l)iftorifdjen i8orbebingungen, tuetd^e ii)re ^ludjt nad)
©nglanb, il)re bortige ©efangenfdjaft, bie üerfdjiebenen
i^erfudje gu i^rer ^Befreiung erHären, 2)ie ^er^
fd^roörungen ber Xif^burn unb -porrt), 9JorfolI,
^abington ttJerben gleid^faüS unter bie 9fiei§e ber
ä>orauSfetjungen gurüd gerüdt atS bie Sebingungen
unb STnläffe für ha^i bereites gefällte Xobeöurtei(.
2)a aber Maria an ^abingtonS !öerfd)tüörung, bie
ben 93ortt)anb für if)re Verurteilung gegeben i)at, un*
fdjulbig ift unb auf t^rer Unfd^ulb im Äampf um ii)x
Seben befjarrt, ha auct) 5fnbere, toie ©t)rett)Sburtj, in
biefem ^om|)f mit biefem 50?omente redjuen, ha fie
njirflid^ rec^tShäftig, ot)ne Sufti^morb nur f)in5urid)ten
toäre, menn abermals eine fold^e ^^erfc^iüörung mit
Sebrot)ung beS SebenS ber (Slifabett) unb unter ©e*
tei(igung ber 9}?aria feftgeftellt werben !önnte (für
96
biejen gaU f)ot ja baä Parlament ejtra ein ©efe^
gemacht): fo tDieberf)oIt ©exilier bte bor bem ^Beginn
beg S)rama§ Itegenbe SSerfc^ltJörung be^ S3abington
im 5)rama, erfinbet bie SSerfc^ttJörung be§ 9}?ortimer
uitb fügt biefe aU ein n)efenttid^eä (Bind in bie
bramatifd^e §anblung ein. (Sr fd^eibet alfo nidjt nur
Xeile beä 9?oJ)ftoffe§ au§ ber bramatifc^en ^anblung
au&, fonbern er ergänzt biefe burc^ anberesS, n)a§ ber
OioJjftoff nidf)t bietet, toag aber gettjiffen 9JJomenten
beg Slo^ftop analog, in if)rent @inn unb ®eift ift,
nur ber ^anblung beffer bient alö bie |iftorifc^e
9[öirHid£)feit. Unb ebenjo i[t§ mit bem unf)iftorijc^en,
öom 9?ot)fto[f nid^t gegebenen ßiif^^^^i^^reffen ber
beiben Königinnen im britten 3I!t: ber be^errfc^enbe
^au)jtfonfU!t Verlangt, ha'^ bie ^anbtung an einen
^unft !omme, tt)o ber Seben^mille ber SD^aria unb
ber gegenmirfenbe SBiEe ber ©tifabet^ aufö fd^ärffte
gufammentreffen, fo ta^ firf) t)on l^ierau^ bie
Söenbung unb @ntfc£)eibung für bie Söfung
be§ Äonfüfteä ergebe: gur 9?ettung be§ ßeben^
ber SOZaria ift biefe 3iif<i"^^c"fitnft öon bem mit
9}?ortimer öerbunbenen Sefter öeranftaltet, 9J2aria
!önnte f)ier i^r Seben retten, menn fie fid£) unter
ööüigem 5(ufgeben it)reö (Sf)ara!terä bemütigen tüüxhe ;
fie üerfuc^tS, aber ber §a^ ber Gegnerin unb ha§>
eigene S^aturell laffen ben SSerfud) fd)eitern, ja be*
ftegeln it)ren Untergang. Unb in berfelben SSiertel*
— 97 —
ftunbc hxid)t bic ju it)rcr iÖcfrciun^^ unternommene
83er[cl)lübrunö 2)iortimeri8 üor^eitig anü mit bem
3J?orbQnfd)la9 auf (Slifobet^ — je^t ift aud) ber
auSreid)enbc S^edjtögrunb für SKarioS |)inrid)tung
üorljanbcn, ©urleifll), boS proteftantifdje (Snglanb
unb fein 'i^nrlameut bleiben «Sieger über baö riimifd)*
abfülutiftifdjc (^-uropa, beffen bloßer ©enbüng SUior*
timcr mar. @o ift ber ^fu^gang ber §anb(ung bon
I)ier an mit innerer urfäd;Iid)er ^^otmenbigfeit gegeben,
liefen Dom 2)ic|ter burd) 5(uöfd^eibcn unb ©rgän^en,
ßodern unb ßufammcngiefien auö ben Elementen beS
9?ol;ftoffeä crft erfdjoffeneu ^auptgügen ber bra«
matifdjen ^onblung orbnet fidj bann alleö (Singeine
unter benfelben ®efid)tgpun!ten unb mit berfelben
iRotmenbigfeit ein unb unter, mu^ bienen, tjelfen,
t)emmen, öormärtSrüden je am geforbcrten ^{a|e —
unb fo mebt fic^ erft burd) bie organifierenbe ^^an*
tafietljätigfeit unb bie fc^öpferifdjsbramattfdje £raft
beö S)id)ter§ eine bramatifd^e §anblung mit aß i()ren
Steilen in lüdenlofem ^aufalitätggufammenl^ang.
©ie umfaBt aber bann bod) ben gangen Sio^ftoff,
fomeit er irgenb für bie ^anblung braudjbar ift, fügt
bagegen ein unb tjingu, mafS ber «Stoff öermiffen Iä§t
unb bod) gutä^t, ma§ aber bie bramatif(^e ^anbtung
forbert.
@8 ift eine nid^t immer leidjte, aber für ben
Sel)enben nic^t nur Ief)rreid^e fonbern ()öd^ft öer*
Seitfire^t, Dai beutfcbe SCramo. ^
98
gnüglicf)e 5(rbeit, fid^ biefen ^roge^ an einem großen
unb in feiner SSirfung erprobten ®rama tlax gu
madjen. S)ie 9JiüI)e, bie ha§ etnja !oftet, Iof)nt fidE)
reid^Iic^er a(g mand^e t^eoretifc^e 5lu!§einanber[e^ung
unb (Srnjögung. 9)?an öerfud^e eö fetbft, gum 93eifpiet
am „SBaKenftein," n)o bie 35erbic^tung beö riefig
umfangreidjen 9tot)ftoffeä in eine unglaublid) knappe
bramatifd^e §anblung eine gang geujattige ßeiftung
barfteßt — eine Seiftung, bie attein fd)on geeignet
ift, aU haä ©efc^mä^ moberner @d)ein* unb Älein*
grölen an ben JBoben gu legen, ai§> ob ®d)illerg
bramatifd)e Slunft Ueraltet fei.
3Beiter ergiebt fid) auö beni SBefen ber brama*
tifd)e §anblung folgenbeä Don felbft. Unter allen
gorberungen, n^etd^e Dramaturgie unb ^riti! an bie
bramatifd^e ^anblung fteUen fönnen unb tt)atfäd^tid^
gefteHt I)aben, ift nur eine üon burc^greifenber, alleä
be^errfdfienber 95ebeutung: bie gorberung ber inneren
@in^eitlid)!eit ber §anbtung al§> eine^ or«
ganifd^en ©angen, beffen Streite mit ber inneren
S^lotn^enbigteit öon Urfad^e unb SBirfung au^einanber*
folgen, bem bef)errfct)enben |)aupt!onfIi!t fid^ irgenbmie
ein* unb unterorbnen. SDa§ ift ber einzige gefunbe
©inn unb ^ern in ber alten Se^re üon ben
brei ©in^eiten beg SDramaö; biefe ^aben aßerbingi^
I)auptfäd)tid) bie grangofen in unb nad£) it)rer fog.
!Iaffifd)en ^eriobe au!§ ii)rem mi^oerftanbenem Strifto*
— 99 ~-
tele« oDflefcitct; burd) (SI)n!e[pcarc8 ^ra^iö unb
i'cffinfliS ^tiüt ift fic in i^rcn (^runbfcftcn crfd)üttett
itinrbcn, fic fpiift aber bn unb bort norf) in Se^r«
biidjcrn unb Xl)Cüricn.
ßn ber (£inf)cit ber i^anblung ttjurbe nod^ bie
@inl)eit beS DrteS unb bie ©in^ett ber 3^^* Ö^fügt.
?(riftote(cö fetbft I^Qtte bie @inf)eit beS DrteS gar nid^t
geforbert, in Segiel^ung auf bie ßeit nur gefagt, bie
Xragöbie fucl^e fo nict al§ möglid) bie ^anbtung in
einem ©onnenumlauf fidj DoUäietjen gu (äffen. 5(uf bem
^(;eater be§ <Bopl)otk^ fd)eint aUerbingg bie ©in^eit
beS Drteg unb ber Qcit gen)a^rt njorben gu fein, aber
lebiglid) im 3ufanimenf)ang mit ber befonberen
bramatifdjcn Xec^nif be§ ©opf;ofIeg. 3)ie grangofen
unb if)re beutfd)en ^a^a^mn öor Seffing l^oben biefe
beiben (Sin^eiten nid)t nur mit tt}eoretifd)er ^ebanterie
geforbert fonbern aud^ ebenfo pebantifd^ in ber ^rajig
burd§3ufüf)ren gefud^t. SDa§ beutfd^e S)rama aber l^at
fidj gteid^ beim S3eginn feiner neueren boüfommeneren
@ntmidlung§ftufe üon biefer ^ebanterie toSgefagt.
Q§< giebt aud^ feine inneren, im 2Befen beö 2)rama§
liegenben ©rünbe bafür, bo§ bie gange §anblung
fic§ nur auf einer unb berfelben ©gene unb geittid^
in einer ununterbrod^enen furgen ßeitfpanne öoUgiel^en
mü^te.
35ielme()r, tt)a§ gunäd^ft ben Ort anbelangt, fo
pngt alle§ an einfad§ ted^nifd^spra!tifd§en (Seftd^tS*
7*
~ 100 -
:punften, ha§ ^et^t an ber jetüetUgen Sefdiaffentjett
be^ für ha^ @ptet Beftimmten @d)aup{al^eä, be§
%\)eatex§>, ber realen S3ül)ne unb tt)rer te(f)niicl)en
©inrtdjtung — ober genauer Qe^aQt unb tiefer gefaxt
an ber ^rage, tük n^eit bie öu^ere 'J;f)eatcrtec^ntf eä
gulä^t, eine öftere unb rafdjere 5Sertt)onbIung be^
@d)oupta|eg öorgune^men, o^ne ba^ bie etn'^eitltdje
2Sit!ung' ber (S5efamtl)anblung gefc[)äbtgt tt)ürbe burd^
ßerftreuung be^ ß^f^^^^^^f hm6) ein öftere^ un*
ru{)ige^ 5lbrei^en be^ gaben^ ber ^anblung, burd)
tote Raufen unter ha^ fortbrängenbe »Spiet ^inein —
unb bergleid)en. SSoHäiel^t fid) 5. ö. ttJte bei ber
Süt)ne @^afefpeare§ ber 'S5enenn)ed)fet öor^ugSlüeife
in ber ^^antafie be^ ^^fcl'Juerg, fo i[t ein öfterer
9Bed)fel of)ne ©djaben möglid), aU rt)enn ein um*
ftänbltd)er äußerer STpparat oufgeujenbet njerben mu§,
um bem ©djaupta^ eine anbere ©eftatt gu geben;
ift bie äußere Stedpi! ber Xt)eatermafc^inerie fomeit
borgefd)ritten mie t)eute, ha'^ rafdj auf offener ©^ene
Uermanbelt njerben !ann otjne ^aüen be§ SSorI)ong§,
ober geftalten fid^ biefe 35ert)öttntffe nod^ günftiger,
eitoa hux6) bie brel^bare S3üt)ne Sautenfd)(äger§ ober
bergleid^en — fo ift gtetd)faߧ biet me^r 3Sec^fet be^
Drteö o^ne ©törung mögli^, aU bei ber tt)eniger
entn)idelten 9}cafd;inerie etn)a ^u SeffingS 3<^iten
mögtid) mar. SDa§ ©ntfd^eibenbe bteibt immer ber
ungeftörte 3ufamment)ängenbe SSertauf ber §anbtung
— 101 --
ober, QtiberS nu§(\cbrücft, bic JRürffid)t auf bie
ungcftbrte Sammlunö bc!? 3"fft)Qucri3. Soiucit bie
^cdjnif esJ erlaubt, biefen cntjdjcibenben Oiüdfidjten
(\cbül)rcnbc 3{ed)nung 511 tragen, mag ber Ort ber
bramatifdjen .^anblung genau fo oft nicd))eln, al^
eä ber ®ang ber^'^anblung fadjlid) oerlangt. Smmer«
l)\x[ ift natürtid) gerabc burd) btc[e 9iüd[id)ten auc^
eine geluiffe ©ren^c gebogen; unb nid)t jeber ^ei(
ber bramatifdjcn 4^anb(ung erträgt Unterbred)ungen
burd) <Scenentt)ed)feI gteid) Ieid)t. (£ö ift g. 93. immer
ein gefät)rlid) ^ing, in ber rafd) gum (Sd)Iu§ brän*
genben Äataftropt)e nodj einmal einen @cenentoec|feI
Oor5unef)men, fd)on au^ nof)etiegenben inneren
®rünbcn, leiber aud) auö bem äußeren (Srunbe, loeit
ta^» liebe ^ublifum gegen ben Sd)lufe t)tn o^nebieö
fd)lnerer in ber ©ammlung gu I)alten unb aud) ber
beffere Xeit biefer t)o^en Äörperfd)aft in biefem ^un!t
nid)t immer ^uöerläffig ift. §ierin liegt ein ®runb
unter anberen, irarum §. S. bie Jurge ©c^tu^fcene
be§ „^ringen üon §omburg" nid)t mel^r rec^t tt)ir!fam
ift; ja aud) bie vSdjlu^fcene ber „9[)(aria ©tuart" wirb
^ierburd^ einigermaßen gefd^äbtgt. Sm fangen njirb
e§ aUerbingöförberlid) fein, toenn jebeö größere Xeilftüd
ber^anbtung, nad^ unfererf)eutigenSüt)neneinrtd^tung
etma jeber ^Ut auf einer unb berfetben ©cene fpielt
ober menigftenä SSerftanblungen innerl)a(b beö Slfteä
nur in ben früheren 5Iften üor!ommen, loo ba^
— 102 —
Sntereffe beö 3ufd;auer(S noc^ luentger ungebulbig
öonoärtiS bröngt. 5t6er eine pebantijd^e Siegel läfet
ficE) hierüber ntc^t auffteüen, nid^t au§ bem SSefen
ber bramati[(i;en ^anbtung begrünben.
3Sa^ ferner bießett betrifft, fo ift auä inneren
©rünben gleid^faHö nidjt ab^ufetien, warum eine
bramatifc£)e ^anblung, n)enn fie nur toirüid^ eine fold^e
unb innerlid) einljeitlid^ ift, nid)t eine beliebige '^eiU
ftretfe burcEjIaufen ober in it)ren einzelnen Steilen 5U
berfdjiebenen ß^iten f^ieten foll. 5(euBere tecl^ni)d;e
9fiüdfid)ten fommen t)ier ttJeniger in 93etrad;t atfo bei
ber ^rage be§ Drteö — immerl)in infofern, al§ eine
burd^ einen längeren ßeitraum fid^ t)in5iet)enbe ober
eine geitlid^ öfter unterbrodjene §Qnb(ung in ber Stieget
unb naturgemäß aud) üerfd)iebene Drtäiöec^fel bebingen
tt)irb ; aud) allguljäufiger SBec^fel in Xrad)t unb ©eräte,
im ganzen @ti( ber äußeren Umgebung be§ 5[J?enfd)en
!önnte burc^ bie ß^itfrage bebingt fein unb möglicher*
toeife beunrut)igenb unb gerftreuenb mirJen. ^fuberer*
feitS finb Unterbred^ungen ber ß^itfotge burc^ bie
(Sinrid^tungen ber mobernen 58üt)ne infofern begünftigt,
at§ ha^ fallen be§ SSort)angö nad) ben größeren %^iU
ftüden eg ermögtid^t, ein folc^eö Sleilftüd unb feine
bramatifd)e Situation rafd^ gu einem gett)iffem5lbfd)Iuß
ju führen — unb bann ebenfo rafd) unb unmittelbar
in eine neue Situation ein§ufüt)ren. ^Tber ha^ ©nt-
fc£)eibenbe finb aucE) t)ier bie gorberungen ber
— 103 —
bramQtifcf)cn .^lanblunj^ unb il)ret inneren Gin^eit
fclbft; fie Icflcn nottücnbig flcmiffe 93efdjränfunöen
auf. ©ine einl)eitndjc bramatifrfie .^anbtung lie^e
fid) nid)t \vo{){ bilbcn, iuenn ctttja mit 9rbam unb
(Jim im ^nrabicfc anc^efanflcn tüürbe, um gu ber
3cr[ti)runö ^Scrufotemö otö 5ur bramatifdjen Slato*
ftroplje 5u fommcn; mcnn bie beutfdjc (S5e)djid)te Dom
.^unncneinbrudi biö jum Ärieg öon 1870 burc^laufen
Uicrbcn foUte — ober hjenn nur aud) SBaHenftein juerft
„5U ?ritborf im ©tubentenfragen", bann aU Selagerer
öon ©trolfunb ober im Säger an ber „olten 3Se[te",
bann bei Sü^en u. f. m. oorgefüf)rt merben foHte,
bis er enblid} in @ger ermorbet hjürbe. 5Die gange
£ebem5gefdjid^te eineS gelben gu geigen, get)t nid^t
an — nid)t fomof)I megen ber erforberlid^en ßeitlänge,
fonbern njeit fidj au^ if)r nic^t gut eine einl)eittic^e
bromatifd^e .^anblung bilben lie^e. Unb ebenfo ift
ha§ 9)äBIid)e 5. 95. in SSilbranbtg „SKeifter öon
^atmtira" nic^t ha^, ha^ fid) bie fünf 5lfte burd^
öerfd^iebene ^erioben ber erften djriftlid^en 3af)r*
t)unberte ^ingiefien unb ha^ gmifd^en jebem 'ätt ein
längerer ßeitraum liegt; fonbern ha^' ift^, ha'^ jeber
91ft mieber eine gang neue bramatifd^e §anb(ung
anjpinnt, in bie fid^ ber ßufd^auer erft muffelig ^inein*
leben mufe — unb ha'^ biefe fünf §anb(ungen nid^t
burd^ eine eigenttid) bramatifdEie Sbee, eine einigelt*
lid^e ©efamt^anblung gufammenget)alten finb fonbern
104
lebtgltd^ burd; eine au^erbramatifdje, |3t)tIofo))^tfd^e,
etf)ifd^e, retigtöfe Sbee. 3Bo aber bie innere (£int)eit
ber ^anblung Dortjanben ift, ha mag bie ^^rage ber
3eiteinJ)eit [id^ ööllig barnad^ entjd^eiben, tt)a§ biefe
^anblung it)rem inneren SSefen nad) an Q^iU
üer^ättniffen jeglidjer Strt erforbert. @inem ©toff
freilid), ber ftc^ über einen tongen ß^^traum, über
Diele Sat)re üieüeidjt erftredt unb nid)t in aßen Steilen
in§ bramatifdje ©piel gefegt ttjerben !ann, alfo größere
ober Ijäufiger Unterbred)ungen forbert — einem foldjen
mirb fid^ fd^njerer eine mirtfame bramatifc^e §anblung
obgetüinnen laffen al§> einem ©to[f, ber an [id) fdjon
in einer furzen ßeitfpanne ^ufammenliegt unb ot)ne
geitlid^e Unterbredjungen feinen SBeg get)t. Um fo
größere Xriump^e !ann bann allerbingS bie bramatifdje
9Serbic^tung§!raft beö ®id)ter!§ im erften galt erzielen.
(Sine t)ebantifd)e Siegel aber giebt eö aud^ f)ier nid^t.
^ene „brei ©infieiten", über bie feinergeit fo
Oiel gerebet unb geftritten lourbe, füf)ren ftd) alfo
jiemtid^ einfad) unb fidler auf eine einzige gurüd:
bie Sin^eit ber ^anblung. S)a§ fd)(iefet nid^t auö,
ba'^ ber ^^aben ber ©efamtl^anblung au§ gtoei ober
bielteic^t fogar au§> mehreren (Sinjet^anbtungen ge=
gmirnt fei, menn fie nur nid)t 3ufammen{)ang§(o§
^jaraüet laufen fonbern in gegenfeitiger 2öed§felmir!ung
ftel^en. ®ie ®efat)r be§ 5(uiSeinanberfaIten§ befteijt
babei freitid^ immer, ma^ aber eine grofee bramatifd^e
— 105 —
Äraft I)icr Iciftcn fann, boS geigt luicbcr 8d)iUcr auf*
fllängcnbftc im „^H^nüenftcin', in anbcr §(rt aurf) im
„Xell". ,5crner forbert bie C^inl^cit ber ^anblung,
bn^ bn^, tüaö man (Spifobc nennt, im 2)rama nur
fcl)r bcbingtc unb [ieict)ränfte (SJeltung bctjalte. ^Der
35cgriff ber (£-pifobc ijat jmar feit ^triftoteleö h\i> auf
ben l)eutigcn Xag ctnjoö fdjmanfcnbeö; aber fo biet
mirb man je^t bodE) alS übercinftimmenben 'Bpxady
gebrauclj bctradjten bürfen, baf3 ©pifobe ein ^l)eil«
ftiid einer bromatifrfjen ober epifd)en .^anblung bc-
geidjuet, Uie(cl^c§ nid)t ber cigcnttidjen 4")aupif)anblung
angel;ört, i)ietmet)r ein HeineiS 5(uöbiegen Don ber
geraben Sinie bebeutet, ein Sßermeilen bei einer mel^r
ober meniger untergeorbneten ©ingelfieit. Sn ber
e))ifc^en ©rgölilung finben (Spifoben naturgemäf3 bie
reid^fte ?tnlüenbung, ja if)re SSerirenbung bilbet ein
^'^auptftüd ber epifd^en ^ec^nif; 3SiU)e(m Sorban
modjt ta^' ®efe§ ber (Sptfobe gerabegu gu einem
epifdjen ©runbgefelj, unb in ber Sttjat ift ha§ 5ru§*
biegen, 35ermei{en, 91ad)t)oIen, breite ^luäfüljren aud^
üon ©ingelnem unb Untergeorbnetem fo fef)r in ber
Statur beä ©rjäljlenö begrünbet, ba^ bie (Spifobe
aUerbingä ein fet)r mid^tigeS 3)cittel ber epifd^en
S)arfteUung ftiirb. ®an5 anberä ift e§ im S)rama:
bie ^"^onblung brängt aEegeit öormärtö nad^ ber
ßufunft unb gtoar fo, ha^ ein 5lugbiegen, ^^erlreilen,
9^ad^l)o(en gar gu Ieid)t eine ©c^möd^ung beg Sn*
— 106 —
tereffe§ bebeutet, eine fd)äbigenbe ?tblen!ung t)on bem,
tüaö haS §aupttntereffe au^mac^t, öon ber ein*
t)eittid^en (£ntn)ic!(ung ber Söitlenöfonftüte. ®ie epifc^en
unb t^rifrf)en 3)?omente, bie aud^ ha§> ^rama entf)ätt,
forbern aöerbingö manrfimat ein getüiffeS SSertneilen,
eine breitere 5tugfül)rung ; unb 9leben^anblungen, bie
in bie |)auptf)onbIung ]^ineinge5ft»irnt »erben, be*
bingen guineilen für lurge ßeit ein gen^iffeä ^tbbiegen;
eg giebt 9fJul^e)3un!te auc^ im energifd^en 35orn)ärtgs
fc^reiten beö 2)rama6, an benen ba§ Sntereffe ftdf)
gern einmal bei @in5elf)eiten unb 9^ebenfaci^en auf»
t)alten mag — auc§ im ftrammften Wax^ä) t)erf(l)nauft
man gern f)ie unb ha einmal. Unb fo !ennt aud^
bie bramatifc^e |)anblung i^re ©pifoben; aber fie
bulbet nirf)t, ha^ biefe fic^ fetbftänbig auf eigene
gü^e [teHen, etrooö bebeuten moüen abgefet)en bon
bem ^auptjtnec!, ben bramatifcEjen Sßiüenöfonflüt gu
entfalten unb gum ^tugtrag gu bringen. 5fudf) bie
©pifobe muJ3 irgenbtüie biefem ^aupt^mec! bienen,
it)n förbern — fei'g, baB ein für ben SBilten mic^tiger
e^araftergug, eine für ben Ä'onflift tt)efenttid£)e
(Stimmung fid) einmol etmaö breiter auc^ im @in*
gelnen au^fprec^e, fei'g, ba^ ein S5organg, eine
Situation, bie an ficf) oon untergeorbneter Sebeutung
tt)ären, boc| in irgenb einer Söeife für bie §anb(ung
eine ert)ö]^te Sebeutung geminnen foßen, fei'ö, ha^
anä) einmal ein gettjiffeö natürlid^eg 9^ut)ebebürfni§
107
im 3"fl(^ ^^'^ iiürtuärtetvcibcnbcn .'oanblunfl eintrete.
?(l)er immer l)ängt bie brnmatifdje C^pifobe irflcnbtüie
unli^^bor mit bem ©onge bcr .^anblunö gufammcn;
maS für bie[e uollftanbig cntbet)rlic^ ift, toa^ — mie
fo mand)e epi[d)e (Spifobe — einfad) l^erauöcjefdjnitten
merbcn tonnte, ot)ne baf? baburd) an bcr §anblung
irgcnblüie etlunö anbcrö mürbe ober nur aud) in bcr
SSirtung abgcfdjmädjt mürbe, ha^ {)at !ein (Spifobcn*
red^t im 2)rama, unb menn eS allgemein !ünftferifc^,
rein poetifd^ nod^ fo fein unb fd^ön märe, ^ier ^at
ber ^ramatifer, ber bie fpe5iett bromatifd^e 9Sir!ung
immer im ^fuge t)at, nomentlid) in feiner Gigenfd^aft
alö 2)id)ter allerlei (odenbcn S^erfud^ungen gu miber*
ftet)en — anbererfeitö aber mirb er bie ^ftid)t em*
pfinben, gered)tfcrtigtc ©pifoben mit aller !ünftleri)c^en
^oetcn!raft fo ou^guftatten unb mirfung^Dotl au§=
gugeftaltcn, ha^ fie ha§ Sntereffe beg ßufc^auerä ge*
fongen nel)men unb ftd^ neben bem Sntereffe an bem
^aupt^uge ber §anblung gu behaupten öermögen.
Wan iierfucf)e einmal bei (St)a!efpeare unb Schiller,
aud^ bei Sefftng, gemiffe auf ben erften iölid öielteic^t
entbetjrli^ fd^einenbe ©pifobcn au§ bem bramatifd)en
©efüge ber ^anblung mcgäunefimen, unb man mirb
fe^en, mie fc^mer ha§ ge^t, mie feft fie üerflammert
ftnb. SDcan üerfu^e eö etma im „^amkt" mit ber
^otengröberfgcne ober ber ©gene gmifc^en §amlet
unb Dfrif ober nur aud^ mit ber berül)mten Belehrung
— 108 —
ber ©djQufpieler burcf) ^amlet; man üerfud^e cö
in ben „^Räubern" mit ber @cene beg Äofin§!i), im
„gieiSco" mit ber beä 9J?aIer§ S^omono ober getüiffen
(Scenen beö 9}to^ren; in „9}?innQ bon 93arnf;elm"
mit ber 9ticcaut=(£pi[obe ober nur aud^ mit ber <Scene
ber ®ame in Xrauer — unb bergleid^en! Wogegen
finb j. ^. im „SSaKenftein" bie ©cene be§ Heller*
mei[ter§ mit bem ^ofal unb bie SSerbung ber SKörber
burrfj ^Butler ©pifoben, bie fid^ gu breit mad^en unb
bog Sntereffc ermüben.
S)ie (Sin^eit ber bramatifc^en §anblung forbert
ferner, ha^ jebe Sßirfung tt)o(;I öorbereitet fei unb
bafe bie 3Bir!ungen üon ©dC)ritt gu ©d^ritt fic^ fteigern.
T)ie SSorbereitung ber 2Bir!ungen ift für bie
bramatifd^e |^anbtung ein fo lnitf)tige§ !I)ing, ha^
man gerabegu bie Begabung ober 9Zid;tbegabung beg
2)rQmatiferö, ben 93^ei|ter unb ben ^fufdjer unter
anberem baran erfennen fann, ob unb mie aUeä
öorbereitet mirb. @§ ift ein burd^auö öerfet)rter unb
oerpngnigooüer, tro^bem ober fe:^r pufiger 2Sa^n,
ha§ Unvorbereitete, oöllig Unerrtjartete unb Ueber?
rafdjenbe fei bramatifdj befonber§ mirffam. ®aä
genaue Gegenteil ift ber galt. 33on ber ©rlrartung
lebt ber ßufd^öuer bem bramatifd^en ©piet gegenüber;
unb bie einl)eittid)e !aufale SSerfnüpfung ber inneren
unb äußeren ^Sorgänge, meiere ha^ Seben ber
bramatifd)en ^anblung au§mad§t, bulbet !ein herein*
-- 109 -
btcc(;cn einc^ (SrciflniffcS au8 bem 'ülxdjt^, Quei ber
btouen fiuft. ^^(n [icl) \d)on tl)ut pfi)cl)ologiirf) unb
äftl;ctifcl) ein unb bcrfelbo ^inbruc! eine gan3 anbete
SBirfung, luenn er mit (Spannung crluartct iuar, aii
Uicnn er gan^ unertuartot fommt — üorauögej'e^t
natiirlid;, ba[j bic GrtüUung überljoupt in feinem Übeln
3}(iJ3ücrl)ättniS jur (Srluartung ftct)e, ©in ©(^ufe, ein
93ti|j, ein ^onncrfdjlag, Ujenn fie gang unernjartet
!ommen, fbnnen giuar einen 9(ugenbtidE geujaltig er«
fc^rcden b. I). pt)l)fi[d[) bie S^erüen Ijeftig erfcfjüttern
unb baburd) aud) pftjdjifd) geftjiffe pat[)oIogi)d^e
SSirfungen I;erüorrufcn; fie fönnen aber ebenjogut
aud^ ot)ne foldje bleiben ober nur eine fe{)r geringe
unb rafd) Dorübergetjenbe SBirtung tf)un. (Sin mit
(Spannung erwarteter Sd^ujs, 33Ii^, ©onnerfdjiag
bagegen toixtt pt)t)fifd) in ben 9^eröen n^eniger t)eftig
erfdjüttcrnb, aber bafür jeelifd^ um fo fräftiger,
ttad)l)altiger unb ift — toäi ha§> ^atl^ologijd^e üer^
minbert ift — für rein äftt)etifd)e (im njeiteften
(Sinn) 22Sirfung geeigneter, ^ie Spannung ber @r=
loartung, ha§> !^ei§t bie öorbereitenbe ©infteüung eineg
geföiffen 9Jta^e§ öon Äraft unb S(ufnaf)mefäl)ig!eit,
öon 9?eaftion§6ereitfc§aft für ben ©inbrud —
üerminbert gn^ar in ber Siegel ba§ t)eftige Quden ber
momentanen @rf(^ütterung, mad^t aber ben gangen
feelifd^en Drganiämuö empfänglicher für bie eintretenbe
3Str!ung, alä toenn biefe plö^lid^ unb unöermittett
110
in ein öon gang anberem in ^tnfprud; genommene^
S^etüu^tfein l^ineintritt. Unb bie[e allgemein pfljc^ü^
Iogif(f)e 5t{)at[ad)e gilt aud) für bie Söirfungen beö
bramatifc^en ©pielä: \va^ mx erh)arlen, kommen fetten,
n)enn aucJ) nod^ fo bunfet unb bto^ al)nenb, tuorauf
unfer gangeg Seiru^tfein fid) fc^on längere Qeit
gejponnt t;at, tüenn aud^ mit nod) fo üiel ^rage unb
Ungetüi^ljeit — ha§ mirft, menn eiS nun eintritt, auf
ba§ fo Vorbereitete 33elt)u^tfein gang anbcr^, trifft
auf eine Diel t)öt)ere unb feinere (£mpfängtid^!eit alä
haß, tt)a§ o^ne SSorbereitung in gang anberä geartete
Sl^orfteHungörei^en ^ereinbridjt, baä SJemufetfetn um=
loirft, ber ©eele eine Seiftung an rafd)er 5(ffomobation
gumutet, bie fie nid^t fo gefdjminb aufbringen !ann.
Sn gemiffem «Sinn unerwartet fann ba^, toaö
bie bramatifd^e |)anbtung an einem beftimmte ^un!t
bringt, bennoc^ fein: mir I)abeng üielleid^t anberö
ermartet, bie SSirfung übertrifft bie (Srmartung, tt)tr
Ijätten ben SSunfc^ geJ)abt, ha^ e§ anber^ ginge —
unfer 9Kitgefü^t mit bem tragifc^en gelben 5. 33.
^ätte if)m Seben unb ©ieg gemünfdit ftatt ßebeng*
gerftörung unb Untergang — ober eö tritt fogar
ha§ Gegenteil be§ (Srmarteten ein, ber ^omöbient)e(b
g. 93. erreid^t burd) fein gangeö angeftrengteS
SBoUen "baß gerabe Gegenteil üon bem, maä er
moüte, unb mir lad^en über biefe (£nttäufd)ung, mie
iüir üom tragif(^en Untergang erfd)üttert finb.
— 111 —
Ober aud) finb tuir lonflc in einem 0en)iffen &xah
öcjpannter Unflotui^Dcit geblieben, roaS n)ot)t fommen
tuerbc, n)ie bieig ober ba^ au^flel)en werbe — unb
borjilcirf^en. 5(ber in all jo(rf)cn fällen njar bod)
eine l£-rlunrtinuv *^'nc (Spnnnun(\ bo, ober tüir finb,
iücnn aud) nodj )o leifc unb onbcutunt]öiucifc barauf
I^ingelcnft iüorben, bafe cjJ bod) aud) anbcr^ fommcn
fönnte, als bie näd)|'te, cinfadjfte Griuartung eg fid)
üoröcftcUt l)ätte — roir Ijaben gefragt, ge^n^eifelt,
gebangt, gealjnt: furg, unfer ganäcö öeiouBtfein
befanb fid; in einem S^orbereitungöguftanb, ber bie
(i-mpfiingtid)teit unb 9iea!tionäfä(jigfeit ert)ö§t unb
Verfeinert i)at, big enbtid) baS eintritt, auf tva^ bod)
fo ober fo bie gange ©eele gefpannt mar, auf maö
bie angeregten ^^orftellungöreil^en irgenbmie f)inge*
lenft maren. ®arin eben befte^t in biefer Segiel^ung
bie Äunft be§ mir!lid)en S)ramati!erg, bie freiließ
nidjt mo^I geleiert unb faum gelernt merben fann
— barin: bie ^anblung fo gu füt)ren, ba^ bie
©eele beö ^^^f'^'^"^^^ ö'^" ©d)ritt gu ©d^ritt, aud^
ot)ne ha^ eS i^m gu oerftänbig nüchternem Semu^t*
fein fommt, burd) bie 9teit)e ber i^m oorgeftellten
Slnfd^auungen unb bie bamit oerbunbenen ©efü^lä*
einbrüde fo oor* unb gubereitet, fo allfeitig pxä'
paxixt mirb, mie eö unumgänglich ift, menn jebe
neueintretenbe 2Sir!ung auf bie öoUe (Smpfänglicgfeit
ftofeen foU, menn bie ©eele beö 3uf<i)0"^^» fiel) Qiicf)
- 112 —
bem fd)etn6ar — aber nur jc^einbar — Unertüarteten
rafd) unb fidler a!fommobieren unb fo einen nad)=
fjaltigen, tiefgetjenben (Sinbrud ert^alten foß. 3Baö
nidjt fo üorberettet tft, uerpufft tüirfungätoä ober cö
Herfttmmt, ärgert, reigt 5um SSiberfprud), jur SSer*
ftanbe§!ritt!, \oixtt [;öd)ften§ patl^ologifd^, wixH aber
aug bem 9Sert)atten äftljetijdjer Eingabe an bie ge*
botene 5(nfdjauung ^erauä. S)a^ finb XI)at[ac^en,
mit benen einfach gu red^nen ift, unb ber ^ramatifer,
ber nid)t mit i()nen redjnen U)ill ober auö Un*
fenntni^ ober Unföt)ig!eit e§ nid^t !ann, t)at eö fid)
felbft äugufdjreiben, menn er bie beabfidjtigten
2Sir!ungen nidjt erhielt.
SD^it biefen ^t)otfad)en ftimmt aber auc^ Doü*
ftönbig bie ^orberung ber @int;eit ber bramatifd^en
^anbtung. 2)enn ha§ i[t baS ßf)ora!teri[tifd)e jebeä
mirfungäöoEen SOZomentS unb ©inbrudä im S^erlauf
ber bramatifd^en ^anblung, ha^ tt)ir bie Slnfc^auung
unb ©m^finbung t;aben: ba§ mu^te fo !ommen,
i>a^ mar unaugU)eid)Iid), ta^ ift bie notmenbige,
menn aud) üieEeid^t erft je^t fid^ Har entt)üüenbe
gotge aßeö bi§f)erigen, ha§ ftetjt mitten brin in ber
engen folgerid^tigen SSerlettung üon Urfadjen unb
2Sir!ungen, a\i§> ber allein eine bramatifdje ^anblung
fid^ fügen !ann. SBa§ ot)ne biefe eint)eitlic^e innere
SSerfettung unb SSer!nüpfung nur ai§ bunte 9?ei^e
t)on Gegebenheiten unb Situationen öor unö er*
— 113 —
fd)oint, jcljt fo, jctjt onbcns, ol)ne baf^ \v\x irgcnblDie
jene Sfiotiuenbij^teit jdjQiicn unb cmpfinbcn — tuad
ot)nc 83ermitttunfl unb ^Borbereitung auf bie 93ü^ne
ßepla^t, in unfer 33etuu{3t[cin Ijcrcingefdineit lommt,
baS mag im ©ngelncn unb für ben ^lugenblirf, mag
an fid) gan^ ()üb[rfj ober tuftig ober tntcreffant fein,
e§ bilbct bod) feine bramatifc^e §onbtung unb feine
2Sirfung in i()r; eö fann in feiner 3ufamment)ang!8«
lofigfeit für unfer ©enju^tfein auf bie 2)auer nid^tö
bebeuten, in bie Xiefe unferer <3eele nid)t einbringen.
2)aö giebt im beften ^all — bei großer ®eh)anbtf)eit
ber äußeren ^ed)nif — jene rafd^ üerpuffenben
©djciniüirfungen, mit benen aUerbing^ im orbinären
^l^ilifterluftfpiel in ber unbänbigften SSeife f)erum'
geujirtfd^aftet tt)irb, mit benen 9ftüf)r* unb ©peftafel*
ftüde, fede ©enfationöbramen bie urteil^tofe SJ^affe
üerblüffcn unb übertölpeln — bei benen fid) aber
jeber, ber fein üöUiger ^lod)* unb ©d^tüadjfopf ober
ftumpffinniger ^I)iliftermid§el ift, f)interbrein mit
^änberingen ober drgerlid^em ßad^en fragt: ^errgott,
rt)ie fonnteft bu bic^ bamit anfd^mieren laffen —
nur aud^ einen 5(ugenblid!
@!S ergiebt fid) barauö, ha'^ bie alte gorberung
fein Derotteter ßopf, fonbern innerlid^ beredjtigt unb
fad)üd) begrünbet ift — bie gorberung: ber3uf(^auer
foll Don t)ornf)erein mit bem 2)ramatifer im ©e^eimniä
fein — ober: bie bramatifdje §anblung foß in atl
aSeitbrec^t, 2303 bcutfc^e Sramo. 8
— 114 —
i^ren «Statten bem ß^jcliauer burc^fic^ttg unb üax
fein, ntd^t erft in it)ren enbticl^en 9^efultaten. 9}?ögen
bie I)anbelnben ^erjonen auf ber 93ü^ne nod) fo [et)r
unb nod) fo lang im Unflaten, in ber tragifc^en
SSernjirrung unb 33er6Ienbung ober im fomifd)en
2Birrtt)arr unb SQiifeüerftänbnig fid) befinben, mag e§
if)nen nod^ fo Verborgen fein, tt)a§ njerben foU unb n)o
e§ l^inaug miK: berßufdiauer mu§ öon üornfierein an
jebem n)id)tigen ^unft im klaren fein, eingemeifjt fein.
®iefe ^orberung gilt mand)en mobernen 3)ramatifern,
namentlid) ben unHaren 9fJad)tretern S6fen§, al§>
öeraltet — gu i^rem eigenen ©d^aben — fie mirb
ftd^ aber fd^on roieber burd)fe^en, Ujenn man burd)
©d^aben fing genug gett)orben ift. 9^ur mill fie
natürlid) rec^t öerftanben fein. ®o ift fie ja nid)t
gemeint, ha'^ ber jDramatüer bem ß^f^^i^si^ ^O"
öorn ^erein unb in jebem ^aE aEe feine harten auf*
gebedt geigen muffe, ba^ er i^m ben ®ang ber
!ünftigen §anblung gum SSorauä t)aarf(ein au^ein*
anberfe|en muffe — etma in ber SBeife ber ^rologe
unb Snt)att§angaben, bie ha§ beutf^e ^rama in feinen
5lnfängen, bie nod) §an§ ^ad)^ feinen Dramen öor=
au^gefd)idt ^ai; ober fo, ha^ jebe ^erfon i^re STb*
ficE)ten üon öornf)erein umftänblid^ unb au^füt)r(id^
in ®efpräd)en ober 9J?onotogen entmidelt, unb maä
bergteic^en ift. 5tud^ fo natürlid^ nidjt, ha'^ jebe
(Singetmenbung ber ^anblung, jeber feeüfc^e ober
— 115 —
Qufjcre isl^orflonfl, cl)c er cintrilt, Dom 3u|cf)aucr fd^on
ganj üollftänbifl Uat norauööctoufjt hjetbcn muffe,
bf.fe eS für if)n gar feine ^i^aöen, Ungett)iu()eiten,
fein gongen unb Jöangcn, feine ßnjeifet unb 9^öte
bem «Spiel gegenüber geben bürfc. !Damit h)äre ja
gcrnbe qUc Spannung unb (Srhjartung aufget)oben.
9tur barum uielmct)r Ijonbelt firf)2i, ha^ bem ßu*
fd^Quer immer 5ur redjten ß^it ^UeS bag gegeben
ttjerbe, toaS er gerabe broud^t, um bie |)anblung
fidler ju burct)frf;auen, ha^ er ©d^ritt für ©d^rttt
immer fefter auf ha^ geteuft merbe, moö fommen
mu§ — unb ba§ eben jene (Smpfängtid^feit fürä
^lommenbe in i^m ergeugt ujerbe, jene at)nungät)oIIe
Dämmerung ber @ee(e, bie toeife unb bod^ nic^t
iueiB, t)orauäftef)t unb bod) in pd^fter ©pannung
ift — füf)It, eg fann nidEjt anberö ge^en, unb bod^
nod§ einem ^tu^njeg fpäfjt — alleö n)erben fief)t unb
bod^ t)ödfj[t begierig ift, njie unb toa^? liefen
ßuftanb burd) bie SSorbereitung ber SSirfungen beim
3ufdjauer tjeröorgurufen, ha§> eben ift bie ^unft, bie
nur ber t^U S)ramati!er üerfte{)t. SBie menig aber
bei fold^er ^Bearbeitung be§ 3^f<^^ii^'^^ ^"^ ^^"^
meitgefienbe @inn)eit)ung bie ri^tige bramatifd^e
SSirfung auft)ebt, ift ja ganj flärlid^ fc^on baran ju
fe^en, ha^ S^ramen, bie tt)ir längft genau fennen,
boburd^ nid)tg mefenttid^eö öon iper SSirfung im
gegenmärtigen ©piel einbüßen. Umgefef)rt erfd^mert
8*
— 116 —
ftcJ) 5. 93. Sbfen bte bramatifc^e SBirfung auf ben
3ufcl)auer fo oft baburc^, ba§ er t^m burcf) bie
gü^rung fetner |)anblung forttr)ät)renbe 9f?Qtfet auf*
giebt, bte langfam unb f(^n)er fid) töfett, ba^ nur
eine gang gen^attige unb feltene Slunft beö ©rf)au*
fpielerS eö bem ßuff^^uer möglicJ) mad^en !önnte,
bei Qeiten tiax gu fet)en unb tnS ©e^etmntö bet
^anblung eingeweiht 5U merben.
