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Full text of "Das deutsche Drama, Grundzüge seiner Aesthetik"

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^y.rama 


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Das  Deutfd^e  Drama. 


Das 

(ßrunÖ3ügc  feiner  21eftt^etif 

Son 

Carl  meitbrecftt 


IT/ 

»Harmonie  < 

Ocrlagsgcfcllfc^aft  für  £itcratur  unb  Kunfl 
Lettin  W.  8. 

1900. 


:illc  Hcd?tc, 
bcfonbcrs  bas  bcr  Ucbcrfc^ung,  Dorbct|aItcn. 


(Einleitung, 


■id)t  5um  crftcnmal,  aber  tuiebcr  eimnat  finb 
bte  äftl^cttfc^en  Segriffe,  im  befonberen  bie 
S3egriffe  öom  ®rama,  in  ein  ftarfeä  @c^h)anfen,  um 
nicf)t  5U  fagen  in  Übeln  SBirrwarr  geraten.  S9ei  ben 
5)eutfc!^en  toenigftenS,  unb  haä  gereid^t  if)nen  an  unb 
für  fiel)  nid)t  einmol  §ur  ©c^anbe:  beffer  t)ie  unb  ha  ein* 
mal  ein  menig  SDurd^einanber  al§  ein  5at)meä  unb 
faulet  3?erliegen  inftarren^unftüberlieferungen.  Xamit 
liat'g  freilid)  bei  ung  !eine  gro^e  ©efa^r,  e^  liefee 
fic^  fogar  in  mand^er  §inftc^t  bebauern,  ha^  ttjir  gu 
n)enig  fefte  ^unftüberlieferungen  mel)r  ^aben  —  ober 
bafe  mir  folc^e  nod)  nic^t  ^aben.  2)ag  beutfd^e  S)rama 
inäbefonbere  ift  öerpltnigmä^ig  nod)  gu  jung  unb 
ber  ©eutfc^e,  njenn  er  bid^tet  unb  benft,  liebt 
gu  fe[)r  feine  greil)ett,  al^  t>a^  fid^  in  ^eutfc^lanb 
ein  einigermaßen  feftftet)enber  bramaturgifc^er  9?egel* 
fobej  t)ätte  bilben  lönnen,  etnja  tt)ie  in  granlreid^. 

1 


Hud^  \>a^  i[t  an  fid^  fein  ©d^abe;  aber  tt)enn  bann 
allemal  bie  3^^ten  fommen,  ha  ein  ©ejd^tec^t  bon 
!J)eutfd^en  glaubt,  n^ieber  bei  ber  ©rfc^affung  ber  2öelt 
beginnen,  bie  Äunft  unb  5Ie[tf)etif  ganj  neu  erfinben 
gu  muffen,  bann  pflegt  e§  eine  ßeit  lang  fet)r  bunt  unb 
frauö  tierjuge^en  unb  bie  53egripöern}irrungen  unb 
©efrfjmacEööerirrungen  greifen  bei  ben  ©c^affenbcn, 
bei  ber  Äriti!  unb  beim  ^ubtitum  in  üerljeerenber 
SSeife  um  fic^.  (£ö  wirb  bann  Qq'ü,  ba§  h)enigfteng 
bie  5(eftf)eti!  fi^  frage,  ob  e§  benn  nid^t  boc^  etma^ 
gefteS  gebe,  bo§  nicfjt  erft  erfunben  n)erben  muffe, 
fonbern  nur  gefunben  unb  gefef)en  unb  feftgefteüt 
merben  bürfe,  bamit  ber  eingeriffene  SBirrn:)arr  fid> 
lieber  einigermaßen  lid^te  —  njenn  aud)  nur  bei  benen, 
bie  ftrf)  nodE)  ein  93ebürfnig  nad)  feftcn  ©tanbpunften 
unb  30?oßftöben  gen)af)rt  ^aben. 

SDaß  njir  unö  ettt)a  feit  gttpei  Sat)r5et)nten  lieber 
in  biefem  ^aße  befinben,  unb  baJB  ha^  inöbefonbere 
auf  ha§  beutfd)e  ®rama  gutrifft,  n)irb  !ein  rut)iger 
95eobac£)ter  unferer  mobernen  ß^f^^"^^  ^"  3(brebe 
5ie{)en.  Unfere  ©romatüer  toiffen  faft  augnat)m§toö 
nic^t  mef)r,  hja§  fie  njoßen,  fo  feft  oud§  öiele  eine 
ßeit  lang  auf  ha§i  fd^on  njieber  nioctelige  ®ogma  be^ 
9^aturati§mu§  gefd^njoren  t)aben.  ^ie  gangbare 
Äriti!  unb  Dramaturgie  njeiß  ebenfo  Wenig  ober  nod) 
njeniger,  ttjag  fie  toxU]  fie  treibt  fteuerloö  in  ben 
ßeitftrömungen  mit,    aud^  ttienn  fie  nid^t  ööüig    in 


—     3     — 

Sicportertum  unb  li)tcflameltjc[cn  ücrfommcn  ift.  S)aÄ 
ÖroJ3c  "ipublifum  üoIlcnbsJ  ivci^  gor  nid)t  mc[)r,  tuo 
eö  bran  ift;  cö  läfjt  firf)  Dom  augcnblicflicf)cn  Xl^cotcrs 
crfolc^,  unb  fei  bicfcr  nod)  fo  plump  ober  fünfttirf) 
c\emacljt,  balb  bal)in  balb  bortljin  )d)leppcn,  (o^t  ficf) 
Don  ber  fogenannten  Ä'ritif  ()cutc  taii  unb  morgen 
jeneg  cinbtafen,  l)5rt  t)ie  unb  ba  einmal  etnjQ^  läuten 
non  neuen,  Derl^ei^ungdOoHen,  mit  aßem  33eralteten 
aufräumcnben  Xl)eorieen  in  ber  9(cftl)etif  unb 
Dramaturgie,  ift  f)eute  tjingeriffen  unb  mirb  morgen 
ftu^ig,  mirb  ober  im  gangen  üor  eitel  innerer 
Unftd)erl)eitnal;e5ut)erbrie§lid)unb  gleic^giltig.  (Srnfter 
©ebitbete  öerfpüren  unb  geigen  etttjoö  n)ie  5(bneigung 
gegen  baö  ^t)eater  unb  übertragen  fie  auf  ha§i  Drama 
felbft,  Ujiffen  aber  öielfac^  aud^  md£)t  red^t,  toarum, 
unb  Ijaben  eine  bunfle  5I^nung  baoon,  ha'^  i^nen 
bod)  ha§>  eigentticf)e  Urteil,  ein  rt)ol)lbegrünbeter 
(5tanbpun!t  in  @oc^en  beä  Dramaö  fel)lt.  9Sir  finb 
eben  in  Deutfd)tanb  noc^  giemlic^  ttjeit  baoon  entfernt, 
für  ha^  Drama  ein  ^ublüum  mit  einigermaßen 
fidljerem  ©efdimad  gu  i)aben  —  ©efc^mad  im  (Sinne 
einer  Urteilgfäl)ig!eit,  bie  auf  inftinftiü  geworbenem 
fad)lic^en  ä^erftänbnig  berul)t;  unb  fo  ^at  ha§  beutfc^e 
^ublifum  no^  btutttjenig  ©inftu^  auf  bie  ©ntmidlung 
unferer  bramatifdjen  ^unft,  eg  ift  bem  belieben  unb 
bem  (SJefc^äftSbetrieb  ber  2^f)eaterleiter,  ben  ^erum* 
taftenben  SSerfud^en  ber  Dramatifer,    bem    Ijoltlofen 


—     4     — 

®ef(i)lüä^  ber  5^age^5fritif  unb  bcm  Särm  Heiner  aber 
umtriebiger  Parteien  unb  gro^ftäbtifc^er  ^rentieren* 
befudjer  toel^rloö  preisgegeben.  Unb  \)od)  fönnte  ein 
urteiI^fäJ)igereg  ^ublifum  öon  grünb(i(f)er  ©ebilbeten 
gn^ar  !ein  gro^e^  !5)rama  fc^affen,  n}cnn  bie  brama* 
tifd)en  2)id^ter  ba^u  fel)(en,  aber  eö  fönnte  burd) 
nac^brüdlic^e  5(ufmuntcrung  unb  Hbleljnung  eine 
fd)ärfere  ©onberung  förbern  Reifen  grtifd^en  bem, 
tt)a^  njirflid^e  bramatifd^e  Ä^unft  unb  bem,  Joaö  nur 
btenbenbe  (Sdjeinbramatif  unb  äu^erlid^  tt)eatralifd)e 
Sl^erjerrung  be§  2)ramatifd§en  ift.  S)aö  märe  möglid), 
menn  bie  tiefer  ©ebilbeten  fid)  nid^t  entmeber  mürrifc^ 
öom  Xl)eoter  gurüdgögen  ober  fid)  auf  ben  üblichen 
ma^ftabtofen  SD^einungSauStaufc^  beim  S3ier  ober  ^§ee 
befdjränften,  mobei  feiner  ben  anbern  überzeugt  ober 
öom  anbern  lernt,  med  man  über  bie  einfad^ften 
grunbtegenben  ^Begriffe  nid)t  !Iar  unb  einig  ift;  menn 
man  fic!^  üielmel)r  gerabe  in  biefen  Greifen  bemüt)te, 
über  baö  Söefen  beS  S)ramatifd)en,  feine  natürlii^en 
SebenSgefe^e  unb  SebenSbebingungen,  feine  2öir!ungsJs 
unb  S)arfteIIunggmitteI  fic^  einige  grunbfä^tid^e 
Älar^eit  gu  berfd)affen,  alfo  eine  äufammenpngenbe 
öft^etifd) '  bramaturgif^e  @r!enntni§  gu  geminnen. 
Wlan  braucht  baju  fein  ^ad^mann  gu  merben,  meber 
in  miffenfc^aftlid^er  5teftf)etif  nod§  in  :pra!tifd)er 
93üt)nen!unbe;  mo^t  aber  mu^  man  bem  meit* 
öerbreiteten  SBaf)n  ben  5(bfd^ieb  geben,  ba§  man  in 


—     5     — 

fofcfjcn  !I)in(^cn  ßar  nirfjtö  crnftt)Qft  5U  fernen  brauche, 
haf?  bniS  brnmntur(^iirf)c  ii^crftänbni'S  jcbcm  angeboren 
fei  über  bafj  einige  iürocfen  ©diulluciüsljeit  auö  ber 
l'iternturftunbe,  bafe  namentlid)  ein  geiuot)nl)cit0« 
nuif^igeiji  3nötl)eatertnufen  unb  Ärititenlefcn  flenüge, 
um  ben  3[l(en)d)en  ber  bramQti[d)en  Äunft  gegenüber 
urteiIüJfäl)ig  5U  mad)en. 

'^cx  fdjiuerfte  ^Jrrtum,  in  bem  bie  bromntifdjen 
'^ieuerung'Siierfud)e  ber  legten  Saljr^el^nte  befangen 
maren,  n^ar  ber,  man  fd^affc  ein  neucsj  ®rama,  ha^ 
!5)roma  ber  ßufunft,  lucnn  man  nur  einfadj  bie  öor* 
I)anbenen  bromatifd)en  formen  für  überlebt  erfläre, 
fie  milltürlid^  fprenge.  !5)a  man  aber  bod)  fofort  cttoa^ 
an  bie  ©teile  feigen  mu^te,  fo  griff  man  o()ne  33cfinnen 
nad)  ben  Sarftellungöformen  be§  naturaliftifdjen 
9?omane§  mit  feinen  ßuftanbö*  unb  93cilieufd)ilbes 
rungen,  ben  man  foeben  bei  gran^ofen  unb  Muffen 
5u  beiDunbern  angefangen  f)atte,  unb  impfte  biefe  bem 
®rama  auf;  ober  man  bemüf)te  fid^,  bie  gon§  inbi« 
nibucEe,  in  getuiffen  Segietjungen  jener  9?omantecl^nif 
üertüanbte  bramatifd)e  ^ec^nif  be^o  ©fanbinaöierö 
tsbfen  nad)5uat)men  unb  in  ha^  beutfd^e  2)rama  ein* 
5ufüf)ren.  'äi^  fic^  mit  ber  Qdt  I)erau§fteEte,  njie 
n}cnig  babet  für  ha§>  S)rama  alö  2)rama  f)eraugfomme, 
taftete  man  njieber  nad^  ben  üerad^teten  älteren  formen 
berum,  o^ne  bod)  ben  Wut  gu  finben,  mit  ber  Xf)eorie 
he^i  S'Joturaligmug  grunbfä^lic^  ju  brechen  —  unb  fo 


—     6     — 

finb  toix  je|t  glüdttd^  bal^tn  ge!ommen,  ha^  bte  öer* 
metntlid^  übertüunbene  ©eid^tig!eit  unb  ^Iattf)eit  be^ 
9}2obebrama!g  ber  [tebgtger  Satire  t^re  glorreid^e  5tuf« 
er[tef)ung  auf  ber  beutfc^en  93üt)ne  fd^etnt  fetern  §u 
JroHen. 

(£^  tftfd^nell  gefagt:  toir  muffen  ein  neueö  S)rama 
t)aben,  ba^  bt^^erige  ift  öeraltet!  ©in  n)irflid^  neueö 
SDrama  !ann  einer  S^Jation  nur  burd^  einen  neuen 
grojsen  £eben^get;alt  gefd^affen  njerben,  njenn  biefer 
reif  genug  ift,  um  in  mocf)töonen  bic^terifcf)en 
^erföntic£)teiten  fünftterifd^e  ©eftalt  gu  geminnen. 
Ob  fid§  bann  biefer  ®et)att  aud^  ungeahnte  neue 
formen  fd^affen  mirb,  barüber  ift  §um  borauS  gar* 
nid)tg  5u  fagen ;  e§  ift  möglid^,  ha'^  ha§>  gefd^ief)t,  eä 
ift  aber  ebenfo  gut  möglid^,  ja  ma^rfd)eintid^er,  ha'^ 
ein  neuer  ©e^alt  ^xoax  ältere  Slunftformen  umprägen, 
ermeitern,  öertiefen,  ertjötjen  mirb,  hafi  er  aber  öor- 
l^anbene  formen  infomeit  ru{)ig  meiterbenu^en  mirb, 
als  fie  bem  befonberen  Sßefen  ber  bramatifd^en  Äunft 
entfpred^en  unb  fidt)  in  ber  ßntmidlung  biefer  ^unft 
auf  bem  befonberen  95oben  einer  Station  a(§  angemeffen 
unb  mirfunggüolt  erprobt  f)aben.  Senen  neuen  Sebenä- 
get)alt  befi^en  mir  aber  ^ur  ß^^t  nod)  nid^t  in  bem 
erforbertid^en '  9?eifegrab,  er  ift  beftenfaßg  im  alt« 
mät)tid§en  3Berben  unb  Sleifen  begriffen,  menn  audt) 
in  giemtidj  anberer  SBeife,  aU  bie  lauten  §eroIbe  ber 
„SD'Joberne"  in  ben  testen  Satjr^etjnten  meinten  unb 


—     7     — 

ucrfünbii^ten.  S[t  er  einmal  imftanbc,  ein  neueö, 
groöcö  2)rama  auö  fid)  Ijerüoräutrciben,  fo  lüerben 
fid)  auc^  etiuoige  neue  formen  üon  fcIDft  geben. 
Sn^luifdjen  gilt  e8  nid)t,  mit  bem  S^ort)anbencn  in 
ben  %aQ  l)inein  aufzuräumen,  fonbern  eö  gilt,  fid) 
bariiber  flar  3U  ujerben,  toa^  ettua  an  bem  Sl^or« 
Ijanbencn  bauernb,  tueil  tocfentIt(^,  ba^  f^eifjt  im  pfl)d)o« 
Iogifd);äftt)etifdjen  SBefen  ber  bramatifdjen  Äunft  be« 
grünbct  ift.  Unb  l)iefür  liegt  aU  Unterfud)ung«J« 
matetial  nid)t  ein  5U  grünbenbeiS  2)rama  ber  ßufunft 
uor,  fonbern  ha^  2)rama  auf  ber  (Jntmidlung^ftufe, 
bie  e!^  tt)atfäd)lid}  unter  ben  Sebingungen  feinet 
Söefenö  unb  SSerben^  bi§  je|;t  erreid)t  t)at.  2)iefe8 
2)roma  fid^  barauf  ongufetjen,  toaß  e^  tion  ben  all* 
gemeinen  Sebeuf^bebingungen  unb  Sebenögefe^en  ber 
bramatifc^en  Äunft  offenbart,  tt)ie  ujeit  ha§  gen^iffen 
allgemeineren  unb  befonberen  pft)C^ologifd)en  unb 
öftljetifdjen  St^atfad)en  unb  ©efe^en  entfpric^t  unb  in 
it)nen  begrünbet  ift;  biefe  23egrünbung  Dielletc^t  anberig 
unb  fd)ärfer  Ijerauäguftelten,  aU  e^  etma  bisher  ge« 
fd)etjen  ift,  aber  o{)ne  bie  @ud)t,  fc^led;tl)in  9^eueö 
unb  9^iebagemefeneg  gum  93orfd)ein  gu  bringen  — 
t)a§  allein  fann  jur  3eit  bie  3tufgabe  einer  äftl)etifd)en 
3)ramaturgie,  einer  5teftt)eti!  beö  2)rama§  fein. 

5)amit  ift  aud)  fd^on  angebeutet,  n)eld^eä  n^iffen* 
fc^aftlid)e  ^erfat)ren  I)ier  ©rfolg  öerfprec^en  !ann. 
3Kit  bloßer  Siteraturpt)ilologie  ift  ba  nic^t^  §u  madjen 


—     8    — 

—  fd^on  begtüegen  ntd^t,  tüeit  ber  ©egenftanb  ber 
Unterfucfiung  nid)t  6Io^  bte  bramattfc^e  Siteratur  ift, 
ntc^t  blo^  ba§  S)rama,  tüte  eö  in  S3üd^ern  al§  ein  Xl)eil 
ber  aEgenieinen  Siteratut  üorliegt.  (£)§  ^anbett  [ic^ 
öielmel)r  um  baö  5Dr am a,  foferne^alS  lebenbige 
Äunft  unb  Äunftübung  im  Seben  ber  Station 
öort)anben  unb  mirfjam  ift,  gefd^affen  mirb  öon 
bramatifrfien  jDirfjtern,  aU  ©piel  üorgefüt)rt  n)irb  mit 
|)ilfe  ber  ©d^aufpielfunft  unb  fo  eine  ganj  beftimmte 
5Irt  öon  äftf)etifd)em  Sntereffe  medt  unb  befrtcbigt. 
2)em  lö^t  [i(^  nur  beifommen  burd^  ha§>  pf^c[)o(ogiftf)* 
Qftt)etijd^e  SSerfat)ren,  beffen  fid)  überl)aupt  bie  gegen* 
märtige  Steftl^etif  in  erfter  Sinie  bebient,  unb  —  gur 
(Srgängung  unb  Kontrolle  —  burc^  äftl^etifc^sfritifd^e 
93etrad§tung  ber  t)ort)anbenen  bramatifd^en  ^unftmerfe 
fomie  burtf)  ßrmägung  ber  tt)atfäd)Iid[;en  93ebingungen, 
unter  benen  ha§>  bramatifd^e  ©piel  auf  ber  ©d^au* 
büljne  ftet)t.  jDieUnterfud^ung  ^at  alfo  i^ren5(u§gangö« 
punh  gu  netjmen  öon  ber  boppelten  §rage:  tt)eld^e^ 
finb  bie  SSirfungen  im  @inn  öon  pf^d^obgifd^en 
SSorgängen,  bie  mir  erfa^rungggemäjg  öon  bem 
em|)fangen,  maö  ber  ©prad;gebraud^  mit  einiger 
Uebereinftimmung   ai§>  bramatifd^e  Äunft  begeid^net? 

—  unb  fobann:  mit  meldfjen  Äunftmitteln  merben 
biefe  2öir!ungen  erhielt,  in  erfter  Sinie  öon  bem 
©d^öpfer  beö  bramatifd)en  ^unftmer!ö,  in  gmeiter 
Sinie  öon  ber  ©arfteEung  biefe^  Äunftmerfe  im  t^at* 


—     9    — 

[ncf)lid)cn  ©piol?  ^nci  ?(itnc  511  faffcn  finb  n(fo 
ciiuTJcitci  bio  pfijdjoloflifdjcn  3[^or(^än(jc  unb  ^-^uftänbe, 
iuclri)c  fid)  in  bcr  ©ccle  bcffcn  ooU^icljcn  unb  üorfinben, 
bcr  bac(  bramQti[d)c  i^'unftiücrf  aufnimmt,  be^  3"* 
fdjnuor^,  beS  ^^ublifumsJ;  bie  ganj  bcfonbcrc  5(rt  bcö 
äftl)etifd)on  Sntcrcffcii,  boö  mir  flcrabc  am  bramati)d)en 
ilunftmcrf  im  llntcr)d)iob  üon  allen  anbeten  nel)men. 
^(nbercrieitfii  l)anbelt  eci  fid)  um  bie  (Srtenntniä  beffen, 
mefd)e  befonberen  5Q?ittel  unb  Söegc  bcm  bramatifc^cn 
Stünftler,  bcm  fdjaffenben  unb  aud)  bem  nac^fd)affcnbcn, 
5ur  33erfügun(\  ftef)cn,  maö  er  leiften  fann  aber  aud^ 
leiftcn  mu§,  bamit  jcne^  Sntercffe  befriebigt  merbe, 
jene  S3ürgänge  ober  SBirfungen  fid)  mirflid^  üoü* 
5iel)en  unb  Qftl)etifd)e  Suftmerte  abmerfen.  ^aö 
SiJJaterioI  gu  biefen  Unterfudjungen  ift  un^  gugängtid) 
t()eiB  in  ber  ©elbftbeobad^tung,  tnbem  mir  un^  aU 
^ublifum  betradjten  unb  beobachten  unb  bie^  ergangen 
unb  nod)prüfen  burd^  bie  93eobad)tung  anberer,  ber 
(SJefamt{)eit  beö  ^ublifumö;  tf)ei(g  aber  geminnen  mir 
ha^  9J?ateria(  au§  ber  Setrad^tung  ber  bramatifd)en 
SlunftmerJe,  meldte  erfal)rungögemä§  jene  SSirfungen 
erzeugen,  in  meldten  jene  Äunftmittel  angemanbt  öor* 
liegen.  9^ur  ha'^  biefe  Äunftmerfe  nid^t  a(ö  bIo§e 
Siteraturergeugniffe  gu  betrad^ten  finb,  fonbern  a(^ 
©egenftänbe  ber  S(nfd§auung  einer  beftimmten  3(rt 
üon  lebenbigem  fünftlerifc^em  ©piel.  5mmert)in  ift 
biefeö  ©piel  nur  infomeit  in  93etrad^t  gu  gießen,  aU 


10 


in  it)m  getüiffe  SebenöBebingungen  für  bog  bramatifrfie 
Äunj'ttt}er!  fetbft  liegen  unb  aU  eö  fetbft  njieber  burc^ 
bie  33efonbert)eiten  beö  3)ramatifcl)en  bebingt  mxh 
—  nic^t  aber  jottjeit,  ha'^  aud)  bie  nur  au§tüt)renbe 
unb  nad^fdjaffenbe  Äunft  biefe^  (Spielet  felbft,  bie 
©c^aufpietfunft  big  ing  einzelne  in  ben  Äreiö  ber 
Unterfuc^ung  fiele,  dagegen  Ujirb  nod^  etrtja^,  loenn 
irgenb  möglid^,  bagu  fommen  muffen:  einiger  Sinblid 
in  bie  befonbere  9Irt  ber  bramatifd^en  ©djaffenS* 
borgänge,  in  bie  ^f^d)oIogie  beö  ©ramatiferö;  biefer 
©inbltd  ift  allerbingö  nic^t  jebem  auö  @rfa{)rung 
gugänglid),  t)ier  ift  bie  5(eftt)etif  im  gangen  ouf  bie 
Autorität  ber  bramatifd)  ©d^affenben  ober  ft)enigfteng 
auf  eine  Unterfud^ung  if)rer  ©elbftbefenntniffe  an= 
gemiefen  —  fomeit  nid)t  ^twa  ber  günftige  gall 
eintritt,  ha'^  fid)  in  ber  ^erfon  beö  5(eft^etiferö  pro* 
buftiöe  bramotifc^e  ^Begabung  unb  93efät)igung  gu 
n)iffenfd)aftlid)en  Unterführungen  bereinigen. 

S)ag  (ärgebniö  biefeö  SSerfal^reng  mirb  aber 
fc^tie^Iid)  nid^t  blo^  befdjreibenbe  ^eftftetlung  üon 
gefunbenen  ©ingeltl^atfacfien  fein  bürfen  ober  muffen; 
bie  Unterfud)ung  mirb  0ielmel)r  bat)in  gelangen  !önnen 
unb  muffen,  ba^  fid^  Ö^^iffe  allgemeinere  SebeniS* 
bebingungen  ber  bramatifc^en  ^unft  al^  natürliche 
Äunftgefe|e  ^erau^ftellen,  auf  benen  \)a§  Seben  beö 
^ramag  berut)t,  ha'j^  fid)  ha^»  äftt)etifd)e  SBefen  beö 
^rama§,  feiner  ^unftgefe^e  unb  ^unftmittel  in  einem 


—   11    — 

inneren  3"fQ"""cnf)ann  barftcüen  läjjt.  Unb  fo  luirb 
auci)  eine  :5)ar[teUun(^  bcr  ?(cftl)ctif  beö  ^ranmö, 
jumat  JDcnn  fic  [idj  nicf)t  auöfd)tief}lid)  an  bcn  luiffen* 
fc^aftlidjen  3*0^^)"'^""  tuenbet,  fonbern  auc^  jener 
friit)er  bernl)rten  allgemeineren  Klärung  unb  geftigung 
beö  Urteitö  biencn  lüill  —  [ie  wirb  nid)t  pein(id) 
aud)  in  il)rcm  äufjercn  C^ng  gan^  uon  unten,  öon 
ben  leljtcn  (£'in5eltl)at[od)en  auffteigen  muffen,  öiel; 
me()r  ben  ©egenftanb  fdjon  in  einer  gen)iffen  f^fte* 
matifdjen  ^(norbnung  be()anbeln  bürfen,  menn  nur 
bie  Öegrünbung  ber  ®efe^e  au^  ben  t()atfäd)(id)en 
S^orgängen,  ber  2Beg,  auf  bem  bie  allgemeineren 
©rgebniffe  gemonnen  finb,  am  red)ten  Ort  beutlid) 
genug  erfennbar  gemad)t  merben. 

3ßenn  fid)  aber  eine  fold)e  Unterfuc^ung  unb 
^arfteßung  in  ber  §auptfad)e  unb  grunbfä^lic^  auf 
ha§  beutfc^e^rama  befd^ränh,  fo  lä^t  fid)  fragen, 
ob  unb  miefern  ha^  berechtigt  feiV  Tlan  fönnte 
üerfud)t  fein,  gu  fagen:  menn  eö  überhaupt  in  ber 
bramatifc^en  ^unft  etma^  gefteö  giebt,  beftimmte 
allgemeine  ©efe^e  beö  S)ramatifdjen ;  menn  fid)  nid)t 
bloB  eine  ^ef^ic^te  be§  S)rama§  geben  läBt  unb 
eine  2lnalt)fe  beftimmter  bramatifd^er  2Serfe,  menn 
fid)  üielmet)r  eine  5ufammenl)ängenbeäftt)etifc^eStf)eorte 
beö  ©ramaö  oufftellen  läfet  —  fo  !ann  boc^  nur 
öon  einer  allgemeinen  5{eftl)eti!  beö  2)ramaö,  einer 
allgemeinen  2)ramaturgie    bie  9f{ebe   fein    unb    ni^t 


—     12     — 

üon  einer  beutfd^en  ober  franäöfifd^cn  ober  fpantfd^en 
ober  griec^ifd^en  unb  fo  fort.  9^un  giebt  eö  aÜer* 
bingä,  irie  gu  geigen  fein  lüirb,  jeneg  ^efte,  ^füge« 
meine,  ©urd^greifenbe,  n)a§  über  ben  jenseitigen  Sten* 
berungen  beö  ®efrf)macEeö  unb  ber  Äunftrid^tungen 
fte^t  unb  im  2Sefen  be§  2)ramag  begrünbet  ift;  aber 
tro^bem  ift  ba^  5tnbere  eben  fo  fieser,  bofe  ha^  im 
tiefften  ©runbe  (Sine  SSefen  be^  2)ramatifrf)en  fid^ 
bei  öerfct)iebenen  Stationen  unb  in  üerfd^iebenen 
^ulturperioben  üerfd)ieben  entfaltet  ijat  ®af3  na^ 
tionaler  ßt)ara!ter,  9?eIigion  unb  ©itte,  bie  ©efamt* 
^eit  ber  Äulturbebingungen,  bie  gange  3SeIt=  unb 
SebenSauffaffung  unb  and)  bie  iöebingungcn  ber  je^ 
njeiligen  realen  58ü^ne  t)ier  eine  9ieil)e  üon  miditigen 
Unterfd^ieben  begrünbet  I)aben,  ift  unbeftreitbar.  ®a§ 
^rama  ber  ®ried)en  unb  9iömer  geigt  bod)  eine 
9{eii)e  öon  Sigentümüd^feiten,  bie  ha§  moberne  S)rama 
nid^t  fennt  unb  umge!et)rt;  ha^  ®rama  ber  romani* 
fd)en  3SöIfer  unterfd^eibet  fid)  in  einfd^neibenben 
^un!ten  öon  bem  ®rama  ber  ©ermanen;  aud^  inner* 
\)alh  fofd^er  Gruppen  finb  Unterfdjiebe:  ha§>  fpani* 
fd)e  S)rama  \)at  eine  anbere  ©ntmidlung  genommen 
alö  ha§>  frangöftfd)e  ober  italienifd^e,  unb  ha§  beut* 
fd)e  ®rama  feit  Seffing  meiert  tro^  aller  S3eein* 
f[uffung  burd^  ©^a!efpeare  in  mef)r  aiß  einer  S3e« 
gie^ung  öon  bem  englif^en  ©rama  ob.  ^Jod^  met)r 
Unterfd)iebe  begrünben  natürlid^  aud^  bie  Snbiüibuali* 


—     13    — 

taten  bcr  ^ramatifer,  njclrf)c  bem  ÜDramo  einer  5Jiation 
ober  3eit  it)r  befonbereö  C^epräge  fleOcn,  obiuol)!  ourf) 
fie  umflefel)rt  tuieber  beeinflußt  finb  üon  jenen  all* 
(gemeineren  i2k'bini"\tl)eiten. 

ihir,^,  fcl)on  unter  biefem  ®c[id)t8punft  iftbaSbeutfd^e 
2)rama  eine  *3ad;e  für  fid),  unb  tuie  man  auö  ber  alt* 
cjemeinen  i^iteraturgefdjidjte  eine  beut)d)e  Siteratur* 
fle)d)id)te  at^  ein  felbftänbigeä  ®an5eg  t)erau^nel)men 
fann,  fo  tö^t  fid)  üon  einer  allgemeinen äft^eti)d)enjDra* 
maturgie  eine  beutfd^e  Dramaturgie  ab^mcigen.  9^ur 
borf  man  babei  5lüeierlei  nidjt  üergeffen.  (Sinmal  ift  bie 
ßntmidtung  beö  beutfdjen  2)ramaö  unb  fo  aud)  feiner 
inneren  äftl)etifd^sbramaturgifd;en®efe^e  nidjt  unbeein* 
flu§t geblieben  t)on  au^en  t)er;  eöiftnamentlid^geitnjeilig 
fet)r  ftar!  üom  frangöfifd^en  2)rama  beeinflußt  ttjorben, 
bann  aber,  nadjbem  bie  i^errfd^aft  ber  fran^öftfc^en 
9iegel  gebrodjen  n^ar,  nod)  ftärfer  üon  ©t)afefpeare. 
@l;afefpeare  ift  fogar  fo  fel)r  geiftigeö  Eigentum  ber 
beutfd)en  Station  gett)orben,  boß  ha^  ©Ijafefpearefc^e 
2)rama  üom  beutfd^en  2)rama  gar  nid^t  mel)r  ^u 
trennen  ift;  unb  ettt)aö  ät)nli(^eg  f)at  fic^  in  neueftet 
3eit  —  nur  in  geringerem  unb  meniger  bebeutenbem 
9J?aße  unb  ol)ne  ha^  eine  tiefere  fad)lic^e  ©leic^ftellung 
guläffig  märe,  mit  bem  Sbfenfd)en  2)rama  üollgogen. 
@g  t)erfd)lägt  jebenfallö  nid^t  t)iel,  ob  man  allgemeiner 
üom  germanifd£)en  ober  enger  öom  beutfd^en  Drama 
rebet  —  im  Unterfd^ieb  bann  Dom  gried^ifd^en  unb 


—     14     — 

romanifcfien,  üon  bem  anbetet  SSöltet  in  altet  unb 
neuet  Qtit  nicf)t  gu  teben.  5Inbete  au§Iänbtfd)e  @in= 
flüffe  auf  haß  beutfd^e  SDtoma  nad^  ©d^ittet,  fpontfdje 
©nflüffe  auf  ha§>  2)tama  bet  9ftomantifet,  abetmatige 
ftangöfifc^e  ©inflüffe  in  neueftet  ^Qxt  fommen  met)t 
füt  bie  ®efd)ic^te  beö  ncueten  beutfd£)en  2)tama§  in 
Settac^t,  alö  bo§  fie  füt  feine  §teftf)eti!  öon  njefentlidjet 
93ebeutung  geujotben  ttjöten.  ©oId)e  ©inflüffe  unb 
3ufamment)önge  finb  natütlidj  nid)t  au^  bem  5Iuge 
gu  öetlieten,  tt)enn  öon  einet  ^feft^etif  beS  beutfc^en 
^tamaö  bie  9?ebe  fein  foll.  @6enfo  njid^tig  abet  unb 
in  geUjiffem  @inn  toid^tiget  ift  ha^  5fnbete  —  unb 
^ietin  liegt  nod^  eine  tiefete  9^ed^tfettigung  füt  bie 
93efd)tän!ung  auf  haä  beutfdje  obet  allgemeinet  auf 
ha§>  getmanifd)e  ©tanta:  tto^  aß  jenet  t^atfäd)Iid)en 
I)iftotifd^en  unb  nationalen  Untetfd^iebe  in  ben  Sebenö* 
öu^etungen  bet  btamatifd)en  ^unft  bet)ält  ha§>  eigent« 
lic^e  SBefen  aUeä  2)tamatifd^en  boc§  nod^  fo  Diel 
®emeinfame§,  butc§  alle  SSetfd§iebent)eiten  ®utc^s 
gteifenbeö  ,  ha^  aud^  eine  beutfd^e  ^Dtamatutgie 
in  ben  njefentlid^en  ©tunbtagen  unb  entfd^eibenben 
®tunbbeftimmungen  gugleid^  allgemeine  Stamatutgie, 
aEgemeine  5teftt)eti!  be§  S)tama§  mitb  fein  muffen 
unb  fönnen.  Sa,  man  !ann  nod^  meitet  get)en  unb 
fagen :  im  beutfd^en  obet  übetf)aupt  im  getmanifc^en 
®tama  l)at  ha^  SSefen  bet  btamatifd^en  ^unft  —  mie 
e§  aud^  fd^on  in  feinen  anbeten  ©eftaltungen,  ja  big 


—     15     — 

ouf  joinc  jctüciligen  ^fnfnnf^c  ^urücf  nod)  er* 
fcnnbar  ift  —  boc^  feine  bi^  je^jt  reinfte,  tieffte  unb 
uoUfommcnfte  ^luSflcftaltunfl  (^efunben,  fid)  biö  jeOt 
nm  fdjärfftcn  unb  flarftcn  ßcoffenbart;  cjciuiffc  ^tb* 
lucid)uni]cn,  bie  boiS  romanifdjc  unb  aud)  baö  grie« 
d)i[d)e  jDrama  geigt,  finb  nid)t  nur  ?(blücid)ungen, 
fonbcrn  3^''^^)*^"  "^^"^r  inenigcr  reinen  ^(u^prägung 
biefeS  !föe)eng.  Unb  [o  barf  bie  9Xeftt)etif  be«  ger* 
manifd)cn,  bcä  beutfdjcn  2)rama§  (fottjeit  [ie  gelingen 
fann,  natürlid)!)  ben  ?(n[prud)  cr()eben,  gugleid)  bie 
9(ufgaben  ber  5re[tt)etif  beö  SDramoö  übert)aupt  im 
angegebenen  @inne  gu  erfüllen. 

@ine  iöefdjränfung  auf  ha^  beutfd)e  2)rama 
empfiehlt  fic^  im  2(ugenblic£  aud^  baburc^,  t)a)i  e^ 
fid)  für  ben  I^eutigen  2)eutfd^en  oor  allem  barum 
f)anbett,  gu  erfennen,  \oa^  bie  feinem  nationalen 
(5t)arafter,  feiner  ®efd)id)te  unb  ben  übrigen  Se* 
bingungen  feineä  Sebenö  gemäße  bramatifd)e  Äunft 
fei.  5)enn  eine  internationale  Äunft,  öon  ber  fo  oft 
gerebet  mirb,  ift  eben  nid^tö  aU  eine  unflare  D^ebenä* 
art.  5llle  mir!lid)e  Äunft  ift  national,  unb  bie 
bramatifc^e  erft  red^t.  S)a§  fd^lie^t  ja  nic^t  an§,  ha)i 
bie  Äunft  einer  Station  auc^  ouf  bie  anberer  Stationen 
mirlen  unb  in  it)ren  ©rgeugniffen  üon  i^nen  angeeignet 
h)erben  lann;  aber  in  i^rem  SSefen  unb  in  i^rer 
@ntftet)ung    trägt   fie    allezeit  nationalen  S^ara!ter, 

Snt   übrigen  ift  noc^  ettoa^  au^brüdlic^  gu  be- 


—     16     — 

merfen.  SSenn  bk  5Ieft^etif  oon  ©efe^en  fprtd^t, 
fo  f)at  fie,  in  ®eutfd;Ianb  loenigfteniS,  fid^  fofott  auf 
ben  SSorlDurf  unberedjtigter  „tmperatiöer  5XeftI)ett!" 
gefaxt  gu  mad)en;  aud)  in  ©ac^en  beö  ®ramaä  njirb 
immer  inieber  geeifert  gegen  bie  angebtid^e  Slnmafeung 
ber  Sleftfjetifer,  ©efe^e  geben  gu  n}o(Ien.  SDiefer  ®ifer 
ift  ^ödjft  überftüfftg.  (Sine  5leftf)etif  unb  fo  aud;  eine 
äftJ)etifd^e  Dramaturgie,  bie  if)re  5[ufgobe  rid^tig  er* 
fannt  \)at,  xoxU  gunädjft  feine  ©efe^e  geben,  fonbern 
@efe|e  f  in  ben  —  ©efe^e  in  feinem  n^efenttid) 
anbern  ©inn  atö  in  bem,  in  meld^em  mir  in  aEen 
S^Jaturs  unb  ©eifte^miffenfc^aften  üon  ©efe^en  reben. 
S)ie  t^atfäd)Ii(^en  SebenSuorgänge  unb  Sebenäs 
bebingungen,  in  benen  unb  unter  benen  bie  bra« 
matifd^e  ^unft  i^re  SBirfungen  übt,  mögtid^ft  richtig 
5u  erfennen  unb  fie  auf  ®runb  beffen  in  gemiffen 
allgemeinen  @ä^en  gufammengufaffen,  in  einen  ein* 
t)eitlic^en  3"faJi^ment)ang  gu  bringen  —  ha^  iftä, 
mag  allein  eine  ?left^etif  beö  2)ramag  aU  ibre  näc^fte 
Aufgabe  betrad^ten  fann.  greilic^  ergiebt  fid^  meiter« 
t)in  öon  fetbft  unb  of)ne  jeglid^e  5lnma^ung  „impera* 
tiüer  Steft^etü",  ba^,  mer  gemiffe  Slunftmirfungen 
erzielen  miü,  fic^  an  bie  ©efel^e  I;alten  mu^,  hk 
t£)atfäc§Iid^  im  SBefen  einer  beftimmten  Äunft  Hegen; 
fo  merben  biefe  ®efe|e  aöerbingö  bon  felbft  an^  §u 
Siegeln  für  ha§  ©d^affen.  S)ie  5(eftf)etif,  menigftenö 
bie,  meiere  mir  t)eute  betreiben,  erl^ebt  feineSmegg  ben 


—     17     — 

il)r  fo  oft  untergefdjoliencn  unb  üorgctnorfcncn  5(n« 
fpru^,  mit  einem  millfürticl)  aufgcftcUten  ober  fon* 
üentionell  übcrtommcncn  9ic(\clfobcj  bem  fd)öpferifd)cn 
bramotifdjcn  Zaknt  vorgreifen,  fein  (3cl)affen  fcfjul* 
meiftcrn  unb  cinfdjnüren  5U  njoÜen;  Woiji  aber  erlaubt 
fie  fid),  eben  in  bem  fic  bie  tt)at)äd)Iid)cn  (^efe^e  im 
üföefen  beiS  SDramaö  finbet  unb  feftfteüt  unb  gum  33e* 
njufetfein  bringt,  aud)  bem  fc^affenben  SDramatüer 
5U  fagen:  baS  unb  baö  mu^t  bu  im  5(uge  be{)a(ten, 
menn  bu  bie  SBirfungen,  bie  bu  erftrebft,  aud)  tt)irf= 
\\d)  erzielen  ttjiüft!  Äommt  ein  mäd)tiger  bramotifc^er 
@eniu!§,  ber  burd^  fein  ©d^affen  ber  bramotifd)en 
Slunft  gan§  neue  33af)nen  eröffnet,  neue,  biäl)er  un« 
befannte  ®efe^e  giebt  ober  erfd)lie^t  —  gut,  fo  n)irb 
bie  Sleftt)etif  eifrig  au§  feinen  Schöpfungen  lernen, 
unb  tt)a§  er  toirüic^  9^eue§  unb  gugleid^  ©auernbeö 
leiftet,  haS'  fann  auc^  gu  neuen  Sfiegeln  merben. 
Sngmifd^en  aber  barf  fid)  feiner,  ber  fid)  nic^t  burd^ 
bie  Xt)at  ai§  foI(^  einen  ©eniuS  auögemiefen  tiat, 
n^unbern,  ttjenn  er  burc^  SJJi^ac^tung  ber  bereite  üor* 
{)anbenen,  erfonnten  unb  erprobten  ©efe^e  ftd^  um 
bie  Sßirhingen  bringt,  bie  er  erreichen  möchte. 
Uebrigeng  pflegt  ha^  njirüid^e  ®enie  gerabe  in  biefem 
@tüd  öiel  befd^eibener  gu  fein  unb  befonnener  üor* 
äugelten  al§>  ber  ©enialität^ttja^n,  ber  in  unreifer 
SSiUfür  gegenüber  allem  ©efe^möBtgen  feine  todU 
betoegenbe    Sebeutung    fud)t.      @ine    9(eft^etif    be^ 

2 


18 


5)ramaö  6raud)t  olfo,  bte  ©ad^e  red§t  öetftanben, 
ben  S3ortt)urf  gefe^geberifd^en  SSerfa^renö  !etneält)egg 
gu  fdjeuen.  (£i8  !ommt  nur  barauf  an,  n)te  njett  [ie 
bie  öor^anbenen  ©efe^e  ber  bramattfcf)en  Äun[t  rid)tt9 
gu  er!ennen  unb  feftjufteUen  üermag;  unb  in  biefer 
Segiefiung  njtrb  fte  atterbtngö  ftd^  feineöttjeg^  un* 
fefjlbar  bünfen  fonbern  auc^  für  ben  S'Jadjnjetg  be^ 
Srrtumö  empfängltd^  fein,  njenn  man  i^r  nur  nid^t 
mit  3J?obefcE)tagmörtern  unb  minbigen  5Inmeifungtn 
auf  eine  unfid^ere  ßufunft  geftiegen  fommt,  fonbern 
beffere  ©rfenntni^  beö  X^atfädf)tid^en  bringt  unb 
rid^tigere  5tbleitung  ber  ©efe^e  au§  ben  St{)atfad^en. 


Srfte«  Äapitel. 

Das  Dramatifd^c. 


Jtc  (S^runbfrage,  über  lüelcfie  jebe  Q[t£)etifd^e 
Dramaturgie  ÄIarf)eit  ju  fd^affen  l)at, 
lautet  f(^li(l)t  unb  einfach :  tüaä  t[t  bratnattfd^? 
ÜDaö  aber  ^et^t:  tDuS  ge^t  öor,  toenn  baö,  toaS  ber 
©pradjgebraud^  im  oEgemeinften  @inne  bramatifd^e 
Äunft  nennt,  auf  ung  äftl^etifc^  mirft?  SBa^  i[t  ha^ 
S3ei'onbere  in  biefen  SSorgängen?  —  im  beftimmten 
Unterfc^ieb  öon  bem,  mag  üorge^t,  menn  mir'ö  mit 
anbern  fünften  gu  tf)un  l^aben.  SBa^  ift  biefeS  S5es 
fonbere  neben  etmaigem  Gemeinsamem,  ha§  aud^  in 
anberen  fünften,  in  aßen  öieEeid§t,  ober  bod^  in 
irgenbmie  öermanbten,  fid^  finbet  —  ? 

S)a  ift  gunäd^ft  eine  Xf)atfad^e  nic^t  gu  überfe^en, 
beren  3KiBac£)tung  immer  mieber  SSermirrung  anrichtet: 
bie  bramatifd^e  Äunft  mirft,  if)rer  ©ntfte^ung  unb  if)rer 

2* 


20 


(gnttotcflung  nad)  a(§  ein  bem  3^f<^öuer  gegen« 
tt}ärtige§,  auf  einem  beftimntten  ©d^aupla^  borge* 
fü^rteö  @piel.  „©pieten"  ift  hidjt  äufaüig  biö  auf 
ben  heutigen  Xag  ber  SluiSbrud  beö  ©prac^gebraucf)^ 
für  bie  SSorfüt)rung  eineg  bramatifd^en  ÄunfttuerB, 
unb  bie  ^luöbrüde  „5Iuffüf)rung ",  „ ^ßorfteüung ", 
getjen  auf  berfelben  ^^öfirte:  eg  n)irb  unb  lüurbe  üon 
je^er  bem  ßufdöauer  auf  einem  ©d^aupla^  {ha§  t)et^t 
ja  „  ^{)eater "),  auf  einem  ®erüft,  einer  ®üf)ne  üxva^ 
„aufgefüt)rt",  unb  fei'g  aud;  nur  ein  Sfufgug  ober 
Umgug;  eö  tuurbe  unb  mirb  bem  ßuft^auer  ctraag 
„üorgeftettt",  öor  feine  @inne  etmag  tjingeftetlt,  ha^ 
für  if)n  irgenb  eine  Sebeutung  ^aben,  aud)  in  btefem 
@inne  etmaö  „  öorftelten "  foü.  2)enn  nidjt  im 
@rnfte  ber  gett)ö^nlid)en  2BirfIid^!eit  ooll^iel;!  fid)  auf 
bem  (Sdjaupla^  irgenb  ein  Seben^üorgang,  fonbern 
ma§  öor  bem  ßufc^auer  borgest  unb  auf  i^n  vo'ixtt, 
foE  if)m  einen  Sebenäüorgang  nur  Dorftellen,  bebeuten, 
„barftetten"  —  baä  t)ei^t:  in  einem  iöilb,  in  einer 
im  meiteften  ©inne  äft^etifd^en  5(nfd^auung  üor  bie 
©inne  führen.  Unb  gttjar  gefd)ief)t  bieö  nic^t  bur(^ 
färben,  auf  Seinemanb  ober  ^otj  ober  Äal!  gematt, 
aud^  nid^t  burd^  aufgefteHte  (Statuen  öon  ©tein  ober 
©rj;  fonbern  e§  gefd^iet)t  burd)  lebenbige  9Wenfd)en 
öon  t^Ieifc^  unb  95Iut:  fie  führen  bie  Sebenööorgänge, 
um  bie  fid^'g  f)anbett,  bem  3"fc|öuer  fpielenb  öor; 
mit  93etöegungen  i^reöÄörper)§,  mitäJJienen,  ©ebärben. 


—    21    — 

SBeincn,  Sadjcn,  mit  SBorten  —  furj  mit  fnmtlic^cn 
imn  bor  ^^l)t)[iotü(\ic  unb  ^4^ft)d)oIoflie  fo  genannten 
^Hu!(Sbrucf0beU)ci]unöen  *)  [teilen  [ic  bem  3"fft)auer 
Dor  bie  (Sinne,  too«  ber  Ißorgang  auf  bem  ©c^au* 
plQ|j  für  il)n  barfteEen,  bebeutcn  foü.  SSor  bie 
©inne  äunädjft  —  unb  burd)  bie  ©inne  üor  bie 
^I)antQfie,  öor  bie  innere  äft^etifdje  ?Infd)auung. 
5m  testen  pft)d)olociifci^en  ®runb  unb  Söcfen 
ift  biefeö  ©picl  burdjQuö  md)tä  anbereiS  aliS  ha^ 
©piel  ber  Äinber,  mie  eä  gang  öon  felbft  unb  o^ne 
jebe  ben  (£rmad)fenen  nad)geal)mte  Äunftbeftrebung 
fid^  immer  unb  überall  auö  einem  tt)atfäd)lid)  Uor^ 
l)anbenen  Xrieb  ber  linbltd)en,  ber  menfcl)lid)en 
9Zatur  ergeben  \)at  Unb  in  ber  finblidjften,  naiüften, 
einfad^ften  ^orm  irgenbmeld)en  ©pieleö  fteKen  fid^ 
jo  bei  aßen  SSöllern  bie  erften  5lnfänge  bramatifc^er 
Äunft  bar:  in  einem  2Saffentan§  mirb  Ärieg  ge= 
fpielt,  in  einem  feftlid^en  ?tuf*  ober  Umgug  merben 
religiöfe  SßorfteGungen  f^mbolifd^  öorgefül)rt,  in 
einer  närrifd^en  Suftbarleit  n)irb  ha§>  tl)örid^te  ©e^ 
baren     üon    9^ebenmenfd^en     fpielenb    nad^geal)mt, 


*)  Sur  SlusbrucfSberoegung  roirb  jebe  Äörperbc« 
roegung,  fei  fie  im  übrigen  roillfürlit^  ober  refleftorift^  ober 
automatifc^,  loenn  fie  ben  2)ienfl  l^ut,  einem  an  ftt^  ni^t 
roa^rnc^mbaren  feelifc^en  Sorgang  finnenfäüigen  ÄuSbrudf 
ju  geben.  2lu(^  bie  ©pracf)c  i[t  —  barin  roirb  man 
asilöclm  SBunbt  juftimmen  muffen  —  pfg^opl^gfiologifc^ 
betrad)tet  eine  gorm  ber  auabrutfsberoegung. 


—     22     — 

ein  ©türf  aus  einem  2)?t)t^u§,  einer  t^eiligen  ©efd^id^te 
roirb  nid^t  nur  öon  (£inem,  öom  ^riefter  etnja,  er5ät)tt, 
fonbern  3)?e^rere  [teilen  eg  fpielenb  üorö  Singe  ber 
5Inbern,  als  ob  fte  bie  SOtenfc^en,  |)eroen,  ©ötter 
wären,  bon  benen  bie  ®ef(i)id^te  f)anbelt.  (£§  tt)äre 
nun  freiließ  öertet)rt,  wenn  bie  Steft^eti!  beö  ®rama8 
i^r  Unterfud^ungSmateriat  lebiglic^  auö  jenen  primi* 
tiöften  formen,  auS  ben  naiöften  Stnföngen  be§ 
bramatifd^en  Spielet  net)men  inoHte;  eine  einseitige 
Steigung,  haS  SSefen  einer  @act)e  nur  au^  il;ren 
primitiöften  fieben^Qu^erungen  er!ennen  §u  wollen, 
ift  JQ  aEerbingS  in  ber  mobernen3ßijfenfd^aftüort)anben 
—  aber  baS  ift  eben  eine  Sinfeitigfeit!  ®ie  t)üt)eren 
unb  f)öd)ftenttt)icfelten  formen  t)aben  ebenfo  unb  nod^ 
met)r  ein  9?ec^t,  in  5tnf(^Iag  gebrad;t  gu  werben; 
unb  haä  gilt  aud)  öon  ben  t)öt)eren  unb  entwidelten 
formen  ber  bramatifc^en  Äunft:  fie  fagen  unS  mef)r 
nodt)  aU  jenesS  urtümlid^e  naioe  ®piel  in  ben  5(nfängen. 
Slber  umgefe^rt  bürfen  wir  boc^  auc^  biefe  Stnfänge 
nid^t  auö  bem  5(uge  laffen;  fie  geigen,  tda^  man 
angefi^tg  ber  %xt,  wie  je^t  bie  bramatifdje  Ä'unft 
öor  unö  tritt,  fo  leidet  öergifet:  baö  nömlidj  eben, 
ba^  'öaS  2)rama  üon  §au8  au^  unb  in  feinem  SSefen 
©piet  ift. 

S)ag  öergi^t  mon  fo  Ieid)t  über  bem  Umftanb, 
ha^  wir  t)eute  bramatifc^e  Äunftwerfe  nid^t  nur  im 
X^eater  gu  fet)en  bekommen,    fonbern    ha^   wir   fie 


—     23     — 

ourf)  in  iöüdjcrn  lefen.  ©prici)t  man  borf)  foflar 
auöbrücflid)  üon  „93utf)bramcn",  „Scfcbramcn",  olfo 
Don  Aromen,  bie  öon  üornljerein  nur  für  ba«J  Sefcn 
bcfttmmt  fein  follen,  nid^t  für  ha^  Icbenbige  (Spiel 
bor  58ül)ne,  bie  beeiiüeQen  and)  mit  ben  SJ^ößlidjfeiten 
unb  i^ebeniSbebingungen  bcr  33üi)ne,  mit  ben  ©efc^en 
unb  ^(nforberungcn  bei^  lebenbigen  (Spielet  gornidit 
gu  red^nen  Ijätten.  ©oUjeit  eg  fid)  babei  nur  um 
eine  Ungufrieben^eit  beö  Xiramatiferig  mit  jeweiligen 
tl;atföd)lidien  Stl)eater5uftänben  l^anbett,  barum,  ba§ 
ber  2)id)ter  au§  biefem  ©runbe  vorläufig  auf  bie 
93üt)nenauffüt)rung  öergic^tet,  rtäre  grunbfä^tid^  nid^tg 
bagegen  eingunjenbcn;  er  benft  eben  bann  an  eine 
fpätere  ßtit  mit  befferen  ober  anberö  gearteten 
S3ü^nent)ert)öltniffen,  unb  in  ber  'ill)at  ift  eö  ja  met)r 
aU  einem  ber  t)eröorragenbften  2)ramen  begegnet,  ba§ 
e§  gunöd^ft  alö  unbrauchbar  für  bie  93ü^ne  galt  unb 
fic^  biefe  erft  fpäter  unb  kngfam  erobert  t)at.  5(ber 
ein  anber  jDing  ift  e§,  menn  ber  SSerfaffer  eineä 
fogenannten  S3ud^*  ober  Sefebramag  öon  üorntjerein 
gar  nid^t  baran  benft,  für  ein  übertjaupt  möglid^eö 
©piel  irgenb  ft)eld)er  2Irt  gu  fd^affen,  toenn  er  öon 
biefem  @piel  nur  gemiffe  gan§  äufeerlid^e  formen 
borgt,  ettoa  ben  S)ialog,  um  in  fold^en  formen  etroa^ 
niebergulegen,  maö  man  nur  tefenb  öerfteljen  unb 
genießen  fann;  t)ierbei  üergid^tet  er  überhaupt  aufg 
bramatifc^e  <Sd§affen.    «Setir  fjäufig  freiließ  öerbanft 


—     24     — 

fo  ein  Sud^brama  fein  ®afetn  tebtglid^  ber  Unfä^tg= 
fett  be^  35erfafferg,  bramatifd^  gu  fd)affen,  unb  fo 
maä)t  er  f)interbretn  auä  ber  9^ot  eine  Xugenb  unb 
nennt  Sud^brama,  toa^  einfach  ein  mi^rateneg  ober 
untt)ir!fam  geratene^  SDrama  ^ei§en  foUte,  menn  e§ 
auc^  bießeid^t  aßerlei  9Sir!ungen  unb  (Sd^önt^eiten 
allgemein  poetifd^er  5Irt  entsaften  mag. 

(Jin  n)ir!Iid§eg  ®rama  ift  ein  ©piel  unb  ftellt 
fid^  alö  foId^eiS  bar,  aud)  menn  eg  nur  in  einem  93ud)e 
getefen  ober  au^  i^m  öorgetefen  mirb.  2)ie  S^ieber? 
fd^rift,  ber  2)ru(!  gar  eine^  bramatifdjen  @pie(ä 
bient  ja  bod^  urfprünglid^  unb  junöc^ft  nur  bem 
3tt»ede,  bem  ©ebädjtniiS  gu  ^ilfe  gu  fommen ;  ba^,  toaS 
gefpielt  h)erben  foU  unb  mie  eö  gefpielt  merben  foH, 
namentlid)  tva^  beim  (Spiet  gefprod^en  hjerben  foll, 
ba^  bramatifdje  SBort,  baS  ^id^terujort  folt  burd^ 
©d^rift  ober  S)rud  fidler  unb  für  bie  5Dauer  feftgetjalten 
tt)erben.  Unb  je  met)r  ha^  bramatifd^e  SSort  mirf* 
lid^eiS  S)i(^tern)ort,  ^oefie  ift,  befto  me^r  fommt  eö 
auf  ben  SSortlaut  an,  befto  mel)r  Sntereffe  t)at  ber 
^ramatüer  baran,  ba^  nid^tö  anbereg  unb  nid^t  anberö 
gefpielt  unb  im  (Spiet  gefprod^en  tt)erbe,  alö  ma§  er 
miß,  mag  feinen  !ünftterifc^en  ^xotd^n  bient.  So 
mirb  ba^  5)rama  gugleic^  ein  Stüd  Literatur,  ift 
nic^t  nur  auf  ber  Süf)ne  unb  für  bie  Sü^ne  fonbern 
aud)  literarifd)  üor^anben.  5t6er  eg  bleibt  be^megen 
boc^  Spiet  unb   ber  pf^d)oIogifd)e  S?organg,   menn 


—     25     — 

eiS  QUO  bcm  Jöudjc  aufgenommen  toirb  unb  feine 
2S3irIunö  übt,  ift  im  Ie(jtcn  ©runbe  bcrfelbc,  tt)ie 
tt)enn  e8  auf  einet  93ül)ne  Don  irgenb  n)eld()er  (Sin* 
ridjtunfl  barc^efteüt  ipirb.  ^er  Untcrfc^ieb  ift  nur, 
ba^  in  jenem  ^aU  bai  <Bpkl  nic^t  auc^  ben  äußeren 
©innen  unb  üor  allem  ben  äußeren  (Sinnen  üor* 
gefteUt  mirb  fonbcrn  nur  unb  fofort  bem  inneren 
®inn,  ba^  e8  lebiglidj  üor  ber  ^^antafie  beö  Sefer^ 
ober  ^brer^  in  ©cene  get)t.  ®a«  mag  tt)eiterl)in 
geiüiffe  Unterfd^iebe  in  ber  (Stär!e  unb  5trt  ber 
einzelnen  SBirfungen  bebingen,  aber  baö  SSefen  ber 
'Badje  bleibt  baöon  unberüt)rt. 

@g  bleibt  hahex:  ob  ein  ®rama  über  bie  S3ü^ne 
get)e  ober  ouö  einem  93ud)e  aufgenommen  tt)erbe,  immer 
t)anbelt  e^  fid)  um  ein  ben  äuJBeren  ©innen  unb  ber 
^t)antafie  ober  nur  ber  ^f)antafie  gegenwärtige^ 
©piel  unb  nid^t  —  ha^  ift  ber  fofort  fc^arf  m§>  5Iuge 
5U  faffenbe  ©egenfa^:  nid^t  um  eine  ©rgäfjtung,  um 
einen  Serid^t  über  ^efd^e^eneö,  SSergangeneö.  SSenn 
ber  Sänger  in  bie  ^alle  tritt  unb  ben  laufc^enben 
3ut)i3rern  über  et)[Da§>  (SJefd^el)ene^  berid^tet,  öon  Staaten 
ber  gelben  ober  ©ötter,  öon  einer  (Sd)lad^t,  öon  einet 
33rautmerbung  —  ober  toenn  ber  moberne  Sefer  einen 
9^oman  in  ber  ^anb  tjätt  unb  mit  (Spannung  ben 
3}egebent)eiten  folgt,  bie  ber  9ioman  ergätilt,  fo  ift 
ber  iBorgang  offenbar  ein  gan^  anberer.  S)er  §örer 
ober  Sefer  befommt  öjol^l  auc^  ein  ^^antafiebilb  öon 


—     26     — 

ben  SegeBen^eiten,  bie  bertdjtet  »erben,  unb  je  beffer 
ber  @r3äl)ler  feine  Äunft  üerftet)!,  in  befto  Mftigerer 
iöen^egung  gieijen  bie  93egebent)eiten  an  bem  inneren 
9luge  öorüber;  ja,  je  nadjbem  ber  @r5Ql)Ier  ergätjlt, 
fann  öor  ber  ^fiantafie  beö  ^örerö  bie  93enjegung 
ber  ergä^Iten  SSorgänge  fogar  geitnjeilig  etnja^  üon 
ber  STrt  gegenh)ärtiger  93ett)egung  eineg  ©pieleS  an* 
nef)men  —  baö  nennt  man  bann  bie  „bramatifd^en 
©teüen"  in  einer  @r§ät)Iung.  5(ber  baö  ift  nidjt  ber 
burd^gängige  unb  hjefenttid^e  (5f)oratter  be^  SSor* 
gange^:  biejer  ift  t)ielmef)r  Serid^t  über  (5Jefdf)e^ene^ 
unb  SSergangeneö,  unb  gnjar  Serid^t  eineö  ©ingelnen 
an  eineSIngat)!  öon  3ut)örern  —  nidfjt  aber  gegen* 
njörtigeö  (Spiel,  in  ftjeld^em  SQJe^rere  einen  Seben^* 
öorgang  gur  5)arfteßung  bor^ufd^auern  bringen  — 
unb  gttjar  öor  ßufcä^öuern,  bie,  förpertid^  bem  «Spiele 
anmefenb,  mit  bem  leiblichen  2tuge  unb  Dt)r  if)m  folgen 
ober  menigfteng  folgen  foHen,  nur  gemiffermafeen  aug* 
l)ilf§meife  fid^  aud^  begnügen  ober  begnügen  muffen, 
nad^  ben  5Inbeutungen  eine^  93ud§eg  ha§  (Spiel  nur 
in  ber  ^l)antafte  angufdEiauen. 

Unb  ebenfo  get)t  bei  fold)em  bramatifcf)em 
Spiel  offenbar  etma^  gan^  anbereS  öor,  al^  menn 
ein  3)id^ter  feine  ®efül)le  unb  Stimmungen  ober 
oud§  feine  in  5lnfd^auung  öermonbelten  ®eban!en 
bem  ^örer  öorträgt  ober  im  gefd^riebenen  ober  ge* 


27 


brurftcn  2öort  bcn  liefern  l)or(c(\t,  im  flcfunflcncn  Uicbe 
über  im  (^cfprocljcncn  ober  burd)  liefen  Quf5unet)mcnben 
®ebict)t.  ^khd  überträgt  einfach  ber  ®irf)tct  — 
tüieberum  alö  6in5elner  —  feinen  (^efül)Iö5uftQnb,  feine 
©timmungen  unb  5InfcI)Quungen  auf  ben  ^örer  ober 
Sefer,  inbem  er  fie  in  3Borten  ober  ettua  and)  begleiten* 
ben  ^bnen  gum  ?(uöbruct  bringt,  ben  .^i)rern  mitteilt. 
5(ucl)  Ijier  tonnen  in  bcn  ber  ""^Ijantafie  gegebenen 
5(nfd)Quung«^reiIjen,  burd)  mcldje  ber  2)id)ter  feinen 
©emütöguftanb  gum  Stuöbrud  bringt,  9D^?omente  üor* 
fommen,  ttjeld)e  für  einen  Stugenblid  mie  eine  ?(rt 
@piel  öor  ber  ^l^antafte  oorbei^ietjen;  aber  aud)  ba^ 
finb  eben  nur  i)orüberget)enbe  SOtomente,  bie  fo« 
genannten  „  bramatifdjen  ©teilen  "  aud)  in  ber  £^ri!  — 
nid)t  aber  ift  ha^,  mas^  geboten  tt)irb,  alä  ©ange^ 
unb  mefentlid)  «Spiel. 

Sineä  freilid^  i)at  ha^  bramatifd)e  ©piel  mit 
ber  (£r5ät)lung  (ber  epifd)en  ^id)tung,  menn  bieS 
9Sort  gebraud)t  merben  foll)  unb  mit  ber  Itjrifd^en 
Äunft  gemein:  and)  ha§  bramatifc^e  Spiel  bebient 
fid^  beigSÖorte^,  um  bie  OorgefteUten  ßeben^öorgänge 
bem  ßufd^auer  beutlid^er  gu  mad^en.  iBIo^e  mortlofe 
Huäbrudäbemegung,  Xang,  Pantomime,  ift  auc^  ein 
@piel,  !ann  infofern  einen  gemiffen  bramatifd^en  ßl)a* 
rafter  l^aben,  unb  in  ben  Slnfängen  ber  bramatifd^en 
Äunft  befd^rönft  fid^  ha^  Spiel  ^äufig  auf  SSermenbung 
ber  übrigen  Stui^brudöbemegungen  au^er  ber  Sprad^e; 


—     28     — 

auf  biefer  <3tufe  plt  [tc^  audt)  :^eute  noc^  i>a^,  tua^ 
trtr  93aIIett,  Pantomime  ober  bergleidjen  nennen. 
5(ber  ha^  ftnb  eben  nur  bte  prtmitiüen  5tnfänge  — 
unb  fd^on  ber  unartüulierte  <S(J)ret,  ettoa  beim  ^ange, 
ober  ein  monotoner  ©ingfang  üon  Stönen  of)ne  SBorte 
brängt  nad)  einer  ©rgängung  ber  übrigen  ^luöbrucEö« 
benjegungen  burd)  if)re  ^öc^fte  gorm,  ba^  menf(^tid^e 
SBort.  (Somie  fid^  ba^  bramatifd^e  Spiet  über  bie 
urtümlirfiften  formen  unb  ?lnfänge  ^inauö  entmidelt, 
fommt  ha§  gejprod^ene  SBort(etma  auc^  ha^  gefungene) 
gur  ©eltung,  aU  ha^  unentbef)rlid^e  unb  nad^  gen^iffen 
9^id^tungen  l^in  reic^fte  Stui^brucEigmittet,  bem  ßufd^auer 
beutlid^  gu  mad^en,  xoa^  gefpiett  toirb.  Unb  je  f)öt)er 
t)a§>  2)rama  ficf)  entujicfelt,  je  bernjidEeltere  feelifd^e 
SSorgänge  aU  @piet  öorgeftellt  n^erben,  befto  unent* 
be^rlid^er  n)irb  ba^  SSort,  befto  reid^er  entmicEelt  fid^ 
bie  bramatifc^e  @prad[)e.  S)urd^  bie  (3prac[)e  aber 
mirb  bie  bramatifdje  Äunft  gu  einem  ßtoeige  ber  jDid^t* 
!unft,  tt)ät)renb  bie  ^Beteiligung  ber  anbern  5tuöbru(f§* 
bemegungen  bie  mimifc^e  Äunft  an  ber  bramotifd^en 
ifjren  5lntei(  nel)men  lö^t.  5Iud[;  bie  bitbenben  lüünfte 
liefern,  je  nad)  ber  S3efd^affent)eit  be§  ©d^aupla^eä, 
itjren  Seitrag  jum  ©angen;  übrigen^  liegt  ein  9J?oment 
aug  ber  bilbenben  Äunft  aud^  infofern  in  ber  brania* 
tifc^enÄunft,  a(^  bie  äft^etifc^e  5Infd)auung  nid^t  nur  — 
njie  in  ber  epifc^en  unb  Itjrifc^en^oefie  —  ber  ^^^antafie 
gegeben  Ujerben  folt,  fonbern,  im  lebenbigen  Spiel, 


—     29     — 

nurl)  unb  5unäcl)ft  bcn  äufjercn  ©innen.  (Snblirf)  fann 
ja  auci)  bie  9J?u[if  it;ren  iSeitra^  5Ut  bromatifd)cn 
Äunft  [teilen,  tuenn  fie  ©timmungcn  njccfenb  ober 
üerftörfenb  in  bog  ©pict  eintritt  ober  ttjenn  an  bie 
Stelle  beö  gefproc^cnen  SöorteS  baö  gefungene  tritt, 
©cnaii  bctradjtct  gel)t  cö  alfo  nid)t  an,  ba^  5)rama 
fdjlcdjtiucg  nur  ai^  eine  Gattung  ber  ^oefie  ^u 
betrad)ten,  feine  5le[tl)eti£  ot)ne  toeitereg  unb  aus* 
fdjlicfelid)  aU  einen  Xeil  ber  2leftf)etit  ber  5)ic^tfunft 
gu  bel)anbeln.  Slber  toaß  immer  bon  anberen  Äünften 
jur  Döfligen  5lu!3gcftaltung  beä  bramatifc^en  Äun[t= 
iDerfiS  beige[teuert  toerbe:  fein  eigentlidjer  Schöpfer 
bleibt  bod^  ber  2)id)ter,  fein  bel)errfd^enbeö  Äunft- 
mittel  ha§  bic^terifd^e  SBort. 

5lber  bie  ©prad)e  be^  bramatifdjen  2)i(^terig  ift 
in  il)rem  SBefen  eine  anbere  aU  bie  be§  ©rgäfiter^ 
ober  be§  ß^riferö.  Genauer  ift  bag  erft  fpäter  au§= 
gufü^ren ;  für  je^t  ift  foöiel  einleuc^tenb :  bie  bramatifd^e 
@prad)e  l)at  ben  3^^^'  beutlid^  §u  mad)en,  ttia^ 
gefpielt  trirb;  nid^t  blo^  @efd^el)eneä  gu  berid^ten  ober 
©eelenäuftänbe  auä5ufpred^en,  fonbern  bem  ßufc^auer 
flar  gu  machen,  toa^  ha  gegentoärtig  auf  bem  ©d§au* 
pla^e  öorget)t,  toaö  gefpielt  toirb  —  eä  !larer  gu 
mad)en,  alö  bieg  3J?ienen,  ©eberben  unb  bergleid^en 
aßein  gu  mad^en  üermögen.  S)iefer  ß^Jed  beftimmt 
ben  (£t)ara!ter  ber  bramatifd^en  ©prad^e. 

—  3J?tt   all   bem   S3iöl)erigen   ift   gunäc^ft   ba^ 


—     30     — 

feftgeftettt:  tüa§  im  2)rama  borget)t,  ift  lebenbigeö, 
gegentüärtigeö  (Spiel,  nid^t  i8eridE)t  bon  Vergangenen 
©egebentjetten,  nid^t  5tuö[prarf)e  öon  bloßen  ©efül^Iö* 
guftänben  unb  ®eban!en.  2)amit  allein  ift  aber  ha^ 
Söefen  beg  ®ramatifc§en  nod^  nid^t  erfd^öpft,  eg  ift 
nur  bie  allgemeine  ©runblage  für  bie  Seftimmung 
feinet  befonberen  SSefenö  gegeben. 

(Jinen  @d[;ritt  meiter  füf)rt  bie  ^^rage:  njoS 
intereffiert  unö  benn  an  biefem  ©piel,  fo  fel)r, 
ba§  eS  bie  mäd^tigften  2Bir!ungen  üben  fann,  ha^ 
bie  5tnfd^auung  biefeS  ©pielö  ober  aud^  bie  aftiöe 
Beteiligung  baran  gur  Seibenfd^aft  Serben  fann,  fd^on 
bei  Äinbern  — ?  Genauer:  ttjaö  intereffiert  un^ 
öft^etifd^  babei?  ®a§  aber  t)ei^t:  mag  öeranlafet 
ung,  mit  ungeteiltem  SJemu^tfein  gan^  bei  ber  5tn« 
fd^auung  biefeöSpielegguöermeilen,  jene  Konzentration 
beö  ©emuJBtfeinö  auf  bie  Slnfd^auung  Oor§unet)men, 
bie  biefe  gur  äftl)etifc^en  mad^t,  bem  5lnfd^auungä? 
oorgang  ben  (£t)ara!ter  eineg  KunftgenuffeiS  öer^ 
lei^t  —  ?  3Sa§  gtoingt  ung,  äft^etifc^  gu  füllen,  ha^ 
l)ei§t:  bem  5lngefd)auten  einen  beftimmten  ©efü^lg* 
mert  beizulegen,  un§  mit  äftl)etifd)en  Suftmerten  (ober 
aud^  Unluftmerten)  an  bem  ©piele  gu  beteiligen,  unä 
perfönlid^  ^ineinjuleben  in  haä,  maä  gefpielt  mirb  — ? 

Sßenn  auf  bem  ©d^aupla^  ein  9Kenfd^  auftritt, 
ein  anberer  bann,  ein  britter  bagufommt  u.  f.  m. 
—   menn   fie   fid^    anf(^idlen   gu   fpielen    b.  ^.    mit 


31 


9}^icncn,  SBorten,  ßJeberbcn,  ?(ußbrucfj^bciDCflunöcn 
jciilicl)er  'äxt  bem  3"fff)öucr  einen  Sebenöüorflanfl 
uor^uftellen:  lüaö  t[t  bie  i^xa(\c,  bie  bcr  3"frf)öuer 
innerlid)  erlebt,  in  ber  fid)  fein  Sntereffe  gufammen* 
fafet,  bie  feine  «Spannung  bilbet?  &au^  flenjtfj  roirb 
fid)  biefe  ^xaQC  am  natürlid)ften  in  bie  einfachen 
Si^orte  bringen  laffen:  luaö  n^iü  ber  \>a?  rva^ 
»ollen  bie? 

Sn  ber  erften  ©^ene  ber  „Diäuber",  fottjie  ber 
S3orl)ang  aufgegangen  ift,  fte^t  ^ran^  'SRoox  öor  feinem 
i^ater,  einen  35rief  in  ber  §anb;  er  mac^t  allerlei 
einleitenbe  S3emer!ungen,  el)e  er  ben  ©rief  lieft,  lieft 
tf)n  bann  unb  fügt  n)ieber  feine  33emerfungen  unb 
Erläuterungen  tiinju.  Sßoran  fnüpft  fid^  unfer 
^auptintereffe?  9^ic^t  an  bie  S^age:  tt)a§  ftel)t  in  bem 
©rief?  2)aö  intereffiert  unö  n)ot)l  aud^  im  ^ufammen* 
^ang,  aber  erft  in  gn^eiter  ßinie;  baä  ^auptintereffe 
ift:  mir  fe^en  unb  merfen  gletd),  ber  mitl  etmaS,  ber 
^ot  eine  beftimmte  5Ibfid)t  mit  bem  S^rief  ~  mag 
mill  er?  Unb  mie  mirä  merlen,  ma^  S^cinj  mill, 
fragen  mir  meiter:  mag  mirb  fein  ißater  baju  fagen, 
b.  i).  moßen?  Unb  baburd^  erft  mirb  ber  3nl)alt  beS 
Sriefeg,  ber  über  ®efd)el)eneg  berid^tet,  mid^tig  unb 
bie  ^rage,  ob  haä  mirflid)  gefd)el)en  ift  unb  mag  eg 
für  folgen  ^aben  mirb.  2)ag  lieifet  aber  bann  fofort 
mieber:  mag  mirb  Äarl  mollen  auf  ®runb  beg  bereitg 
@efd§el)enen,  namentlid^  aber  auf  ®runb  beffen,  mag 


—     32     — 

^ranj  to'iü  unb  tt)ie  ber  SBille  beS  5IIten  ftc^  mit  bem 
SBiEen  beg  ^rang  auSeinanberje^t.  5Iu§  biefer  grage: 
tüaö  toollen  bie?  —  [teigt  unfere  gonge  Spannung 
auf  ha^  !ommenbe  bramatifc^e  Spiel;  oug  bem,  moö 
granj  ^ier  toill,  ma^  ber  ^Ilte  mü  unb  mag  infolge* 
beffen  ^art  moüen  mirb,  entmidelt  fic^  aud)  t^atfäc^tid^ 
baö  gange  2)rama  mit  ber  @ict)er^eit,  mit  melc^er 
ein  Organismus  auS  feinem  ^eim  ermöd)ft.  —  Sn 
ber  erften  ©gene  üon  ÄleiftS  »pß^i^^^^odEienem  Erug" 
mirb  ßmeierlei  beridjtet:  ber  ^orfri(f)ter  Stbam  fe|t 
bem  ©d^reiber  Sid)t  auäeinanber,  ha^  unb  unter 
meldten  Umftänben  er  beim  5(ufftet)en  gefallen  fei, 
fid^  ben  ^u§  öerle^t  unb  baS  ®efi(^t  am  Dfen 
äerfrfjunben  ^abe;  ber  ©d^reiber  Sid^t  fobann  beric£)tet 
bem  ®orfrirf)ter,  ber  ®eridE)törat  SSalter  auS  Utrecht 
fei  auf  feiner  ^ifitationöreife  geftern  in  §oIIa  gemefen, 
f)abe  ben  bortigen  Üiid^ter  unb  ©d^reiber  fuSpenbiert 
unb  fei  je^t  auf  bem  9Sege  ^iet)er  narf)  ^uifum. 
SSoran  t)eftet  fid^  unfer  ^auptintereffe  an  biefen 
Seric^ten?  SBieberum  nic^t  an  haS  S3erid^tete  fetbft, 
üielme^r:  auS  ber  5lrt,  mie  Slbam  öon  feinem  %aU 
ergä^It  unb  ßid^t  t>a&  ©rgä^Ite  angmeifelt,  mer!en 
mir  fofort:  ai)a,  ber  2)orfric^ter  iiat  etmaS  gu  Verbergen, 
^at  etmaS  angefteEt,  —  ber  mill  etmaS,  inbem  er 
bie  ©ac|e  fo  barfteHt;  ber  @d£)reiber  miß  and)  etma^, 
inbem  er  öon  ber  9fteife  beä  ©erid)tgrate§  berid)tet, 
er  mill  ben  alten  ©ünber  5tbam  marnen  unb  t)at 


--     33     — 

fclbft  flci^'ffc  ^'^intcrgcbanfcn,  b.  l).  ?(bfid)tcn  bei 
CMcIcöen^cit  bcr  ^.^ifitation;  aucf)  ber  ©eric^törat, 
incnn  er  fommt,  tuirb  etluaS  luollen,  \va^  fd^luerlicf) 
mit  bcm  liü^ollcn  "i^CbaiiK^  fricblirf)  gufammentreffen  tüirb. 
Äurj,  abermals:  bie  lyoilcn  etiuaö!  2)ie  53egebenljeiten, 
ber  gall  5(bamö,  bie  isßifitationSreife  beö  ®erirf)törat§, 
bag  bi^tjerige  9Scrt)äItniö  beö  (Srf)reiberö  jum  9^i(^ter, 
crl)atten  if)re  95cbeutung,  i^r  Sntereffe  tebiglidj  baburdj, 
bofe  tt)ir  bcn  ©inbruc!  f)aben:  5(bQm  iriU  etiuaS 
Verbergen,  Iüqö  burcf)  bie  ^ifttation  beg  ©eridjtiSratg 
Qnö  Sicijt  !ommen  tann,  unb  ber  ©d;retber  iriU  aud) 
etjoaö  babei  unb  gtüar  tttoa^  anbere^,  ai§  ber  jDorf=» 
ric^ter  tüill.  Unb  ou§  bem  altem  entmidelt  fid)  in 
ber  Xi)at  ha§>  gange  !omifd§e  @^ieL 

^ieje  beiben  iBeifpiete  liefen  ftd^  au§  ber  gangen 
ßa^t  iuirfunggöoüer  Sramen  beliebig  öermel)ren,  unb 
^tvax  natürlid)  in  aEertei  Variationen;  namentlich 
offenbart  ftd^  nid)t  in  jebem  5)rama  ha^  SSoUen 
gleid^  rafc^  unb  fidler.  ®a§  t)ängt  teife  öom  ©toffe 
ah,  teilä  öon  ber  breiteren  ober  fna^peren  SIntage  be§ 
238er!e§,  teil§  aud)  öon  ber  größeren  ober  geringeren 
bramatifc^en  35erbi(^tunggfraft  beg  SSerfafferä.  Smmer 
aber  —  je  rafdjer  unb  fid)erer  tt)ir  mer!en,  ba^  efma^ 
gelnoßt  mxh  unb  ttJaö,  befto  rafd)er  unb  fieserer  tft 
unfer  Sntereffe  gen)onnen.  Unb  t)ierauö  erfjellt  beutfid^ : 
tüa^  ba^  öft^etifd^e  Sntereffe  im  S)rama  gefangen 
nimmt,    mag   un^    öeranla^t,    mit   unferm    gangen 

3 


34 


SelDufetfein  bei  ber  ^tnfc^auung  beö  üorgefü^rten 
©ptetg  gu  bertoeilen  unb  tf)m  einen  gett)iffen  ®efüf)Iö= 
toert  beijumeffen,  atfo  un^  äft^etifd^  5u  üer^alten  — 
ba§  ift  nid^t  eine  äußere  Segebent)eit  alg  fot(f)e, 
bielmel^r  ein  menfd^Iid^eö  SSoUen,  haS  ft(^  in  irgenb 
einer  SSeife  an  ber  95egebenl)eit  entfaltet,  fei'ö  aU 
i{)re  golge,  fei'S  ttjeiter^in  alö  SSerantaffung  Don  neuen 
95egeben()eiten.  2)enn  felbftüerftänblic^  ftel)t  ein  folc^eö 
SGSoßen  nic^t  nur  am  beginn  be§  «Spieteg,  fonbern 
bag,  tt)0§  bie  Seute  ttJoHen,  greift  irgenbttjie  ein  in 
ben  ®ang  ber  ^inge,  ruft  neue  Gegebenheiten  ^erüor, 
bie  bann  h)ieber  gu  neuen  Söitlenöregungen  Slnftofe 
geben  —  unb  fo  ttjeiter  bi^  ju  einem  gemiffen 
2tbfcJ)Iu§,  über  ben  ^inauö  Ujir  !ein  meitereS  Sntereffe 
mef)x  {)aben,  meil  eben  ha^  erlebigt  ift,  mag  öon 
Sfnfang  an  unfer  Sntereffe  gefeffett,  unfere  «Spannung 
unb  ^eilnat)me  am  (^pkl  erregt  unb  feftgef)atten  t)at, 
maä  ber  eigentlicf)e  ©egenftanb  be^  (S|)ielä  mar,  unö 
borgefteHt  merben  foKte. 

S)ieje§  'Bp'id  öon  SSiUen^öorgängen  unb  i^ren 
golgen  !ann  aber  nic^tbon@inem  gema(i)t  merben. 
@iner  lönnte  nur  ©efc^e^ene^  berid^ten  ober  feine 
baran  fic^  fnüpfenben  @eban!en  unb  @efüt)(e  jum 
5tuöbruc!  bringen;  unb  maä  er  etma  aU  einzelner 
mottte,  haS  bliebe  ein  ru^enber  3ufton^  fei"^^  SBitteng* 
fpl^äre  ober  fönnte  ficJ)  menigfteng  nid^t  gum  <Bpid 
entfalten,  menn  nid^t  anbere  i|m  entgegentröten,  bie 


—    35     - 

au<if  cttDQ«;  tooÜen  unb  t()m  baburd)  ^-üctanlaffunfl 
flcben,  feine  3BilIcnSrc(^unj\  trirflid;  in  9(ftion  5U  fe^en. 
5lnbcre,  hai  ticifet:  anbere  3J?enfd)en  —  ober  aber 
aud)  Umftänbe,  33erl)ältniffe,  SUJädjte,  (iJertalten,  bie 
im  9J?cnj'd)cnlebcn  irc^cnb  einen  beftimmenben  (Sinffufe 
üben,  bcn  Iföillen  l)erau0torbern,  baf3  er  in  Xt)ätißfeit 
trete.  Stber  aud)  in  biefcn  ^erpltniffen  unb  9J?äd)ten 
mu§  etnjaS  öon  ber  Sfrt  eineS  SBitteng  fteden,  unjere 
^I;anta[ie  mufj  it)nen  ftienigfteniS  etrta^  bergleid)en 
Ieif)en,  unterlegen  !önnen,  n)enn  unfer  Sntereffe  am 
©^tct  get)örig  erregt  merben,  menn  überhaupt  ein 
toirflidjeä  @piel  möglid)  njerben  foll.  ^er  Umftanb, 
ha^  einer  !ranf  ift,  gibt  nod)  fein  ^pkl,  aud)  njenn 
er  ben  tebl^afteften  SSiüen  i)at,  gefunb  gu  njerben; 
aber  Ujenn  anberen  ber  Umftanb,  ba'^  er  franf  ift 
ober  fid^  !ran!  glaubt,  gum  Stnla^  tt)irb,  tttva^  öon 
tl)m,  mit  it)m,  an  if)m  gu  mollen,  bann  !ann  ein 
@piet  entftet)en  n)ie  ha^  öom  „^ran!en  in  ber  @in* 
bilbung "  bei  SKoIiere.  ^er  Umftanb,  ha^  auf  einem 
@ee  ein  göt)nfturm  bittet  unb  beim  beften  SßiHen 
feinen  ©d)iffer  ^inau^täfet,  giebt  noc§  fein  ©piel;  aber 
njenn  üon  ber  ^^rage,  ob  tro^  be§  ©türmet  bie  ga^rt 
gemagt  merbe,  Seben  unb  Stob  93aumgarten§  abt)ängt, 
ttjenn  iöaumgarten  gerettet  merben  miß,  bie  «Schiffer 
nid^t  fat)ren  moHen  unb  enbtid^  Xett  feinen  SBilten 
einfe|t,  bann  entftet)t  ein  «Spiel,  ha^  meitere  folgen 
l^aben    fann.     Srgenbmeld^e   politifd^e,    fogiale    unb 

3* 


_.._     36     — 

anbete  ^Ser^ältniffe,  auf  tücld^e  ber  SSitle  beg  ©tn^elnen 
trifft,  erzeugen  ein  ©piel  nur  bann,  njenn  fie  nicijt 
bIo§  eben  alg  ßuftönbe  gu  unferer  tenntni^  fommen, 
fonbern  Ujenn  fie  üon  ^erfonen  tiertreten  finb,  bie 
etttjaiS  tt)otten  fönnen  im  Sinne  biefer  ßuftänbe.  Unb 
fo  auc^  bie  t)öd)ften  SJ^ä'djte  unb  ®ett)alten  beg  S)a* 
feini§,  bie  natürlichen  unb  fittlidjen  SSeltgefe^e  unb 
Seben^orbnungen,  fie  treten  ing  bramatif(i)e  ©piel 
nur  ein,  tijenn  fie  tion  moUenben  ü)?enf(^en  irgenb= 
h)ie  ge^anb^abt  unb  tiertreten  tijerben  —  ober  menn 
fie  n)enigftenä  nad)  ber  SInatogie  eine^,  ob  aud)  un= 
perfönlid)en  SöiEenö,  eine§  SSettmillenä,  Slational* 
tijillenö  ober  waS  eg  fei,  fid)  funbgcben  ober  üon  un^ 
üorgeftellt  werben.  Unb  Wenn  biefe  pdjften  3)?äc^te 
religiös  gen}enbet  alß  ©ott^eit  auftreten,  fo  tt)irb  biefer 
©ott^eit  eben  audj  ein  SSiEe  §ugefdjrieben,  fo  ift'^ 
ber  SSille  ber  ®ottt)eit,  ber  bem  tt)oEenben  9!)?enfc|en 
gegenüberftet)t  unb  fo  ein  ©|)iel  ermöglid)t. 

Sin  bramatifdjeö  ©piel  entftetjt  alfo  nid)t  auä 
bem,  maö  ein  ©ingelner  mei^  ober  gu  er3äl)len  i)at 
ober  tijaö  er  ben!t,  füt)(t  —  nidjt  einmal  au^  bem,  tva^ 
er  aB  einzelner  begehrt,  tüiU:  öielmet)r  entftet)t  e^ 
nur  au§  bem  SöoIIen  SD?et)rerer.  2(ber  auc^  au^ 
biefem  nic^t,  iüenn  alle  baSfelbe  moEen.  S)a§  ßhJeie 
fid)  lieben  unb  fid)  tiereinigen  moEen,  giebt  nod)  fein 
bramatifd^eä  <Bpki',  baoon  fann  man,  menn'g  gefd)et)en 
ift,   eine  intereffante  (SJefc^id)te  er5äl)len,  bie  Seiben 


—     37     — 

fbnncn  i^rcr  fiiefic  uub  <3ef)nfud)t  fcf)önen  9(u8brurf 
flcdcn,  aber  bnrnuö  cntftcl)t  norf)  fein  1)rama,  t)i3d)ftend 
eine  (Sr^nl^lunrt  ober  eine  h)ri)d)e  ^id)tung.  X>aflegen, 
fotüie  ben  beiben  iJiebenbcn  ein  dritter  [ic^  entcjegen; 
ftettt,  ober  mc()rere,  ober  eine  90?ad^t  —  furj  ein 
SBiße,  ber  nid)t  toiÜ,  ha^  fie  ftd^  lieben  unb  bereinigen; 
ober  tüenn  bie  beiben  fiiebenben  felbft  uneinö  luetben 
unb,  n)enn  aud)  nod)  ba^felbe,  bie^  bod)  in  öerfd)iebener 
SBeije,  mit  üer[d)iebenen  9J?itteIn  iPoUen:  bann  [inb 
bramatifd)e  ©piele  möglich  tuie  in  ©f)afefpeare2> 
„9tomeo  unb  Sulia"  ober  Seffing^  „3J?inna  bon 
S3arnt)elm".  SSenn  eine  SWaffe  baffelbe  njiti,  hjenn 
ettüQ  baö  gange  §eer  SSaltenfteinö  ju  ben  @ci§tt)eben 
überget)en  ttjollte,  fo  gäbe  ta^  nur  ben  ©egenftanb 
für  einen  epifd^en  93eric^t;  aber  ein  bramatifd)eg  @piet 
ent[tet)t  erft  baburc^,  ba§  Dctauio  einen  Steil  be^ 
Söaltenfteinfd^en  §eere§  beftimmt,  etlna^  anbere^  gu 
iroEen,  bem  Äaifer  treu  bleiben  gu  tooEen.  Sa  aud^ 
nur,  tüenn  ein  SKaffentuitte  fic^  fo  fe^r  in  ©eftalt 
äu^erlid^er  Tlad)t  unb  Uebermac^t  barfteßt,  ha'^  ber 
SSille  unb  namenttid^  ber  ©egenlüiüe  gar  nid^t  aU 
SSiüen^aftion  gur  Geltung  unb  gur  Stnfc^auung  !ommt, 
halß  bietmef)r  nur  eben  bie,  ob  au^  üom  9öißen 
birigierte  äußere  Uebermad^t  bie  fc^njöd^ere  9Jtad^t 
befiegt,  fo  giebt  aud^  bag  noc^  fein  bramatifd^eä  @|)ie(. 
(Sin  Ärieg,  eine  ©c^Iad^t,  fie  ftnb  al§  fold^e  (Siegen* 
ftänbe  eptfc^en  Q^erid^teS  aber  nid^t  be^  bramatifd^en 


38 


©pielg.  SBenn  aber  ber  —  allerbing§  om  @nbe 
übermächtigen  unb  fiegrctc^en  SPJaffe  be§  fd^tüeigerifc^en 
SSoIfeg  ber  tmmerl)tn  it)iber[tanböfäf)ige,  ja  gunäd^ft 
I)errf(f)enbe  ^^rannenlüille  ©efelerg  unb  ber  anbern 
^abgburgtfd^en  S3ögte  gegenüberftef)t,  bann  giebt'ä  ein 
S)rama.  3)?affen!ämpfe  alö  foId)e  finb  beölüegen  nid^t 
bramatifd^  fonbern  epifd),  tt)eit  eben  burd^  bie  5lb« 
maffierung  unb  bie  äußere  2SudE)t  ber  SO'Jaffe  gu  fef)r 
ber  ©inbrurf  bon  ber  @egenetnanberbeh)egung  üer* 
fd^iebener  (SingelrtJiüen  in  ben  §intergrunb  gebrängt 
njirb,  njeil  —  obnjolil  Äampf  ba  ift,  bodf)  gu  [ef)r 
ber  ©inbrurf  uorl^errfd^t,  ha^  öiete  baöfelbc  njoHen. 
2Ö0  bagegen  5n)ar  9J?ef)rere,  aber  borf)  nur 
SBenige,  öietteid^t  nur  ßtoei  einanber  gegenüberfte^en, 
ba  tritt  ftärfer  alB  bei  90?affen  eben  baö  l^erauö,  ba§ 
ber  ©ine  nid^t  b(o^  etiraö  anbereä  tt)ut  ober  leibet, 
fonbern  ettüaö  anbereä  njiÜ  al§  ber  5Inbere,  ha'^  ein 
SßiUenglonftift  ba  ift.  3m  Äonftüt  üor  oßem 
jeigt  unb  entfaltet  fid)  ber  9BiEe,  im  Slonfüft  3rt)ifd^en 
Mel^reren  tö§t  fic^  ber  SSille  al§>  ©piel  öorfü^ren, 
bei  einem  3Sitten§!onfIift  mirb  unfer  Sntereffe  aufS 
ftär!fte  eben  barauf  gefponnt,  mag  bie  Seute  motten, 
ob  unb  mie  fie  it)ren  3SiEen  burd^fe^en  ober  nid^t, 
mag  ba^  SSoIIen  für  t^ofgen  t)aben  mirb,  mof)in  e§ 
führen,  mie  bie  (Sac|e  enblid)  auggef)en  mirb.  Sm 
9Bißenä!onfIift  !ann  allerbingg  aud)  ein  (Singeiner  fid^ 
mit  fid^  felbft  befinben,  genauer  gefagt:  im  5^onfIift 


—     39    — 

bcr  ?!J?otiue  für  feine  3SiIIcni^entfc^cibun(\;  unb  foI(f)c 
Älonfliftc  fönncn  einen  fel)r  luicljtic^en  iöcitraQ  ^um 
0!iQn5en  beö  brnmnti)d)en  ©pio(«5  geben,  ja  üicUcic^t 
in  feinem  9J^itteIpunfte  fielen  -  man  Denfe  nur  an 
SSaUenftein!  ?(ber  ein  fcl)aubareg,  barfteübareö  «Spiel 
ermbglicl)!  ein  foId)er  Äonflitt  ber  SDiotiue  allein  noc^ 
nicl)t  —  ein  SOtonotog  ift  nod)  fein  2)rama,  I)öd)ften8 
ber  Scftanbteil  cineö  foId)en;  ein  bramatifdjeö  Spiel 
!onn  fid)  nur  entfalten,  menn  mit  ben  um  ben  SBitlen 
beö  ©ingeinen  ftreitenben  inneren  SD^otiüen  üon  aufeen 
t)er  bie  2öiüeniSäuBerun9en  anberer  in  irgenbmelc^e 
iöegie^ungen  treten,  l)emmenb  ober  förbernb.  G6en 
im  „  333allen[tein "  ift  ha§  aufö  flarfte  gu  fel)en. 

3m  2®itlen§fonflilt  barum  lebt  bie  eigentlid^e 
©eele  beö  Sramottfdjen,  unb  bie  5föirfung  be§  brama* 
tifdjen  (Spielet  auf  ben  ßuff^öu^^  ^f*  ""^  fo  ftärler 
unb  öotter,  je  energifdjcr  unb  mädjtiger  ein  Söilleuä* 
!onflift  angefponnen,  je  beutlid)er  unb  anfdjaulic^er 
er  in  oüen  ©tobien  feiner  (Sntmidlung  üorgefül^rt 
unb  burd}gefül)rt  mirb,  je  grünbtidjer,  beftimmter  unb 
fonfequenter  er  gum  enblidjen  5lugtrag  gebrad)t  mirb. 
@g  t)exftet)t  fvi)  babei,  ta^  ber  ©efamtlonflilt  eine§ 
bramatifc|en  Spiele  fid)  mieber  au^einanberlegen  !ann, 
ja  in  ber  Siegel  mufe,  in  eine  9?eil)e  öon  (Singel* 
fonflüten,  boB  immer  mieber,  6i§  m§>  ©ingelne  Ijtnein, 
3Sille  auf  3BiHe  trifft,  mit  immer  neuen  Spannungen 
unb  Söfungen,  fo  bafe  fid)  au^  einem  gelöften  ^onflift 


—     40     — 

immer  irieber  ein  anbetet  ergibt,  bi§  enbtid)  alle 
eingelnen  Spannungen  unb  Söfungen  ^ufammen  i>Qn 
@efamt!onfIift  gum  5tu^ttag  bringen.  SBie  fid)  Ijkxau^ 
bie  ^ompofitionögefe^e  be§  S)tama^5  mit  S'Zotttjenbigs 
!eit  ergeben,  mirb  fid)  geigen. 

gür  je^t  ift  aufö  nad;brüdlid)[te  feft^ufteüen  unb 
ein  für  aüemal  f eftgul^alten :  ha^  SSefen  be^ 
SJramatifd^en  rut)t  im  teilten  ©runbe  in 
nid^tg  anberem  aU  in  einem  gum  «Spiet 
geftalteten  SBitlen^fonffift.  ®oc^  ift  babei 
fotgenbeö  nid)t  au^er  %d)t  gu  taffen. 

(Sinmat  laffen  [ic^  SSiüen^öorgänge  —  im 
tneiteften  pf^d^ologifd^en  Sinne  beö  SSorteö  —  groat 
für  ha^  abftrafte  miffenfd^aftlid^e  ^enfen,  nid^t  aber 
im  t^atfäd)Iid)en  93erlauf  unfereö  Seelenleben^  toötbfen 
t)on  anberen  pf^djifdjen  ^ßorgöngen;  fie  pngcn  nid}t 
in  bcrSuft,  fiefinb  motiüiett  burd)@emütöbemegungen 
jeglicher  2trt,  ftnb  in  le^ter  Snftang  beterminiert  burd) 
ben  ®efamt(^ara!ter  beö  njoEenben  Snbiöibuumg;  unb 
fie  löfen  trieberum  ©emüt^bemegungen  au§,  mir!en 
gurüd  auf  ben  ©efamtdjorafter.  ©a'S  bramatifc^e 
Spiel  !ann  alfo  bie  SSillen^üorgönge  bem  ßufc^auer 
nic^t  üorftetlen,  ot)ne  gugleid)  auc|  allerlei  ©emütö* 
bemegungen  be§  UJoEenben  SOtenfd^en  auf  bem  §inter* 
grunbe  feinet  @efamtc^ara!terö  gur  äftt)etifd)en5Infd)au* 
ung  anbringen.  Unbanber5lnfd^auung  biefer 95 e gleit* 
erfd^einungen    ber   SSitlenööorgänge,    ber    triebe, 


—     41     — 

?(ffc!tc,  (Stimmuitflen,  ®cfüt)le,  tt)ic  fie  tcitö  ben  SBiüen 
motiüicren,  tcil^J  burrf)  it}n  auÖ(^ctö[t  irerbcn,  nc()men 
uiir  ein  äljnlicljCiS  !5ntcrcf)"o  tute  am  IföiUen  fctbft.  So 
fül)rt  bcnn  basJ  bramatifdjc  Spiel  mit  bcm  2BiUen 
aud)  feine  ©eglcitcrfdjcinungen  unfcrcr  äft^ctifdjen 
?(nfd)auunfl  üor  —  frcilid)  nidjt  q(^  rut)cnbe  ©emütö* 
3u[tänbe,j'onbcrn  atö  [ceIi)d)e5iciDe(^uncjcn  in93e5iet)un(^ 
3um  Iföillcn.  !J)aö  bramatifdjc  entl)ält  alfo,  fur^ 
t]efaflt,  aud)  ein  tljtifdjcö  3)^oment,  unb  biefeö 
!ann  fid)  an  fletuiffen  Siutjepunften  beiS  <Bpk\§  mit 
einiger  9ieid)lid)teit  unb  ^ülle  entfalten,  begleitet  im 
übrigen,  me()r  ober  meniger  ftarf  t)ert)ortretenb,  ben 
ganzen  bramatifdjcn  Spielproje^.  Unb  bie  ^arftellung 
ber  3BiIIen§üorgänge  njirb  ^ugleid;  gur  Stjarotter- 
barftcüung,  giebt  ein  ©efamtbilb  beö  im  Spiele  t)or* 
gefteHten  9Jcenfd)en.  9^ur  !ann  biefe^  It)rifd)e  9}?oment 
nid^t  felbftänbig,  nid^t  Selbftglüed  n^erben:  5(eu^erung 
Oon  ©emüt^bemegungen  attein  ober  aud)  bto§e 
6f)arafterfd)ilberung  giebt  noc^  fein  SDrama  — 
bramatifd)  tüirb  ha^  alle^  nur,  fofern  unb  foUjeit  e^ 
fid)  in  engfter  Öe^iet^ung  ^ält  gum  SBiüen  unb 
feinen  5!onftiften. 

Sobann  ift  ebenfo  t)a§  gu  beadjten:  ber  SBiUe 
tft  grtar  an  fid)  ein  rein  innerer  ^35organg,  innere 
STftion  unb  Slftioität  beö  9}2enfd^en,  unb  ba§  fann 
für  iia^  rid)tige  SSerftänbni^  be§  ©ramatifd^en  nid^t 
fd)arf    genug    betont    iDcrben.      5rber    biefe    innere 


—     42     — 

2t!til)ität  \)at  nicfitgbeftonjentger  ben  2)rang,  fid)  auc^ 
in  äußere  ^Htion  umgufe^en,  irgenbtute  auf  bte 
Slufeentrelt  belregenb  unb  befttmmenb  5U  tt)tr!en.  ©ie 
fann  aUerbingg  baran  öetf)inbert  irerben  burc^  ©egen* 
tüirfungen  unb  bod)  Sßtlle  bleiben  unb  olg  foI(i)er 
fein  bramatifd^eg  3ntereffe  bet)aupten;  ha^  eben  ift 
ja  bcr  ®inn  eineö  9BitIeng!onfti!teg,  bafe  ein  SBille 
ben  anbern  um  feine  3Sir!ung  gu  bringen  fuc^t,  inbem 
er  fid^  felbft  bie  9J?ög(ic^feit  ber  2Bir!ung  erringen 
^lüill.  5rber  eben  ouä  biefem  Slonflüt,  njelc^er  Sßille 
ber  fiegreic^e  fei,  ergiebt  fid)  irgenbtt)ie  eine  äußere 
Hftion,  entfielen  SSirfungen  auf  bie  5(uf3entt)elt,  baö 
Reifet:  e§  begiebt  fid)  etttjaö.  Umge!el)rt  n)erben 
233illcn^ben)egungen  unb  3Sineng!onfIi!te  burc^  Se- 
gebent)eitcn  öcranla^t,  in  ber  mannigfattigften  Söeife 
berfdjiingen  unb  freuten  fid)  innere  3Sißen§öorgänge 
unb  äußere  93egebenl)eitcn,  Verfetten  fid)  unter  bem 
®cfid)tgpunft  öon  Urfoc^e  unb  2Bir!ung,  ä^eranloffung 
unb  gotgc.  (So  ge^t  alfo  auc^  bie  äußere  93e* 
gebent)eit  in  ha^  bramatifd)e  ©pie(  ein,  n)irb  öon 
if)m  bargefteüt  unb  tnenbet  fid)  an  \)a^  Sntereffe 
beö  Su\d)auQi^.  S)a§  lä^t  fid)  aud)  fo  augbrüden: 
iüie  ein  l^rifc^eö,  fo  entt)ä(t  ha^  2)rama  ein  epifc^es 
SWoment,  eben  bie  S3egebent)eit,  ben  SSorgang  beg 
2(ufeenlebenä,  bie  öuBere  Station.  5(ber  aud)  bie 
5?orfü{)rung  ber  93egeben^eit  !ann  nid)t  (SelbftgUjed 
für  ha^  bramatifc^e  S^iel  fein:  alte§,  raaö  fid)  begiebt. 


—     43     — 

{^cuiinnt  brnmotifrf)cö3ntercffc,  crmöj\(id)tbnö(c6enbiöc 
.•pin  unb  .^■>cr  cincö  'Spiclcö  nur,  fofcrn  unb  foiucit  ci 
au«  3iMUcn0Uorflnngcn  l)cnioröct)t  ober  fic  bebingt 
—  ober  fte  öeranfd)aund)t. 

S)cnn  bag  ift  in  bicfem  3ufQmment)ancj  aud) 
nod)  5u  bcadjtcn:  alle  äftt)etifd)e  SBirfung  rul)t  ouf 
5Infd)auuniv  aud)  ba«i  bramatifd)e  Spiel  bor  SBillenö« 
tonfliftc  lüoücn  nur  fc()cn,  nid)t  etum  blo^  üer[tanbe(g* 
mäfeig  crfcnnen  unb  crfc^ücfjcn.  9(6er  Sßillen^üorgönge 
finb  ja  an  fid)  md)t^  fd^aubarc^,  fie  laffen  [i(^  alö 
foId)e  nur  ungenügcnb  üor  bie  5(nfd)auung  bringen: 
SD^iencn  unb  ©eberben  !önnen  etioa  anbeuten,  ba§ 
SBilleni^üorgänge  fid)  im  9}?enfd)en  öoKgieljen,  big 
auf  einen  geluiffen  ®rab  aud)  noc§,  in  tueldjer 
9?id)tung  ungefäl)r  fie  ge()en;  unb  auc^  baö  SBort 
fann  gtüor  üom  Sut)alt  be§  3SoIIeng  etlra^  auöfpredien, 
aber  bire!t  boc^  aud^  nur  in  giemlid^  allgemeiner 
Söeife  b.  I).  fo,  bo^  bie  Dbjefte,  auf  bie  ftc^  bie 
fubjeÜiüe  innere  2(!tiüität  berief)!  unb  fponnt,  benannt 
unb  be5eid)net  merben  unb  fo  in  ber  gorm  Don 
SSorfteEungen  bem  3ufd)auer  gugängtid)  finb.  SIber 
ber  3Si(Iengöorgang  fetbft  in  feinem  SSerben,  in  feiner 
@ntftef)ung  unb  feinem  SSertauf  big  gu  einem  gemiffen 
©nbe  —  mu§  mef)r  auf  inbireüem  9Sege  öor  bie 
äftl)etifd)e  5(nfc^auung  gebracht  inerben,  teilg  inbem 
bie  Segleiterfdjeinungen  ber  SSitlengüorgänge,  bie 
®efül;Ie,  Stimmungen,  ©emüt^bemegungen   jeglicher 


—     44     — 

5ttt  auf  borfteltunggmä^igen,  an[d)aultd)en  5tugbrud 
gebracht  irerben,  ))oetij'c^  unb  mtmtfc!^  fici£)  au§fpred)en, 
teitg  inbem  ein  äu^ere^  ®efd)el)en,  eine  i8egebenl)eit 
aU  erregenber  51nla§  ober  afö  äußere  ^olge  unb 
2öir!ung  ber  inneren  3SiIIen§!onfIi!te  öor  bie  ^n- 
fdjauung  ber  ©inne  ober  ber  ^f)anta[ie  gebrarfjt 
tt)irb.  Snfofern  bienen  bie  I^ri[d)en  unb  epifc^en 
SKomente  im  SSerlauf  be^  bramatifd)en  <3piet§  bem 
3h)ed,  bog  eigentlid^  ©ramatijdje,  ha^  im  SBiEen 
unb  feinen  Äonftüten  ruf)t,  einbringtid)er  unb  beut^ 
lieber,  atg  eS  oI)ne  fie  möglid^  Ujöre,  \)ox  bie  un= 
mittelbare  5tnfd)auung  gu  bringen,  fd^aubar  unb 
fomit  äftt)etifd)  fapar  gu  madjen.  5(ber  tro^bem  unb 
ebenbamit  bleiben  bie  SBiEengfonfüfte  felbft  ber 
eigentliche  ^auptgegenftonb  beg  bramatifc^en  Sntereffeg 
unb  bie  Sebenöbebingung  be§  bramatifdjen  ©pielä, 
SSeiter  nun  ober:  n)o  3SilIeng!onfIi!te  bie  —  "mk 
fd)on  gefagt  —  innere  treibenbe  Straft  im  ®efd)e§en  ftnb, 
liegt  eö  in  ber  Statur  ber  <3ad^e,  ha^  gn^ifc^en  ben 
SBillenöborgängen  unb  ber  äußeren  93egeben{)eit  eine 
SSerfettung  Don  Urfad)e  unb  SBirfung,  SSerantaffung 
unb  ^otge  ftattfinbet.  (£ö  ergiebt  fid)  fo  au§  ben 
3BiIIen§!onfüften  ein  ©angeö  öon  notirenbigen 
3ufamment)ängen  in  einer  beftimmten  STnorbnung,  unb 
eben  biefeiS  gufammenfjängenbe  @an§e  alö  ein  ein* 
:^eitlid)er,  intereffanter  SebenäDorgang  njirb  gefpielt, 
auf  bem  @d)aupla|  bor  bie  äft^etifc^e  ?tnf(^auung 


-     4ö     — 

flcftcUt.  1)icfc«  &an^c,  bicfc  (5inl)cit  nun  aber  l)ot 
mnu  uon 'ülltcrS  I)er  ^anblunfl,  bramatifclje  .<panb* 
lun(\  (genannt  —  lüic  beim  and)  „Urania"  iprad)ncl) 
nicl)tö  anbcrciS  bebeutet  alö  .'panbluiuv  llnb  bicfe 
iöe5eicl)nunrt  l)at  il)r  uoUe^,  in  ber  3acl)e  begriinbeteiä 
9iecl)t.  .*panblung  ift  nod)  ettoaS  aubereö,  tiefer  greifen* 
beS  a(g  Olofee  äußere  i8eget)enf)eit:  5ur  i^anblung  luirb 
eine  Segebenljcit  ober  eine  9iei()e  Don  58egebcn()eiten 
erft,  lüenn  ttjollenbe  3J?enfd}en  if)re  inneren  SSiüenä* 
uorgänge  in  äufjere  SEirfungen  umfctK^n,  tüenn  nid)t 
b(oJ3  etiüaö  fid)  begtobt,  äufäüig,  ungewollt,  fonbern 
tnenn  bie  S8egebcnl;eiten  au^  bem  2Biüen  unb  feinen 
itonfüften  t)erüorgef)en,  burd)  it)n  in  innerüdjem 
3ufammenl)ang  üerfnüpft  unb  üerfettet  njerben.  3)a 
aber  ber  3BilIe  |3fi)c^oIogifd)  auä  bem  6^ara!ter  fteigt, 
bortI)er  feine  ä)?otioe  bcgieljt,  mit  ^Zotmenbigfeit  burc^ 
i()n  beterminiert  ift,  fo  giebt  eä  feine  bramatifc^e  §anb* 
lung  ol)ne  bramatifd^e  ß^araftere,  bie  ^anblung 
entmidelt  fic^  üietme^r  au§  ben  (5t)arafteren  in  mef)r 
ober  tt)eniger  beuttid)  erfennbarer  3Seife  —  am  beutlid)* 
ften  unb  nad)brüdlid)ften  freilid)  im  germanifc^en 
Srama.  Unb  e§  ift  mieberum  fein  ßufall,  fonbern 
innerlid)  begrünbet,  menn  ber  bramaturgifd^e  «Sprach* 
gebraud)  bie  f^anbelnben  ^erfonen  im  ^rama  gerabe^u 
^,  ßf)araftere "  nennt. 

Ueber^anblung  unbS^araftere  unbit)r  SSer^ältniö 
im  S)rama  ift  fpäter  noc^  augfüf)rlic^er  gu  reben.    %nx 


—     46     — 

je^t  genügt  ha^  eben  ©efagte  unb  eö  ift  über  ha^ 
SBe[en  beö  2)ramaä  biö  je^t  fo  ötel  gewonnen:  boiS 
2)rama  t[t  eine  auö  SSillenäfonfUften  auf* 
fteigenbe,  bur^  SSittengfonftifte  ^u  einljeit* 
ItdEjer  ^anblung  üer!ettete  unb  burd)  SStHen^* 
!onfIt!te  tntereffterenbe,  5u[amment)ängenbe 
9JeiI;e  Don  Segebenfjetten,  h)eld)e  einem  ^w 
fd^auenben  ^ublüunt  auf  einem  beftimmten 
©d)au:pla^  al§  lebenbigeg  «Spiet  öor  bie 
äft]^etifd£)e  5tnfc£)auung  geftellt  mirb.    . 

®abei  ift  aber  noc^  eineS  fc^arf  in§  5(uge  gu  faffen. 
@ö  liegt  in  ber  S'latur  be^  Spielet,  ha^  eä  ai§  ein 
njerbenbeg  angefd^aut  n)irb;  öor  ben  klugen  be^ 
ßufc^auerö  entmicEelt  eö  ftd)  Don  einem  gegebenen 
3eitpun!t  an  nac^  ber  ßufunft  l^in  biä  gu  einem  5Ib* 
f^Iu^.  Unb  baäfelbe  liegt  in  ber  '^atnx  ber  2öiIIen§* 
fonflüte,  meldte  ben  ^ern  beä  bramatifc^en  Spietä 
au^mad^en:  fte  fpinnen  fic§  an,  fommen  an  einem 
beftimmten  ^un!te  gur  Stftion,  fteigern  fid^  big  gu  einem 
fünfte  §in,  too  fie  fic^  öoE  entfalten  unb  gugleic^ 
if)re  notmenbigen  folgen  tjerüorgutreiben  beginnen, 
unb  biefe  brängen  in  3Sed)feImir!ung  mit  ben  SBillenä* 
öorgöngen  unb  i^ren  93egleiterfc^ einungen  ^u  einem 
fünfte  ^in,  wo  ber  ^onftüt  feinen  5lugtrag,  feine 
enbgiltige  Söfung  irgenbmel^er  3Irt  finbet.  Stud^  haS, 
gefpiett,  ift  ein  üor  ben  Hugen  fid^  öoUgietjenbeS 
SBerben,  bag  an  einem  gegentüärtigen  ^un!te  einfe|t 


—     47     — 

unb  in  einet  3"^""?*  fß^t'Ö  ^'^^-  ^"^  ""f^*^  Snter« 
cffc  t)cftct  fid)  eben  an  bic[e8  33?erben,  fponnt  fiel) 
auf  baS  SBerben  Don  ^^unft  ju  ^untt,  öon  Stabium 
5U  Stabium  —  unb  erlifdjt,  luctt  Ocfrtcbißt,  fotüie 
bic  ©adjc  fertig  i[t,  baä  isföerbenbe  alä  ein  (^eluorbeneg 
üorliegt.  ^aö  t)ei{jt  alfo :  bramatifd)  ift  im  loefent* 
Iid)en  nur  ha^,  ujaä  njirb,  Kor  unseren  5{ugen 
h)irb,  ber  SBiüeniSfonfüft  atg  ©piel  Dorgefttt)rt  bon 
ber  (SJegennjort  nad)  ber  ^ufunft;  ha^  fertige  bagegen, 
©cluorbcne,  5öcrgangcnc  ift  alä  foId;eä  unbramotifc^, 
!ann  gar  nidjt  eigcntlid)  gefpielt  hjerben,  erregt  nidjt 
haä  Sntereffe,  ein  ©piet  an^ufdjauen. 

©anj  anberö  ift  eä,  fonjie  ex^üf)U  tt)irb:  ergäl^Ien 
fann  man  nur  ein  gertigeiS,  SSergangeneä.  Qtüax  !ann 
ber  (Srgöl^ter  unb  fönnen  feine  ßuprer  aud)  ha^  Snter* 
effe  t)aben,  ha^  florgefteßt  njerbe,  n)ie  ha^  fertige, 
SSergangene  gerobe  fo  geworben  ift,  aber  baä  Snter* 
effe  tieftet  fid)  babei  nic|t  an  ha^  Sßerben  felbft,  fonbern 
an  ha^  SBie  be8  ©emorbenen.  3Bo^l  !önnen  hahei 
auc^SSiUen^öorgänge  unbSöiUengfonflüte  bonSBic^tig* 
!eit  gemefen  fein,  aber  e§  fönnen  aud^  gang  anbere 
Urfad^en  beftimmenb,  ja  ausfc^Iaggebenb  gemirft 
t)aben,  bem  3öiEen  entzogene  ßufätt^f  elementare  (£r* 
eigniffe,  9}?affengemalten  —  !ur§  93egeben^eiten,  bie 
nid^t  aug  bem  menfd^Iic^en  SSilten  auffteigen.  etiler* 
bingg  !önnen  bie  Qui)'6tet  be§  ©rgäl^terä  aud^  eine 
©pannung  nad^  ber  ßu'^unft  erleben,  je  nad^bem  er 


—     48     - 

feine  @r5äl)lung  cinrtdjtet;  aber  eö  ift  lebtglidE)  eine  üor= 
geftellte,  ^t)antafiemä^ig  angenommene  ßufunft  —  im 
©runbe  toiffen  fie  borf),  ha^  ha§>  ^rgäfilte  fertig,  abge^ 
fcl)(offen,  öergangen  ift,  fonft  tonnte  man  ja  nid)t  baüon 
er^ötilen.  2)er  Sefer,  ber  fet)r  balb  nac^  bem  @nbe  ber 
@efc^i(f)te  fid^  umfc^aut,  el)e  er  meiterlicft,  mei^  im  ®runbe 
fef)r  moI)(,  tva§  er  t^ut,  unb  getjijrt  teine^meg^^  ot)ne  meis 
tereö  gum  Sefepöbet.  SJcit  anberen  SSorten:  toa^  ber 
©rgöfiler  üon  einem  SBerben  6erid)tet,  ba§>  ift  in  feinem 
2Befen  nur  ©rflärung  beg  ©emorbenen ;  i>a§>  SSerben 
beö  bramatifd^en  ©^ieteö  aber  braud)t  gar  feine  nady 
träglidje  ©rflärung,  loeil  e^  fid)  Dor  ben  5(ugen  be§ 
3ufd)auerö  al^  ein  3Scrben  cnttt)idclt,  nac^  einer 
ßutunft,  bie  für  ben  ßufdjaucr  mirttic^  ßi^^u^f*  ^f^  — 
ßutunft  beiS  «Spielet  natürlich,  menn  auc^  üwa  hk 
2[öirnid)!eit,  beren  äft!^etifd)en  ©diein  ha§>  ©piel  bem 
3ufd)auer  öorftellt,  ber  ^ergangenf)eit,  ber  ®efd)id)te 
ongef)ören  folltc.  |)ierin  liegen  bie  tieferen  ^f^djo? 
logifc^en  Unterfd)iebe  gmifc^en  2)rama  unb  dpoß,  unb 
ouö  it)nen  ergiebt  fid)  mit  9^otmenbigfeit  bie  SSer= 
fcf)ieben^eit  ber  bramatifd)en  unb  e^ifd)en  Xed^nif. 
2(et)ntid)  fte^t  haä  ^ramatifc^e  in  biefer  iSegie^ung 
gegenüber  bem£t)rif^en:  ber  ©egenftanb  beö  tt)rifd;en 
©id^auöfpred)eng,  an  bem  mir  Sntereffe  netjmen,  ift 
ebenfaEö  ein  fertiger,  in  fid)  abgefc^Ioffener  (Seelen* 
guftanb,  ber  mefentlid)  in  ber  (SJefül)I§fp^äre  liegt; 
nur  tritt  er  nic^t  ^aU  ettoa^  in  ber  58ergongent)eit 


—    49    — 

ÖJctrefencö,  fonbern  eben  burrf)  ben  Icdenbiflen  (Mefüljtö« 
Quöbrucf  nlö  etiunci  (Mcc^einuärtiöcö  Dor  unö.  ?(ber 
bicfeö  CS^eöenlüärtifle  fpannt  iinfer  ^ntereffc  nict)t  nac^ 
ber  3"fu"ft  i>flö  i;$ntcrcffe  rul)t  befriebigt  in  ber  5(n* 
fdjQuunö  beS  Icbcnbi^  üeröegcntüärtigten  Seelen« 
^uftonbeS.  ^toax  tonnen  in  biefem  ©eetenguftanb 
ouci)  üBif(cni^uorc|Qngc  mit  entljolten  fein  unb  in  biefer 
,f)in[icl)t  bcn  3wftanb  in  (ebljafter  58clüegung  geigen; 
aber  [ic  finb  tcin  ioefenttid)er,  uncntbet)r(irf)er  öeftanb* 
teil  beö  ßuftanbeö,  fie  brängen  nid)t  nottoenbig  nad) 
einer  tt)atfäd)lid)en  2öeitcrenttt)idlung  über  ben  gegen« 
uinrtigen  ßuftanb  I)inauä,  tt)eden  nid^t  baö  Sntereffe 
am  !föerbcn  eine§  ©pieleö;  eö  tohh  überfiaupt  nid)t 
gefpielt,  fonbern  cö  fagt  un§  einer,  tüie  eö  in  feinem 
Snnern  auöfiet)t  —  etn^a  auc^  au^gefetjen  t)at,  aber 
bod)  fo,  bafe  tüir  eö  al^  gegennjärtigen  (Seelenguftanb 
je^t  miterleben.  5Iud^  im  Stjrifd^en  alfo  t)aben  n)ir'§ 
mit  gertigem  gu  tf)un,  nid)t  mit  erft  SSerbenfoßenbem 
n)ie  im  jDramatifd^en. 

^a§  ^eime  beö  ^ramatif^en  au<i)  im  (Spifc^en 
unb  2t)rifc^enfteden  !önnen,  ift  natürlii^  aud^  l^ierburd^ 
nidjt  auägefc^Ioffen.  Slber  bie  ©rfenntniö,  ba§  fic^'§ 
im  S)rama  n)efentlid)  um  bie  5lnfd)auung  beö  2Berben§ 
unb  nid^t  um  bie  beö  gertigen  ^anbelt,  ift  tro|bem 
fo  ft)id)tig,  ba^  man  fagen  barf:  lebiglic^  au§  ber 
SJJifead^tung  biefeä  ^unfteä  erflärt  fid)  fo  mand)e 
3öir!ung§Ioftg!eit  ober  f^^ad^e  3Sir!ung  fonft  poefie« 

4 


—     50     — 

üotter,  fd)öner,  ge^altreid^er  ©ramen  ober  bramatifdjer 
(Svenen.  @ott)ie  fertiges  erörtert  tpirb,  in  epifdjer 
ober  It)rifd)er  2)ar[teIIung§tüeife,  beginnt  bo^  brarna^ 
tifc^e  Sntereffe  beg  ß^i'^^"^^^  h^  er(at)men,  ha^  Spiet 
ftel)t  ftiß,  unb  ber  3ufd)auer  ift  unbefriebigt,  n)eil  fein 
Sntereffe  üorn)örtä  mU,  mö^renb  bod)  nid^t^  öoriuärtö 
gef)t.  SSortoärtiS,  öorttjärt^!  SBerbentaffen,  ein  SBerben 
fd)auen  laffenl  '^a^  ift  ber  SJJa^nruf,  ber  an^ 
bem  t^atfäc^tidjen  |)f^d)otogifc!^en  Sntereffe  be-g  3"- 
fd^auerg  unb  au§  ber  S^Jatur  be§  ^pieU  forttt)ät)renb 
in§  D^r  beö  ^ramatifer^  tönt;  unb  njer  il)n  übertjört 
ober  mi^ac^tet,  ber  barf  fid^  nid^t  ttjunbern,  n^enn 
bie  fd)önft  empfunbenen  ober  gefagten  ®ad)en,  bie 
mer!n)ürbigften  S3erid)te  !eine  ober  nur  fc^tt)ad)e 
SBir!ung  im  2)rama  tl)un. 

@in  fet)r  intereffanteö  unb  Iei)rreid)e<§  Seifpiel, 
rt)ie  nid)t  baä  fertige  fonbern  "baß  SSerbenbe  bie 
eigentlid^  bramatifc^e  3Sir!ung  t^ut,  ift  Äteiftö  „Qtx^ 
brod^ener  ^rug".  ^ier  njirb  auf  eine  ebenfo  einfädle 
als  tt)tr!unggooIle,  ja  überraf^enbe  SBeife  gerabe^u 
einem  fertigen  baS  Söerben  abgemonnen,  ^ertigeö 
in  Söerbenbeg  umgefe^t.  S)ag  ö^^ä^  ßuftfpiel  bret)t 
fidfi  oHerbingö  in  geUjiffem  @inn  um  ein  gertige^: 
bie  bereite  abgefd^loffene  St^atfad;e,  ba§  ber  2)orfrid^ter 
STbam  unter  einem  SSormanb  in  ba^  ßimmer  ber  (£öe 
eingebrungen  ift,  üon  if)rem  <Sc^a|,  bem  S^tupred^t 
überrafd)t  bie  ^(ud)t   burc^g  ^enfter   ergriffen   {)at, 


—     51     — 

babei  ben  auf  bcm  ®efimg  ftcf)cnbcn  ct)rtüürbiflcn 
Ärufl  ber  %xavi  3)?artt)e  JHutt  jcrbrorfjcn  i)at  unb 
uon  9?uprcd[)t  mit  ber  Xl)ürfünfe  über  ben  ©djäbet 
flct)auen  luorbcn  ift;  baji  ferner  Güe  quo  ®rünben 
ben  iüal)ren  Mruc^^crtrümmercr  nid)t  (genannt  tjot,  ha^ 
beötuegen  ^-rau  9??artl)e  ben  9iupred)tal0  ben  ^()äter  be* 
trad)tet  unb  it)n  öor  ®erid)t  belangt,  ^iefeö  ^^ertige 
n)irb  nun  aber  teinei^njegS  ex^ä^U  unb  burc^  ^ufammen« 
l)Qngenbe  @r3äl)Iung  in  feinem  ßufta^betommen  beut* 
lid)  gemad)t;  c§  iuirb  ebenfoluenig  lebiglid)  barüber 
reflcttiert  ober  beftamiert  ober  in  ©efüi)(öauöbrüd^en 
gerebet;  ja  baö  Sntereffe  an  biefem  fertigen  tritt 
überl)aupt  gan^  in  ben  ^intergrunb,  obnjof)!  n)ir  fe^r 
balb  mer!en,  ttjaS  fo  im  aßgemeinen  ber  S^atbeftanb 
ift.  SSieImef)r:  gerabe  baburd),  ha'^  n)ir  biefen  Xi)aU 
beftanb  bolb  gu  merfen  be!ommen,  tt)irb  unfer  Snter* 
effe  rafd^  auf  etmag  gang  anbereg  gelenft,  auf  ba^, 
toa^  nun  eigentlid)  Ujerben  foU.  ^rau  SJtart^e  9tutt 
t)er!tagt  ben  9?uprec^t  al§  ben  ^ruggertrümmerer  bei 
bem  ^orfrid^ter  ^Tbam,  unb  biefer  mu§  mit  feinem 
oI)nebie§  nid)t  eben  fauberen  5lmt^genjiffen  hk  @ac^e 
gur  geridjtlid^en  Unterfud)ung  bringen,  unb  ^tvax  in 
®egentt)art  beö  ®erid)t§rateä  SBalter,  ber  eben  bagu 
ha  ift,  feine  ^Tmtöfütjrung  gu  öifitieren.  3(bam  fetber 
t)at  ben  ^rug  gerbrod^en  hei  einem  5tn(a§,  ber  it)m 
auö  anbern  ®rünben  nid)t  gur  @^re  gereid^t,  er 
Ijat    alfo    ein    bringenbeö    Sntereffe    baran,    feinen 

4» 


—     52     — 

5(nteil  an  bem  ®efd^ef)enen  gu  öerbergen  nnb  oße 
©d^utb  auf  ben  9?upred^t  ober  einen  anbeten  gu 
n)äl5en;  unb  bo(^  foll  er  atö  9tid^ter,  unb  ghjar  öor 
einem  SSifitator,  ber  i^m  fc^arf  auf  ben  ^ienft  pa^t, 
bie  3[Bal)rI)eit  an  ben  Xag  bringen.  S)arau§  ergiebt 
fid^  ein  SSillenöfonfüft,  an  ben  fid)  fofort  unfer 
gangeö  Sntereffe  feft!tammert:  n^ie  tuirb  fid^  ber  alte 
©ünber  in  biefer  gefpannten  Sage  t)inburd)äun)inben 
unb  t)inauö5ubret)en  furf)en,  unb  tt)ie  njirb  ha§  unter 
bem  ®egentt)oüen  unb  (S^egennjirfen  ber  Stnberen  au§' 
laufen?  2)aö  ift  bie  ^rage,  an  ber  unfer  Sntereffe 
t)ängt,  unter  biefem  ©efid^töpunft  öerfotgen  n)ir  bie 
®erid)t!§üert)anblung  aliS  efmaß  Sßerbenbeö  mit  t)eiterer 
Spannung;  bag  i^ertige,  baö  SSergangene  aber  behält 
im  ^intergrunb  fein  Sntereffe  nur  folüeit,  aU  eä 
biefem  merbenben  SSorgang  bient,  im  SSerben  unb 
om  SBerben  beö  ^ro^effeg  aEmät)tid)  gu  Stage  fommt 
unb  fo  gemifferma^en  fetbft  alö  ein  9Berbenbe§  an 
un§  öorübergieiit,  üor  unfere  Slnfc^auung  tritt.  ®ie 
eigentümliche,  ben  ©egenftanb  öon  f)inten  aufrollenbe 
^ed)ni!  biefeiS  SuftfpielsS,  bie  auf  ben  erften  S5tid  über* 
rafd)t,  ergiebt  ftd^  mit  einer  gemiffen  Sf^otraenbigfeit 
ou§  ber  ^orberung  beg  bramatifc^en  @pietg,  nid)t 
fertiges  fonbern  SESerbenbeä  bor  unfere  STnfdiauung 
unb  üor  unfer  Sntereffe  gu  bringen  ober  baö  ?5^^*i9^ 
in  einSBerben  um^ufe^en.  Unb  biegorm  einer ®erid)t§* 
öer^anblung  fügt  fid^  bein  au^erorbentlid)  Ujiltig  unb- 


—    53    — 

cjünftifl:  bie  bramQti[d)c  .f)anbtunö  felbft  tft  ja  in  il)rer 
tiufjcrcn  ©rfdjcinung  fo^ufaßcn  ein  ^rojefe,  ber  üor 
einem  ^ublifum  c^efüt)tt  tt}irb  unb  in  bem  fid)'ö  barum 
I)anbelt,  iuer  feinen  IföiUen  üor  bem  (^eridjt  burd)* 
fe^en  )üirb.  —  ?(ud|  in  (Sc^illeri^  ,,Wax'm  (Stuart " 
liegt  ^ertigeiS  in  SOiaffe  üor:  bie  gange  SSergangen()eit 
ber  3Karia,  it)re  ®efangenjd)aft,  if)r  ^rogefe,  bie 
bisherigen  SSer[ud)e  gu  itjrer  ^Befreiung,  il)re  SSer« 
iirteitung  gum  %ob.  Slber  aud)  biefeö  Sättige 
bleibt  alö  folc^eö  gang  im  ^intergrunb  unfereS 
allgemeinen  Sntereffe^  —  unfer  fpeciell  bromatifd^eS 
Sntereffe  fnüpft  fic^  üon  5(nfang  an  an  ha§,  ma^ 
tuerben  folt:  toirb  ha^  ^obeäurteit  üollftredt  njerben 
ober  nic^t?  5)arum  breljt  fid^  ber  ^'onflüt  ber 
tierfd^iebenen  aufeinanbertreffenben  SöiHenSöorgänge 
in  ben  bramatifc^en  ßliarafteren,  brel)t  fid^  ber  gange 
bramatifc^e  ^roge^,  ber  öor  unferen  Slugen  gefüt)rt 
lüirb  unb  gur  ©ntfd^eibung  fommt. 

Unb  fo  burd^meg  in  alten  Dramen  üon  Ujirftid^ 
bramatifd^er  2Sir!ung.  S^amentlid^  aud^  bie  fogleid^ 
einfd^tagenbe  2öir!ung  ber  5(nfänge  üon  2)ramen, 
g.  33.  eben  ber  erften  Sl!te  ©d^illerö  unb  anberer,  ru^t 
tüefentlic^  barauf,  ba'^  un[er  Sntereffe  rafd^  unb 
energifd^  üon  bem  SSergangenen,  üon  ben  3}orauä= 
fe^ungen,  bie  ja  jebeS  ®rama  l)at,  ah'  unb  toeiter* 
geteuft  tt)irb  auf  haß,  tt)aö  nun  barauä  ttierben  foÜ. 
Snfofern    erlennt    man    ben    mirKid^en   ^romatifer 


—     54     — 

g(eicJ)  beim  ^Beginn  feine§  2®er!eö  unb  ebenfo    ben 
fd^tuadjen  2)ramQtifer,  ber  fid)  öiel  gu  öiet  unb  gu 
lang  mit  @r5Ql)Ien  unb  iöerid^ten  öon  35ergangenem 
aufl)Qtt.    Seffing  fü()rt  befannttid)  bie  (äjpofition  ber 
„9Winna    öon  5öarnt)elm"    big    in    ben    öierten   5t!t 
l^inein    —    lebiglic^    be§n)egen,    tt)eil    er  Don    ben 
SSorauSfe^ungen  ber  ^anbtung  immer  nur  ha^  gicbt, 
b.  {).  ergä^Ien  läBt,  tt)ag  ber  3ufd)auer  gerabe  brandet, 
um    ta§   Sterben    be§   ©pielö    ^u    uerfteljen.     SSa§ 
bagegen  in  fo  mandjen  Dramen  Sbfen^,  faft  in  aßen 
au§>  [einer  fpäteren  ßeit,  bie  bramati[(^e  Söirfung  jo 
bielfad)  fc^äbigt  ober  n^enigfteng  ungemein  erfd;tt)ert, 
ha^  ift:  er  gebraudjt  im   mefentlidjen  eine  äf)ntid)e 
Xec^ni!  njie  Slteift  im  „3erbrod;enen  ^rug"  —  aber 
ba^  35ergangene,  ha§  aufgerollt  tüixh,  mad^t  fid^  üiel 
5U  breit,    eä  mirb  oiet  gu  oiel   über  ^ertigeö   unb 
nic|t  mel^r  gu  5tenbernbe§  gerebet,  biefe^  beanfprud)t 
baö  Sntereffe   nur   gu    oft   in    einem    oiel   l)öl)eren 
SOJa^e    atä    ha^,    ioaö    Ujerben    foE   unb    njag    bem 
ßufc^auer    eben    bod)    Ujic^tiger    ujäre;    e§    ift    oft 
gerabegu  peinlid)  unb  bemü^enb,  immer  tt)ieber  auf 
ben  Srrnjegen  beg  SSergangenen  Ijerumnjanbern  unb 
fic^  ha  müt)felig  gurec^tfinben  gu  foEen,  ftatt  ha^  eö 
frifc^  unb  energifd^  auf  ftc^er  gu  finbenben  3Begen 
nad^  ber  ßufunft  bortoärtg  ginge. 

5tud^  t)ier  ift  freilid)    nid^t   ^u    Oergeffen,    ttjag 
fd)on    in    anberem    ßufammenljang    l)eröorge^oben 


—     66     — 

iüurbc,  baf^  nänilid^  baö  ^roma  immcrl)in  aud)  ein 
cpifd)c«(  unb  ein  lt)rifcl)cö  SD^oment  urnfnilt.  2)ieg 
gilt  aud)  in  bicfcm  3"ffl"^"^C"()Q"fl-  2)amit  ber 
3ufd)Quer  baö  3[Bcrbcn  bc«  Spiels  rirf)tig  t)erftet)e 
unb  rnfrf)  auffnffc,  mufj  i()m  ba  unb  bort,  namcnttid^ 
Qm  5(nfan(i  bcö  ^rnmaö  ober  am  ^fnfanc^  neuer 
'5^ciI[tüdEe  bcö  "Dranmi^,  biciS  unb  baö  mitgeteilt, 
bcrid)tet,  er5Qt)lt  mcrben,  maö  gefc^etjen  ift  unb  auf 
®runb  beffen  baä  95?eitere  merben  folf.  ßs  fann 
fogar  entfdjeibenbe  5(ugenblide  geben,  tüo  gerabe 
burdj  einen  3^crid)t  über  ®efd)cl;eneö  SSiUen^entfd^ei* 
bungen  t)er6eigefüf)rt  merben  unb  [o  bie  §onb(ung 
meitergeleitet  mirb,  mo  eine  Spannung  entmeber 
erzeugt  ober  gelöft  mirb  burd^  einen  S3erid^t.  9J?an 
benfe  nur  5.  55.  an  bie  93ebeutung,  bie  ber  Seric^t 
über  bie  Gefangennahme  be§  <Sefin  für  bie  ^anbtung 
be^  „SSaüenftein"  geminnt.  Unb  ebenfo  giebt  eg 
9(ugenbltde  im  IBerben  hc§>  bramatifdjen  ®piel^,  mo 
bie  ipanblung  in  ber  Zt^at  für  eine  SSeile  ftillfte(;en 
mu§,  med  feelifd^e  ßuftänbe  al^  ^egteiterfdjeinungen 
ber  SSittengöorgänge  fo  ftarf  unb  mäd^tig  f)erüor* 
brängen,  ba^  ber  3ufd)auer  ein  mirflid)e§  Sntereffe 
baran  l)at,  aud^  fie  aU  etma^  gur  Sac^e  ©etjorigeiS 
in  il)rer  gangen  Äraft  unb  ^ülle  t)or5(ugen  gu  t)aben; 
5lu«brüc^e  be^  ©efüfil^v  ber  Seibenfc^oft,  beg  STffeft^, 
aljo  tt)rifd^e  9(eu§erungen  finb  an  manchen  unb  oft 
fe^r  midjtigen  Stellen  gerabe  fo  unüermeibtid^,  ttjie 


—     56    — 

an  anbeten  ©teilen  e^ifd^e  93erid)te.  Unb  allgemein 
))oeti[c^  betrad)tet,  formeE  ftnb  fold^e  (t)rt[(^e  ©teÜen 
oft  gerabewegä  ^rad)tftücfe  üon  @d^önf)eit^n)irfung 
ober  anbernjeittger  allgemein  äft^etifd^er  SBirfung. 
Stber  eben  um  bie  ridjtigen  ©teilen  ^anbelt  fid^S 
babei  unb  barum,  ha'^  hk^^  I^rifc^en  unb  eptfd^en 
S!J?omente  inä  redete  35erl)ältnig  gu  bem  bet)errfc^enben 
btamatifdt)en  9)?omente  treten.  3Bo  bie  ^anblung 
toeiter  foU,  too  ha§>  SSerben  unb  SBir!en  beö  SBiüen^ 
je^t  unfer  Sntereffe  in  ^Infprud^  nimmt,  ha  finb  tüir 
fel^r  menig  empfänglich  für  bie  fd^önften  tt)rifd)en 
Srgüffe,  für  bie  an  fid)  intereffanteften  58erid^te  über 
33egebent)eiten  -  unb  bann  finb  foldje  ©teilen  tro^ 
aller  poetifc^en  ©d^önljeit  oft  nid^tig  atö  Slrmut^* 
geugniffe  für  ben  ©ramatifer,  ber  mit  ber  |)anblung 
nid)t  mel)r  red^t  ttieiter  toeife  unb  un^  beämegen  üon 
©eelen^uftänben  unb  bergangenen  fingen  mit  fd;önen 
SBorten  gu  unterl)alten  fuc^t.  SBo  bagegen  ha^ 
figrifclje  ober  ©pifd^e  bem  bramatifd^en  3^^^!,  auf 
ben  beg  ßufd^auerö  ©eete  gefpannt  ift,  in  ber  fdI)on 
angebeuteten  SBeife  bient,  ha  mirb  eö  freubig  mill* 
!ommen  get)ei^en  unb  gerne  genoffen  aud)  in  feiner 
formalen  öftt)etifdl)en  2Sirfung,  in  ©prad)e  unb  SSersJs 
flang,  ha  toirft  e§  auc^  im  bramatifdjen  ©piet  um 
fo  fröftiger,  je  mel)r  aßgemeine  poetifd)e  ^roft  e^ 
entfaltet.  jDie  ^rad^töergä^Iungen  ©d^illers  mie  ber 
93erid^t  beö  lot^ringifdjen  9litterg  in  ber  „Sungfrau", 


—     57     — 

bic  (fr^iil)lunfl  bci^  fc()iucbi|d)cn  Hauptmann«  im 
„SBallcnftein,"  bie  ^raumcr^äljtung  be«^  i^i^an^  in  ben 
„9{äubcrn"  unb  lua«  bcrglcidjcn  ift  —  fic  roürben 
il)re  SBitfunci  nid)t  t()un,  ja  c\erabe  burd)  mand)c 
formale  3d)i)nl)citciiuivfungcn  nur  fdjäbicjen,  luenn 
[ic  nid)t  an  ber  redeten  Stelle  bramatifd)e  SBirtungen 
uorbereiten  ober  au«Jlö|en  luürben.  5)ie  9?ebe  be^ 
•^Intoniuäi  an  ßäfarö  Seiche  bei  <Sl)afe)peare  toäxe 
nid)tö  al^  ein  übteö  rl)etoriid)cö  Äunftftüd,  ba^  un^ 
bramatifd)  falt  liefse  ober  gar  langttjeilte,  menn  fie 
nic^t  in  grojjartig  bered)neter  Steigerung  ber  9)iittel 
bem  ßmede  biente,  üor  unfern  ?(ugen  ha^  römifdje 
Sßot!  auf5uftad)eln,  einen  üölligen  Umfd^roung  ber 
SSotf^ftimmung  unb  bamit  bie  (Einleitung  gu  einem 
n)eiteren3Serben  ber  §anblung  t)erbor5urufen.  S^rifd^e 
Stellen  Don  befonber^5  ausgeprägtem  ßtiarafter  finb 
unter  anberem  bie  SJconologe;  ber  moberne  9latu- 
raliömuö  t)at  fie  auS  pc^ft  unfadjgemäBen  ©rünben 
öernjorfen:  er  meinte  in  feiner  bürren  äftl)etifc!^en 
@ngf)er5ig!eit,  bie  SUienfdjen  l)a(ten  ja  im  gemö^nlid^en 
Seben  in  ber  9?egel  feine  lauten  SOtonologe,  mad)en 
bafür  üielleic^t  t)öd)ften§  §um  unb  9[l?um  —  olfo 
bürfen  eS  aud)  bie  9)Zenfd)en  im  ®rama  nidjt  anber'g 
lialten.  2)a^  haS^  grunbfalfd)  ift,  mirb  fid)  fpäter 
nod)  geigen,  menn  bon  ber  bramatifdjen  Sprad^e  hk 
9iebe  fein  mirb.  3n  biefem  3iif^n^"^cnl)ang  ift 
nur  §u  fagen:  ber  9J?onolog  ift  allerbingö  ein  etroaS 


—     58     — 

gefofirtid^eö  ®ing  unb  fann  5U  einem  ^trmutgjeugntö 
für  ben  2)ramattfer  irerben  —  fobolb  er  nämlid)  bte 
i5üf)Iung  mit  ber  bramatifcfjen  §anbtung  üerloren 
I)at  unb  nidfjtS  ift  aU  t^rifd^er  ®efül)l^ergu|  für 
fid)  ober  irgenbmeld)e  ^eüamation  über  gertigeä, 
fobalb  er  über  ha§'  3Sorte  mad)t,  \va^  mir  merben 
fef)en  füllten.  ?(ber  er  ift  in  feinem  öollen  'Sit<i)t, 
menn  in  it)m  unb  burd)  i^n  ber  SBiüe  mirb,  menn 
fid^  beutlid)  unb  anfd)aulid^  ein  midjtiger  @ntfd)Iu^ 
in  if)m  herausarbeitet,  menn  in  ber  ©eele  be§  bramo* 
tifd^en  9J?enfc^en  irgenb  etmaö  uormörtö  !ommt,  rüdt, 
fict)  f(ar  mirb  —  ober  aud^,  menn  eine  Ijodjgrabige 
(Spannung  ber  @eele  burd)  ben  2öi(Ien  ober  feine 
folgen  fid^  in  SBorten  entlobt  unb  löft,  bie  bie  <SeeIe 
in  biefem  31ugenblid  nic^t  5urüdt)aUen  fann.  3ti  ben 
3J(onoIogen  ^omletö,  9Jcacbetf)§,  SBaUenfteinS  u.  f.  m. 
rüdt  oUemal  etmaS:  menn  fie  gu  @nbe  finb,  fte^t  irgenb 
etmaS  im  bramotifd^en  ^^roge^  anberö  aU  eö  tiorI)er 
geftanben  ift;  fogar  ber  üieIangefod)tene  9)conoIog 
Xellö  in  ber  t)ol)len  ®affe  leibet  gmar  im  @prad^ftil 
an  einiger  Sdjönrebnerei,  bie  in  Stella  SKunb  nid)t 
pa^t,  aber  bramatifd)  ift  er  in  feinem  guten  fÜQdjt: 
auf  ben  Stugenblid  gur  entfd^eibenben  %l)at  t)arrenb, 
bie  ©eele  gan^  üoll  Don  bem  allerbingS  längft  gefaxten 
@ntfd)Iufe,  borf  Xeü  gang  mol;I  ben  Smtfdjlu^  nod; 
einmal  burdjprüfen  unb  ooüenbö  gur  ^Ijat  feftmadjen, 
borf  er  ganj  mol)!  auöfpredien,  ma§  fid)  it)m  in  biefe 


-     59     - 

lierfjnnöniöüoUcn  ^U^inutcn  uon  feinem  flanken  Sebcn 
unb  ®ejcr)irf  5ufQmmenbränöt. 

©0  fönncn  olfo  and)  tljrifc^e  unb  epifdje  9)?omente 
fidj  bcm  brnmatijcfjen  SBerbepro^cf]  einfügen  unb 
unterorbnen  unb,  fouieit  fie  bivi  t()un,  in  it)rem  9ierf)te 
fein,  ^er  innerfte  SeDeni^cjetjatt  biefe^S  Jßerbepro^cffeg 
ift  unb  bleibt  aber  ber  mcnfdjtid^e  SStUe  mit  feinen 
Äonfüften,  9Jc'otit)en  unb  folgen  jeg(id)er  5Irt.  ©ein 
SBerben  unb  SBirfen  alö  einen  5ufamment)ängcnben 
SebeniSliorgang  in  einer  eintjeitlid^en  ^anblung  öor 
bie  unmittelbare  5fnfd)ouung  ^u  ftellen  unb  bem  un- 
geteilten, Tebt^aftcn  Sntereffe  be§  ß^fii)^"^^^  ^^^3^ 
gu  bringen:    ba^   ift  bie  5(ufgabe  beä  bramatifdjen 


f^t^^=^Wf^t^^=\ 


3tt)eiteg  Äapitet. 

Der  Stoff. 


fenn  ba^  bromattfd£)e  ©ptel  in  feinem  SBejen 
gan^  bestimmte  ^öefonber^eiten  l)at,  bie  e^o 
bon  anberen  5trten  !ünftteri[d§er  ^arfteHung  unter* 
fc|eiben,  fo  i[t  bie  ^rage  nic^t  ^u  umget)en,  n)a^ 
fic^  benn  nun  gu  fold^er  ^arftellung  eigne  unb  toa^ 
nid^t,  ha^  l)ei§t:  'ma§  bramatifd^e  ©toffe  feien?  ®iefe 
grage  ift  nid)t  nur  für  ben  fc^affenben  2)ramati!er 
fonbern  anä)  für  ha^  bramaturgifd£)e  Urteil  be^njegen 
eine  ber  erften,  toeil  @toff  unb  93el)anblunggart  in 
alter  Äunft  fid)  irgenbnjie  gegenfeitig  bebingen,  Ujeit 
nur  5U  oft  eine  beabfid^tigte  Äunftnjirtung  lebig(id) 
au^  beut  ©runbe  nid^t  erreicht  n^irb,  ha^  ber  Äünftter 
ftd^  im  (Stoffe  »ergriffen  t)at. 

3unäc^ft  ift  gan^  allgemein  feft^uf teilen,  toa^ 
()ier  mit  bem  SBorte  „@toff"  gemeint  ift.  ®ag 
bramatifdie  «Spiet  ift  tok  jebe^  —  eben  S|)iel,  ha^ 


—    61    — 

l)cif}t:  \va^  auf  bem  ®c()QuplQt^  uorflc()t,  haS  ift  nic^t 
ein  Stücf  loirflid^cn  iJebenö  fonbern  nur  ber  <Bd)em 
eine!?  [oldjcn,  ein  für  bic  äftl)etifcf)e  9Infd)auung 
bcrecljnctcö,  mit  ben  bcfonbctcn  SKittcIn  bcö  ©piel«J 
bem^ufrfjowcr  üorgeftcüteö^^ilb  öon^cbcnöuorgängen. 
S)ie  Sebcn^öorgöngc  ber  ernftl^aften  SSirflid^feit  nun, 
Don  bcncn  in  biefer  SBcife  ein  93ilb  öorgefteüt  luirb, 
fie  bilbcn  in  biefem  Sinne  ben  «Stoff  beg  bromatifc^en 
©picti?,  feinen  (SJegenftanb  —  unb  bie  ^rage  nad) 
ben  bromatifd^en  Stoffen  t)eif?t  atfo:  rt)etdje£ebens5= 
borgänge  auö  bem  ernftf)aften  lüirftid)en 
Seben  eignen  fic^  bagu,  in  bramatifc^e  ^anb* 
(ung  oerlDanbelt  unb  bramatifd^  gefpielt  gu 
tt)erben? 

5(uf  biefe  ^^rage  finb  fc^on  mancherlei  9lnttt)orten 
gegeben  tuorben  unb  toerben  nod)  fortmäf)renb  gegeben, 
toetdje  burd)au§  bie  Sac^e  nid)t  treffen,  oielmet^r 
frembe  unb  unfac^gemä^e  ®efid)t§punfte  einmifc^en. 
So,  hjenn  man  bel)auptet  \)at  unb  neuerbingg  ttjieber 
gu  bet)aupten  geneigt  ift,  nur  bie  SSeltgefc^ic^te 
biete  für  ha^  ^rama,  menigftenö  für  ha§>  entn^idettere 
neuere  Srama  bie  redeten  Stoffe;  bie  bem  Stoffe 
nad)  ^iftorifd§e  Stragöbie  unb  ^omöbie  feien  bie 
einzig  mafjren  unb  mürbigen  2)ramen,  2)iefe  95e* 
t)Ouptung  ^at  immer  mieber,  befonberg  in  beftimmten 
Sat)räet)nten  unfereg  Sa§rl)unbertg,  gute  ßeute  öerleitet 
gu  meinen,  irgenb  ein  ^iftorifc^  bebeutfameö  @reigni§ 


—     62     — 

fei  eben  burd)  feine  ^iftorif(f)e  9^ebeutfam!eit  fc^on 
ein  befonberö  6raud)barer  bramatifc^er  ©toff  —  unb 
bie  ®efc^idC)te  ber  bramatifdjen  Siteratur  t)at  mit 
(Sd)Qubern  bie  äJJaffe  Don  unmöglicEjen,  töblid)  lang* 
n)eiligen  ober  tro^  etnjaiger  ^oetifcE)er  <Sd)öns 
l^eiten  üer^meifelt  n?irfung^Iofen  2)Tamen  öergeidjnet, 
bie  biefem  2öal)n  if)re  @nt[tef)ung  üerbanft  ^aben. 
3öag  ^at  benn  bie  ^f)atfQc^e,  ba^  eitoa^  ^iftorifd^ 
gefd^el^en  ift  unb  für  ben  Sauf  ber  SSeltgefc^ic^te 
irgcnb  einmal  unb  irgenbmie  Don  93ebeutung  n^ar, 
mit  ben  fpegiellen  fünftlerifdjen  Sebenöbebingungen 
be§  bramatifd^en  ©pielö  ^u  tt;un?  9tein  nidjt^  unb 
mieber  nichts!  Ober  man  t)at  gar  irgenb  ein  be= 
ftimmteg  t)iftorifc^eö  ©ebiet  aB  ha^  günftigfte  Stoff* 
gebiet  für  ha§  ®rama  betrad^tet,  bie  atte  ®efd)ic^te 
ettua,  bie  gried)ifdje  ober  römifd^e  —  ober  ha§  WxtkU 
alter  ober  bie  ßeit  feit  ber  9^eformation  —  ober  man 
l^at  inöbefonbere  bie  nationale  ®efd)id)te  alä  bie 
befte  (Stofffunbgrube  bejeic^net  unb  t§ut  ha^  gerabe 
l)eute  »lieber.  SSeil  ha  g.  95.  bie  §ot)enftaufengef(^id)te 
ein  befonberö  bebeutfameg  ©tüd  unferer  nationalen 
@efd)id^te  ift,  ^at  man  ial)r5et)ntetang  bie  berüchtigten 
unbramatifd)en  §oi)enftaufenbramen  gefünbigt;  unb 
meit  in  ber  neueren  beutfd)en  öefdjic^te  bie  ®efd^id)te 
ber  ^o^engoüern  üon  befonberer  f)iftorif(^er  93ebeutung 
ift,  fo  bringt  man  je|t  tüieber  mit  bilettantentiaftem 
(Siferbarauf,  ba^biefe^o^engoüerngef^idite  bramatifc^ 


—     63     — 

ausfflcdeutet  iuerbe,  unb  ba^  ^oljcnjoÜctnbrama  fdjcint 
bo|"timmt,  für  einige  ßeit  eine  äl)nlid)  unflUicfIicl)e 
JKüUe  5U  fpielen  iüie  früher  baö  .^')oI)enftaufcnbrama. 
9(ber  tuiebcrum:  luaö  l)at  benn  ber  ^ufällifle  Umftanb, 
ha^  ein  ©toff  ber  nationalen  ober  ber  ^otjenftaufen- 
ober  .^ol)en5ollern(\efd)id)te  anflel)i3rt,  mit  ben  inneren 
Sebenöbebingungen  beö  bramatifd)en  ©pielä,  mit  bem 
SBefcn  ber  bramatifdjcn  Äunft  ju  tl)un?  9^id)tg,  rein 
nid)t!^ .  3ic  ift  ja  rcdjt  unb  gut  unb  nid)t  genug  ^u 
betonen,  bie  ^"'^^^^'^^""Ö'  ^^B  ^ic  Slunft  national 
fein  foß,  unb  jebe  ed)te,  lebenöfäf)ige,  gefunbe  Slunft 
erfüllt  biefe  ^orberung  bon  felbft,  njeit  fie  nid^t  anber^ 
fann.  5lber  biefeö  S'lationale  liegt  im  @eift  unb  nid)t 
im  SfJo^ftoff,  im  befonberen  beutfd)nationat  ift 
unferc  Stunft,  fon)ie  unfere  ^ünftler  beutfc^ 
em^finben,  beulen,  bie  Söelt  anfc^auen,  im 
ett)ifc^en  5^ern  i^rer  ^erfönlid^feit  üon  beut* 
f^er  2lrt  finb  unb  biefe  5trt  i^rem  ^unfttt)erl 
gang  bon  felbft  mitteilen,  einflößen,  aU 
<Stem))el  aufbrüden.  ®er  blo^e  Umftanb,  ha'^ 
ein  ^ünftler  feinen  «Stoff  auä  ber  nationalen  ®e* 
fc^id^te  nimmt,  ber  blo^e  lanbldufige  ^^atriotigmu^ 
mit  feinen  Hurrarufen  unb  feinem  lonoentioneEen 
^eft=^atl)oä  madjt  nod)  leine  beutfd)*nationale  ^unft, 
überhaupt  nod)  leine  Slunft  —  üoltenb^  leine 
bramatifd^e  ^unft,  unb  menn  noc^  fo  öiel  ^om^  in 
ber    äußeren    Sluöftattung    be§   3:pielö    berfd^toenbet 


—     64     — 

trirb.  2Bo!§  einen  ©toff  unb  feine  ^arftetlung  int 
©piel  bromatifcf)  mad)t,  liegt  gang  irgenbn)o  anber§. 
SSie  mit  bem  2)rängen  auf  ^iftorifc^e  ©toffe, 
fo  ift§  auc^,  n}enn  man  etn^a  bie  fogialen  Probleme 
ber  ©egennjart  al^  haS»  eigentliche  «Stoffgebiet  be§ 
S)ramag  begeid^net  —  nid^t  feiten  bann  mit  gleid)* 
zeitiger  SSern^erfung  ober  garSSert)öt)ung  beö  I)iftorifd)en 
®rama§.  5(ud^  ba^  ift  neuefteng  toieber  bagetoefen. 
5(ber  aud^  bafür  ift  fein  ^albn?eg§  gureid^enber  ®runb 
eingufefjen,  H^  ein  Stoff  für  ^arfteHung  burd) 
bramatifd)e§  Spiet  be§tt)egen  befonber^  geeignet  fein 
foU,  njeil  er  unS  in  ben  focialen  fragen  unb  Stampfen 
ber  ©egenmart  befonberS  njid^tig  erfd)eint.  Wan 
!önnte  ebenfogut,  ja  mit  etmaö  met)r  ®runb  befjaupten, 
biefe  Stoffe  feien  befonberö  ungünftig,  tt)eil  fie  gu 
ernft()aft  intereffieren,  gu  fad^Iidj  aufregen,  al§  ha^ 
t)a§  äft^etifc^e  Sntereffe  am  bramatifd^en  Spiet 
unbeeinträdjtigt  bleiben  !önnte;  unb  tt)enn  man  bie 
mobernen  fogialen  5;)ramen  fid^  anftef)t,  bie  einige 
SSirfung  getJjan  ^aben,  fo  finbet  mon  in  ber  Z^at, 
ha^  biefe  SBirfung  meift  met)r  öon  ber  ftofflid^en 
(Erregung,  bem  fogenannten  a!tuelten  Sntereffe  bebingt 
ift  aU  t)on  fpegififd^  bramatifc^er  S!raft*  unb  Äunft? 
entfaltung.  Unb  überbieg  öerföllt  biefe  fogiale Problem* 
bramatif  nur  aEguIeic^t  in  eine  2)arftellung  öon 
bloßen  3"ft^"^^"'  °^^^  energifdieä  SSerben  einer 
^anblung    unb    namentti^    of)ne   fieberen   Stbfd)Iu^ 


—     65    — 

—  ba«  aber  flcl)t  birctt  gcflcn  baö  SBefen  be3 
^romatifdjcn.  9tuc^  SM^"*  fogioloflifc^e  Dramen 
Icibcn  ftarf  an  bicfcm  SWangcI  —  unb  iocnn  man 
il)m  als  einem  träftic^  auf  eigenen  ^üf^cn  ftet)enbcn 
!Dramatifer  aucf)  allerlei  3U  gut  Italien  mag,  fo  t)at 
bie  9?acl)al)mung  vsbfem^  auf  basS  mobernfte  3)rama 
um  fo  fcl)äblirf)cr  gemirft.  S)agegen  öergleid^e  man 
etnjo  ©d)illerö  fojiate  2)ramen,  bie  „^Räuber"  unb 
bie  „Suife  StWillerin",  beten  3Sirfung  ^eute  nod)  nid£)t 
njefentlid)  geringer  ift  alö  gur  ßeit  il)reö  erften  ?fuf= 
treteniS,  unb  man  frage  fidj,  morauf  biefe  3Sirlung 
beruljt?  ©id)ertid}  nidjt  barauf,  ha'^  ber  Stoff  au^ 
bem  ttjirflic^en  Seben  ber  bamaligen  (SJegenmart  ge* 
nommen  ift  —  ber  ^at  für  ung  f)eute  feine  „Stftualität" 
eingebüßt;  t)ielmef)r  au^  ber  auf  gang  anberem 
ru^enben,  f^egififc^  bramatifd)en  Wad^t  unb  SSud^t 
btefer  2)ramen  fommt  i^re  unöergänglid^e  SSirhing, 
bie  ber  SSirfung  feiner  f^äteren  S)ramen  mit  f)iftorifc^en 
(Stoffen  nic^t  nac^fte^t,  fie  teilmeife  fogar  übertrifft. 
9lid)t  anberS  ift  t§,  menn  g.  B.  'Siidjaxh  SSagner 
bem  S)rama  al§  fein  eigenttid^e§  Stoffgebiet  ben 
?9?^tf)u^,  bie  Sage  gumeifen  miß.  @^  ift  ja  an  fid) 
unb  in  gemiffem  Sinne  rid)tig,  menn  er  fagt,  ber 
9J?t)t()u§  fei  emig  tva^x,  magrer  al§  bie  immer  nur  he- 
bingte  3Sat)r£)eit  ber  ©efd^id^te  ober  gar  ber  jemeife 
gegenmärtigen  fogialen  ^rogen  unb^öemegungen;  unb 
eö  ift  bagegen  öer!e{)rt  unb  oberfläd^tid^,  menn  anbere 

6 


—     66     — 

gerabe^SageunbSK^t^uö  bem  mobernen2)id)ter,  fpe^iell 
bem  ^ramatifer  üerlre^ren  tpoöen,  tuett  fie  angebüd^ 
bem  mobemen  Sett)u^t[ein  ^u  fern  liegen,  njetl  @ttten 
unb  ®e6räud)e  auS  ber  Qeit,  ha  fie  entftanben  feien, 
nid^t  met)r  bie  unfrigen  feien.    SBagner  Ijat  gan^  rerf)t 
tuenn  er  ber  3)?einung  ift,  3}^t)tf)u§  unb  3agc  cntfjatten, 
n)enn  aud)  in  einer  auf  ben  erften  5ötid  frembartigen 
gorm,  ho6)  fo  niel  Dom  gangen  nationalen  ßt)arafter 
unb  ber  einer  ^lotion  gemäßen  SSettauffaffung,  ha^ 
fie    immer    mieber  uom  ^ünftler,  inSbefonbere  Hom 
S)id^ter  erneut,  gum  neuen  5{u§brud  be^  jemeiligen 
SebenS    feiner   Station    Dermenbet    merben    fönnen. 
SBo^I  —  ober  tüaä  l^at  ha^  mit  ben  befonberen  Sebens^ 
bebingungen  ber  bramatifd)enÄunft  gu  fc^affen?  9(ber* 
mat§  nid^tö.   Wan  Dergteid^e  SBagnerä  eigene  Dramen 
—  l^ier  natürlid^  abgefet)en   öon  i^rer  mufifalifdjen 
(Seite  unb  Hon  feiner  gangen  ST^eorie  be^  SJJufifbrama^ 
aiß  beä  „  ^unfttoertö  ber  ßufunft"  —  üielmefjr  nur 
'Unter  bem  ®efid^t§pun!t,  tüie  fid^  ber  ©toff  gum  2S?efen 
beö  bramatifc^en  «Spiele  üer^ätt.    Wan  üergteidje  5.  93. 
feinen     „^riftan"    mit    feinem    „9Zibetungenring". 
jDer  llnterfd^ieb,  ha'ii  bie  9^ibelungen  unfere  eigent(id)e 
S^Jationalfage  finb,  mäfjrenb  ber  ^triftan  au^länbifdje^ 
'(^etoäd)^  ift,  fommt  ^ier  nid)t  in  ^etrad^t,  ireil  ja 
bie  93egriffe    national   unb  bramatifd)  gunädjft  gar 
nid)t§  mit  einanber  gu  tt)un  ^aben;  in  beiben  Rollen 
gicbt  .eben  bie  ©age  ben  Stoff  gum  Urania,    ^er 


—     67     — 

„^riftan"  nun  ober  i)'t  unbramatifdj  burrf)  unb 
burd),  flon^  hjrifd)  mit  einem  bünnen  epijd}en  ^obelein, 
baö  in  bcm  (anflcn  U)ri[d)en  SieOe-j^buctt  be«^  ämciten 
?(ftc§  flor  nid)t  mc()r,  im  erftcn  unb  brüten  faum  5U 
feljen  ift,  luöljrenb  furo  cigentlid)  2)ramatifc^e  faum 
im  erften  unb  te^Uen  5(ft  ein  paar  [c^mad^e  9fn[ä^e 
öorl^anben  [tnb.  2)er  „S^ing  beö  9JibeIungen"  ha^ 
gegen  —  tro^\  atlebem,  ttjos  man  allgemein  ä|tt)etifd^ 
gegen  i^n  einmenben  fann,  tro(3  aller  poetifd^en 
9!J?ange(^aftigfeit  ber  9(uigfüt)rung  im  einzelnen  —  er  ift 
in  ben  großen  ©runb^ügen,  im  gangen  5{ufbau  ber  um« 
fangreid)en  Tetralogie  in  {)o^em  9}?afee  bramatifd^. 
Sltfo,  beibe  2Ser!e  entne£)mcn  it)ren  ©toff  bem  9}?t)tt)uö, 
ber  (Sage  —  unb  bod^  ift  ha^  eine  t)öd^ft  unbramatifd), 
baö  anbere  ^öd)ft  bramatifd^.  S)er  (5^runb  bafür  mu^ 
bocl^  irgenbnjo  onberö  liegen  aU  im  Stoffgebiet,  eS 
muffen  eben  im  !i)?ibetungenftoff  alä  fotc^em  anbere 
Sebingungen  für§  2)ramatifc^e  liegen  alä  im  ^iriftan* 
ftoff  —  ober  ber  S)ic^ter  mufe  bem  einen  Stoff  brama* 
tifd^eS  Seben  abgugeUjinnen  gemußt  l^aben,  bem  anbern 
nid^t,  gan§  abgefe£)en  öon  bem  gemeinfamen  fagen* 
fiaften  unb  ml)tt)ifd)en  (Sf)arafter  beiber  Stoffe. 