@in 6efonber§ n)i(i)tigeg ©tüd ber SSorbereitung
tft aud^ bie (Sinfü^rung ber ßl^araftere in bie
^anblung. S)a§ ift freilid) ein Slapitol, beffen ©ingel*
l^eiten me^r für ben fc^affenben ©ramatifer ober ben
Dramaturgen öon gac^ Sntereffe ^aben. @ö fei
l^ier nur gotgenbeö bemerÜ. 3e rafdjer unb fieserer
ein (5f)arafter bei feinem Eintritt inö (Spiet mefent»
lid^e 3üge ^eraug!ef)rt, menn au(i) nur anbeutungö*
njeife, je einbringlic^er er bon bem it)n bet)errfd;enben
SSoIIen etn)aö t)erfpüren lä^t, befto rafd^er unb fidlerer
bemächtigt er fid^ beä bramatifd^en Sntereffeö. Unb
er erreid)t bieg toeit njeniger burd) umftänbtid^eä
hieben bon fid) unb feinen 5tbfic§ten alö burcE)
trgenbmeld^e Äunbgebungen feiner SSiEenärid^tung,
burc^ bielleic^t geringfügige^ aber bebeutunggboUeä
^anbetn, gumeiten fogar burc^ fleine aber begeid^nenbe
5teu^erlid§!eiten. Unb ferner: je fpäter ein (S^arafter
inö (Spiet !ommt, teibtiaftig ben (Sd)aupta| betritt
ober menigftenö mirfung^boü in bie ^anblung ein*
— 117 —
greift, befto notiDcnbigcr ift e8, bofe irgenbtüic bic
^-PI)QntQfic bcS 3"[f^)Q"<^i^^ ic^)0" "^*t i^"^ bcfctjäftigt
irorbcn ift, baf] fein (Singreifen aufö forgfältigfte
öorbcrcitet ift. @8 fann ein St)Qrafter möglirfier*
n)eife crft in bcr .^Tataftropf)e fo eigcntlid) in Sßirffam*
teit treten unb bod} bcm 3ufd)aucr längft fo öcrtraut
fein, ha^ biefer gan^ müt)eloö unb fidjer fein (iv
fd)einen unb SSirten fa^t. Wan madje fid) 3. 93.
einmal ftor, ttiic SSaQenftein, ber erft im gleiten 5tft
ber „^iccolomini" auftritt, nid)t nur fd^on im erften
9(ft, fonbern fd)on im „Säger" aufä 5(nfd)aulid)fte
unb iöeftimmtefte üor bie ^^antafte be^ ß^fc^^QueriS
geftellt ift — ober ttiie Sutter, ber erft im fünften
mt öon „SSoßenfteing %oh" fo redjt in ^fftion tritt,
baö gange gro^e 2)rama I^inburd), gleidjfall^ fd^on
üom Sager f)er, bem ^ufc^auer öertraut gen}orben
ift: unb man h)irb erfennen, loaö @infüf)rung ber
ß^arahere ift.
<So nötig tt)ie bie ^Vorbereitung ift aber ber
bramatifd}en ^anblung aud) bie Steigerung ber
9Btr!ungen. 'äud) biefe 9^ottt)enbigfeit beruht ju*
näd)ft auf aßgemeinen unb einfachen pf^djologifd^en
Xf)atfod^en: ha^^ pf^d)otogtfc^=äft^etifd)e ®efe^ ber
gotge in 35erbinbung mit bem beä SSed^felö tritt
i)kx in Äraft. folgen nämlid) met)rere Sinbrüde
aufeinanber — unb bie bramatifd^e ^anblung ift ja
|)ft)d}olDgifd^ eine^olge t)on ©inbrüden ober SSir!ungen
— 118 —
auf ben ßufdjauer — fo trifft immer ber fotgenbe
©inbruc! nid)t genau auf biefelbe ©mpfänglic^feit,
trie ber öortjergel^enbe. Seber (SinbrucE bebarf einer
getüiffen, Ujenn aud£) geitlic^ noc^ fo furzen 2)auer,
um burc^ Einübung unb (SJen^öl^nung ^ur üollen
<3tär!e gu !ommen, unb je beffer bie ©eele üor*
bereitet ift, befto leidster unb rafd^er erreicht er biefe
<Stär!e. Sft fie aber einmal erreicht, fo tritt eben
burd^ bie ®en)öt)nung unb ben errei(J)ten ®tär!egrab
eine geftjiffe Stbftum^fung, Sättigung, ©rmübung ein
unb bamit ha§> Sebürfniö beg SSec^felä, ba§' 93e=
bürfni^ nad) neuen anberöartigen Sinbrüden. ?5otgen
nun n)ir!Iic^ folc^e — unb fie folgen ja in ber
bramatif(^en §anb(ung mit ber S^Jothjenbigfeit eineö
ftrengen ßufammenf^angä — fo trifft ein folgenber
gleid^ ftarfer ©inbrud bennoc^ nid)t mef)r auf ha^'
fetbe dJla^ oon ©m^fänglic^feit, oielme^r eben auf
eine getoiffe 5lbftumpfung unb ©rmübung, loirft ba^er
fd^mäcler tro| be§ SBec^fel^ ber Oualität. ®er
folgenbe ©inbrud mufe atfo, um nur aud^ hk
gleich ftar!e Söirfung gu tl)un mie ber üort)er«
gel^enbe, nid)t nur anber^artig fein unb fo bem
93ebürfnife beö SSed^feliS entfpred^en — er mufe biel*
met)r an fid) au^ ftärfer fein alg ber öor^ergel^enbe.
Unb ber näd)fte mieber unb fo fort big gum ©d)lufe
ber 9teit)e. @oE aber bie SBir!ung nidjt nur gleich
ftar! bleiben big ^""^ @d)lu§ fonbern fic^ fogar
— 119 —
noc^ [tcißcrn, fo tuirb jwar ber SBed^fel in ber
5Irt ber einbrücfe eine Qutc äftljctifrfjc §ilfc fein,
aber eS njirb and) bic ©tärfe ber nadjfotcjenben
einbrüdfe im 5l>crt;ältnif3 ju bcn Dorl)cr9et)cnbcn
eine fortuinl;renbe, neue unb Ijöljere ©tei*
gerunfl erf orbern — eine lj5t)cre nod) alö bie, tt)cld)e
bto| bie gleid^mQJjiöe ©torfe ber Qan^en Sficil^cnfolge
t)on Söirtungen Verbürgen njürbe. S)enn bie Gintjeit
ber bramntijdjcn ^''onblung läJ3t feinen fold) bunten
Sik'd)[el ber SBirfungen gu, boj? ber SBedjfel aüein
fdjDu genügen njürbe, ber anbauernben (fmpfänglid)*
feit aufgut^elfen; ber einl^eitlidje 3u[amment)ang beö
betjerrfdjenben 2öiIIenöfonfIift§ f)ält bielme^r bie gange
9ieit)e ber SBirfungen bod^ auf einer getniffen gleid^en
Sinie, giebt it)rer Oualität einen bi§ auf einen ge=
iniffen ©rab gleidjförmigen ®runbd)ara!ter; überbieg
n)ürbe ein bunter SSed)fel üon unäufammen^ängenben
93egebenf)eiten ni(^t nur feine bramatif^e §anblung
geben, Dietmel^r aud) an fid) nur gerftreuen unb
burd^ ßerftreuung ermüben — ftiie bieg ja bei
allerlei @peftafel= unb ^TugftattungSftüden auf unfern
93ü^nen leidjt gu beobad^ten ift. Sft aber eine gu*
fantment)ängenbe ^anblung ba, fo fc^afft fie felbft
haa Sebürfni§ ber Steigerung, benn bie gaffungg*
froft beg ßufd^auerg übt fic^ öon Schritt gu ©djritt
beffer barauf ein, bie ßiifan^^^^^flönge unb bie ©e*
beutung ber eingelnen Sßirfungen gu erfaffen, unb
— 120 —
mit btefer ert)ö^ten Setd§ttg!eit ber Stuffaffung fteigern
ftd| bte ^Tnjprüd^e an bie (Stär!e unb Sebeutung je
ber folgenben 9Bir!ung. @§ Qenügt alfo nid)t ein*
mot, bie ©törfe ber ©inbrüiie f o gu fteigern, ba^
bie ®efammtlr>ir!ung in ber Speisenfolge eine gleid^*
mäßige bleibt; bie ©tär!e ber ©inbrüde ntu§
öielme^r in ber potenzierten 32Seife gefteigert toerben,
bafe ber gange ^ßerlauf ber §anblung eine fid^
immer meiter fteigernbe Söirfung tl)ut. ^ie
5Infprüd)e besS 3"f^<i^^i^^ )"i"^ ^&^" unmißfürlic^
unb mit pfl)(f)oIogif(f)er S'iotmenbigteit 5. Ö. beim
iöeginn eineä britten 5(fteä gang anbere, aU beim
S3eginn beS erften ober gtreiten, unb je mef)x fie
bonn ber britte befriebigt t)at, befto f)i)t)er finb fie
für ben oierten unb fünften gefteigert — gefteigert
eben burd^ ben mirfungSooßen, eint;eitlic^en SSerlauf
ber ^anblung felbft.
(£§ ift begmegen bie leibige Xt)atfad§e gor nid^t
üermunberlid), ha'^ fo öiele fonft gute S)ramen gegen
ben ®c£)Iu^ f)in abfallen, auc^ of)ne ba^ bie aß*
gemeine @d)öpfer!raft beö 2)ramatiferg, namentlid^
feine fpegieU poe tifd^e straft unb ©eftaUungöfä^igfeit
nacfigelaffen fjätte — nur f)at feine fpegieÜ bra*
matifc^e Äraft eben nict)t jene bie SSirfung poten*
gierenbe @teigerunggfät)ig!eit befeffen; fie ^at fid^
bIo§ auf gleid^er ^ö^e get)atten, mät)renb bie 2ln*
fprüd^e beg 3"f'^^"^^^ ^" ^^^ SBirfungen fidf) in*
— 121 —
bcffcn flcftcißert fjoben — unb baS ßiebt bo* öcr*
IjniißnifU'oflc aj(ifnievt)n(tni«l 3n Ul)lQnbg „^crjog
@tn[t" tl)ut bcr crftc 9Üt eine bramotifclje ©irtung
t)on einer Stärfe, bie an fidj nirf)t all5U9rofj ift,
aber bodj für ben Einfang gut Quöreidjen luiirbe;
nun ober bringen fQmtIid)e folgenben 'iiltc feine
Steigerung besi J)raniQtifdjen mel^r, jonbern eine
im ®runb rein epijdje ^anblung ot)ne tt)efentlid)e
SKillcngtonfliftc, loenn and) mit einer ^üUe üon
ll)ri[d)cr ^ocfie in allerlei (^3efü()Iös unb i'eibenfdjaftS*
auöbrüdjen au^geftattct. Unb fo finft trol3 aüer
@d;i3nl)eiten bie bromotifdje 933irfung üon %tt gu
§(tt, um am (Snbe in einer, tnenn aud^ nod) fo ebeln
9f?üt)rung 5U erlöfdjen — mir fet)en einen trefflidjen
2)idjter , einen unferer erften Stjrifer, aber einen
fd)mad)en j[)ramatifer. ^ie meiften 2)ramen öon
SBilbenbrud) Ijaben mit ben ©d^iUerfd^en einen
SSorgug gemein: ha^ nämtic^ gieic^ ber erfte 5(ft
eine fe^r ftorfe SSirfung tl)ut, ben bramatifdjen
SBiEen^fonflift energifd^ anfpinnt; aber fet)r §öufig
mei§ SSitbenbrud) biefen fräftigen Sinfa^ nid)t in
ber SBeife gu fteigern, bo§ bie SSirfung ber fpäteren
5r!te galten mürbe, maö ber erfte öerfprid^t. (2d)iüer
bagegen meife in ber Siegel bie !räftige SSirtung
be§ erften 2I!teg t)on Slft gu 5r!t immer met)r gu
überbieten, ebenfo innerbalb ber 5(fte bie SSirfung
eingelner unmittelbor aufeinanberfolgenber (Scenen;
— 122 —
unb boc^ begegnet e^ aud) tl)m in ber „Sungfrau",
ha^ nad) bem gewaltigen erften 5t!t bie 2öir!ungen
fd)n)äc|er n^erben unb ha^ fd)(ie§ticl^ aHeä eigenttid)
2)ramatij'c^e in bie rofenfd^immernbe 5lpotI)eoje be§
(Sd^Iad)tentobe§ ber Jungfrau, ha^^ ^ei§t aud) in
eine 'äxt 9ftüt)rung fi^ auftöft. Wit ttjeli^er SSudjt
©^afef^eare gu fteigern ttjei^, basS ift nic^t n)o{)(
irgenbnjo anberS beffer gu ftubieren aU am „50tac*
betf)"; aber audj it)m begegnet gunjeifen ein gen}iffeg
$J?ac|Iaffen in ber grtjeiten |)älfte beg !5)ramag, [o
j. ©. im „Suliug eäfar", beffen erfte §ätfte fo
mad^töoU bie SSirfungen fteigert.
©erabe bie gttjeite ^ölfte ober \)a§> le^te S)rittel
eineä S)ramag ift in biefer Se^ieljung immer ha^
®efäl^rlid§fte, bie eigentliche ^robe für bie (Steis=
gerungg!roft be^ ®ramati!er§. 9^id)t nur, med
eben naturgemö^, je länger je met)r fid) bie Stnf^rüd^e
an Straft ber 3Bir!ung fteigern — ha§ ift ja im
(SJrunbe auc^ bei anbern ^unftmerlen al§ bei ben
bramatifd)en ber gaü — üielmel^r nod^ au§ einem
befonberen ©runbe, ber fpegieß im SSefen beS
^ramatifdjen liegt. 2)enn maö ift e§ eigenttid) im
legten ©runbe, maS im SSerlauf ber bramatifd^en
|)anbtung fidj fteigern mu§? ®odj nii^tä anbereS
al^ bie Entfaltung ber SBiöen^fonflüte unb i^rer
notmenbigen gotgen. 2)iefe Entfaltung unb @nt*
midlung fteigert fic^ bei einer einigermaßen !räftig
— 123 —
QngclcQtcn .^^onblunQ biö an einen öetüiffcn ^untt
l)in fü^ufoflcn Hon fclbft; biefcr ^untt liegt ha, tuo
bcr ^Qupttonflift nirf)t mctjt t)bt)et t)inaufgetrieben
njcrben fann, njo bie .^anbtung „nmtdjxtn" mufe
nad) einem anbern '•^^unfte Ijin — bem ^-jiuntte,
njeldjer ben enbgiltigen ^fusitrag ber Eonflifte bringen
foK. 3>on jenem §5I)epunft an aber mad^en eben
bie folgen ber SBillengUorgonge fid) in üiel ftörterem
aWafee geltenb als Höriger; haS SBolIen fetbft tritt
t)erl)ältnif3mäBig mel;r gurüd gegenüber biefen ^^olgen,
bie 9}(ädjte beö au^er(;alb beö (£in5etn)iIIenS tiegenben
SBeltüertaufS, it)re t)unbertfad^e 9ieaftion tritt mef)r
inä 9f\edjt — unb f o mirb baö eigentlich bramatifd)e
Sntereffe, ha^ Sntereffe am SSiUen, gerabe öon bem
fünfte an meniger metjr aufgeregt unb öon felbft
befricbigt, mo anbererfeitä burdj bie t)or{)ergegangenen
bramatifd)en 3[öir!ungen bie ?lnjprüc^e beä 3"'
fdjouerö eine Steigerung erfaf)ren t)aben, hk immer
noc^ nad) met)r üerlangt. Um tro^bem uon ^ier
big gum (Sd)tu§ bie 2Birfungen immer noc^ meiter
5U fteigern, bagu geprt entlceber eine gro§e SBeig*
I)eit in ber !ünftlerifd^en ^ompofition ber |)anbtung
üon Hnfang on, ein meifeö SKa^tialten mit ben
SS?ir!ungen, ütel ©elbftüerteugnung be§ ^ramatiferS
in 5(bbümpfung üon öertodenben früheren SBirfungen
gu ©unften ber f:päteren — ober eö get)ört bagu
eben jene gemaltige Straft beö groBen ^ramattferS,
— 124 —
aud) auf bte ftärfften 23Str!ungen nod^ ftörlere gu
fe^en, eine Äraft, bie mit bem 2Ser!e iräd^ft, im
9an5en SSerlouf ber ^anblung an jeber neuen unb
I)öljeren Sfufgabe [id^ fetbft fteigert, fic^ frifd)cr unb
tjö^er entfaltet. 3n biefer Äraft eben geigt fic§ bie
angeborene ^Jenialitat beS ^ramatiferS, unb njenn
fie notf) mit jener !ünft(erifd^en SBeigt)eit fid^ ber«
binbet, bonn merben i^r bie t)öd)ften Seiftungen
gelingen, ©djiller ^at fid) gerabe in biefer 58e*
giet)ung mit feinem ©rftling, mit ben „9?äubern",
fofort al^ ben geborenen ^ramotüer auögemiefen,
ber oud) bie ftärfften SBirfungen ber brei erften
'ätU im vierten unb fünften nod; gu überbieten meiß,
fo bo^ h\§ 5um @ct)(u^ in nic^tg SSefentlicEjem ein
9'?ad)(affen eintritt; unb in ben meiften feiner StragiJbicn
bleibt er fid) ^ierin getreu. S)a§ bie „Sungfrau" fo
übel nadjlöBt, ba§ ^ängt ^auptfäc^lid) an ber 2lrt, tt)ie
in ber gmeiten §älfte be§ 2)rama§ ber ftrenge ^u-
fammen^ang ber 3SiIlen§0orgänge unb i^rer folgen
immer mel)r burd) SSunber unb ßuföEe burd)li3c^ert
tt)irb. ©ang gettjoltig fteigert @l)ofefpeare im üierten
unb fünften 5lft beö „SD^acbet^", mo bie bergn^eifelte
SBißenöfraft a)?acbett)g. in§ iBlut l)ineintt)atenb big
über bie Änöc^el unb aEen @nttäufd)ungen Zxo^
bietenb, felbft noc^ aU Sirnamömolb auf 5)unfinan
anrüdt — fic^ n)et)rt gegen ha§ bod) unaufljaltfame
innere 3erbred)en, big rafc^ ha^ Oöllige @nbe fommt.
— 125 —
UebrißcnS iftl)icr boc^ nod) Sinc«^ 3U bcmcrten:
bicmit9{ed)t nnb naturöcmQf5firf) ftei(jernben5(nfprüd)e
bc8 3"f^ö"er8 njerben juweiten and) gar 5U
anfprudjöüoll — nomcntlid; in ßeiten, lüo burd) grelle
(Sffcftl)afd;ercicn bcr 33üt)ne, burd) raffiniertet lieber-
ftcic^ern unb Ueberluür^cn ber (gebotenen SBirfungen
ber ©aumcn beö ^^ublitumö überreiät ift unb hai
einfadjc unb 9flaturgemä§e nid)t met)r !often mag,
feine 3(nfprüc^e öielmel)r auf§ Unerl)ürte unb lieber«
ftarfe fpannt. ßinfad) naturgeniäf] aber ift, ha^ aud}
bie ftär!ften bramatifdjen 2Sirfungen gegen ben ©d)tu^
eineä ^romaö Ijin fid) einigermaßen abbämpfen, einer
geroiffen Serut^igung entgegengeljen muffen. @^ ift
Ütnftlerifd) t)er!el;rt, biö gum testen @d)tuß unauägefe^t
bie §e^peitfd)e ber ftärfften @ffe!te über ben köpfen
ber ßiifi^^iu^i^ !nallen ju toffen, um fie am (Snbe
in einer quatöotten 3tufregung gu enttaffen, bie ha^
^eftl)etifd;e ing ^at£)o(ogifd)e ummirft. Srgenb ein
atlmä]^lid)e§ 5lbfinfen unb 5luä!lingen ber 2Bir!ung
tt)irb ein naturgemäßer ©djluß immer mit fic^ bringen
— unb eg ift fein guteö ßeid^en für ein ^ublifum,
toenn e^ l)ierfür !eine äftt^etifc^e SBürbigung md)x f}at.
'äud) im SSerlauf ber §anbtung merben immer
tion ßeit 5U 3eit \^^ naturgemäß ©teilen ergeben,
mo eine gen)iffe Seruljigung einteten muß, eine
llnterbred)ung ftärferer Sßirfungen burd) minber ftarfe,
bie eine (£rl)olung unb ©rfrifd^ung gulaffen; l^ier mag
— 126 —
gelegentlidjes epifobifd^eg 5lu§füf)ren bon 9^e6en*
lt)tr!ungen gute SDicnfte tt)un, toenn nur bie ^aupU
{)anblung in energifc^er, nirf)t nad^taffenber (Steigerung
i^ren bramati[df)en <Sd)ritt gef)t. Unb luie gefagt:
fd^on ber SBed^fel in ber ^Trt ber 3Bir!ungen, ein
getniffer Steid^tum ber 9}?annigfattig!eit in ben öer*
fcE)icbenen Xeilftüden ber ^anblung ift eine n)id^tige
Q[tJ)etifd^e §ilfe für bie (Steigerung ber ®ejamtn)ir!ung ;
I)ier fann unter Umftänben gerabe ber Ort§* unb
ßeittned^fel gegenüber einer :pebanti[d^en ©inl^eit bon
Ort unb 3eit ber (Steigerung ber 923ir!ung gugute
fommejt.
Snblid) bebingt bie @inl)eit ber §anbtung —
Qu^er ber ^orberung ber SSorbereitung unb Steigerung
— aud) nod) bie S'lotnjenbigfeit eine§ bijlligen
5lbf dE)Iuffeg. ®a§ ift eigentlich eine Selbftberftänblicf)*
!eit, unb bod^ mirb I)iegegen ungäfjtigemate berfto^en —
fei'g au§ ÜJJangel an 93efät)igung, fei'g auä jener
SBtEfür, njelc^e n)efentlidf)e bramatifd^e ©efe^e al§ alten
Qopi gtoubt bef)anbetn gu bürfen; oft ift autf) beibeS
beifammen. 5lbfcf)tu§ — ha§ t)ei§t: innerer 5lbfd^lu^!
©inen äußeren 5lbfc^luJB finbet ja gottlob aud^ ba§
erbärmlitfifte ®rama: man barf nur ben SSorf)ang
nod^ bem testen 2lft fallen laffen, fo ift'ö ja gefd^e^en.
Stber bantit ift in fet)r bieten gäüen ha§ SDrama, ha§
l^ei^t bie bramatifd^e §anbtung, nid^t au§. SSon
(Subermanng Dramen g. S. t)aben aud^ anbere fdf)on
— 127 —
h)ieberf)oIt flcfaflt: fic fünnten ruljig Don üorne an»
fanQcn, [omic bcr tc|}tc iöor()ang gcfaUcn ift. (58 i[t
üieUcidjt einer tot tuie ber alte DDcrft in ber „^eimat ",
c8 Qcljt einer übcrS ST^eer wie in ber „@^re", c8 ift
einem 2?3cibcr()clbcn fein Opfer für je^t entzogen n)ie
im „&{M im äBinfel" — aber bie cigcnt(id)en ^onflifte
finb nidjt auiSgetragen fonbern befteljen ruijig meiter.
2)er Äonfüft ber (£()re ä^uifcljen S^orberfiauö unb |)inter'
^au8 ift bamit nic^t erlebigt, baf] ®raf Xraft über
bie ©t)re feid)teö Qquq fd^ma^t unb ben greunb, ber
in ^onftiften ber (£t;re ift, au§ ber ganzen SSelt mit
fortnimmt, in ber man nadj ber 3)?einung ber i)o]^en
g-inang nod) fo bumm ift, fid) burd) ^onfüfte ber
@t)re I)ei^ modjen gu laffen; ber ^onflüt gmeier et^ifd)er
SSeltanfc^auungen in ber „§eimat" (oorauSgefe^t,
bafe fie biefen"9^amen übert)aupt oerbienen) ift bamit
nic^t auggetragen, ha'^ ein alter STpopIeftifer im 3orn
über feine XodjUx ftirbt unb biefe benfelben 2Seg
meiter get)t, ben fie bi§f)er gegangen ift; ha§ ®Iüd
im SSinfet ift genau fo murmftid)ig in bem Stugen*
blirf, ha ber ebte oftelbifd^e Sun!er unb Uebermenfd^
begoffen abgiet^t, n)ie eg mar, alg ba^ <Stüd begonn
unb bie „btonbe ißeftie" im ^Tn^ug Ujar. Unb fo
tneiter, aud^ ber „Sof)anneg" !önnte mieber bon öorn
anfangen, menn man bem Käufer feinen ^opf mieber
auffegen fönnte — er märe berfelbe !§aIttofe 3Birr=
fo:pf mie oort)er unb bie §erobeäIeute blieben biefetbe
— 128 —
berliner Äommer^ienratäfomilie, bie fie lüaren.
(Subermann bringt eö burd^ glüdlid^e ©ttffe unb
tedE)nifcf)e Wittd guftanbe, ha'^ an früheren ©teilen
feiner Dramen bie Ä^onftüte [i6) oft äu^ertic^ frf^arf
pfpi^en — aber am ©d^Iufe !ommt aßemal njieber
feine bramotifd^e D()nmarf)t gutage, feine Unfät)ig!eit,
einen bebeutenben £eben§!onfli!t fo gu filteren unb gu
Vertiefen, ha'^ er gum enbgittigen^tuätrag fommen mu§,
Srgenb ein ungelöfter JKeft, eine ^rage, ein
9?ätfel bleibt ja t^atfäd^Iid; in allen Slonflüten be^
9}cenf(^enbafeinä unb fc^Iie^Iid) aud; in if)rer ®e«
ftattung gum bramatifd)en ©piel. 9^od^ fein S)id)ter,
oud^ ber größte nid^t, f)at ha§ Ie|te SSort beö :2ebenSs
rötfete gefproc^en, oEe fragen au§ bem SBeg geräumt.
S(ud) Äonflüte, bie in (Sinem beftimmten gall auä^
getragen finb, fönnen fid) unter anberen 35ebingungen,
an anbern (St)ara!teren in neuen formen unb SSer*
^öltniffen h)ibert)oten. S)a§ ift ja !(ar: e^ giebt
fiebenäprobteme, bie immer neu ha finb unb nie
Döllig 5um Huätrag !ommen. Sn biefem @inn
giebt^ freitid^ !aum für ein tiefer ge^enbeä ®rama
einen enbgiUigen 3(bfd^tufe; ja ba^ gett)iffe ^onftüte
unb Probleme immer neu finb, fd)einbar getöft \>ö<i)
immer lieber aufgenommen unb burd^gefoc^ten UJerben
muffen — gerabe biefer Umftanb giebt fo üielen
großen Dramen i^re unatternbe Sugenb. 5Xber
gerabe in if)nen ift ber ^onflüt^faH, ber beftimmte
— 129 —
©tnjetfaU, bcr bcn an ficf) nie ^an^ 5U erfc^öpfenben
©tojf jur bramatifdjcn ^anblung orQanifiert i)at —
bet ift Dollftnnbiji auiiJgetraöen unb Qd'6\t, ber !ann
nid)t fofort tüieber t>on üorne anfangen, ber gel^t
ot)nc 9Je[t auf. 5)cr Slonftüt in (3cf)inerä „9läubern",
ber Äonftitt beö !raftüolIen ©injctnen mit einer if)n
Dcrgeiuattigenben äußeren Drbnung, fcf)rt immer
hjieber, im Seben unb im jDramo — aber für ben
%all beS Äart SKoor ift er üöüig unb nad^ aßen
©eitert ^in abgefd^toffen mit bem @d)tu§mort ^arl^.
2)er Äonflift ber „fiuife 9J?iIIerin" fann immer
töieberfef)ren, mo Verrottete ftaatticfie unb gefeöfc^aft*
lid^e 3uftänbe nur bem §allun!en feine 5trt t)on
®tüd£ gemä()ren, nid)t aber bem Steinen — für
^erbinanb unb Suife aber gtebtg nic^t^ meiter öon
bem 5Iugenb(id an, ba er \x6) ()iebur(^ bered^ttgt
glaubt, fein ®ef(f)öpf gu gerftören. SlII bie kämpfe
um §errfd)aft unb ^reit)eit, bte @c^ttlerö f)iftorifc^en
SDramen bie Äonftüte geben, fte töerben metter«
ge{äm))ft, fo lange bie Söettgefd^id^te bauert — aber
bie ^onftifte SSaßenfteinö, ber SD^aria (Stuart, be§
^errfd^erl)aufe§ üon SOZeffina u. f. m. finb enbgilttg
ettebigt, unb gtoar ntd^t ettra blo^ baburc^, ba§ bie
gelben tot finb, t)ietmef)r baburdEi, ha^ fie innertid^
mit tf)ren SebenöJonftüten fertig finb, bafe bie ^anb«
lung mirüic^ unb mal^rfjaftig gu @nbe ift, bie auö
i^ren Äonftüten ^erüorging. Unb mie grünbtid^
SB e i 1 6 r e (( t , Hai beutfd^e 2)rama. Q
— 130 —
macf)! @t)a!efpeare gerabe in feinen unöergängliddften
Dramen teinen ^ifd^ — jelbft "oa, loo eö fid), ioie
5. 33. in „diomeo unb Sutie", um ein Problem
^anbelt, \>a^ in Seben unb ®id)tung jeben ^ag
ioieberfetirt ! 2Kie üöHig bringt ©riöparger am @(i)lu§
ber „äJJebea" ben gangen langen Äonflüt um bag
„golbene SS(ie§" gur ©rtebigung, obtt)ot)t SKebea
lebenb öon Safon fdieibet, obn^ol^I ber ^tud^ be^
©otbeg unb ber 9Kacf)t mit ber S^iücfgabe beö golbenen
$8tie§e§ an ben buntten ®ott nid)t für immer ertifc^t,
fonbern im SfJibelungenring unb in ben allermobernften
formen ber neueften ©egenmart rt)ieber!et)rt. 5lm
@tf)Iu^ öon ©oet^eg „Spfjigenie" gef)en bie üon
Xaurig ©d^eibenben einer ßuJunft entgegen, bie
möglic^ertreife für fie nod) allerlei Ä^onftüte bergen
mag — aber ber Slonflüt, ber bie §anbtung beg
$)rama§ gab, ift mit ber (£ntfüt)nung beä Dreft, ber
SSerfö^nung SptjigenienS mit ber ®ottt)eit unb
ben SKenfd^en aufgetragen unb gelöft, ot)ne bafe
^ierin irgenb ein Äeim gu neuen Äonfliften läge.
Sn Sefftngg „(Smilia ©atotti" bleibt am «Sc^Iu^ ein
gett)iffer 9?eft, meit mir nur müt)felig, reflejionö*
mä^ig überrebet merben, ha^ eg fo au!§get)en !onnte,
aber nic^t überzeugt finb, ha^ eg fo enben mu^te^
bagegen ift ber !omifc^e ^onflüt in „ä)?inna üon
93arnt)elm" fo üöllig ertebigt, mie ber in ^(eift^
„^erbrochenem Ärug." Unb fo fort! ©erabe bie
— 131 —
Otogen 2)rQmQtitcr ^jflcflen ben 3"fd)Q"cr nid)t
mit einem .^crt uon ^^^Qöcn unb 3^cifeln ^u ent«
laffcii, fic geben mit bem ?(bfd)lufe it)rer bramatifrficn
^Qnblunfl eine üöKii] öenügenbe ?(nttt)ort auf a\i
bie ^^rai^en, bie bie)c 4">onbIun(^, eben biefe oufQeregt
i)at. (Sie njiffen JuoI)(, bo^ eö eben im SBefen bet
bramatifdjen ^onblung al8 einer gefdjioffenen orga*
nifd^en (£inl)eit liegt, abgufdjliefjen — nid^t Uo^
äufeerlid), fonbern aud) inner(id) — fo abgufd^Iie^en,
ba^ eben ha§ unb genau baö unb unter jebem
©efid^töpunft boö erlebigt ift, wa^ eine bramatifd)e
^anblung überljauipt ermögtid)t t)at, if)ren mefent*
lid^en 3nt)a(t gebilbet ^at
2)affelbe forbert übrigen^ aud) ber ß^tjaralter
be!§ 2)ramaS a(^ eine^ ©pielg. @in (Bp'id, meld^er
9(rt e§ immer fei, ^at feinen beftimmten Stnfang
unb fein ebenfo beftimmteö @nbe; ein ©piel öu^erlid)
auft)ören gu taffen, mätjrenb eö feinen inneren S3e*
bingungen nad^ nod^ nid^t erlebigt ift, mir!t auf
jeben, ber über|aupt ein mirütc^eg Sntereffe baran
nimmt, nur üerftimmenb. ®aö ift auc§ eine jener
gang gemeinen pft)c^oIogifd)en X^atfad^en, bie beö«
megen nid^t aufpren, mirfenbe Sl£)atfad^en gu fein,
med fie fo gemein auöfe^en unb ttjeil eg manchen
fieuten beliebt, fie gu ignorieren ober für äft^^etifd^
gleidjgiltig gu t)alten. Sebe§ ©piel aber, baS
mirKid^ auggefpielt ift unb irgenb ö)elc|em Sntereffe
— 132 —
©enüge getetftet ^at, ift bamtt aurf) tt)tr!(ic| unb aH*
fettig erlebtgt. ®a§ näd}fte Be[te ^artenfptet ift mit
bem legten @tic^ ein für allemal gu @nbe, fotüie e§
richtig gefpielt toar; e§ liegt at§ eine in fid^ ah
gefc^toffene (£inl)eit t)om erften hiS gum testen @tic^
öor, unb eg mu^te fo au§ge!^en, menn leine gelter
gemad^t mürben, ©in @c^ad|fpiel ift nid^t gu ®nbe,
et)e ber Äönig mat ift; bann a6er ift'§ aud^ abfotut
erlebigt mit allen feinen ^onflüten unb letjrt fo nie
mieber, au^er in Uo§> med^anifd)er S'lad^atimung.
S5orau§fe^ung ift au^ ^ier, bo^ meiftert)aft ober
nur menigften^ tid)tig, ot)ne eigenttirf)e ^e^ter ge*
fpielt mürbe. Unb baffelbe gilt öon l^ö^eren, rein
äft^etifct)en 5trten be§ ©|)iele§, gilt bom pd)ften
@piel, Dom bramatifd^en. Sft e§ nic^t eint)eittid^
unb enbgiltig in fic^ abgefd^toffen, ertebigt o'^ne
meitere ^^ragen unb SSerftimmungen, fo finb eben
geiler gemad^t morben, bießeitfit fc£)on am 9tnfang
beö ©pieleö, in feiner gangen Stntage unb ^ül^rung
— ober eg ift !ein SD'Jeifter über bem ©^iet gefeffen,
fonbern ein, menn audf) öieKeid^t birtuofer, ^fufd^er.
Unb fo bleibt e§ autf) unter biefem ®efid§tgpun!t
babet — tro^ aller 9^euerung6fud§t berer, bie'iS
bielleid^t nur eben nid^t beffer lönnen unb aug i^rer
ÄönnenSnot eine ttieoretifd^e ^ugenb mad^en — eg
bleibt babei, ha^ e§ !eine miHfürlic^e fonbern eine
im SBefen be§ S)ramag begrünbete gorberung ift,
— 133 —
luenn tuir einen übUigen ?tu)8traö unb enbQiltigen
?r6fdjtuf3 forbern, iüenn \üix unS üom S)rQmQtiter
nirfjt mit 333erf)feln auf eine unQenjiffe 3"f""ft Q^)»
finbcn loffcn [onbetn Monte boore 3at)Iung öet*
langen.
?fne tueiteren 3lnforberungen, bie feit 5friftoteIei8
bis l^cute an bie* bramatifd)e |)anblung gefteüt
UJorben finb, erlebigen fidf) im ®runbe öon felbft,
fobatb man ficE) nur über ha^ SSefen ber ©ad^e
ilax ift. darunter ift aud) bie ^orberung ber
3^'al)rfrf)eintid)feit ober, njie man Jjeute anfprudjgs
Uoßer fagt, ber 3Sa^rl)eit. Sn geh)iffem ©inn ift
bog eine ^^orberung, bie öon jeber ^anblung, au^
Don ber epifd^en gilt — unb im übrigen !ommt
eiS aud^ f)ter mieber einmal gang barauf an, maö
man unter berartigen 5(uäbrüden üerfte^t. 3[öaf)rs
fdjeintid^feit in bem @inn, ha^ ber ßiiff^^uer gu*
giebt, fo dwaS fijnne einmal im Seben üorge^en:
\)a§ toäre einer bramatifd^en §anblung gegenüber
nod^ eine fe^r befd^eibene gorberung. ffle'm, toenn
bie bramatifd)e §anblung toirHid^ jene innere ©nt)eit
Don Urfod^en unb 3Bir!ungen aufmetft, bie il)r aüein
bcn ^nfprud^ giebt, bramotifd^e §anblung gu ^ei^en,
fo ift ber 3ufcE)auer für ben gegebenen, beftimmt
umgrenzten unb in fid^ abgefd^Ioffenen gaE un*
bcbingt überzeugt, t)a^ fann nid^t nur einmal fo
fein — ha^ ift fo, mufe fo fein, mirb immer fo
134
fein, fo6atb berarttge Urfad^en unb 2ötr!ungen auf*
treten, ha§ njirb fic^ unter ben gtetc£)en ©ebtngungen
im Seben immer mieber^olen, tft eben begn)egen (ebenö*
ma^r, obnjoC)! eiS nur ein ©piel ift. SDiefe 2Sa!^r=
fc^eintic[)!eit f)at eine mirHid^ bramatifd^e ^anbtung
fogar in ben ferfften unb auggetaffenften ©rgeug*
niffen ber Slomöbienp^antafie, bie üoni n)irHid§en
Seben meit obgutiegen fd^einen, fomie nur ber ^Dic^ter
bie ^f)antafte be§ 3"ff|ouer§ fo gu ten!en öerftef)t,
ba§ er bie SSorauöfe^ungen, unb feien fie noci^ fo
närrifc^, einmal o^ne meitere Stefiejion t)innimmt.
9^ur ha^ fotd^e ^omöbien eben nid^taHgu bie! gefät
finb! @^a!efpeareg „taufmann öon SSenebig"
§. 33. ift eine fold^e, menn man ha^ ®rama
närrifd^ genug fafet — ift eg nid^t, menn man
burd) faIfcE)e 5(uffaffung eine fd^iefgetretene Xragöbie
barauä mad^t.
®amit t)aben mir aud§ gteid^ ba«S SBat)re an
ber bramatifd)en SBa'^r^eit, Don ber in ber mobernen
Siteratur fo üiet unb fo unnötig gerebet unb
beüamiert mirb. S^ic^t barin befte^t fie, ha^ ha^
mirüid^e Seben, mie e§ fid^ in feiner gangen ^tll*
tägtic^teit öor unfern ?(ugen öoUgietit, auf hk
Sül^ne gebracht mirb — mit aü feinen ßwf^'ttig*
feiten, mit jebem §um unb SJ^um unb ^o unb §a,
mit jebem 9f?ütpfer unb jeber ®emeinf)eit, mit jebem
glud^ unb jeber ßote, mit jebem (SJät)nen unb jeber
— 135 —
fianflnjcitcrci, mit jebem ©pitatöcrud) unb jcber
(5ofoIIfd)Qftticl)cn W\\^xc — mit all ben Gtenbiß'
leiten unb 3Jicl)tiflfeiten, ol)nc bie eine ^q'ü lang
fein „fon[cquenter" 9(nljänger ber mobernen 3Ba^r*
I)eitöQ[tt)etit glaubte auSfommen gu !5nnen. 'Sfl'id^t
barin be[tet)t bie SSat)rIjeit im 2)rama : im ©egenteit
Ijat gerabe ber 9Bat)n, bie bramatifd)e |)anblung
muffe ein <StüdE Sßirflid^feit in aüer ®rö6e unb
3ufäIIig!eit inö ©piet ber 93üt)ne umfe^en — fei
biefe 333irHid)feit gegenmärtige ober Ijiftorifcl^e SBir!*
lidjfeit — gerabe biefer SBa^n f)at immer, Xüo er
aud^ auftrat, jene ^Dramen nerfc^ulbet, bei benen
ber 3uf^<iuer etnja ben (Sinbrud t)at: ja, haS tann
fid^ ja im angenommenen %aU in 3Bir!(id^feit fo gu*
tragen ober zugetragen t)aben, aber ein anbermal
fönnte eä auc^ anberö fein — ba§ geprt gar nid^t
nottt)enbig gum Sn^alt be^ Seben^, ha§ ift eine
lüißÜirlid^ t)erau§gegriffene, nur öon ber Oberfläd^e
loggetijfte @eite beg S)afeing, ha^ ftnb aber nid^t
feine notn^enbigen bteibenben ß^^ff^^^^^^^P^Ö^ —
bergleid^en fommt ja öor, ha§ njiffen tt)ir löngft —
aber nidjtä miffen tüir bamit, nid^t^ fe^en mir öom
eigentlid)en @inn be§ Seben^, öon feinen tieferen
CueHgängen unb Sebenöabern, öon bem, maö im
®runbe immer fo ift unb fein mu^!
SSielme^r barin befielet bie bramatifc£)e SBa]^rf)eit,
ha^ ung gu anfdjaulidjem ©piel geftaltet mirb, maS
— 136 —
t)tnter ber äufällig »edifelnben Oberftädje qI§ lüefent*
lid^er ®e()alt unb treibenbe Äraft ber SebenSöor?
gänge toirft; ha ift 2öal)r^eit, h)o totr im <Bp\d an*
fdiauen, ba^ unb n)ie unb warum baö alleg fo ge{)en
mu§, n)a§ un§ im n)ir!Iic^en Seben nur olö brutale
X^atfad^e entgegentritt ober Ujirr unb unüar burc^*
einanberfd£)mirrt; barin befte^t bie SBal^rfieit, bal^
tDxx im gegebenen, in ficf) abgejd)toffenen gaÜ, unb
fei er nod^ fo befc^ränÜ unb eng umgrengt — ha^
njir in i^m boc^ bog fel)en, »aiS au^ über biefen
einzelnen ^aK t)inaug gilt, maö immer im Seben
gilt, fottjie bie entfpre(i)enben 93ebingungen eintreten,
toa^ mä)t nur einmal ift unb fo fein fann, fonbern
mag nad^ ben inneren ©efe^en beö ^Dafeinö an5eit
fein mu^, fo fein mufe, mie q§> in bem gegebenen
%aU fiel) aliS notmenbig barfteHt in feiner befonberen
SSerfd)lingung öon Urfad^en unb 2öir!ungen. 9^irf)t
ber S^^aU ift bie 2Sal^rl)eit fonbern ha§ ®efe^,
nid^t bie öereingelte SöiCengäujgerung fonbern ber
bel^errfd£)enbe SebenämiEe, nid)t bie öu^ere S5egeben*
l^eit fonbern if)re innnere Sf^otmenbigteit, nid^t ha^^
Äoftüm fonbern ber 3J?enfd^, nid^t bie ^ranftjeitö?
erfd^einung fonbern haß Seben, nitf)t bag @ied£)en=
!^au!§ fonbern ber Xob. 5lber nid^t etma miffen unb
ben!en moßen mir biefe SBal)r§eit alö ß^f^^^uer
beiS bramatifd^en ©pielä, fonbern unmittelbar an=
fd^auen, im 2;iefften fül)len ober bod^ fidler at)nen
— 137 —
njoöen roh fic in einem gan^ bcfti.nmtcn abflcrunbeten
einäcIfoU — bcn ober [o jur bramatifrfjcn .f)anb(unfl
5U nt'ftnUcn unb in<s ©picl 511 fetten, baf^ lüir jene
3[Bal)tl)cit oljnc lanQe ilicflci-ion fcljnucn unb empfinben:
bo« ift bie ^difgobc be« SDramatiterö, unb wer fie
nid)t töfcn fonn, ber ift feiner, fönnc er fonft toai
er lüollc unb fei er geitnieilig fo berüt)mt, alg er
fein maQ.