Unb  fo  ift§  burdimeg,  fott)ie  man  in  bie  ^rage 
nadf)  bem  bramatifc^en  Stoff  frembe  ©efic^t^punfte 
l^erein  bringt,  bie  mit  bem  fpegieüen  3Sefen  ber 
bramatifd^en  ^unft  nid)t^  gu  t§un  £)aben.  SKan 
öermed^fett    ba    immer    ba^,     \va§    menfd^Iid;    ober 

5* 


—    SS     — 

national  ober  fogtal  ober  ^iftorifd^  ober  „altuell" 
irgenbh)te  intereffant  unb  bebeutjam  tft,  öerttjed^fett 
ba§  in  anberem  <Sinn  [tofflic^  unb  fo(f)ltc£)  Söic^tige 
mit  bem,  tt)aö  im  befonberen  gum  bramatifd^en  «Spiel 
[id^  eignet.  (£§  ift  ja  im  allgemeinen  rid^tig,  bajs 
ein  Stoff  für  jebe  —  für  jebe!  —  Hinftleri)d)e 
SorfteKung  um  fo  günftigere  93ebingungen  bietet,  je 
me^r  er  namentlict)  menfci^ticf)  Sebeutfameg  für 
unö  ^aben  fann.  2)er  Äünftler  begiebt  *fic^  üon 
üornt)erein  eine^  grojgen  SSorteilö,  menn  er  nad^ 
©toffen  greift,  bie  irgenbnjie  bem  Sntereffe  feinet 
^ublifumö  fernliegen;  er  mu§  geft)idl)tige  ®rünbe 
bofür  t)aben,  lüenn  erö  bod^  t^ut,  er  mu^  fid^  eine 
ftarfe  Äraft  gutrauen  fönnen,  eben  burd^  feine  Äunft 
ha§  an  fid)  nid^t  öorl^anbene  3ntereffe  gu  medten, 
auc^  ben  an  fid^  unintereffanten,  fernliegenben  @toff 
bem  Sntereffe  nal)e  gu  bringen.  Unb  namentlid^ 
mirb  er  bie  l^öd^fte  formale  ^unft  öergebenö  aufmenben, 
njenn  fidl)  bem  Stoff  nid)t  irgenbmie  etmaö  ah 
geUjinnen  lä^t,  ma§  irgenbnjeld^e  Offenbarungen 
über  SWenfd^enart  unb  3)?enfd^engefcl)idE  gäbe,  maä 
beömegen  ben  5!J?enfd^en  im  Snnerften  feineä  2eben^== 
intereffeö  padte.  5lber:  ha§  gilt  allgemein  bon  aller 
Äunft,  üon  ber  bramatifd^en  au  dl),  aber  nid^t  blo§ 
unb  im  befonbern  öon  it)x;  unter  biefen  ©efic^tgs 
:punlten  allein  lönnte  man  beftimmte  Stoffe  unb 
Stoffgebiete    gerabe    fo    gut   irgenb   meld^er  anbern 


—    69    — 

Äunft  ^utücifcn  unb  anpreifcn  lüie  bet  bramatt)(l)en. 
(58  ergiebt  fid)  unter  aßen  bcrartigcn  ®eficf)t8« 
fünften  für  bie  ^xaQC  nad)  bramatifdjen  (Stoffen 
nid^tg  njetter  als  bie  gan5  allgemeine  äftl)ctifd)e  Z\)aU 
fad)e  ober  ^orberung,  bafj  ouc^  bie  bramatifd)e  itunft 
\vk  jebc  anberc  barauf  bebadjt  fein  mufj,  mijgüdift 
üicl  ollgcmein  menfdjiidjeö  ^ebenäintereffe  5U  erregen, 
unb  ha^  fd)on  ber  ©toff  üon  einer  5Irt  fein  muB, 
tt}eld)e  bieiS  überljaupt  in  genügenbem  9J?a§e  ermöglicht. 
dJerabe  bem  aber  ttjiberftreben  fo  Diele  ^iftorifd)e 
Stoffe,  menfd^Iid)  g[cid)giltige  ©taatfSaftionen,  biplo* 
matifdje  Sntriguen,  ältinifterftürge,  friegerifdje  ßreig« 
niffe  unb  bergleidjen.  ®erabe  bem  miberftreben  üie(e 
fojiate  «Stoffe,  in  benen  nur  t)orüberge{)enbe,  zufällige 
ober  Io!aIe  SOti^bilbungen  unb  ©ebred^en.  Schaben 
gemiffer  befd)rän!ter  ®efeEfd)aftgfc^id)ten  ober  ber* 
gleid^en  bie  ^auptfad^e  ftnb.  SSaö  geijt  unä  3.  ©.  ber 
efelijofte  Sumpf  meiter  an,  in  bem  fid)  eine  gemiffe 
berliner  ©efeUfc^aftgfc^id^te  beö  ^ro^entum^  unb  ber 
^unftgigeunerei  umtreibt,  mie  baig  Subermann  in 
„Sobomä  Snbe"  barfteßt?  2)iefe  im  Snnerften  Der* 
faulte  Derlorene  ^anbe  unb  if)r  Streiben  ^at  glüdlid^er* 
tt)eife  für  bie  beutfc^e  Station  au^er^alb  95erlin§  nodj  fo 
n^enig  menfd^Iic^eS  Sntereffe  mie  etma  ber  lüfterne 
Sd^Iingel  Don  einem  Stbiturienten  in^albeö  „Sugenb" 
ober  äf)nlid)e  9)?i^gebilbe.  Unb  aud^  auf  bem  Q^ehkte 
be^  9}ct)t^uö  unb  ber  Sage  finbet  fid^  neben  menfd^üd^ 


—     70     — 

feilt  ©cbeutfamem  bodj  fo  üiele^,  h)aä  üergtrcifelt 
geringe^  menfdEiUdjefg  Sntereffe  bietet.  @i§  finb  alfo 
gerabe  biefe  unb  ä^nlid^e  «Stoffgebiete  ^äufig  gerabe 
unter  bem  einzigen  aßgemeinen  ®efid^t^pun!t,  ben  fie 
für  alle  Äunft  unb  fo  auc|  für  bie  bramatifc^e  ^aben 
fönnen,  nic^t  einmal  braud^bar. 

2)er  einzig  entfd^eibenbe  3)?afeftab  üietmef)r,  an 
bem  ein  Stoff  furo  bramatifctje  Spiel  gu  meffen  ift, 
ift  au§  bem  befonberen  SBefen  biefeö  Spietg  felbft, 
au§  ben  inneren  äftt)etif(i)en  Seben^bebingungen  be§ 
^i^ramatifc^en  unb  unfereg  Sntereffeg  an  it)m  gu 
nehmen.  2Benn  tt)ir  uniS  aber  über  biefeg  SSefen  be^ 
bramatifd^en  Spiele  flar  finb,  fo  erlebigt  fid^  bie 
grage,   mag  ein  bramatifc^er  Stoff  fei,  fe{)r  fd^nelt. 

Seber  irgenbmie  menfc^Iid)  bebeutfame 
Stoff  ift  bramatifc^,  eignet  fid^  §um  ©egenftanb 
beg  bramatifc^en  Spielet  bann,  aber  nur  bann, 
njenn  fid^  auä  i^m  SSittenöfonflüte  ent* 
micEeln  (äffen,  bie  in  i^rem  SSerben  —  in 
i^rer  (£ntftet)ung,  it)rem  SSerlauf,  ibren  ^^olgen  big 
gu  einem  beftimmten  2lbfd£)lu^  ^in  —  aU  eine 
^ufammenl^ängenbe  §anbtung  fic^  geftalten 
laffen  unb  aU  anfd)aulict)eg  gegenmärtigeg 
Spiel  öon  menfc^lid)  intereffanten  ©tjaraf* 
teren  auf  einem  begrenzten  Sd)aupla^  einem 
3ufcl)auer  borgeftellt  toerben  können,  fo  ba^ 
er  mit  lebhaft  erregtem  menfc^lid^em  Sntereffe  eben 


—     71     — 

„5U)"c()aut",  mit  feiner  ^tnfdjauunß  unb  feinem  ®efü^( 
bem  Spiele  folflt  üon  einem  ^fnfanflSpunfte  burd) 
«Uc  (l-nttuicfelunflöftufcn  l)inbnrd)  bi«  ju  einem  ent* 
fd)cibcnbcn  Hbfdjluf}.  ::^eber  ©toff,  bcr  fid)  bag  ab* 
t^cminnen  läfit,  ift  bramatifd)  braudjbar,  mag  er  fünft 
i'incm  Stoffflebiet  anflcljiJrcn,  njctc^em  er  mill.  Seber 
(Stoff  bageöen,  in  bem  feine  3iMüenäfonf(ifte  liegen, 
ber  feine  in  biefem  Sinn  I^onbelnbe  (£()Qraftere  bietet, 
auö  bem  fid)  feine  im  SSerben  bewegte  .^anblung 
ijciuinncn  liifjt,  ber  fid)  nid)t  jum  anfc^aulid)en  unb 
in  bcr  5(nfd)auung  intereffierenben  Spiel  auf  einem 
Sd)auplal^  geftalten  läfet  —  ift  bramatifd)  unbrauchbar, 
mag  er  fonft  nod)  fo  uiet  allgemein  menfd^Iid;e^ 
Sntereffe  traben,  nod)  fo  öiel  äfd)etifd)en  Üteig  befi^en, 
allgemein  poetifd)  ober  fünft(erifd)  nod)  fo  (odenb  fein, 
t)iftorifd)  ober  fojial  ober  n)ie  fonft  nod)  fo  öiel 
^td)ttgfeit  unb  ©ebeutung  beanfprud)en.  jDa^  ift 
ta^  einzig  entfd)eibenbe  S^riterium  für  ben  bramatifd^en 
Stoff  —  alle^  anbere  fd)iefet  neben  ha§>  ßkt 

(i§  ift  beömegen  ganj  eitel  unb  öergebüc^,  menn 
S)ramaturgie  ober  Äritif  bem  ©ramatifer  unter 
irgenbmelc^en  anberen  ©eftd^täpunften  beftimmte 
Stoffgebiete  borfc^reiben  ober  üermet)ren  h)oHen. 
Ülein  2)ramatifer,  ber'ö  mirflic^  ift  —  ha^  ^ei§t:  feiner, 
ber  ba§  fd^arfe  5(uge  für  bie  S3ebeutung  ber  3BiIIen!g= 
fonflifte  im  ^afein  ^at,  für  tt)re  taufenbfältige 
urfäc^Iid^e    SSerfd^tingung    mit    SD^enfd^enteben    unb 


—     72     — 

50tenf(i)engefd^tcf;  feiner,  beffen  gange  SSeltauffaffung 
et^tfd^  unb  äft^etijd^  auf  ben  SSttten  geftellt  ift  unb 
i^m  bis  in  feine  tiefften  SSurgeln  nad£)gräbt  —  ber 
bann  notürlid^  aud^  bie  ^ät)ig!eit  ^at,  aug  bem  im 
ßufammen^ange  ber  SebenSüorgänge  @rfd)auten  eine 
bebeutenbe  ^anblung  gu  bilben  unb  für  haS»  Spiel 
3U  geftatten:  fein  luirHicEjer  ©romatifer  biefer  9Irt 
t)at  fid)  je  um  jene  SSorfd)riften  ober  SSerbote  ge* 
flimmert  —  um  fo  tüeniger,  je  fräftiger  uub  tiefer 
feine  ^erfi3nlicf)feit  toar  ober  ift,  je  energifd)er  feine 
fünftterifc|e  ^raft,  je  reid£)er  feine  5tnfrf)ouung  Oon 
ben  ßufammenljöngen  beö  ^afeinö  unb  iJjren  ä^er* 
mittlungen  burd;  ben  menfd^tid^en  SBillen.  9^ur 
fdjUjad^e  bramatifd)e  Talente  ober  feid^te  (SJeifter  ober 
©eifter,  beren  ©djoffen  toeniger  oom  innerften  STrieb 
beg  ^erfön(id;en  a(§  Oon  einer  äftf)etifd)en  Xljeorie 
geleitet  ift,  ober  Seute,  bie  oom  SBinb  eine§  äugen* 
blidlidien  ß^^tgefc^madeö  regiert  tt)erben  ober  gar 
bireft  auf  ben  StlltagSerfoIg  beim  St^eaterpijbel  auö# 
ge^en  —  nur  folc^e  pflegen  fic^  jenen  miüfürlic^en, 
bie  <Ba(i)e  nidjt  treffenben  SSorfc^riften  bei  il)rer 
©toffttja^I  gu  fügen.  Wan  ge^e  alle  großen  unb 
bauernben  3Berfe  ber  gangen  bramatifc^en  Literatur 
ober  nur  tt)enigftenö  be§  germanifdjen  ^ramaä  burd^ 
unb  fe^e  fie  auf  if)re  @toffe  an,  man  get)e  gu 
©^afefpeare,  <Sd)itter,  aucE)  ©oet^e,  gu  ^leift, 
©rillparger,  |)ebbel,    Subttjig,   Srngengruber  —  Oon 


—     73     -- 

anbcrcn  511  idjiucirton  —  waS  alleö  liefert  ba 
bramatifrfje  Stoffe!  9}^l;tl)Ui8,  <3oge,  9J2ärd)en,  GiJea 
fcl)id)tc,  fo,^iaIeö  iJcben  ber  jelueiligen  (^egenlüart, 
pcrfönlicljeö  (E'rlcbniö,  atte  S'iouetlen  unb  «Sdjiuänfe, 
5tnetboten,  eichene  ©rfinbung  —  bie  Stoffgebiete  finb 
unbe9ren5t.  IJBie  arm  unb  einförmig  bagegen  finb 
g.  93.  bie  mobernen  !5)ramatifer,  bie  fid)  lebiglid) 
auf  bog  ©ebiet  beö  fogiaten  jDramaö  auö  ber  ©egen* 
Ujart  uerfteifen,  tüc'ii  bie  äftt)etifc^e  ^f)eorie  ber 
„9J?oberne"  esS  eine  ß^it  (ang  fo  geforbert  t)at!  3Bo 
einer  \vk  ®erf)art  Hauptmann  ftd)  nur  einigermaBen 
öon  biefer  Xf)eorie  frei  ju  madjen  fud)t,  ha  greift  er 
entiüeber  5U  t)iftorifd^en  Stoffen  niie  genau  genommen 
fc^on  in  ben  „SSebern",  bann  in  bem  freilid;  an§ 
anberen  ©rünben  mißlungenen  „^^lorian  ®e^er",  ober 
gu  Sage  unb  9J?ärc^en  mie  in  ber  „Sßerfunfenen 
®lode".  Subermann  bagegen  fdieint  au§  ber  Gnge 
beg  mobernen  berliner  ^origonteö  nid)t  ^eraug= 
gufommen  (tto|  feinet  „3ot)anne^5",  ber  im  ©runb 
aud^  im  ^iergartenöiertet  \pklt);  i()m  fe^lt  überbieä 
ber  tiefere  ßinblid  in  bie  großen  S^afeinSgufammens 
f)änge,  ot)ne  ben  fein  2)ramati!er  öon  93ebeutung  gu 
benfen  ift. 

@!§  finb  nun  allerbingg  in  ber  ^raudjbarfeit  an 
fid)  bramatifd^er  Stoffe  noc§  relatiüe  Unterfc^iebe. 
'Sli^t  jeber  Stoff  fügt  fid^,  auc^  menn  er  im  ©runbe 
bramatifd^  ift,  jenen  ißebingungen  gleid)  leidet,  enttjätt 


—     74     — 

[ie  alle  in  gleid^em  Wla'^Q.  ®er  eine  bietet  uielleidjt 
bromatifd^  gel^oItöoEe  6J)ara!tere,  erfd^rtert  aber 
bie  ©Übung  einer  5ufamment)ängenben  bettjegten 
^anblung;  ber  anbere  giebt  eine  äußere  ^anblung 
tt)ie  üon  felbft,  mad)t  eg  aber  fd)tt)ierig,  [ie  innerlid) 
genügenb  mit  ben  (S^arolteren  gu  öermittetn;  ein 
britter  mac^t  ®(f)n)ierigfeiten  für  bie  3)ar[teIIung  im 
(Spiel,  für  bie  3ufammenbrängung  ber  ^'^onblung  auf 
ben  ©(f)aupla^  —  unb  bergleidjen.  9J?anc^e  Stoffe 
ftnb  fo,  h)ie  fie  batiegen,  fd^on  fo  üoU  öon  fpejififrf) 
bramotifd^em  Seben,  ba§  aud}  eine  geringere  ©eftal* 
tung^fraft  fie  bemättigen  !ann;  anbere  finb  tro^  eineä 
triebfätjigen  bramatifdjen  ^eimö  fo  fc^njer  gu  entfalten, 
baJ3  nur  eine  gang  bebeutenbe  Straft  i^nen  ettüae^ 
dieö^te^  obgen)innen  !ann.  Sn  aU  biefen  öe^ietjungen 
giebt  eö  eine  unbegrenzte  SQJenge  öon  9JJögtid)!eiten 
unb  SSariationen  —  unb  toaß  fc^lie^Iid^  entfc^eibet, 
bai§  ift  bie  ^erföntic^feit  beö  2)ramatiferg  unb 
feine  inbiöibueEe  !ünftlerifc^e  5(u^rüftung.  5(urf)  ber 
S)ramati!er  giebt  im  legten  ®runbe  fid^  felbft 
—  unb  bie  SSelt  fo,  Ujie  fie  in  i§m  menfdjlid^  inbiüi« 
buelleS  Seben  geftjorben  ift;  unb  er  ergreift  beämegen 
eben  bie  Stoffe,  in  bie  er  am  naturgemäjseften  öon 
biefem  feinem  perfönlid^en  Seben  etmajo  f)ineinfüt)Ien 
unb  t)ineinfd^auen  !ann.  Smmer  aber  mirb  er  aU 
S)ramatifer,  ber  eö  mirflid^  ift  unb  nid^t  blo§  fein 
mö^te,  nur  nad^  fold^en  Stoffen  greifen,  bie  irgenbtoie 


—     75     — 

jene  unerlQ|}licl)cn  iik'biiiöunflen  für  bramatifdje  (55e* 

ftaltuiiQ    entljQlten.     ^^rcilid}    fiel)t    biefer    tüitflic^c 

S)ramQtifer  jene  iöebingunöcn  aucf)  uiel  rajd^er  unb 

fidjcrcr   al8   anberc,    er   fd)aut   unter   bramattfdjen 

'^efid)ti^punften  aud)  bic  ScOcnÖDorc^änflc  fdjon  üon 

tiornl)ereiu    an,    bie    für  anbere    nidjtä    ober    luenig 

2)ramatifd)eö  Ijatten;  ja  er  fe^t  einem  an  unb  für 

fid)  nod)  gang  unbramatifd)en  ©toffe  in  Äraft  feiner 

bramatifd)  geridjtcten  ^l^antafie  möglid^erttjeife    erft 

bie    bramatifd^e  @eete   ein,    inbem   er   §u   SöiHen^« 

fonflüten    geftaltct    unb    in    bramatif(^e    .^anbtung 

üeriüanbelt,    \va^   an    fidj    Mob   93egebenf)eit    UJÖre. 

S)en  (Stoff  beö  „Xeü"  t)atte  befanntlid)  guerft  öioetije 

«ergriffen,  unb  it)m,  ber  nte^r  I^rifd^  unb  epifd^   aU 

4)romatifi^  öeranlagt  lüor,  fiel  e§  gar  nid^t  ein,   ein 

S)rama  barau^  mad)en  gu  mollen  —  eö  foUte   ein 

'<£poö  geben,  unb  ber  ©toff  fetbft  ift  ja  an  ftc|  met)r 

epifd)  alä  bramatifd):  eine  9ieit)e  üon  öegebent)eiten 

unb  9}iaffen!ämpfen,  bie  nidjt  fonberlic^  barauf  an= 

^gelegt  f (feinen,  bie  ^ro^effe  be§  SBillenö  unb  feiner 

-Äonflifte  im  SSerben  §u  geigen.     @rft  alö   ©exilier, 

ier  geborene  5Dramati!er,  über  ben  ©toff  fam,  fd)aute 

-ix  einen  bramatifd)en  ©el^alt  in  \i)n  t)inein  unb  be* 

gmang  ben  fdjtuierigen  unb  loiberf^jenftigen  ©toff  in 

einer  SBeife,  bie  eingig  in  if)rer  ?Irt  bafte^t :  er  bdbete 

•eine  bramatifdje  §anblung,  bie  nic^t  auf  bie  SSiEenS* 

lonflifte    eineö  (Singetnen  ober   SBeniger   geftellt   ift, 


76 


fonbern  auf  ben  SSiGen  eineg  gangen  35oIfe!§;  unb 
biefe§  legt  fid^  njteber  in  eine  Slngaf)!  öon  t^pi[c^en 
SSertretern  auöeinanber,  bon  benen  jeber  feine  be* 
fonberen  ^onftüte  ^at,  bie  aber  atte  tuieber  §u  einem 
großen  ©efamtfonftüt  gufammengelien.  <So  bringt 
er  burd^  feine  perfönltd;  angeborene  bramatifd^e  Äraft 
guftanbe,  toaß  (5JoetJ)e  nid^t  guftanbe  gebracf)t  unb  gar 
nic£)t  unternommen  ^ätte,  ma§  manche  5(nbere  fd£)on 
berfurf)t  unb  nid^t  guftanbe  gebrac£)t  ()aben:  an  ftd) 
epifd^e  9KaffenMm|)fe  in  bramatifd^eä  @piel  §u  fe^en. 
9J?an  öergleidje  einmal  in  biefer  ^infid£)t  |)auptmannö 
„Söeber"  ober  feinen  „glorian  ®etjer"  mit  «S^illersS 
„%eVi"  unb  man  mxh  ben  9}taa^ftab  be!ommen,  ber 
!£)ier  not  tf)ut. 

3m  übrigen  üerfte£)t  fic^,  bafe  eS  ebenfaEö  mit 
ber  gangen  Snbiöibuatität  unb  ®eifteärid§tung  eineö 
S)ramati!er^  gufammenl^ängt,  menn  er  etma  feine 
bramatifd^en  ©toffe  (ba§  fie  bramatifd)  feien,  babei 
fd)on  üorauägefe^t)  öorgugämeife  ober  auäfd^Iiejglid^ 
auf  einem  jener  (Stoffgebiete  fuc^t,  bie  auö  anber* 
Zeitigen  ®rünben  fid^  empfet)Ien  mögen.  @o  betoegt 
fid^  ©d^iüer  üorgugätoeife  auf  bem  «Stoffgebiete  be^ 
^iftorifd^en,  meil  er  bort  gang  befonberö  jene  ^on* 
flute  finbet,  hie  i^m  feiner  gangen  5lrt  nad^  befonberS 
mii^tig  finb:  in  benen  „um  ber  9}2enfd§f)eit  gro^e 
(SJegenftänbe,  um  ^errfc^aft  unb  um  ^rei^eit  mirb 
gerungen."     (So  liegt  esS  in  ber   gangen  ©eifteSart 


—     77     — 

^fnjjcnßruberfiJ,  bafj  er  [icfj  feine  Stoffe  Dornemtic^ 
QUVK  bem  bäuerlidjen  unb  bütflerlirfjen  SSoIfSleben  ^ott; 
fo  lieflt  eS  njotjl  auct;  in  ber  Snbiüibuatität  eineö 
(Subcrmonn,  bafj  fein  Stoffgebiet  auöfdjtiefjlid)  bie  öon 
tieferen  Söeltanfdjauunflöfraöen  unberül^rten  fogialen 
Äonflifte  geftjiffer  moberner  ®efelIfd)Qft§fd^icl^ten  finb, 
bie  nid)t  tiefet  unb  hjeiter  tjinauS  intereffieren  fönnen 
als  bie  Äonflifte  feineS  bramotifclen  5If)n§errn 
Äotjebue. 


■  ViV#  V/iVjP  V/i^X  V/iVX  V/iV 


2)ritte!§  Kapitel. 

Die  bramattfd?^  ^anblung. 


Jer  (Stoff  im  big^er  befproc^enem  @tnn  ift,. 
Üinftlerifd^  betrachtet,  nur  9?o^[toff  b.  t).  ber 
angemeine  auö  ben  Sebenäöorgängen  genommene 
©egenftanb,  ber  gum  ©egenftanb  eineS  tl^atföd^Iid)  bor^ 
fteßboren  bramatifd^en@ptelä  erft  geftattet  merben  mu§.- 
©0  tüie  er  i|t,  lä^t  ftd^  !ein  Stoff  fpieten  —  menigften'S 
nirf)t  im  ©tnne  einer  entmidelten  bramatifd^en  Äunft. 
3n  ben  naiöen  ?(nfängen  he§  ^ramaö  frettid^  ^at 
man  haß  öerfuc|t  unb  bi^  ouf  einen  getoiffen  @rab 
get^an:  boi§  mittelotterlid^e  beutfd^e  ^rama  unb 
norf)  bog  ^roma  be§  16.  Sal^rl^unbertS  mar  meift 
ein  ungefüge^  unb  menig  Üinftterifd)  geftalteteS 
(Spiet,  in  meld^em  ber  9^ot)ftoff  mie  er  mar,  eine 
®efd)ic§te,  ein  Sebenöüorgang  in  alter  Umftänbticf;* 
feit,    bie    biefer   S^toi^ftoff    bot,    auf    ben    ©c^auptal^- 


—     79     — 

rtcbrocl)!  iinb  in  möfllidift  getreuer  y^acljaljmung 
burd)  bie  ^piclcnbcn  ben  ßufdjaucrn  Dorflcftcllt 
ivurbc.  Sn  manrf)cn  jcljt  nod)  erljattcnen  üotfö* 
tüinlid)cn  ©piclen,  't|>QffionSfpiclcn  unb  bcrgleldjcn, 
finbcn  fidj  nod)  beutlidjc  Sjjuren  biefcö  naiücn 
SSerfaljrcnö.  Unb  ber  fraffe  bramatifd)e  ^itettantiigs 
mug  Derfäfirt  im  3i^e)entlid)en  bei  feinen  bromatifd^en 
üßerfudjen  t)eute  nod^  \o:  man  nimmt  irgenb  eine 
93egcbcn[)eit  ober  eine  9ieif)e  Don  93egebent)etten, 
bie  |id)  gan^  t)üb]d)  er5äf)len  tie^e,  t)ielleid)t  aud) 
bie  ?[nfä^e  3um  luirflid;  ^ramatifd^en  entf)ält  — 
man  nimmt  biefen  i)iol)ftoff,  mie  er  tft,  teilt  it)n 
in  genjiffe  5(b)d)nttte  ein,  bie  man  5(!te  unb  ©cenen 
nennt,  fteüt  bie  ^erfonen,  Don  benen  bie  ©efd^ic^te 
^anbelt,  auf  einen  ©djaupta^,  tä^t  fie  fpre(^en  unb 
ftd^  bemegen  —  unb  nennt  bog  bann  ein  ®rama. 
!5)ai§  ift  aber  Dom  @tanbpun!t  ber  bramatifdjen 
Äunft,  tüie  fie  burd^  tt)re  großen  SJceifter  fid)  ent* 
midelt  t)at,  nod)  lange  fein  S)rama,  im  beften  gaß 
ha^  iRol)materiat  gu  einem  folc^en.  (BoU  ein  mir!* 
lid^eä  S^rama  Ujerben,  fo  mufe  biefeS  9?o]^material 
erft  lebenbig  organifiert  merben  burd^  jene  inneren 
Sebenögefelje  beö  S)ramatifc§en  unb  beö  bramatifc^en 
@pielg,  tuelc^e  ben  nailien  5lnfängen  ber  bramatifd^en 
S^unft  unb  ben  ^öerfud^en  be§  Silettantigmuö  noc^ 
unbekannt  ober  nid^t  genügenb  belannt  finb,  meldte 
erft   in    ber   Ijö^er    entmidelten    bramatifd^en  ^unft 


—     80     — 

bcuttid)er  gutage  treten  unb  nur  üom  geborenen 
S)ramatt!er  mit  unbettju^ter  @ic^ert)ett  get)anbt)abt 
tüerben  —  auif)  if)m  übrigen^  muffen  fie  gum  S3e* 
tüu^tfein  be§  Äunftüerftanbeä  fommen,  hjenn  er 
tt)etterl)tn  auä)  ber  Xec|nt!  big  in§  ©ingetne  fid)er 
hjerben  foll.  @rft  burdEj  biefe  Drganifierung  be^ 
9?o^ftDffeg  entftet)t  ein  !ünftlerifc^  mirffamer  ©egen* 
ftanb  für  haS  tt;atfäd)tid^  borguftellenbe  bramatifc^e 
<Bpkl,  entfte{)t  bie  innere  Äunftform  beö  ©ramaö; 
unb  biefe  mirb  bann  tuieber  gur  äußeren  Äunft= 
form  burd^  bie  fprad^IidE)e,  mimifc^e,  fcenifd^e  5(u§* 
geftaltung,  burc^  aüeä  ha§,  toa^  bramatifcf)e  Xed^nif, 
fprad^lid^e,  mimifdje  unb  fcenifd^e  S)arfteßung  beä 
2)ramQtifrf)en  ^ei^t. 

®er  Unterfrf)ieb  oon  innerer  unb  öu^erer  gorm 
ift  für  bie  5(eft^eti!  aller  Äunft  öon  großer  9Sic[)tig* 
!eit.  Snnere  ^orm  ift,  furggefagt,  ha^  93ilb  beffen, 
tt)a§  als  ^unftmerf  merben  foß,  mie  e§  im  Innern 
be§  ^ünftterö  lebt,  öon  if)m  gefd)affen  in  Sl^raft 
feiner  perfönticfien  fc!^i3pferifd;en  ^l;antafie;  äuBere 
i^orm  ift  ha^  93ilb,  haS  er  bem  SlunftttJerf  für  bie 
5fnfd)auung  ber  3(nberen  giebt,  inbem  er  mit  ben 
befonberen  9J?itteIn  feiner  Äunft  bem  inneren  93ilbe 
gum  5(uöbruc£  öer^itft.  5Iu§  ber  inneren  ^orm 
rtädjft  bie  äußere  lebenbig  tjerüor,  unb  umge!et)rt 
entptt  bie  äußere  ^orm  bie  innere  in  fid)  olö  i()ren 
lebenbigen  ©e^att. 


—    81    — 

Scnc  innere  gorm  beS  2)ramaö  aber  rut)t 
njcfcntlicf)  in  bcm,  \m&  toir  bramatifrfje  ^anb« 
lung,  bramatifdje  SIjQraftere  unb  njeiterf^in 
bramatifrfjc  Äompof|ition  nennen. 

@S  tüurbc  fcljon  frül)cr  fur^  feftgeftcüt,  bafe 
^'JCinblung  im  bramatifrf)e|n  ©inn  üwa^  anbereS 
ift  als  eine  beliebige  9iei()e  öon  aufeinanberfolgenben 
93egebenl;eitcn.  ^atürtid)  iftö  aurf)  nic^t  ha^,  \oa^ 
mir  in  ber  ©pradje  beS  gen)ö()nlid^en  Seben^  eine 
eingcine  „^anbtung"  nennen,  bie  Umfe^ung  cineä 
eingetnen  SBiUenöüorgangä  in  äußere  Stt)ätigfeit  unb 
SSirfung,  in  eine  „Xffat"  in  biefent  ®inn.  @ine 
fotd^e  %^at,  eine  ©ingelfianblung  !ann  einen  S5es 
ftanbtf)eil  ber  bramatifc^en  ^anbtung  geben,  einen 
njidjtigen  üieEeid^t,  entfd^eibenben,  foIgen[d)h)eren  ober 
abfdjlie^cnben  —  aber  für  f id^  bilbet  fie  no^  feine 
§anblung  im  bramatifdjen  @inn;  eine  fotd^e  entfielt 
erft  oug  einer  9ieif)e  üon  9}orgängen,  bie  [td^  in  einer 
gemiffen  ^otge  aneinanberjd^Iie^en.  5tber  aucE)  biefeä 
Slufeinanberfotgen  an  [td^  mad^t  bie  bramatifc^e 
§anblung  nocE)  nid^t  —  felbft  bann  nid^t,  toenn  ha^, 
ma§  [id§  begiebt,  an  benfelben  ^erfonen  fid^  öoHgiefjt, 
menn  ein  gemiffer  3ufammen{)ang  erfenntlid^  toirb, 
ja  fogar  bann  nod^  nid^t,  menn  6£)ara!tereigenfd^aften, 
ßeibenf d^aften,  93eget)rungen,  SBillengregungen  jener 
^erfonen  im  ©ingeinen  babei  mitfpielen.  S)a§  !ann 
immer  nod^  eine  epifd^e,  gang  unbramatifcE)e  §anblung 

6 


—     82     — 

fein,  ßux  bramati|c[)en  §anb(ung  lüirb  bte  9?etl}e 
ber  S^orgänge  ober  93egebent)eiten,  bie  ber  9io^[toff 
barbietet,  erft  bann,  n)enn  ein  ein^eittic^eö  organi* 
fierenbeö  ^rin^ip  bie  Slufeinanberfalge  unb  ben 
ßufammen^ang  ber  SSorgänge  in  einer  gang  beftimmten 
SBeife  regelt,  leitet,  anorbnet,  gtiebert  —  in  einer 
5Irt,  bie  möglid^erweife,  ja  in  ben  meiften  gäEen  Don 
ber  5(norbnung,  bie  ber  9iot)ftoff  bietet,  giemlid)  [tarf 
oblneidjt. 

S)ieje§  organifierenbe  -pringil)  I)at  man  h)o()I 
„bie  Sbee"  beö  3)rama!§  genannt  —  eä  !ommt 
aber  fet)r  barouf  an,  tt)aö  man  unter  biefem  Diel* 
beutigen  bequemen  SSort  t)er[te{)t.  Srgenb  ein  bie 
gange  9^eit)e  burdjgie^enber,  fie  meinttjalb  gujammen* 
t)altenber  fogenannter  ©runbgebante  |):^iIofopf)i|c^er, 
moralifd^er,  fogialer,  f)i[toriidjpoIitifd)er  5Irt  ober 
tt)eld§er  ?trt  immer  —  ift  norf)  feine  bramatifc^e  Sbee; 
ber  3Saf)n,  ba§  fei'ö,  t)erf(f)ulbet  im  Gegenteil  fo  öiele 
l^erglicE)  unbramatijcf)e  §anblungen,  unb  ber  @d)uls 
meifter  ober  ^ritifer,  ber  feinen  Sdjülern  ober  Sefern 
eine  fold^e  Sbee  gtüdlid)  ^erouSgemurgelt  ^at,  1)at 
i^nen  bamit  oon  ber  Sbee  be§  ®rama^  noc^  gar 
nid)tö  gefagt,  t)öd)ften§  üielleic^t  eine  5(nbeutung  ge« 
geben,  in  meldjer  Otid^tung  mögtidjermeife  jene  bra* 
matifdje  Sbee  gu  fud^en  märe.  ^Die  Sbee  al§  fünfte 
lerifc^  organifierenbe^  ^rin§i|)  ber  bramatifd^en  ^anb* 
luttg  ift  öielme^r  nid}t§  anbereg,  at§   bie    in    ber 


—     83     - 

fd;bpfcrifc^en  ^^Ijantofic  beS  2)ramatifer8 
auföcganöenc  lebcnbiße  ®efamtanfd)auung 
eines  SBitIcnSfonflifteS,  ber  tüidjtig  unb  madjtig 
genug  ift,  um  bte  ganje  9Jeif)e  ber  inneren  unb 
aufboren  ^-I^üvgnnge,  ber  9?3iUen^s  unb  ®efü()lö* 
bouicgungcn  unb  bor  ^I^atcn  unb  33cgebcnl)eiten  3U 
bcl)err[d)en,  jeber  (^-ingclljcit  if)re  rid)tige  Stelle  in 
einem  lüdentofen  notmenbigen  ßi^fou^n^cntjang  üon 
Urfad;e  unb  SBirfung  anguttteifen  —  unb  fo  bie  gonge 
bunte  9ieil;e  bon  35orgängen  üon  einem  gang  be= 
ftimmten  ^rnfoljpunftc  burdj  alle  Stabien  eineö  eng^ 
ücrfetteten  SBerbeprogeffeö  Ijinburd^  bi§  gu  einem 
abermals  gang  beftimmten  unb  notlpenbigen  2(bf(^Iu^ 
unb  Ergebnis  ^ingutreiben.  Unb  gtnar  bieg  fo,  ha% 
ber  einmal  angefetjte  §auptfonf(iEt  fic^  @d)ritt  für 
©djritt,  burd)  äße  (SingeHonflifte  f)inburc^  fteigert  bi§ 
gu  einem  ^un!te,  mo  feine  Weitere  (Steigerung  mel)r 
möglich  ift,  mo'ä  biegen  ober  bred)en  mu^,  Oon  mo 
eö  mit  einer  unoermeiblic^en  3Senbung  biä  gu  einem 
anberen  fünfte  fül^rt,  on  bem  ber  ©runbfonflift 
feinen  5Iu§trag,  b.  t).  feine  notmenbige  enbgdtige 
Süfung  finbet,  fo  ober  fo,  fc^ieblid^  frieblid;  ober 
gemaltfam.  llnb  erft  eine  in  biefer  3Seife  ongeorbnete 
unb  organifierte  9ieit)e  öon  inneren  unb  äußeren  ^or* 
gangen,  für  bie  unmittelbare  5(nf(^auung  gebitbet  unb 
alä  Spiel  auf  einem  Sd)aupla^  oorfüt)rbar  —  i)at  ben 
§(nfpruc^  auf  ben  9^amen  einer  bramatifdjen^anblung. 

6* 


—     84     — 

®Qö  aber  bietet  ber  9?o^ftoff,  »ie  er  h^m 
5)ramatifer  üorltegt,  feiten  ober  nie  —  nie  gang  fo, 
iüie  eg  unumgängltdj  i[t,  inenn  bie  üoUe  bramattfdje 
SBirfung  ergielt  tüerben  foß;  ba§  mu§  ber  S)ramati!er 
erft  fdjaffen,  ha§  gu  fd^affen  ift  fein  erfteg  unb 
iric^tigfteä  ®efrf)äft.  Sn  biefem  @inn  ift  bag  alte 
2Sort  beg  5IriftoteIeg  gu  berftet)en,  bie  §anbtung  fei 
ha§  ßrfte  unb  SSid;tigfte.  3Ser  ha§>  nicJ)t  au§>  bem 
9lo{)ftoff  f(i)affen  unb  lebenbig  ^erauöorganifieren  knn, 
ift  bon  bornl^erein  !ein  2)ramatifer,  fei  er  fonft  tüer 
unb  toaS  er  tüoHe;  ber  foß  öon  üornf)erein  bie  §anb 
ttom  bramatifc^en  ^anbtner!  laffen,  er  iüirb  bod^  nur 
barin  pfufd^en.  S)a^  ber  9tot)ftoff  aU  fo(d[;er  eine 
bramatifcf;e  ^anblung  nodf)  nid^t  ober  nur  un= 
boHfommen  bieten  !ann,  t)at  aber  feinen  guten  ®runb: 
taä  tt)irflid)e  Seben,  liege  eg  nun  aU  ©efd^id^te  ober 
al&  unmittelbare  ®egentt)art  bor  —  biefeö  toirüic^e 
Seben,  fo  tüie  e§  ung  in  ber  9tegel  erfcE)eint,  geigt 
gumeift  gerabe  haS  nic^t  ober  nur  unüoG!ommen, 
toa^  bie  bramatifdEje  §anblung  erft  madjt,  nämlid^ 
jene  urföd^Iid^e  S5er!ettung  ber  inneren  unb  äußeren 
SSorgönge,  jenen  lüdenlofen  faufalen  ßufammen^ang 
glüifrfien  ntenfc^Iic^em  SSoßen  unb  fd^itffalOoßem 
@efc£)et)en,  glüifc^en  grei^eit  unb  Sf^ottoenbigfeit, 
Q^fjarafter  unb  ©efd^idf  —  eben  ben  tieferen  not* 
toenbigen  3ufantment)ang  bon  Urf ad^e  unb  9Bir!ung, 
ben    bie    bramatifd^en    SSißeni^fonflüte    aufguroßen. 


—     85     — 

I)o6cn.  Q\mx  nötigt  unö  ja  ber  ®e[amt[tanb  unserer 
tfjeoretifrfjen  ©rfonntniö,  im  aÜflcmcinen  an^u» 
net)men,  bafj  fold^e  3"fömmcnl)änöc  and)  ha  üor^ 
Ijanbcn  feien,  tuo  n)ir  [ie  im  (Sin^etnen  nirf}t  mef)t 
ucrfühien  tonnen;  unb  biefc  allgemeine  9(nna()me, 
©rfenntniiS,  Ucbcr^eugung  u.  f.  tu.  ift  pvax  unerläfjürfje 
^orauöfe^jung  für  aüeg  bramotifdje  ©d;affen  unb 
©enie^en.  2(6er  baS  aUeiS  ift  eben  tI)eotetifd)er  S^Jatur, 
noc^  nicljt  äftt)etifc^e  Slnfc^auung;  njenn  tt)ir 
als  Qu]d)auei  bem  bramatifd)en  ©piet  gegenüber 
ftetjen,  fo  genügt  un^  jene  allgemeine  tt)eoretifd)e 
9Innat)me  nid)t.  3Sir  njoUen  jene  3ufan^n^en[;änge 
nid^t  6Io^  benfen  unb  öorauöfe^en,  mir  moHen  fie 
fe^en,  anfc^auen  im  gegebenen  (SingelfaU,  anfd^auen 
im  ^roge^  if)reä  Sßerben^  unb  2Bac|fen§,  anfd)auen 
in  i{)rer  tebenbigen  ©elbftentpEung.  Qu  biefer 
gorberung  l^aben  mir  ein  guteg  9te^t,  benn  nur  in 
ber  5(nfc^auung,  unb  gmar  in  ber  STnfc^auung  be^ 
gegebenen  %aUeS  berf)alten  mir  unö  äft^etifc|,  nic^t 
aber  im  t^eoretifd^en  5Denfen;  nur  mo  äft^etifc^e 
5rnfd;auung  ift,  ftnb  ^unftmirfungen  —  mie  überhaupt, 
fo  ouc|  bem  ®rama  gegenüber.  3Bag  aber  bie  Söirflid^s 
feit  irgenbmeld^er  'äxt  nid^t  o^^ne  meitereä  geigt,  nic^t 
anfdjouen  lä^t,  obmot)t  mir  e§  al^  öor^anben  an* 
net)men  muffen:  baä  eben  fie^t  unb  fc^aut  ber  ^ünftler, 
ha§:  orbeitet  er  fd^affenb  au^  bem  oft  fo  mirren  0lof)« 
ftoff  beä  2Sir!Iid§en  f)erauä,  ha^  and)  mir  e^  fc^auen 


—     86     — 

lönnen,  Jrie  er§  ge[d)aut  I)at.  llnb  tüeit  eben  jene 
bem  alttägltd;en  STuge  fo  oft  ücrborgenen  ßufammen* 
f)änge  glüifc^en  SSillen  unb  ®efc|i(!  mit  aH  ben  taufenb 
Äonfliften,  bie  barin  lauern,  ben  eigentlidjen  Äern 
beö  ©ramatifd^en  bilben,  barum  mu^  fpeäiell  ber 
bramatifdje  Äünftter  bie  bramatifd)e  ^anblung  mit 
ber  fi^auenben  ^t)antafte  erft  fd^affen,  um  [ie  bann 
bem  ßufc^auer  im  @pie(  gu  geigen,  ^afe  babei  ber 
eine  9Jo^ftoff  jenen  fd)auenben  iölid  in  jene 
3ufammenf)änge  unb  bamit  bie  ®en)innung  einer 
bramatifd)en  ^anblung  teidjter  mad^t,  ber  anbere 
fd^merer,  ift  fetbftöerftänbtid).  5Iber  irgenbtoie,  mit 
mef)r  ober  meniger  STuftoanb  öon  fdjöpferifd^er  Äraft 
mufe  bie  bramatifdje  ^anblung  erft  gemonnen  merben. 
Unb  ha§  fe^t  beim  2)ramatifer  gttjeierlei  borauä: 
einmal  natürlid)  bie  fd£)auenbe  unb  geftaltenbe  Äraft 
ber  fd)öpferifc^en  ^tjantafie,  alfo  eine  fpegififd) 
!ünftlerifc^e  SSeranlagung;  bann  aber  aud^  haß,  Ujaö 
njir  überliau^t  SBeltanfc^auung  nennen,  perfönitdje 
SSeltanfd^auung,  bo§  f)ei^t:  eben  jenen  Don  bem 
gangen  ©tanb  ber  ®eifte!§antage  unb  ©eifteöbilbung 
unb  Dom  et^ifd^en  (5f)ara!ter  gegebenen  tieferen 
©inblid  in  bie  3ufammenf)änge  beS  ^afeing  unb 
namenttid)  in  i§re  SSermitttungen  burcE)  ben  menfd)* 
tid;en  SSillen.  3So  biefeä  B^^^^e,  bie  perfönlid^ 
öertiefte  3SeItanfdE)auung  fet)lt,  ba  bringt  erfa^rungä« 
gemö^   auc^  eine  im  altgemeinen  gute    fünftterifd^e 


—     87     — 

i^cranlQflunfl,  bringt  DoUcnbei  nur  ein  formales 
teff)nifcl)e§  ®cic()lcf  nod)  feine  bramatifdje  ^'^anblunß 
uon  QU)8rcirf)cnber  ©tärfe  unb  5lüingenber  Ueber* 
^euc^uni^öfraft  ,^uftQnbe.  ^ai  aber  fel)lt  in  ber  Siecjef 
bei  bor  unreifen  -?u(^mb,  bic  iljrc  3?3cltanfd}auun(^ 
unb  il)ren  (^tjarofter  erft  ^u  bilben  Ijat;  ber  S)ramatifer 
braurfjt  einen  getuiffen  ®rab  üon  geiftiger  unb  etl)ifrf)er 
^iefe,  ben  nur  gang  geniale  S^Jaturen  tt}ie  Sdjiüer 
fdjon  in  frül)er  Sugcnb  Ijoben.  ^DaS  fe^It  aber  auc^ 
il^ielen  nod)  in  fpäterem  5riter,  if)r  ganzes;  Seben  lang: 
er  gibt  „unfertige  Teufel",  n)ie  ®ottfrieb  fteller  fic^ 
einmal  auöbrüdte,  bie  q^  il)r  Seben  lang  nie  gu  einer 
beftimmten  unb  perfönlid)  tiefgrünbigen  SSettan* 
fd)auung  bringen  —  unb  baö  [inb,  n^enn  fie  für  bie 
iöütpe  arbeiten,  jene  ^alb=  unb  ©c^einbramatifer, 
bereu  Xt)puö  in  ber  ©egentt^art  (Subermann  ift,  bie 
nur  burd)  äußere  ^edjuif  unb  Üioutine  blenben,  nur 
äu^erlid)  fo  fdjeinenbe  bramatifc^e  §anblungen  gu? 
ftanbebringen,  ol;ne  öoßeä  innere^  Seben,  ol)ne  2;iefe 
unb  ^oxx^ont,  of)ne  bie  UeberjeugungSfraft  beö  'tRoU 
Utenbigen  unb  im  t)ö!^eren  Sinne  Seben^mal)ren. 
2)ag  gibt  auc^  jene  platten  SSirllic^feitöbramen,  beren 
bie  moberne  SBelt  fdjon  mieber  fatt  gu  n^erben  beginnt, 
nadjbem  fie  fid)  baran  übergeffen  l)at  —  jene  unfrei 
im  9iol)ftoff  ^ängenben  bramatifc^en  Sc^eingebilbe, 
bie  [tc^  nur  auf  ber  Dberfläd^e  unferer  augenblidlid^en 
fogiaten  ßuftänbe  herumtreiben,  ol^ne  eine  bramatifd^e 


^anbtung  tiefer  in  bie  Meibenben  3ufö"^nient)änge 
beS  Sefienö  :^inuntertreiben  gu  !önnen.  3ßa§  ben 
^errn,  aurf)  ben  formal  begabten,  in  ben  legten 
Generationen  nteift  gemangelt  \)at,  ba^  toax  eben 
h)ir!(ic|e  SBeltanfc^auung  —  begreifüc!^  in  einer  ger* 
fa{)renen  Uebergang^Mtur^eriobe,  aber  baburd^  nid^t 
beffer!  tiefer  9}?angel  ift  ein  §au|)tgrunb,  irarum 
€§  ber  ©egennjart  tro^  großer  5lnfprüd)e  unb  allerlei 
formellem  können  bod)  an  einer  großen  bramatifc^en 
Äunft  fel^It;  unb  biefer  SO^angel  ftanb  unb.ftel^t  in 
engftem  3ufammenf)ang  mit  ber  falfd^en  Äunfttt)eorie 
beg  $RaturaIigmu§,  meltf)er  nur  bie  SBirttidjfeit  mieber^ 
zugeben  erlauben  ttjiH,  tüie  fie  möglid^ft  getreu 
beoba^tet  bem  5(uge  erfc^eint  —  ^a§  l^ei^t  alfo  eben 
nur  ben  9lo^ftoff,  ben  ba§  £eben  bietet.  ®a  gittg 
bann  fc^on  at^  p(f)fte  ^unftteiftung,  UJenn  einer  ein 
!rummgeratene§  2Sir!ü(^!eit§gen)äc^g  fo  feft  auf  bie 
95ül)ne  gu  fteEen  bermag,  ttjie  |)auptmann  feinen 
„guf)rmann  §enf(i)el":  etma§  üom  SBurgetgeftedjt  ift 
aHerbingö  nod^  mitgegangen  unb  ein  paar  brau* 
pngenbe  ©rbfc^ollen,  aber  bie  ^fatitmurgel  ift  ab* 
gebroi^en,  eä  langt  mä)t§  met)r  hinunter  in  bie  ^iefe 
beg  SebenägrunbeS.  Unb  nun  gar  ber  ©urc^fcfinitt 
berartiger  ^unft!  2öir  pren  i^ren  Sammer  ja  fogar 
avL§>  ben  ftänbigen  9f?eben§arten  ber  2)urd)fd^nittg!riti!: 
gut  gemad^t,  aber  innerlich  tjot)!!  —  mo^l  ein  tonfüft, 
aber  feine  Söfung !  —  ftarfe  SSir!ungen  im  ©ingetnen, 


-    89    — 

aber  im  ©an^cn  unbctticbiflcnb!  —  unb  jo  tociter 
unb  fo  tucitcrl 

3(6er  nid)t  nur  bie  9?o(;[toffe  auS  ber  gegen* 
ipnrtigcn  SiJirftidjfcit  —  aurf)  bic  IjiftorifrfjCn  9f?ot)ftoffe 
geben  otS  fülcl;e  nocf)  feine  genügenbe  bramatifcl)e 
^anbUing,  qucIj  il)nen  mnji  ber  ©ramatüer  erft  it)re 
tieferen  Äaufal5u[aminen()änge  ab^ufd^auen  njiffen, 
au<i}  fie  ntu§  er  erft  burd^  biefe  organifieren.  Sntnter* 
t)in  tritt  bei  i^nen  ha^  ©efe^  ber  öftljetifdjen  ^erne 
in  SStrfung,  njel'djeö  befagt,  ba§  jeber  ©egenftanb 
ber  5(nfd3auung,  n)enn  fie  äft^etifd^e  5(nfd^auung 
n^erben  foU,  einer  geluiffen  Entfernung  öom  Sefc^auer 
bebarf,  geitlidier  ober  räumlid^er,  n)ir!tid)er  ober 
ibealer  Entfernung.  Unter  biefem  (Siefid^töpunft  mad^en 
eS  l^iftorifd^e  ©toffe  Ieid)ter  al§  ©toffe  au^  ber 
unmittelbaren  ©egenu^art,  ben  ^origont  unb  bie 
^erfpeftiöe  gu  gewinnen,  n)eld)e  bie  ©djoffung  einer 
bromatifd^en  §anblung  au§  bem  9?ot)ftoff  ermögtidjen 
—  Oorau^gefe^t  natürtid),  ba^  einer  fold^en  «Stoffen 
gegenüber  über^au^t  genügenb  fd^ö^ferifd^e  Äraft 
aufbringt.  S)agegen  bieten  SDZ^t^uä  unb  @age  bem 
©d;affenben  pufig  günftige  93ebingungen  aud^ 
infofern,  alö  t)ier  bie  bid^tenbe  ^pntafie  be§  35oIfeS 
in  feiner  SSergangenl^eit  fdjon  urfäd£)Iid^  üerfnü^fenb 
Vorgearbeitet  t)at. 

SSenn  atfo  be§  S)ramatiferö  ^pntafie  au§  bem 
Üiotjftoff  eine  bramatifd^e  §anblung  fd^afft,  fo  bilbet 


90 


er  iljn  um,  tcitö  ergän^enb  teilö  au!äfc()eibenb,  teilö  Der* 
binbenb  teilä  lodernb,  immer  unter  einem  beftimmten 
be£)errfc^enben  (Siefid)t!§pun!t  orbnenb  unb  orQanifierenb. 
S)er  (ä§t  \ifS)  leidet  an  jebem  beliebigen  2)rama  geigen, 
beffen  O^ofjftoff  nod)  beullid^  er!ennbar  ift,  etlim  a(^ 
eine  befannte  9^ei()e  öon  ^iftorifdEien  jlt)ati*a(^en  unb 
95egebenJ)eiten  vorliegt.  3Betd)  reid)en,  poetifrf)  üer^ 
lodenben  Stoff  t)at  Sdjiüer  für  feine  „SKaria  ©tuart", 
toeld^e  ^üüe  bon  S3egebenf)eiten,  Seibenfd^aften, 
5lonfIiften  bietet  ßeben  unb  ®efd)id  ber  fd)ottifd^en 
Königin  in  einer  langen  bunten  9^eit)e !  jDie  fed^^etin* 
jährige  Sodjter  ^önig  3a!obg  V.  üon  ©c^ottlanb 
mirb  nac^  granfreid)  üermä£)It  an  ben  S)au^l)in,  lebt 
am  §ofe  ber  Statfjarina  9}(ebici,  trägt  furge  ßeit,  al8 
grang  IL  ^önig  gemorben,  mit  it)m  bie  ^rone  oon 
gronfreid),  h^xt  nac^  bem  Xobe  beg  @emat)Iä  al§ 
neunäe{)niäf)rige  SSitme  nad^  ©d)ottIanb  gurüd,  nimmt 
als  Königin  bon  @d)ottIanb  unb  ©d^meftertoc^ter 
^einrid)§  VIII.  öon  ©nglanb  ben  englifc^en  Eönigg- 
titel  an,  t)ermä£)It  fic^  mit  it)rem  SSetter  2)arnlet), 
!ommt  in  ben  3Serbac|t,  beffen  ÜJ^orb  mitöerfdjulbet 
gu  t)aben,  nadjbem  er  i^ren  ©ünftling  9?iccio  getötet 
i)at,  üermät)(t  fid)  abermatö  mit  bem  ©rafen  Sot[;meIt, 
ben  bie  fd^ottifc^en  S3arone  ber  ©rmorbung 
2)arnle^§  befd)ulbigen,  mirb  Don  ben  aufftänbifc^en 
Maronen  bebröngt,  gefangengefe^t,  entfagt  bem  Xt)ron, 
loirb    öom    trafen    2)oug(aä    befreit,    flüchtet    nac§ 


—    91     — 

(5n(\Innb,  inbcm  fic  qUc  it)re  9(n)prüc()e  tüieber  auf* 
nimmt,  toirb  nbcr  aucf)  in  C£'nfllanb  gefangen  gefegt; 
ha^  ganje  fatI)otifcI)e  (Suropa  nimmt  für  fie  gartet, 
eine  9?eit)e  uon  blutig  auggel)cnbcn  ii^erfrfjluijrungen 
njerbcn  ju  ilircn  (fünften  angc3cttclt  unb  bcbrol^en 
bai§  lieben  bct  (Slifabctl)  öon  C£nglanb;  enblid)  lüirb 
3J?aria  ipegen  ber  it)r  <Sd)ulb  gegebenen  ^Beteiligung 
an  iöabingtoniS  4'^od)üerrat  nom  cnglifd^en  ^arla* 
ment  5um  2:^obc  üerurteitt  unb  entljauptet.  Unb  all 
biefe  Srlcbniffe,  ^t)aten,  ®efcf)i(fe  ber  fd)önen  Stuart 
öoll5iel)en  fid)  auf  bem  ^intergrunb  einer  Iebt)aft 
bewegten  Qeit,  in  ber  gn^etten  5pälfte  beö  16.  3al)r' 
l)unbert!§,  mitten  tm  Stampf  ber  Gegenreformation  unb 
beö  5lb[oIutiömu!S  gegen  ha^  proteftantifc^e  ©ngtanb 
mit  feinem  Parlament,  gang  (Suropa  fämpft  gule^t 
gemifferma^en  um  haß  Seben  ber  SJcaria  —  ein  un* 
gemein  frudjtbarer,  !onfIiftt)oIler  ®toff  für  einen 
^ramatüer!  Unb  bodj  ~  fo!  —  bloßer  9bl)ftoff! 
Unb  bod^  biefe  gan^e  lange  9fteit)e  üon  SSorgöngen, 
bie  in  il^rer  5lufeinanberfoIge  einen  gemiffen  inneren 
3ufamment)ang  geigen,  noc^  !eine  bramatifd^e  §anb* 
lung!  ©in  natoeö  (Spiel  au§  ber  Qtit  be^  no^  un« 
entn)idelten  ®rama§  l^ätte  bie  gonje  9?et^e  biefer 
Gegebenheiten  otelleidjt  ®tM  für  Stücf  in  i^rer 
{)iftorifd)en  Speisenfolge  auf  ben  Sc^aupkl  gebracht; 
ein  bramatifdjer  2)ilettant  ober  unftd)erer  STnfänger 
l)äitQ  aU  baöSeibenfdjafttic^e  nnb  poetifd^  ÜieigöoIIe  au§ 


—     92     — 

ber  Sugenb  ber  Wax'ia  fid^  fc^iüerlic^  entgef)en  (äffen 
JüoEen,  ptte  fid^  etloa  gemüljt,  bte  ©rmorbung  9ttccio§, 
ben  ^ob  5)arnle^g,  bie  trafen  Sotf)lüeß  unb  5Dougtag, 
ben  5tufftanb  ber  fc|ottifcl^en  ©arone  in  bte  |)anbtung 
fitnetngubringen,  ^ötte  aber  bo(^  audf)  ben  töbltd)en 
2tu§gang  ber  Tlaxia  in  ©nglanb  nicf)t  miffen  ttJoUen 
unb  biefen  irgenbnjie  al§  ©c^tufe  ber  §anblung  an* 
jufügen  gefud^t;  er  ^otte  aber  mit  aü  biefem  öemül)en 
fdjlnerlid)  bie  güHe  ber  33egebenl)eitten  gu  einer  einl)eit* 
tid^en  |)anblung  im  bramatifdjen  (Sinne  gufammen* 
§ubrängen  genjufet  —  ^tte  nur  eben  bie  ^iftorifc^e 
golge  ber  93egebent)eiten  gu  einer  bramatifd)en  «Svenen* 
folge  geftaltet,  bie  nur  öon  fd^tttatf)en  göben  unb  burd§ 
bie  ^erfon  ber  |)elbin  ^ufammenge^atten  luorben  lüäre. 
Söag  aber  t^ut  ©exilier?  Wü  ber  fidleren  §anb  be« 
geborenen  unb  gereiften  ^ramatifer^  fd^iebt  er  bie 
ganje  berlodenbe  güße  all  ber  inneren  unb  duneren 
SSorgönge  gurüd,  bie  üor  ber  ^ßerurteilung  ber  Waxia 
in  ©ngtanb  liegen;  oll  haä  tuirb  blofee  SSorauöfe^ung 
ber  bramatifd)en  |)onbIung,  giebt  feinen  S^eftanbteil 
ber  ^anblung  felbft;  nid^t  einmal  bie  SSerfd^tüörung 
95abingtonä,  bie  ben  ®runb  gu  Wax'ia^  ^Verurteilung 
gegeben  tiat,  ober  i^r  ^roge^  bor  bem  Parlament  ge^t 
in  bie  |)anb(ung  ein  —  auc^  \)a^  liegt  fc^on  üor  i()rem 
93eginne.  ®ie  bramatifd^e  §anblung  fetbft  läuft  blo^ 
bon  ber  Urteil^eröffnung  big  gur  Urteitööoltftredung 
—  unb  ber  bramatifdje  ^fufd)er,    ber   am  9iot)ftoff 


—     93     — 

flcbt  unb  nicijt  tud^,  lua«  bramatifd)c  ^anblung 
ift,  fönnte  bie  ipänbe  überm  Äopf  ^ufammenfc^lagen 
ob  bcr  ^()orf)eit,  fic^  eine  folc^e  ^üUe  ber  bunteften, 
reiguollftcn,  IciDcnfd)nftburc()n)trften  ©reigniffe  unb 
93ecicbenI)citon  cntöcljon  5U  (äffen  unb  firf;  auf  jeneS 
fcfjeinbar  arme  unb  bctancjlofc  ©tüd  auä  ber  ganjen 
reidjcn  J)iciI)enfoU3e  5U  befd)rän!en.  ?(ber  eben  in 
biefer  S3efd)ränfung  geigt  fic^  aud)  ^ier  ber  9Keifter. 
Sn  biefeS  furge  ©tüd  brängt  @d)iüer  benno(^  bie 
gange  reid)e  ©tofffüÖe  gufammen,  gerabe  in  if)m 
organifiert  er  fie  gu  einer  mirfüc^  bramatifc^en 
^anblung.  Unb  ha^  organifierenbe  ^ringip  ift  ein 
ungemein  brangnoUer  SBiüen^fonflitt:  bie  fdjon  gum 
^ob^öerurtedte  Königin  öon  <Scf)ott(anb  miß  ettoa^ 
mit  aller  3J?ndjt  unb  ^raft  einer  „p()^fifc|en  D^atur", 
mit  bem  gangen  ftarfen  93egef)ren  it)reg  nad^  Seben, 
Siebe,  §errfc^aft  üerlangenbenungebrod^enen  S^JatureH^ 
unb  (Sf)arafter§;  unb  maö  fie  tt^ill,  ift:  leben, 
am  Seben  bleiben,  obmol)!  ber  Xob  unmittelbar  über 
il^r  pngt,  unb  gtüar  fo,  ttiie  e§  ifjrer  innerften  9^atur 
gemä^  allein  leben  ^ei^en  fann,  mit  allen  5lnfprüc|en 
auf  greif)eit  unb  ^errfd^aft,  Siebe  unb  ®lüd.  Sf)re 
Gegnerin  Slifabetf;  aber  miß  ha^  genaue  Gegenteil, 
fie  min,  bo§  9Jcaria  fterbe,  enblic^  if)r  aug  bem  3Sege 
fei,  nad)bem  fie  if)r  lang  genug  in  i^rem  gangen 
SBefen  unbequem  unb  gumiber  gemefen  ift;  ha^  hü'i 
Xobe^urteit,  ha§  enblidj  glüdlid^  mit  einem  ©d^ein 


94 


be§  Sied^teä  gefäüt  ift,  aud)  lütrfltd^  Doü^ogen  trerbe 
—  nur  aber  fo,  ha^  auf  Wnbere  iiaS  ®ef)äf[tge  falle, 
^a^  fte  felbft  ben  @(i)etn  ber  Wilhe  unb  (55erec£)tig!ett 
tt»af)re.  Unb  biefer  Äonfüft  gnjifc^en  ben  beiben 
föniglid^en  2Bei6ern,  ber  gunäd^ft  ein  rein  ntenfd)(id)er, 
iprtöater,  perfönüc^er,  fpegieH  ein  SBetberfonftift  ift, 
erlüeiterl  unb  uertteft  fid^  gu  einem  Slonflüt  üon  lüelt* 
t)iftorifd^er  93ebeutfamfeit:  um  baö  Seben  ber  SWaria 
n)irb  nic^t  nur  am  §of  unb  im  (StaatfSrat  öon  ©ngknb, 
nid}t  nur  gttjifd^en  Sonbon  unb  gott;eringt)at)  ge* 
t)anbelt  unb  gefömpft,  fonbern  um  biefeö  Seben 
fämpfen  gUiei  Wäd)te  ber  ^ät,  beren  ^ampf  l)eute 
nod)  nid)t  aufgetragen  ift  unb  barum  I)eute  nod^ 
intereffiert:  Gegenreformation,  Üiom,  Sefuitigmug, 
frangöfifd;=fpanifd)er  ^Cbfoluti^mnö  auf  ber  einen 
(Seite  —  auf  ber  anbern  germanifdjer  ^roteftantiä* 
muö  unb  nationale  ©elbftbeftimmung,  §unäc|ft  burd) 
Sngtanb  unb  fein  Parlament  bargefteßt;  jene  9}?äci§te 
fc^iden  alä  ifjren  perfönlid^en  33ertreter  ben  30?ortimer 
in  ben  bramatifdjen  Äonflift,  biefe  finb  |)erfönlid) 
Vertreten  burc^  SJiurleigt).  ®ag  ift  ber  menfi^Iid) 
bebeutfame,  in  bie  großen  Sebenöfragen  ber  Sflationen 
unb  il)re  bauernben,  treitergreifenben  ßufammen^änge 
l)inunterfaffenbe  §aupt!onflift,  ber  bie  üom  9^ot)ftoff 
gegebene  Diei^e  ber  ®egebent)eiten  gur  bramatifc^en 
^anblung  organifiert;  il)m  gegenüber  öerlieren  bie  an 
[ic§  fo  reigüoll  fdjeinenben  Ieibenfd;aftlid)en  5^onf(ifte 


—     95     — 

bcr  Ataxia  au3  ifjrcm  iöorlcbcn  [ofort  an  S^cbcutung 
—  fio  iinb  alle«  anbete,  wa^  ber  9tot)ftoff  bietet, 
iuerbcn  nun  biefem  ^auptfonfüft  DöUifl  6et)errfrf)t, 
an  bie  rcdjte  (Stelle  unb  in  bie  red)te  ^fnorbnuncj 
nad)  bem  i^erbältniiJ  i()rcr  iBcbcutung  öcrürft.  ®ie 
jugenblidjen  !^Nerirrungen  ber  SÜ^aria,  it)re  ilonflifte 
in  <Sd;ottIanb,  focjar  bie  für  il)ren  (Sljaratter  nic^t 
uniüefenttidjen  Sugenberlebniffe  in  granfreid)  —  ha^ 
alles  fpielt  nod)  t)erein,  aber  nur  alö  5ßorauöfe|5ung 
ber  eigentlicl^en  .^"^anblung,  teils  alS  ein  <Sd)atten, 
ber  auf  bem  ®emüt  ber  90?oria  liegt,  teils  alS  bie 
l)iftorifdjen  i8orbebingungen,  tuetd^e  ii)re  ^ludjt  nad) 
©nglanb,  il)re  bortige  ©efangenfdjaft,  bie  üerfdjiebenen 
i^erfudje  gu  i^rer  ^Befreiung  erHären,  2)ie  ^er^ 
fd^roörungen  ber  Xif^burn  unb  -porrt),  9JorfolI, 
^abington  ttJerben  gleid^faüS  unter  bie  9fiei§e  ber 
ä>orauSfetjungen  gurüd  gerüdt  atS  bie  Sebingungen 
unb  STnläffe  für  ha^i  bereites  gefällte  Xobeöurtei(. 
2)a  aber  Maria  an  ^abingtonS  !öerfd)tüörung,  bie 
ben  93ortt)anb  für  if)re  Verurteilung  gegeben  i)at,  un* 
fdjulbig  ift  unb  auf  t^rer  Unfd^ulb  im  Äampf  um  ii)x 
Seben  befjarrt,  ha  auct)  5fnbere,  toie  ©t)rett)Sburtj,  in 
biefem  ^om|)f  mit  biefem  50?omente  redjuen,  ha  fie 
njirflid^  rec^tShäftig,  ot)ne  Sufti^morb  nur  f)in5urid)ten 
toäre,  menn  abermals  eine  fold^e  ^^erfc^iüörung  mit 
Sebrot)ung  beS  SebenS  ber  (Slifabett)  unb  unter  ©e* 
tei(igung    ber  9}?aria  feftgeftellt  werben  !önnte  (für 


96 


biejen  gaU  f)ot  ja  baä  Parlament  ejtra  ein  ©efe^ 
gemacht):  fo  tDieberf)oIt  ©exilier  bte  bor  bem  ^Beginn 
beg  S)rama§  Itegenbe  SSerfc^ltJörung  be^  S3abington 
im  5)rama,  erfinbet  bie  SSerfc^ttJörung  be§  9}?ortimer 
uitb  fügt  biefe  aU  ein  n)efenttid^eä  (Bind  in  bie 
bramatifd^e  §anblung  ein.  (Sr  fd^eibet  alfo  nidjt  nur 
Xeile  beä  9?oJ)ftoffe§  au§  ber  bramatifc^en  ^anblung 
au&,  fonbern  er  ergänzt  biefe  burc^  anberesS,  n)a§  ber 
OioJjftoff  nidf)t  bietet,  toag  aber  gettjiffen  9JJomenten 
beg  Slo^ftop  analog,  in  if)rent  @inn  unb  ®eift  ift, 
nur  ber  ^anblung  beffer  bient  alö  bie  |iftorifc^e 
9[öirHid£)feit.  Unb  ebenjo  i[t§  mit  bem  unf)iftorijc^en, 
öom  9?ot)fto[f  nid^t  gegebenen  ßiif^^^^i^^reffen  ber 
beiben  Königinnen  im  britten  3I!t:  ber  be^errfc^enbe 
^au)jtfonfU!t  Verlangt,  ha'^  bie  ^anbtung  an  einen 
^unft  !omme,  tt)o  ber  Seben^mille  ber  SD^aria  unb 
ber  gegenmirfenbe  SBiEe  ber  ©tifabet^  aufö  fd^ärffte 
gufammentreffen,  fo  ta^  firf)  t)on  l^ierau^  bie 
Söenbung  unb  @ntfc£)eibung  für  bie  Söfung 
be§  Äonfüfteä  ergebe:  gur  9?ettung  be§  ßeben^ 
ber  SOZaria  ift  biefe  3iif<i"^^c"fitnft  öon  bem  mit 
9}?ortimer  öerbunbenen  Sefter  öeranftaltet,  9J2aria 
!önnte  f)ier  i^r  Seben  retten,  menn  fie  fid£)  unter 
ööüigem  5(ufgeben  it)reö  (Sf)ara!terä  bemütigen  tüüxhe ; 
fie  üerfuc^tS,  aber  ber  §a^  ber  Gegnerin  unb  ha§> 
eigene  S^aturell  laffen  ben  SSerfud)  fd)eitern,  ja  be* 
ftegeln  it)ren  Untergang.    Unb  in  berfelben  SSiertel* 


—     97     — 

ftunbc  hxid)t  bic  ju  it)rcr  iÖcfrciun^^  unternommene 
83er[cl)lübrunö  2)iortimeri8  üor^eitig  anü  mit  bem 
3J?orbQnfd)la9  auf  (Slifobet^  —  je^t  ift  aud)  ber 
auSreid)enbc  S^edjtögrunb  für  SKarioS  |)inrid)tung 
üorljanbcn,  ©urleifll),  boS  proteftantifdje  (Snglanb 
unb  fein  'i^nrlameut  bleiben  «Sieger  über  baö  riimifd)* 
abfülutiftifdjc  (^-uropa,  beffen  bloßer  ©enbüng  SUior* 
timcr  mar.  @o  ift  ber  ^fu^gang  ber  §anb(ung  bon 
I)ier  an  mit  innerer  urfäd;Iid)er  ^^otmenbigfeit  gegeben, 
liefen  Dom  2)ic|ter  burd)  5(uöfd^eibcn  unb  ©rgän^en, 
ßodern  unb  ßufammcngiefien  auö  ben  Elementen  beS 
9?ol;ftoffeä  crft  erfdjoffeneu  ^auptgügen  ber  bra« 
matifdjen  ^onblung  orbnet  fidj  bann  alleö  (Singeine 
unter  benfelben  ®efid)tgpun!ten  unb  mit  berfelben 
iRotmenbigfeit  ein  unb  unter,  mu^  bienen,  tjelfen, 
t)emmen,  öormärtSrüden  je  am  geforbcrten  ^{a|e  — 
unb  fo  mebt  fic^  erft  burd)  bie  organifierenbe  ^^an* 
tafietljätigfeit  unb  bie  fc^öpferifdjsbramattfdje  £raft 
beö  S)id)ter§  eine  bramatifd^e  §anblung  mit  aß  i()ren 
Steilen  in  lüdenlofem  ^aufalitätggufammenl^ang. 
©ie  umfaBt  aber  bann  bod)  ben  gangen  Sio^ftoff, 
fomeit  er  irgenb  für  bie  ^anblung  braudjbar  ift,  fügt 
bagegen  ein  unb  tjingu,  mafS  ber  «Stoff  öermiffen  Iä§t 
unb  bod)  gutä^t,  ma§  aber  bie  bramatif(^e  ^anbtung 
forbert. 

@8  ift  eine  nid^t  immer  leidjte,    aber  für    ben 
Sel)enben  nic^t  nur   Ief)rreid^e   fonbern   ()öd^ft   öer* 

Seitfire^t,   Dai  beutfcbe  SCramo.  ^ 


98 


gnüglicf)e  5(rbeit,  fid^  biefen  ^roge^  an  einem  großen 
unb  in  feiner  SSirfung  erprobten  ®rama  tlax  gu 
madjen.  S)ie  9JiüI)e,  bie  ha§  etnja  !oftet,  Iof)nt  fidE) 
reid^Iic^er  a(g  mand^e  t^eoretifc^e  5lu!§einanber[e^ung 
unb  (Srnjögung.  9)?an  öerfud^e  eö  fetbft,  gum  93eifpiet 
am  „SBaKenftein,"  n)o  bie  35erbic^tung  beö  riefig 
umfangreidjen  9tot)ftoffeä  in  eine  unglaublid)  knappe 
bramatifd^e  §anblung  eine  gang  geujattige  ßeiftung 
barfteßt  —  eine  Seiftung,  bie  attein  fd)on  geeignet 
ift,  aU  haä  ©efc^mä^  moberner  @d)ein*  unb  Älein* 
grölen  an  ben  JBoben  gu  legen,  ai§>  ob  ®d)illerg 
bramatifd)e  Slunft  Ueraltet  fei. 

3Beiter  ergiebt  fid)  auö  beni  SBefen  ber  brama* 
tifd)e  §anblung  folgenbeä  Don  felbft.  Unter  allen 
gorberungen,  n^etd^e  Dramaturgie  unb  ^riti!  an  bie 
bramatifd^e  ^anblung  fteUen  fönnen  unb  tt)atfäd^tid^ 
gefteHt  I)aben,  ift  nur  eine  üon  burc^greifenber,  alleä 
be^errfdfienber  95ebeutung:  bie  gorberung  ber  inneren 
@in^eitlid)!eit  ber  §anbtung  al§>  eine^  or« 
ganifd^en  ©angen,  beffen  Streite  mit  ber  inneren 
S^lotn^enbigteit  öon  Urfad^e  unb  SBirfung  au^einanber* 
folgen,  bem  bef)errfct)enben  |)aupt!onfIi!t  fid^  irgenbmie 
ein*  unb  unterorbnen.  SDa§  ift  ber  einzige  gefunbe 
©inn  unb  ^ern  in  ber  alten  Se^re  üon  ben 
brei  ©in^eiten  beg  SDramaö;  biefe  ^aben  aßerbingi^ 
I)auptfäd)tid)  bie  grangofen  in  unb  nad£)  it)rer  fog. 
!Iaffifd)en  ^eriobe  au!§  ii)rem  mi^oerftanbenem  Strifto* 


—     99     ~- 

tele«  oDflefcitct;  burd)  (SI)n!e[pcarc8  ^ra^iö  unb 
i'cffinfliS  ^tiüt  ift  fic  in  i^rcn  (^runbfcftcn  crfd)üttett 
itinrbcn,  fic  fpiift  aber  bn  unb  bort  norf)  in  Se^r« 
biidjcrn  unb  Xl)Cüricn. 

ßn  ber  (£inf)cit  ber  i^anblung  ttjurbe  nod^  bie 
@inl)eit  beS  DrteS  unb  bie  ©in^ett  ber  3^^*  Ö^fügt. 
?(riftote(cö  fetbft  I^Qtte  bie  @inf)eit  beS  DrteS  gar  nid^t 
geforbert,  in  Segiel^ung  auf  bie  ßeit  nur  gefagt,  bie 
Xragöbie  fucl^e  fo  nict  al§  möglid)  bie  ^anbtung  in 
einem  ©onnenumlauf  fidj  DoUäietjen  gu  (äffen.  5(uf  bem 
^(;eater  be§  <Bopl)otk^  fd)eint  aUerbingg  bie  ©in^eit 
beS  Drteg  unb  ber  Qcit  gen)a^rt  njorben  gu  fein,  aber 
lebiglid)  im  3ufanimenf)ang  mit  ber  befonberen 
bramatifdjcn  Xec^nif  be§  ©opf;ofIeg.  3)ie  grangofen 
unb  if)re  beutfd)en  ^a^a^mn  öor  Seffing  l^oben  biefe 
beiben  (Sin^eiten  nid)t  nur  mit  tt}eoretifd)er  ^ebanterie 
geforbert  fonbern  aud^  ebenfo  pebantifd^  in  ber  ^rajig 
burd§3ufüf)ren  gefud^t.  SDa§  beutfd^e  S)rama  aber  l^at 
fidj  gteid^  beim  S3eginn  feiner  neueren  boüfommeneren 
@ntmidlung§ftufe  üon  biefer  ^ebanterie  toSgefagt. 
Q§<  giebt  aud^  feine  inneren,  im  2Befen  beö  2)rama§ 
liegenben  ©rünbe  bafür,  bo§  bie  gange  §anblung 
fic§  nur  auf  einer  unb  berfelben  ©gene  unb  geittid^ 
in  einer  ununterbrod^enen  furgen  ßeitfpanne  öoUgiel^en 
mü^te. 

35ielme()r,  tt)a§  gunäd^ft  ben  Ort  anbelangt,  fo 
pngt  alle§  an  einfad§  ted^nifd^spra!tifd§en  (Seftd^tS* 

7* 


~     100     - 

:punften,  ha§  ^et^t  an  ber  jetüetUgen  Sefdiaffentjett 
be^  für  ha^  @ptet  Beftimmten  @d)aup{al^eä,  be§ 
%\)eatex§>,  ber  realen  S3ül)ne  unb  tt)rer  te(f)niicl)en 
©inrtdjtung  —  ober  genauer  Qe^aQt  unb  tiefer  gefaxt 
an  ber  ^rage,  tük  n^eit  bie  öu^ere  'J;f)eatcrtec^ntf  eä 
gulä^t,  eine  öftere  unb  rafdjere  5Sertt)onbIung  be^ 
@d)oupta|eg  öorgune^men,  o^ne  ba^  bie  etn'^eitltdje 
2Sit!ung'  ber  (S5efamtl)anblung  gefc[)äbtgt  tt)ürbe  burd^ 
ßerftreuung  be^  ß^f^^^^^^f  hm6)  ein  öftere^  un* 
ru{)ige^  5lbrei^en  be^  gaben^  ber  ^anblung,  burd) 
tote  Raufen  unter  ha^  fortbrängenbe  »Spiet  ^inein  — 
unb  bergleid)en.  SSoHäiel^t  fid)  5.  ö.  ttJte  bei  ber 
Süt)ne  @^afefpeare§  ber  'S5enenn)ed)fet  öor^ugSlüeife 
in  ber  ^^antafie  be^  ^^fcl'Juerg,  fo  i[t  ein  öfterer 
9Bed)fel  of)ne  ©djaben  möglid),  aU  rt)enn  ein  um* 
ftänbltd)er  äußerer  STpparat  oufgeujenbet  njerben  mu§, 
um  bem  ©djaupta^  eine  anbere  ©eftatt  gu  geben; 
ift  bie  äußere  Stedpi!  ber  Xt)eatermafc^inerie  fomeit 
borgefd)ritten  mie  t)eute,  ha'^  rafdj  auf  offener  ©^ene 
Uermanbelt  njerben  !ann  otjne  ^aüen  be§  SSorI)ong§, 
ober  geftalten  fid^  biefe  35ert)öttntffe  nod^  günftiger, 
eitoa  hux6)  bie  brel^bare  S3üt)ne  Sautenfd)(äger§  ober 
bergleid^en  —  fo  ift  gtetd)faߧ  biet  me^r  3Sec^fet  be^ 
Drteö  o^ne  ©törung  mögli^,  aU  bei  ber  tt)eniger 
entn)idelten  9}cafd;inerie  etn)a  ^u  SeffingS  3<^iten 
mögtid)  mar.  SDa§  ©ntfd^eibenbe  bteibt  immer  ber 
ungeftörte  3ufamment)ängenbe  SSertauf  ber  §anbtung 


—     101     -- 

ober,  QtiberS  nu§(\cbrücft,  bic  JRürffid)t  auf  bie 
ungcftbrte  Sammlunö  bc!?  3"fft)Qucri3.  Soiucit  bie 
^cdjnif  esJ  erlaubt,  biefen  cntjdjcibenben  Oiüdfidjten 
(\cbül)rcnbc  3{ed)nung  511  tragen,  mag  ber  Ort  ber 
bramatifdjen  .^anblung  genau  fo  oft  nicd))eln,  al^ 
eä  ber  ®ang  ber^'^anblung  fadjlid)  oerlangt.  Smmer« 
l)\x[  ift  natürtid)  gerabc  burd)  btc[e  9iüd[id)ten  auc^ 
eine  geluiffe  ©ren^c  gebogen;  unb  nid)t  jeber  ^ei( 
ber  bramatifdjcn  4^anb(ung  erträgt  Unterbred)ungen 
burd)  <Scenentt)ed)feI  gteid)  Ieid)t.  (£ö  ift  g.  93.  immer 
ein  gefät)rlid)  ^ing,  in  ber  rafd)  gum  (Sd)Iu§  brän* 
genben  Äataftropt)e  nodj  einmal  einen  @cenentoec|feI 
Oor5unef)men,  fd)on  au^  nof)etiegenben  inneren 
®rünbcn,  leiber  aud)  auö  bem  äußeren  (Srunbe,  loeit 
ta^»  liebe  ^ublifum  gegen  ben  Sd)lufe  t)tn  o^nebieö 
fd)lnerer  in  ber  ©ammlung  gu  I)alten  unb  aud)  ber 
beffere  Xeit  biefer  t)o^en  Äörperfd)aft  in  biefem  ^un!t 
nid)t  immer  ^uöerläffig  ift.  §ierin  liegt  ein  ®runb 
unter  anberen,  irarum  §.  S.  bie  Jurge  ©c^tu^fcene 
be§  „^ringen  üon  §omburg"  nid)t  mel^r  rec^t  tt)ir!fam 
ift;  ja  aud)  bie  vSdjlu^fcene  ber  „9[)(aria  ©tuart"  wirb 
^ierburd^  einigermaßen  gefd^äbtgt.  Sm  fangen  njirb 
e§  aUerbingöförberlid)  fein,  toenn  jebeö  größere Xeilftüd 
ber^anbtung,  nad^  unfererf)eutigenSüt)neneinrtd^tung 
etma  jeber  ^Ut  auf  einer  unb  berfetben  ©cene  fpielt 
ober  menigftenä  SSerftanblungen  innerl)a(b  beö  Slfteä 
nur   in    ben   früheren    5Iften    üor!ommen,    loo    ba^ 


—     102     — 

Sntereffe  beö  3ufd;auer(S  noc^  luentger  ungebulbig 
öonoärtiS  bröngt.  5t6er  eine  pebantijd^e  Siegel  läfet 
ficE)  hierüber  ntc^t  auffteüen,  nid^t  au§  bem  SSefen 
ber  bramati[(i;en  ^anbtung  begrünben. 

3Sa^  ferner  bießett  betrifft,  fo  ift  auä  inneren 
©rünben  gleid^faHö  nidjt  ab^ufetien,  warum  eine 
bramatifc£)e  ^anblung,  n)enn  fie  nur  toirüid^  eine  fold^e 
unb  innerlid)  einljeitlid^  ift,  nid)t  eine  beliebige  '^eiU 
ftretfe  burcEjIaufen  ober  in  it)ren  einzelnen  Steilen  5U 
berfdjiebenen  ß^iten  f^ieten  foll.  5(euBere  tecl^ni)d;e 
9fiüdfid)ten  fommen  t)ier  ttJeniger  in  93etrad;t  atfo  bei 
ber  ^rage  be§  Drteö  —  immerl)in  infofern,  al§  eine 
burd^  einen  längeren  ßeitraum  fid^  t)in5iet)enbe  ober 
eine  geitlid^  öfter  unterbrodjene  §Qnb(ung  in  ber  Stieget 
unb  naturgemäß  aud)  üerfd)iebene  Drtäiöec^fel  bebingen 
tt)irb ;  aud)  allguljäufiger  SBec^fel  in  Xrad)t  unb  ©eräte, 
im  ganzen  @ti(  ber  äußeren  Umgebung  be§  5[J?enfd)en 
!önnte  burc^  bie  ß^itfrage  bebingt  fein  unb  möglicher* 
toeife  beunrut)igenb  unb  gerftreuenb  mirJen.  ^fuberer* 
feitS  finb  Unterbred^ungen  ber  ß^itfotge  burc^  bie 
(Sinrid^tungen  ber  mobernen  58üt)ne  infofern  begünftigt, 
at§  ha^  fallen  be§  SSort)angö  nad)  ben  größeren  %^iU 
ftüden  eg  ermögtid^t,  ein  folc^eö  Sleilftüd  unb  feine 
bramatifd)e  Situation  rafd^  gu  einem  gett)iffem5lbfd)Iuß 
ju  führen  —  unb  bann  ebenfo  rafd)  unb  unmittelbar 
in  eine  neue  Situation  ein§ufüt)ren.  ^Tber  ha^  ©nt- 
fc£)eibenbe    finb    aucE)    t)ier    bie    gorberungen    ber 


—    103    — 

bramQtifcf)cn  .^lanblunj^  unb  il)ret  inneren  Gin^eit 
fclbft;  fie  Icflcn  nottücnbig  flcmiffe  93efdjränfunöen 
auf.  ©ine  einl)eitndjc  bramatifrfie  .^anbtung  lie^e 
fid)  nid)t  \vo{){  bilbcn,  iuenn  ctttja  mit  9rbam  unb 
(Jim  im  ^nrabicfc  anc^efanflcn  tüürbe,  um  gu  ber 
3cr[ti)runö  ^Scrufotemö  otö  5ur  bramatifdjen  Slato* 
ftroplje  5u  fommcn;  mcnn  bie  beutfdjc  (S5e)djid)te  Dom 
.^unncneinbrudi  biö  jum  Ärieg  öon  1870  burc^laufen 
Uicrbcn  foUte  —  ober  hjenn  nur  aud)  SBaHenftein  juerft 
„5U  ?ritborf  im  ©tubentenfragen",  bann  aU  Selagerer 
öon  ©trolfunb  ober  im  Säger  an  ber  „olten  3Se[te", 
bann  bei  Sü^en  u.  f.  m.  oorgefüf)rt  merben  foHte, 
bis  er  enblid}  in  @ger  ermorbet  hjürbe.  5Die  gange 
£ebem5gefdjid^te  eineS  gelben  gu  geigen,  get)t  nid^t 
an  —  nid)t  fomof)I  megen  ber  erforberlid^en  ßeitlänge, 
fonbern  njeit  fidj  au^  if)r  nic^t  gut  eine  einl)eittic^e 
bromatifd^e  .^anblung  bilben  lie^e.  Unb  ebenfo  ift 
ha§  9)äBIid)e  5.  95.  in  SSilbranbtg  „SKeifter  öon 
^atmtira"  nic^t  ha^,  ha^  fid)  bie  fünf  5lfte  burd^ 
öerfd^iebene  ^erioben  ber  erften  djriftlid^en  3af)r* 
t)unberte  ^ingiefien  unb  ha^  gmifd^en  jebem  'ätt  ein 
längerer  ßeitraum  liegt;  fonbern  ha^'  ift^,  ha'^  jeber 
91ft  mieber  eine  gang  neue  bramatifd^e  §anb(ung 
anjpinnt,  in  bie  fid^  ber  ßufd^auer  erft  muffelig  ^inein* 
leben  mufe  —  unb  ha'^  biefe  fünf  §anb(ungen  nid^t 
burd^  eine  eigenttid)  bramatifdEie  Sbee,  eine  einigelt* 
lid^e  ©efamt^anblung  gufammenget)alten  finb  fonbern 


104 


lebtgltd^  burd;  eine  au^erbramatifdje,  |3t)tIofo))^tfd^e, 
etf)ifd^e,  retigtöfe  Sbee.  3Bo  aber  bie  innere  (£int)eit 
ber  ^anblung  Dortjanben  ift,  ha  mag  bie  ^^rage  ber 
3eiteinJ)eit  [id^  ööllig  barnad^  entjd^eiben,  tt)a§  biefe 
^anblung  it)rem  inneren  SSefen  nad)  an  Q^iU 
üer^ättniffen  jeglidjer  Strt  erforbert.  @inem  ©toff 
freilid),  ber  ftc^  über  einen  tongen  ß^^traum,  über 
Diele  Sat)re  üieüeidjt  erftredt  unb  nid)t  in  aßen  Steilen 
in§  bramatifdje  ©piel  gefegt  ttjerben  !ann,  alfo  größere 
ober  Ijäufiger  Unterbred)ungen  forbert  —  einem  foldjen 
mirb  fid^  fd^njerer  eine  mirtfame  bramatifc^e  §anblung 
obgetüinnen  laffen  al§>  einem  ©to[f,  ber  an  [id)  fdjon 
in  einer  furzen  ßeitfpanne  ^ufammenliegt  unb  ot)ne 
geitlid^e  Unterbredjungen  feinen  SBeg  get)t.  Um  fo 
größere  Xriump^e  !ann  bann  allerbingS  bie  bramatifdje 
9Serbic^tung§!raft  beö  ®id)ter!§  im  erften  galt  erzielen. 
(Sine  t)ebantifd)e  Siegel  aber  giebt  eö  aud^  f)ier  nid^t. 
^ene  „brei  ©infieiten",  über  bie  feinergeit  fo 
Oiel  gerebet  unb  geftritten  lourbe,  füf)ren  ftd)  alfo 
jiemtid^  einfad)  unb  fidler  auf  eine  einzige  gurüd: 
bie  Sin^eit  ber  ^anblung.  S)a§  fd)(iefet  nid^t  auö, 
ba'^  ber  ^^aben  ber  ©efamtl^anblung  au§  gtoei  ober 
bielteic^t  fogar  au§>  mehreren  (Sinjet^anbtungen  ge= 
gmirnt  fei,  menn  fie  nur  nid)t  3ufammen{)ang§(o§ 
^jaraüet  laufen  fonbern  in  gegenfeitiger  2öed§felmir!ung 
ftel^en.  ®ie  ®efat)r  be§  5(uiSeinanberfaIten§  befteijt 
babei  freitid^  immer,  ma^  aber  eine  grofee  bramatifd^e 


—     105     — 

Äraft  I)icr  Iciftcn  fann,  boS  geigt  luicbcr  8d)iUcr  auf* 
fllängcnbftc  im  „^H^nüenftcin',  in  anbcr  §(rt  aurf)  im 
„Xell".  ,5crner  forbert  bie  C^inl^cit  ber  ^anblung, 
bn^  bn^,  tüaö  man  (Spifobc  nennt,  im  2)rama  nur 
fcl)r  bcbingtc  unb  [ieict)ränfte  (SJeltung  bctjalte.  ^Der 
35cgriff  ber  (£-pifobc  ijat  jmar  feit  ^triftoteleö  h\i>  auf 
ben  l)eutigcn  Xag  ctnjoö  fdjmanfcnbeö;  aber  fo  biet 
mirb  man  je^t  bodE)  alS  übercinftimmenben  'Bpxady 
gebrauclj  bctradjten  bürfen,  baf3  ©pifobe  ein  ^l)eil« 
ftiid  einer  bromatifrfjen  ober  epifd)en  .^anblung  bc- 
geidjuet,  Uie(cl^c§  nid)t  ber  cigcnttidjen  4")aupif)anblung 
angel;ört,  i)ietmet)r  ein  HeineiS  5(uöbiegen  Don  ber 
geraben  Sinie  bebeutet,  ein  Sßermeilen  bei  einer  mel^r 
ober  meniger  untergeorbneten  ©ingelfieit.  Sn  ber 
e))ifc^en  ©rgölilung  finben  (Spifoben  naturgemäf3  bie 
reid^fte  ?tnlüenbung,  ja  if)re  SSerirenbung  bilbet  ein 
^'^auptftüd  ber  epifd^en  ^ec^nif;  3SiU)e(m  Sorban 
modjt  ta^'  ®efe§  ber  (Sptfobe  gerabegu  gu  einem 
epifdjen  ©runbgefelj,  unb  in  ber  Sttjat  ift  ha§  5ru§* 
biegen,  35ermei{en,  91ad)t)oIen,  breite  ^luäfüljren  aud^ 
üon  ©ingelnem  unb  Untergeorbnetem  fo  fef)r  in  ber 
Statur  beä  ©rjäljlenö  begrünbet,  ba^  bie  (Spifobe 
aUerbingä  ein  fet)r  mid^tigeS  3)cittel  ber  epifd^en 
S)arfteUung  ftiirb.  ®an5  anberä  ift  e§  im  S)rama: 
bie  ^"^onblung  brängt  aEegeit  öormärtö  nad^  ber 
ßufunft  unb  gtoar  fo,  ha^  ein  5lugbiegen,  ^^erlreilen, 
9^ad^l)o(en  gar  gu  Ieid)t  eine  ©c^möd^ung  beg  Sn* 


—     106     — 

tereffe§  bebeutet,  eine  fd)äbigenbe  ?tblen!ung  t)on  bem, 
tüaö  haS  §aupttntereffe  au^mac^t,  öon  ber  ein* 
t)eittid^en  (£ntn)ic!(ung  ber  Söitlenöfonftüte.  ®ie  epifc^en 
unb  t^rifrf)en  3)?omente,  bie  aud^  ha§>  ^rama  entf)ätt, 
forbern  aöerbingö  manrfimat  ein  getüiffeS  SSertneilen, 
eine  breitere  5tugfül)rung ;  unb  9leben^anblungen,  bie 
in  bie  |)auptf)onbIung  ]^ineinge5ft»irnt  »erben,  be* 
bingen  guineilen  für  lurge  ßeit  ein  gen^iffeä  ^tbbiegen; 
eg  giebt  9fJul^e)3un!te  auc^  im  energifd^en  35orn)ärtgs 
fc^reiten  beö  2)rama6,  an  benen  ba§  Sntereffe  ftdf) 
gern  einmal  bei  @in5elf)eiten  unb  9^ebenfaci^en  auf» 
t)alten  mag  —  auc§  im  ftrammften  Wax^ä)  t)erf(l)nauft 
man  gern  f)ie  unb  ha  einmal.  Unb  fo  !ennt  aud^ 
bie  bramatifc^e  |)anblung  i^re  ©pifoben;  aber  fie 
bulbet  nirf)t,  ha^  biefe  fic^  fetbftänbig  auf  eigene 
gü^e  [teHen,  etrooö  bebeuten  moüen  abgefet)en  bon 
bem  ^auptjtnec!,  ben  bramatifcEjen  Sßiüenöfonflüt  gu 
entfalten  unb  gum  ^tugtrag  gu  bringen.  5fudf)  bie 
©pifobe  muJ3  irgenbtüie  biefem  ^aupt^mec!  bienen, 
it)n  förbern  —  fei'g,  baB  ein  für  ben  SBilten  mic^tiger 
e^araftergug,  eine  für  ben  Ä'onflift  tt)efenttid£)e 
(Stimmung  fid)  einmol  etmaö  breiter  auc^  im  @in* 
gelnen  au^fprec^e,  fei'g,  ba^  ein  S5organg,  eine 
Situation,  bie  an  ficf)  oon  untergeorbneter  Sebeutung 
tt)ären,  boc|  in  irgenb  einer  Söeife  für  bie  §anb(ung 
eine  ert)ö]^te  Sebeutung  geminnen  foßen,  fei'ö,  ha^ 
anä)  einmal   ein  gettjiffeö  natürlid^eg  9^ut)ebebürfni§ 


107 


im  3"fl(^  ^^'^  iiürtuärtetvcibcnbcn  .'oanblunfl  eintrete. 
?(l)er  immer  l)ängt  bie  brnmatifdje  C^pifobe  irflcnbtüie 
unli^^bor  mit  bem  ©onge  bcr  .^anblunö  gufammcn; 
maS  für  bie[e  uollftanbig  cntbet)rlic^  ift,  toa^  —  mie 
fo  mand)e  epi[d)e  (Spifobe  —  einfad)  l^erauöcjefdjnitten 
merbcn  tonnte,  ot)ne  baf?  baburd)  an  bcr  §anblung 
irgcnblüie  etlunö  anbcrö  mürbe  ober  nur  aud)  in  bcr 
SSirtung  abgcfdjmädjt  mürbe,  ha^  {)at  !ein  (Spifobcn* 
red^t  im  2)rama,  unb  menn  eS  allgemein  !ünftferifc^, 
rein  poetifd^  nod^  fo  fein  unb  fd^ön  märe,  ^ier  ^at 
ber  ^ramatifer,  ber  bie  fpe5iett  bromatifd^e  9Sir!ung 
immer  im  ^fuge  t)at,  nomentlid)  in  feiner  Gigenfd^aft 
alö  2)id)ter  allerlei  (odenbcn  S^erfud^ungen  gu  miber* 
ftet)en  —  anbererfeitö  aber  mirb  er  bie  ^ftid)t  em* 
pfinben,  gered)tfcrtigtc  ©pifoben  mit  aller  !ünftleri)c^en 
^oetcn!raft  fo  ou^guftatten  unb  mirfung^Dotl  au§= 
gugeftaltcn,  ha^  fie  ha§  Sntereffe  beg  ßufc^auerä  ge* 
fongen  nel)men  unb  ftd^  neben  bem  Sntereffe  an  bem 
^aupt^uge  ber  §anblung  gu  behaupten  öermögen. 
Wan  iierfucf)e  einmal  bei  (St)a!efpeare  unb  Schiller, 
aud^  bei  Sefftng,  gemiffe  auf  ben  erften  iölid  öielteic^t 
entbetjrli^  fd^einenbe  ©pifobcn  au§  bem  bramatifd)en 
©efüge  ber  ^anblung  mcgäunefimen,  unb  man  mirb 
fe^en,  mie  fc^mer  ha§  ge^t,  mie  feft  fie  üerflammert 
ftnb.  SDcan  üerfu^e  eö  etma  im  „^amkt"  mit  ber 
^otengröberfgcne  ober  ber  ©gene  gmifc^en  §amlet 
unb  Dfrif  ober  nur  aud^  mit  ber  berül)mten  Belehrung 


—     108     — 

ber  ©djQufpieler  burcf)  ^amlet;  man  üerfud^e  cö 
in  ben  „^Räubern"  mit  ber  @cene  beg  Äofin§!i),  im 
„gieiSco"  mit  ber  beä  9J?aIer§  S^omono  ober  getüiffen 
(Scenen  beö  9}to^ren;  in  „9}?innQ  bon  93arnf;elm" 
mit  ber  9ticcaut=(£pi[obe  ober  nur  aud^  mit  ber  <Scene 
ber  ®ame  in  Xrauer  —  unb  bergleid^en!  Wogegen 
finb  j.  ^.  im  „SSaKenftein"  bie  ©cene  be§  Heller* 
mei[ter§  mit  bem  ^ofal  unb  bie  SSerbung  ber  SKörber 
burrfj  ^Butler  ©pifoben,  bie  fid^  gu  breit  mad^en  unb 
bog  Sntereffc  ermüben. 

S)ie  (Sin^eit  ber  bramatifc^en  §anblung  forbert 
ferner,  ha^  jebe  Sßirfung  tt)o(;I  öorbereitet  fei  unb 
bafe  bie  3Bir!ungen  üon  ©dC)ritt  gu  ©d^ritt  fic^  fteigern. 
T)ie  SSorbereitung  ber  2Bir!ungen  ift  für  bie 
bramatifd^e  |^anbtung  ein  fo  lnitf)tige§  !I)ing,  ha^ 
man  gerabegu  bie  Begabung  ober  9Zid;tbegabung  beg 
2)rQmatiferö,  ben  93^ei|ter  unb  ben  ^fufdjer  unter 
anberem  baran  erfennen  fann,  ob  unb  mie  aUeä 
öorbereitet  mirb.  @§  ift  ein  burd^auö  öerfet)rter  unb 
oerpngnigooüer,  tro^bem  ober  fe:^r  pufiger  2Sa^n, 
ha§  Unvorbereitete,  oöllig  Unerrtjartete  unb  Ueber? 
rafdjenbe  fei  bramatifdj  befonber§  mirffam.  ®aä 
genaue  Gegenteil  ift  ber  galt.  33on  ber  ©rlrartung 
lebt  ber  ßufd^öuer  bem  bramatifd^en  ©piet  gegenüber; 
unb  bie  einl)eittid)e  !aufale  SSerfnüpfung  ber  inneren 
unb  äußeren  ^Sorgänge,  meiere  ha^  Seben  ber 
bramatifd)en  ^anblung  au§mad§t,  bulbet  !ein  herein* 


--     109    - 

btcc(;cn  einc^  (SrciflniffcS  au8  bem  'ülxdjt^,  Quei  ber 
btouen  fiuft.  ^^(n  [icl)  \d)on  tl)ut  pfi)cl)ologiirf)  unb 
äftl;ctifcl)  ein  unb  bcrfelbo  ^inbruc!  eine  gan3  anbete 
SBirfung,  luenn  er  mit  (Spannung  crluartct  iuar,  aii 
Uicnn  er  gan^  unertuartot  fommt  —  üorauögej'e^t 
natiirlid;,  ba[j  bic  GrtüUung  überljoupt  in  feinem  Übeln 
3}(iJ3ücrl)ättniS  jur  (Srluartung  ftct)e,  ©in  ©(^ufe,  ein 
93ti|j,  ein  ^onncrfdjlag,  Ujenn  fie  gang  unernjartet 
!ommen,  fbnnen  giuar  einen  9(ugenbtidE  geujaltig  er« 
fc^rcden  b.  I).  pt)l)fi[d[)  bie  S^erüen  Ijeftig  erfcfjüttern 
unb  baburd)  aud)  pftjdjifd)  geftjiffe  pat[)oIogi)d^e 
SSirfungen  I;erüorrufcn;  fie  fönnen  aber  ebenjogut 
aud^  ot)ne  foldje  bleiben  ober  nur  eine  fe{)r  geringe 
unb  rafd)  Dorübergetjenbe  SBirtung  tf)un.  (Sin  mit 
(Spannung  erwarteter  Sd^ujs,  33Ii^,  ©onnerfdjiag 
bagegen  toixtt  pt)t)fifd)  in  ben  9^eröen  n^eniger  t)eftig 
erfdjüttcrnb,  aber  bafür  jeelifd^  um  fo  fräftiger, 
ttad)l)altiger  unb  ift  —  toäi  ha§>  ^atl^ologijd^e  üer^ 
minbert  ift  —  für  rein  äftt)etifd)e  (im  njeiteften 
(Sinn)  22Sirfung  geeigneter,  ^ie  Spannung  ber  @r= 
loartung,  ha§>  !^ei§t  bie  öorbereitenbe  ©infteüung  eineg 
geföiffen  9Jta^e§  öon  Äraft  unb  S(ufnaf)mefäl)ig!eit, 
öon  9?eaftion§6ereitfc§aft  für  ben  ©inbrud  — 
üerminbert  gn^ar  in  ber  Siegel  ba§  t)eftige  Quden  ber 
momentanen  @rf(^ütterung,  mad^t  aber  ben  gangen 
feelifd^en  Drganiämuö  empfänglicher  für  bie  eintretenbe 
3Str!ung,   alä  toenn  biefe  plö^lid^  unb  unöermittett 


110 


in  ein  öon  gang  anberem  in  ^tnfprud;  genommene^ 
S^etüu^tfein  l^ineintritt.  Unb  bie[e  allgemein  pfljc^ü^ 
Iogif(f)e  5t{)at[ad)e  gilt  aud)  für  bie  Söirfungen  beö 
bramatifc^en  ©pielä:  \va^  mx  erh)arlen,  kommen  fetten, 
n)enn  aucJ)  nod^  fo  bunfet  unb  bto^  al)nenb,  tuorauf 
unfer  gangeg  Seiru^tfein  fid)  fc^on  längere  Qeit 
gejponnt  t;at,  tüenn  aud^  mit  nod)  fo  üiel  ^rage  unb 
Ungetüi^ljeit  —  ha§  mirft,  menn  eiS  nun  eintritt,  auf 
ba§  fo  Vorbereitete  33elt)u^tfein  gang  anbcr^,  trifft 
auf  eine  Diel  t)öt)ere  unb  feinere  (£mpfängtid^!eit  alä 
haß,  tt)a§  o^ne  SSorbereitung  in  gang  anberä  geartete 
Sl^orfteHungörei^en  ^ereinbridjt,  baä  SJemufetfetn  um= 
loirft,  ber  ©eele  eine  Seiftung  an  rafd)er  5(ffomobation 
gumutet,  bie  fie  nid^t  fo  gefdjminb  aufbringen  !ann. 
Sn  gemiffem  «Sinn  unerwartet  fann  ba^,  toaö 
bie  bramatifd^e  |)anbtung  an  einem  beftimmte  ^un!t 
bringt,  bennoc^  fein:  mir  I)abeng  üielleid^t  anberö 
ermartet,  bie  SSirfung  übertrifft  bie  (Srmartung,  tt)tr 
Ijätten  ben  SSunfc^  geJ)abt,  ha^  e§  anber^  ginge  — 
unfer  9Kitgefü^t  mit  bem  tragifc^en  gelben  5.  33. 
^ätte  if)m  Seben  unb  ©ieg  gemünfdit  ftatt  ßebeng* 
gerftörung  unb  Untergang  —  ober  eö  tritt  fogar 
ha§  Gegenteil  be§  (Srmarteten  ein,  ber  ^omöbient)e(b 
g.  93.  erreid^t  burd)  fein  gangeö  angeftrengteS 
SBoUen  "baß  gerabe  Gegenteil  üon  bem,  maä  er 
moüte,  unb  mir  lad^en  über  biefe  (£nttäufd)ung,  mie 
iüir    üom    tragif(^en    Untergang    erfd)üttert    finb. 


—    111    — 

Ober  aud)  finb  tuir  lonflc  in  einem  0en)iffen  &xah 
öcjpannter  Unflotui^Dcit  geblieben,  roaS  n)ot)t  fommen 
tuerbc,  n)ie  bieig  ober  ba^  au^flel)en  werbe  —  unb 
borjilcirf^en.  5(ber  in  all  jo(rf)cn  fällen  njar  bod) 
eine  l£-rlunrtinuv  *^'nc  (Spnnnun(\  bo,  ober  tüir  finb, 
iücnn  aud)  nodj  )o  leifc  unb  onbcutunt]öiucifc  barauf 
I^ingelcnft  iüorben,  bafe  cjJ  bod)  aud)  anbcr^  fommcn 
fönnte,  als  bie  näd)|'te,  cinfadjfte  Griuartung  eg  fid) 
üoröcftcUt  l)ätte  —  roir  Ijaben  gefragt,  ge^n^eifelt, 
gebangt,  gealjnt:  furg,  unfer  ganäcö  öeiouBtfein 
befanb  fid;  in  einem  S^orbereitungöguftanb,  ber  bie 
(i-mpfiingtid)teit  unb  9iea!tionäfä(jigfeit  ert)ö§t  unb 
Verfeinert  i)at,  big  enbtid)  baS  eintritt,  auf  tva^  bod) 
fo  ober  fo  bie  gange  ©eele  gefpannt  mar,  auf  maö 
bie  angeregten  ^^orftellungöreil^en  irgenbmie  f)inge* 
lenft  maren.  ®arin  eben  befte^t  in  biefer  Segiel^ung 
bie  Äunft  be§  mir!lid)en  S)ramati!erg,  bie  freiließ 
nidjt  mo^I  geleiert  unb  faum  gelernt  merben  fann 
—  barin:  bie  ^anblung  fo  gu  füt)ren,  ba^  bie 
©eele  beö  ^^^f'^'^"^^^  ö'^"  ©d)ritt  gu  ©d^ritt,  aud^ 
ot)ne  ha^  eS  i^m  gu  oerftänbig  nüchternem  Semu^t* 
fein  fommt,  burd)  bie  9teit)e  ber  i^m  oorgeftellten 
Slnfd^auungen  unb  bie  bamit  oerbunbenen  ©efü^lä* 
einbrüde  fo  oor*  unb  gubereitet,  fo  allfeitig  pxä' 
paxixt  mirb,  mie  eö  unumgänglich  ift,  menn  jebe 
neueintretenbe  2Sir!ung  auf  bie  öoUe  (Smpfänglicgfeit 
ftofeen  foU,  menn  bie  ©eele  beö  3uf<i)0"^^»  fiel)  Qiicf) 


-      112     — 

bem  fd)etn6ar  —  aber  nur  jc^einbar  —  Unertüarteten 
rafd)  unb  fidler  a!fommobieren  unb  fo  einen  nad)= 
fjaltigen,  tiefgetjenben  (Sinbrud  ert^alten  foß.  3Baö 
nidjt  fo  üorberettet  tft,  uerpufft  tüirfungätoä  ober  cö 
Herfttmmt,  ärgert,  reigt  5um  SSiberfprud),  jur  SSer* 
ftanbe§!ritt!,  \oixtt  [;öd)ften§  patl^ologifd^,  wixH  aber 
aug  bem  9Sert)atten  äftljetijdjer  Eingabe  an  bie  ge* 
botene  5(nfdjauung  ^erauä.  S)a^  finb  XI)at[ac^en, 
mit  benen  einfach  gu  red^nen  ift,  unb  ber  ^ramatifer, 
ber  nid)t  mit  i()nen  redjnen  U)ill  ober  auö  Un* 
fenntni^  ober  Unföt)ig!eit  e§  nid^t  !ann,  t)at  eö  fid) 
felbft  äugufdjreiben,  menn  er  bie  beabfidjtigten 
2Sir!ungen  nidjt  erhielt. 

SD^it  biefen  ^t)otfad)en  ftimmt  aber  auc^  Doü* 
ftönbig  bie  ^orberung  ber  @int;eit  ber  bramatifd^en 
^anbtung.  2)enn  ha§  i[t  baS  ßf)ora!teri[tifd)e  jebeä 
mirfungäöoEen  SOZomentS  unb  ©inbrudä  im  S^erlauf 
ber  bramatifd^en  ^anblung,  ha^  tt)ir  bie  Slnfc^auung 
unb  ©m^finbung  t;aben:  ba§  mu^te  fo  !ommen, 
i>a^  mar  unaugU)eid)Iid),  ta^  ift  bie  notmenbige, 
menn  aud)  üieEeid^t  erft  je^t  fid^  Har  entt)üüenbe 
gotge  aßeö  bi§f)erigen,  ha§  ftetjt  mitten  brin  in  ber 
engen  folgerid^tigen  SSerlettung  üon  Urfadjen  unb 
2Sir!ungen,  a\i§>  ber  allein  eine  bramatifdje  ^anblung 
fid^  fügen  !ann.  SBa§  ot)ne  biefe  eint)eitlic^e  innere 
SSerfettung  unb  SSer!nüpfung  nur  ai§  bunte  9?ei^e 
t)on   Gegebenheiten   unb  Situationen    öor   unö    er* 


—     113    — 

fd)oint,  jcljt  fo,  jctjt  onbcns,  ol)ne  baf^  \v\x  irgcnblDie 
jene  Sfiotiuenbij^teit  jdjQiicn  unb  cmpfinbcn  —  tuad 
ot)nc  83ermitttunfl  unb  ^Borbereitung  auf  bie  93ü^ne 
ßepla^t,  in  unfer  33etuu{3t[cin  Ijcrcingefdineit  lommt, 
baS  mag  im  ©ngelncn  unb  für  ben  ^lugenblirf,  mag 
an  fid)  gan^  ()üb[rfj  ober  tuftig  ober  tntcreffant  fein, 
e§  bilbct  bod)  feine  bramatifc^e  §onbtung  unb  feine 
2Sirfung  in  i()r;  eö  fann  in  feiner  3ufamment)ang!8« 
lofigfeit  für  unfer  ©enju^tfein  auf  bie  2)auer  nid^tö 
bebeuten,  in  bie  Xiefe  unferer  <3eele  nid)t  einbringen. 
2)aö  giebt  im  beften  ^all  —  bei  großer  ®eh)anbtf)eit 
ber  äußeren  ^ed)nif  —  jene  rafd^  üerpuffenben 
©djciniüirfungen,  mit  benen  aUerbing^  im  orbinären 
^l^ilifterluftfpiel  in  ber  unbänbigften  SSeife  f)erum' 
geujirtfd^aftet  tt)irb,  mit  benen  9ftüf)r*  unb  ©peftafel* 
ftüde,  fede  ©enfationöbramen  bie  urteil^tofe  SJ^affe 
üerblüffcn  unb  übertölpeln  —  bei  benen  fid)  aber 
jeber,  ber  fein  üöUiger  ^lod)*  unb  ©d^tüadjfopf  ober 
ftumpffinniger  ^I)iliftermid§el  ift,  f)interbrein  mit 
^änberingen  ober  drgerlid^em  ßad^en  fragt:  ^errgott, 
rt)ie  fonnteft  bu  bic^  bamit  anfd^mieren  laffen  — 
nur  aud^  einen  5(ugenblid! 

@!S  ergiebt  fid)  barauö,  ha'^  bie  alte  gorberung 
fein  Derotteter  ßopf,  fonbern  innerlid^  beredjtigt  unb 
fad)üd)  begrünbet  ift  —  bie  gorberung:  ber3uf(^auer 
foll  Don  t)ornf)erein  mit  bem  2)ramatifer  im  ©e^eimniä 
fein  —  ober:   bie  bramatifdje  §anblung  foß  in  atl 

aSeitbrec^t,   2303  bcutfc^e  Sramo.  8 


—     114     — 

i^ren  «Statten  bem  ß^jcliauer  burc^fic^ttg  unb  üax 
fein,  ntd^t  erft  in  it)ren  enbticl^en  9^efultaten.  9}?ögen 
bie  I)anbelnben  ^erjonen  auf  ber  93ü^ne  nod)  fo  [et)r 
unb  nod)  fo  lang  im  Unflaten,  in  ber  tragifc^en 
SSernjirrung  unb  33er6Ienbung  ober  im  fomifd)en 
2Birrtt)arr  unb  SQiifeüerftänbnig  fid)  befinben,  mag  e§ 
if)nen  nod^  fo  Verborgen  fein,  tt)a§  njerben  foU  unb  n)o 
e§  l^inaug  miK:  berßufdiauer  mu§  öon  üornfierein  an 
jebem  n)id)tigen  ^unft  im  klaren  fein,  eingemeifjt  fein. 
®iefe  ^orberung  gilt  mand)en  mobernen  3)ramatifern, 
namentlid)  ben  unHaren  9fJad)tretern  S6fen§,  al§> 
öeraltet  —  gu  i^rem  eigenen  ©d^aben  —  fie  mirb 
ftd^  aber  fd^on  roieber  burd)fe^en,  Ujenn  man  burd) 
©d^aben  fing  genug  gett)orben  ift.  9^ur  mill  fie 
natürlid)  rec^t  öerftanben  fein.  ®o  ift  fie  ja  nid)t 
gemeint,  ha'^  ber  jDramatüer  bem  ß^f^^i^si^  ^O" 
öorn  ^erein  unb  in  jebem  ^aE  aEe  feine  harten  auf* 
gebedt  geigen  muffe,  ba^  er  i^m  ben  ®ang  ber 
!ünftigen  §anblung  gum  SSorauä  t)aarf(ein  au^ein* 
anberfe|en  muffe  —  etma  in  ber  SBeife  ber  ^rologe 
unb  Snt)att§angaben,  bie  ha§  beutf^e  ^rama  in  feinen 
5lnfängen,  bie  nod)  §an§  ^ad)^  feinen  Dramen  öor= 
au^gefd)idt  ^ai;  ober  fo,  ha^  jebe  ^erfon  i^re  STb* 
ficE)ten  üon  öornf)erein  umftänblid^  unb  au^füt)r(id^ 
in  ®efpräd)en  ober  9J?onotogen  entmidelt,  unb  maä 
bergteic^en  ift.  5tud^  fo  natürlid^  nidjt,  ha'^  jebe 
(Singetmenbung    ber  ^anblung,    jeber   feeüfc^e    ober 


—     115     — 

Qufjcre  isl^orflonfl,  cl)c  er  cintrilt,  Dom  3u|cf)aucr  fd^on 
ganj  üollftänbifl  Uat  norauööctoufjt  hjetbcn  muffe, 
bf.fe  eS  für  if)n  gar  feine  ^i^aöen,  Ungett)iu()eiten, 
fein  gongen  unb  Jöangcn,  feine  ßnjeifet  unb  9^öte 
bem  «Spiel  gegenüber  geben  bürfc.  !Damit  h)äre  ja 
gcrnbe  qUc  Spannung  unb  (Srhjartung  aufget)oben. 
9tur  barum  uielmct)r  Ijonbelt  firf)2i,  ha^  bem  ßu* 
fd^Quer  immer  5ur  redjten  ß^it  ^UeS  bag  gegeben 
ttjerbe,  toaS  er  gerabe  broud^t,  um  bie  |)anblung 
fidler  ju  burct)frf;auen,  ha^  er  ©d^ritt  für  ©d^rttt 
immer  fefter  auf  ha^  geteuft  merbe,  moö  fommen 
mu§  —  unb  ba§  eben  jene  (Smpfängtid^feit  fürä 
^lommenbe  in  i^m  ergeugt  ujerbe,  jene  at)nungät)oIIe 
Dämmerung  ber  @ee(e,  bie  toeife  unb  bod^  nic^t 
iueiB,  t)orauäftef)t  unb  bod)  in  pd^fter  ©pannung 
ift  —  füf)It,  eg  fann  nidEjt  anberö  ge^en,  unb  bod^ 
nod§  einem  ^tu^njeg  fpäfjt  —  alleö  n)erben  fief)t  unb 
bod^  t)ödfj[t  begierig  ift,  njie  unb  toa^?  liefen 
ßuftanb  burd)  bie  SSorbereitung  ber  SSirfungen  beim 
3ufdjauer  tjeröorgurufen,  ha§>  eben  ift  bie  ^unft,  bie 
nur  ber  t^U  S)ramati!er  üerfte{)t.  SBie  menig  aber 
bei  fold^er  ^Bearbeitung  be§  3^f<^^ii^'^^  ^"^  ^^"^ 
meitgefienbe  @inn)eit)ung  bie  ri^tige  bramatifd^e 
SSirfung  auft)ebt,  ift  ja  ganj  flärlid^  fc^on  baran  ju 
fe^en,  ha^  S^ramen,  bie  tt)ir  längft  genau  fennen, 
boburd^  nid)tg  mefenttid^eö  öon  iper  SSirfung  im 
gegenmärtigen  ©piel  einbüßen.    Umgefef)rt  erfd^mert 

8* 


—     116     — 

ftcJ)  5.  93.  Sbfen  bte  bramatifc^e  SBirfung  auf  ben 
3ufcl)auer  fo  oft  baburc^,  ba§  er  t^m  burcf)  bie 
gü^rung  fetner  |)anblung  forttr)ät)renbe  9f?Qtfet  auf* 
giebt,  bte  langfam  unb  f(^n)er  fid)  töfett,  ba^  nur 
eine  gang  gen^attige  unb  feltene  Slunft  beö  ©rf)au* 
fpielerS  eö  bem  ßuff^^uer  möglicJ)  mad^en  !önnte, 
bei  Qeiten  tiax  gu  fet)en  unb  tnS  ©e^etmntö  bet 
^anblung  eingeweiht  5U  merben. 

@in  6efonber§  n)i(i)tigeg  ©tüd  ber  SSorbereitung 
tft  aud^  bie  (Sinfü^rung  ber  ßl^araftere  in  bie 
^anblung.  S)a§  ift  freilid)  ein  Slapitol,  beffen  ©ingel* 
l^eiten  me^r  für  ben  fc^affenben  ©ramatifer  ober  ben 
Dramaturgen  öon  gac^  Sntereffe  ^aben.  @ö  fei 
l^ier  nur  gotgenbeö  bemerÜ.  3e  rafdjer  unb  fieserer 
ein  (5f)arafter  bei  feinem  Eintritt  inö  (Spiet  mefent» 
lid^e  3üge  ^eraug!ef)rt,  menn  au(i)  nur  anbeutungö* 
njeife,  je  einbringlic^er  er  bon  bem  it)n  bet)errfd;enben 
SSoIIen  etn)aö  t)erfpüren  lä^t,  befto  rafd^er  unb  fidlerer 
bemächtigt  er  fid^  beä  bramatifd^en  Sntereffeö.  Unb 
er  erreid)t  bieg  toeit  njeniger  burd)  umftänbtid^eä 
hieben  bon  fid)  unb  feinen  5tbfic§ten  alö  burcE) 
trgenbmeld^e  Äunbgebungen  feiner  SSiEenärid^tung, 
burc^  bielleic^t  geringfügige^  aber  bebeutunggboUeä 
^anbetn,  gumeiten  fogar  burc^  fleine  aber  begeid^nenbe 
5teu^erlid§!eiten.  Unb  ferner:  je  fpäter  ein  (S^arafter 
inö  (Spiet  !ommt,  teibtiaftig  ben  (Sd)aupta|  betritt 
ober  menigftenö  mirfung^boü  in  bie  ^anblung  ein* 


—     117     — 

greift,  befto  notiDcnbigcr  ift  e8,  bofe  irgenbtüic  bic 
^-PI)QntQfic  bcS  3"[f^)Q"<^i^^  ic^)0"  "^*t  i^"^  bcfctjäftigt 
irorbcn  ift,  baf]  fein  (Singreifen  aufö  forgfältigfte 
öorbcrcitet  ift.  @8  fann  ein  St)Qrafter  möglirfier* 
n)eife  crft  in  bcr  .^Tataftropf)e  fo  eigcntlid)  in  Sßirffam* 
teit  treten  unb  bod}  bcm  3ufd)aucr  längft  fo  öcrtraut 
fein,  ha^  biefer  gan^  müt)eloö  unb  fidjer  fein  (iv 
fd)einen  unb  SSirten  fa^t.  Wan  madje  fid)  3.  93. 
einmal  ftor,  ttiic  SSaQenftein,  ber  erft  im  gleiten  5tft 
ber  „^iccolomini"  auftritt,  nid)t  nur  fd^on  im  erften 
9(ft,  fonbern  fd)on  im  „Säger"  aufä  5(nfd)aulid)fte 
unb  iöeftimmtefte  üor  bie  ^^antafte  be^  ß^fc^^QueriS 
geftellt  ift  —  ober  ttiie  Sutter,  ber  erft  im  fünften 
mt  öon  „SSoßenfteing  %oh"  fo  redjt  in  ^fftion  tritt, 
baö  gange  gro^e  2)rama  I^inburd),  gleidjfall^  fd^on 
üom  Sager  f)er,  bem  ^ufc^auer  öertraut  gen}orben 
ift:  unb  man  h)irb  erfennen,  loaö  @infüf)rung  ber 
ß^arahere  ift. 

<So  nötig  tt)ie  bie  ^Vorbereitung  ift  aber  ber 
bramatifd}en  ^anblung  aud)  bie  Steigerung  ber 
9Btr!ungen.  'äud)  biefe  9^ottt)enbigfeit  beruht  ju* 
näd)ft  auf  aßgemeinen  unb  einfachen  pf^djologifd^en 
Xf)atfod^en:  ha^^  pf^d)otogtfc^=äft^etifd)e  ®efe^  ber 
gotge  in  35erbinbung  mit  bem  beä  SSed^felö  tritt 
i)kx  in  Äraft.  folgen  nämlid)  met)rere  Sinbrüde 
aufeinanber  —  unb  bie  bramatifd^e  ^anblung  ift  ja 
|)ft)d}olDgifd^  eine^olge  t)on  ©inbrüden  ober  SSir!ungen 


—     118     — 

auf  ben  ßufdjauer  —  fo  trifft  immer  ber  fotgenbe 
©inbruc!  nid)t  genau  auf  biefelbe  ©mpfänglic^feit, 
trie  ber  öortjergel^enbe.  Seber  (SinbrucE  bebarf  einer 
getüiffen,  Ujenn  aud£)  geitlic^  noc^  fo  furzen  2)auer, 
um  burc^  Einübung  unb  (SJen^öl^nung  ^ur  üollen 
<3tär!e  gu  !ommen,  unb  je  beffer  bie  ©eele  üor* 
bereitet  ift,  befto  leidster  unb  rafd^er  erreicht  er  biefe 
<Stär!e.  Sft  fie  aber  einmal  erreicht,  fo  tritt  eben 
burd^  bie  ®en)öt)nung  unb  ben  errei(J)ten  ®tär!egrab 
eine  geftjiffe  Stbftum^fung,  Sättigung,  ©rmübung  ein 
unb  bamit  ha§>  Sebürfniö  beg  SSec^felä,  ba§'  93e= 
bürfni^  nad)  neuen  anberöartigen  Sinbrüden.  ?5otgen 
nun  n)ir!Iic^  folc^e  —  unb  fie  folgen  ja  in  ber 
bramatif(^en  §anb(ung  mit  ber  S^Jothjenbigfeit  eineö 
ftrengen  ßufammenf^angä  —  fo  trifft  ein  folgenber 
gleid^  ftarfer  ©inbrud  bennoc^  nid)t  mef)r  auf  ha^' 
fetbe  dJla^  oon  ©m^fänglic^feit,  oielme^r  eben  auf 
eine  getoiffe  5lbftumpfung  unb  ©rmübung,  loirft  ba^er 
fd^mäcler  tro|  be§  SBec^fel^  ber  Oualität.  ®er 
folgenbe  ©inbrud  mufe  atfo,  um  nur  aud^  hk 
gleich  ftar!e  Söirfung  gu  tl)un  mie  ber  üort)er« 
gel^enbe,  nid)t  nur  anber^artig  fein  unb  fo  bem 
93ebürfnife  beö  SSed^feliS  entfpred^en  —  er  mufe  biel* 
met)r  an  fid)  au^  ftärfer  fein  alg  ber  öor^ergel^enbe. 
Unb  ber  näd)fte  mieber  unb  fo  fort  big  gum  ©d)lufe 
ber  9teit)e.  @oE  aber  bie  SBir!ung  nidjt  nur  gleich 
ftar!    bleiben    big    ^""^   @d)lu§    fonbern    fic^  fogar 


—     119    — 

noc^  [tcißcrn,  fo  tuirb  jwar  ber  SBed^fel  in  ber 
5Irt  ber  einbrücfe  eine  Qutc  äftljctifrfjc  §ilfc  fein, 
aber  eS  njirb  and)  bic  ©tärfe  ber  nadjfotcjenben 
einbrüdfe  im  5l>crt;ältnif3  ju  bcn  Dorl)cr9et)cnbcn 
eine  fortuinl;renbe,  neue  unb  Ijöljere  ©tei* 
gerunfl  erf orbern  —  eine  lj5t)cre  nod)  alö  bie,  tt)cld)e 
bto|  bie  gleid^mQJjiöe  ©torfe  ber  Qan^en  Sficil^cnfolge 
t)on  Söirtungen  Verbürgen  njürbe.  S)enn  bie  Gintjeit 
ber  bramntijdjcn  ^''onblung  läJ3t  feinen  fold)  bunten 
Sik'd)[el  ber  SBirfungen  gu,  boj?  ber  SBedjfel  aüein 
fdjDu  genügen  njürbe,  ber  anbauernben  (fmpfänglid)* 
feit  aufgut^elfen;  ber  einl^eitlidje  3u[amment)ang  beö 
betjerrfdjenben  2öiIIenöfonfIift§  f)ält  bielme^r  bie  gange 
9ieit)e  ber  SBirfungen  bod^  auf  einer  getniffen  gleid^en 
Sinie,  giebt  it)rer  Oualität  einen  bi§  auf  einen  ge= 
iniffen  ©rab  gleidjförmigen  ®runbd)ara!ter;  überbieg 
n)ürbe  ein  bunter  SSed)fel  üon  unäufammen^ängenben 
93egebenf)eiten  ni(^t  nur  feine  bramatif^e  §anblung 
geben,  Dietmel^r  aud)  an  fid)  nur  gerftreuen  unb 
burd^  ßerftreuung  ermüben  —  ftiie  bieg  ja  bei 
allerlei  @peftafel=  unb  ^TugftattungSftüden  auf  unfern 
93ü^nen  leidjt  gu  beobad^ten  ift.  Sft  aber  eine  gu* 
fantment)ängenbe  ^anblung  ba,  fo  fc^afft  fie  felbft 
haa  Sebürfni§  ber  Steigerung,  benn  bie  gaffungg* 
froft  beg  ßufd^auerg  übt  fic^  öon  Schritt  gu  ©djritt 
beffer  barauf  ein,  bie  ßiifan^^^^^flönge  unb  bie  ©e* 
beutung    ber   eingelnen  Sßirfungen   gu  erfaffen,  unb 


—     120    — 

mit  btefer  ert)ö^ten  Setd§ttg!eit  ber  Stuffaffung  fteigern 
ftd|  bte  ^Tnjprüd^e  an  bie  (Stär!e  unb  Sebeutung  je 
ber  folgenben  9Bir!ung.  @§  Qenügt  alfo  nid)t  ein* 
mot,  bie  ©törfe  ber  ©inbrüiie  f  o  gu  fteigern,  ba^ 
bie  ®efammtlr>ir!ung  in  ber  Speisenfolge  eine  gleid^* 
mäßige  bleibt;  bie  ©tär!e  ber  ©inbrüde  ntu§ 
öielme^r  in  ber  potenzierten  32Seife  gefteigert  toerben, 
bafe  ber  gange  ^ßerlauf  ber  §anblung  eine  fid^ 
immer  meiter  fteigernbe  Söirfung  tl)ut.  ^ie 
5Infprüd)e  besS  3"f^<i^^i^^  )"i"^  ^&^"  unmißfürlic^ 
unb  mit  pfl)(f)oIogif(f)er  S'iotmenbigteit  5.  Ö.  beim 
iöeginn  eineä  britten  5(fteä  gang  anbere,  aU  beim 
S3eginn  beS  erften  ober  gtreiten,  unb  je  mef)x  fie 
bonn  ber  britte  befriebigt  t)at,  befto  f)i)t)er  finb  fie 
für  ben  oierten  unb  fünften  gefteigert  —  gefteigert 
eben  burd^  ben  mirfungSooßen,  eint;eitlic^en  SSerlauf 
ber  ^anblung  felbft. 

(£§  ift  begmegen  bie  leibige  Xt)atfad§e  gor  nid^t 
üermunberlid),  ha'^  fo  öiele  fonft  gute  S)ramen  gegen 
ben  ®c£)Iu^  f)in  abfallen,  auc^  of)ne  ba^  bie  aß* 
gemeine  @d)öpfer!raft  beö  2)ramatiferg,  namentlid^ 
feine  fpegieU  poe  tifd^e  straft  unb  ©eftaUungöfä^igfeit 
nacfigelaffen  fjätte  —  nur  f)at  feine  fpegieÜ  bra* 
matifc^e  Äraft  eben  nict)t  jene  bie  SSirfung  poten* 
gierenbe  @teigerunggfät)ig!eit  befeffen;  fie  ^at  fid^ 
bIo§  auf  gleid^er  ^ö^e  get)atten,  mät)renb  bie  2ln* 
fprüd^e    beg   3"f'^^"^^^   ^"  ^^^  SBirfungen  fidf)  in* 


—     121     — 

bcffcn  flcftcißert  fjoben  —  unb  baS  ßiebt  bo*  öcr* 
IjniißnifU'oflc  aj(ifnievt)n(tni«l  3n  Ul)lQnbg  „^crjog 
@tn[t"  tl)ut  bcr  crftc  9Üt  eine  bramotifclje  ©irtung 
t)on  einer  Stärfe,  bie  an  fidj  nirf)t  all5U9rofj  ift, 
aber  bodj  für  ben  Einfang  gut  Quöreidjen  luiirbe; 
nun  ober  bringen  fQmtIid)e  folgenben  'iiltc  feine 
Steigerung  besi  J)raniQtifdjen  mel^r,  jonbern  eine 
im  ®runb  rein  epijdje  ^anblung  ot)ne  tt)efentlid)e 
SKillcngtonfliftc,  loenn  and)  mit  einer  ^üUe  üon 
ll)ri[d)cr  ^ocfie  in  allerlei  (^3efü()Iös  unb  i'eibenfdjaftS* 
auöbrüdjen  au^geftattct.  Unb  fo  finft  trol3  aüer 
@d;i3nl)eiten  bie  bromotifdje  933irfung  üon  %tt  gu 
§(tt,  um  am  (Snbe  in  einer,  tnenn  aud^  nod)  fo  ebeln 
9f?üt)rung  5U  erlöfdjen  —  mir  fet)en  einen  trefflidjen 
2)idjter ,  einen  unferer  erften  Stjrifer,  aber  einen 
fd)mad)en  j[)ramatifer.  ^ie  meiften  2)ramen  öon 
SBilbenbrud)  Ijaben  mit  ben  ©d^iUerfd^en  einen 
SSorgug  gemein:  ha^  nämtic^  gieic^  ber  erfte  5(ft 
eine  fe^r  ftorfe  SSirfung  tl)ut,  ben  bramatifdjen 
SBiEen^fonflift  energifd^  anfpinnt;  aber  fet)r  §öufig 
mei§  SSitbenbrud)  biefen  fräftigen  Sinfa^  nid)t  in 
ber  SBeife  gu  fteigern,  bo§  bie  SSirfung  ber  fpäteren 
5r!te  galten  mürbe,  maö  ber  erfte  öerfprid^t.  (2d)iüer 
bagegen  meife  in  ber  Siegel  bie  !räftige  SSirtung 
be§  erften  2I!teg  t)on  Slft  gu  5r!t  immer  met)r  gu 
überbieten,  ebenfo  innerbalb  ber  5(fte  bie  SSirfung 
eingelner  unmittelbor   aufeinanberfolgenber  (Scenen; 


—     122     — 

unb  boc^  begegnet  e^  aud)  tl)m  in  ber  „Sungfrau", 
ha^  nad)  bem  gewaltigen  erften  5t!t  bie  2öir!ungen 
fd)n)äc|er  n^erben  unb  ha^  fd)(ie§ticl^  aHeä  eigenttid) 
2)ramatij'c^e  in  bie  rofenfd^immernbe  5lpotI)eoje  be§ 
(Sd^Iad)tentobe§  ber  Jungfrau,  ha^^  ^ei§t  aud)  in 
eine  'äxt  9ftüt)rung  fi^  auftöft.  Wit  ttjeli^er  SSudjt 
©^afef^eare  gu  fteigern  ttjei^,  basS  ift  nic^t  n)o{)( 
irgenbnjo  anberS  beffer  gu  ftubieren  aU  am  „50tac* 
betf)";  aber  audj  it)m  begegnet  gunjeifen  ein  gen}iffeg 
$J?ac|Iaffen  in  ber  grtjeiten  |)älfte  beg  !5)ramag,  [o 
j.  ©.  im  „Suliug  eäfar",  beffen  erfte  §ätfte  fo 
mad^töoU  bie  SSirfungen  fteigert. 

©erabe  bie  gttjeite  ^ölfte  ober  \)a§>  le^te  S)rittel 
eineä  S)ramag  ift  in  biefer  Se^ieljung  immer  ha^ 
®efäl^rlid§fte,  bie  eigentliche  ^robe  für  bie  (Steis= 
gerungg!roft  be^  ®ramati!er§.  9^id)t  nur,  med 
eben  naturgemö^,  je  länger  je  met)r  fid)  bie  Stnf^rüd^e 
an  Straft  ber  3Bir!ung  fteigern  —  ha§  ift  ja  im 
(SJrunbe  auc^  bei  anbern  ^unftmerlen  al§  bei  ben 
bramatifd)en  ber  gaü  —  üielmel^r  nod^  au§  einem 
befonberen  ©runbe,  ber  fpegieß  im  SSefen  beS 
^ramatifdjen  liegt.  2)enn  maö  ift  e§  eigenttid)  im 
legten  ©runbe,  maS  im  SSerlauf  ber  bramatifd^en 
|)anbtung  fidj  fteigern  mu§?  ®odj  nii^tä  anbereS 
al^  bie  Entfaltung  ber  SBiöen^fonflüte  unb  i^rer 
notmenbigen  gotgen.  2)iefe  Entfaltung  unb  @nt* 
midlung   fteigert   fic^  bei  einer  einigermaßen  !räftig 


—     123     — 

QngclcQtcn  .^^onblunQ  biö  an  einen  öetüiffcn  ^untt 
l)in  fü^ufoflcn  Hon  fclbft;  biefcr  ^untt  liegt  ha,  tuo 
bcr  ^Qupttonflift  nirf)t  mctjt  t)bt)et  t)inaufgetrieben 
njcrben  fann,  njo  bie  .^anbtung  „nmtdjxtn"  mufe 
nad)  einem  anbern  '•^^unfte  Ijin  —  bem  ^-jiuntte, 
njeldjer  ben  enbgiltigen  ^fusitrag  ber  Eonflifte  bringen 
foK.  3>on  jenem  §5I)epunft  an  aber  mad^en  eben 
bie  folgen  ber  SBillengUorgonge  fid)  in  üiel  ftörterem 
aWafee  geltenb  als  Höriger;  haS  SBolIen  fetbft  tritt 
t)erl)ältnif3mäBig  mel;r  gurüd  gegenüber  biefen  ^^olgen, 
bie  9}(ädjte  beö  au^er(;alb  beö  (£in5etn)iIIenS  tiegenben 
SBeltüertaufS,  it)re  t)unbertfad^e  9ieaftion  tritt  mef)r 
inä  9f\edjt  —  unb  f  o  mirb  baö  eigentlich  bramatifd)e 
Sntereffe,  ha^  Sntereffe  am  SSiUen,  gerabe  öon  bem 
fünfte  an  meniger  metjr  aufgeregt  unb  öon  felbft 
befricbigt,  mo  anbererfeitä  burdj  bie  t)or{)ergegangenen 
bramatifd)en  3[öir!ungen  bie  ?lnjprüc^e  beä  3"' 
fdjouerö  eine  Steigerung  erfaf)ren  t)aben,  hk  immer 
noc^  nad)  met)r  üerlangt.  Um  tro^bem  uon  ^ier 
big  gum  (Sd)tu§  bie  2Birfungen  immer  noc^  meiter 
5U  fteigern,  bagu  geprt  entlceber  eine  gro§e  SBeig* 
I)eit  in  ber  !ünftlerifd^en  ^ompofition  ber  |)anbtung 
üon  Hnfang  on,  ein  meifeö  SKa^tialten  mit  ben 
SS?ir!ungen,  ütel  ©elbftüerteugnung  be§  ^ramatiferS 
in  5(bbümpfung  üon  öertodenben  früheren  SBirfungen 
gu  ©unften  ber  f:päteren  —  ober  eö  get)ört  bagu 
eben  jene  gemaltige  Straft    beö  groBen  ^ramattferS, 


—     124     — 

aud)  auf  bte  ftärfften  23Str!ungen  nod^  ftörlere  gu 
fe^en,  eine  Äraft,  bie  mit  bem  2Ser!e  iräd^ft,  im 
9an5en  SSerlouf  ber  ^anblung  an  jeber  neuen  unb 
I)öljeren  Sfufgabe  [id^  fetbft  fteigert,  fic^  frifd)cr  unb 
tjö^er  entfaltet.  3n  biefer  Äraft  eben  geigt  fic§  bie 
angeborene  ^Jenialitat  beS  ^ramatiferS,  unb  njenn 
fie  notf)  mit  jener  !ünft(erifd^en  SBeigt)eit  fid^  ber« 
binbet,  bonn  merben  i^r  bie  t)öd)ften  Seiftungen 
gelingen,  ©djiller  ^at  fid)  gerabe  in  biefer  58e* 
giet)ung  mit  feinem  ©rftling,  mit  ben  „9?äubern", 
fofort  al^  ben  geborenen  ^ramotüer  auögemiefen, 
ber  oud)  bie  ftärfften  SBirfungen  ber  brei  erften 
'ätU  im  vierten  unb  fünften  nod;  gu  überbieten  meiß, 
fo  bo^  h\§  5um  @ct)(u^  in  nic^tg  SSefentlicEjem  ein 
9'?ad)(affen  eintritt;  unb  in  ben  meiften feiner  StragiJbicn 
bleibt  er  fid)  ^ierin  getreu.  S)a§  bie  „Sungfrau"  fo 
übel  nadjlöBt,  ba§  ^ängt  ^auptfäc^lid)  an  ber  2lrt,  tt)ie 
in  ber  gmeiten  §älfte  be§  2)rama§  ber  ftrenge  ^u- 
fammen^ang  ber  3SiIlen§0orgänge  unb  i^rer  folgen 
immer  mel)r  burd)  SSunber  unb  ßuföEe  burd)li3c^ert 
tt)irb.  ©ang  gettjoltig  fteigert  @l)ofefpeare  im  üierten 
unb  fünften  5lft  beö  „SD^acbet^",  mo  bie  bergn^eifelte 
SBißenöfraft  a)?acbett)g.  in§  iBlut  l)ineintt)atenb  big 
über  bie  Änöc^el  unb  aEen  @nttäufd)ungen  Zxo^ 
bietenb,  felbft  noc^  aU  Sirnamömolb  auf  5)unfinan 
anrüdt  —  fic^  n)et)rt  gegen  ha§  bod)  unaufljaltfame 
innere  3erbred)en,  big  rafc^  ha^  Oöllige  @nbe  fommt. 


—     125     — 

UebrißcnS  iftl)icr  boc^  nod)  Sinc«^  3U  bcmcrten: 
bicmit9{ed)t  nnb  naturöcmQf5firf)  ftei(jernben5(nfprüd)e 
bc8  3"f^ö"er8  njerben  juweiten  and)  gar  5U 
anfprudjöüoll  —  nomcntlid;  in  ßeiten,  lüo  burd)  grelle 
(Sffcftl)afd;ercicn  bcr  33üt)ne,  burd)  raffiniertet  lieber- 
ftcic^ern  unb  Ueberluür^cn  ber  (gebotenen  SBirfungen 
ber  ©aumcn  beö  ^^ublitumö  überreiät  ift  unb  hai 
einfadjc  unb  9flaturgemä§e  nid)t  met)r  !often  mag, 
feine  3(nfprüc^e  öielmel)r  auf§  Unerl)ürte  unb  lieber« 
ftarfe  fpannt.  ßinfad)  naturgeniäf]  aber  ift,  ha^  aud} 
bie  ftär!ften  bramatifdjen  2Sirfungen  gegen  ben  ©d)tu^ 
eineä  ^romaö  Ijin  fid)  einigermaßen  abbämpfen,  einer 
geroiffen  Serut^igung  entgegengeljen  muffen.  @^  ift 
Ütnftlerifd)  t)er!el;rt,  biö  gum  testen  @d)tuß  unauägefe^t 
bie  §e^peitfd)e  ber  ftärfften  @ffe!te  über  ben  köpfen 
ber  ßiifi^^iu^i^  !nallen  ju  toffen,  um  fie  am  (Snbe 
in  einer  quatöotten  3tufregung  gu  enttaffen,  bie  ha^ 
^eftl)etifd;e  ing  ^at£)o(ogifd)e  ummirft.  Srgenb  ein 
atlmä]^lid)e§  5lbfinfen  unb  5luä!lingen  ber  2Bir!ung 
tt)irb  ein  naturgemäßer  ©djluß  immer  mit  fic^  bringen 
—  unb  eg  ift  fein  guteö  ßeid^en  für  ein  ^ublifum, 
toenn  e^  l)ierfür  !eine  äftt^etifc^e  SBürbigung  md)x  f}at. 

'äud)  im  SSerlauf  ber  §anbtung  merben  immer 
tion  ßeit  5U  3eit  \^^  naturgemäß  ©teilen  ergeben, 
mo  eine  gen)iffe  Seruljigung  einteten  muß,  eine 
llnterbred)ung  ftärferer  Sßirfungen  burd)  minber  ftarfe, 
bie  eine  (£rl)olung  unb  ©rfrifd^ung  gulaffen;  l^ier  mag 


—     126     — 

gelegentlidjes  epifobifd^eg  5lu§füf)ren  bon  9^e6en* 
lt)tr!ungen  gute  SDicnfte  tt)un,  toenn  nur  bie  ^aupU 
{)anblung  in  energifc^er,  nirf)t  nad^taffenber  (Steigerung 
i^ren  bramati[df)en  <Sd)ritt  gef)t.  Unb  luie  gefagt: 
fd^on  ber  SBed^fel  in  ber  ^Trt  ber  3Bir!ungen,  ein 
getniffer  Steid^tum  ber  9}?annigfattig!eit  in  ben  öer* 
fcE)icbenen  Xeilftüden  ber  ^anblung  ift  eine  n)id^tige 
Q[tJ)etifd^e  §ilfe  für  bie  (Steigerung  ber  ®ejamtn)ir!ung ; 
I)ier  fann  unter  Umftänben  gerabe  ber  Ort§*  unb 
ßeittned^fel  gegenüber  einer  :pebanti[d^en  ©inl^eit  bon 
Ort  unb  3eit  ber  (Steigerung  ber  923ir!ung  gugute 
fommejt. 

Snblid)  bebingt  bie  @inl)eit  ber  §anbtung  — 
Qu^er  ber  ^orberung  ber  SSorbereitung  unb  Steigerung 
—  aud)  nod)  bie  S'lotnjenbigfeit  eine§  bijlligen 
5lbf dE)Iuffeg.  ®a§  ift  eigentlich  eine  Selbftberftänblicf)* 
!eit,  unb  bod^  mirb  I)iegegen  ungäfjtigemate  berfto^en  — 
fei'g  au§  ÜJJangel  an  93efät)igung,  fei'g  auä  jener 
SBtEfür,  njelc^e  n)efentlidf)e  bramatifd^e  ©efe^e  al§  alten 
Qopi  gtoubt  bef)anbetn  gu  bürfen;  oft  ift  autf)  beibeS 
beifammen.  5lbfcf)tu§  —  ha§  t)ei§t:  innerer  5lbfd^lu^! 
©inen  äußeren  5lbfc^luJB  finbet  ja  gottlob  aud^  ba§ 
erbärmlitfifte  ®rama:  man  barf  nur  ben  SSorf)ang 
nod^  bem  testen  2lft  fallen  laffen,  fo  ift'ö  ja  gefd^e^en. 
Stber  bantit  ift  in  fet)r  bieten  gäüen  ha§  SDrama,  ha§ 
l^ei^t  bie  bramatifd^e  §anbtung,  nid^t  au§.  SSon 
(Subermanng  Dramen  g.  S.  t)aben  aud^  anbere  fdf)on 


—     127     — 

h)ieberf)oIt  flcfaflt:  fic  fünnten  ruljig  Don  üorne  an» 
fanQcn,  [omic  bcr  tc|}tc  iöor()ang  gcfaUcn  ift.  (58  i[t 
üieUcidjt  einer  tot  tuie  ber  alte  DDcrft  in  ber  „^eimat ", 
c8  Qcljt  einer  übcrS  ST^eer  wie  in  ber  „@^re",  c8  ift 
einem  2?3cibcr()clbcn  fein  Opfer  für  je^t  entzogen  n)ie 
im  „&{M  im  äBinfel"  —  aber  bie  cigcnt(id)en  ^onflifte 
finb  nidjt  auiSgetragen  fonbern  befteljen  ruijig  meiter. 
2)er  Äonfüft  ber  (£()re  ä^uifcljen  S^orberfiauö  unb  |)inter' 
^au8  ift  bamit  nic^t  erlebigt,  baf]  ®raf  Xraft  über 
bie  ©t)re  feid)teö  Qquq  fd^ma^t  unb  ben  greunb,  ber 
in  ^onftiften  ber  (£t;re  ift,  au§  ber  ganzen  SSelt  mit 
fortnimmt,  in  ber  man  nadj  ber  3)?einung  ber  i)o]^en 
g-inang  nod)  fo  bumm  ift,  fid)  burd)  ^onfüfte  ber 
@t)re  I)ei^  modjen  gu  laffen;  ber  ^onflüt  gmeier  et^ifd)er 
SSeltanfc^auungen  in  ber  „§eimat"  (oorauSgefe^t, 
bafe  fie  biefen"9^amen  übert)aupt  oerbienen)  ift  bamit 
nic^t  auggetragen,  ha'^  ein  alter  STpopIeftifer  im  3orn 
über  feine  XodjUx  ftirbt  unb  biefe  benfelben  2Seg 
meiter  get)t,  ben  fie  bi§f)er  gegangen  ift;  ha§  ®Iüd 
im  SSinfet  ift  genau  fo  murmftid)ig  in  bem  Stugen* 
blirf,  ha  ber  ebte  oftelbifd^e  Sun!er  unb  Uebermenfd^ 
begoffen  abgiet^t,  n)ie  eg  mar,  alg  ba^  <Stüd  begonn 
unb  bie  „btonbe  ißeftie"  im  ^Tn^ug  Ujar.  Unb  fo 
tneiter,  aud^  ber  „Sof)anneg"  !önnte  mieber  bon  öorn 
anfangen,  menn  man  bem  Käufer  feinen  ^opf  mieber 
auffegen  fönnte  —  er  märe  berfelbe  !§aIttofe  3Birr= 
fo:pf  mie  oort)er  unb  bie  §erobeäIeute  blieben  biefetbe 


—     128     — 

berliner  Äommer^ienratäfomilie,  bie  fie  lüaren. 
(Subermann  bringt  eö  burd^  glüdlid^e  ©ttffe  unb 
tedE)nifcf)e  Wittd  guftanbe,  ha'^  an  früheren  ©teilen 
feiner  Dramen  bie  Ä^onftüte  [i6)  oft  äu^ertic^  frf^arf 
pfpi^en  —  aber  am  ©d^Iufe  !ommt  aßemal  njieber 
feine  bramotifd^e  D()nmarf)t  gutage,  feine  Unfät)ig!eit, 
einen  bebeutenben  £eben§!onfli!t  fo  gu  filteren  unb  gu 
Vertiefen,  ha'^  er  gum  enbgittigen^tuätrag  fommen  mu§, 
Srgenb  ein  ungelöfter  JKeft,  eine  ^rage,  ein 
9?ätfel  bleibt  ja  t^atfäd^Iid;  in  allen  Slonflüten  be^ 
9}cenf(^enbafeinä  unb  fc^Iie^Iid)  aud;  in  if)rer  ®e« 
ftattung  gum  bramatifd)en  ©piel.  9^od^  fein  S)id)ter, 
oud^  ber  größte  nid^t,  f)at  ha§  Ie|te  SSort  beö  :2ebenSs 
rötfete  gefproc^en,  oEe  fragen  au§  bem  SBeg  geräumt. 
S(ud)  Äonflüte,  bie  in  (Sinem  beftimmten  gall  auä^ 
getragen  finb,  fönnen  fid)  unter  anberen  35ebingungen, 
an  anbern  (St)ara!teren  in  neuen  formen  unb  SSer* 
^öltniffen  h)ibert)oten.  S)a§  ift  ja  !(ar:  e^  giebt 
fiebenäprobteme,  bie  immer  neu  ha  finb  unb  nie 
Döllig  5um  Huätrag  !ommen.  Sn  biefem  @inn 
giebt^  freitid^  !aum  für  ein  tiefer  ge^enbeä  ®rama 
einen  enbgiUigen  3(bfd^tufe;  ja  ba^  gett)iffe  ^onftüte 
unb  Probleme  immer  neu  finb,  fd)einbar  getöft  \>ö<i) 
immer  lieber  aufgenommen  unb  burd^gefoc^ten  UJerben 
muffen  —  gerabe  biefer  Umftanb  giebt  fo  üielen 
großen  Dramen  i^re  unatternbe  Sugenb.  5Xber 
gerabe  in  if)nen  ift  ber  ^onflüt^faH,    ber  beftimmte 


—     129     — 

©tnjetfaU,  bcr  bcn  an  ficf)  nie  ^an^  5U  erfc^öpfenben 
©tojf  jur  bramatifdjcn  ^anblung  orQanifiert  i)at  — 
bet  ift  Dollftnnbiji  auiiJgetraöen  unb  Qd'6\t,  ber  !ann 
nid)t  fofort  tüieber  t>on  üorne  anfangen,  ber  gel^t 
ot)nc  9Je[t  auf.  5)cr  Slonftüt  in  (3cf)inerä  „9läubern", 
ber  Äonftitt  beö  !raftüolIen  ©injctnen  mit  einer  if)n 
Dcrgeiuattigenben  äußeren  Drbnung,  fcf)rt  immer 
hjieber,  im  Seben  unb  im  jDramo  —  aber  für  ben 
%all  beS  Äart  SKoor  ift  er  üöüig  unb  nad^  aßen 
©eitert  ^in  abgefd^toffen  mit  bem  @d)tu§mort  ^arl^. 
2)er  Äonflift  ber  „fiuife  9J?iIIerin"  fann  immer 
töieberfef)ren,  mo  Verrottete  ftaatticfie  unb  gefeöfc^aft* 
lid^e  3uftänbe  nur  bem  §allun!en  feine  5trt  t)on 
®tüd£  gemä()ren,  nid)t  aber  bem  Steinen  —  für 
^erbinanb  unb  Suife  aber  gtebtg  nic^t^  meiter  öon 
bem  5Iugenb(id  an,  ba  er  \x6)  ()iebur(^  bered^ttgt 
glaubt,  fein  ®ef(f)öpf  gu  gerftören.  SlII  bie  kämpfe 
um  §errfd)aft  unb  ^reit)eit,  bte  @c^ttlerö  f)iftorifc^en 
SDramen  bie  Äonftüte  geben,  fte  töerben  metter« 
ge{äm))ft,  fo  lange  bie  Söettgefd^id^te  bauert  —  aber 
bie  ^onftifte  SSaßenfteinö,  ber  SD^aria  (Stuart,  be§ 
^errfd^erl)aufe§  üon  SOZeffina  u.  f.  m.  finb  enbgilttg 
ettebigt,  unb  gtoar  ntd^t  ettra  blo^  baburc^,  ba§  bie 
gelben  tot  finb,  t)ietmef)r  baburdEi,  ha^  fie  innertid^ 
mit  tf)ren  SebenöJonftüten  fertig  finb,  bafe  bie  ^anb« 
lung  mirüic^  unb  mal^rfjaftig  gu  @nbe  ift,  bie  auö 
i^ren   Äonftüten    ^erüorging.     Unb    mie   grünbtid^ 

SB  e  i  1 6  r  e  (( t ,  Hai  beutfd^e  2)rama.  Q 


—     130     — 

macf)!  @t)a!efpeare  gerabe  in  feinen  unöergängliddften 
Dramen  teinen  ^ifd^  —  jelbft  "oa,  loo  eö  fid),  ioie 
5.  33.  in  „diomeo  unb  Sutie",  um  ein  Problem 
^anbelt,  \>a^  in  Seben  unb  ®id)tung  jeben  ^ag 
ioieberfetirt !  2Kie  üöHig  bringt  ©riöparger  am  @(i)lu§ 
ber  „äJJebea"  ben  gangen  langen  Äonflüt  um  bag 
„golbene  SS(ie§"  gur  ©rtebigung,  obtt)ot)t  SKebea 
lebenb  öon  Safon  fdieibet,  obn^ol^I  ber  ^tud^  be^ 
©otbeg  unb  ber  9Kacf)t  mit  ber  S^iücfgabe  beö  golbenen 
$8tie§e§  an  ben  buntten  ®ott  nid)t  für  immer  ertifc^t, 
fonbern  im  SfJibelungenring  unb  in  ben  allermobernften 
formen  ber  neueften  ©egenmart  rt)ieber!et)rt.  5lm 
@tf)Iu^  öon  ©oet^eg  „Spfjigenie"  gef)en  bie  üon 
Xaurig  ©d^eibenben  einer  ßuJunft  entgegen,  bie 
möglic^ertreife  für  fie  nod)  allerlei  Ä^onftüte  bergen 
mag  —  aber  ber  Slonflüt,  ber  bie  §anbtung  beg 
$)rama§  gab,  ift  mit  ber  (£ntfüt)nung  beä  Dreft,  ber 
SSerfö^nung  SptjigenienS  mit  ber  ®ottt)eit  unb 
ben  SKenfd^en  aufgetragen  unb  gelöft,  ot)ne  bafe 
^ierin  irgenb  ein  Äeim  gu  neuen  Äonfliften  läge. 
Sn  Sefftngg  „(Smilia  ©atotti"  bleibt  am  «Sc^Iu^  ein 
gett)iffer  9?eft,  meit  mir  nur  müt)felig,  reflejionö* 
mä^ig  überrebet  merben,  ha^  eg  fo  au!§get)en  !onnte, 
aber  nic^t  überzeugt  finb,  ha^  eg  fo  enben  mu^te^ 
bagegen  ift  ber  !omifc^e  ^onflüt  in  „ä)?inna  üon 
93arnt)elm"  fo  üöllig  ertebigt,  mie  ber  in  ^(eift^ 
„^erbrochenem    Ärug."     Unb   fo   fort!     ©erabe    bie 


—     131     — 

Otogen  2)rQmQtitcr  ^jflcflen  ben  3"fd)Q"cr  nid)t 
mit  einem  .^crt  uon  ^^^Qöcn  unb  3^cifeln  ^u  ent« 
laffcii,  fic  geben  mit  bem  ?(bfd)lufe  it)rer  bramatifrficn 
^Qnblunfl  eine  üöKii]  öenügenbe  ?(nttt)ort  auf  a\i 
bie  ^^rai^en,  bie  bie)c  4">onbIun(^,  eben  biefe  oufQeregt 
i)at.  (Sie  njiffen  JuoI)(,  bo^  eö  eben  im  SBefen  bet 
bramatifdjen  ^onblung  al8  einer  gefdjioffenen  orga* 
nifd^en  (£inl)eit  liegt,  abgufdjliefjen  —  nid^t  Uo^ 
äufeerlid),  fonbern  aud)  inner(id)  —  fo  abgufd^Iie^en, 
ba^  eben  ha§  unb  genau  baö  unb  unter  jebem 
©efid^töpunft  boö  erlebigt  ift,  wa^  eine  bramatifd)e 
^anblung  überljauipt  ermögtid)t  t)at,  if)ren  mefent* 
lid^en  3nt)a(t  gebilbet  ^at 

2)affelbe  forbert  übrigen^  aud)  ber  ß^tjaralter 
be!§  2)ramaS  a(^  eine^  ©pielg.  @in  (Bp'id,  meld^er 
9(rt  e§  immer  fei,  ^at  feinen  beftimmten  Stnfang 
unb  fein  ebenfo  beftimmteö  @nbe;  ein  ©piel  öu^erlid) 
auft)ören  gu  taffen,  mätjrenb  eö  feinen  inneren  S3e* 
bingungen  nad^  nod^  nid^t  erlebigt  ift,  mir!t  auf 
jeben,  ber  über|aupt  ein  mirütc^eg  Sntereffe  baran 
nimmt,  nur  üerftimmenb.  ®aö  ift  auc§  eine  jener 
gang  gemeinen  pft)c^oIogifd)en  X^atfad^en,  bie  beö« 
megen  nid^t  aufpren,  mirfenbe  Sl£)atfad^en  gu  fein, 
med  fie  fo  gemein  auöfe^en  unb  ttjeil  eg  manchen 
fieuten  beliebt,  fie  gu  ignorieren  ober  für  äft^^etifd^ 
gleidjgiltig  gu  t)alten.  Sebe§  ©piel  aber,  baS 
mirKid^  auggefpielt  ift  unb  irgenb  ö)elc|em  Sntereffe 


—    132     — 

©enüge  getetftet  ^at,  ift  bamtt  aurf)  tt)tr!(ic|  unb  aH* 
fettig  erlebtgt.  ®a§  näd}fte  Be[te  ^artenfptet  ift  mit 
bem  legten  @tic^  ein  für  allemal  gu  @nbe,  fotüie  e§ 
richtig  gefpielt  toar;  e§  liegt  at§  eine  in  fid^  ah 
gefc^toffene  (£inl)eit  t)om  erften  hiS  gum  testen  @tic^ 
öor,  unb  eg  mu^te  fo  au§ge!^en,  menn  leine  gelter 
gemad^t  mürben,  ©in  @c^ad|fpiel  ift  nid^t  gu  ®nbe, 
et)e  ber  Äönig  mat  ift;  bann  a6er  ift'§  aud^  abfotut 
erlebigt  mit  allen  feinen  ^onflüten  unb  letjrt  fo  nie 
mieber,  au^er  in  Uo§>  med^anifd)er  S'lad^atimung. 
S5orau§fe^ung  ift  au^  ^ier,  bo^  meiftert)aft  ober 
nur  menigften^  tid)tig,  ot)ne  eigenttirf)e  ^e^ter  ge* 
fpielt  mürbe.  Unb  baffelbe  gilt  öon  l^ö^eren,  rein 
äft^etifct)en  5trten  be§  ©|)iele§,  gilt  bom  pd)ften 
@piel,  Dom  bramatifd^en.  Sft  e§  nic^t  eint)eittid^ 
unb  enbgiltig  in  fic^  abgefd^toffen,  ertebigt  o'^ne 
meitere  ^^ragen  unb  SSerftimmungen,  fo  finb  eben 
geiler  gemad^t  morben,  bießeitfit  fc£)on  am  9tnfang 
beö  ©pieleö,  in  feiner  gangen  Stntage  unb  ^ül^rung 
—  ober  eg  ift  !ein  SD'Jeifter  über  bem  ©^iet  gefeffen, 
fonbern  ein,  menn  audf)  öieKeid^t  birtuofer,  ^fufd^er. 
Unb  fo  bleibt  e§  autf)  unter  biefem  ®efid§tgpun!t 
babet  —  tro^  aller  9^euerung6fud§t  berer,  bie'iS 
bielleid^t  nur  eben  nid^t  beffer  lönnen  unb  aug  i^rer 
ÄönnenSnot  eine  ttieoretifd^e  ^ugenb  mad^en  —  eg 
bleibt  babei,  ha^  e§  !eine  miHfürlic^e  fonbern  eine 
im  SBefen    be§  S)ramag    begrünbete   gorberung   ift, 


—     133     — 

luenn  tuir  einen  übUigen  ?tu)8traö  unb  enbQiltigen 
?r6fdjtuf3  forbern,  iüenn  \üix  unS  üom  S)rQmQtiter 
nirfjt  mit  333erf)feln  auf  eine  unQenjiffe  3"f""ft  Q^)» 
finbcn  loffcn  [onbetn  Monte  boore  3at)Iung  öet* 
langen. 