^Qg Qflcg ift im ©runbc fo cinfad) unb natur*
gemö^ unb alle großen Dramatifer t)aben eö fo üon
fetbft pra!tifd) gemadjt, ha^ fdjon bie gange SSerbre^t*
^ett einer bloßen Siteratentunft mit groBftäbtifc^üer*
engtem Umfoffungäöermögen bogu gef)örte, um bie
(Sac^e fo grunbfä^Iid) auf ben Äopf gu ftellen, tute
e8 ber moberne S^iaturaliSmug gett)an ^at 5(IIer*
bingö fjaben audj anbere unb größere ^ramatifer
gumeilen in einer gemiffen @ud)t ncd) Problemen fid^
i^älle für bie bramatifdje ^anblung fonftruirt, bie
ja mot)I auänaljmämeife einmal öorfommen !önnen,
bereit innere 3Bat;rf)eit aber bod) nur für ben an*
genommen ^all gilt, nid)t brüber t)inau§. Sn biefer
S^egiefiung finb g. 53. felbft .Spebbetg „2)?aria
9KagbaIene" unb Otto Submigö „(grbförfter" nid)t
einmanbfrei. 2tu(^ Sbfen, ber 2S?a^rf)eit§bramatifer
mit ^au!enfd)lag, fc^äbigt fe^r I)äufig bie ec^te unb
übergeugenbe bramatifd^e 3öaf)r^eit burd) bie gefud^te
SSeraUgemeinerung, bie er bcn öon if)m gefegten
— 138 —
(Singetfätlen angebet^en lä^t — unb burd) bie refle!*
tirte 2Sat)rl^eitgfuc^t unb 2öa(;rt)aftig!eit§tenben5,
mit ber er bie etf)ifd§en Probleme einjeitig über*
fteigert. 3m übrigen unb im legten ©runbe t)ängt
eben aud§ l^ier, tt)ie immer in ber ^unft, aUeS an
ber ^erfönli(^!eit : 9Sa^r[)eit ift ))erfönlid^ unb to'iü.
nirf)t erflügelt fonbern erlebt unb im ©rieben be§
gangen 5D?enfc^en gefd^aut fein — bann giebt fid^
ha^ übrige öon felbft, menn einer nur atö Slünftler
efmaS !ann.
SSon nebenjäd^tid^er unb untergeorbneter 93e«
beutung, gum guten Xt)eil met)r tei^nifd^e unb 3Ser*
[tanbeSfad^e ift in biefem ßi^f^^n^^^^^^Ö j^n^
SSal^rfc^einlid^feit ber ^anblung, njeld)e bartn befte^t,
ba^ im ©ingeinen nicE)t§ in Übeln SBiberfprud^ gerät
mit ber Kenntnis unb bem SSiffen beS ß^fd^^uerä
Don gemiffen ^iftorifc^en ober gegenn)ärtigen Xf)aU
fad^en unb SSerpItniffen, über bie aud^ bie fü^nfte
^^antofie unb ber au^gibigfte ©ebraud^ bid^terifd^er
greit)eit nid^t meg barf. S)a t)anbett fid^ö um ®inge,
bie nid|t im engften ßufammen^ang mit bem SSefen
beg ®rama§ fielen, fonbern aud£| fonft in ber Äunft
il^re 93ead)tung forbern — relatiü, je nod^ Qdt unb
Äutturüert)ä(tniffen. @ö giebt beim ßufc^auer einen
geftjiffen SDurc^fd^nitt üon Sebenöfenntni^ unb f)ifto*
rifdfiem Söiffen, bem bie bramatifd^e §anbtung nid^t
gerabegu inig ®efic^t f dalagen barf; fonft kommen
— 139 —
beim 3"frf)fl"cr aüerlei ftbrcnbe 9tef(e;rioncn unb
9(ffociotionen, bie jeber äftl)etifd)cn SBtrfutifl gcfät)rtid)
finb. jDie befannten WnadjtoniiSmcn bei ©tjafej'peare
bürfte fid) aücrbinöiS l)eutc fein !Dramatiter me()r
geftatten, ba fie jebem ©d)üter auffallen njütben;
aber <SI)a!efpeareS ß^^tö^^offen f)ot ta^ mdjt geftört
— unb fogoT uns Ijeute h)irb bie innere 9!öa()rl^eit
bei ©l^afefpeare burrfj berartige (Singel^üge nid)t
geftört, eben n)eit n)ir l^iftorifdje^ SBiffen genug
Ijaben, um ha§ 9^id;tn)iffen <3f)afefpeore§ unb feiner
3eit in fotc^en fingen ftiflfd^lreigenb breingunetimen.
Ober nad) anberer Stidjtung i)in: bie innere 9Ba()r*
l^eit ber bramatifd^en ^anblung öon ©c^itlerö „2)on
©artoS" tüirb unä baburd; nid^t gerftört, ha^ toir
efma toiffen, n»eldje !^atb !omifd^e ^otb erbärmtid^e
^igur ber ()iftorifd;e ^on (5ar(o§ njar; tt)o{)l aber
ttJürben n)irg fd;tt)er ertragen, rtjenn etma ©d^iHerä
S)on SartoS bie S^ieberlanbe befreien, feinen SSater
^f)ilip)) ftürgen unb fid^ gu einem mobernen liberalen
Äönig öon Spanien entUjideln tt)ürbe. ^iefe STn*
beutungen geigen fd^on gur Genüge, maä biefe SBa^r=
fd)einlidj!eit ober 2ßat)rt)eit bebeutet, tt)ie nal^ ober
mie fern fie fiel) mit ber inneren bramatifd;en SBa^r^
!^eit berül)rt, n)ie fel)r fie abl)ängig üon ber jemeiligen
3eitbilbung ift — tt)ie untergeorbnet fie im ©runbe
tft, fo loic^tig unb breit fie gutoeilen erörtert njirb.
Unb maö in biefer Segie^ung öom ^iftorifd^en gilt,
— 140 —
baS gilt audf) gegenüber ben 2:f)atfac^en unb SSerpIt*
uiffen be§ gegenttiärtigen SebenS.
^Dagegen gelrinnt eine entfd^eibenbe Sßid^tigfeit
für bie 3Ba{)r^eit ber |)Qnblung, tt»ie für bie gange
©eftaltung ber ^anblung überl^oupt — ha^ gtoeite
^auptmoment in ber bramatifd^en 93etDegung, haS
fo n)i(i)tig ift n)ie bie ^anblung felbft: bai§ finb bie
ßt)ara!tere.
«ierteö Kapitel.
Die Ct^araftcrc,
)er f)eute nod) nicE)t öeraltete @a^ beg 5tri[to*
teteg, ba§ bie ^anbtung baö Srfte unbSBid)*
tigfte im S)rama fei, teibet eine SinjdCiränlung ober @r=
gängung — toie man toitt — burc^ ben anbeten
@a^: bie bramatifd^e |)anbtung entnjidfett
fid^ au§ ben bramatifcfjen Sfjarafteren, unb
infofern finb biefe gerabe fo mid^tig tt)ie bie
|)anblung. 2)iefer <3a| gilt aUerbtngö, f)iftorifd§
Betrad^tet, öorgug^toeife für ha§ germanifd^e jDrama,
bis auf einen gett)iffen ®rab aud^ für bo^ gried^ifd^e,
in geringerem Tla^t ober gar nid)t für ha§ ro*
manifc|e ^rama. §iftorifd^! 5lber ber ©a^ liegt
fo fel^r im :pf^d^oIogif(i)en SSefen beö ^ramatifc^en
begrünbet, ba§ er für eine ^Dramaturgie, bie üon
biefem au^gel^t, aEgemeine Sebeutung gettjinnt.
— 142 —
Unb trenn baö rontanifc^e ®rama, frttifrf) betrachtet,
babei fd^Ied^tet fat)ren foUte, fo ift baran ntd^t bieje
^Dramaturgie, nid^t ba§ SBefen be§ jDramaö, nidjt
bte germantfrf)e ober 9ried)tfd)e STrt jc^utbtg —
fonbern bte befonbere 5trt be§ romantfc^en ®eifte!§.
3ebenfatl§ aber !onn für eine beut[d)e 2)ramaturgie
biefe befonbere romanifd^e ©eifteöart, fo fel^r fie geit*
tt)eife in ®eutfd)tanb bett)unbert unb nad^gea^mt
ttjurbe unb njirb, nid^t fd)h)er m§> ©elnid^t faKen —
um fo Weniger, n^enn e§ tva^x fein foEte, ha^ über==
I)aupt bie fü^renbe ^JoHe be§ romanifd[;en ®eifte§
in ber ©efd^id^te beS menfd[)Iirf)en ®eifte§ auögef)3ielt
ift. S)amit ift natürlid^ in !einer 333eife geleugnet,
njaö l^iftorifc^ bie menfd^Iic^e ®eifte§gefd^id)te aud^
bem romanifd)en (SJeifte in feiner SIrt gu öerbanten
i)at — nic£)t geleugnet im befonberen, ha'^ tt)ir auc^
t)eute 5. 93. öon ben grangofen in SSegiefjung auf
ftrenge unb tnirfungSöoUe gü^rung ber ^anblung
nod^ allerlei lernen !önnen, ttjenn fie aud^ bei if)nen
no^ fo oft auf Soften ber SSertiefung ber (St)ara!=
tere get)t.
SBaö ßl)ara!ter im S)rama ift unb I)eip,
ttjurbe fd^on früt)er tt)enigftenä angebeutet. S)ie
bramatifdjen ©t)ara!tere ftnb im allgemeinen bie im
bramatifd^en «Spiel „t)anbe(nben ^erfonen", b. ^.
bie 9Kenfd)en, an benen unb burrf) bie fidE) bie bra*
matifdje ^anblung öoHgiefit. ®er ®runb, marum
— 143 —
fie — unb mit 9?ecf)t — S^araftete genannt werben,
liegt in ^Jolgcnbcm:
5)et St)araftet ift, pft)cI)oIogifd) betrad)tet, bic
pcrfönlidjc, inbiüibueHe 3ufon^inenfaffung oEeö beffen,
was burcf) anc^cborencS S^aturell, Sr^ieljung, Seben^«
crfQl)rung, ©cmüti^bclüegungcn jeglid)cr %xt, Slriebe,
9lffcfte, ßcibenjdjQften, nomcntlid) aber burd) per*
fönlid)e§ 223oIIen unb SBirfen, übrigen^ aud) burd)
2)enfen, ^Infc^auen, Srfennen unb SSiffen, furg burd)
alles ttjirflid) unb perfönlid) belebte — xoaS hmä)
baS aßeä fid) olä ber jettjeilige menfd^tid^ * ett)i[d)e
©efamt^uftanb beio SnbiDibuumö [)erauägebitbet Ifat.
2)a§ t[t nun a(g eine (ebenbige, in gettjiffem Sinn
guüerläffige unb bered)enbare menfd^tic^ = perfi3nlid)e
Äraft unb ©nergie im Seben toirffam, eg giebt ben
!2ebengäu^erungen beS 90?enfd)en, feinen Sntfd^Iüffen
unb 2;f)aten bie 9^id)tung, bie 5rrt, bie beftimmenben
SKotilje im (Singelnen unb mirft be^megen auc^ an
feinem ©c^idfar, an feinem Seiben im n^eiteften
©inne mit. Sm 9)?ittelpun!t atle§ beffen ftef)t ber
menf(^Iid)e 2SiIIe.
SSille aber ^ei^t nid)t blofe ein üereingelter
(£ntfd)tu§ gu einer §anblung ober %i)at, ber SBiße
umfpannt nid)t nur biefe ober jene öereingelte
5teu^erung ber gangen pf^d)ifd)en ©pf)äre, auö ber
fie fommt. Söilte ift öielmetjr pf^c!^ologifc§ ber gange
Umfreiö be^ 5(ftiöen im ü}?enfd)en — öon ber ein=
— 144 —
fact)ften ^on5entratton be§ 93elt)u^tfetng in ber ?Iuf*
mer![am!eit bi^ gur {)ö(^[ten, Seben unb (5ie[d)ic!
beftimmenben 3SitIenätf)at be§ mit all feinen Sebenö-
Vorgängen beteiligten ©efamtmenfd^en. 3Bitte i[t
aße^ haS, ft»a8 in un^ gegen bie üon au^en Jörn*
ntenben (Sinbrücfe jeglicher %xt reagirt, fetbftt^ätig,
alä ajcittet ber @etb[tbet)auptung unfereg p^^fifd^en
unb ))f^cE)if(^en Organiärnuä. SSiße i[t ba§ tebenbig
toirfenbe ße^trum unferer gangen inbiüibueHen
©jifteng, ift in ber inbiüibuelten ^runblage an*
geboren, tt)irb burci§ SebensSerfa^rungen jeglicher ^rt
öon ber ®eburt bi§ gum ^obe auSgebitbet, üertieft,
gcftärÜ, ernjeitert. SSiUe xo'ixtt ^unbert unb taufenb
mal unbemu^t, inftinftiö, refleftorifd^, ift immer im
tiefften ®runb unfereö SBefenS mir!fom, oud^ mo
mir§ «ic^t miffen ober beftjufet n)oIIen — ergebt firf)
aber in feinen t)öd)ften ©tufen unb Sfeu^erungS*
meifen gum betou^ten, klaren unb berantm örtlichen
et^ifc^en ß^ara!tertt)itten, ber ein mitbeftimmenber
gaftor nicfjt nur in unferem perfönlic^en (S'm^eU
gefc^icE fonbern im gangen 3SeIt= unb ©c^icffal^-
öertauf mirb, fomeit biefer irgenbmie mit bem
?Q?enfdf)enbafein gufammenpngt. SBiUe in biefem
(Sinn ift bie innerfte ^triebhaft be^ perfönlic^en
®^ara!terö — unb meit nun im ^rama auf ben
SBiKen unb feine tonfüfte alleö gefteUt ift, ttieit
{)ieran ftd^ ba§ bramatifc^e ©runbintereffe irgenbnjie
145
l)cftct, |o ift eS ein feinet unb natürlidjer öiriff be«
bramQtuißifdjen ©pracljöcbrauctjö, bofe er bic „^cr*
fönen", bie „^anbclnben 9J?enfcf)en" im 3)tama
(Sl)arQfttTe nennt. 3"9^cid) aber ergiebt fidj eben
t)iorauö bic n)cfcnttid)e SBic^tißteit ber ^ijaxatteie
für ha'i S)rama unb feine §anb(ung: e§ giebt feine
^anblung, bie im uoüen Sinne bramatifd) tväxe
unb nid)t ouS ben 6t)arafteren unb if)xen befonberen
SBiUeniSuorgängen unb 2öiffenäfonfüften ^erauö«
tt}üd)fe! SDiefer ©a^ mu^ in aller Strenge feft*
gel)alten njerben, njcnn er aud^ eine bunte Ütei^e
Don 9}?obififationen gutä^t, niemat^ gur pebantifc^en
Siegel werben barf unb — ^iftorifd^ — njenigftenä
Dom romanifd^en SDrama oft genug nidjt hQad)tQt
tt)irb; fürg germanifd^e SDrama, atfo für eine beutfd^e
Dramaturgie gilt er unbebingt unb barf gerabegu
ha§ Siedit eine§ Wtifc^en 3)?a§ftabg beanfprud)en.
9^un mufe freilid) Don Dornt)erein feftgefteüt
iDerben: obmol^I eä of)ne bie S^ara!tere unb i^ren
SBillen feine bramatifc^e ^anblung giebt, fo finb
fie bod^ nid^t ha§ ©injtge, maö ha^ Drama unb
feine ^anblung mad)t. Seber (Sf)arafter — unb
fei er ber mäd)tigfte unb toiüenöfräftigfte — ift Don
9^atur I)ineingefteIIt in einen Derüjidelten ßufammen*
l^ang Don SebenöDer^ältniffen nnb Seben^orbnungen,
bie aU fotd^e Don it)m unabhängig baftef)en unb
Jbeftet)en, bie i^n unb feine Sntn)idlung mitbebingen
äBettbrec^t, 2)a8 beutf^e Stama. ]0
-- 146 —
unb öon jel^er mttbebingt ^oljen. @§ tft gtoar eine
unpf^d^otogtfd^e moberne Srrtet)re, ha^ ber SQJenfd^
lebiglid^ ha^ ^robuft ber SSer^ältniffe fei, in bie er
oon ®eburt an I)ineinge[teIIt ift; eö giebt md)t kid)t
eine pftidtjologifd), äjt^etifcf) unb et^ifc^ fc^iefere
X^eorie al^ bie gegenttjortig fo biet geprebigte üom
„Wd^en." 5(ber feinen 5tnteit an ber ^öilbung jebeS
6I)ara!terg unb bantit an beffen 2Bi!tteng!onf(iften
f)at aUerbingg bie gange SSerfd^Iingung ber jen}eiligen
Seben§t)erf)öltniffe — njobei nur gnjeiertei nid^t gu
üergeffen ift : einmal toerben biefe SSer^öttniffe felbft
immer mieber beftimmt öon 6f)arafteren, unb jttjar
in ausgiebigerer SBeife, al§ flad^e X^eorien on*
net)men ; unb bann finb biefe SSer^ältniffe md)t
^robu!te ber SBiUfür unb beö ß^fö^^^r fonbern fie
ruf)en, folüeit fie nic^t bom menfdjlic^en 3öitlen ah'
pngen, auf getoiffen großen aEgemeinen SebenS*
orbnungen unb ©efe^en — biefe aber tt)ir!en gu*
gleid^ in un§ unb au§er ung unb galten mit Wad^t
einen inneren 3iifö"^^c"^ö"9 f^ft gtüifd^en bem
ß^araftern^iüen unb jenem „Wdku", beffen blo^eö
^robuft ber ß^ara!ter nid^t ift. ©ei bem aber,.
mie it)m tooHe, unb feien bie äußeren 3Ser^öttniffe
unb jDafeingbebingungen nod) fo möd^tig : ein
^rama entftet)t nur, menn ®I)ara!ter unb SBiUe
irgenbmie mit i^nen in Äonflüt !ommt — o^ne
ha§ giebtä feine bramatifd^e ^anblung. Unb mie
— 147 —
bcr .Sionflift uürb, bnö I)änc\t in crfter iJinic am
(5l)Qraftcr.
SRid^t jebcr CSl)arattct freilief), ben ba8 fieben
aiifmeift, ift nun ouri) ot)ne tücitereg bramatifc^.
3)enn, wenn eg aud) feinen ß^arafter giebt, in
bcffen 50(MtteIpiinft nid)t ircjcnbtüie ber SBitte im an«
öeöobcncn ©innc ftiinbc, ]o ift bod) ber SBiüe, ge»
rabc er, nid)t in jebem S^aratter gtcic^ mä^tig.
©erabe haS fd)offt einen ber n)id)tigften — ja ben
lüid)tigftcn (Sf^araÜerunterfd^ieb bei ben SU?enfci^en,
Jüidjtiger nod^ alB ben öom Stemperament bebingten
llnterfdjieb : n)ie tt)eit unb n)ie energifd) ber SBiße
nom lebenbigen 3^"*!^"^ ^^^ 9Sefen§ au§ alle
i^ebenSäufeerungen be§ SKenfd^en betjerrfdit unb
leitet, meldte (Sto§!raft ber SBiße t)at, im Snnern
5u mirfen unb auö bem Snnern tierborgubred^en,
mit mefdier SKad^t er bem gangen Seben feine
3?ic§tung giebt, feine i^m inbiöibueK eigene, unb
nieldjen meitgreifenben Sinffu^ er ba^er ouc^ auf
\>a^ gange Sebenggefd^id geiüinnt. Unb ha ift nun
nad| allem bigfjerigen o^ne meitere^ einteud)tenb :
ein ß]^ara!ter ift um fo bramatifd^er, je mäd^tiger
ber SßiHe in if)m ift, um fo meniger bramatifd^, je
meniger 5tnteil ber 3BiCe an all feinen Seben§=
öu^erungen f)at. Itnb bieö gerabe unb gang be^
fonber§, mag ha§ 95erf)ältnig be^ ©^arafter^ gur
bramotifd^en ^anbtung angelet: je !räftiger unb
10»
— 148 —
beftimmenber bte SBißen^öorgänge beg (äin^etnen in
feinem Seben ftnb, befto meJ)r n)crben fie t^n in
^onftifte bringen mit ben 3Sitten§äu^erungen
anberer, mit bem SBiUen ber aUgemeinen gegebenen
^afeinäorbnungen, mit ben jemeiligen SSertjältnijfen
unb Umftänben, in bie fic^ ber H)?enfc^ ^ineingefteHt
finbet unb bie er jelbft mciterbitben unb öern)ic!e(n
^ilft. ^ux wo fold)e Äonflüte [inb, !ann ja eine
bramatifc^e ^anbtung entftef)en, um fo leidster unb
kräftiger, je fröftiger unb bebeutenber biefe ^^nfüfte
finb. S)a aber bieje 5lraft unb öebeutung mieber*
um abJ)öngt öon ber Straft unb 33ebeutung beS
SBiUeng in ben ©I^arafteren, fo ift abermals !lar,
bafe !ein Qn^aU unb !eine SBiUfür fonbern haS
innere Sßefen beö ^ramatifc^en fetbft gu bem @a^e
fül)rt: bie bramatifc^e ^anblung ift mef entließ be*
ftimmt burd^ bie bramatifd^en (£f)ara!tere unb i^re
SBiüenglonflüte.
S)ieg jeigt aber aud§ auf ber anbern @eite fo*
fort mieber, ba§ eä für bie Qwede be§ ^ramaS
burd)auö nid^t genügt, über^au^t ©f)ora!tere bar§u=
ftelten, unb feien e8 bie intercffanteften, ebetften,
fc^önften, unb feien fie mit nod^ fo üiel Äunft unb
gein^eit ber S)arfteIIung biö in^ Snnerfte unb £e|te
erfcf)ü:pft. §ier liegt mieber ein jet)r übler Irrtum,
ber fd^on fo bieten Dramen jeglicher Gattung unb
äiid^tung ber^ängniBöoIl getüorben ift — ein geiler,
— 149 —
in bcn and) unferc SD'?oberncn fo oft oerfoUen,
aerobe toic man unö fo l)Qufig ftatt einer (ebtjoft
bcioe(^ten btamQtifd)cn ^onblung nur rut)cnbe 3"*
ftnnbc unb Situationen auf bie 93üt)ne [teilt unb
fd)on bromatifcl) ju n)irten glaubt, njenn mon nur
biefe ßuftänbe a(8 t)iftorifcf) ober fo^ial ober fonft^
lüie t)bd)ft intereffant IjingufteUen fud)t mit allen
?0?itte(n einer 6i§ xn^i (Singelfte getjenben "S^arftellung
— gerabc fo unb im 3uffl^"^<^"^)ong bamit n)äf)nt
man bramatifd^ gu mirfen, inbem man irgenb einen
intereffanten ober intereffant fd^einenben Sf)arafter
mit aßen 9J?itteIn ouf§ eingel)enbfte fd^ilbert unb nad^
aüen ©citen l^in entfaltet, unbefümmert barum, tt)ie
e€> mit bem SBitlenögeljalt biefe^ (5f)arafterö ftef)e.
Unb ha lüunbern ftd) bie Seute, menn if)re fd^önften
(S^ara!tere bramatifd^ !alt laffen! (£§ !ann einer ber
liebenämürbigfte, ebelfte, geiftüoüfte, h)eifefte, frömmfte,
gered)teftc, an ©eift unb ©emüt intereffantefte 9Jtenfd)
tion ber 3SeIt fein, a(g ©ürger, Patriot, ß^rift, ®atte,
SSater, @ol^n, ©otbat, ^ünftter, ©elel^rter, (Sntberfer
unb ma^ mei§ id^, mag aUe§>, nod^ fo bortrefflid^ unb
bebeutenb — ober meinett)alb aud^ (ha^ liebt man
ja gumeilen nod^ me^r) bie fd^märgefte ©d^anbfeele,
ber pifantefte Sum^, ber öerfd^robenfte Ä'opf, ber
nerööfefte ^f^d)o^att)ifer ober mag fonft; ein
bramatifd^er St)ara!ter ift er nid^t, fo lange er unö
nid)tg öon SBiUenSöorgängen gu fet)en gibt, bie mit
— 150 —
©nergte ju Äonfitften gu treiben, biefe Äonftifte burd^-
fechten unb in if)nen bem Tlen\^en fein ©d^idfat
bereiten — jo ober fo, tragifd) ober fomifd^. da-
gegen !ann ein ß^aralter fon[t nid)t attguöiel uon
bem fjaben, tt)a§ man fo gemeint)in intereffant nennt,
er !ann ^iftorijd; t)öd)ft unn)ic^tig fein, er fann moraIif(^
gut ober fd^ted)t, üon ®emüt liebenömürbig ober un*
liebenömürbig fein, befrf^ränft ober gefct)eit üon ©eift,
fojial fo ober fo gefteüt: njenn er nur burd) feinen
SBillen irgenbtüie 5U intereffieren öermag, fo ift er ein
bramatifd^er 6l)ara!ter. 9^atürtic^ giebt eg l^ier eine
9ieit)e üon ©rabunterfdjieben, ()unbert unb taufenb
mannigfaltige 9fbftufungen, unb innerhalb beffelben
2)ramag braucht nid)t jeber ®t)ara!ter in gteid) t)ot)em
SO^a^e bramatifd^ 5U fein; aber genau fo toeit ift jeber
(£f)ara!ter bramatifd), at§ ba§ ^a^ feineä SBiEeniS-
ge^alteg reidjt, unb unter ben 6l)ara!teren eineg unb
beffetben ©ramag trägt jeber fein Sleit gur bramatifd)en
^anblung eben in bem §OZa^e bei, al^ er an ben
SBiEenöfonfliften beteiligt ift.
2(uf haä, maö n}ir Stemperament nennen, tommtä
babei, an unb für fid^, meniger an; beim
Temperament ^aben mir§ mit ber natürtidjen SSer*
anlagung gu tl^un, njeld^e ben 5(blauf ber (SJemütö*
bemegungen, ber ^triebe unb ?(ffe!te bebingt, fomol^t
unterm ®efic^tgpun!t ber Störte alä unter bem ber
Erregbarkeit unb 5tbtaufögefd^minbig!eit. Sn jebeni
— 151 —
Stcmperomcnt ober, bn nidjt k'\d)t eineS ßanj rein
auftritt, in jebcr XcmperamcntSmifdjunQ fann ber
SSJiUe [id) ^u cntfri^cibcnbcr ißebeutunfl entfalten.
91 ber inbireft luirft bie Xemperamentsmifc^ung bod)
infofern mit, alö burd) fie mitbeftimmt luirb, ob ber
ajienfd) mel)r jum (^ieniefeen, :^eiben, güljlen, S3e*
trad)tcn geneigt ift ober ba^u, aud) biefe Sebeng*
Dorgänge in SBillcn uiuäufe^en unb barin au^äulöfen.
@oetl)eg ©gmont l)at ein tebf)afteg fanguinifc^esS
Temperament mit c^olerifc^er Seimif^ung, er ift ein
l)ödjft intereffanter unb in feiner 2(rt liebenölüürbiger
ßl)ara!ter ; in Äriegöfat)rten unb im ©enufe beö
S)afeing 5eigt er !räftige ßebenöäufeerungen. Hber
Don feinen Xljaten Ijören mir nur, fie finb gefc^ef)en,
tüir fel)en in !etner 2Beife, mie fie bem SöiEen ent*
fprtngen, fie finb für unö blo^e Gegebenheiten ; im
übrigen miü er ba^ ganse 2)rama f)inburdj fo gut
mie nid)tg, l)öd)ftenä eben nic^tmoHen, fic^ gu nic^tö
entfdjlie^en, bie ®inge get)en laffen, mie fie get)en,
unb ingmifd^en leb^ft unb fd^ön füllten, ebenfo
fc^öne S3etra(^tungen aufteilen, 'Oaä 2)afein genießen,
fo lange eg anget)t, unb am @nbe fd)ön unb gefaxt
fterben. S)ie Äonflüte, in benen er fic^ oJ)ne fein
eigentlid^eS 3utf)un befinbet, lä^t er eben fic^ ent^
mideln unb über fein ^aupt erget)en, toie fie
moEen, nid^t mie er miü — unb fo ift er aüt^ in
allem ein fel^r fd)mad)er bramatifd^er (5t)arafter, unb
— 152 —
eS tft teilt SBunber, ha^ au6) bte bramatifd^e
^onblung be^ „@gmont" eö gu !etner irgenbtüie
!räftigen ober nadjtjaltigen §lnfpannung bringt. —
<Sf)a!efpeareg §am(et tüäre, irenigftenö nacf) ber
3J?einung be!annter gelet)rter ©t)a!efpeareau§(eger
eine metQnd^oIifdj?pt)(egmati|'c]§e ^flatur, bte e§ ju
feinem SßiÜen unb gu feiner Xl)at bringt, bie nur
immer benft unb p]^i(ofopl)irt unb barüber ha^
^anbeln öerfäumt. Sn 3Sat)rf)eit ift er freilid^ ein
gan§ anberer, unb jene 5(uffaffung barf nad^gerobe
unter ben bramaturgifdE) ©infidjtigen al§> be[ettigt
angefe^en njerben. @ö ift öietmet)r gang befonberiS
Iet)rreid^ 5U fel)en, n)ie \\d) ber SSille gerobe in
^amletö Temperament bramatifd) entfaltet. §amlet
l^at aUerbingg ein gut ©tüd Don jener Stemperamentä*
ort, bie man metandjoIifrf)=pt)Iegmatifd) gu nennen
|)ftegt unb ber man, fälfd)tid^ertt)eife, menig SöiÜen
^ujutrauen geneigt ift; aud^ \)at er eine ftarfe 93e*
fäf)igung §um 93etrad)ten unb pf)iIofop^ifd)en Renten.
5I6er ha'^ er beSmegen gu njenig energifdjen Söillen
geige, ift einfad) nic^t ma^r : im Gegenteil mill er
fel^r energifd^ unb entfd)Ioffen, fomie ber Slonflift
für it)n auftaucht, er miß fortn}ät)renb mit 5ln*
fponnung aßer ©eetenfräfte, mit 5(ufmenbung aller
Verfügbaren Witiel unb jebergeit rafd^ bereit, iia§
gegebene Wliitd gu ergreifen. Sflux miß er nid^t
fopf= unb finntol in ben ^ag t)inein, mie feine
— 163 —
Äritifcr il)m ^umutcn; er i)at einen [tarfcn Xi)aU
fadjcniierftanb, er fict)t beutlicl), bafe e« gar feinen
(Sinn unb 933ert trotte, ben ftönig ßtaubiu^ gc«
fc[;iuinb 311 ermorben, oljne bo^ irgenbtuie beffen
^erbrecljen an ben Xag gebrarfjt n)orben tt)äre.
2)a^ 5U erreidjen, eö baljin 5U bringen, bafj Sic^t
unb SBaljrljeit in bie gange uerlogene SSelt am §ofe
gu §elfingör gebrad)t lüerbe, ba{3 er auftreten fönne
nidjt als Äönigömörber fonbern aliS geredjter 9?äd)er
unb 9lid)ter : barauf fpannt er [einen gangen SöiUcn,
bagu ergreift er jebeö tauglid;e SOtittet o()ne 3oubcrn
unb ©djraanfen. ©eine ü)?ono(oge, Dom geleierten
$Dci^üerftanb fd;einbor fo tief, in 3®al;rl)eit fo flacl)
gebeutet — geben eben ben öoHen ©inbtid in ha^
9?ingen feinet 2BilIen!§. Unb tok fein befonnener
!(arer 2SiEe einmal fid) übereilt, ha^ er ben
^otoniu^ tötet, ha giebt eben bo^ bie Peripetie, an
ber ber föniglidje 95erbred)er mit feiner üerfcl^ltcn
©egenmirfung in 2(ftion tritt, unb biefe tenft ha^
®rama mit tötlid)er @id^erl)eit bat)in, mo §amtet
gmar gu ©runbe get)t, aber nid)t oI)ne ha^ ber
^önig in ben %oh mit müBte, nad)bem bie Söaljr*
l^eit fid) entljüEt t)at unb ber 33erbred^er at^ foId)er
geridjtet ift. ®iefe energifdje unabläfftge 3SiIIen^=
anfpannung ^amletg, bie aud) fein feinfteg güt)len
unb tieffteä 5)en!en eben biefem SBiUen bienftbar
mad;t : baö eben giebt bie bramatifd^e |)anbtung,
— 154 —
im Äonfüft mit ben gegebenen 35erf)ältniffen unb
ber auf ^amtet^ ©eele gelegten Slufgabe — eine
^anbtung öon ber [traffften ©nergie, üom rafd)eften
SSerlauf, üon ööüiger innerer ©idjerljeit unb
Äonfequens — eine §anbtung, bie man freilid^ nirf)t
l)er[tel)t, tüenn man nur an ben StRonoIogen mit
met)T ober njeniger ))^i(ofop^if(i)er Sl^oreingenommen*
^eit ^erumbiftelt, bie man aber fel)r teic^t uer[tef)t,
menn man nur §u ft^auen öerfte^t, \va§ (Sf)a!ejpeare
alä lebenbigeg «Spiel ^infteltt, haä unb nid^tg
anbereS, ha§i aber red)t!
§amlet i[t nid^t nur fein fc^mac£)er bramatifd^er
^etb, mie fd)mac^e Dramaturgen meinen; er ift biet*
met)r ein bramatifdjer ß^arafter bon ganj befonber^
ftarfer innerer Spannung, big gum ße^^fP^ittÖS" 9^'
laben mit 3SiIIen§ge^alt. Unb man !ann an il)m
pgleic^ beutlicf) feljen, mie menig gegenüber bem
Sßißen baS hvamat\'\d) bebeutet, toaS man bie „%^at"
beä bramatifd^en gelben gu nennen pflegt, fein
^anbeln im äußeren Sinne be§ Sßorteg. S)ag merfen
fie bem ^amtet üor, ba§ er nic^tg tJ)ue, nid)t t)anble,
üor tauter 2)en!en unb Xräumen nic^t gu bem it)m
auferlegten ^anbetn !omme. @g ift gmar nid^t ein*
mal matjr, ha'^ er nidjtö t^ut, nid)t I)anbelt — er
t^ut \d)X öiel, aud) äufeerlid^ : er legt bie 9)?aäfe be^
3®at)nfinnö an; er fe^t baö Sc^aufpiel in Sgene unb
geminnt burc^ beffen ©inbrud auf ben Slönig bie
— 1Ö5 —
fcf)r n)icf)tiöe unb üor allem uuentbeljrltdjc lubjcttiüe
Oktüifetjeit Don ber ©c^ulb be8 Äönig^; er ftöfjt ben
^oloniu« hinter bot Xapetc nieber unb bringt burd)
biej'e übereilte Xi)at bie ©eflenaftion beä ÄtönigS in
Q^an^; er \d)\dt bie fc()uftigen §of[d;Tan5cn iliofen*
trang unb ®iilben[tern in tcn fidleren ^ob nad)
(Snßlanb, in ben fie il)n füt)ren foüten, unb geiuinnt
boburd; bie 3)('üöIidjEeit, aufg neue in 2)änemar! ju
er)d)einen; unb aU ber fönigtidje SDtörber unb (3i^U
mifd)er burdj feine eigene 91iebertrad)t unb fein
n)illi9eä Jföertgeug Saerteö enbüd) offen an ben ^ag
gebradjt l)at, toa^ §amtet fo t)eife am STag 5U Ijaben be?
geljrte, ba oottbringt er mit bem legten 9ieft oon
iBeben aud) bie Sl^at, auf bie Don Slnfang an atte»
gefpannt mar: er ftö§t oor bem gan5en §ofe ben
nun offenboren gefrönten ©c^urfen nieber, rid^tet
it)n mit bem testen ^Itemjug. 2)a§ finb bod) toaljX'
Ijaftig Sttjuten, ha§ ift bod) audj ein äu§ere§ ^anbeln,
menn man c§> burc^auö tjuben mill! $lber tro^bem:
eben biefeä äußere Sttjun ift e§ nic^t, Xüa§ bem
©tjarafter ^amletö unb ber gangen bramatifc^en
^anblung bie innere «Spannung giebt; biefeä äußere
Xl)un löft Oielme^r nur innere Spannungen au^
ober leitet neue Spannungen ein. S)urdj bie Tlaäh
be§ 2öal;nftnn§ geminnt fandet Si(^ert)eit unb ßeit,
feinen SBißen gu fammeln unb aufö 3^^^^ ä" fpannen;
in ber ©emißl^eit, bie er fid) burd^ ha^ Sdjaufpiel
— 156 —
fcfiafft, töft ftd^ bie bt§ batjin feinen SBiHen jurücf*
bämmenbe eigene Ungen)i§tt)eit, bie fubjeüibe ©etoi^*
{)eit fpannt nun aber feinen 3SiIIen erft red)t aufg
ßiet, ben Äönig a\xd) öffentlid^ gu entlaröen, um
il)n bann ricfjten gu fönnen; ber @to^ burd§ bie
Tapete ift bie übereilte STu^löfung ber immer t)ö^er
fteigenben Spannung im ^amtetS (Seele gu einer
3eit, ha ber ^erbadjt, ben ber ^önig gefc^öpft f)at,
unb bie gaul^eit unb ^eigf)eit ber gangen ^ofgefeU*
fc^aft eö immer fd)merer madjt, bie fubjeüiöe ©en^ifj*
f)eit gur objeüiöen SBo^rljeit IjerauggufteHen; bie (£r*
morbung be§ ^oloniuS treibt mieberum ben ^önig
gur rafd^eren unb !räftigeren 5(ftion: ^amkt foß in
ben %oh nad) ©nglonb; fein rafc^ entfd^toffener
ß^egenmiHe Dereitett ben ^tan be§ ^önigg unb Ii3ft
fid) au^, inbem er 9tofen!rang unb ©ülbenftern
braufget)en läßt unb gurüdfet^rt; haS aber bringt
tt)ieber ben Äönig bagu, gu einem neuen Tlittd
gu greifen, bem ^eu^Ierifc^en unb meu^terifd^en
ßtüeifampf, gu bem Sacrteg bie ©egenfpi^e falbt
— ha§ aber fül)rt enblid) gur ©nttaröung be§ Sl'önigS
unb nun löft fid) bie le^te ©pannung ^amletö in
bem entfdjeibenben ®to§, ber ben ^önig nieberftredt,
iüäl)renb fandet felbft ben Stobe^fto^ in ber Sruft
f}at unb bie Königin ba§ ®ift getrun!en ^at, \)a§>
für ^amlet beftimmt mar. S^Jun ift bie X^at ge==
fd^et)en, auf bie öon 5(nfang on §om(etä gangem
— 167 —
SBoUen i^cfponnt war, unb bamit ift ba<J flanke
Urania 5U (£nbc. 3Baö f)at bic nun beenbigte ^anb«
lung erm5glid)t unb in Spannung get)attcn öon
^fnfQug big je^t? '^te befonbcrc ?frt, tüie §am(et
iüüUte unb nad) jebcr ^fuSlbfung be^ 2BiKeni§ in
^l)Qt neu lüollte — baö unb fonft ntd)t<§! Sßäre
er, tüie [eine Äritifer iuünj'rficn, g(eicf) oon 5(nfang
an, nacf) ber SlJitteilung bog ©eifteö breingefat)rcn
unb i)ätt(^ in plumper finnlü[er 9fjQd^etl)at ben Äönig
getötet, n)Qre er otfo eben ber Xf)atmen)d) gettjefen,
ben man an i^m l)ermt§t: fo Ijätte fein ÜJcenfd) in
©änemorf etn^aä anbereö gefeiten ober njenigften^
gugegeben, ai§ ha^ ein (^errfd^gieriger Slöniggneffe
feinen Df)eini unb regierenben ^önig getötet ^ah^ —
eine bramatifd^e ^anbtung aber, in ber §amtet mit
einer t)eißofen Uebermac^t ben langen unb uergebltc^
fd)einenben, am ©nbe aber bod) im Xobe [tegreid^en
Äampf um 2Sa(jrf)eit unb üiec^t gekämpft ^ätte —
eine fold^e bramatifd)e ^anblung f)ötte eä gar nid^t
gegeben, ©ieje ift nur ermögtid^t burc^ bie eigen*
tümlid)e ^Trt, mie ftd) in ^amlet^ ®t)ara!ter 5äf)er
unb unbeugfamer 3BiIIe mit üarem 3!?erftanb unb
feinem ©emiffen berbinben. (£in 5tnberer, ein unbe*
fonnener blinber Draufgänger öon einem Sl^atmenfd^en
l)ätte unter gan§ benfelben SSert)ättniffen anberö ge«
(;anbe(t unb aEe§ tt)äre anberö gemorben — §amtet,
ber befonnene, feinfühlige, gett)iffenf)afte SBiUen^*
158
menfd^ bringt burrf) feinen (5f)arQfter unb feine
ftetige tjodjgrobige SßiEenSfpannung eine bramatifdje
^anblung in biefen SSerpItniffen guioege, bie bcn
Sni)aU eineS ber größten S)ramen ber SBetttitteratur
au§maä)t
3Sa§ in allen 5)ramen öon tnirttid^er Äraft unb
Geltung in irgenb einer 2Seife offen gu Stage liegt,
anberön}o nod^ öiel einfadjer, boö ift fetten betef)renber
at§ im „^amkt" gu fefjen: ha^ nid)t bie ^t)at
im (Sinne beö äußeren §anbeln§ ben brama*
tifd)en ßt)ora!termad^tunb i^ngum Strägerber
bramatifd^en |)anblung befäl^igt — fonbern
baöSSoIIen in ollen ©tabien feinet 233erben5.
Unb barum ift eö mieber ein Irrtum, ber fd^on
mond^en gutgemeinten Dramen öertjöngni^boU ge*
tüorben ift, gu meinen, irgenb ein gefcEjid^tlid^er ober
QUO ber ©egenmart gegriffener ß^arafter, ber bc=
fonberg öiel %i)at unb §anbe(n aufmeife, fei beg =
megen befonberS geeignet gum bramatifcf)en |)e(ben.
9^ein, nid^t bie Draufgänger unb S)reinfd)Iäger, bie
^aubegen unb 3SieIgefd^äftigen, bie immer in äußerer
5tftion befinblid^en St^otmenfd^en — nid^t fte finb
bie eigentlid^ bramatifd^en (5f)ara!tere unb |)elben:
bie tiefinnerlid^en SBißengmenfd^en finb e§> mit if)rer
ftarfen inneren Spannung, bie bann natürlid^ am
redeten Ort oud^ in äußere %i)at fid) auiSlöfen !ann,
je nad)bem auölöfen mu^. 2(ber je nad^bem! 3)er
— 1Ö9 —
broinnti)d)c .^clb fann aurf) mit aller SSiüengcnctflie
firfj nirfjtö fcljoffen oI* Seiben, tann, öu^erticf) bctracf)tet,
nicl)r paffili crfcl)einen q(§ aftiü, tt)enn nur bie
innc{)ti(^c i^^olue^junfl feinest inneren q(Ö SSoUcn
5U flarcr unb [trofföcfpannter Slnfctjauung fommt.