?fne  tueiteren  3lnforberungen,  bie  feit  5friftoteIei8 
bis  l^cute  an  bie*  bramatifd)e  |)anblung  gefteüt 
UJorben  finb,  erlebigen  fidf)  im  ®runbe  öon  felbft, 
fobatb  man  ficE)  nur  über  ha^  SSefen  ber  ©ad^e 
ilax  ift.  darunter  ift  aud)  bie  ^orberung  ber 
3^'al)rfrf)eintid)feit  ober,  njie  man  Jjeute  anfprudjgs 
Uoßer  fagt,  ber  3Sa^rl)eit.  Sn  geh)iffem  ©inn  ift 
bog  eine  ^^orberung,  bie  öon  jeber  ^anblung,  au^ 
Don  ber  epifd^en  gilt  —  unb  im  übrigen  !ommt 
eiS  aud^  f)ter  mieber  einmal  gang  barauf  an,  maö 
man  unter  berartigen  5(uäbrüden  üerfte^t.  3[öaf)rs 
fdjeintid^feit  in  bem  @inn,  ha^  ber  ßiiff^^uer  gu* 
giebt,  fo  dwaS  fijnne  einmal  im  Seben  üorge^en: 
\)a§  toäre  einer  bramatifd^en  §anblung  gegenüber 
nod^  eine  fe^r  befd^eibene  gorberung.  ffle'm,  toenn 
bie  bramatifd)e  §anblung  toirHid^  jene  innere  ©nt)eit 
Don  Urfod^en  unb  3Bir!ungen  aufmetft,  bie  il)r  aüein 
bcn  ^nfprud^  giebt,  bramotifd^e  §anblung  gu  ^ei^en, 
fo  ift  ber  3ufcE)auer  für  ben  gegebenen,  beftimmt 
umgrenzten  unb  in  fid^  abgefd^Ioffenen  gaE  un* 
bcbingt  überzeugt,  t)a^  fann  nid^t  nur  einmal  fo 
fein  —  ha^    ift   fo,    mufe   fo    fein,   mirb  immer  fo 


134 


fein,  fo6atb  berarttge  Urfad^en  unb  2ötr!ungen  auf* 
treten,  ha§  njirb  fic^  unter  ben  gtetc£)en  ©ebtngungen 
im  Seben  immer  mieber^olen,  tft  eben  begn)egen  (ebenö* 
ma^r,  obnjoC)!  eiS  nur  ein  ©piel  ift.  SDiefe  2Sa!^r= 
fc^eintic[)!eit  f)at  eine  mirHid^  bramatifd^e  ^anbtung 
fogar  in  ben  ferfften  unb  auggetaffenften  ©rgeug* 
niffen  ber  Slomöbienp^antafie,  bie  üoni  n)irHid§en 
Seben  meit  obgutiegen  fd^einen,  fomie  nur  ber  ^Dic^ter 
bie  ^f)antafte  be§  3"ff|ouer§  fo  gu  ten!en  öerftef)t, 
ba§  er  bie  SSorauöfe^ungen,  unb  feien  fie  noci^  fo 
närrifc^,  einmal  o^ne  meitere  Stefiejion  t)innimmt. 
9^ur  ha^  fotd^e  ^omöbien  eben  nid^taHgu  bie!  gefät 
finb!  @^a!efpeareg  „taufmann  öon  SSenebig" 
§.  33.  ift  eine  fold^e,  menn  man  ha^  ®rama 
närrifd^  genug  fafet  —  ift  eg  nid^t,  menn  man 
burd)  faIfcE)e  5(uffaffung  eine  fd^iefgetretene  Xragöbie 
barauä  mad^t. 

®amit  t)aben  mir  aud§  gteid^  ba«S  SBat)re  an 
ber  bramatifd)en  SBa'^r^eit,  Don  ber  in  ber  mobernen 
Siteratur  fo  üiet  unb  fo  unnötig  gerebet  unb 
beüamiert  mirb.  S^ic^t  barin  befte^t  fie,  ha^  ha^ 
mirüid^e  Seben,  mie  e§  fid^  in  feiner  gangen  ^tll* 
tägtic^teit  öor  unfern  ?(ugen  öoUgietit,  auf  hk 
Sül^ne  gebracht  mirb  —  mit  aü  feinen  ßwf^'ttig* 
feiten,  mit  jebem  §um  unb  SJ^um  unb  ^o  unb  §a, 
mit  jebem  9f?ütpfer  unb  jeber  ®emeinf)eit,  mit  jebem 
glud^  unb  jeber  ßote,  mit  jebem  (SJät)nen  unb  jeber 


—     135     — 

fianflnjcitcrci,  mit  jebem  ©pitatöcrud)  unb  jcber 
(5ofoIIfd)Qftticl)cn  W\\^xc  —  mit  all  ben  Gtenbiß' 
leiten  unb  3Jicl)tiflfeiten,  ol)nc  bie  eine  ^q'ü  lang 
fein  „fon[cquenter"  9(nljänger  ber  mobernen  3Ba^r* 
I)eitöQ[tt)etit  glaubte  auSfommen  gu  !5nnen.  'Sfl'id^t 
barin  be[tet)t  bie  SSat)rIjeit  im  2)rama :  im  ©egenteit 
Ijat  gerabe  ber  9Bat)n,  bie  bramatifd)e  |)anblung 
muffe  ein  <StüdE  Sßirflid^feit  in  aüer  ®rö6e  unb 
3ufäIIig!eit  inö  ©piet  ber  93üt)ne  umfe^en  —  fei 
biefe  333irHid)feit  gegenmärtige  ober  Ijiftorifcl^e  SBir!* 
lidjfeit  —  gerabe  biefer  SBa^n  f)at  immer,  Xüo  er 
aud^  auftrat,  jene  ^Dramen  nerfc^ulbet,  bei  benen 
ber  3uf^<iuer  etnja  ben  (Sinbrud  t)at:  ja,  haS  tann 
fid^  ja  im  angenommenen  %aU  in  3Bir!(id^feit  fo  gu* 
tragen  ober  zugetragen  t)aben,  aber  ein  anbermal 
fönnte  eä  auc^  anberö  fein  —  ba§  geprt  gar  nid^t 
nottt)enbig  gum  Sn^alt  be^  Seben^,  ha§  ift  eine 
lüißÜirlid^  t)erau§gegriffene,  nur  öon  ber  Oberfläd^e 
loggetijfte  @eite  beg  S)afeing,  ha^  ftnb  aber  nid^t 
feine  notn^enbigen  bteibenben  ß^^ff^^^^^^^P^Ö^  — 
bergleid^en  fommt  ja  öor,  ha§  njiffen  tt)ir  löngft  — 
aber  nidjtä  miffen  tüir  bamit,  nid^t^  fe^en  mir  öom 
eigentlid)en  @inn  be§  Seben^,  öon  feinen  tieferen 
CueHgängen  unb  Sebenöabern,  öon  bem,  maö  im 
®runbe  immer  fo  ift  unb  fein  mu^! 

SSielme^r  barin  befielet  bie  bramatifc£)e  SBa]^rf)eit, 
ha^  ung  gu  anfdjaulidjem  ©piel  geftaltet  mirb,  maS 


—     136     — 

t)tnter  ber  äufällig  »edifelnben  Oberftädje  qI§  lüefent* 
lid^er  ®e()alt  unb  treibenbe  Äraft  ber  SebenSöor? 
gänge  toirft;  ha  ift  2öal)r^eit,  h)o  totr  im  <Bp\d  an* 
fdiauen,  ba^  unb  n)ie  unb  warum  baö  alleg  fo  ge{)en 
mu§,  n)a§  un§  im  n)ir!Iic^en  Seben  nur  olö  brutale 
X^atfad^e  entgegentritt  ober  Ujirr  unb  unüar  burc^* 
einanberfd£)mirrt;  barin  befte^t  bie  SBal^rfieit,  bal^ 
tDxx  im  gegebenen,  in  ficf)  abgejd)toffenen  gaÜ,  unb 
fei  er  nod^  fo  befc^ränÜ  unb  eng  umgrengt  —  ha^ 
njir  in  i^m  boc^  bog  fel)en,  »aiS  au^  über  biefen 
einzelnen  ^aK  t)inaug  gilt,  maö  immer  im  Seben 
gilt,  fottjie  bie  entfpre(i)enben  93ebingungen  eintreten, 
toa^  mä)t  nur  einmal  ift  unb  fo  fein  fann,  fonbern 
mag  nad^  ben  inneren  ©efe^en  beö  ^Dafeinö  an5eit 
fein  mu^,  fo  fein  mufe,  mie  q§>  in  bem  gegebenen 
%aU  fiel)  aliS  notmenbig  barfteHt  in  feiner  befonberen 
SSerfd)lingung  öon  Urfad^en  unb  2öir!ungen.  9^irf)t 
ber  S^^aU  ift  bie  2Sal^rl)eit  fonbern  ha§  ®efe^, 
nid^t  bie  öereingelte  SöiCengäujgerung  fonbern  ber 
bel^errfd£)enbe  SebenämiEe,  nid)t  bie  öu^ere  S5egeben* 
l^eit  fonbern  if)re  innnere  Sf^otmenbigteit,  nid^t  ha^^ 
Äoftüm  fonbern  ber  3J?enfd^,  nid^t  bie  ^ranftjeitö? 
erfd^einung  fonbern  haß  Seben,  nitf)t  bag  @ied£)en= 
!^au!§  fonbern  ber  Xob.  5lber  nid^t  etma  miffen  unb 
ben!en  moßen  mir  biefe  SBal)r§eit  alö  ß^f^^^uer 
beiS  bramatifd^en  ©pielä,  fonbern  unmittelbar  an= 
fd^auen,  im  2;iefften    fül)len    ober  bod^  fidler  at)nen 


—     137     — 

njoöen  roh  fic  in  einem  gan^  bcfti.nmtcn  abflcrunbeten 
einäcIfoU  —  bcn  ober  [o  jur  bramatifrfjcn  .f)anb(unfl 
5U  nt'ftnUcn  unb  in<s  ©picl  511  fetten,  baf^  lüir  jene 
3[Bal)tl)cit  oljnc  lanQe  ilicflci-ion  fcljnucn  unb  empfinben: 
bo«  ift  bie  ^difgobc  be«  SDramatiterö,  unb  wer  fie 
nid)t  töfcn  fonn,  ber  ift  feiner,  fönnc  er  fonft  toai 
er  lüollc  unb  fei  er  geitnieilig  fo  berüt)mt,  alg  er 
fein  maQ. 

^Qg  Qflcg  ift  im  ©runbc  fo  cinfad)  unb  natur* 
gemö^  unb  alle  großen  Dramatifer  t)aben  eö  fo  üon 
fetbft  pra!tifd)  gemadjt,  ha^  fdjon  bie  gange  SSerbre^t* 
^ett  einer  bloßen  Siteratentunft  mit  groBftäbtifc^üer* 
engtem  Umfoffungäöermögen  bogu  gef)örte,  um  bie 
(Sac^e  fo  grunbfä^Iid)  auf  ben  Äopf  gu  ftellen,  tute 
e8  ber  moberne  S^iaturaliSmug  gett)an  ^at  5(IIer* 
bingö  fjaben  audj  anbere  unb  größere  ^ramatifer 
gumeilen  in  einer  gemiffen  @ud)t  ncd)  Problemen  fid^ 
i^älle  für  bie  bramatifdje  ^anblung  fonftruirt,  bie 
ja  mot)I  auänaljmämeife  einmal  öorfommen  !önnen, 
bereit  innere  3Bat;rf)eit  aber  bod)  nur  für  ben  an* 
genommen  ^all  gilt,  nid)t  brüber  t)inau§.  Sn  biefer 
S^egiefiung  finb  g.  53.  felbft  .Spebbetg  „2)?aria 
9KagbaIene"  unb  Otto  Submigö  „(grbförfter"  nid)t 
einmanbfrei.  2tu(^  Sbfen,  ber  2S?a^rf)eit§bramatifer 
mit  ^au!enfd)lag,  fc^äbigt  fe^r  I)äufig  bie  ec^te  unb 
übergeugenbe  bramatifd^e  3öaf)r^eit  burd)  bie  gefud^te 
SSeraUgemeinerung,    bie    er    bcn    öon    if)m    gefegten 


—     138     — 

(Singetfätlen  angebet^en  lä^t  —  unb  burd)  bie  refle!* 
tirte  2Sat)rl^eitgfuc^t  unb  2öa(;rt)aftig!eit§tenben5, 
mit  ber  er  bie  etf)ifd§en  Probleme  einjeitig  über* 
fteigert.  3m  übrigen  unb  im  legten  ©runbe  t)ängt 
eben  aud§  l^ier,  tt)ie  immer  in  ber  ^unft,  aUeS  an 
ber  ^erfönli(^!eit :  9Sa^r[)eit  ift  ))erfönlid^  unb  to'iü. 
nirf)t  erflügelt  fonbern  erlebt  unb  im  ©rieben  be§ 
gangen  5D?enfc^en  gefd^aut  fein  —  bann  giebt  fid^ 
ha^  übrige  öon  felbft,  menn  einer  nur  atö  Slünftler 
efmaS  !ann. 

SSon  nebenjäd^tid^er  unb  untergeorbneter  93e« 
beutung,  gum  guten  Xt)eil  met)r  tei^nifd^e  unb  3Ser* 
[tanbeSfad^e  ift  in  biefem  ßi^f^^n^^^^^^Ö  j^n^ 
SSal^rfc^einlid^feit  ber  ^anblung,  njeld)e  bartn  befte^t, 
ba^  im  ©ingeinen  nicE)t§  in  Übeln  SBiberfprud^  gerät 
mit  ber  Kenntnis  unb  bem  SSiffen  beS  ß^fd^^uerä 
Don  gemiffen  ^iftorifc^en  ober  gegenn)ärtigen  Xf)aU 
fad^en  unb  SSerpItniffen,  über  bie  aud^  bie  fü^nfte 
^^antofie  unb  ber  au^gibigfte  ©ebraud^  bid^terifd^er 
greit)eit  nid^t  meg  barf.  S)a  t)anbett  fid^ö  um  ®inge, 
bie  nid|t  im  engften  ßufammen^ang  mit  bem  SSefen 
beg  ®rama§  fielen,  fonbern  aud£|  fonft  in  ber  Äunft 
il^re  93ead)tung  forbern  —  relatiü,  je  nod^  Qdt  unb 
Äutturüert)ä(tniffen.  @ö  giebt  beim  ßufc^auer  einen 
geftjiffen  SDurc^fd^nitt  üon  Sebenöfenntni^  unb  f)ifto* 
rifdfiem  Söiffen,  bem  bie  bramatifd^e  §anbtung  nid^t 
gerabegu    inig  ®efic^t   f dalagen    barf;    fonft   kommen 


—    139    — 

beim  3"frf)fl"cr  aüerlei  ftbrcnbe  9tef(e;rioncn  unb 
9(ffociotionen,  bie  jeber  äftl)etifd)cn  SBtrfutifl  gcfät)rtid) 
finb.  jDie  befannten  WnadjtoniiSmcn  bei  ©tjafej'peare 
bürfte  fid)  aücrbinöiS  l)eutc  fein  !Dramatiter  me()r 
geftatten,  ba  fie  jebem  ©d)üter  auffallen  njütben; 
aber  <SI)a!efpeareS  ß^^tö^^offen  f)ot  ta^  mdjt  geftört 
—  unb  fogoT  uns  Ijeute  h)irb  bie  innere  9!öa()rl^eit 
bei  ©l^afefpeare  burrfj  berartige  (Singel^üge  nid)t 
geftört,  eben  n)eit  n)ir  l^iftorifdje^  SBiffen  genug 
Ijaben,  um  ha§  9^id;tn)iffen  <3f)afefpeore§  unb  feiner 
3eit  in  fotc^en  fingen  ftiflfd^lreigenb  breingunetimen. 
Ober  nad)  anberer  Stidjtung  i)in:  bie  innere  9Ba()r* 
l^eit  ber  bramatifd^en  ^anblung  öon  ©c^itlerö  „2)on 
©artoS"  tüirb  unä  baburd;  nid^t  gerftört,  ha^  toir 
efma  toiffen,  n»eldje  !^atb  !omifd^e  ^otb  erbärmtid^e 
^igur  ber  ()iftorifd;e  ^on  (5ar(o§  njar;  tt)o{)l  aber 
ttJürben  n)irg  fd;tt)er  ertragen,  rtjenn  etma  ©d^iHerä 
S)on  SartoS  bie  S^ieberlanbe  befreien,  feinen  SSater 
^f)ilip))  ftürgen  unb  fid^  gu  einem  mobernen  liberalen 
Äönig  öon  Spanien  entUjideln  tt)ürbe.  ^iefe  STn* 
beutungen  geigen  fd^on  gur  Genüge,  maä  biefe  SBa^r= 
fd)einlidj!eit  ober  2ßat)rt)eit  bebeutet,  tt)ie  nal^  ober 
mie  fern  fie  fiel)  mit  ber  inneren  bramatifd;en  SBa^r^ 
!^eit  berül)rt,  n)ie  fel)r  fie  abl)ängig  üon  ber  jemeiligen 
3eitbilbung  ift  —  tt)ie  untergeorbnet  fie  im  ©runbe 
tft,  fo  loic^tig  unb  breit  fie  gutoeilen  erörtert  njirb. 
Unb  maö  in  biefer  Segie^ung  öom  ^iftorifd^en  gilt, 


—     140     — 

baS  gilt  audf)  gegenüber  ben  2:f)atfac^en  unb  SSerpIt* 
uiffen  be§  gegenttiärtigen  SebenS. 

^Dagegen  gelrinnt  eine  entfd^eibenbe  Sßid^tigfeit 
für  bie  3Ba{)r^eit  ber  |)Qnblung,  tt»ie  für  bie  gange 
©eftaltung  ber  ^anblung  überl^oupt  —  ha^  gtoeite 
^auptmoment  in  ber  bramatifd^en  93etDegung,  haS 
fo  n)i(i)tig  ift  n)ie  bie  ^anblung  felbft:  bai§  finb  bie 
ßt)ara!tere. 


«ierteö  Kapitel. 

Die  Ct^araftcrc, 


)er  f)eute  nod)  nicE)t  öeraltete  @a^  beg  5tri[to* 
teteg,  ba§  bie  ^anbtung  baö  Srfte  unbSBid)* 
tigfte  im  S)rama  fei,  teibet  eine  SinjdCiränlung  ober  @r= 
gängung  —  toie  man  toitt  —  burc^  ben  anbeten 
@a^:  bie  bramatifd^e  |)anbtung  entnjidfett 
fid^  au§  ben  bramatifcfjen  Sfjarafteren,  unb 
infofern  finb  biefe  gerabe  fo  mid^tig  tt)ie  bie 
|)anblung.  2)iefer  <3a|  gilt  aUerbtngö,  f)iftorifd§ 
Betrad^tet,  öorgug^toeife  für  ha§  germanifd^e  jDrama, 
bis  auf  einen  gett)iffen  ®rab  aud^  für  bo^  gried^ifd^e, 
in  geringerem  Tla^t  ober  gar  nid)t  für  ha§  ro* 
manifc|e  ^rama.  §iftorifd^!  5lber  ber  ©a^  liegt 
fo  fel^r  im  :pf^d^oIogif(i)en  SSefen  beö  ^ramatifc^en 
begrünbet,  ba§  er  für  eine  ^Dramaturgie,  bie  üon 
biefem    au^gel^t,     aEgemeine    Sebeutung     gettjinnt. 


—     142     — 

Unb  trenn  baö  rontanifc^e  ®rama,  frttifrf)  betrachtet, 
babei  fd^Ied^tet  fat)ren  foUte,  fo  ift  baran  ntd^t  bieje 
^Dramaturgie,  nid^t  ba§  SBefen  be§  jDramaö,  nidjt 
bte  germantfrf)e  ober  9ried)tfd)e  STrt  jc^utbtg  — 
fonbern  bte  befonbere  5trt  be§  romantfc^en  ®eifte!§. 
3ebenfatl§  aber  !onn  für  eine  beut[d)e  2)ramaturgie 
biefe  befonbere  romanifd^e  ©eifteöart,  fo  fel^r  fie  geit* 
tt)eife  in  ®eutfd)tanb  bett)unbert  unb  nad^gea^mt 
ttjurbe  unb  njirb,  nid^t  fd)h)er  m§>  ©elnid^t  faKen  — 
um  fo  Weniger,  n^enn  e§  tva^x  fein  foEte,  ha^  über== 
I)aupt  bie  fü^renbe  ^JoHe  be§  romanifd[;en  ®eifte§ 
in  ber  ©efd^id^te  beS  menfd[)Iirf)en  ®eifte§  auögef)3ielt 
ift.  S)amit  ift  natürlid^  in  !einer  333eife  geleugnet, 
njaö  l^iftorifc^  bie  menfd^Iic^e  ®eifte§gefd^id)te  aud^ 
bem  romanifd)en  (SJeifte  in  feiner  SIrt  gu  öerbanten 
i)at  —  nic£)t  geleugnet  im  befonberen,  ha'^  tt)ir  auc^ 
t)eute  5.  93.  öon  ben  grangofen  in  SSegiefjung  auf 
ftrenge  unb  tnirfungSöoUe  gü^rung  ber  ^anblung 
nod^  allerlei  lernen  !önnen,  ttjenn  fie  aud^  bei  if)nen 
no^  fo  oft  auf  Soften  ber  SSertiefung  ber  (St)ara!= 
tere  get)t. 

SBaö  ßl)ara!ter  im  S)rama  ift  unb  I)eip, 
ttjurbe  fd^on  früt)er  tt)enigftenä  angebeutet.  S)ie 
bramatifdjen  ©t)ara!tere  ftnb  im  allgemeinen  bie  im 
bramatifd^en  «Spiel  „t)anbe(nben  ^erfonen",  b.  ^. 
bie  9Kenfd)en,  an  benen  unb  burrf)  bie  fidE)  bie  bra* 
matifdje    ^anblung   öoHgiefit.     ®er  ®runb,    marum 


—    143    — 

fie  —  unb  mit  9?ecf)t  —  S^araftete  genannt  werben, 
liegt  in  ^Jolgcnbcm: 

5)et  St)araftet  ift,  pft)cI)oIogifd)  betrad)tet,  bic 
pcrfönlidjc,  inbiüibueHe  3ufon^inenfaffung  oEeö  beffen, 
was  burcf)  anc^cborencS  S^aturell,  Sr^ieljung,  Seben^« 
crfQl)rung,  ©cmüti^bclüegungcn  jeglid)cr  %xt,  Slriebe, 
9lffcfte,  ßcibenjdjQften,  nomcntlid)  aber  burd)  per* 
fönlid)e§  223oIIen  unb  SBirfen,  übrigen^  aud)  burd) 
2)enfen,  ^Infc^auen,  Srfennen  unb  SSiffen,  furg  burd) 
alles  ttjirflid)  unb  perfönlid)  belebte  —  xoaS  hmä) 
baS  aßeä  fid)  olä  ber  jettjeilige  menfd^tid^  *  ett)i[d)e 
©efamt^uftanb  beio  SnbiDibuumö  [)erauägebitbet  Ifat. 
2)a§  t[t  nun  a(g  eine  (ebenbige,  in  gettjiffem  Sinn 
guüerläffige  unb  bered)enbare  menfd^tic^  =  perfi3nlid)e 
Äraft  unb  ©nergie  im  Seben  toirffam,  eg  giebt  ben 
!2ebengäu^erungen  beS  90?enfd)en,  feinen  Sntfd^Iüffen 
unb  2;f)aten  bie  9^id)tung,  bie  5rrt,  bie  beftimmenben 
SKotilje  im  (Singelnen  unb  mirft  be^megen  auc^  an 
feinem  ©c^idfar,  an  feinem  Seiben  im  n^eiteften 
©inne  mit.  Sm  9)?ittelpun!t  atle§  beffen  ftef)t  ber 
menf(^Iid)e  2SiIIe. 

SSille  aber  ^ei^t  nid)t  blofe  ein  üereingelter 
(£ntfd)tu§  gu  einer  §anblung  ober  %i)at,  ber  SBiße 
umfpannt  nid)t  nur  biefe  ober  jene  öereingelte 
5teu^erung  ber  gangen  pf^d)ifd)en  ©pf)äre,  auö  ber 
fie  fommt.  Söilte  ift  öielmetjr  pf^c!^ologifc§  ber  gange 
Umfreiö  be^  5(ftiöen  im  ü}?enfd)en  —  öon    ber  ein= 


—     144     — 

fact)ften  ^on5entratton  be§  93elt)u^tfetng  in  ber  ?Iuf* 
mer![am!eit  bi^  gur  {)ö(^[ten,  Seben  unb  (5ie[d)ic! 
beftimmenben  3SitIenätf)at  be§  mit  all  feinen  Sebenö- 
Vorgängen  beteiligten  ©efamtmenfd^en.  3Bitte  i[t 
aße^  haS,  ft»a8  in  un^  gegen  bie  üon  au^en  Jörn* 
ntenben  (Sinbrücfe  jeglicher  %xt  reagirt,  fetbftt^ätig, 
alä  ajcittet  ber  @etb[tbet)auptung  unfereg  p^^fifd^en 
unb  ))f^cE)if(^en  Organiärnuä.  SSiße  i[t  ba§  tebenbig 
toirfenbe  ße^trum  unferer  gangen  inbiüibueHen 
©jifteng,  ift  in  ber  inbiüibuelten  ^runblage  an* 
geboren,  tt)irb  burci§  SebensSerfa^rungen  jeglicher  ^rt 
öon  ber  ®eburt  bi§  gum  ^obe  auSgebitbet,  üertieft, 
gcftärÜ,  ernjeitert.  SSiUe  xo'ixtt  ^unbert  unb  taufenb 
mal  unbemu^t,  inftinftiö,  refleftorifd^,  ift  immer  im 
tiefften  ®runb  unfereö  SBefenS  mir!fom,  oud^  mo 
mir§  «ic^t  miffen  ober  beftjufet  n)oIIen  —  ergebt  firf) 
aber  in  feinen  t)öd)ften  ©tufen  unb  Sfeu^erungS* 
meifen  gum  betou^ten,  klaren  unb  berantm örtlichen 
et^ifc^en  ß^ara!tertt)itten,  ber  ein  mitbeftimmenber 
gaftor  nicfjt  nur  in  unferem  perfönlic^en  (S'm^eU 
gefc^icE  fonbern  im  gangen  3SeIt=  unb  ©c^icffal^- 
öertauf  mirb,  fomeit  biefer  irgenbmie  mit  bem 
?Q?enfdf)enbafein  gufammenpngt.  SBiUe  in  biefem 
(Sinn  ift  bie  innerfte  ^triebhaft  be^  perfönlic^en 
®^ara!terö  —  unb  meit  nun  im  ^rama  auf  ben 
SBiKen  unb  feine  tonfüfte  alleö  gefteUt  ift,  ttieit 
{)ieran  ftd^  ba§  bramatifc^e  ©runbintereffe  irgenbnjie 


145 


l)cftct,  |o  ift  eS  ein  feinet  unb  natürlidjer  öiriff  be« 
bramQtuißifdjen  ©pracljöcbrauctjö,  bofe  er  bic  „^cr* 
fönen",  bie  „^anbclnben  9J?enfcf)en"  im  3)tama 
(Sl)arQfttTe  nennt.  3"9^cid)  aber  ergiebt  fidj  eben 
t)iorauö  bic  n)cfcnttid)e  SBic^tißteit  ber  ^ijaxatteie 
für  ha'i  S)rama  unb  feine  §anb(ung:  e§  giebt  feine 
^anblung,  bie  im  uoüen  Sinne  bramatifd)  tväxe 
unb  nid)t  ouS  ben  6t)arafteren  unb  if)xen  befonberen 
SBiUeniSuorgängen  unb  2öiffenäfonfüften  ^erauö« 
tt}üd)fe!  SDiefer  ©a^  mu^  in  aller  Strenge  feft* 
gel)alten  njerben,  njcnn  er  aud^  eine  bunte  Ütei^e 
Don  9}?obififationen  gutä^t,  niemat^  gur  pebantifc^en 
Siegel  werben  barf  unb  —  ^iftorifd^  —  njenigftenä 
Dom  romanifd^en  SDrama  oft  genug  nidjt  hQad)tQt 
tt)irb;  fürg  germanifd^e  SDrama,  atfo  für  eine  beutfd^e 
Dramaturgie  gilt  er  unbebingt  unb  barf  gerabegu 
ha§  Siedit  eine§  Wtifc^en  3)?a§ftabg  beanfprud)en. 
9^un  mufe  freilid)  Don  Dornt)erein  feftgefteüt 
iDerben:  obmol^I  eä  of)ne  bie  S^ara!tere  unb  i^ren 
SBillen  feine  bramatifc^e  ^anblung  giebt,  fo  finb 
fie  bod^  nid^t  ha§  ©injtge,  maö  ha^  Drama  unb 
feine  ^anblung  mad)t.  Seber  (Sf)arafter  —  unb 
fei  er  ber  mäd)tigfte  unb  toiüenöfräftigfte  —  ift  Don 
9^atur  I)ineingefteIIt  in  einen  Derüjidelten  ßufammen* 
l^ang  Don  SebenöDer^ältniffen  nnb  Seben^orbnungen, 
bie  aU  fotd^e  Don  it)m  unabhängig  baftef)en  unb 
Jbeftet)en,  bie  i^n  unb  feine  Sntn)idlung  mitbebingen 

äBettbrec^t,  2)a8  beutf^e  Stama.  ]0 


--     146     — 

unb  öon  jel^er  mttbebingt  ^oljen.     @§  tft  gtoar  eine 
unpf^d^otogtfd^e  moberne  Srrtet)re,    ha^  ber  SQJenfd^ 
lebiglid^  ha^  ^robuft  ber  SSer^ältniffe  fei,  in  bie  er 
oon  ®eburt  an  I)ineinge[teIIt  ift;  eö  giebt  md)t  kid)t 
eine    pftidtjologifd),     äjt^etifcf)    unb    et^ifc^    fc^iefere 
X^eorie  al^  bie  gegenttjortig  fo  biet  geprebigte  üom 
„Wd^en."     5(ber  feinen  5tnteit  an  ber  ^öilbung  jebeS 
6I)ara!terg   unb    bantit    an  beffen  2Bi!tteng!onf(iften 
f)at  aUerbingg  bie  gange  SSerfd^Iingung  ber  jen}eiligen 
Seben§t)erf)öltniffe    —    njobei  nur  gnjeiertei  nid^t  gu 
üergeffen  ift :  einmal  toerben  biefe  SSer^öttniffe  felbft 
immer  mieber  beftimmt  öon  6f)arafteren,    unb  jttjar 
in    ausgiebigerer   SBeife,    al§    flad^e    X^eorien    on* 
net)men ;    unb    bann   finb    biefe    SSer^ältniffe    md)t 
^robu!te    ber  SBiUfür  unb   beö  ß^fö^^^r  fonbern  fie 
ruf)en,  folüeit  fie  nic^t  bom  menfdjlic^en  3öitlen  ah' 
pngen,    auf  getoiffen    großen    aEgemeinen  SebenS* 
orbnungen  unb  ©efe^en    —    biefe  aber  tt)ir!en    gu* 
gleid^  in  un§  unb  au§er  ung  unb  galten  mit  Wad^t 
einen    inneren   3iifö"^^c"^ö"9    f^ft    gtüifd^en     bem 
ß^araftern^iüen  unb  jenem  „Wdku",    beffen  blo^eö 
^robuft  ber  ß^ara!ter  nid^t   ift.     ©ei    bem    aber,. 
mie  it)m  tooHe,   unb  feien    bie  äußeren  3Ser^öttniffe 
unb    jDafeingbebingungen    nod)    fo     möd^tig :     ein 
^rama    entftet)t   nur,    menn    ®I)ara!ter   unb   SBiUe 
irgenbmie    mit   i^nen    in    Äonflüt    !ommt  —   o^ne 
ha§  giebtä  feine  bramatifd^e  ^anblung.     Unb  mie 


—     147     — 

bcr  .Sionflift    uürb,    bnö    I)änc\t    in    crfter  iJinic  am 
(5l)Qraftcr. 

SRid^t  jebcr  CSl)arattct  freilief),  ben  ba8  fieben 
aiifmeift,  ift  nun  ouri)  ot)ne  tücitereg  bramatifc^. 
3)enn,  wenn  eg  aud)  feinen  ß^arafter  giebt,  in 
bcffen  50(MtteIpiinft  nid)t  ircjcnbtüie  ber  SBitte  im  an« 
öeöobcncn  ©innc  ftiinbc,  ]o  ift  bod)  ber  SBiüe,  ge» 
rabc  er,  nid)t  in  jebem  S^aratter  gtcic^  mä^tig. 
©erabe  haS  fd)offt  einen  ber  n)id)tigften  —  ja  ben 
lüid)tigftcn  (Sf^araÜerunterfd^ieb  bei  ben  SU?enfci^en, 
Jüidjtiger  nod^  alB  ben  öom  Stemperament  bebingten 
llnterfdjieb :  n)ie  tt)eit  unb  n)ie  energifd)  ber  SBiße 
nom  lebenbigen  3^"*!^"^  ^^^  9Sefen§  au§  alle 
i^ebenSäufeerungen  be§  SKenfd^en  betjerrfdit  unb 
leitet,  meldte  (Sto§!raft  ber  SBiße  t)at,  im  Snnern 
5u  mirfen  unb  auö  bem  Snnern  tierborgubred^en, 
mit  mefdier  SKad^t  er  bem  gangen  Seben  feine 
3?ic§tung  giebt,  feine  i^m  inbiöibueK  eigene,  unb 
nieldjen  meitgreifenben  Sinffu^  er  ba^er  ouc^  auf 
\>a^  gange  Sebenggefd^id  geiüinnt.  Unb  ha  ift  nun 
nad|  allem  bigfjerigen  o^ne  meitere^  einteud)tenb : 
ein  ß]^ara!ter  ift  um  fo  bramatifd^er,  je  mäd^tiger 
ber  SßiHe  in  if)m  ift,  um  fo  meniger  bramatifd^,  je 
meniger  5tnteil  ber  3BiCe  an  all  feinen  Seben§= 
öu^erungen  f)at.  Itnb  bieö  gerabe  unb  gang  be^ 
fonber§,  mag  ha§  95erf)ältnig  be^  ©^arafter^  gur 
bramotifd^en    ^anbtung    angelet:    je    !räftiger    unb 

10» 


—     148     — 

beftimmenber  bte  SBißen^öorgänge  beg  (äin^etnen  in 
feinem  Seben  ftnb,  befto  meJ)r  n)crben  fie  t^n  in 
^onftifte  bringen  mit  ben  3Sitten§äu^erungen 
anberer,  mit  bem  SBiUen  ber  aUgemeinen  gegebenen 
^afeinäorbnungen,  mit  ben  jemeiligen  SSertjältnijfen 
unb  Umftänben,  in  bie  fic^  ber  H)?enfc^  ^ineingefteHt 
finbet  unb  bie  er  jelbft  mciterbitben  unb  öern)ic!e(n 
^ilft.  ^ux  wo  fold)e  Äonflüte  [inb,  !ann  ja  eine 
bramatifc^e  ^anbtung  entftef)en,  um  fo  leidster  unb 
kräftiger,  je  fröftiger  unb  bebeutenber  biefe  ^^nfüfte 
finb.  S)a  aber  bieje  5lraft  unb  öebeutung  mieber* 
um  abJ)öngt  öon  ber  Straft  unb  33ebeutung  beS 
SBiUeng  in  ben  ©I^arafteren,  fo  ift  abermals  !lar, 
bafe  !ein  Qn^aU  unb  !eine  SBiUfür  fonbern  haS 
innere  Sßefen  beö  ^ramatifc^en  fetbft  gu  bem  @a^e 
fül)rt:  bie  bramatifc^e  ^anblung  ift  mef entließ  be* 
ftimmt  burd^  bie  bramatifd^en  (£f)ara!tere  unb  i^re 
SBiüenglonflüte. 

S)ieg  jeigt  aber  aud§  auf  ber  anbern  @eite  fo* 
fort  mieber,  ba§  eä  für  bie  Qwede  be§  ^ramaS 
burd)auö  nid^t  genügt,  über^au^t  ©f)ora!tere  bar§u= 
ftelten,  unb  feien  e8  bie  intercffanteften,  ebetften, 
fc^önften,  unb  feien  fie  mit  nod^  fo  üiel  Äunft  unb 
gein^eit  ber  S)arfteIIung  biö  in^  Snnerfte  unb  £e|te 
erfcf)ü:pft.  §ier  liegt  mieber  ein  jet)r  übler  Irrtum, 
ber  fd^on  fo  bieten  Dramen  jeglicher  Gattung  unb 
äiid^tung  ber^ängniBöoIl  getüorben  ift  —  ein  geiler, 


—     149     — 

in  bcn  and)  unferc  SD'?oberncn  fo  oft  oerfoUen, 
aerobe  toic  man  unö  fo  l)Qufig  ftatt  einer  (ebtjoft 
bcioe(^ten  btamQtifd)cn  ^onblung  nur  rut)cnbe  3"* 
ftnnbc  unb  Situationen  auf  bie  93üt)ne  [teilt  unb 
fd)on  bromatifcl)  ju  n)irten  glaubt,  njenn  mon  nur 
biefe  ßuftänbe  a(8  t)iftorifcf)  ober  fo^ial  ober  fonft^ 
lüie  t)bd)ft  intereffant  IjingufteUen  fud)t  mit  allen 
?0?itte(n  einer  6i§  xn^i  (Singelfte  getjenben  "S^arftellung 
—  gerabc  fo  unb  im  3uffl^"^<^"^)ong  bamit  n)äf)nt 
man  bramatifd^  gu  mirfen,  inbem  man  irgenb  einen 
intereffanten  ober  intereffant  fd^einenben  Sf)arafter 
mit  aßen  9J?itteIn  ouf§  eingel)enbfte  fd^ilbert  unb  nad^ 
aüen  ©citen  l^in  entfaltet,  unbefümmert  barum,  tt)ie 
e€>  mit  bem  SBitlenögeljalt  biefe^  (5f)arafterö  ftef)e. 
Unb  ha  lüunbern  ftd)  bie  Seute,  menn  if)re  fd^önften 
(S^ara!tere  bramatifd^  !alt  laffen!  (£§  !ann  einer  ber 
liebenämürbigfte,  ebelfte,  geiftüoüfte,  h)eifefte,  frömmfte, 
gered)teftc,  an  ©eift  unb  ©emüt  intereffantefte  9Jtenfd) 
tion  ber  3SeIt  fein,  a(g  ©ürger,  Patriot,  ß^rift,  ®atte, 
SSater,  @ol^n,  ©otbat,  ^ünftter,  ©elel^rter,  (Sntberfer 
unb  ma^  mei§  id^,  mag  aUe§>,  nod^  fo  bortrefflid^  unb 
bebeutenb  —  ober  meinett)alb  aud^  (ha^  liebt  man 
ja  gumeilen  nod^  me^r)  bie  fd^märgefte  ©d^anbfeele, 
ber  pifantefte  Sum^,  ber  öerfd^robenfte  Ä'opf,  ber 
nerööfefte  ^f^d)o^att)ifer  ober  mag  fonft;  ein 
bramatifd^er  St)ara!ter  ift  er  nid^t,  fo  lange  er  unö 
nid)tg  öon  SBiUenSöorgängen  gu  fet)en  gibt,  bie  mit 


—     150     — 

©nergte  ju  Äonfitften  gu  treiben,  biefe  Äonftifte  burd^- 
fechten  unb  in  if)nen  bem  Tlen\^en  fein  ©d^idfat 
bereiten  —  jo  ober  fo,  tragifd)  ober  fomifd^.  da- 
gegen !ann  ein  ß^aralter  fon[t  nid)t  attguöiel  uon 
bem  fjaben,  tt)a§  man  fo  gemeint)in  intereffant  nennt, 
er  !ann  ^iftorijd;  t)öd)ft  unn)ic^tig  fein,  er  fann  moraIif(^ 
gut  ober  fd^ted)t,  üon  ®emüt  liebenömürbig  ober  un* 
liebenömürbig  fein,  befrf^ränft  ober  gefct)eit  üon  ©eift, 
fojial  fo  ober  fo  gefteüt:  njenn  er  nur  burd)  feinen 
SBillen  irgenbtüie  5U  intereffieren  öermag,  fo  ift  er  ein 
bramatifd^er  6l)ara!ter.  9^atürtic^  giebt  eg  l^ier  eine 
9ieit)e  üon  ©rabunterfdjieben,  ()unbert  unb  taufenb 
mannigfaltige  9fbftufungen,  unb  innerhalb  beffelben 
2)ramag  braucht  nid)t  jeber  ®t)ara!ter  in  gteid)  t)ot)em 
SO^a^e  bramatifd^  5U  fein;  aber  genau  fo  toeit  ift  jeber 
(£f)ara!ter  bramatifd),  at§  ba§  ^a^  feineä  SBiEeniS- 
ge^alteg  reidjt,  unb  unter  ben  6l)ara!teren  eineg  unb 
beffetben  ©ramag  trägt  jeber  fein  Sleit  gur  bramatifd)en 
^anblung  eben  in  bem  §OZa^e  bei,  al^  er  an  ben 
SBiEenöfonfliften  beteiligt  ift. 

2(uf  haä,  maö  n}ir  Stemperament  nennen,  tommtä 
babei,  an  unb  für  fid^,  meniger  an;  beim 
Temperament  ^aben  mir§  mit  ber  natürtidjen  SSer* 
anlagung  gu  tl^un,  njeld^e  ben  5(blauf  ber  (SJemütö* 
bemegungen,  ber  ^triebe  unb  ?(ffe!te  bebingt,  fomol^t 
unterm  ®efic^tgpun!t  ber  Störte  alä  unter  bem  ber 
Erregbarkeit  unb  5tbtaufögefd^minbig!eit.     Sn  jebeni 


—     151     — 

Stcmperomcnt  ober,  bn  nidjt  k'\d)t  eineS  ßanj  rein 
auftritt,  in  jebcr  XcmperamcntSmifdjunQ  fann  ber 
SSJiUe  [id)  ^u  cntfri^cibcnbcr  ißebeutunfl  entfalten. 
91  ber  inbireft  luirft  bie  Xemperamentsmifc^ung  bod) 
infofern  mit,  alö  burd)  fie  mitbeftimmt  luirb,  ob  ber 
ajienfd)  mel)r  jum  (^ieniefeen,  :^eiben,  güljlen,  S3e* 
trad)tcn  geneigt  ift  ober  ba^u,  aud)  biefe  Sebeng* 
Dorgänge  in  SBillcn  uiuäufe^en  unb  barin  au^äulöfen. 
@oetl)eg  ©gmont  l)at  ein  tebf)afteg  fanguinifc^esS 
Temperament  mit  c^olerifc^er  Seimif^ung,  er  ift  ein 
l)ödjft  intereffanter  unb  in  feiner  2(rt  liebenölüürbiger 
ßl)ara!ter ;  in  Äriegöfat)rten  unb  im  ©enufe  beö 
S)afeing  5eigt  er  !räftige  ßebenöäufeerungen.  Hber 
Don  feinen  Xljaten  Ijören  mir  nur,  fie  finb  gefc^ef)en, 
tüir  fel)en  in  !etner  2Beife,  mie  fie  bem  SöiEen  ent* 
fprtngen,  fie  finb  für  unö  blo^e  Gegebenheiten ;  im 
übrigen  miü  er  ba^  ganse  2)rama  f)inburdj  fo  gut 
mie  nid)tg,  l)öd)ftenä  eben  nic^tmoHen,  fic^  gu  nic^tö 
entfdjlie^en,  bie  ®inge  get)en  laffen,  mie  fie  get)en, 
unb  ingmifd^en  leb^ft  unb  fd^ön  füllten,  ebenfo 
fc^öne  S3etra(^tungen  aufteilen,  'Oaä  2)afein  genießen, 
fo  lange  eg  anget)t,  unb  am  @nbe  fd)ön  unb  gefaxt 
fterben.  S)ie  Äonflüte,  in  benen  er  fic^  oJ)ne  fein 
eigentlid^eS  3utf)un  befinbet,  lä^t  er  eben  fic^  ent^ 
mideln  unb  über  fein  ^aupt  erget)en,  toie  fie 
moEen,  nid^t  mie  er  miü  —  unb  fo  ift  er  aüt^  in 
allem  ein  fel^r  fd)mad)er  bramatifd^er  (5t)arafter,  unb 


—     152     — 

eS  tft  teilt  SBunber,  ha^  au6)  bte  bramatifd^e 
^onblung  be^  „@gmont"  eö  gu  !etner  irgenbtüie 
!räftigen  ober  nadjtjaltigen  §lnfpannung  bringt.  — 
<Sf)a!efpeareg  §am(et  tüäre,  irenigftenö  nacf)  ber 
3J?einung  be!annter  gelet)rter  ©t)a!efpeareau§(eger 
eine  metQnd^oIifdj?pt)(egmati|'c]§e  ^flatur,  bte  e§  ju 
feinem  SßiÜen  unb  gu  feiner  Xl)at  bringt,  bie  nur 
immer  benft  unb  p]^i(ofopl)irt  unb  barüber  ha^ 
^anbeln  öerfäumt.  Sn  3Sat)rf)eit  ift  er  freilid^  ein 
gan§  anberer,  unb  jene  5(uffaffung  barf  nad^gerobe 
unter  ben  bramaturgifdE)  ©infidjtigen  al§>  be[ettigt 
angefe^en  njerben.  @ö  ift  öietmet)r  gang  befonberiS 
Iet)rreid^  5U  fel)en,  n)ie  \\d)  ber  SSille  gerobe  in 
^amletö  Temperament  bramatifd)  entfaltet.  §amlet 
l^at  aUerbingg  ein  gut  ©tüd  Don  jener  Stemperamentä* 
ort,  bie  man  metandjoIifrf)=pt)Iegmatifd)  gu  nennen 
|)ftegt  unb  ber  man,  fälfd)tid^ertt)eife,  menig  SöiÜen 
^ujutrauen  geneigt  ift;  aud^  \)at  er  eine  ftarfe  93e* 
fäf)igung  §um  93etrad)ten  unb  pf)iIofop^ifd)en  Renten. 
5I6er  ha'^  er  beSmegen  gu  njenig  energifdjen  Söillen 
geige,  ift  einfad)  nic^t  ma^r :  im  Gegenteil  mill  er 
fel^r  energifd^  unb  entfd)Ioffen,  fomie  ber  Slonflift 
für  it)n  auftaucht,  er  miß  fortn}ät)renb  mit  5ln* 
fponnung  aßer  ©eetenfräfte,  mit  5(ufmenbung  aller 
Verfügbaren  Witiel  unb  jebergeit  rafd^  bereit,  iia§ 
gegebene  Wliitd  gu  ergreifen.  Sflux  miß  er  nid^t 
fopf=    unb    finntol    in    ben  ^ag    t)inein,    mie    feine 


—     163     — 

Äritifcr  il)m  ^umutcn;  er  i)at  einen  [tarfcn  Xi)aU 
fadjcniierftanb,  er  fict)t  beutlicl),  bafe  e«  gar  feinen 
(Sinn  unb  933ert  trotte,  ben  ftönig  ßtaubiu^  gc« 
fc[;iuinb  311  ermorben,  oljne  bo^  irgenbtuie  beffen 
^erbrecljen  an  ben  Xag  gebrarfjt  n)orben  tt)äre. 
2)a^  5U  erreidjen,  eö  baljin  5U  bringen,  bafj  Sic^t 
unb  SBaljrljeit  in  bie  gange  uerlogene  SSelt  am  §ofe 
gu  §elfingör  gebrad)t  lüerbe,  ba{3  er  auftreten  fönne 
nidjt  als  Äönigömörber  fonbern  aliS  geredjter  9?äd)er 
unb  9lid)ter  :  barauf  fpannt  er  [einen  gangen  SöiUcn, 
bagu  ergreift  er  jebeö  tauglid;e  SOtittet  o()ne  3oubcrn 
unb  ©djraanfen.  ©eine  ü)?ono(oge,  Dom  geleierten 
$Dci^üerftanb  fd;einbor  fo  tief,  in  3®al;rl)eit  fo  flacl) 
gebeutet  —  geben  eben  ben  öoHen  ©inbtid  in  ha^ 
9?ingen  feinet  2BilIen!§.  Unb  tok  fein  befonnener 
!(arer  2SiEe  einmal  fid)  übereilt,  ha^  er  ben 
^otoniu^  tötet,  ha  giebt  eben  bo^  bie  Peripetie,  an 
ber  ber  föniglidje  95erbred)er  mit  feiner  üerfcl^ltcn 
©egenmirfung  in  2(ftion  tritt,  unb  biefe  tenft  ha^ 
®rama  mit  tötlid)er  @id^erl)eit  bat)in,  mo  §amtet 
gmar  gu  ©runbe  get)t,  aber  nid)t  oI)ne  ha^  ber 
^önig  in  ben  %oh  mit  müBte,  nad)bem  bie  Söaljr* 
l^eit  fid)  entljüEt  t)at  unb  ber  33erbred^er  at^  foId)er 
geridjtet  ift.  ®iefe  energifdje  unabläfftge  3SiIIen^= 
anfpannung  ^amletg,  bie  aud)  fein  feinfteg  güt)len 
unb  tieffteä  5)en!en  eben  biefem  SBiUen  bienftbar 
mad;t :    baö    eben  giebt  bie  bramatifd^e  |)anbtung, 


—     154     — 

im  Äonfüft  mit  ben  gegebenen  35erf)ältniffen  unb 
ber  auf  ^amtet^  ©eele  gelegten  Slufgabe  —  eine 
^anbtung  öon  ber  [traffften  ©nergie,  üom  rafd)eften 
SSerlauf,  üon  ööüiger  innerer  ©idjerljeit  unb 
Äonfequens  —  eine  §anbtung,  bie  man  freilid^  nirf)t 
l)er[tel)t,  tüenn  man  nur  an  ben  StRonoIogen  mit 
met)T  ober  njeniger  ))^i(ofop^if(i)er  Sl^oreingenommen* 
^eit  ^erumbiftelt,  bie  man  aber  fel)r  teic^t  uer[tef)t, 
menn  man  nur  §u  ft^auen  öerfte^t,  \va§  (Sf)a!ejpeare 
alä    lebenbigeg    «Spiel    ^infteltt,     haä    unb    nid^tg 

anbereS,  ha§i  aber  red)t! 

§amlet  i[t  nid^t  nur  fein  fc^mac£)er  bramatifd^er 
^etb,  mie  fd)mac^e  Dramaturgen  meinen;  er  ift  biet* 
met)r  ein  bramatifdjer  ß^arafter  bon  ganj  befonber^ 
ftarfer  innerer  Spannung,  big  gum  ße^^fP^ittÖS"  9^' 
laben  mit  3SiIIen§ge^alt.  Unb  man  !ann  an  il)m 
pgleic^  beutlicf)  feljen,  mie  menig  gegenüber  bem 
Sßißen  baS  hvamat\'\d)  bebeutet,  toaS  man  bie  „%^at" 
beä  bramatifd^en  gelben  gu  nennen  pflegt,  fein 
^anbeln  im  äußeren  Sinne  be§  Sßorteg.  S)ag  merfen 
fie  bem  ^amtet  üor,  ba§  er  nic^tg  tJ)ue,  nid)t  t)anble, 
üor  tauter  2)en!en  unb  Xräumen  nic^t  gu  bem  it)m 
auferlegten  ^anbetn  !omme.  @g  ift  gmar  nid^t  ein* 
mal  matjr,  ha'^  er  nidjtö  t^ut,  nid)t  I)anbelt  —  er 
t^ut  \d)X  öiel,  aud)  äufeerlid^ :  er  legt  bie  9)?aäfe  be^ 
3®at)nfinnö  an;  er  fe^t  baö  Sc^aufpiel  in  Sgene  unb 
geminnt   burc^    beffen  ©inbrud   auf  ben  Slönig    bie 


—     1Ö5    — 

fcf)r  n)icf)tiöe  unb  üor  allem  uuentbeljrltdjc  lubjcttiüe 
Oktüifetjeit  Don  ber  ©c^ulb  be8  Äönig^;  er  ftöfjt  ben 
^oloniu«  hinter  bot  Xapetc  nieber  unb  bringt  burd) 
biej'e  übereilte  Xi)at  bie  ©eflenaftion  beä  ÄtönigS  in 
Q^an^;  er  \d)\dt  bie  fc()uftigen  §of[d;Tan5cn  iliofen* 
trang  unb  ®iilben[tern  in  tcn  fidleren  ^ob  nad) 
(Snßlanb,  in  ben  fie  il)n  füt)ren  foüten,  unb  geiuinnt 
boburd;  bie  3)('üöIidjEeit,  aufg  neue  in  2)änemar!  ju 
er)d)einen;  unb  aU  ber  fönigtidje  SDtörber  unb  (3i^U 
mifd)er  burdj  feine  eigene  91iebertrad)t  unb  fein 
n)illi9eä  Jföertgeug  Saerteö  enbüd)  offen  an  ben  ^ag 
gebradjt  l)at,  toa^  §amtet  fo  t)eife  am  STag  5U  Ijaben  be? 
geljrte,  ba  oottbringt  er  mit  bem  legten  9ieft  oon 
iBeben  aud)  bie  Sl^at,  auf  bie  Don  Slnfang  an  atte» 
gefpannt  mar:  er  ftö§t  oor  bem  gan5en  §ofe  ben 
nun  offenboren  gefrönten  ©c^urfen  nieber,  rid^tet 
it)n  mit  bem  testen  ^Itemjug.  2)a§  finb  bod)  toaljX' 
Ijaftig  Sttjuten,  ha§  ift  bod)  audj  ein  äu§ere§  ^anbeln, 
menn  man  c§>  burc^auö  tjuben  mill!  $lber  tro^bem: 
eben  biefeä  äußere  Sttjun  ift  e§  nic^t,  Xüa§  bem 
©tjarafter  ^amletö  unb  ber  gangen  bramatifc^en 
^anblung  bie  innere  «Spannung  giebt;  biefeä  äußere 
Xl)un  löft  Oielme^r  nur  innere  Spannungen  au^ 
ober  leitet  neue  Spannungen  ein.  S)urdj  bie  Tlaäh 
be§  2öal;nftnn§  geminnt  fandet  Si(^ert)eit  unb  ßeit, 
feinen  SBißen  gu  fammeln  unb  aufö  3^^^^  ä"  fpannen; 
in  ber  ©emißl^eit,    bie    er  fid)  burd^  ha^  Sdjaufpiel 


—     156     — 

fcfiafft,  töft  ftd^  bie  bt§  batjin  feinen  SBiHen  jurücf* 
bämmenbe  eigene  Ungen)i§tt)eit,  bie  fubjeüibe  ©etoi^* 
{)eit  fpannt  nun  aber  feinen  3SiIIen  erft  red)t  aufg 
ßiet,  ben  Äönig  a\xd)  öffentlid^  gu  entlaröen,  um 
il)n  bann  ricfjten  gu  fönnen;  ber  @to^  burd§  bie 
Tapete  ift  bie  übereilte  STu^löfung  ber  immer  t)ö^er 
fteigenben  Spannung  im  ^amtetS  (Seele  gu  einer 
3eit,  ha  ber  ^erbadjt,  ben  ber  ^önig  gefc^öpft  f)at, 
unb  bie  gaul^eit  unb  ^eigf)eit  ber  gangen  ^ofgefeU* 
fc^aft  eö  immer  fd)merer  madjt,  bie  fubjeüiöe  ©en^ifj* 
f)eit  gur  objeüiöen  SBo^rljeit  IjerauggufteHen;  bie  (£r* 
morbung  be§  ^oloniuS  treibt  mieberum  ben  ^önig 
gur  rafd^eren  unb  !räftigeren  5(ftion:  ^amkt  foß  in 
ben  %oh  nad)  ©nglonb;  fein  rafc^  entfd^toffener 
ß^egenmiHe  Dereitett  ben  ^tan  be§  ^önigg  unb  Ii3ft 
fid)  au^,  inbem  er  9tofen!rang  unb  ©ülbenftern 
braufget)en  läßt  unb  gurüdfet^rt;  haS  aber  bringt 
tt)ieber  ben  Äönig  bagu,  gu  einem  neuen  Tlittd 
gu  greifen,  bem  ^eu^Ierifc^en  unb  meu^terifd^en 
ßtüeifampf,  gu  bem  Sacrteg  bie  ©egenfpi^e  falbt 
—  ha§  aber  fül)rt  enblid)  gur  ©nttaröung  be§  Sl'önigS 
unb  nun  löft  fid)  bie  le^te  ©pannung  ^amletö  in 
bem  entfdjeibenben  ®to§,  ber  ben  ^önig  nieberftredt, 
iüäl)renb  fandet  felbft  ben  Stobe^fto^  in  ber  Sruft 
f}at  unb  bie  Königin  ba§  ®ift  getrun!en  ^at,  \)a§> 
für  ^amlet  beftimmt  mar.  S^Jun  ift  bie  X^at  ge== 
fd^et)en,    auf    bie    öon  5(nfang    on  §om(etä    gangem 


—     167     — 

SBoUen  i^cfponnt  war,  unb  bamit  ift  ba<J  flanke 
Urania  5U  (£nbc.  3Baö  f)at  bic  nun  beenbigte  ^anb« 
lung  erm5glid)t  unb  in  Spannung  get)attcn  öon 
^fnfQug  big  je^t?  '^te  befonbcrc  ?frt,  tüie  §am(et 
iüüUte  unb  nad)  jebcr  ^fuSlbfung  be^  2BiKeni§  in 
^l)Qt  neu  lüollte  —  baö  unb  fonft  ntd)t<§!  Sßäre 
er,  tüie  [eine  Äritifer  iuünj'rficn,  g(eicf)  oon  5(nfang 
an,  nacf)  ber  SlJitteilung  bog  ©eifteö  breingefat)rcn 
unb  i)ätt(^  in  plumper  finnlü[er  9fjQd^etl)at  ben  Äönig 
getötet,  n)Qre  er  otfo  eben  ber  Xf)atmen)d)  gettjefen, 
ben  man  an  i^m  l)ermt§t:  fo  Ijätte  fein  ÜJcenfd)  in 
©änemorf  etn^aä  anbereö  gefeiten  ober  njenigften^ 
gugegeben,  ai§  ha^  ein  (^errfd^gieriger  Slöniggneffe 
feinen  Df)eini  unb  regierenben  ^önig  getötet  ^ah^  — 
eine  bramatifd^e  ^anbtung  aber,  in  ber  §amtet  mit 
einer  t)eißofen  Uebermac^t  ben  langen  unb  uergebltc^ 
fd)einenben,  am  ©nbe  aber  bod)  im  Xobe  [tegreid^en 
Äampf  um  2Sa(jrf)eit  unb  üiec^t  gekämpft  ^ätte  — 
eine  fold^e  bramatifd)e  ^anblung  f)ötte  eä  gar  nid^t 
gegeben,  ©ieje  ift  nur  ermögtid^t  burc^  bie  eigen* 
tümlid)e  ^Trt,  mie  ftd)  in  ^amlet^  ®t)ara!ter  5äf)er 
unb  unbeugfamer  3BiIIe  mit  üarem  3!?erftanb  unb 
feinem  ©emiffen  berbinben.  (£in  5tnberer,  ein  unbe* 
fonnener  blinber  Draufgänger  öon  einem Sl^atmenfd^en 
l)ätte  unter  gan§  benfelben  SSert)ättniffen  anberö  ge« 
(;anbe(t  unb  aEe§  tt)äre  anberö  gemorben  —  §amtet, 
ber    befonnene,    feinfühlige,    gett)iffenf)afte    SBiUen^* 


158 


menfd^  bringt  burrf)  feinen  (5f)arQfter  unb  feine 
ftetige  tjodjgrobige  SßiEenSfpannung  eine  bramatifdje 
^anblung  in  biefen  SSerpItniffen  guioege,  bie  bcn 
Sni)aU  eineS  ber  größten  S)ramen  ber  SBetttitteratur 
au§maä)t 

3Sa§  in  allen  5)ramen  öon  tnirttid^er  Äraft  unb 
Geltung  in  irgenb  einer  2Seife  offen  gu  Stage  liegt, 
anberön}o  nod^  öiel  einfadjer,  boö  ift  fetten  betef)renber 
at§  im  „^amkt"  gu  fefjen:  ha^  nid)t  bie  ^t)at 
im  (Sinne  beö  äußeren  §anbeln§  ben  brama* 
tifd)en  ßt)ora!termad^tunb  i^ngum  Strägerber 
bramatifd^en  |)anblung  befäl^igt  —  fonbern 
baöSSoIIen  in  ollen  ©tabien  feinet  233erben5. 
Unb  barum  ift  eö  mieber  ein  Irrtum,  ber  fd^on 
mond^en  gutgemeinten  Dramen  öertjöngni^boU  ge* 
tüorben  ift,  gu  meinen,  irgenb  ein  gefcEjid^tlid^er  ober 
QUO  ber  ©egenmart  gegriffener  ß^arafter,  ber  bc= 
fonberg  öiel  %i)at  unb  §anbe(n  aufmeife,  fei  beg  = 
megen  befonberS  geeignet  gum  bramatifcf)en  |)e(ben. 
9^ein,  nid^t  bie  Draufgänger  unb  S)reinfd)Iäger,  bie 
^aubegen  unb  3SieIgefd^äftigen,  bie  immer  in  äußerer 
5tftion  befinblid^en  St^otmenfd^en  —  nid^t  fte  finb 
bie  eigentlid^  bramatifd^en  (5f)ara!tere  unb  |)elben: 
bie  tiefinnerlid^en  SBißengmenfd^en  finb  e§>  mit  if)rer 
ftarfen  inneren  Spannung,  bie  bann  natürlid^  am 
redeten  Ort  oud^  in  äußere  %i)at  fid)  auiSlöfen  !ann, 
je  nad)bem  auölöfen  mu^.    2(ber  je  nad^bem!    3)er 


—    1Ö9    — 

broinnti)d)c  .^clb  fann  aurf)  mit  aller  SSiüengcnctflie 
firfj  nirfjtö  fcljoffen  oI*  Seiben,  tann,  öu^erticf)  bctracf)tet, 
nicl)r  paffili  crfcl)einen  q(§  aftiü,  tt)enn  nur  bie 
innc{)ti(^c  i^^olue^junfl  feinest  inneren  q(Ö  SSoUcn 
5U  flarcr  unb  [trofföcfpannter  Slnfctjauung  fommt. 
Srgenbtuic  tt)irb  natürlidj  in  ben  nteiften  fallen  ber 
innere  92?iÜenöfonfIift  aud)  gur  äußeren  Zi^at  treiben 

—  ba^  fommt  bann  bor5U0§tt)ei)e  auf  bie  äußeren 
9Serl)n(tniffc  an,  in  bie  ber  bramatifdf)e  6f)arofter 
nerftridt  ift.  5(ber  waß  i{)n  gum  bramatifdjen  C£l)arafter 
mod)t,  baio  ift  ber  innere  SBerbcprogcfj  feineä  SSiüenö 

—  unb  aud^  ber  auögefprod^enfte  jtt)atmenfc^  n)irb 
pm  bramatifc^en  (£t)ora!ter  nur  bann,  n^enn  ber 
3)ramatifer  un§  in  anfi^aulid^em  <3^iet  gu  geigen 
lierftel)t,  tük  ber  SSille  tt)irb,  ber  al§  ^^at  fd^Iie^Iid) 
l;erau!Sbrid)t  unb  auf  bog  ®efd)id  feinen  (Sinftufe 
geminnt. 

Unb  barum  geprt  fc^lie^Üd^  gum  tüirffamen 
bramotifdjen  jS)id§ter  felbft  ein  auögef^roc^enerSSilleng* 
menfd^,  auc^  im  2)ramatifer  felbft  mu§  etmaä  öon 
einem  6f)arafter  im  @inne  beö  ^ramatif^en  (eben, 
menn  er  jene  ^rogeffe  tief  burd^füt)Ien ,  innerlid) 
fd)auen  unb  in  lebenbigeg  ©^iel  foll  fe^en  fönnen. 
SOJenfc^en,  bei  benen  ha§>  güt)ten  unb  ®enfen,  Stn^ 
fd^auen  unb  ^ßetrac^ten  ftär!er  entföidelt  ift  a(g  üer« 
tieftet  Söollen,  mögen  afe  ^id)ter  trefflid^e  S^rifer 
unb  ©rgäfiler  abgeben  —  aU  ^ramatüer  pflegen  fie 


—     160     — 

fetten  tiiet  gu  taugen.  ^a§  mag  man  fogar  am 
Unterfd)ieb  ber  ®oett)ef(i;en  ?[rt  uon  ber  ©djillerö 
[tubteren.  S)a§  erflärt  aud),  njarum  mand)e  ®id)ter 
erft  in  jpöterem  STlter  bramattfdj  fd)affen,  menn  tt)r 
SSitte  fid^  ftärJer  entmidelt  t)at  atä  in  einer  met)r 
nom  ®efüt)I§Ieben  bef)err[c^ten  Sugenb. 

5tu§  bem  attem  ergiebt  fid)  immer  auf§  neue, 
njeld)  auäjd^taggebenbe  ©ebeutung  ber  bramatifdie 
6l)ara!ter  für  bie  bramatifc^e  ^anbtung  t)at,  \a  baji 
biefe  gerabegu  auö  jenem  auffteigt.  ^iftorifd^  be- 
trachtet, ftellt  fid)  baö  allerbingS  erft  im  germanifc^en 
—  man  !ann  auc^  fagen:  im  germanifd^spro? 
teftantifdjen  ^Drama  red)t  inö  2id)t.  greilid^  \)at 
and)  im  gried)ifd)en  S)ramo  ber  (St)ara!ter  unb  fein 
SSoöen  eine  nid^t  gu  unterfdjö^enbe  SJebeutung; 
immer£)in  ift  ba§  menfc^lid)e  3Sotten  bort  nod)  un? 
freier,  nod^  mel)r  gebunben  an  unb  öerftridt  in  ben 
@ang  ber  bem  9J?enfd)en  übermächtigen  Orbnungen, 
be§  ©öttermittenö  unb  be§  auc^  biefem  übermöd^tigen 
©djidfalS,  ^em  «Sinn  unb  SlatureH  ber  romanifc^en 
SSöIter  aber  ift  bie  ^anblung  in  i^rer  äußeren  SSer- 
!nü^fung,  bie  „^abel",  bie  „Sntrigue",  ba^  @efc^el)en 
im  @inn  ber  @ntftet;ung  üon  i8egebent)eiten ,  bie 
SSermidtung  unb  ©ntmidlung  ber  Umftänbe  unb  SSer* 
t)ättniffe  —  baö  unb  bergleid^en  ift  bem  SfJomanen 
bi^  auf  ben  t)eutigen  ^ag  mici^tiger  unb  intereffanter 
aU  ber  6t)ara!ter  unb  ber  ?Intei(,  ben  biefer  an  ber 


—     161     — 

"ißcrfcttuiifl  bcr  93cöcbcn[)eit  nimmt.  9{u^  fein  SBtÜe 
tft  gebunbcncr  anö  (Mcgebcnc,  an  baö,  ttjaS  über 
bem  SBillen  be«  (Sinjcinen  njaltet,  unb  fei'^  nur  bie 
©ittc,  bie  ÄonDcntion,  bie®ctüo()nl)eit  ber  tjcrrfrfjcnben 
93cflriffe;  bcr  Jlfomnnc  fiet)t  bie  Slonfüfte  met)r  in 
bcr  (^cflcncinanbcrbcmcflung  ber  33crf)ä(tniffe  jcflticEicr 
9lrt,  im  ?lufcinanbcrtrcffcn  ber  gegebenen  äußeren 
fiebcnöbcbingungcn,  Don  benen  ber  9}?en[d)  mit  famt 
feinem  SSoUen  i)'m>  unb  ^ergefdjobcn  mirb  —  mef)r 
bie  bem  9}?enfctjcn  uon  auf5en  tommenben  Äonftifte 
aU  bie,  töeld^e  auö  feiner  eigenen  S3ruft  fteigen. 
5(udj  auf  e|)ifrfjem  ©ebiete  ift  biefe  romonifc^e  3(rt 
5u  bcobadjten:  tt)ä[)rcnb  ha^  germanifd;e  @poö  be§ 
äJcittetalterö  ß^araftere  fc^afft  mie  bie  beg^ibelungen^ 
liebö,  bie  üon  förmlid)  bramatifd^em  ®el)a(t  finb, 
freut  fid)  ha^  romanifdje  @|)o§  öor^ug^meife  am 
bunten  SBed;feI  n^enig  gufammenpngenber  5(benteuer; 
unb  eö  ift  aud)  fein  ßi^f^ö'  ba§  im  mobernen 
9toman  bie  einfeitige  Pflege  beö  „milieu",  bie  Stb? 
leitung  beö  9J?enfd^engefc^idg  üorguggmeife  auä  ber 
betaiEierten  ^arfteßung  ber  Umftänbe  unb  SSer* 
t)ältniffe,  unter  benen  fein  Seben  unb  ©efd^id  ftd^ 
öoHgie^t,  mef)r  unfreie^  ^robuft  olä  perfönlic^eö 
SSillenöergebni^  —  baf3  biefer  9?oman  beö  „Tlüku" 
unb  bie  gan5e  aud^  auf  ha^  5Drama  übertragene 
£ef)re  öom  „50cilieu"  im  (SJrunb  nid^t  auf  beutf^em 
33oben  ermad)fen  fonbern  au^  granfreic^    importiert 

SB  e  i  t  b  t  e  (5 1 ,  a)oS  teutfc^e  »ramo.  \l 


•  —     162     — 

ift.  3)em  germani)(f)en  (Steifte  bagegen  entj'prad^  Don 
ief)er,  feiner  gangen  natürlt(i)en  Einlage  na^,  \)a§ 
5(uf[t(^feI6ft[tet)en  beö  ©ingeinen  unb  feinet  SSitten^, 
ber  %xoi^  be§  perjönlid^en  ©t)ara!teri§  gegen  jeben 
anbeten  SSillen,  aud)  gegen  bie  @d^idfatömäd)te, 
bie  5tuflel^nung  gegen  ha^  begebene,  boS  §erau§« 
luad^fen  ber  Seben§!onftt!te  au^  ber  Snnerlid^feit, 
anS>  bem  perföntid^en  Seben^njiHen  ber  <Seete.  Unb 
weiter  t)at  bem  romanifd^en  S^atureE  bie  im  SBefent* 
liefen  big  auf  biefen  2;ag  bauernbe,  n)enn  audj  nur 
äu^erlid^e  ®ebunbenl)eit  an  bie  mittelatterlid^e  Äirdje 
in  bie  |)anb  gearbeitet,  bie  römifd^e  SSeltanfd^ouung, 
nad£)  weld^er  ber  ©ingetne  gerabe  für  fein  £)öd^fte§ 
©efd^id,  für  feine  Stellung  gu  ben  endigen  ^Dafeing- 
mäd^ten  eine  SSermittlung  brau(^t  burc^  ein  ©Aftern 
öon  fonöentioneU  feftgelegten  fird^tid^en  Drbnungen. 
^Dagegen  t)at  ber^roteftantigmuö,  berbemgermanifdjen 
Reifte  entfprungen  unb  im  legten  (SJrunbe  nid^tS 
anbereg  ift  al§  eine  9?et)oIution  beä  germanifcEjen 
®eifte§  gegen  ben  ^tomaniörnuä  iegtic^er  5trt  —  ber 
^roteftantigmug  ^at  bem  ©ermanen  feine  urfprüngtid^e 
5(rt  erpf)t  njiebergettjonnen,  if)n  gerabe  in  feinen 
^öd^ften  unb  geiftigften  Sebenöintereffen  tt)ieber  auf 
ficE)  felbft  gefteüt,  auf  bie  üößige  (SetbftöerantlDortung 
beg  ett)ifd)en  6f)ara!terg;  unb  mag  aucE)  eüangelifd^eg 
Äird^entum  baran  mieber  gurüdfd^rauben  mochte, 
t^atfädE)tic^  unb  öoHenbg  im  Sauf  ber  legten  anbert* 


-     163    — 

^atb  3oI)rl)unbcrtc  l)at  bcr  ^roteftantieimuS  —  nic^t 
als  Äonfeffion,  fonbcrn  aU  iüirtenbe  geiftigc  ^^^otenj 
—  an  bicfcr  SBicbcreinfe^ung  beS  per|bnlid)cn 
(£t)Qrafter§  unb  ber  abfotuten  ©e(b)tt)erantn)ortung 
'm&  alte  flcrmonifd^e  9?cd^t  immer  ttjeitergearbcitet. 
©erabe  in  biefcr  Qc'xt  aber,  feit  bem  16.  3at)r()unbert, 
ift  ba^  gcrmani[cf)e  3)rama  entftanben  unb  ^at  in 
@[)afcfvcare  unb  <Sc^iÜer  jttjei  tt)pifrf)e  Srfrfieinungen 
Ijeröorgebradjt,  bie  it)m  nod^  auf  lange  f)inauS  bie 
(S^runbrid^tung  rt)eifen.  Unb  biefe  ift :  ^erauöfpinnen 
bcr  bramatifcf)en  §onbtung  unb  if)rer  Äonftüte  auö 
ben  (St)ara!teren,  au^  il)rem  SBillen  unb  i^rer  ©elbft* 
ncrontnjortung.  3Saö  aud^  bobei  bie  äußeren 
Orbnungen  unb  S8erf)ältniffe  gur  (£ntftet)ung  ober 
5um  SluStrag  be§  Äonflüteg  beitragen  mögen:  ber 
<2(i)merpunft  liegt  im  ß^arafter.  Unb  ha  bieg  nid^t 
nur  t)iftorifrf)erma^en  ouf  germanifd^en  93oben  fid^  fo 
geftattet  i)at,  fonbern  mit  bem  3öefen  be^  2)rama§ 
im  engftenßufammenl^ang  ftef)t,  foftelltbaägermonifd^e 
®roma  big  je^t  bie  biefem  SBefen  am  meiften  ent* 
fpred^enbe  2tu§geftattung  beg  ©ramatifd^en  bar. 

Sine  ®efat)r  frei(id§  bringt  biefe§  ftar!e  ^Betonen 
beg  (Sl^ara!ter§  im  germonifd^en  S)rama  mit  ftd^: 
eben  bie,  ha'^  bie  ©d^itberung  unb  Entfaltung  be§ 
St)aro!ter§  ftc^  gu  breit  mad^e,  baB  in  i^r  fc^on  haä 
3)ramatifd^e  erfüllt  gefet)en  merbe,  ba§  gu  toenig 
auf  ftrenge  i5üt)rung   ber   au§   bem  ß^arafter   fid^ 

11* 


164 


ergebenben  ^anbtung  geachtet  tüerbe.  3n  biefer 
93e5tet)ung  ftnb  un§  bte  Ütomanen  üielfad^  unb  burc^ 
lange  Hebung  überlegen ;  ha§,  n^enn  aud)  nur  äußere 
©efüge  ber  §anbtung  ttJtffen  [ie  feit  langem  in  einer 
'ätt  gu  machen,  öon  ber  wir  nod^  manc^eiS  lernen 
!önnen.  dagegen  ftnb  fie  bann  in  ®efaf)r  unb  mel)r 
at§  nur  in  ®efat)r,  ben  6t)aratteren  unb  namenttid) 
itjrer  @ntn)ic!etung  ju  njenig  93ebeutung  fürä 
bramati)d)e  ©))iet  einzuräumen.  @elbft  ha,  too  ha^ 
gange  2)rama  auf  bem  ßl)ara!ter  ju  fielen  fd^eint, 
n}ie  in  9J?otiereö  ßtjaroherfomöbien,  üolljiet)!  fidj  bie 
^anbtung  genau  genommen  me^r  a  n  bem  (St)arafter 
als  burd)  ben  Gf)araher;  ber  ß^ara!ter  ift  in  ber 
^auptfac^e  bie  t^pifd^e^erfonifüation  einer  beftimmten 
(£t)ara!tereigenfd)aft  unb  bleibt  im  mefenttid^en  un* 
üerönbert,  n^aä  aud;  an  §anb(ung  unb  QSermidtung 
über  i^n  I^ingietit,  Wlan  i)at  berartige  6f)ara!tere 
gang  gutreffenb  mit  ©d^ad^figuren  öerglidjen:  fie 
!bnnen  mo^I  in  bie  mannigfad^ften  93emegungen  unb 
Kombinationen  be§  (Spiele  gebrad)t  merben,  !önnen 
je  nad£)  il)rer  augenbtidtid^en  ©teUung  unb  S3eiüegung 
beftimmenb  im  «Spiele  mitmirfen  —  aber  fie  bemegen 
fid)  nid^t  felbft  unb  öon  fi^  auö,  fonbern  n)erben 
burd^  bie  Kombinationen  beS  <Spiete§  betoegt;  unb 
fie  bleiben  njä^renb  beö  gangen  ©pieleS,  ma§  fie 
finb,  madien  feine  (ebenbige  innere  ©ntmidetung  im 
SSer^ältniS  gum  ©piete  burd^. 


"     165     — 

!5)ic  ^orbcrunfl  einer  flemiffcn  (^ntlütcftunfl  aber 
Hegt  in  bcn  üebcnöbebinöungen  ber  bramolifd^en 
(5;i)QrQ!tere  nlö  folcljer.  9?icf)t  alS  ob  ber  et)arattcT 
am  8d)Iuf)e  beö  !I)raniaö  ein  lue) entlief)  anberer 
c^clüorbcn  fein  mii^k,  alS  er  am  ^Infong  njar;  im 
(iiegenteil,  je  lüiüenöfräftiöer,  al[o  je  bramatifd)er  ein 
Sf)arafter  i[t,  befto  mdjx  tt)irb  oud)  er  biej'elbe  (Sin- 
I)eitlirfjfeit  belüat)ren,  bie  ber  bramati)d)cn  §anb(ung 
gufommt,  befto  me^r  löirb  er  in  feinen  h}efentlid)en 
3ügen  fid)  treu  bleiben  —  ober  eö  njirb  it)m  bie 
geitiueilige  Untreue  gegen  fid)  felbft  gerabe  gum 
tragifc^en  ober  fomifdjen  3^ert)Qngniä  njerben.  1^(ud)  ift 
bie  goi-'bcrung  einer  (Sntiuidlung  ber  (5f)araEtcre  nic^t 
fo  gemeint,  ta^  oUe  Sfjarattere  eine^  S)rama!§  in 
gleidjem  3)?o^e  eine  (Sntmidlung  burd)mad^en  muffen: 
je  nad)  if)rer  (Stellung  gur  ^anblung  fann  ba^o  meljt 
ober  meniger  ber  ^all  fein,  ja  eö  fann  etttia  ein* 
mal  ein  St)arofter  in  bie  bramatifc^e  ^anblung  ein* 
greifen,  bem  burd)  biefe  felbft  !ein  Dfiaum  gur  (Snt* 
ttjidlung  gelaffen  ift;  üon  9Zebend)arafteren  gilt  bieg 
fomiefo  in  erl^öljtem  3Jia^e.  5(ber  tt:ei(  bie  bramatifc^e 
^anbtung  olö  bramatifd)e  in  forttt)ät)renber  lebenbiger 
S3emegung  unb  (Steigerung  t)on  (Stufe  gu  (Stufe  ift, 
unb  meil  unb  fomeit  biefe  Söemegung  getragen  ift 
tion  ben  6t)arafteren,  fo  muffen  aud)  fie  notmenbig 
in  Semegung  fein,  nidjt  gegen  it)r  3®efen  aber  itjrem 
SSefen   gemä^    getoiffe  SSeränberungen  burc^mad^en, 


—     166     — 

fi^  tüie  bie  ^anbtung  bon  einem  beftimmten  ^unft 
an  5U  einem  anbern  entmirfetn.  S'lid^t  nur  b  u  r  dj 
fie  fonbern  aud^  i  n  il)nen  get)t  etnja^  öor,  fie  !önnen 
unmöglich  in  ftarrer  SJufie  üert)arren;  unb  ttjenn  [ie 
au(^  im  Sße[entti(^en  [id)  getreu  bleiben,  fo  tonnen 
fie  boä)  am  ©d^tuffe  be§  2)rama§  nic|t  met)r  ööHig 
biefelben  fein  njie  am  Anfang,  menn  fie  njirüid^ 
innerlid)  etnjaS  erlebt  tjaben  unb  nid^t  bto^e  'BtS^ady 
ftguren  fein  foHen.  S)aö  ift  im  ©runbe  jiemtic^ 
fetbftDerftönblid;,  unb  auf  bem  SSoben  be§  germanifd^en 
©ramaö  öoügie^t  ficE)  bog  in  ber  bieget  gong  üon 
felbft.  (Sin  geujiffeä  9J?o^  öon  ©ntujidlung  ber 
S^oroftere  ift  übrigen^  oud)  im  romonifd^en  2)roma 
nid^t  ou^gefc^toffen,  foftjeit  fid^ö  nid^t  um  gong  öu^er? 
tid^e  Sntriguenftüde  t)onbeIt;  unb  onbererfeitä  giebt 
eä  notürtic^  oud)  ouf  germanifdf)em  Soben  Aromen 
minberen  Üiongeä,  bei  benen  eben  ein  ^auptmongel 
ber  9)?ongeI  on  ©ntmidtung  unb  —  ttjoä  eng  bomit 
gufammenpngt  —  SSertiefung  ber  ©^oro!tere  ift. 
©ong  oufföllig  ift  biefer  SQ?onget  5.  93.  bä  ben  ^Dramen 
©ubermonnö. 

.^oum  ineniger  SBorte  beborf  e§  borüber,  bo& 
bie  bromotifc^en  (5t)oro!tere  benfelben  5Infprud^  ouf 
SBa^rl^eit  erf)eben  ttjie  bie  bromotifd)e  ^onblung, 
unb  toorin  biefe  SSof)rf)eit  befte^t.  S^id^t  barin  befte£)t 
fie,  ba§  ein  üon  ber  2öirtlid^!eit,  ber  t)iftorif(^en  ober 
ber  gegenujörtigen,  gelieferter  (5t)aro!ter  in  mögtid^ft 


—     167     — 

fletrcuet  9?Qd)al)munfl  ber  SBirfHdjfeit  auf  ben 
bramatifc^en  (3rf)QuptQ|j  ßcftellt  njcrbe,  ha^  totr  ben 
2)(enfdjcn  auci)  l)ier  gan^  ßcnau  fo  fet)cn,  wie  et  und 
in  ben  (Sjcmplaren  be8  njirflidjcn  iiebeng  über  ben 
2l^e(^  läuft,  oft  flcnu(^  nur  ju  unfercm  9Iergcr  unb 
iücrbruf}.  ^-üictmel)r:  lüa^r  ift  ein  bramatifd)er 
(5l)araftcr  einmal,  lüenn  er  bcm  ^ufc^auer  etnjaS  offen* 
bort  öom  SSefen  ber  SQ^enftfjennatur,  »ie  ftc  in  ben 
itonfliften  beö  Sebenötoittenö  fitf;  barftellt;  njenn  unsS 
l^ieöon  im  lebenbigen  Spiel  etmaS  gur  ^Tnfd^ouung 
gcbrad)t  mirb,  maä  mir  üielleid)t  gerabe  im  mirflic^en 
unb  aHtöglidjen  Seben  nid)t  fo  fd)arf  unb  beutlid) 
fet)en,  med  eä  bort  gerftreut  unb  Oereingett  unb  ^öc^ftenö 
bem  SSerftanb  erfennbar  fid)  umtreibt  —  mäf)renb 
eö  I)ier  in  ber  bramatifd;en  Entfaltung  be§  (5^ara!terg 
gum  runben  93ilb  fid^  gufammenfa^t  unb  in  unmittel* 
barer  3Inf(^auung  öon  unö  erfaßt  merben  !ann.  Unb 
ferner  ift  ein  bramotifd)er  (S^ara!ter  ma^r,  menn  er 
einftimmig  ift  mit  fid^  felbft,  menn  feine  üerfdjiebenen, 
ob  aud^  nod^  fo  mannigfaltigen  bramatifc^en  Sebenä* 
äu^erungen  im  innerften  (Sirunbe  gufammenge^atten 
finb  öon  bem  perfönlid^en  SBillen  gerabe  biefeä 
Snbiüibiumö,  menn  fie  nid^t  in  taufenb  ßufäüig feiten 
auöeinanberfallen  unb  burd^einanberfadeln,  fonbern 
immer  ben  S)urd)bIidE  geftatten  in  bie  innere  '^oU 
menbigteit  gerabe  biefeS  (St)arafterö  unb  feinet  9BitIen§* 


—     168     — 

gentrumS.  Wud^  üom  bramatifc^en  (Sf)ara!ter  gitt, 
tüa^  bie  ©rafin  Xergft)  bem  3SaIIenftein  fagt: 
„  —  ^terfjt  f)at  jeber  eigene  (Sf)ara!ter, 
S)er  übereinftimmt  mit  fid^  felbft;  eS  giebt 
Äein  anbreö  Unred^t  alä  ben  SBiberfprud)." 
2)iefe  Uebereinfümmung  t[t  aud^  baö  bramatifc^e 
9?ed^t  beig  ß^arofterö,  ber  SSiberfprud^  fein  brama^ 
tifd^eöUnred^t,  ha§  il^n  bem  ®eri(f)t  ber Äritif  überliefert. 
'^m  bo^  man  t)a§  Söort  üom  SSiberfprud)  f)ier  nid)t 
falfd)  öerftet)e!  @g  giebt  ja  feinen  rechten  ßj^arolter 
oJ)ne  gemiffe,  luenigften^  fc^einbare  3Biberfprüd^e;  ber 
bramatifc^e  (St)arafter  braud)t  !ein  „auSgeflügett 
35u(i)"  gu  fein,  feine  platte  obftrafte  ^onftruftion  öon 
übereinftimmenben  ©igenfd^often,  er  barf  fedlid)  eben 
„ein  SJtenfd)  in  feinem  SSiberfpruc^"  fein  —  nur  ha% 
au<^  ba§  im  (Singelnen  SSiberfpredjenbfte  ^ufammen^ 
get)alten  mirb  gur  @inf)eit  be^  ©angen  öon  einem 
n)irflid)en  SBiEenö^entrum  im  (Stjarafter,  \)a§>  fic^ 
immer  ftjieber  burd)fe^t. 

2)iefe  3[ßat)rl)eit  beö  bramatifd^en  (Sfiarafter«^ 
mad)t  i^n  bann  geeignet,  auc^  nod)  eine  anbere,  im 
©runb  freilid^  abermals  felbftüerftänblid^e  gorberung 
gu  erfüßen,  bie  an  bramatifc^e  (£t)araftere  gefteüt 
merben  borf:  ha'^  fte  eine  gemiffe  SJebeutung 
l)aben.  Sebeutung  natürlid)  nid)t  in  bem  Sinn, 
ba^  fie  irgenb  tt)eld)e  öu^erlic^  t)eröorragenbe 
<SteEung    im  Seben    einnet)men,    etma  ausf^Iiefelic^ 


-     169     — 

ben  [oßcnonnten  l)ül)ercn  ©täuben  angcljören  ober 
öor  I)öcf)fto  unb  aUcrl)üd)[tc  ^-Pcrjonen  feien;  nicl)t 
einmal  in  bem  ©inn,  bo{j  fie  geiftifl  ober  fittlic^ 
bcfonberS  IjcrDorraöcnbc  '•^erfönlicfifeiten  notinenbig 
fein  müfjtcn.  Sn  bicfcm  ©innc  bebcutenbe  *'^erfün« 
Iic()fcitcn  finb  foc^ar  nidjt  feiten  in  Ijemorragcnbem 
5){n§e  unbramatifclj.  Scbeutung  bcbarf  ein  bra* 
matifdjer  Sl)araftcr  üielme()r  in  bem  ®inn,  bo^  er 
unö  menfdjlirf)  eben  etrooS  „bebeutc",  baS  Ijeifet,  boß 
in  ber  5(nfd;Quung  feiner  SBilten^pro^effe  fid)  unä 
etiuaä  entl)üUe  uom  iuat)rcn  SSefen  be§  men[d)lid)cn 
SBoüenö,  öon  bem,  \va§  im  gegebenen  (SingetfatI 
nod)  fo  Diel  inbiöibuelle  S3efonberl)eit  tjaben  mag, 
\va^  un§  ober  bo^  —  im  ©rofeen  ober  im  kleinen 
—  etxoaß  3Bid)tigeg  unb  Sutereffanteio  fel)en  unb 
mitfüt)len  lä^t  üon  bem  allgemeinen  Seben^lüillen, 
ber  burd)  bie  SDtenfd^ljeit  ge^t  —  nidjt  nur  für  ben 
3lugenblid  unb  irgenbtt)elc§en  ßuf^^'  fonbern  für  bie 
©auer  mit  einer  9^otmenbig!eit  ber  SO^enfc^ennatur. 
3n  biefem  ©inn  mirb  ein  mirflic^er  bramatifd)er 
ßl)arafter  immer  t^pifd)  unb  inbioibueß  äugteic^  fein, 
bie  Gattung  repräfentieren,  gerabe  inbem  er  ein 
fd^orf  umriffeneg  ©ilb  eine§  Snbioibuum^  giebt. 
SDramatifd)  mertloö  unb  unbraud^bar  bagegen  finb 
eben  bie  in  biefem  ©inne  nid^tö  bebeutenben  ©e* 
fd)öpfe,  bie  ja  freitid)  in  ber  platten  3SirflicE)!eit  fo 
l)erumloufen  aber  be^megen    fein  9ied^t    ^aben,  un§ 


—     170     — 

aud^  Quf  bem  bramatifd^en  ©d^oupla^  anjuöben,  tüie 
fic'ö  in  SStrHtd^fett  tl)un.  @^  laufen  ja  freiltd) 
taufenb  unb  abertaujenb  ©efellen  auf  ber  SBelt 
Ijerum,  bie  mel^r  nur  ein  gootogifd^e^  ^tnredjt  auf 
ben  SRamen  9)?enfd§  t)aben,  ba§  öcmge  fatgtofe  3SoH 
ber  leeren  @tntaggmenf(f)en  ol^ne  perfönlid^en 
ß^ara!ter,  mögen  fte  nun  dürften  ober  Settier  fein, 
„Pfarrer,  ^ommergienräte,  ^ät)nricf)e,  ©e!retörä  ober 
^ufarenmajor^",  93adfifd)e  ober  ©d^lotegermütter, 
©d^riftfteHer  ober  ®elel)rte  ober  ^unftbeftiffene  ober 
mag  fonft:  al§  9)?enfd)en  finb  fie  S^uüen  unb  tt)ir 
l^aben  übergenug  an  i^nen  im  niirHidjen  Seben,  toir 
braud^en  fte  ni(f)t  aud)  nod)  auf  ber  S5ü!^ne  5U  fet)en. 
Unb  e§  giebt  anbererfeitS  Seute  genug,  bie  i^re 
50?enfd§Iid)feit  lebiglid;  baburd)  bettjeifen,  ba^  fie  ge^ 
n)iffe  bebeutungSlofe  unb  unintereffante  ©rillen  unb 
©d)rullen  t)aben,  ober  fo  unb  fo  biet  alltäglid^e 
2)ummf)eiten  unb  Safter,  ba^  fie  ftumpffinnig  unb 
gebanfenloö  in  bem  allgemeinen  ©umpfe  öon  jll)or* 
I)eiten  unb  @d^Ie(^tig!eiten  l)erummaten,  ber  fid^  ge- 
rabe  burd)  eine  3^^^  ober  Station  erftredt  —  aß 
ha^  orbinöre  SSotf  üon  S)umm!öpfen,  Sinfaltgpinfeln, 
fd)te^ten  hatten,  ©Item  unb  Äinbern,  öon  erbarm* 
lidjen,  gen)öt)nli(|en  @f)ebred^ern  unb  Süfttingen, 
©ounern  unb  ^rofitma^ern,  Heinlic^en  ©trebern  unb 
Sntriguanten,  ©c^utbenmac^ern  unb  ©eigtiätfen, 
(Mieden    unb    mißratenen  ©d)Iingetn,  ^t)iliftern    mit 


—     171     — 

aÜ  il)rer  ^^auUjett  unb  ^^e'fllieit,  fur^  all  baö  für  bie 
9)^en[d^t)cit  öcrlorcnc  unb  bebcutunflölojc  fiumpen* 
päd,  ha^  jetueitg  bie  (VJrunbfuppe  Don  jal^men 
i?a[tetn  unb  cjleidjgiltigcn  !J)umml)citen  in  einer 
5tulturpcriobe  barftcUt  unb  nirgonbö  ein  SBoüen  3eiflt 
auö  bcm  Ä'ern  beg  9J^en)ct)licf)en  Ijcrauö,  eine  Offen* 
barung  über  baS  Söefen  be^  menfd^lidjen  iJebeniS' 
njiCleniS,  ioenu  and)  im  93öfen.  ®enn  bie  fattfam  be* 
fannte  ^l)atfacl)e  allein,  bafe  bie  SD'Jenfd^ljeit  allezeit 
aud^  fold^e^  ©efinbel  aufn)eift,  ift  nod)  feine  Dffen* 
borung  ber  SD'tenfd^ennatur,  für  bie  iDir  tta^  brama* 
tifc^e  @piel  3U  bemü()en  nötig  l)ätten.  Äommt  ha^i 
platt  unb  brutal  auf  bie  S3üt)ne,  fo  offenbart  e^ 
t)üc|ften!8,  ba^  aud^  ber  S)urc^fcl)nitt  ber  iöüljnenftüc!* 
öerfertiger  fid)  nid^t  tjod)  über  biefeä  ©efinbel  ergebt. 
Unb  nic^t  nur  für  ha§  ernfte  2)rama,  für  bie  Xra= 
göbie  ift  eö  bramatifd^  fo  lüertto^,  ba'^  bie  SSerfe 
©d^illerS  au^  „«Sliafefpeareö  @d^atten"  t)eute  nodj 
unb  Ijeute  tüieber  in  öerftärftem  9}?afee  gelten  — 
aud^  für  bie  Äomöbie  gilt  ha§>.  ^toav  tann  fte  mit 
bem  9?ed;t  beö  ^umorö  Diel  tiefer  l)inuntergreifen 
aud^  in§  kleine,  9^idl)tige  unb  ©rbärmlid^e,  aber  felbft 
in  biefem  Ijat  fte,  ttjenn  fte  n)ir!lid^e  bramatifd^e 
(5l)ara!tere  fc^affen  njtll,  etnja^  oon  bem  aufgumeifen, 
maä  5um  3Sefentlid^en  in  ber  SUtenfc^ennatur  unb  im 
menf^lid£)en  SSiUen  gehört.  ^Dag  gerabe  \)at  unfere 
£uftfpielbül)ne    fo    unföglic^    oeröbet,    ja  oerfimpelt, 


—     172     — 

ba^  bie  übertüiegenbe  Wld)t^a^i  unferer  Suft[ptel* 
fd^reiber,  uon  to^ebue  bi§  gu  i8Iumentf)Qt  unb 
Äabelburg,  in  ber  |)aupt[aci^e  feine  anbeten 
ef)araftere  auf  bie  Süljne  gu  [teilen  n)u§te,  al^  eben 
jenegnid^t^bebeutenbe  ^oljIeMtagöüoI!  öon  S^uUitäten, 
üon  ^^rijpfen  unb  5al)men  .^aßunfen,  t)on  ^jiliftern 
jeglichen  ©tanbeö,  2(Iter§  unb  beibertei  ®ejd£)Iec!^tg, 
öon  S^Jarren  of)ne  fomifd)  bebeutfome  9Zarrt)eit,  üon 
jc^äbig  fd^(ed)ten  ©ubjeften  ot)ne  bie  red)te  ^föiaenö* 
fraft  be§  Öijfen.  S)ie  Ferren  f)aben  !ein  5luge  unb 
feine  S^afe  bafür,  t>a^  \)a§  ©c^tec^te  unb  3)umme 
nur  bann  njirflid;  tomifc^,  Ujenigfteng  im  2)rama 
{omifdj,  in  ber  ^lomöbie  tt)irffam  ift,  wenn  e§  alö 
bie  unüermeiblid)e  ^et^rfeite  üon  Sebeng=  unb  SSiEenS- 
fraft  erjc^eint,  etlüa  gerabegu  on  im  Ä'ern  leben^J- 
tud)tigen,  men[d)tid)  bebeutenben  0laturen  unb 
6i)arafteren  auftritt;  aber  aud)  ber  auSbünbigfte 
^ropf  mu§  feine  Xröpfigfeit  iüenigften§  nac^brüdlic^ 
moUen,  um  einen  ß^arafter  in  ber  ^omöbie  abgu* 
geben.  ®a^^  ift  anbererfeitS  g.  33.  in  5(n5engrubcr§ 
öauernfomobien  baö  (Srfreulidje,  hai^  t)ier  bie 
©Ijaroftere,  mögen  fie  noc^  fo  einfad)  in  i^rem 
inneren  ©efüge  fein  unb  nod)  fo  üiel  ©djledjtigfeit 
ober  5tf)or^eit  geigen,  bod^  einen  feften  SSillenäfern 
t)aben,  ber  un^  üom  9}?enfc^en  etnja§  fagt,  nid^t  b(o§ 
üom  ©efinbel  in  ^rad  ober  Seber^ofe. 

@§  üerfte^t  fid)  babei,   ba§  ei ng eine  3Sertreter 


—     173     — 

bc8  ©efinbclö  im  crnftcn  iinb  im  (jciteren  Drama 
tuüt)I  and)  auftreten  fönnen,  tpo  eS  irgenb  bie 
^anbtunc^  crforbcrt;  fie  fönnen  fogar  einmal  eine 
gute  Äontraftluirfung  tf)un.  ^fber  [ie  ocrmöflen 
nidjt  bic  (£t)araftcre  ju  liefern,  n)eld)e  bie  eigent^ 
licljcn  ^räflcr  bcr  bromatifrf)en  ^anbtung  [inb.  SSoiS 
eine  rcd)tc  bramatifcfje  Dicf)terfraft  getegcntlic!^  auö 
bcm  ®e[inbel  mad^en  fann,  namentlid)  menn  fie  e^ 
inö  Sid^t  beS  hjo^ren  ^umoriS  fe|t,  ^a^  läfet  fid^  an 
Seffing^  9?iccaut,  an  (Sc^itleriS  |)ofmarfd)atI  Äalb,  an 
©r)a!efpcareö  ^aöftaff  unb  äl)nlidjen  ®e[talten  [tubieren, 
bic  bod)  non  ^aufe  aii§  aud)  gum  ©efinbel  ge()5ren. 
9^un  aber:  h)ie  bie  ßljaraüere  fo  hk  §anb(ung! 
9?ur  au§  bem  ßiii^i^^^^treffen  ber  ß^araftere  mit 
bem,  iua§  au^er  i^nen  gegeben  ift,  ent[tel)t  eine 
^anbtung.  5Die  Sßa^rl^eit  unb  Sebeutung  ber 
(Sl)oro!tere  ift  alfo  jugleic^  bie  ttjid^tigfte  93ürgfd^aft 
für  SSatjrl^eit  unb  93ebeutung  ber  ^anblung. 
^Tnbererfeitg  öerftel^t  ftd),  bafe  eben  aud^  jeneö  üon 
au^en  begebene,  ba^  bie  ßebenSorbmingen  unb 
Sebenät)erf)ältniffe,  in  benen  ber  bramatifd^e  ®t)ara!ter 
feine  Äonflüte  finbet,  eine  entfpred)enbe  Sebeutung 
tjoben  muffen,  !eine  bloßen  9^id^tig!eiten  unb  5(erm' 
Iid)!eiten  fein  bürfen,  n^enn  ein  @piel  fid^  geftatten 
foU,  ha§  angufdjauen  fid^  üerlo^nt. 


günfteö  tapitel. 

Kompofittonsgefc^c. 


[uö  bem  SBefen  beg  2)ramatifd^en,  ber  bratna* 
tifd)en  ^anblung  unb  ber  bramatifc^en 
ßt)araftere  ergiebt  fid)  mit  innerer  S^otttjenbigfeit 
aud^  noci§  baö,  h)aö  im  2)rama  5lompofition  ]§ei§t. 
9}2it  ber  groge  nad^  ber  Äompofition  macf)t  bie 
5(eftt)eti!  be§  SDromaö  f(f)on  einen  ©cfiritt  nad^  ber 
9ftid)tung  be^  Stedjnif^en.  ^o^  l^onbett  fid^S  babei 
nod)  nid)t  um  bie  Sted^nif  im  äu§erlid§en  @inn, 
bie  fogenannte  93üt)nented§nif,  bie  Xed^ni!  be§ 
Xt)eatralifd^en  —  ba^  ^ei§t:  um  aßeg  ba^,  toa^  im 
Sinäelnen  bem  befonberen  3^^^^^  hknt,  bie  Stu^* 
geftaltung  ber  bromotifdEien  ^anblung  gum  ftnnen* 
föHigen  «Spiel  auf  bem  ©d^aupla^  möglid)ft 
mir!unggüoE  gu  madjen,  unb  gmar  unter  befonberer 
93erüdftd^tigung     ber    (Srforberniffe     ber    jetoeiligen 


—     175     — 

realen  5Bül)ne.  !Dag  ließt  jdjon  lucit  brausen  auf 
bem  (SJcbiet  ber  äußeren  J^ormgcbung,  jum  teil  ganj 
an  it)rct  äufeerften  (iJrcnge,  tt)o  baö  ^fcftljetifdfie  inö 
^raftifcfjc  übergebt.  93ielmcl)t  Ijanbelt  fidjö  bei  ber 
Stompofition  nod)  um  bic  innere  ^orm,  bie  innere 
bromatijdjc  Stcdjnif,  um  bie  ^^^oge  nad)  gcn^iffen 
aUgcmcincn  (^cfc^jcn,  tocldjc  etnja  ben  3tufbou  ber 
bramati[d)en  ^anbtung  burd)  all  if)re  <3tufen 
t)inburdj  bebingen  unb  regeln.  (£g  i)at  freilid) 
immer  mieber,  non  ben  Stagen  ber  9?omantif  bis^ 
auf  bie  3^it  tM^  9}?obcrne",  Seute  gegeben,  ttjeld^e, 
mel)r  mit  S^euerungöfudjt  unb  ®enialitätäonfprüd)en 
alg  mit  |)robu!tiüer  bramatifd)er  Äraft  ouögerüftet, 
leugneten,  ha'^  eg  bramatifd)e  Äom^ofitionggefe|e 
Hon  bauernber  ©ettung  gebe  —  tDa§  man  bafür 
au^^gebe,  fei  alter  S^egeHram,  um  ben  fid)  ha§>  malere 
®enie  nidjt§  5U  Ütmmern  Ijobe.  2(ber  'ma§  mirflid) 
innere  itompofitionSgefe^e  beö  S)ramag  finb,  ba§ 
finb  fcinegtoegg  njiUlürlid)  aufgeftellte  Siegeln, 
fonbern  eö  finb  im  SBefen  beö  ®rama§  begrünbete 
•gorberungen,  meiere  fid)  —  in  irgenb  einer  SSeife 
unb  unter  ben  mannigfad^ften  SSariationen  im 
©injelnen  —  bo(^  in  ber  §auptfa(^e  immer 
mieber  burc^fe|en;  eä  finb  tt)atfäd)lid)  öort)anbene 
Sebenöbebingungen  ber  bromatifc^en  £unftn)ir!ung 
unb  fie  räd^en  fid)  immer  mieber  an  benen,  bie  fic^ 
fd^lanfmeg    glauben   über   fie    roegfe^en   gu   bürfen. 


—     176     — 

Unb  eben  lueit  bte  auf  biefen  ©ejet^en  ruJ)enbe 
Ä'ompo[ition§ted)nif  innere  STecEini!  ift,  auä  bem 
SBefen  be^  ©romatifd^en  fid)  mit  9^otrt)enbigfeit  er== 
giebt  —  fo  ift  fie  nid)t  in  ber  5föeije  erlernbar,  tt)ie 
e§  jene  äußere  S3ül)nented)ni!  bi§  auf  einen  t)o^en 
(SJrab  ift;  fie  ift  üietme^r  mit  ber  gefamten  broma* 
tiic^en  Begabung  angeboren,  !ann  unb  muB  natürlidj 
Wk  alleä  STngeborene  geübt  unb  auögebilbet  n)erben, 
n}irb  üon  jebem  bebeutenben  ^Dramatifer  nod)  feiner 
inbioibuellen  5(rt  njieber  befonberö  get)anbljabt  unb 
mannigfad)  öoriirt  —  aber  fie  ift  in  i[)ren  mid)tigften 
©runb^ügen  in  ber  allgemeinen  9^aturau§rüftung 
gum  ^ramatüer  mitgefe^t.  ?(Ue  großen  ^ramatifer 
finb  in  biefer  ©e^ietjung  and)  fidlere  Xed^nifer  ge? 
tt)efen,  unb  mer  mit  biefer  %cd)mt  nic^t  5ured)t# 
fommt  unb  etma  fein  S'Jid^tfönnen  mit  einer  grunb* 
ftürgenben  2;t)eorie  öom  Ueberlebtfein  ber  alten 
Äom^ofitionägefe^e  bedt,  ber  benjeift  bamit  nur,  ha^ 
er  etttjaö  beffere§  tf)un  !önnte  alä  2)ramen  fd)reiben. 
£arl  ®u^!ott)  ift  feiner5eit  §u  bauernben  bramotifdjen 
Seiftungen  erft  gclommen,  als  er  fic^  üon  feiner 
jungbeutfd^en  SSerad^tung  ber  ^ormgefe^e  mieber  gu 
gett)iffen  attben)ät)rten  ©efe^en  bramatifc^er  Äom* 
:^ofition  be!e^rt  l)atte;  unb  ©erwarb  |)auptmann 
l)at  auö  ber  Äompofitionäuerad^tung  feiner  erften 
Dramen  fid^  in  ben  „einfamen  3J?enfd)en"  guerft 
ttjenigftenö    in    eine  ?lrt  Sbfenfc^er  ^ed^nif   gerettet 


—     177      — 

unb  enblid)  in  bcr  „isücrfuntcnen  (^locfe",  aud) 
im  „i5"()^'"ö""  ^cnfdjcl"  cinfad)  lieber  auf  jene 
alte  Derodjtete  ÄoinpofitionStedjnif  ^urürfgcgriffen  — 
ül)ne  bnf}  frcitid)  (^crabe  biefc  (Seite  aud)  feiner  legten 
SDranien  iljre  ftörtfte  luorc;  bogegen  f)at  njebcr  ein 
^ridpar^er,  nod)  ein  ^ebbet  ober  Otto  £ubn}ig  fic^ 
bered)tigt  geglaubt,  geluiffe  ©runbgcfetje  ber  brama* 
tifc^cn  Ä'ompofition  5U  mifjad)ten,  iüie  fie  ein 
©l)afefpeare,  Seffing,  ©djiHer,  Äleift  geübt  traben 
unb  (SJocttje  luenigftenö  grunbfölUic^  gelten  Iie§. 
^ebbel  f)at  fogar  mit  größtem  S^adjbrud  fid)  bat)in 
auggef^roc^en,  ha^  ber  2)romati!er  nic^t  baö  elfte 
^ebot  gu  erfinben  fonbern  bie  5et)n  üorf)anbenen 
gu  erfüllen  ^ahe.  Uebrigenö  f)aben  aud^  ^ramatifer 
minberen  9?angeä  relatiö  bered)tigte  ©rfolge  nur 
baburd)  genjonnen,  ha^  fie  ftc|  jenen  |)auptgefe|en 
fügten;  «Subermann  g.  ®.  ift,  mie  feinergeit  Äo^ebue, 
!Iug  unb  meife  genug,  gettjiffe  iüefentlid^e  ^om* 
pofitionägefe|e  nic^t  gröblid^  gu  berre^en,  unb  ha^ 
!ommt  i^m  am  tt)atfäc^tidjen  ©rfolg  irieber  herein, 
loeil  fid^  aud^  ein  geringer  bramatifd)er  ®e^alt  in  feinen 
jr)ramen  bod^  mentgftenS  mit  geeigneten  Äompofitionös 
mittein  in  bie  3Sir!ung  beö  ©pielg  fe^t. 

©ine  Vernünftige  ^Dramaturgie  mirb  eg  nun 
freilid)  nid;t  aU  i^re  ^fufgabe  betrad^ten  fönnen, 
jene  ©runbgefel^e  ber  bramatifd^en  ^ompofition  §u 
«inem    ))ebantifd)en  SfJegelf^ftem    auögufpinnen,    haS 

SBeitbred&t,  2)a§  beutfc^e  S^rair.a.  12 


—     178     — 

für  jeben  %aU  öorfdjtiebe,  tt)ie  big  tnö  C^tn^elfte  I)tn* 
ein  bie  bramatifc^e  §anbtung  aufgebaut  ttjerben 
muffe,  ©ie  ^at  bor  ollem  ber  inbiüibuellen  ^om« 
:pofition§ted)ni!  beö  einzelnen  2)romatifer§,  menn  er 
e§>  nur  mirfüd^  ift,  ben  nieiteften  ©pietraum  5U 
laffen;  fie  mirb  §.  ^.  aud^  einem  Sbfen,  tro^  aller 
S^ebenfen,  ha^  inbiüibuette  died)t  feiner  5;ecf)niE  big 
auf  einen  f)o{)en  ®rab  5U9efte^en  unb  nur  gegen 
eine  unbered^tigte  3SeratIgemeinerung  biefer  inbiöi* 
bueÜen  Xedpi!  proteftieren  muffen,  ©obann  aber 
loirb  bie  ^Dramaturgie  jener  gefe^eüerac^tenben  SBiU* 
!ür  nur  bann  überjeugenb  entgegentreten  !önnen, 
menn  fie  fidj  barauf  befd)rän!t,  nur  gemiffe  ^aupU 
unb  ®runbgefe|e  ber  bramatifc^en  Äompofition  feft* 
aufteilen,  metdje  fid)  mit  9^otmenbigfeit,  tt)atfäd)Iid^ 
unb  erfaf)rung^gemö§  auö  bem  SSefen  beö  2)rama* 
tifd^en  in  ^anbtung  unb  ßf)arafteren  ergeben  —  unb 
auä  ben  altgemeinen,  öon  ben  ßufällen  ber  jemeiligen 
93üf)nenöerf)ältniffe  unabhängigen  ^orberungen  beg 
bramatifd^en  ©pielö. 

jDa  ift  nun  öor  allem  fo  üiel  unbeftreitbar : 
jebe  bramatifd)e  ^anblung  erforbert  einen  ganj  be? 
ftimmten  5(ugganggpun!t,  ha§  ^ei^t  einen  9)?oment 
in  ben  üorgufü^renben  SebenSöorgängen,  mo  ein 
beutlidf)  er!ennbarer  SBiüenSfonftüt  mit  aller  im  ge^ 
gebenen  galt  nötigen  ©d^örfe  unb  Energie  einfe^t 
unb  ein  (ebenbigeö  anfd^aubareg  ©piet  ber  fi^  gegen 


—     179     — 

cinnnbcr  bctucflcnbcn  (iljaratterc  in  öJanfl  brinflt, 
QU«  bem  iföoUen  ber  (SI)Qrattere  f)erau8,  auf  bem 
<Sd)nup(afj  üor  bcn  ^fugcn  be^  Qn\(i)aviix^,  jo  ba§ 
er  [iel)t,  Iöqö  fid)  bo  anfpinnt  unb  [ic^  fofort  mit 
einem  bebcutenben  !5ntcrof)e  gefeffelt  fü()(t.  S)iefem 
^Infangöpunft  cntfpridit  ein  ßnbpunft,  baö  t)eifet  ein 
SKoment,  in  bem  bie  5lonfIifte  für  ben  gegebenen 
%aü  ertebigt  finb,  glcic^giltig  gunätfift  mie?  —  nur 
bafe  fie  mirtlid)  ericbigt  unb  auggetragen  feien,  nur 
ba§  ber  ßufö^öi^c^  ^ic  ^^^^^  5lnfd)auung  unb  bie 
fidlere  ©mpfinbung  i)ahe :  basS  ift  auö,  ha^  (Spiel 
ift  äu  @nbe,  id)  !ann  ^eimget)en,  nid^t  blofe  med  ber 
S5orf)ang  fällt  unb  ba^^  X^eoter  gefd^loffen  mirb, 
fonbern  med  mein  Sntereffe  an  bem  öorgefü^rten 
©piel  befriebigt  ift,  meine  (Srmartung  fo  ober  fo  er? 
füHt,  erfüllt  burd)  ha^  «Spiel  felbft,  ba§  mit  '^oU 
menbigteit  gu  biefem  Srgebniö  fütjren  mufete. 
3tüifd)en  biefen  beiben  fünften  in  ber  Witte,  menn 
audj  nidjt  in  ber  matt)ematifd)en  SDcitte  aber  bod^ 
irgenbmo,  liegt  ebenfo  notmenbig  ein  britter  ^unft, 
ein  ^öl)epun!t,  i>a§  l)eifet  ein  9)?oment,  in  meld^em 
bie  ^onf(ilte  üom  ^Infangäpunft  an  bal)in  gebieten 
finb,  ha^  fie  fid^  nic^t  mef)r  in  berfelben  Sinie  meiter? 
bemegenlönnen,  fonbern  nad)  il)ren  eigenen  inneren  S3e= 
bingungen  in  eine  anbere  9{ic|tung  umfc^lagen  muffen, 
in  bie  9iid)tung  i^rer  Söfung,  il)reg  2luötrag§,  in  bie 
9tid^tung  alfo,  meldte  gum  Snbpunft  l^inbrängt. 

12* 


180 


2)a§  liegt  fo  einfad^  unb  fidler  im  SSefen  beS 
®ramati[d^en,  ha^  w'ix  Ijierin  ein  ©runbgefe^  für 
bie  gü^rung  ber  bramatifd)en  ^anblung,  haä  t)eifet 
für  ben  ^fufbau,  für  bie  Äompofition  beö  QCinäen 
S)ramaö  erfennen  muffen,  ©n  ®rama,  ba§  feinen 
beutlic^  erkennbaren  §rnfanggpun!t  für  feine  Äonftüte, 
feinen  genügenb  Qbf(i)Iiefeenben  ©nbpunft  unb  ba* 
gmifd^en  feinen  energifc^  emporgetriebenen  §Df)epunft 
\)at,  ift  fein  S)rama  im  DoEen  ©inne  beä  SBorteg, 
ift  J^ödiftenö  eine  9fteif)e  üon  bramatifdjen  ©genen, 
bie  me^r  ober  meniger  lofe  aneinanbergerei^t  finb; 
eg  ift  fein  einf)eitticf)eg  bramatifc^eä  <Spie(,  fonbern 
beftenfaüö  eine  ©ammtung  bon  Steilftücfen  üer* 
fd^iebener  möglid^cr  ©piele,  mögen  biefe  im  ©ingelnen 
audf)  mit  aßertei  anbermeitigen  SSorgügen  unb 
momentanen  Söirfungen  au^geftattet  fein.  2)agegen 
l^ilft  aße§  tfieoretifc^e  2)ef(amieren  unb  praftifd^e 
©ünbigen  nid^tö,  baran  ^at  fein  tt)irf(idE)er  S)ramatifer 
aud^  nur  einen  5tugenblict  ge^meifelt,  menn  e^  il^m 
oud)  uieHeid^t  nid^t  in  jebem  einzelnen  SSerf  ge* 
lungen  ift,  bem  ®efe§  Dottftänbig  Genüge  gu  tt)un. 
®aran  reit)en  fid)  ober  fofort  einige  'meitere 
unauömeidjlidje  ^onfequengen.  Um  ben  StnfangS* 
punft  ober  Sinfa^punft  beö  ^onfliftä  fd^arf  unb 
beutlid^  genug  f)erüortreten  gu  laffen,  ift  e^  nötig, 
bem  ßufd^auer  gemiffe  SSorauäfe^ungen  ber  brama* 
tifc^en  §anbtung  möglid^ft  rafc^  unb  fid)er,  mögtic^ft 


—     181     — 

huipp  unb  an[cl)aulidj  fü,^ii[a(^cn  in  bic  §anb  5U 
j^cbcn.  T)cnn  feine  .'panbtiing  beginnt  mit  ber  (£r« 
fdjoffung  ber  Seit,  !cin  Sl;Qrafter  tritt  mit  feiner 
®eburt  in  bie  bromatif^cn  Stonfüfte  ein;  ber 
SKillenStonfütt  unb  ber  SSerlauf  ber  §anb(ung  [inb 
nur  möfliirf;  unter  gcmiffcn  l)orI)er  [cf)on  üortjanbenen 
©ebingungen,  bic  teilsS  in  bcn  ßljarafteren,  tcilö  in 
ben  Umftänben  unb  33erl)ättniffen,  fur§  in  etttjaä 
frf)on  93or^anbcnem,  fertigem,  ©efd^etjenem  unb 
begebenem  liegen.  2)aö  muJ3  ber  3iifcI)Qiic^  ^^  ^^^ 
^auptfad^e  rafd^  erfaffen  fönnen,  n^enn  if)m  ber 
Äonflift  unb  bie  barauS  fid;  ergebenbe  bramati|d)e 
^anblung  fernerf;in  faßbar  unb  üerftänbUc^  fein 
foflen ;  baS  mu^  itjm  alfo  au^einanbergefe^t, 
„ej^oniert"  irerben  —  unb  gnjar  bem  6t)ara!ter  beö 
bramatifdjen  ©piefe  gemäB  nidjt  in  langatmigen 
(Srgäfilungen  ober  umftönblic^en  SDeflamotionen, 
fonbern  in  anfc^aubaren  SSorgängen,  au§  benen 
etnjoige  Serid)te  öon  felbft  f)eröorfpringen,  fd^on  in 
^anblung  alfo,  toenn  aud)  nur  in  einleitenben  unb 
anbeutenben  ^anblung^üorgöngen  —  aber  immer 
boc^  fo,  ba"^  ber  ^onflüt,  fomie  er  einfe^t,  fofort 
begriffen  tt)trb  unb  Sntereffe  ermedt.  Sf^amenttid^ 
l^anbett  fid)§  ^ier  irgenbmie  um  bie  früher  be» 
fprod^ene  rafd)e  unb  fidlere  (£infüt)rung  ber  (5f)araftere. 
Söeiter:  um  bon  feinem  @infa^|)un!t  gum  §öt)epun!t 
5U  gelangen,    fann  ber  ^onflift  nid^t  aU  rul^enber 


—     182     — 

ßuftanb  baliegen,  er  mu^  fid^  üielme^r  entiütdeln 
—  \)a^  Ijet^t  aber  in  btefem  ^att  naturgemäß :  [ic^ 
ftetgern.  @o  allein  fommt  er  an  jenen  '^unft,  über 
ben  er  nic^t  ^inausfann,  oI)ne  ha'^  ber  Sfüc^tungg* 
n^ed^fel  im  Sauf  ber  bramatifd^en  ^anblungsoünie 
eintrete,  meltfier  fie  nad)  bem  (£nb:punfte  gu  (en!t ; 
haS  f)eißl  a(jo:  auf  ben  einleitenben,  e^'^onierenben 
2;eil  ber  bramotifd^en  ^ompofition  folgt  —  fobalb 
ber  ^onftift  ha  ift,  feinen  Ginfa^punft  l^erüor* 
getrieben  Ijot  —  ein  5^eit,  beffen  Sn^alt  bie 
(Steigerung  beö  ^onfütteö  big  5um  §öf)e^unft  ()in 
ift,  auf  tt)etd^e  SSeife  immer  biefe  Steigerung  fid^ 
DoKgieljen  möge,  n)enn  fie  nur  mit  ©i^ert)eit  gu 
jenem  §öi)epunft  fül^rt.  g-erner :  ift  ber  §öl)e^un!t 
erreid^t,  fo  müßte  ein  ©tiUftanb  eintreten,  menn 
nidjt  irgenb  etma§  märe ,  maä  bie  §anblung  in  einer 
anberen  Sfidjtung  meitertriebe.  St£)atfädjli(i)  ruljt  aud^ 
bie  §anblung  nid)t  feiten  auf  bem  ^ötjepuntt  eine  ßeit 
lang,  fo  ha^  bie  ©d)aten  berSBage  gleid)  ftet)en,  ha"^  ber 
Stonftüt  fid^  in  feiner  gangen  güüe  unb  Stiefe  nod^ 
einmot  entfaltet  unb  erbreitert,  et)e  bie  §anblung 
meiterläuft.  STber  enbticf)  muß  e§  bod^  meitergef)en, 
enblid)  muß  irgenb  ein  SOiotiü  fo  fd)tt)er  in  bie  eine 
SBagfc^ate  fallen,  ha^  biefe  gum  ©in!en  unb  bamit 
bie  gange  ^anblung  in^  ^tbmärtäroEen  fommt. 
2)iefe§  9Wotii)  liegt  natürlich,  tnenn  ein  echter  bra- 
matifd)er  ^onflift  üorf)anben  ift  unb  aUeS  bi^  ba^in 


—    183    — 

ficlj  rtcljörifl  uorbereitet  unb  (^cftciflcrt  Ijat,  in  ben 
inneren  Jöebinöiniflen  ber  ^anblung  unb  ber  6^a* 
raftcre  mit  Sfiotiucnbi^ifcit  bcßrünbct,  i)"t  in  ollem 
93i!St)eviocn  fdjon  im  ileim  cntljaltcn  —  tt)enn  eS 
aud)  jctU  erft,  Dieüeidjt  mit  einer  überrofcf^enben 
^^U^Uid)feit,  uieüeidjt  anbors,  alä  eö  erioartet  mürbe, 
unb  büd;  nidjt  uncrmartet,  i)erau!S)pringt.  '^aä  iftS 
im  SSefentlidjen,  maS  bie  ®ried)en  bie  Peripetie  ge* 
nonnt  Ijoben  unb  moS  ein  ftrengerer  bramoturgifc^er 
©pradjgebraud)  ^eute  nod)  fo  nennt,  ©ie  ®ried)en 
untcrfdjieben  aber  ^J^romen  mit  unb  o()ne  Peripetie, 
med  fie  baö  Unermartetc  im  (Eintreten  beä  abmärtg 
treibenben  HJtotiüö,  in  ber  Siidjtungsueränberung  ber 
^anblungglinie  ftärfer  betonten  alö  mir  f)eute,  meil 
[ie  nur  ha  eigentlid)  üon  Peripetie  rebeten,  mo  bieje 
unermortete  SSeränberung  [tarf  t)erauötrat;  mir 
fönncn  bog  Unermartete  nidjt  me^r  fo  [tar!  betonen, 
muffen  aber  bafür  um  fo  nac^brüdlic^er  fagen:  e§ 
giebt  fein  S)rama  oon  einf)eitlid)er  gefd^Ioffener 
SBirfung,  ha^»  nid§t  irgenbmie  feine  Peripetie  ^ätte, 
bei  bem  nid^t  beutlid)  erkennbar,  in  irgenbmeld^er 
S8erbinbung  mit  bem  §öt)enpunft.au§  ben  big  ba^in 
gebiet)enen  Äonftüten  ha§  treibenbe  9)?oment  tierüor* 
träte,  bog  ben  Umfdjmung  giebt,  bie  §anblung  in 
bie  9xid)tung  gum  (Snbpunft  ten!t.  Ob  man  nun 
ben  barauf  fotgenben  5;ed  ber  Äompofition  bie 
„Um!eljr"    nennen  möge    ober   nid)t,    ob  mon  über* 


—     184     — 

l)Qu^t  in  ber  Hrt  ©uftaü  ^retitagS  bon  „fteigenber'* 
unb  „fin!enber"  |)anb(ung  reben  unb  baö  ettüa  nod^ 
grapl^ijd§  barfteßen  tüoUe,  ober  ob  man  berarttge 
©egeid^nungen  glaube  öerattet  l^ei^en  gu  muffen 
—  bie  ^ad)e  bleibt  fic|  gleid):  h)enn  ber  Stonflüt 
feinen  ^ö^epun!t  erreidjt  ^at,  tritt  mit  innerer  9^ot* 
menbigJeit  irgenbtt)ic  eine  SSenbung  ber  bramatifd^en 
§anbtung  ein,  mu§  eintreten,  iüenn  ber  ^onflift 
feinem  SluStrag  entgegengefüf)rt  merben  foH.  SSon 
|e|t  an  brängt  aEe§  naturgemäß  unb  bert)ä(tni§* 
mößig  rafd^  gur  ©ntfc^eibung;  e§  folgt  notmenbig 
ein  ^eil  beö  SDramoö,  meld;er  anfc^aulid)  macEjt,  tuie 
bag  in  ber  Peripetie  trirffame  9J?otiö  auf  bie  @r* 
lebigung  beg  gongen  bromatifd;en  ^rogeffeS  t)in* 
arbeitet,  ben  ^onffift  irgenb  einer  ßöfung  entgegen* 
treibt.  3)ieg  fann  fe^r  rafd)  öoEenbö  berlaufen,  ja 
biefer  Steil  mirb  in  ber  Siegel  um  fo  ftör!er  toirfen, 
je  rafd^er  unb  energifd^er  bie  ^anblung  meiterläuft. 
Sred)nif(^  ift  baS  aber  aud|  ber  fd^toierigfte  Xeit  für 
eine  n)ir!fame  ©e^anblung,  an  biefer  ©teile  finb 
fd^on  mandl)e  biö  bat)in  trefflid^e  2)ramen  gefd^eitert. 
©nblid^  aber:  ift  bie  ^anblung  einmal  fomeit  öor* 
gefd^ritten,  ha^  aÜeS»  für  ben  5lugtrag  ber  Äonflifte 
Vorbereitet  ift,  iia^  bie  Söfung  notroenbig  eintreten 
muß,  bann  fann  aud)  nic^t  met)r  lange  gefädelt 
merben,  bann  muß  mit  rafd^en  entfc^loffenen  ©erlägen 
ein  @nbe  gemad^t  ttjerben,  muß  ber  @d)lußpunlt  be^ 


—    186    — 

©an^cn  troftifl  unb  bcutlid)  ge|e(jt,  bic  ©umme  flc* 
äOQcn,  bie  9icd)nung  aböc|d)loi]cn  iucrbcn,  oljne 
ßaubcrn  unb  Unftarl^eitcn,  oijnc  ücrftimmenbc  unb 
unbcfricbigt  Inffcnbc  tiefte.  5(uc^  ettt)ai9e  9?etar* 
bicrungen,  bie  ba  nod)  nnge5ci9t  jdjeinen  mögen, 
fönncn  feinen  anbeten  ^^tücd  mel)r  Ijaben,  alö  bie 
äu  erluartenbe  ©djlujientfdjeibung  nod;  einbringlid)et 
unb  übergeugenber  gu  niad^en,  inbem  irgenb  Ujeld^e 
Äonfequengen  beS  ©iötierigen  bem  3iif<i)fluci^  nod^ 
befonbetiS  beuttid)  UorS  5fuge  gerüdt  ober  it)m 
irgenbnjctdje  SJci^gtidjfeitcn  nod)  gegeigt  njerben, 
unter  benen  bie  ttjQtfädjtidje  Söfung  q(ö  bie  eingig 
notioenbige  um  fo  ftärfer  IjerauStritt.  S)en  ^cil  beg 
S)rama§,  in  bem  ha§  gefc|ief)t,  pflegt  man  bie  5lata* 
ftropl;e  gu  nennen,  n)obei  [id)  öerftefit,  baf3  biejer 
?lu!§brud  im  2)rama  nid)t  n^ie  in  ber  lanbläufigen 
9(usbrudöft>eife  auf  plöljlid)  eintretenbe,  traurige 
ober  tragifdje  (Sreigniffe  befdjränft  ift,  ha^  er  öiel? 
met)r  in  ber  Slomijbie  fo  gut  ftjie  in  ber  Stragöbie 
eben  haß  (e|te  ©tüd  ber  §anbtung  bebeutet,  in  bem 
bie  legten  ^onfequengen  öor  ben  5tugen  be§  3"* 
fd)auer§  gebogen,  alle  ^onf[ifte  enbgiltig  erfebigt 
merben. 

^a§,  wenn  oud)  nidjt  metjr,  ha§  aber  gemi§ 
—  man  magä  njenben  unb  bretjen  mie  man  mill  — 
ergiebt  fid)  bod)  fc^Iiefelic^  immer  tt)ieber  auö  bem 
inneren  SSefen  be§  bramatifdjen  ©pielä    t)erau§  mit 


—     186     — 

einer  aUe  2BiIt!ür  auäfc^Ite^enben  S'lottüenbtgteit  unb 
tüurbe  tl)at[äc^lic^  öon  allen  großen  unb  erprobten 
S)ramatt!ern  in  irgenb  einer  SBeife  gef)anbljabt. 
Wan  tann  gugeben,  ha^  ®u[taü  ^re^tag  in  feiner 
„Sted^ni!  beö  ©ramaä"  biefe  Äompofitionägefe^e 
aÖgu  bogmatifd)  gelehrt  unb  gu  oiel  in§  ©ingetne 
ft)ftematifirt  tjobe,  üieHeid^t  auc^  mit  nitfjt  gan^  ge* 
nügenbem  p[t)d)otogifd)sä[tf)etifcI)en  Unterbau.  5fber 
im  3öe[entlid)cn  ift  er  boc^  auf  ber  redeten  'Bpux, 
unb  eS  ift  !ein  fonbertid;  glängenbeä  3^iiÖ"i^  f"^ 
bie  ^iefe  ber  gegenmörtig  tjerrfd)enben  bramatur« 
gifd)en  ©infidjten  unb  ?Infid^ten,  hal^  man  oft  fo  leidit* 
f)in  unb  öon  oben  t)erab  über  ^re^tagg  5Infd^auungen 
öon  ber  bramatifd;en  Äompofttion  aU  öon  etraaö 
öönig  SSeraltetem  fpric^t  ober  fpöttelt.  S3erattet  roax 
ha§>  nur  öom  (Stanb|)un!t  ber  naturaliftifdjen  9J?iIieu* 
bramati!  au§;  biefe  felbft  aber  geigt  fd}on  fo  beutlid^ 
bie  ^dterärungetn,  ha'^  man  it)r  überlegene^  5td^fel* 
guden  nic^t  gar  fo  ernft  gu  nehmen  braucht.  3Sag 
einmal  innertid)  im  Söefen  einer  ^ad)Q  begrünbet 
liegt,  aud)  im  SSefen  einer  Äunft,  ha^»  mag  fid)  erft 
allmäl)lid^  ööUig  beutlid)  t)erau§bi(ben,  mag  geit^ 
meilig  öon  unöergorenen  ßeitftrömungen  adjtloä  bei 
«Seite  gemorfen  merben:  eä  fet^t  fidj  aEemat  fdjlief^tid) 
mieber  in  Geltung  unb  bann  in  ber  Sieget  geftärÜ 
unb  öertieft.  Unb  fo  mitbg  mo£)l  aud)  mit  biefen 
©runbgefe^en    ber  bramatifd)en  ^ompofition    get)en. 


—     187     — 

(£i8  ift  üOcrbicS  ctiuaö  iuic  ein  natürtidjer  9U)l;tt)mu3 
barin,  bcn  man  freilief)  met)r  äftl;ctifd)  jpürcn  al8 
Dorftänbifl  uorbemonftricren  tann:  cg  ift  ettoaS  lüie 
ein  breimaliger  333ellenfc()la(\,  mit  bem  eine  Spf^eere«* 
tüOflc  l)ö()cr  unb  Ijöljer  l)eranrolIt,  6iö  fic  firf)  fcfjnumenb 
nad)  Dorn  übcrfd;(ngt  unb  enblid)  tnirfdjcnb  auf  ben 
©tranb  läuft,  um  il;r  opicl  für  bieömat  gu  bcenben. 
Unb  man  mirb  üorlöufig  nod)  rut)ig  ber  SSiber* 
legung  l;arren  bürfen,  menn  man  in  ber  Äompofition 
eines  Ijalbmegö  normalen  S)ramaö  folgenbe  Stufen 
ftet)t,  bie  Don  ber  §anblung  in  fonfequenter  9fJeil)en* 
folge  unb  lüdenlofem  ßufammenljang  5U  burdjlaufen 
finb:  einmol  ba^,  maö  mir  (£jpofition  nennen,  mit 
einem  beuttid)  t)erüortretenben  ©infa^punft  beS 
Äonflilti§;  bann  eine,  menn  aud)  langfam  fid^  ent= 
midelnbe,  fo  bod^  fräftig  oormärtg  treibenbe (Steigerung 
be§  ^onftütg;  ferner  ein  |)öl)epun!t,  über  ben  ber 
^onflüt  nid)t  l)inau§  !ann,  auf  bem  er  fic§  beg* 
megen  mijglidjcrmeife  längere  ßeit  t)ält;  meiter  ein 
Umf(^lag,  eine  SSenbung,  Don  ber  ftc^  ber  ^onfliEt 
nad^  feiner  Söfung  ^in  entmidelt;  enblidj  eine  Äata= 
ftropf)e  mit  einem  beftimmten  ©d)lu§punft,  an  bem  ber 
Äonflift  enbgiltig  aufgetragen  ift.  Unb  eä  ift  burd^auS 
fein  53emeig  gegen  bie  ©iltigteit  biefer  Äompofitiong= 
gefe^e,  menn  biefer  ©tufengang  fo  ungefäljr  bem 
entfprid^t,  ma§  bie  ^ertömmlid^e  (Einteilung  unferer 
•S)ramen    in  fünf  5lfte   anbeutet  unb  ma§  audl)  nod^ 


—     188     — 

ju  er!ennen  ift,  tuenn  ftd^  bie  güitfäatjr  auf  eine 
^reigalE)!  ober  auf  bie  ©in^at)!  l^erbicl^tet.  ?Iud^ 
gegen  bie  3Sier§at)l  lä^t  firf)  übrigeni§  grunbfä^Itd^ 
nid^tö  einn^enben:  e§>  ift  nidjt  ein§ufef)en,  tt)arum  bie 
innere  ©lieberung  ber  Äompofition  mit  bcr  äußeren 
9lfteinteilung  unter  ollen  Umftänben  gufammenfallen 
muffe,  obmof)I  fte  eine  natürlidfie  S'Jeigung  ^at,  eg 
gu  t^un;  e§  fann  öietmet)r  gerabegu  in  ben  Be* 
fonberen  Sebingungen  einer  beftimmten  bramatifd^en 
^anblung  liegen,  ha^  fie  öon  if)rem  §öl)epun!t  an 
erf)ebti(^  rafc^er  gum  «Sd^Iuffe  eilt,  ate  fie  ben  |)ö^es 
pun!t  erreicht  \)at  —  in  biefem  gaü  märe  e§  t^i3rid^t, 
fie  Ütnftlid^  in  bie  Sänge  gu  gieljen,  nur  um  reget* 
rec^t  fünf  ftott  nur  öter  5ttte  gu  bekommen.  ®as 
gegen  ift  bie  feit  einigen  Saf)räet)nten  gu  beobac^tenbe 
93et)or5ugung  öieraftiger  Dramen  t^atfäc^Iic^ 
bod)  fet)r  begeic^nenb  für  gemiffe  ®d)mäc^en  ber 
mobernen  ©ramatif:  ftel)t  man  nät)er  gu,  fo  mirb 
man  in  fet)r  bieten  Ratten  finben,  ba^  bie  93es 
fc^ränfung  auf  bie  SSierga^t  üon  5ttten  teitö  mit  ber 
Unfö^igteit  gufammentjängt,  bramatifc^e  ^onflüte  gu 
öößigem  5lu!§trag  gu  bringen,  mot)(  auc^  mit  ber 
bramatifd^en  geigt)eit,  meldte  bie  tragifd^en  @pi|en 
abbrid^t  unb  bie  Xrogöbie  gum  „©c^auf^iel"  öer* 
mäffert  —  teilä  mit  bem  Ijaftigen  SDrängen  auf  ftar!e 
t^eatratifd^e  ©c^tu^effette,  melc^eö  bie  gmeite  §ätfte 
ber  ^anblung  nid)t  mef)r  bramatifd^  ausreifen  Iä§t. 


—     189    — 

Xai  alleö  nun  aber,  \m<i>  man  alö  (^runb« 
gefe^e  ber  bromotifcljen  ilompofition  betrodjten  barf, 
Iä§t  im  (Siiiäclncu  eine  unt)eörcn5te  "i^üiie  üon 
Variationen  ^u;  bic  Sfnforbcrunflen  beäi  StoffeiS,  bie 
Snbiinbualität  beö  2)ramatiferö,  baä  be[onbere  5öer* 
pltnif;  Hon  .*pnnblun(\  unb  t£l)araftercn  im  einzelnen 
%a\i,  ber  Untcr)c()ieb  5iui)djen  trogifcljem  unb  fomifdjem 
Äonflift  —  haS  unb  nod^  manrfje  anbete  (SJefid£)tg* 
pun!te  [d)affen  eine  enbtofe  9?eif)e  oon  HWiiglic^fciten, 
in  benen  jene  ©runbgefe^e  immer  neue  unb  ^unbert* 
fad)  lücd)[etnbe  9InU)enbung  finben  !önnen,  SSieleg 
freiüd),  lüaö  I;ierü6er  gu  fagen  märe,  t)ätte  met)r  nur 
für  ben  fdjoffenben  ©ramatifer  unb  ben  2)romaturgen 
bon  '^a^  Sntereffe,  üieleä  aud)  fommt  bei  jeber 
bramaturgifcl^-ä[t§etifd^en  5Ina(^fe  unferer  literatur^ 
gefd)ic^tlidj  öor^anbenen  Dramen  gur  ©prad^e  — 
follte  lüenigftenö  gur  Sprache  fommen!  —  unb  für 
ben,  ber  einmal  ba§  2Sefen  ber  ©ac|e  begriffen  i)at, 
tuirb  eä  feinen  befonberen  did^  fjaben,  bekannte  unb 
erprobte  Dramen  eben  auf  jene  ®runbgefe|e  ber 
5^ompofition  ^in  felbft  gu  ftubieren. 

9^ur  (£ineä  fei  nod§  einmal  betont:  fotoeit  bie 
S)ramaturgie  §rft|eti!  beä  5)ramag  ift  b.  f).  nid^t 
tec^nifd^e  (Singetunterfudiungen  aufteilen  fonbern  bie 
äftt)etifd)en  £eben§bebingungen  ber  bramatifd^en  Äunft 
unterfuc^en  unb  feftfteüen  lüiH,  tuirb  fte  fe^r  tt)o^( 
baran  t^un,    ftd§  auf  nac^brüdlid^e  SSetonung   jener 


—     190     — 

©runbgefe^e  gu  Befd^ränfen  unb  ftd^  öor  if)rer  ©r* 
tüetterung  gu  einem  öertoirf elten  9^egelf^ftem  gu  {)üten. 
S)enn  fotoie  fie  ha^  t^un  tüoKte,  tonnte  fie  jeben 
SfugenblidE  bon  einem  neuauftretenben  fraftöoöen 
S)ramati!er  Sügen  geftraft  merben.  Sene  ®runb* 
gefe^e  aber  tüirb  mot)(  fd^merlic^  fo  fd^neE  einer  um* 
fto^en,  unb  atteö,  maS  aud)  in  neuefter  ßeit  toieber 
gegen  fie  gefünbigt  lüorben  \\t,  l)at  fie  ^ule^t  immer 
toieber  beftätigt. 


(SerfjSteö  Kapitel. 

Cragöbic  unb  Komöbk. 


jie  Dramaturgie  ift  fd^on  fef)r  ^äufig,  felbft 
unter  ber  §anb  eine§  Seffing  unb  ©d^iüer, 
gu  einfetttgen  ^eftimmuugen  ge!ommen  baburdE),  ha^ 
[ie  bie  ©efe^e  beö  Dramatifc^en  auöfc^Ite^lid^  auö 
ber  jtragöbie  ableitete.  Unb  umgete^rt  l)at  bie 
5(eftt)eti!  beö  2ragi)d)en  biö  auf  bie  neuefte  Qdt  faft 
immer  an  bem  9[)?ange(  gelitten,  ba^  man  aud)  haä 
%xaQi](i)e  aui2if(f)lie^(i(^  in  feiner  bramatifd^en  2)ar= 
ftellung,  in  ber  Xragöbie  fud^te.  9Kan  ^at  big  auf 
einen  bebenflid^en  ®rab  bie  93egriffe  beg  STragifd^en 
unb  be§  SDramatifd^en  al§  tbentifd)  genommen  —  unb 
unterbeffen  ^at  fict)  bann  ber  3ßa^n  feftgefe^t  unb 
in  ber  ^rajiö  maf)re  35er§eerungen  angerichtet,  aKe 
ftrengen  bramatifc^en  ©efe^e  gelten  nur  für  bie 
Strogöbie,  bie  Slomöbie  braud^e  ftd§  nic^tg  um  fie  gu 


—     192     — 

Ütmmern,  fte  !önne  mit  ber  bobentofeften  SSillfür 
jegltd)en  unbramattfdCien  Unfinn  in  bie  SSett  feigen 
unb  bod§  ben  5(nfprud)  ertjeben,  S)rama  gu  fein. 
Unb  al§  ob  man  biefen  gangen  SBirrmarr  öoll  mad^en 
unb  i^n  äußteid^  üerl)öl)nen  n^oEte,  ift  man  no(§  (gum 
Xeit  in  3(nlel;nung  an  ben  bramaturgijclen  <^pxa6)' 
gebraud)  ber  ^^rangofen)  barauf  üerfallen,  bie  93e= 
geicf)nung  „2)ramo"  einem  ^ing  uorgubeljalten,  haS 
tt)eber2:ragöbienocE)Äomöbie  i[t,  ba^  man  mit  beutfcfjen 
Segeidinungen  aud^  alä  ©d^aufpiel  üon  ^^rauerfpiet 
unb  Suftfpiel  fd)ulmä^ig  gu  unter[d)eiben  pflegt,  ^em 
aßem  gegenüber  ift  gunäc^ft  fotgenbeö  f eftguftetten : 

S)ie  ®runbgefe^e  beö  ©ramaö  —  fomeit 
fie  eben  ©runbgefel^e  finb,  b.  ^.  auö  bem  2Befen  beg 
^ramattfc^en  fic^  mit  innerer  S^otmenbigfeit  ergeben 
—  gelten  alö  fotd)e  für  jebeä  bramatifdie  «Spiel, 
baS  ben  5lnfpru(^  erf)eben  mill,  nid^t  b(o§  ber  äußeren 
gorm  nadf)  ein  fo(d)e§  gu  fd^einen,  fonbern  im  inneren 
SBefen  ©rama  gu  fein.  Unb  namentli^  t)at  ha^ 
fomifd)e  2)ramo,  baä  Suftfpiel,  bie  Ä'omöbie  nid)t  i)a§> 
minbefte  ^e^t,  jene  ©runbgefe^e  gu  mifsadjten.  S)a§ 
ha§  beutfdje  ßuftfpiel  in  feiner  großen  ?l}?affe  bieg 
SfJed^t  gu  t)aben  glaubte,  ift  mit  ein  §auptgrunb  für 
bie  graufame  SSeröbung  ber  beutfdjen  £uftfpielbüf)ne 
ober  genauer  bafür,  ha^  bie  beutfd^e  ^omöbie  feit 
Seffing  in  i^rer  (Sntmidfung  burd^au^  nid)t  ©d^ritt 
gefjalten    t;at    mit    ber    (Sntlüidlung    ber    beutfd)en 


—     193     — 

XvQflbbic,  haf]  uiclmcl)r  baö  bcutjcl)e  iJuftfpiel  feit  bcm 
alten  ^4>I;iti[tet  ilo^jobuc  (bcr  jc(b[t  übriflcnj^,  tro(3  aüet 
^l)ilifterl)aftiöfcit  lucnioftenS  baS  nod)  tüufete,  Wie 
man  eine  £uftfpiell)onblung  folibc  aufbaut)  im  ®rofeen 
unb  6ian5cn  mit  unt)cimlid)er  Sidjertjeit  immer  tiefer 
gefunfcn  ift.  @ö  mirb  fidj  erft  ujiebcr  Ijeben,  menn 
$)ramatifer,  Slrititer  unb  ^ublifum  tuieber  cinfetjen 
lernen,  bo^  bie  Ä'omöbie  gtoar  iljrer  9latur  nad)  in 
mand;en  iScgietiungen  größere  Jöemegungöfreifieit  ^at 
ate  hie  Xragöbic,  ha'^  fie  aber  mit  if)ren  inneren 
fiebenöbebingungen  an  biefetben  bramatifd^en  (Siirunb* 
gefe|e  gebunben  ift  mie  biefe. 

j^erner:  ttJeber  ha^  Xragifd)e  nod)  haQ 
Äomifd)e  ift  in  feinem  5(uftreten,  nid)t  einmal  für 
feine  fpe^iell  üinftlerifc^e  jE)arfteUung ,  auf  baiS 
S)rama  befc^ränft;  eö  fommt  aud)  au^ertialb 
ber  Äunft  —  unb  innerfialb  ber  Äunft  aud)  in 
anberen  Ä^unftgattungen  a(§  im  2)rama  üor.  2)ie 
Unterfudjung  beö  SErogifd^en  unb  Ä'omif^en  gehört 
ba^er  ftrenggeuommen  gar  nid^t  au^fd)IieBüc^  in  bie 
5teftl)eti!  besS  2)ramaö,  geJjört  üielmetir  ^unäd^ft  in 
bie  aögemeine  ?(eft§etif;  auö  if)r  muffen  bie  mefent* 
tid^en  ©rgebniffe  ber  Unterfudiung  in  bie  ^left^eti! 
beä  2)rama§  t)erübergenommen  merben.  Sei  ber 
SSid^tig!eit  aber,  hk  haä  ^ragifcE)e  mie  ha&  ^omifd^e 
bennod^  gerabe  für  bie  bramatifdje  Slunft  natura 
gemä§    geminnt,    unb    bei   ber  Unfid^ert)eit,    in    ber 

9Beit brecht,  Daä  beutfc^e  Xiramo.  13 


—     194     — 

fid^  bie  äfttjetifd^en  S3egri[fe  gerate  in  biejem  ^^apitet 
immer  nod^  Befinben,  i[t  eS  unumgänglich,  {)ier  gu 
einer  etmaö  aEgemeineren  Erörterung  au^^utioten. 

S)ag  Xragifc^e  unb  ha^  S^omi|d)e,  aU 
ä[t^etifd)e  SSirfungen  gefaxt,  [inb  gmei  in  ge* 
toiffem  Sinne  tiermanbte  aber  aud^  »ieber  entgegen* 
gefegte  SJJobififationen  be§  5(eft^etifcl^en.  S^id^t 
aQe  äft^etifc^en  SBirfungen,  bie  tt)ir  öerfpüren,  [inb 
ja  für  unfer  Semu^tfein  üon  gleid^cr  Dualität,  njenn 
fie  aud)  alle  auf  biefetben  grunblegenben  |)f^(^ifd)en 
SSorgänge  gurüdE^ufütiren  finb  unb  mefentlid^  unter 
benfelben  grunblegenben  ©ebingungen  entftet)en.  Unb 
bec  äft{)etifct)e  ©prac^gebraud^  l^at  tängft  eine  3leif)e 
bon  SJegeic^nungen  für  gemiffe  ©ruppen  üon  äftf)e« 
tifc^en  2öir!ungen  eingefüf)rt,  bie  in  i^xex  befonberen 
))f^c£)oIogifd^en  Dualität  ettt)aö  gemeinfameä  unb 
öon  anberen  Gruppen  öerfd^iebeneiS  I)aben:  mir 
unterfc^eiben  haä  @d^öne,  ha^  |)äfelid^e,  ha^  @r* 
^abene,  ha^  einmütige,  ba§  Stragifc^e,  ha^  S^omifc^e  — 
mit  aEertei  Uebergängen  unb  met)r  ober  meniger 
fc^arf  abgegrenzten  (Schattierungen.  2)aä  iftä,  mag 
man  bie  äftt)etifd^en  9}?obififationen  genannt  ^at. 

SDie  ältere  ^Tefttjeti!  t)at  fie  auf  begrifflid^em 
äöege  gu  beftimmen  unb  abgugrengen  gefuc^t  unb 
jmar  \o,  ^a^  ha§  ©c^öne  al!§  ber  oberfte  unb 
^auptbegriff  gefaxt  unb  mit  bem  5Ieft^etifc§en 
übert)aupt    aU    gteid^bebeutenb    genommen    mürbe; 


—     106     — 

aUe  anbeten  ÜJ^obifitotioncn  luurben  alö  Unterbegriffe, 
als  9(rten  beS  <Sdjöncn  uom  ©cl)bnen  abgeleitet. 
Unferc  t)eutige  ?reftl)ctif  fann  nid)t  me()r  fo  öer* 
fal;ren;  auf  il)rem  ®ong  „uon  unten",  njie  it)n 
i5crf)ncr  genannt  I)at,  mit  il)rem  ?(ugge[)en  üon  ber 
Untcrfudjung  bor  tljatfad^lidjen  pft)d)oIogifd)en  ^^or« 
gänge  ift  fie  nad;gerabc  bal;in  gefommcn,  ba!§  9reftl)e* 
tifc^e  ober  äftl^etifd)  SSirffame  überljaupt  als  ben 
^auptbcgriff  5U  betrad^en,  haS  ©c^öne  aber  nur 
nod^  als  eine  9J?obifi!ation  beg  5left^etifc^en  neben 
ben  anbern,  ttjenn  and)  etwa  als  eine,  bie  in  letzter 
Snftang  njieber  eine  gong  befonbere  öebeutung 
unter  ben  anberen  genjinnen  mag.  Um  aber  eine 
fidlere  pft)d;oIogif(^e  (Srfaffung  unb  ^tbgrengung  ber 
äftt)etifd^en  9}?obt[ifationen  ju  gen)innen  unb  fo  aud^ 
bem  Stragifd^en  unb  ^omifc^en  üon  innen  l^eraug 
beigutommen,  bagu  fe^e  id^  feinen  anberen  SSeg  atiS 
ben  folgenben. 

3m  aßgemeinften  @inn  fd)eiben  fid)  ja  bk 
äft^etifc^en  SSir!ungen,  bie  öerfd^iebenen  Slrten,  tote 
bie  äftl)etifd^e  §rnfd^auung  gefü£)femä§ig  getoertet 
toirb,  nac^  bem  ©egenfa^  öon  Suft  unb  Unluft. 
9Jun  finb  aber  äftl^etifc^e  Suft  unb  Unluft  fetbft 
toieber  in  bo|3))eItem  @inne  gu  faffen:  formal  im 
©inne  ber  Suft  ober  Unluft  an  bem  pft)d)if^en 
SSorgang  be§  äftf)etifd^en  ^rnfc^auenö  fetbft  —  fac^tid^ 
im  <Sinne  ber  Suft  ober  Unluft  an  bem  ©egenftanbe 

13* 


196 


ber  5tnf(^auung.  Unb  fo  fönnen  gunäd^ft  ^luet 
^äUe  eintreten:  enttueber  ift  ber  ©egenftanb  ber 
5(nf(f)auung  für  \id)  fd)on  geeignet,  Sufttt)erte  ab^u* 
»erfen,  and)  im  au§erä[tt)etifd^en  SSer^atten  — 
unb  biefe  Suft  am  fad)ticf)en  !;5nl;alt  ber  5Infd)auung 
üerbinbet  ficf)  ol)ne  5l!onftttt  ober  SSiberiprud^  mit 
ber  Su[t  am  Sßorgang  beö  äftt)etifcl^en  5(n[d)auen^ 
felbft;  ober  aber:  ber  Sni)att  ber  2(nfd)auung  liefert 
fac^Iid^  Untufttoerte  —  foü  er  ®egen[tanb  beö  an 
fid^  luftbollen  äftt)etifc!^en  ?rn[c^auen^  ioerben,  fo 
entfielet  ^unäd^ft  ein  Äonflüt  gmifd^en  formaler  Suft 
unb  fad^tid^er  Untuft,  bei  bem  fid^iS  fragt,  ob  er 
getöft  ioerben  !ann.  35on  biefem  ©efid^täpunft  auiS 
betrad)tet  ergeben  fid^  oerfd)iebene  Gruppen  üon 
äfttjetifdjen  Söirfungen,  bie  quatitatio  im  ©inne  ber 
5u  ®runbe  (iegenben  pf^c^ologifc^en  3?orgänge  öer* 
fd^ieben  finb,  eben  jene  9}?obififationen  (üon  itjren 
Uebergängen  unb  Sd^attierungen  im  ©tn^elnen  l)ier 
abgefet)en)  —  unb  biefe  toerben  alfo  beftimmt  burc^ 
ha^  jemeilige  SSerpItniS,  in  toeld^em  hk  formale 
Suft  am  äft^etifd^en  3Ser{)aIten  felbft  5U  ber  fad^* 
tid^en  Suft  ober  Untuft  an  ben  angefc^auten  ©egen* 
ftänben,  begie^ungöttjeife  Sinbrüden,  fte^t. 

Unb  fo  treten  weiter  folgenbe  gälle  ein:  ent* 
meber  bettjötigt  fid^  bie  formale  äftf)etifdje  Suft  an 
©inbrüden,  bie  an  ftd^  fd^on  Sufttoerte  ergeben,  unb 
l^erau^    fommt   eine    einheitliche   reine   Sufttoirfung;. 


—     197     — 

bicfcr  ^-all  evßiebt  baö  Scf)öne  unb  bnö  ^fn mutige, 
baS  man  ein  bcpotcnäicrteiS  ®d)önc!?  nennen  ti)nnte. 
Ober  bic  ©inbrücfe  [inb  an  fiel)  unlufterreßenb; 
bann  ift  ein  ©oppelteö  miJglid):  eninjeber  fann  biefe 
Unhiftluirfunfl  fo  ftarf  fein,  ba§  eine  £uft  am 
äftljetifdjen  ^^erljatten  ju  ben  Sinbrüden  gar  nid^t 
auf5ufümmcn  üermag  —  bteö  ift  ber  ^a\i  beim 
.^(i^(icf)en  im  abfolutcn  ©inn,  beim  loiberäfttjctifd^ 
^ä^licljen,  unbebingt  5(nlüibcrnbcn,  in  geringerer 
^törfe  äft[)etiftf)  ®Ieid)giUigen,  iölöben,  Deben, 
tjöUig  9?ei5(ofen.  Ober  aber:  bie  fad)Iid^e  Unluft* 
tüir!ung  fann  öon  ber  formalen  Suft  om  äftf)etifc^en 
?tnfd)auen  in  irgenb  einer  3Beife  übermunben  incrben, 
fobaJ3  ha^  ©d)(u^=  unb  ©efamtergebniö  bennod^  Suft 
ift;  bieä  gefd)iet)t  in  brei  Rollen: 

Sm  einen  gall  ift  ber  ©inbrud  fad^tic|  untuft= 
hjedenb  burd^  bie  Dualität  ber  gu  ©runbe  (iegenben 
ftnnlid)en  Erregung,  burd^  ben  9J?angeI  an  ^ar^ 
monie,  burd)  unluftige  5{ffociationen;  aber  biefe 
Untuft  !ann  übermunben  merbcn  burdj  bie  formal 
äfttjetifd^e  Suft  am  ?rnfdjauen  be§  (5t)ara!teriftifd^en, 
an  ber  9Infd;ouung  eineä  Äontraftes  ober  bergleid^en 
—  bann  entftet)t  ha§  relatio  §ä^Iidje,  ha^  ^äßlid^e 
aU  SSeftanbteil  ber  öft§etifdjen  ^fufd^auung,  ba8 
äftt)etifd)  n)ir!fame  §ä§Iid^e.  3m  gmeiten  gaß 
berut)t  bie  Unluftnjirfung  fad^Iid)  auf  einer  feelifd^en 
S)epreffion  burd^    etftiaö,    haä   bie  gemo^nten  SKa^s 


—     198     — 

[täbe  irgenblrte  übetfteigt,  bte  5t!!omobation  be§ 
SeiDu^tfeini  erfc^lüert,  auf  ettüa§  gunäc^ft  „Unan* 
gemeffenem",  ba§  in  ungef)euren,  übergetüatttgen  unb 
ä^nttc^en  ©inbrücEen  unferem  93ett)ufetfein  entgegen* 
tritt;  aud)  biefe  Unluftmirtung  fann  überiounben 
toerben  burd)  eine  SSeitung  beö  ^erfonlidjen,  ha^ 
ftclj  eben  in  ber  '?(nfc^Quung  [trecTt,  anpaßt,  ben 
§unärf)ft  untuftig  übermöd^tigen  ©inbrud  bodj  be* 
trättigt  unb  fo  gu  Suftgefü^ten  !ommt  —  ha§  ift 
bie  S!}(obififation  beö  (£rt)abenen.  Sm  britten  %aU 
enblid)  beruht  bie  fad^(id)e  Untuft  auf  einem  SBiber* 
fprud^  enttüeber  im  ©egenftanb  ber  Sfnfcl^auung  felbft 
ober  5mifd)en  it)m  unb  ben  fic^  anf(^Uefeenben 
Slffociationäöorfteßungen;  er  mirb  übermunben  in 
ber  ^fnfd^auung  burd^  irgenb  ein  9}?oment  ber 
äftt)etifc^en  ^erfö^nung,  tüetc^eö  ben  SSiberfpruc^  für 
bie  ©eete  löft  unb  bie  Untuft  in  £uft  üermanbelt, 
inbem  e§  ein  inneres  9Jcitmad§en  unb  9}?itfüf)(en 
gerobe  in  ber  ?(nfc^auung  ber  SSiberfprüc^e  er« 
möglid)t:  in  biefem  ^aU  entfte^t  ha^  Xragifd)e  unb 
bag  Äomifc^e.  Seibe  traben  ha^  ©emeinfame,  ba^ 
it)re  SBirfung  berul)t  auf  ber  ^Tnfc^auung  eine§ 
2Biberfprud)ö  unb  auf  ber  ßöfung  beö  2öiberfprud)§ 
in  ber  äftt)etifd)en  Slnf^auung  felbft  unb  burc^  fte. 
Sm  Xragifc^en  nun  ift  ber  ©egenftanb  ber 
5(nfc^auung  unbeftreitbar  ein  Seiben,  bag  big  gur 
langfamen    ober   plö^Iid)en   Sebenääerftörung   ge^en 


—     109     — 

!onn,  in  ber  9icrtel  auri)  baf)in  gel)!,  [o  ober  \o. 
!I)icfe«  Seiben  mufj  nirf)t  notlüenbifl  bem  fieibenbcn 
felbft  Hon  ?(nfanfl  an  flar  bctuu^t  fein,  e«  fann 
aud)  nlö  ein  i'eibengöefd)ic!  junädjft  nur  für  unfere 
5tn[djnuunfl  über  ibm  tiönöen  unb  erft  an  einem 
ÖCtüiffen  fünfte,  njo  bie  ßerftörung  augbrid)t,  bem 
Seibenben  fetbft  gum  öenju^tfein  fommen.  (58 
mu§  auc^  nid)t  öon  Dornfierein  in  feiner  ganzen 
©röjje  unb  (Sd)rt)ere  baftet)en,  e«  fann  ollmötilicl^ 
fid)  enttuicfeln  unb  ftcigern  —  nur  bafe  n)ir  baä 
njirflid)  uor  ber  unmittetbaren  5lnfd)auung  l)a6en. 
©bcnfo  fann  biefe^  Seiben  nur  innerlid^  üernic^ten, 
tt)äl;renb  ha§>  pl)t)fifcl§e  Seben  baöonfommt;  in  ben 
meiften  gäUen  ijt  gUmr  aud^  ber  äußere  Untergang 
bog  notttjenbige  @nbe  be§  Seibenö,  aber  aud)  bann 
ift  ber  Unterget)enbe  gugleid)  innerlid^  fertig,  f)at 
nid)tö  SSefentlidjeö  me^r  im  Seben  gu  fuc^en. 