Srgenbtuic tt)irb natürlidj in ben nteiften fallen ber
innere 92?iÜenöfonfIift aud) gur äußeren Zi^at treiben
— ba^ fommt bann bor5U0§tt)ei)e auf bie äußeren
9Serl)n(tniffc an, in bie ber bramatifdf)e 6f)arofter
nerftridt ift. 5(ber waß i{)n gum bramatifdjen C£l)arafter
mod)t, baio ift ber innere SBerbcprogcfj feineä SSiüenö
— unb aud^ ber auögefprod^enfte jtt)atmenfc^ n)irb
pm bramatifc^en (£t)ora!ter nur bann, n^enn ber
3)ramatifer un§ in anfi^aulid^em <3^iet gu geigen
lierftel)t, tük ber SSille tt)irb, ber al§ ^^at fd^Iie^Iid)
l;erau!Sbrid)t unb auf bog ®efd)id feinen (Sinftufe
geminnt.
Unb barum geprt fc^lie^Üd^ gum tüirffamen
bramotifdjen jS)id§ter felbft ein auögef^roc^enerSSilleng*
menfd^, auc^ im 2)ramatifer felbft mu§ etmaä öon
einem 6f)arafter im @inne beö ^ramatif^en (eben,
menn er jene ^rogeffe tief burd^füt)Ien , innerlid)
fd)auen unb in lebenbigeg ©^iel foll fe^en fönnen.
SOJenfc^en, bei benen ha§> güt)ten unb ®enfen, Stn^
fd^auen unb ^ßetrac^ten ftär!er entföidelt ift a(g üer«
tieftet Söollen, mögen afe ^id)ter trefflid^e S^rifer
unb ©rgäfiler abgeben — aU ^ramatüer pflegen fie
— 160 —
fetten tiiet gu taugen. ^a§ mag man fogar am
Unterfd)ieb ber ®oett)ef(i;en ?[rt uon ber ©djillerö
[tubteren. S)a§ erflärt aud), njarum mand)e ®id)ter
erft in jpöterem STlter bramattfdj fd)affen, menn tt)r
SSitte fid^ ftärJer entmidelt t)at atä in einer met)r
nom ®efüt)I§Ieben bef)err[c^ten Sugenb.
5tu§ bem attem ergiebt fid) immer auf§ neue,
njeld) auäjd^taggebenbe ©ebeutung ber bramatifdie
6l)ara!ter für bie bramatifc^e ^anbtung t)at, \a baji
biefe gerabegu auö jenem auffteigt. ^iftorifd^ be-
trachtet, ftellt fid) baö allerbingS erft im germanifc^en
— man !ann auc^ fagen: im germanifd^spro?
teftantifdjen ^Drama red)t inö 2id)t. greilid^ \)at
and) im gried)ifd)en S)ramo ber (St)ara!ter unb fein
SSoöen eine nid^t gu unterfdjö^enbe SJebeutung;
immer£)in ift ba§ menfc^lid)e 3Sotten bort nod) un?
freier, nod^ mel)r gebunben an unb öerftridt in ben
@ang ber bem 9J?enfd)en übermächtigen Orbnungen,
be§ ©öttermittenö unb be§ auc^ biefem übermöd^tigen
©djidfalS, ^em «Sinn unb SlatureH ber romanifc^en
SSöIter aber ift bie ^anblung in i^rer äußeren SSer-
!nü^fung, bie „^abel", bie „Sntrigue", ba^ @efc^el)en
im @inn ber @ntftet;ung üon i8egebent)eiten , bie
SSermidtung unb ©ntmidlung ber Umftänbe unb SSer*
t)ättniffe — baö unb bergleid^en ift bem SfJomanen
bi^ auf ben t)eutigen ^ag mici^tiger unb intereffanter
aU ber 6t)ara!ter unb ber ?Intei(, ben biefer an ber
— 161 —
"ißcrfcttuiifl bcr 93cöcbcn[)eit nimmt. 9{u^ fein SBtÜe
tft gebunbcncr anö (Mcgebcnc, an baö, ttjaS über
bem SBillen be« (Sinjcinen njaltet, unb fei'^ nur bie
©ittc, bie ÄonDcntion, bie®ctüo()nl)eit ber tjcrrfrfjcnben
93cflriffe; bcr Jlfomnnc fiet)t bie Slonfüfte met)r in
bcr (^cflcncinanbcrbcmcflung ber 33crf)ä(tniffe jcflticEicr
9lrt, im ?lufcinanbcrtrcffcn ber gegebenen äußeren
fiebcnöbcbingungcn, Don benen ber 9}?en[d) mit famt
feinem SSoUen i)'m> unb ^ergefdjobcn mirb — mef)r
bie bem 9}?enfctjcn uon auf5en tommenben Äonftifte
aU bie, töeld^e auö feiner eigenen S3ruft fteigen.
5(udj auf e|)ifrfjem ©ebiete ift biefe romonifc^e 3(rt
5u bcobadjten: tt)ä[)rcnb ha^ germanifd;e @poö be§
äJcittetalterö ß^araftere fc^afft mie bie beg^ibelungen^
liebö, bie üon förmlid) bramatifd^em ®el)a(t finb,
freut fid) ha^ romanifdje @|)o§ öor^ug^meife am
bunten SBed;feI n^enig gufammenpngenber 5(benteuer;
unb eö ift aud) fein ßi^f^ö' ba§ im mobernen
9toman bie einfeitige Pflege beö „milieu", bie Stb?
leitung beö 9J?enfd^engefc^idg üorguggmeife auä ber
betaiEierten ^arfteßung ber Umftänbe unb SSer*
t)ältniffe, unter benen fein Seben unb ©efd^id ftd^
öoHgie^t, mef)r unfreie^ ^robuft olä perfönlic^eö
SSillenöergebni^ — baf3 biefer 9?oman beö „Tlüku"
unb bie gan5e aud^ auf ha^ 5Drama übertragene
£ef)re öom „50cilieu" im (SJrunb nid^t auf beutf^em
33oben ermad)fen fonbern au^ granfreic^ importiert
SB e i t b t e (5 1 , a)oS teutfc^e »ramo. \l
• — 162 —
ift. 3)em germani)(f)en (Steifte bagegen entj'prad^ Don
ief)er, feiner gangen natürlt(i)en Einlage na^, \)a§
5(uf[t(^feI6ft[tet)en beö ©ingeinen unb feinet SSitten^,
ber %xoi^ be§ perjönlid^en ©t)ara!teri§ gegen jeben
anbeten SSillen, aud) gegen bie @d^idfatömäd)te,
bie 5tuflel^nung gegen ha^ begebene, boS §erau§«
luad^fen ber Seben§!onftt!te au^ ber Snnerlid^feit,
anS> bem perföntid^en Seben^njiHen ber <Seete. Unb
weiter t)at bem romanifd^en S^atureE bie im SBefent*
liefen big auf biefen 2;ag bauernbe, n)enn audj nur
äu^erlid^e ®ebunbenl)eit an bie mittelatterlid^e Äirdje
in bie |)anb gearbeitet, bie römifd^e SSeltanfd^ouung,
nad£) weld^er ber ©ingetne gerabe für fein £)öd^fte§
©efd^id, für feine Stellung gu ben endigen ^Dafeing-
mäd^ten eine SSermittlung brau(^t burc^ ein ©Aftern
öon fonöentioneU feftgelegten fird^tid^en Drbnungen.
^Dagegen t)at ber^roteftantigmuö, berbemgermanifdjen
Reifte entfprungen unb im legten (SJrunbe nid^tS
anbereg ift al§ eine 9?et)oIution beä germanifcEjen
®eifte§ gegen ben ^tomaniörnuä iegtic^er 5trt — ber
^roteftantigmug ^at bem ©ermanen feine urfprüngtid^e
5(rt erpf)t njiebergettjonnen, if)n gerabe in feinen
^öd^ften unb geiftigften Sebenöintereffen tt)ieber auf
ficE) felbft gefteüt, auf bie üößige (SetbftöerantlDortung
beg ett)ifd)en 6f)ara!terg; unb mag aucE) eüangelifd^eg
Äird^entum baran mieber gurüdfd^rauben mochte,
t^atfädE)tic^ unb öoHenbg im Sauf ber legten anbert*
- 163 —
^atb 3oI)rl)unbcrtc l)at bcr ^roteftantieimuS — nic^t
als Äonfeffion, fonbcrn aU iüirtenbe geiftigc ^^^otenj
— an bicfcr SBicbcreinfe^ung beS per|bnlid)cn
(£t)Qrafter§ unb ber abfotuten ©e(b)tt)erantn)ortung
'm& alte flcrmonifd^e 9?cd^t immer ttjeitergearbcitet.
©erabe in biefcr Qc'xt aber, feit bem 16. 3at)r()unbert,
ift ba^ gcrmani[cf)e 3)rama entftanben unb ^at in
@[)afcfvcare unb <Sc^iÜer jttjei tt)pifrf)e Srfrfieinungen
Ijeröorgebradjt, bie it)m nod^ auf lange f)inauS bie
(S^runbrid^tung rt)eifen. Unb biefe ift : ^erauöfpinnen
bcr bramatifcf)en §onbtung unb if)rer Äonftüte auö
ben (St)ara!teren, au^ il)rem SBillen unb i^rer ©elbft*
ncrontnjortung. 3Saö aud^ bobei bie äußeren
Orbnungen unb S8erf)ältniffe gur (£ntftet)ung ober
5um SluStrag be§ Äonflüteg beitragen mögen: ber
<2(i)merpunft liegt im ß^arafter. Unb ha bieg nid^t
nur t)iftorifrf)erma^en ouf germanifd^en 93oben fid^ fo
geftattet i)at, fonbern mit bem 3öefen be^ 2)rama§
im engftenßufammenl^ang ftef)t, foftelltbaägermonifd^e
®roma big je^t bie biefem SBefen am meiften ent*
fpred^enbe 2tu§geftattung beg ©ramatifd^en bar.
Sine ®efat)r frei(id§ bringt biefe§ ftar!e ^Betonen
beg (Sl^ara!ter§ im germonifd^en S)rama mit ftd^:
eben bie, ha'^ bie ©d^itberung unb Entfaltung be§
St)aro!ter§ ftc^ gu breit mad^e, baB in i^r fc^on haä
3)ramatifd^e erfüllt gefet)en merbe, ba§ gu toenig
auf ftrenge i5üt)rung ber au§ bem ß^arafter fid^
11*
164
ergebenben ^anbtung geachtet tüerbe. 3n biefer
93e5tet)ung ftnb un§ bte Ütomanen üielfad^ unb burc^
lange Hebung überlegen ; ha§, n^enn aud) nur äußere
©efüge ber §anbtung ttJtffen [ie feit langem in einer
'ätt gu machen, öon ber wir nod^ manc^eiS lernen
!önnen. dagegen ftnb fie bann in ®efaf)r unb mel)r
at§ nur in ®efat)r, ben 6t)aratteren unb namenttid)
itjrer @ntn)ic!etung ju njenig 93ebeutung fürä
bramati)d)e ©))iet einzuräumen. @elbft ha, too ha^
gange 2)rama auf bem ßl)ara!ter ju fielen fd^eint,
n}ie in 9J?otiereö ßtjaroherfomöbien, üolljiet)! fidj bie
^anbtung genau genommen me^r a n bem (St)arafter
als burd) ben Gf)araher; ber ß^ara!ter ift in ber
^auptfac^e bie t^pifd^e^erfonifüation einer beftimmten
(£t)ara!tereigenfd)aft unb bleibt im mefenttid^en un*
üerönbert, n^aä aud; an §anb(ung unb QSermidtung
über i^n I^ingietit, Wlan i)at berartige 6f)ara!tere
gang gutreffenb mit ©d^ad^figuren öerglidjen: fie
!bnnen mo^I in bie mannigfad^ften 93emegungen unb
Kombinationen be§ (Spiele gebrad)t merben, !önnen
je nad£) il)rer augenbtidtid^en ©teUung unb S3eiüegung
beftimmenb im «Spiele mitmirfen — aber fie bemegen
fid) nid^t felbft unb öon fi^ auö, fonbern n)erben
burd^ bie Kombinationen beS <Spiete§ betoegt; unb
fie bleiben njä^renb beö gangen ©pieleS, ma§ fie
finb, madien feine (ebenbige innere ©ntmidetung im
SSer^ältniS gum ©piete burd^.
" 165 —
!5)ic ^orbcrunfl einer flemiffcn (^ntlütcftunfl aber
Hegt in bcn üebcnöbebinöungen ber bramolifd^en
(5;i)QrQ!tere nlö folcljer. 9?icf)t alS ob ber et)arattcT
am 8d)Iuf)e beö !I)raniaö ein lue) entlief) anberer
c^clüorbcn fein mii^k, alS er am ^Infong njar; im
(iiegenteil, je lüiüenöfräftiöer, al[o je bramatifd)er ein
Sf)arafter i[t, befto mdjx tt)irb oud) er biej'elbe (Sin-
I)eitlirfjfeit belüat)ren, bie ber bramati)d)cn §anb(ung
gufommt, befto me^r löirb er in feinen h}efentlid)en
3ügen fid) treu bleiben — ober eö njirb it)m bie
geitiueilige Untreue gegen fid) felbft gerabe gum
tragifc^en ober fomifdjen 3^ert)Qngniä njerben. 1^(ud) ift
bie goi-'bcrung einer (Sntiuidlung ber (5f)araEtcre nic^t
fo gemeint, ta^ oUe Sfjarattere eine^ S)rama!§ in
gleidjem 3)?o^e eine (Sntmidlung burd)mad^en muffen:
je nad) if)rer (Stellung gur ^anblung fann ba^o meljt
ober meniger ber ^all fein, ja eö fann etttia ein*
mal ein St)arofter in bie bramatifc^e ^anblung ein*
greifen, bem burd) biefe felbft !ein Dfiaum gur (Snt*
ttjidlung gelaffen ift; üon 9Zebend)arafteren gilt bieg
fomiefo in erl^öljtem 3Jia^e. 5(ber tt:ei( bie bramatifc^e
^anbtung olö bramatifd)e in forttt)ät)renber lebenbiger
S3emegung unb (Steigerung t)on (Stufe gu (Stufe ift,
unb meil unb fomeit biefe Söemegung getragen ift
tion ben 6t)arafteren, fo muffen aud) fie notmenbig
in Semegung fein, nidjt gegen it)r 3®efen aber itjrem
SSefen gemä^ getoiffe SSeränberungen burc^mad^en,
— 166 —
fi^ tüie bie ^anbtung bon einem beftimmten ^unft
an 5U einem anbern entmirfetn. S'lid^t nur b u r dj
fie fonbern aud^ i n il)nen get)t etnja^ öor, fie !önnen
unmöglich in ftarrer SJufie üert)arren; unb ttjenn [ie
au(^ im Sße[entti(^en [id) getreu bleiben, fo tonnen
fie boä) am ©d^tuffe be§ 2)rama§ nic|t met)r ööHig
biefelben fein njie am Anfang, menn fie njirüid^
innerlid) etnjaS erlebt tjaben unb nid^t bto^e 'BtS^ady
ftguren fein foHen. S)aö ift im ©runbe jiemtic^
fetbftDerftönblid;, unb auf bem SSoben be§ germanifd^en
©ramaö öoügie^t ficE) bog in ber bieget gong üon
felbft. (Sin geujiffeä 9J?o^ öon ©ntujidlung ber
S^oroftere ift übrigen^ oud) im romonifd^en 2)roma
nid^t ou^gefc^toffen, foftjeit fid^ö nid^t um gong öu^er?
tid^e Sntriguenftüde t)onbeIt; unb onbererfeitä giebt
eä notürtic^ oud) ouf germanifdf)em Soben Aromen
minberen Üiongeä, bei benen eben ein ^auptmongel
ber 9)?ongeI on ©ntmidtung unb — ttjoä eng bomit
gufammenpngt — SSertiefung ber ©^oro!tere ift.
©ong oufföllig ift biefer SQ?onget 5. 93. bä ben ^Dramen
©ubermonnö.
.^oum ineniger SBorte beborf e§ borüber, bo&
bie bromotifc^en (5t)oro!tere benfelben 5Infprud^ ouf
SBa^rl^eit erf)eben ttjie bie bromotifd)e ^onblung,
unb toorin biefe SSof)rf)eit befte^t. S^id^t barin befte£)t
fie, ba§ ein üon ber 2öirtlid^!eit, ber t)iftorif(^en ober
ber gegenujörtigen, gelieferter (5t)aro!ter in mögtid^ft
— 167 —
fletrcuet 9?Qd)al)munfl ber SBirfHdjfeit auf ben
bramatifc^en (3rf)QuptQ|j ßcftellt njcrbe, ha^ totr ben
2)(enfdjcn auci) l)ier gan^ ßcnau fo fet)cn, wie et und
in ben (Sjcmplaren be8 njirflidjcn iiebeng über ben
2l^e(^ läuft, oft flcnu(^ nur ju unfercm 9Iergcr unb
iücrbruf}. ^-üictmel)r: lüa^r ift ein bramatifd)er
(5l)araftcr einmal, lüenn er bcm ^ufc^auer etnjaS offen*
bort öom SSefen ber SQ^enftfjennatur, »ie ftc in ben
itonfliften beö Sebenötoittenö fitf; barftellt; njenn unsS
l^ieöon im lebenbigen Spiel etmaS gur ^Tnfd^ouung
gcbrad)t mirb, maä mir üielleid)t gerabe im mirflic^en
unb aHtöglidjen Seben nid)t fo fd)arf unb beutlid)
fet)en, med eä bort gerftreut unb Oereingett unb ^öc^ftenö
bem SSerftanb erfennbar fid) umtreibt — mäf)renb
eö I)ier in ber bramatifd;en Entfaltung be§ (5^ara!terg
gum runben 93ilb fid^ gufammenfa^t unb in unmittel*
barer 3Inf(^auung öon unö erfaßt merben !ann. Unb
ferner ift ein bramotifd)er (S^ara!ter ma^r, menn er
einftimmig ift mit fid^ felbft, menn feine üerfdjiebenen,
ob aud^ nod^ fo mannigfaltigen bramatifc^en Sebenä*
äu^erungen im innerften (Sirunbe gufammenge^atten
finb öon bem perfönlid^en SBillen gerabe biefeä
Snbiüibiumö, menn fie nid^t in taufenb ßufäüig feiten
auöeinanberfallen unb burd^einanberfadeln, fonbern
immer ben S)urd)bIidE geftatten in bie innere '^oU
menbigteit gerabe biefeS (St)arafterö unb feinet 9BitIen§*
— 168 —
gentrumS. Wud^ üom bramatifc^en (Sf)ara!ter gitt,
tüa^ bie ©rafin Xergft) bem 3SaIIenftein fagt:
„ — ^terfjt f)at jeber eigene (Sf)ara!ter,
S)er übereinftimmt mit fid^ felbft; eS giebt
Äein anbreö Unred^t alä ben SBiberfprud)."
2)iefe Uebereinfümmung t[t aud^ baö bramatifc^e
9?ed^t beig ß^arofterö, ber SSiberfprud^ fein brama^
tifd^eöUnred^t, ha§ il^n bem ®eri(f)t ber Äritif überliefert.
'^m bo^ man t)a§ Söort üom SSiberfprud) f)ier nid)t
falfd) öerftet)e! @g giebt ja feinen rechten ßj^arolter
oJ)ne gemiffe, luenigften^ fc^einbare 3Biberfprüd^e; ber
bramatifc^e (St)arafter braud)t !ein „auSgeflügett
35u(i)" gu fein, feine platte obftrafte ^onftruftion öon
übereinftimmenben ©igenfd^often, er barf fedlid) eben
„ein SJtenfd) in feinem SSiberfpruc^" fein — nur ha%
au<^ ba§ im (Singelnen SSiberfpredjenbfte ^ufammen^
get)alten mirb gur @inf)eit be^ ©angen öon einem
n)irflid)en SBiEenö^entrum im (Stjarafter, \)a§> fic^
immer ftjieber burd)fe^t.
2)iefe 3[ßat)rl)eit beö bramatifd^en (Sfiarafter«^
mad)t i^n bann geeignet, auc^ nod) eine anbere, im
©runb freilid^ abermals felbftüerftänblid^e gorberung
gu erfüßen, bie an bramatifc^e (£t)araftere gefteüt
merben borf: ha'^ fte eine gemiffe SJebeutung
l)aben. Sebeutung natürlid) nid)t in bem Sinn,
ba^ fie irgenb tt)eld)e öu^erlic^ t)eröorragenbe
<SteEung im Seben einnet)men, etma ausf^Iiefelic^
- 169 —
ben [oßcnonnten l)ül)ercn ©täuben angcljören ober
öor I)öcf)fto unb aUcrl)üd)[tc ^-Pcrjonen feien; nicl)t
einmal in bem ©inn, bo{j fie geiftifl ober fittlic^
bcfonberS IjcrDorraöcnbc '•^erfönlicfifeiten notinenbig
fein müfjtcn. Sn bicfcm ©innc bebcutenbe *'^erfün«
Iic()fcitcn finb foc^ar nidjt feiten in Ijemorragcnbem
5){n§e unbramatifclj. Scbeutung bcbarf ein bra*
matifdjer Sl)araftcr üielme()r in bem ®inn, bo^ er
unö menfdjlirf) eben etrooS „bebeutc", baS Ijeifet, boß
in ber 5(nfd;Quung feiner SBilten^pro^effe fid) unä
etiuaä entl)üUe uom iuat)rcn SSefen be§ men[d)lid)cn
SBoüenö, öon bem, \va§ im gegebenen (SingetfatI
nod) fo Diel inbiöibuelle S3efonberl)eit tjaben mag,
\va^ un§ ober bo^ — im ©rofeen ober im kleinen
— etxoaß 3Bid)tigeg unb Sutereffanteio fel)en unb
mitfüt)len lä^t üon bem allgemeinen Seben^lüillen,
ber burd) bie SDtenfd^ljeit ge^t — nidjt nur für ben
3lugenblid unb irgenbtt)elc§en ßuf^^' fonbern für bie
©auer mit einer 9^otmenbig!eit ber SO^enfc^ennatur.
3n biefem ©inn mirb ein mirflic^er bramatifd)er
ßl)arafter immer t^pifd) unb inbioibueß äugteic^ fein,
bie Gattung repräfentieren, gerabe inbem er ein
fd^orf umriffeneg ©ilb eine§ Snbioibuum^ giebt.
SDramatifd) mertloö unb unbraud^bar bagegen finb
eben bie in biefem ©inne nid^tö bebeutenben ©e*
fd)öpfe, bie ja freitid) in ber platten 3SirflicE)!eit fo
l)erumloufen aber be^megen fein 9ied^t ^aben, un§
— 170 —
aud^ Quf bem bramatifd^en ©d^oupla^ anjuöben, tüie
fic'ö in SStrHtd^fett tl)un. @^ laufen ja freiltd)
taufenb unb abertaujenb ©efellen auf ber SBelt
Ijerum, bie mel^r nur ein gootogifd^e^ ^tnredjt auf
ben SRamen 9)?enfd§ t)aben, ba§ öcmge fatgtofe 3SoH
ber leeren @tntaggmenf(f)en ol^ne perfönlid^en
ß^ara!ter, mögen fte nun dürften ober Settier fein,
„Pfarrer, ^ommergienräte, ^ät)nricf)e, ©e!retörä ober
^ufarenmajor^", 93adfifd)e ober ©d^lotegermütter,
©d^riftfteHer ober ®elel)rte ober ^unftbeftiffene ober
mag fonft: al§ 9)?enfd)en finb fie S^uüen unb tt)ir
l^aben übergenug an i^nen im niirHidjen Seben, toir
braud^en fte ni(f)t aud) nod) auf ber S5ü!^ne 5U fet)en.
Unb e§ giebt anbererfeitS Seute genug, bie i^re
50?enfd§Iid)feit lebiglid; baburd) bettjeifen, ba^ fie ge^
n)iffe bebeutungSlofe unb unintereffante ©rillen unb
©d)rullen t)aben, ober fo unb fo biet alltäglid^e
2)ummf)eiten unb Safter, ba^ fie ftumpffinnig unb
gebanfenloö in bem allgemeinen ©umpfe öon jll)or*
I)eiten unb @d^Ie(^tig!eiten l)erummaten, ber fid^ ge-
rabe burd) eine 3^^^ ober Station erftredt — aß
ha^ orbinöre SSotf üon S)umm!öpfen, Sinfaltgpinfeln,
fd)te^ten hatten, ©Item unb Äinbern, öon erbarm*
lidjen, gen)öt)nli(|en @f)ebred^ern unb Süfttingen,
©ounern unb ^rofitma^ern, Heinlic^en ©trebern unb
Sntriguanten, ©c^utbenmac^ern unb ©eigtiätfen,
(Mieden unb mißratenen ©d)Iingetn, ^t)iliftern mit
— 171 —
aÜ il)rer ^^auUjett unb ^^e'fllieit, fur^ all baö für bie
9)^en[d^t)cit öcrlorcnc unb bebcutunflölojc fiumpen*
päd, ha^ jetueitg bie (VJrunbfuppe Don jal^men
i?a[tetn unb cjleidjgiltigcn !J)umml)citen in einer
5tulturpcriobe barftcUt unb nirgonbö ein SBoüen 3eiflt
auö bcm Ä'ern beg 9J^en)ct)licf)en Ijcrauö, eine Offen*
barung über baS Söefen be^ menfd^lidjen iJebeniS'
njiCleniS, ioenu and) im 93öfen. ®enn bie fattfam be*
fannte ^l)atfacl)e allein, bafe bie SD'Jenfd^ljeit allezeit
aud^ fold^e^ ©efinbel aufn)eift, ift nod) feine Dffen*
borung ber SD'tenfd^ennatur, für bie iDir tta^ brama*
tifc^e @piel 3U bemü()en nötig l)ätten. Äommt ha^i
platt unb brutal auf bie S3üt)ne, fo offenbart e^
t)üc|ften!8, ba^ aud^ ber S)urc^fcl)nitt ber iöüljnenftüc!*
öerfertiger fid) nid^t tjod) über biefeä ©efinbel ergebt.
Unb nic^t nur für ha§ ernfte 2)rama, für bie Xra=
göbie ift eö bramatifd^ fo lüertto^, ba'^ bie SSerfe
©d^illerS au^ „«Sliafefpeareö @d^atten" t)eute nodj
unb Ijeute tüieber in öerftärftem 9}?afee gelten —
aud^ für bie Äomöbie gilt ha§>. ^toav tann fte mit
bem 9?ed;t beö ^umorö Diel tiefer l)inuntergreifen
aud^ in§ kleine, 9^idl)tige unb ©rbärmlid^e, aber felbft
in biefem Ijat fte, ttjenn fte n)ir!lid^e bramatifd^e
(5l)ara!tere fc^affen njtll, etnja^ oon bem aufgumeifen,
maä 5um 3Sefentlid^en in ber SUtenfc^ennatur unb im
menf^lid£)en SSiUen gehört. ^Dag gerabe \)at unfere
£uftfpielbül)ne fo unföglic^ oeröbet, ja oerfimpelt,
— 172 —
ba^ bie übertüiegenbe Wld)t^a^i unferer Suft[ptel*
fd^reiber, uon to^ebue bi§ gu i8Iumentf)Qt unb
Äabelburg, in ber |)aupt[aci^e feine anbeten
ef)araftere auf bie Süljne gu [teilen n)u§te, al^ eben
jenegnid^t^bebeutenbe ^oljIeMtagöüoI! öon S^uUitäten,
üon ^^rijpfen unb 5al)men .^aßunfen, t)on ^jiliftern
jeglichen ©tanbeö, 2(Iter§ unb beibertei ®ejd£)Iec!^tg,
öon S^Jarren of)ne fomifd) bebeutfome 9Zarrt)eit, üon
jc^äbig fd^(ed)ten ©ubjeften ot)ne bie red)te ^föiaenö*
fraft be§ Öijfen. S)ie Ferren f)aben !ein 5luge unb
feine S^afe bafür, t>a^ \)a§ ©c^tec^te unb 3)umme
nur bann njirflid; tomifc^, Ujenigfteng im 2)rama
{omifdj, in ber ^lomöbie tt)irffam ift, wenn e§ alö
bie unüermeiblid)e ^et^rfeite üon Sebeng= unb SSiEenS-
fraft erjc^eint, etlüa gerabegu on im Ä'ern leben^J-
tud)tigen, men[d)tid) bebeutenben 0laturen unb
6i)arafteren auftritt; aber aud) ber auSbünbigfte
^ropf mu§ feine Xröpfigfeit iüenigften§ nac^brüdlic^
moUen, um einen ß^arafter in ber ^omöbie abgu*
geben. ®a^^ ift anbererfeitS g. 33. in 5(n5engrubcr§
öauernfomobien baö (Srfreulidje, hai^ t)ier bie
©Ijaroftere, mögen fie noc^ fo einfad) in i^rem
inneren ©efüge fein unb nod) fo üiel ©djledjtigfeit
ober 5tf)or^eit geigen, bod^ einen feften SSillenäfern
t)aben, ber un^ üom 9}?enfc^en etnja§ fagt, nid^t b(o§
üom ©efinbel in ^rad ober Seber^ofe.
@§ üerfte^t fid) babei, ba§ ei ng eine 3Sertreter
— 173 —
bc8 ©efinbclö im crnftcn iinb im (jciteren Drama
tuüt)I and) auftreten fönnen, tpo eS irgenb bie
^anbtunc^ crforbcrt; fie fönnen fogar einmal eine
gute Äontraftluirfung tf)un. ^fber [ie ocrmöflen
nidjt bic (£t)araftcre ju liefern, n)eld)e bie eigent^
licljcn ^räflcr bcr bromatifrf)en ^anbtung [inb. SSoiS
eine rcd)tc bramatifcfje Dicf)terfraft getegcntlic!^ auö
bcm ®e[inbel mad^en fann, namentlid) menn fie e^
inö Sid^t beS hjo^ren ^umoriS fe|t, ^a^ läfet fid^ an
Seffing^ 9?iccaut, an (Sc^itleriS |)ofmarfd)atI Äalb, an
©r)a!efpcareö ^aöftaff unb äl)nlidjen ®e[talten [tubieren,
bic bod) non ^aufe aii§ aud) gum ©efinbel ge()5ren.
9^un aber: h)ie bie ßljaraüere fo hk §anb(ung!
9?ur au§ bem ßiii^i^^^^treffen ber ß^araftere mit
bem, iua§ au^er i^nen gegeben ift, ent[tel)t eine
^anbtung. 5Die Sßa^rl^eit unb Sebeutung ber
(Sl)oro!tere ift alfo jugleic^ bie ttjid^tigfte 93ürgfd^aft
für SSatjrl^eit unb 93ebeutung ber ^anblung.
^Tnbererfeitg öerftel^t ftd), bafe eben aud^ jeneö üon
au^en begebene, ba^ bie ßebenSorbmingen unb
Sebenät)erf)ältniffe, in benen ber bramatifd^e ®t)ara!ter
feine Äonflüte finbet, eine entfpred)enbe Sebeutung
tjoben muffen, !eine bloßen 9^id^tig!eiten unb 5(erm'
Iid)!eiten fein bürfen, n^enn ein @piel fid^ geftatten
foU, ha§ angufdjauen fid^ üerlo^nt.
günfteö tapitel.
Kompofittonsgefc^c.
[uö bem SBefen beg 2)ramatifd^en, ber bratna*
tifd)en ^anblung unb ber bramatifc^en
ßt)araftere ergiebt fid) mit innerer S^otttjenbigfeit
aud^ noci§ baö, h)aö im 2)rama 5lompofition ]§ei§t.
9}2it ber groge nad^ ber Äompofition macf)t bie
5(eftt)eti! be§ SDromaö f(f)on einen ©cfiritt nad^ ber
9ftid)tung be^ Stedjnif^en. ^o^ l^onbett fid^S babei
nod) nid)t um bie Sted^nif im äu§erlid§en @inn,
bie fogenannte 93üt)nented§nif, bie Xed^ni! be§
Xt)eatralifd^en — ba^ ^ei§t: um aßeg ba^, toa^ im
Sinäelnen bem befonberen 3^^^^^ hknt, bie Stu^*
geftaltung ber bromotifdEien ^anblung gum ftnnen*
föHigen «Spiel auf bem ©d^aupla^ möglid)ft
mir!unggüoE gu madjen, unb gmar unter befonberer
93erüdftd^tigung ber (Srforberniffe ber jetoeiligen
— 175 —
realen 5Bül)ne. !Dag ließt jdjon lucit brausen auf
bem (SJcbiet ber äußeren J^ormgcbung, jum teil ganj
an it)rct äufeerften (iJrcnge, tt)o baö ^fcftljetifdfie inö
^raftifcfjc übergebt. 93ielmcl)t Ijanbelt fidjö bei ber
Stompofition nod) um bic innere ^orm, bie innere
bromatijdjc Stcdjnif, um bie ^^^oge nad) gcn^iffen
aUgcmcincn (^cfc^jcn, tocldjc etnja ben 3tufbou ber
bramati[d)en ^anbtung burd) all if)re <3tufen
t)inburdj bebingen unb regeln. (£g i)at freilid)
immer mieber, non ben Stagen ber 9?omantif bis^
auf bie 3^it tM^ 9}?obcrne", Seute gegeben, ttjeld^e,
mel)r mit S^euerungöfudjt unb ®enialitätäonfprüd)en
alg mit |)robu!tiüer bramatifd)er Äraft ouögerüftet,
leugneten, ha'^ eg bramatifd)e Äom^ofitionggefe|e
Hon bauernber ©ettung gebe — tDa§ man bafür
au^^gebe, fei alter S^egeHram, um ben fid) ha§> malere
®enie nidjt§ 5U Ütmmern Ijobe. 2(ber 'ma§ mirflid)
innere itompofitionSgefe^e beö S)ramag finb, ba§
finb fcinegtoegg njiUlürlid) aufgeftellte Siegeln,
fonbern eö finb im SBefen beö ®rama§ begrünbete
•gorberungen, meiere fid) — in irgenb einer SSeife
unb unter ben mannigfad^ften SSariationen im
©injelnen — bo(^ in ber §auptfa(^e immer
mieber burc^fe|en; eä finb tt)atfäd)lid) öort)anbene
Sebenöbebingungen ber bromatifc^en £unftn)ir!ung
unb fie räd^en fid) immer mieber an benen, bie fic^
fd^lanfmeg glauben über fie roegfe^en gu bürfen.
— 176 —
Unb eben lueit bte auf biefen ©ejet^en ruJ)enbe
Ä'ompo[ition§ted)nif innere STecEini! ift, auä bem
SBefen be^ ©romatifd^en fid) mit 9^otrt)enbigfeit er==
giebt — fo ift fie nid)t in ber 5föeije erlernbar, tt)ie
e§ jene äußere S3ül)nented)ni! bi§ auf einen t)o^en
(SJrab ift; fie ift üietme^r mit ber gefamten broma*
tiic^en Begabung angeboren, !ann unb muB natürlidj
Wk alleä STngeborene geübt unb auögebilbet n)erben,
n}irb üon jebem bebeutenben ^Dramatifer nod) feiner
inbioibuellen 5(rt njieber befonberö get)anbljabt unb
mannigfad) öoriirt — aber fie ift in i[)ren mid)tigften
©runb^ügen in ber allgemeinen 9^aturau§rüftung
gum ^ramatüer mitgefe^t. ?(Ue großen ^ramatifer
finb in biefer ©e^ietjung and) fidlere Xed^nifer ge?
tt)efen, unb mer mit biefer %cd)mt nic^t 5ured)t#
fommt unb etma fein S'Jid^tfönnen mit einer grunb*
ftürgenben 2;t)eorie öom Ueberlebtfein ber alten
Äom^ofitionägefe^e bedt, ber benjeift bamit nur, ha^
er etttjaö beffere§ tf)un !önnte alä 2)ramen fd)reiben.
£arl ®u^!ott) ift feiner5eit §u bauernben bramotifdjen
Seiftungen erft gclommen, als er fic^ üon feiner
jungbeutfd^en SSerad^tung ber ^ormgefe^e mieber gu
gett)iffen attben)ät)rten ©efe^en bramatifc^er Äom*
:^ofition be!e^rt l)atte; unb ©erwarb |)auptmann
l)at auö ber Äompofitionäuerad^tung feiner erften
Dramen fid^ in ben „einfamen 3J?enfd)en" guerft
ttjenigftenö in eine ?lrt Sbfenfc^er ^ed^nif gerettet
— 177 —
unb enblid) in bcr „isücrfuntcnen (^locfe", aud)
im „i5"()^'"ö"" ^cnfdjcl" cinfad) lieber auf jene
alte Derodjtete ÄoinpofitionStedjnif ^urürfgcgriffen —
ül)ne bnf} frcitid) (^crabe biefc (Seite aud) feiner legten
SDranien iljre ftörtfte luorc; bogegen f)at njebcr ein
^ridpar^er, nod) ein ^ebbet ober Otto £ubn}ig fic^
bered)tigt geglaubt, geluiffe ©runbgcfetje ber brama*
tifc^cn Ä'ompofition 5U mifjad)ten, iüie fie ein
©l)afefpeare, Seffing, ©djiHer, Äleift geübt traben
unb (SJocttje luenigftenö grunbfölUic^ gelten Iie§.
^ebbel f)at fogar mit größtem S^adjbrud fid) bat)in
auggef^roc^en, ha^ ber 2)romati!er nic^t baö elfte
^ebot gu erfinben fonbern bie 5et)n üorf)anbenen
gu erfüllen ^ahe. Uebrigenö f)aben aud^ ^ramatifer
minberen 9?angeä relatiö bered)tigte ©rfolge nur
baburd) genjonnen, ha^ fie ftc| jenen |)auptgefe|en
fügten; «Subermann g. ®. ift, mie feinergeit Äo^ebue,
!Iug unb meife genug, gettjiffe iüefentlid^e ^om*
pofitionägefe|e nic^t gröblid^ gu berre^en, unb ha^
!ommt i^m am tt)atfäc^tidjen ©rfolg irieber herein,
loeil fid^ aud^ ein geringer bramatifd)er ®e^alt in feinen
jr)ramen bod^ mentgftenS mit geeigneten Äompofitionös
mittein in bie 3Sir!ung beö ©pielg fe^t.
©ine Vernünftige ^Dramaturgie mirb eg nun
freilid) nid;t aU i^re ^fufgabe betrad^ten fönnen,
jene ©runbgefel^e ber bramatifd^en ^ompofition §u
«inem ))ebantifd)en SfJegelf^ftem auögufpinnen, haS
SBeitbred&t, 2)a§ beutfc^e S^rair.a. 12
— 178 —
für jeben %aU öorfdjtiebe, tt)ie big tnö C^tn^elfte I)tn*
ein bie bramatifc^e §anbtung aufgebaut ttjerben
muffe, ©ie ^at bor ollem ber inbiüibuellen ^om«
:pofition§ted)ni! beö einzelnen 2)romatifer§, menn er
e§> nur mirfüd^ ift, ben nieiteften ©pietraum 5U
laffen; fie mirb §. ^. aud^ einem Sbfen, tro^ aller
S^ebenfen, ha^ inbiüibuette died)t feiner 5;ecf)niE big
auf einen f)o{)en ®rab 5U9efte^en unb nur gegen
eine unbered^tigte 3SeratIgemeinerung biefer inbiöi*
bueÜen Xedpi! proteftieren muffen, ©obann aber
loirb bie ^Dramaturgie jener gefe^eüerac^tenben SBiU*
!ür nur bann überjeugenb entgegentreten !önnen,
menn fie fidj barauf befd)rän!t, nur gemiffe ^aupU
unb ®runbgefe|e ber bramatifc^en Äompofition feft*
aufteilen, metdje fid) mit 9^otmenbigfeit, tt)atfäd)Iid^
unb erfaf)rung^gemö§ auö bem SSefen beö 2)rama*
tifd^en in ^anbtung unb ßf)arafteren ergeben — unb
auä ben altgemeinen, öon ben ßufällen ber jemeiligen
93üf)nenöerf)ältniffe unabhängigen ^orberungen beg
bramatifd^en ©pielö.
jDa ift nun öor allem fo üiel unbeftreitbar :
jebe bramatifd)e ^anblung erforbert einen ganj be?
ftimmten 5(ugganggpun!t, ha§ ^ei^t einen 9)?oment
in ben üorgufü^renben SebenSöorgängen, mo ein
beutlidf) er!ennbarer SBiüenSfonftüt mit aller im ge^
gebenen galt nötigen ©d^örfe unb Energie einfe^t
unb ein (ebenbigeö anfd^aubareg ©piet ber fi^ gegen
— 179 —
cinnnbcr bctucflcnbcn (iljaratterc in öJanfl brinflt,
QU« bem iföoUen ber (SI)Qrattere f)erau8, auf bem
<Sd)nup(afj üor bcn ^fugcn be^ Qn\(i)aviix^, jo ba§
er [iel)t, Iöqö fid) bo anfpinnt unb [ic^ fofort mit
einem bebcutenben !5ntcrof)e gefeffelt fü()(t. S)iefem
^Infangöpunft cntfpridit ein ßnbpunft, baö t)eifet ein
SKoment, in bem bie 5lonfIifte für ben gegebenen
%aü ertebigt finb, glcic^giltig gunätfift mie? — nur
bafe fie mirtlid) ericbigt unb auggetragen feien, nur
ba§ ber ßufö^öi^c^ ^ic ^^^^^ 5lnfd)auung unb bie
fidlere ©mpfinbung i)ahe : basS ift auö, ha^ (Spiel
ift äu @nbe, id) !ann ^eimget)en, nid^t blofe med ber
S5orf)ang fällt unb ba^^ X^eoter gefd^loffen mirb,
fonbern med mein Sntereffe an bem öorgefü^rten
©piel befriebigt ift, meine (Srmartung fo ober fo er?
füHt, erfüllt burd) ha^ «Spiel felbft, ba§ mit '^oU
menbigteit gu biefem Srgebniö fütjren mufete.
3tüifd)en biefen beiben fünften in ber Witte, menn
audj nidjt in ber matt)ematifd)en SDcitte aber bod^
irgenbmo, liegt ebenfo notmenbig ein britter ^unft,
ein ^öl)epun!t, i>a§ l)eifet ein 9)?oment, in meld^em
bie ^onf(ilte üom ^Infangäpunft an bal)in gebieten
finb, ha^ fie fid^ nic^t mef)r in berfelben Sinie meiter?
bemegenlönnen, fonbern nad) il)ren eigenen inneren S3e=
bingungen in eine anbere 9{ic|tung umfc^lagen muffen,
in bie 9iid)tung i^rer Söfung, il)reg 2luötrag§, in bie
9tid^tung alfo, meldte gum Snbpunft l^inbrängt.
12*
180
2)a§ liegt fo einfad^ unb fidler im SSefen beS
®ramati[d^en, ha^ w'ix Ijierin ein ©runbgefe^ für
bie gü^rung ber bramatifd)en ^anblung, haä t)eifet
für ben ^fufbau, für bie Äompofition beö QCinäen
S)ramaö erfennen muffen, ©n ®rama, ba§ feinen
beutlic^ erkennbaren §rnfanggpun!t für feine Äonftüte,
feinen genügenb Qbf(i)Iiefeenben ©nbpunft unb ba*
gmifd^en feinen energifc^ emporgetriebenen §Df)epunft
\)at, ift fein S)rama im DoEen ©inne beä SBorteg,
ift J^ödiftenö eine 9fteif)e üon bramatifdjen ©genen,
bie me^r ober meniger lofe aneinanbergerei^t finb;
eg ift fein einf)eitticf)eg bramatifc^eä <Spie(, fonbern
beftenfaüö eine ©ammtung bon Steilftücfen üer*
fd^iebener möglid^cr ©piele, mögen biefe im ©ingelnen
audf) mit aßertei anbermeitigen SSorgügen unb
momentanen Söirfungen au^geftattet fein. 2)agegen
l^ilft aße§ tfieoretifc^e 2)ef(amieren unb praftifd^e
©ünbigen nid^tö, baran ^at fein tt)irf(idE)er S)ramatifer
aud^ nur einen 5tugenblict ge^meifelt, menn e^ il^m
oud) uieHeid^t nid^t in jebem einzelnen SSerf ge*
lungen ift, bem ®efe§ Dottftänbig Genüge gu tt)un.