S)ie  5tnfc^auung  beg  Seibenä  ift  aber  an  fi(^ 
frf)on  etnjag,  toaä  n)ir  mit  llnluftgefüf)len  merten, 
menn  mir  normale  9J?enfd)en  finb,  mag  alfo  mit 
ber  Suft  am  äftf)etifd)en  5fnfc^auen  gunädift  in  einen 
SSiberfprud^  tritt  unb  mit  biefer  erft  irgenbmie 
äftfietifc^  öerfö^nt  merben  mufe,  um  bie  3Sirfung  gu 
ergeugen,  bie  mir  im  äftf)etifd)en  ©inne  tragifc^  nennen. 
?tber  nid^t  jebe  5(nf(^auung  eineö  Seibenö  unb 
llntergef)eng  fommt  in  biefen  %aU:  mo  fie  fdjled^tmeg 
traurig,  nieberbrüdenb,  empörenb,  öerftimmenb  mirtt, 


—     200     — 

ha  tritt  jener  Söiberfprud^  gar  ntc^t  ein,  ift  für  jene 
S5erföl;nung  gar  !ein  93ebürfnig,  h)eit  bie  £u[t  am 
ä[t{)etifci^en  5fnfd;auen  öon  Dorn^erein  unterbunben 
ift;  bie  5(nfd)auung  tt)irft  einfad^  h)iberfprud)gto§ 
unluftig,  ötjulid^  tt)ie  beim  abfotut  §ö§Iic^en  unb 
SBibrigen.  2(ucl§  foId)e  3Bir!ungen  tragifc^  gu  nennen, 
ift  ein  —  allerbingö  bergeit  n)eit  Verbreiteter  9J2i§* 
braud^,  ber  e§  nid^t  nur  mit  bem  äfttietifd^en  ©prod^:= 
gebrau^  ungenau  nimmt,  fonbern  aud^  bom  pf^d^o* 
logifc^en  SBefen  ber  @ad)e  nur  einen  %di  fiel)t. 
®enn  nic^t  nur  um  has^  Seiben  unb  bie  Sebeng« 
gerftörung  an  ftd)  tjanbelt  fid^g,  fonbern  ebenfo 
barum,  mer  leibet  unb  unterger^t.  ^ritt  bie  leib* 
üotte  SebenSgerftörung  an  einem  Seben  in  bie  9ln* 
fd^auung,  bei  bem  fie  at^  etma§  (SetbftUerftänbtid^eg 
erfdieint,  am  irgenbtuie  Seben^untüc^tigen,  üon  |)au§ 
au8  Mmmerlid^en  unb  <Sd^n)äc^lid)en,  am  (Siechen 
unb  (gntarteten,  et^ifd)  ober  ^^t)ftfc^  Slermlid^en  unb 
(Srbörmlic^en,  (gemeinen  unb  S'Jid^tgmürbigen,  etma 
aud£)  am  ^itfto§  Gummen  unb  ©tum^ffinnigen,  furj 
an  irgenb  einem  9)?enf(^enmefen,  ha^  feiner  Statur 
nad^  lebiglid)  für§  3"9^""^e9ef)en  beftimmt  fd^eint  ober 
tool^l  :^in  ift:  fo  entftef)en  miberfprud^äloö  jene  Untuft:» 
gefü[)Ie,  bereu  mir  un§  gern  mögtid)ft  balb  ent« 
fd^lagen,  bie  mir  nid^t  burd^  längere  ober  öftere 
SSerfen!ung  in  bie  Hnfd^auung  Verlängern  mögen; 
ber   äftt)etifd^en   Suft   ift    alfo    von    öornI)erein    ber 


-     201     — 

Si>efl  ucricftt.  i^an^  anbcrS  baßcgcn  ift  cö,  lücnn 
ttjir  9}^cnfcl)cn  uon  fiebcnStücijtiflfeit  unb  93cbeutun9 
leiben  unb  untergeljen  fe()en,  einen  fraftüoÜen  iicbensS* 
njiüen  feine  3*-'t[törun(^  erleben  fe()en,  inenn  tuir  un« 
mittetbar  5U  frfjauen  befommen,  iuie  fräftigeö  ^cben* 
njollcn  5um  iJeibcnmüffen  luirb  unb  nur  im  Sterben^ 
njoUen  [idj  Ibfen  tonn.  (Sotd)e8  S!J(Vnfd)onba[ein 
fonn  freilid^  öon  allerlei  5frt  fein,  fein  fieiben  mu§ 
nirl)t  nottüenbig  an  etnjosS  gan5  5(uf3erorbentIid)em 
ober  gar  äufjerlid)  §od)gefteIItem  fid)  DoÜ5iet)en;  eö 
!onn  nidjt  nur  al§  Äroft  fonbern  aud)  a(ä  ®üte 
ober  aud),  namentlid^  beim  3Seibe,  aU  ©djön^eit 
ober  alä  (S5cfunbl;eit,  ^rifdje  unb  ^reubigfeit  ftd) 
barftellen,  ober  toa^  bergleidjen  ift  —  irenn  nur 
ber  Seibenbe  für  bie  §(nf(^auung  ben  beftimmten 
©inbrud  madjt,  ba^  er  eigentlid)  5U  et\üa§  anberem 
beftimmt  fei  alä  gum  Seiben  unb  gur  Sebengger* 
ftörung,  5um  Seben  eben,  gum  fraftbollen  ober 
fd)ünen  ober  t)errli(^en  ©ic^au^Ieben.  5(ud)  brandet 
bie  £ebenätüd)tig!eit  unb  ber  Sebengtt)iIIe  fid^  nidjt 
o^ne  ineitereä  gugleid)  al§  fittlid^e  ®üte  gu  erttjeifen; 
aud)  ha§  Söfe  fann  in  feinem  Seiben  benfelben 
©inbrud  mad^en,  toenn  eö  ficf)  nur  alö  fräftig  unb 
bafein§fät)ig  ober  gar  aU  überlegen  gu  er3eigen 
öermag.  STm  n)irffamften  Ujirb  in  biefer  Segiefjung 
t)äufig  jene  fd^on  öon  Slriftoteleö  beoorgugte  „SOtifdjung 
üon  ®ut   unb  93öfe"  fein;    nur  ber  innerlid)  §ofjIe 


—     202     — 

unb  Sa^me,  ber  Saue  unb  9^td)ti9e,  ber  pjiltfter 
!ann  ntc§t  in  btefer  SSeife  tt)ir!en,  jei  er  jonft  fittlic^ 
fo  ober  fo  befdjaffen.  3Sa§  man  aber  in  biefem 
3ufamment)ang  mit  einem  ni(f)t  au^gurottenben  5Iu§* 
brud  „©c^ulb"  nennt,  ba§  brou^t  burc^auä  nirf)t 
moratifd^e  S3ern)erflid)!eit  gu  fein,  eö  !ann  lebigtici^ 
irgenb  eine  öerpngnigöolle  ^feu^erung  beä  !röftigen, 
bielleid^t  über!räftigen  £eben§millenö  fein,  bie  'Oa^ 
Seiben  ober  ben  Untergang  t)eroorruft  ober  be« 
förbert  unb  gum  ^ruöbrud)  bringt. 

9^un:  mo  ung  haS  Seiben  an  fold^en  SJJenfd^en 
entgegentritt,  ha  entftet)t  feine§n)egi§  jene  einbeutige 
unb  miberfprncf^glofe  Unluft,  ber  mx  mögüd^ft  rafd^ 
gu  entgegen  fuc^en,  t)ier  ift  üielmef)r  auc^  im  Ob« 
je!t  ber  9lnfdjauung  ein  SSiberfprud),  ber  unS 
eben  al§  foldjer  nidjt  leidjt  loöläBt.  greilic|  ent^ölt 
biefer  SBiberfprud)  an  fic^  mie  ha§  Seiben  an  fid) 
gunäd^ft  bie  S3ebingungen  für  Untuftrtjerte :  mir 
möchten  un§  freuen  an  Straft  unb  Seben§tüc^tig!eit, 
nic^t  fie  gerftört  fel)en.  Unb  aEerbingä:  mer  biefe 
boppelte  Untuft  nidjt  burd^  bie  Suft  am  äftt)etifd)en 
5tnfdjauen  irgenbmie  §u  überminben,  ben  unluftigen 
SBiberfpruc^  gu  oerfötjuen  öermag,  ber  !ommt  nie 
jum  Stragifd)en;  eö  giebt  ja  tt)atföd)lic^  nic^t  menig 
SQtenfd^en,  bie  bem  ^[iragifd^en  ol;ne  meitereiS,  t)ieEeidt)t 
grunbfä^Iic^  auämeidjen  —  fie  fönnenS  nid)t  ev 
tragen,  füet)en  eg.    2)aö  bto§e  traurige,  baö  miber^ 


—     203     — 

fpruct)«to8  XrauriQC  loffcn  fic  —  eben  [ic  —  firf| 
öicUcic^t  mit  einer  genjiffcn  9f\ü[)runfl  gefallen,  fotüie 
aber  ber  jum  ^roflifcfjcn  füt)renbe  SKibcrfprud)  auf* 
taurf)t,  tuirbS  iljncn  511  l)art,  ^u  ()crO,  fic  lüoüen  feine 
Sföibcrfprürfjc  onfdjaucn,  lucnbcn  fidj  ah  üon  il)nen, 
tucil  fie  nid)t  bic  ^•nl}ic\toit  aufbringen  ober  auf« 
bringen  mögen,  bem  5föibcrfprud)  in§  ?(uge  gu  feJ)en, 
i^n  (iftljctifd)  ju  überminben  unb  3U  oerfötjnen. 

(Sine  foldje  Uebcrtüinbung  unb  35erföt)nung  aber 
ift  mögtidj,  unb  n^o  bie  Scbingungen  für  fie  t)orf)anben 
finb,  ba  fann  bie  tragifdje  SSirfung  entftet^en.  Sin 
5tnfnüpfung§puntt  bafür  liegt  fd)on  in  bem  üor« 
liegenben  SSiberfprud)  felbft.  S)er  SBiberfprud^  ift 
aüerbingg  einerfeitö  ba§  gegen  bie  ©rtoartung  gefjenbe, 
ha§>  Unernjartete  ober  nidjt  gu  (Srmartenbe,  ob  eö 
fidj  nun  plötUidj  unb  übcrrafdjenb  offenbare  ober  aß« 
mäfjlid)  fidj  üor  unfern  klugen  entmidk.  5(nberer« 
feit§  aber  fann  bod)  in  biefem  SSiberfprud^,  in  bem 
S^iidjtguermartenben  felbft  fidj  eine  9^oth)enbigfeit  offen* 
baren,  ha§  Seiben  fann  aU  ein  in  tieferen  unb 
^öf)eren  Seben^orbnungen  begrünbeteö  unb  barum  un« 
auömeidjlid^eätrot^  allem  fidj  öor  bie^Infd^auung  ftellen. 
!j!amit  ift  fdjon  ein  ^rnfnüpfungäpunft  für  bie  Ueber« 
minbung  ber  Unluft  gegeben  —  um  fo  fid)erer 
gegeben,  je  unmittelbarer  unb  beutlid)er  fid^  jene 
SRotttjenbigfeit  üor  bie  Stnfdjauung  ftellt,  alfo  bem 
äftf)etif(^en     SSerljalten     entgegenfommt.       (2d)auen 


—     204     — 

tüoKen  tötr  ja  immer  ba^,  tüa§  ä[t{)ettfd)  auf  unö 
n)ir!en  foß,  unb  fd^auen  rtJoHen  tüir  nun  aud^,  ba^ 
unb  hJtefern  ha§  ßeiben,  bog  mir  öor  un§  fel;en, 
notmenbig  unb  unauömeid^Iid^  [ei,  trotj  [eineö  inneren 
SBiberfpruc^g.  Unb  gur  ^Tnfc^auung  !ann  biefe 
S'Jotmenbigfeit  un§  fommen  teils  burdj  bie  5fn[ci^auung 
beö  (SJ)arafterg  be§  Seibenben,  menn  beffen  innere^ 
3J?üffen  [ic^  unä  atä  SeibenSnotmenbigfeit  entl^üUt  — 
ha§  ^ei^t  aber  nicf;t  aU  bie  ©elbftüerftänbüd^feit,  mit 
ber  \>a§  (Sd;mod)e  unb  kümmerliche  (eibet,  Dielmel)r 
gerabe  al^  bie  ^Jotmenbigfeit,  mit  ber  bo§  ©tarfe 
unb  Seben^tücfjtige  burd^  bie  Sefonberljeiten  feineä 
ßfjaraftcrS,  au§  feiner  inbibibueHen  Statur  f)erau§ 
fic|  fein  Seiben  fcf)afft.  5(nbernteit§  !ommt  bie  ^oU 
menbigteit  be§  tragifcf;en  Seiben§  gur  5fnfd)auung  alö 
eine  S^otmenbigfeit  be§  ®efd)icfee!,  haß  t)ei§t  aiß 
etmaS,  bag  unau§meid)tic^  in  ben  oltgemeinen  SebenS« 
orbnungen  liegt,  mit  benen  ber  (S^ara!ter  gufammen* 
trifft;  er  mag  nod^  fo  mac^tüoll  gegen  fte  anfämpfen, 
mag  fte  noc^  fo  üerbtenbet  üerle^en  —  fie  bleiben 
i§m  boä)  am  ©nbe  übermächtig,  ftellen  fic^  boclj  raieber 
in  il)rer  ©iltigfeit  t)er.  ®abei  fann  ber  <Sc^merpun!t 
beffen,  maS  fid)  alö  S^Zotmenbigfeit  barfteltt,  ha§  eine 
Wal  auf  (Seiten  beg  ß^arafterS,  ba^  anbre  Wal  auf 
(Seiten  beS  ®efd)ide§  liegen ;  immer  aber  arbeitet  fic^ 
beibe§  irgenbmie  in  bie  .^änbe  —  aud^  bie  Unaug* 
meidjlid^ feiten   beS  6l)arafterg  ruf)en  ja  mieber  auf 


206 


aUöciucincren  iiebcnsJorbnunßcn  unb  arbeiten  an  i^rer 
S)mfl))c(,mnö  mit  —  unb  ßctabe  tuieber  bie  5(njd)auunö 
biefer  l!iyed))ohüirfunö  i[t  ein  n)i(f)tiöe3  9}?oment  in 
ber  traflifcljcn  Sl^irfung.  3"Ö^<^if^J  ergiebt  \id)  and) 
babci,  bo^  bio  5(n[cI)oiiung  folcljcr  S'iotföenbigfeit  nur 
möölid)  i[t  bei  QUiSöc)prod)cncn,  bcbeut|"amen 
ßljarotteren,  beren  innere^  ©efüge  bie  SDiac^t  beg 
inneren  menfdjiidjen  9J(üffenö  beutlic^  unb  folgerid)tig 
erlennen  läfet,  nid)t  aber  bei  oßtöglidien  Sammerfeeten 
unb  nidjtöbebeutenben  S'JuIIen.  Unb  ebenfo  ift  ein* 
leudjtcnb,  bafj  baö(S3c[djid,  um  bag  \\d)§>  babei  lianbett, 
nid)t  bie  SSiÜfürlidjfeit  unb  3"fönigfeit  !(einlid)er, 
bebeutungötofer  SSer^ältniffe,  unmidjtiger  ober  ah' 
gcfdjmodter  9Jtiferen  fein  fann,  öielme^r  fid^  beutlid^ 
mad)en  mu§  al^  ha^  SSatten  einer  tt)irflid)en  ®e[e|s 
mäfeig!eit,  ^a^  Sßatten  jener  endigen  großen  Sebenö* 
orbnungen  natürlid)er  ober  ett)ifd;er  SIrt,  bie  mir 
oere^ren,  oor  benen  mir  unö  in  Stnbad^t  unb  Ergebung 
beugen  tonnen  unb  muffen,  aud^  menn  fie  un^  leibüoU 
berüt)ren. 

Sn  ber  9}?ögtid)feit  nun,  fold^e  SfJotmenbigteiten 
angufd^auen,  liegt  pf^d)oIogifc^  bie  3)2ögtic^teit  ber 
tragifdjen  Suft,  bie  9J?DgIid)!eit  für  ben  5(nfd;auenben, 
aud^  Don  ber  STnfc^auung  be§  Seibenö  unb  bes  leib* 
üoUen  2Siberf|3rud^g  nic^t  unluftig  ftd)  abgumenben 
ober  fie  bto§  mit  Untuftgefül^Ien  gu  merten,  öielme^r 
fid)  mit  ber  formalen  Suft  be§  äftf)etifd^en  5Infd^auen§ 


—     206     — 

barein  gu  Derjen!en,  fid^  mit  feiner  eigenen  ^er- 
JDnIicE)!eit  in  bie  Stnfdjauung  ein^ufütjfen,  ha^  Seiben 
unb  bie  Sebenögerftörung  mit^uteben,  mit5uleiben, 
aU  etxoaß  ©igeneä  baiS  mitjumad^en,  \va^  fid^  üon 
ber  50Jenfd^ennatur  unb  Dom  9}?enf^enge[d^i(i  t)ier 
im' 3ufamment)ang  enttjüßt  —  brin  gu  fein,  inbem 
man  bodf)  brüber  fic^  ert)ebt,  eben  in  ber  5(nfc£)auung 
unb  mit  ber  gefül)tömä^igen  Ueber5eugung  ficf)  er? 
Ijebt:  ha§>  mu^  atfo  get)en,  ba  t)ilft  fein  trauern 
unb  !eine  9?üf)rung,  fein  ©mpijrtfein  unb  fein  9^ieber= 
gebrücftfein,  ha^  fönnen  mir  nur  in  Ergebung  unb 
93eugung  mitteiben  unb  in  2tnbarf)t  bor  bem  (Smig* 
giltigen  beref)ren!  ^ag  ift  tragifdf)e  SSerföl^nung, 
eine  foId)e  giebtö  tt)atfäd^tid)  unb  bie  „9J('obernen" 
fönnten  enblid^  einmal  auffjijren  mit  bem  [billigen 
unb  oberfläd^lid^en  5ld)fel5UcEen  unb  ^ötjnen  über 
tttoaS,  bog  fie  einfad^  nid^t  fennen  ober  nad^  eng* 
l^er5igen  unb  untiefen  Stljeorien  nid^t  glauben  fennen 
gu  bürfen.  ©er  ))f^d^ologifd[)e  ß^^arafter  biefer  3Ser« 
fö^nung  aber  ift  Suft,  \i)x  @rgebni§  finb  öftl)etifc^e 
Suftmerte  aud^  mitten  in  ©d^mer^  unb  Seib.  Unb 
bamit  finb  auc^  bie  öftt)etifdf)en  §ilfen  gegeben,  meldte 
unö  nid^t  nur  trauern  laffen  über  bie  3lnfc^ouung 
beffen,  „ba^  ^cl^  @df)öne  bergei^t,  ba^  ha§  ^oH* 
fommene  ftirbt",  meldte  unä  bielmefir  nun  aud)  bie 
i^reube  ermöglid^en  an  ber  3tnfc^auung  beö  Äraft* 
boßen,    9}?ädl)tigen,    ^errlid^en,    @d£)önen,    menn    eö 


—     207     — 

gerabe  im  ilüinpfc  mit  feinem  Seiben  unb  Unter* 
gang  erft  re(f|t  in  [einer  gan5en  ®rö§e,  Äraft  unb 
©djbnl)eit  fic^  entl)üUt,  [o  bafe  ba«  SSort  firf)  be* 
ftQtigt: 

Jhid)  ein  ^Itaglieb  5U  fein  im  SlWunb  ber  beliebten, 

ift  t)crrürf), 

S)enn  ha^  Gemeine  get)t  flangloö  gum  DrtuiS  tjinab." 
Sbenbarum  iuirft  aber  aurf)  „ha^  Gemeine"  nie 
tragifd)  in  feinem  Seiben  unb  Untergang,  fonbern 
nur  boö  3!öicf)tige  unb  menfd)Iid^  Sebeutfame;  barum 
njirfen  Keine  9]?ifeten  unb  erbärmliche  ^riltagö^ 
t)erf)ältniffc  nid^t  trogifdf),  fonbern  nur  ®efdE)ide,  in 
bcnen  bie  großen  ^afein^gefet^c  unb  emigen  SBelt« 
orbnungen  ftd|  anfdjauen  laffen.  ®a^  überzeugt 
unb  entläßt  mit  jenem  Genügen  unb  jener  inneren 
©r^ebung  unb  Befreiung,  bie  bo§  blo^e  ^iraurige 
unb  9'iieberbrürfenbe  niemolö  fc^^öfft.  SSer  freitid^ 
gleid^  ^^fterifd)  Ujirb,  ujenn  er  nur  SBorte  wie  „SSer« 
fötjnung"  unb  „Sr^ebung"  t)ört,  ber  foll  eben  beut 
jtragifc^en  fern  bleiben,  er  ift  für§  Stragifd^e  üer* 
loren,  unb  eö  fragt  fid),  ob  öiel  öerloren  ift. 

SBie  nun  ha§  ^ragifd)e  bramatif  d^  fid§  entfaltet, 
jur  Stragöbie  ujirb,  ift  o()ne  ttjeitereö  !Iar,  menn  ttjir 
unö  über  ba§  3Sefen  beg  ®ramatifd^en  !tar  finb:  n}enn 
auö  ben  SSiUenöfonflüten  bebeutenber  St)araftere 
l^erauö  mit  innerer  S^lotmenbigteit  ba§  Seiben  unb 
ber   Untergang    5U    einer   anfdf)aubaren    §anblung. 


208 


gum  (Spiel  mxh,  in  tüetc^em  aud)  bie  Unauötüeid^tidjfeit 
be§  (SJefc^idteö  gur  ä|'tE)etifd;en  Slnfd^auung  fommt, 
foba§  tüir  gefüf)IömäJ3ig  übergeugt  finb,  mitteibenb 
unö  beugen  unb  üere{)renb  unsS  erfieben  —  bann 
^aben  loit  eine  Stragöbie  gejetjen. 

^aö  Äomifc^e  fobann  fommt  pfljd^ologifd)  auf 
gang  ä^nlic^e  SSeifc  guftanbe  tt)ie  ha§  ^ragifc^e,  nur 
ha^  bie  (Stemente  bcö  2Bibcrfprud)§  unb  ber  äftf)eti[c^en 
3Ser[öt)nung  anbete  finb.  5tud^  im  Äomifd^en  ^anbelt 
fid^g  um  bie  ^tnfd^auung  eineö  an  fic^  unluftigen 
SBiberfprutf)^,  aud^  ^ier  njirb  bie  Unluft  überrtjunben 
baburd),  ba'^  ein  SJJoment  eintritt,  ha§>  bie  formale 
Suft  ber  öft^etifc^en  ^Tufd^auung  beS  9Biberfpruc^8 
frei  mad^t.  5tber  bem  !omifd)en  3Biberfprud§  ift  öor 
allem  ha^  Seiben  nid^t  fo  roefenttid^  mie  bem  tragifcEjen. 
@^  giebt  ein  fomifd)eö  Seiben,  gmeifelloiS;  ber  in  ben 
fomifd^en  3Biberfprüc^en  befangene  SWenfd^  fann 
fubjeftiü  barunter  (eiben,  er  ttjut  eö  f)äufig,  auc^  o^ne 
ha^  er  ftc^S  tiax  bemüht  ift.  %hex  fein  ßi^ft^^i^ 
mu^  nid^t  notnjenbig Seiben  fein,  erliegt  !ein  foUjefent* 
tid^er  9^ad)brud  barauf  mie  beim  Xragifdjen,  unb  e§ 
ift  !ein  fo  teben^gefäf)rtid^eg  Seiben,  e§  füt)rt  jeben* 
falls  nid^t  gur  Sebenägerftörung,  oietmet)r  bleibt 
immer  am  Snbe  nod^  ein  Steft  üon  Seben  übrig, 
tt)enn  aud^  etma  ein  ftar!  gurüdgegangeneiS  ober  öer* 
önberteS  —  üerönbert  aber  nid^t  feiten  auä)  gum 
©efferen.    Söenn  \)a§  fomifd^e  Seiben  ober  übert)aupt 


—    209    — 

bie  fomifd)  luirfcnben  i^cbcnöüoröängc  crlebiflt  [inb, 
[o  ift  aUcrbin(^ö  aucl)  ber  fomi[cljc  äJicnfd)  genjiffer* 
mnfjcn  „fertig",  aber  nicljt  luie  ber  tragifd)e  fertig 
5um  Xob,  fonbcrn  fertig  5U  neuem  fiebcn.  ®ag 
Äomifclje  Ijat  eine  "ITcnbcnä  ^ur  ;^ebens^bejal)ung  ftatt 
5ur  SebeniSüerneiniing,  ein  gettjiffe^  fatteö  Sebenö* 
bcljagcn,  baS  öom  Seiben  nict)t  biet  wiffen  ttjiU, 
felbft  n)enn  eö  borin  befangen  ift. 

@d)on  au§  biefem  ®runb  ift  ber  SBiberfprud^ 
im  ^omifdjcn  nid;t  Dl)ne  njeitereö  unb  auf  ben  erften 
5tnblid  liöllig  unluftig,  er  fann  fogar  ben  ©djein 
beS  ©egcnteirö  Ijaben,  er  ift  nid^t  feiten  5unäd)ft 
gebedt,  öertjüllt  in  einer  fd^einbaren  @inl)eit.  5{ber 
ha§  ift  nur  (Sd^ein:  ber  SSiberfpruc^  lauert  bod^  in 
ber  Stiefe  unb  tt)irb  oEmä^Iid^,  ober  aud)  unb  fet)r 
t)äufig  ptö|tid§  —  offenbar  alä  eine  SSerfet)rtt)ett.  (Sine 
fotc^e  ift  —  ha^'  h)trb  Sf^iemanb  beftreiten  —  \)a§ 
SBefen  be§  fomifd)en  3Siberfprud^g,  feiö  ha'^  bie 
SSer!et)rtI)eit  eine  met)r  pf)^fifd^e,  praftifd^e  fei  toie 
in  ber  poffen£)aften  ^^orm  be§  ^omifd)en,  ober  eine 
logifdje  tt)ie  in  ber  öerftänbigen  gorm  beö  2Si|e§ 
ober  eine  etf)ifd^e  ober  gar  metapl^^fifd^e  tt)ie  in  ber 
i^orm  be§  ^umorö  —  benn  fo  ober  äf)nlic^  tt)irb 
man  bod^  immer  toieber  biefe  ^^ormen  unterfd)eiben 
muffen.  <Somie  nun  aber  biefe  SSerfe^rt^eit  atö  ein 
innerer  SSiberf^rud)  für  bie  5rnfd^auung  gum  SSor« 
fd^ein  fommt,  fo  ift   bie  Ueberrafd^nng  gunäd^ft  un* 

SBeitbrec^t,    S)a§  beutle  SJrama.  14 


—     210     — 

angencl^m,  ber  ©egenftanb  ber  ^fnfd^auung  ent^ätt 
entfd^ieben  Unluftbebingungen;  bie  3Serfef)rung  beffen, 
lüa^  un!§  fonft  a(ö  haS  Süchtige,  ©etnfoüenbe  er* 
fd)eint,  [tört  haä  urjprüngltd}e  33e^agen  ober  borf> 
tuentgfteng  bie  Snbiffereng,  mit  ber  tüir  bie  ©ad^e 
at§  cttüaö  in  ber  Drbnung  ISefinblic^eg,  öietleic^t 
©etbftöcrftänbUc^e^  mögti(^erH)eife  guerft  angc[d)aut 
^aben.  ^Diefe  anfängliche  Unluftiüirtung  beg  Söiber^^ 
fprucf)^  [töfit  ben  93e|'d)auer  oor  ben  Stop'i,  unb  tt)er 
teinen  @inn  für^  Äomifdje  fiat,  njenbet  fid)  öer* 
brie§ti(^  ah,  ol)ne  ^ur  2n^t  ber  äftt)eti[c!^en  2tn- 
fd^auung  ju  gelangen.  @g  giebt  tf)otföc|Iid)  3)?en* 
fd^en,  toeld^e  für  baS  Äomifdie,  tüenigftenö  für  feine 
^ö^eren  unb  tieferen  formen,  namentlid^  für  ben 
|)untor  fo  njenig  ^u  t)aben  finb,  tüie  anbere  furo 
Xragifd^e. 

9^un  liegt  aber  eben  im  !omifd)en  SBiberfprud^, 
in  ber  3?er!e^rtt)eit  felbft  mie  im  tragifc^en  Söiber* 
fpruc^,  aud^  mieber  ein  ^Intnüpfungöpunft  für  bie 
äft^etifd^e  SSerfö^nung:  fobatb  mir  bie  SSer!ef)rtI)eit 
ate  folc^e  entbeden  unb  unö  nic^t  fofort  öerbrie^licl 
ober  gleic^giltig  abmenben  mie  ber  ^fjilifter  unb 
gebaut,  fo  regt  fid)  in  unö  bog  ®efüt)I  ^^erfönlid^er 
Ueberkgen^eit  über  ben  offenbaren  SBiberfprud^,  unb 
biefeö  ®efül)I  ^at  ot)ne  meitereö  einen  pft|d)oIogifd^en 
Suftmert,  rei^t  bagu,  mit  einem  gemiffen  S5e^agen 
in  it)m  ju  oert)arren  —  ha^  f)eifet  alfo  aud),  ouf  bie 


—     211     — 

^InfcljQuiinfl  bcö  SBibcrfprudjce  fiel;  cin^ulaffcn.  9?ur 
ift  baboi  5unQrf)[t  nod)  bic  SD(bflIicl)fcit  öcfleben,  bafj 
baö  S^k'U'ujitjcin  fid)  Jucniflcr  auf  bie  SIn[d)Quun9 
fclbft  alö  auf  baö  pcrfönlicl)c  llcbcrlcöcnl)citggcfül)( 
lon^eutricrt;  baun  ift  bie  Unluft  im  allgemeinen 
jwar  geljoben,  aber  eg  ift  bod)  nod)  feine  redjte 
Suft  an  ber  <Sad)e,  an  ber  äftljetifdjen  5(nfd)auun9 
felbft  ha,  fonbern  met)r  eben  bie  Suft  am  ®efüt)t 
ber  lleberlegenfjeit  über  bie  (Badje.  2)aö  giebt 
bann  bie  Suft  beS  (Spottend,  §i)^nens^,  ^oppenö, 
^änfetnig,  bie  Suft  ber  bloßen  Sronic,  bie  einerfeitfi^ 
meift  feljr  ungut  egoiftifd)  ift,  anbererfeitä  bod)  eigent* 
lid^  !ein  rein  äftl^etif^eö  5(nfd)auungöüer^alten 
fonbern  bod)  me^r  ein  praftifd)eö  ober  t()coretifd)e§ 
SSerl^alten.  Srft  ft)enn  bie  ©ntbedung  beö  Söiber- 
fpruc^g,  ha§  befannte  „Sa  fo!"  für  eine  —  man 
muB  fagen:  gutartige,  in  gemiffem  ©inn  felbftlofe 
unb  überl)aupt  für  äft£)etifc^e  5(nfc^auung  angelegte 
@eele  ober  menigftenö  ©eetenftimmung  bie  Ueber= 
leitung  lüirb  gur  fc^auenben  fetbftbergeffenen  ^er? 
fenfung  in  bie  offenbare  35erfe!^rt^eit,  bann  ift  bie 
üoÜe  SBir!ung  be§  Äomifd)en  ha,  bie  reine  äftl)etifd§e 
Suft  an  if)m.  3)ann  tl)un  mir  mie  beim  Xragifd)en 
innerlich  mit  —  nur  nidjt  mitleibenb  im  tragifdjen 
©tnne,  fonbern  mit  bet)ag{id)er  perfönlic^er  (Sin* 
fül)tung  in  bie  unaugtt.ieid)Iid)e  ^ummt)eit  be^ 
^ofeinS  unb  beä  5Dtenfd^en;    mir   finb  Iad)enb    ober 

14» 


212 


tüenigfteng  {)eiter  brin  in  ber  ©aclje,  bte  ja  audf)  für 
un^  atä  9Jienf(^en  i^re  öebeutung  i)at  —  unb  bod^ 
ebenfo  Reiter  brüber,  toeil  tüir  ber  58erfet)rt()eit  be* 
iüufet,  üon  il)r  innerlicf)  frei  finb.  Unb  bieiS  um  fo 
me^r,  je  mef)r  h)ir  aud)  ben  fomifd)en  2Siber[pruc£)  als 
ettPQg  menfrf)lid^S3ebeutfameS  anfdjauen  !önnen,  jeme^r 
aud)  er  ettüaö  offenbart  üon  unau^njeid^Iid)er  Seben§* 
unb  3Selti)er!et)rt^eit,  öon  geUjiffen  notmenbigen 
^umm^eiten  unb  93efc^rän!ungen  bcä  ©afein^,  über 
bie  loit  unö  bann  nic^t  met)r  ärgern,  bie  mt  biet* 
mel^r  mit  (jeiterer  (Ergebung  inö  Unöermeiblid)e 
^inne^men  —  mir  alte  ^aben  ja  in  un§  felbft  bie 
?tnfnüpfung§punfte  für  bie  meufd^licle  SSerfe^rtt)eit, 
ber  ^t)itifteT  unb  ^^ebant  !ennt  fie  nur  nic^t.  (Sid^ 
in  if)re  5tnfd)auung  perfönlic^  einzuleben  unb  ein^u* 
füt)Icn  unb  bod^  frei  barüber  ju  ftet)en,  barin  be* 
fielet  bie  äftt)etifc^e  Suft  am  Slomifc^en. 

^ud)  ^ierau^  ergiebt  fid)  mieber,  ha^  für  bie 
rein  öftl)etifd)e  unb  öoüe  SSirfung  au6)  be§  ^omifc^en 
baö  gang  5rermlid)e  unb  ©rbärmlic^e,  9^id)tige  unb 
S3ebeutungi§Io)e  nid)t  taugt;  eS  mu^  öielmef)r  in  ber 
fomifc^en  3Ser!et)rt{)eit  an  9}?enfd)en  unb  SSerpItniffen 
etmaö  S3ebeutfame§,  S3Ieibenbeö,  StUgemeingiltigejS 
fein,  'ändj  im  öoKenbetften,  gtoriofeften  S3Iöbfinn, 
menn  er  mirflic^  fomifc§  fein,  fomifd)  befreien,  ma^r* 
t)aft  gu  äftt)etifd)er  |)eiter!eit  ftimmen  foll,  mu^ 
etmaio    üon    @inn    fteden,    menn    aud^    in    nod)    fo 


—    213     — 

närrifcl)or  unb  toller  9?crfct)runö,  in  bor  augcjelaffenften 
unb  übcrmütic^ftcn  fiseri^errunc^.  SBcr  am  ßon^  jaf^toä 
Gummen ,  nn  bor  oben  Srbarmlid^tcit  beS 
©UiigjicftriQcn,  am  Dollenbeten  ©tumpffinn  menfrf)* 
ltcl;er  4'^eruntcröcfommenljcit,  pt)l)fi[cl)cr  ober  mora« 
lifdjcr  ^I^cvtottcruiu],  an  all  bcn  Cffcnbicjfciten  [id^ 
crflüfjt,  in  bencn  gar  fein  fomi[c()crSBiber)'pruc^  älüifrfjcn 
@inn  unb  Unfinn  me()r  ift,  an  bem  gangen  platten 
Sammer,  ber  unS  freitid)  oft  genug  aud^  ouf  ber 
93üt)ne  in  fogenannten  fiuftfpielen  öorgefü^rt  ttjirb  — 
ber  foH  ja  nidjt  meinen,  ba§  er  [id^  am  Äomtfd^en 
erfreue:  er  erfreut  fid)  gang  einbeutig  unb  njiber* 
fprudjgtoö  nur  an  feiner  eigenen  9^idjtig!eit  unb 
Sämmerlid;feit.  Unb  ebenfon^enig  ift  e§  eine  ^^reube 
am  tomifdjen  Söiberfprud),  menn  eine  innerlid)  an* 
gefaulte  friDoIe  S3anbe  über  bie  95orfü^rung  beS 
Gemeinen,  DfJid^tgttJÜrbigen,  grec^en  unb  Süfternen 
miel)ert  ober  etn^og  öornet)mer  fc^mungelt.  2)agegen 
fann  ein  berber  et)r(ic§er  6t;ni^mu§,  ber  au^  bem 
an  ftd^  c^ä^Iid^en  einen  3Biberfpruc^  irgenbmetd^er 
Slrt  t)eraug^oIt  unb  überrafd^enb  öor  bte  äft£)etifd^e 
5tnfd)auung  ftellt,  n^irüid)  fomifd^e  ^erföljnung 
fd^affen,  !omif(^  befreienb  n)ir!en. 

^lud)  beim  ^omifd^en  ift  of)ne  meitereö  !tar, 
h)oburd)  eg  bramatifd)  mirb,  §ur  ^omöbie  füf)rt: 
fobalb  fein  SSiberfprud^  irgenbmie  alä  ein  menfd^ttd^ 
bebeutfamer  SSiUenöfonflift  fic^  entfaltet  unb  gu  einer 


—     214     — 

^anblung  [i(^  geftaltet,  bte  in  t(;rem  SBerben  a{§ 
(Spiel  üorgefü^rt  iverben  !onn  unb  ha§  (Srgebni^  ber 
S8etföt)nung  mit  ben  SSerfel^rtljeiten  beiS  2)ajein§,  ber 
l)eiteren  Befreiung  liefert. 

3m  übrigen  t)at  baö  ^ragifd^e  unb  baö  Äomifdje 
eine  natürtid)e  innere  Xenbeng  gerabe  auf  bie 
bramatifd^e  ©arfteÖung.  jDieö  !ommt  eben  baf)er, 
ha^  im  Xragifd)en  unb  im  ^omifd)en  t)on  |)aufe  au§ 
fdpn  ein  ^onflüt  liegt  in  ber  gorm  beö  SSiberfprud^g 
unb  baf3  biefer  ^onftift  fid)  naturgemäß  am  ftärfften 
unb  bebeutungöüollften  entfaltet  a(§  menfd)lid)er 
SBiUen^fonflüt,  atfo  aU  bramatifc^er  tonftüt.  ^a« 
gilt  aüerbing^  öom  Stragif^en  metjr  aU  Dom  ^omifd^en, 
hjeil  ber  tragifd)e  S!onfIift  au§fdjließtidj  am  3Biberf|)rud^ 
jtnifd^en  menfd^tidjem  Sebenmoßen  unb  Seibenmüffen, 
gttjifd^en  !räftigem  Seben^millen  unb  leiböoHer  £e6eng= 
jerftörung  pngt,  alfo  auf  menfc^Iid^eg  Seben  unb 
(SJefd)id  bef(^rän!t  ift  —  n)öt)renb  ha§  ^omifd)c  ^toax 
gleidjfaüiS  in  ben  menfi^Iid^en  SBillenöfonfliften  feine 
ftärffte  5lu§))rägung  finbet,  aber  aud^  au§erl)al6  ber 
menfd^üd^en  SSiUen^üorgänge,  ja  übert)aupt  außerfjalb 
ber  Sebenögebiete  beä  9J?enf(^Ud§en  auftreten  fann. 
©leid)  in  ber  Xiermelt  g.  ^.  fann  man  bod§,  ot)ne 
fentimental  gu  merben,  nur  in  fe^r  befd)rän!tem  Tla^e 
üon  5tnatogien  beä  ^ragifdjen  reben  —  beg  Äomifc^en 
finbet  fic^  aber  bort  eine  Ueberfütte.  Smmert)in  be* 
fommt  auc^  ba§  Slomifc^e  eine  befonbere  SSertiefung 


—    215     — 

unb  (£inbiinölirf)fcit,  lucnn  c«  an  bcn  ^^ro5cffen  unb 
Äonflittcn  be8  mcnfcl)tict)en  2BiUenö  fic^  entfaltet  unb 
aus  il;nen  eine  UeOeräcuflunQgfraft  beS  S^otjuenbigen 
crl)nlt,  bie  cS  fonft  nid)t  überall  I)Ot,  bie  [id)  auf^cr* 
i)a\h  bcr  Ä'omübie  l)äufig  flcnug  inS  ß^fö^iflc  ücrücrt. 
^^raflöbic  unb  Slomöbic  bürfcn  atfo,  obmol)!  baS 
^ragifdje  unb  Stomifd)e  nic^t  auf  fic  bejdjränft  ift, 
bod)  eine  befonbersJ  l;erUorragenbc  (Stellung  unter 
föinttid)cn  (Srfdjcinungäs  uub  2)arftellungätt)eifen  beS 
Stragifdjen  unb  ilomi[d)en  t)eon)prud)cn. 

3fnbcrer[cil<5  aber  Ijat  ba!§  2)vamatifd)c  felbft 
feinem  SSefen  gemä§  eine  gang  auSgefproc^cne 
^fieigung,  unter  allen  äftt)eti)d;cn  SJJobifilationen 
gerabe  ba«^  Stragifd^e  unb  ha§  Ä^omifd^e  gum  (Siegen* 
ftanb  fünftterifd)er  ^arftcllung  5U  lüätjlen.  2)ieg 
auö  gtoei  gufammennjirfenben  ®rünben:  einmot, 
njeit  ba§  %tamat\\6)Q  im  Äonflilte  lebt  —  unb  bann, 
njeil  cö  auf  einen  enbgültigen  5lugtrag  be§  jemeit§ 
gegebenen  ^onflüteä  t)inbrängt.  2)ie  9)?obifiEationen 
beS  (Schönen  unb  einmütigen  mit  aß  il)ren  3Ibarten 
unb  (Schattierungen  !önnen  gttjar  i^ren  33eitrag  gur 
allgemein  Üinftlerifd^en  ©efamtmirfung  eine§  Dramas; 
geben,  inbem  fie  fid)  irgenbmie  mit  bem  Xragifdjen 
ober  Slomifdjen  öerbinben;  aber  fie  fönnen  nid)t 
felbftänbig  unb  in  it)rer  reinen  ©rfd^einung  ben 
©egenftanb    bramatifc^er    ©arftellung    abgeben    — 


216 


trtötat  au^gebrüdt:  bo§  ®rama  !ann  fic^  nic^t 
borauf  6ejc|rän!en,  5U  geigen  unb  bargufteßen,  bo^ 
unb  tüiefern  ettt)a§  jd^ön  ober  anmutig  fei.  S)eö* 
ttjegen  nid)t,  n)ei(  ba^  ©c^öne  (unb  feine  äftf)etif(i)e 
SSerluanbtfci^oft)  feinen  Äonflüt  entt)ält,  tt)eil  üiel- 
mef)r  fein  SSefen  gerabe  in  ber  fonfliftlofen  |)armonie 
aßcr  5um  ©efamtcinbrud  gufammennjirfenben  pft)« 
c^oIogif(^=Qft£)etifcI)en  gattoren  rut)t.  @inen  ^onflift 
entt)alten  nun  freilief)  aud)  bie  SJcobififationen  beö 
©r^obenen  unb  be^  |)ä^licf;en,  aber  e§  ift  nur  ein 
formal  |)ft)c^o(ogifct)er  ^onflift  im  anfd^auenben 
<Bubldt,  eben  fofern  bie  gunödjft  fid^  aufbrängenbe 
Unluft  am  ©egenftanb  ber  ^Infd^auung  erft  über* 
tDunben  merben  mu§  burd)  bie  Suft  am  öft^etifc^en 
^Infd^auen  felbft;  im  ©egenftonb  ber  5lnfdjauung 
an  fid)  aber  liegt  nod)  !ein  innerer  Äonfüft,  ber 
©egenftanb  ttjirft  eben  einfad)  unluftig,  haS  §ä§tid^e 
burd)  ha§>  unmittelbar  llnangenet)me,  ha^  e§  an  fid^ 
f)at,  ha§  (Sr^abene,  inbem  e8  bie  eingefteUten  9}?a§* 
ftöbe  gunöd^ft  überfteigt.  Seibeg  !ann  fid^  baf)er 
mie  bag  @d)üne  mit  bem  ^ragifd)en  ober  ^omifc^en 
im  jDrama  öerbinben,  aber  nid^t  felbftänbiger  ®egen? 
ftanb  bramatifd^er  ©arftellung  merben.  93eim  Xta^ 
gifd^en  unb  ^omifc^en  bagegen  liegt  fd^on  im  Dbjeft 
ber  5(nfd^auung  an  fid^  ein  Äonflüt,  eben  im  tragifc^en 
unb  fomifd^en  SSiberfprud^ ,  unb  biefen  inneren 
SBiberf^jruc^    im    ©egenftanb    ber  3Infd)auung    !ann 


—     217     — 

bic  brninatijcl)e  !DatftcUun(^  aU  einen  SötlleniSfonfUft 
aufblättern,  jjur  ^anbtunß  entfalten,  inS  ©ptet 
fe^en.  ^^^rner  brnn(\t  baS  Xragifdie  gan^  un* 
hjeiflerliclj,  baö  Slomifcljc  iuenifjftenS  ba,  njo  eö  an 
einem  mcnfd)ticljcn  ilonflitt  offenbar  n^irb,  gu 
einem  bcftimmtcn  ?(bfc{)lufj  —  rtjötjrenb  baö 
©djöne  unb  5(nmutigc,  haS  ^äfeüdje  unb  (Sr* 
tjabene,  aud)  ttjenn  fie  nidjt  in  rut)enber  3"* 
ftänblid)fcit  fonbern  in  lebenbiger  Jöelucgung  öor* 
gefütjrt  njerbcn,  bod)  nid)t  notttjenbig  jenen  alleS 
erlebigenben  9fbfd;Iu§  ber  iBctnegung  üerlangen,  ber 
bem  Urania  uncrläfjlidj  ift.  9(ud)  infofern  fommen 
bie  tragifdjen  unb  fomifc^en  Stonflifte  ben  gotberungen 
beg  2)ramatifd)en  om  njiUigften  entgegen,  ja  man 
fann  gerabesu  fagen:  ber  bramatifc^e  Äonftift  ift 
—  mit  feltenen  StuSnotjmen  —  feinem  SSefen  nad^ 
tragifd)  ober  fomifd);  bie  beiben  naturgemäßen 
©ottungen  beä  S)rama§  finb  alfo  bie  Strogöbie  unb 
bie  ^omöbie. 

Slt)atfäd3Üdj  giebt  eg  nun  freiüd)  eine  große 
5(n5al)(  uon  2)ramen,  meldje  ben  ^onflüt  gmar  in 
ber  5trt  beö  "Jragifdjen  ober  Slomifdjen  anfpinnen, 
aber  it)n  nic^t  tragifc^  ober  fomifd)  gum  5(bfd)Iuß 
unb  5ur  £i)fung  bringen;  fie  biegen  uielme^r  hcn 
^rogeß  ber  trogifdjen  Seben^^erftorung  an  irgenb 
einem  fünfte  unb  in  irgenb  einer  SBeife  in  bie 
^Rettung    unb    3öieberf)erftellung    beö    in    leibboÜer 


—     218     — 

ßerftörung  93egriffenen  um  —  ober  fte  fül)ren  ben  in 
feinem  SSefen  !omifd§en  ßonffüt  gu  einem  S^eU, 
too  eö  @rn[t  Xüixh  unb  nicfjtä  mef)r  gu  tod^en  giebt. 
@in  fotd^eö  ©rama  |)ftegt  man  bann  enttneber 
®rama  fd)ted)tn)eg  ober  ©d)au[piel  ober  Qud) 
augbrüdHd)  ^erföt)nungöbrama  gu  nennen  — 
unb  geitiueilig,  tt)ie  5.  iß.  gegenloärtig,  !ann 
biefe  5Irt  öon  2)rama  förmlid)  in§  3Bud)ern 
unb  Uebern^udjern  !ommen.  Ueberblidt  man  aber 
bie  9?eii)e  biej'er  S)ramen  fritijd),  fo  geigt  fid)  fe^r 
rafd^,  boB  unter  iijXGX  93coffe  tierl)öttniömä§ig  fet)r 
tt)enige  [inb,  bie  alö  bramatifc^e  S^un[tn)er!e  ftanb» 
l)alten,  tieferen  3Sert,  bauernbe  2öir!ung  beanfprud^en 
!önnen.  2)ramen  mie  Seffingö  „9^att)an",  ®oetf)eg 
„Sptjigenie",  ©djiaerä  „Zeü",  Äteiftö  „^^ring  üon^om* 
bürg"  finb  fet)r  fpärlid)  in  ber  Literatur  gefät.  ®ie 
meiften  anbern  biefer  ?Irt  finb  nit^tä  aU  üerpfufd)te 
Xragöbien  ober  ^omöbien,  beren  SSerfaffer  nic^t  ha§ 
^erg  ober  nic|t  bie  ^unft  t)atten,  einen  tragifc^en  ober 
!omifd)en  tonfüft  fo  in  ber  ^iefe  gu  faffen,  bafs  er 
5u  tragifdjem  ober  fomifc^em  ?lu^trag  f)ätte  gebrad)t 
njerben  !önnen  unb  muffen;  unb  faft  immer  mirb 
man  babei  ben  me^r  ober  ttjeniger  gelungenen  SSer* 
fud)  bemerfen,  ben  9Iu§faII  an  tragifc^er  ober  !omifd)er 
SSirfung  burd)  9?ül)reffefte  5U  beden  —  9Jüt)rung  ift 
ein  ®efüt)I§3uftanb  fd;roac^mütiger  5trt,  ber  nid^t  bie 
Äraft  t)at,  fic^  mit  SSiberfprüc^en  einjutaffen  unb  fte 


—     219     — 

5U  übcmiubcn,  üichncl)r  nur  in  luibcrfprucljiSdofen, 
bitlifl  5U  IjQbcnbcn  Wffoftcn  traurifler  ober  freubiger 
Jfrt  [djtüclgt.  3n  5BQt)rl)cit  ftcl}t  bie  'Bad)e  fo  —  unb 
eine  aufmcrffomc  SSctracIjtunfl  bcr  genannten  flaffifrfjen 
©djau[pic(c  lüirb  c^  bcftatigen:  ein  ^Droma,  baä  njcbet 
Xraöi)bic  nocl)  itombbic  i[t,  ift  nur  in  bcn  feltcnen 
fällen  mögtid^,  njo  bcr  ilonflift  an  fid^  nidjt  fomi[d), 
fonbern  crnft  ift,  ot^ne  bod^  eigentüd)  tragifd)  gu  fein 
—  ba^  l)ti^t:  eö  liegt  in  biefen  ^^ällcn  fd^on  im  ©toff, 
tt)ie  il)n  ber  ©ramatifer  gur  .^onbtung  organifiert,  bafe 
ber  ;^cbcn§tüillc  unb  bie  £eben€mäd)te,  meldte  im 
Äampf  mit  fcinblid^en  9}tQdjtcn  liegen,  öon  üornl)erein 
5u  [tarf  unb  [iegeöfidjcr  finb,  um  eine  ßerftörung  besB 
Sebenö,  ein  mirüid)  tragij^eö  Seiben  auffommen  ju 
(offen.  2)aö  Stragifc^e  ift  in  biefen  gälTen  glrar  atg 
eine  latente  SOtöglid^feit  uorl)anben,  aber  eö  finbet 
nidjt  bie  93ebingungen,  ttjirflid)  511  iüerben;  eö  brandet 
nidjt  erft umgebogen,  umgongen,  in  9iül)rung  öermöffert 
gu  merben  ~  e§  !ommt  gor  nid^t  ouf  üor  ber  ©törfe 
unb  Ueberlegentjeit  ber  ben  ®ieg  be§  Sebenä  Der* 
bürgenben  95ebingungen,  bie  fo  ober  fo  in  ben  (Sl^oraf* 
teren  unb  ^^erpltniffen  begrünbet  finb.  S)iefe  ^öHe 
finb  gmor  im  mirllidjen  2eben  gor  nid^t  feiten  fonbern 
fet)r  pufig;  aber  eö  ift  eine  Xäufc^ung  §u  meinen, 
oll  biefe  tjöufigen  göUe  eignen  fic^  ouc^  für  bromotifc^e 
©orfteüung  —  unb  eä  ift  nur  begreiflid^,  ha^  man  in 
biefe   Xöuf^ung    um  fo  fieserer  öerföHt,  menn  man 


—     220     — 

o!^nebte§  tote  „bie  SÜJtoberne"  in  bem  SBa'^n  befangen 
ift,  man  bürfe  nur  bie  SBir!(i(f)!eit,  tt)ie  [ie  ift,  auf  bte 
S3üf)ne  fteßen,  um  ein  ^Droma  gu  fd^affen.  ©ine 
^äufd^ung  ift  eö,  benn  in  jenen  pufigen  göEen  ber 
SBir!Iid^!eit,  mo  ber  @ieg  beä  Seben^  öon  öornljerein 
gett)i^  ift,  ift  meift  entmeber  ber  Äonflüt  überljaupt 
nic^t  bebeutenb  genug,  um  für  ein  2)rama  auSgu« 
reid^en;  ober  bie  5Dtomente,  fteMje  ben  ©ieg  beö  Seben^ 
fd^affen,  liegen  gu  meit  au^einanber,  finb  gu  gerftreut, 
3ie!t)en  fic^  gu  lang  f)in,  aU  bafs  fie  eine  bramatifclje 
SSerbidjtung  unb  ßufpi^ung  ertrügen;  ober  namentlich*, 
eö  lä^t  fic^  auö  i^nen  fein  enbgittiger  5I6fcl^Iu§,  !ein 
ööHiger  5rui§trag  beö  Äonflütä  geminnen,  ber  enb* 
giltige  @ieg  be§  Seben§  lä^t  fid^  nic^t  mef)r  geigen, 
nid^tmel;ranfd)aulid)mac£)en  —  manfann  if)n  t)öc[)fteng 
berftanbeSmäfeig  erfd^Ite^en  ober  auf  Xreu  unb  Glauben 
aU  in  3"^""f*  mal^rfd^einlid^  annef)men.  Unb  fo 
!ommt  eö  bann,  ba'^  biefe  ^ätle  in  bramatifd^er  ©ar* 
fteöung  bod^  eben  atö  unfertige,  üerbogene  unb  öer« 
mafd^ene  Xragöbien  erfd^einen  —  ober  aud^  atö  oer« 
pfufc^te  ^omöbien,  benn  fef)r  pufig  i)ätU  fid^  gerabe 
aug  foId)en  ©toffen  etnjaS  9?ed^te§  mad^en  laffen, 
menn  man  fie  gar  nidtjt  ernft  fonbern  !omifd^  ge* 
nommen  t)ätte. 

Unb  fo  mirb  eö  fdt)Iie§Iid§  babei  bleiben,  ha^  hai 
2)rama  feiner  Statur  nad^  entttjeber  Stragöbie  ober 
Äomöbie  ift,  mäfirenb  jeneö  2)ritte  nur  in  feltenen  5tugs 


—     221     — 

naljmcfällcn  eben  a(8  SluSnoljmc  5ur  bramatifcf)en 
SBirflid)!eit  wirb,  »enn  entweber  ber  ©toff  befonber« 
günftiö  ober  bic  Äroft  unb  ISnbiuibualitöt  beg  2)rama* 
ttfcriS  bcfonbcrö  bc^u  angctljan  ift,  jene  ©c^lüiertg* 
feiten  gu  übcrtuinben  unb  eine  3(ui8nai)me  üon  ber 
Siegel  ju  fd)affen. 


©iebenteö  Kapitel. 

Die  bramattfd7c  Spractje, 


|tellt  man  fic^  auf  ben  @tanbpun!t  beg 
jc^affenben  ^ramatüersS,  fo  6efte§t  feine 
bramatifd^e  «Sdjaffenöt^ätigfeit  gunäd^ft  unb  ^aupt= 
fäd^Iicf)  barin:  einen  bramatifc^en  ©toff  rid^tig  5U 
erfaffen,  i^m  feinen  (SJe^alt  an  bramatifdjen  SBißenä? 
!onfIi!ten  abgufclauen  ober  einen  fold^en  in  i[)n  I)inein* 
jufd^ouen,  unter  bem  ®efid^tö|jun!t  ber  3öißenö!onfüfte 
benStoff  gu  bramatifdjer^anblung  gu  organifieren,  bie 
ß^araftere  fo  gu  bilben,  ha'^  fte  Präger  ber  §anbtung 
fein  !önnen,  ben  Sauf  ber  ^anbtung  nad^  geipiffen 
@runbgefe|en  ber  Äompofition  einguriditen  unb  gu 
fü!f)ren,  ben  tragifc^en  ober  !omifd^en  ^onfüft  ber 
Statur  beg  jtragifd[)en  unb  ^omifdjen  entfpred^enb  in 
brantatijd^en  Ilonflüt  5U  oertoanbetn  unb  §u  feinem 
nottt)enbigen  5(u§trag  5U  bringen.  ®a§  i[t  bie  Xtjötig? 
feit  ber  inneren  Formgebung,  ol^ne  bie  fein  lebenS:^ 


—    223     — 

fäl)i0Cö  2)rQma  juftanbc  fonunt;  fic  fd^afft  basJ 
bTQmati[d)c  Slunftiucrf  in  feinem  2öefen  unb  (ye[)alt. 
5)amit  ejiftiert  eö  ober  erft  für  ben  jDramatifer  feUift 
als  chm^  in  feinem  inneren  ^.^orljanbeneg,  nod) 
nidjt  für  ben  ßufdjQuer;  ja  für  bcn  2)ramQtifer  felbft 
ift  Co  nodj  fein  fertig  auöcjeftalteteg  Äunfttoert,  fonbern 
nur  ha§,  hjenn  aud)  nod)  fo  (ebenbige  unb  ffare,  njenn 
Qud;  fd)on  bi§  tnö  ©injelne  burd)gearbeitete  innere 
93ilb  eine§  fold^en,  ein  Sßorbilb  beffcn,  njoö  enbgittig 
unb  aud)  für  ?tnberc  fd)aubar  njerben  foÜ.  6«^  t)anbelt 
fid)  nod)  barum,  bem  innertid)  fd)on  Geformten  aud) 
bie  äußere  ^-orm  gu  geben,  baö  in  ber  ©eele  be^ 
2)ramatifer§  otlein  lebenbige  @^iel  in  ein  äuBerlid) 
fd^aubare^,  toirüid^  fpielbare^  @piel  umgufe^en. 

SSie  fd^on  am  ^fnfang  betont,  finb  bie  3J?itteI 
bagu,  gang  allgemein  pft)d)oIogifd)  gefagt:  %u§' 
brudöbemegungen  b.  t).  finnlid)  ttja^rne^mbare 
©etüegunggüorgänge  on  ber  !ürperlid)en  (Srfc^einung 
oon  9J2enfd)en,  n)etd)e  burd^  biefe  SeUjegungen 
innere  Sebenöüorgänge  öufeern  unb  burd^  Sfeufeerung 
anberen  mitteilen,  irgenbujie  anfdjautid)  mad)en.  @g 
finb  augenfößige  95tienen,  ©eberben,  Sad)en,  SSeinen 
unb  I)örbare  Seujegungen  beä  ©pradjorganö,  alfo 
SBorte.  ®iefe  3(u§brudgbeiDegungen  f)at  ber  ^ra* 
matüer  in  irgenb  einer  SBeife  fo  anguorbnen  unb  in 
einer  beftimmten  ^Tnorbnung  borguf (^reiben,  ha^  fie 
non    a)cenfd)en    auf    einem     beftimmten    'B^aupia^ 


—     224     — 

üoHgoQen  unb  Don  Sintern  finnlid)  lt)ol)rgenommen 
toerben  fonnen  unb  baburd)  in  bem  ?lnjc[)auenben 
ein  S'jQdjbitb  beffcn  erzeugen,  wa^  aU  3L^orbilb  be§ 
bramatifdjen  ^unfttnerfS  in  ber  ©eele  be^  ^ra* 
matiferö  geftanben  ift.  Unb  5löar  ftnb  eö  genau  bie 
5lugbrud§bett)egungen,  ineld^e  ber  ^ramatifer  bie 
öon  if)m  gefd)affenen  S^araftere  in  feiner  ^^anta[ie 
\)ai  öoügiefien  fef)en  unb  t)i3ren,  burd)  lreld)e  biefe 
ß^araftere  if)re  SBiüenSfonflüte  unb  bereu  folgen 
in  bramatifd)e  ^anblung  umfel^en  muffen,  bamit 
biefe  |)anblung  übert)aupt  entftel)e.  2)iefe  ^en^e* 
gungen  ber  Dom  ©romatifer  gefdjauten  St)ara!tere 
(nic|t  bie  üom  bloßen  9?oI;ftoff  gegebenen)  foßen  bie 
auf  bem  ©c|aup(a^  fpietenben  9)?enfd)en  nad^a^men, 
ha^  5Inbere  fte  fd^auen  fonnen  —  baburi^  entfielt 
unb  boHenbet  ftd^  ha^  eigentliche  «Spiet,  ß^^r  finb 
bie  93en)egungen,  toetc^e  bie  bramatifd^en  (Sf)ara!tere 
in  ber  ^^antafie  beö  ©ramatüerö  öollgie^en,  nic^t 
blo^  Sfu^brud^bemegungen  im  ftrengften  Sinne,  e§ 
finb  aud^  93emegungen  barunter,  bie  fic^  ^u  |)anb* 
lungen  Derbinben:  boc^  finb  aud^  biefe  in  geujiffem 
©inn  Stuöbrudöbemegungen,  fofern  fie  einen 
SöiEenäüorgang  äußern,  ba§  ©emollte  in  fc^aubare 
Xt)at  umfe^en.  Unb  jebenfaßö  luerben  fie  für  bie 
äußere  gorm  be§  3)rama§,  für  ba§>  tt)atfä^tidje  bra= 
motifd)e  ©piel,  n)enn  aud)  nidjt  immer  fo  bod)  in 
bieten  gälten  ju  StusbrudiSbemegungen  im  ftrengeren 


-     225     — 

@inn,  5u  ®cbcrbcn,  iucld)c  jene  ^anblungen  nur 
anbellten  —  einen  ^nnbebrud  öetabreid^t  man  auf 
bem  <3d)auptotj  be«  ©piet«  in  9Birnirf)feit,  einen 
@rf)iucrt[d)tag  ober  eine  Dt)rfeige  nur  mit  anbeutenber 
®eberbo. 

3)icjcö  Qan^c  ©picl  ber  ^(usibrucEgbenjcgungen, 
ba«  SBort  eingefd)Ioffen,  erfinbet  unb  fd^afft  ber 
2)ramatifer,  baS  ift  bie  äu§ere  gorm,  in  bie  er  bie 
bereite  gefdjaffene  innere  ^^onn  feineS  jDramaö  um^ 
fe^t;  er  orbnet  biefeS  flange  ©piet  in  ollcm  SBefent« 
lid^en  an  unb  frfjrctbt  e^  ben  ©pielenben  öor  —  fie 
f)aben  eg  nur  nad;5ufd;affen,  rid)tig  oufgufaffen  unb 
au^äufüljren,  unb  il)re  eigentliche  ^unft  befielet  eben 
barin,  ha§  §u  t{)un,  ha^  Dom  ^ramatifer  ®ett)oIIte 
mit  aßer  ?fnjd)auung^*  unb  Uebergeugung^fraft  bem 
3ufd^auer  fpietenb  öorgufteKen.  ®ie  <Sc§aufpieI« 
fünft  ift  glrar  ein  unentbe^rli(^er  gaftor  in  ber 
bramatifd)en  Slunft  aU  einem  lebenbigen  ©an^en, 
aber  an  unb  für  fid^  betrad^tet,  üon  ber  fc^affenben 
Äunft  be§  ©ramatüer^  abgeföft  ift  fie  nur  repro* 
bugierenbe  ^unft  fo  gut  mie  bie  reprobugierenbe 
3J?ufi!  —  fie  \)at  nur  au§§ufüt)ren,  ma§  ber  5)ra* 
motifer,  ber  eigentlid)  ha§  ^rama  ^robugierenbe, 
üorfd^reibt.  ^Die  griec^ifd^en  S^ramatifer  troren  benn 
aud)  t{)atfäd)tid^  il^re  eigenen  9?egiffeure,  bie  mir!* 
lid^en  ßeiter  ber  5luffü^rung  —  äE)nIid^  mie  in  i^rer 
5rrt  <Sf)a!efp€are   ober  aud^  9!}?oIiere;    erft   ber  !om* 

SB  e  i  t  b  r  e  <5 1 ,   S)a§  beutf(5e  «rarno.  15 


—     226     — 

^jltgterte  5D?ecE)Qni§mu^  un[ere§  mobernen  Süt)nens 
hjefenS  t)at  ben  ^ramatüer  in  eine  ©teUuttg  gebrad^t, 
in  ber  er  auf  bie  5lu§fül£)rung  be§  öon  i^m  90= 
fd^affenen  @piel§  aud^  bei  Sebgeiten  hjenig  ©influ^ 
mel^r  Ijat,  njenigftenS  in  ©eutfc^Ianb  —  in  '^xanh 
reid^  fd^eint  er  beffen  nod^  ntet)r  gu  {)aben.  5lber 
tro^bem  —  unb  ha^  ift  eigenmädfjtigen  ober  ein= 
gebitbeten  ©d£)auf^ielern  unb  93eruf§regiffeuren 
gegenüber,  aud^  gegenüber  bem  ®D|enbienft  be§ 
^ubtüums)  mit  @d)aufpietgrö§en  prinzipiell  feftgu* 
t)alten:  tropem  bleibt  ber  ^ratnatüer  ber  eigentliche 
@d^ö|)fer  be§  bramatif^en  ©pietg,  bie  5tnbern  finb 
nur  feine  auSfü^renben  Organe.  S)ieg  natürlidf)  nur 
in  bem  gaß,  t)a^  er  lüirüid)  bromatifd)  5U  fd)affen 
inei^,  unb  um  fo  met)r,  je  „bühnengerechter",  ha§> 
i)ei§t  guni  ©piet  tauglicher  baS  '^xama  fd^on  auö 
feinen  §änben  ]^erborget)t,  um  fo  meniger,  je  met)r 
eg  fid^  bem  bloßen  ^ud^brama  im  Übeln  @inne 
nähert  unb  bon  SJegiffeuren  unb  ©d^aufpietern  erft 
gu  einem  mirftid^en  bramatifdjen  ©piet  umgeftaltet 
unb  eingerid)tet  merben  mu^. 

SBeiter  nun  aber:  ha§>  9)(ittel,  moburct)  ber 
2)ramatifer  ben  «Spielenben  öorfi^reibt,  tnaS  gefpielt 
merben  foE,  ift  eine  gan§  beftimmte  ^Irt  ber  2fu§= 
brudSbemegung,  bie@prac{)e.  @r  !önnte  e§  i^nen 
ja  mögti^ermeife  mit  allen  in  93etrad^t  fommenben 
Sluabrud^bemegungen  öorma^en,  unb  in  ben  primi* 


—     227     — 

tieften  ?(n|änflen  ber  bramotifdjcn  Stunft  Ijot  er  bog 
üljnc  3^y<^'^'t  aud)  gctl^on.  Unter  bcn  ücriuicfeltcren 
S?cr()ältniffen  einer  t)öf)er  entnjirfelten  bramatifdjen 
Äfunft  ift  bieö  nid)t  me^r  mbQlid),  nid)t  nur,  njeif 
ber  2)ramQtifer  nid)t  o^ne  SBeitereS  aud^  «Sd^au* 
fpicicr,  9!J?imifcr  fein  fonn  (big  auf  einen  genjiffen 
(4)rab,  iücnigftenö  innerlid^,  pt)antafiemäfeig  ift  eg 
freilid)  jcber  moljre  ©ramatifer)  —  fonbern  auö) 
lueit  ein  berh)ide(tere8  bramatifd^eö  <3piel  eben  un= 
mögtid)  nur  Don  ©inem  öorgemad^t  njerben  fonn, 
audj  njenn  biefer  einen  gett}iffen  ®rab  bon  mimift^em 
Slönnen  befi^t  —  nid^t  fo  üorgemad)t  njerben  !ann, 
ha^  bie  5(nbern  eä  üöllig  faffen  unb  ofine  njcitereö 
nadjma^en  Bnnen.  2)ie  ©pradje  ttjirb  alfo  not* 
lüenbig  gunt  §(uä!unft§mittel,  alleö  ba§  mitzuteilen 
unb  borgufdireiben,  tt)a§  burd^  jeglidfie  5lrt  üon  STuö* 
brudöbeujegung  gefpielt  rtjerben  foK;  unb  atö  not* 
toenbigeä  ©rfa^mittet  für  bie  ©prad^e  ^at  ftd^  im 
Sauf  ber  ©ntioidlung  bie  ©djrift,  ha^  „iSudE)"  ein* 
gefteKt. 

^iefe§  SKittel  beg  ®ramati!er§,  feine  innerlid^ 
geformte  bramatifd)e  §anblung  in  bie  äußere  gorm 
beg  bramatifdjen  ©pietö  gu  fe^en,  ift  aber  bie  (S^rad^e 
in  boppelter  SSeife.  (Sinmat  infofern,  alö  ber  ^xa^ 
motüer  ben  ©d^auf^ielern  mit  SBorten  öorfd)rei6t, 
iDo  unb  mie  fie  get)en  unb  ftel^en,  fid)  fjatten  unb 
ben)egen,  SKienen,  ©eberben,  ^anblungen  öoHgie^en, 

15» 


228 


toaS  unb  tote  fte  fprec^en  foßen  —  Im^,  infoferit  er 
mit  Söorten  @|)tetantt)eij'ungen,  „9iegtebemer!ungen" 
unb  bergteid)en  gtebt,  ettoa  aud^  Ston  unb  ©tintmung, 
Wiene  unb  ©eberbe  Dor[dE)reibt,  tn  unb  mit  benen 
gefprod)en  tüerben  foE  —  unb  enblic^  aud),  fofern 
er  haS  gu  ©pred^enbe  in  feinem  SSortlout  fpracEjUd^ 
unb  fd^riftlic]^  fijiert.  ®a§  unb  bergleid^en  ift  aber 
nur  hie  eine,  äu^erlid^e,  menn  auä)  nod^  fo  mid)tige 
3Irt  unb  Sßeife,  mie  bem  S)ramati!er  bie  @pract)e 
5um  9}?ittet  mirb,  t>aä  @piel  in  ^orm  unb  ®ang  gu 
bringen.  ©tttjaS  Slnbereä,  mel^r  Snnerlic^eö  unb  nod^ 
2Bi(|tigereä  ift,  ha'^  bem  ^ramatüer  bie  ©prad^e  ha^ 
löicf)tigfte  Stuäbrutfömittel  ift,  um  ben  inneren  feetifd)en 
SSertauf  ber  ^anblung,  bie  ©ntmidEtung  ber  SöiUenö« 
!onf[ifte  mit  aU  i^ren  93egleiterfd^einungen  im 
äftl)etifc^en  @inne  anfc^aulid)  gu  mad^en.  2)ie  anberen 
5lu§brudäbeh)egungen  aEein,  9}?ienen,  ©eberben, 
äußere  ^^at^anblungen  genügen  baju  nictit,  menn 
ha§>  S)roma  ni(f)t  auf  ber  Stufe  beg  ^angeö  ober  ber 
Pantomime  fte^en  bleiben,  bielme£)r  n)ir!Iic[)e§  ®rama 
fein  foß.  @o  öiet  fid^  im  ©injetnen  burc^  einen 
f8üd,  eine  SD?iene  ober  ©eberbe,  ein  ßad^en  ober 
©eufgen,  burd^  Haltung  unb  93ett)egung  jeglicher  ?lrt 
öon  bem  augenbticElid)en  ßuftanb  be§  inneren  fagen 
tä^t,  fo  ausgiebig  ber  ^ramatüer  biefe  9J2ittet  für 
feine  SSirfungen  am  redeten  Ort  benu^en  mu^,  fo 
forgfältig  fid^  ber  erfahrene  SDramatifer  ^üten  mirb, 


—     229     — 

t)ic(  fd)5nc  SBortc  ju  ntacl)en  in  einem  3tugenbücf, 
ujo  il)m  bcr  ©djaufpicter  burd^  eine  furje  ^anb= 
ticnjcnunfl  ober  berßleidjcn  bie  c^an^e  SBittung  feiner 
583ortc  luir»t)egnct)Kicn  fnnn:  fo  genügen  bod)  für 
baö  ©nngc  bicfc  niimifdjen  StJtittcI  nid)t,  um  ben 
gan,^cn  feelifd)en  SJ^erbcproje^  beö  SBillenö  üom  erften 
9(uftaud)cn  beS  5tonf(iftS  biö  gu  feinem  enbgittigen 
?fu§tTag  bem  3"ff^ouer  beutlid)  unb  anfc^aulic^  5U 
mod^en.  3e  reidjer  unb  bertiefter,  je  tjermidelter  unb 
umfaffenber,  je  geiftiger  unb  feiner  biefer  ^rogefe  mit 
oH  feinen  Segteiterfdjcinungen  fid)  geftaltet  unb  ent* 
foltet,  je  mel^r  namentlid)  eben  baö  SS  erben  be§ 
^rogeffeö  gur  bramatifc^en  ^Dorftellung  fommen  foll, 
befto  unentbet)rlid)er  mirb  bie  «Sprache  aU  5(u0bruc! 
für  bog  aUeß,  beftoft)eniger  genügt  bie  bto^e  SJcimif. 
2)em  Qugenblidlid^enStQnb  beö^rogeffe^  im  (Singeinen, 
ben  öorübergc^enben  ßuftönben,  bie  nid^t  ha^  eigent* 
lic^e  SSerben,  fonbern  mef)r  ©rgebniffe  unb  SSorauö* 
fe^ungen  be§  SBerbenö  finb,  aud^  efma  eingelnen, 
gong  hirgen  ©tabien  unb  SBenbungen  bei  SBerbenö 
—  benen  aüerbingi  !ann  bie  9}?imif  unter  Umftänben 
fogor  ftärferen  unb  einbringlic^eten  Slu^brud  geben 
a\§  ha§  Söort;  für  ha^  eigentlid^e  innere  SSerben 
be§  SBillenö  aber,  für  feine  öerttiidelteren  nament* 
lid^  gefüt)Iömä§igen  93egteiterfd^einungen  (alfo  für 
baö  Stjrifd^e  im  ^ramatifd^en)  unb  öoHenbi  für  ge* 
iuiffe  epifd)e  93eftanbteile   beg  3)ramag  ift  nur  ba§ 


-     230     — 

9Bort  ha§>  auSreid^enbe  ^TuSbrucfSmittet.  Unb  tüeif 
eben  haä  SSerben  beg  9Bitten!§  unb  fetner  Äonftüte 
bie  etgenttid^e  ©eele  beö  S)ramatt[d^en  tft,  barum  tft 
au6)  hk  ©prad^e  ha§  tt)i(^ttgfte  bramatifd^e  2lu§* 
brucf^mittet,  fo  fel^r  eg  üon  ber  Wimit  unterftü^t, 
obtDol^l  eg  üon  i^r  gunjeiten  abgelöft  njerben  mag, 
obtool^t  eg  felbft  tüieber  gumetlen  nur  gum  Unter* 
ftü^ungSmittel  be§  3)ämt[c!^en  n}erben  fann.  ®aö 
liegt  im  SBefen  be§  SDramatijdjen  abermals  fo  ftc^er 
begrünbet,  ha^  eö  feinen  ^ramatüer  giebt,  ber  be^ 
bramatifc^en  2Borte§  nidjt  möd^tig  tuäre  —  ganj 
abgefe£)en  üom  fpegififd)  ^oetifc^en  am  ©ramatifd^en, 
haS'  \a  of)nebieö  Dom  9Bort  nic^t  gu  trennen  ift. 

Sine  anbere  ^rage,  hk  ^toat  fc^on  lange 
ejiftiert  aber  bodj  erft  burdC)  D^idjarb  3Sagner  fo 
red^t  in  bie  2SeIt[)ineingelüorfen  toorbeniftjftbie^rage, 
ob  unb  h)ie  njeit  ha^  bramatifd^e  SSort  nur  aiS  ge* 
fprodieneö  ju  faffen  fei  ober  fid)  aud^  mit  ber 
9}?ufif  üerbinben  ober  gar  nur  in  SSerbinbung  mit 
3J?ufif  gelten,  ja  am  ©nbe  gar  burd^  bie  9}?uftf 
überftüffig  gemad^t  Ujerben  !önne?  Sllfo  bie  ^rage 
über  Dper  unb  9}?ufi!brama.  ®iefe  §rage  ift  eine 
^rage,  mag  fie  auc^  ben  eingefd^tt)orenen 
SSagnerianern  enbgittig  getöft  fd^einen;  anberen  er* 
fd^eint  fie  ungemein  öermidEelt  unb  meitauöfet)enb, 
fie  !ann  auc^  in  biefem  ßwfommenfjang  nic^t  bi§ 
inö  (Sinjelne  öerfotgt  toerben.     5tber  eö  giebt  gemiffe 


—    231    — 

cntjdjcibcnbe,  im  953cfcn  bc8  5)ramati|cl)en  iinb  im 
SKefon  ber  SD^ufif  bcgrünbctc  ®cfid)töpunfte,  luelc^c 
bie  ^ad)Q  [tatt  5U  öcrcinfodjcn  flccignct  [inb. 

3)?an  tpirb  Don  ^olcjcnbcm  auögctjcn  muffen, 
^ic  pft)d)o(oc\ifrfj'äftl)ctifrf)C  ÜBirtung  ber  SJ^ufif  üoü* 
gicijt  fid)  in  bcn  aüßcmcinftcn  (yrunb3Ügen  fo :  burd^ 
®et)ör8reiäe,  5tfangcinbrüde  üermittelt  entfte{)t  eine 
bcftimmtc  'äxt  öon  S^erbencrregung,  bie  aber  über 
bie  bIof3c  (Srregung  ber  ©eljörSncrüen  ^inaugget)t, 
boS  gefamte  9lerl)enft)ftem  in  9Kitfd)n)ingung  üerfe^t 
unb  fid)  pft)djologifd)  qIjS  ein  ©efamtguftanb  ber 
@efül;t§fpl)äre  barfteÜt.  3Bir  nennen  iljn  ©timmung. 
S)iefer  mufifalifdje  ©timmungöäuftanb  ift  nun  aber 
nid)t  nottüenbig  üerbunben  mit  beftimmten  3Sor= 
fteüungen  ber  anf(^auenben  ^^antafie,  mit 
inneren  ©efidjtöbilbern;  er  fann  folc^e  gu  S3egteits 
erfd)einungen  ober  ^-otge^uftänben  ^aben,  aber  er 
mufe  nid)t,  h)enigftenö  nid^t  in  ber  SSeife,  ba^  mit 
<Sid;erl)eit  auf  ha^  Eintreten  irgenbtt)etd)er  beftimmter 
SSorftellungen  5U  rechnen  iräre.  StUerbingä  !i3nnen 
burc^gen^iffetonmalenbeSlIangfigureninnaturaliftifd^er 
S^ad^o^mung  be§  3Sir!(idjen  beftimmte  SSorftellungen 
getüedt  ttjerben  —  aber  biefeS  SJctttel  ift  bod^  nur 
in  fel^r  befd^ränftem  9J?a§e  anmenbbar;  eg  !ann  aud^ 
auf  anbere  SBeife,  burd^  au^ermufüatifd^e  SSer* 
anftaltungen,  burd^  \)a§  SBort  namentlich,  bafür  ge^ 
forgt  fein  ober    geforgt    loerben,    ha'^  fid)  beftimmte 


232 


ßtangeinbrüdEe  burd^  Hebung  unb  ©etuötpung  mit 
befttmmten  SSorfteßungen  fd)on  für  un^  öerbunben 
I)aben  ober  in  ber  SSorfü^rung  eineS  mufüalifd^en 
S33er!eö  aümäl^Iic^  bantit  öerbinben  —  aber  auä) 
biefe  9}?ögtt(^feit  ^at  i^re  engen  ©renken  unb  be« 
rul)t  überbieö  eben  auf  nid^t  b(o^  mufifalifdjen 
9J?ittetn,  fd^eibet  alfo  au§  ber  9!^etrad)tung  ber  rein 
mufüalifc^en  2!öir!ung  au§>.  Sm  orangen  ift  eö  bod§ 
bein  ßufößf  be5ieJ)ungätt)eife  ber  allgemeinen  ober 
augenblidüdjen  inbioibueHen  ©iöpofition  be§  9J?ufif:=^ 
Ijörenben  überlaffen,  meldte  SSorfteßungen  an* 
fd^auenber  5Irt  fic^  i^m  mit  ben  get)örten  0ang=^ 
üorfteßungen  unb  ben  burd^  fie  oermittelten 
(StimmungSguftönben  möglid^erUjeife  berbinben. 

9^un  finb  aber  gang  beftimmte  SSorftellungen 
unb  SSorfteüungggruppen  unerlä^Iid^e  Sebingung, 
menn  un§  ein  SBiüenöoorgang  beutlid^  merben  fott  — 
menigftenä  fomeit  fid)'§  um  SSillengüorgänge  l^anbelt, 
bie  ftd)  im  ©emufetfein  öollgietjen;  eö  !önnen 
:^öd^ften§  gang  allgemeine  unbemu^te  Biegungen  be§ 
fiebenömißen^,  namentlid^  in  ber  ^orm  üon  ^trieben 
ot)ne  ha^  STuftreten  bon  beftimmten  SSorfteHungen 
öerlaufen,  nur  in  ©timmung^guftänben  fid^  an* 
fünbigen,  mie  fie  bie  SKufif  aßein  mit  einiger 
©id^erf)eit  erzeugen  !ann.  ©arauä  folgt,  ba^  bie 
a^ufif  al§>  fotc^e  fein  93Zittel  l)at,  SBillenöoorgänge 
mit    gtoingenber    (Sicf)ert)eit    beutlid^    gu    madf)en, 


—     233     — 

fiinftlcrifcl)  bar^uftcUen,  ^um  minbcften  feine  im 
Haren  iÖctuufUfcin  uerlaufenben  5fi3iUeni8üorflänfle. 
SBenn  nun  aber  in  ber  3)arfteUunfl  üon  Söillenö* 
Don^änflen  bad  üöejcn  beö  2)ramatifd)cn  ließt,  fo 
foI(^t  uiciter,  baf?  bie  5[)(uftf  eben  biefciJ  2[öefcnt(id)e 
nicljt  auö^ubrüctcn  ocrmag  —  aufjer  c^  Ijanble  [ic^ 
um  luenicj  beftimmte,  triebartige,  unter  ber  ©eioufjts 
jeinöfcljiuelle  fitf)  l)oU5ie^enbe  Biegungen  beS  all* 
gemeinen  SebenömiUenS.  9Iuf  ber  anberen  Seite 
f)abcn  aber  aud)  bie  SBiKenöDorgänge  regelmäßig 
il)rc,  luenn  aud)  nod)  fo  geringen  Segleiterfd^einungen 
gcfüt)l!§mäJ3iger  3lrt,  menn  aud)  nur  ftimmung^artig; 
benn  ein  gemiffer  ®efüt)t!S«  ober  ©timmungöton 
öerbinbet  fid)  eben  mit  ben  SSorfteüungen,  auf  ttield^e 
bie  innere  SBiUenöaftion  fid)  rtd)tet.  ^Tiiefe  gefü^Iö* 
unb  ftimmungömäßigen  Segleiterfd^einungen  be§ 
SSillenö  alfo  fann  bie  SDtufif  ^um  2lu§brud  bringen 
—  biefe  allein,  fie  aber  atterbingg  nic^t  feiten  üiel 
ftörfer,  aU  e§  mit  anberen  SluöbrudsSmitteln 
mijglid)  ift. 