®aran reit)en fid) ober fofort einige 'meitere
unauömeidjlidje ^onfequengen. Um ben StnfangS*
punft ober Sinfa^punft beö ^onfliftä fd^arf unb
beutlid^ genug f)erüortreten gu laffen, ift e^ nötig,
bem ßufd^auer gemiffe SSorauäfe^ungen ber brama*
tifc^en §anbtung möglid^ft rafc^ unb fid)er, mögtic^ft
— 181 —
huipp unb an[cl)aulidj fü,^ii[a(^cn in bic §anb 5U
j^cbcn. T)cnn feine .'panbtiing beginnt mit ber (£r«
fdjoffung ber Seit, !cin Sl;Qrafter tritt mit feiner
®eburt in bie bromatif^cn Stonfüfte ein; ber
SKillenStonfütt unb ber SSerlauf ber §anb(ung [inb
nur möfliirf; unter gcmiffcn l)orI)er [cf)on üortjanbenen
©ebingungen, bic teilsS in bcn ßljarafteren, tcilö in
ben Umftänben unb 33erl)ättniffen, fur§ in etttjaä
frf)on 93or^anbcnem, fertigem, ©efd^etjenem unb
begebenem liegen. 2)aö muJ3 ber 3iifcI)Qiic^ ^^ ^^^
^auptfad^e rafd^ erfaffen fönnen, n^enn if)m ber
Äonflift unb bie barauS fid; ergebenbe bramati|d)e
^anblung fernerf;in faßbar unb üerftänbUc^ fein
foflen ; baS mu^ itjm alfo au^einanbergefe^t,
„ej^oniert" irerben — unb gnjar bem 6t)ara!ter beö
bramatifdjen ©piefe gemäB nidjt in langatmigen
(Srgäfilungen ober umftönblic^en SDeflamotionen,
fonbern in anfc^aubaren SSorgängen, au§ benen
etnjoige Serid)te öon felbft f)eröorfpringen, fd^on in
^anblung alfo, toenn aud) nur in einleitenben unb
anbeutenben ^anblung^üorgöngen — aber immer
boc^ fo, ba"^ ber ^onflüt, fomie er einfe^t, fofort
begriffen tt)trb unb Sntereffe ermedt. Sf^amenttid^
l^anbett fid)§ ^ier irgenbmie um bie früher be»
fprod^ene rafd)e unb fidlere (£infüt)rung ber (5f)araftere.
Söeiter: um bon feinem @infa^|)un!t gum §öt)epun!t
5U gelangen, fann ber ^onflift nid^t aU rul^enber
— 182 —
ßuftanb baliegen, er mu^ fid^ üielme^r entiütdeln
— \)a^ Ijet^t aber in btefem ^att naturgemäß : [ic^
ftetgern. @o allein fommt er an jenen '^unft, über
ben er nic^t ^inausfann, oI)ne ha'^ ber Sfüc^tungg*
n^ed^fel im Sauf ber bramatifd^en ^anblungsoünie
eintrete, meltfier fie nad) bem (£nb:punfte gu (en!t ;
haS f)eißl a(jo: auf ben einleitenben, e^'^onierenben
2;eil ber bramotifd^en ^ompofition folgt — fobalb
ber ^onftift ha ift, feinen Ginfa^punft l^erüor*
getrieben Ijot — ein 5^eit, beffen Sn^alt bie
(Steigerung beö ^onfütteö big 5um §öf)e^unft ()in
ift, auf tt)etd^e SSeife immer biefe Steigerung fid^
DoKgieljen möge, n)enn fie nur mit ©i^ert)eit gu
jenem §öi)epunft fül^rt. g-erner : ift ber §öl)e^un!t
erreid^t, fo müßte ein ©tiUftanb eintreten, menn
nidjt irgenb etma§ märe , maä bie §anblung in einer
anberen Sfidjtung meitertriebe. St£)atfädjli(i) ruljt aud^
bie §anblung nid)t feiten auf bem ^ötjepuntt eine ßeit
lang, fo ha^ bie ©d)aten berSBage gleid) ftet)en, ha"^ ber
Stonftüt fid^ in feiner gangen güüe unb Stiefe nod^
einmot entfaltet unb erbreitert, et)e bie §anblung
meiterläuft. STber enbticf) muß e§ bod^ meitergef)en,
enblid) muß irgenb ein SOiotiü fo fd)tt)er in bie eine
SBagfc^ate fallen, ha^ biefe gum ©in!en unb bamit
bie gange ^anblung in^ ^tbmärtäroEen fommt.
2)iefe§ 9Wotii) liegt natürlich, tnenn ein echter bra-
matifd)er ^onflift üorf)anben ift unb aUeS bi^ ba^in
— 183 —
ficlj rtcljörifl uorbereitet unb (^cftciflcrt Ijat, in ben
inneren Jöebinöiniflen ber ^anblung unb ber 6^a*
raftcre mit Sfiotiucnbi^ifcit bcßrünbct, i)"t in ollem
93i!St)eviocn fdjon im ileim cntljaltcn — tt)enn eS
aud) jctU erft, Dieüeidjt mit einer überrofcf^enben
^^U^Uid)feit, uieüeidjt anbors, alä eö erioartet mürbe,
unb büd; nidjt uncrmartet, i)erau!S)pringt. '^aä iftS
im SSefentlidjen, maS bie ®ried)en bie Peripetie ge*
nonnt Ijoben unb moS ein ftrengerer bramoturgifc^er
©pradjgebraud) ^eute nod) fo nennt, ©ie ®ried)en
untcrfdjieben aber ^J^romen mit unb o()ne Peripetie,
med fie baö Unermartetc im (Eintreten beä abmärtg
treibenben HJtotiüö, in ber Siidjtungsueränberung ber
^anblungglinie ftärfer betonten alö mir f)eute, meil
[ie nur ha eigentlid) üon Peripetie rebeten, mo bieje
unermortete SSeränberung [tarf t)erauötrat; mir
fönncn bog Unermartete nidjt me^r fo [tar! betonen,
muffen aber bafür um fo nac^brüdlic^er fagen: e§
giebt fein S)rama oon einf)eitlid)er gefd^Ioffener
SBirfung, ha^» nid§t irgenbmie feine Peripetie ^ätte,
bei bem nid^t beutlid) erkennbar, in irgenbmeld^er
S8erbinbung mit bem §öt)enpunft.au§ ben big ba^in
gebiet)enen Äonftüten ha§ treibenbe 9)?oment tierüor*
träte, bog ben Umfdjmung giebt, bie §anblung in
bie 9xid)tung gum (Snbpunft ten!t. Ob man nun
ben barauf fotgenben 5;ed ber Äompofition bie
„Um!eljr" nennen möge ober nid)t, ob mon über*
— 184 —
l)Qu^t in ber Hrt ©uftaü ^retitagS bon „fteigenber'*
unb „fin!enber" |)anb(ung reben unb baö ettüa nod^
grapl^ijd§ barfteßen tüoUe, ober ob man berarttge
©egeid^nungen glaube öerattet l^ei^en gu muffen
— bie ^ad)e bleibt fic| gleid): h)enn ber Stonflüt
feinen ^ö^epun!t erreidjt ^at, tritt mit innerer 9^ot*
menbigJeit irgenbtt)ic eine SSenbung ber bramatifd^en
§anbtung ein, mu§ eintreten, iüenn ber ^onflift
feinem SluStrag entgegengefüf)rt merben foH. SSon
|e|t an brängt aEe§ naturgemäß unb bert)ä(tni§*
mößig rafd^ gur ©ntfc^eibung; e§ folgt notmenbig
ein ^eil beö SDramoö, meld;er anfc^aulid) macEjt, tuie
bag in ber Peripetie trirffame 9J?otiö auf bie @r*
lebigung beg gongen bromatifd;en ^rogeffeS t)in*
arbeitet, ben ^onffift irgenb einer ßöfung entgegen*
treibt. 3)ieg fann fe^r rafd) öoEenbö berlaufen, ja
biefer Steil mirb in ber Siegel um fo ftör!er toirfen,
je rafd^er unb energifd^er bie ^anblung meiterläuft.
Sred)nif(^ ift baS aber aud| ber fd^toierigfte Xeit für
eine n)ir!fame ©e^anblung, an biefer ©teile finb
fd^on mandl)e biö bat)in trefflid^e 2)ramen gefd^eitert.
©nblid^ aber: ift bie ^anblung einmal fomeit öor*
gefd^ritten, ha^ aÜeS» für ben 5lugtrag ber Äonflifte
Vorbereitet ift, iia^ bie Söfung notroenbig eintreten
muß, bann fann aud) nic^t met)r lange gefädelt
merben, bann muß mit rafd^en entfc^loffenen ©erlägen
ein @nbe gemad^t ttjerben, muß ber @d)lußpunlt be^
— 186 —
©an^cn troftifl unb bcutlid) ge|e(jt, bic ©umme flc*
äOQcn, bie 9icd)nung aböc|d)loi]cn iucrbcn, oljne
ßaubcrn unb Unftarl^eitcn, oijnc ücrftimmenbc unb
unbcfricbigt Inffcnbc tiefte. 5(uc^ ettt)ai9e 9?etar*
bicrungen, bie ba nod) nnge5ci9t jdjeinen mögen,
fönncn feinen anbeten ^^tücd mel)r Ijaben, alö bie
äu erluartenbe ©djlujientfdjeibung nod; einbringlid)et
unb übergeugenber gu niad^en, inbem irgenb Ujeld^e
Äonfequengen beS ©iötierigen bem 3iif<i)fluci^ nod^
befonbetiS beuttid) UorS 5fuge gerüdt ober it)m
irgenbnjctdje SJci^gtidjfeitcn nod) gegeigt njerben,
unter benen bie ttjQtfädjtidje Söfung q(ö bie eingig
notioenbige um fo ftärfer IjerauStritt. S)en ^cil beg
S)rama§, in bem ha§ gefc|ief)t, pflegt man bie 5lata*
ftropl;e gu nennen, n)obei [id) öerftefit, baf3 biejer
?lu!§brud im 2)rama nid)t n^ie in ber lanbläufigen
9(usbrudöft>eife auf plöljlid) eintretenbe, traurige
ober tragifdje (Sreigniffe befdjränft ift, ha^ er öiel?
met)r in ber Slomijbie fo gut ftjie in ber Stragöbie
eben haß (e|te ©tüd ber §anbtung bebeutet, in bem
bie legten ^onfequengen öor ben 5tugen be§ 3"*
fd)auer§ gebogen, alle ^onf[ifte enbgiltig erfebigt
merben.
^a§, wenn oud) nidjt metjr, ha§ aber gemi§
— man magä njenben unb bretjen mie man mill —
ergiebt fid) bod) fc^Iiefelic^ immer tt)ieber auö bem
inneren SSefen be§ bramatifdjen ©pielä t)erau§ mit
— 186 —
einer aUe 2BiIt!ür auäfc^Ite^enben S'lottüenbtgteit unb
tüurbe tl)at[äc^lic^ öon allen großen unb erprobten
S)ramatt!ern in irgenb einer SBeife gef)anbljabt.
Wan tann gugeben, ha^ ®u[taü ^re^tag in feiner
„Sted^ni! beö ©ramaä" biefe Äompofitionägefe^e
aÖgu bogmatifd) gelehrt unb gu oiel in§ ©ingetne
ft)ftematifirt tjobe, üieHeid^t auc^ mit nitfjt gan^ ge*
nügenbem p[t)d)otogifd)sä[tf)etifcI)en Unterbau. 5fber
im 3öe[entlid)cn ift er boc^ auf ber redeten 'Bpux,
unb eS ift !ein fonbertid; glängenbeä 3^iiÖ"i^ f"^
bie ^iefe ber gegenmörtig tjerrfd)enben bramatur«
gifd)en ©infidjten unb ?Infid^ten, hal^ man oft fo leidit*
f)in unb öon oben t)erab über ^re^tagg 5Infd^auungen
öon ber bramatifd;en Äompofttion aU öon etraaö
öönig SSeraltetem fpric^t ober fpöttelt. S3erattet roax
ha§> nur öom (Stanb|)un!t ber naturaliftifdjen 9J?iIieu*
bramati! au§; biefe felbft aber geigt fd}on fo beutlid^
bie ^dterärungetn, ha'^ man it)r überlegene^ 5td^fel*
guden nic^t gar fo ernft gu nehmen braucht. 3Sag
einmal innertid) im Söefen einer ^ad)Q begrünbet
liegt, aud) im SSefen einer Äunft, ha^» mag fid) erft
allmäl)lid^ ööUig beutlid) t)erau§bi(ben, mag geit^
meilig öon unöergorenen ßeitftrömungen adjtloä bei
«Seite gemorfen merben: eä fet^t fidj aEemat fdjlief^tid)
mieber in Geltung unb bann in ber Sieget geftärÜ
unb öertieft. Unb fo mitbg mo£)l aud) mit biefen
©runbgefe^en ber bramatifd)en ^ompofition get)en.
— 187 —
(£i8 ift üOcrbicS ctiuaö iuic ein natürtidjer 9U)l;tt)mu3
barin, bcn man freilief) met)r äftl;ctifd) jpürcn al8
Dorftänbifl uorbemonftricren tann: cg ift ettoaS lüie
ein breimaliger 333ellenfc()la(\, mit bem eine Spf^eere«*
tüOflc l)ö()cr unb Ijöljer l)eranrolIt, 6iö fic firf) fcfjnumenb
nad) Dorn übcrfd;(ngt unb enblid) tnirfdjcnb auf ben
©tranb läuft, um il;r opicl für bieömat gu bcenben.
Unb man mirb üorlöufig nod) rut)ig ber SSiber*
legung l;arren bürfen, menn man in ber Äompofition
eines Ijalbmegö normalen S)ramaö folgenbe Stufen
ftet)t, bie Don ber §anblung in fonfequenter 9fJeil)en*
folge unb lüdenlofem ßufammenljang 5U burdjlaufen
finb: einmol ba^, maö mir (£jpofition nennen, mit
einem beuttid) t)erüortretenben ©infa^punft beS
Äonflilti§; bann eine, menn aud) langfam fid^ ent=
midelnbe, fo bod^ fräftig oormärtg treibenbe (Steigerung
be§ ^onftütg; ferner ein |)öl)epun!t, über ben ber
^onflüt nid)t l)inau§ !ann, auf bem er fic§ beg*
megen mijglidjcrmeife längere ßeit t)ält; meiter ein
Umf(^lag, eine SSenbung, Don ber ftc^ ber ^onfliEt
nad^ feiner Söfung ^in entmidelt; enblidj eine Äata=
ftropf)e mit einem beftimmten ©d)lu§punft, an bem ber
Äonflift enbgiltig aufgetragen ift. Unb eä ift burd^auS
fein 53emeig gegen bie ©iltigteit biefer Äompofitiong=
gefe^e, menn biefer ©tufengang fo ungefäljr bem
entfprid^t, ma§ bie ^ertömmlid^e (Einteilung unferer
•S)ramen in fünf 5lfte anbeutet unb ma§ audl) nod^
— 188 —
ju er!ennen ift, tuenn ftd^ bie güitfäatjr auf eine
^reigalE)! ober auf bie ©in^at)! l^erbicl^tet. ?Iud^
gegen bie 3Sier§at)l lä^t firf) übrigeni§ grunbfä^Itd^
nid^tö einn^enben: e§> ift nidjt ein§ufef)en, tt)arum bie
innere ©lieberung ber Äompofition mit bcr äußeren
9lfteinteilung unter ollen Umftänben gufammenfallen
muffe, obmof)I fte eine natürlidfie S'Jeigung ^at, eg
gu t^un; e§ fann öietmet)r gerabegu in ben Be*
fonberen Sebingungen einer beftimmten bramatifd^en
^anblung liegen, ha^ fie öon if)rem §öl)epun!t an
erf)ebti(^ rafc^er gum «Sd^Iuffe eilt, ate fie ben |)ö^es
pun!t erreicht \)at — in biefem gaü märe e§ t^i3rid^t,
fie Ütnftlid^ in bie Sänge gu gieljen, nur um reget*
rec^t fünf ftott nur öter 5ttte gu bekommen. ®as
gegen ift bie feit einigen Saf)räet)nten gu beobac^tenbe
93et)or5ugung öieraftiger Dramen t^atfäc^Iic^
bod) fet)r begeic^nenb für gemiffe ®d)mäc^en ber
mobernen ©ramatif: ftel)t man nät)er gu, fo mirb
man in fet)r bieten Ratten finben, ba^ bie 93es
fc^ränfung auf bie SSierga^t üon 5ttten teitö mit ber
Unfö^igteit gufammentjängt, bramatifc^e ^onflüte gu
öößigem 5lu!§trag gu bringen, mot)( auc^ mit ber
bramatifd^en geigt)eit, meldte bie tragifd^en @pi|en
abbrid^t unb bie Xrogöbie gum „©c^auf^iel" öer*
mäffert — teilä mit bem Ijaftigen SDrängen auf ftar!e
t^eatratifd^e ©c^tu^effette, melc^eö bie gmeite §ätfte
ber ^anblung nid)t mef)r bramatifd^ ausreifen Iä§t.
— 189 —
Xai alleö nun aber, \m<i> man alö (^runb«
gefe^e ber bromotifcljen ilompofition betrodjten barf,
Iä§t im (Siiiäclncu eine unt)eörcn5te "i^üiie üon
Variationen ^u; bic Sfnforbcrunflen beäi StoffeiS, bie
Snbiinbualität beö 2)ramatiferö, baä be[onbere 5öer*
pltnif; Hon .*pnnblun(\ unb t£l)araftercn im einzelnen
%a\i, ber Untcr)c()ieb 5iui)djen trogifcljem unb fomifdjem
Äonflift — haS unb nod^ manrfje anbete (SJefid£)tg*
pun!te [d)affen eine enbtofe 9?eif)e oon HWiiglic^fciten,
in benen jene ©runbgefe^e immer neue unb ^unbert*
fad) lücd)[etnbe 9InU)enbung finben !önnen, SSieleg
freiüd), lüaö I;ierü6er gu fagen märe, t)ätte met)r nur
für ben fdjoffenben ©ramatifer unb ben 2)romaturgen
bon '^a^ Sntereffe, üieleä aud) fommt bei jeber
bramaturgifcl^-ä[t§etifd^en 5Ina(^fe unferer literatur^
gefd)ic^tlidj öor^anbenen Dramen gur ©prad^e —
follte lüenigftenö gur Sprache fommen! — unb für
ben, ber einmal ba§ 2Sefen ber ©ac|e begriffen i)at,
tuirb eä feinen befonberen did^ fjaben, bekannte unb
erprobte Dramen eben auf jene ®runbgefe|e ber
5^ompofition ^in felbft gu ftubieren.
9^ur (£ineä fei nod§ einmal betont: fotoeit bie
S)ramaturgie §rft|eti! beä 5)ramag ift b. f). nid^t
tec^nifd^e (Singetunterfudiungen aufteilen fonbern bie
äftt)etifd)en £eben§bebingungen ber bramatifd^en Äunft
unterfuc^en unb feftfteüen lüiH, tuirb fte fe^r tt)o^(
baran t^un, ftd§ auf nac^brüdlid^e SSetonung jener
— 190 —
©runbgefe^e gu Befd^ränfen unb ftd^ öor if)rer ©r*
tüetterung gu einem öertoirf elten 9^egelf^ftem gu {)üten.
S)enn fotoie fie ha^ t^un tüoKte, tonnte fie jeben
SfugenblidE bon einem neuauftretenben fraftöoöen
S)ramati!er Sügen geftraft merben. Sene ®runb*
gefe^e aber tüirb mot)( fd^merlic^ fo fd^neE einer um*
fto^en, unb atteö, maS aud) in neuefter ßeit toieber
gegen fie gefünbigt lüorben \\t, l)at fie ^ule^t immer
toieber beftätigt.
(SerfjSteö Kapitel.
Cragöbic unb Komöbk.
jie Dramaturgie ift fd^on fef)r ^äufig, felbft
unter ber §anb eine§ Seffing unb ©d^iüer,
gu einfetttgen ^eftimmuugen ge!ommen baburdE), ha^
[ie bie ©efe^e beö Dramatifc^en auöfc^Ite^lid^ auö
ber jtragöbie ableitete. Unb umgete^rt l)at bie
5(eftt)eti! beö 2ragi)d)en biö auf bie neuefte Qdt faft
immer an bem 9[)?ange( gelitten, ba^ man aud) haä
%xaQi](i)e aui2if(f)lie^(i(^ in feiner bramatifd^en 2)ar=
ftellung, in ber Xragöbie fud^te. 9Kan ^at big auf
einen bebenflid^en ®rab bie 93egriffe beg STragifd^en
unb be§ SDramatifd^en al§ tbentifd) genommen — unb
unterbeffen ^at fict) bann ber 3ßa^n feftgefe^t unb
in ber ^rajiö maf)re 35er§eerungen angerichtet, aKe
ftrengen bramatifc^en ©efe^e gelten nur für bie
Strogöbie, bie Slomöbie braud^e ftd§ nic^tg um fie gu
— 192 —
Ütmmern, fte !önne mit ber bobentofeften SSillfür
jegltd)en unbramattfdCien Unfinn in bie SSett feigen
unb bod§ ben 5(nfprud) ertjeben, S)rama gu fein.
Unb al§ ob man biefen gangen SBirrmarr öoll mad^en
unb i^n äußteid^ üerl)öl)nen n^oEte, ift man no(§ (gum
Xeit in 3(nlel;nung an ben bramaturgijclen <^pxa6)'
gebraud) ber ^^rangofen) barauf üerfallen, bie 93e=
geicf)nung „2)ramo" einem ^ing uorgubeljalten, haS
tt)eber2:ragöbienocE)Äomöbie i[t, ba^ man mit beutfcfjen
Segeidinungen aud^ alä ©d^aufpiel üon ^^rauerfpiet
unb Suftfpiel fd)ulmä^ig gu unter[d)eiben pflegt, ^em
aßem gegenüber ift gunäc^ft fotgenbeö f eftguftetten :
S)ie ®runbgefe^e beö ©ramaö — fomeit
fie eben ©runbgefel^e finb, b. ^. auö bem 2Befen beg
^ramattfc^en fic^ mit innerer S^otmenbigfeit ergeben
— gelten alö fotd)e für jebeä bramatifdie «Spiel,
baS ben 5lnfpru(^ erf)eben mill, nid^t b(o§ ber äußeren
gorm nadf) ein fo(d)e§ gu fd^einen, fonbern im inneren
SBefen ©rama gu fein. Unb namentli^ t)at ha^
fomifd)e 2)ramo, baä Suftfpiel, bie Ä'omöbie nid)t i)a§>
minbefte ^e^t, jene ©runbgefe^e gu mifsadjten. S)a§
ha§ beutfdje ßuftfpiel in feiner großen ?l}?affe bieg
SfJed^t gu t)aben glaubte, ift mit ein §auptgrunb für
bie graufame SSeröbung ber beutfdjen £uftfpielbüf)ne
ober genauer bafür, ha^ bie beutfd^e ^omöbie feit
Seffing in i^rer (Sntmidfung burd^au^ nid)t ©d^ritt
gefjalten t;at mit ber (Sntlüidlung ber beutfd)en
— 193 —
XvQflbbic, haf] uiclmcl)r baö bcutjcl)e iJuftfpiel feit bcm
alten ^4>I;iti[tet ilo^jobuc (bcr jc(b[t übriflcnj^, tro(3 aüet
^l)ilifterl)aftiöfcit lucnioftenS baS nod) tüufete, Wie
man eine £uftfpiell)onblung folibc aufbaut) im ®rofeen
unb 6ian5cn mit unt)cimlid)er Sidjertjeit immer tiefer
gefunfcn ift. @ö mirb fidj erft ujiebcr Ijeben, menn
$)ramatifer, Slrititer unb ^ublifum tuieber cinfetjen
lernen, bo^ bie Ä'omöbie gtoar iljrer 9latur nad) in
mand;en iScgietiungen größere Jöemegungöfreifieit ^at
ate hie Xragöbic, ha'^ fie aber mit if)ren inneren
fiebenöbebingungen an biefetben bramatifd^en (Siirunb*
gefe|e gebunben ift mie biefe.
j^erner: ttJeber ha^ Xragifd)e nod) haQ
Äomifd)e ift in feinem 5(uftreten, nid)t einmal für
feine fpe^iell üinftlerifc^e jE)arfteUung , auf baiS
S)rama befc^ränft; eö fommt aud) au^ertialb
ber Äunft — unb innerfialb ber Äunft aud) in
anberen Ä^unftgattungen a(§ im 2)rama üor. 2)ie
Unterfudjung beö SErogifd^en unb Ä'omif^en gehört
ba^er ftrenggeuommen gar nid^t au^fd)IieBüc^ in bie
5teftl)eti! besS 2)ramaö, geJjört üielmetir ^unäd^ft in
bie aögemeine ?(eft§etif; auö if)r muffen bie mefent*
tid^en ©rgebniffe ber Unterfudiung in bie ^left^eti!
beä 2)rama§ t)erübergenommen merben. Sei ber
SSid^tig!eit aber, hk haä ^ragifcE)e mie ha& ^omifd^e
bennod^ gerabe für bie bramatifdje Slunft natura
gemä§ geminnt, unb bei ber Unfid^ert)eit, in ber
9Beit brecht, Daä beutfc^e Xiramo. 13
— 194 —
fid^ bie äfttjetifd^en S3egri[fe gerate in biejem ^^apitet
immer nod^ Befinben, i[t eS unumgänglich, {)ier gu
einer etmaö aEgemeineren Erörterung au^^utioten.
S)ag Xragifc^e unb ha^ S^omi|d)e, aU
ä[t^etifd)e SSirfungen gefaxt, [inb gmei in ge*
toiffem Sinne tiermanbte aber aud^ »ieber entgegen*
gefegte SJJobififationen be§ 5(eft^etifcl^en. S^id^t
aQe äft^etifc^en SBirfungen, bie tt)ir öerfpüren, [inb
ja für unfer Semu^tfein üon gleid^cr Dualität, njenn
fie aud) alle auf biefetben grunblegenben |)f^(^ifd)en
SSorgänge gurüdE^ufütiren finb unb mefentlid^ unter
benfelben grunblegenben ©ebingungen entftet)en. Unb
bec äft{)etifct)e ©prac^gebraud^ l^at tängft eine 3leif)e
bon SJegeic^nungen für gemiffe ©ruppen üon äftf)e«
tifc^en 2öir!ungen eingefüf)rt, bie in i^xex befonberen
))f^c£)oIogifd^en Dualität ettt)aö gemeinfameä unb
öon anberen Gruppen öerfd^iebeneiS I)aben: mir
unterfc^eiben haä @d^öne, ha^ |)äfelid^e, ha^ @r*
^abene, ha^ einmütige, ba§ Stragifc^e, ha^ S^omifc^e —
mit aEertei Uebergängen unb met)r ober meniger
fc^arf abgegrenzten (Schattierungen. 2)aä iftä, mag
man bie äftt)etifd^en 9}?obififationen genannt ^at.
SDie ältere ^Tefttjeti! t)at fie auf begrifflid^em
äöege gu beftimmen unb abgugrengen gefuc^t unb
jmar \o, ^a^ ha§ ©c^öne al!§ ber oberfte unb
^auptbegriff gefaxt unb mit bem 5Ieft^etifc§en
übert)aupt aU gteid^bebeutenb genommen mürbe;
— 106 —
aUe anbeten ÜJ^obifitotioncn luurben alö Unterbegriffe,
als 9(rten beS <Sdjöncn uom ©cl)bnen abgeleitet.
Unferc t)eutige ?reftl)ctif fann nid)t me()r fo öer*
fal;ren; auf il)rem ®ong „uon unten", njie it)n
i5crf)ncr genannt I)at, mit il)rem ?(ugge[)en üon ber
Untcrfudjung bor tljatfad^lidjen pft)d)oIogifd)en ^^or«
gänge ift fie nad;gerabc bal;in gefommcn, ba!§ 9reftl)e*
tifc^e ober äftl^etifd) SSirffame überljaupt als ben
^auptbcgriff 5U betrad^en, haS ©c^öne aber nur
nod^ als eine 9J?obifi!ation beg 5left^etifc^en neben
ben anbern, ttjenn and) etwa als eine, bie in letzter
Snftang njieber eine gong befonbere öebeutung
unter ben anberen genjinnen mag. Um aber eine
fidlere pft)d;oIogif(^e (Srfaffung unb ^tbgrengung ber
äftt)etifd^en 9}?obt[ifationen ju gen)innen unb fo aud^
bem Stragifd^en unb ^omifc^en üon innen l^eraug
beigutommen, bagu fe^e id^ feinen anberen SSeg atiS
ben folgenben.
3m aßgemeinften @inn fd)eiben fid) ja bk
äft^etifc^en SSir!ungen, bie öerfd^iebenen Slrten, tote
bie äftl)etifd^e §rnfd^auung gefü£)femä§ig getoertet
toirb, nac^ bem ©egenfa^ öon Suft unb Unluft.
9Jun finb aber äftl^etifc^e Suft unb Unluft fetbft
toieber in bo|3))eItem @inne gu faffen: formal im
©inne ber Suft ober Unluft an bem pft)d)if^en
SSorgang be§ äftf)etifd^en ^rnfc^auenö fetbft — fac^tid^
im <Sinne ber Suft ober Unluft an bem ©egenftanbe
13*
196
ber 5tnf(^auung. Unb fo fönnen gunäd^ft ^luet
^äUe eintreten: enttueber ift ber ©egenftanb ber
5(nf(f)auung für \id) fd)on geeignet, Sufttt)erte ab^u*
»erfen, and) im au§erä[tt)etifd^en SSer^atten —
unb biefe Suft am fad)ticf)en !;5nl;alt ber 5Infd)auung
üerbinbet ficf) ol)ne 5l!onftttt ober SSiberiprud^ mit
ber Su[t am Sßorgang beö äftt)etifcl^en 5(n[d)auen^
felbft; ober aber: ber Sni)att ber 2(nfd)auung liefert
fac^Iid^ Untufttoerte — foü er ®egen[tanb beö an
fid^ luftbollen äftt)etifc!^en ?rn[c^auen^ ioerben, fo
entfielet ^unäd^ft ein Äonflüt gmifd^en formaler Suft
unb fad^tid^er Untuft, bei bem fid^iS fragt, ob er
getöft ioerben !ann. 35on biefem ©efid^täpunft auiS
betrad)tet ergeben fid^ oerfd)iebene Gruppen üon
äfttjetifdjen Söirfungen, bie quatitatio im ©inne ber
5u ®runbe (iegenben pf^c^ologifc^en 3?orgänge öer*
fd^ieben finb, eben jene 9}?obififationen (üon itjren
Uebergängen unb Sd^attierungen im ©tn^elnen l)ier
abgefet)en) — unb biefe toerben alfo beftimmt burc^
ha^ jemeilige SSerpItniS, in toeld^em hk formale
Suft am äft^etifd^en 3Ser{)aIten felbft 5U ber fad^*
tid^en Suft ober Untuft an ben angefc^auten ©egen*
ftänben, begie^ungöttjeife Sinbrüden, fte^t.
Unb fo treten weiter folgenbe gälle ein: ent*
meber bettjötigt fid^ bie formale äftf)etifdje Suft an
©inbrüden, bie an ftd^ fd^on Sufttoerte ergeben, unb
l^erau^ fommt eine einheitliche reine Sufttoirfung;.
— 197 —
bicfcr ^-all evßiebt baö Scf)öne unb bnö ^fn mutige,
baS man ein bcpotcnäicrteiS ®d)önc!? nennen ti)nnte.
Ober bic ©inbrücfe [inb an fiel) unlufterreßenb;
bann ift ein ©oppelteö miJglid): eninjeber fann biefe
Unhiftluirfunfl fo ftarf fein, ba§ eine £uft am
äftljetifdjen ^^erljatten ju ben Sinbrüden gar nid^t
auf5ufümmcn üermag — bteö ift ber ^a\i beim
.^(i^(icf)en im abfolutcn ©inn, beim loiberäfttjctifd^
^ä^licljen, unbebingt 5(nlüibcrnbcn, in geringerer
^törfe äft[)etiftf) ®Ieid)giUigen, iölöben, Deben,
tjöUig 9?ei5(ofen. Ober aber: bie fad)Iid^e Unluft*
tüir!ung fann öon ber formalen Suft om äftf)etifc^en
?tnfd)auen in irgenb einer 3Beife übermunben incrben,
fobaJ3 ha^ ©d)(u^= unb ©efamtergebniö bennod^ Suft
ift; bieä gefd)iet)t in brei Rollen:
Sm einen gall ift ber ©inbrud fad^tic| untuft=
hjedenb burd^ bie Dualität ber gu ©runbe (iegenben
ftnnlid)en Erregung, burd^ ben 9J?angeI an ^ar^
monie, burd) unluftige 5{ffociationen; aber biefe
Untuft !ann übermunben merbcn burdj bie formal
äfttjetifd^e Suft am ?rnfdjauen be§ (5t)ara!teriftifd^en,
an ber 9Infd;ouung eineä Äontraftes ober bergleid^en
— bann entftet)t ha§ relatio §ä^Iidje, ha^ ^äßlid^e
aU SSeftanbteil ber öft§etifdjen ^fufd^auung, ba8
äftt)etifd) n)ir!fame §ä§Iid^e. 3m gmeiten gaß
berut)t bie Unluftnjirfung fad^Iid) auf einer feelifd^en
S)epreffion burd^ etftiaö, haä bie gemo^nten SKa^s
— 198 —
[täbe irgenblrte übetfteigt, bte 5t!!omobation be§
SeiDu^tfeini erfc^lüert, auf ettüa§ gunäc^ft „Unan*
gemeffenem", ba§ in ungef)euren, übergetüatttgen unb
ä^nttc^en ©inbrücEen unferem 93ett)ufetfein entgegen*
tritt; aud) biefe Unluftmirtung fann überiounben
toerben burd) eine SSeitung beö ^erfonlidjen, ha^
ftclj eben in ber '?(nfc^Quung [trecTt, anpaßt, ben
§unärf)ft untuftig übermöd^tigen ©inbrud bodj be*
trättigt unb fo gu Suftgefü^ten !ommt — ha§ ift
bie S!}(obififation beö (£rt)abenen. Sm britten %aU
enblid) beruht bie fad^(id)e Untuft auf einem SBiber*
fprud^ enttüeber im ©egenftanb ber Sfnfcl^auung felbft
ober 5mifd)en it)m unb ben fic^ anf(^Uefeenben
Slffociationäöorfteßungen; er mirb übermunben in
ber ^fnfd^auung burd^ irgenb ein 9}?oment ber
äftt)etifc^en ^erfö^nung, tüetc^eö ben SSiberfpruc^ für
bie ©eete löft unb bie Untuft in £uft üermanbelt,
inbem e§ ein inneres 9Jcitmad§en unb 9}?itfüf)(en
gerobe in ber ?(nfc^auung ber SSiberfprüc^e er«
möglid)t: in biefem ^aU entfte^t ha^ Xragifd)e unb
bag Äomifc^e. Seibe traben ha^ ©emeinfame, ba^
it)re SBirfung berul)t auf ber ^Tnfc^auung eine§
2Biberfprud)ö unb auf ber ßöfung beö 2öiberfprud)§
in ber äftt)etifd)en Slnf^auung felbft unb burc^ fte.
Sm Xragifc^en nun ift ber ©egenftanb ber
5(nfc^auung unbeftreitbar ein Seiben, bag big gur
langfamen ober plö^Iid)en Sebenääerftörung ge^en
— 109 —
!onn, in ber 9icrtel auri) baf)in gel)!, [o ober \o.
!I)icfe« Seiben mufj nirf)t notlüenbifl bem fieibenbcn
felbft Hon ?(nfanfl an flar bctuu^t fein, e« fann
aud) nlö ein i'eibengöefd)ic! junädjft nur für unfere
5tn[djnuunfl über ibm tiönöen unb erft an einem
ÖCtüiffen fünfte, njo bie ßerftörung augbrid)t, bem
Seibenben fetbft gum öenju^tfein fommen. (58
mu§ auc^ nid)t öon Dornfierein in feiner ganzen
©röjje unb (Sd)rt)ere baftet)en, e« fann ollmötilicl^
fid) enttuicfeln unb ftcigern — nur bafe n)ir baä
njirflid) uor ber unmittetbaren 5lnfd)auung l)a6en.
©bcnfo fann biefe^ Seiben nur innerlid^ üernic^ten,
tt)äl;renb ha§> pl)t)fifcl§e Seben baöonfommt; in ben
meiften gäUen ijt gUmr aud^ ber äußere Untergang
bog notttjenbige @nbe be§ Seibenö, aber aud) bann
ift ber Unterget)enbe gugleid) innerlid^ fertig, f)at
nid)tö SSefentlidjeö me^r im Seben gu fuc^en.
S)ie 5tnfc^auung beg Seibenä ift aber an fi(^
frf)on etnjag, toaä n)ir mit llnluftgefüf)len merten,
menn mir normale 9J?enfd)en finb, mag alfo mit
ber Suft am äftf)etifd)en 5fnfc^auen gunädift in einen
SSiberfprud^ tritt unb mit biefer erft irgenbmie
äftfietifc^ öerfö^nt merben mufe, um bie 3Sirfung gu
ergeugen, bie mir im äftf)etifd)en ©inne tragifc^ nennen.
?tber nid^t jebe 5(nf(^auung eineö Seibenö unb
llntergef)eng fommt in biefen %aU: mo fie fdjled^tmeg
traurig, nieberbrüdenb, empörenb, öerftimmenb mirtt,
— 200 —
ha tritt jener Söiberfprud^ gar ntc^t ein, ift für jene
S5erföl;nung gar !ein 93ebürfnig, h)eit bie £u[t am
ä[t{)etifci^en 5fnfd;auen öon Dorn^erein unterbunben
ift; bie 5(nfd)auung tt)irft einfad^ h)iberfprud)gto§
unluftig, ötjulid^ tt)ie beim abfotut §ö§Iic^en unb
SBibrigen. 2(ucl§ foId)e 3Bir!ungen tragifc^ gu nennen,
ift ein — allerbingö bergeit n)eit Verbreiteter 9J2i§*
braud^, ber e§ nid^t nur mit bem äfttietifd^en ©prod^:=
gebrau^ ungenau nimmt, fonbern aud^ bom pf^d^o*
logifc^en SBefen ber @ad)e nur einen %di fiel)t.
®enn nic^t nur um has^ Seiben unb bie Sebeng«
gerftörung an ftd) tjanbelt fid^g, fonbern ebenfo
barum, mer leibet unb unterger^t. ^ritt bie leib*
üotte SebenSgerftörung an einem Seben in bie 9ln*
fd^auung, bei bem fie at^ etma§ (SetbftUerftänbtid^eg
erfdieint, am irgenbtuie Seben^untüc^tigen, üon |)au§
au8 Mmmerlid^en unb <Sd^n)äc^lid)en, am (Siechen
unb (gntarteten, et^ifd) ober ^^t)ftfc^ Slermlid^en unb
(Srbörmlic^en, (gemeinen unb S'Jid^tgmürbigen, etma
aud£) am ^itfto§ Gummen unb ©tum^ffinnigen, furj
an irgenb einem 9)?enf(^enmefen, ha^ feiner Statur
nad^ lebiglid) für§ 3"9^""^e9ef)en beftimmt fd^eint ober
tool^l :^in ift: fo entftef)en miberfprud^äloö jene Untuft:»
gefü[)Ie, bereu mir un§ gern mögtid)ft balb ent«
fd^lagen, bie mir nid^t burd^ längere ober öftere
SSerfen!ung in bie Hnfd^auung Verlängern mögen;
ber äftt)etifd^en Suft ift alfo von öornI)erein ber
- 201 —
Si>efl ucricftt. i^an^ anbcrS baßcgcn ift cö, lücnn
ttjir 9}^cnfcl)cn uon fiebcnStücijtiflfeit unb 93cbeutun9
leiben unb untergeljen fe()en, einen fraftüoÜen iicbensS*
njiüen feine 3*-'t[törun(^ erleben fe()en, inenn tuir un«
mittetbar 5U frfjauen befommen, iuie fräftigeö ^cben*
njollcn 5um iJeibcnmüffen luirb unb nur im Sterben^
njoUen [idj Ibfen tonn. (Sotd)e8 S!J(Vnfd)onba[ein
fonn freilid^ öon allerlei 5frt fein, fein fieiben mu§
nirl)t nottüenbig an etnjosS gan5 5(uf3erorbentIid)em
ober gar äufjerlid) §od)gefteIItem fid) DoÜ5iet)en; eö
!onn nidjt nur al§ Äroft fonbern aud) a(ä ®üte
ober aud), namentlid^ beim 3Seibe, aU ©djön^eit
ober alä (S5cfunbl;eit, ^rifdje unb ^reubigfeit ftd)
barftellen, ober toa^ bergleidjen ift — irenn nur
ber Seibenbe für bie §(nf(^auung ben beftimmten
©inbrud madjt, ba^ er eigentlid) 5U et\üa§ anberem
beftimmt fei alä gum Seiben unb gur Sebengger*
ftörung, 5um Seben eben, gum fraftbollen ober
fd)ünen ober t)errli(^en ©ic^au^Ieben. 5(ud) brandet
bie £ebenätüd)tig!eit unb ber Sebengtt)iIIe fid^ nidjt
o^ne ineitereä gugleid) al§ fittlid^e ®üte gu erttjeifen;
aud) ha§ Söfe fann in feinem Seiben benfelben
©inbrud mad^en, toenn eö ficf) nur alö fräftig unb
bafein§fät)ig ober gar aU überlegen gu er3eigen
öermag. STm n)irffamften Ujirb in biefer Segiefjung
t)äufig jene fd^on öon Slriftoteleö beoorgugte „SOtifdjung
üon ®ut unb 93öfe" fein; nur ber innerlid) §ofjIe
— 202 —
unb Sa^me, ber Saue unb 9^td)ti9e, ber pjiltfter
!ann ntc§t in btefer SSeife tt)ir!en, jei er jonft fittlic^
fo ober fo befdjaffen. 3Sa§ man aber in biefem
3ufamment)ang mit einem ni(f)t au^gurottenben 5Iu§*
brud „©c^ulb" nennt, ba§ brou^t burc^auä nirf)t
moratifd^e S3ern)erflid)!eit gu fein, eö !ann lebigtici^
irgenb eine öerpngnigöolle ^feu^erung beä !röftigen,
bielleid^t über!räftigen £eben§millenö fein, bie 'Oa^
Seiben ober ben Untergang t)eroorruft ober be«
förbert unb gum ^ruöbrud) bringt.
9^un: mo ung haS Seiben an fold^en SJJenfd^en
entgegentritt, ha entftet)t feine§n)egi§ jene einbeutige
unb miberfprncf^glofe Unluft, ber mx mögüd^ft rafd^
gu entgegen fuc^en, t)ier ift üielmef)r auc^ im Ob«
je!t ber 9lnfdjauung ein SSiberfprud), ber unS
eben al§ foldjer nidjt leidjt loöläBt. greilic| ent^ölt
biefer SBiberfprud) an fic^ mie ha§ Seiben an fid)
gunäd^ft bie S3ebingungen für Untuftrtjerte : mir
möchten un§ freuen an Straft unb Seben§tüc^tig!eit,
nic^t fie gerftört fel)en. Unb aEerbingä: mer biefe
boppelte Untuft nidjt burd^ bie Suft am äftt)etifd)en
5tnfdjauen irgenbmie §u überminben, ben unluftigen
SBiberfpruc^ gu oerfötjuen öermag, ber !ommt nie
jum Stragifd)en; eö giebt ja tt)atföd)lic^ nic^t menig
SQtenfd^en, bie bem ^[iragifd^en ol;ne meitereiS, t)ieEeidt)t
grunbfä^Iic^ auämeidjen — fie fönnenS nid)t ev
tragen, füet)en eg. 2)aö bto§e traurige, baö miber^
— 203 —
fpruct)«to8 XrauriQC loffcn fic — eben [ic — firf|
öicUcic^t mit einer genjiffcn 9f\ü[)runfl gefallen, fotüie
aber ber jum ^roflifcfjcn füt)renbe SKibcrfprud) auf*
taurf)t, tuirbS iljncn 511 l)art, ^u ()crO, fic lüoüen feine
Sföibcrfprürfjc onfdjaucn, lucnbcn fidj ah üon il)nen,
tucil fie nid)t bic ^•nl}ic\toit aufbringen ober auf«
bringen mögen, bem 5föibcrfprud) in§ ?(uge gu feJ)en,
i^n (iftljctifd) ju überminben unb 3U oerfötjnen.
(Sine foldje Uebcrtüinbung unb 35erföt)nung aber
ift mögtidj, unb n^o bie Scbingungen für fie t)orf)anben
finb, ba fann bie tragifdje SSirfung entftet^en. Sin
5tnfnüpfung§puntt bafür liegt fd)on in bem üor«
liegenben SSiberfprud) felbft. S)er SBiberfprud^ ift
aüerbingg einerfeitö ba§ gegen bie ©rtoartung gefjenbe,
ha§> Unernjartete ober nidjt gu (Srmartenbe, ob eö
fidj nun plötUidj unb übcrrafdjenb offenbare ober aß«
mäfjlid) fidj üor unfern klugen entmidk. 5(nberer«
feit§ aber fann bod) in biefem SSiberfprud^, in bem
S^iidjtguermartenben felbft fidj eine 9^oth)enbigfeit offen*
baren, ha§ Seiben fann aU ein in tieferen unb
^öf)eren Seben^orbnungen begrünbeteö unb barum un«
auömeidjlid^eätrot^ allem fidj öor bie^Infd^auung ftellen.
!j!amit ift fdjon ein ^rnfnüpfungäpunft für bie Ueber«
minbung ber Unluft gegeben — um fo fid)erer
gegeben, je unmittelbarer unb beutlid)er fid^ jene
SRotttjenbigfeit üor bie Stnfdjauung ftellt, alfo bem
äftf)etif(^en SSerljalten entgegenfommt. (2d)auen
— 204 —
tüoKen tötr ja immer ba^, tüa§ ä[t{)ettfd) auf unö
n)ir!en foß, unb fd^auen rtJoHen tüir nun aud^, ba^
unb hJtefern ha§ ßeiben, bog mir öor un§ fel;en,
notmenbig unb unauömeid^Iid^ [ei, trotj [eineö inneren
SBiberfpruc^g. Unb gur ^Tnfc^auung !ann biefe
S'Jotmenbigfeit un§ fommen teils burdj bie 5fn[ci^auung
beö (SJ)arafterg be§ Seibenben, menn beffen innere^
3J?üffen [ic^ unä atä SeibenSnotmenbigfeit entl^üUt —
ha§ ^ei^t aber nicf;t aU bie ©elbftüerftänbüd^feit, mit
ber \>a§ (Sd;mod)e unb kümmerliche (eibet, Dielmel)r
gerabe al^ bie ^Jotmenbigfeit, mit ber bo§ ©tarfe
unb Seben^tücfjtige burd^ bie Sefonberljeiten feineä
ßfjaraftcrS, au§ feiner inbibibueHen Statur f)erau§
fic| fein Seiben fcf)afft. 5(nbernteit§ !ommt bie ^oU
menbigteit be§ tragifcf;en Seiben§ gur 5fnfd)auung alö
eine S^otmenbigfeit be§ ®efd)icfee!, haß t)ei§t aiß
etmaS, bag unau§meid)tic^ in ben oltgemeinen SebenS«
orbnungen liegt, mit benen ber (S^ara!ter gufammen*
trifft; er mag nod^ fo mac^tüoll gegen fte anfämpfen,
mag fte noc^ fo üerbtenbet üerle^en — fie bleiben
i§m boä) am ©nbe übermächtig, ftellen fic^ boclj raieber
in il)rer ©iltigfeit t)er. ®abei fann ber <Sc^merpun!t
beffen, maS fid) alö S^Zotmenbigfeit barfteltt, ha§ eine
Wal auf (Seiten beg ß^arafterS, ba^ anbre Wal auf
(Seiten beS ®efd)ide§ liegen ; immer aber arbeitet fic^
beibe§ irgenbmie in bie .^änbe — aud^ bie Unaug*
meidjlid^ feiten beS 6l)arafterg ruf)en ja mieber auf
206
aUöciucincren iiebcnsJorbnunßcn unb arbeiten an i^rer
S)mfl))c(,mnö mit — unb ßctabe tuieber bie 5(njd)auunö
biefer l!iyed))ohüirfunö i[t ein n)i(f)tiöe3 9}?oment in
ber traflifcljcn Sl^irfung. 3"Ö^<^if^J ergiebt \id) and)
babci, bo^ bio 5(n[cI)oiiung folcljcr S'iotföenbigfeit nur
möölid) i[t bei QUiSöc)prod)cncn, bcbeut|"amen
ßljarotteren, beren innere^ ©efüge bie SDiac^t beg
inneren menfdjiidjen 9J(üffenö beutlic^ unb folgerid)tig
erlennen läfet, nid)t aber bei oßtöglidien Sammerfeeten
unb nidjtöbebeutenben S'JuIIen. Unb ebenfo ift ein*
leudjtcnb, bafj baö(S3c[djid, um bag \\d)§> babei lianbett,
nid)t bie SSiÜfürlidjfeit unb 3"fönigfeit !(einlid)er,
bebeutungötofer SSer^ältniffe, unmidjtiger ober ah'
gcfdjmodter 9Jtiferen fein fann, öielme^r fid^ beutlid^
mad)en mu§ al^ ha^ SSatten einer tt)irflid)en ®e[e|s
mäfeig!eit, ^a^ Sßatten jener endigen großen Sebenö*
orbnungen natürlid)er ober ett)ifd;er SIrt, bie mir
oere^ren, oor benen mir unö in Stnbad^t unb Ergebung
beugen tonnen unb muffen, aud^ menn fie un^ leibüoU
berüt)ren.
Sn ber 9}?ögtid)feit nun, fold^e SfJotmenbigteiten
angufd^auen, liegt pf^d)oIogifc^ bie 3)2ögtic^teit ber
tragifdjen Suft, bie 9J?DgIid)!eit für ben 5(nfd;auenben,
aud^ Don ber STnfc^auung be§ Seibenö unb bes leib*
üoUen 2Siberf|3rud^g nic^t unluftig ftd) abgumenben
ober fie bto§ mit Untuftgefül^Ien gu merten, öielme^r
fid) mit ber formalen Suft be§ äftf)etifd^en 5Infd^auen§
— 206 —
barein gu Derjen!en, fid^ mit feiner eigenen ^er-
JDnIicE)!eit in bie Stnfdjauung ein^ufütjfen, ha^ Seiben
unb bie Sebenögerftörung mit^uteben, mit5uleiben,
aU etxoaß ©igeneä baiS mitjumad^en, \va^ fid^ üon
ber 50Jenfd^ennatur unb Dom 9}?enf^enge[d^i(i t)ier
im' 3ufamment)ang enttjüßt — brin gu fein, inbem
man bodf) brüber fic^ ert)ebt, eben in ber 5(nfc£)auung
unb mit ber gefül)tömä^igen Ueber5eugung ficf) er?
Ijebt: ha§> mu^ atfo get)en, ba t)ilft fein trauern
unb !eine 9?üf)rung, fein ©mpijrtfein unb fein 9^ieber=
gebrücftfein, ha^ fönnen mir nur in Ergebung unb
93eugung mitteiben unb in 2tnbarf)t bor bem (Smig*
giltigen beref)ren! ^ag ift tragifdf)e SSerföl^nung,
eine foId)e giebtö tt)atfäd^tid) unb bie „9J('obernen"
fönnten enblid^ einmal auffjijren mit bem [billigen
unb oberfläd^lid^en 5ld)fel5UcEen unb ^ötjnen über
tttoaS, bog fie einfad^ nid^t fennen ober nad^ eng*
l^er5igen unb untiefen Stljeorien nid^t glauben fennen
gu bürfen. ©er ))f^d^ologifd[)e ß^^arafter biefer 3Ser«
fö^nung aber ift Suft, \i)x @rgebni§ finb öftl)etifc^e
Suftmerte aud^ mitten in ©d^mer^ unb Seib. Unb
bamit finb auc^ bie öftt)etifdf)en §ilfen gegeben, meldte
unö nid^t nur trauern laffen über bie 3lnfc^ouung
beffen, „ba^ ^cl^ @df)öne bergei^t, ba^ ha§ ^oH*
fommene ftirbt", meldte unä bielmefir nun aud) bie
i^reube ermöglid^en an ber 3tnfc^auung beö Äraft*
boßen, 9}?ädl)tigen, ^errlid^en, @d£)önen, menn eö
— 207 —
gerabe im ilüinpfc mit feinem Seiben unb Unter*
gang erft re(f|t in [einer gan5en ®rö§e, Äraft unb
©djbnl)eit fic^ entl)üUt, [o bafe ba« SSort firf) be*
ftQtigt:
Jhid) ein ^Itaglieb 5U fein im SlWunb ber beliebten,
ift t)crrürf),
S)enn ha^ Gemeine get)t flangloö gum DrtuiS tjinab."
Sbenbarum iuirft aber aurf) „ha^ Gemeine" nie
tragifd) in feinem Seiben unb Untergang, fonbern
nur boö 3!öicf)tige unb menfd)Iid^ Sebeutfame; barum
njirfen Keine 9]?ifeten unb erbärmliche ^riltagö^
t)erf)ältniffc nid^t trogifdf), fonbern nur ®efdE)ide, in
bcnen bie großen ^afein^gefet^c unb emigen SBelt«
orbnungen ftd| anfdjauen laffen. ®a^ überzeugt
unb entläßt mit jenem Genügen unb jener inneren
©r^ebung unb Befreiung, bie bo§ blo^e ^iraurige
unb 9'iieberbrürfenbe niemolö fc^^öfft. SSer freitid^
gleid^ ^^fterifd) Ujirb, ujenn er nur SBorte wie „SSer«
fötjnung" unb „Sr^ebung" t)ört, ber foll eben beut
jtragifc^en fern bleiben, er ift für§ Stragifd^e üer*
loren, unb eö fragt fid), ob öiel öerloren ift.
SBie nun ha§ ^ragifd)e bramatif d^ fid§ entfaltet,
jur Stragöbie ujirb, ift o()ne ttjeitereö !Iar, menn ttjir
unö über ba§ 3Sefen beg ®ramatifd^en !tar finb: n}enn
auö ben SSiUenöfonflüten bebeutenber St)araftere
l^erauö mit innerer S^lotmenbigteit ba§ Seiben unb
ber Untergang 5U einer anfdf)aubaren §anblung.
208
gum (Spiel mxh, in tüetc^em aud) bie Unauötüeid^tidjfeit
be§ (SJefc^idteö gur ä|'tE)etifd;en Slnfd^auung fommt,
foba§ tüir gefüf)IömäJ3ig übergeugt finb, mitteibenb
unö beugen unb üere{)renb unsS erfieben — bann
^aben loit eine Stragöbie gejetjen.
^aö Äomifc^e fobann fommt pfljd^ologifd) auf
gang ä^nlic^e SSeifc guftanbe tt)ie ha§ ^ragifc^e, nur
ha^ bie (Stemente bcö 2Bibcrfprud)§ unb ber äftf)eti[c^en
3Ser[öt)nung anbete finb. 5tud^ im Äomifd^en ^anbelt
fid^g um bie ^tnfd^auung eineö an fic^ unluftigen
SBiberfprutf)^, aud^ ^ier njirb bie Unluft überrtjunben
baburd), ba'^ ein SJJoment eintritt, ha§> bie formale
Suft ber öft^etifc^en ^Tufd^auung beS 9Biberfpruc^8
frei mad^t. 5tber bem !omifd)en 3Biberfprud§ ift öor
allem ha^ Seiben nid^t fo roefenttid^ mie bem tragifcEjen.
@^ giebt ein fomifd)eö Seiben, gmeifelloiS; ber in ben
fomifd^en 3Biberfprüc^en befangene SWenfd^ fann
fubjeftiü barunter (eiben, er ttjut eö f)äufig, auc^ o^ne
ha^ er ftc^S tiax bemüht ift. %hex fein ßi^ft^^i^
mu^ nid^t notnjenbig Seiben fein, erliegt !ein foUjefent*
tid^er 9^ad)brud barauf mie beim Xragifdjen, unb e§
ift !ein fo teben^gefäf)rtid^eg Seiben, e§ füt)rt jeben*
falls nid^t gur Sebenägerftörung, oietmet)r bleibt
immer am Snbe nod^ ein Steft üon Seben übrig,
tt)enn aud^ etma ein ftar! gurüdgegangeneiS ober öer*
önberteS — üerönbert aber nid^t feiten auä) gum
©efferen. Söenn \)a§ fomifd^e Seiben ober übert)aupt
— 209 —
bie fomifd) luirfcnben i^cbcnöüoröängc crlebiflt [inb,
[o ift aUcrbin(^ö aucl) ber fomi[cljc äJicnfd) genjiffer*
mnfjcn „fertig", aber nicljt luie ber tragifd)e fertig
5um Xob, fonbcrn fertig 5U neuem fiebcn. ®ag
Äomifclje Ijat eine "ITcnbcnä ^ur ;^ebens^bejal)ung ftatt
5ur SebeniSüerneiniing, ein gettjiffe^ fatteö Sebenö*
bcljagcn, baS öom Seiben nict)t biet wiffen ttjiU,
felbft n)enn eö borin befangen ift.
@d)on au§ biefem ®runb ift ber SBiberfprud^
im ^omifdjcn nid;t Dl)ne njeitereö unb auf ben erften
5tnblid liöllig unluftig, er fann fogar ben ©djein
beS ©egcnteirö Ijaben, er ift nid^t feiten 5unäd)ft
gebedt, öertjüllt in einer fd^einbaren @inl)eit. 5{ber
ha§ ift nur (Sd^ein: ber SSiberfpruc^ lauert bod^ in
ber Stiefe unb tt)irb oEmä^Iid^, ober aud) unb fet)r
t)äufig ptö|tid§ — offenbar alä eine SSerfet)rtt)ett. (Sine
fotc^e ift — ha^' h)trb Sf^iemanb beftreiten — \)a§
SBefen be§ fomifd)en 3Siberfprud^g, feiö ha'^ bie
SSer!et)rtI)eit eine met)r pf)^fifd^e, praftifd^e fei toie
in ber poffen£)aften ^^orm be§ ^omifd)en, ober eine
logifdje tt)ie in ber öerftänbigen gorm beö 2Si|e§
ober eine etf)ifd^e ober gar metapl^^fifd^e tt)ie in ber
i^orm be§ ^umorö — benn fo ober äf)nlic^ tt)irb
man bod^ immer toieber biefe ^^ormen unterfd)eiben
muffen. <Somie nun aber biefe SSerfe^rt^eit atö ein
innerer SSiberf^rud) für bie 5rnfd^auung gum SSor«
fd^ein fommt, fo ift bie Ueberrafd^nng gunäd^ft un*
SBeitbrec^t, S)a§ beutle SJrama. 14
— 210 —
angencl^m, ber ©egenftanb ber ^fnfd^auung ent^ätt
entfd^ieben Unluftbebingungen; bie 3Serfef)rung beffen,
lüa^ un!§ fonft a(ö haS Süchtige, ©etnfoüenbe er*
fd)eint, [tört haä urjprüngltd}e 33e^agen ober borf>
tuentgfteng bie Snbiffereng, mit ber tüir bie ©ad^e
at§ cttüaö in ber Drbnung ISefinblic^eg, öietleic^t
©etbftöcrftänbUc^e^ mögti(^erH)eife guerft angc[d)aut
^aben. ^Diefe anfängliche Unluftiüirtung beg Söiber^^
fprucf)^ [töfit ben 93e|'d)auer oor ben Stop'i, unb tt)er
teinen @inn für^ Äomifdje fiat, njenbet fid) öer*
brie§ti(^ ah, ol)ne ^ur 2n^t ber äftt)eti[c!^en 2tn-
fd^auung ju gelangen. @g giebt tf)otföc|Iid) 3)?en*
fd^en, toeld^e für baS Äomifdie, tüenigftenö für feine
^ö^eren unb tieferen formen, namentlid^ für ben
|)untor fo njenig ^u t)aben finb, tüie anbere furo
Xragifd^e.
9^un liegt aber eben im !omifd)en SBiberfprud^,
in ber 3?er!e^rtt)eit felbft mie im tragifc^en Söiber*
fpruc^, aud^ mieber ein ^Intnüpfungöpunft für bie
äft^etifd^e SSerfö^nung: fobatb mir bie SSer!ef)rtI)eit
ate folc^e entbeden unb unö nic^t fofort öerbrie^licl
ober gleic^giltig abmenben mie ber ^fjilifter unb
gebaut, fo regt fid) in unö bog ®efüt)I ^^erfönlid^er
Ueberkgen^eit über ben offenbaren SBiberfprud^, unb
biefeö ®efül)I ^at ot)ne meitereö einen pft|d)oIogifd^en
Suftmert, rei^t bagu, mit einem gemiffen S5e^agen
in it)m ju oert)arren — ha^ f)eifet alfo aud), ouf bie
— 211 —
^InfcljQuiinfl bcö SBibcrfprudjce fiel; cin^ulaffcn. 9?ur
ift baboi 5unQrf)[t nod) bic SD(bflIicl)fcit öcfleben, bafj
baö S^k'U'ujitjcin fid) Jucniflcr auf bie SIn[d)Quun9
fclbft alö auf baö pcrfönlicl)c llcbcrlcöcnl)citggcfül)(
lon^eutricrt; baun ift bie Unluft im allgemeinen
jwar geljoben, aber eg ift bod) nod) feine redjte
Suft an ber <Sad)e, an ber äftljetifdjen 5(nfd)auun9
felbft ha, fonbern met)r eben bie Suft am ®efüt)t
ber lleberlegenfjeit über bie (Badje. 2)aö giebt
bann bie Suft beS (Spottend, §i)^nens^, ^oppenö,
^änfetnig, bie Suft ber bloßen Sronic, bie einerfeitfi^
meift feljr ungut egoiftifd) ift, anbererfeitä bod) eigent*
lid^ !ein rein äftl^etif^eö 5(nfd)auungöüer^alten
fonbern bod) me^r ein praftifd)eö ober t()coretifd)e§
SSerl^alten. Srft ft)enn bie ©ntbedung beö Söiber-
fpruc^g, ha§ befannte „Sa fo!" für eine — man
muB fagen: gutartige, in gemiffem ©inn felbftlofe
unb überl)aupt für äft£)etifc^e 5(nfc^auung angelegte
@eele ober menigftenö ©eetenftimmung bie Ueber=
leitung lüirb gur fc^auenben fetbftbergeffenen ^er?
fenfung in bie offenbare 35erfe!^rt^eit, bann ift bie
üoÜe SBir!ung be§ Äomifd)en ha, bie reine äftl)etifd§e
Suft an if)m. 3)ann tl)un mir mie beim Xragifd)en
innerlich mit — nur nidjt mitleibenb im tragifdjen
©tnne, fonbern mit bet)ag{id)er perfönlic^er (Sin*
fül)tung in bie unaugtt.ieid)Iid)e ^ummt)eit be^
^ofeinS unb beä 5Dtenfd^en; mir finb Iad)enb ober
14»
212
tüenigfteng {)eiter brin in ber ©aclje, bte ja audf) für
un^ atä 9Jienf(^en i^re öebeutung i)at — unb bod^
ebenfo Reiter brüber, toeil tüir ber 58erfet)rt()eit be*
iüufet, üon il)r innerlicf) frei finb. Unb bieiS um fo
me^r, je mef)r h)ir aud) ben fomifd)en 2Siber[pruc£) als
ettPQg menfrf)lid^S3ebeutfameS anfdjauen !önnen, jeme^r
aud) er ettüaö offenbart üon unau^njeid^Iid)er Seben§*
unb 3Selti)er!et)rt^eit, öon geUjiffen notmenbigen
^umm^eiten unb 93efc^rän!ungen bcä ©afein^, über
bie loit unö bann nic^t met)r ärgern, bie mt biet*
mel^r mit (jeiterer (Ergebung inö Unöermeiblid)e
^inne^men — mir alte ^aben ja in un§ felbft bie
?tnfnüpfung§punfte für bie meufd^licle SSerfe^rtt)eit,
ber ^t)itifteT unb ^^ebant !ennt fie nur nic^t. (Sid^
in if)re 5tnfd)auung perfönlic^ einzuleben unb ein^u*
füt)Icn unb bod^ frei barüber ju ftet)en, barin be*
fielet bie äftt)etifc^e Suft am Slomifc^en.
^ud) ^ierau^ ergiebt fid) mieber, ha^ für bie
rein öftl)etifd)e unb öoüe SSirfung au6) be§ ^omifc^en
baö gang 5rermlid)e unb ©rbärmlic^e, 9^id)tige unb
S3ebeutungi§Io)e nid)t taugt; eS mu^ öielmef)r in ber
fomifc^en 3Ser!et)rt{)eit an 9}?enfd)en unb SSerpItniffen
etmaö S3ebeutfame§, S3Ieibenbeö, StUgemeingiltigejS
fein, 'ändj im öoKenbetften, gtoriofeften S3Iöbfinn,
menn er mirflic^ fomifc§ fein, fomifd) befreien, ma^r*
t)aft gu äftt)etifd)er |)eiter!eit ftimmen foll, mu^
etmaio üon @inn fteden, menn aud^ in nod) fo
— 213 —
närrifcl)or unb toller 9?crfct)runö, in bor augcjelaffenften
unb übcrmütic^ftcn fiseri^errunc^. SBcr am ßon^ jaf^toä
Gummen , nn bor oben Srbarmlid^tcit beS
©UiigjicftriQcn, am Dollenbeten ©tumpffinn menfrf)*
ltcl;er 4'^eruntcröcfommenljcit, pt)l)fi[cl)cr ober mora«
lifdjcr ^I^cvtottcruiu], an all bcn Cffcnbicjfciten [id^
crflüfjt, in bencn gar fein fomi[c()crSBiber)'pruc^ älüifrfjcn
@inn unb Unfinn me()r ift, an bem gangen platten
Sammer, ber unS freitid) oft genug aud^ ouf ber
93üt)ne in fogenannten fiuftfpielen öorgefü^rt ttjirb —
ber foH ja nidjt meinen, ba§ er [id^ am Äomtfd^en
erfreue: er erfreut fid) gang einbeutig unb njiber*
fprudjgtoö nur an feiner eigenen 9^idjtig!eit unb
Sämmerlid;feit. Unb ebenfon^enig ift e§ eine ^^reube
am tomifdjen Söiberfprud), menn eine innerlid) an*
gefaulte friDoIe S3anbe über bie 95orfü^rung beS
Gemeinen, DfJid^tgttJÜrbigen, grec^en unb Süfternen
miel)ert ober etn^og öornet)mer fc^mungelt. 2)agegen
fann ein berber et)r(ic§er 6t;ni^mu§, ber au^ bem
an ftd^ c^ä^Iid^en einen 3Biberfpruc^ irgenbmetd^er
Slrt t)eraug^oIt unb überrafd^enb öor bte äft£)etifd^e
5tnfd)auung ftellt, n^irüid) fomifd^e ^erföljnung
fd^affen, !omif(^ befreienb n)ir!en.
^lud) beim ^omifd^en ift of)ne meitereö !tar,
h)oburd) eg bramatifd) mirb, §ur ^omöbie füf)rt:
fobalb fein SSiberfprud^ irgenbmie alä ein menfd^ttd^
bebeutfamer SSiUenöfonflift fic^ entfaltet unb gu einer
— 214 —
^anblung [i(^ geftaltet, bte in t(;rem SBerben a{§
(Spiel üorgefü^rt iverben !onn unb ha§ (Srgebni^ ber
S8etföt)nung mit ben SSerfel^rtljeiten beiS 2)ajein§, ber
l)eiteren Befreiung liefert.
3m übrigen t)at baö ^ragifd^e unb baö Äomifdje
eine natürtid)e innere Xenbeng gerabe auf bie
bramatifd^e ©arfteÖung. jDieö !ommt eben baf)er,
ha^ im Xragifd)en unb im ^omifd)en t)on |)aufe au§
fdpn ein ^onflüt liegt in ber gorm beö SSiberfprud^g
unb baf3 biefer ^onftift fid) naturgemäß am ftärfften
unb bebeutungöüollften entfaltet a(§ menfd)lid)er
SBiUen^fonflüt, atfo aU bramatifc^er tonftüt. ^a«
gilt aüerbing^ öom Stragif^en metjr aU Dom ^omifd^en,
hjeil ber tragifd)e S!onfIift au§fdjließtidj am 3Biberf|)rud^
jtnifd^en menfd^tidjem Sebenmoßen unb Seibenmüffen,
gttjifd^en !räftigem Seben^millen unb leiböoHer £e6eng=
jerftörung pngt, alfo auf menfc^Iid^eg Seben unb
(SJefd)id bef(^rän!t ift — n)öt)renb ha§ ^omifd)c ^toax
gleidjfaüiS in ben menfi^Iid^en SBillenöfonfliften feine
ftärffte 5lu§))rägung finbet, aber aud^ au§erl)al6 ber
menfd^üd^en SSiUen^üorgänge, ja übert)aupt außerfjalb
ber Sebenögebiete beä 9J?enf(^Ud§en auftreten fann.
©leid) in ber Xiermelt g. ^. fann man bod§, ot)ne
fentimental gu merben, nur in fe^r befd)rän!tem Tla^e
üon 5tnatogien beä ^ragifdjen reben — beg Äomifc^en
finbet fic^ aber bort eine Ueberfütte. Smmert)in be*
fommt auc^ ba§ Slomifc^e eine befonbere SSertiefung
— 215 —
unb (£inbiinölirf)fcit, lucnn c« an bcn ^^ro5cffen unb
Äonflittcn be8 mcnfcl)tict)en 2BiUenö fic^ entfaltet unb
aus il;nen eine UeOeräcuflunQgfraft beS S^otjuenbigen
crl)nlt, bie cS fonft nid)t überall I)Ot, bie [id) auf^cr*
i)a\h bcr Ä'omübie l)äufig flcnug inS ß^fö^iflc ücrücrt.
^^raflöbic unb Slomöbic bürfcn atfo, obmol)! baS
^ragifdje unb Stomifd)e nic^t auf fic bejdjränft ift,
bod) eine befonbersJ l;erUorragenbc (Stellung unter
föinttid)cn (Srfdjcinungäs uub 2)arftellungätt)eifen beS
Stragifdjen unb ilomi[d)en t)eon)prud)cn.
3fnbcrer[cil<5 aber Ijat ba!§ 2)vamatifd)c felbft
feinem SSefen gemä§ eine gang auSgefproc^cne
^fieigung, unter allen äftt)eti)d;cn SJJobifilationen
gerabe ba«^ Stragifd^e unb ha§ Ä^omifd^e gum (Siegen*
ftanb fünftterifd)er ^arftcllung 5U lüätjlen. 2)ieg
auö gtoei gufammennjirfenben ®rünben: einmot,
njeit ba§ %tamat\\6)Q im Äonflilte lebt — unb bann,
njeil cö auf einen enbgültigen 5lugtrag be§ jemeit§
gegebenen ^onflüteä t)inbrängt. 2)ie 9)?obifiEationen
beS (Schönen unb einmütigen mit aß il)ren 3Ibarten
unb (Schattierungen !önnen gttjar i^ren 33eitrag gur
allgemein Üinftlerifd^en ©efamtmirfung eine§ Dramas;
geben, inbem fie fid) irgenbmie mit bem Xragifdjen
ober Slomifdjen öerbinben; aber fie fönnen nid)t
felbftänbig unb in it)rer reinen ©rfd^einung ben
©egenftanb bramatifc^er ©arftellung abgeben —
216
trtötat au^gebrüdt: bo§ ®rama !ann fic^ nic^t
borauf 6ejc|rän!en, 5U geigen unb bargufteßen, bo^
unb tüiefern ettt)a§ jd^ön ober anmutig fei. S)eö*
ttjegen nid)t, n)ei( ba^ ©c^öne (unb feine äftf)etif(i)e
SSerluanbtfci^oft) feinen Äonflüt entt)ält, tt)eil üiel-
mef)r fein SSefen gerabe in ber fonfliftlofen |)armonie
aßcr 5um ©efamtcinbrud gufammennjirfenben pft)«
c^oIogif(^=Qft£)etifcI)en gattoren rut)t. @inen ^onflift
entt)alten nun freilief) aud) bie SJcobififationen beö
©r^obenen unb be^ |)ä^licf;en, aber e§ ift nur ein
formal |)ft)c^o(ogifct)er ^onflift im anfd^auenben
<Bubldt, eben fofern bie gunödjft fid^ aufbrängenbe
Unluft am ©egenftanb ber ^Infd^auung erft über*
tDunben merben mu§ burd) bie Suft am öft^etifc^en
^Infd^auen felbft; im ©egenftonb ber 5lnfdjauung
an fid) aber liegt nod) !ein innerer Äonfüft, ber
©egenftanb ttjirft eben einfad) unluftig, haS §ä§tid^e
burd) ha§> unmittelbar llnangenet)me, ha^ e§ an fid^
f)at, ha§ (Sr^abene, inbem e8 bie eingefteUten 9}?a§*
ftöbe gunöd^ft überfteigt. Seibeg !ann fid^ baf)er
mie bag @d)üne mit bem ^ragifd)en ober ^omifc^en
im jDrama öerbinben, aber nid^t felbftänbiger ®egen?
ftanb bramatifd^er ©arftellung merben. 93eim Xta^
gifd^en unb ^omifc^en bagegen liegt fd^on im Dbjeft
ber 5(nfd^auung an fid^ ein Äonflüt, eben im tragifc^en
unb fomifd^en SSiberfprud^ , unb biefen inneren
SBiberf^jruc^ im ©egenftanb ber 3Infd)auung !ann
— 217 —
bic brninatijcl)e !DatftcUun(^ aU einen SötlleniSfonfUft
aufblättern, jjur ^anbtunß entfalten, inS ©ptet
fe^en. ^^^rner brnn(\t baS Xragifdie gan^ un*
hjeiflerliclj, baö Slomifcljc iuenifjftenS ba, njo eö an
einem mcnfd)ticljcn ilonflitt offenbar n^irb, gu
einem bcftimmtcn ?(bfc{)lufj — rtjötjrenb baö
©djöne unb 5(nmutigc, haS ^äfeüdje unb (Sr*
tjabene, aud) ttjenn fie nidjt in rut)enber 3"*
ftänblid)fcit fonbern in lebenbiger Jöelucgung öor*
gefütjrt njerbcn, bod) nid)t notttjenbig jenen alleS
erlebigenben 9fbfd;Iu§ ber iBctnegung üerlangen, ber
bem Urania uncrläfjlidj ift. 9(ud) infofern fommen
bie tragifdjen unb fomifc^en Stonflifte ben gotberungen
beg 2)ramatifd)en om njiUigften entgegen, ja man
fann gerabesu fagen: ber bramatifc^e Äonftift ift
— mit feltenen StuSnotjmen — feinem SSefen nad^
tragifd) ober fomifd); bie beiben naturgemäßen
©ottungen beä S)rama§ finb alfo bie Strogöbie unb
bie ^omöbie.
Slt)atfäd3Üdj giebt eg nun freiüd) eine große
5(n5al)( uon 2)ramen, meldje ben ^onflüt gmar in
ber 5trt beö "Jragifdjen ober Slomifdjen anfpinnen,
aber it)n nic^t tragifc^ ober fomifd) gum 5(bfd)Iuß
unb 5ur £i)fung bringen; fie biegen uielme^r hcn
^rogeß ber trogifdjen Seben^^erftorung an irgenb
einem fünfte unb in irgenb einer SBeife in bie
^Rettung unb 3öieberf)erftellung beö in leibboÜer
— 218 —
ßerftörung 93egriffenen um — ober fte fül)ren ben in
feinem SSefen !omifd§en ßonffüt gu einem S^eU,
too eö @rn[t Xüixh unb nicfjtä mef)r gu tod^en giebt.
@in fotd^eö ©rama |)ftegt man bann enttneber
®rama fd)ted)tn)eg ober ©d)au[piel ober Qud)
augbrüdHd) ^erföt)nungöbrama gu nennen —
unb geitiueilig, tt)ie 5. iß. gegenloärtig, !ann
biefe 5Irt öon 2)rama förmlid) in§ 3Bud)ern
unb Uebern^udjern !ommen. Ueberblidt man aber
bie 9?eii)e biej'er S)ramen fritijd), fo geigt fid) fe^r
rafd^, boB unter iijXGX 93coffe tierl)öttniömä§ig fet)r
tt)enige [inb, bie alö bramatifc^e S^un[tn)er!e ftanb»
l)alten, tieferen 3Sert, bauernbe 2öir!ung beanfprud^en
!önnen. 2)ramen mie Seffingö „9^att)an", ®oetf)eg
„Sptjigenie", ©djiaerä „Zeü", Äteiftö „^^ring üon^om*
bürg" finb fet)r fpärlid) in ber Literatur gefät. ®ie
meiften anbern biefer ?Irt finb nit^tä aU üerpfufd)te
Xragöbien ober ^omöbien, beren SSerfaffer nic^t ha§
^erg ober nic|t bie ^unft t)atten, einen tragifc^en ober
!omifd)en tonfüft fo in ber ^iefe gu faffen, bafs er
5u tragifdjem ober fomifc^em ?lu^trag f)ätte gebrad)t
njerben !önnen unb muffen; unb faft immer mirb
man babei ben me^r ober ttjeniger gelungenen SSer*
fud) bemerfen, ben 9Iu§faII an tragifc^er ober !omifd)er
SSirfung burd) 9?ül)reffefte 5U beden — 9Jüt)rung ift
ein ®efüt)I§3uftanb fd;roac^mütiger 5trt, ber nid^t bie
Äraft t)at, fic^ mit SSiberfprüc^en einjutaffen unb fte
— 219 —
5U übcmiubcn, üichncl)r nur in luibcrfprucljiSdofen,
bitlifl 5U IjQbcnbcn Wffoftcn traurifler ober freubiger
Jfrt [djtüclgt. 3n 5BQt)rl)cit ftcl}t bie 'Bad)e fo — unb
eine aufmcrffomc SSctracIjtunfl bcr genannten flaffifrfjen
©djau[pic(c lüirb c^ bcftatigen: ein ^Droma, baä njcbet
Xraöi)bic nocl) itombbic i[t, ift nur in bcn feltcnen
fällen mögtid^, njo bcr ilonflift an fid^ nidjt fomi[d),
fonbern crnft ift, ot^ne bod^ eigentüd) tragifd) gu fein
— ba^ l)ti^t: eö liegt in biefen ^^ällcn fd^on im ©toff,
tt)ie il)n ber ©ramatifer gur .^onbtung organifiert, bafe
ber ;^cbcn§tüillc unb bie £eben€mäd)te, meldte im
Äampf mit fcinblid^en 9}tQdjtcn liegen, öon üornl)erein
5u [tarf unb [iegeöfidjcr finb, um eine ßerftörung besB
Sebenö, ein mirüid) tragij^eö Seiben auffommen ju
(offen. 2)aö Stragifc^e ift in biefen gälTen glrar atg
eine latente SOtöglid^feit uorl)anben, aber eö finbet
nidjt bie 93ebingungen, ttjirflid) 511 iüerben; eö brandet
nidjt erft umgebogen, umgongen, in 9iül)rung öermöffert
gu merben ~ e§ !ommt gor nid^t ouf üor ber ©törfe
unb Ueberlegentjeit ber ben ®ieg be§ Sebenä Der*
bürgenben 95ebingungen, bie fo ober fo in ben (Sl^oraf*
teren unb ^^erpltniffen begrünbet finb. S)iefe ^öHe
finb gmor im mirllidjen 2eben gor nid^t feiten fonbern
fet)r pufig; aber eö ift eine Xäufc^ung §u meinen,
oll biefe tjöufigen göUe eignen fic^ ouc^ für bromotifc^e
©orfteüung — unb eä ift nur begreiflid^, ha^ man in
biefe Xöuf^ung um fo fieserer öerföHt, menn man
— 220 —
o!^nebte§ tote „bie SÜJtoberne" in bem SBa'^n befangen
ift, man bürfe nur bie SBir!(i(f)!eit, tt)ie [ie ift, auf bte
S3üf)ne fteßen, um ein ^Droma gu fd^affen. ©ine
^äufd^ung ift eö, benn in jenen pufigen göEen ber
SBir!Iid^!eit, mo ber @ieg beä Seben^ öon öornljerein
gett)i^ ift, ift meift entmeber ber Äonflüt überljaupt
nic^t bebeutenb genug, um für ein 2)rama auSgu«
reid^en; ober bie 5Dtomente, fteMje ben ©ieg beö Seben^
fd^affen, liegen gu meit au^einanber, finb gu gerftreut,
3ie!t)en fic^ gu lang f)in, aU bafs fie eine bramatifclje
SSerbidjtung unb ßufpi^ung ertrügen; ober namentlich*,
eö lä^t fic^ auö i^nen fein enbgittiger 5I6fcl^Iu§, !ein
ööHiger 5rui§trag beö Äonflütä geminnen, ber enb*
giltige @ieg be§ Seben§ lä^t fid^ nic^t mef)r geigen,
nid^tmel;ranfd)aulid)mac£)en — manfann if)n t)öc[)fteng
berftanbeSmäfeig erfd^Ite^en ober auf Xreu unb Glauben
aU in 3"^""f* mal^rfd^einlid^ annef)men. Unb fo
!ommt eö bann, ba'^ biefe ^ätle in bramatifd^er ©ar*
fteöung bod^ eben atö unfertige, üerbogene unb öer«
mafd^ene Xragöbien erfd^einen — ober aud^ atö oer«
pfufc^te ^omöbien, benn fef)r pufig i)ätU fid^ gerabe
aug foId)en ©toffen etnjaS 9?ed^te§ mad^en laffen,
menn man fie gar nidtjt ernft fonbern !omifd^ ge*
nommen t)ätte.
Unb fo mirb eö fdt)Iie§Iid§ babei bleiben, ha^ hai
2)rama feiner Statur nad^ entttjeber Stragöbie ober
Äomöbie ift, mäfirenb jeneö 2)ritte nur in feltenen 5tugs
— 221 —
naljmcfällcn eben a(8 SluSnoljmc 5ur bramatifcf)en
SBirflid)!eit wirb, »enn entweber ber ©toff befonber«
günftiö ober bic Äroft unb ISnbiuibualitöt beg 2)rama*
ttfcriS bcfonbcrö bc^u angctljan ift, jene ©c^lüiertg*
feiten gu übcrtuinben unb eine 3(ui8nai)me üon ber
Siegel ju fd)affen.
©iebenteö Kapitel.
Die bramattfd7c Spractje,
|tellt man fic^ auf ben @tanbpun!t beg
jc^affenben ^ramatüersS, fo 6efte§t feine
bramatifd^e «Sdjaffenöt^ätigfeit gunäd^ft unb ^aupt=
fäd^Iicf) barin: einen bramatifc^en ©toff rid^tig 5U
erfaffen, i^m feinen (SJe^alt an bramatifdjen SBißenä?
!onfIi!ten abgufclauen ober einen fold^en in i[)n I)inein*
jufd^ouen, unter bem ®efid^tö|jun!t ber 3öißenö!onfüfte
benStoff gu bramatifdjer^anblung gu organifieren, bie
ß^araftere fo gu bilben, ha'^ fte Präger ber §anbtung
fein !önnen, ben Sauf ber ^anbtung nad^ geipiffen
@runbgefe|en ber Äompofition einguriditen unb gu
fü!f)ren, ben tragifc^en ober !omifd^en ^onfüft ber
Statur beg jtragifd[)en unb ^omifdjen entfpred^enb in
brantatijd^en Ilonflüt 5U oertoanbetn unb §u feinem
nottt)enbigen 5(u§trag 5U bringen. ®a§ i[t bie Xtjötig?
feit ber inneren Formgebung, ol^ne bie fein lebenS:^
— 223 —
fäl)i0Cö 2)rQma juftanbc fonunt; fic fd^afft basJ
bTQmati[d)c Slunftiucrf in feinem 2öefen unb (ye[)alt.
5)amit ejiftiert eö ober erft für ben jDramatifer feUift
als chm^ in feinem inneren ^.^orljanbeneg, nod)
nidjt für ben ßufdjQuer; ja für bcn 2)ramQtifer felbft
ift Co nodj fein fertig auöcjeftalteteg Äunfttoert, fonbern
nur ha§, hjenn aud) nod) fo (ebenbige unb ffare, njenn
Qud; fd)on bi§ tnö ©injelne burd)gearbeitete innere
93ilb eine§ fold^en, ein Sßorbilb beffcn, njoö enbgittig
unb aud) für ?tnberc fd)aubar njerben foÜ. 6«^ t)anbelt
fid) nod) barum, bem innertid) fd)on Geformten aud)
bie äußere ^-orm gu geben, baö in ber ©eele be^
2)ramatifer§ otlein lebenbige @^iel in ein äuBerlid)
fd^aubare^, toirüid^ fpielbare^ @piel umgufe^en.
SSie fd^on am ^fnfang betont, finb bie 3J?itteI
bagu, gang allgemein pft)d)oIogifd) gefagt: %u§'
brudöbemegungen b. t). finnlid) ttja^rne^mbare
©etüegunggüorgänge on ber !ürperlid)en (Srfc^einung
oon 9J2enfd)en, n)etd)e burd^ biefe SeUjegungen
innere Sebenöüorgänge öufeern unb burd^ Sfeufeerung
anberen mitteilen, irgenbujie anfdjautid) mad)en. @g
finb augenfößige 95tienen, ©eberben, Sad)en, SSeinen
unb I)örbare Seujegungen beä ©pradjorganö, alfo
SBorte. ®iefe 3(u§brudgbeiDegungen f)at ber ^ra*
matüer in irgenb einer SBeife fo anguorbnen unb in
einer beftimmten ^Tnorbnung borguf (^reiben, ha^ fie
non a)cenfd)en auf einem beftimmten 'B^aupia^
— 224 —
üoHgoQen unb Don Sintern finnlid) lt)ol)rgenommen
toerben fonnen unb baburd) in bem ?lnjc[)auenben
ein S'jQdjbitb beffcn erzeugen, wa^ aU 3L^orbilb be§
bramatifdjen ^unfttnerfS in ber ©eele be^ ^ra*
matiferö geftanben ift. Unb 5löar ftnb eö genau bie
5lugbrud§bett)egungen, ineld^e ber ^ramatifer bie
öon if)m gefd)affenen S^araftere in feiner ^^anta[ie
\)ai öoügiefien fef)en unb t)i3ren, burd) lreld)e biefe
ß^araftere if)re SBiüenSfonflüte unb bereu folgen
in bramatifd)e ^anblung umfel^en muffen, bamit
biefe |)anblung übert)aupt entftel)e. 2)iefe ^en^e*
gungen ber Dom ©romatifer gefdjauten St)ara!tere
(nic|t bie üom bloßen 9?oI;ftoff gegebenen) foßen bie
auf bem ©c|aup(a^ fpietenben 9)?enfd)en nad^a^men,
ha^ 5Inbere fte fd^auen fonnen — baburi^ entfielt
unb boHenbet ftd^ ha^ eigentliche «Spiet, ß^^r finb
bie 93en)egungen, toetc^e bie bramatifd^en (Sf)ara!tere
in ber ^^antafie beö ©ramatüerö öollgie^en, nic^t
blo^ Sfu^brud^bemegungen im ftrengften Sinne, e§
finb aud^ 93emegungen barunter, bie fic^ ^u |)anb*
lungen Derbinben: boc^ finb aud^ biefe in geujiffem
©inn Stuöbrudöbemegungen, fofern fie einen
SöiEenäüorgang äußern, ba§ ©emollte in fc^aubare
Xt)at umfe^en. Unb jebenfaßö luerben fie für bie
äußere gorm be§ 3)rama§, für ba§> tt)atfä^tidje bra=
motifd)e ©piel, n)enn aud) nidjt immer fo bod) in
bieten gälten ju StusbrudiSbemegungen im ftrengeren
- 225 —
@inn, 5u ®cbcrbcn, iucld)c jene ^anblungen nur
anbellten — einen ^nnbebrud öetabreid^t man auf
bem <3d)auptotj be« ©piet« in 9Birnirf)feit, einen
@rf)iucrt[d)tag ober eine Dt)rfeige nur mit anbeutenber
®eberbo.