3?on  bramatifd)er  5Q?ufif,  haß  l)ei§t  bon 
S!}tuftf  al§  einem  felbftänbigen  Slu^brudömittet  be^ 
®ramotifd)en  fann  alfo  ftreng  genommen  gar  nid^t 
bie  9iebe  fein,  fo  leid)tl)in  man  biefen  ^Tuiobrud  gu 
gebraudjen  pflegt.  SSenn  man  il)n  überhaupt  gu* 
läffig  finben  mill,  fo  fann  bamit  nur  gefugt  fein, 
ha^   bie   9}(ufif   ®efüt)le    unb  Stimmungen    errege, 


—     234     — 

toeld^e  toir  al§  S^egleiterfd^etnungen  öon  SBtltenSs 
borgängen  gu  er!ennen  im  ©tanbe  finb.  Stuf 
mufifatifcEjem  SSege  taffen  ftd^  aljo  SSiEenäöorgänge 
alö  borI)anben  anbeuten,  tüetc^e  iüir  nur  auä  joId)en 
95eg(eiterfd^einungen  gu  erfennen  öermögen  ober 
tüetd^e  überl^aupt  nur  in  ber  g-orm  üon  ©timmungg* 
äuftönben  bie  93en)u^tjeinöfd^tt)elle  ü6erfd)reiten;  unb 
eg  tä^t  fi(f)  ber  ßinbrutf  öon  anberttieitig  fd^on  gum 
SluSbrud  gebrarf)ten  SSillenäöorgängen  üerftärfen, 
tt)enn  it)re  Segleiterfdjeinungen  aud;  mufüalifd)  gum 
9Iu§brud  gebrad)t  merben.  Sm  ©egenfa^  bagu  er* 
geugt  baö  bramatifd^e  Söort  mit  @id)er^eit  he> 
[timmte  SSorfteHungen  für  bie  fd^auenbe  ^^antafte, 
unb  inbem  eö  biefe  atä  (SJegenftänbe  ber  3öiGen§5 
aÜion  bor  bie  ^tjantafie  bringt  unb  etma  nod^  mit 
gett)iffen  nid)t  anfdjaulidjen,  met)r  begriffüd^en  93e* 
jeid^nungen  nadj^ilft,  meldte  birefter,  menn  aud^ 
ärmer  auf  bie  SSiCenööorgänge  felbft  l)inmeifen  — 
fann  ha§  SBort  Diel  kräftiger  unb  beutUd^er  aud^  bie 
im  t)eflften  93emu§tfein  öerlaufenben  2öiöen§t)orgänge 
gum  STuöbrud  bringen.  2)a  überbieg  bie  SSorftellungen 
aud^  it)re  ®efüt)tötöne  mitbringen  unb  «Stimmungen 
erzeugen,  fo  !ann  ha§  SBort  aud^  jene  ^egteit* 
erfd^einungen  be^  SSiÜenö  bem  §örer  üermittetn;  ja 
eö  ^at  nod^  bie  gät)igfeit,  eine  ber  rein  mufüalifd^en 
naf)  öermanbte  5llang=  unb  Stimmung^mirfung  bagu 
gu    bringen.      Se    üöüiger    bai§    atleö    bem    SBorte 


~     23Ö     — 

i^clinflt,  befto  tücniflcr  fann  bieSKufif  baju  tl)un;  je 
imyoUftanbiöcr  cö  bem  Süort  flclingt,  befto  cljer  fann 
bte  9)iufif  crönn5cnb  eintreten  ober  ben  (Stnbruc! 
Uorftnrfcn,  inbem  fic  bie  93cg(eitcrfcf)einungen  ftärter 
l)eri)ürl)obt.  S)abci  ift  übrtßenö  nid)t  ju  üergcffen, 
bQJj  ba§  bramatifdje  253ort  fdjon  eine  natürliche  (Jr* 
flän^^unc^  unb  i^erftartung  burd)  bie  Wimit  i)at, 
U)cld)c  eine  mufifalifdje  ©rgän^ung  um  fo  weniger 
notiucnbig  er[d)einen  lä^t,  je  oölliger  fid^  SSort  unb 
?J?imif  5um  STuöbrud  ber  SBiüenäüorgänge  ücrbinben. 
'^a^t  man  baö  aüeä  fdjarf  in^  5(uge  unb  uer* 
folgt  mon  eö  njeiter  in  feine  Äonfequengen,  fo  follte 
eö  nid)t  all5ufd)njer  fein,  in  ben  fragen  ber  Opcx 
unb  beS  SJtufifbramaS  einen  fidleren  ©tanbpunft  ju 
gettjinnen,  Don  bem  au!§  man  allerbingö  mit  mand^en 
gangbaren  5ruffaffungen  in  ^onflüt  kommen  aber 
audj  über  baß  bto^e  ®efd)mäde(n  unb  ©mpfinbeln 
ober  S^iad^reben  öon  I)errfd)enben  <Sd^lagn)ürtern 
l)inauöfommen  fann.  (£ä  rairb  nun  begreiflid^,  tt)ie 
bie  bramatifd)e  ^'unft  —  aud)  nad)bem  fte  i^re 
anföng(id;e  enge  S5erbinbung  mit  ber  SKufif  längft 
gelöft  unb  fic^  gur  felbftänbigen  ^unft  auögen}ad^fen 
f)atte  —  bod)  ttjieber  bapfommen  fonnte,  bie  9J?ufif 
a(§  §itfe  für  itire  SSirfungen  f)eran3Uäie^en;  e§  tt)irb 
begreiftidj,  ftjie  man  geloiffe  I^rifd^e  ©tetten  beö 
^ramaö  gum  Sieb  ern)eitern  unb  fingen  taffen 
fonnte;  begreiflid^,  njie  auc^  ba§  im  fangen  nur  ge= 


—     236     — 

fprod^ene  ®rama  l)te  unb  ha  Siebet  einlegen  !ann, 
irie  e§>  gutoeilen  burc^  reine  SKufü,  einzelne  Snftru= 
mente  ober  Drd^efter  gen)iffe  ©teEen  üon  ®efüt)Ig* 
unb  ©timmungggetialt  nod^  befonberö  l;eraugl)eben 
ober  ettoa  gar  im  ©ingelnen  einmal  ha&  SBort  burd^ 
9J^u[if  erfe^en  mag.  iBegreiflid^  iüirb  ferner  auc^, 
tttie  9iid§arb  SBogner  bagufommen  !onnte,  bie 
3J?uft!  alö  ein  unertäfelid^eg  2luöbruc!gmittet 
für  ha§>  gange  S)rama  §u  forbern:  feiner 
gangen  Snbiüibualität  gemä^  unb  unter  bem 
@inf(u§  @d^opent)aueri§  fud^t  er  ben  SBißen  mit 
befonberer  SSorliebe  unter  ber  S3emu§tfeinöf(i)tüelle,  in 
jenen  SJegionen  be§  oßgemeinen  SebenSmißen^,  mo  er 
me£)r  triebartig  h)ir!t  unb  l^äufig  ha&  93en)uJ3tfein  unb 
bie  beftimmten  SSorfteltungen  füeijt;  in  biefe  3iegionen 
mit  ber  SJtufi!  Iiineingumütilen,  bünft  itjm  befonber^ 
lüid)tig  unb  l^ier  errei(i)t  er  aud)  feine  ftärfften  SSir« 
fungen.  5tber  bie  @ad§e  l)at  au(^  eine  anbere  @eite: 
biefe  91egionen  umfaffen  bei  meitem  nid)t  ha^  gange 
Gebiet  ber  SBillenäüorgänge,  bie  eigenttid^  bramatifcfien 
SSiUenöfonfliEte  üollgie^en  fidj  ebenfogut  unb  met)r 
nod^  im  Ijellen  ^ag  be§  Seiru^tfeinS  unb  I)aben  jene 
bunfeln  D^legionen  be§  Unbettju^ten  nur  gum  Unter* 
grunb.  2)ie  SDJufi!  aB  foIct)e  ift  aber  nic^t  imftanbe, 
bie  bemühten  SSiUenööorgänge  genügenb  beutlid)  ot)ne 
i>a§>  SBort  gum  Sluöbrud  gu  bringen  —  ha§>  ift  @ad§e 
beg   2Sorte§  unb  i^m  nebft  ber  SJtimi!  bleibt  baf)er 


237 


im  ^Droma  btc  crfte  <3teUe,  bie  entfc^eibcnbe  Sc* 
beutunfl  für  bie  ^arftcUunfl  beg  ÜDramatifd^en.  3a 
eS  ift  imftanbc,  nur  mit  .^^ilfe  bcr  Wimil,  o^nc  9JZufif 
ein  botlc^iltif^cö  bramatifd^cöSpiet  ^u  erzeugen;  SBagner 
tl)ut  iljm  Unrcdjt,  lucnn  er  iljm  bie  9!JZu[if  unter  allen 
Uniftänbcn  alö  (Src^ängung  ober  gar  a(S  baö  hc 
Ijerrfdienbe  bramatifdje  9fuöbrudömittel  aufätüingen 
miß  —  er  mirb  Don  aßen  großen  S)ramen  ber  SBelt« 
literatur  fingen  geftraft.  Unb  eö  tommt  nod^  einä 
ha^u:  mo  irgenb  ber  äfttjetifd^e  3^^^  ^^  Xirama 
fd^on  burd^  SBort  unb  Wimit  erreidjt  ift,  ha  !ann  bie 
9}2ufi!  nid)t  nur  nic^tö  me()r  {)in5ubringen,  fte  fd)äbigt 
fogar  bie  2Sir!ung,  inbem  fie  gegen  ha^  aügemeine 
fiebenögefe^  öerftö^t,  ha^  au6)  ein  äftf)etifd)ei§  ®efe^ 
ift:  gegen  haS  (5Jefe|  beg  Heinften  Äraftmafeeö,  ha^ 
beftimmt,  ha'^  bie  aufgemanbten  SD?itteI  im  rid^tigen 
35erljältniö  gur  beabfidjtigten  Seiftung  gu  fte^en  f)a6en, 
menn  nidjt  mit  Unluft  gegen  bie  zugemutete  Äraft* 
öerfdjmenbung  reogiert  merben  foU.  (Sinpf^c^ologifd^er 
|)auptgrunb,  marum  fo  SSiete  fid§  üon  Sßagnerfd^en 
9J2uftfbromen  mit  Untuft,  öerftimmt  unb  ärgertii^ 
überreizt  abmenben,  ift  eben  ha§,  maö  freiließ  ben 
SBenigften  bemüht  ift:  ha^  Söagner  bie  9J?ittet  §ur 
©rreid^ung  be§  bramatifc^en  3^^*^^^  ^^  unmäßiger 
Söeife  ^öuft,  inbem  er  überaß  hk  9Kufif  ^ingubringt, 
auc§  mo  SBort  unb  Wmit  ben  ^tenft  aßein  t^un 
Jönnten.     5)a§    erzeugt  ein  ©efü^l  ber  Ueberlaftung 


238 


unb  Ueberreigung,  beg  unöerfjältniämäjgtgen  ^raftauf* 
ironbe^,  Öegen  baS  eben  einmal  nur  biejenigen  n\d)t 
meljr  mit  Unluft  reagieren,  beren  gan5er  pf^d^ifd)* 
ptj^fifd^er  Drgani^muö  of)nebie§  fc^on  überreizt  ift. 
3n  biefer  33e3ie{)ung  \)at  SSagner  gegenüber  ber 
Oper  üor  iJ)m,  bie  er  ti)eoretifd)  fo  grünbtid)  gerichtet 
f)at,  m6)t  etiua  neue  93af)nen  e in gef erlagen,  fonbern 
er  f)at  nur  ben  bereite  eingefd^Iagenen  3Beg  bi§  on 
eine  ©ren^e  üerfotgt,  Iüo  !ein  2Seiterget)en  möglirf; 
ift,  njo  man  fd^Iie^lid)  mieber  n)irb  umfe^ren  muffen. 
2)enn  haS  gerabe  njor  bie  äfttjetifd^e  Xfjor^eit  —  nid^t 
ber  einfachen  ©pieloper,  beö  fd)Iid^ten  «Singfpiet^, 
fonbern  ber  Oper,  mie  fie  fid)  big  auf  SBagner  t^ot* 
fäd^Iid)  entmidelt  f)atte:  fo  üiel  fie  oud)  an  rein  mufi- 
falifc^en  25?erten  gu  Xage  geförbert  ^at,  fo  lüar  fie 
boc^  baf)in  gefommen,  \)a^  fie  alleö  S)ramatifd;e  gu* 
bedte,  gubautc,  oerfdimemmte  unb  öerfanbete  mit 
if)rem  etrigen  ©ingfang,  mit  bcm  h\§  gum  [)elten 
Slöbftnn  getjenben  Snmufüfe^en  bon  allem  9}?öglic^en 
unb  Unmöglidjen  —  bi§  fd;(ie§Iid)  !ein  oernünftiger 
5[)ienfd)  met)r  etn^aS  Dom  ©ramatifc^en  öerfpüren 
tonnte  unb  bie  Seute  nur  nod)  um  ber  9Kufif  unb 
ber  5tu!§ftattung  millen  in§  Xt)eater  tiefen,  ha§  boc^ 
ber  ©d)aupla^  furo  ^rama  fein  folt.  SSenn  bann 
einmal  einer  batjin  tum,  unüorfic^tig  mit  ber  el)rlid)en 
50?einung  l^erauS^upla^en,  bie  Oper  fei  im  ®runb  ein 
äftl)etifc^er  llnfinn,  fo  !lang  ha§>  aßerbing§  fd^redtid) 


—    239    — 

imiu  für  bic  0()ren  ber  einfcitiöcn  3)iufifmcn[d)cn ; 
bicfer  9?aiDc,  (Mute  f)Qttc  fid;  aber  nur  baö  gefunbc 
(Smpfinbcn  bafür  beiuatjrt,  boft  baö  3)rnmatifdje  nur 
um  feine  ei(\en[te  51'raft  unb  üfölrfung  c^ebTad)!  ipirb, 
loenn  man  feinen  natitrlid)en  \Huobrud0mitteln  fünfte 
lid)  nodj  ein  anbereö  aufpfropft,  unb  ^Wax  haS  eigen* 
finnigfte  unb  rüdfidjtölofefte  üon  allen,  ha^  bem 
jDramattfdjen  fdjmaro^erl)aft  boä  befte  Seben  ausSfaugt. 
Unb  Söagner,  ber  bte  Stfjortjeit  biefer  Oper  nac^ 
anbern  (Seiten  fiin  fo  n}ot)I  eingefcl^en  unb  fritifiert 
^at  —  er  modjt  bie  <Bad)Q  gujor  infofern  beffcr,  alg 
er  bie  SKufif  grunbfä^tid)  njieber  in  it)re  bienenbe 
SteEung  gegenüber  bem  bramatifd)en  3^ed  gurüd* 
üermeifen  miü;  aber  er  mad)t  auf  ber  anberen  Seite 
bie  ^ad)e  nur  fc^timmer  unb  füt)rt  fie  §u  it)ren  öu^erften 
Äonfequengen,  inbem  er  ebenfo  grunbfäl^Iic^  bem  SSort 
unb  ber  9Jcinii£  nodj  bie  9J(ufif  aufbringen  unb  an 
«Stelle  ber  Dper  unb  beö  reinen  ^Dramaä  fein  SJJuftf* 
brama  aU  baä  angeblid)  alleinige  Äunftroer!  ber  ßu* 
fünft  fe^en  mill.  (£g  mirb  aud^  no^  eine  ßett  fommen, 
ha  man  ha§>  unb  bergleid^en  mieber  einfetten  tt)irb; 
5ur  ^e'it  ift  nod^  mcnig  unbefangener  93ttcf  bafür 
öOT^anben. 

(Sä  bleibt  nod)  bie  ^^^age  übrig:  \üa§>  ift  benn 
nun  aber  bramatifdje  <Sprad)e?  3Sa§  mad^t  bie 
Sprad)e  bramatifd)  im  Unterfd^ieb  üon  jeber  anberen 
Sprad^e?    S)te  Stntmort   mirb  fu^  nac^  allem  93i§s 


—     240     — 

fjertgen  in  gebrängter  ^ürje  geben  taffen.  9Btr 
bürfen  nur  totitex  fragen:    ftjer  fprid^t  im  ©rarna? 

—  haä  ^d^t:  nid£)t  im  SBud),  aud)  nid)t  in  ben 
3tegiebemer!ungen  beö  ^Dramatüerö,  fonbern  im 
tebenbigen  (Spiet  auf  bem  ©d)aupla^.  '^id)t  ein 
@r5ät)Ier  fprid)t,  nid^t  ein  I^rifd)er  jDid^ter,  fonbern 
bie  bramatifd^en  ßt)ara!tere  felbft  fpredjcn  burd)  ben 
SD^unb  ber  fie  fpielenben  SWenfd^en.  Unb  gu  n:)eld)em 
ßtüed  fpred^en  fie?  Unö  i^r  Snnereö  gu  offenbaren, 
unb  ghjor  fo,  fttie  biefeö  im  Sauf  ber  |)anbtung  — 
haß  l^ei^t  in  ben  ^onflüten  il)re8  2öitten§  unb  unter 
ben  auf   fie   gurüdnjirfenben  folgen    it)reä  9BoIIen§ 

—  in  bem  ftetigen  ^ro5e^  eineö  unauSgefe^ten 
SBerbenS  begriffen  ift.  ®aö  bem  ßufd^auer  gu  geigen 
in  aU  feinen  @tabien  unb  mit  aU  feinen  inneren 
unb  äußeren  SSermittlungen  —  boö  ift  ber  einzige 
3tt)ed,  gu  bem  bie  bramatifd)en  ßt)araftere  ben 
9)?unb  auft^un.  ^ramatifd^  ift  alfo  bie  @prad)e 
nur  bann,  hjenn  —  unb  nur  fon)eit,  al^  fie  biefem 
3tt)ede  bient:  jenen  SSerbeproge^  bor  unfern  ?Xugen 
auSgubreiten,  i^n  entftet)en,  fid)  entn)ideln  unb  ber* 
n)ideln,  löfen  unb  abfd^tiej^en  gu  laffen,  uni§  fo 
t)ineinfd^auen  gu  laffen  in  ha§>  SBerben  be§  SBiöenä 
unb  feiner  t^olgen,  ha^  eö  ift,  als  erlebten  tohß  un« 
mittelbar  fetbft,  alö  njürben  trir  mit,  n)ät)renb  bor 
unferen  3tugen  etwaß  voith.  ^aä  bramatifd^e 
(Spre^en  ift  ein   fortn)äf)renbe§  herausarbeiten    ber 


—     241     ~ 

SöitlcnSüotflQnge  unb  it)ter  ©egteiterj'rfieinungen  au8 
bem  Innern  ber  (Stjaraftcrc,  ein  herausarbeiten  für 
ben  ßufffjflucr,  aucf)  n)enn  bie  bramatifd)c  ^^erfon  e* 
wod)  fo  intim  mit  [id)  jelbft  5U  tt)un  I)at;  baburd^ 
ba^  fio  fprid)t,  mcit)t  [ie  unsS  in  itjre  intim[ten  ©e* 
l;cimniffe  ein,  fo  ba^  fie  wie  unfere  eigene  ?lnge* 
Iegenl)eiten  mcrben  —  unb  bicfe  (5Jet)eimniffe  finb 
®el)eimniffe  beS  inner[ten  Sebengmiüeng.  hierin 
liegt  unter  onbcrcm  audj  bie  ^Berechtigung  beS  biel« 
angefod)tenen  9}?onologä  —  frcilid)  aud)  bie  ^renge 
feiner  93ered^tigung.  SBo  eine  ^-|5erfon  im  gegebenen 
5lugenbüd  für  jenen  ^\ded  nidjtg  SSid^tigeä  unb 
SBefentlid^eig  5u  fagen  unb  gu  offenbaren  f)at,  too 
eine  furge  3tnbeutung  genügen  ober  gar  ftär!er  auf 
unfere  ^()antafie  tüirfen  mürbe  ober  mo  mit  anberen 
3J?itteIn  einfad)er,  natürlicher  unb  einbringlid)er  ber 
93licE  in  bie  inneren  SSorgänge  eröffnet  merben 
fönnte,  ba  t)at  bie  ^erfon  allerbtngö  !ein  brama* 
tifc^eä  Sted^t,  in  unferer  ©egenmart  laute  @elbft= 
gefpräd^e  gu  fütjren,  etma  nur  um  ftd^  felbft  ju 
befpiegeln,  um  eine  Sude  aufzufüllen  ober  um  beö 
^ramatüerg  r^etorifc^e  ober  :poetifd)e  S3egabung  auf= 
gujeigen;  ha  ift  baä  aEeä  unbramatifdje  9^ebnerei, 
unb  fei  fie  nod)  fo  fc^ön.  ?lber  eö  giebt  göEe,  in 
benen  eä  bie  Oon  ber  bramatifd^en  ^anb(ung  ge* 
gebenen  Umftänbe  mit  ftd^  bringen,  ha^  ber  ein* 
fame    9Kenfd§     unä    nur    in    fein    3nnere§    bliden 

SEBettbre^t,   X)a3  beutfcbe  Scamo.  16 


242 


laffen  !ann,  inbem  er  ba§,  toa§>  in  tt)in  borget)!, 
felbft  auöfprtd^t  —  man  ben!e  nur  beifpielSttteife  an 
bie  SRonotoge  §amtet§,  bei  benen  e§  be[onber§  !Ior 
liegt.  (Sogar  in  ber  SSirHicIifeit,  auf  toelc^e  bie 
(Siegner  beg  SJ^onotogg  pod)en,  üoßgie^en  fic|  feelijd)e 
SSorgänge  nic^t  feiten  auöbrüdlic^  fo,  bofe  fte  firf)  in 
SESorte  faffen,  ja  bie  innere  Erregung  füt)rt  ben 
5D?enfd)en  pufig  ba^in,  \>a^  er  biefe  Sßorte  laut 
fprid^t,  aud)  tt)o  fie  fein  SJJenfd)  l^ört  ober  l^ören 
foH;  fprid)t  er  fie  aber  in  2Bir!Iid)!eit  nid^t  laut,  fo 
mu^  er  fie  bod^  im  ®rama  laut  f^rec^en,  benn  ba 
:^at  er  3ut)örer,  Ujenn  aud)  nid;t  ouf  ber  öü^ne,  fo 
bod)  im  ßufc^auerraum  —  3ul;örer,  ha§  Reifet  in 
biefem  %aU  SJJenfc^en,  bie  beömegen  im  ßufd^auer* 
räum  antoefenb  finb,  ioeil  fie  'm§>  innere  be^ 
SD^enfd^en  auf  ber  93ül)ne  fetjen  UJoUen;  ha^  fönnen 
fie  aber  in  biefen  gälten  nid^t,  hjenn  ber  SWenfd^  auf 
ber  93üt)ne  nicE)t  laut  fprid;t,  ma§  ber  90?enfd)  ber 
2SirfIid^!eit  nur  in  fid^  {)inein  fpräc^e.  (Sin  anber* 
mol  freilid)  DoHgieljen  fid^  bie  in  grage  Jommenben 
feelifdien  SSorgänge  in  ber  2öirnid)!eit  nur  in  ber 
gorm  üon  SSorfteHungen  unb  bamit  öerbunbenen 
®efüt)Ien  unb  @emüt§ben)egungen  jeglidjer  SIrt; 
aber  im  bramatifd)en  @piet  foEen  fie  fid)  eben  nic^t 
bto§  t^atfäd)Iid)  üoÖgie^en,  fonbern  fie  foGen  bem 
3ufd)auer  offenbar  unb  beutlid^  njerben.  2)a§  aber 
Qif)i    unter    Umftänben    einfach    nid^t    anber§,    aU 


—     243     — 

inbcm  tt)nen  üföorte  öclicljen  luctbon;  biefe  SSortc 
aber  muffen  üon  bcn  ®pie(enbcn  laut  gefpro^en 
iDcrbcn,  lucnn  fie  gcl)ört  njcrben  unb  it)re  SBirfung 
auf  ben  3"ic^flucr  tf)'un  foUen.  2öie  foE  un^  benn 
.^amlet  flctuiffe  SSorgnnfle  feineS  Innern,  öon  benen 
!ein  SJ^cnfd)  in  ^nnemar!  eine  Hfjnung  Ijobcn  barf, 
bie  aber  unö  offenbor  fein  muffen  —  mie  foll  er  fie 
anberg  gur  bramatifdtjen  SBirfung  auf  unS  bringen, 
alö  inbem  er  feine  ©ebanfen,  33orfteEungen  unb 
(SJemütöbeluegungen  in  SBorte  umfe^t?  Äann  er  un§ 
ettt)a  baä  alleS  mortlo^  oormimen?  könnte  ha^ 
nur  aud;  bie  9}?ufif  uniS  uollftänbig  öermittetn? 
dlein,  am  redjten  ^la^  ift  ber  SJJonoIog  nic^t  nur 
fein  3trmut§5eugni§  ober  Südenbü^er  unb  ebenfott)enig 
ettoag  bramatifd^  Untt)al)reg,  oietmeI)r  efma^  95e= 
redjtigteg  unb  S^ottoenbigeö  unb  überbieg  eine  ganj 
befonberg  benjeiöfräftige  ^robe  bafür,  ob  ber  S)ra= 
matüer  ein  bramatifc^er  ©id^ter  ift:  benn  nur  ber 
®idjter  t)Ot  bie  Slraft,  ben  an  fic^  üielteid)t  toortlofen 
©eetenüorgängen  folc^e  (S|)rad)e  §u  leiten,  ba%  eg 
bem  §örer  ift,  alö  fäl^e  er  ben  SKenfd^en  füllen, 
benfen,  tooßen  ober  alö  erlebe  er  felbft  bie  inneren 
SSorgänge  be§  bramatifc^en  (5I)ara!terg.  S)te  moberne 
^[bneigung  gegen  ben  9)?onoIog  fommt  offenbar  nid^t 
nur  auä  ber  oberfläc^lid^en  naturaliftifc|en  S^tjeorie 
fonbern  aud^  au^  bem  ftiEen  Setou^tfetn  :poetifd§er 
Ungulänglid^leit. 

16* 


244 


®a§  au<S)  im  3J2onotog  bramattfd^  ettüaö  rüden 
unb  öont  %Ud  !ommen  mu§,  toenn  er  fein  9?ed§t 
l^aben  fott,  ttjurbe  fci)on  in  einem  frül^eren  3^1* 
fammen()ang  erörtert.  5lber  aud^  njo  fonft  bie  im 
S)ramatifc^en  enthaltenen  I^rifd^en  unb  e^ifd^en 
(Stemente  fid^  geltenb  mad)en,  wo  ein  ©efü^Iö^uftanb 
ftd)  einmal  touter  unb  üoUer  auö[prid^t,  tt)o  etma« 
®ejd^ef)eneS  berid^tet  merben  mu^,  föQcn  ha^  bie 
bramatifd^en  ^erfonen,  menn  fie  njirflid^  bie  bra* 
motifd^e  'Bpxa^e  fpred^en,  in  einer  SBeife,  ha^  e§ 
alg  ettoag  Sfleueö  im  bramatifdjen  ^rogefe  erfd^eint, 
"öa^  mir  t)erauöt)ören,  lüie  ber  ®efü^Ii§äu[tanb  ober 
bie  Gegebenheit  auf  haS  bramati[d)e  SBerben  mir!t 
ober  au§  it)m  !ommt,  bie  in  ^rage  Jommenben 
«Stabien  ber  2öitten§entmidlung  ab[d^lie§t  unb  [gu* 
gleid)  meiterteitet.  [j%ü6)  in  ber  @prad)e  be§  ^DramoS 
ift  immer  eine  Spannung  üon  ber  ©egenmart  nad^ 
ber  ßii^unft.  Unbromatifd^  bagegen  i[t  bie  ©prad^e 
immer  bann,  menn  fie  —  ob  aud^  nod^  fo  fd)ön 
—  über  fertiges  unb  3(6get^aneg  beMamiert,  fei  eö, 
ha^  (SJefuf)t§5uftänbe  in  SSorten  breitgefd^tagen 
merben,  bie  nid^tö  ober  nid^tö  met)r  für  bie  Söeiter* 
entmidlung  ber  3Bittenö!onfti!te  gu  bebeuten  f)aben, 
fei  eS,  ba^  93egebenl)eiten  unb  ©reigniffe  um  i|rer 
felbft  bitten  berichtet  merben,  o^ne  ba^  fie  in  ber 
Slrt  unb  SBeife,  mie  fie  berid)tet  merben,  Oon  @inftu§ 
auf  bie  93ett)egung  ber  SBiEemSfonflifte  mären. 


—     246     — 

$)ie  bramatifrf)c  <3pracf)e  befommt  be^tocöen, 
im  Untcrfrfjieb  namcntlid^  öon  bet  epifdjen,  nid)t 
feiten  ettüQö  Siud^  unb  ©to^iüeifeS,  5(t)brc(^enbe8 
unb  ^tbfpringenbeö,  ja  UnTul)igeö  unb  ß^^^^iffcneö, 
ein  ^inunbtjcr  üon  ©djlog  unb  (Ä'egenfrfilQg  —  ge* 
tabe  fo,  Ujie  bie  SBiUenSüorgänge,  ttjenn  fie  in  ber 
<SeeIe  Serben,  i^re  unrutiig  f)in*  unb  I)erget)enbe 
SBellenbenjegung  Ijaben.  Unb  fie  bebarf  einet 
Änapptjeit  unb  ©ebrungentjeit,  bie  Don  ber  auöfüf)r* 
lid^en  33reite  ber  @r5Ql)(ung  ficf)  t)immelnjeit  unter- 
frfjeibet,  bagegen  mit  ber  ©prad)e  ber  reinen  S^rif 
infofern  immerijin  einige  33ertt)anbfd^aft  Ijat;  fie 
fann  5mar  an  einzelnen  ©teilen  fic^  aud)  gu 
rI)etorifd)er  güKe  unb  öoHtönenbem  SfusSbrud  ber 
Seibenfd^aft  entfalten,  aber  ha^  ift  nid)t  ber  ©runb^ 
djarafter  ber  bramatifd^en  @prad)e;  fet)r  I)äufig  öiel- 
met)r  begnügt  fie  fid)  mit  5tnbeutungen  mie  bie 
@))ra(^e  ber  S^rif,  nur  aug  anberem  ©runbe:  bie 
ß^rif  üertoeilt  bei  ber  @ad^e,  inbem  fie  anbeutet, 
ha§  ®rama  mill  rafdi  üormärt^,  unb  mo  ein  SBort 
genügt,  braudjt  e§  nid)t  gmei  ober  brei.  Sm  5)rama 
ift  jebeö  unnötige  SSort  nid§t  nur  überflüffig  (unb 
fpred)e  eö  felbft  ein  ©djiUer!)  fonbern  gerabegu 
fd^äblid),  bie  2öir!ung  abfd^mäd^enb  —  teilö  be^megen, 
med  alle  bereite  beutlid^  gemorbenen  9}?omente  bet 
|)anblung  öon  felbft  meiter  leiten  unb  öormärts 
brängen,  it)re  ftumme  ©prad)e  fpred)en;    teilö    aber 


—     246     — 

aud^,  tüetf  im  bramotifd^en  «Spiet  alle  anbern 
^tuäbrudäbetüegungen  mitf)elfen,  tüeit  ha§>  gonge 
©^jiet  ber  Wimxt  (unb  öoögie^e  eä  fid)  nur  in  ber 
^^antafie)  t)unbertmat  eine  furge  ^nbeutung  in 
SBorten  genügen  tä^t  ober  gar  einmal  jebeö  SBort 
überflüfftg  ma6)t,  too  ber  (Srjäfjter  noc^  aüe^ 
SDJögtid^e  au§füt)rlid)  jagen  mü^te. 

2)ieö  aUeö  brüc!t  aud^  ber  äu^ertid^en  Sprach* 
form,  ber  2Bortn)at)l,  bem  ©a^bau,  bem  9i^l)t^mu!3 
be§  SSerfeö  mit  innerer  9^ottt)enbtg!eit  feinen  ©tempet 
auf  —  foHte  e8  »enigftenö  t^un  unb  t^ut  e§  aud^, 
njenn  ber  3)romati!er  ein  bramatifd)er  ^ic^ter  ift. 
@8  ins  ©ingelne  gu  Oerfolgen,  ttjurbe  gu  njeit  in  bie 
fragen  ber  allgemeinen  poetifc^en  @prad;ted^nif 
fü{)ren.  5tudf)  über  bie  SSernjenbung  ber  ^rofa* 
fpracf)e  ober  be§  SSerfeg  im  ®rama  laffen  fid)  au3 
bem  3Befen  be^  2)ramag  unb  ber  bramatifc^en 
Sprache  !eine  allgemeinen  ^^orberungen  ableiten, 
^ier  t)anbelt  e§  fid)  teil§  um  eine  ©titfrage,  bie  nur 
im  gegebenen  ©ingetfaU  i^re  ©rtebigung  finben  !ann 
unb  me^r  praftifd)  alö  tt)eoretifc^  gu  töfen  ift;  teitg 
h)ürbe  aud^  ha^  tt)ieber  in  ein  attgemeinereö  Kapitel 
ber  3teftt)eti!  ber  S)id^tfunft  fütiren.  Smmert)in  tt)irb 
fid)  foöiet  fagen  taffen,  ba§  bie  ©prad^e  ber  ^oefte 
il^rer  ^atux  gemä§  immer  njieber  in  te^ter  Sinie 
auf  ben  9'tt)t)tl)mu§  ^inbrängt,  unb  ha^  biefer  innere 
S)rang  fic^  aud^  auf  bramatifd)em  ©ebiet  nic^t  oer* 


—     247     — 


leugnen  n)itb,  bort  üieUeic^t  [ogar  ftc^  in  öerftärftem 
2J?a^e  geltenb  mad^en  !ann,  ipcnn  aud)  ntd^t  in 
fotdjcr  <Stärfe  wie  in  bet  2\)xit,  [o  bod)  etfieblic^ 
[tätter  aU  in  ber  er5äl)(enbcn  3)id^tung. 


STd^teg  Kapitel. 

Poctifd?  nnb  X)ramattfd7, 
Dramatifd?  nnb  Ctjcatraltfd?. 


fie  bte  f(i)riftltd^e  ^eftlegung  beS  bramotifd^en 
©pieteg  bog  2)rama  auf  ben  S3oben  ber 
Siteratur  rüdt,  obtöof)t  eS  ntd^t  öon  ^au§  auö  unb 
feinem  SBefen  nad^  gu  ben  ttterarifd^en  Srgeugniffen  ge* 
^ött  —  fo  tritt  ha§  2)rama  al§  ÄunftttJerf  inö  Gebiet 
ber  ^oefie,  obtt)ot)I  an  ber  öößigen  5tu§geftaltung 
beg  bramatifc^en  ©pielS  auf  bem  ©d^aupta^  nid^t 
bie  ^oefte  aüein  beteiligt  ift.  3tl§  ÄunftttjerÜ  SBitt 
e8  !ein  Äunfttt)er!  fein  unb  nid)t  alg  fold^eS  gelten, 
fonbern  nur  ®elegen()eit  gu  einer  beftimmten  Strt 
üon  Unter^ttung  unb  ßeittotfd^tag  geben  für  Seute, 
bie  gerabe  ni^tg  S3effereg  gu  if)un  tt)iffen,  bonn 
aßerbingS  brandet  eg  bie  ^oefte  nid^t  gu  bemühen. 
SSon  biefer  ©orte  ift  ja  aUerbingg,  feit  eö  ein  X^eater 


—     449    — 

im  mobcrncn  8inn,  alö  ftänbifle  einrid)tunö  Qiebt, 
bte  öTofec  aWaffe  be«  aUtäfl(ic()cn  ^()eaterfutter2S,  an 
bem  fic^  ber  feinere  ober  ßröbere  ^öbet  Dctönüßt 
unb  mit  bcm  bic  Xljeaterlcitcr  it)rc  Äaffen  füllen. 
S!J?Qn  fann  barübcr  ftreiten,  ob  unb  lüie  ftjeit  eef  aud) 
ein  folc^efii  3)rama  nieberen  9kngeö,  baS  blofeeg 
^l)eatcrftücf  ift,  tf)atfQd)lid)  geben  muffe,  wie  »eit 
bas;  ^t)eater,  n)ie  eg  nun  einmal  ift,  audj  bem  aß* 
tQQÜdjen  UnterljaltungöbebürfniiS  ber  ÜJtenge  ju 
bienen  I)abc.  Unb  foweit  bie  ?(eftf)etif,  getoiffermafeen 
aB  5reftt)etit  be§  täglichen  Sebenö,  and)  bie  formen 
ber  alltäglichen  Unterl)altung  in  ben  Sereic^  i^rcr 
SSetradjtungen  unb  Unterfudjungen  gietjen  njill,  mag 
fie  aud)  biefem  Xfjeaterfpiet  if)re  5Iufmer!fam!eit 
fdjen!en  fo  gut  mie  bemßi^fu^  ober  bem  „SSariete." 
Slber  au§  ber  ^feft^eti!  beg  ^rama§  im  ftrengen  «Sinne 
fdjeibet  bie  93etrad)tung  beg  93üf)nenfpiels  au§,  ha§ 
öon  ber  bromatifd^en  ^unft  nur  bie  äußeren  formen 
borgt,  aber  im  3Sefen  anbere  ^roede  üerfolgt  ot§ 
Üinftlerifc^e,  auf  bie  Stufe  beö  ^auhtoexU  herunter* 
fteigt,  mag  biefe^  aud)  einen  golbenen  93oben  ^aben. 
^a§  S)rama  alö  Äunftujerf  aber  njirb  §um 
poetifd^en  ^unftttjerf  fc^on  boburc^,  ba^  fein  üor* 
net)mfteg  unb  unentbeljrlid^fteö  3lu§brudömitte(  bie 
©prad)e  ift;  fo,  ttjie  e§  aug  ber  |)anb  feinet  ©c^ö))ferä 
^eröorget)t  alö  ©egenftanb  ber  2)arftellung  für  haä 
lebenbige  ©piel  auf  bem  (3d)aupla|,  ift  eg  ein  fprac^* 


—     250     — 

lic^    geformtes  ^unfttoerf,    atfo    fd^on   unter    biefem 
®efic|tgpun!t  ein  SBer!  ber  ^tc^tfunft  —  haß  SBort 
Äunft  natürltd^  im  ftrengen  ä[tf)etijd)en  @inn  gefajgt, 
nid^t  in  bem  njeiteren,  in  bem  and)  eine  Siebe  ober 
eine    miffenfc^aftlic^e  2t6l)anblung    alg  ein  fprad^Iid^ 
geformte^  Äunftnjerf    begeid^net  merben  !ann.    ^Tber 
nic^t  nur  bie  äußere  ©prac^form  macr)t  ha§^  ®rama 
5um   poetifc^en  Äun[ttt)erf,    fonbern    ebenfo  unb  im 
legten    ©runbe    bie    innere    bramatifd)e  gorm,    au§ 
toelc^er   bie  äußere  alö  poetifc^e  {)eröortt)Q(f)ft.    @in 
perfönlid^er   Seben§get)alt,    in    eine    @toffn)ett    öon 
Silbern    unb    ©eftalten    t)ineingefü^tt   unb    ^inein^ 
gefrf)aut,    in    unb    mit    biefer    <3toffn)eIt    öon    ber 
fd^affenben    ^^antafie     unter    bestimmten    inneren 
ilunftgefe^en    organiftert  unb  geformt  unb  gnjar  fo, 
ba§    bie    fo    entftanbene    innere    gorm    burd;    ba^ 
^luöbrud^mittel   ber  Sprache    it)re  äußere  ^orm  be^ 
!ommen,    ber  STnfdiauung  anberer  »ermittelt  merben 
tann  —  bog  ift  boc^  njot)(  ^oefie,  haß  ift  ber  poetifd^e 
®ef)alt   eines  fprad^tid^  geformten  5lunftmer!eS,    ber 
eS  t)on  anberen  fprad)Iid^  geformten  ©eifteSergeugniffen 
unterfc^eibet.    ©inb    aber  jene  inneren  Äunftgefe^e, 
unter  toeld^en  ber  @et)att  organiftert  toirb,  bie  ©efe^e 
ber  bramatifd^en  Äunft,  fo  ift  bie  poetifd)e  ©djöpfung 
bramatifc^eS  ^unftmerf   unb  haß  bramatifd^e  Äunft* 
njer!  ^oefie. 

@o  ift  eS  im  ®runbe  felbftöerftänblid^,  obtt)o^l 


—     251     — 

€8  aud  nat)e(icgenbcn  (^Jrünbcn  audbtürfticl)  feftgeftellt 
iucrbcn  mu§:  ba^  ber  <3d|5pfer  einei^  S)ramaS  äußleic^ 
ein  jDid£)tcr  fein  mufj,  bafj  nur  ein  bramatifdjer  ^idjtet 
ein  tuirttid)cr  SDramatifer  ift,  nid^t  aber  jeber  93üf)nens 
l^anbiüerfer,  ber  nur  bie  äufjeren  formen  be<^  bra* 
matifdjen  ©pielö  benü^t,  um  irgenbnjetdje  anbere 
ßtnede  5U  erreirf)cn  alö  bie  ber  bramatifd^en  Äunft* 
lüirtung.  'Slnv  ber  probuJtiüen  bid^terifd^en  ^^antafie 
gelingt  eö,  in  bie  £ebeniS5ujamment)ängc  unb  i^ebenö* 
fonflifte  beö  Sdienfd^enbajeinä  mit  unmittelbar 
fdfiauenbem  S3tid£  [0  tief  einzubringen,  baf]  fie  ausJ 
bem  9ftol^ftoff  eine  lebenbige  bramatifd^e  §onbIung 
bilben  tann;  nur  ber  ^'id^ter  öermag  feine  ^jerföntid^e 
SBeltanfdEjOuung  fo  in  ben  @tof[  tjineingufü^fen  unb 
Ijineingufd^ouen,  ha'^  fie  aud)  mieber  aus  ber  bra= 
matifdjen  §anblung  t)eraugfd)aut  unb  ^erau^gefü^It 
ttjerben  !ann,  unmittelbar  im  2)rama  unb  auö  bem 
3!)rama  Übt  unb  mir!t.  ®ie  üerftänbige  (£r!enntni)S 
beS  geiftöollften  unb  tiefftben!enben  SD?enf(^en,  ber 
feine  |)robu!tibe  S)id)ter))f)antafte  befi^t,  reicht  baju 
nid)t  auö  —  ebenfomenig  aber  bie  blo^e  Kombination^* 
gäbe  jener  nur  reprobu!tiöen  ©d)einbramati!er,  bk 
mol^I  aßerlei  ge^en  beg  beobadjteten  mirHid^en  ßebenö 
mit  äußerer  Stt)eaterte^ni!  gu  einem  ©tüdE  gufammen« 
fdimei^en  aber  !ein  2)rama  geftalten  !önnen,  beffen 
^anbtung  eine  ein^eittid^e,  in  ftd^  abgefd^toffene,  Don 
innen  unb  au§  ber  2;iefe  beä  3J?enfd^eng(eben^  ^erau^ 


•       —     252     — 

tüirfenbe  Offenbarung  über  ÜJZenfdjentritlen  unb 
HKenfd^engefd^irf  bietet.  9^ur  ber  2)id^ter  ift  ferner  ber 
fidlere  90?enfd^engeftalter,  lüetd^er  tnnerttd^  tebenbtge, 
nid^t  blofe  aug  ©ingelgügen  äu^erlid)  gufammen* 
geleimte  SJ)Qraftere  ^infteHen  !ann  —  ß^araftere 
üon  jener  2eben§tt)al^rt)eit,  njeldje  toeber  burci^ 
peinlid)  getreue  9?acE)biIbung  eineö  suföüig  öor* 
{)Qnbenen  9}?obeII§,  nod)  burd)  irillfürlidje  3)?enfd)en* 
fonftru!tion  einer  ^altlofen  2(ßtaggpt)antQfie  gefd^affen 
toerben  !ann,  fonbern  nur  burd^  bie  intuitive  Srfaffung 
beö  3öefentlid)en  im  SD^enfdEjen  gugteid^  mit  ben  inbiöi* 
buellen  menfd)Iid)en  S5efonberI)eiten  —  (5t)ara!tere, 
beren  innerfter  Sebenötüiße  mit  aller  inbiöibueHen 
©d^Örfe  öor  bie  5tnfd)auung  tritt  unb  unö  bod)  bie 
5(f)nung  unb  boö  ®efüt)I  giebt,  bafe  unb  tüiefern  ber 
©ingeltüille  am  allgemeinen  9[)?enfd^engefd)id  mitmirft. 
9^ur  ein  bramatifd^er  SDid)ter  mirb  bie  Äompofttion!S:= 
gefe^e  be§  ®rama§  nid^t  ai§  äu^erlidje  Siegeln  ^anb* 
i)ahen,  fonbern  it;re2(nmenbung  in  jebem  ein5etnengaE 
au§  ber  großen  ®efamtanfd)auung  feinet  9Ser!e§  I)eraug 
in  bie  |)anb  be!ommen,  fo  ba^  fie  mit  bolter  greil^eit 
unb  bod^  in  ftrenger  S^Jotmenbigfeit  fid)  tüie  üon  felbft 
OoIIgiefien.  9lur  bie  ®id^terpt)ontafte  üermog  bie 
tragifd^en  unb  fomifdjen  Ä^onflüte  fo  in  bie  SCiefe  §u 
öerfotgen  unb  an  ber  SBurgel  gu  faffen,  ba^  fie  ftd^ 
oon  innen  ^erauö  gu  anfd^aulid^em  bramatifd^em  (S|)iet 
aufblättern   laffen   unb   nad)  i^ren  eigenen  ©efe^en 


-     253     — 

5um  übcr^cugenben  5tu8trag  !ommen.  Unb  nur  bcr 
S)id)tcr  bcfifjt  jene  übüigc  ^errfcfiaft  über  fQmtttrf)e 
für  baö  bramatifdjc  «Spiel  nötigen  ^tuöbrucföbe* 
lucgungcn,  namenttid)  aber  über  bie  ©prac^c,  o^ne 
tuctclje  c8  nidjt  mögtid)  ift,  baö  innerlid)  ©efdjaute 
unb  Geformte  aud)  in  bie  äußere  bramati[d)e  ^^otni 
umäufe^en.  ßlüar  braud)t  er,  tüie  früt)er  fc^on  an* 
gebeutet,  ntdjt  «Sdjaufpieler  ^u  fein,  bie  Wimit  nic^t 
als  eine  Äunft  äußerer  2)arfteIIung  5U  be^errfd)en; 
aber  in  ber  ^fjantafie  fiet)t  er  SD^ienen  unb  ®eberben, 
Sachen  unb  2öeinen,  ®ang  unb  Haltung  feiner  brama* 
tifc^en  ^erfonen,  prt  er  Ston  unb  ^lang  ber  ©timme, 
füt)(t  er  ben  gangen  ^roge^,  mit  bent  bie  feelifdjen 
SSorgänge  fid^  in  förperlid)e  @id)tbarfeit  herausarbeiten, 
fo  beutlid^  tt)ie  lEein  anberer  au^er  ettt)a  ber  if)m  nad^* 
fd)affenbe  Sc^aufpieter;  unb  biefe  «Stärfe  ber  inneren 
Slnfc^auung  giebt  it)m  bie  ^raft,  baS  Spiet  ber  ^tuS- 
brudSbewegungen  tt)ir!fam  anguorbnen,  öorgufd^reiben, 
mit  bem  3Sort  tnS  SSer^ältniS  gu  fe^en  ober  inS  SSort 
umäufe^en,  furg  bie  oon  i^m  gefc^auten  ®f)ara!tere 
in  jebem  Hugenbtid  auc|  in  bie  fic^tbare  Setoegung 
beS  bramatifc^en  Spiels  §u  bringen.  SSor  allem  aber 
bie  Sprad^e  ift  ja  fo  red^t  fein  eigenfteS  5(uSbrudS= 
mittel;  unb  feine  nur  it)m  eigene,  angeborene,  menn 
au^  burd)  nod^  fo  öiel  Hebung  gur  SO^eifterfd^aft  ent= 
midelte  £unft  ift  eS,  ben  bramatifc^en  SSorgdngen 
jebergeit  gerabe  bie  Sprad^e  5U  leiten,  bie  fie  i^rem 


—     254     — 

Söefen  gemä§  forbern,  bie  al^  bte  einzig  ri(i)ttge  unb 
übergeugenbe  unmittelbar  unb  oI)ne  ß^^ifel  empfunben 
ioirb,  je  na6)  Wa^Qahe  beö  gegebenen  %aik§.  ©d^on 
an  ber  ©prad^e  eineö  SDramaö,  fei  eö  nun  ^rofa* 
jprad^e  ober  Sßeräjprad^e,  tä^t  fic^  ernennen,  ob  e^ 
oon  einem  S)id^ter  ftommt  ober  nur  öon  einem  ge= 
fd^idten  ©ül)nent)anbtt)er!er;  unb  ber  ^id^terberteugnet 
fid£)  aud^  in  ^rofa  fo  menig,  alä  firf)  ber  |)anbn)er!er 
in  feinen  33erfen  öerbergen  fann. 

Äurg,  ba§  SSerf)äItni§  Don  ^oefie  unb  S)rama, 
^oetifd^  unb  ^ramatifd^,  fteHt  fid^,  öon  biefer  ©eitc 
gefe^en,  fo:  ber  äftfjetifdje  ®e{)alt  unb  3Sert  eineg 
Dramas,  bo§  alö  Slunftioerf  gelten  barf,  ift  5ugleicl) 
poetifc^er  (5Jet)alt  unb  SSert,  bo§  ©rama  aU  ll'unft= 
loer!  ift  5ugleid^  ^oefie,  ba§>  2)ramatifd^e  irirb  gum 
^oetifd^en,  toie  ber  ^Dramatüer  eg  erft  n)ir!Iic^  ift  al^ 
^id^ter.  (£<§  ift  infofern  fein  abgefd^tt)öd)te§  £ob, 
fonbern  enttoeber  ein  Unfinn  ober  ein  Oernid^tenber 
Xobel,  n>enn  njir  in  einer  Slritif  lefen:  ha§>  ®rama 
Ujöre  gong  gut,  nur  ^at  eö  feinen  poetifd[)en  Söert! 
Xt)otfäd^Iid^  giebt  eö  benn  audt)  fein  SDramo  öon  einiger 
Sebeutung,  ha§  nid)t  bon  einem  jDirf)ter  f)errü^rte, 
aße  grojgen  2)ramatifer  OoIIenbg  finb  gugleid^  gro§e 
^id^ter  —  unb  f)iergegen  fommt  aud^  Seffingä  @elbft* 
geugniö,  ha^  er  fein  S)ic^ter  fei,  nid^t  auf:  benn  feine 
brei  großen  ©ramen  ertoeifen  if)n  eben  bodj  aU 
2)idt|ter,    loenn  aud^  aU  einen,    ber  nur  im  ©rama^ 


unb  Qurf)  bo  nur  tanflfnm  unb  mit  ^i(fe  bcr  Äritif 
5ur  ®rb^e  öcbicl)cn  ift. 

9(bcr  bic  «Sncljc  I)at  audj  nocl;  eine  anbete 
Seite:  nid)t  alleö ''^oetifclje  ift  ^u(\Ieid)  bromattfd),  ber 
poetifdje  2Bcrt  cineö  2öer!eö  allein  üerbürgt  nocl)  nid)t 
feinen  bramatifd;en,  ber2)id)ter  als  folc^er  ift  bamit 
nod)  nic^t  ^ramatiter.  ?(ud§  baS  ift  eigentlid^  felbft* 
berftänblid),  aber  e«§  mu§  fo  gut  auöbrürflid)  feft* 
gefteüt  luerben  löic  baö  S3iö{)erige;  benn  beim  ^ubli* 
!um  unb  bei  bcn  '*^oeten,  menigftens^  bei  ^oeten 
minberen  DiangeiS  ift  bie  9}?einung  fet)r  verbreitet, 
bomit  ba^  einer  ein  ^oet  fei,  fei  er  aud)  ein 
2)ramatifer.  ©o  befdjeren  um8  mand)e  gang  madere, 
atö  S^rifer  ober  (Srgäljler  öieUeid)t  treffliche  2)ic^ter 
nur  aUguoft  fdjmac^e  ober  gang  unmögtidje  ©ramen 
—  fo  gut  wie  bie  9^id)tbid)ter  unb  ©djeinbramatifei 
i^re  :poefieöer(affenen  9^üf)nenftüde  un§  aU  mirfüd^e 
S)ramen  ausgeben.  Unb  mie  ha^  ^ubtifum  fid^ 
biefe  oft  genug  auffd)ma|en  lä^t,  fo  mirb  eö  aud^ 
nid^t  feiten  ftu^ig  ober  unmillig,  trenn  hie  brama* 
turgifd^e  ^ritif  fic^  genötigt  ftet)t,  auSgufpred^en  ober 
nac^äun)eifen,  ha'^  biefeö  ober  jeneö  2)rama  eine§ 
fonft  beliebten  ober  gefeierten  S)id)terS  gttjar  einen 
beftimmten  ))oetifd^en  9Bert  aEgemeiner  Strt,  aber 
einen  geringen  ober  gar  feinen  bramatifd^en  2öert 
ober  beben!(id)e  bramatifd)e  ©d^mäd^en  \)ahe  — 
(jei^e    ber    2)id^ter    nun    ®oett)e    ober  Urlaub    ober 


256 


©etbet  ober  ^e^fe  ober  irte  fon[t.  X^atfodie  ift  aber, 
ha^  eä  gtoar  taum  einen  ^id^ter  öon  ^ebeutung 
gtebt,  ber  ntd^t  irgenblrte  I^rifd^  auggerüftet  toäre, 
tuenn  aud^  gar  in  fo  geringem  3)?a§e  njie  Seffing  — 
ba^  aber  bie  Begabung  gum  ©ramatüer  nicE)t  not= 
toenbig  in  ber  attgemein  poetifc^en  mitgefe^t  ift. 
Sflamentlid^  eine  ftarfe  epifcfje  Segabung  uertrögt  [ic^ 
l^äufig  nicf)t  mit  auöreid^enber  bramatij'djer  ©efäl^igung 
—  tt)äl^renb  bie  l^rif(i)e  Stniage  [id)  fe^r  n)oI)t  aud^ 
gu  bramatijd^er  Seiftungöfä^igleit  au^Strad^fen  ober 
mit  i^r  t)on  Sfnfang  an  §anb  in  ^anb  ge^en  !ann. 
3um  S)ramati!er  brandet  q§  eben  eine  gang  befonbere 
:per[i)nlid^e  SSerantagung  für  bo^  Stnfd^auen  unb 
toenn  aud^  nur  p^antafiemä^ige  ^Durd^Ieben  üon 
SBiHenäfonflitten,  einen  fräftigen  ©inn  furo  SCragifd^e 
ober  ^omifd^e,  eine  befonbere  ^l^antafieau^rüftung 
für  ha§  ^in  unb  ^er  eineö  ©pieteS,  eine  5trt  ard^i? 
teüonifd^en  ©inneg  für  Äompofition  unb  ^anblungio^ 
fü^rung,  eine  gemiffe  bia(e!tifd)e  (3aht,  Äonfequenj 
unb  93iegfamfeit  gugleid),  eine  9f{i(^tung  ber  ^t)antafie 
aufö  9J2imifd^e,  eine  gdtiigfeit  beö  Ueberblidg  über 
fdjmierige  SSermidlungen:  haä  unb  bergleid^en  in 
trgenb  einer  befonberen  S[Rifd)ung  unb  baju  eine  ge? 
totffe  ©trafff)eit  unb  ©nergie  be§  eigenen  SSiüenS* 
lebenS  nebft  einem  namtiaften  ©tüd  9J?önnIid^!eit  — 
ift  nid^t  bei  jebem  ^id^ter  mit  feiner  inbiöibuellen 
poetifd^en  3(ugrüftung    gegeben.    Unb  überbie^  ftedtt 


—    257     — 

md)t  In  icbcm  bict)tcrifrf)cn  Xolent  bic  9Bud)t  unb 
SBcitc,  bic  ®röfec  unb  Zk\i  pcr|5nlid)cr  Söett* 
anfd)Quunfl,  bic  and)  bei  leiblicher  93c()crrfd)unfl  bcr 
äullcrcn  bramati)d)cn  formen  bcm  bramatifd)cn 
M'unftlucrf  crft  feinen  uoUen  Qöcijalt  cinäucjicücn  ücr* 
mag.  öiS  auf  einen  gcU)iffcn  &xah  fommt  aud;  baö 
in  Sk'tradjt,  bafe  am  bramatifd)en  ®cfamttunftmert 
bod)  nic^t  bic  ^ocfic  allein  beteiligt  i[t,  njenn  c8 
aud)  ol)nc  fie  nid)t  juftanbe  fommt,  ba^  ber  !Drama« 
tifer  aud)  für  bie  (Elemente  auö  anberen  fünften 
einen  ©inn  l^aben  mufe,  bic  gur  SQJitnjirfung,  njcnn 
aud^  in  bicnenbcr  «Stellung,  fommen  —  ja  aud;  einen 
genjiffen  @inn  für  ha^,  tüaß  an  ber  bramatifd^en 
Äunft,  tt)ie  übrigeng  an  jeber,  Dom  ^anbujcrf  be* 
fonberer  5trt  unb  Hebung  l)öngt.  S)edt  [td^  alfo, 
Don  biefer  anberen  @eite  gefeiten,  ha§  ^oetifd^e  mit 
bem  ^ramatifc^en  im  allgemeinen  ntd^t  o^ne  meitere^, 
fo  gilt  baö  ferner  auc^  im  ©ingeinen:  e§  !ann  ein 
^eil  eines  ®rama§,  eine  ©gene,  eine  <SteEe  fe^r 
poetifd^  fein  unb  bod^  fe£)r  unbramatifd^  —  ma= 
rum  unb  inmiefern,  mu^  auS  allem  Siö^erigen 
!lar  fein. 

®aS  S)ramatifd)e  heät  fid^  aber  aud^  nid^t  ol)ne 
loeitereg  mit  bem  Stl)eatralifd^en,  obmo^l  fi^ 
bcibe§  anbererfeit§  ntd^t  trennen  lä^t.  ^^atfäd^tid^ 
luirb  ja  beibe§  nur  gu  oft  üermed)felt,  mirb 
ha§>    blo§    5t!^eatralifd^e    fürS    '3)ramatifd^e    au§ge= 

SB  e  i  t  b  r  « (6  t ,  £>a§  teutf($e  J)ramo.  17 


258 


geben;  unb  umgefe^rt  geigt  fid^  gutüetten  eine 
ftar!e  5f6neigung  gegen  ha^  Xf)eatralifdje  im  Der- 
nteintlidEjen  Sntereffe  beö  2)ramatii(^en,  eö  er()eben 
gerate  gegenttjärtig  öerfdjtebene  Stimmen  bie  bemeg* 
lic^e  Älage,  ha^  unfer  2)rama  am  ^^eater  !ranfe 
unb  gugrunbe  gel^e,  unb  bie  bringenbe  gorberung, 
ha^  ba§  2)rama  fid)  Dom  ^t)eater  freimadje,  mit 
bem  e§  eigentlich  gar  nidjtö  gu  fd^affen  l)a6e.  ®aran 
i[t  ebenfoüiet  gatfd^eä  njie  2BaI)reg;  bie  ^ad)e  w'iil 
ettnag  fc^ärfer  in§  5(uge  gefaxt  fein. 

S33a8  tft  benn  ha^  X^eater?  ®od)  mot)I  ber 
©c^aupla^  für  ha&  bramatifd)e  @piel!  tiefer  mag 
in  feinem  geitn^eiligen  tt^atfäc^Iic^en  ßuftanb  nod^  fo 
üermat)rIoft  unb  verlottert  fein,  eä  mag  fidj  nod)  fo 
t)iel  grembartigeä,  nod;  fo  üiel  Un!unft  unb  frec^e^ 
^anbmer!  barauf  breit  mad^en,  er  mag  gur  geift* 
öertaffenen  Unter§attung§=  unb  SSergnügungöbube 
entnjürbigt  fein,  bie  auf  i|m  t)errfc^enben  ßuftänbe 
mögen  gu  einer  beftimmten  Qext  non  ber  5Irt  fein, 
ha^  ha§  mir!tid)e  ®rama  gar  feinen  ^talj  me^r 
barouf  finbet,  ha^  ber  bramatifc^e  ®id)ter  fid)  faft 
fd^ämen  mu^,  if)n  §u  betreten  ober  fid^  in  t)eiliger 
föntrüftung  für  je^t  öon  il^m  abmenbet:  tro^  allem 
bleibt  ba^  ST^eater  feiner  S3eftimmung  nad)  ber 
<Bd)aupla1^  für^  bramatifd)e  ©piel,  tro^  allem  brandet 
ha^  SDrama  atö  S)rama  einen  ©diaupla^,  auf  bem 
e^  alö  tebenbigeö  @|)iel    Dor  bie  9tnfdl)auung   treten 


~     2Ö9    - 

fonn.  ?(ud)  ber  öerbittcrtftc  brQmatifd)c  3)id)tcr  ober 
IJrcunb  bcr  brnmatifdjcn  ilunft  »erlangt  tro^  alle« 
3orneS  über  bniS  jetuciligc  Xt)eater  boc^  im  ^runb 
feincö  .^"»er.^cnei  nur  eben  norf)  einem  anbern  1f)eater, 
nod)  einem  luürbi(\en  (£f()aup(ati  fü^  i'«^  cd)te 
brnmatiiri)o  i3|nel;  nur  boss  bramenfdjrcibenbe 
Siteratentum,  nur  bie^oeten,  bie  eroig  nur  Literatur 
mQd)en  rooHen  für  bie  Siteratur,  bie  nur  fd)reiben  unb 
93üdjer  mad)en  roollen,  unbefümmert  umbie9}?i3glid)feit 
eineig  roirfüdjen  bramntifdjen@pietö,  ober  bie  überljaupt 
feine  5-äf)igfeit  5U  bramatifc^er  (^eftaltung  befi^en, 
nur  fie  fönnen  baf)in  fommen,  ba§  fie  bem  Xt)eater 
nlö  bem  @djauplQt3  beö  ©pielg  grunbfäpc^  ben 
9f?üden  fef)ren  —  unb  felbft  fie  fc^ieten  guroeiten  mit 
einem  5(ugc  nad)  i{)m  gurüd.  ©raud^t  aber  ba§ 
2)roma  irgenbmie  einen  ©c^auplat^,  einen  Spietp(o|, 
ein  XI)eoter,  nun  fo  pngt  eben  am  SDromatif^en 
felbft  non  9totur  ba§>  ^tjeatraüfc^e,  fo  treibt  e§>  ba§ 
X^eatralifd)e  üon  felbft  au§  \id)  ^eröor.  S)er  93egriff 
beg  X^eatralifc^en  umfaßt  bann  alleö  ha§,  roaö  bogu 
bient,  eine  üom  S)i(^ter  gefdjaffene  unb  fprac^Iid) 
auögeftoltete  bramatifd)e  ^anblung  in  if)rer  gangen 
inneren  Seben^füIIe  aud^  in  haß  äuBerlid^  fd)aubare 
Spiel  ouf  einem  beftimmten  realen  ©djaupla^  um= 
jufe^en,  für  bie  Süf)ne  tauglid^  unb  roirtfam  gu 
mad)en.  S)ie  Ifönftlerifd^e  Formgebung  ift  bamit 
allerbingg   an  ber  äu^erften  ^eriptjerie   ber  äußeren 

17* 


260 


^orm  angelangt,  aber  aud^  bt§  bort^in  mufe  fie  üor* 
fd^reiten,  ttjenn  ha§  bramattfd)e  ^unftlüerE  fein  ööUigeg 
Seben  für  ben  3itf<i)^ii^^  befommen  foll.  .^ie^er 
gefjört  benn  alleiS,  tüaB  öu§ere  ©Iteberung  ber 
inneren  Äompofition  in  bequem  fpielbare  S^eilftürfe 
t)ei^t,  (Sorge  für  glatten  5Ibtauf  ber  äußeren  35ors 
gonge;  n)irffame,  ben  ^-orberungcn  be§  ©pielö  geredjte 
5(bfc^Iüffe  ber  Xeilftücfe  unb  be^  fangen,  faßbare 
Ueberteitungen  Uon  einem  ^eil  gum  anbern,  fogar 
fogenannte  „bantbare"  2Bir!ungen  für  bie@pie(enben, 
ba^  fjei^t  äftf)etifc^e  ^ilfen  für  bie  äußere  @e(bft= 
barfteüung  ber  @(^aufpieler,  fidlere  5lnl)att§pun!te 
für  bie  nad)fc^offenbe  ^t)ätigfeit  ber  Sd^aufpieÜunft; 
ferner  unterftüt^enbe  SÖtittüirfung  ber  äußeren  (Sin= 
ritfjtung  be§  <3df)auplatje§,  2)eforation  unb  93e= 
leudjtung,  ©generie  unb  9}?afc^inerie  —  lur^  atteö 
ba^,  toa^  nötig  ober  nur  auc^  njünfd;en§tt)ert  ift,  um 
bie  eigentlid)  bramatifdjen  3Sorgänge  nid)t  nur  für 
bie  nad)fd)offenbe  ^I)antafie,  für  'öa^  innere  ?Iuge, 
fonbern  au^  für  haß  äu|3ere  Sfuge  mir!fam  gu  mad^en, 
ha§  bramatifd)e  Söort  fräftig  gu  ®el)ör  gu  bringen 
unb  in  jeber  SSeife  bie  5(nfc§auung  be§  unmittelbor 
gegennjörtigen  bramatifd)en  Qpklß  aU  fotd^en  fo 
einbringlid^  unb  übergeugenb  unb  äft{)etifd)  luftüoÜ 
atö  mögtid^  gu  mad)en. 

S)iefe^  Stf)eatratifd^e    ift   nun  freilid^  nid)t  has>f 
felbe    n)ie    ha^    2)ramatifd^e,    ift    nidjt    (Selbftgüjed 


—    261     — 

fonbcrn  nur  bicncnbc«^  !DiittcI  5iir  nijüij^cn  CSr» 
rcicl)ung  bc8  bramati)d)cn  3^<-'tf<^;  ^^  'ft  ^i^  öuf 
einen  (^eiuiffon  ®rab  nicljt  nur  Don  Qftl)ett[c^en 
fonbcrn  aurf)  Don  praftifrijen  9iüdfid;tcn  bebinßt,  esJ 
ift  5um  ^ei(  ein  ©türf  ^'^anbluerf,  forbert  eine  ge* 
tüiffe  ^anblucrfSfertigfeit  unb  aud)  Dom  2)id)ter,  ber 
e§  in  bcn  ilreiö  jcincö  bramatifdjcn  'Sd)affenö  5iel)t, 
eine  ^ulucilen  rein  Dcrftänbige  (Srn^ägung.  ?(ber 
cttoaei  Dom  ^anbtoer!  Ijängt  eben  fd^tiefelid)  an  jeber 
itunft,  fogar  an  ber  ^^oefie  —  Don  onberen  fünften 
wie  namentlid)  5.  93.  Don  ber  5(rd)iteftur  nic^t  ju 
reben;  unb  bicjenigen,  njeld;e  ha^i  ^anbroerf  in 
biefem  ©inne  nidjt  fönnen  ober  iDenigftenö  fennen 
Jonbern  nur  Ijod)l)erab  oerac^ten,  pflegen  erfa^rungiS* 
gemä^  ntd^t  eben  bie  größten  Äünftler  gu  fein,  ßrft 
iDenn  ha§  Str^eatratifc^e  fic^  Dom  ^ramatifc^en  ah' 
löft  uitb  auf  eigene  g-ü^e  fteüt,  SelbftgUjed  ober 
iDenigftenö  6el)errfd)enber  ßlDcd  unrb,  menn  ba# 
.^onbloerf,  ha^  an  ber  Äunft  f)ängt,  bie  Slunft  auä* 
treibt,  fid)  irie  ber  ©pa^  inö  '3le]t  ber  ©(^tvalbe 
fe^t  unb  mit  fred^en  klugen  barau^3  f)erDorgIo|it, 
bann  entfte()t  haä  ^^eatralifdje  im  Übeln  Sinn,  ba§ 
ruc^toä,  oft  fd)amIo§  !unftfeinblid)e  X^eatralifd^e; 
bann  fönnen  bie  ßuftänbe  eintreten,  ha  ha§  SDrama 
am  St^eater  !ranft  unb  I)infied)t  unb  gu  einem 
©egenftanb  ber  Stbneigung  gerabe  für  biejenigen 
U)erben    fann,    bie    eä    mit    ber    bramatifd)en  Äunft 


—     262     — 

efirlidE)  meinen.  ^Derartige  ßuftänbe  tuetben  ber 
bramottfc^cn  Äunft  um  fo  gefäl)rlid)er,  je  me^r  im 
^()eaterpublifum  nicE)t  ber  grobe  ^öbel  fid§  breit 
macljt,  ber  gar  nidjtö  anbere^  fud^t  alö  äujierlid) 
plumpe  Stl)eatermir!ungen,  je  mef)r  bagegen  ber  feine 
unb  raffinierte  ©ro^ftabtpöbet  ben  Zon  angiebt,  je 
met)r  bie  grofee  SJtaffe  ber  fogenannten  ©ebilbeten 
ben  Sn)eaterbefud)  alö  ein  ©rforberniS  feiner  Söilbung 
anfief)t  aber  in  feiner  bramaturgifd)en  Urteilä* 
unfäljigfeit  fid)  bog  bto^e  XI)eatraIifd)e  für  ha^ 
2)ramotifd)e  auffd3n)a^en  lä^t;  je  me^r  ber  äußere 
9}ül)nencrfoIg,  ber  ©rfolg  an  Xage^ru^m  unb  ®elb 
nidjt  nur  bie  gan^  geiftlofen  ©ül)nen£)anbn)er!c 
obenauf  bringt,  fonbern  aud)  2)ramatifer,  bie  etujaö 
Dom  ^id^tcr  in  fid)  l)ötten,  üerleitet,  ouf  ben  öu^ern 
tt)eatralifd}en  @ffe!t  gu  arbeiten  unb  ben  bramatifc^en 
2)id)ter  in  fic^  immer  mel)r  gu  erftiden,  fo  ba^  fie 
gule^t  nidjt  met)r  innerlid;  bramatifd^  fd)affen 
Ü^nncn,  felbft  menn  einmal  it)r  eingefc^läferteö 
äftl)etifd;eö  ©emiffen  mieber  aufmacht.  3)ie  üble  unb 
gefät)rlid)e  So^Iöfung  besS  2§eatratifd§en  bom 
2)ramatifd)en  üoß^ie^t  fid)  infofern  ot)ne  befonbere 
(Sd)tt)icrigfeiten,  al^  ba^  2f)eatralifd^e  unb  ^anb- 
irerf^mä^ige  eben  tai  Sernbare  on  ber  bramatifd;en 
Äunft  ift,  mie  fid)  ja  öon  jeber  Äunft  ha§  äufeerlid) 
Sted)nifd)e  unb  ^anbn)er!i§mä^ige  a(§  fotc^eS  erlernen 
lö^t;    fo    fc^ie^en    in  3^^^^"»    ^^    ^^^  Xt)eater   im 


—     263     — 

il>orbcrflrunb  bcö  SntcreficiJ  ftcl)t  unb  foflar  btc 
fliänjcnbftcn  iiufjcrcn  ^rfolflc  l)crt)cifet,  bie  ^^fu)d)er 
fcljiuammflleicl)  in  9)faf)en  empor  unb  füllen  mit 
il)ren  innerlid)  l)ot)lcn  unb  nidjtiQcn,  bramQtijdj 
flän^Iirf)  t)aItIofcn  aber  t[)eatraliirf)  blenbenben  ober 
nur  aud)  ^ur  Utot  luirfunQöooUcn  9Jiad)n)erfen  baö 
^ur  ?lbenbunterl)altun9öbube  für  bie  SDiaffen  fte* 
ioorbene  Xtjeater.  Unb  bod)  [inb  biefe  nid^t  einmal 
bie  fdjtimmften  geinbe  ber  bramati)d)en  Ä'unft,  lueil 
fie  fic^  bod),  aud)  bem  nur  tjolbroeflö  Urtei(äfäi)i9en, 
rafd)  in  itjrer  9Zid)tigfeit  offenbaren  unb  überbieö 
mit  großer  (Sile  tüieber  üom  '@d)auptat^  5U  Der* 
fd)U)tnben  pflegen;  Diel  gefährlicher  finb  jene  ®d)eins 
bramatifer,  toeldje  üon  ^auö  au^  ni^t  ol)ne  tuirf* 
lid)e  bramatifc^e  Begabung  finb,  nid^t  öon 
aÜer  ^oefie  üerlaffen  finb,  aber  auä  irgenb 
ttjelc^em  ®runbe  eö  gu  leiner  inneren  Steife  unb 
SSertiefung  bringen,  ben  ©ruft  unb  bie  3^^'^)^  ^^^ 
^unft  fo  iüenig  lennen  ttjie  ha§  einfame  9iingen  bec 
^erfönlid)feit  um  i^r  eigene^  etljtfd^eö  §eil  unb  um 
eine  grofee  3Seltauffaffung :  ttjenn  biefe  baä  SWafe 
i^rer  bramatifc^^poetifc^en  Begabung  im  §aften  nad) 
bem  öu^eren  ißül^neneffelt  üergeuben,  in  biefem 
©ffelt  aber  35irtuofen  iperben,  bann  entftet)en  jene 
Ä'unft  unb  ©efc^mad  uergiftenben  bramatifc^en 
©d)eingebilbe,  in  benen  ha^  StljeatraUfd^e  fid^  aU 
baö  ®ramatifd£)e  felbft  ju  geberben  toeiß,  fo  ha^  fd)on 


—     264     — 

ein  fd^arfeö  bromaturgifdfjeg  Urteil  ober  ein  gefeftigter 
©efc^mac!  ba^u  ge[)ört,  um  fid)  ntd)t  uerblüffen  511 
laffen.  S)amit  finb  aber  aöegeit  nur  bie  3Senig[ten 
au^gerüftet,  unb  fo  t)abcn  foId)e  ^t)eatrali!er  üon 
Äo^ebue  big  ©ubermann  immer  mieber  ben  tt)irf* 
liefen  bramatifd)en  ^id)tern  in  ber  ®unft  be§ 
Xf)eaterpublifumö  ben  Siang  abgelaufen  unb  merben 
eä  aud)  in  ßufunft  tl)un,  menn  nid)t  mit  ber  ßeit 
ein  gang  anbereö  SSerftänbniö  furo  !5)ramatifd)e  oud) 
in  n)eitere  Greife  eingiefjt  —  mag  jebenfaßä  langjam 
genug  gefd)et)en  mirb. 

S)a^  haB  S)rama  am  ^t)eater  !ran!en  tann, 
immer  üon  3^it  gu  3^^*  inieber  baran  !ran!t  unb 
gerabe  t)eute  mieber  einmol  fc^mer  baran  er!ranft 
ift,  fann  atfo  rut)ig  gugegeben  merben.  51  ber 
barauö  folgt  nic^t,  ba§  ha^  ©rama  feine  3Ser= 
binbung  mit  bem  ^tjeater  unb  mit  ber  ©c^aufpiet* 
!unft  gu  löfen  unb  ftd^  ütoa  m§  UiUw 
ftübc^en  ber  Siteratur  gurüdgugietjen  Ijaht;  baraug 
folgt  nur,  ha^  geitmeilig  gegebene  2f)eater5u= 
ftänbe  nad^  Sfenberung  unb  S3efferung  üertangen, 
ha^  bie  S8ermed)g(ung  oon  ®ramatif(^  unb  2f)ea* 
tralifc^  ein  nid)t  gering  gu  ac^tenber  (Schaben  für 
bie  bramatifc^e  Äunft  ift  unb  ha^  ber  2)ramatifer 
felbft  fid)  aufg  ©orgfättigfte  unb  ®emiffenl)aftefte  gu 
t)üten  ^at,  tl)eoretifd)  ober  pra!tifd)  in  biefe  ^er* 
med^Slung  gu  verfallen.     5lber    ebenfomenig    hxan6)t 


—     265     — 

er  bcm  ül^al)!!  ,^u  l)ulbi(^cn,  bnf]  il)n  baö  ^Ijcatra* 
lifdjc  im  nutiucnbiflcn  unb  natürlicl)  [id)  crgcbcnbcn 
(Sinne  flor  nicl)ts  anget)c,  bafe  er  eS  ganj  ungeftraft 
iniöodjtcn  bürfe.  ^'^^eilicl)  broiicf)t  er  fic^  aud)  nid)t 
allgu  pcinlidj  barum  ju  forflen  —  nid)t  nur,  roeif 
il)m  in  ber  ^rajL;i§  DicIeS  ©injcinc  üom  9fJefliffeur 
aböenommen  tucrbcn  fann,  bcr  nun  einmal  tl)at* 
fndjlid)  für  bie  äujjere  Seituufl  beiis  bramati)d)en 
(Spiel'?  fein  (Stellvertreter  gemorbcn  ift;  nielmetjr 
nod)  aus  einem  innerlidjen  ®runbe.  9Bo  nändic^ 
bag  j^ramatifdj-^oetifdje  mirflid)  unb  ed)t  t»orf)anben 
ift,  ba  treibt  e«S  basi  Xt)eatralifdjc  9an5  uon  felbft 
unb  notmcnbig  ou^  feinen  inneren  formen  unb 
SebenSbebinQuncjen  alö  bie  angemeffene  S3ül)nenform 
I)erauiS,  balb  ftärfcr  balb  fdjmadjcr,  immer  aber  im 
rid)tigcn  SlTtafsuertjältnifj  gum  2)ramatifdjen  folbft. 
S3ei  bem  geborenen  unb  fraftuoUen  bramotifdjen 
3)id)ter  ift  ber  Sinn  füriS  Xt)eatrolifd^e  in  feiner 
bramatifd)spoetifd)en  33p9abung  felbft  fdjon  mitgefe^t; 
eö  bebarf  für  if)n  nur  nod)  einiger  Uebung  unb 
Äenntni^  ber  realen  ^ül)ne  unb  if)rer  5;ed)nif,  um 
baö  9Zötige  mit  fidjerem  ^tafte  gu  treffen  unb  fo 
anguorbnen,  hafi  fein  2)rama  Don  ben  93ertretern 
ber  Sd^aufpieÜunft  fidler  unb  angemeffen  ing  fd)au* 
bare  Spiet  auf  bem  Sdjaupla^  gefegt  merben  fann. 
2)a^  biefe  ausfüljrenben  Crgane  bes  bramatifc^en 
SDidjter^  it^re  5tufgabe  rid^tig  faffen  unb  il;re  Äunft 


—    266     — 

uerftef)en,  ift  babei  unerlä^Iidje  S^orauöfe^ung ; 
barübcr  jebodj  nä£)ere  Untcrj'udjungen  anguftellen,  ift 
nidjt  mel)r  ©Qd;e  ber  5reftt)eti!  be§  SDramag  —  [ie 
\)at  c^  nur  mit  bem  ©rama  felb)"t  alö  einem  fpiel* 
baren  Äunfttüer!  gu  tf)un;  mie  unb  mit  meldjen 
Stunftmitteln  e§  t^atfädjlid}  gefpielt  merben  folt  unb 
fonn,  ha§  ptte  eine  2re[tt)eti!  ber  @d)auf^iel!unft  gu 
erörtern. 

S)ie  5Ieft^etif  beä  ®ramac>  ift  t)iermit  an  ber 
©renge  itjreö  Gebietes  angelangt.  Sft  rid^tig  unb 
giltig,  waä  bie  üorftet)enben  Unterfud;ungen  unb 
5(u!§fiit)rungen  borgutt^un  fudjten,  fo  i[t  bie  bra* 
matifd)e  Äunft  gmar  nic^t  bie  Äun[t  fd^Iec^tt^in,  aud) 
nod)  nid)t  of)ne  SSeitereö  bie  Ijbdjfte  5!un[t,  aber 
baö  2)roma  gel^ört  bod)  gum  |)öd)ften,  toaS^  menid)- 
Iid)e  Stunft  übert)aupt  erftreben  unb  erzeugen  !ann; 
jeine  Dffenborungen  fdjbpfen  au'g  ben  liefen  beö 
2)afeinö  unb  Sebengge^altesS  n^ie  nidjt  leicht  anbere, 
if)re  SSirfungen  [inb  üon  unermcfelidjer  9Jcäd)tig!eit. 
S)ie)e  ^unft  !ann  aber  auc^,  menn  [ie  entmeil)t  unb 
gefd^önbct,  Dcrfeud)t  unb  uergiftet,  üeräu^ertid^t  unb 
uerflac^t  mirb,  n)al;rl)aft  gerftörenbe  Söirfungen  im 
geiftigen  2eben  einer  S^Jation  anridjten.  Sebe  Station 
unb  jebe  ßeit  l)at  aber  immer  haä  ®rama,  haB  bie 
^^ation  in  biefer  3^^*  öerbient  ober  fic^  gefallen 
lä^t.  Unb  nic^t  nur  an  ben  ®ramati!ern,  Äritüern 
unb    5reftt)elifern,    fonbern    an    oüen    n)üt)rl;aft  ©e- 


—     267     — 

bilbctcn  oincr  y^ation  ücflt  c^,  nad)  Hräften  bofür 
3U  [orflcn,  cö  gciabqu  a(*  Wetuiffcnsjadje  5U  be« 
trad)ten,  ba§  nur  baö  auf  bcm  brQmatifrf)en  Sc^au* 
:pla|j  (Geltung  getuinne,  ivoS  cdjtc  bramatifd)c  Äunft 
ift.  2)ag  ift  nid)t  nur  ein  ä[t()ctifd)e8  fonbern  ein 
ct()ifd)c8  unb  nationalcö  !5ntcrcffo.  l^a^n  ober  mufe 
mau  luiffen,  unb  tucnn  man^  nidjt  lueiß,  lernen, 
\va^  bramatifdie  iluu[t  ift. 


^Mm 


S.  e.  $reu6,  »erlin  SW.,  Äommanbantenflr.  14. 


3nl)alt 


Geile 


©tnleitung 1 

I:    2)ag  2)ramQttfd)c 19 

II:    S)er  «Stoff  . 60 

III:    S)ie  bramatifcf)e  |)anblung     ....  78 

IV:    S)ie  ^axattcxc 141 

V:    ^ompofitionögefe^e 174 

VI:    5;ragöbie  unb  Äomöbtc 191 

VII:    ^ie  bramotifc^e  ©prad^e 222 

VIII:    ?Poetifc^    unb    ®ramatifd),    ^ramatifd) 

unb  ^^eotrolifc^ 248 


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