3)icjcö Qan^c ©picl ber ^(usibrucEgbenjcgungen,
ba« SBort eingefd)Ioffen, erfinbet unb fd^afft ber
2)ramatifer, baS ift bie äu§ere gorm, in bie er bie
bereite gefdjaffene innere ^^onn feineS jDramaö um^
fe^t; er orbnet biefeS flange ©piet in ollcm SBefent«
lid^en an unb frfjrctbt e^ ben ©pielenben öor — fie
f)aben eg nur nad;5ufd;affen, rid)tig oufgufaffen unb
au^äufüljren, unb il)re eigentliche ^unft befielet eben
barin, ha§ §u t{)un, ha^ Dom ^ramatifer ®ett)oIIte
mit aßer ?fnjd)auung^* unb Uebergeugung^fraft bem
3ufd^auer fpietenb öorgufteKen. ®ie <Sc§aufpieI«
fünft ift glrar ein unentbe^rli(^er gaftor in ber
bramatifd)en Slunft aU einem lebenbigen ©an^en,
aber an unb für fid^ betrad^tet, üon ber fc^affenben
Äunft be§ ©ramatüer^ abgeföft ift fie nur repro*
bugierenbe ^unft fo gut mie bie reprobugierenbe
3J?ufi! — fie \)at nur au§§ufüt)ren, ma§ ber 5)ra*
motifer, ber eigentlid) ha§ ^rama ^robugierenbe,
üorfd^reibt. ^Die griec^ifd^en S^ramatifer troren benn
aud) t{)atfäd)tid^ il^re eigenen 9?egiffeure, bie mir!*
lid^en ßeiter ber 5luffü^rung — äE)nIid^ mie in i^rer
5rrt <Sf)a!efp€are ober aud^ 9!}?oIiere; erft ber !om*
SB e i t b r e <5 1 , S)a§ beutf(5e «rarno. 15
— 226 —
^jltgterte 5D?ecE)Qni§mu^ un[ere§ mobernen Süt)nens
hjefenS t)at ben ^ramatüer in eine ©teUuttg gebrad^t,
in ber er auf bie 5lu§fül£)rung be§ öon i^m 90=
fd^affenen @piel§ aud^ bei Sebgeiten hjenig ©influ^
mel^r Ijat, njenigftenS in ©eutfc^Ianb — in '^xanh
reid^ fd^eint er beffen nod^ ntet)r gu {)aben. 5lber
tro^bem — unb ha^ ift eigenmädfjtigen ober ein=
gebitbeten ©d£)auf^ielern unb 93eruf§regiffeuren
gegenüber, aud^ gegenüber bem ®D|enbienft be§
^ubtüums) mit @d)aufpietgrö§en prinzipiell feftgu*
t)alten: tropem bleibt ber ^ratnatüer ber eigentliche
@d^ö|)fer be§ bramatif^en ©pietg, bie 5tnbern finb
nur feine auSfü^renben Organe. S)ieg natürlidf) nur
in bem gaß, t)a^ er lüirüid) bromatifd) 5U fd)affen
inei^, unb um fo met)r, je „bühnengerechter", ha§>
i)ei§t guni ©piet tauglicher baS '^xama fd^on auö
feinen §änben ]^erborget)t, um fo meniger, je met)r
eg fid^ bem bloßen ^ud^brama im Übeln @inne
nähert unb bon SJegiffeuren unb ©d^aufpietern erft
gu einem mirftid^en bramatifdjen ©piet umgeftaltet
unb eingerid)tet merben mu^.
SBeiter nun aber: ha§> 9)(ittel, moburct) ber
2)ramatifer ben «Spielenben öorfi^reibt, tnaS gefpielt
merben foE, ift eine gan§ beftimmte ^Irt ber 2fu§=
brudSbemegung, bie@prac{)e. @r !önnte e§ i^nen
ja mögti^ermeife mit allen in 93etrad^t fommenben
Sluabrud^bemegungen öorma^en, unb in ben primi*
— 227 —
tieften ?(n|änflen ber bramotifdjcn Stunft Ijot er bog
üljnc 3^y<^'^'t aud) gctl^on. Unter bcn ücriuicfeltcren
S?cr()ältniffen einer t)öf)er entnjirfelten bramatifdjen
Äfunft ift bieö nid)t me^r mbQlid), nid)t nur, njeif
ber 2)ramQtifer nid)t o^ne SBeitereS aud^ «Sd^au*
fpicicr, 9!J?imifcr fein fonn (big auf einen genjiffen
(4)rab, iücnigftenö innerlid^, pt)antafiemäfeig ift eg
freilid) jcber moljre ©ramatifer) — fonbern auö)
lueit ein berh)ide(tere8 bramatifd^eö <3piel eben un=
mögtid) nur Don ©inem öorgemad^t njerben fonn,
audj njenn biefer einen gett}iffen ®rab bon mimift^em
Slönnen befi^t — nid^t fo üorgemad)t njerben !ann,
ha^ bie 5(nbern eä üöllig faffen unb ofine njcitereö
nadjma^en Bnnen. 2)ie ©pradje ttjirb alfo not*
lüenbig gunt §(uä!unft§mittel, alleö ba§ mitzuteilen
unb borgufdireiben, tt)a§ burd^ jeglidfie 5lrt üon STuö*
brudöbeujegung gefpielt rtjerben foK; unb atö not*
toenbigeä ©rfa^mittet für bie ©prad^e ^at ftd^ im
Sauf ber ©ntioidlung bie ©djrift, ha^ „iSudE)" ein*
gefteKt.
^iefe§ SKittel beg ®ramati!er§, feine innerlid^
geformte bramatifd)e §anblung in bie äußere gorm
beg bramatifdjen ©pietö gu fe^en, ift aber bie (S^rad^e
in boppelter SSeife. (Sinmat infofern, alö ber ^xa^
motüer ben ©d^auf^ielern mit SBorten öorfd)rei6t,
iDo unb mie fie get)en unb ftel^en, fid) fjatten unb
ben)egen, SKienen, ©eberben, ^anblungen öoHgie^en,
15»
228
toaS unb tote fte fprec^en foßen — Im^, infoferit er
mit Söorten @|)tetantt)eij'ungen, „9iegtebemer!ungen"
unb bergteid)en gtebt, ettoa aud^ Ston unb ©tintmung,
Wiene unb ©eberbe Dor[dE)reibt, tn unb mit benen
gefprod)en tüerben foE — unb enblic^ aud), fofern
er haS gu ©pred^enbe in feinem SSortlout fpracEjUd^
unb fd^riftlic]^ fijiert. ®a§ unb bergleid^en ift aber
nur hie eine, äu^erlid^e, menn auä) nod^ fo mid)tige
3Irt unb Sßeife, mie bem S)ramati!er bie @pract)e
5um 9}?ittet mirb, t>aä @piel in ^orm unb ®ang gu
bringen. ©tttjaS Slnbereä, mel^r Snnerlic^eö unb nod^
2Bi(|tigereä ift, ha'^ bem ^ramatüer bie ©prad^e ha^
löicf)tigfte Stuäbrutfömittel ift, um ben inneren feetifd)en
SSertauf ber ^anblung, bie ©ntmidEtung ber SöiUenö«
!onf[ifte mit aU i^ren 93egleiterfd^einungen im
äftl)etifc^en @inne anfc^aulid) gu mad^en. 2)ie anberen
5lu§brudäbeh)egungen aEein, 9}?ienen, ©eberben,
äußere ^^at^anblungen genügen baju nictit, menn
ha§> S)roma ni(f)t auf ber Stufe beg ^angeö ober ber
Pantomime fte^en bleiben, bielme£)r n)ir!Iic[)e§ ®rama
fein foß. @o öiet fid^ im ©injetnen burc^ einen
f8üd, eine SD?iene ober ©eberbe, ein ßad^en ober
©eufgen, burd^ Haltung unb 93ett)egung jeglicher ?lrt
öon bem augenbticElid)en ßuftanb be§ inneren fagen
tä^t, fo ausgiebig ber ^ramatüer biefe 9J2ittet für
feine SSirfungen am redeten Ort benu^en mu^, fo
forgfältig fid^ ber erfahrene SDramatifer ^üten mirb,
— 229 —
t)ic( fd)5nc SBortc ju ntacl)en in einem 3tugenbücf,
ujo il)m bcr ©djaufpicter burd^ eine furje ^anb=
ticnjcnunfl ober berßleidjcn bie c^an^e SBittung feiner
583ortc luir»t)egnct)Kicn fnnn: fo genügen bod) für
baö ©nngc bicfc niimifdjen StJtittcI nid)t, um ben
gan,^cn feelifd)en SJ^erbcproje^ beö SBillenö üom erften
9(uftaud)cn beS 5tonf(iftS biö gu feinem enbgittigen
?fu§tTag bem 3"ff^ouer beutlid) unb anfc^aulic^ 5U
mod^en. 3e reidjer unb bertiefter, je tjermidelter unb
umfaffenber, je geiftiger unb feiner biefer ^rogefe mit
oH feinen Segteiterfdjcinungen fid) geftaltet unb ent*
foltet, je mel^r namentlid) eben baö SS erben be§
^rogeffeö gur bramatifc^en ^Dorftellung fommen foll,
befto unentbet)rlid)er mirb bie «Sprache aU 5(u0bruc!
für bog aUeß, beftoft)eniger genügt bie bto^e SJcimif.
2)em Qugenblidlid^enStQnb beö^rogeffe^ im (Singeinen,
ben öorübergc^enben ßuftönben, bie nid^t ha^ eigent*
lic^e SSerben, fonbern mef)r ©rgebniffe unb SSorauö*
fe^ungen be§ SBerbenö finb, aud^ efma eingelnen,
gong hirgen ©tabien unb SBenbungen bei SBerbenö
— benen aüerbingi !ann bie 9}?imif unter Umftänben
fogor ftärferen unb einbringlic^eten Slu^brud geben
a\§ ha§ Söort; für ha^ eigentlid^e innere SSerben
be§ SBillenö aber, für feine öerttiidelteren nament*
lid^ gefüt)Iömä§igen 93egteiterfd^einungen (alfo für
baö Stjrifd^e im ^ramatifd^en) unb öoHenbi für ge*
iuiffe epifd)e 93eftanbteile beg 3)ramag ift nur ba§
- 230 —
9Bort ha§> auSreid^enbe ^TuSbrucfSmittet. Unb tüeif
eben haä SSerben beg 9Bitten!§ unb fetner Äonftüte
bie etgenttid^e ©eele beö S)ramatt[d^en tft, barum tft
au6) hk ©prad^e ha§ tt)i(^ttgfte bramatifd^e 2lu§*
brucf^mittet, fo fel^r eg üon ber Wimit unterftü^t,
obtDol^l eg üon i^r gunjeiten abgelöft njerben mag,
obtool^t eg felbft tüieber gumetlen nur gum Unter*
ftü^ungSmittel be§ 3)ämt[c!^en n}erben fann. ®aö
liegt im SBefen be§ SDramatijdjen abermals fo ftc^er
begrünbet, ha^ eö feinen ^ramatüer giebt, ber be^
bramatifc^en 2Borte§ nidjt möd^tig tuäre — ganj
abgefe£)en üom fpegififd) ^oetifc^en am ©ramatifd^en,
haS' \a of)nebieö Dom 9Bort nic^t gu trennen ift.
Sine anbere ^rage, hk ^toat fc^on lange
ejiftiert aber bodj erft burdC) D^idjarb 3Sagner fo
red^t in bie 2SeIt[)ineingelüorfen toorbeniftjftbie^rage,
ob unb h)ie njeit ha^ bramatifd^e SSort nur aiS ge*
fprodieneö ju faffen fei ober fid) aud^ mit ber
9}?ufif üerbinben ober gar nur in SSerbinbung mit
3J?ufif gelten, ja am ©nbe gar burd^ bie 9}?uftf
überftüffig gemad^t Ujerben !önne? Sllfo bie ^rage
über Dper unb 9}?ufi!brama. ®iefe §rage ift eine
^rage, mag fie auc^ ben eingefd^tt)orenen
SSagnerianern enbgittig getöft fd^einen; anberen er*
fd^eint fie ungemein öermidEelt unb meitauöfet)enb,
fie !ann auc^ in biefem ßwfommenfjang nic^t bi§
inö (Sinjelne öerfotgt toerben. 5tber eö giebt gemiffe
— 231 —
cntjdjcibcnbe, im 953cfcn bc8 5)ramati|cl)en iinb im
SKefon ber SD^ufif bcgrünbctc ®cfid)töpunfte, luelc^c
bie ^ad)Q [tatt 5U öcrcinfodjcn flccignct [inb.
3)?an tpirb Don ^olcjcnbcm auögctjcn muffen,
^ic pft)d)o(oc\ifrfj'äftl)ctifrf)C ÜBirtung ber SJ^ufif üoü*
gicijt fid) in bcn aüßcmcinftcn (yrunb3Ügen fo : burd^
®et)ör8reiäe, 5tfangcinbrüde üermittelt entfte{)t eine
bcftimmtc 'äxt öon S^erbencrregung, bie aber über
bie bIof3c (Srregung ber ©eljörSncrüen ^inaugget)t,
boS gefamte 9lerl)enft)ftem in 9Kitfd)n)ingung üerfe^t
unb fid) pft)djologifd) qIjS ein ©efamtguftanb ber
@efül;t§fpl)äre barfteÜt. 3Bir nennen iljn ©timmung.
S)iefer mufifalifdje ©timmungöäuftanb ift nun aber
nid)t nottüenbig üerbunben mit beftimmten 3Sor=
fteüungen ber anf(^auenben ^^antafie, mit
inneren ©efidjtöbilbern; er fann folc^e gu S3egteits
erfd)einungen ober ^-otge^uftänben ^aben, aber er
mufe nid)t, h)enigftenö nid^t in ber SSeife, ba^ mit
<Sid;erl)eit auf ha^ Eintreten irgenbtt)etd)er beftimmter
SSorftellungen 5U rechnen iräre. StUerbingä !i3nnen
burc^gen^iffetonmalenbeSlIangfigureninnaturaliftifd^er
S^ad^o^mung be§ 3Sir!(idjen beftimmte SSorftellungen
getüedt ttjerben — aber biefeS SJctttel ift bod^ nur
in fel^r befd^ränftem 9J?a§e anmenbbar; eg !ann aud^
auf anbere SBeife, burd^ au^ermufüatifd^e SSer*
anftaltungen, burd^ \)a§ SBort namentlich, bafür ge^
forgt fein ober geforgt loerben, ha'^ fid) beftimmte
232
ßtangeinbrüdEe burd^ Hebung unb ©etuötpung mit
befttmmten SSorfteßungen fd)on für un^ öerbunben
I)aben ober in ber SSorfü^rung eineS mufüalifd^en
S33er!eö aümäl^Iic^ bantit öerbinben — aber auä)
biefe 9}?ögtt(^feit ^at i^re engen ©renken unb be«
rul)t überbieö eben auf nid^t b(o^ mufifalifdjen
9J?ittetn, fd^eibet alfo au§ ber 9!^etrad)tung ber rein
mufüalifc^en 2!öir!ung au§>. Sm orangen ift eö bod§
bein ßufößf be5ieJ)ungätt)eife ber allgemeinen ober
augenblidüdjen inbioibueHen ©iöpofition be§ 9J?ufif:=^
Ijörenben überlaffen, meldte SSorfteßungen an*
fd^auenber 5Irt fic^ i^m mit ben get)örten 0ang=^
üorfteßungen unb ben burd^ fie oermittelten
(StimmungSguftönben möglid^erUjeife berbinben.
9^un finb aber gang beftimmte SSorftellungen
unb SSorfteüungggruppen unerlä^Iid^e Sebingung,
menn un§ ein SBiüenöoorgang beutlid^ merben fott —
menigftenä fomeit fid)'§ um SSillengüorgänge l^anbelt,
bie ftd) im ©emufetfein öollgietjen; eö !önnen
:^öd^ften§ gang allgemeine unbemu^te Biegungen be§
fiebenömißen^, namentlid^ in ber ^orm üon ^trieben
ot)ne ha^ STuftreten bon beftimmten SSorfteHungen
öerlaufen, nur in ©timmung^guftänben fid^ an*
fünbigen, mie fie bie SKufif aßein mit einiger
©id^erf)eit erzeugen !ann. ©arauä folgt, ba^ bie
a^ufif al§> fotc^e fein 93Zittel l)at, SBillenöoorgänge
mit gtoingenber (Sicf)ert)eit beutlid^ gu madf)en,
— 233 —
fiinftlcrifcl) bar^uftcUen, ^um minbcften feine im
Haren iÖctuufUfcin uerlaufenben 5fi3iUeni8üorflänfle.
SBenn nun aber in ber 3)arfteUunfl üon Söillenö*
Don^änflen bad üöejcn beö 2)ramatifd)cn ließt, fo
foI(^t uiciter, baf? bie 5[)(uftf eben biefciJ 2[öefcnt(id)e
nicljt auö^ubrüctcn ocrmag — aufjer c^ Ijanble [ic^
um luenicj beftimmte, triebartige, unter ber ©eioufjts
jeinöfcljiuelle fitf) l)oU5ie^enbe Biegungen beS all*
gemeinen SebenömiUenS. 9Iuf ber anberen Seite
f)abcn aber aud) bie SBiKenöDorgänge regelmäßig
il)rc, luenn aud) nod) fo geringen Segleiterfd^einungen
gcfüt)l!§mäJ3iger 3lrt, menn aud) nur ftimmung^artig;
benn ein gemiffer ®efüt)t!S« ober ©timmungöton
öerbinbet fid) eben mit ben SSorfteüungen, auf ttield^e
bie innere SBiUenöaftion fid) rtd)tet. ^Tiiefe gefü^Iö*
unb ftimmungömäßigen Segleiterfd^einungen be§
SSillenö alfo fann bie SDtufif ^um 2lu§brud bringen
— biefe allein, fie aber atterbingg nic^t feiten üiel
ftörfer, aU e§ mit anberen SluöbrudsSmitteln
mijglid) ift.
3?on bramatifd)er 5Q?ufif, haß l)ei§t bon
S!}tuftf al§ einem felbftänbigen Slu^brudömittet be^
®ramotifd)en fann alfo ftreng genommen gar nid^t
bie 9iebe fein, fo leid)tl)in man biefen ^Tuiobrud gu
gebraudjen pflegt. SSenn man il)n überhaupt gu*
läffig finben mill, fo fann bamit nur gefugt fein,
ha^ bie 9}(ufif ®efüt)le unb Stimmungen errege,
— 234 —
toeld^e toir al§ S^egleiterfd^etnungen öon SBtltenSs
borgängen gu er!ennen im ©tanbe finb. Stuf
mufifatifcEjem SSege taffen ftd^ aljo SSiEenäöorgänge
alö borI)anben anbeuten, tüetc^e iüir nur auä joId)en
95eg(eiterfd^einungen gu erfennen öermögen ober
tüetd^e überl^aupt nur in ber g-orm üon ©timmungg*
äuftönben bie 93en)u^tjeinöfd^tt)elle ü6erfd)reiten; unb
eg tä^t fi(f) ber ßinbrutf öon anberttieitig fd^on gum
SluSbrud gebrarf)ten SSillenäöorgängen üerftärfen,
tt)enn it)re Segleiterfdjeinungen aud; mufüalifd) gum
9Iu§brud gebrad)t merben. Sm ©egenfa^ bagu er*
geugt baö bramatifd^e Söort mit @id)er^eit he>
[timmte SSorfteHungen für bie fd^auenbe ^^antafte,
unb inbem eö biefe atä (SJegenftänbe ber 3öiGen§5
aÜion bor bie ^tjantafie bringt unb etma nod^ mit
gett)iffen nid)t anfdjaulidjen, met)r begriffüd^en 93e*
jeid^nungen nadj^ilft, meldte birefter, menn aud^
ärmer auf bie SSiCenööorgänge felbft l)inmeifen —
fann ha§ SBort Diel kräftiger unb beutUd^er aud^ bie
im t)eflften 93emu§tfein öerlaufenben 2öiöen§t)orgänge
gum STuöbrud bringen. 2)a überbieg bie SSorftellungen
aud^ it)re ®efüt)tötöne mitbringen unb «Stimmungen
erzeugen, fo !ann ha§ SBort aud^ jene ^egteit*
erfd^einungen be^ SSiÜenö bem §örer üermittetn; ja
eö ^at nod^ bie gät)igfeit, eine ber rein mufüalifd^en
naf) öermanbte 5llang= unb Stimmung^mirfung bagu
gu bringen. Se üöüiger bai§ atleö bem SBorte
~ 23Ö —
i^clinflt, befto tücniflcr fann bieSKufif baju tl)un; je
imyoUftanbiöcr cö bem Süort flclingt, befto cljer fann
bte 9)iufif crönn5cnb eintreten ober ben (Stnbruc!
Uorftnrfcn, inbem fic bie 93cg(eitcrfcf)einungen ftärter
l)eri)ürl)obt. S)abci ift übrtßenö nid)t ju üergcffen,
bQJj ba§ bramatifdje 253ort fdjon eine natürliche (Jr*
flän^^unc^ unb i^erftartung burd) bie Wimit i)at,
U)cld)c eine mufifalifdje ©rgän^ung um fo weniger
notiucnbig er[d)einen lä^t, je oölliger fid^ SSort unb
?J?imif 5um STuöbrud ber SBiüenäüorgänge ücrbinben.
'^a^t man baö aüeä fdjarf in^ 5(uge unb uer*
folgt mon eö njeiter in feine Äonfequengen, fo follte
eö nid)t all5ufd)njer fein, in ben fragen ber Opcx
unb beS SJtufifbramaS einen fidleren ©tanbpunft ju
gettjinnen, Don bem au!§ man allerbingö mit mand^en
gangbaren 5ruffaffungen in ^onflüt kommen aber
audj über baß bto^e ®efd)mäde(n unb ©mpfinbeln
ober S^iad^reben öon I)errfd)enben <Sd^lagn)ürtern
l)inauöfommen fann. (£ä rairb nun begreiflid^, tt)ie
bie bramatifd)e ^'unft — aud) nad)bem fte i^re
anföng(id;e enge S5erbinbung mit ber SKufif längft
gelöft unb fic^ gur felbftänbigen ^unft auögen}ad^fen
f)atte — bod) ttjieber bapfommen fonnte, bie 9J?ufif
a(§ §itfe für itire SSirfungen f)eran3Uäie^en; e§ tt)irb
begreiftidj, ftjie man geloiffe I^rifd^e ©tetten beö
^ramaö gum Sieb ern)eitern unb fingen taffen
fonnte; begreiflid^, njie auc^ ba§ im fangen nur ge=
— 236 —
fprod^ene ®rama l)te unb ha Siebet einlegen !ann,
irie e§> gutoeilen burc^ reine SKufü, einzelne Snftru=
mente ober Drd^efter gen)iffe ©teEen üon ®efüt)Ig*
unb ©timmungggetialt nod^ befonberö l;eraugl)eben
ober ettoa gar im ©ingelnen einmal ha& SBort burd^
9J^u[if erfe^en mag. iBegreiflid^ iüirb ferner auc^,
tttie 9iid§arb SBogner bagufommen !onnte, bie
3J?uft! alö ein unertäfelid^eg 2luöbruc!gmittet
für ha§> gange S)rama §u forbern: feiner
gangen Snbiüibualität gemä^ unb unter bem
@inf(u§ @d^opent)aueri§ fud^t er ben SBißen mit
befonberer SSorliebe unter ber S3emu§tfeinöf(i)tüelle, in
jenen SJegionen be§ oßgemeinen SebenSmißen^, mo er
me£)r triebartig h)ir!t unb l^äufig ha& 93en)uJ3tfein unb
bie beftimmten SSorfteltungen füeijt; in biefe 3iegionen
mit ber SJtufi! Iiineingumütilen, bünft itjm befonber^
lüid)tig unb l^ier errei(i)t er aud) feine ftärfften SSir«
fungen. 5tber bie @ad§e l)at au(^ eine anbere @eite:
biefe 91egionen umfaffen bei meitem nid)t ha^ gange
Gebiet ber SBillenäüorgänge, bie eigenttid^ bramatifcfien
SSiUenöfonfliEte üollgie^en fidj ebenfogut unb met)r
nod^ im Ijellen ^ag be§ Seiru^tfeinS unb I)aben jene
bunfeln D^legionen be§ Unbettju^ten nur gum Unter*
grunb. 2)ie SDJufi! aB foIct)e ift aber nic^t imftanbe,
bie bemühten SSiUenööorgänge genügenb beutlid) ot)ne
i>a§> SBort gum Sluöbrud gu bringen — ha§> ift @ad§e
beg 2Sorte§ unb i^m nebft ber SJtimi! bleibt baf)er
237
im ^Droma btc crfte <3teUe, bie entfc^eibcnbe Sc*
beutunfl für bie ^arftcUunfl beg ÜDramatifd^en. 3a
eS ift imftanbc, nur mit .^^ilfe bcr Wimil, o^nc 9JZufif
ein botlc^iltif^cö bramatifd^cöSpiet ^u erzeugen; SBagner
tl)ut iljm Unrcdjt, lucnn er iljm bie 9!JZu[if unter allen
Uniftänbcn alö (Src^ängung ober gar a(S baö hc
Ijerrfdienbe bramatifdje 9fuöbrudömittel aufätüingen
miß — er mirb Don aßen großen S)ramen ber SBelt«
literatur fingen geftraft. Unb eö tommt nod^ einä
ha^u: mo irgenb ber äfttjetifd^e 3^^^ ^^ Xirama
fd^on burd^ SBort unb Wimit erreidjt ift, ha !ann bie
9}2ufi! nid)t nur nic^tö me()r {)in5ubringen, fte fd)äbigt
fogar bie 2Sir!ung, inbem fie gegen ha^ aügemeine
fiebenögefe^ öerftö^t, ha^ au6) ein äftf)etifd)ei§ ®efe^
ift: gegen haS (5Jefe| beg Heinften Äraftmafeeö, ha^
beftimmt, ha'^ bie aufgemanbten SD?itteI im rid^tigen
35erljältniö gur beabfidjtigten Seiftung gu fte^en f)a6en,
menn nidjt mit Unluft gegen bie zugemutete Äraft*
öerfdjmenbung reogiert merben foU. (Sinpf^c^ologifd^er
|)auptgrunb, marum fo SSiete fid§ üon Sßagnerfd^en
9J2uftfbromen mit Untuft, öerftimmt unb ärgertii^
überreizt abmenben, ift eben ha§, maö freiließ ben
SBenigften bemüht ift: ha^ Söagner bie 9J?ittet §ur
©rreid^ung be§ bramatifc^en 3^^*^^^ ^^ unmäßiger
Söeife ^öuft, inbem er überaß hk 9Kufif ^ingubringt,
auc§ mo SBort unb Wmit ben ^tenft aßein t^un
Jönnten. 5)a§ erzeugt ein ©efü^l ber Ueberlaftung
238
unb Ueberreigung, beg unöerfjältniämäjgtgen ^raftauf*
ironbe^, Öegen baS eben einmal nur biejenigen n\d)t
meljr mit Unluft reagieren, beren gan5er pf^d^ifd)*
ptj^fifd^er Drgani^muö of)nebie§ fc^on überreizt ift.
3n biefer 33e3ie{)ung \)at SSagner gegenüber ber
Oper üor iJ)m, bie er ti)eoretifd) fo grünbtid) gerichtet
f)at, m6)t etiua neue 93af)nen e in gef erlagen, fonbern
er f)at nur ben bereite eingefd^Iagenen 3Beg bi§ on
eine ©ren^e üerfotgt, Iüo !ein 2Seiterget)en möglirf;
ift, njo man fd^Iie^lid) mieber n)irb umfe^ren muffen.
2)enn haS gerabe njor bie äfttjetifd^e Xfjor^eit — nid^t
ber einfachen ©pieloper, beö fd)Iid^ten «Singfpiet^,
fonbern ber Oper, mie fie fid) big auf SBagner t^ot*
fäd^Iid) entmidelt f)atte: fo üiel fie oud) an rein mufi-
falifc^en 25?erten gu Xage geförbert ^at, fo lüar fie
boc^ baf)in gefommen, \)a^ fie alleö S)ramatifd;e gu*
bedte, gubautc, oerfdimemmte unb öerfanbete mit
if)rem etrigen ©ingfang, mit bcm h\§ gum [)elten
Slöbftnn getjenben Snmufüfe^en bon allem 9}?öglic^en
unb Unmöglidjen — bi§ fd;(ie§Iid) !ein oernünftiger
5[)ienfd) met)r etn^aS Dom ©ramatifc^en öerfpüren
tonnte unb bie Seute nur nod) um ber 9Kufif unb
ber 5tu!§ftattung millen in§ Xt)eater tiefen, ha§ boc^
ber ©d)aupla^ furo ^rama fein folt. SSenn bann
einmal einer batjin tum, unüorfic^tig mit ber el)rlid)en
50?einung l^erauS^upla^en, bie Oper fei im ®runb ein
äftl)etifc^er llnfinn, fo !lang ha§> aßerbing§ fd^redtid)
— 239 —
imiu für bic 0()ren ber einfcitiöcn 3)iufifmcn[d)cn ;
bicfer 9?aiDc, (Mute f)Qttc fid; aber nur baö gefunbc
(Smpfinbcn bafür beiuatjrt, boft baö 3)rnmatifdje nur
um feine ei(\en[te 51'raft unb üfölrfung c^ebTad)! ipirb,
loenn man feinen natitrlid)en \Huobrud0mitteln fünfte
lid) nodj ein anbereö aufpfropft, unb ^Wax haS eigen*
finnigfte unb rüdfidjtölofefte üon allen, ha^ bem
jDramattfdjen fdjmaro^erl)aft boä befte Seben ausSfaugt.
Unb Söagner, ber bte Stfjortjeit biefer Oper nac^
anbern (Seiten fiin fo n}ot)I eingefcl^en unb fritifiert
^at — er modjt bie <Bad)Q gujor infofern beffcr, alg
er bie SKufif grunbfä^tid) njieber in it)re bienenbe
SteEung gegenüber bem bramatifd)en 3^ed gurüd*
üermeifen miü; aber er mad)t auf ber anberen Seite
bie ^ad)e nur fc^timmer unb füt)rt fie §u it)ren öu^erften
Äonfequengen, inbem er ebenfo grunbfäl^Iic^ bem SSort
unb ber 9Jcinii£ nodj bie 9J(ufif aufbringen unb an
«Stelle ber Dper unb beö reinen ^Dramaä fein SJJuftf*
brama aU baä angeblid) alleinige Äunftroer! ber ßu*
fünft fe^en mill. (£g mirb aud^ no^ eine ßett fommen,
ha man ha§> unb bergleid^en mieber einfetten tt)irb;
5ur ^e'it ift nod^ mcnig unbefangener 93ttcf bafür
öOT^anben.
(Sä bleibt nod) bie ^^^age übrig: \üa§> ift benn
nun aber bramatifdje <Sprad)e? 3Sa§ mad^t bie
Sprad)e bramatifd) im Unterfd^ieb üon jeber anberen
Sprad^e? S)te Stntmort mirb fu^ nac^ allem 93i§s
— 240 —
fjertgen in gebrängter ^ürje geben taffen. 9Btr
bürfen nur totitex fragen: ftjer fprid^t im ©rarna?
— haä ^d^t: nid£)t im SBud), aud) nid)t in ben
3tegiebemer!ungen beö ^Dramatüerö, fonbern im
tebenbigen (Spiet auf bem ©d)aupla^. '^id)t ein
@r5ät)Ier fprid)t, nid^t ein I^rifd)er jDid^ter, fonbern
bie bramatifd^en ßt)ara!tere felbft fpredjcn burd) ben
SD^unb ber fie fpielenben SWenfd^en. Unb gu n:)eld)em
ßtüed fpred^en fie? Unö i^r Snnereö gu offenbaren,
unb ghjor fo, fttie biefeö im Sauf ber |)anbtung —
haß l^ei^t in ben ^onflüten il)re8 2öitten§ unb unter
ben auf fie gurüdnjirfenben folgen it)reä 9BoIIen§
— in bem ftetigen ^ro5e^ eineö unauSgefe^ten
SBerbenS begriffen ift. ®aö bem ßufd^auer gu geigen
in aU feinen @tabien unb mit aU feinen inneren
unb äußeren SSermittlungen — boö ift ber einzige
3tt)ed, gu bem bie bramatifd)en ßt)araftere ben
9)?unb auft^un. ^ramatifd^ ift alfo bie @prad)e
nur bann, hjenn — unb nur fon)eit, al^ fie biefem
3tt)ede bient: jenen SSerbeproge^ bor unfern ?Xugen
auSgubreiten, i^n entftet)en, fid) entn)ideln unb ber*
n)ideln, löfen unb abfd^tiej^en gu laffen, uni§ fo
t)ineinfd^auen gu laffen in ha§> SBerben be§ SBiöenä
unb feiner t^olgen, ha^ eö ift, als erlebten tohß un«
mittelbar fetbft, alö njürben trir mit, n)ät)renb bor
unferen 3tugen etwaß voith. ^aä bramatifd^e
(Spre^en ift ein fortn)äf)renbe§ herausarbeiten ber
— 241 ~
SöitlcnSüotflQnge unb it)ter ©egteiterj'rfieinungen au8
bem Innern ber (Stjaraftcrc, ein herausarbeiten für
ben ßufffjflucr, aucf) n)enn bie bramatifd)c ^^erfon e*
wod) fo intim mit [id) jelbft 5U tt)un I)at; baburd^
ba^ fio fprid)t, mcit)t [ie unsS in itjre intim[ten ©e*
l;cimniffe ein, fo ba^ fie wie unfere eigene ?lnge*
Iegenl)eiten mcrben — unb bicfe (5Jet)eimniffe finb
®el)eimniffe beS inner[ten Sebengmiüeng. hierin
liegt unter onbcrcm audj bie ^Berechtigung beS biel«
angefod)tenen 9}?onologä — frcilid) aud) bie ^renge
feiner 93ered^tigung. SBo eine ^-|5erfon im gegebenen
5lugenbüd für jenen ^\ded nidjtg SSid^tigeä unb
SBefentlid^eig 5u fagen unb gu offenbaren f)at, too
eine furge 3tnbeutung genügen ober gar ftär!er auf
unfere ^()antafie tüirfen mürbe ober mo mit anberen
3J?itteIn einfad)er, natürlicher unb einbringlid)er ber
93licE in bie inneren SSorgänge eröffnet merben
fönnte, ba t)at bie ^erfon allerbtngö !ein brama*
tifc^eä Sted^t, in unferer ©egenmart laute @elbft=
gefpräd^e gu fütjren, etma nur um ftd^ felbft ju
befpiegeln, um eine Sude aufzufüllen ober um beö
^ramatüerg r^etorifc^e ober :poetifd)e S3egabung auf=
gujeigen; ha ift baä aEeä unbramatifdje 9^ebnerei,
unb fei fie nod) fo fc^ön. ?lber eö giebt göEe, in
benen eä bie Oon ber bramatifd^en ^anb(ung ge*
gebenen Umftänbe mit ftd^ bringen, ha^ ber ein*
fame 9Kenfd§ unä nur in fein 3nnere§ bliden
SEBettbre^t, X)a3 beutfcbe Scamo. 16
242
laffen !ann, inbem er ba§, toa§> in tt)in borget)!,
felbft auöfprtd^t — man ben!e nur beifpielSttteife an
bie SRonotoge §amtet§, bei benen e§ be[onber§ !Ior
liegt. (Sogar in ber SSirHicIifeit, auf toelc^e bie
(Siegner beg SJ^onotogg pod)en, üoßgie^en fic| feelijd)e
SSorgänge nic^t feiten auöbrüdlic^ fo, bofe fte firf) in
SESorte faffen, ja bie innere Erregung füt)rt ben
5D?enfd)en pufig ba^in, \>a^ er biefe Sßorte laut
fprid^t, aud) tt)o fie fein SJJenfd) l^ört ober l^ören
foH; fprid)t er fie aber in 2Bir!Iid)!eit nid^t laut, fo
mu^ er fie bod^ im ®rama laut f^rec^en, benn ba
:^at er 3ut)örer, Ujenn aud) nid;t ouf ber öü^ne, fo
bod) im ßufc^auerraum — 3ul;örer, ha§ Reifet in
biefem %aU SJJenfc^en, bie beömegen im ßufd^auer*
räum antoefenb finb, ioeil fie 'm§> innere be^
SD^enfd^en auf ber 93ül)ne fetjen UJoUen; ha^ fönnen
fie aber in biefen gälten nid^t, hjenn ber SWenfd^ auf
ber 93üt)ne nicE)t laut fprid;t, ma§ ber 90?enfd) ber
2SirfIid^!eit nur in fid^ {)inein fpräc^e. (Sin anber*
mol freilid) DoHgieljen fid^ bie in grage Jommenben
feelifdien SSorgänge in ber 2öirnid)!eit nur in ber
gorm üon SSorfteHungen unb bamit öerbunbenen
®efüt)Ien unb @emüt§ben)egungen jeglidjer SIrt;
aber im bramatifd)en @piet foEen fie fid) eben nic^t
bto§ t^atfäd)Iid) üoÖgie^en, fonbern fie foGen bem
3ufd)auer offenbar unb beutlid^ njerben. 2)a§ aber
Qif)i unter Umftänben einfach nid^t anber§, aU
— 243 —
inbcm tt)nen üföorte öclicljen luctbon; biefe SSortc
aber muffen üon bcn ®pie(enbcn laut gefpro^en
iDcrbcn, lucnn fie gcl)ört njcrben unb it)re SBirfung
auf ben 3"ic^flucr tf)'un foUen. 2öie foE un^ benn
.^amlet flctuiffe SSorgnnfle feineS Innern, öon benen
!ein SJ^cnfd) in ^nnemar! eine Hfjnung Ijobcn barf,
bie aber unö offenbor fein muffen — mie foll er fie
anberg gur bramatifdtjen SBirfung auf unS bringen,
alö inbem er feine ©ebanfen, 33orfteEungen unb
(SJemütöbeluegungen in SBorte umfe^t? Äann er un§
ettt)a baä alleS mortlo^ oormimen? könnte ha^
nur aud; bie 9}?ufif uniS uollftänbig öermittetn?
dlein, am redjten ^la^ ift ber SJJonoIog nic^t nur
fein 3trmut§5eugni§ ober Südenbü^er unb ebenfott)enig
ettoag bramatifd^ Untt)al)reg, oietmeI)r efma^ 95e=
redjtigteg unb S^ottoenbigeö unb überbieg eine ganj
befonberg benjeiöfräftige ^robe bafür, ob ber S)ra=
matüer ein bramatifc^er ©id^ter ift: benn nur ber
®idjter t)Ot bie Slraft, ben an fic^ üielteid)t toortlofen
©eetenüorgängen folc^e (S|)rad)e §u leiten, ba% eg
bem §örer ift, alö fäl^e er ben SKenfd^en füllen,
benfen, tooßen ober alö erlebe er felbft bie inneren
SSorgänge be§ bramatifc^en (5I)ara!terg. S)te moberne
^[bneigung gegen ben 9)?onoIog fommt offenbar nid^t
nur auä ber oberfläc^lid^en naturaliftifc|en S^tjeorie
fonbern aud^ au^ bem ftiEen Setou^tfetn :poetifd§er
Ungulänglid^leit.
16*
244
®a§ au<S) im 3J2onotog bramattfd^ ettüaö rüden
unb öont %Ud !ommen mu§, toenn er fein 9?ed§t
l^aben fott, ttjurbe fci)on in einem frül^eren 3^1*
fammen()ang erörtert. 5lber aud^ njo fonft bie im
S)ramatifc^en enthaltenen I^rifd^en unb e^ifd^en
(Stemente fid^ geltenb mad)en, wo ein ©efü^Iö^uftanb
ftd) einmal touter unb üoUer auö[prid^t, tt)o etma«
®ejd^ef)eneS berid^tet merben mu^, föQcn ha^ bie
bramatifd^en ^erfonen, menn fie njirflid^ bie bra*
motifd^e 'Bpxa^e fpred^en, in einer SBeife, ha^ e§
alg ettoag Sfleueö im bramatifdjen ^rogefe erfd^eint,
"öa^ mir t)erauöt)ören, lüie ber ®efü^Ii§äu[tanb ober
bie Gegebenheit auf haS bramati[d)e SBerben mir!t
ober au§ it)m !ommt, bie in ^rage Jommenben
«Stabien ber 2öitten§entmidlung ab[d^lie§t unb [gu*
gleid) meiterteitet. [j%ü6) in ber @prad)e be§ ^DramoS
ift immer eine Spannung üon ber ©egenmart nad^
ber ßii^unft. Unbromatifd^ bagegen i[t bie ©prad^e
immer bann, menn fie — ob aud^ nod^ fo fd)ön
— über fertiges unb 3(6get^aneg beMamiert, fei eö,
ha^ (SJefuf)t§5uftänbe in SSorten breitgefd^tagen
merben, bie nid^tö ober nid^tö met)r für bie Söeiter*
entmidlung ber 3Bittenö!onfti!te gu bebeuten f)aben,
fei eS, ba^ 93egebenl)eiten unb ©reigniffe um i|rer
felbft bitten berichtet merben, o^ne ba^ fie in ber
Slrt unb SBeife, mie fie berid)tet merben, Oon @inftu§
auf bie 93ett)egung ber SBiEemSfonflifte mären.
— 246 —
$)ie bramatifrf)c <3pracf)e befommt be^tocöen,
im Untcrfrfjieb namcntlid^ öon bet epifdjen, nid)t
feiten ettüQö Siud^ unb ©to^iüeifeS, 5(t)brc(^enbe8
unb ^tbfpringenbeö, ja UnTul)igeö unb ß^^^^iffcneö,
ein ^inunbtjcr üon ©djlog unb (Ä'egenfrfilQg — ge*
tabe fo, Ujie bie SBiUenSüorgänge, ttjenn fie in ber
<SeeIe Serben, i^re unrutiig f)in* unb I)erget)enbe
SBellenbenjegung Ijaben. Unb fie bebarf einet
Änapptjeit unb ©ebrungentjeit, bie Don ber auöfüf)r*
lid^en 33reite ber @r5Ql)(ung ficf) t)immelnjeit unter-
frfjeibet, bagegen mit ber ©prad)e ber reinen S^rif
infofern immerijin einige 33ertt)anbfd^aft Ijat; fie
fann 5mar an einzelnen ©teilen fic^ aud) gu
rI)etorifd)er güKe unb öoHtönenbem SfusSbrud ber
Seibenfd^aft entfalten, aber ha^ ift nid)t ber ©runb^
djarafter ber bramatifd^en @prad)e; fet)r I)äufig öiel-
met)r begnügt fie fid) mit 5tnbeutungen mie bie
@))ra(^e ber S^rif, nur aug anberem ©runbe: bie
ß^rif üertoeilt bei ber @ad^e, inbem fie anbeutet,
ha§ ®rama mill rafdi üormärt^, unb mo ein SBort
genügt, braudjt e§ nid)t gmei ober brei. Sm 5)rama
ift jebeö unnötige SSort nid§t nur überflüffig (unb
fpred)e eö felbft ein ©djiUer!) fonbern gerabegu
fd^äblid), bie 2öir!ung abfd^mäd^enb — teilö be^megen,
med alle bereite beutlid^ gemorbenen 9}?omente bet
|)anblung öon felbft meiter leiten unb öormärts
brängen, it)re ftumme ©prad)e fpred)en; teilö aber
— 246 —
aud^, tüetf im bramotifd^en «Spiet alle anbern
^tuäbrudäbetüegungen mitf)elfen, tüeit ha§> gonge
©^jiet ber Wimxt (unb öoögie^e eä fid) nur in ber
^^antafie) t)unbertmat eine furge ^nbeutung in
SBorten genügen tä^t ober gar einmal jebeö SBort
überflüfftg ma6)t, too ber (Srjäfjter noc^ aüe^
SDJögtid^e au§füt)rlid) jagen mü^te.
2)ieö aUeö brüc!t aud^ ber äu^ertid^en Sprach*
form, ber 2Bortn)at)l, bem ©a^bau, bem 9i^l)t^mu!3
be§ SSerfeö mit innerer 9^ottt)enbtg!eit feinen ©tempet
auf — foHte e8 »enigftenö t^un unb t^ut e§ aud^,
njenn ber 3)romati!er ein bramatifd)er ^ic^ter ift.
@8 ins ©ingelne gu Oerfolgen, ttjurbe gu njeit in bie
fragen ber allgemeinen poetifc^en @prad;ted^nif
fü{)ren. 5tudf) über bie SSernjenbung ber ^rofa*
fpracf)e ober be§ SSerfeg im ®rama laffen fid) au3
bem 3Befen be^ 2)ramag unb ber bramatifc^en
Sprache !eine allgemeinen ^^orberungen ableiten,
^ier t)anbelt e§ fid) teil§ um eine ©titfrage, bie nur
im gegebenen ©ingetfaU i^re ©rtebigung finben !ann
unb me^r praftifd) alö tt)eoretifc^ gu töfen ift; teitg
h)ürbe aud^ ha^ tt)ieber in ein attgemeinereö Kapitel
ber 3teftt)eti! ber S)id^tfunft fütiren. Smmert)in tt)irb
fid) foöiet fagen taffen, ba§ bie ©prad^e ber ^oefte
il^rer ^atux gemä§ immer njieber in te^ter Sinie
auf ben 9'tt)t)tl)mu§ ^inbrängt, unb ha^ biefer innere
S)rang fic^ aud^ auf bramatifd)em ©ebiet nic^t oer*
— 247 —
leugnen n)itb, bort üieUeic^t [ogar ftc^ in öerftärftem
2J?a^e geltenb mad^en !ann, ipcnn aud) ntd^t in
fotdjcr <Stärfe wie in bet 2\)xit, [o bod) etfieblic^
[tätter aU in ber er5äl)(enbcn 3)id^tung.
STd^teg Kapitel.
Poctifd? nnb X)ramattfd7,
Dramatifd? nnb Ctjcatraltfd?.
fie bte f(i)riftltd^e ^eftlegung beS bramotifd^en
©pieteg bog 2)rama auf ben S3oben ber
Siteratur rüdt, obtöof)t eS ntd^t öon ^au§ auö unb
feinem SBefen nad^ gu ben ttterarifd^en Srgeugniffen ge*
^ött — fo tritt ha§ 2)rama al§ ÄunftttJerf inö Gebiet
ber ^oefie, obtt)ot)I an ber öößigen 5tu§geftaltung
beg bramatifc^en ©pielS auf bem ©d^aupta^ nid^t
bie ^oefte aüein beteiligt ift. 3tl§ ÄunftttjerÜ SBitt
e8 !ein Äunfttt)er! fein unb nid)t alg fold^eS gelten,
fonbern nur ®elegen()eit gu einer beftimmten Strt
üon Unter^ttung unb ßeittotfd^tag geben für Seute,
bie gerabe ni^tg S3effereg gu if)un tt)iffen, bonn
aßerbingS brandet eg bie ^oefte nid^t gu bemühen.
SSon biefer ©orte ift ja aUerbingg, feit eö ein X^eater
— 449 —
im mobcrncn 8inn, alö ftänbifle einrid)tunö Qiebt,
bte öTofec aWaffe be« aUtäfl(ic()cn ^()eaterfutter2S, an
bem fic^ ber feinere ober ßröbere ^öbet Dctönüßt
unb mit bcm bic Xljeaterlcitcr it)rc Äaffen füllen.
S!J?Qn fann barübcr ftreiten, ob unb lüie ftjeit eef aud)
ein folc^efii 3)rama nieberen 9kngeö, baS blofeeg
^l)eatcrftücf ift, tf)atfQd)lid) geben muffe, wie »eit
bas; ^t)eater, n)ie eg nun einmal ift, audj bem aß*
tQQÜdjen UnterljaltungöbebürfniiS ber ÜJtenge ju
bienen I)abc. Unb foweit bie ?(eftf)etif, getoiffermafeen
aB 5reftt)etit be§ täglichen Sebenö, and) bie formen
ber alltäglichen Unterl)altung in ben Sereic^ i^rcr
SSetradjtungen unb Unterfudjungen gietjen njill, mag
fie aud) biefem Xfjeaterfpiet if)re 5Iufmer!fam!eit
fdjen!en fo gut mie bemßi^fu^ ober bem „SSariete."
Slber au§ ber ^feft^eti! beg ^rama§ im ftrengen «Sinne
fdjeibet bie 93etrad)tung beg 93üf)nenfpiels au§, ha§
öon ber bromatifd^en ^unft nur bie äußeren formen
borgt, aber im 3Sefen anbere ^roede üerfolgt ot§
Üinftlerifc^e, auf bie Stufe beö ^auhtoexU herunter*
fteigt, mag biefe^ aud) einen golbenen 93oben ^aben.
^a§ S)rama alö Äunftujerf aber njirb §um
poetifd^en ^unftttjerf fc^on boburc^, ba^ fein üor*
net)mfteg unb unentbeljrlid^fteö 3lu§brudömitte( bie
©prad)e ift; fo, ttjie e§ aug ber |)anb feinet ©c^ö))ferä
^eröorget)t alö ©egenftanb ber 2)arftellung für haä
lebenbige ©piel auf bem (3d)aupla|, ift eg ein fprac^*
— 250 —
lic^ geformtes ^unfttoerf, atfo fd^on unter biefem
®efic|tgpun!t ein SBer! ber ^tc^tfunft — haß SBort
Äunft natürltd^ im ftrengen ä[tf)etijd)en @inn gefajgt,
nid^t in bem njeiteren, in bem and) eine Siebe ober
eine miffenfc^aftlic^e 2t6l)anblung alg ein fprad^Iid^
geformte^ Äunftnjerf begeid^net merben !ann. ^Tber
nic^t nur bie äußere ©prac^form macr)t ha§^ ®rama
5um poetifc^en Äun[ttt)erf, fonbern ebenfo unb im
legten ©runbe bie innere bramatifd)e gorm, au§
toelc^er bie äußere alö poetifc^e {)eröortt)Q(f)ft. @in
perfönlid^er Seben§get)alt, in eine @toffn)ett öon
Silbern unb ©eftalten t)ineingefü^tt unb ^inein^
gefrf)aut, in unb mit biefer <3toffn)eIt öon ber
fd^affenben ^^antafie unter bestimmten inneren
ilunftgefe^en organiftert unb geformt unb gnjar fo,
ba§ bie fo entftanbene innere gorm burd; ba^
^luöbrud^mittel ber Sprache it)re äußere ^orm be^
!ommen, ber STnfdiauung anberer »ermittelt merben
tann — bog ift boc^ njot)( ^oefie, haß ift ber poetifd^e
®ef)alt eines fprad^tid^ geformten 5lunftmer!eS, ber
eS t)on anberen fprad)Iid^ geformten ©eifteSergeugniffen
unterfc^eibet. ©inb aber jene inneren Äunftgefe^e,
unter toeld^en ber @et)att organiftert toirb, bie ©efe^e
ber bramatifd^en Äunft, fo ift bie poetifd)e ©djöpfung
bramatifc^eS ^unftmerf unb haß bramatifd^e Äunft*
njer! ^oefie.
@o ift eS im ®runbe felbftöerftänblid^, obtt)o^l
— 251 —
€8 aud nat)e(icgenbcn (^Jrünbcn audbtürfticl) feftgeftellt
iucrbcn mu§: ba^ ber <3d|5pfer einei^ S)ramaS äußleic^
ein jDid£)tcr fein mufj, bafj nur ein bramatifdjer ^idjtet
ein tuirttid)cr SDramatifer ift, nid^t aber jeber 93üf)nens
l^anbiüerfer, ber nur bie äufjeren formen be<^ bra*
matifdjen ©pielö benü^t, um irgenbnjetdje anbere
ßtnede 5U erreirf)cn alö bie ber bramatifd^en Äunft*
lüirtung. 'Slnv ber probuJtiüen bid^terifd^en ^^antafie
gelingt eö, in bie £ebeniS5ujamment)ängc unb i^ebenö*
fonflifte beö Sdienfd^enbajeinä mit unmittelbar
fdfiauenbem S3tid£ [0 tief einzubringen, baf] fie ausJ
bem 9ftol^ftoff eine lebenbige bramatifd^e §onbIung
bilben tann; nur ber ^'id^ter öermag feine ^jerföntid^e
SBeltanfdEjOuung fo in ben @tof[ tjineingufü^fen unb
Ijineingufd^ouen, ha'^ fie aud) mieber aus ber bra=
matifdjen §anblung t)eraugfd)aut unb ^erau^gefü^It
ttjerben !ann, unmittelbar im 2)rama unb auö bem
3!)rama Übt unb mir!t. ®ie üerftänbige (£r!enntni)S
beS geiftöollften unb tiefftben!enben SD?enf(^en, ber
feine |)robu!tibe S)id)ter))f)antafte befi^t, reicht baju
nid)t auö — ebenfomenig aber bie blo^e Kombination^*
gäbe jener nur reprobu!tiöen ©d)einbramati!er, bk
mol^I aßerlei ge^en beg beobadjteten mirHid^en ßebenö
mit äußerer Stt)eaterte^ni! gu einem ©tüdE gufammen«
fdimei^en aber !ein 2)rama geftalten !önnen, beffen
^anbtung eine ein^eittid^e, in ftd^ abgefd^toffene, Don
innen unb au§ ber 2;iefe beä 3J?enfd^eng(eben^ ^erau^
• — 252 —
tüirfenbe Offenbarung über ÜJZenfdjentritlen unb
HKenfd^engefd^irf bietet. 9^ur ber 2)id^ter ift ferner ber
fidlere 90?enfd^engeftalter, lüetd^er tnnerttd^ tebenbtge,
nid^t blofe aug ©ingelgügen äu^erlid) gufammen*
geleimte SJ)Qraftere ^infteHen !ann — ß^araftere
üon jener 2eben§tt)al^rt)eit, njeldje toeber burci^
peinlid) getreue 9?acE)biIbung eineö suföüig öor*
{)Qnbenen 9}?obeII§, nod) burd) irillfürlidje 3)?enfd)en*
fonftru!tion einer ^altlofen 2(ßtaggpt)antQfie gefd^affen
toerben !ann, fonbern nur burd^ bie intuitive Srfaffung
beö 3öefentlid)en im SD^enfdEjen gugteid^ mit ben inbiöi*
buellen menfd)Iid)en S5efonberI)eiten — (5t)ara!tere,
beren innerfter Sebenötüiße mit aller inbiöibueHen
©d^Örfe öor bie 5tnfd)auung tritt unb unö bod) bie
5(f)nung unb boö ®efüt)I giebt, bafe unb tüiefern ber
©ingeltüille am allgemeinen 9[)?enfd^engefd)id mitmirft.
9^ur ein bramatifd^er SDid)ter mirb bie Äompofttion!S:=
gefe^e be§ ®rama§ nid^t ai§ äu^erlidje Siegeln ^anb*
i)ahen, fonbern it;re2(nmenbung in jebem ein5etnengaE
au§ ber großen ®efamtanfd)auung feinet 9Ser!e§ I)eraug
in bie |)anb be!ommen, fo ba^ fie mit bolter greil^eit
unb bod^ in ftrenger S^Jotmenbigfeit fid) tüie üon felbft
OoIIgiefien. 9lur bie ®id^terpt)ontafte üermog bie
tragifd^en unb fomifdjen Ä^onflüte fo in bie SCiefe §u
öerfotgen unb an ber SBurgel gu faffen, ba^ fie ftd^
oon innen ^erauö gu anfd^aulid^em bramatifd^em (S|)iet
aufblättern laffen unb nad) i^ren eigenen ©efe^en
- 253 —
5um übcr^cugenben 5tu8trag !ommen. Unb nur bcr
S)id)tcr bcfifjt jene übüigc ^errfcfiaft über fQmtttrf)e
für baö bramatifdjc «Spiel nötigen ^tuöbrucföbe*
lucgungcn, namenttid) aber über bie ©prac^c, o^ne
tuctclje c8 nidjt mögtid) ift, baö innerlid) ©efdjaute
unb Geformte aud) in bie äußere bramati[d)e ^^otni
umäufe^en. ßlüar braud)t er, tüie früt)er fc^on an*
gebeutet, ntdjt «Sdjaufpieler ^u fein, bie Wimit nic^t
als eine Äunft äußerer 2)arfteIIung 5U be^errfd)en;
aber in ber ^fjantafie fiet)t er SD^ienen unb ®eberben,
Sachen unb 2öeinen, ®ang unb Haltung feiner brama*
tifc^en ^erfonen, prt er Ston unb ^lang ber ©timme,
füt)(t er ben gangen ^roge^, mit bent bie feelifdjen
SSorgänge fid^ in förperlid)e @id)tbarfeit herausarbeiten,
fo beutlid^ tt)ie lEein anberer au^er ettt)a ber if)m nad^*
fd)affenbe Sc^aufpieter; unb biefe «Stärfe ber inneren
Slnfc^auung giebt it)m bie ^raft, baS Spiet ber ^tuS-
brudSbewegungen tt)ir!fam anguorbnen, öorgufd^reiben,
mit bem 3Sort tnS SSer^ältniS gu fe^en ober inS SSort
umäufe^en, furg bie oon i^m gefc^auten ®f)ara!tere
in jebem Hugenbtid auc| in bie fic^tbare Setoegung
beS bramatifc^en Spiels §u bringen. SSor allem aber
bie Sprad^e ift ja fo red^t fein eigenfteS 5(uSbrudS=
mittel; unb feine nur it)m eigene, angeborene, menn
au^ burd) nod^ fo öiel Hebung gur SO^eifterfd^aft ent=
midelte £unft ift eS, ben bramatifc^en SSorgdngen
jebergeit gerabe bie Sprad^e 5U leiten, bie fie i^rem
— 254 —
Söefen gemä§ forbern, bie al^ bte einzig ri(i)ttge unb
übergeugenbe unmittelbar unb oI)ne ß^^ifel empfunben
ioirb, je na6) Wa^Qahe beö gegebenen %aik§. ©d^on
an ber ©prad^e eineö SDramaö, fei eö nun ^rofa*
jprad^e ober Sßeräjprad^e, tä^t fic^ ernennen, ob e^
oon einem S)id^ter ftommt ober nur öon einem ge=
fd^idten ©ül)nent)anbtt)er!er; unb ber ^id^terberteugnet
fid£) aud^ in ^rofa fo menig, alä firf) ber |)anbn)er!er
in feinen 33erfen öerbergen fann.
Äurg, ba§ SSerf)äItni§ Don ^oefie unb S)rama,
^oetifd^ unb ^ramatifd^, fteHt fid^, öon biefer ©eitc
gefe^en, fo: ber äftfjetifdje ®e{)alt unb 3Sert eineg
Dramas, bo§ alö Slunftioerf gelten barf, ift 5ugleicl)
poetifc^er (5Jet)alt unb SSert, bo§ ©rama aU ll'unft=
loer! ift 5ugleid^ ^oefie, ba§> 2)ramatifd^e irirb gum
^oetifd^en, toie ber ^Dramatüer eg erft n)ir!Iic^ ift al^
^id^ter. (£<§ ift infofern fein abgefd^tt)öd)te§ £ob,
fonbern enttoeber ein Unfinn ober ein Oernid^tenber
Xobel, n>enn njir in einer Slritif lefen: ha§> ®rama
Ujöre gong gut, nur ^at eö feinen poetifd[)en Söert!
Xt)otfäd^Iid^ giebt eö benn audt) fein SDramo öon einiger
Sebeutung, ha§ nid)t bon einem jDirf)ter f)errü^rte,
aße grojgen 2)ramatifer OoIIenbg finb gugleid^ gro§e
^id^ter — unb f)iergegen fommt aud^ Seffingä @elbft*
geugniö, ha^ er fein S)ic^ter fei, nid^t auf: benn feine
brei großen ©ramen ertoeifen if)n eben bodj aU
2)idt|ter, loenn aud^ aU einen, ber nur im ©rama^
unb Qurf) bo nur tanflfnm unb mit ^i(fe bcr Äritif
5ur ®rb^e öcbicl)cn ift.
9(bcr bic «Sncljc I)at audj nocl; eine anbete
Seite: nid)t alleö ''^oetifclje ift ^u(\Ieid) bromattfd), ber
poetifdje 2Bcrt cineö 2öer!eö allein üerbürgt nocl) nid)t
feinen bramatifd;en, ber2)id)ter als folc^er ift bamit
nod) nic^t ^ramatiter. ?(ud§ baS ift eigentlid^ felbft*
berftänblid), aber e«§ mu§ fo gut auöbrürflid) feft*
gefteüt luerben löic baö S3iö{)erige; benn beim ^ubli*
!um unb bei bcn '*^oeten, menigftens^ bei ^oeten
minberen DiangeiS ift bie 9}?einung fet)r verbreitet,
bomit ba^ einer ein ^oet fei, fei er aud) ein
2)ramatifer. ©o befdjeren um8 mand)e gang madere,
atö S^rifer ober (Srgäljler öieUeid)t treffliche 2)ic^ter
nur aUguoft fdjmac^e ober gang unmögtidje ©ramen
— fo gut wie bie 9^id)tbid)ter unb ©djeinbramatifei
i^re :poefieöer(affenen 9^üf)nenftüde un§ aU mirfüd^e
S)ramen ausgeben. Unb mie ha^ ^ubtifum fid^
biefe oft genug auffd)ma|en lä^t, fo mirb eö aud^
nid^t feiten ftu^ig ober unmillig, trenn hie brama*
turgifd^e ^ritif fic^ genötigt ftet)t, auSgufpred^en ober
nac^äun)eifen, ha'^ biefeö ober jeneö 2)rama eine§
fonft beliebten ober gefeierten S)id)terS gttjar einen
beftimmten ))oetifd^en 9Bert aEgemeiner Strt, aber
einen geringen ober gar feinen bramatifd^en 2öert
ober beben!(id)e bramatifd)e ©d^mäd^en \)ahe —
(jei^e ber 2)id^ter nun ®oett)e ober Urlaub ober
256
©etbet ober ^e^fe ober irte fon[t. X^atfodie ift aber,
ha^ eä gtoar taum einen ^id^ter öon ^ebeutung
gtebt, ber ntd^t irgenblrte I^rifd^ auggerüftet toäre,
tuenn aud^ gar in fo geringem 3)?a§e njie Seffing —
ba^ aber bie Begabung gum ©ramatüer nicE)t not=
toenbig in ber attgemein poetifc^en mitgefe^t ift.
Sflamentlid^ eine ftarfe epifcfje Segabung uertrögt [ic^
l^äufig nicf)t mit auöreid^enber bramatij'djer ©efäl^igung
— tt)äl^renb bie l^rif(i)e Stniage [id) fe^r n)oI)t aud^
gu bramatijd^er Seiftungöfä^igleit au^Strad^fen ober
mit i^r t)on Sfnfang an §anb in ^anb ge^en !ann.
3um S)ramati!er brandet q§ eben eine gang befonbere
:per[i)nlid^e SSerantagung für bo^ Stnfd^auen unb
toenn aud^ nur p^antafiemä^ige ^Durd^Ieben üon
SBiHenäfonflitten, einen fräftigen ©inn furo SCragifd^e
ober ^omifd^e, eine befonbere ^l^antafieau^rüftung
für ha§ ^in unb ^er eineö ©pieteS, eine 5trt ard^i?
teüonifd^en ©inneg für Äompofition unb ^anblungio^
fü^rung, eine gemiffe bia(e!tifd)e (3aht, Äonfequenj
unb 93iegfamfeit gugleid), eine 9f{i(^tung ber ^t)antafie
aufö 9J2imifd^e, eine gdtiigfeit beö Ueberblidg über
fdjmierige SSermidlungen: haä unb bergleid^en in
trgenb einer befonberen S[Rifd)ung unb baju eine ge?
totffe ©trafff)eit unb ©nergie be§ eigenen SSiüenS*
lebenS nebft einem namtiaften ©tüd 9J?önnIid^!eit —
ift nid^t bei jebem ^id^ter mit feiner inbiöibuellen
poetifd^en 3(ugrüftung gegeben. Unb überbie^ ftedtt
— 257 —
md)t In icbcm bict)tcrifrf)cn Xolent bic 9Bud)t unb
SBcitc, bic ®röfec unb Zk\i pcr|5nlid)cr Söett*
anfd)Quunfl, bic and) bei leiblicher 93c()crrfd)unfl bcr
äullcrcn bramati)d)cn formen bcm bramatifd)cn
M'unftlucrf crft feinen uoUen Qöcijalt cinäucjicücn ücr*
mag. öiS auf einen gcU)iffcn &xah fommt aud; baö
in Sk'tradjt, bafe am bramatifd)en ®cfamttunftmert
bod) nic^t bic ^ocfic allein beteiligt i[t, njenn c8
aud) ol)nc fie nid)t juftanbe fommt, ba^ ber !Drama«
tifer aud) für bie (Elemente auö anberen fünften
einen ©inn l^aben mufe, bic gur SQJitnjirfung, njcnn
aud^ in bicnenbcr «Stellung, fommen — ja aud; einen
genjiffen @inn für ha^, tüaß an ber bramatifd^en
Äunft, tt)ie übrigeng an jeber, Dom ^anbujcrf be*
fonberer 5trt unb Hebung l)öngt. S)edt [td^ alfo,
Don biefer anberen @eite gefeiten, ha§ ^oetifd^e mit
bem ^ramatifc^en im allgemeinen ntd^t o^ne meitere^,
fo gilt baö ferner auc^ im ©ingeinen: e§ !ann ein
^eil eines ®rama§, eine ©gene, eine <SteEe fe^r
poetifd^ fein unb bod^ fe£)r unbramatifd^ — ma=
rum unb inmiefern, mu^ auS allem Siö^erigen
!lar fein.
®aS S)ramatifd)e heät fid^ aber aud^ nid^t ol)ne
loeitereg mit bem Stl)eatralifd^en, obmo^l fi^
bcibe§ anbererfeit§ ntd^t trennen lä^t. ^^atfäd^tid^
luirb ja beibe§ nur gu oft üermed)felt, mirb
ha§> blo§ 5t!^eatralifd^e fürS '3)ramatifd^e au§ge=
SB e i t b r « (6 t , £>a§ teutf($e J)ramo. 17
258
geben; unb umgefe^rt geigt fid^ gutüetten eine
ftar!e 5f6neigung gegen ha^ Xf)eatralifdje im Der-
nteintlidEjen Sntereffe beö 2)ramatii(^en, eö er()eben
gerate gegenttjärtig öerfdjtebene Stimmen bie bemeg*
lic^e Älage, ha^ unfer 2)rama am ^^eater !ranfe
unb gugrunbe gel^e, unb bie bringenbe gorberung,
ha^ ba§ 2)rama fid) Dom ^t)eater freimadje, mit
bem e§ eigentlich gar nidjtö gu fd^affen l)a6e. ®aran
i[t ebenfoüiet gatfd^eä njie 2BaI)reg; bie ^ad)e w'iil
ettnag fc^ärfer in§ 5(uge gefaxt fein.
S33a8 tft benn ha^ X^eater? ®od) mot)I ber
©c^aupla^ für ha& bramatifd)e @piel! tiefer mag
in feinem geitn^eiligen tt^atfäc^Iic^en ßuftanb nod^ fo
üermat)rIoft unb verlottert fein, eä mag fidj nod) fo
t)iel grembartigeä, nod; fo üiel Un!unft unb frec^e^
^anbmer! barauf breit mad^en, er mag gur geift*
öertaffenen Unter§attung§= unb SSergnügungöbube
entnjürbigt fein, bie auf i|m t)errfc^enben ßuftänbe
mögen gu einer beftimmten Qext non ber 5Irt fein,
ha^ ha§ mir!tid)e ®rama gar feinen ^talj me^r
barouf finbet, ha^ ber bramatifc^e ®id)ter fid) faft
fd^ämen mu^, if)n §u betreten ober fid^ in t)eiliger
föntrüftung für je^t öon il^m abmenbet: tro^ allem
bleibt ba^ ST^eater feiner S3eftimmung nad) ber
<Bd)aupla1^ für^ bramatifd)e ©piel, tro^ allem brandet
ha^ SDrama atö S)rama einen ©diaupla^, auf bem
e^ alö tebenbigeö @|)iel Dor bie 9tnfdl)auung treten
~ 2Ö9 -
fonn. ?(ud) ber öerbittcrtftc brQmatifd)c 3)id)tcr ober
IJrcunb bcr brnmatifdjcn ilunft »erlangt tro^ alle«
3orneS über bniS jetuciligc Xt)eater boc^ im ^runb
feincö .^"»er.^cnei nur eben norf) einem anbern 1f)eater,
nod) einem luürbi(\en (£f()aup(ati fü^ i'«^ cd)te
brnmatiiri)o i3|nel; nur boss bramenfdjrcibenbe
Siteratentum, nur bie^oeten, bie eroig nur Literatur
mQd)en rooHen für bie Siteratur, bie nur fd)reiben unb
93üdjer mad)en roollen, unbefümmert umbie9}?i3glid)feit
eineig roirfüdjen bramntifdjen@pietö, ober bie überljaupt
feine 5-äf)igfeit 5U bramatifc^er (^eftaltung befi^en,
nur fie fönnen baf)in fommen, ba§ fie bem Xt)eater
nlö bem @djauplQt3 beö ©pielg grunbfäpc^ ben
9f?üden fef)ren — unb felbft fie fc^ieten guroeiten mit
einem 5(ugc nad) i{)m gurüd. ©raud^t aber ba§
2)roma irgenbmie einen ©c^auplat^, einen Spietp(o|,
ein XI)eoter, nun fo pngt eben am SDromatif^en
felbft non 9totur ba§> ^tjeatraüfc^e, fo treibt e§> ba§
X^eatralifd)e üon felbft au§ \id) ^eröor. S)er 93egriff
beg X^eatralifc^en umfaßt bann alleö ha§, roaö bogu
bient, eine üom S)i(^ter gefdjaffene unb fprac^Iid)
auögeftoltete bramatifd)e ^anblung in if)rer gangen
inneren Seben^füIIe aud^ in haß äuBerlid^ fd)aubare
Spiel ouf einem beftimmten realen ©djaupla^ um=
jufe^en, für bie Süf)ne tauglid^ unb roirtfam gu
mad)en. S)ie Ifönftlerifd^e Formgebung ift bamit
allerbingg an ber äu^erften ^eriptjerie ber äußeren
17*
260
^orm angelangt, aber aud^ bt§ bort^in mufe fie üor*
fd^reiten, ttjenn ha§ bramattfd)e ^unftlüerE fein ööUigeg
Seben für ben 3itf<i)^ii^^ befommen foll. .^ie^er
gefjört benn alleiS, tüaB öu§ere ©Iteberung ber
inneren Äompofition in bequem fpielbare S^eilftürfe
t)ei^t, (Sorge für glatten 5Ibtauf ber äußeren 35ors
gonge; n)irffame, ben ^-orberungcn be§ ©pielö geredjte
5(bfc^Iüffe ber Xeilftücfe unb be^ fangen, faßbare
Ueberteitungen Uon einem ^eil gum anbern, fogar
fogenannte „bantbare" 2Bir!ungen für bie@pie(enben,
ba^ fjei^t äftf)etifc^e ^ilfen für bie äußere @e(bft=
barfteüung ber @(^aufpieler, fidlere 5lnl)att§pun!te
für bie nad)fc^offenbe ^t)ätigfeit ber Sd^aufpieÜunft;
ferner unterftüt^enbe SÖtittüirfung ber äußeren (Sin=
ritfjtung be§ <3df)auplatje§, 2)eforation unb 93e=
leudjtung, ©generie unb 9}?afc^inerie — lur^ atteö
ba^, toa^ nötig ober nur auc^ njünfd;en§tt)ert ift, um
bie eigentlid) bramatifdjen 3Sorgänge nid)t nur für
bie nad)fd)offenbe ^I)antafie, für 'öa^ innere ?Iuge,
fonbern au^ für haß äu|3ere Sfuge mir!fam gu mad^en,
ha§ bramatifd)e Söort fräftig gu ®el)ör gu bringen
unb in jeber SSeife bie 5(nfc§auung be§ unmittelbor
gegennjörtigen bramatifd)en Qpklß aU fotd^en fo
einbringlid^ unb übergeugenb unb äft{)etifd) luftüoÜ
atö mögtid^ gu mad)en.
S)iefe^ Stf)eatratifd^e ift nun freilid^ nid)t has>f
felbe n)ie ha^ 2)ramatifd^e, ift nidjt (Selbftgüjed
— 261 —
fonbcrn nur bicncnbc«^ !DiittcI 5iir nijüij^cn CSr»
rcicl)ung bc8 bramati)d)cn 3^<-'tf<^; ^^ 'ft ^i^ öuf
einen (^eiuiffon ®rab nicljt nur Don Qftl)ett[c^en
fonbcrn aurf) Don praftifrijen 9iüdfid;tcn bebinßt, esJ
ift 5um ^ei( ein ©türf ^'^anbluerf, forbert eine ge*
tüiffe ^anblucrfSfertigfeit unb aud) Dom 2)id)ter, ber
e§ in bcn ilreiö jcincö bramatifdjcn 'Sd)affenö 5iel)t,
eine ^ulucilen rein Dcrftänbige (Srn^ägung. ?(ber
cttoaei Dom ^anbtoer! Ijängt eben fd^tiefelid) an jeber
itunft, fogar an ber ^^oefie — Don onberen fünften
wie namentlid) 5. 93. Don ber 5(rd)iteftur nic^t ju
reben; unb bicjenigen, njeld;e ha^i ^anbroerf in
biefem ©inne nidjt fönnen ober iDenigftenö fennen
Jonbern nur Ijod)l)erab oerac^ten, pflegen erfa^rungiS*
gemä^ ntd^t eben bie größten Äünftler gu fein, ßrft
iDenn ha§ Str^eatratifc^e fic^ Dom ^ramatifc^en ah'
löft uitb auf eigene g-ü^e fteüt, SelbftgUjed ober
iDenigftenö 6el)errfd)enber ßlDcd unrb, menn ba#
.^onbloerf, ha^ an ber Äunft f)ängt, bie Slunft auä*
treibt, fid) irie ber ©pa^ inö '3le]t ber ©(^tvalbe
fe^t unb mit fred^en klugen barau^3 f)erDorgIo|it,
bann entfte()t haä ^^eatralifdje im Übeln Sinn, ba§
ruc^toä, oft fd)amIo§ !unftfeinblid)e X^eatralifd^e;
bann fönnen bie ßuftänbe eintreten, ha ha§ SDrama
am St^eater !ranft unb I)infied)t unb gu einem
©egenftanb ber Stbneigung gerabe für biejenigen
U)erben fann, bie eä mit ber bramatifd)en Äunft
— 262 —
efirlidE) meinen. ^Derartige ßuftänbe tuetben ber
bramottfc^cn Äunft um fo gefäl)rlid)er, je me^r im
^()eaterpublifum nicE)t ber grobe ^öbel fid§ breit
macljt, ber gar nidjtö anbere^ fud^t alö äujierlid)
plumpe Stl)eatermir!ungen, je mef)r bagegen ber feine
unb raffinierte ©ro^ftabtpöbet ben Zon angiebt, je
met)r bie grofee SJtaffe ber fogenannten ©ebilbeten
ben Sn)eaterbefud) alö ein ©rforberniS feiner Söilbung
anfief)t aber in feiner bramaturgifd)en Urteilä*
unfäljigfeit fid) bog bto^e XI)eatraIifd)e für ha^
2)ramotifd)e auffd3n)a^en lä^t; je me^r ber äußere
9}ül)nencrfoIg, ber ©rfolg an Xage^ru^m unb ®elb
nidjt nur bie gan^ geiftlofen ©ül)nen£)anbn)er!c
obenauf bringt, fonbern aud) 2)ramatifer, bie etujaö
Dom ^id^tcr in fid) l)ötten, üerleitet, ouf ben öu^ern
tt)eatralifd}en @ffe!t gu arbeiten unb ben bramatifc^en
2)id)ter in fic^ immer mel)r gu erftiden, fo ba^ fie
gule^t nidjt met)r innerlid; bramatifd^ fd)affen
Ü^nncn, felbft menn einmal it)r eingefc^läferteö
äftl)etifd;eö ©emiffen mieber aufmacht. 3)ie üble unb
gefät)rlid)e So^Iöfung besS 2§eatratifd§en bom
2)ramatifd)en üoß^ie^t fid) infofern ot)ne befonbere
(Sd)tt)icrigfeiten, al^ ba^ 2f)eatralifd^e unb ^anb-
irerf^mä^ige eben tai Sernbare on ber bramatifd;en
Äunft ift, mie fid) ja öon jeber Äunft ha§ äufeerlid)
Sted)nifd)e unb ^anbn)er!i§mä^ige a(§ fotc^eS erlernen
lö^t; fo fc^ie^en in 3^^^^"» ^^ ^^^ Xt)eater im
— 263 —
il>orbcrflrunb bcö SntcreficiJ ftcl)t unb foflar btc
fliänjcnbftcn iiufjcrcn ^rfolflc l)crt)cifet, bie ^^fu)d)er
fcljiuammflleicl) in 9)faf)en empor unb füllen mit
il)ren innerlid) l)ot)lcn unb nidjtiQcn, bramQtijdj
flän^Iirf) t)aItIofcn aber t[)eatraliirf) blenbenben ober
nur aud) ^ur Utot luirfunQöooUcn 9Jiad)n)erfen baö
^ur ?lbenbunterl)altun9öbube für bie SDiaffen fte*
ioorbene Xtjeater. Unb bod) [inb biefe nid^t einmal
bie fdjtimmften geinbe ber bramati)d)en Ä'unft, lueil
fie fic^ bod), aud) bem nur tjolbroeflö Urtei(äfäi)i9en,
rafd) in itjrer 9Zid)tigfeit offenbaren unb überbieö
mit großer (Sile tüieber üom '@d)auptat^ 5U Der*
fd)U)tnben pflegen; Diel gefährlicher finb jene ®d)eins
bramatifer, toeldje üon ^auö au^ ni^t ol)ne tuirf*
lid)e bramatifc^e Begabung finb, nid^t öon
aÜer ^oefie üerlaffen finb, aber auä irgenb
ttjelc^em ®runbe eö gu leiner inneren Steife unb
SSertiefung bringen, ben ©ruft unb bie 3^^'^)^ ^^^
^unft fo iüenig lennen ttjie ha§ einfame 9iingen bec
^erfönlid)feit um i^r eigene^ etljtfd^eö §eil unb um
eine grofee 3Seltauffaffung : ttjenn biefe baä SWafe
i^rer bramatifc^^poetifc^en Begabung im §aften nad)
bem öu^eren ißül^neneffelt üergeuben, in biefem
©ffelt aber 35irtuofen iperben, bann entftet)en jene
Ä'unft unb ©efc^mad uergiftenben bramatifc^en
©d)eingebilbe, in benen ha^ StljeatraUfd^e fid^ aU
baö ®ramatifd£)e felbft ju geberben toeiß, fo ha^ fd)on
— 264 —
ein fd^arfeö bromaturgifdfjeg Urteil ober ein gefeftigter
©efc^mac! ba^u ge[)ört, um fid) ntd)t uerblüffen 511
laffen. S)amit finb aber aöegeit nur bie 3Senig[ten
au^gerüftet, unb fo t)abcn foId)e ^t)eatrali!er üon
Äo^ebue big ©ubermann immer mieber ben tt)irf*
liefen bramatifd)en ^id)tern in ber ®unft be§
Xf)eaterpublifumö ben Siang abgelaufen unb merben
eä aud) in ßufunft tl)un, menn nid)t mit ber ßeit
ein gang anbereö SSerftänbniö furo !5)ramatifd)e oud)
in n)eitere Greife eingiefjt — mag jebenfaßä langjam
genug gefd)et)en mirb.
S)a^ haB S)rama am ^t)eater !ran!en tann,
immer üon 3^it gu 3^^* inieber baran !ran!t unb
gerabe t)eute mieber einmol fc^mer baran er!ranft
ift, fann atfo rut)ig gugegeben merben. 51 ber
barauö folgt nic^t, ba§ ha^ ©rama feine 3Ser=
binbung mit bem ^tjeater unb mit ber ©c^aufpiet*
!unft gu löfen unb ftd^ ütoa m§ UiUw
ftübc^en ber Siteratur gurüdgugietjen Ijaht; baraug
folgt nur, ha^ geitmeilig gegebene 2f)eater5u=
ftänbe nad^ Sfenberung unb S3efferung üertangen,
ha^ bie S8ermed)g(ung oon ®ramatif(^ unb 2f)ea*
tralifc^ ein nid)t gering gu ac^tenber (Schaben für
bie bramatifc^e Äunft ift unb ha^ ber 2)ramatifer
felbft fid) aufg ©orgfättigfte unb ®emiffenl)aftefte gu
t)üten ^at, tl)eoretifd) ober pra!tifd) in biefe ^er*
med^Slung gu verfallen. 5lber ebenfomenig hxan6)t
— 265 —
er bcm ül^al)!! ,^u l)ulbi(^cn, bnf] il)n baö ^Ijcatra*
lifdjc im nutiucnbiflcn unb natürlicl) [id) crgcbcnbcn
(Sinne flor nicl)ts anget)c, bafe er eS ganj ungeftraft
iniöodjtcn bürfe. ^'^^eilicl) broiicf)t er fic^ aud) nid)t
allgu pcinlidj barum ju forflen — nid)t nur, roeif
il)m in ber ^rajL;i§ DicIeS ©injcinc üom 9fJefliffeur
aböenommen tucrbcn fann, bcr nun einmal tl)at*
fndjlid) für bie äujjere Seituufl beiis bramati)d)en
(Spiel'? fein (Stellvertreter gemorbcn ift; nielmetjr
nod) aus einem innerlidjen ®runbe. 9Bo nändic^
bag j^ramatifdj-^oetifdje mirflid) unb ed)t t»orf)anben
ift, ba treibt e«S basi Xt)eatralifdjc 9an5 uon felbft
unb notmcnbig ou^ feinen inneren formen unb
SebenSbebinQuncjen alö bie angemeffene S3ül)nenform
I)erauiS, balb ftärfcr balb fdjmadjcr, immer aber im
rid)tigcn SlTtafsuertjältnifj gum 2)ramatifdjen folbft.
S3ei bem geborenen unb fraftuoUen bramotifdjen
3)id)ter ift ber Sinn füriS Xt)eatrolifd^e in feiner
bramatifd)spoetifd)en 33p9abung felbft fdjon mitgefe^t;
eö bebarf für if)n nur nod) einiger Uebung unb
Äenntni^ ber realen ^ül)ne unb if)rer 5;ed)nif, um
baö 9Zötige mit fidjerem ^tafte gu treffen unb fo
anguorbnen, hafi fein 2)rama Don ben 93ertretern
ber Sd^aufpieÜunft fidler unb angemeffen ing fd)au*
bare Spiet auf bem Sdjaupla^ gefegt merben fann.
2)a^ biefe ausfüljrenben Crgane bes bramatifc^en
SDidjter^ it^re 5tufgabe rid^tig faffen unb il;re Äunft
— 266 —
uerftef)en, ift babei unerlä^Iidje S^orauöfe^ung ;
barübcr jebodj nä£)ere Untcrj'udjungen anguftellen, ift
nidjt mel)r ©Qd;e ber 5reftt)eti! be§ SDramag — [ie
\)at c^ nur mit bem ©rama felb)"t alö einem fpiel*
baren Äunfttüer! gu tf)un; mie unb mit meldjen
Stunftmitteln e§ t^atfädjlid} gefpielt merben folt unb
fonn, ha§ ptte eine 2re[tt)eti! ber @d)auf^iel!unft gu
erörtern.
S)ie 5Ieft^etif beä ®ramac> ift t)iermit an ber
©renge itjreö Gebietes angelangt. Sft rid^tig unb
giltig, waä bie üorftet)enben Unterfud;ungen unb
5(u!§fiit)rungen borgutt^un fudjten, fo i[t bie bra*
matifd)e Äunft gmar nic^t bie Äun[t fd^Iec^tt^in, aud)
nod) nid)t of)ne SSeitereö bie Ijbdjfte 5!un[t, aber
baö 2)roma gel^ört bod) gum |)öd)ften, toaS^ menid)-
Iid)e Stunft übert)aupt erftreben unb erzeugen !ann;
jeine Dffenborungen fdjbpfen au'g ben liefen beö
2)afeinö unb Sebengge^altesS n^ie nidjt leicht anbere,
if)re SSirfungen [inb üon unermcfelidjer 9Jcäd)tig!eit.
S)ie)e ^unft !ann aber auc^, menn [ie entmeil)t unb
gefd^önbct, Dcrfeud)t unb uergiftet, üeräu^ertid^t unb
uerflac^t mirb, n)al;rl)aft gerftörenbe Söirfungen im
geiftigen 2eben einer S^Jation anridjten. Sebe Station
unb jebe ßeit l)at aber immer haä ®rama, haB bie
^^ation in biefer 3^^* öerbient ober fic^ gefallen
lä^t. Unb nic^t nur an ben ®ramati!ern, Äritüern
unb 5reftt)elifern, fonbern an oüen n)üt)rl;aft ©e-
— 267 —
bilbctcn oincr y^ation ücflt c^, nad) Hräften bofür
3U [orflcn, cö gciabqu a(* Wetuiffcnsjadje 5U be«
trad)ten, ba§ nur baö auf bcm brQmatifrf)en Sc^au*
:pla|j (Geltung getuinne, ivoS cdjtc bramatifd)c Äunft
ift. 2)ag ift nid)t nur ein ä[t()ctifd)e8 fonbern ein
ct()ifd)c8 unb nationalcö !5ntcrcffo. l^a^n ober mufe
mau luiffen, unb tucnn man^ nidjt lueiß, lernen,
\va^ bramatifdie iluu[t ift.
^Mm
S. e. $reu6, »erlin SW., Äommanbantenflr. 14.
3nl)alt
Geile
©tnleitung 1
I: 2)ag 2)ramQttfd)c 19
II: S)er «Stoff . 60
III: S)ie bramatifcf)e |)anblung .... 78
IV: S)ie ^axattcxc 141
V: ^ompofitionögefe^e 174
VI: 5;ragöbie unb Äomöbtc 191
VII: ^ie bramotifc^e ©prad^e 222
VIII: ?Poetifc^ unb ®ramatifd), ^ramatifd)
unb ^^eotrolifc^ 248
^TiDfNä^
rrU^Ö^^rtf^
m.^kx\ mpat^ c^Aptk >«^TIp t^kffU ^ii^^